104 41 21MB
German Pages 2636 [2649] Year 2014
Gaier/Wolf/Göcken . Anwaltliches Berufsrecht
Anwaltliches Berufsrecht BORA BRAO EMRK EuRAG FAO GG RDG RDGEG Anwaltshaftung
Kommentar herausgegeben von Richter des Bundesverfassungsgerichts
Dr. Reinhard Gaier Karlsruhe Honorarprofessor an der Leibniz Universität Hannover
Dr. Christian Wolf Hannover Universitätsprofessor an der Leibniz Universität Hannover Rechtsanwalt
Stephan Göcken Berlin
2014
Bearbeiter Notar Dr. Jens Bormann, LL.M. Ratingen Rechtsanwalt Christian Dahns Berlin Rechtsanwalt Dr. Wolfgang Eichele, LL.M. Bonn Richter des Bundesverfassungsgerichts Prof. Dr. Reinhard Gaier Karlsruhe Honorarprofessor an der Leibniz Universitär Hannover Rechtsanwalt Stephan Göcken Berlin Rechtsanwalt Martin W. Huff Leverkusen Rechtsanwalt Frank Johnigk Berlin Rechtsanwalt Johannes Keller Berlin Rechtsanwalt Dr. Rudolf Lauda Frankfurt Prof. Dr. Andreas Piekenbrock Heidelberg Universitätsprofessor an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg Rechtsanwalt Prof. Dr. Michael Quaas, M.C.L. Stuttgart Diplom Rechtspfleger Ernst Riedel Starnberg
Prof. Dr. Stefanie Schmahl, LL.M. (E) Würzburg Universitätsprofessorin an der Julius-Maximilians-Universität, Würzburg Richterin am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Johanna Schmidt-Räntsch Karlsruhe/Berlin Honorarprofessorin an der Humboldt-Universität zu Berlin Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof Dr. Michael Schultz Karlsruhe Rechtsanwältin Julia von Seltmann Berlin Rechtsanwalt Dr. Alexander Siegmund München Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof Prof. Dr. Volkert Vorwerk Karlsruhe Honorarprofessor an der Leibniz Universität Hannover Prof. Dr. Christian Wolf Hannover Universitätsprofessor an der Leibniz Universität Hannover Rechtsanwalt Prof. Dr. Rüdiger Zuck Stuttgart
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 02 21 / 9 37 38-01, Fax: 02 21 / 9 37 38-9 43 [email protected] www.otto-schmidt.de ISBN 978-3-504-06761-8 ª 2014 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungsbeständig und umweltfreundlich. Einbandgestaltung: Jan P. Lichtenford, Mettmann Satz: Schäper, Bonn Druck und Verarbeitung: Kösel, Krugzell Printed in Germany
Vorwort zur 2. Auflage Der Gesetzgeber der 17. Legislaturperiode hat zum Ende seiner Amtszeit noch eine ganze Reihe von Gesetzen verabschiedet, die in größerem Umfang zu Veränderungen im anwaltlichen Berufsrecht führten. Zu nennen sind u.a. nur das Gesetz zur Einführung einer Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung und zur Änderung des Berufsrechts der Rechtsanwälte, Patentanwälte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer vom 15. Juli 2013 (BGBl. I, S. 2386), das Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken vom 1. Oktober 2013 (BGBl. I, S. 3714) sowie die im Rahmen der Kostenrechtsreform beschlossenen Änderungen in der BRAO (§§ 31, 48, 192 BRAO). Darüber hinaus hat die 5. Satzungsversammlung 2013 eine ganze Reihe von Änderungen beschlossen, z.B. die Schaffung des neuen Fachanwalts für Internationales Wirtschaftsrecht. Von besonderer Bedeutung war die Entscheidung der Satzungsversammlung vom 15. April 2013, § 29 BORA durch § 29a und § 29b BORA zu ersetzten. Die CCBE-Regeln, auf welche § 29 BORA für die grenzüberschreitende Anwaltstätigkeit bislang verwies, sind damit nicht mehr Teil des deutschen Berufsrechts. Beachtung können Sie nur noch als Teil einer ausländischen Berufsordnung finden, welche der in Deutschland zugelassene Rechtsanwalt nach dem Prinzip der Doppel-Deontologie zu beachten hat. Die Herausgeber haben sich daher entschlossen, auf eine eigenständige Kommentierung der CCBE-Regeln zu verzichten und stattdessen die von der CCBE beschlossenen Auslegungshilfen (Explanatory Memorandum) im englischen Originaltext und in deutscher Übersetzung zum Abdruck zu bringen. Um aber der zunehmenden grenzüberschreitenden anwaltlichen Tätigkeit verstärkt Rechnung zu tragen, ist nunmehr dem Internationalen Anwaltsrecht in der Einleitung ein eigener Abschnitt gewidmet. Diese gesetzgeberischen Änderungen und Beschlüsse der Satzungsversammlung haben das Erscheinen des Kommentars, welches ursprünglich für Ende 2013 geplant war, etwas verzögert. Hierdurch bestand aber die Möglichkeit, Rechtsprechung und Literatur noch bis Ende Januar 2014 zu berücksichtigen. Aus dem Kreis der Kommentatoren der ersten Auflage sind ausgeschieden Sonja Detlefsen, Anna Prentki und Lutz Tauchert, deren Teile von Christian Dahns, Michael Quaas und Christian Wolf übernommen wurden; neu in das Autorenteam aufgenommen wurde Johannes Keller. Beibehalten wurde auch in der zweiten Auflage der Ansatz, die Bestimmungen der BORA im sachlichen Zusammenhang der BRAO-Vorschriften zu kommentierten. Die drucktechnische Gestaltung wurde hierbei deutlich verbessert, u.a. durch einen Randbalken, um eine problemlose Auffindbarkeit der BORA-Vorschriften zu gewährleisten. Der Kommentar erscheint in zweiter Auflage im Verlag Dr. Otto Schmidt. Herausgeber und Autoren sind sich sicher, dort ein sehr gutes Umfeld für die Aufnahme des Kommentars in die berufsrechtliche Literatur gefunden zu haben. Karlsruhe, Berlin, Hannover im Mai 2014
Reinhard Gaier, Stephan Göcken, Christian Wolf
VII
Bearbeiter der 2. Auflage Bormann Dahns Eichele Gaier Göcken Huff Johnigk Keller Lauda Piekenbrock Quaas Riedel Schmahl Schmidt-Räntsch Schultz Siegmund von Seltmann Vorwerk Wolf Zuck
§§ 45, 59a, 59c-59m BRAO, §§ 8–10, 27, 30–33 BORA §§ 50, 51, 52, 53, 55, 59b, 191a–191f BRAO, § 17 BORA §§ 29a, 206–207 BRAO, Einleitung EURAG, §§ 1, 2–38, 39–42 EURAG, §§ 29, 34 BORA Art. 12 GG, § 210 BRAO §§ 175–190 BRAO §§ 43b, 46, 47 BRAO, §§ 6–7a BORA §§ 116–144, 148–161a, 209 BRAO, §§ 2, 4–5 RDG, § 4 RDGEG § 51a BRAO §§ 60–73, 74–89, 208, 214 BRAO §§ 6–9 RDG, §§ 1, 3, 5, 7 RDGEG §§ 43c, 92–112 BRAO, Einführung FAO, §§ 1–26 FAO, §§ 192–205a BRAO EMRK (Auszug) §§ 6–17, 112a–112g, 215 BRAO, Anhang nach § 215 BRAO: §§ 37, 40–42 BRAO a.F. Zivilrechtliche Anwaltshaftung §§ 27, 28–29, 30–42, 73b BRAO, § 5 BORA, § 38a EURAG, §§ 10–14, 15a, 15b, 18–20 RDG, §§ 2, 6 RDGEG § 49b BRAO, §§ 21–23 BORA §§ 48, 49, 49a, 145–147, 162–174 BRAO Einleitung, §§ 1–5, 44, 73a, 208, 215 BRAO, §§ 1, 18, 26, 29, 29a, 29b BORA, § 43 EURAG, Vorbemerkung CCBE/BORA, CCBE-Standesregeln, Einleitung Vor § 1 RDG, §§ 1, 3, 15, 16–17 RDG Vor § 43 BRAO, §§ 43, 43a, 43d, 56–59, 113–115c BRAO, §§ 2–4, 11–16a, 19, 20, 24, 25, 28 BORA
Aus dem Vorwort zur 1. Auflage Recht darf nicht nur in den Büchern stehen. Es lebt davon, erkämpft, durchgesetzt und verwirklicht zu werden. Der rechtssuchende Bürger – die Gesellschaft –, der Rechtsstaat benötigen dafür eine leistungsfähige, unabhängige und kompetente Rechtsanwaltschaft. „Access to Justice“ ist auch und vor allem Recht durch Rechtsanwälte. Recht durch Rechtsanwälte heißt aber auch Recht für Rechtsanwälte. In einem funktionieren Rechtsstaat ist das anwaltliche Berufsrecht weitaus weniger eine antiquierte Fußfessel anwaltlicher Tätigkeit als deren Magna Charta. Das anwaltliche Berufsrecht sichert die anwaltliche Tätigkeit, z.B. durch umfangreiche Zeugnisverweigerungsrechte und Verschwiegenheitspflichten ab, es nimmt die Anwaltschaft aber auch – z.B. – im Rahmen von PKH-Mandaten in Anspruch, um allen Bürgern unabhängig von deren Leistungsfähigkeit einen Zugang zum Recht zu gewährleisten. Die Situation der Rechtsanwaltschaft hat sich in den letzten 25 Jahren dramatisch verändert. Dies zeigt schon, dass in diesem Jahr erstmals die Schallmauer von 150 000 zugelassenen Rechtsanwälten in Deutschland durchbrochen worden ist. Die Spanne der beruflichen Wirklichkeit der Rechtsanwälte reicht von dem einzelkämpfenden Allgemeinanwalt über Fachanwälte in mittleren Sozietäten bis zu Rechtsanwälten, die in Law Firms angloamerikanischer Prägung tätig sind. Dieser Wandel findet vor dem Hintergrund eines sich rasant verändernden anwaltlichen Berufsrechts, welches durch das EU-Recht stets aufs Neue herausgefordert wird, statt. Dies machen alleine die Stichworte wie: „Fall der Singularzulassung und des Lokalisationsprinzips“, „überörtliche und interprofessionelle Sozietäten“, „Anwaltsflut“ sowie „Erfolgshonorar“ deutlich. Der neue Kompaktkommentar zum anwaltlichen Berufsrecht hat sich zur Aufgabe gestellt, in möglichst allen Zweifelsfällen sichere Auskunft zugeben, damit auch in einem deutlich VIII
Vorwort zur 1. Auflage schwierigeren Anwaltsmarkt das Anwaltsrecht als Magna Charta der Anwaltschaft nutzbar bleibt. Dies ist ein anspruchsvolles Ziel; denn wie wohl kaum ein anderes Rechtsgebiet ist das anwaltliche Berufsrecht von dem jeweiligen berufs- und wirtschaftspolitischen Standort bestimmt. Nach § 1 BRAO ist der Rechtsanwalt ein unabhängiges Organ der Rechtspflege. Die Bestimmung ist seit dem Inkrafttreten der BRAO am 1.8.1959 vor genau 50 Jahren unverändert geblieben. Die Wurzeln des Begriffs reichen aber viel weiter zurück. Bereits in der Begründung von 1878 der Reichsrechtsanwaltsordnung wurde vom Organ der Rechtspflege gesprochen. Das dahinter liegende Verständnis reicht von dem von Feuchtwanger entwickelten Leitbild des homo ethicus, dem er den homo oeconomicus gegenüberstellte, bis hin zum offenen Bekenntnis zu eben diesem homo oeconomicus, wie es z.B. dem XVI. Hauptgutachten der Monopolkommission zu Grunde liegt. An dem Kompaktkommentar wirken insgesamt 22 Autoren mit, die sich als Richter, Rechtsanwälte, Kammergeschäftsführer oder Wissenschaftler intensiv mit dem anwaltlichen Berufsrecht auseinandergesetzt haben. Besonders dankbar sind die Herausgeber, dass sie mit Rüdiger Zuck einen Autor gewinnen konnten, welcher nicht nur kurzfristig wichtige Passagen der Kommentierung übernommen hat, sondern, wie kein Zweiter die Entwicklung des anwaltlichen Berufsrechts in den letzten Jahrzehnten vom anwaltlichen Standesrecht zum heutigen in vielen Bereichen deregulierten Berufsrecht wissenschaftlich begleitet hat. Selbstverständlichen teilen nicht alle Autoren ein und dasselbe Bild des Rechtsanwalts als Organ der Rechtspflege. Gemeinsam ist allen Autoren jedoch ein Doppeltes: Die Überzeugung, dass der Rechtsstaat der Garant des Rechts des Schwächeren ist und der Rechtsstaat ohne starke, leistungsfähige und kompetente Rechtsanwaltschaft nicht denkbar wäre. Deshalb heißt „Access to Justice“ immer auch Recht durch Rechtsanwälte und Recht für Rechtsanwälte. Karlsruhe, Berlin, Hannover im September 2009
Reinhard Gaier, Stephan Göcken, Christian Wolf
IX
Inhaltsverzeichnis Seite
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
VII
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XXV
Abkürzungsverzeichnis
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XXXI
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
Grundgesetz Art. 12
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
53
EMRK (Auszüge) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
97
Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) mit korrespondierenden BORA-Vorschriften §1
Stellung des Rechtsanwalts in der Rechtspflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 1 BORA Freiheit der Advokatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 18 BORA Vermittelnde, schlichtende oder mediative Tätigkeit . . . . . . . .
169 198 200
§2
Beruf des Rechtsanwalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 26 BORA Beschäftigung von Rechtsanwälten und anderen Mitarbeitern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
204
§3
Recht zur Beratung und Vertretung
224
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
220
§4
Zugang zum Beruf des Rechtsanwalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
242
§5
Freizügigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
268
§6
Antrag auf Zulassung zur Rechtsanwaltschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
269
§7
Versagung der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft
. . . . . . . . . . . . . . . . . .
275 315
§§ 8, 9
(weggefallen)
§ 10
Aussetzung des Zulassungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
§ 11
(weggefallen)
§ 12
Zulassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
318
§ 12a Vereidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
325
§ 13
Erlöschen der Zulassung
330
§ 14
Rücknahme und Widerruf der Zulassung
§ 15
Ärztliches Gutachten bei Versagung und Widerruf der Zulassung
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
334
. . . . . . . .
355
§ 16
(weggefallen)
§ 17
Erlöschen der Befugnis zur Führung der Berufsbezeichnung . . . . . . . . . . . .
370
§§ 18–26 § 27
(weggefallen)
Kanzlei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 5 BORA Kanzlei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
378 413
§ 28
(weggefallen)
§ 29
Ausnahmen von der Kanzleipflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
416
§ 29a Kanzlei in anderen Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
422
§ 30
Zustellungsbevollmächtigter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
429
§ 31
Rechtsanwaltsverzeichnis
436
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
§ 31a Besonderes elektronisches Anwaltspostfach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
455
§ 31b Verordnungsermächtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
456
§ 32
Ergänzende Anwendung des Verwaltungsverfahrensgesetzes . . . . . . . . . . .
461
§ 33
Sachliche und örtliche Zuständigkeit
486
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XI
Inhaltsverzeichnis Seite
§ 34
Zustellung
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
§ 35
Bestellung eines Vertreters im Verwaltungsverfahren
. . . . . . . . . . . . . . . .
490 492
§ 36
Ermittlung des Sachverhalts, personenbezogene Daten, Mitteilungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
493
§§ 36a–42 (weggefallen) Vorbemerkung Vor §§ 43 ff. § 43
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Allgemeine Berufspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . § 11 BORA Unterrichtung des Mandanten . . . . . § 12 BORA Umgehung des Gegenanwalts . . . . . § 13 BORA Versäumnisurteil . . . . . . . . . . . . . . § 14 BORA Zustellungen . . . . . . . . . . . . . . . . § 15 BORA Mandatswechsel . . . . . . . . . . . . . . § 16 BORA Prozesskostenhilfe und Beratungshilfe § 16a BORA Ablehnung der Beratungshilfe . . . . . § 19 BORA Akteneinsicht . . . . . . . . . . . . . . . . § 20 BORA Berufstracht . . . . . . . . . . . . . . . . § 25 BORA Beanstandungen gegenüber Kollegen
. . . . . . . . . . .
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501 523 530 536 537 541 544 549 557 562 564
§ 43a Grundpflichten des Rechtsanwalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 2 BORA Verschwiegenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 3 BORA Widerstreitende Interessen, Versagung der Berufstätigkeit § 4 BORA Fremdgelder und andere Vermögenswerte . . . . . . . . . .
. . . .
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. . . .
567 601 615 623
§ 43b Werbung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 6 BORA Werbung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 7 BORA Benennung von Teilbereichen der Berufstätigkeit § 7a BORA Mediator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . .
. . . .
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629 640 642 648
§ 43c Fachanwaltschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
650
. . . .
. . . . . . . . . . .
. . . .
. . . . . . . . . . .
. . . .
§ 43d Darlegungs- und Informationspflichten bei Inkassodienstleistungen
. . . . . . . . . . .
501
. . . . . . . . . . .
. . . .
. . . . . . . . . . .
. . . .
. . . .
. . . . . .
664
§ 44
Mitteilung der Ablehnung eines Auftrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
675
§ 45
Versagung der Berufstätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
679
§ 46
Rechtsanwälte in ständigen Dienstverhältnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
699
§ 47
Rechtsanwälte im öffentlichen Dienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
709
§ 48
Pflicht zur Übernahme der Prozessvertretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
717
§ 49
Pflichtverteidigung, Beistandsleistung
722
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
§ 49a Pflicht zur Übernahme der Beratungshilfe
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
§ 49b Vergütung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 21 BORA Honorarvereinbarung . . . . . . . . . . § 22 BORA Gebühren- und Honorarteilung . . . § 23 BORA Abrechnungsverhalten . . . . . . . . .
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726 728 743 743 744
§ 49c Einreichung von Schutzschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
744
§ 50
Handakten des Rechtsanwalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 17 BORA Zurückbehaltung von Handakten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
745 754
§ 51
Berufshaftpflichtversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
755
§ 51a Berufshaftpflichtversicherung einer Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
784
§ 51b (weggefallen) § 52
Vertragliche Begrenzung von Ersatzansprüchen
. . . . . . . . . . . . . . . . . . .
796
§ 53
Bestellung eines allgemeinen Vertreters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
809
§ 54
(weggefallen)
§ 55
Bestellung eines Abwicklers der Kanzlei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XII
828
Inhaltsverzeichnis Seite
§ 56
Besondere Pflichten gegenüber dem Vorstand der Rechtsanwaltskammer . . § 24 BORA Pflichten gegenüber der Rechtsanwaltskammer . . . . . . . . . .
854 865
§ 57
Zwangsgeld bei Verletzung der besonderen Pflichten
. . . . . . . . . . . . . . .
870
§ 58
Einsicht in die Personalakten
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
874
§ 59
Ausbildung von Referendaren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 28 BORA Ausbildungsverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
877 881
§ 59a
Berufliche Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 8 BORA Kundgabe gemeinschaftlicher Berufsausübung und anderer beruflicher Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 9 BORA Kurzbezeichnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 10 BORA Briefbögen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 27 BORA Beteiligung Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 30 BORA Zusammenarbeit mit Abgehörigen anderer Berufe . . . . . . § 31 BORA (ehedem Verbot der Sternsozietät, aufgehoben) . . . . . . . . § 32 BORA Beendigung einer beruflichen Zusammenarbeit . . . . . . . . § 33 BORA Geltung der Berufsordnung bei beruflicher Zusammenarbeit
. .
884
. . . . . . .
. . . . . . . .
919 921 923 928 929 934 934 941
§ 59b
Satzungskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
945
§ 59c
Zulassung als Rechtsanwaltsgesellschaft, Beteiligung an beruflichen Zusammenschlüssen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
955
§ 59d
Zulassungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
966
§ 59e
Gesellschafter
968
§ 59f
Geschäftsführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
977
§ 59g
Zulassungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
980
§ 59h
Erlöschen der Zulassung
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
982
§ 59i
Kanzlei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
986
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
§ 59j
Berufshaftpflichtversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
988
§ 59k
Firma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
991
§ 59l
Vertretung vor Gerichten und Behörden
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
992
§ 59m Mitteilungspflichten, anwendbare Vorschriften, Verschwiegenheitspflicht . .
994
§ 60
Zusammensetzung und Sitz der Rechtsanwaltskammer
§ 61
Bildung einer weiteren Rechtsanwaltskammer
. . . . . . . . . . . . .
997
. . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1004
§ 62
Stellung der Rechtsanwaltskammer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1007
§ 63
Zusammensetzung des Vorstandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1018
§ 64
Wahlen zum Vorstand
§ 65
Voraussetzungen der Wählbarkeit
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1021 1025
§ 66
Ausschluss von der Wählbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1028
§ 67
Recht zur Ablehnung der Wahl
1030
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
§ 68
Wahlperiode
§ 69
Vorzeitiges Ausscheiden eines Vorstandsmitgliedes
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
§ 70
Sitzungen des Vorstandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1037
§ 71
Beschlussfähigkeit des Vorstandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1040
. . . . . . . . . . . . . . . .
1032 1034
§ 72
Beschlüsse des Vorstandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1041
§ 73
Aufgaben des Vorstandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1044
§ 73a
Einheitliche Stelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1064
§ 73b
Verwaltungsbehörde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1066 1070
§ 74
Rügerecht des Vorstandes
§ 74a
Antrag auf anwaltsgerichtliche Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1085
§ 75
Ehrenamtliche Tätigkeit des Vorstandes
1091
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XIII
Inhaltsverzeichnis Seite
§ 76
Pflicht der Vorstandsmitglieder zur Verschwiegenheit . . . . . . . . . . . . . . .
1092
§ 77
Abteilungen des Vorstandes
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1101
§ 78
Zusammensetzung und Wahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1106
§ 79
Aufgaben des Präsidiums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1109
§ 80
Aufgaben des Präsidenten
1110
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
§ 81
Berichte über die Tätigkeit der Kammer und über Wahlergebnisse . . . . . . .
1112
§ 82
Aufgaben des Schriftführers
1113
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
§ 83
Aufgaben des Schatzmeisters
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1114
§ 84
Einziehung rückständiger Beiträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1115
§ 85
Einberufung der Versammlung
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1117
§ 86
Einladung und Einberufungsfrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1119
§ 87
Ankündigung der Tagesordnung
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1120
§ 88
Wahlen und Beschlüsse der Kammer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1121
§ 89
Aufgaben der Kammerversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1124
§§ 90–91
(weggefallen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1137
§ 92
Vorbemerkung Vor § 92
Bildung des Anwaltsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1144
§ 93
Besetzung des Anwaltsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1147
§ 94
Ernennung der Mitglieder des Anwaltsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1148
§ 95
Rechtsstellung der Mitglieder des Anwaltsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . .
1152
§ 96
Besetzung der Kammern des Anwaltsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1159
§ 97
Geschäftsverteilung
1160
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
§ 98
Geschäftsstelle und Geschäftsordnung
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1160
§ 99
Amts- und Rechtshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1161
§ 100
Bildung des Anwaltsgerichtshofes
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1162
§ 101
Besetzung des Anwaltsgerichtshofes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1165
§ 102
Bestellung von Berufsrichtern zu Mitgliedern des Anwaltsgerichtshofes
1166
§ 103
Ernennung von Rechtsanwälten zu Mitgliedern des Anwaltsgerichtshofes . .
1168
§ 104
Besetzung der Senate des Anwaltsgerichtshofes
. . . . . . . . . . . . . . . . . .
1170
§ 105
Geschäftsverteilung und Geschäftsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1171
§ 106
Besetzung des Senats für Anwaltssachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1171
§ 107
Rechtsanwälte als Beisitzer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1174
§ 108
Voraussetzungen für die Berufung zum Beisitzer und Recht zur Ablehnung .
1176 1176
. . .
§ 109
Beendigung des Amtes als Beisitzer
§ 110
Stellung der Rechtsanwälte als Beisitzer und Pflicht zur Verschwiegenheit
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
§ 111
Reihenfolge der Teilnahme an den Sitzungen
§ 112
Entschädigung der anwaltlichen Beisitzer
.
1178
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1178
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1179
§ 112a Rechtsweg und sachliche Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1179
§ 112b Örtliche Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1186
§ 112c Anwendung der Verwaltungsgerichtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1188
§ 112d Klagegegner und Vertretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1277
§ 112e Berufung § 112f
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1282
Klagen gegen Wahlen und Beschlüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1318
§ 112g Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren XIV
. . . . . . . . . . . . . . . . . .
1326
Inhaltsverzeichnis Seite
§ 113
Ahndung einer Pflichtverletzung
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
§ 114
Anwaltsgerichtliche Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1351
§ 114a Wirkungen des Vertretungsverbots, Zuwiderhandlungen . . . . . . . . . . . . .
1356
§ 115
. . . . . . . . . . . . . . . . .
1360
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1362
Verjährung der Verfolgung einer Pflichtverletzung
§ 115a Rüge und anwaltsgerichtliche Maßnahme § 115b Anderweitige Ahndung
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
§ 115c Vorschriften für Geschäftsführer von Rechtsanwaltsgesellschaften
. . . . . .
1337
1365 1370
§ 116
Vorschriften für das Verfahren und den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1372
§ 117
Keine Verhaftung des Rechtsanwalts
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1403
§ 117a Verteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1404
§ 117b Akteneinsicht
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1407
Verhältnis des anwaltsgerichtlichen Verfahrens zum Straf- oder Bußgeldverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1409
§ 118
§ 118a Verhältnis des anwaltsgerichtlichen Verfahrens zu dem Verfahren anderer Berufsgerichtsbarkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1420
§ 118b Aussetzung des anwaltsgerichtlichen Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1428
§ 119
Zuständigkeit
1430
§ 120
Mitwirkung der Staatsanwaltschaft
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1431
§ 120a Gegenseitige Unterrichtung von Staatsanwaltschaft und Rechtsanwaltskammern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1432
§ 121
Einleitung des anwaltsgerichtlichen Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1433
§ 122
Gerichtliche Entscheidung über die Einleitung des Verfahrens
. . . . . . . . .
1434
§ 123
Antrag des Rechtsanwalts auf Einleitung des anwaltsgerichtlichen Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1440
§§ 124–129 (weggefallen) § 130
Inhalt der Anschuldigungsschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1445
§ 131
Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens vor dem Anwaltsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1447
§ 132
Rechtskraftwirkung eines ablehnenden Beschlusses . . . . . . . . . . . . . . . .
1450
§ 133
Zustellung des Eröffnungsbeschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1452
§ 134
Hauptverhandlung trotz Ausbleibens des Rechtsanwalts . . . . . . . . . . . . .
1453
§ 135
Nichtöffentliche Hauptverhandlung
1457
§ 136
(weggefallen)
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
§ 137
Beweisaufnahme durch einen beauftragten oder ersuchten Richter
§ 138
Verlesen von Protokollen
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . .
1460 1462
§ 139
Entscheidung des Anwaltsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1466
§ 140
Protokollführer
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1470
§ 141
Ausfertigung der Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1472
§ 142
Beschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1472
§ 143
Berufung
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1475
§ 144
Mitwirkung der Staatsanwaltschaft vor dem Anwaltsgerichtshof . . . . . . . .
1485
§ 145
Revision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1485
§ 146
Einlegung der Revision und Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1496
§ 147
Mitwirkung der Staatsanwaltschaft vor dem Bundesgerichtshof . . . . . . . .
1499
§ 148
Anordnung der Beweissicherung
1500
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XV
Inhaltsverzeichnis Seite
§ 149
Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1501
§ 150
Voraussetzung des Verbotes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1503
§ 150a Verfahren zur Erzwingung des Antrags der Staatsanwaltschaft . . . . . . . . .
1510
§ 151
Mündliche Verhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1512
§ 152
Abstimmung über das Verbot
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1515
§ 153
Verbot im Anschluss an die Hauptverhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1515 1517
§ 154
Zustellung des Beschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
§ 155
Wirkungen des Verbotes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1519
§ 156
Zuwiderhandlungen gegen das Verbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1524
§ 157
Beschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1526
§ 158
Außerkrafttreten des Verbotes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1530
§ 159
Aufhebung des Verbotes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1531
§ 159a Dreimonatsfrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1534
§ 159b Prüfung der Fortdauer des Verbotes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1537
§ 160
Mitteilung des Verbotes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1538
§ 161
Bestellung eines Vertreters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1540
§ 161a Gegenständlich beschränktes Vertretungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1543
§ 162
Entsprechende Anwendung von Vorschriften
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1544
§ 163
Sachliche Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1544
§ 164
Besondere Voraussetzung für die Zulassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1554
§ 165
Wahlausschuss für Rechtsanwälte bei dem Bundesgerichtshof
. . . . . . . . .
1566
§ 166
Vorschlagslisten für die Wahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1571
§ 167
Prüfung des Wahlausschusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1577
§ 167a Akteneinsicht
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1582
§ 168
Entscheidung des Wahlausschusses
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1583
§ 169
Mitteilung des Wahlergebnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1588
§ 170
Entscheidung über den Antrag auf Zulassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1590
§ 171
(weggefallen)
§ 172
Beschränkung des Auftretens vor anderen Gerichten
. . . . . . . . . . . . . . .
1595
§ 172a Sozietät . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1601
§ 172b Kanzlei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1604
§ 173
Bestellung eines Vertreters und eines Abwicklers der Kanzlei . . . . . . . . . .
1606
§ 174
Zusammensetzung und Vorstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1609
§ 175
Zusammensetzung und Sitz der Bundesrechtsanwaltskammer . . . . . . . . .
1611
§ 176
Stellung der Bundesrechtsanwaltskammer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1618
§ 177
Aufgaben der Bundesrechtsanwaltskammer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1621
§ 178
Beiträge zur Bundesrechtsanwaltskammer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1635
§ 179
Zusammensetzung des Präsidiums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1637
§ 180
Wahlen zum Präsidium
1639
§ 181
Recht zur Ablehnung der Wahl
§ 182
Wahlperiode und vorzeitiges Ausscheiden
§ 183
Ehrenamtliche Tätigkeit des Präsidiums
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1643
§ 184
Pflicht zur Verschwiegenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1643
§ 185
Aufgaben des Präsidenten
1643
§ 186
Aufgaben des Schatzmeisters
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1645
§ 187
Versammlung der Mitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1645
XVI
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1639 1641
Inhaltsverzeichnis Seite
§ 188
Vertreter der Rechtsanwaltskammer in der Hauptversammlung
. . . . . . . .
§ 189
Einberufung der Hauptversammlung
1646
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1647
§ 190
Beschlüsse der Hauptversammlung
§ 191
(weggefallen)
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1648
§ 191a Einrichtung und Aufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1651
§ 191b Wahl der stimmberechtigten Mitglieder der Satzungsversammlung . . . . . .
1656
§ 191c Einberufung und Stimmrecht
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
§ 191d Leitung der Versammlung, Beschlussfassung
1660
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1661
§ 191e Prüfung von Beschlüssen der Satzungsversammlung durch die Aufsichtsbehörde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1664
§ 191f
Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1668
§ 192
Erhebung von Gebühren und Auslagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1676
§ 193
Gerichtskosten
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1678
§ 194
Streitwert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1684
§ 195
Gerichtskosten
1685
§ 196
Kosten bei Anträgen auf Einleitung des anwaltsgerichtlichen Verfahrens . . .
1687
§ 197
Kostenpflicht des Verurteilten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1688
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
§ 197a Kostenpflicht in dem Verfahren bei Anträgen auf anwaltsgerichtliche Entscheidung gegen die Androhung oder die Festsetzung des Zwangsgelds oder über die Rüge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1690
§ 198
Haftung der Rechtsanwaltskammer
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1691
§ 199
Festsetzung der Kosten des Verfahrens vor dem Anwaltsgericht . . . . . . . .
1692
§§ 200–203 (weggefallen) § 204
Vollstreckung der anwaltsgerichtlichen Maßnahmen
§ 205
Beitreibung der Kosten
§ 205a Tilgung
. . . . . . . . . . . . . . .
1694
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1696
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1696
§ 206
Niederlassung
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1700
§ 207
Verfahren, berufliche Stellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1712
§ 208
Landesrechtliche Beschränkungen der Parteivertretung und Beistandschaft
1715
§ 209
Kammermitgliedschaft von Inhabern einer Erlaubnis nach dem Rechtsberatungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1718
§ 210
Bestehenbleiben von Rechtsanwaltskammern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1726
§§ 211–213 (weggefallen) § 214
Befreiung von der Voraussetzung der Befähigung zum Richteramt . . . . . . .
1727
§ 215
Übergangsregelungen
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1728
§ 37 a.F.
Antrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1734
§ 40 a.F.
Verfahren vor dem Anwaltsgerichtshof . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1742
§ 41 a.F.
Entscheidung des Anwaltsgerichtshofes
. . . . . . . . . . . . . . . .
1751
§ 42 a.F.
Sofortige Beschwerde
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1756
§§ 216–237 (weggefallen) Übersicht BORA-Vorschriften §1
Freiheit der Advokatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
198
§2
Verschwiegenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
601
§3
Widerstreitende Interessen, Versagung der Berufstätigkeit . . . . . . . . . . . . .
615
§4
Fremdgelder und andere Vermögenswerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
623
§5
Kanzlei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
413
§6
Werbung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
640 XVII
Inhaltsverzeichnis Seite
§7
Benennung von Teilbereichen der Berufstätigkeit
. . . . . . . . . . . . . . . . . .
§ 7a
Mediator
642
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
§8
Kundgabe gemeinschaftlicher Berufsausübung und anderer beruflicher Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
648 919
§9
Kurzbezeichnungen
921
§ 10
Briefbögen
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
923
§ 11
Unterrichtung des Mandanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
523
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
§ 12
Umgehung des Gegenanwalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
530
§ 13
Versäumnisurteil
536
§ 14
Zustellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
537
§ 15
Mandatswechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
541
§ 16
Prozesskostenhilfe und Beratungshilfe
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
544
§ 16a Ablehnung der Beratungshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
549
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
§ 17
Zurückbehaltung von Handakten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
754
§ 18
Vermittelnde, schlichtende oder mediative Tätigkeit
. . . . . . . . . . . . . . . .
200
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
557
§ 19
Akteneinsicht
§ 20
Berufstracht
§ 21
Honorarvereinbarung
§ 22
Gebühren- und Honorarteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
743
§ 23
Abrechnungsverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
744
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
562 743
§ 24
Pflichten gegenüber der Rechtsanwaltskammer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
865
§ 25
Beanstandungen gegenüber Kollegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
564
§ 26
Beschäftigung von Rechtsanwälten und anderen Mitarbeitern
. . . . . . . . . .
220
§ 27
Beteiligung Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
928
§ 28
Ausbildungsverhältnisse
§ 29
Berufsordnung und CCBE-Berufsregeln1
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
881
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2000
§ 29a Zwischenanwaltliche Korrespondenz im grenzüberschreitenden Rechtsverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2006
§ 29b Einschaltung eines ausländischen Rechtsanwalts
2008
. . . . . . . . . . . . . . . . . .
§ 30
Zusammenarbeit mit Angehörigen anderer Berufe . . . . . . . . . . . . . . . . . .
929
§ 31
(ehedem Verbot der Sternsozietät, aufgehoben)
934
§ 32
Beendigung einer beruflichen Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
934
§ 33
Geltung der Berufsordnung bei beruflicher Zusammenarbeit
941
§ 34
Weitere Mitglieder der Rechtsanwaltskammer, ausländische Rechtsanwälte
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1892
Fachanwaltsordnung (FAO) Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1763
§1
Zugelassene Fachanwaltsbezeichnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1770
§2
Besondere Kenntnisse und Erfahrungen
§3
Anforderungen an die anwaltliche Tätigkeit
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1773 1777
§4
Erwerb der besonderen theoretischen Kenntnisse
. . . . . . . . . . . . . . . . . .
1779
§ 4a
Schriftliche Leistungskontrollen
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1785
§5
Erwerb der besonderen praktischen Erfahrungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1786
§6
Nachweise durch Unterlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1806
§7
Fachgespräch
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1810
§8
Nachzuweisende besondere Kenntnisse im Verwaltungsrecht . . . . . . . . . . .
1826
1 Aufgehoben durch Beschl. der Satzungsversammlung v. 15.4.2013.
XVIII
Inhaltsverzeichnis Seite
§9
Nachzuweisende besondere Kenntnisse im Steuerrecht . . . . . . . . . . . . . .
1827
§ 10
Nachzuweisende besondere Kenntnisse im Arbeitsrecht . . . . . . . . . . . . .
1828
§ 11
Nachzuweisende besondere Kenntnisse im Sozialrecht . . . . . . . . . . . . . .
1829
§ 12
Nachzuweisende besondere Kenntnisse im Familienrecht
1830
. . . . . . . . . . . .
§ 13
Nachzuweisende besondere Kenntnisse im Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . .
1831
§ 14
Nachzuweisende besondere Kenntnisse im Insolvenzrecht . . . . . . . . . . . .
1831
§ 14a
Nachzuweisende besondere Kenntnisse im Versicherungsrecht . . . . . . . . .
1833
§ 14b
Nachzuweisende besondere Kenntnisse im Medizinrecht . . . . . . . . . . . . .
1834
§ 14c
Nachzuweisende besondere Kenntnisse im Miet- und Wohnungseigentumsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1835
§ 14d
Nachzuweisende besondere Kenntnisse im Verkehrsrecht . . . . . . . . . . . .
1835
§ 14e
Nachzuweisende besondere Kenntnisse im Bau- und Architektenrecht . . . .
1836
§ 14f
Nachzuweisende besondere Kenntnisse im Erbrecht
1837
§ 14g
Nachzuweisende besondere Kenntnisse im Transport- und Speditionsrecht
1838
§ 14h
Nachzuweisende besondere Kenntnisse im gewerblichen Rechtsschutz
1838
§ 14i
Nachzuweisende besondere Kenntnisse im Handels- und Gesellschaftsrecht
1839
§ 14j
Nachzuweisende Kenntnisse im Urheber- und Medienrecht . . . . . . . . . . .
1840
§ 14k
Nachzuweisende besondere Kenntnisse im Informationstechnologierecht . .
1841
§ 14l
Nachzuweisende besondere Kenntnisse im Bank- und Kapitalmarktrecht . .
1842
§ 14m Nachzuweisende besondere Kenntnisse im Agrarrecht
. . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . .
1843
§ 14n
Nachzuweisende besondere Kenntnisse im internationalen Wirtschaftsrecht
1844
§ 15
Fortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1844
§ 16
Übergangsregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1848
Vorbemerkung vor §§ 17 ff. § 17
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1850
Zusammensetzung der Ausschüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1850
§ 18
Gemeinsame Ausschüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1853
§ 19
Bestellung der Ausschussmitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1854
§ 20
Vorzeitiges Ausscheiden aus dem Ausschuss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1855
§ 21
Entschädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1855
§ 22
Antragstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1856
§ 23
Mitwirkungsverbote
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1857 1858
§ 24
Weiteres Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
§ 25
Rücknahme und Widerruf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1865
§ 26
In-Kraft-Treten und Ausfertigung
1867
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Gesetz über die Tätigkeit europäischer Rechtsanwälte in Deutschland (EuRAG) Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1869
§1
Persönlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 34 BORA Weitere Mitglieder der Rechtsanwaltskammer, ausländische Rechtsanwälte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1886
§2
Niederlassung
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1894
§3
Antrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1896
§4
Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1899
§5
Berufsbezeichnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1902
§6
Berufliche Stellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1904
§7
Berufshaftpflichtversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1908
§8
Sozietät im Herkunftsstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1909
1892
XIX
Inhaltsverzeichnis Seite
§9
Mitteilungspflichten, rechtliches Gehör . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1915
§ 10
Zustellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1917
§ 11
Voraussetzungen
1918
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
§ 12
Nachweis der Tätigkeit
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1922
§ 13
Voraussetzungen
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1923
§ 14
Nachweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1925
§ 15
Gespräch
§ 16
Eignungsprüfung
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1927
§ 17
Zweck der Eignungsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1931
§ 18
Prüfungsamt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1933
§ 19
Zulassung zur Prüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1934
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1926
§ 20
Prüfungsfächer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1935
§ 21
Prüfungsleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1937
§ 22
Prüfungsentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1938
§ 23
Einwendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1939
§ 24
Wiederholung der Prüfung
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1940
§ 25
Vorübergehende Tätigkeit
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1941
§ 26
Berufsbezeichnung, Nachweis der Rechtsanwaltseigenschaft . . . . . . . . . . .
1943
§ 27
Rechte und Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1944
§ 28
Vertretung und Verteidigung im Bereich der Rechtspflege . . . . . . . . . . . . .
1946
§ 29
Nachweis des Einvernehmens, Widerruf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1948
§ 30
Besonderheiten bei Verteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1949
§ 31
Zustellungen in behördlichen und gerichtlichen Verfahren . . . . . . . . . . . . .
1950
§ 32
Aufsicht, zuständige Rechtsanwaltskammer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1951
§ 33
Anwaltsgerichtsbarkeit, Mitteilungen, Zustellungen . . . . . . . . . . . . . . . . .
1954
§ 34
Anwaltsgerichtliche Ahndung von Pflichtverletzungen, vorläufige anwaltsgerichtliche Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1954
§ 34a Mitteilungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1956
§ 35
Rechtsweg in verwaltungsrechtlichen Anwaltssachen und allgemeine Vorschriften für das Verwaltungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1956
§ 36
Bescheinigungen des Heimat- oder Herkunftsstaates . . . . . . . . . . . . . . . .
1956
§ 37
Zusammenarbeit mit den zuständigen Stellen in anderen Staaten . . . . . . . .
1958
§ 38
Übermittlung personenbezogener Informationen über in Deutschland zugelassene Rechtsanwälte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1959
§ 38a Statistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1960
§ 39
1961
Gebühren und Auslagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
§ 40
Ermächtigungen
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1962
§ 41
Übertragung von Befugnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1963
§ 42
Anwendung von Vorschriften des Strafgesetzbuches . . . . . . . . . . . . . . . . .
1964
§ 43
Übergangsregelungen
1965
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Berufsregeln der Rechtsanwälte der Europäischen Union (CCBE) § 29 BORA Berufsordnung und CCBE-Berufsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . § 29a BORA Zwischenanwaltliche Korrespondenz im grenzüberschreitenden Rechtsverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 29b BORA Einschaltung eines ausländischen Rechtsanwalts . . . . . . . . . . XX
2000 2006 2008
Inhaltsverzeichnis Seite
Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) Einleitung Vor § 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2011
§1
Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2016 2024
§2
Begriff der Rechtsdienstleistung
§3
Befugnis zur Erbringung außergerichtlicher Rechtsdienstleistungen
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2057
§4
Unvereinbarkeit mit einer anderen Leistungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . .
2062
§5
Rechtsdienstleistungen im Zusammenhang mit einer anderen Tätigkeit . . . .
2069
§6
Unentgeltliche Rechtsdienstleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2093
§7
Berufs- und Interessenvereinigungen, Genossenschaften . . . . . . . . . . . . . .
2103
§8
Öffentliche und öffentlich anerkannte Stellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2111
§9
Untersagung von Rechtsdienstleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2118
§ 10
Rechtsdienstleistungen aufgrund besonderer Sachkunde
. . . . . . . . . . . . .
2121
§ 11
Besondere Sachkunde, Berufsbezeichnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2140
§ 11a Darlegungs- und Informationspflichten bei Inkassodienstleistungen
. . . . . .
2142
§ 12
Registrierungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2147
§ 13
Registrierungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2160
§ 13a Aufsichtsmaßnahmen
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2165
§ 14
Widerruf der Registrierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2167
§ 15
Vorübergehende Rechtsdienstleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2172
§ 15a Statistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2182
§ 15b Betrieb ohne Registrierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2183
§ 16
2184
Inhalt des Rechtsdienstleistungsregisters
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
§ 17
Löschung von Veröffentlichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2189
§ 18
Umgang mit personenbezogenen Daten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2192
§ 19
Zuständigkeit und Übertragung von Befugnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2196
§ 20
Bußgeldvorschriften
2197
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Einführungsgesetz zum Rechtsdienstleistungsgesetz (RDGEG) §1
Erlaubnisinhaber nach dem Rechtsberatungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . .
2207
§2
Versicherungsberater
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2209
§3
Gerichtliche Vertretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2210
§4
Vergütung der registrierten Personen
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2214
§5
Diplom-Juristen aus dem Beitrittsgebiet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2221
§6
Schutz der Berufsbezeichnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2224
§7
Übergangsvorschrift für Anträge nach dem Rechtsberatungsgesetz . . . . . . .
2225
Zivilrechtliche Anwaltshaftung A. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Anspruchsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vertragliche Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Prospekthaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Sonstige gesetzliche Schuldverhältnisse . . . II. Struktur der Haftung aus dem Anwaltsvertrag 1. Pflichtverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verschulden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Schaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2229
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2229 2230 2244 2247
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2247 2247 2250 2250 XXI
Inhaltsverzeichnis Seite
III. Neues Schuldrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Auswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2253 2253 2254
IV. Vertragliche Haftungsbegrenzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2258
B. Haftungstatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2258
I. Haftung für Fehlverhalten bei der Prozessführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Haftungsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Haftungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2258 2258 2271
II. Haftung für Verschulden bei Vertragsschluss . . . . 1. Vorvertragliche Aufklärungspflichten . . . . . . . 2. Unverzügliche Ablehnung eines Auftrags . . . . . 3. Pflichten nach Scheitern eines Vertragsschlusses
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2297 2297 2299 2300
III. Haftung für Fehlverhalten im Zusammenhang mit Verkaufsprospekten für Kapitalanlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anwalt als Experte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anwalt als Initiator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Anwalt als Funktionsträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Anwalt als Prospektprüfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Deliktische Prospekthaftung des Anwalts . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2300 2301 2303 2306 2307 2307
IV. Haftung aus sonstigen gesetzlichen Schuldverhältnissen 1. Geschäftsführung ohne Auftrag . . . . . . . . . . . . . . 2. Ungerechtfertigte Bereicherung . . . . . . . . . . . . . . 3. Unerlaubte Handlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2309 2309 2314 2316
C. Haftungsadressat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2327
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I. Anwaltssozietät . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Auslegung: Einzel- oder Gesamtmandat . . . . . . . . . . . . . 2. Akzessorische Haftung der Sozien auch für berufliche Fehler 3. Haftung der Sozien für Altverbindlichkeiten . . . . . . . . . . 4. Nachhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. International tätige Sozietät . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Mischsozietät
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2328 2329 2332 2333 2336 2341
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2342
III. Scheinsozietät . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vertragspartner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsscheinhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2343 2344 2345
IV. Partnerschaftsgesellschaft . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Haftungskonzentration . . . . . . . . . . . . . 3. Haftung der Partner für Altverbindlichkeiten 4. Nachhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2348 2348 2349 2354 2355
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2356
V. Bürogemeinschaft
VI. Andere Gesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anwalts-GmbH und Anwalts-AG . . . . . . 2. Personenhandelsgesellschaften . . . . . . . 3. Gesellschaften ausländischen Rechts . . .
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2360 2361 2365 2366 2366
II. Ansprüche aus Prospekthaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Spezialgesetzliche Prospekthaftungsansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ansprüche aus Prospekthaftung i.e.S. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2366 2367 2367
XXII
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2360
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D. Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2357 2357 2358 2359
. . . . .
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I. Ansprüche aus vertraglicher Haftung . . . . . . . . . . 1. Haftung aus dem Anwaltsvertrag . . . . . . . . . . . 2. Haftung aus einem Treuhandvertrag . . . . . . . . . 3. Haftung aus einem unechten Anwaltsvertrag . . . 4. Haftung aus vorvertraglichen Schuldverhältnissen
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Inhaltsverzeichnis Seite
3. Ansprüche aus Prospekthaftung i.w.S. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Deliktische Prospekthaftungsansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ansprüche aus sonstigen gesetzlichen Schuldverhältnissen 1. Ansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag . . . . . . 2. Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung . . . . . 3. Deliktische Ansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2368 2368 2369 2369 2369 2369
Anhänge Anhang 1
Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) vom 1.8.1959
. . . . . . . . . . . .
2372
Anhang 2
Berufsordnung für Rechtsanwälte (BORA) vom 29.11.1996 . . . . . . . . .
2421
Anhang 3
Fachanwaltsordnung (FAO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2428
Anhang 4
Neufassung der Geschäftsordnung der Satzungsversammlung
. . . . . .
2441
Anhang 5
Wahlordnung der Bundesrechtsanwaltskammer vom 3.5.1996 . . . . . . .
2445
Anhang 6
Geschäftsordnung der Hauptversammlung der Bundesrechtsanwaltskammer vom 2.10.1987 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2447
Anhang 7
Organisationssatzung der Bundesrechtsanwaltskammer vom 20.10.1994 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2449
Anhang 8
Satzung der Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft vom 9.10.2009
.
2452
Anhang 9
Gesetz über das Aufspüren von Gewinnen aus schweren Straftaten (Geldwäschegesetz – GwG) vom 13.8.2008 . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2455
Anhang 10
Anordnung der Bundesrechtsanwaltskammer nach § 9 Abs. 4 Satz 2 GwG – Interne Sicherungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2471
Anhang 11
Verhaltensempfehlungen für Rechtsanwälte im Hinblick auf die Vorschriften des Geldwäschebekämpfungsgesetzes (GwG) und die Geldwäsche, § 261 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2472
Anhang 12
Verordnung über die Eignungsprüfung für die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft vom 18.12.1990 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2475
Anhang 13
Richtlinie des Rates vom 22.3.1977 zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs der Rechtsanwälte (77/249/EWG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2478
Anhang 14
Richtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7.9.2005 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen . . . . . .
2481
Anhang 15
Richtlinie 98/5/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.2.1998 zur Erleichterung der ständigen Ausübung des Rechtsanwaltsberufs in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem die Qualifikation erworben wurde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2507
Anhang 16
Verordnung über die Berufsausbildung zum Rechtsanwaltsfachangestellten/zur Rechtsanwaltsfachgestellten, zum Notarfachangestellten/ zur Notarfachangestellten, zum Rechtsanwalts- und Notarfachangestellten/zur Rechtsanwalts- und Notarfachangestellten und zum Patentanwaltsfachangestellten/zur Patentanwaltsfachangestellten (ReNoPat-Ausbildungsverordnung – ReNoPatAusbV) . . . . . . . . . . .
2515
Anhang 17
Verordnung zum Rechtsdienstleistungsgesetz (Rechtsdienstleistungsverordnung – RDV) vom 19.6.2008 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2519
Anhang 18
Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) – Auszug . . . . . . . . . . . . . . . .
2523
Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2525
XXIII
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XXX
Abkürzungsverzeichnis a.A. ABl. Abs. AcP a.E. AEMR a.F. AG AGBG AGH AGInsO AGS AHB Alt. AMRK amtl. Begr. Anh. Anl. Anm. AnSVG Anwalt AnwBl. AO ApG ApZ ArbGG Art. Aufl. AuslInvG AV AVB AVO AVR AZ BAFin Banz. BayAGH BayObLG BayObLGSt BayObLGZ BayVerfGHE BB BBG BbgVerf BBiG Bd. BDHE BDO BDSG BeamtStG Beil. Bek. BerH
andere Ansicht Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Absatz Archiv für die civilistische Praxis am Ende Allgemeine Erklärung der Menschenrechte alte Fassung Amtsgericht Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen Anwaltsgerichtshof Baden-württembergisches Gesetz zur Ausführung der Insolvenzordnung vom 16.7.1998 (GBl. S. 436) Anwaltsgebühren spezial Allgemeine Haftpflichtversicherungsbedingungen Alternative Amerikanische Menschenrechtskonvention Amtliche Begründung Anhang Anlage Anmerkung Gesetz zur Verbesserung des Anlegerschutzes Anwalt. Das Magazin (Zeitschrift) Anwaltsblatt, herausgegeben vom Deutschen Anwaltsverein Abgabenordnung Apothekengesetz Deutsche Apotheker-Zeitung Arbeitsgerichtsgesetz Artikel Auflage Gesetz über steuerliche Maßnahmen bei Auslandsinvestitionen der deutschen Wirtschaft Allgemeine Verfügung Allgemeine Versicherungsbedingungen Ausführungsverordnung Archiv des Völkerrechts Aktenzeichen Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht Bundesanzeiger Bayerischer Anwaltsgerichtshof Bayerisches Oberstes Landesgericht Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts in Strafsachen Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts in Zivilsachen Entscheidungen des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs Der Betriebsberater Bundesbeamtengesetz Verfassung des Landes Brandenburg Berufsbildungsgesetz Band Entscheidungen des Bundesdisziplinarhofes Bundesdisziplinarordnung Bundesdatenschutzgesetz Gesetz zur Regelung des Statusrechts der Beamtinnen und Beamten in den Ländern Beilage Bekanntmachung Beratungshilfe XXXI
Abkürzungsverzeichnis BerHG BerlAnwBl. Bf. BFH BFHE BGB BGBl. BGE BGG BGH BGHR BGHSt BGHZ BHO Bl. BMAS BMJ BNotK BNotO BOE BörsG BORA BRAGO BRAK BRAK-Mitt. BRAO BR-Drs. BRRG BSG BSGE BStBl. BT-Drs. BVerfG BVerfGE BVerfGG BVerfGK BVerwG BVerwGE BVFG bzgl. BZRG bzw. CCBE CD c.i.c. CMLRev CR DAV DAVorm DAV-Ratgeber DB DDR dgl. XXXII
Beratungshilfegesetz Berliner Anwaltsblatt Beschwerdeführer Bundesfinanzhof Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Entscheidungen des schweizerischen Bundesgerichts Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen (Behindertengleichstellungsgesetz) Bundesgerichtshof BGH-Rechtsprechung Zivilsachen Entscheidungen des BGH in Strafsachen Entscheidungen des BGH in Zivilsachen Bundeshaushaltsordnung Blatt Bundesministerium für Arbeit und Soziales Bundesminister(ium) der Justiz Bundesnotarkammer Bundesnotarordnung Boletin Oficial del Estado Börsengesetz Berufsordnung der Rechtsanwälte Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte Bundesrechtsanwaltskammer BRAK-Mitteilungen, herausgegeben von der BRAK Bundesrechtsanwaltsordnung Bundesrats-Drucksache (Nummer/Jahr) Beamtenrechtsrahmengesetz Bundessozialgericht Entscheidungen des Bundessozialgerichts Bundessteuerblatt Bundestags-Drucksache (Legislaturperiode/Nummer) Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, amtl. Sammlung Gesetz über das Bundesverfassungsgericht (Bundesverfassungsgerichtsgesetz – BVerfGG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 11.8.1993 (BGBl. I S. 1473) Kammerentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, amtl. Sammlung Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts, amtl. Sammlung Bundesvertriebenen- und Flüchtlingsgesetz Bezüglich Bundeszentralregistergesetz beziehungsweise Conseil des Barreaux De La Communaute Europeene Collections of Decisions, Sammlung der Entscheidung der EKMR (bis 1975) culpa in contrahendo Common Market Law Review Computer und Recht Deutscher Anwaltverein Der Amtsvormund Ratgeber für junge Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, 8. Aufl. 2000 herausgegeben vom DAV Der Betrieb Deutsche Demokratische Republik Dergleiche
Abkürzungsverzeichnis Diss. DJT DNotZ DÖV DR DRiG DRiZ DStR DtZ DurchfVO DVBl. DVStB DZWir
Dissertation Deutscher Juristentag Deutsche Notar-Zeitschrift Die Öffentliche Verwaltung Decisions and Reports, Sammlung der Entscheidungen der EKMR (ab 1975) Deutsches Richtergesetz Deutsche Richterzeitung Deutsches Steuerrecht Deutsch-Deutsche Rechts-Zeitschrift Durchführungsverordnung Deutsches Verwaltungsblatt Verordnung zur Durchführung der Vorschriften über Steuerberater, Steuerbevollmächtigte und Steuerberatungsgesellschaften Deutsche Zeitschrift für Wirtschaftsrecht
ebda. EBE EFG EG EGBGB EGE
ebenda Eildienst Bundesgerichtliche Entscheidung Entscheidungen der Finanzgerichte (Jahr und Seite) Ehrengericht Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Sammlung „Ehrengerichtliche Entscheidungen“, herausgegeben vom Präsidium der BRAK (Band I bis XIV) EGGVG Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz EGH Ehrengerichtshof für Rechtsanwälte EGHE Entscheidungen des Ehrengerichtshofs bei der Reichs-Rechtsanwaltskammer EGMR Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte EGStGB Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch EGV EG-Vertrag EGZPO Einführungsgesetz zur Zivilprozeßordnung ehem. ehemalig/-en EHRLR European Human Rights Law Review EigPrüfG Gesetz über die Eignungsprüfung für die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft EigPrüfVO Verordnung über die Eignungsprüfung für die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft Einf. Einführung Einigungsvertrag Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands vom 31.8.1990 (BGBl. II, S. 889 ff.) Einl. Einleitung EGMR Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte EKMR Europäische Kommission für Menschenrechte EMRK Europäische Menschenrechtskonvention EStG Einkommensteuergesetz EuGH Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften EuGHE Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften EuGRZ Europäische Grundrechte Zeitschrift EuR Europarecht EuRAG Gesetz über die Tätigkeit europäischer Rechtsanwälte in Deutschland EuZW Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht EVertr Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands – Einigungsvertrag – vom 31. August 1990 (BGBl. II, S. 889) evtl. eventuell EWG Europäische Wirtschaftsgemeinschaft EWGV Vertrag zur Gründung einer Europäischen Wirschaftsgemeinschaft EWiR Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht EWIV Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung XXXIII
Abkürzungsverzeichnis EWR EWS
Europäischer Wirtschaftsraum Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht
f., ff. FamFG FGG FGG-RG FGO FinFöG Fn. FS
folgende Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Gesetz über Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit FGG-Reformgesetz vom 17.12.2008 (BGBl. I S. 2586) Finanzgerichtsordnung Finanzmarktförderungsgesetz Fußnote Festschrift
G GA GATS GATT GBl. gem. GenG GesR GewArch GewO GewStG GG ggf. GKG GmbH GmbHR GoBVerfG GrK GRUR GS GURI GVBl. GVG GV NW GwG
Gesetz Goltdammer’s Archiv für Strafrecht General Agreement on Trade in Service General Agreement on Tariffs and Trade Gesetzblatt gemäß Genossenschaftsgesetz Gesundheitsrecht Gewerbearchiv Gewerbeordnung Gewerbesteuergesetz Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland gegebenenfalls Gerichtskostengesetz Gesellschaft mit beschränkter Haftung Rundschau für die GmbH Geschäftsordnung des Bundesverfassungsgerichts Große Kammer Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Großer Senat, Gedächtnisschrift Gazetta Ufficiale delle Repubblica Italiana Gesetz- und Verordnungsblatt Gerichtsverfassungsgesetz Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Nordrhein-Westfalen Geldwäschegesetz
HGB h.M. HmbPersVG HRR Hrsg. HRV HS HwO
Handelsgesetzbuch herrschende Meinung Hamburgisches Personalvertretungsgesetz vom 16.2.1979 (GVBl. S. 17) Höchstrichterliche Rechtsprechung Herausgeber Handelsregisterverfügung Halbsatz Handwerksordnung
i.d.F. i.e.S. IGH i.H.v. INF info also Info M InsO InvG InvModG IPBPR IPR IPRax
in der Fassung im engeren Sinn Internationaler Gerichtshof in Höhe von Information über Steuer und Wirtschaft Informationen zum Arbeitslosenrecht und Sozialhilferecht Mietrecht und Immobilien Insolvenzordnung Investmentgesetz Investmentmodernisierungsgesetz Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte Internationales Privatrecht Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts
XXXIV
Abkürzungsverzeichnis i.S.d. IStGHG i.V.m. i.w.S.
im Sinne des Gesetz über den internationalen Strafgerichtshof in Verbindung mit im weiteren Sinn
JA JAG JAO JAPrO
Juristische Arbeitsblätter Juristenausbildungsgesetz Juristenausbildungsordnung Baden-württembergische Juristenausbildungs- und Prüfungsordnung vom 8.10.2002 (GBl. S. 391), zuletzt geändert durch die VO vom 20.4.2005 (GBl. S. 402) Justizblatt Jahrbuch des Föderalismus Jugendgerichtsgesetz Justizministerialblatt Jurisdiktionsnorm (Österreich) Journal Officiel de la Republique Francaise Juristische Rundschau Das Juristische Büro Juristische Schulung Die Justiz, Amtsblatt des Justizministeriums Baden-Württemberg Juristische Wochenschrift Juristenzeitung
JBl. JdF JGG JMBl. JN J.O. JR JurBüro JuS Justiz JW JZ KAGG KG KGJ KGRep KirchE KO Komm. KÖSDI KostO KTS KWG LFGG LG LJV LKV LLP LM LPartG LPartG-E LPartGErg-E LZ MBl. MDR MedR MfS MiStra Mitt. MoMiG
Kapitalanlagegesellschaftsgesetz Kammergericht Berlin Jahrbuch für Entscheidungen des Kammergerichts in Sachen der freien Gerichtsbarkeit in Kosten-, Stempel- und Strafsachen KG-Report Berlin Entscheidungen in Kirchensachen Konkursordnung Kommentierung Kölner Steuerrechtsdialog Gesetz über die Kosten in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Konkurs-, Treuhand- und Schiedsgerichtswesen Kreditwesengesetz Baden-württembergisches Landesgesetz über die freiwillige Gerichtsbarkeit vom 12.2.1975 (GBl. S. 116), zuletzt geändert durch Gesetz vom 28.7.2005 (GBl. S. 580) Landgericht Landesjustizverwaltung Landes- und Kommunalverwaltung (Zeitschrift) Limited Liability Partnership Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen, herausgegeben von Lindemaier und Möhring Lebenspartnerschaftsgesetz Entwurf eines Lebenspartnerschaftsgesetzes (BT-Drs. 14/3751) Entwurf eines Lebenspartnerschaftsergänzungsgesetzes (BT-Drs. 14/4545, S. 69) Leipziger Zeitschrift für Deutsches Recht Ministerialblatt Monatsschrift für Deutsches Recht Medizinrecht Ministerium für Staatssicherheit der DDR Anordnung über Mitteilungen in Strafsachen Mitteilungen Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen XXXV
Abkürzungsverzeichnis MRK MRM MuBO m.w.N.
Menschenrechtskonvention MenschenRechtsMagazin Musterberufsordnung mit weiteren Nachweisen
NdsRpfl. n.F. NJ NJW NJW-RR NotVO DDR
Niedersächsische Rechtspflege neue Fassung Neue Justiz Neue Juristische Wochenschrift NJW-Rechtsprechungsreport Verordnung über die Tätigkeit von Notaren in eigener Praxis vom 20.6.1990 (GBl. DDR I, S. 475), geändert durch VO vom 22.8.1990 (GBl. DDR I, S. 1328) Neue Entscheidungssammlung für Strafrecht Neue Zeitschrift für Strafrecht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht NVwZ-Rechtsprechungsreport Nordrhein-Westfalen Neue Wirtschafts-Briefe für Steuer- und Wirtschaftsrecht Neue Zeitschrift für Arbeits- und Sozialrecht Neue Zeitschrift für das Recht der Insolvenz und Sanierung
NSTE NStZ NVwZ NVwZ-RR NW NWB NZA NZI ÖAnwBl ÖBA o.g. OHG ÖJZ OLG OLGRep
OLGZ OVG OWiG
Österreichisches Anwaltsblatt Österreichisches Bank-Archiv oben genannte(r/n) Offene Handelsgesellschaft Österreichische Juristenzeitung Oberlandesgericht OLG-Report, Schnelldienst zur Zivilrechtsprechung der Oberlandesgerichte Die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte auf dem Gebiet des Zivilrechts Entscheidungen der Oberlandesgerichte in Zivilsachen Oberverwaltungsgericht Gesetz über Ordnungswidrigkeiten
p. PAO PartG PartGG PatAnwO PKH ProzRB PRV p.V.V.
page (Seite) Patentanwaltsordnung Partnerschaftsgesellschaft Partnerschaftsgesellschaftsgesetz Patentanwaltordnung Prozesskostenhilfe Prozessrechtsberater Partnerschaftsregisterverordnung positive Vertragsverletzung
RA RabelsZ RAG RAG DDR RAK RAO RAObritZ RAVO DDR
Rechtsanwalt Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Rechtsanwaltsgesetz der DDR Rechtsanwaltsgesetz vom 13.9.1990 (GBl. DDR I S. 1504) Rechtsanwaltskammer Rechtsanwaltsordnung Rechtsanwaltsordnung für die britische Zone Verordnung über die Tätigkeit und die Zulassung von Rechtsanwälten mit eigener Praxis vom 22.2.1990 (GBl. DDR I S. 147) Der Rechtsbeistand (Zeitschrift) Rechtsberatungsgesetz Rechtsdienstleistungsgesetz Einführungsgesetz zum Rechtsdienstleistungsgesetz Österreichisches Recht der Wirtschaft Regierungsentwurf
OLGRspr
RBeistand RBerG RDG RDGEG RdW RegE. XXXVI
Abkürzungsverzeichnis RENoPAT-V
RG RGBl. RGZ RichtlRA RiG DDR RiStBV RIW RJD RNPG Rs. Rspr. RT-Drs. rv RVGE S. SchiedsVZ SchlHA Série A
Verordnung über die Berufsausbildung zum Rechtsanwaltsfachangestellten/zur Rechtsanwaltsfachangestellen, zum Notarfachangstellten/zur Notarfachangestellten und zum Patentanwaltsfachangestellten/zur Patentanwaltsfachangestellten Reichsgericht Reichsgesetzblatt Entscheidungen des Reichsgerichts Grundsätze des anwaltlichen Standesrechts, Richtlinien der Bundesrechtsanwaltskammer Richtergesetz vom 5.7.1990 (GBl. DDR I, S. 637) Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren Recht der Internationalen Wirtschaft Reports of Judgments and Decisions, Entscheidungssammlung des EGMR (ab 1996) Gesetz zur Überprüfung von Rechtsanwaltszulassungen, Notarbestellungen und Berufungen ehrenamtlicher Richter Rechtssache Rechtsprechung Reichstags-Drucksache Die Rentenversicherung Reichsverwaltungsgericht-Entscheidungen
StBerG Stbg StGB StPO str. StrEG StuW StV SubdelegationsVO SV-Mat. SZIER
Satz, Seite, siehe Zeitschrift für Schiedsverfahren Schleswig-Holsteinische Anzeigen Série A des publications de la Cour européenne des droits de l’homme: Arrêts et décisions (bis 1995) Die Sozialgerichtsbarkeit Sozialgesetzbuch Sozialgerichtsgesetz Statutory Instruments Amtliche Sammlung der Entscheidungen des EuGH und EuG Sozialrecht, Entscheidungssammlung, bearbeitet von den Richtern des Bundessozialgerichts Staatsanwaltschaft Gesetz über die Staatsanwaltschaft vom 7.4.1977 (GBl. DDR I, S. 93), geändert durch das Verfassungsgesetz vom 5.7.1990 (GBl. DDR I, S. 635) Steuerberatungsgesetz Die Steuerberatung Strafgesetzbuch Strafprozessordnung strittig Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen Steuer und Wirtschaft Strafverteidiger Baden-württembergische Subdelegationsverordnung vom 7.9.1998 (GBl. S. 561) Materialien der Satzungsversammlung Schweizerische Zeitschrift für Internationales und Europäisches Recht
u.Ä. unstr. unveröff. Urt. UStG u.U. UWG
und Ähnliche unstreitig unveröffentlicht Urteil Umsatzsteuergesetz unter Umständen Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb
v. VAG VerfO
vom/von Versicherungsaufsichtsgesetz Verfahrensordnung (des EGMR)
SGb SGB SGG S.I. Slg. SozR StA StAG DDR
XXXVII
Abkürzungsverzeichnis VerjAnpG VerkProspG VermVerfkProspV VersR VG VGH VGHG VN VO Vorb. vorgänge VV VVE VVG VwGO VwVfG
Gesetz zur Anpassung von Verjährungsvorschriften an das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts Verkaufsprospektgesetz Vermögensanlageverkaufspropektverordnung Versicherungsrecht Verwaltungsgericht Verwaltungsgerichtshof, Verfassungsgerichtshof Gesetz über den Verfassungsgerichtshof Vereinte Nationen Verordnung Vorbemerkung vorgänge: Zeitschrift für Bürgerrechte und Gesellschaftspolitik Vergütungsverzeichnis Vertrag über eine Verfassung für Europa Versicherungsvertragsgesetz Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsverfahrensgesetz
WiB WiRO WM WPK-Mitt. WpPG WPO WPrax WRP WRV WÜK WVK
Wirtschaftsrechtliche Beratung Wirtschaft und Recht in Osteuropa Wertpapier-Mitteilungen Mitteilungen der Wirtschaftsprüferkammer Wertpapierprospektgesetz Wirtschaftsprüferordnung Wirtschaftsrecht und Praxis Wettbewerb in Recht und Praxis Weimarer Reichsverfassung Wiener Konsularrechtsübereinkommen Wiener Vertragsrechtskonvention
ZAP ZaöRV ZAR ZBR ZEuP ZfPR ZfSch ZHR ZInsO ZIP zit. ZP ZPO ZRHO ZRP ZVglRWiss
Zeitschrift für die Anwaltspraxis Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik Zeitschrift für Beamtenrecht Zeitschrift für europäisches Privatrecht Zeitschrift für Personalvertretungsrecht Zeitschrift für Schadensrecht Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht zitiert Zusatzprotokoll Zivilprozessordnung Rechtshilfeordnung für Zivilsachen Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft
XXXVIII
Einleitung A. Systematisierung. . . . . . . . . . . . I. Formelles und materielles Berufsrecht . . II. Formelles Berufsrecht . . . . . . . . . 1. Organisationsrecht. . . . . . . . . . . 2. Kompetenzrecht . . . . . . . . . . . . a) Die Kompetenzvorschriften im Allgemeinen. . . . . . . . . . . . . . b) Die Kompetenzvorschriften zur Überwachung der anwaltlichen Berufspflichten . . . . . . . . . . . . . . c) Streitschlichtung . . . . . . . . . . d) Verwaltungsrecht . . . . . . . . . . 3. Verfahrensrecht . . . . . . . . . . . . a) Überblick über die Verfahren und die gerichtliche Zuständigkeit . . . . . . b) Verwaltungsrechtliche Anwaltssachen c) Berufsgerichtliches Verfahren . . . . III. Materielles Berufsrecht . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . a) Anwaltsrecht als Steuerungsrecht . . b) Funktion der anwaltlichen Tätigkeit . c) Funktionsvoraussetzungen der anwaltlichen Tätigkeit . . . . . . . . . 2. Binnen- und Außenfunktion des Berufsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Dogmatische Rechtsdisziplinen des anwaltlichen Berufsrechts. . . . . . . . . 4. Anwaltliches Berufsrecht und UWG . . . a) UWG im Wettbewerb der Rechtsanwälte . . . . . . . . . . . . . . b) UWG als Maßstab anwaltlicher Rechtsdurchsetzung . . . . . . . . c) Klagebefugnis der Kammern nach UWG. . . . . . . . . . . . . . . . IV. Internationales Berufsrecht . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . 2. Das gestufte System der Personalkonzession für ausländische Rechtsanwälte . . . a) Herkunftsland Europäische Union . .
1 1 4 4 7 7 8 21 33 36 36 43 50 56 56 56 60 77 105 109 113 114 120 131 134 134 136 136
b) Herkunftsland Drittstaaten . . . . . 3. Rechtsberatung jenseits des gestuften Systems der Personalkonzession für ausländische Rechtsanwälte . . . . . . . 4. Anzuwendendes Berufsrecht – DoppelDeontologie . . . . . . . . . . . . . 5. Kollisionsrechtliche Einordnung des Anwaltsvertrags . . . . . . . . . . . . . 6. Das Zeugnisverweigerungsrecht des ausländischen Rechtsanwalts . . . . . . . B. I. II. III.
Historische Entwicklung. . . . . . . . Ältere geschichtliche Entwicklung . . . Bis zur Reichsrechtsanwaltsordnung . . Weitere Entwicklung seit dem Inkrafttreten der Reichsrechtsanwaltsordnung 1. Bis 1933 . . . . . . . . . . . . . . . 2. 1933 bis 1945: Das Ende der freien Advokatur . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Seit 1945 . . . . . . . . . . . . . . . a) In der Bundesrepublik Deutschland . b) In der ehemaligen DDR. . . . . . .
C. Auslegungstelos des anwaltlichen Berufsrechts . . . . . . . . . . . . . I. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . II. Berufssoziologische Perspektive . . . III. Das Marktparadigma . . . . . . . . D. I. II. III. IV. V. VI. VII. VIII.
148
153 161 167 172 176 176 188 195 195 198 203 203 222
. . . .
227 227 232 239
Zukünftige Entwicklung . . . . . . . . Novellierung der BRAO . . . . . . . . Syndikusanwälte . . . . . . . . . . . Anwaltliches Gesellschaftsrecht . . . . Fachanwaltschaft und Anwaltliche Fortbildung. . . . . . . . . . . . . . . . Elektronischer Rechtsverkehr, Datenschutz und legal outsourcing . . . . . . Internationales Anwaltsrecht . . . . . Anwaltsethik . . . . . . . . . . . . . End of Lawyers? . . . . . . . . . . .
253 253 254 261 264 268 273 275 276
A. Systematisierung I. Formelles und materielles Berufsrecht Die Bundesrechtsanwaltsordnung bildet den Kern des anwaltlichen Berufsrechts. Das Berufsrecht lässt sich zunächst in formelles und materielles Berufsrecht unterteilen.1 Allerdings ist die BRAO nicht entlang dieser und der nachfolgenden Systematisierungen gegliedert. Vielmehr ist die BRAO bereits regelungstechnisch an vielen Stellen unübersichtlich.2 So wurde erst durch die BRAO-Novelle 2009(Gesetz zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariellen Berufsrecht)3 das Verwaltungsverfahrensgesetz auf die Handlungen der Rechtsanwaltskammern für anwendbar erklärt (§ 32 BRAO). Bis dahin galt das VwVfG für die Rechtsanwaltskammern nicht, obgleich sie Körperschaften des öffentlichen Rechts sind. Entstehende Lücken mussten durch Rückgriff auf allgemeine verwaltungsrechtliche Verfahrensgrundsätze geschlossen werden.4 1 2 3 4
Vgl. zur Systematisierung Taupitz, Die Standesordnungen der freien Berufe, 1991, S. 174 ff. Vgl. die Kritik von Koch/Kilian, C Rz. 59. BGBl. I 2009, S. 2449 f. BGH, NJW 1989, 2889 (2890).
Wolf 1
1
Einl. Rz. 2
Einleitung
2
Neben der BRAO ergänzt die Berufsordnung für Rechtsanwälte (BORA) und die Fachanwaltsordnung (FAO) den Kernbereich des anwaltlichen Berufsrechts. Allerdings lässt sich das anwaltliche Berufsrecht noch weiter fassen. In Anlehnung an die für das Wirtschaftsrecht geläufigen Definitionen, kann man das (materielle) anwaltliche Berufsrecht als Zusammenfassung all derjenigen Normen verstehen, die das Verhalten der Berufsträger gegen das normale Marktverhalten steuern.1 In diesem weiten Sinne reicht das Berufsrecht dann von der BRAO über das EU-Recht bis hin zum UWG, dem StBG, dem Kapitalgesellschaftsrecht und den zivilrechtlichen Haftungsnormen. Allerdings ist die Frage, in welchem Umfang gegen das normale Marktverhalten die Tätigkeit der Berufsträger zu steuern ist, höchst umstritten. Je weniger Steuerung man will, desto kleiner wird man versuchen den Bereich des anwaltlichen Berufsrechts dabei zu beschreiben. Im Kern hängt die Beantwortung der Frage, wie viel Steuerung notwendig ist, von der wirtschaftspolitischen Grundhaltung und dem mit der Steuerung verfolgten Regelungsziel ab. (vgl. hierzu Rz. 57, 227).
3
Damit ist zugleich der Ansatz für eine dogmatische Erfassung und Systematisierung des Anwaltsrechts gefunden. Das Anwaltsrecht erfasst demnach nicht nur alle Bereiche, die die anwaltliche Tätigkeit bestimmen, sondern erhebt auch den Anspruch, die unterschiedlichen Regelungen im Hinblick auf die anwaltliche Tätigkeit in ein System zu fügen.2 Grundvoraussetzung hierfür ist ein möglichst klares Bild der anwaltlichen Tätigkeit und deren Funktion und Wirkung für die Rechtspflege. Aus einem so entwickelten Regelungstelos lassen sich sodann die Verbindungslinien zwischen den einzelnen, in unterschiedlichen dogmatischen Rechtsgebieten angesiedelten normativen Bestimmungen ziehen. II. Formelles Berufsrecht 1. Organisationsrecht
4
Das formelle Berufsrecht unterteilt sich in einen organisationsrechtlichen, einen kompetenzrechtlichen und einen verfahrensrechtlichen Teil.
5
Der organisationsrechtliche Teil befasst sich mit allen Fragen der körperschaftlichen Selbstverwaltung unter staatlicher Rechtsaufsicht. Hierunter fallen alle Bestimmungen, die sich mit der Bildung der Rechtsanwaltskammern bzw. der Bundesrechtsanwaltskammer, deren jeweiligen Organen (wie Vorstand, Präsidium, Hauptversammlung und Satzungsversammlung) und deren jeweilige Kompetenzabgrenzung untereinander befassen.
6
Es geht somit kurz, um das Binnenorganisationsrecht einer körperschaftlichen Selbstverwaltung und speziell um die Anforderungen, die insbesondere eine Körperschaft des öffentlichen Rechts zu erfüllen hat (§ 62 Abs. 1 BRAO, § 176 Abs. 1 BRAO). Dabei sind bestimmte Fragen, die eigentlich zur inneren Organisationsgewalt der Kammern gehören, bereits durch konkrete gesetzliche Bestimmung entschieden und so den Kammern entzogen. Ein Beispiel hierfür stellt die gerichtliche und außergerichtliche Vertretung (§ 80 Abs. 1 BRAO) der Kammer dar, die gem. § 80 Abs. 1 BRAO bereits ausdrücklich dem jeweiligen Präsidenten zugewiesen ist. Besondere Bedeutung kommt in der aktuellen Diskussion in diesem Zusammenhang der Frage zu, wie sich die Zwangsmitgliedschaft in einer Rechtsanwaltskammer dabei aus grundrechtlicher Sicht rechtfertigt.3 Darüber hinaus ist strittig, wie weit das Betätigungsfeld der Kammern reicht.4 2. Kompetenzrecht a) Die Kompetenzvorschriften im Allgemeinen
7
Unter dem kompetenzrechtlichen Teil sind all diejenigen Vorschriften zu subsumieren, welche im Außenverhältnis die formelle Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns der Rechtsanwaltskammern sicherstellen. Wie die meisten Körperschaften des Öffentlichen Rechts besitzen die Rechtsanwaltskammern keine Allzuständigkeit, sondern nach dem Prinzip der enumerativen Einzelermächtigung nur dort Kompetenz, wo ihnen die entsprechenden Auf1 Steindorff, Einführung in das Wirtschaftsrecht der BRD, 2. Aufl. 1985, S. 4 f. 2 In diesem Sinne Fellmann, Anwaltsrecht, 2010, Rz. 1 ff.; Friedlaender, AnwBl. 1954, 1. 3 Vgl. hierzu einerseits BVerfG, NVwZ 2002, 335 ff., welches Art. 9 Abs. 1 GG durch die Zwangsmitgliedschaft nicht tangiert sieht und anderseits EGMR RIW 2006, 378 (Sörensen und Rasmussen); vgl. hierzu § 60 BRAO Rz. 12. 4 Vgl. hierzu § 73 BRAO Rz. 3 ff.
2 Wolf
Einleitung
Rz. 14 Einl.
gaben zugewiesen wurden.1 Mit dem Gesetz zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariellen Berufsrecht2 hat sich hieran grundsätzlich nichts geändert. Allerdings enthält § 33 Abs. 1 BRAO. eine allgemeine Kompetenzzuweisung zugunsten der örtlich zuständigen Rechtsanwaltskammern, zur Ausführung der BRAO. Die wichtigsten Aufgaben, die die Kammern nach der BRAO auszuführen haben, sind: Die Entscheidung über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft; die Entscheidung über die Rücknahme bzw. den Widerruf der Zulassung; die Zulassung einer Rechtsanwaltsgesellschaft; die Befreiung von der Kanzleipflicht; die Bestellung eines Vertreters bzw. Abwicklers; die Verleihung der Fachanwaltsbezeichnung; die Einziehung rückständiger Beiträge sowie die Festsetzung einer Vergütung nach § 4 Abs. 3 RVG bzw. die Erstattung eines Vergütungsgutachtens nach §§ 4 Abs. 4 und 14 Abs. 2 RVG. Die ursprünglich mit der jeweiligen Aufgabe verbundene Kompetenzzuschreibung wurde aufgehoben. Derartige Kompetenzzuschreibungen enthielten z.B. §§ 6 Abs. 2 und 16 Abs. 1 BRAO a.F. b) Die Kompetenzvorschriften zur Überwachung der anwaltlichen Berufspflichten Eine besondere Bedeutung kommt der Rechtsanwaltskammer im Bereich der Überwachung der anwaltlichen Berufspflichten zu. Eine der zentralen Forderungen im 19. Jahrhundert im Rahmen der Bestrebungen nach einer „Freien Advocatur“ war es, die Anwaltschaft aus der staatlichen bzw. gerichtlichen Disziplinargewalt zu befreien. Heute besteht ein hoch differenziertes, sich zum Teil überlagerndes System der Sicherstellung der anwaltlichen Berufspflichten.
8
Hierfür stehen fünf unterschiedliche Verfahren zur Verfügung, in denen die Rechtsanwaltskammern unterschiedliche Aufgaben wahrnehmen.
9
Als niedrigste Eingriffsstufe ist die Beratung und Belehrung nach § 73 Abs. 2 Nr. 1 BRAO anzusehen. Hierbei handelt es sich noch nicht um ein Aufsichtsverfahren im Sinne von § 74 BRAO.3 Folglich standen den Rechtsanwaltskammern – nach bisherigem Recht – auch nicht die entsprechenden Auskunfts- und Vorlagerechte gem. § 56 BRAO zur Verfügung. Hieran dürfte auch das Gesetz zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariellen Berufsrecht nichts geändert haben. Zwar wurde für die neu geschaffene, umfassende Vermittlungstätigkeit der Rechtsanwaltskammer nach § 73 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 3 BRAO4 eine Erscheinungspflicht der jeweiligen Kammermitglieder in § Abs. 2 BRAO festgeschrieben. Eine Erklärungs- und Auskunftspflicht soll damit aber weiterhin ausdrücklich nicht einhergehen.5
10
Mit dem Gesetz zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariellen Berufsrecht wurde überdies eine Unterrichtungspflicht gegenüber der Beschwerde führenden Person im Beschwerdeverfahren neu eingeführt.
11
Zwar haben die Kammern in der Regel schon bislang die Personen, die sich über ein anderes Kammermitglied beschwert haben, über den Ausgang des aufgrund der Beschwerde eingeleiteten Verfahrens unterrichtet. Nach § 73 Abs. 3 BRAO ist jetzt aber die Unterrichts- und Begründungspflicht über den Ausgang des Beschwerdeverfahrens auch gesetzlich normiert. Hierdurch soll eine größere Transparenz im Beschwerdeverfahren geschaffen werden.6 Allerdings ist die Verschwiegenheitspflicht, die sich auch aus dem Verweis in § 73 Abs. 3 BRAO auf § 76 BRAO ergibt, zu beachten.
12
Von dieser präventiven Tätigkeit der Rechtsanwaltskammern ist die repressive Tätigkeit nach §§ 73 Abs. 2 Nr. 4, 74, 56 Abs. 1 BRAO abzugrenzen. Danach ist den Rechtsanwaltskammern die Aufgabe zugewiesen worden, durch die Einleitung eines Aufsichtsverfahrens die Einhaltung der Berufspflichten sicher zu stellen. Zur Sachverhaltsermittlung stehen den Kammern dabei die in § 56 Abs. 1 BRAO genannten Auskunfts- und Vorlagerechte zur Seite, die sie nötigenfalls auch mit Zwangsgeld gem. § 57 BRAO durchsetzen können.
13
Das Aufsichtsverfahren ist dabei zweigliedrig strukturiert. In der ersten Stufe ermittelt die Kammer den Sachverhalt und erteilt gegebenenfalls die Rüge nach § 74 Abs. 1 BRAO. Hiergegen kann der betroffene Rechtsanwalt nach § 74 Abs. 5 BRAO binnen eines Monats
14
1 2 3 4 5 6
Vgl. BGH, NJW 2003, 504 (504). BGBl. I 2009, S. 2449 ff. Vgl. § 73 BRAO Rz. 25 m.w.N. BGBl. I 2009, S. 2452. BT-Drs. 16/11385, S. 58 f. BT-Drs. 16/11385, S. 61.
Wolf 3
Einl. Rz. 15
Einleitung
Einspruch einlegen. Dies führt zu einer Wiederholung des Rügeverfahrens. Die erneute Entscheidung kann dann vor den Anwaltsgerichten nach § 74a BRAO überprüft werden. 15
Das Aufsichtsverfahren ist in mehrfacher Hinsicht subsidiär gegenüber anderen Verfahren.
16
Zunächst ist in § 74 Abs. 2 S. 1 1. Hs. BRAO ausdrücklich geregelt, dass die Kammern das Aufsichtsverfahren nicht weiter betreiben dürfen, wenn ein anwaltsgerichtliches Verfahren gegen den betroffenen Rechtsanwalt eingeleitet worden ist. Gleiches gilt gem. § 74 Abs. 2 BRAO, wenn ein Rechtsanwalt nach § 123 BRAO gegen sich selbst ein anwaltsgerichtliches Verfahren einleitet, um sich gegen den Verdacht der Pflichtverletzung zu wehren.
17
Am anwaltsgerichtlichen Verfahren wirken die Kammern als solche nicht mit. Das Verfahren wird gem. § 121 BRAO vielmehr allein durch die Staatsanwaltschaft betrieben.1 Die betroffenen Kammern haben aber nach § 117b BRAO ein Akteneinsichtsrecht. Dies soll dazu dienen, die Kammern in die Lage zu versetzen die Einleitung des anwaltsgerichtlichen Verfahrens durch den Anwaltsgerichtshof zu erzwingen, wenn die entsprechende Staatsanwaltschaft am OLG dem Antrag des Kammervorstands auf Durchführung eines solchen Verfahrens nicht stattgibt.2
18
Das anwaltsgerichtliche Verfahren ist wiederum nach § 118 BRAO gegenüber einem vermeintlichen strafrechtlichen Verfahren subsidiär, wenn es dieselbe vermeintliche Verletzung von anwaltlichen Berufspflichten zum Gegenstand hat.
19
Darüber hinaus ist das anwaltsgerichtliche Verfahren gem. § 118b BRAO nach pflichtgemäßem Ermessen ebenfalls dann auszusetzen, wenn in einem anderen gesetzlich geordneten Verfahren über dieselben Fragen zu entscheiden ist, die auch im anwaltsgerichtlichen Verfahren von wesentlicher Bedeutung sind.
20
Trotz des Fehlens einer entsprechenden Subsidiaritätsnorm für das Aufsichtsverfahren, wird allgemein angenommen, dass auch das Aufsichtsverfahren analog der Vorschriften der §§ 118, 118b BRAO bei Vorliegen der genannten Verfahren zurücktritt.3 c) Streitschlichtung
21
Durch das Gesetz zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariellen Berufsrecht wurden auch die streitschlichtenden Elemente, die in den Aufgabenbereich der Kammern fallen, deutlich betont und gestärkt. Zunächst ist die Kammer gem. § 73 Abs. 2 Nr. 2 BRAO zur umfassenden Streitschlichtung zwischen zwei Kammermitglieder ermächtigt. Dies setzt aber einen Antrag aller an der Streitigkeit beteiligten Rechtsanwälte voraus. Die Ermächtigung umfasst ferner auch die Kompetenz einen Schlichtungsvorschlag zu unterbreiten.
22
Deutlich weiter gehender ist die der Rechtsanwaltskammer eingeräumte Kompetenz zur Streitschlichtung im Fall der Auseinandersetzung zwischen dem beauftragten Rechtsanwalt und seinem jeweiligen Auftraggeber.
23
Dabei erweitert § 73 Abs. 2 Nr. 3 BRAO in einem ersten Schritt die Kompetenz der Rechtsanwaltskammer zur umfassenden Streitschlichtung, was auch die Kompetenz einschließt, einen Vergleichsvorschlag zu unterbreiten. Die Kammern können jedoch nur auf Antrag beider Streitparteien tätig werden (§ 73 Abs. 2 Nr. 3 BRAO).
24
Ferner schafft § 73 Abs. 5 BRAO für den Auftraggeber des Rechtsanwalts die Möglichkeit einseitig ein Vermittlungsverfahren bei den Rechtsanwaltskammern zu beantragen. Auf Antrag des jeweiligen Auftraggebers ist dann das Vermittlungsverfahren durchzuführen.
25
Dabei stellt § 73 Abs. 5 S. 2 BRAO aber klar, dass ein Schlichtungsvorschlag der Kammer nur verbindlich ist, wenn ihn beide Seiten, also sowohl Auftraggeber als auch beauftragter Rechtsanwalt, annehmen. Allerdings ist der Rechtsanwalt nach § 56 Abs. 2 BRAO verpflichtet an dem Streitschlichtungsgespräch teilzunehmen, soweit er vom Vorstand der jeweiligen Kammer oder einem beauftragten Mitglied des Vorstands hierzu aufgefordert wird. Eine Äußerungspflicht ist damit jedoch nicht verbunden.4
1 2 3 4
Zur Kritik der Beteiligung der Staatsanwaltschaft, Feuchtwanger, Die freien Berufe, 1922, S. 486. Henssler/Prütting/Dittmann, § 117b BRAO Rz. 6. Vgl. § 74 BRAO Rz. 26. BT-Drs. 16/11385, S. 58 f.
4 Wolf
Einleitung
Rz. 35 Einl.
Diese – einseitig den Rechtsanwalt belastende – Regelung wurde im Gesetzgebungsverfahren damit begründet, dass der Rechtsanwalt als Organ der Rechtspflege in besonderem Maße verpflichtet sei eine außergerichtliche Streitschlichtung mit seinem Mandanten zu suchen.1
26
Die Einleitung des Streitschlichtungsverfahrens hemmt ferner nach den allgemeinen zivilrechtlichen Regeln die Verjährung, §§ 203, 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB.2
27
Besondere Bedeutung kommt der bei der Bundesrechtsanwaltskammer eingerichteten Schlichtungsstelle zu. (§ 191f BRAO).
28
Diese ist kein Organ der Bundesrechtsanwaltskammer, sondern eine unabhängige Stelle zur Schlichtung von Streitigkeiten zwischen den Mitgliedern der Rechtsanwaltskammern und deren Auftraggebern. Das Verfahren vor der Schlichtungsstelle bei der Bundesrechtsanwaltskammer tritt neben die Vermittlung der regionalen Kammern nach § 73 Abs. 2 Nr. 3 BRAO. Näheres über das Verfahren vor der Schlichtungsstelle regelt die von der Hauptversammlung der Bundesrechtsanwaltskammer am 9.10.2009 verabschiedete und zuletzt durch Beschluss der Hauptversammlung am 11.5.2012 geänderte Satzung (§ 191f Abs. 5 BRAO).3
29
Die Satzung sieht in § 4 u.a. vor, dass ein Schlichtungsverfahren unzulässig ist, wenn der geltend gemachte Anspruch 15 000,– E übersteigt (§ 4 Nr. 2 lit a der Satzung). Weiterhin ist das Schlichtungsverfahren unzulässig, wenn bereits eine gerichtliche Klärung eingeleitet wurde oder der Prozesskostenhilfeantrag wegen fehlender Erfolgsaussichten abgelehnt worden ist (§ 4 Nr. 2 lit. b der Satzung). Um sicherzustellen, dass es zwischen dem Schlichtungsverfahren und möglichen strafrechtlichen bzw. anwaltsgerichtlichen Verfahren nicht zu Überschneidungen kommt, findet das Schlichtungsverfahren nach § 4 Nr. 2 lit. c der Satzung keine Anwendung, wenn berufsrechtliche oder strafrechtliche Überprüfungen des beanstandeten Verhaltens bei der zuständigen Rechtsanwaltskammer oder der Staatsanwaltschaft oder den Anwaltsgerichten anhängig sind. Weiterhin schließt ein bereits nach § 73 Abs. 2 Nr. 3 BRAO durchgeführtes oder anhängiges Schlichtungsverfahren eine Schlichtung bei der Schlichtungsstelle der BRAK aus, § 4 Nr. 2 lit. d der Satzung. Schließlich muss der Rechtsanwalt, gegen den der Anspruch geltend gemacht wird, noch Mitglied der Rechtsanwaltskammer sein, § 4 Nr. 2 lit. e der Satzung.
30
Nach § 4 Nr. 3 der Satzung hat der Schlichter einen Ermessensspielraum, ob er die Schlichtung durchführen will, wenn eine Beweisaufnahme über den Urkundenbeweis hinaus erforderlich wäre, aufgrund der Unterlagen die Schlichtung erfolglos erscheint oder der zugrundeliegende Sachverhalt länger als fünf Jahre zurückliegt.
31
Das Schlichtungsverfahren findet ohne mündliche Verhandlung statt, § 5 Nr. 5 der Satzung. Der kurz zu begründende Schlichterspruch muss von beiden Parteien angenommen werden, § 6 der Satzung.
32
d) Verwaltungsrecht Die Rechtsanwaltskammer handelt als Körperschaft des Öffentlichen Rechts als Verwaltungsbehörde. Bislang stand den Kammern jedoch nicht das VwVfG zur Verfügung. Da § 223 BRAO a.F. die Zuständigkeit der Anwaltsgerichtshöfe für die Überprüfung von Verwaltungsakten vorsah, war nach § 2 Abs. 3 Nr. 1 VwVfG die Anwendung des Verwaltungsverfahrensgesetzes versperrt. Das Gesetz zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariellen Berufsrecht fügt nunmehr einen neuen dritten Abschnitt mit der Überschrift „Verwaltungsverfahren“ in die BRAO ein.4 Nach § 32 BRAO. wird darin – zumindest so weit nicht anders bestimmt – das Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) für anwendbar erklärt.
33
Gleichzeitig wurden die bislang vereinzelt und verstreut in der BRAO geregelten Verwaltungsverfahrensbestimmungen gestrichen. Die Abweichungen, die sich für das Verwaltungsverfahren aus den berufsrechtlichen Besonderheiten ergeben, wurden nunmehr in den §§ 32 ff. BRAO zusammengefasst.
34
35
Im Einzelnen stellen sich die Besonderheiten wie folgt dar: – Sachliche und örtliche Zuständigkeit (§ 33 BRAO) – Zustellung (§ 34 BRAO) 1 2 3 4
BT-Drs. 16/11385, S. 61. BT-Drs. 16/11385, S. 62. BRAK-Mitt. 2012, 175 ff. BGBl. I 2009, S. 2450.
Wolf 5
Einl. Rz. 36
Einleitung
– Bestellung eines Vertreters im Verwaltungsverfahren (§ 35 BRAO) – Ermittlung des Sachverhalts, personenbezogene Daten, Mitteilungspflicht (§ 36 BRAO) 3. Verfahrensrecht a) Überblick über die Verfahren und die gerichtliche Zuständigkeit 36
Die BRAO enthält überdies die Prozessordnungen für zwei höchst unterschiedliche Verfahren, die die unterschiedliche Kompetenz und Funktionszuschreibung widerspiegeln. Zugleich enthält die BRAO für diese beiden Verfahren auch gerichtsverfassungsrechtliche Bestimmungen (fünfter Teil der BRAO).1 Die BRAO ist mithin zugleich auch Prozessordnung und Gerichtsverfassungsgesetz, wobei sie beides allerdings nur rudimentär durch Verweisungen auf die VwGO (§ 112c BRAO) bzw. die StPO (§ 116 BRAO) regelt.
37
Durch das Gesetz zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariellen Berufsrecht hat jedoch zumindest das Verfahrensrecht eine deutlichere und bessere Struktur gewonnen. So ergeben sich die beiden möglichen Verfahren, die im Übrigen in ihrer Ausgestaltung höchst unterschiedlich sind, nunmehr bereits aus der Überschrift des fünften Teils der BRAO: „Die Gerichte in Anwaltssachen und das gerichtliche Verfahren in verwaltungsrechtlichen Anwaltssachen.“2
38
Die BRAO regelt in diesem Teil zunächst einmal das anwaltsgerichtliche Verfahren (Gerichte in Anwaltssachen). Hierbei geht es um die Ahndung von anwaltlichen Pflichtverletzungen (§ 113 BRAO), die regelmäßig im anwaltsgerichtlichen Verfahren gem. §§ 116 ff. BRAO zu erfolgen hat.
39
Überdies handeln Rechtsanwaltskammern bzw. die Bundesrechtsanwaltskammer in den Selbstverwaltungsangelegenheiten grundsätzlich als Körperschaften des Öffentlichen Rechts, die entsprechenden Handlungen sind daher grundsätzlich verwaltungsrechtlich einzuordnen.
40
In allen Selbstverwaltungsangelegenheiten bedarf es folglich eines verwaltungsrechtlichen Rechtsschutzes.3 Dementsprechend ist in dem neu eingefügten vierten Abschnitt des fünften Teils der BRAO ein verwaltungsgerichtliches Verfahren neu hinzugefügt worden (§§ 112a bis 112f BRAO). Der Gesetzgeber hat auf die systematisch sinnvollere Einfügung eines neuen unabhängigen sechsten Teils für das verwaltungsrechtliche anwaltsgerichtliche Verfahren verzichtet, um die nachfolgenden Teile nicht neu nummerieren zu müssen.4
41
Der fünfte Teil der BRAO regelt aus gerichtsverfassungsrechtlicher Sicht überdies die Bildung der Anwaltsgerichte bei den Rechtsanwaltskammern (§§ 92 bis 99 BRAO), die Bildung der Anwaltsgerichtshöfe bei den OLGs (§§ 100 bis 105 BRAO) sowie die Bildung des Senats für Anwaltssachen beim Bundesgerichtshof (§§ 106 bis 112 BRAO).
42
Das Gesetz zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariellen Berufsrecht hat es vorerst bei der grundsätzlichen Zuordnung der Anwaltsgerichtshöfe in der ordentlichen Gerichtsbarkeit sowie des Anwaltssenats beim Bundesgerichtshof als Rechtsmittelinstanz gegen Entscheidungen der Anwaltsgerichtshöfe in verwaltungsrechtlichen Anwaltssachen belassen, jedoch eine Überprüfung dieses Gesichtspunktes angekündigt.5 b) Verwaltungsrechtliche Anwaltssachen
43
Rechtsstreitigkeiten, die sich aus dem Verwaltungshandeln der Rechtsanwaltskammern ergeben, sind der Sache nach öffentlich-rechtliche Streitigkeiten im Sinne von § 40 Abs. 1 VwGO, für die jedoch durch Bundesgesetz eine abdrängende Sonderzuweisung zu den Anwaltsgerichtshöfen bzw. zum Bundesgerichtshof besteht (§ 112a BRAO).
44
Der Sache nach lassen sich die unterschiedlichen Verfahren einerseits in solche Verfahren einteilen, die den Rechtsschutz des einzelnen Rechtsanwalts gegenüber dem Verwaltungshandeln der Kammern sicherstellen und andererseits in solche Verfahren, die Organstreitigkeiten6 betreffen. 1 2 3 4 5 6
Mit Ausnahme des vierten Abschnittes. BGBl. I 2009, S. 2452. Koch/Kilian, C Rz. 11. BT-Drs. 16/11385, S. 64. BT-Drs. 16/11385, S. 44 f. Vgl. zum Begriff Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner/Wahl/Schütz, § 42 Abs. 2 VwGO Rz. 91.
6 Wolf
Einleitung
Rz. 55 Einl.
Auch der Rechtsschutz gegen hoheitliches Verwaltungshandeln, welches keinen Verwaltungsakt darstellt, ist nunmehr in § 112a Abs. 1 BRAO geregelt.1 Durch diese Erweiterung des gerichtlichen Rechtsschutzes kann nunmehr auch gegen die Belehrung nach § 73 Abs. 2 Nr. 2 BRAO im verwaltungsrechtlichen Anwaltsverfahren vorgegangen werden.
45
Zuständig für das Verwaltungshandeln der Bundesrechtsanwaltskammer ist regelmäßig der am Kammergericht gebildete Verwaltungsgerichtshof, § 112a Abs. 1 BRAO n.F. i.V.m. § 112b BRAO.
46
Für Verwaltungshandeln der Rechtsanwaltskammer beim Bundesgerichtshof, wie über Organstreitigkeiten innerhalb der Rechtsanwaltskammer beim Bundesgerichtshof, ist hingegen der Anwaltssenat des BGH zuständig, § 112a Abs. 3 BRAO.
47
§ 112c BRAO erklärt grundsätzlich die VwGO auf die verwaltungsrechtlichen Anwaltssachen für anwendbar, wenn und soweit die BRAO keine abweichenden Regelungen trifft. Hiervon gibt es ferner noch explizit geregelte Ausnahmen. So sichert § 112c Abs. 2, 1 Hs. BRAO die gleichberechtigte Mitwirkung der anwaltlichen Mitglieder des Anwaltsgerichtshofs und des Anwaltssenats des BGH ab, indem er die Bestimmungen über die Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter nach der VwGO (z.B. § 9 Abs. 3 VwGO) für nicht anwendbar erklärt.
48
Gem. § 112c Abs. 2 VwGO gleichfalls nicht anzuwenden sind die Vorschriften über die Beteiligung des Vertreters des öffentlichen Interesses (§§ 35 ff. VwGO). Überdies ist ein Normenkontrollverfahren (§ 47 VwGO) nicht vorgesehen. Für ein solches fehlt auch eine entsprechende Notwendigkeit, da die Beschlüsse und Wahlen der Kammern im verwaltungsrechtlichen Anwaltsverfahren überprüft werden können.2
49
c) Berufsgerichtliches Verfahren Der Rechtsanwalt unterliegt überdies, in der Sprache des Wirtschaftsverwaltungsrechts gesprochen, repressiven Aufsichtsmitteln.3 Dies sind die Kammeraufsicht nach § 74 BRAO und das anwaltsgerichtliche Verfahren nach §§ 116 ff. BRAO. Neben diesen beiden rein berufsrechtlichen Verfahren sind die strafrechtlichen und wettbewerbsrechtlichen Verfahren in Bezug zu nehmen, welche gleichfalls der Durchsetzung und Sanktionierung des Berufsrechts dienen können.4
50
Gegen einen Rügebescheid (§ 74 Abs. 5 BRAO) steht dem Rechtsanwalt zunächst die Möglichkeit offen, Einspruch zu erheben. Wird der Einspruch durch den Vorstand der Rechtsanwaltskammer zurückgewiesen, kann der Rechtsanwalt nach § 74a BRAO innerhalb eines Monats die Überprüfung der Entscheidung durch das Anwaltsgericht beantragen. Auf das Verfahren finden die Vorschriften der Strafprozessordnung über die Beschwerde entsprechend Anwendung.
51
Die Staatsanwaltschaft selbst ist an dem Verfahren nicht beteiligt. Sie muss aber gem. § 74a Abs. 4 BRAO von dem Verfahren in Kenntnis gesetzt werden.
52
Dies folgt daraus, dass gegenüber dem anwaltsgerichtlichen Verfahren im Sinne von § 116 ff. BRAO nicht nur das Rügeverfahren durch den Kammervorstand, sondern auch die Überprüfung durch das Anwaltsgericht nach § 74a BRAO subsidiär ist (§ 74a Abs. 5 BRAO).5
53
Im Mittelpunkt der repressiven Aufsicht über die Rechtsanwälte steht das anwaltsgerichtliche Verfahren, welches von der Staatsanwaltschaft betrieben wird. In vielerlei Hinsicht weist das Verfahren deutliche Parallelen mit dem Strafverfahren auf. So herrscht wie im Strafverfahren der Anklagegrundsatz (§ 121 BRAO). Auch finden auf das Verfahren, welches in §§ 116 ff. BRAO geregelt ist, folgerichtig weitgehend die Vorschriften der StPO und des GVG Anwendung.
54
Das Berufungsverfahren führt zu den Anwaltsgerichtshöfen (§ 143 BRAO), die Revision zum Bundesgerichtshof (§ 145 BRAO).
55
1 2 3 4 5
BT-Drs. 16/11385, S. 65. BT-Drs. 16/11385, S. 66. Vgl. allgemein Ziekow, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 3. Aufl. 2013, § 5 Rz. 6 ff. Koch/Kilian, C Rz. 138 ff. Koch/Kilian, C Rz. 137.
Wolf 7
Einl. Rz. 56
Einleitung
III. Materielles Berufsrecht 1. Allgemeines a) Anwaltsrecht als Steuerungsrecht 56
Das anwaltliche Berufsrecht ist, wie das Wirtschaftsrecht,1 keiner dogmatischen Disziplin als solcher zuzuordnen. Bezieht man sich nur auf die BRAO, könnte man versucht sein das Berufsrecht als Teil des Gerichtsverfassungsgesetzes zu begreifen, weil ursprünglich im elften Titel des GVG die Tätigkeit der Rechtsanwaltschaft geregelt werden sollte.2 Da die Prozessordnungen, z.B. § 78 ZPO, den Rechtsanwalt voraussetzen, kann man das anwaltliche Berufsrecht auch als Teil des Prozessrechts verstehen. In diesem engen Sinne besteht folglich eine Einheit zwischen den Verfahrensgesetzen, wie der ZPO, welche anordnen, wie im Prozess zu verfahren ist, dem GVG als Organisationsgesetz, welches regelt, wer zu verfahren hat, und den Personal- und Statusgesetzen, wie der BRAO, BNotO, DRiG und RPflG, welche die persönlichen und sachlichen Voraussetzungen der handelnden Personen regeln.3
57
In einem weiteren Sinne wird man das anwaltliche Berufsrecht in Anlehnung an das Wirtschaftsrecht als eine Zusammenfassung aller derjenigen Normen definieren, welche die Aufgabe haben das Verhalten der Rechtsanwälte zu steuern.4 An diesem Steuerungsprozess wirken zahlreiche Normen der klassischen Rechtsgebiete des Zivil-, des Straf- und des öffentlichen Rechts mit.5 Erst aus einer Zusammenschau der unterschiedlichen Rechtsnormen im Hinblick auf ihre Steuerungsfunktion für die anwaltliche Tätigkeit lässt sich mithin das Schutzziel und das Schutzniveau, welches die Rechtsordnung zur Verfügung stellt, erschließen. Dabei kann das Schutzziel vorwiegend privat-, öffentlich- oder strafrechtlich verwirklicht werden.
58
Die einzelnen Teilrechtsgebiete bilden folglich im Hinblick auf die Steuerungsfunktion wechselseitige Auffangordnungen.6 So wird z.B. die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht berufsrechtlich über § 43a Abs. 2 BRAO geschützt. Strafrechtlich erfolgt der Schutz über § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB. Zivilrechtlich erfolgt der Schutz schließlich u.a. über § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB. Daneben wird die Verschwiegenheitspflicht in den jeweiligen Verfahrensordnungen durch ein Verschwiegenheitsrecht abgesichert.
59
Definiert man das anwaltliche Berufsrecht als eine Zusammenschau derjenigen Normen, welche die anwaltliche Tätigkeit steuern, stellt sich unmittelbar die Frage nach dem Steuerungsziel und den Steuerungsmitteln. Bereits über das Steuerungsziel herrscht aber keine Einigkeit mehr (vgl. zu den Steuerungszielen Rz. 227 ff.). b) Funktion der anwaltlichen Tätigkeit
60
Ursprünglich wurde der Rechtsanwalt als unabhängiges Organ der Rechtspflege begriffen, dessen Tätigkeit einen unmittelbaren Bezug zum Rechtsstaat hat. § 1 Abs. 2 BORA drückt dies noch immer so aus, dass er die Freiheit der Advokatur in einen unmittelbaren Zusammenhang mit der Teilhabe des Bürgers am Recht und der Verwirklichung des Rechtsstaats stellt. Allerdings hat sich bis heute keine in sich konzise Ansicht über die genaue Wirkweise der anwaltlichen Tätigkeit für die gerichtliche Rechtsfindung herausgebildet.7 Die überwiegende Meinung misst dem Verfahren eine untergeordnete Bedeutung zu. Es gibt, so wird häufig angenommen, eine unabhängig vom Prozess feststehende Rechtswirklichkeit, die der Prozess lediglich festzustellen hat. Gelingt dies nicht, wurde objektiv falsch entschieden.
61
Empirisch betrachtet lässt sich die Ansicht, nach der es im Prozess nur darum geht, die objektiv feststehende richtige Rechtsansicht zu verkünden, kaum halten. Zumindest muss man einräumen, dass es bei der Rechtsfindung zu Fehlurteilen kommt.8 Luhmann hat daher 1 Vgl. hierzu Schmidt, Handelsrecht, 6. Aufl. 2014, S. 17. 2 Drucksache des Reichstags 2. Leg. Per. IV. Session, 1876, Bd. 3, Anlage Nr. 8, S. 343 und Anlage Nr. 81, S. 693 ff. 3 Vgl. Schneider, Der Rechtsanwalt, S. 81. 4 Für das Wirtschaftsrecht Steindorff, Einführung in das Wirtschaftsrecht der BRD, 2. Aufl. 1985, S. 4 f. 5 Allgemein für das Wirtschaftsrecht Steindorff, Einführung in das Wirtschaftsrecht der BRD, 2. Aufl. 1985, S. 5. 6 Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Öffentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, 1996, S. 261 (270 f.). 7 Vgl. hierzu Wolf, in: FS Schneider, 2008, S. 414 (421 ff.) und Wolf/Knauer, in: FS Scharf, 2008, S. 329 (333 ff.); vgl. hierzu auch jüngst beschreibend Prütting, in: FS Kaissis, 2012, 789 (793 ff.). 8 Vgl. nur Gaul, AcP 168 (1968), 27 (53 ff.).
8 Wolf
Einleitung
Rz. 68 Einl.
dem Verfahren eine andere Bedeutung zugeschrieben. Im Verfahren gehe es – nach seiner Ansicht – nicht darum, die richtige Entscheidung zu entdecken, sondern den Richterspruch zu legitimieren. Hierzu hat die unterlegene Partei im Prozess so viel zeremonielle Arbeit zu leisten, dass sie nach der Entscheidung nicht mehr Solidarität für ihren Rechtsstandpunkt einfordern kann.1 Zwischen dem Zynismus Luhmanns und der ontologischen Wahrheitsfiktion gibt es jedoch einen Mittelweg, der sich sowohl auf die Feststellung der historischen Wahrheit als auch auf die Rechtsanwendung bezieht.
62
Soll es Aufgabe des Prozesses sein, die historische Wahrheit abzubilden, lassen sich die verschiedenen Beweisverwertungsverbote2 und Zeugnisverweigerungsrechte3 nicht erklären. So ist z.B. nach § 80 ZPO oder §§ 164, 314 S. 2 ZPO nur der Beweis durch Urkunden zulässig oder gem. § 445 Abs. 2 ZPO die Parteivernehmung für den Gegenbeweis unzulässig. Unzulässig ist z.B. auch die Vernehmung eines Zeugen, der berechtigterweise sein Zeugnis verweigert hat oder der über sein Zeugnisverweigerungsrecht nicht belehrt wurde. Auch Aussagen, die gegen eine Geheimhaltungspflicht verstoßen, dürfen gem. § 383 Abs. 3 ZPO nicht verwertet werden. Sämtliche Beweisverwertungsverbote und Zeugnisverweigerungsrechte schränken die Erkenntnismöglichkeit über den historischen Sachverhalt zugunsten anderer höherwertiger Rechtsgüter ein.4 Das Prozessrecht hat folglich nicht die Aufgabe den historischen Sachverhalt möglichst exakt abzubilden, sondern, wie Paulus es formuliert hat, diesen rechtsstaatlich-justizförmig zu konstituieren.5
63
Die Überlegungen treffen nicht nur für die Erfassung des Tatbestandes als Entscheidungsgrundlage zu, sondern gelten auch für die Rechtsanwendung. Dem Prozess lässt sich nur dann eine ausschließlich dienende Rolle zuweisen, wenn man davon ausgeht, dass das Recht bereits vor dem Prozess, wie es Christensen/Kudlich formulieren, fertig im Buche stand und der Prozess nur noch dazu dient, den Betroffenen das Recht pädagogisch zu vermitteln.6 Die semantische Form unserer Gesetze erreicht jedoch niemals eine Bestimmtheit, welche dem Richter nur noch die algorithmische Anwendung ermöglichen würde.7 Der Figur von Dworkins Herkules,8 der auch schwierige Fälle (sog. „hard cases“) eindeutig lösen könne, wurde zu Recht entgegengehalten, dass er ein „loner“ sei.
64
Das Spannungsverhältnis zwischen der regulativen Leitidee, der einen einzigen richtigen Entscheidung auch in hard cases, und der Fallibilität der tatsächlichen Entscheidungspraxis ist, wie Habermas es fordert, durch das Verfahren, also die Struktur der Argumentationsprozesse, aufzulösen.9
65
An die Stelle einer monologischen Beziehung zwischen Richter und Gesetz, so Christensen/Kudlich, hat das streitige Verfahren zu treten, in dem Parteien und Richter um die Bedeutung der Worte kämpfen.10
66
Um jedoch eine gemeinsame Basis für den „Streit um Worte“ zu haben, müssen die Parteien des Rechtsstreits ihre „Rechtsmeinung“ auf deren Gültigkeit hin zur Überprüfung stellen. Hierin liegt ein notwendiger Schritt der Distanzierung von der eigenen Meinung.
67
Diese Distanzierung bezeichnen Christensen/Kudlich als den Übergang vom Meinen zur thetischen Rede.11 Übertragen auf den Rechtsstreit bedeutet dies, dass erst im konkreten Rechtsstreit das „Gesetz“ aus dem Gesetzestext zu produzieren ist. Gesetze, so Christensen, können unter keinem möglichen Gesichtspunkt „nur angewendet“ werden. Sie sind immer erst in die entscheidende Norm für den Fall umzuwandeln. Im Prozess versuchen die Parteien das Gesetz für ihre jeweiligen Interessen einzunehmen und den jeweiligen Begriffen des Gesetzestextes eine entsprechend ihren Interessen strategisch vorteilhafte semantische Bedeutung zuzuschreiben. Es findet mithin ein Kampf ums Recht im Raum der Sprache
68
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
Luhmann, Legitimation durch Verfahren, 2. Aufl. 1975, S. 27 ff. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 17. Aufl. 2010, § 77 Rz. 19 ff. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 17. Aufl. 2010, § 77 Rz. 22 ff. Neumann, ZStW 101 (1989), 52 (60 f.) m.w.N. Paulus, NStZ 1992, 305 (309 f.); Paulus, in: FS Spendel, 1992, S. 687 ff. Für den Strafprozess gilt dies durch die Beweisverwertungsverbote ebenso. Christensen/Kudlich, Gesetzesbindung: Vom vertikalen zum horizontalen Verständnis, 2007, S. 203. Habermas, KJ 1987, 1 (11). Dworkin, Talking Rights Seriously, 1978, passim. Habermas, Faktizität und Geltung, Frankfurt am Main, 1992, S. 272 ff. Christensen/Kudlich, Theorie richterlichen Begründens, 2001, S. 55 ff. Christensen/Kudlich, Theorie richterlichen Begründens, 2001, S. 241 ff.
Wolf 9
Einl. Rz. 69
Einleitung
statt.1 Die semantische Wortbedeutung, die der Gegner verwendet, soll dabei insoweit diskreditiert werden, dass die eigene sich im Kampf ums Recht behauptet. In diesem Sinne liegt die Bedeutung des rechtlichen Gehörs darin, den Betroffenen Einfluss auf die Sprache der Urteilsentscheidung zu geben. In den Worten Christensens: „Wenn dagegen diese Sprache schon vorher feststeht, haben wir kein Recht vor uns, sondern nur sprachlich verbrämte Gewaltausübung.“2 69
Die Notwendigkeit sich von der eigenen (Rechts-) Position ein Stück weit zu distanzieren, um sie der Überprüfung im semantischen Kampf um die Bedeutung der Gesetzesworte zuzuführen, erfolgt regelmäßig im gerichtlichen Verfahren. Diese Distanzierung von der eigenen Position, ohne die der Prozess der Argumentation nicht begonnen werden kann, setzt ein Stück innerer Distanz zu Rechtsstreit und Unabhängigkeit voraus. Hierin liegt eine mitentscheidende Funktion der Rechtsanwälte im Rechtsstreit.
70
Christensen/Kudlich haben in diesem Zusammenhang auf den lateinischen Wortstamm von Postulationsfähigkeit hingewiesen. Im Prozess tritt, so führen sie aus, das „postulare“, also das Behaupten, an die Stelle des bloßen Meinens.3
71
Die Ansicht von Christensen/Kudlich findet im Übrigen ihre deutliche Parallele in der Bildung der „herrschenden Meinung“4 und stellt damit die Anschlussfähigkeit zur juristischwissenschaftlichen Diskussion her.
72
Die Idee, dass die richtige Interpretation des Gesetzestextes nicht objektiv als Größe feststeht, sondern wandelbar ist und im Konzert der jeweiligen Stimmen sich herausbildet, liegt jeder wissenschaftlichen Diskussion zugrunde. Dabei lässt sich sicherlich die herrschende Meinung nicht durch ein rein quantitatives Zählverfahren ermitteln.5
73
Der Diskurs in der Fachgemeinschaft wird, wie dies wohl wünschenswert wäre, nicht immer herrschaftsfrei sein. Gleichwohl ist anzuerkennen, dass die argumentative Auseinandersetzung die Bildung einer herrschenden Meinung erst ermöglicht. Das „richtige Ergebnis“ kann folglich nicht durch subjektiv-individuelle Leistungen des Einzelnen hervorgebracht werden, sondern bedarf, um herrschende Meinung zu werden, der Übereinstimmung und Anerkennung mit den Argumenten der (meisten oder jedenfalls zahlreichen) anderen Diskutanten.6
74
Aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör und dem sich hieraus ergebenden Anspruch auf einen Kampf ums Recht im Raum der Sprache leitet sich folglich der Anspruch ab, rechtliches Gehör durch einen Rechtsanwalt wahrnehmen zu lassen.7
75
Eine Unterscheidung zwischen rechtlichem Gehör zu Tatsachenfragen und rechtlichem Gehör zu Rechtsfragen ist dabei selbstverständlich nicht möglich, weil der vorzutragende Tatbestand gerade im Hinblick auf die Rechtsnorm auszuwählen und zu konkretisieren ist.8
76
Aus diesem Verfahrensverständnis und der Rolle des Rechtsanwalts im Verfahren leitet sich auch die inhaltlich fundierte Organstellung des Rechtsanwalts ab.9 Allerdings ist einzuräumen, dass die h.M. noch immer nicht das rechtliche Gehör so ausgebaut hat, dass es sowohl den Anspruch auf ein Rechtsgespräch als auch den Anspruch auf rechtliches Gehör durch einen Rechtsanwalt umfasst.10 Indem die h.M. aber dem Gericht die alleinige Verantwortung für die Rechtslegung und -anwendung zuweist, entzieht es die eigentliche Rechtsanwendung einem diskursiven Prozess der Verfahrensbeteiligten.11 Ein Rechtsgespräch, also ein Streit über das richtige Verständnis der Rechtsnorm, soll nach Art. 103 Abs. 1 GG gerade nicht erforderlich sein. Folglich bedarf es für das rechtliche Gehör – so folgert die h.M. – auch nicht zwingend eines Anwalts. Diese Sicht der Dinge verstellt jedoch den Zugang zur richtigen Erfassung der Rolle des Rechtsanwalts als Organ der Rechtspflege. Der archimedische 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
Lerch/Christensen, Die Sprache des Rechts, Bd. 2, 2005, S. 1 (81). Lerch/Christensen, Die Sprache des Rechts, Bd. 2, 2005, S. 1 (91). Christensen/Kudlich, Theorie richterlichen Begründens, 2001, S. 257 f. Zum Begriff der herrschenden Meinung Althaus, Die Konstruktion der herrschenden Meinung in der juristischen Kommunikation, 1994, S. 35 ff. Vgl. hierzu Althaus, Die Konstruktion der herrschenden Meinung in der juristischen Kommunikation, 1994, S. 41 f. Vgl. hierzu auch Lerch/Strauch, Sprache des Rechts, Bd. 2, 2005, 479 (502). Im Ergebnis wie hier v. Mangoldt/Klein/Starck/Nolte, Art. 103 GG Rz. 67; Maunz/Dürig/Schmidt-Aßmann, Art. 103 GG Rz. 103 ff. m.w.N. Vgl. nur Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 2. Aufl. 1991, S. 417 ff. Vgl. § 1 BRAO Rz. 20. BVerfGE 31, 364 (370); BVerfGE 86, 133 (145); BVerfGE 98, 218 (263). Hiergegen bereits treffend Arndt, NJW 1959, 6 (7).
10 Wolf
Einleitung
Rz. 88 Einl.
Punkt zur richtigen Erfassung der Tätigkeit des Rechtsanwalts ist dessen Wirkung für die Rechtsfindung. c) Funktionsvoraussetzungen der anwaltlichen Tätigkeit Aus der Funktion des Rechtsanwalts für die Rechtspflege ergeben sich auch einige Grundbedingungen seiner Tätigkeit. So hat z.B. das BVerfG mehrfach festgestellt, dass das zwischen Mandant und Rechtsanwalt bestehende Vertrauensverhältnis unabdingbare Voraussetzung für die Rechtsberatung ist und dass die Grundlage hierfür die Verschwiegenheitspflicht und das Verschwiegenheitsrecht des Rechtsanwalts bilden.1 Allgemein werden zu den Grundbedingungen anwaltlicher Tätigkeit folgende Grundwerte (sog. „core values“) gezählt:2
77
– Anwaltliche Unabhängigkeit3 – Verschwiegenheitspflicht und Recht zur Verschwiegenheit4 – Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen5 – Sachlichkeitsgebot6 – Gleiche Augenhöhe mit dem Richter7 Die Funktionsvoraussetzungen erschließen sich unmittelbar aus der Tätigkeit des Rechtsanwalts. Der Übergang vom bloßen Meinen zur thetischen Rede setzt eine Unabhängigkeit des Rechtsanwalts vom eigenen Mandanten, die Sachlichkeit der eigenen Argumentation sowie die – über die gleiche Ausbildung vermittelte – Akzeptanz bei Gericht voraus.
78
Die Verschwiegenheitspflicht und das Recht zur Verschwiegenheit sind wie die Unabhängigkeit gegenüber dem Staat und Dritten Voraussetzungen für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Mandant und Rechtsanwalt.
79
Das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen dient sowohl dem Vertrauensverhältnis zum eigenen Mandanten als auch der Akzeptanz des Rechtsanwalts als ernstzunehmenden Diskurspartner.
80
Aufgabe des anwaltlichen Berufsrechts ist es daher, diese Funktionsbedingungen anwaltlicher Tätigkeit abzusichern. Dabei erfolgt die Absicherung auf unterschiedliche Weise:
81
Das anwaltliche Berufsrecht bedient sich – in den Worten des Wirtschaftsverwaltungsrechts – sowohl eines präventiven als auch eines repressiven Aufsichtsmittels.8
82
Die §§ 4 ff. BRAO kodifizieren – in die gewerberechtlichen Terminologie übersetzt – nichts anderes als die Normierung einer Personalkonzession, die es gestattet als Rechtsanwalt tätig zu werden.
83
Die in der BRAO geregelte Kammeraufsicht, § 73 Abs. 2 Nr. 4 BRAO, sowie das anwaltsgerichtliche Verfahren, 119 ff. BRAO, sind – wiederum in der Sprache des Wirtschaftsverwaltungsrechts – begleitende Überwachungs- und Sanktionsinstrumentarien und somit präventive Aufsichtsmittel der Verwaltung.
84
Neben diese berufsrechtliche Absicherung treten eine Reihe weiterer Bestimmungen, welche der Absicherung der Funktionsbedingungen gelten. So ist z.B. in den jeweiligen Verfahrensordnungen ein Zeugnisverweigerungsrecht der Rechtsanwalte geregelt (z.B. §§ 383 Abs. 1 Nr. 6; 385 Abs. 2 ZPO und §§ 53 Abs. 1 Nr. 3, 53a, 97 StPO).
85
Eine weitere Absicherung erfolgt durch das Strafrecht. Zu nennen sind hier u.a. die § 203 StPO (Verletzung von Privatgeheimnissen) und § 365 (Parteiverrat).
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Schließlich bewirkt auch das Anwaltshaftungsrecht eine weitere Absicherung der Einhaltung der Funktionsbedingungen der anwaltlichen Tätigkeit.
87
Neben den bereits genannten Funktionsbedingungen tritt eine weitere, für einen funktionierenden Rechtsstaat unentbehrliche Funktionsbedingung. Das Bundesverfassungsgericht
88
1 2 3 4 5 6 7 8
BVerfGE 108, 150 (161 f.); BVerfGE 113, 29 (49 f.); BVerfGE 110, 226 (252). Vgl. hierzu nur Henssler, ZZP 115 (2002) 321 (328). Hierzu ausführlich § 1 BRAO Rz. 45. Vgl. § 43a BRAO Rz. 52. Vgl. § 45 BRAO Rz. 2. Vgl. § 43a BRAO Rz. 122 ff. Vgl. § 4 BRAO Rz. 6. Vgl. allgemein Ziekow, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 3. Aufl. 2013, § 5 Rz. 6 ff.
Wolf 11
Einl. Rz. 89
Einleitung
hat stets das zentrale Anliegen des Rechtsstaats betont, jedermann das Recht auf Zugang zu den Gerichten (Justizgewähranspruch) zu ermöglichen. Dabei darf der effektive Zugang zu Gericht auch aus Kostengründen nicht unzumutbar erschwert werden. Mit diesem Anspruch, so führt das Bundesverfassungsgericht aus, wäre es nicht vereinbar, wenn Gebühren erhoben würden, die außer Verhältnis zu dem wirtschaftlichen Wert stehen, den das gerichtliche Verfahren für den einzelnen Beteiligten hat. 89
In diese Überlegungen hat das Bundesverfassungsgericht die Anwaltsgebühren mit einbezogen und zwar auch in Verfahren, in denen kein Anwaltszwang herrscht. Für einen wirkungsvollen Rechtsschutz kann die Inanspruchnahme eines Rechtsanwalts erforderlich sein; diese darf deshalb durch die Gebührenregelung nicht unzumutbar erschwert werden.1
90
Aus dieser Aussage ist zweierlei zu folgern:
91
(a) Der Rechtsstaat muss sicherstellen, dass auch Unbemittelte einen weitgehend gleichen Zugang zu den Gerichten haben.2 Effektiver Rechtsschutz darf nicht von der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit abhängig gemacht werden.3
92
(b) Unabhängig von der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des einzelnen rechtsuchenden Bürgers kann der Zugang zum Rechtsstaat aber auch versperrt sein, wenn das Kostenrisiko in keinem Verhältnis zu dem mit dem Verfahren angestrebten wirtschaftlichen Erfolg steht. In einem solchen Fall wäre die Beschreitung des Rechtsweges praktisch unmöglich, weil die Anrufung der Gerichte nicht mehr wirtschaftlich sinnvoll erscheint.4
93
Beide Punkte führen zu einer folgenden zusätzlichen Funktionsbedingung für die Tätigkeit der Rechtsanwälte: – Sicherung des streitwertunabhängigen Zugangs zum Recht5 Gesetzlich wird dies durch ein Doppeltes umgesetzt.
94 95
Zum einen wird der Rechtsanwalt unter bestimmten Umständen zwangsweise zur Verfügungsstellung seiner Tätigkeit verpflichtet. So muss der Rechtsanwalt im Fall der Beiordnung gem. § 48 BRAO etwa die Prozessvertretung übernehmen. Eine vergleichbare Verpflichtung begründet überdies § 49a BRAO für die Beratungshilfe. Ferner ordnet § 49 RVG niedrigere Gebühren an, soweit die Beiordnung im Wege der Prozesskostenhilfe erfolgt.6 Hierdurch wird sichergestellt, dass der Zugang zum Recht nicht an der absoluten wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des rechtsuchenden Bürgers scheitert.
96
Zum zweiten ermöglicht das RVG mit der darin enthaltenen Quersubvention den Zugang zum Recht auch in Fällen mit niedrigem Streitwert, welche sich ohne diese nicht rechnen würden. Die Art der Erledigung des Rechtsstreits durch den Rechtsanwalt und sein Gewinnstreben sind dabei teilweise entkoppelt.7 Durch die Quersubventionierung soll sichergestellt werden, dass der Zugang zum Recht auch nicht an der relativen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit scheitert.
97
Allerdings wird diese Sichtweise u.a. von der Monopolkommission bestritten.8 Insbesondere wird gegen die Quersubventionierung vorgebracht, diese funktioniere faktisch nicht, weil sich Teile der Anwaltschaft der Aufgabe verweigern würden und sich die wirtschaftlich attraktiven Fälle (Rosinen) herauspickten.9
98
Rechtstatsächlich ist die Feststellung der Monopolkommission sicherlich richtig. Damit ist aber nicht die Frage beantwortet, welche Konsequenzen hieraus zu ziehen sind.10
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
BVerfGE 85, 337 (349). BVerfGE 50, 217 (231); 81, 347 (356 f.). BVerfGE 85, 337 (346). BVerfGE 85, 337 (347 f.); BVerfG, NJW 1997, 311 (311). Hierzu ausführlich § 2 BRAO Rz. 1 ff. Dieses ist verfassungskonform: BVerfG, NJW 1971, 187 (187); Hartmann, Kostengesetze, 41. Aufl. 2011, § 49 Rz. 1. Stürner, Markt und Wettbewerb über alles?, 2007, S. 23. XVI. Hauptgutachten der Monopolkommission, BT-Drs. 16/72460, S. 399. Basedow, Österreichische Notarzeitung, Bd. 122 (1990), S. 187 (193); XVI. Hauptgutachten der Monopolkommission, BT-Drs. 16/72460, S. 399. Zur wirtschaftlichen Notwendigkeit der Quersubventionierung Rz. 250 und § 2 BRAO Rz. 39 ff.
12 Wolf
Einleitung
Rz. 107 Einl.
Aus wirtschaftspolitischer Sicht gehört die Einführung des Kontrahierungszwangs im Fall einer gesetzlich vorgeschriebenen Quersubventionierung zu den normalen und regelmäßig angewandten Instrumentarien, um ein eventuelles „Rosinenpicken“ zu verhindern.1
99
Zwar ist der Kontrahierungszwang im Bereich der rechtsanwaltlichen Tätigkeit kein völliger Fremdkörper. So besteht in den Fällen der §§ 48, 49, 49a BRAO für die Rechtsanwälte Kontrahierungszwang. Allerdings wurde ansonsten auf einen allgemeinen Kontrahierungszwang verzichtet. Dabei hat schon der Gesetzgeber der Reichsrechtsanwaltsordnung den Kontrahierungszwang diskutiert.2 Am Ende hat er auf den Kontrahierungszwang jedoch verzichtet, weil man „wohl ohne Bedenken davon ausgehen [könne], dass der Rechtsanwalt, wenngleich zur Uebernahme des Auftrags nicht verpflichtet ist, dennoch in allen Fällen, in denen seine Thätigkeit in Anspruch genommen wird, seinen Beruf ausüben werde.
100
… Es gehört zu den nobile officium des Rechtsanwalts, dass er nicht ohne triftigen Grund seine Berufsthätigkeit versagt, und Verstöße hiergegen würden unter Umständen sogar geeignet sein, im Weg eines ehrengerichtlichen Verfahrens gerügt zu werden.“3
101
Den Hintergrund für diesen Verzicht auf den Kontrahierungszwang bildete das anwaltliche Selbstverständnis oder m.a.W. das Berufsethos der Rechtsanwälte. Zutreffend hat bereits Taupitz herausgearbeitet, dass zwar die altruistische Berufsauffassung des freien Berufs nicht dem tatsächlichen Verhalten jedes Freiberuflers stets entsprach, jedoch zumindest als regulatives Leitmotiv dem Berufsbild zugrunde lag.
102
Mit einer ganzen Reihe von berufsrechtlichen Bestimmungen sollte das individuelle Erfolgsstreben kanalisiert werden, um dem Postulat Nachdruck zu verleihen sich wenigstens nicht primär von den Erwerbsaussichten leiten zu lassen.4 So würde z.B. die Weigerung im Armenrecht tätig zu werden als standeswidrig angesehen.5
103
Diesem klassischen Leitbild des Freiberuflers wurde in den letzten zwei Jahrzehnten ein marktliberales Modell entgegengehalten.6 Ein weitgehend deregulierter Markt – so die Vorstellung – würde den Zugang zum Recht am effizientesten sichern. Durch wettbewerbsfreundliche Mechanismen soll das Innovationspotenzial gestärkt, die Qualität und Angebotspalette erweitert werden.7 Die dahinterstehenden theoretischen Annahmen vermögen nicht zu überzeugen, da sie auf einem Widerspruch zu ihren eigenen Prämissen aufbauen8 (vgl. hierzu nachstehend C.).
104
2. Binnen- und Außenfunktion des Berufsrechts Das anwaltliche Berufsrecht lässt sich einer Untersuchung Taupitz folgend in eine Binnen- und eine Außenfunktion unterteilen.9 Unter der Binnenfunktion versteht man danach alle Normen, die dazu dienen ein einheitliches Bewusstsein und Selbstverständnis der Berufsträger herauszubilden.10
105
Diese Aufgabe gewinne angesichts der Pluralität der Berufsgemeinschaft mehr und mehr an Bedeutung.11 Hinzukommt die Funktion das Verhalten der Berufsträger zu steuern und ein einheitlichen Berufsethos zu schaffen.12
106
Neben diese Binnenfunktion trete die Außenfunktion, deren Aufgabe es sei, das über die Berufsordnungen geschaffene Selbstbildnis nach außen zu transportieren und so zum Fremdbild zu machen.13 Demnach geht es bei der Außenfunktion darum ein positives Bild der Berufsgruppe zu schaffen. Es geht folglich darum der Öffentlichkeit zu verdeutlichen,
107
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13
Fritsch/Wein/Ewers, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, 8. Aufl. 2010, S. 215. Siegel, Die gesammten Materialien zu der Rechtsanwaltsordnung, 1883, S. 242. Siegel, Die gesammten Materialien zu der Rechtsanwaltsordnung, 1883, S. 242. Taupitz, Die Standesordnung der freien Berufe, 1991, S. 61. EGH 18, 131 f.; Lingenberg/Hummel/Zuck/Eich/Hummel, § 57 Rz. 12. Vgl. hierzu die Kritik bei Stürner/Bormann, NJW 2004, 1481 ff. und Bormann, ZZPInt. Bd. 8 (2003), 3 ff. Kommission der Europäischen Gemeinschaft, KOM(2004) 83 endgültig, S. 27; XVI. Hauptgutachten der Monopolkommission, BT-Drs. 1672460, S. 376 ff. Wolf, 4. Zivilprozessrechts – Symposion, Bd. 16 Bundesrechtsanwaltskammer – Schriftenreihen, 2008, S. 1. (14 ff.). Taupitz, Die Standesordnung der freien Berufe, 1991, S. 451 ff. Taupitz, Die Standesordnung der freien Berufe, 1991, S. 458. Taupitz, Die Standesordnung der freien Berufe, 1991, S. 458. Taupitz, Die Standesordnung der freien Berufe, 1991, S. 467 ff. Taupitz, Die Standesordnung der freien Berufe, 1991, S. 498.
Wolf 13
Einl. Rz. 108
Einleitung
welche Aufgaben der Berufsstand hat, welche Bedürfnisse und welche Leistungserwartungen außerhalb seines Kompetenzbereichs liegen.1 Hierzu, so Taupitz weiter, bediene sich ein Berufsverband einer Fülle von gemeinschaftsbezogenen Pflichten.2 108
Für die dogmatische Systematisierung des anwaltlichen Berufsrechts weiterführender ist jedoch die, gleichfalls im Wesentlichen auf Taupitz zurückgehende, Fragestellung, in welchem Umfang das anwaltliche Berufsrecht gegenüber Dritten Wirkung entfaltet.3 Zwar richtet sich das Berufsrecht in erster Linie an die Berufsträger. Jedoch können auch außenstehende Dritte in den Anwendungsbereich einbezogen werden. So können berufsrechtliche Regelungen drittschützende Wirkung entfalten oder die Vertretungsbefugnis vor Gericht beeinflussen. Vergleichbare Fragen wirft ein vertragliches Wettbewerbsverbot auf.4 3. Dogmatische Rechtsdisziplinen des anwaltlichen Berufsrechts
109
Fasst man unter dem anwaltlichen Berufsrecht alle Normen zusammen, welche die anwaltliche Tätigkeit steuern, lässt sich das Anwaltsrecht nicht einer dogmatischen Rechtsmaterie zuordnen. Anwaltliches Berufsrecht ist eine Querschnittsmaterie aus den unterschiedlichsten dogmatischen Bereichen.5
110
Den Kern des anwaltlichen Berufsrechts bilden die (sowohl präventiven als auch repressiven) Aufsichtsmittel der BRAO. Anwaltliches Berufsrecht ist daher zunächst besonderes Wirtschaftsverwaltungsrecht.
111
Die damit verbundenen Eingriffe in die Berufsfreiheit, Art. 12 GG, stellen den Bezug zum Verfassungsrecht her. Anwaltliches Berufsrecht erschließt sich verfassungsrechtlich aber nicht nur aus der Perspektive der Berufsfreiheit. Vielmehr hat die anwaltliche Tätigkeit einen unmittelbaren Bezug zum Rechtsstaat und zum Zugang zum Recht. Angesprochen sind damit die Justizgrundrechte des rechtsuchenden Bürgers, welche sowohl die Berufsfreiheit des Rechtsanwalts verstärken6 als auch die anwaltliche Berufsfreiheit begrenzen können.7 Zugleich ist damit der Bogen zu den Verfahrensordnungen geschlagen. Legen diese fest, was nur ein Rechtsanwalt tun darf, ergibt sich aus der BRAO damit zwangsläufig, wer als Rechtsanwalt tätig werden darf. In diesem Sinne ist die BRAO ein Personal- und Statusgesetz. Für diese Fragestellung ist die BRAO aber nicht mehr allein ausschlaggebend, vielmehr spielt das Europarecht eine ganz erhebliche Rolle.
112
Zum anwaltlichen Berufsrecht im weiteren Sinne sind auch die wettbewerbsrechtlichen Vorschriften zu zählen, die seine Tätigkeit regeln. Wettbewerbsrecht ist weitgehend europäisiertes Recht. Die Tätigkeit der Rechtsanwälte wird darüber hinaus auch durch das Strafrecht und das zivil rechtliche Haftungsrecht gesteuert. 4. Anwaltliches Berufsrecht und UWG
113
In zunehmendem Umfang wird die Tektur des Berufsrechts durch das UWG herausgefordert. Dies ist drei unterschiedlichen Entwicklungssträngen geschuldet: (a) Zunächst ist der Anwalt mit seinem anwaltlichen Dienstleistungsangebot Wettbewerber am Markt und unterliegt insoweit auch dem UWG. (b) Zum zweiten sind die Mandanten des Rechtsanwalts häufig Wettbewerber im Sinne des UWG. Seit der UWG-Novelle 2008 schützt das UWG nicht mehr nur die geschäftliche Entschließungsfreiheit bei Vertragsschluss, sondern regelt auch das geschäftliche Verhalten nach Vertragsabschluss.8 Damit wird aber auch die vermeintliche Rechtsdurchsetzung vom UWG erfasst. Eine besondere Ausprägung des Lauterkeitsrechts stellt § 43d BRAO dar. Im Rahmen des Gesetzes gegen unseriöse Geschäftspraktiken9 wurden mit dem neu in die BRAO eingefügten § 43d auch umfassende Informationspflichten für Rechtsanwälte bei Inkassodienstleistungen geschaffen. Diese Informationspflichten be1 2 3 4 5 6
Taupitz, Die Standesordnung der freien Berufe, 1991, S. 501. Taupitz, Die Standesordnung der freien Berufe, 1991, S. 501. Taupitz, Die Standesordnung der freien Berufe, 1991, S. 1253. Vgl. § 3 BRAO Rz. 50. Vgl. hierzu bereits Steindorff, Freie Berufe – Stiefkind der Rechtsordnung, 1980, S. 24. BVerfG, NJW 2007, 979 (983): Das Verbot einer erfolgsbasierten Vergütung beeinträchtigt nicht nur die Vertragsfreiheit der Rechtsanwälte und ihrer Auftraggeber, es führt auch zu nachteiligen Folgen für die Wahrnehmung und Durchsetzung der Rechte des Einzelnen. 7 Als Beispiel mag die Prozesskostenhilfe dienen. 8 Köhler, in: Köhler/Bornkamm, UWG, 32. Aufl. 2014, § 2 Rz. 31. 9 BGBl. I 2013, S. 3714 ff.
14 Wolf
Einleitung
Rz. 117 Einl.
stehen gegenüber Privatpersonen, § 43d Abs. 2 BRAO, die zwar – terminologisch unglücklich – nicht als Verbraucher bezeichnet, aber wie Verbraucher im Sinne von § 13 BGB definiert werden. Entsprechende Informationspflichten wurden für Inkassounternehmen im RDG geschaffen (§ 11a RDG) und für Abmahnungen nach dem Urheberrecht, § 97a UrhG. Gleichzeitig wurde der Streitwert für Abmahnungen gegenüber Verbrauchern auf 1 000,– E begrenzt, § 97a Abs. 2 UrhG. (c) Schließlich vermögen die Kammern Wettbewerbsverstöße von Rechtsanwälten auch nach § 13 UWG zu verfolgen.1 a) UWG im Wettbewerb der Rechtsanwälte Auch auf die Tätigkeit der freien Berufe findet grundsätzlich das UWG Anwendung.2 Dies bedeutet zunächst einmal, dass der Rechtsanwalt den Bestimmungen des UWG im Generellen unterliegt. Er darf sich z.B. keiner der im Anhang zu § 3 Abs. 3 UWG beschriebenen Handlungen gegenüber dem Verbraucher bedienen. Der Maßstab, dem der Rechtsanwalt im Wettbewerb unterliegt, unterscheidet sich insoweit nicht von anderen Berufsgruppen.
114
Besondere Bedeutung gewinnt jedoch § 4 Nr. 11 UWG im Hinblick auf das anwaltliche Berufsrecht. Zunächst steht der Einbeziehung des anwaltlichen Berufsrechts in den Anwendungsbereich von § 4 Nr. 11 UWG die EU-Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken3 nicht entgegen.4 Zwar enthält Art. 4 der Richtlinie ein Verbot der weiter gehenden Einschränkung im harmonisierten Bereich, jedoch bleiben nach § 3 Abs. 8 der Richtlinie alle spezifischen Regeln für reglementierte Berufe und damit strengere Integritätsstandards unberührt.
115
Nach § 4 Nr. 11 UWG handelt auch unlauter, wer einer gesetzlichen Vorschrift zuwiderhandelt, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln. Gesetzliche Vorschriften können sowohl formelle Gesetze sein, wie die BRAO, als auch Satzungsrecht, wie die BORA oder FAO.5 Allerdings bedeutet nicht jeder Verstoß gegen die BRAO oder die BORA bzw. FAO zugleich einen Wettbewerbsverstoß. Die Abgasemissionen-Entscheidung des BGH hat die Konturen von § 4 Nr. 11 UWG enger gefasst. Danach unterteilt sich der § 4 Nr. 11 UWG in zwei Kategorien. Die erste Kategorie betrifft einen Gesetzesverstoß gegen eine Norm, die den Schutz wichtiger Gemeinschaftsgüter zum Gegenstand hat. Ein Verstoß gegen eine solche Norm ist unlauter, weil Wettbewerb nicht unter Missachtung wichtiger Allgemeininteressen betrieben werden soll.6 Die zweite Kategorie betrifft sonstige Gesetzesverstöße. Diese erfüllen den Tatbestand des § 4 Nr. 11 UWG nur, wenn die verletzte Norm zumindest auch eine wettbewerbsbezogene Schutzfunktion hat.
116
Nach diesem Maßstab wurde bislang folgenden berufsrechtlichen Regelungen lauterkeitsrechtliche Schutzfunktion zugesprochen:
117
§ 3 Abs. 3 BRAO (Recht auf freie Anwaltswahl)7 § 4 BRAO (Zugang zur Rechtsanwaltschaft)8 § 27 BRAO, § 5 BORA (Kanzleipflicht)9 § 43a Abs. 2 BRAO, § 2 BORA (Verschwiegenheitspflicht)10
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18
§ 43a Abs. 4 BRAO, § 3 BORA (Vertretungsverbot bei widerstreitenden Interessen)11 § 43a Abs. 6 BRAO (Fortbildungspflicht)12 § 43b BRAO, § 6 BORA13, § 7 BORA14, § 7a BORA15, § 8 BORA16, § 9 BORA17 § 10 BORA18 (Werberegelung für Rechtsanwälte)
Köhler, in: Köhler/Bornkamm, § 8 Rz. 3.33. Köhler, in: Köhler/Bornkamm, § 2 Rz. 120. Abl. 2005, L 149/22. BGH, GRUR 2009, 1077 (1079). Zum Satzungsrecht BGH, NJW 2005, 1644. Köhler, in: Köhler/Bornkamm, § 4 Rz. 11.3. BGHZ 109, 153 und Frenzel, Die Unlauterkeit anwaltlicher Berufsrechtsverstöße, S. 100. Frenzel, Die Unlauterkeit anwaltlicher Berufsrechtsverstöße, S. 101. Frenzel, Die Unlauterkeit anwaltlicher Berufsrechtsverstöße, S. 104 f. Köhler, in: Köhler/Bornkamm, § 4 Rz. 11.60; a.A. OLG Köln, GRUR-RR 2006, 166 (167). BGHZ 152, 153; Köhler, in: Köhler/Bornkamm, § 4 Rz. 11.60; Bieber, WRP 2008, 723 (729). Frenzel, Die Unlauterkeit anwaltlicher Berufsrechtsverstöße, S. 118, jedoch im Ergebnis unzutreffend mit prozessualem Hinweis ablehnend, dass nicht nachweisbar. BGH, GRUR 2005, 520. BGH, NJW 2012, 235. Frenzel, Die Unlauterkeit anwaltlicher Berufsrechtsverstöße, S. 163. Frenzel, Die Unlauterkeit anwaltlicher Berufsrechtsverstöße, S. 163. Frenzel, Die Unlauterkeit anwaltlicher Berufsrechtsverstöße, S. 164. OLG Jena, WRP 2011, 748.
Wolf 15
Einl. Rz. 118
Einleitung
§ 43c BRAO (Fachanwaltsbezeichnung)1
§ 59k BRAO (Firma)15
§ 44 BRAO (Mitteilung der Ablehnung eines Auftrags)2
§ 206, 207 BRAO (Niederlassung von ausländischen Rechtsanwälten aus WTO-Staaten)16 3
§ 45 BRAO (Vertretungsverbot bei Vorbefassung) § 49b Abs. 1 S. 1 BRAO (Gebührenunterschreitung)4
§ 11 BORA (Unterrichtung des Mandanten)18
§ 49b Abs. 2 BRAO (Erfolgshonorar)5
§ 12 BORA (Umgehung des Gegenanwalts)19
§ 49b Abs. 3 S. 1 BRAO (Auftragsvermittlungsprovision)6
§ 15 BORA (Hinweispflicht bei Mandatswechsel)20
§ 49b Abs. 4 BRAO (Abtretungsverbot)7
§ 16 BORA (Hinweispflicht auf Prozesskosten- und Beratungshilfe)21
§ 48b Abs. 5 BRAO (Hinweispflicht auf die Gegenstandsgebühr)8
§ 17 BORA (Zurückbehaltung der Handakte)22
§ 50 BRAO (Handakte)9
§ 23 BORA (Abrechnungsverhalten)24
§ 51 BRAO (Berufshaftpflichtversicherung)10 § 59a BRAO, § 31 BORA (Zusammenschlussfähige Berufe und Sternsozietät)11 § 59e Abs. 2 BRAO (Sterngesellschaft)12
118
§ 8 BORA (Kundgabe der beruflichen Zusammenarbeit)17
§ 21 BORA (Honorarvereinbarung)23 § 32 Abs. 1 BORA (Beendigung einer beruflichen Zusammenarbeit)25 § 9 BORA (Kurzbezeichnung der Sozietät)26
§ 59i BRAO (Kanzleipflicht)13
§ 3 RDG (Verbot der unerlaubten Rechtsdienstleistung)27
§ 59j BRAO (Berufshaftpflichtversicherung bei der Anwalts-GmbH)14
§§ 2, 11, 13, 15, 25, 26 EuRAG (Tätigkeitsverben/ Erlaubnis nach dem EuRAG)28
Der Einbeziehung des anwaltlichen Berufsrechts in das Lauterkeitsrecht liegt bislang kein in sich geschlossenes Lauterkeitsverständnis des Anwaltsmarkts zugrunde. Dies lässt sich am Beispiel der Quersubventionierung verdeutlichen. Das Lauterkeitsrecht geht grundsätzlich von einer freien Preisfindung aus. Dies umschließt auch die Möglichkeit die Ware oder Dienstleistung unterhalb der Entstehungskosten anzubieten. Nur unter engen Voraussetzungen sind Preisunterbietungen unzulässig.29 So ist ein Abgabepreis, der unter dem Selbstkostenpreis liegt, unzulässig, wenn dies in der Absicht geschieht, den Konkurrenten vom Markt zu verdrängen.30
1 Bieber, WRP 2008, 723 (724). 2 Bieber, WRP 2008, 723 (724). 3 Köhler, in: Köhler/Bornkamm, § 4 Rz. 11.60; Bieber, WRP 2008, 723 (729), a.A. BGH, NJW 2001, 2089; Bormann, § 45 Rz. 49; Frenzel, Die Unlauterkeit anwaltlicher Berufsrechtsverstöße, S. 123 f. 4 Bieber, WRP 2008, 723 (726); BGH, NJW 2005, 1266 (1267). 5 Köhler, in: Köhler/Bornkamm, § 4 Rz. 11.60, a.A. Müko/UWG/Schaffert, § 4 Nr. 11 Rz. 90. 6 Köhler, in: Köhler/Bornkamm, § 4 Rz. 11.102a. 7 Köhler, in: Köhler/Bornkamm, § 4 Rz. 11.60, a.A. OLG Köln, GRUR-RR 2006, 166 (167); Frenzel, Die Unlauterkeit anwaltlicher Berufsrechtsverstöße, S. 129. 8 Bieber, WRP 2008, 723 (729). 9 Frenzel, Die Unlauterkeit anwaltlicher Berufsrechtsverstöße, S. 130 f. 10 Frenzel, Die Unlauterkeit anwaltlicher Berufsrechtsverstöße, S. 132. 11 Frenzel, Die Unlauterkeit anwaltlicher Berufsrechtsverstöße, S. 140 f. 12 Frenzel, Die Unlauterkeit anwaltlicher Berufsrechtsverstöße, S. 146. 13 Frenzel, Die Unlauterkeit anwaltlicher Berufsrechtsverstöße, S. 147. 14 Frenzel, Die Unlauterkeit anwaltlicher Berufsrechtsverstöße, S. 148. 15 BGH, GRUR 2004, 346. 16 Frenzel, Die Unlauterkeit anwaltlicher Berufsrechtsverstöße, S. 153. 17 Bieber, WRP 2008, 723 (725). 18 Frenzel, Die Unlauterkeit anwaltlicher Berufsrechtsverstöße, S. 166. 19 Frenzel, Die Unlauterkeit anwaltlicher Berufsrechtsverstöße, S. 166. 20 Frenzel, Die Unlauterkeit anwaltlicher Berufsrechtsverstöße, S. 168. 21 Frenzel, Die Unlauterkeit anwaltlicher Berufsrechtsverstöße, S. 169. 22 Frenzel, Die Unlauterkeit anwaltlicher Berufsrechtsverstöße, S. 169. 23 Frenzel, Die Unlauterkeit anwaltlicher Berufsrechtsverstöße, S. 171. 24 Frenzel, Die Unlauterkeit anwaltlicher Berufsrechtsverstöße, S. 172. 25 Bieber, WRP 2008, 723 (725). 26 BGH, GRUR, 2004, 615. 27 BGH, GRUR 2009, 1077 (1079), OLG Düsseldorf, GRUR-RR 2011, 8. 28 Bieber, WRP 2008, 725. 29 Vgl. Köhler, in: Köhler/Bornkamm, § 4 Rz. 10.184 ff. 30 Köhler, in: Köhler/Bornkamm, § 4 Rz. 10.189.
16 Wolf
Einleitung
Rz. 124 Einl.
Baut hingegen ein Preisfindungssystem, wie das RVG, auf einem Tarifsystem auf, welches der Quersubventionierung dient,1 stellt sich die Frage des Verdrängungswettbewerbs völlig anders. Nicht die Beteiligung an der Quersubventionierung kann das lauterkeitsrechtliche Problem darstellen. Die Quersubventionierung ist ja gewünscht. Vielmehr muss die Nichtbeteiligung an der Quersubventionierung in den Fokus der lauterkeitsrechtlichen Betrachtung rücken. Genau an dieser Stelle ist das Lauterkeitsrecht aber amusikalisch. Obwohl die Quersubventionierung dem streitwertunabhängigen Zugang zum Recht dient, wird z.B. der Pflicht zur Übernahme der Prozessvertretung im Fall der Beiordnung oder Pflichtverteidigung, § 48 BRAO, keine lauterkeitsrechtliche Bedeutung zugeschrieben.2
119
b) UWG als Maßstab anwaltlicher Rechtsdurchsetzung Bis zur UWG-Reform 2008 war das Lauterkeitsrecht auf Handlungen beschränkt, die dem Absatz bzw. Bezug von Waren oder Dienstleistungen dienten. Mit der UWG-Reform 2008 wurde der Anwendungsbereich auch auf den Zeitraum nach Vertragsabschluss erstreckt. Das UWG hat sich damit von einem Wettbewerbsrecht zu einem Lauterkeitsrecht gewandelt, das auch die Phase der Vertragsabwicklung erfasst.3 Dies führt dazu, dass auch irreführende Aussagen bei Geltendmachung von Zahlungsansprüchen nunmehr vom UWG erfasst werden.4 So ist z.B. die Verwendung von nach § 305 ff. BGB unzulässigen Allgemeinen Geschäftsbedingungen grundsätzlich geeignet, einen Wettbewerbsverstoß zu begründen.5
120
Die Tragweite, die das UWG grundsätzlich gewinnen kann, veranschaulicht eine Entscheidung des AGH Hamm.6 Die Kammer erteilte einem ihrer Mitglieder einen belehrenden Hinweis, weil dieser für seinen Mandanten die Inkassogebühren neben seinen eigenen Gebühren geltend gemacht hat. In Literatur und Rechtsprechung wird weit überwiegend vertreten, dass neben den Anwaltskosten die Inkassokosten nicht geltend gemacht werden können.7 Die Kammer stützte ihr Vorgehen hierbei auf die allgemeinen Berufspflichten nach § 43 BRAO. Genauso gut hätte die Kammer wohl aber auch nach § 4 Nr. 11 UWG vorgehen können. Als Begründung hierfür hätte man sowohl einen Verstoß gegen § 43a Abs. 3 BRAO (Sachlichkeitsgebot)8 annehmen können als auch im Sinne der AGB-Rechtsprechung einen Verstoß gegen § 254 BGB.
121
Besonders kritisch ist dabei, dass das UWG keine Begrenzung bezüglich des Unterlassungsanspruchs auf der subjektiven Seite kennt.9 Zur Begründung des Unterlassungsanspruchs genügt die Verwirklichung des objektiven Tatbestands. Es ist weder die Kenntnis von der Rechtsverletzung noch die Absicht, sich hierdurch einen Vorteil zu verschaffen bzw. planmäßig zu handeln, erforderlich. Im UWG wird die Begrenzung durch die Relevanzklausel von § 3 Abs. 1 UWG gesucht. Danach müssen dem Lauterkeitsrecht zuwiderlaufende Handlungen zu einer spürbaren Beeinträchtigung führen.10
122
Kern der Problematik ist, dass es gerade anwaltliche Aufgabe ist, auch Ansprüche durchzusetzen, die sich zunächst als unbegründet darstellen.11 Ob der Anspruch zu Recht besteht, entscheidet sich immer erst im gerichtlichen Verfahren.12 Es würde zu einer vollständigen Versteinerung des Rechts führen, wenn der Rechtsanwalt keine fraglichen oder zunächst sogar abwegig wirkenden Ansprüche mehr geltend machen dürfte. Ansatzpunkt für die UWGBeurteilung darf daher nicht sein, ob sich später der Anspruch als valide erweist. Vielmehr ist die UWG-rechtliche Beurteilung in einen größeren Zusammenhang zu stellen.
123
In der strafrechtlichen Literatur ist umstritten, ob und unter welchen Voraussetzungen unrichtige Rechtsausführungen einen Betrugstatbestand erfüllen.13 Dabei kreist die Diskussion um zwei Probleme: § 263 StGB erfordert eine Täuschung über Tatsachen, reine Rechts-
124
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13
Vgl. § 2 BRAO Rz. 24 f. Frenzel, Die Unlauterkeit anwaltlicher Berufsrechtsverstöße, S. 125. Köhler, in: Köhler/Bornkamm, § 2 Rz. 31. Sosnitza, in: Piper/Ohly/Sosnitza, UWG, 5. Aufl. 2010, § 2 Rz. 22. BGH, GRUR 2012, 949; MüKo/BGB//Basedow, § 306 Rz. 37; Köhler, in: Köhler/Bornkamm, § 4 Rz. 11.156e. AGH Hamm, BRAK-Mitt. 2011, 150. MüKo/BGB/Ernst, 6. Aufl. 2012, § 286, Rz. 157. Für die Einbeziehung von § 43a BRAO in § 11 UWG Bieber, WRP 723 (728). Köhler, in: Köhler/Bornkamm, § 4 Rz. 11.54. Köhler, in: Köhler/Bornkamm, § 4 Rz. 11.54. In diesem Sinne auch Kleine-Cosack, NJW 2011, 2251 (2253). Hierzu Rz. 60. MüKo/StGB-Hefendehl, 2. Aufl. 2014, § 263 Rz. 85 ff.
Wolf 17
Einl. Rz. 125
Einleitung
ansichten werden jedoch nicht als Tatsachen angesehen. Selbst dort, wo die Rechtsansichten mit Tatsachen untermauert sind, wie der Hinweis auf eine unzutreffende Wiedergabe der höchstrichterlichen Rechtsprechung, scheidet im gerichtlichen Verfahren in der Regel ein Betrug aus, weil die Gerichte zur eigenverantwortlichen Rechtsermittlung verpflichtet sind.1 125
Bezogen auf die außergerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen kann Letzteres nicht gelten.2 Folglich markiert die Geltendmachung von (vermeintlichen) Ansprüchen unter Hinweis auf eine nichtbestehende Rechtsprechung jene Fallgruppe, die auf jeden Fall § 4 Nr. 11 UWG verletzt.
126
Problematischer sind demgegenüber diejenigen Fälle, bei denen zur Untermauerung des behaupteten Anspruchs zwar eine bestehende Rechtsansicht angeführt wird, diese Rechtsansicht jedoch umstritten ist. Die Entscheidung des AGH Hamm weist dabei in die richtige Richtung, indem er die anwaltliche Tätigkeit mit den vertraglichen Verpflichtungen des Mandanten gegenüber seinem Vertragspartner verknüpft.
127
Zwar ist im Vertragsrecht grundsätzlich der eine Vertragspartner nicht verpflichtet, den anderen Vertragspartner auf die sich aus dem Vertrag ergebenden Nachteile hinzuweisen, jedoch können aus der besonderen Sachkunde des einen und der besonderen Unerfahrenheit des anderen solche Rücksichtnahme und Hinweispflichten gefolgert werden.3 Die rechtliche Unerfahrenheit4 und strukturelle Unterlegenheit5 sind Kriterien, aus denen Aufklärungsund Hinweispflichten in vertraglichen Beziehungen entwickelt werden. Mit seiner Wortwahl knüpft der AGH Hamm genau an diese vertraglichen Verpflichtungen des Mandanten an. So spricht der AGH von der bestehenden systematischen Asymmetrie der Informationen sowie dem regelmäßig bestehenden Informationsgefälle zwischen dem Anwalt und den angeschriebenen Schuldnern. Der Anwalt nähme im Rahmen der bestehenden Vertragsbeziehung zwischen seinem Mandanten und dem angeschriebenen Schuldner das Vertrauen in Anspruch, dass die von ihm aufgestellten Rechtsbehauptungen richtig sind.6
128
Ist jedoch Ziel der anwaltlichen Tätigkeit nicht die gerichtliche Klärung von Ansprüchen, sondern außergerichtliche Realisierung von vermeintlichen Ansprüchen, muss der Anwalt zumindest den gleichen Grenzen unterliegen, denen sein Mandant aufgrund der Vertragsbeziehung unterworfen ist. In diesen Fällen geht es gerade nicht mehr darum, ein dialogisches Verfahren der Rechtsgewinnung zu begründen, sondern (falsche) Autorität in Anspruch zu nehmen, um ein dialogisches Verfahren der Rechtsgewinnung (Gerichtsverfahren) zu vermeiden.
129
So ist es dem Unternehmer z.B. nach Art. 6 Abs. 1 lit. g der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken7 untersagt, den Verbraucher über seine Gewährleistungsrechte in die Irre zu führen.8 Auch die Drohung mit rechtlich unzulässigen Handlungen bildet einen Wettbewerbsverstoß.9 Diese Beschränkungen des Wettbewerbsrechts treffen auch den Rechtsanwalt als Beauftragten des Unternehmers. Da § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG auch wettbewerbswidrige Handlungen zugunsten eines fremden Unternehmens erfasst,10 ist der Rechtsanwalt bei einer wettbewerbswidrigen Handlung zugunsten seines Mandanten auch Täter. Jedenfalls aber wäre der Rechtsanwalt als Gehilfe zu begreifen, gegen den sich gleichfalls der Unterlassungsanspruch richtet.11
130
In einem gerichtlichen Verfahren sind hingegen UWG-rechtliche Unterlassungsansprüche regelmäßig ausgeschlossen. Insoweit fehlt es nicht nur am Absatzförderungszusammenhang. Vielmehr wird man normativ einen Eingriff in ein fremdes Verfahren über UWG-Ansprüche abzulehnen haben, weil die Klärung aller Fragen in dem Prozess zu erfolgen hat.12
1 OLG Koblenz, NJW 2001, 1364. Vgl. zur amerikanischen Position nur Simon, 23 Geo. J. Legal Ethics (2010) 987 ff. 2 Nicht differenzierend Kleine-Cosack, NJW 2011, 2251 (2253). 3 MüKo/BGB/Bachmann/Roth, 6. Aufl. 2012, § 241 Rz. 142. 4 OLG Stuttgart, NJW 1982, 2608. 5 Staudinger/Olzen, 2009, § 241 Rz. 437. 6 AGH Hamm, BRAK-Mitt. 2011, 150 ff. 7 EU Amtsblatt 2005, L 149/22. 8 Keller, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, 3. Aufl. 2013, § 2 Rz. 44. 9 Keller, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, § 2 Rz. 45. 10 Köhler, in: Köhler/Bornkamm, UWG, 31. Aufl. 2013, Rz. 2.5a. 11 Allgemein zum Gehilfen Köhler, in: Köhler/Bornkamm, Rz. 2.15. 12 Keller, in: Harte-Bavenkamm/Bodewig, 3. Aufl. 2013, § 2 Rz. 87.
18 Wolf
Einleitung
Rz. 135 Einl.
c) Klagebefugnis der Kammern nach UWG Die Rechtsanwaltskammern können grundsätzlich nach § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG gegen ihre Mitglieder vorgehen, wenn ein Wettbewerbsverstoß gegeben ist.1 Gänzlich unproblematisch ist dies jedoch nicht. Im Mittelpunkt der Diskussion stand die Frage, ob für Klagen der Rechtsanwaltskammern eine hinreichende Ermächtigungsgrundlage gegeben ist.2 Zwar dürfte diese Diskussion mit der Entscheidung des BVerfG aus dem Jahr 2004 und der UWG-Reform 2008, bei der sich der Gesetzgeber zur Klagebefugnis der Kammern bekannt hat,3 obsolet geworden sein.4
131
Zwei Punkte sind allerdings nach wie vor problematisch. Zunächst führt ein Vorgehen nach § 8 UWG zu den Zivilgerichten statt zu den Anwaltsgerichten. Eine anwaltliche Pflichtverletzung wird so nicht mehr durch die Anwaltsgerichte unter Beteiligung der Anwaltschaft, sondern durch die Zivilgerichte kontrolliert. Bedenkt man die Erweiterung des Anwendungsbereichs des UWG auch auf diejenigen Fälle der Vertragsdurchführung, ist dies eine nicht völlig unbedenkliche Entwicklung. Es kann eben in den UWG-Verfahren künftig nicht mehr nur um Verstöße gegen das Werberechts der Anwälte gehen, sondern auch um die Art und Weise, wie vermeintliche Ansprüche des Mandanten durchgesetzt oder die berechtigte Inanspruchnahme des Mandanten abgewehrt wird.
132
Problematisch erweist sich in diesem Zusammenhang auch das erhöhte Prozesskostenrisiko im Zivilprozess gegenüber dem anwaltsgerichtlichen Verfahren sowie der Umstand, dass § 113 BRAO ein Verschulden voraussetzt, welches im Falle eines UWG-Verstoßes gerade nicht erforderlich ist.5 Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz,6 nach dem die Kammern zu prüfen haben, ob sie gegen ihr Kammermitglied nach wettbewerbsrechtlichen Grundsätzen vorgehen, streitet daher gegen den Weg über § 8 UWG.
133
IV. Internationales Berufsrecht 1. Allgemeines Die grenzüberschreitende Tätigkeit von Rechtsanwälten wirft eine Reihe von kollisionsrechtlichen Fragen auf, welche auf unterschiedlichen Rechtsgebieten angesiedelt sind. Im Vordergrund steht zunächst die Frage, unter welchen Voraussetzungen ausländische Rechtsanwälte in Deutschland Rechtsberatung betreiben dürfen. Die Zusammenschau von BRAO und RDG ergibt zwar, dass Rechtsberatung in Deutschland der Personalkonzession unterliegt (Verbot mit Erlaubnisvorbehalt) (vgl. Einl. RDG Rz. 4). Ausländischen Rechtsanwälten steht hierbei je nach Herkunftsland und angestrebter Tätigkeit ein gestaffeltes System an Personalkonzessionen zur Verfügung (s. Rz. 136 ff.). Weitgehend ungeklärt ist jedoch, ob unterhalb der Schwelle dieser Personalkonzessionen für ausländische Rechtsanwälte die Möglichkeit besteht, in Deutschland vorübergehend zu arbeiten, wenn das Mandat einen eindeutigen Schwerpunkt im Herkunftsland hat, z.B. die Beratung eines deutschen Vorstands bezüglich des SEC Filings gegenüber der U.S. Securities and Exchange Commission (s. Rz. 148).
134
Weist das Mandat einen grenzüberschreitenden Bezug auf, stellt sich die Frage nach dem anwendbaren Recht in mehrfacher Weise. Zunächst ist zu klären, welches Berufsrechts der Rechtsanwalt im grenzüberschreitenden Kontext zu beachten hat (Rz. 161 ff.). Ferner ist die Frage zu beantworten, welches materielle Recht auf den Anwaltsvertrag anzuwenden ist (Rz. 167 ff.). Schließlich stellt sich insbesondere im Hinblick auf das Anwaltsprivileg des Beschlagnahmeverbots und des Zeugnisverweigerungsrechts die Frage, ob sich ausländische Rechtsanwälte vor deutschen Gerichten und deutsche Rechtsanwälte vor ausländischen Gerichten hierauf berufen können (Rz. 172 ff.).
135
1 2 3 4 5 6
BVerfG, NJW 2004, 3765; BGH, NJW 2006, 2481. Jänich, in: Gloy/Loschelder/Erdmann, 4. Aufl. 2010, § 67 Rz. 16. BT-Drs. 15/1487, S. 23. Jänich, in: Gloy/Loschelder/Erdmann, § 67 Rz. 16. So auch die Kritikpunkte bei Jänich, in: Gloy/Loschelder/Erdmann, § 67 Rz. 16. Zur Anwendbarkeit des Grundsatzes BVerfG, NJW 2004, 3765; BGH, NJW 2006, 2481.
Wolf 19
Einl. Rz. 136
Einleitung
2. Das gestufte System der Personalkonzession für ausländische Rechtsanwälte a) Herkunftsland Europäische Union 136
(1) Für Staatsangehörige der Europäischen Union, der anderen Vertragsstaaten über den Europäischen Wirtschaftsraum und der Schweiz, welche berechtigt sind, unter einer der in Anlage 1 des EuRAG benannten Berufsbezeichnungen als Rechtsanwalt tätig zu sein (europäischer Rechtsanwalt), bestehen drei unterschiedliche Formen der Personalkonzession in Deutschland. Dabei beschränken sich sowohl die Richtlinien1 als auch das EuRAG darauf, lediglich Staatsangehörige zu privilegieren und nicht auch Drittstaatsangehörige mit Wohnsitz in einem Mitgliedsstaat (vgl. § 1 EuRAG Rz. 4). Das EuRAG unterscheidet dabei drei Formen der inländischen Rechtsberatung durch einen europäischen Rechtsanwalt (§ 1 EuRAG).
137
Die geringste Integrationsstufe in das deutsche Rechtssystem weist der dienstleistende europäische Rechtsanwalt, § 25 EuRAG, auf. Der dienstleistende europäische Rechtsanwalt wird in Deutschland nur vorübergehend tätig. Er übt seinen Beruf grundsätzlich aus dem Ausland heraus aus. Hierbei ist nicht erforderlich, dass der europäische Rechtsanwalt seinen Kanzleisitz innerhalb der Europäischen Union, den Vertragsstaaten des Europäischen Wirtschaftsraums (Island, Liechtenstein und Norwegen) oder der Schweiz hat. Für den Anwendungsbereich des EuRAG ist nach § 1 EuRAG lediglich erforderlich, dass der europäische Rechtsanwalt die Staatsangehörigkeit eines EU-Landes oder eines der Vertragsstaaten des Europäischen Wirtschaftsraums bzw. der Schweiz besitzt und den Beruf des Rechtsanwalts nach einer in der Anlage zu § 1 EuRAG bezeichneten Berufsbezeichnung ausübt. Folglich ist es auch möglich, die anwaltliche Dienstleistung auf § 25 ff. EuRAG zu stützen, wenn der Kanzleisitz außerhalb des Anwendungsbereichs des EuRAG liegt, z.B. in den U.S.A., und der europäische Rechtsanwalt nach einer § 29a BRAO entsprechenden Regelung von der Kanzleipflicht in seinem Heimatstaat befreit ist.
138
Hingegen nicht ausreichend ist, wenn der Rechtsanwalt in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union, der Vertragsstaaten des Europäischen Wirtschaftsraums und der Schweiz zwar als Rechtsanwalt niedergelassen ist, jedoch nicht die Staatsbürgerschaft eines der betreffenden Länder besitzt.
139
Unter den Voraussetzungen von § 25 ff. EuRAG ist der europäische dienstleistende Rechtsanwalt dem deutschen Rechtsanwalt gleichgestellt. § 27 EuRAG stellt die Erlaubnisnorm dar, der zufolge Rechtsdienstleistungen im Inland, welche ansonsten nach § 3 RDG verboten wären, erbracht werden dürfen. Dabei regeln § 27 ff. EuRAG nicht nur die generelle Erlaubnis zur Rechtsberatung in Deutschland auch zum deutschen Recht, sondern bestimmen zugleich, unter welchen Voraussetzungen ein dienstleistender europäischer Rechtsanwalt vor deutschen Gerichten vertreten darf. Nach § 28 EuRAG ist ein Einvernehmensanwalt hinzuzuziehen, soweit sich der Mandant nicht selbst vertreten kann.
140
Deutlich stärker in das deutsche Rechtssystem integriert ist der in Deutschland niedergelassene Rechtsanwalt (niedergelassener europäischer Rechtsanwalt). Der niedergelassene europäische Rechtsanwalt ist im zweiten Teil des EuRAG geregelt (§ 2 EuRAG bis § 10 EuRAG). Mit dem europäischen niedergelassenen Rechtsanwalt wird die Niederlassungsfreiheit nach Art. 49 ff. des AEUV sichergestellt. Voraussetzung ist, dass der Rechtsanwalt in seinem Herkunftsland zugelassen ist. Der Nachweis der Zulassung im Herkunftsland ist jährlich neu nachzuweisen, § 6 Abs. 2 EuRAG. Das Herkunftsland und das Land, dessen Staatsbürgerschaft der Rechtsanwalt (§ 1 EuRAG) besitzt, müssen nicht identisch sein, bei beiden muss es sich jedoch um ein Land der Europäischen Union oder der Vertragsstaaten des Europäischen Wirtschaftsraums (Island, Liechtenstein und Norwegen) bzw. der Schweiz handeln.
141
Nach der Zulassung durch die für den Ort der Niederlassung zuständigen Rechtsanwaltskammern, § 2 EuRAG, ist der niedergelassene europäische Rechtsanwalt dem deutschen Rechtsanwalt weitgehend gleichgestellt. Dies ergibt sich zum einen aus § 2 Abs. 1 EuRAG, der ausdrücklich regelt, dass der niedergelassene europäische Rechtsanwalt die Tätigkeit eines Rechtsanwalts nach § 1 bis 3 BRAO ausüben darf. Verzichtet hat der Gesetzgeber damit auf die in der Niederlassungsrichtlinie vorgesehene Möglichkeit, auch dem niedergelassenen europäischen Rechtsanwalt einen Einvernehmensrechtsanwalt zur Seite zu stellen, Art. 5 Abs. 3 der RL 98/5/EG. 1 Richtlinie 77/249 EWG, ABl. L 78 v. 26.3.1977, S. 17 zuletzt geändert durch Richtlinie 2006/100/EG des Rates v. 20.11.2006, ABl. Nr. L 363141, 142; Richtlinie 89/48/EWG v. 21.12.1988, ABl. Nr. L 19 S. 16, zuletzt geändert durch Art. 62 ÄndRL 2005/36/EG v. 7.9.2005, ABl. Nr. L 255 S. 22; Richtlinie 98/5/EG, ABl. L 77 v. 14.3.1998, S. 36.
20 Wolf
Einleitung
Rz. 150 Einl.
Darüber hinaus erklärt § 6 EuRAG den dritten Teil der BRAO (§§ 43 bis 59m), den vierten Teil der BRAO (§§ 60 bis 89), den sechsten Teil der BRAO (§§ 113 bis 115c) den neunten bis elften Teil der BRAO (§§ 175 bis 205a) sowie den dreizehnten Teil der BRAO (§§ 208 bis 222) für anwendbar.
142
Durch die Teilverweisung auf die BRAO soll sichergestellt werden, dass der niedergelassene europäische Rechtsanwalt keine richterlichen Aufgaben in der Anwaltsgerichtsbarkeit wahrnehmen kann. Zu beachten ist allerdings, dass der vierte Abschnitt des fünften Teils der BRAO (das gerichtliche Verfahren in verwaltungsrechtlichen Anwaltssachen) auch für die niedergelassenen europäischen Rechtsanwälte durch die Verweisung in § 35 EuRAG Anwendung findet.
143
Ausgeschlossen ist die Vertretung des niedergelassenen europäischen Rechtsanwalts vor dem Bundesgerichtshof in Zivilsachen. Dies ergibt sich aus der Ausklammerung des achten Teils der BRAO. Eine entsprechende Einschränkung lässt die Niederlassungsrichtlinie ausdrücklich zu (Art. 5 Abs. 3 RL 98/5/EG).
144
Der niedergelassene europäische Rechtsanwalt hat die Niederlassung unter seiner ausländischen Berufsbezeichnung zu betreiben, § 5 Abs. 1 EuRAG. Soweit diese Berufsbezeichnung gleichfalls „Rechtsanwalt“ lautet, ist zusätzlich die Berufsorganisation des Herkunftslands anzugeben.
145
Am stärksten, nämlich vollständig, in das deutsche Rechtssystem integriert ist der eingegliederte europäische Rechtsanwalt nach dem dritten Teil des EuRAG. Der eingegliederte europäische Rechtsanwalt wird nach den Vorschriften der BRAO (§§ 6 bis 36) zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Er ist in vollem Umfang einem deutschen Rechtsanwalt gleichgestellt. Er ist daher auch berechtigt die Bezeichnung Rechtsanwalt zu führen. Neben dieser Bezeichnung kann er, soweit in seinem Herkunftsland noch zugelassen, auch die dortige Berufsbezeichnung führen. Dies ergibt sich aus Art. 10 Abs. 6 der Niederlassungsrichtlinie, RL 9875/EG.
146
An die Stelle der Befähigung zum Richteramt treten drei unterschiedliche Wege, um zum Rechtsanwalt zugelassen zu werden:
147
(a) Zulassung aufgrund der bestanden Eignungsprüfung, §§ 16 bis 24 EuRAG (b) Zulassung aufgrund dreijähriger effektiver und regelmäßiger Tätigkeit als niedergelassener europäischer Rechtsanwalt, §§ 11, 12 EuRAG (c) Zulassung aufgrund dreijähriger effektiver und regelmäßiger Tätigkeit als niedergelassener europäischer Rechtsanwalt, der sich jedoch nur kürzere Zeit mit dem deutschen Recht befasst, nach einem Prüfungsgespräch, §§ 13 bis 15 EuRAG. b) Herkunftsland Drittstaaten § 206 BRAO differenziert die Reichweite der Personalkonzession in Deutschland Rechtsberatung zu betreiben danach, ob der Drittstaat Mitglied der WTO ist, § 206 Abs. 1 BRAO oder einem sonstigen Drittstaat angehört, § 206 Abs. 2 BRAO. Staatsangehörige eines WTOStaates dürfen Rechtsberatung auf dem Gebiet des Rechts ihres Herkunftsstaats und des Völkerrechts betreiben, hingegen sind die Staatsangehörigen eines sonstigen Drittstaates auf die Rechtsberatung auf dem Gebiet des Rechts ihres Herkunftslands beschränkt. Gemeinsam ist beiden Gruppen, dass die Rechtsberatung voraussetzt, in Deutschland eine Niederlassung zu unterhalten und in die örtlich zuständige Rechtsanwaltskammer aufgenommen zu sein. Den Beruf übt der ausländische Rechtsanwalt unter der Bezeichnung seines Herkunftslands aus. Zusätzlich ist es möglich, im beruflichen Verkehr die Bezeichnung „Mitglied der Rechtsanwaltskammer“ zu führen, § 207 Abs. 3 BRAO.
148
Voraussetzung für die Aufnahme in die zuständige deutsche Rechtsanwaltskammer ist, dass der ausländische Rechtsanwalt in seinem Herkunftsland zur Rechtsberatung befugt ist. Den Nachweis hierüber hat er jährlich zu führen, § 207 Abs. 1 BRAO.
149
Erstmals wurde die Tätigkeit ausländischer Rechtsanwälte in Deutschland 1989 geregelt.1 Ausgangspunkt der Regelung war die Europäische Gemeinschaft. Für den Kreis der aus einem EG-Mitgliedsland stammenden Rechtsanwälte sollte eine Niederlassungsmöglichkeit
150
1 Gesetz zur Änderung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und Patentanwälte v. 13.12.1989, BGBl. I 1989, S. 2135.
Wolf 21
Einl. Rz. 151
Einleitung
geschaffen werden.1 Der damalige § 206 Abs. 1 BRAO2 war ein Vorläufer des EuRAG. Erst im Rechtsausschuss wurde ohne nähere Begründung3 in der damaligen Fassung von § 206 Abs. 2 BRAO die Möglichkeit der Rechtsberatung in Deutschland auf dem Gebiet des Rechts des Herkunftslands für Drittstaatenangehörige geschaffen. 151
Zeitlich parallel fand die 8. Runde der GATT Verhandlungen (Uruguay-Runde von 1986 bis 1993) statt. Gegenstand der 8. Welthandelsrunde war auch die Liberalisierung des Dienstleistungsbereichs. Hierzu wurde im Rahmen der Uruguay-Runde auch das General Agreement on Trade in Services (GATS) abgeschlossen. Die Besonderheit des GATS besteht darin, dass ihm keine einheitliche Liberalisierung zugrunde liegt. Vielmehr ermöglicht das GATS den Vertragsparteien, unterschiedliche Öffnungen ihres jeweiligen Dienstleistungsmarkts zuzulassen.4 Im dritten Teil des GATS können die Vertragsstaaten spezifische Verpflichtungen der Liberalisierung übernehmen (specific commitments, Art. XVI GATS5). Die EG verhandelte zwar die specific commitments für die Mitgliedsstaaten,6 jedoch stellten die Mitgliedschaften unterschiedliche Bedingungen auf, unter denen sie die einheitlich vereinbarten specific commitments erfüllen wollen. So wurde einheitlich der Gegenstand der rechtsberatenden Dienstleistung auf das Recht des Herkunftslands des beratenden Rechtsanwalts sowie das Völkerrecht beschränkt.7 Darüber hinaus stellte Deutschland die Bindung auf, dass der aus einem WTO Staat kommende Rechtsanwalt in Deutschland Mitglied einer Rechtsanwaltskammer als Einzelanwalt oder als Mitglied einer Sozietät geworden ist.8
152
Umgesetzt wurde das GATS-Abkommen durch die Änderung in § 206 BRAO, der nunmehr zwischen WTO-Staaten und sonstigen Drittstaaten bezüglich des Umfangs der Rechtsberatung differenziert. Unbeantwortet blieb bei der Umsetzung des GATS-Abkommens, ob jenseits von § 206 BRAO noch Rechtsberatung durch ausländische Rechtsanwälte von Drittstaaten in Deutschland möglich ist.9 3. Rechtsberatung jenseits des gestuften Systems der Personalkonzession für ausländische Rechtsanwälte
153
Von dem gestuften System der Personalkonzession sind zum einen die vorübergehenden Dienstleistungen in Deutschland durch hier nicht zugelassene Rechtsanwälte, die die Staatsangehörigkeit eines WTO-Staates oder eines Drittstaates haben, nicht erfasst. Eine Entsprechung des dienstleistenden europäischen Rechtsanwalts sehen §§ 206, 207 BRAO nicht vor. Zum anderen sind die im Ausland vorgenommenen Rechtsberatungen, die aber auf das Inland abzielen und z.B. mittels Fax oder E-Mail übermittelt werden, nicht geregelt. Unproblematisch ist hierbei zunächst einmal, dass eine Rechtsberatung zum deutschen Recht ausgeschlossen sein muss. Ist die Rechtsberatung zum deutschen Recht unter den Voraussetzungen des § 206 BRAO ausgeschlossen, muss dies erst recht gelten, wenn lediglich eine vorübergehende Dienstleistung in Deutschland erbracht wird.
154
Weitaus problematischer ist hingegen, wenn sich die vorübergehende Dienstleistung lediglich auf den Herkunftsstaat oder das Völkerrecht bezieht. Friedländer hat aus dem Fehlen gegenteiliger Vorschriften geschlossen, dass der ausländische Rechtsanwalt in Deutschland keinen berufsrechtlichen oder gewerberechtlichen Beschränkungen unterläge.10 Die Position Friedländers ist zeithistorisch mehr als verständlich. Nach der Befreiung Deutschlands vom Nationalsozialismus waren viele ehemals in Deutschland zugelassene jüdische Rechtsanwälte in Entschädigungsfragen tätig, die während der NS-Diktatur aus Deutschland fliehen mussten.11 In der nachfolgenden Diskussion wurde ohne nähere Begründung vertreten, dass nach dem deutschen Internationalen Anwaltsrecht der vorübergehend in Deutschland tätige aus-
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
BT-Drs. 11/3253, S. 27. BGBl. I 1989, S. 2135. BT-Drs. 11/5264, S. 34. Ewig, BRAK-Mitt. 1994, 205; Weiss, in: Tietje (Hrsg.), Internationales Wirtschaftsrecht, 2009, § 4 Rz. 38 ff. BGBl. II 1994, S. 1651. Weiss, in: Tietje (Hrsg.), Internationales Wirtschaftsrecht, § 4 Rz. 28. Errens, EuZW 1994, 460 (462). BGBl. II 1994, S. 1438 (1526) (engl. Fassung); 1684 (deutsche nicht verbindliche Fassung des GATS). Vgl. BT-Drs. 12/7655, S. 7. Friedlaender, AnwBl. 1954, 1 (4). Auf diesen historischen Kontext weist Kilian, AnwBl. 2003, 452 (457) zu Recht hin.
22 Wolf
Einleitung
Rz. 159 Einl.
ländische Rechtsanwalt keinen Beschränkungen unterliege.1 Diese Ansicht, die nicht weiter begründet wird, ist falsch.2 Das Zusammenspiel von BRAO und RDG (vormals RBerG) ergibt im Sinne des Wirtschaftsverwaltungsrechts das grundsätzliche Verbot der Rechtsberatung mit Erlaubnisvorbehalt.3 Betrachtet man noch einmal das Zusammenspiel von §§ 206, 207 BRAO und dem EuRAG, so ergibt sich, dass jeder in Deutschland tätige Rechtsanwalt der Berufsaufsicht einer Rechtsanwaltskammer unterstellt ist. Soweit der ausländische Rechtsanwalt niedergelassen ist, ist hierfür die Kammer zuständig, in deren Bezirk der Rechtsanwalt seine Niederlassung unterhält, § 206 Abs. 1 BRAO und § 2 EuRAG. Hinsichtlich des dienstleistenden europäischen Rechtsanwalts enthält § 32 EuRAG eine genaue Zuständigkeitsregelung der Rechtsanwaltskammern gegliedert nach Herkunftsland des dienstleistenden europäischen Rechtsanwalts. Der vorübergehende nichteuropäische dienstleistende Rechtsanwalt wäre demnach auch aufsichtsrechtlich deutlich besser gestellt, als der europäische dienstleistende Rechtsanwalt.
155
Dies wird durch § 183 BEG bestätigt. § 183 BEG sieht ausdrücklich eine Regelung zugunsten ehemaliger Rechtsanwälte vor, die verfolgungsbedingt die Zulassung verloren haben, in Entschädigungssachen zu vertreten. Allerdings sieht das Haager Beweisübereinkommen in Art. 74 zwar nicht ausdrücklich die Beteiligung der Parteien und deren Vertreter im Falle einer inländischen Beweisaufnahme vor, jedoch ergibt sich aus dieser Vorschrift indirekt ein Beteiligungsrecht.5
156
Über die Beweisaufnahme zugunsten eines ausländischen Verfahrens hinaus ist eine Reihe von Konstellationen denkbar, in denen ausländische Rechtsanwälte im Inland tätig werden müssen, um eine effektive Interessenwahrnehmung im Herkunftsland zu ermöglichen. Soll auf einer Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft, welche nach § 121 Abs. 5 AktG in der Regel am Sitz der Gesellschaft durchzuführen ist, über ein in den USA anhängiges Verfahren berichtet werden, ist das Bedürfnis unabweislich, den amerikanischen Rechtsanwalt hierüber vor der Hauptversammlung berichten zu lassen.
157
Will man vor der Macht des Faktischen nicht kapitulieren6 und die Lösung nicht nur in einer expliziten gesetzlichen Lösung suchen wollen,7 bietet es sich an die Lösung aus dem Prinzip der Marktortanknüpfung zu entwickeln. Im Wettbewerbsrecht arbeitet man allgemein mit dem Marktortanknüpfungsprinzip. Angeknüpft wird an dem Ort, an dem die Dienstleistungen miteinander konkurrieren.8 Zwar tritt nach Art. 6 der Rom II Verordnung der Verbraucherschutz gleichwertig neben den Schutz des Wettbewerbs,9 jedoch führt dies im vorliegenden Zusammenhang nicht zu einem anderen Ergebnis. Nach der Marktortanknüpfung genügen Vorbereitungs- und Initiativhandlungen im Inland nicht, um zur Anwendung des deutschen Wettbewerbsrechts zu kommen.10
158
Die Gedanken lassen sich auf die Anwendbarkeit des deutschen anwaltlichen Berufsrechts übertragen.11 Danach ist die vorübergehende Tätigkeit eines ausländischen Rechtsanwalts, der nicht unter den Begriff des europäischen dienstleistenden Rechtsanwalts fällt, im Inland unzulässig, wenn seine Tätigkeit auf den inländischen Beratungsmarkt abzielt.12 Ist hingegen die im Inland vorgenommene Tätigkeit lediglich eine Unterstützungshandlung für die anwaltliche Tätigkeit im Ausland, muss diese zulässig sein. Der ausländische Rechtsanwalt berät nicht in Deutschland, wenn sich seine rechtsberatende Tätigkeit auf das Ausland bezieht und er in Deutschland lediglich Unterstützungshandlungen vornimmt.
159
1 Schultz, AnwBl. 1981, 42 (43); BT-Drs. 8/3181, S. 12; Altenhoff/Busch/Chemnitz, RBerG, 4. Aufl. 1978, Art. 1 § 3 Rz. 71; Rabe, NJW 1987, 2185 (2186); Brangsch, NJW 1981, 1177; BT-Drs. 8/3181, S. 12 (Gesetzesbegründung zum Durchführungsgesetz der Dienstleistungsrichtlinie für Rechtsanwälte). 2 Kilian, AnwBl. 2003, 452 (456 f.); Kilian, RIW 2008, 373 (375 ff.); Hellwig, in: FS Rabe, 1995, S. 37 (43 f.). Henssler/Prütting/Schroeder, Vor § 206 Rz. 11. 3 Einl. RDG Rz. 4. 4 BGBl. II 1977, S. 1472. 5 MüKo/ZPO-Heinrich, Art. 7. HBewÜ Rz. 2 ff. 6 So aber Hellwig, in: FS für Rabe, S. 38 (44); keinen Raum für gewohnheitsrechtliche Anerkennung sieht hingegen Kilian, RIW 2008, 373 (376). 7 So Kilian, RIW 2008, 373 (376). 8 Fezer/Koos, in: Staudinger, 2010, Internationales Wettbewerbsprivatrecht, Rz. 449. 9 Fezer/Koos, in: Staudinger, 2010, Internationales Wettbewerbsprivatrecht, Rz. 645. 10 BGH, GRUR 1962, 243; Fezer/Koos, in: Staudinger, 2010, Internationales Wettbewerbsprivatrecht, Rz. 449. 11 BGH, GRUR 2007, 245 ff. allerdings nur die Anwendbarkeit des Marktordnungsprinzips zugunsten des deutschen Berufsrechts. 12 In diesem Sinne auch Mankowski, AnwBl. 2001, 73 (80 f.).
Wolf 23
Einl. Rz. 160 160
Einleitung
Dabei kann man sich am Haager Beweisübereinkommen orientieren. Informationen, Sichtung von Beweismaterial, Besprechungen müssen im Hinblick auf das ausländische Verfahren möglich sein. Hierfür streitet auch der Grundsatz eines rechtsstaatlichen Verfahrens. Der Staat, der im Inland an die internationalen Verfahrensstandards gebunden ist, kann diese nicht im Hinblick auf ausländische Verfahren unterlaufen.1 Dies gilt nicht nur in Bezug auf die Frage, ob sich der ausländische Rechtsanwalt im Inland auf seine Anwaltsprivilegien berufen kann, sondern eben auch, ob er im Inland tätig werden darf. Beides hängt zwar eng miteinander zusammen, ist jedoch deutlich zu unterscheiden. Bei der hier interessierenden Fragestellung geht es darum, ob ein ausländischer Rechtsanwalt im Deutschland tätig werden darf. Im Sinne des Wirtschaftsverwaltungsrechts besteht bezüglich jeder rechtsdienstleistenden Tätigkeit ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt.2 Grundvoraussetzung ist hierfür jedoch, dass BRAO und RDG überhaupt anzuwenden sind. Diese Frage ist nach der hier vertretenen Auffassung nach der Marktortanknüpfung zu beantworten. 4. Anzuwendendes Berufsrecht – Doppel-Deontologie
161
Neben der Frage, ob ein ausländischer Rechtsanwalt in Deutschland überhaupt tätig werden darf, tritt die Frage, welche berufsrechtlichen Regelungen er in diesem Fall zu beachten hat. Das anwaltliche Berufsrecht kennt kein auszisiliertes Kollisionsrecht. Der deutsche Gesetzgeber hat sich im Kern darauf beschränkt anzuordnen, in welchen Fällen das deutsche Berufsrecht für im Inland tätige ausländische Rechtsanwälte gilt, § 207 Abs. 2 BRAO, § 6 EuRAG, § 27 EuRAG, § 11 EuRAG. Hinzu kommt die Regelung in § 34 BORA. Ursprünglich enthielt § 29 BORA a.F. einen Verweis auf die CCBE Regeln. Durch Beschluss der Satzungsversammlung vom 15. April 2013 wurde die Bestimmung jedoch gestrichen und durch § 29a BORA n.F. ersetzt.3
162
Soweit ein deutscher Rechtsanwalt im Ausland tätig ist, enthält § 29a Abs. 2 BRAO eine versteckte Kollisionsnorm. Demnach befreit die Rechtsanwaltskammer den Rechtsanwalt von der Kanzleipflicht in Deutschland, wenn der Rechtsanwalt seine Kanzlei ausschließlich in einem anderen Staat einrichtet. Im Umkehrschluss folgert hieraus, dass die übrigen Vorschriften des deutschen Berufsrechts Anwendung finden.4 So hat der BGH wiederholt entschieden, dass ein ausschließlicher Kanzleisitz im Ausland nicht von der Verpflichtung befreit eine Berufshaftpflichtversicherung nach § 51 BRAO abzuschließen.5
163
Ungeregelt geblieben ist, was im Konfliktfall gilt. Der in Deutschland tätige ausländische Rechtsanwalt muss das deutsche Berufsrecht beachten. Der im Ausland tätige deutsche Rechtsanwalt ist gleichfalls an das deutsche Berufsrecht gebunden. Zwar kann der deutsche Gesetzgeber nicht regeln, in welchem Umfang der ausländische Rechtsanwalt noch an das Berufsrecht seines Heimatstaates gebunden ist bzw. in welchem Umfang der im Ausland tätige deutsche Rechtsanwalt das ausländische Berufsrecht zu beachten hat, möglich wäre aber eine Regelung der Konflikte gewesen.6 Bislang wurde eine solche Regelung nicht getroffen. Lediglich die EU-Richtlinien bestimmen positiv, dass sowohl die berufsrechtlichen Regelungen des Herkunftslands als auch die des Aufnahmestaates zu beachten sind.7
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Die CCBE-Regeln, auf die § 29 BORA ursprünglich verwiesen hat, vermögen den Konflikt nicht zu lösen. Unabhängig von der Frage, welchen Rechtsnormcharakter die CCBE Regeln haben,8 können die CCBE Regeln allenfalls Normkonflikte auf der Ebene der BORA lösen, nicht jedoch auf der Ebene des gesetzlichen Berufsrechts.9
165
Die von den Richtlinien vorgezeichnete Anwendung sowohl des Berufsrechts des Herkunftslands als auch des Aufnahmestaats vermag in dem Augenblick zu keiner Lösung führen, in dem die Berufsordnungen sich widersprechen. Dies kann z.B. der Fall sein, wenn in einem Land, wie in Deutschland, die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht relativ umfassend und die Pflicht zur Strafanzeige auf schwere Straftaten begrenzt ist, §§ 138, 139 StGB und in einem anderen Land, wie in England, die Pflicht zur Strafanzeige deutlich weiter gefasst ist.10 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Wolf/Hasenstab, BRAK-Mitt. 2010, 150 (155). Einl. RDG Rz. 4. http://www.brak.de/w/files/02_fuer_anwaelte/beschluesse-4-sitzung-5-sv-fuer-internet.pdf. Henssler/Prütting, § 43 BRAO Rz. 41; Feuerich/Weyland, § 27 EuRAG Rz. 2. BGH, NJW 1998, 1078; BGH, NJOZ 2010, 1696. Vgl. Hierzu Hellwig, 27 Penn St. Int’l L. Rev. (2008/2009) 395 ff. Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 77/249/EWG und Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 98/5/EG. Vgl. Henssler/Prütting/Offermann-Burckart, § 29 BORA Rz. 25. Vgl. hierzu auch Hellwig, BRAK-Mitt. 2009, 50; Knöpfel, AnwBl. 2003, 3 (6). Hellwig, BRAK-Mitt. 2009, 50 (53).
24 Wolf
Einleitung
Rz. 170 Einl.
Die h.M. sucht den Konflikt durch ein Zurücktreten des Rechts des Herkunftslands zu lösen.1 Die Lösung weist deutliche Ähnlichkeiten mit der choice-of-law-Bestimmung in den Model Rules of Professional Conduct der ABA auf. Nach 8.5b wird hier unterschieden, ob der Verstoß in Zusammenhang mit einem gerichtlichen Verfahren begangen wird oder ohne einen solchen Zusammenhang. Im ersten Fall bestimmt die lex fori das anzuwendende Recht, im letzteren Fall das Recht des Staates, in dem die berufsrechtlichen Regelungen verletzt wurden.2 Für diese Lösung streitet auch die höhere Rechtssicherheit gegenüber allen anderen Modellen. Insbesondere dürfte eine Lösung kaum praktikabel sein, welche das Recht des Tätigkeitsstaates nicht zum Nachteil des Rechtsanwalts anwenden will, wenn die Tätigkeit des Rechtsanwalts in diesem Staat erforderlich war, um eine sachgerechte Vertretung nach den Regeln desjenigen Rechts zu gewährleisten, welches das Mandatsverhältnis regiert.3
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5. Kollisionsrechtliche Einordnung des Anwaltsvertrags Der zwischen einem Anwalt und seinem Mandanten geschlossene Anwaltsvertrag ist kollisionsrechtlich dem Vertragsrecht zuzuordnen und unterfällt damit dem Anwendungsbereich der Rom I-VO. Gem. Art. 3 Rom I-VO können die Vertragsparteien grundsätzlich eine Rechtswahl treffen und frei über das Statut des Anwaltsvertrags disponieren.4 Sofern keine zulässige Rechtswahl getroffen wurde, unterliegt der als Dienstleistungsvertrag zu kategorisierende Anwaltsvertrag grundsätzlich der Kollisionsnorm des Art. 4 I b Rom I-VO. Vertragsstatut ist daher regelmäßig das Recht des Niederlassungsorts des Anwalts.5
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Der Niederlassungsort des Rechtsanwalts bestimmt sich dabei gem. Art. 19 Abs. 1 Rom I-VO nach dem Ort seiner Hauptniederlassung. Sofern die beauftragte Kanzlei Zweigniederlassungen in anderen Staaten hat, ist gem. Art. 19 Abs. 2 ROM I-VO diejenige Niederlassung ausschlaggebend zur Bestimmung des Statuts, welche die konkrete anwaltliche Tätigkeit zu erbringen hat.6 Werden einzelne Teilleistungen an verschiedenen Niederlassungen in mehreren Staaten erbracht, führt dies jedoch nicht zur objektiven Spaltung des Vertragsstatuts.7 Stattdessen ist gem. Art. 4 Abs. 1 lit. b i.V.m. Art. 19 Abs. 1 Rom I-VO wiederum der Hauptsitz der Sozietät maßgeblich.8
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Art. 6 Rom I-VO stellt immer dann eine Ausnahme des Vertragsstatuts dar, wenn der Rechtsanwalt seinen Mandanten weder beruflich noch gewerblich, sondern vielmehr in privaten Angelegenheiten vertritt. In diesem Fall agiert der Rechtsanwalt stets als Unternehmer und der Mandant als Verbraucher, so dass gem. Art. 6 Rom I-VO die Vorschriften über Verbraucherverträge der Kollisionsnorm des Art. 4 I b Rom I-VO vorgehen.9 Findet die Ausnahmevorschrift Anwendung, so bestimmt sich das Vertragsstatut nach dem Aufenthaltsstaat des Verbrauchers.
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Zwingende Inlandsvorschriften können sich gem. Art. 9 Rom I-VO auch gegen das kollisionsrechtlich berufene Anwaltsvertragsstatut durchsetzen. Als Eingriffsnormen kommen hierbei insbesondere Normen des RDG in Betracht. Gem. § 3 RDG muss ein ausländischer Rechtsanwalt über Erlaubnis sowie Registrierung verfügen, um in Deutschland rechtsberatend tätig zu werden. Für Anwälte aus dem EU/EWR-Ausland ist die Registrierung gem. § 15 RDG ausreichend, wenn die Tätigkeit im Inland nur vorübergehender Natur ist. Für Anwälte aus Drittstaaten gilt wohl eine darüber hinausgehende Erlaubnispflicht auch für vorübergehendes Tätigwerden.10
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1 Everling, Gutachten 58. DJT (1990) S. C 29 f.; Feuerich/Weyland, § 27 EuRAG Rz. 2; Henssler/Prütting, § 43 Rz. 42; Henssler/Prütting/Kilian, § 27 EuRAG Rz. 7; OLG Düsseldorf, NJW 1994, 869. 2 http://www.americanbar.org/groups/professional_responsibility/publications/model_rules_of_professio nal_conduct/rule_8_5_disciplinary_authority_choice_of_law.html. 3 So aber Knöpfel, AnwBl. 2003, 3 (19). 4 Reithmann/Martiny/Mankowski, Rz. 1411; Kaiser, NJW 1991, 2049 (2057); Zuck, NJW 1987, 3033. 5 MüKo/BGB/Martiny, Art. 4 ROM I-VO Rz. 51; Palandt/Thorn, Art. 4 ROM I-VO Rz. 9; Plender/Wilderspin, The European Private International Law of Obligations, 3. Aufl. 2009, Rz. 7-058; Reithmann/Martiny/Mankowski, Rz. 1423. 6 Knöfel, Grundfragen der internationalen Berufsausübung von Rechtsanwälten, 280 ff.; Martiny, MüKo/ BGB, Art. 4 ROM I-VO Rz. 53; Reithmann/Martiny/Mankowski, Rz. 1425. 7 Magnus, in: Staudinger, BGB, Art. 4 ROM I-VO Rz. 96; Ferrari, in: Ferrari/Kieninger/Mankowski u.a., Internationales Vertragsrecht, 2. Aufl. 2011, Rz. 105; Reithmann/Martiny/Martiny, Rz. 189; a.A. Mankowski, in: FS Spellenberg, S. 261 (267 ff.). 8 Magnus, in: Staudinger, BGB, Art. 4 ROM I-VO Rz. 303. 9 Palandt/Thorn, Art. 4 ROM I-VO Rz. 9; Reithmann/Martiny/Mankowski, Rz. 1414. 10 Kilian, RIW 2008, 373 (374); Reithmann/Martiny/Mankowski, Rz. 1451.
Wolf 25
Einl. Rz. 171 171
Einleitung
Seit der Neufassung der BRAO sind Erfolgshonorare auch in Deutschland nicht mehr generell verboten. Die Vereinbarung eines Erfolgshonorars ist gem. § 49b BRAO, § 4 RVG jedoch an enge Zulässigkeitsvoraussetzungen geknüpft. Ob diese Kriterien als international zwingendes Inlandsrecht eingehalten werden müssen, ist nicht abschließend geklärt.1 Andererseits wird vorgeschlagen, einen Verstoß gegen die Vorschriften im Einzelfall anhand des Ordre Public gem. Art. 21 Rom I-VO zu prüfen, anstatt die Vereinbarung pauschal wegen Verstoßes gegen Eingriffsnormen zu verwerfen.2 6. Das Zeugnisverweigerungsrecht des ausländischen Rechtsanwalts
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Dem Rechtsanwalt kommt – technisch unterschiedlich abgesichert – in den verschiedenen Verfahrensordnungen ein Zeugnisverweigerungsrecht zu. So regelt die StPO das Zeugnisverweigerungsrecht direkt, § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO, die ZPO regelt es in § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO über die Verschwiegenheitspflicht. Dieses Recht muss auch dem ausländischen Rechtsanwalt zustehen.3
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Dabei kann insbesondere hinsichtlich des Beschlagnahmeverbots, § 97 StPO, die Frage relevant werden, ob auch das Anwaltsprivileg eines ausländischen Rechtsanwalts geschützt ist, ohne dass der ausländische Rechtsanwalt in Deutschland anwaltlich tätig wird. So kann sich die Frage z.B. für einen U.S.-amerikanischen Rechtsanwalt bei einem Zwischenstopp am Frankfurter Flughafen auf dem Weg von Hong Kong nach New York stellen.
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Grundvoraussetzung für das Zeugnisverweigerungsrecht muss zunächst sein, dass diejenige Person, welche sich auf ihr anwaltliches Zeugnisverweigerungsrecht beruft, mit einem deutschen Rechtsanwalt vergleichbar ist. Hier wird man auf § 206 Abs. 2 BRAO zurückgreifen können. Danach können sich alle ausländischen Rechtsanwälte im Sinne des EuRAG bzw. § 206 Abs. 1 und Abs. 2 BRAO auf das Zeugnisverweigerungsrecht berufen.
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Hinsichtlich des Umfangs des Zeugnisverweigerungsrechts wird man nicht automatisches auf das deutsche Rechts als lex fori zurückgreifen können. Zwar muss das deutsche Rechts maßgebend sein, wenn der europäische Rechtsanwalt sind in einem vor einem deutschen Gericht anhängigen Verfahren bestellt hat. Hat hingegen das Mandatsverhältnis seinen Schwerpunkt im Ausland, bestimmt ein darüber hinausgehendes Berufsrechtsstatut bzw. das Mandatsstatut den Umfang des Zeugnisverweigerungsrechts.4 B. Historische Entwicklung I. Ältere geschichtliche Entwicklung
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Eine gründliche wissenschaftliche Aufarbeitung der Geschichte der Anwaltschaft fehlt bislang.5 Die Feststellung von Siegrist,6 dass die Rechtsanwaltsproblematik in den Schriften der Rechtsprofessoren eine untergeordnete Rolle spielt, hat bis heute Gültigkeit. Soweit die Anwaltschaft sich selbst mit ihrer eigenen Geschichte befasst, sieht sie sich stets mit dem Vorwurf konfrontiert eine Positionsbestimmung in der Professionalisierungsdebatte zu betreiben.7 Der Befund reiht sich ein in die Vernachlässigung des Verfahrens in der juristischen Methodenlehre. Christensen weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass dem Verfahren auch in der Methodik vor allem die dienende Rolle zugewiesen wurde, das bereits vor dem Verfahren in den juristischen Büchern fertig stehende Recht den Parteien didaktisch zu vermitteln.8 Im historischen Querschnitt betrachtet lässt sich jedoch sehr wohl ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem jeweiligen Prozessrechts bzw. Prozessrechtsverständnis und der Tätigkeit sowie der „berufsrechtlichen Stellung“ derjenigen Personen, die als „Rechtsfindungshelfer“ agieren, nachweisen. Richtigerweise verwendet man in diesem Zu1 Für eine Anwendung von Art. 9 ROM I-VO s. MüKo/BGB/Martiny, Art 4 ROM I-VO Rz. 54; Palandt/Thorn, Art. 4 ROM I-VO Rz. 10; Reithmann/Martiny/Mankowski, Rz. 1441. 2 Magnus, in: Staudinger, BGB, Art. 4 ROM I-VO Rz. 308. 3 Wolf/Hasenstab, BRAK-Mitt. 2010, 150 (155 ff.) m.w.N. 4 Wolf/Hasenstab, BRAK-Mitt. 2010, 150 (157). 5 Siegrist, Advocat, Bürger und Staat, Bd. 1, 1997, S. 35 f. Vgl. jüngst jedoch Busse, Deutsche Anwälte, 2010 und Deutscher Anwaltverein (Hrsg.), Anwälte und ihre Geschichte, 2011. Zur Problematik der Verbandsliteratur Krach, in: DAV (Hrsg.), Anwälte und ihre Geschichte, 2011, 207. 6 Siegrist, Advocat, Bürger und Staat, Bd. 2, 1997, S. 653. 7 Siegrist, Advocat, Bürger und Staat, Bd. 1, 1997, S. 7 f. 8 Lerch/Christensen, Die Sprache des Rechts, Bd. 2, Berlin, 2005, S. 1 (77 f.).
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Rz. 180 Einl.
sammenhang den neutralen Begriff des „Rechtsfindungshelfers“ und nicht denjenigen des Rechtsanwalts. Der Begriff des Rechtsanwalts ist nicht nur eine Erfindung des 19. Jahrhunderts, zu unterschiedlich waren im Laufe der Geschichte auch die Bezeichnungen und die im Rahmen des Prozesses wahrzunehmenden Aufgaben der „Rechtsfindungshelfer“, um sie schon mit dem Begriff Rechtsanwalt einheitlich belegen zu können. Gemein ist jedoch allen „Rechtsfindungshelfern“ die unmittelbare Verknüpfung zwischen deren prozessualen Funktionen sowie deren „berufsrechtlichen“ Stellungen auf der einen Seite und der Form und Funktion der Rechtsprechung und Rechtsfindung auf der anderen Seite.1 Den Ausgangspunkt der historischen Betrachtung markiert in der Regel der attische Prozess. Zugleich ist dies auch der Ausgangspunkt für die Geringschätzung der anwaltlichen Tätigkeit. Die Gerichte im antiken Athen, die Dikasterien, waren mit Geschworenen, den sog. Dikastes, besetzt, die durch Los ermittelt wurden und deren Anzahl in Privatsachen von der Höhe des Streitwerts abhing. Bis zu einem Streitwert von tausend Drachmen waren diese Spruchkörper mit 201 Geschworenen, ab einem darüber hinausgehenden Streitwert mit 401 Geschworenen besetzt.2 Die Dikastes hatten ihre durch Abstimmung getroffene Entscheidung nicht zu begründen. Folglich war für die Urteilsfindung die Rhetorik viel bedeutender als die juristische Argumentation. Allerdings mussten die Parteien ihren Rechtsstreit vor Gericht selbst vertreten. Sie ließen sich aber die Reden vom Logographos schreiben.3 Zum Teil war es aber auch möglich, dass die Partei zusammen mit dem Synegoros auftrat, wenn diesen eine Freundschaft mit der Partei oder eine Feindschaft mit dem Gegner verband.4 Dahinter stand die Befürchtung andernfalls werde dem Synegoros ohnehin niemand Glauben schenken, weil man annehme, er spreche nicht die Wahrheit aus, sondern lediglich dasjenige, für das er bezahlt worden sei.5 Das Stigma der Anwaltschaft, sie sei lediglich „Mietmaul“ ihrer jeweiligen Partei,6 hat also bis in das attische Recht zurückreichende Wurzeln.
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Das ursprüngliche römische Prozessrecht, der Formularprozess, war von der Zweiteilung des Verfahrens (in die Verfahren in iure und apud iudicem) bestimmt.
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Zunächst wurde das Streitprogramm in der Klageformel (formula) vor dem Gerichtsmagistrat festgelegt.7 Der hierbei gleichfalls eingesetzte Richter (iudex) musste über keine juristische Bildung verfügen, weil er im Verfahren apud iudicem streng an die rechtlichen Vorgaben des Gerichtsmagistrats gebunden war und nur noch über die Tatsachen zu befinden hatte.8 Entsprechend dieser Zweiteilung kam es in dem Verfahren apud iudicem mehr auf die rhetorischen als auf die juristisch argumentativen Fähigkeiten an.9 Die Prozessbeistände wurden ursprünglich als oratores patroni und advocati bezeichnet.
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Im klassischen Kognitationsverfahren10 tritt an die Stelle der Zweiteilung die einheitliche Erledigung des Verfahrens durch den Kognitionsbeamten als staatlichen Amts-
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1 Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 5. Aufl. 1980, S. 455 f.; Schneider, Der Rechtsanwalt, ein unabhängiges Organ der Rechtspflege, 1976, S. 22. 2 Thür „Dikasterion.“ Der Neue Pauly. Herausgegeben von: Hubert Cancik und Helmuth Schneider (Antike), Manfred Landfester (Rezeptions- und Wissenschaftsgeschichte). Brill, 2014. Brill Online. Technische Informations- und Universitaetsbibliothek Hannover (TIB/UB). 17 February 2014 http://www.reference works.brillonline.com/entries/der-neue-pauly/dikasterion-317800?s.num=11&s.an=“Thür%2C+Gerhard +(Graz)“&s.f.s2_parent_titel=Der+Neue+Pauly. 3 Rhodes „Logographos.“ Der Neue Pauly. Herausgegeben von: Hubert Cancik und Helmuth Schneider (Antike), Manfred Landfester (Rezeptions- und Wissenschaftsgeschichte). Brill, 2014. Brill Online. Technische Informations- und Universitaetsbibliothek Hannover (TIB/UB). 17 February 2014 http://www.reference works.brillonline.com/entries/der-neue-pauly/logographos-e708920?s.num=16&s.rows=50. 4 Thür, „Synegoros.“ Der Neue Pauly. Herausgegeben von: Hubert Cancik und Helmuth Schneider (Antike), Manfred Landfester (Rezeptions- und Wissenschaftsgeschichte). Brill, 2014. Brill Online. Technische Informations- und Universitaetsbibliothek Hannover (TIB/UB). 17 February 2014 http://www.reference works.brillonline.com/entries/der-neue-pauly/synegoros-e1127120. 5 Kennedy, American Journal of Philology, Bd. 89 (1968), 419 (421). 6 Vgl. hierzu z.B. Bauer, NZA 1999, 11 (13). 7 Paulus, „Formula.“ Der Neue Pauly. Herausgegeben von: Hubert Cancik und Helmuth Schneider (Antike), Manfred Landfester (Rezeptions- und Wissenschaftsgeschichte). Brill, 2014. Brill Online. Technische Informations- und Universitaetsbibliothek Hannover (TIB/UB). 17 February 2014 http://www.reference works.brillonline.com/entries/der-neue-pauly/formula-e413910. 8 Paulus, „Iudex.“ Der Neue Pauly. Herausgegeben von: Hubert Cancik und Helmuth Schneider (Antike), Manfred Landfester (Rezeptions- und Wissenschaftsgeschichte). Brill, 2014. Brill Online. Technische Informations- und Universitaetsbibliothek Hannover (TIB/UB). 17 February 2014 http://www.reference works.brillonline.com/entries/der-neue-pauly/iudex-e529840. 9 Kaser/Knütel, Römisches Privatrecht, 19. Aufl. 2008, § 82 Rz. 33. 10 Hierzu Kaser/Knütel, Römisches Privatrecht, 19. Aufl. 2008, § 87.
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träger.1 Die Verfahren werden amtlicher. Im Folgenden tritt daher die Notwendigkeit der juristischen Argumentationsfähigkeit der Anwälte deutlich in den Vordergrund, die reinen Rhetoren haben verloren. Am Ende des römischen Rechts stehen in Rechtsschulen auf dem Niveau eines vertieften Rechtsstudiums ausgebildete und als Stand organisierte Advokaten. So war bei jedem Gericht nur eine bestimmte Anzahl von Advokaten zugelassen, die in Listen (matricula) eingeschrieben waren und die als collegia Verbandsrechte hatten. Die Advokaten waren der Gerichtsbarkeit des Magistrats, bei dem sie zugelassen waren, unterworfen. Dieser übte auch die Disziplinargewalt über die Advokaten aus. Die Tätigkeit der Advokaten wurde honoriert, jedoch durften diese die gesetzlich geregelten Höchstsätze nicht überschreiten.2 Ein Erfolgshonorar an dem erstrittenen Betrag wurde als contra bonos mores, also gegen die guten Sitten, angesehen.3 Insgesamt lässt sich festhalten, dass der Herbeigerufene („advocare“ bedeutet herbeirufen) sich dem modernen Verständnis des Anwaltsbegriffs deutlich annäherte.4 181
Im germanischen Recht bildete sich die Tätigkeit des „Vorsprechers“ heraus.5 Der „Vorsprecher“ war kein Fürsprecher der Parteien, vielmehr wurde er vom Gericht bestellt und war im Dienst des Rechts und nicht der Parteien tätig.6 Die Rolle des Vorsprechers erhellt sich vor dem germanischen Prozessrechtsverständnis. Im Prozess sollte das Recht nicht durchgesetzt, sondern gefunden werden. Voraussetzung hierfür war, dass die Parteien den Urteilern (Schöffen) auch das stark formalisierte Recht vortrugen. Hierfür bedienten sie sich der „Vorsprecher“.7 Wurden die Formalien nicht genau eingehalten, konnte allein deshalb der Prozess verloren gehen. Bedienten sich die Parteien jedoch eines Vorsprechers, konnten sie einen Versprecher des Vorsprechers noch korrigieren. Die Parteien konnten sich der „holung und wandel“ bedienen, also die Worte des Vorsprechers nicht genehmigen und damit korrigieren. Hierdurch war es möglich, das strictum ius abzumildern.8
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Der Vorsprecher fällte zusammen mit den anderen Urteilern, nachdem er für seine Partei vorgesprochen hatte, das Urteil. Es ging in dem Verfahren um die Findung des objektiven, richtigen Rechts. Aus diesem Grund war es auch verpönt, dass der Vorsprecher für seine Tätigkeit Geld von den Parteien annahm.9
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Mit der Rezeption des römischen Rechts einher ging die aus dem canonischen Recht bekannte Trennung in procurator und advocatus. Aufgabe des procurators war es, die Partei vor Gericht zu vertreten, während dem advovatus die Aufgabe zukam, die Partei außerhalb des Prozesses rechtlich zu beraten und Schriftsätze anzufertigen.10 Die Trennung in die beiden Funktionen fand zwar auch ihren Niederschlag in der Reichskammergerichtsordnung von 1495, hatte jedoch in Deutschland – im Gegensatz zu England und Frankreich – keinen langen Bestand. Vielmehr begannen die beiden Berufsbilder – unter Beibehaltung der Berufsbezeichnungen – miteinander zu verschmelzen. So führten z.B. in Bayern die Parteivertreter an den höheren Gerichten die Bezeichnung Advokaten und an den unteren Gerichten die Bezeichnung Prokuratoren.11
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Die Stellung der Sachwalter war allerdings je nach partikularer Gerichtsordnung sehr unterschiedlich ausgeprägt. Für das Reichskammergericht galt, dass später in der Regel die Prokuratoren aus dem Kreis der Advokaten berufen wurden, die Advokaten also als Vorstufe der Prokuratoren betrachtet wurden. Wurden ursprünglich beide Berufsgruppen durch das Reichskammergericht geprüft, entfiel später die Prüfung der Prokuratoren aus diesem Grund.12 1 Paulus, „Cognitio.“ Der Neue Pauly. Herausgegeben von: Hubert Cancik und Helmuth Schneider (Antike), Manfred Landfester (Rezeptions- und Wissenschaftsgeschichte). Brill, 2014. Brill Online. Technische Informations- und Universitaetsbibliothek Hannover (TIB/UB). 17 February 2014 http://www.reference works.brillonline.com/entries/der-neue-pauly/cognitio-e302860. 2 Kaser/Hackel, Römisches Privatrecht, 19. Aufl. 2008, S. 564 f. 3 Kaser, SZ 60 (1940), 128 ff. 4 Paulus, „Advocatus.“ Der Neue Pauly. Herausgegeben von: Hubert Cancik und Helmuth Schneider (Antike), Manfred Landfester (Rezeptions- und Wissenschaftsgeschichte). Brill, 2014. Brill Online. Technische Informations- und Universitaetsbibliothek Hannover (TIB/UB). 17 February 2014 http://www.reference works.brillonline.com/entries/der-neue-pauly/advocatus-e104070. 5 Hierzu Weißler, Geschichte der Rechtsanwaltschaft, 1905, S. 25 ff. 6 Weißler, Geschichte der Rechtsanwaltschaft, 1905, S. 33. 7 Vgl. hierzu auch Schneider, Der Rechtsanwalt, 1976, S. 28 f. 8 Winterberg, Handbuch der dt. Rechtsgeschichte, Bd. I, 1. Aufl. 1973, Sp. 1334. 9 Winterberg, Handbuch der dt. Rechtsgeschichte, Bd. I, 1. Aufl. 1973, Sp. 1336. 10 Buchda/Cordes, Handbuch der dt. Rechtsgeschichte, 2. Aufl. 2008, Bd. I, Sp. 257; Sellert, Handbuch der dt. Rechtsgeschichte, Bd. III, 1984, Sp. 2032. 11 Buchda/Cordes, Handbuch der dt. Rechtsgeschichte, 2. Aufl. 2008, Bd. I Sp. 257 f. 12 Buchda/Cordes, Handbuch der dt. Rechtsgeschichte, 2. Aufl. 2008, Bd. I Sp. 258.
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Allerdings war das Verhältnis zwischen Prokuratoren und Advokaten nur am Reichskammergericht und in der Regel an den hohen landesfürstlichen Hofgerichten so. In der übrigen Gerichtsbarkeit waren die Prokuratoren in der Regel nur praktisch ausgebildet, während die Advokaten an den Universitäten studiert hatten.1
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Nachhaltige Wirkung – was die Begründung eines negativen Images betrifft – hatte die Reform unter Friedrich II. in Preußen.2 Erinnert sei lediglich an die Einführung des Advokatenmantels durch Friedrich den II. („Damit man die Spitzbuben schon von weitem erkenne.“)
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Mit Cabinets-Order vom 14.4.1780 wurden die Advokaten dann völlig abgeschafft. Die Parteien sollten ihren Rechtsstreit vor Gericht selbst vertreten. Jedoch zeigte sich sehr rasch, dass die Parteien juristischen Beistand benötigten. Diesen sollten nun beamtete und besoldete „Assistenzräte“ übernehmen, welche vom Gericht den Parteien zugeteilt wurden. Aber die Assistenzräte waren nicht von langer Dauer. Bereits 1793 wurden die Assistenzräte wieder abgeschafft und die Parteien konnten ihre Sachwalter wieder frei wählen.3
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II. Bis zur Reichsrechtsanwaltsordnung Historisch betrachtet ist der in § 1 BORA unterstellte Gleichklang der Interessen zwischen Rechtsanwaltschaft und Mandanten in seinem ursprünglichen Begründungszusammenhang durchaus gegeben. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts gab es in Europa drei unterschiedliche Grundtypen anwaltschaftlicher Berufsbilder.4 Das erste, insbesondere in den deutschen Ländern weit verbreitete Muster, war dasjenige der Amtsprofession. Aufgabe des Rechtsanwalts war es, den Staat bzw. die Gerichte bei der Erfüllung ihrer Aufgaben zu unterstützen. Das Berufsbild wurde im Wesentlichen durch diese gerichtsbezogene Hilfstätigkeit des Rechtsanwalts für die Rechtsprechung geprägt. Der Einfluss der Anwälte auf die Rechtsentwicklung sollte gering bleiben. Die Anwälte hatten lediglich die Aufgabe das Recht anzuwenden, nicht auszulegen. Insbesondere sollten die Anwälte nicht zu einer Fortentwicklung des Rechts beitragen.5 Der Staat regelte die Fragen der notwendigen Ausbildung der Advokaten sowie deren Zulassung und Entlohnung in einem Tarifsystem und sicherte so zwar den Anwälten eine standesgemäße Lebensführung, suchte aber gleichzeitig zu verhindern, dass sie eine beruflich-wissenschaftliche Identität und Autonomie gewannen.6
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Gegen dieses Modell der Amtsprofession richtete sich im 19. Jahrhundert die Forderung der Anwälte nach einer freien Advokatur.7 An die Stelle einer beamtenähnlichen Stellung, welche Advokaten der Disziplinargewalt der Gerichte unterwarf, sollte das Modell des freien Berufs treten.
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Nach diesem Modell regelt der Staat zwar noch die Qualifikationsanforderungen, jedoch erfolgt keine Zulassungsbeschränkung mehr. Die beamtenähnliche Stellung einschließlich der Disziplinargewalt der Gerichte ist aufgehoben. Die Rechtsanwälte waren also unabhängig von solchen staatlichen Einflussnahmen.8 Da die Disziplinaraufsicht der Gerichte über die Anwaltschaft im 19. Jahrhundert auch zu einer Einschränkung der anwaltschaftlichen Vertretung der Mandanteninteressen führen konnte, wird der Gleichlauf zwischen der Forderung nach einer freien Advokatur und den Interessen des Mandanten deutlich.9 Rudolf Gneist schrieb daher zur Begründung seiner Forderung nach einer freien Advokatur: „Das Bedürfniß des rechtsuchenden Publicums muss an erster Stelle über die Gestaltung der Rechtsanwaltschaft entscheiden.“10
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1 Buchda/Cordes, Handbuch der dt. Rechtsgeschichte, 2. Aufl. 2008, Bd. I, Sp. 259. 2 Vgl. hierzu Rick, Die verfassungsrechtliche Stellung des Rechtsanwalts, 1998, S. 36 f. 3 Buchda/Cordes, Handbuch der dt. Rechtsgeschichte, 2. Aufl. 2008, Bd. 1 Sp. 262 f. und Rick, Die verfassungsrechtliche Stellung des Rechtsanwalts, 1998, S. 36 ff. 4 Hierzu Dipper/Siegrist, Rechtskultur, Rechtswissenschaft, Rechtsberufe im 19. Jahrhundert, 2000, S. 100 (104 ff.). 5 Dipper/Siegrist, Rechtskultur, Rechtswissenschaft, Rechtsberufe im 19. Jahrhundert, 2000, S. 100 (105); Siegrist, Advokat, Bürger und Staat: Sozialgeschichte der Rechtsanwälte in Deutschland, Italien und der Schweiz (18.–20. Jhd.), Bd. 1, 1996, S. 63 ff. 6 Dipper/Siegrist, Rechtskultur, Rechtswissenschaft, Rechtsberufe im 19. Jahrhundert, 2000, S. 100 (105). 7 Vgl. zur politischen Einstellung der Rechtsanwälte Fichtmüller, in: DAV (Hrsg.), Anwälte und ihre Geschichte, 2011, 91 ff. 8 Dipper/Siegrist, Rechtskultur, Rechtswissenschaft, Rechtsberufe im 19. Jahrhundert, 2000, S. 100 (105). 9 Wolf, in: FS Schlosser, 2005, S. 1121 (1126) m.w.N. 10 Gneist, Freie Advocatur – Die erster Forderung aller Justizreform, 1867, passim.
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Schließlich gab es auch bereits im 19. Jahrhundert das völlig marktliberale Modell des freien Advokatengewerbes, welches vor allem in Teilen der Schweiz vertreten war.1 Kennzeichnend hierfür war, dass es keinerlei oder kaum staatliche Vorgaben für die Berufstätigkeit des Advokaten gab.
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Mit der Reichrechtsanwaltsordnung hat der Gesetzgeber im Wesentlichen das von Gneist vorgezeichnete Modell übernommen. Ursprünglich war geplant im Gerichtsverfassungsrecht einen elften Abschnitt über die Rechtsanwaltschaft einzufügen.2 Man wollte dabei zwischen der gerichtsverfassungsrechtlichen Stellung der Rechtsanwälte auf der einen Seite und deren wirtschaftsaufsichtsrechtlichen Überwachung auf der anderen Seite unterscheiden. Letzteres sollte einer eigenen Anwaltsordnung überlassen werden. Erst in dritter Lesung wurden die gerichtsverfassungsrechtlichen Bestimmungen über die Stellung der Rechtsanwälte, entsprechend den Vorstellungen des Bundesrats, gestrichen, um sie im Zusammenhang mit der geplanten Anwaltskammerordnung zu regeln.3 Mit der Einführung der Reichsrechtsanwaltsordnung wurde die „freie Advokatur“ in Deutschland verwirklicht, aus den Advokaten sind Rechtsanwälte geworden.
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Der Begriff „Rechtsanwalt“ ist eine Schöpfung des 19. Jahrhunderts. Literarisch fand er 1808 in Heinrich v. Kleists, Michael Kohlhaas,4 erstmals Eingang.5 Die erste Erwähnung in einem amtlichen Text erfolgte in der Novelle vom 31.8.1804 zur Bayerischen Gerichtsordnung von 1753. Im Nachfolgenden setzte sich der Begriff mehr und mehr durch. So fand er mit der Verordnung vom 16.2.1823 über die Regelung des Armenrechts in Rheinpreußen erstmals auch Eingang in die preußische Amtssprache.6 Die 1844 in Heidelberg gegründete national und liberal ausgerichtete Anwalts-Zeitung7 begründete die eigene Namensgebung mit dem Hinweis darauf, dass der Begriff „gut teutsch“ sei und im Gegensatz zu dem Begriff des Advokaten nicht in Verbindung mit den Begriffen des Winkel-, Stöckel- oder Teufels-Advokaten steht.8
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Mit dem Entwurf der Reichs-Civilprozessordnung vom 29.10.1874 wurde bereits die einheitliche Bezeichnung des Rechtsanwalts für den anwaltlichen Prozessvertreter gewählt.9 Endgültig hat sich der Begriff mit der Reichsrechtsanwaltsordnung vom 1.7.1878 durchgesetzt. III. Weitere Entwicklung seit dem Inkrafttreten der Reichsrechtsanwaltsordnung 1. Bis 1933
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Bereits kurze Zeit, nachdem der numerus clausus durch die Reichsrechtsanwaltsordnung abgeschafft wurde, stieg die Anzahl der zugelassenen Rechtsanwälte stark an. Kamen 1880 noch auf jeden Anwalt 11 057 Einwohner, entfielen 1913 auf einen Anwalt nur noch 5 280 Einwohner.10
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Erst im Rahmen der Abschaffung der die Frauen benachteiligenden familienrechtlichen Vorschriften im BGB wurde die Forderung erhoben Frauen zum Studium der Rechtswissenschaft zuzulassen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden schließlich die Frauen allgemein zum juristischen Studium zugelassen, zuletzt in Preußen zum Wintersemester 1908/1909. Bis auf Bayern, die Juristinnen zur ersten Juristischen Staatsprüfung zuließen, war zunächst für Frauen nur der Studienabschluss durch die Promotion vorgesehen. Sowohl der Richtertag in Leipzig 1921 als auch die 14. Vertreterversammlung des DAV 1922 lehnten eine Zulassung der Frauen zu den regulierten juristischen Berufen ab. Trotz dieses negativen Votums setzte der neue Reichsjustizminister Gustav Radbruch 1922 den Zugang von Frauen zum Beruf des Rechtsanwalts mit dem Gesetz über die Zulassung von Frauen zu Ämtern und Berufen der Rechtspflege durch.11 Am 7.12.1922 wurde Dr. Marie Otto in Bayern als erste Frau als Rechtsanwältin zugelassen.12 1 Dipper/Siegrist, Rechtskultur, Rechtswissenschaft, Rechtsberufe im 19. Jahrhundert, 2000, S. 100 (105 f.). 2 Drucksache des Reichstags, 2. Leg. Per. IV. Session, 1876, Bd. 3, Anlage Nr. 8, S. 343 und Anlage Nr. 81, S. 693 ff. 3 Drucksache des Reichstags, 2. Leg. Per. IV. Session, 1876, Bd. 3, Anlage Nr. 8, S. 345 und Nr. 148, S. 899. 4 http://www.kleist.org/texte/MichaelKohlhaasL.pdf, S. 54. 5 Weißler, Geschichte der Rechtsanwaltschaft, 1905, S. 421. 6 Weißler, Geschichte der Rechtsanwaltschaft, 1905, S. 422. 7 Siegrist, Advokat, Bürger und Staat, Bd. 1, 1996, S. 357. 8 Zit. nach Weißler, Geschichte der Rechtsanwaltschaft 1905, S. 423. 9 Deutscher Reichstag, Bd. 40 (1874/1875), S. 338. 10 Rick, Die verfassungsrechtliche Stellung des Rechtsanwalts, 1998, S. 43. 11 RGBl. I 1922, S. 1573. Röwekamp, in: DAV (Hrsg.), Anwälte und ihre Geschichte, 2011, 237 ff. 12 Röwekamp, in: DAV (Hrsg.), Anwälte und ihre Geschichte, 2011, 237 (250).
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Einleitung
Rz. 202 Einl.
Der deutliche Anstieg der Zahl der Rechtsanwälte führte zu dem seit dem Anwaltstag von 1911 regelmäßig wiederholten Ruf nach einem numerus clausus für die Rechtsanwaltschaft.1 Auf ihrer 29. Abgeordnetenversammlung forderte die Anwaltschaft 1932 schließlich mit überwältigender Mehrheit einen sofortigen Zulassungsstopp (127 zu 19 Stimmen) und die Einführung eines numerus clausus (155 zu 31 Stimmen).2
197
2. 1933 bis 1945: Das Ende der freien Advokatur Nach der Machtergreifung der NSDAP wurde die freie Advokatur systematisch beseitigt. Den ersten Schritt hierzu bildete das Gesetz über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft vom 7.4.1933.3 Das Gesetz eröffnete die Möglichkeit die Zulassung der nichtarischen Rechtsanwälte zurückzunehmen. Gänzlich von der Rechtsanwaltschaft ausgeschlossen wurden in dem Gesetz Rechtsanwälte, welche sich zuvor kommunistisch betätigt hatten.4 Das NS-Regime bediente sich allerdings bei der Gleichschaltung der Anwaltschaft einer Doppelstrategie, indem neben die Maßnahmen zur Gleichschaltung der Anwaltschaft auch die Erfüllung anwaltlicher Konkurrenzschutzforderungen trat.5 Mit dem zweiten Gesetz zur Änderung der Rechtsanwaltsordnung vom 13.12.19356 wurde nicht nur der anwaltliche Probe- und Anwärterdienst nach dem Assessorexamen eingeführt (§ 2 ff. der RAO vom 13.12.1935), sondern auch die Zulassung der Rechtsanwälte an einem Gericht auf die Zahl beschränkt, welche für eine „geordnete Rechtspflege dienlich ist.“7 Der Anspruch auf Zulassung war damit abgeschafft.8 Aufgrund eines „Führerentscheids“ vom August 1936 wurde zwar das Gesetz über die Zulassung von Frauen zu den Ämtern und Berufen der Rechtspflege von 1922 nicht aufgehoben, jedoch wurden Frauen nicht mehr als Rechtsanwältinnen zugelassen.9
198
Schließlich wurden mit der 5. VO zum Reichsbürgergesetz vom 14.10.193810 jüdische Mitbürger völlig aus der Anwaltschaft ausgeschlossen.
199
Durch die Anordnungen des Reichsjustizministeriums vom 13. und 17.10.193811 wurden die Justizverwaltungen ermächtigt ehemalige jüdische Rechtsanwälte zur Vertretung jüdischer Mandanten als Rechtskonsulenten zuzulassen. Die Rechtskonsulenten mussten den überwiegenden Teil der Gebühren an eine Ausgleichkasse bei der Reichsrechtsanwaltskammer abführen und im Gerichtssaal ohne Robe und mit Judenstern auftreten.12
200
Das Schicksal der jüdischstämmigen Anwaltskollegen ist das dunkelste Kapitel der deutschen Anwaltsgeschichte. Jüdische Rechtsanwälte waren in der Weimarer Republik Teil der deutschen Identität, sie standen mit im Zentrum des deutschen Rechtslebens. In Berlin war über die Hälfte der Rechtsanwälte jüdischer Herkunft.13 Die Rechtsanwälte jüdischer Herkunft prägten zum Teil als herausragende Juristen ganz entscheidend die deutsche Rechtskultur. Um nur einige zu nennen: Max Hachenburg, begründete das moderne Aktien- und Handelsrecht; Hugo Sinzheimer ist der Vater des deutschen Arbeitsrechtes; Max Friedlaender als Kommentator der RRAO und Sigbert Feuchtwanger als Begründer einer ökonomischen Theorie der freien Berufe; Herman und Rudolf Isay, die das deutsche Patent- und Kartellrecht maßgeblich mitprägten.; Alfred Apfel, Max Alsberg und Hans Litten als bedeutende Strafverteidiger.
201
Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten erfolgte in verschiedenen Phasen die Ausgrenzung der jüdischstämmigen Rechtsanwälte, an deren Ende Ermordung, Suizid oder Emigration standen.14 Die arischen Rechtsanwälte wurden auf die Ideologie der NSDAP verpflichtet. Der Rechtsanwalt war nicht länger Parteivertreter, sondern „Rechtswahrer“ na-
202
1 Rick, Die verfassungsrechtliche Stellung des Rechtsanwalts, 1998, S. 45. 2 Rick, Die verfassungsrechtliche Stellung des Rechtsanwalts, 1998, S. 45, ausführlich zur Entwicklung der Anwaltschaft in der Weimarer Republik Krach, in: DAV (Hrsg.), Anwälte und ihre Geschichte, 2011, 207 ff. 3 RGBl. I 1933, S. 188. 4 Rick, Die verfassungsrechtliche Stellung des Rechtsanwalts, 1998, S. 48 f. 5 Rücker, Rechtsberatung, 1997, S. 206 ff. 6 RGBl. I 1935, S. 1470. 7 § 15 Abs. 2 der RAO von 1935. 8 Ostler, Die deutschen Rechtsanwälte, 2. Aufl. 1982, S. 257 ff. 9 Huerkamp, Bildungsbürgerinnen: Die Frauen im Studium & in akademischen Berufen 1900–1945, 1996, S. 291. 10 RGBl. I 1938, S. 1403. 11 JW 1938, 2797 (2798 f.). 12 Rick, Die verfassungsrechtliche Stellung des Rechtsanwalts, 1998, S. 52. 13 Ladwig-Winters, in: DAV (Hrsg.), Anwälte und ihre Geschichte, 2011, S. 285 (288). 14 Ladwig-Winters, in: DAV (Hrsg.), Anwälte und ihre Geschichte, 2011, S. 285.
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Einl. Rz. 203
Einleitung
tionalsozialistischer „Rechtsgrundsätze“. Die freie Advokatur war durch das NS-Regime abgeschafft. 3. Seit 1945 a) In der Bundesrepublik Deutschland 203
Erst nach der Befreiung Deutschlands von der nationalsozialistischen Herrschaft kehrte die freie Advokatur zurück. In den drei westlichen Besatzungszonen verlief die Entwicklung mit unterschiedlicher Geschwindigkeit und unterschiedlichen Aktzenten. Den Anfang machte dabei die französische Besatzungszone, in der zwischen Juli und September 1946 die RAO von 1878 in der Fassung vom 30.1.1933 wieder in Kraft gesetzt wurde.1 Es folgt in der amerikanischen Besatzungszone die bayerische Rechtsanwaltsordnung vom 6.11.1946.2 Insbesondere in der Frage, ob nach dem Assessorexamen sich ein anwaltlicher Probedienst vor der Zulassung anzuschließen hat, war die Rechtslage nicht einheitlich. So sah z.B. die bay. Rechtsanwaltsordnung einen solchen Probedienst vor, § 2a ff. der bay. RAO von 1946. Andererseits wurde in der amerikanischen Zone der Ende 1935 in die RRAO eingeführte Probeund Anwärterdienst nicht aufrechterhalten. Im Gegensatz hierzu wurde in der britischen und französischen Zone zum Teil aber der numerus clausus der Zulassung aufrechterhalten.3
204
Mit der Rückkehr der freien Advokatur kehrte auch die gewählte Selbstverwaltung der Rechtsanwaltschaft nach Deutschland zurück. Aus der Vereinigung der Rechtsanwaltskammern in der britischen Zone ging 1949 zunächst die Arbeitsgemeinschaft der Rechtsanwaltskammern (ArgeRAK) hervor, welche sich 1954 als Vereinigung der Rechtsanwaltskammern im Bundesgebiet satzungsmäßig organisierte und die 1959 nach dem in Kraft treten der Bundesrechtsanwaltsordnung in der nunmehr konstituierten Bundesrechtsanwaltskammer aufging.4
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Nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland wurde der Regierungsentwurf der Bundesrechtsanwaltsordnung (vom 11.9.1952)5 bereits in der ersten Legislaturperiode eingebracht,6 fiel aber dem Diskontinuitätsgrundsatz zum Opfer. Der erneut in der zweiten Legislaturperiode eingebrachte Regierungsentwurf (24.11.1954)7 fiel abermals der Diskontinuität zum Opfer. Schließlich wurde der in der dritten Legislaturperiode eingebrachte Regierungsentwurf der Bundesrechtsanwaltsordnung vom 8.1.1958 verabschiedet. Das Gesetz trat am 1.10.1959 in Kraft (§ 237 BRAO a.F.).
206
Dem Regierungsentwurf ging der Münchner Entwurf der ArgeRAK von 1950 voraus, welchen der damalige Bundesjustizminister Thomas Dehler von der ArgeRAK erbeten hatte.8 Die Frage, in welchem Umfang die Bundesrechtsanwaltskammer berechtigt ist auch die wirtschaftlichen Interessen der Rechtsanwaltschaft zu vertreten und zu fördern, hat zu einer Kontroverse mit dem sich seit 1947 wiedergründenden Deutschen Anwaltverein geführt.9 Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung stand die Abgrenzung der Tätigkeitsgebiete von Verein und Kammer.10
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Der Gesetzgeber der BRAO bekannte sich noch ausdrücklich zum Konzept des freien Berufs von Feuchtwanger.11 Die Handlungen des Anwalts werden, so die Vorstellung des Gesetzgebers, von dem Motiv geleitet sein, das Recht zu verwirklichen, nicht jedoch vom Streben nach Gewinn bestimmt sein.12 Die mit der BRAO ursprünglich verbundene Leitidee vom Beruf des Rechtsanwalts blieb im Großen und Ganzen bis zu den sog. Bastille-Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 14.7.198713 erhalten.14 In diesen Beschlüssen des 1 Busse, Deutsche Anwälte, 2010, S. 157. 2 Vgl. hierzu die detailreiche Darstellung von Busse, Deutsche Anwälte, 2010, S. 61 f. Die Auffassung, dass die Rechtsanwaltsordnung für die britische Zone v. 10.3.1949, (BOBl. BZ, 80) die erste auf deutschem Boden nach dem Zweiten Weltkrieg bildet, so m.A. in der ersten Auflage, ist unzutreffend. 3 Busse, Deutsche Anwälte, 2010, S. 65. 4 Busse, Deutsche Anwälte, 2010, 197 ff. 5 BT-Drs. 1/3650. 6 Vgl. zur Gesetzgebungsgeschichte Ostler, Die deutschen Rechtsanwälte, 2. Aufl. 1982, S. 340 ff. 7 BT-Drs. 2/1014. 8 Busse, Deutsche Anwälte, 2010, 202 f.; § 177 BRAO Rz. 1. 9 Hierzu ausführlich Busse, Deutsche Anwälte, 2010, S. 202 ff. 10 Vgl. hierzu auch § 177 BRAO Rz. 1 ff. 11 Feuchtwanger, Die freien Berufe, 1922, vgl. hierzu § 2 BRAO Rz. 8. 12 BT-Drs. 3/120, S. 49. 13 BVerfGE 76, 171 ff.; BVerfGE 76, 191 ff. 14 Hierzu Knauer/Wolf, BRAK-Mitt. 2007, 142 ff.
32 Wolf
Einleitung
Rz. 213 Einl.
BVerfG wurde entschieden, dass die Standesrichtlinien nicht mehr – wie es der damaligen Rechtspraxis entsprach – zur Konkretisierung der allgemeinen anwaltlichen Berufspflichten nach § 43 BRAO herangezogenen werden dürfen. Die Standesrichtlinien wurden lediglich von den Präsidenten der Rechtsanwaltskammern verabschiedet.1 Dabei hatte jeder Präsident, ohne dass Rücksicht auf die Zahl der Mitglieder der entsprechenden Regionalkammer genommen wurde, mit je einer Stimme über die Standesrichtlinien zu entscheiden.2
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Zwar sah das BVerfG schon immer die Standesrichtlinie nicht als autonomes Satzungsrecht an,3 allerdings wurden – gebilligt von der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung – bis zu den Bastille-Entscheidungen neben den Richtlinien auch ungeschriebene Grundsätze des anwaltlichen Standes- und Ehrenrechts als wesentliche Erkenntnisquelle zur Konkretisierung der Generalklausel des § 43 BRAO herangezogen.4 Das Bundesverfassungsgericht stellte nun in den Bastille-Entscheidungen klar, dass in Art. 12 GG nur durch oder aufgrund eines Gesetzes eingegriffen werden darf. Diesen Anforderungen entsprachen die Standesrichtlinien jedoch nicht.
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Mit den Bastille-Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts begann der Sturm auf das anwaltliche Berufsrecht alter Prägung. Dabei werden häufig diese Entscheidungen als der Ausgangspunkt für eine zunehmende Kommerzialisierung der anwaltlichen Berufstätigkeit begriffen.5 Hintergrund der Entscheidungen selbst war aber vornehmlich die Frage, in welchem Umfang sich über das damalige „Standesrecht“ die Interessenwahrnehmung des Rechtsanwalts gegen die Interessen des eigenen Mandanten disziplinieren und einschränken ließe. Die Entscheidungen werden deshalb regelmäßig als Entwicklungsbeginn eines modernen anwaltlichen Berufsrechts und als Basis einer tatsächlich freien Advokatur gefeiert. Die Zeit vor 1987 war häufig geprägt durch kaum nachvollziehbare Entscheidungen der Ehrengerichte, die teils auch ihre Bestätigung durch das Bundesverfassungsgericht gefunden hatten, teils von diesen beschränkt wurden.
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Gestützt auf das Sachlichkeitsgebot, dessen Korrektur durch das BVerfG später in den Wortlaut des § 43a Abs. 3 BRAO einfloss, wurde beispielsweise engagiertes anwaltliches Eintreten für den Mandanten, insbesondere durch die Verteidigung, neben der strafrechtlichen Verfolgung oft auch vor den Ehrengerichten geahndet. Für die Zeit der Verteidigung der RAF-Terroristen beschreibt Heinrich Hannover eindrucksvoll, wie aus heutiger Sicht geradezu läppische Vorgänge wie Türen schlagen oder die Verwendung des Wortes „Klassenjustiz“ durch den Verteidiger als „standeswidriges Verhalten bzw. Rhetorik“ in ehrengerichtlichen Verfahren verfolgt wurde.6 Dass solche scharfen Reaktionen zum Teil der aufgeheizten Stimmung dieser Zeit geschuldet waren, in denen auch von der Verteidigung gegenüber dem zuständigen Gericht der zweifelhafte Vorwurf der Folter der RAF-Inhaftierten erhoben wurde, ist aus der Rückschau selbstverständlich. Aber auch in „unpolitischen“ Zusammenhängen wurde die Ehrengerichtsbarkeit als verlängerter Arm der Prozessgerichte eingesetzt.
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Die Bastille-Entscheidungen mündeten sieben Jahre später in dem Gesetz zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und Patentanwälte, welches am 2.9.1994 in Kraft trat. Kern der Neuerungen waren und sind hier die §§ 43, 43a und 43b BRAO, welche trotz des generellen Bezugs auf die „Würdigkeit“ die anwaltlichen Grundpflichten klar in einem liberalen Sinne umreißen und zudem in § 43b BRAO das Verbot der Werbung aufheben. Die gem. § 191a Abs. 1 BRAO einzurichtende Satzungsversammlung erließ schließlich die gem. § 191a Abs. 2 BRAO zu erlassende Berufsordnung, die am 3.1.1997 gemeinsam mit der Fachanwaltsordnung in Kraft trat.
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Zeitgleich mit den Bastille-Entscheidungen setzte eine Neubewertung des anwaltlichen Standes- bzw. Berufsrechts aus ökonomischer Sicht ein. Regulatives Leitbild der anwaltlichen Tätigkeit sollte nicht mehr ausschließlich die altruistische, nicht am Gewinnstreben,7 sondern an der Sache orientierte Berufsauffassung sein, m.a.W. der Rechtsanwalt sollte zum
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1 2 3 4 5 6 7
Hierzu Kleine-Cosack, NJW 1988, 164 (165). Hartung, Berufsrecht, 4. Aufl. 2008, Einf. BerufsO, Rz. 27. BVerfGE 36, 212 (217). BVerfGE 26, 186 (204); 36, 212 (219); 57, 121 (132); 66, 337 (355 f.). Vgl. nur Bormann, ZZPInt 8 (2003), 3 (9). H. Hannover, Die Republik vor Gericht, 2005, S. 397 ff. Vgl. hierzu Feuchtwanger, Der Staat und die freien Berufe, 1929, S. 10; Taupitz, Die Standesordnung der Freien Berufe, 1991, S. 59 f. m.w.N.
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am Markt agierenden Dienstleister mutieren.1 Mit einer Reihe von gerichtlichen Grundsatzentscheidungen und gesetzgeberischen Maßnahmen wurde in der Folge der Bastille-Entscheidungen der grundlegende Umbau der Anwaltschaft vorangetrieben. Stichworte dieser Entwicklung sind: Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts die Singularzulassung am Oberlandesgericht nicht mehr mit der Berufsfreiheit als vereinbar anzusehen.2 Gleichfalls hierher gehört die Zulassung der überörtlichen Anwaltssozietäten durch den BGH3 sowie die schrittweise Aufhebung des Lokalisationsgebots,4 wiederum angestoßen durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur vorübergehenden Einführung des Lokalisationsgebots in den fünf neuen Bundesländern.5 Weiter zu nennen ist die Zulassung des Erfolgshonorars durch das Bundesverfassungsgericht6 und die gesetzliche Reaktion in § 49b Abs. 2 BRAO und § 4a RVG. 214
Für die weitere Entwicklung der Rechtsanwaltschaft besonders wichtig dürfte die, zunächst von der Rechtsprechung7 geschaffene Möglichkeit gewesen sein, die anwaltliche Berufstätigkeit in Form der GmbH ausüben zu können.8 Der Gesetzgeber hat daraufhin 19989 die Anwalts-GmbH in den §§ 59c bis 59m BRAO ausführlich geregelt. Erneut war es das BayObLG, das Anfang 2000 auch die Anwalts-AG zuließ.10 Endgültig wurde diese Organisationsform vom BGH 2005 bestätigt.11 Bislang hat der Gesetzgeber jedoch für die Anwalts-AG noch keine gesetzliche Regelung getroffen.
215
Bedeutend für die Entwicklung des Anwaltsrechts ist auch die mit § 59a BRAO geschaffene Möglichkeit der interprofessionellen Zusammenarbeit mit Patentanwälten, Steuerberatern, Steuerbevollmächtigten, Wirtschaftsprüfern und vereidigten Buchprüfern durch das Gesetz zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und Patentanwälte vom 9.9. 1994.12 Gleichfalls wurde mit § 59a Abs. 2 Nr. 1 BRAO auch die Möglichkeit der monoprofessionellen internationalen Berufsausübung sowie mit § 59a Abs. 2 Nr. 2 BRAO die interprofessionelle internationale Berufsausübung geschaffen.13
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Schließlich wurde mit dem Gesetz zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts vom 12.12. 200714 das ursprünglich in § 59a Abs. 1 S. 1 BRAO a.F. enthaltene Verbot der Sternsozietät aufgehoben. Damit ist der Weg frei geworden zur Bildung von konzernartigen Strukturen mit verschachtelten Mutter-/Töchterbeziehungen. Ausreichend ist hierfür jeweils ein Rechtsanwalt als Partner sowohl der Muttergesellschaft als auch der Tochtergesellschaft, der den Gewinn der Tochtergesellschaft in die Muttergesellschaft einbringt.15
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Den bisherigen Abschluss der Entwicklung bildeten das Rechtsdienstleistungsgesetz,16 durch welches das alte Rechtsberatungsgesetz abgelöst wurde, und das Gesetz zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariellen Berufsrecht.17
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Mit dem neuen Rechtsdienstleistungsgesetz hat der Gesetzgeber zwar nicht den Forderungen nach einer völligen Deregulierung des Rechtsberatungsmarktes entsprochen.18 Allerdings wurde mit dem neuen Rechtsdienstleistungsgesetz einer weiteren Marktorientierung des Rechtsberatungsmarktes gegenüber dem abgelösten Rechtsberatungsgesetz das Wort geredet. Dies kommt insbesondere durch die in § 5 RDG geregelte Annexrechtsberatung
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18
In diesem Sinne: XIV. Hauptgutachten der Monopolkommission, BT-Drs. 16/2460, S. 378 ff. BVerfGE 103, 1 ff. BGHZ 119, 225 ff. Zunächst für die Landgerichtsprozesse durch das Gesetz zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und der Patentanwälte (BGBl. I 1999, S. 2448), anschließend durch das OLG-Vertretungsänderungsgesetz (BGBl. I 2002, S. 2850). BVerfGE 93, 362 ff. BVerfGE 117, 163, vgl. hierzu die Beiträge von Gaier, Kirchberg, und Stürner, in: NJW-Sonderheft zum 4. Hannoveraner ZPO-Symposion, 2008. BayObLG, NJW 1995 199 (201). Vgl. hierzu § 59a BRAO Rz. 14 ff. BGBl. I 1998, S. 2600. BayObLGZ 2000, 83 ff. BGH, AnwBl. 2005, 424. BGBl. I 1994, S. 2278. Hierzu § 59a Rz. 85 ff. Vgl. § 59a BRAO Rz. 136 ff. BGBl. I 2007, S. 2840. § 59a BRAO Rz. 59. BGBl. I 2008, S. 2840 ff. BGBl. I 2009, S. 2449 ff. BT-Drs. 16/3655, S. 30 f.
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Rz. 222 Einl.
zum Ausdruck. Hierunter versteht man eine Rechtsdienstleistung, welche als Nebenleistung in Zusammenhang mit einer anderen Dienstleistung erbracht wird.1 Eine erhebliche Änderung der BRAO brachte das Gesetz zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariellen Berufsrecht, zur Errichtung einer Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft sowie zur Änderung sonstiger Vorschriften.2 Bis dahin wurde in § 40 Abs. 4 a.F. (gerichtliche Verfahren in Zulassungssachen), in § 91 Abs. 7 a.F. (gerichtliches Vorgehen gegen Beschlüsse und Wahlen) sowie in § 223 a.F. (sonstige Verwaltungsakte) auf das FGG verwiesen. Nunmehr findet auf die neuen Verfahren die VwGO Anwendung, §§ 106 Abs. 1 S. 2 und 112c BRAO3 Gleichfalls wurde in § 32 BRAO die Anwendbarkeit des Verwaltungsverfahrensgesetzes angeordnet. Schließlich wurde mit § 191f BRAO bei der Bundesrechtsanwaltskammer eine Schlichtungsstelle eingerichtet. Aufgabe der Schlichtungsstelle ist Streitigkeit zwischen Rechtsanwälten und ihren Auftraggebern zu schlichten. Die Einzelheiten der Organisation der Schlichtungsstelle ist durch die von der Hauptversammlung beschlossene Satzung geregelt, § 191f Abs. 5 BRAO.
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Einen wesentlichen Schritt in Richtung weitere Deregulierung des anwaltlichen Berufsrechts wurde vom Normscreening, welches die Dienstleistungsrichtlinie nach Art. 15 forderte, erwartet. Das Normscreening hat sich bislang aber als weniger dramatisch erwiesen, als ursprünglich befürchtet.4 Die Dienstleistungsrichtlinie enthält die Verpflichtung der Mitgliedsstaaten ihren Normbestand bis Ende 2009 dahin zu überprüfen, ob diese dem freien Dienstleistungsverkehr in beschränkender Weise widersprechen und, sollte dies der Fall sein, nicht zumindest aus zwingenden Gründen des Allgemeinwohls gerechtfertigt werden können.5
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Der Gesetzgeber sah nur einen geringen Handlungsbedarf.6 Das Gesetz zur Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie in der Justiz und zur Änderung weiterer Vorschriften7 enthält im Wesentlichen lediglich die neugeschaffene Verpflichtung der Kammern über Anträge innerhalb von drei Monaten zu entscheiden, § 32 Abs. 2 BRAO. Gleichfalls im Rahmen des Normscreenings wurden auch die Rechtsanwälte verpflichtet, ihren Mandanten umfangreiche Informationen nach der Dienstleistungs-Informationspflicht-Verordnung (DL-InfoV)8 zur Verfügung zu stellen. Einen Bruch mit der bisherigen Tradition des anwaltlichen Berufsrechts stellt allerdings dabei der Umstand dar, dass die Verordnungsermächtigung in § 6c der GewO geregelt wurde.9
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b) In der ehemaligen DDR Die Entwicklung der Rechtsanwaltschaft in der DDR ist vor dem Hintergrund des marxistisch-leninistischen Rechtsverständnisses zu beurteilen.10 An die Stelle des bürgerlichen Rechtsstaats, welcher stets den staatlichen Machtanspruch begrenzte, trat die sozialistische Gesetzlichkeit. Der Begriff der sozialistischen Gesetzlichkeit wurde in bewusster Abgrenzung zum bürgerlichen Rechtsstaat gewählt. Das Recht hatte parteilich zu sein. Der Klassencharakter des Rechts folgt aus der Parteilichkeit jeder einzelnen Norm. In jeder richterlichen Entscheidung müsse sich die Bereitschaft widerspiegeln, die von der SED und der Regierung gefassten Beschlüsse durchzusetzen.11 Neben der Parteilichkeit des Rechts trat die Rechtssicherheit, die durch das Rechtssystem verwirklicht werden sollte.12 In diesem Rechtsverständnis sollte auch die Rechtsanwaltschaft verpflichtet werden.13 Die einzelnen Schritte hierzu waren:
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13
Vgl. zum Ganzen Einleitung vor § 1 RDG Rz. 3. BGBl I 2009, S. 2449. Zur Übergangslösung § 215 BRAO Rz. 15. Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 12.12.2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt, ABl. EU Nr. L 376 v. 27.12.2006, S. 36. Ober, Anwaltsberufsrecht zwischen Markt und Regulierung, 2011, S. 291 ff. BT-Drs. 17/3356, S. 12. BGBl. I 2010, S. 2248. BGBl. I 2010, S. 267. Schons, AnwBl. 2010, 419. Vgl. zum Nachfolgenden Brand, Der Rechtsanwalt und der Anwaltsnotar in der DDR, 1985, S. 7 ff. Nunmehr auch die ausführliche Darstellung bei Busse, Deutsche Anwälte, 2010, S. 329 ff. Melsheimer, NJ 1956, 295 ff. Brand, Der Rechtsanwalt und der Anwaltsnotar in der DDR, 1985, S. 12. Brand, Der Rechtsanwalt und der Anwaltsnotar in der DDR, 1985, S. 48 f.
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In der DDR1 wurde das anwaltliche Berufsrecht zunächst mit dem Gesetz zur Bildung der Kollegien der Rechtsanwälte vom 15.5.1953 geregelt.2 Mit dem Gesetz verfolgte die DDRFührung das Ziel durch die neuen Strukturen den staatlichen Einfluss auf die Anwaltschaft auszubauen und diese zu kontrollieren. Einzelanwälte, die künftig nicht mehr zugelassen werden sollten, sollten so zurückgedrängt werden.3 Hierzu wurden in den 14 Bezirken der DDR und in Ostberlin Anwaltskollegien gebildet. Aufgabe der Kollegien war u.a. die politische Erziehung und fachliche Schulung ihrer Mitglieder, § 2 Nr. 1 der Mustersatzung von 1953.4 Einzelanwälte wurden in dem Gesetz zur Bildung der Kollegien der Rechtsanwälte von 1953 erheblich diskriminiert. So durften sie nach § 3 des Gesetzes weder als Pflichtverteidiger noch als beigeordneter Rechtsanwalt in Zivilprozessen bestellt werden.5 Nach § 4 des Gesetzes von 1953 wurden Betriebe und staatliche Institutionen angewiesen keine Einzelanwälte, sondern nur noch diejenigen Rechtsanwälte zu beauftragen, die in Rechtsanwaltskollektiven zusammengeschlossen waren.
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Auch zahlenmäßig blieb die Rechtsanwaltschaft in der DDR verglichen mit der Entwicklung in der Bundesrepublik eine unbedeutende Größe. So betrug die Zahl der Rechtsanwälte in der DDR anfangs noch 901 und schrumpfte in der Folge auf 562 bis 1981 zusammen.6 Für den internationalen Rechtsverkehr wurde bereits 1967 ein Rechtsanwaltskollegium für internationale Zivilrechtsvertretungen in Ostberlin gegründet. Dieses hatte die besondere Aufgabe im internationalen Zivilrechtsverkehr im gerichtlichen und außergerichtlichen Bereich zu beraten. Die Mandanten kamen dabei sowohl aus der DDR, die Rechtsangelegenheiten im Ausland hatten, wie auch außerhalb der DDR mit Rechtsangelegenheiten innerhalb der DDR. Es handelte sich dabei um eine Elitekanzlei, an deren Mitglieder erhöhte juristische Anforderungen gestellt wurden.7
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Die nächste gesetzgeberische Maßnahme war das Gesetz über die Kollegien der Rechtsanwälte vom 17.12.1980.8 Das Gesetz ging weiterhin von der Dominanz der Kollegien aus. Mit der Anordnung über die Aufgaben und Tätigkeiten der Einzelanwälte vom 18.12.19809 wurde aber wieder die Möglichkeit geschaffen, Einzelanwälte erneut zuzulassen. Wie sich aus § 2 Abs. 1 des Gesetzes über die Kollegien der Rechtsanwälte von 1980 ergibt, wurden die Rechtsanwälte andererseits ausdrücklich auf die weitere Stärkung der sozialistischen Gesetzlichkeit verpflichtet. Formal trat erst mit dem Gesetz über die Kollegien der Rechtsanwälte von 1980 die Reichsrechtsanwaltsordnung vom 1.7.1878 außer Kraft, § 18 Abs. 2 Nr. 11.10
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Mit dem Rechtsanwaltsgesetz vom 13.9.199011 sollte die Tätigkeit der bislang in der DDR zugelassenen Rechtsanwälte im vereinten Deutschland abgesichert werden.12 Insbesondere für die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft (§ 4 des Rechtsanwaltsgesetzes) wurde eine für die Regelungen im Rahmen des Einigungsvertrags anschlussfähige Norm geschaffen, um in der DDR ausgebildeten Diplomjuristen den Zugang zum Anwaltsberuf weiter sicher zu stellen. Aufbau und inhaltliche Regelung waren weitgehend an die BRAO angelehnt.13 C. Auslegungstelos des anwaltlichen Berufsrechts I. Vorbemerkung
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Anwaltliches Berufsrecht kann in Anlehnung an die Definition des Wirtschaftsrechts als eine Zusammenschau aller Normen verstanden werden, welche das Verhalten der Marktteilnehmer (Rechtsanwälte) gegen den Markt steuert. M.a.W. zum anwaltlichen Berufsrecht 1 Zur Entwicklung ab 1945 bis 1953 vgl. Brand, Der Rechtsanwalt und der Anwaltsnotar in der DDR, 1985, S. 25 ff. 2 GBl. I (DDR) 1953, S. 725. 3 Treffkorn, DtZ 1990, 309 (309). 4 GBl. I (DDR) 1953, S. 726. 5 Vgl. hierzu Brunner, NJW 1981, 1189 (1192). 6 Brunner, NJW 1981, 1189 (1189). 7 Brunner, NJW 1981, 1189 (1191 f.). 8 GBl. I (DDR) 1981, S. 1. 9 GBl. I (DDR) 1981, S. 10. 10 GBl. I (DDR) 1981, S. 3. 11 GBl. I (DDR) 1990, S. 1504. 12 Treffkorn, DtZ 1990, 309 (309). 13 Treffkorn, DtZ 1990, 309 (310 ff.).
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sind alle Normen zu rechnen, welche die Berufsträger zu einem Verhalten veranlassen, das sie unter reinen Marktbedingungen nicht an den Tag gelegt hätten. Bei der Anwendung des bestehenden Berufsrechts und bei der rechtspolitischen Frage, ob mehr Deregulierung oder mehr Regulierung erforderlich ist, geht es im Kern um die wirtschaftspolitische Frage, ob der reine, liberale Markt oder ein regulierter Markt die besseren Ergebnisse hervorzubringen in der Lage ist. Der Maßstab für die Beurteilung kann – schon aus verfassungsrechtlicher Sicht – nur sein, unter welchen Bedingungen der Zugang zum Recht besser gesichert ist, da nur so die Einschränkung der grundrechtlichen Berufsfreiheit gerechtfertigt werden kann. Unter den Bedingungen des Rechtsstaats und vor Art. 14 GG muss grundsätzlich jede Forderung gerichtlich geltend gemacht werden können. Die überwiegende Meinung erkennt den Grundsatz „de minimis non curat lex“ nicht an.1 Darüber hinaus hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass der Zugang zu den Gerichten nicht aufgrund der Kosten scheitern darf. Eine unzumutbare Erschwerung des Zugangs zu Gericht, so das Bundesverfassungsgericht, kann nicht nur vorliegen, wenn das Kostenrisiko die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Einzelnen übersteigt. Vielmehr kann sich die Beschreitung des Rechtswegs auch dann als praktisch unmöglich darstellen, wenn das Kostenrisiko zu dem mit dem Verfahren angestrebten wirtschaftlichen Erfolg derart außer Verhältnis steht, dass die Anrufung der Gerichte nicht mehr sinnvoll erscheint.2 Diese Grundsätze sind auch bei der Beurteilung des Anwaltsmarktes zu beachten, wobei sich hier die Anwaltskosten als Zugangsproblem erweisen können. Dabei geht es nicht nur darum sozial Schwachen den Zugang zum Recht zu ermöglichen,3 sondern den Zugang zum Recht auch in den Fällen sicher zu stellen, wo – im Sinne des Bundesverfassungsgerichts – wirtschaftlicher Erfolg und Rechtsverfolgungskosten in keinem angemessenen Verhältnis mehr stehen.
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Aber auch aus ökonomischer Sicht kann die zutreffende Entscheidung und Durchsetzung von wirtschaftlich geringen Summen sinnvoll sein.4 Entscheidend für die ökonomische Bewertung ist, ob man der Betrachtung eine betriebswirtschaftliche Kostenrechnung oder eine volkswirtschaftliche Gesamtrechnung zugrunde legt. Hohe Rechtsverfolgungskosten bei niedrigem Streitwert rechnen sich für den Einzelnen nicht. Liegen die Produktionskosten (Anwaltskosten, Gerichtskosten, Kosten der Rechtsabteilung etc.) über den durch die unrichtige Entscheidung verursachten Kosten (Irrtumskosten), ist es ökonomisch sinnvoller die unrichtige Entscheidung hinzunehmen. Das ökonomische Problem liegt in der Berechnung der Irrtumskosten. Aus der Perspektive der Prozesspartei (betriebswirtschaftliche Sicht) entsprechen die Irrtumskosten in der Regel dem Streitwert.
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Wer Aktien im Wert von 10 000 E gekauft hat, wird kaum je bereit sein für einen Prospekthaftungsprozess 50 000 E an Anwaltskosten auszugeben. Er verhält sich rational apathisch.5 Volkswirtschaftlich liegen die Irrtumskosten jedoch um ein vielfaches höher, sodass sich auch weitaus höhere Rechtsverfolgungskosten als 50 000 E rechtfertigen könnten.
230
Bereits Rudolf von Jehring hat darauf hingewiesen, dass die Verteidigung des Rechts nicht nur eine Pflicht des Berechtigten gegen sich selbst, sondern auch gegen das Gemeinwesen ist.6 Unterbleiben richtige Entscheidungen bei Bagatellschäden wegen hoher Rechtsverfolgungskosten, mag dies betriebswirtschaftlich sinnvoll sein, volkswirtschaftlich führt dies aber zu ganz erheblichen Irrtumskosten in der Fläche. Bislang ist die Volkswirtschaftslehre jedoch nicht in der Lage jenen Punkt zu berechnen, an dem die Irrtumskosten in der Fläche die betriebswirtschaftlichen individuellen Rechtsverfolgungskosten übersteigen.7 Für die Bewertung des Rechtsdienstleistungsmarkts hat es daher bei dem verfassungsrechtlichen Maßstab zu verbleiben.
231
II. Berufssoziologische Perspektive Der Beruf des Rechtsanwalts gehört traditionell zu den stark regulierten Berufen. Er ist ein Archetyp des freien Berufs oder im Sprachgebrauch der angloamerikanischen Berufssoziolo1 Vgl. nur Buß, NJW 1998, 337 (337 ff.). 2 BVerfG, NJW 1997, 311 (311 f.). 3 Hiervon geht offensichtlich ausschließlich die Monopolkommission aus: XVI. Hauptgutachten der Monopolkommission, BT-Drs. 16/2460, S. 399 f. 4 Vgl. hierzu Wolf, ZPO-Symposion, BRAK-Schriftenreihe, Bd. 16, S. 1 (22). 5 Vgl. Vorwerk/Wolf/Wolf/Lange, KapMuG, 2007, Einl. Rz. 2; Kalss, Anlegerinteressen, 2001, S. 279. 6 v. Jehring, Kampf ums Recht, 4. Aufl. 1874, S. 46 ff. 7 Hierzu ausführlich Schmidtchen/Weth/Bier, Der Effizienz auf der Spur, 1999, S. 124 ff.
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gen eine „profession“.1 Die Professionssoziologie unterscheidet zwischen einer normalen beruflichen Tätigkeit und einer Profession. Diese liegt vor, wenn der Beruf mit hohem Prestige und Einkommen verbunden ist, die Berufsausübung ein großes, durch eine systematische Ausbildung erworbenes Wissen voraussetzt und die Berufsausübung weitgehend autonom und lediglich an dem durch die Profession selbst gesetzten Standard orientiert erfolgt.2 Zum Teil wird versucht die Profession durch einen Merkmalkatalog abzugrenzen: Zu diesen Merkmalen zählen unter anderem:3 233
(a) Spezielle, besonders komplexe Wissensbasis, welche aufgrund einer formalen akademischen Ausbildung erworben wurde. (b) Große Autonomie gegenüber dem Klienten und dem Staat oder sonstigen Dritten aufgrund wissensbedingter Informationssymmetrie. (c) Besonders hohe Bedeutung der Tätigkeit für die Gesellschaft und Gemeinwohlorientierung der Tätigkeit. (d) Relativ hohes Prestige und Einkommen. (e) Organisation in einem Berufsverband. (f) Aufstellung einer eigenen Berufsethik und Überwachung der Berufsethik durch den Berufsverband. (g) Regulierung des Berufszugangs und Angebots- und Handlungskompetenzmonopol für die eigene Dienstleistung.
234
Zwar herrscht weitgehend Einigkeit darüber, dass der Beruf des Rechtsanwalts eine Profession in diesem Sinne ist, die Schlussfolgerungen, die hieraus zu ziehen sind, sind jedoch stark umstritten. Ursprünglich war der Begriff des „freien Berufs“ positiv besetzt. Der Gesetzgeber der BRAO bekannte sich noch ausdrücklich zum Konzept des freien Berufs von Feuchtwanger. Die Handlungen des Anwalts werden, so die Vorstellung des Gesetzgebers, von dem Motiv geleitet sein, das Recht zu verwirklichen, nicht jedoch vom Streben nach Gewinn bestimmt sein.4
235
Sigbert Feuchtwanger hat in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts die Theorie des homo ethicus entwickelt, dem er den homo oeconomicus gegenüberstellte.5 Bei letzterem stehe die Vermehrung seines Vermögens im Vordergrund.6 Im Gegensatz hierzu ist der homo ethicus nicht am Gewinnstreben orientiert, sondern an der Schaffung von Kulturgütern.7 Der Marktwert und der Kulturwert der Leistung des homo ethicus decken sich häufig nicht. Je wertvoller die Kulturleistung, desto schwieriger sei häufig die Verkäuflichkeit der Leistung.8
236
Diese idealistische Sicht wird innerhalb der Berufssoziologie so nicht geteilt. Im Wesentlichen lassen sich innerhalb der Berufssoziologen zwei ideologische Lager – das Funktionalistische und das Monopolistische – ausmachen.9
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Das eine Lager – die Funktionalisten – beschreibt die Professionalisierung als notwendige Funktionsbedingung einer modernen Gesellschaft.10 Grundvoraussetzung, um von einer Profession zu sprechen, ist demnach, dass die Professionals über ein bestimmtes Fachwissen verfügen, aus dem sie ihre Autorität ableiten.11 Der Abnehmer (Mandant) vermag deshalb die Leistung des Professionals nicht richtig zu beurteilen.12 Hinzu kommt, dass der Berufsträger im Einzelfall häufig für den Erfolg seiner Tätigkeit nicht einstehen kann.13 Beide Überlegungen hat die funktionalistische Sichtweise zum Ausgangspunkt genommen, um die typischerweise mit einer Profession verbundenen Einschränkungen des Wettbewerbs (Markteintrittsschranken, Gebührenordnung, autonome Kontrolle der Berufsethik) zu rechtfertigen. Des Weiteren sei es in bestimmtem Umfang erforderlich, eine Entkoppelung von Sachbear-
1 Abel, British Journal of Law and Society, Bd. 6 (1979), S. 82 (83); Holldorf, Prestige, Profit, Profession, 2004, S. 67. 2 Holldorf, Prestige, Profit, Profession, 2004, S. 65; Siegrist, Advokat, Bürger und Staat, 1. Hlbd., 1996, Frankfurt, S. 12 ff. 3 Holldorf, Prestige, Profit, Profession, 2004, S. 68 f. 4 BT-Drs. 3/120, S. 49. 5 Vgl. hierzu Siegrist, Advocat, Bürger und Staat, Bd. 2, 1996, S. 662 f.; Taupitz, Die Standesordnung der freien Berufe, 1991, S. 65 ff. 6 Feuchtwanger, Die freien Berufe, 1922, S. 8. 7 Feuchtwanger, Die freien Berufe, 1922, S. 18 ff. 8 Feuchtwanger, Die freien Berufe, 1922, S. 365. 9 Abbott, Contemporary Sociology, Bd. 18 (1989), S. 49. 10 Vgl. Abbott, Professional Ethics, American Journal of Sociology, Bd. 88 (1983), S. 885 (863 ff.). 11 Parsons, The Professions and social structure, Social Forces, Bd. 17 (1939), S. 457 (460). 12 Abbott, Professional Ethics, American Journal of Soziology, Bd. 88 (1983), S. 885 (865). 13 Typischerweise sind Anwaltsverträge Dienstleistungs- und meist keine Werkverträge, vgl. nur Kilian, Rechtliche Grundlagen der anwaltlichen Tätigkeit, 2005, S. 49.
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beitung und dem Gewinnstreben sicher zu stellen, damit die Gemeinwohlorientierung der Tätigkeit verwirklicht werden könne.1 Genau an dieser Stelle setzt die Kritik der monopolistischen Sichtweise an. Der Prozess der Professionalisierung würde in Monopolstrukturen münden, welche nur den Klienten schaden. Der Profession gehe es nur darum sich ein möglichst attraktives Monopol zu schaffen. Die Gemeinwohlorientierung der eigenen Tätigkeit gebe man lediglich vor.2 In Wirklichkeit ginge es darum Wettbewerber vom Markteintritt abzuhalten und Preise jenseits der sonst erzielbaren „Marktpreise“ durchzusetzen. Das Berufsrecht stelle sich in diesem Zusammenhang als Instrument dar, den Wettbewerb einzuschränken.3 Folglich diene die Professionalisierung nur dazu sich der Marktkontrolle zu entziehen.4 Dies ließe sich nur überwinden, wenn man auf einen möglichst unregulierten und unkontrollierten Wettbewerb setze. Allerdings ist der Rechtsdienstleistungsmarkt aufgrund seines Produktes (Bearbeitung des Rechtsfalls) und der Produktionsbindungen nicht für ein rein marktwirtschaftliches Modell geeignet, weil die Grundannahmen der Institutionen-Ökonomie auf ihn nicht zutreffen. Vielmehr liegt der Vergleich zu natürlichen Monopolen nahe, wo auch nach den Vorstellungen der neoklassischen Theorie ein steuernder Eingriff der Wirtschaftspolitik erforderlich ist.
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III. Das Marktparadigma Den Ausgangspunkt für die weit reichenden Deregulierungsforderungen5 bildet die neoklassische Theorie der Wirtschaft. Im Mittelpunkt dieser steht der sich aus ökonomischer Sicht rational verhaltende homo oeconomicus.6 Hierbei handelt es sich um die Modellfigur eines sich rational nutzenmaximierend verhaltenden Individuums.7 Mit dieser Modellfigur leitet die im Gefolge der neoklassischen Theorie entstandene neue politische Ökonomie Erklärungsmuster nicht nur für wirtschaftliche Wahlhandlungen ab, sondern untersucht und misst auch politische und rechtliche Regelungen an dem prognostizierten Verhalten des homo oeconomicus.8 Das strikt eigennützige Verhalten des homo oeconomicus kann aber auf dem Rechtsdienstleistungsmarkt den Zugang zum Recht, insbesondere in Fällen mit niedrigem Streitwert, nicht sichern.
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Den Ausgangspunkt der Beurteilung hat die Preistheorie der neoklassischen Methode zu bilden. Der Markt wird als Modell der vollständigen Konkurrenz gedacht. Dieser liegt vor, wenn die Marktteilnehmer (also sowohl Produzenten als auch Konsumenten) die Menge der Nachfrage bzw. des Angebots der Ware rein am Marktpreis orientieren und wenn ein unreglementierter, also freier Marktzugang sichergestellt ist.9 Handeln auf diesem Markt nun sowohl die Anbieter (Unternehmer) als auch die Nachfrager (Konsumenten) als homo oeconomicus und stimmt die Menge der angebotenen Ware mit der Menge der nachgefragten Ware genau überein, stellt sich ein Gleichgewicht ein. Der Markt wird also völlig abgeräumt, es liegt ein markträumender Preis vor. Dieser markträumende Preis ist aus der Sicht der Wohlfahrtsökonomie pareto-optimal,10 wenn folgende zusätzlichen Bedingungen erfüllt sind:11
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1 2 3 4 5
6 7 8 9 10 11
Vgl. Stürner, Markt und Wettbewerb über alles?, 2007, S. 22. Vgl. hierzu die Nachweise bei Holldorf, Prestige, Profit, Profession, 2004, S. 80 ff. Abbott, Professional Ethics, American Journal of Soziology, Bd. 88 (1983), S. 885 (865). Able, The Rice of Professionalism, British Journal of Law and Society, Bd. 6 (1979), S. 82 (85 f.). Vgl. z.B. die Forderungen im XVI. Hauptgutachten der Monopolkommission, BT-Drs. 16/2460: Diplom Wirtschaftsjuristen als außergerichtliche Berater auf dem Gebiet des Wirtschaftsrechts zuzulassen, möglicherweise beschränkt auf die Beratung von Unternehmen; Juristen mit erster Prüfung (erstem Staatsexamen) zur außergerichtlichen Rechtsberatung zuzulassen; Diplom-Wirtschaftsjuristen und Juristen mit erster Prüfung (erstem Staatsexamen) in gerichtlichen Verfahren, bei denen die Parteien den Prozess auch selber führen können, zur geschäftsmäßigen Prozessvertretung zuzulassen; das anwaltliche Gebührenunterschreitungsverbot auch für den gerichtlichen Bereich aufzuheben; gesetzliche Vergütungsregelungen sollten in Zukunft nur noch ein Referenztarif sein, der gilt, wenn nichts anderes vereinbart wird; Erfolgshonorare und quota litis zuzulassen. Vgl. hierzu aus Sicht der Ökonomie, Weimann, Wirtschaftspolitik, 5. Aufl. 2009, S. 40. Vgl. Issing/Neumann, Geschichte der Nationalökonomie, 4. Aufl. 2002, S. 273. Vgl. nur Eidenmüller, JZ 2005, 216 (217 ff.) und Kirsch, Neue Politische Ökonomie, 5. Aufl. 2004, S. 3 f. Vgl. Knieps, Wettbewerbsökonomie, 3. Aufl. 2008, S. 7. Zu weiteren Annahmen, Fritsch/Wein/Ewers, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, 8. Aufl. 2011, S. 28. Unter dem Pareto-Optimum versteht man eine Güterverteilung, bei der es kein Individuum gibt, welches einen anderen Zustand vorziehen würde, welcher nicht von allen anderen Individuen abgelehnt werden würde. Vgl. Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 2. Aufl. 1998, S. 48. Knieps, Wettbewerbsökonomie, 3. Aufl. 2008, S. 10.
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(a) Der aus dem Gut durch die Konsumenten gezogene Nutzen ist stetig monoton und nicht von externen Effekten beeinflusst. Es gilt also der Grundsatz: Mehr ist besser. (b) Für die Produktion gilt Vergleichbares. Es gibt keine externen Effekte und die Produktionskosten sind stetig. (c) Die Marktteilnehmer verfügen über vollständige Information. 241
Hieraus leitet die neue politische Ökonomie drei Felder ab, bei denen Marktversagen vorliegen kann und damit grundsätzlich wirtschaftspolitisches Handeln gefordert ist:1 (a) Externalitäten
242
Externe Effekte liegen vor, wenn der Preis die für die Allokationsentscheidung relevanten Daten nicht mehr vollständig widerspiegelt, da Kosten auf Dritte abgewälzt werden können. In diesen Fällen tritt ein Widerspruch zwischen individuell rationalem Verhalten und kollektiv rationalem Verhalten ein.2 (b) Informationsasymmetrie
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Informationsasymmetrie liegt vor, wenn der Konsument über deutlich weniger Information verfügt, als der die Leistung anbietende Unternehmer und dieser daher den Konsumenten übervorteilen kann. (c) Natürlich Monopole
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Von natürlichen Monopolen spricht man, wenn die Produktionskosten nicht stetig sind. Dies ist bei zunehmenden Skalenerträgen der Fall. Ein typisches Beispiel für natürliche Monopole sind alle netzabhängigen Leistungen, weil die Netzkosten so hoch sind, dass ein Anbieter die Leistung günstiger anbieten kann als mehrere Wettbewerber, die die jeweiligen Grundkosten gleichfalls zu erbringen hätten. Allgemein gesprochen liegt ein natürliches Monopol vor, wenn eine proportionale Erhöhung aller Inputfaktoren zu einer überproportionalen Erhöhung aller Outputfaktoren führt.3
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Bei der Betrachtung des Rechtsdienstleistungsmarkts werden, z.B. von der Monopolkommission, die Probleme der Informationsasymmetrie und die der externen Effekte diskutiert,4 nicht jedoch das Problem der natürlichen Monopole.5 Bei genauerer Hinsicht liegt aber hier der Schlüssel für das Verständnis des Rechtsdienstleistungsmarkts. Natürliche Monopole basieren auf der Vorstellung, dass der fehlende lineare Zusammenhang zwischen Input und Output dazu führt, dass der am Markt ermittelbare Preis nicht der wohlfahrtsökonomisch sinnvolle Gleichgewichtspreis ist.6
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Natürliche Monopole kommen dabei in zwei unterschiedlichen Konstellationen vor. Die erste Variante betrifft die ausgeprägten Skalenvorteile (economy of scale). Die Durchschnittskosten fallen signifikant mit der Steigerung der Produktion, weil die Skalenerträge ansteigen.7 Die zweite Variante betrifft die Verbundvorteile (economy of scope). Die Produktion von zwei Gütern (X und Y) ist zusammen günstiger als die getrennte Produktion derselben Güter (X und Y).
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Mit dem natürlichen Monopol geht häufig das Modell der internen Subvention einher. Hierbei werden die lukrativen Teilmärkte durch den Monopolisten dazu genutzt die defizitären Teilmärkte intern zu subventionieren.8 Verallgemeinert lässt sich aus den natürlichen Monopolen ableiten, dass eine nicht lineare Funktion des Verhältnisses Produktionskosten zu Menge mit dem Leitbild des Gleichgewichtsmarkts bei vollständiger Konkurrenz nicht vereinbar ist.
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Im Rechtsdienstleistungsmarkt lassen sich die Produktionskosten nicht als Funktion beschreiben. Sieht man von standardisierbaren Leistungen wie Musterverträgen ab, werden die Produktionskosten des Rechtsfalls von der rechtlichen Komplexität des jeweiligen Falls bestimmt. Abgesehen von Routinegewinnen durch Spezialisierung wird die Bearbeitungszeit des einzelnen Rechtsfalls idealiter weder durch die Anzahl der bearbeiteten Fälle noch 1 2 3 4 5 6 7 8
Knieps, Wettbewerbsökonomie, 3. Aufl. 2008, S. 11 ff. Weimann, Wirtschaftspolitik, 5. Aufl. 2009, S. 140 f. Knieps, Wettbewerbsökonomie, 3. Aufl. 2008, S. 24. XVI. Hauptgutachten der Monopolkommission, BT-Drs. 16/2460, S. 379 ff. Vgl. aber XVI. Hauptgutachten der Monopolkommission, BT-Drs. 16/2460, S. 384 Fn. 29. Vgl. Fritsch/Wein/Ewers, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, 8. Aufl. 2011, S. 194. Vgl. Fritsch/Wein/Ewers, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, 8. Aufl. 2011, S. 164 ff. Vgl. hierzu Knieps, Wettbewerbsökonomie, 3. Aufl. 2008, S. 36 ff.
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durch deren wirtschaftlichen Wert bestimmt, sondern ausschließlich von der mit dem einzelnen Fall verbundenen rechtlichen Schwierigkeit. Zwischen der rechtlichen Schwierigkeit und der wirtschaftlichen Bedeutung des Rechtsfalls besteht aber kein denknotwendiger Zusammenhang. Rechtlich hoch komplexe Sachverhalte können – bezogen auf den Streitwert – verschwindend gering sein und umgekehrt können rechtlich einfache Probleme – wiederum bezogen auf den Streitwert – von immenser Bedeutung sein. Dies sah der Gesetzgeber der Reichsgebührenordnung für Rechtsanwälte sehr klar. Er führte dazu aus: „Denn die Arbeit des Anwalts ist an sich allerdings von dem Werthsbetrage des Gegenstandes unabhängig, weil Rechtsstreite über Gegenstände von großem Werthe höchst einfacher Natur sein können, während ein Prozess über einen höchst unbedeutenden Gegenstand dennoch die schwierigsten That- und Rechtsfragen umfassen kann.“1 Es liegt also – wie bei den natürlichen Monopolen – keine lineare Verknüpfung von Input und Output bei der Produktion vor. Allenfalls lässt sich über stochastische Größenerfassung der Rechtsfälle ein durchschnittlicher Inputfaktor kalkulieren. Das Prinzip der stochastischen Größenerfassung beruht dabei auf der Annahme, dass zufällige Abweichungen umso mehr in den Hintergrund treten, je größer die zur Berechnung herangezogene Zahl ist.2 Bezogen auf den Rechtsdienstleistungsmarkt würde dies bedeuten, dass in möglichst großen Einheiten der notwendige Input zur durchschnittlichen Bearbeitung der Rechtsfälle am besten berechenbar wäre. Damit steht aber fest, dass der erste Hauptsatz der Wohlfahrtsökonomie3 auf den Rechtsdienstleistungsmarkt nicht zutrifft. Die Produktionsbedingungen für die Rechtsfälle sind nicht stetig.
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In einem deregulierten Markt würde – unter den Bedingungen des homo oeconomicus – die rechtliche Durchsetzung von allen Fällen unterbleiben, in denen die Kosten der Bearbeitung des Rechtsfalls4 für den Mandanten höher sind als der mit der Lösung des Rechtsfalls erzielte Nutzen. Ein sich verschärfender Wettbewerb innerhalb der Anwaltschaft kann – unter der Voraussetzung, dass die rechtliche Komplexität die Input/Output Relation bestimmt, – die Kosten der Bearbeitung des Rechtsfalls nur zu den Bedingungen eines ruinösen Wettbewerbs senken.
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Die verfassungsrechtlich gebotene Sicherung des streitwertunabhängigen Zugangs zum Recht wurde bislang über das Modell der Quersubventionierung, welches dem RVG zugrunde liegt, gesichert. Grundlage hierfür war die wirtschaftliche und mentale Basis innerhalb der Anwaltschaft. Diese musste interne Quersubventionierung wirtschaftlich schultern können und vom Berufsethos her schultern wollen. Erforderlich hierzu ist, dass über das anwaltliche Berufsrecht das alleinige individuelle Erfolgsstreben kanalisiert und sanktioniert wird.5 Ein am reinen Marktparadigma orientierter Rechtsdienstleistungsmarkt vermag diese, mit der Quersubventionierung verfolgte und verfassungsrechtlich gebotene Sicherung des Zugangs zum Recht in rechtlich komplexen Fällen mit niedrigem Streitwert nicht zu gewährleisten.
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Noch grundsätzlicher formuliert lassen sich zwei kategorial notwendigerweise unterschiedlich organisierte Bereiche beschreiben: Auf der einen Seite steht die wettbewerbliche Freiheit. Einzig legitimer Maßstab der Güterverteilung hier ist Zahlungsfähigkeit und Zahlungsbereitschaft des Leistungsempfängers. Den Leistungsanbieter trifft dabei keine Verantwortung für eine flächendeckende universelle Versorgung.6 Auf der anderen Seite steht das Gemeinwohlprinzip. Hier erfolgt die Güterverteilung nicht nach dem Prinzip der Zahlungsfähigkeit und Zahlungsbereitschaft des Leistungsempfängers, sondern nach dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit und Erfolgsverantwortung.7 Das Produkt Recht ist zweifelsohne dem Gemeinwohlprinzip zuzuordnen. Recht schafft geradezu die Voraussetzungen des Wettbewerbs, nimmt aber an dem Wettbewerb selbst nicht teil.8 Da Rechtsanwälte Teil des Produktionsprozesses von Recht sind, muss auch hier das Marktparadigma notwendigerweise
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Bd. 59, Deutscher Reichstag, 4. Legislaturperiode, 2. Session 1879. Vgl. hierzu allgemein Fritsch/Wein/Ewers, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, 8. Aufl. 2011, S. 184. Vgl. Knieps, Wettbewerbsökonomie, 3. Aufl. 2008, S. 9 f. U.U. mit einem, um die bei der Rechtsermittlung typischen Risiken korrigierenden Risikozuschlag versehen. Taupitz, Standesordnung der freien Berufe, 1991, S. 61. Blanke/Thumfart, in: Blanke/Scherzberg/Wegner (Hrsg.), Dimension des Wettbewerbs, 2010, S. 14 ff. Kirchhof, in: Kirchhof (Hrsg.), Gemeinwohl und Wettbewerb, 2005, S. 18. Kirchhof, in: Kirchhof (Hrsg.), Gemeinwohl und Wettbewerb, 2005, S. 8. Vgl. aus amerikanischer Sicht Drebra Satz, Why some things should not be for sale, 2010; Micheal Sander, What Money Can’t Buy, 2012.
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an seine Grenze stoßen. Soweit der gleichen Zugang zum Recht zwingend bedeutet gleicher Zugang zum Recht durch einen Rechtsanwalt, muss sich die Tätigkeit des Rechtsanwalts notwendigerweise dem Gemeinwohlprinzip zugeordnet werden, wenngleich die anwaltliche Tätigkeit notwendigerweise staatsfern organisiert ist.1 Insoweit lässt sich daher nicht von einer Chimäre der Kommerzialisierung sprechen,2 ohne entweder den Nachweis zu führen, dass auch unter den Bedingungen des Wettbewerbs gleicher Zugang für alle zum Recht gewährleistbar ist oder dies verfassungsrechtlich nicht erforderlich sei. D. Zukünftige Entwicklung I. Novellierung der BRAO 253
Bereits der Gesetzgeber des Gesetzes zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariellen Berufsrecht geht davon aus, dass die BRAO erneut novelliert werden wird. Sie bleibt in der Diskussion, so der Gesetzgeber.3 So hat z.B. der Deutsche Anwaltverein bereits 2006 den Entwurf einer vollständig novellierten BRAO vorgelegt,4 welcher die weitere Diskussion bereits beeinflusst hat und weiterhin beeinflussen wird. Mit der letzten Novellierung der BRAO ist z.B. die Forderung nach Einführung der VwGO für die Verwaltungsrechtsstreitigkeiten vor dem AGH und dem Anwaltssenat des BGB verwirklicht worden. Andere Reformvorschläge stehen noch in der Diskussion. Hierzu ist z.B. die Einführung einer Briefwahl für die Kammerversammlung zu zählen. Die Forderung, dass sich Rechtsanwälte mit anderen vereinbaren Berufen zur gemeinsamen Berufsausübung verbinden dürfen, § 59a des DAV-Vorschlags, ist bezüglich einer Partnerschaftsgesellschaft zwischen einer Medizinerin und einem Rechtsanwalt derzeit Gegenstand eines Vorlageverfahrens beim BVerfG.5 Andere Punkte, wie die Stellung des Syndikusanwalts oder ein Kollisionsrecht der Berufsordnungen auf internationaler Ebene, stehen auf der rechtspolitischen Agenda. II. Syndikusanwälte
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Die Syndikusanwälte sind in der BRAO nur rudimentär in § 46 BRAO geregelt. Im Kern geht es bei der Diskussion der Rechtsstellung des Syndikusanwalts um fünf Fragenkomplexe: Nämlich erstens die Möglichkeit das eigene Unternehmen – entgegen der jetzigen gesetzlichen Regelung – auch vor Gericht vertreten zu können, Zweitens um das Zeugnisverweigerungsrecht bzw. das Beschlagnahmeverbot zu Gunsten der Syndikusanwälte in ihrer Eigenschaft als Angestellte des Unternehmens. Drittens ist umstritten, in welchem Umfang die als Syndikus bearbeiteten Fälle auf den praktischen Tätigkeitsnachweis für die Fachanwaltschaft anzurechnen sind. Viertens stellt sich eine vergleichbare Frage, ob im Falle des europäischen Rechtsanwalts die Tätigkeit als Syndikus eine effektive und regelmäßige Tätigkeit als niedergelassener europäischer Rechtsanwalt in Deutschland im Sinne §§ 11, 12 EuRAG darstellt. Fünftens sind schließlich die Voraussetzungen umstritten, unter denen eine Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht möglich ist.
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In all diesen Fragen nimmt die Rechtsprechung eine restriktive Haltung ein. Der EuGH hat bereits 1982 entschieden,6 dass der Grundsatz der Vertraulichkeit des zwischen dem Mandanten und dem Rechtsanwalt geführten Schriftverkehrs nur gelten kann, wenn der Rechtsanwalt unabhängig ist, d.h. insbesondere nicht durch ein Beschäftigungsverhältnis an den Mandanten gebunden ist.7 Diese Linie behielt der EuGH bei, was er in der Sache Akzo Nobel bestätigte. Syndikusanwälte hätten trotz bestehender standesrechtlicher Bindungen nicht denselben Grad an Unabhängigkeit gegenüber dem Arbeitgeber wie der in einer externen Anwaltskanzlei tätige Rechtsanwalt gegenüber seinen Mandanten, so der EuGH.8 Insbesondere könne er etwaige Spannungen zwischen seinen Berufspflichten und den Zielen seines Mandanten weniger leicht ausräumen als ein externer Anwalt. Der Syndikusanwalt genieße aufgrund sowohl seiner wirtschaftlichen Abhängigkeit als auch der engen Bindungen 1 2 3 4 5 6 7 8
Kirchhof, in: Kirchhof (Hrsg.), Gemeinwohl und Wettbewerb, 2005, S. 13. So aber Kämmerer, 68. DJT H, S. 39. BT-Drs. 16/11385, S. 64. AnwBl. 2006, 721 ff. BGH, WM 2013, 1417. EuGH, AM&S Europe, Slg 1982, S. 1577. EuGH, AM&S Europe, Slg, 1982, S. 1577, 1611, Rz. 21, 27. EuGH, Akzo Nobel Slg. I. 2010, S. 8360, 8382, Rz. 45.
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an seinen Arbeitgeber, so der EuGH zusammenfassend, keine berufliche Unabhängigkeit, die mit der eines externen Rechtsanwalts vergleichbar sei.1 Nach Art. 19 Abs. 4 der EuGH-Satzung dürfen vor dem EuGH nur Rechtsanwälte auftreten, die in einem der Gerichte der Mitgliedsstaaten postulationsfähig sind. Aus der fehlenden Unabhängigkeit eines Syndikusanwalts hat der EuGH abgeleitet, dass dieser vor dem EuGH und dem EuR eben nicht postulationsfähig ist.2
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Entspricht die Rechtsprechung zu Art. 19 Abs. 4 der EuGH-Satzung noch unserem § 46 BRAO, geht die Rechtsprechung des EuGH zum Zeugnisverweigerungsrecht bzw. zum Beschlagnahmeverbot bezüglich der Syndikusanwälte über die – allerdings höchstrichterlich nicht bestätigte3 – h.M. in Deutschland hinaus. Dem Syndikusanwalt soll das Beschlagnahmeverbot – im Gegensatz zur Rspr. des EuGH – nach § 97 StPO zugutekommen.4
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Bezogen auf den praktischen Tätigkeitsnachweis für die Fachanwaltsausbildung hat der BGH seine Rechtsprechung zugunsten der Syndikusanwälte gelockert. Bis 2001 entschied der BGH in ständiger Rechtsprechung, dass die Tätigkeit des Syndikus keine anwaltliche Tätigkeit sei und daher nicht im Rahmen der praktischen Erfahrungsnachweise im Sinne von § 5 FAO herangezogen werden kann.5 2001 weichte der BGH seine Rechtsprechung aber auf. Zwar hielt er an der Doppelberufstheorie fest, nach der die Tätigkeit als Syndikus keine anwaltliche Tätigkeit sei, jedoch können die als Syndikus bearbeiteten Fälle u.U. auch herangezogen werden, um den praktischen Tätigkeitsnachweis neben den anwaltlich bearbeiteten Fällen nachzuweisen.6 Die Satzungsversammlung änderte in Folge dessen den Wortlaut von § 5 FAO. Ursprünglich wurde gefordert, dass der Rechtsanwalt die Fälle mit denen er die praktische Expertise nachweist, selbstständig bearbeitet hat. 2002 hat die Satzungsversammlung beschlossen § 5 S. 1 FAO dahingehend abzuändern, dass die Fälle nunmehr „persönlich und weisungsfrei“ bearbeitet werden müssen. An der Rechtsprechung des BGH hat dies aber nichts geändert. In der Neuformulierung sah der BGH keine substantielle Herabsetzung des Anforderungsprofils.7 Im bestimmten Umfang können Fachkenntnisse auch nach der geänderten Rechtslage durch diejenigen Fälle, welche als Syndikus bearbeitet wurden, nachgewiesen werden.8
258
Bezogen auf den Tätigkeitsnachweis im Sinne von § 11 EuRAG genügt nach Ansicht des BGH die Tätigkeit eines Syndikus gleichfalls nicht.9 Bezogen auf die Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI hat die Instanzenrechtsprechung der Sozialgerichte zunächst unterschiedliche Kriterien entwickelt, unter welchen Bedingungen die Befreiung bei denjenigen Unternehmensjuristen zu erteilen ist, die auch als Rechtsanwälte zugelassen sind.10 Jüngst hat nun das BSG entschieden, dass ein Befreiungsanspruch nur bestünde, wenn aufgrund der versicherungspflichtigen Tätigkeit im Sinne von § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Halbs. 1 SGB VI die Pflichtmitgliedschaft in der Rechtsanwaltskammer und im Versorgungswerk gegeben sei. Dies sei bei Unternehmensjuristen nicht der Fall, Rechtsanwälte seien diese nur in ihrer freiberuflichen, versicherungsfreien Tätigkeit außerhalb eines Dienstverhältnisses.11 Schließlich wird bezogen auf die Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI gefordert, dass eine berufsspezifische Tätigkeit ausgeübt wird, die Zulassung als Rechtsanwalt reicht für sich genommen nicht.12
259
Rechtspolitisch wird diese restriktive Haltung der Rechtsprechung vielfach kritisiert.13 In der rechtspolitischen Diskussion sind derzeit unterschiedliche Überlegungen, wie der Vorschlag des DAV14, des Berufsrechtsausschusses der BRAK15, des Bundesverbands der Unter-
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1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13
EuGH, Akzo Nobel, Slg. I, 2010, 8360, 8383, Rz. 49. EuGH, Prezes Urzêdu Komunikacji, AnwBl. 2012, 1003. Park, Handbuch Durchsuchung und Beschlagnahme, 2. Aufl. 2009, Rz. 531. Huber, in: Graf (Hrsg.), BeckOK StPO, § 53 Rz. 12 (17. Edition). Vgl. nur BGH, NZA 2000, 615 m.w.N. BGH, NJW 2001, 3130. BGH, NJW 2007, 599 f. BGH, NJW 2010, 377 ff. BGH, NJW 2011, 1517. Zum Nachweis der Rechtsprechung nur Horn, NJW 2012, 966. BSG, Urt. v. 3.4.2014 – B 5 RE 13/14 R; B 5 RE 9/14 R; B 5 RE 3/14 R. LSG Hessen, AnwBl. 2010, 214. Vgl. nur Huff, AnwBl. 2011, 473 ff.; Prütting, AnwBl. 2013, 78 ff.; Offermann-Burckart, AnwBl. 2012, 778 ff.; Kilger, AnwBl. 2012, 818 ff. 14 Rethorn, AnwBl. 2012, 426. 15 Kury, BRAK-Mitt. 2013, 2.
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Einl. Rz. 261
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nehmensjuristen1 sowie die Diskussion in der Satzungsversammlung der Bundesrechtsanwaltskammer.2 Für die weitere rechtspolitische Diskussion wird es entscheidend darauf ankommen, ob es gelingt die Tätigkeit des Syndikusanwalts trennscharf zu erfassen. Bereits Roxin hat 1992 Anforderungen an die Tätigkeit des Syndikusanwalts gestellt.3 Nicht jeder Volljurist, der als Rechtsanwalt zugelassen ist und in einem Unternehmen arbeitet, kann als Syndikus eingestuft werden. Vielmehr wird es darum gehen, in einem ersten Schritt den Syndikus hinsichtlich der Ausgestaltung des Arbeitsplatzes (räumliche und organisatorische Trennung vom übrigen Unternehmen), der inhaltlichen Tätigkeit (reine Rechtsberatung) und der arbeitsrechtlichen Stellung (weiter gehende arbeitsrechtliche Autonomie und Kündigungsschutz) von den im Unternehmen als angestellte Manager oder Sachbearbeiter tätigen Volljuristen, die auch als Rechtsanwälte zugelassen sind, abzugrenzen. Erst auf der Basis dieser Abgrenzung lässt sich sinnvoll für eine weitgehende Gleichstellung mit dem niedergelassenen Rechtsanwalt streiten. III. Anwaltliches Gesellschaftsrecht 261
Seit der Entscheidung des BayObLG vom 24. November 19944 die Anwalts-GmbH zuzulassen, sind die gesellschaftsrechtlichen Organisationsformen der Anwaltschaft in Bewegung geraten. Um Neunzehnhundert war noch umstritten, ob Rechtsanwälte sich überhaupt zu einer BGB-Gesellschaft zur gemeinsamen Berufsausübung zusammenschließen können oder ob nicht die freiberufliche Tätigkeit eine selbstständige und autonome Berufsausübung erfordert.5 Bis zur Entscheidung des BayObLG war dann gemeinhin anerkannt, dass sich Rechtsanwälte nur in Form der BGB-Gesellschaft zusammenschließen können.6 Im Jahr 2000 entschied erneut das BayObLG, dass sich Rechtsanwälte auch in der Form der Aktiengesellschaft organisieren dürfen.7
262
Die Entwicklung ist bis heute noch nicht abgeschlossen. Aufgrund der Rechtsprechung des EuGH zur Niederlassungsfreiheit8 ist allgemein anerkannt, dass sich Rechtsanwälte auch in Form der englischen LLP organisieren können. Zwar hat der Gesetzgeber jüngst das Partnerschaftsgesellschaftsgesetz geändert und den freien Berufen damit die Möglichkeit eröffnet die Haftung bei gleichzeitigem Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung in Höhe von mindestens 2,5 Millionen Deckungssumme zu beschränken, § 8 Abs. 4 PartGG i.V.m. § 51a BRAO jeweils neue Fassung.9 Diese gesetzgeberische Änderung war als Reaktion auf den Trend zur LLP geplant.10 Dabei darf aber nicht übersehen werden, dass die LLP eine Haftungsbegrenzung nur zu begründen vermag, wenn das englische Gesellschaftsstatut auf das deutsche Vertrags- und Deliktsstatut trifft. Zwar haften nach englischem Gesellschaftsrecht nicht die Gesellschafter der LLP, sondern nur die LLP selbst, soweit dies im Gesellschaftsvertrag vereinbart wurde.11 Jedoch tritt neben die Haftung der LLP nach englischem Deliktsstatut die persönliche Haftung des das Mandat bearbeitenden Rechtsanwalts.12 Die besondere Attraktivität der LLP resultiert also aus der Kombination von englischem Gesellschaftsstatut mit dem deutschem Vertrags- und Deliktsstatut. Zwar ist unbestreitbar richtig, dass nach der Rom I bzw. Rom II Verordnung für den in Deutschland tätigen Rechtsanwalt das deutsche Vertrags- bzw. Deliktsstatut grundsätzlich gilt.13Durchaus fraglich ist jedoch, ob nicht durch Anpassung der Widerspruch zwischen beiden Rechtssystemen zu beseitigen ist.14 Die Gegenauffassung erinnert doch allzu sehr an den Tennessee-Wechsel.15 1 http://www.buj.net/presse/pressemitteilungen/pressemitteilung-news-view/article/stellungnahme-des-buj -zu-46-brao/. 2 Hierzu Filges, NZA 2013, 257. 3 Roxin, NJW 1992, 1229 ff. 4 BayObLG, NJW 1995, 199. 5 Ganster, Freier Beruf und Kapitalgesellschaft, 1999, S. 164 ff. 6 Vgl. BGHZ 56, 355, 357 ff. 7 BayObLG, NJW 2000, 1647. 8 EuGH, Centros, Slg. I 1999, 1459; EuGH, Überseering, Slg. I 2002, 9919; EuGH, Inspire Art, Slg I, 10155. 9 BGBl. I 2013, S. 2386. 10 BT-Drs. 17/10487, S. 11. 11 Servatius, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 2011, Internationales Gesellschaftsrecht, Rz. 109. 12 Henssler/Mansel, NJW 2007, 1393 (1397); Triebel/Silny, NJW 2008, 1034. 13 Triebel/Silny, NJW 2008, 1034. 14 In diesem Sinne Henssler/Mansel, NJW 2007, 1393 (1396 f.) dagegen Triebel/Silny, NJW 2008, 1034; Schlinker, NJW 2011, 2091 (2093). 15 Ferid, Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 1986, S. 142 ff.
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Rz. 263 Einl.
Offen in der rechtspolitischen Diskussion sind derzeit vor allem drei Fragen:
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(a) Postulationsfähigkeit ausländischer Kapitalgesellschaften. Organisieren sich Rechtsanwälte als Kapitalgesellschaften, können diese nach § 59c BRAO als Rechtsanwaltsgesellschaften zugelassen werden. Danach ist die Kapitalgesellschaft als solche zur Rechtsanwaltschaft zugelassen, sie erbringt die Rechtsdienstleistung. Folglich wird in der Regel die Kapitalgesellschaft und nicht der einzelne Rechtsanwalt als Gesellschafter bevollmächtigt. Die Postulationsfähigkeit der Rechtsanwaltsgesellschaft ergibt sich sodann aus § 59 Abs. 1 BRAO. Grundvoraussetzung für die Postulationsfähigkeit ist aber, dass die Kapitalgesellschaft in das Handelsregister oder das Partnerschaftsregister eingetragen ist. Ohne Eintragung ist die Partnerschaftsgesellschaft nach § 7 Abs. 4 PartGG nicht postulationsfähig.1 Dies gilt grundsätzlich auch für ausländische Kapitalgesellschaften, wie die LLP. Allerdings sind nur europäische LLPs eintragungsfähig, nicht jedoch außereuropäische.2 Soweit keine Eintragung vorliegt, hat der BGH die Berufungseinlegung eines Partners einer englischen LLP, welche nicht im Partnerschaftsregister eingetragen war, dadurch gerettet, indem er annahm, der Rechtsanwalt handle nicht nur für die LLP, sondern auch für sich persönlich.3 Dieser Ausweg wird wohl auch außereuropäischen LLP offen stehen. (b) Eng damit in Zusammenhang steht die Frage, welche Auswirkungen die englische ABS auf den deutschen Rechtsberatungsmarkt hat. Aufgrund des Legal Services Act 20074 wurde in England und Wales die Möglichkeit geschaffen, dass Nicht-Anwälte sich an Anwaltskanzleien entweder als Manager oder Eigentümer beteiligen können. Ausgehend von der Entwicklung in Australien wurden mit dem Legal Services Act erstmals in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union die beiden Strukturprinzipien für Berufsausübungsgesellschaften aufgehoben.5 Bislang können Rechtsanwälte sich nur mit Rechtsanwälten oder den in § 59a BRAO genannten Personen zur Berufsausübung zusammenschließen (Gebot der enummerativen Berufszugehörigkeit, § 59e BRAO). Darüber hinaus wird eine aktive Berufsausübung der Gesellschafter gefordert (Tätigkeitsgebot, § 59e Abs. 1).6 Nach der neuen Rechtslage in England können sich Nicht-Anwälte an einer ABS nach einem „fit and proper test“ durch die Regelungsbehörde als Gesellschafter oder Manager beteiligen. Dabei erfolgt die Kontrolle in England in einem zweistufigen System. Durch den Legal Service Act (Part 2c) selbst wurde das Legal Services Board (LSA oder Board) geschaffen. Diese unabhängige Behörde hat ihrerseits für die unterschiedlichen rechtsberatenden Berufe im weitesten Sinne unterschiedliche Regulierungseinrichtungen geschaffen.7 Für die ABS ist die Solicitors Regulation Authority (SRA) zuständig.8 Die SRA ist ein selbstständiger Teil der Law Society von England und Wales. Regelungstechnisch zeichnet sich das neue englische Berufsrecht durch eine stärkere Outcome-Fokussierung aus. An Stelle einer strikten Regelbefolgung werden die Berufsträger auf bestimmte Ziele verpflichtet.9 Von den englischen ABS geht ein bestimmter Druck aus auch das deutsche Berufsrecht in diese Richtung zu liberalisieren.10 Kontrovers wird bereits diskutiert, in welchem Umfang eine englische ABS aufgrund der Niederlassungsfreiheit in Deutschland tätig werden darf.11 In der deutschen Diskussion steht derzeit vor allem das Tätigkeitsgebot von § 59e Abs. 1 BRAO.12 (c) Durch das Bundesverfassungsgericht wird zu klären sein, ob die Auflistung der assoziationsfähigen freien Berufe in § 59a BRAO abschließend zu verstehen ist und ob diese Regelung gegen die Berufsfreiheit verstößt. Der BGH hat diese Frage dem BVerfG bezüglich des Zusammenschlusses von Rechtsanwälten mit Ärzten und Apothekern vorgelegt.13 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13
Hirtz, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 2011, § 7 Rz. 2. Henssler, NJW 2009, 3136. BGH, NJW 2009, 3162, hierzu Henssler, NJW 2009, 3136. http://www.legislation.gov.uk/ukpga/2007/29/contents. Kilian, AnwBl. 2011, 800. Kilian, AnwBl. 2011, 800, OLG Köln, NZG 1998, 230 (231) m. Anm. Römermann. http://www.legalservicesboard.org.uk/can_we_help/approved_regulators/index.htm. http://www.sra.org.uk/home/home.page. Jarrett-Kerr, Legal Information Management, 11 (2011), S. 85 ff. Vgl. zu den Zielen auch die Principles http://www.sra.org. uk/solicitors/handbook/handbookprinciples/content.page. Kilian, AnwBl. 2011, 800. Vgl. einerseits Keller, BRAK-Mitt. 2012, 17 ff. und andererseits Hellwig, AnwBl. 2012, 876 ff. Einerseits Kleine-Cosack, AnwBl. 2013, 11 und andererseits Singer, AnwBl. 2010, 79 ff. BGH, NJW 2013, 2674: hierzu Ahrens, AnwBl. 2013, 2 (6 f.).
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Einl. Rz. 264
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IV. Fachanwaltschaft und Anwaltliche Fortbildung 264
Die Fachanwaltschaft hat sich auf der einen Seite als Erfolgsmodell erwiesen. Empirische Untersuchungen belegen, dass der Fachanwaltstitel zu einer deutlichen Steigerung des Umsatzes führt.1 Gleichviel sieht sich das Modell der Fachanwaltschaft in zwei Richtungen einer Kritik ausgesetzt. Kritisiert wird zum einen, dass die Fachanwaltschaft, wie sie in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts konzipiert wurde,2 nach Rechtsgebieten, nicht jedoch nach Zielgruppen strukturiert sei.3 Zielgruppenorientierung in diesem Sinne meint nicht die Fokussierung auf bestimmte Rechtsgebiete, wie Arbeitsrecht, sondern die Spezialisierung auf alle Rechtsfragen einer bestimmten Personengruppe.4 Damit einher geht die Diskussion, wie der Fächerkanon der Fachanwaltschaften zugeschnitten ist bzw. zugeschnitten sein soll.5
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Im System des bestehenden Zuschnitts der Fachanwaltschaften sind insbesondere drei Kritikpunkte hervorzuheben. Zunächst ist rechtspolitisch der theoretische Kenntnisnachweis, § 4 FAO, in der Diskussion. Bislang gibt die FAO zwar einen inhaltlichen Rahmen für diese Kurse vor, § 4, § 4a, § 6 und §§ 8 ff. FAO. Aus der Sicht des BGH eröffnet § 43c BRAO den Kammern nur die formalen Voraussetzungen zu prüfen, nicht jedoch fachliche Qualifikation inhaltlich.6 Um die Qualität der Fachanwaltslehrgänge sicherzustellen wird auch die Zertifizierung der Anbieter diskutiert. Dabei leitet Hellwig aus der OTOC-Entscheidung des EuGH7 die Forderung ab, das bislang auf rein formalen Kriterien beruhende System zu einem inhaltlichen Kontrollsystem umzubauen, welches transparent und nicht diskriminierend ist und auf überprüfbaren Kriterien beruht.8 Das jetzige System der FAO würde mit Art. 101 AEUV nach der OTOC-Rechtsprechung des EuGH nicht vereinbar sein.9
266
Der zweite Diskussionspunkt betrifft den praktischen Tätigkeitsnachweis. In der Kritik ist dabei sowohl die Überbetonung des forensischen Anteils des praktischen Tätigkeitsnachweises nach der FAO10 als auch die Schwierigkeit für Einzelanwälte und junge Anwälte genügend praktische Fälle einwerben zu können.11 Problematisch ist aber auch, dass der praktische Tätigkeitsnachweis nur erbracht werden muss, um den Fachanwaltstitel verliehen zu bekommen. Nicht erforderlich ist hingegen, dass der Fachanwalt später auch in dem Rechtsgebiet tätig ist. Es ist daher möglich, dass jemand noch als Fachanwalt für Arbeitsrecht firmiert, ohne jemals nach der Titelerlangung noch im Arbeitsrecht tätig gewesen zu sein.12
267
Schließlich ist das Thema Anwaltsfortbildung sowohl bezogen auf die Fachanwälte als auch auf die Anwaltschaft als solche in der Diskussion. § 15 FAO schreibt eine Fortbildung für Fachanwälte von jährlich mindestens 10 Stunden vor, § 43a Abs. 6 BRAO enthält lediglich die allgemeine Verpflichtung sich fortzubilden. Strittig ist, in welchem Umfang die Fortbildungspflichten auszubauen sind.13 In die Diskussion sind sicherlich die Bestrebungen Dritter einzubeziehen, die bestimmte Zertifizierungen für Rechtsanwälte erstellen wollen. Ob solche Zertifikate wettbewerbsrechtlich zulässig sind,14 hängt im Ergebnis ganz entscheidend davon ab, welche Anforderungen BRAO und FAO selbst an die Fortbildung der Anwälte stellen. V. Elektronischer Rechtsverkehr, Datenschutz und legal outsourcing
268
Schon bislang war das Spannungsverhältnis zwischen Datenschutz und anwaltlicher Verschwiegenheitspflicht nicht befriedigend gelöst.15 Spätestens mit dem Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten16 hat das Thema neue Bedeutung gewonnen. Bereits die Abgrenzung zwischen Datenschutzrecht und Anwaltsrecht ist in ihrer 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16
Kilian, NJW 2013, 1561. Hierzu Stobbe, in: Deutscher Anwaltverein (Hrsg.), Anwälte und ihre Geschichte, 2011, S. 843 (859 f.). Kilian, NJW 2013, 1561 (1562). Hierzu Kilian, NJW 2013, 1561 (1562 f.). Kilian, NJW 2013, 1561 (1563); Offerman-Burckhart, AnwBl. 2012, 114 (115 f.). BGH, NJW 2005, 2082. EuGH, 28.2.2013, Rd. C-1/12, Hellwig, AnwBl. 2013, 472 (477). Hellwig, AnwBl. 2013, 472 ff. Kilian, NJW 2013, 1561 (1564). van Bühren, BRAKMagazin 2013, 8 f. Vgl. hierzu Offerman-Burckhart, AnwBl. 2012, 114 (123). Hierzu Filges, NJW 2010, 2619 (2622). Vgl. BGH, NJW 2012, 235 zum zertifizierten Testamentsvollstrecker. Vgl. Filges, NJW 2010, 2619 (2621). BGBl. I 2013, S. 3786.
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Rz. 270 Einl.
gesetzgeberischen Systematik nicht überzeugend gelungen. Das BDSG unterscheidet sich sowohl durch seine Zielsetzung (Schutz des Persönlichkeitsrechts) als auch durch die deshalb geschützten Daten (personenbezogenen Daten) von der anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht. Letztere will die vertrauensvolle Kommunikation zwischen dem Rechtsanwalt und seinem Mandanten absichern. Das BDSG geht daher auf der einen Seite über die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht hinaus, weil auch nicht mandatsbezogene Daten, wie Gehaltsabrechnungen der Kanzleiangestellten, geschützt werden,1 bleibt aber andererseits hinter der anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht zurück. Nach dem BDSG nicht geschützt werden nämlich z.B. die der anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht unterliegenden Unternehmensgeheimnisse. Datenschutz und anwaltliche Verschwiegenheit sind also zwei unterschiedliche Regelungskreise, welche über eine gemeinsame Schnittmenge verfügen. Bislang nicht endgültig geklärt ist, wie der Konflikt in der Schnittmenge, also den personen- und mandatsbezogenen Daten, zu lösen ist. Aus der Sicht des Datenschutzrechts ist h.M., dass das Datenschutzrecht nur zurücktritt, wenn im anwaltlichen Berufsrecht mit dem BDSG deckungsgleiche Vorschriften vorliegen.2 Dies folgert die h.M. aus dem Wort „soweit“ in § 1 Abs. 3 S.1 BDSG. Hingegen soll der Schutz des Berufsgeheimnisses nach § 1 Abs. 3 S. 2 BDSG in jedem Fall den Bestimmungen des BDSG vorgehen.3
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Unbeantwortet bleibt damit aber die Frage, wo die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht endet und das Datenschutzrecht beginnt. Im Wesentlichen geht es um zwei konkrete Konfliktfälle:4
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(a) In welchem Umfang können Dritte von dem Rechtsanwalt Auskunft und Sperrung ihrer Daten nach §§ 34, 35 BDSG haben? Bislang wird vertreten, dass sich die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht gegenüber dem Auskunfts- und Sperrungsanspruch nach dem BDSG durchsetzt.5 Diese Vorrangregelung ergebe ich auch aus § 34 Abs. 7 BDSG iVm § 33 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BDSG. Nach § 33 Abs. 2 S. 1 Nr. BDSG müssen die Betroffenen nicht benachrichtigt werden, wenn wegen des überwiegenden rechtlichen Interesses eines Dritten (des Mandanten) die Daten geheimzugehalten sind. Diese Argumentation mag für eine normale Prozesssituation noch greifen. Erhebliche Zweifel sind jedoch angebracht, ob im Falle von internen Ermittlungen und Compliance Investigations die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht ausreicht, um die unterschiedlichen Interessensgegensätze zum Ausgleich zu bringen. Die Unternehmen kooperieren in der Regel mit den Strafverfolgungsbehörden aus Eigeninteresse, um den Imageschaden gering zu halten, aber auch um Schadensersatzansprüche und Bußgelder möglichst gering zu halten.6 Auf der anderen Seite können die Interessen von Arbeitnehmern und Vertragspartnern anderes gelagert sein. Bislang gibt es zwar in der strafrechtlichen Diskussion Bemühungen diese Konflikte im Strafverfahren über den fair-trial-Grundsatz einzufangen.7 Die rechtspolitische Frage bleibt aber, ob die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht wirklich einen datenschutzrechtlichen Damm gegenüber einem massenhaften Datenscreening errichten kann.8 (b) In welchem Umfang unterliegen die Anwaltskanzleien der Überprüfung durch die datenschutzrechtlichen Aufsichtsbehörden, § 38 BDSG? Die h.M. geht davon aus, dass die datenschutzrechtlichen Aufsichtsbehörden grundsätzlich auch Anwaltskanzleien bis auf die der Verschwiegenheitspflicht unterliegenden Mandantendaten überprüfen dürfen.9 Demgegenüber wird zumindest berufspolitisch aus der Anwaltschaft die Forderung erhoben, zuständig für die Überprüfung des Datenschutzes seien die Kammern und nicht die Datenschutzbeauftragten.10
1 2 3 4 5 6 7
Vgl. zur Abgrenzung auch Klingler, RNotZ 2013, 57 (58). Gola/Schomerus, Bundesdatenschutzgesetz, 11. Aufl. 2012, Rz. 24. Uwer, in: Wolff/Brink (Hrsg.), BeckOK BDSG, Syst F. Rz. 61. Vgl. auch Rüpke, ZRP 2008, 87 ff. Uwer, in: Wolff/Brink (Hrsg.), BeckOK, BDSG, Syst. F. Rz. 21 ff.; Weichert, NJW 2009, 550 (552 f.). Knauer/Buhlmann, AnwBl. 2010, 387 f.; Momsen, ZIS 2011, 508 ff. Hierzu Knauer/Buhlmann, AnwBl. 2010, 387 (390); Knauer/Gaul, NStZ 2013, 192 ff.; Momsen, ZIS 2011, 508 ff.; Hamm, NJW 2010, 1332 ff. 8 Hierzu auch Maschmann, NZA-Beil. 2012, 50. 9 Uwer, in: Wolff/Brink (Hrsg.), BeckOK BDSG, Syst F Rz. 35. In diesem Sinne auch KG Berlin, NJW 2011, 324. 10 Filges, NJW 2010, 2619 (2621); hiergegen Bundesdatenschutzbeauftragter, Tätigkeitsbericht 2005-2006, S. 112.
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271
Die hier angesprochenen Probleme kehren in der von der EU-Kommission geplanten Datenschutz-Grundverordnung1 wieder. Sowohl BRAK2 als auch DAV3 fordern in ihren Stellungnahmen daher die Aufsicht über die Einhaltung des Datenschutzrechts den Kammern zu überantworten.
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Ein besonderes Problem wirft das cloud computing auf. Allgemein versteht man unter cloud computing die Auslagerung der IT-Infrastruktur oder Teile der IT-Infrastruktur auf externe Dritte. Nach der bisherigen Rechtslage sind Dritte jedoch keine Gehilfen im Sinne von § 203 Abs. 3 S. 2 StGB.4 Dies wäre nur gegeben, wenn die Dienstleister dem Direktionsrecht der Kanzlei unterstellt wären. Rechtspolitisch wird daher nach einer Lösung gesucht, welche einerseits ein Outsourcing ermöglicht und andererseits den Schutz des Anwaltsgeheimnisses sicherstellt.5 VI. Internationales Anwaltsrecht
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Im internationalen Anwaltsrecht sind vor allem zwei Problemkreise bislang nicht gelöst. Zunächst ist die Frage offen, ob Rechtsanwälte aus Nicht EU-Staaten in Deutschland vorübergehend tätig sein dürfen. Will man sich nicht nur der Macht des Faktischen beugen, ist hier eine gesetzliche Regelung erforderlich, die zugleich die Berufsaufsicht regelt.6
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Der zweite Problemkreis betrifft die Frage, wie der Konflikt zwischen sich widersprechenden Berufsrechten zu lösen ist. Ursprünglich dachte man über das Institut der „double deontology“ die Konflikte lösen zu können. Danach sollte der Rechtsanwalt sowohl das Berufsrecht in seinem Herkunftsland als auch im Zielland der Dienstleistung beachten.7 Zwischenzeitlich ist die Erkenntnis gereift, dass in einer ganzen Reihe von Konfliktfällen das System der double deontology nicht weiterführt.8 Neben einer Harmonisierung des Berufsrechts, welches allerdings allenfalls innerhalb der Europäischen Union in einem überschaubaren Zeitrahmen möglich ist, kann die Lösung in der Entwicklung von differenzierten Kollisionsnormen gesehen werden.9 VII. Anwaltsethik
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Ausgehend von einem Beitrag von Henssler10 übte das Thema Anwaltsethik eine gewisse Faszination auf die Diskussion im Anwaltsrecht aus.11 Niklas Luhmann hat einmal in anderem Zusammenhang die Ethikdiskussion mit einem Kometen verglichen, der in regelmäßigen Abständen wiederkommt. Diese Ethikwelle träte immer im Fall eines „paradigm lost“12 – in Erscheinung.13 Unbestreitbar hat sich die Situation der Rechtsanwaltschaft in den letzten 25 Jahren drastisch verändert.14 Es nimmt daher nicht wunder, wenn ein Bedürfnis nach Selbstvergewisserung entstanden ist.15 Im Kern lassen sich drei Diskussionsschwerpunkte erkennen:
1 2012/0011 (COD). 2 http://www.brak.de/zur-rechtspolitik/stellungnahmen-pdf/stellungnahmen-deutschland/2012/november/ stellungnahme-der-brak-2012-53.pdf, S. 7. 3 http://www.anwaltverein.de/downloads/Stellungnahmen-11/201247-Stellungnahme.pdf, S. 14. 4 Hierzu Jahn/Palm, AnwBl. 2011, 613 (617). 5 Hierzu die Beiträge von Ewer, Leutheusser-Schnarrenberger, Spatscheck, Kotthoff, Härting, Bräutigam, Recktenwald, in: AnwBl. 2012 Heft 6, S. 476 ff. 6 S. Rz. 134. 7 So die Regelungen in den EU-Richtlinien: Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 77/249/EWG und Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 98/5/EG. 8 S. die Beispiele Panteia Report, Evaluation of the Legal Framework for free movement of lawyers, 2012, S. 98 ff. 9 Panteia Report, Evaluation of the Legal Framework for free movement of lawyers, 2012, S. 106 f. 10 Henssler, AnwBl. 2008, 721–728. 11 Vgl. Gillmeister, in: FS DAV Strafverteidigung im Rechtsstaat, 2009, S. 124 ff.; Hellwig, AnwBl. 2009, 465 ff.; Ignor, BRAK-Mitt. 2009, 202 ff.; Lehmann, BRAK-Mitt. 2009, 194 ff.; Leitner, StraFO 2008, 51 ff.; Müller, NJW 2009, 3745 ff.; Salditt, BRAK-Mitt. 2001, 150 ff.; Salditt, StraFO 2009, 312 ff.; Singer, AnwBl. 2009, 393 ff.; Streck, NJW-Spezial 2009, 430 ff.; Salditt, in: Münchener Anwaltshandbuch (MAH) Strafverteidigung, 2006, § 1 Rz. 1 ff.; Gaier, ZAP Fach 23, 901; Krenzler, BRAK-Mitt. 2010, 234 ff.; Wolf, AnwBl. 2010, 725. 12 Mit dem Begriff paradigm lost spielte Luhmann auf das epische Gedicht „Paradise Lost“ von John Milton an, welches 1667 erstmals veröffentlicht wurde. 13 Luhmann, Die Moral der Gesellschaft, 2008, S. 253 f. 14 Stürner, Markt und Wettbewerb über Alles?, 2007, S. 23 f. 15 Vgl. hierzu auch Filges, NJW 2010, 2819 (2623).
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Rz. 275 Einl.
(a) Die Rolle des Rechtsanwalts im Rechtsfindungsprozess. Infolge der ersten Bastille-Entscheidung hat insbesondere das Bundesverfassungsgericht den Rahmen dessen, was nach § 43a Abs. 3 BRAO als Verstoß gegen das Sachlichkeitsgebot beanstandet werden kann, immer enger gezogen:1 Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht nicht erklärt, warum die Grenzen gegenüber dem ursprünglichen standesrechtlichen Verständnis des Sachlichkeitsgebots2 so verschoben wurden. Zwar wird allgemein auf die freie und weitgehend unreglementierte anwaltliche Berufsausübung hingewiesen. Auch wird ein Zusammenhang mit der anwaltlichen Tätigkeit hergestellt.3 Nach wie vor wird jedoch weitgehend nicht thematisiert, ob und wenn ja wie sich anwaltliche Tätigkeit auf die Rechtsfindung auswirkt. Paradigmatisch hierfür ist die h.M. zur richterlichen Rechtsfindung. Wie der Richter zu seiner Rechtserkenntnis kommt, wird mehr oder weniger als seine Privatangelegenheit begriffen.4 Es ist ihm anheimgestellt, ob er sich durch Studium von Literatur und Rechtsprechung oder durch Informationen von Kollegen, wissenschaftlichen Mitarbeitern oder anderen Fachleuten seine Rechtsmeinung bildet.5 Die Ermittlung des in dem zu entscheidenden Fall anzuwendenden einschlägigen Rechts wird als ein interner Vorgang des Gerichts begriffen, auf den die Parteien keinen bestimmenden Einfluss haben sollen.6 Daraus folge insbesondere, dass der Richter bei seinen Bemühungen um die Feststellung des anzuwendenden Rechts weder seine Rechtsquellen aufdecken noch den Parteien diesbezüglich rechtliches Gehör einräumen müsse oder eine sonstige Verfahrensbeteiligung der Parteien veranlasst wäre.7 So verstanden würde das Verfahren bei der Rechtserkenntnis keine Rolle spielen. Allerdings erreicht die semantische Form unserer Gesetze niemals eine Bestimmtheit, welche dem Richter nur noch die algorithmische Anwendung ermöglichen würde.8 Habermas fordert daher das Spannungsverhältnis zwischen der regulativen Leitidee, der einen einzig richtigen Entscheidung auch in hard cases,9 und der Fallibilität der tatsächlichen Entscheidungspraxis durch das Verfahren, also die Struktur der jeweiligen Argumentationsprozesse, aufzulösen.10 Dies kann aber nicht ohne Rechtsanwälte erfolgen. Oder in anderen Worten Lawyers matters. Die Tätigkeit der Rechtsanwälte beeinflusst das Prozessergebnis auch in Rechtsfragen.11 Von diesem Standpunkt aus lässt sich die Frage diskutieren, wie das Sachlichkeitsgebot ausgestaltet sein muss, damit es dem Einfluss der Rechtsanwälte auf die Rechtsfindung entspricht.12 Ihrer Rolle entsprechend als Organ der Rechtspflege können die Rechtsanwälte dabei jedoch nicht, wie dies vielfach fälschlicherweise angenommen wird,13 auf eine bereits außerhalb des Prozesses feststehende Wahrheit und Gerechtigkeit verpflichtet werden. Diese muss als justizförmige Wahrheit erst im Prozess selbst generiert werden.14 Aufgabe des Verteidigers ist es gerade an einer rechtsstaatlich-justizförmigen Konstituierung des Sachverhalts mitzuwirken, nicht jedoch einer von außen den Prozessbeteiligten vorgegebenen ontologischen Wahrheit verpflichtet zu sein.15 (b) Der zweite Diskussionspunkt hängt inhaltlich mit dem ersten zusammen. Wenn die Tätigkeit der Rechtsanwälte nicht ergebnisneutral ist, sondern deren Können den Prozessausgang beeinflussen kann, sind Rechtsanwälte für die Verwirklichung des Rechtsstaats entscheidend. Rechtsanwälte stellen den Zugang zu den Gerichten sicher. Sie halten damit den Schlüssel zu dem fundamentalen Grundrecht in Händen, aus dem alle anderen Rechtspositionen folgen: „The right to sue and defend in the courts is the alternative of 1 Z.B. BVerfG, NJW-RR 2010, 204, hierzu auch § 43a BRAO Rz. 48 ff. 2 Hierzu Lingenberg/Hummel/Zuck/Eich/Lingenberg, Kommentar zu den Grundsätzen des anwaltlichen Standesrechts, 2. Aufl. 1988, § 1 Rz. 2. 3 BVerfG, NJW 1996, 3268 f. 4 Stein/Jonas/Leipold, Kommentar zur Zivilprozessordnung, 22. Aufl. 2005, Vor § 128 Rz. 60. 5 MüKo/ZPO/Prütting, 4. Aufl. 2013, § 293 Rz. 4. 6 MüKo/ZPO/Prütting, Fn. 34, § 293 Rz. 2. 7 MüKo/ZPO/Prütting, Fn. 34, § 293 Rz. 4. 8 Habermas, KJ 1987, 1 (11). 9 Dworkin, Talking Rights Seriously, 1978, passim. 10 Habermas, Faktizität und Geltung, 1992, S. 272 ff. 11 Ausführlich zur dialogischen Rechtsfindung § 1 BRAO Rz. 17 ff. 12 Wolf, AnwBl. 2010, 725 (729). 13 Insbesondere für den Strafverteidiger, vgl. die ausführlichen Nachweise bei Knauer, in: FS Widmaier 2008, S. 299 ff. 14 Paulus, NStZ 1992, 305 (309 f.); Paulus, in: FS Spendel, 1992, S. 687 ff. 15 Paulus, NStZ 1992, 305 (309 f.); Paulus, in: FS Spendel, 1992, S. 687 ff.
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force. In an organized society it is the right conservative of all other rights, and lies at the foundation of orderly government“.1 Deshalb hat Graf von Westphalen bereits 2003 darauf hingewiesen, dass der Rechtsanwalt als „instrument of justice“ in erster Linie der Gerechtigkeit verpflichtet sei.2 Er sah bereits damals die Anwaltschaft an einer Weggabelung zwischen einer weiteren Kommerzialisierung der anwaltlichen Tätigkeit und ihrer Funktion als Organ der Rechtspflege. Das Recht werde – so Westphalen – immer weniger an den kategorialen Imperativen der Gerechtigkeit gemessen, sondern Recht werde durch die Kommerzialisierung zu einem „Wirtschaftsgut“. Der Rechtsspruch im Sinne der Kongruenz mit den bestehenden Rechtsnormen werde dann ein Sieg der höheren Intelligenz gegenüber der minderen; der Erfolg des Mächtigeren in einer oft unerträglichen Materialschlacht gegenüber dem Schwächeren.3 Will man daher zum Kern der Ethikdiskussion vordringen, muss man der Frage nachgehen, wie der Anwaltsmarkt zu organisieren ist, dass „equal access to justice“ sichergestellt werden kann. Dabei hätte aber eine Anwaltsethik, welche dem einzelnen Rechtsanwalt lediglich die Wahl zwischen den beiden Polen der rücksichtslosen Selbstsucht (Egoismus) in einem sich immer weiter verschärfenden Wettbewerb oder der heroischen Selbstaufgabe (Altruismus) ließe,4 von vornherein ihr Ziel verfehlt. Vielmehr gilt es den in der wirtschaftsethischen Diskussion geforderten dritten Weg der legitimen Selbstbehauptung wiederzuentdecken. (c) Schließlich lässt sich als dritter Diskussionsstrang in der Ethikdiskussion der Beitrag der Rechtsanwälte zu res publica ausmachen. Rechtsanwälte waren immer der res publica verpflichtet. Res publica ist dabei nicht im Sinne von Staat, sondern Gemeinwohl zu verstehen.5 Das anwaltliche Engagement kommt in der Mitwirkung der Rechtsanwälte in den Organen der Selbstverwaltung auf Kammer- und Bundesebene genauso zum Ausdruck, wie in deren Tätigkeit für den Deutschen Anwaltverein einschließlich dessen Untergruppierungen oder dem Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein. Bemerkenswert sind die zahlreichen und detaillierten Stellungnahmen, welche die Fachausschüsse der BRAK und des DAV zu Gesetzesvorhaben und Verfassungsbeschwerden erarbeiten6 Hierzu zählt aber auch die Übernahme von Prozesskostenhilfemandaten und die Übernahme von Beratungshilfemandaten. Die (Wieder-)belebung dieses (berufs-)politischen Engagements der Anwaltschaft als republikanische Tugend, muss auch Teil der anwaltschaftlichen Selbstvergewisserung in der Ethikdebatte sein. VIII. End of Lawyers? 276
Die Zukunft der Anwaltschaft und des Anwaltsmarkts widmen sich in jüngster Zeit verschiedenen Studien. So hat der Deutsche Anwaltverein eine Untersuchung zum Rechtsdienstleistungsmarkt 2030 in Auftrag gegeben.7 Aus der Perspektive der EU wurde die Panteia-Studie erstellt, die Hindernisse für eine weitere europäische Integration des Anwaltsmarkts auflistet.8 Ausführlich mit der durch den IT-Fortschritt getriebenen Entwicklung des Anwaltsmarkts hat sich Richard Susskind auseinandergesetzt.9 Dabei dürfte die Entwicklung nicht in jedem Fall so laufen, wie in den Studien vorhergesagt. Um ein Beispiel zu benennen: Insbesondere Susskind geht davon aus, dass die Computertechnologie die Nachfrage nach einfachen juristischen Dienstleistungen, sprich Wissen, deutlich verringern wird. Gegenwärtig ist jedoch eher das Gegenteil zu beobachten. Die Überprüfung großer Datenmengen an E-Mails ist im Rahmen der Privatisierung der Strafverfahren unter dem Stichwort Compliance oder interne Ermittlung notwendig geworden. Es gibt kaum eine Großkanzlei, die diesen Geschäftszweig in
1 Chambers v. Baltimore & O.R. Co. 207 U.S. 142, 28 S. Ct. 34 U.S. 1907 November 18, 1907. 2 Westphalen, AnwBl. 2003, 125 (128 f.). 3 Westphalen, AnwBl. 2003, 125 (130). In diesem Sinne auch Wolf, in: FS für Schlosser, 2005, S. 1121 ff., auch abgedruckt in BRAK-Mitt. 2006, 15 ff. 4 Vgl. zu dieser Alternative, Ulrich, Integrative Wirtschaftsethik, 4. Aufl. 2008, S. 88. 5 Vgl. nur zum historischen Beitrag der Rechtsanwälte beim Aufbau des liberalen Rechtsstaats im 19. Jahrhundert Fichtmüller, in: DAV (Hrsg.), Anwälte und ihre Geschichte, 2011, 91 ff. 6 Im Jahr 2012 z.B. 58 Stellungnahmen der BRAK Ausschüsse und 90 der DAV Ausschüsse. 7 DAV/Prognos, Der Rechtsdienstleistungsmarkt 2030. 8 Panteia Report, Evaluation of the Legal Framework for free movement of lawyers, 2012. 9 Susskind, The End of Lawyers?, 2010; Susskind, Tomorrow’s Lawyers, 2013.
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Rz. 281 Einl.
den letzten Jahren nicht ausgebaut hat. Bei aller Computertechnologie ist immer noch juristisches Einordnen der Informationen durch Rechtsanwälte notwendig. In der Diskussion um die aus dem anglo-sächsischen stammenden Thesen Susskinds darf die unterschiedliche juristische Informationsdichte in den Systemen nicht übersehen werden. Kommentierungen, wie der Palandt, haben in Deutschland schon immer relativ einfach verfügbares juristisches Faktenwissen generiert. Für die juristische Fallbearbeitung ist dies jedoch erst der Beginn und nicht das Ende. Allerdings blieb bei uns wissenschaftlich bislang noch weitgehend unerforscht, wie sich die datenbankbasierte Stichwortsuche und die enorme Dichte an höchstrichterlichen Entscheidungen auf die Rechtsprechung auswirken. Zu Recht warnte der Wissenschaftsrat hier vor einem Umbau zu einem selbstreferenziellen System.1
277
Allerdings wird das Thema Outsourcing in verstärktem Maß Bedeutung gewinnen. Outsourcing kommt insbesondere in den USA in zwei Formen vor. Zum einen werden nicht juristische Tätigkeiten outgesourced, wie die Aufbereitung elektronischer Daten und Schreibarbeiten. Zum anderen werden aber auch kernjuristische Dienstleistungen nach außen verlagert. Dabei nutzen große Law Firms in den Finanzzentren der USA sowohl das Lohngefälle zwischen den Metropolen und dem Land und betreiben inshore auf eigene Rechnung, aber nicht unter eigenen Namen juristische Dienstleistungseinheiten. Der zweite Weg besteht darin die Dienstleistungen gleich offshore einzukaufen. Allerdings darf man sich von dem Anglizismus des Begriffs „legal process outsourcing“ nicht täuschen lassen. Der von Hans Soldan gegründete wirtschaftliche Verband Deutscher Rechtsanwälte unterhielt bereits 1912 die „Wissenschaftliche Hilfsstelle“, die gegen geringes Entgelt Rechtsgutachten für Rechtsanwälte anfertigte.2 Zwar hat Soldan den entsprechenden Dienst eingestellt, jedoch existiert für Notare noch heute das Deutsche Notarinstitut mit der Möglichkeit für Notare wissenschaftliche Gutachten anzufordern.
278
Insbesondere die Prognos Studie des DAV spricht die Folgen der weiteren Globalisierung, die Notwendigkeit eines professionellen Kanzleimanagements und -marketings sowie weiteren Spezialisierungen an.3 Dabei muss aber in Rechnung gestellt werden, dass künftig stärker nicht nach einer sektoral nach Rechtsgebieten gegliederten Dienstleistung nachgefragt wird, sondern ausgehend vom Problem eine umfassende Lösung erwartet wird.
279
Zwei Entwicklungslinien dürften für die Anwaltschaft noch größere Bedeutung gewinnen. Zunächst ist die immer stärker werdende Auflösung justizförmiger Verfahren zugunsten mediativer Streitschlichtungsformen festzustellen. Aus der Sicht des Staates sollen hierfür vor allem Kostengründe sprechen. Einher damit geht ein Professionalisierungsstreit der an der Mediation beteiligten Berufsgruppen. Das Mediationsgesetz hat diesen Streit nicht entschieden, vielmehr macht das Mediationsgesetz gerade eine juristische Ausbildung nicht zur Qualifikationsvoraussetzung.
280
Die zweite Entwicklungslinie, welche die anwaltliche Tätigkeit nachhaltig verändern könnte, ist der Versuch der Rechtsschutzversicherer mit ihrer Nachfragemacht den Anwaltsmarkt neu zu bestimmen. Über die Versicherungsbedingungen soll die freie Anwaltswahl des Versicherungsnehmers eingeschränkt werden. Auch wenn bislang rechtliche Bemühungen an ihre Grenzen gestoßen sind,4 bleiben die in diese Richtung gehenden Forderungen der Versicherungswirtschaft auf der politischen Agenda.5
281
1 2 3 4 5
WR, Perspektiven der Rechtswissenschaft, Drs. 2558-12, S. 37; hierzu Wolf, ZRP 2013, 20 (21). Pothmann/Waldmann, Im Dienst der Anwälte, 2008, S. 38. Hierzu auch die Zusammenfassung der Studie des DAV, in: AnwBl. 2013, 384 ff. OLG Bamberg, NJW 2012, 2282; Armbrüster, VuR 2012, 167 ff. Hierzu demnächst Tögel, in: Gaier/Wolf, 25 Jahre Bastille Entscheidung.
Wolf 51
Grundgesetz (GG) Auszug vom 23.5.1949 (BGBl. I, S. 1), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes v. 11.7.2012 (BGBl. I, S. 1478)
12 GG [Berufsfreiheit] (1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungs1
stätte frei zu wählen. 2Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden. (2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht. (3) Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig. . .
1 1
. .
3 4
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C. Einzelkommentierung . . . . . . . . . I. Grundrechtsträger . . . . . . . . . . . 1. Natürliche Personen . . . . . . . . . . 2. Juristische Personen . . . . . . . . . . II. Inhaltlicher Schutzbereich . . . . . . . 1. Beruf . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Berufswahl . . . . . . . . . . . . . . 3. Berufsausübung . . . . . . . . . . . . 4. Arbeitsplatz . . . . . . . . . . . . . . 5. Ausbildungsstätte . . . . . . . . . . . III. Schutzbereichrelevante Maßnahmen. . . 1. Eingriff in die Berufsfreiheit . . . . . . . a) Berufsbezogene Rechtsakte . . . . . b) Mittelbar berufsregelnde Rechtsakte . c) Faktische Beeinträchtigungen . . . . 2. Unterlassen von Schutz. . . . . . . . . a) Unterlassen von Leistungen . . . . . b) Beeinträchtigungen auf privatrechtlicher Grundlage . . . . . . . . . . IV. Schranken der Berufsfreiheit . . . . . . 1. Gesetzesvorbehalt aus Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . a) Geltungsbereich . . . . . . . . . . b) Formelle Voraussetzungen . . . . . . 2. Materielle Anforderungen für die Rechtfertigung von Beeinträchtigungen der engeren Berufsfreiheit (Stufenlehre und Verhältnismäßigkeit) . . . . . . . . . . a) Grundsätzliches . . . . . . . . . . b) Beschränkungen der Berufsausübung. aa) Berufsausübungsregelungen . . . bb) Rechtfertigung von Beschränkungen der Berufsausübung . . . . . c) Subjektive Berufswahlbeschränkungen aa) Subjektive Berufszulassungsvoraussetzungen . . . . . . . . bb) Rechtfertigung von subjektiven Berufswahlbeschränkungen . . .
13 13 13 14 16 16 20 21 25 26 28 28 28 29 31 32 32
A. Historie und allgemeine Grundsätze . . I. Normentstehung und -geschichte . . . II. Berufsfreiheit als einheitliches Grundrecht . . . . . . . . . . . . . . . . III. Konkurrenzen . . . . . . . . . . . . B. Normzweck . . . . . . . . . . . . . I. Art. 12 Abs. 1 GG als Abwehrrecht . . . II. Art. 12 Abs. 1 GG als wertentscheidende Grundsatznorm . . . . . . . . . . . III. Art. 12 Abs. 1 GG als Teilhaberecht . .
33 35 35 35 36
41 41 43 43 46 49 49 50
d) Objektive Berufswahlbeschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Objektive Berufszugangsvoraussetzungen . . . . . . . . bb) Rechtfertigung von objektiven Berufswahlbeschränkungen . . . 3. Materielle Anforderungen für Beeinträchtigungen der Freiheit der berufsbezogenen Ausbildung . . . . . . . . . . . . a) Grundsätzliches . . . . . . . . . . b) Beeinträchtigungen . . . . . . . . . c) Rechtfertigung von Ausbildungsbeschränkungen . . . . . . . . . . V. Die Berufsfreiheit der Rechtsanwälte in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . 1. Verfassungsrechtlicher Status des Anwaltsberufes . . . . . . . . . . . . 2. Berufszugang . . . . . . . . . . . . . 3. Berufsausübung . . . . . . . . . . . . D. Prozessuales . . . . . . . . . . . . . . I. Grundlagen des Verfassungsbeschwerdeverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . II. Allgemeine Zulässigkeitsvoraussetzungen (§ 90 BVerfGG). . . . . . . . . . . 1. Beschwerdefähigkeit . . . . . . . . . . 2. Beschwerdebefugnis . . . . . . . . . . a) Verletzte Rechte . . . . . . . . . . b) Rechtsverletzung durch die öffentliche Gewalt . . . . . . . . . . . . c) Selbstbetroffenheit des Beschwerdeführers . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtsschutzbedürfnis . . . . . . . . . 4. Rechtswegerschöpfung . . . . . . . . . 5. Vorabentscheidung . . . . . . . . . . 6. Subsidiarität . . . . . . . . . . . . . III. Begründung der Verfassungsbeschwerde (§§ 92, 23 Abs. 2 S. 2 BVerfGG) . . . . . . 1. Form . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bezeichnungspflicht . . . . . . . . . . 3. Begründungspflicht . . . . . . . . . . IV. Beschwerdefrist (§ 93 BVerfGG). . . . . 1. Einlegungs- und Begründungsfrist . . . . 2. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Grundzüge des Annahmeverfahrens (§§ 93a ff. BVerfGG) . . . . . . . . . .
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E. Arbeitshilfen. . . . . . . . . . . . . . 110
Gaier 53
Art. 12 GG Rz. 1
Berufsfreiheit
A. Historie und allgemeine Grundsätze I. Normentstehung und -geschichte 1
Die Weimarer Reichsverfassung (WRV) schützte nach Art. 151 Abs. 3 WRV zwar die Freiheit des Handels und Gewerbes, enthielt aber keine Regelung zur Berufsfreiheit. Daher wurde versucht, aus der durch Art. 111 WRV garantierten Freizügigkeit auch eine Freiheit zumindest der Berufswahl herzuleiten.1 Das Grundgesetz (GG) hat sich in mehrfacher Hinsicht von dem Verständnis der WRV gelöst. Danach sollte Art. 151 Abs. 3 WRV lediglich eine Proklamierung der Gewerbefreiheit als eines objektiven Prinzips der Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung enthalten.2 Art. 12 Abs. 1 GG regelt hingegen ein Grundrecht, das als unmittelbar geltendes Recht die staatliche Gewalt bindet (Art. 1 Abs. 3 GG) und dem betroffenen Bürger ein subjektives Recht verschafft.3 Außerdem wird zum einen die Verbindung zur Freizügigkeit aufgegeben und zum anderen für das Freiheitsrecht nicht an das Gewerbe, sondern an den umfassenderen Begriff des Berufes angeknüpft, dem für alle sozialen Schichten der gleiche Wert und die gleiche Würde zukommt.4
2
Art. 12 Abs. 1 GG entspricht bis auf den Zusatz „oder auf Grund eines Gesetzes“ der ursprünglichen Fassung. Die Änderung erfolgte durch das Siebzehnte Gesetz zur Ergänzung des Grundgesetzes vom 24.6.19685 und sollte ohne inhaltliche Änderung lediglich der Klarstellung dienen.6 II. Berufsfreiheit als einheitliches Grundrecht
3
Obwohl der Wortlaut der Verfassungsnorm ein anderes Verständnis nahe zu legen scheint, geht das BVerfG seit dem Apotheken-Urteil7 aus dem Jahr 1958 in ständiger Rechtsprechung von einem einheitlichen Grundrecht der Berufsfreiheit aus.8 Von diesem Ansatz her sind Berufswahl und Berufsausübung besondere Ausprägungen der Berufsfreiheit (Berufsfreiheit im engeren Sinne), die auch die Berufsausbildung als Voraussetzung beruflicher Tätigkeit umfasst.9 Danach ist zwischen den einzelnen Garantien von Art. 12 Abs. 1 GG eine klare Grenzziehung nicht erforderlich und wohl auch nicht immer möglich. Die verschiedenen Gewährleistungen des einheitlichen Grundrecht der Berufsfreiheit erlangen allerdings insofern Bedeutung, als an die Einschränkung von Berufs- und Arbeitsplatzwahl höhere Anforderungen gestellt werden als an die Einschränkung der Berufsausübung (dazu näher unten Rz. 41–53). III. Konkurrenzen
4
Dem Recht auf allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG geht Art. 12 Abs. 1 GG als lex specialis vor.10 Dies gilt auch, soweit Art. 2 Abs. 1 GG im Zusammenwirken mit Art. 1 Abs. 1 GG das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt; denn Art. 12 Abs. 1 GG stellt auch eine Konkretisierung des Persönlichkeitsrechts dar.11 Die Vertragsfreiheit, die an sich der allgemeinen Handlungsfreiheit unterfällt, wird ebenfalls von Art. 12 Abs. 1 GG als der speziellen Gewährleistung geschützt, falls die Vertragsfreiheit gerade im Bereich beruflicher Betätigung betroffen ist.12
5
Bei Meinungsäußerungen, die im Rahmen beruflicher Tätigkeit insbesondere zur Werbung erfolgen, geht das BVerfG grundsätzlich davon aus, dass als Prüfungsmaßstab Art. 12 Abs. 1 GG und nicht Art. 5 Abs. 1 GG heranzuziehen ist.13 Auch bei der Prüfung berufsrechtlicher Maßnahmen aufgrund des Sachlichkeitsgebots (§ 43a Abs. 3 BRAO) wird Art. 5 Abs. 1 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13
Vgl. Sachs/Tettinger, Art. 12 Rz. 3; Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf/Hofmann, Art. 12 Rz. 1. Vgl. BVerfGE 7, 377 (397); 50, 290 (362). Vgl. BVerfGE 6, 386 (387). Vgl. BVerfGE 7, 377 (397). BGBl. I, S. 709. Vgl. BVerfGE 33, 125 (156). BVerfGE 7, 377 (401 f.). Vgl. etwa auch BVerfGE 33, 303 (330); 92, 140 (151). BVerfGE 33, 303 (330). St. Rspr., vgl. etwa BVerfGE 58, 358 (363); 105, 252 (279). BVerfGE 71, 183 (201); dazu auch Jarass/Pieroth, Art. 2 Rz. 38; Maunz/Dürig/Di Fabio, Art. 2 Rz. 25. BVerfGE 116, 202 (221); BVerfG, NJW 2014, 46 (Rz. 67). Vgl. etwa BVerfGE 40, 371 (382); 95, 173 (181).
54 Gaier
Berufsfreiheit
Rz. 8 Art. 12 GG
GG erst in zweiter Linie herangezogen.1 Zu dem Bereich der durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten berufsbezogenen Tätigkeiten zählt auch die berufliche Werbung2 und weitergehend die gesamte berufliche Außendarstellung der Grundrechtsberechtigten3 (dazu näher unten Rz. 69 f.). Das Grundrecht der Meinungsfreiheit kann allerdings in Betracht kommen, wenn es um Äußerungen mit einem wertenden, meinungsbildenden Inhalt geht.4 Gegenüber dem Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 GG zieht das BVerfG die Sachnähe als Kriterium heran, so dass vorrangig Art. 12 Abs. 1 GG einschlägig ist, wenn sich ein Forscher gegen die Befristung seines Arbeitvertrages wehrt.5 Soweit nur die berufliche Niederlassung betroffen ist, geht Art. 12 Abs. 1 GG wiederum als lex specialis dem Grundrecht der Niederlassungsfreiheit aus Art. 11 Abs. 1 GG vor.6
6
Die Abgrenzung der Schutzbereiche von Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 14 Abs. 1 GG nimmt das BVerfG nach der Formel vor, dass die Berufsfreiheit den Erwerb (also die Betätigung selbst) und die Eigentumsgarantie das Erworbene (also die Ergebnisse geleisteter Arbeit) schützt.7 Die Berufsfreiheit wird damit für den dem Eigentum zeitlich vorgelagerten Bereich relevant, indem sie eine Möglichkeit für den Eigentumserwerb schafft und nicht den Bestand des bereits Erworbenen schützt. Im konkreten Fall kommt es darauf an, in welchem Bereich das Schwergewicht des Grundrechtseinigriffs liegt, ob also eher die Freiheit der individuellen Erwerbs- und Leistungstätigkeit oder die Freiheit der Innehabung und Verwendung schon vorhandener Vermögensgüter betroffen ist.8
7
Im Bereich des öffentlichen Dienstes (zum Schutz durch Art. 12 Abs. 1 GG vgl. unten Rz. 18) tritt nach der Rechtsprechung des BVerfG die Gleichheit des Zugangs zu den öffentlichen Ämtern nach Art. 33 Abs. 2 GG als ergänzende Regelung neben den Schutz der Berufsfreiheit.9 Auch das Gebot der Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums gem. Art. 33 Abs. 5 GG verdrängt in seinem Anwendungsbereich Art. 12 Abs. 1 GG nicht, sondern erlaubt lediglich weitergehende Beschränkungen der Berufsfreiheit10 mit der Folge, dass die Verhältnismäßigkeit solcher Eingriffe eher als außerhalb des öffentlichen Dienstes bejaht werden kann.11 Diese Rechtsprechung erlangt Bedeutung auch für einen staatlich gebundenen Beruf, wie ihn insbesondere Notare12 – nicht aber Rechtsanwälte13 – ausüben. Kennzeichnend für einen staatlich gebundenen Beruf ist, dass dem Berufsträger die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben ohne Eingliederung in den Verwaltungsapparat übertragen wird.14 Auch für solche Berufe ermöglicht Art. 33 GG weitergehende Sonderregelungen,15 wobei sich die Zulässigkeit damit einhergehender Einschränkungen der Berufsfreiheit nach dem Grad der sachlich bedingten Annäherung an ein öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis richtet.16 Für die Tätigkeit der Notare sind Sonderregelungen in Anlehnung an Art. 33 Abs. 5 GG wegen der besonders ausgeprägten Nähe zum öffentlichen Dienst (vgl. § 1 BNotO „Träger eines öffentlichen Amtes“) möglich,17 das Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage entsprechend Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG ist jedoch auch hier einzuhalten.18 Daher unterliegt insbesondere die Festsetzung der Zahl der Notarstellen der staatlichen Organisationsgewalt, ohne dass insoweit aus Art. 12 Abs. 1 GG subjektive Rechte der Bewerber hergeleitet werden können.19 Auch im Bereich des Anwaltsnotariats ist der Staat nicht gezwungen, jeden Rechtsanwalt, der dies wünscht, auch zum Notar zu bestellen.20 Er-
8
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20
Vgl. BVerfGE 76, 171 (192); BVerfG, NJW 1996, 3268; BVerfG, NJW 2008, 2424. BVerfGE 85, 97 (104); 95, 173 (181). BVerfGE 85, 248 (256); 94, 372 (389). BVerfGE 71, 162 (175); 102, 347 (359). BVerfGE 85, 360, 372, 381. Vgl. BVerfGE 7, 377 (414 ff.); 41, 378 (399). BVerfGE 30, 292 (335); 88, 366 (377); 102, 26 (40); 121, 317 (344 f.). BVerfGE 30, 292 (335); 84, 133 (157). BVerfGE 92, 140 (151); 96, 152 (163). Vgl. BVerfGE 7, 377 (379 f.); 39, 334 (369). Jarass/Pieroth, Art. 12 Rz. 85. St. Rspr., vgl. etwa BVerfGE 73, 301 (315). BVerfGE 50, 16 (29); 63, 266 (258). Vgl. BVerfGE 73, 301 (315 f.); 131, 130 (139). BVerfGE 7, 377 (397 f.); 131, 130 (140 f.). BVerfGE 47, 285 (319); 54, 237 (246); 131, 130 (141). BVerfGE 73, 280 (292, 294); 110, 304 (321). BVerfGE 73, 280 (294 f.); zur Zulässigkeit von Weisungen der Dienstaufsicht vgl. BVerfGE 131, 130 (145 ff.). BVerfGE 73, 280 (292); vgl. auch bereits BVerfGE 17, 371 (379 f.); 47, 285 (319). BVerfGE 17, 371 (381).
Gaier 55
Art. 12 GG Rz. 9
Berufsfreiheit
forderlich ist es allerdings, dass sowohl die Kriterien und als auch das Verfahren für die Auswahl unter den Notarbewerbern gesetzlich geregelt sind.1 Für die danach erforderliche gesetzliche Regelung kommt den in Art. 33 Abs. 2 GG genannten Kriterien der Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung wesentliche Bedeutung zu, damit die verfassungsrechtlich gebotene Chancengleichheit erreicht werden kann.2 Außerdem muss die Gestaltung des Auswahlverfahrens gewährleisten, dass tatsächlich von allen potentiellen Bewerbern derjenige gefunden wird, der am ehesten den gesetzten Anforderungen entspricht.3 Hinsichtlich der Auswahlkriterien entspricht das geltende Recht mit § 6 BNotO den verfassungsrechtlichen Anforderungen.4 Für Rechtsanwälte erlangt Art. 33 Abs. 5 GG hingegen keine Bedeutung; vielmehr gilt der rechtsstaatlich abgesicherte Grundsatz der freien Advokatur, der es ausschließt, den Anwaltsberuf an die Staatsorganisation heranzuführen und Rechtsanwälte beamtenrechtlichen Treuepflichten zu unterwerfen.5 B. Normzweck I. Art. 12 Abs. 1 GG als Abwehrrecht 9
Die wesentliche Bedeutung des Art. 12 Abs. 1 GG liegt in seiner Bedeutung als Abwehrrecht. Als solches gewährleistet die Vorschrift einen Freiraum, der nicht nur der personalen Entfaltung des arbeitenden Menschen in der Gesellschaft dient, sondern für die meisten Bürger vor allem auch die Möglichkeit sichert, sich eine wirtschaftliche Grundlage ihrer Existenz zu schaffen.6 Eingriffe in diesen Freiheitsraum sind nur zulässig, wenn dies zum gemeinen Wohl unerlässlich ist.7 Neben diesem personalen Bezug schützt Art. 12 Abs. 1 GG aber auch die Freiheit, ein Gewerbe zu betrieben8 und im Wettbewerb tätig zu sein.9 II. Art. 12 Abs. 1 GG als wertentscheidende Grundsatznorm
10
Darüber hinaus sieht das BVerfG in Art. 12 Abs. 1 GG eine wertentscheidende Grundsatznorm, die das Gesetzgebungsermessen inhaltlich erheblich einzuschränken vermag.10 Dieser materiellen Wertentscheidung kommt Ausstrahlungswirkung auch für das einfache Recht, namentlich das Zivil- und Strafrecht zu (dazu näher unten Rz. 33).11 Der objektive Gehalt des Grundrechts entfaltet sich ferner in einer Schutzpflicht, auf Grund derer es dem Staat obliegt, die berufliche Freiheitssphäre aktiv zu schützen und zu sichern.12 Bestimmte Anforderungen an die Art und das Maß des Schutzes lassen sich der Verfassung aber grundsätzlich nicht entnehmen, vielmehr besteht bei der Erfüllung von Schutzpflichten ein weiter Gestaltungsraum. Grundsätzlich kann das BVerfG die Verletzung einer Schutzpflicht nur feststellen, wenn die öffentliche Gewalt Schutzvorkehrungen entweder überhaupt nicht getroffen hat oder die getroffenen Regelungen und Maßnahmen gänzlich ungeeignet oder völlig unzulänglich sind, das gebotene Schutzziel zu erreichen, oder erheblich dahinter zurückbleiben.13 Daher lässt sich aus Art. 12 Abs. 1 GG weder ein Recht auf Bereitstellung eines Arbeitsplatzes noch ein Recht auf Erhalt eines bereits gewählten Arbeitsplatzes herleiten.14 Ebenso wenig gewährt Art. 12 Abs. 1 GG einen unmittelbaren Schutz gegen den Verlust des Arbeitsplatzes aufgrund privater Disposition. Zwar obliegt dem Staat insofern eine aus dem Grundrecht folgende Schutzpflicht, die Rechtsprechung ging bisher aber davon aus, dass der Schutzpflicht durch die geltenden Kündigungsvorschriften ausreichend Rechnung getragen ist.15 Eine Verpflichtung zum Tätigwerden kann aber insbesondere dann bestehen, wenn we1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15
BVerfGE 73, 280 (295 f.). BVerfGE 73, 280 (295). BVerfGE 73, 280 (296). BVerfGE 110, 304 (322). BVerfGE 63, 266 (285). BVerfGE 81, 242 (254). BVerfGE 63, 266 (287). BVerfGE 50, 290 (362 f.). BVerfGE 32, 311 (317). BVerfGE 7, 377 (404). Vgl. Sachs/Tettinger, Art. 12 Rz. 14; BVerfGE 92, 140 (152 f.); 96, 152 (164). BVerfGE 92, 26 (46). BVerfGE 92, 26 (46). BVerfGE 84, 133 (146); 97, 169 (175). BVerfGE 97, 169 (175) m.w.N.
56 Gaier
Berufsfreiheit
Rz. 13 Art. 12 GG
gen des Fehlens eines annähernden Kräftegleichgewichts der Beteiligten das Vertragsrecht keinen sachgerechten Interessenausgleich gewährleisten kann. Das BVerfG hat auf dieser Grundlage für das nachvertragliche Wettbewerbsverbot für Handelsvertreter gefordert, dass der Gesetzgeber im Zivilrecht Vorkehrungen zum Schutz der Berufsfreiheit gegen vertragliche Beschränkungen trifft.1 Die Verwirklichung der Berufsfreiheit erfordert auch eine dem Grundrechtsschutz angemessene Verfahrensgestaltung, die der jeweiligen Eingriffsintensität Rechnung trägt.2 Das BVerfG hat auf dieser Grundlage zur Wahrung der Rechte der Notarbewerber aus Art. 12 Abs. 1 GG eine gesetzliche Regelung der Stellenausschreibung gefordert, damit gewährleistet ist, dass von allen potentiellen Bewerbern derjenige gefunden wird, der am ehesten den gesetzten Anforderungen entspricht.3 Bedeutsam ist dieser Aspekt der Berufsfreiheit auch für die Gestaltung von Prüfungsverfahren.4
11
III. Art. 12 Abs. 1 GG als Teilhaberecht Der Berufsfreiheit wird im Zusammenwirken mit dem Gleichheitssatz und dem Sozialstaatsprinzip ein (derivatives) Teilhaberecht5 an solchen Ausbildungseinrichtungen entnommen, für die der Staat ein faktisches Monopol besitzt, so für die Hochschulen6 und den Referendardienst.7 In der Literatur wird außerdem ein Teilhaberecht hinsichtlich der staatlichen Arbeitsvermittlung bejaht.8 Darüber hinausgehende Leistungsansprüche bestehen nach der Rechtsprechung grundsätzlich nicht. So wurde etwa ein Anspruch auf Bestellung zum Pflichtverteidiger9 oder zum Insolvenzverwalter10 verneint. Obwohl der Staat gehalten ist, sein im Rahmen der Organisationsgewalt bestehendes Ermessen pflichtgemäß auszuüben, und zudem die ordnungsgemäße Erfüllung der den Notaren zugewiesenen staatlichen Aufgaben sicherstellen muss, korrespondieren mit diesen Pflichten keine Grundrechte des einzelnen Notarbewerbers aus Art. 12 Abs. 1 GG. Daher können Bewerber weder für die Festsetzung der Zahl der besetzbaren Notarstellen noch für die materiellen Kriterien oder für das Verfahren der Bedürfnisprüfung Rechte für sich herleiten.11 In eingeschränktem Umfang können sich aus Art. 12 Abs. 1 GG Leistungsansprüche gegen den Staat in Gestalt von Erstattungsansprüchen für Zeitaufwand und Bürokosten ergeben. Nimmt der Staat etwa für Aufgaben, deren ordentliche Wahrnehmung im öffentlichen Interesse liegt, Bürger beruflich in Anspruch, so kann es eine übermäßige, durch Gründe des Gemeinwohls nicht mehr gerechtfertigte Einschränkung der freien Berufsausübung darstellen, wenn den derart Belasteten eine angemessene Entschädigung für ihre Inanspruchnahme vorenthalten. Auf Grund dieser Erwägungen wurde Berufsvormündern ein Vergütungsanspruch in verfassungskonformer Auslegung des § 1835 BGB a.F. zuerkannt.12
12
C. Einzelkommentierung I. Grundrechtsträger 1. Natürliche Personen Im Unterschied zu Absatz 2 und 3 gewährleistet Art. 12 Abs. 1 GG die Berufsfreiheit nur für Deutsche im Sinne des Art. 116 GG. Die berufliche Betätigung von Ausländern und Staatenlosen wird dagegen durch das subsidiäre allgemeine Freiheitsrecht des Art. 2 Abs. 1 GG geschützt.13 Auf diesem Weg kann allerdings nicht erreicht werden, dass Ausländer den
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13
BVerfGE 81, 242 (255). Grundlegend BVerfGE 73, 280 (296). BVerfGE 73, 280 (296). BVerfGE 84, 34 (45 f.); 84, 59 (72 f.). Vgl. Sachs/Tettinger, Art. 12 Rz. 11. Grundlegend BVerfGE 33, 303 (331 f.). Vgl. BVerfGE 39, 334 (373). Jarass/Pieroth, Art. 12 Rz. 24. BVerfGE 39, 238 (242). BVerfGE 116, 1 (12). BVerfGE 73, 280 (294). BVerfGE 54, 251 (271). Vgl. BVerfGE 129, 78 (94 ff.).
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13
Art. 12 GG Rz. 14
Berufsfreiheit
Schutz erlangen, der ihnen Art. 12 Abs. 1 GG gerade verwehrt.1 EU-Ausländer dürften mit Blick auf das Diskriminierungsverbot aus Art. 18 AEUV wie Deutsche zu behandeln sein.2 2. Juristische Personen 14
Grundsätzlich gilt die Berufsfreiheit nach Art. 19 Abs. 3 GG auch für inländische juristische Personen und Personenvereinigungen des Privatrechts (insbesondere für die BGB-Gesellschaft3), soweit sie eine zu Erwerbszwecken dienende Tätigkeit ausüben.4 Die freie Berufswahl garantiert hier das Recht, einen Geschäftsbetrieb zu eröffnen, fortzusetzen oder zu beenden.5 Danach ist die Grundrechtsfähigkeit für Rechtsanwaltspartnerschaften nach dem Partnerschaftsgesellschaftsgesetz (PartGG) sowie für Rechtsanwaltsgesellschaften nach §§ 59c ff. BRAO einschließlich der vom Bundesgerichtshof anerkannten Rechtsanwaltsaktiengesellschaft6 zu bejahen. Ob eine Gesellschaft mit inländischem Sitz, aber ausschließlich oder überwiegend ausländischen Gesellschaftern durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützt wird, ist umstritten und vom BVerfG noch nicht abschließend geklärt.7 Ist Art. 12 Abs. 1 GG nicht anwendbar, erlangt eine solche inländische Gesellschaft aber jedenfalls den Schutz des Art. 2 Abs. 1 GG für ihre gewerbliche Tätigkeit.8 Ausländische juristische Personen oder Personenvereinigungen können dagegen keines dieser Grundrechte für sich in Anspruch nehmen.9 Geklärt ist nunmehr, dass die gewerbliche Tätigkeit für ausländische juristische Personen oder Personenvereinigungen aus EU-Mitgliedstaaten über Art. 19 Abs. 3 GG durch Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistet wird.10
15
Juristische Personen des öffentlichen Rechts erfüllen die Voraussetzungen des Art. 19 Abs. 3 GG grundsätzlich nicht, weshalb sie insoweit keinen Grundrechtsschutz genießen. Ihre Tätigkeit beruht nicht auf der Ausübung von Freiheitsrechten, sondern auf der Ausübung von Kompetenzen, die vom positiven Recht zugeordnet, inhaltlich bemessen und begrenzt sind.11 Demgemäß hat das BVerfG bisher die Grundrechtsfähigkeit von Rechtsanwaltskammern verneint,12 dabei jedoch auf die Möglichkeit von Ausnahmen hingewiesen.13 Grundrechtsschutz wird hiernach auch für Rechtsanwaltskammern stets zu verneinen sein, soweit der Bereich betroffen ist, der in der Wahrnehmung gesetzlich zugewiesener und geregelter öffentlicher Aufgaben besteht.14 Wegen der „Doppelnatur“ von Berufsverbänden in der Rechtsform der Körperschaft des öffentlichen Rechts kommt jedoch eine Grundrechtsfähigkeit in Betracht, soweit nicht die Funktion als Teil der öffentlichen Verwaltung, sondern die Wahrnehmung der gemeinsamen berufsständischen und wirtschaftlichen Interessen der in den Verbänden zusammengeschlossenen Berufsträger betroffen ist.15 II. Inhaltlicher Schutzbereich 1. Beruf
16
Der Begriff des Berufes ist weit zu auszulegen.16 Er erfasst nach der gängigen Formel der Rechtsprechung jede Tätigkeit, die der Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrundlage dient und auf Dauer angelegt ist,17 sich also nicht in einem Erwerbsakt erschöpft.18 Unerheblich ist, ob die Tätigkeit selbständig oder unselbständig ausgeübt wird.19 Altruistische, im 1 BVerfGE 78, 179 (197). 2 Befürwortend etwa Jarass/Pieroth, Art. 12 Rz. 12; ablehnend dagegen Maunz/Dürig/Scholz, Art. 12 Rz. 105; Sachs/Tettinger, Art. 12 Rz. 19. 3 Vgl. BVerfG, NJW 2002, 3533. 4 BVerfGE 21, 261 (266); 97, 228 (253); 105, 252 (265). 5 BVerfGE 102, 197 (213). 6 BGHZ 161, 376. 7 Vgl. BVerfG, NJW 2002, 1485 mit Nachweisen zum Meinungsstand. 8 BVerfG, NJW 2002, 1485. 9 Vgl. BVerfGE 21, 207 (208 f.). 10 BVerfGE 129, 78 (94 ff.). 11 BVerfGE 61, 82 (101); 75, 192 (197). 12 BVerfG, NJW 1989, 2613; AnwBl. 1989, 572. 13 BVerfG, NJW 1989, 2613. 14 Vgl. BVerfGE 68, 193 (209); BVerfG, NVwZ 1994, 262 für Innungen. 15 Vgl. BVerfGE 70, 1 (20) für Innungen. 16 BVerfGE 14, 19 (22); 68, 272 (281). 17 BVerfGE 7, 377 (397); 54, 301 (313); 102, 197 (212); 105, 252 (265). 18 Vgl. BVerfGE 97, 228 (253). 19 BVerfGE 7, 377 (398 f.); 54, 301 (322); 108, 150 (165).
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Berufsfreiheit
Rz. 20 Art. 12 GG
Rahmen gesellschaftlichen Engagements ausgeübte Tätigkeit wird nicht durch Art. 12 Abs. 1 GG, sondern durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützt.1 Von der Berufsdefinition dürfen unerlaubte, also allgemein verbotene Tätigkeiten nicht von vornherein ausgenommen werden. Derartige Begrenzungen schon im Schutzbereich führen letztlich dazu, dass einfaches Gesetzesrecht über den Umfang des verfassungsrechtlichen Schutzes bestimmen kann.2 In der neueren Rechtsprechung entzieht das BVerfG allenfalls solchen Tätigkeiten dem Schutz des Art. 12 Abs. 1 GG, die schon ihrem Wesen nach als verboten anzusehen sind, weil sie auf Grund ihrer Sozial- und Gemeinschaftsschädlichkeit schlechthin nicht am Schutz durch das Grundrecht der Berufsfreiheit teilhaben können.3 Der Schutz der Berufsfreiheit gilt nicht nur für Berufe, für die bestimmte, traditionelle oder sogar rechtlich fixierte Berufsbilder existieren; geschützt werden vielmehr auch frei gewählte, untypische berufliche Betätigungen.4 Der Gesetzgeber ist aber nicht gehindert, Berufsbilder normativ zu fixieren.5 Sind mit der normativen Fixierung eines Berufsbildes Eingriffe in die Berufsfreiheit verbunden, so stellt das BVerfG die Betroffenen nicht schutzlos, sondern überprüft die gesetzliche Regelung anhand des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes6 einschließlich der Grundsätze der Stufenlehre.7
17
Nicht nur die staatlich gebundenen Berufe (dazu oben Rz. 8), sondern auch die berufliche Tätigkeit im öffentlichen Dienst wird durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützt.8 Aus Art. 33 GG folgt nichts anderes (vgl. oben Rz. 8), vielmehr tritt Absatz 2 als ergänzende Regelung neben den Schutz der Berufsfreiheit,9 während Absatz 5 lediglich weitergehende Beschränkungen der Berufsfreiheit erlaubt.10
18
Nach umstrittener Auffassung des BVerfG11 soll eine bloße Nebentätigkeit nicht die Voraussetzungen eines Berufes erfüllen, weil sie nicht der Erhaltung einer Lebensgrundlage diene.12 Der Streit ist wenig praktisch, weil jedenfalls Zweit- oder Nebenberufe dem Schutz der Berufsfreiheit unterfallen.13 Auch für Rechtsanwälte ist durch Art. 12 Abs. 1 GG das Recht geschützt, mehrere Berufe zu wählen und nebeneinander auszuüben, wie dies etwa beim Anwaltsnotar der Fall ist.14 Eine Beschränkung mit dem Ziel, die Verbindung bestimmter beruflicher Tätigkeiten auszuschließen, ist nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes und nur zum Schutze eines besonders wichtigen Gemeinschaftsgutes im Rahmen der Verhältnismäßigkeit zulässig.15
19
2. Berufswahl Unter den Schutz der Freiheit der Berufswahl fallen nicht nur die erste Entscheidung für einen bestimmten Beruf und die Entscheidung über einen Berufswechsel,16 sondern auch die Entscheidung, überhaupt keinen Beruf zu ergreifen und auszuüben („negative Berufswahlfreiheit“).17 Ebenso ist die freie Entscheidung über die Berufsbeendigung geschützt.18 Gewährleistet ist ferner die Freiheit, Tätigkeiten, die traditionell verschiedenen Berufen zugeordnet sind, kombiniert auszuüben.19 Der Anwaltsnotar übt keinen einheitlichen Beruf aus, sondern kombiniert zwei getrennte juristische Berufe, die jeweils verschiedenen berufsrechtlichen Regelungen zugänglich sind.20 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20
Vgl. BVerfGK 7, 312 (317). Umbach/Clemens, Art. 12 Rz. 42; Jarass/Pieroth, Art. 12 Rz. 9. Vgl. BVerfGE 115, 276 (300 f.) – Sportwetten. BVerfGE 7, 377 (397); 78, 179 (193). BVerfGE 13, 97 (106); 75, 246 (265 f.); 78, 179 (193). BVerfGE 21, 173 (180 f.); 75, 246 (266 f.); BVerfGK 5, 91 (94). BVerfGE 78, 179 (193). BVerfGE 7, 377 (397 f.); 39, 334 (369); 73, 301 (315); 84, 133 (147); a.A. Maunz/Dürig/Scholz, Art. 12 Rz. 195 f. BVerfG, Beschl. v. 21.2.1995 – 1 BvR 1397/93; BVerfGE 92, 140 (151); 96, 152 (163). Vgl. BVerfGE 7, 377 (379 f.); 39, 334 (369). Krit. etwa Umbach/Clemens, Art. 12 Rz. 45 m.w.N. BVerfGE 33, 44 (48). BVerfGE 21, 173 (179); 54, 237 (245); 110, 141 (156 f.). BVerfGE 17, 371 (380); 47, 285 (319); 54, 237 (247). BVerfGE 87, 287 (316). BVerfGE 43, 291 (363); 103, 172 (183). BVerfGE 58, 358 (364); 68, 256 (267). BVerfGE 9, 338 (344 f.); 25, 88 (101); 108, 150 (165). BVerfGE 81, 70 (85 f.). BVerfGE 17, 371 (380); 47, 285 (319); 54, 237 (247).
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Art. 12 GG Rz. 21
Berufsfreiheit
3. Berufsausübung 21
Zur Berufsausübung zählt die gesamte berufliche Tätigkeit, namentlich deren Form, Mittel, Umfang und Inhalt.1 Die Erweiterung der Berufstätigkeit ist daher im Regelfall keine Berufswahl, sondern ein Vorgang innerhalb der Berufsausübung.2 Zur Berufsausübung gehört als Wechsel der Ausübungsform auch der Übergang von unselbständiger zu selbständiger Tätigkeit.3 Ferner ist der Bereich der beruflichen Außendarstellung4 einschließlich der Werbung5 hier einzuordnen. Zur beruflichen Außendarstellung gehört auch, dass ein Anwaltsnotar auf seine berufliche Qualifikation als Notar in Geschäftspapieren hinweist.6 Geschützt wird ferner das berufsbezogene Verhalten einzelner Personen oder Unternehmen am Markt.7
22
Nach Maßgabe seiner Funktionsbedingungen ist auch die Teilnahme am Wettbewerb gewährleistet.8 Im Übrigen umfasst die grundrechtliche Gewährleistung jedoch nicht den Schutz vor Einflüssen auf die wettbewerbsbestimmenden Faktoren; diese unterliegen vielmehr dem Risiko laufender Veränderung je nach den Marktverhältnissen.9 Insbesondere umfasst das Grundrecht keinen Anspruch auf Erfolg im Wettbewerb und auf Sicherung künftiger Erwerbsmöglichkeiten.10 Ebenso wenig folgt aus Art. 12 Abs. 1 GG ein Schutz vor Konkurrenten,11 so dass etwa ein Rechtsanwalt die Zulassung eines anderen Rechtsanwalts nicht als Verletzung seiner Berufsfreiheit angreifen kann.
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Hiernach unterliegt die anwaltliche Berufsausübung grundsätzlich der freien und unreglementierten Selbstbestimmung des einzelnen Berufsträgers.12 Auch der Vorstand der Rechtsanwaltskammer kann in die freie anwaltliche Berufsausübung nur auf gesetzlicher Grundlage und nur durch solche Maßnahmen eingreifen, die materiellrechtlich den Anforderungen an eine Berufsausübungsregelung genügen.13
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Besonderheiten gelten für die Berufsausübung eines Rechtsanwalts, der zum Pflichtverteidiger bestellt worden ist. Anders als sonst die Verteidigung in Strafsachen, nimmt die Stellung des Pflichtverteidigers nicht am Schutz der Berufsfreiheit teil; insbesondere gibt es keinen Anspruch eines Rechtsanwalts auf Bestellung zum Pflichtverteidiger.14 Bei der Pflichtverteidigung handelt es sich vielmehr um eine Indienstnahme eines Privaten im öffentlichen Interesse.15 Für die Stellung des Pflichtverteidigers ist die geringere und gesetzlich fixierte Vergütung, die Pflicht zur Übernahme des Mandats und die Pflicht zu höchstpersönlicher Erbringung der beruflichen Leistung, die Auswahl des Pflichtverteidigers durch den Vorsitzenden des Gerichts einschließlich der Möglichkeit seiner Entpflichtung, verbunden mit dem Verlust der Freiheit, das Mandat nach eigenem Ermessen zu beenden, kennzeichnend.16 Dagegen ist die Tätigkeit als Insolvenzverwalter keine Indienstnahme eines Privaten im öffentlichen Interesse.17 Es handelt sich um einen eigenständigen Beruf, der nicht als bloße Nebentätigkeit des Anwaltsberufs, sondern in Kombination mit diesem ausgeübt wird.18 Dies ist bereits für den Zugang zum Bewerberpool zu beachten.19 Die Abwahl des gerichtlich bestellten Insolvenzverwalters ist dagegen vom normativ fixierten Berufsbild des Insolvenzverwalters gedeckt, so dass insoweit der Schutz der Berufsfreiheit nicht beansprucht werden kann.20 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20
Umbach/Clemens, Art. 12 Rz. 50; Jarass/Pieroth, Art. 12 Rz. 10. BVerfGE 16, 286 (296); 68, 272 (281). BVerfGE 7, 377 (398 f.); 103, 172 (183). Vgl. BVerfGE 106, 181 (192). Vgl. BVerfGE 85, 97 (104); BVerfGE 105, 252 (266). BVerfGE 112, 225 (262). BVerfGE 32, 311 (317); 105, 252 (265); 106, 275 (298 f.). BVerfGE 105, 252 (265). BVerfGE 105, 252 (265). Vgl. BVerfGE 24, 236 (251); 34, 252 (256); 105, 252 (265). Vgl. BVerfGE 34, 252 (256); 55, 261 (269). BVerfGE 50, 16 (29); 76, 171 (188, 192); 108, 150 (158). BVerfGE 50, 16 (29). BVerfGE 39, 238 (242). BVerfGE 110, 226 (261). BVerfGE 110, 226 (261). BVerfGE 110, 226 (253). Vgl. BVerfGK 4, 1 (8). Vgl. BVerfGK 4, 1 (9 f.). BVerfGK 5, 91 (93).
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Berufsfreiheit
Rz. 27 Art. 12 GG
4. Arbeitsplatz Neben der freien Wahl des Berufs wird von Art. 12 Abs. 1 GG auch die freie Wahl des Arbeitsplatzes garantiert. Die Arbeitsplatzwahl ist der Berufswahl zeitlich nachgeordnet und konkretisiert diese; der Berufsausübung geht die Arbeitsplatzwahl hingegen voran.1 Im Unterschied zur Berufswahl geht es hier nicht um die Entscheidung, auf welchem Feld die berufliche Betätigung stattfinden soll, sondern um die Entscheidung, an welcher Stelle der gewählte Beruf ausgeübt werden soll. Der Begriff des Arbeitsplatzes ist nicht allein oder auch nur in erster Linie räumlich zu verstehen, es geht vielmehr um die Entscheidung für eine konkrete Betätigungsmöglichkeit oder ein bestimmtes Arbeitsverhältnis.2 Für abhängig Beschäftigte ist damit auch die Wahl des Vertragspartners samt den dazu notwendigen Voraussetzungen, insbesondere der Zutritt zum Arbeitsmarkt, geschützt; geschützt ist außerdem die Entscheidung über die Fortsetzung und die Beendigung einer konkreten Beschäftigung.3 Für Selbständige garantiert die freie Wahl des Arbeitsplatzes die Niederlassungsfreiheit.4 Einen Eingriff in die Freiheit der Arbeitsplatzwahl können für Rechtsanwälte etwa die wirtschaftlichen Erschwernisse bedeuten, die aus Beschränkungen bei einem Sozietätswechsel folgen.5
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5. Ausbildungsstätte Die durch Art. 12 Abs. 1 GG garantierte freie Wahl der Ausbildungsstätte erfasst jede Einrichtung, die der berufsbezogenen Ausbildung dient.6 Hierzu zählen Universitäten, Hochschulen und Fachhochschulen,7 nicht nur für das Erststudium.8 Ferner staatliche Vorbreitungsdienste wie insbesondere das Rechtsreferendariat,9 ferner betriebliche und überbetriebliche Ausbildungslehrgänge, Sprachschulen und Lehrstellen.10 Nach einer umstrittenen Rechtsprechung11 zählen auch weiterführende Schulen, wie die Sekundarstufe II der Gymnasien, zu den Ausbildungsstätten.12 Grundschulden werden mangels eines berufsbezogenen Ausbildungsangebotes hingegen nicht erfasst.13 Die nicht berufsbezogene Ausbildung ist demgegenüber nur durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützt.14
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Der Wortlaut des Art. 12 Abs. 1 GG ist zu eng gefasst; denn nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wird durch diese Norm die Freiheit der berufsbezogenen Ausbildung umfassend und nicht nur hinsichtlich der Wahl der Ausbildungsstätte geschützt.15 Ziel der Ausbildung muss jedoch die Qualifikation für einen Beruf sein.16 Geschützt sind der Zugang zur berufsbezogenen Ausbildung, die Teilnahme an den theoretischen und praktischen Ausbildungsveranstaltungen. Zugang, Verfahrensgestaltung und Inhalte notwendiger berufsqualifizierender Prüfungen sind dagegen nicht an der Ausbildungsfreiheit, sondern an der Freiheit der Berufswahl zu messen.17 Die Ausbildungsfreiheit gibt zunächst ein Abwehrrecht gegen Freiheitsbeschränkungen im Ausbildungswesen,18 darüber hinaus aber auch ein Teilhaberecht (dazu bereits oben Rz. 12) hinsichtlich solcher Ausbildungseinrichtungen, für die der Staat ein faktisches Monopol besitzt, so für die Hochschulen19 und den Referendardienst.20
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1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20
BVerfGE 84, 133 (146). BVerfGE 84, 133 (146); 97, 169 (175). BVerfGE 84, 133 (146); 97, 169 (175). Jarass/Pieroth, Art. 12 Rz. 11. BVerfGE 108, 150 (165). Umbach/Clemens, Art. 12 Rz. 52; Jarass/Pieroth, Art. 12 Rz. 94. BVerfGE 33, 303 (329). BVerfGE 62, 117 (146). BVerfGE 39, 334 (373). Umbach/Clemens, Art. 12 Rz. 52; Jarass/Pieroth, Art. 12 Rz. 94. Vgl. Umbach/Clemens, Art. 12 Rz. 52; Jarass/Pieroth, Art. 12 Rz. 94. BVerfGE 58, 257 (273). Umbach/Clemens, Art. 12 Rz. 52; Jarass/Pieroth, Art. 12 Rz. 94. Vgl. BVerfGE 59, 172 (206). Umbach/Clemens, Art. 12 Rz. 52; Jarass/Pieroth, Art. 12 Rz. 93. Vgl. BVerfGE 59, 172 (205). Vgl. BVerfGE 84, 34 (45); a.A. Jarass/Pieroth, Art. 12 Rz. 98. BVerfGE 33, 303 (329). Grundlegend BVerfGE 33, 303 (331 f.). Vgl. BVerfGE 39, 334 (373).
Gaier 61
Art. 12 GG Rz. 28
Berufsfreiheit
III. Schutzbereichrelevante Maßnahmen 1. Eingriff in die Berufsfreiheit a) Berufsbezogene Rechtsakte 28
Eingriffe in die Berufsfreiheit können in erster Linie durch Rechtsakte, also durch Gesetz, Verwaltungsakt oder Urteil, erfolgen. Solche Rechtsakte können als finale Grundrechtseingriffe ergehen,1 indem sie die berufliche Tätigkeit ganz oder teilweise unterbinden, oder auch nur verhindern, dass der Beruf in der von den Berufsträgern gewünschten Weise ausgeübt werden kann.2 Für nichtselbständige Berufsträger kommen zudem Regelungen in Betracht, die dazu zwingen, einen bestimmten Arbeitsplatz anzunehmen, nicht anzunehmen oder aufzugeben.3 Für Rechtsanwälte sind derart berufsbezogene Rechtsakte etwa die Regelung der Kanzleipflicht (§ 27 BRAO),4 die gesetzlichen Vergütungsvorschriften – insbesondere des RVG –, die Rechtsanwälte daran hindern, die Vergütung für ihre berufliche Tätigkeit „in der gewünschten Weise festzusetzen und abzurechnen“5 oder auch nur die Durchsetzung von Vergütungsansprüchen beschränken.6 Auch die Indienstnahme, also die Heranziehung eines Berufsträgers zur Erfüllung von Aufgaben im öffentlichen Interesse, etwa als Pflichtverteidiger,7 zählt hierher.8 b) Mittelbar berufsregelnde Rechtsakte
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Solche Rechtsakte zielen nicht auf eine Beschränkung der Berufsfreiheit, stellen also keinen finalen Grundrechtseingriff dar. Sie stehen jedoch infolge ihrer Gestaltung in einem engen Zusammenhang mit der Ausübung eines Berufes und lassen – objektiv – eine berufsregelnde Tendenz deutlich erkennen.9 Entscheidend sind danach die tatsächlichen Auswirkungen einer Regelung, weshalb es an einer berufsregelnden Tendenz fehlt, wenn eine berufliche Tätigkeit weder unterbunden noch nennenswert erschwert wird.10 Ist im konkreten Fall eine berufsregelnde Tendenz nicht gegeben, so kann nach der – allerdings umstrittenen11 – Rechtsprechung des BVerfG die allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG in ihrer Ausgestaltung als wirtschaftliche Betätigungsfreiheit berührt sein.12 Berufsregelnde Tendenz kann namentlich staatlicher Planung und Subventionierung zukommen,13 ferner solchen Maßnahmen, durch die der Wettbewerb beeinflusst und dadurch die Ausübung einer beruflichen Tätigkeit behindert wird.14
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Wegen fehlender berufsregelnder Tendenz verneint die Rechtsprechung den Schutzbereich der Berufsfreiheit grundsätzlich bei staatlich auferlegten Zahlungspflichten wie Steuern,15 Sozial-16 und sonstige Abgaben.17 Berufsregelnde Tendenz wird im aller Regel bei den allgemeinen Steuergesetzen zu verneinen sein, weil sie als Normen mit einem unspezifischen Adressatenkreis ohne unmittelbare Beziehung zu einem Beruf an generelle Merkmale wie Gewinn, Ertrag, Umsatz oder Vermögen anknüpfen; das gilt auch für das Einkommensteuergesetz, das undifferenziert unter anderem Einkünfte aus erwerbswirtschaftlicher Tätigkeit und sonstige Einkünfte erfasst.18 Allerdings sind auch berufsregelnde Steuergesetze möglich.19 Berufsregelnde Tendenz fehlt ferner bei solchen Regelungen, die Rechtsanwälte als Inhaber von Ehrenämtern durch Vertretungsverbote bei der Berufsausübung beschrän1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19
Vgl. Umbach/Clemens, Art. 12 Rz. 54; Sachs/Tettinger, Art. 12 Rz. 71. Vgl. BVerfGE 82, 209 (223). BVerfGE 85, 360 (373). Vgl. BVerfGE 72, 26 (30 f.). Vgl. BVerfGE 83, 1 (13); vgl. auch BVerfGE 101, 331 (347). Vgl. BVerfGE 88, 145 (159). BVerfGE 110, 226 (261). Vgl. Jarass/Pieroth, Art. 12 Rz. 14. BVerfGE 13, 181 (186); vgl. auch 95, 267 (302); 97, 228 (254). Vgl. BVerfGE 81, 108 (122). Krit. etwa Maunz/Dürig/Scholz, Art. 12 Rz. 115; Umbach/Clemens, Art. 12 Rz. 55. BVerfGE 37, 1 (18); 55, 7 (27). Vgl. BVerfGE 82, 209 (224). Vgl. BVerfGE 86, 28 (37). Vgl. BVerfGE 81, 108 (121). Vgl. BVerfGE 55, 7 (26); 75, 108 (153 f.). Vgl. BVerfGE 37, 1 (17); 98, 83 (97). BVerfGE 47, 1 (21). So in BVerfGE 38, 61 (85) – Straßengüterverkehrsteuer.
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Berufsfreiheit
Rz. 33 Art. 12 GG
ken.1 Auch dem allgemeinen vertraglichen und deliktischen Haftungsrecht fehlt Berufsbezug; dies gilt selbst dann, wenn es zur Begründung von Schadensersatzansprüchen aus beruflichen Tätigkeiten herangezogen werden kann.2 c) Faktische Beeinträchtigungen Beeinträchtigungen der Berufsfreiheit sind ferner durch faktische Einwirkungen, nämlich durch Verwaltungsvorschriften,3 Realakte und insbesondere Informationshandeln4 möglich.5 Damit für die Überprüfung solcher Maßnahmen Art. 12 Abs. 1 GG herangezogen werden kann, ist aber wiederum notwendig, dass sie eine objektiv berufsregelnde Tendenz erkennen lassen.6 Außerdem ist der Schutzbereich der Berufsfreiheit berührt, wenn ein staatliches Tätigwerden in der Zielsetzung und seinen Wirkungen Ersatz für eine staatliche Maßnahme ist, die als Grundrechtseingriff zu qualifizieren wäre.7 Das BVerfG spricht hier von einem „funktionalen Äquivalents eines Eingriffs“ oder einer „eingriffsgleichen Maßnahme“.8 Die für die Grundrechtsbindung maßgebende eingriffsgleiche Wirkung einer staatlichen Maßnahme fehlt allerdings, wenn die mittelbaren Folgen lediglich ein Reflex einer anderweit ausgerichteten gesetzlichen Regelung sind.9 Daher stellt ein staatliches Informationshandeln auch bei nachteiligen Folgen keinen Eingriff in die Berufsfreiheit dar, wenn lediglich zutreffende und sachlich gehaltene Informationen über marktrelevante Faktoren verbreitet werden.10 Faktische Beeinträchtigungen können auch durch staatliches Handeln erfolgen, das den Wettbewerb beeinflusst, wie etwa die Begünstigung eines Konkurrenten.11 Hingegen sind Akte der öffentlichen Gewalt bei berufsneutraler Zwecksetzung nicht an Art. 12 Abs. 1 GG zu messen.12
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2. Unterlassen von Schutz a) Unterlassen von Leistungen Wie bereits oben (Rz. 10) ausgeführt wurde, begründet der objektive Gehalt des Grundrechts der Berufsfreiheit eine Schutzpflicht, auf Grund derer es dem Staat obliegt, die berufliche Freiheitssphäre aktiv zu schützen und zu sichern.13 Bestimmte Anforderungen an die Art und das Maß des Schutzes lassen sich der Verfassung aber grundsätzlich nicht entnehmen, vielmehr besteht bei der Erfüllung von Schutzpflichten ein weiter Gestaltungsraum. Leistungsansprüche können deshalb aus Art. 12 Abs. 1 GG regelmäßig nicht hergeleitet werden (vgl. zu den Einzelheiten oben Rz. 10). Eine wichtige Ausnahme stellt das (derivative) Teilhaberecht14 dar, das im Zusammenwirken mit dem Gleichheitssatz und dem Sozialstaatsprinzip für solche Ausbildungseinrichtungen angenommen wird, für die der Staat ein faktisches Monopol besitzt, so für die Hochschulen15 und den Referendardienst16 (vgl. zu den Einzelheiten oben Rz. 12).
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b) Beeinträchtigungen auf privatrechtlicher Grundlage Das BVerfG vertritt in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass den Grundrechten mittelbare Drittwirkung beizulegen ist.17 Danach hat das GG mit seinem Grundrechtsabschnitt eine objektive Wertordnung geschaffen, die auch das Privatrecht beeinflusst. Die materielle Wertentscheidung des GG führt mithin zu einer Ausstrahlungswirkung der Grundrechte auch auf das Zivilrecht.18 Jede privatrechtliche Vorschrift muss deshalb im 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18
Vgl. BVerfGE 41, 231 (241). BVerfGE 96, 375 (397). Vgl. Jarass/Pieroth, Art. 12 Rz. 17; Sachs/Tettinger, Art. 12 Rz. 72. Vgl. BVerfGE 105, 252 (265); BVerfGE 106, 275 (302). Vgl. Jarass/Pieroth, Art. 12 Rz. 18 f.; Sachs/Tettinger, Art. 12 Rz. 72. Vgl. etwa BVerfGE 98, 218 (258). Vgl. BVerfGE 105, 252 (273). Vgl. BVerfGE 116, 202 (222). Vgl. BVerfGE 106, 275 (302); 116, 202 (222). BVerfGE 105, 252 (265); 106, 275 (302). Vgl. BVerfGE 82, 209 (223 f.); Jarass/Pieroth, Art. 12 Rz. 22. Vgl. Sachs/Tettinger, Art. 12 Rz. 74. BVerfGE 92, 26 (46). Vgl. Sachs/Tettinger, Art. 12 Rz. 11. Grundlegend BVerfGE 33, 303 (331 f.). Vgl. BVerfGE 39, 334 (373). Grundlegend BVerfGE 7, 198 (205) – Fall Lüth; vgl. ferner 42, 143 (148); 89, 214 (229). Vgl. Sachs/Tettinger, Art. 12 Rz. 14; BVerfGE 92, 140 (152 f.); 96, 152 (164).
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Art. 12 GG Rz. 34
Berufsfreiheit
Sinne des damit geschaffenen Wertesystems angewandt und ausgelegt werden, wobei den Generalklauseln des bürgerlichen Rechts (insbesondere §§ 138, 242 BGB) besondere Bedeutung zukommt. Deshalb kann Art. 12 Abs. 1 GG verletzt sein, wenn bei Auslegung oder Anwendung privatrechtlicher Vorschriften Fehler unterlaufen sind, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von Bedeutung und Tragweite der Berufsfreiheit beruhen.1 34
Auch der Gesetzgeber kann verpflichtet sein, zum Schutz der Berufsfreiheit aktiv zu werden. Insbesondere hat der Staat das Privatrecht so zu gestalten, dass die in den Grundrechten verkörperte objektive Ordnung gewahrt wird, die für alle Bereiche des Rechts gilt. Soweit die Privatautonomie ihre regulierende Kraft nicht zu entfalten vermag, weil ein Vertragspartner kraft seines Übergewichts Vertragsbestimmungen einseitig setzen kann, müssen staatliche Regelungen ausgleichend eingreifen, um den Grundrechtsschutz zu sichern.2 Deshalb kann eine Verpflichtung zum Tätigwerden insbesondere dann bestehen, wenn wegen des Fehlens eines annähernden Kräftegleichgewichts der Beteiligten das Vertragsrecht keinen sachgerechten Interessenausgleich gewährleisten kann. Auf dieser Grundlage hat das BVerfG im Handelsvertreterrecht gefordert, dass der Gesetzgeber im Zivilrecht Vorkehrungen zum Schutz der Berufsfreiheit gegen vertragliche Beschränkungen trifft.3 Um sozialen oder wirtschaftlichen Ungleichgewichten entgegenzuwirken, kann das Gesetz auch Vergütungen der Privatautonomie entziehen.4 Dagegen nimmt die Rechtsprechung hinsichtlich des Erhalts von Arbeitsplätzen bisher an, dass der Schutzpflicht durch die geltenden Kündigungsvorschriften ausreichend Rechnung getragen ist.5 IV. Schranken der Berufsfreiheit 1. Gesetzesvorbehalt aus Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG a) Geltungsbereich
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Auf der Grundlage der Annahme eines einheitlichen Grundrechts der Berufsfreiheit (dazu oben Rz. 3) geht das BVerfG seit dem Apothekenurteil in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass sich die in Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG vorgesehene Regelungsbefugnis nicht nur auf die Berufsausübung, sondern auch auf die Berufswahl erstreckt.6 Die herrschende Auffassung in der Literatur teilt diese Ansicht.7 Allerdings ist die Eingriffstiefe unterschiedlich. Da die Regelungsbefugnis nur um der Berufsausübung willen gegeben ist, darf der Gesetzgeber auch nur unter diesem „Blickpunkt“ auch in die Freiheit der Berufswahl eingreifen; er ist also in seinen Gestaltungsmöglichkeiten umso freier, als er eine reine Ausübungsregelung trifft, und umso begrenzter, je mehr auch die Berufswahl berührt wird.8 Diese Unterscheidung führt zu differenzierten Anforderungen bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung (dazu unten Rz. 41–53). Im Ansatz geht das BVerfG danach von einem einheitlichen Grundrecht der Berufsfreiheit aus, das Berufswahl und Berufsausübung als besondere Ausprägungen der Berufsfreiheit, aber auch die Berufsausbildung als Voraussetzung beruflicher Tätigkeit umfasst.9 Konsequent sieht das BVerfG daher in Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG einen Gesetzesvorbehalt,10 der den gesamten Bereich der Berufsfreiheit einschließlich der Berufswahl11 und der Wahl der Ausbildungsstätte12 erfasst. b) Formelle Voraussetzungen
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Eingriffe in die Berufsfreiheit sind nur auf gesetzlicher Grundlage zulässig, also durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes (vgl. Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG). Dies gilt auch, soweit für staatlich gebundene Berufe Sonderregelungen in Anlehnung an Art. 33 GG möglich sind.13 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13
Vgl. BVerfGE 81, 242 (253); 102, 347 (362); 103, 89 (100). BVerfGE 98, 365 (395). BVerfGE 81, 242 (255). Vgl. BVerfG, NJW 2014, 46 (47, Rz. 68). BVerfGE 97, 169 (175) m.w.N. BVerfGE 7, 377 (401). Vgl. etwa Dreier/Wieland, Art. 12 Rz. 95. Vgl. BVerfGE 7, 377 (402 f.). Vgl. BVerfGE 33, 303 (333). So ausdrücklich BVerfGE 54, 224 (234); 54, 237 (246). BVerfGE 7, 377 (401 f.); 54, 237 (246). BVerfGE 33, 303 (336). Vgl. BVerfGE 73, 280 (294 f.); 80, 257 (265); 110, 304 (321); 131, 130 (145).
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Berufsfreiheit
Rz. 38 Art. 12 GG
Das Zitiergebot aus Art. 19 Abs. 1 GG gilt nicht, weil es sich um Regelungen und nicht um Einschränkungen der Berufsfreiheit handelt.1 Die Norm muss kompetenzgemäß erlassen sein.2 Sie muss außerdem den allgemeinen rechtsstaatlichen Voraussetzungen insbesondere hinsichtlich der Bestimmtheit gerecht werden.3 Umfang und Grenzen des Eingriffs in die Berufsfreiheit müssen deutlich erkennbar sein,4 wobei sich diese Anforderungen mit der Intensität des Engriffs steigern.5 Bei bloßen Berufsausübungsregelungen sind die Anforderungen daher weniger streng.6 Für faktische Beeinträchtigungen der Berufsfreiheit wird eine gesetzliche Grundlage für den Fall ihrer Voraussehbarkeit gefordert.7 Das BVerfG verzichtet in Ausnahmefällen für eine Übergangszeit auf das Vorliegen einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage, wenn die Folgen der Nichtigerklärung der verfassungsmäßigen Ordnung noch ferner stünden als der bisherige, unzureichend geregelte Rechtszustand.8
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Da – wie Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG seit 1968 auch ausdrücklich bestimmt – eine Regelung „auf Grund“ eines Gesetzes genügt, setzt eine Beschränkung der Berufsfreiheit nicht in jedem Fall ein formelles (also Parlaments-)Gesetz voraus, sondern kann grundsätzlich auch durch untergesetzliche Vorschriften, nämlich Rechtsverordnung oder Satzung erfolgen.9 Allerdings erfordert der Parlamentsvorbehalt, dass alle für die Grundrechtsausübung wesentlichen Fragen durch den unmittelbar demokratisch legitimierten Gesetzgeber selbst zu treffen sind.10 Danach bestehen gegen Berufsausübungsregelungen in Gestalt von Satzungen öffentlich-rechtlicher Berufsverbände grundsätzlich keine verfassungsrechtlichen Bedenken.11 Das zulässige Ausmaß von Beschränkungen hängt jedoch im Einzelnen von der Intensität des Eingriffs ab: Es muss vom Gesetzgeber den Berufsverbänden in der Ermächtigung umso deutlicher vorgegeben werden, je empfindlicher Berufsangehörige in ihrer freien beruflichen Betätigung beeinträchtigt werden.12 Danach können statusbildende Regelungen nicht durch Satzungsrecht erfolgen, sondern bleiben einem förmlichen Gesetz vorbehalten.13 Am ehesten darf ein Berufsverband zur Normierung solcher Berufspflichten ermächtigt werden, die lediglich in die Freiheit der Berufsausübung von Verbandsmitgliedern eingreifen.14 In diesem Zusammenhang wurde statusbildender Inhalt für die Regelungen zur Fachanwaltsbezeichnung verneint.15 Geeignet für eine eigenverantwortliche Ordnung durch Satzungsrecht der Berufsverbände sind etwa die herkömmlichen Beschränkungen der Werbefreiheit.16 Auch reichen Ermächtigungsnormen, die einer mit Autonomie ausgestatteten Körperschaft Regelungsspielräume zur Bestimmung von Berufspflichten eröffnen, die sich über den Berufsstand hinaus auf die Interessen der Allgemeinheit auswirken, nur so weit, wie der Gesetzgeber erkennbar selbst eine solche Rechtsgestaltung vorgesehen hat.17 Aus diesem Grund hat das BVerfG eine hinreichende Ermächtigung zum Erlass von Satzungsrecht, das die Erwirkung eines Versäumnisurteils von einer vorherigen Ankündigung gegenüber dem gegnerischen Anwalt abhängig macht, verneint und § 13 a.F. BORA für mit Art. 12 Abs. 1 GG unvereinbar und nichtig erklärt.18 Macht ein Berufsverband von seiner Satzungskompetenz Gebrauch, so unterliegt er bei Eingriffen in die Berufsfreiheit nicht etwa einer weniger strengen Kontrolle, sondern denselben Grenzen wie der Parlamentsgesetzgeber.19 Bei Lücken der gesetzlichen Regelung kann sich eine ausreichende gesetzliche Grundlage auch aus richterlicher Rechtsfortbildung ergeben; umgekehrt können Veränderungen sozialer Verhältnisse, gesellschaftpolitischer Anschauungen und rechtlicher Rahmenbedingungen dazu führen,
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1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19
Vgl. BVerfGE 64, 72 (80 f.). Vgl. BVerfGE 102, 197 (213). Vgl. BVerfGE 34, 293 (302); 82, 209 (224). Vgl. BVerfGE 82, 209 (224). BVerfGE 87, 287 (317); 98, 49 (60). Vgl. BVerfGE 54, 237 (247 f.). Vgl. Jarass/Pieroth, Art. 12 Rz. 28. Vgl. BVerfGE 73, 280 (297). Vgl. Sachs/Tettinger, Art. 12 Rz. 85; Jarass/Pieroth, Art. 12 Rz. 30. Vgl. BVerfGE 73, 280 (295); 80, 1 (20); 82, 209 (224). Vgl. BVerfGE 71, 162 (172 f.); 94, 372 (390). BVerfGE 94, 372 (390); BVerfGE 101, 312 (322 f.). Vgl. BVerfGE 33, 125 (158, 163); 76, 171 (185). BVerfGE 76, 171 (185). BVerfGE 57, 121 (132). BVerfGE 94, 372 (390). BVerfGE 101, 312 (323). BVerfGE 101 (312). Vgl. Sachs/Tettinger, Art. 12 Rz. 93.
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Art. 12 GG Rz. 39
Berufsfreiheit
dass einer bisherigen Gesetzesinterpretation oder Rechtsfortbildung die Grundlage entzogen wird.1 Eine nicht auf dem Weg der Auslegung gewonnene originäre richterliche Rechtsschöpfung wird hingegen nicht mehr den formellen Anforderungen an eine gesetzliche Grundlage gerecht.2 39
Als gesetzliche Grundlage reichen Standesrichtlinien nicht aus.3 Allerdings sah das BVerfG in den „Grundsätzen für das anwaltliche Standesrecht“ zunächst ein wesentliches Hilfsmittel für die Konkretisierung der anwaltlichen Berufspflichten.4 Die Richtlinien wurden als eine wesentliche Erkenntnisquelle dafür angesehen, was im Einzelfall „nach der Auffassung angesehener und erfahrener Standesgenossen der Meinung aller anständig und gerecht denkenden Anwälte und der Würde des Standes“ entspreche. Sie sollten Auskunft darüber geben, wonach der Anwalt sich in Ausübung seines Berufes nach Ansicht seiner Standesgenossen zu richten habe.5 Diese Rechtsprechung hat das BVerfG jedoch 1987 wegen des Fehlens einer gesetzlichen Grundlage aufgegeben6 und die Schaffung einer Berufsordnung in Gestalt von Satzungsrecht gefordert; bis zu deren Einführung konnte auch weiterhin auf die Standesrichtlinien zur Konkretisierung der Generalklausel zurückgegriffen werden, vorausgesetzt allerdings, dass dies zur Aufrechterhaltung einer funktionsfähigen Rechtspflege unerlässlich war.7 Der Gesetzgeber hat hierauf 1994 durch das Gesetz zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und Patentanwälte reagiert und insbesondere die Regelungen zu den Berufspflichten nach §§ 43a ff., zur Satzungskompetenz nach § 59b und zur Satzungsversammlung nach §§ 191a ff. in die BRAO eingefügt.
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Bloße Verwaltungsvorschriften reichen ebenfalls nicht als Eingriffsgrundlage aus.8 Ebenso wenig genügt nachkonstitutionelles Gewohnheitsrecht.9 Für vorkonstitutionelles Gewohnheitsrecht hat das BVerfG hingegen angenommen, dass insoweit nicht das Erfordernis eines formellen Gesetzes nach Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG gelten soll;10 dies wird in der Literatur zunehmend mit überzeugenden Gründen in Frage gestellt.11 2. Materielle Anforderungen für die Rechtfertigung von Beeinträchtigungen der engeren Berufsfreiheit (Stufenlehre und Verhältnismäßigkeit) a) Grundsätzliches
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Beeinträchtigungen der Berufsfreiheit sind von der Verfassung nicht gedeckt, wenn sie nicht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen. Zur strikten Anwendung dieses Prinzips12 hat das BVerfG bereits im Apotheken-Urteil13 eine Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in Gestalt der Dreistufentheorie entwickelt. Danach gelten für die Rechtfertigung einer Beeinträchtigung der Berufsfreiheit im engeren Sinne mit wachsender Intensität höhere Anforderungen insbesondere für die hiermit verfolgten Gemeinwohlbelange. Auszugehen ist von dem einheitlichen Grundrecht der Berufsfreiheit, das in dreierlei Hinsicht beeinträchtigt werden kann: in einer ersten Stufe im Bereich der Berufsausübung, in einer zweiten Stufe durch subjektive Berufswahlbeschränkungen und schließlich in einer dritten Stufe durch objektive Berufswahlbeschränkungen.
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Beeinträchtigungen der Berufsfreiheit sind nur zulässig, wenn sie dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechen, also das gewählte Mittel zur Erreichung des verfolgten Zwecks – erstens – geeignet und – zweitens – auch erforderlich ist und – drittens – bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit (gleichbedeutend: Angemessenheit oder Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne) noch gewahrt ist.14 Nach dem heutigen Stand der Rechtspre1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14
Vgl. BVerfGE 98, 49 (59 f.). Vgl. BVerfGE 80, 257 (266 f.). BVerfGE 36, 212 (217); 76, 171 (185 f.). BVerfGE 36, 212 (217 f.); 57, 121 (132 f.); 66, 337 (356). So die Darstellung in BVerfGE 76, 171 (187). BVerfGE 76, 171 (187). BVerfGE 76, 171 (189); vgl. auch 76, 196 (205); 82, 18 (26). Vgl. Sachs/Tettinger, Art. 12 Rz. 95; Jarass/Pieroth, Art. 12 Rz. 30. BVerfGE 22, 114 (122); 76, 171 (188). BVerfGE 15, 226 (233); 60, 215 (229 f.). Vgl. etwa Dreier/Wieland, Art. 12 Rz. 100; Jarass/Pieroth, Art. 12 Rz. 30; auch Sachs/Tettinger, Art. 12 Rz. 94. Vgl. BVerfGE 25, 1 (12); 46, 120 (138). BVerfGE 7, 377 (401, 403, 405 ff.). Vgl. etwa BVerfGE 106, 181 (192); 112, 255 (263).
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Berufsfreiheit
Rz. 45 Art. 12 GG
chung des BVerfG ist die Stufenlehre keine abschließende Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, sondern Teil einer umfassenden Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer Beeinträchtigung der Berufsfreiheit.1 Dabei wird in einem ersten Schritt die konkrete Beeinträchtigung der Berufsfreiheit einer der drei Stufen zugeordnet, um in einem zweiten Schritt eine stufenspezifische Verhältnismäßigkeitsprüfung anzuschließen, die besonderen Anforderungen der betroffenen Stufe Rechnung trägt.2 Eine Flexibilisierung der bisweilen als zu starr kritisierten Stufenlehre erreicht das BVerfG zudem dadurch, dass Beeinträchtigungen, die in ihren Wirkungen einer höheren Stufe nahe kommen, an den Maßstäben der höheren Stufe gemessen werden.3 In jüngerer Zeit verzichtet das BVerfG zunehmend auf eine Kategorisierung nach der Stufenlehre und wendet stattdessen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz direkt an. b) Beschränkungen der Berufsausübung aa) Berufsausübungsregelungen Am wenigsten intensiv ist die Beeinträchtigung der Berufsfreiheit im Bereich der Berufsausübung. Hier ist nicht das „Ob“, sondern das „Wie“ beruflicher Tätigkeit betroffen.4 Hierher zählen insbesondere Beeinträchtigungen der beruflichen Außendarstellung wie Werbebeschränkungen und Werbeverbote,5 etwa auch für Rechtsanwälte,6 ferner Sozietätsverbote für Angehörige bestimmter freier Berufe,7 der Ausschluss eines Rechtsanwalts als Verteidiger in einem Strafverfahren,8 Beschränkungen der Postulationsfähigkeit von Rechtsanwälten durch Zulassungsvoraussetzungen für ein bestimmtes Gericht.9 Im Einzelfall kann die Abgrenzung schwierig sein, ob das von einer Regelung betroffene Tätigkeitsfeld nur eine Modalität eines bestimmten Berufes darstellt oder eine eigenen Beruf beschreibt; im ersten Fall wäre die Berufsausübung, im zweiten Fall die Berufswahl berührt.10 Gerade in solchen Konstellationen kann die stufenspezifische zugunsten einer umfassenden Verhältnismäßigkeitsprüfung aufgegeben werden.11 In ähnlicher Weise verfährt das BVerfG bei Berufsausübungsregelungen, die in ihren Auswirkungen einer Beschränkung der Berufswahl „nahe kommen.“12
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Regelungen der Berufsausübung können derart tiefgreifend sein, dass sie einer Beschränkung der Berufswahl gleichstehen. So etwa, wenn die wirtschaftlichen Folgen einer Berufsausübungsregelung dazu führt, dass die betroffenen Berufsangehörigen in aller Regel und nicht nur in Ausnahmefällen wirtschaftlich nicht mehr in der Lage sind, den gewählten Beruf zur Grundlage ihrer Lebensführung zu machen.13 Auch eine Regelung in die freie Wahl des Arbeitsplatzes kann mit ähnlicher Wirkung eingreifen wie eine objektive Zulassungsschranke in die Freiheit der Berufswahl. In solchen Fällen sind für die Rechtfertigung der Beschränkung der Berufsausübungsfreiheit die Anforderungen für eine subjektive oder objektive Berufszulassungsregelung maßgebend.14 Anders jedoch, wenn – wie bei einer Erschwerung des Kanzleiwechsels für Rechtsanwälte – die Berufsausübungsregelung nur für einen vorübergehenden Zeitraum Folgen hat, die einer Berufswahlregelung nahe kommen; in solchen Fällen müssen die einschneidenden Folgen der Regelung durch ausreichend gewichtige Gemeinwohlinteressen gedeckt sein.15
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Auch durch die dem Gesetzgeber überlassene normative Fixierung von Berufsbildern (vgl. oben Rz. 17) kann nicht nur die Berufsausübung, sondern auch die Berufswahlfreiheit berührt werden. Deshalb gelten auch hier ohne jede Einschränkung die Grundsätze der Stu-
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1 Vgl. Sachs/Tettinger, Art. 12 Rz. 114 f.; bei der von Tettinger, angesprochenen Rechtsprechungsvariante einer Kumulierung von Stufenlehre und Verhältnismäßigkeitsprüfung handelt es sich nur um eine Abweichung in der Formulierung ohne Unterschied in der Sache selbst. 2 Vgl. etwa BVerfGE 73, 301 (315 ff.); 112, 255 (262). 3 Vgl. Sachs/Tettinger, Art. 12 Rz. 118 f. 4 Vgl. Dreier/Wieland, Art. 12 Rz. 84. 5 Vgl. BVerfGE 60, 215 (229); 65, 237 (245); 71, 162 (173); 85, 248 (256). 6 Vgl. BVerfGE 57, 121 (136) (inhaltlich jedoch überholt). 7 Vgl. BVerfGE 98, 49 (62). 8 Vgl. BVerfGE 43, 79 (90). 9 Vgl. BVerfGE 93, 362 (371); 103, 1 (9); 106, 216 (219). 10 Vgl. das Beispiel des Vertragsarztes als bloße Modalität des Arztberufes bei Jarass/Pieroth, Art. 12 Rz. 39. 11 Vgl. Dreier/Wieland, Art. 12 Rz. 118; Jarass/Pieroth, Art. 12 Rz. 37. 12 Vgl. etwa BVerfGE 33, 1 (34 f.); 82, 209 (229 f.). 13 BVerfGE 13, 181 (187); 68, 155 (170 f.). 14 Vgl. Jarass/Pieroth, Art. 12 Rz. 37. 15 Vgl. BVerfGE 108, 150 (168).
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Art. 12 GG Rz. 46
Berufsfreiheit
fenlehre.1 Soweit der Gesetzgeber ein tradiertes Berufsbild den veränderten Umständen anpasst, muss er zudem das schutzwürdige Vertrauen der in überkommenen Berufen Tätigen berücksichtigen.2 Dies führt zusammen mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Regelfall zur Notwendigkeit einer angemessenen Übergangsregelung für diejenigen, die eine künftig unzulässige Tätigkeit in der Vergangenheit bereits in zulässiger Weise ausgeübt hatten.3 Entbehrlich ist eine Übergangsregelung allerdings, wenn akute Missstände in der Berufswelt unterbunden werden sollen.4 bb) Rechtfertigung von Beschränkungen der Berufsausübung 46
Nach der gängigen Formulierung des BVerfG können Beschränkungen allein der Berufsausübung durch jede vernünftige Erwägung des Gemeinwohls legitimiert sein.5 Dabei werden auch Gesichtspunkt der Zweckmäßigkeit „in weitem Maße“ akzeptiert;6 ferner wird dem Gesetzgeber bei der Festlegung der verfolgten berufs-, arbeits-, sozial- und wirtschaftspolitischen Ziele ein weiter Gestaltungsspielraum eingeräumt.7 Besonders groß ist seine Gestaltungsfreiheit, wenn die angegriffene Regelung keinen unmittelbar berufsregelnden Charakter hat, sondern lediglich an bestimmte Konstellationen im Arbeitsverhältnis eine berufsunspezifische Kostenlast knüpft.8 Der Gesetzgeber hat außerdem einen Beurteilungsspielraum, der sich sowohl auf die Festlegung der Regelungsziele,9 als auch auf die Prognose und Einschätzung der drohenden Gefahren sowie auf die Eignung und Erforderlichkeit des gewählten Mittels zur Erreichung der von ihm verfolgten Ziele richtet.10 Der Beurteilungsspielraum des Gesetzgebers ist erst überschritten, wenn die gesetzgeberischen Erwägungen so offensichtlich fehlsam sind, dass sie vernünftigerweise keine Grundlage für derartige Maßnahmen abgeben können.11 Konnte sich der Gesetzgeber über die tatsächlichen Voraussetzungen oder die Auswirkungen einer Regelung im Zeitpunkt ihres Erlasses noch kein ausreichend zuverlässiges Urteil bilden, so muss er die weitere Entwicklung beobachten, die Norm überprüfen und ggf. revidieren, falls sich erweist, dass die ihr zugrunde liegenden Annahmen nicht mehr zutreffen.12 Zumindest bei komplexen und sich entwickelnden Sachverhalten ist dem Gesetzgeber hierfür ein Anpassungsspielraum zuzubilligen. Dieser erstreckt sich über einen angemessenen Zeitraum, damit der Gesetzgeber Erfahrungen sammeln, Klarheit gewinnen und Mängeln einer Regelung abhelfen kann.13 Lediglich einer besseren Übersicht, nicht jedoch der Hierarchisierung dient die in der Literatur vertretene Unterscheidung der Gemeinwohlbelange in drei Gruppen.14 Die erste Gruppe umfasst den Schutz vorstaatlicher Rechtsgüter wie etwa die Volksgesundheit, das Leben und die Gesundheit Drittbetroffener. Eine zweite Gruppe umschreibt die sozialstaatlich fundierten Gemeinwohlbelange wie die Versorgung der Bevölkerung mit lebenswichtigen Gütern und Dienstleistungen, den Verbraucherschutz und den Schutz des Wettbewerbs. Die dritte Gruppe soll den gesetzlich konstituierten Gemeinwohlbelangen dienen, zu denen etwa der Bestand und die Funktionsfunktionsfähigkeit öffentlicher Institutionen gezählt werden.
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Vernünftige Erwägungen als solche reichen allerdings für eine Rechtfertigung noch nicht aus; die Beeinträchtigung der Berufsfreiheit muss vielmehr auch einer strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung Stand halten.15 Danach muss das gewählte, die Berufsfreiheit beeinträchtigende Mittel zur Erreichung des verfolgten Zwecks geeignet und auch erforderlich sein; außerdem muss eine Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe zu dem Ergebnis führen, dass die Grenze der Zumutbarkeit noch gewahrt ist.16 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16
Vgl. BVerfGE 75, 246 (266 f.); 78, 179 (193); Jarass/Pieroth, Art. 12 Rz. 38. BVerfGE 78, 179 (193). BVerfGE 33, 1 (22 f.); 68, 272 (284); 98, 265 (309 f.). BVerfGE 33, 1 (34); 98, 265 (309 f.). Vgl. etwa BVerfGE 7, 377 (405 f.); 70, 1 (28); 85, 248 (259); 103, 1 (10). BVerfGE 7, 377 (406); 77, 308 (322). Vgl. BVerfGE 37, 1 (20); 109, 64 (85). Vgl. BVerfGE 46, 120 (145); 77, 308 (332); 109, 64 (85). Vgl. BVerfGE 110, 141 (157). BVerfGE 77, 84 (106); 110, 141 (157). BVerfGE 30, 292 (317); 37, 1 (20); 77, 84 (106); 110, 141 (158). BVerfGE 25, 1 (12 f.); 95, 267 (314); 110, 141 (158). BVerfGE 25, 1 (12 f.); 110, 141 (158). Zum Ganzen: Dreier/Wieland, Art. 12 Rz. 119. Vgl. etwa BVerfGE 112, 255 (262 f.). BVerfGE 103, 1 (10); 106, 181 (191 f.).
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Berufsfreiheit
Rz. 50 Art. 12 GG
Die Eignung des eingesetzten Mittels setzt nicht voraus, dass es sich um die bestmögliche Maßnahme handelt; vielmehr ist die Eignung eines Mittels bereits dann zu bejahen, wenn mit seiner Hilfe der angestrebte Erfolg gefördert werden kann.1 Zudem dürfen auch Eingriffe in die Freiheit der Berufsausübung nicht weiter gehen, als es die sie legitimierenden öffentlichen Interessen erfordern.2 Die Erforderlichkeit ist gegeben, wenn eine mildere Alternative nicht eröffnet ist. Es darf kein alternatives Mittel zur Verfügung stehen, das die Berufsfreiheit weniger fühlbar einschränkt, aber gleich wirksam ist.3 Außerdem muss die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne (Angemessenheit, Zumutbarkeit) zu bejahen sein. Hierfür ist entscheidend, dass Eingriffszweck, also der verfolgte Gemeinwohlbelang, und Eingriffsintensität, also die damit verbundene Belastung für den Grundrechtsträger, in einem angemessenen Verhältnis stehen.4 Je empfindlicher die Berufsausübenden in ihrer Berufsfreiheit beeinträchtigt werden, desto stärker müssen die Interessen des Gemeinwohls sein, denen die Regelung zu dienen bestimmt ist.5 Nimmt der Staat etwa für Aufgaben, deren ordentliche Wahrnehmung im öffentlichen Interesse liegt, Staatsbürger beruflich in Anspruch (im konkreten Fall Rechtsanwälte für Vormundschaften und Pflegschaften in großem Umfang), so erweist es sich als übermäßige, durch keine Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigte Einschränkung der freien Berufsausübung, wenn den derart Belasteten eine angemessene Entschädigung für ihre Inanspruchnahme vorenthalten wird.6 Außerdem ist Angemessenheit nicht mehr gegeben, wenn eine gesetzliche Regelung dazu führt, dass ein Ertrag der beruflichen Leistung nicht nur der Allgemeinheit, sondern auch Konkurrenten zugute kommt, ohne dass diese zur Zahlung eines angemessenen Entgelts verpflichtet sind.7
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c) Subjektive Berufswahlbeschränkungen aa) Subjektive Berufszulassungsvoraussetzungen Subjektive Berufszulassungsvoraussetzungen bilden nach Stufenlehre die zweite Stufe eines Eingriffs in die Berufsfreiheit. Sie machen den Zugang zum Beruf oder die Fortsetzung eines Berufs8 von persönlichen Eigenschaften, Fähigkeiten oder Fertigkeiten abhängig.9 Für die Abgrenzung zu objektiven Berufszulassungsvoraussetzungen ist nicht entscheidend, ob der Einzelne diese Merkmale beeinflussen kann.10 Daher zählen Altersgrenzen zu den subjektiven Berufszulassungsvoraussetzungen.11 Ferner gehören hierher das Bestehen bestimmter Prüfungen12 sowie die berufsbezogene Eignung und Zuverlässigkeit.13
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bb) Rechtfertigung von subjektiven Berufswahlbeschränkungen Subjektive Berufswahlbeschränkungen sind nur zulässig, wenn ein besonders wichtiges oder überragendes Gemeinschaftsgut geschützt werden soll.14 Solche besonders wichtigen Gemeinschaftsgüter sind zunächst „absolute“, also allgemein anerkannte und von der jeweiligen Politik des Gemeinwesens unabhängige Gemeinschaftswerte,15 wie die „Volksgesundheit“,16 die geordnete Steuerrechtspflege17 oder die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege.18 Ausreichend können aber auch „relative“ Gemeinschaftsinteressen sein, die dem Gesetzgeber nicht „vorgegeben“ sind, sondern sich aus seinen besonderen wirtschafts-, sozial- und gesellschaftspolitischen Vorstellungen und Zielen ergeben.19 Diesen Anschauungen des Gesetz1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18
BVerfGE 80, 1 (24 f.). Vgl. etwa BVerfGE 101, 331 (347); 104, 357 (364). Vgl. etwa BVerfGE 80, 1 (30) m.w.N. BVerfGE 101, 331 (347); 108, 150 (160). St. Rspr., vgl. etwa BVerfGE 30, 292 (316 f.); 103, 1 (10). BVerfGE 54, 251 (271). BVerfGE 97, 228 (262 f.) – Fernsehkurzberichterstattung. Vgl. BVerfGE 44, 105 (117) m.w.N. – vorläufiges Berufsverbot für Rechtsanwalt. BVerfGE 9, 338 (345); 86, 28 (39). Vgl. Sachs/Tettinger, Art. 12 Rz. 112; Jarass/Pieroth, Art. 12 Rz. 35. Vgl. BVerfGE 9, 338 (345); 64, 72 (82); 80, 257 (264). BVerfGE 13, 97 (106 f.) – Meisterprüfung; 34, 71 (77 f.). Vgl. Jarass/Pieroth, Art. 12 Rz. 35. BVerfGE 69, 209 (218); 93, 213 (235); zu streng dagegen 103, 172 (183). Vgl. BVerfGE 13, 97 (107). BVerfGE 78, 179 (192). BVerfGE 59, 302 (317). BVerfGE 93, 213 (236) – Widerruf der Rechtsanwaltszulassung früherer Mitarbeiter des DDR-Staatssicherheitsdienstes. 19 BVerfGE 13, 97 (107).
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Art. 12 GG Rz. 51
Berufsfreiheit
gebers kann die Anerkennung nicht schon deshalb versagt werden, weil die ihnen zugrunde liegenden politischen Auffassungen umstritten sind; anderes gilt erst dann, wenn die Anschauungen des Gesetzgebers offensichtlich fehlsam oder mit der Wertordnung des Grundgesetzes unvereinbar sind.1 Auf dieser Grundlage wurde etwa die Mittelstandsförderung als Rechtfertigung für den Meisterzwang selbständiger Handwerker anerkannt.2 51
Um einen Eingriff in die Berufsfreiheit durch subjektive Berufszulassungsvoraussetzungen rechtfertigen zu können, ist eine Verhältnismäßigkeitsprüfung notwendig; die Maßnahme muss zur Erreichung des besonders wichtigen Gemeinwohlbelangs geeignet, erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinne sein. Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit von Ausbildungsanforderungen für einen bestimmten Beruf, ist zwar ein gewisser, sich in vernünftigen Grenzen haltender „Überschuss“ hinzunehmen, wenn die darin liegende Freiheitsbeschränkung durch den Zuwachs an beruflichen Chancen und sozialem Ansehen aufgewogen wird.3 Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist aber dann verletzt, wenn von einem Berufsbewerber eine unzumutbare Überqualifikation auferlegt wird, indem von ihm Kenntnisse und Fähigkeiten verlangt werden, die in keinem Verhältnis zu der geplanten Tätigkeit stehen.4 d) Objektive Berufswahlbeschränkungen aa) Objektive Berufszugangsvoraussetzungen
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Die Erfüllung objektiver Berufszugangsvoraussetzungen ist von persönlichen Eigenschaften und Fähigkeiten des Einzelnen unabhängig und seinem Einfluss schlechthin entzogen.5 Typische Fälle sind etwa Bedürfnisprüfungen für die Zulassung bestimmter Berufe6 oder die Monopolisierung von Berufen.7 bb) Rechtfertigung von objektiven Berufswahlbeschränkungen
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Für die Rechtfertigung objektiver Berufszugangsvoraussetzungen gelten die strengsten Anforderungen. Notwendig ist, dass sie zur Abwehr nachweisbarer oder höchst wahrscheinlicher schwerer Gefahren für ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut zwingend geboten sind.8 Auch bei der Beurteilung der danach notwendigen Bedrohungslage kommt dem Gesetzgeber ein Einschätzungs- und Prognosespielraum zu. Seine Einschätzungen der Gefahrenlage und des Grades der Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts sind allerdings dann nicht mehr maßgeblich, wenn sie in einem Maße wirtschaftlichen Gesetzen oder praktischer Erfahrung widersprechen, dass sie vernünftigerweise keine Grundlage für gesetzgeberische Maßnahmen sein können.9 Im Einzelfall erkennt das BVerfG als Ausnahme an, dass Besonderheiten – wie etwa eine an sich unerwünschte, aber gleichwohl erlaubte Tätigkeit – dazu führen können, bereits die Verfolgung „nur“ wichtiger Gemeinwohlbelange auch für einen Eingriff auf dieser Stufe genügen zu lassen.10 Als überragend wichtige Gemeinschaftsgüter sind von der Rechtsprechung akzeptiert: Die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege,11 die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit,12 die Erhaltung des Bestandes, der Funktionsfähigkeit und der Wirtschaftlichkeit öffentlicher Verkehrsmittel wie der damaligen Deutschen Bundesbahn,13 die Sicherung der Volksernährung,14 die Volksgesundheit15 einschließlich des Schutzes vor Spielsucht,16 der Schutz vor Kriminalität,17 die Funktionsfähigkeit der gesetzlichen Kran-
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BVerfGE 13, 97 (107). BVerfGE 13, 97 (110 ff.); vgl. aber BVerfG WRP 2006, 463. BVerfGE 73, 301 (320); 119, 59 (90). BVerfGE 54, 301 (331); 119, 59 (90). Vgl. BVerfGE 7, 377 (407). Vgl. etwa BVerfGE 7, 377 – Apothekenurteil. Vgl. etwa BVerfGE 21, 245 (250 f.) – Arbeitsvermittlung; 102, 197 (214) – Spielbanken; 115, 276; (300 ff.) – Sportwetten. BVerfGE 7, 377 (408); 84, 133 (151); 97, 12 (32); 102, 197 (214); 115, 276 (305). BVerfG, NVwZ 2010, 1212 (1216). BVerfGE 102, 197 (215) – Spielbanken. BVerfGE 87, 287 (321). BVerfGE 21, 245 (251). BVerfGE 40, 196 (218) m.w.N. BVerfGE 21, 1 (16). BVerfGE 7, 377 (414); 17, 269 (276). Vgl. BVerfGE 115, 276 (304 f.). Vgl. BVerfGE 115, 276 (306).
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Berufsfreiheit
Rz. 55 Art. 12 GG
kenversicherung.1 Nicht ausreichend sind ausschließlich fiskalische Interessen des Staates,2 berufsständische Belange wie das Sozialprestige des Anwaltsstandes3 und der Schutz vor Konkurrenz.4 3. Materielle Anforderungen für Beeinträchtigungen der Freiheit der berufsbezogenen Ausbildung a) Grundsätzliches Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts schützt Art. 12 Abs. 1 GG über seinen Wortlaut hinaus die Freiheit der berufsbezogenen Ausbildung umfassend und nicht nur hinsichtlich der Wahl der Ausbildungsstätte (zu den Einzelheiten vgl. oben Rz. 27).5
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b) Beeinträchtigungen Als Abwehrrecht gegen Freiheitsbeschränkungen im Ausbildungswesen6 erfasst Art. 12 Abs. 1 GG zunächst den Schutz gegen finale Eingriffe in die berufsbezogene Ausbildung. Hierzu zählen etwa die Entlassung eines Schülers vom Gymnasium7 oder die Beschränkung des Zugangs zum juristischen Vorbreitungsdienst durch das Erfordernis der Verfassungstreue.8 Darüber hinaus umfasst der Schutz auch hier faktische Beeinträchtigungen im Sinne eingriffsgleicher Äquivalente, durch die die Lebens- und Berufschancen des Betroffenen maßgeblich verschlechtert werden.9 Besondere Bedeutung erlangt die Ausbildungsfreiheit, weil das BVerfG ihr in Verbindung mit dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) und dem Sozialstaatsprinzip ein (derivatives) Teilhaberecht hinsichtlich solcher Ausbildungseinrichtungen entnimmt, für die der Staat ein faktisches Monopol besitzt. Dies gilt insbesondere den Zugang zum Hochschulstudium10 und zum Referendardienst.11 Hieraus folgt ein Anspruch dessen, der die subjektiven Zulassungsvoraussetzungen erfüllt, auf Zulassung zum Hochschulstudium seiner Wahl.12 Durch Bewerberüberhang ausgelöste Zulassungsbeschränkungen ändert am Rechtscharakter des Zulassungsanspruchs nichts, sondern beeinträchtigt nur dessen Realisierung.13 Die Zulassung eines hochschulreifen Bewerbers kann mithin nur dann abgelehnt werden, wenn die vorhandenen Ausbildungsplätze unter Erschöpfung der Kapazitäten sämtlich ordnungsgemäß besetzt sind, nicht aber deshalb, weil ihm ein rangbesserer Bewerber hätte vorgezogen werden müssen.14 Ist das erfolgreiche Absolvieren eines Vorbereitungsdienstes nicht nur für einen Beruf im Staatsdienst, sondern auch für eine freiberufliche Tätigkeit etwa als Rechtsanwalt Voraussetzung, so muss für diejenigen, für die ein Beruf außerhalb des Staatsdienstes in Betracht kommt, ein nicht diskriminierender Vorbereitungsdienst ohne Berufung in das Beamtenverhältnis angeboten werden.15 Auch für die Ableistung eines solchen Vorbereitungsdienstes kann sich für Bewerber ein Anspruch auf Abschluss eines privatrechtlichen Ausbildungsvertrages ergeben.16 Eine verfassungsrechtlich fundierte Pflicht zur Erweiterung vorhandener Ausbildungskapazitäten kommt erst dann in Betracht, wenn der Zulassungsanspruch in evidenter Weise leer zu laufen droht;17 denn Teilhaberechte stehen unter dem Vorbehalt des Möglichen im Sinne dessen, was der Einzelne von der Gesellschaft vernünftigerweise verlangen kann.18 Dies in eigener Verantwortung zu beurteilen, ist in erster Linie Sache des Gesetzgebers; er hat hierbei im Rahmen seiner Haushaltswirtschaft auch andere Gemeinschaftsbelange zu berücksichtigen und den Erfor1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18
BVerfGE 103, 172 (184). BVerfGE 115, 276 (307). BVerfGE 87, 287 (326); auch 76, 171 (189). BVerfGE 11, 168 (188 f.); 19, 330 (342). Umbach/Clemens, Art. 12 Rz. 52; Jarass/Pieroth, Art. 12 Rz. 93. BVerfGE 33, 303 (329). BVerfGE 58, 257 (273). Vgl. BVerfGE 39, 334 (374); 46, 43 (52). Vgl. BVerfGE 58, 257 (273). Grundlegend BVerfGE 33, 303 (331 f.). Vgl. BVerfGE 39, 334 (373). BVerfGE 33, 303 (332); 85, 36 (53 f.). BVerfGE 39, 258 (270). BVerfGE 39, 258 (270 f.). BVerfGE 39, 334 (373 f.). Vgl. BAGE 53, 137 (144). Vgl. BVerfGE 33, 303 (333). BVerfGE 33, 303 (333 ff.); 43, 291 (314).
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Art. 12 GG Rz. 56
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dernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts Rechnung zu tragen.1 Es ist dem Gesetzgeber nicht verwehrt, sich beim Ausbau von Ausbildungskapazitäten am gesamtgesellschaftlichen Kräftebedarf zu orientieren, sofern es nicht gelingt, individuelle Nachfrage und allgemeinen Bedarf durch das Mittel der Studienberatung in Deckung zu bringen.2 c) Rechtfertigung von Ausbildungsbeschränkungen 56
Eine Beschränkung der Ausbildungsfreiheit bedarf nach Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG der gesetzlichen Grundlage;3 dies gilt etwa für Ordnungsmaßnahmen wie den Ausschluss von einer berufsbezogenen Bildungseinrichtung.4 Auch Einschränkungen des Zulassungsrechts zum Hochschulstudium können nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen.5 Geht es wie beim Hochschulzugang um die „Zuteilung von Lebenschancen“, so muss der Gesetzgeber die grundlegenden Entscheidungen treffen.6 Der Gesetzesvorbehalt erfasst deshalb auch die Kriterien für die Kapazitätsermittlung.7
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Zulässig sind Beschränkungen der Ausbildungsfreiheit nur unter strikter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit.8 Bei dieser Prüfung können die Regeln der Stufenlehre nutzbar gemacht werden. So etwa dann, wenn von der Wahl der Ausbildung auch die spätere Berufswahl abhängt und ein absoluter numerus clausus für einen bestimmten Studiengang einer objektiven Berufszulassungsvoraussetzung gleichkommt.9
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Zulassungsbeschränkungen für Studienplätze setzen hiernach voraus, dass sie dem Schutz eines überragend wichtigen Gemeinschaftsgutes, wie der Funktionsfähigkeit der Universität als Voraussetzung für die Aufrechterhaltung eines ordnungsgemäßen Forschungs-, Lehr- und Studienbetriebes, dienen.10 Erforderlichkeit ist nur dann zu bejahen, wenn die vorhandenen Ausbildungskapazitäten erschöpfend genutzt werden.11 Hieraus lassen sich aber keine konkreten Lehrverpflichtungen für bestimmte Personengruppen herleiten; Konkretisierungen obliegen vielmehr zunächst dem Normgeber und der Hochschulverwaltung.12 Die Angemessenheit der Lehrverpflichtungen unterliegt jedoch der Prüfung am Maßstab des Art. 12 GG im Hinblick auf die Notwendigkeit erschöpfender Nutzung der vorhandenen, mit öffentlichen Mitteln geschaffenen Ausbildungskapazitäten.13 Gleiches gilt für Kapazitätsverluste im Rahmen von Strukturreformen im Hochschulbereich.14
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Sind Zulassungsbeschränkungen hiernach erlaubt, so führt das am Gleichheitssatz orientierte Teilhaberecht dazu, dass Auswahl und Verteilung nach sachgerechten Kriterien mit einer Chance für jeden an sich hochschulreifen Bewerber und unter möglichster Berücksichtigung der individuellen Wahl des Ausbildungsortes erfolgen müssen.15 Dem wird eine Auswahl, die Leistungsprinzip, Jahrgangsprinzip und Bereitstellung eines Teils der Studienplätze für soziale Härtefälle und für Ausländer kombiniert, gerecht.16 Auch kann im Interesse der Erstbewerber der Zugang zu einem Zweitstudium von Bewerbern mit erfolgreicher Hochschulausbildung erheblich erschwert werden.17 Hingegen ist eine Bevorzugung von Landeskindern unzulässig.18 Allgemeine Studiengebühren in einer Größenordnung nicht über 500 Euro pro Semester sind verfassungsrechtlich im Grundsatz zulässig, solange sie nicht prohibitiv wirken und sozialverträglich ausgestaltet sind; auch hierbei dürfen Landeskinder aber nicht bevorzugt werden.19 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19
BVerfGE 33, 303 (333). BVerfGE 33, 303 (334 f.). Vgl. BVerfGE 33, 303 (336). Vgl. BVerfGE 41, 251 (261 ff.). BVerfGE 33, 303 (336 f.). BVerfGE 33, 303 (346). BVerfGE 85, 36 (54). Vgl. BVerfGE 41, 251 (264). Vgl. BVerfGE 33, 303 (338 f.). BVerfGE 33, 303 (339); 85, 36 (54). BVerfGE 33, 303 (338); 66, 159 (179) m.w.N. BVerfGE 54, 173 (191). BVerfGE 54, 173 (191). BVerfGE 66, 156 (179). BVerfGE 33, 303 (338); 43, 291 (314). BVerfGE 33, 303 (348). Vgl. BVerfGE 62, 117 (147). Vgl. BVerfGE 33, 303 (351 ff.). BVerfG, NJW 2013, 2498.
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Berufsfreiheit
Rz. 61 Art. 12 GG
V. Die Berufsfreiheit der Rechtsanwälte in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 1. Verfassungsrechtlicher Status des Anwaltsberufes Als subjektives Recht kann die Berufsfreiheit zugunsten eines Rechtsanwalts nur durch Art. 12 Abs. 1 GG verfassungsrechtlichen Schutz erlangen.1 Allerdings lässt sich die Rechtsprechung des BVerfG auf die knappe Formel bringen, dass nach der Rechtsstaatskonzeption des GG die freie Advokatur essentiell für die Justizgewährung und ein faires Strafverfahren ist.2 Dies führt mittelbar zu einem verdichteten Schutz anwaltlicher Berufsfreiheit. Denn der Justizgewährungsanspruch und der Grundsatz des fairen Strafverfahrens als Ausprägungen des Rechtsstaatsprinzips verpflichten den Gesetzgeber auf Grund ihrer auch objektiv-rechtlichen Dimension dazu, grundrechtlich geschützte Rechtsgüter auch unabhängig von ihrer Geltendmachung durch einzelne Bürger zu beachten.3 So zieht das BVerfG die objektiv-rechtliche Bedeutung namentlich des fairen Verfahrens auch heran, um die besondere Schwere des Eingriffs in die Berufsfreiheit zu begründen.4 Entsprechendes gilt für den Beschluss des BVerfG zum ausnahmslosen Verbot erfolgsbasierter Vergütungen (§ 49b Abs. 2 S. 1 BRAO a.F.), das letztlich deshalb als unangemessen angesehen wurde, weil es Rechtsuchende am Zugang zum Recht hindern kann.5 Auf diese Weise erlangen die Ausprägungen des Rechtsstaatsprinzips Bedeutung für die Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer in die Berufsfreiheit eingreifenden gesetzlichen Regelung und verstärken so den Schutz der Berufsfreiheit.
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2. Berufszugang Die Voraussetzungen der Zulassung und des Widerrufs der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft sind als subjektive Berufszulassungsvoraussetzungen an Art. 12 Abs. 1 GG zu messen.6 Sie bedürfen einer gesetzlichen Grundlage, die ihrerseits der Verfassung genügen muss. Statthaft sind sie nur zum Schutz eines besonders wichtigen Gemeinschaftsgutes und nur unter strikter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes.7 Danach können Personen, die gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen haben und deshalb die Vertrauensgrundlage zu den Rechtsuchenden gefährden von der Anwaltschaft ferngehalten werden.8 § 7 Nr. 5 BRAO, nach dem die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft einem Bewerber zu versagen ist, der sich eines Verhaltens schuldig gemacht hat, das ihn für den Anwaltsberuf unwürdig erscheinen lässt, ist mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar,9 jedoch kann eine nicht strafbare verfassungsfeindliche Betätigung allein noch keine Unwürdigkeit begründen.10 Die Ahndung anwaltlicher Pflichtverletzung durch Ausschließung aus der Rechtsanwaltschaft (§ 114 Abs. 1 Nr. 5 BRAO) ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.11 Dies darf allerdings nicht zu einem lebenslangen Berufsverbot führen, sondern es muss die Chance zu einem beruflichen Neubeginn als Rechtsanwalt ermöglicht werden, wenn zu erwarten ist, dass keine Gefahr mehr für die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege besteht (vgl. jetzt § 7 Nr. 3 BRAO).12 Keine verfassungsrechtlichen Bedenken begegnen dem zeitlich begrenzten strafrechtlichen Berufsverbot (jetzt § 70 StGB)13 und dem vorläufigen Berufsverbot nach § 150 BRAO.14 Die Verhängung eines vorläufigen Berufsverbots setzt jedoch – auch im Fall des Berufsverbotes im Anschluss an die Hauptverhandlung nach § 153 BRAO15 – voraus, dass diese präventive Maßnahme zur Abwehr konkreter Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter geboten ist.16 Ebenfalls mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar sind § 7 Nr. 8 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16
Vgl. etwa BVerfGE 63, 266 (282) m.w.N. Jaeger, NJW 2004, 1 (6); Gaier, BRAK-Mitt. 2006, 2. Vgl. Dreier/Dreier, Vorb. Art. 1 Rz. 94. BVerfGE 110, 226 (264). Vgl. BVerfGE 117, 163 (193 ff.). Vgl. BVerfGE 63, 266 (282). Vgl. BVerfGE 93, 213 (235) m.w.N. BVerfGE 93, 213 (236) – Mitarbeiter des DDR-Staatssicherheitsdienstes. BVerfGE 63, 266 (287). BVerfGE 63, 266 (288 ff.). BVerfGE 66, 337 (353). BVerfGE 72, 51 (63 f.). BVerfGE 25, 88 (101). BVerfGE 44, 105 (115 ff.). BVerfGE 48, 292 (297 f.). BVerfGE 44, 105 (121).
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Art. 12 GG Rz. 62
Berufsfreiheit
BRAO und § 14 Abs. 2 Nr. 8 BRAO, wonach ein Zweitberuf, der mit dem Beruf des Rechtsanwalts nicht vereinbar ist oder das Vertrauen in die Unabhängigkeit gefährdet, dem Zugang oder dem Verbleib in der Anwaltschaft entgegenstehen kann.1 Diese Inkompatibilitätsregeln dürfen nicht starr angewendet werden, so dass Zurückhaltung bei der Entwicklung typisierender Tatbest. durch die Rspr. geboten ist.2 Hiernach ist es verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn gefordert wird, dass der Zweitberuf einen rechtlichen und tatsächlichen Handlungsspielraum lässt, der eine nennenswerte und nicht nur gelegentliche Beratungs- und Vertretungstätigkeit als Rechtsanwalt erlaubt; die Berufsbezeichnung eines Rechtsanwalts darf nicht zu einem bloßen Titel werden.3 Handelt es sich bei dem Zweitberuf um eine Tätigkeit im öffentlichen Dienst, so kommt eine Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nicht in Betracht, wenn aus der Sicht der Rechtsuchenden wenigstens die Möglichkeit besteht, dass die anwaltliche Unabhängigkeit durch Bindungen an den Staat beeinträchtigt wird.4 Hingegen kann die Zulassung nicht von einer gehobenen Stellung im Zweitberuf abhängig gemacht werden.5 Auch eine erwerbswirtschaftliche Tätigkeit im Zweitberuf ist als solche unschädlich; anderes gilt erst dann, wenn sich durch den erwerbswirtschaftlichen Zweitberuf die Gefahr einer Interessenkollision deutlich abzeichnet und durch Berufsausübungsregelungen nicht zu verhindern ist.6 Bei weniger schweren Verstößen gegen die Kanzleipflicht (§ 27 BRAO), etwa durch das Fehlen eines Praxisschildes an einer eingerichteten und auffindbaren Kanzlei, kommt der Widerruf der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft (§ 14 Abs. 1 Nr. 6, § 35 Abs. 1 Nr. 2 BRAO a.F., jetzt § 14 Abs. 3 Nr. 1 BRAO) erst dann in Betracht, wenn zuvor durch mildere anwaltsgerichtliche Maßnahmen (vgl. § 114 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BRAO) erfolglos versucht wurde, den Rechtsanwalt von seiner Weigerung abzubringen.7 3. Berufsausübung 62
Das BVerfG betont in st. Rspr., dass die anwaltliche Berufsausübung durch den Grundsatz der freien Advokatur gekennzeichnet wird und der freien und unreglementierten Selbstbestimmung des einzelnen Berufsträgers unterliegt.8 So kann eine Verletzung des Sachlichkeitsgebots (§ 43a Abs. 3 BRAO) nicht schon dann beanstandet werden, wenn die Äußerungen eines Rechtsanwalts von anderen Verfahrensbeteiligten als stilwidrig, ungehörig, als Verstoß gegen den guten Ton und das Taktgefühl oder als abträglich für das Ansehen des Anwaltsstandes empfunden werden. Ein Rechtsanwalt darf auch starke, eindringliche Ausdrücke und sinnfällige Schlagworte benutzen, ferner Urteilsschelte üben oder „ad personam“ argumentieren, um beispielsweise eine mögliche Voreingenommenheit eines Richters oder die Sachkunde eines Sachverständigen zu kritisieren. Von besonderer Bedeutung ist hierbei die Wahrnehmung berechtigter Interessen. Herabsetzende Äußerungen, die ein Rechtsanwalt im Zusammenhang mit seiner Berufsausübung und der dabei zulässigen Kritik abgibt, können nur dann Anlass für berufsrechtliche Maßnahmen sein, wenn besondere Umstände hinzutreten. Dies ist der Fall, wenn die Herabsetzungen nach Inhalt und Form als strafbare Beleidigungen zu beurteilen sind, ohne durch die Wahrnehmung berechtigter Interessen gedeckt zu sein. Darüber hinaus ist das Sachlichkeitsgebot dann verletzt, wenn ein Rechtsanwalt unprofessionell handelt, indem er entweder bewusst Unwahrheiten verbreitet oder eine rechtliche Auseinandersetzung durch neben der Sache liegende Herabsetzungen belastet, zu denen andere Beteiligte oder der Verfahrensverlauf keinen Anlass gegeben haben.9 Danach kann die grobe Reaktion eines Rechtsanwalts, die sich sprachlich und instrumental auf der von der Gegenseite vorgegebenen Ebene bewegt, nicht gegen das Sachlichkeitsgebot verstoßen.10 Nicht entscheidend kann sein, ob ein Anwalt seine Kritik anders hätte formulieren können; denn grundsätzlich unterliegt auch die Form der Meinungsäußerung der durch Art. 5 Abs. 1 GG geschützten Selbstbestimmung.11 Die Berufsfreiheit in Gestalt der Interessenvertretung zugunsten des Mandanten ist ferner verletzt, wenn ein Rechtsanwalt, der in Wahrnehmung der Interessen seines Mandanten die von diesem erhaltenen Informationen vorträgt und sich zum Beweis hierfür auf Urkunden 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
Vgl. BVerfGE 87, 287 (321 f.). BVerfG, NJW 2013, 3357, 3358 Rz. 25 für Steuerberater. BVerfGE 87, 287 (323). BVerfGE 87, 287 (324 f.). BVerfGE 87, 287 (325 ff.). BVerfGE 87, 287 (329 f.). BVerfGE 72, 26 (32 ff.); BVerfG, NJW 2005, 1418. BVerfGE 76, 171 (188) m.w.N. BVerfGE 76, 171 (193); BVerfG, NJW 2008, 2424. BVerfG, NJW 2008, 2424. BVerfGE 76, 171, 191 ff.
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Berufsfreiheit
Rz. 65 Art. 12 GG
beruft, die die Gegenseite in Händen hält, durch ein gegen den Rechtsanwalt selbst ergangenes gerichtliches Unterlassungsurteil privat zur Verantwortung gezogen wird.1 Das Auftreten eines Rechtsanwalts als Zeugenbeistand ist ebenfalls Teil der Berufsausübung des Rechtsanwalts. Ist der maßgeblichen Verfahrensordnung ein anwaltlicher Zeugenbeistand vorgesehen, ein Ausschluss jedoch nicht geregelt, so fehlt es für die Zurückweisung eines Rechtsanwalts als Zeugenbeistand an der nach Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG erforderlichen gesetzlichen Grundlage.2 In einer älteren Entscheidung ist die „Zurückweisung“ eines Rechtsanwalts, der sich weigerte vor einer Zivilkammer in Robe aufzutreten, nicht als unzulässiger Eingriff in die Berufsausausübungsfreiheit beanstandet worden (vgl. jetzt § 20 BORA).3 Mit einer aktuellen Kammerentscheidung hat das BVerfG sitzungspolizeiliche Maßnahmen gegen einen Strafverteidiger, der sich wiederholt weigerte, eine Krawatte anzulegen, zwar als mögliche Verletzung der Berufsfreiheit angesehen, diesem Fall aber eine nur „geringe Eingriffsintensität“ beigelegt und deshalb die Annahme der Verfassungsbeschwerde abgelehnt (§ 93a Abs. 2 BVerfGG).4 Während die Einführung der unbeschränkten Postulationsfähigkeit in Zivilsachen vor den Landgerichten und Abschaffung der Singularzulassung beim Oberlandesgericht auf Entscheidungen des BVerfG zurückgeht,5 hat das Gericht für die Singularzulassung für Rechtsanwälte beim Bundesgerichtshof „derzeit“ keine verfassungsrechtlichen Fehler ausmachen können6 und diese Rechtsprechung in einer Kammerentscheidung im Jahr 2008 fortgeführt.7 Da sich ihre berufliche Tätigkeit nicht wesensmäßig von der anderer Rechtsanwälte unterscheidet, betrifft die Begrenzung der Zahl der beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwälte nicht die Berufswahl-, sondern die Berufsausübungsfreiheit. Diese Zulassungsbegrenzung dient ebenso wie das der Zulassung beim Bundesgerichtshof vorangehende Auswahlverfahren dem Allgemeininteresse an der Förderung und Verbesserung der höchstrichterlichen Rechtsprechung in Zivilsachen und ist daher verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.8
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Zur freien Berufsausübung gehört sowohl das Recht, sich beruflich zusammenzuschließen, als auch das Recht, einen Arbeitsplatz nach eigener Wahl anzunehmen, beizubehalten oder aufzugeben. Deshalb wird der Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG auch bei Erschwernissen eines Sozietätswechsels berührt.9 Der Wechsel darf nicht erschwert werden, wenn hinreichend gesichert ist, dass Pflichtverletzungen – wie eine Beeinträchtigung des Vertrauensverhältnisses oder eine Verletzung der Verschwiegenheitspflicht – nicht zu besorgen sind.10 Hingegen ist es mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar, das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen auch auf einen Sozius des tätig gewordenen Rechtsanwalts zu erstrecken, wenn der Mandant mit der weiteren Vertretung des Gegners durch den Sozius nicht einverstanden ist (vgl. § 3 Abs. 2 BORA n.F.).11 Eine Sozietät mit Wirtschaftsprüfern kann Anwaltsnotaren nicht untersagt werden.12 Bei der interprofessionellen Zusammenarbeit von Rechts- und Patentanwälten in einer Berufsausübungsgesellschaft (GmbH) sind gesetzliche Regelungen, die einer doppelten Zulassung als Rechts- und Patentanwaltsgesellschaft entgegenstehen können (§§ 59e Abs. 2 Satz 1, 59f Abs. 1 BRAO; §§ 52e Abs. 2 Satz 1, 59f Abs. 1 Satz 1 PAO), wegen Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG für nichtig erklärt worden.13 Hingegen ist für anwaltliche Berufsausübungsgesellschaften noch nicht geklärt, ob die Unzulässigkeit einer Rechtsanwaltsgesellschaft in Form einer GmbH und Co. KG verfassungsrechtlich bestehen kann.14
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Art. 12 Abs. 1 GG umfasst auch den Schutz der Strafverteidigung als einer der wesentlichen Berufsaufgaben des Rechtsanwalts; darüber hinaus ist die Institution der Strafverteidigung durch das Rechtsstaatsprinzip gesichert.15 Um zu verhindern, dass die freie Entscheidung für oder gegen die Übernahme eines Mandats durch die Gefahr eigener Strafbarkeit beeinträchtigt wird, ist für Strafverteidiger der Tatbestand der Geldwäsche (§ 261 Abs. 2
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1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15
BVerfG, NJW 1996, 3267. BVerfG, NJW 2000, 2660. BVerfGE 28, 21 (31 ff.). BVerfG, NJW 2012, 2570 (Rz. 8). BVerfGE 93, 362 (371 f.) bzw. 103, 1 (10 ff.). BVerfGE 106, 216 (219 ff.). BVerfGK 13, 354 = NJW 2008, 1293. BVerfGK 13, 354 (361) = NJW 2008, 1293. BVerfGE 108, 150 (165). BVerfGE 108, 150 (166). BVerfG, BRAK-Mitt. 2006, 170. BVerfGE 98, 49 (62 ff.). BVerfG, NJW 2014, 613 = GmbHR 2014, 301. BVerfG, NJW 2012, 993 = GmbHR 2012, 341. BVerfGE 110, 226 (253) m.w.N.
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Art. 12 GG Rz. 66
Berufsfreiheit
Nr. 1 StGB) verfassungskonform einschränkend auszulegen: Die Annahme eines Honorars oder Honorarvorschusses wird vom Straftatbestand nur dann erfasst, wenn der Strafverteidiger im Zeitpunkt der Annahme sicher weiß, dass das Geld aus einer Katalogstraftat stammt.1 Auch für das Verbot der Mehrfachverteidigung erlangt die Berufsfreiheit eine maßgebliche Bedeutung. Eine Auslegung des § 146 StPO, wonach mehrere Beschuldigte nicht durch verschiedene Rechtsanwälte verteidigt werden dürfen, die zu einer Sozietät zusammengeschlossen sind, ist übermäßig belastend und verletzt daher die Berufsfreiheit.2 Entsprechendes gilt, wenn schon eine begrenzte Kooperation mehrer Verteidiger, wie das gemeinsame Erstellen von Schriftsätzen, als verbotene Mehrfachverteidigung angesehen wird.3 Das Verbot der gleichzeitigen Verteidigung mehrerer wegen derselben Tat Beschuldigter (§ 146 StPO) ist als solches jedoch mit Art. 12 Abs. 1 GG zu vereinbaren.4 Der Ausschluss eines Rechtsanwalts von der Verteidigung greift in dessen Berufsfreiheit ein und ist nur dann zulässig, wenn sie auch im konkreten Fall zwingend geboten ist.5 Ist der Rechtsanwalt selbst Beschuldigter eines Ermittlungsverfahrens, so wird durch eine Sicherstellung und Beschlagnahme von Datenträgern mangels objektiv berufsregelnder Tendenz der §§ 94 ff. StPO nicht in seine Berufsfreiheit eingegriffen; gleichwohl ist bei Anwendung der strafprozessualen Vorschriften das Ausmaß der mittelbaren Beeinträchtigung der – im Allgemeininteresse an einer wirksamen und geordneten Rechtspflege liegenden – anwaltlichen Berufstätigkeit zu berücksichtigen.6 Hingegen greifen Maßnahmen, die geeignet sind, das Entstehen eines Vertrauensverhältnisses zwischen Strafverteidiger und Mandant, das unverzichtbare Grundlage einer effektiven Verteidigung ist, zu stören oder gar auszuschließen, und Kollisionen zu erzeugen, die den Strafverteidiger daran hindern können, die Interessen seines Mandanten wirksam zu vertreten, in die Berufsausübungsfreiheit des Strafverteidigers ein. Insbesondere die Wahrung der anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht ist hiernach vom Schutz der Berufsfreiheit umfasst.7 Da mithin die Berufsfreiheit durch das Abhören eines Verteidigergespräches ebenso berührt wird wie bei einer Durchsuchung der Räume einer Rechtsanwaltskanzlei, ist eine besonders sorgfältige Beachtung der strafprozessualen Eingriffsvoraussetzungen und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erforderlich; das Gewicht des Eingriffs verlangt Verdachtsgründe, die über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen hinausreichen.8 Auch Beschlagnahme und Verwertung von Verteidigerpost zählen zum Schutzbereich anwaltlicher Berufsfreiheit; Eingriffe können insoweit jedoch durch das öffentliche Interesse an der Wahrheitserforschung im Strafprozess gerechtfertigt sein, so dass bei einem Schreiben des Verteidigers an seinen Mandanten mit beleidigendem Inhalt nicht ohne weiteres ein Verwertungsverbot besteht.9 66
Rechtsanwälte sind nicht selten von der Indienstnahme Privater zu öffentlichen Zwecken betroffen. Wenn der Staat in solcher Weise Private für Aufgaben, deren ordentliche Wahrnehmung im öffentlichen Interesse liegt, beruflich in Anspruch nimmt, so stellt es eine übermäßige, durch keine Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigte Einschränkung der freien Berufsausübung dar, wenn den derart Belasteten keine angemessene Entschädigung für ihre Heranziehung erhalten.10 Eine besondere Form der Indienstnahme Privater zu öffentlichen Zwecken ist die Bestellung zum Pflichtverteidiger.11 Ihr Sinn ist es nicht, Rechtsanwälten zu eigenem Nutzen und Vorteil eine zusätzliche Gelegenheit beruflicher Betätigung zu verschaffen, es geht vielmehr darum, dem Beschuldigten in schwerwiegenden Fällen rechtskundigen Beistand zu verschaffen und einen ordnungsgemäßen Verfahrensablauf zu gewährleisten.12 Daher kann nur die Bestellung, nicht aber die Entpflichtung in die Berufsfreiheit des Rechtsanwalts eingreifen; aus Art. 12 Abs. 1 GG folgt kein Anspruch des Rechtsanwalts auf Pflichtverteidigung.13
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Anders liegen die Dinge für Insolvenzverwalter. Sie üben einen eigenständigen Beruf aus, für den sie den Schutz durch Art. 12 Abs. 1 GG beanspruchen können.14 Bei der Auswahl 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14
BVerfGE 110, 226 (267). BVerfGE 43, 79 (92). BVerfGE 72, 34 (38). BVerfGE 39, 156 (164). BVerfGE 16, 214 (216 f.). BVerfGE 113, 29 (48 f.). Vgl. BVerfGE 110, 226 (252) m.w.N. BVerfG, NJW 2006, 2974 (2975). BVerfG, NJW 2010, 2937 (2938 f.). Vgl. BVerfGE 54, 251 (271). BVerfGE 39, 238 (241); 68, 237 (253 f.); 110, 226 (261). BVerfGE 39, 238 (242); 68, 237 (254). BVerfGE 39, 238 (241). BVerfGK 4, 1 (7 f.).
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Berufsfreiheit
Rz. 68 Art. 12 GG
durch den Insolvenzrichter (§ 56 InsO) haben die Bewerber einen Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung, für den sie Rechtsschutz fordern können.1 Allerdings sind mit Blick auf das grundrechtlich fundierte Interesse der Gläubiger und der Schuldner Einschränkungen des Rechtsschutzes nicht berücksichtigter Bewerber zulässig. Es ist daher nicht verfassungswidrig, eine Anfechtung der Bestellung zum Insolvenzverwalter durch Mitbewerber und einen vorläufigen Rechtsschutz zur Verhinderung der Bestellung zu versagen.2 Eine gewisse Kompensation wird dadurch erreicht, dass das BVerfG auf eine der Bedeutung des Grundrechts der Berufsfreiheit angemessene Verfahrensgestaltung auch bereits im Vorfeld der Bestellungsentscheidung achtet.3 Dies ist für das weithin übliche Vorauswahlverfahren mit entsprechenden Kandidatenlisten zu beachten; denn dieses verfolgt den Zweck, dem Insolvenzrichter trotz der Eilbedürftigkeit der Bestellungsentscheidung eine hinreichend sichere Tatsachengrundlage für eine sachgerechte Auswahlentscheidung im konkreten Insolvenzverfahren zu verschaffen.4 In die Liste ist daher grds. jeder Bewerber aufzunehmen, der generell für das Insolvenzverwalteramt geeignet ist.5 Die Berufsfreiheit ist untrennbar mit der Freiheit verbunden, eine angemessene Vergütung zu fordern6 und ungehindert mit dem Interessenten auszuhandeln.7 Vor diesem Hintergrund hat das BVerfG gesetzliche Gebührenregelungen zunächst auch dann am Maßstab der Berufsfreiheit überprüft, soweit im Verhältnis zum Mandanten die Vereinbarung eines höheren Honorars zulässig ist (vgl. § 3a RVG); insbesondere wegen der nachteiligen Folgen für den Mandanten, der selbst bei vollem Obsiegen nur die gesetzliche Vergütung erstattet erhält, wurde der Abschluss einer Honorarvereinbarung als derart erschwert angesehen, dass ein mittelbarer Eingriff in die Berufsfreiheit vorliege.8 Nach der neueren Rechtsprechung soll dies aber offenbar nur noch für die Anwaltsgebühren in sozialgerichtlichen Verfahren gelten.9 Die Begrenzung der Anwaltsgebühren durch die Kappung des Streitwerts auf 30 Millionen Euro (§ 22 Abs. 2 RGV, § 23 Abs. 1 RVG i.V.m. § 39 Abs. 2 GKG) wurde jedenfalls weder als Eingriff in die anwaltliche Berufsfreiheit noch als Eingriffsäquivalent angesehen.10 Hiernach findet eine verfassungsgerichtliche Kontrolle gesetzlicher Gebührenregelungen jedenfalls in den Bereichen statt, in denen der Rechtsanwalt nicht oder nicht mehr auf Honorarvereinbarungen verwiesen werden kann, etwa weil der Staat Gebührenschuldner ist oder die Gerichte im Nachhinein über die Höhe der gesetzlichen Gebühren im konkreten Fall befunden haben. Bei der Ausgestaltung der gesetzlichen Vergütungsregelungen hat der Gesetzgeber einerseits die Berufsfreiheit der Rechtsanwälte, andererseits aber auch den Justizgewährungsanspruch und das Interesse des Mandanten zu beachten, kein unangemessen hohes Honorar zahlen zu müssen.11 Die Vergütung darf namentlich nicht derart gering bemessen sein, dass die Grenze des für Anwälte Zumutbaren überschritten ist.12 Auch gerichtliche Entscheidungen, die auf Vergütungsregelungen beruhen, sind nach am Maßstab des Art. 12 Abs. 1 GG zu messen.13 Dies gilt namentlich dann, wenn die Angemessenheit einer Vergütungsvereinbarung nach § 3a RVG gerichtlich zu überprüfen ist. Dabei ist der Rechtsanwalt nicht schon wegen seiner Stellung als Organ der Rechtspflege einem Mäßigungsgebot unterworfen.14 Außerdem verletzt ein Gericht den Verhältnismäßigkeitgrundsatz, wenn es zur Bestimmung der Unangemessenheit eines vereinbarten Honorars allein auf das Überschreiten der gesetzlichen Gebühren um einen bestimmten Faktor abstellt.15 Es ist daher nicht zulässig, bei Strafverteidigungen von einer tatsächlichen Vermutung für die Unangemessenheit der vereinbarten Vergütung auszugehen, wenn sie mehr als das Fünffache über den gesetzlichen Höchstgebühren liegt,16 dem Rechtsanwalt jedoch der Nachweis abgeschnitten wird, dass die vereinbarte Vergütung im konkreten Fall unter Berücksichtigung al1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16
BVerfGE 116, 1 (12 f.), BVerfGK 8, 368 (370); 8, 372 (374); BVerfG, NJW-RR 2009, 1502 (1503). BVerfGE 116, 1 (21). BVerfGK 4, 1 (9). BVerfG, NJW-RR 2009, 1502 (1503). BVerfGE 116, 1 (17 f.). BVerfGE 88, 145 (159). Vgl. BVerfGE 106, 275 (298). Vgl. BVerfGE 83, 1 (15). BVerfGE 118, 1 (20). BVerfGE 118, 1 (16). BVerfGE 85, 337 (349). Vgl. BVerfGE 83, 1 (19). Vgl. BVerfGE 101, 331 (347). BVerfG, NJW-RR 2010, 259 (261). BVerfG, NJW-RR 2010, 259 (262). Vgl. dazu BGHZ 162, 98 (107).
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Art. 12 GG Rz. 68
Berufsfreiheit
ler Umstände, insbesondere der Leistungen und des Aufwands des Rechtsanwalts, aber auch der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers gleichwohl angemessen ist.1 In gleicher Weise wie Vergütungsregelungen hat auch die Festsetzung des Streitwerts berufsregelnde Tendenz, weil auch sie unmittelbar das Anwaltshonorar beeinflusst.2 Das danach bestimmte Entgelt muss zwar nicht in jedem Einzelfall genau dem Wert der anwaltlichen Leistung entsprechen, es muss aber so bemessen sein, dass der Anwalt aus seinem Gebührenaufkommen nach einer Mischkalkulation sowohl seinen Kostenaufwand als auch seinen Lebensunterhalt bestreiten kann.3 Der Rechtsanwalt ist danach zwar zu einer Mischkalkulation gezwungen, kann andererseits aber die Vorteile eines umfassenden und geschlossenen Regelungssystems nutzen.4 Durchbrechungen dieses Regelungskonzepts, die Rechtsanwälten aus sozialpolitischen Erwägungen oder zur Schonung öffentlicher Kassen finanzielle Opfer zumuten, wie etwa für im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordnete Rechtsanwälte oder Pflichtverteidiger, können auf Grund einer Prüfung am Maßstab des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zulässig sein.5 Mithin ist es nicht beanstanden, dass der Pflichtverteidiger grundsätzlich eine Vergütung erhält, die geringer ist als das gesetzliche Honorar eines Wahlverteidigers; eine höhere Vergütung muss aber möglich sein, wenn dem Pflichtverteidiger andernfalls ein unzumutbares Opfer abverlangt würde (vgl. § 51 RVG).6 Art. 12 Abs. 1 GG ist hiernach etwa dann verletzt, wenn die Ablehnung der Erstattung der Kosten für zur sachgerechten Verteidigung notwendige Reisen dazu führt, dass das Honorar für die Verteidigertätigkeit vollständig aufgezehrt wird.7 Ausnahmsweise kann in außergewöhnlich umfangreichen Strafverfahren bei drohender wirtschaftlicher Existenzgefährdung des Pflichtverteidigers für ihn aus Gründen der Berufsfreiheit auch ein Anspruch auf einen Vergütungsvorschuss geboten sein.8 Um die verfassungsrechtlich gebotene Vergütung sicherzustellen, handelt es sich bei seinem Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse um einen eigenen Anspruch des Pflichtverteidigers, der selbständig neben den Vergütungsanspruch gegen seinen Mandanten aus § 52 RVG tritt und diesem gegenüber nicht subsidiär ist; die Staatskasse kann daher gegenüber dem gegen sie gerichteten eigenen Vergütungsanspruch des Pflichtverteidigers nicht mit Ansprüchen gegen den Angeklagten aufrechnen.9 Das Gemeinwohlziel der Schonung öffentlicher Kassen10 rechtfertigt zwar die Reduzierung der Vergütungssätze für Rechtsanwälte, die im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordnet sind (vgl. § 49 RVG).11 Damit ist jedoch den finanziellen Belangen des Staates umfassend Rechnung getragen, so dass der Umstand der Bewilligung von Prozesskostenhilfe bei der Festsetzung des – für die Anwaltsvergütung mittelbar relevanten – Streitwerts im Einzelfall von den Gerichten nicht nochmals zum Anlass einer Reduzierung des Streitwerts und damit des Anwaltshonorars genommen werden darf.12 Generell darf das an sich berechtigte Ziel der Schonung öffentlicher Kassen nicht zu wiederholten Honorarkürzungen führen.13 Die Begrenzung der Gebühren, die ein beigeordneter Rechtsanwalt aus der Staatskasse erhält (vgl. § 49 RVG), ist allerdings selbst in krassen Fällen gerechtfertigt, wenn sich der Rechtsanwalt nach § 121 Abs. 1 oder Abs. 2 ZPO zur Übernahme der Vertretung bereiterklärt hat. In diesem Fall hat sich der Rechtsanwalt bewusst und ohne Zwang auf das Risiko eingelassen, die volle gesetzliche Vergütung nur bei Obsiegen der eigenen Partei zu erhalten (vgl. § 126 Abs. 1 ZPO).14 Auch das Verbot bestimmter Vergütungsformen wie erfolgsbasierter Honorare (Erfolgshonorare, qouta-litis-Vereinbarungen) beeinträchtigt die Berufsausübungsfreiheit der Rechtsanwälte. Ein ausnahmsloses Verbot (wie in § 49b Abs. 2 S. 1 BRAO a.F.) ist mit Art. 12 Abs. 1 GG unvereinbar. Von Verfassungs wegen ist eine Ausnahme für den Fall geboten, dass mit der Vereinbarung eines Erfolgshonorars (auch in der Form einer „quota litis“ oder Streitanteilsvergütung) besonderen Umständen in der Person des Auftraggebers Rechnung getra1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
BVerfG, NJW-RR 2010, 259 (262). Vgl. BVerfGE 83, 1 (12). BVerfGE 85, 337 (349); 107, 133 (143 f.) m.w.N. BVerfGE 83, 1 (14); 107, 133 (143). Vgl. BVerfGE 83, 1 (14 ff.). BVerfGE 68, 237 (254 f.). BVerfG, NJW 2001, 1269. BVerfG, NJW 2011, 3079 (3080, Rz. 20 ff.). BVerfG, BRAK-Mitt. 2009, 176; vgl. auch BVerfG, AnwBl. 2009, 551. Vgl. dazu etwa BVerfGE 101, 339 (349). BVerfGK 6, 130 (133). BVerfGK 6, 130 (134 f.) für den Streitwert in Ehesachen bei beiderseitiger Bewilligung ratenfreier Prozesskostenhilfe. 13 BVerfG, AnwBl. 2011, 867 (Rz. 19). 14 BVerfG, NJW 2008, 1063.
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Rz. 69 Art. 12 GG
gen werden soll, die ihn sonst von der Verfolgung seiner Rechte abgehalten hätten.1 In der Zeit vor der Neuregelung (§ 49b Abs. 2 BRAO n.F., § 4a RVG), die der Gesetzgeber zum 1.7. 2008 getroffen hat, blieb das bisher geltende umfassende Verbot weiter anwendbar.2 Zu den durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten berufsbezogenen Tätigkeiten zählt auch für die freien Berufe die berufliche Außendarstellung der Grundrechtsberechtigten einschließlich der Werbung für die Inanspruchnahme ihrer Dienste.3 Werbung ist ein Verhalten ist, das planvoll darauf angelegt ist, andere dafür zu gewinnen, die Leistungen des Werbenden in Anspruch zu nehmen. Es geht nicht nur um die Unterrichtung über Art und Ort einer beruflichen Tätigkeit, vielmehr ist es gerade Zweck der Werbung, Kunden zu Lasten der Konkurrenz zu gewinnen.4 Den Angehörigen freier Berufe soll für sachgerechte, nicht irreführende Information im rechtlichen und geschäftlichen Verkehr Raum bleiben;5 Einschränkungen bedürfen einer gesetzlichen Grundlage, die ihrerseits den Anforderungen der Verfassung an grundrechtsbeschränkende Gesetze genügen muss. § 6 Abs. 1 BORA, wonach der Rechtsanwalt über seine Dienstleistungen und seine Person informieren darf, soweit die Angaben sachlich unterrichten und berufsbezogen sind, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.6 Dies gilt auch für die Formulierung von Stellenanzeigen, die praxisbezogene Angaben enthalten, um geeignete Bewerber zu einer Kontaktaufnahme zu veranlassen und ungeeignete Personen abzuhalten.7 Das hiernach für Rechtsanwälte geltende Verbot berufswidriger Werbung verfolgt den Zweck, das Vertrauen der Rechtsuchenden darauf zu erhalten, dass der Rechtsanwalt seine Dienste nicht rein gewerblich und gewinnorientiert anbietet und seine Leistungen an den Interessen des Mandanten und nicht am eigenen wirtschaftlichen Vorteil ausrichtet.8 Werbebeschränkungen hinsichtlich bestimmter Medien müssen deshalb verfassungskonform dahingehend ausgelegt werden, dass lediglich eine berufswidrige Werbung unzulässig ist.9 Allein die Wahl des Internets als Werbemedium rechtfertigt es nicht, die Grenzen für die Zulässigkeit von Werbung enger zu ziehen.10 Verboten sind neben irreführender Werbung insbesondere aufdringliche Werbemethoden, die Ausdruck eines rein geschäftsmäßigen, ausschließlich an Gewinn orientierten Verhaltens sind.11 Unzulässig ist hiernach etwa eine Werbung, die reklamehaftes Anpreisen in den Vordergrund stellt und mit der eigentlichen Leistung des Anwalts und dem unabdingbaren Vertrauensverhältnis im Rahmen eines Mandats nichts mehr zu tun hat.12 In einer gerichtlichen Entscheidung genügt die schlichte Behauptung, eine Werbemaßnahme sei reklamehaft nicht, um die Berufswidrigkeit zu begründen. Ebenso wenig reicht es aus, allein aus der vollständigen Nutzung der Möglichkeiten eines Werbemediums auf die Berufswidrigkeit zu schließen.13 Auch die Werbung mit einer „Gegnerliste“, aus der sich nur entnehmen lässt, gegen welche Personen und Unternehmen dem werbenden Rechtsanwalt außergerichtliche oder gerichtliche Mandate erteilt wurden, kann nicht mit den Hinweisen, es werde „schlicht und in erster Linie Werbung“ betrieben, oder es gebe noch andere Möglichkeit zur Darstellung der besonderen beruflichen Kompetenz, als berufswidrig qualifiziert werden.14 Die Versteigerung anwaltlicher Beratungsleistungen in einem Internetauktionshaus kann nicht ohne weiteres als berufswidrige, insbesondere unsachliche und aufdringliche Werbemethode behandelt werden. Die Versteigerung von Beratungsleistungen über ein Internetauktionshaus deutet für sich genommen auch weder auf eine Vernachlässigung von anwaltlichen Berufspflichten hin noch wird hierdurch die ordnungsgemäße Berufsausübung gefährdet.15 Bloße Informationen der Öffentlichkeit – wie Weitergabe der Selbst- und der Strafanzeige eines Rechtsanwalts an Medien – können wegen der damit verbundenen Werbewirkung allenfalls ausnahmsweise dann zu beanstanden sein, wenn für diese Informationen kein oder ein derart geringes öffentliches Interesse erkennbar ist, dass der Werbeeffekt demgegenüber deutlich überwiegt.16 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16
BVerfGE 117, 163. BVerfGE 117, 163 (200 f.). Vgl. BVerfGE 85, 248 (256) – Ärzte; 94, 372 (389) – Apotheker. Vgl. BVerfGE 111, 366 (378). Vgl. BVerfG, NJW 2001, 3324. BVerfG, NJW 2004, 2656 (2657); BVerfGK 7, 448 (450). Vgl. BVerfG, NJW-RR 1996, 439 für Steuerberater. BVerfG, NJW 2000, 3195; auch BVerfGE 111, 366 (379). BVerfG, NJW 2004, 2656 (2658). Vgl. BVerfG, NJW 2003, 3470 für Zahnärzte. BVerfG, NJW 2000, 3195; NJW 2001, 1926 (1927). BVerfG, NJW 2004, 2656 (2657). Vgl. BVerfGE 111, 366 (380 f.) für die Straßenbahnwerbung von Steuerberatern. BVerfG, NJW 2008, 838. BVerfG, NJW 2008, 1298. BVerfGE 76, 196 (208 f.).
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Berufsfreiheit
Welche Werbeformen als üblich, angemessen oder als übertrieben bewertet werden, unterliegt zeitbedingten Veränderungen, denen Rechnung zu tragen ist.1 Entscheidend für die Beurteilung ist nicht die Sicht der Berufsgruppe, sondern die der angesprochenen Verkehrskreise.2 Imagewerbung wie Sponsoring ist auch bei Rechtsanwälten für sich genommen weder irreführend noch hat es ein sensationelles und reklamehaftes Sich-Herausstellen zum Gegenstand. Entscheidend für die Bewertung als berufswidrig ist daher, ob das Sponsoring mit Übertreibungen oder Verknüpfungen einhergeht, die geeignet sind, die maßgeblichen Gemeinwohlbelange zu gefährden.3 Zur freien Berufsausübung gehört auch das Recht, die Öffentlichkeit über erworbene Qualifikationen wahrheitsgemäß und in angemessener Form zu informieren. Teil solcher beruflichen Außendarstellung ist der Hinweis auf erworbene Kenntnisse und Fähigkeiten, die in rechtmäßig erlangten Titeln ihren Niederschlag gefunden haben oder in anderer Weise dokumentiert sein können.4 Die Werbung mit eigenen sportlichen Erfolgen kann daher jedenfalls für einen Rechtsanwalt mit dem Interessen- oder Tätigkeitsschwerpunkt „Sportrecht“ nicht beanstandet werden.5 Auch die Angabe einer weiteren Berufstätigkeit, die z.B. als Architekt neben dem Anwaltsberuf zulässigerweise ausgeübt wird, darf nicht untersagt werden.6 Für einen Anwaltsnotar zählt zur beruflichen Außendarstellung die Angabe der Amtsbezeichnung als Notar, die er bei seiner Berufsausübung grundsätzlich führen darf (§ 2 S. 2 BNotO). Das Verbot des § 29 Abs. 3 S. 1 BNotO, unter bestimmten Voraussetzungen auf die Amtsbezeichnung als Notar hinzuweisen, greift deshalb in die Freiheit der Berufsausübung ein; die Vorschrift ist mit Art 12 Abs. 1 GG unvereinbar, soweit Anwaltsnotaren in überörtlichen Sozietäten untersagt wird, die Amtsbezeichnung als Notar auf Geschäftspapieren anzugeben, die nicht von der Geschäftsstelle des Notars aus versandt werden.7 Allein der Umstand eines graphisch und farblich gestalteten Briefbogens kann selbst bei einem Anwaltsnotar noch keine berufswidrige Werbung begründen.8 Bei der Gestaltung von Briefbögen ist allerdings zu beachten, dass die Benennungsgebote hinsichtlich der Gesellschafter, Angestellten oder freien Mitarbeiter einer Kanzlei aus § 10 Abs. 2 BORA keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnen; vielmehr dient es dem berechtigten Interesse der Rechtsuchenden, ein Mindestmaß an Information und Transparenz hinsichtlich personeller Zusammensetzung, Größe und Haftungssituation einer Kanzlei zu erhalten.9 Die Selbstbezeichnung eines Rechtsanwalts als „Spezialist“ für ein bestimmtes Rechtsgebiet stellt für die Rechtsuchenden grundsätzlich eine interessengerechte und sachangemessene Information dar; gibt es für dieses Rechtsgebiet keinen Fachanwaltstitel, so besteht auch keine Gefahr der Verwechslung mit einer Fachanwaltsbezeichnung.10 Zu beachten ist aber stets, dass die Grenze zur Irreführung nicht überschritten wird. Deshalb ist ein Werbeverbot dann nicht zu beanstanden, wenn Rechtsanwälte ihrer Berufsbezeichnung eine irreführende Tätigkeitsangabe anfügen. Dabei kommt dem Schutz der Bezeichnung als Fachanwalt besondere Bedeutung zu. So kann etwa durch den der Berufsbezeichnung als Rechtsanwalt beigefügten Zusatz „und Steuerberatung“, die Gefahr einer Verwechslung mit Fachanwaltschaften begründen.11 Auch die Beschränkung der Fachanwaltsbezeichnung auf damals höchstens zwei und jetzt drei Rechtsgebiete (§ 43c Abs. 1 S. 3 BRAO) ist gerechtfertigt, weil damit die Glaubwürdigkeit des Fachhinweises bei dem geforderten hohen Niveau der Kenntnisse gewahrt werden kann.12 D. Prozessuales I. Grundlagen des Verfassungsbeschwerdeverfahrens
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Nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG entscheidet das BVerfG über Verfassungsbeschwerden, die von jedermann mit der Behauptung erhoben werden können, durch die öffentliche Gewalt in 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
BVerfG, NJW 2000, 3195. BVerfG, NJW 2001, 3324. BVerfG, NJW 2000, 3195 (3196); auch BVerfGE 94, 372 (395) – Apotheker. BVerfG, NJW 2003, 2816 (2817). BVerfG, NJW 2003, 2816 (2817 f.). BVerfGE 82, 18 (28). BVerfGE 112, 255 (262 ff.). BVerfG, NJW 1997, 2510 (2511). BVerfG, NJW 2009, 2587. BVerfG, NJW 2004, 2656 (2658), zuvor bereits für Ärzte BVerfG, NJW 2002, 1331. BVerfGK 7, 448 (451). BVerfG, NJW 2005, 3558 f.
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Rz. 71 Art. 12 GG
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einem seiner Grundrechte oder in einem seiner in Art. 20 Abs. 4, 33, 38, 101, 103 und 104 GG enthaltenen Rechte verletzt zu sein. Einzelheiten zum Verfahren regelt das BVerfGG1 insbesondere in den §§ 90 ff: 90 BVerfGG [Beschwerdebefugnis; Rechtswegerschöpfung] (1) Jedermann kann mit der Behauptung, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder in einem seiner in Artikel 20 Abs. 4, Artikel 33, 38, 101, 103 und 104 des Grundgesetzes enthaltenen Rechte verletzt zu sein, die Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht erheben. (2) 1Ist gegen die Verletzung der Rechtsweg zulässig, so kann die Verfassungsbeschwerde erst nach Erschöpfung des Rechtswegs erhoben werden. 2Das Bundesverfassungsgericht kann jedoch über eine vor Erschöpfung des Rechtswegs eingelegte Verfassungsbeschwerde sofort entscheiden, wenn sie von allgemeiner Bedeutung ist oder wenn dem Beschwerdeführer ein schwerer und unabwendbarer Nachteil entstünde, falls er zunächst auf den Rechtsweg verwiesen würde. (3) Das Recht, eine Verfassungsbeschwerde an das Landesverfassungsgericht nach dem Recht der Landesverfassung zu erheben, bleibt unberührt. 91 BVerfGG [Beschwerdebefugnis von Gemeinden und Gemeindeverbände] 1
Gemeinden und Gemeindeverbände können die Verfassungsbeschwerde mit der Behauptung erheben, daß ein Gesetz des Bundes oder des Landes die Vorschrift des Artikels 28 des Grundgesetzes verletzt. 2Die Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht ist ausgeschlossen, soweit eine Beschwerde wegen Verletzung des Rechtes auf Selbstverwaltung nach dem Rechte des Landes beim Landesverfassungsgericht erhoben werden kann. 92 BVerfGG [Begründung der Beschwerde] In der Begründung der Beschwerde sind das Recht, das verletzt sein soll, und die Handlung oder Unterlassung des Organs oder der Behörde, durch die der Beschwerdeführer sich verletzt fühlt, zu bezeichnen. 93 BVerfGG [Beschwerdefrist; Wiedereinsetzung in den vorigen Stand] (1) 1Die Verfassungsbeschwerde ist binnen eines Monats zu erheben und zu begründen. 2Die Frist beginnt mit der Zustellung oder formlosen Mitteilung der in vollständiger Form abgefaßten Entscheidung, wenn diese nach den maßgebenden verfahrensrechtlichen Vorschriften von Amts wegen vorzunehmen ist. 3In anderen Fällen beginnt die Frist mit der Verkündung der Entscheidung oder, wenn diese nicht zu verkünden ist, mit ihrer sonstigen Bekanntgabe an den Beschwerdeführer; wird dabei dem Beschwerdeführer eine Abschrift der Entscheidung in vollständiger Form nicht erteilt, so wird die Frist des Satzes 1 dadurch unterbrochen, daß der Beschwerdeführer schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle die Erteilung einer in vollständiger Form abgefaßten Entscheidung beantragt. 4Die Unterbrechung dauert fort, bis die Entscheidung in vollständiger Form dem Beschwerdeführer von dem Gericht erteilt oder von Amts wegen oder von einem an dem Verfahren Beteiligten zugestellt wird. (2) 1War ein Beschwerdeführer ohne Verschulden verhindert, diese Frist einzuhalten, ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. 2Der Antrag ist binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. 3Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. 4Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Rechtshandlung nachzuholen; ist dies geschehen, kann die Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden. 5 Nach einem Jahr seit dem Ende der versäumten Frist ist der Antrag unzulässig. 6Das Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden eines Beschwerdeführers gleich. (3) Richtet sich die Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz oder gegen einen sonstigen Hoheitsakt, gegen den ein Rechtsweg nicht offensteht, so kann die Verfassungsbeschwerde nur binnen eines Jahres seit dem Inkrafttreten des Gesetzes oder dem Erlaß des Hoheitsaktes erhoben werden. (4) Ist ein Gesetz vor dem 1. April 1951 in Kraft getreten, so kann die Verfassungsbeschwerde bis zum 1. April 1952 erhoben werden. 93a BVerfGG [Annahme zur Entscheidung] (1) Die Verfassungsbeschwerde bedarf der Annahme zur Entscheidung. (2) Sie ist zur Entscheidung anzunehmen, a) soweit ihr grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zukommt, 1 Gesetz über das Bundesverfassungsgericht (Bundesverfassungsgerichtsgesetz – BVerfGG) in der Fassung der Bekanntmachung v. 11.8.1993 (BGBl. I, S. 1473), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes v. 29.8.2013 (BGBl. I, S. 3463).
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b) wenn es zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 genannten Rechte angezeigt ist; dies kann auch der Fall sein, wenn dem Beschwerdeführer durch die Versagung der Entscheidung zur Sache ein besonders schwerer Nachteil entsteht. 93b BVerfGG [Annahmeentscheidung] Die Kammer kann die Annahme der Verfassungsbeschwerde ablehnen oder die Verfassungsbeschwerde im Falle des § 93c zur Entscheidung annehmen. Im übrigen entscheidet der Senat über die Annahme. 93c BVerfGG [Stattgabe der Bekanntgabe durch die Kammern] (1) 1Liegen die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 Buchstabe b vor und ist die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgebliche verfassungsrechtliche Frage durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden, kann die Kammer der Verfassungsbeschwerde stattgeben, wenn sie offensichtlich begründet ist. Der Beschluß steht einer Entscheidung des Senats gleich. 2Eine Entscheidung, die mit der Wirkung des § 31 Abs. 2 ausspricht, daß ein Gesetz mit dem Grundgesetz oder sonstigem Bundesrecht unvereinbar oder nichtig ist, bleibt dem Senat vorbehalten. (2) Auf das Verfahren finden § 94 Abs. 2 und 3 und § 95 Abs. 1 und 2 Anwendung. 93d BVerfGG [Verfahren bei Entscheidung durch die Kammern] (1) 1Die Entscheidung nach § 93b und § 93c ergeht ohne mündliche Verhandlung. Sie ist unanfechtbar. Die Ablehnung der Annahme der Verfassungsbeschwerde bedarf keiner Begründung. (2) 1Solange und soweit der Senat nicht über die Annahme der Verfassungsbeschwerde entschieden hat, kann die Kammer alle das Verfassungsbeschwerdeverfahren betreffenden Entscheidungen erlassen. 2Eine einstweilige Anordnung, mit der die Anwendung eines Gesetzes ganz oder teilweise ausgesetzt wird, kann nur der Senat treffen; § 32 Abs. 7 bleibt unberührt. 3Der Senat entscheidet auch in den Fällen des § 32 Abs. 3. (3) 1Die Entscheidungen der Kammer ergehen durch einstimmigen Beschluß. 2Die Annahme durch den Senat ist beschlossen, wenn mindestens drei Richter ihr zustimmen.
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94 BVerfGG [Gelegenheit zur Äußerung; Beitritt; Absehen von mündlicher Verhandlung] (1) Das Bundesverfassungsgericht gibt dem Verfassungsorgan des Bundes oder des Landes, dessen Handlung oder Unterlassung in der Verfassungsbeschwerde beanstandet wird, Gelegenheit, sich binnen einer zu bestimmenden Frist zu äußern. (2) Ging die Handlung oder Unterlassung von einem Minister oder einer Behörde des Bundes oder des Landes aus, so ist dem zuständigen Minister Gelegenheit zur Äußerung zu geben. (3) Richtet sich die Verfassungsbeschwerde gegen eine gerichtliche Entscheidung, so gibt das Bundesverfassungsgericht auch dem durch die Entscheidung Begünstigten Gelegenheit zur Äußerung. (4) Richtet sich die Verfassungsbeschwerde unmittelbar oder mittelbar gegen ein Gesetz, so ist § 77 entsprechend anzuwenden. (5) 1Die in den Absätzen 1, 2 und 4 genannten Verfassungsorgane können dem Verfahren beitreten. 2Das Bundesverfassungsgericht kann von mündlicher Verhandlung Absehen, wenn von ihr keine weitere Förderung des Verfahrens zu erwarten ist und die zur Äußerung berechtigten Verfassungsorgane, die dem Verfahren beigetreten sind, auf mündliche Verhandlung verzichten. 95 BVerfGG [Entscheidung des Gerichts] (1) 1Wird der Verfassungsbeschwerde stattgegeben, so ist in der Entscheidung festzustellen, welche Vorschrift des Grundgesetzes und durch welche Handlung oder Unterlassung sie verletzt wurde. 2Das Bundesverfassungsgericht kann zugleich aussprechen, daß auch jede Wiederholung der beanstandeten Maßnahme das Grundgesetz verletzt. (2) Wird der Verfassungsbeschwerde gegen eine Entscheidung stattgegeben, so hebt das Bundesverfassungsgericht die Entscheidung auf, in den Fällen des § 90 Abs. 2 Satz 1 verweist es die Sache an ein zuständiges Gericht zurück. (3) 1Wird der Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz stattgegeben, so ist das Gesetz für nichtig zu erklären. 2Das gleiche gilt, wenn der Verfassungsbeschwerde gemäß Absatz 2 stattgegeben wird, weil die aufgehobene Entscheidung auf einem verfassungswidrigen Gesetz beruht. 3Die Vorschrift des § 79 gilt entsprechend.
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Die weit überwiegende Zahl von Verfassungsbeschwerden wird durch die Kammern des BVerfG entschieden. Sie sind im Zuge der Erweiterung des Annahmeverfahrens (§§ 93a–93c BVerfGG) seit 1986 an die Stelle der Richter-Ausschüsse („Dreier-Ausschüsse“) getreten. Nach § 15a Abs. 1 BVerfGG entscheidet jeder der beiden Senate des BVerfG für jedes Geschäftsjahr über die Zahl und die Besetzung der Kammern; derzeit sind für jeden Senat drei
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Kammern gebildet. Jede Kammer besteht aus drei Richtern; die Besetzung der Kammern soll nicht länger als drei Jahre unverändert bleiben (§ 15a Abs. 1 S. 2 und S. 3 BVerfGG). Zum Verfahren der Kammern enthält die Geschäftsordnung des Bundesverfassungsgerichts1 ergänzende Regelungen: 39 GOBVerfG [Vorsitz der Kammern] In den Kammern führen, soweit sie ihnen angehören, der Präsident und der Vizepräsident, im übrigen der jeweils dienstälteste, bei gleichem Dienstalter der lebensälteste anwesende Richter den Vorsitz. 40 GOBVerfG [Verfahren der Kammern] (1) 1Im Rahmen ihrer Befugnisse entscheiden die Kammern – in der Regel auf Grund eines schriftlichen Votums – in den Verfahren, die einem ihrer Mitglieder als Berichterstatter zugeteilt sind. 2Gehört ein Richter mehreren Kammern an, regelt der Senat in dem Beschluß nach § 15a Abs. 2 BVerfGG, wie sich die Zuständigkeit für die ihm zugeteilten Verfahren auf die Kammern verteilt. (2) Kommt ein einstimmiger Beschluß der Kammer nicht zustande, entscheidet auch in den Fällen des § 93d Abs. 2 BVerfGG der Senat. (3) Lehnt die Kammer die Annahme einer Verfassungsbeschwerde ab, werden die in dieser Sache gestellten Anträge auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung gegenstandslos. 41 GOBVerfG [Stellungnahmen des Berichterstatters] Der Berichterstatter kann bereits vor der Entscheidung der Kammer, ob ein Normenkontrollantrag unzulässig ist oder eine Verfassungsbeschwerde nicht angenommen wird (§ 81a, § 93b BVerfGG), Stellungnahmen der Äußerungsberechtigten (§ 82 in Verbindung mit § 77 BVerfGG, § 94 BVerfGG) oder Dritter einholen und sich mit Ersuchen an die in § 82 Abs. 4 BVerfGG genannten Gerichte wenden. 42 GOBVerfG [Mitteilungen bei Nichtannahme] 1
Sind in einem Verfassungsbeschwerdeverfahren, das mit einem Nicht-Annahme-Beschluß geendet hat, Akten des Gerichts, gegen dessen Entscheidung sich die Verfassungsbeschwerde gerichtet hat, beigezogen worden, so ist diesem Gericht bei der Rückgabe der Akten eine Abschrift des Beschlusses zu übersenden. 2 Das gleiche gilt, wenn ein Verfassungsorgan oder eine Behörde um eine Äußerung zur Verfassungsbeschwerde ersucht worden war oder wenn sich die Verfassungsbeschwerde gegen eine Entscheidung eines obersten Bundesgerichts gerichtet hat.
II. Allgemeine Zulässigkeitsvoraussetzungen (§ 90 BVerfGG) 1. Beschwerdefähigkeit Nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG und § 90 Abs. 1 BVerfGG kann „jedermann“ Verfassungsbeschwerde erheben. Gemeint ist damit zunächst jede natürliche Person. Wird die Verletzung eines Grundrechts gerügt, das – wie bei Art. 12 Abs. 1 GG – nur Deutschen zustehen kann, so ist die deutsche Staatsangehörigkeit (Art. 116 GG) weitere Voraussetzung der Beschwerdefähigkeit.2 Inländische juristische Personen des Privatrechts sind grundrechts- und damit auch beschwerdefähig, falls das geltend gemachte Grundrecht seinem Wesen nach auch auf diese anwendbar ist (vgl. Art. 19 Abs. 3 GG);3 dies ist bei der Berufsfreiheit der Fall (vgl. oben Rz. 14). Für die Eigenschaft als inländische juristische Person ist der Sitz in Deutschland maßgeblich; unerheblich ist die Staatsangehörigkeit der Gesellschafter.4 Eine Beschwerdebefugnis für Ausländer und juristische Personen aus EU-Mitgliedstaaten besteht folgerichtig in Fällen von deren Grundrechtsträgerschaft (vgl. oben Rz. 13 f.).
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2. Beschwerdebefugnis Weitere Zulässigkeitsvoraussetzung gem. § 90 Abs. 1 BVerfGG ist, dass der Beschwerdeführer die Verletzung in einem seiner Grundrechte oder grundrechtsgleichen Rechte durch 1 V. 15.12.1986 (BGBl. I, S. 2529), zuletzt geändert durch die Bekanntmachung von Änderungen der Geschäftsordnung des Bundesverfassungsgerichts v. 7.1.2002 (BGBl. I, S. 1171). 2 Umbach/Clemens/Dollinger/Ruppert, § 90 BVerfGG Rz. 19. 3 BVerfGE 78, 350 (354). 4 BVerfG, NJW 2002, 1485.
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die öffentliche Gewalt geltend macht. Damit sind drei unterschiedliche Anforderungen zu erfüllen: a) Verletzte Rechte 75
Die Rechte, deren Verletzung mit der Verfassungsbeschwerde geltend gemacht werden kann, sind abschließend in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannt. Das Vorbringen des Beschwerdeführers muss es als möglich erscheinen lassen, dass diese Grundrechte und grundrechtsgleichen Rechte durch die angegriffene Maßnahme verletzt sind.1 Nicht zum Katalog der rügefähigen Rechte zählen etwa Art. 20 Abs. 1 bis 3 GG.2 Nicht erfasst sind ferner Verstöße gegen die Europäische Menschenrechtskonvention,3 die Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen4 oder die Länderverfassungen;5 auch Verletzungen der Regeln des europäischen Gemeinschaftsrechts können nicht geltend gemacht werden.6 b) Rechtsverletzung durch die öffentliche Gewalt
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In § 90 Abs. 1 BVerfGG wird der Begriff der öffentlichen Gewalt weiter als in Art. 19 Abs. 4 GG verstanden. Er umfasst nicht nur Maßnahmen der vollziehenden Gewalt, sondern auch Akte der Rechtsprechung („Urteilsbeschwerde“) und der Gesetzgebung („Rechtssatzbeschwerde“).7 Entscheidend ist allein, dass eine Maßnahme der öffentlichen Gewalt vorliegt; deren Form ist unerheblich.8 Daher werden auch Realakte erfasst, wenn es sich nicht nur um innerdienstliche Maßnahmen handelt, sondern ihnen Außenwirkung zukommt.9 Beschwerdebefugnis besteht auch hinsichtlich Maßnahmen nur mittelbarer Staatsgewalt, wie gegen Rügen durch den Vorstand der Rechtsanwaltskammer10 oder Satzungen berufsständischer Versorgungswerke.11
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Da nur die deutsche öffentliche Gewalt an das Grundgesetz gebunden ist, können auch nur ihre Maßnahmen mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden.12 Werden zwischenstaatlichen Einrichtungen wie namentlich der Europäischen Union Hoheitsrechte eingeräumt, die im deutschen Hoheitsbereich den Wesensgehalt der Grundrechte beeinträchtigen können, so muss dies in der Theorie nicht zwingend zur Unzulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde führen. Der nach Maßgabe des GG bestehende Rechtsschutz kann nur dann entfallen, wenn auf Unionsebene eine Grundrechtsgeltung gewährleistet ist, die nach Inhalt und Wirksamkeit dem unabdingbaren Grundsrechtsschutz im Wesentlichen gleichkommt.13 Das BVerfG hat jedoch klargestellt, dass es seine Gerichtsbarkeit über die Anwendbarkeit von abgeleitetem Unionsrecht, das als Rechtsgrundlage für ein Verhalten deutscher Gerichte und Behörden im deutschen Hoheitsbereich herangezogen wird, solange nicht ausüben wird, als die Europäische Union, insbesondere die Rechtsprechung des EuGH, einen wirksamen Schutz der Grundrechte gegenüber der Hoheitsgewalt der Europäischen Union generell gewährleisten, der dem vom GG als unabdingbar gebotenen Grundrechtsschutz im Wesentlichen gleich zu achten ist und insbesondere den Wesensgehalt der Grundrechte generell verbürgt.14 Einen entsprechenden Grundrechtsstandard insbesondere durch die Rechtsprechung des EuGH hat das BVerfG festgestellt.15 Erst und nur dann, wenn der EuGH diesen Grundrechtsstandard verlassen sollte, wird das BVerfG im Rahmen seiner Gerichtsbarkeit wieder tätig.16 Insoweit übt das BVerfG seine Rechtsprechung in einem „Kooperationsverhältnis“ mit dem EuGH aus.17 Eine Verfassungsbeschwerde ist daher unzulässig, wenn ihre Begründung nicht darlegt, dass die europäische Rechtsentwicklung einschließlich der Rechtsprechung des EuGH unter den er1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17
BVerfGE 83, 216 (226). BVerfGE 6, 376 (385). BVerfGE 41, 88 (105 f.); 64, 135 (157) m.w.N. BVerfGE 41, 88 (106). Vgl. BVerfGE 69, 112 (118). BVerfGE 88, 103 (112). Vgl. BVerfGE 4, 27 (30). Umbach/Clemens/Dollinger/Ruppert, § 90 BVerfGG Rz. 19. Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge/Bethge, § 90 BVerfGG Rz. 186. BVerfGE 50, 16 (27); 122, 190 (206). Vgl. BVerfGE 113, 1. Vgl. BVerfGE 1, 10 (11). BVerfGE 73, 339 (376) – Solange II. BVerfGE 73, 339 (387) – Solange II. BVerfGE 73, 339 (378 ff.) – Solange II. BVerfGE 102, 147 (163). BVerfGE 89, 155 (175).
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Rz. 79 Art. 12 GG
forderlichen Grundrechtsstandard abgesunken und der jeweils als unabdingbar gebotene Grundrechtsschutz generell nicht gewährleistet ist.1 Daneben nimmt das BVerfG für sich in Anspruch, sowohl „Grenzüberschreitungen bei der Inanspruchnahme von Zuständigkeiten durch die Europäische Union“ als auch die „Wahrung des unantastbaren Kerngehalts der Verfassungsidentität des GG“ im Rahmen einer „Ultra-vires“- bzw. „Identitätskontrolle“ zu überprüfen.2 Für den erstgenannten Fall eines „ausbrechenden Rechtsakts“ sind in einer Verfassungsbeschwerde etwa Darlegungen erforderlich, nach denen das angegriffene Urteil eines deutschen Fachgerichts die Vertragsfreiheit (Art. 2 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 GG) in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verletzt, weil es auf einer unzulässigen, nach Maßgabe der Rechtsprechung des BVerfG in Deutschland nicht anzuwenden Rechtsfortbildung des EuGH beruht.3 c) Selbstbetroffenheit des Beschwerdeführers Das Erfordernis der Verletzung in eigenen Rechten konkretisiert das BVerfG mit der Formel, dass der Beschwerdeführer behaupten muss, durch die angegriffene Maßnahme „selbst, unmittelbar und gegenwärtig“ in einem seiner Rechte verletzt zu sein.4 Für die Selbstbetroffenheit reicht es nicht aus, dass der Beschwerdeführer durch die angegriffene Maßnahme mittelbar faktisch berührt ist, weil ihn nur eine Reflexwirkung der Maßnahme trifft.5 Umgekehrt ist diese Voraussetzung jedenfalls dann erfüllt, wenn der Beschwerdeführer Adressat der Maßnahme ist.6 Im Fall der Rechtssatzbeschwerde liegt unmittelbare Betroffenheit nur dann vor, wenn die angegriffene Bestimmung, ohne eines weiteren Vollzugsakts zu bedürfen, die Rechtsstellung des Beschwerdeführers verändert („self executing“), was auch dann anzunehmen ist, wenn die Norm ihren Adressaten bereits vor konkreten Vollzugsakten zu später nicht mehr revidierbaren Dispositionen veranlasst.7 Unmittelbare Betroffenheit ist ferner zu bejahen, wenn der Beschwerdeführer gegen einen denkbaren Vollzugsakt nicht oder nicht in zumutbarer Weise vorgehen kann,8 etwa weil er von der Maßnahme (wie z.B. bei der akustischen Wohnraumüberwachung) nichts erfährt.9 In solchen Fällen reicht es für eine Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen ein vollziehungsbedürftiges Gesetz aus, dass der Beschwerdeführer mit einiger Wahrscheinlichkeit durch die auf den angegriffenen Rechtsnormen beruhenden Maßnahmen in seinen Grundrechten berührt wird.10 Grundsätzlich muss der Beschwerdeführer aber, wenn das Gesetz zu seiner Durchführung rechtsnotwendig oder auch nur nach der tatsächlichen staatlichen Praxis einen besonderen, vom Willen der vollziehenden Stelle beeinflussten Vollziehungsakt voraussetzt, zunächst diesen Akt angreifen und den gegen ihn eröffneten Rechtsweg erschöpfen, bevor er Verfassungsbeschwerde erhebt.11
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Wird eine Norm angegriffen, so ist die Betroffenheit gegenwärtig, wenn die angegriffene Vorschrift auf die Rechtsstellung des Beschwerdeführers aktuell und nicht nur virtuell einwirkt, wenn das Gesetz die Normadressaten mit Blick auf seine künftig eintretende Wirkung zu später nicht mehr korrigierbaren Entscheidungen zwingt oder wenn klar abzusehen ist, dass und wie der Beschwerdeführer in der Zukunft von der Regelung betroffen sein wird.12 An der Gegenwärtigkeit der Betroffenheit fehlt es, wenn sich das Rechtsschutzziel des Beschwerdeführers wegen veränderter Sach- oder Rechtslage, insbesondere durch Zeitablauf erledigt hat. Das damit der Sache nach angesprochene Rechtsschutzbedürfnis muss grds. noch zum Zeitpunkt der Entscheidung des BVerfG gegeben sein.13 Allerdings geht das BVerfG in Ausnahmefällen gleichwohl von der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde aus. So etwa in den Fällen einer Wiederholungsgefahr,14 aber auch dann, wenn der gerügte Grundrechtseingriff besonders belastend erscheint und andernfalls die Klärung einer grundsätzlich bedeutsamen verfassungsrechtlichen Frage unterbliebe.15
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BVerfGE 102, 147 (164). BVerfGE 123, 267 (353 f.) – Lissabon; BVerfG, WM 2014, 404 (Rz. 22) – OMT. BVerfGE 126, 286 (300) – Honeywell. St. Rspr., vgl. etwa BVerfGE 1, 97 (101); 102, 197 (206). Vgl. BVerfGE 78, 350 (354). Vgl. BVerfGE 102, 197 (206 f.). BVerfGE 102, 197 (207). BVerfGE 109, 279 (306 f.); 115, 118 (137). BVerfGE 109, 279 (306). BVerfGE 109, 279 (307 f.) m.w.N. BVerfGE 109, 279 (306) m.w.N. BVerfGE 102, 197 (207). BVerfGE 81, 138 (140). BVerfGE 52, 42 (51 f.); 81, 208 (213). BVerfGE 81, 138 (140 f.); BVerfGE 98, 169 (198).
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3. Rechtsschutzbedürfnis 80
Auch wenn sich Überschneidungen mit den vorstehend geschilderten speziellen Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde ergeben, ist – wie in den anderen gerichtlichen Verfahren auch – die Prüfung des Rechtsschutzbedürfnisses des Beschwerdeführers nicht verzichtbar.1 An einem Rechtsschutzbedürfnis fehlt es z.B., wenn der Beschwerdeführer eine Grundrechtsverletzung auch ohne gerichtliche Hilfe vermeiden kann.2 4. Rechtswegerschöpfung
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Mit § 90 Abs. 2 BVerfGG macht das Gesetz von der in Art. 94 Abs. 2 S. 2 GG vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch und bestimmt, dass Verfassungsbeschwerde erst eingelegt werden kann, nachdem der Rechtsweg erschöpft ist. Durch dieses Erfordernis soll sichergestellt werden, dass das BVerfG nur nach ordnungsgemäßer Vorprüfung der Beschwerdepunkte durch die zuständigen Fachgerichte angerufen und dadurch mit Blick auf seine eigentliche Aufgabe der verfassungsrechtlichen Kontrolle entlastet wird.3 Rechtsweg ist jede gesetzlich normierte Möglichkeit der Anrufung eines Gerichts.4 Die Frage der Erschöpfung des Rechtswegs beantwortet sich nach den in der jeweiligen Verfahrensordnung vorgesehenen Rechtsbehelfen; es sind alle im Gesetz vorgesehenen Rechtsbehelfe zu nutzen, mit denen eine Beseitigung der die Grundrechte verletzenden Maßnahme erreicht werden kann.5 Kann eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu einer sachlichen Prüfung und damit zu einer Beseitigung der Grundrechtsverletzung führen, so muss der Beschwerdeführer auch von dieser Möglichkeit Gebrauch machen.6
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Zum Rechtsweg zählt auch die Beschwerde gegen die Nichtzulassung eines Rechtsmittels (etwa nach § 544 ZPO). Hätte eine erfolgreiche Nichtzulassungsbeschwerde die Möglichkeit eröffnet, die geltend gemachte Grundrechtsverletzung im nachfolgenden Rechtsmittelverfahren auszuräumen, so ist die Verfassungsbeschwerde grds.7 unzulässig, wenn die Nichtzulassungsbeschwerde nicht eingelegt wird oder aus prozessualen Gründen erfolglos bleibt.8
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Ein Rechtsmittel, über dessen Unzulässigkeit nach dem Stand der Rechtsprechung und Lehre zum Zeitpunkt der Einlegung keine Ungewissheit bestehen konnte, gehört nicht zum Rechtsweg.9 Wird ein derart offensichtlich unzulässiges Rechtsmittel gleichwohl eingelegt, so setzt die daraufhin ergangene Entscheidung die Beschwerdefrist nicht erneut in Lauf.10 Umgekehrt muss der Beschwerdeführer aber jeden nicht offensichtlich aussichtslosen Rechtsbehelf nutzen; insbesondere kann von der Einlegung eines Rechtsmittels grds. nicht schon dann abgesehen werden, wenn seine Statthaftigkeit nach dem aktuellen Stand von Rechtsprechung und Lehre umstritten ist.11 In solcher Situation kann sich empfehlen, neben der Einlegung des umstrittenen Rechtsbehelfs vorsorglich auch Verfassungsbeschwerde einzulegen und dies mit der Bitte zu verbinden, die Verfassungsbeschwerde bis auf weiteres nur im Allgemeinen Register des BVerfG einzutragen und damit nicht dem zuständigen Richter zur Bearbeitung vorzulegen.12
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Wird die Nichtgewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) beanstandet, so ist zur Erschöpfung des Rechtswegs auch von der Möglichkeit der Erhebung einer Anhörungsrüge bei dem zuständigen Fachgericht (insbesondere § 321a ZPO; § 152a VwGO; § 178a SGG; § 78a ArbGG; § 44 FamFG; § 133a FGO; §§ 33a, 356a StPO) Gebrauch zu machen. Bei Versäumen der fristgebundenen Anhörungsrüge beschränkt sich die Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde nicht nur auf die behauptete Gehörsverletzung, sondern erfasst alle Rügen von Verfassungsverstößen, die bei einem Erfolg der Anhörungsrüge im fachgerichtlichen Verfahren gegenstandlos geworden wären; im Regelfall wird damit die Verfassungsbeschwerde insgesamt unzulässig.13 Der Beschwerdeführer kann allerdings versuchen, die Unzulässigkeit 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13
Vgl. etwa BVerfGE 81, 347 (356). Vgl. Umbach/Clemens/Dollinger/Ruppert, § 90 BVerfGG Rz. 90 f. Vgl. BVerfGE 4, 193 (198). BVerfGE 67, 157 (170). Umbach/Clemens/Dollinger/Sperlich, § 90 BVerfGG Rz. 117. BVerfGE 42, 252 (255 f.). Zu Ausnahmen vgl. BVerfG, DVBl 2011, 164. Vgl. BVerfGE 91, 93 (106); BVerfGK 1, 222 (223). BVerfGE 49, 252 (255) m.w.N. BVerfGE 5, 17 (19 f.); 91, 93 (106). BVerfGE 68, 376 (381). Umbach/Clemens/Dollinger/Sperlich, § 90 BVerfGG Rz. 123. BVerfG, NJW 2005, 3059.
86 Gaier
Berufsfreiheit
Rz. 87 Art. 12 GG
durch Rücknahme der Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs vor einer Entscheidung des BVerfG zu vermeiden.1 Allerdings muss hierbei die Beachtung des Subsidiaritätsgebots im Blick behalten werden.2 Gehörsverletzungen in den Vorinstanzen der Fachgerichtsbarkeit sind mit den Rechtsbehelfen der jeweiligen Verfahrensordnung, insbesondere der Nichtzulassungsbeschwerde gem. § 544 ZPO, geltend zu machen; die unterbliebene Heilung einer Gehörsverletzung der Vorinstanzen („perpetuierte Gehörsverletzung“) stellt keine Verletzung des rechtlichen Gehörs durch das Rechtsmittelgericht dar, die mit der Anhörungsrüge geltend gemacht werden kann.3 Das BVerfG verzichtet nicht nur im gesetzlich geregelten Fall der Vorabentscheidung nach § 90 Abs. 2 S. 2 BVerfGG auf die Erschöpfung des Rechtswegs, sondern ausnahmsweise und unter engen Voraussetzungen auch in Fällen der Unzumutbarkeit. So kann eine fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung, auf die sich der Beschwerdeführer bei den von ihm gewählten Rechtsbehelfen verlassen konnte, zur Unzumutbarkeit der Erschöpfung des tatsächlich gegebenen Rechtswegs führen.4 Unzumutbar kann die Erschöpfung des Rechtswegs ferner in Fällen offensichtlicher Aussichtslosigkeit sein, wenn etwa eine gefestigte aktuelle höchstrichterliche Rechtsprechung vorliegt und auch im konkreten Fall keine Abweichung zu erwarten ist,5 oder wenn die angegriffene Regelung des Beschwerdeführer zu Dispositionen zwingt, die später nicht mehr korrigiert werden können.6 Dem Beschwerdeführer kann auch nicht zugemutet werden, dass er zunächst gegen eine straf- oder bußgeldbewehrte Vorschrift verstößt, um die Verfassungswidrigkeit der Norm in einem Straf- oder Bußgeldverfahren geltend zu machen.7
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5. Vorabentscheidung Durch § 90 Abs. 2 S. 2 BVerfGG wird es dem BVerfG ermöglicht, in Ausnahmefällen von dem Erfordernis der Erschöpfung des Rechtswegs abzusehen und über eine Verfassungsbeschwerde sofort zu entscheiden. Eine solche „Vorabentscheidung“ setzt voraus, dass die Verfassungsbeschwerde entweder von allgemeiner Bedeutung ist oder aber dem Beschwerdeführer ein schwerer und unabwendbarer Nachteil entstünde, falls er zunächst auf den Rechtsweg verwiesen würde. Die Vorschrift soll nur das vollständige Durchlaufen des Rechtswegs ersparen und setzt daher voraus, dass der Rechtsweg wenigstens in Teilen beschritten wurde oder zum Zeitpunkt der Entscheidung noch beschritten werden kann.8 Selbst bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 90 Abs. 2 S. 2 BVerfGG ist das BVerfG nicht verpflichtet, von der Möglichkeit einer Vorabentscheidung Gebrauch zu machen, dies bleibt vielmehr seinem Ermessen überlassen. Da die Vorabentscheidung eine Bevorzugung gegenüber anderen Beschwerdeführern bedeutet, prüft das BVerfG hierbei auch, ob diese unter Berücksichtigung der Dringlichkeit anderer Verfahren offensichtlich geboten ist.9 Außerdem wird berücksichtigt, ob der Sachverhalt auch ohne Erschöpfung des Rechtswegs hinreichend aufgeklärt und Zweifelsfragen zum einfachen Recht ausgeräumt sind.10
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Von allgemeiner Bedeutung ist eine Verfassungsbeschwerde, wenn sie grundsätzliche verfassungsrechtliche Fragen aufwirft und die Entscheidung Klarheit in einer Vielzahl gleichgelagerter Fälle schafft.11 Der für die zweite Alternative notwendige schwere Nachteil liegt nur vor, wenn er gerade durch den Verweis des Beschwerdeführers auf die Erschöpfung des Rechtswegs entsteht.12 Unabwendbar ist ein Nachteil, wenn eine Entscheidung des BVerfG wegen des Zeitablaufs durch die Erschöpfung des Rechtswegs im Hinblick auf die geltend gemachte Grundrechtsverletzung zu spät käme.13 Die Voraussetzungen für eine Vorabentscheidung können z.B. gegeben sein, wenn die gerügte Grundrechtsverletzung speziell die Anordnung der sofortigen Vollziehung einer Maßnahme betrifft und im Hauptsacheverfahren nicht mehr zureichend ausgeräumt werden könnte.14
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1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14
BVerfGE 126, 1 (17). BVerfG, NJW 2013, 3506 (3507 f., Rz. 27 ff.). Vgl. BVerfG, NJW 2007, 3418; NJW 2008, 2635. BVerfGE 19, 253 (256). BVerfGE 78, 155 (160); 79, 1 (20). BVerfGE 79, 1 (20). BVerfGE 97, 157 (165). BVerfGE 56, 54 (69). BVerfGE 8, 38 (40). Umbach/Clemens/Dollinger/Sperlich, § 90 BVerfGG Rz. 161. BVerfGE 84, 133 (144); 94, 49 (83). Vgl. BVerfGE 34, 205 (208). Vgl. BVerfGE 34, 205 (208). BVerfGE 69, 233 (241).
Gaier 87
Art. 12 GG Rz. 88
Berufsfreiheit
6. Subsidiarität 88
In ständiger Rechtsprechung geht das BVerfG davon aus, dass der Beschwerdeführer den Rechtsweg nicht lediglich formell erschöpfen darf, er muss vielmehr alle nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergreifen, um die geltend gemachte Grundrechtsverletzung in dem unmittelbar mit ihr zusammenhängenden sachnächsten Verfahren zu verhindern oder zu beseitigen.1 Diesen Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde entnimmt das BVerfG § 90 Abs. 2 BVerfGG.2 Er steht – wie das Gebot der Rechtswegerschöpfung selbst – unter der Voraussetzung der Zumutbarkeit; so kann der Beschwerdeführer nicht auf ein fachgerichtliches Verfahren verwiesen werden, das von vornherein aussichtslos erscheinen muss, oder wenn die Entscheidung von keiner weiteren tatsächlichen und rechtlichen Klärung abhängt und diejenigen Voraussetzungen gegeben sind, unter denen das BVerfG gem. § 90 Abs. 2 S. 2 BVerfGG sofort entscheiden kann.3
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Soweit das BVerfG bei der Verletzung rechtlichen Gehörs aus Gründen der Subsidiarität zunächst die Erhebung einer Gegenvorstellung verlangt hatte,4 ist diese Rechtsprechung seit dem Plenarbeschluss vom 30.3.2003 überholt.5 Der Beschwerdeführer muss nun allerdings von der Möglichkeit einer Anhörungsrüge Gebrauch machen (vgl. oben Rz. 84). Die Erhebung einer Gegenvorstellung ist hingegen weder aus Gründen der Subsidiarität erforderlich noch kann durch sie die Frist zur Einlegung der Verfassungsbeschwerde offengehalten werden.6
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Besondere Bedeutung erlangt das Subsidiaritätserfordernis, wenn mit der Verfassungsbeschwerde eine Rechtsnorm angegriffen werden soll.7 Auch wenn der Beschwerdeführer von einer Vorschrift unmittelbar betroffen ist, muss er zunächst die Fachgerichte anrufen, wenn er von ihnen in zumutbarer Weise Rechtsschutz erlangen kann.8 Ein Verweis auf den Rechtsweg ist danach besonders dann geboten, wenn das angegriffene Gesetz den Gerichten Entscheidungsspielräume belässt, die für die Frage seiner Verfassungsmäßigkeit Gewicht erlangen können.9 Das angerufene Fachgericht hat dann darüber zu befinden, ob nach Maßgabe der Voraussetzungen des Art. 100 Abs. 1 GG zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Vorschrift eine Entscheidung des BVerfG einzuholen ist.10 Selbst wenn nur die Möglichkeit einer mittelbaren fachgerichtlichen Kontrolle besteht, ist diese zu nutzen und bei untergesetzlichen Rechtsnormen ggf. eine verwaltungsgerichtliche Verpflichtungsklage mit einer Feststellungsklage zu kombinieren.11 Der Grundsatz der Subsidiarität verlangt allerdings nicht, dass ein Betroffener vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde gegen eine straf- oder bußgeldbewehrte Rechtsnorm verstößt und dann zunächst im Straf- oder Bußgeldverfahren die Verfassungswidrigkeit der Norm geltend macht.12
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Ein weiterer wichtiger Anwendungsbereich des Subsidiaritätsgrundsatzes sind fachgerichtliche Entscheidungen in Eilverfahren.13 Er verlangt hier über die Erschöpfung des Rechtswegs im Eilverfahren hinaus, dass der Beschwerdeführer auch den Rechtsweg in der Hauptsache ausschöpft, wenn dort nach der Art des gerügten Grundrechtsverstoßes die Gelegenheit besteht, der verfassungsrechtlichen Beschwer abzuhelfen; dies ist regelmäßig anzunehmen, wenn mit der Verfassungsbeschwerde Grundrechtsverletzungen gerügt werden, die sich auf die Hauptsache beziehen.14 Anderes gilt jedoch, wenn eine selbständige Beschwer geltend gemacht wird, die sich mit der Beschwer der späteren Hauptsache nicht deckt.15 So etwa bei Versagung des vorläufigen Rechtsschutzes durch die Fachgerichte16 oder Verletzung des rechtlichen Gehörs im Eilverfahren.17 Für die Verweisung auf das Haupt1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17
BVerfGE 68, 384 (388 f.); 107, 395 (414); 112, 50 (60). BVerfGE 107, 395 (414); 112, 50 (60). BVerfGE 104, 65 (71) m.w.N. Vgl. etwa BVerfGE 73, 322 (327). BVerfGE 107, 395 (417). BVerfGE 122, 190 (202, 204). Vgl. Umbach/Clemens/Dollinger/Sperlich, § 90 BVerfGG Rz. 130. BVerfGE 68, 319 (325 f.); 74, 69 (74). BVerfGE 97, 157 (165) m.w.N. BVerfGE 72, 39 (44). BVerfGE 115, 81 (92 ff.). BVerfGE 97, 157 (165). Vgl. Umbach/Clemens/Dollinger/Sperlich, § 90 BVerfGG Rz. 138 f. BVerfGE 86, 15 (22 f.); 104, 65 (71). BVerfGE 79, 69 (73) m.w.N. BVerfGE 79, 69 (73). Vgl. BVerfGE 65, 227 (232 f.).
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Berufsfreiheit
Rz. 94 Art. 12 GG
sacheverfahren spielt die Zumutbarkeit eine besondere Rolle; sie kommt daher nicht in Betracht, wenn die Durchführung des Hauptsacheverfahrens von vornherein aussichtslos erscheint,1 oder wenn die Entscheidung von keiner weiteren tatsächlichen oder rechtlichen Klärung abhängt und diejenigen Voraussetzungen gegeben sind, unter denen das BVerfG gem. § 90 Abs. 2 S. 2 BVerfGG sofort entscheiden kann.2 Eine „materielle Subsidiarität“, die den Beschwerdeführer schon im fachgerichtlichen Ausgangsverfahren zu verfassungsrechtlichen Einwendungen zwingt, um dem Subsidiaritätsgrundsatz zu genügen, besteht grds. nicht.3 Eine „Konstitutionalisierung“ des fachgerichtlichen Verfahrens ist mithin nicht geboten. Soweit nach der maßgeblichen Verfahrensordnung ein Sachvortrag und ggf. die Angabe von Beweismitteln zu den prozessrechtlichen Pflichten und Obliegenheiten der Parteien gehören, während die rechtliche Würdigung und die Anwendung des geltenden Rechts auf den Sachverhalt Sache des Richters ist, können aus dem Subsidiaritätsgrundsatz keine strengeren Anforderungen folgen; der Beschwerdeführer ist im Ausgangsverfahren einer Verfassungsbeschwerde lediglich gehalten, den Sachverhalt so darzulegen, dass dem Fachgericht die ihm obliegende verfassungsrechtliche Prüfung ermöglicht wird.4 Etwas anderes kann in den Fällen gelten, in denen ein Begehren nur Aussicht auf Erfolg haben kann, wenn verfassungsrechtliche Erwägungen in das fachgerichtliche Verfahren eingeführt werden, etwa weil der Ausgang des Verfahrens von der Verfassungswidrigkeit einer Vorschrift abhängt oder eine bestimmte verfassungskonforme Normauslegung angestrebt wird. Verfassungsrechtliche Darlegungen können auch veranlasst sein, wenn nach dem fachgerichtlichen Verfahrensrecht der Antrag auf Zulassung eines Rechtsmittels oder das Rechtsmittel selbst auf die Verletzung von Verfassungsrecht, etwa im Rahmen von § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO und § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, zu stützen sind. In solchen Fällen muss der Beschwerdeführer das Erforderliche veranlassen, damit sich die Fachgerichte mit den verfassungsrechtlichen Aspekten des Falles auseinander setzen. Erst wenn dies geschehen ist, kann er sich mit einer Verfassungsbeschwerde an das BVerfG wenden und geltend machen, er sei durch die angegriffenen gerichtlichen Entscheidungen und ggf. durch die darin angewandten Vorschriften in seinen Grundrechten verletzt.5 Der Beschwerdeführer ist außerdem gehalten, schon im Ausgangsverfahren alle prozessualen Mittel zu nutzen, um Verletzungen seiner Verfahrensrechte aus Art. 101 Abs. 1 S. 2 und Art. 103 Abs. 1 GG zu verhindern oder zu beseitigen;6 auch neuer Tatsachenvortrag ist im Verfassungsbeschwerdeverfahren ausgeschlossen.7
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III. Begründung der Verfassungsbeschwerde (§§ 92, 23 Abs. 2 S. 2 BVerfGG) 1. Form Die Verfassungsbeschwerde ist nach § 23 Abs. 1 S. 1 BVerfGG schriftlich einzulegen. Zulässig ist auch die Übersendung per Telefax,8 nicht hingegen per E-Mail. Wird die Verfassungsbeschwerde durch einen Vertreter eingelegt (§ 22 BVerfGG), so ist eine schriftliche Vollmacht des Beschwerdeführers vorzulegen; für die Wahrung der Beschwerdefrist (§ 93 BVerfGG) ist dies jedoch nicht erforderlich, die Vollmachtsvorlage kann vielmehr bis zum Ergehen einer Entscheidung nachgeholt werden.9
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2. Bezeichnungspflicht Für sich genommen begründet § 92 BVerfGG nur eine Verpflichtung des Beschwerdeführers, den angegriffenen Hoheitsakt und das als verletzt gerügte Grundrecht zu bezeichnen. Auf diese Weise wird der (zweigliedrige) Streitgegenstand des Verfassungsbeschwerdeverfahrens bestimmt10 und verbindlich festgelegt.11 Die Verfassungsbeschwerde muss außerdem 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
BVerfGE 104, 65 (71). BVerfGE 93, 1 (12); 104, 65 (71). So auch Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge/Bethge, § 90 BVerfGG Rz. 419 ff. BVerfGE 112, 50 (61). BVerfGE 112, 50 (62 f.). BVerfGE 95, 96 (127); 112, 50 (62). BVerfGE 112, 50 (62). Vgl. etwa BVerfG, NJW 2000, 574. BVerfGE 1, 433 (436 f.). Vgl. Umbach/Clemens/Dollinger/Magen, § 92 BVerfGG Rz. 3, 6. BVerfGE 109, 279 (305).
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Art. 12 GG Rz. 95
Berufsfreiheit
als solche erkennbar und von anderen Gesuchen an das BVerfG unterscheidbar sein.1 Die Formulierung eines bestimmten Antrages an das BVerfG ist im Verfassungsbeschwerdeverfahren hingegen nicht erforderlich.2 95
Der angegriffene Hoheitsakt muss so genau bezeichnet werden, dass sie verlässlich identifizierbar ist.3 Dies kann bei Verwaltungsakten und gerichtlichen Entscheidungen die Angabe von Datum und Aktenzeichen erforderlich machen; es empfiehlt sich außerdem auch das Datum der Bekanntgabe oder Zustellung mitzuteilen.4 Notwendig ist außerdem die exakte Angabe der handelnden Behörde oder des entscheidenden Gerichts.5 Wird die Verfassungsbeschwerde gegen eine Rechtsnorm gerichtet, so genügt es grds. nicht, das gesamte Gesetz zum Gegenstand der Verfassungsbeschwerde zu machen, vielmehr ist die exakte Bezeichnung der einzelnen angegriffenen Bestimmungen erforderlich.6
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Das als verletzt gerügte Grundrecht oder grundrechtsgleiche Recht (vgl. § 90 Abs. 1 BVerfGG) sollte tunlichst ausdrücklich unter Benennung der entsprechenden Norm des GG angegeben werden. Das BVerfG verlangt allerdings eine solche ausdrückliche Bezeichnung nicht,7 sondern lässt es zu, wenn sich aus dem gesamten Vorbringen, also aus dem mitgeteilten Sachverhalt und den erhobenen Rügen ergibt, welches Recht verletzt sein soll.8 3. Begründungspflicht
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Aus § 92 in Verbindung mit § 23 Abs. 1 S. 2 BVerfGG9 leitet das BVerfG die Verpflichtung des Beschwerdeführers her, die von ihm eingelegte Verfassungsbeschwerde substantiiert zu begründen. Auf diese Weise soll dem BVerfG eine sichere Grundlage für die weitere Behandlung des Falls verschafft werden.10 Notwendig ist es, mit der Begründung der Verfassungsbeschwerde die Möglichkeit der Verletzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten deutlich zu machen.11 Dies erfordert eine substantiierte Darlegung, mit welchen verfassungsrechtlichen Anforderungen die angegriffene Maßnahme kollidiert.12 Wird die Verletzung rechtlichen Gehörs gerügt, so gehört zur notwendigen Substantiierung auch die Darlegung, was bei Gehörsgewährung im Ausgangsverfahren vorgetragen worden wäre.13 Auf diese Weise kann das BVerfG prüfen, ob die angegriffene Entscheidung auf der behaupteten Gehörsverletzung beruht.14
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Die Begründungslast des Beschwerdeführers bezieht sich zunächst auf die Schilderung der Tatsachen, aus denen sich die Grundrechtsverletzung ergeben soll. Die in der Rspr. des BVerfG hierzu angeführten Maßstäbe – etwa „substantiiert und schlüssig“15 – werden zu Recht als wenig erhellend bezeichnet.16 Richtigerweise ist eine funktionale Betrachtung der Vortragslast angebracht. Danach sollen dem BVerfG mit Blick auf die Entscheidung über die Annahme der Verfassungsbeschwerde die notwendigen Sachverhaltsinformationen vermittelt und in Konsequenz der Entlastungsfunktion des Annahmeverfahrens eigene Ermittlungen erspart werden; notwendig ist daher der Vortrag eines Lebenssachverhalts, der hinreichend detailliert genug ist, um ohne weiteres eine Prüfung des geltend gemachten Grundrechtsverstoßes zu ermöglichen.17 Aus Gründen anwaltlicher Vorsorge sollte der Vortrag auch tatsächliche Umstände nicht übergehen, die für die Zulässigkeit und die Annahme der Verfassungsbeschwerde von Bedeutung sind.18 Notwendig ist die Vorlage angegriffener Entscheidungen oder zumindest die Schilderung deren wesentlichen Inhalts.19 Da die Ein1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19
Vgl. BVerfGE 14, 190 (191). Vgl. Umbach/Clemens/Dollinger/Magen, § 92 BVerfGG Rz. 11. Umbach/Clemens/Dollinger/Magen, § 92 BVerfGG Rz. 7. Umbach/Clemens/Dollinger/Magen, § 92 BVerfGG Rz. 7. Umbach/Clemens/Dollinger/Magen, § 92 BVerfGG Rz. 9. BVerfGE 109, 279 (305). BVerfGE 47, 182 (187) m.w.N. BVerfGE 79, 174 (201); 84, 366 (369). BVerfGE 100, 313 (354); 104, 65 (70). BVerfGE 15, 288 (292). BVerfGE 85, 23 (30); 108, 370 (386 f.). BVerfGE 108, 370 (386). BVerfGE 82, 236 (256 f.); 94, 1 (6). BVerfGE 82, 236 (257). Vgl. BVerfGE 99, 84 (87) m.w.N. Ausführlich Umbach/Clemens/Dollinger/Magen, § 92 BVerfGG Rz. 22 ff. Vgl. Umbach/Clemens/Dollinger/Magen, § 92 BVerfGG Rz. 24 f. Dazu Umbach/Clemens/Dollinger/Magen, § 92 BVerfGG Rz. 19 f. Vgl. BVerfGE 93, 266 (288).
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Berufsfreiheit
Rz. 100 Art. 12 GG
schätzung der Wesentlichkeit kaum sicher vorhersehbar ist, ist dringend anzuraten, alle angegriffenen Entscheidungen in vollständiger Kopie mit der Verfassungsbeschwerde oder innerhalb der noch nicht abgelaufenen Beschwerdefrist vorzulegen.1 Gleiches gilt für Entscheidungen, auf die die angegriffenen Entscheidungen Bezug nehmen oder ohne die sie nicht in jeder Hinsicht verständlich sind (etwa Hinweise nach § 522 Abs. 2 S. 2 ZPO). Auch Behördenbescheide, Schriftsätze in Gerichtsverfahren und sonstige schriftliche Unterlagen (etwa Sachverständigengutachten), die für die Verfassungsbeschwerde von Relevanz sein könnten, sollten in vollständiger Kopie vorgelegt werden. Zu beachten ist, dass die beigefügten Anlagen das für eine ordnungsgemäße Begründung notwendige Vorbringen nur ergänzen dürfen, nicht aber ersetzen können. Unbeachtlich sind insbesondere pauschale Bezugnahmen, die das BVerfG auf Grund eines undifferenzierten Hinweises dazu zwingen würden, die Anlagen auf verfassungsrechtlich relevante Lebenssachverhalte zu durchsuchen.2 Der Begründungspflicht genügt der Beschwerdeführer nicht allein durch seinen Tatsachenvortrag, er muss sich vielmehr auch mit der Rechtslage in verfassungsrechtlicher und ggf. auch in einfachrechtlicher Hinsicht auseinandersetzen.3 Hierfür genügt die bloße Benennung einzelner Grundrechte oder GG-Artikel nicht. Vielmehr ist darzulegen, inwieweit durch die angegriffene Maßnahme das bezeichnete Grundrecht verletzt sein soll,4 also mit welchen verfassungsrechtlichen Anforderungen die Maßnahme kollidiert.5 Die Zulässigkeit setzt mithin eine Begründung der Verfassungsbeschwerde voraus, mit der auch durch rechtliche Argumentation auf der Grundlage des vorgetragenen Sachverhalts die Möglichkeit einer Verletzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten aufgezeigt wird. Erforderlich ist eine verfassungsrechtliche Bewertung, deren Umfang sich an der Evidenz der Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung orientiert. Mit einfachrechtlichen Fragen muss sich die Begründung der Verfassungsbeschwerde auseinandersetzen, wenn die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung aus einer bestimmten Rechtslage hergeleitet wird.6 Insbesondere wenn eine gerichtliche Entscheidung angegriffen wird, kann eine Auseinandersetzung mit deren Gründen erforderlich sein.7
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IV. Beschwerdefrist (§ 93 BVerfGG) 1. Einlegungs- und Begründungsfrist Nach § 93 Abs. 1 S. 1 BVerfGG sind die Verfassungsbeschwerden gegen Verwaltungsmaßnahmen und Gerichtsentscheidungen (vgl. § 93 Abs. 3 BVerfGG) innerhalb eines Monats nicht nur einzulegen, sondern auch zu begründen. Für den Fristbeginn ist die Zustellung oder formlose Mitteilung der in vollständiger Form abgefassten Entscheidung maßgeblich, wenn diese nach den einschlägigen verfahrensrechtlichen Vorschriften von Amts wegen vorzunehmen sind. Für die notwendige Form der Übermittlung und die Vollständigkeit des übermittelten Inhalts ist die jeweilige Verfahrensordnung ausschlaggebend. Ist durch die einschlägige Verfahrensordnung weder eine Zustellung noch eine Mitteilung der Entscheidung vorgeschrieben, so beginnt die Frist mit der Verkündung der Entscheidung oder, falls diese nicht zu begründen ist, mit der sonstigen – gezielten8 – Bekanntgabe an den Beschwerdeführer (§ 93 Abs. 1 S. 3 BVerfGG). Erhält der Beschwerdeführer bei der Verkündung oder sonstigen Bekanntgabe keine Abschrift der Entscheidung in vollständiger Form, so wird für ihn die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit im Regelfall zumindest erschwert. Trotzdem hindert dies nicht den Fristbeginn, es bleibt vielmehr nach § 93 Abs. 1 S. 3 Hs. 2 BVerfGG dem Beschwerdeführer überlassen, eine Unterbrechung der Beschwerdefrist dadurch herbeizuführen, dass er schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle die Erteilung einer in vollständiger Form abgefassten Entscheidung beantragt. Nach § 93 Abs. 1 S. 4 BVerfGG dauert die Unterbrechung fort, bis die Entscheidung in vollständiger Form dem Beschwerdeführer von dem Gericht erteilt oder von Amts wegen oder von einem an dem Verfahren Beteiligten
1 Vgl. Umbach/Clemens/Dollinger/Magen, § 92 BVerfGG Rz. 40. 2 BVerfGE 80, 257 (263). 3 So zutreffend Umbach/Clemens/Dollinger/Magen, § 92 BVerfGG Rz. 41 mit Darstellung der Gegenansicht in Fn. 88. 4 BVerfGE 99, 84 (87). 5 BVerfGE 108, 370 (386). 6 Vgl. Umbach/Clemens/Dollinger/Magen, § 92 BVerfGG Rz. 45. 7 Vgl. BVerfGE 101, 331 (346); 105, 252 (264). 8 Umbach/Clemens/Dollinger/Heusch/Sennekamp, § 93 BVerfGG Rz. 29.
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Art. 12 GG Rz. 101
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zugestellt wird. Nach Ende der Unterbrechung erfolgt ein Neubeginn der Monatsfrist des § 93 Abs. 1 S. 1 BVerfGG.1 101
Liegt nicht ein Ausnahmefall nach § 90 Abs. 2 S. 2 BVerfGG vor, so ist für den Fristbeginn die Zustellung, Mitteilung, Verkündung oder Bekanntgabe der nach Erschöpfung des Rechtswegs letztinstanzlichen Entscheidung maßgebend. Muss der Beschwerdeführer aus Gründen der Subsidiarität (vgl. oben Rz. 88) weitere Abhilfemöglichkeiten in Anspruch nehmen, so entscheidet die Zustellung usw. der hierauf ergangenen Entscheidung über den Fristbeginn. Ein offensichtlich unzulässiger Rechtsbehelf ist jedoch für den Lauf und den Ablauf der Beschwerdefrist ohne Bedeutung, setzt also die Frist nicht (erneut) in Gang.2 Offensichtliche Unzulässigkeit ist zu bejahen, wenn der Rechtsmittelführer nach dem Stand der Rechtsprechung und Lehre bei Einlegung des Rechtsmittels über dessen Unzulässigkeit nicht im Ungewissen sein konnte.3
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Richtet sich die Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz (oder – wenig praktisch – gegen einen sonstigen Hoheitsakt, gegen den ein Rechtsweg nicht offen steht), so kann die Verfassungsbeschwerde nur binnen eines Jahres seit dem Inkrafttreten des Gesetzes oder dem Erlass des Hoheitsaktes erhoben werden (§ 93 Abs. 3 BVerfGG). Die Regelung erfasst nicht nur Gesetze im formellen Sinne, sondern auch Rechtsverordnungen4 und Satzungen.5 Die Jahresfrist beginnt ausdrücklich mit dem Inkrafttreten des Gesetzes, weshalb es ohne Belang ist, wann der einzelne Beschwerdeführer von der Norm erstmals beschwert worden ist.6 Ist im Einzelfall das Normenkontrollverfahren nach § 47 VwGO eröffnet, so setzt die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde nicht nur voraus, dass der Beschwerdeführer zur Erschöpfung des Rechtswegs diese Möglichkeit nutzt, sondern er muss entsprechend § 93 Abs. 3 BVerfGG von ihr auch innerhalb der Jahresfrist Gebrauch gemacht haben.7
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Für die Berechnung der Frist geltend die §§ 187 ff. BGB entsprechend.8 Zur Wahrung der Beschwerdefrist muss die Verfassungsbeschwerde spätestens am letzten Tag der Frist beim BVerfG eingegangen, also in dessen Verfügungsgewalt gelangt sein.9 Innerhalb der Frst muss die Verfassungsbeschwerde nicht nur eingelegt, sondern nach § 93 Abs. 1 S. 1 BVerfGG auch begründet sein. Die Begründung hat den Anforderungen aus § 92 i.V.m. § 23 Abs. 1 S. 2 BVerfGG (vgl. Rz. 97–99) zu entsprechen. 2. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
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Gegen die Versäumung der einmonatigen Beschwerdefrist aus § 93 Abs. 1 BVerfGG, nicht aber auch gegen die Versäumung der Jahresfrist aus § 93 Abs. 3 BVerfGG, ermöglicht das Gesetz die Wiedereineinsetzung in den vorigen Stand (§ 93 Abs. 2 BVerfGG). Die Regelung entspricht den aus anderen Verfahrensordnungen bekannten Grundsätzen, weshalb auf die zu diesen gefundenen Auslegungsergebnisse regelmäßig zurückgegriffen werden kann. Die Beschwerdefrist kann hinsichtlich der Einlegung wie hinsichtlich der Begründung der Verfassungsbeschwerde versäumt sein. Praktische Bedeutung hat die Möglichkeit der Wiedereinsetzung unverschuldeten Übermittlungsfehlern.10 Im Regelfall ist den Sorgfaltsanforderungen genügt, wenn für die Faxübersendung ein Sicherheitszuschlag von 20 Minuten einkalkuliert wird.11 Hingegen lässt es das BVerfG nicht zu, dass eine innerhalb der Monatsfrist zwar eingelegte, jedoch nicht hinreichend substantiiert begründete Verfassungsbeschwerde im Wege der Wiedereinsetzung nach Fristablauf – etwa durch weiteren Vortrag oder Vorlage angegriffener Entscheidungen – nachgebessert werden kann. Da der Beschwerdeführer selbst seine Begründung als abschließend angesehen hat, liegt insoweit ein unheilbarer Substantiierungsmangel vor.12
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
BVerfGE 24, 236 (244). Vgl. etwa BVerfGE 5, 17 (19); 91, 93 (106). BVerfGE 28, 1 (6). BVerfGE 53, 1 (15). Umbach/Clemens/Dollinger/Heusch/Sennekamp, § 93 BVerfGG Rz. 80. BVerfGE 30, 112 (126). BVerfGE 76, 107 (115 f.). BVerfGE 102, 254 (295). BVerfGE 57, 117 (120). Vgl. Umbach/Clemens/Dollinger/Heusch/Sennekamp, § 93 BVerfGG Rz. 46. BVerfG, BB 2014, 471. BVerfG, Beschl. der 2. Kammer des Zweiten Senats v. 27.3.1998 – 2 BvR 275/98; Umbach/Clemens/Dollinger/Heusch/Sennekamp, § 93 BVerfGG Rz. 45; Kreuder, NJW 2001, 1243 (1244).
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Berufsfreiheit
Rz. 108 Art. 12 GG
Der Beschwerdeführer muss ferner ohne Verschulden gehindert gewesen sein, die Frist einzuhalten.1 Zuzurechnen ist dem Beschwerdeführer das Verschulden seiner Bevollmächtigten (§ 93 Abs. 2 S. 6 BVerfGG), nicht aber das Verschulden anderer Personen.
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Als Regelfall sieht das Gesetz vor, dass der Beschwerdeführer einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand stellt (§ 93 Abs. 2 S. 1 BVerfGG). Ist die versäumte Rechtshandlung innerhalb der Antragsfrist nachgeholt, so kann Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden (§ 93 Abs. 2 S. 4 BVerfGG). Die Antragsfrist beträgt zwei Wochen und beginnt mit dem Wegfall des Hindernisses oder mit dessen nun verschuldetem Fortbestand (§ 93 Abs. 2 S. 2 BVerfGG). Unabhängig von dem Wegfall des Hindernisses läuft eine Ausschlussfrist von einem Jahr, die mit dem Ende der einmonatigen Beschwerdefrist beginnt (§ 93 Abs. 2 S. 5 BVerfGG); nach Ablauf der Ausschlussfrist ist ein zulässiger Wiedereinsetzungsantrag nicht mehr möglich.
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Innerhalb der zweiwöchigen Antragsfrist muss die versäumte Rechtshandlung nachgeholt werden; ggf. ist also die Verfassungsbeschwerde innerhalb von zwei Wochen nicht nur einzulegen, sondern auch zu begründen. Die Glaubhaftmachung der zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrages erforderlichen Tatsachen (§ 93 Abs. 2 S. 3 BVerfGG) muss dagegen nicht auch innerhalb der zweiwöchigen Antragsfrist erfolgen. Glaubhaftmachung ist auch hier im Sinne überwiegender Wahrscheinlichkeit zu verstehen; die Glaubhaftmachungsmittel können § 294 ZPO entnommen werden.
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V. Grundzüge des Annahmeverfahrens (§§ 93a ff. BVerfGG) Nach Art. 94 Abs. 2 S. 2 GG kann für Verfassungsbeschwerden ein besonderes Annahmeverfahren vorgesehen werden. Von dieser Möglichkeit hat der Gesetzgeber mit den §§ 93a ff. BVerfGG Gebrauch gemacht. In § 93a Abs. 2 BVerfGG werden mit der Grundsatz- und der Durchsetzungsannahme zwei Fälle unterschieden, die in der Rechtsprechung des BVerfG deutlich konturiert sind. Grundsätzliche Bedeutung ist danach nur gegeben, wenn die Verfassungsbeschwerde „eine verfassungsrechtliche Frage aufwirft, die sich nicht ohne weiteres aus dem GG beantworten lässt und noch nicht durch die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung geklärt oder die durch veränderte Verhältnisse erneut klärungsbedürftig geworden ist“. Über die Beantwortung der verfassungsrechtlichen Frage müssen also ernsthafte Zweifel bestehen. Anhaltspunkt für eine grundsätzliche Bedeutung in diesem Sinne kann sein, dass die Frage in der Fachliteratur kontrovers diskutiert oder in der Rechtsprechung der Fachgerichte unterschiedlich beantwortet wird. An ihrer Klärung muss zudem ein über den Einzelfall hinausgehendes Interesse bestehen. Das kann etwa dann der Fall sein, wenn sie für eine nicht unerhebliche Anzahl von Streitigkeiten bedeutsam ist oder ein Problem von einigem Gewicht betrifft, das in künftigen Fällen erneut Bedeutung erlangen kann. Bei der Prüfung der Annahme muss bereits absehbar sein, dass sich das Bundesverfassungsgericht bei seiner Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde mit der Grundsatzfrage befassen muss; die Frage muss also entscheidungserheblich sein.2 Zur Durchsetzung der Verfassungsrechte des Beschwerdeführers ist die Annahme der Verfassungsbeschwerde geboten, wenn „die geltend gemachte Verletzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten besonderes Gewicht hat oder den Beschwerdeführer in existentieller Weise betrifft. Besonders gewichtig ist eine Grundrechtsverletzung, die auf eine generelle Vernachlässigung von Grundrechten hindeutet oder wegen ihrer Wirkung geeignet ist, von der Ausübung von Grundrechten abzuhalten. Eine geltend gemachte Verletzung hat ferner dann besonderes Gewicht, wenn sie auf einer groben Verkennung des durch ein Grundrecht gewährten Schutzes oder einem geradezu leichtfertigen Umgang mit grundrechtlich geschützten Positionen beruht oder rechtsstaatliche Grundsätze krass verletzt. Eine existentielle Betroffenheit des Beschwerdeführers kann sich vor allem aus dem Gegenstand der angegriffenen Entscheidung oder seiner aus ihr folgenden Belastung ergeben. Ein besonders schwerer Nachteil ist jedoch dann nicht anzunehmen, wenn die Verfassungsbeschwerde keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder wenn deutlich abzusehen ist, dass der Beschwerdeführer auch im Falle einer Zurückverweisung an das Ausgangsgericht im Ergebnis keinen Erfolg haben würde.“3
1 Zu den Einzelheiten vgl. etwa Umbach/Clemens/Dollinger/Heusch/Sennekamp, § 93 BVerfGG Rz. 47 ff. m.w.N. 2 So BVerfGE 90, 22 (24 f.); 96, 245 (248). 3 So BVerfGE 90, 22 (25 f.); 96, 245 (248).
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Die Kammer kann die Annahme einer Verfassungsbeschwerde durch einstimmigen Beschluss (§ 93d Abs. 3 S. 1 BVerfGG) ablehnen (§ 93b BVerfGG). Kommt eine solche Entscheidung nicht zustande, entscheidet der Senat über die Annahme (§ 93b S. 2 BVerfGG), wobei bereits die Zustimmung von drei Richtern für eine Annahme genügt (93d Abs. 3 S. 2 BVerfGG). E. Arbeitshilfen
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Das BVerfG unterrichtet mit folgendem Merkblatt über die Verfassungsbeschwerde:1
Merkblatt über die Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht I. Allgemeines Jedermann kann Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht erheben, wenn er sich durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte (vgl. Art. 1 bis 19 Grundgesetz [GG]) oder bestimmten grundrechtsgleichen Rechten (Art. 20 Abs. 4, Art. 33, 38, 101, 103, 104 GG) verletzt glaubt. Das Bundesverfassungsgericht kann die Verfassungswidrigkeit eines Aktes der öffentlichen Gewalt feststellen, ein Gesetz für nichtig erklären oder eine verfassungswidrige Entscheidung aufheben und die Sache an ein zuständiges Gericht zurückverweisen. Andere Entscheidungen kann das Bundesverfassungsgericht auf eine Verfassungsbeschwerde hin nicht treffen. Es kann z.B. weder Schadensersatz zuerkennen noch Maßnahmen der Strafverfolgung einleiten. Der einzelne Staatsbürger hat grundsätzlich auch keinen mit der Verfassungsbeschwerde verfolgbaren Anspruch auf ein bestimmtes Handeln des Gesetzgebers. Verfassungsbeschwerden gegen gerichtliche Entscheidungen führen nicht zur Überprüfung im vollen Umfang, sondern nur zur Nachprüfung auf verfassungsrechtliche Verstöße. Selbst wenn die Gestaltung des Verfahrens, die Feststellung und Würdigung des Sachverhalts, die Auslegung eines Gesetzes oder seine Anwendung auf den einzelnen Fall Fehler aufweisen sollten, bedeutet dies für sich allein nicht schon eine Grundrechtsverletzung. II. Form und Inhalt der Verfassungsbeschwerde Die Verfassungsbeschwerde ist schriftlich einzureichen und zu begründen (§ 23 Abs. 1, § 92 Bundesverfassungsgerichtsgesetz [BVerfGG]). Die Begründung muss mindestens folgende Angaben enthalten: 1. Der Hoheitsakt (gerichtliche Entscheidung, Verwaltungsakt, Gesetz), gegen den sich die Verfassungsbeschwerde richtet, muss genau bezeichnet werden (bei gerichtlichen Entscheidungen und Verwaltungsakten sollen Datum, Aktenzeichen und Tag der Verkündung bzw. des Zugangs angegeben werden). 2. Das Grundrecht oder grundrechtsgleiche Recht, das durch den angegriffenen Hoheitsakt verletzt sein soll, muss benannt oder jedenfalls seinem Rechtsinhalt nach bezeichnet werden. 3. Es ist darzulegen, worin im Einzelnen die Grundrechtsverletzung erblickt wird. Hierzu sind auch die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Gerichtsentscheidungen (einschließlich in Bezug genommener Schreiben), Bescheide usw. in Ausfertigung, Abschrift oder Fotokopie vorzulegen. Zumindest muss ihr Inhalt einschließlich der Begründung aus der Beschwerdeschrift ersichtlich sein. 4. Neben den angegriffenen Entscheidungen müssen auch sonstige Unterlagen aus dem Ausgangsverfahren (z.B. einschlägige Schriftsätze, Anhörungsprotokolle, Gutachten) vorgelegt (wie unter 3.) oder inhaltlich wiedergegeben werden, ohne deren Kenntnis nicht beurteilt werden kann, ob die in der Verfassungsbeschwerde erhobenen Rügen berechtigt sind. 5. Richtet sich die Verfassungsbeschwerde gegen behördliche und/oder gerichtliche Entscheidungen, so muss aus der Begründung auch ersichtlich sein, mit welchen Rechtsbehelfen, Anträgen und Rügen der Beschwerdeführer sich im Verfahren vor den Fachgerichten um die Abwehr des behaupteten Grundrechtsverstoßes bemüht hat. Dazu müssen die im fachgerichtlichen Verfahren gestellten Anträge und sonstigen Schriftsätze beigefügt (wie unter 3.) oder inhaltlich wiedergegeben werden. III. Weitere Zulässigkeitsvoraussetzungen 1. Beschwerdefrist Die Verfassungsbeschwerde gegen Entscheidungen der Gerichte und Behörden ist nur innerhalb eines Monats zulässig (§ 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Auch die vollständige Begründung muss innerhalb dieser Frist eingereicht werden (§ 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG); werden Informationen, die zu den Mindestanforderungen an die Begründung der Verfassungsbeschwerde (s. oben II.) gehören, erst nach Fristablauf unter1 Im Internet abrufbar unter http://www.bundesverfassungsgericht.de/organisation/vb_merkblatt.html.
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Rz. 110 Art. 12 GG
breitet, so ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig. Eine Verlängerung der Frist durch das Gericht ist ausgeschlossen. Konnte der Beschwerdeführer die Frist ohne Verschulden nicht einhalten, so kann binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und die Verfassungsbeschwerde nachgeholt werden. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind glaubhaft zu machen. Das Verschulden eines Verfahrensbevollmächtigten bei der Fristversäumung steht dem Verschulden des Beschwerdeführers gleich (§ 93 Abs. 2 BVerfGG). 2. Erschöpfung des Rechtswegs a) Allgemeines Die Anrufung des Bundesverfassungsgerichts ist grundsätzlich nur und erst dann zulässig, wenn der Beschwerdeführer zuvor den Rechtsweg erschöpft und darüber hinaus die ihm zur Verfügung stehenden weiteren Möglichkeiten ergriffen hat, um eine Korrektur der geltend gemachten Verfassungsverletzung zu erreichen oder diese zu verhindern. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, wenn und soweit eine anderweitige Möglichkeit besteht oder bestand, die Grundrechtsverletzung zu beseitigen oder ohne Inanspruchnahme des Bundesverfassungsgerichts im praktischen Ergebnis dasselbe zu erreichen. Vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde müssen daher alle verfügbaren Rechtsbehelfe (z.B. Berufung, Revision, Beschwerde, Nichtzulassungsbeschwerde) genutzt worden sein. Die Erhebung einer Verfassungsbeschwerde zum Landesverfassungsgericht wird dagegen für eine zulässige Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht nicht vorausgesetzt. Zu den Möglichkeiten, den geltend gemachten Grundrechtsverstoß schon im Verfahren vor den Fachgerichten abzuwehren, gehören auch: ausreichende Darstellung des relevanten Sachverhalts, geeignete Beweisanträge, Wiedereinsetzungsanträge bei unverschuldeter Fristversäumung u. ä. Eine Verfassungsbeschwerde ist daher nicht zulässig, soweit solche Möglichkeiten im fachgerichtlichen Verfahren nicht genutzt wurden. b) Besonderheiten bei Gehörsrügen Wird die Nichtgewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) gerügt, so ist, wenn gegen die angegriffene Entscheidung ein anderer Rechtsbehelf nicht gegeben ist, die Verfassungsbeschwerde nur zulässig, wenn zuvor versucht wurde, durch Einlegung einer Anhörungsrüge (insbesondere § 321a ZPO, § 152a VwGO, § 178a SGG, § 78a ArbGG, § 44 FamFG, § 133a FGO, §§ 33a, 356a StPO) bei dem zuständigen Fachgericht Abhilfe zu erreichen. Die Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde beschränkt sich in einem solchen Fall regelmäßig nicht auf die behauptete Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, sondern erfasst auch alle sonstigen Rügen. c) Rechtssatzverfassungsbeschwerde Gesetze, Rechtsverordnungen oder Satzungen können mit der Verfassungsbeschwerde nur ausnahmsweise unmittelbar angegriffen werden, und zwar dann, wenn sie den Beschwerdeführer selbst, gegenwärtig und unmittelbar beschweren. Die Verfassungsbeschwerde muss in diesem Fall binnen eines Jahres seit dem Inkrafttreten der Rechtsvorschrift erhoben werden (§ 93 Abs. 3 BVerfGG). In der Regel bedürfen Rechtsvorschriften jedoch des Vollzuges, d.h. der Anwendung im einzelnen Fall durch eine behördliche oder gerichtliche Entscheidung, gegen die der Betroffene den Rechtsweg vor den zuständigen Gerichten erschöpfen muss. In aller Regel ist die Verfassungsbeschwerde daher in solchen Fällen erst nach der Entscheidung des letztinstanzlichen Gerichts zulässig (§ 90 Abs. 2 BVerfGG). IV. Vertretung Der Beschwerdeführer kann die Verfassungsbeschwerde selbst erheben. Will er sich vertreten lassen, dann kann dies grundsätzlich nur durch einen Rechtsanwalt oder durch einen Lehrer des Rechts an einer deutschen Hochschule geschehen (§ 22 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Eine andere Person lässt das Bundesverfassungsgericht als Beistand nur dann zu, wenn es dies ausnahmsweise für sachdienlich hält (§ 22 Abs. 1 Satz 4 BVerfGG). Die Vollmacht ist schriftlich zu erteilen und muss sich ausdrücklich auf das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht beziehen (§ 22 Abs. 2 BVerfGG). V. Annahmeverfahren Die Verfassungsbeschwerde bedarf der Annahme zur Entscheidung (§ 93a Abs. 1 BVerfGG). Sie ist zur Entscheidung anzunehmen, a) soweit ihr grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zukommt, b) wenn es zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt ist; dies kann auch der Fall sein, wenn dem Beschwerdeführer durch die Versagung der Entscheidung zur Sache ein besonders schwerer Nachteil entsteht (§ 93a Abs. 2 BVerfGG).
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Art. 12 GG Rz. 110
Berufsfreiheit
Eine Verfassungsbeschwerde hat regelmäßig keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung, wenn die von ihr aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Fragen in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bereits geklärt sind. Zur Durchsetzung der Grundrechte kann die Annahme der Verfassungsbeschwerde – beispielsweise – angezeigt sein, wenn einer grundrechtswidrigen allgemeinen Praxis von Behörden und Gerichten entgegengewirkt werden soll oder wenn ein Verfassungsverstoß für den Beschwerdeführer besonders schwerwiegend ist. Die Ablehnung der Annahme der Verfassungsbeschwerde kann durch einstimmigen Beschluss der aus drei Richtern bestehenden Kammer erfolgen. Der Beschluss bedarf keiner Begründung und ist nicht anfechtbar (§ 93d Abs. 1 BVerfGG). VI. Gerichtskosten Das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht ist kostenfrei. Das Bundesverfassungsgericht kann jedoch dem Beschwerdeführer eine Gebühr bis zu 2 600 Euro auferlegen, wenn die Einlegung der Verfassungsbeschwerde einen Missbrauch darstellt (§ 34 Abs. 2 BVerfGG). VII. Rücknahme von Anträgen Bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist grundsätzlich die Rücknahme einer Verfassungsbeschwerde insgesamt oder einzelner Rügen sowie die Rücknahme eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung jederzeit möglich. Eine Gebühr (vgl. VI) wird in diesem Fall nicht erhoben. VIII. Allgemeines Register (AR) Eingaben, mit denen der Absender weder einen bestimmten Antrag verfolgt noch ein Anliegen geltend macht, für das eine Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts besteht, werden im Allgemeinen Register erfasst und als Justizverwaltungsangelegenheit bearbeitet. Im Allgemeinen Register können auch Verfassungsbeschwerden registriert werden, bei denen eine Annahme zur Entscheidung (§ 93a BVerfGG) nicht in Betracht kommt, weil sie offensichtlich unzulässig sind oder unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts offensichtlich keinen Erfolg haben können (s. oben V.). Begehrt der Einsender nach Unterrichtung über die Rechtslage eine richterliche Entscheidung, so wird die Verfassungsbeschwerde in das Verfahrensregister übertragen und weiterbehandelt (§ 61 Abs. 2 GOBVerfG). GG = Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23.5.1949 (BGBl I S. 1), zuletzt geändert durch Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 28.8.2006 (BGBl I 2034) BVerfGG = Gesetz über das Bundesverfassungsgericht i.d.F. vom 11.8.1993 (BGBl I S. 1473), zuletzt geändert durch Gesetz vom 29.7.2009 (BGBl. I S. 2346) GOBVerfG = Geschäftsordnung des Bundesverfassungsgerichts vom 15.12.1986 (BGBl I S. 2529) zuletzt geändert durch Bekanntmachung vom 7.1.2002 (BGB1 I S. 1171)
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EMRK Europäische Menschenrechtskonvention in der Fassung der Bekanntmachung vom 22.10.2010 (BGBl. II 2010, S. 1198), zuletzt geändert durch Protokoll Nr. 14 vom 13.5.2004 (BGBl. II 2006, S. 138) A. Das Rechtsschutzsystem der EMRK und dessen allgemeine Bedeutung für die anwaltliche Berufstätigkeit . . . . .
1
B. Entstehungsgeschichte und Entwicklung der EMRK . . . . . . . . . . . . . . .
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C. Relevante Rechtsgarantien der EMRK und ihrer Protokolle für die anwaltliche Berufstätigkeit . . . . . . . . . . . . . I. Art. 6 EMRK . . . . . . . . . . . . . . 1. Unmittelbare Gewährleistungen aus Art. 6 EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeines. . . . . . . . . . . . . b) Anwendungsbereich von Art. 6 EMRK. c) Zugang zu einem unabhängigen, unparteiischen und auf Gesetz beruhenden Gericht . . . . . . . . . . d) Grundsatz des fairen Verfahrens, insbes. Gewährung rechtlichen Gehörs und Grundsatz der Waffengleichheit . e) Gebot angemessener Verfahrensdauer f) Öffentlichkeit und Mündlichkeit des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . g) Recht auf Verteidigung und Verfahrenshilfe im Strafprozess . . . . . . . aa) Art. 6 Abs. 3 lit. b EMRK . . . . . bb) Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK . . . . . 2. Gewährleistungen aus anderen Vorschriften in Wechselwirkung mit Art. 6 EMRK . a) Art. 8 EMRK . . . . . . . . . . . . b) Art. 10 EMRK . . . . . . . . . . . . II. Art. 13 EMRK . . . . . . . . . . . . . III. Freiheit der Berufswahl und der Berufsausübung . . . . . . . . . . . . . . . 1. Art. 8 EMRK . . . . . . . . . . . . . . 2. Art. 10 EMRK . . . . . . . . . . . . . 3. Art. 1 des 1. Zusatzprotokolls . . . . . . 4. Art. 4 Abs. 2 EMRK . . . . . . . . . . . D. Individualbeschwerdeverfahren vor dem EGMR. . . . . . . . . . . . . . . . . I. Organisation und Struktur des EGMR . . II. Überblick über den Gang des Individualbeschwerdeverfahrens . . . . . . . . . 1. Weitgehende Formfreiheit der Beschwerde 2. Prozessvertretung . . . . . . . . . . . 3. Vorprüfungsverfahren . . . . . . . . .
11 12 13 13 14 19 24 26 27 29 30 33
4. Verfahren vor der Kammer; Anrufung der Großen Kammer . . . . . . . . . . . . 5. Pflicht zur Zusammenarbeit mit dem Gerichtshof; Beweislast und Beweiserhebung 6. 7. 8. 9. 10. 11.
Akteneinsicht . . . . . . . . . . . . . Beteiligung Dritter . . . . . . . . . . . Mündliche Verhandlung . . . . . . . . Vorläufiger Rechtschutz . . . . . . . . Schlichtungsverfahren . . . . . . . . . Verfahrenskosten und Prozesskostenhilfe
III. Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Individualbeschwerde . . . . . . . . . . . 1. Parteifähigkeit des Beschwerdeführers . . 2. Prozessfähigkeit und Prozessvertretung . 3. Opfereigenschaft des Beschwerdeführers . 4. Beschwerdegegner . . . . . . . . . . . 5. Erschöpfung innerstaatlicher Rechtsbehelfe . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Form und Frist der Beschwerde . . . . . 7. Vereinbarkeit der Beschwerde mit der Konvention . . . . . . . . . . . . . . 8. Negativvoraussetzungen . . . . . . . . 9. Geltendmachung eines Entschädigungsanspruchs . . . . . . . . . . . . . . .
40 40 44 49
IV. Entscheidungen des EGMR und ihre Rechtswirkungen . . . . . . . . . 1. Inhalt und Form der Urteile . . . . . 2. Rechtskraftwirkung inter partes . . . 3. Orientierungswirkung . . . . . . .
53 53 54 55 59
E. Stellung und Bedeutung der EMRK in der deutschen Rechtsordnung. . . . I. Normative und faktische Bedeutung . II. Prozessuale Bedeutung . . . . . . . III. Die EMRK in der Rechtsprechung der deutschen Gerichtsbarkeit . . . . . 1. Rechtsprechung des BVerfG . . . . 2. Rechtsprechung des BVerwG . . . . 3. Rechtsprechung des BGH. . . . . . a) Rechtsprechung in Strafsachen. . b) Rechtsprechung in Zivilsachen . . 4. Sonstige Rechtsprechung . . . . . .
61 62 67 68 70 71
. . . .
. . . .
72
77 78 79 80 81 85 86 88 89 90 93 98 101 108 111 115 118 119 120 121 124
. . 125 . . 125 . . 129 . . . . . . .
. . . . . . .
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IV. Ingerenzwirkungen über das Unionsrecht
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A. Das Rechtsschutzsystem der EMRK und dessen allgemeine Bedeutung für die anwaltliche Berufstätigkeit Im Gegensatz etwa zu ihren französischen, italienischen, türkischen und polnischen Kollegen nutzen deutsche Rechtsanwälte die Individualbeschwerde zum EGMR trotz spürbar steigender Tendenz bislang noch immer relativ selten.1 Dies ist bedauerlich, ist doch das Straßburger Konventionssystem von nicht zu unterschätzender Bedeutung für den Men1 Zur jüngsten Statistik vgl. Registry of the European Court of Human Rights, Annual Report 2010, 2011, S. 126, 127. Immerhin kommen ca. 5 % der vor dem EGMR anhängigen Fälle aus Deutschland – mit in den letzten Jahren zu verzeichnender Zunahme. Zur Erfolgsquote der Beschwerden vgl. Jestaedt, JZ 2011, 872 (879).
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EMRK Rz. 2 schenrechtsschutz des Einzelnen. Hinzu kommt, dass die Beschwerde namentlich bei überlanger Verfahrensdauer vor den nationalen Gerichten (vgl. Rz. 26, 51 f.), aber auch bei anderen konventionswidrigen Sachverhalten nicht nur die Feststellung einer Verletzung der EMRK oder ihrer Protokolle nach sich zieht, sondern bei entspr. Antrag auch den Ausspruch von – sowohl materieller als auch immaterieller – Entschädigung (Art. 41 EMRK) ermöglicht. Erst kürzlich hat der EGMR in einem Urteil gegen Deutschland wegen überlanger Dauer eines Gerichtsverfahrens (im konkreten Fall: 13 Jahre und 5 Monate) dem Bf. eine Entschädigung i.H.v. 10 000 Euro für den erlittenen Nichtvermögensschaden zugestanden und dabei gar auf die Piloturteilstechnik zurückgegriffen.1 Auch im Bereich der anwaltlichen Berufstätigkeit sind schon Entschädigungszahlungen angeordnet worden. So hat der Gerichtshof in einer zypriotischen Rechtssache, in der gegen einen Rechtsanwalt wegen Ungebühr vor Gericht („contempt of court“) eine fünftägige Freiheitsstrafe verhängt worden war, dem Bf. eine Entschädigung i.H.v. 15 000 Euro für den erlittenen Nichtvermögensschaden in Form von Ärger und Frustration gewährt.2 2
Auch in innerstaatlichen Verfahren ist der Einfluss der EMRK auf die nationale Rechtsordnung lange Zeit verhältnismäßig häufig übersehen worden,3 obwohl die Konvention und ihre Protokolle seit jeher in der Bundesrepublik Deutschland im Rang eines einfachen Bundesgesetzes stehen (vgl. Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG) und deshalb wie jedes andere Gesetzesrecht des Bundes im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung zu beachten und anzuwenden sind.4 Bereits im Jahre 1987 hat das BVerfG zudem erklärt, dass sogar bei der Auslegung des Grundgesetzes Inhalt und Entwicklungsstand der EMRK in Betracht zu ziehen seien, wobei die Rechtsprechung des EGMR als Auslegungshilfe diene.5 Dennoch hat erst im vergangenen Jahrzehnt die Straßburger Judikatur verstärkt Einfluss auf die Rechtsprechungspraxis der nationalen Fachgerichtsbarkeit gewonnen, nachdem das BVerfG im Jahre 2004 in seinem bekannt gewordenen „Görgülü“-Beschluss erneut ausdrücklich auf die besondere Bedeutung der Entscheidungen des EGMR hingewiesen hatte, weil sich in ihnen der aktuelle Entwicklungsstand der Konvention und ihrer Protokolle widerspiegele.6 Diese Rechtsprechung zur verfassungsrechtlichen Bedeutung der EMRK hat das BVerfG anlässlich von Verfassungsbeschwerden gegen die Regelungen zur Sicherungsverwahrung im Jahre 2011 noch einmal bekräftigt und ausgeweitet.7 Die Präzedenzwirkung Straßburger Entscheidungen ist damit anerkannt;8 ihre normative Orientierungsfunktion ist deshalb bei Verfahren vor innerstaatlichen Gerichten zu berücksichtigen (s. Rz. 127 f.). In Fällen, in denen der EGMR eine Verletzung der EMRK oder ihrer Protokolle durch die Bundesrepublik Deutschland festgestellt hat, sieht das deutsche Recht seit 1998 in § 359 Nr. 6 StPO9 sogar einen Wiederaufnahmegrund vor, wenn das rechtskräftige Strafurteil auf dieser Verletzung beruht. Nach längeren juristischen Diskussionen, ob dieser Gedanke auch in anderen Verfahrensordnungen entspr. zur Anwendung gelangen könnte,10 bildet die Feststellung einer Konventionsverletzung durch den EGMR mittlerweile – mit Wirkung vom 31.12.2006 – einen Wiederaufnahmegrund für Restitutionsklagen gem. § 580 Nr. 8 ZPO.11 Durch Verweise auf die Wiederaufnahmegründe der ZPO wirkt sich diese Ergänzung auch auf andere Verfahrensordnungen aus (vgl. 1 EGMR EuGRZ 2010, 700, Rz. 79 – Rumpf. Zur Piloturteilstechnik, die im Fall „Rumpf “ wegen überlanger Verfahrensdauer erstmalig gegen Deutschland angewandt wurde, vgl. unten Rz. 52a, 122. Zwischenzeitlich ist das Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (RechtsschutzG; BGBl. I 2011, S. 2302) in Kraft getreten, weshalb nachfolgende Individualbeschwerden wegen Nichterschöpfung des innerstaatlichen Rechtswegs gemäß Art. 35 Abs. 1, Abs. 4 EMRK zurückzuweisen sind, vgl. exemplarisch EGMR EuGRZ 2012, 514, Rz. 40 ff. – Taron. 2 EGMR NJW 2006, 2901, Rz. 184 ff. – Kyprianou. Weitere Beispiele bei Wittinger, NJW 2001, 1238 (1239). 3 Zur Entwicklung s. unten Rz. 130–139. 4 So früh schon BVerfGE 74, 358 (370) – Unschuldsvermutung I; 82, 106 (120) – Unschuldsvermutung II. Weitere Nachweise bei Uerpmann, EMRK und deutsche Rechtsprechung, 1993, S. 144 dort Fn. 67. Aus jüngerer Zeit vgl. BVerfGE 111, 307 (317) – Görgülü; 128, 326 (368 f.) – Sicherungsverwahrung II. 5 BVerfGE 74, 358 (370) – Unschuldsvermutung I. Vgl. ferner BVerfGE 83, 119 (128) – Gemeinnützige Leistungen; Ress, EuGRZ 1996, 350 (353). 6 BVerfGE 111, 307 (319) – Görgülü. 7 BVerfGE 128, 326, Rz. 82, 87 ff. – Sicherungsverwahrung II. Vgl. auch BVerfG, EuGRZ 2011, 413, Rz. 19 f. 8 Wie hier E. Klein, Studies in Memory of Rolv Ryssdal, 2000, S. 705 (706 f.); Grabenwarter, EuGRZ 2012, 507 (509 ff.); Voßkuhle, NJW 2013, 1329 (1330). Einschränkend auf Leitentscheidungen des EGMR hingegen Papier, EuGRZ 2006, 1. 9 Diese Vorschrift wurde durch Gesetz v. 9.7.1998 in die StPO eingefügt (BGBl. I 1998, S. 1802). 10 Vgl. Walter, in: Dörr/Grote/Marauhn, Kap. 31 Rz. 59. – Eine analoge Anwendung des § 580 Nr. 7 lit. b ZPO ist vom OLG Brandenburg, VIZ 2004, S. 525 ff., abgelehnt worden. Die dagegen gerichtete Verfassungsbeschwerde hat das BVerfG nicht zur Entscheidung angenommen, vgl. Beschl. v. 17.8.2004 – 1 BvR 1493/04. 11 Vgl. Art. 10 Nr. 6 des 2. Justizmodernisierungsgesetzes v. 22.12.2006 (BGBl. I 2006, S. 3416).
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Rz. 5 EMRK § 79 ArbGG, § 199 SGG, § 153 VwGO, § 134 FGO).1 In einem jüngeren Urteil aus dem Jahr 2009 hat der EGMR zudem klargestellt, dass Maßnahmen, die der beklagte Staat zur Wiedergutmachung einer vom Gerichtshof festgestellten Konventionsverletzung getroffen hat, neue Fragen aufwerfen und deshalb Gegenstand einer neuen Beschwerde sein können. Insoweit kann die Nichtbefolgung eines EGMR-Urteils als neue Verletzung der Konvention rügefähig sein.2 Die Wiederaufnahme eines staatlichen Verfahrens kann in diesem Zusammenhang zwar nicht angeordnet werden, der Gerichtshof kann aber aussprechen, dass er sie für ein adäquates Mittel hält.3 Zudem enthält die EMRK wichtige Rechtsgarantien für die Ausübung der rechtsanwaltlichen Tätigkeit als solche. Vor allem einige in Art. 6 und Art. 13 EMRK niedergelegte Garantien wie der Zugang zu einem unabhängigen und unparteiischen Gericht, der Grundsatz des fairen Verfahrens, die Gewährung rechtlichen Gehörs, das Recht auf Verteidigung und Verfahrenshilfe sowie das Gebot angemessener Verfahrensdauer und das Recht auf wirksame Beschwerde sind für die anwaltliche Berufstätigkeit relevant. In ihnen spiegelt sich auch die Bedeutung des Rechtsanwalts als Organ der Rechtspflege (vgl. §§ 1, 3 BRAO) wider, die der EGMR in seiner Judikatur – unter Rückgriff auf Art. 6 EMRK – immer wieder in den Vordergrund stellt. Als Angehöriger eines freien Berufes ist für den Rechtsanwalt überdies die Freiheit der Berufswahl bedeutsam, die der EGMR unter bestimmten Voraussetzungen zum Privatleben gem. Art. 8 EMRK zählt.4 Gleiches gilt für die Meinungsfreiheit (Art. 10 EMRK) und die Eigentumsgarantie (Art. 1 ZP I), die beide auch Aspekte der freien Berufsausübung enthalten.5 Wegen ihrer Wechselwirkung mit Art. 6 EMRK sind alle drei genannten Garantien (Art. 8, Art. 10 EMRK, Art. 1 ZP I) einerseits geeignet, im Rahmen der anwaltlichen Berufstätigkeit grundrechtsverstärkende Wirkungen zu zeitigen. Andererseits kommt es gelegentlich vor, dass Art. 6 EMRK auch beschränkend auf die für die Anwaltschaft einschlägigen Grundrechte einwirkt.
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Die über lange Zeit konstatierte Zurückhaltung der deutschen Anwaltschaft in Bezug auf die Anwendung der für ihren Berufsstand sowie für ihre Mandanten relevanten EMRK-Garantien war und ist vermutlich auf ein Informationsdefizit zurückzuführen, das überwiegend sprachlichen Barrieren geschuldet sein dürfte.6 Die Entscheidungen des EGMR sind authentisch nur in englischer und französischer Sprache vorhanden.7 Die mittlerweile umfangreiche deutschsprachige Lit. zur EMRK erlaubt es aber, sich relativ schnell darüber zu informieren, ob einschlägige Probleme nach der EMRK für die deutsche Grundrechtsauslegung zu berücksichtigen oder sonst für den deutschen Rechtsanwender bedeutsam sind. Außerdem verfolgt die von Marten Breuer eingerichtete Webseite [www.egmr.org] das Ziel, der Rechtsprechung des EGMR im deutschsprachigen Raum größere Beachtung zu verschaffen, indem juristische Fachzeitschriften8 sowie zuverlässige Internetquellen9 laufend auf Übersetzungen von EGMR-Entscheidungen in deutscher Sprache hin durchgesehen und in einem Register in alphabetischer sowie chronologischer Reihenfolge aufgeführt werden.
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Ziel der nachfolgenden Erläuterungen ist es einerseits, die für die anwaltliche Berufstätigkeit relevanten Konventionsgarantien in Form von Einzelkommentierungen darzustellen. Nicht beabsichtigt ist dabei freilich, das materielle Recht der EMRK in seiner Gesamtheit systematisch aufzubereiten und rechtlich zu würdigen; insoweit kann auf die einschlägige
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1 Vgl. BT-Drs. 16/3038, S. 39. 2 Vgl. EGMR NJW 2010, 3699, Rz. 62 – Verein gegen Tierfabriken Schweiz Nr. 2; vgl. auch EGMR NJW 2010, 3703 (3704) – Öcalan. 3 Vgl. EGMR NJW 2010, 3699, Rz. 89 – Verein gegen Tierfabriken Schweiz Nr. 2; hierzu näher Cremer, EuGRZ 2012, 493 ff. 4 Vgl. EGMR RJD 2004-VIII, Rz. 47 ff. – Sidrabas u.a. Auch die Ablehnung einer beantragten Zulassung zur Anwaltsprüfung wird an Art. 8 EMRK gemessen, vgl. EGMR NJW 2010, 3419, Rz. 31 – Bigaeva. 5 Vgl. Lenz, in: Dörr/Lenz, Rz. 518. Die Berufsfreiheit ist in der EMRK nicht explizit geschützt. 6 Auch die einschlägige Lit. hat sich über längere Zeit kaum zur EMRK geäußert. So findet sich z.B. in den – ansonsten sehr detaillierten – anwaltsberufsbezogenen Beiträgen von Redeker, NJW 1973, 1153 ff., und Stürner, JZ 1986, 1089 ff., kein Hinweis auf die EMRK. Anders nunmehr Kleine-Cosack, AnwBl. 2009, 326 ff. 7 Abgesehen von der amtlichen Sammlung verfügt der EGMR über die elektronische Datenbank „HUDOC“, die unter http://hudoc.echr.coe.int/ abrufbar ist. Die Datenbank wird ebenfalls in englischer und französischer Sprache geführt. 8 Eine Aufzählung relevanter Zeitschriften findet sich in EuGRZ 2006, 705 (Bericht des Bundesministeriums der Justiz über die Rechtsprechung des EGMR in Verfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2005). 9 Nichtamtliche deutsche Übersetzungen der Entscheidungen sind über die Internetseite des Bundesministeriums der Justiz (www.bmj.bund.de) und über das deutsche Portal des EGMR (www.coe.int/ t/d/menschenrechtsgerichtshof/dokumente_auf_deutsch) zu erhalten.
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EMRK Rz. 6 Lehrbuch- und Kommentarliteratur verwiesen werden.1 Andererseits sollen die Ausführungen den Rechtsanwalt in den Stand versetzen, eine zulässige und begründete Individualbeschwerde vor dem EGMR einzureichen. Erläutert werden daneben der innere Verfahrensablauf des Gerichts, Prozessverlauf und Erfolgsaussichten. Abschließend wird auf die Stellung der EMRK und der zu ihr ergangenen Judikatur des Straßburger Gerichtshofs in der innerstaatlichen Rechtsordnung eingegangen; neben ihrer normativen und faktischen Bedeutung wird dabei auch prozessualen Erwägungen Aufmerksamkeit geschenkt. So kommen zwar die europäischen Menschenrechtsstandards als direkter Maßstab bei Verfassungsbeschwerden nicht in Betracht.2 Allerdings kann die dem Konventionsrecht komplementäre nationale Grundrechtsverbürgung i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 3 GG die geeignete Basis für die Erhebung einer Verfassungsbeschwerde bieten.3 Damit stehen dem Einzelnen bereits auf der nationalen Ebene Rechtsbehelfe zu Gebote, um die EMRK-Garantien wirksam durchzusetzen (s. Rz. 129). Wohl nicht zuletzt vor diesem Hintergrund findet die Konvention zunehmend in der Rechtsprechung der deutschen Fachgerichte Berücksichtigung. Ein Überblick über die einschlägigen Entscheidungen der obersten Bundesgerichte soll das in den letzten Jahren gewachsene Bewusstsein der Judikative für die in der EMRK garantierten Menschenrechte – auch in ihrem Zusammenspiel mit dem Unionsrecht – aufzeigen. B. Entstehungsgeschichte und Entwicklung der EMRK 6
Die Entstehungsgeschichte der EMRK, die am 4.11.1950 in Rom unterzeichnet wurde und die unbestritten die wichtigste Konvention der über 200 im Rahmen des Europarates erarbeiteten Verträge darstellt,4 ist relativ kurz. Bereits vor Verkündung der AEMR durch die Generalversammlung der VN am 10.12.1948 betonte der 1. Kongress der Europäischen Bewegung in Den Haag im Mai 1948 das Erfordernis, die Menschenrechte zu schützen.5 Westeuropa als eine Gruppe von Staaten, die „vom gleichen Geiste beseelt [seien] und ein gemeinsames Erbe an politischen Überlieferungen, Idealen, Achtung der Freiheit und Rechtsstaatlichkeit [besäßen]“,6 sollte auf dem Weg zu einer universellen Achtung der Menschenrechte vorangehen. Daher wurde in Den Haag 1948 eine Resolution verabschiedet, die die entscheidenden Weichen für die Gründung des Europarates am 5.5.19497 und die Ausarbeitung der EMRK in unmittelbarem Anschluss daran stellte.8 Bereits auf ihrer ersten Sitzung am 8.8.1949 beauftragte die Beratende (heute: Parlamentarische) Versammlung des Europarates ihren Ausschuss für Rechts- und Verwaltungsfragen mit der Beratung eines Menschenrechtskatalogs. In der folgenden Plenaraussprache vom 8.9.1949 nahm die Beratende Versammlung den sog. Teitgen-Bericht des Ausschusses an,9 in dem zehn Rechte enthalten waren und der die Einrichtung einer Menschenrechtskommission und eines Menschenrechtsgerichtshofes vorschlug.10 Daraufhin bestellte das Ministerkomitee des Europarates auf seiner Sitzung vom 5.11.1949 ein Sachverständigengremium, das einen Textentwurf auf der Basis des TeitgenBerichts ausarbeiten sollte. Dieses Gremium beendete seine Arbeit im Frühjahr 1950 und legte einen Entwurf zur EMRK vor. Einige Fragen blieben freilich ungelöst;11 auch ein weite1 Aus der deutschsprachigen Lit. vgl. etwa Dörr/Grote/Marauhn (Hrsg.), EMRK/GG-Konkordanzkommentar, 2. Aufl. 2013; Frowein/Peukert, Kommentar zur EMRK, 3. Aufl. 2009; Gollwitzer, Menschenrechte im Strafverfahren: MRK und IPBPR, 2005; Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, 5. Aufl. 2012; Mayer/Karpenstein (Hrsg.), EMRK, Kommentar, 2012; Meyer-Ladewig, EMRK, Handkommentar, 3. Aufl. 2011; Pabel/Schmahl (Hrsg.), Internationaler Kommentar zur EMRK [IK/Bearbeiter], Loseblatt, Stand: 16. EGL 2013; Peters/Altwicker, Europäische Menschenrechtskonvention, 2. Aufl. 2012; Villiger, Handbuch zur EMRK, 2. Aufl. 1999. 2 BVerfGE 10, 271 (274) – Untersuchungshaft; 41, 126 (149) – Reparationsschäden; 64, 135 (157) – Dolmetscher im Strafprozess; 74, 102 (128) – Erziehungsmaßregel (st. Rspr.). 3 BVerfGE 111, 307 (330) – Görgülü. 4 E. Klein, AVR 30 (2001), 121 (123). Als derzeit (Stand: März 2014) letzte Konvention des Europarates ist das 16. Protokoll zur EMRK am 2.10.2013 zur Zeichnung aufgelegt worden, vgl. http://conventions. coe.int. 5 Partsch, ZaöRV 15 (1953/54), 631 (633 ff.). 6 So der 5. Erwägungsgrund der Präambel der EMRK. 7 Vgl. Satzung des Europarates (BGBl. II 1950, S. 263). 8 Näher Grote, in: Dörr/Grote/Marauhn, Kap. 1 Rz. 13–14. 9 Der Bericht ist benannt nach dem Berichterstatter, dem früheren französischen Justizminister, vgl. Assemblée Consultative, 15. Sitzung v. 5.–8.9.1949, Doc. Nr. 77, in: Conseil d’Europe, Recueil des Travaux Préparatoires, 1977, Bd. I, S. 197 ff. 10 Hierzu Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 1 Rz. 3; Grote, in: Dörr/Grote/Marauhn, Kap. 1 Rz. 20. 11 Vgl. Brinkmeier, MRM Themenheft 2000, 21 (27).
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Rz. 8 EMRK res, mit der Ausarbeitung der Konvention beauftragtes Komitee hoher Regierungsvertreter konnte keine endgültige Einigung erzielen.1 In dieser Situation nahm das Ministerkomitee am 7.8.1950 eine revidierte Fassung des Entwurfstextes an, die in einigen zentralen Punkten weniger weitgehend war als die ursprünglichen Vorschläge. So entfielen aus dem Text der Konvention die Eigentumsgarantie, das Recht auf Bildung sowie das elterliche Erziehungsrecht und das Recht auf freie Wahlen.2 Außerdem wurde zugelassen, Vorbehalte zu einzelnen Konventionsrechten zu formulieren.3 Am 4.11.1950 wurde die Konvention im Wesentlichen i.d.F. des Ministerkomitees vom August 1950 unterzeichnet, und zwar unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die AEMR sowie die Satzung des Europarates.4 Nach Erreichen der erforderlichen Zahl von zehn Ratifikationsurkunden (vgl. Art. 59 EMRK) trat die Konvention am 3.9.1953 in Kraft.5 Die Bundesrepublik Deutschland ratifizierte die Konvention am 5.12.1952 und gehörte damit zu den Mitgliedstaaten der ersten Stunde.6 Von den großen westeuropäischen Staaten hielt sich vor allem Frankreich lange zurück; es trat der EMRK erst am 3.5.1974 bei. Am Vorabend der politischen Wende 1989/1990 waren mit Ausnahme Finnlands, das noch 1990 folgte, sowie Andorras und Monacos alle demokratischen Staaten (West-)Europas Mitglieder der EMRK.7 Zählte die EMRK 1990 noch 22 Vertragsstaaten, hat sich die Zahl angesichts der politischen Veränderungen in Mittelund Osteuropa in den 1990er Jahren bis heute gut verdoppelt: Seit dem Beitritt Montenegros am 11.5.2007 sind 47 Staaten Vertragsparteien der Konvention. Darüber hinaus steht zu erwarten, dass die Europäische Union als supranationale Organisation der EMRK in naher Zukunft beitreten wird.8 Die Änderungen des primären Unionsrechts durch den Vertrag von Lissabon haben hierfür die entscheidende Kompetenzgrundlage in Art. 6 Abs. 2 EUV (i.V.m. Art. 218 AEUV) geschaffen. Auch das 14. ZP zur EMRK, das am 1.6.2010 in Kraft getreten ist,9 hat bewirkt, dass der Konvention und ihren ZP nicht mehr nur Staaten, sondern gemäß Art. 59 Abs. 2 EMRK auch die EU beitreten kann.10
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Die EMRK ist der erste völkerrechtliche Vertrag, der einen Katalog von Menschenrechten verbindlich festschreibt und einen effektiven Kontrollmechanismus zur Durchsetzung der menschenrechtlichen Verpflichtungen kennt.11 Die EMRK besteht aus der Konvention selbst und derzeit 17 Zusatzprotokollen, von denen aktuell 13 in Kraft sind.12 Mehrere dieser Protokolle enthalten zusätzliche materielle Menschenrechtsgarantien, so vor allem das 1. ZP
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1 Conférence des Hauts Fonctionnaires, 8.–17.6.1950, Bericht an das Ministerkomitee, Doc. CM/WP 4 (50); CM/WP4 (50) 16 rev., A 1431, in: Conseil d’Europe, Recueil des Travaux Préparatoires 1977, Bd. IV, 242 ff. 2 Comité des Ministres, Beschl. des Konventionsentwurfs v. 7.8.1950, in: Conseil d’Europe, Recueil des Travaux Préparatoires 1977, Bd. V, 121 ff. 3 Giegerich, ZaöRV 55 (1995), 713 ff. Zu den Vorbehalten der Bundesrepublik Deutschland vgl. Rz. 7 Fn. 6. 4 Zu Einzelheiten vgl. Partsch, ZaöRV 15 (1953/54), 631 (655 f.). 5 Vgl. Bekanntmachung v. 15.12.1953 (BGBl. II 1954, S. 14). 6 Vgl. BGBl. II 1952, S. 685. Der von der Bundesregierung bei Ratifizierung eingelegte Vorbehalt, dass Art. 7 Abs. 2 EMRK nur in den Grenzen von Art. 103 Abs. 2 GG angewandt werde, ist seit dem 5.10.2001 zurückgenommen (veröffentlicht erst in BGBl. II 2003, S. 1580). Zu weiteren Vorbehalten Deutschlands vgl. Meyer-Ladewig, Art. 57 Rz. 7 ff. 7 Grabenwarter/Pabel, EMRK § 1 Rz. 4. 8 Die offiziellen Gespräche über den Beitritt der EU zur EMRK haben am 7.7.2010 begonnen (vgl. EuGRZ 2010, 259 ff.) und sind mit dem endgültigen Entwurf eines Beitrittsvertrages v. 5.4.2013 nunmehr vorläufig abgeschlossen. Zu Verlauf und Ergebnis der Verhandlungen Giegerich, in: Dörr/Grote/Marauhn, Kap. 2 Rz. 37–42; Polakiewicz, EuGRZ 2013, 472 (473 ff). Der Vertragsentwurf ist abrufbar unter http://www.coe. int/t/dghl/standardsetting/hrpolicy/Accession/default_en.asp. 9 CETS Nr. 194 = BGBl. II 2006, S. 138 (Neubekanntmachung nebst Erklärung der Russischen Föderation in: BGBl. II 2010, S. 1196). 10 Zu den sonstigen rechtlichen und politischen Herausforderungen der Beitrittsverhandlungen vgl. E. Klein, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. VI/1, 2010, § 167 Rz. 69 ff.; Jacqué, CMLRev. 48 (2011), 995 (1002 ff.); Lock, CMLRev. 48 (2011), 1025 (1028 ff.); Mader, AVR 49 (2011), 435 (440 ff.); Baratta, CMLRev. 50 (2013), 1305 (1310 ff.); sowie eingehend zum Entwurf des Beitrittsvertrags Polakiewicz, EuGRZ 2013, 472 (474 ff). 11 Andere regionale und auch die universellen Menschenrechtssysteme entstanden erst deutlich später, vgl. E. Klein, EuGRZ 1999, 109 (110). 12 Nach langjähriger Blockade (vgl. EuGRZ 2007, 507 f.) hat die russische Duma das 14. ZP schließlich am 18.2.1010 ratifiziert. Das 14. ZP ist sodann am 1.6.2010 in Kraft getreten, vgl. BGBl. II 2010, S. 1196. Das Protokoll Nr. 14bis v. 27.5.2009 (vgl. Rz. 10) – das hier als 15. Protokoll zur EMRK gezählt wird – ist am Tag des Inkrafttretens des 14. ZP obsolet geworden und außer Kraft getreten. Das 10. ZP ist durch das 11. ZP überholt worden und daher nie in Kraft getreten. Das 15. und das 16. ZP, die eine Stärkung der Effektivität des EGMR (15. ZP v. 24.6.2013, ETS Nr. 213) und eine Vorab-Gutachten-Vorlage (16. ZP v. 2.10.2013, ETS Nr. 214) vorsehen, liegen gegenwärtig zur Zeichnung auf.
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EMRK Rz. 9 vom 20.3.1952, das diejenigen Rechte enthält, die aus der Stammfassung herausgefallen waren: die Eigentumsgarantie (Art. 1), das Recht auf Bildung (Art. 2) und das Recht auf freie Wahlen (Art. 3). Es trat am 18.5.1954 in Kraft. Weitere wichtige materiell-rechtliche Ergänzungen finden sich im 4., 6., 7. sowie im 12. und 13. ZP.1 9
Auch das Rechtsschutzverfahren unterlag im Laufe der Zeit erheblichen Veränderungen. Zu Beginn erwies es sich als schwierig, ein Individualbeschwerdeverfahren zu vereinbaren, mit dem der einzelne Bürger Konventionsverletzungen unmittelbar vor von der Konvention geschaffenen Kontrollorganen geltend machen konnte.2 Die schließlich gefundene Lösung bestand darin, die Individualbeschwerde nur vor der EKMR zuzulassen und es dieser anheim zu stellen, ob sie den Gerichtshof anrief oder nicht (vgl. Art. 48 EMRK a.F.). Die ZP Nr. 9 und Nr. 11 haben das Rechtsschutzverfahren jedoch später erheblich zugunsten der Stellung des Individuums modifiziert. Mit dem 9. ZP vom 6.11.19903 erhielt ein Beschwerdeführer, der das Verfahren vor der Kommission eingeleitet hatte, selbst das Recht, den Gerichtshof anzurufen. Das 11. ZP vom 11.5.19944 änderte das gesamte Verfahren, indem es die Kommission abschaffte und damit das bis dahin geltende zweistufige Rechtsschutzsystem beseitigte. Seither gibt es nur noch den Gerichtshof, der zudem zu einer ständig tagenden Einrichtung wurde. Eine weitere Änderung durch das 11. ZP lag in der Einführung einer obligatorischen Gerichtsbarkeit; die Mitgliedschaft in der Konvention bedeutet nunmehr automatisch die Anerkennung der Zuständigkeit des EGMR zur Entscheidung über Individualbeschwerdeverfahren (vgl. Art. 34 EMRK). Die zuvor erforderlichen Erklärungen der Mitgliedstaaten, sich der Zuständigkeit des Gerichtshofs zu unterwerfen und das Individualbeschwerdeverfahren vor der Kommission anzuerkennen, sind entfallen.5
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Ähnlich wie das BVerfG droht der EGMR mittlerweile an seinem eigenen Erfolg in Bezug auf das Individualbeschwerdeverfahren (oder anders gewendet: an den offenbar gravierenden rechtsstaatlichen Defiziten einiger Vertragsstaaten) zu „ersticken“. Bereits im Jahr 2001 wurden 13 858 Beschwerden registriert, denen 889 Urteile und 8 989 Unzulässigkeitsentscheidungen und Streichungen aus der Verfahrensliste gegenüber standen;6 heute fallen die statistischen Zahlen noch weitaus höher aus.7 Dies rief eine Reformdiskussion hervor, die am 13.5. 2004 zur Annahme des 14. ZP führte. Wichtige Änderungen betreffen die Möglichkeit von Einzelrichterentscheidungen über die Unzulässigkeit von Individualbeschwerden, eine neue Zulässigkeitshürde in Form eines „erheblichen Nachteils“ und eine Stärkung des Durchsetzungsmechanismus durch das Ministerkomitee, das als Organ des Europarates (vgl. Art. 13 Europarats-Satzung) gem. Art. 46 Abs. 2 EMRK mit der Überwachung der Durchführung endgültiger Urteile des Gerichtshofs betraut ist.8 Das für die Effizienz des europäischen Menschenrechtsschutzsystems unerlässliche 14. ZP – über 151 000 Beschwerden waren im Jahr 2011 beim EGMR anhängig9 – trat allerdings erst nach Ratifizierung durch alle Vertragsstaaten der EMRK am 1.6.2010 in Kraft.10 Die Russische Föderation hatte als einzige Partei die Ratifizierung über lange Zeit hinweg abgelehnt und damit eine langwährende Stagnation des Reformprozesses hervorgerufen.11 Umso erfreulicher war die Kehrtwende, die durch die russische Ratifizierung am 18.2.2010 vollzogen wurde. Damit wurden sowohl das Madrider 1 2 3 4 5 6 7
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Näher Grote, in: Dörr/Grote/Marauhn, Kap. 1 Rz. 36. Walter, in: Ehlers, § 1 Rz. 8. BGBl. II 1994, S. 491; in Kraft seit 1.1.1994. BGBl. II 1995, S. 579; in Kraft seit 1.11.1998. Dazu Walter, in: Ehlers, § 1 Rz. 11. Vor Inkrafttreten des 11. ZP musste zwar die Staatenbeschwerde automatisch mit dem Beitritt zur EMRK akzeptiert werden. Für die Anerkennung des Individualbeschwerdeverfahrens bedurfte es jedoch zweier gesonderter Erklärungen, vgl. Art. 25 Abs. 1 und Art. 46 Abs. 1 EMRK a.F. Vgl. Registry of the European Court of Human Rights, Survey of Activities 2001, 2002, S. 26 ff. Allein für das Jahr 2011 belaufen sich die statistischen Zahlen auf 64 500 registrierte Beschwerden, 1 511 Urteile sowie 50 677 Unzulässigkeitsentscheidungen und Streichungen aus der Liste, vgl. Registry of the European Court of Human Rights, Annual Report 2011, 2012, S. 151. Zu weiteren statistischen Angaben s. E. Klein, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. VI/1, 2010, § 150 Rz. 80 ff., und Jestaedt, JZ 2011, 872 (878 ff.). Zu den v. 14. ZP vorgesehenen Reformen vgl. Walter, in: Ehlers, § 1 Rz. 11, sowie eingehend Egli, ZaöRV 64 (2004), 759 (775 ff.); Egli, ZaöRV 68 (2008), 155 ff.; Keller/Bertschi, EuGRZ 2005, 204 ff. Vgl. Registry of the European Court of Human Rights, Annual Report 2011, 2012, S. 152. Vgl. BGBl. II 2010, S. 1196. Anders als die sog. Fakultativprotokolle, die nur für solche Vertragsstaaten gelten, die das jeweilige Zusatzprotokoll ratifiziert haben (z.B. ZP Nr. 6 und Nr. 12), bedarf es bei den sog. Änderungsprotokollen, wie sie z.B. das 11. und das 14. ZP darstellen, einer Ratifizierung durch alle Vertragsstaaten, vgl. Meyer-Ladewig, Einleitung, Rz. 3. Am 22.12.2006 haben nur 27 von 450 Mitgliedern der Staatsduma dem 14. ZP zugestimmt, vgl. EuGRZ 2006, 704. Zur russischen Blockade vgl. auch die Dokumentation in: EuGRZ 2007, 507 f.
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Rz. 13 EMRK Abkommen vom 12.5.20091 als auch das Protokoll Nr. 14bis vom 27.5.2009 obsolet. Beide Verträge dienten im Blick auf die russische Blockade dem Ziel, die Geltung von Teilen des 14. ZP vorzuziehen, obwohl noch nicht alle Staaten das Änderungsprotokoll Nr. 14 ratifiziert hatten.2 Seit seinem Inkrafttreten ist das 14. ZP nunmehr gem. seinem Art. 20 Abs. 1 auf alle beim Gerichtshof anhängigen Beschwerden sowie alle Urteile, deren Durchführung das Ministerkomitee überwacht, anzuwenden. Lediglich für die neuen Zulässigkeitsvoraussetzungen in Art. 35 EMRK sowie für die neue Amtszeit der Richter (Verlängerung von bisher sechs auf neun Jahre) sind Übergangsvorschriften vorgesehen (näher Rz. 74a).3 C. Relevante Rechtsgarantien der EMRK und ihrer Protokolle für die anwaltliche Berufstätigkeit Abgesehen davon, dass die Konvention und ihre Protokolle für die anwaltliche Berufstätigkeit insgesamt von hoher Bedeutung sind, enthalten die Vertragstexte eine Reihe von Rechtsgarantien, die speziell den Rechtsanwalt als Organ der Rechtspflege in den Blick nehmen. Unter dieser Perspektive sollen im Folgenden die für die Anwaltschaft relevanten Einzelgewährleistungen beleuchtet und in den systematischen Gesamtkontext der Konvention eingebettet werden. Nicht analysiert werden dabei diejenigen (Teil-)Aspekte eines Konventionsrechts, die keine spezifischen Bezüge zum Beruf des Rechtsanwalts aufweisen. Die umfassende Darstellung und Untersuchung der Konventionsgarantien ist Aufgabe der gängigen Kommentarliteratur, auf die insoweit verwiesen werden kann.4
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I. Art. 6 EMRK Wie erwähnt (Rz. 3) nimmt der EGMR in seiner Judikatur immer wieder auf die Bedeutung des Anwalts als Organ der Rechtspflege Bezug. Dies geschieht vor allem im Rahmen der in Art. 6 EMRK normierten justiziellen Verfahrensrechte. Dabei bemüht der Gerichtshof die Vorschrift des Art. 6 EMRK zum einen in Verfahren, in denen unmittelbar eine Verletzung dieses Rechts geltend gemacht wird (s. Rz. 13–39). Zum anderen zieht er Art. 6 EMRK auch bei Gewährleistungen, die sich aus anderen Vorschriften ergeben, heran, um deren Inhalt „anwaltsberufsspezifisch“ aufzuladen oder einzugrenzen (s. Rz. 40–48).
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1. Unmittelbare Gewährleistungen aus Art. 6 EMRK a) Allgemeines Neben dem Schutz der persönlichen Freiheit (Art. 5 EMRK), dem strafrechtlichen Rückwirkungsverbot (Art. 7 EMRK), dem Verbot der Doppelbestrafung (Art. 4 ZP 7) und dem Recht auf wirksame Beschwerde (Art. 13 EMRK) gehört Art. 6 EMRK zu denjenigen Konventionsrechten, die spezifischer Ausdruck eines europäischen Verfassungsprinzips der Rechtsstaatlichkeit sind.5 Dabei bildet Art. 6 EMRK das Kernstück der Justiz- und Verfahrensgrundrechte der EMRK und zugleich die Vorschrift mit der größten praktischen Bedeutung. Rund 57 % aller Beschwerden beruhen zumindest auch auf der Geltendmachung einer Verletzung von Art. 6 EMRK.6 Da Art. 6 EMRK zudem eine detailliertere Ausformung von Verfahrensgrundrechten enthält als die meisten europäischen Verfassungen, beeinflussen seine Gewährleistungen die Rechts- und Verfassungsordnungen der Mitgliedstaaten in nicht unerheblicher Weise.7 So hat etwa das BVerfG Art. 6 Abs. 2 EMRK zur Etablierung der im Grundgesetz nicht aus1 Neben anderen Vertragsstaaten hatte auch Deutschland die Erklärung abgegeben, das 14. ZP im Sinne des Madrider Abkommens für vorläufig anwendbar zu erklären, vgl. BGBl. II 2009, S. 823. 2 Das Protokoll Nr. 14bis zielte darauf ab, einige konkrete Regelungen des 14. ZP, insbes. die Einzelrichterformation, zur Anwendung zu bringen. Ferner konnten die Vertragsstaaten gem. Art. 7 des Protokolls Nr. 14bis erklären, dass das 14. ZP für sie in seiner Gesamtheit provisorisch anwendbar sein soll, hierzu näher E. Klein, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. VI/1, 2010, § 150 Rz. 91 f.; MeyerLadewig/Petzold, NJW 2009, 3749 (3752). 3 Vgl. Meyer-Ladewig, Einleitung, Rz. 5. 4 Vgl. Rz. 5 Fn. 1. 5 Grabenwarter, Verfahrensgarantien in der Verwaltungsgerichtsbarkeit, 1997, S. 696 ff.; Meyer, in: Karpenstein/Mayer, Art. 6 Rz. 1. Das 7. ZP (einschließlich der Garantie des ne bis in idem,) ist von der Bundesrepublik Deutschland allerdings bisher nicht ratifiziert worden. 6 Vgl. Meyer-Ladewig, Art. 6 Rz. 1 (für das Jahr 2009), sowie Registry of the European Court of Human Rights, Annual Report 2010, 2011, S. 128 ff.; Annual Report 2011, 2012, S. 157. 7 Beispiele bei Grabenwarter, FS Steinberger, 2002, S. 1129 (1130 f.).
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EMRK Rz. 14 drücklich vorgesehenen Unschuldsvermutung herangezogen.1 Die Unschuldsvermutung richtet sich an alle staatlichen Organe und Behörden, insbesondere aber an Amtsträger und die Strafjustiz.2 b) Anwendungsbereich von Art. 6 EMRK 14
Art. 6 Abs. 1 EMRK garantiert Verfahrensgrundrechte für alle Verfahren, in denen entweder über zivilrechtliche Streitigkeiten oder über die Stichhaltigkeit einer strafrechtlichen Anklage entschieden wird. Während Art. 6 Abs. 1 EMRK für beide Teilbereiche des Schutzbereichs gilt,3 sind die in Art. 6 Abs. 2 EMRK enthaltene Unschuldsvermutung und die in Art. 6 Abs. 3 EMRK niedergelegten Einzelgarantien nur auf Strafverfahren anwendbar. Im Übrigen aber ist der Anwendungsbereich von Art. 6 EMRK eher weit zu verstehen. Art. 6 EMRK verpflichtet nicht dazu, Rechtsmittel zuzulassen;4 sehen die Staaten jedoch Rechtsmittelgerichte vor, gelten die Verfahrensgrundsätze prinzipiell auch vor diesen Gerichten.5 Die in Art. 6 EMRK genannten Rechte stehen jeder Person zu, die Beteiligte an einem Verfahren vor staatlichen Gerichten ist; dies gilt z.B. auch für Nebenkläger.6
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Die Anwendbarkeit von Art. 6 Abs. 1 EMRK auf im weitesten Sinn zivilrechtliche Verfahren setzt voraus, dass eine Entscheidung über eine Streitigkeit stattfindet, die ein Recht betrifft, das zivilrechtlichen Charakter hat. Dabei ist der Begriff des „Rechts“ konventionsautonom auszulegen und vor allem dem authentischen Wortlaut der französischen („droits et obligations de caractère civil“) sowie der englischen Sprache („civil rights and obligations“) Rechnung zu tragen. Beide Sprachfassungen lassen eine Deutung auf auch im öffentlichen Recht wurzelnde Rechte zu,7 zumal der englische Begriff ohnehin nicht auf das klassische Zivilrecht kontinentaleuropäischer Prägung beschränkt ist.8 Zum Inhalt des Begriffs „civil rights“ gelangt man deshalb auf der Grundlage einer rechtsinhaltsbezogenen Unterscheidung von Zivilrecht und öffentlichem Recht.9 Die Qualität des Entscheidungsorgans und das anzuwendende Verfahrensrecht für das Vorliegen einer zivilrechtlichen Streitigkeit i.S.v. Art. 6 Abs. 1 EMRK sind hingegen nicht ausschlaggebend; auch auf Verwaltungsverfahren, auf verwaltungsgerichtliche Verfahren (z.B. § 47 VwGO) und sogar auf verfassungsgerichtliche Verfahren kann die Norm Anwendung finden, sofern die von der Straßburger Judikatur entwickelten inhaltlichen Kautelen erfüllt sind.10 Dies gilt auch für Schadensersatz- oder Informationsansprüche gegen den Staat, selbst wenn öffentlich-rechtliche Fragen streitentscheidend sind.11
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Wiewohl die Judikatur des EGMR für die materielle Abgrenzung der „civil rights“ von denjenigen Rechten, die ausschließlich dem öffentlichen Recht zuzuordnen sind, eine Reihe verschiedener einzelfallbezogener Ansätze aufweist, lassen sich drei Fallgruppen herausfiltern: Danach zählen zu zivilrechtlichen Streitigkeiten zunächst diejenigen Fälle, in denen die Entscheidungen Auswirkungen auf Zivilrechtspositionen wie etwa auf das Eigentum oder auf vertragliche Rechtsbeziehungen im Schutzbereich der Berufs- und Erwerbsfreiheit und in der Freiheit des Liegenschaftsverkehrs haben.12 Dabei muss das Bestehen eines Anspruchs im innerstaatlichen Recht nachweisbar und die Streitigkeit muss echt und ernsthaft 1 2 3 4 5
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BVerfGE 74, 358 (369 f.) – Unschuldsvermutung I; 82, 106 (114 f.) – Unschuldsvermutung II. EGMR, Urt. v. 2.6.2009 – Borovsky, Nr. 24528/02, Rz. 45. EGMR NJW 1999, 2353, Rz. 27 – van Geyseghem. Vgl. aber Art. 2 ZP 7, wobei dieses Protokoll von Deutschland nicht ratifiziert ist. Nach jüngerer Rspr. des EGMR sind die Konventionsstaaten auch berechtigt, bestehende Rechtsmittel einzuschränken oder aufzuheben, vgl. EGMR, Entsch. v. 29.9.2009 – Jung, Nr. 5643/07 (zu § 522 Abs. 2, 3 ZPO). EGMR, Urt. v. 26.7.2005 – Podbielski u.a., Nr. 39199/98, Rz. 62; ferner Meyer-Ladewig, Art. 6 Rz. 61; Gollwitzer, Art. 6 Rz. 47. Die EMRK garantiert zwar kein Recht auf Vorlage einer Rechtssache an den EuGH zur Vorabentscheidung gem. Art. 267 Abs. 3 AEUV. Dennoch kann die Ablehnung eines Antrags auf eine derartige Vorlage gegen das Gebot des fairen Verfahrens verstoßen, sofern diese Ablehnung willkürlich erfolgt, vgl. EGMR EuGRZ 2007, 274 (276) – John; hierzu Lenz, in: Dörr/Lenz, Rz. 643. EGMR, Urt. v. 31.5.2005 – Antunes Rocha, Nr. 64330/01, Rz. 42 f. Kritisch Gollwitzer, Art. 6 Rz. 28. Meyer, in: Karpenstein/Mayer, Art. 6 Rz. 15; IK/Miehsler, Art. 6 Rz. 16; Rill, FS Winkler, 1989, S. 16 (24). IK/Miehsler, Art. 6 Rz. 7 ff.; Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 24 Rz. 7. Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 24 Rz. 8. Beispiele: EGMR EuGRZ 1978, 406, Rz. 94 – König; EuGRZ 1996, 514, Rz. 39 ff. – Süßmann; NJW 2001, 213, Rz. 29 – Klein; EuGRZ 2004, 150, Rz. 32 f. – Voggenreiter; EGMR ÖJZ 1998, 236 (237) – Hornsby. Vgl. EGMR EuGRZ 2007, 420, Rz. 55 – Herbst. Vgl. auch EGMR ÖJZ 2007, 212, Rz. 32–34 – Brunnthaler; Urt. v. 31.7.2012 – Shapovalov, Nr. 45835/05, Rz. 51–57. Vgl. etwa EGMR EuGRZ 1995, 535 – Zander; ÖJZ 1996, 115 f. – Diennet; EuGRZ 2004, 150, Rz. 44 – Voggenreiter; DVBl. 2007, 1161, Rz. 27 – Kirsten; ÖJZ 2009, 619, Rz. 61 – Saccoccia.
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Rz. 16 EMRK sein.1 Zu einer zweiten Gruppe zählen Streitigkeiten im Recht der Sozialversicherung. Hier gelangt der EGMR in der Abwägung überwiegend zu dem Ergebnis, dass die privatrechtlichen Elemente eines sozialversicherungsrechtlichen Anspruchs (etwa auf Krankengeld) die öffentlich-rechtlichen Komponenten überwiegen.2 Die Leistungen aus der Sozialversicherung qualifiziert der EGMR als Verlängerung oder Ersatz des vertraglichen Arbeitsentgelts, weshalb diese den Charakter des zivilrechtlichen Vertrags teilen.3 Eine Sonderkategorie innerhalb dieser (zweiten) Gruppe nehmen beamtenrechtliche Streitigkeiten ein, soweit sie nicht typisch hoheitliche Tätigkeiten (z.B. von Polizei- oder Streitkräften) zum Gegenstand haben,4 sondern es entweder nur um untergeordnete Verwaltungstätigkeiten5 oder aber um Annexrechte wie etwa Versorgungsbezüge geht. Letztere rechnet der Gerichtshof dem Schutzbereich von Art. 6 Abs. 1 EMRK mit der Begründung zu, dass der Eintritt des Bediensteten in den Ruhestand dessen besondere Verbindung mit dem Staat beende.6 In jüngerer Zeit präsentiert der EGMR sogar einen noch weitergehenden Ansatz, wonach der Schutz von Art. 6 EMRK sich auch auf Staatsbedienstete mit hoheitlichem Aufgabenbereich erstrecken soll, wenn arbeitsrechtliche Fragen im Vordergrund stehen und der Ausschluss des Rechtsschutzes nicht durch vernünftige staatliche Interessen begründet ist.7 So werden mittlerweile neben Fragen des Gehalts, von Zulagen oder ähnlichen Ansprüchen8 auch Disziplinarverfahren gegen Beamte vom Schutzbereich der in Art. 6 Abs. 1 EMRK erwähnten „civil rights“ umschlossen, sofern sie nicht zum Strafrecht gehören, das von Art. 6 EMRK („criminal charges“) ohnehin erfasst ist (vgl. Rz. 18).9 Auch das Recht auf Zugang zum Amt eines Anwaltsnotars ist „zivilrechtlich“ im Sinne von Art. 6 Abs. 1 EMRK.10 Diese neuen Kriterien dürften zur Folge haben, dass Art. 6 EMRK in deutschen Fällen auf Streitigkeiten des öffentlichen Dienstes nunmehr (nahezu) ohne Ausnahme anwendbar ist.11 Drittens fallen schließlich Verfahren, die einen vermögenswerten Gegenstand haben oder sich auf behauptete Verletzungen gründen, die ihrerseits vermögenswerte Rechte betreffen, ungeachtet eventuell bestehender verwaltungsbehördlicher Streitigkeiten in den Anwendungsbereich von Art. 6 Abs. 1 EMRK.12 Hier wird also nicht nur die Auswirkung auf ein vermögenswertes Recht, sondern sogar das verfahrensgegenständliche Recht selbst erfasst.13 Das Kriterium des Vermögenswerts geht Verbindungen mit den anderen beiden Fallgruppen ein und dient als „Auffangtatbestand“.14 So werden auch Verfahren zur Abwehr von Diskriminierungen (etwa aus religiösen Gründen) unter den Anwendungsbereich von Art. 6 Abs. 1 EMRK subsumiert.15 Ähnliches gilt für Beschwerden gegen Maßnahmen des Strafvollzugs, soweit sie
1 Das allgemeine Interesse am Umweltschutz weist z.B. zu entfernte Verbindungen zu einer Zivilrechtsposition auf, vgl. EGMR ÖJZ 1998, 436, Rz. 40 – Balmer-Schafroth; NVwZ 2013, 131 (132) – Association Greenpeace France. 2 Meyer, in: Karpenstein/Mayer, Art. 6 Rz. 17 f.; Peters/Altwicker, EMRK, § 19 Rz. 12 f. 3 EGMR EuGRZ 1988, 20 – Deumeland; EuGRZ 1996, 604, Rz. 46 – Schuler-Zgraggen. Vgl. auch EGMR, Urt. v. 21.7.2008 – Mihailov, Nr. 52367/99, Rz. 34, betreffend die Feststellung einer Behinderung. 4 Die Streitigkeiten von Staatsbediensteten mit hoheitlichem Tätigkeitsbereich sollen grundsätzlich vom Anwendungsbereich von Art. 6 EMRK ausgeschlossen sein. Entsprechend wurde die Position eines Unteroffiziers als typisch hoheitliche Tätigkeit angesehen, vgl. EGMR, Urt. v. 5.12.2000 – Mosticchio, Nr. 41808/98, Rz. 11. 5 So werden arbeitsrechtliche Streitigkeiten von Postbeamten als zivilrechtliche qualifiziert, vgl. EGMR RJD 1998-V, Rz. 29 f. – Benkessiouer. Auch Wohlfahrtsbeamte, Hausmeister einer Schule und Lehrer partizipieren nicht an der Ausübung staatlicher Souveränität, vgl. EGMR, Urt. v. 2.8.2000 – Lambourdiere, Nr. 37387/97, Rz. 23; NJW 2002, 3087 – Volkmer. Weitere Beispiele bei Meyer-Ladewig, Art. 6 Rz. 17–19. 6 EGMR NVwZ 2000, 661, Rz. 67 – Pellegrin. Näher Chojnacka, ÖJZ 2002, 201 ff. – Ob diese Begründung auch für Deutschland tragfähig ist, wo das beamtenrechtliche Treueverhältnis (Art. 33 Abs. 5 GG) nach der Pensionierung fortbesteht, ist indes zweifelhaft. Zu Recht kritisch Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 24 Rz. 11, dort Fn. 38. 7 Vgl. EGMR NJOZ 2008, 1188, Rz. 57–62 – Vilho Eskelinen. 8 Vgl. EGMR NJOZ 2008, 1188, Rz. 62 – Vilho Eskelinen. 9 EGMR NVwZ 2010, 1015, Rz. 37–39 – Bayer. Das Recht, an einem Auswahlverfahren für ein öffentliches Amt teilzunehmen, wird vom Gerichtshof ebenfalls als zivilrechtlicher Anspruch verstanden, vgl. EGMR NVwZ 2011, 153, Rz. 66 ff. – Lombardi Vallauri. 10 EGMR NJW 2011, 3703, Rz. 45 f. – Kübler. 11 Meyer-Ladewig, Art. 6 Rz. 19; Grabenwarter, in: Ehlers, § 6 Rz. 37; Callewaert, DÖV 2011, 825 (826). Einschränkend indes Werres, DÖV 2011, 873 (875 f.); Peters/Altwicker, EMRK, § 19 Rz. 11. 12 Vgl. Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 24 Rz. 12; Beispiele: EGMR ÖJZ 1992, 771, Rz. 40 – Editions Périscope; RJD 1997-II, Rz. 30 – Paskhalidis. 13 EGMR EuGRZ 1988, 452, Rz. 32 – Bodén. 14 Grabenwarter, Verfahrensgarantien in der Verwaltungsgerichtsbarkeit, 1997, S. 44 ff. 15 EGMR, Urt. v. 17.7.2008 – Orsus u.a., Nr. 15766/03, Rz. 43.
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EMRK Rz. 17 vermögensrechtliche Auswirkungen haben.1 Wiederaufnahmeverfahren werden indes regelmäßig nicht von Art. 6 EMRK erfasst, es sei denn das Verfahren stellt die einzige Möglichkeit dar, das rechtskräftige Urteil aufzuheben.2 17
Nicht zu den zivilrechtlichen Verfahren i.S.v. Art. 6 Abs. 1 EMRK zählen demgegenüber solche, die in den Rechtssystemen der Mitgliedstaaten dem Kernbereich des öffentlichen Rechts zugeordnet sind. Dazu gehören Verfahren über das Steuerschuldverhältnis,3 Verfahren betreffend die Wehrpflicht oder den Wehrersatzdienst4 und Verfahren, die dem politischen Bereich zuzuordnen sind wie Entscheidungen über das aktive oder passive Wahlrecht.5 Ferner werden Asylverfahren6 und die Zuerkennung oder Verweigerung von Aufenthaltsrechten für Ausländer7 nicht von Art. 6 Abs. 1 EMRK erfasst. Gleiches gilt prinzipiell für aufenthaltsbeendende Maßnahmen für Ausländer8 und für Verfahren über die Verleihung oder Aberkennung der Staatsangehörigkeit.9
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Auch die Abgrenzung der von Art. 6 Abs. 1 EMRK erfassten strafrechtlichen Streitigkeiten („criminal charges“) ist im Wesentlichen rechtsinhaltsbezogen. Der EGMR richtet sich dabei zunächst an der Einordnung aus, die das nationale Recht trifft.10 Zusätzlich werden aber – nicht zuletzt um zu verhindern, dass die Staaten durch Entkriminalisierung bestimmter Maßnahmen die Anwendung von Art. 6 EMRK umgehen11 – auch diejenigen Verfahren von Art. 6 EMRK erfasst, bei denen eine Zuordnung nach der Natur der Zuwiderhandlung sowie der Art und Schwere der Sanktion sinnvoll erscheint, wobei von den genannten Kriterien12 jeweils nur eines vorliegen muss.13 Tatbestandlich kommt es darauf an, dass der sachliche und persönliche Anwendungsbereich der Norm nicht von vornherein auf spezifische Personengruppen zugeschnitten ist.14 Auf der Rechtsfolgenseite ist entscheidend, dass Sanktionen (auch) repressiver Natur drohen. Danach unterfällt etwa das Ordnungswidrigkeitenrecht dem Schutzbereich von Art. 6 EMRK,15 nicht aber das Disziplinarrecht. Dieses ist nur ausnahmsweise von Art. 6 EMRK umfasst, wenn mit ihm eine gewichtige Strafandrohung verbunden ist, also die insgesamt zu erwartenden negativen Konsequenzen für den Beschuldigten gravierend sind.16 Der Gerichtshof nimmt dies in aller Regel für mehr als nur geringfügige Haftstrafen sowie für Geldstrafen an, wenn ersatzweise eine Freiheitsstrafe verhängt wird oder Entsprechendes droht.17 Ist das Disziplinarverfahren nicht strafrechtlich ausgestaltet, kann es freilich ggf. unter den in Art. 6 Abs. 1 EMRK enthaltenen Begriff der zivilrechtlichen Verfahren subsumiert werden.18 Auch der Entzug der Berufsberechtigung als schwerste Sanktion des Disziplinarrechts freier Berufe begründet die Anwendbarkeit von Art. 6 EMRK unter strafrechtlichen Gesichtspunkten.19 1 EGMR, Urt. v. 17.9.2009 – Enea, Nr. 74912/01, Rz. 106. 2 Vgl. EGMR, Urt. v. 22.7.2010 – Melis, Nr. 30604/07, Rz. 35. Ferner s. Meyer-Ladewig, Art. 6 Rz. 17. 3 EGMR NJW 2002, 3452, Rz. 29 – Ferrazzini. Entsprechendes gilt für das Zollrecht, vgl. EGMR EuGRZ 2005, 234 (238) – Emesa Sugar. 4 Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 24 Rz. 13. 5 EKMR DR 16, 163; EGMR ÖJZ 1998, 590 – Pierre-Bloch. Das Recht auf Anerkennung einer Vereinigung begründet hingegen zivilrechtliche Positionen, vgl. EGMR NVwZ 2009, 509, Rz. 107 – Zeugen Jehovas u.a. 6 EKMR DR 50, 268 – Lukka; DR 54, 211 – P. 7 EKMR DR 29, 205 – X., Y. und Z. 8 EGMR RJD 2000-X, Rz. 35 ff. – Maaouia; vgl. auch EKMR DR 29, 205 – X., Y. und Z. Bei Auslieferungsverfahren kann Art. 6 EMRK indes anwendbar sein, wenn dem Bf. ein faires Verfahren verweigert wird, vgl. EGMR NVwZ 2008, 7761, Rz. 91 ff. – Al-Moayad. 9 EKMR DR 59, 256 – S.; EGMR NJW 2002, 3453, Rz. 28 – Ferrazzini. 10 EGMR EuGRZ 1978, 406, Rz. 88 – König; EuGRZ 1982, 297, Rz. 30 – Adolf. 11 EGMR EuGRZ 1985, 62, Rz. 49 – Öztürk. 12 Sog. „Engel-Kriterien“, bezeichnet nach dem zugrunde liegenden Fall, der diese Voraussetzungen erstmalig benannte, vgl. EGMR EuGRZ 1976, 221, Rz. 83 – Engel. Vgl. auch EGMR RJD 1997-V, Rz. 39 – A.P. u.a. 13 Freilich stehen die genannten Kriterien in einem engen Zusammenhang, was zu einer kumulativen Betrachtungsweise führen kann, vgl. Woehrling, RFDA 1994, 414 (417 f.). Beispiel hierfür ist etwa EGMR, Urt. v. 15.2.2007 – Önen, Nr. 29782/02, Rz. 23. 14 EGMR EuGRZ 1985, 62, Rz. 53 – Öztürk; Urt. v. 1.2.2005 – Ziliberberg, Nr. 61821/00, Rz. 32. 15 EGMR EuGRZ 1985, 62, Rz. 47 ff. – Öztürk. 16 EGMR RJD 2003-X, Rz. 130 – Ezeh und Connors. 17 Beispiele sind: EGMR EuGRZ 1976, 221, Rz. 82 und Rz. 85 – Engel; EuGRZ 1990, 265, Rz. 22 und Rz. 34 – Weber; EuGRZ 1985, 534, Rz. 72 f. – Campbell und Fell; RJD 2002-I, Rz. 38 – Morris; RJD 2003-X, Rz. 95 ff. – Ezeh und Connors; Urt. v. 1.2.2005 – Ziliberberg, Nr. 61821/00, Rz. 34. 18 EGMR, Urt. v. 14.1.2010 – Vanjak, Nr. 29889/04, Rz. 30 ff. 19 EGMR NJW 2006, 2901, Rz. 61–64 – Kyprianou; Grabenwarter, in: Ehlers, § 6 Rz. 37. – Gelegentlich bejaht der EGMR die Anwendbarkeit von Art. 6 EMRK auch mit der Begründung, dass die Verhängung eines Berufsverbots eine Entscheidung über ein „civil right“ darstelle, vgl. etwa EGMR EuGRZ 1981, 551, Rz. 53 – Le Compte u.a.; ÖJZ 1996, 115, Rz. 28 – Diennet; ÖJZ 2000, 728, Rz. 28 – W.R.
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Rz. 20 EMRK Ferner soll Art. 6 EMRK Anwendung finden, wenn über die Aussetzung der Sicherungsverwahrung zur Bewährung entschieden wird.1 In zeitlicher Hinsicht geht der EGMR davon aus, dass eine „criminal charge“ ab dem Zeitpunkt vorliegt, in dem der Betreffende offiziell von der zuständigen Anklagebehörde darüber informiert wird, dass ihm die Begehung einer Tat vorgeworfen wird.2 In bestimmten Fällen ist die Vorschrift auch noch nach Beendigung eines Strafverfahrens anzuwenden, wenn z.B. über Kosten oder Entschädigung zu entscheiden ist.3 Verfahren wegen Beschlagnahme oder Einziehung, die erst nach Beendigung eines Strafverfahrens durchgeführt werden, werden ebenfalls von Art. 6 EMRK erfasst.4 c) Zugang zu einem unabhängigen, unparteiischen und auf Gesetz beruhenden Gericht Gemäß Art. 6 Abs. 1 EMRK müssen alle Verfahren in seinem Anwendungsbereich von einem unabhängigen, unparteiischen und auf Gesetz beruhenden Gericht entschieden werden. Diese sog. Organisationsgarantie5 ist für die anwaltliche Berufstätigkeit in verschiedenen Facetten von Bedeutung. Zunächst unterfallen dem Begriff des Gerichts, der im Rahmen des Art. 6 EMRK autonom zu interpretieren ist, alle justizförmigen und unabhängigen Spruchkörper, die über Streitfragen auf der Grundlage des Rechts und in einem gesetzlich vorgesehenen Verfahren mit rechtsstaatlichen Garantien entscheiden.6 Der EGMR prüft dabei auch die Dauer des Richteramtes und die Verfahrensgarantien für die Unabhängigkeit des Gerichts.7 Liegen die Voraussetzungen des Begriffs „Gerichts“ vor, bestehen keine Bedenken daran, dass etwa bei Standes- und Berufsgerichten Berufsangehörige als Richter mitwirken.8 Die Anwaltsgerichtshöfe gem. §§ 100 ff. BRAO, die nach § 101 Abs. 1 BRAO auch mit Rechtsanwälten besetzt werden, dürften die von Art. 6 EMRK geforderten Kriterien erfüllen.9
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Die Begriffe der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Gerichts stehen in engem Zusammenhang und sollen die Objektivität des richterlichen Verfahrens garantieren.10 Zu Recht hebt der EGMR den engen Zusammenhang zwischen der Unabhängigkeit der Justiz und dem Vertrauen der Bürger in die rechtsstaatliche Demokratie hervor.11 Vor diesem Hintergrund hält der EGMR den Grundsatz der Unparteilichkeit für verletzt, wenn ein Laienrichter – der ebenfalls unter den Begriff des Gerichts i.S.v. Art. 6 Abs. 1 EMRK fallen kann12 – zusätzlich zu seiner Funktion als Richter in einem gerichtlichen Verfahren die gegnerische Partei in einem parallel anhängigen gerichtlichen Verfahren als Rechtsanwalt vertritt, selbst wenn beide Rechtssachen materiell-rechtlich nicht zusammenhängen. Nach Ansicht des Gerichtshofs besteht in einem solchen Fall für den Bf. berechtigter Anlass zu der Befürchtung, dass der betreffende Richter ihn weiterhin als gegnerische Partei empfindet.13 Hat ein Richter in einem strafrechtlichen Verfahren über die Eröffnung des Ermittlungsverfahrens entschieden, selbst die Ermittlungen geleitet und die Sache sodann an das Spruchgericht abgegeben, besteht ebenfalls die Besorgnis der Befangenheit.14 Gleiches gilt bei verwandtschaftlichen Beziehungen des Richters zu einer Partei oder deren Rechtsanwalt.15 Desgleichen können Zweifel an der Unparteilichkeit eines Richters an einem Rechtsmittelgericht objektiv gerechtfertigt sein, wenn er zuvor an der Verhandlung zur Sache teilgenommen, am angegriffenen Urteil mitgewirkt hat sowie sodann über die Richtigkeit seiner eigenen Rechtsanwen-
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1 EGMR NJW 2008, 2320 (2320) – Homann. Maßnahmen im Strafvollzug sowie Entscheidungen zur Überstellung verurteilter Personen fallen hingegen nur ausnahmsweise unter Art. 6 EMRK, wenn sie einen direkten Bezug zur strafrechtlichen Verurteilung haben, vgl. EGMR NStZ-RR 2011, 113, Rz. 40–44 – Buijen. 2 EGMR EuGRZ 1980, 667, Rz. 46 – Deweer. Eine förmliche Anklageerhebung ist daher nicht notwendig, vgl. Meyer, in: Karpenstein/Mayer, Art. 6 Rz. 35. 3 EGMR EuGRZ 1987, 399, Rz. 123 – Lutz. Im Übrigen vgl. Gollwitzer, Art. 6 Rz. 41. 4 EGMR, Urt. v. 23.9.2008 – Grayson & Barnham, Nr. 19955/05, Rz. 37 ff. 5 Begriff bei Grabenwarter/Pabel, in: Dörr/Grote/Marauhn, Kap. 14 Rz. 38 ff. 6 Einzelheiten bei Matscher, FS Baumgärtel, 1990, S. 363 (364 ff.). 7 EGMR NJOZ 2007, 2326, Rz. 94 – Wos. 8 EGMR EuGRZ 1981, 551, Rz. 58 – Le Compte u.a. 9 Vgl. hierzu auch BVerfG, NJW 2006, 3049 (3050). 10 IK/Kühne, Art. 6 Rz. 306; Peukert, in: Frowein/Peukert, Art. 6 Rz. 213. Im Einzelnen vgl. Lenz, in: Dörr/ Lenz, Rz. 636 f. 11 EGMR, Urt. v. 27.11.2008 – Miroshnik, Nr. 75804/01, Rz. 61. Vgl. auch Peters/Altwicker, EMRK, § 19 Rz. 23. 12 Meyer-Ladewig, Art. 6 Rz. 75. Vgl. auch EGMR EuGRZ 2009, 12, Rz. 43 ff. – Elezi. 13 EGMR RJD 2000-XII, Rz. 46 f. – Wettstein. Vgl. auch EGMR, Urt. v. 15.7.2005 – Meznaric, Nr. 71615/01, Rz. 34 ff. 14 EGMR, Urt. v. 2.3.2010 – Adamkiewicz, Nr. 54729/00, Rz. 102, 108. 15 EGMR, Urt. v. 15.10.2009 – Micallef, Nr. 17056/06, Rz. 102: Hier ging es um einen Richter, der nicht nur Onkel des Rechtsanwalts einer Partei war, sondern zudem Bruder des Anwalts, der für die Partei in der Vorinstanz tätig war.
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EMRK Rz. 21 dung entscheiden muss.1 In Einzelfällen kann der Betroffene allerdings auf Feststellung und Rüge der Unparteilichkeit des Richters verzichten. Neben den allgemeinen Anforderungen an einen Grundrechtsverzicht2 macht es die besondere Bedeutung der in Art. 6 EMRK niedergelegten prozessualen Rechte jedoch erforderlich, dass für die Wirksamkeit des Verzichts bestimmte Mindestvoraussetzungen eingehalten werden.3 Ein Verzicht ist jedenfalls unwirksam, wenn er von dem Betroffenen abgegeben wird, ohne dass dieser zuvor Rücksprache mit seinem Rechtsanwalt gehalten hat. Nach Ansicht des EGMR vermag ein Laie diese rechtliche Frage nicht vollständig einzuschätzen.4 Fehlende Unabhängigkeit und Unparteilichkeit eines Richters können nach jüngerer Rspr. allerdings dann nicht mehr gerügt werden, wenn das Urteil der Überprüfung durch ein Gericht unterliegt, das allen Anforderungen von Art. 6 EMRK genügt.5 21
Im Zentrum von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK steht das subjektive Recht auf Zugang zu einem unabhängigen und unparteiischen Gericht. Der EGMR betont immer wieder, dass dieses Recht nicht nur theoretisch und illusorisch, sondern von den Mitgliedstaaten auch effektiv und tatsächlich gewährleistet werden muss.6 Dabei ist insbes. vorzusehen, dass der Betroffene die Möglichkeit hat, einen Rechtsbeistand in Anspruch zu nehmen. Während Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK im Strafverfahren ausdrücklich ein Recht auf unentgeltliche Verteidigung gewährleistet (s. Rz. 38),7 ist eine kostenlose Inanspruchnahme der Dienste eines Anwalts für zivilrechtliche Verfahren in Art. 6 Abs. 1 EMRK nicht enthalten.8 Daher ist der EGMR bei der Annahme einer Verletzung des Rechts auf Zugang zu Gericht wegen der Versagung von kostenfreier Verfahrenshilfe durch einen Rechtsanwalt zurückhaltend und gesteht den Mitgliedstaaten insofern einen weiten Gestaltungsspielraum zu (vgl. auch Rz. 23).9 Beginnend mit dem Fall „Golder“ führt der EGMR in st. Rspr. aus, dass das Recht auf Zugang zu Gericht schon seiner Natur nach einer Regelung durch den Staat bedürfe, die nach Ort und Zeit wechseln könne, abhängig von den Bedürfnissen und den Mitteln der Gemeinschaft und der Einzelpersonen.10
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Da die Organisationsgarantie des Art. 6 Abs. 1 EMRK nicht absolut gewährleistet ist, darf sie mitgliedstaatlichen Beschränkungen unterliegen. Diese müssen freilich im Interesse einer geordneten Rechtspflege erforderlich sein, also ein legitimes Ziel auf verhältnismäßige Weise verfolgen.11 Zudem dürfen die Schranken den Gerichtszugang nicht so erschweren, dass der Wesensgehalt („the very essence“) des Rechts verletzt wird.12 Bedingungen für die Zulässigkeit von Klagen und Rechtsmitteln wie Fristen, Formvorschriften und Genehmigung der Prozessführung13 sowie Regelungen zum Anwaltszwang und zu Gerichtskosten sind grds. zulässig.14 Allerdings müssen die formalen Kriterien für die Erhebung von Klagen und Rechtsmitteln präzise abgefasst sein, und die Anwendung der entsprechenden Regelungen durch die Gerichte muss in kohärenter Weise erfolgen.15 Unbedenklich sind auch Kostenvorschüsse, die ein Verfassungsgericht einfordert.16 Nicht verhältnismäßig war es nach Ansicht des 1 EGMR NJW 2012, 3019 – Binder. 2 Der Verzicht muss freiwillig und eindeutig sein und darf öffentlichen Interessen nicht widersprechen, vgl. EGMR EuGRZ 1992, 5, Rz. 66 – Håkansson und Sturesson. 3 Grabenwarter/Pabel, in: Dörr/Grote/Marauhn, Kap. 14 Rz. 55. 4 EGMR EuGRZ 1992, 99, Rz. 38 – Pfeifer und Plankl. Vgl. auch EGMR NJW 2002, 2015, Rz. 48 – Schöps. 5 EGMR, Urt. v. 6.1.2010 – Vera Ferdandez Huidobro, Nr. 74181/01, Rz. 131. 6 EGMR EuGRZ 1979, 626, Rz. 24 – Airey; EuGRZ 1980, 662, Rz. 33 – Artico; NJW 2003, 1229, Rz. 60 – Czekalla. 7 Das Recht auf unentgeltliche Beiordnung eines Rechtsbeistands ist neben der Mittellosigkeit der angeklagten Person davon abhängig, dass die Beiordnung im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist, vgl. EGMR, Entsch. v. 8.12.2009 – Dzankovic, Nr. 6190/09. 8 Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 24 Rz. 48. 9 EGMR RJD 2002-III, Rz. 23 ff. – Del Sol; Urt. v. 21.9.2004 – Santambrogio, Nr. 61945/00, Rz. 51 ff. Vgl. auch EGMR NJW 2010, 3207 – Herma, sowie jüngst Urt. v. 22.3.2012 – Granos Orgánicos Nacionales, Nr. 19508/07, Rz. 46 f. Zur Problematik im Allgemeinen Diggelmann/Altwicker, DÖV 2012, 781 (787). 10 EGMR EuGRZ 1975, 91, Rz. 38 – Golder; aus jüngerer Zeit vgl. EGMR, Urt. v. 26.7.2005 – Podbielski, Nr. 39199/98, Rz. 64; sowie EGMR NJOZ 2008, 1098, Rz. 42 – Paljic; NJW 2010, 3207 – Herma. 11 EGMR NJW 2010, 3207 (3208) – Herma: Das deutsche Prozesskostenhilfesystem bietet dem Einzelnen hinreichende Garantien, die ihn vor Willkür schützen. 12 EGMR EuGRZ 1986, 8, Rz. 57 – Ashingdane; EuGRZ 1991, 355, Rz. 59 – Philis; vgl. auch EGMR EuGRZ 1999, 207, Rz. 59 – Waite and Kennedy, sowie EGMR NJOZ 2011, 619, Rz. 87, 111 – Kart. 13 Vgl. etwa EGMR EuGRZ 1986, 8, Rz. 59 – Ashingdane; Urt. v. 27.5.2004 – Boulougouras, Nr. 66294/01, Rz. 21; Urt. v. 12.11.2002 – Beles, Nr. 47273/99, Rz. 51; Urt. v. 29.1.2004 – Kormachova, Nr. 53084/99, Rz. 54. 14 Meyer-Ladewig, Art. 6 Rz. 36 und Rz. 38 f. 15 Vgl. EGMR, Urt. v. 20.5.2008 – Santos Pinto, Nr. 39005/04, Rz. 44, sowie EGMR, Urt. v. 12.12.2009 – Sergey Smirnov, Nr. 14085/04, Rz. 30 ff.; Urt. v. 20.10.2009 – Nowinski, Nr. 25924/06, Rz. 33. 16 EGMR RJD 2003-IX, (The Law 2.) – Reuther.
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Rz. 24 EMRK Gerichtshofs aber, wenn eine Klageerhebungsgebühr in der Höhe eines durchschnittlichen Jahresgehalts im betreffenden Vertragsstaat vom Kläger verlangt wurde.1 Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn die Kosten nicht im Voraus, sondern erst nach Abschluss des Verfahrens zu zahlen sind.2 Einen Anspruch auf Prozesskostenhilfe gewährt Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK nicht. Der Staat ist nicht verpflichtet, durch den Einsatz öffentlicher Mittel eine vollständige Waffengleichheit zwischen den Prozessparteien herzustellen, solange jede von ihnen die Möglichkeit hat, ihren Fall unter Voraussetzungen zu führen, die sie ggü. ihrem Gegner nicht wesentlich benachteiligen.3 Gleichwohl muss der Staat Sorge dafür tragen, dass dem Einzelnen der Zugang zu Gericht nicht aus wirtschaftlichen Gründen unmöglich ist, wobei dem Staat die Ausgestaltung der Modalitäten obliegt.4 Kann der Betroffene einen Anwalt nicht bezahlen und seine Sache wegen der Schwierigkeit oder wegen eines Vertretungszwangs nicht selbst vertreten, muss ein Rechtsanwalt im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordnet werden, wenn das für einen wirksamen Zugang zum Gericht erforderlich ist.5 Im Übrigen kann das Fehlen eines Rechtsbeistands die Fairness des Verfahrens beeinträchtigen;6 dies gilt auch für Zivilprozesse7 und für juristische Personen.8 Bei Strafprozessen ist der Zugang zu einem Verteidiger sogar bereits ab der ersten polizeilichen Vernehmung erforderlich.9 Anschaulich wird diese rechtliche Wertung – Prozesskostenhilfe zur Etablierung eines fairen Verfahrens – z.B. im Fall „Steel und Morris“, wo sich die Bf. ohne Prozesskostenhilfe und nennenswerte juristische Beratung in einem tatsächlich und rechtlich schwierigen Rechtsstreit gegen McDonald’s behaupten mussten. Hier nahm der EGMR zu Recht eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK an.10 Ist dem Beschwerdeführer ein Rechtsanwalt beigeordnet, begründen Pflichtverletzungen des Anwalts die Haftung des Staates wegen der Unabhängigkeit des Anwaltsberufs nur unter besonderen Umständen, etwa wenn offensichtliche Nachlässigkeiten des Rechtsanwalts glaubhaft mitgeteilt werden (s. auch Rz. 39).11
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d) Grundsatz des fairen Verfahrens, insbes. Gewährung rechtlichen Gehörs und Grundsatz der Waffengleichheit Den Kern der in Art. 6 Abs. 1 EMRK normierten Verfahrensgarantien bildet das Recht auf ein faires Verfahren („fair hearing“). Es enthält eine Vielzahl von Teilgarantien, die allesamt dazu dienen, einen Verfahrensablauf zu sichern, in dem die Parteien unter im Wesentlichen gleichartigen Bedingungen ihren Prozessstandpunkt effektiv vertreten können.12 Zum Fairnessgebot gehören der Grundsatz der Waffengleichheit, das Recht auf Akteneinsicht, der Anspruch auf rechtliches Gehör sowie das Recht auf Begründung von Entscheidungen.13 Daneben werden auch diejenigen Rechte des Angeklagten als Ausdruck des Fairnessgebots angesehen, die in Art. 6 Abs. 2 und Abs. 3 EMRK verankert sind oder die zusätzlich vom EGMR entwickelt wurden, wie etwa der Grundsatz des „nemo tenetur“.14 In manchen Fällen begnügt sich der Gerichtshof freilich mit der Feststellung, dass das in Frage stehende Verfahren insgesamt nicht den Erfordernissen eines fairen Prozesses genügt, ohne dabei eine der Teilgarantien speziell als verletzt zu erachten.15 1 EGMR ÖJZ 2002, 693, Rz. 61 ff. – Kreuz. Vgl. auch EGMR, Urt. v. 26.7.2005 – Kniat, Nr. 71731/01, Rz. 44; Urt. v. 24.5.2006 – Weissman, Nr. 63945/00, Rz. 37 f. 2 EGMR, Urt. v. 12.7.2008 – Stankov, Nr. 68490/01, Rz. 51 ff. 3 EGMR RJD 2002-III, Rz. 51 – McVicar; NJW 2006, 1255, Rz. 62 – Steel und Morris; EGMR, Entsch. v. 10.4. 2007 – Eckardt, Nr. 23947/03. 4 EGMR EuGRZ 1979, 626, Rz. 26 f. – Airey; ferner Pache, NVwZ 2001, 1342 (1344). 5 EGMR EuGRZ 1979, 626, Rz. 26 – Airey; RJD 2002-III, Rz. 50 – McVicar. 6 EGMR RJD 2002-VI, Rz. 89 – P., C. und S. 7 EGMR RJD 2002-III, Rz. 47 ff. – McVicar. 8 EGMR, Urt. v. 10.1.2006 – Teltronic-CATV, Nr. 48140/99, Rz. 57; näher Diggelmann/Altwicker, DÖV 2012, 781 (785 f.). 9 Vgl. nur EGMR NJW 2009, 3707, Rz. 50 – Salduz; sowie EGMR, Urt. v. 24.9.2009 – Pishchalnikov, Nr. 7025/04, Rz. 73; Urt. v. 18.2.2010 – Aleksandr Zaichenko, Nr. 39660/02, Rz. 46 ff. 10 EGMR NJW 2006, 1255, Rz. 65–72 – Steel und Morris. 11 EGMR RJD 2000-XI (The Law, 2.) – Rutkowski; NJW 2008, 2317 – Starosczyk. 12 Grundlegend EGMR ÖJZ 1998, 236, Rz. 40 f. – Hornsby; ebenso etwa EGMR EuGRZ 2004, 268, Rz. 182 f. – Assanidze. Vgl. auch IK/Kühne, Art. 6 Rz. 357. 13 Grabenwarter/Pabel, in: Dörr/Grote/Marauhn, Kap. 14 Rz. 93. 14 Zum Grundsatz des „nemo tenetur“ vgl. EGMR EuGRZ 1996, 587, Rz. 45 – John Murray; ÖJZ 2004, 853, Rz. 46 – Weh; EuGRZ 2007, 150, Rz. 117 ff. – Jalloh. Näher Peters/Altwicker, EMRK, § 21 Rz. 1–3. 15 Vgl. etwa EGMR, Urt. v. 8.1.2009 – Schlumpf, Nr. 29002/06, Rz. 57; und Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 24 Rz. 60.
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EMRK Rz. 25 25
Für die anwaltliche Berufstätigkeit sind vor allem der Anspruch auf rechtliches Gehör, der Grundsatz der Waffengleichheit und das Recht auf Akteneinsicht bedeutsam. So müssen die Beteiligten in der Lage sein, sich angemessen an dem Verfahren zu beteiligen; der EGMR spricht von „adversarial proceedings“.1 Wenn es sich um schwierige Fragen handelt, müssen die Beteiligten rechtzeitig vor der mündlichen Verhandlung von dem Beweismittel unterrichtet werden;2 die Staatsanwaltschaft muss der Verteidigung das gesamte Beweismaterial, das ihr vorliegt, mitteilen. Ausnahmen sind nur aus Gründen des öffentlichen Interesses und nur dann zulässig, wenn das Zurückhalten des Beweismaterials unbedingt erforderlich ist.3 Außerdem müssen alle Beteiligten in einem Verfahren gleich behandelt werden, also vor allem in gleichem Umfang unterrichtet werden und unter denselben Bedingungen die Möglichkeit haben, vorzutragen und ihre Sache geltend zu machen.4 Der Gerichtshof hat einen Verstoß gegen diesen Grundsatz angenommen, wenn der Generalanwalt bei der französischen Cour de Cassation von seiner Stellungnahme nur die Rechtsanwälte der Beteiligten unterrichtet, nicht aber Beteiligte ohne anwaltliche Vertretung.5 Zum Recht auf Akteneinsicht, das sich auch aus Art. 6 Abs. 3 lit. b EMRK ergibt, vgl. Rz. 32. e) Gebot angemessener Verfahrensdauer
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Nach Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK hat das Gericht zudem innerhalb einer angemessenen Frist zu entscheiden. Diese Garantie – die im Lichte der Umstände des Einzelfalles anhand von vier Kriterien (Bedeutung der Sache für den Beschwerdeführer; Komplexität des Falles; Verhalten des Beschwerdeführers; Verhalten der zuständigen Behörden und Gerichte) zu beurteilen ist, die auch die deutsche Justizpraxis bestimmen6 – ist Bestandteil des Gebots eines effizienten gerichtlichen Rechtsschutzes. Gleichwohl steht sie in einem Spannungsverhältnis zu den anderen Gewährleistungen des Fairnessgebots, da ein „Mehr“ an Verfahrensrechten regelmäßig das Verfahren verlängert.7 Den Vertragsstaaten obliegt daher die nicht einfache Aufgabe, die insoweit kollidierenden Verfahrensprinzipien in eine „praktische Konkordanz“ zu bringen.8 Wegen der Bedeutung der Sache müssen allerdings Sorgerechtsangelegenheiten und Streitigkeiten über die Geschäftsfähigkeit besonders zügig behandelt werden.9 In manchen anderen Fällen erwähnt der EGMR beiläufig gar die Faustregel „ein Jahr pro Instanz“.10 Vor diesem Hintergrund erstaunt es nicht, dass das Gebot angemessener Verfahrensdauer in der Rechtsprechungstätigkeit des EGMR breiten Raum einnimmt. Die weitaus überwiegende Zahl der Beschwerden ist zumindest auch auf die Verfahrensdauergarantie gestützt.11 Gleichwohl ist ihre Bedeutung für das Berufsrecht von Anwälten – über die gängigen Fragen 1 EGMR RJD 1997-II, 436, Rz. 33 – Mantovanelli; RJD 2003-VII, Rz. 41 – Dowsett. Vgl. auch EGMR, Urt. v. 7.6.2007 – Botmeh und Alami, Nr. 15187/03, Rz. 32. 2 Es genügt z.B. nicht, Urkunden solcher Art in der mündlichen Verhandlung zu verlesen, vgl. EGMR, Urt. v. 3.3.2000 – Krcmar, Nr. 35376/97, Rz. 42. Vgl. auch EGMR (GrK), EuGRZ 2009, 566, Rz. 124 – Mooren. 3 EGMR RJD 2003-VII, Rz. 43 f. – Dowsett. Vgl. auch EGMR RJD 2004-X, Rz. 46 ff. – Edwards und Lewis, sowie EGMR NJW 2006, 2753 (2755) – Haas. 4 EGMR ÖJZ 1996, 430, Rz. 47 – Bulut. Eine gewisse Sonderstellung im Verfahren nehmen allerdings die „Vertreter des öffentlichen Interesses“ ein, vgl. EGMR, RJD 2001-IV, Rz. 72–85 – Kress; vgl. aber auch EGMR Urt. v. 12.4.2006 – Martinie, Nr. 58675/00, sowie jüngst zu den Schlussfolgerungen der Generalanwälte beim EuGH: EGMR EuGRZ 2011, 11 – Kokkelvisserij. 5 EGMR, Urt. v. 8.2.2000 – Voisine, Nr. 27362/95, Rz. 33 f. Vgl. auch EGMR ÖJZ 1996, 430, Rz. 49 – Bulut: Es sei unfair, wenn die Anklagebehörde ggü. dem Gericht ein Vorbringen geltend macht, von dem die Verteidigung nichts wisse. 6 Vgl. EGMR RJD 2000-VII, Rz. 43 – Frydlender; ÖJZ 2003, 855, Rz. 46 – Malek. Zu den vier Kriterien vgl. früh bereits EGMR NJW 1989, 652, Rz. 78 ff. – Deumeland; EGMR NVwZ 2010, 1015, Rz. 49 – Bayer; NJW 2011, 1055, Rz. 26 – Grumann; sowie jüngst EGMR NJW 2011, 3353 (3354), Rz. 55 – Hoffer und Annen; zur deutschen Praxis vgl. Meyer, in: Karpenstein/Mayer, Art. 6 Rz. 78 ff.; BGH, NJW 2010, 1155. 7 EGMR EuGRZ 1978, 406, Rz. 100 – König. Vgl. auch Wilfinger, Das Gebot effektiven Rechtsschutzes in GG und EMRK, 1995, S. 150 ff.; Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 24 Rz. 69. 8 Henckel, FS Matscher, 1993, S. 185 (188 ff.). 9 Vgl. nur EGMR, Urt. v. 4.12.2008 – Adam, Nr. 44036/02, Rz. 66 (m. Anm. Rixe, FamRZ 2009, 1037) und EGMR EuGRZ 2007, 420, Rz. 80 – Herbst. 10 EGMR, Urt. v. 8.2.2005 – Panchenko, Nr. 45100/98, Rz. 117; Urt. v. 26.11.2009 – Nazarov, Nr. 13591/05, Rz. 126. Dieses Kriterium spiegelt sich aber in der Folgejudikatur des EGMR nicht durchweg wider, vgl. Meyer-Ladewig, Art. 6 Rz. 199. 11 Aus jüngerer Zeit s. etwa: EGMR, Urt. v. 26.3.2009 – Vaas, Nr. 20271/05, Rz. 48 ff.; Urt. v. 15.10.2009 – Union des Cliniques privées de Grèce u.a., Nr. 6036/07, Rz. 47–54; Urt. v. 1.12.2009 – Trzalskalska, Nr. 34469/05, Rz. 34; Urt. v. 4.2.2010 – Gromzig, Nr. 13791/06, Rz. 78; sowie EGMR EuGRZ 2009, 207, Rz. 20 ff. – Bozlar; NVwZ 2010, 1015, Rz. 46–54 – Bayer; EuGRZ 2012, 514, Rz. 33 ff. – Taron. Weitere Beispiele bei MeyerLadewig, Art. 6 Rz. 188 ff.
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Rz. 28 EMRK im Zusammenhang mit dem Gebot angemessener Verfahrensdauer hinaus – bisher eher marginal. Lediglich in Fällen, wo selbständige Standesvertretungen für die Durchführungen von Disziplinarverfahren zuständig sind, hat der EGMR das Gebot angemessener Verfahrensdauer speziell im Blick auf Rechtsanwälte überprüft. Die Pflicht des Staates, seine Gerichtsbarkeit insgesamt so zu organisieren, dass Verfahren innerhalb eines vernünftigen Zeitraums abgeschlossen werden können, gilt nach Ansicht des Gerichtshofs gleichermaßen für selbständige Standesvertretungen.1 Das Argument der Überlastung eines Gerichts akzeptiert der EGMR in Einzelfällen;2 eine chronische Überlastung führt jedoch regelmäßig zur Annahme, dass der Staat seine Organisationspflicht verletzt habe, wobei auch Verfassungsgerichte davon nicht prinzipiell ausgenommen sind.3 Im Übrigen sind die Konventionsstaaten gem. Art. 13 EMRK verpflichtet, im nationalen Recht einen effektiven Rechtsbehelf gegen eine unangemessen lange Verfahrensdauer bereitzustellen (s. Rz. 52). Auch bei der Frage, ob das Verfahren in einem angemessenen Zeitraum abgeschlossen wurde, nimmt der EGMR die Tätigkeit des Rechtsanwalts in den Blick. Nur dem Staat zuzurechnende Verzögerungen können zu einer Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK führen. Der Gerichtshof berücksichtigt deswegen, ob der Bf. das Verfahren – etwa durch Nichteinhaltung von Fristen oder sonstige Formen der Prozessverschleppung – verzögert hat.4 Das Verfahren seines Bevollmächtigten wird dem Bf. dabei prinzipiell vollständig zugerechnet.5 f) Öffentlichkeit und Mündlichkeit des Verfahrens Art. 6 Abs. 1 S. 1 und S. 2 EMRK räumen ferner das Recht ein, dass im Rahmen des Schutzbereichs über Streitigkeiten und Anklagen öffentlich verhandelt wird. Diese Öffentlichkeitsgarantie ist umfassend zu verstehen. Sie reicht von der Öffentlichkeit der Verhandlung bis zur Veröffentlichung der Entscheidungen6 und gewährleistet nicht bloß den Parteien und Beteiligten, sondern jedermann die Zugänglichkeit der Verhandlung.7 Allerdings erfährt das Gebot einer mündlichen öffentlichen Verhandlung zwei wesentliche Einschränkungen. Zum einen kann die Öffentlichkeit bei mündlichen Verhandlungen in Einzelfällen ausgeschlossen werden, zum anderen kann eine mündliche Verhandlung ausnahmsweise ganz unterbleiben. Die letztgenannte Alternative ist zwar in Art. 6 Abs. 1 EMRK nicht ausdrücklich genannt, aber richterrechtlich geprägt. Sie greift vor allem, wenn ein Fall auf der Grundlage der Akten und der schriftlichen Stellungnahme der Parteien angemessen entschieden werden kann,8 und in Fällen, wo der betroffene Grundrechtsträger auf die Mündlichkeit der Verhandlung freiwillig verzichtet.9 Auch hier wird man wegen der schwerwiegenden Folgen eines Verzichts neben den Voraussetzungen, die grds. an einen Grundrechtsverzicht zu stellen sind, im Einzelfall die Rücksprache mit dem Verfahrensbevollmächtigten zur Voraussetzung machen müssen (vgl. Rz. 20).
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Der Ausschluss der Öffentlichkeit bei einer mündlichen Verhandlung findet hingegen in Art. 6 Abs. 1 S. 2 EMRK eine ausdrückliche Regelung. Diese Vorschrift enthält einen Katalog
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1 EGMR ÖJZ 2000, 728, Rz. 34 – W.R.; ÖJZ 2003, 855, Rz. 48 – Malek. 2 So etwa EGMR EuGRZ 1996, 514, Rz. 55 – Süßmann. 3 EGMR NJW 2001, 213, Rz. 43 – Klein; NJW 2001, 211, Rz. 77 – Gast und Popp; Urt. v. 13.11.2008 – Ommer Nr. 2, Nr 26073/03, Rz. 54. – Allerdings werden die Anforderungen an die Dauer von Verfahren vor einem Verfassungsgericht vom EGMR weniger streng gefasst. Aufgrund seiner Rolle als Hüter der Verfassung ist es für ein Verfassungsgericht nämlich in besonderem Maße geboten, bisweilen auch die Natur der Sache und ihre politische und soziale Bedeutung zu berücksichtigen, vgl. EGMR, Urt. v. 24.2.2005 – Wimmer, Nr. 60534/00, Rz. 30; DVBl. 2007, 1161, Rz. 45 – Kirsten; NVwZ 2010, 177, Rz. 63 – Leela Förderkreis. 4 Die vom Beschwerdeführer und seinem Rechtsbeistand verursachten Verzögerungen werden freilich gegen die Verzögerungen, die den Justizbehörden anzulasten sind, abgewogen, vgl. EGMR EuGRZ 2005, 121, Rz. 33 – Uhl; Urt. v. 6.10.2005 – Müller, Nr. 69584/01; EuGRZ 2007, 420, Rz. 75 – Herbst. 5 EGMR NJW 2006, 1645, Rz. 49 – Pedersen und Baadsgaard. 6 Zur Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Urteilsverkündung vgl. EGMR NJW 2009, 2874, Rz. 30–37 – Ryakib Biryukov. Dazu Tubis NJW 2010, 415 ff. 7 Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 24 Rz. 73; Pieck, Der Anspruch auf ein rechtsstaatliches Gerichtsverfahren, 1966, S. 76 f. 8 EGMR, Urt. v. 12.11.2002 – Döry, Nr. 28394/95, Ziff. 37 ff.; Urt. v. 23.11.2006 – Jussila, Nr. 73053/01, Ziff. 41 ff. Auch zum Schutz von Minderjährigen und der Privatsphäre der Beteiligten in Sorgerechtsstreitigkeiten kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, vgl. EMGR, Entsch. v. 14.2.2006 – Kaplan, Nr. 45983/99. Bei hochgradig technischen Fragen kann dem Gebot der Wirksamkeit, Schnelligkeit und Wirtschaftlichkeit der Vorrang gegeben werden, vgl. EGMR ÖJZ 2009, 619, Rz. 78–79 – Saccoccia. Zum deutschen Recht vgl. BVerwG NVwZ 2008, 696 (zu § 47 VwGO), sowie EGMR, Entsch. v. 29.9.2009, Nr. 5643/07 – Jung (zu § 522 ZPO). 9 Vgl. EGMR EuGRZ 1981, 551, Rz. 59 – Le Compte u.a.; EuGRZ 1996, 604, Rz. 58 – Schuler-Zgraggen; ÖJZ 1996, 115, Rz. 31 – Diennet; Urt. v. 5.7.2005, Nr. 48062/99 – Exel.
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EMRK Rz. 29 von Tatbeständen für den Ausschluss der Öffentlichkeit.1 Auffällig ist hierbei, dass es – im Gegensatz zu Art. 8 bis Art. 11 EMRK – keiner gesetzlichen Regelung bedarf, um die Zulässigkeit der Beschränkung der Öffentlichkeit durch nationale Gerichtsorgane zu begründen. Art. 6 Abs. 1 S. 2 EMRK enthält einen von den Vollzugsorganen unmittelbar anwendbaren Vorbehalt;2 er ist insoweit lex specialis zu der in Art. 10 EMRK garantierten Informationsfreiheit, die unter einem Gesetzesvorbehalt steht.3 Für die anwaltliche Tätigkeit bedeutsam ist dabei vor allem der prozessbezogene Ausschlussgrund „Schutz des Privatlebens“. Der Umfang des Begriffs „Privatleben“ entspricht im Wesentlichen dem Inhalt des in Art. 8 Abs. 1 EMRK gleichlautenden Begriffs (s. Rz. 53). Auch der Schutz von Geheimnissen in der beruflichen Sphäre, insbes. von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen, ist demnach vom Ausschlussgrund des Schutzes des Privatlebens erfasst. Der EGMR hat dies für das Berufsgeheimnis von Ärzten4 und von Anwälten5 bestätigt, als er auf die Ausnahmen des Art. 6 Abs. 1 S. 2 EMRK ausdrücklich Bezug genommen hat. Dabei ist der Kreis der geschützten Personen entgegen dem Wortlaut der Norm nicht nur auf die Prozessparteien beschränkt. Anderenfalls hinge es vom innerstaatlichen Verfahrenssystem ab, inwieweit eine am Verfahren beteiligte Person in den Genuss dieser Ausnahme käme. Deshalb ist davon auszugehen, dass hier kein technischer, sondern ein funktioneller Parteibegriff Verwendung gefunden hat. Der Begriff „Parteien“ erstreckt sich auch auf sonstige Prozessbeteiligte, insbes. auf Zeugen, aber auch auf die Prozessbevollmächtigten.6 Des Weiteren kann ein Ausschluss erfolgen, wenn die öffentliche Verhandlung die Interessen der Rechtspflege beeinträchtigen würde. Im Gegensatz zu den anderen in Art. 6 Abs. 1 S. 2 EMRK aufgeführten Fallgruppen sind die Voraussetzungen bei diesem Tatbestand enger gefasst. Der Ausschluss darf nur „unter besonderen Umständen“ und nur in dem nach Auffassung des Gerichts erforderlichen Umfang verfügt werden. Ziel des Ausschlusses ist auch hier der Schutz öffentlicher Interessen. Im Unterschied zu den allgemeinen Ausschlussgründen, die das Interesse der Moral, der öffentlichen Ordnung und der nationalen Sicherheit umschließen, wird aber die Rechtspflege vor der Öffentlichkeit und nicht umgekehrt die Öffentlichkeit vor den Inhalten des Verfahrens geschützt.7 g) Recht auf Verteidigung und Verfahrenshilfe im Strafprozess 29
Die für die Berufstätigkeit des Rechtsanwalts zweifelsohne bedeutsamste Teilgarantie des Art. 6 EMRK findet sich in dessen Absatz 3, der eine demonstrative Aufzählung von Rechten des Angeklagten enthält. Alle diese Garantien sind ihrerseits Bestandteile des Grundsatzes des fairen Verfahrens nach Art. 6 Abs. 1 EMRK und vom Gedanken der Effektivität der Verteidigung geprägt.8 aa) Art. 6 Abs. 3 lit. b EMRK
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Neben dem Recht, innerhalb kurzer Frist in einer ihm verständlichen Sprache in allen Einzelheiten über Art und Grund der erhobenen Beschuldigung unterrichtet zu werden (Art. 6 Abs. 3 lit. a EMRK),9 muss der Angeklagte gem. Art. 6 Abs. 3 lit. b EMRK über ausreichende Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung seiner Verteidigung verfügen. Das Zeitmoment ist von den Umständen des Einzelfalls abhängig. Entscheidend ist, dass der Angeklagte und sein Anwalt vor der (Haupt-)Verhandlung genügend Zeit hatten, um die Akten zu studieren.10 Unter Umständen muss das Gericht die Verhandlung auf Antrag vertagen. Im Urteil „Campell 1 Die Anwesenheit einer gefährlichen Person im Verfahren genügt nicht zum Ausschluss der Öffentlichkeit, da die Person entfernt werden kann, vgl. EGMR, Urt. v. 10.12.2009 – Shagin, Nr. 20437/05, Rz. 65. 2 Kühne, NJW 1971, 224 (225); Lienbacher, ÖJZ 1990, 425 (435); Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 24 Rz. 76. 3 Grabenwarter/Pabel, in: Dörr/Grote/Marauhn, Kap. 14 Rz. 121. 4 EGMR EuGRZ 1981, 551, Rz. 59 – Le Compte u.a.; ÖJZ 1996, 115, Rz. 34 – Diennet. 5 EGMR, Urt. v. 30.11.1987 – H., Nr. 8950/80, Série A 127-B, Rz. 54; ÖJZ 1995, 73, Rz. 56 – De Moor. 6 Pieck, Der Anspruch auf ein rechtsstaatliches Gerichtsverfahren, 1966, S. 91; Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 24 Rz. 87. 7 Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 24 Rz. 88; Grabenwarter/Pabel, in: Dörr/Grote/Marauhn, Kap. 14 Rz. 130. 8 Zur Verknüpfung von Art. 6 Abs. 3 mit Art. 6 Abs. 1 EMRK vgl. EGMR, NJW 2013, 3225, Rz. 37 – Hümmer. Die in Art. 6 Abs. 3 EMRK genannten Ausprägungen haben grundsätzlich nur für Strafverfahren Bedeutung, vgl. EGMR, Urt. v. 10.7.2007 – Cruz de Carvalho, Nr. 18223/04, Rz. 29. In Zivilsachen räumt der EGMR den Staaten regelmäßig einen größeren Spielraum ein, vgl. EGMR, Urt. v. 9.3.2004 – Pitkänen, Nr. 30508/96. 9 Hierzu im Einzelnen Esser, Auf dem Weg zu einem europäischen Strafverfahrensrecht, 2002, S. 437 ff. Zu Einschränkungen aus Gründen des öffentlichen Interesses bei sensiblen Geheimdienstinformationen vgl. EGMR NJOZ 2010, 1903, Rz. 205 ff. – A. u.a. 10 EGMR EuGRZ 1995, 537, Rz. 48 f. – Kremzow; vgl. auch EGMR, Entsch. v. 31.3.2005 – Mattick, Nr. 62116/00, sowie EGMR, Urt. v. 15.11.2007 – Galstyan, Nr. 26986/03, Rz. 64.
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Rz. 31 EMRK und Fell“ hat der Gerichtshof eine Vorbereitungsfrist von fünf Tagen für ausreichend erachtet und dabei berücksichtigt, dass der Verteidiger Vertagung nicht beantragt hatte.1 Im Fall „Mattick“ ging es um eine „starre Frist“ von einem Monat nach Akteneingang. Diese Frist wurde vom Gerichtshof ebenso wenig beanstandet2 wie der Umstand, dass der Verteidiger ein Gutachten und andere Urkunden erst drei Tage vor der Hauptverhandlung erhalten hatte, weil er sie zwischen den Sitzungstagen prüfen konnte.3 Art. 6 Abs. 3 lit. b EMRK enthält allerdings nicht nur eine zeitliche Dimension, sondern garantiert auch die ausreichende Gelegenheit zur inhaltlichen Vorbereitung der Verteidigung. Dazu gehört zum einen die ungestörte Kommunikation des Angeklagten mit dem eigenen Verteidiger.4 So kann etwa ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 3 lit. b EMRK darin bestehen, dass einem Bf. in Haft der Kontakt zu seinem Bevollmächtigten im Verfahren vor dem EGMR verwehrt wird oder nur mit Trennscheibe möglich ist. Dasselbe gilt, wenn ein begründeter Verdacht besteht, dass Gespräche des Bf. mit seinem Anwalt abgehört werden.5 Das Postulat einer ungestörten Kommunikation ist Ausdruck des allgemeinen Berufsgeheimnisses des Anwalts und der Vertraulichkeit anwaltlicher Rechtsberatung.6 Dieses Anwaltsprivileg, das (auch im Sinne von Art. 6 Abs. 1 EMRK, s. Rz. 40) generell zum Ziel hat, den Bürger vor Offenbarungen zu schützen, die seiner moralischen Integrität und seinem Ruf schaden könnten, umfasst grds. die Gesamtheit der schriftlichen wie mündlichen Mitteilungen zwischen Anwalt und Mandanten innerhalb wie außerhalb gerichtlicher Verfahren.7 Hieraus folgt u.a., dass ein Rechtsanwalt weder bei der Vor- und Nachbereitung noch im Rahmen eines Gerichtsverfahrens verpflichtet werden darf, mit öffentlichen Stellen (insbes. Strafverfolgungsbehörden) zusammenzuarbeiten und ihnen Informationen zu übermitteln, die er anlässlich seiner Rechtsberatung erlangt hat. Ausnahmen gelten nach der neueren Rspr. des EuGH im Fall „Ordre des barreaux francophones et germanophones“ nur in eng begrenzten Fällen, wenn der Anwalt außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens einschließlich der Vor- oder Nachbereitung eines solchen auf Tatsachen stößt, von denen er weiß oder hinsichtlich derer er den begründeten Verdacht hat, dass sie – weil sie sich auf bestimmte Finanz- oder Immobilientransaktionen beziehen – mit dem Straftatbestand der Geldwäsche und damit mit der organisierten Kriminalität in Verbindung stehen.8 Diese Judikatur des EuGH, die zwischen der prozessualen und der außerprozessualen Beratung unterscheidet, steht in einem gewissen Widerspruch zur Sichtweise des EGMR (s. Rz. 40), wobei sich letzterer allerdings mit Melde- und Informationsverpflichtungen von Rechtsanwälten – soweit ersichtlich – noch nicht auseinanderzusetzen hatte.9 Zum anderen verletzen Verzögerungen im Briefverkehr mit dem Verteidiger das Recht nach Art. 6 Abs. 3 lit. b EMRK, wenn sie zu einer Fristversäumnis führen.10 Die ausreichende Gele1 EGMR EuGRZ 1985, 534, Rz. 98 – Campbell und Fell. 2 In der Lit. wird indes die starre Monatsfrist für Revisionsanträge und ihre Begründung nach § 345 Abs. 1 StPO als mit Art. 6 Abs. 3 lit. b EMRK unvereinbar angesehen, vgl. Grabenwarter, NJW 2002, 109 (111); IK/Kühne, Art. 6 Rz. 523. 3 EGMR, Entsch. v. 31.3.2005 – Mattick, Nr. 62116/00 (The Law 2.). 4 EGMR EuGRZ 2003, 472, Rz. 146 – Öcalan; bestätigt durch EGMR (GrK) EuGRZ 2005, 463, Rz. 132 f. – Öcalan. Vgl. auch EGMR NJW 2009, 3707, Rz. 50–55 – Salduz. Der Verkehr des Angeklagten mit seiner konsularischen Vertretung wird durch Art. 6 Abs. 3 lit. b EMRK nicht garantiert, vgl. IK/Kühne, Art. 6 Rz. 500. Ein solcher Individualanspruch folgt aber aus Art. 36 Abs. 1 lit. b WÜK (vgl. IGH ICJ Reports 2001, 466, Rz. 77 – LaGrand; ICJ Reports 2003–2004, 41, Rz. 11 – Avena) und kann im Verfassungsbeschwerdeverfahren geltend gemacht werden, vgl. BVerfG, NJW 2007, 499, Rz. 43 ff. 5 EGMR NJW 2007, 3409, Rz. 147 – Oferta Plus SRL. A.A. IK/Kühne, Art. 6 Rz. 510. 6 Die Vertraulichkeit des Gesprächs zwischen Rechtsanwalt und Mandant ist eines der Kernstücke der wirksamen Vertretung von Mandanteninteressen, vgl. EGMR NJW 2007, 3409, Rz. 145 – Oferta Plus SRL. – Zur Stärkung des Schutzes von Vertrauensverhältnissen zwischen Mandant und Rechtsanwalt hat der deutsche Gesetzgeber § 160a StPO vor kurzem geändert (vgl. BGBl. 2010 I, S. 2261); nunmehr sind strafrechtliche Ermittlungsmaßnahmen nicht nur gegen Strafverteidiger, sondern gegen alle Rechtsanwälte unzulässig, vgl. Müller-Jacobsen, NJW 2011, 257 ff. 7 Die Korrespondenz zwischen einem Strafverteidiger und seinem Mandanten unterliegt zudem dem Schutz des Art. 8 EMRK, vgl. EGMR, Urt. v. 13.1.2009 – Sorvisto, Nr. 19348/04, Rz. 104, sowie unten Rz. 43. 8 Vgl. EuGH, Urt. (GrK) v. 26.6.2007, Ordre des barreaux francophones et germanophones et al., Rs. C-305/05, EuGRZ 2007, 562, Rz. 33–36. In diesem Verfahren stand die Richtlinie 2001/97/EG v. 4.12.2001 zur Änderung der Richtlinie 91/308/EWG des Rates zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche (ABl. EG Nr. L 344/76 v. 28.11.2001) auf dem Prüfstand. ´, ZEuS 2007, 533 (553 ff.). Das BVerfG, Beschl. v. 13.7.2007, 1 BvR 1550/03, Rz. 162 ff., sieht 9 Kritik bei Sladic indes keine verfassungsrechtlichen Bedenken betreffend ähnlicher Meldepflichten von in Deutschland ansässigen Banken bezüglich bestimmter Stammdaten, die auch die anwaltliche treuhänderische Verwaltung von Mandantengeldern betreffen. 10 EGMR RJD 1996-V, Rz. 39 – Domenichini.
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EMRK Rz. 32 genheit zur Vorbereitung der Verteidigung erfordert schließlich den Zugang zu Beweismaterial und zu den Verfahrensakten. Allerdings hängt hier die Frage einer Verletzung der Konventionsgarantie maßgeblich von den Umständen des Einzelfalls ab. Dabei schlägt es insbes. zu Lasten des Angeklagten zu Buche, wenn dieser keine entspr. Beweisanträge gestellt hat.1 Besteht jedoch in einem erstinstanzlichen Verfahren weder die Möglichkeit eines Zugangs zur Akte noch die Möglichkeit, Kopien anzufertigen, genügt es nicht, dass diese Gelegenheit im Berufungsverfahren eröffnet wird. Eine Verletzung von Art. 6 Abs. 3 lit. b EMRK kann dann auch durch das Berufungsverfahren nicht mehr abgewendet werden.2 Wird in einem Verfahren zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer Freiheitsentziehung nach Art. 5 Abs. 4 EMRK dem (terrorverdächtigten) Inhaftierten und seinen Verteidigern der Zugang zu geheimen Materialien der Sicherheitsdienste verwehrt, ist dies mit Art. 6 Abs. 3 lit. b EMRK vereinbar, wenn diese Beschränkungen der Verteidigung im gerichtlichen Verfahren ausreichend ausgeglichen werden.3 Dort muss aber jedenfalls sichergestellt sein, dass sich die Verurteilung nicht ausschließlich oder wesentlich auf Beweise stützt, zu denen der Angeklagte sich nicht hat äußern können.4 32
Das Recht auf Akteneinsicht als Grundlage zur Vorbereitung der Verteidigung gem. Art. 6 Abs. 3 lit. b EMRK steht nach Ansicht des Gerichtshofs auch dem Beschuldigten und bereits im Ermittlungsverfahren zu.5 Der Beschuldigte darf sich auch Notizen machen und hat, falls nötig, das Recht, Kopien von Aktenteilen zu erhalten.6 Das Recht auf Akteneinsicht steht in engem Zusammenhang mit dem Recht auf eigene Verteidigung nach Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK (vgl. Rz. 34). Daraus folgt, dass das Akteneinsichtsrecht nicht ausschließlich durch einen Rechtsanwalt vermittelt und gefiltert werden darf. Lediglich dann erscheint eine persönliche Akteneinsicht des Beschuldigten entbehrlich, wenn – wie im Fall „Kamasinski“7 – auf andere Weise (etwa durch Anfertigen von Kopien) Informationen über Details der Anschuldigung ebenso vermittelt werden können. § 147 StPO, der – um die Unversehrtheit der Akten zu garantieren – nur dem Verteidiger ein Recht auf Akteneinsicht gewährt, steht insoweit in Widerspruch zu Art. 6 Abs. 3 lit. b EMRK.8 Auch der im Jahre 2000 neu eingefügte und 2009 inhaltlich erweiterte § 147 Abs. 7 StPO, der dem unverteidigten Beschuldigten nunmehr ein begrenztes Auskunfts- und Einsichtsrecht einräumt, beseitigt das bestehende Rechtsdefizit nicht völlig. Inzwischen ist deshalb in Anwendung einer EMRK-konformen Auslegung des § 147 StPO anerkannt, dass es zur effektiven Ausübung des Gehörsanspruchs geboten sein kann, Angeklagten ggf. im Beisein ihres Verteidigers selbst Akteneinsicht zu gewähren.9 Was das Akteneinsichtsrecht von Rechtsanwälten betrifft, so lässt der Gerichtshof offen, wie lange vor Beginn der Hauptverhandlung zwecks professioneller Vorbereitung der Verteidigung die Einsicht gewährt werden muss. Eine hinreichende Vorbereitungszeit ist jedoch vonnöten, die sich auch nach dem Aktenumfang richtet.10 Eine lediglich mündliche Unterrichtung des Rechtsanwalts über den Akteninhalt ist nicht ausreichend.11 bb) Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK
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Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK enthält drei verschiedene Rechte, die auf die Effektivität der Verteidigung gerichtet sind. Dies sind das Recht auf persönliche Anwesenheit des Angeklagten 1 EGMR, Urt. v. 7.7.1989 – Bricmont, Nr. 10857/84, Série A 158, Rz. 91, vgl. auch Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 24 Rz. 103. 2 EGMR RJD 1997-II, 451, Rz. 32 – Foucher. 3 EGMR NJOZ 2010, 1903, Rz. 207, 218 – A. u.a. 4 EGMR NJOZ 2010, 1903, Rz. 208 – A. u.a. 5 EGMR RJD 1997-II, 451, Rz. 32 – Foucher; NJW 2002, 2015, Rz. 46 – Schöps; Urt. v. 14.5.2005 – Menet, Nr. 39553/02, Rz. 46. Die Verweigerung der Akteneinsicht im Haftprüfungsverfahren bemisst sich hingegen nach Art. 5 Abs. 4 EMRK, vgl. EGMR EuGRZ 2009, 566, Rz. 109 – Mooren; EuGRZ 2009, 472 (473) – Kunkel. 6 EGMR, Urt. v. 26.11.2009 – Dolenec, Nr. 25282/06, Rz. 206; vgl. auch EGMR NJOZ 2009, 3205, Rz. 64 – Luboch. 7 EGMR ÖJZ 1990, 412, Rz. 88 – Kamasinski. Vgl. auch EGMR, Urt. v. 1.2.2005 – Frangy, Nr. 42270/98, Rz. 37. 8 Vgl. Grabenwarter/Pabel, in: Dörr/Grote/Marauhn, Kap. 14 Rz. 142; auch ein Verstoß gegen Art. 5 Abs. 4 EMRK liegt nahe, vgl. Kieschke/Osterwald, NJW 2002, 2003 f. 9 D. Dörr, JuS 2000, 287 f.; v. Lewinski, § 102 f.; v. Mangoldt/Klein/Starck/Nolte, Art. 103 GG Rz. 35 f. So auch OLG Karlsruhe BeckRS 2010, Nr. 04549; a.A. hingegen noch LG Mainz, NJW 1999, 1271 f. 10 EGMR EuGRZ 2003, 472, Rz. 164 ff. – Öcalan; bestätigt durch EGMR (GrK) EuGRZ 2005, 463, Rz. 145 ff. – Öcalan. Vgl. auch EGMR, Urt. v. 7.10.2008 – Bogumil, Nr. 35228/03, Rz. 43–50. Anders jedoch EGMR, Entsch. v. 31.3.2005 – Mattik, Nr. 62116/00, wo der Verteidiger relevante Urkunden erst drei Tage vor der Verhandlung erhielt. Dies wurde nicht beanstandet, da der Verteidiger die Unterlagen zwischen den Sitzungstagen prüfen konnte. 11 EGMR EuGRZ 2009, 566, Rz. 96 – Mooren.
114 Schmahl
Rz. 34 EMRK vor Gericht, das Recht auf einen Verteidiger eigener Wahl und das Recht auf (unentgeltliche) Verfahrenshilfe. Mit dem Recht auf persönliche Anwesenheit des Angeklagten ist vereinbar, wenn das nationale Recht für bestimmte Verfahrensstadien die zwingende Vertretung durch einen Anwalt vorsieht. Das Recht, sich selbst zu verteidigen, wird dadurch nicht grds. beeinträchtigt.1 Allerdings liegt eine Verletzung von Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK vor, wenn das nationale Recht zwar die Möglichkeit vorsieht, dass der Angeklagte sich selbst verteidigt, ihm aber wesentliche Rechte, die einem Anwalt eingeräumt werden – wie etwa die Möglichkeit des Plädoyers oder die Zustellung der Schlussanträge der Anklagebehörde – nicht gewährt.2 Der Angeklagte hat grds. selbst ein Recht auf Teilnahme, auch wenn er einen Verteidiger hat.3 Dies ist sogar bei einem in Haft befindlichen Angeklagten der Fall, wobei hier aber erhöhte Sicherheitsanforderungen bei Schwerstkriminalität greifen können.4 Ebenfalls ist von einer Verletzung des Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK auszugehen, wenn dem Rechtsanwalt eines Angeklagten, der selbst nicht erschienen ist, das Recht entzogen wird, seinen Mandanten zu verteidigen.5 Der Gerichtshof hat wiederholt betont, dass die Anwesenheit des Beschuldigten in der Hauptverhandlung im Interesse eines fairen Strafverfahrens von entscheidender Bedeutung ist;6 im Falle seines Nichterscheinens muss daher auf angemessene Verteidigungsmöglichkeiten zurückgegriffen werden, sofern diese – durch die Anwesenheit des Verteidigers etwa – zur Verfügung stehen.7 Ansonsten ist ein Verfahren in Abwesenheit des Angeklagten dann nicht konventionswidrig, wenn der Verurteilte später erreichen kann, dass ein Gericht in einem Verfahren, das den Anforderungen von Art. 6 EMRK entspricht, neu entscheidet.8 Ob dies auch dann gilt, wenn der Betroffene auf seine Teilnahme verzichtet, hat der EGMR bisher offen gelassen.9 In schwerwiegenden Ausnahmefällen – etwa wenn der Angeklagte nicht auffindbar ist, über einen längeren Zeitraum hinweg seine Abwesenheit selbst verschuldet oder wenn er in begründeten Fällen ungebührlichen Verhaltens von der mündlichen Verhandlung ausgeschlossen wird – kann die Durchführung einer Hauptverhandlung trotz Fehlens des Angeklagten zulässig sein.10 Auch in einer Berufungsverhandlung kann unter bestimmten Umständen von der persönlichen Anwesenheit des Angeklagten abgesehen werden.11 Wenn das Rechtsmittelgericht die Tatsachen nicht bezweifelt, aber rechtlich neu bewertet und deswegen das erstinstanzliche Urteil aufhebt und den Bf. verurteilt, ist es freilich erforderlich, ihn persönlich in mündlicher Verhandlung zu hören.12 Die Anwesenheit eines Strafgefangenen in der mündlichen Verhandlung eines anderen Gerichts als einem Strafgericht ist indes grds. nicht notwendig.13 Schließlich wird das Recht auf Teilnahme verletzt, wenn der Beschuldigte oder sein Verteidiger nicht ordnungsgemäß geladen worden sind.14 Erforderlich ist ferner, dass der Angeklagte ein umfassendes Verständnis bezüglich der Art der Verhandlung und der Tragweite für ihn selbst hat, einschließlich der Bedeutung der Strafe, die verhängt werden könnte. Das Recht eines Angeklagten auf effektive Mitwirkung an seinem Strafverfahren schließt nämlich im Allgemeinen nicht nur das Recht auf Anwesenheit ein, 1 EGMR EuGRZ 1992, 542, Rz. 30 f. – Croissant. – Auch das BVerfG erblickt in der Bestellung eines Pflichtverteidigers keine Beschwer für den Angeschuldigten hinsichtlich seiner Rechte aus Art. 103 Abs. 1 GG, vgl. BVerfG, NJW 1998, 2205. A.A. Hamm, NJW 1993, 289 (294). 2 EGMR, Urt. v. 8.2.2000 – Voisine, Nr. 27362/95, Rz. 25 ff.; Urt. v. 27.2.2001 – Adoud und Bosoni, Nr. 35237/97 und Nr. 34595/97, Rz. 20 ff. Vgl. auch Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 24 Rz. 110. 3 Dies gilt namentlich, wenn für den Angeklagten „viel auf dem Spiel steht“, vgl. EGMR EuGRZ 1995, 537, Rz. 68 – Kremzow; ferner Meyer-Ladewig, Art. 6 Rz. 116. 4 EGMR, Urt. v. 15.5.2008 – Nadtochiy, Nr. 7460/03, Rz. 24–29. 5 EGMR NJW 1999, 2353, Rz. 33 f. – van Geyseghem; NJW 2001, 2387, Rz. 89 – Krombach. 6 EGMR EuGRZ 1985, 631, Rz. 27 – Colozza; EuGRZ 2004, 779, Rz. 29 – Sejdovic. 7 EGMR NJW 1999, 2353, Rz. 34 – van Geyseghem. Vgl. auch EGMR, Urt. v. 5.12.2006 – Csikós, Nr. 37251/04, Rz. 21; Urt. v. 22.9.2009 – Kari-Pekka Pietiläinen, Nr. 13566/06, Rz. 29–35. 8 EGMR NJW 2001, 2387, Rz. 85 – Krombach. 9 EGMR, Urt. v. 22.12.2009 – Makarenko, Nr. 5962/03, Rz. 137. Nicht ausreichend für einen Verzicht ist freilich, dass der Angeklagte lediglich keinen Antrag stellt, ihm die Teilnahme zu ermöglichen, vgl. EGMR, Urt. v. 30.7.2009 – Kornev, Nr. 30049/02, Rz. 61. 10 EGMR RJD 2001-VI, Rz. 53 ff. – Medenica; Urt. v. 30.7.2009 – Ananyev, Nr. 20292/04, Rz. 36. 11 EGMR EuGRZ 1991, 415, Rz. 31–32 – Helmers; ÖJZ 2003, 156, Rz. 25 – Kucera. 12 EGMR, Urt. v. 12.1.2010 – Suuripää, Nr. 43151/02, Rz. 35. 13 EGMR, Urt. v. 10.5.2007 – Kovalev, Nr. 78145/01, Rz. 30–38. Anderes kann gelten, wenn die Interessen der Justiz die Anwesenheit des Gefangenen erfordern, etwa weil er zur Aufklärung der Sache aus eigener Wahrnehmung beitragen kann (EGMR, Urt. v. 17.9.2009 – Kozlov, Nr. 30782/03, Rz. 32–49) oder weil eine wirksame anwaltliche Vertretung nicht gewährleistet ist (EGMR, Urt. v. 23.10.2008 – Khuzhin, Nr. 13470/02, Rz. 107). 14 Vgl. EGMR RJD 2001-VII, Rz. 35 – Wynen u.a.; Urt. v. 18.10.2006 – Hermi, Nr. 18114/02, Rz. 76.
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EMRK Rz. 35 sondern auch das Recht, das Verfahren zu hören und ihm zu folgen.1 Der Angeklagte muss Art und Tragweite des Verfahrens verstehen können und in der Lage sein, dem Verteidiger seine Version zu erläutern und ihn auf erhebliche Umstände hinzuweisen; er muss also insgesamt verhandlungsfähig sein.2 Hat der Angeklagte z.B. Hörschwierigkeiten und kann er deswegen der Verhandlung nicht folgen, muss das Gericht geeignete Maßnahmen treffen.3 Entsprechendes gilt für minderjährige Angeklagte; hier bedarf es kinderfreundlicher Justizmaßnahmen.4 35
Die zweite Garantie des Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK umfasst das Recht auf einen Wahlverteidiger. Den Schwerpunkt dieses Rechts bildet der ungehinderte Kontakt zwischen Verteidiger und Beschuldigtem vor allem in Haftfällen. Der Gerichtshof sieht dieses Recht als eine fundamentale Voraussetzung des Fairnessgebots in einer demokratischen Gesellschaft an. Angesichts der besonderen Bedeutung der Voruntersuchungen für die Vorbereitung des Strafverfahrens ist einem mutmaßlichen Straftäter bereits anlässlich der ersten polizeilichen Vernehmung ungehinderter und unbeaufsichtigter Zugang zu einem Verteidiger zu gewähren.5 Könnte der Anwalt nicht bereits zu diesem frühen Zeitpunkt von seinem Mandanten vertrauliche Informationen ohne Überwachung erhalten, würde der anwaltliche Beistand im gesamten Verfahren weitgehend nutzlos.6 Beschränkungen des Rechts auf Wahl des Verteidigers sind demnach nur unter besonderen Umständen gerechtfertigt. Die bloße Gefahr eines kollusiven Zusammenwirkens vermag Beschränkungen nicht zu rechtfertigen, wenn der Anwalt nicht wegen einer Berufspflichtverletzung belangt wurde und die Überwachung der Besuche des Anwalts über einen Zeitraum von sieben Monaten gedauert hat.7 Selbst unter schwierigen Verhältnissen, etwa bei der Bekämpfung von Terrorismus, kann eine Begrenzung des Kontakts zwischen Anwalt und Angeklagtem von 48 Stunden eine Verletzung von Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK darstellen. Dies gilt jedenfalls, wenn aus dem Schweigen des Angeklagten oder seinen Antworten, die er ohne rechtlichen Beistand gegeben hat, bestimmte Schlüsse gezogen werden.8 Im Fall „Öcalan“ hat der EGMR die Garantien aus Art. 6 Abs. 3 lit. b und lit. c EMRK zudem im Lichte von Art. 5 Abs. 4 EMRK interpretiert. Die totale Isolation von Öcalan zunächst auch in Bezug auf seine Anwälte verbunden mit fehlender eigener juristischer Kompetenz habe es ihm unmöglich gemacht, die Chance gerichtlicher Überprüfung seiner Inhaftierung zu nutzen.9 Diese Argumentation des Gerichtshofs verdeutlicht, dass justizielle Garantien letztlich nur über mitwirkende Rechtsanwälte eingelöst werden können.10 Die sieben Tage, in denen der „Kurdenführer“ incommunicado auch ggü. seinen Anwälten gehalten wurde, stellten deshalb nicht nur einen Verstoß gegen Art. 5 Abs. 4 EMRK, sondern auch eine Verletzung des in Art. 6 Abs. 3 lit. b und lit. c EMRK gewährleisteten Rechts auf Verteidigung dar. Aus entspr. Gründen dürfte das Kontaktsperregesetz,11 durch das die §§ 31–38 EGGVG eingefügt wurden, im Blick auf Art. 6 EMRK nicht ganz unproblematisch sein.12
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Was das Recht auf einen Anwalt eigener Wahl angeht, sind nationale Beschränkungen durch Besonderheiten von Haftanstalten oder spezielle Zulassung von Anwälten bei bestimmten Gerichten an der Garantie des Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK zu messen. So ist es unzulässig, das Begehren des Häftlings auf rechtliche Vertretung so auszulegen, als verlange er 1 EGMR ÖJZ 1994, 600, Rz. 30 – Stanford, vgl. auch EGMR, Entsch. v. 8.1.2008 – Liebreich, Nr. 30443/03. 2 EGMR, Entsch. v. 8.1.2008 – Liebreich, Nr. 30443/03. Vgl. auch Grabenwarter/Pabel, in: Dörr/Grote/ Marauhn, Kap. 14 Rz. 146. 3 EGMR NJOZ 2009, 4992, Rz. 51 – Timergaliyev. 4 Grundlegend EGMR, Urt. v. 16.12.1999 – T. und B., Nr. 24724/94, Rz. 84. 5 EGMR NJW 2009, 3707, Rz. 54 ff. – Salduz. Vgl. auch EGMR, Urt. v. 11.12.2008 – Panovits, Nr. 4268/04, Rz. 72. 6 EGMR EuGRZ 1980, 662, Rz. 33 – Artico; EuGRZ 2003, 472, Rz. 146 – Öcalan; bestätigt durch EGMR (GrK) EuGRZ 2005, 463, Rz. 132 f. – Öcalan. U.U. genügt für eine Verletzung des Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK schon, dass der Beschuldigte gute Gründe hat anzunehmen, das Gespräch werde überwacht, vgl. EGMR, Urt. v. 13.3.2007 – Castravo, Nr. 23393/05, Rz. 55. 7 EGMR, Urt. v. 28.11.1991 – S., Nr. 12629/87, Série A 220, Rz. 48 ff. 8 EGMR EuGRZ 1996, 587, Rz. 66 – John Murray. 9 EGMR EuGRZ 2003, 472, Rz. 141 ff. – Öcalan; bestätigt durch EGMR (GrK) EuGRZ 2005, 463, Rz. 131 – Öcalan. Vgl. auch EGMR, Urt. v. 17.10.2006 – Göc ¸men, Nr. 72000/01, Rz. 75, sowie – speziell zu den Rechtsgarantien aus Art. 5 Abs. 4 EMRK – EGMR NJW 2008, 2320 (2321) – Homann. 10 Vgl. Kühne, JZ 2003, 670 (672). 11 Gesetz v. 30.9.1977 (BGBl. I 1977, S. 1877). 12 Solange freilich die Nachteile der Kontaktsperre durch Befristung der Maßnahme, ständige Überprüfungspflicht der Anordnungsvoraussetzungen und durch die Anordnung von Fristhemmung und Verfahrensunterbrechung gemildert werden, bestehen im Ergebnis an ihrer EMRK-Konformität wohl keine Bedenken, vgl. Gollwitzer, Art. 6 Rz. 179.
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Rz. 37 EMRK kostenlosen Rechtsbeistand.1 Auch wird das Recht auf einen Verteidiger eigener Wahl beeinträchtigt, wenn das Gericht zusätzlich zum Wahlverteidiger einen Pflichtverteidiger bestellt. Zwar ist die Bestellung eines Verteidigers, den der Angeklagte ablehnt, dann zulässig, wenn dies im Interesse der Rechtspflege und an der zügigen Fortführung des Verfahrens geschieht.2 Erfolgt die Bestellung indes nicht nur gegen den Willen des Angeklagten, sondern bürdet diesem auch die Kosten für den zweiten Anwalt auf, ist dieses Vorgehen konventionswidrig.3 Das Recht auf einen Wahlverteidiger besteht nicht erst während des Hauptverfahrens, sondern bereits im Ermittlungsverfahren,4 normalerweise sogar schon bei der ersten Vernehmung durch die Polizei.5 Das Gericht muss jedoch nicht von Amts wegen tätig werden, um die Anwesenheit des Verteidigers im Vorverfahren sicherzustellen.6 Auf der anderen Seite trifft die Konventionsstaaten die Pflicht, dem Beschuldigten rechtliche Unterstützung zu gewähren. Ist im Vorfeld einer polizeilichen Vernehmung unklar, ob der Beschuldigte Kenntnis von seinem Recht auf Zugang zu einem Verteidiger hat, sind die Behörden verpflichtet, aktive Maßnahmen zur Beseitigung dieser Unsicherheit zu treffen und den Beschuldigen hinreichend zu belehren.7 Dies kann etwa dadurch geschehen, dass dem Beschuldigten die Möglichkeit eröffnet wird, seine Familienangehörigen von seiner Festnahme in Kenntnis zu setzen, da auch dies die Ausübung des Zugangsrechts zu einem Verteidiger erleichtern kann.8 Bei schwerwiegenden Gründen kann das Recht auf frühen Zugang zu einem Anwalt allerdings vorübergehend beschränkt werden (vgl. Rz. 35). Wird der Zugang zum Anwalt nicht unverzüglich gewährt, prüft der Gerichtshof, ob dadurch insgesamt die Fairness des Verfahrens erheblich beeinflusst worden ist.9 Dies hängt von der Dauer der Beschränkungen und davon ab, ob Nachteile später ausgeglichen werden können.10 Verfahrensordnungen, die für den Fall des Nichterscheinens des Angeklagten vorsehen, dass auch sein Wahlverteidiger nicht an der Verhandlung teilnehmen oder keine Anträge stellen darf, stehen ebenfalls in aller Regel im Widerspruch zu Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK, weil sie geeignet sind, einen unverhältnismäßigen Druck auf den Angeklagten auszuüben (s. auch Rz. 34).11 Für etwaige Fehler des Wahlverteidigers ist der Staat indes nicht – auch nicht über die Figur der staatlichen Schutzpflicht – verantwortlich. Gerade im Blick auf eventuelles Nichterscheinen ist darauf zu verweisen, dass Anwälte nach ihren Berufsregeln verpflichtet sind, selbst für Substitutionen zu sorgen (vgl. § 53 BRAO).12 Im Grundgesetz ist das Recht auf einen Wahlverteidiger nicht ausdrücklich verankert. Es ist jedoch als Ausdruck des Rechts auf ein faires Verfahren in Art. 103 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich verbürgt.13 Gemäß § 137 StPO hat der Beschuldigte in jeder Lage des Verfahrens das Recht, sich einen Verteidiger eigener Wahl zu nehmen. Das Recht ist jedoch auf drei Verteidiger beschränkt. Diese Begrenzung hat das BVerfG für mit dem Grundgesetz vereinbar gehalten;14 auch die EKMR erblickte hierin keinen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 3 lit. c 1 EGMR RJD 2003-X, Rz. 134 – Ezeh und Connors. 2 EGMR EuGRZ 1992, 542, Rz. 29 ff. – Croissant; Urt. v. 20.1.2005 – Mayzit, Nr. 63378/00, Rz. 66; Urt. v. 8.12. 2009 – Dzanlovic, Nr. 6190/09. 3 Zutreffend Kühne, EuGRZ 1992, 547 (548); offen lassend EGMR EuGRZ 1992, 542, Rz. 35 ff. – Croissant. 4 EGMR ÖJZ 1991, 745, Rz. 26 – Quaranta; Urt. v. 28.11.1991 – S., Nr. 12629/87, Série A 220, Rz. 49; ÖJZ 1994, 517, Rz. 36 – Imbrioscia; NJW 2009, 3707, Rz. 55 – Salduz; Urt. v. 2.3.2010, Nr. 54729/00, Rz. 68 – Adamkiewicz. 5 EGMR EuGRZ 2003, 472, Rz. 14 – Öcalan; bestätigt durch EGMR (GrK) EuGRZ 2005, 463, Rz. 131 – Öcalan; Urt. v. 2.8.2005 – Kolu, Nr. 35811/97, Rz. 51; Urt. v. 13.7.2010 – Lopata, Nr. 72250/01, Rz. 130. Anderes kann gelten, wenn die Vernehmung in der Öffentlichkeit und in der Gegenwart von Zeugen geschieht, vgl. EGMR, Urt. v. 18.2.2010 – Aleksandr Zaichenko, Nr. 39660/02, Rz. 47–51, sowie Esser/Gaede/Tsambikakis, NStZ 2011, 144. 6 Grundsätzlich erstreckt sich das Recht auf Anwesenheit des Verteidigers aber auch auf Maßnahmen im Vorverfahren, vgl. Meyer, in: Karpenstein/Mayer, Art. 6 Rz. 193; Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 24 Rz. 113; Harris/O’Boyle/Warbrick, Law of the ECHR, 2nd edn. 2009, S. 257. 7 EGMR, Urt. v. 11.12.2008 – Panovits, Nr. 4268/04, Rz. 72–73; Esser/Gaede/Tsambikakis, NStZ 2011, 144 (145). 8 EGMR, Urt. v. 1.4.2010 – Pavlenko, Nr. 42371/02, Rz. 106. 9 EGMR EuGRZ 1996, 587, Rz. 62 ff. – John Murray; NJW 2009, 3707, Rz. 51 – Salduz. Die polizeiliche Vernehmung darf erst fortgesetzt werden, wenn dem Beschuldigten das Recht auf Zugang zu einem Verteidiger gewährt worden ist, vgl. EGMR, Urt. v. 24.9.2009 – Pishchalnikov, Nr. 7025/04, Rz. 79. 10 EGMR, Urt. v. 2.8.2005 – Kolu, Nr. 35811/97, Rz. 50 ff. 11 EGMR ÖJZ 1994, 467, Rz. 34 f. – Poitrimol; vgl. auch EGMR, Urt. v. 8.11.2012 – Neziraj, Nr. 30804/07, Rz. 47 ff. Näher Ast, JZ 2013, 780 ff.; Grabenwarter/Pabel, in: Dörr/Grote/Marauhn, Kap. 14 Rz. 152. 12 EGMR ÖJZ 1994, 564, Rz. 30 – Tripodi; vgl. auch Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 24 Rz. 114. 13 BVerfGE 39, 156 (163) – Anzahl der Wahlverteidiger; BVerfGE 68, 237 (255 f.) – Gebühren für Wahlverteidiger. 14 BVerfG, NJW 2001, 3695 (3596).
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EMRK Rz. 38 EMRK.1 Mit der Konvention in Einklang stehen auch das Verbot der Mehrfachverteidigung (§ 146 StPO) oder strafprozessuale Ausschließungsgründe (§§ 138a ff. StPO)2 sowie Anforderungen an äußeres Erscheinungsbild und Auftreten der Anwälte vor Gericht – wie etwa der Robenzwang.3 Desgleichen ist das Recht auf freie Anwaltswahl nicht betroffen, wenn ein Beschuldigter mittellos ist und deshalb einen Wahlverteidiger nicht bezahlen kann; zum Schutz des mittellosen Beschuldigten greift § 140 StPO ein. Entsprechendes gilt, wenn der Beschuldigte Mittel aus Straftaten besitzt, die der Rechtsanwalt seiner Wahl wegen § 261 StGB nicht annehmen darf. Auch hier kommt ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK nicht in Betracht, soweit dem Beschuldigten unter den in Rz. 38 genannten Voraussetzungen ein Pflichtverteidiger zur Seite gestellt wird.4 38
Die dritte Gewährleistung des Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK besteht im Recht auf Verfahrenshilfe. Gegenüber dem Recht auf einen Wahlverteidiger ist diese Garantie in zweierlei Hinsicht begrenzt. Sie kommt nur zum Tragen, wenn dem Beschuldigten die Mittel zur Bezahlung des Verteidigers fehlen. Darüber hinaus muss der Beistand eines Verteidigers im Interesse der Rechtspflege erforderlich sein.5 Das Kriterium der Mittellosigkeit hat in der Judikatur des EGMR bisher keine große Rolle gespielt. Nur in der Rs. „Pakelli“ hatte die deutsche Bundesregierung die Mittellosigkeit des Bf. bestritten; der EGMR wies dieses Vorbringen angesichts vorliegender Dokumente, die den Standpunkt des Bf. stützten, jedoch zurück.6 Das Interesse an einer ordnungsgemäßen Rechtspflege erfordert einen Pflichtverteidiger nicht erst dann, wenn nachgewiesen wird, dass das Verfahren mit einem Verteidiger anders verlaufen wäre.7 Im erstinstanzlichen Verfahren kommt es auf die Schwere der angeklagten Straftaten und die Komplexität des Falles an, wobei auch von Bedeutung sein kann, dass der Angeklagte die Gerichtssprache nicht versteht oder einem „unterprivilegierten Milieu“ entstammt.8 Sprechen derartige Gründe für die Beigabe eines Pflichtverteidigers, so hat dessen Bestellung selbst dann zu erfolgen, wenn der Bf. vor dem Untersuchungsrichter einen Verzicht auf Rechtsbeistand erklärt hat.9 Im Berufungsverfahren besteht ein Recht auf einen Pflichtverteidiger, wenn derart schwierige Rechtsfragen Gegenstand des Verfahrens sind, dass eine mündliche Verhandlung unter Beteiligung der Anklage stattfindet und der Angeklagte seine Sache im Verfahren nicht effektiv vertreten kann.10 Hat der Beschuldigte bereits einen Wahlverteidiger, so ergibt sich aus Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK kein Anspruch darauf, dass dieser zum Pflichtverteidiger bestellt wird, selbst wenn gegen den Beschuldigten wegen Mordes ermittelt wird.11
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Was die Effektivität der Pflichtverteidigung anbelangt, so kann ein Staat nicht für jeden Mangel auf der Seite des Pflichtverteidigers verantwortlich gemacht werden. Aus der Unabhängigkeit des Anwaltsstandes vom Staat folgt, dass die Führung der Verteidigung im Wesentlichen eine Angelegenheit zwischen dem Anklagten und seinem Rechtsbeistand ist.12 So ist es nicht Aufgabe des Staates, einen beigeordneten Rechtsanwalt dazu zu bewegen, entgegen seiner Überzeugung über die Erfolgsaussichten rechtliche Schritte zu unternehmen, etwa ein Rechtsmittel einzulegen.13 Gleichwohl müssen Behörden und Gerichte darauf achten, dass die Pflichtverteidigung wirksam ist. Erfahren sie, dass die Verteidigung nicht ausreichend ist und ist dieser Umstand offensichtlich, müssen sie entweder einen anderen Pflichtverteidi-
1 EKMR EuGRZ 1978, 314 (322) – Ensslin, Baader und Raspe. 2 Gollwitzer, Art. 6 Rz. 200 m.w.N. 3 EKMR, Entsch. v. 20.7.1972, 5217/71/5367/72, CD 42, 139. Zu weiteren Anforderungen vgl. IK/Kühne, Art. 6 Rz. 548 f. 4 Zutreffend Katholnigg, NJW 2001, 2041 (2045) m.w.N. 5 Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 24 Rz. 115. Beide Voraussetzungen müssen kumulativ erfüllt sein, vgl. EGMR, Urt. v. 17.12.2009 – Shilbergs, Nr. 20075/03, Rz. 120. 6 EGMR EuGRZ 1983, 344, Rz. 34 – Pakelli. Näher Kieschke, Die Praxis des EGMR und ihre Auswirkungen auf das deutsche Strafverfahrensrecht, 2003, 124 ff. 7 EGMR EuGRZ 1980, 662, Rz. 34 f. – Artico; Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 24 Rz. 115. 8 So EGMR ÖJZ 1991, 745, Rz. 33 f. – Quaranta. Die Bestellung eines unentgeltlichen Verteidigers ist vor allem dann notwendig, wenn eine Freiheitsstrafe droht, vgl. EGMR, Urt. v. 27.3.2007 – Talat Tunc, Nr. 32432/96, Rz. 56; Urt. v. 22.10.2009 – Raykov, Nr. 35185/03, Rz. 59. 9 EGMR, Urt. v. 10.8.2006 – Padalov, Nr. 54784/00, Rz. 55. 10 EGMR, Urt. v. 28.3.1990 – Granger, Nr. 11932/86, Série A 174, Rz. 47. Ähnlich EGMR EuGRZ 1992, 472, Rz. 39 f. – Pham Hoang. 11 EGMR, Entsch. v. 8.12.2009 – Dzankovic, Nr. 6190/09. Vgl. auch Esser/Gaede/Tsambikakis, NStZ 2011, 144 (146 f.). 12 EGMR NJW 2003, 1229, Rz. 65 – Czekalla; Urt. v. 27.4.2006 – Sannino, Nr. 30961/03, Rz. 49. 13 EGMR NJW 2008, 2317, Rz. 133 – Staroszcyk. Vgl. auch Kleine-Cosack, AnwBl. 2009, 326 (327).
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Rz. 41 EMRK ger bestellen1 oder auf andere Weise ihrer Schutzpflicht genügen. So müssen sie etwa bei einem offenkundigen Versagen des Rechtsbeistands bei der Anfertigung des Schriftsatzes diesen auffordern, den formfehlerhaften Schriftsatz zu ergänzen oder zu berichtigen, anstatt den Rechtsbehelf als unzulässig zu verwerfen.2 Diese Schutzpflicht greift sogar in Fällen, in denen auch dem Angeklagten gewisse Nachlässigkeiten vorgeworfen werden können, weil er z.B. das Gericht von der mangelhaften Vorbereitung seiner Verteidigung durch den Prozessvertreter nicht in Kenntnis gesetzt hat.3 Wird der Pflichtverteidiger erst so spät bestellt, dass er sich unter Berücksichtigung der Komplexität des Falles und seiner Arbeitslast nicht mehr hinreichend auf das Verfahren vorbereiten kann, ist Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK ebenfalls verletzt.4 2. Gewährleistungen aus anderen Vorschriften in Wechselwirkung mit Art. 6 EMRK a) Art. 8 EMRK In einem engen Zusammenhang mit Art. 6 EMRK steht zunächst der Schutz der Privatsphäre nach Art. 8 EMRK. In dieser Norm enthält die Konvention vier in einem einzigen Grundrecht zusammengefasste spezielle Garantien, zu denen neben den Ansprüchen auf Achtung des Privat- und des Familienlebens auch diejenigen auf Achtung der Wohnung und der Korrespondenz zählen. Die beiden letztgenannten Aspekte hat der EGMR bereits mehrfach unter ausdrücklichem Verweis auf ihre „Verzahnung“ mit der aus Art. 6 EMRK fließenden Bedeutung des Rechtsanwalts für die Rechtspflege in den Blick genommen. Dabei wird nicht zwischen dem Schutz der prozessualen und der außerprozessualen Beratung differenziert, beide werden ausdrücklich gleich gestellt.5 In seltenen Fällen subsumiert der EGMR Verletzungen des Anwaltsprivilegs sogar unter Art. 6 Abs. 1 i.V.m. Art. 8 EMRK (unter Heranziehung des Rechts auf Privatleben),6 meist aber stützt er seine Ausführungen zum Anwaltsprivileg entweder auf die Korrespondenzfreiheit (s. Rz. 43) oder ausschließlich auf Art. 6 Abs. 3 lit. b EMRK (s. Rz. 31), ohne dass dadurch im Ergebnis ein wesentlich anderer materieller Gehalt des Privilegs ersichtlich würde.7
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Das in Art. 8 Abs. 1 EMRK niedergelegte Grundrecht auf Achtung der Wohnung bewahrt davor, dass der Staat und seine Organe ohne Einwilligung des Betroffenen den geschützten Bereich der Wohnung betreten, diesen Bereich anderweitig einschränken oder gar zerstören.8 Typische Eingriffe in das Recht auf Achtung der Wohnung sind Durchsuchungen.9 Da der Schutzbereich von Art. 8 Abs. 1 EMRK sich auch auf Geschäftsräume erstreckt – eine strikte Trennung zwischen privater und beruflicher Tätigkeit ist nach Ansicht des EGMR nicht durchweg möglich10 –, werden hiervon auch Durchsuchungen von Anwaltskanzleien er-
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1 EGMR EuGRZ 1980, 662, Rz. 36 – Artico; ÖJZ 1990, 412, Rz. 65 – Kamasinski. Ist die Verfahrensführung des amtlich bestellten Verteidigers indes objektiv beanstandungsfrei, muss er nicht entpflichtet werden, selbst wenn der Beschwerdeführer ihm das Vertrauen entzogen hat, vgl. EGMR NJW 2008, 2320 (2321) – Homann. Dazu Hellwig/Zebisch, NStZ 2010, 602 (603 f.); kritisch Meyer-Mews, NJW 2008, 2322. 2 EGMR NJW 2003, 1229 Rz. 65–70 – Czekalla. Offen gelassen noch in: EGMR RJD 1998-II, 744, Rz. 50 ff. – Daud. 3 EGMR ÖJZ 2007, 513, Rz. 51 – Sannino. 4 EGMR EuGRZ 1985, 234 – Goddi; Urt. v. 7.10.2008 – Bogumil, Nr. 35228/03, Rz. 43–50. Vgl. auch Peukert, in: Frowein/Peukert, Art. 6 Rz. 297. 5 EGMR ÖJZ 1992, 595, Rz. 46 ff. – Campbell. 6 EGMR, Urt. v. 20.6.2000 – Foxley, Nr. 33274/96, Rz. 27 ff.; ÖJZ 1999, 115, Rz. 50 – Kopp. 7 Vgl. EGMR, Urt. v. 28.11.1991, Nr. 12629/87 und Nr. 13965/88 – S ./. Schweiz, Série A 220, Rz. 46 ff.; EuGRZ 1993, 65, Rz. 37 – Niemietz; Urt. v. 25.6.2009 – Konstantin Popov, Nr. 15035/03, Rz. 14. Auch der EuGH stellt für die Konturierung des Schutzbereichs des Berufsgeheimnisses von Rechtsanwälten nur auf Art. 6 EMRK ab (vgl. EuGH EuGRZ 2007, 562, Rz. 30 f. – Ordre des barreaux francophones et germanophones et al.), wohingegen der Generalanwalt Maduro in seinen Schlussanträgen v. 14.12.2006 (Rs. C-305/05, Rz. 41, 43 f.) ausdrücklich auch Art. 8 EMRK herangezogen hatte, da er befürchtete, dass anderenfalls die außerprozessuale Beratung keinen Schutz erführe. 8 EGMR RJD 1996-IV, Rz. 88 – Akdivar u.a.; RJD 1997-VIII, Rz. 73 – Mentes u.a. Geschützt sind auch nichtkörperliche Eingriffe wie Lärm, Immissionen und Gerüche, vgl. EGMR NVwZ 2008, 1215 (1215 f.) – Gaida. 9 EGMR EuGRZ 1993, 65, Rz. 27 ff. – Niemietz; ÖJZ 1993, 534, Rz. 31 – Crémieux; NJW 2006, 1495, Rz. 28 f. – Buck; NJW 2010, 2109, Rz. 29 – Kolesnichenko. 10 Zudem ist der Bedeutungsumfang der authentischen französischen Fassung („domicile“) weit, vgl. EGMR EuGRZ 1993, 65, Rz. 30 – Niemitz; RJD 2002-III, Rz. 41 – Sociétés Colas Est u.a.; NJW 2006, 1495, Rz. 31 – Buck; NJW 2008, 3409, Rz. 43 – Wieser und Bicos; NVwZ 2008, 1215 (1215 f.) – Gaida. Die Durchsuchung des Arbeitsplatzes in den Räumlichkeiten einer Behörde prüft der EGMR dagegen nur unter dem Aspekt des Schutzes des Privatlebens, vgl. EGMR Urt. v. 26.7.2007 – Peev, Nr. 64209/01, Rz. 37. Ähnliches gilt für das Büro eines Universitätsprofessors, vgl. EGMR, Entsch. v. 3.6.2008 – Steeg und Wenger, Nr. 9676/05.
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EMRK Rz. 41 fasst.1 Für diese gelten die in Art. 8 Abs. 2 EMRK verankerten und für alle Gewährleistungen des Art. 8 Abs. 1 EMRK anzuwendenden Schranken. Anders als Art. 13 Abs. 2 GG enthält die konventionsrechtliche Garantie in Art. 8 Abs. 2 EMRK allerdings weder einen ausdrücklichen Richtervorbehalt, noch stellt nach der Rechtsprechung der Konventionsorgane eine richterliche Anordnung eine unabdingbare Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Durchsuchung dar. Entscheidend ist nur, dass die maßgeblichen innerstaatlichen Rechtsvorschriften und Vollzugspraktiken angemessene und wirksame Sicherungen gegen Missbrauch bieten.2 Die Anordnung der Durchsuchung durch einen Richter stellt dabei lediglich ein wesentliches, aber nicht das allein maßgebende Element der Absicherung des Verfahrens dar.3 Letztlich kommt es darauf an, dass die Durchsuchung in ihrer Gesamtheit einer Verhältnismäßigkeitsprüfung standhält. Dabei werden die Art und Weise der Erteilung und der Inhalt der Durchsuchungsanordnung sowie ihr Vollzug im Einzelfall in den Blick genommen.4 Ferner findet das Objekt der Durchsuchung besondere Berücksichtigung. So kann es z.B. zu strengeren konventionsrechtlichen Anforderungen an das Verfahren führen, wenn es um die Durchsuchung einer Anwaltskanzlei geht.5 Zu Recht hat der Gerichtshof betont, dass Durchsuchungen von Anwaltskanzleien Auswirkungen nicht nur auf den betroffenen Rechtsanwalt, sondern auch auf eine ordnungsgemäße Rechtspflege, insbes. auf das Vertrauensverhältnis zwischen Anwalt und Mandant, und damit auf Art. 6 EMRK haben können. Trotz richterlicher Anordnung sah der Gerichtshof deshalb die Durchsuchung einer deutschen Anwaltskanzlei als unverhältnismäßig an, weil die Durchsuchung nicht ausreichend beschränkt war und keine speziellen Sicherungen wie etwa die Anwesenheit eines unabhängigen Beobachters vorhanden waren.6 Vor allem die Anwesenheit eines unabhängigen und ausreichend sachkundigen Beobachters ist bei der Durchsuchung wesentlich, um sicherzustellen, dass vom Recht des Anwalts auf Verschwiegenheit gedeckte Unterlagen nicht beschlagnahmt werden.7 Auch berücksichtigt der Gerichtshof die Schwere der Straftat, wegen der durchsucht wird, sowie den Umstand, ob die Durchsuchung lediglich die Beschaffung von Beweismitteln gegen den Mandanten zum Ziel hat oder ob der Anwalt selbst als Teilnehmer der Straftat verdächtigt ist.8 Insgesamt prüft der Gerichtshof bei Durchsuchungen von Anwaltskanzleien also, ob wirksame Garantien gegen Missbrauch vorhanden sind, da die Verfolgung und Behinderung von Anwälten den Kernbereich des Konventionssystems berührt. In die Abwägung einbezogen werden dabei die Schwere der Straftat, wegen der durchsucht wird, ob ein Richter die Maßnahme angeordnet hat und diese auch danach einer richterlichen Überprüfung unterliegt, ob ein hinreichender Tatverdacht besteht und die Anordnung und die Auswirkungen der Maßnahme angemessen begrenzt worden sind, ob ein juristisch qualifizierter Zeuge bei der Durchsuchung anwesend ist und welche Auswirkung die Durchsuchung auf Arbeit und Ruf des Anwalts hat.9 Eine Beschlagnahme sämtlicher in den Räumen einer Kanzlei aufgefundenen Daten ist dann nicht verhältnismäßig, wenn die konkreten Daten keinen Bezug zur vermuteten Straftat haben.10 1 Deutlich EGMR NJW 2010, 2109, Rz. 29 – Kolesnichenko. Ähnlich Pätzold, in: Karpenstein/Mayer, Art. 8 Rz. 57. 2 EGMR ÖJZ 1993, 534, Rz. 39 – Crémieux; ÖJZ 1993, 532, Rz. 56 – Funke; ÖJZ 1998, 797, Rz. 45 – Camenzind; Urt. v. 24.11.2005 – Tourancheau und July, Nr. 53886/00, Rz. 54. Näher Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 22 Rz. 45. 3 Insbes. vor dem Hintergrund, dass kein richterlicher Durchsuchungsbefehl vorlag, erachtete der Gerichtshof allerdings die Durchsuchungen der französischen Zollbeamten in den Fällen „Crémieux“ und „Funke“ als unverhältnismäßig, vgl. EGMR ÖJZ 1993, 534, Rz. 40 – Crémieux; ÖJZ 1993, 532, Rz. 57 – Funke. Auch eine richterliche Anordnung mit dem Inhalt, nach Urkunden und Sachen zu suchen, die für die Ermittlung von Bedeutung sind, ist zu ungenau, vgl. EGMR, Urt. v. 22.12.2008 – Aleksanyan, Nr. 46468/06, Rz. 216. 4 EGMR, Urt. v. 30.3.1989 – Chappell, Nr. 10461/83, Série A 152-A, Rz. 58 ff. Die Durchsuchung von Privaträumen wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit wurde vom EGMR für unverhältnismäßig gehalten, vgl. EGMR NJW 2006, 1495, Rz. 47 – Buck. 5 EGMR, Urt. v. 13.11.2003 – Elci, Nr. 25091, Rz. 669; NJW 2010, 2109, Rz. 31 – Kolesnichenko. 6 EGMR EuGRZ 1993, 65, Rz. 37 – Niemietz; NJW 2008, 3409, Rz. 63 – Wieser und Bicos. – Zu einer ähnlichen Einordnung gelangt auch das BVerfG in Bezug auf das Abhören von Verteidigergesprächen aus Kanzleiräumen vgl. BVerfG, BayVBl. 2006, 730, sowie in Bezug auf die Durchsuchung von Kanzleiräumen eines nicht beschuldigten Rechtsanwalts, vgl. BVerfG, NJW 2009, 281; NJW 2009, 2518 (2519 f.). Zur Stellung des Rechtsanwalts als berufener unabhängiger Berater und Beistand des Mandanten ausführlich BVerfGE 110, 226 (251 ff.), Rz. 103 f. – Geldwäsche; sowie Gaier, Art. 12 GG Rz. 65. 7 EGMR, Urt. v. 22.5.2008 – Iliya Stefanov, Nr. 65755/01, Rz. 38 ff.; Urt. v. 22.12.2008 – Aleksanyan, Nr. 46468/06, Rz. 214. 8 EGMR, Urt. v. 24.7.2008 – André u.a., Nr. 18603/03, Rz. 41–42. 9 EGMR NJW 2006, 1495, Rz. 45 – Buck; NJW 2008, 3409, Rz. 57 – Wieser und Bicos; NJW 2010, 2109, Rz. 31 – Kolesnichenko. Zur Qualifikation des Zeugen vgl. EGMR, Urt. v. 22.5.2008 – Iliya Stefanov, Nr. 65755/01, Rz. 43. 10 EGMR DÖV 2012, 774 – Robathin.
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Rz. 43 EMRK Ähnlich wie der Begriff der Wohnung ist auch der Begriff der Korrespondenz in Art. 8 Abs. 1 EMRK weit zu verstehen.1 Erfasst werden sämtliche privaten und nicht-privaten schriftlichen Mitteilungen, die nicht notwendigerweise verschlossen sein müssen.2 Der Schutz bezieht sich zum einen auf den Kommunikationsweg, d.h. den Kommunikationsvorgang von der Aufgabe des Briefes bis zur Empfangnahme. Dabei ist unerheblich, ob die Beförderung oder das entspr. Kommunikationssystem vom Staat oder von einem privaten Unternehmen betrieben wird.3 Zum anderen fallen auch Mitteilungen, die bereits bei ihrem Empfänger angekommen sind und von diesem aufbewahrt werden, sowie elektronisch gespeicherte Daten in den Schutzbereich von Art. 8 Abs. 1 EMRK.4 Ferner erfasst der Begriff der Korrespondenz auch Telefongespräche5 und moderne Kommunikationsformen per E-Mail oder Pager6 sowie Telefonie via Internet.7 Dies ergibt sich aus dem Schutzzweck der Korrespondenzfreiheit, wonach die nicht-öffentliche Mitteilung von einer Person zu einer anderen vor Eingriffen des Staates geschützt werden soll.8 Desgleichen schützt die Korrespondenzfreiheit inhaltlich Mitteilungen jeder Art, seien sie privater oder beruflicher Natur.9
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Dass die Korrespondenzfreiheit für die anwaltliche Berufstätigkeit generell bedeutsam ist, bedarf keiner näheren Ausführungen und ist auch vom Gerichtshof mehrfach hervorgehoben worden. So hat der EGMR sich etwa bereits mit Beschwerden von Rechtsanwälten, Richtern und Staatsanwälten gegen das deutsche Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses,10 mit der Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs eines Anwalts,11 mit der Beschlagnahme elektronischer Daten in einer Anwaltskanzlei12 und mit dem Abhören von Telefongesprächen eines Rechtsanwalts13 auseinandergesetzt.14 Auch der EuGH hat kürzlich die Vertraulichkeit der Korrespondenz zwischen Rechtsanwalt und Mandant besonders betont, zugleich aber darauf hingewiesen, dass ein Syndikusanwalt wegen seiner fehlenden Unabhängigkeit das Anwaltsprivileg nicht in dem gleichen Maße wie ein externer Rechtsanwalt genieße; dies betreffe insbes. den Schutz des Schriftverkehrs mit einem In-house-Juristen.15 Zudem hatte sich der EGMR häufiger schon mit einem speziellen (und sensiblen) Aspekt der anwaltlichen Korrespondenz, nämlich mit dem Briefverkehr von Gefangenen mit ihrem Anwalt oder Prozessvertreter, zu befassen. Um diese Korrespondenz überhaupt erst zu ermöglichen, müssen einem mittellosen Gefangenen ggf. Briefmarken zur Verfügung gestellt werden.16 Dies gilt auch in Fällen, in denen der Gefangene die Briefmarken für einen Zivil-
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EGMR EuGRZ 1990, 533, Rz. 64 – W.; NJW 2007, 1433, Rz. 137 – Weber und Saravia. EGMR EuGRZ 1993, 65, Rz. 32 – Niemietz. Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 22 Rz. 24; Frowein, in: Frowein/Peukert, Art. 8 Rz. 48. EGMR ÖJZ 1993, 532, Rz. 47 f. – Funke; EuGRZ 1993, 65, Rz. 32 – Niemietz; NJW 2008, 3409, Rz. 45 – Wieser und Bicos. Das systematische Sammeln und Speichern von Daten über bestimmte Personen durch Sicherheitsdienste ist auch ohne heimliche Überwachung ein Eingriff in das Recht auf Privatleben, vgl. EGMR NJW 2011, 1333, Rz. 46 – Uzun. EGMR EuGRZ 1979, 278, Rz. 41 – Klass u.a.; RJD 2001-IX, Rz. 42 – P. G. u. J. H.; NJW 2010, 2111, Rz. 29 – Iordachi u.a.; Urt. v. 31.7.2012 – Draksas, Nr. 36662/04, Rz. 52. EGMR, Urt. v. 22.10.2002 – Taylor-Sabori, Nr. 47114/99, Rz. 18; vgl. auch EGMR, Urt. v. 3.4.2007 – Copland, Nr. 62617/00, Rz. 41. Hierzu Uerpmann-Wittzack/Jankowska-Gilbert, MMR 2008, 83 ff. Homepages und öffentlich zugängliche Newsgroups sind, da sie jedermann zugänglich sind, vom Schutzbereich des Art. 8 EMRK nicht erfasst, vgl. Kugelmann, EuGRZ 2003, 16 (21 f.). EGMR, Urt. v. 3.4.3007 – Copland, Nr. 62617/00, Rz. 43. EGMR EuGRZ 1979, 278, Rz. 33 f. – Klass u.a. Vgl. EGMR ÖJZ 1999, 115, Rz. 50 f., 73 – Kopp. EGMR NJW 2008, 3409, Rz. 45 – Wieser und Bicos. EGMR NJW 2010, 2111, Rz. 39 – Iordachi u.a. Vgl. auch EGMR NJW 2007, 1433, Rz. 78 – Weber und Saravia. Auch in der deutschen Fachliteratur wird intensiv diskutiert, ob und in welchem Umfang § 142 ZPO im Blick auf Art. 8 i.V.m. Art. 6 EMRK einschränkend ausgelegt werden muss, hierzu etwa Konrad, NJW 2004, 710 (712 f.); Magnus, Das Anwaltsprivileg und sein zivilprozessualer Schutz, 2010, S. 85. Keinen Bezug auf die EMRK nimmt indes BVerfG, Beschl. v. 30.4.2007, 2 BvR 2151/06, insbes. Rz. 22, wobei auch hier darauf abgestellt wird, dass für die Anordnung des Abhörens berufsbezogener Gespräche eines Rechtsanwalts eine besonders sorgfältige Beachtung der Eingriffsvoraussetzungen und des Prinzips der Verhältnismäßigkeit erforderlich ist, da das Abhören geeignet ist, das Vertrauensverhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandant zu stören. Vgl. auch BVerfGE 113, 29 (49). EuGH, Urt. v. 14.9.2010, Rs. C-550/07 P, EuGRZ 2010, 589, Rz. 45–49 – Akzo Nobel Chemicals u.a.; vgl. zur Vertraulichkeit der Kommunikation zwischen Anwalt und Mandant auch EuGH, Urt. v. 18.5.1982, Rs. 155/79, Slg. 1982, 1575, Rz. 24 u. 27 – AM & S Europe. Instruktiv zur EuGH-Judikatur Schnichels/Resch, EuZW 2011, 47 ff., Kokott, EuGRZ 2010, 265 (266); kritisch Filges, NJW 2010, 2619 (2620); Seitz, EuZW 2010, 761; sowie aus US-amerikanischer Sicht Terry, AJIL 50 (2011), 1 ff. EGMR, Urt. v. 24.2.2009 – Gagiu, Nr. 63258/00, Rz. 87–92.
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EMRK Rz. 44 prozess benötigt.1 Ferner ist der anwaltliche Briefverkehr mit Gefangenen – unabhängig vom Inhalt der Kommunikation – privater und vertraulicher Natur und genießt daher den Schutz der Korrespondenzfreiheit.2 Auch die Korrespondenz mit einem Ombudsman darf nicht zensiert werden.3 Wegen des engen Kontexts mit Art. 6 EMRK ist nach Ansicht des Gerichtshofs die Vertraulichkeit der Beziehung, die auch durch die Schweigepflicht des Anwalts (vgl. § 43a Abs. 2 BRAO, § 2 BORA) besonders geschützt wird, privilegiert zu achten und zu wahren.4 Grds. darf deshalb der Briefverkehr zwischen einem Gefangenen und dessen Anwalt nur zur Kontrolle des Inhalts des Umschlages geöffnet, nicht aber gelesen werden, wobei die Einhaltung dieser Regel etwa durch die Anwesenheit des Häftlings beim Öffnen der Post garantiert werden kann.5 Dies bedeutet allerdings nicht, dass das Verbot der Inhaltskontrolle der Korrespondenz zwischen Anwalt und Mandanten absolut gelten würde. Unter besonderen Umständen, etwa wenn aus der Sicht eines objektiven Dritten ein hinreichend begründeter Verdacht des Missbrauchs dieses privilegierten Kommunikationsweges besteht – was etwa bei Bedrohung der Sicherheit der Vollzugsanstalt oder Dritter oder bei strafrechtlich relevantem Inhalt der Post der Fall ist – kann auch das Lesen der Korrespondenz zwischen Anwalt und Gefangenem gerechtfertigt sein.6 Eine allgemeine hypothetische Missbrauchsgefahr oder ein pauschaler Verdacht terroristischer Aktivitäten genügt jedoch nicht.7 b) Art. 10 EMRK 44
Auch die Meinungsfreiheit von Rechtsanwälten im Rahmen ihrer Berufstätigkeit genießt gem. Art. 10 EMRK konventionsrechtlichen Schutz und steht in einem engen Kontext mit Art. 6 EMRK. Während Politiker wegen ihrer Funktion in der Demokratie nach der Judikatur des EGMR gewisse Privilegien bei ihren öffentlichen Äußerungen genießen,8 müssen Anwälte angesichts ihrer Funktion im Rechtsstaat regelmäßig weitergehende Beschränkungen hinnehmen. Zwar schützt Art. 10 Abs. 1 EMRK allgemein auch Äußerungen, die verletzen, schockieren, beunruhigen oder provozieren.9 Vom Schutzbereich erfasst werden zudem nicht nur der Inhalt von Ideen und Informationen, sondern auch die Form, in der diese mitgeteilt werden.10 Deshalb sind Rechtsanwälte grds. berechtigt, die Justiz sowohl im Rahmen ihres Plädoyers im Gerichtsaal als auch in der Öffentlichkeit zu kritisieren;11 zulässig ist selbst deutliche Kritik an einem Urteil der Verfassungsgerichtsbarkeit.12 Öffentliche Verfahrens- oder Urteilsschelte durch Anwälte und die freie Rede vor Gericht dürfen aber – auch bei der Verteidigung von Mandanteninteressen – gewisse Grenzen nicht überschreiten. Diese Grenzen bemessen sich nach Art. 10 Abs. 2 a.E. („Wahrung der Autorität und der Unparteilichkeit der Rechtsprechung“) i.V.m. Art. 6 EMRK („fair trial“) und sind eng gezogen. Die in Art. 10 Abs. 2 EMRK genannte Einschränkungsmöglichkeit beruht auf dem Gedanken, dass unabhängige Gerichte am besten dazu geeignet sind, Streitigkeiten über den Inhalt von Rechtsnormen zu entscheiden und den durch die tatsächliche oder angebliche Rechtsverletzung
1 EGMR, Urt. v. 13.5.2008 – N. N. und T. A., Nr. 65097/01, Rz. 36. 2 EGMR EuGRZ 1985, 534, Rz. 109 f. – Campbell und Fell; Urt. v. 20.6.2000 – Foxley, Nr. 33274/96, Rz. 43. Aus jüngerer Zeit vgl. etwa EGMR, Urt. v. 6.12.2005 – Drozdowski, Nr. 20841/02, Rz. 28; Urt. v. 5.12.2006 – Fazil Ahmet Tamer, Nr. 6289/02, Rz. 50. 3 EGMR, Urt. v. 7.1.2010 – Onoufriou, Nr. 24407, Rz. 113. 4 EGMR ÖJZ 1992, 595, Rz. 62 – Campbell; Urt. v. 20.6.2000 – Foxley, Nr. 33274/96, Rz. 43; RJD 2000-XII, Rz. 99 – Rehbock; Urt. v. 29.1.2002 – A.B., Nr. 37328/97, Rz. 86; NJW 2003, 1439, Rz. 61 – Erdem. 5 EGMR ÖJZ 1992, 595, Rz. 48 – Campbell; NJW 2003, 1439, Rz. 61 – Erdem. Näher dazu Kleine-Cosack, AnwBl. 2009, 326 (328). Eine Kontrollanordnung muss begründet werden, damit der Betroffene die Rechtmäßigkeit prüfen kann, vgl. EGMR, Urt. v. 7.1.2010 – Onoufriou, Nr. 24407/07, Rz. 113. 6 EGMR NJW 2003, 1439, Rz. 61, 65 – Erdem; vgl. auch Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 22 Rz. 48. 7 EGMR ÖJZ 1992, 595, Rz. 48 – Campbell; Urt. v. 20.6.2000 – Foxley, Nr. 33274/96, Rz. 44. Zur deutschen Rechtslage vgl. v. Lewinski, S. 82 f.; spezifisch zur Anwendung des BDSG auf den Rechtsanwalt vgl. Weichert, NJW 2009, 550 ff.; Redeker, NJW 2009, 554 ff. 8 EGMR, Urt. v. 4.12.2003 – Müslüm Gündüz, Nr. 35071/97, Rz. 43 f. und Rz. 51. Politiker dürfen wie Journalisten übertreiben und provozieren, aber nicht zu Straftaten aufrufen, vgl. EGMR, Urt. v. 16.7.2009 – Willem, Nr. 10883/05, Rz. 33–38. 9 Grundlegend EGMR EuGRZ 1977, 38, Rz. 49 – Handyside (st. Rspr); jüngst etwa EGMR, Urt. v. 8.11.2012 – Peta, Nr. 43481/09, Rz. 42 f. 10 EGMR NJW 2006, 2901, Rz. 174 – Kyprianou; NVwZ 2007, 313, Rz. 19 – Odabasi und Kocak. 11 EGMR ÖJZ 2003, 430, Rz. 46 – Nikula; NJW 2004, 3317, Rz. 36 – Steur; NJW 2006, 2901, Rz. 151 und 174 – Kyprianou. Zum deutschen Recht s. BVerfG, NJW 2008, 2422 (2423). 12 EGMR RJD 2004-III, Rz. 28, Rz. 35 – Amihalachioaie.
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Rz. 46 EMRK gestörten Rechtsfrieden wiederherzustellen.1 Um eine wirksame Wahrnehmung dieser Funktion der Gerichte in einem Rechtsstaat zu garantieren, muss das Vertrauen der Bürger in eine unparteiische und unabhängige Justiz gewahrt bleiben.2 Das schließt freilich nicht aus, dass jeder – auch ein Rechtsanwalt – das Recht hat, sich mit Strafanzeigen gegen einen Richter an die zuständigen Behörden zu wenden. Umgekehrt kommt jedoch auch eine Bestrafung des Anzeigeerstatters in Betracht, wenn mit der Anzeige das Vertrauen in die Justiz konkret und wider besseres Wissens untergraben werden soll.3 Wegen ihres speziellen Status haben Rechtsanwälte eine zentrale Position in der Rechtspflege als Vermittler zwischen Öffentlichkeit und Gerichten inne.4 Angesichts dieser Schlüsselrolle, die Rechtsanwälte in der Gerichtsbarkeit eines Rechtsstaates einnehmen, kann von ihnen legitimerweise erwartet werden, dass sie zu einer ordnungsgemäßen Rechtspflege beitragen und damit das öffentliche Vertrauen in die Justiz aufrechterhalten.5 In der Beurteilung der Reichweite zulässiger Kritik durch Rechtsanwälte sind deshalb das Recht der Öffentlichkeit auf Erhalt von Informationen über juristische Entscheidungen, die Erfordernisse ordnungsgemäßer Rechtspflege sowie die Würde von Rechtsberufen gleichrangig zu berücksichtigen.6 Vor diesem Hintergrund hat der EGMR verschiedene disziplinar- oder strafrechtliche Verurteilungen von Rechtsanwälten, die er regelmäßig als Eingriffe in die Meinungsfreiheit wertet,7 anhand der in Art. 10 Abs. 2 a.E. EMRK vorgesehenen Schranke überprüft. Bei der Rechtfertigungsprüfung behält sich der EGMR zunächst prinzipiell das Recht vor, nicht nur das nationale Gesetzesrecht, sondern auch das Standesrecht der Anwälte einer konventionsrechtlichen Kontrolle zu unterziehen.8 Die EMRK verhindert standesrechtliche Bindungen nicht; vielmehr können diese aufgrund der Bedeutung der Anwaltschaft für die Rechtspflege geradezu geboten sein.9 Allerdings bleibt das Standesrecht an der primären Sinngebung zu messen, die dem Anwalt als Mittler zwischen den Gerichten und der Öffentlichkeit zukommt, d.h. vor allem an der engagierten Vertretung der Interessen seines Mandanten.10
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Bei der sich anschließenden Frage, ob der konkrete Eingriff in die Meinungsfreiheit des Anwalts im Einzelfall „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig“, also (im Sinne deutscher Grundrechtsdogmatik) verhältnismäßig war, lässt sich der EGMR von folgenden Erwägungen leiten: Bei generellen, schwerwiegenden und in scharfem Ton vorgetragenen Anschuldigungen während laufender Gerichtsverfahren hält der Gerichtshof es für angemessen, wenn gegen den Anwalt eine geringe Geldstrafe im Rahmen eines Disziplinarverfahrens verhängt wird.11 Haftstrafen hingegen sieht der EGMR als unverhältnismäßig streng an, ins-
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1 Grote/Wenzel, in: Dörr/Grote/Marauhn, Kap. 18 Rz. 94. – Im Übrigen wird die von Art. 10 Abs. 2 EMRK geschützte Unparteilichkeit der Rechtspflege auch von der Überlegung getragen, dass die Richter durch ihrer Verschwiegenheitspflicht mitunter gehindert sind, einer öffentlichen Kritik entgegenzutreten, vgl. EGMR ÖJZ 1998, 35 Rz. 40 f. – Worm; s. auch Gollwitzer, Art. 10 Rz. 24; IK/Schiedermair, Art. 10 Rz. 90. 2 Vgl. EGMR ÖJZ 1998, 35 Rz. 40 – Worm; NJW 2006, 2901, Rz. 172 – Kyprianou. Zum berechtigten Ziel der Vertraulichkeit der gerichtlichen Voruntersuchung vgl. EGMR NJW 2008, 3412, Rz. 44 ff. – Dupuis. 3 EGMR, Urt. v. 8.4.2010 – Bezymyannyy, Nr. 10941/03, Rz. 38–42. 4 EGMR ÖJZ 1994, 636, Rz. 54 – Casado Coca; EGMR ÖJZ 2003, 430, Rz. 45 – Nikula; RJD 2004-III, Rz. 27 – Amihalachioaie; NJOZ 2009, 5000, Rz. 42 – Schmidt. 5 EGMR ÖJZ 1999, 237, Rz. 29 – Schöpfer; ÖJZ 2003, 430, Rz. 45 – Nikula; RJD 2004-III, Rz. 27 – Amihalachioaie; NJW 2006, 2901, Rz. 173 – Kyprianou; NJOZ 2009, 5000, Rz. 42 – Schmidt. 6 Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 23 Rz. 30. 7 EGMR NJW 2006, 2901, Rz. 166 m.w.N. – Kyprianou. Vgl. auch EGMR NJW 2008, 2322 (2324) – Witt. Standesrechtliche Disziplinarmaßnahmen gegen einen Rechtsanwalt können gerechtfertigt sein, wenn er Justizangehörige, Staatsanwälte oder hohe Polizeibeamte pauschal verunglimpft, vgl. EGMR NJW 2006, 1645, Rz. 94 – Pedersen und Baadsgaard. 8 Berufsordnungen sind zwar aufgrund einer autonomen Satzungsbefugnis erlassen worden, beruhen aber auf einer gesetzlichen Ermächtigung und sind daher Gesetze i.S.v. Art. 10 Abs. 2 EMRK, vgl. EGMR EuGRZ 1985, 170, Rz. 46 – Barthold. 9 EGMR ÖJZ 1999, 237, Rz. 29 ff. – Schöpfer; ÖJZ 1994, 636, Rz. 39 ff. – Casado Coca. 10 EGMR ÖJZ 2003, 430, Rz. 54 – Nikula. Vgl. auch EGMR ÖJZ 1994, 636, Rz. 46 – Casado Coca. 11 EGMR ÖJZ 1999, 237, Rz. 34 – Schöpfer. Vgl. auch EGMR NJW 2003, 877 – Wingerter, in der der Gerichtshof die Beschwerde eines Rechtsanwalts als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen hat, der für seine Erklärung in einer Rechtsmittelschrift, Richter, Staatsanwälte und Rechtsanwälte an einem bestimmten Ort seien allesamt „unfähig“, eine Ermahnung im Rahmen eines Disziplinarverfahrens erhalten hatte; näher dazu Kleine-Cosack, AnwBl. 2009, 326 (330). S. ferner EGMR NJOZ 2009, 5000, Rz. 43 – Schmidt, wo ein Anwalt einen schriftlichen Verweis wegen der Formulierung „Schummelversuch“ erhielt.
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EMRK Rz. 47 bes. wenn sie sich über mehrere Monate erstrecken1 oder im Rahmen eines summarischen Verfahrens verhängt und sofort vollstreckt werden.2 47
Im Übrigen darf eine Einschränkung der Meinungsfreiheit eines Rechtsanwalts selbst bei geringfügigen disziplinarrechtlichen Sanktionen nur in außergewöhnlichen Umständen hingenommen werden. In ihrer Eigenschaft als Organe der Rechtspflege unterliegen Anwälte nicht nur Beschränkungen ihres Verhaltens, sondern sie genießen auch – je nach Gerichtsbarkeit – gewisse Rechte und Privilegien, jedenfalls aber eine gewisse Freiheit bei ihrem Vortrag.3 Auch wenn ihr Verhalten prinzipiell zurückhaltend, ehrenhaft und würdig sein muss,4 versteht es sich gerade bei der Strafverteidigung eines Mandanten vor Gericht von selbst, dass sich Rechtsanwälte in einer schwierigen Lage befinden können. Sie müssen eine Entscheidung darüber treffen, ob sie im besten Interesse ihres Mandanten Einwendungen gegen das Verfahren des Gerichts erheben und sich darüber – ggf. auch unzweideutig – beschweren sollen. Die Bestrafung eines Verteidigers, der sich vor Gericht schlicht „unhöflich“ über die Art und Weise, wie es den Prozess führt, äußert, hat deshalb nach zutreffender Ansicht des EGMR nicht nur für den bestraften Anwalt, sondern auch für den Anwaltsberuf schlechthin eine „abschreckende Wirkung“ („chilling effect“).5 Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass Anwälte, sofern sie von derartigen „Präzedenzfällen“ Kenntnis erlangen, sich in ihrer Freiheit des Plädoyers, bei der Stellung von Anträgen und Ähnlichem während des Gerichtsverfahrens angesichts möglicherweise drohender Sanktionen eingeschränkt fühlen. Dies kann nicht nur negative Auswirkungen auf die Meinungsfreiheit des Anwalts haben; berührt ist ggf. auch das Recht des Mandanten, der gem. Art. 6 EMRK einen Anspruch auf ein faires Verfahren und eine wirksame Prozessvertretung hat.6 Schließlich ist nach Auffassung des Gerichtshofs eine Strafe für lediglich unhöfliches Verhalten geeignet, das öffentliche Vertrauen in die Tätigkeit von Anwälten und der Rechtspflege allgemein zu beschädigen. Der „chilling effect“ könne sogar dann ausgelöst werden, wenn das Gericht einen Verteidiger bloß auf eine Art und Weise zurechtweist oder maßregelt, die diesen fühlbar zur Selbstzensur bei der Vertretung des Mandanten anhalten soll. Derartige Zurechtweisungen – auch eines Pflichtverteidigers7 – seien zwar nicht prinzipiell ausgeschlossen; allerdings bedürfe es zu ihrer Rechtfertigung besonders bedeutsamer Gründe.8 Jedenfalls dürften Zurechtweisungen oder Feststellungen standeswidrigen Verhaltens in Disziplinarverfahren9 nicht derart hart ausfallen, dass sie eine bremsende Wirkung auf die Ausübung der Berufspflichten des Rechtsanwalts nach sich zögen.10 Umgekehrt müssen Anwälte, die das Gericht verbal angreifen, hierfür objektiv nachvollziehbare Tatsachen geltend machen. Im österreichischen Fall „Schmidt“, in dem der Bf. dem Gericht einen „Schummelversuch“ vorwarf und deswegen disziplinarrechtlich sanktioniert wurde, hat der Gerichtshof der Tatsache entscheidendes Gewicht beigemessen, dass der Anwalt keine Tatsachen oder Umstände vorgetragen hatte, die die gerügte Ausdrucksweise gerechtfertigt hätten.11 Die genannten Entscheidungen des EGMR sind bei der Anwendung von § 178 GVG zu berücksichtigen,12 wenn das Gericht Ord1 Im Fall Skałka (Urt. v. 27.5.2003, Nr. 43425/98, Rz. 42) hielt der EGMR acht Monate Freiheitsstrafe für einen beleidigenden internen Brief für unangemessen hart. 2 EGMR NJW 2006, 2901, Rz. 178–181 – Kyprianou. Hier ging es um eine fünftätige Freiheitsstrafe. 3 Vgl. auch BVerfGE 76, 171 (192) – Richtlinien des anwaltlichen Standesrechts: „Die Wahrnehmung dieser Aufgaben erlaubt es dem Anwalt … nicht, immer so schonend mit den Verfahrensbeteiligten umzugehen, dass diese sich nicht in ihrer Persönlichkeit beeinträchtigt fühlen. Nach allgemeiner Auffassung darf er im ‚Kampf um das Recht‘ auch starke, eindringliche Ausdrücke und sinnfällige Schlagworte benutzen …“. Jedoch ist das Sachlichkeitsgebot des § 43a Abs. 3 BRAO dann verletzt, wenn ein Rechtsanwalt unprofessionell handelt, indem er entweder bewusst Unwahrheiten verbreitet oder eine rechtliche Auseinandersetzung durch neben der Sache liegende Herabsetzungen belastet, zu denen andere Beteiligte oder der Verfahrensverlauf keinen Anlass gegeben haben, vgl. BVerfG, NJW 2008, 2422 (2423). 4 EGMR ÖJZ 1994, 636, Rz. 46 – Casado Coca; NJW 2004, 3317, Rz. 38 – Steur. 5 EGMR NJW 2006, 2901, Rz. 175 – Kyprianou; ähnlich auch EGMR NJW 2008, 3412, Rz. 48 – Dupuis. Das Argument der „abschreckenden Wirkung“ führten auch die Richter Rozakis, Vajic und Spielmann in ihrer abweichenden Meinung zum Urteil im Fall „Schmidt“ an, vgl. Verweis in EGMR NJOZ 2009, 5000 (5003) auf EGMR, Urt. v. 17.7.2008, Nr. 513/05, a.E. 6 EGMR ÖJZ 2003, 430, Rz. 49 – Nikula; NJW 2004, 3317, Rz. 37 – Steur; NJW 2006, 2901, Rz. 175 – Kyprianou. Vgl. auch Liddell, in: Caflisch u.a. (Hrsg.), Liber Amicorum Luzius Wildhaber, 2007, 247 (258 ff.). 7 Vgl. Gaede, JR 2004, 342 (343). 8 EGMR ÖJZ 2003, 430, Rz. 47 – Nikula; NJW 2004, 3317, Rz. 29 – Steur. 9 Vgl. EGMR NJW 2003, 877 – Wingerter. 10 EGMR NJW 2004, 3317, Rz. 44 – Steur. Vgl. auch EGMR NJOZ 2009, 5000, Rz. 43 – Schmidt, wo nur die mildeste disziplinarrechtlich vorgesehene Sanktion verhängt werden durfte. 11 EGMR NJOZ 2009, 5000, Rz. 41 – Schmidt. 12 Dazu Kissel, NJW 2007, 1109 (1110 ff.).
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Rz. 50 EMRK nungsmittel wegen Ungebühr verhängen will und sich die Ungebühr gegen das Gericht oder einen Richter gerichtet hat. Anders verhält es sich demgegenüber in Fällen, in denen der Rechtsanwalt seine Kritik nicht gegen den Richter oder das Gericht insgesamt richtet. Hier wird eine Verletzung der Meinungsfreiheit des Anwalts vergleichsweise unproblematisch bejaht. So liegt nach Ansicht des EGMR ein Verstoß gegen Art. 10 EMRK bei Sanktionen gegen einen Rechtsanwalt vor, der seine Kritik auf den konkreten Fall beschränkt, sie gezielt gegen eine bestimmte, nicht dem Gericht zugehörige Person (etwa gegen den Staatsanwalt oder den Prozessgegner) richtet und keine persönlichen Beleidigungen ausspricht.1 Gerade bei der Kritik an der Staatsanwaltschaft, die als Prozessgegner i.S.v. Art. 6 EMRK anzusehen ist,2 offenbart sich eine relativ starke Stellung des Anwalts im Gerichtsverfahren. Schon die von Art. 6 Abs. 1 und Abs. 3 EMRK garantierte Verhandlung ist auf argumentative Konfrontation angelegt; hier dient die anwaltliche Vertretung auch der Herstellung von Waffengleichheit. Pauschale Verunglimpfungen und Beleidigungen der Staatsanwaltschaft oder von hohen Polizeibeamten rechtfertigen allerdings auch in diesen Fällen standesrechtliche Disziplinarmaßnahmen gegen den betreffenden Rechtsanwalt.3 Insgesamt ist anwaltliche Kritik an einem Staatsanwalt oder an den Strafverfolgungsbehörden weitergehend zulässig als an einem Richter oder einem Gericht.4 Umgekehrt muss freilich auch eine deutliche, ja gar das allgemeine Persönlichkeitsrecht tangierende Kritik an der Tätigkeit des Anwalts oder seiner Sozietät dann zulässig sein, wenn sie sachthemenbezogen erfolgt, sich auf die Sozialsphäre beschränkt und nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich ist.5
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II. Art. 13 EMRK Obgleich zu Art. 13 EMRK – soweit ersichtlich – keine „rechtsanwaltsspezifische“ Rspr. des EGMR vorliegt, ist diese Norm für den Beruf des Rechtsanwalts und seine Tätigkeit als Organ der Rechtspflege von nicht zu unterschätzendem Interesse. Gemäß Art. 13 EMRK hat jedermann, der eine Verletzung seiner durch die Konvention geschützten Rechte behauptet, das Recht auf eine wirksame Beschwerde bei einer nationalen Instanz. Damit gehört Art. 13 EMRK ebenso wie Art. 6 EMRK zu den grundrechtlichen Verfahrensgarantien der Konvention.6 Der besondere Zweck von Art. 13 EMRK liegt darin sicherzustellen, dass die in der Konvention garantierten Rechte in den Mitgliedstaaten effektiv geschützt werden. Das Recht auf wirksame Beschwerde dient also der Sicherung der Konventionsrechte in den Mitgliedstaaten und ist zugleich Ausprägung des Grundsatzes der Subsidiarität des von der Konvention vorgesehenen Schutzsystems ggü. dem nationalen Grundrechtsschutz.7 In prozessualer Hinsicht ist das Erfordernis der Rechtswegerschöpfung gem. Art. 35 EMRK (vgl. Rz. 101) Gegenstück zur materiellen Garantie des Art. 13 EMRK. Beide Vorschriften sind insofern eng miteinander verbunden, als bei Nichterschöpfung des innerstaatlichen Instanzenzuges nach Art. 35 EMRK das Recht auf eine wirksame Beschwerde gem. Art. 13 EMRK nicht verletzt sein kann.8
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Inhaltlich ist das Recht auf wirksame Beschwerde gem. dem Wortlaut von Art. 13 EMRK ein akzessorisches Recht.9 Eine Verletzung von Art. 13 EMRK kann nur i.V.m. einer materiellen Garantie der EMRK oder eines ZP gerügt werden. Damit hängt die Reichweite der Verpflichtung aus Art. 13 EMRK von dem jeweiligen Konventionsrecht ab, das geltend gemacht wird.10
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1 EGMR ÖJZ 2003, 430, Rz. 52 – Nikula; Urt. v. 27.5.2003 – Skałka, Nr. 43425/98, Rz. 34 f.; RJD 2004-III, Rz. 35 f. – Amihalachioaie. Anders verhält es sich freilich in Fällen, in denen sich der Anwalt einer Nötigung des Verfahrensgegners schuldig macht, vgl. EGMR NJW 2008, 2322 (2324) – Witt. 2 Gaede, HRRS 2004, 44 (51 f.). 3 Vgl. mutatis mutandis EGMR NJW 2006, 1645, Rz. 70 ff. – Pedersen und Baadsgaard. 4 EGMR NJOZ 2009, 5000, Rz. 39 – Schmidt. Freilich müssen bei allen Gruppen die Persönlichkeitsrechte gewahrt bleiben, was auch für die mediale Prozessberichterstattung gilt, vgl. Mensching, in: Karpenstein/ Mayer, Art. 10 Rz. 97. 5 So sieht das BVerfG in der Bezeichnung einer Kanzlei als „Winkeladvokatur“ keine unzulässige Schmähkritik, wenn diese nur gegenüber der Rechtsanwaltskammer getätigt und anschließend in einen Zivilprozess eingeführt wird, vgl. BVerfG, EuGRZ 2013, 574 (575). 6 Matscher, FS Seidl-Hohenveldern, 1988, S. 315. 7 Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 24 Rz. 167; Richter, in: Dörr/Grote/Marauhn, Kap. 20 Rz. 3. 8 EGMR, Urt. (GrK) v. 28.4.2004 – Azinas, Nr. 56679/00, Rz. 38; vgl. auch Matscher, FS Seidl-Hohenveldern, 1988, S. 327; Gundel, DVBl. 2004, 17 (21). 9 Guradze, Europäische Menschenrechtskonvention, 1968, S. 187. 10 Vgl. EGMR RJD 1998-I, 297, Rz. 106 – Kaya; NJW 2001, 809, Rz. 131 ff. – Smith und Grady; RJD 2002-II, Rz. 96 – Paul and Audrey Edwards.
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EMRK Rz. 51 Freilich muss der Einzelne innerstaatlich noch nicht die Verletzung eines Konventionsrechts rügen; es genügt, wenn er eine Verletzung der im Wesentlichen inhaltsgleichen Bestimmung der nationalen Rechtsordnung geltend macht.1 Nicht erforderlich ist auch, dass die Verletzung einer in der Konvention genannten Garantie tatsächlich feststeht; es genügt ein „arguable claim“, die Verletzung muss also in vertretbarer Weise angenommen werden können.2 Dies gilt namentlich bei geheimer Telekommunikationsüberwachung, da der Betroffene hiervon erst nach Beendigung der Maßnahme Kenntnis erlangt.3 51
Prinzipiell nicht ausgeschlossen ist, dass Art. 13 EMRK auch in Zusammenhang mit der behaupteten Verletzung einer in Art. 6 Abs. 1 EMRK genannten Verfahrensgarantien Anwendung findet. Da Art. 6 Abs. 1 EMRK die Unabhängigkeit der Gerichte gewährleistet, können Gerichtsentscheidungen sowie Verfahren vor Gerichten nur durch andere Gerichte (im Rechtsmittelverfahren) überprüft werden.4 Jedoch sind die Staaten nach der EMRK nicht verpflichtet, mehrstufige Verfahren einzurichten, sofern sie – wie Deutschland – das 7. ZP nicht ratifiziert haben.5 Vor diesem Hintergrund hatte der EGMR lange Zeit die Anwendung von Art. 13 EMRK auf Fälle des Zugangs zu Gericht oder der Durchführung gerichtlicher Verfahren ausgeschlossen. Meist hat er zudem die Ansicht vertreten, dass Art. 6 EMRK eine lex specialis im Verhältnis zu Art. 13 EMRK darstelle.6 Die zunehmende Häufigkeit, mit der Verletzungen einer überlangen Verfahrensdauer gerügt wurden, veranlasste den EGMR jedoch erstmalig im Fall „Kudła“ dazu festzustellen, dass aus Art. 13 EMRK nicht der Grundsatz abgeleitet werden könne, für seine Anwendung auf die in Art. 6 EMRK normierten Organisations- und Verfahrensgarantien sei kein Raum.7 Vielmehr garantiere Art. 13 EMRK eine wirksame Beschwerde zu einer innerstaatlichen Instanz auch wegen einer behaupteten Verletzung der in Art. 6 Abs. 1 EMRK enthaltenen Verpflichtung, Gerichtsentscheidungen innerhalb angemessener Frist abzusetzen.8 Abweichend von der früheren Rspr. sind daher nunmehr entspr. Beschwerden zusätzlich zu der Feststellung einer Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK wegen Verstößen gegen das Recht auf angemessene Verfahrensdauer auf eine Verletzung von Art. 13 EMRK zu prüfen.9 Dieser jüngeren Judikatur des EGMR ist beizupflichten: Besteht die behauptete Konventionsverletzung darin, dass das Recht auf Verhandlung innerhalb einer angemessenen Frist i.S.v. Art. 6 Abs. 1 EMRK missachtet worden sei, kommt es zu keiner Überschneidung der Anwendungsbereiche von Art. 6 und Art. 13 EMRK. Die Frage, ob der Betroffene eine gerichtliche Entscheidung innerhalb angemessener Frist erreichen kann, ist rechtlich von der Frage zu trennen, ob ihm das innerstaatliche Recht einen wirksamen Rechtsbehelf zur Verfügung gestellt hat, der es ihm ermöglicht, sich in dieser Hinsicht zu beschweren.
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Die in Art. 13 EMRK normierte Rechtsbehelfsgarantie muss effektiv sein; dabei mögen zwar Gerichtsverfahren grundsätzlich zu den wichtigen Beschwerdemöglichkeiten zählen,10 doch fordert das Beschwerderecht keinen gerichtlichen Rechtsbehelf. Der Gerichtshof verlangt lediglich, dass die Beschwerde vor der nationalen Instanz – die auch eine Verwaltungsbehörde, eine Regierungsstelle oder ein parlamentarisches Kontrollorgan sein kann, sofern sie unabhängig und unparteiisch handelt11 – Gewähr dafür bietet, dass entweder präventiv 1 EGMR EuGRZ 1979, 278, Rz. 68 – Klass u.a.; Frowein, in: Frowein/Peukert, Art. 13 Rz. 18. 2 EGMR EuGRZ 1979, 278, Rz. 64 – Klass u.a.; Urt. v. 26.3.1987 – Leander, Série A 116, Rz. 77; EuGRZ 1989, 522, Rz. 26 ff. – Plattform ‚Ärzte für das Leben‘; ÖJZ 1990, 418, Rz. 33 – Powell und Rayner; NJW 2001, 1195, Rz. 61 – Wille. 3 EGMR EuGRZ 1979, 278, Rz. 68 – Klass u.a.; Urt. v. 18.5.2010 – Kennedy, Nr. 26839/05, Rz. 109. 123. Näher hierzu Richter, in: Dörr/Grote/Marauhn, Kap. 20 Rz. 91 ff.; Schmahl, JZ 2014, 220 (228). 4 Frowein, in: Frowein/Peukert, Art. 13 Rz. 12; Britz/Pfeifer, DÖV 2004, 245 f. 5 EGMR, Urt. v. 17.1.1970 – Delcourt, Série A 11, Rz. 14; vgl. auch Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 24 Rz. 174. 6 EGMR EuGRZ 1984, 147, Rz. 110 – Silver; EuGRZ 1992, 5, Rz. 69 – Håkansson und Sturesson; EuGRZ 1996, 602, Rz. 65 – Hentrich. 7 EGMR NJW 2001, 2694, Rz. 151 – Kudła. 8 EGMR NJW 2001, 2694, Rz. 146 f. – Kudła. 9 EGMR NJW 2001, 2694, Rz. 149 – Kudła; vgl. auch EGMR RJD 2001-VIII, Rz. 63 f. – Horvat; RJD 2003-VIII, Rz. 67 f. – Hartman; Urt. v. 29.1.2004 – Kormacheva, Nr. 53084/99, Rz. 62 ff. Zum Ganzen s. auch Kreutzer, Säumnis: Rechtsschutz gegen überlange Verfahren, 2010, S. 110 ff.; Breuer, in: Karpenstein/Mayer, Art. 13 Rz. 54 ff. 10 Im Einzelnen Richter, in: Dörr/Grote/Marauhn, Kap. 20 Rz. 60–72. Zu den Anforderungen an einen Rechtsbehelf im Falle einer Abschiebung vgl. etwa EGMR NVwZ 2009, 965 (966) – K.R.S. Bei Beschwerden gegen richterliche Konventionsverletzungen kann Art. 13 EMRK freilich mit der richterlichen Unabhängigkeit kollidieren. 11 EGMR EuGRZ 1984, 147, Ziff. 113 ff. – Silver u.a.; RJD 2000-V, Ziff. 44 ff. – Khan. Zu weiteren Anforderungen an die Beschwerdeinstanz vgl. Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 24 Rz. 179 f.
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Rz. 52a EMRK das Verfahren beschleunigt oder wenigstens nachfolgend dem Betroffenen eine angemessene Entschädigung für die eingetretenen Verzögerungen zuerkannt wird.1 Unzureichend ist es, wenn der Betroffene nur einen Antrag auf Beschleunigung des Verfahrens bei einer ranghöheren Behörde stellen darf2 oder bei Verletzung des Beschleunigungsgebotes nur in den Genuss eines besonderen Strafmilderungsgrundes kommt.3 Auch eine Beschwerde an einen Ombudsman genügt nicht, soweit dieser keine verbindlichen Entscheidungen trifft.4 Vor diesem Hintergrund stellte der EGMR erstmalig in der Rs. „Sürmeli“ im Jahre 2006 fest, dass die Ergänzung des deutschen Rechtsschutzsystems um einen Rechtsbehelf zur Sicherung fristgerechter Gerichtsentscheidungen geboten sei.5 Hierbei griff der Gerichtshof im Wesentlichen auf ähnliche Anforderungen zurück wie bereits zuvor das BVerfG in seinem Plenarbeschluss vom 30.4.2003 in Bezug auf die Verletzung rechtlichen Gehörs durch den Richter. Dort hatte das BVerfG unter Aufgabe seiner bisherigen Rspr. entschieden, dass es gegen das Rechtsstaatsprinzip i.V.m. Art. 103 Abs. 1 GG verstößt, wenn eine Verfahrensordnung keine (geschriebene) fachgerichtliche Abhilfemöglichkeit für den Fall vorsieht, dass ein Gericht in entscheidungserheblicher Weise den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt.6 Dem Gesetzgeber wurde aufgegeben, bis Ende 2004 entspr. Rechtsbehelfe im Verfahrensrecht vorzusehen,7 was mit dem Anhörungsrügengesetz vom 9.12.2004 geschehen ist.8 Seit dem „Sürmeli“-Judikat des EGMR erschien auch die Verabschiedung eines Untätigkeitsbeschwerdengesetzes dringend erforderlich, da die vorhandenen Rechtsbehelfe in Deutschland – einschl. der Verfassungsbeschwerde – es nicht ermöglichten, wirksame Maßnahmen zur Beschleunigung des Verfahrens anzuordnen.9 Der im Verfahren in Sachen „Sürmeli“ seinerzeit vorgelegte einschlägige Referentenentwurf der Bundesregierung zu einer Untätigkeitsbeschwerde v. 22.8.2005 wurde allerdings lange Zeit nicht weiterverfolgt.10 U.a. dieses Defizit führte in der Folgezeit zu einer weiteren Flut an Urteilen gegen Deutschland, in denen der EGMR Verletzungen des Gebots der angemessenen Verfahrensdauer feststellte.11 Deshalb sah sich der EGMR gezwungen, in der Rs. „Rumpf “ (2010)12 noch einmal deutlich zu 1 EGMR NJW 2001, 2694, Rz. 159 – Kudła; Urt. v. 18.11.2004 – Zazanis, Nr. 68138/01, Rz. 47; Urt. v. 29.3.2006 – Ernestina Zullo, Nr. 64897/01, Rz. 99. – Allein die Tatsache, dass die innerstaatliche Instanz eine Sache „falsch“ entscheidet, macht die Beschwerde noch nicht unwirksam, vgl. EGMR, Urt. v. 27.4.1988 – Boyle und Rice, Nr. 9659/82 und Nr. 9658/82, Série A 131, Rz. 67. 2 EGMR RJD 2001-VIII, Rz. 64 – Horvat. 3 EGMR EuGRZ 2006, 26 (27) – Cordier. Hierzu Schlette, Der Anspruch auf gerichtliche Entscheidung in angemessener Frist, 1999, S. 44 ff. Mittlerweile hat der BGH seine Judikatur geändert, vgl. Rz. 52a Fn. 9. 4 EGMR RJD 2001-V, Rz. 109 – T.P. u.a. 5 EGMR (GrK) NJW 2006, 2389, Rz. 138 f. – Sürmeli. Vgl. bereits Bien/Guillaumont, EuGRZ 2004, 451 (465 f.); Gundel, DVBl. 2004, 17 (21 ff.); Meyer-Ladewig, NJW 2001, 2679 f. Das Urteil „Sürmeli“ hat auch Auswirkungen auf Art. 35 EMRK, da es seither nicht mehr erforderlich ist, vor einer Beschwerde wegen überlanger Verfahrensdauer in anderen als Strafverfahren die Verfassungsbeschwerde einzulegen, was sowohl für Beschwerden bei noch anhängigen Verfahren als auch bei abgeschlossenen Verfahren gilt, vgl. EGMR, Urt. v. 13.11.2008 – Ommer Nr. 2, Nr. 26073/03, Rz. 56. 6 BVerfGE 107, 395 (416 f.) – Abhilfemöglichkeit bei Gehörsverletzung. 7 BVerfGE 107, 395 (418) – Abhilfemöglichkeit bei Gehörsverletzung. 8 BGBl. I 2004, S. 3320; in Kraft seit 1.1.2005. 9 Zu den hinsichtlich einer Verfahrensbeschleunigung ungeeigneten Rechtsbehelfen der deutschen Rechtsordnung vgl. EGMR NJW 2006, 2389, Rz. 103 ff. – Sürmeli (Verfassungsbeschwerde); Rz. 109 (Dienstaufsichtsbeschwerde); Rz. 110 ff. (außerordentliche Untätigkeitsbeschwerde); Rz. 113 f. (Amtshaftungsklage), sowie Meyer-Ladewig, Art. 13 Rz. 33–45. Auch das BbgVerfG war nach Ansicht des EGMR trotz der Regelung des Art. 52 Abs. 4 BbgVerf nicht in der Lage, einer Verletzung des Rechts auf ein zügiges Verfahren in hinreichender Weise abzuhelfen, vgl. EGMR DVBl. 2007, 1161, Rz. 34 – Kirsten; hierzu Lau, NVwZ 2010, 358 f. Der BGH änderte hingegen zwischenzeitlich seine Rspr. dergestalt, dass eine Kompensation für überlange Verfahrensdauer bei der Vollziehung einer Strafe – und nicht mehr bloß bei der Strafzumessung – vorzunehmen war (vgl. BGHSt 52, 124). Der EGMR hat diese „Interimslösung“ für den Strafprozess ausdrücklich begrüßt, vgl. EGMR, Urt. v. 22.1.2008 – Kaemena und Thöneböhn, Nr. 45749/06, Rz. 86–87. 10 Vgl. BT-Drs. 16/7655, S. 4. Hierzu auch EGMR, Entsch. v. 8.1.2008 – Guttschuss, Nr. 771/04, sowie EGMR EuGRZ 2010, 700, Rz. 54 – Rumpf. Vor diesem Hintergrund haben manche Gerichte die Zulässigkeit einer Untätigkeitsbeschwerde unter Rückgriff auf Art. 13 EMRK bejaht, vgl. nur OLG Karlsruhe, Beschl. v. 3.5. 2007 – 2 WF 32/07. 11 Zwischen 1959 und 2009 wurden mehr als vierzig Urteile wegen überlanger Verfahrensdauer erlassen; davon wurden allein im Jahr 2009 13 Verletzungen des Gebots der angemessenen Frist i.S.d. Art. 6 Abs. 1 EMRK festgestellt. Seither sind rund 55 Individualbeschwerden beim EGMR anhängig, die dieses Problem betreffen, vgl. zu diesen und weiteren statistischen Angaben EGMR EuGRZ 2010, 700, Rz. 64 ff. – Rumpf. 12 Bei der Rs. Rumpf handelt es sich um das erste Piloturteil des EGMR gegen Deutschland, vgl. EGMR EuGRZ 2010, 700, Rz. 59 ff. – Rumpf. Zur Piloturteilstechnik s. unten Rz. 122.
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52a
EMRK Rz. 52b judizieren, dass Deutschland „unverzüglich und spätestens ein Jahr, nachdem dieses Urteil rechtskräftig geworden ist“, einen Rechtsbehelf gegen überlange Verfahren einführen müsse.1 52b
Das am 24.11.2011 schließlich in Kraft getretene „Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren“ (RechtsschutzG)2 enthält zwar keinen Rechtsbehelf zu einer Verfahrensförderung, aber doch immerhin einen Anspruch auf Entschädigung für materielle und immaterielle Schäden,3 wobei ein immaterieller Nachteil widerlegbar vermutet und eine pauschale Entschädigung gewährt wird (vgl. § 198 Abs. 2 GVG). Das Gesetz kombiniert präventive und kompensatorische Elemente. Für überlange Gerichtsverfahren existiert ein Entschädigungsanspruch im Wege einer sog. Verzögerungsrüge. Zentrale Anspruchsvoraussetzung für diesen staatshaftungsrechtlichen Anspruch sui generis ist die „unangemessene“ Dauer eines Gerichtsverfahrens. Hierfür sollen – orientiert an der Rspr. des BVerfG4 und des EGMR5 – die Einzelfallumstände maßgebend sein, insbes. das Verhalten der Beteiligten, die Schwierigkeit des Falles und seine Bedeutung für den Betroffenen und die Allgemeinheit.6 Mit Entscheidung vom 29.5.2012 in der Rs. Taron hat der EGMR die im RechtsschutzG vorgesehene Verzögerungsrüge als prinzipiell sinnvollen und wirksamen Rechtsbehelf angesehen, um dem Problem der überlangen Dauer innerstaatlicher Verfahren zu begegnen.7 Zugleich hat er sich aber die (künftige) Kontrolle darüber vorbehalten, ob die innerstaatlichen Gerichte das RechtsschutzG konsistent und den Erfordernissen der Konvention entsprechend anwenden werden.8 III. Freiheit der Berufswahl und der Berufsausübung 1. Art. 8 EMRK
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Berufswahl- und Berufsausübungsfreiheit, die beide für die rechtsanwaltliche Tätigkeit bedeutsam sind, sind in der EMRK und ihren Protokollen nicht ausdrücklich verankert. Allerdings erblickt der EGMR in der Freiheit, einen bestimmten Beruf zu ergreifen, Bezüge zum Schutz des Privatlebens gem. Art. 8 Abs. 1 EMRK und sieht geschäftliche und berufliche Tätigkeiten als vom Schutzbereich erfasst an. In Fortschreibung seiner Judikatur zum Schutz von Geschäftsräumen9 erkennt der Gerichtshof nämlich in der Aufnahme einer Berufstätigkeit eine Möglichkeit, Beziehungen zu anderen aufzubauen und seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Das Verbot, wegen einer früheren Zugehörigkeit zum KGB über einen Zeitraum von zehn Jahren hinweg bestimmte Berufe in der Privatwirtschaft zu ergreifen, fiel deshalb in den Schutzbereich des Rechts auf Privatleben der Betroffenen.10 2. Art. 10 EMRK
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Auch Verhaltensweisen, die nach den Verfassungsordnungen der Mitgliedstaaten unter die Freiheit der Berufsausübung fallen,11 können von Konventionsrechten geschützt sein. So 1 EGMR EuGRZ 2010, 700, Rz. 73 – Rumpf. Zustimmend Meyer-Ladewig, NJW 2010, 3358 f.; Kotz, ZRP 2011, 85. 2 Vgl. BGBl. I 2011, S. 2302. Für Verfahren vor dem BVerfG gilt eine umfangreiche Sonderregelung, vgl. Zuck, NVwZ 2012, 265 ff. 3 Im Blick auf die Wirkkraft dieser bloß kompensatorischen Lösung optimistisch Kotz, ZRP 2011, 85 f.; Scheffer, NJ 2010, 265 ff. Erhebliche Zweifel an ihrer Steuerungsfunktion äußert hingegen Ossenbühl, DVBl. 2012, 857 (858, 860 f.). Vermittelnd etwa: Althammer, JZ 2011, 446 (452 f.) und Schenke, NJW 2012, 257 (265). Aus der jüngsten Gerichtspraxis vgl. BVerfG, JZ 2013, 145 f., sowie BVerwG, Urt. v. 11.7.2013 – 5 C 23/12 D, Rz. 24 ff.; dazu Huerkamp/Huerkamp, JZ 2013, 146 ff.; Steinbeiß-Winkelmann/Sporrer, NJW 2014, 177 ff. 4 Vgl. BT-Drs. 17/3802, S. 16; sowie z.B. BVerfGE 55, 349 (369); BVerfG, EuGRZ 2009, 695, Rz. 22; BVerfG, Beschl. v. 23.6.2010, 1 BvR 324/10, Rz. 5. 5 Vgl. nur EGMR EuGRZ 2007, 420, Rz. 75 – Herbst. 6 Näher Steinbeiß-Winkelmann, ZRP 2010, 205 (206); Schenke, NJW 2012, 257 (258 f.). 7 EGMR EuGRZ 2012, 514, Rz. 40 – Taron. Vgl. auch EGMR, Urt. v. 10.7.2012, BeckRS 2012, 17134 – García Cancio. 8 EGMR EuGRZ 2012, 514, Rz. 45 – Taron. 9 EGMR EuGRZ 1993, 65, Rz. 29 – Niemietz. Vgl. hierzu auch oben Rz. 41. 10 EGMR RJD 2004-VIII, Rz. 47 ff. – Sidrabas u.a. Ähnlich EGMR, Urt. v. 16.11.2006 – Karov, Nr. 45964/99, Rz. 85 zur zeitweisen Entlassung eines Polizisten wegen Bestechlichkeit, sowie EGMR NJW 2010, 3419, Rz. 22–25 – Bigaeva zur Ablehnung eines Zulassungsantrags zur Anwaltsprüfung. 11 Vgl. etwa BVerfGE 71, 162 (175 f.) – Frischzellenbehandlung, zur Werbung eines Arztes für Frischzellenbehandlungen, sowie BVerfG, NJW 2008, 838 (839) zur Werbung für eine Anwaltssozietät im Internet mit sog. Gegnerliste.
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Rz. 56 EMRK wird nach der Judikatur des EGMR kommerzielle Werbung, die als wirtschaftliche Betätigung anzusehen ist, durch das Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit nach Art. 10 EMRK geschützt.1 Äußerungen von Angehörigen freier Berufe zu ihrem Arbeitsfeld fallen ebenfalls in den Schutzbereich von Art. 10 EMRK. So sind etwa Werbebeschränkungen von Rechtsanwälten am Maßstab dieser Konventionsgarantie zu messen.2 Dabei dürfen solche Beschränkungen nicht derart streng ausfallen, dass sie die Angehörigen freier Berufe entmutigen, an der öffentlichen Diskussion über Fragen des Gemeinschaftslebens teilzunehmen, vor allem wenn eine solche Beteiligung lediglich möglicherweise irgendeine Werbewirkung hat.3 Wegen der engen Verknüpfung der beruflichen Werbung mit dem Recht des unlauteren Wettbewerbs, das teilweise intransparent und temporären Schwankungen unterworfen ist, verfügen die Rechtsanwaltskammern und die Gerichte über einen Ermessensspielraum.4 Auch Ankündigungen, die zwar mit werbewirksamem Ziel veröffentlicht werden, aber zugleich Informationen für Personen, die Rechtsbeistand suchen, zur Verfügung stellen, um diesen den Zugang zum Recht zu erleichtern, dürfen vom nationalen Recht nicht absolut verboten werden. Vielmehr muss zwischen den verschiedenen betroffenen Interessen, nämlich den Erfordernissen einer ordnungsgemäßen Rechtspflege einerseits und der Würde des Standes andererseits sowie dem Recht eines jeden, Informationen über rechtlichen Beistand zu empfangen, abgewogen werden. Dabei ist auch der wachsenden Bedeutung der Medien in den Gesellschaften Rechnung zu tragen.5 Diesen Anforderungen werden § 43b BRAO und § 6 BORA gerecht.6 3. Art. 1 des 1. Zusatzprotokolls Ferner können manche Aspekte der Berufsausübung unter die Eigentumsfreiheit des Art. 1 ZP 1 subsumiert werden.7 Durch die weite Fassung des Schutzbereichs, der von der Einordnung nach staatlichem Recht unabhängig ist,8 werden auch wirtschaftliche Interessen, die den Betrieb eines Unternehmens betreffen, durch die Eigentumsfreiheit garantiert. Damit sind Genehmigungserfordernisse, die eine Grundbedingung für die Aufnahme einer wirtschaftlichen Tätigkeit bilden und die innerstaatlich an der Berufsfreiheit zu messen sind, am Maßstab der Eigentumsgarantie auf ihre Konventionsmäßigkeit überprüfbar.9 Soweit der EGMR bereits das „In-Händen-Halten“ einer behördlichen Genehmigung als eine nach Art. 1 ZP 1 schutzwürdige (also bereits erworbene) Position ansieht,10 beabsichtigt er offensichtlich, das Vertrauen des gutgläubigen Unternehmers zu schützen.11
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Deshalb misst der EGMR etwa die Rücknahme einer Zulassung als Rechtsanwalt an der Eigentumsgarantie des Art. 1 ZP 1. Mit etwas anderer Akzentuierung als das BVerfG in sei-
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1 EGMR EuGRZ 1985, 170, Rz. 41 f. – Barthold; EuGRZ 1996, 302, Rz. 26 – markt intern Verlag GmbH und Beermann; ÖJZ 1994, 636, Rz. 35 f. – Casado Coca; EuGRZ 2013, 274 (280) – Tipp 24 AG. Zum Verbot der Tabakwerbung vgl. EGMR, Urt. v. 5.3.2009 – Hachette Filipacchi, Nr. 13353/05, Rz. 26–34. 2 EGMR ÖJZ 1994, 636, Rz. 35 f. – Casado Coca. Vgl. auch EGMR EuGRZ 2002, 589, Rz. 39 ff. – Stambuk in Bezug auf „Wirtschaftswerbung“ von Ärzten. Zur Liberalisierung des Werberechts der Freiberufler vgl. auch Kleine-Cosack, NJW 2010, 1921 ff. 3 Vgl. EGMR EuGRZ 1985, 170, Rz. 58 – Barthold; ferner Gollwitzer, Art. 10 Rz. 21. 4 Vgl. EGMR NJOZ 2009, 1248 (1250 ff.) – Brzank; NJOZ 2009, 1252 (1253 ff.) – Heimann. Zur jüngeren Judikatur der deutschen Fachgerichte in Bezug auf anwaltliche Werbemaßnahmen vgl. Grunewald, NJW 2010, 3551 (3552 f.). 5 Deutlich EGMR ÖJZ 1994, 636, Rz. 54 f. – Casado Coca. Ferner s. EGMR NJW 2003, 497, Rz. 39 – Stambuk. 6 Zur liberalen Auslegung von § 43b BRAO vgl. jüngst KG NJW 2011, 865, mit zust. Anm. Degen, NJW 2011, 867. 7 Nach st. Rspr. enthält Art. 1 ZP I drei unterschiedliche Regeln. Die erste Regel in Art. 1 Abs. 1 S. 1 ZP I bringt den Grundsatz des Rechts auf Achtung des Eigentums zum Ausdruck; die zweite Regel in Art. 1 Abs. 1 S. 2 ZP I betrifft die Entziehung des Eigentums und macht sie von bestimmten Voraussetzungen abhängig; die dritte Regel in Art. 1 Abs. 2 ZP I erkennt an, dass die Konventionsstaaten dazu berechtigt sind, die Benutzung des Eigentums im Allgemeininteresse zu regeln. Die zweite und dritte Regel müssen im Licht des Grundrechts aus Art. 1 Abs. 1 S. 1 ZP I verstanden werden, vgl. EGMR, Urt. v. 7.7.1989 – Tre Taktörer Aktiebolag, Nr. 10873/84, Série A 159, 21, Rz. 54; Urt. v. 18.2.1991 – Fredin, Nr. 12033/86, Série A 192, 17, Rz. 51; NJW 2001, 1558 – Olbertz; EuGRZ 2006, 249 (251) – Melchior. 8 Vgl. EGMR NJW 2002, 45, Rz. 60 – ehemaliger König von Griechenland; Urt. v. 7.6.2012 – Centro Europa 7, Nr. 38433/09, Rz. 171; sowie Meyer-Ladewig, Art. 1 ZP I Rz. 9; Cremer, in: Dörr/Grote/Marauhn, Kap. 22 Rz. 41. 9 Rechtsvergleichend Cremer, in: Dörr/Grote/Marauhn, Kap. 22 Rz. 48. Ferner IK/Kriebaum, Art. 1 ZP 1 Rz. 84 ff. 10 Vgl. EGMR, Urt. v. 29.11.1991 – Pine Valley Developments Ltd, Nr. 12742/87, Série A 222, Rz. 51; Urt. v. 7.7. 1989 – Tre Traktörer Aktiebolag, Nr. 10873/84, Série A 159, 23, Rz. 53; Urt. v. 28.7.2005 – Rosenzweig, Nr. 51728/99, Rz. 49; Urt. v. 13.3.2012 – Malik, Nr. 23780/08, Rz. 88 f. 11 Cremer, in: Dörr/Grote/Marauhn, Kap. 22 Rz. 30.
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EMRK Rz. 57 ner Judikatur zum eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb1 sieht der EGMR in der Gründung und im Ausbau einer Anwaltskanzlei einschl. ihres Mandantenstamms ein privates Recht, das einen Vermögenswert darstellt und damit als Eigentum i.S.v. Art. 1 Abs. 1 S. 1 ZP 1 qualifiziert werden kann.2 Sofern die Rücknahme der Anwaltszulassung zur Folge hat, dass der betreffende Rechtsanwalt seine Kanzlei schließen muss und damit seines erworbenen Kundenstamms verlustig geht, liegt daher ein Eingriff (in Form einer Nutzungsbeschränkung)3 in das Eigentumsrecht vor, der nach Art. 1 Abs. 2 ZP 1 gerechtfertigt werden muss. Dabei kommt es darauf an, ob die Rücknahme der Zulassung im Allgemeininteresse besteht und verhältnismäßig ist.4 Bei dieser Güterabwägung stellt der Gerichtshof auch auf die besondere Stellung von Rechtsanwälten in einer demokratischen Gesellschaft ab. Da sie als Organe der Rechtspflege und Garanten des Rechtsstaates angesehen werden, bestehen an die Person und die Aufgaben von Rechtsanwälten besonders hohe Anforderungen im Blick auf Integrität, Moral und sachlicher wie persönlicher Unabhängigkeit.5 57
Vor diesem Hintergrund hat der EGMR im Fall „Döring“ die Rücknahme einer Anwaltszulassung aus dem Grunde, dass der Betroffene – vor seiner Zulassung als Rechtsanwalt im Jahre 1990 – als Strafrichter und Vorsitzender eines Strafsenats in der ehemaligen DDR gegen Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit verstoßen hatte (vgl. § 1 Abs. 2 RNPG), im Ergebnis nicht als eine Verletzung des Eigentumsrechts gewertet. Das Vertrauen der Öffentlichkeit in den Beruf des Rechtsanwalts wiege schwerer als die dem Bf. durch den Entzug der Zulassung auferlegte Bürde.6 Immerhin habe der Beschwerdeführer über Jahre freiwillig an der politischen Strafjustiz der DDR und dabei an Entscheidungen mitgewirkt, die in der Gesamtschau Menschenverachtung zeigten. Unter Berücksichtigung dieser Umstände und insbes. der außergewöhnlichen Situation der deutschen Wiedervereinigung gelangte der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass die Bundesrepublik Deutschland ihren Beurteilungsspielraum nicht überschritten und es nicht versäumt habe, hinsichtlich der legitimen Ziele einen gerechten Ausgleich zwischen den wirtschaftlichen Interessen des Beschwerdeführers und den Allgemeininteressen der deutschen Gesellschaft herzustellen.7 Auch auf die Beschwerde eines (Fach-)Hochschullehrers, dessen Rechtsanwaltszulassung infolge seiner Verbeamtung auf Lebenszeit gem. § 7 Ziff. 10 und § 14 Abs. 2 Ziff. 5 BRAO widerrufen worden war, erkannte der Gerichtshof zwar auf einen Eingriff in Art. 1 ZP 1,8 hielt diesen jedoch aus Gründen des Allgemeininteresses an einer geordneten Rechtspflege und der Unabhängigkeit des Rechtsanwaltsberufs für gerechtfertigt. Die Rechtstellung eines Beamten auf Lebenszeit, die durch die öffentlich-rechtliche Bindung an den Dienstherrn gekennzeichnet sei, sei mit derjenigen eines Rechtsanwalts, der Angehöriger eines im Wesentlichen freien Berufs sei und dem eine zentrale Rolle als an der Rechtspflege beteiligter unabhängiger Person zukomme, grundsätzlich unvereinbar.9 Dies gelte auch für Hochschullehrer, bei denen trotz ihrer relativen beruflichen Freiheit (Art. 5 Abs. 3 GG) die Gemeinsamkeiten mit den anderen Beamten auf Lebenszeit überwögen, was vor allem dadurch deutlich werde, dass auch Hochschullehrer sich eine Nebentätigkeit von ihrem Arbeitgeber genehmigen lassen und diesem 1 Danach bezieht sich der Eigentumsschutz nur auf den Gewerbebetrieb als Sach- und Rechtsgesamtheit, so dass grds. nur ein Eingriff in die Substanz dieser Sach- und Rechtsgesamtheit Art. 14 GG verletzen kann. Insbes. die Gegebenheiten und Chancen, innerhalb derer der Unternehmer seine Tätigkeit entfaltet, bleiben dagegen außerhalb der Eigentumsgarantie, wozu auch bestehende Geschäftsverbindungen, der gute Ruf des Unternehmens, der erworbene Kundenstamm und die Marktstellung gehören, vgl. BVerfGE 13, 225 (229) – Ladenschluss I; BVerfGE 45, 272 (296) – gemeinschaftliche Verteidigung; BVerfGE 77, 84 (118) – Verbot der Arbeitnehmerüberlassung; BVerfGE 105, 252 (278) – Glykol. 2 EGMR, Urt. v. 26.6.1986 – van Marle, Nr. 8543/79 u.a., Série A 101, 13, Rz. 41; NJW 2001, 1558 (1559) – Olbertz; NJW 2001, 1556 – Döring; Urt. v. 24.5.2005 – Buzescu, Nr. 61302/00, Rz. 81; NJW 2007, 3049 (3050) – Lederer. Zur Entschädigung bei Verlust eines Kundenstamms bei konventionswidrigem Widerruf einer Konzession vgl. Meyer-Ladewig, Art. 41 Rz. 7. 3 Während Art. 1 Abs. 1 S. 2 ZP I sich auf (förmliche und faktische) Enteignungen sowie Beschlagnahmen bezieht, haben Art. 1 Abs. 2 und Art. 1 Abs. 1 S. 1 ZP I Nutzungs- oder sonstige Beschränkungen im Blick, die beide gem. den Voraussetzungen in Art. 1 Abs. 2 ZP I gerechtfertigt werden können, vgl. Meyer-Ladewig, Art. 1 ZP I Rz. 30 f., 48–51. 4 EGMR, Urt. v. 23.9.1982 – Sporrong und Lönnroth, Rz. 7151/75 und 7152/75, Série A 52, 26, Rz. 69; Urt. v. 7.7. 1989 – Tre Traktörer Aktiebolag, Nr. 10873/84, Série A 159, 23, Rz. 59; EGMR, Urt. v. 16.7.2009 – Zehentner, Nr. 20082/02, Rz. 72–78. 5 EGMR NJW 2001, 1556 (1557) – Döring; NJW 2007, 3049 (3050) – Lederer. 6 EGMR NJW 2001, 1556 (1557 f.) – Döring. 7 EGMR NJW 2001, 1556 (1558) – Döring. Vgl. auch den ähnlich gelagerten Fall über die Zulassung zum Steuerberater EGMR NJW 2001, 1558 – Olbertz. 8 NJW 2007, 3049 (3050) – Lederer. 9 NJW 2007, 3049 (3050) – Lederer.
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Rz. 59 EMRK die Nebeneinkünfte ab einer bestimmten Höhe anzeigen müssten.1 Im Übrigen wiege der Eingriff in Art. 1 ZP 1 im konkreten Fall ohnehin nicht sehr schwer, da es Hochschullehrern gestattet sei, vor verschiedenen innerstaatlichen Gerichten, insbesondere dem BVerfG, wie Anwälte aufzutreten (vgl. §§ 138 StPO, 67 VwGO, 392 AO, 40 BDO, 22 BVerfGG und – mit Einschränkungen – §§ 79, 90 ZPO).2 Auch gesetzlich eingeräumte Privilegien können dann Eigentum i.S.v. Art. 1 ZP 1 darstellen, wenn sie eine „berechtigte Erwartung“ auf Erwerb von Eigentum begründen.3 Als ein solches Privileg erachtete der Gerichtshof die vormals in § 25 BRAO festgelegte Singularzulassung bei einem OLG.4 Im Fall „Wendenburg u.a.“ rügten die Beschwerdeführer, dass das BVerfG ihnen durch die Abschaffung der Singularzulassung bei den Oberlandesgerichten die Existenzgrundlage entzogen und somit ihr Recht auf Achtung des Eigentums verletzt habe.5 Der EGMR stellte fest, dass eine Anwaltskanzlei mit ihrem Mandantenstamm einen Vermögenswert darstelle, der grds. den Schutz von Art. 1 ZP 1 genieße.6 Dennoch seien durch die Abschaffung der Singularzulassung bei den Oberlandesgerichten weder das Recht der Bf. am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb noch eine durch legalen Einsatz persönlicher Mittel und Fähigkeiten im Wirtschaftsleben geschaffene vermögenswerte Position in konventionswidriger Weise berührt. Die durch die vom BVerfG mit Wirkung vom 1.7.2002 für gegenstandslos erklärte Vorschrift des § 25 BRAO7 (und durch die damit verbundene Einführung der Simultanzulassung) nunmehr entstandene größere Konkurrenz und der mögliche Verlust von Mandanten gehöre zum unternehmerischen Risiko eines Rechtsanwalts. Außerdem sei zu beachten, dass das BVerfG bei seinem Urteil vom 13.12.2000 sowohl das Allgemeininteresse an einer geordneten Rechtspflege als auch die Interessen der Anwaltschaft hinreichend berücksichtigt und zudem eine angemessene Übergangsfrist bestimmt habe, damit sich die Anwälte auf die neue Situation einstellen konnten.8 Demgegenüber erklärte der Gerichtshof im Fall „Hoerner Bank GmbH“ bereits den Schutzbereich des Eigentumsrechts für nicht eröffnet, da das Unternehmen nicht über eine Rechtsberatungserlaubnis gem. § 1 Abs. 1 des Rechtsberatungsgesetzes verfügte und damit eine „berechtigte Erwartung“ i.S.v. Art. 1 ZP 1 nicht vorlag.9
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4. Art. 4 Abs. 2 EMRK Schließlich hat sogar das in Art. 4 Abs. 2 EMRK normierte Verbot der Zwangs- und Pflichtarbeit für die anwaltliche Berufstätigkeit bereits praktische Bedeutung erlangt. Unter Zwangs- und Pflichtarbeit versteht der EGMR in Anlehnung an Abkommen der Internationalen Arbeitsorganisation10 jede Verpflichtung zu einer höchstpersönlichen Dienstleistung, gleichgültig, ob es sich um körperliche oder geistige Arbeit handelt. Entscheidend ist, dass die Verpflichtung nicht freiwillig übernommen wird.11 Darüber hinaus ist für die Qualifizie1 NJW 2007, 3049 (3051) – Lederer. 2 NJW 2007, 3049 (3051) – Lederer. Vgl. auch v. Lewinski, S. 222 f. Zur Unverträglichkeit einer Rechtsstellung als Lebenszeitbeamter und Unabhängigkeit eines Rechtsanwalts vgl. BGH NJW-RR 2009, 1576, sowie BGH, Beschl. v. 20.8.2010, AnwZ (B) 77/09; näher Grunewald, NJW 2010, 3551 (3552). 3 EGMR EuGRZ 2003, 709 – Wendenburg. Zur Abgrenzung einer „berechtigten Erwartung auf Erwerb von Eigentum“, die von Art. 1 ZP I erfasst wird, von der bloßen „Hoffnung auf Anerkennung eines Eigentumsrechts“, die nicht als „Eigentum“ i.S.v. Art. 1 ZP I betrachtet werden kann vgl. EGMR EuGRZ 2005, 305 – von Maltzan u.a.; EuGRZ 2006, 249 (251 f.) – Melchior; EuGRZ 2013, 274 (279) – Tipp 24 AG. 4 EGMR EuGRZ 2003, 709 – Wendenburg. 5 Das BVerfG erachtete mit Urt. v. 13.12.2000 die Singularzulassung gem. § 25 BRAO als einen Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG, vgl. BVerfGE 103, 1 – Singularzulassung zum OLG. Durch das Gesetz zur Stärkung der Selbstverwaltung der Rechtsanwaltschaft (BGBl. I 2007, S. 358) wird § 25 BRAO folgerichtig aufgehoben. Vgl. ferner BVerfGE 106, 216 – Singularzulassung zum BGH sowie Gaier, Art. 12 GG Rz. 63. Zur Verfassungsmäßigkeit des Auswahlverfahrens für die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft beim BGH vgl. BVerfG, NJW 2008, 1293. 6 EGMR EuGRZ 2003, 709 – Wendenburg. Vgl. auch EGMR NJW 2001, 1558 (1559) – Olbertz; NJW 2001, 1556 – Döring; Urt. v. 20.11.2010 – Oklesen und Pokoplisko, Nr. 35264/04, Rz. 54. 7 Vgl. Rz. 58 Fn. 5. Folgerichtig hat das BVerfG auch die in § 226 Abs. 2 BRAO enthaltene Beschränkung auf die dort genannten Länder mit Wirkung v. 1.7.2002 für gegenstandslos erklärt, vgl. BVerfGE 103, 1 – Singularzulassung zum OLG. 8 EGMR EuGRZ 2003, 709 – Wendenburg. 9 EGMR NJW 2001, 1555 – Hoerner Bank GmbH: Kundenstamm für Nachlassabwicklung. 10 Hierzu EGMR EuGRZ 1985, 477, Rz. 32 – van der Mussele; NJOZ 2012, 1897, Rz. 117 f. – Stummer; NJW 2012, 3566, Rz. 36 – Graziani-Weiss. 11 EGMR EuGRZ 1985, 477, Rz. 33 f. – van der Mussele. Aus jüngerer Zeit vgl. EGMR, Urt. v. 3.5.2005 – Vasilenkov, Nr. 19872/02, Rz. 20; NJW 2010, 3003, Rz. 276 – Rantsev; NJW 2012, 3566, Rz. 40 – Graziani-Weiss.
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EMRK Rz. 60 rung einer Arbeitsverpflichtung i.S.v. Art. 4 Abs. 2 EMRK erforderlich, dass die Arbeit ungerecht, d.h. wirtschaftlich ausbeutend, oder anderweitig unterdrückend ist. Dabei ist zu berücksichtigen, ob die mit einer Arbeit verbundenen Belastungen in einem angemessenen Verhältnis zu den zu erwartenden Vorteilen stehen, etwa im Blick auf eine berufliche Ausbildung.1 Insofern findet eine Gewichtung der Zwangswirkung einer Dienstpflicht bereits auf der Schutzbereichsebene des absolut geltenden Verbots des Art. 4 Abs. 2 EMRK statt. 60
Auch wenn der EGMR bisher erst in zwei (nicht anwaltsberufsbezogenen) Fällen das Vorliegen unzulässiger Zwangs- und Pflichtarbeit im Ergebnis bejaht hat,2 standen in der Rspr. bereits mehrfach gesetzlich festgelegte Dienstpflichten von Angehörigen freier Berufe auf dem Prüfstand. Neben der Verpflichtung für einen Zahnarzt, in bestimmten Gebieten für die öffentliche zahnärztliche Versorgung zu sorgen,3 war etwa die Verpflichtung junger Anwälte zur Übernahme von Pflichtverteidigungen ohne Bezahlung vor ihrer endgültigen Zulassung Gegenstand von Verfahren vor den Straßburger Kontrollorganen.4 Auch die Bestellung eines Rechtsanwalts zum Betreuer (Sachwalter) gegen seinen Willen stand jüngst auf dem konventionsrechtlichen Prüfstand.5 Das Vorliegen einer Zwangs- und Pflichtarbeit wurde jedoch jeweils mit der Begründung verneint, dass die Pflichten Folge eines frei gewählten Berufes seien, relativ untergeordnete Bedeutung hätten und im Rahmen der beruflichen Tätigkeit üblich seien.6 Ferner erkannte der EGMR in der unterschiedlichen Bezahlung von Anwaltsanwärtern und Anwärtern zu anderen juristischen Berufen in Belgien keinen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot nach Art. 14 EMRK, da es sich hierbei nicht um vergleichbare Sachverhalte handele.7 Auch der Umstand, dass nicht alle Juristen, sondern nur Rechtsanwälte und Notare nach österreichischem Recht zu einer Sachwalterschaft herangezogen werden können, ist schon aufgrund ihrer Stellung als Organ der Rechtspflege gerechtfertigt.8 D. Individualbeschwerdeverfahren vor dem EGMR
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Die überragende Bedeutung der EMRK beruht vor allem auf dem Individualbeschwerderecht zum EMGR gem. Art. 34 EMRK, das dem Einzelnen einen effektiven Durchsetzungsmechanismus auf internationaler Ebene im Rahmen eines justizförmig ausgestalteten Verfahrens zur Seite stellt.9 Im Folgenden sollen deshalb – neben einem Überblick über die Struktur des EGMR – vornehmlich der Gang des Individualbeschwerdeverfahrens sowie die Anforderungen an eine Individualbeschwerde vorgestellt werden, um den Rechtsanwalt zu befähigen, von den gegebenen Rechtsschutzmöglichkeiten wirksam Gebrauch zu machen. I. Organisation und Struktur des EGMR
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Wie erwähnt (Rz. 9–10) bestand das Rechtsschutzsystem der EMRK bis zum Jahr 1998 aus drei Organen, nämlich aus der Menschenrechtskommission, dem Gerichtshof und aus dem (politisch agierenden) Ministerkomitee.10 Dieses Rechtsschutzsystem wurde mit dem 11. ZP, das am 1.11.1998 in Kraft trat, einer grundlegenden Neuregelung unterworfen. Der EGMR ist seither als ständiger Gerichtshof eingerichtet (vgl. Art. 19 S. 2 EMRK). Gemäß Art. 20 EMRK
1 EGMR EuGRZ 1985, 477, Rz. 39 – van der Mussele. Näher hierzu Marauhn, in: Dörr/Grote/Marauhn, Kap. 12 Rz. 15–17. 2 Im Fall „Siliadin“ (EGMR NJW 2007, 41, Rz. 113 ff. – Siliadin) ging es um ein 15-jähriges afrikanisches Mädchen, das gegen seinen Willen und ohne Bezahlung in einer französischen Familie als „Haussklavin“ arbeiten musste. Der jüngste Fall „Rantsev“ (EGMR NJW 2010, 3003, Rz. 277–282 – Rantsev) hatte die „Anwerbung“ einer Frau aus Russland für eine unbezahlte Tätigkeit als „Kabarettkünstlerin“ in Zypern zum Gegenstand. 3 EKMR, Entsch. v. 17.12.1963 – Yversen, Yb 6, 278, 281. 4 EGMR EuGRZ 1985, 477, Rz. 34 ff. – van der Mussele. 5 EGMR NJW 2012, 3566, Rz. 36 ff. – Graziani-Weiss. 6 EGMR EuGRZ 1985, 477, Rz. 40 – van der Mussele; NJW 2012, 3566, Rz. 41 – Graziani-Weiss. Vgl. ferner Fahrenhorst, EuGRZ 1985, 485, mit weiteren Beispielen aus der Judikatur der EKMR. 7 EGMR EuGRZ 1985, 477, Rz. 46 – van der Mussele. 8 EGMR NJW 2012, 3566, Rz. 61–65 – Graziani-Weiss. 9 Die Staatenbeschwerde gem. Art. 33 EMRK spielt in der Straßburger Praxis nur eine geringe Rolle (vgl. Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 10 Rz. 2) und ist überdies für die anwaltliche Berufstätigkeit wenig relevant. Auch die Gutachtenkompetenz des EGMR (Art. 47 EMRK) hat bisher keine nennenswerte Bedeutung erlangt, vgl. Lenz, in: Dörr/Lenz, Rz. 513, sowie näher Peters/Altwicker, EMRK § 37 Rz. 6 f. 10 Zum damaligen Individualbeschwerdeverfahren nach Art. 25 EMRK a.F. vgl. ausführlich Peukert, in: Frowein/Peukert, 2. Aufl. 1996, Art. 25 Rz. 1 ff.
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Rz. 63 EMRK entspricht die Zahl der Richter des EGMR derjenigen der Vertragsparteien der Konvention und beläuft sich somit auf insgesamt 47 Richter (s. Rz. 7).1 Allerdings entscheidet der Gerichtshof durch verschiedene Organe (Art. 26 EMRK). Rechtsprechend wird er seit dem Inkrafttreten des 14. ZP am 1.6.2010 auf vier Ebenen tätig, und zwar durch Einzelrichter („single-judge formation“), Ausschüsse („committees“), Kammern („chambers“) und eine Große Kammer („Grand Chamber“). Die Zuständigkeiten dieser Spruchkörper sind in Art. 27 bis Art. 31 EMRK geregelt.2 Wichtige Organe sind daneben der Präsident und das Plenum des EGMR (Art. 25 EMRK), die im Wesentlichen organisatorische Aufgaben erfüllen.3 Die vom 14. ZP vorgesehene Möglichkeit von Einzelrichterentscheidungen war umstritten; insbesondere war sie einer der Gründe, weshalb sich die russische Duma über lange Zeit weigerte, das Protokoll zu ratifizieren (vgl. Rz. 10).4 Die Einzelrichterbesetzung gem. Art. 26 Abs. 1 EMRK ist als „Filterorgan“ zur Entlastung des EGMR eingeführt.5 Die Zahl der zu ernennenden Einzelrichter wird gem. Art. 27A Abs. 1 VerfO6 vom Präsidenten des EGMR bestimmt. Die Amtszeit der Einzelrichter beträgt zwölf Monate, wobei diese weiterhin ihre anderen Aufgaben innerhalb derjenigen Sektion wahrnehmen, der sie angehören (vgl. Rz. 63). Der Einzelrichter kann eine Individualbeschwerde – nicht eine Staatenbeschwerde! – für unzulässig erklären oder im Register streichen.7 Die getroffene Entscheidung ist nach Art. 27 Abs. 2 EMRK endgültig. Über Beschwerden, die gegen den Staat gerichtet sind, für den der Einzelrichter gewählt ist, darf er allerdings nicht entscheiden (vgl. Art. 26 Abs. 3 EMRK). Diese Abweichung von der Regel, dass der nationale Richter der Kammer oder Großen Kammer angehören muss (vgl. Art. 26 Abs. 4 EMRK), soll Befürchtungen entgegentreten, dass der nationale Richter befangen ist. Nachteilig ist aber, dass der Einzelrichter über Fälle aus einem Vertragsstaat entscheiden muss, mit dessen Sprache und Rechtssystem er nicht unbedingt vertraut ist. Dies erhöht die Abhängigkeit des Richters von den ihm gem. Art. 24 Abs. 2 EMRK beigeordneten nichtrichterlichen Berichterstattern, die Staatsangehörige des beklagten Staates sein dürfen, und der Gerichtskanzlei.8
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Die Zusammensetzung der Ausschüsse und Kammern beruht auf einer Einteilung der Richter in verschiedene (derzeit: fünf) Sektionen. Die Aufteilung in Sektionen geht auf Art. 25 lit. b EMRK zurück, der die Bildung von Kammern für einen bestimmten Zeitraum vorsieht. Gemäß Art. 26 Abs. 1 EMRK besteht eine Kammer aus sieben Richtern.9 Da die Zahl der Richter beim Gerichtshof über fünf mal sieben Richter hinausgeht, wurden die Kammern zu Sektionen erweitert, innerhalb derer je drei Formationen von sieben Richtern
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1 Zu Wahl und Rechtsstellung der Richter vgl. E. Klein, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. VI/1, 2010, § 150 Rz. 8–11, sowie in Bezug auf die Neuerungen aufgrund der Interlaken-Konferenz vom Februar 2010 Engel, EuGRZ 2010, 148 f. – Seit einigen Jahren besteht das Problem mangelnder beruflicher Geeignetheit bei einigen der von den Regierungen gem. Art. 22 EMR nominierten RichterKandidaten. Daher hat das Ministerkomitee des Europarats auf das dringende Ersuchen des EGMR-Präsidenten Costa beginnend mit dem Jahre 2010 einen 7-köpfigen beratenden Evaluierungsausschuss für Richter-Kandidaten eingerichtet, vgl. CM/Res(2010)26, s. hierzu auch die Dokumentationen in: EuGRZ 2010, 786 f.; EuGRZ 2010, 259 ff. 2 Zu den zurzeit anvisierten Reformen, die sich in einem eigenständigen Statut des EGMR niederschlagen sollen, vgl. Keller/Kühne/Fischer, EuGRZ 2011, 341 ff. 3 Das Plenum beschließt auch die Verfahrensordnung des Gerichtshofs. Zur geltenden VerfO vgl. Rz. 62a Fn. 6. 4 Die vorläufige Anwendung des 14. ZP durch Deutschland und andere Staaten (vgl. dazu Rz. 10) hat sich mit dem Inkrafttreten des 14. ZP am 1.6.2010 erledigt. Kritisch zum 14. ZP und dem dazugehörigen Explanatory Report Beernaert, EHRLR 2004, 544 (549); Grabenwarter, in: Grewe/Gusy (Hrsg.), Menschenrechte in der Bewährung, 2005, 81 ff. 5 Mayer-Ladewig, Art. 27 Rz. 1. 6 Verfahrensordnung v. 6.5.2013, in Kraft seit 1.7.2013, abrufbar in englischer Sprache unter: http://www.echr. coe.int/Pages/home.aspx?p=basictexts/rules&c=#n1347875693676_pointer. In deutscher Sprache ist die aktuelle Verfahrensordnung in der nichtamtlichen Übersetzung des BMJ abgedruckt unter: http://www. bmj.de/DE/Ministerium/OeffentlichesRecht/Menschenrechte/EuropaeischerGerichtshoffuerMenschen rechte/_node.html; die Verfahrensordnung in BGBl. II 2006, S. 694 ist noch auf dem Stand v. 7.11.2005. 7 Zur Streichung im Register und zur möglichen Wiedereintragung vgl. Art. 37 EMRK sowie EGMR EuGRZ 2008, 582, Rz. 67 – Storck; dazu Cremer, EuGRZ 2008, 562 (564 ff.). 8 Kritisch auch Mayer-Ladewig, Art. 26 Rz. 2; Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 8 Rz. 2. Zu den Einzelrichterentscheidungen eingehend Lenz, in: Dörr/Lenz, Rz. 505–509. 9 Gem. Art. 26 Abs. 2 EMRK kann die Anzahl der Richter je Kammer für einen begrenzten Zeitraum auf fünf Mitglieder reduziert werden. Voraussetzung ist ein Antrag des Plenums des Gerichtshofs an das Ministerkomitee, das einstimmig entscheidet. Die Reduktion betrifft dann alle und nicht bloß einzelne Kammern, vgl. Explanatory Report to the CETS 194, Protocol No. 14, Rz. 64. Auf diese Weise soll Kapazität für die Errichtung weiterer Spruchkörper geschaffen werden.
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EMRK Rz. 64 bestehen, die im Wechsel die Kammertätigkeit erfüllen. Die Aufteilung in Sektionen ist in Art. 25 VerfO geregelt.1 64
Die Ausschüsse/Komitees bestehen gemäß Art. 26 Abs. 1 EMRK aus drei Richtern derselben Sektion (sog. Dreier-Ausschüsse). Nach Beratung mit den Präsidenten der Sektionen entscheidet der Präsident des EGMR über die Anzahl der einzurichtenden Ausschüsse. Diese werden innerhalb der Sektionen für eine Dauer von zwölf Monaten eingerichtet (Art. 27 Abs. 2 VerfO). Den Ausschüssen kommt eine Filterfunktion bei der Entscheidung über die Zulässigkeit von Beschwerden zu. So kann ein Ausschuss – ebenso wie der Einzelrichter – gem. Art. 28 Abs. 1 lit. a EMRK Individualbeschwerden einstimmig für unzulässig erklären oder im Register streichen.2 Zudem hat der Ausschuss gem. Art. 28 Abs. 1 lit. b EMRK die Befugnis, die Beschwerde für zulässig zu erklären und durch Urteil über die Begründetheit zu entscheiden, sofern die Auslegungsfrage in gefestiger Rspr. des EGMR geklärt ist.3 Entscheidungen und Urteile der Ausschüsse sind nach Art. 28 Abs. 2 EMRK endgültig. Wenngleich Art. 29 EMRK dies nahe zu legen scheint, werden nicht alle Fälle zunächst einem Einzelrichter oder einem Ausschuss zugeteilt. Eine Beschwerde kann auch direkt an eine Kammer zugewiesen werden (vgl. Rz. 71). Ergeht vom Einzelrichter oder im Ausschuss keine Entscheidung, so entscheidet nach Art. 29 Abs. 1 EMRK die Kammer.
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Die Kammern bestehen gem. Art. 26 Abs. 1 EMRK aus sieben Mitgliedern und werden innerhalb der einzelnen Sektionen formiert.4 Sie umfassen zunächst jedenfalls den Präsidenten der Sektion sowie den nationalen Richter des beklagten Vertragsstaates.5 Gehört der nationale Richter nicht der Sektion an, der der Fall zugewiesen wurde, so gehört er der Kammer kraft Amtes an (Art. 26 Abs. 4 EMRK, Art. 26 Abs. 1 lit. a VerfO).6 Die übrigen Mitglieder werden vom Präsidenten der Sektion im Rotationsverfahren aus dem Kreis der Richter der Sektion bestimmt. Zu diesem Zweck wurden in den verschiedenen Sektionen je drei Kammerformationen bestimmt, die im Wechsel die Aufgaben der Kammer wahrnehmen. In den Kammern wird sowohl über die Zulässigkeit von Beschwerden als auch ggf. über deren Begründetheit entschieden (vgl. Rz. 72).
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Die Große Kammer, deren Hauptaufgabe die Sicherung von Kohärenz und Konsistenz der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist, besteht gem. Art. 26 Abs. 1 EMRK i.V.m. Art. 24 Abs. 1 VerfO aus 17 Richtern und mindestens drei Ersatzrichtern. Gemäß Art. 31 EMRK entscheidet die Große Kammer, wenn eine Kammer eine Rechtssache gem. Art. 30 EMRK an sie abgegeben hat oder wenn eine Sache nach Art. 43 EMRK an sie verwiesen worden ist (vgl. Rz. 75). Mitglieder der Großen Kammer sind der Präsident und die beiden Vizepräsidenten des EGMR sowie die Präsidenten der Sektionen (Art. 26 Abs. 5 S. 1 EMRK, Art. 24 Abs. 2 lit. a VerfO). Zur Bestimmung der übrigen Mitglieder entscheidet ein Losverfahren. Dessen Modalitäten legt das Plenum des EGMR fest; die Besetzung soll in geographischer Hinsicht so ausgewogen wie möglich sein und überdies die verschiedenen Rechtssysteme der Mitgliedstaaten widerspiegeln (Art. 24 Abs. 2 lit. e VerfO). Wird eine Sache nach Art. 30 EMRK an die Große Kammer abgegeben (qua Vorlage einer Kammer zur Entscheidung über Grundsatzfragen), so sind die Mitglieder der abgebenden Kammer auch Mitglieder der Großen Kammer (Art. 24 Abs. 2 lit. c VerfO). Geht eine Sache gem. Art. 43 EMRK, also im Wege einer rechtsmittelartigen Anrufung der unterlegenen Streitpartei, an die Große Kammer, so sind die Mitglieder der zuvor zuständigen Kammer – bis auf den Kammerpräsidenten und den nationalen Richter – dagegen nicht mehr vertreten (Art. 26 Abs. 5 S. 2 EMRK, Art. 24 Abs. 2 lit. d VerfO). Falls der nationale Richter weder eine Präsidentenfunktion hat noch in der entspr. Kammer vertreten ist, gehört er der Großen Kammer ex officio an (Art. 26 Abs. 4 EMRK, Art. 24 Abs. 2 lit. b VerfO).
1 Dazu näher Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 8 Rz. 1. 2 Vgl. Rz. 62a. 3 Die in Art. 28 Abs. 1 lit. b EMRK niedergelegte Befugnis der Ausschüsse ist durch das 14. ZP eingeführt worden. Hierzu näher Egli, ZaöRV 64 (2004), 759 (775 ff.); Lenz, in: Dörr/Lenz, Rz. 500. 4 Zur Möglichkeit der Reduzierung der Mitgliederanzahl vgl. Rz. 63 Fn. 9. 5 Die Richter gehören dem EGMR in ihrer persönlichen Eigenschaft an und sind keine Vertreter des Heimatstaates (Art. 21 Abs. 2 EMRK). Deshalb ist es akzeptabel, dass der für den beklagten Konventionsstaat gewählte Richter Mitglied der Kammer ist, die über eine Beschwerde gegen diesen Staat entscheidet. In erster Linie soll das Wissen des „national judge“ über die Rechtsordnung seines Landes genutzt werden, vgl. Lenz, in: Dörr/Lenz, Rz. 492; E. Klein, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. VI/1, 2010, § 150 Rz. 11. 6 Ist der gewählte nationale Richter verhindert, bestellt der Präsident einen sog. ad hoc-Richter, den er aus einer von dem betroffenen Konventionsstaat vorab unterbreiteten Liste auswählt, vgl. Art. 29 Abs. 1 VerfO.
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Rz. 69 EMRK II. Überblick über den Gang des Individualbeschwerdeverfahrens Nach Art. 34 EMRK setzt die Anrufung des EGMR die Behauptung einer Verletzung in einem der nach der Konvention garantierten Rechte durch einen Mitgliedstaat voraus. Gegenstand einer Individualbeschwerde ist also im weitesten Sinne die behauptete Verletzung eines Konventionsrechts durch einen Mitgliedstaat. Beschwerden können nur gegen Vertragsstaaten gerichtet werden. Als Verletzungsakt kommt jedes staatliche oder dem Staat zurechenbare Verhalten in Betracht (vgl. Art. 1 EMRK). Art. 34 EMRK verpflichtet die Mitgliedstaaten, das Beschwerderecht nicht zu behindern. Bf. müssen also frei mit dem Gerichtshof kommunizieren können, ohne dass sie in irgendeiner Form von den Behörden unter Druck gesetzt werden. Ein solcher Druck liegt nicht nur bei direktem Zwang und offensichtlichen Einschüchterungshandlungen vor, sondern auch bei unangemessenen indirekten Akten oder Kontakten, die den Zweck haben, Beschwerdeführer von der Erhebung eines Konventionsrechtsbehelfes abzuhalten.1 Überdies sichert Art. 4 Abs. 3 des Europäischen Übereinkommens über die an Verfahren vor dem EGMR teilnehmenden Personen vom 23.10. 19962 allen Streitparteien Bewegungs- und Reisefreiheit zu.3
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1. Weitgehende Formfreiheit der Beschwerde Das Verfahren der Individualbeschwerde ist weitgehend formfrei ausgestaltet. Nicht die Konvention selbst, aber Art. 45 VerfO verlangt, dass Beschwerden gem. Art. 34 EMRK schriftlich einzureichen und vom Bf. oder seinem Verfahrensbevollmächtigten4 zu unterzeichnen sind.5 Gemäß Art. 47 Abs. 1 VerfO ist hierfür das Beschwerdeformular der Kanzlei des Gerichtshofs zu verwenden, das unter [http://www.echr.coe.int/Pages/home.aspx?p=applicants] abgerufen werden kann.6 Dieses Formular darf auch noch nach Ablauf der Beschwerdefrist (s. Rz. 109) nachgereicht werden, sofern innerhalb dieser Frist wenigstens ein formloses Schreiben an den Gerichtshof gesandt wurde, das bereits die später im Formular geltend gemachten Konventionsverletzungen benennt. Als Zeitpunkt der Einlegung der Beschwerde wird das Datum des ersten Schreibens gewertet. Um eine Vorprüfung der Beschwerde durch die Kanzlei zu ermöglichen, sollte das erste Schreiben oder das Beschwerdeformular folgenden Inhalt umfassen:7 Eine Zusammenfassung des Sachverhalts, auf den sich die Beschwerde bezieht; die Angabe der nach Ansicht des Beschwerdeführers verletzten Konventionsrechte; die Angabe der innerstaatlichen Rechtsbehelfe, von denen der Beschwerdeführer Gebrauch gemacht hat, und schließlich eine Liste der in dem fraglichen Fall ergangenen amtlichen Entscheidungen unter Angabe der Entscheidungsinstanz, des Entscheidungsgegenstandes und des Entscheidungsdatums. Wichtig ist die möglichst ausführliche Darlegung der Tatsachen; die Konventionsverletzung hingegen muss nur der Sache nach geltend gemacht werden.8 Der Beschwerde sind Kopien der einschlägigen Unterlagen, insbes. der angegriffenen Gerichtsentscheidungen beizufügen, vgl. Art. 47 Abs. 1 lit. h, Abs. 2 lit. a VerfO (bzw. Art. 47 Abs. 3 Nr. 1 VerfO i.d.F. ab 1.1.2014).
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Amtssprachen des Gerichtshofs sind Englisch und Französisch (Art. 34 Abs. 1 VerfO). Gleichwohl dürfen Beschwerden auch in einer der Amtssprachen der Vertragsparteien erhoben werden.9 Wird die Beschwerde für zulässig erklärt (s. Rz. 73), ist allerdings eine der beiden Amtssprachen des EGMR zu verwenden, es sei denn, der Kammerpräsident gestattet
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1 Vgl. EGMR RJD 1998-VIII, 3264, Rz. 169 – Assenov; Urt. v. 7.10.2004 – Poleshchuk, Nr. 60776/00, Rz. 31; Urt. v. 31.1.2008 – Ryabov, Nr. 3896/04, Rz. 57 f. 2 BGBl. II 2001, S. 359. Das am 1.11.2001 in Kraft getretene Abkommen ersetzt das gleichartige frühere Abkommen v. 6.5.1969 (BGBl. II 1975, S. 1445). 3 Im Einzelnen Gollwitzer, Anhang, Rz. 21. 4 Im Falle der Vertretung hat der Bevollmächtigte gem. Art. 45 Abs. 3 VerfO eine schriftliche Vollmacht vorzulegen. 5 Die Beschwerde ist zu richten an: Der Kanzler, Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Europarat, F-67075 Straßburg-Cedex. Ein Fax genügt nur, wenn das Original in einer von der Kanzlei bestimmten Frist nachgesandt wird, vgl. Kadelbach, in: Dörr/Grote/Marauhn, Kap. 30 Rz. 70. 6 Ein Muster einer Beschwerde sowie ein entspr. Merkblatt sind außerdem abgedruckt bei Meyer-Ladewig, Einleitung Rz. 58 und Anhang X (S. 560). 7 Vgl. die Erläuterungen zum Beschwerdeformular auf der Website des EGMR sowie die Vorgaben von Art. 47 VerfO (Neufassung ab 1.1.2014). Grundlegend hierfür war EGMR EuGRZ 1983, 633, Rz. 61 – Guzzardi. 8 Vgl. EGMR RJD 1996-II, 519, Rz. 66 – Phocas. 9 Es ist dann empfehlenswert, der Beschwerdeschrift eine ein- bis zweiseitige Zusammenfassung der Beschwerde in einer der beiden Amtssprachen des Gerichtshofs beizufügen. Dazu Schäfer, in: Karpenstein/ Mayer, Art. 34 Rz. 8.
Schmahl 135
EMRK Rz. 70 den weiteren Gebrauch der Sprache, in der die Beschwerde ursprünglich erhoben wurde (vgl. Art. 34 Abs. 3 VerfO). Ein solcher Antrag kann von beiden Parteien eines Beschwerdeverfahrens gestellt werden; die Übersetzungskosten gehen freilich zu Lasten des Antragstellers.1 Nach Empfang des ersten Schreibens registriert die Kanzlei des EGMR die Beschwerde unter dem Namen des Bf. und mit einer Nummer. In der Folgezeit wird der Bf. ggf. aufgefordert, nähere Auskünfte zu erteilen, bestimmte Punkte zu erläutern oder zusätzliche Unterlagen nachzureichen. Die früher übliche Praxis, den Bf. auf mögliche formale Mängel seiner Beschwerde hinzuweisen, wurde indes mit dem 1.1.2002 aus Gründen der Arbeitsüberlastung der Mitarbeiter der Kanzlei eingestellt.2 2. Prozessvertretung 70
Bf. können sich gem. Art. 36 VerfO in Verfahren vor dem EGMR vertreten lassen. Wer als Prozessvertreter vor dem Gerichtshof auftreten kann, ist in Art. 36 Abs. 4 VerfO geregelt. Der Bf. kann sich durch einen in einem Vertragsstaat zugelassenen und dort niedergelassenen Rechtsanwalt sowie durch jede andere vom Kammerpräsidenten zugelassene Person vertreten lassen. Anwaltszwang besteht vor dem EGMR bei mündlicher Verhandlung vor einer Kammer; ab diesem Zeitpunkt ist der Bf. grds. nicht mehr postulationsfähig (Art. 36 Abs. 3 VerfO).3 Ausnahmsweise kann der Kammerpräsident gem. Art. 36 Abs. 4 lit. b VerfO zulassen, dass der Bf. sich selbst vertritt, falls erforderlich mit Unterstützung eines Rechtsbeistands. Sobald die Beschwerde dem beklagten Staat gem. Art. 54 Abs. 2 lit. b VerfO zugestellt worden ist (Art. 36 Abs. 2 VerfO), ist regelmäßig eine anwaltliche Vertretung erforderlich. Eine Zustellung der Beschwerde an den beklagten Staat i.S.v. Art. 37 VerfO erfolgt, wenn der Gerichtshof die Beschwerde nicht sogleich für unzulässig erklärt (vgl. Art. 54 Abs. 1 VerfO sowie Rz. 74). Von der Einführung eines generellen Anwaltszwangs wurde auch im 14. ZP Abstand genommen, da dies zu einer Beschränkung des Rechts auf Individualbeschwerde geführt hätte.4 3. Vorprüfungsverfahren
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Ist die von der Kanzlei angelegte Beschwerdeakte vollständig, wird sie in die Liste der zur Entscheidung anstehenden Fälle aufgenommen und durch den Präsidenten einer der Sektionen des EGMR zugewiesen (Art. 52 Abs. 1 VerfO).5 Sodann benennt der Präsident der zuständigen Sektion den Bericht erstattenden Richter („juge rapporteur“), vgl. Art. 49 Abs. 2 VerfO. Dieser entscheidet – unter Mitwirkung von Kanzleimitarbeitern –, ob die Beschwerde zunächst in Einzelrichterbesetzung oder von einem Ausschuss behandelt oder aber direkt von einer Kammer entschieden wird (Art. 49 Abs. 3 lit. b VerfO).6 Dabei steht es dem Präsidenten der zuständigen Sektion unabhängig von der Entscheidung des Berichterstatters frei, eine Sache dem Ausschuss oder der Kammer zuzuweisen. Kommt der Einzelrichter gem. Art. 27 Abs. 1 EMRK i.V.m. Art. 52A Abs. 1 VerfO oder kommt der Ausschuss einstimmig gem. Art. 28 Abs. 1 lit. a EMRK i.V.m. Art. 53 Abs. 1 VerfO zu dem Ergebnis, dass die Beschwerde ohne weitere Prüfung wegen offensichtlicher Unzulässigkeit (hierzu Rz. 74) abzuweisen ist, endet das Beschwerdeverfahren hier. Die jeweilige Entscheidung ist nach Art. 27 Abs. 2 oder Art. 28 Abs. 2 EMRK unanfechtbar und wird dem Bf. brieflich durch die Kanzlei mitgeteilt (vgl. Art. 53 Abs. 5 VerfO).7 Entsprechendes gilt für Fälle, in denen der Ausschuss durch einstimmigen Beschluss die Beschwerde für zulässig erklärt und zugleich durch Urteil gem. Art. 28 Abs. 1 lit. b EMRK über die Begründetheit entscheidet, weil die Auslegungsfrage in gefestigter Rspr. des EGMR geklärt ist. Gefestigt ist eine Rechtsprechung, wenn es sich entweder um eine ständige Judikatur oder um ein Grundsatzurteil insbes. der Großen Kammer handelt.8 Über die beabsichtigte Verfahrensweise nach Art. 28 Abs. 1 lit. b EMRK werden die Parteien unterrichtet, die sich hierzu äußern, das Verfahren aber nur insoweit än1 Vgl. Art. 34 Abs. 3 lit. c; Art. 34 Abs. 4 lit. b ii) VerfO. 2 Schorkopf, in: Grote/Marauhn (1. Aufl.), Kap. 30 Rz. 10. 3 Für die Einreichung der Beschwerde ist die Vertretung durch einen Anwalt nicht vorgeschrieben, vgl. Art. 36 Abs. 1 VerfO. 4 Vgl. Explanatory Report to the CETS 194, Protocol No. 14, Rz. 34, sowie BT-Drs. 16/42, S. 16 f. 5 I.d.R. wird diejenige Sektion gewählt, der der nationale Richter angehört; zumeist wird der nationale Richter dann auch als Berichterstatter bestellt. 6 Dieses Verfahren gilt als wenig transparent, vgl. Lenz, in: Dörr/Lenz, Rz. 567. 7 Ein Muster dieser brieflichen Mitteilung findet sich in EuGRZ 2003, 180. Kritisch hierzu Keller/Fischer/ Kühne, EJIL 21 (2010), 1025 (1046 f.). Zur Möglichkeit der Wiederaufnahme vgl. Art. 80 VerfO. 8 Explanatory Report to the CETS 194, Protocol No. 14, Rz. 68; vgl. auch Meyer-Ladewig, Art. 28 Rz. 9.
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Rz. 74 EMRK dern können, als ggf. der nationale Richter eingeladen wird, im Ausschuss mitzuwirken (vgl. Art. 28 Abs. 3 EMRK). Das Urteil gem. Art. 28 Abs. 1 lit. b EMRK wird genauso behandelt wie die Urteile der Kammern, insbes. gelten Art. 45 f. EMRK und Art. 74 ff. VerfO. Der überwiegende Teil der beim Gerichtshof registrierten Beschwerden endet in den Ausschüssen.1 4. Verfahren vor der Kammer; Anrufung der Großen Kammer Beschließt hingegen der Einzelrichter oder beschließt der Ausschuss nicht einstimmig die Unzulässigkeit der Beschwerde oder fällt der Ausschuss kein Urteil gem. Art. 28 Abs. 1 lit. b EMRK, so wird die Sache gem. Art. 53 Abs. 6 VerfO einer Kammer zugewiesen, die anders als Einzelrichter und Ausschuss über die volle Jurisdiktion verfügt.2 Die Kammer entscheidet – auf der Grundlage eines Votums des Berichterstatters – nach Art. 29 Abs. 1 EMRK sowohl über die Zulässigkeit einer Beschwerde als auch ggf. über deren Begründetheit. Die Zurücknahme einer Beschwerde ist dabei in jedem Verfahrensstadium zulässig, sofern der beklagte Staat hiergegen keine Einwendungen erhebt und Gründe der öffentlichen Ordnung (Art. 37 Abs. 1 EMKR) nicht entgegenstehen.3
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Bis zum Inkrafttreten des 14. ZP hatte gem. dem Wortlaut des Art. 29 Abs. 3 EMRK a.F. die Entscheidung über die Zulässigkeit gesondert zu ergehen, sofern nicht der Gerichtshof ausnahmsweise anders entschied. Der dennoch bereits damals zunehmenden Praxis, Zulässigkeit und Begründetheit in einem Schritt zu entscheiden,4 wurde zunächst lediglich durch Art. 54A VerfO Rechnung getragen, was im Widerspruch zum Konventionstext stand. Das 14. ZP hat dieses normative Spannungsverhältnis dadurch aufgelöst, dass Art. 29 Abs. 1 S. 1 EMRK nunmehr die zeitgleiche Entscheidung über Zulässigkeit und Begründetheit zum Regelfall erklärt. Die Möglichkeit einer gesonderten Zulässigkeitsprüfung wird gem. Art. 29 Abs. 1 S. 2 EMRK in das Ermessen der Kammer gestellt.
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Nach Art. 35 Abs. 3 lit. a EMRK erklärt der Gerichtshof (d.h. Einzelrichter, Ausschuss, Kammer oder Große Kammer) eine Individualbeschwerde ebenfalls für unzulässig, wenn er sie für offensichtlich unbegründet hält. Dieser Unzulässigkeitsgrund der offensichtlichen Unbegründetheit bildet in der Praxis den wichtigsten Filter zur Beschränkung der Fälle, in denen der EGMR schließlich in der Sache zu entscheiden hat.5 Er hat eine vergleichbare Funktion wie Annahme- oder Ablehnungstatbestände für Beschwerden bei nationalen Verfassungsgerichten (vgl. § 93a BVerfGG); im Unterschied zu diesen kommt es jedoch auf die Begründetheit an. Theoretisch soll eine Beschwerde vom EGMR erst dann im Blick auf offensichtliche Unbegründetheit überprüft werden, wenn alle anderen Zulässigkeitsvoraussetzungen (s. Rz. 88–118) erfüllt sind. Gleichwohl greift der Gerichtshof auf diesen Tatbestand auch bei unzulässigen Beschwerden zurück.6 Der Begriff der „Offensichtlichkeit“ ist nicht mit einem „auf den ersten Blick“ ersichtlichen Fehlen eines Beschwerdegrundes gleichzusetzen. Vielmehr kann eine eingehende Prüfung erforderlich sein. Entscheidend ist, dass der EGMR die Beschwerde letztlich klar für unbegründet hält, etwa weil diese nicht ausreichend substantiiert ist,7 der Tatsachenvortrag des Bf. nicht beweisbar erscheint,8 der Gerichtshof als „Super-Superrevisionsinstanz“ angerufen wird, um die unrichtige Anwendung innerstaatlichen Rechts zu rügen,9 oder weil offensichtlich keine Verletzung der EMRK stattgefunden hat.10 Solche Beschwerden werden mit der pauschalen Begründung zurückgewiesen, dass sie „manifestly ill-founded“ seien.11
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1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
Grabenwarter, EMRK, 4. Aufl. 2009, § 13 Rz. 1. Meyer-Ladewig, Art. 29 Rz. 2. EGMR, Entsch v. 20.11.2007 – Unilever, Nr. 32901/04, vgl. auch unten Rz. 92. Vgl. Entsch. des Plenums des EGMR v. 12.12.2001, in: Three Years’ Work for the Future. Final Report of the Working Party on Working Methods of the European Court of Human Rights, o. J., S. 53 (54). Ein Beispiel hierfür ist: EGMR, Urt. v. 23.7.2002 – Denli, Nr. 68117/01. Villiger, Rz. 146 m.w.N.; Schäfer, in: Karpenstein/Mayer, Art. 35 Rz. 116. Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 13 Rz. 50. Vgl. EGMR NJW 2002, 3453, Rz. 34 – Ferrazzini; Villiger, Rz. 153. Vgl. EGMR, Entsch. v. 5.9.2000 – Erdemli, Nr. 29495/95, Rz. 1. EGMR, Urt. v. 16.12.1992 – Edwards, Nr. 13071/87, Série A 247-B, Rz. 34; Entsch. v. 29.11.2001 – Johnson, Nr. 42246/98, Rz. 1. EGMR, Entsch. v. 8.1.2002 – Schultz, Nr. 50510/99, Rz. 1; aus jüngerer Zeit etwa EGMR EuGRZ 2013, 26 (27 f.) – Irini Lechouritou. Zur sog. „global formula“ vgl. Villiger, Rz. 156; Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 13 Rz. 52. Bedenklich sind freilich diejenigen Fälle, in denen eine Beschwerde nach einer ausführlichen mündlichen Verhandlung mit knapper Stimmenmehrheit als „offensichtlich“ unbegründet abgewiesen wird, vgl. Lenz, in: Dörr/ Lenz, Rz. 556.
Schmahl 137
EMRK Rz. 74a 74a
Seit Inkrafttreten des 14. ZP bietet Art. 35 Abs. 3 lit. b EMRK einen weiteren Grund für die Unzulässigkeit einer Individualbeschwerde, wenn ein sog. Trivialfall vorliegt (näher Rz. 117a). Diese Möglichkeit soll den EGMR von materiell unbedeutenden Beschwerden entlasten, die weder für den Menschenrechtsschutz im Allgemeinen noch für den individuellen Bf. von besonderer finanzieller oder inhaltlicher Bedeutung sind.1 Allerdings gilt Art. 35 Abs. 3 lit. b EMRK nicht für jene Beschwerden, die schon vor Inkrafttreten des 14. ZP für zulässig erklärt worden sind (vgl. Art. 20 Abs. 2 ZP 14). Ferner durften für eine zweijährige Übergangszeit (1.6.2010 bis 31.5.2012) nur Kammer und Große Kammer, nicht aber Einzelrichter und Ausschuss von dem Unzulässigkeitsgrund des Art. 35 Abs. 3 lit. b EMRK Gebrauch machen.2
74b
Erklärt die Kammer die Beschwerde nicht sofort für unzulässig (Art. 54 Abs. 1 VerfO), so wird die Beschwerde der Regierung des beklagten Staates zugestellt und diese aufgefordert, schriftlich dazu Stellung zu nehmen (Art. 54 Abs. 2 lit. b VerfO). Gleichwohl kann eine Beschwerde nach Art. 35 Abs. 4 EMRK noch in jedem (weiteren) Stadium des Verfahrens für unzulässig erklärt werden.3 Ist die Beschwerde aber bereits für zulässig erklärt worden, ist dies nur noch bei Vorliegen neuer Gesichtspunkte und unter außergewöhnlichen Umständen möglich.4 Zulässigkeitsentscheidungen werden durch eine Entscheidung („decision/décision“) und nicht durch Urteil getroffen.
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In jedem Verfahrensstadium hat die Kammer gem. Art. 30 EMRK die Möglichkeit, ein Verfahren an die Große Kammer (s. Rz. 66) zur Klärung einer Grundsatzfrage abzugeben. Voraussetzung hierfür ist, dass eine schwerwiegende Auslegungsfrage aufgeworfen wurde oder die Kammer von einer früheren Entscheidung des EGMR abweichen möchte und keine Partei der Abgabe widerspricht (Art. 30 EMRK, Art. 72 Abs. 1 VerfO). Widerspricht eine Partei5 – was gem. Art. 72 Abs. 4 VerfO gebührend begründet werden muss –, ist sie dennoch nicht daran gehindert, später das Urteil der Kammer vor der Großen Kammer nach Maßgabe des Art. 43 Abs. 1 EMRK im Wege einer rechtsmittelartigen Anrufung anzufechten.6 Die Urteile der Kammern werden drei Monate nach dem Datum der Entscheidung endgültig, es sei denn, die Verweisung der Rechtssache an die Große Kammer wurde ausnahmsweise beantragt (Art. 44 Abs. 2 lit. b EMRK).7 Über die Annahme der Verweisung – die einem Rechtsmittel gleichsteht8 – entscheidet ein aus fünf Richtern bestehender „Filterausschuss“ der Großen Kammer (Art. 73 Abs. 2 VerfO). Die Annahme erfolgt, wenn die Rechtssache entweder eine schwerwiegende Frage der Auslegung oder Anwendung der EMRK und der Zusatzprotokolle oder eine schwerwiegende Frage von allgemeiner Bedeutung aufwirft (Art. 43 Abs. 2 EMRK).9 Die Große Kammer entscheidet in der Sache durch Urteil, das gem. Art. 44 Abs. 1 EMRK unanfechtbar ist.
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Endgültige Urteile werden dem Ministerkomitee, im dem die Außenminister der Mitgliedstaaten des Europarates vertreten sind (vgl. Art. 14 Europarats-Satzung), zugeleitet. Dieses politsch agierende Gremium überwacht die Durchführung der Urteile (Art. 46 Abs. 2 EMRK).10 Setzt eine verurteilte Vertragspartei die Entscheidung des EGMR vollständig um (hierzu Rz. 122), wird die Rechtssache formal durch eine Resolution des Ministerkomitees abgeschlossen. Bei Verzögerungen oder gar fehlender Umsetzung ist die Rechtslage komplizierter.11 Bislang konnte sich das Ministerkomitee lediglich mit einer vorläufigen Resolution an die Öffentlichkeit wenden.12 Seit Inkrafttreten des 14. ZP ist es dem Ministerkomitee über 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
Vgl. Meyer-Ladewig, Art. 35 Rz. 54, sowie EGMR NJW 2010, 3081 – Korolev. Meyer-Ladewig, Art. 35 Rz. 1. Zu den Hintergründen vgl. Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 13 Rz. 53. ˇ ic ´. Deutlich EGMR NJW 2007, 347, Rz. 65 – Blec Vgl. EGMR RJD 2002-III, Rz. 32 – Cisse. Kritisch zum Widerspruchsrecht Schlette, ZaöRV 56 (1996), 905 (964). Art. 3 des gegenwärtig zur Zeichnung aufliegenden 15. ZP (vgl. Rz. 8 Fn. 12) sieht die Abschaffung des Widerspruchsrechts vor. Zur Einschaltung der Großen Kammer im Einzelnen Lenz, in: Dörr/Lenz, Rz. 594–598. Ein Beispiel für die Verweisung an die Große Kammer gem. Art. 43 EMRK ist etwa EGMR (GrK) EuGRZ 2005, 463, Rz. 9 – Öcalan. Das Urteil einer Kammer wird auch dann endgültig, wenn die Parteien erklären, eine Verweisung an die Große Kammer nicht zu beantragen (Art. 44 Abs. 2 lit. a EMRK), oder der Ausschuss der Großen Kammer den Verweisungsantrag nach Art. 43 EMRK ablehnt (Art. 44 Abs. 2 lit. c EMRK). Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 13 Rz. 68; im Einzelnen Pabel, EuGRZ 2006, 3 (8 f.). Eine Ablehnung der Verweisung muss nicht begründet werden, vgl. Art. 73 Abs. 2 S. 3 VerfO. Für die Anwendung von Art. 46 Abs. 2 EMRK hat das Ministerkomitee eine Verfahrensordnung beschlossen, vgl. Rules of the Committee of Ministers for the supervision of the execution of judgments and of the terms of friendly settlements, v. 10.5.2006, HRLJ 2006, 335. Im Einzelnen hierzu Lambert Abdelgawad, RTDH 2008, 647 (655 ff.). Einzelheiten bei Villiger, Rz. 234; Gollwitzer, Anhang, Rz. 78.
138 Schmahl
Rz. 79 EMRK das in Art. 46 Abs. 4 und Abs. 5 EMRK niedergelegte Überwachungsverfahren möglich, deutlich stärkeren politischen Druck auf die verurteilte Vertragspartei auszuüben und den „Ball“ sogar wieder an den Gerichtshof zurückzugeben, um erneute juristische Schritte einzuleiten.1 So kann das Ministerkomitee im Anschluss an ein Mahnverfahren mit Zweidrittelmehrheit beschließen, einen Antrag an den Gerichtshof zu stellen, der dann darüber zu befinden hat, ob der Staat seiner Verpflichtung nach Art. 46 Abs. 1 EMRK nachgekommen ist (vgl. Art. 46 Abs. 4 EMRK). Stellt der Gerichtshof, der in diesem „infringement proceeding“ durch die Große Kammer auf der Grundlage von Art. 94 bis Art. 99 VerfO durch Urteil entscheidet, eine Verletzung des Art. 46 Abs. 1 EMRK fest,2 gibt er die Sache an das Ministerkomitee zur Prüfung der zu treffenden Maßnahmen zurück. Wird keine Verletzung festgestellt, muss das Ministerkomitee die Einstellung seiner Prüfung beschließen (Art. 46 Abs. 5 EMRK). 5. Pflicht zur Zusammenarbeit mit dem Gerichtshof; Beweislast und Beweiserhebung Gemäß Art. 44A VerfO sind die Vertragsparteien (nicht nur die Parteien des Verfahrens!) verpflichtet, bei der Durchführung des Verfahrens mit dem Gerichtshof in vollem Umfang zusammenzuarbeiten, um eine geordnete Rechtspflege zu gewährleisten. Fehlende Mitwirkung ist freilich für sich genommen kein Grund für die Einstellung der Prüfung der Beschwerde (Art. 44C Abs. 2 VerfO). Hingegen kann der Kammerpräsident gem. Art. 44D VerfO den Prozessvertreter einer Partei, der missbräuchliche, leichtfertige, schikanöse, irreführende oder weitschweifige Stellungnahmen abgibt, vom Verfahren ausschließen oder die Annahme der Stellungnahmen ganz oder teilweise verweigern. Überdies kann der Gerichtshof auf Antrag oder von Amts wegen alle Beweise erheben, die er für geeignet hält, den Sachverhalt aufzuklären (vgl. Art. 44C Abs. 1 VerfO). Art. 38 EMRK spricht dabei von Ermittlungen („investigation“/„enquête“). Für die Beweislast gilt die allgemeine Regel des affirmanti incumbit probatio: wer eine für ihn günstige Behauptung aufstellt, muss diese belegen. Ausnahmen gelten dann, wenn ausschließlich die betroffene Vertragspartei über die entscheidungserheblichen Informationen verfügt. Aus der nicht erfolgten oder verspäteten Herausgabe solcher Informationen ohne Rechtfertigung schließt der EGMR regelmäßig auf die Begründetheit der gerügten Verletzung, nimmt also eine Umkehr der Beweislast an.3 Das notwendige Beweismaß ist nach st. Rspr. erfüllt, wenn es keine vernünftigen Zweifel mehr gibt.4 Dabei berücksichtigt der EGMR auch das Verhalten der betroffenen Vertragspartei.5
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6. Akteneinsicht Grds. sind die beim Kanzler verwahrten Schriftstücke der Öffentlichkeit zugänglich, es sei denn, der Präsident trifft eine andere Entscheidung (Art. 40 Abs. 2 EMRK). Weitere Ausnahmen in Bezug auf Akteneinsicht finden sich in Art. 33 Abs. 2 VerfO. Zudem sind diejenigen Unterlagen, die im Rahmen von Verhandlungen über eine gütliche Einigung vorgelegt wurden (s. Rz. 85), vom Recht der Akteneinsicht ebenso ausgeschlossen (Art. 62 Abs. 2 VerfO) wie die Verfahrensakten der Fälle, die vor dem 1.11.1998 bei der EKMR anhängig waren und im Zeitpunkt des Inkrafttretens des 11. ZP dem EGMR übertragen wurden (Art. 106 Abs. 4 VerfO). Ein Antrag auf Akteneinsicht muss sich auf konkrete Verfahren beziehen.6
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7. Beteiligung Dritter Die Vertragspartei, deren Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführer besitzt, ist in Verfahren vor der Kammer und der Großen Kammer berechtigt, schriftliche Stellungnahmen
1 Näher: Explanatory Report to the CETS 194, Protocol No. 14, Rz. 99 f.; E. Klein, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. VI/1, 2010, § 150 Rz. 140; Egli, ZaöRV 64 (2004), 759 (788 f.); Breuer, in: Karpenstein/Mayer, Art. 46 Rz. 87 ff. 2 Dabei geht es nur um die Frage, ob das Urteil befolgt worden ist; eine erneute Befassung mit der im Urteil festgestellten Konventionsverletzung findet nicht statt, vgl. Explanatory Report to the CETS 194, Protocol No. 14, Rz. 99. 3 EGMR, Urt. v. 18.6.2002 – Orhan, Nr. 25656/94, Rz. 266, 327. Vgl. auch EGMR, Urt. v. 20.7.2004 – Balogh, Nr. 47940/99, Rz. 47 ff., zu Beweisproblemen bei Verfahren wegen Verletzungen des Folterverbots gem. Art. 3 EMRK. 4 EGMR, Urt. v. 10.7.2001 – Avsar, Nr. 25657/94, Rz. 282. 5 EGMR EuGRZ 1979, 149, Rz. 161 – Irland v. Vereinigtes Königreich. Die Zulässigkeit von Beweismitteln ist nicht beschränkt; in der Praxis spielt die Heranziehung von Urkunden eine große Rolle. Näher MeyerLadewig, Art. 38 Rz. 11–14. 6 Kadelbach, in: Dörr/Grote/Marauhn, Kap. 30 Rz. 91.
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EMRK Rz. 80 abzugeben und an den mündlichen Verhandlungen teilzunehmen (Art. 36 Abs. 1 EMRK, Art. 44 Abs. 1 VerfO).1 Ferner kann der Kammerpräsident gem. Art. 36 Abs. 2 EMRK, Art. 44 Abs. 3 VerfO im Interesse der Rechtspflege jeder Vertragspartei und jeder betroffenen Person, die nicht Bf. ist (a amicus curiae), Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme oder Teilnahme an der mündlichen Verhandlung geben. So erhielten z.B. im Fall „Vo“ zwei Nichtregierungsorganisationen aus dem Bereich der Familienplanung Gelegenheit, ihre Auffassungen zur Beschwerdefähigkeit des nasciturus im Blick auf Art. 2 EMRK in das schriftliche Verfahren einzubringen.2 Als die Zulässigkeit der Jagd nach dem BJagdG auch auf Grundstücken solcher Eigentümer in Frage stand, die die Jagd prinzipiell ablehnen, gaben die Bundesarbeitsgemeinschaft der Jagdgenossenschaften und Eigenjagdbesitzer, der Deutsche Jagdschutzverband e.V. und das European Centre for Law and Justice Stellungnahmen ab.3 Beteiligen sich Dritte am Verfahren, werden sie gleichwohl nicht zu Parteien; deshalb sind sie von den Bindungswirkungen des Urteils gem. Art. 46 EMRK (vgl. Rz. 121) nicht erfasst.4 Mit dem 14. ZP ist auch dem Kommissar für Menschenrechte des Europarates ein Recht auf Drittbeteiligung eingeräumt worden (vgl. Art. 36 Abs. 3 EMRK; Art. 44 Abs. 2 VerfO). Insgesamt problematisch ist freilich, dass die Verfahrensstellung eines in eigenen Rechten betroffenen Dritten von den Regelungen der Art. 36 EMRK und Art. 44 VerfO nach wie vor nicht hinreichend erfasst ist, obwohl mehrpolige Rechtsverhältnisse (etwa bei Umgangsund Sorgerechtsstreitigkeiten) durchaus keine Seltenheit sind. Ein in eigenen Rechten betroffener Dritter kann nicht mit einem amicus curiae, sondern nur mit der Position des Bf. verglichen werden.5 8. Mündliche Verhandlung 80
Eine mündliche Verhandlung kann auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen sowohl über die Zulässigkeit (Art. 54 Abs. 5 VerfO) als auch über die Begründetheit (Art. 59 Abs. 3 VerfO) einer Beschwerde durchgeführt werden.6 Ablauf und Praxis der Verhandlung variieren dabei stark von Kammer zu Kammer.7 Diese Divergenz ist darauf zurückzuführen, dass die Entscheidung über die Durchführung der Verhandlung im Ermessen der zuständigen Kammer steht. Mittlerweile wird in den meisten Fällen ohne mündliche Verhandlung entschieden. Lediglich vor der Großen Kammer findet eine Verhandlung (noch) vergleichsweise häufig statt, wobei auch hier – bedingt durch die steigende Arbeitslast des Gerichtshofs – die Anzahl der durchgeführten Verhandlungen beständig abnimmt.8 Mündliche Verhandlungen vor dem EGMR sind gem. Art. 40 Abs. 1 EMRK, Art. 63 VerfO öffentlich; unter besonderen Umständen, die Art. 63 Abs. 2 VerfO definiert und die im Wesentlichen denen des Art. 6 Abs. 1 S. 2 EMRK gleichen (s. Rz. 28), können Presse und Öffentlichkeit aber ausgeschlossen werden. Die Verhandlungen werden in einer der Amtssprachen des EGMR abgehalten und in die jeweils andere Sprache simultan übersetzt.9 Wenn der Präsident dies genehmigt (Art. 34 Abs. 4 lit. a S. 2 VerfO), kann auch die Amtssprache eines Mitgliedstaats verwendet werden. Die Verhandlungen werden kurze Zeit später auf der Webseite des EGMR übertragen.10
1 Im Falle des Beitritts der EU zur EMRK soll in einem neuen Art. 36 Abs. 4 EMRK ein sog. „co-respondent mechanism“ eingeführt werden, der es der EU ermöglicht, sich als weitere Partei (d.h. als Mitbeschwerdegegner) am Verfahren zu beteiligen, wenn Rechtsakte in Streit stehen, für die nicht allein die Mitgliedstaaten, sondern auch die Union verantwortlich zeichnet, vgl. Art. 3 des Entwurfs des Beitrittsabkommens. Mit diesem Mechanismus soll vermieden werden, dass der EGMR über die (unionsinterne) Verteilung der Zuständigkeiten zwischen EU und ihren Mitgliedstaaten entscheidet; hierzu näher Polakiewicz, EuGRZ 2013, 472 (476–478). 2 EGMR EuGRZ 2005, 568, Rz. 60 ff. – Vo. 3 Vgl. EGMR, Urt. v. 26.6.2012 – Herrmann, Nr. 9300/07, Rz. 66–71. Auch die Venedig-Kommission ist in der Vergangenheit gelegentlich als amicus curiae beteiligt worden, obgleich sie den Tatbestand des Art. 36 Abs. 2 EMRK dem Wortlaut nach nicht erfüllt, vgl. Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 13 Rz. 41. 4 E. Klein, Studies in Memory of Rolv Ryssdal, 2000, S. 705 (706); Ress, in: Macdonald/Matscher/Petzold (Hrsg.), The European System for the Protection of Human Rights, 1993, S. 802 f. 5 Mit Recht wird daher eine Anpassung des Verfahrensrechts des Gerichtshofs gefordert, vgl. Wenzel, in: Karpenstein/Mayer, Art. 36 Rz. 10; Robbers, in: FS Meinhard Schröder, 2012, S. 371 (379 f.), WittlingVogel, in: Leutheusser-Schnarrenberger (Hrsg.), Vom Recht auf Menschenwürde, 2013, S. 241 (254 ff.). 6 Hierzu im Einzelnen Meyer-Ladewig, Studies in Memory of Rolv Ryssdal, 2000, S. 921. 7 Im Einzelnen hierzu Lenz, in: Dörr/Lenz, Rz. 576. 8 Vgl. Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 13 Rz. 69. 9 Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 13 Rz. 71; näher Weston, FS Wiarda, 1988, S. 679 f. 10 Vgl. http://www.echr.coe.int/echr/Homepage_EN.
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Rz. 85 EMRK 9. Vorläufiger Rechtschutz Eine Individualbeschwerde hat weder aufschiebende Wirkung gegen den streitgegenständlichen Hoheitsakt noch kann mit ihr dessen Vollstreckung verhindert werden. Die Entscheidungen des EGMR haben lediglich Feststellungswirkung (s. Rz. 121). Allerdings kann die zuständige Kammer oder ihr Präsident den Parteien eines Verfahrens gem. Art. 39 VerfO vorläufige Maßnahmen bezeichnen, die im Interesse der Partei oder eines ordnungsgemäßen Verfahrensablaufs ergriffen werden sollten. Die Kammer kann von den Parteien auch Informationen zur Durchführung der empfohlenen Maßnahmen anfordern (Art. 39 Abs. 3 VerfO).1 Soweit dies angebracht erscheint, kann das Ministerkomitee gem. Art. 39 Abs. 2 VerfO informiert werden. Der Präsident kann gem. Art. 32 VerfO Verfahrensanordnungen erlassen, in denen praktische Fragen der Form und Übermittlung des Eilantrags geregelt werden.2
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In der Praxis werden vorläufige Maßnahmen ausschließlich dann eingesetzt, wenn ein glaubhaftes und unmittelbar bevorstehendes Risiko eines irreparablen Schadens besteht.3 Im Rahmen von Art. 39 VerfO werden die beklagten Staaten sodann ersucht, die von dem Bf. angegriffenen Maßnahmen während des Verfahrens bis zu einer Entscheidung des Gerichtshofs nicht zu vollziehen. Bisher sind vorläufige Maßnahmen vor allem empfohlen worden, wenn ein erhebliches Risiko einer Verletzung der in Art. 2 oder Art. 3 EMRK niedergelegten Fundamentalgarantien bestand. Typischerweise handelt es sich um Ausweisungsfälle, bei denen dem Ausgewiesenen Misshandlungen oder Todesstrafe drohen.4 In Bezug auf andere Vorschriften werden vorläufige Maßnahmen nur sehr selten ergriffen, auch wenn die Rechtsfolgen faktisch oder rechtlich irreversibel sein mögen.5
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Entgegen seiner früheren Judikatur6 geht der Gerichtshof seit der Rs. „Mamatkulov“ nunmehr davon aus, dass wegen der Effektivität des Rechtsschutzsystems einstweilige Maßnahmen als verbindlich anzusehen sind.7 Die Befolgung der einstweiligen Anordnung sei Bedingung für die wirksame Ausübung des Beschwerderechts und letztlich für die Wirksamkeit des in der Konvention vorgesehenen Schutzes. Nur durch die Beachtung der vorläufigen Maßnahme habe der Mitgliedstaat die Möglichkeit, seiner Pflicht zur Befolgung eines Endurteils des EGMR nachzukommen.8 Bei Missachtung der gerichtlichen Empfehlungen nimmt der EGMR eine Verletzung von Art. 34 EMRK an.9
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Ferner stehen mit der sofortigen Mitteilung an einen Beschwerdegegner in dringenden Fällen (Art. 40 VerfO) und der vorrangigen Behandlung einer Beschwerde (Art. 41 VerfO) dem Gerichtshof zwei weitere Verfahrensinstrumente zur Verfügung, die zur Aussetzung des Vollzugs einer streitgegenständlichen Maßnahme führen können.10 Häufig greift der EGMR in solchen Fällen auch zu informellen Lösungsstrategien und setzt sich dazu mit dem Bf. oder dem Bevollmächtigten in Verbindung;11 insoweit ähnelt diese Praxis derjenigen des BVerfG im Falle eines Antrags nach § 32 BVerfGG.
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10. Schlichtungsverfahren Die EMRK ist ein völkerrechtliches Instrument zur konkreten Streitschlichtung; daher wird die gütliche Einigung der Streitparteien gesondert betont (Art. 39 EMRK, Art. 62 1 Vgl. z.B. EGMR, Urt. v. 7.3.2006 – Evans, Nr. 6339/05, Rz. 37, wo die beteiligte Regierung aufgefordert wurde, die Vernichtung von Embryonen zu verhindern. 2 Die zu Art. 39 VerfO bestehende Verfahrensanordnung („Pratice Direction: Request for Interim Measures“) v. 5.3.2003, zuletzt geändert am 7.7.2011, ist erhältlich unter http://www.echr.coe.int. 3 EGMR EuGRZ 1991, 203, Rz. 53 – Cruz Varas. 4 EGMR EuGRZ 1989, 314, Rz. 77 – Soering; EuGRZ 1991, 203, Rz. 53 – Cruz Varas; RJD 1997-III, Rz. 3 – D.; NVwZ 2012, 681, Rz. 248 ff. – Sufi und Elmi. 5 Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 12 Rz. 2. 6 EGMR EuGRZ 1991, 203, Rz. 102 – Cruz Varas. Kritisch dazu Oellers-Frahm, EuGRZ 1991, 197 ff.; Wittinger, NJW 2001, 1238 (1241). 7 EGMR EuGRZ 2003, 704, Rz. 111 – Mamatkulov. Hierzu Oellers-Frahm, EuGRZ 2003, 689 (691 f.); Peters/ Altwicker, EMRK, § 35 Rz. 61. 8 EGMR EuGRZ 2003, 704, Rz. 107 – Mamatkulov; bestätigt durch EGMR (GrK) EuGRZ 2005, 357, Rz. 128 – Mamatkulov. 9 Vgl. EGMR NVwZ 2008, 761, Rz. 119 ff. – Al-Moayad, wobei hier ein Verstoß im Ergebnis nicht festgestellt wurde, da die Bundesregierung (in Vertretung des beklagten Staates Deutschland) von dem Antrag gem. Art. 39 VerfO keine Kenntnis hatte. Vgl. aber auch EGMR, Urt. v. 2.3.2010 – Al Saadoon, Nr. 61498/08, Rz. 160 ff. (Verletzung von Art. 34 EMRK wegen Missachtung der einstweiligen Anordnung). 10 IK/Rogge, Art. 34 Rz. 35; Lenz, in: Dörr/Lenz, Rz. 578 f. 11 Schorkopf, in: Grote/Marauhn (1. Aufl.), Kap. 30 Rz. 83.
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EMRK Rz. 86 VerfO). Sobald eine Beschwerde für zulässig erklärt wird, hat der Kanzler mit den Parteien (zugleich) auch Kontakt über eine einvernehmliche Streitbeilegung aufzunehmen. Das Schlichtungsverfahren ist formlos1 und gem. Art. 39 Abs. 2 EMRK vertraulich. Scheitert der Versuch einer gütlichen Einigung, wird das förmliche Beschwerdeverfahren fortgesetzt. Dabei dürfen Stellungnahmen der Parteien aus dem gescheiterten Schlichtungsverfahren nicht verwendet werden.2 Bei einer erfolgreichen Einigung erhalten die Bf. regelmäßig eine Geldsumme als Entschädigung, die die betroffene Vertragspartei ohne Anerkennung einer Rechtsverletzung gewährt.3 Die Entscheidung über die gütliche Einigung hat die Streichung der Sache im Register zur Folge; die Entscheidung wird dem Ministerkomitee zugleitet, das die Durchführung des Vergleichs überwacht (Art. 39 Abs. 4 EMRK). Trotz Einigung der Parteien kann der Gerichtshof das Verfahren dann fortsetzen, wenn er der Ansicht ist, dass die Achtung der Menschenrechte dies erfordert (vgl. Art. 37 Abs. 1 EMRK; Art. 62 Abs. 3 VerfO; s. auch Rz. 92).4 11. Verfahrenskosten und Prozesskostenhilfe 86
Das Verfahren vor dem EGMR ist (noch) gerichtskostenfrei.5 Selbst in Missbrauchsfällen, die die Zurückweisung der Beschwerde als unzulässig zur Folge haben (vgl. Rz. 117), werden dem Bf. von Seiten der Konventionsorgane keine Kosten auferlegt. Der Bf. hat im Fall des Unterliegens nur seine eigenen Kosten und Auslagen zu tragen; der Beschwerdegegner trägt seine Kosten und Auslagen selbst.6 Hat der Beschwerdeführer vor dem Gerichtshof Erfolg, werden ihm im Rahmen der Entscheidung nach Art. 41 EMRK (s. Rz. 118) die Kosten und Auslagen erstattet, die tatsächlich und notwendigerweise entstanden sind, um eine Verletzung der Konvention zu verhindern oder Wiedergutmachung für sie zu erlangen. Kosten und Auslagen müssen in ihrer Höhe aber angemessen sein.7 Erstattungsfähig sind auch die Kosten für die Vorbereitung der Rechtssache sowie für Reise und Unterkunft. Als Honorar für Prozessbevollmächtigte hat der EGMR einen Stundensatz von durchschnittlich 130 Euro sowie Pauschalhonorare zwischen 5 000 und 15 000 Euro anerkannt.8 Allerdings kommt es auch vor, dass der EGMR bei einer hohen Gesamtstundenzahl den erstattungsfähigen Zeitaufwand aus Billigkeitserwägungen herabsetzt. Die überschießenden Kosten für den Rechtsbeistand – etwa wenn dieser auf der Grundlage von Honorarvereinbarungen tätig wird – hat der Beschwerdeführer selbst zu tragen.9
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Für das Verfahren der Individualbeschwerde kann natürlichen Personen Prozesskostenhilfe auf Antrag oder von Amts wegen durch den Präsidenten der Kammer gewährt werden (Kap. XI VerfO). Voraussetzung hierfür ist, dass die Prozesskostenhilfe für die ordnungsgemäße Prüfung der Rechtssache vor der Kammer notwendig (Art. 101 lit. a VerfO) und der Bf. bedürftig ist (Art. 101 lit. b VerfO). Für die Feststellung der Bedürftigkeit – die vorliegt, wenn der Bf. nicht über ausreichende Mittel verfügt, um die anfallenden Kosten ganz oder teilweise zu begleichen – hat der Bf. ein Erklärungsformular einzureichen. In diesem Formular müssen Angaben über das Einkommen, das Kapitalvermögen und finanzielle Verpflichtungen gemacht und von den zuständigen nationalen Behörden bestätigt werden (Art. 102 Abs. 1 VerfO). Bei Bf. aus Deutschland genügt jedoch regelmäßig eine Erklärung i.S.d. § 117 1 Villiger, Rz. 219. 2 Vgl. Art. 62 Abs. 2 VerfO. Eingehend zum Schlichtungsverfahren Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 13 Rz. 62–63; vgl. auch EGMR, Entsch. v. 11.9.2007 – Oleksiw, Nr. 31384/02. Nicht verboten ist es indes, Unterlagen, die sich auf Vergleichsverhandlungen beziehen, einem Dritten, etwa einem Rechtsanwalt, zu zeigen. Die Vertraulichkeit verbietet es aber, streitige Informationen zu publizieren, vgl. EGMR, Urt. v. 15.9.2009 – Mirolubovs u.a., Nr. 798/05, Rz. 68. 3 Vgl. etwa EGMR, Entsch. v. 13.3.2007 – Grimm, Nr. 27696/05, sowie EGMR, Entsch. v. 27.11.2007 – Krächan, Nr. 39644/03. Detailliert zu den inhaltlichen Anforderungen an eine gütliche Einigung bzgl. einer gerechten Entschädigung zwischen den Parteien nach einem „Piloturteil“ EGMR EuGRZ 2005, 563, Rz. 33 ff. – Broniowski. 4 Beispiel: EGMR EuGRZ 1979, 162, Rz. 24 – Tyrer. Gegenbeispiel (kein Erfordernis): EGMR NJW 2010, 3081 (3082 f.) – Korolev. 5 Es gibt gegenwärtig Bestrebungen, Gerichtsgebühren einzuführen, vgl. Schäfer, in: Karpenstein/Mayer, Art. 34 Rz. 9. 6 Schorkopf, in: Grote/Marauhn (1. Aufl.), Kap. 30 Rz. 84. 7 EGMR ÖJZ 1995, 949, Rz. 77 – Tolstoy Miloslavsky; EuGRZ 1999, 453, Rz. 80 – Bladet Tromsø und Stensaas; jüngst etwa EGMR NVwZ 2010, 1015, Rz. 65 – Bayer. 8 Vgl. Schorkopf, in: Grote/Marauhn (1. Aufl.), Kap. 30 Rz. 84; ebenso Kadelbach, in: Dörr/Grote/Marauhn, Kap. 30 Rz. 88. Weitere Beispiele bei Meyer-Ladewig, Art. 41 Rz. 33–34. Nationale Gebührensätze werden als nicht maßgeblich angesehen, wobei der Gerichtshof sich daran aber orientieren kann, vgl. EGMR NJW 2001, 1995 – Baskaya und Okcuoglu. 9 Zur Anordnung der Kostenerstattung im Einzelnen Gollwitzer, Anhang, Rz. 73.
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Rz. 89 EMRK Abs. 2 ZPO.1 Die finanzielle Hilfe kann für Honorare von Prozessbevollmächtigten und notwendige Auslagen gewährt werden (Art. 103 VerfO); die Sätze sind standardisiert.2 Die Entscheidung über die Gewährung von Prozesskostenhilfe trifft der Kammerpräsident (Art. 102 Abs. 3, Art. 105 VerfO); deren Abwicklung obliegt nach Art. 102 Abs. 3 S. 2, Art. 104 VerfO dem Kanzler. III. Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Individualbeschwerde Im Rahmen der Entscheidung über die Zulässigkeit von Individualbeschwerden hat der EGMR verschiedene Prozessvoraussetzungen zu prüfen. Diese müssen kumulativ vorliegen.
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1. Parteifähigkeit des Beschwerdeführers Gemäß Art. 34 EMRK kann jede natürliche Person sowie jede nichtstaatliche Organisation oder Personengruppe den EGMR befassen. Natürliche Personen sind grds. ungeachtet ihres Alters,3 ihrer Geschäftsfähigkeit4 und ihrer Staatsangehörigkeit5 Träger der Konventionsrechte. Inwieweit und in Bezug auf welche Konventionsrechte der nasciturus parteifähig ist, ist bislang nicht entschieden worden.6 Der Begriff der nichtstaatlichen Organisation ist unabhängig von der innerstaatlichen Rechtsfähigkeit weit auszulegen und umfasst neben juristischen Personen auch Gebilde ohne eigene Rechtspersönlichkeit wie nicht rechtsfähige Vereine und Handelsgesellschaften.7 Die Parteifähigkeit nichtstaatlicher Organisationen ist allerdings insoweit eingeschränkt, als die in der Konvention verankerten Rechte ihrer Natur nach auf diese anwendbar sein müssen.8 Dieses Erfordernis ergibt sich schon daraus, dass nach Art. 34 EMRK eine der Zulässigkeitsvoraussetzungen die Opfereigenschaft des Bf. ist (s. Rz. 93–97). Juristische Personen des Privatrechts sind unproblematisch parteifähig, soweit sie eigene Rechte geltend machen.9 Juristische Personen des öffentlichen Rechts sind regelmäßig Grundrechtsadressaten und deshalb nicht parteifähig. Ausnahmen gelten nach der Judikatur des EGMR aber dann, wenn sie nicht als staatliche Organe handeln, also keine Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnehmen.10 Dieses Erfordernis entspricht im Wesentlichen der Rspr. des BVerfG zur Beteiligtenfähigkeit juristischer Personen des öffentlichen Rechts im Verfassungsbeschwerdeverfahren.11 Auch politische Parteien sind parteifähig, soweit sie eigene Rechte geltend machen; ihre Auflösung steht der Parteifähigkeit nicht entgegen.12 Der Begriff der Personengruppe erfasst nichtorganisierte, i.d.R. ein gemeinsames Interesse verfolgende Gruppierungen ohne eigene Rechtsfähigkeit.13 Im Fall von Beschwerden durch eine solche Personengruppe muss jedes Gruppenmitglied eigene Rechte geltend machen und sämtliche Zulässigkeitsvoraussetzungen erfüllen.14 Die Beschwerde 1 Lenz, Die Anwendung der Europäischen Menschenrechtskonvention, 2000, S. 30. 2 Gollwitzer, Anhang, Rz. 19. Beträge, die der Bf. im Wege der Prozesskostenhilfe erhalten hat, werden von der Entschädigung nach Art. 41 EMRK abgezogen, vgl. etwa EGMR NJW 2001, 1991 – Ogur. 3 EGMR EuGRZ 1979, 454 – Marckx. 4 EGMR EuGRZ 1979, 650, Rz. 10 – Winterwerp; Urt. v. 26.3.1985 – X u. Y, Nr. 8978/80, Série A 91, Rz. 7 ff. 5 EGMR ÖJZ 1997, 231, Rz. 8 und Rz. 31 – Ahmed. 6 Vgl. einerseits EGMR, Urt. v. 5.9.2002 – Boso, Nr. 50490/99, Rz. 2; andererseits EGMR EuGRZ 2005, 568, Rz. 75 ff. – Vo; EGMR, Urt. v. 10.4.2007 – Evans, Nr. 6339/05, Rz. 53 ff. Zur Abtreibungsproblematik jüngst EGMR (GrK) Urt. v. 16.12.2010 – A. B. und C., Nr. 25579/05. 7 Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 13 Rz. 11; IK/Rogge, Art. 34 Rz. 127. 8 IK/Rogge, Art. 34 Rz. 129; Kadelbach, in: Dörr/Grote/Marauhn, Kap. 30 Rz. 21. Vgl. exemplarisch EGMR, Entsch. v. 18.9.2007 – Griechische Kirchengemeinde München und Bayern e.V., Nr. 52336/99. 9 Vgl. nur EGMR, Urt. v. 20.5.1995 – British-American Tobacco Company Ltd, Nr. 46/1994/493/575, Série A 331, sowie EGMR ÖJZ 2002, 855 – VgT Verein gegen Tierfabriken. 10 EGMR ÖJZ 1995, 432, Rz. 49 – The Holy Monasteries; RJD 1999-VIII – La Section de Commune d’Antilly; ÖJZ 2001, 774, Rz. 72 – Cha’are Shalom ve Tsedek; Entsch. v. 23.9.2003 – Radio France, Nr. 53984/00, Rz. 26; Urt. v. 18.12.2008 – Unedic, Nr. 20153/04, Rz. 54 ff. 11 Vgl. etwa BVerfGE 68, 193 (207) – Innungsverband. 12 Dies gilt unabhängig davon, ob die Partei vom Staat aufgelöst wird (EGMR RJD 1998-I, Rz. 33 – Vereinigte Kommunistische Partei der Türkei) oder ob sie sich selbst aufgelöst hat (EGMR RJD 1999-VIII, Rz. 26 – ÖZDEP). Auch kann eine Partei rügen, dass gegen Art. 3 ZP Nr. 1 deshalb verletzt sei, weil ein Bewerber an der Kandidatur auf der Liste gehindert worden sei, vgl. EGMR, Urt. v. 8.7.2008 – Georgian Labour Party, Nr. 9103/04, Rz. 72. 13 EGMR RJD 2000-X, 361, Rz. 1 und 36 – APEH Üldözötteinek Szövetsége u.a.; ferner Schäfer, in: Karpenstein/Mayer, Art. 34 Rz. 48. 14 Peukert, in: Frowein/Peukert, Art. 34 Rz. 17; Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 13 Rz. 15; Zwaak, in: van Dijk/ van Hoof/van Rijn/Zwaak, S. 46.
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EMRK Rz. 90 muss von allen Mitgliedern der Gruppe unterzeichnet sein.1 Im Grunde handelt es sich hier um ein Bündel einzelner Beschwerden natürlicher Personen. 2. Prozessfähigkeit und Prozessvertretung 90
In der Frage der Prozessfähigkeit gibt es keine starren Regeln. Minderjährige und Geschäftsunfähige werden i.d.R. von der sorge- oder vertretungsberechtigten Person repräsentiert.2 Ein Vertretungszwang besteht jedoch nach Ansicht des EGMR selbst bei Geschäftsunfähigen nicht.3 Unter bestimmten Umständen kann außerdem eine Person, die nach innerstaatlichem Recht nicht zur Vertretung einer anderen Person berechtigt ist, vor dem Gerichtshof in deren Namen handeln. Dies gilt etwa für die natürlichen Eltern eines in staatlicher Pflegschaft stehenden Kindes.4 Zur Prozessvertretung vgl. Rz. 70.
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Verstirbt der Beschwerdeführer im Laufe des Verfahrens, geht zwar seine Prozess-, nicht aber seine Parteifähigkeit verloren. Deshalb kann die Beschwerde von den Erben5 oder nahen Verwandten6 fortgesetzt werden, wenn diese ein berechtigtes Interesse daran haben7 oder wenn die Beschwerde von allgemeiner Bedeutung ist.8 Ein berechtigtes Interesse liegt vor, wenn den Erben oder nahen Verwandten durch die behauptete Konventionsverletzung ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist, der diese belastet. Dies ist etwa der Fall, wenn der Beschwerdeführer bei Feststellung einer Verletzung Aussicht auf eine (finanzielle) Entschädigung gem. Art. 41 EMRK gehabt hätte.9 Ein finanzielles Interesse der Erben liegt auch vor, wenn dem Bf. eine Geldstrafe auferlegt wurde, die dieser noch zu Lebzeiten bezahlt hat.10 Der erforderliche materielle Schaden muss den Erben somit nicht unmittelbar selbst belasten; es genügt, wenn sich der Schaden auf das Vermögen des Bf. ausgewirkt hat. Auch die Kosten des Straßburger Verfahrens selbst dürften als Schaden der Erben gewertet werden.11 Nahe Verwandte oder Erben können auch ein immaterielles Interesse an der Fortsetzung der Beschwerde haben, um zu erreichen, dass dem ehemaligen Bf. nach seinem Tod Gerechtigkeit widerfährt oder er rehabilitiert wird.12 Ein solches moralisches Interesse hat der EGMR im Falle des ehemaligen italienischen Premierministers Craxi bejaht. Dieser hatte eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 8 EMRK gerügt, weil seine Telefongespräche abgehört und Teile hiervon in der Presse veröffentlicht worden waren. Nach dem Tod des Bf. bejahte der EGMR ein moralisches Interesse der Witwe und der Kinder an der Feststellung, ob Art. 8 EMRK verletzt wurde.13 Nicht vom berechtigten Interesse erfasst werden freilich höchstpersönliche Rechte des verstorbenen Beschwerdeführers.14 Die Stellung als Prozessbevollmächtigter verleiht grds. kein legitimes Interesse zur Verfahrensfortsetzung.15
1 Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 13 Rz. 15. 2 EGMR EuGRZ 1979, 454, Rz. 1 – Marckx; NJW 2003, 1921 (1921 f.) – Petersen. 3 Deutlich EGMR, ÖJZ 2010, 92, Rz. 39 – Zehentner; vgl. auch Urt. v. 27.4.2010 – Moretti und Benedetti, Nr. 16138/07. 4 EGMR ÖJZ 2002, 74, Rz. 138 – Scozzari; ÖJZ 1989, 666, Rz. 56 f. – Nielsen. Vgl. auch EGMR, Urt. v. 21.11. 2006 – Roda und Bonfati, Nr. 10427/02, Rz. 82. 5 Als Erben erkennt der EGMR auch Personen an, die ein Anrecht auf die Erbschaft glaubhaft machen können, deren Erbenstellung im innerstaatlichen Recht aber noch nicht abschließend festgestellt ist, vgl. EGMR, Urt. v. 13.12.2000 – Malhous, Nr. 33071/96, Rz. 1. 6 Nahe Verwandte sind jedenfalls Eltern, Kinder oder Ehegatten, vgl. EGMR ÖJZ 1994, 709, Rz. 31 – Scherer. Neffen (EGMR, Urt. v. 13.12.2000 – Malhous, Nr. 33071/96) und Vetter des Bf. (EGMR, Urt. v. 13.7.2010 – Kuric u.a., Nr. 26828/06, Rz. 277) sind hingegen keine nahe Verwandten i.S.d. Konvention. 7 EGMR EuGRZ 1980, 667, Rz. 37 – Deweer; RJD 1997-IV, Rz. 20 – Anne-Marie Andersson; RJD 2000-IX, Rz. 41 – Jecius. Vgl. bereits EKMR EuGRZ 1978, 314, Rz. 1 – Ensslin, Baader und Raspe. 8 EGMR EuGRZ 1984, 147, Rz. 10 und 73 – Silver. 9 Z. B. in Fällen, die das Recht auf angemessene Verfahrensdauer (EGMR, Urt. v. 24.5.1991 – Vocaturo, Nr. 11891/85, Série A 206-C, Rz. 2; Urt. v. 16.4.2002 – Goc, Nr. 48001/99, Rz. 27) oder die Rechtmäßigkeit der Haft (EGMR RJD 2000-IX, Rz. 41 – Jecius) betreffen. 10 EGMR RJD 1996-V, Rz. 26 – Sadik. 11 Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 13 Rz. 8. 12 EGMR, Urt. (GrK) v. 13.12.2000 – Malhous, Nr. 33071/96, The Law, A. („moral dimension“). Vgl. auch EGMR, Urt. v. 17.5.2005 – Horváthova, Nr. 74456/01, Rz. 26; Urt. v. 29.7.2010 – Streltsov, Nr. 8549/06, Rz. 39. 13 EGMR, Entsch. V. 7.12.2000 – Craxi, Nr. 25337/94, Rz. 1. Ähnlich in Bezug auf Art. 10 EMRK EGMR RJD 1996-V, Rz. 26 – Sadik. 14 Vgl. EKMR, Entsch. v. 16.4.1996 – M.F., Nr. 28221/95, wo es um das Zugangsrecht der Beschwerdeführerin zu ihren Urenkeln ging. 15 EGMR, Entsch. v. 29.4.2003 – Erdogan, Nr. 28492/95, Rz. 37 ff.
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Rz. 94 EMRK Ein berechtigtes Interesse ist ferner anzunehmen, wenn die in dem Fall aufgeworfene Rechtsfrage allgemeine Bedeutung hat, weil sie auch andere Personen betrifft.1 Ein solches allgemeines Interesse an der Fortsetzung einer Beschwerde ist gegeben, wenn die gerügte Verletzung über den individuellen Fall hinausreicht, etwa weil sie auf eine bestimmte Rechtslage oder Rechtspraxis zurückgeht und eine Fortsetzung notwendig erscheint, um deren Konventionsmäßigkeit oder Konventionswidrigkeit festzustellen.2 Schließlich kommt eine Fortsetzung des Verfahrens in Betracht, wenn es gem. Art. 37 Abs. 1 S. 2 EMRK die Achtung der Menschenrechte im Allgemeinen erfordert. Die Aufgabe des EGMR besteht nicht nur in der Gewährleistung von Individualschutz, sondern auch in der Wahrung und Fortentwicklung der Standards des regionalen Menschenrechtsschutzes schlechthin.3 Eine derart „wichtige Frage allgemeinen Interesses“ nahm der EGMR etwa unter Hinweis auf die Intervention einer internationalen Homosexuellenvereinigung im Fall einer Diskriminierung Homosexueller im österreichischen Mietrecht an.4 Deshalb konnte das Verfahren nach dem Tod des Bf. von seinem Prozessvertreter fortgeführt werden, obwohl die Mutter als einzige Erbin das Verfahren nicht weiterführen wollte.
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3. Opfereigenschaft des Beschwerdeführers Eine Popularbeschwerde oder abstrakte Normenkontrolle ist nach der EMRK generell unzulässig.5 Der Beschwerdeführer muss vielmehr gem. Art. 34 EMRK behaupten, in einem der Konventionsrechte verletzt zu sein. Opfer einer Konventionsverletzung ist der Beschwerdeführer, wenn er betroffen und beschwert ist.6 Nicht erforderlich ist dabei, dass der Beschwerdeführer einen konkreten Schaden nachweist;7 hierauf kommt es nur im Rahmen der Prüfung einer gerechten Entschädigung gem. Art. 41 EMRK an. Die Opfereigenschaft ist anzunehmen, wenn der Bf. substantiiert und schlüssig vorträgt, durch den angegriffenen Hoheitsakt oder die Unterlassung hoheitlichen Handelns in einem bestimmten Konventionsrecht verletzt zu sein.8 Der Opferbegriff muss dabei unabhängig von entsprechenden Begriffen im staatlichen Recht ausgelegt werden.9 Bedenken an dem Vorliegen der Beschwerdefähigkeit muss der Beschwerdegegner (s. Rz. 98) bis zur Entscheidung über die Zulässigkeit der Beschwerde vorbringen; anderenfalls ist er mit dieser Einrede präkludiert („estopped“).10
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Die Betroffenheit liegt regelmäßig vor, wenn Beschwerdegegenstand eine an den Beschwerdeführer unmittelbar gerichtete hoheitliche Maßnahme ist. Zur Annahme einer Beschwer bedarf es nicht des Vollzugs der angegriffenen Entscheidung; diese ist spätestens mit der Rechtskraft der Maßnahme gegeben.11 Der rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe Verurteilte ist also bereits vor Strafantritt, der Ausgewiesene bereits vor der Abschiebung beschwert.12 Sogar vor Eintritt der Rechtskraft kann eine unmittelbare Beschwer gegeben sein, wenn der sofortige Vollzug die Verletzung auslöst, was bei der Auslieferung, Ausweisung oder Abschiebung der Fall sein kann.13 Auch die Androhung der Beschlagnahme einer Sache (etwa einer Telefonanlage) kann die Opfereigenschaft begründen.14 Desgleichen kann die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens zu einer Beschwer führen.15 In diesen Fällen ist aber Voraussetzung, dass die befürchtete Verletzung vorhersehbarer und schwerwiegender Natur
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1 EGMR, Urt. (GrK) v. 13.12.2000 – Malhous, Nr. 33071/96, The Law, A.; EGMR EuGRZ 1980, 667, Rz. 38 – Deweer. 2 Die Schwelle für die Annahme eines allgemeinen Interesses liegt freilich hoch, vgl. EKMR, Entsch. v. 26.2. 1997 – Juklerod, Nr. 26255/95. 3 EGMR EuGRZ 1983, 633, Rz. 86 – Guzzardi; ÖJZ 2004, 36, Rz. 26 f. – Karner. 4 EGMR ÖJZ 2004, 36, Rz. 27 – Karner; vgl. auch EGMR NVwZ 2012, 290 – Hafid Ouardiri. 5 Peukert, in: Frowein/Peukert, Art. 34 Rz. 22; Villiger, Rz. 149; Schäfer, in: Karpenstein/Mayer, Art. 34 Rz. 61. 6 EKMR EuGRZ 1986, 444 – Akdogan; Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 13 Rz. 16. 7 Vgl. etwa EGMR, Urt. v. 18.6.1971 – De Wilde, Ooms und Versyp, Série A 12, Rz. 23 f.; EuGRZ 1990, 255, Rz. 47 – Groppera Radio; Urt. v. 5.10.2006 – Moskauer Zweig der Heilsarmee, Nr. 72881/01, Rz. 65. Abweichend aber EGMR, Urt. v. 15.7.1982 – Eckle, Nr. 8130/78, Série A 51, Rz. 6. 8 Vgl. EGMR NJW 2007, 41, Rz. 62 f. – Siliadin; vgl. auch Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 13 Rz. 16. 9 EGMR NVwZ 2012, 289 – Hafid Ouardiri. 10 EGMR RJD 1997-VII, 2546, Rz. 44 – Zana. Der Präklusionsgrundsatz gilt auch für die Zulässigkeitsvoraussetzung der Erschöpfung innerstaatlicher Rechtsbehelfe. 11 Peukert, in: Frowein/Peukert, Art. 34 Rz. 23; IK/Rogge, Art. 34 Rz. 266. 12 Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 13 Rz. 17. Vgl. auch EGMR NVwZ 2008, 979, Rz. 93 – Sisojeva u.a. 13 Instruktiv EGMR, Urt. v. 15.6.2006 – Shedanova, N. 58822/00, Rz. 44 ff. 14 EGMR, Entsch. v. 18.1.2001 – Zaoui, Nr. 41615/98. 15 EGMR ÖJZ 1998, 875, Rz. 26 – Bowman.
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EMRK Rz. 95 ist sowie zu irreparablen Schäden führen kann.1 Nicht erforderlich ist, dass die Beschwer noch andauert; es genügt, dass der Hoheitsakt einmal ergangen ist.2 Umgekehrt kann die Beschwer nachträglich entfallen, wenn die nationalen Behörden die nicht mehr andauernde Konventionsverletzung ausdrücklich oder zumindest dem Grunde nach anerkannt und ggf. (angemessene) Entschädigung geleistet haben.3 Dauern dagegen Gerichtsverfahren wegen Schadensersatz unangemessen lange, gibt es keine angemessene Wiedergutmachung, die die Beschwer entfallen ließe.4 95
Bei Beschwerden gegen gesetzliche Bestimmungen begründet prinzipiell erst der Vollzugsakt die Betroffenheit. Ausnahmen bestehen aber, wenn bereits die durch die Bestimmung geschaffene Rechtslage den Bf. in einer konventionsrechtlich geschützten Position beeinträchtigt oder zu beeinträchtigen droht.5 So hielt der EGMR Beschwerden gegen gesetzliche Regelungen, die homosexuelle Handlungen kriminalisierten, mit der Begründung für zulässig, dass der Bf. bereits durch die Rechtsvorschriften dazu angehalten werde, entweder von solchen Handlungen entgegen seiner Neigung abzusehen oder sich der Gefahr der Strafverfolgung auszusetzen.6 Auch die begründete Aussicht, in nicht allzu ferner Zukunft auf der Grundlage eines Gesetzes Erbschaftssteuer in beträchtlichem Ausmaß zahlen zu müssen, kann dazu führen, dass die unmittelbare Betroffenheit einer Person ohne Vorliegen eines Vollzugsaktes zu bejahen ist.7 Erlaubt ein Gesetz geheime Abhörmaßnahmen, kann es ebenfalls genügen, dass die Durchführung solcher Maßnahmen gerade gegen den Bf. im Bereich des Möglichen liegt. Angenommen wurde dies im Fall „Klass u.a.“ bei einer Beschwerde von Rechtsanwälten, Richtern und Staatsanwälten gegen das deutsche Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses.8 Da die Betroffenen nicht erfuhren, ob sie überwacht wurden, konnte jeder von ihnen die Opfereigenschaft darlegen.9 Entsprechendes nahm der EGMR im Fall „Weber und Saravia“ an, wo über die Befugnisse des Bundesnachrichtendienstes zur Überwachung der Telekommunikation aufgrund des sog. Verbrechensbekämpfungsgesetzes zu entscheiden war. Wiewohl der Gerichtshof zu dem Ergebnis gelangt, dass die konkrete Regelung gerechtfertigt sei,10 hebt er ausdrücklich darauf ab, dass schon das bloße Bestehen eines Gesetzes, das eine geheime Kontrolle der Telekommunikation erlaubt, die Gefahr einer Überwachung für den Einzelnen mit sich bringe.11 Damit wird im Grunde eine Art Normenkontrolle eingeführt, die von Art. 13 EMRK im innerstaatlichen Recht nicht gefordert wird.12 Voraussetzung ist freilich, dass der Beschwerdeführer jeweils die „reasonable likeliness“ darlegt, wonach gerade er unter die potentiell von der Abhörmaßnahme Betroffenen fällt.13
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Die Opfereigenschaft kann ferner bei lediglich mittelbarer Betroffenheit gegeben sein. Mittelbare Opfer sind durch die behauptete Verletzung von Konventionsrechten Dritter 1 EGMR EuGRZ 1989, 314, Rz. 90 f. – Soering. 2 EGMR EuGRZ 1995, 530, Rz. 42 – López Ostra. Vgl. auch EGMR, Urt. v. 3.5.2007 – Baczowski u.a., Nr. 1543/06, Rz. 67, für den Fall der gerichtlichen Aufhebung einer Verbotsentscheidung, nachdem die fragliche Versammlung trotz des Verbots stattgefunden hatte. 3 EGMR, Urt. v. 15.7.1982 – Eckle, Nr. 8130/78, Série A 51, Rz. 66; RJD 2000-VIII, Rz. 66 – Guisset; Urt. v. 26.6. 2001 – Beck, Nr. 26390/95, Rz. 27. Vgl. auch EGMR (Entsch.) RJD 2003-IV – Scordino (The Law, 3.), sowie EGMR (Urt.) NJW 2007, 1259 – Scordino. Dasselbe gilt, wenn das BVerfG die Gerichtsentscheidung, mit der die Konvention verletzt worden ist, aufhebt und die Sache zurückverweist, vgl. EGMR NJOZ 2009, 5003, Rz. 22 – Lück. 4 EGMR NJW 2010, 3145, Rz. 127 – Gäfgen; kritisch Grabenwarter, NJW 2010, 23128 (3130). 5 Dies ist vor allem bei gebundenen Entscheidungen der Verwaltung oder Justiz der Fall, vgl. EGMR EuGRZ 1979, 454, Rz. 27 – Marckx. 6 EGMR EuGRZ 1983, 488, Rz. 41 – Dudgeon; Urt. v. 26.10.1988 – Norris, Nr. 10581/83, Série A 142, 15, Rz. 34; Urt. v. 22.4.1993 – Modinos, Nr. 15070/89, Série A 259, 10, Rz. 17. Zur Diskriminierung von Sinti und Roma aufgrund eines Gesetzes und der daraus folgenden unmittelbaren Betroffenheit der Bf. vgl. EGMR, Urt. v. 22.12.2009 – Seijdic und Finci, Nr. 27996/06, Rz. 28. 7 EGMR (GrK) NJW-RR 2009, 1607 Rz. 24 f., 35 – Burden. 8 EGMR EuGRZ 1979, 278, Rz. 33 f. – Klass u.a. 9 EGMR EuGRZ 1979, 278, Rz. 38 – Klass u.a. Auch im Fall „Iordachi“, in dem es um Abhörmaßnahmen gegen menschenrechtlich engagierte Nichtregierungsorganisationen aufgrund des moldawischen Gesetzes über operative Ermittlungsmaßnahmen ging, judizierte der EGMR ähnlich, vgl. EGMR NJW 2010, 2111, Rz. 32–35 – Iordachi u.a. 10 EGMR NJW 2007, 1433, Rz. 137 – Weber und Saravia. 11 EGMR NJW 2007, 1433, Rz. 78 – Weber und Saravia. Vgl. auch EGMR NJW 2010, 2111, Rz. 39 – Iordachi u.a. 12 Vgl. Schäffer, in: VfGH (Hrsg.), Verfassungstag 2006, 2007, S. 17 (57); Schmahl, EuGRZ 2008, 369 (376 f.). 13 Deutlich EGMR, Urt. v. 18.5.2010 – Kennedy, Nr. 26839/05, Rz. 123f, 128; vgl. auch EGMR, Urt. v. 22.5.2008 – Iliya Stefanov, Nr. 65755/01, Rz. 49, sowie Schmahl, JZ 2014, 220 (228).
146 Schmahl
Rz. 99 EMRK zwar nur indirekt betroffen, aber selbst beschwert.1 Eine solche eigene Beschwerdeberechtigung liegt vor, wenn eine ausreichend enge Beziehung zum unmittelbar Betroffenen und zur gerügten Handlung besteht.2 Das ist vor allem der Fall, wenn es um Verwaltungakte mit Drittwirkung geht,3 aber auch dann, wenn der unmittelbar Betroffene zu einer Beschwerde nicht in der Lage ist, z.B. weil er inhaftiert ist. Hier besteht eine Parallele zu den in Rz. 91 genannten Konstellationen, in denen der Beschwerdeführer während des Verfahrens verstirbt. Nichtstaatliche Organisationen können grds. nur eigene Rechte und nicht solche ihrer Mitglieder geltend machen.4 Soweit juristische Personen wie etwa Berufsverbände im Interesse ihrer Mitglieder auftreten und nicht die Verletzung eigener, sondern der Konventionsrechte ihrer Mitglieder rügen, ist es erforderlich, dass die Organisation ihre Berechtigung zur prozessualen Vertretung der einzelnen Mitglieder sowie deren Identität nachweist.5 Entsprechendes gilt für Umweltschutzverbände,6 wobei die EGMR-Rspr. hier zunehmend anerkennt, dass diese Verbände Konventionsrechte sogar im Allgemeininteresse geltend machen können.7
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4. Beschwerdegegner Beschwerdegegner ist diejenige Vertragspartei der EMRK und ihrer Protokolle, in deren Verantwortungs- und Zurechnungsbereich der den Bf. belastende Hoheitsakt fällt. Für einen einzelnen Hoheitsakt können auch mehrere Vertragsparteien verantwortlich sein.8 Eine Vertragspartei ist für die ihr zurechenbaren Hoheitsakte verantwortlich; dabei besteht die widerlegbare Vermutung, dass die mit ihrem gesamten Staatsgebiet der Konvention beigetretene Vertragspartei (zu Besonderheiten s. Rz. 112) auch die Hoheitsgewalt in diesem Gebiet ausübt. Die staatsorganisationsrechtliche Struktur einer Vertragspartei ist für Art und Umfang der Pflichten aus der Konvention ohne Bedeutung. Eine dem Art. 28 AMRK ähnliche „Bundesstaatsklausel“ kennt die EMRK nicht.9 Die EMRK unterscheidet auch nicht nach der Art der Rechtsvorschrift oder der Maßnahme, die in einem Tun oder Unterlassen liegen kann. Grds. ist kein Teilbereich der staatlichen Hoheitsgewalt von einer Überprüfung durch den EGMR ausgenommen.10 Eine Verantwortung kann sogar durch Akte begründet sein, die außerhalb des Staatsgebiets vorgenommen werden, z.B. durch Angehörige diplomatischer oder konsularischer Vertretungen oder durch Streitkräfte, wenn diese eine tatsächliche Kontrolle über ein Schiff unter der Flagge eines anderen Staats ausüben (vgl. auch Rz. 112).11 Die Vertragspartei ist ebenfalls für das Handeln einzelner Amtsträger verantwortlich, soweit diese hoheitliche Befugnisse ausüben. Auf ein Verschulden der Vertragspartei kommt es nicht an.12
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Unzulässig sind demgegenüber Beschwerden gegen nichtstaatliche, d.h. private natürliche oder juristische Personen. Die EMRK entfaltet keine unmittelbare Drittwirkung.13 Deshalb ist eine Beschwerde gegen einen Rechtsanwalt wegen mangelhafter Prozessvertretung, auch in Fällen der Pflichtverteidigung oder bei Gewährung von Prozesskostenhilfe, unzulässig.14 In Ausnahmefällen, vor allem wenn eine Pflichtverteidigung nicht verfahrensangemessen und effektiv ist, kann jedoch für die zuständigen Behörden einer Vertragspartei ein Einschreiten angezeigt sein (s. Rz. 39). Auch steht der fehlenden unmittelbaren Drittwirkung der EMRK nicht entgegen, dass der Staat über die dogmatische Konstruktion staatlicher Gewährleistungs-
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1 EGMR RJD 1998-IV, Rz. 66 – Yasa; RJD 1999-IV, Rz. 118 – Tanrikulu; Entsch. v. 6.6.2000 – Anguelova, Nr. 38361/97, Rz. 1; NVwZ 2012, 290 – Hafid Ouardiri. 2 Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 13 Rz. 20; Schäfer, in: Karpenstein/Mayer, Art. 34 Rz. 73. 3 Vgl. EGMR, Urt. v. 1.4.2008 – Stukus u.a., Nr. 12534/03, Rz. 35. 4 EKMR, Entsch. v. 21.10.1996 – D.E.I.-P.A.P., Nr. 31508/96; Kadelbach, in: Dörr/Grote/Marauhn, Kap. 30 Rz. 37; Zwaak, in: van Dijk/van Hoof/van Rijn/Zwaak, S. 46. 5 EKMR DR 47, 225 – Confédération des syndicats médicaux franc ¸ais. Anders noch EKMR DR 41, 211 – Asociación de Aviadores de la República. Vgl. jüngst EGMR, Urt. v. 29.7.2010 – Jafarli, Nr. 36079/06, Rz. 33 ff. 6 EGMR, Urt. v. 27.4.2004 – Gorraiz Lizaraga u.a., Nr. 65243/00, Rz. 43; Urt. v. 24.2.2009 – L’Erablière ASBL, Nr. 49230/07, Rz. 28. 7 Vgl. EGMR, Entsch. v. 12.5.2009 – Greenpeace, Nr. 18215/06. Vgl. auch Meyer-Ladewig, Art. 34 Rz. 22. 8 Instruktiv etwa EGMR (GrK) NVwZ 2011, 413, Rz. 233 ff. und Rz. 340 ff. – M.S.S.: Verantwortlichkeit von Griechenland einerseits und Belgien andererseits. Dazu v. Arnauld, EuGRZ 2011, 238 (241 f.); Callewaert, DÖV 2011, 825 (827). 9 EGMR EuGRZ 2004, 268, Rz. 141 – Assanidze; Kadelbach, in: Dörr/Grote/Marauhn, Kap. 30 Rz. 24. 10 EGMR EuGRZ 1999, 300, Rz. 29 – Matthews. 11 Jüngst: EGMR, Urt. v. 29.3.2010 – Medvedyev, Nr. 3394/03, Rz. 62 ff., und EGMR NVwZ 2012, 809, Rz. 78 ff. – Hirsi Jamaa. Vgl. zuvor bereits EGMR, Entsch. v. 12.1.1999 Nr. 37388/97 – Rigopoulos. 12 EGMR EuGRZ 1985, 584, Rz. 63 – Foti. 13 Villiger, Rz. 105; Meyer-Ladewig, Art. 1 Rz. 10. 14 EGMR ÖJZ 1990, 412, Rz. 65 – Kamasinksi. Näher Kadelbach, in: Dörr/Grote/Marauhn, Kap. 30 Rz. 25.
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EMRK Rz. 100 pflichten (sog. „positive obligations“), etwa durch Unterlassen des Schutzes einer Person durch den Gesetzgeber oder die Gerichte, in die Pflicht genommen werden kann.1 100
Auch Beschwerden gegen (Dritt-)Staaten, die die Konvention und die betreffenden Protokolle nicht ratifiziert oder einzelne (relevante) Vorschriften durch einen Vorbehalt gem. Art. 57 EMRK ausgeschlossen haben, sind unzulässig. Entsprechendes gilt für Beschwerden gegen internationale Organisationen2 und die Europäische Union, da diese (noch) nicht Mitglieder der Konvention sind (s. Rz. 7 und 140).3 Allerdings hat der EGMR Beschwerden gegen Vertragsparteien für zulässig gehalten, die dem Sinn nach mit der Behauptung erhoben wurden, die betroffene Vertragspartei habe durch die Mitgliedschaft in einer internationalen Organisation und der damit verbundenen Übertragung von Kompetenzen ihre Pflichten aus der Konvention verletzt. Nach Ansicht des Gerichtshofs dürfen die Konventionsstaaten sich ihrer Verpflichtungen aus der EMRK und ihrer Protokolle nicht dadurch entziehen, dass sie Hoheitsfunktionen auf eine internationale Organisation übertragen, die ihrerseits nicht der Kontrolle des EGMR unterliegt und nicht zumindest einen vergleichbaren Rechtsschutz gewährleistet.4 Die Vertragsstaaten bleiben dafür verantwortlich, dass sie ihre Hoheitsgewalt EMRK-konform organisieren (Art. 1 EMRK).5 Entsprechendes gilt prinzipiell für Rechtsakte der EU. So hat der Straßburger Gerichtshof im Fall „Bosphorus“ (2006) seine Kontrollbefugnis im Verhältnis zur Unionsgerichtsbarkeit zwar mit der Begründung zurückgenommen, dass staatliches Handeln in (gebundener) Erfüllung unionsrechtlicher Verpflichtungen so lange gerechtfertigt ist, wie die EU die Grundrechte nicht nur in ihrem materiellen Gehalt, sondern auch prozessual in einer der EMRK gleichwertigen Weise schützt.6 Allerdings kann nach Ansicht des EGMR die Vermutung eines vergleichbaren Grundrechtsschutzes widerlegt werden, wenn in einem bestimmten Fall anzunehmen ist, dass der Schutz der Konventionsrechte offensichtlich unzureichend garantiert wird. Dann muss das Interesse an der Zusammenarbeit auf der Unionsebene wegen der Rolle der EMRK als „Verfassungsinstrument des europäischen ordre public“ im Bereich der Menschenrechte zurückstehen.7 Ob es bei dieser „Bosphorus-Vermutung“ bleiben wird, wenn die EU der EMRK beitritt, erscheint zweifelhaft, da die EU ansonsten gegenüber den anderen Vertragsparteien privilegiert würde.8 1 Dazu etwa EGMR NJW 1979, 2449, Rz. 31 – Marckx; jüngst: EGMR NJW 2010, 3699, Rz. 79 – Verein gegen Tierfabriken Schweiz Nr. 2. 2 Vgl. EGMR, Urt. (GrK) v. 18.2.1999 – Beer and Regan, Nr. 28934/95, Rz. 57, sowie EuGRZ 1999, 207, Rz. 67 – Waite and Kennedy: Obwohl die Beschwerdeführer in beiden Fällen der Sache nach ein Handeln der „European Space Agency“ (ESA) für konventionswidrig hielten, richteten sie, da die ESA nicht Mitglied der EMRK ist, die Individualbeschwerde gegen Deutschland. Zur Unzulässigkeit einer Beschwerde in Bezug auf Handlungen der Vereinten Nationen (insbes. der KFOR-Truppen und der UNMIK) vgl. EGMR EuGRZ 2007, 522 – Behrami und Saramati; zustimmend Ress, FS Günter Hirsch, 2008, S. 155 (161 ff.); kritisch Bodeau-Livinec/Buzzini/Villalpando, AJIL 102 (2008), 323 (325 ff.). Weitere Beispiele, in denen der EGMR eine Unzulässigkeit ratione personae annahm, sind Beschwerden von Bediensteten von Eurocontrol und der Europäischen Kommission (EGMR, Entsch. v. 9.9.2008 – Boivin, Nr. 73250/01; Entsch. v. 9.12. 2008 – Connolly, Nr. 73274/01), sowie eine Beschwerde wegen des Verfahrens vor dem Europäischen Patentamt (EGMR, Entsch. v. 16.6.2009 – Raumbus Inc., Nr. 40382/04). 3 EKMR DR 64, 138, 144 – Melchers & Co. Vgl. auch EGMR (GrK) EuGRZ 1999, 308, Rz. 32 – Matthews; EuGRZ 2013, 26 (27) – Irini Lechouritou. 4 EGMR EuGRZ 1999, 207, Rz. 67 – Waite and Kennedy; Urt. (GrK) v. 18.2.1999 – Beer and Regan, Nr. 28934/95, Rz. 57. Vgl. auch EGMR (GrK) EuGRZ 1999, 308, Rz. 26 f. – Matthews, sowie EKMR, Entsch. v. 9.9.1998 – Lenzing, Nr. 39025/97 und Nr. 38817/97. 5 Das Verfahren „Senator Lines GmbH“, im dem sich die Beschwerdeführerin gegen die Vollstreckung eines unmittelbar wirksamen Bußgeldbescheides der Europäischen Kommission wehrte, ist vom EGMR indes für unzulässig erklärt worden, da das Gericht erster Instanz den Bußgeldbescheid zwischenzeitlich aufgehoben hatte, vgl. EGMR EuGRZ 2004, 279 (283 f.) – Senator Lines. Auch die Individualbeschwerde im Fall „Emesa Sugar“ hat der Gerichtshof als unzulässig zurückgewiesen, vgl. EGMR EuGRZ 2005, 234 – Emesa Sugar. 6 EGMR NJW 2006, 197, Rz. 155 – Bosphorus. Ähnlich bereits EKMR DR 64, 138 (145 f.) – Melchers & Co. Hierzu eingehend Haratsch, ZaöRV 66 (2006), 927 (945); Schmahl, EuR 2008, Beiheft 1, 7 (26 ff.). Vgl. jüngst auch EGMR EuGRZ 2013, 26 (27 f.) – Irini Lechouritou. 7 EGMR NJW 2006, 197, Rz. 156 – Bosphorus. – Eingehend zur Widerlegung der Vermutungsregel i.S.d. Bosphorus-Urteils jüngst EGMR EuGRZ 2011, 11 – Kokkelvisserij; hierzu Baumann, EuGRZ 2011, 1 (6 ff.); sowie EGMR (GrK) NVwZ 2011, 413, Rz. 233 ff. und Rz. 340 ff. – M.S.S., und NVwZ 2012, 809, Rz. 122 ff. – Hirsi Jamaa. 8 Zweifelnd auch Jacqué, CMLRev. 48 (2011), 995 (1003 f.); Uerpmann-Wittzack, ZÖR 68 (2013), 519 (524); Kadelbach, in: Dörr/Grote/Marauhn, Kap. 30 Rz. 27. Aus diesen Gründen sieht Art. 3 des Entwurfs des Beitrittsvertrages nicht nur den sog. „co-respondent-mechanism“ (vgl. Rz. 79 Fn. 1), sondern auch ein Vorabbefassungsverfahren („prior involvement procedure“) als Zwischenverfahren vor, durch das der EuGH die Gelegenheit erhalten soll, die Frage nach der Gültigkeit einer Handlung der Unionsorgane zu prüfen, bevor der EGMR über die Vereinbarkeit dieses Aktes mit der EMRK befindet; näher Baratta, CMLRev. 50 (2013), 1305 (1313 ff.); Polakiewicz, EuGRZ 2013, 472 (478 f.).
148 Schmahl
Rz. 104 EMRK 5. Erschöpfung innerstaatlicher Rechtsbehelfe Eine Individualbeschwerde ist gem. Art. 35 Abs. 1 EMRK (Art. 47 Abs. 2 lit. a VerfO) erst zulässig, wenn alle innerstaatlichen Rechtsbehelfe erschöpft wurden. Das Gebot der Rechtswegerschöpfung ist Ausdruck des allgemeinen völkerrechtlichen Prinzips, dem Staat aus Gründen des Souveränitätsschutzes die Möglichkeit zu geben, Verletzungen von Menschenrechten zunächst im innerstaatlichen Bereich abzuwehren.1 Außerdem geht diese „domestic remedies“-Regel davon aus, dass die staatlichen Gerichte prinzipiell eher als internationale Richter in der Lage sind, den konkreten Sachverhalt zu eruieren und unter die maßgeblichen Rechtsnormen zu subsumieren.2 Die Vorschrift des Art. 35 Abs. 1 EMRK beruht freilich auf der Annahme, dass im innerstaatlichen Recht – wie von Art. 13 EMRK vorgeschrieben (s. Rz. 49) –, ein im Blick auf die behauptete Konventionsverletzung wirksamer Rechtsbehelf vorhanden ist.3
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Sind innerstaatliche Rechtsbehelfe nicht erschöpft, weist der Gerichtshof die Beschwerde als unzulässig zurück. Allerdings wird das Erfordernis der Rechtswegerschöpfung vergleichsweise großzügig gehandhabt;4 vor allem nimmt der EGMR auf Besonderheiten des nationalen Rechtssystems, die innerstaatliche Praxis und die Besonderheiten des Einzelfalls Rücksicht.5 Die Prüfung ist konkret auf den Bf. und nicht abstrakt auf die innerstaatliche Rechtslage bezogen. Der EGMR zieht daher nicht nur in Betracht, welche Rechtsbehelfe in dem Mitgliedstaat theoretisch vorgesehen sind, sondern auch deren rechtlichen und politischen Kontext sowie die persönliche Situation des Bf.6 War etwa der Bf. von einem Rechtsanwalt nachweislich dahingehend beraten worden, dass ein Rechtsbehelf keine Aussicht auf Erfolg habe, musste er ihn nicht einlegen. Dasselbe gilt, wenn er durch Hinweise auf Rechtsprechung oder sonst dokumentiert, dass ein Rechtsbehelf aussichtslos war.7 Auf der anderen Seite muss der Bf. den Ausgang des beim BVerfG anhängigen Verfahrens abwarten, bevor er Beschwerde zum EGMR erhebt.8
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Ob der innerstaatliche Rechtsweg erschöpft ist, prüft der EGMR von Amts wegen. Die Darlegungs- und Beweislast liegt zunächst beim Beschwerdeführer, der gem. Art. 47 Abs. 1 lit. h VerfO (ab 1.1.2014: Art. 47 Abs. 2 und Abs. 3 VerfO) alle einschlägigen Unterlagen beizubringen hat. Rechtsunkenntnis, falsche Beratung oder eine unerwünschte Publizität entbinden grundsätzlich nicht von diesem Erfordernis.9 Vielmehr muss der Beschwerdeführer darlegen, dass er das nationale Verfahrensrecht, insbes. Fristen und Auflagen, eingehalten hat. Nach Zustellung der Beschwerde an die Regierung des beklagten Staates kann diese einwenden, der Rechtsweg sei nicht erschöpft. Die Beweislast dafür, dass der Bf. nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch Zugang zu einem innerstaatlichen Rechtsbehelf für die geltend gemachte Rechtsverletzung hatte und gleichwohl nicht wahrgenommen hat, liegt dann bei der Regierung.10 Erhebt jedoch die Regierung den Einwand der Nichterschöpfung des Rechtswegs in ihrer Stellungnahme zur Zulässigkeit (vgl. Rz. 74) nicht, wirkt dies wie ein Verzicht.11
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Entscheidender Zeitpunkt für die Beurteilung der Frage, ob der Rechtsweg erschöpft ist, ist in aller Regel der Tag, an dem die Beschwerde beim EGMR eingelegt wurde.12 Nicht ver-
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1 EGMR, Urt. v. 18.6.1971 – De Wilde, Ooms und Versyp, Série A 12, Rz. 50 – st. Rspr. Aus jüngerer Zeit vgl. etwa EGMR RJD 2000-IX, Rz. 46 – Gnahore; Entsch. v. 9.10.2007 – Röhl, Nr. 12846/02; und EGMR, EuGRZ 2013, 28 (29) – Weyhe. Vgl. ferner Zwaak, in: van Dijk/van Hoof/van Rijn/Zwaak, S. 127. 2 E. Klein, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. VI/1, 2010, § 150 Rz. 63. 3 EGMR RJD 1996-IV, Rz. 65 – Akdivar u.a.; NJW 2001, 56, Rz. 73 f. – Selmouni; Urt. (GrK) v. 28.4.2004 – Azinas, Nr. 56679/00, Rz. 38. Vgl. auch Pastor Ridruejo, FS Ress, 2005, S. 1077 (1081 f.). 4 Vgl. EGMR EuGRZ 1983, 633, Rz. 72 – Guzzardi; NJW 2001, 56, Rz. 74 – Selmouni; RJD 2000-VII, Rz. 59 – Ilhan. Dem Zweck der Regelung wird auch dann genügt, wenn der Rechtsbehelf nicht vom Bf. selbst, sondern von einem anderen eingelegt wird, vgl. EGMR NJW 2001, 1991, Rz. 67 – Ogur. 5 EGMR EuGRZ 1981, 275, Rz. 35 – Van Oosterwijck; RJD 1996-VI, Rz. 53 – Aksoy; NJW 1999, 1315 – Fressoz und Roire. Vgl. auch EGMR, Entsch. v. 5.6.2003 – Reuther, Nr. 74789/01. 6 EGMR RJD 1996-VI, Rz. 53 – Aksoy; Urt. v. 29.1.2002 – A.B., Nr. 37328/97, Rz. 72 f. In Bezug auf den deutschen Rechtsweg vgl. EGMR LKV 2001, 69 (70) – Noack, sowie Urt. v. 11.6.2009 – Evelyne Deiwick, Nr. 17878/04, Rz. 57. 7 EGMR, Urt. v. 17.7.2008 – N.A., Nr. 25904/07, Rz. 88 ff. Zur Auswahl bei mehreren möglichen Rechtsbehelfen vgl. EGMR, Urt. v. 20.3.2008 – Budayeva u.a., Nr. 15339/02, Rz. 110 ff. 8 Deutlich EGMR, EuGRZ 2013, 28 (29) – Weyhe. 9 Villiger, Rz. 120; Gollwitzer, Anhang, Rz. 43. Vgl. aber auch Rz. 102 Fn. 7. 10 EGMR, Urt. v. 18.6.1971 – De Wilde, Ooms und Versyp, Série A 12, Rz. 55 und 60; EuGRZ 1980, 667, Rz. 26 – Deweer; RJD 2001-VIII, Rz. 39 – Horvat. 11 EGMR RJD 1997-VI, Rz. 58 – Aydin. Vgl. auch Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 13 Rz. 24. 12 EGMR, Entsch. v. 31.7.2001 – Malve, Nr. 46051/99, Rz. 2; Entsch. v. 28.1.2003 – Molles, Nr. 43627/98, Rz. 1; Urt. v. 5.12.2006 – Csikós, Nr. 37251/04, Rz. 17; Urt. v. 13.5.2008 – Juhnke, Nr. 52519/99, Rz. 63.
Schmahl 149
EMRK Rz. 105 langt wird dabei grds. das Ergreifen von Rechtsbehelfen, die sich erst in Folge einer Änderung der innerstaatlichen Rechtsprechung zeitlich nach den angegriffenen Geschehnissen als effektiv erweisen.1 Unter besonderen Umständen muss der Bf. jedoch auch einen Rechtsbehelf ergreifen, der erst nach Einlegung der Individualbeschwerde eingerichtet wurde. Solche Umstände nahm der EGMR etwa in Bezug auf das italienische Gesetz „Pinto“2 an, mit dem ein innerstaatlicher Rechtsbehelf vorgesehen wurde, nachdem Italien zuvor mehrfach wegen überlanger Verfahrensdauer zu angemessener Entschädigung verurteilt worden war. Zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der Konventionsorgane sei dieser nachträglich eingeführte Rechtsbehelf nunmehr stets vor dem Gang nach Straßburg zu ergreifen.3 In Fällen struktureller Defizite in den Mitgliedstaaten verlangt der EGMR in sog. „Piloturteilen“ mittlerweile häufiger die Erschöpfung von erst nachträglich eingeführten innerstaatlichen Rechtsbehelfen.4 Nicht erforderlich ist indes, dass die innerstaatlichen Entscheidungen bei Beschwerdeerhebung schon ergangen sind; es genügt, wenn sie zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Zulässigkeit der Individualbeschwerde vorliegen.5 105
Inhaltlich hat das Erfordernis der Rechtswegerschöpfung zwei Komponenten, die vertikale und die horizontale Rechtswegerschöpfung.6 Der Begriff der vertikalen Rechtswegerschöpfung bringt zum Ausdruck, dass alle in Betracht kommenden Rechtsbehelfe einzulegen und sämtliche innerstaatlichen Instanzen zu durchlaufen sind.7 Dies schließt Verwaltungsbehörden, sofern diese verbindliche Entscheidungen treffen können,8 und auch die Verfassungsgerichtsbarkeit9 ein. Ein Staat kann sich in seiner Einrede der Nichterschöpfung innerstaatlicher Rechtsbehelfe jedoch nur auf zugängliche, geeignete und überdies effektive Rechtsbehelfe berufen.10 Die Existenz der Rechtsbehelfe muss dabei nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch hinreichend gesichert sein. Das ist z.B. nicht der Fall, wenn der Bf. über die verfügbaren Rechtsbehelfe nur in einer Sprache informiert wird, die er nicht spricht, und er hierbei keine Unterstützung durch einen Anwalt erfährt.11 An der erforderlichen Zugänglichkeit fehlt es auch, wenn der Bf. einen Rechtsbehelf nicht ergreifen kann, weil ihm die finanziellen Möglichkeiten fehlen, um sich anwaltlich in einem Verfahren mit Anwaltszwang vertreten zu lassen, und Prozesskostenhilfe nicht gewährt wird.12 Keine effektiven Rechtsbehelfe sind ferner Anträge auf Wiederaufnahme des Verfahrens;13 auch Beschwerden bei einer Ombudsperson sind keine Rechtsbehelfe i.S.v. Art. 35 Abs. 1 EMRK.14
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Fraglich ist, ob neben Rechtsbehelfen des Primärrechtsschutzes auch Schadensersatzklagen einzulegen sind. Insbes. die Geltendmachung staatshaftungsrechtlicher Ansprüche kann ein Erfordernis der Rechtswegerschöpfung sein, vor allem dort, wo allein Schadensersatz oder eine Entschädigung Abhilfe für das erlittene Unrecht schaffen kann.15 Allerdings ist die Geltendmachung staatshaftungsrechtlicher Ansprüche dann keine Voraussetzung für die Rechtswegerschöpfung, wenn das Rechtsschutzziel des Bf. über das hinausgeht, was Entschädigung oder Schadensersatz zu leisten vermag.16 Auch in Fällen schwerer Menschenrechtsverstöße gegen Art. 2 und Art. 3 EMRK gehören Schadensersatzklagen nicht zu den zu 1 EGMR, Entsch. v. 8.12.1998 – Camilla, Nr. 38840/97, Entsch. v. 27.4.1999 – Castell, Nr. 38783/97. 2 Gesetz Nr. 89 v. 24.3.2001, hierzu ausführlich EGMR Urt. (GrK) v. 29.3.2006 – Procaccini, Nr. 65075/01 Rz. 21 ff. 3 EGMR RJD 2001-XI, (The Law) – Brusco. Kritisch Oellers-Frahm, FS Ress, 2005, S. 1027 (1030 ff.). – Vgl. aber auch EGMR, Urt. (GrK) v. 29.3.2006 – Procaccini, Nr. 65075/01, Rz. 63 ff., wo der Gerichtshof die Auslegung des Gesetzes „Pinto“ durch die innerstaatlichen Gerichte für nicht mit Art. 6 EMRK vereinbar hält. 4 Vgl. EGMR EuGRZ 2004, 472, Rz. 193 – Broniowski; Urt. v. 13.11.2007 – Driza, Nr. 33771/02, Rz. 122–126, sowie Schmahl, EuGRZ 2008, 369 (375 f.). Zu diesem Themenkomplex vgl. auch die im Februar 2011 neu eingefügte Vorschrift des Art. 61 VerfO („pilot-judgment procedure“); dazu eingehend Breuer, EuGRZ 2012, 1 (3 ff.). 5 EGMR, Urt. v. 16.7.1971 – Ringeisen, Série A 13, Rz. 91; ÖJZ 2002, 855, Rz. 33 – VgT Verein gegen Tierfabriken; Urt. v. 20.5.2008 – Hüseyin Simsek, Nr. 6881/01, Rz. 59. 6 Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 13 Rz. 25; Kadelbach, in: Dörr/Grote/Marauhn, Kap. 30 Rz. 53. 7 Zahlreiche Beispiele bei Gollwitzer, Anhang, Rz. 37–42; Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 13 Rz. 27 f. 8 Zwaak, in: van Dijk/van Hoof/van Rijn/Zwaak, S. 135; Peukert, in: Frowein/Peukert, Art. 35 Rz. 12. 9 EGMR EuGRZ 1987, 405, Rz. 32 – Englert; EuGRZ 2002, 144, Rz. 1 – Allaoui u.a. 10 EGMR, Urt. v. 10.11.1969 – Stögmüller, Série A 9, Rz. 11; EuGRZ 1979, 626 – Airey, Rz. 19; RJD 2001-VIII, Rz. 38 – Horvat (st. Rspr.). 11 EKMR DR 70, 240 (245) – Kuijk. 12 EGMR EuGRZ 1979, 626, Rz. 26 – Airey. 13 EGMR, Entsch. v. 22.1.2002 – Riedl-Riedenstein, Nr. 48662/99, (The Law, B.). 14 EGMR RJD 2001-V, Rz. 362 – Denizci u.a. 15 EGMR EuGRZ 1987, 101, Rz. 49 – Bozano; EuGRZ 1999, 316, Rz. 47 – Iatridis. 16 EGMR ÖJZ 1998, 236, Rz. 37 – Hornsby; EuGRZ 1999, 316, Rz. 47 – Iatridis; RJD 2000-XI, Rz. 90 – Wloch.
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Rz. 108 EMRK ergreifenden Rechtsbehelfen, da anderenfalls die Verpflichtung des Staats zur Ermittlung der Verantwortlichen in den Hintergrund treten würde.1 Bei Beschwerden wegen überlanger Verfahrensdauer verlangt Art. 35 Abs. 1 EMRK die Einlegung derjenigen innerstaatlichen Rechtsbehelfe, die es ermöglichen, sich wirksam über die übermäßige Dauer eines Verfahrens zu beschweren, wie etwa Beschleunigungsanträge2 oder Anträge auf Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer.3 Freilich sind nicht alle Rechtsbehelfe, die nur auf eine Entschädigung gerichtet sind, insoweit ausreichend.4 So stellen etwa Verfahren, die auf eine Entschädigung nach § 2 StrEG gerichtet sind, in Beschwerden, bei denen es um die überlange Dauer von Strafverfahren geht, keinen effektiven Rechtsbehelf dar (s. Rz. 52).5 Umgekehrt stellt aber eine Klage auf Entschädigung keinen Rechtsbehelf dar, der nach Art. 35 Abs. 1 EMRK erschöpft werden muss, wenn es um die Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer polizeilichen Handlung geht.6 Im Falle fortdauernder Verletzungen ist eine wiederholte Erhebung desselben Rechtsmittels dann nicht notwendig, wenn dies lediglich zu einer Wiederholung einer bereits früher unter denselben Umständen ergangenen Entscheidung führen würde.7 Die horizontale Rechtswegerschöpfung bedeutet, dass der Beschwerdeführer nicht nur alle innerstaatlich zugänglichen Instanzen angerufen haben muss, sondern darüber hinaus die vor dem EGMR geltend gemachten Menschenrechtsverletzungen zumindest der Sache nach und in Übereinstimmung mit den innerstaatlichen Verfahrensvorschriften vor diesen Instanzen vorgebracht haben muss.8 Dem Staat soll damit auch inhaltlich Gelegenheit gegeben werden, die behauptete Rechtsverletzung zu verhindern oder zu beseitigen.9 Dabei muss sich der Beschwerdeführer nicht ausdrücklich auf die EMRK berufen. Es genügt in aller Regel, wenn er sich auf innerstaatliche Bestimmungen stützt, die mit den Konventionsrechten im Wesentlichen übereinstimmen.10 Weiterhin muss der Beschwerdeführer die innerstaatlichen Verfahrensvorschriften beachtet haben. Wer z.B. einen Rechtsbehelf nicht in der vorgeschriebenen Form oder Frist einlegt, hat die Voraussetzungen des Art. 35 Abs. 1 EMRK nicht erfüllt.11 Insoweit überschneiden sich die Anforderungen der vertikalen und der horizontalen Rechtswegerschöpfung.
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6. Form und Frist der Beschwerde Wie erwähnt (Rz. 68) muss die Individualbeschwerde schriftlich und unterzeichnet eingereicht werden.12 Dies soll verhindern, dass die Identität des Bf. nicht feststellbar ist. Fehlende Identifizierbarkeit wird auch angenommen, wenn juristische Personen die Verletzung von Konventionsrechten ihrer Mitglieder geltend machen, ohne deren Identität offen zu legen.13 Art. 35 Abs. 2 lit. a EMRK sieht vor, dass anonyme Beschwerden als unzulässig zurückgewiesen werden. In der Praxis hat sich jedoch eingebürgert, dass anonyme Beschwerden erst gar nicht registriert werden.14 Geht es dem Bf. um den Schutz vor möglichen Repressalien oder seiner Persönlichkeitsrechte, so besteht in Ausnahmefällen die Möglichkeit, die Vertraulichkeit des Verfahrens (Art. 40 EMRK, Art. 33 Abs. 2 und Abs. 3 VerfO) oder die Anonymisierung der Beschwerde (Art. 47 Abs. 3 VerfO; ab 1.1.2014: Art. 47 Abs. 4 VerfO) zu beantragen.15
1 EGMR RJD 1998-VI, Rz. 74 – Yasa; RJD 2000-VII, Rz. 61 – Ilhan. Näher Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 13 Rz. 31. 2 EGMR NJW 2001, 2692 – Tomé Mota. 3 EGMR, Entsch. v. 27.4.1999 – Castell, Nr. 38783/97; NJW 2001, 2691 – Gonzalez Marin. 4 Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 13 Rz. 32. 5 EGMR, Entsch. v. 18.5.2000 – M.C., Nr. 25510/94, (The Law). 6 EGMR NVwZ 2012, 1089, Rz. 49 – Schwabe u. M.G. 7 Peukert, in: Frowein/Peukert, 2. Aufl. 1996, Art. 26 Rz. 15 ff.; Villiger, Rz. 120; Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 13 Rz. 33. 8 EGMR EuGRZ 1992, 437, Rz. 34 – Cardot; RJD 2001-VII, Rz. 375 – Avsar; Urt. (GrK) v. 28.4.2004 – Azinas, Nr. 56679/00, Rz. 37 ff. 9 Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 13 Rz. 34; Villiger, Rz. 133. 10 Vgl. EGMR EuGRZ 1986, 497, Rz. 44 – Glasenapp; EuGRZ 2010, 417, Rz. 142 – Gäfgen. Vgl. aber auch EGMR EuGRZ 1981, 275, Rz. 33 – Van Oosterwijck. Weitere Einzelheiten bei Peukert, in: Frowein/Peukert, Art. 35 Rz. 20–24. 11 Vgl. EKMR DR 57, 251 (258) – Huber. Vgl. auch Villiger, Rz. 137 f. 12 Für verschiedene Konventionsstaaten (z.B. die Niederlande und Schweden) besteht derzeit testweise die Möglichkeit, die Beschwerde über die Internetseite des Gerichtshofes elektronisch einzulegen, vgl. Schäfer, in: Karpenstein/Mayer, Art. 34 Rz. 7. 13 Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 13 Rz. 56; Gollwitzer, Anhang, Rz. 32. 14 Villiger, Rz. 89; Peukert, in: Frowein/Peukert, 2. Aufl. 1996, Art. 27 Rz. 13. Vgl. aber auch EMKR CD 29, 70 – X. 15 Beispiele sind: EGMR, Urt. v. 16.12.1999 – T., Nr. 24724/94, Rz. 1 und Rz. 3; NJW 2003, 809, Rz. 5 – K. und T.
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EMRK Rz. 109 109
Die Beschwerde ist nach Art. 35 Abs. 1 EMRK innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der endgültigen innerstaatlichen Entscheidung einzulegen.1 Wie im innerstaatlichen Recht dient die Festlegung der Beschwerdefrist der Gewährung von Rechtssicherheit.2 Angesichts der aufwändigeren Vorbereitungen des Bf. im Blick auf ein meist unbekanntes Rechtssystem wurde aber eine im Vergleich zu innerstaatlichen Fristen (vgl. z.B. § 93 Abs. 1 BVerfGG) lange Beschwerdefrist festgelegt.3 Wird die Frist nicht eingehalten, weist der EGMR die Beschwerde gem. Art. 35 Abs. 4 EMRK als unzulässig zurück; die Fristeinhaltung wird von Amts wegen geprüft.4 Auch für die Beschwerdefrist gilt, dass der Gerichtshof dieses Erfordernis ohne übertriebenen Formalismus anwendet. Gleichwohl wird die Prüfung der Wahrung der Frist strenger gehandhabt als diejenige der Rechtswegerschöpfung.5 Die Beweislast für die Einhaltung der Frist liegt gem. Art. 47 Abs. 2 lit. f VerfO beim Beschwerdeführer. Fehler des Anwalts werden dem Bf. zugerechnet.6
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Als endgültige innerstaatliche Entscheidung i.S.d. Art. 35 Abs. 1 EMRK kommt nur eine Entscheidung in Frage, die letztinstanzlich in Folge eines effektiven Rechtsbehelfs und in Bezug auf den Beschwerdegegenstand ergeht.7 Der Fristbeginn ist davon abhängig, ob innerstaatlich eine Zustellung der Entscheidung vorgesehen ist. Ist dies der Fall, läuft die Frist ab dem Datum der Zustellung.8 Anderenfalls ist vom Datum der Ausfertigung der Entscheidung auszugehen, da die Parteien von diesem Zeitpunkt an in der Lage waren, von deren Inhalt tatsächlich Kenntnis zu erlangen.9 Unter besonderen Umständen kann der Beginn der Frist gehemmt sein. Dies gilt vor allem, wenn der Bf. aus tatsächlichen Gründen – etwa durch eine Haft – an der Erhebung der Beschwerde gehindert war.10 Die Frist endet an dem Tag des sechsten Monats, der durch seine Zahl dem Anfangstag der Frist entspricht.11 Endet die Frist an einem Sonn- oder Feiertag, so hat zwar die Kommission in einem Fall entschieden, dass dann der darauffolgende Werktag ausschlaggebend sei.12 Der Gerichtshof hingegen hat in jüngeren Entscheidungen ausführlich begründet, dass die Beschwerdefrist selbst dann an dem errechneten Tag abläuft, wenn das Fristende auf einen Sonn- oder Feiertag fällt.13 Sieht das innerstaatliche Recht keine oder zumindest keine effektiven Rechtsbehelfe vor,14 tritt die angegriffene innerstaatliche Maßnahme an die Stelle der endgültigen innerstaatlichen Entscheidung. Die Beschwerdefrist beginnt dann mit dem Zeitpunkt zu laufen, in dem diese Maßnahme ihre Wirksamkeit entfaltet hat.15 Zur Wahrung der Frist genügt i.d.R. das Datum der ersten Mitteilung des Bf. (vgl. Rz. 68); dabei wird in der Praxis unter Rückgriff auf Art. 47 Abs. 5 S. 2 VerfO (ab 1.1.2014: Art. 47 Abs. 6 VerfO) auf das Datum des Poststempels rekurriert.16 7. Vereinbarkeit der Beschwerde mit der Konvention
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Art. 35 Abs. 3 EMRK normiert vier Gründe, aufgrund derer eine Beschwerde für unzulässig erklärt werden kann. Sie betreffen vor allem – mit Ausnahme des Missbrauchs (Rz. 117) 1 Nach Art. 4 des gegenwärtig zur Zeichnung aufliegenden 15. ZP (vgl. Rz. 8 Fn. 12) wird die Frist zur Einlegung der Individualbeschwerde von sechs auf vier Monate verkürzt, um die Leistungsfähigkeit des Gerichtshofs zu stärken. 2 EGMR RJD 2000-I, 449 – Walker; näher hierzu Meyer-Ladewig, NJW 2011, 1559 f. 3 Vgl. EGMR ÖJZ 1998, 35, Rz. 32 – Worm; sowie Zwaak, in: van Dijk/van Hoof/van Rijn/Zwaak, S. 154. 4 Lenz, in: Dörr/Lenz, Rz. 535; Meyer-Ladewig, Art. 35 Rz. 26. 5 EGMR RJD 2000-IX, Rz. 44 – Jecius. 6 EGMR, Entsch. v. 2.2.2010 – Kopka, Nr. 14448/09. 7 EGMR, Urt. v. 23.5.1991, Oberschlick, Nr. 6/1990/197/257, EuGRZ 1991, 216, 220; weitere Einzelheiten bei Gollwitzer, Anhang, Rz. 29; Villiger, Rz. 140. 8 EGMR ÖJZ 1998, 35, Rz. 33 – Worm; Urt. v. 29.3.2001 – Haralambidis, Nr. 36706/97, Rz. 38. 9 EGMR EuGRZ 1999, 319, Rz. 30 – Papachelas; Urt. v. 29.3.2001 – Haralambidis, Nr. 36706/97, Rz. 38. 10 EGMR EuGRZ 2001, 387 – Priebke. Weitere Einzelheiten bei Meyer-Ladewig, Art. 35 Rz. 31. 11 EGMR, Urt. v. 22.9.1993 – Figus Milone, Nr. 13686/88, Série A 265-D, Rz. 14; ferner Rogge, EuGRZ 1996, 341 (345). 12 Vgl. EKMR, Entsch. v. 11.4.1996 – Fondation Croix-Etoile, Baudin und Delajoux, Nr. 24856/94. 13 EGMR, Urt. v. 4.5.2006 – Kadikis, Nr. 62393/00, Rz. 38 f. Vgl. jüngst auch EGMR, Entsch. v. 10.11.2009 – Otto, Nr. 21425/06, und insbes. EGMR NJW 2012, 2943, Rz. 48 ff. – Sabri Günes. Angesichts der unterschiedlichen Feiertagsregelungen in den 47 Vertragsparteien und der großzügig bemessenen Beschwerdefrist von sechs Monaten zustimmend Kadelbach, in: Dörr/Grote/Marauhn, Kap. 30 Rz. 67; Meyer-Ladewig, NJW 2011, 1559 (1560); Meyer-Ladewig, NJW 2012, 2946. 14 Weitere Einzelheiten bei Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 13 Rz. 39. 15 EGMR EuGRZ 2001, 382 – Papon; Entsch. v. 23.1.2002 – Slivenko, Nr. 48321/99, Rz. 111; NJW 2007, 895, Rz. 155 – Gongadze. 16 Vgl. z.B. EGMR RJD 2002-X, 301 – Arslan. Ferner Meyer-Ladewig, Art. 35 Rz. 34. Für einen Rückgriff auf das Datum des Beschwerdeschriftsatzes vgl. indes Lenz, in: Dörr/Lenz, Rz. 538.
152 Schmahl
Rz. 112 EMRK und der Trivialfälle (Rz. 117a) – den Inhalt der Beschwerde.1 So erklärt der Gerichtshof gem. Art. 35 Abs. 3 lit. a Alt. 1 EMRK eine Beschwerde für unzulässig, wenn er sie für unvereinbar mit der Konvention hält. Damit werden negativ die Grenzen umschrieben, innerhalb derer der EGMR tätig werden kann. Diese decken sich mit der materiellen Zuständigkeit des EGMR nach Art. 1 EMRK.2 Eine Beschwerde kann persönlich, örtlich, zeitlich und sachlich mit der EMRK unvereinbar sein. Eine Unvereinbarkeit ratione personae liegt vor, wenn entweder der Bf. nicht aktiv oder der Beschwerdegegner nicht passiv legitimiert ist (vgl. Rz. 89, 98).3 Im „Behrami“-Fall etwa lehnte der EGMR seine Zuständigkeit ratione personae mit der Begründung ab, dass dem beklagten Staat Frankreich die vorgeworfenen Konventionsverletzungen nicht zuzurechnen seien. Es handele sich vielmehr um Maßnahmen der Vereinten Nationen, die ihrerseits aber nicht Vertragsparteien der EMRK seien.4 Bei der Überprüfung, ob eine Beschwerde ratione loci mit der Konvention vereinbar ist, hält der Gerichtshof in neuester Rspr. zunächst daran fest, dass der Anwendungsbereich der Konvention gem. Art. 1 EMRK auf das Hoheitsgebiet der Vertragsparteien5 beschränkt ist.6 Allerdings kann die Verantwortlichkeit der Konventionsstaaten ausnahmsweise auch durch Rechtsakte ihrer Organe ausgelöst werden, die ihre Wirkung außerhalb des eigenen Staatsgebiets entfalten (sog. extraterritoriale Akte). Dies ist zum einen der Fall bei Handlungen des diplomatischen und konsularischen Personals einer Vertragspartei im Ausland sowie auf Schiffen und Flugzeugen, die unter der Flagge oder dem Hoheitszeichen der Vertragspartei fahren oder fliegen.7 Zum anderen kann die Verantwortlichkeit eines Vertragsstaats begründet werden bei Handlungen von Richtern außerhalb des Hoheitsgebiets ihres Dienstherrn, soweit sie in ihrer Eigenschaft als Amtswalter der betroffenen Vertragspartei handeln,8 oder bei der de facto-Kontrolle von Agenten einer Vertragspartei über Personen oder Gegenstände auf dem Gebiet einer anderen Vertragspartei.9 Wichtigster Anwendungsfall der extraterritorialen Wirkung ist freilich die Ausübung einer vollständigen oder teilweisen Hoheitsgewalt durch die effektive Kontrolle eines nicht zur Vertragspartei gehörenden Territoriums und seiner Einwohner entweder als Folge einer militärischen Besetzung oder auf Einladung oder mit Duldung der verantwortlichen Regierung.10 Dabei erstreckt sich die Verantwortlichkeit auch auf Handlungen der lokalen Behörden, die von der Besatzungsmacht geschützt werden, selbst wenn über diese Behörden keine effektive Kontrolle ausgeübt wird.11 Eine andere Situation liegt indes vor, wenn eine Auslieferung oder Ausweisung einer Person in einen Drittstaat in Frage steht. Dann ist Anknüpfungspunkt die Auslieferungsentscheidung des Konventionsstaats und nicht die extraterritoriale 1 Der neue Tatbestand in Art. 35 Abs. 3 lit. b EMRK ist durch das 14. ZP eingefügt worden. Hierzu Egli, ZaöRV 64 (2004), 759 (777). 2 Vgl. EGMR EuGRZ 1979, 149, Rz. 238 – Irland ./. Vereinigtes Königreich. Vgl. auch Zwaak, in: van Dijk/ van Hoof/van Rijn/Zwaak, S. 108. 3 Zum Kriterium der Vereinbarkeit ratione personae, vgl. auch EGMR EuGRZ 2005, 305, Rz. 81 f. – von Maltzan u.a. einerseits, sowie EGMR NJW 2009, 3775, Rz. 53 – Preußische Treuhand andererseits. 4 EGMR EuGRZ 2007, 522, Rz. 144 ff. – Behrami und Saramati. Vgl. aus jüngerer Zeit auch EGMR, Entsch. v. 9.9.2008 – Boivin, Nr. 73250/01; Entsch. v. 9.12.2008 – Connolly, Nr. 73274/01; zu Recht kritisch Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 17 Rz. 10; IK/Fastenrath, Art. 1 Rz. 58 ff. 5 Zum Territorium gehört auch der Transitbereich eines Flughafens, vgl. EGMR, Urt. v. 25.6.1996, Amuur, 17/1995/523/609, EuGRZ 1996, 577, Rz. 52. ´. Vgl. auch EGMR, Urt. (GrK) v. 14.12.2006 – Markovic u.a., 6 EGMR EuGRZ 2002, 133, Rz. 61 – Bankovic Nr. 1398/03, Rz. 49; NJW 2012, 283, Rz. 131 – Al-Skeini u.a. ´ ; Urt. v. 29.3.2010 – Medvedyev, Nr. 3394/03, Rz. 62 ff.; NVwZ 7 EGMR EuGRZ 2002, 133, Rz. 73 – Bankovic 2012, 809, Rz. 78 ff. – Hirsi Jamaa; vgl. auch EGMR NJW 2012, 283, Rz. 134 – Al-Skeini u.a. 8 EGMR EuGRZ 1997, 555, Rz. 62 – Loizidou; Urt. v. 26.6.1992 – Drozd und Janousek, Nr. 12747/87, Série A 240, Rz. 91. 9 EGMR, Urt. v. 19.3.1991 – Stocké, Nr. 11755/85, Série A 199, Rz. 166; Urt. v. 16.11.2004 – Issa u.a., Nr. 31821/96, Rz. 71. Vgl. auch EGMR (GrK) EuGRZ 2005, 463, Rz. 91 – Öcalan. 10 EGMR EuGRZ 1997, 555, Rz. 62 – Loizidou; RJD 2001-IV, Rz. 77 – Zypern ./. Türkei; EuGRZ 2002, 133, ´ ; NJW 2005, 1849, Rz. 379 ff. – Ilas¸cu u.a. – Eingehend Jankowska-Gilbert, ExtraterritoRz. 71 – Bankovic rialität der Menschenrechte, 2008, S. 64 ff. Beim Einsatz türkischer Streitkräfte im Irak für sechs Wochen hat der EGMR eine tatsächliche Kontrolle nicht angenommen, vgl. EuGRZ 2006, 247 (248) – Saddam Hussein. Anderes gilt aber bei einer längerwährenden Besetzung eines Gebietes durch Streitkräfte, vgl. EGMR NJW 2012, 283, Rz. 141 ff. – Al-Skeini u.a.; hierzu Jankowska-Gilbert, AVR 50 (2012), 61 (68 ff.), sowie eingehend IK/Fastenrath, Art. 1 Rz. 100 ff. 11 EGMR EuGRZ 1997, 555, Rz. 56 – Loizidou; bestätigt in: EGMR NJW 2012, 283, Rz. 138 – Al-Skeini u.a. Entsprechendes gilt, wenn der innerstaatliche Rechtsweg eines Konventionsstaats eröffnet worden ist, obgleich die inkriminierten Handlungen außerhalb des territorialen Anwendungsbereichs der Konvention stattgefunden haben, vgl. EGMR, Urt. (GrK) v. 14.12.2006 – Marcovic u.a., Nr. 1398/03, Rz. 53 f.
Schmahl 153
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EMRK Rz. 113 Geltung der EMRK.1 Schließlich ermöglicht die sog. Kolonialklausel des Art. 56 EMRK2 den Vertragsparteien, den räumlichen Geltungsbereich der EMRK einschl. der Individualbeschwerde auf Hoheitsgebiete zu erstrecken, für deren internationalen Beziehungen sie verantwortlich sind.3 Art. 56 Abs. 3 EMRK sieht vor, dass die Konvention in diesen Gebieten unter Berücksichtigung der örtlichen Notwendigkeiten angewandt wird. Diese Notwendigkeiten müssen allerdings zwingender Natur sein. So lehnte es der EGMR im Fall „Tyrer“ mit Recht ab, die öffentliche Meinung der Bevölkerung der Isle of Man als Zulässigkeitseinrede i.S.v. Art. 56 Abs. 3 EMRK für die auf der Insel geltende Prügelstrafe anzuerkennen.4 113
Die zeitliche Geltung der Konvention richtet sich nach allgemeinen Grundsätzen des Völkerrechts, die insbes. in Art. 28 WVK ihren schriftlichen Niederschlag gefunden haben.5 Die Vertragsstaaten sind daher nur für Handlungen verantwortlich, die nach dem Inkrafttreten der EMRK und ihrer ZP vorgenommen wurden. Die EMRK hat keine rückwirkende Kraft, bezieht sich also nicht auf Hoheitsakte, die sich vor dem Inkrafttreten der EMRK ereignet haben.6 Maßgebend ist dabei die Hinterlegung der Ratifikationsurkunde am Straßburger Sitz des Europarates (Art. 59 Abs. 2 und Abs. 3 EMRK). Der zeitliche Geltungsbereich der Konvention hat heute vor allem beim Rückgriff auf die Fakultativprotokolle Bedeutung, da diese nicht von allen Konventionsstaaten ratifiziert sind.7 Aus der dargelegten Grundregel folgt, dass für die Beurteilung einer Beschwerde, mit der fortdauernde Verletzungen gerügt werden, gelegentlich unterschiedliche Zeitabschnitte gebildet werden müssen.8 So kann etwa bei einer Freiheitsentziehung nur der Zeitraum nach dem Inkrafttreten der Konvention, nicht aber die vorangegangene Haftzeit Gegenstand einer Beschwerde sein.9 Abgrenzungsschwierigkeiten entstehen auch, wenn die als konventionswidrig gerügte Situation auf eine Entscheidung zurückzuführen ist, die vor Inkrafttreten der EMRK ergangen ist. Von den Konventionsorganen wird zwischen fortdauernden Situationen und abgeschlossenen Rechtsakten mit fortdauernden Auswirkungen unterschieden. Letztere fallen im Gegensatz zu fortdauernden Situationen nicht in den Anwendungsbereich der EMRK.10 So stellt die Entziehung von Eigentum oder anderen dinglichen Rechten durch Gesetz grds. einen abgeschlossenen Rechtsakt und nicht eine fortdauernde Situation der Entziehung des Rechts dar.11 Etwas anderes gilt, wenn der Bf. sich weiterhin auf eine Eigentumsposition nach Art. 1 ZP 1 berufen kann, etwa bei einer nur faktischen Eigentumsentziehung.12 Desgleichen gelangen vor dem Inkrafttreten der Konvention gefällte Urteile grds. nicht durch ihre Vollstreckung nach diesem Zeitpunkt in den zeitlichen Anwendungsbereich der EMRK.13 Zeitigt allerdings die Entscheidung selbst eine fortdauernde Wirkung, so kann die Konvention anwendbar sein. So wurde etwa im Fall „De Becker“ der Bf. noch vor Inkrafttreten der Konven1 EGMR EuGRZ 1989, 314, Rz. 86 – Soering; EuGRZ 1991, 203, Rz. 69 – Cruz Varas; NVwZ 1992, 869, Rz. 103 – Vilvarajah; Urt. v. 28.2.2008 – Saadi, Nr. 37201/06, Rz. 138; Urt. v. 2.3.2010 – Al Saadoon, Nr. 61498/08, Rz. 125. S. auch EGMR EuGRZ 2002, 403, Rz. 39 – Al-Adsani. Andere dogmatische Einordnung bei Gollwitzer, Anhang, Rz. 22. 2 Frowein/Peukert, in: dies., Art. 56 Rz. 1. 3 Entspr. Erklärungen haben Frankreich für die Übersee-Departements, die Niederlande und Großbritannien abgegeben, vgl. Kadelbach, in: Dörr/Grote/Marauhn, Kap. 30 Rz. 46. Zu Gibraltar vgl. EGMR EuGRZ 1999, 300, Rz. 59 ff. – Matthews. Kein Fall der Kolonialklausel, sondern vielmehr der Anwendbarkeit der Konvention ratione personae war es indes, als eine Beschwerde gegen Spanien erhoben wurde, mit der eine Verletzung von Art. 6 EMRK durch ecuadorianische Gerichte behauptet wurde; ungenau daher EGMR, Urt. v. 16.4.2002 – Peñafiel Salgado, Nr. 65964/01, Rz. 1. 4 EGMR EuGRZ 1979, 162, Rz. 38 – Tyrer. Ebenso Schorkopf, in: Grote/Marauhn (1. Aufl.), Kap. 30 Rz. 41. ˇ ic ´; Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 17 Rz. 18. 5 EGMR NJW 2007, 347, Rz. 90 – Blec 6 EGMR, Entsch. v. 25.9.2001 – Volkova, Nr. 48758/99, Rz. 1. 7 So sind z.B. das 7. und das 12. ZP für Deutschland noch nicht in Kraft getreten. Zu den sog. Fakultativprotokollen vgl. Rz. 10 Fn. 10. 8 Vgl. EGMR ÖJZ 1995, 271, Rz. 53 – Hokkanen, sowie Kadelbach, in: Dörr/Grote/Marauhn, Kap. 30 Rz. 49. 9 EGMR EuGRZ 1985, 578, Rz. 53 – Foti u.a.; Urt. v. 27.4.1989 – Neves e Silva, Nr. 11213/84, Série A 153-A, Rz. 40. ˇ ic ´ . Vgl. auch Peters/Altwicker, EMRK, § 35 Rz. 6; Graben10 EGMR NJW 2007, 347, Rz. 77 ff. m.w.N. – Blec warter/Pabel, EMRK, § 17 Rz. 20. 11 EGMR NJW 2003, 649, Rz. 81 und 85 – Fürst Hans-Adam II; RJD 2004-IX, Ziff. 35 – Kopecký; Urt. (GrK) v. ˇ ic ´, Nr. 59532/00, Rz. 77 ff. 8.3.2006 – Blec 12 EGMR ÖJZ 1994, 177, Rz. 39 f. – Papamichalopoulos; Urt. (GrK) v. 13.12.2000 – Malhous, Nr. 33071/96, vgl. auch EGMR NJW 2009, 3775, Rz. 56 – Preußische Treuhand. Auch wenn der Bf. sich trotz der vor dem Inkrafttreten der EMRK erfolgten Enteignung auf berechtigte Erwartungen auf Restitution oder Ausgleichsleistungen in bestimmter Höhe stützen kann, bejaht der EGMR eine Anwendbarkeit ratione temporis, vgl. EGMR EuGRZ 2004, 472, Rz. 130 f. – Broniowski; Urt. v. 13.11.2007 – Driza, Nr. 33771/02, Rz. 122 ff. 13 EKMR CD 8, 43 (44) – X.; EGMR, Urt. v. 26.10.1993 – Stamoulakatos, Nr. 12806/87, Série A 271, Rz. 32 f.
154 Schmahl
Rz. 116 EMRK tion strafrechtlich verurteilt. Direkte Folge dieser Verurteilung war aber eine nach seiner Freilassung fortbestehende Beschränkung der Meinungsfreiheit. Hier hielt die Kommission die Beschwerde für zulässig ratione temporis.1 Auch bei Rügen unangemessener Verfahrensdauer berücksichtigt der EGMR die bis zum Inkrafttreten der Konvention verstrichene Zeit.2 Der zeitliche Geltungsbereich endet mit dem Wirksamwerden der Kündigung oder dem Ausscheiden einer Vertragspartei aus dem Europarat gem. Art. 58 Abs. 1 und Abs. 3 EMRK. Die Vertragspartei kann sich allerdings nur mit Wirkung ex nunc von ihrer Bindung an die Konvention befreien (Art. 58 Abs. 2 EMRK). Im Rahmen der Frage, ob eine Beschwerde mit den Bestimmungen der Konvention ratione materiae vereinbar ist, prüft der EGMR, ob das vom Bf. geltend gemachte Recht im konkreten Einzelfall von der EMRK oder einem ihrer Protokolle gewährleistet wird (vgl. auch Art. 32 Abs. 1 EMRK), ob der vorgetragene Sachverhalt vom Schutzbereich einer Konventionsgarantie erfasst ist3 und der beklagte Staat keinen einschlägigen Vorbehalt nach Art. 57 EMRK erklärt hat.4 Allerdings kann eine Beschwerde nur dann als unzulässig zurückgewiesen werden, wenn die Unvereinbarkeit ratione materiae offensichtlich ist (vgl. Art. 35 Abs. 3 lit. a Alt. 2 EMRK).5 Bestehen Zweifel, ist die Beschwerde zuzulassen und nach einer Prüfung in der Sache zu entscheiden.6 Zum Begriff der Offensichtlichkeit vgl. Rz. 74.
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8. Negativvoraussetzungen Des Weiteren prüft der EGMR im Rahmen der Zulässigkeit eine Reihe von Negativvoraussetzungen. So ist eine Beschwerde als unzulässig zurückzuweisen, wenn sie im Wesentlichen mit einer schon vorher vom EGMR geprüften Beschwerde übereinstimmt (Art. 35 Abs. 2 lit. b Alt. 1 EMRK). Ein Verstoß gegen dieses sog. Wiederholungsverbot (res iudicata) liegt vor, wenn Beschwerdeführer, Sachverhalt und Beschwerdegegenstand mit einer früheren Beschwerde identisch sind.7 Etwas anderes gilt, wenn neue relevante Tatsachen vorgetragen werden8 oder wenn neue konventionsrechtliche Verpflichtungen des beklagten Staates bestehen, weil dieser zwischenzeitlich ein ZP ratifiziert hat.9 Selbst wenn über eine Staatenbeschwerde bereits entschieden worden ist, steht dieser Umstand allein der Einlegung einer zulässigen Individualbeschwerde nicht entgegen.10 Folgebeschwerden anderer Bf. aufgrund struktureller Defizite in einem Vertragsstaat werden vom EGMR (i.d.R. später) entschieden; hierzu dient das mittlerweile (seit Februar 2011) in Art. 61 VerfO niedergelegte „Piloturteilsverfahren“ (vgl. auch Rz. 122). Von den Fällen der Identität mit einer früheren Beschwerde sind Anträge auf Wiederaufnahme des mit einem Urteil abgeschlossenen Verfahrens gem. Art. 80 VerfO zu unterscheiden.11
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Ebenfalls unzulässig gem. Art. 35 Abs. 2 lit. b Alt. 2 EMRK sind Beschwerden, die bereits von einer anderen internationalen Untersuchungsinstanz entschieden wurden oder dort anhängig sind (sog. Litispendenz). Auch für das sog. Kumulationsverbot ist die Identität von Beschwerdeführer, Sachverhalt und Beschwerdegegenstand erforderlich. Ist eine solche Identität gegeben, muss der Bf. seine Beschwerde vor der anderen Untersuchungsinstanz
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1 EKMR Yb 2, 214 (234) – De Becker. 2 EGMR Urt. v. 9.4.2009 – Silih, Nr. 71463/01, Rz. 140 ff. 3 Zum Schutzbereich vgl. E. Klein, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. VI/1, 2010, § 150 Rz. 22. Auf die Beschränkungsmöglichkeit des Schutzbereichs kommt es bei der Zulässigkeitsprüfung nicht an; dies ist eine Frage der Begründetheitsprüfung. 4 Vgl. Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 13 Rz. 48. Zum Vorbehalt nach Art. 57 EMRK vgl. Schorkopf, in: Grote/Marauhn (1. Aufl.), Kap. 30 Rz. 46. 5 Diese „Offensichtlichkeit“ bedeutet nicht, dass der Gerichtshof sich nicht intensiv mit der Frage der Vereinbarkeit ratione materiae, befassen dürfte, vgl. etwa EGMR EuGRZ 2005, 305, Rz. 84–114 – von Maltzan u.a. A.A. Lenz, in: Dörr/Lenz, Rz. 555. 6 EKMR EuGRZ 1975, 513, Rz. 6 – König; Rogge, Studies in Memory of Rolv Ryssdal, 2000, S. 1215 (1218); Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 13 Rz. 49. 7 Beispiel: EKMR EuGRZ 1982, 15 – Rudolf Heß. Ausführlich hierzu Gollwitzer, Anhang, Rz. 46; Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 13 Rz. 57. 8 Vgl. die drei Beschwerden des Beschwerdeführers Mlynek, in Bezug auf dasselbe innerstaatliche Verfahren: EKMR, Entsch. v. 16.10.1986 – Mlynek, Nr. 11688/85; Entsch. v. 2.7.1990 – M., Nr. 15016/89; Entsch. v. 20.10.1992 – Mlynek, Nr. 19513/92. 9 EKMR CD 37, 67 (68) – X. 10 EGMR, Urt. v. 18.9.2009 – Varnava u.a., Nr. 16064/90, Rz. 118. 11 Zu Art. 80 VerfO eingehend Gollwitzer, Anhang, Rz. 74; E. Klein, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. VI/1, 2010, § 150 Rz. 118 ff. Vgl. aber auch EGMR NJW 2010, 3699, Rz. 91 ff. – Verein gegen Tierfabriken Schweiz Nr. 2, wo das Wiederaufnahmeverfahren aus formalen Gründen abgelehnt wurde.
Schmahl 155
EMRK Rz. 117 zurücknehmen, will er der Unzulässigkeitserklärung der Beschwerde entgehen.1 Maßgebend ist hierfür der Zeitpunkt der Entscheidung über die Zulässigkeit der Beschwerde.2 Als internationale Instanz kommt – neben anderen3 – vor allem der VN-Menschenrechtsausschuss in Betracht, der als Kontrollorgan über den IPBPR fungiert.4 Zu Recht wird dieser Unzulässigkeitsgrund als problematisch bezeichnet, da der Menschenrechtsausschuss im Individualbeschwerdeverfahren keine bindenden Urteile, sondern nur empfehlende „Auffassungen“ erlässt.5 Verfahren vor der Gerichtsbarkeit der EU sind dagegen zumeist keine anderen Untersuchungsinstanzen i.S.d. Art. 35 Abs. 2 lit. b Alt. 2 EMRK. Zwar judiziert die Unionsgerichtsbarkeit auch in Grundrechtsfragen (vgl. Art. 6 EUV); hier wird es aber regelmäßig an der Identität des Beschwerdegegenstandes fehlen.6 117
Ferner erklärt der Gerichtshof eine Beschwerde gem. Art. 35 Abs. 3 lit. a Alt. 3 EMRK dann für unzulässig, wenn er sie für einen Missbrauch des Beschwerderechts hält. Ein Missbrauch kann im Prozessverhalten des Beschwerdeführers oder in dem mit der Beschwerde verfolgten Zweck liegen.7 Auch eine Vielzahl offensichtlich unbegründeter und querulatorischer Beschwerden stellt eine Missachtung des Gerichtshofs, seiner Aufgaben und damit einen Missbrauch des Beschwerderechts dar.8 Die Regelung des Art. 35 Abs. 3 lit. a Alt. 3 EMRK hat bisher keine große praktische Bedeutung erlangt.9
117a
Die durch das 14. ZP neu eingefügte Vorschrift des Art. 35 Abs. 3 lit. b EMRK bietet schließlich einen weiteren Grund für die Unzulässigkeit einer Individualbeschwerde in sog. Trivialfällen. Diese Möglichkeit soll den EGMR von unbedeutenden Beschwerden entlasten, führt also eine „de minimis non curat praetor-Regel“ in das Beschwerderecht ein.10 Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass dem Bf. kein erheblicher Nachteil durch die Unzulässigkeitsentscheidung entsteht. Ein solcher Nachteil fehlt, wenn entweder die finanzielle Bedeutung der Rs. für den Bf. nur geringfügig ist11 oder die Rechtsverletzung das erforderliche Mindestmaß an Schwere nicht erreicht.12 Darüber hinaus darf auf den Unzulässigkeitsgrund des Art. 35 Abs. 3 lit. b EMRK dann nicht zurückgegriffen werden, wenn die Achtung der Konventionsrechte eine Prüfung in der Sache erfordert, etwa weil Wiederholungsgefahr besteht oder ein Strukturmangel ersichtlich wird, oder wenn die Beschwerde nicht oder nicht gebührend von einem staatlichen Gericht geprüft worden ist.13 Die genannten Bedingungen 1 Eine bloße Aussetzung des Verfahrens genügt nicht, vgl. EKMR DR 73, 214 (219 f.). – Calcerrada Fornieles u.a.; Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 13 Rz. 59. 2 EKMR DR 73, 214 (218) – Calcerrada Fornieles u.a. 3 Vgl. weitere internationale Kontrollorgane bei Peukert, in: Frowein/Peukert, Art. 35 Rz. 56. S. auch EGMR, Entsch. v. 7.4.2009 – Peraldi, Nr. 2096/05, sowie Schäfer, in: Karpenstein/Mayer, Art. 35 Rz. 86. 4 Vgl. Art. 28 ff. IPBPR (BGBl. II 1973, S. 1553) i.V.m. Art. 1 des Fakultativprotokolls zum IPBPR (BGBl. II 1992, S. 1247). Zur Zuordnung der Menschenrechtskammer von Bosnien-Herzegowina als nationale Untersuchungsinstanz vgl. EGMR, Entsch. v. 15.11.2005 – Jelici, Nr. 41183/02 (The Law, 3.); zur Einordnung der Menschenrechtskommission der GUS-Staaten vgl. EGMR NJW 2005, 123. 5 Vgl. die Beiträge in: E. Klein (Hrsg.), The Monitoring System of Human Rights Treaty Obligations, 1998. 6 Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 13 Rz. 59; Zwaak, in: van Dijk/van Hoof/van Rijn/Zwaak, S. 183. Art. 5 des Entwurfs eines Abkommens über den Beitritt der EU zur EMRK (vgl. Rz. 7 Fn. 8) stellt klar, dass der EuGH nicht unter Art. 35 Abs. 2 lit. b EMRK zu fassen ist; vielmehr setzt der Gang nach Straßburg dann prinzipiell die vorherige Anrufung des EuGH nach Art. 35 Abs. 1 EMRK voraus, vgl. UerpmannWittzack, ZÖR 68 (2013), 519 (523). 7 Einzelheiten bei Gollwitzer, Anhang, Rz. 52; Meyer-Ladewig, Art. 35 Rz. 48 ff. 8 EGMR NJW 2012, 3501 f. – Petrovic. 9 Jüngere Beispiele für einen Missbrauch des Beschwerderechts sind indes: EGMR NJW 2007, 2097 – Hüttner; NVwZ 2010, 1541, Rz. 62 ff. – Mirolubovs; NJW 2012, 3501 f. – Petrovic. 10 Vgl. Meyer-Ladewig, Art. 35 Rz. 54, sowie eingehend Meyer-Ladewig/Petzold, NJW 2011, 3126 ff. 11 Deutlich EGMR NJW 2010, 3081 (3082) – Korolev, wo es um die fehlende Zwangsvollstreckung über einen Betrag von weniger als einem Euro ging. Auch im Fall „Ionescu“, in dem ein Gesamtschaden von 90 Euro geltend gemacht wurde, befand der Gerichtshof, dass dieser Betrag keine erheblichen Auswirkungen auf das persönliche Leben des Bf. habe, vgl. EGMR EuGRZ 2010, 281, Rz. 34–36 – Ionescu. Desgleichen dürfte der vor Inkrafttreten des 14. ZP entschiedene Fall „Stephan Bock“ hierunter zu fassen sein. Dort hatte der EGMR entschieden, dass eine Beschwerde missbräuchlich sei, wenn der Bf. den EGMR wegen eines Betrags von 7,99 Euro verweigerter Beihilfe bei Monatsbezügen von rund 4 500 Euro in Anspruch nehme, vgl. EGMR NJW 2010, 1581 (1581) – Bock. Nach Inkrafttreten des 14. ZP vgl. etwa EGMR NJW 2011, 3143 (3144) – Holub; NJW 2011, 3145 (3146) – Dudek, in denen der Gerichtshof auch zum „Querulantentum“ Stellung bezieht. 12 Das Festhalten einer Person, das nur wenige Minuten die gesetzliche vorgeschriebene Frist überschreitet, dürfte als geringfügige Rechtsverletzung anzusehen sein, vgl. ähnlich bereits EGMR NJW 1999, 775 (778) – K.F. 13 Insoweit besteht eine Parallelität zu Art. 37 Abs. 1 S. 2 und Art. 39 Abs. 1 EMRK, vgl. EGMR NJW 2010, 3081 (3082) – Korolev; vgl. auch EGMR EuGRZ 2010, 281, Rz. 37–40 – Adrian Mihai Ionescu. Zur Stärkung der Leistungsfähigkeit des Gerichtshofs sieht Art. 5 des zur Zeichnung aufliegenden 15. ZP (vgl. Rz. 8
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Rz. 120 EMRK müssen kumulativ vorliegen.1 Der Unzulässigkeitsgrund gem. Art. 35 Abs. 3 lit. b EMRK wird von Amts wegen überprüft,2 wobei er allerdings nicht für jene Beschwerden gilt, die vor Inkrafttreten des 14. ZP für zulässig erklärt worden sind (vgl. Rz. 74a). 9. Geltendmachung eines Entschädigungsanspruchs Eine Entscheidung des EGMR, in der die Verletzung der Konvention oder eines ihrer Protokolle festgestellt wird, verpflichtet die betroffene Vertragspartei, den konventionswidrigen Zustand zu beenden und so weit wie möglich die Situation vor der Verletzung wiederherzustellen. Dabei ist die Vertragspartei bei der Wahl der Mittel für eine Restitution prinzipiell frei.3 Verhindert das nationale Recht aber diese Form der Wiedergutmachung vollständig oder teilweise, kann der Gerichtshof gem. Art. 41 EMRK dem Bf. eine gerechte Entschädigung in Geld zusprechen.4 Allerdings gewährt der Gerichtshof eine solche Entschädigung nur auf Antrag.5 Der Antrag auf Entschädigung soll bereits – genau beziffert und belegt – mit der Beschwerdeschrift gestellt werden (Art. 60 VerfO). Er kann aber auch noch bis zur Entscheidung über die Zulässigkeit nachgeholt werden. Zu einem späteren Zeitpunkt gestellte Anträge werden nicht berücksichtigt.6
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IV. Entscheidungen des EGMR und ihre Rechtswirkungen Wie erwähnt (Rz. 74 ff.) erlässt der EGMR Entscheidungen und Urteile. Entscheidungen ergehen über die Frage der Zulässigkeit einer Beschwerde; über die Begründetheit einer Beschwerde wird durch Urteil entschieden. Im Folgenden werden – wegen ihrer besonderen Relevanz für die anwaltliche Berufstätigkeit gerade auch in innerstaatlichen Verfahren – nur die Sachentscheidungen des EGMR einer näheren Analyse unterzogen. Hinsichtlich der Wirkung von Zulässigkeitsentscheidungen kann auf die Spezialliteratur verwiesen werden.7
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1. Inhalt und Form der Urteile Urteile des EGMR – vorwiegend also der Kammern und der Großen Kammer, in eindeutigen Fällen auch der Ausschüsse (vgl. Art. 28 Abs. 1 lit. b EMRK) – werden gem. Art. 77 Abs. 1 VerfO vom Kammer- oder Ausschusspräsidenten und vom Kanzler des EGMR unterzeichnet. Art. 77 Abs. 2 VerfO sieht die Möglichkeit einer Verkündung des Urteils in öffentlicher Sitzung vor. In der Praxis ist das bei Kammerurteilen jedoch die Ausnahme.8 Wird das Urteil nicht in öffentlicher Sitzung verkündet, so gilt die Übermittlung einer beglaubigten Kopie durch den Kanzler als Verkündung (Art. 77 Abs. 2 S. 3 und Abs. 3 VerfO). Das endgültige Urteil (vgl. Rz. 75 f.) wird veröffentlicht, vgl. Art. 44 Abs. 3 EMRK; Art. 78 VerfO. Der Urteilsspruch beschränkt sich in aller Regel darauf, eine Konventionsverletzung festzustellen oder zu verneinen.9 Ist ein Antrag nach Art. 41 EMRK gestellt (s. Rz. 118), enthält der Urteilsspruch bei einer Konventionsverletzung auch eine (konkrete) Verpflichtung zur Leistung. Nach Art. 45 Abs. 1 EMRK müssen Urteile begründet werden.10 Der Aufbau des Urteils richtet sich nach Art. 74 Abs. 1 VerfO. Das Urteil beginnt mit einem Überblick über den Prozessverlauf vor dem EGMR, dem sich eine Schilderung des Sachverhalts und eine Zusammenfas-
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Fn. 12) vor, dass die Worte „and provided that no case may be rejected on this ground which has not been duly considered by a domestic tribunal“ in Art. 35 Abs. 3 lit. b EMRK gestrichen werden. EGMR EuGRZ 2010, 281, Rz. 41 – Adrian Mihai Ionescu. EGMR EuGRZ 2010, 281, Rz. 30 – Adrian Mihai Ionescu. EGMR ÖJZ 2002, 855, Rz. 78 – VgT Verein gegen Tierfabriken. – Vgl. aber auch Rz. 120. EGMR EuGRZ 1996, 608 (609) – Schuler-Zgraggen; EuGRZ 1999, 316, Rz. 33 – Iatridis. Zu den Voraussetzungen der Zubilligung einer gerechten Entschädigung im Einzelnen vgl. Lenz, in: Dörr/ Lenz, Rz. 584–589. Diese Entschädigung ist nach deutschem Recht weder abtretbar noch pfändbar, vgl. BGH NJW 2011, 2296 (2298 ff.). EGMR, Urt. v. 26.9.2000 – Van Vlimmeren u.a., Nr. 25989/94, Rz. 40. – Zu Grund und Höhe des Entschädigungsanspruchs eingehend O. Dörr, in: Dörr/Grote/Marauhn, Kap. 33 Rz. 10 ff. Ausführlich etwa Cremer, in: Dörr/Grote/Marauhn, Kap. 32 Rz. 2–42. Im Falle der Urteile der Ausschüsse gilt gemäß Art. 77 Abs. 2 S. 3 VerfO die Regelung des Art. 77 Abs. 3 VerfO. In Ausnahmefällen, wo dem verurteilten Staat keine Handlungsalternative zur Beendigung einer noch andauernden Konventionsverletzung verbleibt, spricht der EGMR aber selbst im Urteil aus, welche konkrete Maßnahme der Staat zu deren Beendigung ergreifen muss, vgl. EGMR EuGRZ 2004, 268, Rz. 203 – Assanidze, dazu Breuer, EuGRZ 2004, 259 ff.; ferner Schmahl, EuGRZ 2008, 369 (374). Dies gilt nicht für Entscheidungen des Einzelrichters und des Ausschusses, mit denen jeweils eine Beschwerde einstimmig als unzulässig verworfen wird, vgl. Art. 52A Abs. 1 S. 3, Art. 53 Abs. 5 VerfO.
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EMRK Rz. 121 sung des Parteivortrags anschließt. Darauf folgt eine Darstellung der relevanten innerstaatlichen Rechtslage und Praxis, in deren Rahmen häufig auch die Judikatur der nationalen Gerichte entscheidend ist.1 Nach einer Schilderung des bisherigen Verfahrensgangs wird dann im rechtlichen Teil („The Law“) auf die verschiedenen geltend gemachten Konventionsverletzungen im Einzelnen eingegangen. Hier folgt der EGMR dem Aufbau nach Anwendbarkeit der Garantie, Schutzbereich, Eingriff und Rechtfertigung des Eingriffs. Art. 45 Abs. 2 EMRK, Art. 74 Abs. 2 VerfO sehen bei Kammerentscheidungen die Möglichkeit von Sondervoten (zustimmende oder abweichende persönliche Meinungen) vor. Die Urteile ergehen gem. Art. 76 VerfO in englischer oder französischer Sprache, sofern der Gerichtshof nicht beschließt, ein Urteil in beiden Amtssprachen zu erlassen. 2. Rechtskraftwirkung inter partes 121
Die Urteile des EGMR sind nach Maßgabe des Art. 44 EMRK endgültig und rechtsverbindlich. Sie erwachsen damit in formelle Rechtskraft. Zudem wird ihnen über die Vorschrift des Art. 46 Abs. 1 EMRK materielle Rechtskraftwirkung zugesprochen, die von den Mitgliedstaaten in den jeweiligen personellen, sachlichen und zeitlichen Grenzen des Streitgegenstandes zu beachten ist.2 Allerdings entfalten die Urteile des EGMR keine Kassationswirkung, sondern können die Unvereinbarkeit nationaler konventionswidriger Urteile und Gesetze lediglich feststellen.3 Gleichwohl haben sich die Konventionsstaaten verpflichtet, in allen Rechtssachen, in denen sie Partei sind, das endgültige Urteil des Gerichtshofs zu befolgen und die Konventionsverletzung zu beenden, nicht zu wiederholen oder zumindest ihre Folgen zu beseitigen.4 Diese aus Art. 46 Abs. 1 EMRK folgende Beendigungs- und Nichtwiederholungspflicht trifft den Staat als Streitpartei und damit zugleich alle für ihn handelnden Organe der Legislative, Exekutive und Judikative, soweit sie aufgrund ihrer Zuständigkeit mit dem Fall befasst sind.5 Die Durchführung des Urteils wird gem. Art. 46 Abs. 2 bis Abs 5 EMRK vom Ministerkomitee überwacht.6
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Auf welchem Wege der von einem Urteil betroffene Staat der festgestellten Konventionsverletzung abhilft, ist grds. der Entscheidung seiner Organe überlassen.7 Die von den staatlichen Organen ausgewählten Mittel zur Beseitigung des Konventionsverstoßes müssen aber zu einem Ergebnis führen, das den Anforderungen Rechnung trägt, die der Gerichtshof in seiner Entscheidung für die Behebung der festgestellten Konventionsverletzung aufgestellt hat.8 Ergibt das Urteil, dass der Gerichtshof eine nationale Rechtsvorschrift für konventionswidrig hält, und kann dem Konventionsverstoß nicht durch völkerrechtskonforme Auslegung der betreffenden Norm abgeholfen werden, muss der Gesetzgeber tätig werden. Hierbei kommt ihm ein Beurteilungsspielraum zu, der ggf. auf null schrumpfen kann, was vor allem dann der Fall sein kann, wenn eine nationale Rechtsordnung strukturelle Mängel aufzeigt, die durch das sog. „Piloturteilsverfahren“ vom EGMR festgestellt werden.9 War ein 1 In jüngerer Zeit führt der Gerichtshof vermehrt auch rechtsvergleichende Hinweise an, hierzu Breuer, JRP 2010, 223 (225 ff.), und ist darüber hinaus bestrebt, den Gewährleistungsgehalt der EMRK an internationalen Trends zu orientieren, vgl. Breuer, ZÖR 68 (2013), 729 ff. 2 E. Klein, Studies in Memory of Rolv Ryssdal, 2000, S. 705 (706 f.). 3 Polakiewicz, Die Verpflichtungen der Staaten aus den Urteilen des EGMR, 1993, S. 217 ff. 4 EGMR NJW 2004, 3401 – Haase; NJW 2010, 3699, Rz. 61 f. – Verein gegen Tierfabriken Schweiz Nr. 2. 5 EGMR NJW 2004, 3401 (3406) – Haase. Vgl. auch Meyer-Ladewig/Petzold, NJW 2005, 15 (17). 6 Zur Überwachungstätigkeit des Ministerkomitees im Einzelnen vgl. Gollwitzer, Anhang, Rz. 78; Okresek, EuGRZ 2003, 168 (172 f.); Mayer-Ladewig, Art. 46 Rz. 43 ff. – Die konsequente Nichtbeachtung eines EGMR-Urteils durch die Organe des verurteilten Staates begründet seit dem Inkrafttreten des 14. ZP zudem die Möglichkeit, dass das mit der Überwachung der Urteilsbefolgung betraute Ministerkomitee den EGMR anruft, um die Nichtumsetzung feststellen zu lassen, vgl. Art. 46 Abs. 4 EMRK sowie näher oben Rz. 76. 7 Grundlegend EGMR EuGRZ 1979, 454 – Marckx. Die volle Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes ist nur in Ausnahmefällen möglich, wie etwa durch Rückübertragung des zu Unrecht entzogenen Eigentums, vgl. EGMR EuGRZ 1996, 593 – Hentrich. 8 EGMR ÖJZ 2002, 74, Rz. 249 – Scozzari und Giunta. Vgl. auch Ress, EuGRZ 1996, 350 ff. 9 Grundlegend: EGMR EuGRZ 2004, 472, Rz. 193 – Broniowski; sowie EuGRZ 2005, 563 – Broniowski. Vgl. auch EGMR, Urt. (GrK) v. 19.6.2006 – Hutten-Czapska, Nr. 35014/97, Rz. 231 und 239; Urt. v. 13.11.2007 – Driza, Nr. 33771/02, Rz. 122 ff.; Urt. v. 15.1.2009 – Burdov, Nr. 33509/04, Rz. 126 ff.; Urt. v. 28.7.2009 – Olaru, Nr. 476/07, Rz. 49 ff.; EuGRZ 2010, 700, Rz. 59 ff. – Rumpf; Urt. v. 10.1.2012 – Ananyev, Nr. 42525/07, Rz. 145 ff. Zu Genese und Fortentwicklung der Piloturteilstechnik im Einzelnen vgl. Breuer, EuGRZ 2004, 445 ff.; Breuer, in: Karpenstein/Meyer, Art. 46 Rz. 20 ff. m.w.N. Allerdings hat der EGMR den Staaten bei der Umsetzung von Piloturteilen gelegentlich einen gewissen Beurteilungsspielraum zugestanden, vgl. z.B. EGMR, Entsch. v. 4.12.2007, Nr. 50003/99 – Wolkenberg u.a., Rz. 61, 64; Entsch. v. 4.12.2007, Nr. 11208/02 –
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Rz. 124 EMRK Verwaltungsakt konventionswidrig und dauert die festgestellte Konventionsverletzung noch an, hat die Behörde ihn – so eine Ermessensreduzierung auf null vorliegt und der EGMR daher eine konkrete Abhilfemaßnahme anordnen kann – unter Anwendung des Verwaltungsverfahrensgesetzes aufzuheben;1 unter den gleichen Bedingungen ist eine konventionswidrige Verwaltungspraxis zu ändern.2 Stellt der EGMR hingegen fest, dass eine Gerichtsentscheidung gegen die EMRK verstoßen hat, ist die Rechtslage komplizierter. Wegen des Gebots der Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtswegs vor Einlegung einer Individualbeschwerde (s. Rz. 101) sind die vom EGMR überprüften Urteile der nationalen Gerichtsbarkeit in aller Regel rechtskräftig. Um die Konventionsverletzung zu beenden, ist daher die Eröffnung der Möglichkeit einer Wiederaufnahme des gerichtlichen Verfahrens sinnvoll – wiewohl aus Sicht der EMRK nicht zwingend geboten.3 Mittlerweile gelten in Deutschland in verschiedenen Verfahrensordnungen ausdrückliche Wiederaufnahmegründe (vgl. Rz. 2).4 Gibt es keine Wiederaufnahmemöglichkeit, ist wenigstens in neuen innerstaatlichen Verfahren die Rechtsansicht des EGMR zugrunde zu legen, um die Konventionsverletzung nicht zu wiederholen. Nach jüngster Judikatur des BVerfG in seiner Entscheidung zur Sicherungsverwahrung aus dem Jahre 2011 stehen gar Entscheidungen des EGMR, die neue Aspekte für die Auslegung des Grundgesetzes enthalten, rechtserheblichen Änderungen gleich, die zu einer Überwindung der Rechtskraft einer Entscheidung des BVerfG führen können.5 Nur für den Fall, dass die eingetretene Verletzung nicht – oder nicht vollständig – wiedergutzumachen ist und das nationale Recht eine eigenständige Wiedergutmachung nicht vorsieht, hat der EGMR die Möglichkeit, selbst eine gerechte Entschädigung nach Art. 41 EMRK auszusprechen, der der konventionswidrig handelnde Vertragsstaat nachzukommen hat.6 Diese Entschädigung umfasst zum einen den Ersatz für materiellen oder immateriellen Schaden,7 zum anderen den Ersatz der Kosten und Auslagen im Verfahren (s. Rz. 86). Der Staat ist zu deren alsbaldiger Zahlung verpflichtet. Für den zu zahlenden Betrag setzt der EGMR dem verurteilten Staat meist eine Frist von drei Monaten und ordnet die Verzinsung der zu zahlenden Beträge an.8 Es handelt sich insoweit um ein Leistungsurteil, das innerstaatlich für vollstreckbar erklärt werden kann.9 Eine Sanktionierung durch Festsetzung eines Zwangsgeldes hat der EGMR aber bisher abgelehnt.
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3. Orientierungswirkung Ergeht ein Urteil gegen einen Konventionsstaat, ist dieses für die anderen Vertragsstaaten nicht nach Art. 46 EMRK verbindlich; eine dem § 31 Abs. 1 BVerfGG entsprechende Vorschrift kennt die EMRK nicht. Gleichwohl geben die Urteile des EGMR aber allen Konventionsstaaten Anlass, ihre Rechtsordnung zu überprüfen und sich bei einer möglicherweise
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Witkowska-Tobola, Rz. 65 ff.; hierzu Schmahl, EuGRZ 2008, 369 (380 f.). Seit Februar 2011 sind Voraussetzungen und Folgen eines Piloturteilsverfahrens „sekundärrechtlich“ in Art. 61 VerfO niedergelegt; eingehend dazu Breuer, EuGRZ 2012, 1 (3 ff.). Kann etwa eine konventionswidrige Inhaftierung des Bf. nur durch seine Freilassung beendet werden, so liegt eine Ermessensreduzierung auf null vor, um den fortdauernden Konventionsverstoß zu beenden, vgl. EGMR EuGRZ 2004, 268, Rz. 203 – Assanidze. Lenz, in: Dörr/Lenz, Rz. 605. Vgl. EGMR EuGRZ 2004, 777 (778) – Lyons. – Freilich hat das Ministerkomitee die Konventionsstaaten rechtspolitisch zur Einführung von Wiederaufnahmeklauseln aufgefordert, vgl. die Empfehlung R (2000) 2, EuGRZ 2004, 808. Der jüngeren Rspr. des EGMR lässt sich im Ansatz sogar eine Durchbrechung der Rechtskraft innerstaatlicher Urteile entnehmen, vgl. EGMR EuGRZ 2004, 779, Rz. 47 – Sejdovic, sowie – etwas zurückhaltender – EGMR (GrK), Urt. v. 1.3.2006 – Sejdovic, Nr. 56581/00, Rz. 120–124. Vgl. auch EGMR, Urt. v. 17.9.2009 – Scoppola, Nr. 10249/03, Rz. 150, 157. Beispiele aus der Rechtsprechung zur erfolgten Wiederaufnahme nach § 359 Nr. 6 StPO finden sich bei Walter, in: Dörr/Grote/Marauhn, Kap. 31 Rz. 55–58. Zur „indirekten Wiederaufnahme“ durch eine erneute Beschwerde an den EGMR bei mangelhafter Durchführung des zuvor erlassenen Urteils, vgl. EGMR NJW 2010, 3699, Rz. 89 – Verein gegen Tierfabriken Schweiz Nr. 2; vgl. auch EGMR NJW 2010, 3703 (3704) – Öcalan. BVerfGE 128, 326, Leitsatz 1 und Rz. 82 – Sicherungsverwahrung II, unter Bezugnahme auf EGMR EuGRZ 2010, 25, Rz. 124 ff. – M.; zur deutschen Sicherungsverwahrung im Verhältnis zur EMRK vgl. auch BVerfG, EuGRZ 2011, 413, Rz. 19 ff., sowie Peglau, NJW 2011, 1924 ff.; Grabenwarter, EuGRZ 2012, 507 ff., und jüngst EGMR, Urt. v. 7.6.2012 – K., Nr. 61827/09, Rz. 84 ff.; Urt. v. 28.6.2012, – S., Nr. 3300/10, Rz. 84 ff. Üblicherweise wird die gerechte Entschädigung freilich gemeinsam mit dem Urteil in der Hauptsache gewährt, sofern die Sache spruchreif ist, vgl. Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 15 Rz. 5. Im Einzelnen vgl. Meyer-Ladewig, Art. 41 Rz. 7 ff. Peukert, in: Frowein/Peukert, Art. 41 Rz. 98. Wittinger, NJW 2001, 1238 (1239); Soergel/E. Klein/Breuer, Anh § 839 Rz. 477.
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EMRK Rz. 125 erforderlichen Änderung an der einschlägigen Rspr. des EGMR zu orientieren, die den aktuellen Entwicklungsstand der Konvention und ihrer Protokolle widerspiegelt.1 Diese Orientierungsverpflichtung folgt aus Art. 1 EMRK, wonach die Konventionsstaaten allen ihrer Hoheitsgewalt unterstehenden Personen die in der Konvention bestimmten Rechte und Freiheiten zusichern müssen. Vor allem wenn sich bereits eine gefestigte Rspr. des EGMR abzeichnet, müssen sich die innerstaatlichen Gerichte an der Rechtsauffassung des EGMR ausrichten.2 E. Stellung und Bedeutung der EMRK in der deutschen Rechtsordnung I. Normative und faktische Bedeutung 125
Die EMRK und ihre Protokolle stehen in Deutschland im Rang eines einfachen Bundesgesetzes (Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG) und können damit Verfassungsrecht nicht verdrängen.3 Diese Rangzuweisung führt dazu, dass deutsche Gerichte im Fall einer Kollision von Normen der EMRK mit denen deutscher Bundesgesetze eine Lösung auf der Ebene der normhierarchischen Gleichordnung zu finden haben. Dabei sind die Verbürgungen der EMRK von den deutschen Gerichten wie jedes andere Gesetzesrecht des Bundes im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung zu beachten und anzuwenden (s. Rz. 2). Um darüber hinaus die Bindung an die EMRK pro futuro nicht leerlaufen zu lassen, findet diese menschenrechtskonforme Auslegung deutscher Gesetze sogar bei denjenigen Gesetzen Anwendung, die zeitlich später erlassen worden sind als die Konvention. Insoweit wird der lex posterior-Grundsatz überwunden; die EMRK-Garantie kommt als das speziellere Gesetz zur Anwendung.4 Vor diesem Hintergrund zieht das BVerfG die Konvention seit rund 25 Jahren sogar bei der Interpretation des Grundgesetzes als Auslegungshilfe heran (vgl. Rz. 2).
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Im Einzelnen folgt hieraus: Steht einem Grundrecht ein verwandtes EMRK-Recht zur Seite, wirkt die (rechtlich) verpflichtende Kraft des Menschenrechts in den Schutzbereich des Grundrechts ein und dient zur Ermittlung seines Inhalts.5 Die menschenrechtlichen Verbürgungen wirken sich aber nicht nur auf den Schutzbereich der Grundrechte aus, sondern vermögen ihren Geltungsbefehl auch auf den Schrankenbereich zu erstrecken. Einfaches Recht, das geeignet sein kann, ein Grundrecht einzuschränken, ist menschenrechtskonform auszulegen, soweit dies nach allgemeinen Interpretationsregeln (Wortlautgrenze) zulässig ist.6 Selbst wenn keine normative Erweiterung stattfindet, kommt es vor, dass die EMRK in Gerichtsurteilen herangezogen wird, um ein aufgrund des nationalen Verfassungsrechts gewonnenes Ergebnis faktisch zu bestärken.7
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Da die Konvention mit dem EGMR eine besondere Instanz errichtet hat, die die Einhaltung der EMRK-Garantien abschließend kontrolliert (Art. 19, 32 EMRK), ist prinzipiell auch deren Interpretation der Menschenrechtsnorm Auslegungshilfe für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite von Grundrechten (vgl. Rz. 2).8 Dies gilt namentlich im Rahmen der Orientierungswirkung, die EGMR-Urteile entfalten, wenn sie sich gegen eine andere Vertragspartei als die Bundesrepublik Deutschland richten (s. Rz. 124). Ist die Bundesrepublik hingegen selbst von einem Urteil des Straßburger Gerichtshofs als Streitpartei betroffen (s. Rz. 121 f.), besteht ohnehin eine Bindungswirkung i.S.d. Art. 46 Abs. 1 EMRK. Diese Bindungswirkung erstreckt sich auf alle staatlichen Organe und verpflichtet diese, im Rahmen ihrer Zuständigkeit und ohne Verstoß gegen die Bindung an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 1 Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 16 Rz. 8; Pache, EuR 2004, 393 (403 ff.). 2 Meyer-Ladewig, Art. 46 Rz. 16 ff.; E. Klein, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. VI/1, 2010, § 150 Rz. 131. Weitergehend Frowein, in: Frowein/Peukert, Art. 46 Rz. 18. 3 BVerfGE 111, 307 (316 f.) – Görgülü. Vgl. auch BVerfGE 120, 180 (200). – Wissenschaftliche Ansätze, den Normen der EMRK im deutschen Rechtsraum Vorrang vor Gesetzes- oder gar vor Verfassungsrecht zuzuerkennen (vgl. nur Hoffmeister, Der Staat 40 [2001], 364 ff.; Walter, ZaöRV 59 [1999], 972 ff.), haben sich bislang nicht durchgesetzt. 4 BVerfGE 74, 358 (370) – Unschuldsvermutung. Vgl. auch BVerfGE 111, 307 (324) – Görgülü. 5 Krüger/Polakiewicz, EuGRZ 2001, 92 (94); Grabenwarter, VVDStRL 60 (2001), 290 (317 ff.). Jüngst auch BVerfGE 128, 326, Rz. 88 – Sicherungsverwahrung II. 6 Tomuschat, in: HStR VII, § 172 Rz. 27 ff. Vgl. auch BVerfG, EuGRZ 2008, 202 (208) – Caroline II; sowie Frenz, NJW 2008, 3102 ff. 7 Vgl. z.B. BVerfGE 82, 106 (120) – Unschuldsvermutung II, sowie Grabenwarter, VVDStRL 60 (2001), 290 (320 ff.). 8 Vgl. jüngst etwa BVerfGE 128, 326, Rz. 89 – Sicherungsverwahrung II; vgl. auch BVerfG, EuGRZ 2010, 145 (147).
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Rz. 129 EMRK GG) einen fortdauernden Konventionsverstoß zu beenden und einen konventionsgemäßen Zustand (wieder-)herzustellen. Das BVerfG hat in seinem „Görgülü“-Beschluss (s. Rz. 2) indes hervorgehoben, dass die deutschen Gerichte auch im Rahmen von Art. 46 Abs. 1 EMRK nur die Pflicht hätten, die Gewährleistungen der EMRK und die Entscheidungen des EGMR im Rahmen methodisch vertretbarer Gesetzesauslegung „wertend zu berücksichtigen“.1 Denn es sei letztlich Aufgabe der nationalen Gerichte, eine Entscheidung des EGMR in das betroffene ausbalancierte Teilsystem der nationalen Rechtsordnung einzupassen.2 Diese Argumentation vermag jedoch nicht umfänglich zu überzeugen. Zwar sind bei der Abwägung von Grundrechtssphären in sog. „mehrpoligen Grundrechtsverhältnissen“ schwierige Wertungsfragen zu beantworten, deren Lösung zunächst im nationalen Recht zu finden ist. Dies schließt aber nicht aus, dass eine konkrete nationale Gerichtsentscheidung eine EMRK-Garantie verletzt, was der EGMR verbindlich feststellt. Ebenso wie das BVerfG entscheidet auch der EGMR regelmäßig in Kenntnis des Ausgangsrechtsstreites und wägt die im Privatrechtsverhältnis widerstreitenden Grundrechte gegeneinander ab.3 Dem prinzipiellen Verhältnis von EMRK und einfachem Bundesrecht zufolge (s. Rz. 125) setzt sich insoweit die EMRK durch, es sei denn sie kollidiert mit höherrangigem Recht. Eine Kollision mit dem Grundgesetz ist aber nicht schon dann gegeben, wenn der EGMR im Rahmen einer Güterabwägung eine andere Wertung trifft als das BVerfG. In diesen Fällen gibt es kein „Mehr“ oder „Weniger“ an Grundrechtsschutz, sondern schlicht ein anderes Abwägungsergebnis. Wenn etwa das BVerfG im Fall „Caroline von Hannover“ das Persönlichkeitsrecht hinter der Pressefreiheit zurücktreten lässt,4 während der EGMR gerade im entgegengesetzten Sinne urteilt,5 so bedeutet jede der Entscheidungen zugunsten der Freiheit des einen immer zugleich eine Beschränkung der Freiheit des anderen.6 In diesen unterschiedlichen Abwägungsergebnissen kann nur dann ein Verstoß gegen das deutsche Verfassungsrecht zu sehen sein, wenn das Grundgesetz die vom EGMR gefundene Feststellung einer Rechtsverletzung eindeutig missbilligen würde. Dies dürfte jedoch nur in außergewöhnlichen Konstellationen der Fall sein.7 Im Übrigen steht § 31 Abs. 1 BVerfGG der Befolgung eines Urteils des EGMR nicht entgegen; diese Norm muss völkerrechtsfreundlich zugunsten des Straßburger Gerichtshofs ausgelegt werden.8 Am Beispiel der Sicherungsverwahrung hat das BVerfG im Jahre 2011 freilich gezeigt, dass es seine eigene Judikatur zu revidieren bereit ist, wenn der EGMR eine Konventionsverletzung feststellt.9 Auch wenn es weiterhin einer schematischen Parallelisierung ablehnend gegenübersteht und die Grenzen der völkerrechtsfreundlichen Auslegung betont, bindet das BVerfG nunmehr deutlicher als je zuvor seine Judikatur zur Rezeption der EMRK an Art. 1 Abs. 2 GG.10
128
II. Prozessuale Bedeutung Von der materiell-rechtlichen Beachtlichkeit der EMRK und der Entscheidungen des EGMR zu trennen ist die Frage, welche prozessualen Folgen Verstöße gegen die EMRK im innerstaatlichen Rechtsraum haben können. Auch insoweit ist die Zuweisung der EMRK zum Rang des einfachen Bundesrechts (s. Rz. 125) von Bedeutung. Auf innerstaatlicher Ebene kann die EMRK deshalb lediglich bei der Rechtmäßigkeitsüberprüfung etwa von Verwaltungsakten, Rechtsverordnungen oder Landesgesetzen als unmittelbarer Prüfungsmaßstab wirken. In Betracht kommt dies z.B. bei Vorlageverfahren nach Art. 100 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 GG 1 BVerfGE 111, 307 (316 u. 325) – Görgülü. 2 BVerfGE 111, 307 (327 f.) – Görgülü. Vgl. auch BVerfGE 128, 326 (371) – Sicherungsverwahrung II. 3 Meyer-Ladewig/Petzold, NJW 2005, 15 (17); Cremer, EuGRZ 2004, 683 (696). A.A. BVerfGE 111, 307 (328) – Görgülü. – Nachteilig ist freilich, dass die Verfahrensstellung eines in eigenen Rechten betroffenen Dritten von Verfahrensregelungen des EGMR nicht hinreichend erfasst ist, dazu Rz. 79. 4 BVerfGE 101, 361 – Caroline. Vgl. aber auch BVerfG, EuGRZ 2008, 202 (211, 213) – Caroline II; NJW 2012, 756 (758) – Caroline III, sowie EGMR NJW 2012, 1053, Rz. 114 ff. – von Hannover Nr. 2. 5 EGMR NJW 2004, 2647, Rz. 76 – von Hannover. Vgl. auch den österreichischen Fall Krone Verlag GmbH, EGMR, Urt. v. 19.4.2012, Nr. 27306/07. 6 Vgl. Breuer, NVwZ 2005, 412 (414); Schmahl, JdF 2005, 290 (295 f.). A.A. O. Dörr, DVBl. 2006, 1088 (1092). 7 Grupp/Stelkens, DVBl. 2005, 133 (142); Schmahl, EuR 2008, Beiheft 1, 7 (36). 8 Vgl. KG Berlin, NJW 2005, 605 (607); zustimmend Meyer-Ladewig, Art. 46 Rz. 22; Mückl, Der Staat 44 (2005), 403 (429). A.A. Engels/Jürgens, NJW 2007, 2517 (2520). 9 BVerfGE 128, 326, Leitsatz 1 – Sicherungsverwahrung II. 10 BVerfGE 128, 326 (369–371) – Sicherungsverwahrung II. Vgl. auch Grabenwarter, EuGRZ 2012, 507 ff.; Walter, in: Dörr/Grote/Marauhn, Kap. 31 Rz. 10; Voßkuhle, NJW 2013, 1329 (1330).
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EMRK Rz. 130 über die Vereinbarkeit von Landesrecht mit einfachem Bundesrecht.1 Als direkter Maßstab bei Verfassungsbeschwerden scheiden die europäischen Menschenrechtsstandards hingegen aus. Die Konventionsrechte sind keine Grundrechte i.S.v. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG.2 Allerdings weist das BVerfG in seinem „Görgülü“-Beschluss erstmalig darauf hin, dass die dem Konventionsrecht komplementäre nationale Grundrechtsverbürgung i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 3 GG die geeignete Basis für die Erhebung einer Verfassungsbeschwerde bieten kann.3 Diese Anknüpfung an das parallele nationale Grundrecht ist der früher favorisierten Möglichkeit vorzuziehen, die Beachtung der EGMR-Urteile über das Auffanggrundrecht des Art. 2 Abs. 1 GG oder über das Willkürverbot des Art. 3 Abs. 1 GG durchzusetzen.4 Ob dieser (neue) Weg auch für Rügen eröffnet ist, die sich auf ein gegen einen anderen Konventionsstaat ergangenes Urteil des EGMR stützen, ist bislang nicht entschieden, in der Tendenz aber zu bejahen.5 III. Die EMRK in der Rechtsprechung der deutschen Gerichtsbarkeit 130
Ungeachtet der anfänglich eher restriktiven Judikatur des BVerfG zur Bindungswirkung von EGMR-Urteilen sind mittlerweile erhebliche Einflüsse der Judikatur des Straßburger Gerichtshofs auf die Rspr. deutscher Gerichte zu verzeichnen. Spätestens seit Ende der 1990er Jahre tritt das Bewusstsein für die praktische Bedeutung der in der EMRK enthaltenen Garantien immer deutlicher hervor.6 Mit den im Jahre 2011 getroffenen Entscheidungen zur Sicherungsverwahrung zeigt sich das BVerfG sogar sehr offen gegenüber den Argumenten aus Straßburg.7 Um den dialogischen Austausch zwischen den obersten Gerichten weiter zu verstärken, sieht das seit dem 2.10.2013 zur Zeichnung aufliegende 16. ZP ein Vorab-Gutachten-Verfahren vor. Danach können innerstaatliche Höchstgerichte entscheidungsrelevante Grundsatzfragen zur EMRK und ihren Protokollen in einem Zwischenverfahren dem EGMR vorlegen. Auf diese Weise soll das Risiko einer späteren Verurteilung durch den Straßburger Gerichtshof gebannt werden.8 1. Rechtsprechung des BVerfG
131
Zuvor musste man allerdings über mehrere Jahrzehnte feststellen, dass die Konventionsrechte in der praktischen Anwendung in Deutschland – auch in Verfahren vor dem BVerfG – nur eine marginale Rolle spielten. So wird noch in der Entscheidung des BVerfG zur Feuerwehrabgabe aus dem Jahre 1995 das zuvor (1994) erlassene Urteil des EGMR9 fast ausschließlich im Sachbericht erwähnt und findet in der materiellen Begründung der Entscheidung nur am Rande Berücksichtigung.10 In ähnlicher Weise hat das BVerfG 1997 aus Art. 19 Abs. 4 GG das Recht abgeleitet, die Rechtmäßigkeit einer richterlichen Durchsuchungsanordnung auch nach der Durchsuchung gerichtlich überprüfen zu lassen,11 ohne dabei Art. 13 EMRK zu nennen, der zuvor in der Literatur als Maßstab für diese Fälle erörtert worden war.12
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Eine Änderung dieser Haltung findet sich – sieht man einmal von der Rspr. zur Unschuldsvermutung ab (s. Rz. 13) – in der Entscheidung des Zweiten Senats des BVerfG zur Einstellung des Parteiverbotsverfahrens gegen die NPD (2003). Hier argumentiert die gegen die Einstellung stimmende Mehrheit des Senats, dass die Fortführung des Verfahrens u.a. die Möglichkeit geboten hätte, die nationale Judikatur zu Parteiverboten an die europäische Rechtsentwicklung in diesem Bereich anzugleichen.13 In einem Kammerbeschluss von 2004 ist diese 1 Bausback, BayVBl. 1995, 737 (739). 2 BVerfGE 34, 384 (395) – Briefverkehr von Untersuchungsgefangenen; BVerfGE 74, 102 (128) – Erziehungsmaßregel (st. Rspr.). Vgl. auch Rz. 5 Fn. 2. 3 BVerfGE 111, 307 (316 u. 329) – Görgülü; bestätigt von BVerfG, EuGRZ 2008, 202 (213) – Caroline II. Vgl. jüngst auch BVerfG, Beschl. v. 21.7.2010 – 1 BvR 420/09, Rz. 29. 4 Vgl. BVerfGE 64, 135 (157) – Dolmetscher im Strafprozess; Frowein, FS Zeidler, Bd. II, 1987, S. 1763 (1770). 5 Vgl. Breuer, NVwZ 2005, 412 f. 6 Eingehend dazu Walter, in: Dörr/Grote/Marauhn, Kap. 31 Rz. 3 m.w.N. 7 S. Rz. 128, sowie Nußberger, NVwZ 2013, 1305 (1306). 8 Vgl. EuGRZ 2013, 576. Die „Vorab-Gutachten“ des Gerichtshofs, der in einer Kammer von fünf Richtern entscheidet (vgl. Art. 2 des 16. ZP), sind rechtlich allerdings nicht verbindlich (vgl. Art. 5 des 16. ZP). 9 EGMR EuGRZ 1995, 392 – Karlheinz Schmidt. 10 Vgl. BVerfGE 92, 91 (97) einerseits und 107 f. andererseits – Feuerwehrabgabe. 11 BVerfGE 96, 27 – prozessuale Überholung. 12 Vgl. Frowein, DÖV 1998, 806 (809); Frowein, NVwZ 2002, 29 (30). 13 BVerfGE 107, 339 (394 f.) – NPD. Vgl. auch Walter, in: Grote/Marauhn (1. Aufl.), Kap. 31 Rz. 11.
162 Schmahl
Rz. 133 EMRK Tendenz ebenfalls ersichtlich. Das BVerfG setzt sich bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Abschiebung eines in Deutschland geborenen, straffällig gewordenen Ausländers nach Maßgabe der Grundrechte ausführlich mit der Rspr. des EGMR zu Art. 8 EMRK auseinander.1 Auch in seinem „Görgülü“-Beschluss bestätigt das Gericht diese EMRK-freundliche Linie, wiewohl es zugleich die aus seiner Sicht erforderlichen Grenzen der Integration in das System der EMRK betont (vgl. Rz. 128). In jüngerer Zeit ist gar eine vermehrte und vertiefte Auseinandersetzung des BVerfG mit der EMRK, ihren Protokollen und der zu diesen völkerrechtlichen Instrumenten ergangenen Judikatur des Straßburger Gerichtshofs zu beobachten. Eine eingehende Auseinandersetzung mit der Konvention und der Judikatur des EGMR findet sich etwa im „Caroline II“-Beschluss aus dem Jahre 2008.2 Auch in seinem „Lissabon“-Urteil von 2009 bezieht sich das BVerfG ausdrücklich auf Art. 3 ZP 1 und die zu dieser Norm ergangene EGMR-Judikatur, um die Wahlgleichheit nach dem Grundgesetz inhaltlich zu konturieren.3 In dem im Mai 2011 erlassenen Urteil zur Sicherungsverwahrung stellt das BVerfG – in teilweiser Abkehr von seiner bisherigen Rspr.4 – sogar darauf ab, dass die Wertungen des Art. 7 Abs. 1 EMRK5 dazu Anlass gäben, die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Ausgestaltung eines schuldunabhängigen präventiven Freiheitsentzugs, der sich von einer Freiheitsstrafe qualitativ unterscheide, zu präzisieren.6 2. Rechtsprechung des BVerwG In der Judikatur des BVerwG stehen die asyl- und ausländerrechtsbezogenen Garantien der EMRK im Mittelpunkt. Von Bedeutung ist dabei vor allem § 60 Abs. 5 AufenthG (vormals § 53 Abs. 4 AuslG), der die materiellen Garantien der Konvention ausdrücklich mit dem deutschen Ausländerrecht verknüpft und ein Abschiebungshindernis begründet, wenn eine Verletzung von Art. 3 EMRK droht.7 Allerdings hat der Straßburger Gerichtshof es überdies nicht ausgeschlossen, dass auch ein drohender Verstoß gegen andere als in Art. 3 EMRK genannte Konventionsgarantien ein Abschiebungshindernis begründen kann.8 Nach anfänglicher Zurückhaltung9 hat das BVerwG im Jahr 2000 entschieden, dass eine Abschiebung auch dann unterbleiben muss, wenn von „allen Vertragsstaaten als grundlegend anerkannte Menschenrechtsgarantien in ihrem Kern bedroht sind“.10 In Betracht kommen insoweit etwa eklatante Verstöße z.B. gegen Art. 6 und Art. 9 EMRK.11 In seiner Entscheidung zum Abschiebungsschutz für den „Kalifen von Köln“ hat das BVerwG freilich die Bindung der Türkei an die EMRK als Argument gegen besondere Menschenrechtsbedrohungen im Fall einer Abschiebung herangezogen.12 Auch das Recht auf Privatleben gemäß Art. 8 EMRK spielt bei den ausländerrechtlichen Entscheidungen des BVerwG, insbes. bei Fällen der Aufenthaltsbeendigung, eine zunehmend große Rolle.13 Insgesamt zeigt sich im Bereich des Ausländerrechts also durchaus die „normative Leitfunktion“ der EMRK.14 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
13 14
BVerfG, EuGRZ 2004, 317. BVerfG, EuGRZ 2008, 202 (211 ff.) – Caroline II. BVerfGE 123, 267 (373) – Lissabon. Vgl. BVerfGE 109, 133 (167 ff.), vgl. auch BVerfGE 109, 190 (217). Hierzu deutlich EGMR EuGRZ 2010, 25, Rz. 120–133 – M., bestätigt in: EGMR EuGRZ 2011, 20, Rz. 47, 51 – Grosskopf. BVerfGE 128, 326, Rz. 100 ff. – Sicherungsverwahrung II; vgl. auch BVerfG, EuGRZ 2011, 413 (415 f.). Ähnliche Argumentation bereits von BGH, NJW 2010, 3315, Rz. 18 ff. Zur Anwendung von Art. 3 EMRK auf Ausweisungs- und Auslieferungsfälle vgl. EGMR EuGRZ 1989, 314 – Soering; EuGRZ 1991, 203, Rz. 88 f. – Cruz Varas; NVwZ 1992, 869 – Vilvarajah; NVwZ 2012, 681, Rz. 248 ff. – Sufi und Elmi; ferner früh schon Frowein, DÖV 1999, 806 (810). EGMR EuGRZ 1989, 314, Rz. 113 – Soering. Bei flagranter Rechtsverweigerung im Aufnahmeland kann z.B. Art. 6 EMRK verletzt sein, vgl. EGMR ÖJZ 2003, 34 – Einhorn. BVerwGE 104, 265 (276) – Bürgerkriegsflüchtlinge aus Somalia; ähnlich auch BVerwGE 105, 187 (192 ff.). Hierzu kritisch Nußberger, NVwZ 2013, 1305. BVerwGE 111, 223 (228 f.) – Religionsfreiheit für Ahmadis. Zu Art. 3 EMRK deutlich auch BVerwG, Urt. v. 27.4.2010, 10 C 5.09, Rz. 17. BVerwGE 111, 223 (228 f.) – Religionsfreiheit für Ahmadis; vgl. auch BVerwGE 120, 16 (24 f.) – Religionsfreiheit, sowie BVerwG, Urt. v. 28.10.2008 – 1 C 34.07, Rz. 2; Beschl. v. 9.12.2010 – 10 C 19.09, Rz. 20 ff. Kritisch Hailbronner, DÖV 1999, 617 (620 f.). BVerwGE 122, 271 (277) – Kalif von Köln. Vgl. auch Schmahl, ZAR 2004, 217 (222). Anderes gilt, wenn zuverlässige Quellen belegen, dass der Aufnahmestaat, obgleich Mitglied des Europarates und der EU, eine Übung praktiziert, die offensichtlich im Widerspruch zu den Grundsätzen der EMRK steht, vgl. nur EGMR (GrK) NVwZ 2011, 413, Rz. 352 ff. – M.S.S. Vgl. etwa BVerwG, Urt. v. 26.10.2010 – 1 C 18.09, Rz. 14 f.; Urt. v. 13.4.2010 – 1 C 10.09, Rz. 12. Thym, EuGRZ 2006, 541 (551).
Schmahl 163
133
EMRK Rz. 134 134
Beim Asylrecht hingegen judiziert das BVerwG vergleichsweise restriktiver. Es hat in einigen Entscheidungen wiederholt eine strikte Rechtsbindung an die vom EGMR vertretene Auslegung des Art. 3 EMRK – der Gerichtshof ordnet auch nichtstaatliche Verfolgung in dessen Schutzbereich ein1 – mit der Begründung verneint, dass der Gerichtshof keine Kompetenz zur rechtsschöpferischen Auslegung des Vertragsinhalts habe.2 Dieser methodische Ansatz des BVerwG ist fragwürdig. Die EMRK formuliert einen gemeineuropäischen Mindeststandard, für dessen konkrete Bestimmung durch (auch dynamische) Auslegung der Konvention der Gerichtshof geschaffen wurde (vgl. Art. 19, 32 EMRK). Deshalb dürfte eine nationale Abweichung von den EMRK-Standards nur dort in Betracht kommen, wo der EGMR den im Vertragstext zum Ausdruck gekommenen Willen der Vertragsstaaten evident überschreitet.3
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In anderen – politisch weniger sensiblen – Bereichen ist das BVerwG indes nicht so abwehrend wie im Asylrecht. Gerade in Bezug auf den Anspruch auf eine mündliche Verhandlung nach Art. 6 Abs. 1 EMRK gibt es mehrere Entscheidungen der vergangenen Jahre, in denen das BVerwG eine EMRK-konforme Auslegung vorgenommen und der Interpretation des EGMR eine normative Präzedenzwirkung zuerkannt hat.4 Dasselbe lässt sich auch im Blick auf die anderen in Art. 6 EMRK verankerten Verfahrensgarantien konstatieren.5 Auch hinsichtlich der Wirkungen von Art. 8 EMRK zeigt sich das BVerwG zunehmend bereit, die einschlägige Rspr. des EGMR in Bezug zu nehmen.6 In einem im Jahre 2010 entschiedenen Fall zum deutschen Jagdrecht hat das BVerwG sich sogar intensiv mit der Judikatur des EGMR zur Zwangsmitgliedschaft in einem französischen Jagdverband und zur Zwangseinbringung eines Grundstücks in eine Jagdgenossenschaft, in denen vor allem die Garantien aus Art. 9 und Art. 11 EMRK im Blickpunkt standen,7 auseinandergesetzt und in die Abwägung einbezogen.8 3. Rechtsprechung des BGH a) Rechtsprechung in Strafsachen
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In der Rspr. des BGH in Strafsachen finden die EMRK-Garantien bei Auslegung und Anwendung des Strafrechts schon seit langem Berücksichtigung.9 Nur gelegentlich werden die Konventionsgarantien nicht beachtet.10 So hat es hinsichtlich der Unentgeltlichkeit der Dolmetscherhilfe für Ausländer einer ausdrücklichen Entscheidung aus Straßburg bedurft,11 und das fehlende Akteneinsichtsrecht des Verteidigers in Haftprüfungssachen wurde im Jahre 2002 für konventionswidrig erklärt.12 Die wesentlichen Entscheidungen des BGH aber beziehen die EMRK ein und setzen sich auch mit der einschlägigen Judikatur des EGMR intensiv auseinander; dies gilt für das Beschleunigungsgebot in Strafsachen nach Art. 6 Abs. 1 1 EGMR NVwZ 1997, 1100 – Ahmed. 2 BVerwGE 99, 331 (333 ff.) – Ahmed; BVerfGE 104, 265 (269 ff.) – Bürgerkriegsflüchtlinge aus Somalia. Vgl. nunmehr aber auch das die EGMR-Judikatur berücksichtigende Urteil des VG Köln, JZ 2012, 366 (368), zur Festnahme und Übergabe von Piraten an ausländische Strafverfolgungsbehörden durch die deutsche Marine. 3 Buß, DÖV 1998, 323 (329 f.); Kokott, in: Hailbronner/E. Klein (Hrsg.), Einwanderungskontrolle und Menschenrechte, 1999, S. 3 (16 f.); Walter, in: Dörr/Grote/Marauhn, Kap. 31 Rz. 23. 4 BVerwGE 110, 203 (210) – Friedhofserweiterung; ergänzt in: BVerwG NVwZ 2002, 87 f. Aus jüngerer Zeit vgl. etwa BVerwG, Beschl. v. 31.3.2011 – 4 BN 18.10, Rz. 29 – Flugplatzbetrieb. 5 Vgl. etwa BVerwG, Urt. v. 9.12.2010 – 10 C 13.09, Rz. 23; Urt. v. 28.4.2010 – 3 C 2.10, Rz. 32. 6 BVerwG NJW 1982, 2742 (2743); NVwZ 1998, 745 (748); BVerwGE 106, 13 (20 ff.); aus jüngerer Zeit etwa BVerwG, Urt. v. 26.10.2010 – 1 C 18.09, Rz. 14 f. Anders noch BVerwGE 48, 299 (302) – Schutz von Ehe und Familie. 7 EGMR NJW 1999, 3695 – Chassagnou; NuR 2008, 489 – Schneider. 8 BVerwG, Beschl. v. 23.6.2010 – 3 B 89.09, Rz. 13 ff. Freilich hält die GrK des EGMR das deutsche Jagdrecht nunmehr – entgegen der vorherigen Kammerentscheidung (Fünfte Sektion) v. 20.1.2011 – (partiell) für mit Art. 1 ZP 1 unvereinbar, vgl. Urt. v. 26.6.2012 – Herrmann, Nr. 9300/07. 9 Vgl. bereits BGHSt 14, 358 (359) – Tonband, und aus jüngerer Zeit etwa BGH NJW 2005, 2791 (zur Abwägung zwischen Beschleunigungsgebot einerseits und Prozessverschleppung durch den Angeklagten andererseits unter dem Blickwinkel von Art. 6 EMRK); BGH GSSt 1/07 EuGRZ 2008, 85, Rz. 15 ff. (zur Berücksichtigung überlanger Verfahrensdauer im Rechtsfolgenausspruch); BGH NJW 2010, 3315, Rz. 11 ff. (zur Einordnung der Sicherungsverwahrung als Strafe, für die das Rückwirkungsverbot des Art. 7 Abs. 1 EMRK gilt). 10 Zur Problematik der strafprozessrechtlichen Fehlerfolgenbewältigung im Fall „Gäfgen“ vgl. EGMR NJW 2010, 3145, Rz. 162 ff. – Gäfgen, sowie Sauer JZ 2011, 23 (27 ff.). 11 EGMR EuGRZ 1985, 62, Rz. 58 – Öztürk. Freilich war auch der deutsche Gesetzgeber über lange Zeit untätig, vgl. Odersky, Studies in Memory of Rolv Ryssdal, 2000, S. 1039 (1041). 12 EGMR NJW 2002, 2015, Rz. 53 ff. – Schöps; ferner Walter, in: Dörr/Grote/Marauhn, Kap. 31 Rz. 28.
164 Schmahl
Rz. 139 EMRK EMRK1 ebenso wie für die Durchsetzung des Fragerechts des Angeklagten ggü. anonymen oder abwesenden Zeugen aus Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK,2 für die Sicherungsverwahrung unter dem Blickwinkel von Art. 5 und Art. 7 EMRK3 und für die Grenzen des Einsatzes von Lockspitzeln.4 b) Rechtsprechung in Zivilsachen Demgegenüber spielte die Konvention in der Rspr. des BGH in Zivilsachen über lange Zeit nur eine untergeordnete Rolle. Bei überwiegend privatrechtlichen Streitigkeiten mag dies wohl auch mit der Natur der Sache zu erklären sein. Gleichwohl wurde die Bedeutung der EMRK gelegentlich auch dann vernachlässigt, wo sie tatsächlich relevant ist. Dies gilt etwa für die Frage von Belehrungspflichten bei Zustellung im Ausland durch Aufgabe zur Post (§ 175 Abs. 1 S. 2 ZPO). Hier hatte der BGH zwar die zu Art. 6 EMRK ergangene Entscheidungspraxis der Kommission herangezogen, dabei aber eine besonders restriktive Interpretation dieser Praxis gewählt.5 Wie eine spätere Kammerentscheidung des BVerfG verdeutlicht, ist dieses Ergebnis freilich auch manchen Versäumnissen der Prozessbevollmächtigten der Beklagten im konkreten Fall geschuldet gewesen.6
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Eine vergleichsweise umfangreiche Judikatur gibt es indes zum Anspruch für rechtswidrige Inhaftierung aus Art. 5 Abs. 5 EMRK. Dabei entschied der BGH sogar schon im Jahre 1966, dass der Entschädigungsanspruch unabhängig von einem Verschulden der Staatsorgane besteht, vorausgesetzt die Inhaftierung war rechtswidrig.7 Wo es an Regelungen der EMRK zur praktischen Durchsetzung des Anspruchs fehle, könnten nationale Bestimmungen – die Regeln des Deliktsrechts – (analog) herangezogen werden.8 Außerdem besteht nach der jüngeren Judikatur des BGH der Schadensersatzanspruch nicht nur bei rechtswidriger Inhaftierung, sondern auch bei konventionswidrigen Haftbedingungen und umfasst auch immaterielle Schäden, die durch Schmerzensgeld auszugleichen sind.9 Auch die deutsche Presserechtsprechung steht seit der „Caroline“-Entscheidung des EGMR (2004),10 in der der Gerichtshof – anders als zuvor noch das BVerfG11 – dem Schutz der Privatsphäre der Prominenten Vorrang vor der Pressefreiheit gewährt, unter europäischem Einfluss und bezieht seither das abgestufte Schutzkonzept des EGMR in die Auslegung der §§ 22, 23 KUG ein.12
138
4. Sonstige Rechtsprechung Auch die anderen obersten Bundesgerichte setzen sich in ihrer Rspr. mittlerweile mit der EMRK auseinander.13 Deutlich wird dies etwa bei der st. Rspr. des BFH zur fehlenden Anwendbarkeit von Art. 6 Abs. 1 EMRK in steuerrechtlichen Verfahren, die der EGMR jüngst bestätigt hat.14 Auch die gegen Art. 8 i.V.m. Art. 14 EMRK verstoßende unterschiedliche Be1 BGHSt 24, 239 (240 f.); NStZ 1982, 291 (292). 2 BGHSt 46, 93 (94 f.) – Fragerecht ggü. Belastungszeugen; BGH, NStZ 2004, 505 (506). Vgl. aber auch die Verurteilung Deutschlands in EGMR NJW 2013, 3225 (3226 f.) – Hümmer, weil der Angeklagte im Ermittlungsverfahren keine Gelegenheit hatte, die Personen zu befragen, deren Aussagen in das Verfahren eingeführt worden waren. 3 Allerdings waren sich die verschiedenen Senate des BGH in Bezug auf die Reichweite der EGMR-Judikatur zunächst nicht einig, vgl. nur BGH, NJW 2010, 3315, Rz. 11 ff., BGH, NJW 2010, 1539 (1544) und BGH, EuGRZ 2010, 359 (361). Klärung verschaffte erst das Urteil des BVerfG v. 4.5.2011 (BVerfGE 128, 326), was nicht zuletzt BGHSt 56, 248 (251) verdeutlicht. Zum Regressanspruch gem. Art. 5 Abs. 5 EMRK wegen nachträglich verlängerter Sicherungsverwahrung vgl. jüngst BGH, JZ 2013, 1161 f. m. Anm. Breuer. 4 Vgl. nur BGHSt 45, 321. Hierzu detailliert Walter, in: Dörr/Grote/Marauhn, Kap. 31 Rz. 33. 5 BGH, NJW 1999, 1187 (1191). 6 BVerfG, NJW 2000, 1633 (1634). Näher Walter, in: Dörr/Grote/Marauhn, Kap. 31 Rz. 35. 7 BGHZ 45, 58 (65 f.); 57, 33 (38); 122, 268 (278 f.). 8 BGHZ 45, 58 (70 ff.); Elberling, in: Karpenstein/Mayer, Art. 5 Rz. 136. 9 BGHZ 122, 268 (270 und 279 ff.). Vgl. ferner BGH, NJW 2011, 2296 (2298) zur Unpfändbarkeit der einem Individualbeschwerdeführer zugesprochenen Entschädigung. 10 EGMR NJW 2004, 2647 – von Hannover; vgl. nunmehr auch EGMR NJW 2012, 1053 – von Hannover Nr. 2; NJW 2012, 1058 – Axel Springer AG. 11 BVerfGE 101, 361 – Caroline, vgl. auch BGHZ 131, 332. Eine Änderung der Rspr. ist aber durch BVerfG, EuGRZ 2008, 202 (211 ff.) – Caroline II, erfolgt; hierzu Hofmann-Riem, NJW 2009, 20 (22 ff.). 12 Vgl. nur BGH, NJW 2005, 56 (58); NJW 2006, 599 (600); NJW 2007, 1977 (1978); NJW 2010, 3025; NJW 2011, 744 u. 746. Kritisch Wanckel, NJW 2011, 726. 13 Hierzu und zu anderen Fällen vgl. auch Walter, in: Dörr/Grote/Marauhn, Kap. 31 Rz. 41–46. 14 Vgl. BFHE 141, 106 (108); 180, 316 (324 f.) – st. Rspr., sowie EGMR NJW 2002, 3453, Rz. 20 ff. – Ferrazzini; Entsch. v. 9.6.2005 – H.M., Nr. 62512/00.
Schmahl 165
139
EMRK Rz. 140 handlung von Ausländern mit dauerhafter Aufenthaltsberechtigung und Ausländern ohne eine solche bei der Gewährung von Kindergeld1 war bereits Erörterungsgegenstand vor dem BFH. Das Gericht hielt es im Ergebnis jedoch weder auf der Grundlage des Verfassungsrechts noch auf der Basis von Art. 8 EMRK für geboten, Ausländern, die den Lebensunterhalt ihrer Familien mit Hilfe von Sozialleistungen betreiten, darüber hinaus Kindergeld zu gewähren.2 Das BSG erkennt durchgehend an, dass auch öffentlich-rechtliche Vermögenspositionen wie Sozialversicherungsansprüche in den Schutzbereich von Art. 6 EMRK und Art. 1 ZP 1 fallen können.3 Auch eine Auseinandersetzung mit der „Kudła“-Rspr. des EGMR ist kürzlich erfolgt; das Gericht legt § 160 Abs. 2 Nr. 3 SGG EMRK-freundlich dahin aus, dass der Bf. in der Nichtzulassungsbeschwerde nicht darlegen muss, dass das angefochtene Urteil auf dem Verfahrensmangel beruhe.4 Mit der Judikatur des EGMR zur überlangen Verfahrensdauer setzt sich das BSG ebenfalls auseinander.5 Aus der Judikatur des BAG sind drei Entscheidungen zu unterschiedlichen Rechtsfragen erwähnenswert, in denen die Rechtssachen unter Aufarbeitung der EGMR-Rspr. entschieden wurden. So hat das BAG in Anwendung des Grundsatzes der Waffengleichheit aus Art. 6 Abs. 1 EMRK einen Anspruch auf Zulassung der Aussage eines Zeugen verneint, der in rechtswidriger Weise ein Telefongespräch mitgehört hatte.6 Unter Bezugnahme auf die EGMR-Entscheidung im Fall „Vogt“7 hat das BAG die nicht erfolgte Übernahme eines Mitarbeiters aus dem öffentlichen Dienst der DDR wegen seiner früheren politischen Tätigkeit nicht als Verstoß gegen Art. 10 EMRK gewertet.8 Auch einen Verstoß des in § 57 Abs. 4 S. 1 SchulG NRW niedergelegten Neutralitätsgebots gegen Art. 9 EMRK konnte das BAG in Ansehung einschlägiger EGMR-Judikatur (zu Recht) nicht erkennen und hielt daher die Abmahnung einer Sozialpädagogin wegen religiöser Bekundung in der Schule für wirksam.9 IV. Ingerenzwirkungen über das Unionsrecht 140
Eine über den Einzelfall hinausgehende Wirkung von EGMR-Urteilen (vgl. Rz. 124) wird zudem indirekt dort bewirkt, wo die Unionsgerichtsbarkeit bei der Auslegung des Unionsrechts die Rspr. des Straßburger Gerichtshofes ausdrücklich rezipiert.10 Hintergrund hierfür ist, dass die EMRK von sämtlichen Mitgliedstaaten der EU ratifiziert ist11 und deshalb neben den nationalen Verfassungsüberlieferungen und universellen vertraglichen Menschenrechtsverpflichtungen die Haupterkenntnisquelle (als ein nicht zu unterschreitender Mindeststandard)12 bildet, aus der die Unionsgerichte in st. Rspr. bei der Findung allgemeiner Rechtsgrundsätze mit Grundrechtsgehalt schöpfen.13 Diese Judikatur ist seit dem Vertrag von Maastricht 1992 ausdrücklich in Art. 6 Abs. 3 EUV (vormals: Art. 6 Abs. 2 EUV a.F.) verankert. Art. 52 Abs. 3 S. 1 der Europäischen Grundrechtecharta, die mit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon Rechtsverbindlichkeit erlangt hat (vgl. Art. 6 Abs. 1 EUV), nimmt ebenfalls auf die EMRK Bezug. Damit werden die Menschenrechtsverbürgungen der EMRK14 in der Auslegung, die sie durch den EGMR erhalten haben, mittelbar unionsrechtlich verbindlich.15 So1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14
15
Hierzu EGMR, Urt. v. 25.10.2005 – Okpisz, Nr. 59140/00, Rz. 26–34. BFH, Beschl. v. 19.1.2011 – III S 44/09, Rz. 11. Ähnlich auch BFH, Urt. v. 21.10.2010 – III R 4/09, Rz. 9. BSGE 81, 1 (15); BSG, Beschl. v. 13.12.2005 – B 4 RA 220/04 B, Rz. 45 f.; Urt. v. 5.2.2008 – B 2 U 10/07 R, Rz. 37. BSG SGB 2006, 553, Rz. 23. BSG, Urt. v. 2.10.2008 – B 9 VH 1/07 R, Rz. 66; Urt. v. 20.4.2010 – B 1/3 KR 22/08 R, Rz. 10. BAGE 87, 31 (40 f.). EGMR EuGRZ 1995, 590 – Vogt. BAGE 83, 243 (258 f.). BAG, Urt. v. 20.8.2009 – 2 AZR 499/08, Rz. 25 ff. Vgl. auch BAG, Urt. v. 10.12.2009 – 2 AZR 55/09, Rz. 26, sowie BAG, Urt. v. 12.8.2010 – 2 AZR 593/09, Rz. 42. Umfangreiche Rechtsprechungsnachweise bei Cremer, in: Dörr/Grote/Marauhn, Kap. 32 Rz. 135, dort Fn. 481. In Bezug auf das anwaltliche Berufsrecht vgl. insbes. EuGH NJW 2006, 3697, Rz. 51–53, Rz. 57 und Rz. 61 – Graham J. Wilson/Ordre des avocats du barreau de Luxembourg. Die EU ist selbst noch nicht Mitglied der EMRK, allerdings steht zu erwarten, dass ein Beitritt in absehbarer Zeit erfolgen wird, vgl. Rz. 7. Hierzu Schmahl, EuR 2008, Beiheft 1, 7 (24 f.). Weitergehend E. Klein, GS Bleckmann, 2007, S. 264 ff. Seit EuGH, Urt. v. 14.5.1974, Rs. 4/73 – Nold, Slg. 1974, 491, Rz. 12 f.: st. Rspr. Wiewohl nicht ausdrücklich genannt, sind die Zusatzprotokolle „mitgemeint“, vgl. Giegerich, in: Grote/ Marauhn (1. Aufl.), Kap. 2 Rz. 27; Weiß, ZEuS 2005, 323 (331, 351). Der Entwurf des Beitrittsabkommens zwischen den Konventionsstaaten und der EU vom 5.4.2013 (vgl. Rz. 7 Fn. 8) sieht indes lediglich einen Beitritt zur EMRK und den ZP Nr. 1 und Nr. 6 vor, da nur diese von allen EU-Mitgliedstaaten ratifiziert sind, vgl. Giegerich, in: Dörr/Grote/Marauhn, Kap. 2 Rz. 37. Vgl. Krüger/Polakiewicz, EuGRZ 2001, 92 (94); Uerpmann-Wittzack, DÖV 2005, 152 (153 ff.); E. Klein, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. VI/1, 2010, § 167 Rz. 12 ff. Deutlich auch die gemeinsame Erklärung der Präsidenten von EGMR und EuGH in: EuGRZ 2011, 95.
166 Schmahl
Rz. 141 EMRK weit das Unionsrecht reicht, werden die EMRK-Garantien überdies in der (innerstaatlichen) Normenhierarchie „hochgezont“: Denn da auch die Mitgliedstaaten der EU Verpflichtete der Unionsgrundrechte sind, besitzen die Verbürgungen der EMRK über den Umweg des automatischen Nachvollzugs im EU-Recht im Anwendungsbereich der Unionsverträge sogar mittelbaren Anwendungsvorrang vor innerstaatlichem (Verfassungs-)Recht.1 Schließlich betont der EuGH auch bei der Auslegung der Grundfreiheiten des AEU-Vertrags zunehmend grundrechtliche Verbürgungen.2 Dementsprechend hat er im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 ff. AEUV), die u.a. für die Liberalisierung des Anwaltsberufs bedeutsam ist,3 mehrfach auch die Bedeutung von Anwälten als Organe der Rechtspflege in den Mittelpunkt seiner Ausführungen gestellt.4 So sind nach Ansicht des EuGH Mindesthonorare für anwaltliche Leistungen zwar prinzipiell geeignet, die Ausübung von Dienstleistungstätigkeiten zu beschränken.5 Gleichwohl könne ein nationales Verbot der Gebührenunterschreitung aus zwingenden Gründen des Gemeinwohls gerechtfertigt sein. Denn ein überzogener Wettbewerb zwischen Rechtsanwälten bringe die Gefahr eines Preiskampfes mit sich, der möglicherweise zu einem Verfall der Qualität zu Lasten der Rechtssuchenden führe. Daher müsse von den innerstaatlichen Gerichten genau überprüft werden, ob es eine solche Wechselwirkung zwischen Honorarhöhe und Qualität der Leistungen gebe und ob die Mindesthonorare geeignet seien, den Schutz der Verbraucher und einer geordneten Rechtspflege zu erreichen.6 Ferner hat der EuGH festgestellt, dass nationale Regelungen, wonach Anwaltsberuf und Teilzeitbeschäftigung im öffentlichen Dienst nicht miteinander vereinbar seien, der Vermeidung von Interessenkonflikten und Abhängigkeiten gegenüber staatlichen Stellen dienten und deshalb keinen Verstoß gegen die Dienstleistungs- oder Niederlassungsfreiheit begründeten.7 Auch im Bereich des Wettbewerbsrechts8 betont der EuGH seit langem, dass der Anwalt im Unionsrecht die Funktion habe, ein Mitgestalter der Rechtspflege zu sein. Der Anwalt habe daher in völliger Unabhängigkeit und in vorrangigem Interesse der Rechtspflege dem Mandanten diejenige rechtliche Unterstützung zu gewährleisten, die dieser benötigt. Hieraus folge, dass der Schriftverkehr zwischen Anwalt und Mandant grundsätzlich vertraulich sei.9
1 Haratsch, MRM Themenheft 2000, 62 (71); Langenfeld, in: Bröhmer (Hrsg.), Der Grundrechtsschutz in Europa, 2002, 95 (97); Ruffert, EuGRZ 2007, 245 (248). 2 Vgl. nur EuGH, Urt. v. 12.6.2003, Rs. C-112/00 – Schmidberger, Slg. 2003, I-5659, Rz. 70 f.; Urt. v. 14.10.2004, Rs. C-36/02 – Omega, Slg. 2003, I-9609, Rz. 33. 3 Zur Anerkennung von Diplomen für den Zugang zum Rechtsanwaltsberuf vgl. EuGH EuGRZ 2011, 44, Rz. 40 – Robert Koller. Zum Erfordernis des Beitritts zur Rechtsanwaltskammer im Aufnahmestaat vgl. EuGH NJW 2011, 1273 (1274) – Donat Cornelius Ebert. Zur freien Wahl des Rechtsanwalts bei Rechtsschutzversicherungen vgl. EuGH NJW 2014, 373 (374) – Jan Sneller. Zur sonstigen (überwiegend sekundärrechtlichen) Liberalisierung der Rechtsanwaltstätigkeit in der EU vgl. den Überblick von Frenz/Wübbenhorst, NJW 2011, 1262 ff. 4 Auch das Europäische Parlament hat in seiner Entschließung v. 23.3.2006 (EuGRZ 2006, 212 ff.) die wichtige Rolle anerkannt, die Rechtsberufe in einer demokratischen Gesellschaft spielen, insbes. um durch Rechtsberatung und -beistand einen angemessenen Schutz der Menschenrechte zu gewährleisten. 5 EuGH NJW 2007, 281, Rz. 59 – Cipolla/Portolese; Macrino u.a./Meloni. 6 EuGH NJW 2007, 281, Rz. 61 ff. – Cipolla/Portolese, Macrino u.a./Meloni. 7 EuGH EuZW 2011, 308 (312), Rz. 61 – Jakubowska; vgl. auch EuGH NJW 2002, 877, Rz. 100 ff. – Wouters. 8 Vgl. hierzu etwa die wettbewerbsrechtlichen Aktivitäten der Kommission auf dem Gebiet der freiberuflichen Dienstleistungen (Entschl. v. 5.9.2005, KOM [2005] 405 endg.) sowie die zunehmende grenzüberschreitende Tätigkeit von Rechtsanwaltsgesellschaften innerhalb der EU, die bei Henssler, NJW 2009, 950 ff., näher dargelegt wird. 9 Hierzu und zu den Ausnahmen bei Syndikusanwälten vgl. EuGH, Urt. v. 18.5.1982, Rs. 155/79, Slg. 1982, 1575, Rz. 24 u. 27 – AM & S Europe; Urt. v. 14.9.2010, Rs. C-550/07 P, EuGRZ 2010, 589, Rz. 45–49 – Akzo Nobel Chemicals u.a.; s. auch oben Rz. 43.
Schmahl 167
141
Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO)1 des Rechtsanwalts in der Rechtspflege 1 BRAO Stellung Der Rechtsanwalt ist ein unabhängiges Organ der Rechtspflege. A. Allgemeines/Historie . . . . . . . . . . I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . II. Gesetzgebungsgeschichte der Norm . . . B. Der Rechtsanwalt als Teil der Gerichtsverfassung . . . . . . . . . . . . . . . I. Grundsätzlich . . . . . . . . . . . . . II. Rechtsfindung als dialogischer Prozess . III. Außerforensische Tätigkeit . . . . . . . 1. Rechtsgestaltende und rechtsberatende Tätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Vertretung gegenüber Behörden und außergerichtliche Verfolgung von Ansprüchen . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Rechtsanwalt als Rechtspflegeorgan . . . 1. Der funktionelle Begriff des Rechtspflegeorgans . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Rolle des Strafverteidigers . . . . . a) Der Strafverteidiger als Organ der Rechtspflege – Fragestellung . . . . . b) Notwendiger Paternalismus der Strafverteidigung . . . . . . . . . . . . c) Lügeverbot des Strafverteidigers als Ausdruck der Organtheorie . . . . . d) Widerspruchserfordernis und Rügeverkümmerung . . . . . . . . . . .
1 1 3 9 9 17 20 21
25 27 27 29 29 30 33
3. Die verfassungsrechtliche Verortung . . .
44
C. Unabhängigkeit des Rechtsanwalts . . . I. Allgemein . . . . . . . . . . . . . . . II. Vom Staat . . . . . . . . . . . . . . . 1. Sachliche Unabhängigkeit . . . . . . . 2. Persönliche Unabhängigkeit . . . . . . a) Verfassungstreue . . . . . . . . . . b) Wirtschaftliche Unabhängigkeit als Teil der persönlichen Unabhängigkeit. c) Sicherung des streitwertunabhängigen Zugangs zum Recht durch wirtschaftliche Unabhängigkeit . . . . . d) Zusammenfassung . . . . . . . . . III. Vom Mandanten . . . . . . . . . . . . IV. Von der Gesellschaft . . . . . . . . . .
47 47 49 49 55 55
D. Anwendbarkeit des UWG . . . . . . . .
79
E. Organ der Rechtspflege als Pflichtenmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . .
83
§ 1 BORA
58 62 69 71 75
Freiheit der Advokatur (S. 198 ff.)
§ 18 BORA Vermittelnde, schlichtende oder mediative Tätigkeit (S. 200 ff.)
37
A. Allgemeines/Historie I. Allgemeines Zusammen mit § 2 und § 3 BRAO enthält die Vorschrift einen Programmsatz, der das Bild der Rechtsanwaltschaft prägen und den Grundtelos der Auslegung der Berufsordnung liefern soll. Allgemein formuliert ergibt sich hieraus, dass der Rechtsanwalt2 Träger von Funktionen ist, welche für die Rechtspflege zur Wahrung des Rechts wesentlich sind.3 Damit wird die Bedeutung und Funktion des Rechtsanwalts für die Rechtsfindung angesprochen und auf seine Stellung im Rechtsfindungsprozess verwiesen. Dabei war der Begriff „Organ der Rechtspflege“ aber nie unumstritten.4 Mit dem Begriff geht vielfach die Befürchtung einher, er könne die Freiheit der Advokatur in wirtschaftlicher Hinsicht oder – insbesondere in der Strafverteidigung – in disziplinarrechtlicher Sicht zu sehr einschränken. Die damit verbundenen Vorstellungen variieren aber stark. Dabei lassen sich zwei unterschiedliche Hauptdiskussionslinien ausmachen. Insbesondere im Bereich der Strafverteidigung wird diskutiert, ob sich über die fragmentarische Regelung der Strafverteidigung in der StPO und die einschlägigen Bestimmungen in der StGB hinaus aus der Vokabel „Organ der Rechtspflege“ zusätzliche Schranken und Pflichten des Strafverteidigers entwickeln lassen,5 m.a.W. ob § 1 BRAO ein Einfallstor für eine an der Staatsräson orientierte Verteidigung bildet.6 Die zweite
1 V. 1.8.1959 (BGBl. I, S. 565), zuletzt geändert durch Gesetz v. 10.10.2013 (BGBl. I, S. 3786), Berufsordnung (BORA v. 1.9.2009, zuletzt geändert durch Beschluss der Satzungsversammlung v. 15.4.2013, BRAK-Mitt. 2013, 173 f. 2 Entgegen Henssler/Prütting/Busse, § 1 Rz. 37 ist nicht die Rechtsanwaltschaft Organ der Rechtspflege, sondern, wie sich auch aus der Gesetzesbegründung des Rechtsausschusses, BT-Drs. 3/778, ergibt, der einzelne Rechtsanwalt. Hierdurch wird die individuelle Verantwortung verdeutlicht. 3 Stern, Anwaltschaft und Verfassungsstaat, 1980, S. 13. 4 Zum Diskussionsstand Widmaier/Salditt, MAH Strafverteidigung, 2006, § 1 Rz. 1 ff. 5 Vgl. hierzu nur KK/Pfeiffer, Einl. § 1 Rz. 64 ff.; Widmaier/Salditt, MAH Strafverteidigung, § 1 Rz. 1 ff. 6 So die von Beulke, Der Verteidiger im Strafverfahren, 1980, S. 166 f. aufgeworfene Frage.
Wolf 169
1
§ 1 BRAO Rz. 2
Stellung des Rechtsanwalts in der Rechtspflege
Diskussionslinie betrifft die Frage, in welchem Umfang der Anwaltsmarkt den Bedingungen eines möglichst unreglementierten Wettbewerbs unterworfen werden soll.1 2
Der in §§ 1 bis 3 BRAO vermittelte Programmsatz bildet für sich genommen keinen Eingriffstatbestand, aufgrund dessen Gerichte, Rechtsanwaltskammern oder Behörden ohne weitere Rechtsgrundlage die Berufsausübungsfreiheit eines Rechtsanwalts begrenzen könnten.2 Allerdings fließen mit dem Programmsatz verbundene Wertungen in die Auslegung derjenigen Normen ein, welche die Tätigkeit des Rechtsanwalts regeln. So kann dieses in §§ 1 bis 3 BRAO verdichtete Berufsbild sowohl herangezogen werden, wenn es darum geht der Tätigkeit des Rechtsanwalts gegenüber anderen Berufsgruppen Restriktionen aufzuerlegen (z.B. in der Werbung)3 oder aber die Grenzen des Erlaubten zu Lasten anderer Grundrechtsträger weiter zu ziehen (z.B. bei der Bestimmung strafrechtlich relevanter Ehrschutzdelikte4). II. Gesetzgebungsgeschichte der Norm
3
Zum ersten Mal klang die Wendung „Organ der Rechtspflege“ 1833 in dem Lehrbuch zum Criminal-Prozess von Abegg an.5 Hinrichs beschrieb 1868 die Advokatur als ein für eine geordnete Rechtspflege unentbehrliches, dem Richteramt wesentlich ebenbürtiges Organ.6 Zwar fand die Formulierung zunächst keinen Eingang in den Gesetzestext der RAO vom 1.7. 1878.7 Entsprechend dem im 19. Jahrhundert durchaus üblichen Gesetzgebungsstil8 hat man auf Entfaltung eines entsprechenden Programmsatzes verzichtet. Allerdings stand bereits zum damaligen Zeitpunkt dem Gesetzgeber der sachliche Zusammenhang der Tätigkeit des Rechtsanwalts mit der Tätigkeit der beiden anderen Organe der Rechtspflege, den Richtern und Staatsanwälten, klar vor Augen. Ursprünglich war geplant in das Gerichtsverfassungsgesetz einen Abschnitt (elfter Titel) über die Rechtsanwaltschaft einzufügen.9 Man hätte damit zwischen der gerichtsverfassungsrechtlichen Stellung der Rechtsanwälte auf der einen Seite und deren wirtschaftsaufsichtsrechtlichen Überwachung, die man einer eigenen Anwaltsordnung überlassen wollte, unterschieden. Erst in dritter Lesung wurden die gerichtsverfassungsrechtlichen Bestimmungen über die Stellung der Rechtsanwälte, entsprechend den Vorstellungen des Bundesrats, gestrichen, um sie in Zusammenhang mit der geplanten Anwaltskammerordnung zu regeln.10 An die Stelle des ursprünglich für die Rechtsanwaltschaft vorgesehenen elften Titels trat nunmehr die Regelung über die Gerichtsschreiber.
4
Der Begriff „Organ der Rechtspflege“ wurde aber bereits in der Gesetzesbegründung der RAO verwandt. So wird der Rechtsanwalt im Zusammenhang mit dem Lokalisierungsgebot zunächst als ein „unentbehrliches Glied im Organismus der Zivilrechtspflege“ beschrieben,11 um anschließend als wörtlich „unentbehrliches Organ der Rechtspflege“ bezeichnet zu werden.12 Der Begriff fand schon 1883 Eingang in die Rechtsprechung des Ehrengerichtshofs.13 In dieser, wie auch in einer ganzen Reihe von nachfolgenden Entscheidungen des Ehrengerichtshofs, wurde der Begriff dazu verwandt, der konkreten anwaltlichen Rechtsvertretung über die in den Verfahrensordnungen selbst bestehenden Beschränkungen hinaus zusätzliche Begrenzungen aufzulegen.14 Allerdings wurde der Begriff auch in einem positiven Sinne verwandt15 und hieraus sogar die Forderung nach staatlichem Schutz und Förderung der Anwaltschaft in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts abgeleitet.16 1 Vgl. XVI. Hauptgutachten der Monopolkommission, BT-Drs. 1672460, S. 389 ff. 2 Zuck, NJW 2013, 1582; Henssler/Prütting/Koch, § 1 Rz. 21; Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 1 Rz. 9; BVerfGE 22, 114 (120); BVerfGE 34, 293 (300). 3 BVerfG, NJW 2004, 2656 ff. 4 BVerfG, NJW 2000, 199 ff. 5 Abegg, Lehrbuch des gemeinen Criminal-Prozesses, 1933, S. 254; hierzu: Rücker, Rechtsberatung, 2007, S. 28; Schneider, Der Rechtsanwalt, ein unabhängiges Organ der Rechtspflege, 1976, S. 63. 6 Hinrichs, AcP N. F. 1 (1868), 353 (354). 7 RGBl. I, S. 177. 8 Vgl. hierzu Mertens, Gesetzgebungskunst im Zeitalter der Kodifikation, 2004, S. 440 f.; Schubert, S. 68. 9 Drucksache des Reichstags, 2. Leg. Per. IV. Session, 1876, Bd. 3, Anlage Nr. 8, S. 343 und Anlage Nr. 81, S. 693 ff. 10 Drucksache des Reichstags, 2. Leg. Per. IV. Session, 1876, Bd. 3, Anlage Nr. 8, S. 345 und Nr. 148, S. 899. 11 Drucksache des Reichstags, 3. Leg. Per. II Session, 1878, Bd. 53, Nr. 5, S. 72. 12 Drucksache des Reichstags, 3. Leg. Per. II Session, 1878, Bd. 53, Nr. 5, S. 73. 13 EGH I, 166 (168). 14 EGHE XIV, 145 (148); EGHE XIV, 141 (142); EGHE XVI, 166 (166); EGHE XVI, 385 (386); EGHE XVI, 420 (421). 15 Friedlaender, S. 5. 16 Hierzu Rücker, Rechtsberatung, 2007, S. 133 f.
170 Wolf
Stellung des Rechtsanwalts in der Rechtspflege
Rz. 9 § 1 BRAO
Mit dem zweiten Gesetz zur Änderung der Rechtsanwaltsordnung vom 13.12.19351 wurde in die RAO erstmals eine Präambel eingeführt, welche den Beruf des Rechtsanwalts als berufenen, unabhängigen Vertreter und Berater in allen Rechtsangelegenheiten bezeichnete. Die Gesetzesänderung war Teil der nationalsozialistischen Doppelstrategie zur Gleichschaltung der Rechtsanwaltschaft.2 Zum einen wurde die Anwaltschaft mit gesetzgeberischen Maßnahmen zum Konkurrenzschutz gelockt. So wurde z.B. mit dem zweiten Gesetz zur Änderung der Rechtsanwaltsordnung auch die freie Zulassung zur Rechtsanwaltschaft beseitigt und ein Anwaltsassessoriat eingeführt.3 Gleichzeitig wurde die Anwaltschaft verpflichtet als nationalsozialistischer Rechtswahrer allein dem Interesse des „neuen Staates“ zu dienen. Der Begriff des Organs der Rechtspflege wurde benutzt, um den Rechtsanwalt zum Organ der „nationalsozialistischen Rechtspflege“ zu machen.4
5
Nach dem zweiten Weltkrieg wird erstmals in der Rechtsanwaltsordnung für die Britische Zone vom 10.3.19495 in § 1 gesetzlich der Rechtsanwalt als Organ der Rechtspflege bezeichnet:
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§ 1 der Rechtsanwaltsordnung für die Britische Zone: Die Rechtsanwaltschaft ist ein Organ der Rechtspflege. Sie ist ein freier Beruf und kein Gewerbe. Die Bundesrechtsanwaltsordnung wurde bis zu ihrer Verabschiedung 1959 insgesamt dreimal in den Bundestag eingebracht.6 Sowohl im ersten Regierungsentwurf vom 11.9.19527 als auch im zweiten Regierungsentwurf vom 24.11.19548 wurde der Rechtsanwalt zwar in der Gesetzesbegründung als Organ der Rechtspflege bezeichnet, jedoch fand diese Formulierung noch nicht Eingang in den Gesetzentwurf.
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§ 1 des Regierungsentwurfs der BRAO von 1952 und 1954 waren gleichlautend: § 1 Aufgabe der Rechtsanwaltschaft Die Rechtsanwaltschaft ist berufen an der Rechtspflege mitzuwirken. Erst im Regierungsentwurf vom 8.1.1958 wurde der Begriff „Organ der Rechtspflege“ in den Gesetzestext aufgenommen:9 § 1 Die Rechtsanwaltschaft ist ein unabhängiges Organ der Rechtspflege. Im Rechtsausschuss wurde die noch heute gültige Fassung von § 1 BRAO gefunden. Der Rechtsanwalt wurde dabei zum unabhängigen Organ der Rechtspflege erklärt, um deutlich zu machen, dass in der Rechtspflege der einzelne Rechtsanwalt eigenverantwortlich handelt und nicht als Glied in einem Gesamtgefüge, wie bei der Staatsanwaltschaft.10 Die BRAO verwendet den Begriff „Organ der Rechtspflege“ selbst noch in §§ 7 Nr. 8 und 14 Abs. 2 Nr. 8 BRAO. In beiden Bestimmungen geht es um Festlegung derjenigen Berufe, die neben dem Beruf des Rechtsanwalts ausgeübt werden können, weil sie mit dem Beruf des Rechtsanwalts vereinbar sind. Die Berufsordnung für Rechtsanwälte (BORA) verwendet den Begriff nicht.
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B. Der Rechtsanwalt als Teil der Gerichtsverfassung I. Grundsätzlich Der Gesetzgeber hat mit der Regelung ein bis heute nicht vollständig aufgelöstes Paradoxon geschaffen, indem er sich einerseits auf Gneist, Freie Advokatur berief, anderseits aber den Rechtsanwalt als notwendigen Teil der Gerichtsverfassung verstand. Sowohl in der Ge1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
RGBl. I, S. 1470. Rücker, Rechtsberatung, 2007, S. 200 ff. Vgl. hierzu § 4 BRAO Rz. 8. Rücker, Rechtsberatung, 2007, S. 207. BOBl. BZ, 80. Vgl. zur Gesetzgebungsgeschichte Busse, Deutsche Anwälte, 2010, S. 202 ff.; Ostler, Die deutschen Rechtsanwälte, 1982, S. 340 ff. BT-Drs. 1/3650. BT-Drs. 2/1014. BT-Drs. 3/120. BT-Drs. 3/778.
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§ 1 BRAO Rz. 10
Stellung des Rechtsanwalts in der Rechtspflege
setzesbegründung der RAO von 18781 als auch in der der BRAO von 19582 wird ausdrücklich auf die Kampfschrift Rudolf Gneists Bezug genommen. Angesprochen war damit die, der staatlichen Inpflichtnahme der Advocaten entgegengerichtete Forderung nach einer freien Advokatur. Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts wurde versucht, den damals offen zutage getretenen Missständen im Bereich der Rechtspflege durch eine weitgehende Verstaatlichung der Advocaten entgegenzuwirken.3 Kennzeichnend für diese Verstaatlichung war die staatliche Ernennung der Advocaten – häufig nach einer entsprechenden Bedürfnisprüfung – und die richterliche Kontroll- und Disziplinargewalt über die Anwälte.4 Zugleich war damit der Kristallisationspunkt für die gegenläufige Bewegung geschaffen, die Forderung nach einer freien Advokatur. Freie Advokatur in diesem Sinne bedeutet vor allem dreierlei: (a) die Ablehnung einer ins Ermessen der Regierung gestellten Zulassung zur Anwaltschaft, (b) die Abschaffung der Disziplinargewalt der Gerichte über die Anwälte und (c) die Ausrichtung an den Interessen und Bedürfnissen des Mandanten und nicht des Staates.5 10
Obwohl der Rechtsanwalt gerade kein Staatsamt bekleidet, soll er, wie sich aus der Formulierung „Organ der Rechtspflege“ für die BRAO und ursprünglich den gesetzgeberischen Kontext der RAO mit dem GVG ergibt, Teil der Gerichtsverfassung sein.6 Diese auf die Rechtsprechungsfunktion hin erfolgte Einordnung der anwaltlichen Tätigkeit hat aus mehreren unterschiedlichen Gründen Widerspruch erfahren. Zum einen wurde kritisiert, dass mit dem Begriff „Organ der Rechtspflege“ nicht die außergerichtliche beratende Tätigkeit des Rechtsanwalts, welche immer mehr an Bedeutung gewinnt, zutreffend erfasst werde.7 Gleichfalls trüge der Begriff der Umorientierung der Anwaltschaft vom freien Beruf zum gewerblichen Unternehmer nicht mehr hinreichend Rechnung.8 Schließlich wird insbesondere im Rahmen der Strafverteidigung immer wieder die Rolle des Strafverteidigers als Organ der Rechtspflege diskutiert. Dabei geht es um die Frage, ob die Strafverteidigung des Verteidigers zusätzlichen Einschränkungen unterworfen sein kann, weil dieser „Organ der Rechtspflege“ ist.9
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Der archimedische Punkt der Diskussion ist dabei die Rolle des Rechtsanwalts für die Rechtsfindung. Zwar wird man es heute schon als h.M. bezeichnen können, dass sich die Funktion des Rechtsanwalts aus seiner Bedeutung für die Wahrnehmung des rechtlichen Gehörs ergibt.10 Jedoch ist damit an sich noch wenig gewonnen. Dies hat im Wesentlichen zwei Ursachen. Zum einen ist bislang die Rolle des Verfahrens für die Rechtsfindung methodologisch weitgehend unerforscht geblieben. Christensen weist darauf hin, dass dem Verfahren auch in der Methodik vor allem die dienende Rolle zugewiesen wurde. Bereits vor dem Verfahren soll demnach das in den juristischen Büchern fertig stehende Recht den Parteien didaktisch vermittelt werden.11 Zum zweiten ist in der Regel Dreh- und Angelpunkt der Diskussion die in Art. 12 GG verortete Berufsfreiheit des Rechtsanwalts12 und nicht das Justizgrundrecht des rechtlichen Gehörs.13
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Demgegenüber lässt sich auch nicht einwenden, die Tätigkeit einer Vielzahl von Rechtsanwälten sei nicht mehr gerichtsbezogen, also forensisch, sondern rechtsberatend.14
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Die außergerichtliche Tätigkeit ist zunächst von einem vereinbaren Zweitberuf im Sinn von §§ 7 Nr. 8 BRAO, 14 Nr. 8 BRAO abzugrenzen. Besonders problematisch dabei ist, ob sich 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14
Drucksache des Reichstags, 3. Leg. Per. II Session, 1878, Bd. 53, Nr. 5, S. 67. BT-Drs. 3/120, S. 49. Taupitz, Die Standesordnung der freien Berufe, 1991, S. 110 ff. Taupitz, Die Standesordnung der freien Berufe, 1991, S. 114. Taupitz, Die Standesordnung der freien Berufe, 1991, S. 124 ff.; Siegrist, Advokat, Bürger und Staat, 1.HlBd., S. 356 ff. Ostler, Die deutschen Rechtsanwälte, S. 347; Weber, AnwBl. 1959, 235 (235); Habscheid, NJW 1962, 1985 ff. Redeker, NJW 1987, 2610 (2612). Kleine-Cosack, BB Special 3, 2008, 2 (6). Ausführlich hierzu in Widmaier/Salditt, MAH Strafverteidigung, § 1 Rz. 4 ff. Henssler/Prütting/Busse, § 1 Rz. 19; Krämer, NJW 1995, 2313 (2316); Arndt, NJW 1959, 6 ff.; Arndt, NJW 1959, 1297 (1297); Arndt, NJW 1964, 2147 (2147); Arndt, NJW 1967, 1331 (1331); Schneider, Der Rechtsanwalt, ein unabhängiges Organ der Rechtspflege, 1976, 45 ff. Lerch/Christensen, Die Sprache des Rechts, Bd. 2, 2005, S. 1 (77 f.). Vgl. Koch, in: Henssler/Prütting, 3. Aufl., § 1 Rz. 79, konstitutiv für die anwaltliche Tätigkeit ist Art. 12 GG, jetzt differenziert Busse, § 1 Rz. 38. Vgl. grundsätzlich zur Grundrechtskollision zwischen dem Anspruch auf rechtliches Gehör und der Berufsfreiheit der Rechtsanwälte Wolf, in: FS Schneider, 2008, S. 414 (416 ff.). Vgl. Henssler/Prütting/Koch, § 1 Rz. 37, der deshalb nicht den Rechtsanwalt, sondern nur noch die Rechtsanwaltschaft als Organ der Rechtspflege begreifen will.
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Stellung des Rechtsanwalts in der Rechtspflege
Rz. 16 § 1 BRAO
die amtlichen oder amtsähnlichen Berufe, wie der des Insolvenzverwalters, zu einem eigenen Berufsbild verdichtet haben, sodass ein Zweitberuf vorliegt.1 Im Ergebnis ist dies zu bejahen. Folge hiervon ist, dass das anwaltliche Berufsrecht auf die Tätigkeit im Zweitberuf keine Anwendung findet.2 Weite Teile des anwaltlichen Berufsrechts, wie das Zeugnisverweigerungsrecht, können auf derartige Tätigkeiten, wie die des Insolvenzverwalters, ohnehin keine Anwendung finden.3 Auch nimmt das Gesetz selbst die Tätigkeit an verschiedenen Stellen von der anwaltlichen Tätigkeit aus. Nach § 1 Abs. 2 RVG findet das RVG keine Anwendung auf die Tätigkeit des Rechtsanwalts als Vormund, Betreuer, Pfleger, Verfahrenspfleger, Testamentsvollstrecker, Insolvenzverwalter, Sachwalter, Mitglied des Gläubigerausschusses, Nachlassverwalter, Zwangsverwalter, Treuhänder oder Schiedsrichter oder für eine ähnliche Tätigkeit. Auch hätte es einer eigenen gesonderten Regelung neben dem in § 43a Abs. 4 BRAO angeordneten Verbot widerstreitende Interessen zu vertreten, wie sie in § 45 BRAO getroffen wurde, nicht bedurft, wenn die Tätigkeit als anwaltliche Tätigkeit zu begreifen wäre.4 Liegt kein amtlicher oder amtsähnlicher Zweitberuf vor, bildet grundsätzlich der Begriff der Rechtsdienstleistung im Sinne von §§ 2 ff. RDB, sowie § 3 BRAO den Maßstab für die Abgrenzung. Erst die Zusammenschau von BRAO und RDG ergibt das vollständige Bild der wirtschaftsverwaltungsrechtlichen Maßnahmen5 auf dem Gebiet der Rechtsberatung, nämlich das Verbot mit Erlaubnisvorbehalt.6 Das RDG sichert die wirtschaftsaufsichtsrechtlichen Maßnahmen der BRAO ab, indem § 3 RDG das allgemeine Verbot der Erbringung der Rechtsdienstleistung statuiert, soweit nicht nach dem RDG oder nach anderen Gesetzen die Rechtsdienstleistung erlaubt ist. Das allgemeine Verbot der selbstständigen Erbringung von außergerichtlichen Rechtsdienstleistungen richtet sich an jedermann und damit auch an die Rechtsanwälte. Gesetzessystematisch ergibt sich die Erlaubnis zur außergerichtlichen Rechtsdienstleistung für die Rechtsanwälte erst aus § 3 BRAO.
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Eine Tätigkeit ist keine spezifisch anwaltschaftliche, weil ein Rechtsanwalt diese ausübt, sondern weil die Tätigkeit anderen Personen als Rechtsanwälten im Grundsatz verboten ist.7 Eine dem Kernbereich der anwaltlichen Tätigkeit zuzurechnende Tätigkeit liegt demnach vor, wenn in konkreten fremden Angelegenheiten eine rechtliche Prüfung des Einzelfalls erforderlich ist.8
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Diese außergerichtliche Tätigkeit des Rechtsanwalts gewinnt gegenüber der forensischen Tätigkeit eigenständige Bedeutung und ist nicht lediglich ein Annex der forensischen Tätigkeit und ihrer Verortung in Art. 103 Abs. 1 GG.9 Auch kann man den außergerichtlichen Rechtsrat des Rechtsanwalts kaum mit dem rechtlichen Gehör unmittelbar identifizieren.10 Ansatzpunkt für die Zuordnung des Rechtsanwalts zum Bereich der Rechtspflege, auch in seiner rein rechtsberatenden Tätigkeit, muss vielmehr der Gedanke der vorsorgenden Rechtspflege in einem weiten Sinne sein. Auch wenn der Begriff der vorsorgenden Rechtspflege zwar in der Regel auf die Tätigkeit der Notare bezogen wird, wohnt ihm dennoch eine allgemeine Tätigkeitsbeschreibung inne. Vorsogende Rechtspflege statuiert somit die durch Mitwirkung bei der Gestaltung und Sicherung privater Rechtsverhältnisse geleistete Tätigkeit, die schutzwerte rechtliche Interessen des Einzelnen fördert, ihrer künftigen Verletzung vorbeugt und zugleich auch den Interessen der Allgemeinheit hinsichtlich Gerechtigkeit, Rechtssicherheit und dem Rechtsfrieden dient.11 In einem solchen weiten Sinne lässt sich die außerforensische Tätigkeit des Rechtsanwalts als vorsorgende Rechtspflege begreifen.12 Aller-
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1 BVerfG, NJW 2004, 2725 (2727); BGH, NJW 2004, 1057 (1058); Deckenbrock/Fleckner, NJW 2005, 1165 (1167 f.); Jungk, AnwBl. 2004, 117 (118). 2 Vgl. hierzu § 3 BRAO Rz. 14 ff. 3 Bezüglich § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO: LG Aachen, ZIP 1988, 111 (111); bezüglich des zivilrechtlichen Zeugnisverweigerungsrechts BGH, NZI 2005, 628 (629). 4 So auch Deckenbrock/Fleckner, ZIP 2005, 2291 (2296 f.); hierzu auch BT-Drs. 12/4993, S. 29. 5 Vgl. allgemein Ziekow, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 3. Aufl. 2013, § 5 Rz. 6 ff. 6 Vgl. hierzu Wolf, NJW-Sonderheft zum 4. Hannoveraner ZPO-Symposion, 21 (22). 7 Das RDG enthält eine Reihe von Ausnahmeregelungen zu dem in § 2 RDG definierten Rechtdienstleistungsbegriff, insbesondere § 5 RDG bezüglich der als Nebenleistung erbrachten Rechtsdienstleistung. Der Sache nach handelt es sich hier jedoch um eine Rechtsdienstleistung und damit grundsätzlich anwaltliche Tätigkeit. 8 Vgl. zur Abgrenzung auch Jungk, AnwBl. 2004, 117 ff. 9 In diesem Sinne wohl Rick, Die verfassungsrechtliche Stellung des Rechtsanwalts, 1998, S. 88. 10 So aber Koch, in: Henssler/Prütting, 3. Aufl., § 1 Rz. 79. 11 Vgl. Römer, Notariatsverfassung und Grundgesetz, 1963, S. 12; Baumann, MittRhNotK 1996, 1 (3). 12 In diese Richtung bereits Schlosser, NJW 2002, 1376 (1377 f.).
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§ 1 BRAO Rz. 17
Stellung des Rechtsanwalts in der Rechtspflege
dings entfällt der hoheitliche Charakter der Tätigkeit, welcher sich bei den Notaren aus der Beurkundungsfunktion erklärt.1 II. Rechtsfindung als dialogischer Prozess 17
Die Diskussion um die Rolle der Anwaltschaft2 leidet darunter, dass die Rolle der Rechtsanwälte für die Rechtsfindung im Prozess unklar ist. Dies ergibt sich bereits aus der Diskussion um die Funktion des Anwaltszwangs im Zivilprozess.3 Allgemein ausgedrückt wird dem Anwaltszwang (vor allem oder lediglich auch) die Funktion zugesprochen, die Gerichte zu entlasten, indem der Prozessstoff für die Gerichte aufbereitet wird.4 Zum Teil wird sogar angenommen, dass der Anwaltszwang rechtspolitisch bedenklich sei5 oder es wird die Abschaffung des Anwaltszwangs für die erste Instanz gefordert.6 Auch die Diskussion über das rechtliche Gehör erhellte bislang die Rolle der Anwaltschaft für die Rechtsfindung kaum, weil aus der Sicht der h.M. die Wahrnehmung des rechtlichen Gehörs und die richterliche Entscheidungsfindung nicht unmittelbar aufeinander bezogen sind.7 Zwar umfasse das rechtliche Gehör auch die Rechtsausführungen der Parteien. Jedoch sei nach dem Grundsatz „iura novit curia“ allein das Gericht für die Rechtsauslegung und -anwendung zuständig, weshalb es, so das Bundesverfassungsgericht, auf den Vortrag der Prozessbeteiligten nicht ankomme.8 In einer Linie mit dieser Rechtsprechung liegt auch, dass die h.M. noch immer aus dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs nicht den Anspruch auf ein Rechtsgespräch ableitet.9 Gegen das Rechtsgespräch wird vor allem vorgebracht, der Richter würde durch das Rechtsgespräch seine notwendige Neutralität nicht wahren und sich unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes selbst binden. Jedoch führt die h.M. dieses Argument in der Regel sogleich selbst ad absurdum. Denn aus der mangelnden Pflicht zum Rechtsgespräch könne, so die h.M., nicht geschlossen werden, dass dem Richter ein Rechtsgespräch verboten wäre und er sich mit dem Rechtsgespräch dem Vorwurf der Befangenheit aussetze.10 Nur logisch ist es vor diesem Hintergrund, dass das Bundesverfassungsgericht immer wieder betont, dass rechtliches Gehör nicht ein Recht auf die Ausübung des rechtlichen Gehörs durch einen Anwalt bedeutet.11 Aus diesem Rechtsanwendungsverständnis erklärt sich auch, dass nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts der Schwerpunkt des rechtlichen Gehörs bei den Ausführungen der Parteien zum Sachverhalt,12 nicht jedoch bei den Rechtsausführungen zu liegen hat. Aber selbst den Äußerungen zu Tatsachenfragen räumt das Bundesverfassungsgericht nicht die entscheidende Bedeutung ein: „Die streng durchgeführte Offizial- und Untersuchungsmaxime lässt schon an sich die Bedeutung der Vertretung durch einen Anwalt zurücktreten, zumal in verwaltungsmäßig weitgehend vorgeklärten Fällen.“13 Der Mitwirkung der Parteien bedürfte es für die richtige Ermittlung der Tatsachen folglich nicht zwingend.14 Indem das Bundesverfassungsgericht dem Gericht die alleinige Verantwortung für die Rechtsauslegung und -anwendung zuweist, entzieht es die eigentliche Rechtsanwendung einem diskursiven Prozess der Verfahrensbeteiligten.15 Demgegenüber hat Arndt bereits darauf hingewiesen, dass Recht nicht einfach da ist, sondern ein immerwährendes Geschehen sei. Recht ist, so Arndt, nicht etwas dem Richter Vorgegebenes, dem Richter jederzeit Gewisses. Erst im Verfahren zeitigt sich die Entfaltung der 1 BVerfGE 17, 371 (371); BVerfG, DNotZ 1987, 121 (122); Römer, Notariatsverfassung und Grundgesetz, 1963, S. 15. Auch weist Busse zu Recht darauf hin, dass der Rechtsanwalt im Gegensatz zum Notar einseitige Interessenvertretung ist. Busse in Henssler/Prütting, § 1 Rz. 24. 2 Vgl. Stürner, in: FS Busse, 2005, S. 297 ff. „Berufsstand ohne eigene Grundkonzeption“. 3 Vgl. einerseits Stürner, JZ 1986, 1089 ff. und anderseits Zuck, JZ 1993, 500 ff. 4 Wieczorek/Schütze/Steiner, ZPO und Nebengesetze, Großkommentar, 3. Aufl. 1994, § 78 Rz. 1; MüKoZPO/v. Mettenheim, § 78 ZPO Rz. 3 m.w.N. 5 Schlosser, Zivilprozessrecht, Bd. 1, Erkenntnisverfahren, 2. Aufl. 1991, Rz. 277. 6 Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht, 30. Aufl. 2011, § 16 I. 7 Hierzu bereits Wolf, in: FS Schneider, 2008, S. 414 (421 ff.). 8 BVerfG, NJW-RR 1993, 383 (383); BVerfG, WuM 1999, 383 (383). 9 BVerfGE 31, 364 (370); BVerfGE 86, 133 (145); BVerfGE 98, 218 (263). 10 Waldner, Der Anspruch auf rechtliches Gehör, 2. Aufl. 2000, Rz. 214. 11 BVerfGE 9, 124 (132); 31, 297 (301), 38, 105 (118); 39, 156 (168); 85, 337 (349). 12 BVerfGE 89, 381 (392); 67, 39 (41); 60, 1 (5); 22, 267 (273). 13 BVerfGE 9, 124 (134 f.) Hierzu vor allem Schneider, NJW 1977, 873 (875); Schneider, Der Rechtsanwalt, ein unabhängiges Organ der Rechtspflege, 1976, S. 48 ff. 14 In diesem Sinne auch BK/Rüping, Art. 103 GG Rz. 23. 15 Hiergegen bereits treffend Arndt, NJW 1959, 6 (7).
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Stellung des Rechtsanwalts in der Rechtspflege
Rz. 17 § 1 BRAO
Rechtsfrage, welche eine Rechtserkenntnis ermöglicht.1 Das Recht wird in der Regel erst in einem kontradiktorischen Verfahren im Streit um das Recht gewonnen.2 Die Rechtsausführungen der Parteien und die Diskussion der Rechtsfragen in der mündlichen Verhandlung führen zur Rechtsfindung. In diesem Sinne kann man von einer Arbeitsgemeinschaft der Parteien und des Gerichts sprechen.3 Entscheidend für das Prozessrechtsverständnis und damit die Rolle des Rechtsanwalts im Verfahren ist die methodisch-theoretische Position von der Rechtserkenntnis. Wer von einem syllogisch-deklaratorischen Rechtsanwendungsmodell ausgeht,4 kann dem Prozess keine eigenständige Bedeutung zuweisen. Die materielle Rechtslage hätte in diesem Modell bereits vor dem Prozess festgestellt werden können. Genauso könnte das materielle Recht dann aber auch nach dem Prozess, also zu einem späteren Zeitpunkt festgestellt werden.5 Jedoch muss der Prozess für die Rechtsfindung in dem Augenblick große Bedeutung gewinnen, in dem man von der mangelnden Eindeutigkeit des materiellen Rechts und dem Unvermögen, den historischen Sachverhalt ontologisch abzubilden, ausgeht. Das dynamische Prozessrechtsverständnis von Goldschmidt6 hat hier seine Wurzeln. M.a.W. der Prozess und mit ihm das Agieren der Rechtsanwälte hätte nur eine ausschließlich dienende Rolle, wenn man davon ausgehen könnte, dass das Recht bereits vor dem Prozess, wie es Christensen/Kudlich formulieren, fertig im Buche stünde und der Prozess nur noch dazu diene, es den Betroffenen pädagogisch zu vermitteln.7 Die semantische Form unserer Gesetze erreicht jedoch niemals eine Bestimmtheit, welche dem Richter nur noch die algorithmische Anwendung ermöglichen würde.8 Der Figur von Dworkins Herkules,9 der auch schwierige Fälle (hard cases) eindeutig lösen könne, wurde zu Recht entgegengehalten, dass er ein „loner“ sei.10 Das Spannungsverhältnis zwischen der regulativen Leitidee der einen einzigen richtigen Entscheidung auch in hard cases und der Fallibilität der tatsächlichen Entscheidungspraxis ist, wie Habermas es fordert, durch das Verfahren, also die Struktur der Argumentationsprozesse, aufzulösen.11 An die Stelle einer monologischen Beziehung zwischen Richter und Gesetz, so Christensen/Kudlich, hat das streitige Verfahren zu treten, in dem Parteien und Richter um die Bedeutung der Worte kämpfen.12 Um eine gemeinsame Basis für den „Streit um Worte“ zu haben, müssen die Parteien des Rechtsstreits ihre „Rechtsmeinung“ auf deren Gültigkeit hin zur Überprüfung stellen. Hierin liegt ein notwendiger Schritt der Distanzierung von der eigenen Meinung. Diese Distanzierung bezeichnen Christensen/Kudlich als den Übergang vom Meinen zur thetischen Rede.13 Übertragen auf den Rechtsstreit bedeutet dies, dass erst im konkreten Rechtsstreit das „Gesetz“ aus dem Gesetzestext zu produzieren ist. Gesetze, so Christensen, werden in keinerlei Sinn „nur angewendet“. Sie sind immer erst in die entscheidende Norm für den Fall umzuwandeln. Im Prozess versuchen die Parteien das Gesetz für ihre jeweiligen Interessen einzunehmen, also den Begriffen des Gesetzes eine entsprechend ihren Interessen strategisch „richtige“ semantische Bedeutung zuzuschreiben. Es findet ein Kampf ums Recht im Raum der Sprache statt.14 Die semantische Wortbedeutung, die der Gegner verwendet, soll diskreditiert werden und die eigene soll sich im Kampf ums Recht behaupten. In diesem Sinne liegt die Bedeutung des rechtlichen Gehörs darin, den Betroffenen Einfluss auf die Sprache der Urteilsentscheidung zu geben: „Wenn dagegen diese Sprache schon vorher feststeht, haben wir kein Recht vor uns, sondern nur sprachlich verbrämte Gewaltausübung.“15 1 Arndt, NJW 1959, 6 (7). 2 Arndt, NJW 1959, 6 (7). 3 Arndt, NJW 1959, 6 (7) mit dem Hinweis auf Rosenberg, Lehrbuch des Deutschen Zivilprozessrechts, 5. Aufl. 1951, S. 271. 4 So z.B. Beling, Deutsches Reichsstrafprozessrecht mit Einschluss des Strafgerichtsverfassungsrechts, 1928, S. 119 (235 ff., 277 ff., 414); Beling, Lehre vom Tatbestand, 1930, S. 20 ff. 5 Hierzu bereits Marxen, Straftatsystem und Strafprozess, 1983, S. 98 ff. 6 Vgl. z.B. Goldschmidt, Der Prozess als Rechtslage, 1925, S. 160 f. Hierauf hat Schöneborn, Strafprozessuale Wiederaufnahmeproblematik, 1980, 23 ff., hingewiesen. 7 Christensen/Kudlich, Gesetzesbindung: Vom vertikalen zum horizontalen Verständnis, 2007, S. 203. 8 Habermas, KJ 1987, 1 (11). 9 Dworkin, Talking Rights Seriously, 1978, passim. 10 Micke/Mau, Harvard law review 100 (1986), S. 4, 76. 11 Habermas, Faktizität und Geltung, 4. Aufl. 2006, S. 272 ff. 12 Christensen/Kudlich, Theorie richterlichen Begründens, 2001, S. 55 ff. 13 Christensen/Kudlich, Theorie richterlichen Begründens, 2001, S. 241 ff. 14 Lerch/Christensen, Die Sprache des Rechts, Bd. 2, 2005, S. 1, 81. 15 Lerch/Christensen, Die Sprache des Rechts, Bd. 2, 2005, S. 1, 91.
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§ 1 BRAO Rz. 18
Stellung des Rechtsanwalts in der Rechtspflege
Es fehlt zwar bislang an einer umfassenden allgemeinen Rechtsprechungstheorie, welche auch die Einflüsse und das Mitwirken der Rechtsanwälte erklärt.1 Jedoch lässt sich einem Missverständnis bei der Beurteilung der anwaltschaftlichen Tätigkeit als Organ der Rechtspflege entgegentreten.2 Der Anwalt als Organ der Rechtspflege kann nicht, wie dies vielfach angenommen wird,3 auf eine bereits außerhalb des Prozesses feststehende Wahrheit und Gerechtigkeit verpflichtet werden, wenn diese erst im Prozess selbst generiert wird. 18
Allerdings folgt hieraus für die Tätigkeit des Rechtsanwalts, auch bei grundsätzlicher Anerkennung einer Organfunktion, folgendes: Bezogen auf die Rechtsfindung ist es erforderlich, dass ein Übergang vom Meinen zur thetischen Rede erfolgt, weil nur so der Prozess des Argumentierens begonnen werden kann. Hierin gründet sich auch die notwendige Unabhängigkeit des Rechtsanwalts als Organ der Rechtspflege zum eigenen Mandanten.4 Ein Anwalt, insbesondere ein Verteidiger, der sich so mit den Interessen des eigenen Mandanten identifiziert, dass er über das bloße Meinen nicht hinauskommt und der die professionelle Distanz zu den Belangen der Mandanten verloren hat, vermag dem Mandanten nicht mehr durch die thetische Rede Gehör im Prozess zu verschaffen. Auch das Sachlichkeitsgebot nach § 43a Abs. 3 BRAO findet hierin seine innere Berechtigung. Zugleich wird damit die Frage der Wahrheitspflicht in Bezug auf die Rekonstruktion des historischen Sachverhalts in ein neues Licht gerückt. Zwar kann der Rechtsanwalt, wenn die Ermittlung der Wahrheit gerade Ziel des Verfahrens ist, nicht auf eine außerhalb des Verfahrens bereits feststehende ontologische Wahrheit verpflichtet werden. Jedoch muss auch bei der Ermittlung des Tatbestandes der Übergang zur thetischen Rede erfolgen. Im Gegensatz zum Angeklagten, der auch lügen darf, trifft den Verteidiger zwar keine Wahrheitspflicht, sondern richtiger ein Lügeverbot.5 Der Verteidiger kann dem Beschuldigten nur dann ernsthaft beistehen, wenn Gericht und Staatsanwaltschaft ihn als seriöses Gegenüber erleben. Die eine Lüge, mit welcher der Verteidiger „auffliegt“, wird jede weitere Verteidigungshandlung dem Misstrauen der Justiz aussetzen und damit für den Kampf des Verteidigers kontraproduktiv machen.6 Schon deshalb erfordert ein realistisches Verteidigerbild ein klares Bekenntnis zum Lügeverbot.7
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Diese Herleitung findet ihre Stütze in dem als Kern der Organtheorie übrig gebliebenen Verständnis der Verteidigung als rechtsstaatlichem Garant für die Durchsetzung der Unschuldsvermutung, wie es bezogen auf die Wahrheitspflicht nicht wörtlich, aber immanent der StPO innewohnt.8 Zu Recht ist das Verteidigerleitbild aus dem Grundsatz des „fair trial“ gefolgert worden.9 Dies mag auf den ersten Blick verwundern, dient dieser Grundsatz in erster Linie gerade dem Schutz des Beschuldigten und der Wahrnehmung der Verteidigerrechte; eine Bindung des Verteidigers scheint dies ins Gegenteil zu verkehren.10 Doch dort, wo der Verteidiger, ohne staatlichen Pflichten i.S. einer Amtspflicht zu unterliegen, auf Augenhöhe mit den Mitgliedern der Justiz agieren will, muss auch er sich dem Grundsatz des „fair trial“ oder m.a.W. den Bedingungen der thetischen Rede unterwerfen. III. Außerforensische Tätigkeit
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Soweit ein Rechtsanwalt nicht forensisch tätig wird, wird er als Berater und Vertreter in Rechtsangelegenheiten, wie es § 1 Abs. 3 BORA formuliert, tätig. Zur Abgrenzung der anwalt1 Vgl. Wenzel, NJW 2008, 345 (348); Lerch/Strauch, Sprache des Rechts, Bd. 2., 2005, S. 479, 502 ff. 2 Genau an dieser Stelle setzte die Kritik an der Rolle des Strafverteidigers als Organ der Rechtspflege in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts ein, vgl. z.B. Holtfort/Isermann, Strafverteidiger als Interessenvertreter, 1979, S. 14, 19 ff. 3 Insbesondere für den Strafverteidiger vgl. die ausführlichen Nachweise bei Knauer, in: FS Widmaier, 2008, S. 299 ff. 4 Vgl. zur Unabhängigkeit gegenüber dem Mandanten Gaier, BRAK-Mitt. 2006, 2 (3 f.). 5 Grundlegend Knauer, in: FS Widmaier, 2008, S. 305. 6 Ähnlich Beulke, Die Strafbarkeit des Verteidigers, 2. Aufl. 2010, S. 15 f.; zust. etwa Widmaier, 50 Jahre BGH-Festgabe aus der Wissenschaft, 2000, S. 1043 (1048); s. auch Roxin, in: FS Hanack, 1990, S. 1 (13), wonach die auf der Vertrauenswürdigkeit beruhende Effektivität der Verteidigung irreparablen Schaden nehmen würde, wenn das Gericht von Rechts wegen Äußerungen des Strafverteidigers als zweckmäßige Lügen ansehen dürfe. 7 Knauer, in: FS Widmaier, 2008, S. 305. 8 Knauer, in: FS Widmaier, 2008, S. 306. 9 Bottke, ZStW 96, 731 (750 ff.); Bottke, JR 1984, 300 (300); ebenso Rieß, in: FS Karl Schäfer, 1980, S. 155, 202; a.M. wohl Löwe/Rosenberg/Kühne, Einl. H Rz. 113. 10 In diesem Sinne auch Krekeler, NStZ 1989, 147 (147).
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Stellung des Rechtsanwalts in der Rechtspflege
Rz. 24 § 1 BRAO
lichen Tätigkeit von anderer Tätigkeit kann die Definition der Rechtsdienstleistung in § 2 RDG und § 1 Abs. 2 RVG herangezogen werden. Zwar lässt sich die außerforensische Tätigkeit nicht einheitlich fassen, jedoch lassen sich zwei Tätigkeitsfelder als prägend identifizieren, nämlich einerseits die Beratung und rechtliche Gestaltung der Rechtsbeziehungen der Mandanten und anderseits die Vertretung des Mandanten gegenüber Behörden und die außergerichtliche Verfolgung von Ansprüchen, vgl. § 3 Abs. 3 BRAO. 1. Rechtsgestaltende und rechtsberatende Tätigkeit Die Beratung und rechtliche Gestaltung der Rechtsbeziehungen der Mandanten ist im gleichen Umfang Rechtspflegefunktion, wie die forensische Tätigkeit der Rechtsanwälte.1 Die Tätigkeit weist deutliche Parallelen mit der notariellen Tätigkeit auf, die in einem noch weitaus stärkeren Umfang der Rechtspflegefunktion zugeschrieben wird, als dies bei der forensischen Tätigkeit der Anwälte der Fall ist.
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Bezogen auf die notarielle Tätigkeit wird die Zuordnung der notariellen Tätigkeit zu den Rechtspflegeaufgaben u.a. mit dem Begriff der vorsorgenden Rechtspflege begründet. Wie sich aus § 1 BNotO ergibt, bekleidet der Notar ein öffentliches Amt, welches für die Beurkundung und andere Aufgaben auf dem Gebiet der vorsorgenden Rechtspflege zuständig ist. Von Interesse ist hier zunächst nicht die Beurkundungsfunktion des Notariats, sondern das Verständnis der vorsorgenden Rechtspflege im Allgemeinen. Hierunter fällt nach einhelliger Ansicht auch die Beratung der Beteiligten bei der Gestaltung ihrer Rechtsbeziehungen.2 Der Notar soll durch seine Mitwirkung bei der Rechtsgestaltung der Rechtssicherheit dienen und Streitvermeidung befördern.3 Ausdrücklich wird dabei die Vertragsgestaltung zur vorsorgenden Rechtspflege gerechnet.4 Die Vertragsgestaltung nimmt in der notariellen Praxis, so wird betont, sogar immer breiteren Raum ein.5 Dahinter steht die Idee, dass die privatautonomen Vereinbarungen durch rechtliche Beratung im Vorfeld so abgesichert werden sollen, dass die spätere Vertragsdurchführung ohne Rechtsstreit vonstattengeht. Statt nachträglich einen entstandenen Rechtsstreit zu entscheiden, soll durch die vorsorgende Rechtspflege die Entstehung eines Rechtsstreits bereits im Vorfeld unterbunden werden.
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Die vorsorgende Rechtspflegeaufgabe des Notars wird allgemein als originäre Staatsaufgabe begriffen.6 Der Notar übt deshalb einen staatlich gebundenen Beruf aus.7 Im Bereich der Beurkundung wird er hoheitlich tätig.8 Der Notar unterscheidet sich dabei von der anwaltlichen Tätigkeit durch seine Neutralität, welche gegenüber den Bürgern nur der Staat selbst institutionelle Neutralität verkörpern könne.9 Notare und Anwälte gestalten aber gleichermaßen die Rechtsbeziehungen von Parteien um Ansprüche zu sichern und zu verwirklichen, sowie künftige Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden.10 Allerdings darf der Rechtsanwalt nach § 43a Abs. 4 BRAO keine Interessengegensätze vertreten. Folglich ist es nicht möglich, dass der Rechtsanwalt als unparteiischer Dritter von beiden Vertragsparteien mit der Ausformulierung eines Vertragsentwurfs beauftragt wird.11 Das dialogische Element der Rechtsfindung setzt sich folglich auch im außergerichtlichen Tätigkeitsbereich des Rechtsanwalts fort.12
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Wie sehr sich die anwaltliche und die notarielle Tätigkeit im Bereich der außerforensischen Tätigkeit ähneln, ergibt sich schließlich aus den in § 24 BNotO vorgenommenen Abgrenzungen zwischen notarieller und anwaltlicher Tätigkeit bei Anwaltsnotaren. Der vertragsgestaltenden Tätigkeit des Rechtsanwalts kommt zwar, da er nicht beurkundend tätig
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1 Hingegen differenzierend nach gerichtlicher und außergerichtlicher Tätigkeit Gaier, BRAK-Mitt. 2006, 1 (6 f.); wie hier wird die kautelarjuristische Tätigkeit des Rechtsanwalts der Rechtspflegefunktion zugeordnet von Arndt/Sandkuhler, § 24 BNotO Rz. 57; Bracker/Reithmann, § 24 BNotO Rz. 10; Eylmann/Vaasen/Hertel, § 24 BNotO Rz. 59. 2 Bracker/Reithmann, § 1 BNotO Rz. 5. 3 Eylmann/Vaasen/Frenz, § 1 BNotO Rz. 11. 4 Eylmann/Vaasen/Frenz, § 1 BNotO Rz. 12. 5 Reithmann, Vorsorge Rechtspflege durch Notare und Gerichte, 1989, S. 157 ff. 6 BVerfGE 73, 280 (292). 7 BVerfGE 73, 280 (292). 8 BVerfGE 73, 280 (294); vgl. hierzu auch Eylmann/Vaasen/Frenz, § 1 BNotO Rz. 18 ff. 9 Preuß, DNotZ, 2008, 258 (262); vgl. hierzu auch Schlosser, NJW 2002, 1376 (1377), welcher die anwaltliche Rechtsberatung auch für eine gegenüber den Parteien neutrale Rechtsberatung öffnen will. 10 S. die Umschreibung der vorsorgenden Rechtspflege auf sonstigem Gebiet Arndt/Sandkuhler, § 24 BNotO Rz. 4. 11 Schlosser, NJW 2002, 1376 (1377). 12 Insoweit sachlich zwar richtig, jedoch unberechtigt hinsichtlich der Kritik, Henssler/Prütting/Busse, § 1 BRAO Rz. 23.
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§ 1 BRAO Rz. 25
Stellung des Rechtsanwalts in der Rechtspflege
wird, kein hoheitlicher Charakter zu. Auch ist der ausgleichende Charakter der Rechtsfindung nicht gegeben, weil der Rechtsanwalt die Interessen seiner Mandanten verfolgt und nicht neutral die Interessen beider Vertragsparteien zum Ausgleich bringt. Jedoch ist diese rechtsberatende Tätigkeit des Rechtsanwalts als gleichfalls vorsorgende Rechtspflegeaufgabe zu verstehen.1 2. Die Vertretung gegenüber Behörden und außergerichtliche Verfolgung von Ansprüchen 25
Die Vertretung des Mandanten gegenüber den Behörden und die außergerichtliche Verfolgung von Ansprüchen gehört gleichfalls zur Rechtspflege. Bezüglich der Vertretung gegen über Behörden kann zwar Art. 103 Abs. 1 GG nicht den Ausgangspunkt für die Zuordnung zur Rechtspflegefunktion bilden. Jedoch stellt es ein fundamentales Prinzip jedes rechtsstaatlichen Verfahrens dar, dass der Betroffene nicht lediglich zum Objekt des Verfahrens gemacht wird. Das für das Verwaltungsverfahren in § 28 VwVfG normierte Recht auf Anhörung des materiell-rechtlich Betroffenen besteht bereits im Vorfeld des Erlasses des Verwaltungsakt. Dieses Recht basiert auf dem Rechtsstaatsprinzip und dem in ihm wohnenden Grundsatz des fairen Verfahrens und der Menschenwürde.2 Der EuGH hat für das Recht der Europäischen Gemeinschaft gleichfalls den Grundsatz des rechtlichen Gehörs im Verwaltungsverfahren als einen fundamentalen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts anerkannt.3
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Das Recht sein Gehör durch einen Rechtsanwalt wahrnehmen zu lassen, folgt auf der einfachgesetzlichen Ebene durch § 14 VwVfG. IV. Rechtsanwalt als Rechtspflegeorgan 1. Der funktionelle Begriff des Rechtspflegeorgans
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Der Rechtsanwalt ist nach dem hier vertretenen Verständnis ein Organ der Rechtspflege, weil er eine für die Rechtspflege notwendige Funktion wahrnimmt. Gegen die Bezeichnung des Rechtsanwalts als ein Organ der Rechtspflege wird aber eingewandt, bei dem Begriff „Organ der Rechtspflege“ handele es sich um ein „Leerwort“. Weil es nichts bedeute, könne es auch nichts begrenzen.4 Es läge ein juristischer Zirkelschluss vor, wenn man annähme aus dem unbestimmten Rechtsbegriff „Organ der Rechtspflege“ bestimmte Rechte und Pflichten des Verteidigers ableiten zu können.5 Mit dem Begriff solle in ruhigen Zeiten ein schläferndes Wohlgefühl verbreitet werden und in politisch rauen die Kraft zum Widerstand gelähmt werden.6
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Richtig an der Kritik ist, dass der Begriff „Organ der Rechtspflege“ nicht überfrachtet werden darf.7 Bei dem Begriff handelt es sich um einen Programmsatz, aus dem selbstständig kein Eingriffstatbestand gefolgert werden kann.8 Methodisch liegt ein allgemeines Rechtsprinzip vor, welches den Prozessmaximen vergleichbar ist. Allgemeine Rechtsprinzipien sind auf ihrer obersten Abstraktionsebene noch nicht in Tatbestand und Rechtsfolge gesondert. Sie drücken vielmehr allgemeine Rechtsgedanken aus, aus denen sich aber nicht deduktiv bestimmte Rechtssätze in begriffsjuristischer Weise ableiten lassen.9 Vielmehr bedarf es einer weiteren Konkretisierung in Unterprinzipien, welche in der Regel zunächst der Gesetzgeber vornimmt. Erst auf der letzten Ebene erfolgt die Konkretisierung durch die Rechtsprechung. Dabei verläuft die durch Prinzipien gesteuerte innere Systembildung nicht linear. Vielmehr wird das Prinzip aus den dieses Prinzip konkretisierenden gesetzlichen Regelungen gewonnen und wirkt seinerseits auf die Auslegung dieser gesetzlichen Regelungen zurück.10 1 So bereits die Gesetzesbegründung zu § 3 BRAO, BT-Drs. 3/120, S. 49. Wie hier auch Arndt/Sandkuhler, § 24 BNotO Rz. 57; Bracker/Reithmann, § 24 BNotO Rz. 10; Eylmann/Hertel, 3. Aufl. 2011, § 24 BNotO Rz. 59. 2 BVerfG, NJW 2000, 1709 f.; BVerwG, NVwZ 2001, 94 f.; Stelkens/Bonk/Sachs/Bonk/Kallerhoff, § 28 VwVfG Rz. 2. 3 EuGH v. 10.7.1986 – C 234/84, Slg. 1986, 2263, Rz. 27. 4 G. Wolf, Das System des Rechts der Strafverteidigung, 2000, S. 22 ff. 5 Widmaier/Salditt, MAH Strafverteidigung, § 1 Rz. 28. 6 Widmaier/Salditt, MAH Strafverteidigung, § 1 Rz. 28. 7 Henssler/Prütting/Busse, § 1 Rz. 29; Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 1 Rz. 9; BVerfGE 22, 114 (120) 34, 293 (300). 8 BVerfGE 34, 293 (300). 9 Allgemein zu den Grenzen des axiomatisch-deduktiven Denkens in der Rechtswissenschaft Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 2. Aufl. 1983, S. 20 ff. 10 Vgl. allgemein Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. 1995, S. 306.
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Stellung des Rechtsanwalts in der Rechtspflege
Rz. 30 § 1 BRAO
Es geht also weitaus weniger darum einen Theorienstreit auszutragen, als vielmehr zunächst aus den einzelnen gesetzlichen Regelungen der Prozessordnungen ein legislatorisches Leitbild zu entwickeln.1 Versteht man, wie hier, den Begriff „Organ der Rechtspflege“ als ein Prinzip, welches die Funktion des Rechtsanwalts für die Rechtspflege, in einem Rechtsgedanken zusammenfasst, welches aber seine konkreten Konturen erst durch die Funktionszuweisung in den jeweiligen Prozessordnungen erhält, eignet sich der Begriff nicht dazu, die Tätigkeitsfreiheit des Rechtsanwalts rein durch Auslegung des Begriffs einzuschränken. Vielmehr erweist sich der so verstandene Begriff als freiheitserweiternd oder freiheitssichernd.2 Dies gilt auch für die Rolle des Strafverteidigers, obwohl dort die Diskussion in besonderem Maß von der Befürchtung getragen wird, der Begriff „Organ der Rechtspflege“ könne zur Disziplinierung der Strafverteidiger missbraucht werden.3 2. Die Rolle des Strafverteidigers a) Der Strafverteidiger als Organ der Rechtspflege – Fragestellung Der Strafverteidiger ist nach der herrschenden Organtheorie ein Organ der Rechtspflege.4 Allerdings wird diese Ansicht zum Teil vehement bestritten. Insbesondere die Vertreter der Vertragstheorie begreifen den Strafverteidiger als Vertreter des Beschuldigten. Die Rechtsbeziehungen zwischen Verteidiger und Beschuldigtem seien demnach nur durch das Vertragsrecht bestimmt.5 Im Wesentlichen geht es bei dem Streit, welche Funktion der Strafverteidiger einnimmt – Organ der Rechtspflege oder Vertreter des Beschuldigten –, um zwei Fragen. Die erste Frage betrifft das Verhältnis des Verteidigers zu seinem Mandanten. Wie viel Paternalismus ist in der Strafverteidigung zugunsten des Beschuldigten aufgrund des aus unterschiedlichen Gründen bestehenden Autonomiedefizienten notwendig? Die zweite Frage geht dahin, ob der Strafverteidiger eine Pflicht trifft sicherzustellen, dass das Strafverfahren in prozessual geordneten Bahnen verläuft, m.a.W. ob er nicht nur den Interessen seines Mandanten, sondern auch einer ordnungsgemäßen Strafrechtspflege verpflichtet ist. Hinter letzterer Frage verbergen sich zwei Teilfragen. Trifft den Strafverteidiger ein Lügeverbot bzw. eine Wahrheitspflicht und welchen Widerspruchspflichten unterliegt er, um seinem Mandanten die Revisionsrügen zu erhalten. M.a.W. welche Verantwortung trägt er für ein strafprozessual ordnungsgemäß durchgeführtes Hauptverfahren.
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b) Notwendiger Paternalismus der Strafverteidigung Dem Strafverteidiger weist die StPO in einer Reihe von Bestimmungen eine eigenständige Rolle zu.6 So hat er nach § 147 Abs. 2 StPO ein eigenes Akteneinsichtsrecht. Bei der Vernehmung des Beschuldigten durch den Richter, § 168c Abs. 1 StPO, und durch den Staatsanwalt, § 163a Abs. 3 i.V.m. § 168a Abs. 1 StPO, hat der Verteidiger ein eigenes Anwesenheitsrecht. Im Rahmen der Beweisaufnahme kommen dem Verteidiger weit reichende Befugnisse zu, die unabhängig vom Angeklagten bestehen, z.B. §§ 239 Abs. 1, 240 Abs. 2, 244 Abs. 3, 245, 249 Abs. 2 S. 2, 251 Abs. 1 Nr. 1, 251 Abs. 2 Nr. 3 StPO. Der Verteidiger hat ein eigenes Erklärungsrecht, § 257 Abs. 2 StPO. Er kann selbstständig, nicht jedoch gegen den Willen des Angeklagten ein Rechtsmittel einlegen, § 297 StPO. Auch dort, wo der Verteidiger nicht ausdrücklich in der StPO erwähnt wird, wird vielfach angenommen, dass er neben dem Beschuldigten das Verfahrensrecht ausüben darf.7 Nach Beulke verläuft die Trennlinie zwischen denjenigen verfahrensrechtlichen Rechtspositionen, die der Verteidiger selbstständig ausüben darf, und denjenigen, von denen er nur im Namen oder mit Zustimmung des Beschuldigen Gebrauch machen darf, anhand des Kriteriums, ob mit der Ausübung lediglich die Rechte des Beschuldigten gestärkt werden oder ein Verzicht verbunden ist.8 Strittig ist in der strafprozessualen Diskussion jedoch zum Teil die Zuordnung, wie sich aus der Diskussion um § 24 StPO zeigt.9 1 2 3 4 5 6 7 8 9
Wie hier Roxin, in: FS Hanack, 1999, S. 1 (10). In diesem Sinne bereits Hassemer, AnwBl. 2008, 413 (416). Vgl. nur Holtfort (Hrsg.), Strafverteidiger als Interessenvertreter, 1979. Widmaier/Salditt, MAH Strafverteidigung, § 1 Rz. 4 ff.; Meyer-Goßner, Vor § 137 StPO Rz. 1. Löwe/Rosenberg/Lüderssen/Jahn, Vor § 137 StPO Rz. 33 ff. Vgl. hierzu auch die Zusammenstellung bei Beulke, Der Verteidiger im Strafverfahren, 1980, S. 142. Beulke, Der Verteidiger im Strafverfahren, 1980, S. 142. Beulke, Der Verteidiger im Strafverfahren, 1980, S. 87 f., S. 134 ff. Beulke, Der Verteidiger im Strafverfahren, 1980, S. 212.
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Hintergrund dieses der Strafverteidigung gegenüber dem Beschuldigten innewohnenden Paternalismus ist zum einen die in der Regel dem Beschuldigten fehlende juristisch-praktische Erfahrung und zum anderen die seiner Situation als Angeklagter geschuldeten Autonomiedefizite.1 Der Beschuldigte hat häufig weder die juristische Sachkompetenz noch das sprachliche Ausdrucksvermögen, um sich sachadäquat vor Gericht verteidigen zu können und als gleichberechtigter Gesprächspartner durch die übrigen Verfahrensbeteiligten wahrgenommen zu werden.2 Auch verliert er als Betroffener des staatlichen Untersuchungsverfahrens meist emotional seine Fähigkeit sich sachadäquat zu verteidigen.
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Im Grunde erkennt dies auch die Vertragstheorie an. Nach ihr unterliegt der Verteidiger zwar grundsätzlich den Weisungen des Beschuldigten, jedoch will auch sie dem Verteidiger einen eigenverantwortlichen Entscheidungsspielraum erhalten.3 Der Verteidiger sei zwar grundsätzlich bezüglich des Ziels der Verteidigung an die Weisung des Mandanten gebunden, nicht jedoch in der Frage, wie die Weisung umzusetzen ist.4 Weitergehend hat der Verteidiger aber auch nach der Vertragstheorie Weisungen, die ihn zu einem Verhalten veranlassen sollen, welches gegen grundlegende Berufspflichten verstößt, nicht zu befolgen.5 Schließlich filtert die Vertragstheorie nach § 138 BGB Weisungen des Beschuldigten, welche versuchen, dem Verteidiger eine gleichsam für den Beschuldigten selbstmörderische Strategie aufzudrängen.6 c) Lügeverbot des Strafverteidigers als Ausdruck der Organtheorie
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Der Beschuldigte verfügt noch aus einem weiteren Grund über eine eingeschränkte kommunikative Kompetenz im Strafverfahren. Der Beschuldigte unterliegt im Gegensatz zu den Parteien des Zivilprozesses nicht einer prozessualen Wahrheitspflicht, er darf lügen.7 Dieses Recht des Beschuldigten zur Lüge schränkt aber zugleich seine Möglichkeit, vor Gericht als gleichberechtigter Gesprächspartner Gehör zu finden, empfindlich ein. Bei allem was er sagt, läuft er Gefahr, als jemand wahrgenommen zu werden, der sich auch der Lüge als Instrument seiner Verteidigung bedient.8 In dem Lügerecht des Beschuldigten findet das Lügeverbot des Verteidigers seine Begründung. Zugleich wird damit auch deutlich gemacht, in welchem Umfang der Verteidiger als Organ der Rechtspflege verpflichtet ist.
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Das Lügeverbot wird zunächst allerdings weitgehend von der Vertragstheorie bestritten.9 Den Ausgangspunkt für die Vertragstheorie markiert § 258 StGB. Soweit der Verteidiger selbst Täter sei, greift § 258 StGB ein, soweit jedoch der Verteidiger nur in einem untechnischen Sinne Gehilfe des Beschuldigten sei, ist er Teilnehmer an einer straflosen Selbstbegünstigung.10 Unabhängig davon, ob die strafrechtsdogmatische Konstruktion zu überzeugen vermag,11 führt ein Lügerecht des Verteidigers jedoch zu einem Glaubwürdigkeitsverlust des Verteidigers. Die eingeschränkte kommunikative Fähigkeit des Beschuldigten liegt u.a. gerade auch an seiner Berechtigung zur Lüge. Erstreckt man folglich die Lügeberechtigung, in welcher Form auch immer, auf den Verteidiger, setzt man ihm den Vorwurf aus, nur noch Spießgeselle des Mandanten zu sein.12 Der Verteidiger kann folglich dem Beschuldigten nur dann ernsthaft beistehen, wenn Gericht und Staatsanwaltschaft ihn als seriöses Gegenüber erleben.13 Diese Erwägung ist zugleich die Wurzel des Lügeverbots.14
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Dies muss im Kern auch die Vertragstheorie anerkennen. Die Vertragstheorie hält es ebenfalls für zweckmäßig, wenn der Verteidiger nicht lügt, weil nur so die Glaubwürdigkeit gegenüber dem Richter sichergestellt werden kann. Nur die Verpflichtung zur Wahrheit gäbe dem Richter einen plausiblen Grund, dem Verteidiger zu glauben. Eine Freistellung des Verteidigers von der Wahrheitspflicht würde viele seiner Äußerungen in den Bereich der Belie1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13
Vgl. Roxin, in: FS Hanack, 1999, S. 1 (10). Mikinovic/Stangl, Strafprozess und Herrschaft, 1978, S. 28 f. Löwe/Rosenberg/Lüderssen/Jahn, Vor § 137 StPO Rz. 60. Löwe/Rosenberg/Lüderssen/Jahn, Vor § 137 StPO Rz. 60 f. Löwe/Rosenberg/Lüderssen/Jahn, Vor § 137 StPO Rz. 38. Löwe/Rosenberg/Lüderssen/Jahn, Vor § 137 StPO Rz. 38. Widmaier/Salditt, MAH Strafverteidigung, § 1 Rz. 2. Widmaier/Salditt, MAH Strafverteidigung, § 1 Rz. 2. Löwe/Rosenberg/Lüderssen/Jahn, Vor § 137 StPO Rz. 3. Löwe/Rosenberg/Lüderssen/Jahn, Vor § 137 StPO Rz. 130. Hiergegen Roxin, in: FS Hanack, 1990, S. 1 (12). So z.B. der Vorwurf von Beulke, Strafprozessrecht, 11. Aufl. 2010, Rz. 151. Ähnlich Beulke, Die Strafbarkeit des Verteidigers, 2. Aufl. 2010, S. 15 f.; s. auch Roxin, in: FS Hanack, 1990, S. 1, 13. 14 Knauer, in: FS Widmaier, 2008, S. 305 und Wolf/Knauer, in: FS Scharf, 2008, S. 329 (337 f.).
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bigkeit rücken, Wahres und Falsches wären für den Richter nicht mehr unterscheidbar, die Überzeugungskraft des Verteidigers, gleichviel ob er die Wahrheit sagt oder nicht, verloren.1 Allerdings – und hierin liegt noch der Unterschied zur herrschenden Organtheorie – sollen den Verteidiger nur berufsrechtliche Sanktionen treffen.2 Die Furcht vor berufsrechtlichen Sanktionen war jedoch ein Grund, warum die Organtheorie immer wieder auf Ablehnung gestoßen ist. Das Lügeverbot entspricht dem Übergang vom bloßen Meinen zur thetischen Rede. Es ist Teil des dialogisch zu verstehenden Rechtsfindungsprozesses.3 Das Lügeverbot des Strafverteidigers darf aber nicht dahin missverstanden werden, dass der Strafverteidiger einer ontologisch verstandenen, objektiven Wahrheit verpflichtet sei, welcher er im Strafprozess mit zum Durchbruch verhelfen muss. Zwar ist nach § 244 Abs. 2 StPO das Gericht zur Erforschung der Wahrheit verpflichtet.4 Auch ist die Erforschung der Wahrheit ein zentrales Anliegen des Strafprozesses.5 Jedoch darf entgegen der h.M.6 und der st. Rspr.7 die materielle Wahrheit des Strafprozesses nicht als ontologische Wahrheit verstanden werden.8 Soll es Aufgabe des Prozesses sein, die historische Wahrheit abzubilden, lassen sich die verschiedenen Beweisverwertungsverbote9 und Zeugnisverweigerungsrechte10 nicht erklären. Sämtliche Beweisverwertungsverbote und Zeugnisverweigerungsrechte schränken die Erkenntnismöglichkeit über den historischen Sachverhalt zugunsten anderer höherwertiger Rechtsgüter ein.11 Das Prozessrecht hat folglich nicht die Aufgabe, den historischen Sachverhalt möglichst exakt abzubilden, sondern, wie Paulus es formuliert hat, diesen rechtsstaatlich-justizförmig zu konstituieren.12 Folglich kann der Strafverteidiger auch nicht auf die Verwirklichung einer bereits außerhalb des Prozesses feststehenden Wahrheit und Gerechtigkeit verpflichtet werden, wenn diese erst im Prozess selbst generiert wird.
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d) Widerspruchserfordernis und Rügeverkümmerung Ausgehend von der Entscheidung des BGH in BGHSt 38, 214, 225 nimmt der BGH den Verteidiger in zunehmenden Maß in die Pflicht für einen prozessordnungsgemäßen Verlauf der Hauptverhandlung zu sorgen.13 In einer Reihe von Fällen hängt die Möglichkeit später die Revision auf einen Verfahrensverstoß stützen zu können, davon ab, dass der verteidigte Angeklagte diesen Verfahrensverstoß zuvor gerügt hat bzw. der Verwertung des prozessordnungswidrig gewonnenen Beweisergebnisses widersprochen hat.14
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Grundsätzlich ist es dem Verfahrensrecht nicht fremd, dass es den Parteien aufgibt sich gegen Verfahrensfehler zunächst in der ersten Instanz zu wehren. So sieht z.B. § 295 ZPO zur Möglichkeit der Heilung von Verfahrensverstößen vor, dass Verfahrensfehler ausdrücklich gerügt werden müssen. In § 238 Abs. 2 StPO wurde für den Strafprozess ausdrücklich eine solche Regelung hinsichtlich der Entscheidungen des Vorsitzenden getroffen. Die Revision ist erst möglich, nachdem der „hauptverhandlungsinterne Rechtsweg“15 erschöpft ist.16 Auch ist es dem Verfahrensrecht, wie §§ 39 S. 2 und 504 ZPO zeigen, grundsätzlich nicht fremd danach zu differenzieren, ob eine Partei anwaltschaftlich vertreten ist.17 Die besondere Problematik, welche dem Widerspruchserfordernis des BGH zugrunde liegt, besteht aber in der
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Löwe/Rosenberg/Lüderssen/Jahn, Vor § 137 StPO Rz. 133 i. Löwe/Rosenberg/Lüderssen/Jahn, Vor § 137 StPO Rz. 130 j. Vgl. Rz. 18. Löwe/Rosenberg/Gollwitzer, 25. Aufl. 1998, § 244 StPO Rz. 38.; BGH, NJW 1957, 598 (599); BVerfG, NStZ 1987, 419 (419). BVerfG, NStZ 1987, 419 (419). Vgl. Spendel, JuS 1964, 465 (466). BGH, NJW 2007, 2419 (2422). Vgl. in diesem Sinne bereits Paulus, NStZ 1992, 305 (309 f.); Paulus, in: FS Spendel, 1992, S. 687 (688 ff.) und ausführlich Wolf/Knauer, in: FS Scharf, 2008, S. 329 (331 ff.). Kühne, Strafprozessrecht, 8. Aufl. 2010, Rz. 907 ff. Kühne, Strafprozessrecht, 8. Aufl. 2010, Rz. 812 ff. Neumann, ZStW 101 (1989), 52 (60 f.) m.w.N. Paulus, NStZ 1992, 305 (309 f.); Paulus, in: FS Spendel, 1992, S. 687 ff. Für den Strafprozess gilt dies durch die Beweisverwertungsverbote ebenso. Widmaier/Salditt, MAH Strafverteidigung, § 9 Rz. 177 ff. Widmaier/Salditt, MAH Strafverteidigung, § 9 Rz. 183 ff. KK/Laufhütte, Vorbem. Rz. 6. Widmaier/Salditt, MAH Strafverteidigung, § 9 Rz. 181. Meyer-Goßner, § 238 StPO Rz. 22 zum Nachweis der h.M. Allerdings finden §§ 39, 504 ZPO im gesamten amtsgerichtlichen Verfahren Anwendung unabhängig davon ob im Konkreten die Partei anwaltschaftlich vertreten ist oder nicht, vgl. MüKo-ZPO/Patzina, § 39 ZPO Rz. 10.
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§ 1 BRAO Rz. 39
Stellung des Rechtsanwalts in der Rechtspflege
verfahrensrechtlichen Stellung des Angeklagten. Geht man davon aus, dass der Angeklagte selbst keinerlei aktive Mitwirkungspflichten im Strafverfahren hat,1 unterliegt er selbst auch keinem Widerspruchserfordernis.2 Woher kommt dann aber die Widerspruchspflicht des Verteidigers? 39
Aus dem Begriff „Organ der Rechtspflege“ ist jedenfalls das Widerspruchserfordernis nicht begründbar. Mit dem Ausdruck „Organ der Rechtspflege“ lässt sich nur begrifflich ein Rechtsgedanke verdichten, welcher in seinen konkreten Konturen durch die jeweiligen Prozessordnungen gewonnen wird. Ob das Widerspruchserfordernis aus der StPO heraus begründbar ist, wird aber in der strafrechtlichen Literatur bestritten.3 Der BGH hat das Widerspruchserfordernis nur etwas näher in seiner Leitentscheidung, nicht jedoch in den nachfolgenden Entscheidungen begründet.4 Danach schränkt die Widerspruchslösung die Rechte des Angeklagten nicht in unangemessener Weise ein. Es entspräche der besonderen Verantwortung des Verteidigers und seiner Fähigkeit, Belehrungsmängel aufzudecken und zu erkennen, ob die Berufung auf das Verwertungsverbot einer sinnvollen Verteidigung dient.5 Eine nähere Begründung unternahm im Wesentlichen Maatz. Demnach ergäbe sich das Widerspruchserfordernis aus der Stellung des Verteidigers als selbstständiges und „unabhängiges Organ der Rechtspflege“ (§ 1 BRAO). Er sei Teilhaber, nicht Gegner einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege. Aus diesem Grunde habe er auf ein justizförmiges Strafverfahren hinzuwirken. Dem Verteidiger sei eine Mitverantwortung für die Wahrung der Gesetzlichkeit der Hauptverhandlung zugewiesen. In diesem Sinne sei der unterlassene Hinweis gegenüber dem Gericht auf einen erkannten und heilbaren Verfahrensfehler dysfunktional.6 Erstmals wurde der Begriff der Dysfunktionalität von Rüping/Dornseifer verwandt,7 auf den sich Maatz8 auch bezieht. Prozesshandlungen seien danach unzulässig, wenn sie missbräuchlich in Anspruch genommen würden, d.h. eine funktionswidrige Ausnutzung der Rechtsschutzeinrichtung darstellten. Damit soll ein im Einzelfall unerträgliches Ergebnis verhindert werden.9
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Der Begriff der „Dysfunktionalität“ ist nichts anders als eine andere Formulierung für „Natur der Sache“ oder „Wesen der Einrichtung“. Hierbei handelt es sich aber um ein Kryptoargument,10 welches eine beliebige Anwendbarkeit ermöglicht und damit einer Aushöhlung prozeduraler Rechte Tür und Tor öffnet.11
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Das hinter dem Widerspruchserfordernis stehende Problem und damit die beklagte Dysfunktionalität liegt nicht darin, dass der Verteidiger nicht auf ein justiz- oder besser rechtsstaatliches Verfahren drängen würde, sondern dass er dies erst im Rahmen der Revisionsrüge tut. Kurzum: Es geht um das Verhältnis vom „hauptverhandlungsinternen Rechtsweg“12 und Revision. Wie § 295 ZPO zeigt, ist es dem Verfahrensrecht grundsätzlich nicht fremd, Verfahrensverstöße erst dann einer Überprüfung im Revisionsverfahren zugänglich zu machen, wenn zuvor im Instanzverfahren vergeblich eine Korrektur versucht worden ist. Gegen eine solche Funktionsteilung lässt sich nicht einwenden, der Verteidiger sei weitaus weniger als Gericht und Staatsanwaltschaft in der Lage den Verfahrensverstoß zu erkennen. Vielmehr muss er spätestens im Revisionsverfahren den Verfahrensverstoß erkennen und konkret rügen.13 Entscheidend ist vielmehr folgendes: Aufgabe des Verteidigers ist es an der rechtsstaatlich-justizförmigen Konstituierung des Sachverhalts mitzuwirken, nicht jedoch einer von außen den Prozessbeteiligten vorgegebenen ontologischen Wahrheit verpflichtet zu sein.14 Daher lässt sich auch dem Verteidiger nicht entgegenhalten, er sorge nicht für eine strenge Justizförmigkeit des Verfahrens, wenn er in prozessordnungskonformer Weise die 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
Vgl. bereits Kindhäuser, NStZ 1987, 529 (531). So Dornach, NStZ 1995, 57 (57). Dornach, NStZ 1995, 57 ff.; Fezer, StV 1997, 57 (57); Beulke, NStZ 1996, 257 (262). Hierauf weist Fezer, StV 1997, 57 (58). BGH, NJW 1992, 1463 (1466). Maatz, NStZ 1992, 513 (514 f.); hiergegen Widmaier, NStZ 1992, 519 ff. Rüping/Dornseifer, JZ 1977, 417 ff. Maatz, NStZ 1992, 513 (514). Rüping/Dornseifer, JZ 1977, 417 (418). Scheurele, AcP 163 (1963) 429, (469 f.). Vgl. zur Verwendung dieses Begriffs zur Umdeutung einer Rechtsordnung Rüthers/Fischer/Birk, 7. Aufl. 2013, Rz. 926 und Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung, 6. Aufl. 2005, S. 293 ff. 12 Zum Begriff und zur unterschiedlichen dogmatischen Konstruktion von § 238 Abs. 2 StPO und Widerspruchserfordernis Widmaier/Widmaier, MAH Strafverteidigung, § 9 Rz. 177 ff. 13 Allgemein zur Revisionsrüge Meyer-Goßner, vor § 333 StPO Rz. 1 ff. 14 Paulus, NStZ 1992, 305 (309 f.); Paulus, in: FS Spendel, 1992, S. 687 ff. Für den Strafprozess gilt dies durch die Beweisverwertungsverbote ebenso.
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Stellung des Rechtsanwalts in der Rechtspflege
Rz. 43 § 1 BRAO
Rüge erst im Revisionsverfahren und nicht schon in der Hauptverhandlung erhebt.1 Der Verteidiger erfüllt seine Aufgabe, wenn er sich eigenverantwortlich den Möglichkeiten der Prozessordnung bedient. Wie ambivalent die Verwendung des Arguments „Organ der Rechtspflege“ verwandt wird, um Verfahrensrecht zu verkürzen, zeigt auch die Rechtsprechung des Großen Senats des BGH zur Rügeverkümmerung.2 Wird im Rahmen des Widerspruchserfordernisses der Verteidiger als „Organ der Rechtspflege“ in die Pflicht genommen Verfahrensverstöße zu rügen, soll eine Revisionsrüge nach neuerer Rechtsprechung nicht mehr greifen, wenn nach Erhebung der Rüge das Protokoll der Hauptverhandlung berichtigt wurde (Rügeverkümmerung), weil sich das anwaltliche Ethos geändert habe.3 Im Mittelpunkt der strafprozessualen Diskussion der Rügeverkümmerung steht dabei die Frage, ob es zulässig ist eine auf das Protokoll der Hauptverhandlung gestützte Verfahrensrüge zu erheben, selbst wenn der Verteidiger die Unrichtigkeit des Protokolls positiv kennt oder sich über die Richtigkeit nicht sicher ist.4 Strafprozessual geht es um die Bedeutung von § 274 StPO für das Revisionsverfahren. Nach der bislang h.M. bildet der im Protokoll beurkundete Sachverhalt ohne Rücksicht auf die wirklichen Vorkommnisse in der Hauptverhandlung die Grundlage des Revisionsverfahrens. Revisionsrügen wegen Verfahrensverstößen konnten nur auf den im Protokoll niedergelegten Sachverhalt gestützt werden. Eine nachträgliche Protokollberichtung konnte der einmal erhobenen Verfahrensrüge nicht nachträglich den Boden entziehen.5
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Demgegenüber hat der Große Senat für Strafsachen 2007 entschieden, dass eine Protokollberichtigung nachträglich eine auf das unberichtigte Protokoll gestützte Revisionsrüge zu Fall bringen kann.6 Prozessrechtlich lässt sich selbstverständlich darüber streiten, ob im Revisionsverfahren nur das nicht berichtigte Protokoll Grundlage der Verfahrensrüge sein soll oder aber das nachträglich berichtigte Protokoll. Entgegen dem BGH hat dabei aber zunächst das Argument auszuscheiden, dass man die Wahrheit nicht in eine materielle und eine formelle Wahrheit aufspalten kann.7 Hier, wie auch sonst im Strafrechtverfahren, kann es nicht um einen ontologischen Wahrheitsbeweis gehen, sondern nur um eine justizförmige Feststellung des Sachverhalts.8 So stehen z.B. auch die Beweisverwertungsverbote der Erforschung einer „absoluten Wahrheit“ im Weg.9 Die im Strafprozess zu beachtenden Förmlichkeiten sind das Ergebnis einer Abwägung unterschiedlicher Rechtswerte wie u.a. Prozessökonomie, Verfahrensbeschleunigung und Rechtssicherheit. Es ist daher bereits sprachlich unglücklich von einer Lüge zu sprechen, wenn sich die Verteidigung auf die Verletzung einer verfahrensrechtlichen Förmlichkeit stützt, welche sich in Wirklichkeit nicht zugetragen hat, sich aber aus dem Protokoll ergibt.10 Denn für den umgekehrten Fall, dass eine Förmlichkeit zwar in Wahrheit nicht beachtet wurde, deren Beachtung das Protokoll jedoch fälschlicher Weise ausweist und die daher im Revisionsverfahren nicht erfolgreich gerügt werden konnte,11 wird man kaum davon sprechen können, dass die Revisionsentscheidung auf einer Lüge beruhe. Auch hier lässt sich aus dem Organbegriff keine Beschränkung ableiten, die nicht bereits in den Verfahrensordnungen geregelt ist. Entgegen dem BGH lässt sich dem Verteidiger kein schwindendes Ethos bescheinigen,12 wenn er die Revision mit einer Verfahrensrüge begründet, welche sich zwar aus dem Protokoll ergibt, sich in Wirklichkeit aber nicht zugetragen hat. Die Verfahrensordnung muss die Entscheidung treffen, ob man im Revisionsverfahren das Protokoll der Hauptverhandlung zur verbindlichen Grundlage machen will oder ob es Ziel sein soll, über das tatsächliche Geschehen Beweis zu erheben. Eine verfahrensrechtliche Rechtsposition formal einzuräumen, diese jedoch auf der Metaebene des Berufsrechts wieder einzuschränken, ist nicht möglich. Völlig zutreffend hat Dahs, der allerdings noch von der standesrechtlichen Unzulässigkeit einer wahrheitswidrigen Verfahrensrüge ausging, da1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
So aber Maatz, NStZ 1992, 513 (513). BGH, NJW 2007, 2419 ff. BGH, NJW 2007, 2419 (2423). Vgl. hierzu Hamm, NJW 2007, 3166 ff. BGH, NJW 1952, 432. BGH, NJW 2007, 2419 ff. BGH, NJW 2007, 2419 (2422). Allgemein hierzu Paulus, NStZ 1992, 305 (309 f.); Paulus, in: FS Spendel, 1992, S. 687 ff. Zur Wahrheitspflicht im Revisionsverfahren Knauer, in: FS Widmaier, 2008, S. 305 ff. Vgl. Rz. 36. So aber z.B. Beulke, Der Verteidiger im Strafverfahren, 1980, S. 157. Vgl. zur Bedeutung des Protokolls für die Revisionsrüge, Widmaier/Dahs, MAH Strafverteidigung, § 12 Rz. 74. BGH, NJW 2007, 2419 (2423).
Wolf 183
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§ 1 BRAO Rz. 44
Stellung des Rechtsanwalts in der Rechtspflege
rauf hingewiesen, dass das Problem in dem Spannungsverhältnis von §§ 274 und 344 Abs. 2 S. 2 StPO liegt. Bei § 344 Abs. 2 StPO genüge die reine Protokollrüge nicht, vielmehr ist die konkrete Behauptung erforderlich, dass z.B. die Öffentlichkeit nicht wieder hergestellt wurde.1 Dieses Spannungsverhältnis kann aber nur in der StPO selbst und nicht unter Zuhilfenahme des Berufsrechts gelöst werden. 3. Die verfassungsrechtliche Verortung 44
Der Rechtsanwalt ist aufgrund seiner Funktion, die er im Gerichtsverfahren und im Bereich der vorsorgenden Rechtspflege innehat, ein Organ der Rechtspflege. Er ist für den Rechtsstaat genauso unentbehrlich wie die Gerichte.2 Zwar hat die institutionelle Absicherung der Rechtsanwaltschaft keinen unmittelbaren Eingang in das Grundgesetz gefunden. Jedoch postuliert nicht nur Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK das Recht auf einen Verteidiger, vielmehr ist der Rechtsanwalt als Organ der Rechtspflege in der Verfassung institutionell abgesichert. Den Schwerpunkt der institutionellen Absicherung wird man für die forensische Tätigkeit in Art. 103 Abs. 1 GG, dem Anspruch auf rechtliches Gehör,3 und für die außerforensische Tätigkeit in der vom Rechtsstaatsprinzip mit umfassten vorsorglichen Rechtspflege zu sehen haben. Daneben wird noch das Rechtsstaatsprinzip, Art. 2 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG genannt.4
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Hingegen gewinnt Art. 12 GG – entgegen der wohl h.M.5 – keine eigenständige Bedeutung für die Organstellung des Rechtsanwalts.6 Zwar hat das Bundesverfassungsgericht die Stellung des Rechtsanwalts bislang vor allem aus der Sicht des Rechtsanwalts beleuchtet und durchdacht. Jedoch lässt sich die freie Advokatur nur mittelbar in Art. 12 GG verorten. Deutlich wird dies z.B. anhand der Verschwiegenheitspflicht des Rechtsanwalts. Dem Rechtsanwalt als berufenen, unabhängigen Berater und Beistand obliegt es, seinem Mandanten umfassend beizustehen, so das Bundesverfassungsgericht.7 Daher ist, so das Bundesverfassungsgericht weiter, die Verschwiegenheitspflicht eine der anwaltlichen Grundpflichten und als solche unverzichtbare Bedingung der anwaltlichen Berufsausübung. Die Verschwiegenheitspflicht nimmt folglich am Schutz des Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG teil. Die Verschwiegenheitspflicht liegt jedoch nur indirekt im Interesse des Rechtsanwalts. Primär liegt es im Interesse des Rechtsuchenden (Mandant), sich an einen Rechtsanwalt wenden zu können, der ihm gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichtet und mit entsprechenden Rechten zur Verschwiegenheit ausgestattet ist.8 Der Rechtsstaat gewährleistet dem Bürger die vertrauensvolle und vertrauliche Kommunikation mit einem rechtskundigen Berater, um seine Rechte wahrzunehmen. Vergleichbare Rechte räumt er dem Bürger z.B. im Umgang mit einem Unternehmensberater nicht ein. Völlig zu Recht spricht das Bundesverfassungsgericht daher auch von einer Verschwiegenheitspflicht des Rechtsanwalts. Dass es sich hierbei auch um eine die Berufsfreiheit des Rechtsanwalts einschränkende Pflicht handelt, zeigt z.B. die Diskussion, ob der Rechtsanwalt nicht die Zustimmung des Mandanten vor einer Korrespondenz über E-Mail einzuholen hat.9
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Die indirekte Bedeutung von Art. 12 GG für die freie Advokatur lässt sich auch anhand einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Recht des Zeugen auf Rechtsbeistand durch einen Rechtsanwalt10 veranschaulichen. Auch in dieser Entscheidung ging es in erster Linie um die Wahrnehmung eines Justizgrundrechts des Mandanten mit Hilfe eines Rechtsanwalts. In der Entscheidung wurde Zeugen im Rahmen eines Disziplinarverfahrens verwehrt, sich eines Anwalts als Zeugenbeistand zu bedienen. Die Verfassungsbeschwerden sowohl der Zeugen als auch des Rechtsanwalts hatten Erfolg. Das Bundesverfassungsgericht stellte zunächst klar, dass ein Zeuge nach dem Grundsatz eines fairen Verfahrens einen Anspruch auf Zeugenbeistand durch einen Rechtsanwalt hat. Erst nachdem dies geklärt war, bejahte das Gericht auch eine Verletzung des als Zeugenbeistand von der Vernehmung aus1 Dahs, AnwBl. 1950, 90 ff. 2 Stern, Anwaltschaft und Verfassungsstaat, 1980, S. 12; Kleine-Cosack, Einl. Rz. 49. 3 So bereits Arndt, NJW 1959, 6 (8); Rick, Die verfassungsrechtliche Stellung des Rechtsanwalts, 1998, S. 87 ff.; Schneider, Der Rechtsanwalt, ein unabhängiges Organ der Rechtspflege, 1976, S. 51 ff. 4 Henssler, JZ 1996, 677 (679). 5 Vgl. Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 1 Rz. 9 ff.; Koch, in: Henssler/Prütting, 3. Aufl., § 1 Rz. 25 f.; differenzierend allerdings Kleine-Cosack, Einl. Rz. 51 ff. 6 Vgl. hierzu bereits Wolf, in: FS Schneider, 2008, S. 414 (417). 7 BVerfGE 110, 226 (252). 8 Vgl. z.B. § 53 StPO. 9 Henssler/Prütting/Eylmann, § 43a Rz. 88. 10 BVerfGE 38, 105 ff.
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Stellung des Rechtsanwalts in der Rechtspflege
Rz. 48 § 1 BRAO
geschlossenen Rechtsanwalts in seinem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG. Ob in dem Fall tatsächlich der Anwendungsbereich des Art. 12 Abs. 1 GG eröffnet war,1 ist durchaus fraglich. Konsequent zu Ende gedacht, müsste die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts auch eine Verletzung der Berufsfreiheit des Rechtsanwalts bejahen, falls durch eine willkürliche Verwerfung eines zulässigen Rechtsmittels dieser seinen Mandanten nicht mehr in der Rechtsmittelinstanz vertreten könnte. Jedenfalls führt die Annahme einer eigenen Grundrechtsbetroffenheit des Rechtsanwalts in solchen Fällen zu einer zusätzlichen Absicherung der justizgrundrechtlichen Situation des Mandanten. C. Unabhängigkeit des Rechtsanwalts I. Allgemein § 1 BRAO bezeichnet den Rechtsanwalt als unabhängiges Organ der Rechtspflege.2 Habscheid hat als erster auf die Parallele der Unabhängigkeit der Richter und die der Rechtsanwälte hingewiesen.3 Bezogen auf die richterliche Unabhängigkeit ist man sich weitgehend einig, dass es sich hierbei nicht um ein Standesprivileg der Richter handelt, sondern um eine Funktionsnotwendigkeit der richterlichen Tätigkeit.4 Die richterliche Unabhängigkeit steht im Dienst des Gemeinwohlinteresses an unparteiischer Rechtsprechung und nicht der individuellen Selbstentfaltung des Richters.5 Daher bestimmt sich die Reichweite der richterlichen Unabhängigkeit aus der Notwendigkeit der Tätigkeit für die eigentliche Streitentscheidung.6 Für die Unabhängigkeit der Rechtsanwaltschaft darf nichts anderes gelten. Daher ist die anwaltliche Unabhängigkeit auch nicht mit der Berufsfreiheit im Sinne von Art. 12 GG gleichzusetzen. Dies verdeutlicht sich sofort, wenn man sich Einschränkungen der Berufsfreiheit, wie etwa das Verbot eines Syndikus seinen Arbeitgeber gerichtlich zu vertreten (§ 46 BRAO), vergegenwärtigt. Auch diese dienen jeweils der Sicherung der anwaltlichen Unabhängigkeit. Unabhängigkeit kann daher nicht einfach mit Freiheit gleichgesetzt werden.7 Vielmehr bedeutet Unabhängigkeit unbeeinflusst zu sein von allem, was der Funktion des Rechtsanwalts für die Rechtspflege zuwider laufen würde. Bezogen auf das gerichtliche Verfahren gilt hierbei, dass es keine außerhalb des konkreten Prozesses stehende ontologische Wahrheit gibt, auf die der Rechtsanwalt zur Durchsetzung verpflichtet werden könnte, sondern nur ein rechtstaatlich-justizförmig konstituiertes Prozessergebnis, an dem der Rechtsanwalt, durch die ihm über die jeweilige Verfahrensordnung zugewiesene Rolle, mitwirkt.8 Wird die anwaltliche Unabhängigkeit auf dessen Funktion im Rahmen der Rechtsfindung bezogen, ist zugleich der Maßstab geschaffen für einen differenzierten Umgang mit der Unabhängigkeit.
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Die richterliche Unabhängigkeit hat Bettermann unterteilt in die Unabhängigkeit vom Staat, von den Parteien und von der Gesellschaft.9 Dies lässt sich für die Unabhängigkeit des Rechtsanwalts fruchtbar machen. Die Unabhängigkeit selbst unterscheidet sich in sachliche und persönliche Unabhängigkeit. Die innere Unabhängigkeit lässt sich jedoch staatlicherseits nur ermöglichen, nicht jedoch garantieren.10 Die innere Unabhängigkeit ist vielmehr in erster Linie eine sich stets aufs Neue stellende Aufgabe des einzelnen Rechtsanwalts.11 Demnach gilt es also, die Unabhängigkeit des Rechtsanwalts gegenüber dem Staat in sachlicher und persönlicher Hinsicht genauso zu evaluieren, wie dessen sachliche und persönliche Unabhängigkeit gegenüber der Gesellschaft und den Parteien.
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1 Gleichfalls auf Art. 12 GG stützt BVerfG, NJW 2000, 2660 ff. die Verfassungsbeschwerde eines Rechtsanwalts gegen seine Zurückweisung als Zeugenbeistand in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren. 2 Hierzu Quaas, in: Offermann-Burckart, Anwaltsrecht in der Praxis, § 11 Rz. 7 ff. 3 Habscheid, NJW 1962, 1985 ff. 4 Wittreck, Die Verwaltung der Dritten Gewalt, 2005, S. 193 ff.; Sachs/Detterbeck, Art. 97 GG Rz. 3; Maunz/ Dürig/Hillgruber, Art. 97 GG Rz. 4; Kühne, Strafprozessrecht, 8. Aufl. 2010, Rz. 109; Baur, in: FS Rammos, 1979, S. 57 (59). 5 Maunz/Dürig/Hillgruber, Art. 97 GG Rz. 4. 6 Wolf, Die Institutionelle Handelsschiedsgerichtsbarkeit, 1992, S. 56 ff. m.w.N. 7 So aber Isele, § 1 Anm. V. A. 8 Vgl. Wolf/Knauer, in: FS Scharf, 2008, S. 329 (334). 9 Bettermann, Grundrechte III 2, 1958–1962, S. 525 ff. Zur Übertragbarkeit dieser Einteilung bereits Habscheid, NJW 1962, 1985 (1988) und Schneider, Der Rechtsanwalt, ein unabhängiges Organ der Rechtspflege, 1976, S. 94. 10 So auch Eckertz-Höfer, NJW 2013, 1580 (1581). 11 Vgl. zur inneren richterlichen Unabhängigkeit KK/Pfeiffer, Einl. Rz. 24.
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§ 1 BRAO Rz. 49
Stellung des Rechtsanwalts in der Rechtspflege
II. Vom Staat 1. Sachliche Unabhängigkeit 49
Ihren Ausgangspunkt nahm die freie Advokatur mit der Forderung als Anwalt nicht mehr der Kontrolle der Gerichte zu unterstehen.1 Kernpunkt der auf Rudolf Gneists „Freie Advocatur“2 zurückgehenden Umwandlung des Anwaltsberufs von einer staatsdienerähnlichen Ausgestaltung zu einem unabhängigen freien Beruf war gerade die Unabhängigkeit gegenüber dem Staat zu gewinnen. Mehrfach hat das Bundesverfassungsgericht die konstituierende Bedingung einer vom Staat unabhängigen Rechtsanwaltschaft für den Rechtsstaat betont.3 Die Unabhängigkeit vom Staat bildet sicherlich den Kernbereich der anwaltlichen Unabhängigkeit.4 Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Rechtsanwalt nicht der begleitenden Wirtschaftsaufsicht unterliegen würde.5 Dies ergibt sich schon aus §§ 73 Abs. 2 Nr. 4 und 74 Abs. 3. BRAO. Allerdings ist die anwaltliche Unabhängigkeit dabei auf doppelte Weise abgesichert. Zum einen nimmt der Staat die Wirtschaftsaufsicht nicht unmittelbar selbst wahr. Vielmehr wird diese durch die Rechtsanwaltskammern als Selbstverwaltungsorgane und die Anwaltsgerichte, welche gleichfalls mit Anwälten besetzt sind, wahrgenommen.6 Zum anderen ist in der Sache selbst, wie bei der richterlichen Unabhängigkeit,7 auch bei der anwaltlichen Unabhängigkeit zwischen einem Kernbereich der anwaltlichen Unabhängigkeit und einem äußeren Ordnungsrahmen zu unterscheiden.
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Bei der richterlichen Tätigkeit fällt in den Kernbereich sowohl die eigentliche Rechtsfindung, als auch all diejenigen mittelbaren Sach- und Verfahrensentscheidungen, welche der eigentlichen Entscheidungsfindung dienen und aus Interesse an einem wirksamen Schutz der richterlichen Unabhängigkeit ebenfalls dem Kernbereich richterlicher Tätigkeit zugerechnet werden müssen.8 Im Kernbereich sind grundsätzlich dienstaufsichtsrechtliche Maßnahmen unzulässig, es sei denn, die Amtsausführung ist offensichtlich fehlerhaft.9
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Im Grunde lassen sich diese Überlegungen auf die Tätigkeit des Rechtsanwalts übertragen. Er wirkt insbesondere in den gerichtlichen Verfahren als unabhängiges Organ der Rechtspflege gleichberechtigt neben dem Richter mit. Soweit es um seine unmittelbare Mitwirkung an der Rechtsfindung geht, also um den Kernbereich seiner Tätigkeit, reicht der Schutz der anwaltlichen Unabhängigkeit als Funktionsvoraussetzung der anwaltlichen Tätigkeit am weitesten. So ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass der Prozessbevollmächtigte nicht auf Widerruf bzw. Unterlassen der in seinem Schriftsatz aufgestellten Behauptungen in Anspruch genommen werden darf.10 Bereits 1961 führte der BGH aus:11 Derartige Äußerungen stünden in einem engen Zusammenhang mit dem Gegenstand des Prozesses, sie dienten dazu den Standpunkt der Partei des Rechtsanwalts darzulegen und zu rechtfertigen. Im Verfahren müsse dem Gegner rechtliches Gehör gewährt werden und der Sachverhalt auf Grund des beiderseitigen Parteivorbringens gewissenhaft aufgeklärt werden.12 Folglich sind die Schriftsätze auf eine kontradiktorische Darstellung des Sachverhalts angelegt. Der Anwalt, so der BGH weiter, könne darauf vertrauen, dass der Sachverhalt, soweit er streitig ist, im Beweisverfahren geklärt werde. Aber auch hinsichtlich der Formulierung billigt der BGH dem Anwalt eine gewisse Freiheit zu. Ihm könne nicht verwehrt werden, dass das was er zur Sache vorzutragen hat, auch in starken, eindringlichen Ausdrücken und sinnfälligen Schlagworten gesagt werde, selbst wenn dies dem Gegner unangenehm ins Ohr klingen müsse.13 Dabei obliegt es im Wesentlichen auch dem Prozessvertreter zu entscheiden, welche Ausführungen noch für die Entscheidung des Rechtsstreits relevant sind. Er muss 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
Siegrist, Advokat, Bürger und Staat, ErstHlbd., 1996, S. 355 ff. Gneist, Freie Advocatur, 1867, S. 50 ff. Ähnlich BVerfGE 50, 16 (29); 34, 293 (302). Schautes, Anwaltliche Unabhängigkeit, 2005, 97 ff. Vgl. Wolf, NJW-Sonderheft zum 4. Hannoveraner ZPO-Symposion, S. 21 f. Vgl. Koch/Kilian, Anwaltliches Berufsrecht, C Rz. 49. BGHZ 42, 163 (169); 71, 9 (11); 90, 41 (45). BGH, NJW-RR 2001, 498, 499 m.w.N. BGH, NJW 1977, 437 (437). RGZ 140, 392 ff.; BGH, NJW 1962, 263 f.; 2008, 996 f.; GRUR 1973, 550. BGH, NJW 1962, 263 f. Die Einordnung dieser Entscheidung in die anwaltliche Unabhängigkeit nahm erstmals Habscheid, NJW 1962, 1985 (1989) vor. 12 BGH, NJW 1962, 263 (264). 13 BGH, NJW 1962, 263 (264) unter Berufung auf RGZ 140, 392 (398).
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Stellung des Rechtsanwalts in der Rechtspflege
Rz. 55 § 1 BRAO
sich daher nicht auf den Vortrag der Tatsachen beschränken, die für die Entscheidung des Rechtsstreits von Bedeutung sein können; er darf vielmehr die Schlussfolgerungen hinzufügen, die nach seiner Überzeugung aus den mitgeteilten Tatsachen gezogen werden müssen.1 Die Grenze ist erst bei Äußerungen überschritten, welche für den Rechtsstreit keinerlei Bedeutung haben und die nur der persönlichen Herabsetzung des Gegners ohne jeden sachlichen Bezug dienen.2 Aber auch bei der Ermittlung dieser Grenze wird man dem Anwalt einen eigenständigen Beurteilungsspielraum einräumen müssen. Wie beim Richter kann nur offensichtlich Fehlerhaftes erfasst werden. Dieser Gedankengang gilt nicht nur für den zivilrechtlichen Widerrufs- bzw. Unterlassungsanspruch, sondern auch für die Frage, ob der Verteidiger durch seine Verteidigungshandlung einen Straftatbestand verwirklicht.3 Die Struktur bestimmter Straftatbestände birgt für den Rechtsanwalt selbst das Risiko, dass ein prozessual erlaubtes, im Rahmen wirksamer Verteidigung liegendes Verhalten in den Anwendungsbereich des Straftatbestands fallen kann. Die Verwirklichung einer effektiven Verteidigung, welche auch über Art. 6 Abs. 3 lit c EMRK abgesichert ist, wäre verletzt, wenn der Verteidiger wegen einer üblichen und prozessual zulässigen Verteidigungstätigkeit selbst strafrechtlich verfolgt würde.4 Etwas anderes habe nur zu gelten, wenn sich das Handeln des Verteidigers lediglich den Anschein zulässiger Verteidigung gibt, jedoch in Wirklichkeit ausschließlich verteidigungsfremde Zwecke verfolgt.5 Dabei ist die Beantwortung der Frage, ob noch ein erlaubtes oder schon ein unerlaubtes Verteidigerhandeln vorliegt, eine erhebliche Gratwanderung, welche eine gleichermaßen erhebliche Zurückhaltung bei gerichtlicher Inhaltskontrolle des Verteidigerhandelns erfordert.6
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Diese vom BGH vorgegebene Linie der Rechtsprechung wurde vom Bundesverfassungsgericht bestätigt.7 Die Äußerungen, welche der Rechtsanwalt in seiner Eigenschaft als Rechtsanwalt tätigt, so das Bundesverfassungsgericht, seien nicht ihm als Privatperson, sondern ihm in seiner Funktion als Rechtsanwalt und Vertreter seines Mandanten zuzurechnen. Würde er für derartige Äußerungen durch das Gericht zur Verantwortung gezogen, würde die ordnungsgemäße Interessenvertretung unterbunden.8
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Zur Begründung der jeweiligen Entscheidung wird durch die Rechtsprechung zwar immer wieder Art. 12 GG herangezogen.9 In Wirklichkeit geht es aber in erster Linie um das verfassungsrechtlich verbürgte Gebot der anwaltlichen Vertretung im Sinne der effektiven Wahrnehmung des rechtlichen Gehörs.10 Auch hier tut sich eine Parallele zur richterlichen Unabhängigkeit auf. Diese ist zwar kein Grundrecht des Richters, sondern vielmehr notwendige Funktionsvoraussetzung der Rechtsprechung, jedoch kann der Richter – treuhänderisch – die Verletzung des Art. 97 Abs. 1 GG über die Institutsgarantie des Art. 33 Abs. 5 GG geltend machen.11
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2. Persönliche Unabhängigkeit a) Verfassungstreue Die persönliche Unabhängigkeit des Rechtsanwalts drückt sich auch in der politischen Freiheit des Rechtsanwalts aus. § 7 Nr. 6 BRAO steht einer Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nur entgegen, wenn der Rechtsanwalt die freiheitlich demokratische Grundordnung in strafbarer Weise bekämpft, nicht jedoch wenn er aus politischen Gründen die freiheitlich demokratische Grundordnung ablehnt. Im Gegensatz zum Beamten, von dem eine politische Treupflicht (Verfassungstreue) gefordert wird,12 kann eine solche politische Treupflicht
1 BGH, NJW 1962, 263 (264). 2 RGZ 140, 392 (398 f.). 3 Vgl. hierzu – mit unterschiedlicher Gewichtung durch die Strafsenate des BGH – BGH (3. Senat), NJW 1982, 2508 f.; BGH (1. Senat), NJW 2000, 2217 f. und BGH (5. Senat), NJW 2002, 2115 f. 4 BGH, NJW 2000, 2217 f. 5 BGH, NJW 2000, 2217 (2218). 6 BGH, NJW 2002, 2115 (2116). 7 BVerfG, NJW 1996, 3267 ff. 8 Vgl. hierzu auch Loritz, BB 2000, 2006 ff. 9 Vgl. nur BVerfG, NJW 1996, 3267 ff. 10 Vgl. § 3 BORA Rz. 15 und Wolf, in: FS Schneider, 2008, S. 414 (416 ff.). 11 Jarass/Pieroth, Art. 33 GG Rz. 65. 12 BVerfG, NJW 1975, 1641 ff.; Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf/Pieper, 12. Aufl. 2011, Art. 33 GG Rz. 127.
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§ 1 BRAO Rz. 56
Stellung des Rechtsanwalts in der Rechtspflege
bzw. richtiger Verfassungstreue von einem Rechtsanwalt nicht gefordert werden.1 Ausgangspunkt der Überlegungen des BVerfG zur Verfassungstreue von Rechtsanwälten bildet zwar die in Art. 12 GG verankerte Berufsfreiheit, jedoch stellt das Bundesverfassungsgericht einen unmittelbaren Zusammenhang mit dem Rechtsstaatsprinzip her: „Die Herauslösung des Anwaltsberufs aus beamtenähnlichen Bindungen und seine Anerkennung als ein vom Staat unabhängiger freier Beruf kann als ein wesentliches Element des Bemühens um rechtsstaatliche Begrenzung der staatlichen Macht angesehen werden, das der Verfassungsgeber vorgefunden und in seinen Willen aufgenommen hat. Es entspricht dem Rechtsstaatsgedanken und dient der Rechtspflege, dass dem Bürger schon aus Gründen der Chancen- und Waffengleichheit Rechtskundige zur Verfügung stehen, zu denen er Vertrauen hat und die seine Interessen möglichst frei und unabhängig von staatlicher Einflussnahme wahrnehmen können.“2 56
Der Rechtsanwalt kann dem Rechtsstaat auch dienen, indem er diesen innerlich ablehnt. Wie das Bundesverfassungsgericht bereits im Lüth-Urteil festgestellt hat, ist das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung eines der vornehmsten Menschenrechte überhaupt, weil es den unmittelbarsten Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit in der Gesellschaft sichert. Für eine freiheitlich-demokratische Staatsordnung ist es schlechthin konstituierend, denn es ermöglicht erst die ständige geistige Auseinandersetzung, den Kampf der Meinungen, der ihr Lebenselement ist.3 Zwischen der Willensbildung in der freiheitlichen Demokratie und der als dialogischer Prozess verstandenen Rechtsfindung bestehen durchaus Parallelen.4 Konstitutiv für die freiheitliche Demokratie ist die ständige geistige Auseinandersetzung zwischen den einander begegnenden sozialen Kräften und Interessen, den politischen Ideen. Dabei gibt es nicht den einen richtigen Weg zur Bildung des Staates, sondern die ständige gegenseitige Kontrolle und Kritik bildet die beste Gewähr für eine (relativ) richtige politische Linie als Resultat und Ausgleich zwischen den im Staat wirksamen politischen Kräften, so das Bundesverfassungsgericht in der KPD-Entscheidung.5
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Mit der freien Advokatur ist folglich eine politische Gängelung des Rechtsanwalts nicht vereinbar. Vielmehr muss es als Wesensmerkmal der freien Advokatur angesehen werden, dass der Rechtsanwalt das geltende Recht kritisieren und für seine Änderung streiten kann. Er schuldet nicht und darf keine weiter gehende politische Loyalität gegenüber der verfassungsmäßigen Ordnung schulden.6Politische Loyalitätspflichten sind mit der freien Advokatur nicht vereinbar.7 Die Schwelle ist erst dort überschritten, wo in strafbarer Weise die freiheitlich demokratische Grundordnung bekämpft wird. Die weiter gefasste Formulierung des Eids in § 26 BRAO muss vor dem Hintergrund der Verpflichtung des § 7 Nr. 6 BRAO interpretiert werden.8 b) Wirtschaftliche Unabhängigkeit als Teil der persönlichen Unabhängigkeit
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Bezogen auf die richterliche Unabhängigkeit ist völlig unstreitig anerkannt, dass die sachliche Unabhängigkeit ohne die persönliche Unabhängigkeit nicht denkbar wäre. Dabei wird zur persönlichen Unabhängigkeit auch eine angemessene Besoldung gerechnet.9 Selbstverständlich lässt sich dies nicht unmittelbar auf die Unabhängigkeit des Rechtsanwalts übertragen. Allerdings liegen die Dinge näher zusammen, als manche Rhetorik vom verfassungswidrigen Konkurrenzschutz10 glauben machen will.
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Nimmt man die dialogische Rechtsfindung ernst,11 muss an die Stelle einer monologischen Beziehung zwischen Richter und Gesetz ein streitiges Verfahren treten, in dem Parteien und Richter um die Bedeutung der Worte kämpfen.12 Um dabei eine gemeinsame Basis für den „Streit um Worte“ zu haben, müssen die Parteien des Rechtsstreits ihre „Rechts-Mei1 BVerfGE 63, 266 ff. mit besonders nachdrücklicher abweichender Begründung von Simon, S. 298 ff.; Stern, Anwaltschaft und Verfassungsstaat, 1980, S. 17; Hartung/Hartung, § 1 BORA Rz. 69. 2 BVerfG, NJW 1983, 1535 (1536). 3 BVerfG, NJW 1958, 257 (258). 4 So bereits Simon in seiner abweichenden Begründung, BVerfGE 63, 266 (298). 5 BVerfG, NJW 1956, 1393 (1396). 6 So Simon, NJW 1983, 1535 (1539) in seiner abweichenden Begründung. 7 Friedlaender, JZ 1955, 11 (13). 8 Stern, Anwaltschaft und Verfassungsstaat, 1980, S. 17. 9 BVerfGE 12, 81 (88); BVerfGE 26, 141 (157); Schilken, Gerichtsverfassungsrecht, 4. Aufl. 2007, Rz. 473. 10 So insbesondere Kleine-Cosack, NJW 1988, 164 (171); Kleine-Cosack, AnwBl. 2001, 204 ff.; Hellwig, AnwBl. 2000, 705 (709). 11 Vgl. hierzu schon Wolf, in: FS Schneider, 2008, S. 414 (S. 423 ff.) und Wolf, in: FS Scharf, 2008, S. 329 (334 ff.). 12 Christensen/Kudlich, Theorie richterlichen Begründens, 2001, S. 55 ff.
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Rz. 62 § 1 BRAO
nung“ auf deren Gültigkeit hin zur Überprüfung stellen. Dies ist aber nur bei einer Distanzierung von der eigenen Meinung möglich. Diese Distanzierung bezeichnen Christensen/ Kudlich als den Übergang vom Meinen zur thetischen Rede.1 Diese Distanzierung von der eigenen Position, ohne die der Prozess der Argumentation nicht begonnen werden kann, setzt ein Stück innerer Distanz zu Rechtsstreit und Unabhängigkeit voraus. Hierin liegt eine mitentscheidende Funktion der Rechtsanwälte im Rechtsstreit. Christensen/Kudlich haben in diesem Zusammenhang auf den lateinischen Wortstamm der Postulationsfähigkeit hingewiesen. Im Prozess tritt das „postulare“ (Behaupten) an die Stelle des bloßen Meinens.2 Hierin gründet sich auch die notwendige Unabhängigkeit des Rechtsanwalts, als Organ der Rechtspflege, zum eigenen Mandanten.3 Ein Anwalt, der sich so mit den Interessen des eigenen Mandanten identifiziert, dass er über das bloße „Meinen“ nicht hinauskommt, der die professionelle Distanz zu den Belangen der Mandanten verloren hat, vermag dem Mandanten nicht mehr durch die thetische Rede Gehör zu verschaffen.4 Will der Rechtsanwalt also gehört werden, als Dialogpartner ernst genommen werden, darf er kein „Mietmaul“ sein.5 Die innere Distanz zum „Meinen“ des Mandanten ist Voraussetzung für seine Akzeptanz als gleichberechtigter Gesprächspartner im Verfahren.6 Grundvoraussetzung hierfür ist eine wirtschaftliche Unabhängigkeit. Ein Rechtsanwalt, der nicht über eine gewisse wirtschaftliche Unabhängigkeit verfügt, ist regelmäßig nicht in der Lage, die geforderte Distanz aufzubauen. Es besteht die Gefahr, dass aus wirtschaftlicher Abhängigkeit eine berufliche Abhängigkeit wird.7
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Die Bedeutung der wirtschaftlichen Unabhängigkeit für die Unabhängigkeit des Rechtsanwalts ergibt sich auch aus §§ 7 Nr. 9 und 14 Nr. 7 BRAO. Wer sich im Vermögensverfall befindet, kann nicht zur Rechtsanwaltschaft zugelassen werden, ihm ist im Regelfall die Zulassung zu entziehen. Allein mit dem Hinweis, es ginge bei den Regelungen darum, den rechtsuchenden Bürger vor Unterschlagungen von Mandantengeldern durch den vermögenslosen Rechtsanwalt und den Zugriff auf die Mandantengelder durch Gläubiger des vermögenslosen Rechtsanwalts schützen, wird man die Regelung kaum rechtfertigen können.8 Die gesetzliche Vermutung, ein vermögensloser Rechtsanwalt mutiert zugleich zum kriminellen Rechtsanwalt, dürfte weder einer empirischen noch einer verfassungsrechtlichen Überprüfung anhand von Art. 12 GG standhalten. Der Regelungstelos ist vielmehr weiter zu bestimmen: Derjenige, bei dem sich die wirtschaftliche Unabhängigkeit im Vermögensverfall verfestigt hat, verfügt in der Regel nicht mehr über die für die anwaltliche Tätigkeit notwendige persönliche Unabhängigkeit. Im Kern wird dies auch durch die Rechtsprechung des BGH zum Zulassungswiderruf bei Vermögensverfall bestätigt. Der BGH lässt zwar zwischenzeitlich zu, dass Rechtsanwälte, die in Vermögensverfall geraten sind, nicht automatisch aus der Rechtsanwaltschaft ausgeschlossen werden müssen, wenn sie sich in einem Anstellungsvertrag mit einer großen Kanzlei erheblichen Bindungen unterworfen haben, um die Gefährdung der Mandanten zu vermeiden. Jedoch wirft der BGH gleichzeitig die Frage auf, ob solche weitgehenden arbeitsvertraglichen Beschränkungen mit dem Berufsbild des Rechtsanwalts, wie es den §§ 1 bis 3 BRAO zu Grunde liegt, in Einklang zu bringen sind. Zulässig sei dies nur, weil es sich um eine vorübergehende Maßnahme handelt.9
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c) Sicherung des streitwertunabhängigen Zugangs zum Recht durch wirtschaftliche Unabhängigkeit Dem Rechtsanwalt ist durch die BRAO (§§ 48, 49a BRAO) die Verpflichtung auferlegt, in bestimmten Fällen Prozessvertretungen zu übernehmen und an der Beratungshilfe mitzuwirken. Darüber hinaus baut die Gebührenordnung des RVG auf dem Gedanken der Quersubventionierung auf.10 Diese im Interesse des Gemeinwohls dem Rechtsanwalt aufgegebe1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Christensen/Kudlich, Theorie richterlichen Begründens, 2001, S. 241 ff. Christensen/Kudlich, Theorie richterlichen Begründens, 2001, S. 257 f. Vgl. zur Unabhängigkeit gegenüber dem Mandanten Gaier, BRAK-Mitt. 2006, 2 (3 f.). Vgl. Rz. 17 f. Zustimmend Quaas, in: Offermann-Burckart, Anwaltsrecht in der Praxis, § 11 Rz. 8; Henssler/Prütting/ Busse, § 1 Rz. 47. Vgl. Rz. 18. Schneider, Der Rechtsanwalt, ein unabhängiges Organ der Rechtspflege, 1976, S. 102. So aber Henssler/Prütting/Henssler, § 14 Rz. 27 und Kleine-Cosack, § 14 Rz. 19 ff. Der Gesetzgeber spricht hingegen allgemein vom Schutz des Bürgers, welcher in der wirtschaftlichen Lage eines Rechtsanwalts begründet ist, BT-Drs. 11/3253, S. 19 f. BGH, NJW 2005, 511 ff. Vgl. Wolf, in: FS Schlosser, 2005, S. 1121 (1128).
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§ 1 BRAO Rz. 63
Stellung des Rechtsanwalts in der Rechtspflege
nen Belastungen erfordern ein Doppeltes: Zum einen muss dem Rechtsanwalt ein eigenes Betätigungsfeld gesichert werden, in dem er nicht mit Anbietern konkurriert, welche nicht mit vergleichbaren Pflichten im Interesse des Gemeinwohls belastet sind. Zum anderen ist aber auch sicherzustellen, dass die Anwaltschaft insgesamt diese Gemeinwohlbelastungen wirtschaftlich schultern kann.1 63
Demgegenüber kann nicht eingewandt werden, mit der Berufsfreiheit nach Art. 12 GG sei ein Konkurrenzschutz nicht vereinbar.2 Die Sicherung der wirtschaftlichen und damit persönlichen Unabhängigkeit der Rechtsanwälte kann sicherlich nicht aus einem Eigeninteresse der Rechtsanwaltschaft und dem Wunsch der Rechtsanwaltschaft vor Konkurrenz geschützt zu sein gerechtfertigt werden. Allerdings geht es hierbei nicht um das Eigenwohl der Anwaltschaft, sondern darum die Anwaltschaft wirtschaftlich in die Lage zu versetzen, die ihr aufgebürdeten Gemeinwohlbelastungen schultern zu können. So wurde dem alten RBerG die Funktion zugeschrieben, die Anwaltschaft vor einem Wettbewerb mit Personen, die die Rechtsberatung ausüben, ohne standesrechtlichen, gebührenrechtlichen und ähnlichen im Interesse der Rechtspflege gesetzten Schranken zu unterliegen, zu schützen.3 Für das neue Rechtsdienstleistungsgesetz stellt sich im Grunde keine andere Aufgabe.
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Das Bundesverfassungsgericht4 hat stets das zentrale Anliegen des Rechtsstaats, jedermann das Recht auf Zugang zu den Gerichten (Justizgewähranspruch) zuzusichern, betont. Dabei darf der Zugang zum Gericht auch aus Kostengründen nicht unzumutbar erschwert werden. Mit diesem Anspruch, so das Bundesverfassungsgericht, wäre es nicht vereinbar, wenn Gebühren erhoben würden, die außer Verhältnis zu dem wirtschaftlichen Wert stehen, den das gerichtliche Verfahren für den einzelnen Beteiligten hat. In diese Überlegungen hat das Bundesverfassungsgericht die Anwaltsgebühren mit einbezogen und zwar auch in Verfahren, in denen kein Anwaltszwang herrscht. Für einen wirkungsvollen Rechtsschutz kann die Inanspruchnahme eines Rechtsanwalts erforderlich sein; diese darf deshalb durch die Gebührenregelung nicht unzumutbar erschwert werden.5 Ausdrücklich weist das Bundesverfassungsgericht6 in diesem Zusammenhang zum einen darauf hin, dass die Gebührenregelungen den Rechtsschutz nicht von der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit abhängig machen dürfen. Es müssen daher Vorkehrungen getroffen werden, die auch Unbemittelten einen weitgehend gleichen Zugang zu den Gerichten ermöglichen.7 Zum anderen betont das Bundesverfassungsgericht aber gleichfalls ausdrücklich, dass eine unzumutbare Erschwerung des Zugangs zu den Gerichten auch vorliegen kann, wenn – trotz wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit – das Kostenrisiko zu dem mit dem Verfahren angestrebten wirtschaftlichen Erfolg außer Verhältnis steht. In diesem Fall sei die Beschreitung des Rechtswegs praktisch unmöglich, weil die Anrufung der Gerichte nicht mehr wirtschaftlich sinnvoll erscheine.8 Bei der Regelung der Anwaltsgebühren hat der Gesetzgeber, so das Bundesverfassungsgericht weiter, neben dem Justizgewähranspruch und dem Interesse des Mandanten, nicht ein unangemessen hohes Entgelt zahlen zu müssen, auch die Berufsfreiheit des Rechtsanwalts nach Art. 12 GG in den Abwägungsprozess mit einzubeziehen.9 Dabei muss das Entgelt nicht so bemessen sein, dass es im Einzelfall genau dem Wert der anwaltlichen Leistung entspricht. Jedoch muss das aus dem System der Mischkalkulation resultierende Einkommen insgesamt so bemessen sein, dass der Anwalt aus seinem Gebührenaufkommen sowohl seinen Kostenaufwand als auch seinen Lebensunterhalt bestreiten kann.10
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Um den Zugang zum Gericht und damit den Justizgewähranspruch sicher zu stellen, nimmt der Gesetzgeber, über die im RVG verankerte Mischkalkulation hinaus, noch in einer Reihe von anderen Fällen die Rechtsanwälte in die Pflicht. Nach § 48 BRAO ist der Rechtsanwalt verpflichtet, im Fall der Beiordnung die Prozessvertretung zu übernehmen. Eine vergleichbare Verpflichtung begründet § 49a BRAO für die Beratungshilfe. Soweit die Beiordnung im Wege der Prozesskostenhilfe erfolgt, ordnet § 49 RVG zu Lasten des Rechtsanwalts niedrigere Gebühren an. Dies ist verfassungskonform.11 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
Zum Nachfolgenden bereits Wolf, in: NJW-Sonderheft zum 4. Hannoveraner ZPO-Symposion, 21 ff. Dies betont aber z.B. Kleine-Cosack, BB 2000, 2009 (2010); Kleine-Cosack, NJW 2000, 1593 (1596 f.). BGHZ 15, 315 (317). Vgl. BVerfGE 50, 217 (231); 80, 103 (109); 81, 347 (356); 83, 1 (14 f.); 85, 337 ff. BVerfGE 85, 337 (349). BVerfGE 85, 337 (346). BVerfGE 50, 217 (231); 81, 347 (356 f.). BVerfGE 85, 337 (347 f.); BVerfG NJW 1997, 311 ff. BVerfGE 85, 337, (349 f.). BVerfGE 85, 337 (349) 118, 1 (390 f.) (Abm. M. Gaier). BVerfG, NJW 1971, 187 (187); Hartmann, Kostengesetze, 43. Aufl. 2013, § 49 RVG Rz. 1.
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Stellung des Rechtsanwalts in der Rechtspflege
Rz. 69 § 1 BRAO
Die hier aufgezeichnete Linie findet ihre Bestätigung in den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht in der Masterpat-Entscheidung1 festgehalten, dass ein Schutz der Rechtsanwaltschaft vor Konkurrenz als solches nicht dem Grundgesetz entspricht. Jedoch stellt es eine unzutreffende Interpretation dieser Entscheidung dar, wenn daraus der Schluss gezogen wird, der Schutz der Anwaltschaft vor einer unübersehbaren Konkurrenz von Personen, die keiner weitgehenden Gemeinwohlbindung unterliegen,2 sei mit Art. 12 GG nicht vereinbar.3 Auch in seinen Entscheidungen zur Singularzulassung der beim Bundesgerichtshof in Zivilsachen zugelassenen Rechtsanwälte betont das BVerfG die Bedeutung der Unabhängigkeit der Rechtsanwälte für die Rechtsfindung.4 Die Unabhängigkeit würde den Rechtsanwälten beim BGH erlauben, die ihnen übertragenen Fälle im Interesse ihrer Mandanten noch einmal unbefangen von dem bisherigen Prozessgeschehen zu bewerten, sich auf die für die revisionsrechtliche Prüfung wesentlichen Punkte zu beschränken, bisher nicht oder nicht ausreichend gewürdigte Aspekte herauszuarbeiten und so zur Qualität der Rechtsprechung der Zivilsenate des BGH beizutragen. In einer weiteren Entscheidung zur Singularzulassung der Rechtanwälte beim Bundesgerichtshof betont das BVerfG, dass nur wirtschaftlich abgesicherte Rechtsanwälte über die Unabhängigkeit verfügen, angetragene Mandate ohne Rücksicht auf das konkret zu erwartende Honorar oder Folgemandate zu bewerten. Darüber hinaus werde durch ein gesichertes wirtschaftliches Auskommen die Bereitschaft dafür gefördert, dass Rechtsuchende in Angelegenheiten von grundsätzlicher Bedeutung, jedoch mit nur geringem Streitwert, einen bei dem BGH zugelassenen Rechtsanwalt finden, der ungeachtet eines im Einzelfall nur geringen Honorars die anwaltliche Vertretung übernimmt.5
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Folglich rechtfertigen gesetzliche Regelungen, welche darauf abzielen die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege zu sichern und den Zugang zu den Gerichten nicht an unverhältnismäßigen Anwaltskosten scheitern zu lassen, einen Eingriff in die Berufsfreiheit. Die leistungsfähige Anwaltschaft ist in diesem Sinne Mittel, nicht Zweck der Regelung.6 Grundsätzlich rechtfertigt das Regelungsziel auch eine Bedarfsregelung.7
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Aus der Sicht des Europarechts wird diese Auffassung gleichfalls nicht in Frage gestellt. Zwar ficht die Kommission auf der politischen Ebene für eine weitgehende Deregulierung des Rechtsdienstleistungsmarkts.8 Jedoch kontrastiert dies mit den vom EuGH wiederholt getroffenen Feststellungen, in welchem Umfang rechtlich eine Deregulierung geboten ist. So hat der EuGH festgestellt, dass das Rechtsdienstleistungsgesetz aus Gründen des Allgemeininteresses nicht gegen den EG-Vertrag und die Dienstleistungsfreiheit verstößt.9 Die Anwendung von Berufsregelungen auf die Anwälte – so der EuGH –, insbesondere Vorschriften über die Organisation, die Befähigung und die Standespflichten sowie die Kontrolle und Verantwortlichkeit, sichern die notwendige Integrität und Erfahrung zugunsten des Empfängers rechtlicher Dienstleistungen und der Rechtspflege ab. Es liegen daher zwingende Gründe des Allgemeinwohls vor, welche eine Einschränkung der Dienstleistungsfreiheit erlauben.10 Vergleichbar argumentiert der EuGH in der Doc Morris-Entscheidung.11 Zum Schutz der Bevölkerung kann der Vertrieb von Arzneimitteln so eingeschränkt werden, dass der Apotheker die tatsächliche berufliche Unabhängigkeit hat, um eine hochwertige Arzneimittelversorgung sicher zu stellen. Insbesondere die notwendige Information des Verbrauchers rechtfertige es Regelungen zu schaffen, welche das Gewinnstreben einschränken.12
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d) Zusammenfassung Im 19. Jahrhundert wurde mit der Forderung nach der Freien Advokatur auch die Forderung nach Abschaffung der Zulassungsbeschränkung verbunden. An die Stelle des Numerus 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
BVerfGE 97, 12 ff. So deutlich und zutreffend BGHZ 15, 315 (321). So aber z.B. Sauer/Wittemann, BKR 2003, 656 (661); Schönberger, NJW 2003, 249 (253). BVerfG, NJW 2007, 1136 (1137). BVerfG, NJW 2008, 1293 (1296). Wie hier Prütting, 65. DJT (2004), G 19 f. BVerfG, NJW 2007, 1136 (1138). Kom(2004) 83 endgültig, S. 11. Hierzu Wolf, Zivilprozessrechts-Symposion, BRAK-Schriftenreihe, Bd. 16, 2008, S. 1 (13). EuGH v. 12.12.1996, Rs. C-3/95 – Broede vs. Sanker. Vgl. hierzu Prütting, 65. DJT (2004), G 27. EuGH v. 19.5.2009, Rs. C 171/07, Rz. 34 bis 38. Vgl. hierzu auch § 2 BRAO Rz. 29.
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clausus sollte die freie Konkurrenz treten.1 Insbesondere Gneist verband mit seiner Forderung nach beruflicher Autonomie auch die Forderung Zulassungsbeschränkungen abzuschaffen.2 Hieraus kann aber nicht gefolgert werden, dass zur Sicherung der anwaltlichen Unabhängigkeit eine Bedarfszulassung verfassungsrechtlich völlig ausgeschlossen ist. Die persönliche anwaltliche Unabhängigkeit des Rechtsanwalts als Funktionsvoraussetzung der anwaltlichen Tätigkeit kann durch ein disziplinierendes Bedarfszulassungssystems gefährdet sein. Eine Gefahr für die anwaltliche Unabhängigkeit kann aber auch von einer wirtschaftlich nicht mehr leistungsfähigen Anwaltschaft ausgehen. Dies hat umso mehr zu gelten, als die Anwaltschaft bestimmte Gemeinwohllasten, wie etwa die Unterwerfung unter Quersubventionierung, Prozesskostenhilfe und Beratungshilfe, zu erbringen hat. Bereits Gneist hat sich deshalb gegen den rein kaufmännischen Geist der Advokaten ausgesprochen.3 Sicherlich, wie das Beispiel der Notare zeigt, die nach § 1 BNotO gleichfalls unabhängig sind, würde selbst eine Bedarfszulassung nicht dem Leitbild der Advokatur widersprechen. Anderseits lässt sich die Geschichte der Rechtsanwaltschaft auch als eine Geschichte der Klagen vor Überfüllung schreiben.4 Tatsächlich ist aktuell nicht zu leugnen, dass sich die wirtschaftliche Situation in der Breite der Anwaltschaft deutlich verschlechtert hat. So ist der Teil des preisbereinigten Bruttoinlandsprodukts, welches derjenige Teil der Bevölkerung erwirtschaftet, welcher auf einen Rechtsanwalt entfällt, von 36 117 244 E im Jahr 1970 auf 15 999 444 E im Jahr 2005 gefallen. Dies entspricht einem Rückgang um 56 %. Gleichzeitig ist im selben Zeitraum das Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner um 89 % gestiegen.5 Diese Entwicklung trifft zusammen mit einer Spaltung des Anwaltsmarkts. So ist bei einem insgesamt rückläufigen Umsatzsteueranteil der Umsatzsteueranteil des oberen Segments deutlich stärker gestiegen.6 70
Für die Beantwortung der Frage, ob und in welchem Umfang die Unabhängigkeit der Rechtsanwaltschaft durch einen ruinösen Wettbewerb bedroht und deshalb eine Zulassungsbeschränkung erforderlich ist, kommt dem Gesetzgeber – auch wenn man die Tätigkeit des Rechtsanwalts im rechtlichen Gehör verfassungsrechtlich verortet – eine erhebliche Einschätzungsprärogative zu.7 Hielte der Gesetzgeber jedoch objektive Berufszulassungsschranken für erforderlich, wäre dies nicht a priori verfassungswidrig. Gleichfalls, wie bereits Friedlaender betont hat, verstieß eine Höchstzulassungszahl nicht gegen den Grundsatz der freien Advokatur.8 Zwar sind solche Berufszulassungsschranken aus Gründen des Konkurrenzschutzes von vornherein unzulässig,9 jedoch zur Abwehr nachweisbarer oder höchstwahrscheinlich schwerwiegender Gefahren für ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut möglich.10 Die geordnete Rechtspflege, der Anspruch des rechtsuchenden Bürgers auf durch einen Rechtsanwalt vermitteltes rechtliches Gehör, ist sicherlich als ein solches Rechtsgut anzuerkennen. Daher wäre eine Bedarfszulassung aus übergeordneten Gemeinwohlbelangen verfassungsrechtlich zu rechtfertigen. III. Vom Mandanten
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Der Rechtsanwalt muss auch gegenüber dem Mandanten unabhängig sein. Unabhängigkeit, Weisungsgebundenheit und überlegenes Fachwissen bilden dabei ein magisches Dreieck. Aus § 46 BRAO ergibt sich bereits, dass anwaltliche Tätigkeit und berufliche Abhängigkeit nicht mit einander vereinbar ist. Die Unabhängig von dem Mandanten ist erforderlich, damit ein Übergang vom bloßen Meinen zur thetischen Rede11 erst möglich wird. Die professionelle Distanz zu den Belangen des Mandanten sichert diesem im Verfahren erst das rechtliche Gehör. Unabhängigkeit bedeutet in diesem Sinne insbesondere auch die Entscheidung, ob man ein Mandat übernimmt, nicht vom finanziellen Ertrag des Mandats abhängig zu ma1 Siegrist, Advokat, Bürger und Staat, 1. Hlbd., 1996, S. 389 ff. 2 Gneist, Freie Advocatur, 1867, S. 58 ff., hierzu Siegrist, Advokat, Bürger und Staat, 1. Hlbd., 1996, S. 395, der darauf hinwies, dass es Gneist erst hierdurch gelang, seiner Forderung eine Wirkungsmächtigkeit zu verleihen. 3 Gneist, Freie Advocatur, 1867, S. 61, hierzu Siegrist, Advokaten, Bürger und Staat, 1. Hlbd., 1996, S. 394. 4 Siegrist, Advokat, Bürger und Staat, 2 Hlbd., 1996, S. 617. 5 Wolf, Zivilprozessrechts-Symposion, BRAK Schriftenreihe, Bd. 16, 2008, S. 1 (3). 6 Wolf, Zivilprozessrechts-Symposion, BRAK Schriftenreihe, Bd. 16, 2008, S. 1 (5 f.) und Hommerich/Kilian/Dreske, Statistisches Jahrbuch der Anwaltschaft 2007/2008, 2008, S. 102. 7 Allgemein hierzu Tettinger/Wank, Gewerbeordnung, 8. Aufl. 2011, Einl. Rz. 77 f. 8 Friedlaender, JZ 1955, 11 (13). 9 BVerfGE 11, 168 ff. 10 Tettinger/Wank, Gewerbeordnung, 8. Aufl. 2011, Einl. Rz. 77 m.w.N. 11 Christensen/Kudlich, Theorie richterlichen Begründens, 2001, S. 241 ff.
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Rz. 75 § 1 BRAO
chen. Die vom Bundesverfassungsgericht betonte Bedeutung der wirtschaftlichen Unabhängigkeit der beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwälte, um die angetragenen Mandate ohne Rücksicht auf das konkret zu erwartende Honorar oder Folgemandate zu bewerten,1 gilt im Grunde für jede anwaltliche Tätigkeit. Unabhängigkeit bedeutet dabei aber nicht Weisungsunabhängigkeit. Als Interessenvertreter des Mandanten unterliegt der Rechtsanwalt grundsätzlich den Weisungen seiner Partei. Dies ergibt sich auch aus dem Vertragsverhältnis, das dem Anwaltsvertrag zugrunde liegt. Nach § 665 BGB besteht ein grundsätzliches Weisungsrecht des Auftraggebers gegenüber dem Auftragnehmer.2 Allerdings findet das Weisungsrecht eine doppelte Schranke. Die erste Schranke ergibt sich aus dem überlegenen Fachwissen des Rechtsanwalts. Das Fachwissen steht allerdings dem Weisungsrecht nicht entgegen, sondern drückt sich primär in einer gesteigerten Aufklärungspflicht aus. Der Rechtsanwalt ist verpflichtet sich von der Ernsthaftigkeit und Endgültigkeit der Weisungen insbesondere dann zu überzeugen, wenn diese für den Mandanten schädlich sind.3
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Die zweite Schranke ergibt sich aus der anwaltlichen Unabhängigkeit. Berufsrechtswidrige Weisungen sind von vornherein nicht zu beachten.4 Aber auch jenseits dieser Schwelle muss eine Distanziertheit des Rechtsanwalts zu den Interessen und Zielen des Mandanten bestehen, um dem Mandanten rechtliches Gehör verschaffen zu können. Dabei erfordert die Strafverteidigung sicherlich etwas mehr Paternalismus als die Vertretung in einem Zivilprozess. Letztlich jedoch kann der Zielkonflikt zwischen anwaltlicher Unabhängigkeit und Weisungsgebundenheit nur über das jederzeitige Kündigungsrecht nach § 627 Abs. 1 BGB gelöst werden.5
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Voraussetzung hierfür ist jedoch die wirtschaftliche Unabhängigkeit vom Mandanten. Für die Wirtschaftsprüfer sieht § 319 Abs. 3 Nr. 5 HGB eine summenmäßige Begrenzung der mit einem Prüfmandat erzielten Umsätze vor. Eine Übertragung dieser Bestimmung de lege ferenda auf die anwaltliche Tätigkeit wird abgelehnt.6 Die gegen die Übertragung vorgebrachten Argumente vermögen nicht zu überzeugen. Aus § 6 Abs. 2 BORA lässt sich nichts Gegenteiliges ableiten.7 Die Verpflichtung Umsatzzahlen nicht zu veröffentlichen kann jedenfalls nicht gegenüber den Kammern bestehen, wenn man nicht die Bestimmung generell für obsolet hält.8 Gleichfalls führt der Vorwurf die Regelung sei schematisch nicht weiter.9 Derartige Regelungen müssen schematisch sein, um praktikabel zu bleiben. Zwar wird man die Regelung nicht auf die Rechtsanwälte analog anwenden können, jedoch bleibt festzuhalten, dass eine zu große wirtschaftliche Abhängigkeit die berufsrechtlich relevante Unabhängigkeit des Rechtsanwalts gefährden kann. In Ermangelung genauer gesetzlicher Grenzen wird man als berufsrechtlich relevant nur Extremfälle ansehen können.
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IV. Von der Gesellschaft Die anwaltliche Unabhängigkeit muss sich auch gegenüber Dritten bewähren. So stellt z.B. § 49b Abs. 3 S. 1 BRAO sicher, dass sich der Rechtsanwalt gegenüber Mandatsvermittlern nicht in eine Abhängigkeit begeben kann.10 Konzernartige Kanzleistrukturen mit erheblichem Fremdkapitalbedarf stellen gleichfalls eine Gefahr für die anwaltliche Unabhängigkeit dar. Denn diese könnte durch eine eventuelle Einflussnahme durch – insbesondere berufsexterne – Investoren ganz erheblich eingeschränkt werden. Um diesem Gefahrenpotential entgegenzuwirken, hat die Rechtsprechung, nach der grundsätzlichen Zulassung von Anwaltskapitalgesellschaften,11 die zuvor lange umstritten war, strenge Kriterien bezüglich der Zulässigkeit von Beteiligungen an Anwaltskanzleien entwickelt.12 Diese Grundsätze sind in1 BVerfG, NJW 2007, 1136 (1137). 2 Hierzu Schautes, Anwaltliche Unabhängigkeit, 2005, S. 140 f.; hierzu auch Busse, in: Henssler/Prütting, § 1 Rz. 48. 3 BGH, NJW 1985, 42 (43). 4 Schautes, Anwaltliche Unabhängigkeit, 2005, S. 142. 5 Wie hier Schautes, Anwaltliche Unabhängigkeit, 2005, S. 142 ff. 6 Schautes, Anwaltliche Unabhängigkeit, 2005, S. 164. 7 So aber Graeber, ZVI 2002, 345 (349). 8 So Kleine-Cosack, § 6 BORA Rz. 2. 9 So aber Schautes, Anwaltliche Unabhängigkeit, 2005, S. 164. 10 Vgl. § 49b BRAO Rz. 49. 11 Für die Rechtsanwalts-GmbH: BayObLG, NJW 1995, 199 (200); für die Rechtsanwalts-AG: zunächst BayOLG, NJW 2000, 1647 (1647); dann BGH, NJW 2005, 1568 (1571). 12 BayObLG, NJW 1995, 199 (201).
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§ 1 BRAO Rz. 76
Stellung des Rechtsanwalts in der Rechtspflege
zwischen – zumindest für die Anwalts-GmbH – in den §§ 59a ff. BRAO durch den Gesetzgeber explizit kodifiziert worden.1 76
Wichtigstes Beispiel ist dabei das in § 59e Abs. 1 S. 2 BRAO geregelte Verbot externer Kapitalbeteiligungen an Rechtsanwaltsgesellschaften.2 Die Gesellschafter einer Rechtsanwaltskanzlei müssen demnach aktiv in der Kanzlei mitarbeiten und dürfen sich nicht auf das Halten von Gesellschaftsanteilen beschränken. Dieses Gebot der aktiven Mitarbeit ist ein auch international allgemein gültiges Dogma, über das zwar kontrovers diskutiert wird, das aber – abgesehen von vereinzelten Ausnahmen3 – in der rechtlichen Wirklichkeit fast überall Geltung beansprucht. Ferner hat es durch die gerade gefällte Entscheidung des europäischen Gerichtshofs, in der die Europarechtskonformität des Fremdbesitzerverbots von Apotheken festgestellt wurde, weitere Unterstützung erhalten.4
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Darüber hinaus ist es gem. § 59e Abs. 1 S. 1 BRAO – neben Rechtsanwälten – nur den durch Verweis in Bezug genommenen und in § 59a BRAO enumerativ aufgezählten Berufsträgern gestattet, Gesellschafter einer Rechtsanwaltsgesellschaft zu werden. Diese zwar lediglich beschränkte, aber zumindest grundsätzlich zulässige Möglichkeit der interprofessionellen Zusammenarbeit in einer Sozietät (sog. Multi-Diciplinary Pratices oder MDP) stellt sich im internationalen Vergleich als absolute Ausnahme dar. Der ganz überwiegende Teil der anderen Rechtsordnungen verbietet solche Zusammenschlüsse.5
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Dieselbe Schutzrichtung, wie das Verbot der reinen Kapitalbeteiligung, weist auch § 59f BRAO auf. Demnach muss eine Rechtsanwaltsgesellschaft verantwortlich durch Rechtsanwälte geführt werden (§ 59f Abs. 1 BRAO). Ferner sind auch tätigkeitsbezogene Einzelzuweisungen nicht gestattet (§ 59f Abs. 2 BRAO). D. Anwendbarkeit des UWG6
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Nach § 2 BRAO übt der Rechtsanwalt einen freien Beruf und kein Gewerbe aus. Nach § 1 BRAO ist er unabhängiges Organ der Rechtspflege. Beide Bestimmungen stehen nach einhelliger Ansicht der Anwendbarkeit des UWG auf die Tätigkeit des Rechtsanwalts nicht entgegen.7 Ursprünglich war die Frage allerdings umstritten. Das UWG sollte in seiner anfänglichen Intension den lauteren Wettbewerb der Gewerbetreibenden untereinander schützen. Fraglich war daher, ob Rechtsanwälte, die keine Gewerbetreibenden sind, von dem UWG, welches sich nur an Gewerbetreibende8 wandte, erfasst werden konnten.9 Seit der Entschei1 Eine entsprechende Regelung für die Rechtsanwalts-AG fehlt zwar bisher. Der BGH hat jedoch ausdrücklich festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Rechtsanwalts-GmbH auch auf die Rechtsanwalts-AG anzuwenden sind: BGH, NJW 2005, 1568 (157). 2 S. Kommentierung § 59e BRAO und Einleitung, Rz. 261 ff. sowie die rechtsvergleichende Übersicht bei Henssler, BRAK-Mitt. 2007, 186 ff. und 238 ff. 3 Eine dieser Ausnahmen bildet England. Dort wurde der sog. Legal Services Act 2007 verabschiedet. Dieser führt zu einer sukzessiv fortschreitenden Liberalisierung der externen Kapitalbeteiligung an Rechtsanwaltsgesellschaften. 4 Vgl. EuGH v. 19.5.2009, Rs. C 171/07. 5 Soweit ersichtlich ist nur die Rechtsordnung Australiens diesbezüglich ähnlich liberal. Jüngst hat das BVerfG allerdings § 59e BRAO für verfassungswidrig erklärt, soweit die Bestimmung § 52e PAO den wechselseitigen Zusammenschluss von Rechts- und Patentanwälten verhindert, BVerfG v. 14.1.2014 – 1 BvR 2998/11. Hierzu § 59e BRAO Rz. 20 ff. 6 Hierzu ausführlich Einleitung, Rz. 113 ff. 7 So auch st. Rspr. ohne Erörterung der Frage der Anwendbarkeit: BGH, GRUR 1994, 825 (826); BGHZ 115, 105 (108 ff.). 8 Bereits unmittelbar aus RGZ 99, 189 (192) geht aber hervor, dass das UWG unstreitig nicht auf „Erwerbstätigkeit beschränkt [war], die von der Gewerbeordnung geregelt wird, vielmehr die Erwerbstätigkeit im weitesten Sinne begreift“. 9 Dass der Rechtsanwalt kein Gewerbe betreibt, war auch zu diesem Zeitpunkt bereits durch das Reichsgericht geklärt. So heißt es etwa in RGZ 66, 143 (148): „Die sich unter staatlicher Autorität durchsetzende sittliche Überzeugung und die tatsächliche Sitte der deutschen Ärzte gehen dahin, dass der ärztliche Beruf, genauso wie der des Rechtsanwalts, als „Gewerbe“, d.h. als eine Einnahmequelle, als ein auf Geldverdienen ausgerichtetes Unternehmen nicht ausgeübt wird und nicht ausgeübt werden darf. […] Nach der Sittenanschauung nicht nur der Ärzte und Rechtsanwälte selbst, und nicht nur der sonst höher gebildeten Volkskreise, sondern des gesamten deutschen Volkes stehen die den allgemeinen Interessen dienenden Berufe des Arztes und des Rechtsanwaltes über dem Niveau einer Gewerbstätigkeit und dürfen auf die Stufe eines gewerblichen Unternehmens nicht herabgezogen werden. […] Dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden, ist es anstößig, wenn der Beruf des Arztes und des Rechtsanwalts lediglich zum Zweck des Geldverdienens und nach den Antrieben dieses Zwecks ausgeübt wird.“
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Stellung des Rechtsanwalts in der Rechtspflege
Rz. 83 § 1 BRAO
dung des Reichsgerichts aus dem Jahr 19201 wird hingegen die Anwendbarkeit grundsätzlich bejaht. Hauptargument gegen die Unabwendbarkeit des UWG war die öffentlich-rechtliche Funktion des Rechtsanwalts als Teil der Justizorganisation. Richtig hieran ist, dass der Rechtsanwalt – zumindest in der Idealvorstellung des Gesetzes – in erster Linie seinem Mandanten verpflichtet ist, sodass das Gewinnstreben nicht sein Hauptantrieb sein darf.2 Jedoch sind Rechtsanwälte, wie es bereits das Reichsgericht feststellte, zumindest „nicht nur an der Durchführung der Rechtsordnung zur Erfüllung staatlicher Aufgaben, wie etwa der Beamte, sondern auch im eigenen Interesse, frei über ihre Leistung verfügend und diese gegen Entgelt gewährend, also zu Erwerbszwecken im allgemeinen Sinne tätig“.3 In diesem Umfang stehen sie folglich untereinander auch im Wettbewerb, zu dessen Regelung das UWG die richtigen Instrumentarien zur Verfügung stellt. Dies erscheint sowohl zugunsten der anderen Berufsträger, als auch zugunsten potentieller Mandanten notwendig.
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Die neuere Diskussion geht vermehrt um die Frage, ob das UWG in seinem Anwendungsbereich die anwaltliche Berufsordnung verdrängt oder kumulativ neben die Berufsordnung hinzutritt.4 Nachdem das BVerfG5 und der BGH6 entschieden haben, dass eine öffentlich-rechtliche Kammer auf dem Zivilrechtsweg nach § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG gegen ihre Kammermitglieder vorgehen kann, wird das Wettbewerbsrecht deutlich breiteren Raum einnehmen.7 Wie der BGH unter Berufung auf die Verfassungsgerichtsentscheidung ausführt, steht die Möglichkeit nach dem UWG gegen Kammermitglieder vorzugehen grundsätzlich neben den Befugnissen, welche die Kammer nach der jeweiligen Berufsordnung hat. Durchgreifende Gründe, warum der eine oder der andere Weg vorzuziehen wäre, gäbe es grundsätzlich nicht. Für das Vorgehen nach dem UWG spräche, dass es sich hierbei um den vergleichsweise einfacheren und schnelleren Weg handelt, um berufswidriges Verhalten zu unterbinden. Allerdings haben die Kammern, wenn sie nach dem UWG vorgehen wollen, den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten.
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Allerdings sind nicht sämtliche berufsrechtlichen Bestimmungen zugleich wettbewerbsbezogene Normen.8 Anerkannt wurde dies insbesondere für §§ 43 und 43a BRAO bezüglich der berufsrechtlichen Einschränkungen der Werbung.9 Gleiches gilt für die entsprechenden Bestimmungen der BORA (§§ 6 bis 10 BORA).10 Die gesetzlichen Mindest- bzw. Höchstpreisvorschriften des RVG sind wettbewerbsbezogene Marktverhaltensregelungen im Sinne von § 4 Nr. 11 UWG. Unlauter ist die Gebührenüberschreitung ohne Hinweis auf eine solche.11 Unzulässig ist des Weiteren die Werbung mit Pauschalgebühren, die zu Leistung, Verantwortung und Haftungsrisiko des Rechtsanwalts in keinem angemessenen Verhältnis mehr stehen.12
82
Das UWG war ursprünglich auf Handlungen beschränkt, die dem Absatz bzw. Bezug von Waren oder Dienstleistungen dienten. Mit der UWG-Reform 2008 wurde der Anwendungsbereich auch auf den Zeitraum nach Vertragsabschluss erstreckt. Das UWG hat sich damit von einem Wettbewerbsrecht zu einem Lauterkeitsrecht gewandelt, das auch die Phase der Vertragsabwicklung erfasst.13 Dies führt dazu, dass auch irreführende Aussagen bei Geltendmachung von Zahlungsansprüchen nunmehr vom UWG erfasst werden.14 Folge davon ist, dass die anwaltliche Rechtsdurchsetzung vom UWG kontrolliert werden kann.15
82a
E. Organ der Rechtspflege als Pflichtenmaßstab Nach der hier vertretenen Auffassung handelt es sich bei dem Begriff „Organ der Rechtspflege“ um ein allgemeines Rechtsprinzip, aus dem sich nicht deduktiv bestimmte Rechts1 RGZ 99, 189 ff. 2 Überdies setzt das UWG nach allgemeiner Ansicht auch kein Gewinnstreben mehr voraus. S. nur: OLG Stuttgart, NJW-RR 2001, 1697 ff.; Emmerich, Unlauterer Wettbewerb, 9. Aufl. 2009, S. 27 f. 3 RGZ 99, 189 (192). 4 S. Römermann, AnwBl. 2007, 744 ff. 5 BVerfG, NJW 2004, 3765 (3765). 6 BGH, NJW 2006, 2481, (2482). 7 Gegen das Vorgehen der Kammern nach UWG, Römermann in Vorauflage Hartung/Römermann, Vor § 6 BerufsO Rz. 139 f. 8 Vgl. Piper/Ohly/Ohly, UWG, 5. Aufl. 2010, § 4 UWG Rz. 11/38. 9 Piper/Ohly/Ohly, UWG, 5. Aufl. 2010, § 4 UWG Rz. 11/39 ff. 10 Piper/Ohly/Ohly, UWG, 5. Aufl. 2010, § 4 UWG Rz. 11/63. 11 BGH, GRUR 2005, 433 (435); BGHZ 152, 153 ff. 12 OLG Hamm, GRUR 2006, 348 f. 13 Köhler, in: Köhler/Bornkamm, § 2 Rz. 31. 14 Sosnitza, in: Piper/Ohly/Sosnitza, UWG, 5. Aufl. 2010, § 2 Rz. 22. 15 Hierzu Einl. Rz. 120 ff.
Wolf 195
83
§ 1 BRAO Rz. 84
Stellung des Rechtsanwalts in der Rechtspflege
sätze in begriffsjuristischer Weise ableiten lassen.1 Versteht man folglich den Begriff „Organ der Rechtspflege“ als ein Prinzip, welches die Funktion des Rechtsanwalts für die Rechtspflege in einem Rechtsgedanken zusammenfasst, das jedoch seine konkreten Konturen erst durch die Funktionszuweisung in den jeweiligen Prozessordnungen erhält, eignet sich der Begriff nicht dazu, die Tätigkeitsfreiheit des Rechtsanwalts rein durch Auslegung des Begriffs einzuschränken. Die Stellung des Rechtsanwalts als unabhängiges Organ der Rechtspflege hat aber in der Rechtsprechung als Begriff ihren Niederschlag gefunden, aus dem konkrete Rechtsfolgen ableitbar sind. Im Nachfolgenden werden die wichtigsten Fallgruppen (alphabetisch geordnet) dargestellt, bei der die Rechtsprechung aus dem Wesensgehalt des Begriffes Schlussfolgerungen gezogen hat. 84
Berufsverbot. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH darf ein Berufsverbot vom Strafrichter auch dann ausgesprochen werden, wenn ein Rechtsanwalt durch ein berufsrechtliches oder ehrengerichtliches Verfahren aus dem Berufsstand ausgeschlossen werden könnte.2 Dies ist beispielsweise der Fall, wenn dieser Verteidigerbesuche dazu missbraucht, Informationen zu übermitteln, die der Stärkung einer terroristischen Vereinigung und der Vorbereitung weiterer Straftaten dienen und er die Besuche zum Schmuggel von Waffen und Sprengstoff genutzt hat.3
85
Beteiligung im Verwaltungsverfahren. Aus der Stellung des Rechtsanwalts als unabhängiges Organ der Rechtspflege in Verbindung mit den Verfahrensrechten des Beteiligten aus § 14 Abs. 3 S. 1 VwVfG ergibt sich ein Recht des Rechtsanwalts, dass er durch eine unmittelbare Kontaktaufnahme der Verwaltungsbehörde mit seinem Mandanten nicht übergangen werden darf.4 Allerdings lässt sich aus seiner Stellung als Organ der Rechtspflege kein eigenes Recht auf Akteneinsicht im Verwaltungsverfahren ableiten. Dies ergibt sich nur aus der Funktion als Bevollmächtigter eines am Verfahren Beteiligten.5 Nicht gedeckt von seiner Stellung ist weiterhin ein Anspruch des Rechtsanwalts auf Überlassung von Akten in die Räumlichkeiten seiner Kanzlei.6
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Betätigungsverzicht. Eine Unterlassensvereinbarung, in der sich ein Rechtsanwalt gegenüber einem Dritten verpflichtet, dessen Nachbarn in Nachbarrechtsstreitigkeiten weder gerichtlich noch außergerichtlich zu vertreten, ist als sittenwidrig anzusehen.7
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Einsicht in Schöffenakten. Aus der Stellung des Rechtsanwalts als unabhängiges Organ der Rechtspflege ergibt sich eine Verpflichtung der Justizverwaltungsbehörden, ihm Einsicht in die Schöffenakten zu gewähren.8
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Herausgabe von Röntgenakten. Ein Krankenhaus kann die Herausgabe von Röntgenunterlagen an einen Rechtsanwalt zum Zwecke einer vorprozessualen Einsichtnahme nicht deshalb verweigern, weil bei Herausgabe die Gefahr eines Abhandenkommens oder Missbrauchs bestünde.9 Als unabhängiges Organ der Rechtspflege bietet der Rechtsanwalt eine besondere Zuverlässigkeitsgewähr.10
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Konfliktvertretung im Zivilprozess. Von einem Rechtsanwalt kann erwartet werden, dass er als Organ der Rechtspflege bei einer ordnungsgemäßen und unverzögerten Durchführung des Verfahrens (vgl. auch Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK) dahingehend mitwirkt, dass er Anträge zeitnah und nicht missbräuchlich stellt.11
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Persönlichkeitsrechtsverletzung. Äußert sich ein Rechtsanwalt in einer Pressemitteilung, die seinen Kanzleibriefbogen trägt, ist nach dem KG Berlin für die Verkehrsauffassung klar, dass er dies lediglich als Organ der Rechtspflege und Wahrer fremder Interessen tut. Er ist daher auch nicht Anspruchsverpflichteter eines Unterlassungsanspruchs eines durch die Äußerung in seinen Persönlichkeitsrechten verletzten Dritten.12 Das OLG Hamburg sieht das Persönlichkeitsrecht des Rechtsanwalts in erheblicher und die Zahlung von Schmer1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
Vgl. Rz. 1 f. BGH, NJW 1975, 1712 (1712). BGHSt 28, 84 f. VG Berlin, NVwZ 1984, 601 (602). BVerwG, NJW 1981, 2270 (2270). EFG 1976, 241 f.; BFH v. 29.9.1967 – III B 31/67; BGH v. 12.12.1960 – III ZR 191/59. LG Köln, AnwBl. 2004, 726 f. BVerwGE 12, 261 ff. BGH, NJW 2001, 2806 f. BGH, NJW 2001, 2806 (2807). OLG Köln, JMBl. NW 2009, 89 f. KG Berlin, NJW 1997, 2390 (2390).
196 Wolf
Stellung des Rechtsanwalts in der Rechtspflege
Rz. 96 § 1 BRAO
zensgeld rechtfertigender Weise betroffen, wenn unter Namensnennung des Rechtsanwalts über den Verdacht von Ermittlungsbehörden berichtet wird, der Rechtsanwalt sei an einem RAF-Informationssystem beteiligt.1 Einem Rechtsanwalt, dem als Organ der Rechtspflege die Achtung von Recht und Gesetz in besonderem Maße obliegt, stelle es ein besonders vernichtendes Zeugnis aus, wenn er bezichtigt werde, Verbrecher i.S.d. § 129a StGB zu unterstützen.2 Robenpflicht. Damit die herausgehobene Stellung des Rechtsanwalts als unabhängiges Organ der Rechtspflege im Prozess auch für die Allgemeinheit sichtbar ist, ist er, sofern durch Landesgesetz nicht anders geregelt, zum Tragen einer Robe verpflichtet, da ein erhebliches Interesse der Allgemeinheit daran bestehe, dass Gerichtsverfahren „in guter Ordnung und Form“ durchgeführt werden können.3 Die Pflicht beruhe insoweit auf Gewohnheitsrecht, das durch „längere tatsächliche Übung entstanden ist, die dauernd und ständig, gleichmäßig und allgemein war und von den beteiligten Rechtsgenossen als verbindliche Rechtsnorm anerkannt wurde“.4 Mittlerweile ist diese Pflicht auch durch § 59b BRAO i.V.m. § 20 BORA normiert. In der Instanzrechtsprechung war umstritten, ob auf § 176 GVG etwaige Sanktionen gestützt werden können.5 Nachdem das BVerfG eine Verfassungsbeschwerde gegen den Ausschluss eines Verteidigers wegen fehlender Krawatte nicht angenommen hat,6 wird man allgemein davon auszugehen haben, dass § 176 GVG eine hinreichend bestimmte Rechtsgrundlage für Sanktionen bildet.
91
Schadensersatzpflicht. Der BGH leitet aus der Stellung des Rechtsanwalts als Organ der Rechtspflege eine Schadensersatzpflicht auch dann ab, wenn die Folgen eines anwaltlichen Fehlers erst durch rechtsfehlerhaftes gerichtliches Unterlassen perpetuiert werden.7 Diese Auffassung wird vom BVerfG allerdings für verfassungsrechtlich bedenklich erklärt, da die Gerichte verfassungsrechtlich nicht legitimiert seien, den Rechtsanwälten auf dem Umweg über den Haftungsprozess auch die Verantwortung für die richtige Rechtsanwendung aufzubürden.8
92
Unfallhelferring. Sofern ein Rechtsanwalt mit einem Mietwagenunternehmen in Form eines Unfallhelferringes zusammenarbeitet, führt dies nicht zur Unwirksamkeit seiner Bevollmächtigung.9 Es verstoße nicht bereits gegen § 1 BRAO, wenn ein Rechtsanwalt das Mandat eines Unfallgeschädigten übernimmt, dem er von einer Autovermietung, die sich die Ansprüche des Geschädigten zuvor erfüllungshalber hat abtreten lassen, empfohlen wurde.10
93
Unwürdigkeit. Zu der Frage, wie viele Jahre zwischen einer die Unwürdigkeit begründenden Straftat und dem Zeitpunkt liegen müssen, in dem eine Zulassung zur Rechtsanwaltschaft rechtlich wieder möglich ist, entschied der BGH im Falle der rechtskräftigen Verurteilung zu einem dreifachen Totschlag, dass, da der Rechtsanwaltsberuf den Berufsträger zu einem Organ der Rechtspflege mache, eine Zulassung zu diesem Beruf erst erfolgen kann, wenn seit der Tat ein Zeitraum vergangen ist, der mindestens im oberen Bereich einer Spanne von vier bis zwanzig Jahren liege.11
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Zustellungsvereinbarung. Für einen Rechtsanwalt als unabhängiges Organ der Rechtspflege bestehen gesteigerte Verpflichtungen, um Vorkehrungen für einen zeitnahen Zugang von Schriftstücken zu sorgen. Sofern also ein Rechtsanwalt mit einem Postzusteller eine Vereinbarung trifft, die den Zugang fristgebundener oder fristauflösender Schriftstücke an Samstagen generell verhindert, ist er so zu behandeln, als ob ihm entsprechende Schriftstücke an dem Samstag zugegangen wären, an dem der Zusteller gem. der Abrede von einem Zugang abgesehen hat.12
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Zuverlässigkeitsgewähr. Sofern der Rechtsanwalt eines Schuldners im Restschuldbefreiungsverfahren diesem die erfolglose außergerichtliche Einigung bescheinigt, besteht für den
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1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
OLG Hamburg, NJW-RR 1994, 1176 ff. OLG Hamburg, NJW-RR 1994, 1176 (1177). BVerfGE 28, 21 (25 f.). BVerfGE 28, 21 (23 f.). Keine Ermächtigungsgrundlage: LAG Niedersachsen, FA 2008, 372 f.; Ermächtigungsgrundlage bejahend, aber nicht im Fall fehlender Krawatte, LG Mannheim, BRAK-Mitt. 2009, 50 ff. BVerfG, NJW 2012, 2570. BGH, NJW 2002, 1048 f. BVerfG, NJW 2002, 2937 f. BGH, NJW 2006, 2910 ff. BGH, NJW 2006, 2910 (2912). BGH, BRAK-Mitt. 2000, 145 (146); NJW-RR 2000, 1445 (1445). BayVGH v. 1.7.2004 – 4 CS 4.1074.
Wolf 197
§ 1 BRAO/§ 1 BORA Rz. 1
Freiheit der Advokatur
Schuldner, aufgrund der Stellung des Rechtsanwalts als unabhängiges Organ der Rechtspflege, kein Grund, an der Richtigkeit dieser Bescheinigung zu zweifeln oder gar weitere Nachweise zu verlangen.1
%25$
der Advokatur 1 BORA Freiheit (1) Der Rechtsanwalt übt seinen Beruf frei, selbstbestimmt und unreglementiert aus, soweit Gesetz oder Berufsordnung ihn nicht besonders verpflichten.
(2) 1Die Freiheitsrechte des Rechtsanwalts gewährleisten die Teilhabe des Bürgers am Recht. 2Seine Tätigkeit dient der Verwirklichung des Rechtsstaats. (3) Als unabhängiger Berater und Vertreter in allen Rechtsangelegenheiten hat der Rechtsanwalt seine Mandanten vor Rechtsverlusten zu schützen, rechtsgestaltend, konfliktvermeidend und streitschlichtend zu begleiten, vor Fehlentscheidungen durch Gerichte und Behörden zu bewahren und gegen verfassungswidrige Beeinträchtigung und staatliche Machtüberschreitung zu sichern. A. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . .
1
B. Historische Entwicklung . . . . . . . .
2
C. Einzelerörterung . . . . . . . . . . . . I. Allgemein . . . . . . . . . . . . . . .
4 4
II. Freie Advokatur . . . . . . . . . III. Freie und unreglementierte Berufsausübung . . . . . . . . . . . . IV. Verwirklichung des Rechtsstaats . V. Aufgaben des Rechtsanwalts . . .
. . .
5
. . . . . . . . .
6 7 9
A. Allgemeines 1
Die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage zum Erlass von § 1 BORA durch die Satzungsversammlung kann allenfalls auf § 59b Abs. 1 BRAO gestützt werden,2 denn aus § 59b Abs. 2 BRAO ergibt sich keine Kompetenz das Leitbild der anwaltlichen Berufstätigkeit, wie es durch den Gesetzgeber in §§ 1 bis 3 BRAO aufgestellt wurde, näher zu konkretisieren. Durchaus fraglich ist aber, ob § 59b Abs. 1 BRAO eine Satzungskompetenz enthält oder diese nicht ausschließlich aus der enumerativen Einzelermächtigung des § 59b Abs. 2 BRAO zu entnehmen ist. Grundsätzlich müssen die Bestimmungen der BORA von der Satzungsautonomie getragen sein und dürfen nicht gegen höherrangiges Recht verstoßen. Aufgrund des Parlamentsvorbehalts hat der demokratische Gesetzgeber dem Satzungsgeber die Aufgaben und Regelungsgegenstände vorzugeben, welche er für die selbstverantwortete Gestaltung freigegeben hat. Je stärker der Satzungsgeber mit seinen satzungsautonomen Regelungen Grundrechte einzelner berührt, desto enger müssen die Vorgaben des Gesetzgebers an den Satzungsgeber sein.3 Eingriffe in die Berufsfreiheit setzen dabei „Regelungen“ voraus, die durch demokratische Entscheidungen zustande gekommen sind und die auch materiellrechtlich den Anforderungen an Einschränkungen dieses Grundrechts genügen.4 Soweit jedoch § 1 BORA lediglich die in §§ 1 bis 3 BRAO enthaltenen Programmsätze der anwaltlichen Tätigkeit wiederholt, also daneben keine selbständige Regelung enthält, kommt es auf die Ermächtigungsgrundlage nicht entscheidend an. B. Historische Entwicklung
2
Ihren verfassungsrechtlichen Ausgangspunkt nahm die Berufsordnung für Rechtsanwälte in den so genannten „Bastille-Entscheidungen“ des Bundesverfassungsgerichts.5 In den beiden am 14.7.19876 erlassenen Entscheidungen stellte das Bundesverfassungsgericht fest, dass das bis dahin gültige anwaltliche Standesrecht nicht zur Konkretisierung der Generalklausel der Bundesrechtsanwaltsordnung mehr herangezogen werden dürfe. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht bereits stets Beschränkungen der freien Advokatur an Art. 12 GG gemessen. Gleichfalls ging das BVerfG auch bereits früher davon aus, dass die Standesrichtlinien, 1 2 3 4 5 6
LG Verden, JurBüro 2007, 327 f. So Henssler/Prütting/Busse, § 1 BORA Rz. 8. BVerfG, NJW 2005, 45 (47). BVerfG, NJW 1988, 191 (192). BVerfGE 76, 171 ff.; BVerfGE 76, 191 ff. Die Entscheidungen werden in Anlehnung an den Sturm auf die Bastille am 14.7.1789 in der Französischen Revolution „Bastille-Entscheidungen“ genannt. Vgl. zu den Entscheidungen auch Knauer/Wolf, BRAKMitt. 2007, 142 ff.
198 Wolf
Freiheit der Advokatur
Rz. 6 § 1 BORA/§ 1 BRAO
welche lediglich von den Präsidenten der Rechtsanwaltskammern verabschiedet wurden,1 kein autonomes Satzungsrecht darstellen.2 Allerdings wurden – gebilligt von der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung – bis zu den „Bastille-Entscheidungen“ neben den Richtlinien auch ungeschriebene Grundsätze des anwaltlichen Standes- und Ehrenrechts als wesentliche Erkenntnisquelle zur Konkretisierung der Generalklausel des § 43 BRAO herangezogen.3 Nach den „Bastille-Entscheidungen“ des Bundesverfassungsgerichts hat es fast ein Jahrzehnt gedauert, bis mit der Novellierung der BRAO 19944 die gesetzliche Grundlage für eine satzungsautonome Berufsordnung geschaffen wurde. Nach der Wahl der Mitglieder der ersten Satzungsversammlung konstituierte sich diese am 7.9.1995 in Berlin. Insgesamt tagte die Satzungsversammlung fünfmal bis am 29.11.1996 die Berufs- und Fachanwaltsordnung von der Satzungsversammlung angenommen wurde.5 Nach der Veröffentlichung der Berufsordnung in den BRAK-Mitteilungen6 trat die Berufsordnung für Rechtsanwälte und die Fachanwaltsordnung am 11.3.1997 bis auf die durch das Bundesministerium der Justiz beanstandeten Bestimmungen7 in Kraft.8
3
Mit der Formulierung von § 1 BORA knüpfte die Satzungsversammlung an Abs. 1 des Vorspruchs der Standesrichtlinien von 1973 an, ohne jedoch die §§ 1 bis 3 BRAO ausdrücklich in Bezug zu nehmen. C. Einzelerörterung I. Allgemein In der Rechtspraxis hat § 1 BORA bislang keine Rolle gespielt. Schon aufgrund der zweifelhaften Satzungsermächtigung kann aus § 1 BORA keine Eingriffsermächtigung abgeleitet werden. Dies gilt umso mehr als auch § 1 BRAO keine Eingriffsermächtigung darstellt.9 Von seinem Wortlaut her setzt § 1 BORA zwar an verschiedenen Stellen einen gegenüber dem in §§ 1 bis 3 BRAO formulierten Programmsatz unterschiedlichen Akzent. Diese unterschiedlichen Akzente vermögen aber nicht zu einer Verschiebung des zur Auslegung des Berufsrechts nach §§ 1 bis 3 BRAO entwickelten Grundtelos zu führen. Dies gilt insbesondere für § 1 Abs. 2 und Abs. 3 BORA.
4
II. Freie Advokatur Mit der Überschrift von § 1 BORA hat die Satzungsversammlung an den von Gneist verwandten Begriff angeknüpft.10 Eine verbindliche inhaltliche Festlegung ist damit jedoch nicht verbunden.11 Allenfalls lässt sich mit der Begriffswahl ein Bekenntnis zu einer freien, nicht verbeamteten Anwaltschaft entnehmen.
5
III. Freie und unreglementierte Berufsausübung § 1 Abs. 1 BORA greift den in § 1 BRAO verwendeten Begriff des Organs der Rechtspflege nicht auf. Mit der Formulierung wird vielmehr auf eine vom BVerfG verwandte Formulierung zurückgegriffen. Der Grundsatz der freien Advokatur bedeutet – so das BVerfG –, dass die anwaltliche Berufsausübung unter der Herrschaft des Grundgesetzes gekennzeichnet ist von der freien und unreglementierten Selbstbestimmung des Einzelnen.12 Der Gemeinwohlbezug der anwaltlichen Tätigkeit kommt in der Formulierung von § 1 Abs. 1 BORA kaum zum Ausdruck. So kann z.B. der Begriff „frei“ nicht mit dem Begriff der „Unabhängigkeit“ gleichgesetzt werden.13 Die anwaltliche Unabhängigkeit im Sinne von § 1 BRAO beschreibt 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13
Hierzu Kleine-Cosack, NJW 1988, 164 (165). BVerfGE 36, 212 (217). BVerfGE 26, 186 (204); BVerfGE 36, 212 (219); BVerfGE 57, 121 (132); BVerfGE 66, 337 (355 f.). BGBl. I 1994, S. 2278. Hartung/Hartung, Einf. Rz. 29 ff. BRAK-Mitt. 2006, 241 ff. § 21 Abs. 2 BORA und § 15 FAO jeweils in der Fassung v. 29.11.1996. BRAK-Mitt. 2007, 81 ff. S. § 1 BRAO Rz. 2. Gneist, Freie Advocatur, 1867. Hartung/Hartung, § 1 BORA Rz. 57. BVerfG, NJW 1988, 191 (192). So aber Hartung/Hartung, § 1 BORA Rz. 59.
Wolf 199
6
§ 1 BRAO/§ 1 BORA Rz. 7
Freiheit der Advokatur
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die notwendige Funktionsvoraussetzung anwaltlicher Tätigkeit und kann nicht mit der Berufsfreiheit im Sinne von Art. 12 GG gleichgesetzt werden.1 Gleichfalls ist die Verbindung zum freien Beruf im Sinne von § 2 BRAO nur schwer darstellbar. Als freier Beruf soll für den Rechtsanwalt – im Gegensatz zum Gewerbetreibenden – nicht die Gewinnerzielungsabsicht im Vordergrund stehen, sondern die soziale Funktion und die Kulturaufgabe, das Recht verwirklichen zu helfen.2 IV. Verwirklichung des Rechtsstaats 7
§ 1 Abs. 2 BORA stellt den Bezug zwischen der anwaltlichen Tätigkeit und dem Rechtsstaat her. § 1 Abs. 2 BORA umschreibt mit anderen Worten die Organstellung des Rechtsanwalts. Nach der hier vertretenen Auffassung3 ist der Rechtsanwalt ein Organ der Rechtspflege, weil er eine für die Rechtspflege notwendige Funktion wahrnimmt. Mehr bzw. weniger ist der Formulierung von § 1 Abs. 2 S. 2 BORA nicht zu entnehmen. Selbstverständlich vermag auch § 1 Abs. 2 BORA den Rechtsanwalt nicht a priori auf ein richtiges Ziel zu verpflichten. Rechtsfindung ist vielmehr ein dialogischer Prozess.4
8
Als problematischer erweist sich § 1 Abs. 2 S. 1 BORA allerdings, soweit die Bestimmung einen Gleichlauf zwischen den Interessen des Rechtsanwalts und den Interessen des Mandaten suggeriert. Zwischen der Grundrechtsposition des Rechtsanwalts (Berufsfreiheit) und der Grundrechtsposition des rechtsuchenden Bürgers auf Wahrnehmung des rechtlichen Gehörs durch einen Rechtsanwalt können kollidierende Grundrechtspositionen5 bestehen, welche der Gesetzgeber durch das anwaltliche Berufsrecht zum Ausgleich zu bringen hat.6 Als Beispiel hierfür kann der Wunsch des Anwalts dienen, mit bestimmten Mandaten zu werben, und der in § 43a Abs. 2 BRAO zum Schutz des Mandanten geregelten anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht. Zwischen dem Freiheitsrecht des Rechtsanwalts und der Teilhabe des Bürgers am Recht kann, muss aber kein Gleichklang bestehen.7 V. Aufgaben des Rechtsanwalts
9
§ 1 Abs. 3 BORA greift die Regelung in § 3 BRAO auf und nimmt dabei Anleihen bei einer Formulierung des Bundesverfassungsgerichts.8 Die Formulierung „vor Fehlentscheidungen durch Gerichte und Behörden zu bewahren“ darf aber nicht im Sinne der Rechtsprechung zum Widerspruchserfordernis missverstanden werden.9 Die Satzungsversammlung hat zutreffend die Formulierung des Bundesverfassungsgerichts „das Gericht – und ebenso Staatsanwaltschaft oder Behörden – vor Fehlentscheidungen zu Lasten seines Mandanten zu bewahren“10 vom Kopf auf die Füße gestellt. Aufgabe des Rechtsanwalts ist es nicht die Gerichte, Staatsanwaltschaften oder Behörden vor Fehlentscheidungen zu bewahren, sondern seinen Mandanten. Ergänzt wurde das Tätigkeitsspektrum um die streitvermeidende und konfliktlösende anwaltliche Tätigkeit. schlichtende oder mediative Tätigkeit 18 BORA Vermittelnde, Wird der Rechtsanwalt als Vermittler, Schlichter oder Mediator tätig, so unterliegt er den Regeln des Berufsrechts. A. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . .
1
B. Mediationsgesetz. . . . . . . . . . . .
3
C. Einzelerörterung . . . . . . . . . . . . I. Anwaltliche Vorbefassung . . . . . . . .
8 8
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
II. Anwaltliche Nachbefassung . . . . . . . III. Verschwiegenheitspflicht . . . . . . . . IV. Neutralität und Unabhängigkeit des Mediators . . . . . . . . . . . . . . .
Vgl. § 1 BRAO Rz. 45. Vgl. § 2 BRAO Rz. 2. § 1 BRAO Rz. 1. § 1 BRAO Rz. 17. Allgemein hierzu Stern, Staatsrecht, Bd. III/2, 1994, § 82. Wolf, in: FS Schneider, 2008, S. 414 (418 f.). Ausführlich hierzu Wolf, in: FS Schneider, 2008, S. 414 (416 ff.). BVerfG, NJW 1988, 191 (193). Hierzu bereits § 1 BRAO Rz. 37 ff. BVerfG, NJW 1988, 191 (193).
200 Wolf
10 12 17
Vermittelnde, schlichtende oder mediative Tätigkeit
Rz. 5 § 18 BORA/§ 1 BRAO
A. Allgemeines § 18 BORA ist Teil eines Professionalisierungsstreits. Die Bestimmung sucht die Tätigkeit des Mediators im anwaltlichen Berufsrecht zu verankern.1 In der Rechtsprechung2 und im Schrifttum3 wurde zum alten Rechtsberatungsgesetz die Auffassung vertreten, Mediation durch nichtanwaltliche Mediatoren sei eine unerlaubte Rechtsberatung, sobald der nichtanwaltliche Mediator eine Hilfestellung zur Abfassung der vertraglichen Mediationsvereinbarung leistet.4 Eine entsprechende Regelung hat Eingang in § 2 Abs. 2 Nr. 4 RDG gefunden.
1
§ 18 BORA vermag als bloßes Satzungsrecht die Ausdehnung des anwaltlichen Berufsrechts auf die Tätigkeit des Rechtsanwalts als Mediator nicht anzuordnen.5 Bereits in der Satzungsversammlung wurde daher die Frage diskutiert, ob § 18 BORA von der Satzungsermächtigung des § 59b Abs. 2 Nr. 5a BRAO gedeckt ist.6 Eine Bestätigung hat die Position der Satzungsversammlung durch die Gesetzesbegründung des Mediationsgesetzes erfahren, in der ausdrücklich auf § 18 BORA Bezug genommen wird.7
2
B. Mediationsgesetz Das 2012 beschlossene Mediationsgesetz8 führt in berufsrechtlicher Hinsicht zu erheblichen Abgrenzungsproblemen zwischen den im Mediationsgesetz festgeschriebenen Berufspflichten und den Berufspflichten des Rechtsanwalts nach der BRAO bzw. BORA. Dabei muss das Mediationsgesetz bezogen auf den Professionalisierungsstreit zunächst eher als Rückschlag gewertet werden. Zwar wird in dem Mediationsgesetz erstmals gesetzlich der Begriff der Mediation und des Mediators definiert (§ 1 MediationsG), der Gesetzgeber hat sich dabei aber bewusst gegen die abschließende Regelung eines klar umgrenzten Berufsbilds entschieden.9 Folge dessen ist, dass jedermann die Tätigkeit des Mediators offen steht. Lediglich um die Bezeichnung zertifizierter Mediator führen zu können, sind bestimmte Qualifikationen erforderlich.
3
Das Mediationsgesetz hat zwar eigene Berufspflichten (Offenbarungspflichten und Tätigkeitsbeschränkungen, § 3 MediationsG; Verschwiegenheitspflicht, § 4 MediationsG) geschaffen. Im Gegensatz zu den anwaltlichen Berufspflichten wurde bezüglich der Einhaltung dieser Berufspflichten jedoch keine eigene Berufsaufsicht geschaffen. Das Mediationsgesetz sieht keinen eigenen Sanktionsmechanismus für die Verletzung dieser Berufspflichten vor. Hierdurch unterscheiden sich die den Mediator treffenden Berufspflichten grundlegend von denen des Rechtsanwalts. Schon um diesen Unterschied zu markieren, sollte man nicht von den „core values“ sprechen.10
4
Die gesetzliche Regelung enthält keine ausdrückliche Regelung des Konkurrenzverhältnisses zwischen den anwaltlichen Berufspflichten und denen des Mediators nach dem MediationsG, falls der Mediator als Rechtsanwalt zugelassen ist. Der Gesetzgeber ging bei seiner Regelung davon aus, dass jeder Mediator zunächst einem Grundberuf nachgeht. Da die Tätigkeit als Mediator nicht an eine bestimmte Qualifikation gebunden ist, sind ganz unterschiedliche Berufe, Psychologe, Steuerberater oder eben auch Rechtsanwalt, als Grundberuf denkbar. Von daher gäbe es kein einheitliches Konkurrenzverhältnis zwischen den Berufspflichten des Mediators und den Berufspflichten des Grundberufs, vielmehr seien die Konkurrenzverhältnisse immer getrennt nach dem jeweiligen Grundberuf zu bestimmen. Die nach dem MediationsG bestehenden Grundpflichten verdrängen die für die Grundberufe geltenden berufsrechtlichen Regelungen nur, soweit zwischen beiden ein Widerspruch besteht. Insoweit sei das MediationsG lex specialis. Soweit die berufsrechtlichen Regelungen der Grundberufe auch die Tätigkeit des Mediators erfassen, bleiben diese ansonsten auf die Tätigkeit des Mediators anwendbar.11
5
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
Vgl. Maiwald, Professionalisierung in modernen Bezugsystemen, 2004, S. 38. LG Leipzig, NJW 2004, 3784 (3784); LG Rostock, NJW-RR 2001, 1290 (1291); OLG Rostock, BB 2001, 1869. Henssler, NJW 2003, 241 ff. Vgl. auch Heß, Gutachten F zum 67. Deutschen Juristentag, 2008, F55 ff. Kleine-Cosack, § 18 BORA Rz. 1; Römermann/Praß, AnwBl. 2013, 499 (501). Hartung/Scharmer, § 18 BORA Rz. 13. BT-Drs. 17/5335, S. 14. Mediationsgesetz v. 21.7.2012 (BGBl. I, S. 1577). BT-Drs. 17/5335, S. 14. So aber Römermann/Praß, AnwBl. 2013, 499. BT-Drs. 17/5335, S. 14.
Wolf 201
%25$
§ 1 BRAO/§ 18 BORA Rz. 6
Vermittelnde, schlichtende oder mediative Tätigkeit
6
Unbeantwortet blieb dabei die Frage, wie berufsrechtliche Verstöße gegen die im Mediationsgesetz geregelten Berufspflichten zu ahnden sind. § 113 Abs. 1 BRAO bestimmt, dass anwaltsgerichtliche Maßnahmen nur wegen schuldhaften Verstößen gegen die in der BRAO oder der BORA geregelten Pflichten verhängt werden dürfen. Da die in § 3 MediationsG und § 4 MediationsG normierten Berufspflichten selbst nicht mit einem Sanktionsmechanismus versehen sind, könnten berufsrechtliche Sanktionen nur auf § 113 BRAO gestützt werden, wenn man die besonderen Berufspflichten des Mediators nach dem Mediationsgesetz als allgemeine Berufspflichten im Sinne von § 43 BRAO begreift.1
7
Gänzlich unproblematisch ist der Weg allerdings nicht. Art. 103 Abs. 2 GG gilt auch für Disziplinarmaßnahmen.2 Das Bundesverfassungsgericht hat die berufsrechtlichen Generalklauseln mit dem Bestimmtheitsgebot für vereinbar angesehen.3 Fraglich ist aber, ob diese Begründung hier übertragbar ist. Den besonderen Maßstab, welchen das Bundesverfassungsgericht bei Berufspflichten anlegt hat, begründete es damit, dass eine vollständige Aufzählung sämtlicher mit einem Beruf verbundener Pflichten nicht möglich sei. Bei §§ 3 und 4 MediationsG geht es aber nicht darum, dass der Pflichtenkatalog zu unpräzise gefasst ist. Vielmehr hat der Gesetzgeber das Verhältnis zu den berufsrechtlichen Sanktionen nicht geregelt. Ohne weiteres hätte man § 113 Abs. 1 BRAO entsprechend ergänzen können, sodass anwaltsgerichtliche Maßnahmen nicht nur auf schuldhafte Verstöße gegen die Berufspflichten der BRAO und BORA, sondern auch des Mediationsgesetz gestützt werden hätten können. C. Einzelerörterung I. Anwaltliche Vorbefassung
8
War der Mediator zuvor für eine der Parteien des Mediationsverfahrens bereits anwaltlich tätig, darf er als Mediator nicht tätig werden, § 3 Abs. 2 MediationsG. Damit trägt das Mediationsgesetz dem Rechnung, was bereits vor Erlass des Gesetzes gefordert wurde. Nach § 41 Nr. 4 ZPO ist eine Person vom Richteramt ausgeschlossen, die in derselben Sache als Prozessbevollmächtigter oder Beistand einer Partei bestellt oder als gesetzlicher Vertreter einer Partei aufzutreten berechtigt war. Die Bestimmung ist für die Parteien nicht disponibel und für ein faires Verfahren eine unverzichtbare Grundbedingung.4 Zwar entscheidet der Mediator den Fall nicht, sondern leitet nur das Gespräch zwischen den Parteien. Will die Mediation jedoch für sich in Anspruch nehmen, sich an fundamentalen rechtsstaatlichen Standards messen zu lassen, muss eine anwaltliche Vorbefassung zwangsläufig zum Ausschluss als Mediator führen.5
9
Das Tätigkeitsverbot gilt auch, wenn eine andere Person als der Mediator für eine der Parteien des Mediationsverfahrens tätig war, mit der der Mediator in derselben Berufsausübungsgemeinschaft oder Bürogemeinschaft verbunden ist, § 3 Abs. 3 MediationsG.6 Allerdings gilt dies Verbot nach § 3 Abs. 4 MediationsG nicht, wenn sich die Parteien nach ausführlicher Information damit einverstanden erklären und Belange der Rechtspflege nicht entgegenstehen. § 3 Abs. 3 MediationsG ist also im Gegensatz zu § 3 Abs. 2 MediationsG nicht zwingend. II. Anwaltliche Nachbefassung
10
Schon bislang sah man einen Verstoß gegen §§ 43a Abs. 4 und 45 Abs. 1 Nr. 3 BRAO, wenn der ursprünglich als Mediator tätige Rechtsanwalt nach dem Mediationsverfahren für eine der Parteien des Mediationsverfahrens als Rechtsanwalt in derselben Sache tätig wurde.7 Nunmehr legt § 3 Abs. 2 S. 2 MediationsG fest, dass der Mediator weder während noch nach dem Mediationsverfahren in derselben Sache für eine der Parteien des Mediationsverfahrens tätig werden darf (nachwirkendes Tätigkeitsverbot). Hierunter fällt nicht die Tätigkeit als Mediator in einem neuen Mediationsverfahren zwischen den gleichen Parteien in derselben Sache.8 1 2 3 4 5
In diesem Sinne Greger in Greger/Unberrath, MediationsG, 2012, § 4 Rz. 46 und Rz. 6 sowie § 3 Rz. 7. Radtke/Hagemeier, in: BeckOK GG, Stand 15.5.2013, Art. 103 Rz. 22. BVerfG, NJW 1978, 101. MüKo/Gehrlein, § 41 ZPO Rz. 1. Im Ergebnis wie hier Heß, Gutachten F zum 67. Deutschen Juristentag, 2006, F62. Zweifelnd ob § 3 Abs. 2 MediationsG nicht zu sehr in die Berufsfreiheit eingreift, Greger in Greger/Unberath, § 3 Rz. 45. 6 Zur Bürogemeinschaft § 59a BRAO Rz. 51 ff. 7 OLG Karlsruhe, NJW 2001, 3197 (3198); Feuerich/Weyland, § 18 BORA Rz. 3. 8 Greger in Greger/Unberath, § 3 Rz. 56.
202 Wolf
Vermittelnde, schlichtende oder mediative Tätigkeit
Rz. 17 § 18 BORA/§ 1 BRAO
Vom nachwirkenden Tätigkeitsverbot sind wiederum auch diejenigen Personen erfasst, mit denen der Mediator in einer Berufsausübungsgemeinschaft bzw. Bürogemeinschaft verbunden ist, § 3 Abs. 3 S. 2 MediationsG. Auch hier gilt allerdings § 3 Abs. 4 MediationsG. Mit Zustimmung der Parteien, nach ausführlicher Information und falls nicht Belange der Rechtspflege entgegenstehen, können die in Bürogemeinschaft oder Berufsausübungsgemeinschaft mit dem Mediator verbundenen Personen nachträglich für eine der Parteien tätig werden.
11
III. Verschwiegenheitspflicht Das Mediationsgesetz hat die Verschwiegenheitspflicht in § 4 MediationsG völlig eigenständig geregelt. Dabei bleibt das Verschwiegenheitsrecht hinter der des Rechtsanwalts nach § 43a Abs. 2 BRAO teilweise zurück. So kommt dem Mediator nach § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zwar im Zivilprozess ein Zeugnisverweigerungsrecht zu. § 4 Abs. 1 S. 1 statuiert insoweit eine gesetzliche Verschwiegenheitspflicht. Entsprechend der Verweisung in den §§ 98 VwGO und 118 Abs. 1 SGG auf die ZPO besteht das Zeugnisverweigerungsrecht auch im Verwaltungs- und Sozialgerichtsprozess. Hingegen hat der Mediator im Strafprozess kein Zeugnisverweigerungsrecht, der Mediator wird nicht in § 53 StPO aufgelistet.1
12
Weiter gilt die Verschwiegenheitspflicht nach § 4 S. 2 Nr. 2 MediationsG nicht, falls die Offenlegung aus vorrangigen Gründen der öffentlichen Ordnung geboten ist. Hierunter fallen insbesondere die bereits in § 4 KKG genannten Gründe der Gefährdung des Kindeswohls.
13
Mit der Gesetzesbegründung, dass das MediationsG die berufsrechtlichen Regelungen des Grundberufs nur insoweit verdrängt, als zwischen beiden ein Widerspruch auftritt,2 lässt sich das Zeugnisverweigerungsrecht des als Mediator tätigen Rechtsanwalts noch begründen.3
14
Hingegen besteht zwischen der anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht nach § 43a Abs. 2 BRAO und § 4 S. 2 Nr. 2 Mediationsgesetz ein echter Widerspruch. Der Anwalt darf sich nicht von der Verpflichtung der anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht mit dem Hinweis auf den ordre public befreien, was der Mediator gerade tun soll. § 43a Abs. 2 BRAO muss in diesen Fällen hinter § 4 S. 2 Nr. 2 MediationsG zurücktreten.
15
Im Mediationsgesetz wurde folglich realisiert, was im Kinderschutz-Kooperations-Gesetz (KKG) noch abgewendet worden ist. Bereits in der 16. Legislaturperiode war ein Gesetz über die Zusammenarbeit im Kinderschutz (KiSchZusG-E) geplant.4 Nach § 2 KiSchZusG-E wären auch Rechtsanwälte befugt gewesen den Jugendämtern die personenbezogenen Daten zu übermitteln, wenn dies die Gefährdung des Kindeswohl erfordert hätte.5 Im in der 17. Legislaturperiode verabschiedeten KKG besteht keine Aufhebung der Verschwiegenheitspflicht zugunsten der Rechtsanwälte mehr.
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IV. Neutralität und Unabhängigkeit des Mediators Der Mediator ist beiden Parteien gleichermaßen verpflichtet. Grundproblem der Tätigkeit des Rechtsanwalts als Mediator ist die Frage, wie eine solche Tätigkeit mit § 43a Abs. 4 BRAO, dem Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen, vereinbar ist. Grundsätzlich wird die gemeinsame Beauftragung eines Rechtsanwalts als Mediator nicht bereits als ein Verstoß gegen § 43a Abs. 4 BRAO betrachtet.6 Zusätzlich sichert § 3 Abs. 1 MediationsG die Unabhängigkeit und Neutralität des Mediators ab. Der Mediator hat diejenigen Umstände, die seiner Neutralität und Unabhängigkeit entgegenstehen, den Parteien des Mediationsverfahrens offenzulegen. Allerdings wirkt gegenüber dieser Verpflichtung die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht nach. § 3 Abs. 1 MediationsG ist kein lex specialis zu § 43a Abs. 2 BRAO, der Rechtsanwalt muss zunächst die Entbindung von der anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht einholen.7
1 2 3 4 5 6 7
Greger in Greger/Unberath, § 4 Rz. 27. BT-Drs. 17/5335, S. 14. So auch Greger in Greger/Unberath, § 4 Rz. 27. BT-Drs. 16/12429. Hiergegen Kreße/Rabe, NJW 2009, 1789. OLG Karlsruhe, NJW 2001, 3197 (3198). BT-Drs. 17/5335, S. 16.
Wolf 203
17
§ 2 BRAO Rz. 1
Beruf des Rechtsanwalts
des Rechtsanwalts 2 BRAO Beruf (1) Der Rechtsanwalt übt einen freien Beruf aus. (2) Seine Tätigkeit ist kein Gewerbe.
A. Allgemeines/Historie . . . . . . . . . . I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . II. Gesetzgebungsgeschichte . . . . . . . . B. Rechtsanwalt als „freier Beruf“ I. Metaebene der Auslegung . . . II. Die berufssoziologische Sicht . III. Die ökonomische Sicht . . . . 1. Externalitäten . . . . . . . . 2. Informationsasymmetrie . . . 3. Natürliche Monopole . . . . .
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1 1 5 9 9 13 16 19 20 21
28 IV. EU-Recht . . . . . . . . . . . . . . . V. Gleicher Zugang zum Recht . . . . . . . 41a C. Schlussfolgerungen . . . . . . . . I. Gewerbesteuer. . . . . . . . . . . II. Betriebswirtschaftliche Steuerungsmodelle . . . . . . . . . . . . . . III. Angestellte Rechtsanwälte . . . . .
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42 43
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46 50
§ 26 BORA Beschäftigung von Rechtsanwälten und anderen Mitarbeitern (S. 220 ff.)
A. Allgemeines/Historie I. Allgemeines 1
§ 2 BRAO ordnet den Beruf des Rechtsanwalts den freien Berufen zu und grenzt diesen vom Gewerbe ab. Dies findet seine Entsprechung in § 6 Abs. 1 S. 1 GewO. Nach § 6 Abs. 1 S. 1 GewO findet die Gewerbeordnung auf die Tätigkeit der Rechtsanwälte keine Anwendung. Allgemein wird Gewerbe unabhängig von den in § 6 GewO geregelten Ausnahmen definiert als jede erlaubte, auf Gewinnerzielung gerichtete, selbstständige Tätigkeit, die fortgesetzt und nicht nur gelegentlich ausgeübt wird, mit Ausnahme der Urproduktion, der Verwaltung eigenen Vermögens, wissenschaftlicher, künstlerischer und schriftstellerischer Tätigkeiten sowie persönlicher Dienstleistungen höherer Art.1 Eine gesetzliche Umschreibung haben die freien Berufe in § 1 Abs. 2 PartGG erhalten.2 Demnach erbringen freie Berufe auf der Grundlage besonderer beruflicher Qualifikation oder schöpferischer Begabung eine persönliche, eigenverantwortliche und fachlich unabhängige Dienstleistung höherer Art im Interesse der Auftraggeber und der Allgemeinheit.
2
Ursprünglich wurde als wesentliches Unterscheidungskriterium zwischen Gewerbetreibenden und freien Berufen die anders gelagerte Motivation des Handels angesehen.3 Im Mittelpunkt der Motivation des Gewerbetreibenden steht die Gewinnerzielungsabsicht.4 Im Gegensatz hierzu sollte die Tätigkeit des Rechtsanwalts nicht von der Gewinnerzielungsabsicht bestimmt werden, vielmehr sollte die soziale Funktion und die Kulturaufgabe, das Recht verwirklichen zu helfen, im Vordergrund stehen. Diese Abgrenzung lag bereits der Schrift Gneists zu Grunde. „Der Gelderwerb kann der Advocatur niemals Selbstzweck sein.“5 Ihre wesentliche Ausprägung hat die Idee des „freien Berufs“ in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts durch Sigbert Feuchtwanger erfahren. Feuchtwanger entwickelte den homo ethicus, dem er den homo oeconomicus gegenüberstellte.6 Bei letzterem stehe die Vermehrung seines Vermögens im Vordergrund.7 Im Gegensatz hierzu ist der homo ethicus nicht am Gewinnstreben orientiert, sondern an der Schaffung von Kulturgütern.8 Der Marktwert und der Kulturwert der Leistung des homo ethicus decken sich häufig nicht. Je wertvoller die Kulturleistung, desto schwieriger sei häufig die Verkäuflichkeit der Leistung.9 Der Gesetzgeber der BRAO bekannte sich noch ausdrücklich zum Konzept des freien Berufs von Feuchtwanger. Die Handlungen des Anwalts werden, so die Vorstellung des Gesetzgebers, von dem Motiv geleitet sein, 1 Sydow, in: Pielow (Hrsg.), BeckOK Gewerbeordnung, 1.7.2013, § 6 GewO Rz. 4. 2 Eine positiv-rechtliche Definition lehnte der Gesetzgeber ausdrücklich ab, weil es sich bei dem freien Beruf um einen soziologischen Begriff handelt. BT-Drs. 12/6152, S. 9. 3 Das PartGG hat hieran grundsätzlich nichts geändert. Wörtlich heißt es in der Gesetzesbegründung, BTDrs. 12/6152, S. 7: „Wesensmerkmal der freien Berufe sind dabei … das über die rein gewerbliche Motivation hinausgehende Berufsethos …“. 4 Vgl. Pielow, in: Pielow (Hrsg.), BeckOK Gewerbeordnung, § 1 GewO Rz. 146 ff. 5 Gneist, Freie Advocatur, 1867, S. 55. 6 Vgl. hierzu Siegrist, Advocat, Bürger und Staat, 2 Hbd., S. 662 f.; Taupitz, Die Standesordnung der freien Berufe, 1991, S. 65 ff. 7 Feuchtwanger, Die freien Berufe, 1922, S. 8. 8 Feuchtwanger, Die freien Berufe, 1922, S. 18 ff. 9 Feuchtwanger, Die freien Berufe, 1922, S. 365.
204 Wolf
Beruf des Rechtsanwalts
Rz. 5 § 2 BRAO
das Recht zu verwirklichen, nicht jedoch vom Streben nach Gewinn bestimmt sein.1 Die Begrifflichkeit von Feuchtwanger mag einem heute fremd erscheinen. Der Sache nach jedoch ist die Unterscheidung zwischen intrinsischer und extrinsischer Motivation nach wie vor genauso richtig, wie die auch empirisch belegte Tatsache, dass bestimmte kreative, geistig Hochstehende und künstlerische Tätigkeiten eine starke intrinsische Motivation voraussetzen.2 Inzwischen ist hoch umstritten, ob dieses Berufsbild noch Gültigkeit hat oder sich die Bedeutung der Bestimmung auf § 18 EStG und die Befreiung von der Gewerbesteuer reduzieren lässt.3 Dabei ist zunächst darauf hinzuweisen, dass § 2 BRAO über § 1 BRAO hinausgeht. Wenngleich es sicherlich Überlappungen gibt, lässt sich etwas verallgemeinernd sagen, dass § 1 BRAO vor allem die gegen den Staat gerichtete Unabhängigkeit im Auge hat, während § 2 BRAO an die innere Unabhängigkeit des Rechtsanwalts anknüpft. Der Gesetzgeber hat m.a.W. die Tätigkeit des Rechtsanwalts in ein Spannungsverhältnis zwischen weisungsabhängig beschäftigten Beamten und Gewerbetreibenden eingeordnet.4 Von den weisungsabhängigen Beamten unterscheidet sich der freie Beruf gerade durch seine Staatsferne (§ 1 BRAO). Der Rechtsanwalt soll – so die zentrale Forderung nach der freien Advocatur bereits im 19. Jahrhundert5 – bei seiner Tätigkeit nicht der staatlichen Kontrolle unterliegen.6 Gleichzeitig definieren sich die freien Berufe gegenüber den Gewerbetreibenden durch eine stärkere Gemeinwohlorientierung (§ 2 BRAO).7
3
Der Begriff des „freien Berufs“ ist einerseits ein aus der Berufssoziologie entstammender Begriff, mit dem bestimmte Modellvorstellungen verbunden sind.8 Diese Modellvorstellungen werden ihrerseits an ökonomischen Theorien gemessen.9 Dabei ist es in den letzten Jahren häufig zu einer einseitigen Übergewichtung des Wettbewerbsparadigmas gekommen.10 Das was typischer Weise einen freien Beruf auszeichnet, nämlich einerseits die Gemeinwohlverpflichtung und anderseits ein stark geregeltes Berufsrecht mit einer damit verbundenen Einschränkung des Wettbewerbs11 wurde in zunehmendem Umfang abgelehnt. Anderseits hat der Begriff „freier Beruf“ und die damit verbundenen Vorstellungen von der Gemeinwohlverpflichtung der Berufsträger Eingang in die Bundesrechtsanwaltsordnung gefunden. Hieraus resultieren für die Auslegung und Anwendung von § 2 BRAO nicht unerhebliche Spannungen, hat sich doch einerseits der Normtext nicht verändert, jedoch andererseits die zum Teil ideologisch12 verfestigte ökonomische Sicht der Dinge. Dabei ist es zu einer deutlichen Akzentverschiebung der Diskussion gekommen. Werden berufsrechtlich von der h.M. nur noch Extrempositionen einer Liberalisierung, wie die Beteiligung sozietätsunfähiger Personen an einer Anwalts-AG als Aktionäre, bestritten,13 wird im Steuerrecht diskutiert, unter welchen Voraussetzungen die Rechtsdienstleistung der Rechtsanwälte ein Gewerbe im Sinne von § 15 EStG wird.
4
II. Gesetzgebungsgeschichte Die RAO von 1878 enthielt keine § 2 BRAO vergleichbare Bestimmung. Allerdings war die Idee des „freien Berufs“ bereits bei Rudolf Gneist sehr deutlich angelegt,14 auf den die Gesetzesbegründung ausdrücklich Bezug nimmt.15 Nach Gneist ist der Beruf des Rechtsanwalts 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15
BT-Drs. 3/120, S. 49. Frey, Leistung durch Leistungslohn?, ZFBF, Sonderheft 44, 2000, S. 67 (81 ff.). Vgl. nur Kleine-Cosack, § 2 Rz. 4 ff. Vgl. Taupitz, Die Standesordnung der freien Berufe, 1991, S. 38 ff. Gneist, Freie Advocatur, 1867, S. 58 ff. Henssler/Prütting/Busse, § 2 Rz. 1. Taupitz, Die Standesordnung der freien Berufe, 1991, S. 59 f. Vgl. Taupitz, Die Standesordnung der freien Berufe, 1991; Holldorf, Prestige, Profit, Profession, 2003, S. 21 ff., S. 64 ff. Vgl. z.B. das offene Bekenntnis von Holldorf, Prestige, Profit, Profession, 2003, S. 43 ff. zur „Neuen Institutionenökonomie“. Die Theorie liegt auch der Kritik der Monopolkommission am anwaltlichen Berufsrecht zugrunde, vgl. XVI. Hauptgutachten der Monopolkommission, BT-Drs. 16/2460, Rz. 872 ff., 988 ff. Wie hier Stürner/Bormann, NJW 2004, 1481 (1483 f.); Bormann, ZZPInt 8 (2003), 3 (5 ff.); Stürner, Markt und Wettbewerb über alles?, 2007, S. 23 ff. Vgl. bereits Chr. Wolf, Recht durch Rechtsanwälte, in: 4. Zivilprozessrechts-Symposion, Bd. 16 der Schriftenreihe der BRAK, 2008, S. 9 f. Stürner, Markt und Wettbewerb über alles?, 2007, S. 87 ff. Knauer/Wolf, BRAK-Mitt. 2007, 142 ff. Gneist, Freie Advocatur, 1867, S. 49 ff. Drucksache des Reichstags, 3. Leg. Per. II Session, 1878, Bd. 53 Nr. 5, S. 67.
Wolf 205
5
§ 2 BRAO Rz. 6
Beruf des Rechtsanwalts
weder ein Staatsamt noch ein fungibles Gewerbe, sondern ein freier geistiger Beruf.1 Dabei betonte Gneist bereits, dass die unterschiedliche Begabung der Parteien, ihr Recht selbst vertreten zu können, durch den „rechtsverständigen Rath“ ausgeglichen werden müsse. Aufgabe des Staates sei es dabei, dafür zu sorgen, dass diese Rechtsvertretung durch einen Rechtsanwalt trotz der Ungleichheit der individuellen Befähigung jedem ermöglicht wird, um so dessen Recht zu schützen. Hierin liege keine Bevormundung, sondern die ureigenste Aufgabe des Staates.2 Der Rahmen, den der Staat der anwaltlichen Tätigkeit setzen sollte, bestand im Wesentlichen aus drei Punkten, nämlich der Sicherung einer den Richtern gleichwertigen juristischen Ausbildung, die Stärkung der „Ehrenhaftigkeit der Berufserfüllung“ durch die anwaltschaftliche Selbstverwaltung sowie eine Taxordnung für die gerichtliche Tätigkeit.3 6
Durch das Zweite Gesetz zur Änderung der Rechtsanwaltsordnung vom 13.12.19354 bzw. durch die Neufassung der Reichsrechtsanwaltsordnung vom 21.2.19365 wurde in die RRAO eine Präambel vor § 1 RRAO eingefügt.6 Nach dieser ist der Beruf des Rechtsanwalts kein Gewerbe, sondern Dienst am Recht. Wenngleich der Wortlaut die Abgrenzung zur „freien Advocatur“ nicht ganz so klar hervortreten lässt, diente die Bestimmung dazu den Beruf des Rechtsanwalts in die nationalsozialistische Weltanschauung einzugliedern und ihn vom liberalen Berufsverständnis strikt abzugrenzen.7
7
Einen direkten Vorläufer findet § 2 BRAO in § 1 S. 2 der Rechtsanwaltsordnung für die Britische Zone. Die Vorschrift lautete: „Sie [Die Rechtsanwaltschaft] ist ein freier Beruf und kein Gewerbe.“8 Die jetzige Fassung von § 2 BRAO entspricht noch der ursprünglichen Fassung der Bundesrechtsanwaltsordnung vom 1.8.1959.9
8
Die Gesetzesbegründung der Bundesrechtsanwaltsordnung nahm ausdrücklich, wie bereits die Begründung zur Reichsrechtsanwaltsordnung, Bezug auf die Schrift von Gneist „Die Freie Advocatur“.10 Der Gesetzgeber bezog sich dabei insbesondere auf die von Gneist vorgenommene Einordnung der Rechtsanwaltschaft als freien Beruf11 und auf die Überlegungen von Feuchtwanger, nach dem sich die freien Berufe nicht vom Streben nach Gewinn bestimmen lassen dürfen.12 B. Rechtsanwalt als „freier Beruf“ I. Metaebene der Auslegung
9
Der Gesetzgeber verwendet mit dem Begriff des „freien Berufs“ einen aus der Berufssoziologie entlehnten Begriff. Zwangsläufig weist die Normanwendung damit über den engen streng juristisch-dogmatischen Bereich hinaus. Die bejahende oder ablehnende Haltung zu dem Konzept des „freien Berufs“ bestimmt daher ganz wesentlich die Auslegung der Vorschrift. Es handelt sich in diesem Sinne um einen ambivalenten Begriff.
10
Hinzu kommt ein weiteres: Wesentlich für das ursprüngliche Verständnis der freiberuflichen Tätigkeit war, dass diese nicht vom Gewinnstreben bestimmt sein soll. Vielmehr sollte eine altruistische Einstellung und intrinsische Motivation prägend sein. Um produktiv sein zu können, sei es bei den „freien Berufen“ nicht möglich, dass sie als bloßes Mittel zu einem – gegenüber dem eigentlichen Zweck der Berufstätigkeit – sachfremden Zweck, dem Gelderwerb, geleistet werden dürfen.13 Jedoch wurde schon zu Zeiten, in denen das freiberufliche Grundverständnis noch uneingeschränkt Geltung beanspruchte, gesehen, dass die altruisti1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13
Gneist, Freie Advocatur, 1867, S. 50. Gneist, Freie Advocatur, 1867, S. 51. Gneist, Freie Advocatur, 1867, S. 52 ff. RGBl. I 1935, S. 1470. RGBl. I 1936, S. 107. Vgl. Noack, ReichsRechtsanwaltsordnung, 2. Aufl. 1937, S. 18. Vgl. hierzu die Abgrenzung von Noack, ReichsRechtsanwaltsordnung, 2. Aufl. 1937, S. 25 f. Verordnungsblatt für die brit. Zone, 1949, S. 80. BGBl. I 1959, S. 565. BT-Drs. 3/120, S. 49. Gneist, Freie Advocatur, 1867, S. 50 ff. Feuchtwanger, Die freien Berufe, 1922, S. 17 ff. Feuchtwanger, Der Staat und die freien Berufe, 1929, S. 10.
206 Wolf
Beruf des Rechtsanwalts
Rz. 13 § 2 BRAO
sche Berufsauffassung des freien Berufs nicht dem tatsächlichen Verhalten der Freiberufler stets entspricht.1 Taupitz weist daher zutreffend auf den Unterschied zwischen manifestierter Erwartung und tatsächlichem Verhalten der Freiberufler hin.2 Allerdings unterliegen die freien Berufen der formalen Forderung sich bei ihrer Berufsausübung nicht ausschließlich vom Gewinnstreben leiten zu lassen. In einer ganzen Reihe von berufsrechtlichen Bestimmungen wird zwar das individuelle Erfolgsstreben kanalisiert und sanktioniert.3 Altruistische Einstellung und intrinsische Motivation sind aber nicht staatlich erzwingbar, sondern nur ermöglichbar. Mit einer ganzen Reihe von Vorschriften zielte der Gesetzgeber folglich darauf ab, das „do ut des“ zu mediatisieren, also sicher zu stellen, dass die anwaltliche Leistung nicht umso qualifizierter erbracht wird, je höher das dafür erzielte Entgelt ist.4 So dient z.B. das Verbot marktschreierischer Werbung, wie das BVerfG bezüglich der Apotheken ausführte, zur Unterstützung der Gemeinwohlfunktion. Der Charakter der Apotheken soll erhalten bleiben und so verhindert werden, dass sich die Apotheken statt eine breite Arzneimittelversorgung sicher zu stellen, einträglicheren Geschäften zuwenden.5 Gleichfalls dient die Gebührenordnung mit ihrer Quersubventionierung diesem Anliegen.6
11
§ 2 BRAO wirkt daher in weite Bereiche des anwaltlichen Berufsrechts hinein. Eine ganze Reihe von Vorschriften gewinnt ihre Bedeutung erst vor dem Hintergrund des § 2 BRAO. Die Vorschriften sichern das besondere Gepräge ab, welches die Anwaltschaft durch § 2 BRAO erhalten hat.7 Wird aber das § 2 BRAO zugrunde liegende Grundverständnis in Frage gestellt, hat dies eine doppelte Rückwirkung: Zum einen werden die berufsrechtlichen Vorschriften ihres erklärenden Sinns beraubt, wenn man § 2 BRAO als Kompass der Auslegung verliert. Zum andern entfällt aber auch die Richtschnur für das individuelle Verhalten der Rechtsanwaltschaft. Es kommt daher entscheidend darauf an, ob das hinter § 2 BRAO stehende Modell noch trägt oder durch ein Wettbewerbsmodell zu ersetzen ist.
12
II. Die berufssoziologische Sicht Der Beruf des Rechtsanwalts gehört traditionell zu den stark regulierten Berufen. Er ist ein Archetyp des freien Berufs oder im Sprachgebrauch der angloamerikanischen Berufssoziologen eine „profession“.8 Die Professionssoziologie unterscheidet zwischen einer normalen beruflichen Tätigkeit und einer Profession. Diese liegt vor, wenn der Beruf mit hohem Prestige und Einkommen verbunden ist, die Berufsausübung ein großes, durch eine systematische Ausbildung erworbenes Wissen voraussetzt und die Berufsausübung weitgehend autonom und lediglich an dem durch die Profession selbst gesetzten Standard orientiert erfolgt.9 Zum Teil wird versucht die Profession durch einen Merkmalkatalog abzugrenzen. Zu diesen Merkmalen zählen unter anderem:10 (a) Spezielle, besonders komplexe Wissensbasis, welche aufgrund einer formalen akademischen Ausbildung erworben wurde. (b) Große Autonomie gegenüber dem Klienten und dem Staat oder sonstigen Dritten aufgrund wissensbedingter Informationssymmetrie. (c) Besonders hohe Bedeutung der Tätigkeit für die Gesellschaft und Gemeinwohlorientierung der Tätigkeit. (d) Relativ hohes Prestige und Einkommen. (e) Organisation in einem Berufsverband. (f) Aufstellung einer eigenen Berufsethik und Überwachung der Berufsethik durch den Berufsverband. (g) Regulierung des Berufszugangs und Angebots- und Handlungskompetenzmonopol für die eigene Dienstleistung.
1 2 3 4
5 6 7 8 9 10
Sehr deutlich Friedlaender, Allg. Einleitung, Rz. 11. Taupitz, Die Standesordnung der freien Berufe, 1991, S. 61. Taupitz, Die Standesordnung der freien Berufe, 1991, S. 61. Taupitz, Die Standesordnung der freien Berufe, 1991, S. 62. In diesem Sinne auch Stürner, Markt und Wettbewerb über alles?, 2007, S. 273. Aus diesem Grund weist die Entscheidung des BGH NJW 2007, 2485 f. dass eine eingeschränkte Belehrung ausreichend sei, wenn der Aufwand außer Verhältnis zum Streitgegenstand steht, in die falsche Richtung. BVerfGE 53, 96 (98). Chr. Wolf, in: FS Schlosser, 2008, S. 1121 (1127 f.). Zu den Folgen des Wettbewerbsparadigmas im Rahmen der anwaltlichen Entlohnung vgl. auch Stürner, in: 4. Hannoveraner ZPO-Symposion, 2008, S. 9, 12 f. Chr. Wolf, in: FS Schlosser, 2008, S. 1121 (1127 f.). Abel, British Journal of Law and Society, Vol. 6 (1979), S. 82 (83); Holldorf, Prestige, Profit, Profession, 2003, S. 67. Holldorf, Prestige, Profit, Profession, 2003, S. 65; Siegrist, Advokat, Bürger und Staat, 1. Hbd., 1996, S. 12 ff. Holldorf, Prestige, Profit, Profession, 2003, S. 68 f.
Wolf 207
13
§ 2 BRAO Rz. 14
Beruf des Rechtsanwalts
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Zwar herrscht weitgehend Einigkeit darüber, dass der Beruf des Rechtsanwalts eine Profession in diesem Sinne ist, die Schlussfolgerungen, die hieraus zu ziehen sind, sind jedoch stark umstritten. Ursprünglich war der Begriff des „freien Berufs“ positiv besetzt. Der Gesetzgeber bekannte sich ausdrücklich zu diesem positiv besetzten Konzept des freien Berufs. Jedoch wird diese Sicht nicht mehr einhellig geteilt. Im Wesentlichen lassen sich innerhalb der Berufssoziologie zwei Lager – das Funktionalistische und das Monopolistische – ausmachen.1 Das eine Lager – die Funktionalisten – beschreibt die Professionalisierung als notwendige Funktionsbedingung einer modernen Gesellschaft.2 Grundvoraussetzung, um von einer Profession zu sprechen ist, dass die Professionals über ein bestimmtes Fachwissen verfügen, aus dem sie ihre Autorität ableiten.3 Der Kunde (Mandant) vermag deshalb die Leistung des Professionals nicht richtig zu beurteilen.4 Hinzu kommt, dass der Berufsträger im Einzelfall häufig für den Erfolg seiner Tätigkeit nicht einstehen kann.5 Beide Überlegungen hat die funktionalistische Sichtweise zum Ausgangspunkt genommen, um die typischerweise mit einer Profession verbundenen Einschränkungen des Wettbewerbs (Markteintrittsschranken, Gebührenordnung, autonome Kontrolle der Berufsethik) zu rechtfertigen. Des Weiteren sei es in bestimmtem Umfang erforderlich, eine Entkoppelung von Sachbearbeitung und dem Gewinnstreben sicher zu stellen, damit die Gemeinwohlorientierung der Tätigkeit verwirklicht werden könne.6
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Genau an dieser Stelle setzt die Kritik der monopolistischen Sichtweise an. Der Prozess der Professionalisierung würde in Monopolstrukturen münden, welche nur den Klienten schadeten. Der Profession gehe es nur darum sich ein möglichst attraktives Monopol zu schaffen. Die Gemeinwohlorientierung der eigenen Tätigkeit gebe man lediglich vor.7 In Wirklichkeit ginge es darum Wettbewerber vom Markteintritt abzuhalten und Preise jenseits der „Marktpreise“ durchzusetzen. Das Berufsrecht stellt sich in diesem Zusammenhang als Instrument dar, den Wettbewerb einzuschränken.8 Folglich diene die Professionalisierung nur dazu sich der Marktkontrolle zu entziehen.9 Dies ließe sich nur überwinden, wenn man auf einen möglichst unregulierten und unkontrollierten Wettbewerb setze. III. Die ökonomische Sicht10
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Das Wettbewerbsparadigma ist entgegen einer immer breiteren Raum einnehmenden Ansicht11 nicht in der Lage, den Zugang zum Recht auch in den Fällen mit niedrigem Streitwert abzusichern. Dies ergibt sich aus den Grundannahmen der neuen Institutionenökonomie selbst, welche für eine weitere Deregulierung herangezogen wird.12
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Nach der neoklassischen Preistheorie wird der Markt als Modell der vollständigen Konkurrenz gedacht. Dieser liegt vor, wenn die Marktteilnehmer (Produzenten und Konsumenten) die Menge der Nachfrage bzw. des Angebots der Ware rein am Marktpreis orientieren und wenn ein unreglementierter, also freier Marktzugang sichergestellt ist.13 Handeln auf diesem Markt nun sowohl die Anbieter (Unternehmer) als auch die Nachfrager (Konsumenten) als homo oeconomicus und stimmt die Menge der angebotenen Ware mit der Menge der nachgefragten Ware genau überein, stellt sich ein Gleichgewicht ein. Der Markt wird also völlig abgeräumt, es liegt ein markträumender Preis vor. Dieser markträumende Preis ist aus 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13
Abbott, Contemporary Sociology, Vol. 18 (1989), S. 49. Vgl. Abbott, Professional Ethics, American Journal of Soziology, Vol. 88 (1983), S. 885, 863 ff. Parsons, The Professions and social structure, Social Forces, Vol. 17 (1939), S. 457 (460). Abbott, Professional Ethics, American Journal of Soziology, Vol. 88 (1983), S. 885, 865. Typischerweise sind Anwaltsverträge Dienstleistungs- und meist keine Werkverträge, vgl. nur Kilian, Rechtliche Grundlagen der anwaltlichen Tätigkeit, 2005, S. 49. Vgl. Stürner, Markt und Wettbewerb über alles?, 2007, S. 22. Vgl. hierzu die Nachweise bei Holldorf, Prestige, Profit, Profession, 2003, S. 80 ff. Abbott, Professional Ethics, American Journal of Soziology, Vol. 88 (1983), S. 885, 865. Able, The Rice of Professionalism, British Journal of Law and Society, Vol. 6 (1979), S. 82 (85 f.). Vgl. hierzu bereits Chr. Wolf, Recht durch Rechtsanwälte, in: 4. Zivilprozessrechts-Symposion, Bd. 16 der Schriftenreihe der BRAK, 2008, S. 1 (14 ff.). Vgl. nur XVI. Hauptgutachten der Monopolkommission, BT-Drs. 16/2460, Rz. 872 ff., 988 ff., S. 378 ff. und Kom (2004), 83 endgültig, S. 11. S. zur Begründung der Deregulierung aus der Perspektive der neuen Institutionenökonomie Holldorf, Prestige, Profit, Profession, 2003, S. 43 ff. Zur kritischen Auseinandersetzung mit der neuen Institutionenökonomie Stürner, Markt und Wettbewerb über alles?, 2007, S. 87 ff. Vgl. Knieps, Wettbewerbsökonomie, 3. Aufl. 2008, S. 7. Zu weiteren Annahmen Fritsch, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, 8. Aufl. 2010, S. 26.
208 Wolf
Beruf des Rechtsanwalts
Rz. 23 § 2 BRAO
der Sicht der Wohlfahrtsökonomie pareto-optimal,1 wenn folgende zusätzlichen Bedingungen erfüllt sind:2 (a) Der aus dem Gut durch die Konsumenten gezogene Nutzen ist stetig monoton und nicht von externen Effekten beeinflusst. Es gilt also der Grundsatz: Mehr ist besser. (b) Für die Produktion gilt Vergleichbares. Es gibt keine externen Effekte und die Produktionskosten sind stetig. (c) Die Marktteilnehmer verfügen über vollständige Information. Hieraus leitet die neue politische Ökonomie drei Felder ab, bei denen Marktversagen vorliegen kann und damit grundsätzlich wirtschaftspolitisches Handeln gefordert ist:3
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1. Externalitäten Externe Effekte liegen vor, wenn der Preis die für die Allokationsentscheidungen relevanten Daten nicht mehr vollständig widerspiegelt, da Kosten auf Dritte abgewälzt werden können. In diesen Fällen tritt ein Widerspruch zwischen individuell rationalem und kollektiv rationalem Verhalten ein.4
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2. Informationsasymmetrie Informationsasymmetrie liegt vor, wenn der Konsument über deutlich weniger Information verfügt, als der die Leistung anbietende Unternehmer und dieser daher den Konsumenten übervorteilen kann.
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3. Natürliche Monopole Von natürlichen Monopolen spricht man, wenn die Produktionskosten nicht stetig sind. Dies ist bei zunehmenden Skalenerträgen der Fall. Ein typisches Beispiel für natürliche Monopole sind alle netzabhängigen Leistungen, weil die Netzkosten so hoch sind, dass ein Anbieter die Leistung günstiger anbieten kann als mehrere Wettbewerber, die die jeweiligen Grundkosten gleichfalls zu erbringen hätten. Allgemein gesprochen liegt ein natürliches Monopol vor, wenn eine proportionale Erhöhung aller Inputfaktoren zu einer überproportionalen Erhöhung aller Outputfaktoren führt.5
21
Zwar wird auch für den Rechtsdienstleistungsmarkt der Frage des Marktversagens nachgegangen, jedoch in der Regel nur unter dem Gesichtspunkt der Informationsasymmetrie und der externen Effekte,6 jedoch wird das Problem der natürlichen Monopole nicht thematisiert.7 Bei genauerer Hinsicht liegt aber hier der Schlüssel für das Verständnis des Rechtsdienstleistungsmarkts. Natürliche Monopole basieren auf der Vorstellung, dass der fehlende lineare Zusammenhang zwischen Input und Output dazu führt, dass der am Markt ermittelbare Preis nicht der wohlfahrtsökonomisch sinnvolle Gleichgewichtspreis ist.8 Verallgemeinert lässt sich aus den natürlichen Monopolen ableiten, dass eine nicht lineare Funktion des Verhältnisses Produktionskosten zu Menge mit dem Leitbild des Gleichgewichtsmarkts bei vollständiger Konkurrenz nicht vereinbar ist.
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Im Rechtsdienstleistungsmarkt lassen sich aber die Produktionskosten nicht als Funktion beschreiben. Sieht man von standardisierbaren Leistungen wie Musterverträgen ab, werden die Produktionskosten des Rechtsfalls von der rechtlichen Komplexität des jeweiligen Falls bestimmt. Lässt man die Routinegewinne durch Spezialisierung unberücksichtigt, wird die Bearbeitungszeit des einzelnen Rechtsfalls idealiter weder durch die Anzahl der bearbeiteten Fälle noch durch deren wirtschaftlichen Wert bestimmt, sondern ausschließlich von der mit dem einzelnen Fall verbundenen rechtlichen Schwierigkeit. Zwischen der rechtlichen Schwierigkeit und der wirtschaftlichen Bedeutung des Rechtsfalls besteht aber kein
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1 Unter dem Pareto-Optimum versteht man eine Güterverteilung, bei der es kein Individuum gibt, welches einen anderen Zustand vorziehen würde, welcher nicht von allen anderen Individuen abgelehnt werden würde. Vgl. Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 2. Aufl. 1998, S. 48. 2 Knieps, Wettbewerbsökonomie, 3. Aufl. 2008, S. 10. 3 Knieps, Wettbewerbsökonomie, 3. Aufl. 2008, S. 11 ff. 4 Weimann, Wirtschaftspolitik, 5. Aufl. 2009, S. 134 f. 5 Knieps, Wettbewerbsökonomie, 3. Aufl. 2008, S. 24. 6 XVI. Hauptgutachten der Monopolkommission, BT-Drs. 16/2460, Rz. 872 ff., 988 ff., S. 379 ff. 7 Vgl. aber XVI. Hauptgutachten der Monopolkommission, BT-Drs. 16/2460, Rz. 872 ff., 988 ff., S. 384 Fn. 29. 8 Vgl. Fritsch, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, 8. Aufl. 2011, S. 171.
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§ 2 BRAO Rz. 24
Beruf des Rechtsanwalts
denknotwendiger Zusammenhang. Rechtlich hoch komplexe Sachverhalte können – bezogen auf den Streitwert – verschwindend gering sein und umgekehrt können rechtlich einfache Probleme – wiederum bezogen auf den Streitwert – von immenser Bedeutung sein. Dies sah der Gesetzgeber der Reichsgebührenordnung für Rechtsanwälte noch sehr klar: „Denn die Arbeit des Anwalts ist an sich allerdings von dem Werthsbetrage des Gegenstandes unabhängig, weil Rechtsstreite über Gegenstände von großem Werthe höchst einfacher Natur sein können, während ein Prozess über einen höchst unbedeutenden Gegenstand dennoch die schwierigsten That- und Rechtsfragen umfassen kann.“1 Das gegen die Quersubventionierung immer wieder vorgebrachte Argument,2 es sei sozialpolitisch nicht zielgenau, geht folglich fehl.3 24
Mit der Quersubventionierung wird nämlich das Ziel verfolgt, auf die den natürlichen Monopolen vergleichbare Situation der nicht stetigen Produktionskosten zu reagieren. Die Produktionskosten (Input) des einzelnen Rechtsfalls hängen nicht von dessen Streitwert, sondern von dessen rechtlicher Komplexität ab. Der homo oeconomicus wird aber kaum bereit sein für die mögliche Durchsetzung eines Anspruchs in Höhe von 10 000 Euro einen Betrag von 50 000 Euro zu investieren. Zwar mögen unterschiedliche Risikopräferenzen wiederum mit unterschiedlichen Vermögensverhältnissen zusammenhängen, jedoch macht es auch für Wohlhabende keinen Sinn ein Stundenhonorar von 500 Euro wegen eines Streits um eine Handwerkerrechnung von 5 000 Euro abzuschließen.
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Der Zweck der Quersubvention ist es also einen streitwertunabhängigen Zugang zum Recht zu sichern. Die interne Quersubvention ermöglicht es aus der Perspektive der Mandanten auch, um niedrige Streitwerte einen Prozess zu führen. Damit wird auf die Situation reagiert, dass – wie bei den natürlichen Monopolen – keine lineare Verknüpfung von Input und Output bei der Produktion der Rechtsfälle vorliegt. Folglich trifft der erste Hauptsatz der Wohlfahrtsökonomie4 auf den Rechtsdienstleistungsmarkt nicht zu. Die Produktionsbedingungen für die Rechtsfälle sind nicht stetig.
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In einem deregulierten Markt würde – unter den Bedingungen des homo oeconomicus – die rechtliche Durchsetzung von allen Fällen unterbleiben, in denen die Kosten der Bearbeitung des Rechtsfalls5 für den Mandanten höher sind als der mit der Lösung des Rechtsfalls erzielte Nutzen. Ein sich verschärfender Wettbewerb innerhalb der Anwaltschaft kann – unter der Voraussetzung, dass die rechtliche Komplexität die Input/Output Relation bestimmt – die Kosten der Bearbeitung des Rechtsfalls nur zu den Bedingungen eines ruinösen Wettbewerbs senken.
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Empirische Untersuchungen, dass eine Deregulierung zu besseren Ergebnissen führt, bestehen kaum und führen in der Regel nicht zu eindeutigen Resultaten.6 IV. EU-Recht
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Dem EU-Recht fällt die Einordnung der „freien Berufe“ nicht leicht. Das Leitbild der EUWirtschaftsverfassung ist die offene Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb, Art. 3 Abs. 3 EUV- und Art. 119 und 120 AEUV.7 Danach sind wirtschaftliche Leistungen grundsätzlich im freien Wettbewerb ohne Preiskontrolle zu erbringen.8 In die wirtschaftliche Freiheit darf nur unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in begründeten Ausnahmefällen eingegriffen werden. Eine Preisregulierung ist nur aus zwingenden gesamtwirtschaftlichen Gründen aufgrund der Besonderheit der Preisbildung zulässig.9 Das dahinter stehende
1 Band 59, Deutscher Reichstag, 4. Legislaturperiode, 2. Session 1879. 2 Vgl. nur statt vieler, XVI. Hauptgutachten der Monopolkommission, BT-Drs. 16/2460, Rz. 872 ff., 988 ff., S. 400, 401 ff. 3 Vgl. bereits Chr. Wolf, in: FS Schlosser, 2008, S. 1121 (1128 f.) und Chr. Wolf, Recht durch Rechtsanwälte, in: 4. Zivilprozessrechts-Symposion, Bd. 16 der Schriftenreihe der BRAK, 2008, S. 1, 17 ff. 4 Vgl. Knieps, Wettbewerbsökonomie, 3. Aufl. 2008, S. 9 f. 5 U.U. korrigiert mit einem die bei der Rechtsermittlung typischen Risiken korrigierenden Risikozuschlag. 6 Vgl. zum Nachweis bereits Chr. Wolf, Recht durch Rechtsanwälte, in: 4. Zivilprozessrechts-Symposion, Bd. 16 der Schriftenreihe der BRAK, 2008, S. 1 (12 ff.). 7 S. auch noch Art. 127 Abs. 1 Satz 3 AEUV; Art. 2 Satz 3 ESZB-Satzung. Zum ganzen Nettersheim, in: Oppermann/Classen/Nettersheim, Europarecht, 5. Aufl. 2011, § 18 Rz. 3 ff. 8 von der Groeben/Schwarze/Wittelsberger, EGV, 6. Aufl. 2003 f., Art. 98 EGV Rz. 6. Hierzu auch Häde, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 4. Aufl. 2011, Art. 119 AEUV Rz. 8 ff. 9 von der Groeben/Schwarze/Wittelsberger, EGV, 6. Aufl. 2003 f., Art. 98 EGV Rz. 6.
210 Wolf
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Rz. 29a § 2 BRAO
ideengeschichtliche Konzept ist das des Neoliberalismus.1 Der Neoliberalismus grenzt sich vom Ordoliberalismus Freiburger Schule vor allem dadurch ab, dass der Ordoliberalismus den Staat als Garanten einer funktionierenden Wettbewerbsordnung nimmt,2 während der Neoliberalismus weitgehend auf die unsichtbare Hand des Wettbewerbs vertraut.3 Der im AEUV und EUV niedergelegte Grundsatz der offenen Marktwirtschaft weist gegenüber dem Konzept der „freien Berufe“ eine gewisse Amusikalität auf. Allerdings ist diese Amusikalität bezogen auf die Institutionen unterschiedlich ausgeprägt. Die Kommission setzt sich mit Nachdruck für eine weitere Liberalisierung des freiberuflichen Dienstleistungssektors ein.4 Dabei erkennt die Kommission an, dass die Asymmetrie der Information, externe Effekte sowie der Umstand, dass bestimmte freiberufliche Dienstleistungen als öffentliches Gut begriffen werden, gewisse Reglementierungen erforderlich machen können.5 Aufgrund empirischer Studien6 räumt die Kommission jedoch zwischenzeitlich ein, dass Verbraucher und einmalige Nutzer einen gewissen, maßgeschneiderten Regelungsschutz benötigen.7 Dabei zeigen die von der Kommission in Auftrag gegebenen Studien eine erstaunliche Apathie sich mit den hinter der Quersubvention stehenden Gedanken auseinander zu setzen. So kommt die jüngste Studie der Kommission zwar zu dem Ergebnis, dass sich im Bereich der notariellen Tätigkeit im Fall der Deregulierung die Kosten für niedrige Gegenstandswerte erhöhten, die Kosten für hohe Gegenstandswerte hingegen senkten.8 Jedoch wird dies zum einen nur unter sozialen Gesichtspunkten diskutiert, nicht jedoch unter dem ökonomischen Gesichtspunkt der nicht stetigen Produktionskosten.9 Gleichfalls wird erkannt, dass die Quersubvention einen homogenen Markt auf Seiten der Rechtsdienstleistungsanbieter voraussetzt.10 Hieraus wird aber nicht der notwendige Schluss gezogen, durch Regulierung für einen homogenen Markt zu sorgen. Vielmehr hat die Kommission in ihrem Jahreswachstumsbericht 201311 die Mitgliedsstaaten aufgefordert, die Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit der Regulierung von freien Berufen, vor allem die Festlegung fester Entgelte und die Beschränkungen bei Unternehmensstrukturen und Beteiligungen, zu überprüfen.
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Vielmehr wurde im Zuge der Euro-Krise in den „bail-out-Staaten“ ein neoliberales Reformprogramm ohne nähere EU-vertragliche Grundlage verwirklicht. Rechtstechnisch wurde die Agenda als Bedingung von privatrechtlichen Darlehensverträgen der European Financial Stability Facility durchgesetzt. Sowohl in der EU-Verordnung 407/201012 als auch in dem Gesetz zur Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines europäischen Stabilisierungsmechanismus13 wird ohne nähere Angaben festgeschrieben, dass die Darlehen an die bail-out Staaten nur zu vergeben sind, wenn die von der Europäischen Kommission, der EZB und dem IWF formulierten strengen Auflagen erfüllt sind.14 So hat sich Irland nach dem Durchführungsbeschluss des Europäischen Rats vom 7.12.2010 über den finanziellen Beistand der Union für Irland nach Art. 3 Abs. 7 lit. f15 verpflichtet, Beschränkungen des Handels und des Wettbewerbs in geschützten Sektoren einschließlich der juristischen Berufe zu beseitigen. Die genauen Bedingungen wurden bislang nicht veröffentlicht.16 In Irland mündeten die Re-
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1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16
Nagel, ZNER 2007, 7 ff.; a.A. Kokott, in: FS Jaeger, S. 115 ff. Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, 4. Aufl. 1968, S. 325 ff. Hayek, Rechtsordnung und Handelsordnung, in: Freiburger Studien, 1969, S. 161 (190). Die Aktivitäten der Kommission sind dokumentiert unter http://ec.europa.eu/comm/competition/sectors/ professional_services/cases/case_law.html; vgl. KOM (2005), 405 endgültig und KOM (2004), 83 endgültig und Penteia Studie, Evaluation of the Legal Framework for the Free Movement of Lawyers, 2012. KOM(2005) 405 endgültig, Zif. 10 und KOM(2004) 83 endgültig, Zif. 25 ff. Vgl. zur Kritik an der ursprünglich zweifelhaften Inanspruchnahme bestimmter empirischer Untersuchungen, Chr. Wolf, Recht durch Rechtsanwälte, in: 4. Zivilprozessrechts-Symposion, Bd. 16 der Schriftenreihe der BRAK, 2008, S. 1 (13). KOM(2005) 405 endgültig, Zif. 30. Schmid/Sebastian/Lee/Fink/Paterson, Study COMP/2006/D3/003 Conveyancing Services Market, 2007, Zif. 156. S. Rz. 21 f. Schmid/Sebastian/Lee/Fink/Paterson, Study COMP/2006/D3/003 Conveyancing Services Market, 2007, Zif. 157. COM(2012) 750 final, S. 10. Abl. 2010 L 118/1. BGBl. I 2010, S. 627. Was hierunter zu verstehen ist, ist der einseitigen Gesetzesbegründung, BT-Drs. 17/1685 nicht zu entnehmen. Die Verordnung spricht in Art. 3 Abs. 3 lit. b pauschal von „allgemeinen wirtschaftspolitischen Bedingungen“. Abl. 2011, L30/34. Bandilla, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 2013, Art. 122 AEUV, Rz. 33.
Wolf 211
§ 2 BRAO Rz. 30
Beruf des Rechtsanwalts
formforderungen der Troika1 in dem Legal Services Regulation Bill 2011.2 Sowohl bezüglich des Verfahrens als auch der in dem Legal Services Regulation Bill getroffenen Regelungen haben die Bar Council of Ireland3 und die CCBE4 erhebliche Bedenken erhoben. 30
Im Gegensatz zur Kommission hat der EuGH in einer Reihe von Entscheidungen den Besonderheiten der freiberuflichen Tätigkeit Rechnung getragen. Im Einzelnen:
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In der Sache Broede gegen Sandker hat der EuGH entschieden, dass eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit durch das alte Rechtsberatungsgesetz zwar gegeben war, diese jedoch aus Gründen des Allgemeininteresses nicht gegen den EG-Vertrag und die Dienstleistungsfreiheit verstößt.5
32
In den Entscheidungen Wouters und Arduino hat der EuGH zunächst festgestellt, dass die berufsrechtlichen Zusammenschlüsse von Rechtsanwälten unter den Begriff der Unternehmensvereinigung im Sinne von Art. 81 EGV fallen.6 Damit ist aber nichts darüber ausgesagt, ob die von einer Rechtsanwaltskammer erlassenen Ordnungen und Beschlüsse als staatliche Maßnahmen anzusehen sind oder als Entscheidungen eines Unternehmensverbands. Im Fall Arduino führt der EuGH aus, dass der staatliche Charakter zum einen dann gegeben ist, wenn die Rechtsanwaltskammer nicht als Interessenverband, sondern als neutraler Sachverständiger, der im Allgemeininteresse handelt, anzusehen ist. Zum andern ist der staatliche Charakter auch zu bejahen, wenn dem Staat das Letztentscheidungsrecht verblieb.7
33
Für die Frage, ob ein Verstoß gegen das Europäische Kartellrecht vorliegt, war aber der staatliche Charakter der italienischen Gebührenordnung nicht wirklich entscheidend. Denn § 85 EGV gilt zwar nur für das Verhalten von Unternehmen, jedoch ist es den Mitgliedsstaaten über Art. 5 EGV verboten durch Gesetze oder Verordnungen Maßnahmen zu treffen, welche die Wettbewerbsregeln zwischen den Unternehmen aufheben würden.8 Der in der Literatur9 immer wieder betonte Unterschied zwischen der Wouters und der Arduino Entscheidung des EuGH dürfte daher in Wahrheit nicht so groß sein. Denn auch, wenn die Entscheidungen der Rechtsanwaltskammer als Beschluss eines Unternehmerverbands angesehen werden müssten, folgt hieraus, wie sich aus der Entscheidung Wouters ergibt, nicht automatisch die Unzulässigkeit im Sinne von Art. 85 EGV. Wettbewerbsbeschränkungen sind hinzunehmen, so der EuGH, soweit sie für ordnungsgemäße Ausübung des Anwaltsberufs erforderlich sind.10
34
Dieser Linie ist der EuGH noch in einer Reihe weiterer Entscheidungen treu geblieben.
35
In der Entscheidung Mauri hielt der EuGH eine italienische Regelung, nachdem dem Prüfungsausschuss für die Zulassungsprüfung zur Rechtsanwaltschaft auch zwei Rechtsanwälte angehören, welche auf Vorschlag der Rechtsanwaltskammer vom Ministerium ernannt werden, mit dem EG-Wettbewerbsrecht für vereinbar. Die Beteiligung der Rechtsanwälte entspreche zwingenden Gründen des Allgemeininteresses, um die Eignung und Befähigung der Personen, die den Beruf des Rechtsanwalts ergreifen wollen, bestmöglich beurteilen zu können.11
36
In der Cipolla-Entscheidung entwickelte der EuGH zunächst seine der Arduino-Entscheidung zugrunde liegende Linie weiter. Behält sich der Staat die effektive Kontrolle der von den Kammern vorgeschlagenen Regelungen vor, sind diese dem Staat und nicht den Kammern als Unternehmensvereinigungen im Sinne von Art. 85 EGV zuzurechnen. In der Sache selbst stellt der EuGH zunächst abstrakt fest, dass der Schutz des Verbrauchers, als Empfänger gerichtsbezogener von Organen der Rechtspflege erbrachten Leistungen, und der Schutz der geordneten Rechtspflege Ziele darstellen, welche als zwingende Gründe des Allgemeininteresses angesehen werden können, die eine Einschränkung des freien Dienst1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
S. hierzu auch IMF Country Report No. 10/366, S. 27. http://www.oireachtas.ie/documents/bills28/bills/2011/5811/document2.pdf. http://www.lawlibrary.ie/documents/memberdocs/BarCouncilInitialSubmissionDecember2011.pdf. CCBE Info no. 29, http://www.ccbe.eu/fileadmin/user_upload/NTCdocument/newsletter_29_enpdf1_132 7503311.pdf. EuGHE I 1996, 6511 ff. EuGH, NJW 2002, 877 ff.; EuGH, NJW 2002, 882 ff. EuGH, NJW 2002, 882 (884). EuGH, NJW 2002, 882 (884). Vgl. z.B. Kilian, wrp 2003, 802 (804); Römermann/Wellige, BB 2002, 633 ff.; Lörcher, NJW 2002, 1092 ff.; differenzierend Diefenbach, GewArch 2006, 217 ff. EuGH, NJW 2002, 877 (821). EuGH, EuZW 2005, 273 (274).
212 Wolf
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Rz. 39 § 2 BRAO
leistungsverkehrs rechtfertigen können. Ob Mindestgebühren geeignet sind das Schutzziel zu verwirklichen, ließ der EuGH offen. Im Gegensatz zur Kommission war der EuGH jedoch der Ansicht, dass Mindestgebühren grundsätzlich geeignet sein können Billigangebote mit minderer Qualität zu verhindern.1 Bestätigt hat der EuGH2 diese Haltung in dem Vertragsverletzungsverfahren der Kommission gegen die Republik Italien wegen des italienischen Gebührensystems. Höchstgebühren seien, so der Generalanwalt Ján Mazák, geeignet die mit der Rechtsverfolgung verbundenen Kosten zu kennen und können hierdurch eine mäßigende Rolle, insbesondere im Hinblick auf das zwischen dem Rechtsanwalt und dem Mandanten bestehende Informationsgefälle, spielen. Aus der Sicht des EuGH sei es der Kommission nicht gelungen nachzuweisen, dass die italienischen Höchstgebühren den Zugang von Rechtsanwälten aus anderen Mitgliedsstaaten zum fraglichen italienischen Markt behindern. Der Umstand, dass in anderen Mitgliedsstaaten ein einfacheres System des anwaltlichen Gebührenrechts besteht, stellt für sich genommen noch keinen Verstoß gegen die Grundfreiheiten dar. In der Literatur wird die Entscheidung überwiegend als Beleg dafür genommen, dass das Deutsche Tarifsystem mit den Grundfreiheiten des AEUV vereinbar ist.3 Erneut bestätigt hat der EuGH diese Linie in der Entscheidung Kostas Konstantinides.4 In dem Vorlageverfahren ging es um die Frage, ob das deutsche Gebührensystem für Ärzte gegen die Berufsqualifikationsrichtlinie verstößt. Nachdem der EuGH dies verneint hat, führt er in einem obiter dictum aus, dass das ärztliche Gebührensystem zwar u.U. geeignet ist eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs in Sinne von Art. 56 AEUV darzustellen, jedoch aus Allgemeininteressen gerechtfertigt sein könnte.
36a
Die Entscheidung Konstantinides liegt auf einer Linie mit den anderen Entscheidungen des EuGH im Bereich des Gesundheitswesens. Auch hier hat EuGH bzw. der Generalanwalt einer reinen Marktgläubigkeit eine deutliche Absage erteilt. So hat der EuGH in der Entscheidung Doulamis das Werbeverbot für Freiberufler (Zahnärzte) gehalten.5 In seinem Schlussantrag hat Generalanwalt Bot betont, dass im Gegensatz zu anderen Dienstleistungen die Zahnbehandlung vom Patienten nicht in Anspruch genommen wird, um sich einen Wunsch zu erfüllen, sondern aus einer medizinischen Notwendigkeit. Dies und die Informationsasymmetrie rechtfertige eine Einschränkung der Dienstleistungsfreiheit.6
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Noch deutlicher kommen die Überlegungen Bots in seinen Schlussanträgen vom 16.12. 2008 zum Ausdruck, welche sich mit dem italienischen und dem deutschen Apothekenrecht befassen: „Zudem ist der Apotheker aus den vorgenannten Gründen eng in eine allgemeine Gesundheitspolitik eingebunden, die weitgehend unvereinbar mit der rein kaufmännischen Denkweise von Kapitalgesellschaften ist, die unmittelbar auf Rentabilität und Gewinn ausgerichtet sind. Der spezifische Charakter der dem Apotheker übertragenen Aufgabe erfordert demnach, dass dem Fachmann die für die Art seiner Tätigkeit nötige Unabhängigkeit zuerkannt und gewährleistet wird.“7
38
Angestellte Apotheker seien zwar auch gehalten, die für sie geltenden beruflichen und berufsethischen Regeln zu beachten. Jedoch würde von Angestellten nicht die Geschäftspolitik der Apotheke bestimmt werden und in der Praxis seien daher die Weisungen des Arbeitgebers zu befolgen. Folglich sei, so der Generalanwalt weiter, nicht auszuschließen, dass ein angestellter Apotheker, der in einer von einem Berufsfremden betriebenen Apotheke angestellt sei, dazu gebracht werde, das wirtschaftliche Interesse der Apotheke gegenüber den Erfordernissen, die mit der Ausübung einer pharmazeutischen Tätigkeit verbunden sei, in den Vordergrund zu stellen. Weiter sei nicht auszuschließen, dass ein berufsfremder Betreiber, welcher nicht über genügende berufliche Kompetenz verfüge, um zu beurteilen, was die Abgabe von Arzneimitteln erfordere, versucht sein könne, die Patientenberatung einzuschränken. Gleichfalls bestünde die Gefahr, dass wenig rentable Geschäftsbereiche, wie die Zubereitung von Arzneipräparaten, aufgegeben würden. Daraus ergäbe sich eine Qualitätsminderung bei der Arzneimittelabgabe, die ein angestellter Apotheker, der den Weisungen seines Arbeitgebers nachkommen müsse, schwerlich bekämpfen könne.8
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1 2 3 4 5 6 7 8
EuGH, NJW 2007, 281 (285). Hierzu auch Mailänder, 2007, 883 ff.; Lörcher, BRAK-Mitt. 2008, 2 ff. EuGH, Slg. I 2011, 2101 ff. Henssler, NJW 2011 1577 f.; Singer, DStR 2011, 1339 f.; a.A. Hellwig, AnwBl. 2011, 476. EuGH, Urt. v. 12.9.2013, Rs. C-475/11. EuGH, EuZW 2008, 351 f. Schlussantrag v. 22.11.2007 – C-446/05, Rz. 114 f. Schlussantrag v. 16.12.2008 – C-171/07, Rz. 52 und Schlussantrag v. 16.12.2008 – C 531/06, Rz. 90. Schlussantrag v. 16.12.2008 – C-171/07, Rz. 72 und Schlussantrag v. 16.12.2008 – C 531/06, Rz. 105.
Wolf 213
§ 2 BRAO Rz. 39a
Beruf des Rechtsanwalts
39a
In der Entscheidung Ottica New Line di Accardi Vincenzo hat der EuGH entschieden, dass ein Regionalgesetz nicht gegen die Dienstleistungsfreiheit verstößt, welches die Anzahl der Optikergeschäfte pro Einwohnerzahl begrenzt. Nach dem italienischen Regionalgesetz darf auf 8 000 Einwohner nur ein Optikergeschäft kommen. Diese Bestimmung schränke zwar die Niederlassungsfreiheit nach Art. 49 AEUV ein, sei aber aus zwingenden Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt, um eine flächendeckende Versorgung mit Optikergeschäften sicherzustellen.1
40
Damit wurde für den Bereich des Arzneimittelmarktes einer neoliberalen Wettbewerbsgläubigkeit eine klare Absage erteilt. Die Argumente lassen sich eins zu eins auf den Rechtsberatungsmarkt übertragen.
41
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der EuGH über die Argumentationsfigur des Allgemeininteresses an einer geordneten Rechtspflege, welche sowohl im Verbraucherinteresse als auch im Interesse der Rechtspflegeorgane liegt, eine Begründung gefunden hat, Einschränkungen der Dienstleistungsfreiheit im Sinne einer freiberuflichen Tätigkeit zu rechtfertigen. V. Gleicher Zugang zum Recht
41a
Der gleiche Zugang zum Recht, der nicht von der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Einzelnen abhängig ist, ist ein Fundamentalsatz des Rechtsstaatsprinzips.2 Rechtsanwälte haben bei der Absicherung des gleichen Zugangs zum Recht eine Monopolstellung inne. Dies gilt nicht nur für den Zivilprozess, soweit dort Postulationszwang besteht, sondern für alle anderen Verfahrensarten gleichermaßen. Zumindest faktisch kommt den Rechtsanwälten auch in diesen Verfahren eine Monopolstellung zu. Zwar ermöglicht die Verfahrensordnung außerhalb der ZPO neben der Eigenvertretung noch die Vertretung durch andere Personengruppen, wie z.B. Hochschullehrer.3 Einen eigentlichen Wettbewerb um die Prozessvertretung mit den Rechtsanwälten gibt es jedoch in diesem Bereich nicht – sieht man einmal von den Besonderheiten des arbeitsgerichtlichen Verfahrens und des finanzgerichtlichen Verfahrens mit der Konkurrenz durch Gewerkschaftsvertreter und Steuerberater ab.
41b
Die Monopolstellung in diesem Sinne bedeutet ein Doppeltes, nämlich in formaler und in inhaltlicher Hinsicht. Formal bedeutet die Monopolstellung, dass rechtliches Gehör nur (§ 78 ZPO) oder nahezu ausschließlich durch einen Rechtsanwalt (nach den übrigen Verfahrensordnungen und im amtsgerichtlichen Verfahren, sowie in den Fällen, in denen Erklärungen zu Protokoll der Geschäftsstelle abgegeben werden können) wahrgenommen werden kann.
41c
Materiell bedeutet das Monopol der Rechtsanwälte beim Zugang zum Recht, dass deren Tätigkeit Wirkung auf die richterliche Entscheidungsfindung entfaltet. Zwar ist in Deutschland das Bewusstsein und das Verständnis, dass anwaltliche Tätigkeit – auch unterhalb der Schwelle der Anwaltshaftung – die gerichtliche Entscheidung beeinflusst, unterentwickelt. Die Auffassung, dass die fehlerhafte Wiedergabe der höchstrichterlichen Rechtsprechung im Prozess den Tatbestand des Betrugs nicht erfüllen könne, weil die Gerichte zur eigenverantwortlichen Rechtsermittlung verpflichtet seien,4 ist Ausdruck dieses Denkens. In einem dialogischen Prozess der Rechtsgewinnung (siehe § 1 BRAO Rz. 17 ff. und Einl. Rz. 60 ff.), in dem semantischen Kampf um die Bedeutung der Worte im Verfahren kommt den Sprechakten der Verfahrensbeteiligten für das Ergebnis (Urteile) eine entscheidende inhaltliche Rolle zu. M.a.W. gleich der Notenverteilung in den Examina, wenngleich nicht zwingend deckungsgleich, gibt es gute und schlechte Anwälte, und gute Anwälte gewinnen für ihre Mandanten mehr Prozesse als schlechte. Da wir die Richtigkeit der richterlichen Entscheidung nicht objektiv messen können, vermag nur der Prozess selbst das „one right“ zu generieren, welches auch in hard cases der thesis im Sinne Dworkins anwortet.5 Aus der Perspektive des Mandanten verwirklicht der bessere Rechtsanwalt daher mehr Recht, verwirklicht mehr Zugang zum Recht als ein schlechterer Rechtsanwalt. 1 2 3 4
EuGH v. 26.9.2013, Rs. C-539/11, Rz. 36 ff.). BVerfGE 85, 337 (347); BVerfGE 81, 347 (356); BVerfGE 50, 217 (231). § 138–§ 140 StPO; § 78 ZPO; § 11 ArbGG; § 67 VwGO; § 62 FGO; § 73 SGG; § 22 BVerfGG. OLG Koblenz, NJW 2001, 1364. Vgl. zur amerikanischen Position nur Simon, 23 Geo. J. Legal Ethics (2010) 987 ff. 5 Dworkin, Bürgerrechte ernst genommen, 1990, S. 144 ff., geht davon aus, dass auch in schwierigen Fällen (hard cases) es nur eine richtige Entscheidung gibt (one right answer thesis). Die richtige Entscheidung könne mit Hilfe eines Regel/Prinzipien Modells gefunden werden. Allerdings ist dies nur der von Dworkin eingeführten Kunstfigur des „Herkules“ möglich, der über beliebig Zeit, Ressourcen und intellektuelle Kapazitäten verfügt.
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Beruf des Rechtsanwalts
Rz. 43 § 2 BRAO
Selbstverständlich lässt sich die unterschiedliche Kontingenz der Befähigungen nicht völlig egalisieren, um dem Postulat des gleichen Zugangs zum Recht zu entsprechen. Die im DRiG normierte einheitliche Ausbildung hat hier z.B. ihre verfassungsrechtliche Fundierung. Normativ aber bleibt die Frage, ob die unterschiedliche Kontingenz der Befähigung nach reinen Marktkriterien verteilt werden soll, oder ob der altruistischen Einstellung und der intrinsischen Motivation des Rechtsanwalts, dem Recht dienen zu wollen, Recht nicht als Ware zu behandeln, mehr Raum gegeben werden muss.
41d
Grundsätzlich folgt der Wettbewerb einem anderen Maßstab als das gemeinwohlorientierte Handeln des Staats. Im Wettbewerb ist das Handeln der Marktteilnehmer gedanklich alleine durch deren Gewinnstreben motiviert. Der inneren Logik des Marktmechanismus entspricht es, dass der Vertragspartner alleine nach dessen Preisangebot und nicht nach dessen Bedarf ausgewählt wird.1 Den Leistungsanbieter trifft dabei keine Verantwortung für eine flächendeckende universelle Versorgung.2 Im Gegensatz hierzu orientiert sich der Grundsatz des Gemeinwohls am Prinzip der Verhältnismäßigkeit und Erfolgsverantwortung.3 Das Recht ist dabei dem Gemeinwohlprinzip zugeordnet. Die Rechtsordnung schafft die Voraussetzungen für den Wettbewerb, nimmt aber am Wettbewerb selbst nicht teil. Während der Markt der Gewinnmaximierung verpflichtet ist, ist das Recht, so Kirchhof, die Kultur des Maßes, verlangt Rechtsanwendung Augenmaß und Abwägungskraft.4
41e
Rechtsanwälte sind aufgrund ihres Monopols für den gleichen Zugang zum Recht ein integraler Bestandteil des Rechtsstaats und nehmen damit an der Gemeinwohlverpflichtung teil. Andererseits ist der Rechtsanwalt aber notwendig unabhängig vom Staat. Um seine Funktion für den Rechtsstaat erfüllen zu können, muss er der staatlichen Kontrolle und Bevormundung entzogen sein.5 Mit der Chiffre des „Freien Berufs“ soll diese Paradoxie, einerseits der Gemeinwohlverpflichtung und anderseits nicht der staatlichen Kontrolle und Bevormundung zu unterliegen, also nicht Teil des Staates zu sein, aufgelöst werden. Wie dargestellt vermag ein rein am Marktparadigma ausgerichteter Anwaltsmarkt nach den eigenen Prämissen der Institutionenökonomie den gleichen Zugang zum Recht nicht sicherzustellen. Die viel grundsätzlichere Fragestellung dabei ist aber, ob mit der verfochtenen Ausdehnung des Marktparadigmas nicht nur das Ziel des gleichen Zugangs zum Recht verfehlt wird, sondern vielmehr der Zugang zum Recht selbst nur noch nach der Marktlogik erfolgen soll, m.a.W. nicht mehr die Gleichheit, sondern die Zahlungsfähigkeit und Zahlungsbereitschaft über den Zugang zum Recht entscheiden soll.6
41f
C. Schlussfolgerungen Nach § 2 BRAO soll die altruistische Einstellung und intrinsische Motivation die Grundlage des freien Berufes bilden; der Rechtsanwalt soll sich bei seiner Berufsausübung nicht ausschließlich vom Gewinnstreben leiten lassen. An der Richtigkeit der gesetzgeberischen Grundposition hat sich nichts geändert. Insbesondere vermag das Wettbewerbsparadigma nicht zu überzeugen, weil es an der Stetigkeit der Produktionskosten fehlt.7 Allerdings lässt sich eine altruistische Einstellung und intrinsische Motivation nicht staatlich erzwingen, wohl aber ist es möglich das individuelle Erfolgsstreben zu kanalisieren und zu sanktionieren.8
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I. Gewerbesteuer Nach § 2 Abs. 1 GewStG i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 2 und § 18 EStG unterliegt die freiberufliche Tätigkeit nicht der Gewerbesteuer. Dies verstößt nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz, weil sich die freien Berufe nach wie vor signifikant von den anderen Berufen unterschei1 Kirchhof, in: Kirchhof (Hrsg.), Gemeinwohl und Wettbewerb, 2004, S. 8. 2 Blanke/Thumfart, in: Blanke/Scherzberg/Wegner (Hrsg.), Dimension des Wettbewerbs, 2010, S. 14 ff. Kirchhof, in: Kirchhof (Hrsg.), Gemeinwohl und Wettbewerb, 2005, S. 18. 3 Kirchhof, in: Kirchhof (Hrsg.), Gemeinwohl und Wettbewerb, 2005, S. 8. 4 Kirchhof, in: Kirchhof (Hrsg.), Gemeinwohl und Wettbewerb, 2005, S. 9. 5 BVerfGE 34, 293 (320). 6 Grundlegend zur inneren Logik des Neoliberalismus Foucault, Die Geburt der Biopolitik, 3. Aufl. 2006, S. 367 ff.; Sandel, What Money can’t buy, 2012, passim und Drebra Satz, Why some things should not be for sale, 2010, passim. 7 Chr. Wolf, Recht durch Rechtsanwälte, in: 4. Zivilprozessrechts-Symposion, Bd. 16 der Schriftenreihe der BRAK, 2008, S. 1 (12 ff.). 8 Taupitz, Die Standesordnung der freien Berufe, 1991, S. 61.
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§ 2 BRAO Rz. 44
Beruf des Rechtsanwalts
den.1 Insbesondere der Charakter der Berufstätigkeit und die Bedeutung und Stellung des freien Berufs im sozialen Gefüge rechtfertigt eine unterschiedliche Behandlung.2 Die charakteristische Eigenart ergibt sich dabei zum einen aus der besonderen beruflichen Qualifikation. Zum anderen zeichnet die freien Berufe aus der Sicht des Bundesverfassungsgerichts aber auch die persönliche, eigenverantwortliche und fachlich unabhängige Tätigkeit sowie das höchstpersönliche Vertrauensverhältnis zum Auftraggeber aus. Hinzu kommen die spezifischen staatlichen und berufsautonomen Reglementierungen der freien Berufe, insbesondere im Hinblick auf berufliche Pflichten und Honorarbedingungen.3 44
Das Bundesverfassungsgericht hat sich mit seiner jüngsten Entscheidung gegen die in der Literatur zum Teil vertretene Konvergenztheorie gestellt. Danach hätten sich die Berufsbilder von freien Berufen und Gewerbetreibenden immer stärker angenähert, sodass eine unterschiedliche Behandlung nicht mehr gerechtfertigt sei.4
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Allerdings erklärt das Steuerrecht den Rechtsanwalt nicht unbedingt zum Freiberufler. Vielmehr enthält § 18 Abs. 1 EStG eine Öffnungsklausel. Nach dieser kann die eigentlich freiberufliche Tätigkeit in eine gewerbliche Tätigkeit umschlagen. Ursprünglich war dies bereits der Fall, wenn der Freiberufler seine eigene Arbeitskraft durch den Einsatz von vorgebildeten Hilfskräften ersetzt oder vervielfältigt.5 Nunmehr steht nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 EStG zwar die Mitwirkung von fachlich vorgebildeten Mitarbeitern einer freiberuflichen Tätigkeit nicht mehr im Weg, jedoch muss der Freiberufler weiterhin leitend und eigenverantwortlich tätig sein.6 Der Freiberufler hat dabei seine Tätigkeit so zu organisieren, dass das Ergebnis der Tätigkeit – trotz der Mitwirkung von fachlich vorgebildeten Mitarbeitern – noch seinen Stempel trägt. Der Freiberufler muss die uneingeschränkte fachliche Verantwortung übernehmen können.7 II. Betriebswirtschaftliche Steuerungsmodelle
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Hinter der Idee des freien Berufs steht die Vorstellung, dass sich der Freiberufler nicht nur vom Gewinnstreben leiten lässt, sondern seine Tätigkeit auch altruistisch und intrinsisch motiviert ist. Eine solche Motivation kann staatlicherseits nicht vorgeschrieben werden, der Staat kann aber Strukturen schaffen, die eine solche Haltung ermöglichen oder deutlich erschweren. Seit 1992 lässt der BGH in ständiger Rechtsprechung überörtliche Anwaltssozietäten zu.8 Dabei wurde weder vom BGH noch von der Literatur die Frage diskutiert, welche Auswirkungen dies auf die freiberufliche Stellung des Rechtsanwalts hat.9 Zwischenzeitlich sind aus den überörtlichen Sozietäten Mega-Law-Firms geworden.10 Allein die Umsätze der Law Firms sprechen eine deutliche Sprache. Der Marktführer machte 2012/2013 nach Angaben des Branchenblatts Juve einen Gesamtumsatz in Deutschland von 334 Mio. E Der Umsatz pro Berufsträger betrug bei dieser Kanzlei 732 000 E, der pro Equity-Partner 3 093 000 E.11 Bereits aus den Summen ist ablesbar, dass die Firmen nur noch durch hierarchische Strukturen steuerbar sind.12 So werden selbst nicht mehr alle Partner in die Entscheidungsfindungsprozesse einbezogen, sondern diese auf den Ebenen der Executive Partners oder der Practice Group Leaders getroffen.13 Dabei bedienen sich die Law Firms zur Steuerung eines Systems der „minimum billable hours“, deren Erfüllung computergestützt täglich, wöchentlich und jährlich genau überwacht wird.14 Selbst die Steuerung der Auswahl der Mandanten nach bestimmten Umsatzchancen und Umsatzentwicklungen soll üblich sein.
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Die rechtliche Beurteilung ist stark von der normativen Kraft des Faktischen geprägt. Den Ausgangspunkt der rechtlichen Beurteilung bildet die ursprüngliche Rechtsprechung 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14
BVerfG, NVwZ 2008, 1102 ff. zuvor bereits BVerfGE 46, 224 (240); BVerfGE 37, 38 (49). BVerfGE 37, 38 (49). BVerfG, NVwZ 2008, 1102 (1106). Jachmann, BB 2000, 1432 (1432) m.w.N. Vgl. Blümich/Hutter, 120. Ergänzungslieferung, 2013, § 18 EStG Rz. 55. Blümich/Hutter, 120. Ergänzungslieferung, 2013, § 18 EStG Rz. 56. Blümich/Hutter, 120. Ergänzungslieferung, 2013, § 18 EStG Rz. 58. BGHZ 119, 225 ff. Anders jedoch Stürner/Bormann, NJW 2004, 1481 (1485). Die Überlegungen von Schumann, Die überörtliche Anwaltssozietät, 1990, S. 157 f., zur betriebswirtschaftlichen Seite der Bildung überörtlicher Sozietäten wirken heute wie aus einer anderen Zeit. Juve Heft 10, 2013, S. 56 ff. S. auch Kirkland, 35 UMPSLR (2005) S. 631 (705 ff.). Stoller, Mega-lawyering in Europa, 2000, S. 103 ff. Zum Nachweis Stürner/Bormann, NJW 2004, 1481 (1485).
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Beruf des Rechtsanwalts
Rz. 51 § 2 BRAO
des BGH zur Möglichkeit eines Rechtsanwalts, ein Anstellungsverhältnis zu einer Steuerberatungsgesellschaft einzugehen.1 Eine solche Möglichkeit hat der BGH mit der Begründung abgelehnt, dass es dem Rechtsanwalt dann an der notwendigen Eigenverantwortlichkeit fehlt, von der das Berufsbild des Rechtsanwalts wesentlich geprägt wird. Diese Eigenverantwortlichkeit muss im Verhältnis des Raterteilenden zum Ratsuchenden bestehen.2 Die Entscheidung wird als Beleg dafür herangezogen, dass Anstellungsverträge zwischen Rechtsanwälten nicht als nichtig angesehen werden.3 Zugleich wird als mögliche Grenze des Direktionsrechts die berufsrechtswidrige Weisung angesehen.4 Genau an dieser Stelle liegt jedoch die Sollbruchstelle des Systems. Berufsrechtswidrig ist nicht nur eine Weisung, die gegen das „harte Berufsrecht“, wie es in § 49b BRAO kodifiziert ist, verstößt. Selbstverständlich zählen die §§ 1 bis 3 BRAO auch zum anwaltlichen Berufsrecht. Ist der einzelne Berufsträger jedoch nicht mehr frei, sich bei der Frage der Mandatsannahme und der Mandatsbearbeitung von nicht monetären Aspekten im Sinne der freiberuflichen Tätigkeit leiten zu lassen, liegt im Kern eine berufsrechtswidrige Weisung vor.5 Das bereits im Steuerrecht angesprochene Bild der freiberuflichen Tätigkeit kehrt hier wieder. Von freiberuflicher Tätigkeit kann nur dort gesprochen werden, wo die Organisationsform der Tätigkeit eine am Gemeinwohl orientierte Entscheidungsfindung der Berufsausübung zulässt.6 Ab einer bestimmten Größenordnung lässt jedoch das Steuerungssystem nur noch eine Steuerung an betriebswirtschaftlichen Kennzahlen zu.
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Neben der Gemeinwohlorientierung spricht auch das zwischen Rechtsanwalt und Mandant notwendige Vertrauensverhältnis7 gegen eine rein betriebswirtschaftliche Steuerung von Law Firms. Bereits Feuchtwanger hat deutlich gemacht, dass sich die anwaltliche Tätigkeit im Grunde nicht zur großbetrieblichen Konzentration eignet. Anwaltsgroßbetriebe würden zur Materialisierung der Berufsauffassung führen.8
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III. Angestellte Rechtsanwälte Die Macht des Faktischen ist bei der Frage, ob mit der freiberuflichen Tätigkeit die Beschäftigung von angestellten Rechtsanwälten vereinbar ist, am stärksten ausgeprägt.9 Dies gipfelt bei Kleine-Cosack einerseits in der Behauptung, dass die Stellung des Rechtsanwalts als unabhängiges Organ der Rechtspflege nicht die Eingehung eines weisungsgebundenen Abhängigkeitsverhältnisses und den Abschluss eines Arbeitsvertrags hindert. Anderseits stellt Kleine-Cosack aber gleichzeitig fest, dass die Unabhängigkeit des angestellten Rechtsanwalts weitgehend auf dem Papier steht.10
50
Auch die Rechtsprechung geht ohne vertiefte Begründung davon aus, dass der Beruf des Rechtsanwalts auch als angestellter Rechtsanwalt ausgeübt werden kann. Charakteristisch für die wenig ausgeprägte Rechtsprechung hierzu ist die Entscheidung des LAG Düsseldorf,11 welches ohne vertiefte Auseinandersetzung mit der Literatur12 von der Zulässigkeit der Tätigkeit ausgeht. Zwar – so das LAG Düsseldorf – gäbe es wenige Entscheidungen zu dieser Frage, jedoch läge dies sicherlich daran, dass die Möglichkeit von Angestelltenverträgen eines Rechtsanwalts mit einem anderen Rechtsanwalt oder mit Rechtsanwaltssozietäten als selbstverständlich angesehen werde. Das Spannungsverhältnis zwischen der Weisungsunterworfenheit des Rechtsanwalts als Angestellter und der Weisungsungebundenheit als Organ der Rechtspflege sah das LAG Düsseldorf zwar, löste aber das Dilemma nicht auf. „Die insoweit bestehende Weisungsgebundenheit des angestellten Rechtsanwalts betrifft al-
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BGHZ 65, 238. BGHZ 65, 238. Vossebürger, in: Feuerich/Weyland, § 2 Rz. 18; Kleine-Cosack, Vor § 59a Rz. 79. Hartung/Scharmer, § 26 Rz. 45; Vossebürger, in: Feuerich/Weyland, § 2 Rz. 23. A.A. Henssler/Prütting/Busse, § 2 Rz. 22, mit dem Argument, dass aus §§ 1 bis 3 BRAO keine konkreten Maßstäbe abzuleiten seien, dass und wie viel Eigenverantwortung dem angestellten Rechtsanwalt zu belassen sei. Es geht jedoch nicht um einen konkreten Maßstab, sondern um die Negation des in § 1 bis § 3 BRAO formulierten Leitbildes. Vgl. zum Gemeinwohlansatz bei der Gewerbesteuerfreiheit Feuchtwanger, JW 1928, 937 (940). Vgl. hierzu Fuhrmann, Rechtstellung des angestellten Rechtsanwalts, 1989, S. 134. Feuchtwanger, Die freien Berufe, 1922, S. 290 f. Vgl. in diesem Sinne bereits Fuhrmann, Rechtstellung des angestellten Rechtsanwalts, 1989, S. 80. Kleine-Cosack, Vor § 59a Rz. 79 und Rz. 84. NZA-RR 2002, 567 (568); vgl. auch bejahend, ohne das Thema der anwaltlichen Unabhängigkeit zu thematisieren LAG Berlin, NZA-RR 1987, 488 (489); LAG Thüringen, NZA-RR 1998, 296 f. Vgl. zum Nachweis Fuhrmann, Rechtstellung des angestellten Rechtsanwalts, 1989, S. 80 ff.
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§ 2 BRAO Rz. 52
Beruf des Rechtsanwalts
lein die arbeitsvertraglichen Beziehungen der Parteien und damit das Innenverhältnis. Seine Stellung im Außenverhältnis als unabhängiges Organ der Rechtspflege i.S. des § 1 BRAO bleibt hiervon unberührt.“1 52
Entgegen dem LSG Bayern,2 lässt sich auch weder aus § 46 BRAO noch aus § 47 BRAO etwas für die Zulässigkeit der Tätigkeit als angestellter Rechtsanwalt herleiten.3 Vielmehr sprechen beide Normen bei Lichte betrachtet eindeutig gegen eine Tätigkeit als angestellter Rechtsanwalt. Dort nämlich, wo der Rechtsanwalt in einem Weisungsverhältnis als Syndikus steht, darf er nicht als Rechtsanwalt tätig werden.4 Noch deutlicher tritt der Gedanke auf dem Boden der herrschenden Doppelberufstheorie hervor. Danach übt der Syndikus zwei Berufe aus. Hauptberuflich ist er als angestellter Rechtsberater und nicht als Rechtsanwalt für seinen Arbeitgeber tätig und nebenberuflich als selbstständiger Rechtsanwalt.5 Mehrfach hat der BGH dabei festgehalten, dass ein festes Anstellungsverhältnis der anwaltlichen Unabhängigkeit abträglich ist.6 Dies entspräche nicht dem anwaltlichen Berufsbild, wie es in der Vorstellung der Allgemeinheit besteht, nämlich dem des unabhängigen, freiberuflich tätigen Rechtsanwalts.7
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Gegen diese Rechtsprechungen lässt sich nicht einwenden, dass auch der Syndikusanwalt eigenverantwortlich beraten müsse und gegebenenfalls seine rechtlichen Bedenken gegen bestimmte Wünsche des Dienstherrn zu artikulieren und niederzulegen habe.8 Zwar ist richtig, dass der Syndikusanwalt hierzu aufgrund seines Dienstvertrages verpflichtet ist. Gleichfalls richtig an der Argumentation Redekers ist, weder der Rechtsanwalt noch der Syndikusanwalt verhindern, dass der Dienstherr bzw. der Mandant sich gegen die rechtliche Beratung entscheidet. Völlig unterschiedlich ausgeprägt ist jedoch die Stellung von Syndikus und Rechtsanwalt ab diesem Zeitpunkt. Der Hinweis, dass der Auftraggeber Anwalt wie Berater wechseln könne, verkennt die existenzielle wirtschaftliche Abhängigkeit des Arbeitnehmers, welche den Syndikus zwangsläufig in eine stärker abhängige Stellung bringt. Hiergegen lässt sich auch nicht ins Feld führen, dass auch frei praktizierende Anwälte, die ihre Rechtsberatung auf einige wenige Mandanten mit Beratungsverträgen beschränkt haben, ähnlichen existenziellen Bindungen unterliegen.9 Deutlicher lässt sich der Schluss vom Faktischen auf das Normative (naturalistischer Fehlschluss), der für die Diskussion um die Rolle des Rechtsanwalts als angestellter Rechtsanwalt allenthalben herrscht, nicht veranschaulichen.10
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Gleichfalls lässt sich die h.M. nur schwer in Einklang bringen mit den von der Rechtsprechung aufgestellten Anforderungen an den Erstberuf, die Voraussetzung für die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nach § 7 Nr. 8 BRAO sind.11 Zwar hat das Bundesverfassungsgericht die ursprüngliche Rechtsprechung des BGH beanstandet, wonach der Rechtsanwalt im Zweitberuf eine gehobene Stellung einnehmen muss.12 Ausdrücklich gebilligt wurde jedoch die damit verbundene Zielsetzung, die Freiheit und Unabhängigkeit der anwaltlichen Berufsausübung zu gewährleisten.13 Von daher ist die Argumentation auch nicht überzeugend, dass ein Verbot der Tätigkeit als angestellter Rechtsanwalt gegen Art. 12 GG verstoßen würde.14
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Die Grundsatzfrage, ob die Position eines angestellten Rechtsanwalts mit der anwaltlichen Unabhängigkeit, mit dem freien Beruf, vereinbar ist, lässt sich – entgegen einer weit verbreiteten Ansicht – nicht durch einen größtmöglichen Autonomiebereich des angestellten Rechtsanwalts lösen. Dabei wird eine Einschränkung des Direktionsrechts des Rechtsanwalts als Arbeitgeber gegenüber dem Rechtsanwalt als Arbeitnehmer in zwei unterschiedlich weiten Ansichten befürwortet. Die weiter gehende Ansicht will den angestellten Rechtsanwalt von fachlichen Weisungen frei stellen. Mit seiner Stellung als unabhängiges Organ der 1 LAG Düsseldorf, NZA-RR 2002, 567 (568). 2 Die Entscheidung des BSG, BB 1981, 1581 f. verweist hinsichtlich der Zulässigkeit der Tätigkeit des Rechtsanwalts als angestellter Rechtsanwalt lediglich auf BSG, VersR 1970, 125, welche gleichfalls keine vertiefte Auseinandersetzung mit der Frage beinhaltet. 3 LSG Bayern v. 14.12.2001 – L 4 KR 147/99; genauso SG Braunschweig v. 9.3.2004 – S 6 KR 164/00. 4 Vgl. BT-Drs. 12/7656, S. 49: „Das in den §§ 1–3 BRAO normierte Berufsbild des Rechtsanwalts … (ist) mit der Tätigkeit unvereinbar …, wenn der Syndikus im Rahmen seines Dienstvertrags als Anwalt auftritt.“ 5 BGH, NJW 1999, 1715 (1716); BGH, NJW 2000, 1645; MüKo-BGB/Henssler, § 627 BGB Rz. 19 m.w.N. 6 BGH, NJW 1999, 1715 (1716); BGH, NJW 2011, 1517. 7 BGH, NJW 2003, 2750 (2751). 8 So aber Redeker, NJW 2004, 889 (892). 9 So aber Redeker, NJW 2004, 889 (892). 10 Ähnlich Henssler, RdA 1999, 38 (39) „Berufsrechtliche Bedenken, sind durch die Praxis schlicht überholt“. 11 Vgl. § 7 BRAO Rz. 64. 12 BVerfG, NJW 1993, 317. 13 BVerfG, NJW 1993, 317 (320). 14 So aber Fuhrmann, Rechtstellung des angestellten Rechtsanwalts, 1989, S. 90 f.
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Beruf des Rechtsanwalts
Rz. 60 § 2 BRAO
Rechtspflege sei es nicht vereinbar, wenn der Rechtsanwalt fachlichen Weisungen unterläge, wie ein Mandat zu bearbeiten sei. Derartige Weisungen seien vom Direktionsrecht nicht gedeckt und unbeachtlich.1 Der Ansicht kann wohl aus zwei Gründen nicht gefolgt werden. Der erste Grund liegt in der Haftung des Arbeitgeber-Rechtsanwalts. Der Kanzleiinhaber haftet für die anwaltliche Tätigkeit seines angestellten Rechtsanwalts dem Mandanten gegenüber (vgl. Schultz, Zivilrechtliche Haftung, Rz. 394 ff.).2 Haftet der Arbeitgeber-Rechtsanwalt, muss er auch die Möglichkeit haben durch Weisungen seine Haftungsrisiken zu vermeiden. Der zweite Grund, der einer so weitgehenden Einschränkung des Direktionsrechts widerspricht, liegt in der eigenen berufsrechtlichen Stellung des Arbeitgeber-Rechtsanwalts begründet. Als Rechtsanwalt unterliegt der Arbeitgeber gleichfalls der beruflichen Unabhängigkeit. Deutlich kam dies in § 61 der Richtlinien zur Ausübung des Anwaltsberufs für die Rechtsanwälte in der britischen Zone zum Ausdruck: „Der Anwalt muss im Verhältnis zu seinen Angestellten sich völlige Freiheit der Berufsausübung erhalten …“3 Schränkt man jedoch das Direktionsrecht dergestalt ein, dass sich der Arbeitgeber-Rechtsanwalt gegenüber seinem angestellten Mitarbeiter nicht mehr über Weisungen, wie das Mandat zu bearbeiten ist, durchsetzen kann, ist dessen eigene anwaltliche Unabhängigkeit nicht mehr gewahrt.4
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Aber auch die weniger weitgehende Einschränkung des Direktionsrechts des ArbeitgeberRechtsanwalts stößt auf Bedenken. Nach dieser Ansicht endet das Direktionsrecht bei berufsrechtswidrigen Weisungen.5 Der Ansicht liegt ein verkürztes bzw. schlicht falsches Berufsrechtsverständnis zugrunde. Zu dem anwaltlichen Berufsrecht gehört nämlich auch, sich bei der Frage der Mandatsannahme nicht vom Gewinnstreben eines Gewerbetreibenden als primäres Motiv leiten zu lassen und zur Übernahme von Beratungshilfe bzw. PKH-Mandaten bereit zu sein. Mit dieser Entscheidung ist aber wiederum die wirtschaftliche Basis der Kanzlei des Arbeitgeber-Rechtsanwalts betroffen, sodass die Entscheidung grundsätzlich diesem vorbehalten sein muss.
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Keinen Ausweg aus dem Dilemma stellt in diesem Zusammenhang die Argumentation dar, auf die Unabhängigkeit des angestellten Rechtsanwalts komme es nicht an, weil er nur den Weisungen des dem anwaltlichen Berufsrecht unterworfenen Arbeitgeber-Rechtsanwalts unterliege.6 Weder § 1 noch § 2 BRAO sprechen von der Rechtsanwaltschaft, sondern von dem individuellen Rechtsanwalt. Folglich kann man die Unabhängigkeit des angestellten Rechtsanwalts mit der Unabhängigkeit des Arbeitgeber-Rechtsanwalts nicht rechtfertigen.
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Die Problematik der Vereinbarkeit der anwaltlichen Unabhängigkeit mit dem Status eines angestellten Rechtsanwalts wird auch durch die Anwendung des ArbZG auf diese Tätigkeit und der daraus resultierenden Verpflichtung, nicht länger als 8 Stunden am Tag zu arbeiten, veranschaulicht.7
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Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass sich berufsrechtlich die Tätigkeit als angestellter Rechtsanwalt im Kern nicht begründen lässt. Zwar spricht die Satzungsermächtigung in § 59b Abs. 2 Nr. 8 BRAO dafür, dass auch der Gesetzgeber möglicherweise die normative Kraft des Faktischen anerkannt hat. Jedoch lässt sich wohl weder aus dem Wortlaut des § 59 Abs. 2 Nr. 8 BRAO „… die Pflichten im Zusammenhang mit der Beschäftigung von Rechtsanwälten“ noch aus der Gesetzesbegründung8 etwas Definitives über die Zulässigkeit der Beschäftigung eines Rechtsanwalts als Angestellter und nicht als freier Mitarbeiter schließen. Die über das Direktionsrechts verbundene Freiheitseinschränkung widerspricht den Vorstellungen von der Unabhängigkeit des angestellten Rechtsanwalts. Ein weitgehender Verzicht auf das Direktionsrecht des Arbeitgeber-Rechtsanwalts widerspricht dessen anwaltlicher Unabhängigkeit. Beides in Einklang zu bringen gleicht der Quadratur des Kreises. Im Wesentlichen bleibt – erkennt man mit der Rechtswirklichkeit an, dass es angestellte Rechtsanwälte gibt – nur übrig den angestellten Rechtsanwälten einen Autonomiespielraum zuzusichern, der deren anwaltliche Unabhängigkeit soweit wie möglich wahrt, ohne in die anwaltliche Unabhängigkeit des Arbeitgeber-Rechtsanwalts zu sehr einzugreifen.
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1 Henssler/Prütting/Busse, § 1 Rz. 54; Henssler, RdA 1999, 38 (39 f.); Fuhrmann, Rechtstellung des angestellten Rechtsanwalts, 1989, S. 127 ff. 2 Z.B. Borgmann, NJW 2006, 415 (416). 3 Zitiert nach Cüppers, Rechtsanwaltsordnung für die britische Zone, 1949, S. 206. 4 Knief, AnwBl. 1985, 58 (59); Hartung/Scharmer, § 26 BORA Rz. 58 ff. 5 Vossebürger, in: Feuerich/Weyland, § 2 Rz. 23; Hartung/Scharmer, § 26 BORA Rz. 45. 6 Knöfel, in: Beilage zu Heft 5/2006, NJW 20, 21. 7 Vgl. § 26 BORA Rz. 8 S. 222. 8 BT-Drs. 12/4993, S. 35.
Wolf 219
§ 2 BRAO/§ 26 BORA Rz. 1
Rechtsanwälte und andere Mitarbeiter
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Beschäftigung von Rechtsanwälten und anderen Mitarbeitern 26 BORA (1) Rechtsanwälte dürfen nur zu angemessenen Bedingungen beschäf1
tigt werden. 2Angemessen sind Bedingungen, die
a) eine unter Berücksichtigung der Kenntnisse und Erfahrungen des Beschäftigten und des Haftungsrisikos des beschäftigenden Rechtsanwalts sachgerechte Mandatsbearbeitung ermöglichen, b) eine der Qualifikation, den Leistungen und dem Umfang der Tätigkeit des Beschäftigten und den Vorteilen des beschäftigenden Rechtsanwalts aus dieser Tätigkeit entsprechende Vergütung gewährleisten, c) dem beschäftigten Rechtsanwalt auf Verlangen angemessene Zeit zur Fortbildung einräumen und d) bei der Vereinbarung von Wettbewerbsverboten eine angemessene Ausgleichszahlung vorsehen. (2) Der Rechtsanwalt darf andere Mitarbeiter und Auszubildende nicht zu unangemessenen Bedingungen beschäftigen. A. Allgemeines/Historische Entwicklung . . I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . II. Historisches . . . . . . . . . . . . . . B. I. II. III.
Einzelerläuterungen . . . . . . . . . Drittwirkung der Vorschrift . . . . . . Freier Mitarbeiter . . . . . . . . . . Arbeitsvertragliche Ausgestaltung der Vertragsbeziehungen des beschäftigten Rechtsanwalts . . . . . . . . . . . . 1. Entlohnung (§ 26 Abs. 1 lit. b BRAO). .
1 1 3
. . .
4 4 6
. .
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2. 3. 4. 5. 6.
Arbeitsschutzgesetze. . . . . . . . . . Sachgerechte Mandatsbearbeitung . . . Fortbildung . . . . . . . . . . . . . . Wettbewerbsverbot . . . . . . . . . . Genehmigungspflicht von Nebentätigkeit und Fachveröffentlichungen . . . . . . IV. Arbeitsvertragliche Ausgestaltung der Vertragsbeziehungen der anderen Mitarbeiter des Rechtsanwalts . . . . . . .
8 9 10 11 12
14
A. Allgemeines/Historische Entwicklung I. Allgemeines 1
Ausgehend von der Satzungsermächtigung in § 59b Abs. 2 Nr. 8 BRAO hat die Satzungsversammlung in § 26 BORA in vager Form die anwaltlichen Berufspflichten gegenüber seinem anwaltlichen Mitarbeiter, § 26 Abs. 1 BORA, und seinen übrigen Mitarbeitern, § 26 Abs. 2 BORA, umschrieben. § 26 Abs. 1 BORA unterscheidet dabei nicht zwischen freien Mitarbeitern und angestellten Rechtsanwälten. Die Vorschrift eröffnet im Fall des Verstoßes die Möglichkeit einer berufsrechtlichen Sanktion gegen den Arbeitgeber-Rechtsanwalt. Strittig ist, ob ein Verstoß gegen die Vorschrift zugleich zivilrechtliche Auswirkungen auf das individuelle Arbeitsverhältnis hat, weil hierdurch zugleich ein Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot im Sinne von § 134 BGB gegeben oder die Verletzung eines Schutzgesetzes im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB zu sehen sei.1
2
Neben § 26 BORA wurde die berufsrechtliche Stellung der anwaltlichen Mitarbeiter auch noch in § 3 Abs. 2 BORA (Vertretung widerstreitender Interessen), § 8 BORA (Kundbarmachung der beruflichen Zusammenarbeit mit angestellten Rechtsanwälten und freien Mitarbeitern), § 9 BORA (Aufnahme von angestellten Rechtsanwälten und freien Mitarbeitern in die Kanzleikurzbezeichnung) sowie § 10 BORA (Benennung eines in die Kanzleikurzbezeichnung aufgenommen Mitarbeiters auf dem Briefbogen, sowie Benennung von ausgeschiedenen Mitarbeitern auf dem Briefbogen) geregelt. Bezüglich der nichtanwaltlichen Mitarbeiter wurden in § 27 BORA (Beteiligung Dritter) und § 28 BORA (Ausbildungsverhältnisse) noch Regelungen getroffen. II. Historisches
3
Da ursprünglich die Beschäftigung von Rechtsanwälten im Angestelltenverhältnis überwiegend abgelehnt wurde,2 gab es zunächst kein historisches Vorbild für diese Regelung ins1 Verneinend Henssler, AnwBl. 2000, 213 (216 ff.); ausführlich zum Stand der Meinungen Filges, NZA 2011, 234 ff.; Sagel, Die Beschäftigung des Rechtsanwalts zu angemessenen Bedingungen, 2007, S. 98 ff. 2 Heilberg, JW 1932, 1100 f.; vgl. hierzu auch Sagel, Die Beschäftigung des Rechtsanwalts zu angemessenen Bedingungen, 2007, S. 52.
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Rechtsanwälte und andere Mitarbeiter
Rz. 6 § 26 BORA/§ 2 BRAO
gesamt. Allerdings haben in die Standesrichtlinien von Anfang an Regelungen Eingang gefunden, welche den Rechtsanwälten eine Verpflichtung im Rahmen der Ausbildung des juristischen Nachwuchses und im Umgang mit Kanzleimitarbeitern auferlegten.1 Erstmals wurde die Verpflichtung angemessene Vertragsbedingungen und ein ausreichendes Entgelt mit den anwaltlichen Mitarbeitern zu vereinbaren in § 72a der Standesrichtlinien von 1963 in der Fassung vom 1.1.1969 aufgenommen.2 Die Erstreckung dieser Verpflichtung auf nicht juristische Mitarbeiter erfolgte auch in den Standesrichtlinien vom 21.6.1973 nicht. Allerdings sahen die Standesrichtlinien vor, dass der Rechtsanwalt seine Unabhängigkeit auch gegenüber den Kanzleimitarbeitern wahren muss.3 Eine entsprechende Regelung ist in die BORA nicht mehr eingeflossen. B. Einzelerläuterungen I. Drittwirkung der Vorschrift Ein Verstoß gegen § 26 BORA führt nach § 134 BGB im Ergebnis zur Anwendung von § 612 BGB bzw. zur Teilnichtigkeit der ungemessenen Arbeitsbestimmung.4 Nachdem es sich bei der BORA nicht mehr um Standesrecht, sondern um Satzungsrecht aufgrund einer gesetzlichen Ermächtigung handelt, kann der Rechtsnormcharakter der Vorschrift im Sinne von Art. 2 EGBGB im Grunde nicht mehr ernsthaft bestritten werden.5 Gegen den Verbotsnormcharakter lässt sich auch nicht einwenden, der Satzungsversammlung würde es an der Kompetenz fehlen die zivilrechtlichen Rechtsbeziehungen der Kammermitglieder zu Dritten zu regeln.6 Die zivilrechtlichen Folgen ordnet nämlich nicht § 26 BORA, sondern § 134 BGB an.7 Gleichfalls spricht gegen die hier vertretene Lösung nicht, dass sich § 26 BORA nur an Mitglieder der Rechtsanwaltskammer richtet, also ein einseitiges Verbot darstellt. Hieraus lässt sich nichts Gegenteiliges über den Verbotscharakter einer Norm folgern.8 Die Auslegung von § 26 BORA ergibt, dass dieser Beschäftigungsverhältnisse, welche unter keine angemessenen Bedingungen erfolgen, unterbinden will. Der Schutzzweck ergibt weiter, dass die Beschäftigungsverhältnisse nicht im Ganzen unwirksam sind, sondern nur die ungemessenen Bedingungen.9
4
Gleiches hat für § 823 Abs. 2 BGB zu gelten. Auch hier entfaltet § 26 BORA als Schutzgesetz zivilrechtliche Wirkung.10
5
Ein Verstoß gegen § 134 BGB i.V.m. § 26 BORA setzt im Gegensatz zu § 138 BGB nicht eine subjektive Tatbestandskomponente voraus.11 Des Weiteren ist die Schwelle zur Angemessenheit niedriger als die Schwelle zur Sittenwidrigkeit, d.h. eine Vergütung kann bereits unangemessen im Sinne von § 26 BORA sein, aber noch nicht sittenwidrig.12 II. Freier Mitarbeiter § 26 BORA spricht allgemein von Beschäftigten und nicht von Angestellten. Die Vorschrift bezieht sich daher sowohl auf angestellte Rechtsanwälte als auch auf freie Mitarbeiter.13 Ob 1 Regelung in der Richtlinie für die Ausübung des Anwaltsberufs von der Reichs-Rechtsanwaltskammer, C IV. und J., abgedruckt bei Noack, ReichsRechtsanwaltsordnung, 2. Aufl. 1937, S. 259. S. auch Richtlinien für die Ausübung des Anwaltsberufs, aufgestellt von der Vereinigung der Vorstände der Anwaltskammern der Britischen Zone, C. IV. und J. 2 Lingenberg/Hummel/Zuck/Eich, § 81 Rz. 5. 3 Vgl. Lingenberg/Hummel/Zuck/Eich, § 86 Rz. 1 ff. 4 Wie hier Sagel, Die Beschäftigung des Rechtsanwalts zu angemessenen Bedingungen, 2007, S. 135 ff., so auch Filges, NZA 2011, 234 (241). 5 BGH, NJW 2003, 3692 f. (zur BORA, jedoch im Konkreten die Wirkung des § 134 BGB verneinend zu § 12 BORA); BGH, NJW 1986, 2360; BayObLG, NJOZ 2000, 902; MüKo-BGB/Armbrüster, § 134 BGB Rz. 30. 6 So aber insbesondere Taupitz, JZ 1994, 221 (226). 7 BayObLG, NJOZ 2000, 902; MüKo-BGB/Armbrüster, § 134 BGB Rz. 30; vgl. auch Beater, AcP 197 (1997), 505 (525); a.A. Henssler, AnwBl. 2000, 213 (217); Taupitz, JZ 1994, 221 (226). 8 MüKo-BGB/Armbrüster, § 134 BGB Rz. 48 m.w.N.; Sagel, Die Beschäftigung des Rechtsanwalts zu angemessenen Bedingungen, 2007, S. 123 ff. 9 Allgemein MüKo-BGB/Armbrüster, § 134 BGB Rz. 79 f. und Rz. 105 ff. 10 Sagel, Die Beschäftigung des Rechtsanwalts zu angemessenen Bedingungen, 2007, S. 188; allgemein zum Schutzgesetzcharakter der Satzungen der Kammern MüKo-BGB/Wagner, 6. Aufl. 2013, § 823 BGB Rz. 390 f.; a.A. Henssler, AnwBl. 2000, 213 (218); Henssler/Prütting/Busse, § 26 BORA Rz. 8 f. 11 MüKo/Armbrüster, § 138 BGB Rz, 129 ff.; BGH, NZA 2010, 595. 12 Henssler, MDR 2002, 315 (316). 13 Hartung/Scharmer, § 26 BORA Rz. 246.
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§ 2 BRAO/§ 26 BORA Rz. 7
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ein freier Mitarbeitervertrag oder ein angestellter Rechtsanwaltsvertrag vorliegt, entscheidet sich nicht nach der Bezeichnung des Vertrags, sondern nach den tatsächlichen Verhältnissen.1 Die Stellung des angestellten Anwalts ist einerseits vom Gesellschafter und anderseits vom freien Mitarbeiter abzugrenzen. Anhaltspunkte für ein freies Mitarbeiterverhältnis dürften sein, ob der Betreffende bereits auf dem Briefbogen geführt wird, über einen eigenen Mandantenstamm verfügt und entsprechend des Umsatzvolumens bezahlt wird.2 Vom Innenverhältnis ist die Haftung des Scheinsozius im Außenverhältnis zu unterscheiden.3 III. Arbeitsvertragliche Ausgestaltung der Vertragsbeziehungen des beschäftigten Rechtsanwalts 1. Entlohnung (§ 26 Abs. 1 lit. b BRAO) 7
Nach einer Untersuchung von Hommerich/Kilian zur Berufssituation junger Anwälte mit Arbeitsvertrag beträgt das durchschnittliche Jahresbruttogehalt von angestellten Rechtsanwälten in Einzelkanzleien 28 800 Euro und von freien Mitarbeitern in Einzelkanzleien 28 100 Euro.4 Unter Heranziehung dieser Untersuchung sowie vorangegangener Entscheidungen kommt der AnwGH Nordrhein-Westfalen zu dem Ergebnis, dass ein Einstiegsgehalt von einem nicht weiter qualifizierten Rechtsanwalt als Berufseinsteiger von 2 300 Euro brutto im Monat das Richtmaß für ein angemessenes Gehalt ist, mithin ein monatliches Bruttogehalt von 1 000 Euro gegen § 26 BORA verstößt.5 Bereits zuvor hat das LAG Hessen eine übliche Vergütung eines angestellten Rechtsanwalts im ersten Berufsjahr von 2 800 Euro brutto bei einer 35 Stunden Woche als übliche Vergütung im Sinne von § 612 Abs. 2 BGB angesehen.6 2. Arbeitsschutzgesetze
8
Erkennt man grundsätzlich an, dass die Tätigkeit eines Rechtsanwalts auch als Angestellter einer Rechtsanwaltskanzlei ausgeübt werden kann, müssen selbstverständlich auf dieses Arbeitsverhältnis alle einschlägigen Arbeitsschutzgesetze, wie Mutterschutzgesetz, Bundesurlaubsgesetz oder das Arbeitszeitgesetz, Anwendung finden. Soweit der Arbeitsschutz für leitende Angestellte gelockert ist, z.B. in § 18 Abs. 1 Nr. 1 ArbZG bezüglich des Arbeitszeitgesetzes, dürften angestellte Rechtsanwälte regelmäßig hiervon nicht erfasst sein, weil sie in den meisten Fällen keine leitenden Angestellten sind.7 3. Sachgerechte Mandatsbearbeitung
9
Nach § 26 Abs. 1 lit. a BORA ist dem Rechtsanwalt die Möglichkeit zur sachgerechten Mandatsbearbeitung zu geben. Die BORA stellt die berufsrechtliche Verpflichtung, dem beschäftigten Rechtsanwalt die Möglichkeit der sachgerechten Mandatsbearbeitung zu eröffnen, in einen Zusammenhang mit dem Haftungsrisiko. Hierdurch kann aber der grundsätzliche Konflikt der wechselseitigen Haftungsproblematik zwischen angestelltem Rechtsanwalt und anstellendem Rechtsanwalt nicht aufgelöst werden.8 Allerdings kann das Haftungsrecht eine gewisse Orientierung liefern. Dem beschäftigten Rechtsanwalt ist all dasjenige zur Verfügung zu stellen, was erforderlich ist, damit eine Anwaltshaftung nicht ausgelöst wird. Hierzu zählt insbesondere die erforderliche neueste Rechtsprechung und Literatur sowie die entsprechende Zeit, diese zur Kenntnis nehmen zu können. 4. Fortbildung
10
Nach § 26 Abs. 1 lit. c BORA ist dem beschäftigten Rechtsanwalt angemessene Zeit zu Fortbildung einzuräumen. Mit dieser Vorschrift soll sichergestellt werden, dass zwischen den vertraglichen Verpflichtungen des Beschäftigungsverhältnisses und der berufsrechtlichen Verpflichtung zur Fortbildung nach § 43a Abs. 6 BRAO kein Widerspruch besteht. Al1 2 3 4 5 6 7 8
OLG Brandenburg, NJW 2002, 1659; BAG, NJW 1998, 3661. Vgl. von der Recke, in: Beck’sches Rechtsanwaltshandbuch, 9. Aufl. 2007, N Rz. 149. Vgl. Rz. 9. Hommerich/Kilian/Dreske (Hrsg.), Statistisches Jahrbuch der Anwaltschaft 2007/2008, 2008, Tab. 5.3.1., S. 103. NJW 2008, 669 f. bestätigt durch den BGH, NZA 2010, 595. LAG Hessen, NJW 2000, 3372, hierzu auch Seul, NJW 2002, 197. Henssler/Prütting/Hartung, § 59a Rz. 164; Hartung/Scharmer/Nerlich, § 26 BORA Rz. 44. S. bereits Rz. 6.
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lerdings ist aus § 43a Abs. 6 BRAO kein konkreter Maßstab zu gewinnen, in welchem Umfang die Fortbildung zu erfolgen hat. Lediglich für die Fachanwaltschaft besteht ein solcher Maßstab in § 15 FAO. Dem angestellten Rechtsanwalt ist die Möglichkeit der Fortbildung in seiner Arbeitszeit einzuräumen.1 Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob der Rechtsanwalt die Fortbildungszeit auch vergütet bekommt. Im Grundsatz wird Scharmer zu folgen sein, dass die Abwägung zugunsten der Vergütungspflicht umso mehr ausfallen muss, als die Fortbildung im Interesse des Arbeitgebers liegt.2 5. Wettbewerbsverbot § 26 Abs. 1 lit. d BORA setzt ein zivilrechtlich und berufsrechtlich zulässiges Wettbewerbsverbot voraus.3 Die Vorschrift regelt lediglich die berufsrechtliche Ausgleichszahlungspflicht im Falle eines wirksam vereinbarten Wettbewerbsverbots.
11
6. Genehmigungspflicht von Nebentätigkeit und Fachveröffentlichungen Die arbeitsvertragliche Vereinbarung der Genehmigungspflicht von Nebentätigkeiten eines angestellten Rechtsanwalts ist solange unproblematisch, als es sich bei der genehmigungspflichtigen Nebentätigkeit nicht um eine anwaltliche Tätigkeit handelt. Soweit über die Genehmigungspflicht echte berufsrechtliche Interessenskonflikte im Sinne von § 43a Abs. 4 BRAO verhindert werden sollen, dürfte hiergegen nicht zu erinnern sein. Soweit hierdurch jedoch lediglich eine Kanzleipolitik abgesichert werden soll („Unsere Kanzlei vertritt nur Arbeitgeber“), verstößt eine solche Genehmigungspflicht gegen die Stellung des Rechtsanwalts als unabhängiges Organ der Rechtspflege. Über die Frage, welche Mandate der angestellte Rechtsanwalt außerhalb seines Angestelltenverhältnisses wahrnimmt, muss er insoweit frei entscheiden können.
12
Gleiches hat auch bezüglich der Fachveröffentlichungen des angestellten Rechtsanwalts zu gelten. Zwar wird im Arbeitsrecht die Ansicht vertreten, dass es zulässig sei, den Arbeitnehmer arbeitsvertraglich zu verpflichten bei Veröffentlichungen und Vorträgen vorab die Genehmigung des Arbeitgebers einzuholen, um sicher zu stellen, dass die Veröffentlichungen oder Vorträge die berechtigten Interessen des Arbeitgebers nicht berühren.4 Auf die Tätigkeit eines angestellten Rechtsanwalts lässt sich dies jedenfalls nicht übertragen. Kanzleien sind kein Tendenzbetrieb. Mit der Stellung des Rechtsanwalts als freier Beruf und Organ der Rechtspflege ließe sich eine derartige Verpflichtung nicht vereinbaren.5 Selbstverständlich unterliegt der angestellte Rechtsanwalt allerdings auch bei seinen Fachveröffentlichungen der anwaltschaftlichen Verschwiegenheitspflicht. D.h. er darf internes Tatsachenwissen nicht verwenden. Daran eine bestimmte Rechtsansicht zu vertreten, ist er jedoch auch unter dem Gesichtspunkt keine widerstreitenden Interessen vertreten zu dürfen nicht gebunden.
13
IV. Arbeitsvertragliche Ausgestaltung der Vertragsbeziehungen der anderen Mitarbeiter des Rechtsanwalts Die berufsrechtliche Verpflichtung zur Ausgestaltung des Beschäftigungsverhältnisses mit den übrigen Mitarbeitern der Kanzlei hat in § 26 Abs. 2 BORA eine eigene Regelung gefunden, weil diese Beschäftigungsverhältnisse nicht durch die besondere berufsrechtliche Stellung des beschäftigten Rechtsanwalts, der gleichfalls Organ der Rechtspflege ist, überformt sind. Zu den angemessenen Bedingungen der Beschäftigung im Sinne von § 26 Abs. 2 BORA zählt, wie bei der Beschäftigung des Rechtsanwalts, sicherlich die Verpflichtung zu einer angemessenen Vergütung und die Möglichkeit der Fortbildung. Bezüglich der Auszubildenden wird dies noch durch § 28 BORA ergänzt, welcher den Rechtsanwalt berufsrechtlich dazu verpflichtet sicherzustellen, dass die Beschäftigung das Ausbildungsziels erreicht.
14
Keinen Eingang in die BORA hat die ursprünglich in § 86 Abs. 1 der Standesrichtlinien geregelte Verpflichtung gefunden, dafür Sorge zu tragen, dass man sich gegenüber den Mitarbeitern die völlige Freiheit der Berufsausübung erhält und jede wirtschaftliche Abhängigkeit ver-
15
1 2 3 4 5
Hartung/Scharmer, § 26 Rz. 84 ff. Hartung/Scharmer, § 26 Rz. 88. Hierzu ausführlich § 3 BRAO Rz. 48 ff. Reinfeld, in: Moll (Hrsg.), Münchner Anwaltshandbuch Arbeitsrecht, 2012, § 33 Rz. 71. A.A. Lingemann/Winkel, NJW 2009, 483.
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§ 2 BRAO/§ 26 BORA Rz. 16
Rechtsanwälte und andere Mitarbeiter
meidet. Vielmehr lässt in bestimmtem Umfang § 27 BORA ein am Unternehmenserfolg orientiertes Mitarbeitervergütungssystem zu.1 16
Die hinter § 86 Abs. 1 der Standesrichtlinien stehende Problematik besteht aber nach wie vor. Der Fokus lag, bevor es zur Bildung von Law Firms kam, bei der Abhängigkeit von Kanzleivorstehern, welche z.B. über Darlehen die Kanzlei finanzierten.2 Heute gewinnt die Abhängigkeit des Rechtsanwalts von betriebswirtschaftlichen Steuerungseinheiten in Großkanzleien, wie den Business Development Abteilungen, größere Bedeutung. In welchem Umfang hiervon eine Bedrohung der anwaltlichen Unabhängigkeit ausgehen kann, ist derzeit noch nicht hinreichend erforscht. zur Beratung und Vertretung 3 BRAO Recht (1) Der Rechtsanwalt ist der berufene unabhängige Berater und Vertreter in allen Rechtsangelegenheiten.
(2) Sein Recht, in Rechtsangelegenheiten aller Art vor Gerichten, Schiedsgerichten oder Behörden aufzutreten, kann nur durch ein Bundesgesetz beschränkt werden. (3) Jedermann hat im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften das Recht, sich in Rechtsangelegenheiten aller Art durch einen Rechtsanwalt seiner Wahl beraten und vor Gerichten, Schiedsgerichten oder Behörden vertreten zu lassen. A. Allgemeines/Historie . . . . . . . . . . I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . II. Gesetzgebungsgeschichte. . . . . . . .
1 1 6
B. Tätigkeitsgebiet des Rechtsanwalts . . .
11
C. Institutionelle Garantie der Rechtsanwaltschaft . . . . . . . . . . . . . . I. Die Rechtsanwaltschaft als Form der institutionellen Autonomiegewährung . . II. Verfassungsrechtliche Fundierung . . . . D. Beratungs- und Vertretungsrecht des Rechtsanwalts . . . . . . . . . . . . . I. Vertretungsverbote i.S.v. § 114 Abs. 1 Nr. 4 BRAO . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Vorläufige Vertretungsverbote nach §§ 150 ff. BRAO . . . . . . . . . . . . . III. Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen nach § 43a Abs. 4 BRAO . . . IV. Versagung der Berufstätigkeit wegen anderweitiger Vorbefassung, § 45 BRAO . V. Tätigkeitsverbot des Syndikusanwalts, § 46 BRAO . . . . . . . . . . . . . . .
21 23 28 37 39 40 41 42 43
VI. Umfassende Rechtsberatung als zugelassener Rechtsanwalt und Geschäftsführer einer Steuerberatungsgesellschaft VII. Kommunalrechtliches Vertretungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Untersagung bestimmter Tätigkeiten bei Ruhestandsbeamten . . . . . . . . IX. Vertragliches Wettbewerbsverbot . . . X. Ausschluss als Verteidiger nach § 138a und § 138b StPO . . . . . . . . . . . E. Anspruch auf Rechtsberatung und -vertretung durch einen Rechtsanwalt I. Schiedsverfahren . . . . . . . . . . II. Schlichtungsverfahren. . . . . . . . III. Vereinsgerichte . . . . . . . . . . . IV. Verwaltungsverfahren . . . . . . . . V. Kirchliche Verfahren . . . . . . . . VI. Verzicht auf freie Anwaltswahl . . . . VII. Einschränkung der freien Anwaltswahl im Fall der Beiordnung . . . . . . . VIII. Wettbewerbsverbote . . . . . . . .
44 45 46 48 51
52 . . 54a 55 . . 56 60 . . 61 63 . . .
66 67
A. Allgemeines/Historie I. Allgemeines 1
§ 3 Abs. 1 BRAO ergänzt die Programmsätze von § 1 und § 2 BRAO, indem hier zum ersten Mal der Gegenstand benannt wird, auf den sich die Tätigkeit des Rechtsanwalts als Organ der Rechtspflege bezieht. § 3 Abs. 1 BRAO umreißt folglich den Wirkungskreis des Rechtsanwalts. Dieser umfasst die Beratung und Vertretung in allen Rechtsangelegenheiten. Damit wird zweierlei ausgedrückt, nämlich zum einen, dass sich die anwaltliche Tätigkeit auf Rechtsangelegenheiten bezieht. Die Rechtsangelegenheiten sind von anderen Beratungsund Vertretungsangelegenheiten abzugrenzen. Dabei entfaltet das RDG eine komplementäre Funktion. Erst die Zusammenschau von BRAO und RDG ergibt das Verbot mit Erlaubnisvorbehalt. Das RDG sichert daher die wirtschaftsaufsichtsrechtlichen Maßnahmen der BRAO ab, indem § 3 RDG das allgemeine Verbot der Erbringung der Rechtsdienstleistung statuiert, soweit nicht nach dem RDG oder nach anderen Gesetzen die Rechtsdienstleistung 1 Vgl. § 27 BORA Rz. 2 S. 46. 2 Vgl. Lingenberg/Hummel/Zuck/Eich, § 86 Rz. 5 ff.
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Recht zur Beratung und Vertretung
Rz. 5 § 3 BRAO
erlaubt ist.1 Folglich konturiert der Begriff der Rechtsdienstleistung nach § 2 RDG den Begriff der Rechtsangelegenheiten im Sinne von § 3 Abs. 1 BRAO und umgekehrt. Die lediglich den Rechtsanwälten vorbehaltenen Rechtsangelegenheiten sind dabei insbesondere von der rein wirtschaftlichen Beratung abzugrenzen. Zum anderen ergibt sich aus dem Programmsatz des § 3 Abs. 1 BRAO, dass der Rechtsanwalt nicht auf bestimmte Rechtsangelegenheiten beschränkt, sondern der berufenen Berater und Vertreter in allen Rechtsangelegenheiten ist. Hiergegen kann nicht eingewandt werden, der Umfang, die Schwierigkeit und die Komplexität unserer heutigen Rechtsordnung würden es unmöglich machen, dass jeder Rechtsanwalt auf jedem Gebiet gleichermaßen kundig ist.2 Die mit diesem Hinweis eingeforderte Spezialisierung ist zunächst keine abschließende, sondern ein während des gesamten Berufslebens offener Prozess. Sich wandelnde Mandantenstruktur sowie rechtliche und wirtschaftliche Entwicklungen erfordern Umorientierung und Neuanpassung. Die rechtswissenschaftliche Ausbildung des Rechtsanwalts mit dem damit verbundenen Anspruch der souveränen Beherrschung der Methodik soll dies gerade sicherstellen (vgl. zur Ausbildung § 4 BRAO Rz. 14 ff., 39). Zum zweiten macht die Bestimmung deutlich, dass dem einzelnen Rechtsanwalt nicht entgegen gehalten werden kann, er könne einen Fall nicht übernehmen, weil er auf diesem Gebiet kein Spezialist oder Fachanwalt ist. Schließlich trägt die Vorschrift auch der inneren Konsequenz des Rechts Rechnung. Ob ein Fall ein rechtliches Problem ist, kann nur aus der Gesamtheit der Rechtsordnung heraus beantwortet werden.3 Z.B. entscheidet sich ein arbeitsrechtlicher Fall nicht im Arbeitsrecht, sondern im Strafrecht; ein strafrechtlicher Fall ist nur mit Hilfe des Aktienrechts zu lösen usw. Die juristische Spezialisierung darf nicht dazu führen, dass sich der Rechtsanwalt selbst zum bloßen Rechtskundigen macht (vgl. zum Begriffsgegensatz zwischen Rechtskunde und Rechtswissenschaft, § 4 BRAO Rz. 39). Vielmehr erfordert gerade, wie § 3 Abs. 1 BRAO indirekt voraussetzt, die anwaltliche Tätigkeit den wissenschaftlich ausgebildeten Volljuristen, der – trotz aller Spezialisierung – die Verbindungslinien zu erkennen vermag, um zu verstehen, dass ein Fall ein juristisches Problem ist.
2
Schließlich wird aus der Wendung „berufene Berater und Vertreter“ bereits gefolgert werden können, dass in § 3 Abs. 1 BRAO bereits die in § 43a Abs. 6 BRAO geregelte Fortbildungspflicht angelegt ist (vgl. zur Fortbildungspflicht § 43a BRAO Rz. 110 ff.).
3
Im Gegensatz zu dem allgemeinen Programmsatz des § 3 Abs. 1 BRAO, welcher keine subsumierbare Eingriffsnorm darstellt,4 formulieren § 3 Abs. 2 BRAO und § 3 Abs. 3 BRAO subjektive Rechte des Rechtsanwalts und des Bürgers. Dabei postuliert § 3 Abs. 2 BRAO zunächst das umfassende Beratungs- und Vertretungsrecht des Rechtsanwalts in allen Rechtsangelegenheiten. Verfassungsrechtlich ist das Berufsbild des Rechtsanwalts durch Art. 12 Abs. 1 GG abgesichert.5 § 3 Abs. 3 BRAO formuliert hingegen den Rechtsanspruch des Bürgers sich durch einen Rechtsanwalt in allen Rechtsangelegenheiten vertreten und beraten zu lassen. In doppelter Hinsicht steht dieser Rechtsanspruch des Bürgers gegenüber dem Beratungs- und Vertretungsrecht des Rechtsanwalts bislang im Schatten. Zum einen ist die verfassungsrechtliche Fundierung dieses Rechtsanspruchs bislang umstritten.6 Zum anderen wurde das anwaltliche Berufsrecht fast ausschließlich auf der Folie des Art. 12 GG entwickelt und nicht zumindest auch auf der Folie des verfassungsrechtlich verbürgten Anspruchs des Bürgers auf anwaltlichen Beistand.7 Zwar hat bereits Gneist die Forderung erhoben, dass die Bedürfnisse der Rechtsuchenden über die Gestaltung der Rechtsanwaltschaft zu entscheiden haben.8 Jedoch wurde von dieser Seite das anwaltliche Berufsrecht bislang kaum durchdacht.
4
§ 3 Abs. 2 und 3 BRAO beziehen sich nur auf die öffentlich-rechtliche Berechtigung als Berater und Vertreter tätig zu werden oder einen solchen einschalten zu können, nicht jedoch auf das in der Regel privatrechtlich geregelte Mandatsverhältnis, welches den Rechtsanwalt
5
1 Wolf, NJW Sonderheft, 4. Hannoveraner ZPO-Symposion 2008, 21 (22); Nelte, Das Berufsbild des Rechtsanwalts als Auslegungshilfe für den Rechtsbesorgungsbegriff, 2007, S. 133. 2 In diesem Sinne Vossebürger, in: Feuerich/Weyland, § 3 Rz. 7; Kleine-Cosack, § 3 Rz. 2. 3 Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. II, 1965, S. 296. 4 Nelte, Das Berufsbild des Rechtsanwalts als Auslegungshilfe für den Rechtsbesorgungsbegriff, 2007, S. 144. 5 BVerfGE 22, 114 (119 f.); BVerfG, NJW 2000, 2660 f.; Vossebürger, in: Feuerich/Weyland, § 3 Rz. 12; SchmidtBleibtreu/Hofmann/Hopfauf/Hofmann, Art. 12 GG Rz. 63, 68. 6 Vgl. Kleine-Cosack, § 3 Rz. 5. 7 Vgl. Wolf, in: FS Schneider, 2008, S. 414 (416 ff.). 8 Gneist, Freie Advocatur, 1867, S. 58.
Wolf 225
§ 3 BRAO Rz. 6
Recht zur Beratung und Vertretung
aufgrund des zwischen ihm und dem Mandanten abgeschlossenen Anwaltsvertrags zum Tätigwerden verpflichtet. Ein Kontrahierungszwang besteht dabei in der Regel nicht, vgl. § 44 BRAO.1 II. Gesetzgebungsgeschichte 6
Die Reichsrechtsanwaltsordnung von 1878 kannte keinen allgemeinen Programmsatz, der § 3 Abs. 1 BRAO entsprechen würde. Allerdings fand § 3 Abs. 2 BRAO einen Vorläufer in § 26 RAO. Die Vorschrift lautete: „Aufgrund der Zulassung bei einem Gericht ist der Rechtsanwalt befugt, in den Sachen, auf welche die Strafprozessordnung, die Zivilprozessordnung und die Konkursordnung Anwendung finden, vor jedem Gericht innerhalb des Reichs Vertheidigungen zu führen, als Beistand aufzutreten und insoweit eine Vertretung durch Anwälte nicht geboten ist, die Vertretung zu übernehmen.“2
7
Die Beschränkung der Regelung auf die prozessualen Befugnisse der Rechtsanwälte im Rahmen der Reichsjustizgesetze hatte kompetenzrechtliche Gründe. Bereits der Gesetzgeber wollte damit nicht den Wirkungskreis der anwaltlichen Tätigkeit einschränken.3 Zugleich verdeutlicht die Norm den engen inhaltlichen Zusammenhang, in dem die RAO mit dem GVG stand.
8
Der Programmsatz des § 3 Abs. 1 BRAO wurde erstmals fast wortgleich durch das zweite Gesetz zur Änderung der Rechtsanwaltsordnung vom 13.12.19354 bzw. durch die Neufassung der Reichsrechtsanwaltsordnung vom 21.2.19365 in die RRAO als Präambel vor § 1 RRAO eingefügt.6 Am gleichen Tag wie das zweite Gesetz zur Änderung der Rechtsanwaltsordnung wurde auch das Rechtsberatungsmissbrauchsgesetz verkündet.7 Beide Gesetze standen in einem engen inhaltlichen Zusammenhang. Sie waren Teil der Politik des Nationalsozialismus, systematisch die Freie Advocatur zu beseitigen, indem man jüdischen und politisch missliebigen Rechtsanwälten die Zulassung entzog und die übrige Anwaltschaft auf die Ziele des Nationalsozialismus zu verpflichten suchte.8 Sie waren aber auch Teil der Doppelstrategie des NS-Regimes, welche versuchte andererseits wirtschaftliche Forderungen der Anwaltschaft zu erfüllen.9 Insbesondere das Rechtsberatungsgesetz könnte sich auf Vorüberlegungen während der Weimarer Republik beziehen. Dabei war das Rechtsberatungsgesetz eine Reaktion auf die Missstände im Bereich der Rechtskonsulenten.10 Einen direkten Vorläufer findet § 3 BRAO in § 2 der Rechtsanwaltsordnung für die Britische Zone. Die Vorschrift lautete: „§ 2 [Beratungs- und Vertretungsrecht] (1) Der Rechtsanwalt ist der berufene unabhängige Berater und Vertreter in allen Rechtsangelegenheiten. (2) Jedermann hat das Recht, sich in Angelegenheiten aller Art durch einen Rechtsanwalt seiner Wahl vor Gericht, Behörden, Schiedsgerichten sowie sonstigen Einrichtungen des öffentlichen Lebens vertreten zu lassen. Dieses Recht kann nur durch ein Gesetz beschränkt werden.“
9
Die Vereinigung der Rechtsanwaltskammern in der britischen Zone hat erfolglos den Versuch unternommen § 2 Abs. 2 nicht aus der Perspektive des rechtsuchenden Bürgers, sondern ausschließlich aus der Perspektive des Rechtsanwalts zu formulieren, wie dies nunmehr in § 3 Abs. 2 BRAO erfolgt ist.
10
Die jetzige Fassung von § 3 BRAO entspricht noch der ursprünglichen Fassung der Bundesrechtsanwaltsordnung vom 1.8.1959.11
1 Vgl. jedoch für die Prozessvertretung, § 48 BRAO Rz. 2 und die Beratungshilfe, § 49a BRAO Rz. 1 f. 2 RGBl. 1878, S. 177. 3 Drucksache des Reichstags, 3. Leg. Per. II Session, 1878, Bd. 53 Nr. 5, S. 80; vgl. auch Friedlaender, 3. Aufl. 1930, § 26 Rz. 1. 4 RGBl. I 1935, S. 1470. 5 RGBl. I 1936, S. 107. 6 Vgl. Noack, Reichs-Rechtsanwaltsordnung, 2. Aufl. 1937, S. 18. 7 RGBl. I 1935, S. 1478. 8 Ausführlich Rücker, Rechtsberatung, 2007, S. 154 ff. 9 Vgl. hierzu Rücker, Rechtsberatung, 2007, S. 210 ff. 10 Rücker, Rechtsberatung, 2007, S. 397. 11 BGBl. I 1959, S. 565.
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Recht zur Beratung und Vertretung
Rz. 14 § 3 BRAO
B. Tätigkeitsgebiet des Rechtsanwalts In § 3 BRAO wird erstmalig die Tätigkeit des Rechtsanwalts näher beschrieben. Die Vorschrift ist in einem engen inhaltlichen Zusammenhang mit dem RDG zu sehen. Der Gesetzgeber ging von einem sehr umfänglichen Tätigkeitsgebiet des Rechtsanwalts aus. Aufgrund der Mannigfaltigkeit der anwaltlichen Tätigkeit hat er auf eine Festlegung nach Sachgebieten verzichtet.1 Neben der forensischen Tätigkeit und den in § 3 Abs. 2 und 3 BRAO genannten Tätigkeiten als Vertreter vor Schiedsgerichten und Behörden fallen unter die anwaltliche Tätigkeit all jene Tätigkeiten, die Rechtsfragen aufwerfen und deshalb eine rechtliche Beistandspflicht erfordern.2 Im Zweifel wird ein Rechtsanwalt als Rechtsanwalt beauftragt, weil der Auftraggeber in der Regel erwartet, dass der Rechtsanwalt im Fall seiner Beauftragung auch die rechtlichen Interessen des Auftraggebers wahrnimmt.3 Daher kann der Vertragsgegenstand auch anwaltsfremde Maßnahmen umfassen, falls diese in einem engen inneren Zusammenhang mit der rechtlichen Beistandspflicht stehen und auch Rechtsfragen aufwerfen.4 Tritt hingegen die Rechtsbetreuung völlig in den Hintergrund und ist deshalb unwesentlich, liegt keine anwaltliche Tätigkeit mehr vor.5
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Hieraus folgt, dass in einer ganzen Reihe von Tätigkeiten – je nachdem wie weit das Rechtsberatungselement in den Hintergrund tritt – entweder noch eine anwaltliche Tätigkeit vorliegen kann oder der Bereich der anwaltlichen Tätigkeit bereits verlassen worden ist. So kann der Vertrag als Treuhänder sowohl als Rechtsanwaltsvertrag als auch als reiner Treuhandvertrag ohne Rechtsberatungselement abgeschlossen werden.6 Gleiches gilt für den Vermögensverwaltungsvertrag7 und der Übernahme einer Bürgschaft.8 Des Weiteren ist nach der Ausgestaltung des Vertrags bei einem Anlageberatungsvertrag9 und einer vereinbarten Maklertätigkeit10 zu entscheiden. Der Rechtsanwalt ist nach § 3 Nr. 1 StBerG zur Hilfeleistung in Steuersachen befugt. Die Patentanwaltsordnung schränkt § 3 BRAO nicht ein, wie sich aus § 3 Abs. 5 PAO ergibt.
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Zwar ist im Zweifel davon auszugehen, dass ein mit einem Anwalt geschlossener Vertrag ein Anwaltsvertrag ist,11 jedoch darf eine anwaltsfremde Tätigkeit nicht zur anwaltlichen erklärt werden, um den Rechtsanwalt unter das anwaltliche Berufsrecht zu zwingen. Der Rechtsanwalt kann hinsichtlich seiner anwaltlichen Tätigkeit einerseits nicht aus seiner berufsrechtlichen Bindung fliehen. Anderseits ist das Spannungsverhältnis zwischen der berufsrechtlichen Bindung und der Zweittätigkeit nicht dadurch zu lösen, dass man den Anwalt auch bezüglich der Zweittätigkeit unter das anwaltliche Berufsrecht zwingt. Die entscheidende Weichenstellung enthalten vielmehr § 7 Nr. 8; § 14 Abs. 2 Nr. 8; § 45 BRAO. Um den Konflikt zwischen der anwaltlichen Berufstätigkeit und der nichtanwaltlichen Berufstätigkeit aufzulösen, bedient sich das Gesetz eines zweistufigen Systems. Auf der ersten Ebene sind all diejenigen Tätigkeit per se auszuscheiden, die mit der anwaltlichen Tätigkeit grundsätzlich unvereinbar sind, also die in § 7 Nr. 8 und § 14 Abs. 2 Nr. 8 BRAO angesprochenen unvereinbaren Berufe. Auf der zweiten Ebene wird im Einzelfall eine anwaltliche Tätigkeit wegen einer Vorbefassung oder eines Interessenkonflikts aufgrund der außeranwaltlichen Tätigkeit ausgeschlossen. Unter diese zweite Ebene lässt sich auch der umgekehrte Fall fassen, dass es dem Rechtsanwalt aufgrund der anwaltlichen Vorbefassung untersagt ist, die außeranwaltliche Tätigkeit wahrzunehmen, § 45 Abs. 2 BRAO (hierzu § 45 Rz. 42 ff.).
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Nicht als anwaltliche Tätigkeit können die amtlichen oder amtsähnlichen Berufe wie Insolvenzverwalter, Testamentsvollstrecker, Betreuer begriffen werden. Die Frage ist allerdings in der Literatur und Rechtsprechung umstritten.12 Der BGH hat, bezogen auf einen als
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BT-Drs. 3/120, S. 49. BGH, NJW 1999, 3040 (3042). BGH, NJW 1999, 3040 (3042). BGH, NJW 1998, 3486. BGH, NJW 1999, 3040 (3042). BGH, NJW 1995, 1025 (1027). BGH, NJW 1994, 1405; BGH, NJW 1967, 876. BGH, NVersZ 1998, 132. BGH, NJW 1980, 1855. BGH, NJW 1985, 2642; BGH, NJW 1992, 681; OLG Hamm, NJW-RR 1995, 951. BGH, NJW 1999, 3040 (3042). BVerfG, NJW 2004, 2725 (2727); BGH, NJW 2004, 1057 (1058); Deckenbrock/Fleckner, NJW 2005, 1165 (1167 f.); Jungk, AnwBl. 2004, 117 (118); Blümle, in: Braun, 5. Aufl. 2012, § 56 Rz. 17.
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§ 3 BRAO Rz. 15
Recht zur Beratung und Vertretung
Insolvenzverwalter tätigen Wirtschaftsprüfer, entschieden, dass die Insolvenzverwaltung dem Beruf des Wirtschaftsprüfers zuzuordnen ist und daher auch nach den für diesen Beruf geltenden Vorschriften zu beurteilen sei.1 Bezogen auf den praktischen Tätigkeitsnachweis für den Fachanwalt für Insolvenzrecht führt der BGH aus: „Bei einem Fachanwalt für Insolvenzrecht muss sie sich auf die typischen Funktionen beziehen, die ein Rechtsanwalt in einem Insolvenzverfahren wahrzunehmen haben kann. Das ist in erster Linie eine Tätigkeit als (vorläufiger) Insolvenzverwalter und in zweiter Linie eine Tätigkeit als Sachwalter oder als Vertreter des Schuldners.“2 15
Weder die beiden Entscheidungen des BGH noch die in der Literatur3 vorgebrachten Argumente, welche sich insbesondere auf § 5 lit. g Nr. 1 FAO beziehen,4 vermögen zu überzeugen. Sicherlich ließen sich bei der Anwendung des anwaltlichen Berufsrechts auf die amtlichen oder amtsähnlichen Berufe einige Bestimmungen des Berufsrechts ausklammern.5 Problematisch ist es jedoch, wenn auch zentrale Vorschriften des anwaltlichen Berufsrechts wie die Schweigepflicht von der Anwendung ausgenommen werden müssten. Die Rechtsprechung geht aber davon aus, dass dem Insolvenzverwalter kein Zeugnisverweigerungsrecht im Sinne von § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO zusteht.6 Auch für den Schadenersatzprozess im Zivilrecht nimmt der BGH an, dass kein Zeugnisverweigerungsrecht besteht.7
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In die gegenteilige Richtung weist auch nicht die Entscheidung des BGH zur zwangsweisen Durchsetzung der Auskunftsansprüche gegenüber dem Gemeinschuldner.8 In der Entscheidung ging es um die Frage, in welchem Umfang der Gemeinschuldner, der Internist war, Patientendaten dem Insolvenzverwalter zu offenbaren hatte. Der BGH bejahte dies zutreffend mit der durch den Insolvenzverwalter sichergestellten vertraulichen Behandlung der Daten.9 Indem Bork § 299 ZPO heranzieht, um einen Maßstab zu gewinnen, in welchem Umfang der Insolvenzverwalter auskunftspflichtig und berechtigt ist, weist er in die richtige Richtung.10 Es kann kein Zweifel darüber bestehen, dass der Insolvenzverwalter die im Rahmen der Insolvenz erlangten Information vertraulich behandeln muss und nur für die Zwecke des Insolvenzverfahrens verwenden darf.11
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Jedoch handelt es sich hierbei kategorial um eine völlig andere Verpflichtung als jene Verschwiegenheitspflicht, welcher der Rechtsanwalt unterliegt. Wie das Bundesverfassungsgericht mehrfach festgestellt hat, ist das Vertrauensverhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandant für die anwaltliche Berufstätigkeit unentbehrlich. Grundlage dieses Vertrauensverhältnisses ist die Verschwiegenheitspflicht des Rechtsanwalts.12 Bezogen auf den Insolvenzverwalter fehlt es jedoch nicht nur an einer solchen Vertrauensbeziehung, die Grundlage des anwaltlichen Mandatsverhältnisses ist.13 Nach § 80 InsO geht mit der Insolvenzeröffnung die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den Insolvenzverwalter über. Er trifft nun die Entscheidungen, er berät nicht nur wie der Rechtsanwalt. Es kann daher nicht darum gehen, die im Rahmen des Insolvenzverfahrens erlangten Erkenntnisse des Insolvenzverwalters, so von einer prozessrechtlichen Verwertung abzuschirmen, wie dies im Fall der Verschwiegenheitspflicht des Anwalts der Fall ist. Eine hiervon zu sondernde Frage ist, ob im Fall der Insolvenz eines Rechtsanwalts der Insolvenzverwalter den gleichen Verschwiegenheitspflichten unterworfen werden muss wie der insolvent gewordene Rechtsanwalt.14
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Auch geht der Gesetzgeber selbst an mehreren Stellen davon aus, dass die amts-ähnlichen oder amtlichen Tätigkeiten nicht als anwaltliche Tätigkeit zu begreifen sind. Nach § 1 Abs. 2 RVG findet das RVG keine Anwendung auf die Tätigkeit des Rechtsanwalts als Vor1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14
BGH, NJW 2005, 1057 (1058). BGH, BRAK-Mitt. 2007, 166 (168). Henssler, ZIP 2002, 1053 ff.; Prütting, ZIP 2002, 1165 (1168). Henssler, ZIP 2002, 1053 (1065). So Henssler, für die Verjährungsvorschrift des § 51b BRAO ZIP 2002, 1053 (1064). LG Aachen, ZIP 1988, 111. BGH, NZI 2005, 628 (629). BGHZ 162, 187 (194). Eine vergleichbare Problematik lag jeweils der Entscheidung des BGH, ZIP 2004, 915 (917) und des BFH, ZIP 2000, 1262 (1263) zugrunde. Bork, ZIP 2007, 793 (795 f.). So z.B. BGH, ZIP 2004, 915 (917). BVerfGE 108, 150 (161 f.); BVerfGE 113, 29 (49 f.); BVerfGE 110, 226 (252). Deckenbrock/Fleckner, ZIP 2005, 2291 (2297). Offengelassen BGHZ 141, 173 (179).
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Recht zur Beratung und Vertretung
Rz. 23 § 3 BRAO
mund, Betreuer, Pfleger, Verfahrenspfleger, Testamentsvollstrecker, Insolvenzverwalter, Sachwalter, Mitglied des Gläubigerausschusses, Nachlassverwalter, Zwangsverwalter, Treuhänder oder Schiedsrichter oder für eine ähnliche Tätigkeit. Einer eigenen gesonderten Regelung neben dem in § 43a Abs. 4 BRAO angeordneten Verbot widerstreitende Interessen zu vertreten, wie sie in § 45 BRAO getroffen wurde, hätte es nicht bedurft, wenn die Tätigkeit als anwaltliche Tätigkeit zu begreifen wäre.1 Aus § 5 lit. g Nr. 1 FAO wird man hingegen nichts ableiten können. Mit dem Beruf des Rechtsanwalts ist der Zweitberuf des Insolvenzverwalters vereinbar. Zwar spricht die FAO davon, dass der zukünftige Fachanwalt als Rechtsanwalt als Insolvenzverwalter tätig geworden sein muss. Der Satzungsgeber vermag sich aber nicht über die gesetzlichen Wertungen hinwegzusetzen.
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Eine besondere Regelung hat die anwaltliche Tätigkeit des Syndikusanwalts in § 46 BRAO gefunden (vgl. § 46 BRAO Rz. 8 ff.).
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C. Institutionelle Garantie der Rechtsanwaltschaft § 3 Abs. 2 und 3 BRAO formulieren den öffentlich-rechtlich zu denkenden Anspruch des Rechtsanwalts in Rechtsangelegenheiten aller Art vor Gerichten, Schiedsgerichten oder Behörden vertreten zu dürfen sowie den gleichfalls öffentlich-rechtlich zu denkenden Anspruch des Bürgers, sich durch einen Rechtsanwalt vertreten zu lassen. Grundvoraussetzung hierfür ist aber, dass der Bürger sich zum Mandanten eines Anwalts machen kann. Es bedarf also wissenschaftlich ausgebildeter, hinreichend qualifizierter Rechtsanwälte, damit der Bürger von seinem in § 3 Abs. 3 BRAO formulierten Recht, sich anwaltlich vertreten und beraten lassen zu können, Gebrauch machen kann. M.a.W., ohne die Institution der Rechtsanwaltschaft würden die in § 3 BRAO angesprochenen subjektiven Rechte leer laufen. Vielfach wird daher eine institutionelle Garantie der Rechtsanwaltschaft gefordert.2 Um von einer Institutionalisierung der Rechtsanwaltschaft sprechen zu können ist zweierlei notwendig: Zum einen ist zu klären, ob sich in der Verfassung ein Beleg für die Institutionalisierung finden lässt (dazu unter Rz. 28).
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Dem vorgelagert ist die Frage, worauf sich die Institutionalisierung der Anwaltschaft beziehen kann, kurz der Institutionalisierungsbegriff. Der ursprünglich von Carl Schmitt entwickelte Begriff der institutionellen Garantie3 wurde allgemein unterschieden in privatrechtliche Institute und öffentlich-rechtliche institutionelle Garantien.4 Eine neuere Differenzierung, der hier gefolgt wird, unterscheidet zwischen der Rechtsinstitutsgarantie und der institutionellen Autonomiegewährleistung. Bei der Rechtsinstitutsgarantie garantiert der Staat lediglich einen Normkomplex, welche den Privatpersonen die Gestaltung ihrer Rechtsbeziehungen auf der Basis prinzipieller Gleichordnung ermöglichen sollen. Im Gegensatz hierzu wird vom Staat bei der institutionellen Autonomie nicht nur die rechtliche Form garantiert, sondern auch deren tatsächliches Funktionieren, weil es sich im Kern um eine öffentliche Aufgabe handelt.5
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I. Die Rechtsanwaltschaft als Form der institutionellen Autonomiegewährung Bezogen auf Art. 19 Abs. 4 GG wird vielfach vertreten, dass er neben dem subjektiven Recht auf Rechtsschutz auch eine institutionelle Garantie der Gerichtsbarkeit enthalte.6 Hinter dieser Überlegung steht die Idee, dass die bestimmten Einrichtungen nicht nur durch subjektive Rechte geschützt werden, sondern als Institutionen einen besonderen Schutz der Verfassung genießen und so nicht durch einen einfachgesetzlichen Akt beseitigt werden können.7 Bezogen auf Art. 19 Abs. 4 GG mag man zu Recht anzweifeln, ob es neben dem gegen
1 So auch Deckenbrock/Fleckner, ZIP 2005, 2291 (2296 f.); hierzu auch BT-Drs. 12/4993, S. 29. 2 Vgl. Rick, Die verfassungsrechtliche Stellung des Rechtsanwalts, 1998, S. 73 ff.; Arndt, NJW 1959, 6 ff.; Arndt, NJW 1959, 1297 ff; Krämer, NJW 1995, 2313 (2316 f.); Henssler, JZ 1996, 676 (679). 3 Carl Schmitt, Verfassungslehre, 5. Aufl. 1970, S. 170. 4 Vgl. Dreier/Dreier, Vorb. vor Art. 1 GG Rz. 107 ff. 5 Mager, Einrichtungsgarantien, 2003, S. 410 f. 6 Maunz/Dürig/Herzog/Scholz/Schmidt-Aßmann, Art. 19 IV GG Rz. 14; Dreier/Schulze-Fielitz, Art. 19 GG Rz. 41 f.; v. Mangoldt/Klein/Starck/Huber, Art. 19 GG Rz. 445 f. 7 Carl Schmitt, Verfassungslehre, 5. Aufl. 1970, S. 170; hierzu Mager, Einrichtungsgarantien, 2003, S. 25 ff.
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§ 3 BRAO Rz. 24
Recht zur Beratung und Vertretung
den Staat gerichteten subjektiven Leistungsanspruch der Justizgewährung noch einer Einrichtungsgarantie im Sinne der institutionellen Garantie bedarf.1 24
Anders liegen die Dinge hingegen, wenn der Leistungsanspruch nicht durch eine staatliche Institution selbst erfüllt werden kann, weil sich der Anspruch als solches nicht unmittelbar gegen eine staatliche Institution richtet. Die rechtliche Vertretung und Beratung soll nicht durch den Staat, sondern durch die Rechtsanwaltschaft erfolgen. Damit die Rechtsanwaltschaft dieser Aufgabe nachkommen kann, ist es notwendig, dass der Staat hierfür einen Normkomplex zur Verfügung stellt, der dies theoretisch ermöglicht. Hierzu sind z.B. alle Normen zu rechnen, die die Vertretung durch einen Rechtsanwalt (wie § 78 Abs. 5 EnWG) regeln. Die staatliche Verantwortung beschränkt sich zunächst auf die zur Verfügungstellung eines normativen Rahmens, der es den Rechtsanwälten ermöglicht als Rechtsberater und -vertreter aufzutreten und den Mandanten ermöglicht sich vertreten und beraten zu lassen. Würde man die institutionelle Garantie der Rechtsanwaltschaft lediglich in diesem Sinne verstehen, wäre nicht mehr garantiert als ein Normkomplex.2 Zwar wäre es auch Aufgabe des Gesetzgebers dafür zu sorgen, dass die Normadressaten, wenn sie von dem Normkomplex Gebrauch machen, einen gerechten Ausgleich ihrer Interessen finden.3 Eine weiter gehende Verantwortung käme dem Staat und damit der Institutsgarantie jedoch nicht zu. Insbesondere trüge der Staat keine Verantwortung für das tatsächliche Funktionieren der Institution.4
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Mit Ute Mager wird man die so verstandene Rechtsinstitutsgarantie von der institutionellen Autonomiegewährleistung trennen müssen. Bei den institutionellen Autonomiegewährleistungen übernimmt der Staat auch die Garantie, dass die geschaffene Institution tatsächlich funktioniert. Bezogen auf die Privatschulen formuliert Mager, es ginge bei der institutionellen Autonomiegewährleistung nicht darum, dass die Privatschulbetreiber sich frei entfalten könnten. Dies sei bereits über die Berufsfreiheit nach Art. 12 GG abgesichert. Vielmehr geht es bei der institutionellen Autonomiegewährleistung darum, dass die funktionierende Organisationsform selbst von der Garantie erfasst ist. Die staatliche Garantieverpflichtung erschöpft sich also nicht darin, lediglich eine Möglichkeit der Betätigung zur Verfügung zu stellen, sondern in der institutionell garantierten Organisation selbst.5 Für das Privatschulwesen hat das BVerfG aus Art. 7 Abs. 4 GG sogar gefolgert, dass der Staat Vorsorge treffen muss, damit das Grundrecht trotz der in Art. 7 Abs. 4 S. 3, 4 GG auferlegten Bindungen praktisch noch wahrgenommen werden kann. Daher könne sich aus Art. 7 Abs. 4 GG über dessen Abwehrcharakter hinaus ein Anspruch auf staatliche Förderung ergeben.6
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Auf einfachgesetzlicher Ebene wird in vielfältiger Weise eine leistungsfähige Anwaltschaft vorausgesetzt. Dies ergibt sich nicht nur aus denjenigen Bestimmungen, welche den Anwaltszwang anordnen. Nach § 48 BRAO ist der Rechtsanwalt verpflichtet, im Fall der Beiordnung die Prozessvertretung zu übernehmen. Eine vergleichbare Verpflichtung begründet § 49a BRAO für die Beratungshilfe. Soweit die Beiordnung im Weg der Prozesskostenhilfe erfolgt, ordnet § 49 RVG zu Lasten des Rechtsanwalts darüber hinaus niedrigere Gebühren an.7 Die Leistungsfähigkeit des anwaltlichen Marktes kann, wie Prütting zutreffend herausgearbeitet hat, insbesondere durch ein Überangebot an Rechtsanwälten gefährdet werden.8 Bezogen auf die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft beim Bundesgerichtshof betont sowohl der BGH als auch das BVerfG die Notwendigkeit eine leistungsfähige Anwaltschaft zu gewährleisten, welche insbesondere über hinreichende Erfahrungen auf dem Gebiet der zivilrechtlichen Revisionen verfügt.9 Nichts anderes kann aber dem Grunde nach für die Anwaltschaft insgesamt gelten.10
1 Zweifelnd z.B. Mager, Einrichtungsgarantien, 2003, S. 323. 2 Vgl. allgemein hierzu Mager, Einrichtungsgarantien, 2003, S. 410. 3 Zu der zum Ausgleich zu bringenden Grundrechtskollision bereits Chr. Wolf, in: FS Schneider, 2008, S. 414 (416 ff.). 4 Mager, Einrichtungsgarantien, 2003, S. 425. 5 Mager, Einrichtungsgarantien, 2003, S. 420. 6 BVerfG, NVwZ 1994, 889 ff. 7 Dies ist verfassungskonform BVerfG NJW 1971, 187; Hartmann, Kostengesetze, 43. Aufl. 2013, § 49 Rz. 1. 8 Prütting, Rechtsberatung zwischen Deregulierung und Verbraucherschutz, Gutachten G, 65. DJT, 2004, G. 19 f. 9 BVerfG, NJW 2008, 1193 (1194 f.); BGH, NJW 2005, 2304 (2305); BGH, NJW 2007, 1133 (1135); a.A. z.B. Braun/Köhler, NJW 2005, 2592 ff. 10 Vgl. zu der Frage, ob nicht die Anwaltsschwemme aus der Sicht des Kunden gerade für optimalen Markt sorgt bereits Wolf, BRAK-Mitt. 2006, S. 111 (112); Wolf, Recht durch Rechtsanwälte in Schriftenreihe der Bundesrechtsanwaltskammer, Bd. 16, 2008, S. 1 ff.
230 Wolf
Recht zur Beratung und Vertretung
Rz. 29 § 3 BRAO
Der Sache nach liegt es nahe, auch die Rechtsanwaltschaft der institutionellen Autonomiegewährung zuzuordnen. Ohne einen funktionierenden Anwaltsmarkt sind rechtsstaatliche Verfahren nicht denkbar. Dem steht jedoch auf den ersten Blick zweierlei im Weg: Zum einen hat die Anwaltschaft in das Grundgesetz bis auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG keinen unmittelbaren Eingang gefunden. Eine institutionelle Autonomiegewährung muss erst aus anderen Verfassungsbestimmungen heraus gelesen werden. Zum anderen lässt sich von einer institutionellen Autonomiegewährung nur sprechen, wo es sich um die Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe handelt, für die der Staat nach der Verfassung grundsätzlich die Letztverantwortung trägt.1 Insbesondere letzteres könnte sich mit dem Prinzip der freien Advokatur in Widerspruch setzen.
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II. Verfassungsrechtliche Fundierung Die Rechtsanwaltschaft hat – anders als der Richter – keinen unmittelbaren Eingang in die Verfassung gefunden. Hieraus lässt sich jedoch nicht der Schluss ziehen, die Verfassung setze den Rechtsanwalt nicht voraus und garantiere seine Tätigkeit nicht.2 Damit sich die staatliche Garantie nicht nur auf die bloße Tätigkeitsmöglichkeit bezieht, sondern im Sinne einer institutionellen Autonomiegewährleistung auch auf das tatsächliche Funktionieren, darf die verfassungsrechtliche Absicherung jedoch nicht in Art. 12 GG gesucht werden.3 Art. 12 GG ist ein Abwehrrecht von Eingriffen des Staates in die Berufsfreiheit des Rechtsanwalts.4 Aus der Berufsfreiheit kann jedoch kein Anspruch auf eine staatliche Garantie eines funktionierenden Anwaltsmarkts geschlossen werden.5 Ansatzpunkt hierfür muss vielmehr die Funktion des Rechtsanwalts für den Rechtsstaat sein. Besondere Schwierigkeiten ergeben sich daraus, dass sowohl in der Methodenlehre als auch in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Rechtsfindung nicht als dialogischer Prozess verstanden wird.6 So erkennt das BVerfG zwar an, dass aus dem Grundsatz des fairen Verfahrens der Anspruch des Zeugen auf den Beistand durch einen Rechtsanwalt folgt.7 Jedoch lehnt es wiederholt ab, dass das rechtliche Gehör auch den Anspruch umschließt das rechtliche Gehör durch einen Anwalt ausüben zu lassen.8 Abgelehnt wurde durch das BVerfG gleichfalls der Anspruch auf ein Rechtsgespräch.9 Anderseits hält das BVerfG jedoch die Parteien grundsätzlich von sich aus verpflichtet, alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte in Betracht zu ziehen und in ihrem jeweiligen Vortrag zu beachten. Nur in besonderen Fällen kann es geboten sein, die Parteien auf eine Rechtsauffassung hinzuweisen, welcher das Instanzgericht folgen will, wenn mit diesem rechtlichen Gesichtspunkt auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen bräuchte.10
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Der offenkundige Widerspruch lässt sich nur auflösen, wenn man anerkennt, dass der Anspruch auf rechtliches Gehör auch den Anspruch umfasst, das rechtliche Gehör durch einen Rechtsanwalt ausüben zu lassen, also rechtliches Gehör durch einen Rechtsanwalt garantiert11 (vgl. auch § 1 BRAO Rz. 11). Ob neben dem Justizgrundrecht des rechtlichen Gehörs noch die Funktion des Rechtsanwalts für das gerichtliche Verfahren in den Grundsätzen des fairen Verfahrens oder noch allgemeiner im Rechtsstaatsprinzip zu verordnen ist, mag dahinstehen.12 Die außerforensische Tätigkeit stellt sich als eine Ausprägung der vorsorgenden Rechtspflege dar (vgl. § 1 BRAO Rz. 16).
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1 Mager, Einrichtungsgarantien, 2003, S. 411. 2 Vgl. bereits Stern, Anwaltschaft und Verfassungsstaat, Schriftenreihe der Bundesrechtsanwaltskammer, Bd. 1, 1980, S. 12 f. 3 In diesem Sinne bereits Rick, Die verfassungsrechtliche Stellung des Rechtsanwalts, 1998, S. 74; Schneider, Der Rechtsanwalt, 1976, S. 56; Krämer, NJW 1995, 2313 (2316). 4 Schneider, Der Rechtsanwalt, 1976, S. 56. 5 Sehr deutlich BVerwG, NJW 1981, 2136; BVerwG, NJW 1985, 339. 6 Nachweis bei Chr. Wolf, in: FS Schneider, 2008, S. 414 (421 ff.). 7 BVerfGE 38, 105 ff. 8 BVerfGE 9, 124 (132); BVerfGE 31, 297 (301); BVerfGE 38, 105 (118); BVerfGE 39, 156 (168); 85, 337 (349). 9 BVerfGE 31, 364 (370); BVerfGE 86, 133 (145); BVerfGE 98, 218 (263). 10 BVerfGE 86, 133 (143 f.). 11 Chr. Wolf, in: FS Schneider, 2008, S. 414 (423 ff.); Schneider, Der Rechtsanwalt, 2008, S. 45 ff.; Krämer, NJW 1995, 2313 (2316); Rick, Die verfassungsrechtliche Stellung des Rechtsanwalts, 1998, S. 79 ff. 12 Ausführlich zur unterschiedlichen Verortung Rick, Die verfassungsrechtliche Stellung des Rechtsanwalts, 1998, S. 73 ff.
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§ 3 BRAO Rz. 30
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Für den Fall der Strafverteidigung folgt die Notwendigkeit der institutionellen Garantie der Rechtsanwaltschaft bereits aus Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK (vgl. hierzu Art. 6 EMRK Rz. 33 ff.). Rechtsvergleichend ist darauf hinzuweisen, dass eine unmittelbare Verordnung der Rechtsanwaltschaft in den europäischen Verfassungen eher die Ausnahme ist. Die Bulgarische Verfassung hat in Art. 134 festgelegt, dass die Anwaltschaft frei, unabhängig und sich selbst verwaltend ist. Gleichzeitig wurde die Aufgabe der Rechtsanwaltschaft definiert als Hilfsleistung für die Bürger und juristischen Personen um ihre Rechte und gesetzlich geschützten Interessen durchzusetzen. Die Portugiesische Verfassung gewährleistet den Rechtsanwälten in Art. 208 Abs. 1 die für ihre Arbeit erforderliche Immunität. Art. 29 Abs. 3 S. 2 der Schweizer Bundesverfassung formuliert den Anspruch auf unentgeltlichen Rechtsbeistand für diejenigen Personen, die sich entgeltlichen Rechtsrat nicht leisten können, soweit der Rechtsrat für die Rechtsverfolgung erforderlich ist. Art. 24 Abs. 2 der Spanischen Verfassung benennt ausdrücklich das Recht auf Verteidigung und Beistand durch einen Rechtsanwalt.
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Der institutionellen Garantie der Rechtsanwaltschaft steht auch nicht der Grundsatz der freien Advokatur entgegen. Der Begriff der „freien Advokatur“ wird vom BVerfG allgemein dahin gehend verstanden, dass mit diesem Grundsatz eine staatliche Kontrolle und Bevormundung nicht vereinbar sei.1 Dabei stellt das BVerfG den Begriff in einen Zusammenhang mit der Entwicklung im 19. Jahrhundert und knüpft damit wie der Gesetzgeber2 an die im 19. Jahrhundert vor allem von Gneist erhobene Forderung nach der freien Advokatur an.3 Der Gesetzgeber unterschied in seiner Begründung klar zwischen der Berufsfreiheit des Rechtsanwalts im Sinne von Art. 12 GG (allerdings unter der Überschrift „Freie Advokatur“) und der Stellung des Rechtsanwalts innerhalb der Rechtspflege, die er nur ausüben könne, wenn er seinen Beruf frei ausübe.4
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Weniger klar,5 aber im Ergebnis gleich, unterscheidet das BVerfG zwischen der Berufsfreiheit des Rechtsanwalts und der freien Advokatur, wobei die fundamentale objektive Bedeutung letzterer für die Rechtspflege hervorgehoben wird.6 Die Berufsfreiheit des Rechtsanwalts ist in erster Linie als Abwehrrecht (status negativus) gegenüber dem Staat konstruiert und entspricht dem Grundrechtsverständnis des 19. Jahrhunderts. Zwischenzeitlich sind die Grundrechte aber nicht mehr ausschließlich gegen den Staat gerichtet, sondern werden auch vom demokratischen Staat des Grundgesetzes gewährleistet. Der Staat ist folglich nicht mehr nur der Gegner, gegen den die Grundrechte sich richten, sondern zum Garanten der Grundrechte geworden, welcher den Einzelnen vor Eingriffen Dritter zu schützen hat.7
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Die staatliche Schutzpflicht setzt sich nicht in einen Widerspruch zu der Feststellung, dass die freie Advokatur nicht mit staatlicher Kontrolle und Bevormundung zu vereinbaren ist. Wesensmerkmal einer institutionellen Autonomiegewährleistung ist gerade die staatsferne Aufgabenerfüllung, für die eine öffentliche Verantwortung besteht.8 Nicht das Grundrecht der Berufsfreiheit des Rechtsanwalts erfordert eine größere Autonomie der anwaltlichen Tätigkeit, sondern die Aufgabenerfüllung im Rahmen seiner Funktion für den Rechtsstaat.9
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Sehr allgemein gesprochen wandelt sich durch die Privatisierung staatlicher Aufgaben die bisherige bipolare Grundrechtsbeziehung in eine dreipolige Grundrechtsbeziehung um.10 Da auch der Leistungserbringer Träger von Grundrechten ist, muss in solchen Fällen der Staat einen Ausgleich zwischen dem grundrechtlich verbürgten Anspruch des Leistungsempfängers, welcher ursprünglich gegen den Staat gerichtet war, und dem Leistungsempfänger herbeiführen.11 Für den Bereich der anwaltlichen Rechtsdienstleistung gilt im Grunde nichts anderes, außer dass die Aufgabe der anwaltlichen Rechtsberatung und -vertretung schon seit dem 19. Jahrhundert privat gedacht wurde.12 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
Jüngst BVerfG, NJW 2008, 1293. BT-Drs. 3/120, 49. BVerfGE 50, 16 (29); BVerfG 63, 266 (282 f.). BT-Drs. 3/120 einerseits S. 48 und anderseits S. 49. S. z.B. BVerfGE 113, 29 (49). BVerfG 113, 29 (49); BVerfGE 63, 266 (283 f.). Lenz, Vorbehaltlose Freiheitsrechte, 2006, S. 75. Mager, Einrichtungsgarantien, 2003, S. 435. Vgl. hierzu Stürner/Bormann, NJW 2004, 1481 (1482). Kämmerer, Privatisierung, 2001, S. 449 ff. Kämmerer, Privatisierung, 2001, S. 452 ff. Vgl. zu der grundrechtlichen Dreiecksbeziehung zwischen Rechtsanwalt, Mandant und Staat Chr. Wolf, in: FS Schneider, 2008, S. 414 (416 ff.).
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Recht zur Beratung und Vertretung
Rz. 38 § 3 BRAO
Von der Kommerzialisierung der anwaltlichen Tätigkeit kann eine Gefahr ausgehen, jedoch nicht für den Rechtsanwalt und seine Berufsfreiheit,1 sondern für seinen rechts- und sozialstaatlichen Auftrag im Kampf ums Recht2 und damit für das grundrechtlich verbürgte Recht des Bürgers, sich anwaltlich vertreten lassen zu dürfen.
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Das Europarecht zwingt nicht zu einer Revision des hier eingenommenen Standpunkts. Grundsätzlich sind nach der Rechtsprechung des EuGH Einschränkungen der rechtsanwaltlichen Tätigkeit, wie sie z.B. Mindestgebührenordnungen darstellen, an Artn. 56 ff. EGV zu messen. Jedoch erlauben zwingende Gründe des Allgemeinwohls eine Einschränkung. Dabei werden insbesondere die von Organen der Rechtspflege erbrachten Dienstleistungen, die für die Verwirklichung einer geordneten Rechtspflege erforderlich sind, als zwingende Gründe des Allgemeininteresses angesehen, welche eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs rechtfertigen.3 (Ausführlich zur europarechtlichen Problematik § 2 BRAO Rz. 28 ff.)
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Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die grundrechtliche Bedeutung der anwaltlichen Dienstleistung für den rechtsuchenden Bürger, welche im Justizgrundrecht des rechtlichen Gehörs für die forensische Tätigkeit und im Prinzip der vorsorgenden Rechtspflege als Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips verordnet ist, eine institutionelle Garantie der Rechtsanwaltschaft ergibt. Die Garantieverpflichtung des Staates muss sich hierbei auch auf einen funktionierenden Anwaltsmarkt beziehen, welcher den rechtsuchenden Bürger tatsächlich in die Lage versetzt Rechtsrat durch eine leistungsfähige Anwaltschaft zu erhalten und nicht nur auf die rechtlichen Rahmenbedingungen, die ein Tätigwerden lediglich ermöglichen. D. Beratungs- und Vertretungsrecht des Rechtsanwalts § 3 Abs. 2 BRAO regelt das Vertretungsrecht des Rechtsanwalts. Dieses, so § 3 Abs. 2 2. Hs. BRAO, könne nur durch ein Bundesgesetz beschränkt werden. Die Beschränkungen des anwaltlichen Vertretungsrechts lassen sich in Anlehnung an die Systematisierung des Wirtschaftsverwaltungsrechts in Personal- und Sachkonzession4 in persönliche Vertretungsbeschränkungen und sachliche Vertretungsbeschränkungen unterteilen. Von einer persönlichen Vertretungsbeschränkung kann man sprechen, wenn aus Gründen, welche in der Person des jeweiligen Rechtsanwalts liegen, die anwaltliche Vertretung untersagt ist, mithin ein anderer Rechtsanwalt, in dessen Person die Gründe nicht vorliegen, die Vertretung übernehmen könnte. Als Beispiel hierfür kann das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen dienen, § 43a Abs. 4 BRAO. Im Gegensatz hierzu trifft das sachliche Vertretungsverbot jeden Rechtsanwalt. Eine solche Regelung enthielt z.B. § 11 Abs. 1 ArbGG von 1953,5 welcher bei einem Streitwert unter 300 DM die Vertretung durch Rechtsanwälte vor dem Arbeitsgericht nur dann zuließ, wenn dies zur Wahrung der Rechte der Parteien notwendig sei. Hierüber hatte das Prozessgericht zu befinden.6
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Der Schwerpunkt der rechtlichen Beurteilung der Zulässigkeit persönlicher Vertretungsverbote liegt bei Art. 12 GG.7 Im Gegensatz hierzu müssen sachliche Vertretungsbeschränkungen vor allem aus der Perspektive des Mandanten durchdacht werden (vgl. hierzu Rz. 52 ff.). Die subjektiven Vertretungsbeschränkungen können auf unterschiedlichen Gebieten Wirkungen entfalten. Auf der Ebene des Mandatsvertrags kommt den subjektiven Vertretungsverboten in der Regel die Wirkung eines gesetzlichen Verbots im Sinne von § 134 BGB zu, so dass der Mandatsvertrag unwirksam ist.8 Folge hiervon ist, dass der Honoraranspruch entfällt. Ein Verstoß gegen die subjektiven Vertretungsverbote führt in der Regel nicht dazu, dass von den Gerichten oder Behörden die Handlungen des Rechtsanwalts zurückgewiesen werden können.9 Hierfür bedarf es einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung, wie in § 114a 1 2 3 4 5 6
So aber wohl Jaeger, AnwBl. 2000, 475 (476 f.). Stürner/Bormann, NJW 2004, 1481 (1483). EuGH C-94/04 (Cipolla v. Portolese) v. 5.12.2006 (nur in juris veröffentlicht). Ziekow, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 3. Aufl. 2013, § 5 Rz. 13 f. BGBl. I 1953, S. 1267. Die Regelung im ArbGG wurde von der Überlegung getragen, die Beteiligung der Rechtsanwälte würde die Verfahren verlangsamen und verteuern. Eine vergleichbare Regelung war im Reichsgesetz betreffend die Gewerbegerichte v. 29.7.1890 in § 29 enthalten. Vgl. hierzu Boldt, RdA 1953, 401 ff. 7 Vgl. BVerfG, NJW 2002, 503 f.; NJW 2003, 2520. 8 BGHZ 141, 69 (79); BGHZ 147, 39 ff. 9 KG, NJW-RR 1995, 762; a.A. OLG Hamm, NJW-RR 1989, 442; vgl. auch § 43a BRAO Rz. 91 ff.
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§ 3 BRAO Rz. 39
Recht zur Beratung und Vertretung
Abs. 3 S. 2; § 156 Abs. 2; § 160a Abs. 2 BRAO.1 Bezogen auf kommunale Vertretungsverbote ist die Rechtsgrundlage für die von den Gerichten praktizierte Zurückweisung unklar (vgl. Rz. 45). § 244 ZPO ordnet zwar die Prozessunterbrechung bei Wegfall des Prozessvertreters im Anwaltsprozess an. Jedoch werden unter Wegfall gleichfalls nur die Vertretungsverbote nach § 114a Abs. 3 S. 2; § 156 Abs. 2; § 160a Abs. 2 BRAO verstanden, nicht jedoch die Tätigkeitsverbote nach § 43a; 45; 46; § 47 BRAO.2 Die dem Rechtsanwalt erteilte Vollmacht bleibt selbst im Fall der Vertretungsverbote nach § 114a Abs. 2 und § 155 Abs. 2 BRAO wirksam.3 Daher bleiben auch dem Rechtsanwalt gegenüber vorgenommene Rechtshandlungen wirksam. Die Postulationsfähigkeit wird durch die Zurückweisungsmöglichkeit nicht berührt.4 Allerdings muss der Rechtsanwalt als Rechtsanwalt gehandelt haben. Dies ist bei einem Syndikusanwalt nicht der Fall, wenn dieser aus seiner Rolle als Mitarbeiter des von ihm vertretenen Unternehmens nicht heraustritt und z.B. den Briefkopf der Firma für seine gerichtlichen Schriftsätze verwendet.5 Schließlich vermag ein Verstoß gegen die persönliche Vertretungsbeschränkung anwaltsrechtliche und im Fall des § 356 StGB strafrechtliche Sanktionen auszulösen. Die wesentlichen subjektiven Vertretungsbeschränkungen sind: I. Vertretungsverbote i.S.v. § 114 Abs. 1 Nr. 4 BRAO 39
Sofern im Falle einer Pflichtverletzung schwerer Art das Anwaltsgericht einen Verweis oder eine Geldbuße als nicht ausreichend und eine komplette Ausschließung aus dem Beruf als zu hart erachtet, kann es gem. § 114 Abs. 1 Nr. 4 BRAO auch ein Vertretungsverbot verhängen. Das Vertretungsverbot kann ein oder mehrere ganze, in sich geschlossene Rechtsgebiete oder auch eindeutig abgrenzbare Teilbereiche dieser umfassen.6 Rechtshandlungen, die entgegen dem Vertretungsverbot durch oder gegenüber dem Rechtsanwalt vorgenommen werden, bleiben jedoch im Interesse der Rechtssicherheit gem. § 114a Abs. 2 BRAO wirksam.7 II. Vorläufige Vertretungsverbote nach §§ 150 ff. BRAO
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Wenn dringende Gründe für die Annahme vorhanden sind, dass gegen den Rechtsanwalt auf Ausschließung aus der Rechtsanwaltschaft erkannt werden wird, kann das Anwaltsgericht auch ein vorläufiges Vertretungsverbot verhängen, § 150 Abs. 1 S. 1 BRAO.8 Dies ist dann möglich, wenn nach einer vorläufigen Tatbewertung mit einer hohen Wahrscheinlichkeit auf das Erkennen zu derartigen Maßnahmen geschlossen werden kann und eine Präventivmaßnahme erforderlich erscheint, um konkrete Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter abzuwehren.9 Auch hier bleiben im Interesse der Rechtssicherheit Rechtshandlungen, die entgegen dem Vertretungsverbot durch oder gegenüber dem Rechtsanwalt vorgenommen werden, gem. § 155 Abs. 5 wirksam.10 III. Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen nach § 43a Abs. 4 BRAO
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Das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen nach § 43a Abs. 4 BRAO stellt eine der wesentlichsten anwaltlichen Pflichten dar und findet sein strafrechtliches Pendant in § 356 StGB.11 Es umfasst die Vertretung eines Mandanten bei einem Interessengegensatz in derselben Rechtssache. Da der Begriff „derselben Rechtssache“ – der zwar im Gesetzeswortlaut nicht zu finden und doch von Rechtsprechung und Literatur gefordert wird – schon bei jeglichem minimalen Sachzusammenhang zu einem anderen (alten) Fall bejaht wird, ist der Interessengegensatz maßgeblichste Voraussetzung für das Verbot. Er liegt grundsätzlich 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
Kleine-Cosack, § 45 Rz. 50. Thomas/Putzo/Hüßtege, § 244 ZPO Rz. 10, 34. Aufl. 2013. BGH, NJW 1971, 1373; OLG Celle, NStZ 1989, 41. MüKo-ZPO/Toussaint, § 78 ZPO Rz. 65. BAG, NJW 1996, 2254 f.; a.A. Bauer, BB 1996, 1282 ff. Vgl. insgesamt: § 114 BRAO Rz. 11 f.; Feuerich/Weyland, § 114 Rz. 21 ff. Vgl. § 3 BRAO Rz. 38 und § 114a BRAO Rz. 19 ff. Vgl. § 150 BRAO Rz. 8 ff. Vgl. insgesamt: § 150 Rz. 8 f.; Feuerich/Weyland, § 150 Rz. 5 ff. Vgl. § 3 BRAO Rz. 38 und § 155 BRAO Rz. 8. Vgl. § 43a BRAO Rz. 91 ff.
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Rz. 45 § 3 BRAO
dann vor, wenn der Anwalt einer Partei Rat und Beistand leistet, nachdem er zuvor einer anderen beteiligten Partei in derselben Sache bereits Rat und Beistand geleistet hat.1 Durch § 3 Abs. 2, 3 BORA erstreckt sich das Verbot grds. auf alle Rechtsanwälte einer Sozietät.2 IV. Versagung der Berufstätigkeit wegen anderweitiger Vorbefassung, § 45 BRAO Einem Anwalt ist es gem. § 45 BRAO untersagt, in Rechtssachen tätig zu werden, mit denen er anderweitig früher befasst war.3 § 45 BRAO untergliedert sich hierbei in Tätigkeitsverbote wegen früherer nichtanwaltlicher Tätigkeit (§ 45 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 BRAO), Tätigkeitsverbote nach Anwaltstätigkeit (§ 45 Abs. 2 Nr. 1 und 2 BRAO) sowie einer Sozietätserstreckung (§ 45 Abs. 3 BRAO).
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V. Tätigkeitsverbot des Syndikusanwalts, § 46 BRAO Gem. § 46 Abs. 1 BRAO ist es einem Syndikus untersagt für seinen nichtanwaltlichen Arbeitgeber vor Gericht aufzutreten.4 Darüber hinaus ist es ihm nach § 46 Abs. 2 BRAO verboten, eine anwaltliche Tätigkeit auszuüben, wenn er zuvor in derselben Sache Rechtsrat in abhängiger Stellung erteilt hat (§ 46 Abs. 2 Nr. 1 BRAO) und umgekehrt Rechtsrat zu erteilen, wenn er zuvor in abhängiger Stellung anwaltlich tätig war (§ 46 Abs. 2 Nr. 2 BRAO). Da diese Verbote erheblich in die Grundrechte aus Art. 12 Abs. 1 und 3 Abs. 1 GG eingreifen, muss § 46 BRAO dahingehend ausgelegt werden, dass die Verbote nur gelten wenn die anwaltliche Berufsausübung wegen der abhängigen Tätigkeit auf Grund konkreter Interessenskollisionen beeinträchtigt ist.5 Eine Sozietätserstreckung für die Verbote des § 46 Abs. 2 BRAO findet sich in Abs. 3 der Vorschrift.6
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VI. Umfassende Rechtsberatung als zugelassener Rechtsanwalt und Geschäftsführer einer Steuerberatungsgesellschaft Grundsätzlich ist die Zusammenarbeit zwischen Steuerberatern und Rechtsanwälten möglich, § 56 StBerG. Soweit der Rechtsanwalt Mandanten der Steuerberatungsgesellschaft in Steuerangelegenheiten vertritt, liegt kein Fall des § 46 BRAO vor. Jedoch darf der Rechtsanwalt in seiner Eigenschaft als Angestellter oder Geschäftsführer der Steuerberatungsgesellschaft keine Rechtsberatung betreiben, zu der die Steuerberatungsgesellschaft selbst nicht befugt wäre.7
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VII. Kommunalrechtliches Vertretungsverbot In den Kommunal- und Gemeindeordnungen ist regelmäßig ein Vertretungsverbot für ehrenamtlich tätige Gemeinde- oder Kreisräte angeordnet, Ansprüche gegen die Kommune als Vertreter geltend zu machen, es sei denn, sie handeln als gesetzliche Vertreter.8 Nach der Rechtsprechung des BVerfG sind diese Bestimmungen mit dem GG vereinbar.9 Für ein derartiges Vertretungsverbot bestünde eine Kompetenz des Landesgesetzgebers, weil derartige Vorschriften traditionell zum Gemeinderecht gehören.10 Auch greife die Vorschrift nicht in den Schutzbereich von Art. 12 GG,11 bzw. sei jedenfalls aus Gründen des Gemeinwohls gerechtfertigt.12 Die Gerichte weisen eine entsprechende Bevollmächtigung regelmäßig zurück.13 Die gesetzliche Grundlage wird dabei entweder in den kommunalrechtlichen Bestim1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13
Vgl. insgesamt: Kleine-Cosack, § 43a BRAO Rz. 87 ff.; Böhnlein, in: Feuerich/Weyland, § 43a Rz. 54 ff. Zu Ausnahmen vgl. § 3 BORA Rz. 21 ff. Vgl. § 45 BRAO Rz. 6 ff. Vgl. § 46 Rz. 18. BVerfGE 87, 287 = NJW 1993, 317; 1995, 951. Vgl. insgesamt: Kleine-Cosack, § 46 Rz. 1, 10; Böhnlein, in: Feuerich/Weyland, § 46 Rz. 6 ff. BGHZ 166, 299 ff. Vgl. § 17 Abs. 3 GO BW; Art. 50 BayGO; § 26 Abs. 1 HessGO; § 21 Abs. 1 GemO RP; § 26 Abs. 2 KSVG Saarland; § 19 Abs. 3 SächsGemO; § 24 Abs. 1 GO NRW; § 27 Abs. 1 NdsGO; § 23 Abs. 1 GO SH; § 30 Abs. 3 GO LSA; § 28 Abs. 1 GO Brandenburg; § 12 ThürKO; § 39 KV M-V. BVerfG, NJW 1976, 954 (955); BVerfG NJW 1988, 694 f. BVerfG, NJW 1976, 954 (955). BVerfG, NJW 1976, 954 (955); BVerfG NJW 1982, 2177. So die jüngste Entscheidung des BVerfG, NJW 1988, 694 (695). Vgl. OVG NW, NJW 1975, 2086; OVG NW, NJW 1981, 2210; OVG NW, NJW 1982, 67; BayVGH, NJW 1980, 1870.
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§ 3 BRAO Rz. 46
Recht zur Beratung und Vertretung
mungen unmittelbar1 oder aber in einer Analogie zu § 67 VwGO und § 157 ZPO2 gesucht. An der fehlenden ausdrücklichen gesetzlichen Grundlage hat sich insbesondere die Kritik an dieser Rechtsprechung entzündet.3 Nicht erfasst vom kommunalen Vertretungsverbot werden auch nach der Ansicht des BVerfG Mitarbeiter4 und Sozietäten5 eines Kreis- bzw. Gemeinderats.6 In sachlicher Hinsicht wird von dem Vertretungsverbot sowohl die Verfolgung von Ansprüchen im eigenen als auch im übertragenen Wirkungskreis erfasst. Nicht erfasst werden Ansprüche, die gegen das Landratsamt als staatliche Verwaltungsbehörde geltend gemacht werden.7 VIII. Untersagung bestimmter Tätigkeiten bei Ruhestandsbeamten 46
Die Beamtengesetze der Länder8 und des Bundes9 sehen vor, dass Ruhestandsbeamte, welche in einem Zeitraum von fünf Jahren nach ihrem Eintritt in den Ruhestand eine außerhalb des öffentlichen Dienstes liegende Beschäftigung oder Erwerbstätigkeit aufnehmen, diese ihrer letzten obersten Dienstbehörde anzuzeigen haben – vorausgesetzt die neue Tätigkeit steht in Zusammenhang mit der in den letzten fünf Jahren ausgeübten dienstlichen Tätigkeit. Weitere Voraussetzung für die Anzeigepflicht ist, dass durch die neue Tätigkeit dienstliche Belange beeinträchtigt werden könnten. Scheidet der Beamte erst nach Vollendung seines 65. Lebensjahres aus, reduziert sich der Anzeigezeitraum auf drei Jahre nach Ausscheiden aus dem aktiven Dienst. Besteht die Sorge, dass durch die Tätigkeit dienstliche Belange beeinträchtigt werden, ist dem Beamten die Beschäftigung zu untersagen.
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Auf die jeweiligen Bestimmungen kann gegenüber einem Ruhestandsbeamten, der als Rechtsanwalt zugelassen ist, keine allgemeine Untersagung seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt gestützt werden, wohl aber kann ihm die Tätigkeit in bestimmten Bereichen untersagt werden. So kann dem pensionierten stellvertretenden Direktor eines Amtsgerichts untersagt werden, Fälle zu bearbeiten, die durch seine ehemaligen Kollegen am Amtsgericht zu entscheiden sind. Bei den Rechtsuchenden könnte der Eindruck entstehen, dass die persönlichen Beziehungen zu den Richtern einen nicht sachgemäßen Einfluss auf die Fallbearbeitung haben könnten.10 Gleiches gilt für die steuerberatende Tätigkeit eines Rechtsanwalts im Bezirk des Finanzamts, dessen ehemaliger stellvertretender Leiter dieser ehemals war.11 IX. Vertragliches Wettbewerbsverbot
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Rechtsanwälte können unterschiedlichen vertraglichen Verpflichtungen unterliegen, bestimmte Mandate nicht zu bearbeiten.12 Eine Fallgruppe bildet die Verpflichtung, Mandate nur im Rahmen des bestehenden Sozietätsvertrags und als angestellter Rechtsanwalt nur für die Sozietät zu bearbeiten. Für die Sozietät folgt dies unmittelbar aus dem Gesellschaftsvertrag. Eine Ausnahme hiervon bedarf der Zustimmung der Gesellschafter.13 Für angestellte Anwälte ergibt sich diese Verpflichtung aus der analogen Anwendung des § 60 HGB. Der Rechtsgedanke aus § 60 HGB ist auch auf die Mitarbeiter der freien Berufe anzuwenden.14 Voraussetzung ist aber, dass eine Konkurrenzsituation mit der Sozietät besteht. Dies ist nicht der Fall, wenn der Mitarbeiter sich um andere Mandate bemüht als diejenigen, welche in der Sozietät betreut werden (beispielsweise strafrechtliche Mandate bei einer rein wirtschaftsrechtlich ausgerichteten Kanzlei). In diesem Fall besteht ein Anspruch auf Genehmigung der Nebentätigkeit, wenn keine berechtigten Interessen des Arbeitgebers hiervon be1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14
So Pfeifer, BayVBl. 1994, 577 (581). So Kopp/Schenke, § 67 VwGO Rz. 22, 19 Aufl. 2013. Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner/Meissner, § 67 VwGO Rz. 67. BVerfG, NJW 1981, 1599. BVerfG, NJW 1982, 2177. Vgl. Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner/Meissner, § 67 VwGO Rz. 68. Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner/Meissner, § 67 VwGO Rz. 69. Vgl. § 77a NBG; § 69a BG LSA; § 77 BG RP; § 83a SGB; § 89 SächBG; § 83a HBG; § 36 LBG Brandenburg; § 75b LBG Nordrhein-Westpfahlen; § 78 BayBG; § 73a HmbBG; § 75 LBG M-V; § 85a LBG Schleswig Holstein; § 72 ThürBG. § 69a BBG. VGH München, NJW 1988, 1406 (1407). OVH Koblenz, NJW 1991, 245. Vgl. die Übersicht bei Michalski/Römermann, ZIP 1994, 433 ff. und Henssler, in: FS Geiß, 2000, S. 271 ff. von der Recke, in: Büchting (Hrsg.), Beck’sches Rechtsanwaltshandbuch, 9. Aufl. 2007, N 6 Rz. 23. BAG v. 23.5.1985 – 2 AZR 268/84 (nur in juris veröffentlicht).
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Rz. 53 § 3 BRAO
rührt werden. Dies ist z.B. der Fall, wenn ein Rechtsanwalt in einer Kanzlei, welche große kommerzielle Vermieter vertritt, für einen Mieterverein tätig werden will.1 Als problematisch erweist sich die Situation, in der der Sozius oder angestellte Anwalt nicht frei über die Annahme des angetragenen Mandats entscheiden kann (vgl. § 1 BRAO Rz. 46 ff.). Nachvertragliche Wettbewerbsverbote oder Mandantenschutzklauseln sind nur unter engen Voraussetzungen zulässig. Insbesondere dürfen nachvertragliche Wettbewerbsverbote, damit sie nicht gegen die Berufsausübungsfreiheit verstoßen und nach § 138 BGB unwirksam sind, nicht über das räumlich, zeitlich und gegenständlich notwendige Maß hinausgehen, um die verbleibenden Partner des ausgeschiedenen Gesellschafters vor einer illoyalen Verwertung des Erfolges der gemeinsamen Arbeit zu schützen.2 In zeitlicher Hinsicht darf das Wettbewerbsverbot nicht über zwei Jahre ausgedehnt werden. In räumlicher Hinsicht kommt es entscheidend auf den Zuschnitt der jeweiligen Kanzlei an.3
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Das Wettbewerbsverbot hat jedoch nicht nur Folgen für den ausgeschiedenen Partner, sondern auch für die von ihm bisher betreuten Mandanten, da die Wettbewerbsverbote regelmäßig eine gegenüber den bisherigen Mandanten zu beachtende Verpflichtung enthalten, diese nicht länger zu betreuen. Daher ist es nicht ausreichend das Wettbewerbsverbot allein aus der Perspektive des davon betroffenen Rechtsanwalts zu beurteilen. Vielmehr muss das Wettbewerbsverbot auch anhand der Position des Mandanten vermessen werden4 (vgl. Rz. 67 ff.).
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X. Ausschluss als Verteidiger nach § 138a und § 138b StPO Strafprozessuale Ausschließungsgründe für den Verteidiger enthalten abschließend die §§ 138a und 138b StPO. Ausschließungsgründe sind die Beteiligung des Anwalts an der Tat des Beschuldigten (§ 138a Abs. 1 Nr. 1 StPO), der Missbrauch des ungehinderten Verkehrs mit dem Beschuldigten zur Begehung von Straftaten oder Gefährdung der Sicherheit einer Vollzugsanstalt (§ 138a Abs. 1 Nr. 2 StPO) sowie die Verwirklichung von Begünstigung, Strafvereitlung oder Hehlerei im Fall der Verurteilung des Beschuldigten (§ 138a Abs. 1 Nr. 3 StPO). Für einen Ausschluss muss der Anwalt der bezeichneten Taten mindestens hinreichend verdächtig sein. Gem. § 138a Abs. 2 StPO reicht in Verfahren nach § 129a StGB (ggf. i.V.m. § 129b StGB) sogar ein auf bestimmte Tatsachen gestützter Verdacht.
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Einen zusätzlichen Ausschlussgrund in Staatsschutzsachen enthält § 138b StPO, wenn ein auf bestimmte Tatsachen gestützter Verdacht der Gefährdung der Sicherheit der BRD besteht. Andere Verfehlungen des Verteidigers, auch wenn sie grob berufsrechtswidrig oder gar strafbar sind, führen nicht zu einer Ausschließung nach diesen Vorschriften.5 E. Anspruch auf Rechtsberatung und -vertretung durch einen Rechtsanwalt Persönliche Vertretungsbeschränkungen greifen in der Regel nicht in die Rechte desjenigen Bürgers ein, welcher sich durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen will. Sie entziehen dem rechtsuchenden Bürger nicht schlechthin die Vertretung durch einen Rechtsanwalt, sondern nur durch einen Bestimmten. Anders hingegen bei den sachlichen Vertretungsbeschränkungen. Diese entziehen dem rechtsuchenden Bürger in einem bestimmten sachlichen Bereich den anwaltlichen Rechtsschutz.
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Die wohl noch h.M. geht davon aus, dass das Vertretungsrecht des Bürgers nicht erst durch § 3 Abs. 3 BRAO begründet wird, sondern von § 3 Abs. 3 BRAO bereits vorausgesetzt wird.6 Im Rahmen der Verfahrensordnungen wirft diese Ansicht keine Schwierigkeiten auf, weil die jeweiligen Verfahrensordnungen die Prozessvertretung durch einen Rechtsanwalt stets ermöglichen.7 Die h.M. führt aber im Verwaltungsverfahren und in einer Reihe von nichtstaatlichen Verfahren zu Problemen.
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1 2 3 4 5
LAG Düsseldorf, AnwBl. 2004, 187 f. BGH, NJW 2004, 66; BGH, NJW 2000, 2584; BGH, NJW 1997, 3089. Römermann, NJW 2007, 2209 (2214). Vgl. Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteresse, 1992, S. 64 f. Vgl. insgesamt: Meyer-Goßner, §§ 138a, 138b StPO; Löwe/Rosenberg/Lüderssen/Jahn, §§ 138a Rz. 15 ff., 138b Rz. 3 ff. 6 BVerwG, NJW 1974, 715 (716); BVerwG, NJW 1981, 2136; OVG Münster, NJW 1993, 3016; VGH Kassel, NVwZ 1989, 73 (74). 7 Vgl. Thomas/Putzo, § 78 ZPO Rz. 1; Kopp/Schenke, § 67 VwGO Rz. 7; Meyer-Goßner, § 140 StPO Rz. 3.
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§ 3 BRAO Rz. 54 54
Recht zur Beratung und Vertretung
Nach der hier vertretenen Ansicht (vgl. Rdn. 29, 58) folgt das Recht, sich durch einen Rechtsanwalt vertreten zu lassen, aus dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs und der vorsorgenden Rechtspflege. In diesem Sinne drückt § 3 Abs. 3 BRAO nur den sich bereits aus der Verfassung ergebenden Grundsatz aus.1 Im Einzelnen ergeben sich besondere Probleme in folgenden Fallkonstellationen: I. Schiedsverfahren
54a
§ 3 Abs. 2 BRAO nimmt das Schiedsverfahren ausdrücklich in Bezug. Ergänzt wird die BRAO durch § 1042 Abs. 2 ZPO, welcher ausdrücklich anordnet, dass im Schiedsverfahren Rechtsanwälte als Bevollmächtigte nicht ausgeschlossen werden dürfen. Die Vorschrift hat einen doppelten Regelungsgehalt. Verfahrensrechtlich stellt sie sicher, dass Rechtsanwälte im Schiedsverfahren grundsätzlich nicht zurückgewiesen werden dürfen. Eine Zurückweisung verstößt gegen das rechtliche Gehör und führt zur Aufhebung des Schiedsspruchs.2 Bestimmte Schiedsorganisationen (commodities arbitration) schließen die Vertretung durch Rechtsanwälte aus oder knüpfen die Zulassung von bestimmten Rechtsanwälten an die Genehmigung des Schiedsgerichts bzw. der Schiedsorganisation (vgl. Art. 8 LME Arbitration Regulations; Art. 16 Abs. 2 GAFTA Arbitration Rules, Art. 4 Abs. 5 Federation of Cocoa Commerce Arbitration and Appeal Rules). Schiedsverfahren nach diesen Schiedsregeln können nach der ZPO nicht durchgeführt werden.3
54b
Berufsrechtlich soll die Vorschrift eine Erlaubnisnorm sui generis für ausländische Rechtsanwälte darstellen. Die Kommentarliteratur schließt aus der Gesetzesbegründung,4 dass auch ausländische Rechtsanwälte nicht zurückgewiesen werden dürfen.5 Mithin wird– ohne dies aber ausdrücklich so zu benennen – in § 1042 Abs. 2 ZPO eine eigenständige Erlaubnisnorm gesehen, welche zu den Erlaubnistatbeständen des EuRAG und §§ 206, 207 BRAO tritt (siehe hierzu § 1 RDG Rz. 27 ff.). Folgeproblem dieser Rechtsansicht ist, dass in einem deutschen Schiedsverfahren ausländische Rechtsanwälte tätig werden dürfen, welche nicht der deutschen Berufsaufsicht unterstellt sind. In der Internationalen Schiedsgerichtsbarkeit wird nun versucht, die Integrität des Schiedsverfahrens bei einem krassen anwaltlichen Fehlverhalten nicht über berufsrechtliche Sanktionen, sondern über den Ausschluss des Anwalts als Parteivertreter aus dem Schiedsverfahren zu sichern.6 II. Schlichtungsverfahren
55
Unzulässig ist es, wenn in den Schlichtungsordnungen der verkammerten Berufe die anwaltliche Vertretung der Beteiligten ausgeschlossen wird. Aus der Sicht der Rechtsprechung folgt der Anspruch auf Hinzuziehung eines Rechtsbeistands aus Art. 2 GG. Dabei verstößt der Ausschluss der anwaltlichen Mitwirkung gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, weil dies die betroffenen Kammerangehörigen unangemessen belastet. Die Einbindung in ein förmliches Verfahren, bei dem die Betroffenen einer mit autoritativem Anspruch auftretenden öffentlichen Stelle gegenüberstehen, so das OVG Münster, ist eine Konstellation, die die generelle Zulassung rechtskundigen Beistands im Interesse der Betroffenen notwendig macht. Erst durch die Kenntnisse und Fähigkeiten des Rechtskundigen sei eine aktive Teilnahme am Verfahren ermöglicht.7 Vor Schlichtungsstellen nach § 76 BetrVG können sich die Parteien durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen. Hiervon zu trennen ist die Frage des Honorierungsanspruchs, vgl. BAG NZA 1990, 107. III. Vereinsgerichte
56
Die wohl h.M. bejaht einen Anspruch auf anwaltliche Vertretung in Vereinsgerichtsverfahren nur unter sehr engen Voraussetzungen.8 Den Ausgangspunkt der Rechtsprechung bildet 1 2 3 4 5
So auch Schoch, NJW 1982, 545 (550). MüKo/Münch, § 1042 ZPO Rz. 63 f. Wilske/Markert, in: Vorwerk/Wolf (Hrsg.), BeckOK ZPO § 1042 Rz. 16.1. BT-Drs. 13/5274, S. 46. Wilske/Markert, in: Vorwerk/Wolf (Hrsg.), BeckOK ZPO § 1042 Rz. 14; Saenger, in: Saenger, ZPO, 5. Aufl. 2013, § 1042 Rz. 11. 6 Wilske, Austrian Yearbook on International Arbitration, 5. Aufl. 2011, 315 (324–326); Hrvatska Elektroprivreda d.d. v. Republic of Slovenia, ICSID Case No. ARB/06/3, Entscheidung v. 6.5.2008. 7 OVG Münster, NJW 1993, 3016. 8 Vossebürger, in: Feuerich/Weyland, § 3 Rz. 44.
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Rz. 60 § 3 BRAO
die Überlegung, dass dem Betroffenen auch vor Vereinsgerichten rechtliches Gehör zu gewähren sei. Dies ergäbe sich aus der Pflicht zur ordnungsmäßigen Untersuchung und stelle ein Gebot der natürlichen Gerechtigkeit dar.1 Allerdings lehnt es der BGH ab, das geforderte rechtliche Gehör als Gehör durch einen Anwalt zu begreifen.2 Etwas anderes könne sich nur ergeben, wenn aus Gründen der Gleichbehandlung eine anwaltliche Vertretung erforderlich sei, weil sich die Vereinsorgane, welche den Ausschluss betreiben, durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen.3 Auch für Parteischiedsgerichte wird vertreten, dass das rechtliche Gehör nicht ein durch einen Rechtsanwalt vermitteltes rechtliches Gehör sein muss. Parteischiedsgerichte seien keine Schiedsgerichte.4
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Grundsätzlich bedeutet nach der hier vertretenen Meinung, dass rechtliches Gehör immer heißen muss, sich eines Rechtsanwalts bedienen zu können. Rechtliches Gehör ist immer auch durch einen Rechtsanwalt vermitteltes rechtliches Gehör.
58
Soweit ein schiedsgerichtliches Verfahren im Sinne von §§ 1025 ff. ZPO vorliegt, ergibt sich dies bereits aus § 1042 Abs. 2 ZPO. Nach richtiger Ansicht nimmt das Recht, sich im Schiedsverfahren durch einen Rechtsanwalt vertreten zu lassen, sogar am ordre public teil,5 weil das Recht, sein rechtliches Gehör durch einen Anwalt ausüben zu lassen, Teil des rechtlichen Gehörs im Sinne von Art. 103 GG ist.
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Richtigerweise wird man auch bei den Vereinsgerichten davon auszugehen haben, dass ein Anspruch auf die Vermittlung des rechtlichen Gehörs durch einen Rechtsanwalt besteht. Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH unterliegen vereinsrechtliche Disziplinarmaßnahmen nur in einem eingeschränkten Umfang der Kontrolle durch die staatlichen Gerichte. Überprüft wird durch die staatlichen Gerichte, ob die verhängte Maßnahme eine Stütze im Gesetz oder in der Satzung hat, ob das satzungsmäßig vorgeschriebene Verfahren beachtet ist und ob die Maßnahme nicht grob unbillig oder willkürlich ist.6 Zum anderen überprüfen die staatlichen Gerichte auch, ob die vom Vereinsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegten Tatsachen nach objektiven rechtsstaatlichen Grundsätzen zutreffend festgestellt wurden.7 Im Gegensatz hierzu wird die Subsumtion des festgestellten Sachverhalts unter die herangezogene Vorschrift durch die staatlichen Gerichte nur in engen Grenzen überprüft. Insoweit erkennen die staatlichen Gerichte die eigenverantwortliche Ausübung der Vereinsgewalt an.8 Hieraus folgt aber, dass die rechtliche Entscheidung des Verbandsgerichts nur noch in einem eingeschränkten Umfang der rechtlichen Überprüfung zugänglich ist. Dies ist mit der Überprüfungsmöglichkeit von Schiedssprüchen strukturell vergleichbar. Daher muss sich der Rechtsgedanke von § 1042 Abs. 2 ZPO hier auch durchsetzen. Unter Umständen gibt es jedoch Einschränkungen für Tendenzbetriebe wie Parteien, nur solche Rechtsanwälte im Parteischiedsverfahren als Vertreter zuzulassen, welche Mitglied der entsprechenden Partei sind.9 IV. Verwaltungsverfahren Besondere Probleme weist die anwaltliche Vertretung im Verwaltungsverfahren auf. Zwar hat im Wesentlichen der Umfang der anwaltlichen Mitwirkung in § 14 VwVfG eine Regelung gefunden. Die Vorschrift ermöglicht grundsätzlich sich in jeder Lage des Verwaltungsverfahrens durch einen Bevollmächtigten vertreten zu lassen. Die Vorschrift ist Ausdruck eines fairen Verwaltungsverfahrens, welches dem Gebot verfahrensrechtlicher „Waffengleichheit“ zwischen den Verfahrensbeteiligten und der Behörde und dem Anspruch auf rechtliches Ge1 BGH, NJW 1959, 982; BGH, NJW 1960, 1861 (rechtliches Gehör aufgrund genossenschaftlicher Treupflicht); BGH, NJW 1996, 1756 (1757). 2 BGH, NJW 1971, 879 (882); BGH, NJW 1975, 160. 3 BGH, NJW 1971, 879 (882). 4 OLG Köln, NVwZ 1991, 1116 (1117) zustimmend Morlok, NJW 1991, 1162; ablehnend Henssler/Prütting/ Busse, § 3 Rz. 23. 5 Wie hier Heyn, NJW 1958, 1667; G. Roth, Der Vorbehalt des Ordre Public gegenüber fremden gerichtlichen Entscheidungen, 1967, S. 166; Wilske/Markert, in: Vorwerk/Wolf (Hrsg.), BeckOK ZPO § 1042 Rz. 14; unklar Schlosser, Das Recht der internationalen privaten Schiedsgerichtsbarkeit, 3. Aufl. 2013, Rz. 840. 6 BGH, NJW 1984, 918; BGH, NJW 1997, 3368. 7 BGH, NJW 1984, 918; BGH, NJW 1997, 3368. 8 BGH, NJW 1984, 918, BGH, NJW 1997, 3368. 9 So Morlok, NJW 1991, 1162, mit dem Argument, das Parteischiedsverfahren sei Teil der innerparteilichen Willensbildung.
Wolf 239
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§ 3 BRAO Rz. 61
Recht zur Beratung und Vertretung
hör entspricht.1 Vergleichbare Regelungen enthalten § 80 AO, § 13 SGB X und § 122 FlurbG. Jedoch erweist sich der in § 2 VwVfG definierte Anwendungsbereich der Vorschrift als problematisch. § 14 VwVfG findet nach § 2 Abs. 3 Nr. 2 VwVfG keine Anwendung bei Leistungs-, Eignungs- und ähnlichen Prüfungen von Personen durch die Behörden. Die Rechtsprechung entzieht über diesen Anwendungsbereich eine ganze Reihe von Verfahrensbeteiligten das Recht sich rechtsanwaltlichen Beistand zu sichern.2 Überall, wo es um prüfungsähnliche höchstpersönliche Verfahren geht, wie Einstellungsgespräche mit einem Bewerber um eine Beamtenstelle3 oder Bewerbungsgespräche hinsichtlich einer Beförderung,4 wird die Zuziehung eines Anwalts abgelehnt.5 Hingegen ist ein Rechtsanwalt bei Dienstgesprächen zuzulassen, die der Aufklärung einer möglichen dienstlichen Verfehlung dienen. Insoweit greift die Einschränkung des Anwendungsbereichs von § 2 Abs. 3 Nr. 2 VwVfG nicht.6 Die Nichtzulassung anwaltlichen Beistands im Rahmen der Anhörung eines Soldaten vor seinem Disziplinarvorgesetzten dürfte verfassungsrechtlich nicht haltbar sein.7 V. Kirchliche Verfahren 61
Das Grundgesetz verweist hinsichtlich der Religionsverfassung in Art. 140 GG auf die Weimarer Reichsverfassung. Nach dem inkorporierten Art. 137 Abs. 3 der Weimarer Reichsverfassung wird den Religionsgemeinschaften das Recht der Selbstbestimmung und Selbstverwaltung eingeräumt. Dieses Autonomierecht umschließt grundsätzlich auch das Recht zu einer kirchlichen Gerichtsbarkeit. Die erste im Staatskirchenrecht höchst umstrittene Fragestellung betrifft die Weichenstellung zwischen staatlicher und kirchlicher Gerichtsbarkeit.8 Dabei unterliegt die Rechtsprechung einer uneinheitlichen Tendenz.9 Soweit demnach der Rechtsschutz vor staatlichen Gerichten gesucht werden muss, ergibt sich hinsichtlich der anwaltlichen Vertretung keine Besonderheit.
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Umstritten ist hingegen, ob vor Kirchengerichten Rechtsanwälte zurückgewiesen werden dürfen, welche der entsprechenden Religionsgemeinschaft nicht angehören. Nach Art. 137 Abs. 3 Weimarer Reichsverfassung verwalten die Religionsgemeinschaften ihre inneren Angelegenheiten nur im Rahmen der -Schranken, der für alle geltenden Gesetze. Das BVerwG geht davon aus, dass die Frage der Beschränkung der Zulassung von Bevollmächtigten der Kontrolle der staatlichen Gerichte entzogen ist, weil es sich hierbei um eine innerkirchliche Regelung handelt.10 Weitergehender nimmt das BVerfG an, dass eine solche Vertretungsbeschränkung selbst mit dem Kernbestand der vom Grundgesetz normierten Grundprinzipien vereinbar sei.11 VI. Verzicht auf freie Anwaltswahl
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§ 3 Abs. 3 BRAO garantiert nicht nur die anwaltliche Vertretung, sondern auch die freie Anwaltswahl. Allgemein gilt, dass das Recht der freien Anwaltswahl dem individuellen Schutz des Einzelnen dient. Weil Grundlage des Mandatsverhältnisses das persönliche Vertrauen des Rechtsuchenden in den zu beauftragenden Anwalt ist, kann die Auswahlentscheidung nur von dem in seinen Interessen betroffenen Rechtsuchenden selbst wahrgenommen werden.12 1 Drescher, NVwZ 1988, 680 (681); Schoch, NJW 1982, 545 (547); Stelkens/Bonk/Sachs/Bonk/Schmitz, § 14 VwVfG Rz. 1. 2 Stelkens/Bonk/Sachs/Bonk/Schmitz, § 14 VwVfG Rz. 4 f. 3 BVerwGE 62, 169. 4 VGH Kassel, NVwZ 1989, 73. 5 Ablehnend Schoch, NJW 1982, 545 ff. Vgl. auch VG Düsseldorf, Urt. v. 14.4.2010 – 18 K 4441/09, juris mit der unzutreffenden Begründung, die Einschränkung der anwaltlichen Vertretung in § 53 Abs. 6 NRW SchulG rechtfertige sich aus der ausschließlichen Zuständigkeit der Länder auf dem Gebiet des Schulrechts. § 3 Abs. 2 BRAO normiert den verfassungsrechtlichen Anspruch auf rechtliches Gehör, welcher nach dem Rechtsstaatsprinzip auch im Verwaltungsverfahren gilt. 6 OVG Bremen, NJW 1976, 772. 7 So aber BVerwG, NJW 1976, 2032 und BDiszG, NVwZ-RR 1990, 424, bei einer Disziplinaranhörung eines Zivildienstleistenden, wie hier aber Henssler/Prütting/Busse, § 3 Rz. 26. 8 Weber, NJW 1989, 2297; Weber, NJW 2003, 2067 ff.; BGH, NJW 2000, 1555; OVG Koblenz, NJW 2004, 3731; BVerfGE 111, 1. 9 Hierfür z.B. Weber, NJW 1989, 2297 ff.; s. auch die abweichende Meinung von Lübbe-Wolff, BVerfGE 111, 7; sowie jüngst BVerfG, NJW 2009, 1195 und hierzu Weber, NJW 2009, 1179. 10 BVerwG, NJW 1981, 1972 f.; s. aber auch BAG, NJW 1989, 2284. 11 BVerfG, NJW 1983, 2570. 12 BGH, NJW 1991, 1335.
240 Wolf
Recht zur Beratung und Vertretung
Rz. 65a § 3 BRAO
Die freie Anwaltswahl wird einerseits durch die Versicherungsbranche einzuschränken gesucht. Anderseits wird die freie Anwaltssuche aber auch durch das Verhalten von Teilen der Anwaltschaft bedroht, die die Entscheidung, ob sie ein Mandat annehmen, nur nach kommerziellen Gesichtspunkten treffen und damit den hinter der Quersubventionierung stehenden Gedanken unterminieren (vgl. § 2 Rz. 10 und § 44 Rz. 4 ff.).
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Im Ergebnis stimmt die hier vertretene Ansicht mit der von Busse überein.1 Busse erkennt an, dass das System der Quersubventionierung leerläuft, wenn ein cherrypicking betrieben wird. Das System der freien Advokatur soll den einzelnen Anwalt gerade in die Lage versetzen, die Entscheidung, einen Fall anzunehmen, frei und losgelöst von unmittelbaren und ausschließlich kommerziellen Gesichtspunkten zu treffen. Ob man eine dem zuwider handelnde Kanzleiorganisationsstruktur als mit dem Leitbild der freien Advokatur nicht zu vereinbaren ansieht (wie hier) oder aber ob man dieses Verhalten als moralisch nicht mit der Stellung des Rechtsanwalts als Organ der Rechtspflege ansieht (Busse), mag letztlich dahinstehen. Zutreffend dürfte auch sein, dass die einzelne Entscheidung ein Mandat abzulehnen, nicht justiziabel ist. Anders aber ist es zu beurteilen. wenn Kanzleien von vornherein kundtun, für welche Mandate sie nur zur Verfügung stehen.
64a
Mit § 3 Abs. 3 BRAO ist nicht vereinbar, wenn die Rechtsschutzversicherung dem Versicherungsnehmer nur noch die Auswahl aus einem Kreis von bestimmten Anwälten überlässt. Insbesondere ist es unzulässig, wenn sich die Rechtsschutzversicherung vorbehält, bei Massenschäden den Rechtsvertreter für alle Geschädigten auszuwählen. Hierin liegt nicht nur aus deutscher Sicht ein Verstoß gegen § 3 Abs. 3 BRAO, sondern auch ein Verstoß gegen Art. 14 Absatz 1 lit. a der Rechtsschutzrichtlinie.2 Umgekehrt soll die Richtlinie einer Beschränkung der Erstattung der Anwaltskosten nicht entgegenstehen, falls der Versicherte sich durch einen nicht ortsansässigen Rechtsanwalt vertreten lässt. Voraussetzung hierfür ist aber, dass die Beschränkung der Übernahme dieser Kosten eine angemessene Wahl des Vertreters durch den Versicherungsnehmer faktisch nicht unmöglich macht.3 Auf dieser Linie hat nunmehr auch der BGH weder einen Verstoß gegen § 127 VVG noch § 3 Abs. 3 BRAO gesehen, wenn in den Versicherungsbedingungen vereinbart ist, dass dem Versicherten sein Schadensfreiheitsrabatt erhalten bleibt, wenn er einen vom Rechtsschutzversicherer empfohlenen Rechtsanwalt mandatiert.4 Voraussetzung hierfür ist aber, dass durch die Vertragsgestaltung die Grenzen zu einem unzulässigen psychischen Druck nicht überschritten werden.5 Unzulässig ist daher auch, die freie Anwaltswahl durch Zwischenschaltung eines Vereins zu umgehen, der für seine Mitglieder eine Gruppenrechtsschutzversicherung abschließt und dabei die Auswahlentscheidung für die Mitglieder zu treffen hat.6
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Gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 5 AKB hat der Versicherungsnehmer im Fall eines Rechtsstreits dem vom Versicherer bestellten Rechtsanwalt Vollmacht zu erteilen. Nach § 10 Abs. 5 AKB gilt der Versicherer gleichzeitig als bevollmächtigt im Namen der versicherten Personen Ansprüche abzuwehren. Eine vergleichbare Regelung trifft § 5 Nr. 4 AHB. Die Prozessmutterschaft7 wird vom BGH grundsätzlich gehalten. Nur wenn auf beiden Seiten dieselbe Kfz-Haftpflichtversicherung steht, fordert der BGH wegen eines Interessenkonflikts eine Einschränkung der Vollmacht.8 Indes ist in den allgemeinen Versicherungsbedingungen ein Verstoß gegen § 305c BGB zu sehen.9 Ein Verzicht auf die freie Anwaltswahl wird auch in den so genannten Kokon-Verfahren (collaborative law) vereinbart. Hierbei handelt es sich um eine besondere Ausprägung der Mediation, bei der die Scheidungsparteien mit Hilfe ihrer Anwälte eine einvernehmliche Scheidungslösung suchen. Scheitert dies, dürfen sie sich in dem gerichtlichen Scheidungsverfahren nicht mehr von denjenigen Rechtsanwälten vertreten lassen, welche sie im KokonVerfahren begleitet haben.10 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Henssler/Prütting/Busse, § 3 Rz. 31. Richtlinie 87/344/EWG v. 22.6.1987, ABl. Nr. L 185, S. 77; EuGH, NJW 2010, 355. EuGH, NJW 2011, 3077. BGH, AnwBl. 2014, 185 entgegen der Entscheidung der Vorinstanz, OLG Bamberg, NJW 2012, 2282. Vgl. hierzu auch Lensing, NJW 2012, 2285; Armbrüster, NJW-Sonderheft, 4. Hannoveraner ZPO-Symposion, 2008, 32 (34); Römermann, BB 2014, 80; Schons, AnwBl. 2012, 221. BGH, NJW 1990, 578. Keilbar, NVZ 1991, 335. BGH, NVZ 1991, 350. Wie hier H. Koch/Hirse, VersR 2001, 405; Feuerich/Weyland, § 3 Rz. 48; a.A. Henssler/Prütting/Busse, § 3 Rz. 29 mit dem Hinweis die Versicherung trage das gesamte Prozessrisiko. Vgl. zu Verfahren insgesamt und insbesondere zur berufsrechtlichen Zulässigkeit, Engel, Collaborative Law, 2010, S. 206 ff.
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65a
§ 3 BRAO Rz. 66
Recht zur Beratung und Vertretung
VII. Einschränkung der freien Anwaltswahl im Fall der Beiordnung 66
Nach § 121 ZPO wählt der Vorsitzende nur einen Rechtsanwalt im Rahmen der Beiordnung aus, wenn die Partei selbst keinen zur Vertretung bereiten Anwalt findet, § 121 Abs. 5 ZPO. Im Gegensatz hierzu bestimmt im Strafprozess der Vorsitzende nach § 142 Abs. 1 StPO den Verteidiger. Allerdings hat der Vorsitzende nach § 142 Abs. 1 S. 2 StPO grundsätzlich den vom Beschuldigten bezeichneten Verteidiger zu wählen. Da sich durch diese Bestimmung das Ermessen in der Regel auf null reduziert, kommt es weitgehend zu einer faktischen Angleichung dieser Bestimmung mit der Regelung in der ZPO, so dass keine grundsätzlichen Bedenken gegen die Regelung vor dem Hintergrund des § 3 Abs. 3 BRAO bestehen.1 Als problematisch dürfte sich jedoch die Regelung in § 142 Abs. 1 2. Hs. StPO erweisen, nach der der Vorsitzende den Verteidiger möglichst aus der Zahl der in dem Gerichtsbezirk niedergelassenen Rechtsanwälte auszuwählen hat. Jedenfalls kann in Verfahren, in denen umfangreiche Spezialkenntnisse erforderlich sind, die Ortsansässigkeit kein Auswahlkriterium sein.2 VIII. Wettbewerbsverbote
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Wettbewerbsverbote oder Mandantenschutzklauseln werden von der Rechtsprechung und Literatur in der Regel nur aus der Perspektive der Berufsträger und der in Art. 12 GG geschützten Berufsfreiheit durchdacht.3 Unberücksichtigt bleiben dabei die Interessen der Mandanten und ihr in § 3 Abs. 3 BRAO angesprochenes Recht der freien Anwaltswahl. Die heutige Rechtsprechung hat sich damit in einen Gegensatz zur Rechtsprechung des Reichsgerichts gesetzt, welches bei freien Berufen eine solche Beschränkung für unzulässig gehalten hat. Wettbewerbsbeschränkungen zwischen Rechtsanwälten und Ärzten seien in besonderem Maße anstößig, weil sie freie Träger geistiger Kräfte im Dienst des Gemeinwohls seien. Der wissenschaftliche, staatlich geordnete und wichtigen Gemeinwohlbelangen dienende Beruf dürfe in seiner Ausübung nicht irgendwelchen Beschränkungen nach Ort, Zeit und Gegenstand auferlegt werden. Es würde die öffentlichen Interessen verletzen, wenn für die Ausübung des Anwaltsberufs ein privates Monopol irgendwelcher Art geschaffen würde und hierdurch die der Allgemeinheit gewidmete Funktion im privaten Interesse und zum privaten Nutzen gehemmt würde.4
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Das Reichsgericht sah noch sehr klar, dass vertragliche Wettbewerbsbeschränkung nicht nur zu Lasten der Vertragsparteien geht, sondern auch zu Lasten der Allgemeinheit. Im Gegensatz hierzu wendet der BGH seinen Fokus nur denjenigen zu, welche von der Wettbewerbsabrede als Vertragspartner unmittelbar betroffen sind.5 Hierdurch werden allerdings die berechtigten Interessen der Mandanten vernachlässigt, die heute eher größer als kleiner geworden sein dürften. Insbesondere bei auf Stundenbasis abgerechneten Dauermandanten ist in der Person des betreuenden Rechtsanwalts ein Wissen aggregiert worden, welches durch die Mandatierung einer neuen Kanzlei erst wieder mit erheblichen Kosten erarbeitet werden muss. Wettbewerbsverbote können demnach auch die Mandanten finanziell belasten. Schließlich ist nicht zu verkennen, dass – trotz aller Anwaltsschwemme – für bestimmte hochspezialisierte Bereiche nur wenige Rechtsanwälte zur Verfügung stehen. Nimmt man das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen hinzu, kann beim Wechsel eines Teams von Spezialisten zu einer anderen Kanzlei sehr leicht die Situation entstehen, dass der Mandant kaum noch eine Auswahlentscheidung treffen kann. Folglich ist der Lösung Hensslers zu folgen und der Interessenausgleich über Gewinnabführklauseln zu lösen.6 Zugang zum Beruf des Rechtsanwalts 4 BRAO Zur Rechtsanwaltschaft kann nur zugelassen werden, wer die Befähigung
zum Richteramt nach dem Deutschen Richtergesetz erlangt hat oder die Eingliederungsvoraussetzungen nach dem Gesetz über die Tätigkeit europäischer Rechtsanwälte in Deutsch1 2 3 4 5
Vgl. Widmaier/Nobis, MAH Strafverteidigung, § 10 Rz. 79 m.w.N. Karlsruher Kommentar/Laufhütte, 2013, § 142 StPO Rz. 5. Vgl. die zutreffende Kritik von Henssler, in: FS Geiß, 2000, S. 271 (276 f.). RGZ 90, 35 (36 f.); RGZ 66, 143 (150). Ausgehend von BGH, NJW 1955, 337; die Entwicklung hingegen begrüßend Staudinger/Sack, § 138 BGB Rz. 306. 6 Henssler, in: FS Geiß, 2000, S. 271 (280 ff.); zustimmend Henssler/Prütting/Busse, § 3 Rz. 32.
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Rz. 3 § 4 BRAO
Zugang zum Beruf des Rechtsanwalts
land vom 9. März 2000 (BGBl. I S. 182) erfüllt oder die Eignungsprüfung nach diesem Gesetz bestanden hat. Das Berufsqualifikationsfeststellungsgesetz ist nicht anzuwenden. A. Allgemeines/Gesetzgebungsgeschichte . . I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . II. Gesetzgebungsgeschichte . . . . . . . .
1 1 5
B. Befähigung zum Richteramt. . . . . . . 12 I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . 12 II. Rechtswissenschaftliches Studium und Vorbereitungsdienst . . . . . . . . . . 14 1. Studium und Vorbereitungsdienst . . . . 14 2. Rechtspolitische Überlegungen . . . . . 27 27 a) Rückblick . . . . . . . . . . . . . 32 b) Bologna-Prozess . . . . . . . . . . c) Spartenausbildung . . . . . . . . . 36 d) Perspektiven der Rechtswissenschaft . 37a e) Stellungnahme . . . . . . . . . . . 38 III. Universitätsprofessor. . . . . . . . . . 43 1. Befähigung zum Richteramt . . . . . . 43 2. Prozessvertretung . . . . . . . . . . . 45 3. Verfassungsrechtliche Problematik . . . 51 IV. Anerkennung von im Ausland erworbenen Prüfungen nach dem Bundesvertriebe55 nengesetz (§ 112 Abs. 1 1. Alt. DRiG) . . .
V. Anerkennung von im Ausland erworbenen Studienleistungen als Schwerpunktbereichsprüfungen, § 112 Abs. 1 2. Alt. DRiG . . . . . . . . . . . . . . VI. Sonderreglung nach dem Einigungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Regelung zugunsten ehemaliger Richter der DDR . . . . . . . . . . . . . . . 2. Regelung zugunsten ehemaliger Rechtsanwälte der DDR . . . . . . . . . . . VII. Anerkennung von ausländischen Studienabschlüssen, welche von der DDR anerkannt worden sind, § 112 Abs. 2 DRiG . . . . . . . . . . . . . . C. Europäische Lösung . . . . . . . . . . I. Europäisches rechtswissenschaftliches Universitätsdiplom . . . . . . . . . . II. Tätigkeit als europäischer Rechtsanwalt nach dem EuRAG . . . . . . . . . . . III. Zulassung des europäischen Rechtsanwalts als deutscher Rechtsanwalt . . .
56 57 58 59
64 65 65 70 72
A. Allgemeines/Gesetzgebungsgeschichte I. Allgemeines Im Sinne des klassischen Wirtschaftsaufsichtsrechts stellt die Vorschrift eine subjektive Zulassungsvoraussetzung für den Zugang zum Beruf des Rechtsanwalts dar.1 Nach der herkömmlichen, vom BVerfG im Apothekenurteil2 entwickelten Stufentheorie darf die Berufswahl nur zum Schutze besonders wichtiger Gemeinschaftsgüter von subjektiven Zulassungsvoraussetzungen abhängig gemacht werden. Die Regelung beschränkt sich aber nicht darauf subjektive Zulassungsvorschriften zu formulieren, vielmehr fordert sie zusätzlich im Sinne einer Personalkonzession die Zulassung des Rechtsanwalts, damit dieser den Beruf ausüben kann. Das eigentliche Zulassungsverfahren ist in §§ 6 ff. BRAO geregelt. Die Personalkonzession wird durch die Kammeraufsicht (§ 73 Abs. 2 Nr. 4 BRAO) sowie das anwaltgerichtliche Verfahren (§§ 119 ff. BRAO) ergänzt. Beide bilden in der Sprache des Wirtschaftsverwaltungsrechts begleitende Überwachungs- und Sanktionsinstrumentarien.
1
Die BRAO sieht drei unterschiedliche Zugangsmöglichkeiten zum Rechtsanwalt vor. Nämlich zum einen die Befähigung zum Richteramt. Zum anderen die europarechtlich bedingte Zulassung von Anwälten aus den Staaten der Europäischen Union nach dem EuRAG. Das EuRAG selbst unterscheidet wiederum drei mögliche Formen, um als Rechtsanwalt in Deutschland tätig sein zu können, nämlich die Zulassung aufgrund einer bestandenen Eignungsprüfung, § 16 bis § 24 EuRAG, Zulassung aufgrund dreijähriger effektiver und regelmäßiger Tätigkeit als niedergelassener europäischer Rechtsanwalt, §§ 11, 12 EuRAG, sowie Zulassung aufgrund dreijähriger effektiver und regelmäßiger Tätigkeit als niedergelassener europäischer Rechtsanwalt, der sich jedoch dabei nur kürzere Zeit mit dem deutschen Recht befasst, nach einem Prüfungsgespräch, §§ 13 bis § 15 EuRAG. Und schließlich die Sonderregelung für Rechtsanwälte, die nach dem Rechtsanwaltsgesetz der DDR vom 13.9.1990 zugelassen waren oder bis zum 9.9.1996 die Zulassungsvoraussetzungen erfüllten (§ 214 BRAO).
2
Hiervon zu unterscheiden sind die ausländischen Rechtsanwälte, die im Inland lediglich eine Niederlassung unter der Anwaltsbezeichnung ihres Heimatlandes betreiben und nur Rechtsbesorgungen auf dem Gebiet ihres Herkunftsstaats und des Völkerrechts betreiben dürfen, § 206 BRAO. Diese sind keine deutschen Rechtsanwälte.3
3
1 Vgl. zu den subjektiven Zulassungsvoraussetzungen allgemein, BeckOK-GewO/Pielow, § 1 GewO Rz. 140. 2 BVerfGE 7, 377 ff. 3 S. § 206 BRAO Rz. 1.
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§ 4 BRAO Rz. 4 4
Zugang zum Beruf des Rechtsanwalts
Sowohl die Personalkonzession als auch die Überwachungs- und Sanktionsinstrumentarien wären sinnlos, wenn die gleiche Tätigkeit von jedermann ausgeübt werden könnte, ohne dass er der für die Rechtsanwälte maßgebenden Personalkonzession und Berufspflicht entspräche.1 In diesem Sinn denken das Rechtsdienstleistungsgesetz und die einschlägigen Prozessordnungen2 (z.B. § 79 ZPO) die BRAO zu Ende und ergänzen diese um den Verbotstatbestand. Erst die Zusammenschau von BRAO und RDG sowie den einschlägigen Bestimmungen in den Prozessordnungen ergibt das Verbot mit Erlaubnisvorbehalt.3 Das RDG und die einschlägigen Bestimmungen in den Prozessordnungen sichern daher die wirtschaftsaufsichtsrechtlichen Maßnahmen der BRAO ab. So enthält § 3 RDG das allgemeine Verbot der Erbringung außergerichtlicher Rechtsdienstleistung, welches sich auch an Rechtsanwälte richtet. Gesetzessystematisch ergibt sich die Erlaubnis zur außergerichtlichen Rechtsdienstleistung für die Rechtsanwälte erst aus § 3 BRAO. Die Vorschrift knüpft die Entscheidung über die Zulassung jedoch nicht an eine Bedarfsplanung und damit an objektive Berufszulassungskriterien.4 II. Gesetzgebungsgeschichte
5
Bereits die Rechtsanwaltsordnung von 1878 knüpfte die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft an die Befähigung zum Richteramt an. § 1 der Rechtsanwaltsordnung von 1878: „Zur Rechtsanwaltschaft kann nur zugelassen werden, wer die Fähigkeit zum Richteramt erlangt hat.“
6
Mit der Rechtsanwaltsordnung von 1878 wurden erstmals die unterschiedlichen landesrechtlichen Regelungen der Zulassung zum Rechtsanwalt vereinheitlicht.5 Gleichzeitig wurde festgelegt, dass der Rechtsanwalt die gleiche Befähigung wie der Richter haben muss. Damit wurde das Prinzip der gleichen Augenhöhe zwischen Richter und Rechtsanwälten allgemein durchgesetzt.6 Zugleich wurde aber auch der Bedürfnisprüfung, die bis dahin üblich war, eine Absage erteilt.7
7
Die Zulassung von Frauen zur Rechtsanwaltschaft erfolgte erst 1922. Zwar stellte bereits die Weimarer Reichsverfassung in Art. 109 Abs. 2 fest, dass Männer und Frauen grundsätzlich die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten hätten. Allerdings wurde die Bestimmung lediglich als programmatischer Rechtssatz begriffen, aus dem keine unmittelbaren Rechte abzuleiten seien.8 Aber erst mit dem Gesetz über die Zulassung der Frauen zu den Ämtern und Berufen der Rechtspflege vom 11.7.1922 wurde in Art. I festgelegt, dass die Befähigung zum Richteramt auch von Frauen erworben werden kann.9 Aufgrund eines „Führerentscheids“ vom August 1936 wurde zwar das Gesetz über die Zulassung von Frauen zu den Ämtern und Berufen der Rechtspflege von 1922 nicht aufgehoben, jedoch wurden Frauen nicht mehr als Rechtsanwältinnen zugelassen.10 Erst unmittelbar nach Ende des NSRegimes 1945 erfolgte wieder die Zulassung von Rechtsanwältinnen.
8
Auf vielfältige Weise wurde das Prinzip der freien Advokatur durch das NS-Regime unterlaufen. Mit dem Gesetz über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft vom 7.4.193311 wurden die Regelungen des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom gleichen
1 Vgl. hierzu Einl. RDG Rz. 4. 2 Das RDG regelt nur noch die außergerichtliche Rechtsdienstleistung. Der Umfang, in dem andere Personen als Rechtsanwälte vor Gericht als Parteivertreter auftreten dürfen ergibt sich nunmehr aus den einzelnen Prozessordnungen, vgl. hierzu § 1 RDG Rz. 1. 3 Wolf, NJW-Sonderheft zum 4. Hannoveraner ZPO-Symposion 2007, 21 f. 4 Allgemein zu den objektiven Berufszulassungskriterien BeckOK-GewO/Pielow, § 1 GewO Rz. 142 f. 5 Eine Übersicht der unterschiedlichen Regelungen enthält Anlage C der Drucksache des Reichstags, 3. Leg. Per. II Session 1878, Bd. 53 Nr. 5, S. 106. 6 Vgl. bereits Gneist, Freie Advocatur, 1867, S. 51, der die Ebenbürtigkeit der anwaltlichen Tätigkeit mit der richterlichen Tätigkeit forderte. 7 Siegrist, Advokat, Bürger und Staat, 1996, Halbband 1. S. 389 ff. 8 Kießow, DJZ 1919, 870 (874 f.); Jacobi, DJZ 1919, 1018 (1019). 9 RGBl. I 1922, S. 573. Vgl. hierzu Huerkamp, Bildungsbürgerinnen, 1997, S. 275 ff.; Siegrist, Advokat, Bürger und Staat, 1996, Halbband 2 S. 684 f.; Ostler, Die deutschen Rechtsanwälte 1871 bis 1971, 2. Aufl. 1982, S. 169 ff. 10 Huerkamp, Bildungsbürgerinnen, 1997, S. 291. 11 RGBl. I 1933, S. 188.
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Zugang zum Beruf des Rechtsanwalts
Rz. 11 § 4 BRAO
Tag1 auf die Rechtsanwälte übertragen, mit der Folge, dass die Zulassung jüdischer Rechtsanwälte widerrufen werden konnte und eine Neuzulassung ausgeschlossen war. Darüber hinaus waren Rechtsanwälte, die sich im „kommunistischen Sinne“ betätigten, von der Zulassung ausgeschlossen, bereits erteilte Zulassungen waren zurückzunehmen. Das NS-Regime bediente sich allerdings bei der Gleichschaltung der Anwaltschaft einer Doppelstrategie, indem neben die Maßnahmen zur Gleichschaltung der Anwaltschaft auch die Erfüllung anwaltlicher Konkurrenzschutzforderungen trat.2 Mit dem zweiten Gesetz zur Änderung der Rechtsanwaltsordnung vom 13.12.19353 wurde nicht nur der anwaltliche Probe- und Anwärterdienst nach dem Assessorexamen eingeführt (§ 2 ff. der RAO vom 13.12.1935), sondern auch die Zulassung der Rechtsanwälte an einem Gericht auf die Zahl beschränkt, welche einer „geordneten Rechtspflege dienlich ist.“4 Der Anspruch auf Zulassung war damit abgeschafft.5 § 1 der Reichsrechtsanwaltsordnung von 1935 lautete: „Als Rechtsanwalt kann nur zugelassen werden, wer durch Ablegung der großen Staatsprüfung die Fähigkeit zum Richteramt erlangt hat.“ Erst nach dem Ende des NS-Regimes kehrte man nach und nach zu dem Prinzip der unbeschränkten Zulassung zurück. So enthielt z.B. die Rechtsanwaltsordnung für die britische Zone noch die Bestimmung, dass derjenige, der als Rechtsanwalt tätig werden will, sich eines Anwärterdienstes unterziehen muss.6 Gleichfalls ermöglichte Art. VII der Einführungsverordnung zur Rechtsanwaltsordnung für die britische Zone eine am Bedarf ausgerichtete Zulassungspolitik.7
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Die Rechtsanwaltsordnung von 1.8.1959 enthielt keine objektiven Zulassungsbeschränkungen mehr. Gleichfalls wurde der Anwärterdienst für Rechtsanwälte nach dem Assessorexamen, welcher noch im Regierungsentwurf vorgesehen war,8 im Rechtsausschuss gestrichen.9
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§ 4 der Bundesrechtsanwaltsordnung von 1959 lautete: „Zur Rechtsanwaltschaft kann nur zugelassen werden, wer die Fähigkeit zum Richteramt nach den Vorschriften des Gerichtsverfassungsgesetzes erlangt hat.“10 Mit dem Erlass des DRiG wurde die Befähigung zum Richteramt nicht mehr in §§ 2 und 4 GVG geregelt, sondern im DRiG. Entsprechend wurde der Wortlaut der Vorschrift angepasst.11 Zwei weitere Anpassungen waren schließlich der europarechtlichen Entwicklung geschuldet. 1990 wurde § 4 BRAO durch das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie des Rates v. 21.12.1988 über eine allgemeine Regelung zur Anerkennung der Hochschuldiplome, die eine mindestens dreijährige Berufsausbildung abschließen, für die Berufe des Rechtsanwalts und des Patentanwalts angepasst.12 Als die verstreut geregelten gesetzlichen Bestimmungen, welche die verschiedenen EU-Richtlinien zum Tätigwerden von Rechtsanwälten aus den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union in Deutschland regelten, im EuRAG 2000 zusammengefasst wurden, wurde § 4 BRAO erneut angepasst.13 Die letzte Anpassung erfolgte durch das Gesetz zur Verbesserung der Feststellung und Anerkennung im Ausland erworbener Berufsqualifikationen, welches Satz 2 anfügte und damit klarstellte, dass das neugeschaffene Berufsqualifikationsfeststellungsgesetz keine Anwendung findet.14
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RGBl. I 1933, S. 175. Rücker, Rechtsberatung, 2007, S. 206 ff. RGBl. I 1935, S. 1470. § 15 Abs. 2 der RAO von 1935. Ostler, Die deutschen Rechtsanwälte 1871 bis 1971, 2. Aufl. 1982, S. 257 ff. Vgl. Cüppers, Rechtsanwaltsordnung für die britische Zone, 1949, Vorbem. § 4. Vgl. hierzu und zum Überblick über die Zulassungsvoraussetzungen in den Besatzungszonen, Müller, Die Freiheit der Advokatur 1972, S. 82 ff. BT-Drs. 3/120, S. 120 ff. (§§ 6 ff. des Entwurfs). BT-Drs. 3/778, S. 2 f. BGBl. I 1959, S. 565. BGBl. I 1961, S. 1680. BGBl. I 1990, S. 1349. BGBl. I 2000, S. 182. BGBl. I 2011, S. 2515.
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§ 4 BRAO Rz. 12
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B. Befähigung zum Richteramt I. Allgemeines 12
Die bei weitem größte Gruppe von Rechtsanwälten erfüllt die Zulassungsvoraussetzung durch den Nachweis der Befähigung zum Richteramt.1 Die Voraussetzungen, um die Befähigung zum Richteramt zu erwerben, sind im DRiG geregelt. Dabei sieht das DRiG drei unterschiedliche Möglichkeiten vor. Die erste Möglichkeit besteht darin, die Befähigung zum Richteramt durch ein Studium der Rechtswissenschaft an einer Universität und dem sich anschließenden Vorbereitungsdienst im Sinne von § 5 DRiG zu erwerben. Zum Zweiten ist mit der Ernennung zum ordentlichen Universitätsprofessor der Rechte an einer Universität automatisch die Befähigung zum Richteramt nach § 7 DRiG verbunden. Schließlich sieht drittens das DRiG noch Übergangsbestimmungen nach dem Einigungsvertrag und dem Bundesvertriebenengesetz vor, § 112 DRiG.
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Für die Befähigung zum Richteramt ist die deutsche Staatsbürgerschaft nicht erforderlich, wie sich aus § 9 DRiG ergibt, welcher die Staatsbürgerschaft neben der Befähigung zum Richteramt als zusätzliche Voraussetzung für die Berufung ins Richterverhältnis nennt. Da § 4 DRiG – im Gegensatz zu § 5 BNotO – lediglich die Befähigung zum Richteramt voraussetzt, ist die deutsche Staatsbürgerschaft für die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nicht erforderlich.2 II. Rechtswissenschaftliches Studium und Vorbereitungsdienst 1. Studium und Vorbereitungsdienst
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In aller Regel wird die Befähigung zum Richteramt durch ein Universitätsstudium und den daran anschließenden Vorbereitungsdienst nach § 5 ff. DRiG erworben. Der Gesetzgeber definiert im DRiG für alle staatlich geregelten juristischen Berufe (Notar, Richter, Staatsanwalt, Rechtsanwalt) die persönlichen Qualifikationsanforderungen einheitlich und schafft so das Bild vom Einheitsjuristen. Zwar wird mit der Bezeichnung „Befähigung zum Richteramt“ suggeriert, im Mittelpunkt der Ausbildung stünde ausschließlich die Ausbildung zum Richter. Richtigerweise handelt es sich hierbei jedoch um einen einheitlichen Standard, welcher auf die unterschiedliche berufliche Tätigkeit als Richter, Notar, Rechtsanwalt, Staatsanwalt oder höherer Verwaltungsbeamter gleichermaßen vorbereiten soll. Dies ergibt sich bereits unmittelbar aus §§ 5a Abs. 3 und 5d Abs. 1 DRiG, welche die Berücksichtigung der rechtsprechenden, verwaltenden und rechtsberatenden Praxis zum Gegenstand des Studiums und der Prüfung machen.
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Der Gesetzgeber hat bei der letzten Reform der Juristenausbildung im Jahr 20023 ausdrücklich an der Zweigliedrigkeit der juristischen Ausbildung in Studium und Vorbereitungsdienst sowie an dem Leitbild des Einheitsjuristen festgehalten.4 Demnach setzt die Befähigung zum Richteramt das Studium der Rechtswissenschaft an einer Universität voraus. In der Regel beträgt die Studienzeit vier Jahre, wobei maximal zwei Jahre im Ausland studiert werden können, § 5a Abs. 1 DRiG. Die Studienzeit von vier Jahren kann unterschritten werden, wenn die erforderlichen Leistungsnachweise für die Zulassung zu den Prüfungen bereits erbracht sind. Allerdings darf die nach § 5a Abs. 1 S. 2 DRiG vorgeschriebene Studienzeit im Inland von zwei Jahren hierbei nicht unterschritten werden. Das Studium schließt mit der Ersten Juristischen Prüfung ab, welche sich aus der staatlichen und der universitären Prüfung zusammensetzt. Dabei fließt die universitäre Schwerpunktbereichsprüfung mit 30 % und die staatliche Prüfung mit 70 % in das Gesamtergebnis ein. Weiter legt § 5d Abs. 1 DRiG fest, dass bereits die Erste juristische Prüfung die rechtsprechende, verwaltende und rechtsberatende Praxis einschließlich der hierfür erforderlichen Schlüsselqualifikationen zu berücksichtigen hat.
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Der Gesetzgeber hat damit deutlich gemacht, dass bereits im Studium eine anwaltsorientierte Juristenausbildung stattfinden muss. Da der Gesetzgeber die rechtsberatende Praxis in einen unmittelbaren Zusammenhang mit den Schlüsselqualifikationen wie Verhandlungs1 Vgl. Kilian/Dreske (Hrsg.), Statistisches Jahrbuch der Anwaltschaft 2011/2012, S. 213 ff. 2 Jessnitzer/Blumberg, § 4 DRiG Rz. 1; vgl. zur Diskussion im Bereich des Notariats Preuß, GPR 2008, 2; Schill, NJW 2007, 2014. 3 BGBl. I 2002, S. 2592. 4 BT-Drs. 14/7176, S. 7.
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Rz. 19 § 4 BRAO
management, Gesprächsführung, Rhetorik, Streitschlichtung, Mediation, Vernehmungslehre und Kommunikationsfähigkeit (§ 5a Abs. 3 S. 1 DRiG) stellt, wird zum Teil angenommen, die anwaltsorientierte Juristenausbildung müsse vornehmlich in zusätzlichen Lehrveranstaltungen, wie Verhandlungsmanagement oder Meditation, stattfinden. Indes kommt es darauf an, die richtige Gewichtung dieser Softskills zu den dogmatischen Fächern zu finden. So beschäftigt sich z.B. die Vernehmungslehre mit der Frage, wie durch bestimmte Fragetechniken der Sachverhalt möglichst genau ermittelt und der Wahrheitsgehalt einer Aussage überprüft werden kann.1 Unzweifelhaft kann die Vernehmungslehre von immenser praktischer Bedeutung bei der Zeugeneinvernahme im Gerichtssaal sein. Für den Rechtsanwalt aber mindestens genau so wichtig dürfte es sein, die Grenzen des Fragerechts nach § 397 ZPO zu kennen.2 Letzteres wird in der dogmatischen Vorlesung Zivilprozessrecht vermittelt. Auch besteht bei den Softskills eine nicht zu unterschätzende Gefahr der Trivialisierung der juristischen Ausbildung und damit letztlich von dem im Studium vermittelten Bild der anwaltlichen Tätigkeit. Zwar ist es z.B. sinnvoll, den Studierenden das Modell des mexikanischen Duells nahezubringen.3 Hierunter verbirgt sich eine verhandlungsstrategische Regelung, wie zwei Gesellschafter den Anteil desjenigen von ihnen, der aus der Gesellschaft ausscheiden will, möglichst fair bewerten können. Derjenige Gesellschafter, der den Anteil des anderen Gesellschafters übernehmen will, schlägt hierfür einen Kaufpreis vor. Der andere Gesellschafter kann nun entweder diesen Kaufpreis für seinen Gesellschaftsanteil akzeptieren oder ihn zur Basis der Bewertung des Gesellschaftsanteils der Gegenseite machen. Diese muss dann – und das ist der Clou des Modells – auf der Basis des von ihr selbst eingeführten Bewertungsmodells ihren Gesellschaftsanteil auf Verlangen des ursprünglich zum Ausscheiden vorgesehenen Gesellschafters an diesen verkaufen. Eine neue Variation des alten Kuchenteilspiels – einer teilt, der andere wählt. Höchst zweifelhaft wird es jedoch, wenn in einschlägigen Lernbüchern der Leser darüber in Kenntnis gesetzt wird, dass man sich vor Verhandlungsbeginn wechselseitig vorstellt, Visitenkarten austauscht und der auszuhandelnde Vertrag tatsächlich durch zwei übereinstimmende Willenserklärungen zustande kommt.4 Manches von dem, was heute hochtrabend unter „Softskills“ geführt wird, hätte man früher als Allgemeinbildung bezeichnet.
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Im Mittelpunkt der anwaltsorientierten Juristenausbildung hat aber, wie von der HansSoldan-Stiftung immer wieder gefordert, die Vermittlung der Anwaltsperspektive bereits in den dogmatischen Hauptvorlesungen, wie Schuldrecht Allgemeiner Teil, Sachenrecht, Allgemeines Verwaltungsrecht oder Strafrecht AT, zu stehen.5 Anwaltsorientierte Juristenausbildung bedeutet hier nicht die am Ideal der Gerechtigkeit6 ausgerichtete Dogmatik durch eine einseitig am Mandanteninteresse ausgerichtete anwaltliche Polemik zu ersetzen. Anwälte vermögen die Gerichte nur zu überzeugen, wenn sie in ihrer Argumentation so vortragen, dass diese auch durch das Gericht übernommen werden kann. Ein Anwalt kann den Fall natürlich nicht anders lösen als ein Richter. Beide subsumieren den Sachverhalt nach den gleichen Regeln unter dieselben Normen.7 Ein wesentlicher Unterschied zwischen der richterlichen und der anwaltlichen Tätigkeit ist jedoch, dass der Rechtsanwalt mit wesentlich offeneren Sachverhalten zu tun hat als der Richter.
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Dies gilt zunächst einmal für das mit anwaltsorientierter Juristenausbildung klassischer Weise assoziierte Gebiet der Vertragsgestaltung. Die Interessen der Parteien sind in eine zulässige rechtliche Regelung zu gießen. Dabei sind mögliche Vertragsstörungen zu antizipieren. Die Vertragsgestaltung setzt dabei ein doppeltes Hin- und Herwandern des Blicks voraus: Von den Regelungsanliegen der Parteien zu einer möglichen Regelung (Vertragsentwurf) und von der möglichen Regelung (Vertragsentwurf) auf verschiedene alternative Sachverhalte. Führt die vorgeschlagene Regelung in den unterschiedlichen möglichen Sachverhaltskonstellationen zu interessensgerechten Ergebnissen, oder muss die vorgeschlagene Regelung so verändert werden, dass dies der Fall ist? So lautet der Prüfauftrag an den Rechtsanwalt, welcher bereits während des Studiums vermittelt werden kann. In einer Erb-
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1 Fritzmeyer, NJW 2006, 2825 (2826). 2 Vgl. hierzu MüKo-ZPO/Damrau, § 397 ZPO Rz. 2. 3 Allgemein hierzu Heussen, in: Heussen (Hrsg.), Handbuch der Vertragsverhandlung und Vertragsmanagement, 3. Aufl. 2007, Teil 2 Rz. 334, 337, 350. 4 Zur Kritik bereits Knauer, JuS-Magazin 5/2004, 8. 5 Koch, AnwBl. 2003, 561 ff. 6 Vgl. zur Gerechtigkeit als das Ziel rechtlicher Regelungen Rüthers, Rechtstheorie, 7. Aufl. 2013, Rz. 345 ff. 7 Vgl. hierzu Forgó, JA für Erstsemester 2011, 44 (45).
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§ 4 BRAO Rz. 20
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rechtsvorlesung lassen sich verschiedene Testamentsgestaltungen einüben oder in einer Vertragsrechtsvorlesung die Gestaltung eines Kaufvertrags besprechen. 20
Zweiter wichtiger Punkt für die Vermittlung der Anwaltsperspektive im Rahmen der Dogmatik bilden pathologische, aber noch nicht abgeschlossene Sachverhalte. In der Richterperspektive werden stets nur im Nachhinein abgeschlossene Sachverhalte beurteilt. Aufgabe des Rechtsanwalts ist es jedoch in der Regel in einem (Rechts-) Streit verschiedene Handlungsoptionen abzuklären. Den Ausgangspunkt, solche Handlungsoptionen einzuführen, bilden in der Regel Gestaltungsrechte.1 Der Richter wird mit der Situation konfrontiert, in der ein Gestaltungsrecht bereits ausgeübt worden ist. Er hat zu prüfen, ob das Gestaltungsrecht wirksam ausgeübt wurde und welche Rechtsfolgen daran geknüpft sind. Beispiel: Ist der Kaufvertrag wirksam angefochten und kann jetzt noch ein Schadensersatzanspruch wegen Pflichtverletzung geltend gemacht werden? Schaltet der Käufer einen Rechtsanwalt ein, stellt sich für den Rechtsanwalt im Grunde zwar dieselbe Frage, aber in einem anderen Kontext: Kann mein Mandant wegen Irrtums anfechten? Hat er, wenn er angefochten hat, noch einen Schadensersatzanspruch? Da der Schadensersatzanspruch statt der Leistung entfällt, wenn der Kaufvertrag angefochten wird,2 wird der Rechtsanwalt dazu raten den Vertrag nicht anzufechten, sondern stattdessen Schadensersatz statt der Leistung zu verlangen.
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Die Anwaltsperspektive heißt in diesem Zusammenhang also das Denken in möglichen rechtlichen Handlungsalternativen zu verdeutlichen und die unterschiedlichen Rechtsfolgen in Bezug zueinander zu setzen.
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Der dritte Punkt der anwaltsorientierten Darstellung der Dogmatik ist sicherlich der schwierigste und reizvollste zugleich. Recht ist nicht etwas Statisches. Recht entwickelt sich vielmehr im Gerichtssaal. Immer wieder kann man in den amtlichen Sammlungen nachlesen, dass der BGH seine Ansicht zu einer bestimmten Frage aufgegeben hat.3 Wie kommt es aber zu dieser Rechtsentwicklung? In der Methodenlehre wird dem Gerichtsverfahren häufig eine für die Rechtsentwicklung untergeordnete Bedeutung zugemessen. Die Rechtsentwicklung findet außerhalb des eigentlichen Gerichtsverfahrens statt, dieses dient nur noch der pädagogischen Vermittlung der gewonnenen Ergebnisse.4 Eine solche Sicht der Dinge überbetont jedoch die akademische Seite der Rechtsentwicklung und unterbewertet die forensische. Ohne Anwälte, die die Möglichkeit der Weiterentwicklung des Rechts sehen und entsprechende Fälle bis zu den obersten Gerichten treiben, wäre dies nicht denkbar. Aufgabe einer anwaltsorientierten Juristenausbildung auf dem Gebiet der Dogmatik ist es auch diese Rolle der Rechtsanwälte bei der Gewinnung des Rechts transparent zu machen.
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Die Pflichtfächer des juristischen Studiums sind nach § 5a Abs. 2 DRiG die Kernbereiche des Bürgerlichen Rechts, des Strafrechts, des Öffentlichen Rechts und des Verfahrensrechts einschließlich der europarechtlichen Bezüge, der rechtswissenschaftlichen Methoden und der philosophischen, geschichtlichen und gesellschaftlichen Grundlagen. Begreift man das anwaltliche Berufsrecht nicht als Teil des Verfahrensrechts, gehört dieses nicht zu den an der Universität zu lehrenden Pflichtfächern. Richtigerweise sollte jedoch das Berufsrecht als Teil des Gerichtsverfassungsrechts und damit Berufsrechts (zur Verortung des Berufsrechts im Gerichtsverfassungsrecht)5 im Sinne einer Magna Charta der Rechtsanwaltschaft bereits an den Universitäten gelehrt werden. In aller Regel haben die Studierenden ein zutreffendes Bild von der richterlichen Unabhängigkeit. Im Gegensatz hierzu ist im Bewusstsein meist nicht verankert, was sich hinter der in § 1 BRAO verwandten Chiffre „Der Rechtsanwalt ist ein unabhängiges Organ der Rechtspflege“ verbirgt. Zur anwaltsorientierten Juristenausbildung gehört auch die Studierenden für die anwaltlichen core values zu sensibilisieren: Anwaltliche Unabhängigkeit; Verschwiegenheitspflicht und Recht zur Verschwiegenheit; Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen; Sachlichkeitsgebot; gleiche Augenhöhe mit dem Richter und die Streitwert-unabhängige Sicherung des Zugangs zum Recht. Aufgabe bereits des Universitätsstudiums muss es sein, die Rolle der Rechtsanwaltschaft für die Verwirklichung des Rechtsstaats zu verdeutlichen.
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Der Vorbereitungsdienst dauert nach § 5b Abs. 1 DRiG zwei Jahre. Vorgeschrieben sind Pflichtstationen bei der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Zivilsachen, bei der Staatsanwalt1 Vgl. Wolf, JA 2006, 476 zur Gestaltung der Anwaltsklausur durch Gestaltungsrechte. 2 Die Pflichtverletzung setzt wirksame und fällige Primärforderungen voraus, vgl. nur Palandt/Heinrichs, § 281 BGB Rz. 8, welche durch Anfechtung rückwirkend entfallen, Palandt/Heinrichs, § 142 BGB Rz. 2. 3 Z.B. zur Bürgschaft, Ausschluss der Einrede der Aufrechenbarkeit, BGHZ 153, 293 unter Aufgabe der Rechtsansicht aus BGHZ 95, 350. 4 Vgl. Lerch/Christensen, Die Sprache des Rechts, Bd. 2, Berlin 2005, S. 77 ff. 5 § 1 BRAO Rz. 44 ff.
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Rz. 26 § 4 BRAO
schaft oder einem Gericht in Strafsachen, einer Verwaltungsbehörde und einem Rechtsanwalt. Die Pflichtstation bei einem Rechtsanwalt ist auf mindestens neun Monate ausgedehnt worden, die übrigen Pflichtstationen betragen jeweils mindestens drei Monate. Im Übrigen lassen die bundesrechtlichen Vorgaben den Ländern einen breiten Ausgestaltungsspielraum. So kann in angemessenem Umfang die Ausbildung auch bei überstaatlichen, zwischenstaatlichen oder ausländischen Ausbildungsstellen oder ausländischen Rechtsanwälten stattfinden, § 5b Abs. 3 DRiG. Die Anwaltsstation kann bis zu drei Monaten auch bei einem Notar, einem Unternehmen, einem Verband oder bei einer sonstigen Ausbildungsstelle stattfinden, bei der eine sachgerechte, rechtsberatende Ausbildung gewährleistet ist, § 5 Abs. 4 DRiG. Hinsichtlich der Prüfung legt das DRiG nicht fest, ob ein Klausurexamen oder zusätzlich eine Hausarbeit gestellt werden kann. Auch dies wird dem Landesgesetzgeber überlassen, § 5d Abs. 4 DRiG. Hinsichtlich der Anwaltsstation hat die Bundesrechtsanwaltskammer eine Empfehlung ausgearbeitet, mit welcher Tätigkeit Rechtsreferendare vertraut gemacht werden sollen. Der Punktekatalog umfasst acht Hauptpunkte mit zahlreichen Unterpunkten. Im Einzelnen:
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1. Büropraxis und -organisation; 2. Gebührenwesen/BRAGO; 3. Technische Ausstattung; 4. Kanzleistrategie/Marketing; 5. Berufsrecht; 6. Anwaltliche Haftung; 7. Personalwesen; 8. Finanzbuchhaltung, Geldverkehr und Steuern der Anwaltskanzlei. Der DAV hat ein eigenes Ausbildungskonzept für Rechtsreferendare entwickelt, die DAV-Anwaltsausbildung. Referendare, die sich dieser Ausbildung unterziehen, erhalten nach erfolgreichem Abschluss ein vom DAV erstelltes Ausbildungszertifikat. Das Ausbildungskonzept umfasst sowohl einen theoretischen, als auch einen praktischen Teil. Der theoretische Teil wird in Zusammenarbeit mit der Fernuniversität Hagen angeboten und umschließt insgesamt 27 Kurseinheiten, die in zwei Blöcken (Anwaltskanzlei und Anwaltsmandat) aufgeteilt sind.1 Die praktische Ausbildung findet in DAV-Ausbildungskanzleien statt. Die Anwaltsstation beträgt statt neun Monaten zwölf Monate, weil die Anwaltsstation um die dreimonatige Wahlstation verlängert wird. Die DAV-Ausbildungskanzleien führen die praktische Ausbildung nach einem umfangreichen Ausbildungshandbuch durch.2 Die Einzelheiten der Juristenausbildung sind in dem vom DRiG gesteckten Rahmen in den jeweiligen Landesjustizausbildungsgesetzen geregelt. Diese sind: – Baden-Württemberg: – Gesetz über die juristischen Prüfungen und den juristischen Vorbereitungsdienst im Land Baden-Württemberg (JAG B-W), zuletzt geändert durch Art. 59 Achte AnpassungsVO vom 25.1.2012 (GBl. B-W 2012, S. 65); – Juristenausbildungs- und Prüfungsordnung (JAPrO), in der Fassung vom 8.10.2002 (GBl. B-W, 2002, 391), zuletzt geändert durch Art. 1 ÄndVO vom 23.3.2011 (GBl. B-W 2011, S. 164) – Bayern: – Art. 19 Abs. 2 und Art. 115 Abs. 2 S. 2 Hs. 2 des Bayerischen Beamtengesetzes (BayBG), in der Fassung vom 27.8.1998 (BayGVBl. 1998, 702), zuletzt geändert durch § 13 Gesetz zur Anpassung der Bezüge 2012 vom 30.3.2012 (BayGVBl. S. 94). – Ausbildungs- und Prüfungsordnung für Juristen (BayJAPO), in der Fassung vom 13.10. 2003 (BayGVBl. 2003, 758), zuletzt geändert durch § 7 Dienstrecht-AnpassungsVO vom 28.1.2011 (GVBl. 2011, S. 65) – Berlin: – Berliner Gesetz über die juristische Ausbildung (BerlJAG), in der Fassung vom 23.6. 2003 (Berl. GVBl. 2003, 232), zuletzt geändert durch Art. XII Nr. 42 DienstrechtsänderungsG vom 19.3.2009 (BerlGVBl. 2009, S. 70). – Berliner Juristenausbildungsordnung (BerlJAO), in der Fassung vom 4.8.2003 (Berl. GVBl. 2003, 298), zuletzt geändert durch Art. I Dritte ÄndVO vom 20.9.2010 (Berl. GVBl. 2010, S. 470).
1 http://www.juristische-weiterbildung.de/jur_weiterbildung/download/masterstudium-anwaltsrecht-undanwaltspraxis.pdf. 2 http://www.juristische-weiterbildung.de/jur_weiterbildung/download/masterstudium-anwaltsrecht-undanwaltspraxis.pdf.
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§ 4 BRAO Rz. 26
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– Brandenburg: – Gesetz über die Juristenausbildung im Land Brandenburg (BbgJAG), in der Fassung vom 4.6.2003 (BbgGVBl. I/2003, 166), zuletzt geändert durch Art. 14 Brandenburgisches BeamtenrechtsneuordnungsG vom 3.4.2009 (BbgGVBl. I 2009, S. 26). – Ausbildungs- und Prüfungsordnung für Juristen im Land Brandenburg (BbgJAO), in der Fassung vom 6.8.2003 (GVBl. II/2003, 438), zuletzt geändert durch Art. I Zweite ÄndVO vom 22.11.2010 (BbgGVBl. 2010 II Nr. 80, S. 1). – Bremen: – Bremisches Gesetz über die Juristenausbildung und die erste juristische Prüfung (BremJAPG), in der Fassung vom 20.5.2003 (Brem. GBl., 2003, 251), zuletzt geändert Nr. 2.1 i.V.m. Anl. 1 ÄndBek vom 24.1.2012 (BremGBl. 2012, S. 24). – Prüfungsordnung für das rechtswissenschaftliche Studium mit dem Abschluss erste juristische Prüfung am Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Bremen (BremJAPO), in der Fassung vom 26.5.2010 (BremABl. 2011, S. 15). – Hamburg: – Hamburgisches Juristenausbildungsgesetz (HmbJAG), in der Fassung vom 11.6.2003 (HmbGVBl. 2003, 156), zuletzt geändert durch Viertes Gesetz zur Änderung des Hamburgischen Juristenausbildungsgesetzes vom 31.1.2012 (HmbGVBl. 2012, S. 37). – (keine JAO mehr, vgl. § 50 HmbJAG). – Hessen: – Hessisches Gesetz über die juristische Ausbildung (HessJAG), in der Fassung vom 12.3.1974 (GVBl. I 1974, 157), zuletzt geändert durch Art. 1 G zur Änderung des JuristenausbildungsG u. der Jur. AusbildungsO vom 24.5.2011 (HessGVBl. 2011 I, S. 206). – Verordnung zur Ausführung des Juristenausbildungsgesetzes (HessJAO), in der Fassung vom 25.10.2004 (HessGVBl. I 2004, 316), zuletzt geändert durch Art. 2 G zur Änd. des JuristenausbildungsG u. der Jur. AusbildungsO vom 24.5.2011 (HessGVBl. 2011 I, S. 206). – Mecklenburg-Vorpommern: – Gesetz über die Juristenausbildung im Land Mecklenburg-Vorpommern (JAG M-V), in der Fassung vom 16.12.1992 (GVOBl. M-V 1992, 725), zuletzt geändert durch Art. 1 Zweites ÄndG vom 24.3.2011 (GVOBl. M-V 2011, S. 180). – Verordnung zur Ausführung des Juristenausbildungsgesetzes (JAPO M-V) in der Fassung vom 16.6.2004 (GVOBl. M-V 2004, 281), zuletzt geändert durch Art. 1 Erste ÄndVO vom 1.4.2011 (GVOBl. M-V 2011, S. 227). – Niedersachsen: – Niedersächsisches Gesetz zur Ausbildung der Juristinnen und Juristen (NJAG), in der Fassung vom 15.1.2004 (Nds. GVBl. 2004, 7), zuletzt geändert durch Art. 1 G zur Änd. des Nds. G zur Ausbildung der Juristinnen und Juristen und des G über Kosten im Bereich der Justizverwaltung vom 27.8.2009 (Nds. GVBl. 2009, S. 348). – Verordnung zum Niedersächsischen Gesetz zur Ausbildung der Juristinnen und Juristen (NJAVO), in der Fassung vom 2.11.1993 (Nds. GVBl. 1993, 561), zuletzt geändert durch Art. 1 ÄndVO vom 11.9.2009 (Nds. GVBl. 2009, S. 354). – Nordrhein-Westfalen: – Gesetz über die juristischen Prüfungen und den juristischen Vorbereitungsdienst in Nordrhein-Westfalen (JAG NRW) in der Fassung vom 11.3.2003 (GV. NRW. 2003, 135, 431), zuletzt geändert durch Art. 19 DienstrechtsÄndG vom 21.4.2009 (GV. NRW 2009, S. 224). – (keine JAO, nur JAGebO) – Rheinland-Pfalz: – Landesgesetz über die juristische Ausbildung Rheinland-Pfalz (JAG R-P), in der Fassung vom 23.6.2003 (GVBl. R-P 2003, 116), zuletzt geändert durch § 142 XIV LBG R-P vom 20.10.2010 (GVBlR-P 2010, S. 319). – Juristische Ausbildungs- und Prüfungsordnung (JAPO R-P), in der Fassung vom 1.7. 2003 (GVBl. R-P 2003, 131), zuletzt geändert durch Erste ÄndVo der Juristischen Ausbildungs- und Prüfungsordnung vom 23.7.2010 (GVBlR-P 2010, S. 249).
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Rz. 27 § 4 BRAO
– Saarland: – Gesetz über die juristische Ausbildung des Saarlandes (SaarlJAG), in der Fassung vom 8.1.2004 (SaarlGVBl. 2004, 78), zuletzt geändert durch Art. 3 G zur Anpassung dienstrechtl. Vorschriften an das BeamtenstatusG vom 11.3.2009 (SaarlABl. 2009, S. 514). – Verordnung zur Ausführung des Gesetzes über die juristische Ausbildung des Saarlandes (SaarlJAO), in der Fassung vom 8.1.2004 (SaarlGVBl. 2004, 91), zuletzt geändert durch Art. 1 ÄndVO vom 20.10.2011 (SaarlABl. I 2011, S. 352). – Sachsen: – Gesetz über die Juristenausbildung im Freistaat Sachsen (SächsJAG), in der Fassung vom 27.6.1991 (SächsGVBl. 1991, 224), zuletzt geändert durch Art. 1 Drittes ÄndG vom 16.2.2006 (SächsGVBl. 2006, S. 57). – Ausbildungs- und Prüfungsordnung für Juristen des Freistaates Sachsen (SächsJAPO), in der Fassung vom 7.4.2006 (SächsGVBl. 2006, 105), zuletzt geändert durch Art. 1 Vierte ÄndVO vom 2.4.2012 (SächsGVBl. 2012, S. 257). – Sachsen-Anhalt: – Gesetz über die Juristenausbildung im Land Sachsen-Anhalt (JAG LSA), in der Fassung vom 16.7.2003, (GVBl. LSA 2003, 167). – Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Juristen (JAPrVO LSA), in der Fassung vom 2.10.2003 (GVBl. LSA 2003, 245, 349), zuletzt geändert durch Art. 2 XXXII zur Neuordnung des Landesbeamtenrechts vom 15.12.2009 (GVBl. LSA 2009, S. 648). – Schleswig-Holstein: – Gesetz über die Ausbildung der Juristinnen und Juristen im Land Schleswig-Holstein (JAG SH), in der Fassung vom 20.2.2004 (GVOBl. SH 2004, S. 66), zuletzt geändert durch Art. 6 LandesVO zur Anpassung von Rechtsvorschriften an geänderte Zuständigkeiten der obersten Landesgerichte und geänderte Resortbezeichnungen vom 8.9. 2010 (GVOBl. SH 2010, S. 575). – Landesverordnung über die Ausbildung der Juristinnen und Juristen (JAVO SH), in der Fassung vom 19.3.2004, (GVOBl. SH 2004, S. 88), zuletzt geändert durch Art. 1 ÄndVO vom 29.3.2012 (GOVBl. SH 2012, S. 442). – Thüringen: – Thüringer Gesetz über die juristischen Staatsprüfungen und den juristischen Vorbereitungsdienst (ThürJAG) in der Fassung vom 28.1.2003 (ThürGVBl. 2003, 33), zuletzt geändert durch Art. 13 G zur Änd. des Beamtenrechts vom 20.3.2009 (ThürGVBl. 2009, S. 238). – Thüringer Juristenausbildungs- und -prüfungsordnung (ThürJAPO) in der Fassung vom 24.2.2004 (GVBl. 2004, 217), zuletzt geändert durch Art. 30 G zur Änd. des Beamtenrechts vom 20.3.2009 (ThürGVBl. 2009, S. 238). 2. Rechtspolitische Überlegungen a) Rückblick „Die Juristenausbildung ist reformbedürftig.“ Mit diesen Worten leiteten die die Regierung tragenden Parteien 2001 ihren Gesetzentwurf zur Reform der Juristenausbildung ein.1 Besser hätte man das offensichtlich permanente Motto der deutschen Juristenausbildung nicht überschreiben können. Nimmt man die Geschichte der BRD in Bezug, sind von der Etablierung der staatlichen Ordnung nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes bis zur letzten gesetzlichen Reform 2002 allein acht unterschiedliche Reformvorhaben zu verzeichnen.2 In dem Zeitraum von 1961 bis heute wurde allein die Dauer des Vorbereitungsdienstes viermal geändert. Rein statistisch bedeutet dies, dass bis 2008 im Schnitt alle 5,9 Jahre in die Juristenausbildung eingegriffen wurde und damit dem Vorgängermodell und der Reform, welche diese herbeigeführt hat, Reformbedürftigkeit bescheinigt wurde. Stellt man zusätzlich in Rechnung, dass die juristische Ausbildung von der Aufnahme des Studiums bis zum Abschluss des Vorbereitungsdiensts mit dem zweiten juristischen Staatsexamen ca. 6 Jahre dauert, war im statistischen Mittel der erste Jahrgang nach dem jeweiligen neuen Modell ge1 BT-Drs. 14/7176, S. 1. 2 Schmidt-Räntsch, vor § 5 DRiG Rz. 24 ff.
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rade ausgebildet, als die neue Reform in Kraft trat. Eine vernünftige empirische Evaluierung ist angesichts dieser Reformen nicht möglich. Im Einzelnen fanden folgende Reformen statt: (1) Regelung der Juristenausbildung im DRiG von 19611 (2) Verkürzung des Vorbereitungsdienstes durch Änderung des DRiG von 19652 von 3 1/ 2 Jahre auf 2 1/ 2 Jahre. (3) Einführung einer Experimentierklausel und weitere Verkürzung des Vorbereitungsdienstes auf 24 Monate durch die Änderung des DRiG von 1971.3 (4) Verlängerung des Vorbereitungsdienst von 24 auf 30 Monate.4 (5) Verlängerung der Experimentierklausel bis zum 16.9.1984 (Datum der Aufnahme des Studiums).5 (6) Einführung von studienbegleitenden Leistungskontrollen, Verlängerung des Rechtspraktikums während des Studiums sowie Festlegung, dass die Inhalte des Studiums auch die rechtsprechende, verwaltende und rechtsberatende Praxis zu berücksichtigen haben, § 5a Abs. 3 des DRiG i.d.F. v. 1984, durch die Änderung des DRiG von 1984.6 (7) Aufhebung der studienbegleitenden Leistungskontrollen, Einführung der Fiktion, dass die Erste Juristische Staatsprüfung bei frühzeitiger Meldung im Fall des Nichtbestehens als nicht unternommen gilt (Freiversuch), Verkürzung des Vorbereitungsdienstes auf zwei Jahre durch Änderung des DRiG von 1992.7 (8) Einführung des Schwerpunktbereichsstudiums mit der Aufspaltung der ersten Juristischen Prüfung in staatlichen und universitären Teil, Verstärkung der Anwaltsorientierung durch Verlängerung der Anwaltsstation im Vorbereitungsdienst und Aufnahme der rechtsprechenden, verwaltenden und rechtsberatenden Praxis auch in den Berufungskanon, § 5d DRiG.8 28
Der Ausgangspunkt dieser Reformrallye wird markiert durch den Erlass des DRiG 1961. Bereits vor der Verabschiedung des DRiG 1961 war die Ausbildungsreform umstritten.9 Um ein zügiges in Kraft treten des DRiG sicherstellen zu können, entschloss man sich die Reform der Juristenausbildung zunächst zurückzustellen. Im Mittelpunkt der damaligen Diskussion stand die Frage, wie sich sicherstellen lässt, dass nicht nur „Rechtstechniker“ ausgebildet werden. Neben die Beherrschung der bloßen Rechtsregeln und deren Anwendung auf den Fall, sollte das Bewusstsein treten, dass die rechtlichen Regelungen eines Staates nicht beliebig austauschbar, sondern der Verwirklichung der Idee der Gerechtigkeit zu dienen bestimmt sind.10
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1968 trat in der Reformdiskussion eine erste Akzentverschiebung ein. Galt es zunächst die Rechtstechnik mit der Gerechtigkeit zu verbinden, stand nun die mangelnde Leistungsfähigkeit der juristischen Dogmatik für die Rechtsfindung teilweise im Vordergrund. Die Rationalität der Entscheidungsprozesse lasse sich nicht durch die – wie es damals hieß – Verinnerlichung überkommener Interpretationsmuster herstellen, sondern nur über die wissenschaftliche Aufklärung der Entscheidungsprozesse. Aufgabe der Sozial- und Humanwissenschaften sei es daher, die Inhalte der rechtswissenschaftlichen Ausbildung zu relativieren und zu problematisieren.11 Dies könne aber bei einer Trennung von Theorie und Praxis nicht gelingen.12 Vielmehr seien die Studierenden möglichst früh mit der Praxis zu konfrontieren, um das Anschauungs1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
BGBl. I 1961, S. 1665. BGBl. I 1965, S. 891. BGBl. I 1971, S. 1557. BGBl. I 1980, S. 1491. BGBl. I 1980, S. 1451. BGBl. I 1984, S. 995. BGBl. I 1992, S. 1926. BGBl. I 2002, S. 2592. Vgl. Schmidt-Räntsch, vor § 5 DRiG Rz. 25. Baur, JZ 1961, 1 (3); Arbeitskreis für Fragen der Juristenausbildung (Hrsg.), Die Ausbildung der deutschen Juristen, 1960. 11 Vgl. dazu etwa Wiethölter, Wissenschaftskritische Ausbildungsreform – Anspruch und Wirklichkeit in: Francke/Hart/Lautmann/Thoss (Hrsg.), Einstufige Juristenausbildung in Bremen. 10 Jahre Bremer Modell, 1982, S. 7 ff. 12 Dazu Wassermann/Düwel, Das „Modell Hannover“, in: Das „Modell Hannover“ – Erfahrungen mit der einstufigen Juristenausbildung an der Fakultät (VI) für Rechtswissenschaften der Technischen Universität Hannover, S. 10 ff.
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material für die sozialwissenschaftliche Reflexion zu liefern.1 Es galt, die Praxis als unreflektierte berufliche Routine und Technik, die sich beruflichem Handeln quasi naturwüchsig von außen aufzwingt, zu überwinden.2 Ergebnis der damaligen Reformdiskussion war § 5b DRiG in der Fassung vom 10.9.1971, welche den Ländern die einstufige Ausbildung3 ermöglichte. Aufgrund der Experimentierklausel wurde, mit durchaus unterschiedlicher Zielsetzung, die einstufige Juristenausbildung in Bremen, Bielefeld, Konstanz, Hamburg, Trier, Hannover, Bayreuth und Augsburg umgesetzt. Am Ende der zeitlich befristeten Experimentierklausel stand das Dritte Gesetz zur Änderung des DRiG vom 25.7.1984.4 In seiner Begründung bekannte sich der Gesetzgeber zu einer Verbindung von Theorie und Praxis.5 Nach dem neu gefassten § 5a Abs. 3 DRiG sollen die Inhalte des Studiums die rechtsprechende, verwaltende und rechtsberatende Praxis berücksichtigen. Unter der Hand hat sich das ursprünglich durchaus ideologisch bestimmte Anliegen einer Integration von Theorie und Praxis zu einem mit Nachdruck verfolgten Thema der Anwaltschaft gewandelt. Die Anwaltschaft hat sich seit den 1980er Jahren – wenn auch nicht immer mit einer Stimme sprechend – in die Reformdiskussion eingeschaltet und eine verstärkte Anwaltsorientierung des Studiums gefordert.6 Die einseitige Justizlastigkeit der Ausbildung müsse durch die Vermittlung der anwaltlichen Sicht- und Denkweise ergänzt werden.7 Ende der 1990er Jahre erlebte die Reformdiskussion einen neuen Höhepunkt. Die Reformbestrebungen gingen sowohl von der Universität, erinnert sei an das Ladenburger Manifest,8 als auch von der Anwaltschaft aus. Der 62. Deutsche Juristentag in Bremen beschäftigte sich erneut mit der Reform der Juristenausbildung.9 Die Reformdiskussion mündete in drei Gesetzesentwürfen.10 Mit dem Gesetz zur Reform der Juristenausbildung vom 11.7.200211 wurde das Anliegen des Gesetzgebers bekräftigt, bereits bei den Inhalten des Studiums die rechtsberatende Praxis zu berücksichtigen. Neu hinzugekommen ist die Verpflichtung zur Berücksichtigung der rechtsberatenden Praxis bei der staatlichen und universitären Prüfung, § 5d Abs. 1 S. 1 DRiG, sowie die Verpflichtung der Kammern, an der universitären Ausbildung mitzuwirken.12
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Lange Zeit hat die neuerliche Reformdiskussion der Juristenausbildung die Bachelor/Master Diskussion beherrscht. Mit dem Beschluss der Justizministerkonferenz vom 18./19.5.2011 zur Juristenausbildung dürften jedoch vorerst die Bestrebungen das System der ersten Juristischen Prüfung durch ein Bachelor/Master Modell abzulösen, zum Erliegen gekommen sein. Bei dieser Diskussion ging es vordergründig vor allem um zwei Fragenkomplexe. Nämlich zum einen um die Einführung des Bachelor/Master-Abschlusses auch im rechtswissenschaftlichen Studium im Rahmen des so genannten Bologna Prozesses.13 Zum anderen stand in der Diskussion, ob die Idee des Einheitsjuristen durch die Spartenausbildung abgelöst werden soll.
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b) Bologna-Prozess Unter dem Bologna-Prozess wird die von den europäischen Bildungsministern ausgehende Initiative zur Schaffung eines einheitlichen europäischen Hochschulraums verstanden. Der Name geht auf den Tagungsort zurück, an dem am 19.6.1999 die „Bologna1 Loccumer Arbeitskreis für Juristenausbildung, Zur Reform der Juristenausbildung, Loccumer Protokolle, 15/1969, S. 120 (126). 2 Voegeli, Warum Reform der Juristenausbildung, in: Das „Modell Hannover“ – Erfahrungen mit der einstufigen Juristenausbildung an der Fakultät (VI) für Rechtswissenschaften der Technischen Universität Hannover, S. 6. 3 Vgl. dazu etwa Wiethölter, Zur politischen Einschätzung der Einstufenmodelle und -versuche, in: Rinken, Der neue Jurist, 1973, S. 231 ff. 4 BGBl. I 1984, S. 995. 5 BT-Drs. 10/1108, S. 8. 6 Vgl. etwa Thesen des DAV und der Bundesrechtsanwaltskammer zur Juristenausbildung, Gemeinsame Stellungnahme der Bundesrechtsanwaltskammer und des DAV zur Reform der Juristenausbildung v. 16.12.1996, NJW 1997, 1055 f.; Busse, Referat, 62. Deutscher Juristentag 1998 in Bremen, Bd. II/1 N 31. 7 Vgl. Bundesrechtsanwaltskammer Pressemitteilung v. 21.5.2001. 8 Die Erneuerung der universitären Juristenausbildung tut Not! (Thesenpapier), abgedruckt in NJW 1997, 2935 ff.; Beilage „Ladenburger Manifest“ zu JuS 1999, 5 f. 9 Vgl. dazu 62. Deutscher Juristentag 1998 in Bremen, Beschlüsse zum Thema „Empfiehlt es sich, die Juristenausbildung neu zu regeln?“, JuS 1999, 100 ff. 10 BT-Drs. 14/7116; 14/2666; 14/7463. 11 BGBl. I, S. 2592. 12 Vgl. „Kammern engagieren sich in Juristenausbildung“ – Gespräch mit Peter Ströbel, BRAK-Magazin, 6/2005, 11 ff. 13 Allgemein zum Bologna-Prozess Kilian, JZ 2006, 209 ff.
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Erklärung“ verabschiedet worden ist.1 Wesentlicher Inhalt der Erklärung war die Selbstverpflichtung ein System leicht verständlicher und vergleichbarer Abschlüsse und ein zweistufiges System von Studienabschlüssen (undergraduate/graduate) zu schaffen. Daneben verpflichtete man sich, ein Leistungspunktesystem (nach dem ECTS-Modell) einzuführen, die Mobilität durch Beseitigung von Mobilitätshemmnissen und die europäische Zusammenarbeit im Bereich der Qualitätssicherung sowie die europäische Dimension in der Hochschulausbildung zu fördern. Weitgehende Einigkeit herrscht darüber, dass der Bologna-Erklärung keine europarechtliche Verbindlichkeit zukommt.2 33
Die Einführung eines zweistufigen Systems der Studienabschlüsse bedeutet die Schaffung von konsekutiven Studiengängen, die mit dem Bachelor- und dem Mastergrad jeweils abgeschlossen werden sollen. Dabei hat bereits der erste Studienabschluss (Bachelor) berufsqualifizierender Regelabschluss zu sein.3 Laufbahnrechtlich soll nach einem Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 14.4.2000 und einem Beschluss der Innenministerkonferenz vom 6.6.2002 der Bachelor-Abschluss unabhängig davon, ob er an einer Universität oder an einer Fachhochschule erworben wurde, zu einer Zuordnung zum gehobenen Dienst führen.4 Der Ausschuss der Justizministerkonferenz zur Koordinierung der Juristenausbildung hat im Oktober 2005 einen umfassenden Abschlussbericht zur Implementierung des Bologna-Prozesses für das juristische Studium vorgelegt.5
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Sowohl die Bundesrechtsanwaltskammer als auch der DAV haben sich zwischenzeitlich für den Bologna-Prozess ausgesprochen. Beide Organisationen gehen dabei davon aus, dass neben den universitären Prüfungen das Staatsexamen, als Qualitätskontrolle für den Zugang zu den regulierten juristischen Berufen, erhalten bleiben soll. Die Bundesrechtsanwaltskammer sich hat auf der 111. Hauptversammlung am 20.4.2007 in Speyer für ein dreijähriges Bachelor- und zweijähriges Masterstudium ausgesprochen. Das Masterstudium ist demnach eine Voraussetzung für den Eintritt in den Vorbereitungsdienst. Daneben tritt zusätzlich die Erste juristische Staatsprüfung. Der Vorbereitungsdienst soll mit der zweiten juristischen Staatsprüfung abschließen. Am System des Einheitsjuristen wird festgehalten.6 Der Vorstand des DAV hat auf seiner Sitzung anlässlich des 59. Deutschen Anwaltstages am 30.4.2008 in Berlin hingegen beschlossen, dass bereits ein vierjähriges Bachelor-Studium die Voraussetzungen für die postuniversitäre Ausbildung (Referendariat) schafft. Zusätzliche Voraussetzung für die postuniversitäre Ausbildung für reglementierte juristische Berufe soll das Bestehen einer als Staatsprüfung ausgestalteten Eingangsprüfung sein.7 Die Diskussion um die Einführung des Bachelor-/Master-Systems in der Juristenausbildung wird sich im Wesentlichen auf folgende Punkte reduzieren lassen:8 (1) Wissenschaftlichkeit des juristischen Studiums. Kennzeichnend für das juristische Studium ist die Blockprüfung des gesamten Prüfungsstoffes am Ende des Studiums. Die Blockprüfung stellt sicher, dass – entsprechend den Anforderungen der praktischen Rechtsanwendung – die komplexe Vernetzung der verschiedenen Problemebenen und Rechtsgebiete gesichert bleibt. Die abgeprüfte Vernetzung der verschiedenen Rechtsgebiete ermöglicht dem in Deutschland ausgebildeten Juristen sich mit Hilfe der Methodenlehre selbständig neue Probleme und Rechtsgebiete zu erschließen.9 Der Blockprüfung entspricht die derzeitige innere Organisation des Studiums in Wellen der Vertiefung. Danach erfolgt eine mehrfache Konfrontation der Studierenden mit einem sehr breit angelegten Kanon des Rechtsstoffs. Dies versetzt die Studierenden in die Lage, die Komplexität der Zusammenhänge und methodischen Fähigkeiten beherrschen zu lernen. In einem Modell, welches den Prüfungsstoff abschichtet, wäre dies nicht zu gewährleisten.10 1 Zum Text der Bologna-Erklärung http://www.bmbf.de/pubRD/bologna_deu.pdf. 2 Schöbel, BayVBl. 2007, 97 f.; Kilian, JZ 2006, 209; Pfeiffer, NJW 2005, 228; v. Wulffen/Schlegel, NVwZ 2005, 890 (891). 3 Kilian, JZ 2006, 209 (211). 4 Schöbel, BayBBl. 2007, 97 (98). 5 http://www.neue-juristenausbildung.de/dokumente/ABJuMiKo05.pdf. 6 http://www.brak.de/w/files/04_fuer_journalisten/Resolution_111_HV. 7 http://anwaltverein.de/interessenvertretung/pressemitteilung/pressearchiv-2010/archiv2009-2009/archiv2008/dat-03. 8 Vgl. zusätzlich zu der Frage, ob das juristische Studium sich inhaltlich in ein konsekutives Studium verwandeln lässt, ohne die Wissenschaftlichkeit zu verlieren Dauner-Lieb, AnwBl. 2006, 5 ff. 9 Dauner-Lieb, AnwBl. 2006, 5 (7); Schöbel, BayVBl. 2007, 97 (106); v. Wulffen/Schlegel, NVwZ 2005, 890 (892). 10 Abschlussbericht der Kommission der Justizministerkonferenz zur Koordinierung der Juristenausbildung, http://www.neue-juristenausbildung.de/dokumente/ABJuMiKo05.pdf, S. 34 ff.
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(2) Berufsqualifizierung durch Bachelorabschluss. Die Gretchenfrage des Bologna-Prozesses ist, ob es für den juristischen Bachelorabschluss einen Arbeitsmarkt geben wird.1 Obwohl die meisten juristischen Fakultäten ihren erfolgreichen Absolventen zwischenzeitlich den Titel „Diplom-Jurist“ verleihen, hat sich kein nennenswerter Arbeitsmarkt für Absolventen des juristischen Studiums ohne anschließenden Vorbereitungsdienst herausbilden können. Die Schwundquote zwischen erfolgreich abgelegter Ersten juristischen Prüfung (früher Erstes juristisches Staatsexamen) und Referendariat liegt bei 5–8 %.2 Der Gesetzgeber hat sich zwar mit dem Rechtsdienstleistungsgesetz dazu bekannt, keinen allgemeinen Rechtsdienstleistungsberuf unterhalb der Ebene der Rechtsanwälte einzuführen.3 Jedoch forderte die Monopolkommission in ihrem sechzehnten Hauptgutachten, die Diplom-Wirtschaftsjuristen (FH) sowie die zukünftigen Bachelors zur außergerichtlichen Rechtsberatung allgemein zuzulassen.4 Ob sich der Rechtsberatungsmarkt von zukünftigen Bachelors abschirmen lässt, ist eine politisch entscheidende Frage.5 (3) Berufslenkung durch Zulassung zur Ausbildung. Regelabschluss soll nach dem BolognaModell der Bachelor-Abschluss sein. Zum Teil wird ein Zahlenverhältnis von 80 % zu 20 % genannt.6 Behält man jedoch diejenigen Berufe, die heute die Befähigung zum Richteramt voraussetzen, denjenigen Studierenden vor, welche mit dem Master ihr Studium abschließen, stellt sich die Frage, wie das Zahlenverhältnis in verfassungskonformer Weise erreicht werden kann. Das NC-Urteil des BVerfG stellt fest, dass eine Berufslenkung durch Zulassungsbeschränkung der Ausbildung unzulässig sei.7 Darüber hinaus dürfen Studienplätze nur in den Grenzen des unbedingt Erforderlichen und unter erschöpfender Nutzung der vorhandenen, mit öffentlichen Mitteln geschaffenen Ausbildungskapazitäten begrenzt werden.8 Die Rechtsprechung des BVerfG wird daher einem an eine bestandene Bachelor-Prüfung ansetzenden Selektionsprozess (nur die besten 20 % werden zum Masterstudiengang zugelassen) sehr enge Grenzen setzen.9 Es bleibt daher nur, die Studierenden über einen attraktiven Arbeitsmarkt für Bachelor-Absolventen von einer Weiterqualifikation zum Master abzuhalten.
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Am 18. und 19.5.2011 hat die Justizministerkonferenz in Halle (Saale) beschlossen am bisherigen Ausbildungsmodell im Grundsatz festzuhalten und nicht ein Bachelor/Master System für Juristen einzuführen. Wörtlich heißt es in dem Beschluss: „Diese Modelle bieten demnach gegenüber der derzeitigen Ausbildung insgesamt keinen qualitativen Mehrwert; vielmehr wiegen die Nachteile der Modelle sogar schwerer als die Vorteile.“ Allerdings forderte die Justizministerkonferenz in dem gleichen Beschluss weitere Verbesserung von den Fakultäten bezüglich der Schlüsselqualifikationen und der anwaltsorientierten Juristenausbildung ein.10
35a
c) Spartenausbildung Die Herbst Justizministerkonferenz 2005 hat ihren Ausschuss zur Koordinierung der Juristenausbildung beauftragt unter Berücksichtigung internationaler Erfahrungen ein Diskussionsmodell eines Spartenvorbereitungsdienstes zu entwickeln. Das Modell einer getrennten berufspraktischen Ausbildung sollte der Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister im Jahr 2008 vorgelegt werden.11 Die Justizministerkonferenz forderte einen erneuten Bericht zu 2011 an. Bereits im Oktober 2006 hat der Deutsche Anwaltverein den Entwurf eines Gesetzes zur Spartenausbildung in der Juristenausbildung vorgelegt.12 Kernpunkte dieses Entwurfes sind: 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
Vgl. hierzu Schöbel, BayVBl. 2007, 97 (100 ff.). Schöbel, BayVBl. 2007, 97 (101). BT-Drs. 16/3655, S. 31. BT-Drs. 16/2460, S. 1032. Kilian, JZ 2006, 209 (212 f.); v. Wulffen/Schlegel, NVwZ 2005, 890 (894 f.). Kempen, DVBl. 2005, 1082 (1086). BVerfG, NJW 1972, 1561 (1564). BVerfG, NJW 1972, 1561 (1566). Kempen, DVBl. 2005, 1082 (1086); Huber, ZRP 2007, 188 (189). Hierzu Schöbel, BayVbl. 2012, 385 ff. http://www.neue-juristenausbildung.de/dokumente/ABJuMiKo05.pdf. http://anwaltverein.de/downloads/anwaltausbildung/E-BrausBig07.2.2008Gesetzentwurf2.pdf.
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(1) Der einheitliche Vorbereitungsdienst wird in einen Spartenvorbereitungsdienst aufgelöst. Nach dem Modell soll es zukünftig das Anwaltsreferendariat, das Richterreferendariat und das Verwaltungsreferendariat geben. (2) Das Anwaltsreferendariat soll mit einem vom Landesjustizprüfungsamt durchgeführten Anwaltsexamen abschließen. Hierdurch soll die Befähigung zum Anwaltsberuf erlangt werden. Diese Befähigung zum Anwaltsberuf soll nach den Vorstellungen des Entwurfs Regelzulassungsvoraussetzung für die Rechtsanwaltschaft werden. (3) Im Mittelpunkt des Anwaltsreferendariats steht die praktische Ausbildung bei einem Rechtsanwalt. Voraussetzung, um in das Anwaltsreferendariat aufgenommen zu werden, ist der Nachweis eines Ausbildungsvertrages mit einer Ausbildungsstelle für alle Stationen der praktischen Anwaltsausbildung mit Ausnahme der Ausbildungsstellen im Bereich des öffentlichen Dienstes. Ein Anspruch auf anwaltliche Ausbildungsstellen besteht nicht. (4) In beschränktem Umfang sieht das System eine Durchlässigkeit sowohl während als auch nach der Ausbildung vor. 37
Mit der Einführung der Spartenausbildung wurde das Prinzip, dass sich Richter und Rechtsanwälte auf gleicher Augenhöhe begegnen, abgeschafft. Bereits Gneist forderte, dass sich die juristisch technische Bildung der Anwaltschaft auf völlig gleicher Ebene wie die der Richter bewegen muss.1 Eine Abweichung von diesem Grundsatz bezeichnete Friedlaender als schwere Schädigung und Degradierung des Anwaltsstandes.2 Die Gleichbewertung der Tätigkeit des Rechtsanwalts als Organ der Rechtspflege3 und des Richters entspricht der gleichen Ausbildung. Gegen ein Festhalten am Leitbild des Einheitsjuristen wird eingewandt, unsere heutige differenzierte und komplexe Rechtswirklichkeit stünde einem Generalisten im Wege, es bedürfe daher frühzeitiger Spezialisierung.4 Fraglich ist aber, ob der Einheitsjurist wirklich mit dem Generalisten gleichgesetzt und als Gegensatz zum Spezialisten aufgebaut werden kann. Zunächst steht das Bild des Einheitsjuristen in erster Linie dafür, dass sich Richter und Rechtsanwälte als Peers, als Ebenbürtige gegenüber treten können. Schon heute lässt sich nicht mehr von einer einheitlichen Anwaltschaft sprechen. Vielmehr ist eine deutliche Spaltung der Anwaltschaft bis hin zur Bildung einer Zweiklassengesellschaft bei den angestellten Rechtsanwälten zu beobachten.5 Allerdings weisen heute noch alle im Bereich der regulierten juristischen Berufe Tätigen die gleiche Formalqualifikation als verbindendes Band auf. Mit der Spartenausbildung würde dieses Band gekappt werden. Die Gefahr der Diskriminierung vor allem derjenigen Anwälte, die nicht das high end Segment bedienen, ist erheblich. Darüber hinaus schließt die Ausbildung zum Einheitsjuristen die berufliche Spezialisierung nicht aus, sondern fördert sie.6 Ein weiteres Problem dürfte die mit der Spartenausbildung verbundene Bedarfssteuerung aus verfassungsrechtlicher Sicht sein.7 d) Perspektiven der Rechtswissenschaft
37a
Unter dieser Überschrift hat der Wissenschaftsrat in sein Arbeitsprogramm 2010/2011 die Frage aufgenommen, wo sich die Rechtswissenschaft als Fach in den Hochschulen und im Wissenschaftssystem positionieren soll. Im November 2012 hat der Wissenschaftsrat seine Empfehlungen vorgelegt.8 Im Wesentlichen setzt sich die Stellungnahme des Wissenschaftsrats mit der Frage auseinander, ob die Rechtswissenschaft selbst Wissenschaft ist oder lediglich Untersuchungsgegenstand wissenschaftlicher Betrachtung. Es geht dabei um den Wissenschaftsanspruch der Rechtswissenschaft und deren Positionierung im Wissenschaftssystem.
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Die Fragestellung ist im Kern alt. Wissenschaftstheoretisch stecken dahinter zwei Probleme. Schon allein aufgrund des Umstands, dass Rechtswissenschaft eine Textwissenschaft 1 2 3 4 5
Gneist, Freie Advocatur, 1867, S. 53. Friedlaender, Reichsrechtsanwaltsordnung, § 1 Rz. 8. § 1 BRAO Rz. 3 ff. Stephan, DÖV 2007, 420 (422). Wolf, Recht durch Rechtsanwälte – Zur Deregulierung des Anwaltsmarktes, Schriftenreihe der Bundesrechtsanwaltskammer Bd. 16, 2008, S. 1 ff.; Hommerich/Kilian/Krämer/C. Hommerich/Jackmuth/Th. Wolf, BRAK-Mitt. 2006, 55 (66). 6 v. Wulffen/Schlegel, NVwZ 2005, 890 (892). 7 Krach, ZRP 2007, 170. 8 WR-Drs. 2558-12. Hierzu Wolf, ZRP 2013, 20 ff.
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ist, lassen sich Gesetze nicht eindeutig interpretieren.1 Am Ende jeder Gesetzesauslegung steht daher ein über den gesetzlichen Wortlaut nicht mehr eindeutig klärbarer Interpretationsspielraum.2 Für diesen Befund spielt letztlich die sprachtheoretische Position, der man anhängt, keine Rolle.3 Dieser verbleibende Interpretationsspielraum ist durch eine wertende Entscheidung durch denjenigen aufzufüllen, der zur Gesetzesanwendung berufen ist, in der Regel also durch den Richter. Damit ist das zweite wissenschaftstheoretische Problem angesprochen, der sog. Werturteilsstreit.4 In dem letztlich auf Max Weber zurückzuführenden Werturteilsstreit geht es um die Frage, ob Wissenschaft sich eines jeden Werturteils zu enthalten hat. In seiner wohl schärfsten Form übertrug Hans Kelsen das Postulat der Wertfreiheit von Max Weber auf die Rechtswissenschaft. Rechtswissenschaft (reine Rechtslehre) endet dort, wo der Interpretationsspielraum beginnt. Die Entscheidung zwischen mehreren möglichen Interpretationsmöglichkeiten ist, soweit der Rechtswissenschaftler eine Empfehlung ausspricht, Rechtspolitik, soweit sich der zur Rechtsanwendung berufene Richter entscheidet, authentische Interpretation, weil sie Recht schafft.5 Bei allen unterschiedlichen Positionen in dieser Frage6 ist nicht bestreitbar, dass Rechtswissenschaft zwar mit Wertungen zu tun hat, jedoch statt Willkür eine rationale Begründung für die Wertentscheidungen einfordert. Darüber hinaus bemüht sich die Rechtswissenschaft die Wertentscheidungen in ein widerspruchsfreies Begriffs- und Argumentationssystem einzufügen und stellt sich dabei in einem offenen Diskurs der ständigen Überprüfung.7 Die Wertentscheidungen sind dabei auf doppelte Weise vorbestimmt, nämlich zum einen durch ein dicht gewebtes Netz von gesetzgeberischen Vorgaben und zum anderen durch die Ausrichtung des Rechts an der Idee der Gerechtigkeit und den fundamentalen Grund- und Menschenrechten.8
37c
Die Empfehlungen des WR laufen auf eine deutliche Akzentverschiebung von den dogmatischen Disziplinen der Rechtswissenschaften, die einen echten Dialog mit den Gerichten führen, zu den „Law and-Disziplinen“ hinaus.9 Die zusätzliche Reflexionsebene, die der WR einfordert, ist nicht neu. Bereits in den Loccumer Gesprächen von 1968/69 zur Juristenausbildung war die Integration der Sozialwissenschaften in die juristische Ausbildung bestimmendes Thema.10 Dabei muss man sich der Gefahr bewusst sein, dass diese Ansätze zu behavioristischen Prognosen richterlicher Entscheidungspraxis mutieren können.11 Wer den Fokus nur noch auf die „Law and-Disziplinen“ legt, wird am Ende das, was die Deutsche Rechtswissenschaft weltweit stark gemacht hat, verlieren: den Dialog zwischen Wissenschaft und Rechtsprechung sowie die damit verbundene Einhegung der Rechtsprechung in die Rechtsdogmatik.12
37e
In der Kritik des Wissenschaftsrats steht die letzte Reform des juristischen Studiums. Sowohl die starke Gewichtung der Schlüsselqualifikationen als auch das Schwerpunktstudium steht in der Kritik des Wissenschaftsrats.13 Auch die Kritik des DAV geht in eine vergleichbare Richtung.
37f
Hoch problematisch ist jedoch das bildungspolitische Mantra des Wissenschaftsrats, die rechtskundliche Ausbildung an den Fachhochschulen zu stärken. In diesem Zusammenhang müssen auch die im Vorfeld des Gutachtens formulierten Forderungen gesehen werden, nach amerikanischem Vorbild die knappen Ressourcen auf weniger Forschungseinrichtungen zu konzentrieren, die dann auch für die Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses
37g
1 Vgl. nur Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 6. Aufl. 2011, § 5. 2 So bereits Kelsen, Reine Rechtslehre, 2. Aufl. 1960, 346 ff. 3 Zu den unterschiedlichen sprachtheoretischen Positionen Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 3. Aufl. 2008, § 3, § 4, § 5, § 10, § 11, § 13, § 14. 4 Hierzu Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 3. Aufl. 2008, § 20. 5 Kelsen, Reine Rechtslehre, 2. Aufl. 1960, 350 ff. 6 Das von Weber aufgestellt Postulat der Wertungsfreiheit der Wissenschaft wurde in dem Positivismusstreit zwischen Popper u.a. auf der einen Seite und der Frankfurter Schule mit Adorno und Habermas u.a. auf der anderen Seite in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts wieder aufgegriffen, Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 3. Aufl. 2008, 169 ff. 7 Schünemann, ZIS 2012, 302 (303). 8 Schünemann, ZIS 2012, 302 (303). 9 Drs. 2558-12, S. 27, 29, 31, 33, 37. 10 Vgl. zB. Loccumer Protokolle 15/1969. 11 So bereits die Warnung bei Esser, Grundsatz und Norm, 2. Aufl., S. 20. 12 Schünemann, ZIS 2012, 302 (304). Die als Vorbild empfohlene amerikanische Entwicklung ist in den USA alles andere als unumstritten, siehe zur inneramerikanischen Kritik nur Edwards, 91 Mich. L. Rev. (1992) 34. 13 Drs. 2558-12, S. 51. Hierzu auch Wolf, ZRP 2013, 20 (23).
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zuständig seien1. Aus der Perspektive der selbst ernannten Wissenschaftszentren handelt es sich dabei um eine kaum verhohlene Form des Wissenschaftsimperialismus. Zugleich wäre der Preis, den die Rechtswissenschaft hier zu zahlen hätte, extrem hoch. Erstens drohte eine Verflachung der juristischen Ausbildung und der Rechtspraxis, weil die juristische Ausbildung außerhalb der Forschungszentren zur bloßen Rechtskunde verkommen könnte2. Zweitens bestünde die Gefahr, dass sich die Forschungszentren, dem anempfohlenen Vorbild folgend3, von den rechtswissenschaftlich-dogmatischen Arbeiten ab- und den großen Erzählungen zuwenden könnten, also der Entwicklung von Theorien, wie Recht entstanden ist und wie es zukünftig entstehen soll4. Gewonnen ist damit im Positivismusstreit nichts, aber die Einhegung, Reflexion und Kontrolle der Rechtsanwendung durch die rechtswissenschaftliche Dogmatik würde verloren gehen5. e) Stellungnahme 38
Alle Reformen vermögen ein wesentliches Grundproblem nicht zu lösen: Den Gegenstand des Studiums, die Rechtswissenschaft in ihrer Komplexität. Zwar ist die Rechtswissenschaft anwendungsorientiert auf die rechtliche Lebenspraxis.6 Jedoch unterscheidet sich die Rechtwissenschaft grundlegend von einer, auf einen engen Anwendungsbereich bezogenen Rechtskunde. Rechtswissenschaft sucht den Rechtsstoff zu ordnen, zu systematisieren, ihm eine gewisse innere Logik zu geben. Dies erfolgt zum einen aus Gerechtigkeitsgründen. Untrennbar mit der Idee des Rechts verbunden ist es, Gleiches gleich und Ungleiches entsprechend seiner Verschiedenheit anders zu behandeln.7 In diesem Sinne ist das System die innere Konsequenz des Rechts. Gerade weil die Rechtswissenschaft anwendungsorientiert auf die rechtliche Lebenspraxis ausgerichtet ist, ergibt sich für die Rechtswissenschaft, dass der Fall ein rechtliches Problem ist, nur aus der Gesamtheit der Rechtsordnung.8
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System- und Theoriebildung dienen in der Rechtswissenschaft aber auch zur denkökonomischen Entlastung und der Verständlichmachung der rechtlichen Regelungen.9 Es geht also darum im Besonderen das Allgemeine zu erkennen, Allgemeinsätze, Prinzipien zu formulieren.10 Denn aus diesen Allgemeinsätzen ergibt sich wiederum die Antwort auf die Frage, ob ein Fall ein rechtliches Problem ist. Hierin liegt auch der entscheidende Unterschied zur bloßen Rechtskunde. Bloße Rechtskunde vermag zwar in Routinefällen schematische Lösungen auf der Basis der h.M. zu bieten, nicht jedoch eine kritische Reflexion, also den Fall als rechtliches Problem zu erkennen und selbständig hierfür eine Lösung zu erarbeiten. Grundvoraussetzung hierfür ist die sichere Beherrschung der systematischen Normstrukturen und der juristischen Denkmuster sowie der methodensichere Umgang mit dem Normmaterial.11
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Hieraus leitet sich zweierlei ab. Zunächst erweist sich ein konsekutiver Studiengang in dem bereits ein Bachelor-Abschluss berufsqualifizierend sein soll, als kaum realisierbar. Rechtskunde und Rechtswissenschaft verhalten sich nicht komplementär sondern kontradiktorisch. Diejenigen, die in der Rechtskunde geschult wurden, beziehen ihre Sicherheit aus einem festen Kanon von vorgestanzten Lösungen. Im Gegensatz hierzu beziehen die rechtswissenschaftlich ausgebildeten Juristen ihre Sicherheit aus der souveränen Beherrschung der Methode, aus dem sicheren Können beurteilen zu können, ob ein Fall ein juristisches Problem ist. Ein rechtswissenschaftliches Studium muss von Anfang an die kritische Reflexion und die dogmatische Schulung in den Mittelpunkt rücken. Es setzt auch eine spezifische fachliche Breite voraus, um den Blick für die innere Konsequenz des Rechts zu schärfen.
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Zum Zweiten ist gerade für die anwaltliche Tätigkeit die Fähigkeit, einen Fall als rechtliches Problem zu erkennen, von entscheidender Bedeutung. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass die Rechtsentwicklung nicht nur aus der Perspektive der Gerichte dargestellt wird, sondern vielmehr die Tätigkeit der Anwaltschaft als Motor einer Rechtsentwicklung 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
So v. Bogdandy, JZ 2012, 1 (3). S. nachfolgend Rz. 38 und Schünemann, ZIS 2012, 302 (304). v. Bogdandy, JZ 2012, 1 (3). Zur Theoriefreudigkeit der amerikanischen Rechtswissenschaft, Lepsius, Die Verwaltung 2007, Beiheft 7, S. 319 (304). Wolf, ZRP 2013, 20 f. Ernst, in: Engel/Schön (Hrsg.), Das Proprium der Rechtwissenschaft, 2007, S. 22. Canaris, Systemdenken und Systembegriff der Jurisprudenz, 2. Aufl. 1983, S. 16. Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. II, 1965, S. 296. Ernst, in: Engel/Schön (Hrsg.), Das Proprium der Rechtwissenschaft, 2007, S. 23 (42). Canaris, JZ 1993, 377. Ernst, in: Engel/Schön (Hrsg.), Das Proprium der Rechtwissenschaft, 2007, S. 23 (27).
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Zugang zum Beruf des Rechtsanwalts
Rz. 44 § 4 BRAO
deutlich stärker herausgearbeitet wird. Eine Rechtsentwicklung, eine Änderung der Rechtsprechung, ist nur möglich, wenn die Rechtsanwälte den Gerichten das notwendige Fallmaterial zuliefern. Insoweit sind nicht die Richter, die zwar entscheiden müssen, was ihnen unterbreitet wird, jedoch auch nur dasjenige entscheiden können, was ihnen unterbreitet wird, die Zentralfigur im Rechtssystem, sondern die Anwälte. Schließlich ist noch auf folgendes hinzuweisen. Ein Studium setzt Freiräume voraus. Nur dort, wo Freiräume bestehen, kann die Fähigkeit zur kritischen Reflexion reifen. Und Reformen können nur erfolgreich sein, wenn sie auch innerlich von denjenigen getragen werden, die sie umsetzen müssen. Hinzukommt, dass ein return on invest der Kosten und Energie, welche jede Reform zunächst einmal bedeutet, nur bei einem bestimmten Lebenszyklus der Reform möglich ist. Bislang hatte die juristische Ausbildung drei Vorteile: (1) Das Studium zielte grundsätzlich – trotz aller Schwächen – auf eine rechtswissenschaftliche Ausbildung. (2) Das Notensystem war – bei allen Ungerechtigkeiten – zumindest differenziert. Dies ist bei reinen Universitätsexamen in den Geisteswissenschaften in der Regel nicht der Fall. Voraussetzung sowohl hierfür als auch für (1) ist jedoch ein vernünftiger Umgang mit den Examina. Die Aufgabenstellung muss die Fähigkeit des juristischen Denkens abprüfen. Darüber hinaus müssen Prüfling und Prüfer methodensicher sein. Schließlich ist ein angemessener, realistischer Umgang mit den Noten erforderlich. 2,75 Punkte Unterschied sagt meist noch nichts darüber aus, wer der bessere Jurist ist. (3) Rechtsanwälte und Richter begegneten sich aufgrund der gleichen Ausbildung auf Augenhöhe.
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III. Universitätsprofessor 1. Befähigung zum Richteramt Nach § 7 DRiG ist jeder ordentliche Universitätsprofessor der Rechte an einer Universität zum Richteramt befähigt. Der Bestimmung kommt derzeit auf zweifache Weise keine große Bedeutung zu. Zunächst haben sich die Professorenbiographien weitgehend verändert. War früher der Weg über Studium, Promotion und Habilitation zur Berufung auf einen Lehrstuhl ohne zweites Staatsexamen nicht unüblich, unterziehen sich heute die meisten Hochschullehrer der zweiten juristischen Staatsprüfung. Für Hochschullehrer, welche nicht in Deutschland Rechtswissenschaft studiert haben, aber hier berufen wurden, hat die Vorschrift auch eine praktische Bedeutung. Von ihrem Wortlaut geht die Vorschrift noch von der Terminologie des alten Hochschulrechts aus, welches zwischen Ordinarius, Extraordinarius und Nichtordinarius unterschied.1 Fraglich ist daher, wie heute der Begriff „ordentlicher Professor der Rechte“ zu verstehen ist. Teilweise wird angenommen, dieser beziehe sich nur auf die C4 bzw. W3 Professuren.2 Teilweise werden C3-Professoren mit eingerechnet.3 Als nicht ausreichend wird man jedenfalls all diejenigen Professoren-Bezeichnungen ansehen müssen, welche nicht in einer wirklichen Wettbewerbssituation ausgewählt werden, wie Privatdozenten, außerplanmäßige Professoren oder Honorarprofessoren.4 Umstritten ist auch, was unter Universität zu verstehen ist.5 So sollen weder Technische Universitäten noch Universitäten, an denen lediglich eine Disziplin vertreten ist, wie die Bucerius Law School, unter den Begriff Universität fallen.6 Ohne den Regelungstelos zu ermitteln, lassen sich die Fragen aber kaum sinnvoll beantworten.
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Einem Universitätsprofessor der Rechte die Befähigung zum Richteramt zuzuerkennen, obwohl er die zweite juristische Staatsprüfung nicht erfolgreich abgelegt hat, nur um ihm die gleiche Befähigung zu bescheinigen, die diejenigen, die er ausbildet, später erhalten sollen, macht wenig Sinn. Ausgangspunkt der Überlegungen muss vielmehr die zentrale Schaltstelle sein, welche die Befähigung zum Richteramt für die juristischen regulierten Berufe einnimmt. Voraussetzung, um den Zugang zu den regulierten juristischen Berufen sicher zu stellen, ist die Befähigung zum Richteramt. Naheliegender ist es daher § 7 DRiG als gesetzgeberisches Bekenntnis zu verstehen, dass die Universitätsprofessoren in ihrer Person eine Theorie – Praxis Verbindung herstellen können sollen. Insbesondere die deutsche Rechtswissenschaft zeichnet sich durch einen intensiven Dialog und eine wechselseitige Befruchtung
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1 2 3 4 5 6
Schmidt-Räntsch, § 7 DRiG Rz. 5. Henssler/Prütting/Henssler, § 4 Rz. 14. Schmidt-Räntsch, § 7 DRiG Rz. 5. Vgl. zur wirkenden Wettbewerbssituation als Differenzierungskriterium BVerfG, NJW 1984, 912 (915). Schmidt-Räntsch, § 7 DRiG Rz. 4. Henssler/Prütting/Henssler, § 4 Rz. 14; Feuerich/Weyland, § 4 Rz. 12.
Wolf 259
§ 4 BRAO Rz. 45
Zugang zum Beruf des Rechtsanwalts
zwischen Wissenschaft und Praxis aus.1 Auf vielfältige Weise hat der Gesetzgeber sichergestellt, dass der Universitätsprofessor in der Praxis tätig werden kann. Zu nennen sind hier die Möglichkeiten der Prozessvertretung nach § 138 Abs. 1 StPO, § 67 Abs. 2 VwGO, § 22 Abs. 1 BVerfGG, § 392 Abs. 1 AO. Des Weiteren ermöglicht das DRiG die Ernennung von Hochschullehrern zu Richtern, wie sich aus §§ 41 Abs. 2 und § 4 Abs. 2 Nr. 3 DRiG ergibt. Hinzuweisen ist auch auf § 16 VwGO. Folglich ist Zweck des § 7 DRiG eine Verbindung von Theorie und Praxis zu ermöglichen. Man wird daher alle Universitätsprofessoren von § 7 DRiG erfasst ansehen müssen, die an einer Universität, auch Technischen Universität (nicht jedoch Fachhochschule), selbständig die rechtswissenschaftliche Forschung vertreten. Darüber hinaus ist es erforderlich, dass sie in einem Berufungsverfahren und dem damit verbundenen Qualitätssicherungsmerkmal zu C3 oder C4 bzw. W2 oder W3 Universitätsprofessoren ernannt worden sind. 2. Prozessvertretung 45
Nach § 138 Abs. 1 StPO können Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule im Sinne des Hochschulrahmengesetzes zum Wahlverteidiger bestellt werden. In Steuerstrafverfahren sind Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule darüber hinaus den Rechtsanwälten gleichgestellt, um u.a. Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern eine gemeinsame Verteidigung mit den Hochschullehrern zu ermöglichen, § 392 Abs. 1 AO. Des Weiteren dürfen Rechtslehrer in der Verwaltungsgerichtsbarkeit und der Sozialgerichtsbarkeit als Prozessbevollmächtigte mitwirken, § 67 Abs. 2 S. 1 VwGO, § 73 Abs. 2 S. 1 SGG. Schließlich sind Rechtslehrer nach § 22 Abs. 1 BVerfGG am Bundesverfassungsgericht vertretungsberechtigt. Ursprünglich war die Vertretungsbefugnis in der VwGO, SGG und dem BVerfGG, wie heute noch in der StPO und der AO, auf Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule beschränkt. Mit dem Gesetz zur Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie in der Justiz und zur Änderung weiterer Vorschriften2 wurde der Kreis der vertretungsbefugten Hochschullehrer ausgedehnt auf Hochschullehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedsstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz.
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Sieht man von der Erweiterung auf Rechtslehrer an einer Hochschule eines Mitgliedsstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum und der Schweiz ab, kehrt der Gesetzgeber mit seiner Formulierung „Hochschule“ bezüglich der Beschreibung des vertretungsbefugten Kreises auf die Fassung der einschlägigen Vorschriften vor 2001 zurück. Seit2001 hat der Gesetzgeber zunächst im RmBereinVpG für die VwGO3 und anschließend im Ersten Justizmodernisierungsgesetz für die StPO und AO4 mit der Formulierung „Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule im Sinne des Hochschulrahmengesetzes“ klargestellt, dass auch Fachhochschullehrer zur Vertretung bzw. Verteidigung befugt sind. Ursprünglich war strittig, ob unter dem Begriff Rechtslehrer an einer Hochschule auch ein Rechtslehrer an einer Fachhochschule zu verstehen sei.5 Mit der Gesetzesänderung von 2001 bzw. 2004 sollte klargestellt werden, dass auch Fachhochschullehrer vertretungsbefugt sind. Wie sich aus der Gesetzesbegründung ergibt, hat man im Hinblick auf die bevorstehende Aufhebung des HRG auf die Bezugnahme verzichtet, der neue Verweis auf die staatlichen und staatlich anerkannten Hochschulen soll aber die Fachhochschulen miterfassen.6 Strittig ist heute noch, ob auch Lehrbeauftragte unter den Begriff der Rechtslehrer fallen.7
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Die Frage, ob der Hochschullehrer mit seiner Tätigkeit als Prozessvertreter nicht an die Beschränkungen, welche das Rechtsberatungsgesetz aufstellt, gebunden ist,8 ist durch das neue Rechtsdienstleistungsgesetz obsolet geworden. Nach § 1 Abs. 1 RDG ist das Gesetz nur noch auf die außergerichtliche Rechtsdienstleistung anwendbar.9
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Schulze-Osterloh, FS Quack, 1991, S. 743. BGBl. I 2010, S. 2248. BGBl. I 2001, S. 3987. BGBl. I 2004, S. 2198. Vgl. BGHSt 48, 350. BT-Dr. 17/3356, S. 17. Zum Nachweis Meyer-Goßner, § 138 StPO Rz. 4. Vgl. hierzu nur noch Zimmerlin/Brehm, RiA 2001, 82 ff.; Schenke, DVBl. 1990, 1151 ff. und Schulze-Osterloh, in: FS Quack, 1991, S. 743 (746 ff.). 9 Vgl. hierzu § 1 RDG Rz. 1.
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Zugang zum Beruf des Rechtsanwalts
Rz. 50 § 4 BRAO
Bereits mit der Ausweitung der Befugnisse zur prozessualen Vertretung und Verteidigung auf Fachhochschullehrer hat der Gesetzgeber einen gefährlichen und falschen Weg beschritten. Bereits die Vertretungs- und Verteidigungsbefugnis für Universitätsprofessoren war Teil eines unausgereiften, in sich widersprüchlichen und überaus problematischen Konzepts der Verbindung zwischen Theorie und Praxis im ureigensten Betätigungsfeld der Rechtsanwälte. Die Erweiterung der Vertretungs- und Verteidigungsbefugnis auf Rechtslehrer an einer Hochschule eines Mitgliedsstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum und der Schweiz hat die Problematik noch einmal deutlich verschärft. Bereits die Ermittlung, ob der sich als Prozessbevollmächtigter bestellende Rechtslehrer an einer Hochschule eines Mitgliedsstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum und der Schweiz im Sinne von § 67 VwGO, § 73 SGG bzw. § 22 BVerfGG tätig ist, dürfte zu erheblichen Problemen führen. Die Gesetzesbegründung fordert zwar, dass der Rechtslehrer an einer ausländischen Hochschule, die einer deutschen Hochschule entspricht, deutsches oder ausländisches Recht lehrt. Dies sei der Fall, wenn die Rechtslehre unter Einbeziehung wissenschaftlicher Methoden und Erkenntnisse vermittelt werde und sich hierdurch vom Niveau rechtskundlichen Unterrichts, wie er z.B. an Schulen stattfände, unterscheide.1 Wann dies der Fall ist, muss nun künftig in jedem Prozess gesondert untersucht werden, wenn sich ein Rechtslehrer, der an einer Hochschule eines Mitgliedsstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum und der Schweiz unterrichtet, bestellt.
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Rechtsanwälte sind besonderen core values2 verpflichtet. Die Einhaltung dieser core values wird berufsrechtlich überwacht.3 So dürfen Rechtsanwälte z.B. nach § 43a Abs. 4 BRAO keine widerstreitenden Interessen vertreten. Für Rechtslehrer, die vor dem Verfassungsgericht, den Verwaltungsgerichten oder vor den Strafgerichten auftreten, gilt die Bestimmung nicht. Als besonders schwierig erweist sich dabei die Verschwiegenheitspflicht und das Zeugnisverweigerungsrecht für Rechtslehrer. Die gesetzliche Verschwiegenheitspflicht nach § 43a Abs. 2 BRAO gilt für Rechtslehrer weder in ihrer Eigenschaft als Prozessvertreter nach § 67 VwGO, § 73 SGG bzw. § 22 Abs. 1 BVerfGG noch als Strafverteidiger nach § 138 StPO. Zwar kommt dem als Strafverteidiger tätigen Rechtslehrer nach § 53 Abs. 1 Nr. 2 StPO ein Zeugnisverweigerungsrecht im Strafprozess zu, nicht jedoch dem als Prozessvertreter nach § 67 VwGO, § 73 SGG bzw. § 22 Abs. 1 BVerfGG tätigen Rechtslehrer. Auch ist der Rechtslehrer nur in seiner Eigenschaft als Verteidiger von dem Straftatbestand des Verrats von Privatgeheimnissen, § 203 StGB, erfasst. Nicht zu vergessen ist auch, dass Rechtsanwälte über den Kontrahierungszwang, § 48 ff. BRAO, einen streitwertunabhängigen Zugang zum Recht zu sichern haben. Diese Verpflichtung der Mandatsübernahme in Prozesskostenhilfesachen bzw. für Fälle der Pflichtverteidigung besteht für Rechtslehrer nicht bzw. ist sogar ausgeschlossen.
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Die Erweiterung der Vertretungsbefugnis in § 67 VwGO, § 73 SGG bzw. § 138 StPO auf Fachhochschullehrer begründet der Gesetzgeber ursprünglich mit dem Hinweis, dies sei sachgerecht, weil nach § 44 Abs. 1 HRG wissenschaftliche Qualifikation von Universitätsprofessoren und Fachhochschullehrern den gleichen Anforderungen unterlägen. Die Begründung vermochte bereits in keiner Weise zu überzeugen. Unabhängig davon, ob man von einer gleichen wissenschaftlichen Qualifikation sprechen kann,4 vermag die gesetzliche Begründung keine Antwort auf die Frage zu geben, warum im Strafprozess und im Verwaltungsprozess Rechtslehrer als Verteidiger oder Prozessvertreter auftreten können sollen. Auch spielt die Frage der wissenschaftlichen Qualifikation offensichtlich keine Rolle, weil nicht nur die Strafrechtslehrer verteidigen dürfen, sondern alle Rechtslehrer, also auch Zivilrechtslehrer und Staatsrechtslehrer. Gleiches gilt für die Prozessvertretung vor den Verwaltungsgerichten. Eine Ausdehnung des Kreises der vertretungsberechtigten Rechtslehrer auf die Fachhochschullehrer war aber bereits deshalb besonders problematisch, weil in gewissem Umfang die relativ homogene Gruppe der Universitätsprofessoren noch im Ansatz durch soziale Kontrolle die berufsrechtliche Kontrolle, welcher die Rechtsanwälte unterliegen, kompensieren konnte. Durch die Ausdehnung des vertretungs- bzw. verteidigungsbefugten Kreises auf die Fachhochschullehrer oder Lehrbeauftragten und wissenschaftliche Mitarbeiter, schafft
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BT-Drs. 17/3356, S. 19. Vgl. hierzu Einl. Rz. 43. Zur Einordnung Einl. Rz. 26 und § 43a BRAO Rz. 12 ff. BVerfGE 64, 323 ff. zur Gleichsetzung der unterschiedlichen Aufgaben an den Universitäten und Fachhochschulen.
Wolf 261
§ 4 BRAO Rz. 51
Zugang zum Beruf des Rechtsanwalts
man auf einem bestimmten Feld Konkurrenten für die Anwaltschaft, die nicht der wirtschaftsaufsichtsrechtlichen Kontrolle, wie die Rechtsanwaltschaft, unterliegen. Dies muss in verstärktem Maß für Rechtslehrer an einer Hochschule eines Mitgliedsstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum und der Schweiz gelten. Der Fokus in der Gesetzesbegründung, weil die Befähigung zum Richteramt nach dem Deutschen Richtergesetz gefordert werde, sei eine im deutschen Recht umfassende Ausbildung sichergestellt, trifft den Punkt. Es geht nicht um die Qualifikation. Mit der Begründung musste man jeden, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, unabhängig von der Zulassung zum Rechtsanwalt, zur Prozessvertretung bzw. Verteidigung zulassen. Vielmehr geht es um die Kompensation der fehlenden wirtschaftsrechtlichen Kontrolle, welcher Rechtsanwälte unterliegen. Die soziale Kontrolle, welcher die relativ homogene Gruppe der Universitätsprofessoren unterliegt, entfällt bei dem nunmehr auch europaweit ausgedehnten Personenkreis vollständig. Begreift man die anwaltlichen core values wie hier nicht als Standesprivileg oder -verpflichtung der Rechtsanwälte, sondern als Funktionsvoraussetzung der anwaltschaftlichen Tätigkeit,1 sind Rechtslehrer, die sich als Prozessvertreter und Verteidiger betätigen, Prozessvertreter und Verteidiger zweiter Klasse. Zuzugeben ist dem Gesetzgeber, dass die Dienstleistungsrichtlinie eine Gleichstellung der Rechtslehrer an einer Hochschule eines Mitgliedsstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum und der Schweiz mit den deutschen Rechtslehrern wohl erfordert hat. Der auch in der Rechtspraxis deutlich einfachere Weg wäre aber gewesen, gesetzlich klarzustellen, dass sich Universitätsprofessoren zur Anwaltschaft zulassen können. 3. Verfassungsrechtliche Problematik 51
Sowohl das BVerfG2 als auch der BGH3 halten die Tätigkeit eines Universitätsprofessors mit der Tätigkeit eines Rechtsanwalts für unvereinbar. In der Entscheidung Gerd Lederer ist der EGMR der deutschen Argumentation beigetreten.4 Eine Bestätigung sieht die Rechtsprechung5 auch in der Jakubowska-Entscheidung des EuGH.6 Kernpunkt der jeweiligen Argumentation ist, dass der Beruf des Rechtsanwalts nach den Grundsätzen der freien Advokatur als ein grundsätzlicher, vom Staat unabhängiger freier Beruf ausgestaltet sei. Aus diesem Grund sei die gleichzeitige Ausübung des Berufs des Beamten und des Rechtsanwalts nicht möglich.7 Das Berufsbild des in einem freien Advokatenstand tätigen Rechtsanwalts ist durch die besondere äußere und innere Unabhängigkeit geprägt. Unabhängigkeit schließe Weisungsgebundenheit aus. Abhängigkeit und Weisungsgebundenheit seien aber – neben der Dienstpflicht – wesentliche Merkmale des Rechtsverhältnisses eines Beamten, der sein Amt innehabe.8
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Durch das Verbot, gleichzeitig den Beruf des Universitätsprofessors und des Rechtsanwalts auszuüben, wird in die grundrechtlich garantierte Freiheit der Berufswahl eingegriffen. Dieser Eingriff bedarf einer gesetzlichen Grundlage, die ihrerseits den Anforderungen der Verfassung genügt. Er ist daher nur zum Schutz eines besonders wichtigen Gemeinschaftsguts und unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zulässig, so das BVerfG.9 Die gesetzliche Grundlage, § 7 Nr. 10 bzw. § 14 Abs. 2 Nr. 5 BRAO, und deren Anwendung10 muss daher dem durch Art. 12 GG aufgestellten Maßstab entsprechen.
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Dem verfassungsrechtlichen Ausgangspunkt der Rechtsprechung ist sicherlich zuzustimmen. Im Interesse der Allgemeinheit an einer wirksamen und rechtsstaatlich geordneten Rechtspflege11 kann das Grundrecht der Berufsfreiheit eingeschränkt werden. Die Nichtzulassung der beamteten Universitätsprofessoren muss hierfür jedoch sowohl erforderlich wie geeignet sein dies zu erreichen. Beides ist nicht zutreffend. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
Vgl. Einl. Rz. 43. BVerfG, NJW 2009, 3710; JZ 1984, 1042. BGH, NJW 2012, 615; NJW 1984, 2877; NJW-RR 1995, 888. EGMR, NJW 2007, 3049. BGH, NJW 2012, 615 (618 f.). EuGH, NJW 2011, 1199. BVerfG, JZ 1984, 1042. BGH, NJW 2012, 615; BGH, NJW 1984, 2877. BVerfG, NJW 2007, 2317. BT-Drs. 3/120, S. 49. Richtigerweise ist jedoch nicht auf das Allgemeinwohl abzustellen, sondern auf den Anspruch auf rechtliches Gehör, Wolf, FS Hans-Peter Schneider, 2003, S. 414 (416 ff.).
262 Wolf
Zugang zum Beruf des Rechtsanwalts
Rz. 54a § 4 BRAO
Das BVerfG stützt seine Rechtsprechung auf die Entwicklung der freien Advokatur im 19. Jahrhundert.1 Allerdings ist der historische Befund durchaus differenziert. In Preußen, gegen dessen Bevormundung der Anwaltschaft sich die Forderung von Gneist nach einer freien Advokatur richtete, war die Tätigkeit eines Professors nicht mit der des Rechtsanwalts vereinbar.2 Umgekehrt bekannte sich zwar die RAO von 1878 ausdrücklich zum Prinzip der freien Advokatur enthielt aber bewusst keine automatische Unvereinbarkeitsregelung zwischen der Stellung des Beamten und der des Rechtsanwalts.3 Vielmehr ging man früher grundsätzlich davon aus, dass der Beruf des Universitätsprofessors mit dem des Rechtsanwalts vereinbar ist.4 Die insbesondere im 19. Jahrhundert erkämpfte Staatsferne der freien Advokatur, welche das BVerfG zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen nimmt, richtete sich gegen die gerichtliche Disziplinargewalt.5 Zutreffend ist zwar die Überlegung des BVerfGs,6 dass der Schutz der anwaltlichen Berufsausübung vor staatlicher Kontrolle und Bevormundung auch dem Allgemeininteresse an einer funktionierenden Rechtspflege dient. Gleichfalls zutreffend ist der Hinweis, dass die Herauslösung des Anwaltsberufs aus beamtenähnlichen Bindungen und seine Anerkennung als ein vom Staat unabhängiger freier Beruf als ein wesentliches Element des Bemühens um rechtsstaatliche Begrenzung der staatlichen Macht angesehen werden kann. Jedoch lässt sich damit nicht begründen, warum die Zulassung des Universitätsprofessors zum Rechtsanwalt nicht erfolgen darf.7
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Bei genauerem Hinsehen zeigt sich nämlich, dass nicht die Wahrnehmung jeder staatlichen Funktion mit der Tätigkeit eines Rechtsanwalts unvereinbar ist. So sieht § 7 Nr. 10 BRAO ausdrücklich vor, dass sogar Beamte oder Richter, deren Rechte und Pflichten aufgrund des Abgeordnetengesetzes ruhen, als Rechtsanwälte zugelassen werden können.8 Da der Abgeordnete nach Art. 48 Abs. 2 GG ein Amt ausübt und als Mitglied der Legislative Teil des Staates ist, kann es nicht um die abstrakte Staatsferne gehen. Ausschlaggebend muss vielmehr sein, die Unabhängigkeit des Rechtsanwalts abzusichern, um seine Funktion für die Rechtspflege sicher zu stellen.9 Dabei kann an die Unabhängigkeit des Rechtsanwalts keine höhere Anforderung gestellt werden, als an die Unabhängigkeit des Richters. Führt die Wissenschaftsfreiheit und die damit garantierte Unabhängigkeit dazu, dass der Universitätsprofessor im zweiten Hauptamt Richter sein kann, ist offensichtlich seine Stellung insgesamt so unabhängig ausgestattet, dass auch die Tätigkeit des Rechtsanwalts damit vereinbar ist.10 Wenig tragfähig ist auch der Hinweis, der beamtete Hochschullehrer könne sich von seinen Dienstpflichten nicht lösen.11 Nimmt man das Argument ernst, trifft dies auf jeden Rechtsanwalt mit Zweitberuf zu. Der nicht näher belegt Hinweis des BGH in diesem Zusammenhang, dass der Schutz von Art. 5 Abs. 3 GG lediglich der Universität selbst zukomme,12 nicht jedoch dem einzelnen Hochschullehrer als Grundrechtsträger, findet jedenfalls in der verfassungsrechtlichen Literatur keinen Widerhall.13 Scheidet man durch verfassungskonforme Auslegung die Anwendung der Inkompatibilitätsvorschrift des § 7 Nr. 10 BRAO die Kirchenbeamten aus,14 muss dies für die Universitätsprofessoren erst recht gelten.15 Der Hinweis des BGH,16 der Gesetzgeber trage der besonderen Stellung der Hochschullehrer Rechnung, indem den Hochschullehren in verschiedenen Verfahrensordnungen das Recht eingeräumt worden sei, auch ohne Anwaltszulassung als Prozessbevollmächtigte oder Vertei1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16
BVerfG, NJW 2007, 2317 unter Hinweis auf BT-Drs. 3/120, S. 49. Siegrist, Advokat, Bürger und Staat, 1996, Halbband 1, S. 235. Vgl. 3. Legislaturperiode, 2. Session 1878, Bd. 53, Anlage Nr. 5, 75. Friedlaender/Friedlaender, § 4 RAO Rz. 4. Vgl. nur Siegrist, Advokat, Bürger und Staat, 1996, Halbband 1, S. 356 ff. BVerfG, NJW 2007, 2317. In diesem Sinne auch Schulze-Osterloh, FS Quack, 1991, S. 743 (748 ff.); Hoor, AnwBl. 2000, 83 (86); Zimmerling/Brehm, RiA 2001, 82 (89); Michalski/Römermann, MDR 1996, 433; a.A. Feuerich/Weyland, § 7 Rz. 159; Henssler/Prütting/Henssler, § 7 Rz. 127. Allgemein zur Zulassung von Abgeordneten, BGHZ 72, 70 (73 ff.). Rolf Schneider, Der Rechtsanwalt, ein unabhängiges Organ der Rechtspflege, 1976, S. 94. Vgl. Zimmerlin/Brehm, RiA 2001, 82 (89). BGH, NJW 2012, 615 (616). BGH, NJW 2019, 615 (616). Scholz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 64. Ergänzungslieferung 2012, Art. 5 Abs. 3 GG Rz. 130. BVerfG, NJW 2007, 2317. Wie hier Kleine-Cosack, § 7 BRAO Rz. 92. BGH, NJW 2012, 615 (616).
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54a
§ 4 BRAO Rz. 55
Zugang zum Beruf des Rechtsanwalts
diger auftreten zu können, spricht mehr gegen als für die Argumentation. Die besondere Rechtsstellung des Rechtsanwalts ist genauso wenig ein Standesprivileg des Rechtsanwalts, wie die richterliche Unabhängigkeit ein Standesprivileg des Richters ist. Beides besteht im Hinblick auf die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege. Ein nicht hinreichend unabhängiger Professor kann auch als Prozessbevollmächtigter oder Verteidiger sinnvoll wirken. IV. Anerkennung von im Ausland erworbenen Prüfungen nach dem Bundesvertriebenengesetz (§ 112 Abs. 1 1. Alt. DRiG) 55
Grundsätzlich setzt die Befähigung zum Richteramt voraus, dass die Erste juristische Prüfung und die zweite Staatsprüfung im Geltungsbereich des DRiG erworben wurde, § 6 DRiG. Hintergrund der Regelung ist, dass Kenntnisse des deutschen Rechts für die Befähigung zum Richteramt notwendig sind. Eine Ausnahme hiervon bildet § 112 Abs. 1 1. Alt. DRiG zugunsten des in §§ 1 ff. BVFG näher definierten Personenkreises.1 Nach § 10 BVFG sind für diese Personen im Ausland erworbene Befähigungsnachweise, vorausgesetzt sie sind gleichwertig, anzuerkennen. Dabei spielt aufgrund Zeitablauf im Wesentlichen nur noch § 10 Abs. 2 BVFG bezüglich der Spätaussiedler, § 4 BVFG, eine Rolle. Konstituierendes Merkmal der Gleichwertigkeit ist dabei die Unmittelbarkeit der Berufsbefähigung.2 Aus diesem Grund scheidet regelmäßig die Gleichwertigkeit mit der zweiten Staatsprüfung aus.3 Ausreichend für die Gleichwertigkeit mit der ersten juristischen Staatsprüfung ist aber bereits die durch die ausländische Prüfung bescheinigte Befähigung, sich in die Hauptgebiete des deutschen Rechts einarbeiten zu können.4 Dies wird z.B. für eine polnische Rechtsmagisterprüfung bejaht.5 V. Anerkennung von im Ausland erworbenen Studienleistungen als Schwerpunktbereichsprüfungen, § 112 Abs. 1 2. Alt. DRiG
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§ 112 DRiG schränkte ursprünglich die durch § 20 HRG gegebene Möglichkeit ein, Studien- und Prüfungsleistungen, die an ausländischen Hochschulen erbracht worden sind, wenn ihre Gleichwertigkeit festgestellt ist, anzuerkennen. § 20 HRG lässt ausdrücklich § 5a Abs. 1 S. 2 DRiG und § 112 DRiG unberührt. Mit dem Gesetz zur Reform der Juristenausbildung von 20026 wurde die Möglichkeit geschaffen, dass der Landesgesetzgeber für die universitäre Schwerpunktbereichsprüfungsordnung die Möglichkeit schafft im Ausland erbrachte Studienleistungen anerkannt zu bekommen. Hierdurch soll ein Beitrag zur Angleichung rechtswissenschaftlicher Studiengänge im Rechtsraum Europa geschaffen werden,7 obwohl die Regelung nicht auf Europa beschränkt ist. Im Einzelnen haben bislang erst drei Länder von der Möglichkeit Gebrauch gemacht: Bayern
§ 43 BayJAPO (Schwerpunkt)
Bayerisches Gesetz – und Verordnungsblatt 2003, Nr. 23, S. 758, Fassung vom 13.10.2003
Berlin
§ 4 JAG
Gesetz über die Ausbildung von Juristinnen und Juristen im Land Berlin vom 23.6.2003 (GVBl. S. 232) (Berliner Juristenausbildungsgesetz – JAG), zuletzt geändert durch Gesetz vom 9.6.2004 (GVBl. S. 237)
Brandenburg
§ 4 BbgJAG
Gesetz zur Modernisierung der Juristenausbildung im Land Brandenburg vom 4.6.2003 (GVBl. I/03 S. 166)
VI. Sonderreglung nach dem Einigungsvertrag 57
Die DDR hatte sich seit langem von der Idee des Einheitsjuristen verabschiedet. Das juristische Studium schloss mit einer Universitätsprüfung ab. Nach dem Studium musste entweder eine einjährige Gerichtsassistenz oder eine einjährige Anwaltsassistenz absolviert werden, die jeweils mit einer unterschiedlich gestalteten Abschlussprüfung endeten.8 Ent-
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BVerwG, NJW 1993, 276. BVerwG, NJW 1986, 1511. BVerwG, NJW 1986, 1511. BVerwG, NJW 1993, 276. BVerwG, NJW 1993, 276. BGBl. I 2002, S. 2592. BT-Drs. 14/7176. Dörig, NJW 1990, 889 (890).
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Zugang zum Beruf des Rechtsanwalts
Rz. 60 § 4 BRAO
sprechend dieser Zweiteilung sieht der Einigungsvertrag auch unterschiedliche Wege vor, um als Rechtsanwalt mit einer in der DDR erworbenen Qualifikation zugelassen zu werden. 1. Regelung zugunsten ehemaliger Richter der DDR Ehemalige Richter der DDR besaßen nicht die Befähigung zum Richteramt nach § 5 DRiG.1 Erst mit dem Einigungsvertrag wurde eine Möglichkeit geschaffen, wie DDR-Richter die Befähigung zum Richteramt erwerben konnten. Die Möglichkeit, die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nach § 4 BRAO zu erlangen, bestand erst, nachdem die Ernennung zum Richter auf Lebenszeit nach dem DRiG erfolgte. Soweit bereits die Befähigung zum Richteramt nach DDR-Recht zum Beitrittsdatum der neuen Bundesländer bestand oder im Übergangszeitraum erworben wurde, konnten die Richter nach einer dreijährigen richterlichen Tätigkeit, welche auf die Beitrittsländer beschränkt war, durch den Richterwahlausschuss zum Richter auf Lebenszeit ernannt werden.2 Für DDR-Diplomjuristen, welche über eine dreijährige Berufspraxis verfügten, nicht aber über die Befähigung zum Berufsrichter,3 bestand darüber hinaus die Möglichkeit nach einer erfolgreichen Einarbeitungszeit von einem Jahr die Befähigung zum Berufsrichter zu erwerben,4 um nach einer dreijährigen beruflichen Tätigkeit als Richter zum Richter auf Lebenszeit ernannt zu werden. Die nach der einjährigen Einarbeitungszeit erworbene Befähigung zum Berufsrichter ist eine eingeschränkte Befähigung zum Richteramt,5 welche für die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nach § 4 BRAO noch nicht ausreichend ist. Nicht ausreichend war jedoch ein Studium an der Juristischen Hochschule Potsdam-Eiche.6
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2. Regelung zugunsten ehemaliger Rechtsanwälte der DDR Nach § 4 des Rechtsanwaltsgesetz der DDR konnte zum Rechtsanwalt zugelassen werden, wer (a) ein umfassendes juristisches Hochschulstudium in der DDR absolvierte und mit dem akademischen Grad eines Diplomjuristen abgeschlossen hat und (b) auf mindestens 2 Jahre juristische Praxis in der Rechtspflege oder in einem rechtsberatenden Beruf verweisen konnte. Ursprünglich war nach dem Einigungsvertrag vorgesehen, diese Regelung ohne zeitliche Grenzen fortbestehen zu lassen.7 Mit dem Gesetz zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und der Patentanwälte vom 2.9.19948 wurde jedoch das Rechtsanwaltsgesetz aufgehoben, Art. 21. Die Übergangsregelung, Art. 21 Nr. 8, sieht vor, Berufsanwärtern, welche bereits im Monat des Inkrafttretens der Neuregelung mit dem Erwerb einer zweijährigen juristischen Praxis begonnen hatten, noch Vertrauensschutz zu gewähren. Folglich mussten die fachlichen Voraussetzungen für die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nach § 4 DDR-RAG bis zum 1.9.1996 erfüllt gewesen sein.9 Sind die Zulassungsvoraussetzungen jedoch bis zum 1.9.1996 erfüllt, erfolgt auch nach diesem Zeitpunkt noch die Zulassung nach § 4 RAG-DDR.10 Die Übergangsregelung ist verfassungskonform, weil sie hinreichend Vertrauensschutz gewährleistet.11
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Die nach § 4 RAG-DDR erworbene Anwaltsbefähigung ist – im Gegensatz zur Befähigung zum Berufsrichter – nicht auf die neuen Bundesländer beschränkt, sondern ermöglichte berufliche Tätigkeit in der gesamten Bundesrepublik.12 Für Berlin galten Sonderregelungen,13 die unmittelbar zu einer modifizierten Anwendung der BRAO führten.14 Diejenigen Rechtsanwälte, welche am 3.10.1990 in Ost-Berlin mit einer Kanzlei zugelassen waren, gelten als nach der BRAO zugelassen. Personen, die am Stichtag ihren Wohnsitz in Ost-Berlin hatten, konnten zur Rechtsanwaltschaft nach der BRAO zugelassen werden, wenn sie die Voraussetzungen nach § 4 RAG besaßen.15
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1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15
BGHZ 109, 286; BGHZ 49, 379. Anl. I Kap. III Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 8b Einigungsvertrag; Dörig, DtZ 1990, 348 (349). Vgl. zum Begriff Schmidt-Räntsch, DtZ 1991, 33 (35). Anl. I Kap. III Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 8b Einigungsvertrag. Schmidt-Räntsch, DtZ 1991, 33 (35); a.A. Henssler/Prütting/Henssler, § 4 Rz. 24. Anl. I Kap. III Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 8y ff. Einigungsvertrag, BGBl. II 1990, S. 885. Anl. II Kap. III Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Einigungsvertrag, BGBl. II 1990, S. 885 (1156). BGBl. I, S. 2278. Henssler/Prütting/Henssler, § 4 Rz. 25. Borchert, AnwBl. 1996, 158. BVerfG, DtZ 1996, 111. Dörig, DtZ 1990, 348 (349). Anlage II Kap. III Sachgebiet A Abschnitt IV Nr. 1a. Vgl. hierzu Kaiser, AnwBl. 1991, 133 (136). Kaiser, AnwBl. 1991, 133 (136).
Wolf 265
§ 4 BRAO Rz. 61
Zugang zum Beruf des Rechtsanwalts
61
Der Weg über § 4 RAG-DDR steht auch demjenigen frei, welcher die Prüfung zum Diplomjuristen erst nach dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik abgelegt hat und der die Möglichkeit hatte, den juristischen Vorbereitungsdienst zu absolvieren, um so die Rechtsanwaltszulassung nach erfolgreicher zweiter Staatsprüfung nach § 4 BRAO zu erlangen.1 Das im Westen abgelegte erste juristische Staatsexamen ist hingegen nicht ausreichend, die Voraussetzungen von § 4 RAG-DDR zu erfüllen.2 Nicht ausreichend ist auch ein Studium an der Juristischen Hochschule Potsdam-Eiche.3
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Der Begriff des rechtsberatenden Berufs ist weit auszulegen, um den Juristen der früheren DDR möglichst den Zugang zur Rechtsanwaltschaft zu gewährleisten. Er ist auch dann erfüllt, wenn der Bewerber im Rahmen eines anderen Berufes in erheblichem Umfang eine rechtsberatende Tätigkeit ausgeübt hat.4 Die Referendarausbildung kann im Gegensatz hierzu nicht als Tätigkeit in einem rechtsberatenden Beruf oder in der Rechtspflege im Sinne von § 4 RAG-DDR angesehen werden.5
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Schließlich konnte nach § 4 Abs. 2 RAG-DDR derjenige zum Rechtsanwalt zugelassen werden, dem die Lehrbefähigung für Recht an einer Hochschule oder Universität der DDR verliehen wurde. Hierunter fällt nicht die Juristischen Hochschule Potsdam-Eiche.6 VII. Anerkennung von ausländischen Studienabschlüssen, welche von der DDR anerkannt worden sind, § 112 Abs. 2 DRiG
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Ungeregelt blieb im Einigungsvertrag die Frage, ob Studienabschlüsse im Ausland, welche in der DDR aufgrund Äquivalenzvereinbarungen, die die DDR mit zahlreichen Staaten abgeschlossen hatte, anzuerkennen sind. Durch das Gesetz zur Änderung des Rechtspflegergesetzes und anderer Gesetze7 wurde hierfür in § 112 Abs. 2 DRiG eine Regelung getroffen. Danach ist die Anerkennung zwar grundsätzlich möglich. Voraussetzung ist jedoch, dass im Einzelfall eine Gleichwertigkeit bescheinigt wird.8 C. Europäische Lösung I. Europäisches rechtswissenschaftliches Universitätsdiplom
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Voraussetzung für die Zulassung zum Vorbereitungsdienst war bislang der erfolgreiche Abschluss des juristischen Studiums im Anwendungsbereich des DRiG, § 6 DRiG.9 Mit zwei Entscheidungen hat der EuGH eine Änderung der gesetzlichen Regelung erzwungen. In der Kranemann-Entscheidung10 wurde festgestellt, dass Rechtsreferendare Arbeitnehmer im Sinne von Art. 39 EGV sind. Zuvor hat der EuGH bereits in der Morgenbesser-Entscheidung entschieden, dass es den Mitgliedsstaaten verwehrt ist, den Inhaber eines in einem anderen Mitgliedsstaat erworbenen Diploms der Rechtswissenschaft nur deshalb nicht zur praktischen Ausbildungszeit, die für die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft erforderlich ist, zuzulassen, weil das Diplom nicht im Inland erworben wurde.11 Aus diesen beiden Entscheidungen des EuGH hat der Gesetzgeber die Konsequenzen gezogen und mit § 112a DRiG eine Möglichkeit eröffnet, auch mit einem europäischen Universitätsdiplom zum Vorbereitungsdienst zugelassen zu werden. Diese Möglichkeit war ursprünglich lediglich auf Staatsangehörige eines Mitgliedsstaates der Europäischen Union bzw. eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz beschränkt.
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Mit Art. 17 des Gesetzes zur Verbesserung der Feststellung und Anerkennung im Ausland erworbener Berufsqualifikationen vom Dezember 201112 hat der Gesetzgeber auf das Erfordernis verzichtet, dass der Bewerber die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Euro1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
BGH, BRAK-Mitt. 2001, 90. BGH, DtZ 1995, 59; BGH, BRAK-Mitt. 1995, 127. BGH, BRAK-Mitt. 1996, 82 ff. BGH, BRAK-Mitt. 1994, 238. BGH, BRAK-Mitt. 1997, 198. BGH, DtZ 1994, 249; BGH, BRAK-Mitt. 1997, 204. BGBl. I 1994, S. 1374. Staats, DtZ 1994, 271 (272). Hierzu Tiesel/Tournay, DÖV 2008, 235. EuGH, NJW 2005, 1481. EuGH, EuZW 2004, 61. BGBl. I 2011, S. 2515.
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Zugang zum Beruf des Rechtsanwalts
Rz. 71 § 4 BRAO
päischen Union bzw. eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz hat. Hierdurch wurde die Regelung auch auf Drittstaatler erweitert, die in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union bzw. des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz ihren Abschluss gemacht haben. Die Begrenzung auf Staatsangehörige der betreffenden Staaten schien den Gesetzgeber nicht mehr zeitgemäß.1 Voraussetzung ist aber weiterhin, dass der Abschluss den Zugang zu einer postuniversitären Ausbildung für den Beruf des europäischen Rechtsanwalts gem. § 1 EuRaG sichert (vgl. hierzu § 1 EuRaG Rz. 2). Schließlich müssen die durch das europäische Universitätsdiplom bescheinigten Kenntnisse denjenigen entsprechen, welche einer bestandenen staatlichen Pflichtfachprüfung nach § 5 Abs. 1 DRiG zugrunde liegen. Es kommt also auf das gleiche Niveau im deutschen Recht an, welches im staatlichen Teil der ersten juristischen Prüfung vorausgesetzt wird.2
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Liegt die Gleichwertigkeit nicht vor, ermöglicht § 112a Abs. 2 DRiG auf Antrag durch eine entsprechende Eignungsprüfung, welche an den staatlichen Teil der ersten juristischen Prüfung angelehnt ist, die entsprechenden Kenntnisse nachzuweisen.3
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Die Landesjustizprüfungsämter haben zur Durchführung von § 112a DRiG nach § 112a Abs. 7 DRiG von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, gemeinsame Prüfungsämter einzuführen. Diese sind:
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Gemeinsames Prüfungsamt des Landes Baden-Württemberg und der Freistaaten Bayern und Sachsen beim Justizministerium Baden-Württemberg, Urbanstraße 32, 70182 Stuttgart Gemeinsames Prüfungsamt der Länder Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland und Thüringen zur Abnahme der Eignungsprüfung für die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft Martin-Luther-Platz 40, 40212 Düsseldorf Gemeinsames Prüfungsamt der Länder Berlin, Brandenburg, Freie Hansestadt Bremen, Freie und Hansestadt Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein Salzburger Str. 21–25, 10825 Berlin-Schöneberg II. Tätigkeit als europäischer Rechtsanwalt nach dem EuRAG Für die in den Staaten der Europäischen Union sowie der anderen Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum und der Schweiz als Rechtsanwälte unter einer der in Anlage I des EuRAG aufgeführten Bezeichnung als Rechtsanwälte tätig werden dürfen, regelt das EuRAG, unter welchen Voraussetzungen diese in Deutschland als europäische Rechtsanwälte wie deutsche Rechtsanwälte unter ihrer ausländischen Berufsbezeichnung tätig werden dürfen. Mit dem Gesetz zur Verbesserung der Feststellung und Anerkennung im Ausland erworbener Berufsqualifikationen4 wurde auf das Staatsangehörigkeitserfordernis für die europäischen Rechtsanwälte verzichtet. Der genaue Kreis der europäischen Rechtsanwälte, auf welche das EuRAG Anwendung findet, ergibt sich nunmehr aus den ausländischen Berufsbezeichnungen, wie sie in derAnlage zu § 1 EuRAG stehen.5 Dieser Personenkreis darf sich unter seiner ausländischen Berufsbezeichnung in Deutschland nach §§ 2 ff. EuRAG niederlassen und unter der Berufsbezeichnung seines Herkunftslandes als Rechtsanwalt im Sinne von § 1 bis § 3 BRAO in Deutschland tätig werden. Voraussetzung hierfür ist die Aufnahme in der für die Niederlassung zuständigen Rechtsanwaltskammer. Als europäischer Rechtsanwalt ist der Rechtsanwalt dem deutschen Rechtsanwalt weitgehend gleichgestellt. Er kann also auch im deutschen Recht beraten und ist vor Gericht vertretungsbefugt.6
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Von dem niedergelassenen europäischen Rechtsanwalt ist der vorübergehend dienstleistende europäische Rechtsanwalt nach § 25 EuRAG zu unterscheiden. Hier wird der europäische Rechtsanwalt in Deutschland nur punktuell tätig, er unterhält keine Niederlassung. Insbesondere seine Vertretungsrechte sind gegenüber dem niedergelassenen europäischen Rechtsanwalt eingeschränkt, § 28 EuRAG.7
71
1 2 3 4 5 6 7
BT-Drs. 17/6260, S. 41. Tiesel/Tournay, DÖV 2008, 235 (238). Tiesel/Tournay, DÖV 2008, 235 (238). BGBl. 2011, S. 2515. Vgl. § 1 EuRaG Rz. 3. Franz, BB 2000, 989 (992 f.); Musielak/Weth, § 78 ZPO Rz. 28. Musielak/Weth, § 78 ZPO Rz. 29.
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§ 4 BRAO Rz. 72
Zugang zum Beruf des Rechtsanwalts
III. Zulassung des europäischen Rechtsanwalts als deutscher Rechtsanwalt 72
Der europäische Rechtsanwalt, § 1 EuRAG, kann unter drei unterschiedlichen Voraussetzungen als deutscher Rechtsanwalt zugelassen werden. (a) Zulassung aufgrund einer bestandenen Eignungsprüfung, §§ 16 bis 24 EuRAG. (b) Zulassung aufgrund dreijähriger effektiver und regelmäßiger Tätigkeit als niedergelassener europäischer Rechtsanwalt, §§ 11, 12 EuRAG (c) Zulassung aufgrund dreijähriger effektiver und regelmäßiger Tätigkeit als niedergelassener europäischer Rechtsanwalt, der sich jedoch dabei nur kürzere Zeit mit dem deutschen Recht befasst, nach einem Prüfungsgespräch, §§ 13 bis 15 EuRAG.1
5 BRAO Freizügigkeit Wer in einem deutschen Land die Befähigung zum Richteramt erlangt hat (§ 4), kann auch in jedem anderen deutschen Land die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft beantragen. A. Allgemeines/Gesetzgebungsgeschichte . . I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . .
1 1
II. Gesetzgebungsgeschichte. . . . . . . .
2
B. Einzelheiten . . . . . . . . . . . . . .
4
A. Allgemeines/Gesetzgebungsgeschichte I. Allgemeines 1
Durch § 5 BRAO wird sichergestellt, dass die Zulassung zum Richteramt in einem Bundesland auch in einem anderen Bundesland als Zulassung zum Richteramt anzuerkennen ist. § 5 BRAO postuliert damit die Gleichwertigkeit der juristischen Staatsexamina der einzelnen Bundesländer. Die Regelung ist eigentlich überholt, weil nunmehr bereits § 6 Abs. 2 DRiG die Gleichwertigkeit der die Befähigung zum Richteramt verleihenden juristischen Abschlüsse der einzelnen Bundesländer anordnet. Inhaltlich wird die Gleichwertigkeit der Abschlüsse durch die Vorgaben des DRiG (§§ 5 ff. DRiG) an Studium, Vorbereitungsdienst und Prüfung sichergestellt. II. Gesetzgebungsgeschichte
2
Die in der Reichsrechtsanwaltsordnung von 1878 getroffene Regelung war in sich widersprüchlich. § 2 RAO besagte, dass derjenige, welcher die Fähigkeit zum Richteramt in einem Bundesstaat erlangt hat, in jedem Bundesstaat zur Rechtsanwaltschaft zugelassen werden kann. Jedoch schränkte § 5 RAO diese Regelung wieder ein. Ein Anspruch auf Zulassung bestand nur bei den Gerichten des Bundeslandes, in welchem die Prüfung bestanden wurde.2 Begründet wurde die Regelung mit den unterschiedlichen Prüfungsanforderungen in den verschiedenen Bundesländern. Die unterschiedlichen Prüfungsanforderungen, so die damalige Gesetzesbegründung, würden auch durch § 2 des damaligen GVG nicht hinreichend vereinheitlicht, weil das GVG nur gewisse Mindestgrenzen bezüglich der Dauer des Studiums und des Vorbereitungsdienstes sowie der Zahl der Prüfungen vorgebe. Hingegen würden Vorschriften über den Charakter der Prüfungen und die dabei zu stellenden Anforderungen fehlen. Aus diesem Grund bestünde die Gefahr, dass derjenige, der in einem Bundesland mit geringeren Anforderungen seine Befähigung zum Richteramt erworben hat, besser gestellt sei als derjenige, welcher seine Befähigung in dem Bundesland mit den strengeren Anforderungen erworben hat, indem auch der Mitbewerber seine Zulassung begehrt.3
3
Obwohl es gegen die Regelung des § 5 RAO innerhalb der Anwaltschaft Widerstand gab, entfiel die Einschränkung erst endgültig mit der BRAO. Der Grund für die Einschränkung in der RAO sei weggefallen, so der Gesetzgeber der BRAO, weil die Prüfungsanforderungen in den Bundesländern aufgrund der Länderzusammenarbeit von der gleichen Grundeinstellung geprägt sind.4 1 2 3 4
Einzelheiten hierzu unter § 11 EuRaG Rz. 4 ff. RGBl. I 1878, S. 177. Drucksache des Reichstags, 3. Leg. Per. II Session, 1878, Bd. 53 Nr. 5, S. 70. BT-Drs. 3/120, S. 51.
268 Wolf
§ 6 BRAO
Antrag auf Zulassung zur Rechtsanwaltschaft B. Einzelheiten
Nach § 6 Abs. 3 BRAO darf ein Zulassungsantrag nur aus den in der BRAO selbst bezeichneten Gründen abgelehnt werden. § 5 BRAO stellt klar, dass die Ablegung der zur Befähigung des Richteramts führenden Prüfung in einem anderen Bundesland kein Zulassungshinderungsgrund ist. Die Vorschrift findet nur auf diejenigen Fälle Anwendung, dass die Prüfung in einem anderen Bundesland der Bundesrepublik Deutschland abgelegt worden ist. Nicht von § 5 BRAO erfasst werden diejenigen Fälle, in denen die fachliche Befähigung zur Zulassung zur Anwaltschaft nach dem Rechtsanwaltsgesetz vom 13.9.1990 (RAG) der DDR besteht.1 Gleichfalls keine Anwendung findet § 5 BRAO in Bezug auf den europäischen Rechtsanwalt. Hier sind die Zulassungsvoraussetzungen im EuRAG abschließend geregelt.2
4
Zwar wurde mit der Aufhebung der örtlich beschränkten Postulationsfähigkeit der Rechtsanwälte durch das OLGVertrÄndG v. 23.7.20023 einer anders lautenden Regelung die Wirkungsmächtigkeit genommen. Jedoch sind die vom Gesetzgeber der Reichsrechtsanwaltsordnung von 1878 genannten Gefahren divergierender Ausbildungsstandards heute aktueller denn je. Wer dem Wettbewerb zwischen den Universitäten das Wort redet, produziert nicht nur wenige Spitzenuniversitäten, sondern bringt vor allem viele dritt- und viertklassige Universitäten hervor.4 Das in diesem Zusammenhang immer wieder als Vorbild gepriesene Amerika ist weitaus weniger Harvard (MA) und Yale (CT) als Chapman University (CA) in Orange oder Vermont Law School in South Royalton (VA). Alleine die Bandbreite der Bestehensquote des bar exams von 100 % (University of Wisconsin-Madison (WI) und Marquette University (WI) zu 26,4 % (Western State University (CA)) spricht Bände.5 Eine deutliche Spreizung ergibt sich auch bei den amerikanischen Law Schools, wenn man die Beschäftigungsrate der Absolventen 9 Monate nach dem Universitätsabschluss vergleicht. Diese reicht von 99,5 % (University of Virginia(VA)) bis zu 70,5 % (Appalachian School of Law (VA)).6 Dieser Zahlenvergleich sowie die Überlegungen des Gesetzgebers der Reichsrechtsanwaltsordnung zu einem einheitlichen und vergleichbaren Anforderungsprofil sprechen deutlich gegen manche Reformbestrebungen des juristischen Studiums und die Verlagerung der kompletten Prüfungskompetenz an die Universitäten.7
5
auf Zulassung zur Rechtsanwaltschaft 6 BRAO Antrag (1) Die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft wird auf Antrag erteilt.
(2) Ein Antrag darf nur aus den in diesem Gesetz bezeichneten Gründen abgelehnt werden. . . . .
. . . .
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1 1 2 3
B. Antragstellung . . . . . I. Antragsziel . . . . . . II. Form und Unterlagen. . III. Zuständige Stelle. . . . 1. Sachliche Zuständigkeit 2. Örtliche Zuständigkeit . 3. Mehrfachanträge. . . .
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4 4 5 6 6 7 8
A. I. II. III.
Zulassungsverfahren . Zulassungserfordernis Antragserfordernis . . Freizügigkeit . . . .
C. Antragsprüfung . . . . . . . . . . . . I. Amtswegige Prüfung . . . . . . . . . . II. Verweigerung der Mitwirkung . . . . . .
10 10 11
D. Bescheidung . . . . . . . . I. Zulassungsanspruch . . . . II. Zulassungsvoraussetzungen. 1. Fachliche Voraussetzungen . 2. Persönliche Voraussetzungen 3. Verfahrensgründe . . . . .
. . . . . .
12 12 13 13 14 15
E. Antragsrücknahme . . . . . . . . . . .
17
F. Erneuter Zulassungsantrag, Zweitbescheid. . . . . . . . . . . . . . . .
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1 2 3 4 5
Vgl. § 214 BRAO Rz. 2 und § 4 BRAO Rz. 59 ff. Vgl. § 4 BRAO Rz. 72 und Einl. EuRaG Rz. 69 f. BGBl. I 2002, S. 2850. Vgl. hierzu die Kritik bei Schmoll, Lob der Eilte, 2008, S. 96 ff., insbesondere S. 115 f. Die Zahlen beziehen sich auf einen Durchschnitt der letzten 6 Jahre, Quelle: Internet legal research group: http://www.ilrg.com/rankings/law/index.php/1/asc/Bar/avg. Auch relativ betrachtet bestätigt sich das Bild: Die Absolventen der Western State University liegen 38,6 % hinter dem Landesdurchschnitt der Bestehensquote, die Absolventen der Wisconsin-Madision University 17,75 % über dem betreffenden Landesdurchschnitt. Relativ bezogen auf den jeweiligen Landesdurchschnitt schneiden die Absolventen von Standfort University mit 25,83 % über dem Landesdurchschnitt am besten ab. 6 http://www.ilrg.com/rankings/law/index.php/1/asc/Employ9Mos/avg. 7 Vgl. § 4 BRAO Rz. 38 ff.
Schmidt-Räntsch 269
§ 6 BRAO Rz. 1
Antrag auf Zulassung zur Rechtsanwaltschaft
A. Zulassungsverfahren I. Zulassungserfordernis 1
Der Beruf des Rechtsanwalts kann nicht wie ein gewöhnliches Gewerbe von jedem Interessierten einfach aufgenommen und ausgeübt werden. Aus Absatz 1 ergibt sich vielmehr, dass die Ausübung des Berufs des Rechtsanwalts eine Zulassung zur Rechtsanwaltschaft voraussetzt. Dieser Unterschied erklärt sich daraus, dass an die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft anders als an die Ausübung eines normalen Gewerbes besondere Anforderungen gestellt werden. Kernelement des Berufs des Rechtsanwalts ist nämlich eine unabhängige qualifizierte rechtliche Beratung innerhalb und außerhalb von Rechtsstreiten. Eine solche Beratung liegt nicht nur im Interesse der rechtsuchenden Bürger und Unternehmen. Sie ist vielmehr für eine funktionierende Rechtspflege von entscheidender Bedeutung. Deshalb kann zur Rechtsanwaltschaft nicht jeder Interessierte, sondern nur derjenige zugelassen werden, der die erforderlichen fachlichen und persönlichen Voraussetzungen hierfür erfüllt. Die Interessen der Rechtsuchenden einerseits und der Rechtspflege andererseits erfordern es zudem, dass die fachlichen und persönlichen Voraussetzungen nicht nur gesetzlich bestimmt, sondern vor der Berufsaufnahme durch die zuständige Behörde auch geprüft werden. Ähnliche Bedürfnisse ergeben sich auch bei den anderen so genannten freien Berufen, deren Angehörige nicht nur besondere Rechte, sondern auch besondere Pflichten haben. Deshalb macht Absatz 1 die Ausübung des Berufs des Rechtsanwalts von einer Zulassung abhängig. Vor erfolgter Zulassung ist die Ausübung unzulässig, auch wenn die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür gegeben sind. II. Antragserfordernis
2
Das Zulassungsverfahren kann nach Absatz 1 nicht von Amts wegen eingeleitet werden. Es bedarf dazu eines Antrags des Bewerbers. Das ist selbstverständlich, weil die mit Art. 12 GG garantierte Berufsausübungsfreiheit auch die Freiheit einschließt, den Beruf des Rechtsanwalts auch dann nicht zu wählen, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für seine Aufnahme gegeben sind. Der Antrag kann auch von einem Vertreter gestellt werden.1 III. Freizügigkeit
3
Der Bewerber kann die Zulassung bei jeder Rechtsanwaltskammer im gesamten Bundesgebiet betreiben.2 Er ist nicht auf die Kammer in dem Bundesland beschränkt, in dem er seinen Wohnsitz hat oder sein zweites juristisches Staatsexamen abgelegt hat.3 Das findet jetzt in Absatz 2 einen textlichen Ausdruck, war aber auch schon vor dem Inkrafttreten dieser Regelung am 1.8.2007 der Fall. B. Antragstellung I. Antragsziel
4
Ziel des Antrags ist heute, nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Stärkung der Selbstverwaltung der Rechtsanwaltschaft vom 26.3.2007,4 die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft schlechthin. Die Bundesrechtsanwaltsordnung folgt damit dem Modell anderer Berufsordnungen für freie Berufe, die auch nur die Zulassung zu der Ausübung des Berufs als solchen vorsehen. Weggefallen ist das früher in § 18 Abs. 1 BRAO a.F. geregelte zusätzliche Erfordernis, neben der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft als solcher auch die Zulassung bei einem bestimmten Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit zu beantragen. Dieses Erfordernis ging auf den früher bestehenden Lokalisationszwang zurück. Er besagte, dass ein Rechtsanwalt grundsätzlich nur bei dem oder den Gerichten auftreten konnte, bei dem oder denen er zugelassen war. Der Rechtsanwalt konnte sich zunächst, abgesehen von den Gebieten mit Simultanzulassung, auch nur bei Amtsgericht und Landgericht, nicht aber bei Landgericht und Oberlandesgericht gleichzeitig zulassen lassen. Diese Beschränkung hat das BVerfG am 1 2 3 4
Isele, § 6 Anm. II B. Isele, § 6 I.D.1. Isele, § 7 Anm. II B1; vgl. aber BGH, EGB VII, 77 (82) in einem Übergangsfall aus dem Saarland. BGBl. I, S. 358.
270 Schmidt-Räntsch
Antrag auf Zulassung zur Rechtsanwaltschaft
Rz. 6 § 6 BRAO
13.12.2000 wegen der zugelassenen Ausnahmen als mit Art. 12 GG unvereinbar angesehen und für nichtig erklärt.1 Das hat der Gesetzgeber zum Anlass genommen, die Postulationsfähigkeit zu erweitern. Nach der Änderung des § 78 ZPO konnte jeder Rechtsanwalt, der bei einem Amts- oder Landgericht zugelassen war, bei allen anderen Amts- oder Landgerichten auftreten. Er konnte sich auch gleichzeitig bei einem Oberlandesgericht zulassen lassen, wenn eine Wartefrist von fünf Jahren verstrichen war. War er bei einem Oberlandesgericht zugelassen, konnte er zugleich auch bei allen anderen Oberlandesgerichten auftreten. Mit dem eingangs erwähnten Gesetz vom 26.3.2007 hat der Gesetzgeber das damit ohnehin schon weitgehend ausgehöhlte Lokalisationsprinzip ganz aufgegeben. Lediglich für den Bundesgerichtshof ist eine besondere Zulassung nach wie vor erforderlich, die ein Auftreten vor anderen Gerichten als den obersten Gerichtshöfen des Bundes, deren Gemeinsamem Senat, dem BVerfG und den von diesen Gerichten ersuchten Gerichten auch ausschließt. Im Übrigen braucht die Zulassung bei einem bestimmten Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit nicht mehr beantragt zu werden. Sie könnte auch auf Antrag eines daran interessierten Rechtsanwalts nicht mehr ausgesprochen werden, da sie institutionell nicht mehr vorgesehen ist. II. Form und Unterlagen In welcher Form der Antrag auf Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu stellen ist, schreibt die Bundesrechtsanwaltsordnung nicht vor. Sie legt auch nicht fest, welche Unterlagen zum Nachweis der Zulassungsvoraussetzungen vorzulegen sind. Der Gesetzgeber hat sich vielmehr darauf beschränkt, die zu prüfenden Voraussetzungen festzulegen und es den Rechtsanwaltskammern zu überlassen, wie sie deren Vorliegen feststellen. Die Rechtsanwaltskammern haben hierzu Merkblätter entwickelt, die die aus ihrer Sicht erforderlichen Unterlagen und Formalitäten im Einzelnen beschreiben.2 Das Ausfüllen von Fragebogen, die Vorlage der erbetenen Unterlagen und die Gebühren darf der Bewerber nicht verweigern, weil sie zur ordnungsgemäßen Prüfung des Antrags regelmäßig erforderlich sind. Dem kann er auch nicht dadurch entgehen, dass er unmittelbar beim Anwaltsgerichtshof die Genehmigung zur Führung der Berufsbezeichnung Rechtsanwalt und die Feststellung beantragt, als Rechtsanwalt zugelassen zu sein; ein solcher Antrag wäre unzulässig.3 Allerdings könnte der Bewerber die geforderten Nachweise in anderer Form führen, die der Rechtsanwaltskammer eine anderweitige Möglichkeit einer gleichwertigen Prüfung eröffnen. In aller Regel besteht ein praktisches Bedürfnis hierfür nicht. Die Rechtsanwaltskammern dürfen allerdings einen Zulassungsantrag nur zurückweisen, wenn die vorgelegten oder zugänglich gemachten Unterlagen eine Prüfung der Voraussetzungen tatsächlich nicht ermöglichen. Auf der Einhaltung der von ihnen festgelegten Formalitäten als solcher dürften sie hingegen nicht bestehen.
5
III. Zuständige Stelle 1. Sachliche Zuständigkeit Sachlich zuständig für die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft ist die Rechtsanwaltskammer. Das war zwar auch bis zur Novelle vom 26.3.2007 schon der Fall, spiegelte sich aber im Text der Bundesrechtsanwaltsordnung nicht wider. Danach war ursprünglich die Landesjustizverwaltung für die Entscheidung über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zuständig. Diese Zuständigkeit konnte allerdings nach § 224a BRAO a.F. durch Rechtsverordnung der Landesregierungen auf die Rechtsanwaltskammern übertragen werden. Davon haben alle Bundesländer Gebrauch gemacht, so dass eine Zuständigkeit der Landesjustizverwaltungen schon seit längerem nicht mehr gegeben war. Diesem Zustand ist die Bundesrechtsanwaltsordnung durch die Novelle vom 26.3.2007 angepasst worden. Nach § 33 Abs. 1 BRAO sind die Rechtsanwaltskammern nicht nur kraft Verordnung der Landesregierungen, sondern kraft Bundesgesetzes zuständig. Die Verordnungsermächtigung ist entfallen. Das bedeutet, dass eine Änderung dieser Zuständigkeit künftig nur noch durch Änderung der Bundesrechtsanwaltsordnung oder durch abweichendes Landesrecht nach Art. 84 Abs. 1 Satz 2 BRAO möglich ist. Das gilt nicht für die Rechtsanwälte beim Bundesgerichtshof. Ihre Zulassung obliegt nach wie vor dem Bundesministerium der Justiz und nicht der Rechtsanwaltskammer beim Bundesgerichtshof. 1 BVerfGE 103, 1. 2 Jessnitzer/Blumberg, § 6 Rz. 1; Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 6 Rz. 2. 3 BGH, Beschl. v. 23.2.2007 – AnwZ (B) 103/06, juris.
Schmidt-Räntsch 271
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§ 6 BRAO Rz. 7
Antrag auf Zulassung zur Rechtsanwaltschaft
2. Örtliche Zuständigkeit 7
Örtlich zuständig ist nach § 33 Abs. 3 Nr. 2 BRAO die Rechtsanwaltskammer, in deren Bezirk der Bewerber zugelassen werden will. Auch das unterscheidet sich im Ergebnis nicht wesentlich von der bisherigen Rechtslage. Allerdings konnte der Rechtsanwalt nicht unmittelbar selbst entscheiden, im Bezirk welcher Rechtsanwaltskammer er zugelassen werden wollte. Er konnte und musste sich vielmehr entscheiden, bei welchem Gericht er zugelassen werden wollte. Und nach dessen Sitz bestimmte sich auch die für die Zulassung zuständige Rechtsanwaltskammer. Dieser Zwischenschritt ist zusammen mit dem Erfordernis der Lokalisation entfallen. Der Bewerber kann sich frei entscheiden, bei welcher Rechtsanwaltskammer er den Antrag stellt (§ 33 Abs. 3 Nr. 2 BRAO). Bei Rechtsanwaltsgesellschaften ist die Kammer zuständig, in deren Bezirk die Gesellschaft ihren Sitz hat, § 33 Abs. 3 Nr. 3 BRAO, s. § 33 BRAO Rdn. 16–20. 3. Mehrfachanträge
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Zur Rechtsanwaltschaft kann ein Bewerber nur einmal und auch nur von einer Kammer zugelassen werden. Denn nur so ist eine ordnungsgemäße Aufsicht möglich. Und nur so kann auch bestimmt werden, wem gegenüber Beitragspflichten bestehen.
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Absatz 2 schließt es aber nicht aus, dass sich der Bewerber ähnlich wie ein Studienbewerber nicht nur bei einer, sondern bei mehreren Kammern um Zulassung zur Rechtsanwaltschaft bewirbt. Ein praktisches Bedürfnis hierfür wird in aller Regel nicht bestehen, da die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft stets die gleichen Wirkungen erzeugt und diese Wirkungen nicht davon abhängen, welche Rechtsanwaltskammer die Zulassung verfügt hat. Die Mehrfachbewerbung um Zulassung zur Rechtsanwaltschaft macht in der Regel auch dann keinen Sinn, wenn der Bewerber in eine Sozietät eintreten möchte und sich dazu bei in verschiedenen Kammerbezirken ansässigen Sozietäten beworben hat. Er könnte sich nämlich entweder problemlos gleich im Bezirk der Sozietät zulassen lassen, in die er letztlich eintreten kann und möchte. Denkbar wäre auch, sich zunächst bei einer anderen Rechtsanwaltskammer zulassen zu lassen und später in den Bezirk der Kammer zu wechseln, der die Mitglieder der Sozietät angehören, in die er dann eintreten möchte. Möglich wäre eine Mehrfachbewerbung allerdings. Es wäre dabei darauf zu achten, dass die Mehrfachbewerbung nicht zu einer Mehrfachbescheidung führt. Zur Entscheidung berufen ist die Kammer, bei welcher der Zulassungsantrag zuerst eingegangen ist. Denn allen weiteren Zulassungsanträgen steht der Einwand der Rechtshängigkeit entgegen.1 Würden sie gleichwohl die Zulassung verfügen, etwa deswegen, weil sie von den früheren Anträgen nichts wissen, könnten die so verfügten Doppelzulassungen nach § 14 Abs. 1 BRAO zurückgenommen werden, weil sie auf mangels Rechtsschutzinteresses unzulässigen Anträgen beruhen und damit rechtswidrig sind. Dabei müsste wiederum sichergestellt werden, dass jedenfalls eine der Mehrfachzulassungen erhalten bleibt. Eine Ausnahme gilt nur für den Fall, dass die Zulassung auch inhaltlich nicht hat ausgesprochen werden dürfen. C. Antragsprüfung I. Amtswegige Prüfung
10
Die Prüfung des Antrags hat die Rechtsanwaltskammer nach § 32 BRAO i.V.m. § 24 Abs. 1 VwVfG von Amts wegen durchzuführen. Sie darf dabei zwar gem. § 32 BRAO i.V.m. § 26 Abs. 2 VwVfG nach pflichtgemäßem Ermessen festlegen, welche Beweismittel sie für die Prüfung der Zulassungsvoraussetzungen heranzieht. Entscheidend muss aber im Ergebnis das Ziel der Prüfung sein. Eine Rechtsanwaltskammer dürfte deshalb nicht auf der Vorlage der in dem Merkblatt aufgeführten Unterlagen bestehen, wenn sie andere gleichwertige Möglichkeiten hat, das Vorliegen der Zulassungsvoraussetzungen zu prüfen. II. Verweigerung der Mitwirkung
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Die Verpflichtung der Rechtsanwaltskammer zur amtswegigen Prüfung des Zulassungsantrags bedeutet zwar, dass die Rechtsanwaltskammer von sich aus die erforderlichen Ermittlungen anzustellen und gegebenenfalls Unterlagen beizuziehen hat. Die für die Prüfung 1 Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 6 Rz. 7; Isele, § 11 Anm. VIII A; vgl. auch BGH, NJW-RR 2009, 138 (139); NJW 2009, 1822 f.
272 Schmidt-Räntsch
Antrag auf Zulassung zur Rechtsanwaltschaft
Rz. 15 § 6 BRAO
der Zulassung erforderlichen Unterlagen wird sie aber regelmäßig nicht ohne Mitwirkung des Bewerbers erlangen können. Hierbei handelt es sich nämlich um personenbezogene Daten, die andere Behörden der Rechtsanwaltskammer nur übermitteln dürfen, wenn der Bewerber zugestimmt hat. Die Rechtsanwaltskammer ist gesetzlich nicht ermächtigt, sie ohne Zustimmung beizuziehen. Deshalb hat der Bewerber nach § 32 Abs. 2 VwVfG eine Mitwirkungsobliegenheit, der er auch bei dem Antrag auf Zulassung zur Rechtsanwaltschaft Rechnung tragen muss. Geschieht dies nicht, ist sein Antrag als unbegründet abzulehnen, wenn sich das Vorliegen der Zulassungsvoraussetzungen und das Fehlen der Versagungsgründe nicht feststellen lassen.1 Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass die Prüfung tatsächlich ohne Mitwirkung des Bewerbers nicht möglich ist. Ist das dagegen der Fall, muss die Prüfung anhand der vorhandenen Unterlagen erfolgen. Eine Zurückweisung des Zulassungsantrags kommt erst in Betracht, wenn diese Unterlagen unzureichend sind und der Bewerber auch weiterhin seine Mitwirkung verweigert. Liegen also etwa die geforderten beglaubigten Abschriften der Staatsexamenszeugnisse bereits aus Anlass einer anderen Bewerbung um Zulassung zur Rechtsanwaltschaft vor, darf die Rechtsanwaltskammer nicht auf ihrer erneuten Vorlage bestehen, sondern muss die bereits eingereichten Unterlagen beiziehen. D. Bescheidung I. Zulassungsanspruch Die Rechtsanwaltskammer hat bei der Zulassung des Bewerbers kein Ermessen. Das wäre mit dem Grundrecht auf freie Ausübung des Berufs des Rechtsanwalts unvereinbar und wird in § 6 BRAO auch entsprechend festgelegt. Nach Absatz 1 „wird“ die Zulassung auf Antrag erteilt. Das bedeutet, dass die Rechtsanwaltskammer zur Erteilung der Zulassung verpflichtet ist, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen. Zusätzlich bestimmt Absatz 2, dass eine Zurückweisung des Antrags nur aus „den in diesem Gesetz vorgesehenen Gründen“ möglich ist. Zu den in der Bundesrechtsanwaltsordnung bezeichneten Gründen gehören nicht nur die Versagungsgründe des § 7 BRAO, sondern auch das Fehlen der Voraussetzungen des § 4 BRAO.2 Weitere Gründe für die Zurückweisung eines Zulassungsantrags können sich nach der Bundesrechtsanwaltsordnung aus verfahrensrechtlichen Bestimmungen ergeben.
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II. Zulassungsvoraussetzungen 1. Fachliche Voraussetzungen Die Zulassung zum Rechtsanwalt setzt den Erwerb der Befähigung zum Richteramt, einer gleichgestellten Befähigung (§ 214 BRAO, § 11 EuRAG) oder das Bestehen einer Eignungsprüfung (§ 16 EuRAG) voraus. Fehlt es daran, ist der Zulassungsantrag zurückzuweisen.
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2. Persönliche Voraussetzungen Auch der fachlich ausreichend befähigte Bewerber darf zur Rechtsanwaltschaft nicht zugelassen werden, wenn persönliche Gründe dem entgegenstehen. Diese Gründe stehen nicht im Belieben der Rechtsanwaltskammer. Sie sind vielmehr durch die BRAO abschließend geregelt, und zwar in § 7 BRAO.3 Weitere Gründe können sich nur aus anderen Vorschriften der BRAO ergeben. Der früher wichtigste Fall, nämlich das Bestehen von Gründen für die Versagung der Zulassung bei einem bestimmten Gericht nach § 20 Abs. 2 BRAO a.F., ist mit der Novelle vom 26.3.2007 entfallen. Deshalb dürfte die Zulassung künftig nicht etwa deswegen versagt werden, weil der Bewerber vor seiner Zulassung als Richter bei einem Gericht im Kammerbezirk tätig war.
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3. Verfahrensgründe Eine Zulassung kann allerdings auch aus Verfahrensgründen zu versagen sein.4 Hat sich der Bewerber bereits bei einer anderen Rechtsanwaltskammer um die Zulassung beworben, dann kann er von einer anderen Rechtsanwaltskammer nicht zur Rechtsanwaltschaft zugelassen 1 2 3 4
BGHZ 94, 364 (369 f.). Henssler/Prütting/Henssler, § 6 Rz. 11. Henssler/Prütting/Henssler, § 6 Rz. 6, 11; Kleine-Cosack, § 6 Rz. 2. Henssler/Prütting/Henssler, § 6 Rz. 8.
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§ 6 BRAO Rz. 16
Antrag auf Zulassung zur Rechtsanwaltschaft
werden, wenn er seinen früheren Antrag nicht zuvor zurücknimmt.1 Geschieht dies dennoch, bevor über den ersten Antrag bestandskräftig entschieden wurde, erledigt sich der erste Antrag in der Hauptsache.2 Ist der Zulassungsantrag des Bewerbers von einer Rechtsanwaltskammer bereits bestandskräftig zurückgewiesen worden, ist sein Zweitantrag bei derselben oder einer anderen Rechtsanwaltskammer grundsätzlich als unzulässig zurückzuweisen.3 Das gilt aber nur, wenn seinerzeit eine Bescheidung in der Sache erfolgte; eine Zurückweisung als unzulässig hindert dagegen einen neuen ordnungsgemäß unterlegten Zulassungsantrag nicht.4 16
Ein Zulassungshindernis kann sich auch aus einem Widerruf oder der Rücknahme einer früheren Zulassung ergeben. Die Zurücknahme einer Zulassung erfolgt nach § 14 Abs. 1 BRAO nämlich deshalb, weil die gesetzlichen Voraussetzungen nicht gegeben waren. Wird ein solcher Bescheid bestandskräftig, steht fest, dass eine Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nicht erfolgen kann. Ein Antrag, der nicht auf einen neuen Sachverhalt verweisen kann, ist deshalb unzulässig;5 ihm kann jedenfalls in der Sache nicht entsprochen werden. Dasselbe gilt für den Widerruf einer Zulassung, weil nach dessen Ausspruch bestandskräftig feststeht, dass der Bewerber jedenfalls jetzt die Voraussetzungen für die Zulassung nicht mehr erfüllt.6 Etwas anderes gilt auch hier nur, wenn Wiederaufnahmegründe oder aber eine nachhaltige Veränderung der für den Widerruf der Zulassung maßgeblichen Verhältnisse vorgetragen und nachgewiesen wird.7 E. Antragsrücknahme
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Der Antrag kann bis zum Eintritt der Bestandskraft des Bescheids über die Zulassung jederzeit zurückgenommen werden.8 Nach Erlass des Zulassungsbescheids kommt nur noch ein Verzicht auf die Rechte aus der Zulassung in Betracht, der mit dem Eintritt der Bestandskraft des Bescheids über den auf ihm beruhenden Widerruf wirksam wird. F. Erneuter Zulassungsantrag, Zweitbescheid
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Der Rechtsanwalt kann nach bestandskräftiger Zurückweisung seines Antrags auf Zulassung nicht ohne weiteres einen Folgeantrag stellen. Einem Folgeantrag steht nämlich die Bestandskraft der Zurückweisung des Erstantrags entgegen. Diese bindet auch die Rechtsanwaltskammer, die nicht nach Belieben bereits erledigte Zulassungsanträge neu bescheiden darf.9 Das gilt auch für einen Folgeantrag an eine andere Rechtsanwaltskammer.10 Ein neuer Zulassungsantrag ist nur statthaft, wenn sich der Sachverhalt zwischenzeitlich substantiell verändert hat oder wenn ein Wiederaufnahmegrund nach § 32 BRAO i.V.m. § 51 VwVfG vorliegt.11 Als ein solcher Grund reicht auch die Nichtberücksichtigung von EU-Recht nicht aus, wenn sich die Rechtslage nach Erlass des Erstbescheids nicht verändert und der Rechtsanwalt ein mögliches Rechtsmittel gegen den Erstbescheid nicht eingelegt hat.12
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Die Rechtsanwaltskammer muss einen gleichwohl gestellten Antrag als unzulässig zurückweisen. Sie hat – schon unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten – kein Ermessen.13 In einem anschließenden gerichtlichen Verfahren würde dann nur geprüft, ob sich der Sachverhalt substantiell verändert hat oder ein Wiederaufnahmegrund vorliegt. Ist das Vorliegen solcher Neubescheidungsgründe zweifelhaft, kann die Rechtsanwaltskammer von der Klärung der Frage nach dem Vorliegen dieser Gründe absehen und den Rechtsanwalt in der Sache neu bescheiden. Dieser Zweitbescheid wurde vor 2009 in einem gerichtlichen Verfahren ge1 Kleine-Cosack, § 6 Rz. 4. 2 BGH, BRAK-Mitt. 1993, 221 (22). 3 BGH, ZVI 2004, 242 (243); NJW-RR 2009, 138 (139); NJW 2009, 1822 f.; Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 6 Rz. 9; Odersky, FS Sendler, 2006, S. 539 (544). 4 BGHZ 94, 364 (370). 5 BGH, EGE XIII, 13 (15); NJW 2009, 1822 f.; Henssler/Prütting/Henssler, § 6 Rz. 9; Jessnitzer/Blumberg, § 6 Rz. 3. 6 BGH, NJW 1988, 1792. 7 BGHZ 102, 252 (256); BGH, BRAK-Mitt. 1997, 124; 1998, 154; NJW 1999, 3048; NJW 2009, 1822 f.; KleineCosack, § 6 Rz. 5. 8 EGH, EGHE 6, 15; 28, 19; Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 6 Rz. 1; Isele, § 6 Anm. V. 9 BGH, NJW-RR 2009, 138 (139) Rz. 7; NJW 2009, 1822 Rz. 6. 10 BGH, NJW 2009, 1822 Rz. 6. 11 BGH, NJW-RR 2009, 138 (139) Rz. 7 f.; NJW 2009, 1822 (1823) Rz. 7. 12 BGH, NJW 2009, 1822 (1823) Rz. 9–11, 14. 13 A.M. Kleine-Cosack, § 6 Rz 5.
274 Schmidt-Räntsch
§ 7 BRAO
Versagung der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft
nauso überprüft wie ein Erstbescheid.1 Im Jahr 2009 hat der BGH seine Rechtsprechung geändert. In einem gerichtlichen Verfahren über den Zweitbescheid ist zunächst zu prüfen, ob ein Neubescheidungsgrund vorliegt. Ist das Fall, wird der neue Sachverhalt inhaltlich geprüft.2 Andernfalls wird die Zurückweisung ohne Sachprüfung wegen der Bestandskraft des Erstbescheids bestätigt.3 der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft 7 BRAO Versagung Die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft ist zu versagen, 1.
wenn der Bewerber nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ein Grundrecht verwirkt hat;
2.
wenn der Bewerber infolge strafgerichtlicher Verurteilung die Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter nicht besitzt;
3.
wenn der Bewerber durch rechtskräftiges Urteil aus der Rechtsanwaltschaft ausgeschlossen ist und seit Rechtskraft des Urteils noch nicht acht Jahre verstrichen sind, Nummer 5 bleibt unberührt;
4.
wenn gegen den Bewerber im Verfahren über die Richteranklage auf Entlassung oder im Disziplinarverfahren auf Entfernung aus dem Dienst in der Rechtspflege rechtskräftig erkannt worden ist;
5.
wenn der Bewerber sich eines Verhaltens schuldig gemacht hat, das ihn unwürdig erscheinen läßt, den Beruf eines Rechtsanwalts auszuüben;
6.
wenn der Bewerber die freiheitliche demokratische Grundordnung in strafbarer Weise bekämpft;
7.
wenn der Bewerber aus gesundheitlichen Gründen nicht nur vorübergehend unfähig ist, den Beruf eines Rechtsanwalts ordnungsgemäß auszuüben;
8.
wenn der Bewerber eine Tätigkeit ausübt, die mit dem Beruf des Rechtsanwalts, insbesondere seiner Stellung als unabhängiges Organ der Rechtspflege nicht vereinbar ist oder das Vertrauen in seine Unabhängigkeit gefährden kann;
9.
wenn der Bewerber sich im Vermögensverfall befindet; ein Vermögensverfall wird vermutet, wenn ein Insolvenzverfahren über das Vermögen des Bewerbers eröffnet oder der Bewerber in das vom Vollstreckungsgericht zu führende Verzeichnis (§ 26 Abs. 2 der Insolvenzordnung, § 882b der Zivilprozeßordnung) eingetragen ist;
10.
wenn der Bewerber Richter, Beamter, Berufssoldat oder Soldat auf Zeit ist, es sei denn, daß er die ihm übertragenen Aufgaben ehrenamtlich wahrnimmt oder daß seine Rechte und Pflichten auf Grund der §§ 5, 6, 8 und 36 des Abgeordnetengesetzes vom 18. Februar 1977 (BGBl. I S. 297) oder entsprechender Rechtsvorschriften ruhen. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . Zulässigkeit der Zulassungsbeschränkung Zulassungsanspruch . . . . . . . . . . Berufsbefähigung . . . . . . . . . . . Verhältnis der Versagungsgründe zueinander . . . . . . . . . . . . . . . .
1 1 5 7
B. Grundrechtsverwirkung (§ 7 Nr. 1 BRAO)
9
A. I. II. III. IV.
C. Verlust der Fähigkeit zur Begleitung öffentlicher Ämter (§ 7 Nr. 2 BRAO) . I. Zweck . . . . . . . . . . . . . . . II. Voraussetzungen . . . . . . . . . . 1. Inlandsurteil. . . . . . . . . . . . 2. Verbindlichkeit des Urteils . . . . . 3. Verurteilung wegen eines Verbrechens (§ 45 Abs. 1 StGB) . . . . . . . . .
8
. . . . .
13 13 14 14 15
. .
16
. . . . .
4. Verurteilung wegen anderer Taten (§ 45 Abs. 2 StGB) . . . . . . . . . . . . . III. Wegfall des Hindernisses . . . . . . . .
17 18
D. Ausschluss aus der Rechtsanwaltschaft (§ 7 Nr. 3 BRAO) . . . . . . . . . . . I. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . II. Ausschlussurteil . . . . . . . . . . . III. Wartefrist . . . . . . . . . . . . . .
. . . .
19 19 20 21
E. Entlassung oder Entfernung aus dem Dienst in der Rechtspflege (§ 7 Nr. 4 BRAO) . . . . . . . . I. Anwendbarkeit . . . . . . . . II. Richteranklage. . . . . . . . . III. Disziplinarverfahren . . . . . . 1. Richter . . . . . . . . . . . .
. . . . .
22 22 24 28 28
. . . . .
. . . . .
. . . . .
1 BGH, NJOZ 2002, 1190 = NJ 2002, 334 betr. Zulassungsantrag; EGH Hamburg, BRAK-Mitt. 1992, 220 betr. Kammerbeitrag; Feuerich/Weyland, 7. Aufl., § 6 Rz. 11. 2 BGH, Beschl. v. 8.2.2010 – AnwZ (B) 96/09, juris Rz. 7. 3 BGH, NJW-RR 2009, 138 (139) Rz. 10 ff.; NJW 2009, 1822 (1823) Rz. 8, 9 und 12.
Schmidt-Räntsch 275
§ 7 BRAO Rz. 1
Versagung der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft
2. Staatsanwälte. . . . . . . . . . . . . 3. Notare . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rechtspfleger . . . . . . . . . . . . . F. Unwürdiges Verhalten (§ 7 Nr. 5 BRAO) I. Verfassungsrechtlicher Bezug . . . . II. Maßstab: Rechtsanwalt als Organ der Rechtspflege . . . . . . . . . . . . III. Straftaten. . . . . . . . . . . . . . 1. Vorsatzdelikte mit Berufsbezug . . . . 2. Vorsatztaten ohne Berufsbezug . . . . 3. Fahrlässigkeitstaten . . . . . . . . . 4. Tilgungsreife Verurteilungen . . . . . IV. Verstöße gegen die Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit . . . . . . . . . V. Sonstiges Verhalten . . . . . . . . . 1. Lebenswandel. . . . . . . . . . . . 2. Politisches Verhalten . . . . . . . . 3. Krankheitsbedingte Exzesse . . . . . 4. Wirtschaftliche Schwierigkeiten. . . . VI. Wohlverhalten. . . . . . . . . . . . VII. Abwägung im Einzelfall, Beurteilungsspielraum . . . . . . . . . . . . . . G. Strafbare Bekämpfung der freiheitlich demokratischen Grundordnung (§ 7 Nr. 6 BRAO) . . . . . . . . . . I. Zweck der Vorschrift. . . . . . . . II. Bekämpfung der freiheitlich demokratischen Grundordnung . . . . . III. Sperrwirkung der Vorschrift . . . .
30 31 32
. .
33 33
. . . . . .
34 35 35 36 37 38
. . . . . . .
39 41 41 42 43 44 45
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46
. . . .
47 47
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48 49
H. Unfähigkeit zur Berufsausübung (§ 7 Nr. 7 BRAO) . . . . . . . . . . . . I. Zweck der Vorschrift. . . . . . . . . . II. Praktische Bedeutung . . . . . . . . . III. Körperliche Beeinträchtigung . . . . . 1. Allgemeine Anforderungen . . . . . . . 2. Ausfall von Sinnesorganen . . . . . . . 3. Beeinträchtigungen der Bewegungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Konstitutionelle Schwäche . . . . . . . IV. Schwäche geistiger Kräfte . . . . . . . 1. Allgemeine Anforderungen . . . . . . . 2. Geisteskrankheit . . . . . . . . . . . 3. Sonstige Schwächen der geistigen Kräfte 4. Sonderproblem: Querulantentum . . . . V. Suchterkrankungen . . . . . . . . . . VI. Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . J. Unvereinbare Tätigkeiten (§ 7 Nr. 8 BRAO) . . . . . . . . . . . I. Verfassungsrechtliche Vorgaben . . . 1. Anspruch auf einen Zweitberuf . . . . 2. Mögliche Beschränkungen . . . . . . a) Gehobene Stellung? . . . . . . . b) Interessenkollision . . . . . . . . c) Vertrauen in die Unabhängigkeit des Rechtsanwalts . . . . . . . . . . 3. Tätigkeitsverbote . . . . . . . . . .
50 50 51 52 52 53 54 55 56 56 57 58 59 60 63
. . . . . .
64 64 64 65 65 66
. .
67 68
II. Anforderungen an die Betätigungs69 möglichkeiten . . . . . . . . . . . . . 1. Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . 69 2. Rechtlicher Betätigungsrahmen . . . . 70 70 a) Sicherung der Unabhängigkeit. . . . b) Gestaltungsfreiheit . . . . . . . . . 71 3. Tatsächliche Betätigungsmöglichkeiten . 72 III. Kaufmännisch gewerbliche Tätigkeiten . 74 1. Maßgebliches Kriterium: Interessen74 kollision . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gefährdung von Mandanteninteressen . 75 a) Inhaltliche Anforderungen . . . . . 75 b) Dienstliche Stellung im Unternehmen 76 IV. Sonstige rechtsberatende Tätigkeiten . . 78 V. Tätigkeiten im öffentlichen Dienst . . . 79 1. Ausgangslage: Kein öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis. . . . . . . . . . . . 79 2. Mögliche Kriterien: Interessenkonflikt und Vertrauen in die Unabhängigkeit . . 80 3. Tätigkeiten mit Hoheitsbefugnissen. . . 81 84 4. Einbindung in die Verwaltung . . . . . 5. Kirchliche Einrichtungen . . . . . . . 85 VI. Verbandstätigkeit . . . . . . . . . . . 85a VII. Politische Ämter . . . . . . . . . . . 86 K. Vermögensverfall (§ 7 Nr. 9 BRAO) . . I. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . 1. Schutzzweck . . . . . . . . . . . . 2. Praktische Bedeutung . . . . . . . . II. Begriff des Vermögensverfalls . . . . III. Vermutung des Vermögensverfalls . . IV. Darlegungslast des Antragstellers . . . 1. Grundsatz . . . . . . . . . . . . . 2. Darlegung einer Konsolidierung bei Wiederzulassung . . . . . . . . . . a) Verfahrensrechtlicher Hintergrund. b) Einfache Beweisanzeichen . . . . c) Widerlegung der Verfallsvermutung V. Gefährdung der Rechtssuchenden . . L. Öffentliche Dienstverhältnisse (§ 7 Nr. 10 BRAO) . . . . . . . . . . I. Zweck der Vorschrift. . . . . . . . . II. Beamtenverhältnis . . . . . . . . . 1. Grundsatz . . . . . . . . . . . . . 2. Formen des Beamtenverhältnisses . . 3. Professoren und Hochschulassistenten 4. Ruhestands- und Ehrenbeamte . . . . III. Richter . . . . . . . . . . . . . . . 1. Berufsrichter . . . . . . . . . . . . 2. Ehrenrichterverhältnis . . . . . . . . IV. Soldaten . . . . . . . . . . . . . . V. Andere öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse . . . . . . . . . . . . . 1. Grundsatz . . . . . . . . . . . . . 2. EU-Beamte und -Richter . . . . . . . 3. Kirchenbeamte . . . . . . . . . . . VI. Abgeordnete . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . .
87 87 87 88 89 90 91 91
. . . . .
91a 91a 91b 91c 91e
. . . . . . . . . . .
92 92 94 94 95 96 98 100 100 102 103
. . . . .
104 104 105 106 107
A. Grundlagen I. Zulässigkeit der Zulassungsbeschränkung 1
Die Aufnahme des Berufs des Rechtsanwalts hängt nach der Bundesrechtsanwaltsordnung von einer Zulassung ab. Diese Zulassung erhält nur, wer die in § 4 BRAO geforderte Be-
276 Schmidt-Räntsch
Versagung der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft
Rz. 5 § 7 BRAO
rufsbefähigung erworben hat und bei dem keiner der Versagungsgründe des § 7 BRAO vorliegt. Solche subjektiven Zulassungsvoraussetzungen schränken die Berufswahlfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG ein. Eine solche Einschränkung ist nach der Stufentheorie des BVerfG1 nur zulässig, wenn sie dem Schutz eines besonders wichtigen Gemeinschaftsgutes dienen.2 Das ist der Fall. Die hier zu behandelnden Versagungsgründe dienen den Interessen der Rechtsuchenden und der Rechtspflege.3 Die Rechtsuchenden sollen bei den Rechtsanwälten qualifizierte Beratung finden. Um ihre Interessen optimal wahrzunehmen, sind die Rechtsanwälte nicht nur bloße Dienstleister. Sie wirken vielmehr als unabhängige Organe an der Rechtspflege mit (§ 1 BRAO). Sie haben besondere Rechte, aber auch besondere Pflichten gegenüber der Allgemeinheit. In den für die Rechtsuchenden besonders wichtigen Anwaltsprozessen ist die Beauftragung eines Rechtsanwalts gesetzlich vorgeschrieben, damit die Rechtsuchenden diesen optimalen Schutz durch den Rechtsanwalt als unabhängiges Organ der Rechtspflege auch tatsächlich erfahren. Das aber macht es erforderlich sicherzustellen, dass Bewerber von der Rechtsanwaltschaft ferngehalten werden, in deren Person die Erreichung dieser Gemeinschaftsziele gefährdet ist.4 Wann eine solche Gefährdung anzunehmen ist, bestimmt § 7 BRAO abschließend.5 Die Versagungsgründe sind sämtlich sog. Muss-Versagungsgründe; Kann-Versagungsgründe, deren Anwendung im Ermessen der Kammer stünde, gibt es nicht.6 Die Versagungsgründe beziehen sich alle auf mögliche Gefährdungen der Funktion des Rechtsanwalts als unabhängiges Organ der Rechtspflege.
2
Die in § 7 BRAO bestimmten Versagungsgründe haben in ihrer ursprünglichen Form nicht alle einer verfassungsrechtlichen Überprüfung standgehalten. Einige von ihnen gingen über das unter Berücksichtigung auch des Gebots der Verhältnismäßigkeit Erforderliche hinaus7 und sind von dem Gesetzgeber auf das notwendige Maß reduziert worden. Sie sind deshalb mit einer Ausnahme in ihrer heutigen Form verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.8 Die Ausnahme betrifft § 7 Nr. 4 BRAO, gegen den die gleichen Bedenken zu erheben sind wie gegen § 7 Nr. 3 BRAO a.F. Im Gegensatz zu § 7 Nr. 3 BRAO hat der Gesetzgeber § 7 Nr. 4 BRAO aber nicht an den verfassungsrechtlichen Maßstab angepasst. Das zwingt zu einer verfassungskonformen Reduktion der Vorschrift.
3
Dem Grundrecht auf Berufswahlfreiheit ist auch bei der Anwendung der Vorschrift Rechnung zu tragen. Die einzelnen Versagungstatbestände sind deshalb so auszulegen, dass die mit der Anwendung des Versagungstatbestands verbundene Beschränkung der Berufswahlfreiheit auf das unabdingbare Maß reduziert wird.9 Das spielt vor allem bei dem generalklauselartig gefassten Versagungsgrund nach § 7 Nr. 5 BRAO eine wesentliche Rolle.
4
II. Zulassungsanspruch Ein Bewerber, der die nach § 4 BRAO erforderliche Berufsbefähigung erworben hat, hat einen subjektiv-öffentlich-rechtlichen Anspruch auf Zulassung zur Rechtsanwaltschaft. Dies kommt in der Formulierung „wird … erteilt“ in § 6 Abs. 1 BRAO zum Ausdruck. Dieser Anspruch beruht auf dem Grundrecht auf Berufswahlfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG. Deshalb ist § 6 Abs. 1 BRAO als Mussvorschrift ausgestaltet. Das hat Auswirkungen auch auf die Auslegung von § 7 BRAO. Die dort genannten Versagungsgründe sind zwingend,10 was § 7 BRAO in seinem Einleitungssatz auch zum Ausdruck bringt. Sie müssen in jedem Fall angewendet werden, in dem sie vorliegen. Es steht nicht im Belieben der für die Zulassung zuständigen Rechtsanwaltskammern, ob sie von den Versagungstatbeständen Gebrauch machen oder nicht. Etwas anderes würde zu einer Ungleichbehandlung der Bewerber führen, die weder nach Art. 12 Abs. 1 GG noch nach Art. 3 GG zulässig ist. Aus dem Anspruch der Bewerber 1 2 3 4 5 6 7 8
Aus dem Apothekenurteil, BVerfGE 7, 377. BVerfGE 63, 266 (286 f.); 66, 337 (353); BVerfG, BRAK-Mitt. 2000, 301 (303). BVerfGE 66, 337 (354). Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 7 Rz. 3; Isele, § 7 Anm. II.A.1. Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 7 Rz. 5; Henssler/Prütting/Henssler, § 7 Rz. 1; Isele, § 7 Anm. II.A.2.B. Isele, § 7 Anm. I.D. BVerfGE 66, 337 – § 7 Nr. 3. BVerfGE 63, 266 (286 ff.) – § 7 Nr. 5 und 6; BVerfG, BRAK-Mitt. 2000, 301 – § 7 Nr. 5; BVerfGE 37, 67 (77 ff.) – § 7 Nr. 7; 87, 287 (320 f.) – § 7 Nr. 8, 10; BGH, NJW-RR 2012, 189 (190) Rz. 6 – § 7 Nr. 2 (§ 14 Abs. 2 Nr. 2); Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 7 Rz. 9 bis 13. 9 BVerfGE 87, 287 (322); BVerfG, BRAK-Mitt. 2000, 301 (303). 10 Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 7 Rz. 1.
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5
§ 7 BRAO Rz. 6
Versagung der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft
auf Zulassung folgt aber zugleich, dass die in § 7 BRAO bezeichneten Versagungstatbestände abschließend sind. Die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft kann nur aus den dort (oder an anderer Stelle des Gesetzes) genannten Gründen und nicht aus anderen, dort nicht aufgeführten Gründen versagt werden.1 6
Ausgeschlossen ist damit in erster Linie eine Bedürfnisprüfung.2 Keinem Bewerber kann die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft mit der Begründung versagt werden, es gäbe schon zu viele. Das Alter des Bewerbers3 und sein bisheriger beruflicher Werdegang4 spielen keine Rolle. Es dürfte deshalb einem Bewerber zum Beispiel nicht entgegengehalten werden, er habe die Pensionsgrenze bereits überschritten und sei zu alt. Es darf (nach Wegfall der Wartefrist des § 20 BRAO a.F.5) auch nicht darauf abgestellt werden, ob der Bewerber in einem Erstberuf etwa als Richter oder Beamter pensioniert worden ist.6 Auch die mangelnde rechtsanwaltliche Praxis nach der Ablegung der beiden Staatsexamina ist kein Grund für die Versagung der Zulassung.7 Nicht abgestellt werden dürfte auch auf die Qualität der juristischen Staatsexamina, wenn sie einmal bestanden sind.8 Schließlich kann auch keine bestimmte finanzielle Ausstattung zur Voraussetzung für die Zulassung gemacht werden. Es hat mit dem Versagungsgrund des Vermögensverfalls sein Bewenden. III. Berufsbefähigung
7
Das Fehlen der Berufsbefähigung ist in § 7 BRAO allerdings als Versagungstatbestand nicht aufgeführt. Das hat seinen Grund in der Natur der Zulassungsvoraussetzungen. Die Berufsbefähigung muss bei jedem Bewerber vorliegen und ist deshalb in § 4 BRAO als positive Zulassungsvoraussetzung bestimmt.9 Die Versagungsgründe werden normalerweise bei einem Bewerber nicht vorliegen und sind Ausnahmetatbestände, die deshalb in § 7 BRAO als Versagungsgründe zusammengestellt sind. Die Zulassung ist deshalb nicht nur zu versagen, wenn einer der Versagungsgründe vorliegt, sondern (natürlich) auch, wenn die einzige positive Zulassungsvoraussetzung, die Berufsbefähigung, nicht gegeben ist. IV. Verhältnis der Versagungsgründe zueinander
8
Die Versagungsgründe stehen unabhängig nebeneinander.10 Die Zulassung ist zu versagen, wenn auch nur einer von ihnen gegeben ist. Manche Versagungstatbestände stellen sich in der Sache als spezielle Ausformungen eines anderen allgemeiner gehaltenen Versagungstatbestandes dar. So ist z.B. der Fall einer Versagung der Zulassung nach erfolgter Amtsenthebung als Richter im Wege der Richteranklage ein spezieller Fall unwürdigen Verhaltens. In solchen Fällen wird regelmäßig der speziellere zur Anwendung kommen. Zwingend ist das insbesondere dann, wenn er eine Berücksichtigung des Verhaltens nur unter besonderen Umständen vorschreibt. In diesem Fall könnte nicht ohne weiteres auf den allgemeinen Tatbestand zurückgegriffen werden. Andere Versagungstatbestände wiederum beschreiben ganz verschiedenartige Situationen, die nur selten gleichzeitig vorliegen, aber durchaus auch gleichzeitig vorliegen können. Die Rechtsanwaltskammer hat in einem solchen Fall die Wahl, ob sie die Versagungsentscheidung auf alle einschlägigen Versagungsgründe oder nur auf einen Teil von ihnen stützt. Gewöhnlich wird sie sich auf den Tatbestand stützen, der sich am besten und sichersten nachweisen lässt. Zu berücksichtigen ist bei der Entscheidung, dass weder im Widerspruchs- noch im berufsgerichtlichen Verfahren andere Versagungsgründe nachgeschoben werden können. Die Entscheidung wird auch nach neuem Recht nur anhand des Versagungsgrundes überprüft, auf den sie gestützt ist. Denn sonst würde dem Versagungsbescheid nicht nur eine andere formelle Begründung gegeben, was nach § 32 BRAO i.V.m. § 45 VwVfG möglich wäre. Vielmehr ändert sich der dem Versagungsbescheid zugrunde 1 BVerfGE 63, 266 (283); BGH, NJW 1985, 1842 (1843); Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 7 Rz. 7; Kleine-Cosack, § 7 Rz. 1. 2 BT-Drs. III/120, S. 55 f.; BGH, NJW 1985, 1842 (1843); Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 7 Rz. 7; Isele, § 7 Anm. II.B.2; Kleine-Cosack, § 7 Rz. 1. 3 Isele, § 7 Anm. II.B.8. 4 Isele, § 7 Anm. II.B.4, 5, 7a. 5 Dazu BGH, BRAK-Mitt. 1982, 173 (174). 6 Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 7 Rz. 7. 7 BGH, EGE IV, 98; OLG Koblenz, EGE III, 110; Isele, § 7 Anm. II.B.6a. 8 BGH, NJW 1985, 1842 (1843); Kleine-Cosack, § 7 Rz. 1. 9 Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 7 Rz. 6; Isele, § 7 Anm. III.A.2. 10 Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 7 Rz. 8; Kleine-Cosack, § 7 Rz. 3.
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Versagung der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft
Rz. 12 § 7 BRAO
gelegte Sachverhalt, was von § 45 VwVfG nicht erfasst wird.1 Solche Sachverhaltsveränderungen können zwar berücksichtigt werden, aber nur, wenn sie den Bescheid nicht in seinem Wesen verändern.2 Eine solche Wesensveränderung liegt aber vor, wenn statt des Versagungsgrunds, auf den die Versagung gestützt ist, ein anderer Versagungsgrund geltend gemacht wird. Lässt sich der ursprüngliche Versagungsgrund nicht nachweisen oder ist er im Zeitpunkt der Entscheidung bereits weggefallen, kommt eine Versagung der Zulassung aus diesem Grund nicht in Betracht. Die Entscheidung würde dann aufgehoben. Die Kammer müsste den Bewerber neu bescheiden. In diesem Fall könnte (und müsste) die Rechtsanwaltskammer dann aber eventuell nachgewiesene andere Versagungsgründe berücksichtigen. B. Grundrechtsverwirkung (§ 7 Nr. 1 BRAO) Nach § 7 Nr. 1 BRAO ist die Zulassung zu versagen, wenn der Bewerber nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ein Grundrecht verwirkt hat. Die Vorschrift vollzieht Art. 18 GG auf einfachgesetzlicher Ebene nach.3 Bei dem Begriff Verwirkung von Grundrechten verweist sie auf die inhaltlichen Voraussetzungen des Art. 18 S. 1 GG. Nach dieser Vorschrift können nicht alle Grundrechte verwirkt werden, sondern „nur“ die der Meinungsäußerung, insbesondere die Pressefreiheit, die Lehrfreiheit, die Versammlungsfreiheit, die Vereinigungsfreiheit, das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis, das Eigentum oder das Asylrecht.4 Die übrigen Grundrechte können nicht verwirkt werden. Voraussetzung für die Verwirkung von Grundrechten ist nach Art. 18 S. 1 GG, dass das jeweilige Grundrecht zum Kampf gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung missbraucht wird. Das setzt eine unzulässige Grundrechtsausübung voraus, die durch eine nachhaltig aktiv-aggressive Bekämpfung der freiheitlich demokratischen Grundordnung gekennzeichnet ist. Es muss sich um einen zielgerichteten Kampf gegen sie handeln. Die Verwirkung selbst führt nicht zum vollständigen Verlust des Grundrechts. Sie führt dazu, dass das Grundrecht nicht ausgeübt werden kann. Welches Grundrecht von der Verwirkung betroffen ist und welches Ausmaß die Verwirkung hat, ist für das Eingreifen des Versagungsgrunds grundsätzlich unerheblich.5 Es genügt, dass eines verwirkt ist.6 Sollte die Verwirkung zeitlich befristet sein, entfällt der Versagungsgrund mit Ablauf der zeitlichen Befristung.
9
Der Versagungsgrund greift nur ein, wenn das BVerfG die Verwirkung eines Grundrechts ausgesprochen hat. Das schließt an Art. 18 S. 2 GG an, wonach die Verwirkung von Verfassungs wegen nur aufgrund einer Entscheidung des BVerfG eintritt, dessen Entscheidung konstitutiv ist.7 Liegt eine Entscheidung nicht vor oder wird sie gar nicht erst beantragt, ist der Versagungsgrund nicht gegeben.8 Da die Verwirkung von Grundrechten nach Art. 18 S. 2 GG allein dem BVerfG vorbehalten ist, könnte eine Verwirkung von Grundrechten nicht inzident im Rahmen der Anwaltszulassung festgestellt werden.9 Umgekehrt ist die Verwirkungsentscheidung des BVerfG für das Zulassungs- (und das Widerrufs-) Verfahren verbindlich; sie darf nicht in Frage gestellt werden.10
10
Ein Verhalten, aus welchem eine Verwirkung von Grundrechten abgeleitet werden könnte, kann bei Fehlen einer Verwirkungsentscheidung des BVerfG unter anderen Gesichtspunkten, insbesondere unter dem Gesichtspunkt eines unwürdigen Verhaltens zu einer Versagung führen. Voraussetzung dafür ist aber, dass sich die Unwürdigkeit des Verhaltens isoliert begründen lässt. Dass sie zu einer Verwirkung von Grundrechten führen müsste, würde nicht ausreichen.
11
Der Versagungsgrund ist bislang noch nie angewandt worden.11 Die beiden seit Bestehen der Bundesrepublik gestellten Anträge auf Verwirkung von Grundrechten sind erfolglos geblieben.12
12
1 Stelkens/Bonk/Sachs/Sachs, § 45 VwVfG Rz. 150. 2 BVerwGE 6, 356 (358); 71, 363 (368); 80, 96 (98 f.) für Klageverfahren und BVerwGE 60, 140 (142) für Widerspruchsverfahren. 3 Isele, § 7 Anm. IV.A.2. 4 Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 7 Rz. 15. 5 Isele, § 7 Anm. IV.A.3c. 6 Isele, § 7 Anm. IV.A.3b. 7 BGHZ 12, 197 (200). 8 Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 7 Rz. 16; Henssler/Prütting/Henssler, § 7 Rz. 9. 9 Isele, § 7 Anm. IV.A.3e. 10 Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 7 Rz. 16; Isele, § 7 Anm. IV.A.3d.bb). 11 Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 7 Rz. 16; Jarass/Pieroth, Art. 18 GG Rz. 1; Hömig, Art. 18 GG Rz. 7. 12 BVerfGE 11, 282; 38, 23.
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§ 7 BRAO Rz. 13
Versagung der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft
C. Verlust der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter (§ 7 Nr. 2 BRAO) I. Zweck 13
Das Strafgesetzbuch sieht als entweder kraft Gesetzes eintretende oder nach dem Ermessen des Strafgerichts verhängbare Nebenfolge den Verlust unter anderem der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter vor. Öffentliche Ämter kann nämlich nur jemand wahrnehmen, der unbescholten ist. Wer zu höheren Freiheitsstrafen wegen Delikten verurteilt worden ist, die diese Rechtsfolge nach sich ziehen, ist nicht mehr unbescholten. Ihm können öffentliche Ämter jedenfalls vorübergehend nicht mehr übertragen werden. Nun ist der Beruf des Rechtsanwalts kein öffentliches Amt.1 Er ist nach § 2 BRAO vielmehr ein (staats-) freier Beruf. Zu berücksichtigen ist aber, dass die juristisch geschulte, unabhängige, an den Interessen der vertretenen Partei orientierte Sicht des Rechtsanwalts für die Rechtsfindung unverzichtbar und der Rechtsanwalt deshalb nach § 1 BRAO ein unabhängiges Organ der Rechtspflege ist. Diese Mitwirkung zeichnet den Beruf des Rechtsanwalts vor allen anderen Berufen aus. Dies führt aber dazu, dass zu diesem Beruf derjenige nicht zugelassen werden kann, dem ein öffentliches Amt nicht übertragen werden könnte, weil er die Fähigkeit zur Bekleidung solcher Ämter verloren hat.2 II. Voraussetzungen 1. Inlandsurteil
14
Der Versagungsgrund setzt eine strafgerichtliche Verurteilung voraus. Es muss also eine Verurteilung in einem Strafverfahren sein. Eine disziplinarische Verurteilung würde demgegenüber nicht ausreichen. Strafgerichtlich ist eine Verurteilung auch nur, wenn sie durch ein deutsches Gericht ausgesprochen worden ist.3 Eine Verurteilung durch ein ausländisches Strafgericht erfüllt den Versagungsgrund nach Nr. 2 demgegenüber nicht. Das gilt auch dann, wenn es sich um ein Gericht aus einem Mitgliedsstaat der EU oder einem Staat handelt, der der EMRK verpflichtet ist und damit einen gleichwertigen prozessualen Standard gewährleisten muss. Der Sachverhalt, der der Auslandsverurteilung zugrunde liegt, kann aber einen anderen Versagungsgrund, insbesondere den Versagungsgrund unwürdigen Verhaltens nach Nr. 5, erfüllen und dann aus diesem Grunde zur Versagung führen.4 2. Verbindlichkeit des Urteils
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Das Strafurteil ist für das Zulassungsverfahren verbindlich.5 Ob der Bewerber, die Kammer oder Dritte das Urteil für falsch halten, ist unerheblich.6 Solange es nicht aufgehoben oder dem Bewerber Gnade erwiesen wird, fehlt ihm die für die Zulassung erforderliche Befähigung zur Bekleidung öffentlicher Ämter. 3. Verurteilung wegen eines Verbrechens (§ 45 Abs. 1 StGB)
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Der Verlust der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter ist nach § 45 Abs. 1 StGB die gesetzliche Folge einer Verurteilung wegen eines Verbrechens zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr. Ein Verbrechen ist nach § 12 Abs. 1 StGB ein Straftatbestand, der mit einer Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr oder darüber bedroht ist. Nach § 12 Abs. 3 StGB bleiben dabei Strafschärfungen und Strafmilderungen für besonders schwere oder mildere Fälle außer Betracht. Zu solchen Strafschärfungen oder Milderungen gehören aber Qualifikations- und Privilegierungstatbestände nicht. Sie sind vielmehr eigenständige Delikte und lösen die Wirkungen des § 45 Abs. 1 StGB aus, wenn sie mit einer Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr oder höher bedroht sind und im konkreten Fall eine Mindeststrafe von einem Jahr verwirkt ist. Würde also ein Rechtsanwalt wegen einfachen Parteiverrats zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt, löste das die Wirkungen des § 45 Abs. 1 StGB nicht aus. 1 BVerfGE 63, 266 (284 f.). 2 Henssler/Prütting/Henssler, § 7 Rz. 13. 3 Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 7 Rz. 18; Henssler/Prütting/Henssler, § 7 Rz. 16; zweifelnd Isele, § 7 Anm. IV.B.1. 4 Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 7 Rz. 18; Henssler/Prütting/Henssler, § 7 Rz. 16; Isele, § 7 Anm. IV.B.1. 5 BGHZ 46, 230 (235); BGH, BRAK-Mitt. 1984, 35; NJW-RR 2012, 189 (190) Rz. 7; Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 7 Rz. 20; Henssler/Prütting/Henssler, § 7 Rz. 16; Kleine-Cosack, § 7 Rz. 5. 6 Isele, § 7 Anm. IV.B.2.
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Rz. 19 § 7 BRAO
Dies wäre hingegen der Fall, wenn die gleiche Freiheitsstrafe wegen qualifizierten Parteiverrats nach § 356 Abs. 2 StGB verhängt würde. 4. Verurteilung wegen anderer Taten (§ 45 Abs. 2 StGB) Nach § 45 Abs. 2 StGB kann auch die Verurteilung wegen anderer Taten den Verlust der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter zur Folge haben. Im Unterschied zu den Verurteilungen wegen eines Verbrechens zu einer Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr tritt diese Folge aber nicht kraft Gesetzes gewissermaßen automatisch ein. Sie muss vielmehr in der strafgerichtlichen Verurteilung als Nebenfolge ausdrücklich ausgesprochen werden. Der Ausspruch des Verlusts der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter steht nach § 45 Abs. 2 StGB nicht im Belieben des Gerichts. Voraussetzung hierfür ist vielmehr, dass eine gesetzliche Vorschrift diese Nebenfolge ausdrücklich zulässt. Das ist bei einem Großteil der Staatsschutzdelikte (§§ 92a, 101, 102 Abs. 2, 109i, 129a StGB), aber auch bei anderen Delikten der Fall. Die praktisch wichtigsten Fälle dieser Art sind § 264 Abs. 6 StGB bei einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr wegen Subventionsbetrugs, § 358 StGB bei Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten wegen besonders schwerer Fälle der Bestechung und anderer Straftaten im Amt und § 375 Abs. 1 AO bei Verurteilungen wegen Steuerstraftaten.
17
III. Wegfall des Hindernisses Der Verlust der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter tritt in allen Fällen nicht dauerhaft ein. Tritt er kraft Gesetzes ein, hat er eine Dauer von fünf Jahren. Tritt er aufgrund Richterspruchs ein, hat er eine Dauer von zwischen zwei und fünf Jahren nach Maßgabe des Urteils. Nach Ablauf dieses Zeitraums besteht das Hindernis nicht mehr. Eine Zulassung zur Rechtsanwaltschaft scheitert dann jedenfalls nicht mehr an der mangelnden Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter. Der Bewerber kann die Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter auch vor Ablauf des Verlustzeitraums wieder erlangen. Ein gesetzlich geregelter Fall ist die Wiederverleihung der Befähigung zur Bekleidung öffentlicher Ämter nach § 45b StGB; sie setzt nach § 45b Abs. 1 StGB voraus, dass die Hälfte des Verlustzeitraums verstrichen und zu erwarten ist, dass der Verurteilte künftig keine vorsätzlichen Straftaten mehr begehen wird. Das Hindernis fällt weg in dem Moment, in dem die Wiederverleihung der Befähigung wirksam wird.1 Schließlich kann die Befähigung wieder erlangt werden durch Gnadenerweis.2 Das Verhalten, das zu der Verurteilung geführt hat, kann allerdings trotz Fortfalls des Hindernisses nach § 7 Nr. 2 BRAO noch unter dem Gesichtspunkt des unwürdigen Verhaltens gem. § 7 Nr. 5 BRAO zur Versagung der Zulassung führen.3 Dem stünde auch der gnadenweise Erlass der Strafe nicht entgegen.4
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D. Ausschluss aus der Rechtsanwaltschaft (§ 7 Nr. 3 BRAO) I. Vorbemerkung Bei Verletzung seiner anwaltlichen Pflichten kann der Rechtsanwalt vor den Anwaltsgerichten zur Verantwortung gezogen werden. Zu den dabei möglichen anwaltsgerichtlichen Maßnahmen gehört nach § 114 Abs. 1 Nr. 5 BRAO auch der Ausschluss aus der Rechtsanwaltschaft. Er ist für schwerste Pflichtverletzungen des Rechtsanwalts, gewissermaßen als ultima ratio, vorgesehen.5 Nach traditioneller Auffassung, der sich auch die BRAO angeschlossen hat, war der Ausschluss aus der Rechtsanwaltschaft endgültig. Er versagte dem ausgeschlossenen Rechtsanwalt auf Lebenszeit den erneuten Zugang zum Beruf des Rechtsanwalts.6 Diese schon vorher als sehr streng kritisierte7 Regelung hat das BVerfG für verfassungswidrig erklärt.8 Der lebenslange Ausschluss vom Beruf des Rechtsanwalts stehe mit 1 Henssler/Prütting/Henssler, § 7 Rz. 17. 2 BGHZ 46, 230 (233); Henssler/Prütting/Henssler, § 7 Rz. 17. 3 BGHZ 39, 110 (113 f.); 46, 230 (234); BGH, BRAK-Mitt. 1993, 102 (103); Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 7 Rz. 21; Henssler/Prütting/Henssler, § 7 Rz. 17. 4 BGHZ 39, 110 (114); 46, 230 (237). 5 BGH, NJW-RR 1996, 761 (762). 6 EGH, EGHE 21, 32; Isele, § 7 Anm. IV.C.3, 4. 7 Kalsbach, BRAO, § 7 Anm. 5. 8 BVerfGE 66, 337 (358 ff.).
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§ 7 BRAO Rz. 20
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der Berufswahlfreiheit nicht in Einklang und sei unverhältnismäßig. Der ausgeschlossene Rechtsanwalt müsse die Chance der Bewährung und die Möglichkeit haben, in den Beruf wieder zurückzukehren. Als Folge davon hat der Gesetzgeber 1989 die Versagungswirkungen einer Ausschließung aus der Rechtsanwaltschaft befristet. In der jetzigen Form ist die Vorschrift rechtlich nicht mehr zu beanstanden.1 Der BGH hat zwar eine einschränkende Auslegung erwogen.2 Dies betraf aber den Sonderfall der Umstellung der berufsrechtlichen Vorschriften über die Haftpflichtversicherung. Seinerzeit hatte sich ein Rechtsanwalt durch mildere standesrechtliche Maßnahmen nicht dazu bewegen lassen, die gesetzlich vorgeschriebene Haftpflichtversicherung zu begründen. Er war deswegen aus der Rechtsanwaltschaft ausgeschlossen worden. Wenig später wurde gerade wegen solcher Fälle das Recht der anwaltlichen Haftpflichtversicherung geändert und bestimmt, dass bei Aufgabe der Haftpflichtversicherung zwar die Zulassung zu widerrufen ist (§ 14 Abs. 2 Nr. 10 BRAO), aber bei Wiederbegründung der Haftpflichtversicherung ein Anspruch auf Wiederzulassung besteht. Das gab dem BGH Veranlassung, über eine Art Härtefallregelung nachzudenken, die er aber im konkreten Fall nicht verwirklichte. Der BGH hat dabei keinen Zweifel daran gelassen, dass die Regelung jetzt ohne Abstriche verfassungsrechtlichen Maßstäben genügt. II. Ausschlussurteil 20
Der Versagungsgrund wird durch ein Ausschlussurteil ausgelöst. Es muss sich also um ein Urteil im anwaltsgerichtlichen Verfahren handeln, durch das als anwaltsgerichtliche Maßnahme der Ausschluss aus der Rechtsanwaltschaft nach § 114 Abs. 1 Nr. 5 BRAO verhängt wird. Der Ausschluss wird nach § 13 BRAO mit Eintritt der Rechtskraft des Ausschlussurteils wirksam. Von diesem Zeitpunkt an steht einer Wiederzulassung der Versagungsgrund nach Nr. 3 entgegen. Auf die Gründe, die zum Erlass des Ausschlussurteils geführt haben, kommt es nicht an.3 Der Ausschluss aus der Rechtsanwaltschaft kann nämlich nur für schwerste Pflichtverstöße verhängt werden. Bei entsprechender Schwere der Verstöße ist es für die Wiederzulassung unerheblich, worin sie genau bestanden haben. Ob der Ausschluss zu Recht oder zu Unrecht erfolgte, ist im Zulassungs- (und im Widerrufs-) verfahren nicht zu prüfen.4 Wenn das Urteil rechtskräftig geworden ist, ist der Ausschluss wirksam; er bleibt es, solange es nicht aufgehoben wird. Der Ausschluss muss durch ein deutsches Berufsgericht für Rechtsanwälte verhängt worden sein; ein Ausschluss aus der ausländischen Rechtsanwaltschaft genügt nicht.5 III. Wartefrist
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Der Ausschluss aus der Rechtsanwaltschaft versperrt dem ausgeschlossenen Rechtsanwalt nach der neu gefassten Nr. 3 die Wiederzulassung nicht auf Lebenszeit. Vielmehr muss er „lediglich“ eine Wartefrist abwarten. Sie ist in Nr. 3 mit acht Jahren festgelegt. Die Wartefrist von acht Jahren liegt in dem mittleren Bereich der Wartefrist, die in der Rechtsprechung für die Berücksichtigung früheren unwürdigen Verhaltens im Rahmen des Versagungsgrunds nach § 7 Nr. 5 BRAO entwickelt worden ist. Die Frist steht nicht im Belieben der Rechtsanwaltskammer. Sind die acht Jahre verstrichen, kann die Versagung der Wiederzulassung nicht mehr auf das Ausschlussurteil gestützt werden. Möglich ist allerdings, dass das dem Ausschluss zugrunde liegende Verhalten immer noch einen Versagungsgrund wegen Unwürdigkeit darstellt. Es gelten dann die zu § 7 Nr. 5 BRAO in der Rechtsprechung entwickelten Anforderungen. 6 § 7 Nr. 3 BRAO gibt allerdings auch für § 7 Nr. 5 BRAO eine Orientierung. E. Entlassung oder Entfernung aus dem Dienst in der Rechtspflege (§ 7 Nr. 4 BRAO) I. Anwendbarkeit
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Nach § 7 Nr. 4 BRAO ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu versagen, wenn gegen den Bewerber im Verfahren über die Richteranklage auf Entlassung oder im Disziplinarver1 BGH, BRAK-Mitt. 1991, 100, bestätigt durch BVerfG, Beschl. v. 11.9.1991 – 1 BvR 529/91, NJW-RR 1996, 761; Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 7 Rz. 23; offener: Henssler/Prütting/Henssler, § 7 Rz. 22. 2 BGH, NJW-RR 1996, 761. 3 Henssler/Prütting/Henssler, § 7 Rz. 24. 4 Kleine-Cosack, § 7 Rz. 8. 5 Isele, § 7 Anm. IV.C.1. 6 Kleine-Cosack, § 7 Rz. 7.
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Versagung der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft
Rz. 26 § 7 BRAO
fahren auf Entfernung aus dem Dienst in der Rechtspflege rechtskräftig erkannt worden ist. Dieser Versagungsgrund schließt thematisch an den Versagungsgrund der Nr. 3 an, der zwar nicht im technischen Sinne einen Dienst in der Rechtspflege, wohl aber inhaltlich eine Betätigung als Organ der Rechtspflege zum Gegenstand hat. Er ist heute noch so gefasst, wie § 7 Nr. 3 BRAO bis 1989 gefasst war. Das bedeutet, dass er heute noch, jedenfalls nach seinem Text, zu einem lebenslangen Ausschluss vom Beruf des Rechtsanwalts führt. Für ihn können indessen keine anderen Maßstäbe gelten als für § 7 Nr. 3 a.F. Diese Vorschrift hat das BVerfG, wie ausgeführt, für verfassungswidrig erkannt, weil ein lebenslanger Ausschluss unverhältnismäßig ist. Etwas anderes kann für die Versagung der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft wegen Entfernung oder Entlassung aus einem Dienst in der Rechtspflege nicht gelten. Auch dieser Ausschlussgrund darf nicht lebenslang wirken. Umstritten ist, welche Schlussfolgerungen sich hieraus ergeben. Nach einem Teil der Literatur ist die Vorschrift nicht mehr anzuwenden, sondern nach Art. 100 GG dem BVerfG vorzulegen.1 Nach anderer Meinung2 ist die Vorschrift wegen des Verfassungsverstoßes nichtig und nicht anzuwenden. Nach einer dritten Auffassung3 ist die Vorschrift anzuwenden, aber verfassungskonform auszulegen. Diese Meinung verdient den Vorzug. Das BVerfG hat sich mit § 7 Nr. 4 BRAO bislang nicht befasst. Diese Vorschrift nimmt, da sie einen anderen Sachverhalt zum Gegenstand hat, auch nicht kraft Gesetzes an den Nichtigkeitswirkungen der Entscheidung zu § 7 Nr. 3 BRAO a.F. teil. Deshalb ist § 7 Nr. 4 BRAO anzuwenden, bis das Verfassungsgericht auf abstrakte oder konkrete Normenkontrolle hin die Vorschrift für nichtig erklärt hat. Eine Vorlage an das BVerfG kommt aber nur in Betracht, wenn sich die Vorschrift nicht verfassungskonform auslegen lässt.4 Eine solche verfassungskonforme Auslegung liegt nahe, weil § 7 Nr. 4 BRAO ebenso wenig wie § 7 Nr. 3 BRAO a.F. gänzlich verfassungswidrig ist, sondern nur insoweit, als der Ausschluss lebenslang greift. Bei der verfassungskonformen Auslegung muss ein Gleichklang zu § 7 Nr. 3 BRAO hergestellt werden, weil die Tatbestände inhaltlich vergleichbar sind und eine unterschiedliche Behandlung nicht rechtfertigen. § 7 Nr. 4 BRAO gilt also nur, solange nach der Entlassung oder der Entfernung aus den Diensten der Rechtspflege noch nicht acht Jahre verstrichen sind. Die Frist beginnt auch hier mit der Rechtskraft des betreffenden Urteils. Auch hier bleibt eine Versagung nach § 7 Nr. 5 BRAO unberührt.
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II. Richteranklage Der Versagungsgrund nach Nr. 4 greift zunächst bei ehemaligen Richtern, die im Verfahren der Richteranklage aus dem Amt entlassen worden sind. Die Richteranklage ist in Art. 98 Abs. 2 GG für Bundesrichter vorgesehen. Sie setzt voraus, dass der Bundesrichter im Amt oder außerhalb des Amtes gegen „die Grundsätze des Grundgesetzes“ verstoßen hat. Mit Grundsätzen des Grundgesetzes meint Art. 98 Abs. 1 S. 1 GG nicht jede Verfassungsnorm oder jeden Verfassungsgrundsatz. Gemeint ist vielmehr die freiheitlich demokratische Grundordnung, also die tragenden Prinzipien unserer Verfassung.5 Nicht jeder Verstoß gegen die so verstandenen Grundsätze des Grundgesetzes ist in Art. 98 Abs. 1 S. 1 GG angesprochen. Vielmehr ist erforderlich, dass der Richter eine aggressiv kämpferische Haltung gegen die freiheitliche Grundordnung des Grundgesetzes einnimmt. Sie wird eher außerhalb, sie kann aber auch innerhalb des Amtes zutage treten. Angesichts des Schutzes der richterlichen Unabhängigkeit bestehen hier hohe Hürden.
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Ein so beschriebener Verstoß gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung führt nach Art. 98 Abs. 2 S. 1 GG zunächst nur zur Versetzung in ein anderes Amt oder in den Ruhestand. Eine solche Folge der Richteranklage führt nicht zur Versagung der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft. Diese löst erst die Entlassung aus dem Amt aus, die nach Art. 98 Abs. 2 S. 2 GG nur bei vorsätzlichem Verstoß ausgesprochen werden kann.
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Die Richteranklage kann nur vom Bundestag erhoben werden. Hierüber entscheidet das BVerfG mit Zwei-Drittel-Mehrheit. Für Landesrichter gilt die Richteranklage kraft Bundesrechts nicht. Die Länder können aber nach Art. 98 Abs. 5 S. 1 GG eine entsprechende Rege-
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Kleine-Cosack, § 7 Rz. 9. Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 7 Rz. 13, 29, 34. Henssler/Prütting/Henssler, § 7 Rz. 28. BVerfGE 70, 134 (137); 78, 20 (24); 87, 114 (133); 88, 145 (166); NJW-RR 1999, 889; Jarass/Pieroth, Art. 100 GG Rz. 10. 5 Isele, Anm. V.D.2b; Schmidt-Räntsch, § 9 DRiG Rz. 13; § 30 DRiG Rz. 13.
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§ 7 BRAO Rz. 27
Versagung der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft
lung treffen. Geschieht dies oder ist dies bereits geschehen (Art. 98 Abs. 5 S. 2 GG), entscheidet auch bei Landesrichtern allein das BVerfG, Art. 98 Abs. 5 S. 3 GG. 27
Zu einer Richteranklage ist es bislang nicht gekommen. III. Disziplinarverfahren 1. Richter
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Richter im Bundesdienst können nach § 63 Abs. 1 DRiG, § 12 BDG im Disziplinarverfahren wegen eines Dienstvergehens aus dem Amt entfernt werden. Nur eine solche Entfernung aus dem Amt führt zur Versagung der Zulassung. Für die Nichtigkeit oder die Rücknahme der Ernennung gilt das nicht.1 Voraussetzung für eine Entfernung aus dem Dienst im Disziplinarverfahren ist, dass der betroffene Richter gegen Dienstvorschriften in einer Weise verstoßen hat, die ihn für den richterlichen Dienst nicht mehr tragbar erscheinen lässt. In einem solchen Fall hat der Dienstvorgesetzte den Sachverhalt aufzuklären und eine Disziplinarklage nach § 33 BDG zu erheben. Zuständig für die Entscheidung über die Disziplinarklage gegen einen Bundesrichter ist das Dienstgericht des Bundes, das den Sachverhalt prüft und, wenn er eine Entfernung aus dem Dienst rechtfertigt, auf Entfernung aus dem Dienst erkennt. Es ist die erste und einzige Instanz bei Richtern im Bundesdienst. Für die Richter im Landesdienst gilt Entsprechendes. Maßgeblich sind hierfür das Landesrichtergesetz und das Landesdisziplinarrecht. Die Entscheidung obliegt auch hier den Dienstgerichten, zunächst den Richterdienstgerichten der Länder und, wenn das Landesrecht die Revision zulässt, als Revisionsinstanz dem Dienstgericht des Bundes. Wird auf Entfernung aus dem Dienst erkannt, kann der entfernte Richter nach Nr. 4 zunächst nicht zur Rechtsanwaltschaft zugelassen werden. Er muss vielmehr die Wartefrist von acht Jahren entsprechend Nr. 3 abwarten.
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Eine Besonderheit gilt allerdings für Richter auf Probe und kraft Auftrags. Sie unterliegen zwar grundsätzlich auch der Disziplinargewalt ihrer Vorgesetzten bzw. der Dienstgerichte. Haben sie aber ein Dienstvergehen begangen, das bei Richtern auf Lebenszeit oder auf Zeit eine Entfernung aus dem Dienst rechtfertigt, findet bei ihnen kein Disziplinarverfahren statt. Stattdessen wird der Richter auf Probe oder kraft Auftrags nach § 22 Abs. 3 DRiG ohne Disziplinarverfahren aus dem Amt entlassen. Eine solche Entlassung erfolgt nicht im Sinne von Nr. 4 im Disziplinarverfahren und löst daher rein formal den Versagungsgrund nach § 7 Nr. 4 BRAO nicht aus.2 Das hat aber nicht zur Folge, dass der entlassene Richter auf Probe oder kraft Auftrags nun zur Rechtsanwaltschaft zugelassen werden müsste. Vielmehr ist ergänzend zu prüfen, ob der Sachverhalt, aufgrund dessen er seinerzeit entlassen worden ist, den Tatbestand unwürdigen Verhaltens nach § 7 Nr. 5 BRAO erfüllt. 2. Staatsanwälte
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Für Staatsanwälte gelten dieselben Grundsätze wie für Richter. Auch gegen sie kann bei schwersten Dienstvergehen Disziplinarklage erhoben und auf Entfernung aus dem Dienst erkannt werden. Zuständig sind auch bei ihnen das Dienstgericht des Bundes bzw. die Dienstgerichte der Länder. Auch für die Staatsanwälte auf Probe gilt, dass bei einem derart schweren Dienstvergehen kein Disziplinarverfahren durchgeführt, sondern eine vorzeitige Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Probe vorgenommen wird. Sie ist keine Entfernung aus dem Dienst im Disziplinarverfahren. Auch sie kann und muss aber unter dem Gesichtspunkt unwürdigen Verhaltens nach § 7 Nr. 5 BRAO geprüft werden. 3. Notare
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Notare unterliegen einer der Anwaltsgerichtsbarkeit vergleichbaren besonderen Berufsgerichtsbarkeit. Nach § 97 BNotO kann ein Notar bei einem schweren Dienstvergehen aus dem Amt entfernt werden. Zuständig hierfür sind die Notarsenate der Oberlandesgerichte und als Rechtsmittelinstanz der Notarsenat des BGH. Ist die Entscheidung über die Enthebung aus dem Amt rechtskräftig, kann der Notar auch als Rechtsanwalt nicht mehr zugelassen werden.
1 Isele, § 7 Anm. IV.4. 2 Henssler/Prütting/Henssler, § 7 Rz. 29; Isele, § 7 Anm. IV.D.4.
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Versagung der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft
Rz. 34 § 7 BRAO
4. Rechtspfleger Im Dienste der Rechtspflege stehen auch Rechtspfleger. Sie stehen als Beamte unter der Disziplinargewalt ihrer Vorgesetzten. Auch bei ihnen kommt bei schwersten Dienstvergehen eine Entfernung aus dem Amt in Betracht, über die allerdings die Disziplinarkammern und Disziplinarsenate der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit und nicht Dienstgerichte für Richter1 entscheiden. Die Frage einer Zulassung zur Rechtsanwaltschaft stellt sich bei Rechtspflegern aber nur, wenn sie, ausnahmsweise, die Befähigung zum Richteramt erworben haben. Gewöhnlich sind sie Beamte des gehobenen Dienstes. Ihre Ausbildung im gehobenen Dienst kann nach § 5c DRiG als erste juristische Prüfung angerechnet werden. Die Frage ihrer Zulassung zur Rechtsanwaltschaft stellt sich deshalb gewöhnlich erst, wenn sie in den Vorbereitungsdienst aufgenommen worden sind und das zweite juristische Staatsexamen bestanden haben. Sie dürften im Fall einer Entlassung aus dem Beamtenverhältnis zur Rechtsanwaltschaft erst nach Ablauf der Wartefrist zugelassen werden.
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F. Unwürdiges Verhalten (§ 7 Nr. 5 BRAO) I. Verfassungsrechtlicher Bezug Nach § 7 Nr. 5 BRAO ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu versagen, wenn sich der Bewerber eines Verhaltens schuldig gemacht hat, dass ihn unwürdig erscheinen lässt, den Beruf des Rechtsanwalts auszuüben. Hierin liegt eine subjektive, an das Verhalten des Bewerbers anknüpfende Beschränkung zur Zulassung zum Rechtsanwaltsberuf. Diese ist zulässig, wenn sie dem Schutz eines überragend wichtigen Gemeinschaftsguts dient. Das ist, was das BVerfG anerkannt hat,2 der Fall. Eine funktionierende Rechtspflege ist auf zuverlässige Rechtsanwälte angewiesen. Ohne sie könnten die Gerichte die Rechtsstreite nicht zielgerichtet und zweckmäßig betreiben und die Rechtsuchenden eine vertrauenswürdige Rechtsberatung und Vertretung im Rechtsstreit nicht erlangen. Die Vorschrift ist allerdings ihrem Wortlaut nach von einer tatbestandlichen Weite, die diese berechtigte Zielsetzung sprengt. Das bedeutet aber nicht, dass die Vorschrift deshalb verfassungsrechtlich bedenklich wäre.3 Vielmehr folgt hieraus nur, dass die Vorschrift im Lichte der Berufsfreiheit nach Art. 12 GG einschränkend auszulegen ist.4 Die Auslegung hat sich dabei an dem Schutzzweck der Norm auszurichten. Das bedeutet, dass unwürdig nicht jedes Verhalten sein kann, das dem Vorstand der Rechtsanwaltskammer missfällt oder im gesellschaftlichen Bereich auf Ablehnung stößt. Unwürdig ist vielmehr nur ein Verhalten, das Zweifel daran begründet, dass der Bewerber den Anforderungen an die Zuverlässigkeit als Rechtsanwalt genügt.
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II. Maßstab: Rechtsanwalt als Organ der Rechtspflege Die Anforderungen an die Zuverlässigkeit eines Bewerbers für den Beruf als Rechtsanwalt ergeben sich aus § 1 BRAO. Danach ist der Rechtsanwalt ein unabhängiges Organ der Rechtspflege. Diese Stellung kommt dem Rechtsanwalt im Wesentlichen aus drei Gründen zu. Die Rechtsuchenden sollen im Rechtsanwalt jemanden finden können, dem sie auch intimste Interessen anvertrauen und von dem sie eine nach ihrem objektiven Interesse ausgerichtete, getreue und sachgerechte Beratung erwarten können. Die Gerichte und Behörden sind auf die Mitwirkung der Rechtsanwälte in großem Umfang angewiesen. Ein zügiger, sachgerechter Betrieb von Rechtsstreiten und Verwaltungsverfahren ist ohne die Mitwirkung von Rechtsanwälten, die die ihnen obliegenden Verfahrenshandlungen sachgerecht und pünktlich vornehmen, z.B. Empfangsbekenntnisse unverzüglich zurücksenden und die ihnen überlassenen Verfahrensunterlagen getreu behandeln, weithin undurchführbar. Schließlich müssen sich auch die Geschäftspartner und die Gegner der Mandanten eines Rechtsanwalts auf ihn verlassen können. So könnten Zahlungen z.B. nicht erbracht werden, wenn der Zahlungsverpflichtete sich nicht darauf verlassen könnte, dass der Rechtsanwalt das Vorliegen der Auszahlungsvoraussetzungen prüft und die Zahlung dann aber auch unverzüglich und gewissenhaft an den Mandanten weiterleitet. Unwürdig ist ein Verhalten des Bewerbers deshalb dann, wenn er im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über die Zulassung bei Abwägung seines schuldhaften Verhaltens und aller erheblichen Umstände – wie 1 2 3 4
BGH, NJW 2009, 561 für § 26 Abs. 3 DRiG. BVerfGE 63, 266 (286 f.). Isele, Anm. IV.E.2a; Kleine-Cosack, § 7 Rz. 10. BVerfGE 63, 266 (293); Henssler/Prütting/Henssler, § 7 Rz. 36; Kleine-Cosack, § 7 Rz. 10.
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§ 7 BRAO Rz. 35
Versagung der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft
Zeitablauf und zwischenzeitlicher Führung – nach seiner Gesamtpersönlichkeit für den Anwaltsberuf nicht mehr oder noch nicht wieder tragbar ist. Diese Zweifel werden sich bei einem Erstbewerber zur Rechtsanwaltschaft nur ausnahmsweise, etwa dann ergeben, wenn in dem einzuholenden polizeilichen Führungszeugnis Verurteilungen enthalten sind oder der Rechtsanwaltskammer im Zulassungsverfahren anderweitig ein Verhalten bekannt wird, dass Anlass für eine Prüfung auf Unwürdigkeit gibt. Der Hauptanwendungsfall des § 7 Nr. 5 BRAO sind Fälle einer Wiederzulassung. Hier kann nämlich das Verhalten, das zum Verlust der früheren Zulassung als Rechtsanwalt führte, den Wiederbewerber nach wie vor als unwürdig erscheinen lassen. III. Straftaten 1. Vorsatzdelikte mit Berufsbezug 35
Ein unwürdiges Verhalten liegt in erster Linie in der Verurteilung wegen vorsätzlichen Straftaten mit Berufsbezug.1 Das sind zunächst Straftaten, in denen der Bewerber das Vertrauen seiner Mandanten oder der staatlichen Stellen enttäuscht. Zu nennen sind hier Verurteilungen wegen Parteiverrats, wegen Verletzung des persönlichen Geheimnisbereichs, wegen unberechtigten Führens der Berufsbezeichnung Rechtsanwalt,2 aber auch Aussage-3 und Urkundsdelikte, weil hierin das Vertrauen Dritter und der staatlichen Stellen enttäuscht wird. Eine zweite Gruppe bilden vorsätzliche Straftaten wegen Vermögensdelikten. Zu nennen sind hier insbesondere Diebstahl,4 Unterschlagung, Untreue,5 Betrug6 und Erpressung.7 Nicht entscheidend ist dabei, zu wessen Lasten diese Straftaten begangen werden. Es wird sich dabei nicht selten um die eigenen Mandanten des Bewerbers handeln. Unwürdig ist ein solches Verhalten aber regelmäßig auch, wenn Dritte oder der Staat geschädigt werden. Eine dritte Gruppe hier zu nennender Straftaten sind solche, in denen das staatliche Handeln fehlgelenkt oder behindert wird. Das sind die falsche Anzeige, das Vortäuschen von Straftaten, unter bestimmten Umständen auch der Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, aber auch die Rechtsbeugung in einer früheren Tätigkeit als Verwaltungsbeamter oder Richter. Solche Straftaten machen einen Bewerber für den Beruf des Rechtsanwalts unwürdig, weil der Rechtsanwalt zwar nicht in die Staatsorganisation eingebunden, umgekehrt aber der Staat auf die Aufrichtigkeit und Rechtstreue des Rechtsanwalts besonders angewiesen ist. Die Aufzählung ist nicht abschließend. So kann z.B. auch eine Beleidigung mit Berufsbezug ein unwürdiges Verhalten darstellen.8 2. Vorsatztaten ohne Berufsbezug
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Zweifel an der Eignung als Rechtsanwalt kann auch die Verurteilung wegen vorsätzlicher Straftaten ohne Berufsbezug begründen. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass die Verurteilung wegen solcher Straftaten Persönlichkeitsdefizite offenbart, die auf die für den Beruf des Rechtsanwalts wesentlichen Eigenschaften durchschlagen.9 Das ist bei der Verurteilung wegen Diebstahls, Hehlerei,10 Untreue ohne Berufsbezug,11 bei Geheimnisverrat mit Nötigung,12 bei Steuerstraftaten,13 bei Straftaten in einem früheren Amt,14 bei Sexualstraftaten gegenüber Abhängigen15 und bei einer Bestrafung wegen Wählertäuschung16 bejaht worden. Der so Verurteilte zeigt, dass er das für den Beruf des Rechtsanwalts notwendige Vertrauen nicht rechtfertigt. Auch eine Verurteilung wegen Beleidigung kann den Bewerber als 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16
Henssler/Prütting/Henssler, § 7 Rz. 51. BGH, EGE XIV, 63 (64). EGH, Berlin EGE IV, 14. EGH, Karlsruhe EGE IV, 231; Isele, Anm. IV.E.4b – Diebstahl. BGH, LM § 7 BRAO Nr. 1; EGE XI, 16; BRAK-Mitt. 1982, 25 (26). BGH, EGE XIV, 63 (64). EGH 10, 201; Isele, Anm. IV.E.4b – Diebstahl. Isele, § 7 Anm. IV.E.4b – Beleidigung m.w.N. Henssler/Prütting/Henssler, § 7 Rz. 52. BGH, NJW 1967, 881; Kleine-Cosack, § 7 Rz. 21. BGH, Beschl. v. 3.11.2008 – AnwZ (B) 1/08, juris; Beschl. v. 26.1.2009 – AnwZ (B) 24/08, juris. BGH, Beschl. v. 8.2.2010 – AnwZ (B) 94/08, juris Rz. 7. BGH, HFR 2012, 447; EGH 18, 27; Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 7 Rz. 63; Isele, § 7 Anm. IV.E.4b. BGH, BRAK-Mitt. 1992, 106. BGHZ 39, 110 (114). BGH, Beschl. v. 27.4.2011 – AnwZ (Brfg) 14/10, juris Rz. 4.
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Rz. 39 § 7 BRAO
unwürdig erweisen. Voraussetzung hierfür ist aber, dass der der Verurteilung zugrunde liegende Sachverhalt Rückschlüsse darauf zulässt, ob der Bewerber die in ihn als Rechtsanwalt zu setzenden Erwartungen insbesondere an einen sachlichen Umgang mit anderen Verfahrensbeteiligten nicht zu erfüllen verspricht. 3. Fahrlässigkeitstaten Eine Verurteilung des Bewerbers wegen fahrlässig begangener Delikte begründet die Unwürdigkeit des Bewerbers zur Ausübung des Berufs als Rechtsanwalts in aller Regel nicht.1 Denn der Fahrlässigkeitsvorwurf beruht nicht auf strukturellen Persönlichkeitsdefiziten, sondern darauf, dass der Bewerber es an der gebotenen Sorgfalt hat fehlen lassen. Dies macht ihn nicht grundsätzlich ungeeignet für die Ausübung des Berufs des Rechtsanwalts. Anders kann es aber liegen, wenn der der Verurteilung zugrunde liegende Sachverhalt den Rückschluss zulässt, dass der Bewerber nicht nur im Einzelfall leichtfertig oder rücksichtslos ist.2 Solche Eigenschaften können die Eignung des Bewerbers als Rechtsanwalt durchaus in Frage stellen. Denn ein Rechtsanwalt kann seinen Beruf funktionsgerecht nur ausüben, wenn er auf andere Verfahrensbeteiligte Rücksicht nimmt und gegen andere nur vorgeht, wenn er die Berechtigung der zu erhebenden Vorwürfe zuvor geprüft hat.3 Deshalb lässt sich auch bei fahrlässig begangenen Straftaten eine Überprüfung im Einzelfall nicht vermeiden.
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4. Tilgungsreife Verurteilungen Getilgte oder tilgungsreife Verurteilungen haben nach Eintritt der Tilgungsreife regelmäßig an Gewicht verloren. Deshalb dürfen sie nach § 51 Abs. 1 BZRG grundsätzlich nicht berücksichtigt werden. Entsprechendes gilt nach § 205a BRAO für Verurteilungen wegen berufsrechtlicher Verstöße, die mit einer Warnung, einem Verweis oder einer Geldbuße geahndet worden sind. Eine Ausnahme gilt nach § 205a BRAO für berufsrechtliche Verstöße, die mit einem Tätigkeitsverbot oder mit der Ausschließung aus der Rechtsanwaltschaft geahndet worden sind. Sie werden nicht getilgt. Strafrechtliche Verurteilungen dürfen nach § 52 Abs. 1 Nr. 4 BZRG trotz Tilgung oder Tilgungsreife berücksichtigt werden, wenn der der Verurteilung zugrunde liegende Sachverhalt auch nach Eintritt der Tilgungsreife oder der Tilgung noch eine Gefahr für die Rechtsordnung begründet.4 Nicht getilgte und nicht tilgungsreife Eintragungen bleiben auch dann berücksichtigungsfähig, wenn sie wegen des Strafmaßes sind nach § 32 Abs. 2 Nr. 5 oder 6 BZRG nicht in ein Führungszeugnis aufgenommen würden.5 Bei ihnen kann sich allerdings eher als bei anderen Straftaten die Frage nach einem mildernden Wohlverhalten stellen.
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IV. Verstöße gegen die Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit Unwürdig für den Beruf des Rechtsanwalts kann auch sein, wer sich eines Verhaltens schuldig gemacht hat, das gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder der Rechtsstaatlichkeit verstößt.6 Deshalb ist z.B. eine Mitarbeit der Gestapo des Dritten Reichs oder eine Denunziation mit Todesfolge als unwürdig angesehen worden,7 nicht aber eine Versetzung in den Ruhestand nach § 116 DRiG a.F. als solche.8 Eine andere Ausprägung von Verstößen gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder der Rechtsstaatlichkeit regelten §§ 1 und 2 des Gesetzes zur Prüfung von Rechtsanwaltszulassungen, Notarbestellungen und Berufungen ehrenamtlicher Richter vom 24. Juli 1992 (Rechtsanwaltsüberprüfungsgesetz [RAÜpG]).9 Danach war eine vor dem 3.10.1990 in der DDR erteilte Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu widerrufen, wenn sich der Rechtsanwalt vor oder nach seiner Zulassung als Rechtsanwalt eines Verhaltens schuldig gemacht hat, das ihn als Rechtsanwalt unwürdig erscheinen lässt, weil er gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder der Rechtsstaatlichkeit verstoßen hat. Musste die schon erteilte Zulassung aus diesem Grund widerrufen werden, musste das erst 1 2 3 4 5 6 7 8 9
Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 7 Rz. 46; Isele, § 7 Anm. IV.E.3a; Kleine-Cosack, § 7 Rz. 22. Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 7 Rz. 46; Henssler/Prütting/Henssler, § 7 Rz. 50. Vgl. BGH, NJW 2009, 1262 (1264). Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 7 Rz. 49; Henssler/Prütting/Henssler, § 7 Rz. 46 f.; Isele, § 7 Anm. IV.E.2c cc; Kleine-Cosack, § 7 Rz. 19. BGH, Beschl. v. 8.2.2010 – AnwZ (B) 94/08, juris Rz. 7; v. 27.4.2011 – AnwZ (Brfg) 14/10, juris Rz. 5. Henssler/Prütting/Henssler, § 7 Rz. 53. BGH, EGE VII, 104 (106); EGE IX, 62 (69). BGHZ 40, 191 (193 f.). BGBl. I, S. 1386.
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§ 7 BRAO Rz. 40
Versagung der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft
recht zur Versagung der beantragten, aber noch nicht erteilten Zulassung zur Rechtsanwaltschaft gelten. Maßgeblich hierfür waren allerdings die allgemeinen Zulassungsvorschriften, nicht das Überprüfungsgesetz. Nach § 13 Abs. 2 dieses Gesetzes konnte ein Widerruf auf die speziellen Vorschriften der §§ 1 und 2 RAÜpG nur innerhalb von 6 Jahren nach dessen Inkrafttreten gestützt werden, also bis Ende 1998. 40
Das bedeutet aber nicht, dass ein Verstoß gegen die Menschlichkeit oder die Rechtsstaatlichkeit nach Ablauf dieser Frist nicht auch eine Rücknahme oder Versagung der Zulassung nach den allgemeinen Vorschriften begründen kann. Denn die §§ 1 und 2 RAÜpG nennen den Verstoß gegen die Menschlichkeit und die Rechtsstaatlichkeit als einen Unterfall der Unwürdigkeit. Sie berechtigen daher auch nach Auslaufen der besonderen Widerrufsvorschriften zur Versagung der Zulassung oder Wiederzulassung und zur Rücknahme unter dem Gesichtspunkt unwürdigen Verhaltens.1 Ein die Unwürdigkeit begründender Verstoß gegen die Rechtsstaatlichkeit oder Menschlichkeit liegt nach dem Regelbeispiel der §§ 1 und 2 RAÜpG bei einer hauptamtlichen oder informellen Tätigkeit für die Stasi. Sie ist nach einer Definition des BGH anzunehmen, wenn jemand zur Stützung des repressiven Systems der ehemaligen DDR freiwillig und gezielt, insbesondere auch durch Eindringen in die Privatsphäre anderer und Missbrauch persönlichen Vertrauens, Informationen über Mitbürger gesammelt, an die auch in der DDR für ihre repressive und menschenverachtende Tätigkeit bekannte Stasi weitergegeben und dabei jedenfalls in Kauf genommen hat, dass diese Informationen zum Nachteil der denunzierten Personen, namentlich zur Unterdrückung ihrer Menschen- und Freiheitsrechte, benutzt würden.2 Gleiches gilt danach grundsätzlich für diejenigen, die als Führungsoffiziere eine solche Tätigkeit Dritter zur Bespitzelung von Mitbürgern veranlasst, überwacht und angewendet haben.3 Ein Verstoß gegen die Menschlichkeit oder die Rechtsstaatlichkeit kann aber auch außerhalb einer Tätigkeit für die Stasi eingetreten sein, z.B. durch eine Tätigkeit als Staatsanwalt oder Richter in der (politischen) Abteilung 1 A oder einer anderen Strafabteilung des Kreis- oder Bezirksgerichts. Voraussetzung hierfür ist, dass der Richter die einschlägigen Strafrechtsvorschriften exzessiv zum Nachteil der Angeklagten ausgelegt und angewendet, bei der Verfolgung dieser Taten Menschenverachtung an den Tag gelegt hat oder wenn die von ihm verhängten oder von dem Bewerber als Staatsanwalt beantragten Strafen auch auf der Grundlage des damals geltenden DDR-Strafrechts in grobem Missverhältnis zu der zugrunde liegenden Tat gestanden haben.4 Daran fehlt es bei der bloßen Anwendung des Straftatbestands des ungesetzlichen Grenzübertritts nach § 213 DDR-StGB.5 Bei der Anwendung dieser Fallgruppe unwürdigen Verhaltens kommt dem unten noch näher zu behandelnden Gesichtspunkt des Wohlverhaltens besondere Bedeutung zu.6 V. Sonstiges Verhalten 1. Lebenswandel
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Die Unwürdigkeit für den Beruf des Rechtsanwalts kann sich auch aus dem sonstigen Verhalten des Bewerbers ergeben.7 Dabei ist mit Rücksicht auf die Freiheitsrechte des Einzelnen und die gewandelten Anschauungen Zurückhaltung geboten.8 Die ältere Rechtsprechung9 vermag deshalb nicht uneingeschränkt Orientierung zu geben. Das bedeutet aber nicht, dass nicht strafbares Verhalten nicht berücksichtigt werden dürfte. Beispiele sind unwahre Angaben gegenüber Behörden10 oder Täuschung im Zulassungsverfahren.11 2. Politisches Verhalten
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Auch ein politisch motiviertes Verhalten des Bewerbers kann ihn für den Beruf des Rechtsanwalts unwürdig erscheinen lassen. Hierbei ist allerdings zunächst die Sperrwirkung 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 7 Rz. 64. BVerfGE 93, 213 (248); BGH, BRAK-Mitt. 1994, 179. BGH, BRAK-Mitt. 1994, 179; BRAK-Mitt. 1995, 166 (167). BGH, DtZ 1995, 441 (442); BerGH Dresden, DtZ 1994, 188 (189); EGH Berlin, NJ 1993, 141 (142). BerGH Dresden, DtZ 1994, 188 (189). EGH Berlin, NJ 1994, 141 (142). Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 7 Rz. 43a; Henssler/Prütting/Henssler, § 7 Rz. 56. Jessnitzer/Blumberg, § 7 Rz. 7; vgl. auch OLG Münster, NVwZ 2009, 927 (928) für Beamten. Z.B. BGH, EGE VII, 74 (75). BGH, BRAK-Mitt. 1987, 150; Kleine-Cosack, § 7 Rz. 23. BGH, BRAK-Mitt. 1996, 258; NJW-RR 2012, 632 (633) Rz. 11; Kleine-Cosack, § 7 Rz. 23.
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Versagung der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft
Rz. 45 § 7 BRAO
von § 7 Nr. 6 BRAO zu beachten. Selbst ein Eintreten des Bewerbers für eine als verfassungsfeindlich angesehene Partei führt danach nur dann zur Verweigerung der Zulassung, wenn es strafbar ist. Erst recht vermag die nicht gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung gerichtete Teilnahme eines Bewerbers an der politischen Auseinandersetzung als solche nicht zur Unwürdigkeit für den Beruf des Rechtsanwalts führen. Treten aber Umstände hinzu, die diese Beurteilung rechtfertigen, vermag der Bewerber allein unter Berufung auf die politische Motivation seines Verhaltens dessen Beurteilung als unwürdig nicht zu entgehen.1 3. Krankheitsbedingte Exzesse Unwürdiges Verhalten kann auch die Folge einer Krankheit, z.B. einer Alkoholsucht, sein.2 Die Krankheit als solche rechtfertigt die Verweigerung der Zulassung nur nach Maßgabe von § 7 Nr. 7 BRAO. Sie kann den Bewerber aber zu einem Verhalten führen, das für sich genommen unwürdig ist. Beispiel sind Alkoholexzesse.3 Die in solchen Exzessen vielleicht zugrunde liegende Alkoholsucht als solche rechtfertigt eine Verweigerung der Zulassung nur, wenn der Bewerber infolge seiner Alkoholsucht unfähig ist, den Beruf auszuüben. Diese Prüfung erübrigt sich, wenn er auf Grund seiner Alkoholsucht ein Verhalten an den Tag legt, das für sich genommen auch in Anbetracht seiner Häufigkeit den Bewerber als für den Beruf des Rechtsanwalts ungeeignet erscheinen lässt. Dann vermag die Krankheit den Bewerber auch nicht zu entlasten.4
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4. Wirtschaftliche Schwierigkeiten Ähnlich liegt es mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Sie rechtfertigen die Versagung der Rechtsanwaltszulassung für sich genommen nur, wenn der Tatbestand des Vermögensverfalls nach § 7 Nr. 9 BRAO vorliegt.5 Vermögensverfall kann den Bewerber allerdings auch zu einem Verhalten führen, das ihn unabhängig von seiner Ursache für den Beruf des Rechtsanwalts ungeeignet erscheinen lässt.6 Ein in Vermögensverfall geratener Bewerber kann z.B. u.U. auch der Versuchung nicht widerstehen, Mandanten- oder andere Gelder zu veruntreuen, vor Gericht falsch auszusagen oder Urkunden zu fälschen, um Vermögensvorteile zu erlangen und den Vermögensverfall wieder rückgängig zu machen. Solches Verhalten kann unabhängig vom Vermögensverfall die Verweigerung der Zulassung wegen Unwürdigkeit rechtfertigen.
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VI. Wohlverhalten Ein für sich genommen unwürdiges Verhalten rechtfertigt die Versagung der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft ohne weiteres, wenn es nicht weit zurückliegt und durch beanstandungsfreies Verhalten nicht ausgeglichen wird. In der Mehrzahl der Fälle, bei denen eine Versagung der Zulassung nach § 7 Nr. 5 BRAO in Frage kommt, liegt das unwürdige Verhalten allerdings schon länger zurück. Es mag sich etwa um einen durch das Strafgericht verurteilten Bewerber handeln, der seinen Antrag auf Zulassung zur Rechtsanwaltschaft einige Zeit zurückgestellt hat. Es kann und wird aber meist um frühere Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte gehen, die sich um ihre Wiederzulassung bemühen, nachdem sie wegen des beanstandeten Verhaltens ihre Zulassung verloren haben. In solchen Fällen darf die Beurteilung nicht bei den Sachverhalten stehen bleiben, die den Verurteilungen seinerzeit zugrunde lagen.7 Ein unwürdiges Verhalten kann nämlich im Laufe der Zeit, vor allem auch durch Wohlverhalten und aktive Bemühungen um Wiedergutmachung eingetretener Schäden, sein Gewicht verlieren und im Ergebnis einer Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nicht (mehr) entgegenstehen.8 Deshalb ist auch im Hinblick auf die Berufsfreiheit nach Art. 12 GG zu berücksichtigen, ob und über welchen Zeitraum sich solche Bewerber seit dem letzten ihnen vorgeworfenen Verhalten beanstandungsfrei verhalten,9 wie weit erneutes Fehlverhalten zu1 2 3 4 5 6 7
Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 7 Rz. 73. Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 7 Rz. 66; offen gelassen in BGH, EGE XI, 11 (15). BGH, BRAK-Mitt. 1985, 107. Kleine-Cosack, § 7 Rz. 25. Kleine-Cosack, § 7 Rz. 24. BGH, BRAK-Mitt. 1982, 25; Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 7 Rz. 44, 67; Kleine-Cosack, § 7 Rz. 24. Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 7 Rz. 39–42; Henssler/Prütting/Henssler, § 7 Rz. 42; zurückhaltender noch Isele, § 7 Anm. IV.E.5. 8 BGH, HFR 2012, 447 = juris Rz. 14; Henssler/Prütting/Henssler, § 7 Rz. 42; Kleine-Cosack, § 7 Rz. 15 f. 9 BGH, BRAK-Mitt. 2007, 77 [Ls.], NJW 2008, 3569, HRF 2012, 447 (448) = juris Rz. 16.
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§ 7 BRAO Rz. 46
Versagung der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft
rückliegt und welches Gewicht es noch hat1 und auch, was sie zur Wiedergutmachung der etwaigen Folgen ihres unwürdigen Verhaltens unternommen haben.2 Dabei ist auch zu berücksichtigen, ob dies freiwillig oder unter dem Druck eines laufenden Strafverfahrens oder einer Bewährungsauflage geschah.3 Auch das vorgerückte Alter des Rechtsanwalts und die dadurch bedingten eingeschränkten Möglichkeiten eines Neuanfangs sind in die Abwägung einzubeziehen.4 Exakte Regeln darüber, wie lange der Zeitraum solchen Wohlverhaltens sein muss, lassen sich nicht aufstellen. Erforderlich ist eine Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls.5 In der Rechtsprechung des BGH ist eine (Wieder-) Zulassung in leichteren Fällen nach einer Wartefrist von 4 bis 5 Jahren, in schweren Fällen nach einer darüber hinausgehenden Wartefrist,6 teilweise von 10 bis 20 Jahren als möglich angesehen worden.7 Auch die lange Wartezeit kann unterschritten werden, wenn starke positive Umstände für eine innere Umkehr8 des Rechtsanwalts sprechen, und die Erwartung rechtfertigen, der Rechtsanwalt werde den Pflichten eines Rechtsanwalts wieder einwandfrei und dauerhaft entsprechen. Solche Indizien sind die Selbstanzeige, die uneingeschränkte Einsicht in das Fehlverhalten, das Bemühen um eine Wiedergutmachung des Schadens und der Verzicht auf das parallel innegehabte Amt als Notar.9 Diese Umstände müssen aber in eine umfassende Wertung einbezogen werden.10 Zu berücksichtigen ist bei der Bemessung der Wartefrist auch der Wertungszusammenhang zu § 7 Nr. 3 BRAO.11 Danach beträgt die Wartefrist nach einem Ausschluss aus der Rechtsanwaltschaft 8 Jahre. Diese Frist gilt zwar nicht ohne weiteres auch für § 7 Nr. 5 BRAO. Es erscheint aber gerechtfertigt, die Wertung dieser Vorschrift auf ein Verhalten zu übertragen, das ein vergleichbares Gewicht hatte und zum Widerruf der Zulassung führte. Eine kürzere Wartefrist wird sich nur rechtfertigen lassen, wenn das Verhalten ein deutliches geringeres Gewicht hatte. Umgekehrt wird eine deutlich längere Wartefrist angesichts der Wertungsentscheidung des Gesetzgebers in dem Fall des § 7 Nr. 3 BRAO nur bei einem besonders schwerwiegenden Verhalten gefordert werden können.12 VII. Abwägung im Einzelfall, Beurteilungsspielraum 46
Bei der Beurteilung der Frage, ob ein Verhalten den Bewerber als unwürdig erscheinen lässt, den Beruf des Rechtsanwalts auszuüben, verbietet sich eine schematische Betrachtungsweise. Vielmehr ist eine umfassende Abwägung sämtlicher Umstände des Einzelfalls unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit vorzunehmen.13 Dabei hat die Rechtsprechung den Kammern zwar einen „erheblichen Beurteilungsspielraum“ eingeräumt.14 Die Prüfung würde sich danach darauf beschränken, ob die Kammer den Begriff der Unwürdigkeit richtig ausgelegt, den Sachverhalt vollständig ermittelt und die richtigen Wertmaßstäbe angelegt hat. Das betrifft insbesondere die Einhaltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, die nicht selten zu einer inhaltlichen Prüfung der Wertung führt.15 Auch wenn damit die Anwendung der Versagungsgründe nicht vollständig überprüfbar ist,16 so
1 BGH, HFR 2012, 447 (448) = juris Rz. 22. 2 BGH, Beschl. v. 20.4.2009 – AnwZ (B) 44/08, juris; HFR 2012, 447 (448) = juris Rz. 16. 3 BGH, NJW-RR 1995, 1016 (1017); BRAK-Mitt. 1988, 147; NJW 1999, 3048; Beschl. v. 4.4.2005 – AnwZ (B) 21/04 Website BGH; v. 26.1.2009 – AnwZ (B) 24/08, juris; Henssler/Prütting/Henssler, § 7 Rz. 43a. 4 BGH, Beschl. 8.2.2010 – AnwZ (B) 96/09, juris Rz. 11. 5 BGH, BRAK-Mitt. 1992, 106; 1993, 42; NJW 1988, 1793; NJW-RR 1999, 1219 f.; HFR 2012, 447 = juris Rz. 14; Beschl. v. 3.11.2008 – AnwZ (B) 1/08, juris; Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 7 Rz. 40 f. 6 Z.B. BGH, Beschl. v. 27.4.2011 – AnwZ (Brfg) 14/10, juris Rz. 8: mehr als 5 Jahre bei Bestrafung wegen Wählertäuschung zu 90 Tagessätzen. 7 BGH, BRAK-Mitt. 1995, 162; 1996, 122; 1999, 187; 1999, 191 (193); HFR 2012, 447 = juris Rz. 15; Beschl. v. 3.11.2008 – AnwZ (B) 1/08, juris; Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 7 Rz. 41. 8 BGH, Beschl. v. 8.2.2010 – AnwZ (B) 94/08, juris Rz. 7; v. 8.2.2010 – AnwZ (B) 96/09, juris Rz. 9. 9 BGH, Beschl. v. 7.12.2009 – AnwZ (B) 113/08, juris Rz. 6, 91. 10 BGH, AnwBl. 2010, 289 = juris Rz. 9 f. 11 BGH, BRAK-Mitt. 2000, 145 (146); HFR 2012, 447 (448) = juris Rz. 23; Deppert, BRAK-Mitt. 2001, 111 (113 f.); Henssler/Prütting/Henssler, § 7 Rz. 44; Kleine-Cosack, § 7 Rz. 16. 12 Beispiele: BGH, BRAK-Mitt. 2000, 145 (146) – Totschlag: mehr als 10,5 Jahre; Beschl. v. 1.3.1993 – AnwZ (B) 53/92, juris – Mord an Ehefrau: mehr als 12 Jahre. 13 BGH, EGE VII, 1; BRAK-Mitt. 1995, 166; NJW-RR 1999, 1219 (1220); Beschl. v. 20.4.2009 – AnwZ (B) 44/08, juris; Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 7 Rz. 36; Henssler/Prütting/Henssler, § 7 Rz. 40; Isele, Anm. IV.E.2a; Kleine-Cosack, § 7 Rz. 12. 14 BGH, BRAK-Mitt. 1995, 106 (107). 15 BGH, BRAK-Mitt. 1995, 106 (107). 16 So aber Kleine-Cosack, § 7 Rz. 3.
290 Schmidt-Räntsch
Versagung der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft
Rz. 50 § 7 BRAO
geht die Überprüfung doch weiter als der Beurteilungsspielraum vermuten lässt. Maßgeblich ist dann der Zeitpunkt der letzten Entscheidung in der Sache. G. Strafbare Bekämpfung der freiheitlich demokratischen Grundordnung (§ 7 Nr. 6 BRAO) I. Zweck der Vorschrift Nach § 7 Nr. 6 BRAO ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu versagen, wenn der Bewerber die freiheitlich demokratische Grundordnung in strafbarer Weise bekämpft. So unterstützt die Bundesrechtsanwaltsordnung auf einfachgesetzlicher Ebene das Prinzip der wehrhaften Demokratie, das das Grundgesetz auf Verfassungsebene in Art. 21, 18 GG zum Ausdruck bringt. Seine besonderen Grundfreiheiten soll (in dem vom BVerfG festgelegten Umfang) nicht mehr nutzen dürfen, wer sich gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung stellt, deren Verwirklichung sie dienen. Wer dies tut, kann auch kein Organ der Rechtspflege sein, das eben dieser freiheitlich demokratischen Grundordnung verpflichtet ist.
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II. Bekämpfung der freiheitlich demokratischen Grundordnung Die freiheitlich demokratische Grundordnung bekämpft, wer auf die Abschaffung von Strukturprinzipien des grundgesetzlich verfassten Staates zielt. Zu diesen Grundprinzipien zählen u.a. die Achtung vor den Menschenrechten, vor allem dem Recht auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte und die Chancengleichheit aller politischen Parteien.1 Die so beschriebene Bekämpfung der freiheitlich demokratischen Grundordnung genügt für die Versagung der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nur, wenn sie auch in strafbarer Weise erfolgt. Als Straftatbestände kommen in erster Linie die der §§ 80 ff. StGB in Betracht. Die freiheitlich demokratische Grundordnung kann aber auch durch die Verwirklichung anderer Straftatbestände strafbar bekämpft werden.2 Zu denken ist an Straftaten gegen die Landesverteidigung, Widerstand gegen die Staatsgewalt, Straftaten gegen die öffentliche Ordnung u.a.3 Diese Voraussetzungen werden selten gegeben sein.
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III. Sperrwirkung der Vorschrift Bedeutsam ist § 7 Nr. 6 BRAO deshalb auch nicht wegen der Zahl seiner Anwendungsfälle, sondern wegen seiner Sperrwirkung. Er zeigt nämlich die Schwelle an, von welcher an eine politische Betätigung des Rechtsanwaltsbewerbers zur Versagung der Rechtsanwaltszulassung führt. Diese Sperrwirkung ist auch bei der Anwendung anderer Tatbestände, insbesondere von § 7 Nr. 5 BRAO, zu berücksichtigen. Ein unwürdiges Verhalten darf also nicht allein wegen einer politischen Betätigung unterhalb der Schwelle des § 7 Nr. 6 BRAO angenommen werden.4 Es müssen vielmehr andere Umstände hinzutreten, die eine Versagung der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft für sich genommen schon rechtfertigen.
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H. Unfähigkeit zur Berufsausübung (§ 7 Nr. 7 BRAO) I. Zweck der Vorschrift Nach § 7 Nr. 7 BRAO ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu versagen, wenn der Bewerber aus gesundheitlichen Gründen (körperliche Gebrechen, Schwäche seiner geistigen Kräfte, Sucht usw.) nicht nur vorübergehend unfähig ist, den Beruf des Rechtsanwalts ordnungsmäßig auszuüben. Auch hierbei handelt es sich um eine subjektive Zulassungsbeschränkung. Sie dient der Gefahrenabwehr.5 Ihr Ziel ist es zum einen, die Rechtsuchenden davor zu bewahren, einen Rechtsanwalt mit ihrer Beratung oder ihrer sonstigen Wahrnehmung von Interessen zu beauftragen, der zur ordnungsgemäßen Erfüllung dieser Aufgabe aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage ist. Zum anderen soll aber auch ver1 Jarass/Pieroth, Art. 21 GG Rz. 33; Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 7 Rz. 69. 2 Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 7 Rz. 71; Henssler/Prütting/Henssler, § 7 Rz. 65; Jessnitzer/Blumberg, § 7 Rz. 13. 3 Isele, Anm. IV.F.4 c. 4 BVerfGE 63, 266 (294); Henssler/Prütting/Henssler, § 7 Rz. 66; Kleine-Cosack, § 7 Rz. 26. 5 BGH, EGE XI 19 (20); Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 7 Rz. 77.
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§ 7 BRAO Rz. 51
Versagung der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft
hindert werden, dass der ordnungsgemäße Betrieb der gerichtlichen Verfahren durch die Beteiligung von Rechtsanwälten beeinträchtigt wird, die ihre Funktion infolge gesundheitlicher Beeinträchtigungen nicht mehr wahrnehmen können.1 An dieser Zielsetzung ist die Auslegung und Anwendung der Vorschrift auszurichten. Das betrifft sowohl die inhaltlichen als auch die verfahrensmäßigen Anforderungen. In inhaltlicher Hinsicht haben die Rechtsanwaltskammern bei der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nicht zu überprüfen, ob die Bewerber mehr oder weniger gesund sind. Sie haben ihre Prüfung vielmehr allein daran auszurichten, ob bei dem einzelnen Bewerber körperliche oder geistige Schwächen vorliegen, die ihm die ordnungsgemäße Berufsausübung unmöglich machen.2 Alles andere ist Sache des Bewerbers.3 Dies hat auch Auswirkungen auf das Verfahren. Die Gesundheit der Bewerber ist nicht wie etwa bei der Einstellung im öffentlichen Dienst routinemäßig zu überprüfen. Vielmehr hat die Kammer den Gesundheitszustand eines Bewerbers nur dann zu überprüfen, wenn konkreter Anlass zu Zweifeln an seiner Fähigkeit besteht, den Beruf überhaupt auszuüben. II. Praktische Bedeutung 51
Aus dieser Funktion ergibt sich, dass die Versagung der Zulassung aus gesundheitlichen Gründen nach § 7 Nr. 7 BRAO bei Erstzulassung von Berufsanfängern kaum praktische Bedeutung erlangt. Sie kommt hier nur in den seltenen Fällen in Betracht, in denen sich schon aus den Bewerbungsunterlagen ein Anhaltspunkt für eine gravierende, der Berufsfähigkeit entgegenstehende Erkrankung, bietet. Praktische Bedeutung erlangt die Vorschrift vor allem bei der Erstzulassung von Bewerbern, die ihren früheren Beruf wegen körperlicher Beeinträchtigungen aufgegeben haben, und bei Wiederbewerbern zur Rechtsanwaltschaft, deren erste Zulassung aus gesundheitlichen Gründen oder wegen eines durch gesundheitliche Gründe verursachten unwürdigen Verhaltens ihr Ende gefunden hat. III. Körperliche Beeinträchtigung 1. Allgemeine Anforderungen
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Als erste Gruppe von gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die zur Versagung der Zulassung führen können, nannte § 7 Nr. 7 BRAO a.F. körperliche Gebrechen. Dabei handelte es sich um Gesundheitsstörungen mit Ausnahme von Störungen der Geistestätigkeit, die die Vorschrift unter dem Gesichtspunkt einer Schwäche der geistigen Kräfte gesondert erfasste. Allerdings führte seinerzeit und führt auch heute nicht jede Gesundheitsbeeinträchtigung zur Versagung der Zulassung. Die Vorschrift nennt vielmehr zwei wesentliche Einschränkungen. Gesundheitliche Gründe führen nur dann zur Versagung der Zulassung, wenn sie besorgen lassen, dass der Bewerber zur Ausübung des Berufs des Rechtsanwalts nicht in der Lage ist. Das ist nur bei einer körperlichen Beeinträchtigung von Gewicht anzusehen,4 was die Vorschrift früher mit dem Begriff Gebrechen zum Ausdruck brachte. Auch eine gewichtige Einschränkung der Gesundheit führt zur Versagung der Zulassung nur, wenn sie nicht nur vorübergehend ist.5 Es muss also zu erwarten sein, dass sie auf Dauer bestehen bleibt. So scheiden Krankheiten, auch solche von Gewicht, regelmäßig als Zulassungsversagungsgründe aus. Dies gilt auch für schwere Dauerleiden, wenn sie sich auf die Wahrnehmung des Rechtsanwaltsberufs nicht auswirken. Als Beispiel mag eine Zuckererkrankung dienen. Auch lebensbedrohliche Erkrankungen stehen der Ausübung des Rechtsanwaltsberufs nicht zwangsläufig entgegen. Beispiele hierfür sind eine Krebserkrankung oder eine HIV-Infektion. Entscheidend ist vielmehr, dass die wie auch immer geartete Krankheit konkrete Anhaltspunkte dafür bietet, dass der Bewerber den Anforderungen des Berufs tatsächlich nicht gerecht werden wird. Diese müssen allerdings in ihrer ganzen Breite berücksichtigt werden. Eine eingeschränkte Zulassung zur Rechtsanwaltschaft, etwa für bestimmte Arten von Rechtsstreiten, ist nicht möglich.6 Ob der Bewerber den Beruf des Rechtsanwalts im Ergebnis über längere Zeit hinweg wird ausüben können, ist dagegen bei der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft im Grundsatz nicht zu prüfen. 1 2 3 4 5 6
Kleine-Cosack, § 7 Rz. 28. Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 7 Rz. 78. Isele, Anm. IV.G.1b. Kleine-Cosack, § 7 Rz. 29. Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 7 Rz. 78; Henssler/Prütting/Henssler, § 7 Rz. 71. Isele, Anm. IV.G.3b bb.
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Versagung der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft
Rz. 55 § 7 BRAO
2. Ausfall von Sinnesorganen Der Ausfall von Sinnesorganen kann, muss aber nicht zur Versagung der Zulassung führen. Blinde werden zwar bei der Wahrnehmung ihres Rechtsanwaltsberufs auf erhebliche Hindernisse stoßen. Sie werden aber, ähnlich wie z.B. blinde Richter oder Staatsanwälte, in der Lage sein, unter Einsatz von Hilfsmitteln und unter Aneignung von Ersatzfähigkeiten den Beruf des Rechtsanwalts ausüben zu können.1 Entsprechendes gilt für Bewerber, die an einer Beeinträchtigung der Hörfähigkeit leiden.2 Voraussetzung hierfür ist aber, dass das Gehör unter Einsatz von Hörgeräten und ähnlichen Hilfsmitteln soweit wieder hergestellt werden kann, dass eine Kommunikation mit Mandanten und Rechtspflegeorganen möglich ist.3 Anders wird es dagegen sein, wenn der Bewerber taub ist.4 Denn in diesem Fall wird er bei dem mündlichen Kontakt mit Mandanten, aber auch mit Organen der Rechtspflege auf ganz erhebliche Hindernisse stoßen, die zumindest Zweifel an der Fähigkeit der Berufsausübung wecken. Entsprechendes gilt für stumme Bewerber, deren Gebrechen die Kommunikationsfähigkeit sehr stark beeinträchtigt.
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3. Beeinträchtigungen der Bewegungsfreiheit Beeinträchtigungen der Bewegungsfreiheit, etwa durch Verlust oder angeborene Verkümmerung von Gliedmaßen, stehen der ordnungsgemäßen Ausübung des Rechtsanwaltsberufs grundsätzlich nicht entgegen. Zwar mögen solche Bewerber im rechtsanwaltlichen Alltag auf Hindernisse stoßen, die sich bisweilen auch als unüberwindbar herausstellen mögen. Darauf kommt es für die ordnungsgemäße Wahrnehmung des Rechtsanwaltsberufs aber nicht an. Entsprechendes gilt für Bewerber, die beispielsweise an einer Querschnittslähmung leiden.5 Anders kann es jedoch sein, wenn der Bewerber etwa infolge einer starken Lähmung nicht mehr in der Lage ist, seinen beruflichen Alltag zu organisieren.6
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4. Konstitutionelle Schwäche Eine schwache Konstitution7 steht dem Beruf des Rechtsanwalts grundsätzlich nicht entgegen. Es wird regelmäßig auch nicht darauf ankommen, ob eine schwache Konstitution ihren Grund in der schlechten körperlichen Verfassung des gegebenenfalls auch jungen Bewerbers oder in einem altersbedingten Schwinden der Kräfte hat. Entscheidend ist vielmehr, dass von einem konstitutionell geschwächten Bewerber regelmäßig erwartet werden kann, dass er sich nicht übernimmt und sich im Rahmen der anwaltlichen Berufsausübung auf ein Maß und auf Aufgaben beschränkt, die er mit seiner geschwächten Konstitution bewältigen kann.8 Als Orientierung kann hierfür die eingeschränkte Dienstfähigkeit (§ 45 BBG, § 27 BeamtStG) dienen. Ein Beamter mag zwar aufgrund körperlicher Beeinträchtigungen nicht mehr in der Lage sein, einer Vollzeittätigkeit nachzugehen. Zu seiner Versetzung in den Ruhestand führt das aber regelmäßig nur, wenn er auch in eingeschränktem Umfang nicht mehr verwendet werden kann. Dies muss erst recht für den Beruf des Rechtsanwalts gelten, dessen Aufnahme nach Art. 12 GG jedem nach § 4 BRAO, § 11 EuRAG Qualifizierten offen steht und dessen Umfang jeder frei bestimmen kann. Eingeschränkte körperliche Kräfte rechtfertigen eine Versagung der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft deshalb nur, wenn die Beeinträchtigung selbst eine eingeschränkte Tätigkeit als Rechtsanwalt nicht mehr zulässt. Ein Richter, Beamter oder Soldat, der wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt worden ist, dürfte unter diesen Bedingungen grundsätzlich auch nicht mehr die gesundheitlichen Anforderungen an den Anwaltsberuf erfüllen.9 Der BGH hat dies in einem Fall anders gesehen.10 Dieser Fall war aber durch die Besonderheit gekennzeichnet, dass es sich um ei1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 7 Rz. 80; Isele, Anm. IV.G.3b cc; Jessnitzer/Blumberg, § 7 Rz. 15. Isele, Anm. IV.G.3b cc. Jessnitzer/Blumberg, § 7 Rz. 15. Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 7 Rz. 80; Henssler/Prütting/Henssler, § 7 Rz. 71; Jessnitzer/Blumberg, § 7 Rz. 15. BGH, EGE XII, 23 (24); Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 7 Rz. 80. Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 7 Rz. 80; Henssler/Prütting/Henssler, § 7 Rz. 71. Jessnitzer/Blumberg, § 7 Rz. 15 ähnlich für Alter EGH 16, 29; Henssler/Prütting/Henssler, § 7 Rz. 72 a.E.; Jessnitzer/Blumberg, § 7 Rz. 16 a.E.; Hagen, FS Pfeiffer, 1988, S. 292. BGH, EGE XIV, 66 (67); AGH Celle, BRAK-Mitt. 2003, 34 (35); Isele, § 7 Anm. IV.G.1b; Gegenbeispiel BGH, EGE XI, 19 (21 f.). BGH, BRAK-Mitt. 1996, 74 (76); Henssler/Prütting/Henssler, § 7 Rz. 71. BGH, EGE XIV, 66.
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§ 7 BRAO Rz. 56
Versagung der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft
nen Richter handelte, der durch seinen jahrelangen Einsatz in einem schwierigen Strafverfahren nervlich aufgerieben worden war und sich nach Gewinnung von Abstand erholt hatte.1 Dieser Fall dürfte heute nicht mehr vorkommen, weil heute eine Versetzung in den Ruhestand nur in Betracht käme, wenn auch andere Verwendungen oder eine Wiederverwendung nach §§ 46 BBG, 29 BeamtStG ausschieden. IV. Schwäche geistiger Kräfte 1. Allgemeine Anforderungen 56
Als zweite Gruppe von gesundheitlichen Beeinträchtigungen nannte § 7 Nr. 7 BRAO früher eine Schwäche der geistigen Kräfte. Die Vorschrift wählt in ihrer derzeit geltenden Fassung einen etwas weiteren Begriff, als dies früher der Fall war. Damit soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass die Interessen der Mandanten nicht nur bei Ausbruch einer Geisteskrankheit im technischen Sinne, sondern schon bei anderen dauerhaften Beeinträchtigungen der geistigen Kräfte beeinträchtigt werden können.2 Mit diesem offeneren Wortlaut soll aber nicht eine Ausweitung der Versagungsgründe, sondern eine flexiblere Ausrichtung am eigentlichen Zweck der Vorschrift erreicht werden. Trotz des offeneren Wortlauts ist also eine grundsätzlich enge Auslegung der Vorschrift angezeigt. Entscheidend bleibt, ob geistige Mängel vorliegen, die nach Art und Umfang so erheblich sind, dass der Betroffene unfähig ist, den Beruf des Rechtsanwalts ordnungsgemäß auszuüben.3 Auch die Schwäche der geistigen Kräfte darf nicht nur vorübergehender Natur, sie muss vielmehr dauerhaft sein.4 Die Feststellung einer solchen Gesundheitsbeeinträchtigung bereitet in der Praxis regelmäßig erhebliche Schwierigkeiten. Es wird oft auch erforderlich sein, die Entwicklung des Krankheitsbildes abzuwarten, um beurteilen zu können, ob die Störung der geistigen Kräfte die Ausübung des Rechtsanwaltsberufs dauerhaft beeinträchtigt. 2. Geisteskrankheit
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Eine Schwäche der geistigen Kräfte liegt jedenfalls vor, wenn der Bewerber an einer Geisteskrankheit im technischen Sinne leidet, die ihn nach § 20 StGB schuldunfähig machen oder nach § 1896 BGB die Anordnung einer Betreuung rechtfertigen würde.5 Solche Erkrankungen werden den Bewerber regelmäßig außer Stande setzen, den Beruf des Rechtsanwalts ordnungsgemäß auszuüben. 3. Sonstige Schwächen der geistigen Kräfte
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Nach § 7 Nr. 7 BRAO kann die Zulassung auch zu versagen sein, wenn bei einem Bewerber keine Geisteskrankheit im technischen Sinne, sondern eine andere Schwäche der geistigen Kräfte vorliegt, die ihn ebenso wie eine Geisteskrankheit an der ordnungsgemäßen Ausübung seines Berufs hindert. Die Unfähigkeit eines Rechtsanwalts, in eigenen Angelegenheiten besonnen zu reagieren, bedeutet zwar noch nicht, dass er auch fremde Rechtsangelegenheiten nicht mehr ordnungsgemäß besorgen kann.6 Die Schwelle zu Berufsunfähigkeit ist aber überschritten, wenn seine übertriebene Erregbarkeit es dem Bewerber nicht mehr erlaubt, mit Mandanten, Verfahrensbeteiligten und Gerichten so umzugehen, wie dies ein geordneter Geschäftsbetrieb erfordert.7 Zu denken ist auch an depressive Verstimmungen, die dem Bewerber jeglichen Antrieb nehmen und ihn so ungewollt zu einer nicht mehr hinnehmbaren Vernachlässigung seiner beruflichen Pflichten führen.8 Auch partielle Ausfälle können 1 Jessnitzer/Blumberg, § 7 Rz. 15 a.E. 2 Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 7 Rz. 82; Henssler/Prütting/Henssler, § 7 Rz. 70a; Hagen, FS Pfeiffer, 1988, S. 929 (930). 3 BGHR BRAO § 14 Abs. 1 Nr. 4 – Berufsunfähigkeit 1; Jessnitzer/Blumberg, § 7 Rz. 16; Hagen, FS Pfeiffer, 1988, S. 929 (930). 4 Jessnitzer/Blumberg, § 7 Rz. 18. 5 Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 7 Rz. 83; Hagen, FS Pfeiffer 1988, S. 929 (930). 6 BGH, NJW-RR 2009, 1426 (1427); AGH Celle, BRAK-Mitt. 2003, 34 (36); Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 14 Rz. 28; Henssler/Prütting/Henssler, § 7 Rz. 72. 7 BGH, EGE XI, 19 (20); EAS 1988, 11; Beschl. v. 14.2.2000 – AnwZ (B) 17/98; juris; Beschl. v. 26.11.2007 – AnwZ (B) 102/05, BRAK-Mitt. 2008, 75 [Ls.] = juris; Beschl. v. 22.11.2010 – AnwZ (B) 74/07, NJW-Spezial 2011, 287 = juris Rz. 16; EGH 20, 13; Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 7 Rz. 85; Henssler/Prütting/Henssler, § 7 Rz. 72; Isele, § 7 Anm. IV.G.2b; Jessnitzer/Blumberg, § 7 Rz. 16. 8 AGH Celle, Beschl. v. 20.6.2005 – AGH 22/04 (II 14).
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Versagung der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft
Rz. 63 § 7 BRAO
ausreichen.1 Solche Gesundheitsstörungen sind schwer abzugrenzen; ihre Folgen auf die Ausübung des Anwaltsberufs sind schwer abzusehen. Deshalb ist hier eine eingehende Begutachtung erforderlich und Zurückhaltung geboten. 4. Sonderproblem: Querulantentum Ein besonders schwieriges Abwägungsproblem stellt sich bei Bewerbern mit querulatorischen Neigungen. Eine querulatorische Neigung ist grundsätzlich keine Schwächung der geistigen Kräfte, die eine Versagung der Zulassung aus gesundheitlichen Gründen rechtfertigt. Anders liegt es aber dann, wenn sie sich zu einem so genannten Querulantenwahn entwickelt hat.2 Er liegt vor, wenn mit dem Bewerber eine rational steuerbare Kommunikation nicht mehr möglich ist. Solche Fälle werden sich bei der Erst- oder Wiederzulassung als Rechtsanwalt eher selten stellen. Häufiger stellt sich die Frage im Zusammenhang mit dem Widerruf einer Zulassung. Auch hier ist besondere Zurückhaltung geboten.
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V. Suchterkrankungen Als dritte Gruppe von gesundheitlichen Störungen, die zur Versagung der Zulassung führen kann, nannte § 7 Nr. 7 BRAO früher eine Sucht. Das gilt auch heute. Die Sucht muss nicht das Stadium eines körperlichen Gebrechens oder einer geistigen Schwäche erreicht haben;3 es braucht auch nicht abgewartet zu werden, bis sie ein fortgeschrittenes Stadium erreicht hat.4
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Die Vorschrift grenzt die Art der Sucht nicht näher ein. Es kommt grundsätzlich jede Art von Suchterkrankung in Betracht, sofern sie befürchten lässt, dass der Bewerber den Beruf des Rechtsanwalts nicht ordnungsgemäß wird ausüben können. Diese Voraussetzung wird bei einer Alkohol- oder Rauschgiftsucht anzunehmen sein.5 Denn sie führen dazu, dass der Bewerber in der Tendenz immer häufiger in Rauschzustände verfällt und in nicht beherrschbarer Weise außer Stande ist, die Interessen seiner Mandanten ordnungsgemäß zu vertreten und seiner Funktion als Organ der Rechtspflege gerecht zu werden. Bei anderen Suchterkrankungen, z.B. der Nikotinsucht, sind solche Auswirkungen nicht zu befürchten. Sie können deshalb auch nicht zu einer Versagung der Zulassung führen. Bei einer dritten Gruppe von Suchterkrankungen hängt das Erfordernis einer Versagung der Zulassung entscheidend von ihrer Ausprägung ab. Als Beispiel hierfür kann die Spielsucht genannt werden.6 Sie führt regelmäßig nicht zu Rauschzuständen oder ähnlichen körperlichen Beeinträchtigungen, die den Bewerber an der ordnungsgemäßen Erfüllung seiner Aufgaben als Rechtsanwalt hindern würden. Allerdings kann sie vor allem in fortgeschrittenem Stadium den Bewerber in finanzielle Bedrängnis und dazu bringen, dass er seine Berufspflichten nicht in der gebotenen Weise wahrnimmt und sich z.B. an ihm anvertrauten Geldern vergreift, um sie beim Spiel einzusetzen. Eine Versagung der Zulassung kommt bei einer derartigen Suchterkrankung nur in Frage, wenn sich solche Auswirkungen auf die ordnungsgemäße Wahrnehmung des Rechtsanwaltsberufs konkret absehen lassen. Nach erfasster Zulassung kommt ggf. auch ein Widerruf nach § 14 Abs. 2 Nr. 3 BRAO in Betracht.
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Eine Suchterkrankung rechtfertigt die Versagung der Rechtsanwaltszulassung auch nur dann, wenn sie nicht nur vorübergehend ist. Das ist bei einer Suchterkrankung normalerweise dann der Fall, wenn sie nicht therapierbar oder der Bewerber nicht in der Lage ist, den für eine Therapie regelmäßig erforderlichen Therapiewillen zu entwickeln und zu verwirklichen.
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VI. Verfahren Eine Versagung der Zulassung wegen gesundheitlicher Beeinträchtigungen nach § 7 Nr. 7 BRAO wird regelmäßig eine eingehende ärztliche Begutachtung erfordern.7 Das hierzu einzuschlagende Verfahren regelt § 15 BRAO. Auf die Erläuterung dieser Vorschrift wird Bezug genommen. Dort wird auch erläutert, welche Einwände der Rechtsanwalt nach bestands1 BGH, EGE XI, 19, 20; Jessnitzer/Blumberg, § 7 Rz. 16; Kleine-Cosack, § 7 Rz. 29. 2 Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 7 Rz. 85; Henssler/Prütting/Henssler, § 7 Rz. 72; Jessnitzer/Blumberg, § 7 Rz. 16; Hagen, FS Pfeiffer, 1988, S. 929 (932 f.). 3 Henssler/Prütting/Henssler, § 7 Rz. 73. 4 BT-Drs. 11/3253, S. 19; Jessnitzer/Blumberg, § 7 Rz. 17; Kleine-Cosack, § 7 Rz. 31. 5 Henssler/Prütting/Henssler, § 7 Rz. 73. 6 Henssler/Prütting/Henssler, § 7 Rz. 73. 7 Henssler/Prütting/Henssler, § 7 Rz. 74.
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§ 7 BRAO Rz. 64
Versagung der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft
kräftiger Gutachtenanordnung im Zulassungs- oder Widerrufsverfahren noch erheben kann.1 Gerade bei einer Beeinträchtigung der geistigen Kräfte oder bei Suchterkrankungen wird sich ein eindeutiges Bild oft nicht aufgrund einer einmaligen Untersuchung ergeben. Dies gilt vielfach auch dann, wenn sie aufgrund einer klinischen Beobachtung erfolgt. In einem solchen Fall wird über die Zulassung nicht sofort entschieden werden können. Vielmehr wird es – entsprechend dem sachverständigen Rat – angezeigt sein, die Zulassungsentscheidung zunächst zurückzustellen und die Entwicklung abzuwarten. Ein solches Abwarten wird regelmäßig auch im Interesse des Bewerbers liegen, der so eine sonst vielleicht erforderliche Zurückweisung seines Zulassungsantrags vermeiden kann. Nach Ablauf einer entsprechenden Beobachtungsphase wird dann allerdings auch über den Zulassungsantrag entschieden werden müssen, schon um dem Eindruck einer schleichenden Versagung der Zulassung entgegenzutreten. J. Unvereinbare Tätigkeiten (§ 7 Nr. 8 BRAO) I. Verfassungsrechtliche Vorgaben 1. Anspruch auf einen Zweitberuf 64
§ 7 Nr. 8 BRAO ging in seiner ursprünglichen Fassung davon aus, dass der Rechtsanwaltsbewerber den Beruf des Rechtsanwalts als Haupt- und einzigen Beruf ausüben will. Dahinter stand die Vorstellung, dass sich die Wahrnehmung eines Zweitberufs mit dem Beruf des Rechtsanwalts in aller Regel nicht verträgt. Diese Haltung des Gesetzgebers kam in dem seinerzeit in der Vorschrift verwendeten Kriterium des Ansehens der Rechtsanwaltschaft deutlich zum Ausdruck, dem die Wahrnehmung eines Zweitberufs regelmäßig abträglich war. Dieses Anforderungsprofil setzte die Rechtsprechung in der Weise um, dass die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft versagt wurde, wenn der Rechtsanwaltsbewerber neben dem Beruf des Rechtsanwalts einen anderen Beruf ausüben wollte, der ihm keine gehobene Stellung verschaffte.2 Dasselbe galt für kaufmännisch gewerbliche Tätigkeiten aller Art.3 Schließlich wurden auch Tätigkeiten als mit dem Rechtsanwaltsberuf unvereinbar angesehen, die eine Rechtsbesorgung für Arbeitgeber zum Gegenstand hatten, die dem anwaltlichen Standesrecht nicht unterstanden. Dieses gesetzliche Grundverständnis und die ihm folgende Rechtsprechung hielten einer verfassungsrechtlichen Überprüfung nicht stand. In der so genannten Zweitberufsentscheidung4 entschied das BVerfG, dass auch die Wahl eines Zweitberufs vom Grundrechtsschutz des Art. 12 GG erfasst werde und nur zum Schutze eines überragend wichtigen Gemeinschaftsgutes eingeschränkt werden könne. Diesen Anforderungen genüge die Vorschrift in der seinerzeitigen Fassung nicht, da sie über das zum Schutz der Gemeinschaftsgüter erforderliche Maß hinausgehe und das in der Vorschrift verwandte Kriterium des Ansehens der Rechtsanwaltschaft nicht erkennen lasse, worin sein Schutzzweck eigentlich bestehe. Dem hat der Gesetzgeber durch die Neufassung der Vorschrift Rechnung getragen, die auf dieses Kriterium verzichtet und die Zurückweisung eines Antrags auf Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nunmehr nur bei Tätigkeiten vorsieht, die mit der Stellung des Rechtsanwalts als unabhängiges Organ der Rechtspflege unvereinbar sind oder das Vertrauen in seine Unabhängigkeit gefährden können. Daran ist die Zulässigkeit von Zweitberufen auszurichten. 2. Mögliche Beschränkungen a) Gehobene Stellung?
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Nach dem Verzicht auf das Kriterium des Ansehens der Rechtsanwaltschaft kann die Zulässigkeit einer beruflichen Tätigkeit neben dem Beruf des Rechtsanwalts nicht mehr von der gesellschaftlichen oder finanziellen Stellung abhängig gemacht werden, die ihm dieser Zweitberuf vermittelt. Ein Rechtsanwalt darf also auch als Taxifahrer5 oder Pizzabäcker tätig sein, wenn ihm diese Tätigkeit noch eine ausreichende Betätigungsmöglichkeit als
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§ 15 BRAO Rz. 64. BGH, NJW 1987 3011 (3012); Isele, § 7 Anm. IV.H.1a und 8b, d, e. BGHZ 40, 194; 68, 397; BGH, BRAK-Mitt. 1991, 2289; Isele, § 7 Anm. H.6b aa. BVerfGE 87, 287. BGH, BRAK-Mitt. 1993, 171; Dahns, NJW-Spezial 2010, 190.
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Rz. 69 § 7 BRAO
Rechtsanwalt erlaubt. Ein – nicht im Widerspruch zur Rechts- oder Sittenordnung stehender1 – Zweitberuf ist grundsätzlich zulässig.2 Die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft darf nur versagt werden, wenn der Zweitberuf einen der beiden Gefährdungstatbestände erfüllt.3 b) Interessenkollision Der eine Gefährdungstatbestand ist die Vereinbarkeit der Tätigkeit mit der Stellung des Rechtsanwalts als unabhängigem Organ der Rechtspflege. Diese Stellung des Rechtsanwalts wird durch eine zweitberufliche Tätigkeit, die zu seinem Rechtsanwaltsberuf keine inhaltlichen Bezüge aufweist, grundsätzlich nicht beeinträchtigt. Ob ein Rechtsanwalt, wenn er mit seinen Mandaten nicht befasst ist, Taxi fährt oder nicht, besagt über die ordnungsgemäße Ausübung des Berufs des Rechtsanwalts und auch darüber nichts, ob er seiner Funktion als unabhängiges Organ der Rechtspflege gerecht wird.4 Anders ist das bei Berufen, bei deren Ausübung sich die Gefahr von Interessenkollisionen zeigt. Übt der Rechtsanwalt nämlich einen Zweitberuf aus, bei dem seine eigenen beruflichen Interessen mit denen seiner Mandanten kollidieren, dann gefährdet das seine Stellung als unabhängiges Organ der Rechtspflege. Er mag dann zwar noch seiner Funktion innerhalb der Rechtspflege und gegenüber den Gerichten gerecht werden. Es besteht dann aber die Gefahr, dass er seinen Pflichten gegenüber dem Mandanten zur unabhängigen, allein an den Mandanteninteressen ausgerichteten Beratung und Interessenvertretung nicht mehr genügt. Dieser Gefahr darf durch ein entsprechendes Zweitberufsverbot Rechnung getragen werden.5
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c) Vertrauen in die Unabhängigkeit des Rechtsanwalts Unzulässig ist nach § 7 Nr. 8 BRAO auch ein Zweitberuf, dessen Wahrnehmung neben dem Beruf des Rechtsanwalts das Vertrauen in seine Unabhängigkeit gefährdet. Zu den Kernelementen des Berufs des Rechtsanwalts gehört seine Rolle als unabhängiges Organ der Rechtspflege. Diese Unabhängigkeit dient zuallererst dem Mandanten, zu dessen interessengerechter Beratung und Vertretung der Rechtsanwalt berufen ist. Dieser Funktion kann der Rechtsanwalt nur gerecht werden, wenn er die Interessen seiner Mandanten nicht nur tatsächlich unabhängig und interessengerecht vertritt. Die Öffentlichkeit muss vielmehr auch in die Unabhängigkeit des Rechtsanwalts vertrauen können. Denn andernfalls würden sich Mandanten dem Rechtsanwalt nicht oder nicht in der gebotenen Weise anvertrauen was ihn damit an der Ausfüllung seiner Funktion hinderte.
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3. Tätigkeitsverbote Mit dem Zweitberufsverbot sieht § 7 Nr. 8 BRAO eine sehr weitgehende Sanktion zum Schutz der Rechtspflege vor. Sie ist, was das BVerfG in seiner Zweitberufsentscheidung deutlich gemacht hat, am Maßstab des Verhältnismäßigkeitsprinzips zu messen. Das hat zur Folge, dass ein konkreter Zweitberuf nur dann als unvereinbar mit dem Beruf des Rechtsanwalts angesehen werden kann, wenn sich die von der Wahrnehmung des Zweitberufs ausgehenden Gefahren für die Rechtspflege nicht durch Tätigkeitsverbote nach §§ 45, 46 BRAO verhindern lassen. Das ist bei den einzelnen Zweitberufen in unterschiedlichem Umfang der Fall.
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II. Anforderungen an die Betätigungsmöglichkeiten 1. Ausgangslage Der Beruf des Rechtsanwalts gehört zu den Berufen, die sich nicht gewissermaßen als Liebhaberei neben dem eigentlichen Beruf ausüben lassen. Der Rechtsanwalt muss die diesen Beruf ausmachende Funktion als unabhängiges Organ der Rechtspflege auch verantwortungsvoll ausfüllen können. Das ist indessen nur möglich, wenn der neben dem Beruf des Rechtsanwalts betriebene Beruf dem Rechtsanwaltsbewerber unabhängig von den an ihn zu stellenden inhaltlichen Anforderungen eine hinreichende Möglichkeit zur Ausübung dieses Berufs lässt. Fehlt es daran, ist der Zweitberuf mit dem Beruf des Rechtsanwalts unverein1 Henssler/Prütting/Henssler, § 7 Rz. 94; Jessnitzer/Blumberg, § 7 Rz. 22; Pfeiffer, FS Oppenhoff, 1985, S. 254 (261). 2 Kleine-Cosack, § 7 Rz. 34. 3 BGH, AnwBl. 2014, 187 Rz. 6; Jessnitzer/Blumberg, § 7 Rz. 20; Kleine-Cosack, § 7 Rz. 42. 4 BGH, BRAK-Mitt. 1993, 171. 5 BGH, AnwBl. 2014, 187 Rz. 6.
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§ 7 BRAO Rz. 70
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bar, auch wenn inhaltliche Bedenken gegen ein Nebeneinander beider Berufe ansonsten nicht bestünden. 2. Rechtlicher Betätigungsrahmen a) Sicherung der Unabhängigkeit 70
Da der Rechtsanwalt ein unabhängiges Organ der Rechtspflege ist, kommt als Zweitberuf neben dem Beruf des Rechtsanwalts nur eine Tätigkeit in Betracht, bei der dem Rechtsanwaltsbewerber die unabhängige Wahrnehmung seiner rechtsanwaltlichen Tätigkeit rechtlich garantiert ist.1 Dies kann und sollte nach Möglichkeit durch eine entsprechende Klausel in dem seinem Zweitberuf zugrunde liegenden Dienst- oder Arbeitsvertrag geschehen.2 Möglich ist aber auch eine andere gleichwertige Absicherung.3 Entscheidend ist das Ziel: Der Dienstherr oder Arbeitgeber muss dem Bewerber die Ausübung freier Anwaltstätigkeit garantieren und sich in diesem Bereich jedes Einflusses auf die Ausübung der Anwaltstätigkeit enthalten. Eine entsprechende Erlaubnis oder Freistellung muss verbindlich und darf nicht jederzeit widerruflich sein.4 Es reicht aber aus, wenn der Widerruf – wie im Beamtenrecht – nicht beliebig, sondern nur wegen dienstlicher Interessen erfolgen darf. Dann ist die unabhängige Wahrnehmung des Rechtsanwaltsberufs gesichert; das ändert sich erst, wenn der Dienstherr den Widerruf tatsächlich ausspricht.5 Wird die Nebentätigkeitsgenehmigung dagegen verweigert, fehlt es an der erforderlichen rechtlichen Absicherung des Anwaltsberufs.6 b) Gestaltungsfreiheit
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Die Weisungsfreiheit allein erlaubt dem Rechtsanwaltsbewerber aber nicht, die mit dem Rechtsanwaltsberuf angestrebte Rolle als unabhängiges Organ der Rechtspflege funktionsgerecht wahrzunehmen. Das ist ihm nur möglich, wenn er auch bei der Ausgestaltung seines Zweitberufs die notwendige Flexibilität hat.7 Er darf also z.B. nicht verpflichtet sein, zu den üblichen Dienstzeiten im Büro oder in der Firma zu erscheinen.8 Denn dadurch wäre der Rechtsanwaltsbewerber gehindert, die Interessen seiner Mandanten als Rechtsanwalt in einem Verhandlungs- oder Beweisaufnahmetermin vor Gericht oder bei einer Besprechung mit den Geschäftspartnern oder Kontrahenten seines Mandanten zu vertreten.9 Deshalb genügt es auch nicht, wenn der Rechtsanwalt seinen Arbeitsplatz nur für Termine nur verlasen darf, wenn das zwingend notwendig ist.10 Auch eine Teilzeitbeschäftigung im Zweitberuf würde diesem Anliegen nicht ausreichend Rechnung tragen. Sie ist zwar, für sich genommen, kein Grund, die Anwaltszulassung zu versagen.11 Sie muss aber mit der notwendigen Flexibilität ausgestaltet sein und z.B. die Wahrnehmung von Gerichtsterminen am Vormittag oder von Mandantenbesprechungen am Nachmittag erlauben.12 Unflexible Teilzeitbeschäftigungsregelungen stehen der Annahme ausreichenden Spielraums tendenziell entgegen, da sich nicht vorherbestimmen lässt, wann Gerichts- und Besprechungstermine notwendig werden und andere eilige anwaltliche Geschäfte anfallen. Im Ergebnis muss dem Bewerber in seinem Zweitberuf eine flexible Arbeitseinteilung garantiert werden, ähnlich, wie sie Richtern zusteht. 3. Tatsächliche Betätigungsmöglichkeiten
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Der Zweitberuf muss dem Rechtsanwaltsbewerber auch rein tatsächlich ausreichende Möglichkeit bieten, den Rechtsanwaltsberuf mehr als nur gelegentlich auszuüben.13 Das ist nur zu erreichen, wenn die Arbeitskraft des Bewerbers durch seinen Zweitberuf nicht voll 1 BVerfGE 87, 287 (323); BGH, AnwBl. 1980, 380 (381); NJW-RR 1991, 1325; 1995, 949; 1996, 1148; Feuerich/ Weyland/Vossebürger, § 7 Rz. 126, 135. 2 BGHZ 33, 266 (268); 71, 138 (140). 3 EGH Stuttgart, EGE XIV, 229 (230). 4 BGH, BRAK-Mitt. 1991, 101; EGH Stuttgart, EGE XIV, 229 (230); Henssler/Prütting/Henssler, § 7 Rz. 96. 5 Kleine-Cosack, § 7 Rz. 60. 6 BGH, EGE X 141(16 f.); BRAK-Mitt. 1999, 41; Jessnitzer/Blumberg, § 7 Rz. 22. 7 Henssler/Prütting/Henssler, § 7 Rz. 97. 8 BGH, BRAK-Mitt. 1996, 76; Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 7 Rz. 128; Jessnitzer/Blumberg, § 7 Rz. 22. 9 Henssler/Prütting/Henssler, § 7 Rz. 97. 10 BGH, NJW 2010, 1381, 1382 Rz. 8 f.; Dahns, NJW-Spezial 2010, 190; anders für Steuerberater: BFH, NJW 2012, 479 f. 11 BVerfGE 87, 287 (324). 12 Henssler/Prütting/Henssler, § 7 Rz. 98; Jessnitzer/Blumberg, § 7 Rz. 22; Kleine-Cosack, § 7 Rz. 61. 13 Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 7 Rz. 122, 128 ff.
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Rz. 75 § 7 BRAO
ausgeschöpft wird.1 Das kann z.B. dadurch sichergestellt werden, dass dem Bewerber ein Zeitbudget für seine freiberufliche anwaltliche Tätigkeit eingeräumt wird; ein solches Budget hat der BGH mit 20 Wochenstunden als ausreichend angesehen,2 ein solches von 8 Wochenstunden dagegen nicht.3 Ein solches Budget ist auch bei einer Vollzeitbeschäftigung zu erreichen, wenn sie ausreichenden Freiraum lässt, etwa weil sich der Bewerber als Rechtsanwalt seine Arbeit frei einteilen und deshalb auch in die Zeit nach Dienstschluss ausweichen kann.4 Ein Beispiel ist ein Rechtsanwalt, der zugleich leitender Anästhesist in einem Krankenhaus ist.5 Die für den Rechtsanwaltsberuf zur Verfügung stehende Zeit darf dann aber nicht durch Überstunden6 oder Fahrzeiten7 so weit aufgebraucht werden, dass eine nennenswerte Betätigung als freier Rechtsanwalt nicht mehr möglich ist. Der Bewerber muss in der Lage sein, den Anwaltsberuf in einem wenn auch beschränkten, so doch nennenswerten Umfang und jedenfalls mehr als nur gelegentlich auszuüben; eine bloß geringfügige Möglichkeit, sich als Rechtsanwalt zu betätigen, reicht nicht aus.8 Nur so lässt sich ein Mindestmaß an Unabhängigkeit und Professionalität des Rechtsanwalts sichern und ausschließen, dass der Bewerber nur als reiner „Feierabend-Anwalt“ tätig werden kann und seine Berufsbezeichnung als Rechtsanwalt zu einem bloßen Titel wird.9 Hierzu ist eine wertende Gesamtbetrachtung anzustellen. Entscheidend ist, wie viel Zeit dem vollzeitbeschäftigten Bewerber angesichts seiner Beanspruchung im Zweitberuf und seiner Leistungsfähigkeit10 wirklich für seine11 Anwaltstätigkeit verbleibt. Ist er durch seinen Zweitberuf und die Fahrten zur und von der Arbeit täglich 11 Stunden gebunden, lässt ihm dies z.B. keinen ausreichenden Spielraum.12 Bei hinreichender Nähe von Arbeitsstätte und Kanzlei lassen sich Vollzeittätigkeit und freie Rechtsanwaltstätigkeit aber durchaus verbinden.13 Ein wesentlicher Aspekt ist auch, ob die Kanzlei angesichts der Arbeitsbelastung und der räumlichen Verhältnisse ausreichend betreut werden kann.14
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III. Kaufmännisch gewerbliche Tätigkeiten 1. Maßgebliches Kriterium: Interessenkollision Eines der gesicherten Ergebnisse der Zweitberufsentscheidung des BVerfG ist, dass kaufmännisch gewerbliche Tätigkeiten im Grundsatz mit dem Beruf des Rechtsanwalts vereinbar sind.15 Irrelevant ist, ob diese Tätigkeit dem Bewerber zu einer gehobenen Stellung mit entsprechendem Einkommen verhilft oder nicht. Die Tätigkeit darf, da der Rechtsanwalt dem Recht besonders verpflichtet ist, nicht sittlich anstößig, rechtlich bedenklich oder gar verboten sein. Im Übrigen aber ist sie nur dann mit dem Beruf des Rechtsanwalts unvereinbar, wenn die konkrete Gefahr von Interessenkollisionen besteht.
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2. Gefährdung von Mandanteninteressen a) Inhaltliche Anforderungen Die Gefahr von Interessenkollisionen besteht regelmäßig nur bei Zweitberufen, die inhaltliche Berührungspunkte mit dem Beruf des Rechtsanwalts haben. Ein solcher inhaltlicher Berührungspunkt ergibt sich allerdings nicht allein daraus, dass der Rechtsanwalt Wissens1 Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 7 Rz. 130. 2 BGH, NJW-RR 1998, 1216. 3 BGH, BRAK-Mitt. 1998, 154; problematisch deshalb auch Dahns, NJW Spezial 2010, 190, der meint, 40 Wochenstunden im Zweitberuf ließen noch ausreichend Zeit. 4 AGH Hamm, BRAK-Mitt. 995, 168; Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 7 Rz. 134 a.E.; Jessnitzer/Blumberg, § 7 Rz. 22. 5 BGH, NJW 2003, 1527 (1528). 6 EGH Stuttgart, BRAK-Mitt. 1982, 28. 7 Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 7 Rz. 133. 8 BGH, NJW 2003, 1523 (1524); 2012, 534 Rz. 27. 9 BGH, BGH-Report 2004, 203 (204); AGH Koblenz, BRAK-Mitt. 2005, 277, 278; vgl. auch BVerfGE 87, 287 (323). 10 Henssler/Prütting/Henssler, § 7 Rz. 103. 11 BGH, BRAK-Mitt. 1993, 43. 12 BGH, EGE X, 81 (82 f.); AGH Koblenz, NJW-RR 2000, 1662. 13 BGHZ 33, 266 (271); NJW-RR 1991, 1325. 14 BGHZ 36, 6 (12); BGH, EGE X, 81 (82); AnwBl. 1993, 536. 15 BGH, BRAK-Mitt. 1993, 104; 2001, 90; Henssler/Prütting/Henssler, § 7 Rz. 85; Kleine-Cosack, § 7 Rz. 40 f.
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§ 7 BRAO Rz. 75a
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vorsprünge hat, die ihm im Zweitberuf zugutekommen, oder dass er umgekehrt in seinem Zweitberuf Kenntnisse erworben hat, die er als Rechtsanwalt verwerten kann.1 Das ist nämlich die natürliche Folge der Ausübung eines Zweitberufs. Beispiele sind die Tätigkeit als Leiter der nicht akquirierend tätigen Finanzdienstleistungsdirektion einer Versicherung2 oder als Sachbearbeiter der Schadensabteilung einer Versicherung.3 Interessenkollision entsteht aber dann, wenn dem Rechtsanwalt in dieser Eigenschaft Vermögensverhältnisse und finanzielle Interessen von Mandanten bekannt werden, die ihm in seinem Zweitberuf konkrete Vorteile versprechen. Denn dann kommt es typischerweise zu einem Interessenkonflikt zwischen den Verdienstmöglichkeiten des Bewerbers im Zweitberuf zu seiner ihm als Rechtsanwalt obliegenden Verpflichtung, diese Angaben vertraulich zu behandeln.4 Dieser Interessenkonflikt tritt typischerweise bei Maklern aller Art auf.5 Anerkannt ist das für Versicherungs-6 und Finanzmakler7 sowie für Grundstücksmakler.8 Das Gleiche gilt für eine Tätigkeit als Betreuer der Außendienstorganisation der Konsortialpartner eines Versicherungsunternehmens.9 Denkbar ist ein solcher Interessenkonflikt auch bei anderen kaufmännischen Berufen. Bejaht hat der BGH das etwa für den Angestellten einer Bank, der in deren Bereich Private Banking als Fachbetreuer mit dem Schwerpunkt Erbschafts- und Stiftungsmanagement tätig ist10, für die Tätigkeit als „Wealth Consultant Top Executives“ einer Bank, der ohne direkten Kundenkontakt für eine Gruppe wohlhabender Kunden bei ihrer Vermögensstrukturierung in rechtlichen und steuerrechtlichen Belangen beraten soll,11 und für eine Tätigkeit als „Berater und Akquisiteur“ bei einer Unternehmensberatungsgesellschaft für Personalmanagement.12 Ob Entsprechendes auch für einen Grundstücksentwickler gilt, hat der BGH offen gelassen.13 Anders liegt es dagegen bei einem Immobilienunternehmen, das keine akquirierende Tätigkeit entfaltet.14 75a
Der BGH stellt in seiner neueren Rechtsprechung strengere Anforderungen an die Annahme einer Unvereinbarkeit. So ist eine Tätigkeit als Berater und Akquisiteur mit dem Anwaltsberuf nicht unvereinbar, wenn der Berater nur Fachkräfte finden, den Auftraggeber aber nicht arbeits- oder personalrechtlich beraten soll und auch nicht Informationen erhält, die ihn in Interessenkonflikte bringen.15 b) Dienstliche Stellung im Unternehmen
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Derartige Interessenkonflikte treten typischerweise nur auf, wenn der Rechtsanwalt im Zweitberuf akquisitorisch tätig wird. Nur dann können ihm die in seiner Eigenschaft als Rechtsanwalt bekannt gewordenen Umstände in seinem Zweitberuf konkret nützlich sein. In welcher Rolle dies geschieht, ist dann unerheblich. Für eine solche Tätigkeit in leitender Position gilt das Gleiche wie für eine Tätigkeit im Angestelltenverhältnis.
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Anders kann es aber dann liegen, wenn sich der Bewerber im Zweitberuf akquirierender Tätigkeiten enthält.16 Dabei macht es allerdings einen Unterschied, ob der Bewerber als Angestellter oder in leitender Funktion tätig wird. Ist er Angestellter und hat er nach dem Arbeits- oder Dienstvertrag einen Aufgabenbereich, zu dem die akquirierenden Tätigkeiten nicht gehören, dann scheidet ein Interessenkonflikt zwar nicht gänzlich, wohl aber typischerweise aus.17 Dabei kommt es nicht entscheidend darauf an, ob der Rechtsanwalt selbst Kontakt zu den Kunden hat. Im berufsrechtlichen Sinne mit Akquise befasst ist der Rechtsanwalt auch dann, wenn er für den unmittelbaren Kundenbetreuer Rechtsgutachten an1 BGH, BRAK-Mitt. 1995, 163 (164); 1996, 78; 2000, 307; 2004, 79; NJW-RR 2011, 856 (857 f.) Rz. 10; KleineCosack, § 7 Rz. 43. 2 BGH, BRAK-Mitt. 1996, 78. 3 BGH, BRAK-Mitt. 1995, 163; 1996, 165; Kleine-Cosack, § 7 Rz. 48. 4 BGH, BRAK-Mitt. 1995, 163 (164). 5 BGH, AnwBl. 2014, 187 Rz. 9; Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 7 Rz. 118. 6 BGH, BRAK-Mitt. 1994, 43 (44); 1995, 123 (124); 1997, 253 f.; 2000, 43; 2004, 79. 7 BGH, BRAK-Mitt. 2000, 43; AnwBl. 2014, 187 Rz. 9. 8 BGH, BRAK-Mitt. 1988, 45 (50) 2001, 90; 2004, 79; NJW 2008, 517 (518). 9 BGH, NJW 2006, 3717 (3718). 10 BGH, NJW 2006, 2488 (2489); AGH Frankfurt/M., BRAK-Mitt. 2012, 125. 11 BGH, NJW-RR 2011, 856 (857 f.) Rz. 7–9; AnwBl. 2014, 187 Rz. 11. 12 BGH, DB 2008, 699 (700); AnwBl. 2014, 187 Rz. 12. 13 BGH, NJW 2008, 517 (519 a.E.). 14 BGH, BRAK-Mitt. 2001, 90. 15 BGH, AnwBl. 2014, 187 Rz. 14. 16 Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 7 Rz. 119. 17 BGH, NJW 1995, 1031; 1996, 2378; 2006, 2488 (2489); NJW-RR 2011, 856 (857) Rz. 7; BRAK-Mitt. 2001, 90.
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Rz. 79 § 7 BRAO
fertigt und eine rechtliche Beratung vornimmt und die akquisitorische Tätigkeit des Kundebetreuers unterstützt.1 Das unterscheidet ihn von dem Banksyndikus, der mit seiner rechtlichen Beratung typischerweise die Akquise nicht fördert.2 Ist der Rechtsanwalt in leitender Position tätig, kommt es auf diese Unterscheidung nicht an. Zwar könnte, ähnlich wie in einem Anstellungsvertrag, in dem Geschäftsführervertrag des Geschäftsführers einer GmbH oder auch durch einen Beschluss der Geschäftsführung festgelegt werden, dass einer der mehreren Geschäftsführer einer GmbH nicht akquirierend tätig werden soll. Durch eine derartige Aufteilung der Geschäfte würde die Verantwortlichkeit des nicht betroffenen Geschäftsführers nach innen und außen beschränkt, weil er sich im Allgemeinen darauf verlassen kann, dass der zuständige Geschäftsführer die ihm zugewiesenen Aufgaben erledigt.3 Dennoch kann es zu Interessenkollisionen kommen. Die Mitgeschäftsführer oder Mitvorstände einer Kapitalgesellschaft sind nämlich dem Unternehmensinteresse stärker verpflichtet als ein Angestellter des Unternehmens mit eingeschränktem Aufgabenbereich. Sie sind deshalb zum Eingreifen, jedenfalls aber zur Unterrichtung des „zuständigen“ Mitgeschäftsführers oder Mitvorstands verpflichtet, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Erfüllung der der Gesellschaft obliegenden Aufgaben durch den zuständigen Geschäftsführer nicht mehr gewährleistet ist.4 Bei einem Konflikt setzt sich damit das Unternehmensinteresse im Zweifel durch. Der Mitgeschäftsführer oder Mitvorstand kann deshalb eine Interessenkollision nicht durch eine Beschränkung seines Zuständigkeitsbereichs vermeiden.5 IV. Sonstige rechtsberatende Tätigkeiten Neben seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt kann der Bewerber auch sonst rechtsberatend tätig werden. Er darf Syndikusanwalt sein.6 Er darf gleichzeitig zu einem sozietätsfähigen Beruf zugelassen, also als Steuerberater, Wirtschaftsprüfer oder Notar zugelassen sein. Er darf für andere Rechtsanwälte etwa als Angestellter oder freier Mitarbeiter tätig sein.7 Dasselbe gilt für eine Tätigkeit als Rechtssekretär einer Gewerkschaft.8 Unbedenklich ist eine solche Tätigkeit auch für sozietätsfähige Berufe und auch für Rechtsbeistände.9 Die bei den Letzteren bestehende Staatsaufsicht ändert daran nichts.10 Eine Ausnahme wurde früher für eine Tätigkeit als oder für Steuerbevollmächtigte gesehen, weil sie dem Rechtsanwalt eine nicht den Anforderungen des Anwaltsstandes entsprechend gehobene Position vermittelten. Diese Einschränkung ist nach dem Zweitberufsurteil des BVerfG nicht mehr haltbar.11 Die spezielle Fragestellung hat mit der Schließung des Berufs der Steuerbevollmächtigten ihre praktische Erledigung gefunden. Eine parallele Fragestellung könnte sich aber bei Tätigkeiten als Renten- oder Verbraucherberater ergeben, die heute ebenfalls mit dem Beruf des Rechtsanwalts inhaltlich vereinbar sind.12
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V. Tätigkeiten im öffentlichen Dienst 1. Ausgangslage: Kein öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis Ob und in welchem Umfang Tätigkeiten im öffentlichen Dienst mit dem Beruf des Rechtsanwalts unvereinbar sind, ist auch nach der Zweitberufsentscheidung des BVerfG weiterhin schwierig abzugrenzen. Die Abgrenzung wird allerdings durch § 7 Nr. 10 BRAO erleichtert. Danach scheidet nämlich eine Tätigkeit als Rechtsanwalt aus, wenn der Bewerber in einem Beamten-, Richter- oder Soldatenverhältnis steht.13 Die Frage nach der Vereinbarkeit von Tätigkeiten im öffentlichen Dienst mit dem Beruf des Rechtsanwalts stellt sich also nur bei Bewerbern, die solche Tätigkeiten im Angestelltenverhältnis oder in einem andersartigen öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis wahrnehmen. Da andersartige öffentliche Dienstver1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13
BGH, NJW-RR 2011, 856 (857 f.) Rz. 8. BGH, NJW-RR 2011, 856 (857 f.) Rz. 11. BGHZ 133, 370 (377). BGHZ 133, 370, (378). BGH, BRAK-Mitt. 2000, 43 (44); NJW 2008, 517 (518 f.); AGH Hamm, AnwBl. 1999, 697. Henssler/Prütting/Henssler, § 7 Rz. 90; vgl auch BFH, NJW 2012, 479 für Steuerberater. BGH, BRAK-Mitt. 1986, 166. Henssler/Prütting/Henssler, § 7 Rz. 106 – Rechtssekretär. BGH, NJW-RR 1999, 499; Deppert, BRAK-Mitt. 2000, 59 (60). BGH, NJW-RR 1999, 499 (500). Henssler/Prütting/Henssler, § 7 Rz. 92, 106 – Steuerbevollmächtigter; Jessnitzer/Blumberg, § 7 Rz. 29. Vgl. BGH, RBeistand 1997, 49. Dazu unten Rz. 94 f.
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§ 7 BRAO Rz. 80
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hältnisse in der Regel nur vorübergehender Art sind, werden sie einer Tätigkeit als Rechtsanwalt regelmäßig jedenfalls nicht dauerhaft entgegenstehen und sich mit Tätigkeitsverboten bewältigen lassen. 2. Mögliche Kriterien: Interessenkonflikt und Vertrauen in die Unabhängigkeit 80
Die Vereinbarkeit von Tätigkeiten im öffentlichen Dienst mit dem Beruf des Rechtsanwalts wird an beiden in § 7 Nr. 8 BRAO genannten Kriterien zu messen sein. Die Tätigkeit kann unter dem Gesichtspunkt der Interessenkollision mit dem Beruf des Rechtsanwalts unvereinbar sein. Auch wenn es an einer solchen Interessenkollision fehlt, kann die Tätigkeit gleichwohl geeignet sein, das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Unabhängigkeit des Rechtsanwalts zu gefährden. 3. Tätigkeiten mit Hoheitsbefugnissen
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Mit der Tätigkeit des Rechtsanwalts unvereinbar ist eine Tätigkeit im öffentlichen Dienst, die mit der Ausübung von Hoheitsbefugnissen verbunden ist.1 Sie stellt die Rolle des Rechtsanwalts als unabhängiges Organ der Rechtspflege in Frage und ist regelmäßig auch geeignet, das Vertrauen in seine Unabhängigkeit zu gefährden. Unabhängig soll der Rechtsanwalt nämlich regelmäßig vom Staat sein. Das ist er aber nicht, wenn er in Diensten des Staates steht und dort auch mit der Wahrnehmung von Hoheitsbefugnissen betraut ist. Diesen Fall hat schon das BVerfG bei der stellvertretenden Leiterin der Universitätsverwaltung angenommen.2 Tätigkeiten, die mit Vollzugsaufgaben verbunden sind, gehören hierzu ebenso wie die Leitung öffentlicher Dienststellen, z.B. die Leitung des Personal-, des Haupt-, des Ordnungs-, des Standes- und des Bauamts einer Gemeinde,3 oder auch von Referaten mit Vollzugsaufgaben. Auch die Aufgabe als Mitarbeiter in einer mit Vollzugsaufgaben betrauten Arbeitseinheit gehört dazu. Gegenbeispiel wäre die Tätigkeit in der fürsorgenden Verwaltung, etwa als Jobberater oder Job-Coach im Jobcenter eines Landkreises.4 Vollzugsaufgaben haben regelmäßig auch öffentlich-rechtliche Körperschaften, so dass jedenfalls leitende Tätigkeiten in diesem Bereich mit der Tätigkeit als Rechtsanwalt unvereinbar sind.5 Das gilt nicht nur für die Wahrnehmung von Hoheitsaufgaben in der unmittelbaren Staatsverwaltung. Auch die Wahrnehmung von Hoheitsaufgaben in Selbstverwaltungskörperschaften ist mit dem Rechtsanwaltsberuf unvereinbar. Entschieden ist das für die Tätigkeit als Geschäftsführer einer Industrie- und Handelskammer,6 einer Kreishandwerkerschaft7 und einer Handwerksinnung,8 aber nur, wenn sie im Einzelfall tatsächlich mit der Wahrnehmung von Hoheitsaufgaben verbunden ist.9
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Die Hoheitsaufgabe muss ein gewisses Gewicht haben. Das ist etwa bei den Leitern der Landesgeschäftsstellen der Wirtschaftsprüferkammer verneint worden, die im Ausnahmefall auch in den Geschäftsstellen abzuleistende Prüfungsleistungen zu beaufsichtigen, aber nicht zu bewerten haben. Auch die Beaufsichtigung ist zwar technisch Hoheitsaufgabe, hat aber kein ausreichendes Gewicht, um eine Unvereinbarkeit dieser Tätigkeit mit dem Rechtsanwaltsberuf zu begründen.10 Mit dem Rechtsanwaltsberuf unvereinbar ist auch nur eine Tätigkeit, bei welcher der Rechtsanwalt selbst die Hoheitsaufgabe nach außen wahrnehmen muss. Er muss also der für diese Aufgabe nach außen verantwortliche Geschäftsführer sein. Es genügt nicht, wenn er diesem Geschäftsführer zuarbeitet oder als Geschäftsführer andere öffentliche, aber nicht mit der Wahrnehmung von Hoheitsrechten Aufgaben hat.11 Es genügt auch nicht, wenn er Personal mit solchen Aufgaben zu beaufsichtigen hat. Er muss am
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BGH, NJW 2012, 534 Rz. 5. BVerfGE 87, 287 (323 f.). BGH, NJW-RR 2008, 793. AGH Frankfurt/M., NJW-RR 2013, 1468 (1469). BGH, EGE VII, 26 (28 f.) und BGHZ 49, 238, 240 – Geschäftsführer einer IHK; BGH, BRAK-Mitt. 1994, 42 – Geschäftsführer einer Kreishandwerkerschaft; NJW-RR 1994, 954 – Geschäftsführer einer Innung; 1999, 571 – Geschäftsführer einer Handwerkskammer; BB 2000, 1700 – Geschäftsführerin einer Landesärztekammer; AnwBl. 1983, 478 – Geschäftsführer einer Berufsgenossenschaft. BGHZ 36, 71 (72 ff.); 49, 238 (240 ff.); 68, 59 (60 f.); NJW 2012, 534 Rz. 10. BGH, BRAK-Mitt. 1994, 42; Beschl. v. 8.2.2010 – AnwZ (B) 9/09, juris Rz. 6. BGH, NJW-RR 1994, 954. BGH, NJW 2012, 534 (536) Rz. 10–14. BGHZ 175, 316 (319). BGH, NJW 2012, 534 Rz. 10, 12; Beschl. v. 8.2.2010 – AnwZ (B) 9/09, juris Rz. 8.
302 Schmidt-Räntsch
Versagung der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft
Rz. 83 § 7 BRAO
Zustandekommen hoheitlicher Maßnahmen unmittelbar mitwirken.1 Hierbei legt der BGH in seiner jüngeren Rechtsprechung einen am Verhältnismäßigkeitsprinzip ausgerichteten strengen Maßstab an. Anlass dafür ist das Urteil des EuGH in der Rechtssache Jakubowska.2 In diesem Urteil hat sich der EuGH mit den Grenzen von Tätigkeitsbeschränkungen befasst, die ausländischen Rechtsanwälten nach Art. 8 der Niederlassungsrichtlinie3 im Inland auferlegt werden dürfen. Er hat entschieden, dass diese Vorschrift zwar Regelungen über die Unvereinbarkeit bestimmter Tätigkeiten mit dem Rechtsanwaltsberuf mit Geltung auch für ausländische Rechtsanwälte zulässt,4 diese aber nicht über das hinausgehen dürfen, was zur Verhinderung von Interessenkonflikten notwendig ist.5 Diese betrifft zwar nicht unmittelbar nationale deutsche Sachverhalte. Sie verstieße auch formal nicht gegen Art. 3 GG, weil die Bindung durch die Richtlinie ein zulässiges Unterscheidungskriterium wäre. Die Entscheidung wirft aber die materielle Frage auf, ob weitergehenden Beschränkungen für deutsche Rechtsanwälte den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsprinzips genügen. Sie ist zu verneinen, weil mildere Maßnahmen, die bei ausländischen Rechtsanwälten ausreichen, auch bei deutschen ausreichend sind. Der BGH legt deshalb schon bei der Frage, ob der Rechtsanwalt mit Hoheitsaufgaben befasst ist, einen strengen Maßstab an.6 Nicht jede Aufgabe im öffentlichen Dienst ist mit der Wahrnehmung von Hoheitsbefugnissen verbunden. Deshalb hat der BGH die ausschließlich wissenschaftliche Tätigkeit als Angestellter im öffentlichen Dienst schon vor der Zweitberufsentscheidung des BVerfG nicht als mit dem Anwaltsberuf unvereinbar angesehen.7 Die für ihn entscheidende Hürde war die gehobene Stellung, die er bei einem wissenschaftlichen Referenten an einem Forschungsinstitut bejahte,8 bei einem wissenschaftlichen Mitarbeiter aber verneinte.9 Diesen Einwand lässt das BVerfG nicht gelten.10 Das bedeutet, dass auch eine im Angestelltenverhältnis ausgeübte wissenschaftliche Tätigkeit,11 damit auch eine Tätigkeit als Universitäts- oder Fachhochschulprofessor inhaltlich mit dem Beruf des Rechtsanwalts vereinbar ist. Etwas anderes könnte nur für Professorenämter gelten, die, wie z.B. bei der Leitung von Kliniken oder ähnlichen Einrichtungen, mit Hoheitsbefugnissen oder mit der Vertretung der öffentlichen Einrichtung nach außen verbunden sind. Die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft wird aber hier regelmäßig daran scheitern, dass Professoren in einem Beamtenverhältnis stehen und deshalb nach § 7 Nr. 10 BRAO nicht zur Rechtsanwaltschaft zugelassen werden können. Ein im Angestelltenverhältnis beschäftigter Professor könnte aber zur Rechtsanwaltschaft zugelassen werden – wenn er einen ausreichenden und rechtlich abgesicherten Freiraum hierfür hat.12
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Vergleichbar freie und unabhängige wissenschaftliche Aufgaben können auch anderen öffentlichen Bediensteten obliegen. So können etwa Mitarbeiter von Senatsverwaltungen in den Stadtstaaten die Aufgabe haben, ihre Bezirksverwaltungen rechtlich zu unterstützen, ohne selber die betreffenden Aufgaben wahrzunehmen. In solchen Fällen ergeben sich wegen der bei anderen Stellen liegenden Verantwortung für die Aufgabenerfüllung häufig keine Interessenkollisionen. Das allein führt aber nicht zur Vereinbarkeit einer Tätigkeit im öffentlichen Dienst mit dem Beruf des Rechtsanwalts. Vielmehr ist dann weiter zu prüfen, ob die betreffenden Personen nicht derart in die Verwaltung eingebunden sind, dass die Öffentlichkeit kein Vertrauen in ihre Unabhängigkeit als Rechtsanwälte hätte. Davon wird man in vielen Fällen ausgehen müssen. Sollte dies der Fall sein, schiede eine Zulassung zur Rechtsanwaltschaft auch bei öffentlichen Bediensteten aus, die nicht mit der Wahrnehmung von Hoheitsbefugnissen betraut sind. Das kann aber bei wissenschaftlich ausgerichteten Forschungsanstalten oder Instituten anders sein. Ähnlich liegt es bei Zertifizierern z.B. nach EMAS (Eco-Management and Audit-Scheme).13
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1 BGH, NJW 2012, 534 Rz. 23 unter Hinweis auf BVerfG, NJW 2009, 3710 (3712). 2 EuGH, Rs. C-225/09, NJW 2011, 1199. 3 Richtlinie 98/5/EG des Europäischen Parlaments und Rates vom 16.2.1998 zur Erleichterung der ständigen Ausübung des Rechtsanwaltsberufs in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem die Qualifikation erworben wurde, ABl. EG Nr. L 77 S. 36. 4 EuGH, Rs. C-225/09, NJW 2011, 1199 Rz. 64. 5 EuGH, Rs. C-225/09, NJW 2011, 1199 Rz. 60, 63. 6 BGH, NJW 2012, 534 Rz. 7 f. 7 BVerfG, EGE XIV, 151 (152). 8 BVerfG, EGE XIV, 151 (152 f.). 9 BVerfGE 87, 287 (325). 10 BVerfGE 87, 287 (326); NJW 1995, 951 (952). 11 BGH, NJW-RR 1998, 1216. 12 BGH, NJW 2012, 615 (616) Rz. 9; strenger bei Notaren KG, NJW-RR 2013, 432 f. 13 Henssler/Prütting/Henssler, § 7 Rz. 106 – Zertifizierer.
Schmidt-Räntsch 303
§ 7 BRAO Rz. 84
Versagung der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft
4. Einbindung in die Verwaltung 84
Eine Tätigkeit im öffentlichen Dienst ist nicht nur dann mit dem Anwaltsberuf unvereinbar, wenn sie mit der Wahrnehmung von Hoheitsaufgaben verbunden ist. Das Vertrauen in die Unabhängigkeit des Anwalts ist auch dann gefährdet, wenn bei den Rechtssuchenden der Eindruck entstehen kann, „ihr“ Rechtsanwalt habe weiter gehende Einflussmöglichkeiten als andere Rechtsanwälte, die solche Positionen nicht wahrnehmen, oder wenn die Gegner der Partei bei objektiver Betrachtung zu der Ansicht gelangen können, sie hätten gegenüber diesem Rechtsanwalt wegen seines – meist nur vermeintlichen – Einflusses weniger Chancen als bei anderen Rechtsanwälten.1 Maßgeblich ist auch nicht, ob dieser Verdacht des rechtsuchenden Publikums zutrifft; entscheidend ist der entstehende Eindruck. Er lässt den Rechtsanwalt dann in gleicher Weise dem Staat verbunden erscheinen. Deshalb kann nicht selten offen bleiben, ob und in welchem Umfang der Bewerber Hoheitsbefugnis ausübt. Auch insoweit ist aber im Hinblick auf das erwähnte Urteil des EuGH in der Rechtssache Jakubowska ein strenger Maßstab anzulegen. Diese Veränderung des Blickwinkels führt mE dazu, dass eine Tätigkeit für eine Selbstverwaltungskörperschaft in der Regel nicht mehr als unvereinbar anzusehen ist. Etwas anderes wird man bei solchen Tätigkeiten nur annehmen können, wenn sie im Einzelfall in nennenswertem Umfang mit der persönlichen hauptamtlichen oder vertretungsweisen Wahrnehmung von Hoheitsaufgabe verbunden ist. Es muss also stärker als bisher das konkrete Tätigkeitsfeld festgestellt und im Einzelnen bewertet werden.2 5. Kirchliche Einrichtungen
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Die evangelische und die katholische Kirche und ihre rechtlich selbständigen Untergliederungen sind Körperschaften des öffentlichen Rechts. Sie können rechtsfähige Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts gründen. Entsprechendes gilt für andere Religionsgemeinschaften, denen der Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts verliehen worden ist. Die Tätigkeit von Bewerbern zur Rechtsanwaltschaft für Kirchen ist deshalb bislang nach den gleichen Maßstäben bewertet worden wie eine Tätigkeit für staatliche Stellen. Deshalb ist dem Justitiar eines Bischöflichen Offizialats3 die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft versagt worden.4 Einen Kirchenoberrechtsrat hätte der BGH, wäre es seinerzeit darauf angekommen, als Beamten i.S.d. § 7 Nr. 10 BRAO eingeordnet.5 Einen im Kirchendienstverhältnis stehenden juristischen Referenten einer evangelischen Landeskirche hat er als Beamten in diesem Sinne qualifiziert.6 Diese Entscheidung hat das BVerfG aufgehoben.7 Kirchenbeamten seien keine Beamten i.S.v. § 7 Nr. 10 BRAO, weil sie nicht staatsnah, sondern als Bedienstete eines Grundrechtsträgers staatsfern seien. Der öffentlich-rechtliche Status besage nichts anderes. Diese Entscheidung hat Auswirkung auch auf die Anwendung des § 7 Nr. 8 BRAO und des diesem entsprechenden Rücknahmetatbestands nach § 14 Abs. 2 Nr. 8 BRAO. Wenn man Kirchenbedienstete nicht als Beamte ansehen kann, weil sie staatsfern tätig sind, dann kann man ihre Tätigkeit auch nicht mit einer Tätigkeit im öffentlichen Dienst gleichsetzen und auch nicht nach den für eine Tätigkeit dort entwickelten Grundsätze behandeln.8 Das deutet das BVerfG in seiner Entscheidung auch an, wenn es davon spricht, dass § 14 Abs. 2 Nr. 8 BRAO „ausnahmsweise“ eingreife. Das wird nur angenommen werden können, wenn der Kirchenbedienstete aufgrund seines Kirchendienstverhältnisses keinen rechtlich abgesicherten und tatsächlich ausreichenden Spielraum für eine Betätigung als freier Rechtsanwalt hat.9 VI. Verbandstätigkeit
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Regelmäßig vereinbar mit dem Beruf des Rechtsanwalts ist eine Tätigkeit für einen Verband. Diese Tätigkeit kann dem Rechtsanwalt zwar für seien Rechtsanwaltstätigkeit vorteilhafte Kenntnisse erschließen, die er ohne diese Tätigkeit nicht hätte. Das allein macht die Tätigkeit nicht unvereinbar mit dem Rechtsanwaltsberuf. Unvereinbarkeit kann erst ange1 BGHZ 66, 283 (287); 100, 87 (92); BGH, AnwBl. 1983, 478; NJW 2012, 534 Rz. 5; Beschl. v. 8.2.2010 – AnwZ (B) 9/09, juris Rz. 5; Jessnitzer/Blumberg, § 7 Rz. 28. 2 Beispielhaft: BGH, NJW 2012, 534 Rz. 15 ff. 3 Diözesangericht, can. 1420 § 1 CIC. 4 BGHZ 66, 283 (286 f.). 5 BGH, EGE VII, 34 (35). 6 BGH, BRAK-Mitt. 2006, 224 [Ls], Volltext bei juris. 7 BVerfG, NJW 2007, 2317 (2318). 8 So schon EGH Celle, BRAK-Mitt. 1983, 88 (89). 9 Vgl. BGH, EGE VII, 34 (35).
304 Schmidt-Räntsch
Versagung der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft
Rz. 88 § 7 BRAO
nommen werden, wenn bei objektiver Betrachtung Pflichtenkollisionen zwischen den Pflichten aus dem Rechtsanwaltsberuf und denen aus dem Zweitberuf wahrscheinlich sind. Es reicht auch nicht, dass solche Pflichtenkollisionen überhaupt entstehen. Es muss sich vielmehr um Pflichtenkollisionen handeln, die mit Tätigkeitsverbote nach § 45 BRAO nicht beherrschbar sind. Diese bestehen bei einer Verbandstätigkeit gewöhnlich nicht. Entschieden ist das für die Tätigkeit bei einem Arbeitgeberverband, und zwar auch dann, wenn der Verband Arbeitsrechtsstreite für seine Mitgliedsunternehmen führt,1 und für eine Tätigkeit als Geschäftsführer einer mit der rechtlichen Beratung von Mitgliedern eines Genossenschaftsverbands befassten GmbH.2 Nichts anderes gilt für eine Tätigkeit als Vorstandsmitglied des Städte- und Gemeindebunds.3 Dabei handelt es sich zwar um einen Verband von Kommunen. Dieser hat aber keine Hoheitsbefugnisse. Er ist auch nicht in die Staats- oder Kommunalverwaltung integriert, sondern erkennbar ein Verband zur Wahrung der Interessen der Mitglieds-Kommunen. Deshalb gelten für ihn die gleichen Maßstäbe wie für andere Verbände. Es kommt auch bei ihm darauf an, ob die Tätigkeit für diesen Verband Pflichtenkollisionen befürchten lässt, die sich mit Tätigkeitsverboten nicht beherrschen lassen.4 Daran fehlt es. VII. Politische Ämter Mit dem Beruf des Rechtsanwalts vereinbar sind dagegen politische Ämter. Uneingeschränkt gilt das für die Tätigkeit als Abgeordneter.5 Für das Amt als Mitglied der Bundesoder einer Landesregierung oder der gesetzgebenden Körperschaften von Bund und Ländern und erst recht die Ämter unabhängiger Beauftragter wie z.B. des Bundesbeauftragten für den Datenschutz oder des Antidiskriminierungsbeauftragten gilt das nur mit Einschränkungen. Solche Ämter können, wie z.B. das Amt eines Bundesministers gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 BMinG, während der Dauer des Amts mit der Ausübung des Rechtsanwaltsberufs unvereinbar sein. Das zwingt den Rechtsanwalt aber nicht dazu, auf seine Zulassung zu verzichten, und berechtigt die Rechtsanwaltskammer nicht dazu, seine Zulassung zu widerrufen.6 Denn in diese Ämter werden ihre Inhaber auf Zeit berufen. Möglichen Interessenkonflikten kann und muss mit den Tätigkeitsverboten nach §§ 45 und 46 BRAO in ausreichendem Maße begegnet werden.
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K. Vermögensverfall (§ 7 Nr. 9 BRAO) I. Grundlagen 1. Schutzzweck Nach § 7 Nr. 9 BRAO ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft auch zu versagen, wenn der Bewerber in Vermögensverfall geraten ist. Würde er in dieser Lage zur Rechtsanwaltschaft zugelassen, stellte er eine erhebliche Gefahr für die Rechtsuchenden dar. Er ist nämlich typischerweise mit der Abwehr der Forderungen seiner Gläubiger und mit der Beschaffung der zur Tilgung seiner Schulden erforderlichen Geldmittel befasst und muss oft auch befürchten, dass er seine Kanzlei und seine Arbeitsmöglichkeiten nicht aufrechterhalten kann. Das nimmt ihm die Möglichkeit, sich in der gebotenen Weise um die Angelegenheiten seiner Mandanten zu kümmern. Diese Lage bringt ihn aber auch in besonders hohem Maße in Versuchung, sich an Mandantengeldern zu vergreifen, um sich so die benötigte Liquidität zu beschaffen.
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2. Praktische Bedeutung Bei der Erstzulassung von Berufsanfängern spielt dieser Versagungsgrund keine entscheidende Rolle. Denn sie befinden sich in regelmäßig zwar bescheidenen, aber geordneten vermögensrechtlichen Verhältnissen. Seine wesentliche Bedeutung entfaltet dieser Zulassungsversagungsgrund bei der Wiederzulassung früherer Rechtsanwälte, deren Zulassung eben wegen Vermögensverfalls widerrufen worden ist. 1 2 3 4 5 6
BGH, NJW 1996, 2377. BGH, NJW-RR 1995, 1083 (1084). BGH, NJW-RR 2011, 1204 (1205) Rz. 9 f. BGH, NJW-RR 2011, 1204 (1205) Rz. 10, 12. BGHZ 72, 70 (76 ff.). BGH, NJW 1997, 3238 (3240); Kleine-Cosack, § 7 Rz. 55.
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§ 7 BRAO Rz. 89
Versagung der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft
II. Begriff des Vermögensverfalls 89
Vermögensverfall ist gegeben, wenn der Bewerber in ungeordnete, schlechte finanzielle Verhältnisse geraten ist, die er in absehbarer Zeit nicht ordnen kann, und außerstande ist, seinen Verpflichtungen nachzukommen.1 Diese Lage braucht nicht selbst verschuldet zu sein.2 Es kommt nicht in erster Linie darauf an, ob der Bewerber vermögend ist oder nicht.3 Unerheblich ist auch, ob er in bescheidenen oder gehobenen Verhältnissen lebt. Entscheidend ist vielmehr, dass der Bewerber nicht über seine Verhältnisse lebt, dass er seinen Verpflichtungen nachkommen kann. Beweisanzeichen für einen Vermögensverfall sind nach ständiger Rechtsprechung des BGH insbesondere die Erwirkung von Schuldtiteln und Vollstreckungsmaßnahmen gegen den Bewerber.4 Ein besonders starkes Beweisanzeichen liegt naturgemäß vor, wenn gegen den Bewerber erhebliche Forderungen durchgesetzt werden, zu deren Erfüllung sein Vermögen nicht ausreicht oder wenn er selbst im Ausland vor einem offensichtlich unzuständigen Gericht die Anordnung eines Insolvenzverfahrens erwirkt, um eine Restschuldbefreiung zu erreichen.5 Ein Beweisanzeichen ist aber auch und in der Praxis sehr häufig dann gegeben, wenn der Bewerber selbst wegen kleiner Forderungen, z.B. wegen Zeitungsabonnements oder Telefonrechnungen, verklagt und gegen ihn vollstreckt werden muss. Wenn er nämlich selbst solche kleinen Forderungen nicht mehr bezahlen kann, befindet er sich regelmäßig in ausgesprochen prekären vermögensrechtlichen Verhältnissen. III. Vermutung des Vermögensverfalls
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Nach § 7 Nr. 9 BRAO wird ein Vermögensverfall vermutet, wenn gegen den Bewerber das Insolvenzverfahren eröffnet ist oder er nach § 26 Abs. 2 InsO oder nach § 882b ZPO in das Schuldnerverzeichnis des Vollstreckungsgerichts eingetragen worden ist. Zu der Eintragung in das Schuldnerverzeichnis des Insolvenzgerichts kommt es, wenn dessen Eröffnung mangels Masse abgelehnt worden ist. In das Schuldnerverzeichnis des Vollstreckungsgerichts wird eingetragen, wer die eidesstattliche Versicherung abgegeben hat oder gegen den Haftbefehl zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung erlassen wird. In das Schuldnerverzeichnis kann der Schuldner auch mehrfach eingetragen werden. Das ist zum einen der Fall, wenn gegen ihn mehrfach Insolvenzantrag gestellt und die Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse mehrfach abgelehnt wird. Diese Fälle sind eher selten. Recht häufig sind Mehrfacheintragungen allerdings bei der Einzelzwangsvollstreckung. Dies beruht darauf, dass jeder Gläubiger das Recht hat, bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen von seinem Schuldner die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung zu verlangen und deren Abgabe auch notfalls durch Haftbefehl zu erzwingen. Auf die Zahl der Eintragungen in den Schuldnerverzeichnissen kommt es nicht an. Entscheidend ist allein, dass eine Eintragung vorliegt und dass sie noch keine Tilgungsreife erreicht hat. Getilgte und tilgungsreife Eintragungen lösen die Vermutung nicht aus.6 IV. Darlegungslast des Antragstellers 1. Grundsatz
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Der Antragsteller muss in seinem Zulassungsantrag grundsätzlich seine Vermögensverhältnisse nicht im Einzelnen darstellen. Die Rechtsanwaltskammern sind allerdings berechtigt und wohl auch verpflichtet festzustellen, ob Anhaltspunkte für Nachforschungen nach den Vermögensverhältnissen gegeben sind. Sie dürfen sich deshalb erkundigen, ob der Bewerber im Schuldnerverzeichnis eingetragen ist oder nicht. Der Antragsteller genügt seinen Mitwirkungspflichten, wenn er diese Fragen wahrheitsgemäß beantwortet. Sollten sich hierbei allerdings Beweisanzeichen für einen Vermögensverfall ergeben oder herausstellen, dass der Antragsteller im Schuldnerverzeichnis des Vollstreckungsgerichts eingetragen ist, dann kann er sich mit diesem Hinweis nicht begnügen. Er kann eine Zulassung zur Rechtsanwaltschaft dann nur erlangen, wenn er darlegt, dass der Vermögensverfall entfallen ist. Das ist 1 2 3 4
BGH, BRAK-Mitt. 1991, 102; 1995, 126; Beschl. v. 29.5.2007 – AnwZ (B) 12/06, unveröffentlicht. BGH, BGH-Report 2001, 668, Volltext bei Juris; Kleine-Cosack, § 7 Rz. 85. BGH, EGE XII, 12. BGH, BRAK-Mitt. 1991, 102; 1995, 126; Gegenbeispiel: BGH, AnwBl. 2008, 67 (68) – singulärer Vollstreckungsversuch. 5 Für Notar: BGH, NJW-RR 2011, 642 (643) Rz. 10. 6 BGH, NJW 2003, 577.
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Rz. 91b § 7 BRAO
der Fall, wenn sämtliche titulierten Forderungen erfüllt oder Vereinbarungen mit den Gläubigern getroffen sind, die erwarten lassen, dass es nicht mehr zu Vollstreckungen kommt.1 Streitet gegen den Bewerber die Vermutung des Vermögensverfalls, muss diese widerlegt werden. Das ist nur durch eine umfassende und eingehende Darstellung seiner Vermögensverhältnisse möglich.2 Zumindest muss dargelegt werden, welche Ansprüche noch bestehen und auf welche Weise diese Forderungen ausgeglichen werden sollen.3 Bleibt Vermögensfall bei der Wiederzulassung unentdeckt, muss die Kammer nicht nach § 14 Abs. 1 BRAO vorgehen; sie kann den früheren Vermögensfall bei seinem Fortbestand auch im Rahmen von § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO berücksichtigen.4 2. Darlegung einer Konsolidierung bei Wiederzulassung a) Verfahrensrechtlicher Hintergrund Besondere Anforderungen an die Darlegungslast ergeben sich, wenn der Rechtsanwalt in Vermögensverfall geraten und auf Grund dessen seine Zulassung zur Rechtsanwaltschaft widerrufen worden ist. In solchen Fällen konnte der Rechtsanwalt nach dem bis zum 31.8.2009 geltenden Verfahrensrecht nicht nur Einwände gegen den von der Rechtsanwaltskammer angenommenen Vermögensverfall bei Erlass des Widerrufsbescheids geltend machen. Er durfte auch einwenden, seine Vermögensverhältnisse hätten sich konsolidiert.5 Da die Rechtsanwaltskammern bei dem Ausspruch des Widerrufs wegen Vermögensverfalls in aller Regel sehr intensiv ermitteln, spielen Einwände gegen die Richtigkeit des Widerrufs im gerichtlichen Verfahren zur Überprüfung von Widerrufsbescheiden bislang eine eher untergeordnete Rolle. In aller Regel ging es in solchen Verfahren um die Frage der Konsolidierung der Vermögensverhältnisse. Diese Rechtsprechung hat der BGH im Hinblick auf die zum 1.9. 2009 eingetretene Umstellung des Verfahrensrechts vom FGG auf VwVfG und VwGO gemäß §§ 32, 112c, 112e BRAO aufgegeben. Nach neuem Verfahrensrecht sei der für die Beurteilung der Rechtsmäßigkeit des Widerrufs der Zulassung maßgebliche Zeitpunkt der Zeitpunkt des Abschlusses des Verwaltungsverfahrens. Das sei der Erlass des Widerrufsbescheids, wenn ein Widerspruchsverfahren nicht vorgesehen ist oder zwar möglich ist, aber nicht durchlaufen wird, der Erlass des Widerspruchsbescheids, wenn ein Widerspruchsverfahren stattgefunden hat.6 Dieser Paradigmenwechsel wird unten bei § 14 Rz. 37 im Einzelnen erläutert. Die Frage der Konsolidierung kann heute nur noch in einem etwaigen Widerspruchsverfahren, aber nicht mehr im gerichtlichen Verfahren zur Überprüfung des Widerrufsbescheids erfolgen. Die Folge davon ist, dass diese Frage jetzt die zentrale Frage des Wiederzulassungsverfahrens ist. Im gerichtlichen Verfahren gegen die Ablehnung einer Wiederzulassung gilt die Beschränkung auf den Streitstoff im Zeitpunkt des Erlasse des Widerrufsbescheids oder, bei einem Widerspruchsverfahren, des Widerspruchsbescheids nicht. Vielmehr könnten hier auch im gerichtlichen Verfahren neue Aspekte vorgetragen werden.7 Für die Beantwortung der Frage, welche Anforderungen an die Konsolidierung der Vermögensverhältnisse im Wiederzulassungsverfahren zu stellen sind, kann auf die zum früheren Verfahrensrecht entwickelten Grundsätze zurückgegriffen werden. Sie unterscheiden danach, ob der Widerruf auf sog. einfache Beweisanzeichen gestützt war oder auf die Vermutung des Vermögensverfalls, die auch für das Wiederzulassungsverfahren gilt.
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b) Einfache Beweisanzeichen Hat die Kammer den Widerruf auf gegen den Antragsteller laufende Klage- und Vollstreckungsverfahren gestützt, kann eine nachträgliche Konsolidierung grundsätzlich dadurch dargestellt werden, dass die Tilgung sämtlicher dem Widerrufsbescheid zugrunde liegender Verbindlichkeiten nachgewiesen wird.8 Ein zweifelsfreier Nachweis kann so nur gelingen, 1 BGH, NJW–RR 1997, 1558; Henssler/Prütting/Henssler, § 7 Rz. 113. 2 BGH, NJW 1991, 2083 (2084); BRAK-Mitt. 1995, 126; Beschl. v. 26.3.2007 – AnwZ (B) 45/06, juris; Beschl. v. 16.4.2007 – AnwZ (B) 36/06, juris; AnwBl. 2008, 66 (67); Beschl. v. 31.3.2008 – AnwZ (B) 27/07, juris; Beschl. v. 3.11.2008 – AnwZ (B) 64/07, juris; Beschl. v. 20.4.2009 – AnwZ (B) 22/08, juris; Henssler/Prütting/Henssler, § 7 Rz. 112; Kleine-Cosack, § 7 Rz. 88. 3 BGH, BRAK-Mitt. 1999, 36; NJW-RR 1997, 1558; Beschl. v. 26.3.2007 – AnwZ (B) 45/06. 4 BGH, Beschl. v. 26.1.2009 – AnwZ (B) 28/08, juris. 5 BGHZ 75, 356 (357); 84, 149 (150). 6 BGHZ 190, 187 (193 ff.) Rz. 14–20 = NJW 2011, 3234; NZI 2012, 106 Rz. 7. 7 Kleine-Cosack, AnwBl. 2011, 939 (941). 8 BGH, Beschl. v. 5.10.1998 – AnwZ (B) 83/97, juris.
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§ 7 BRAO Rz. 91c
Versagung der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft
wenn gegen den Antragsteller keine weiteren Forderungen bestanden haben und auch nicht zwischenzeitlich entstanden sind. Gewöhnlich wird eine umfassende Darstellung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse unerlässlich sein.1 Unverzichtbar ist eine solche Aufstellung dann, wenn immer wieder neue Schulden bekannt werden und der Rechtsanwalt gewissermaßen ein Loch mit dem nächsten stopft.2 Im Widerspruchsverfahren würden nämlich nicht nur die Tilgung der in der Forderungsliste der Kammer enthaltenen Forderungen, sondern auch nachträglich bekannt gewordene Altforderungen und neu entstandene Forderungen berücksichtigt. Berücksichtigt würde auch, wenn sich im Widerspruchsverfahren herausstellt, dass der Rechtsanwalt nach Erlass des Widerrufsbescheides in das Schuldnerverzeichnis nach § 882b ZPO eingetragen worden ist.3 c) Widerlegung der Verfallsvermutung 91c
Wird der Vermögensverfall gesetzlich vermutet, kann eine Konsolidierung der Vermögensverhältnisse grundsätzlich nicht durch eine Stellungnahme zu einzelnen Forderungen in der Forderungsaufstellung der Kammer zweifelsfrei nachgewiesen werden. Dazu genügt es nicht, wenn die Erfüllung der den Eintragungen im Schuldnerverzeichnis zugrunde liegenden Forderungen nachgewiesen wird4 oder dass diese wegen Tilgung oder Eintritt der Tilgungsreife nicht mehr berücksichtigt werden darf.5 Erforderlich ist nach ständiger Rechtsprechung des BGH vielmehr, dass der Rechtsanwalt umfassend zu seinen Vermögensverhältnissen vorträgt.6 Er muss also sämtliche gegen ihn noch bestehenden Verbindlichkeiten zusammenstellen und darlegen, wie er, ggf. unter Berücksichtigung von Vereinbarungen mit seinen Gläubigern, diese Forderungen zurückführen, jedenfalls aber geordnet wirtschaften will.7 Dabei darf keine Forderung auf unabsehbare Zeit unerfüllt oder ungeregelt bleiben.8 Dieser zuletzt genannt Gesichtspunkt gewinnt Bedeutung, wenn der Rechtsanwalt schon zuvor in finanzielle Bedrängnis geraten ist und den Widerruf seiner Zulassung durch Befriedigung der der Kammer bekannt gewordenen Gläubiger hat anwenden können.9 Er wird in solchen Fällen regelmäßig auch eine nachhaltige Verbesserung seiner Einkommens- und Vermögenssituation darstellen müssen. Zu der Wiederherstellung geordneter Einkommens- und Vermögensverhältnisse kann es auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Rechtsanwalts kommen. Es muss aber die begründete Aussicht bestehen, dass das Insolvenzverfahren zu einer Konsolidierung der Vermögensverhältnisse des Rechtsanwalts führt.10 Das ist einmal nach dem vollständigen Abschluss der angekündigten Restschuldbefreiung der Fall. Sie führt nach Ablauf der Wohlverhaltensphase gem. § 301 InsO zum Erlöschen der angemeldeten Verbindlichkeiten gegenüber dem Schuldner. Schon vor diesem Zeitpunkt ist eine Bereinigung möglich, zwar nicht schon durch den bloßen Antrag auf Erteilung der Restschuldbefreiung,11 wohl aber durch die förmliche Ankündigung der Restschuldbefreiung durch Beschluss des Insolvenzgerichts nach § 291 InsO oder durch die Bestätigung eines Insolvenzplans nach § 248 InsO oder eines Schuldenbereinigungsplans nach § 308 InsO durch das Insolvenzgericht.12 Durch dessen Erfüllung wird der Rechtsanwalt von seinen Verbindlichkeiten gegenüber den Gläubigern befreit. Vor dem einen oder anderen Zeitpunkt können die Vermögensverhältnisse nicht als geordnet angesehen werden.
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Zu geordneten Vermögensverhältnissen führen auch weder die Anordnung der Eigenverwaltung noch die Freigabe der Kanzlei durch den Insolvenzverwalter. Bei Anordnung der Eigenverwaltung kann der Rechtsanwalt, wenn auch unter der Aufsicht des Sachwalters nach 1 BGH, Beschl. v. 16.4.2007 – AnwZ (B) 36/06, juris. 2 BGH, Beschl. v. 16.4.2007 – AnwZ (B) 36/06, juris; v. 3.11.2008 – AnwZ (B) 10/08, juris; Beschl. v. 12.7.2010 – AnwZ (B) 113/09, juris Rz. 10; HRF 2012, 447 (448 f.) = juris Rz. 26. 3 BGH, Beschl. v. 16.4.2007 – AnwZ (B) 39/06, juris. 4 BGH, NJW 1991, 2083 (2084); Beschl. v. 22.11.2006 – AnwZ (B) 60/05 – Website des BGH; Henssler/Prütting/ Henssler, § 14 Rz. 31. 5 BGH, NJW-RR 1997, 1558; Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 14 Rz. 60 f. 6 BGH, NJW 1991, 2083 (2084); AnwBl. 2008, 66 (67); BRAK-Mitt. 2008, 221 (Ls.); Beschl. v. 20.4.2009 – AnwZ (B) 22/08, juris; Beschl. v. 10.8.2009 – AnwZ (B) 40/08, juris; Henssler/Prütting/Henssler, § 14 Rz. 31. 7 BGH, NJW 1991, 2083; Beschl. v. 22.11.2006 – AnwZ (B) 60/05, juris; Beschl. v. 20.4.2009 – AnwZ (B) 22/08, juris. 8 BGH, NJW 2005, 1271 (1272); Beschl. v. 28.10.2011 – AnwZ (B) 5/11, juris Rz. 6. 9 BGH, Beschl. v. 31.3.2008 – AnwZ (B) 27/07, juris. 10 BGH, Beschl. v. 25.2.2010 – AnwZ (B) 81/07, juris Rz. 10, 16. 11 BGH v. 23.6.2012 – AnwZ (Brfg) 23/12, juris Rz. 4. 12 BGH, ZInsO 2010, 1380 Rz. 12; NZI 2012, 106 Rz. 8; Beschl. v. 4.4.2012 – AnwZ (Brfg) 62/11, AnwBl. 2012, 655 = juris Rz. 4; v. 23.6.2012 – AnwZ (Brfg) 23/12, juris Rz. 3.
308 Schmidt-Räntsch
Versagung der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft
Rz. 93 § 7 BRAO
§ 275 InsO, weiterhin über sein Vermögen verfügen. Seine Schuldensituation ändert sich dadurch aber nicht.1 Deshalb hat der Gesetzgeber die an die Eröffnung des Insolvenzverfahrens geknüpfte Verfallsvermutung in solchen Fällen auch nicht eingeschränkt. Die Freigabe der Kanzlei wird immer wieder als Anzeichen geordneter Vermögensverhältnisse angesehen. Sie ist es aber nicht.2 Die Freigabe der Kanzlei des Rechtsanwalts aus der Insolvenzmasse, zu der sich der Insolvenzverwalter nach § 35 Abs. 2, 3 InsO gegenüber dem Insolvenzgericht zu erklären hat, erfolgt nicht wegen Eintritts geordneter Verhältnisse, sondern zur Entlastung der Masse. Solange die Kanzlei nicht freigegeben wird, bleibt sie Gegenstand der Masse. Das hat zur Folge, dass auch die aus dem Fortbetrieb der Masse entstehenden Verbindlichkeiten Masseverbindlichkeiten sind.3 Das dient dem Interesse der Gläubiger nur, wenn die Kanzlei Erträge erwirtschaftet, die über diese Verbindlichkeiten hinausgehen. Ist das nicht der Fall, liefe der Fortbetrieb als Gegenstand der Masse dem Interesse der Gläubiger zuwider. Die Freigabe der Kanzlei zeigt deshalb normalerweise nur, dass der Kanzleibetrieb zur Schuldentilgung nicht beitragen kann. Ein Beleg für eine Besserung der Verhältnisse ist sie nicht. Daran ändert auch die zudem gesetzlich zwingend vorgeschriebene Regelung über die Abführung etwaiger Erträge nach §§ 35 Abs. 2 S. 2, 295 Abs. 2 InsO nichts; denn es hängt allein von dem Rechtsanwalt ab, ob er die erhaltenen Beträge bestimmungsgemäß verwendet.4 Etwas anderes gilt, wenn der Insolvenzverwalter dem Rechtsanwalt die Einziehung seiner Honorarforderungen unter seiner Aufsicht überlässt. Dann kommt es nicht auf die technische Ausgestaltung der Einziehung, sondern darauf an, zu welchem nachhaltigen Erfolg sie führt. V. Gefährdung der Rechtssuchenden Die Versagung der Zulassung hängt allein davon ab, dass sich der Rechtsanwalt im Vermögensverfall befindet. Eine konkrete Gefährdung der Rechtssuchenden ist nicht erforderlich. Vielmehr begründet der Vermögensverfall eine abstrakte Gefährdung der Rechtssuchenden, die bei der Zulassung, anders als beim Widerruf ausreicht, um einen effektiven Schutz der Rechtssuchenden zu gewährleisten.5
91e
L. Öffentliche Dienstverhältnisse (§ 7 Nr. 10 BRAO) I. Zweck der Vorschrift Nach § 7 Nr. 10 BRAO ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zurückzuweisen, wenn der Bewerber ein Beamter, Richter oder Soldat ist, es sei denn, dass er sein Amt ehrenamtlich ausübt oder dass die Verpflichtungen aus dem Amt nach §§ 5, 6, 8 und 36 des Abgeordnetengesetzes (AbgG) und anderen vergleichbaren Rechtsvorschriften ruhen. In der Sache ergänzt die Vorschrift § 7 Nr. 8 BRAO und regelt einen Sonderfall der Inkompatibilität zwischen dem Beruf des Rechtsanwalts und einem anderen Beruf. Dieser Zusammenhang wird auch darin deutlich, dass die Vorgängervorschriften der BRAO einen den § 7 Nr. 10 BRAO vergleichbaren Zulassungsversagungsgrund nicht kannten und die Inkompatibilität zwischen dem Beamten-, Richter- und Soldatenverhältnis einerseits und dem Beruf des Rechtsanwalts andererseits mittels § 7 Nr. 8 BRAO lösten. Mit der Sondervorschrift von § 7 Nr. 10 BRAO strebt der Gesetzgeber eine Vereinfachung der Handhabung an.6 Sie besteht darin, dass es allein auf das Dienstverhältnis ankommt, nicht auf die konkret ausgeübte Tätigkeit.
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Beamten-, Richter- oder Soldatenverhältnisse sind regelmäßig mit dem Beruf des Rechtsanwalts unvereinbar.7 Die die Rolle des Rechtsanwalts als unabhängiges Organ der Rechtspflege prägende Unabhängigkeit hat ein Bewerber, der Beamter, Richter oder Soldat ist, typischerweise nicht. Er ist dem Staat besonders verpflichtet und regelmäßig auch an Weisungen seiner Vorgesetzten gebunden. Bei Richtern fehlt es zwar an dieser Weisungsgebundenheit. Richter und Rechtsanwälte nehmen aber in der Rechtspflege unterschiedliche Funktionen wahr, so dass die gleichzeitige Wahrnehmung beider Funktionen zwangsläu-
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1 BGH, ZInsO 2011, 2234 Rz. 8. 2 BGH, ZVI 2007, 619 (620); NZI 2011, 464 Rz. 7; BRAK-Mitt. 2010, 77 Rz. 8; Beschl. v. 23.6.2012 – AnwZ (Brfg) 23/12, juris Rz. 4. 3 Haarmeyer, ZInsO 2007, 696 (697). 4 BGH, Beschl. v. 25.4.2007 – AnwZ (B) 117/05. 5 BGH, NJW 2005, 1944 (1945); Beschl. v. 9.11.2011 – AnwZ (Brfg) 38/11 juris Rz. 6. 6 BGH, BGH-Report 2001, 748 (749); Beschl. v. 6.7.2009, AnwZ (B) 52108, juris. 7 BGHZ 71, 23 (24 f.); Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 7 Rz. 152.
Schmidt-Räntsch 309
§ 7 BRAO Rz. 93a
Versagung der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft
fig zu Interessenkonflikten führt, die auch dieses Amt mit dem Beruf des Rechtsanwalts unvereinbar machen. Anders könnte es bei wissenschaftlich tätigen Beamten und den Mitgliedern der Rechnungshöfe sein, die in ihrer Aufgabenstellung unabhängig sind und keine Funktionen in der Rechtspflege wahrnehmen. Hier dürfte die gleichzeitige Wahrnehmung des ihnen verliehenen Amts aber regelmäßig daran scheitern, dass sie keinen Anspruch darauf haben, dass ihnen für die Wahrnehmung des Berufs des Rechtsanwalts die notwendige Nebentätigkeitsgenehmigung erteilt und der tatsächliche Freiraum geschaffen wird. Ohne die Sondervorschrift des § 7 Nr. 10 BRAO wäre im Einzelfall zu prüfen, ob sich das konkret verliehene Amt des Bewerbers mit dem angestrebten Beruf des Rechtsanwalts verträgt. Weil das typischerweise nicht der Fall ist, hat sich der Gesetzgeber dazu entschlossen, von dieser Einzelfallprüfung abzusehen und Beamte, Richter und Soldaten generell und formal allein aufgrund des Dienstverhältnisses von der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft auszuschließen.1 93a
Diese Regelung ist verfassungsrechtlich unbedenklich. Sie gehört zu den Vorschriften, mit denen der Gesetzgeber das Berufsbild des Rechtsanwalts im Sinne der freien Advokatur ausgestaltet. Der Rechtsanwalt ist danach ein unabhängiges Organ der Rechtspflege (§ 1 BRAO). Seine Unabhängigkeit soll durch die Unvereinbarkeitsregelungen institutionell abgesichert werden. Diese müssen sich am Maßstab der Verhältnismäßigkeit messen lassen und halten diesem Maßstab stand. Der Gesetzgeber hat nämlich ein differenziertes System vorgesehen, das dem Rechtsanwalt die Möglichkeit eröffnet, den Beruf des Rechtsanwalts mit anderen Tätigkeiten zu verbinden, soweit dies ohne eine Gefährdung seiner Unabhängigkeit möglich ist.2 Er differenziert zwischen einer Tätigkeit in dem besonderen Status eines Beamten, Richters oder Soldaten einerseits und in anderen Beschäftigungsverhältnissen andererseits. Auch sieht er Regelungen für den Fall vor, dass eine Tätigkeit im öffentlichen Dienst nur vorübergehend wahrgenommen werden soll. Nicht zu beanstanden ist auch, dass er bei dem Eintritt in ein besonderes Statusverhältnis ausnahmslos Unvereinbarkeit bestimmt. Erstens übernimmt der Beamte, Richter oder Soldat mit dem Eintritt in sein Statusverhältnis wie in Rz. 93 ausgeführt, eine Treuepflicht gegenüber dem Staat. Diese Treuepflicht besteht auch unabhängig davon, in welchem Umfang der Beamte, Richter oder Soldat im Einzelfall Weisungen seines Dienstherrn „ausgesetzt“ ist. Zweitens eröffnet der Gesetzgeber dem Rechtsanwalt die Möglichkeit, den Beruf des Rechtsanwalts zwar nicht in allen Fällen, wohl aber in vielen Fällen mit einer Tätigkeit im öffentlichen Dienst zu verbinden. Der Rechtsanwalt kann diese Erfahrung nämlich außerhalb eines besonderen Statusverhältnisses im Rahmen eines Arbeits- oder Dienstverhältnisses sammeln. In solchen Verhältnissen besteht die erwähnte Treuepflicht nicht. Vielmehr kommt es entscheidend auf die Ausgestaltung des Verhältnisses im konkreten Einzelfall an. Das ist ausreichend.3 II. Beamtenverhältnis 1. Grundsatz
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Zur Rechtsanwaltschaft kann dementsprechend nicht zugelassen werden, wer in einem Beamtenverhältnis steht. Angesprochen ist hiermit in erster Linie das Beamtenverhältnis im dienstrechtlichen Sinne. Dies kann nur zum Bund, zum Land oder zu einer anderen dienstherrnfähigen juristischen Person des öffentlichen Rechts bestehen. Zur Begründung ist die Aushändigung einer Ernennungsurkunde erforderlich. Sie kann mit einem Wirkungszeitpunkt versehen sein, aber auch ab dem Zeitpunkt der Aushändigung wirksam werden. Das Beamtenverhältnis besteht so lange, bis es durch eine vorzeitige Entlassung aus dem Beamtenverhältnis, durch Zeitablauf oder durch Versetzung in den einstweiligen oder endgültigen Ruhestand beendet wird. Ob das Beamtenverhältnis aktiv, der Beamte also für seinen Dienstherrn tätig ist, ist, von der Ausnahme für Abgeordnete abgesehen, gleichgültig. Die Zulassung ist deshalb auch dann zu versagen, wenn der Beamte beurlaubt,4 abgeordnet oder einer öffentlichen oder privaten Stelle nach §§ 123a BRRG, 20 BeamtStG zugewiesen ist. 1 BGHZ 71, 23 (25); Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 7 Rz. 152; Henssler/Prütting/Henssler, § 7 Rz. 119; Isele, § 7 Anm. IV.K.2b. 2 BGH, NJW 2012, 615 Rz. 5–7. 3 BGHZ 92, 1 (5); BGH, NJW 1995, 125; 2012, 615 Rz. 5; BRAK-Mitt. 1995, 214; NJW-RR 2001, 1642; MittdtschPatAnw. 2002, 382. 4 BGHZ 55, 236 (238).
310 Schmidt-Räntsch
Versagung der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft
Rz. 96a § 7 BRAO
2. Formen des Beamtenverhältnisses Ausgeschlossen von der Rechtsanwaltschaft sind nach § 7 Nr. 10 BRAO Beamte schlechthin. Es ist deshalb gleichgültig, wer ihr Dienstherr ist. Beamte des Bundes werden ebenso erfasst wie Beamte der Länder, der Kommunen, der Universitäten oder sonstiger dienstherrnfähiger juristischer Personen des öffentlichen Rechts (§ 2 BeamtStG). Auch die Art des Beamtenverhältnisses ist unerheblich.1 Lebenszeitbeamte werden ebenso erfasst wie Beamte auf Zeit2 oder auf Widerruf.3 Gleichgültig ist auch, ob der Beamte mit oder ohne Bezüge beurlaubt ist.4 Ohne Bedeutung ist es, ob er teilzeit- oder vollzeitbeschäftigt ist. Selbst bei einem Dauerurlaub bis zum Eintritt in den Ruhestand dauert das Beamtenverhältnis bis zu diesem Zeitpunkt fort. Eine Tätigkeit als Rechtsanwalt kommt erst nach Eintritt in den Ruhestand in Betracht.
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3. Professoren und Hochschulassistenten Nicht zur Rechtsanwaltschaft zugelassen werden können auch Universitäts- und Juniorprofessoren, Fachhochschulprofessoren und Hochschulassistenten, die in einem Beamtenverhältnis auf Lebenszeit oder auf Zeit stehen.5 Das ist nach dem Wortlaut der Vorschrift eindeutig und entspricht auch ihrem Zweck. Gleichwohl werden allerdings gegen die Einbeziehung auch solcher Beamtengruppen verfassungsrechtliche Bedenken erhoben.6 Diese Bedenken liegen nicht fern.7 Immerhin haben jedenfalls Universitäts- und Juniorprofessoren sowie Hochschulassistenten eine Sonderstellung innerhalb der Beamtenschaft, die letztlich in der Forschungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 GG gründet. Diese Sonderstellung zeigt sich insbesondere in einer weitgehenden Freistellung von Weisungen und einer Freistellung von der Einhaltung der Dienststunden. Geltend gemacht wird teilweise auch, dass die Anwendung von § 7 Nr. 10 BRAO auf diese Beamtengruppen zu einer sachlich nicht zu rechtfertigenden Ungleichbehandlung gegenüber angestellten Assistenten und Professoren führte. Diese Bedenken teilen der BGH,8 das BVerfG9 und der EGMR10 nicht. Dem ist zuzustimmen.11 Diese wissenschaftlich forschende Tätigkeit ist zwar als solche mit dem Beruf des Rechtsanwalts nicht unvereinbar.12 Zu berücksichtigen ist aber, dass sie durch das Beamtenverhältnis überlagert und dass Professoren und Assistenten der (wissenschaftlichen) Hochschulen so in die Staatsverwaltung stärker eingebunden werden, als das bei angestellten Professoren und wissenschaftlichen Assistenten der Fall ist. Sie sind auch nicht völlig weisungsfrei. So haben Professoren die ihnen regelmäßig obliegende Lehrtätigkeit durchzuführen; sie könnten hierzu notfalls auch angewiesen werden.13 Entsprechendes gilt für wissenschaftlich tätige Beamte in anderen Bereichen der Staatsverwaltung, etwa in den Forschungsanstalten des Bundes. Auch sie unterliegen zwar als Forscher keinen Weisungen, haben aber dennoch den Auftrag ihrer Dienststelle umzusetzen. Schließlich können weder Professoren und Hochschulassistenten noch sonst wissenschaftlich tätige Beamte verlangen, dass ihnen die für die Wahrnehmung des Berufs des Rechtsanwalts erforderliche Nebentätigkeitsgenehmigung erteilt und sie in dem hierfür erforderlichen Maße tatsächlich von ihrer Arbeit freigestellt werden. Jedenfalls daran würde ihre Zulassung zur Rechtsanwaltschaft regelmäßig scheitern. Zu berücksichtigen ist, dass Hochschullehrer forensische Erfahrung auch ohne Zulassung zur Rechtsanwaltschaft erlangen können.14
96
Die Regelung ist auch unter dem Gesichtspunkt einer unzulässigen Ungleichbehandlung angegriffen worden. Argument ist, dass für andere in Deutschland geregelten freien Berufe
96a
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14
Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 7 Rz. 157; Isele, § 7 Anm. IV.K.2a. BGH, EGE VII, 50 (52 f.); BRAK-Mitt. 2007, 27; Henssler/Prütting/Henssler, § 7 Rz. 123. BGHZ 71, 23 (26); BRAK-Mitt. 2007, 27 [Ls.] = juris. BGH, EGE XI, 31; BRAK-Mitt. 2007, 27; Henssler/Prütting/Henssler, § 7 Rz. 124; Isele, § 7 Anm. IV.K.2c. BGHZ 71, 23 (25); 92, 1 (3); BGH, BRAK-Mitt. 2000, 44 (45); BGH-Report 2001, 748 (749); MittdtschPatAnw 2002, 382; BGH-Report 2004, 71; BRAK-Mitt. 2007, 27; Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 7 Rz. 160. Kleine-Cosack, § 7 Rz. 92 ff. Henssler/Prütting/Henssler, § 7 Rz. 126. BGHZ 71, 23 (25 f.); BGH, BRAK-Mitt. 1991, 165 (166); NJW-RR 1995, 888; 2009, 1576; BRAK-Mitt. 1995, 214; BGH-Report 2001, 748 (750); MittdtschPatAnw 2002, 382; BGH, NJW 2012, 615 Rz. 11. BVerfG, JZ 1984, 1042 (1043); NJW 2007, 2317; 2009, 3710 (3711); vgl. auch NJW 1988, 2535 (2536). EGMR, NJW 2007, 3049 (3050), ebenso BGH, NJW-RR 2000, 438 (439). Ebenso Dahns, NJW-Spezial 2012, 318. BGH, EGE XIV, 151 (152 f.). Henssler/Prütting/Henssler, § 7 Rz. 127. BGH, NJW 2012, 615 Rz. 12, 27; NJW-RR 2009, 1576 Rz. 9; BGH-Report 2004, 71.
Schmidt-Räntsch 311
§ 7 BRAO Rz. 97
Versagung der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft
und für Rechtsanwälte in anderen Mitgliedstaaten der EU und Vertragsstaaten des EWR günstigere Inkompatibilitätsregelungen gelten. Dieses Argument hat der BGH zu Recht nicht gelten lassen.1 Rechtsanwälte haben eine ganz andere Stellung als Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer. Deshalb lassen sich die Imkompatibilitätsregelungen für diese Gruppen nicht miteinander vergleichen. Deutsche Rechtsanwälte dürften nach Art. 8 der Niederlassungsrichtlinie2 nicht gegenüber ausländischen Rechtsanwälte, die im Inland tätig werden, benachteiligt werden, weil die Richtlinie auch eine sog. umgekehrte Diskriminierung verbietet.3 Dazu kommt es aber nicht, weil auch ausländische Rechtsanwälte nach § 4 EuRAG bei Niederlassung im Inland dieser Beschränkung unterliegen.4 Die Regelung verstößt auch nicht gegen die Niederlassungsfreiheit, eil die Niederlassungsrichtlinie die Regelungen über den Zugang zur Rechtsanwaltschaft nicht harmonisiert und weil sie sich in dem durch die Verhältnismäßigkeit gebotenen Rahmen hält. Das besondere Statusverhältnis führt als solches zu der erwähnten Staatsnähe.5 97
Entsprechendes gilt für andere Beamte, die Unabhängigkeit genießen, etwa die Mitglieder der Rechnungshöfe und in gewissem Umfang auch für die Staatsanwälte. 4. Ruhestands- und Ehrenbeamte
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Für Ruhestandsbeamte und entpflichtete Professoren gilt das Tätigkeitsverbot des § 7 Nr. 10 BRAO nicht.6 Unerheblich ist, ob es sich hierbei um einen vorgezogenen oder den gewöhnlichen Altersruhestand oder um einen einstweiligen Ruhestand handelt. In dem zuletzt genannten Fall wäre zwar eine Reaktivierung möglich. Der Beamte selbst hat hierauf keinen Anspruch. Solange der Dienstherr von der Reaktivierungsmöglichkeit keinen Gebrauch macht, bestehen Rechte und Pflichten aus dem aktiven Beamtenverhältnis nicht mehr. Wann der Beamte sich im Ruhestand befindet, bestimmt sich nach der Verfügung über die Versetzung in den Ruhestand. Diese kann mit Aushändigung wirksam werden. Sie wird vielfach mit einem Wirksamkeitszeitpunkt versehen, der dann für den Beginn des Ruhestands maßgeblich ist. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass die Verfügung über die Versetzung in den Ruhestand bestandskräftig geworden ist. Die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft kann deshalb nicht schon nach ihrem Erlass, sondern erst beantragt werden, wenn sie unanfechtbar geworden ist.
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Von dem Zulassungsverbot ausgenommen sind nach § 7 Nr. 10 BRAO auch Beamte, die ihr Amt ehrenamtlich wahrnehmen. Darunter sind nicht Beamte zu verstehen, die neben ihrem eigentlichen Amt auch noch eine ehrenamtliche Tätigkeit wahrnehmen. Gemeint sind vielmehr Ehrenbeamte. Hierbei handelt es sich um Bürger, die an sich nicht in einem Beamtenverhältnis zum Staat stehen, für den Staat aber ehrenamtlich tätig werden und für diese Zwecke in ein Ehrenbeamtenverhältnis berufen werden. Es handelt sich hierbei um einen eher seltenen Sonderfall. Die Mehrheit der ehrenamtlichen Tätigkeiten wird ohne gleichzeitige Berufung in ein Ehrenbeamtenverhältnis ausgeübt. Ein Beispiel für diesen Sonderfall sind Honorarkonsuln, die nach § 20 des Konsulargesetzes (KonsG) Ehrenbeamte sind. Solche Ehrenbeamte unterliegen dem Zulassungsverbot nicht, weil sie ihren Lebensunterhalt nicht mit der Tätigkeit aus dem Ehrenbeamtenverhältnis, sondern anderweitig bestreiten und die Rechte und Pflichten aus diesem Beamtenverhältnis stark reduziert und insbesondere nicht von der Weisungsgebundenheit der Ehrenbeamten geprägt sind. III. Richter 1. Berufsrichter
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Vom Beruf des Rechtsanwalts ausgeschlossen sind ferner Richter. Angesprochen hiervon sind wie bei den Beamten nur Berufsrichter. Das Berufsrichterverhältnis kann nur zum Bund oder einem Land bestehen (§ 2 DRiG). Es wird ähnlich wie das Beamtenverhältnis 1 BGH, NJW 2012, 615 Rz. 14; NJW-RR 2009, 1576 Rz. 11. 2 Richtlinie 98/5/EG des Europäischen Parlaments und Rates v. 16.2.1998 zur Erleichterung der ständigen Ausübung des Rechtsanwaltsberufs in einem anderen Mitgliedsstaat als dem, in dem die Qualifikation erworben wurde, ABl. EG Nr. L 77 S. 36. 3 EuGH, Rs. C-225/09 – Jakubowska, NJW 2011, 1199 = juris Rz. 31 (insoweit nicht in NJW). 4 BGH, NJW 2012, 615 Rz. 16. 5 BGH, NJW 2012, 615 Rz. 19, 24 f. 6 BGHZ 49, 295 (297); 60, 152 (154); 92, 1 (3); Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 7 Rz. 162; Henssler/Prütting/ Henssler, § 7 Rz. 121, 129; Isele, § 7 Anm. IV.K.3b.
312 Schmidt-Räntsch
Versagung der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft
Rz. 104 § 7 BRAO
durch Aushändigung einer Ernennungsurkunde begründet. Wie das Beamtenverhältnis endet das Richterverhältnis nur mit der Entlassung aus dem Dienst oder dem Eintritt in den einstweiligen oder endgültigen Ruhestand. Die Versetzung in den einstweiligen Ruhestand ist nur im Interesse der Rechtspflege möglich. Auch bei Richtern kommt es auf das Statusverhältnis nicht an. Richter auf Lebenszeit werden ebenso erfasst wie Richter auf Zeit oder auf Probe. Unerheblich ist, ob der Richter mit oder ohne Bezüge auf längere Zeit beurlaubt ist oder nicht. Es spielt keine Rolle, ob er richterlich tätig oder an eine andere Dienststelle abgeordnet oder anderweitig zugewiesen ist. Schließlich werden vollzeitbeschäftigte Richter ebenso erfasst wie teilzeitbeschäftigte. Auch ein Richter im Dauerurlaub bis zum Eintritt in den Ruhestand befindet sich bis zu dessen Beginn noch in einem Richterverhältnis und ist deshalb solange von der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft ausgeschlossen. Auch Richtern kann keine Ausnahmegenehmigung erteilt werden. Sie haben auch keinen Anspruch auf Erteilung einer Nebentätigkeitsgenehmigung, die sie überhaupt tatsächlich und rechtlich in die Lage versetzt, den Beruf des Rechtsanwalts neben ihrem Richterberuf auszuüben.
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2. Ehrenrichterverhältnis Ehrenamtliche Richter werden von dem Tätigkeitsverbot in aller Regel schon deshalb nicht erfasst, weil sie ihre Tätigkeit als ehrenamtliche Richter ohne gleichzeitige Berufung in ein Ehrenrichterverhältnis ausüben und auch so ausüben können.1 Teilweise ist aber die gleichzeitige Berufung in ein Ehrenrichterverhältnis vorgesehen. Wann das eine und wann das andere der Fall ist, bestimmt sich nach den Vorschriften über die Berufung der ehrenamtlichen Richter.2 Sehen diese nur eine Berufung zum ehrenamtlichen Richter vor, werden sie ehrenamtlich tätig, ohne gleichzeitig in ein Ehrenrichterverhältnis berufen zu werden. Ist dagegen ausdrücklich eine Ernennung vorgesehen, erfolgt die Berufung unter gleichzeitiger Begründung eines Ehrenrichterverhältnisses. In einem solchen Ehrenrichterverhältnis stehen etwa die Rechtsanwälte, die am Anwaltsgerichtshof mitwirken (§ 103 Abs. 1 BRAO) oder die nicht in einem Berufsrichter- oder Berufsbeamtenverhältnis stehenden Mitglieder der Verfassungsgerichtshöfe der Länder. Eine solche Tätigkeit steht dem Beruf des Rechtsanwalts nicht entgegen. Die Beweggründe sind die gleichen wie bei den Ehrenbeamten. Sie treten hier noch deutlicher zutage, da das Ehrenrichterverhältnis regelmäßig nur für eine ganz bestimmte richterliche Tätigkeit begründet wird.
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IV. Soldaten Nicht zum Rechtsanwalt berufen werden kann schließlich, wer als Berufssoldat oder als Soldat auf Zeit in einem Soldatenverhältnis steht. Auch das Soldatenverhältnis wird durch Aushändigung einer Ernennungsurkunde begründet. Auch ein Soldatenverhältnis besteht solange, bis es durch Entlassung oder Versetzung in den einstweiligen oder endgültigen Ruhestand beendet wird. Kein Soldatenverhältnis liegt bei Wehrpflichtigen vor, die aufgrund der allgemeinen Wehrpflicht zum Dienst in den Streitkräften verpflichtet werden.
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V. Andere öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse 1. Grundsatz Andere öffentliche Dienstverhältnisse führen nur dann zu einem Ausschluss von der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft, wenn sie qualitativ einem Berufsbeamten-, Richter- oder Berufssoldatenverhältnis entsprechen. Das ist nur dann der Fall, wenn sich der Bewerber dem Staat umfassend zu Diensten verpflichtet und dieser zum Ausgleich dafür Lebensunterhalt leistet. Dieser Fall liegt etwa bei einem öffentlich-rechtlichen Ausbildungsverhältnis vor, das anstelle eines Beamtenverhältnisses auf Widerruf begründet wird. Daran fehlt es aber bei den öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnissen der Honorarprofessoren und Lehrbeauftragten, die für die Universität nur in eingeschränktem Umfang tätig werden und ihren Lebensunterhalt aus einer anderen Tätigkeit bestreiten.
1 Übersehen bei Henssler/Prütting/Henssler, § 7 Rz. 131. 2 Einzelheiten bei Schmidt-Räntsch, DRiG, 6. Aufl., § 44 Rz. 7–9.
Schmidt-Räntsch 313
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§ 7 BRAO Rz. 105
Versagung der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft
2. EU-Beamte und -Richter 105
Ein Beamtenverhältnis im Sinne von § 7 Nr. 10 BRAO liegt auch bei EU-Beamten vor.1 Sie stehen zwar nicht in einem Beamtenverhältnis nach Maßgabe von BBG und Beamtenstatusgesetz (BeamtStG). Ihr Beamtenverhältnis unterliegt vielmehr dem Beamtenstatut der EU. Das ist aber für den Zulassungsausschluss unerheblich. Entscheidend ist vielmehr, dass EUBeamte, nicht anders als ihre nationalen deutschen Kollegen, den Gemeinschaften zu Dienst und Treue und auch zur Umsetzung der ihnen erteilten Weisungen verpflichtet sind. Auch ihre Tätigkeit ist mit der eines Rechtsanwalts nicht vereinbar. Entsprechendes gilt für die Richter an den Gemeinschaftsgerichten, die in einem besonderen EU-Richterverhältnis stehen. Für sie gilt nichts anderes als für die nationalen Richter. 3. Kirchenbeamte
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Die katholische und die evangelische Kirche und die anderen Religionsgemeinschaften mit dem Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts können Beamte haben und nach dem § 135 S. 2 BRRG auch den Rechtsweg zu den staatlichen Verwaltungsgerichten eröffnen. Gleichwohl werden Kirchenbeamte nicht nach § 7 Nr. 10 BRAO vom Beruf des Rechtsanwalts ausgeschlossen.2 Denn der Kirchenbeamte dient nicht dem Staat, sondern seiner Religionsgemeinschaft. Die Religionsgemeinschaft ist selbst Grundrechtsträgerin und nicht Teil der Staatsverwaltung. Dass sie dabei aus historischen Gründen den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts haben kann, ändert an dieser Qualifikation nichts. Damit fehlt aber dem Kirchenbeamten dasjenige Element, das den Ausschluss der Beamten weltlichen Rechts von dem Beruf des Rechtsanwalts gerade rechtfertigt.3 Auf diesen Zusammenhang hat das BVerfG jüngst noch einmal aufmerksam gemacht.4 Die Entscheidung betraf den in dem entschiedenen Fall angenommenen Ausschluss nach § 7 Nr. 5 BRAO. Für den hier zu behandelnden Ausschluss nach § 7 Nr. 10 BRAO gilt nichts anderes. VI. Abgeordnete
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Beamte, Richter und Berufssoldaten sind allerdings nach § 7 Nr. 10 BRAO nicht von der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft ausgeschlossen, wenn sie Abgeordnete des deutschen Bundestages oder eines Landtages sind. Denn dann ruhen nach den §§ 5, 6, 8 und 36 Abgeordnetengesetz (AbgG) und den entsprechenden Vorschriften für die Mitglieder der Landesparlamente ihre Rechte und Pflichten aus dem Beamten-, Richter- und Soldatenverhältnis. Sie können deshalb zur Rechtsanwaltschaft zugelassen werden. Diese Ausnahme ist allerdings vor dem Hintergrund des Art. 3 GG nicht ganz unbedenklich. Denn die Wahl zum Abgeordneten des Deutschen Bundestages oder in ein Landesparlament führt nur zum Ruhen der Rechte und Pflichten aus dem Beamten-, Richter- oder Soldatenverhältnis. Sie ändert aber an dessen Bestand nichts. Es liegt hier ähnlich wie bei beurlaubten oder an private Stellen zugewiesene Beamte, Richter oder Soldaten, deren Pflichten aus dem Beamten-, Richteroder Soldatenverhältnis ebenfalls faktisch ruhen. Sie können dagegen nicht zum Rechtsanwalt berufen werden, auch wenn hierfür, z.B. wegen einer längerfristigen Beurlaubung ohne Bezüge, ein nachvollziehbarer Grund gegeben wäre. Rechtfertigen lässt sich die Sonderbehandlung von Abgeordneten nur mit dem Umstand, dass sie oft über mehrere Wahlperioden dem Deutschen Bundestag oder einem Landesparlament angehören und danach nicht gezwungen sein sollen, in das frühere Amt zurückzukehren, dem sie zwischenzeitlich gewissermaßen entwachsen sind. Ob das allerdings die Ausnahme trägt, ist fraglich. Das Prinzip des § 7 Nr. 10 BRAO stellt die Regelung aber nicht in Frage.
8 und 9 BRAO (weggefallen) 1 2 3 4
Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 7 Rz. 161. Vgl. oben Rz. 55. A.M. BGH, BRAK-Mitt. 2006, 224 [Ls], aufgehoben durch BVerfG, NJW 2007, 2317 (2318). BVerfG, NJW 2007, 2317 (2318).
314 Schmidt-Räntsch
Rz. 3 § 10 BRAO
Aussetzung des Zulassungsverfahrens
des Zulassungsverfahrens 10 BRAO Aussetzung (1) Die Entscheidung über den Antrag auf Zulassung zur Rechts-
anwaltschaft kann ausgesetzt werden, wenn gegen den Bewerber wegen des Verdachts einer Straftat ein Ermittlungsverfahren oder ein strafgerichtliches Verfahren schwebt. (2) Die Entscheidung über den Antrag ist auszusetzen, wenn gegen den Bewerber die öffentliche Klage wegen einer Straftat, welche die Unfähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter zur Folge haben kann, erhoben ist. (3) Über den Antrag auf Zulassung zur Rechtsanwaltschaft ist jedoch zu entscheiden, wenn er bereits unbeschadet des Ergebnisses des Ermittlungsverfahrens oder des Ausganges des strafgerichtlichen Verfahrens abzulehnen ist. 1
D. Aussetzungsverbot (§ 10 Abs. 3 BRAO) . .
8
B. Fakultative Aussetzung (§ 10 Abs. 1 BRAO) . . . . . . . . . . . . . . . . I. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . II. Ermessensausübung . . . . . . . . . .
2 2 4
E. Verhältnis zu den allgemeinen Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . II. Sonstige Aussetzungsgründe . . . . . .
9 9 10
C. Obligatorische Aussetzung (§ 10 Abs. 2 BRAO) . . . . . . . . . . . . . . . .
5
F. Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . .
11
A. Zweck der Vorschrift . . . . . . . . . .
A. Zweck der Vorschrift Bei der Prüfung der Versagungsgründe hat sich die Rechtsanwaltskammer regelmäßig mit Sachverhalten zu befassen, die nicht nur für die Zulassung des Bewerbers zur Rechtsanwaltschaft von Interesse sind. Solche Sachverhalte können und werden vielfach auch andere Verwaltungsbehörden zu Maßnahmen veranlassen oder auch einen Grund bieten, die Strafverfolgung gegen den Bewerber aufzunehmen. Das enthebt jedoch, für sich genommen, die Rechtsanwaltskammer nicht der Notwendigkeit, den Sachverhalt von sich aus und unabhängig von dem eventuellen Tätigwerden anderer Behörden aufzugreifen. Sie hat den Zulassungsantrag nämlich nach § 32 BRAO i.V.m. § 10 S. 2 VwVfG einfach zweckmäßig und zügig zu bearbeiten. Deshalb ist sie grundsätzlich nicht befugt, ein Zulassungsverfahren nur deshalb auszusetzen, weil dabei Sachverhalte zu prüfen sind, die auch andere Behörden zu einer Prüfung veranlassen könnten. Sind andere Behörden allerdings tätig geworden, gilt es, unzweckmäßige Doppelprüfungen und vor allem sich widersprechende Ergebnisse zu vermeiden. Das lässt sich durch eine Aussetzung des Verfahrens vermeiden. Sie wird in § 10 BRAO nur ausschnittweise, nicht abschließend geregelt.1
1
B. Fakultative Aussetzung (§ 10 Abs. 1 BRAO) I. Voraussetzungen Nach Absatz 1 kann das Verfahren über den Zulassungsantrag ausgesetzt werden, wenn gegen den Bewerber wegen des Verdachts einer Straftat ein Ermittlungsverfahren oder ein strafgerichtliches Verfahren schwebt. Weil sich das Verfahren auf eine Straftat beziehen muss, reichen Verfahren wegen Ordnungswidrigkeiten als solche für eine Aussetzung des Verfahrens nach Absatz 1 nicht aus.2 Gedacht ist in erster Linie an strafrechtliche Ermittlungsverfahren und strafgerichtliche Verfahren, die, für sich genommen, bei einer Verurteilung des Bewerbers zur Versagung der Zulassung nach § 7 Nr. 2, 5 oder 6 BRAO führen. Notwendig ist das nicht. Eine Aussetzung kann auch erfolgen, wenn das Strafverfahren zwar nicht für sich genommen, wohl aber im Zusammenhang mit anderen Umständen zu einer solchen Versagung der Zulassung führen würde.3
2
Nicht jede strafrechtliche Verurteilung führt zur Versagung der Zulassung nach § 7 Nr. 2, 5 oder 6 BRAO. Dies hängt vielmehr entscheidend von Art und Schwere des gegen den Bewerber erhobenen Vorwurfs und auch davon ab, ob ihm vorsätzliches oder fahrlässiges Verhalten zur Last gelegt wird. Deshalb muss die Rechtsanwaltskammer den Tatvorwurf, der gegen
3
1 BGH, EGE XI, 65 (66 f.); EGH München, EGE XI, 144 (145); Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 10 Rz. 1; Henssler/Prütting/Henssler, § 10 Rz. 7; Kleine-Cosack, 5. Aufl., § 10 Rz. 1. 2 Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 10 Rz. 3; Henssler/Prütting/Henssler, § 10 Rz. 4; Isele, § 10 Anm. III.1. 3 AGH München, BRAK-Mitt. 2003, 139; Henssler/Prütting/Henssler, § 10 Rz. 4; Kleine-Cosack, 5. Aufl., § 10 Rz. 3.
Schmidt-Räntsch 315
§ 10 BRAO Rz. 4
Aussetzung des Zulassungsverfahrens
den Bewerber erhoben wird, aus ihrer Sicht vorläufig bewerten.1 Ergibt sich dabei, dass selbst bei einer vollständigen Verurteilung des Bewerbers die Versagung nicht auszusprechen wäre, scheidet eine Aussetzung aus.2 II. Ermessensausübung 4
Zu einer nach Absatz 1 möglichen Aussetzung des Zulassungsverfahrens ist die Rechtsanwaltskammer nicht verpflichtet. Die Aussetzung des Verfahrens steht in den Fällen des Absatz 1 in ihrem Ermessen. Dieses wird in erster Linie daran auszurichten sein, ob eine Aussetzung des Verfahrens nach § 32 BRAO i.V.m. § 10 S. 2 VwVfG zweckmäßig ist. Das ist sie dann, wenn mit der Aussetzung eine Gefährdung der Rechtsuchenden vermieden und das Abwarten der Entscheidung dem Bewerber zugemutet werden kann. Dafür lassen sich keine allgemeinen Regeln aufstellen; erforderlich ist vielmehr eine Abwägung der Umstände des Einzelfalls. Hierbei kommt der Schwere des erhobenen Vorwurfs, der Qualität der gegen den Bewerber streitenden Verdachtsmomente, aber auch der zu erwartenden Dauer des Verfahrens, maßgebliche Bedeutung zu.3 C. Obligatorische Aussetzung (§ 10 Abs. 2 BRAO)
5
Die Rechtsanwaltskammer muss4 das Zulassungsverfahren dagegen aussetzen, wenn gegen den Bewerber die öffentliche Klage wegen einer Straftat erhoben ist, welche die Unfähigkeit zur Begleitung öffentlicher Ämter zur Folge haben kann. Würde der Bewerber nämlich anklagegemäß verurteilt, wäre seine Zulassung nach § 7 Nr. 2 BRAO zu versagen. Der Gesetzgeber ist davon ausgegangen, dass vor erfolgter strafrechtlicher Verurteilung keine ausreichende Grundlage für die Versagungsentscheidung gegeben ist.5
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Wann eine Verurteilung den Verlust der Fähigkeit zur Begleitung öffentlicher Ämter zur Folge haben kann, bestimmt sich nach § 45 Abs. 1 und 2 StGB. Nach § 45 Abs. 1 StGB führt die Verurteilung wegen eines Verbrechens zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr kraft Gesetzes zum Verlust der Fähigkeit zur Begleitung öffentlicher Ämter für die Dauer von fünf Jahren. Dies sind nach § 12 Abs. 1 StGB Straftaten, die mit einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr bedroht sind. Ist der Bewerber wegen einer solchen Straftat angeklagt, muss er mit einer Verurteilung und angesichts von deren Mindesthöhe mit dem Verlust öffentlicher Ämter rechnen. Die Entscheidung über seinen Zulassungsantrag muss daher ausgesetzt werden, bis das strafgerichtliche Verfahren rechtskräftig abgeschlossen ist. Etwas anderes gilt nur, wenn die Staatsanwaltschaft im Verlaufe des strafgerichtlichen Verfahrens den Verbrechensvorwurf fallen lässt und den Bewerber nur noch wegen anderer Taten verfolgt und hier die Voraussetzungen für den Verlust öffentlicher Ämter nicht gegeben sind. Dann stünde die Fortführung des Verfahrens wieder im Ermessen der Rechtsanwaltskammer.
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Auch bei Anklagen wegen anderer Straftaten als Verbrechen ist der Verlust der Fähigkeit zur Begleitung öffentlicher Ämter grundsätzlich möglich. Er muss hier nach § 45 Abs. 2 StGB durch das Strafgericht als Nebenfolge ausgesprochen werden. Ein solcher Ausspruch ist danach nur zulässig, wenn das Gesetz ihn ausdrücklich zulässt. Zugelassen ist ein solcher Ausspruch in §§ 92a, 101 StGB wegen aller Straftaten nach dem ersten und zweiten Abschnitt des Strafgesetzbuchs, in § 102 Abs. 2 StGB für den Angriff gegen Organe und Vertreter ausländischer Staaten, in § 109i StGB für Sabotagehandlungen an Verteidigungsmitteln nach § 109e StGB und sicherheitsgefährdenden Nachrichtendienst nach § 109 f StGB, in § 129a Abs. 6 StGB bei der Bildung terroristischer Vereinigungen, in § 264 Abs. 6 StGB bei Subventionsbetrug, in § 358 StGB bei den meisten Straftaten im Amt sowie in § 375 AO für Steuerhinterziehung, Steuerhehlerei, Bannbruch und Beteiligung daran vorgesehen. Bei anderen Straftaten besteht diese Möglichkeit nicht, so dass die Erhebung der Anklage dann nicht zwangsläufig die Aussetzung des Zulassungsverfahrens zur Folge hat.
1 2 3 4 5
Isele, § 10 Anm. III.3. Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 10 Rz. 5; AGH München bei Isele, § 10 Anm. VII. Henssler/Prütting/Henssler, § 10 Rz. 5; Isele, § 10 Anm. III.3. Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 10 Rz. 6. BT-Drs. III/120, S. 61; EGH Celle, EGE XII, 101 (102).
316 Schmidt-Räntsch
Aussetzung des Zulassungsverfahrens
Rz. 10 § 10 BRAO
D. Aussetzungsverbot (§ 10 Abs. 3 BRAO) Nach Absatz 3 kann das Zulassungsverfahren dagegen nicht ausgesetzt werden, wenn der Zulassungsantrag unbeschadet des Ergebnisses der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen oder des strafgerichtlichen Verfahrens zurückzuweisen ist. Das ist der Fall, wenn ein anderer Versagungsgrund vorliegt.1 Bei einem solchen Fall wäre das Ergebnis der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen und des strafgerichtlichen Verfahrens für die Entscheidung unerheblich. Es besteht dann kein Grund, das Zulassungsverfahren auszusetzen. Die Voraussetzungen des Aussetzungsverbots nach Absatz 3 können nachträglich entfallen. Das ist etwa dann der Fall, wenn die auf nicht angeklagte Sachverhalte gestützte Zurückweisung des Zulassungsantrags im berufsgerichtlichen Verfahren keinen Bestand hat und eine Zurückweisung nur unter Einbeziehung auch angeklagter Sachverhalte möglich ist.2 Entsprechendes gilt, wenn die anderen Gründe, aufgrund derer der Zulassungsantrag zurückgewiesen werden könnte, schon von vornherein als nicht hinreichend sicher erscheinen.
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E. Verhältnis zu den allgemeinen Vorschriften I. Grundlagen Nach allgemeiner Meinung regelt § 10 BRAO die Möglichkeiten der Aussetzung des Zulassungsverfahrens nicht abschließend; die Aussetzung sei vielmehr auch nach den allgemeinen Grundsätzen, bislang des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG), möglich.3 Allgemeine Vorschriften, die die Aussetzung von Verfahren regeln, enthielt das FGG nicht. Eine Aussetzungsbefugnis ließ sich deshalb ähnlich wie im allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht nur aus dem Untersuchungsgrundsatz selbst ableiten, der nicht nur das FGG beherrschte (§ 12 FGG a.F.), sondern nach § 36a Abs. 1 S. 1 BRAO a.F. (jetzt: § 32 BRAO i.V.m. § 24 Abs. 1 VwVfG) auch das Zulassungsverfahren nach der Bundesrechtsanwaltsordnung. Der Untersuchungsgrundsatz verpflichtet die Behörde nicht nur dazu, den Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären. Vielmehr hat sie vor allem und in erster Linie das Verfahren einfach zweckmäßig und zügig durchzuführen. Dies legt § 10 S. 2 VwVfG, der jetzt nach § 32 BRAO auch für das Zulassungsverfahren nach der Bundesrechtsanwaltsordnung gilt, fest. Die zweckmäßige Durchführung des Verfahrens kann es aber auch gebieten, das Verfahren auszusetzen. Die Aussetzung ist dann zulässig, wenn sie sachdienlich ist.4
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II. Sonstige Aussetzungsgründe Sachdienlich ist eine Aussetzung des Zulassungsverfahrens, wenn sich die Umstände, von denen die Entscheidung über die Zulassung abhängt, nicht sicher beurteilen lassen. So kann z.B. die Entscheidung über die Versagung einer Zulassung aus gesundheitlichen Gründen nach § 7 Nr. 7 BRAO entscheidend davon abhängen, wie sich der bei der Begutachtung des Bewerbers festgestellte Zustand weiter entwickelt. Für die Entscheidung über eine Versagung einer Zulassung wegen Vermögensverfalls nach § 7 Nr. 9 BRAO kann bedeutsam sein, ob es dem Bewerber gelingt, eine bestehende Chance der Vermögenskonsolidierung zu nutzen. Sachdienlich kann die Aussetzung des Zulassungsverfahrens aber auch sein, wenn sein Ergebnis entscheidend durch das Ergebnis eines bei einer anderen Behörde anhängigen Verwaltungsverfahrens bestimmt wird.5 Betreibt etwa die Fahrerlaubnisbehörde gegen den Bewerber ein Verfahren zur Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 3 Abs. 1 StVG, weil sich bei ihm wegen geistiger Ausfallerscheinungen Zweifel an der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ergeben haben, kann das für die Versagung der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft aus gesundheitlichen Gründen nach § 7 Nr. 7 BRAO von Bedeutung sein. In einem so gelagerten Fall wäre es sachdienlich, zunächst die Ermittlungen der Fahrerlaubnisbehörde abzuwarten und eine in der Sache unnötige Doppelermittlung und die dafür von dem Bewerber aufzuwendenden unnötigen Kosten zu vermeiden.
1 Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 10 Rz. 8; Henssler/Prütting/Henssler, § 10 Rz. 8; Isele, Anm. II.A.4. 2 BGH, DtZ 1995, 441 (443). 3 Kleine-Cosack, 5. Aufl., § 10 Rz. 1; Henssler/Prütting/Henssler, § 10 Rz. 7; Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 10 Rz. 1, 2. 4 BGH, EGE XI, 65 (66 f.); EGH München, EGE XI, 144 (145). 5 EGH München, EGE XI, 144 (145).
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§ 10 BRAO Rz. 11
Aussetzung des Zulassungsverfahrens
F. Rechtsschutz 11
Die Aussetzung des Verfahrens führt nicht zu einer Sachentscheidung über den Zulassungsantrag. Sie bedeutet allerdings, dass über den Zulassungsantrag nicht entschieden wird und der Bewerber deshalb daran gehindert ist, den Beruf des Rechtsanwalts aufzunehmen. Das machte die Aussetzung unter früherem Recht zu einer Maßnahme nach der BRAO, die nach § 223 BRAO a.F. anfechtbar war.1 Der Anwaltsgerichtshof konnte gegen seine Entscheidung die sofortige Beschwerde nach § 223 Abs. 3 BRAO a.F. zulassen.2 Daran kann unter geltendem Recht nicht festgehalten werden.3 Die Aussetzung ist eine Verfahrenshandlung der Behörde.4 Sie enthält, anders als etwa das Aufheben einer Aussetzung kraft Gesetzes nach § 363 Abs. 2 S. 4 AO,5 keine eigenständige Regelung und ist deshalb als solche nach § 112c Abs. 1 S. 1 BRAO i.V.m. § 44a S. 1 VwGO nicht gesondert, sondern nur mit der Hauptsache anfechtbar.6 Etwas anderes gälte dann, wenn der Rechtsanwalt die Aussetzung deshalb auf Dauer hinnehmen müsste, weil sie dann seinen Zulassungsanspruch unterlaufen könnte.7 Der Bewerber ist aber nicht darauf beschränkt, die Wiederaufnahme des Zulassungsverfahrens durch die Rechtsanwaltskammer abzuwarten. Eine sachlich nicht gerechtfertigte Aussetzung des Verfahrens führt nämlich zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Untätigkeit der Behörde und kann mit der Untätigkeitsklage angegriffen werden.8 Dieser Rechtsbehelf steht auch dem Zulassungsbewerber offen, § 112c Abs. 1 S. 1 BRAO i.V.m. § 75 VwGO. Das bedeutet, dass sich der Bewerber nicht sofort gegen die Aussetzung wehren kann, sondern zunächst die Sperrfrist von drei Monaten nach § 112c Abs. 1 S. 1 BRAO i.V.m. § 75 S. 2 VwGO abzuwarten hat. In dem Untätigkeitsklageverfahren würde zunächst das Vorliegen eines sachlichen Grundes für die Aussetzung geprüft. Fehlt er, kommt es zu einer inhaltlichen Prüfung des Antrags, und zwar auch dann, wenn die Kammer während des Verfahrens den Antrag bescheidet.9 Andernfalls setzt der Anwaltsgerichtshof das Verfahren aus und setzt der Rechtsanwaltskammer nach § 112c Abs. 1 S. 1 BRAO i.V.m. § 75 S. 3 VwGO eine Bescheidungsfrist. Der in der Frist erlassene Bescheid ist mit Widerspruch und Klage anzufechten.10 Sähe man die Aussetzung als selbständigen Verwaltungsakt an, würde in dem Klageverfahren nur geprüft, ob ein sachlicher Grund zur Aussetzung vorliegt11 und, falls nicht, der Rechtsanwaltskammer aufgegeben, den Rechtsanwalt zu bescheiden. Diese unbefriedigende Folge zeigt, dass der Weg über eine Untätigkeitsklage sachgerechter ist.
11 BRAO (weggefallen) 12 BRAO Zulassung (1) Die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft wird wirksam mit der Aushändigung einer von der Rechtsanwaltskammer ausgestellten Urkunde.
(2) Die Urkunde darf erst ausgehändigt werden, wenn die Bewerberin oder der Bewerber vereidigt ist (§ 12a) und den Abschluss der Berufshaftpflichtversicherung (§ 51) nachgewiesen oder eine vorläufige Deckungszusage vorgelegt hat. (3) Mit der Zulassung wird die Bewerberin oder der Bewerber Mitglied der zulassenden Rechtsanwaltskammer. (4) Nach der Zulassung darf die Tätigkeit unter der Berufsbezeichnung „Rechtsanwältin“ oder „Rechtsanwalt“ ausgeübt werden. 1 BGH, EGE XIII, 37, 38; BRAK-Mitt. 1986, 49; Feuerich/Weyland, 7. Aufl., § 10 Rz. 11; Isele, Anm. V C 1; Kleine-Cosack, 5. Aufl., § 10 Rz. 3. 2 Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 10 Rz. 11; Kleine-Cosack, 5. Aufl., § 10 Rz. 2; überholt: BGH, EGE XIII, 37; BRAK-Mitt. 1986, 49. 3 A.M. Feuerich/Weyland/Vossebürger, 8. Aufl., § 10 Rz. 10. 4 Stelkens/Bonk/Sachs/Schmitz, § 9 VwVfG Rz. 103; Stelkens/Bonk/Sachs/Stelkens, § 35 VwVfG Rz. 150. 5 Dazu BFHE 215, 1 (8). 6 Posser/Wolff/Posser, § 44a VwGO Rz. 21; Schoch/Schneider/Bier/Stelkens, § 44a VwGO Rz. 17; a.M. Henssler/Prütting/Henssler, § 10 Rz. 9. 7 So in der Tendenz AGH Hamm, Kammer-Forum 2011, 96 (97), wo die Frage offen bleibt. 8 VGH München, DÖV 1980 54; Schoch/Schneider/Bier/Stelkens, § 44a VwGO Rz. 17; Stelkens/Bonk/Sachs/ Stelkens, § 35 VwVfG Rz. 150; zweifelnd AGH Hamm, Kammer-Forum 2011, 96 (97): unbefriedigend. 9 BVerwGE 100, 221 (224). 10 BVerwGE 42, 108 (112). 11 So AGH Hamm, Kammer-Forum 2011, 96 (97), in casu lag ein Grund vor.
318 Schmidt-Räntsch
Rz. 3 § 12 BRAO
Zulassung A. Zulassung durch Urkunde (§ 12 Abs. 1 BRAO) . . . . . . . . . . . . . . I. Erfordernis einer Urkunde . . . . . II. Anforderungen an die Urkunde . . . 1. Original . . . . . . . . . . . . . . 2. Unterzeichnung . . . . . . . . . .
. . . . .
. . . . .
1 1 4 4 5
B. Aushändigung der Urkunde . . . . . . I. Zeitpunkt (§ 12 Abs. 2 BRAO) . . . . . 1. Nachweis der Berufshaftpflichtversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Eidesleistung . . . . . . . . . . . . II. Aushändigungsperson . . . . . . . . III. Übergabeakt (§ 12 Abs. 1 BRAO) . . . . 1. Übergabe an Bewerber(in) . . . . . . 2. Aushändigung an Dritte . . . . . . .
. .
7 7
. . . . . .
7 9 12 13 13 14
3. Versendung der Urkunde . . . . . . . . IV. Dokumentation des Aushändigungsvorgangs . . . . . . . . . . . . . . . V. Form des Vorgangs . . . . . . . . . . .
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C. Wirkungen der Aushändigung . . . I. Berufsausübung (§ 12 Abs. 1 BRAO) II. Kammermitgliedschaft (§ 12 Abs. 3 BRAO) . . . . . . . . . . . . . III. Zulassungsfehler . . . . . . . . .
. . . . . .
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19 20
D. Führung der Berufsbezeichnung (§ 12 Abs. 4 BRAO) . . . . . . . I. Bezeichnung als Rechtsanwalt . II. Fachanwaltsbezeichnung . . . . III. Akademische Grade . . . . . . IV. Andere Berufsbezeichnungen . .
. . . . .
21 21 22 23 24
. . . . .
. . . . .
. . . . .
16 17
A. Zulassung durch Urkunde (§ 12 Abs. 1 BRAO) I. Erfordernis einer Urkunde Die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft erfordert einen Bescheid der Rechtsanwaltskammer. Nach allgemeinem Verwaltungsverfahrensrecht wären an einen solchen Bescheid keine besonderen Anforderungen zu stellen. Er könnte durch einfaches Schreiben der Rechtsanwaltskammer, ja sogar mündlich, erteilt werden. Das aber erschien dem Gesetzgeber unangemessen. Er schreibt in Absatz 1 vor, dass die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft erst und nur durch Aushändigung einer von der Rechtsanwaltskammer ausgestellten Urkunde wirksam wird.1 Diese besondere Form der Erteilung des Zulassungsbescheids geht historisch auf zwei unterschiedliche Quellen zurück. Zum einen ist sie für die Zulassung zu den so genannten freien Berufen seit jeher üblich. Durch Urkunde werden zum Beruf zugelassen die Notare (§ 12 BNotO), die Steuerberater (§ 41 Abs. 1 StBerG), die Wirtschaftsprüfer (§ 15 S. 1 WiPrO), die Ärzte (§ 40 ÄApprO) und die Apotheker (§ 21 ApoApprO). Die Zulassung der Rechtsanwälte durch Urkunde unterstreicht aber auch ihre Stellung als Organ der Rechtspflege. Denn auch die Berufsrichter, Staatsanwälte und ein Teil der ehrenamtlichen Richter werden durch Urkunde in ihr Amt berufen. Die Urkunde ist auch für die Notare als Organe der fürsorgenden Rechtspflege vorgesehen.
1
Nach Absatz 1 ist die Aushändigung einer Urkunde für die Zulassung zum Beruf des Rechtsanwalts konstitutiv.2 Das bedeutet, dass die erstmalige oder erneute Zulassung zum Beruf des Rechtsanwalts, aber nicht der Wechsel zu einer anderen Rechtsanwaltskammer3 nur durch Aushändigung einer Urkunde erfolgen kann. Die Aushändigung der Urkunde ist, ähnlich wie bei der Berufung in das Richteramt oder zum Beamten, Voraussetzung für die Berufszulassung. Ohne sie kann die Zulassung zum Beruf nicht erfolgen. In anderer Form ausgesprochene Zulassungen zum Beruf des Rechtsanwalts sind unwirksam. Erteilt die Rechtsanwaltskammer also dem Bewerber aufgrund seiner Bewerbung einen Bescheid, dass er zur Rechtsanwaltschaft zugelassen sei, stellt dies rechtlich keinen wirksamen Zulassungsbescheid dar. Es mag sich hierbei um die Zusage einer Zulassung zur Rechtsanwaltschaft im Sinne von § 38 VwVfG handeln. Sie wird dem Bewerber sicher auch einen Anspruch auf Aushändigung der Zulassungsurkunde geben. Ohne die Aushändigung der Zulassungsurkunde wird die Zulassung aber nicht wirksam. Die Aushändigung der Urkunde könnte auch nicht durch mündliche Zulassung zur Rechtsanwaltschaft ersetzt werden, etwa weil zum vorgesehenen Termin zwar der Bewerber erschienen, aber die Zulassungsurkunde nicht vorbereitet ist.
2
Ist die Urkunde aber einmal ausgehändigt worden, schadet ihr späterer Verlust nicht. Die Zulassung bleibt also wirksam, wenn die einmal ausgehändigte Urkunde z.B. bei einem Brand im Büro oder infolge eines Büroversehens vernichtet oder bei einem Einbruch entwendet würde. Entscheidend ist allein, dass die Urkunde einmal ausgehändigt wurde und dass die Aushändigung nachweisbar ist.
3
1 BVerfGE 34, 325; BGH, NJW 1992, 2706; Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 12 Rz. 2; Henssler/Prütting/ Henssler, § 12 Rz. 9. 2 BGH, NJW 1992, 2706; Feuerich/Weyland/Vossebürger, Rz. 5; Henssler/Prütting/Henssler, § 12 Rz. 5; Jessnitzer/Blumberg, § 12 Rz. 1; Kleine-Cosack, § 12 Rz. 1. 3 VG Schleswig, NordÖR 2002, 151 (152).
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§ 12 BRAO Rz. 4
Zulassung
II. Anforderungen an die Urkunde 1. Original 4
Die Urkunde, mit deren Aushändigung die Zulassung des Bewerbers zur Rechtsanwaltschaft wirksam wird, muss ein Original sein.1 Das ergibt sich daraus, dass die Wirksamkeit der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nach Absatz 1 von der Aushändigung einer „von der Rechtsanwaltskammer ausgestellten Urkunde“ erfolgt. Dieses Formerfordernis lässt sich nur dadurch erfüllen, dass die Rechtsanwaltskammer einen Urkundenvordruck ausfüllen und von dem zuständigen Organ unterzeichnen lässt. Es reicht deshalb nicht, wenn dem Bewerber eine Abschrift des Originals ausgehändigt wird, mag diese auch öffentlich beglaubigt sein.2 In diesem Punkt unterscheidet sich die Zulassungsurkunde grundlegend etwa von einer notariellen oder gerichtlichen Urkunde. Bei solchen Urkunden verbleibt das Original in den Notariats- bzw. Gerichtsakten. In den Rechtsverkehr gelangen nur Abschriften. Bei der Zulassungsurkunde ist es umgekehrt. In den Rechtsverkehr muss das Original gelangen. In den Akten der Rechtsanwaltskammer bleiben nur die Verfügung über die Erstellung und Aushändigung der Urkunde, eine Abschrift der erteilten Urkunde sowie ein Nachweis über ihre Aushändigung. 2. Unterzeichnung
5
Absatz 1 legt indirekt auch den Mindestinhalt der dem Rechtsanwalt zu erteilenden Urkunde fest. Aus der Urkunde müssen die ausstellende Rechtsanwaltskammer, der Name des Bewerbers, das Organ, das für die Rechtsanwaltskammer handelt, und ersichtlich sein, dass der Bewerber durch die Aushändigung der Urkunde zur Rechtsanwaltschaft zugelassen werden soll.
6
Ein Datum muss die Zulassungsurkunde nicht enthalten. Denn die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft wird mit ihrer Aushändigung wirksam; eine Datumsangabe ist dafür nicht erforderlich. Möglich ist die Angabe eines Datums aber. Unbedenklich wäre es, auf der Urkunde das Datum der Aushändigung zu dokumentieren. Möglich wäre es auch, die Urkunde mit einem Wirkungsdatum zu versehen, woran gelegentlich Interesse bestehen kann. Das Wirkungsdatum darf aber nicht vor der Aushändigung der Urkunde liegen. Denn dies würde zu einer rückwirkenden Zulassung führen, die Absatz 1 aber gerade ausschließen will. In Betracht kommt aber ein Wirkungsdatum, das nach der Aushändigung der Urkunde liegt. Es ist in Absatz 1 nicht ausdrücklich vorgesehen, liefe aber dem Zweck der Vorschrift nicht zuwider und ließe auch die Erfüllung der Aushändigungsvoraussetzungen zu. Ein Bedürfnis für ein solches Vorgehen mag sich ergeben, wenn ein Bewerber die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft erst zu einem späteren Zeitpunkt anstrebt, etwa nach Beendigung eines Anstellungsverhältnisses oder nach Eintritt in den Ruhestand in seiner bisherigen Stellung. In einer solchen Fallgestaltung wäre es zulässig, den Antrag unter Vorlage der erforderlichen Unterlagen vorher zu stellen und die Zulassung vorher vorzunehmen. Sie würde dann erst zum in der Urkunde vorgesehenen Wirkungsdatum wirksam. Auch bei einer solchen Urkunde ließe sich sicherstellen, dass die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nicht ohne Urkunde und dass die Eidesleistung sowie der Nachweis der Berufshaftpflicht vor Aushändigung der Urkunde erfolgen. B. Aushändigung der Urkunde I. Zeitpunkt (§ 12 Abs. 2 BRAO) 1. Nachweis der Berufshaftpflichtversicherung
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Die Zulassungsurkunde darf nach Absatz 2 nicht ohne weiteres ausgehändigt werden, wenn die Zulassungsvoraussetzungen nachgewiesen und die Prüfung der Rechtsanwaltskammer ergeben hat, dass Versagungsgründe nicht gegeben sind. Sie darf vielmehr nur erfolgen, wenn der Bewerber den Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung nach § 51 BRAO nachweist oder eine vorläufige Deckungszusage vorgelegt hat. Durch diese Regelung soll verhindert werden, dass Bewerber zur Rechtsanwaltschaft zugelassen werden, die nicht ausrei1 Henssler/Prütting/Henssler, § 12 Rz. 4; Isele, § 12 Anm. II.C.1; unklar: Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 12 Rz. 4 einerseits Ausfertigung, andererseits Unterzeichnung durch den Kammervorstand). 2 Isele, § 12 Anm. II.C.1.
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Zulassung
Rz. 10 § 12 BRAO
chend haftpflichtversichert sind und deren Zulassung aus diesem Grunde die Interessen der Rechtsuchenden gefährdete. Wird die Urkunde ohne den erforderlichen Nachweis einer Berufshaftpflichtversicherung oder einer Deckungszusage ausgehändigt, ändert das an der Wirksamkeit der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nichts.1 Der Gesetzgeber hat zwar in Absatz 2 mit der Wendung „darf erst … ausgehändigt werden“ eine Formulierung gewählt, die an die Beschreibung gesetzlicher Verbote erinnert. Das ändert aber nichts. Die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft ist nicht allein von einem Zulassungsbescheid, sondern davon abhängig, dass dem Bewerber eine Zulassungsurkunde ausgehändigt wird. Diesen Realakt macht ein Verstoß gegen das Gebot des Absatzes 2 nicht ungeschehen. Die Folgen eines solchen Verstoßes erschöpfen sich in der Verpflichtung der Rechtsanwaltskammer, die Zulassung nach § 14 Abs. 2 Nr. 9 BRAO zurückzunehmen, wenn der Mangel nicht beseitigt wird. Etwas anderes lässt sich auch den Materialien nicht entnehmen, denen zufolge mit Absatz 2 eine dem § 6a BNotO entsprechende Regelung erreicht werden sollte.2 Auch danach ist zwar die Bestellung zum Notar zu versagen, wenn der Nachweis der Haftpflichtversicherung nicht geführt wird. Sie ist aber nicht unwirksam, wenn sie trotzdem erfolgt.3
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2. Eidesleistung Die Rechtsanwälte sind nach § 12a BRAO zur Leistung eines Anwaltseids verpflichtet. Das entspricht den Berufsordnungen der Notare, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer, die ebenfalls die Ableistung eines besonders berufsbezogenen Eides vorsehen (§ 13 Abs. 1 BNotO, § 17 Abs. 1 S. 1 WiPrO, § 41 Abs. 2 StBerG). Auch der Anwaltseid unterstreicht die Stellung des Rechtsanwalts als Organ der Rechtspflege. Denn auch die Richter haben einen, allerdings auf ihre Rolle in der Rechtspflege bezogenen, Richtereid zu leisten (§§ 38, 45a DRiG). Unterschiedlich geregelt ist allerdings der Zeitpunkt, in dem der Berufseid zu leisten ist. Der Richter- und der Notareid sind nach der Ernennung zum (Berufs-) Richter bzw. der Bestellung zum Notar, nach Möglichkeit aber vor tatsächlicher Aufnahme der Berufstätigkeit zu leisten (§ 38 DRiG, § 13 BNotO). Die Eidesleistung ist aber nicht Voraussetzung der Ernennung oder Bestellung. Demgegenüber darf die Bestellung zum Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer erst nach Eidesleistung erfolgen (§ 17 Abs. 1 S. 1 WiPrO, § 41 Abs. 2 StBerG). Die Bundesrechtsanwaltsordnung folgte bislang dem für Richter und Notare geltenden Modell. Mit Absatz 2 hat sie diese Anlehnung aufgegeben und folgt nunmehr dem bei Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern Üblichen. Die Bedeutung des Eides ändert sich durch den Systemwechsel nicht. Die technischen Möglichkeiten, die Urkunde auszuhändigen, werden durch diesen Systemwechsel aber deutlich eingeschränkt. Eine Übersendung per Post scheidet z.B. praktisch aus.
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Die Kammer darf die Zulassungsurkunde dem Bewerber deshalb erst aushändigen, wenn er nach § 12a BRAO vereidigt ist. Vereidigt ist der Bewerber, wenn er den Anwaltseid abgeleistet hat. Das ist bei einem Erstbewerber nicht der Fall. Ihm darf die Rechtsanwaltskammer die Zulassungsurkunde deshalb erst aushändigen, wenn sie ihm zuvor den Eid nach Maßgabe von § 12a BRAO abgenommen hat. Fraglich ist, ob das auch bei Bewerbern um eine erneute Zulassung zur Rechtsanwaltschaft gilt. Sie haben den Anwaltseid nämlich schon bei ihrer früheren Erstzulassung geleistet. § 26 BRAO a.F., der in § 12a BRAO aufgegangen ist, sah in einem solchen Fall eine weitere Eidesleistung nicht vor. Danach war der Eid nur vor der „ersten“ Zulassung zu leisten. Er brauchte deshalb weder bei einem Zulassungswechsel noch bei einer erneuten Zulassung zur Rechtsanwaltschaft neu geleistet zu werden.4 Ob diese Regelung fortgeführt werden soll, lassen weder § 12 Abs. 2 BRAO noch § 12a BRAO eindeutig erkennen. § 12 Abs. 2 BRAO lässt ein solches Textverständnis zu. Rein sprachlich ist auch ein Bewerber, der den Eid aus Anlass einer früheren Zulassung zur Rechtsanwaltschaft geleistet hat, „vereidigt“. Das gilt auch dann, wenn er diesen Eid nicht vor der Kammer, sondern, entsprechend § 26 BRAO a.F. in öffentlicher Sitzung des Gerichts, bei dem er zugelassen war, geleistet hatte. Für ein solches Verständnis spricht vor allem die Würde des Eides. Der Anwaltseid ist (wie der Richtereid und die Berufseide anderer freier Berufe) keiner bloßer Formalakt, der beliebig wiederholt werden könnte. Er soll vielmehr als feierliche Verpflichtung einmal für das gesamte Berufsleben als Anwalt geleistet werden.
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Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 12 Rz. 12; Henssler/Prütting/Henssler, § 12 Rz. 7. BT-Drs. 12/4993, S. 24. Schippel/Bracker/Görk, § 6a BNotO Rz. 2. Isele, § 26 Anm. II.B.
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§ 12 BRAO Rz. 11
Zulassung
Diese besondere Wertigkeit des Eides rechtfertigt es, von einer Wiederholung des Anwaltseides in Wiederzulassungsfällen abzusehen. Eine Wiederholung ist andererseits auch unschädlich. 11
Wird die Eidesleistung vor Aushändigung der Urkunde versäumt, ändert das an der Wirksamkeit der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nichts. Der Gesetzgeber hat zwar auch hierfür mit der Wendung „darf … erst ausgehändigt werden“ eine sehr strikte Formulierung gewählt. Zu berücksichtigen ist aber, dass die Eidesleistung bisher gar nicht Voraussetzung für die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft, sondern lediglich eine der Berufspflichten des Anwalts war, deren Versäumung zudem einen Widerruf der Zulassung nach § 14 BRAO nicht rechtfertigte. Anzeichen dafür, dass der Gesetzgeber durch die Mitaufnahme der Eidesleistung in Absatz 2 daran Grundlegendes ändern wollte, bestehen nicht.1 Die Eidesleistung bleibt aber Berufspflicht. Deshalb hat der Rechtsanwalt den Eid nachzuholen.2 II. Aushändigungsperson
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Die Aushändigung der Zulassungsurkunde ist Teil der Zulassungsentscheidung und kann deshalb nur von demjenigen angeordnet werden, der nach der Satzung der Rechtsanwaltskammer für den Ausspruch der Zulassungsentscheidung zuständig ist. Anders als die Unterzeichnung der Urkunde ist ihre Aushändigung aber wie in dem insoweit als Orientierung heranzuziehenden öffentlichen Dienstrecht3 ein delegierbarer Akt. Während die Urkunde nur durch das dafür zuständige Organ der Kammer oder seinen gesetzlichen Vertreter unterzeichnet werden kann, könnte sie auch durch andere Personen, auch durch die Post, ausgehändigt werden.4 Voraussetzung hierfür wäre ein entsprechender Auftrag dessen, der die Urkunde unterzeichnet hat. Ist also nach der Satzung der Rechtsanwaltskammer die Zulassungsurkunde durch den Präsidenten oder seinen Vertreter zu unterzeichnen, so könnte die Aushändigung auch durch jemand anderen erfolgen, wenn dieser einen entsprechenden Auftrag hat. Anders als im Dienstrecht kommt aber nicht jeder andere als mögliche Aushändigungsperson in Betracht. Eine Beschränkung des Kreises der Aushändigungspersonen ergibt sich aus § 12a Abs. 6. Die Aushändigung der Urkunde darf nämlich erst nach der Eidesleistung erfolgen. Diese wiederum darf nicht jeder dazu beauftragte Mitarbeiter der Rechtsanwaltskammer oder gar eine kammerfremde Person vornehmen. Über die Abnahme des Eides ist nämlich nach § 12a Abs. 6 BRAO eine Niederschrift zu erstellen. Diese ist von einem Mitglied des Vorstands zu unterzeichnen. Daraus folgt, dass die Urkunde zwar nicht zwingend von dem Präsidenten der Kammer oder seinem Vertreter, wohl aber von einem Mitglied des Vorstands auszuhändigen ist. Bei Verstößen gegen diese Regel ist zu unterscheiden: Wird die Urkunde durch jemanden ausgehändigt, der dazu keinen Auftrag hatte, fehlt es an einer Aushändigung. Die Zulassung wäre dann unwirksam. Das gilt allerdings nur, wenn der Auftrag vollständig fehlt. Sollte die aushändigende Person z.B. noch den Eid abnehmen oder das Vorliegen eines Haftpflichtversicherungsnachweises prüfen und versäumt sie dieses, so liegt gleichwohl eine wirksame Aushändigung vor. Wird die Urkunde zwar auftragsgemäß, aber durch einen anderen als ein Mitglied des Vorstands, z.B. durch einen Abteilungsleiter, ausgehändigt, ist die Zulassung wirksam. III. Übergabeakt (§ 12 Abs. 1 BRAO) 1. Übergabe an Bewerber(in)
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Die Urkunde wird an den Bewerber ausgehändigt, wenn sie von dem unterzeichnenden Organ der Rechtsanwaltskammer oder einem anderen damit beauftragten Mitarbeiter oder einer sonstigen Person übergeben wird. Unter Berücksichtigung von Absatz 2 gestaltet sich der technische Ablauf wie folgt: Nach Abschluss ihrer Prüfung teilt die Rechtsanwaltskammer dem Bewerber mit, dass sie ihn zur Rechtsanwaltschaft zulassen möchte. Sie bittet ihn zur Eidesleistung nach Absatz 2 in ihre Räumlichkeiten und händigt ihm durch die mit der Eidesabnahme und der Aushändigung der Urkunde beauftragten Person die Urkunde aus.
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BT-Drs. 16/3837, S. 24 i.V.m. BT-Drs. 16/513, S. 21; für früheres Recht BVerfGE 34, 325. Vgl. § 12a BRAO Rz. 21. Henssler/Prütting/Henssler, § 12 Rz. 5; Jessnitzer/Blumberg, § 12 Rz. 2. Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 12 Rz. 6; Henssler/Prütting/Henssler, § 12 Rz. 5.
322 Schmidt-Räntsch
Zulassung
Rz. 17 § 12 BRAO
2. Aushändigung an Dritte Ähnlich wie im Beamtenrecht wäre es möglich, die Aushändigung der Zulassungsurkunde in der Form vorzunehmen, dass sie einem Dritten übergeben wird. Voraussetzung hierfür ist, dass der Dritte zur Entgegennahme der Urkunde berechtigt ist. Ein Bedürfnis hierfür ergibt sich im Beamten- und Richterdienstrecht normalerweise nur dann, wenn die Ernennung etwa in ein Beförderungsamt zu einem bestimmten Zeitpunkt erfolgen soll, der Beamte oder Richter zu diesem Zeitpunkt aber etwa infolge einer Dienstreise ortsabwesend ist. Hier könnte einem anderen, für den Beamten oder Richter handelnden Bediensteten die Urkunde übergeben werden. Das ist zwar begrifflich auch bei der Aushändigung der Urkunde zur Zulassung zur Rechtsanwaltschaft möglich. Praktisch scheitert ein solches Vorgehen jetzt aber an Absatz 2. Die Urkunde darf nämlich erst ausgehändigt werden, wenn der Rechtsanwalt den Anwaltseid geleistet hat. Die Eidesleistung ist aber nur persönlich möglich, so dass eine Zulassung zur Rechtsanwaltschaft durch Aushändigung der Zulassungsurkunde an einen Dritten an dem Erfordernis der vorherigen Eidesleistung scheitert.
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3. Versendung der Urkunde Die Aushändigung der Zulassungsurkunde könnte auch durch ihre Zusendung per Post erfolgen. Denn die Aushändigung darf nicht nur der Unterzeichner der Urkunde, sondern jeder vornehmen, der in seinem Auftrag handelt. Deshalb ist es bisher als unbedenklich angesehen worden, wenn die Zulassungsurkunde dem Anwalt nicht persönlich ausgehändigt, sondern mit der Post zugesandt oder zugestellt wurde.1 Das ist zwar auch künftig möglich, wird aber praktisch regelmäßig ausscheiden. Denn die Aushändigung der Urkunde darf in welcher Form auch immer nach Absatz 2 erst erfolgen, wenn der Rechtsanwalt seinen Eid geleistet hat. Da die Eidesleistung persönlich und gegenüber demjenigen Organ oder Bediensteten der Rechtsanwaltskammer erfolgen muss, der mit der Abnahme des Eides beauftragt ist, kommt eine Zusendung der Urkunde als Aushändigungsform nur in Betracht, wenn es ausnahmsweise nicht möglich war, die Urkunde dem Rechtsanwalt im Anschluss an die Eidesleistung auszuhändigen.
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IV. Dokumentation des Aushändigungsvorgangs Die Aushändigung setzt, wie ausgeführt, die schlichte Übergabe voraus. Eine Dokumentation hierüber etwa in Form eines Empfangsbekenntnisses, wie dies § 40 ÄApprO oder § 21 ApoApprO vorsehen, ist nicht vorgeschrieben. Die Landesjustizverwaltungen könnten den Rechtsanwaltskammern eine Dokumentation des Aushändigungsvorgangs aufgeben. Eine solche Dokumentation gehört aber auch ohne eine entsprechende Anordnung der Landesjustizverwaltungen zu den Amtspflichten der Rechtsanwaltskammer. Die Befugnis des Rechtsanwalts zur Ausübung seines Berufs hängt allein von der Aushändigung der Urkunde ab. Eine solche Urkunde kann auch, ohne dass dem Rechtsanwalt Nachlässigkeit vorzuwerfen wäre, verloren gehen oder nicht mehr auffindbar sein. Der Rechtsanwalt muss aber in der Lage sein, die Berechtigung zur Berufsausübung jederzeit nachweisen zu können. Das ist sicher nur möglich, wenn die Rechtsanwaltskammer den Aushändigungsvorgang dokumentiert. Eine solche Dokumentation ist im Beamten- und Richterdienstrecht auch weitgehend üblich, an das sich Absatz 1 insoweit anlehnt. Aus den Akten der Rechtsanwaltskammer muss deshalb ersichtlich sein, dass die Erstellung und Aushändigung der Zulassungsurkunde verfügt sowie dass und wann sie tatsächlich vorgenommen worden ist. Wie dies geschieht, bestimmt die Rechtsanwaltskammer vorbehaltlich von Anordnungen der Landesjustizverwaltungen selbst. Entscheidend ist nur, dass eine Rekonstruktion des Aushändigungsvorgangs anhand ihrer Akten möglich ist.
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V. Form des Vorgangs Besondere Anforderungen an den Aushändigungsvorgang bestimmt die Vorschrift nicht. Die Rechtsanwaltskammer entscheidet deshalb nach billigem Ermessen, wie sie den Vorgang gestaltet. Sie könnte die Aushändigung der Urkunde als feierlichen Akt gestalten; verpflichtet dazu ist sie nicht.2 1 Isele, § 12 Anm. III.A. 2 Isele, § 12 Anm. III.B.
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§ 12 BRAO Rz. 18
Zulassung
C. Wirkungen der Aushändigung I. Berufsausübung (§ 12 Abs. 1 BRAO) 18
Die Aushändigung der Zulassungsurkunde erlaubte dem Rechtsanwalt bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Stärkung der Selbstverwaltung der Rechtsanwaltschaft vom 26.3. 20071 am 1.7.2007 nicht unmittelbar die Aufnahme seines Rechtsanwaltsberufs.2 Vielmehr war zusätzlich die Eintragung im Rechtsanwaltsverzeichnis des Amts- oder Landgerichts erforderlich, bei dem er sich zuzulassen hatte. Dieses Erfordernis ist mit Streichung der entsprechenden Vorschriften entfallen. Das hat zur Folge, dass der Rechtsanwalt seinen Beruf ausüben kann, sobald ihm die Zulassungsurkunde ausgehändigt und ein darin etwa aufgeführter Wirkungszeitpunkt verstrichen ist. Die Eintragung in ein Rechtsanwaltsverzeichnis ist für die Ausübung des Berufs nicht erforderlich.3 Sie hängt auch von sonstigen Formalitäten nicht ab. II. Kammermitgliedschaft (§ 12 Abs. 3 BRAO)
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Nach Absatz 3 führt die Aushändigung der Zulassungsurkunde kraft Gesetzes zur Mitgliedschaft in der Rechtsanwaltskammer, durch welche die Zulassung erfolgte. Die Rechte und Pflichten eines Kammermitglieds treffen den Rechtsanwalt vom Zeitpunkt der Aushändigung der Urkunde an. Die Mitgliedschaft hängt nicht von einer besonderen Aufnahme in die Kammer, sondern allein von der Zulassung und der dazu erforderlichen Aushändigung der Zulassungsurkunde ab. Die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft ist mit der Mitgliedschaft in der Rechtsanwaltskammer untrennbar verbunden. Deshalb kann die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nicht ohne die Kammermitgliedschaft beantragt werden. Ein Antrag auf Zulassung zur Rechtsanwaltschaft ohne Kammermitgliedschaft wäre als unbegründet zurückzuweisen, weil eine mitgliedschaftslose Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nicht vorgesehen ist. III. Zulassungsfehler
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Dass die Wirksamkeit der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft allein von der wirksamen Aushändigung einer formell gültigen Zulassungserklärung abhängt, hat zunächst zur Folge, dass die Zulassung unwirksam ist, wenn die Urkunde selbst oder ihre Aushändigung an Wirksamkeitsmängeln leiden. Sachliche Fehler bei der Erteilung der Zulassung wirken sich dagegen auf die Wirksamkeit der Zulassung nicht aus. Die Zulassung könnte auch nicht nach §§ 48, 49 VwVfG zurückgenommen oder widerrufen werden. Ist die Zulassungsurkunde gültig und ausgehändigt, kommt nur noch eine Rücknahme oder ein Widerruf nach Maßgabe von § 14 BRAO in Betracht. D. Führung der Berufsbezeichnung (§ 12 Abs. 4 BRAO) I. Bezeichnung als Rechtsanwalt
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Der zur Rechtsanwaltschaft zugelassene Bewerber hat das gesetzliche Recht, die Berufsbezeichnung „Rechtsanwalt“ oder „Rechtsanwältin“ zu führen. Diese Berufsbezeichnung ist geschützt. Jedem anderen ist sie kraft Gesetzes untersagt. Wer sie gleichwohl mit einer gewissen Relevanz4 führt, macht sich nach § 132a StGB strafbar. II. Fachanwaltsbezeichnung
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Die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft ist zwar die Grundlage für die Führung auch von Fachanwaltsbezeichnungen. Sie reicht hierfür allein aber nicht aus. Der zugelassene Rechtsanwalt darf sich lediglich als Rechtsanwalt bezeichnen. Eine zusätzliche Fachanwaltsbezeichnung darf er nur führen, wenn ihm diese Befugnis nach Maßgabe von § 43a BRAO und der Fachanwaltsordnung verliehen worden ist. 1 2 3 4
BGBl. I, S. 385. Isele, § 12 Anm. V.C.1. BGH, NJW 1992, 2706. Dazu BGH, NJW 1982, 209 (210) einerseits, OLG Jena, AnwBl. 1998, 535 andererseits; Henssler/Prütting/ Henssler, § 12 Rz. 13; Jessnitzer/Blumberg, § 12 Rz. 6.
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§ 12a BRAO
Vereidigung III. Akademische Grade
Absatz 4 besagt nichts über die Führung akademischer Grade. Er steht der Führung akademischer Grade (selbstverständlich) auch nicht entgegen.1 Maßgeblich für die Frage, welche akademischen Grade unter welchen Voraussetzungen geführt werden dürfen, sind das Gesetz über die Führung akademischer Grade sowie die für die Verleihung dieser Grade maßgeblichen Regelungen. Danach dürfen im Inland erworbene akademische Grade (Professor, Doktor, Magister, Master, Bachelor) ohne weiteres mit dem Namen geführt werden. Im EU- und EWR-Ausland erworbene akademische Grade können nach den Hochschul- und Universitätsgesetzen der Länder ohne weiteres in der verliehenen Form geführt werden, in anderen Ländern erworbene Titel regelmäßig nur unter Angabe der verleihenden Institution. Der Rechtsanwalt darf grundsätzlich auch solche akademischen Grade führen, die nichts mit seiner juristischen Tätigkeit zu tun haben. Die Grenzen hierfür können sich allerdings aus dem Berufs- und aus dem Wettbewerbsrecht ergeben.2
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IV. Andere Berufsbezeichnungen Absatz 4 besagt ferner nichts darüber, ob der Rechtsanwalt auch andere Berufsbezeichnungen führen darf. Er steht der Prüfung solcher anderen Berufsbezeichnungen im Grundsatz auch nicht entgegen. Die Grenzen hierfür können sich aber wiederum aus dem anwaltlichen Standes- und aus dem Wettbewerbsrecht ergeben.3
12a BRAO Vereidigung (1) Der Bewerber hat folgenden Eid vor der Rechtsanwaltskammer
zu leisten:
„Ich schwöre bei Gott dem Allmächtigen und Allwissenden, die verfassungsmäßige Ordnung zu wahren und die Pflichten eines Rechtsanwalts gewissenhaft zu erfüllen, so wahr mir Gott helfe.“ (2) Der Eid kann auch ohne religiöse Beteuerung geleistet werden. (3) Gestattet ein Gesetz den Mitgliedern einer Religionsgemeinschaft, an Stelle des Eides eine andere Beteuerungsformel zu gebrauchen, so kann, wer Mitglied einer solchen Religionsgemeinschaft ist, diese Beteuerungsformel sprechen. (4) Wer aus Glaubens- oder Gewissensgründen keinen Eid leisten will, muss folgendes Gelöbnis leisten: „Ich gelobe, die verfassungsmäßige Ordnung zu wahren und die Pflichten eines Rechtsanwalts gewissenhaft zu erfüllen.“ (5) Leistet eine Bewerberin den Eid nach Absatz 1 oder das Gelöbnis nach Absatz 4, so treten an die Stelle der Wörter „eines Rechtsanwalts“ die Wörter „einer Rechtsanwältin“. (6) 1Über die Vereidigung ist ein Protokoll aufzunehmen, das auch den Wortlaut des Eides oder des Gelöbnisses zu enthalten hat. 2Das Protokoll ist von dem Rechtsanwalt und einem Mitglied des Vorstands der Rechtsanwaltskammer zu unterschreiben. 3Es ist zu den Personalakten des Rechtsanwalts zu nehmen. A. Bedeutung des Eides . . . . . . . . . .
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B. Abnahme und Zeitpunkt . . . . . . . . I. Abnahme (§ 12a Abs. 1 BRAO). . . . . . II. Zeitpunkt (§ 12 Abs. 2 BRAO) . . . . . .
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C. Eidesleistung . . . . . . . . . . . . I. Grundformen des Eides (§ 12a Abs. 1, 5 BRAO) . . . . . . . . . . . . . . . II. Abweichungen . . . . . . . . . . . . 1. Verzicht auf religiöse Beteuerung (§ 12a Abs. 2 BRAO) . . . . . . . . . . . .
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2. Ersetzung der religiösen Beteuerung (§ 12a Abs. 3 BRAO) . . . . . . . . . . 3. Verzicht auf die Eidesformel (§ 12a Abs. 4 BRAO) . . . . . . . . . . . . . . . .
12 16
D. Dokumentation (§ 12a Abs. 6 BRAO) . . . I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . II. Einzelheiten . . . . . . . . . . . . . .
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E. Nachholung des Eides . . . . . . . . .
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1 Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 12 Rz. 20; Henssler/Prütting/Henssler, § 12 Rz. 14. 2 BVerfG, NJW 2003, 2816 (2817 f.). 3 BVerfG, NJW 2003, 2816 (2817 f.); Henssler/Prütting/Henssler, § 12 Rz. 15.
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§ 12a BRAO Rz. 1
Vereidigung
A. Bedeutung des Eides 1
Nach Absatz 1 ist der Rechtsanwalt verpflichtet, vor Aufnahme seines Berufs den Anwaltseid zu leisten. Die Eidespflicht ist Ausdruck der besonderen Stellung des Rechtsanwalts einerseits als Organ der Rechtspflege (§ 1 BRAO) und andererseits als Angehöriger eines freien Berufs (§ 2 Abs. 1 BRAO). Die Verpflichtung des Rechtsanwalts zur Leistung des Anwaltseides beruht auf einer langen Tradition, die über 500 Jahre zurückreicht. Schon in § 6 der Reichskammergerichtsordnung von 1495 war eine Eidespflicht vorgesehen. Sie hat sich in den Partikularrechten erhalten und ist seit dem Erlass der Rechtsanwaltsordnung von 1878 Bestandteil des Standesrechts der Rechtsanwälte. Die Eidespflicht verbindet die Rechtsanwälte einerseits mit den Angehörigen der anderen freien Berufe, die einen auf ihren Beruf jeweils bezogenen vergleichbaren Eid zu leisten haben. Der bekannteste Eid dieser Art ist der hypokratische Eid der Ärzte, der allerdings bundesrechtlich nicht vorgeschrieben ist, sondern nur den Berufsordnungen einzelner Ärztekammern vorangestellt ist (z.B. Bayern).1 Gesetzlich vorgeschrieben ist die Eidesleistung aber bis heute bei den Wirtschaftsprüfern (§ 17 Abs. 1 S. 1 WiPrO) und bei den Steuerberatern (§ 41 Abs. 2 StBerG). Die Eidespflicht verbindet die Rechtsanwälte aber auch mit den anderen Organen der Rechtspflege, den Richtern und den Notaren, die beide einen jeweils auf ihr Amt bezogenen Eid zu leisten haben (§§ 38, 45a DRiG für die berufs- und ehrenamtlichen Richter, § 13 Abs. 1 BNotO für die Notare).
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Die Eidespflicht der Anwälte hat ebenso wie die Eidespflicht der Richter und der Notare einen hohen Symbolwert. Sie soll dem Anwalt die Bedeutung seines Berufs an sich, aber auch die Bedeutung seiner getreulichen Erfüllung eindringlich vor Augen führen2 und ein psychologisches Hemmnis gegen die Verletzung der anwaltlichen Pflichten aufbauen.3 Die Eidesverpflichtung der Rechtsanwälte ist auf Kritik gestoßen.4 Diese Kritik ist nicht berechtigt.5 Das BVerfG hat dazu wörtlich folgendes ausgeführt:6 „Wird der in der Eidesformel verwendete Begriff der ‚verfassungsmäßigen Ordnung‘ im gleichen Sinne verstanden wie in Art. 2 Abs. 1 GG, also als die Gesamtheit der formell und materiell verfassungsmäßigen Rechtsnormen (vgl. BVerfGE 6, 32 (38); st. Rspr.), deckt sich der Eidesinhalt mit den für den Anwalt ohnehin bestehenden Pflichten. Denn unbeschadet der Freiheit, das geltende Recht zu kritisieren und für seine Änderung zu streiten, gehört es zu den selbstverständlichen Pflichten eines Rechtsanwalts, bei seiner Berufsausübung die Verfassung und die mit ihr in Einklang stehenden Regelungen zu beachten, insbesondere die aus den Verfahrensordnungen und dem Berufsrecht folgenden und mit den besonderen Rechten korrespondierenden Pflichten zu befolgen.“
Diese selbstverständliche Pflicht hebt den Beruf des Rechtsanwalts von gewöhnlichen Dienstleistern ab und rechtfertigt seine besondere Rechtsstellung. Sie soll durch den Eid dem Bewerber eindringlich vor Augen geführt werden. Eine dem Beamten- oder Richtereid vergleichbare Treueverpflichtung gegenüber dem Staat ist damit nicht verbunden.7 B. Abnahme und Zeitpunkt I. Abnahme (§ 12a Abs. 1 BRAO) 3
Nach Absatz 1 hat der Rechtsanwalt den Anwaltseid vor der Rechtsanwaltskammer abzuleisten. Dies kann im Dienstzimmer des für die Abnahme des Eides zuständigen Organs oder Mitarbeiters der Rechtsanwaltskammer geschehen. Der Rechtsanwaltskammer steht es frei, für die Eidesleistung eine feierlichere Form, etwa in einer Kammerversammlung, vorzusehen. In der Gestaltung ist sie zwar grundsätzlich frei. Grenzen ergeben sich aber aus dem Zweck der Eidesleistung. Der Eid soll bei dem zuzulassenden Rechtsanwalt einen unauslöschlichen Eindruck hinterlassen und ihm ein Berufsleben lang Mahnung zur getreulichen Erfüllung der anwaltlichen Pflichten sein.8 Das lässt sich nur erreichen, wenn die Abnahme des Eides mit einem Mindestmaß an Würde ausgestaltet und nicht wie eine lästige Formalie abgewickelt wird.9 1 2 3 4 5 6 7 8 9
Redeker, DVBl. 1087, 200 (201). Henssler/Prütting/Henssler, § 12a Rz. 3. Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 12a Rz. 6a. Z.B. Redeker, DVBl. 1987, 200 (201 f.); Kleine-Cosack, § 12a Rz. 2. Henssler/Prütting/Henssler, § 12a Rz. 2. BVerfGE 63, 266 (296). Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 12a Rz. 8; Henssler/Prütting/Henssler, § 12a Rz. 2. EGH Stuttgart, EGE XI, 113 (114); Isele, § 26 Anm. V.E. Isele, § 26 Anm. V.E.
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Vereidigung
Rz. 7 § 12a BRAO
Diese Zuständigkeit für die Abnahme des Eides entspricht der Zuständigkeitsregelung für die anderen freien Berufe. Auch für die Notare, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer ist eine Abnahme des jeweiligen Eides durch die Stelle vorgesehen, die für die Berufszulassung zuständig ist.
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Die Verpflichtung des Rechtsanwalts, seinen Anwaltseid in öffentlicher Sitzung des Gerichts, bei dem er zugelassen wurde, zu leisten, ist mit der Aufgabe der Lokalisationspflicht ersatzlos gestrichen worden. Zwingend war das nicht. Denn die Leistung des Anwaltseids in öffentlicher Sitzung eines Gerichts ist keineswegs nur formaler Ausdruck des früheren Lokalisationsprinzips gewesen. Sie unterstrich sinnfällig auch die Stellung des Rechtsanwalts als Organ der Rechtspflege (§ 1 BRAO). Die berufs- und die ehrenamtlichen Richter haben ihren Eid nämlich nicht vor dem Vorstand des Gerichts, an dem sie tätig sind, zu leisten. Sie müssen den Richtereid vielmehr in öffentlicher Sitzung eines Spruchkörpers dieses Gerichts ableisten. Damit wird deutlich, dass der Berufs- wie der ehrenamtliche Richter nicht nur der Anstellungskörperschaft, sondern einer unabhängigen Rechtspflege und damit allen Rechtsuchenden verpflichtet ist. Das trifft mutatis mutandis auch für den Anwaltseid zu. M.E. hätte es deshalb der Rolle des Rechtsanwalts und der Bedeutung des von ihm zu leistenden Eides eher entsprochen, die Eidesleistung in öffentlicher Sitzung eines Gerichts beizubehalten. Diese Form der Eidesleistung ist heute auch bei entsprechendem Wunsch der Beteiligten nicht mehr möglich, weil die Rechtsanwaltskammer den Eid abzunehmen hat.
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II. Zeitpunkt (§ 12 Abs. 2 BRAO) Die Verpflichtung zur Leistung des Anwaltseids ist ihrem Charakter nach eine Berufspflicht des zugelassenen Rechtsanwalts. Es hätte deshalb nahe gelegen, den Rechtsanwalt eben wie den Notar dazu zu verpflichten, den Anwaltseid alsbald nach seiner Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu leisten, wie es § 26 Abs. 1 BRAO a.F. auch vorgesehen hatte. Der Gesetzgeber war der Auffassung, diese Regelung als Folge der Aufgabe des Lokalisationsprinzips aufgeben zu müssen. Nach § 12 Abs. 2 BRAO hat der Rechtsanwalt künftig den Anwaltseid ähnlich wie die Steuerberater und Wirtschaftsprüfer noch vor seiner Zulassung zur Rechtsanwaltschaft, also zu einem Zeitpunkt abzuleisten, zu dem er noch gar kein Rechtsanwalt ist. Wird die Ableistung des Eides vor der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft allerdings versäumt, bleibt der Rechtsanwalt nach § 12a Abs. 1 BRAO zur Eidesleistung verpflichtet und muss sie alsbald nachholen.
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Wann die Rechtsanwaltskammer den Bewerber, dessen Zulassungsantrag durch Aushändigung der Urkunde stattgegeben werden soll, zur Eidesleistung einzubestellen hat, legt das Gesetz nicht fest. Eine wenn auch unscharfe Grenze ergibt sich aus §§ 32, 112c BRAO i.V.m. § 75 VwGO.1 Danach darf die Rechtsanwaltskammer die Aushändigung der Zulassungsurkunde nicht „ohne zureichenden Grund“ über drei Monate von dem Eingang des Zulassungsantrags an hinauszögern. Sie muss die Prüfung des Antrags und damit auch den förmlichen Abschluss des Verfahrens so gestalten, dass sie im Normalfall die Frist von drei Monaten einhält. Das macht es normalerweise erforderlich, den Bewerber zum nächsterreichbaren Termin zur Eidesleistung einzubestellen. Die Rechtsanwaltskammer wird dabei die Eidesleistungen mehreren Bewerber bündeln und dem Bewerber eine gewisse Wartezeit zumuten können. Sie wird aber anderseits beachten müssen, dass ein Hinausschieben der Eidesleistung den Bewerber daran hindert, in seinem gewählten Beruf als Rechtsanwalt tätig zu werden. Dieses grundrechtliche Interesse genießt jedenfalls dann den Vorrang, wenn das an sich vorgesehene Verfahren, z.B. wegen Terminschwierigkeiten bei den Organen der Kammer, zu merklichen Verzögerungen führen sollte. Notfalls muss ein Vertreter den Eid abnehmen.
6a
C. Eidesleistung I. Grundformen des Eides (§ 12a Abs. 1, 5 BRAO) Der Anwaltseid lässt sich inhaltlich in drei Teile zerlegen: die Eidesformel, die religiöse Beteuerung und die eidliche Verpflichtung. Die Eidesformel besteht aus den Worten: Ich schwöre. Die religiöse Beteuerung besteht aus der doppelten Anrufung Gottes im Anschluss an die Eidesformel (Bei Gott dem Allmächtigen und Allwissenden) und am Schluss des Eides (So wahr mir Gott helfe). Den dritten Teil bildet die eigentliche Verpflichtung, nämlich 1 Henssler/Prütting/Henssler, § 12a Rz. 8.
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§ 12a BRAO Rz. 8
Vereidigung
die Verpflichtung zur Wahrung der verfassungsmäßigen Ordnung und zur gewissenhaften Erfüllung der Rechtsanwaltspflichten. 8
In dem zuletzt genannten Punkt, in der eigentlichen Sachaussage des Anwaltseids, lässt das Gesetz keine Abweichungen zu. Die Verpflichtung zur Wahrung der verfassungsmäßigen Ordnung und zur gewissenhaften Erfüllung der Rechtsanwaltspflichten muss jeder Rechtsanwaltsbewerber eingehen. Geschieht das nicht, darf dem Bewerber die Zulassungsurkunde nicht ausgehändigt werden. Er wird dann solange nicht zur Rechtsanwaltschaft zugelassen, wie er diese Verpflichtung nicht eingeht.
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In den beiden anderen Elementen des Anwaltseids, nämlich in der Eidesformel und in der religiösen Beteuerung lässt das Gesetz Abweichungen zu. Sie beruhen auf der Glaubensund Gewissensfreiheit, die jedem Rechtsanwaltsbewerber nach Art. 4 GG garantiert ist. Die Glaubens- und Gewissensfreiheit kann Einwände sowohl gegen die Verpflichtung zur Eidesleistung als auch gegen die Verwendung der in der Grundform vorgesehenen Anrufung Gottes als religiöser Beteuerung ergeben.
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Zusätzliche Gesten, die die Feierlichkeit der Eidesleistung hervorheben, wie das früher in § 26 Abs. 3 BRAO a.F. vorgesehene Heben der rechten Hand, sind nicht mehr vorgeschrieben.1 Sie bleiben allerdings möglich. II. Abweichungen 1. Verzicht auf religiöse Beteuerung (§ 12a Abs. 2 BRAO)
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Einen Eid mit einer religiösen Beteuerung kann nur abgeben, wer sich zu einer Religion bekennt. Wer sich nicht zu einer Religion bekennt, kann zwar einen Eid leisten, aber nicht gezwungen werden, diesen mit einer religiösen Beteuerung zu versehen. Dieser negativen Bekenntnisfreiheit trägt das Gesetz in Absatz 2 in der Form Rechnung, dass die religiöse Beteuerung in solchen Fällen weggelassen werden kann. Sie entfällt dann an beiden Stellen, sowohl nach der Eidesformel als auch am Schluss des Eides. Der Eid besteht dann nur aus den Worten: „Ich schwöre, die verfassungsmäßige Ordnung zu wahren und die Pflichten eines Rechtsanwalts gewissenhaft zu erfüllen“.
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Der Eid kann nach Absatz 2 in der beschriebenen Form geleistet werden. Das bedeutet zunächst, dass sich die Norm selbst vollzieht, es also keines Antrags an die Rechtsanwaltskammer bedarf. Das bedeutet aber auch, dass der Bewerber nicht darzulegen braucht, weshalb er den Eid in dieser Form leisten möchte. Er muss also nicht etwa zum Ausdruck bringen, dass er kein religiöses Bekenntnis hat. Er dürfte den Eid in dieser Form leisten, auch wenn er sich zu einer Religion bekennt und diese an sich die Eidesleistung nach Absatz 1 erlauben würde. Denn die Bekenntnisfreiheit schließt auch das Recht ein, ein Bekenntnis zu haben, es aber nicht oder nicht immer zu äußern. Umgekehrt dürfte ein Bewerber, der sich nicht zu einer Religion bekennt, den Eid mit einer religiösen Beteuerung leisten, weil er nicht gezwungen werden darf, sich dazu zu bekennen, dass er keiner Religion angehört. 2. Ersetzung der religiösen Beteuerung (§ 12a Abs. 3 BRAO)
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Eine religiöse Beteuerung des Anwaltseides ist in Absatz 1 und 5 auf ein christliches Bekenntnis zugeschnitten. Die Angehörigen anderer Religionsgemeinschaften wären zwar nach Absatz 1 nicht verpflichtet, die in dem Anwaltseid vorgesehene religiöse Beteuerung zu verwenden. Es entspräche aber der Glaubens- und Gewissensfreiheit nicht, wenn sie keine Gelegenheit hätten, den Eid unter Anrufung dessen zu leisten, der ihnen heilig ist. Deshalb erlaubt Absatz 3 die Verwendung einer anderen religiösen Beteuerung. Der Eid besteht dann neben der Eidesformel und der Verpflichtung aus einer religiösen Beteuerung, die ihrem Inhalt und ihrer Bedeutung nach der Anrufung Gottes des Allmächtigen und Allwissenden entspricht. Ein Muslim dürfte den Eid deshalb z.B. unter Anrufung Allahs leisten. Er müsste die Anrufung Allahs nicht der Eidesformel anhängen.2
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Auch diese Abweichung braucht nach Absatz 3 nicht beantragt und von der Rechtsanwaltskammer auch nicht genehmigt zu werden. Der Bewerber ist vielmehr kraft Gesetzes berechtigt, den Eid mit der seinem Bekenntnis entsprechenden religiösen Beteuerungsformel zu leisten. 1 Begründung der BRAO-Novelle von 2007 in BT-Drs. 16/513 S. 14; Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 12a Rz. 9; Henssler/Prütting/Henssler, § 12a Rz. 9. 2 Für § 12a BRAO überholt daher OLG Köln, MDR 1969, 501.
328 Schmidt-Räntsch
Vereidigung
Rz. 19 § 12a BRAO
Nach Absatz 3 hängt diese Befugnis allerdings davon ab, dass ein Gesetz den Angehörigen seiner Religionsgemeinschaft das gestattet. Diese Formulierung ist aus § 26 Abs. 4 BRAO a.F. übernommen, der sich wiederum an Vorschriften wie § 66 Abs. 4 StPO a.F. ausgerichtet hat.1 Diese und ähnliche Vorschriften gehen von der im Grunde noch vorkonstitutionellen Vorstellung aus, dass die Verwendung anderer religiöser Beteuerungsformeln einer ausdrücklichen gesetzlichen Gestattung bedarf. Das ist mit der Glaubens- und Gewissensfreiheit nach Art. 4 GG nicht vereinbar.2 Es hätte nahe gelegen, diesen Fehler der früheren Formulierung in § 26 Abs. 4 BRAO a.F. bei der Neufassung der Vorschrift in § 12a BRAO zu korrigieren. Das ist nicht geschehen. Diesem Zustand muss durch eine verfassungskonforme Auslegung der Vorschrift Rechnung getragen werden. Es liegt nahe, sich dazu an § 66d Abs. 3 StPO zu orientieren, der § 66 Abs. 4 StPO a.F. ablöst, an welchem sich der frühere § 26 Abs. 4 BRAO ausgerichtet hat.
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Das bedeutet, dass es dem Bewerber frei steht, eine andere religiöse Beteuerungsformel zu verwenden. In entsprechender Anwendung von § 66d Abs. 3 StPO hat er dies allerdings vor der Eidesleistung bei der Rechtsanwaltskammer anzugeben. Eine solche Angabe ist zwar bei weit verbreiteten Bekenntnissen meist entbehrlich. Sie ist aber vor allem dann sinnvoll, wenn der Bewerber einem weniger verbreiteten Bekenntnis anhängt und sich der Charakter der Beteuerungsformel nicht ohne weiteres erschließt. Weitere Formalitäten hat der Bewerber aber bei der Eidesleistung nicht zu beachten. Die Rechtsanwaltskammer muss nicht prüfen, ob der Bewerber dem Bekenntnis wirklich angehört und ob die angegebene Beteuerungsformel wirklich in dem Bekenntnis üblich ist.3 Denn es geht um die feierliche Bekräftigung der Einhaltung der anwaltlichen Pflichten, der solche Fehler keinen Abbruch tun.
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3. Verzicht auf die Eidesformel (§ 12a Abs. 4 BRAO) Nicht jedes Bekenntnis lässt die Leistung eines Eides vor einer staatlichen Stelle zu. Damit entsteht ein Dilemma: Einerseits kann solchen Bewerbern nicht allein wegen des religiösen Motivs für die Eidesverweigerung der Zugang zur Rechtsanwaltschaft versagt werden. Andererseits kann aber wegen der Bedeutung der anwaltlichen Verpflichtung für die Stellung des Anwalts nicht auf den Wesenskern des Anwaltseids, nämlich die feierliche Bekräftigung der Einhaltung der verfassungsmäßigen Ordnung und der anwaltlichen Pflichten, verzichtet werden.4
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Absatz 4 löst dieses Dilemma auf, indem er solchen Bewerbern die Möglichkeit gibt, aber auch die Verpflichtung auferlegt, statt der Eidesformel ein Gelöbnis gleichen Inhalts abzugeben. Im Anwaltseid wird dann die Eidesformel durch das Gelöbnis durch die Worte „Ich gelobe“ ersetzt. Die religiöse Beteuerung entfällt. Der Inhalt der Verpflichtung bleibt unverändert. Die Glaubens- und Gewissensgründe werden nicht überprüft.5 Es fehlte schon an einem sicheren Maßstab dafür.
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D. Dokumentation (§ 12a Abs. 6 BRAO) I. Allgemeines Nach Absatz 6 ist die Ableistung des Anwaltseids in einer Niederschrift festzuhalten, deren Erstellung Absatz 6 auch recht eingehend regelt. Wenngleich eine solche Regelung sachlich nicht geboten wäre, ist sie inhaltlich nicht zu beanstanden. Zu beanstanden ist jedoch, dass der Gesetzgeber eine vergleichbare Dokumentationspflicht für die Aushändigung der Zulassungsurkunde nicht vorgesehen hat, obwohl sie als Grundlage der anwaltlichen Berufstätigkeit wesentlich bedeutsamer ist als die symbolische Eidesleistung und obwohl für die Dokumentation der Aushändigung der Zulassungsurkunde anders als für die Dokumentation der Eidesleistung ein echtes Bedürfnis besteht.
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II. Einzelheiten Nach Absatz 6 S. 1 ist über die Eidesleistung eine Niederschrift anzufertigen, in welcher der von dem Bewerber geleistete Eid seinem Wortlaut nach wiederholt wird. Die Nieder1 2 3 4 5
Begründung der BRAO-Novelle von 2007 in BT-Drs. 16/513 S. 14; Henssler/Prütting/Henssler, § 12a Rz. 10. BVerfGE 47, 144. Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 12a Rz. 11. Henssler/Prütting/Henssler, § 12a Rz. 10. Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 12a Rz. 12.
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§ 12a BRAO Rz. 20
Vereidigung
schrift ist von dem Bewerber und einem Mitglied des Vorstands der Rechtsanwaltskammer zu unterzeichnen und zu den Personalakten zu nehmen. Zur Unterschrift berufen ist nicht irgendein Mitglied des Vorstands, sondern dasjenige, das den Eid abgenommen hat.1 Zwar heißt es in Absatz 6 S. 2 „einem Vorstandmitglied“. Unterschrieben werden soll aber nicht irgendeine Erklärung, sondern die Niederschrift, mit welcher der Vorgang der Eidesleistung unter Wiedergabe des Eides beschrieben und bescheinigt werden soll. Das kann nur, wer den Eid abgenommen hat 20
Verstöße gegen die Dokumentationspflicht bleiben folgenlos. Mit der Eidesleistung hat der Bewerber seine Eidespflicht erfüllt. Das gilt auch dann, wenn er den Eid zwar nicht, wie mit Absatz 6 indirekt vorgeschrieben, vor einem Mitglied des Vorstands, sondern vor einem anderen von der Kammer Beauftragten geleistet hat. Auf die Wirksamkeit der Zulassung haben Fehler bei der Eidesleistung, sogar ihr vollständiges Versäumnis keinen Einfluss.2 Das gilt erst recht für Fehler bei der Dokumentation der Eidesleistung. Sie bleiben Verstöße gegen Ordnungsvorschriften. Die Kammer muss sie aber korrigieren. Der Rechtsanwalt ist zur Mitwirkung daran verpflichtet. Diese Verpflichtung ist zwar nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt. Sie ist aber ein fortwirkendes Element der Eidespflicht. Ist also die Niederschrift vergessen worden, so muss der Rechtsanwalt die nachträglich erstellte Niederschrift auch unterschreiben. E. Nachholung des Eides
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Die Pflicht zur Eidesleistung ist nach Absatz 1 eine gesetzliche Berufspflicht des Rechtsanwalts. Er hat sie schon vor der Wirksamkeit der Zulassung zu erfüllen. Die Pflicht bleibt aber bestehen, wenn die Ableistung des Eides vor der Aushändigung der Zulassungsurkunde versäumt worden ist. Die Rechtsanwaltskammer muss den Rechtsanwalt zur Eidesleistung laden und die Erfüllung der Eidesleistung mit disziplinarischen Mitteln durchsetzen, wenn der Rechtsanwalt ihr nicht Folge leisten will. Der Widerruf der Zulassung ist nicht vorgesehen und scheidet deshalb als Mittel zur Durchsetzung der Eidespflicht aus. Er wäre auch unverhältnismäßig. der Zulassung 13 BRAO Erlöschen Die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft erlischt, wenn durch ein rechts-
kräftiges Urteil auf Ausschließung aus der Rechtsanwaltschaft erkannt ist oder wenn die Rücknahme oder der Widerruf der Zulassung bestandskräftig geworden ist. A. Zweck der Regelung . . . . . . . . . .
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B. Erlöschen der Zulassung I. Erlöschensfälle . . . . II. Erlöschensfolgen . . . . 1. Allgemeines . . . . . . 2. Berufsbezeichnung . . .
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C. Neuzulassung . . . . . . . . . . . . .
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3. Verlust der Fachanwaltsbezeichnung . 4. Verlust eines Notaramts . . . . . . . 5. Unwirksamkeit von Prozesshandlungen 6. Rechtsberatungserlaubnis . . . . . . III. Rückgabe der Zulassungsurkunde . . .
A. Zweck der Regelung 1
Der Zweck der Regelung war es ursprünglich, die Voraussetzungen für den Fortfall der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft als solcher von den Voraussetzungen für den Fortfall der Zulassung bei einem bestimmten Gericht abzugrenzen. Während die zuletzt genannten Voraussetzungen in § 34 BRAO a.F. geregelt waren, hat § 13 BRAO den Zweck, die Voraussetzungen für das Erlöschen der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft als solcher zu beschreiben. Dieser Aufgabe wurde die Vorschrift allerdings nur unvollkommen gerecht, weil sie nur den Fall der Ausschließung beschrieb, nicht aber die praktisch wichtigeren Fälle des Widerrufs und der Rücknahme der Zulassung nach § 14 BRAO. Diese Abgrenzungsfunktion der Vorschrift ist mit dem Fortfall des Lokalisationszwangs und der Zulassung bei einem bestimmten Gericht entfallen. Heute hat die Vorschrift vielmehr den Zweck, die Folgen des Widerrufs und der Ausschließung der Rechtsanwaltschaft klarstellend ausdrücklich zu regeln und damit die Fälle der Beendigung der Zulassung überblickshaft zu beschreiben. Sie ähnelt in ih1 A.M. Henssler/Prütting/Henssler, § 12a Rz. 11. 2 Henssler/Prütting/Henssler, § 12a Rz. 5.
330 Schmidt-Räntsch
Erlöschen der Zulassung
Rz. 5 § 13 BRAO
rer Funktion § 47 BNotO, auch wenn sie nicht alle Fälle der Beendigung der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft vollständig beschreibt. B. Erlöschen der Zulassung I. Erlöschensfälle Die Vorschrift nennt die drei wesentlichen Fälle, in denen die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft erlischt. Das sind die Rücknahme der Zulassung nach § 14 Abs. 1 BRAO, ihr Widerruf nach § 14 Abs. 2 BRAO und die Ausschließung aus der Rechtsanwaltschaft als schwerste Disziplinarmaßnahme nach § 114 Abs. 1 Nr. 5 BRAO. Die Zulassung erlischt in allen drei Fällen nicht schon mit Erlass des Rücknahme- oder Widerrufsbescheids oder des Ausschließungsurteils. Vielmehr tritt das Erlöschen nach § 13 BRAO erst ein, wenn die Bescheide bestandskräftig bzw. das Ausschließungsurteil rechtskräftig geworden sind.1 Deshalb beseitigt eine gewährte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand den zunächst eingetretenen Verlust der Zulassung – bis abschließend über die Entziehung der Zulassung oder den Ausschluss aus der Rechtsanwaltschaft entschieden ist.2 Mit dem Abschuss des Verfahrens und dem „endgültigen“ Eintritt der Bestands- bzw. Rechtskraft endet die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft kraft Gesetzes. Der Eintritt dieser Wirkungen hängt nicht von zusätzlichen Maßnahmen der Rechtsanwaltskammer ab. Diese hat allerdings als Folge des Erlöschens den Rechtsanwalt aus ihrer eigenen Liste der Rechtsanwälte zu streichen und auch dafür Sorge zu tragen, dass eine entsprechende Streichung in der Liste der Bundesrechtsanwaltskammer erfolgt. Das sind indessen lediglich Folgemaßnahmen, die das Erlöschen der Zulassung voraussetzen, aber nicht bedingen.
2
Die Zulassung des Rechtsanwalts zur Rechtsanwaltschaft erlischt außer in den in § 13 BRAO genannten Fällen mit seinem Tode. Die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft ist nämlich an seine Person gebunden. Die aus ihr folgenden Befugnisse gehen anders als seine Kanzlei als Unternehmen nicht auf die Erben über.
3
II. Erlöschensfolgen 1. Allgemeines Mit dem Erlöschen seiner Zulassung zur Rechtsanwaltschaft verliert der Rechtsanwalt die Befugnis zur Rechtsberatung. Gleichzeitig erlischt die Mitgliedschaft in der Rechtsanwaltskammer, der der Rechtsanwalt angehört. Die Mitgliedschaft in der Rechtsanwaltskammer ist nicht durch einen besonderen Aufnahmeakt begründet worden, sondern gesetzliche Folge seiner Zulassung (§ 12 Abs. 3 BRAO). Das hat zur Folge, dass sie an den Bestand der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft gebunden ist und kraft Gesetzes mit dieser erlischt, ohne dass es dazu eines besonderen Entlassungsaktes bedarf. Dies gilt aber nicht ohne weiteres für die Zugehörigkeit zu einem Rechtsanwaltsversorgungswerk. Zwar werden die landesrechtlichen Vorschriften die Mitgliedschaft im Rechtsanwaltsversorgungswerk des jeweiligen Landes an die Mitgliedschaft in einer der Rechtsanwaltskammern des Landes knüpfen (vgl. z.B. § 2 Abs. 1 RAVGNRW). Es ist aber möglich, dass das Landesrecht den Rechtsanwaltsversorgungswerken die Möglichkeit eröffnet, durch Satzung zu bestimmen, dass die Mitgliedschaft im Versorgungswerk erhalten bleibt, wenn die Mitgliedschaft in der Rechtsanwaltskammer endet (vgl. z.B. § 2 Abs. 3 Nr. 3 RAVGNRW). Sollte das geschehen sein, hat das Erlöschen der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nicht unmittelbar auch das Erlöschen der Mitgliedschaft im Versorgungswerk zur Folge.
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2. Berufsbezeichnung Mit dem Erlöschen seiner Zulassung zur Rechtsanwaltschaft ist der Rechtsanwalt nicht mehr Rechtsanwalt. Es versteht sich deshalb von selbst, dass er sich jedenfalls im Grundsatz nicht mehr als (aktiver) Rechtsanwalt bezeichnen darf. Hierfür trifft § 17 BRAO aber eine nach Fallgruppen differenzierende Regelung.
1 Henssler/Prütting/Henssler, § 13 Rz. 3; Jessnitzer/Blumberg, § 13 Rz. 1. 2 BGHZ 98, 325 (328).
Schmidt-Räntsch 331
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§ 13 BRAO Rz. 5a
Erlöschen der Zulassung
3. Verlust der Fachanwaltsbezeichnung 5a
Mit dem Erlöschen der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft erlischt auch die Fachanwaltsbezeichnung.1 Die Fachanwaltsbezeichnung lebt auch nicht wieder auf, wenn der frühere Rechtsanwalt erneut zur Rechtsanwaltschaft zugelassen wird.2 Der BGH hat dafür drei Argumente: Zum ersten sei in Verleihung von Fachanwaltsbezeichnungen in § 43c BRAO nur für (zugelassene) Rechtsanwälte vorgesehen. Zum zweiten biete die Fachanwaltsordnung keine Grundlage für ein bloßes Ruhen der Fachanwaltsbezeichnung. Zum dritten sei ein Ruhen der Fachanwaltsbezeichnung auch inhaltlich nicht sachgerecht. Die aktive Tätigkeit als Rechtsanwalt sei nach § 3 FAO Grundvoraussetzung für das Führen der Fachanwaltsbezeichnung. Es lasse sich auch nicht absehen, wie lange ein Ruhen daure. Dieses dritte Argument überzeugt. Die Fachanwaltsbezeichnung soll dem rechtsuchenden Publikum besondere anwaltliche Expertise anzeigen. Diese liegt nur bei aktiven Rechtsanwälten vor. Die aktiven Rechtsanwälte müssen sie sich auch durch die in § 15 FAO vorgeschriebene Teilnahme an Fortbildungsveranstaltungen erhalten, wollen sie nicht Gefahr laufen, dass sie ihnen nach § 43c Abs. 4 Satz 2 BRAO entzogen wird. Das zeigt, dass die Fachanwaltsbezeichnung mit der Tätigkeit verbunden ist und der Sache nach nicht bis zur Wiederzulassung konserviert werden kann. Das wird an dem von dem BGH hervorgehobenen Umstand deutlich, dass dieser Zeitraum auch regelmäßig nicht vorhersehbar ist. Man möchte ergänzen, dass auch Kriterien für die Abgrenzung eines noch tolerablen zeitlichen Abstands von der letzten aktiven anwaltlichen Tätigkeit von einem nicht mehr tolerablen zeitlichen Abstand fehlen. 4. Verlust eines Notaramts
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In den Ländern mit Anwaltsnotariat wird das Notaramt Rechtsanwälten mit besonderer Erfahrung auf diesem Gebiet verliehen. Grundlage der Verleihung des Notaramts ist dabei die Zulassung des Rechtsanwalts zur Rechtsanwaltschaft. Erlischt diese nach § 13 BRAO, hat dies kraft Gesetzes auch den Verlust des Notaramts zur Folge, § 47 Nr. 3 BNotO.3 5. Unwirksamkeit von Prozesshandlungen
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Das Erlöschen der Zulassung eines Rechtsanwalts kann sich auf die Wirksamkeit von Prozesshandlungen auswirken.4 Voraussetzung hierfür ist, dass die Prozesshandlungen wirksam nur von einem zugelassenen Rechtsanwalt vorgenommen werden können.5 In diesem Fall setzt die Wirksamkeit der Prozesshandlung voraus, dass die Zulassung des Rechtsanwalts im Zeitpunkt ihrer Vornahme noch Bestand hat. Ist das nicht der Fall, weil die Zulassung erloschen ist, so sind die von dem Rechtsanwalt gleichwohl vorgenommenen Prozesshandlungen nichtig.6 Mit dem Erlöschen der Zulassung erlöschen auch erteilte Vollmachten.7 Die Prozesshandlungen können aber nach § 89 Abs. 2 ZPO rückwirkend genehmigt werden.8 Im Parteiprozess bleibt der Rechtsanwalt auch nach Verlust seiner Zulassung postulationsfähig.9 Es kann allerdings an einer wirksamen Vollmacht fehlen.
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Nach früherem Recht traten diese Wirkungen allerdings erst ein, wenn das Erlöschen der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft auch zu einer Löschung des Anwalts in der Anwaltsliste geführt hat (§ 36 Abs. 2 BRAO a.F.). Diese Vorschrift ist mit Wirkung vom 1.6.2007 an ersatzlos entfallen. Der Rechtsanwalt verliert seine Befugnis, im Anwaltsprozess Prozesshandlungen vorzunehmen, kraft Gesetzes mit dem Erlöschen seiner Zulassung zur Rechtsanwaltschaft. Ob diese Löschung nach § 31 Abs. 4 BRAO im Rechtsanwaltsverzeichnis nachvollzogen worden ist, ist für die Wirksamkeit der Prozesshandlungen fortan unerheblich. Diese Änderung ist zwar im Zuge der Aufgabe des Lokalisationsprinzips vorgenommen worden. Sie war inhaltlich dadurch aber nicht bedingt. Dem Schutz des Mandanten trägt § 244 Abs. 1 ZPO über die Unterbrechung des Verfahrens hinreichend Rechnung. Denn außerhalb 1 2 3 4 5 6
BGH, NJW-RR 2013, 177 Rz. 5. BGH, NJW-RR 2013, 177 Rz. 7 f. Henssler/Prütting/Henssler, § 13 Rz. 7. Henssler/Prütting/Henssler, § 13 Rz. 4; Jessnitzer/Blumberg, § 13 Rz. 3. BGHZ 166, 117 (122). BGHZ 90, 245 (253); 98, 325 (327); Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 13 Rz. 3; Henssler/Prütting/Henssler, § 13 Rz. 4. 7 BGHZ 166, 117 (123) Rz. 17. 8 BGHZ 166, 117 (124) Rz. 17. 9 BGHZ 166, 117 (122) Rz. 15; Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 13 Rz. 3.
332 Schmidt-Räntsch
Erlöschen der Zulassung
Rz. 13 § 13 BRAO
des Anwaltsprozesses verlieren die von dem Rechtsanwalt in Vertretung seines Mandanten vorgenommenen Prozesshandlungen ihre Wirksamkeit nicht. Prozesshandlungen bleiben auch im Anwaltsprozess wirksam, wenn die zunächst eingetretene Bestandskraft später etwa durch die Gewährung von Wiedereinsetzung entfällt.1
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6. Rechtsberatungserlaubnis Mit dem Erlöschen seiner Zulassung zur Rechtsanwaltschaft verliert der Rechtsanwalt auch die Erlaubnis zur Rechtsberatung. Er darf also auch außerhalb seines Berufs als Rechtsanwalt keine Rechtsberatung mehr anbieten oder durchführen. Dies hindert ihn allerdings nicht, außerhalb des Berufs als Rechtsanwalt eine Rechtsberatungserlaubnis nach dem Rechtsdienstleistungsgesetz zu beantragen. Erfolgreich wird ein solcher Antrag in der Regel nicht sein. Denn nach § 12 Abs. 1 Nr. 1 Hs. 2 lit. c RDG ist die Rechtsberatungserlaubnis einem Rechtsanwalt in der Regel zu versagen, wenn seine Zulassung aus den in § 13 BRAO genannten Gründen, ausgenommen ein Widerruf nach § 14 Abs. 2 Nr. 4 und 5 Abs. 3 BRAO, erloschen ist.2
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III. Rückgabe der Zulassungsurkunde Umstritten ist, ob das Erlöschen der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft auch die Verpflichtung des Rechtsanwalts zur Folge hat, die ihm seinerzeit erteilte Zulassungsurkunde wieder zurückzugeben.3 Eine solche Verpflichtung besteht nicht. Die BRAO sieht sie nicht vor. Sie lässt sich auch nicht als integraler Bestandteil der Rücknahme oder des Widerrufs der Zulassung oder einer Ausschließung aus der Rechtsanwaltschaft begreifen. Dann hätte es nahe gelegen, in § 13 BRAO das Erlöschen der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nicht an den Eintritt der Bestandskraft dieser Entscheidungen, sondern an die Rückgabe der Urkunde zu knüpfen. Das ist nicht geschehen, weil die Zulassungsurkunde keine Ausweisfunktion hat. Sie besagt nur, dass der Rechtsanwalt einmal zur Rechtsanwaltschaft zugelassen war. Ähnlich wie im Beamtenverhältnis besagt die Urkunde nichts darüber, ob diese Zulassung weiterhin besteht oder nicht.4 M.E. besteht eine Pflicht zur Rückgabe der Zulassungsurkunde auch nicht in den von Henssler angeführten Missbrauchsfällen,5 obwohl die Annahme einer solchen Verpflichtung auf den ersten Blick nahe liegt. Für den entscheidenden Fall ist ein Bedürfnis für eine solche Fortentwicklung des Gesetzes nicht erkennbar. Tritt der Rechtsanwalt nämlich unter Nutzung seiner Zulassungsurkunde, also unter Ausnutzung ihrer Legitimationsfunktion6 weiterhin als Rechtsanwalt auf, macht er sich nach § 132a StGB strafbar. In diesem Fall könnte die Zulassungsurkunde nach § 132a Abs. 4 StGB wie ein Tatwerkzeug eingezogen werden. Das reicht m.E. zur Bekämpfung von Missbrauchsfällen aus. Verwendet der Rechtsanwalt die Zulassungsurkunde dagegen nicht mehr, besteht ein Bedürfnis für ihre Rückgabe nicht. Es könnte im Gegenteil sogar ein schützenswertes Affektionsinteresse, nämlich an der Dokumentation des eigenen Lebenswegs, gegeben sein.
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C. Neuzulassung Die Bestandskraft eines Widerrufs oder Rücknahmebescheids und die Rechtskraft eines Ausschließungsurteils hindern den früheren Rechtsanwalt zwar nicht daran, erneut seine Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu beantragen. Sie stehen aber einer Neuzulassung inhaltlich entgegen, wenn sich der Sachverhalt zwischenzeitlich nicht verändert hat. Hat er sich verändert und liegen nunmehr keine Versagungsgründe vor, ist der Rechtsanwalt erneut zur Rechtsanwaltschaft zuzulassen. Die erneute Zulassung schließt aber nicht nahtlos an die frühere an. Vielmehr besteht zwischen dem Erlöschen der Erstzulassung und dem Beginn der Zweitzulassung regelmäßig eine zulassungslose Zeit.
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Diese Zulassungslücke lässt sich nicht mehr schließen. Unter altem Verfahrensrecht war das möglich, weil der Fortfall des Widerrufsgrundes im anwaltsgerichtlichen Verfahren be-
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1 BGHZ 98, 325 (328); Jessnitzer/Blumberg, § 13 Rz. 3. 2 Jessnitzer/Blumberg, § 13 Rz. 4 noch zur alten Rechtslage. 3 Dafür Isele, § 12 Anm. VI. B; § 12 Anm. VI; dagegen Feuerich/Weyland/Vossebüger, § 13 Rz. 4; Henssler/Prütting/Henssler, § 12 Rz. 8 a.E. 4 So ausdrücklich: Isele, § 12 Anm. A.1. 5 Henssler/Prütting/Henssler, § 13 Rz. 4. 6 So Isele, § 12 Anm. VI.A.2, B.
Schmidt-Räntsch 333
§ 14 BRAO
Rücknahme und Widerruf der Zulassung
rücksichtigt werden konnte und die Zulassung erhalten blieb, wenn der Widerrufsbescheid – pro futuro – aufgehoben wurde. Dies ist unter dem seit 1.9.2009 geltenden Verfahrensrecht nicht mehr möglich, weil der Fortfall nur noch in einem Widerspruchsverfahren, sonst nur im Wiederzulassungsverfahren, berücksichtigt werden kann.1 und Widerruf der Zulassung 14 BRAO Rücknahme (1) Die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft ist mit Wirkung für die Zu1
kunft zurückzunehmen, wenn Tatsachen nachträglich bekannt werden, bei deren Kenntnis die Zulassung hätte versagt werden müssen. 2Von der Rücknahme der Zulassung kann abgesehen werden, wenn die Gründe, aus denen die Zulassung hätte versagt werden müssen, nicht mehr bestehen. (2) Die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft ist zu widerrufen, 1. wenn der Rechtsanwalt nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ein Grundrecht verwirkt hat; 2. wenn der Rechtsanwalt infolge strafgerichtlicher Verurteilung die Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter verloren hat; 3. wenn der Rechtsanwalt aus gesundheitlichen Gründen nicht nur vorübergehend unfähig ist, den Beruf eines Rechtsanwalts ordnungsgemäß auszuüben, es sei denn, dass sein Verbleiben in der Rechtsanwaltschaft die Rechtspflege nicht gefährdet; 4. wenn der Rechtsanwalt auf die Rechte aus der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft der Rechtsanwaltskammer gegenüber schriftlich verzichtet hat; 5. wenn der Rechtsanwalt zum Richter oder Beamten auf Lebenszeit ernannt, in das Dienstverhältnis eines Berufssoldaten berufen oder nach § 6 des Abgeordnetengesetzes oder entsprechenden Rechtsvorschriften wieder in das frühere Dienstverhältnis als Richter oder Beamter auf Lebenszeit oder als Berufssoldat zurückgeführt wird und nicht auf die Rechte aus der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft verzichtet; 6. (weggefallen) 7. wenn der Rechtsanwalt in Vermögensverfall geraten ist, es sei denn, daß dadurch die Interessen der Rechtsuchenden nicht gefährdet sind; ein Vermögensverfall wird vermutet, wenn ein Insolvenzverfahren über das Vermögen des Rechtsanwalts eröffnet oder der Rechtsanwalt in das vom Vollstreckungsgericht zu führende Verzeichnis (§ 26 Abs. 2 der Insolvenzordnung, § 882b der Zivilprozeßordnung) eingetragen ist; 8. wenn der Rechtsanwalt eine Tätigkeit ausübt, die mit seinem Beruf, insbesondere seiner Stellung als unabhängiges Organ der Rechtspflege nicht vereinbar ist oder das Vertrauen in seine Unabhängigkeit gefährden kann; dies gilt nicht, wenn der Widerruf für ihn eine unzumutbare Härte bedeuten würde; 9. wenn der Rechtsanwalt nicht die vorgeschriebene Berufshaftpflichtversicherung (§ 51) unterhält. (3) Die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft kann widerrufen werden, wenn der Rechtsanwalt 1. nicht binnen drei Monaten, nachdem die Pflicht hierzu entstanden ist, im Bezirk der Rechtsanwaltskammer eine Kanzlei einrichtet; 2. nicht binnen drei Monaten eine ihm bei der Befreiung nach § 29 Abs. 1 oder § 29a Abs. 2 gemachte Auflage erfüllt; 3. nicht binnen drei Monaten, nachdem er von der Pflicht, eine Kanzlei zu unterhalten, befreit worden (§ 29 Abs. 1, § 29a Abs. 2) oder der bisherige Zustellungsbevollmächtigte weggefallen ist, einen Zustellungsbevollmächtigten bestellt; 4. seine Kanzlei aufgibt, ohne dass er von der Pflicht des § 27 Abs. 1 befreit worden ist. (4) 1Ordnet die Rechtsanwaltskammer die sofortige Vollziehung der Verfügung an, sind § 155 Abs. 2, 4 und 5, § 156 Abs. 2, § 160 Abs. 1 Satz 2 und § 161 entsprechend anzuwenden. 2 Im Fall des Absatzes 2 Nr. 9 ist die Anordnung in der Regel zu treffen.
1 Vgl. § 14 BRAO Rz. 37.
334 Schmidt-Räntsch
Rz. 2 § 14 BRAO
Rücknahme und Widerruf der Zulassung A. Rücknahme der Zulassung (§ 14 Abs. 1 BRAO) . . . . . . . . . . . . . . . I. Rücknahmevoraussetzungen . . . . . II. Kein Vertrauensschutz . . . . . . . . III. Absehen von einer Rücknahme . . . .
. . . .
1 1 6 7
B. Pflichtwiderruf (§ 14 Abs. 2 BRAO) . . . 11 11 I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . 1. Verhältnis zu § 7 BRAO . . . . . . . . 11 2. Verhältnis der Widerrufsgründe zueinander . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 3. Berücksichtigung nachträglicher Um15 stände . . . . . . . . . . . . . . . . a) Fortbestand des Widerrufsgrundes . . 15 b) Fortfall des Widerrufsgrunds . . . . 16 II. Verwirkung von Grundrechten 17 (§ 14 Abs. 2 Nr. 1 BRAO) . . . . . . . . III. Verlust der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter (§ 14 Abs. 2 Nr. 2 BRAO) 18 IV. Berufsunfähigkeit (§ 14 Abs. 2 Nr. 3 BRAO) . . . . . . . . . . . . . . . . 19 1. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . 19 2. Fehlende Gefährdung der Rechtspflege . 21 3. Nachträgliche Änderungen . . . . . . . 21a V. Zulassungsverzicht (§ 14 Abs. 2 Nr. 4 BRAO) . . . . . . . . . . . . . . . . 22 1. Zweistufiges Verfahren . . . . . . . . . 22 2. Widerruflichkeit der Verzichtserklärung . 25 VI. Eintritt in ein öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis (§ 14 Abs. 2 Nr. 5 BRAO) 27 1. Dienstverhältnis auf Lebenszeit. . . . . 27 2. Andere Statusformen . . . . . . . . . 29 3. Abgeordnete . . . . . . . . . . . . . 30 VII. Vermögensverfall (§ 14 Abs. 2 Nr. 7 31 BRAO) . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Begriff des Vermögensverfalls . . . . . 2. Darlegungslast der Rechtsanwaltskammer und des Rechtsanwalts . . . . . . 3. Verfallsvermutung . . . . . . . . . . 4. Nachträgliche Veränderungen . . . . . 5. Fehlende Gefährdung der Rechtsuchenden . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Unvereinbare Tätigkeiten (§ 14 Abs. 2 Nr. 8 BRAO) . . . . . . . . IX. Fortfall des Haftpflichtversicherungsschutzes (§ 14 Abs. 2 Nr. 9 BRAO) . . .
31
C. Ermessenswiderruf (§ 14 Abs. 3 BRAO) I. Voraussetzungen . . . . . . . . . . 1. Verletzung der Kanzleipflicht (§ 14 Abs. 3 Nr. 1 u. 4 BRAO) . . . . . 2. Befreiung von der Kanzleipflicht (§ 14 Abs. 3 Nr. 2 u. 3 BRAO) . . . . . II. Widerruf der Zulassung . . . . . . . 1. Grundsatz . . . . . . . . . . . . . 2. Dreimonatsfrist. . . . . . . . . . . 3. Ausübung des Ermessens . . . . . .
. .
49 49
.
49
. . . . .
50 51 51 52 53
D. Wirkungen des Sofortvollzugs (§ 14 Abs. 4 BRAO) . . . . . . . . . . I. Anordnung des Sofortvollzugs . . . . . 1. Ausübung des Ermessens . . . . . . . 2. Anordnung bei Verlust des Haftpflichtversicherungsschutzes . . . . . . . . II. Wirkungen des Sofortvollzugs . . . . . 1. Berufsverbot . . . . . . . . . . . . . 2. Vertreterbestellung . . . . . . . . . . 3. Vertretung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren . . . . . . . . . . . . . . D. Wiederaufgreifen des Verfahrens . . . .
33 35 37 39 46 48
54 54 54 55 56 56 57 58 59
A. Rücknahme der Zulassung (§ 14 Abs. 1 BRAO) I. Rücknahmevoraussetzungen Gemäß § 14 Abs. 1 S. 1 BRAO ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen, wenn nachträglich Tatsachen bekannt werden, bei deren Kenntnis die Zulassung hätte versagt werden müssen. Eine gleichwohl erfolgte Zulassung ist rechtswidrig. Sie darf grundsätzlich keinen Bestand haben, weil ihr Fortbestand die Interessen der Rechtspflege nachhaltig gefährden würde. Das ist auch unter dem Blickwinkel der Berufswahlfreiheit und des Eigentumsschutzes nicht zu beanstanden.1 Geboten ist aber eine enge Auslegung der Tatbestände.2
1
§ 14 Abs. 1 S. 1 BRAO entspricht nach Funktion und Struktur § 48 VwVfG. Er weicht formal, aber nicht inhaltlich in zweierlei Hinsicht von jener Vorschrift ab. Anders als nach § 48 Abs. 1 VwVfG liegt die Rücknahme einer rechtswidrig erteilten Anwaltszulassung nicht im Ermessen der Rechtsanwaltskammer; diese ist vielmehr zur Rücknahme verpflichtet. Das ist aber nur eine scheinbare Abweichung von § 48 Abs. 1 VwVfG. Die Bundesrechtsanwaltsordnung beschränkt nämlich die Voraussetzungen für die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft und die Gründe für die Versagung dieser Zulassung auf das zum Schutz der Rechtspflege erforderliche Minimum. Bei dieser Sachlage könnte eine pflichtgemäße Ausübung des Rücknahmeermessens nur zu dem Ausspruch einer Rücknahme führen. Die Verpflichtung zum Widerruf nach § 14 Abs. 1 S. 1 BRAO nimmt das Ergebnis dieser Ermessensausübung vorweg. Nach § 48 Abs. 1 VwVfG könnte die Rücknahme nicht nur für die Zukunft, sondern auch für die Vergangenheit erfolgen. Dem sind aber schon nach § 48 VwVfG enge Grenzen gesetzt.
2
1 EGMR, AnwBl. 2000, 747 (748); Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 14 Rz. 3; Henssler/Prütting/Henssler, § 14 Rz. 3. 2 BVerfG, DtZ 1995, 398; Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 14 Rz. 3.
Schmidt-Räntsch 335
§ 14 BRAO Rz. 3
Rücknahme und Widerruf der Zulassung
Diese würden bei der Rücknahme einer Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nie erreicht. Deshalb sieht § 14 Abs. 1 S. 1 BRAO von vornherein nur eine Rücknahme mit Wirkung für die Zukunft vor. §§ 48, 49 VwVfG sind nach § 32 Abs. 1 S. 1 BRAO nicht anwendbar.1 Sie werden durch § 14 Abs. 1 BRAO verdrängt. 3
Die nachträglich bekannt werdenden Umstände müssen ergeben, dass entweder die fachlichen Voraussetzungen nach § 4 BRAO nicht gegeben waren oder ein Versagungsgrund nach § 7 BRAO vorlag. Der erste Fall wird selten sein. Er ist etwa dann anzunehmen, wenn das vorgelegte Examenszeugnis gefälscht oder infolge von Unregelmäßigkeiten im Prüfungsverfahren mitsamt dem Prüfungsbescheid aufgehoben worden ist. Bedeutsamer sind dagegen Fälle, in denen sich nachträglich Umstände ergeben, die nach § 7 BRAO zur Versagung der Zulassung hätten führen müssen. Hierbei dürfen auch getilgte oder tilgungsreife Straftaten und Disziplinarmaßnahmen berücksichtigt werden. Das ergibt sich zwar nicht aus § 51 Abs. 2 BZRG,2 wohl aber aus dem auch auf Rücknahmeverfahren anwendbaren § 51 Abs. 1 Nr. 4 BZRG.3
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Ein seinerzeit wichtiger Anwendungsfall, nämlich ein unwürdiges Verhalten durch eine Zusammenarbeit mit dem Staatssicherheitsdienst der DDR oder als Richter oder Staatsanwalt in der DDR, ist mit dem § 1 und 2 RAÜpG einer spezialgesetzlichen Regelung zugeführt worden, die inhaltlich § 14 Abs. 1 S. 1 BRAO entspricht, einen Widerruf aber nur in dem Zeitraum von 1992 bis 1998 zuließ. Das Auslaufen dieser Regelung bedeutet nicht, dass ein Widerruf der Zulassung nicht auch heute noch nach Maßgabe der der Spezialvorschrift zugrunde liegenden allgemeinen Regelung des § 14 Abs. 1 S. 1 BRAO möglich wäre.
5
Aus welchen Gründen die Umstände seinerzeit nicht bekannt geworden sind, ist gleichgültig. Es ist nicht erforderlich, dass der Bewerber sie seinerzeit arglistig verschwiegen hat.4 Es reicht der objektive Tatbestand, dass die Kammer sie nicht in Erfahrung gebracht hat. Das Vorliegen solcher Umstände begründet nämlich eine Gefährdung der Rechtspflege, die behoben werden muss. Auf die Gründe, aus denen diese Gefährdung unerkannt blieb, kann es deshalb nicht ankommen. II. Kein Vertrauensschutz
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Nach § 48 Abs. 2 bis 4 VwVfG scheidet die Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsaktes regelmäßig aus, soweit sein Empfänger auf seinen Bestand vertraut hat. Einen vergleichbaren Schutz eines rechtswidrig zugelassenen Rechtsanwalts sieht § 14 Abs. 1 BRAO bei der Rücknahme der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nicht vor.5 Das Vertrauen des Rechtsanwalts in den Bestand seiner rechtswidrigen Zulassung ist nämlich nicht schutzwürdig.6 Ob er die fachlichen Voraussetzungen des § 4 BRAO erfüllt und ob in seiner Person ein Zulassungsversagungsgrund vorliegt, weiß regelmäßig nur der Bewerber selbst. Welche Umstände in diesem Zusammenhang bedeutsam sind, darauf wird er durch die Erklärungen aufmerksam, deren Abgabe die Kammern im Zusammenhang mit der Zulassung von ihm regelmäßig verlangen. Einzuräumen ist allerdings, dass manche der Zulassungsversagungsgründe von einer wertenden Betrachtung abhängig sind. Aber auch das rechtfertigt ein Vertrauen des Rechtsanwalts in seine rechtswidrige Zulassung nicht. Denn auf die in diesem Zusammenhang maßgeblichen Umstände wird er durch die Antragsunterlagen der Rechtsanwaltskammern aufmerksam. Hat er Zweifel, ob der eine oder andere Grund für die Zulassungsentscheidung relevant ist, kann und muss er bei der Rechtsanwaltskammer nachfragen und diese jedenfalls über den fraglichen Umstand unterrichten. III. Absehen von einer Rücknahme
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Nach Absatz 1 S. 2 kann die Kammer von einer Rücknahme absehen, wenn die Gründe, aus denen die Zulassung hätte versagt werden müssen, nicht mehr bestehen. Die Zulassungsversagungsgründe können nämlich entfallen oder durch zwischenzeitliches Wohlver1 Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 14 Rz. 101. 2 OVG Koblenz, NVwZ-RR 1994, 595 (596). 3 OVG Koblenz, NVwZ-RR 1994, 595 (596); a.M. Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 14 Rz. 4 unter unzutreffender Berufung auf OVG Koblenz, NVwZ-RR 1994, 595 (596). 4 Henssler/Prütting/Henssler, § 14 Rz. 5; Jessnitzer/Blumberg, § 14 Rz. 2. 5 Henssler/Prütting/Henssler, § 14 Rz. 5; Kleine-Cosack, § 14 Rz. 3. 6 A.M. Kleine-Cosack, § 14 Rz. 3.
336 Schmidt-Räntsch
Rücknahme und Widerruf der Zulassung
Rz. 10 § 14 BRAO
halten ihr Gewicht verlieren. Das kann nicht nur für den Bewerber, es muss auch für den zugelassenen Rechtsanwalt gelten,1 dem so eine zweite Chance gegeben wird.2 Was dazu erforderlich ist, hängt davon ab, aus welchem Grund die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft gescheitert wäre. War etwa das Examenszeugnis wegen Täuschungsversuchs aufgehoben worden, so kann die Rücknahme nicht mehr wegen Fehlens der Voraussetzungen nach § 4 BRAO ausgesprochen werden, wenn der Rechtsanwalt inzwischen die juristischen Staatsexamen erneut abgelegt und erneut bestanden hat. Allerdings kann in der Täuschung auch ein Versagungsgrund nach § 7 Nr. 5 BRAO vorliegen, der indes mit dem erneuten Bestehen des Staatsexamens allein nicht ohne weiteres entfällt.3 Lag ein Versagungsgrund vor, kommt es darauf an, ob er immer noch besteht. Aufgrund eines Strafurteils geht die Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter nur für die Dauer von höchstens fünf Jahren verloren. Ist dieser Zeitraum inzwischen verstrichen, ist dieser Zulassungsversagungsgrund entfallen und ein Absehen von der Rücknahme möglich, wenn nicht § 7 Nr. 5 BRAO eingreift.4 Der in Vermögensverfall geratene Bewerber kann nach Aufnahme seines Berufs als Rechtsanwalt zu einer Ordnung seiner Vermögensverhältnisse gelangt sein. Die gesundheitlichen Störungen, die zunächst dauerhaft schienen, können entfallen sein.5 Die der Aufnahme des Berufs des Rechtsanwalts zunächst entgegenstehende anderweitige Tätigkeit oder ein Beamtenverhältnis kann beendet worden sein. Im Fall des § 7 Nr. 5 BRAO kommt ein Absehen von der Rücknahme auch in Betracht, wenn sich an dem die Versagung der Zulassung zunächst begründenden Verhalten nichts geändert hat. Zwar sind in einem solchen Fall grundsätzlich das schon bei der Zulassung bekannte und das nachträglich bekannt gewordene Verhalten des Rechtsanwalts bezogen auf den Zeitpunkt der Zulassungsentscheidung umfassend zu würdigen.6 Nach Absatz 1 S. 2 kann die Kammer aber von der Rücknahme absehen, wenn die Gründe, die seinerzeit der Zulassung entgegenstanden, nicht mehr bestehen. Das ist auch bei einem Wohlverhalten der Fall, das das seinerzeitige Gesamtverhalten jetzt nicht mehr als unwürdig erscheinen lässt.7
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Nach Absatz 1 S. 2 steht das Absehen von der Rücknahme im Ermessen der Rechtsanwaltskammer. Sie ist nach ständiger Rechtsprechung zwar nur eingeschränkt, nämlich nur auf Ermessenfehlgebrauch hin überprüfbar.8 Diese Regelung ist zwar erst durch das Gesetz zur Stärkung der Selbstverwaltung der Rechtsanwaltschaft vom 26.3.20079 eingefügt worden, übernimmt aber wörtlich den früheren Absatz 3. Der frühere Absatz 3 selbst wurde aber Art. 12 GG nicht gerecht. Danach darf die Wahl des Berufs des Rechtsanwalts nur versagt werden, wenn das zur Abwehr von Gefährdungen für die Rechtspflege erforderlich ist. Das ist der Fall, wenn die Zulassungsvoraussetzungen nach § 4 BRAO nicht vorliegen oder ein Versagungsgrund nach § 7 BRAO gegeben ist. Entfällt das Hindernis für die Zulassung, dann darf die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft auch nicht versagt werden. Dem entspricht es, wenn auch das Absehen von einer Rücknahme wegen Entfallens der Versagungsgründe eine gebundene und keine Ermessensentscheidung ist.10 Es ist jedenfalls kein Grund ersichtlich, der die Rücknahme einer rechtswidrigen Zulassung rechtfertigen würde, wenn der Grund, der seinerzeit ihre Versagung gerechtfertigt hätte, jetzt nicht mehr vorliegt. Die Zulassung müsste erneut ausgesprochen werden; die vorherige Rücknahme der bestehenden Zulassung wäre in einem solchen Fall unverhältnismäßig. Deshalb ist das Absehen von der Rücknahme bei Vorliegen eines Absehensgrundes in verfassungskonformer Auslegung auch der neuen Vorschrift zwingend. Eine andere Entscheidung wäre ein Ermessenfehlgebrauch. Das entspricht auch der Rechtsprechung des BGH.11
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Die Rechtsanwaltskammer kann über Absatz 1 S. 2 hinaus von einer Rücknahme absehen, wenn bei dem zu Unrecht zugelassenen Rechtsanwalt ein Rücknahmetatbestand vorliegt. Entschieden ist das für den bei Wiederzulassung gegebenen, aber unbemerkten Ver-
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1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
BGH, EGE VII, 97; IX, 62. So Isele, Anm. IV.A.4. BGH, BRAK-Mitt. 1982, 25. Henssler/Prütting/Henssler, § 14 Rz. 6. BGH, EGH 31, 11 (13). BGH, EGE VII, 97 (101); IX, 62 (69); Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 14 Rz. 8. BGH, EGE IX, 62 (69 f.) in casu verneint. BGH, EGE IX, 62 (69 f.); BRAK-Mitt. 1982, 25. BGBl. I, S. 358. Im Erg. ebenso: Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 14 Rz. 10: zwar Ermessenentscheidung, aber Ermessensüberschreitung bei fehlenden Rücknahmegrund. 11 BGH, EGE X, 50 (51).
Schmidt-Räntsch 337
§ 14 BRAO Rz. 11
Rücknahme und Widerruf der Zulassung
mögensverfall.1 Hier kann von einer Rücknahme der unberechtigten Wiederzulassung gem. §§ 14 Abs. 1, 7 Nr. 9 BRAO abgesehen und gleich ein Widerruf nach § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO erfolgen. Dabei darf auch der bei Wiederzulassung materiell gegebene Vermögensverfall berücksichtigt werden. Dies lässt sich auf andere Gründe des § 7 BRAO übertragen. B. Pflichtwiderruf (§ 14 Abs. 2 BRAO) I. Allgemeines 1. Verhältnis zu § 7 BRAO 11
Tatbestände, die eine Versagung der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nach § 7 BRAO rechtfertigen, werden bei der Erstzulassung von Berufsanfängern nur selten vorliegen. Sie können sich aber im Verlaufe des Berufslebens entwickeln und stellen dann ebenso eine Gefahr für die Rechtspflege dar, wie dies der Fall wäre, wenn sie schon bei der Zulassung vorgelegen hätten. Das macht es erforderlich, die einmal erfolgte Zulassung eines Rechtsanwalts nachträglich wieder aufheben zu können, wenn sich solche Umstände später ergeben. Dem Anliegen trägt im allgemeinen Verwaltungsrecht § 49 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 und 5 VwVfG Rechnung. Danach kann ein begünstigender Verwaltungsakt nachträglich ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden, wenn die Behörde aufgrund nachträglich eingetretener Tatsachen berechtigt wäre, den Verwaltungsakt nicht zu erlassen und wenn ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet würde oder wenn schwere Nachteile für das Gemeinwohl zu verhüten und zu beseitigen sind. Die Gründe, die in diesem Sinne eine Versagung der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft rechtfertigen, legt § 7 BRAO abschließend fest. Für den Widerruf der einmal erfolgten Zulassung zur Rechtsanwalt kann im Grundsatz nichts anderes gelten. Deshalb erlaubt § 14 Abs. 2 BRAO, der § 49 VwVfG gemäß § 32 BRAO vorgeht, als lex specialis den Widerruf der Zulassung im Wesentlichen nur aus den Gründen, die nach § 7 BRAO zur Versagung der Zulassung führen. Die Widerrufsgründe nach Absatz 2 Nr. 1, 2, 3, 5, 7 und 8 entsprechen deshalb, von einigen wenigen noch darzustellenden Ausnahmen abgesehen, den Zulassungsversagungsgründen nach § 7 Nr. 1 bis 4 und 6 bis 10 BRAO.
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Keine Entsprechung in den Widerrufsgründen findet der Versagungsgrund nach § 7 Nr. 5 BRAO (unwürdiges Verhalten). Das hat seinen Grund darin, dass der einmal zugelassene Anwalt der Aufsicht der Rechtsanwaltskammern untersteht und ein nachträgliches unwürdiges Verhalten mit den jeweils gebotenen anwaltsgerichtlichen Maßnahmen verfolgt und abgestellt werden kann.2 Die dabei möglichen Maßnahmen decken bis hin zum Ausschluss aus der Rechtsanwaltschaft alle denkbar erforderlichen Sanktionen ab. Daneben ist für einen besonderen Widerrufsgrund, der auf ein eben solches Verhalten abstellt, kein Raum.
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Umgekehrt sieht § 14 Abs. 2 und 3 BRAO den Widerruf der Zulassung in drei Fällen vor, die in den Gründen zur Versagung der Zulassung nach § 7 BRAO keine Entsprechung finden. Es handelt sich um den Widerruf wegen Verzichts auf die Zulassung nach § 14 Abs. 2 Nr. 4 BRAO, den Widerruf wegen Verlusts der Haftpflichtversicherung nach § 14 Abs. 2 Nr. 3 BRAO und den Widerruf wegen Verletzung der Kanzleipflicht bzw. der Auflagen bei Befreiung von der Kanzleipflicht nach § 14 Abs. 3 BRAO. Auf die Zulassung kann erst nach ihrer Erteilung verzichtet werden. Ohne den Nachweis der Haftpflichtversicherung wird die Zulassungsurkunde nicht ausgehändigt und die Zulassung nicht wirksam. Zur Kanzleieinrichtung ist der Rechtsanwalt erst nach seiner Zulassung zur Rechtsanwaltschaft verpflichtet. 2. Verhältnis der Widerrufsgründe zueinander
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Die Widerrufsgründe nach § 14 Abs. 2 und 3 BRAO betreffen zwar unterschiedliche Sachverhalte. Sie können aber nebeneinander vorliegen. In der Praxis ist das auch sehr oft der Fall. Der häufigste Fall dieser Art ist der Widerrufsgrund des Vermögensverfalls. Ein Rechtsanwalt, der in Vermögensverfall geraten ist, ist oft nicht mehr in der Lage, seine Haftpflichtversicherung oder die Miete für seine Kanzleiräume zu bezahlen. Es werden dann sehr schnell neben dem Widerrufsgrund des Vermögensverfalls die Widerrufsgründe der Verletzung der Kanzleipflicht nach § 14 Abs. 3 Nr. 1 BRAO und des Verlusts der Haftpflichtversicherung nach § 14 Abs. 2 Nr. 9 BRAO auftreten. Nicht selten werden in Vermögensverfall 1 BGH, Beschl. v. 26.1.2009 – AnwZ(B) 28/08, juris. 2 Henssler/Prütting/Henssler, § 14 Rz. 8.
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Rücknahme und Widerruf der Zulassung
Rz. 15 § 14 BRAO
geratene Rechtsanwälte auch straffällig, so dass sie hier je nach dem Strafmaß auch ihre Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter vorübergehend verlieren können und ihre Zulassung auch aus diesem Grund zu widerrufen ist. In aller Regel beginnen die Ermittlungen der Kammer mit dem Widerrufsgrund Vermögensverfall und weiten sich dann je nach der Entwicklung des Falles auf andere Widerrufsgründe aus. Jeder einzelne dieser Widerrufsgründe würde den Widerruf an der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft für sich tragen. Die Rechtsanwaltskammer wäre auch verpflichtet, den Widerruf auszusprechen, sobald sie das Vorliegen eines der verschiedenen sich abzeichnenden Widerrufsgründe festgestellt hat. Sie dürfte nicht zuwarten, ob sich noch weitere Widerrufsgründe ergeben. Das würde die Rechtsanwaltskammer zwar nicht daran hindern, einen Widerrufsbescheid auf alle zu diesem Zeitpunkt durchermittelten Widerrufsgründe zu stützen. In der Praxis werden aber die verschiedenen in einem Fall auftretenden Widerrufsgründe gesondert ermittelt und zur Grundlage von jeweils gesonderten Widerrufsbescheiden gemacht. In dem geschilderten Beispielsfall kommt es deshalb nicht selten vor, dass zunächst der Widerruf wegen Vermögensverfall ausgesprochen wird und während der meist anschließenden Verfahren über Widerspruch und Anfechtungsklage weitere Widerrufsbescheide aus anderen Gründen ergehen, die dann ggf. wieder zum Gegenstand von Widerspruch und Anfechtungsklage werden. Bei einem solchen Vorgehen wird jeder Widerrufsgrund für sich geprüft. Die Rechtsanwaltskammer ist auch nach neuem Recht weder im Widerspruchs- noch im gerichtlichen Verfahren in der Lage, Schwächen eines Widerrufsgrundes durch das Nachschieben eines anderen Widerrufsgrundes auszugleichen. Mit der Einführung eines neuen Widerrufsgrunds würde dem Widerrufsbescheid nicht nur eine andere formelle Begründung gegeben, was nach § 32 BRAO i.V.m. § 45 VwVfG möglich wäre. Vielmehr änderte sich der dem Versagungsbescheid zugrunde gelegte Sachverhalt, was von § 45 VwVfG nicht erfasst wird.1 Solche Sachverhaltsveränderungen können zwar berücksichtigt werden, aber nur, wenn sie den Bescheid nicht in seinem Wesen verändern.2 Eine solche Wesensveränderung liegt vor, wenn statt des Widerrufsgrunds, auf den der Widerruf gestützt ist, ein anderer Widerrufsgrund geltend gemacht wird. Deshalb wird der andere Widerrufsgrund bei der Überprüfung des auf ihn gestützten gesonderten Widerrufsbescheids geprüft. Das kann durchaus dazu führen, dass sich Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen früheren Widerruf in der Hauptsache erledigen, wenn sich ein später ausgesprochener Widerruf aus einem anderen Grund als berechtigt erweist oder ohne Anfechtung durch den Rechtsanwalt bestandskräftig wird. 3. Berücksichtigung nachträglicher Umstände a) Fortbestand des Widerrufsgrundes Von dem Nachschieben eines anderen Widerrufsgrundes zu unterscheiden ist das Nachschieben neuer Tatsachen zur Unterlegung des Widerrufsgrunds, auf den der Widerruf gestützt ist. Das war der Rechtanwaltskammer nach der Rechtsprechung des BGH zum früheren, vor dem 1.9.2009 geltenden Recht nur eingeschränkt möglich. Tatsachen, die bei Erlass des Bescheids objektiv vorlagen, konnten uneingeschränkt nachträglich eingeführt werden. Diese Situation tritt im allgemeinen Verwaltungsverfahren eher seltener ein, weil die Behörde den Sachverhalt nach § 24 Abs. 1 S. 1 VwVfG von Amts wegen aufzuklären hat. Diese Verpflichtung hat die Rechtsanwaltskammer nach § 32 BRAO i.V.m. § 24 VwVfG zwar auch. Sie hat aber in diesem Rahmen schwächere Ermittlungsmöglichkeiten, weil ihr viele wesentliche Tatsachen auch bei amtswegigem Vorgehen nicht zugänglich sind. Sie ist in großem Umfang auf die Mitwirkung des Rechtanwalts angewiesen. Zu dieser Mitwirkung ist der Rechtsanwalt nach § 32 BRAO i.V.m. § 26 Abs. 2 VwVfG auch verpflichtet. Die betroffenen Rechtsanwälte kommen dieser Mitwirkungspflicht aber recht oft nicht oder nur unzureichend nach. Deshalb kann die Rechtanwaltskammer bei Erlass ihres Bescheids gegebene Umstände zur Stützung anführen, auch wenn sie erst später bekannt werden. Anders lag es nach bisherigem Recht aber dann, wenn die bei Erlass des Widerrufsbescheids gegebenen Tatsachen für den angenommenen Widerrufsgrund nicht ausreichten. Dann konnte der Widerruf nicht mit neuen Tatsachen gehalten werden.3 An dieser Rechtsprechung kann nicht mehr festgehalten werden. Nach §§ 32, 112c Abs. 1 S. 1 BRAO sind im Verwaltungs- und im gerichtlichen Verfahren nach der BRAO jetzt das VwVfG und die VwGO anzuwenden. Da1 Stelkens/Bonk/Sachs/Sachs, § 45 VwVfG Rz. 150. 2 BVerwGE 6, 356 (358); 71, 363 (368); 80, 96 (98 f.) für Klageverfahren und BVerwGE 60, 140 (142) für Widerspruchsverfahren. 3 BGH, Beschl. v. 20.4.2009 – AnwZ (B) 20/08.
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§ 14 BRAO Rz. 16
Rücknahme und Widerruf der Zulassung
nach kann nicht nur die formelle Begründung des Widerrufsbescheids nach § 32 BRAO i.V.m. § 45 VwVfG ergänzt werden. Vielmehr ist es über § 45 VwVfG hinaus1 auch möglich, den dem Widerrufsbescheid zugrunde gelegten Sachverhalt zu ergänzen. Solche Sachverhaltsveränderungen können nämlich berücksichtigt werden, wenn sie den Bescheid nicht in seinem Wesen verändern.2 Sein Wesen verändert der Widerrufsbescheid aber nicht, wenn es weiterhin um denselben Widerrufsgrund geht. Das gilt nicht nur im Widerspruchsverfahren, sondern auch im berufsgerichtlichen Verfahren. b) Fortfall des Widerrufsgrunds 16
Nach früherer Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs war auch ein zunächst rechtmäßiger Widerruf aufzuheben, wenn der ihm zugrunde liegende Widerrufsgrund nachträglich entfallen ist.3 Dieser Rechtsprechung lag die Überlegung zugrunde, dass der Rechtsanwalt anderenfalls nach der Bestätigung des Widerrufs bei zweifelsfreiem Fortfall des Widerrufsgrundes gleich wieder zur Rechtsanwaltschaft zugelassen werden müsste. Diese Rechtsprechung hat der BGH aufgegeben. Der Wegfall des Widerrufsgrundes kann künftig nur noch in einem Widerspruchsverfahren, aber nicht mehr in dem daran oder an den Widerrufsbescheid anschließenden gerichtlichen Verfahren berücksichtigt werden.4 Im Widerspruchsverfahren kann der Wegfall des Widerrufsgrunds wie bisher im gerichtlichen Verfahren nur berücksichtigt werden, wenn er zweifelsfrei weggefallen ist.5 Denn nur dann bestünde ein Anspruch auf Wiederzulassung. Dabei können und müssen nicht nur die für den Fortfall des Widerrufsgrundes sprechenden Gesichtspunkte berücksichtigt werden, sondern auch die Gesichtspunkte, die für den Fortbestand des Widerrufsgrundes sprechen. Weitere Einzelheiten unten Rz. 37, 21. II. Verwirkung von Grundrechten (§ 14 Abs. 2 Nr. 1 BRAO)
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Nach § 14 Abs. 2 Nr. 1 BRAO ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu entziehen, wenn der Rechtsanwalt nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ein Grundrecht verwirkt hat. Der Widerrufsgrund entspricht wörtlich dem Zulassungsversagungsgrund nach § 7 Nr. 1 BRAO. Es gilt das dort Ausgeführte (§ 7 BRAO Rz. 9). Der Widerrufsgrund hat kaum praktische Bedeutung, weil das Bundesverfassungsgericht bislang noch nicht auf eine Verwirkung von Grundrechten erkannt hat. III. Verlust der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter (§ 14 Abs. 2 Nr. 2 BRAO)
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Nach § 14 Abs. 2 Nr. 2 BRAO ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu widerrufen, wenn der Rechtsanwalt infolge einer strafgerichtlichen Verurteilung die Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter verloren hat. Dieser Widerrufsgrund entspricht wörtlich dem Zulassungsversagungsgrund nach § 7 Nr. 2 BRAO.6 Es gilt das dort Ausgeführte entsprechend (§ 7 BRAO Rz. 13 ff.). Der Verlust der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter setzt nach § 45 Abs. 1 StGB grundsätzlich die Verurteilung wegen eines Verbrechens voraus. Bei der Verurteilung wegen eines Vergehens kommt der Verlust der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter nach § 45 Abs. 2 StGB nur in Betracht, wenn das Gesetz diese Nebenfolge ausdrücklich vorsieht und das Gericht hierauf erkennt. Ein Beispiel, in dem eine solche Nebenfolge möglich ist, ist der Subventionsbetrug nach § 264 StGB, bei dem diese Nebenfolge in § 264 Abs. 6 StGB vorgesehen ist. Die Kammer ist an das Strafurteil gebunden7 und muss bei entsprechender Verurteilung die Zulassung widerrufen; ein Absehen von einem Widerruf kommt nicht in Betracht.8 Auch eine Aussetzung des Widerrufsverfahrens bis zum Abschluss eines Wiederaufnahmeverfahrens gegen die Verurteilung ist nicht möglich.9 Ist der Verlust der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter für den konkret einschlägigen Straftatbestand 1 Stelkens/Bonk/Sachs/Sachs, § 45 VwVfG Rz. 150. 2 BVerwGE 6, 356 (358); 71, 363 (368); 80, 96 (98 f.) für Klageverfahren und BVerwGE 60, 140 (142) für Widerspruchsverfahren. 3 BGHZ 75, 356 (357); 84, 149 (150); BGH, BRAK-Mitt. 1999, 36; Beschl. v. 31.3.2008 – AnwZ (B) 27/07, juris. 4 BGHZ 190, 187, 193 Rz. 14 f. Einzelheiten unten Rz. 37 und 21. 5 BGH, NJW 1991, 2083 (2084); Beschl. v. 31.3.2008 – AnwZ (B) 27/07, juris. 6 BGH, BRAK-Mitt. 2000, 42. 7 BGHZ 46, 230 (234); BGH, BRAK-Mitt. 1984, 35; 1988, 208; Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 14 Rz. 24. 8 BGH, BRAK-Mitt. 1984, 35; 1988, 208; 1993, 102 (103); 1999, 185; 2000, 42; Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 14 Rz. 19; Jessnitzer/Blumberg, § 14 Rz. 5. 9 BGH, BRAK-Mitt. 1988, 208; Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 14 Rz. 24; Jessnitzer/Blumberg, § 14 Rz. 5.
340 Schmidt-Räntsch
Rücknahme und Widerruf der Zulassung
Rz. 20a § 14 BRAO
nicht vorgesehen oder macht das Strafgericht von einer bestehenden Möglichkeit keinen Gebrauch, so kommt ein Verlust der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nur aus anderen Gründen in Betracht. Einer der möglichen Gründe ist der Ausschluss aus der Rechtsanwaltschaft als anwaltsgerichtliche Folgemaßnahme einer solchen Verurteilung (§ 114 Abs. 1 Nr. 5 BRAO). Häufig werden solche Straftaten auch im Zusammenhang mit Vermögensverfall begangen, so dass ein Widerruf dann unter dem Gesichtspunkt des Vermögensverfalls möglich ist. IV. Berufsunfähigkeit (§ 14 Abs. 2 Nr. 3 BRAO) 1. Voraussetzungen Nach § 14 Abs. 2 Nr. 3 BRAO ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu widerrufen, wenn der Rechtsanwalt aus gesundheitlichen Gründen nicht nur vorübergehend unfähig ist, den Beruf eines Rechtsanwalts ordnungsgemäß auszuüben. Der Widerrufsgrund entspricht dem Zulassungsversagungsgrund nach § 7 Nr. 7 BRAO, auf dessen Erläuterung in § 7 BRAO Rz. 50 ff. verwiesen wird. Die damit angesprochene Berufsunfähigkeit liegt nur vor, wenn der Rechtsanwalt auf Dauer daran gehindert ist, seinen Beruf ordnungsgemäß auszuüben.1 Sie muss ihre Ursache in gesundheitlichen Gründen haben. Gesundheitliche Gründe können in einer Schwächung der körperlichen Kräfte liegen. Diese kann auf Erkrankungen von einigem Gewicht zurückzuführen sein, die dem Rechtsanwalt dauerhaft die Kräfte nehmen. Es kann sich dabei aber auch, was der Begriff der körperlichen Gebrechen im früheren Recht deutlicher zum Ausdruck brachte, um andere körperliche Beeinträchtigungen wie das Fehlen und die Beeinträchtigung von Sinnesorganen oder Gliedmaßen handeln. Entscheidend ist, dass sie sich dauerhaft auf die Möglichkeit des Rechtsanwalts auswirken, seinem Beruf ordnungsgemäß nachzugehen. Entsprechendes würde für eine Schwächung seiner geistigen Kräfte gelten. Auch ein depressives2 oder ein Suchtverhalten oder querulatorisches Verhalten, dass sich zu einem Querulantenwahn entwickelt hat,3 kommen als Gesundheitsstörung in Betracht, die zur Berufsunfähigkeit führt.
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Gesundheitliche Gründe führen zu einer Berufsunfähigkeit nur, wenn sie den Rechtsanwalt daran hindern, seinem Beruf ordnungsgemäß nachzugehen. Das ist nicht schon dann der Fall, wenn die Wahrnehmung seiner beruflichen Aufgaben dem Rechtsanwalt infolge seiner gesundheitlichen Beeinträchtigung schwerer fällt als früher oder als anderen Rechtsanwälten. Es genügt auch nicht, wenn der Rechtsanwalt alters- oder gesundheitsbedingt kürzer treten muss und weniger Mandate betreuen kann als zuvor. Als Orientierung wird dabei die eingeschränkte Dienstfähigkeit nach § 45 BBG, § 27 BeamtStG dienen können. Nach jener Vorschrift kommt die Versetzung eines Beamten in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit nur in Betracht, wenn er auch zu einem eingeschränkten Dienst nicht mehr in der Lage ist. Das lässt sich auf Rechtsanwälte übertragen, da zur Berufswahlfreiheit des Rechtsanwalts auch die Freiheit gehört, den Umfang seiner Berufstätigkeit einzuschränken. Als berufsunfähig wird man einen Rechtsanwalt deshalb erst ansehen können, wenn er auch zu einer eingeschränkten Berufstätigkeit nicht mehr in der Lage ist oder außer Stande ist, seine Belastungs- und Einsatzgrenzen zu erkennen.
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Die Rechtsanwaltskammer wird in der Regel nicht der Lage sein, das Vorliegen und das Ausmaß einer gesundheitlichen Störung aus eigener Sachkunde zu beurteilen. Sie wird dem Rechtsanwalt deshalb nach Maßgabe von § 15 BRAO die Vorlage eines Gutachtens aufgeben. Legt der Rechtsanwalt dieses Gutachten vor, hängt ihre Entscheidung von dessen Ergebnis und Überzeugungskraft ab. Legt der Rechtsanwalt das Gutachten nicht vor, wird das Vorliegen der Störung vermutet. Der Rechtsanwalt kann dann nur einwenden, das der Gutachtenanordnung zugrunde liegende Verhalten ergeben keinen Verdacht für eine Gesundheitsstörung.4 Außerdem kann er die Vermutung widerlegen. Dazu wird in der Regel ein ärztliches Gutachten erforderlich sein. Diese vermag die Vermutung aber nur zu widerlegen, wenn es das der Gutachtenanordnung zugrunde gelegte Verhalten des Rechtsanwalts in seinen entscheidenden Punkten anders bewertet.5
20a
1 BGH, BRAK-Mitt. 1999, 39 (40); BGH-Report 2001, 668; NJW-RR 2001, 1426 (1427); Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 14 Rz. 28. 2 AGH Celle, Beschl. v. 20.6.2005 – AGH 22/04 (II 14). 3 BGH, NJW-Spezial 2011, 287 = juris Rz. 16 f. 4 BGH, NJW-Spezial 2011, 287 = juris Rz. 15–17; weitere Einzelheiten bei § 15 BRAO Rz. 64. 5 BGH, NJW-Spezial 2011, 287 = juris Rz. 23 ff.
Schmidt-Räntsch 341
§ 14 BRAO Rz. 21
Rücknahme und Widerruf der Zulassung
2. Fehlende Gefährdung der Rechtspflege 21
Während die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft bei zur Berufsunfähigkeit führender gesundheitlicher Beeinträchtigung zu versagen ist, gilt das für den Widerruf nicht ohne Ausnahme. Zwar indiziert die gesundheitliche Beeinträchtigung eine Gefährdung der Rechtspflege.1 Nach § 14 Abs. 2 Nr. 3 Hs. 2 BRAO ist von einem Widerruf aber abzusehen, wenn das Verbleiben des Rechtsanwalts in der Rechtsanwaltschaft trotz seiner gesundheitlichen Beeinträchtigungen die Rechtspflege nicht gefährdet. Für diese Annahme genügt nicht schon der Umstand, dass über eine fehlerhafte Prozessführung oder Beratung von Mandanten nichts bekannt geworden ist.2 Andererseits trägt das Gesetz mit dieser Einschränkung dem Umstand Rechnung, dass der Rechtsanwalt vor seiner gesundheitlichen Beeinträchtigung oft jahrzehntelang seinen Beruf ordnungsgemäß ausgeübt und sich auch eine Kanzlei aufgebaut hat, bevor ihn die gesundheitliche Beeinträchtigung oft wie ein Schicksalsschlag getroffen hat. Es entspricht daher sowohl der Berufsfreiheit nach Art. 12 GG als auch im Hinblick auf die aufgebaute Kanzlei der Eigentumsfreiheit, dem berufsunfähig gewordenen Rechtsanwalt die Möglichkeit zu geben, sich auf die neue Situation einzustellen und seine Berufstätigkeit unter veränderten Bedingungen fortzuführen. Solche veränderten Bedingungen können etwa Selbstbeschränkungen sein, die sich der Rechtsanwalt auferlegt, um Gefährdungen für die Rechtspflege vorzubeugen.3 So könnte ein Rechtsanwalt, der nach einem Herzinfarkt nur noch eingeschränkt belastbar ist, kürzer treten und sich auf weniger belastende Mandate beschränken. Ein Rechtsanwalt, der nicht mehr in der Lage ist, eine bestimmte Art von Mandaten mit der gebotenen Sachlichkeit zu bearbeiten, könnte sich auf andere Mandate konzentrieren. Selbst bei schwersten Erkrankungen ist von einem Widerruf abzusehen, wenn der Rechtsanwalt beispielsweise durch die Hilfe seiner Sozien in der Lage ist, eine Beeinträchtigung der Mandatsbearbeitung oder sonstiger Interessen der Rechtspflege zu vermeiden.4 Kann der Rechtsanwalt dies konkret darstellen, kann er damit ggf. auch die Vermutung nach § 15 Abs. 3 BRAO widerlegen.5 Im Zweifel allerdings ist die Zulassung zu widerrufen.6 3. Nachträgliche Änderungen
21a
Nachträgliche Änderungen der tatsächlichen Grundlagen für den Widerruf aus gesundheitlichen Gründen können nur eingeschränkt berücksichtigt werden. Dass sich eine dem Widerruf zugrunde liegende schwere Erkrankung im Verlauf des Widerrufs- und des anschließenden Gerichtsverfahrens so nachhaltig verbessert, dass der Widerruf nicht mehr gerechtfertigt wäre, wird eher selten vorkommen. Zu denken ist aber an Fälle, in denen nach § 15 Abs. 3 Satz 1 BRAO wegen Nichtvorlage des angeforderten ärztlichen Gutachtens gesetzlich vermutet wird, dass der Rechtsanwalt aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage ist, den Beruf des Rechtsanwalts auszuüben. Dieses Gutachten könnte nachträglich doch vorgelegt werden und ergeben, dass die vermuteten Gründe nicht vorliegen. Nachträglich fortfallen könnte auch die Gefährdung der Rechtssuchenden. So könnte der schwer erkrankte Rechtsanwalt nachträglich einsehen, dass er sich weitgehend zurückziehen und einen Kollegen in seine Kanzlei aufnehmen muss, was dann auch geschieht und zum Fortfall der Gefährdung der Rechtsuchenden führt. In Übernahme seiner Rechtsprechung zur Berücksichtigung des nachträglichen Wegfalls des Vermögensverfalls hatte der BGH auch den (zweifelsfreien) nachträglichen Wegfall der tatsächlichen Grundlagen des Widerrufs aus gesundheitlichen Gründen berücksichtigt.7 Diese Rechtsprechung hat der BGH für den Vermögensverfall aufgegeben.8 Die Gründe hierfür treffen auch auf den Wegfall der tatsächlichen Grundlagen für den Widerruf aus gesundheitlichen Gründen zu. Auf diese Veränderung kann künftig nur noch in einem Widerspruchsverfahren, aber nicht mehr in dem daran anschließenden Gerichtsverfahren berücksichtigt werden, und zwar weder vor dem Anwaltsgerichtshof noch vor dem BGH. 1 BGH, BRAK-Mitt. 1999, 39 (40); NJW-RR 1998, 569 (570); Henssler/Prütting/Henssler, § 14 Rz. 14; Jessnitzer/Blumberg, § 14 Rz. 6. 2 BGH, NJW-RR 1998, 569 (570). 3 Isele, § 14 Anm. IV.D.2d. 4 BVerfGE 37, 67 (78); BGH, NJW-RR 1998, 569 (570); Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 14 Rz. 30 a.E.; Henssler/Prütting/Henssler, § 14 Rz. 14; Jessnitzer/Blumberg, § 14 Rz. 6; Kleine-Cosack, § 14 Rz. 10. 5 BGH, NJW-RR 1998, 569 (570). 6 BGH, NJW-RR 1998, 569 (570); Henssler/Prütting/Henssler, § 14 Rz. 14. 7 BGH, NJW-RR 2009, 1578 (1580) Rz. 22. 8 BGHZ 190, 187, 193 Rz. 14. Einzelheiten unten Rz. 36.
342 Schmidt-Räntsch
Rücknahme und Widerruf der Zulassung
Rz. 25 § 14 BRAO
V. Zulassungsverzicht (§ 14 Abs. 2 Nr. 4 BRAO) 1. Zweistufiges Verfahren Nach § 14 Abs. 2 Nr. 4 BRAO ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu widerrufen, wenn der Rechtsanwalt auf die Rechte aus der Zulassung gegenüber der Rechtsanwaltskammer schriftlich verzichtet hat. Die Zulassung des Rechtsanwalts endet danach also nicht schon mit dem Eingang der Verzichtserklärung bei der Rechtsanwaltskammer. Vielmehr muss die Rechtsanwaltskammer die Verzichtserklärung zum Anlass nehmen, den Widerruf auch tatsächlich auszusprechen. Erst mit der Bestandskraft der Widerrufsentscheidung endet die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft.
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Aus dieser Konstruktion der Beendigung der Zulassung durch Verzicht ergibt sich, dass der Verzicht keine reine privatrechtsgestaltende Willenserklärung, sondern eine Verfahrenshandlung ist. Diese Einordnung als Verfahrenshandlung ist sowohl für die Form, in der der Verzicht erklärt werden kann, als auch für die Möglichkeit seines Widerrufs von entscheidender Bedeutung.
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Nach § 14 Abs. 2 Nr. 4 BRAO muss der Verzicht schriftlich erklärt werden. Das bedeutet unter Heranziehung von § 126 BGB, dass er durch Unterzeichnung einer entsprechenden Urkunde erklärt werden muss. Eine solche Urkunde kann, da § 14 Abs. 2 Nr. 4 BRAO dies nicht ausschließt, auch durch eine Erklärung in elektronischer Form ersetzt werden. Dies ergibt sich aus einer Gesamtschau von § 126a BGB, § 130a ZPO, § 32 BRAO i.V.m. § 3a VwVfG. Unterschiede ergeben sich aber in der Frage, ob der Verzicht auch durch ein Telefax erklärt werden kann. Betrachtet man ihn als privatrechtliche Willenserklärung, wäre eine Abgabe in der Form der Telekopie unzureichend. Betrachtet man ihn dagegen als Prozesshandlung, wäre ein Telefax in entsprechender Anwendung von § 130 Nr. 6 ZPO zulässig. Für diese zweite Einordnung sprechen die besseren Gründe.
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2. Widerruflichkeit der Verzichtserklärung Der Verzicht muss gegenüber der Kammer erklärt werden.1 Ein Verzicht gegenüber anderen Stellen genügt nicht. Der Verzicht kann nach Maßgabe der §§ 119 ff. BGB angefochten werden.2 Wie auch sonst, genügt dafür ein Irrtum im Motiv indessen nicht.3 Unter welchen Voraussetzungen ein Verzicht widerrufen werden kann, ist nicht abschließend geklärt. Nach § 130 BGB könnte er widerrufen werden, wenn der Widerruf vor oder gleichzeitig mit dem Verzicht bei der Rechtsanwaltskammer eingeht.4 Geklärt ist, dass ein Widerruf jedenfalls nicht mehr erfolgen kann, wenn die Rechtsanwaltskammer die Widerrufsentscheidung getroffen hat.5 Ob er vorher frei widerruflich ist, hat der BGH bislang offen gelassen.6 In der Literatur wird die Widerruflichkeit allgemein angenommen.7 Sie lässt sich allerdings nicht begründen. Anders als für den Entlassungsantrag des Beamten (vgl. § 33 Abs. 1 BBG) ist der Widerruf des Verzichts in § 14 Abs. 2 Nr. 4 BRAO gar nicht vorgesehen. Auch im Beamtenrecht ist er nicht etwa schrankenlos möglich, sondern ohne weiteres nur innerhalb von zwei Wochen ab Eingang bei der zuständigen Behörde, danach nur noch mit Zustimmung der Dienstbehörde. Eine ausdrückliche Zulassung des Widerrufs der Verzichtserklärung erscheint aber erforderlich, weil sich die Widerruflichkeit nicht damit verträgt, dass der Verzicht weder unter Auflagen oder Bedingungen noch unter Vorbehalt erklärt werden kann.8 Denn sie liefe im Ergebnis auf einen Verzicht unter Vorbehalt, nämlich unter Vorbehalt des Widerrufs hinaus. Die freie Widerruflichkeit führte auch dazu, dass die Kammer bis zum Erlass ihres Bescheids mit einem zwischenzeitlich eingegangen Widerruf und damit rechnen müsste, dass ihr Bescheid rechtswidrig ist. Da der Rechtsanwalt nicht gezwungen ist, den
1 Kleine-Cosack, § 14 Rz. 13. 2 BGH, EGE XI, 35 (37); BRAK-Mitt. 1982, 73; AGH München, BRAK-Mitt. 1998, 287 (288); Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 14 Rz. 44; Jessnitzer/Blumberg, § 14 Rz. 7; Kleine-Cosack, § 14 Rz. 13. 3 BGH, EGE XI 35 (38); AGH München, BRAK-Mitt. 1998, 287 (288); EGH Hamm, BRAK-Mitt. 1987, 209; Henssler/Prütting/Henssler, § 14 Rz. 18. 4 Henssler/Prütting/Henssler, § 14 Rz. 17. 5 BGH, EGE XI, 35 (37); BRAK-Mitt. 1982, 73; Beschl. v. 22.4.2002 – AnwZ(B) 5/01, Website des BGH; EGH München BRAK-Mitt. 1986, 225 (226 f.). 6 BGH, EGE XI, 35 (37). 7 Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 14 Rz. 41; Henssler/Prütting/Henssler, § 14 Rz. 17; Jessnitzer/Blumberg, § 14 Rz. 7; Kleine-Cosack, § 14 Rz. 13. 8 AGH München, BRAK-Mitt. 1998, 287 (288); Henssler/Prütting/Henssler, § 14 Rz. 18.
Schmidt-Räntsch 343
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§ 14 BRAO Rz. 26
Rücknahme und Widerruf der Zulassung
Verzicht zu erklären und durch einen Verzicht nicht an einer Wiederzulassung gehindert wird,1 ist ein sachliches Bedürfnis für eine freie Widerruflichkeit auch nicht zu erkennen. 26
Das bedeutet allerdings nicht, dass die Rechtsanwaltskammer berechtigt wäre, auf der Grundlage des Verzichtes in jedem Fall die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu widerrufen. Sollte der Verzicht nämlich auf eine unzulässigen Einflussnahme staatlicher Stellen und insbesondere der Rechtsanwaltskammer selbst zurückzuführen sein, widerspräche es Treu und Glauben, den Rechtsanwalt an seiner Verzichtserklärung festzuhalten und ihm seine Zulassung zu entziehen.2 Entsprechendes würde gelten, wenn seitens staatlicher Stellen oder der Rechtsanwaltskammer selbst ein Irrtum bei dem Rechtsanwalt hervorgerufen worden wäre. Entsprechendes gilt, wenn der Verzicht unter Umständen erklärt wurde, die im rechtsgeschäftlichen Verkehr zur Anwendung von § 313 BGB führen würden.3 VI. Eintritt in ein öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis (§ 14 Abs. 2 Nr. 5 BRAO) 1. Dienstverhältnis auf Lebenszeit
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Nach § 14 Abs. 2 Nr. 5 BRAO ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu widerrufen, wenn der Rechtsanwalt zum Richter oder Beamten auf Lebenszeit ernannt, in das Dienstverhältnis eines Berufssoldaten berufen oder nach § 6 AbgG und dieser Norm entsprechenden Vorschriften wieder in das frühere Dienstverhältnis als Richter oder Beamter auf Lebenszeit oder als Berufssoldat zurückgeführt wird und nicht auf die Rechte aus seiner Zulassung zur Rechtsanwaltschaft verzichtet. Die Vorschrift entspricht funktionell § 7 Nr. 10 BRAO und baut auf der gleichen Grundüberlegung des Gesetzgebers auf. Nach der – verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenen4 – Entscheidung des Gesetzgebers ist der Beruf des Rechtsanwalts mit der Stellung als Beamter, Richter oder Berufssoldat nicht vereinbar. Das gilt auch für Hoch- und Fachhochschulprofessoren, wissenschaftliche Mitarbeiter und andere wissenschaftlich tätigen Beamten im Beamtenverhältnis auf Lebenszeit.5 Deshalb kann ein Beamter, Richter oder Berufssoldat in dieser Statusform nicht zur Rechtsanwaltschaft zugelassen werden. Das hat zwangsläufig zur Folge, dass die Zulassung eines Rechtsanwalts widerrufen werden muss, wenn er in ein Beamten- oder Richterverhältnis auf Lebenszeit oder in ein Berufssoldatenverhältnis eintritt oder seine Rechte und Pflichten aus einem solchen vor der Wahl zum Bundestag oder der gesetzgebenden Körperschaft eines Landes bestehenden Dienstverhältnis wieder aufleben.
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Anders als § 7 Nr. 10 BRAO unterscheidet § 14 Abs. 2 Nr. 5 BRAO nach der Statusform des Beamten-, Richter- oder Soldatenverhältnisses. Während nach § 7 Nr. 10 BRAO Beamte, Richter und Berufssoldaten in jeder Statusform von der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft ausgeschlossen sind, sieht § 14 Abs. 2 Nr. 4 BRAO einen Widerruf der einmal erfolgten Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nur vor, wenn der Rechtsanwalt in ein Beamten-, Richter- oder Soldatenverhältnis auf Lebenszeit eintritt. Ein solches Beamten-, Richter- oder Soldatenverhältnis ist auf Dauer angelegt und steht daher auf Dauer der Ausübung des Berufs als Rechtsanwalt entgegen. Es kommt weder auf die Umstände des Einzelfalls6 noch auf die konkret wahrgenommene Aufgabe,7 sondern allein auf den Status an. 2. Andere Statusformen
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Bei einem Beamten-, Richter- oder Soldatenverhältnis in anderen Statusformen ist das nicht der Fall. Sie stehen der Ausübung des Berufs des Rechtsanwalts nur vorübergehend entgegen. Bei einem Beamten-, Richter- oder Soldatenverhältnis auf Zeit ergibt sich dies aus einer zeitlichen Befristung. Bei einem Beamtenverhältnis auf Widerruf und einem Richterverhältnis auf Probe oder kraft Auftrags ergibt sich das aus seinem Zweck. Das Beamtenverhältnis auf Widerruf hat den Zweck, den Beamten eine Ausübung und ihren Abschluss zu ermöglichen. Das Richterverhältnis auf Probe oder kraft Auftrags ist dazu bestimmt, die Eignung eines Bewerbers (Richterverhältnis auf Probe) oder eines Beamten (Richterverhält1 BGH, EGE X, 84. 2 BGH, BRAK-Mitt. 1987, 207 (208); Beschl. v. 22.4.2002 – AnwZ (B) 5/01; Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 14 Rz. 46; Henssler/Prütting/Henssler, § 14 Rz. 19. 3 BGH, BRAK-Mitt. 1987, 207 (208); Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 14 Rz. 47. 4 BGH, NJW 2012, 615 f. Rz. 5–9. 5 BGH, DB 2009, 1873 (2 s.); im Übrigen § 7 BRAO Rz. 96. 6 BGHZ 71, 23 (25). 7 BGH, BRAK-Mitt. 1983, 86 (87); DB 2009, 1873 (2 s.).
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Rücknahme und Widerruf der Zulassung
Rz. 31 § 14 BRAO
nis kraft Auftrags) für den richterlichen Dienst zu erproben. Diese Verhältnisse sind zwar nicht zeitlich befristet. Ihr Zweck führt aber zu einer inhaltlichen Begrenzung im Fall des Richterverhältnisses kraft Auftrags oder auf Probe, die auch zu einem Anspruch auf Übernahme auf Lebenszeit führt. Bei solchen Dienstverhältnissen kann der Unvereinbarkeit zwischen dem Dienstverhältnis einerseits und dem Beruf des Rechtsanwalts andererseits ausreichend durch das Tätigkeitsverbot nach § 47 BRAO Rechnung getragen werden. Ein Widerruf der Zulassung wäre demgegenüber unverhältnismäßig und auch wenig zweckmäßig. Denn nach Beendigung solcher öffentlich-rechtlicher Dienstverhältnisse müsste der Rechtsanwalt erneut zugelassen werden. Seine Zulassung kann deshalb erst widerrufen werden, wenn er in ein Beamten- oder Richterverhältnis auf Lebenszeit tritt. Diese Einschränkung wirkt sich auch im wissenschaftlichen Bereich aus. Wird ein Rechtsanwalt z.B. Hochschulassistent oder Juniorprofessor, tritt er in ein Beamtenverhältnis auf Zeit, das, anders als bei der Zulassung,1 nicht zum Widerruf der Zulassung als Rechtsanwalt führt.2 Dieser kommt erst in Betracht, wenn solche Beamte als planmäßige Professoren in ein Beamtenverhältnis auf Lebenszeit übernommen werden. Auf die Rechtsprechung zu § 7 Nr. 10 BRAO kann deshalb nur mit dieser Einschränkung zurückgegriffen werden. 3. Abgeordnete Abgeordnete dürfen zur Rechtsanwaltschaft zugelassen werden, auch wenn sie in einem Richter-, Beamten- oder Soldatenverhältnis stehen. Denn die Rechte und Pflichten aus diesen Dienstverhältnissen ruhen wegen ihrer Tätigkeit als Abgeordneter, die ihrerseits mit dem Beruf des Rechtsanwalts vereinbar ist. Das gilt aber nur, solange der Abgeordnete Abgeordneter ist und nicht in sein Beamten-, Richter- oder Soldatenverhältnis zurückgeführt wird. Geschieht das, so führt das zum Widerruf der Zulassung, weil der Abgeordnete sich dann wieder uneingeschränkt in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis befindet, das mit dem Beruf als Rechtsanwalt unvereinbar ist. Auch dieser Widerrufstatbestand gilt nur bei der Rückkehr in ein Richter-, Beamten- oder Soldatenverhältnis auf Lebenszeit, nicht bei der Rückkehr in ein solches Verhältnis in anderer Statusform.
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VII. Vermögensverfall (§ 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO) 1. Begriff des Vermögensverfalls Nach § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO ist die Zulassung des Rechtsanwalts zu widerrufen, wenn er in Vermögensverfall geraten ist. Ein Vermögensverfall liegt, ebenso wie bei dem Zulassungsversagungsgrund nach § 7 Nr. 9 BRAO, (erst3) vor, wenn der Rechtsanwalt in ungeordnete, schlechte finanzielle Verhältnisse geraten ist, die er in absehbarer Zeit nicht ordnen kann und außerstande ist, seinen Verpflichtungen nachzukommen.4 Aus welchen Gründen der Rechtsanwalt in diese Lage geraten, insbesondere ob sie auf eigene Fehler zurückzuführen ist, ist unerheblich.5 § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO dient allein dem Schutz des rechtsuchenden Publikums, dessen Interessen unabhängig von seinen Ursachen durch den einmal eingetretenen Vermögensverfall typischerweise gefährdet sind. Beweisanzeichen für einen Vermögensverfall sind insbesondere die Erwirkung von Schuldtiteln und Vollstreckungsmaßnahmen gegen den Rechtsanwalt.6 Wie in der Erläuterung von § 7 Nr. 9 BRAO bereits dargelegt, liegt ein Vermögensverfall in diesem Sinne nicht erst dann vor, wenn die Verbindlichkeiten des Rechtsanwalts ein großes Ausmaß erreicht haben, was freilich auch den Vermögensverfall begründen kann. Es genügt vielmehr, wenn der Rechtsanwalt laufend wegen kleinerer Verbindlichkeiten, z.B. kleineren Gerichtskostenrechnungen, Zeitungsabonnementrechnungen oder schlicht wegen nicht bezahlter Telefonrechnungen verklagt und gegen ihn vollstreckt werden muss.7 Bei solchen kleinen Beträgen lässt es ein Schuldner zur Klageerhebung und zur Vollstreckung gewöhnlich nämlich nur kommen, wenn seine finanzielle Lage so prekär 1 2 3 4
Dazu BGH, NJW-RR 1998, 1440 f. Beispiel: BGH, Beschl. v. 21.7.2009 – AnwZ (B) 50/09, juris. Dazu BGH, AnwBl. 2008, 67 f. BGH, EGE VI, 62; BRAK-Mitt. 1991, 102; 1995, 126; BGH-Report 2001, 312; NJW-RR 2006, 559; Isele, § 15 Anm. III.B.2. 5 BGH, BRAK-Mitt. 1999, 270 (271); Beschl. v. 19.6.2000 – AnwZ (B) 90/98; BGH-Report 2001, 668 – Volltext bei juris; Henssler/Prütting/Henssler, § 14 Rz. 27. 6 BGH, BRAK-Mitt. 1991, 102; 1995, 126; 1999, 270; ZInsO 2010, 1380 Rz. 4. 7 Z.B. BGH, Beschl. v. 6.3.2006 – AnwZ (B) 32/05; Beschl. v. 15.5.2006 – AnwZ (B) 44/05; Beschl. v. 16.4.2007 – AnwZ (B) 39/05, alle verfügbar auf der Website des BGH; Beschl. v. 26.1.2009 – AnwZ (B) 28/08, juris.
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§ 14 BRAO Rz. 32
Rücknahme und Widerruf der Zulassung
ist, dass er selbst solche geringen Forderungen nicht bezahlen kann.1 Jedenfalls zeigt das aber, dass seine finanziellen Verhältnisse nicht mehr geordnet sind. 32
Geordnete finanzielle Verhältnisse sind das entscheidende Kriterium für die Abgrenzung des Vermögensverfalls. Vermögensverfall liegt nämlich nicht vor, wenn sein Beruf dem Rechtsanwalt kein Auskommen bietet und er deshalb andere Tätigkeiten wahrnehmen muss. Auch der Rückgang von Mandaten und die damit verbundenen Zwänge zur Einschränkung führen nicht zum Vermögensverfall. Dieser tritt erst dann ein, wenn der Rechtsanwalt seine ggf. auch bescheidenen finanziellen Verhältnisse nicht mehr beherrschen kann. Solange er sich einschränkt und entsprechend seinen Verhältnissen lebt, liegt auch kein Vermögensverfall vor. Selbst ernste finanzielle Engpässe müssen nicht zum Vermögensverfall und damit zum Widerruf der Zulassung führen. Entscheidend ist, dass der Rechtsanwalt seinen finanziellen Schwierigkeiten rechtzeitig begegnet, indem er seine offene Forderungen einzieht,2 etwa vorhandenes Vermögen verwertet, sich einschränkt und mit Gläubigern, denen gegenüber er sich nicht mehr einschränken kann, Pfändungs- oder Ratenzahlungsvereinbarungen trifft, deren Bedingungen er einhält und die ihm dann insgesamt ein geordnetes Wirtschaften erlauben.3 Unter diesen Voraussetzungen kann ein Vermögensverfall selbst bei sehr hohen Verbindlichkeiten auszuschließen sein.4 Umgekehrt schließt (angeblich) beträchtliches eigenes Vermögen des Rechtsanwalts den Vermögensverfall nicht aus.5 Wären seine Vermögensverhältnisse geordnet, würde er es zur Schuldtilgung verwenden.6 2. Darlegungslast der Rechtsanwaltskammer und des Rechtsanwalts
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Die Rechtsanwaltskammer muss und darf die Zulassung des Rechtsanwalts aber auch nur widerrufen, wenn sie darlegen und beweisen kann, dass der Vermögensverfall bei dem Rechtsanwalt tatsächlich vorliegt. Sie muss dazu den Sachverhalt von Amts wegen aufklären, § 32 BRAO i.V.m. § 26 VwVfG. Eine Möglichkeit, den Rechtsanwalt und seine Gläubiger zur Mitwirkung an der Sachaufklärung zu zwingen, hat sie nicht. Sie wartet deshalb regelmäßig ab, bis sie auf Grund von gesetzlich vorgeschriebenen Mitteilungen in Zivilsachen etwa über Klagen und Vollstreckungsmaßnahmen gegen den Rechtsanwalt von einem Ausgangssachverhalt erfährt, der ihr Anlass gibt, in die Prüfung des Vermögensverfalls einzutreten. Sie nimmt solche Mitteilungen regelmäßig zum Anlass, wegen dieser und anderer Verbindlichkeiten Nachforschungen anzustellen. Nicht selten folgen einer amtlichen Mitteilung in Zivilsachen weitere freiwillige Mitteilungen etwa von Gläubigern. Die dabei zutage tretenden Verbindlichkeiten fasst die Rechtsanwaltskammer gewöhnlich in einer nicht gesetzlich vorgeschriebenen, aber zweckmäßigen Forderungsaufstellung zusammen, die im weiteren Verlauf der Ermittlungen fortgeschrieben wird. Zu dieser Forderungsaufstellung hört sie den Rechtsanwalt an, § 32 BRAO i.V.m. § 28 VwVfG. Der Rechtsanwalt ist in der Entscheidung darüber, ob und wie er Stellung nimmt, nicht völlig frei. Ihn trifft nämlich nach § 32 BRAO i.V.m. § 26 Abs. 2 VwVfG eine Mitwirkungslast,7 weil nur er einen Überblick über seinen Verbindlichkeit hat und nur er der Rechtsanwaltskammer Erkenntnisquellen eschließen kann.
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Was der Rechtsanwalt tun muss, um seiner Darlegungslast zu genügen, hängt von seiner Schuldenlage und davon ab, in welchem Umfang die Rechtsanwaltskammer hiervon Kenntnis erlangt hat. Ist die Forderungsaufstellung der Kammer im Wesentlichen vollständig, kann sich der Rechtsanwalt damit begnügen, zu den in der Forderungsaufstellung enthaltenen Forderungen Stellung zu nehmen. Dabei genügt es aber, was oft übersehen wird, nicht, wenn der Rechtsanwalt die Forderungen bestreitet, nur pauschal von ihrer Erledigung spricht oder allgemein auf eine Vereinbarung mit dem Gläubiger verweist. Vielmehr muss er im Einzelnen darlegen, ob die in der Liste enthaltenen Forderungen beglichen sind oder nicht. Falls sie nicht beglichen sind, muss dargestellt werden, ob und ggf. welche Vereinbarung mit dem Gläubiger erreicht worden ist und aus welchen Mitteln sie erfüllt werden kann.8 Es genügt auch nicht, hierzu nur vorzutragen. Vielmehr sind alle Behauptungen, wie 1 Z.B. BGH, Beschl. v. 2.7.2007 – AnwZ (B) 30/06, Website des BGH; AGH Hamm, AnwBl. 1999, 698. 2 BGH, Beschl. v. 24.3.2011 – AnwZ (Brfg) 3/11, juris Rz. 6 f. 3 BGH, Urt. v. 2.7.2012 – AnwZ (Brfg) 16/11, juris Rz. 3; AGH Hamm, AnwBl. 1999, 698; Feuerich/Weyland/ Vossebürger, § 14 Rz. 60; Isele, § 15 Anm. III.B.2e. 4 BGH, Beschl. v. 26.3.2007 – AnwZ (B) 23/06, juris; Gegenbeispiel: BGH, NJW-RR 1999, 712. 5 AGH Hamm, AnwBl. 2000, 199; Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 14 Rz. 60; Jessnitzer/Blumberg, § 14 Rz. 10. 6 BGH, Beschl. v. 26.3.2007 – AnwZ (B) 16/06, juris; Beschl. v. 20.4.2009 – AnwZ (B) 22/08, juris. 7 BGH, NJW-Spezial 2012, 286, juris Rz. 28 f. 8 AGH Hamm, AnwBl. 1999, 698; Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 14 Rz. 60.
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Rücknahme und Widerruf der Zulassung
Rz. 36 § 14 BRAO
auch sonst, durch entsprechende Unterlagen und insbesondere durch Erklärungen der betroffenen Gläubiger zu belegen. Bei Ansprüchen der öffentlichen Hand genügt nicht der Hinweis auf eine angebliche Niederschlagung, weil diese lediglich ein Absehen von einer Vollstreckung, aber keinen Forderungserlass darstellt.1 Ist die Forderungsaufstellung der Kammer aber unvollständig, wird eine Stellungnahme nur zu den in der Aufstellung enthaltenen Forderungen im Allgemeinen nicht genügen. Die Kammer ist in einem gegen ihren Widerrufsbescheid eingeleiteten gerichtlichen Verfahren nicht mehr2 daran gehindert, den Vermögensverfall mit später entstandenen oder gewordenen Forderungen zu begründen. Sie muss diese nicht mehr zum Gegenstand eines neuen Widerrufsbescheids machen. Der Rechtsanwalt muss aber damit rechnen, dass der Kammer im Verlaufe eines gerichtlichen Verfahrens auch ältere Forderungen bekannt werden, die er zunächst verschwiegen hat. Das kann und wird in vielen Fällen dazu führen, dass der geführte Nachweis über die Tilgung einzelner Forderungen letztlich nichts nützt, weil sich dadurch das Gesamtbild nicht verändert. Ergibt die anhand der Angaben des Rechtsanwalts, aber auch von Angaben der Gläubiger überprüfte Forderungsaufstellung der Rechtsanwaltskammer, dass gegen den Rechtsanwalt in erheblichem Umfang Schuldtitel erwirkt und Vollstreckungsmaßnahmen betrieben werden, sind das Beweisanzeichen für einen Vermögensverfall.3. Vermögensverfall liegt nicht erst vor, wenn der Rechtsanwalt gar keine Forderungen mehr begleichen kann. Es genügt, wenn er einzelne Verbindlichkeiten auf Dauer nicht begleichen kann.4 Deshalb reicht es zum Nachweis des Vermögensverfalls aus, wenn der Rechtsanwalt immer wieder nur ein Loch mit einem anderen stopft oder wenn er immer wieder neue Schulden auflaufen lässt und sie nur unter dem Druck des laufenden Prüfverfahrens der Rechtsanwaltskammer bezahlt.5 Bei geordneten Vermögensverhältnissen würde auch der in finanzielle Bedrängnis geratene Rechtsanwalt sein Vermögen zur Schuldentilgung einsetzen, Ausgaben abbauen und dafür sorgen, dass dauerhaft keine neuen Schulden auflaufen. Mit Gläubigern, deren Forderungen er nicht (sofort) erfüllen kann, würde er Vereinbarungen treffen, wie solche Verbindlichkeiten zurückgeführt werden sollen.6
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3. Verfallsvermutung Diese Ausgangslage ändert sich, wenn die Rechtsanwaltskammer darüber informiert wird, dass der Rechtsanwalt in das Schuldnerverzeichnis eingetragen, das das Insolvenzverfahren über sein Vermögen eröffnet oder die Eröffnung eines solchen Verfahren mangels Masse abgelehnt und diese Entscheidung nach § 26 InsO in das Schuldnerverzeichnis eingetragen worden ist. Diese Tatbestände begründen nach § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO eine gesetzliche Vermutung des Vermögensverfalls. Die Regelung entspricht der parallelen Regelung in § 7 Nr. 9 BRAO, die dasselbe für das Zulassungsverfahren regelt. Die Eintragung in das Schuldnerverzeichnis nach § 882b ZPO erfolgt, wenn der Rechtsanwalt die eidesstattliche Versicherung abgegeben hat oder wenn gegen ihn Haftbefehl zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung ergeht oder vollstreckt wird. Solche Eintragungen können nicht nur einmal, sie können vielmehr auch mehrmals erfolgen. Jeder Gläubiger des Rechtsanwalts ist nämlich unter den gesetzlichen Voraussetzungen berechtigt, die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung zu verlangen und ggf. auch mit den Mitteln des Haftbefehls zu erzwingen. Eine Eintragung in das Schuldnerverzeichnis nach § 26 InsO erfolgt, wenn die Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse abgelehnt wird.
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Diese Vermutung führt nicht dazu, dass die Rechtsanwaltskammer keine weiteren Ermittlungen mehr anstellen müsste. Sie muss den Rechtsanwalt dazu anhören und weitere Ermittlungen anstellen, etwa wenn dieser vorträgt, die der Eintragung zugrunde liegenden Verbindlichkeit sei getilgt. Denn tilgungsreife Eintragungen lösen die Vermutung nicht aus.7 Deshalb wird die Rechtsanwaltskammer auch dann ein Forderungsaufstellung anlegen und fortführen, wenn sie Mitteilungen über die Eintragung des Rechtsanwalts in das Schuldnerverzeichnis oder über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegen ihn erhält. Die Rechtsanwaltskammer muss jetzt aber auf Grund der Vermutung von dem Vermögensverfall aus-
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1 BGH, BRAK-Mitt. 2007, 77 [Ls], juris. 2 § 7 BRAO Rz. 8; oben Rz. 15, 16. 3 BGH, ZInsO 2010, 1380 Rz. 4, Beschl. v. 18.7.2011 – AnwZ (B) 52/10, juris Rz. 3; Urt. v. 2.7.2012 – AnwZ (Brfg) 16/11, juris, Rz. 3. 4 BGH, BFH/NV 2011, 1278 = juris Rz. 10. 5 BGH, BFH/NV 2011, 1278 [Ls] = juris Rz. 9; BGH, BFH/NV 2011, 1278 = juris Rz. 9. 6 BGH, Beschl. v. 21.3.2011 – AnwZ (B) 97/09, juris Rz. 9 a.E. und v. 18.7.2011 – AnwZ(B) 52/10, juris Rz. 9. 7 BGH, NJW 2003, 577.
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gehen und den Widerruf aussprechen, wenn der Rechtsanwalt seine Anhörung nicht zum Anlass nimmt, sich umfassend und vor allem substantiiert zu seinen Verbindlichkeiten einzulassen und die gegen ihn streitende Vermutung widerlegt. Dieser Darlegungslast kann der Rechtsanwalt nicht dadurch entgehen, dass er gegen die Vollstreckung aus der der Eintragung zugrunde liegenden Forderung eine Klage aus § 826 BGB erhebt.1 Denn ein Rechtsanwalt in geordneten Verhältnissen wird entweder eine Einstellung der Zwangsvollstreckung erwirken oder zunächst zahlen, gerade um seine Kreditwürdigkeit nicht durch einen Eintrag in das Schuldnerverzeichnis zu gefährden. Es genügt auch nicht, wenn sich der Rechtsanwalt zu einzelnen Verbindlichkeiten äußert. Er kann die Vermutung nur widerlegen, wenn er sich umfassend zu seinen finanziellen Verhältnissen äußert und aufzeigt, welche Verbindlichkeiten er tatsächlich hat, wie er sie bereinigen und wie er verhindern will, dass neue Verbindlichkeiten auflaufen.2 Die ungesicherte Erwartung einer Besserung genügt nicht.3 Die Rechtsanwaltskammer ist aufgrund des Amtsermittlungsprinzips zwar verpflichtet, von sich aus für den Rechtsanwalt sprechende Gesichtspunkte zu berücksichtigen. In aller Regel ist sie dazu aber nicht in der Lage, weil sie die erforderlichen Auskünfte Dritter nicht erzwingen kann. Sie muss den Widerruf aussprechen, wenn der Rechtsanwalt die Vermutung nicht entkräftet und ihr auch nicht von anderer Seite die dazu erforderlichen Informationen und Unterlagen zur Verfügung gestellt werden. 4. Nachträgliche Veränderungen 37
Im berufsgerichtlichen Verfahren konnte sich der Rechtsanwalt nach dem bis zum 31.8. 2009 geltenden Verfahrensrecht nicht nur damit verteidigen, dass die dem Widerruf wegen Vermögensverfall zugrunde gelegten Forderungen nicht bestanden haben (Rz. 16). Er konnte vielmehr auch geltend machen, der zunächst gegebene Vermögensverfall sei später weggefallen. Diese Rechtsprechung hat der BGH nach anfänglichem Zögern damit begründet, die Berücksichtigung des zweifelsfreien Fortfalls des Widerrufsgrundes helfe eine zeitund kostenaufwendige Verdoppelung der Verfahren zu vermeiden.4 Denn bei zweifelsfreiem Fortfall des Widerrufsgrundes müsse der Rechtsanwalt sofort wieder zugelassen werden. Diese Rechtsprechung hat der BGH nach der Umstellung des Verfahrensrechts auf das Recht der VwGO aufgegeben. Nach neuem Verfahrensrecht sei der für die Beurteilung der Rechtsmäßigkeit des Widerrufs der Zulassung maßgebliche Zeitpunkt der Zeitpunkt des Abschlusses des Verwaltungsverfahrens. Das sei der Erlass des Widerrufsbescheids, wenn ein Widerspruchsverfahren nicht vorgesehen ist oder zwar möglich ist, aber nicht durchlaufen wird, der Erlass des Widerspruchsbescheids, wenn ein Widerspruchsverfahren stattgefunden hat.5 Dieser Paradigmenwechsel hat Zustimmung6, aber auch Widerspruch7 erfahren. Mit dem Paradigmenwechsel folgt der BGH der Rechtsprechung des BVerwG zum Gewerberecht8 und zum Wirtschaftsprüferrecht.9 Die Entscheidung für diesen Weg beruht aber, wie das BVerwG in seiner grundlegenden Entscheidung deutlich gemacht hat,10 auf einer Wertung. Entscheidend ist danach, ob der Wegfall des Widerrufsgrundes noch dem Widerrufsverfahren oder schon dem Wiederzulassungsverfahren zuzuordnen ist. Das BVerwG entnimmt den Regelungen der Gewerbeordnung über die Wiederzulassung, dass der Wegfall des Widerrufsgrundes eine Frage des Wiederzulassungsverfahrens ist.11 Dem folgt der BGH für den Widerruf der Rechtsanwaltszulassung. Dafür spricht, dass die bisherige Rechtsprechung gerade mit dem Anspruch auf Wiederzulassung begründet worden war und dass die weit überwiegende Zahl der gerichtlichen Verfahren zur Überprüfung von Widerrufsbescheiden der Sache nach vorgezogene Wiederzulassungsverfahren waren. Allerdings wäre es auch möglich gewesen, die bisherige Rechtsprechung beizubehalten. Der BFH ist nämlich bei gleicher verwaltungsprozessualer Ausgangslage für den Widerruf der Steuerberaterzulassung der bisherigen Rechtsprechung des BGH gefolgt.12 Für Rechtsanwälte hätte sich eine ent1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
BGH, Beschl. v. 26.3.2007 – AnwZ (B) 45/06, juris. § 7 BRAO Rz. 91. BGH, Beschl. v. 15.3.2012 – AnwZ (Brfg) 55/11, juris Rz. 7. BGHZ 75, 356 (357); 84, 149 (150). BGHZ 190, 187 (193 ff.) Rz. 14–20 = NJW 2011, 3234; NZI 2012, 106 Rz. 7. Dahns, NJW-Spezial 2011, 606. Kleine-Cosack, AnwBl. 2011, 939 (940 f.). BVerwGE 65, 1, 2, weitere Einzelheiten in BGHZ 190, 187 (191) Rz. 11. BVerwGE 124, 110 (113). BVerwGE 65, 1 (3). BVerwGE 65, 1 (3). BFHE 134, 79 (88); 178, 504 (509); 198, 266 (269).
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sprechende Entscheidung etwa damit rechtfertigen lassen, dass der Gesetzgeber die Hürde für den Widerruf der Zulassung höher gesetzt hat als bei der Versagung der Zulassung1 oder dass der Verlust der Zulassung für den Rechtsanwalt weiter reichende Folgen hat als für Gewerbetreibende und Wirtschaftsprüfer. Er verliert mit der Zulassung auch seine Befugnis zur Führung der Fachanwaltsbezeichnung und erlangt diese bei der Wiederzulassung nicht automatisch oder unter erleichterten Bedingungen wieder.2 Zwingend wäre aber das nicht. Denn der BFH begründet seine Rechtsprechung mit den Anforderungen von Treu und Glauben, die ihrerseits ohne weiteres auch andere Wertungen zuzulassen. Die Praxis hat sich auf die neue Rechtsprechung des BGH einzustellen. Danach ist der Wegfall der Widerrufsgründe deshalb weder im Verfahren vor dem Anwaltsgerichtshof noch im Berufungsverfahren vor dem BGH zu berücksichtigen. In einem Widerspruchsverfahren gegen den Widerrufsbescheid wäre er dagegen zu berücksichtigen. Insoweit geltend die Anforderungen, die die Rechtsprechung für die Berücksichtigung des Wegfalls der Widerrufsgründe im gerichtlichen Verfahren entwickelt hat. Sie sind mit dieser – erheblichen – Einschränkung weiter anzuwenden. Auch im Widerspruchsverfahren wäre ein Widerrufsbescheid nur aufzuheben, wenn der Vermögensverfall als Widerrufsgrund zweifelsfrei entfallen ist und eine Konsolidierung der Vermögensverhältnisse zweifelsfrei nachgewiesen wird.3 Die Anforderungen sind unterschiedlich, je nachdem, ob nur einfache Beweisanzeichen für den Vermögensverfall vorliegen oder eine gesetzliche Vermutung gegen den Rechtsanwalt streitet. Diese Anforderungen sind bei § 7 Rz. 91b und 91c dargestellt.
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5. Fehlende Gefährdung der Rechtsuchenden Ein Widerruf unterbleibt nach § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO, wenn trotz des Vermögensverfalls die Interessen der Rechtsuchenden nicht gefährdet sind. Diese Ausnahme wird zwar beim BGH in nahezu jedem Fall eines Widerrufs wegen Vermögensverfalls geltend gemacht. Sie liegt aber nur selten wirklich vor. Der Vermögensverfall indiziert regelmäßig eine Gefährdung der Rechtsuchenden. Denn ein Rechtsanwalt, der seine Vermögensverhältnisse nicht in den Griff bekommt, ist nicht selten in besonders starker Versuchung, sich selbst an Geldern seiner Mandanten zu vergreifen,4 oder außerstande, gezahlte Vorschüsse zurückzuzahlen.5 Jedenfalls aber besteht die Gefahr, dass seine Gläubiger im Wege der Pfändung auf Gelder zugreifen, die für seine Mandanten bestimmt sind. Deshalb wird nach der in der Formulierung als Ausnahme zum Ausdruck kommenden gesetzgeberischen Wertung im Normalfall von einer Gefährdung der Interessen der Rechtssuchenden auszugehen sein.6 Das Vorliegen einer Ausnahme muss der Rechtsanwalt aber darlegen und beweisen.7
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Andererseits entfällt eine Gefährdung der Rechtsuchenden nicht immer erst dann, wenn es dem Rechtsanwalt gelungen ist, alle gegen ihn streitenden Forderungen zu erfüllen. Es kann z.B. genügen, wenn der – unbescholtene – Rechtsanwalt einen Teil der gegen ihn erhobenen Forderungen erfüllt und mit anderen Gläubigern Ratenzahlungsvereinbarungen getroffen hat, die er bedienen kann und bedient und die ihm ein geordnetes Wirtschaften erlauben.8 Denn dann müssen seine Mandanten nicht befürchten, dass die Gläubiger ihres Rechtsanwalts auf für sie bestimmte Gelder zugreifen. Der Rechtsanwalt gerät auch nicht selbst in Versuchung, sich an den Geldern seiner Mandanten zu vergreifen.
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Besondere Schwierigkeiten bei der Anwendung dieser Ausnahme ergeben sich dann, wenn gegen den Rechtsanwalt ein Insolvenzverfahren eröffnet wird. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet nämlich ebenfalls die gesetzliche Vermutung für den Verfahrensverfall des Rechtsanwalts. Diese findet ihre Berechtigung darin, dass die Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Überschuldung des Rechtsanwalts voraussetzt. Andererseits verliert der Rechtsanwalt, wenn er nicht ausnahmsweise als Eigenverwalter eingesetzt wird, mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Möglichkeit, über sein Vermögen zu verfügen. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens sind Einzelvollstreckungen durch Gläubiger des Rechtsanwalts ausgeschlossen. Seine Gläubiger könnten deshalb auch nicht auf Mandantengelder
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So Kleine-Cosack, AnwBl. 2011, 939 (941 f.). BGH, NJW-Spezial 2012, 542 = juris Rz. 7 f. BGH, NJW 1991, 2083 (2084), BRAK-Mitt. 2008, 221 (Ls.); Beschl. v. 20.4.2009 – AnwZ (B) 22/08, juris. BGH, Beschl. v. 24.3.2011 – AnwZ (Brfg) 4/11, juris Rz. 4; v. 15.4.2011 – AnwZ (Brfg) 8/11, juris Rz. 7. Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 14 Rz. 63; Isele, § 15 Anm. III.C.2b. BGH, NJW-RR 2013, 1012 (1013) Rz. 5. BGH, NJW 2005, 511; NJW 2007, 2924 Rz. 8, BRAK-Mitt. 2005, 27; 2010, 129 Rz. 11; AnwBl. 2006, 280; Beschl. v. 25.6.2007 – AnwZ (B) 101/05; v. 8.2.2010 – AnwZ (B) 67/08; v. 2.7.2012 – AnwZ (Brfg) 16/11, juris Rz. 17. 8 BGH, Beschl. v. 26.3.2007 – AnwZ (B) 23/06, juris; Jessnitzer/Blumberg, § 14 Rz. 10 a.E.
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zugreifen. Daraus folgt aber nicht, dass die Vermögensverhältnisse wieder geordnet wären.1 Das zeigt sich schon daran, dass die Entziehung der Verfügungsbefugnis in der früheren Fassung der Vorschrift der alleinige Anknüpfungspunkt für den Widerruf war und in dem heutigen Widerrufstatbestand der Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgegangen ist.2 Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens führt jedenfalls dazu, dass die Mandanten – vorbehaltlich ihres guten Glaubens – das Honorar nicht mehr befreiend an den Rechtsanwalt zahlen können. Außerdem ändert sie nichts daran, dass die Interessen der Mandanten in anderer Weise gefährdet sind, weil der Rechtsanwalt nämlich angesichts der eingetretenen Verfügungsbeschränkung nicht mehr in der Lage ist, sich funktionsgerecht um die Wahrnehmung der Mandate zu kümmern. 42
Nichts anderes gilt, wenn im Insolvenzverfahren die Eigenverwaltung durch den Rechtsanwalt als Schuldner angeordnet wird.3 Er kann dann zwar wieder über sein Vermögen verfügen. Er steht nach § 275 InsO auch unter der Aufsicht des Sachwalters. Die Schuldenlage des Rechtsanwalts ändert sich aber nicht. Die von ihm vorgenommenen Verfügungen bleiben wirksam, auch wenn er z.B. einem Verlangen des Sachwalters nach § 275 Abs. 2 InsO zuwider handelt, dass alle eingehenden Gelder nur vom Sachwalter entgegengenommen und Zahlungen nur vom Sachwalter geleistet werden sollen. Deshalb ändert sich die Lage der Mandanten des Rechtsanwalts durch die Eigenverwaltung nicht. Das Gleiche gilt für die Freigabe der Kanzlei, die immer wieder als Anzeichen geordneter Vermögensverhältnisse angesehen wird, es aber nicht ist.4 Durch sie erhalten die Gläubiger des Rechtsanwalts wieder Zugriff auf diesen Teil seines Vermögens. Außerdem wird der Insolvenzverwalter die Kanzlei nur freigeben, wenn sie eine Belastung der Masse ist und keinen Ertrag verspricht.
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Eine Gefährdung der Rechtsuchenden lässt sich nach ständiger Rechtsprechung des BGH in einem vor dem zuständigen Insolvenzgericht eingeleiteten5 Insolvenzverfahren gegen den Rechtsanwalt nur ausschließen, wenn die Forderungen geprüft, das Insolvenzverfahren aufgehoben ist und das Gericht dem Rechtsanwalt als Schuldner die Restschuldbefreiung förmlich durch Beschluss in Aussicht gestellt hat.6 Denn dann kann der Rechtsanwalt wieder frei über sein Vermögen verfügen. Er muss in der Wohlverhaltensphase nicht mit Vollstreckungen rechnen und kann durch die eintretende Befreiung von den alten Verbindlichkeiten wieder geordnet wirtschaften. Ähnlich kann es liegen, wenn die Forderungsprüfung abgeschlossen ist und Aussicht auf gerichtliche Bestätigung eines von dem Rechtsanwalt oder auf eine Veranlassung vorgelegten Schuldenbereinigungsplans besteht. Dieser muss aber wenigstens vorliegen.7
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Der BGH hat allerdings in einem Fall eine Gefährdung der Rechtsuchenden ausgeschlossen, indem das Insolvenzverfahren noch nicht diesen Stand erreicht hat.8 Diese Ausnahme wird in Insolvenzfällen immer wieder geltend gemacht, liegt aber nur im Ausnahmefall vor.9 Grundvoraussetzung ist, dass der Rechtsanwalt den Anwaltsberuf bis zum Eintritt des Vermögensverfalls ohne jede Beanstandung ausgeübt hat.10 Der Rechtsanwalt muss grundsätzlich seine Einzelkanzlei aufgeben und als angestellter Rechtsanwalt tätig werden.11 Denn ein Einzelanwalt kann die weiterhin erforderlichen Maßnahmen12 zur Sicherung der Mandanteninteressen strukturell nicht darstellen. Deshalb darf der Rechtsanwalt seine Einzelkanzlei auch nicht als EinMann-Zweigstelle einer anderen Kanzlei13 oder als „Außendienstmitarbeiter“ der Sozietät in 1 BGH, NJW-RR 2000, 1228 (1229); NJW 2005, 511; 2007, 2924 (2925); Beschl. v. 26.11.2007 – AnwZ (B) 96/06, juris; Beschl. v. 3.11.2008 – AnwZ (B) 2/08, juris; BRAK-Mitt. 2010, 77 Rz. 7; Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 14 Rz. 63. 2 BGH, NJW-RR 2000, 1228 (1229); Beschl. v. 14.2.2000 – AnwZ (B) 15/99, Website des BGH. 3 BGH, ZInsO 2011, 2234 Rz. 9. 4 BGH, ZVI 2007, 619 (620); NZI 2011, 464 Rz. 7; BRAK-Mitt 2010, 77 Rz. 8; Beschl. v. 23.6.2012 – AnwZ (Brfg) 23/12, juris Rz. 4. 5 BGH, NJW-RR 2011, 642 (643) Rz. 10 f. 6 BGH, NJW 2005, 1271; NJW-RR 2006, 559; Beschl. v. 21.11.2006 – AnwZ (B) 49/05, juris; Beschl. v. 3.11.2008 – AnwZ (B) 2/08, juris; BRAK-Mitt. 2010, 77 Rz. 13. 7 BGH, BRAK-Mitt. 2010, 77 Rz. 13; Beschl. v. 26.1.2009 – AnwZ (B) 72/07, juris; v. 16.3.2009 – AnwZ (B) 61/07, juris; v. 25.2.2010 – AnwZ (B) 81/07, juris Rz. 16. 8 BGH, NJW 2005, 511. 9 BGH, NJW 2005, 511 (512); NJW-RR 2013, 1012 (1013) Rz. 5; kritisch Römermann, AnwBl. 2005, 178 (181 f.). 10 BGH, NJW 2005, 511 (512); Beschl. v. 26.3.2007 – AnwZ (B) 104/05, juris; v. 4.4.2012 – AnwZ (Brfg) 62/11, AnwBl. 2012, 655 = juris Rz. 6, 8. 11 BGH, AnwBl. 2006, 280 und 281; ZInsO 2012, 140 Rz. 5; Beschl. v. 25.9.2006 – AnwZ (B) 70/05, juris; Beschl. v. 3.11.2008 – AnwZ (B) 2/08, juris. 12 Vgl. dazu Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 14 Rz. 63–65. 13 BGH, AnwBl. 2009, 64 (65).
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den Räumen einer anderen Rechtsanwaltskanzlei1 weiterbetreiben. Der Anwalt muss auch eine feste Anstellung suchen; eine Tätigkeit als freier Mitarbeiter würde nicht genügen.2 Daran ändert es nichts, dass ein Rechtsanwalt vorgerückten Alters Schwierigkeiten hat, eine Anstellung bei einer Sozietät zu finden.3 Denn nur mit festen vertraglichen Bindungen können die Mandanteninteressen sichergestellt werden. Dieses Ziel ist auch nur mit einer Vollzeitbeschäftigung zu erreichen, die die Arbeitskraft des Rechtsanwalts ausschöpft. Bei einer nur geringfügigen Beschäftigung bliebe dem Rechtsanwalt die Möglichkeit einer durch die Maßnahmen im Anstellungsvertrag nicht beschränkten freien anwaltlichen Tätigkeit und damit eine Gefährdung der Rechtssuchenden. Weiterhin muss sichergestellt sein, dass der Rechtsanwalt auch im Vertretungsfall nicht mit Mandantengeldern in Berührung kommt und Mandanten oder Dritte auch nicht veranlasst werden, ihm Gelder anzuvertrauen.4 Dazu reicht der bloße Verzicht auf ein Anderkonto nicht.5 Auch die Selbstverpflichtung des Rechtsanwalts, keine Fremdgelder entgegennehmen zu wollen, genügt nicht. Sie ist nicht überprüf- und durchsetzbar. Sie könnte jederzeit aufgegeben oder außer Acht gelassen werden.6 Es sind verlässliche organisatorische Strukturen erforderlich, die die Einhaltung nachhaltig sicherstellen.7 Sie können nicht kurzfristig vor Erlass des Widerrufs- oder des Widerspruchsbescheid geschaffen, sie müssen vielmehr „gelebt“ werden.8 Das ist nur möglich, wenn sie längere Zeit erfolgreich erprobt sind. Das bedeutet allerdings nicht, dass ein Einzelanwalt, der seine Einzelkanzlei fortführt, einen Fortfall der Gefährdung der Rechtsuchenden nie erreichen könnte. Der BGH erkennt solche seltenen Ausnahmefälle durchaus an.9 Es handelt sich aber stets um Fälle, in denen die betroffenen Anwälte ihren Beruf beanstandungsfrei ausgeübt und die Bereinigung ihrer misslichen Vermögenslage ernsthaft, planvoll und nachhaltig betrieben und Maßnahmen vorgesehen haben, die den Mandanten ein vergleichbares Maß an Sicherheit gewähren. Auf dieses ernsthafte planmäßige Bemühen um eine Vermeidung der Gefährdung der Rechtssuchenden kommt es entscheidend an. Zwar muss diese Bemühen seinen Niederschlag auch in einem Anstellungsvertrag gefunden haben, der die notwendigen Kautelen enthält. Entgegen einer verbreiteten Meinung darf sich das Bemühen aber nicht in der Erstellung eines in technischer Hinsicht ausreichenden Vertrags oder darin erschöpfen, jede von dem Anwaltsgerichtshof oder dem BGH für notwendig angesehene Beschränkung zu akzeptieren. Vielmehr müssen die Umstände bei einer Gesamtbewertung auch die Erwartung rechtfertigen, dass der Anstellungsvertrag von dem Rechtsanwalt auch so umgesetzt wird, dass eine Gefährdung der Rechtssuchenden nicht besteht.10 Daran wird es regelmäßig fehlen, wenn der Rechtsanwalt nicht unbescholten ist oder wenn er die Ordnung seiner Vermögensverhältnisse (auch im berufsgerichtlichen Verfahren) nicht zielgerichtet betreibt und sich erst in letzter Minute11 entschließt, den Versuch zu unternehmen, die Entziehung der Zulassung mit einem Anstellungsvertrag zu vermeiden.
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VIII. Unvereinbare Tätigkeiten (§ 14 Abs. 2 Nr. 8 BRAO) In seinem Beruf darf der Rechtsanwalt keine Tätigkeiten wahrnehmen, die mit seiner Stellung als unabhängiges Organ der Rechtspflege unvereinbar sind oder das Vertrauen in seine Unabhängigkeit gefährden könnten. Ist eine solche Tätigkeit vor der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft aufgenommen worden, so ist nach § 7 Nr. 8 BRAO schon die Zulassung zu versagen. Dem entspricht es, wenn § 14 Abs. 2 Nr. 8 BRAO den Widerruf der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft für den Fall vorsieht, dass eine solche Tätigkeit nach der Zulassung zur 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
BGH, BRAK-Mitt. 2011, 249 Rz. 4. BGH, AnwBl. 2006, 281. BGH, NJW-RR 2013, 1012 (1013) Rz. 7. BGH, BRAK-Mitt. 2011, 249 Rz. 3. BGH, BRAK-Mitt. 1988, 50 (51); Henssler/Prütting/Henssler, § 14 Rz. 34; Kleine-Cosack, § 14 Rz. 20. BGH, BRAK-Mitt. 2005, 27; HFR 2010, 1353 Rz. 8; NJW-RR 2006, 859; Beschl. v. 12.2.2001 – AnwZ (B) 7/00, juris Rz. 7; v. 24.3.2011 – AnwZ (Brfg) 4/11, juris Rz. 7; v. 24.3.2011 – AnwZ (Brfg) 4/11, juris Rz. 7; v. 6.9.2011 – AnwZ (Brfg) 6/11, juris Rz. 5. BGH, Beschl. v. 24.3.2011 – AnwZ (Brfg) 4/11, juris Rz. 8; NJW-RR 2013, 175 (176) Rz. 5 und 1012 (1013) Rz. 5. BGH, BRAK-Mitt. 2010, 129 Rz. 12; Beschl. v. 6.9.2011 – AnwZ (Brfg) 6/11, juris Rz. 6 f.; NJW-RR 2013, 1012 (1013) Rz. 5. BGH, Beschl. v. 26.3.2007 – AnwZ (B) 23/06, juris; NJW 2007, 2924 (2925); Gegenbeispiel: BGH, Beschl. v. 17.9.2007 – AnwZ (B) 76/06, juris. BGH, ZInsO 2012, 140 Rz. 5. Z.B. BGH, Beschl. v. 1.3.2008 – AnwZ (B) 33/07, juris; BRAK-Mitt. 2010, 129 = juris Rz. 10 f.; AnwBl. 2012, 655 = juris Rz. 7; DStRE 2010, 1222 (1224) Rz. 12.
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Rücknahme und Widerruf der Zulassung
Rechtsanwaltschaft aufgenommen wird. Der Widerruf der Zulassung ist unbedenklich, wenn die Aufnahme einer solchen Tätigkeit in engem zeitlichem Zusammenhang mit der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft erfolgt. Denn ein zugelassener Rechtsanwalt unterscheidet sich in dieser speziellen Situation nur wenig von einem Zulassungsbewerber, der die Tätigkeit schon vor der Zulassung aufgenommen hatte.1 Fehlt es aber an einem solchen zeitlichen Zusammenhang, kann der Widerruf der Zulassung zu einer unzumutbaren Härte werden. Für diesen Fall schließt § 14 Abs. 2 Nr. 8 Hs. 2 BRAO den Widerruf aus. Ob eine nur im Ausnahmefall anzunehmende2 unzumutbare Härte vorliegt, lässt sich nur in einer Gesamtbewertung aller Umstände des Einzelfalls ermitteln.3 Hierbei haben die wirtschaftlichen Folgen eines Widerrufs keine ausschlaggebende Bedeutung.4 Dass der Rechtsanwalt gezwungen ist, sich zwischen seinem unter Umständen jahrelang ausgeübten Rechtsanwaltsberuf und einer Tätigkeit in einem Familienunternehmen5 oder einer fest angestellten Tätigkeit in einem Ministerium6 entscheiden muss, vermag keine unzumutbare Härte zu begründen.7 Denn das ist die typische Folge bei der Aufnahme eines mit dem Rechtsanwaltsberuf unvereinbaren Zweitberufs. Ein Fall, in dem ein Widerruf zu einer unzumutbaren Härte führen würde, ist der Fall einer vorübergehenden Beschäftigung im öffentlichen Dienst. Er führt nach § 47 BRAO zu einem Tätigkeitsverbot. Da der Rechtsanwalt nach Beendigung dieser Tätigkeit wieder zugelassen werden müsste, scheidet ein Widerruf aus.8 Eine Tätigkeit ist aber nicht schon dann vorübergehend, wenn sie kündbar ist.9 Eine unzumutbare Härte liegt aber z.B. vor, wenn der BGH in einem anhängigen Verfahren über die Unvereinbarkeit einer Tätigkeit mit dem Anwaltsberuf noch nicht entschieden hat und der Rechtsanwalt gezwungen werden soll, seinen Zweitberuf aufzugeben. Hat der BGH dann aber gegen die Vereinbarkeit des Berufs mit dem Anwaltsberufs entschieden, muss der Zweitberuf auch sofort aufgegeben werden.10 47
Wie stets wird die Kammer bei Bekanntwerden einer solchen Tätigkeit dem Rechtsanwalt zunächst eine Belehrung über ihre Unvereinbarkeit mit dem Beruf des Rechtsanwalt erteilen und ihm Gelegenheit geben, die Tätigkeit aufzugeben und den Widerruf der Zulassung zu vermeiden.11 Der Widerruf kommt verfahrensmäßig erst in Betracht, wenn der Rechtsanwalt eine solche Gelegenheit nicht genutzt hat. IX. Fortfall des Haftpflichtversicherungsschutzes (§ 14 Abs. 2 Nr. 9 BRAO)
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Die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft ist schließlich nach § 14 Abs. 2 Nr. 9 BRAO zu widerrufen, wenn der Rechtsanwalt nicht die vorgeschriebene Berufshaftpflichtversicherung unterhält. Die in § 51 BRAO vorgeschriebene Berufshaftpflichtversicherung ist das wichtigste Instrument zur Absicherung der Mandanten gegen Fehler des Rechtsanwalts. Um eine Gefährdung der Mandanteninteressen zu vermeiden, ist es deshalb besonders wichtig, die Einhaltung dieser Verpflichtung gegenüber dem Rechtsanwalt durchzusetzen. Bei der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft geschieht dies in der Weise, dass die Zulassungsurkunde nur gegen einen Nachweis des Haftpflichtversicherungsschutzes ausgehändigt wird und die Zulassungswirkungen auch erst mit der Aushändigung der Zulassungsurkunde eintreten. Das würde den Rechtsanwalt aber nicht daran hindern, die Zahlung der Versicherungsprämie einzustellen und so den Versicherungsschutz einzubüßen. Eine Durchsetzung der Versicherungspflicht mit den standesrechtlichen Mitteln im anwaltsgerichtlichen Verfahren wäre wenig effektiv. Deshalb schreibt § 14 Abs. 2 Nr. 9 BRAO der Kammer vor, die Zulassung zu widerrufen, wenn der Rechtsanwalt die vorgeschriebene Haftpflichtversicherung nicht unterhält. Das ist nicht schon der Fall, wenn die Prämien ausbleiben, weil der Versicherungsschutz der Mandanten dann nach § 117 VVG erhalten bleibt. Erforderlich ist eine Kündigung des Versicherungsvertrags nach § 38 Abs. 3 VVG.12 Das gilt auch bei einem deutschen Rechts1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
BGHZ 97, 204 (210 f.); Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 14 Rz. 70; Henssler/Prütting/Henssler, § 14 Rz. 43. BGH, BRAK-Mitt. 1993, 219 (220); Henssler/Prütting/Henssler, § 14 Rz. 43. Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 14 Rz. 70; Henssler/Prütting/Henssler, § 14 Rz. 42. EGH Celle, BRAK-Mitt. 1990, 249 (250). BGH, BRAK-Mitt. 1994, 43 (45). BGH, NJW-RR 1999, 570. BGH, NJW-RR 2011, 856 (859) Rz. 14; Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 14 Rz. 71. BGH, BRAK-Mitt. 1986, 49. BGH, NJW-RR 1999, 570 (571). Jessnitzer/Blumberg, § 14 Rz. 11. Jessnitzer/Blumberg, § 14 Rz. 11. AGH Jena, BRAK-Mitt. 2007, 224 [Ls.], Vollabdruck bei juris; BGH, NJW-RR 2001, 1214 (1215) für Notare; Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 14 Rz. 77.
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Rücknahme und Widerruf der Zulassung
Rz. 51 § 14 BRAO
anwalt, der von der Kanzleipflicht befreit und nur im Ausland tätig ist,1 weil er nach wie vor zur Rechtsberatung im Inland berechtigt ist und das inländische rechtsuchende Publikum geschützt werden muss. Damit die Kammer hiervon Kenntnis erlangt, sind die Haftpflichtversicherer nach § 51 Abs. 6 S. 1 BRAO vertraglich zu verpflichten, das Ende des Versicherungsverhältnisses und den Fortfall des Versicherungsschutzes wegen Ausbleibens der Versicherungsprämie den Rechtsanwaltskammern, bei Rechtsanwälten beim BGH auch dem BMJ, anzuzeigen. Stellt der Rechtsanwalt den Versicherungsschutz im Widerrufsverfahren wieder her, scheidet ein Widerruf aus.2 Das gilt auch, wenn der Versicherungsschutz während eines Widerspruchsverfahrens wiederhergestellt wird. Dass dabei eine Versicherungslücke entsteht, ist unerheblich.3 Geschieht das nicht, muss der Widerruf ausgesprochen und ggf. nach Wiederherstellung des Versicherungsschutzes erneut die Zulassung beantragt werden.4 Dasselbe gilt, anders als bei dem nachträglichen Wegfall des Vermögensverfalls, wenn der Versicherungsschutz erst im laufenden Gerichtsverfahren wiederhergestellt wird.5 Anders liegt es dann, wenn das Nichtunterhalten der Haftpflichtversicherung nicht zu einem Widerruf der Zulassung, sondern zu einem Ausschlussurteil geführt hat. Dann kann eine Wartefrist einzuhalten sein.6 In einem Verfahren auf Wiederzulassung wären allerdings auch ohne diese Besonderheit die Umstände zu prüfen, die zum Verlust des Haftpflichtversicherungsschutzes geführt haben. Er ist nämlich nicht selten auch Anzeichen für bedrängte wirtschaftliche Verhältnisse. C. Ermessenswiderruf (§ 14 Abs. 3 BRAO) I. Voraussetzungen 1. Verletzung der Kanzleipflicht (§ 14 Abs. 3 Nr. 1 u. 4 BRAO) Der Rechtsanwalt ist nach § 27 BRAO verpflichtet, nach seiner Zulassung zur Rechtsanwaltschaft eine Kanzlei einzurichten. Ohne die Einrichtung einer Kanzlei ist einem Rechtsanwalt normalerweise die geordnete Ausübung seines Berufs nicht möglich. Denn die Kanzlei ist die Anlaufstelle für seine Mandanten. Nur in einer Kanzlei können die Mandatsunterlagen ordnungsgemäß aufbewahrt und verwaltet werden. Der Verkehr mit Gerichten und Behörden ist nur mit einer Kanzlei sinnvoll zu organisieren. Die Zulassung eines Rechtsanwalts, der diese Pflicht nicht erfüllt, kann nach Absatz 3 Nr. 1 und, wenn es um die Aufgabe einer zunächst eingerichteten Kanzlei geht, nach Absatz 3 Nr. 4, widerrufen werden.
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2. Befreiung von der Kanzleipflicht (§ 14 Abs. 3 Nr. 2 u. 3 BRAO) Das Gleiche gilt, wenn der Rechtsanwalt zwar nach Maßgabe von §§ 29, 29a BRAO von der Kanzleipflicht ausnahmsweise befreit ist, die ihm erteilten Auflagen hierfür aber nicht einhält und es auch verabsäumt, entgegen dem Gebot des § 30 BRAO einen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen.
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II. Widerruf der Zulassung 1. Grundsatz Anders als bisher nach § 35 BRAO a.F. führt ein Verstoß gegen die Kanzleipflicht oder gegen die Befreiungsauflagen nicht zu einem Widerruf der Zulassung bei einem bestimmten Gericht, sondern zum Widerruf der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft an sich. Der Widerruf der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft an sich ist, wie bisher der Widerruf der Zulassung bei einem bestimmten Gericht, nicht zwingend. Er steht vielmehr im Ermessen der Rechtsanwaltskammer. 1 BGHZ 137, 200 (203 f.); Henssler/Prütting/Henssler, § 14 Rz. 46; Jessnitzer/Blumberg, § 14 Rz. 13. 2 BGH, NJW 2001, 3131; Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 14 Rz. 78; Henssler/Prütting/Henssler, § 14 Rz. 47; Kleine-Cosack, § 14 Rz. 30. 3 BGH wie vor gegen AGH Frankfurt/Main, BRAK-Mitt. 2000, 310 (311). 4 BGH, NJW 2001, 3131. 5 Einzelheiten oben Rz. 37 f.; § 7 BRAO Rz. 91b, 91c; a.M. Kleine-Cosack, § 14 Rz. 30; Henssler/Prütting/ Henssler, § 14 Rz. 47, die die oben Rz. 37 f. referierte Änderung der Rechtsprechung des BGH nicht berücksichtigen. 6 BGH, BRAK-Mitt. 1996, 121 (122).
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§ 14 BRAO Rz. 52
Rücknahme und Widerruf der Zulassung
2. Dreimonatsfrist 52
Wie bisher auch führt der Verstoß gegen die Kanzleipflicht nicht unmittelbar zum Widerruf der Zulassung. Es steht dem Rechtsanwalt eine Schonfrist von drei Monaten zu, innerhalb derer er Gelegenheit hat, seine Kanzleipflicht oder den Auflagen im Zusammenhang mit der Befreiung von dieser Pflicht nachzukommen. Bis zum Ablauf des 31.8.2009 kam der Widerruf der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nach Absatz 3 Nr. 1 nur in Betracht, wenn die Frist zur Ersteinrichtung der Kanzlei verletzt war. Die Neufassung von Absatz 3 Nr. 1 weitet diesen Widerrufsgrund auf diejenigen Fälle aus, in denen die Pflicht, eine Kanzlei einzurichten, später entsteht, z.B. wenn eine Befreiung von der Kanzleipflicht nach §§ 29, 29a BRAO wegfällt.1 3. Ausübung des Ermessens
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Bei ihrer Abwägung wird die Kammer nur sehr selten zu dem Ergebnis gelangen können, dass ein Widerruf der Zulassung auszusprechen ist. Der BGH hat zwar den Widerruf der Zulassung zugelassen, wenn ein Rechtsanwalt selbst minimalen Anforderungen an die Kanzleipflicht wie der Anbringung eines Praxisschildes und eines Eintrags im Telefonbuch nicht genügt.2 Diese Entscheidung hat das BVerfG indessen nach Erlass einer einstweiligen Anordnung3 aufgehoben.4 Ein Widerruf wegen Verletzung der Kanzleipflicht komme nur in Betracht, wenn er zum Schutz besonders wichtiger Gemeinschaftsgüter zwingend erforderlich sei und mildere Mittel nicht zur Verfügung stehen.5 Das sei aber in Gestalt der im anwaltsgerichtlichen Verfahren nach § 114 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BRAO zur Verfügung stehenden Mittel der Fall. Danach scheide ein Widerruf der Zulassung in aller Regel jedenfalls dann aus, wenn es um die „organisatorischer Maßnahmen der Kanzleipflicht“ geht. Deren Versäumung schadet regelmäßig nur dem Rechtsanwalt selbst, gefährde aber nicht Gemeinschaftsbelange. Ein Widerruf wird deshalb nur in seltenen Extremfällen in Betracht kommen, in denen die Kanzleipflicht in ihrem sachlichen Kern verletzt wird und sich diese Verletzung auch durch nachhaltige anwaltsgerichtliche Maßnahmen nicht hat abstellen lassen. Erst dann kommt eine Ermessensreduktion auf null in Betracht.6 In dem konkret entschiedenen Fall hat der AGH München auch eine Pflichtverletzung verneint.7 Die dafür gegebene Begründung, die Anbringung eines Praxisschildes und der Eintrag im Telefonbuch könnte nicht mehr verlangt werden, findet in dem Beschluss des BVerfG allerdings keine Grundlage. Jedenfalls hat die Kammer zu prüfen, ob die Kanzlei wirklich aufgegeben worden ist; Indizien genügen nicht.8 D. Wirkungen des Sofortvollzugs (§ 14 Abs. 4 BRAO) I. Anordnung des Sofortvollzugs 1. Ausübung des Ermessens
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Die Vorschrift des § 14 Abs. 4 Satz 1 BRAO regelt die Folgen der Anordnung der sofortigen Vollziehung des Widerrufs der Zulassung. Sie setzt die Möglichkeit einer solchen Anordnung voraus und regelt die Voraussetzungen nicht selbst. Sie ergaben sich bis zum 31.8.2009 aus § 16 Abs. 6 Satz 1 BRAO a.F. und ergeben sich seitdem nach §§ 32, 112c BRAO aus dem entsprechend anwendbaren § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO. Danach kann ein Verwaltungsakt für sofort vollziehbar erklärt werden, wenn die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse geboten ist. Diese Formulierung ist etwas weiter als die Formulierung des früheren § 16 Abs. 6 Satz 1 BRAO, der ein „überwiegendes“ öffentliches Interesse verlangte. In der Sache hat sich aber nichts geändert. Der Gesetzgeber hat den Widerruf der Rechtsanwaltszulassung nicht für kraft Gesetzes sofort vollziehbar erklärt. Das zeigt, dass die Widerrufsgründe normalerweise keinen Sofortvollzug verlangen. Auch das „einfache“ öffentliche Interesse an einem Sofortvollzug des Widerrufs besteht deshalb nur, wenn er schon vor Bestandskraft des
1 2 3 4 5
Entwurfsbegründung in BT-Drs. 16/11385, S. 34. BGH, NJW 2005, 1420. BVerfG, NJW 2005, 1418 (1419). BVerfG, BRAK-Mitt. 2005, 275 (276). BVerfGE 72, 26 (32 f.); BVerfG BRAK-Mitt. 2005, 275 (276); BGH, NJW-RR 2014, 377 Rz. 8; ähnlich auch Kleine-Cosack, § 27 Rz. 8. 6 BGH, NJW-RR 2014, 377 Rz. 8. 7 AGH München, NJW 2008, 600. 8 BGH, Beschl. v. 6.7.2009 – AnwZ (B) 26/09, juris.
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Ärztliches Gutachten bei Versagung und Widerruf der Zulassung
§ 15 BRAO
Widerrufsbescheids zur notwendigen Abwehr konkreter Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter geboten ist.1 2. Anordnung bei Verlust des Haftpflichtversicherungsschutzes Nach Absatz 4 S. 2 ist der Sofortvollzug in der Regel anzuordnen, wenn der Widerruf der Anwaltszulassung deshalb erfolgt, weil der Rechtsanwalt seinen Haftpflichtversicherungsschutz verloren hat. Denn ohne ein Bestehen einer Haftpflichtversicherung können die Mandanten dieses Rechtsanwalts nicht damit rechnen, dass sie bei fehlerhafter Rechtsberatung Schadensersatz erhalten. Ihre Interessen als Rechtsuchende sind damit konkret gefährdet.2 Die Gefährdung ist so groß, dass dem Rechtsanwalt auch umgehend eine jede beratende Tätigkeit untersagt und den Widerrufsbescheid für sofort vollziehbar erklärt werden muss. Die Strenge der Regelung ist auch deshalb gerechtfertigt, weil der Rechtsanwalt den Verlust des Haftpflichtversicherungsschutzes jederzeit wieder rückgängig machen kann, indem er für die Zukunft seine Prämien zahlt und für die Vergangenheit eine Nachversicherung vornehmen lässt.
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II. Wirkungen des Sofortvollzugs 1. Berufsverbot Der Sofortvollzug (§ 112c Abs. 1 BRAO i.V.m. § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO) hat nach Absatz 4 die Wirkungen eines Berufsverbots.3 Diese sind in § 155 Abs. 2, 4 und 5 BRAO und § 156 Abs. 2 BRAO geregelt. Der Rechtsanwalt ist danach nicht mehr berechtigt, außer in eigenen Sachen,4 als Rechtsanwalt aufzutreten. Die Gerichte haben ihn als Parteivertreter unabhängig davon zurückzuweisen, ob es sich um einen Anwaltsprozess handelt oder nicht. Der Verstoß gegen das Berufsverbot stellt einen besonders schweren Verstoß gegen die Anwaltspflichten dar und kann zusätzlich ein Verfahren nach § 113 BRAO auslösen.
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2. Vertreterbestellung Ein Rechtsanwalt, dessen Zulassung mit sofortiger Wirkung zurückgenommen oder widerrufen worden ist, kann seine Kanzlei nicht mehr selbst betreiben. Er muss vielmehr einen amtlichen Vertreter bestellen, der für ihn tätig werden kann. Geschieht das nicht, hat die Rechtsanwaltskammer nach § 161 BRAO die Möglichkeit, von sich aus einen Vertreter zu bestellen, der dann anstelle des betroffenen Rechtsanwalts die Kanzlei betreut und die Mandate solange verwaltet, bis über die Zulassung des Rechtsanwalts entschieden ist.
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3. Vertretung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren Wenn Sofortvollzug angeordnet ist, darf sich der Rechtsanwalt nicht mehr selbst vertreten. Das gilt auch im berufsrechtlichen Verfahren vor dem Anwaltsgerichtshof und dem BGH gegen den Widerrufsbescheid und gegen die Anordnung des Sofortvollzugs. Nimmt der Rechtsanwalt aber dennoch Verfahrenshandlungen vor, bleiben diese wirksam.5
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D. Wiederaufgreifen des Verfahrens Das Verfahren über einen bestandskräftigen Widerruf der Zulassung kann nicht nach § 32 BRAO i.V.m. § 51 VwVfG wieder aufgegriffen werden. An die Stelle eines Wiederaufgreifens des Widerrufs tritt das jederzeit mögliche Verfahren der Wiederzulassung nach §§ 6, 7 BRAO.6 Gutachten bei Versagung und Widerruf der Zulassung 15 BRAO Ärztliches (1) Wenn es zur Entscheidung über den Versagungsgrund des § 7 Nr. 7 1
oder den Widerrufsgrund des § 14 Abs. 2 Nr. 3 erforderlich ist, gibt die Rechtsanwaltskammer dem Betroffenen auf, innerhalb einer von ihr zu bestimmenden angemessenen Frist das
1 BGH, BRAK-Mitt. 1998, 235 (236); 2009, 129; Beschl. v. 18.10.2006 – AnwZ (B) 29/06, juris; Henssler/Prütting/Henssler, § 14 Rz. 70. 2 BGH, BRAK-Mitt. 1996, 167; Jessnitzer/Blumberg, § 14 Rz. 9. 3 Jessnitzer/Blumberg, § 16 Rz. 12. 4 Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 14 Rz. 113. 5 BGH, NJW 2012, 1336 f. Rz. 6, 9; MDR 2010, 779; Henssler/Prütting/Henssler, § 14 Rz. 73a. 6 BGH, NJW-RR 2011, 561 (562) Rz. 8 f.
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§ 15 BRAO Rz. 1
Ärztliches Gutachten bei Versagung und Widerruf der Zulassung
Gutachten eines von ihr zu bestimmenden Arztes über seinen Gesundheitszustand vorzulegen. 2Das Gutachten muss auf einer Untersuchung und, wenn dies ein Amtsarzt für notwendig hält, auch auf einer klinischen Beobachtung des Betroffenen beruhen. 3Die Kosten des Gutachtens hat der Betroffene zu tragen. (2) 1Anordnungen nach Absatz 1 sind mit Gründen zu versehen und zuzustellen. 2Gegen sie können die Rechtsbehelfe gegen belastende Verwaltungsakte eingelegt werden. 3Sie haben keine aufschiebende Wirkung. (3) 1Wird das Gutachten ohne zureichenden Grund nicht innerhalb der von der Rechtsanwaltskammer gesetzten Frist vorgelegt, so wird vermutet, dass der Betroffene aus gesundheitlichen Gründen nicht nur vorübergehend unfähig ist, den Berufs eines Rechtsanwaltes ordnungsgemäß auszuüben. 2Der Betroffene ist auf diese Folgen bei der Fristsetzung hinzuweisen. . . . .
. . . .
1 1 3 4
B. Vorlageanordnung . . . . . . . . . . I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . II. Erforderlichkeit (§ 15 Abs. 1 S. 1 BRAO) 1. Maßstab. . . . . . . . . . . . . . . 2. Anhaltspunkte für Gesundheitsstörung 3. Vorprüfung der Anhaltspunkte . . . . 4. Andere Beweismittel . . . . . . . . . 5. Andere Widerrufsgründe . . . . . . . III. Inhalt der Aufforderung (§ 15 Abs. 1 S. 1 BRAO) . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . 2. Untersuchungsthema . . . . . . . . 3. Untersuchungsmodalitäten . . . . . . 4. Untersuchender Arzt . . . . . . . . . 5. Untersuchungsfrist. . . . . . . . . . 6. Nebenbestimmungen. . . . . . . . . IV. Verfahren (§ 15 Abs. 2, 3 BRAO) . . . . 1. Anhörung des Betroffenen . . . . . . 2. Begründung und Zustellung . . . . . 3. Folgen- und Rechtsbehelfsbelehrung . V. Ergänzungsanordnung . . . . . . . .
. . . . . . . .
5 5 6 6 7 11 13 14
. . . . . . . . . . . .
16 16 17 19 20 21 25 26 26 27 32 34
A. I. II. III.
Grenzen der Amtsermittlung . . . Sachaufklärungsdefizite . . . . . Untersuchungslast des Betroffenen Sachlicher Anwendungsbereich . .
. . . .
. . . .
. . . .
37 37 38 39
D. Folgen der Fristversäumung (§ 15 Abs. 3 S. 1 BRAO) . . . . . . . . . . . . . I. Versäumung der Frist . . . . . . . . II. Notwendigkeit einer Sachentscheidung III. Umfang der Vermutungswirkung . . . IV. Zweitantrag, Wiederzulassung . . . .
. . . . .
40 40 42 43 47
C. I. II. III.
Erfüllung der Anordnung . . . . Durchführung der Untersuchung Kostentragung . . . . . . . . . Ergänzungsuntersuchung . . . .
. . . .
. . . .
E. Widerspruch und Klage (§ 15 Abs. 2 S. 2, 3 BRAO) . . . . . . . . . . . . . . . . I. Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Gegenstand und Umfang der Prüfung . . III. Entscheidungsmöglichkeiten . . . . . . IV. Anfechtung einer Ergänzungsordnung . . V. Rechtsmittel. . . . . . . . . . . . . . 1. Widerspruch und Klage . . . . . . . . . 2. Berufung . . . . . . . . . . . . . . . VI. Sofortvollzug, Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung . . . . . . . . 1. Sofortvollzug . . . . . . . . . . . . . 2. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Umfang der Bestandskraft . . . . . . .
49 49 50 54 56 57 57 58 59 59 61 64
A. Grenzen der Amtsermittlung I. Sachaufklärungsdefizite 1
Die Rechtsanwaltskammer hat nach § 32 BRAO i.V.m. § 24 VwVfG von Amts wegen zu prüfen, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung zum Rechtsanwaltsberuf und Gründe für die Versagung der beantragten Zulassung vorliegen. Bei der ihr obliegenden Sachaufklärung ist die Rechtsanwaltskammer nicht auf Beweismittel beschränkt, die der Antragsteller selbst benannt hat. Sie muss sich auch nicht auf die förmlichen Beweismittel nach der Zivilprozessordnung beschränken. Vielmehr kann sie nach § 32 BRAO i.V.m. § 26 Abs. 1 VwVfG alle Beweismittel erheben, die ihr erforderlich erscheinen. Sie wäre deshalb grundsätzlich auch in der Lage, ein ärztliches Gutachten einzuholen, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Bewerber aus gesundheitlichen Gründen nicht nur vorübergehend unfähig ist, den Beruf eines Rechtsanwalts ordnungsgemäß auszuüben, und die Zulassung nach § 7 Nr. 7 BRAO zu versagen wäre. Sie kann diese Möglichkeiten aber nicht ohne weiteres ausschöpfen, da der Bewerber zur Mitwirkung an einem solchen Gutachten rechtlich nicht verpflichtet ist.1 Das führt dazu, dass die Rechtsanwaltskammer bei einer Verweigerung der Untersuchung die erforderliche Sachaufklärung nicht abschließen und über den Zulassungsantrag weder positiv noch negativ entscheiden kann. Dieses Ergebnis wäre hinnehmbar, soweit es um die Zulas1 BGH, Beschl. v. 8.5.1978 – AnwZ (B) 3/78; Beschl. v. 15.6.1985 – AnwZ (B) 35/84; Hagen, FS Pfeiffer, 1988, S. 929 (933 f.).
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Ärztliches Gutachten bei Versagung und Widerruf der Zulassung
Rz. 5 § 15 BRAO
sung zur Rechtsanwaltschaft geht. Denn der Beruf eines Rechtsanwalts darf ohne Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nicht ausgeübt werden. Es könnte daher dem Bewerber überlassen bleiben, ob er die Voraussetzungen für eine Zulassung schafft oder nicht. Anders liegt es indessen, wenn nach erfolgter Zulassung gesundheitliche Gründe auftreten, die dem zugelassenen Rechtsanwalt die weitere ordnungsgemäße Ausübung des Berufs des Rechtsanwalts auf Dauer unmöglich machen. Tatsachen, die auf eine tief greifende gesundheitliche Störung bei einem Rechtsanwalt schließen lassen, darf die Rechtsanwaltskammer nicht ignorieren. Sie muss diesen Tatsachen nachgehen und feststellen, ob ein Anfangsverdacht besteht. Ob dieser Verdacht begründet ist, kann sie regelmäßig nur durch Einholung eines ärztlichen Gutachtens feststellen. Der zugelassene Rechtsanwalt ist aber nicht verpflichtet, sich der dazu erforderlichen ärztlichen Untersuchung zu unterziehen (§ 32 BRAO i.V.m. § 26 Abs. 2 S. 3 VwVfG). Er unterliegt zwar besonderen Standespflichten und ist auch Mitglied der Rechtsanwaltskammer. Aus beidem ergeben sich aber lediglich Verpflichtungen im Zusammenhang mit der Ausübung des Rechtsanwaltsberufs. Eine Verpflichtung, sich einer Prüfung seines Gesundheitszustands zu unterziehen, ergibt sich für den Rechtsanwalt weder aus Standesrecht noch aus seiner Mitgliedschaft zur Rechtsanwaltskammer.1 Damit ergibt sich für die Rechtsanwaltskammer ein Dilemma. Aufgrund des festgestellten Sachverhalts muss sie Ermittlungen aufnehmen. Sie kann diese aber nicht ohne eine ärztliche Untersuchung durchführen. Die Verweigerung einer Begutachtung durch den Rechtsanwalt würde dazu führen, dass die Rechtsanwaltskammer den nach § 14 Abs. 2 Nr. 3 BRAO in solchen Fällen gebotenen Widerruf nicht aussprechen kann. Das würde die Interessen der Rechtsuchenden empfindlich beeinträchtigen, weil sie Gefahr laufen, einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung ihrer Interessen zu beauftragen, der zur ordnungsgemäßen Ausübung seines Amtes auf Dauer nicht in der Lage ist. Das kann nicht hingenommen werden.
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II. Untersuchungslast des Betroffenen Dieser Schwierigkeit hat der Gesetzgeber durch entsprechende Regelungen abgeholfen, die zunächst zwischen Zulassung (§ 8 BRAO a.F.) und Widerruf (§ 16 Abs. 3a BRAO a.F.) unterschieden, jetzt in § 15 BRAO zusammengefasst sind. Die Vorschrift verpflichtet den Betroffenen – Zulassungsbewerber oder zugelassenen Rechtsanwalt – nach wie vor nicht unmittelbar kraft Gesetzes dazu, sich untersuchen zu lassen. Ihn trifft vielmehr eine Untersuchungslast. Die Rechtsanwaltskammer kann ihm aufgeben, ein ärztliches Gutachten eines bestimmten Gutachters über seinen Gesundheitszustand vorzulegen, das seinerseits auf einer ärztlichen Untersuchung des Rechtsanwalts und gegebenenfalls sogar auf seiner klinischen Beobachtung beruhen muss. Es steht dem Betroffenen frei, dieser Anordnung Folge zu leisten. Die Nichtbeibringung des Gutachtens löst aber eine Vermutung zu seinen Lasten aus.
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III. Sachlicher Anwendungsbereich § 15 BRAO gilt für die Feststellung des Versagungsgrundes nach § 7 Nr. 7 BRAO und des Widerrufsgrunds nach § 14 Abs. 2 Nr. 3 BRAO. Er gilt damit zunächst im Zulassungs- oder Wiederzulassungsverfahren und im Widerrufsverfahren. Auf den Versagungsgrund des § 7 Nr. 7 BRAO kann es aber auch in einem – recht seltenen – Rücknahmeverfahren nach § 14 Abs. 1 BRAO ankommen. Auch dafür gilt § 15 BRAO.
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B. Vorlageanordnung I. Allgemeines Die Mitwirkungslast trifft den Betroffenen nicht schon, wenn die Rechtsanwaltskammer ihm den gegen ihn erhobenen Vorwurf eröffnet und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme gibt. Sie trifft ihn nach § 15 Abs. 1 S. 1 BRAO erst, wenn ihm die Rechtsanwaltskammer die Beibringung eines Gutachtens über seinen Gesundheitszustand förmlich aufgegeben hat. Eine solche Anordnung darf die Rechtsanwaltskammer, anders als bei der Erhebung sonstiger Beweise nach § 32 BRAO, nicht schon erlassen, wenn ihr die Vorlage eines solchen Gutachtens zweckmäßig oder auch nur sinnvoll erscheint. Eine Anordnung nach § 15 Abs. 1 S. 1 BRAO darf sie vielmehr nur erlassen, wenn sie zur Entscheidung über die Versagung der Zulassung 1 Hagen, FS Pfeiffer, 1988, S. 929 (930).
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§ 15 BRAO Rz. 6
Ärztliches Gutachten bei Versagung und Widerruf der Zulassung
oder ihre Rücknahme wegen des Versagungsgrunds nach § 7 Nr. 7 BRAO oder für einen Widerruf wegen des Widerrufsgrunds nach § 14 Abs. 2 Nr. 3 BRAO erforderlich ist. Mit diesen erhöhten Anforderungen trägt der Gesetzgeber dem Umstand Rechnung, dass nicht nur das aufgrund einer solchen Aufforderung erstellte Gutachten und sein mögliches Ergebnis, sondern schon die Aufforderung, sich begutachten zu lassen, eine nicht unwesentliche Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts des Zulassungsbewerbers bedeuten. Dem muss bei der Anwendung der Vorschrift ebenso Rechnung getragen werden, wie dem Bedürfnis der Rechtsuchenden, nicht an einen Rechtsanwalt zu geraten, der zur Ausübung seines Berufs auf Dauer außerstande ist. II. Erforderlichkeit (§ 15 Abs. 1 S. 1 BRAO) 1. Maßstab 6
Erforderlich ist die Vorlage eines Gutachtens über den Gesundheitszustand nur, wenn die Rechtsanwaltskammer hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür hat, dass dem Zulassungsbewerber die erforderliche gesundheitliche Eignung für die dauerhaft ordnungsgemäße Ausübung des Rechtsanwaltsberufs fehlt.1 Eine solche gesundheitliche Störung muss danach ernsthaft in Betracht kommen.2 2. Anhaltspunkte für Gesundheitsstörung
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Aus welcher Quelle die Hinweise an die Rechtsanwaltschaft gelangen, ist grundsätzlich unerheblich. Sie brauchen nicht auf eigener Wahrnehmung der Kammer und ihrer Organe zu beruhen. Es kann sich hierbei um Hinweise von Gerichten3 und ihren Spruchkörpern, um Unterrichtung durch Behördenmitteilungen in Zivilsachen oder auch um Anzeigen von Mandanten oder anderen Rechtsanwälten handeln. Grundsätzlich ist die Rechtsanwaltskammer auch verpflichtet, anonymen Hinweisen nachzugehen. Eine Grenze bildet allerdings die Menschenwürde. Nicht verwertbar sind Hinweise, die sich daraus ergeben, dass der Rechtsanwalt bei Selbstgesprächen belauscht oder illegal abgehört worden ist.4 Das sind allerdings eher theoretische Ausnahmen.
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Auf die Art der Anhaltspunkte kommt es nicht an. So kann sich etwa aus den Bewerbungsunterlagen eines Berufsanfängers ergeben, dass er während des Studiums in einer psychiatrischen Klinik war. Die Entziehung der Fahrerlaubnis kann auf wiederholten Trunkenheitsfahrten beruhen und Anhaltspunkte für eine Alkoholsucht ergeben. Die Versetzung eines Beamten oder Richters in den Ruhestand aus gesundheitlichen Gründen kann bei der Prüfung seines anschließenden Antrags auf Zulassung zur Rechtsanwaltschaft Anlass zu Zweifeln an seiner gesundheitlichen Eignung für diesen Beruf ergeben. Voraussetzung hierfür ist aber, dass die Gründe, die für die Versetzung in den Ruhestand maßgeblich waren, hierfür Anhaltspunkte ergeben.
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Entscheidend ist die Aussagekraft der Anhaltspunkte. Besonders starke Anhaltspunkte können sich etwa aus einem ärztlichen Gutachten ergeben. Ein solches Gutachten kann der Rechtsanwaltskammer etwa dann zur Kenntnis gelangen, wenn ein Rechtsanwalt ein Wiedereinsetzungsgesuch gegen die Versäumung einer Frist damit begründet, dass er aus gesundheitlichen Gründen außer Stande gewesen sei, die Frist einzuhalten, und dazu ein solches Gutachten vorliegt. Oft werden die Anhaltspunkte eher indirekt sein. So kann die Rechtsanwaltskammer auch durch einen Spruchkörper eines Gerichts oder von anderen ihrer Mitglieder über ein auffälliges Verhalten des Rechtsanwalts in der mündlichen Verhandlung oder auch in Schriftsätzen unterrichtet werden, das auf eine Erkrankung hindeutet.5
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Singuläre Vorfälle reichen hierfür nur aus, wenn sie ein entsprechend großes Gewicht haben. In der Regel werden solche Vorfälle für sich genommen noch keinen ausreichenden Verdacht ergeben, sondern nur in ihrer Summe. Deshalb wird die Rechtsanwaltskammer bei 1 2 3 4 5
EGH München, BRAK-Mitt. 1992, 221 (222); Henssler/Prütting/Henssler, § 15 Rz. 6. EGH München, BRAK-Mitt. 1992, 221 – Plädoyer in trunkenem Zustand; Jessnitzer/Blumberg, § 15. EGH München, BRAK-Mitt. 1992, 221 (222). BGHSt 50, 206 (210 f.). BGH, BRAK-Mitt. 1999, 39: abstruse Vorwürfe gegen Pflegeverwaltung; BRAK-Mitt. 2008, 75 [Ls]: absurde Äußerungen über Richter und andere Verfahrensbeteiligte; AGH Hamm, BRAK-Mitt. 1996, 263: wiederholtes unsachliches Verhalten gegenüber Verfahrensbeteiligten; EGH München, BRAK-Mitt. 1992, 221 – Plädoyer in betrunkenem Zustand.
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Ärztliches Gutachten bei Versagung und Widerruf der Zulassung
Rz. 16 § 15 BRAO
entsprechenden Meldungen oft Veranlassung haben, festzustellen, ob es sich hierbei um singuläre „Ausrutscher“ handelt oder ob auf Grund weiterer Vorfälle Anzeichen für eine Verfestigung bestehen. 3. Vorprüfung der Anhaltspunkte Den sich aus solchen Hinweisen ergebenden Ausgangssachverhalt hat die Rechtsanwaltskammer von Amts wegen und mit den ihr zu Gebote stehenden Mitteln aufzuklären. Ziel der Aufklärung muss es dabei sein festzustellen, ob die mitgeteilten Sachverhalte überhaupt zutreffen und ob sie ein Verhaltensmuster ergeben, das den Verdacht für eine tief greifende gesundheitliche Störung begründet. Wie tief diese Ermittlungen zu gehen haben, lässt sich nicht allgemein festlegen. Legt der Rechtsanwalt zur Begründung eines Wiedereinsetzungsgesuchs ein ärztliches Gutachten vor, aus dem sich ergibt, dass er immer wieder unter depressiven Schüben leidet, die ihn wochenlang außer Stande setzen, einen geordneten Betrieb seines Büros aufrechtzuerhalten, dann genügt das schon für sich genommen als Ausgangspunkt für eine Aufklärung seines Gesundheitszustandes. Anders liegt es dagegen, wenn es um die sehr schwierige Abgrenzung eines gewöhnlichen querulatorischen Verhaltens vom Verdacht des Querulantenwahns geht. Hier ist mehr Ermittlungsaufwand erforderlich, um einer ärztlichen Begutachtung eine ausreichende tatsächliche Grundlage zu liefern.
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Entsprechende Maßnahmen sind auch erforderlich, wenn sich der Rechtsanwalt im Rahmen dieses „Vorverfahrens“ von sich aus durch eine Vorlage, etwa der Stellungnahme seines behandelnden Arztes, verteidigt, aus der sich ergibt, dass er trotz der genannten Sachverhalte in der Lage ist, seinen Beruf als Rechtsanwalt auszuüben. In diesem Fall muss die Kammer feststellen, ob Anhaltspunkte dafür bestehen, dass dieser ärztliche Befund nicht zutrifft.
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4. Andere Beweismittel Nicht erforderlich ist die Einholung eines Gutachtens über den Gesundheitszustand dann, wenn andere Beweismittel ausreichen.1 Das ist indessen nicht schon dann der Fall, wenn überhaupt andere Beweismittel vorliegen. Sie müssen auch belastbare Aussagen über die gesundheitliche Eignung des Bewerbers ergeben, auf die notfalls eine Versagung der Zulassung auch gestützt werden könnte.
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5. Andere Widerrufsgründe Eine Begutachtung ist weiterhin nicht erforderlich, wenn die Zulassung ohnehin an anderen Gründen scheitert.2 Haben die angezeigten gesundheitlichen Gründe etwa zum Vermögensverfall geführt, kann dessen gesundheitliche Ursache offen bleiben. In einem solchen Fall könnte das Gutachten letztlich die Entscheidung nur abrunden. Dafür besteht unter Berücksichtigung auch der persönlichkeitsbeeinträchtigenden Wirkung von Anordnung und Gutachten kein Bedürfnis. Anders liegt es m.E. aber dann, wenn die Rechtsanwaltskammer zwar von dem Vorliegen des anderen Versagungsgrundes überzeugt ist, aber ernsthafte Zweifel hat, ob er einer gerichtlichen Überprüfung auch standhält. In diesen Fällen müsste sie m.E. die Möglichkeit haben, sogleich einer Versagung aus gesundheitlichen Gründen nachzugehen. Sie sollte in diesen Fällen nicht gezwungen sein, erst festzustellen, ob die Versagung der Zulassung aus anderen Gründen einer gerichtlichen Überprüfung standhält.
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Auch wenn kein anderer Rücknahme- oder Widerrufsgrund in Betracht kommt, ist die Einholung eines ärztlichen Gutachtens nur erforderlich, wenn die Rechtsanwaltskammer einen Ausgangssachverhalt festgestellt hat, der es notwendig macht, dem Vorliegen einer tief greifenden gesundheitlichen Störung nachzugehen.
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III. Inhalt der Aufforderung (§ 15 Abs. 1 S. 1 BRAO) 1. Vorbemerkung Nach Absatz 1 S. 1 darf die Rechtsanwaltskammer dem Bewerber nicht allgemein die Vorlage eines Gutachtens über seinen Gesundheitszustand aufgeben. Das wäre nämlich weder 1 BGH, BRAK-Mitt. 1999, 39; Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 15 Rz. 2; Henssler/Prütting/Henssler, § 15 Rz. 4; Jessnitzer/Blumberg, § 8a Rz. 1; Kleine-Cosack, § 15 Rz. 2. 2 Entwurfsbegründung in BT-Drs. 11/3253, S. 20; BGH, BRAK-Mitt. 1999, 39 (41); Jessnitzer/Blumberg, § 8a Rz. 1; Kleine-Cosack, § 15 Rz. 2.
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mit der Konstruktion noch mit den Wirkungen der Vorschrift zu vereinbaren. Durch die Gutachtenaufforderung der Rechtsanwaltskammer soll die Mitwirkungspflicht des Betroffenen konkretisiert werden. Die Versäumung dieser konkretisierten Mitwirkungspflicht führt zur Vermutung, aus gesundheitlichen Gründen auf Dauer außer Stande zu sein, den Beruf des Rechtsanwalts auszuüben. Damit kann der Bewerber seinen angestrebten Beruf jedenfalls zunächst nicht ausüben. Dem könnte er auch nicht ohne weiteres mit einem neuen Zulassungsantrag begegnen. Einen neuen Zulassungsantrag kann er nämlich nur stellen, wenn er eine Veränderung des Sachverhalts gegenüber dem ersten Zulassungsantrags darlegt.1 Schon das ist ihm nicht möglich, wenn unklar bleibt, aus welchem gesundheitlichen Grund der Antrag zurückgewiesen wurde. Auch müsste der Bewerber wieder mit einer Gutachtenaufforderung rechnen und könnte nicht genau abschätzen, ob das von ihm vorgelegte Gutachten nunmehr den Anforderungen der Rechtsanwaltskammer genügt oder nicht. Das wäre mit der Berufsfreiheit und einem effektiven Rechtsschutz nicht zu vereinbaren. Noch deutlicher wird dies bei dem Widerrufsverfahren gegen einen zugelassenen Rechtsanwalt. Der Widerruf seiner Zulassung aufgrund der gesetzlichen Fiktion, zur Ausübung des Rechtsanwaltsberufs außer Stande zu sein, ist nur vertretbar, wenn die Mitwirkungspflicht so konkretisiert wird, dass sie problemlos zu erfüllen ist. Das sieht Absatz 1 S. 1 im Ansatz auch vor. Die Vorschrift ist streng auszulegen und erfordert eine bestimmte Gutachtenaufforderung.2 2. Untersuchungsthema 17
Das macht es zunächst erforderlich, die Themen zu bezeichnen, denen der Gutachter nachgehen soll.3 In Absatz 1 S. 1 heißt es zwar, dass ein Gutachten zu „dem Gesundheitszustand“ einzuholen ist. Damit ist aber nicht gemeint, dass die Rechtsanwaltskammer dem Zulassungsbewerber die Beibringung eines Gutachtens mit einer solch allgemein gehaltenen Fragestellung soll aufgeben können. Eine solche Fragestellung ist für keinen Gutachter sinnvoll umsetzbar. Es bedarf vielmehr der Konkretisierung, welcher Gesundheitsstörung nachgegangen werden soll. Sie ist auch deshalb erforderlich, weil eine diffuse Fragestellung auch nur eine entsprechend diffuse Vermutungswirkung auslösen und damit im Verweigerungsfall den ihr zugedachten Effekt verfehlen würde.
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Je nach Art der zu prüfenden Gesundheitsstörung kann es erforderlich sein, das genaue Thema der Untersuchung durch Zusatz- oder Unterfragen weiter einzuschränken. Die Formulierung solcher Fragen ist ausnahmsweise entbehrlich, wenn die Begutachtung an ein konkretes tatsächliches Geschehen anknüpft, das sich selbst erklärt und die anstehenden Fragen auch ohne zusätzliche Verbalisierung klar zutage treten lässt. Welche Konkretisierungstiefe im Einzelfall geboten ist, hängt von den Umständen ab. Ziel muss es sein, dem Betroffenen die dem Gutachter vorzulegende Fragestellung so genau zu beschreiben, dass er selbst die Berechtigung der Gutachtenaufforderung prüfen und der Gutachter ein sinnvolles Gutachten erstellen kann. Diese Fragen muss die Kammer in der Gutachtenanordnung nicht medizinisch exakt beschreiben, sondern nur thematisch umreißen.4 Von ihr kann nicht verlangt werden, dass sie das zur Prüfung gestellte tatsächliche Geschehen medizinisch (exakt) einordnet; das ist Zweck des vorzulegenden Gutachtens. 3. Untersuchungsmodalitäten
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Nach Absatz 1 S. 2 muss das Gutachten auf einer Untersuchung des Zulassungsbewerbers beruhen. Diese Grundanforderung braucht in der Anforderung der Rechtsanwaltskammer nicht ausdrücklich erwähnt zu werden, da sie gesetzlich vorgeschrieben ist und hierauf auch nicht verzichtet werden kann. Es erscheint aber gleichwohl im Sinne einer eindeutigen Beschreibung des Auftrags zweckmäßig und ist auf jeden Fall unschädlich, wenn diese Minimalanforderung des Gesetzes in der Aufforderung der Rechtsanwaltskammer wiederholt wird. Nach Absatz 1 S. 2 muss das Gutachten auf einer klinischen Beobachtung des Betroffenen beruhen, wenn ein Amtsarzt das für erforderlich hält. Das hat die Rechtsanwaltskammer vor der Erteilung der Vorlageaufforderung von Amts wegen zu prüfen. Da sich diese Voraussetzung für das Gutachten nicht von selbst versteht, muss sie in der Gutachtenaufforderung besonders angeordnet werden. 1 2 3 4
BGH, NJW-RR 2009, 138 (139); NJW 2009, 1822 f. BGH, NJW 2003, 215 (216). EGH München, BRAK-Mitt. 1992, 221. BGH, Beschl. v. 6.7.2009 – AnwZ (B) 81/08, juris.
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4. Untersuchender Arzt Erforderlich ist ferner, dass die Rechtsanwaltskammer selbst den Gutachter bestimmt, der das Gutachten erstellen soll. Bestimmt in diesem Sinne ist der Gutachter nur, wenn er namentlich bezeichnet wird; es genügt nicht, wenn statt seines Namens nur von einem Direktor einer Fachklinik oder von den dort tätigen Fachärzten die Rede ist.1 Das bringt die Vorschrift jetzt im Text auch zum Ausdruck, wenn sie von dem „zu bestimmenden“ und nicht mehr von dem „bestimmten“ Arzt spricht. Falls dieser zusätzliche Untersuchungen benötigt, muss die Kammer auch die Gutachter hierfür selbst bestimmen. Etwas anderes gilt nur, wenn der bestimmte Gutachter hierfür die volle persönliche und fachliche Verantwortung übernehmen kann. Dann darf die Kammer die Auswahl von Zusatzgutachtern dem Erstgutachter überlassen.2
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5. Untersuchungsfrist In der Anordnung der Untersuchung ist schließlich nach Absatz 1 S. 1 eine Frist zu bestimmen, innerhalb derer das Gutachten vorzulegen ist. Zu ihrer Länge bestimmt Absatz 1 S. 1 nur, dass sie angemessen sein muss. Die Länge der Frist entzieht sich damit einer allgemeinen Festlegung. Sie bestimmt sich vielmehr nach den Umständen des Einzelfalls. Sie muss so lang sein, dass die Untersuchung und Begutachtung mit der gebotenen Sorgfalt durchgeführt werden kann. Deshalb sollte die Frist nicht zu knapp bemessen sein. In diesem Rahmen hat die Rechtsanwaltskammer einen Beurteilungsspielraum. Zu seiner Ausfüllung hat die Rechtsanwaltskammer eine wertende Gesamtabwägung vorzunehmen. Dabei sind zunächst Umfang und Schwierigkeit der dem Arzt gestellten Aufgabe zu berücksichtigen. Erfordert die Diagnose eingehende Untersuchungen oder gar einen klinischen Aufenthalt, muss mehr Zeit veranschlagt werden als bei einer ohne großen Aufwand möglichen Beurteilung. Zu berücksichtigen sind aber auch die terminlichen Möglichkeiten des ausgewählten Gutachters und des Betroffenen selbst. Im Ausnahmefall können auch andere persönliche Umstände des Bewerbers oder Rechtsanwalts eine Verlängerung erfordern. So könnte z.B. ein Unglücks- oder Todesfall in der Familie Anlass geben, die Frist länger anzusetzen als ohne diesen Umstand geboten.
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Die Frist ist verlängerbar.3 Das ergibt sich daraus, dass sie nicht gesetzlich festgelegt, sondern von der Kammer zu bestimmen ist. Von Kammer gesetzte Fristen sind nach § 32 BRAO i.V.m. § 31 Abs. 7 S. 1 VwVfG verlängerbar. Bei der Entscheidung über die Verlängerung ist die Rechtsanwaltskammer nicht völlig frei. Sie hat auch insoweit einen Beurteilungsspielraum, der in erster Linie an den Gegebenheiten der in Aussicht genommenen Untersuchung auszufüllen ist. Anlass für eine Verlängerung der Frist könnte sein, dass sich die gesetzte Frist als zu kurz erweist. Ein Beispiel wäre die Überlastung des von der Kammer bestimmten Gutachters, der, rechtzeitig beauftragt, sein Gutachten nicht innerhalb der Frist erstellen kann. Die Kammer darf zur Vermeidung von Fristverlängerungen die Fristen großzügig bemessen. Dabei wird sie aber unter dem Gesichtspunkt einer Gleichbehandlung aller Rechtsanwälte sicherstellen müssen, dass dies durchgängig geschieht.
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Eine Verlängerung der nach § 15 Abs. 1 S. 1 BRAO zu setzenden Frist ist nach § 32 BRAO i.V.m. § 31 Abs. 7 S. 2 VwVfG auch nach Ablauf der Frist rückwirkend möglich. Das setzt allerdings voraus, dass es unbillig wäre, die durch den Fristablauf eingetretenen Rechtsfolgen bestehen zu lassen. Das wird gewöhnlich nur bei Umständen in Betracht kommen, bei denen dem Betroffenen eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung einer gesetzlichen Frist nach § 32 BRAO i.V.m. § 32 VwVfG zu gewähren wäre.
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Besonderheiten gelten, wenn der Rechtsanwalt von seinem Recht Gebrauch macht, die Anordnung gerichtlich überprüfen zu lassen. Die Anfechtung der Gutachtenanordnung hat nach Absatz 2 S. 3 keine aufschiebende Wirkung. Das hat zur Folge, dass die Beibringungsfrist zunächst weiterläuft. Wird die aufschiebende Wirkung nach § 112c BRAO i.V.m. § 80 VwGO wiederhergestellt, wird die Frist zwar nicht gehemmt. Sie ist aber als Folge der aufschiebenden Wirkung nach § 112c Abs. 1 S. 1 BRAO i.V.m. § 80 Abs. 1 VwGO nicht zu beachten und muss nach Abschluss des Verfahrens neu gesetzt werden.4
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1 BGH, BRAK-Mitt. 1992, 217; BGH-Report 2002, 755; NJW 2003, 215 (216); AGH Frankfurt/Main, BRAKMitt. 2003, 281; Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 15 Rz. 4; Henssler/Prütting/Henssler, § 15 Rz. 6; insoweit überholt EGH München, BRAK-Mitt. 1992, 221. 2 BGH, BRAK-Mitt. 1992, 217; Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 15 Rz. 9. 3 Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 15 Rz. 2; Henssler/Prütting/Henssler, § 15 Rz. 5. 4 BVerwG, NJW 1980, 2033, insoweit in BVerwGE 58, 352 nicht abgedruckt; Kopp/Schenke, § 80 VwGO Rz. 36; Redeker/v. Oertzen, § 80 VwGO Rz. 5.
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6. Nebenbestimmungen 25
Es kann geboten sein, die Gutachtenanordnung nach § 32 BRAO i.V.m. § 36 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 4 VwVfG mit Nebenbestimmungen zu versehen. Das ist namentlich dann der Fall, wenn der Gutachter den Gutachtenauftrag ohne zusätzliche Mitwirkung des Antragstellers nicht oder nicht sachgerecht ausführen kann. Als Beispiel mag der Verdacht des Querulantenwahns dienen. In einem solchen Fall muss regelmäßig das in anderen Verfahren zutage getretenen Verhalten des Betroffenen in die Betrachtung mit einbezogen werden. Eine Begutachtung ohne Bewertung dieser Indiztatsachen ist oft wertlos. Sie ist nur zu erreichen, wenn dem Betroffenen nicht nur die Vorlage des Gutachtens, sondern auch aufgegeben wird, dass er dem Gutachter die näher zu bezeichnenden Vorgänge zugänglich zu machen hat. Eine solche Begleitanordnung dient der Umsetzung der Anordnung und ist nach § 32 BRAO i.V.m. § 36 Abs. 1 VwVfG zulässig. Fehlt sie, wird das Gutachten wertlos, wenn solche Umstände deshalb nicht in die Begutachtung einbezogen werden. Das macht eine ergänzende gerichtliche Sachaufklärung erforderlich.1 IV. Verfahren (§ 15 Abs. 2, 3 BRAO) 1. Anhörung des Betroffenen
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Wegen des Ansehensverlustes, den schon eine Untersuchung bedeuten kann, darf die Kammer die Anordnung einer Untersuchung regelmäßig nicht treffen, ohne dem betroffenen Rechtsanwalt Gelegenheit zu einer persönlichen Anhörung gegeben zu haben.2 2. Begründung und Zustellung
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Die Vorlageanordnung ist nach Absatz 2 S. 1 zu begründen. Das ist an sich ungewöhnlich. Denn die Vorlageanordnung ist ihrem Charakter nach eine Verfahrenshandlung, die gewöhnlich nicht isoliert anfechtbar und deshalb auch nicht besonders zu begründen ist. Bei der Gutachtenvorlageanordnung nach § 15 BRAO ist das aber anders. Die Aufforderung, ein Gutachten vorzulegen, führt regelmäßig zu einer nicht unerheblichen Beeinträchtigung der Persönlichkeitsrechte des Betroffenen. Die Rechtsanwaltskammer darf eine solche Aufforderung nur erlassen, wenn sie konkrete Anhaltspunkte für gravierende gesundheitliche Störungen hat. Sie muss diese mutmaßlichen Störungen in Form einer Fragestellung konkretisieren. Diese Aufforderung kann der Betroffene auch nicht einfach ignorieren, weil dann vermutet wird, dass er auf Dauer außer Stand ist, den Rechtsanwaltsberuf auszuüben. Deshalb sieht Absatz 2 S. 2 vor, dass der Bewerber die Aufforderung wie einen Verwaltungsakt der Kammer überprüfen lassen kann. Effektiven Rechtsschutz kann der Betroffene aber nur erreichen, wenn die Gutachtenaufforderung begründet wird. Anders kann er Widerspruch und Anfechtungsklage nicht sinnvoll begründen.
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In der Begründung muss die Rechtsanwaltskammer deutlich machen, woraus sie die Notwendigkeit eines Gutachtens zu der in der Aufforderung bezeichneten Fragestellung ableitet. Wie intensiv dies auszuführen ist, hängt in erster Linie von der Eindeutigkeit der Anhaltspunkte ab. Liegen etwa klare Anzeichen für eine Wahnerkrankung vor, kann sich die Rechtsanwaltskammer mit der Nennung dieser Anzeichen begnügen. Schwieriger kann es etwa sein darzustellen, dass der Verdacht besteht, dass sich eine querulatorische Veranlagung zu einem Querulantenwahn entwickelt hat.
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Eine wenig konkretisierte Fragestellung im Tenor der Gutachtenanorderung kann schließlich durch die Begründung ihre notwendige Präzisierung erreichen.3
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Die Gutachtenaufforderung ist nach Absatz 2 S. 1 förmlich zuzustellen. Die Zustellung richtet sich bei einer Gutachtenaufforderung des BMJ gem. § 163 S. 2 BRAO nach dem VwZG, bei den Gutachtenaufforderungen der Rechtsanwaltskammern nach dem Zustellungsrecht des Landes.4 Nach § 2 Abs. 1 VwZG und den entsprechenden Vorschriften des Landeszustellungsrechts bedeutet Zustellung die Bekanntgabe eines schriftlichen oder elektronischen Dokuments in der in dem Verwaltungszustellungsgesetz (des Bundes oder Landes) bestimmten Form. Danach ist die Gutachtenanordnung schriftlich oder in elektro1 2 3 4
Vgl. z.B. BGH, Beschl. v. 22.11.2010 – AnwZ (B) 74/07, juris. Vgl. BGH, BGH-Report 2007, 809 (811). BGH, Beschl. v. 6.7.2009 – AnwZ (B) 81/08, juris. Entwurfsbegründung in BT-Drs. 16/11385, S. 36 zu § 34 BRAO-E.
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nischer Form nach § 32 BRAO i.V.m. § 3a VwVfG zu erlassen. Das ist auch sachgerecht, weil sie sonst nicht vollziehbar wäre. Der Gutachter braucht zur Durchführung der Untersuchung und zur Erstellung seines Gutachtens eine taugliche Unterlage. Die Zustellungsgesetze von Bund und Ländern sehen eine Zustellung durch Postzustellungsurkunde (§ 3 VwZG), durch Einschreiben (§ 4 VwZG) oder gegen Empfangsbekenntnis (§ 5 VwZG). Eine elektronische Zustellung ist nach § 5 Abs. 4 VwZG in der Form der Zustellung gegen Empfangsbekenntnis möglich und u.a. bei Rechtsanwälten zugelassen. Sie setzt die Eröffnung eines entsprechenden Zugangs und die Verwendung eines qualifizierten Signaturverfahrens voraus. Die nach § 32 BRAO i.V.m. § 41 Abs. 2 VwVfG zur Bekanntgabe ausreichende Aufgabe zur Post genügt für den ordnungsgemäßen Erlass der Gutachtenanordnung nicht. Sie setzte die Frist nicht in Gang.
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3. Folgen- und Rechtsbehelfsbelehrung Nach § 15 Abs. 3 S. 2 BRAO ist der Betroffene in der Anordnung über die Vermutungswirkung der Nichtvorlage des ärztlichen Gutachtens zu belehren. Diese neue Pflicht dient dem Schutz der Betroffenen.1 Die Belehrung darf sich nicht auf den Fall der Nichtvorlage des Gutachtens beschränken. Sie muss deutlich machen, dass die Vermutung auch eingreift, wenn das Gutachten den Anforderungen der Anordnung nicht genügt, also z.B. nicht auf einer Untersuchung des Betroffenen beruht.
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Dem Betroffenen ist auch eine Rechtsbehelfsbelehrung zu erteilen.2 Diese Verpflichtung ergibt sich für Rechtsanwälte beim BGH, bei denen das Bundesministerium der Justiz über den Widerruf entscheidet, aus § 112c Abs. 1 S. 1 BRAO i.V.m. § 59 VwGO. Für den Widerspruchsbescheid der Rechtsanwaltskammern folgt die Pflicht zur Erteilung einer Rechtsbehelfsbelehrung aus § 112c Abs. 1 S. 1 BRAO i.V.m. § 79 Abs. 3 S. 1 VwGO. Für die Anordnung der Rechtsanwaltskammer selbst besteht kraft Bundesrecht keine förmliche Belehrungspflicht. Allerdings beginnt die Widerspruchsfrist nach § 112c Abs. 1 S. 1 BRAO i.V.m. § 58 VwGO nicht zu laufen, bevor dem Betroffenen eine Rechtsbehelfsbelehrung erteilt worden ist.
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V. Ergänzungsanordnung Im Normalfall wird das von dem Zulassungsbewerber vorgelegte Gutachten ausreichen um festzustellen, ob ein Versagungsgrund nach § 7 Nr. 7 BRAO oder der Widerrufsgrund nach § 14 Abs. 2 Nr. 3 BRAO vorliegt. Im vorgelegten Gutachten kann sich aber der Bedarf weiterer Sachaufklärung ergeben. In einem solchen Fall hat die Rechtsanwaltskammer eine Ergänzungsanordnung zu treffen.3 An eine solche Ergänzungsanordnung sind die gleichen Anforderungen zu stellen wie an die Ausgangsanforderung. Sie hat, auch hinsichtlich der Kosten,4 die gleichen Wirkungen.5 Diese entfaltet sie, wie die Ausgangsaufforderung, nur, wenn sie hinreichend bestimmt ist.6
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Für die Ergänzungsanordnung gelten die gleichen Verfahrensregelungen wie für das Ausgangsgutachten. Es ist also wieder eine förmliche Anordnung erforderlich, in welcher der Gutachter und die von ihm zu prüfenden Fragen genau bezeichnet werden. Auch dieses Gutachten muss der Betroffene auf eigene Kosten beibringen. Auch sie ist mit einer Folgen- und einer Rechtsbehelfsbelehrung zu versehen.
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Dieser Umstand zeigt allerdings auch, dass die Rechtsanwaltskammer bei der Gutachtenanordnung besonders sorgfältig vorzugehen hat. Sie muss in den Blick nehmen, dass die Begutachtung für den Betroffenen schon aus Persönlichkeitsgründen eine besondere Belastung darstellt. Sie muss beachten, dass er, wenn auch im öffentlichen Interesse zu Recht, sämtliche Gutachtenkosten zu tragen hat. Um den Betroffenen aber nicht unverhältnismäßig zu belasten, muss die Kammer das Untersuchungsthema so sorgfältig beschreiben, dass die Begutachtung nach Möglichkeit auch in einem Zuge erfolgen kann. Sie hat auch einen Sachverständigen auszuwählen, der in der Lage ist, die sich stellenden Fragen auch wirklich zu beantworten. Das Ergänzungsgutachten ist nicht dazu bestimmt, den Fehler bei
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BT-Drs. 16/11385, S. 34. Henssler/Prütting/Henssler, § 15 Rz. 9. Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 15 Rz. 9; Henssler/Prütting/Henssler, § 15 Rz. 5; Kleine-Cosack, § 15 Rz. 4. Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 15 Rz. 10; Henssler/Prütting/Henssler, § 15 Rz. 8; zweifelnd Kleine-Cosack, § 15 Rz. 4. 5 Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 15 Rz. 11; Henssler/Prütting/Henssler, § 15 Rz. 5. 6 BRAK-Mitt. 1992, 217.
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der Formulierung der Fragestellung in der Ausgangsanordnung zu korrigieren. Sie hat vielmehr nur den Zweck, sich aufgrund des Ausgangsgutachtens neu ergebende Fragestellungen aufzuklären. C. Erfüllung der Anordnung I. Durchführung der Untersuchung 37
Einer Gutachtenaufforderung kommt der Betroffene nach, indem er das angeforderte Gutachten vorlegt. Dazu genügt es nicht, wenn er den Arzt damit beauftragt, sich zu den in der Gutachtenanforderung bezeichneten Fragestellungen zu äußern. Denn nach Absatz 1 S. 2 muss das Gutachten auf einer Untersuchung des Bewerbers beruhen. Er muss also mit dem Arzt einen Untersuchungstermin vereinbaren und sich von ihm untersuchen lassen. Die Untersuchung umfasst alles, was aus der Sicht des Arztes zur Beantwortung der Fragen aus der Gutachtenanforderung erforderlich ist. Ist in der Gutachtenanforderung zusätzlich eine klinische Beobachtung nach Absatz 1 S. 2 Hs. 2 angeordnet worden, muss sich der Betroffene auch einer solchen Beobachtung unterziehen. Wann und wo sie stattfindet, entscheidet der Arzt, der das Gutachten aufgrund der klinischen Beobachtung erstellen soll. Die Rechtsanwaltskammer könnte, etwa wenn der Amtsarzt das für erforderlich hält, hierzu nähere Vorgaben treffen, die dann vorgingen. Seiner Mitwirkungsobliegenheit genügt der Betroffene nicht schon dann, wenn er sich in der vorgegebenen Weise von dem Arzt untersuchen lässt. Vielmehr ist es erforderlich, dass der Arzt ein Gutachten erstellt und es entweder von dem Betroffenen selbst oder unmittelbar von dem Arzt der Rechtsanwaltskammer vorgelegt wird. Falls der Arzt auf vorheriger Zahlung des Honorars besteht, würde auch das von der Mitwirkungsobliegenheit erfasst. Erfüllt der Betroffene diese Anforderungen nicht, entspricht das Gutachten nicht der Anordnung. Das hat zur Folge, dass der Eintritt einer gesundheitlichen Störung gesetzlich vermutet wird. Ein auf anderer Grundlage erstelltes Gutachten würde nicht genügen und den Eintritt der Vermutungswirkung nicht vermeiden können. II. Kostentragung
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Die Kosten der Begutachtung trägt nach Absatz 1 S. 3 der Betroffene selbst.1 Das gilt nicht nur für die Kosten des eigentlichen Gutachtens, sondern auch für die Kosten einer ärztlichen Untersuchung und gegebenenfalls auch einer klinischen Beobachtung. Es handelt sich nicht um Kosten des Verwaltungs- oder Gerichtsverfahrens. Die Rechtsanwaltskammer hat für die Kosten der Begutachtung also auch dann nicht einzustehen, wenn sich ihre Zweifel letztlich als unbegründet erweisen. III. Ergänzungsuntersuchung
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Ordnet die Rechtsanwaltskammer ein ergänzendes Gutachten an, dann hat der Zulassungsbewerber auch dieses ergänzende Gutachten zu beschaffen. Er muss sich erforderlichenfalls ergänzend untersuchen lassen und auch die zusätzlichen Kosten tragen.2 D. Folgen der Fristversäumung (§ 15 Abs. 3 S. 1 BRAO) I. Versäumung der Frist
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Die Vorlagefrist versäumt der Betroffene in erster Linie dann, wenn er das Gutachten gar nicht vorlegt. Zur Wahrung der Frist genügt es aber nicht, dass der Betroffene irgendein Gutachten vorlegt. Es muss von dem in der Anordnung bezeichneten Gutachter stammen und auch den darin bezeichneten Anforderungen genügen. Daran fehlt es etwa, wenn das vorgelegte Gutachten infolge des Verhaltens des Bewerbers untauglich ist.3 Die Frist zur Vorlage des Gutachtens ist schließlich auch versäumt, wenn der Betroffene das angeordnete Zweitgutachten nicht vorlegt.4 1 Jessnitzer/Blumberg, § 8 Rz 3. 2 So Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 15 Rz. 10; Henssler/Prütting/Henssler, § 15 Rz. 8; zweifelnd Kleine-Cosack, § 15 Rz. 4; a.M. Jessnitzer/Blumberg, § 8a Rz. 3. 3 Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 15 Rz. 13; Jessnitzer/Blumberg, § 8a Rz. 2; Kleine-Cosack, § 15 Rz. 6. 4 Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 15 Rz. 10; Henssler/Prütting/Henssler, § 15 Rz. 13.
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Rz. 43 § 15 BRAO
Die Frist muss ohne zureichenden Grund versäumt worden sein. Ein zureichender Grund liegt nur vor, wenn der Betroffene trotz der gebotenen Anstrengung die Frist nicht einhalten konnte. Er muss dazu die Gutachtenanordnung unverzüglich umsetzen und die dazu erforderlichen Gespräche führen, Termine verabreden und auch einhalten. Sind dem Arzt Dokumente zugänglich zu machen, ist auch das unverzüglich zu veranlassen. Treten Schwierigkeiten auf, muss er seine Möglichkeit nutzen, die Frist einzuhalten, und sich erforderlichenfalls mit der Kammer auch wegen einer Verlängerung der Frist in Verbindung setzen. Lehnt etwa, wie mitunter geltend gemacht wird, der in der Anordnung bestimmte Amtsarzt ein Tätigwerden ab, weil er nur durch Gerichte beauftragt werden könne, darf der Betroffene das nicht einfach hinnehmen. Er muss auf der Begutachtung insistieren und notfalls die Kammer einschalten, damit diese für die Ausführung der Anordnung sorgt. Unterbleiben solche Bemühungen, liegt ein zureichender Grund nicht vor. Der Betroffene darf sich auch nicht darauf verlassen, dass der Gutachter das Gutachten schon rechtzeitig erstellt. Er muss vielmehr selbst die Frist überwachen, den Gutachter drängen und, wenn dies fruchtlos oder nicht sachgerecht ist, die Kammer um Verlängerung der Frist bitten. Ein zureichender Grund kann nicht in Einwänden gegen die Gutachtenanordnung gefunden werden.1 Dem steht die Bestandskraft der Gutachtenanordnung entgegen.2
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II. Notwendigkeit einer Sachentscheidung Nach § 8 BRAO a.F. löste die Nichtvorlage des Gutachtens die Fiktion der Rücknahme des Antrags aus. An sich hätte das das Verfahrensrechtsverhältnis zwischen dem Zulassungsbewerber und der Rechtsanwaltskammer enden lassen müssen. Man ging aber davon aus, dass dem Bewerber ein Einstellungsbescheid zu erteilen war.3 Das war wenig sinnvoll. Deshalb hat der Gesetzgeber dieses Konzept aufgegeben.4 Nach § 15 Abs. 3 BRAO wird vielmehr auch im Zulassungsverfahren vermutet, dass der Betroffene aus gesundheitlichen Gründen nicht nur vorübergehend unfähig ist, den Beruf des Rechtsanwalts ordnungsgemäß auszuüben. Die Kammer hat auf dieser Grundlage eine Sachentscheidung über den Zulassungsantrag zu treffen. Das Gleiche galt schon früher und gilt weiterhin für den Widerruf der Zulassung nach § 14 Abs. 2 Nr. 3 BRAO.
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III. Umfang der Vermutungswirkung Vermutet wird nach § 15 Abs. 3 BRAO, dass der Betroffene aus gesundheitlichen Gründen nicht nur vorübergehend unfähig ist, den Beruf des Rechtsanwalts ordnungsgemäß auszuüben. Demgegenüber löste die nicht fristgerechte Vorlage des Gutachtens nach § 16 Abs. 3a S. 2 BRAO a.F. die Vermutung aus, dass er aus dem Grund, der durch das ärztliche Gutachten geklärt werden soll, nach § 14 Abs. 2 Nr. 3 BRAO nicht nur vorübergehend unfähig ist, seinen Beruf ordnungsgemäß auszuüben.5 Wäre diese Formulierung wörtlich zu nehmen, ergäbe sich ein gravierender Unterschied im Vergleich zur bisherigen Rechtslage. Früher wurde nur das Vorliegen des gesundheitlichen Grund vermutet, der zum Gegenstand der Anordnung gemacht worden war. § 15 Abs. 3 S. 1 BRAO bezieht sich nach seinem Wortlaut nicht mehr auf den zu prüfenden Grund, sondern begründet danach die abstrakte Vermutung, dass der Betroffene schlechthin aus gesundheitlichen Gründen zur ordnungsgemäßen Ausübung des Rechtsanwaltsberufs nicht imstande ist. Diese abstrakte Vermutung könnte der Rechtsanwalt nicht widerlegen, weil sie sich von dem Untersuchungsanlass entfernt und ihr – so verstanden – jeder tatsächliche Anknüpfungspunkt fehlt, an dem der Rechtsanwalt mit der Widerlegung ansetzen könnte. Dieser Unterschied zeigt sich besonders deutlich vor allem bei der unscharfen Gutachtenanordnung. Nach der alten Regelung ging die unscharfe Gutachtenanordnung ins Leere, weil die Vermutung ebenso unscharf war. Käme es nach § 15 Abs. 3 S. 1 BRAO nicht mehr auf den zu prüfenden Grund an, begründete auch eine unscharfe Gutachtenanordnung die Berufsunfähigkeitsvermutung. Nach den Materialien hat der Gesetzgeber in § 15 Abs. 3 S. 1 BRAO die früherer Regelung in § 16 Abs. 3a S. 2 BRAO a.F. ohne inhaltliche Änderungen übernehmen wollen.6 Deshalb wird auch nach 1 2 3 4 5 6
BGH, BRAK-Mitt. 1999, 39 (40 f.). BGH, Beschl. v. 6.7.2009 – AnwZ (B) 81/08, juris. Feuerich/Weyland, 7. Aufl., § 8 Rz. 14; Henssler/Prütting/Henssler, § 15 Rz. 12. BT-Drs. 16/11385, S. 34. BGH, NJW-RR 2001, 1426. BT-Drs. 16/11385, S. 34.
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§ 15 BRAO Rz. 44
Ärztliches Gutachten bei Versagung und Widerruf der Zulassung
§ 15 Abs. 3 S. 1 BRAO nur das Vorliegen des gesundheitlichen Grund vermutet, dem der Gutachter nachgehen sollte. 44
Da es sich hierbei um einen erheblichen gesundheitlichen Mangel handelt, muss die Rechtsanwaltskammer den Antrag des Bewerbers auf Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nach § 7 Nr. 7 BRAO zurückweisen oder die erfolgte Zulassung des Rechtsanwalts § 14 Abs. 2 Nr. 3 BRAO widerrufen.1 Das gilt allerdings nur dann, wenn die Kammer die Fragestellung hinreichend konkretisiert hat. Bleibt die Fragestellung diffus, löst die Verletzung der Gutachtenvorlagepflicht auch nur eine ebenso diffuse Vermutungswirkung aus. Das kann dazu führen, dass eine ausreichende Grundlage für einen Widerruf aus gesundheitlichen Gründen nicht besteht. Besteht diese Grundlage hingegen, steht der Kammer die Entscheidung über den Widerruf nicht frei. Sie kann davon nur absehen, wenn sie durchschlagende Zweifel am Vorliegen der gesundheitlichen Gründe hat oder wenn eine Gefährdung der Interessen der Rechtssuchenden nicht gegeben ist (§ 14 Abs. 2 Nr. 3 Hs. 2 BRAO).
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Die Vermutung ist widerleglich.2 Dazu muss der Betroffene aber ein Gutachten mit entsprechender Aussagekraft vorlegen. Um die Vermutung zu widerlegen, muss der Betroffene das Vorliegen des vermuteten gesundheitlichen Grunds sicher ausschließen. Verbleiben Zweifel, geht das zu seinen Lasten. Die Anknüpfungstatsachen, die der Anordnung zugrunde liegen, können nach Eintritt der Bestandskraft nicht mehr angegriffen werden.3 Der Rechtsanwalt könnte nur neue Tatsachen einführen, die zu anderer Bewertung führen.
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In einem solchen Fall ist ein Antrag auf Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zurückzuweisen. Demgegenüber kann von einem Widerruf abgesehen werden, wenn ausnahmsweise davon ausgegangen werden kann, dass eine solche Gefährdung nicht gegeben ist, beispielsweise, wenn der berufsunfähige Rechtsanwalt seine Praxis durch einen Sozius weiterführen lässt.4 Eine Gefährdung wäre aber etwa weiterhin gegeben, wenn Wahnvorstellungen den Rechtsanwalt dazu veranlassen, Post nicht zu öffnen, und er so seiner Funktion als Organ der Rechtspflege nicht gerecht wird. Im Zweifel ist zu widerrufen. IV. Zweitantrag, Wiederzulassung
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Nach § 8 BRAO a.F. galt der Antrag auf Zulassung zur Rechtsanwaltschaft bi Nichtvorlage des Gutachtens im Zulassungsverfahren als zurückgenommen. Über den Antrag wurde deshalb nicht entschieden. Der Zulassungsbewerber war folglich nicht gehindert, sofort erneut die Zulassung zu beantragen, auch wenn ein solcher Antrag ohne neuen Vortrag oder Vorlage eines Gutachtens in der Sache wenig aussichtsreich war. Das ist jetzt anders.5 Über seinen Antrag wird in der Sache entschieden. Ein neuer Zulassungsantrag ist damit, wie auch sonst, nur zulässig, wenn sich der Sachverhalt verändert hat oder die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens gegeben sind.6 Eine Veränderung des Sachverhalts liegt auch nicht schon dann vor, wenn der Bewerber den neuen Antrag bei einer anderen Rechtsanwaltskammer stellt.7 Denn die Zulassungsvoraussetzungen sind bei allen Rechtsanwaltskammern dieselben. Ein Zweitantrag ist deshalb nur zulässig und auch nur dann erfolgreich, wenn der Bewerber in seinem neuen Antrag entweder das angeforderte Gutachten oder eine gleichwertige Unterlage vorlegt oder aber die Anhaltspunkte entkräftet, die die Rechtsanwaltskammer zur Gutachtenanordnung veranlasst haben.
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Nichts anderes gilt im Ergebnis für einen Rechtsanwalt, dessen Zulassung nach § 14 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 15 Abs. 3 S. 1 BRAO widerrufen worden ist. Er kann nach rechtskräftigem Widerruf nur Wiederzulassung beantragen. Dazu muss er ein Gutachten vorlegen oder Tatsachen vortragen und beweisen, die die Vermutung entkräften können. Gelingt ihm das nicht, ist sein Antrag unzulässig. Ein Wiederaufgreifensantrag ist dagegen nicht statthaft.8
1 2 3 4 5 6 7 8
BGH, BRAK-Mitt. 1999, 39 (40); 1997, 200 (201). BGH, BRAK-Mitt. 1999, 39 (40); NJW-RR 2009, 1579 (1580) Rz. 20. BGH, NJW-RR 2009, 1578 (1580) Rz. 19. BGH, NJW-RR 1998, 569 (570). Übersehen bei Kleine-Cosack, § 15 Rz. 6. BGH, NJW-RR 2009, 138 (139); NJW 2009, 1822 f., vgl. im Übrigen § 6 BRAO Rz. 18 f. BGH, NJW 2009, 1822 f. BGH, NJW-RR 2011, 561 (562) Rz. 8 f.; vgl. § 14 BRAO Rz. 59.
366 Schmidt-Räntsch
Ärztliches Gutachten bei Versagung und Widerruf der Zulassung
Rz. 54 § 15 BRAO
E. Widerspruch und Klage (§ 15 Abs. 2 S. 2, 3 BRAO) I. Zweck Nach Absatz 2 S. 2 kann der Zulassungsbewerber gegen die Gutachtenanordnung gesondert die Rechtsbehelfe gegen belastende Verwaltungsakte eingelegt werden. Das ist an sich ungewöhnlich, da die Gutachtenanordnung ihrem Charakter nach Verfahrenshandlung ist und Verfahrenshandlungen nach § 112c Abs. 1 S. 1 BRAO i.V.m. § 44a VwGO nicht gesondert angreifbar sind und nur mit der Entscheidung in der Hauptsache angegriffen werden können. Ohne die Möglichkeit einer isolierten Anfechtung der Gutachtenanordnung wäre der Betroffene indessen gezwungen, sich auf eine Begutachtung einzulassen oder in Kauf zu nehmen, dass sein Zulassungsantrag zurückgewiesen bzw. seine Zulassung zur Rechtsanwaltschaft entzogen wird. Er könnte aber die Berechtigung der Gutachtenanordnung selbst nicht hinterfragen. Dafür besteht aber ein Bedürfnis. Die Anordnung, ein Gutachten darüber beizubringen, ob er aus gesundheitlichen Gründen außer Stande ist, den Beruf des Rechtsanwalts ordnungsgemäß auszuüben, ist schon als solche und unabhängig von ihrem Ergebnis geeignet, das Ansehen des Betroffenen herabzusetzen. Bei einem zugelassenen Rechtsanwalt schon kann eine solche Anordnung zu einer Beeinträchtigung in der Berufsausübung führen und geschäftsschädigend sein. Einen in diesem Sinne effektiven Rechtsschutz kann dem Betroffenen nur gewährleistet werden, wenn er sich nicht nur gegen die Entscheidung in der Hauptsache, sondern auch gegen den Gutachtenanordnung an sich zur Wehr setzen kann. Diese Möglichkeit eröffnet Absatz 2 S. 2.
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II. Gegenstand und Umfang der Prüfung Gegenstand der Prüfung durch den Anwaltsgerichtshof ist nicht die Frage, ob ein Versagungsgrund nach § 7 Nr. 7 BRAO oder ein Widerrufsgrund nach § 14 Abs. 2 Nr. 3 BRAO tatsächlich gegeben ist oder nicht. Denn diese Prüfung soll durch das angeforderte Gutachten ja erst ermöglicht werden. Thema des Verfahrens ist allein die Gutachtenanordnung.
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Zur Überprüfung gestellt werden kann zum einen die Berechtigung der Anordnung als solche. Es geht dann darum, ob eine Begutachtung für die Entscheidung über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft oder über die Rücknahme oder den Widerruf der Zulassung überhaupt erforderlich ist. Daran kann es deswegen fehlen, weil der von der Rechtsanwaltskammer ermittelte Sachverhalt keinen ausreichenden Anhaltspunkt dafür bietet, dass eine gesundheitliche Störung vorliegt. In einer solchen Fallgestaltung kann der Betroffene mit der gerichtlichen Überprüfung der Gutachtenanordnung den Ermittlungen der Rechtsanwaltskammer die Grundlage entziehen und eine Versagung, eine Rücknahme oder einen Widerruf der Anwaltszulassung aus dem Grund der Gutachtenanordnung von vornherein vermeiden.
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Der Betroffene hätte aber auch die Möglichkeit, die Erforderlichkeit der Begutachtung unter Hinweis auf das Vorliegen anderer Rücknahme- oder Versagungsgründe in Zweifel zu ziehen. In diesem Fall kann er lediglich eine Beeinträchtigung seiner Persönlichkeitsrechte durch die mittelbare Verpflichtung zur ärztlichen Untersuchung vermeiden. Die Versagung oder Entziehung der Zulassung würde er mit einem solchen Antrag auf gerichtliche Entscheidung aber im Ergebnis nicht vermeiden können
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Der Betroffene könnte sich auch gegen die Ausgestaltung der Anordnung wehren. Er könnte also etwa geltend machen, dass der ausgewählte Gutachter ungeeignet oder voreingenommen ist. Er könnte sich auch gegen die Fragestellung wehren, mit welcher sich das Gutachten zu befassen hat. Erfolg hat ein solcher Angriff aber nur, wenn die Rechtsanwaltskammer es an der ihr aufgrund des Anfangssachverhalts möglichen Präzisierung der Fragestellung hat fehlen lassen oder wenn sie einen ungeeigneten Sachverständigen ausgewählt hat.
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III. Entscheidungsmöglichkeiten Kommt der Anwaltsgerichtshof zu dem Ergebnis, dass das Gutachten erforderlich ist, dann muss sich der Betroffene der Begutachtung unterziehen oder in Kauf nehmen, dass ihm die Zulassung versagt oder die erteilte Zulassung widerrufen wird. Ein ungünstiges Ergebnis der Begutachtung könnte er nur zusammen mit der Zurückweisung seines Zulassungsantrags angreifen. Hält der Anwaltsgerichtshof die Anforderung des Gutachtens nicht für geboten, dann hebt er die Gutachtenanforderung auf. Ein Widerrufsverfahren erledigt sich dann meist auch in der Sache.
Schmidt-Räntsch 367
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§ 15 BRAO Rz. 55 55
Ärztliches Gutachten bei Versagung und Widerruf der Zulassung
Ein Zulassungsantrag wäre dann im Übrigen zu prüfen. Beruht die Aufhebung auf der Erwägung, dass hinreichende Anhaltspunkte für gesundheitliche Defizite nicht bestehen, wird dem Antrag regelmäßig stattzugeben sein, weil die Anordnung nicht ergehen darf, wenn andere Versagungsgründe vorliegen. Sollten diese sich bei der weiteren Prüfung doch ergeben, wäre der Zulassungsantrag zurückzuweisen. Beruht die Aufhebung dagegen auf der Überlegung, dass ohnehin ein anderer Versagungsgrund gegeben ist, wird die Rechtsanwaltskammer den Zulassungsantrag aus dem oder den anderen Versagungsgründen zurückweisen. IV. Anfechtung einer Ergänzungsordnung
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Auch eine Ergänzungsanordnung ist gerichtlich anfechtbar. Denn sie beruht ebenso wie die Ausgangsanordnung auf Absatz 1. Einem Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen eine Ergänzungsanordnung fehlt auch nicht das Rechtsschutzinteresse. Zwar ist der eigentliche Eingriff mit der Ausgangsanordnung erfolgt. Die Ergänzungsanordnung kann den Persönlichkeitseingriff aber vertiefen. Sie löst auf jeden Fall zusätzliche Kosten aus. Dann aber muss der Bewerber sie auch in gleicher Weise angreifen können. V. Rechtsmittel 1. Widerspruch und Klage
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Gegen die Gutachtenanordnung sind nach Absatz 2 S. 2 die Rechtsbehelfe gegeben, die gegen belastende Verwaltungsakte eingelegt werden können. Das ist nach § 112c Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 42 VwGO die Anfechtungsklage.1 Sie setzt nach § 112c Abs. 1 S. 1 BRAO i.V.m. § 68 VwGO die Einlegung eines Widerspruchs voraus. Der Betroffene muss deshalb gegen die Gutachtenanordnung zunächst Widerspruch einlegen. Das Landesrecht kann von einem Widerspruchsverfahren absehen2 oder dies fakultativ vorsehen.3 Über den Widerspruch entscheidet die Rechtsanwaltskammer. Im Widerspruch kann die Rechtsanwaltskammer ihre Gutachtenanordnung nicht nur auf ihre Rechtmäßigkeit, sondern auch auf ihre Zweckmäßigkeit hin überprüfen. Sie könnte sie deshalb nicht nur aufheben, sondern auch ändern, etwa einen anderen Gutachter benennen, die Fragestellung präzisieren oder die Frist doch noch verlängern. Gegen die Gutachtenordnung in Gestalt dieses Widerspruchsbescheids ist die Anfechtungsklage zulässig, über die der Anwaltsgerichtshof entscheidet. 2. Berufung
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Gegen die Entscheidung des Anwaltsgerichtshofs über einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung alten Rechts gegen Gutachten- oder Ergänzungsanordnung nach §§ 8, 16 Abs. 3a BRAO a.F. war die sofortige Beschwerde nicht gegeben.4 Sie war zwar eine Zulassungssache,5 in § 42 BRAO a.F. aber nicht als beschwerdefähig bezeichnet.6 Nach Absatz 2 S. 2 ist die Gutachtenanordnung aber wie ein belastender Verwaltungsakt anfechtbar. Deshalb ist gegen die Entscheidung des Anwaltsgerichtshofs über die Gutachtenanordnung die Berufung zulässig, wenn der Gerichtshof durch Urteil entschieden und die Berufung zugelassen hat. Ist das unterblieben, ist die Nichtzulassungsbeschwerde möglich. Voraussetzung für die Zulassung der Berufung ist aber das Vorliegen eines Zulassungsgrundes. Das wird nur der Fall sein, wenn dem Anwaltsgerichtshof eine Verletzung von Verfahrensgrundsätzen unterlaufen ist ernstliche Zweifel an der Richtigkeit seiner Entscheidung bestehen oder sich ausnahmsweise einmal eine noch nicht geklärte Frage zur Gutachtenanordnung stellt. Gerade die Anfechtung der Gutachtenanordnung wird sich für eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid eignen. Dann richten sich die Rechtsbehelfe nach § 112c Abs. 1 S. 1 BRAO i.V.m. § 84 VwGO.
1 Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 15 Rz. 14. 2 BT-Drs. 16/11385, S. 29, gegen den Vorschlag des Bundesrats, es von vornherein aufzugeben, BT-Drs. 16/11385, S. 60; s. Kommentierung zu § 112c BRAO. 3 Einzelheiten bei Steinbeiß-Winkelmann, NVwZ 2009, 686. 4 BGH, NJW-RR 1995, 318; BRAK-Mitt. 1998, 151 (152). 5 Jessnitzer/Blumberg, § 8a Rz. 4. 6 Henssler/Prütting, 2. Aufl., § 8a Rz. 8.
368 Schmidt-Räntsch
Ärztliches Gutachten bei Versagung und Widerruf der Zulassung
Rz. 63 § 15 BRAO
VI. Sofortvollzug, Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung 1. Sofortvollzug Widerspruch und Klage gegen die Gutachtenanordnung haben nach Absatz 2 S. 3 – anders als nach §§ 8, 16 Abs. 3a, Abs. 6 BRAO a.F. – keine aufschiebende Wirkung. Damit soll erreicht werden, dass die Entscheidung über die Zulassung oder den Widerruf nicht durch einen Streit über die Gutachtenanordnung verzögert wird.1 Widerspruch und Klage hindern deshalb den Vollzug der Gutachtenanordnung nicht. Die Gutachtenanordnung hat allerdings keinen im Verwaltungsvollzug durchsetzbaren Inhalt. Ihr Vollzug besteht darin, dass die Frist zur Beibringung des Gutachtens ungeachtet des Widerspruchs- und etwa anschließenden Klageverfahrens weiterläuft.
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Verstreicht die Frist, ohne dass der Betroffene das angeordnete Gutachten vorlegt, und hat die Gutachtenanordnung mangels Aufhebung durch die Kammer oder den Anwaltsgerichtshof weiterhin Bestand, tritt die Vermutung nach Absatz 3 S. 1 ein. Die Kammer müsste dann den Zulassungsantrag nach § 7 Nr. 7 BRAO zurückweisen bzw. die erteilte Zulassung nach § 14 Abs. 1 BRAO i.V.m. dieser Vorschrift zurücknehmen oder nach § 14 Abs. 2 Nr. 3 BRAO widerrufen. Mit diesem Widerruf erledigen sich Widerruf und Anfechtungsklage gegen die Gutachtenanordnung in der Hauptsache. Gegenstand eines Widerspruchs und einer Klage vor dem Anwaltsgerichtshof kann danach nur noch der Bescheid in der Hauptsache sein. Bei seiner Überprüfung ist aber zu berücksichtigen, dass nur eine rechtmäßige Gutachtenanordnung die Vermutungswirkung nach Absatz 3 Satz 1 auslöst. Wenn der Bescheid in der Hauptsache auf diese Vermutung gestützt ist, muss bei seiner Prüfung im Widerspruchs- oder Klageverfahren inzident auch die Rechtmäßigkeit der Gutachtenanordnung geprüft werden. Ergibt die Prüfung, dass die Gutachtenanordnung rechtswidrig war, entfällt die Vermutungswirkung. Das wiederum führt dann zur Rechtswidrigkeit des Bescheids in der Hauptsache.
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2. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung Die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage kann nach Maßgabe von § 112c Abs. 1 S. 1 BRAO i.V.m. § 80 VwGO wiederhergestellt werden. Das ist auf zweierlei Weise möglich: Die Rechtsanwaltskammer selbst kann den Vollzug nach § 80 Abs. 4 S. 1 VGO aussetzen. Der Betroffene kann nach § 80 Abs. 5 VwGO bei dem Gericht der Hauptsache, also normalerweise dem Anwaltsgerichtshof, bei Rechtsanwälten beim Bundesgerichtshof dem Senat für Anwaltssachen des Bundesgerichtshofs, die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung beantragen.
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Im einen wie im anderen Fall ist zunächst zu prüfen, ob Widerspruch und Klage gegen die Gutachtenanordnung Erfolg versprechen. Fehlt es daran, bleibt es bei dem Sofortvollzug. Besteht Aussicht auf Erfolg, sind die Interessen des Betroffenen an der Vermeidung einer rufschädigenden Untersuchung einerseits und die Interessen der Rechtsuchenden und der Rechtspflege an der Vermeidung von Schäden durch einen zur ordnungsgemäßen Ausübung seines Berufs nicht mehr fähigen Rechtsanwalt bzw. Rechtsanwaltsbewerber gegeneinander abzuwägen. Ist der Verdacht der Gesundheitsstörung auf Grund der festgestellten Umstände dringend und sind nach der Art der zu befürchtenden Gesundheitsstörung die Interessen der Rechtsuchenden und der Rechtspflege konkret gefährdet, wird es bei dem Sofortvollzug bleiben müssen. Ein Beispiel hierfür mag ein Rechtsanwalt sein, der sich in einem Wiedereinsetzungsgesuch unter Vorlage eines ärztlichen Gutachtens darauf berufen hat, dass er an einer schweren Depression leidet, die ihn oft wochenlang außer Stande setzt, sein Büro ordnungsgemäß zu führen.2 Hier ist ein besonders dringender Verdacht gegeben. Die Gesundheitsstörung ist auch geeignet, die Mandanten dieses Rechtsanwalts ganz konkret zu gefährden, so dass weiterer Aufschub nicht hinzunehmen ist.
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Wird die aufschiebende Wirkung angeordnet, läuft die Frist zunächst weiter. Die Kammer darf aber nach ihrem formalen Ablauf keinen Bescheid erlassen, der auf dem Ablauf der Frist und der dann eingreifenden Vermutung beruht. Sie muss vielmehr das Ergebnis des Widerspruchs- und Klageverfahrens gegen die Gutachtenanordnung abwarten. Wird die Gutachtenanordnung bestätigt, muss die Frist neu gesetzt werden.3
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1 BT-Drs. 16/11385, S. 34. 2 AGH Celle, Beschl. v. 20.6. 2005 – AGH 22/04 [II 14]. 3 Vgl. oben Rz. 22.
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§ 15 BRAO Rz. 64
Ärztliches Gutachten bei Versagung und Widerruf der Zulassung
VII. Umfang der Bestandskraft 64
Wird die Gutachtenanordnung bestandskräftig, ist sie für das anschließende Zulassungsoder Widerrufsverfahren bindend. In dem Zulassungs- oder Widerrufsverfahren kann dann weder eingewandt werden, sie sei nicht notwendig gewesen, noch, der Gutachtenauftrag sei inhaltlich falsch1 oder die ihm zugrunde gelegten Anknüpfungstatsachen träfen nicht zu.2 Die Bestandskraft der Gutachtenanordnung schließt aber nicht alle Einwände für das anschließenden Zulassungs- oder Widerrufsverfahren aus. In diesen Verfahren könnte gerügt werden, dass der Arzt, der das Gutachten erstellen soll, nicht ordnungsgemäß bestimmt ist.3 Denn ohne eine solche Bestimmung könnte der Rechtsanwalt das Gutachten nicht fristgerecht beibringen, so dass die Gutachtenanordnung trotz Bestandskraft die Vermutung nicht auslöst und ins Leere geht. Gerügt werden kann weiter, dass die gesundheitliche Störung, deren Vorliegen oder Nichtvorliegen in dem beizubringenden Gutachten festgestellt werden soll, nicht hinreichend bestimmt ist.4 Wäre sie nicht hinreichend bestimmt, würde bei nicht erfolgter oder verspäteter Beibringung des Gutachtens das Vorliegen einer nicht hinreichend bestimmten gesundheitlichen Störung vermutet, was für einen Widerruf der Zulassung nicht ausreicht. Nicht bestimmt ist die Gutachtenanordnung aber nicht schon, wenn die Rechtsanwaltskammer die Störung nicht medizinisch korrekt benennt. Das ist nicht ihre Aufgabe.5 Entscheidend ist, ob der in der Anordnung beschriebene Sachverhalt inhaltlich eine medizinisch wie auch immer einzuordnende gesundheitliche Störung beschreibt, die den Rechtsanwalt unfähig macht, seinen Beruf als Rechtsanwalt ordnungsgemäß auszuüben.6 Im anschließenden Zulassungs- oder Widerrufsverfahren kann schließlich gerügt werden, dass das in der Anordnung beschriebene Verhalten des Rechtsanwalts, seine Richtigkeit unterstellt, keine ausreichende Grundlage für den zu klärenden Verdacht bietet.7
16 BRAO (weggefallen) Erlöschen der Befugnis zur Führung der Berufsbezeichnung 17 BRAO (1) Mit dem Erlöschen der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft (§ 13) 1
endet die Befugnis, die Berufsbezeichnung „Rechtsanwalt“ oder „Rechtsanwältin“ zu führen. 2Die Bezeichnung darf auch nicht mit einem Zusatz, der auf die frühere Berechtigung hinweist, geführt werden.
(2) Die Rechtsanwaltskammer kann einem Rechtsanwalt, der wegen hohen Alters oder wegen körperlicher Leiden auf die Rechte aus der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft verzichtet, die Erlaubnis erteilen, sich weiterhin Rechtsanwalt zu nennen. (3) Die Rechtsanwaltskammer kann eine Erlaubnis, die sie nach Absatz 2 erteilt hat, widerrufen, wenn nachträglich Umstände eintreten, die bei einem Rechtsanwalt das Erlöschen der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nach sich ziehen würden. A. Bezeichnungsschutz (§ 17 Abs. 1 BRAO) . I. Rechtsanwalt als geschützte Berufsbezeichnung . . . . . . . . . . . . . . II. Schutz der Berufsbezeichnung . . . . .
1
B. Ausnahmegenehmigung (§ 17 Abs. 2 BRAO) I. Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . 1. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . 2. Hohes Alter . . . . . . . . . . . . . . 3. Körperliche Leiden . . . . . . . . . . . 4. Ermessen . . . . . . . . . . . . . . .
6 6 7 7 9 11 13
1 2 3 4 5 6 7
1 2
. . . . . . .
14 17 17 18 19 20 21
C. Widerruf der Erlaubnis . . . . . . . . . I. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . II. Verfahren . . . . . . . . . . . . . . .
22 22 33
D. Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . .
34
III. Verfahren . . . . . . . . . IV. Wirkungen der Erlaubnis . . 1. Fortführungserlaubnis . . . 2. Art der Fortführung . . . . 3. Auswirkungen auf den Status V. Grenzen der Erlaubnis . . . VI. Anwaltsnotare . . . . . . .
BGH, Beschl. v. 1.2.2011 – AnwZ (B) 74/07, juris Rz. 5. BGH, NJW-RR 2009, 1578 (1580) Rz. 19. BGH, NJW-RR 2009, 1578 (1580) Rz. 20; NJW-Spezial 2011, 287 = juris Rz. 12. BGH, NJW-RR 2009, 1578 (1579) Rz. 13; NJW-Spezial 2011, 287 = juris Rz. 12 f. BGH, NJW-RR 2009, 1578 (1579) Rz. 16 a.E.; NJW-Spezial 2011, 287 = juris Rz. 14 a.E. BGH, NJW-RR 2009, 1578 (1579) Rz. 14 f.; NJW-Spezial 2011, 287 = juris Rz. 13. BGH, NJW-Spezial 2011, 287 = juris Rz. 15–17.
370 Schmidt-Räntsch
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Erlöschen der Befugnis zur Führung der Berufsbezeichnung
Rz. 5a § 17 BRAO
A. Bezeichnungsschutz (§ 17 Abs. 1 BRAO) I. Rechtsanwalt als geschützte Berufsbezeichnung Die Bezeichnung Rechtsanwalt ist einerseits kein Titel, den jeder führen könnte, der die beiden juristischen Staatsexamen absolviert oder auf andere Weise die Befähigung zum Richteramt erlangt hat. Die Führung dieser Bezeichnung setzt andererseits auch nicht voraus, dass ihr Träger forensisch tätig ist und z.B. ständig als Prozessbevollmächtigter oder Verteidiger auftritt. Sie ist vielmehr die Bezeichnung für diejenigen, die den Beruf des Rechtsanwalts gewählt haben und zur Rechtsanwaltschaft zugelassen worden sind.1 Die Befugnis zur Führung der Bezeichnung Rechtsanwalt bedarf deshalb neben der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft keiner besonderen Erlaubnis. Die Berechtigung, diese Berufsbezeichnung zu führen, ist nach § 12 Abs. 3 BRAO vielmehr die gesetzliche Folge der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft. Alle zugelassenen Rechtsanwälte sind deshalb zur Führung dieser Berufsbezeichnung befugt. Anderen Personen kann die Führung dieser Bezeichnung nicht erlaubt werden, auch wenn sie, wie es z.B. Professoren der Rechte möglich ist, häufiger als Verteidiger oder Prozessbevollmächtigter etwa vor dem BVerfG auftreten.
1
II. Schutz der Berufsbezeichnung Die Bezeichnung Rechtsanwalt ist gesetzlich geschützt. Wer sich als Rechtsanwalt bezeichnet, ohne dazu befugt zu sein, macht sich nach § 132a StGB strafbar. Geschieht dies im Rechtsverkehr, handelt es sich dabei auch um unlauteres Verhalten nach § 3 UWG, dessen Unterlassen nach § 8 UWG von anderen Rechtsanwälten und von den Kammern verlangt werden kann.2 Die Bezeichnung ist auch berufsrechtlich geschützt. Diesen berufsrechtlichen Schutz leistet § 17 Abs. 1 BRAO.
2
Nach dessen Satz 1 hängt die Befugnis zur Führung der Bezeichnung Rechtsanwalt von dem Bestand der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft ab. Denn sie ist nach § 12 Abs. 3 BRAO die gesetzliche Folge der Zulassung. Nach § 17 Abs. 1 S. 1 BRAO erlischt sie deshalb auch in dem Moment, in dem die Zulassung endet. Das Ende der Befugnis zur Führung der Bezeichnung Rechtsanwalt ist die gesetzliche Folge des Erlöschens.3 Sie braucht deshalb in dem Urteil zur Ausschließung aus der Rechtsanwaltschaft und in der Rücknahme oder dem Widerruf der Zulassung nicht besonders ausgesprochen zu werden. Die Rechtsanwaltskammern wären auch nicht befugt, einem Rechtsanwalt die Führung der Berufsbezeichnung Rechtsanwalt zu untersagen, solange er noch zur Rechtsanwaltschaft zugelassen ist.
3
Auf den Grund, aus dem die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft geendet hat, kommt es nicht an. Die Befugnis zur Führung der Berufsbezeichnung endet also nicht nur dann, wenn der Rechtsanwalt wegen unwürdigen Verhaltens aus der Rechtsanwaltschaft ausgeschlossen oder wenn seine Zulassung aus einem vergleichbaren Grund zurückgenommen oder widerrufen worden ist. Sie erlischt grundsätzlich auch, wenn dem Rechtsanwalt ein solches Verhalten nicht vorgeworfen wurde, und er vielmehr auf seine Rechte aus der Zulassung verzichtet hat und die Zulassung deshalb widerrufen worden ist. Solchen Rechtsanwälten kann allerdings unter bestimmten Voraussetzungen die Fortführung der Berufsbezeichnung erlaubt werden.
4
Ohne diese Erlaubnis ist der Rechtsanwalt zur Führung der Berufsbezeichnung in keiner Form mehr berechtigt. Er darf deshalb nicht nur nicht mehr die Berufsbezeichnung Rechtsanwalt führen. Nach Absatz 1 S. 2 ist er auch nicht berechtigt, die Berufsbezeichnung mit einem Zusatz zu führen, der auf ihr Ende hindeutet; untersagt ist ihm also vorbehaltlich der Möglichkeit einer Fortführungserlaubnis auch die Führung der Bezeichnung Rechtsanwalt a.D. oder i.R.4
5
Dieses Regelungsmodell ist nicht zwingend. Es wäre, worauf Henssler zu Recht hingewiesen hat5, möglich, das Regel-Ausnahme-Verhältnis umzudrehen und dem Rechtsanwalt kraft Gesetzes grundsätzlich die Fortführung der Berufsbezeichnung mit einem das Ausscheiden kennzeichnenden Zusatz zu gestatten. Bei Rechtsanwälten, deren Zulassung aus nicht eh-
5a
1 2 3 4
BT-Drs. III/120, S. 63; Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 17 Rz. 1; Henssler/Prütting/Henssler, § 17 Rz. 5. BGHZ 98, 330 (335 f.); BGH, NJW 1987, 1323 (1325); NJW-RR 2002, 108 (109 f.). Henssler/Prütting/Henssler, § 17 Rz. 5; Jessnitzer/Blumberg, § 17 Rz. 1. Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 17 Rz. 2; Henssler/Prütting/Henssler, § 17 Rz. 5; Jessnitzer/Blumberg, § 17 Rz. 2; Kleine-Cosack, § 17 Rz. 1. 5 Henssler/Prütting/Henssler, § 17 Rz. 20.
Schmidt-Räntsch 371
§ 17 BRAO Rz. 6
Erlöschen der Befugnis zur Führung der Berufsbezeichnung
renhaften Gründen widerrufen wird, könnte gesetzliche Folge des Widerrufs das Verbot der Titelführung sein. Ein solches Modell ersparte Verwaltungsaufwand und würde dem Bedürfnis der weit überwiegenden Zahl der Rechtsanwälte eher gerecht, die ihren Beruf ordnungsgemäß ausüben und ein Interesse daran haben, die Berufsbezeichnung mit einem entsprechenden Zusatz fortzuführen. B. Ausnahmegenehmigung (§ 17 Abs. 2 BRAO) I. Zweck 6
Nach Absatz 2 kann die Rechtsanwaltskammer Rechtsanwälten, die aus bestimmten noch näher zu erläuternden Gründen auf ihre Zulassung verzichtet haben, die Fortführung der Berufsbezeichnung Rechtsanwalt gestatten. Zweck dieser Gestattung soll es nach der auf die Begründung des Entwurfs gestützten herrschenden Meinung sein, das Wirken des Rechtsanwalts in seinem langjährigen Berufsleben anzuerkennen.1 Diese Zweckbeschreibung ist missverständlich. Die Erteilung der Erlaubnis hängt nämlich nicht davon ab, ob der Rechtsanwalt etwa forensisch tätig ist und damit als Organ der Rechtspflege gewirkt hat oder nicht. Sie hängt auch nicht davon ab, ob sich der Rechtsanwalt in besonderer Weise um die Rechtspflege verdient gemacht hat.2 Das Gesetz trägt mit dieser Möglichkeit vielmehr inhaltlich dem Umstand Rechnung, dass sich der berufliche Erfolg eines Rechtsanwalts nicht nur in dem Wert seiner Kanzlei niederschlägt, die er nach einem Verzicht auf die Rechte aus der Zulassung verkaufen könnte. Er drückt sich vielmehr auch in der gesellschaftlichen Anerkennung aus, die der Rechtsanwalt in der Ausübung seines Berufs erworben hat. Diese gesellschaftliche Anerkennung könnte sich der Rechtsanwalt ohne die Möglichkeit der Erlaubnis zur Fortführung der Berufsbezeichnung nur erhalten, wenn er auf seine Rechte aus der Zulassung auch jenseits der Altersgrenze nicht verzichtet und sie bis zu seinem Lebensende beibehält. Ihm wäre es also nicht möglich, sich wirklich zur Ruhe zu setzen und gleichwohl die immateriellen Früchte seines beruflichen Wirkens in Gestalt der gesellschaftlichen Anerkennung genießen zu können. Dafür besteht kein Grund. Zweck der Erlaubnis nach Absatz 2 ist es, dem Rechtsanwalt genau das zu ermöglichen. Er kann auf die Rechte aus der Zulassung verzichten und aus dem aktiven Berufsleben rechtlich und tatsächlich ausscheiden, ohne aber gezwungen zu sein, die Berufsbezeichnung Rechtsanwalt endgültig aufzugeben und damit auch seine gesellschaftliche Anerkennung als Rechtsanwalt zu verlieren. Die Erlaubnis zur Berufsbezeichnungsfortführung ist, so verstanden, auch Ausdruck der Berufsfreiheit. Dies ist bei der Auslegung und Anwendung der Vorschrift zu berücksichtigen. II. Voraussetzungen 1. Vorbemerkung
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Die Erlaubnis zur Titelfortführung darf nur Rechtsanwälten erteilt werden, deren Zulassung aufgrund eines Verzichts nach § 14 Abs. 2 Nr. 4 BRAO widerrufen worden ist. Voraussetzung ist der ausgesprochene Widerruf. Andernfalls stellt sich die Frage nach einer Titelfortführung nicht. Ist die Zulassung zurückgenommen oder aus einem anderen als dem Grund des Verzichts widerrufen worden, kommt eine Erlaubnis zur Titelfortführung von vornherein nicht in Betracht. Dies gilt erst recht, wenn der Rechtsanwalt wegen unwürdigen Verhaltens aus der Rechtsanwaltschaft ausgeschlossen worden ist.
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Nicht jedem Rechtsanwalt, der auf die Rechte aus seiner Zulassung verzichtet hat, kann die Fortführung der Berufsbezeichnung Rechtsanwalt erlaubt werden. Das hat seinen Grund darin, dass mancher Rechtsanwalt durch den Verzicht auf die Rechte aus seiner Zulassung einem ansonsten drohenden Widerruf seiner Zulassung aus anderen Gründen, z.B. wegen Vermögensverfalls oder Unwürdigkeit, zuvorkommt. Auf diese Weise vermeidet er zwar die Eintragung des Widerrufs in das Bundeszentralregister nach § 10 Abs. 2 und 3 BZRG und die daraus resultierenden Nachteile. Ihm aber auch die Fortführung der Berufsbezeichnung zu gestatten, liefe dem Zweck der Vorschrift zuwider. Die Vorschrift lässt die Erlaubnis zur Fortführung der Berufsbezeichnung Rechtsanwalt daher nur zu, wenn der Verzicht wegen hohen Alters oder wegen körperlicher Leiden ausgesprochen wird. 1 EGH Hamburg, Beschl. v. 22.9.1964 – ZU 1/64, zit. bei Isele, § 14 Anm. V.B.1c a.E.; Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 17 Rz. 6; Henssler/Prütting/Henssler, § 17 Rz. 8. 2 Isele, § 17 Anm. V.B.1c a.E.
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Erlöschen der Befugnis zur Führung der Berufsbezeichnung
Rz. 12 § 17 BRAO
2. Hohes Alter Wegen hohen Alters wird der Verzicht erklärt, wenn das Alter die Ursache für den Widerruf bildet. Das soll nach einer Ansicht1 nur der Fall sein, wenn der Rechtsanwalt seinen Beruf nicht mehr ausüben kann. Das rückt die Voraussetzung in die Nähe des Widerrufsgrunds nach § 14 Abs. 2 Nr. 3 BRAO und führt dazu, dass einem Rechtsanwalt die Erlaubnis zur Titelfortführung nicht erteilt werden dürfte, der zwar ein hohes Alter erreicht hat, aber objektiv unverändert in der Lage ist, seinen Beruf auszuüben. Nach einer zweiten Ansicht reicht die subjektive Sicht des Rechtsanwalts aus, dass sich der Rechtsanwalt nicht mehr in der Lage sieht, seinen Beruf auszuüben.2 Nach einer dritten Ansicht kommt es darauf an, dass der Rechtsanwalt ein hohes Alter hat.3 Diese Meinung verdient den Vorzug. Absatz 2 verlangt zwar, dass der Verzicht „wegen des hohen Alters“ erfolgt sein muss. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Verzicht und Alter setzt aber nicht zwingend voraus, dass der Rechtsanwalt objektiv oder subjektiv wegen seines Alters nicht mehr in der Lage ist, seinen Beruf auszuüben. Vielmehr besteht ein solcher Zusammenhang auch, wenn der Rechtsanwalt das Erreichen des hohen Alters zum Anlass nimmt, sich aus dem aktiven Berufsleben zurückzuziehen und die Früchte seines langen Berufslebens zu genießen. Für dieses Verständnis spricht auch, dass die Vorschrift den Verzicht auf die Zulassung wegen körperlicher Leiden gesondert anspricht. Es reicht also aus, wenn sich der Rechtsanwalt in hohem Alter zur Ruhe setzen will.
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Wann ein Rechtsanwalt ein hohes Alter erreicht hat, ist gesetzlich nicht bestimmt. Das hat seinen Grund darin, dass die BRAO kein Höchstalter für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufs vorsieht und deshalb auch nicht an eine Altersgrenze anknüpfen kann. Funktionell entspricht das hohe Alter aber der allgemeinen Altersgrenze. Deshalb wird allgemein angenommen, dass hoch ein Alter jenseits der allgemeinen Altersgrenze von 65 Jahren ist.4 Die Möglichkeiten, vor diesem Zeitpunkt in den Ruhestand einzutreten, können im Rahmen von § 17 Abs. 2 BRAO nicht berücksichtigt werden, da die Vorschrift von einem hohen Alter spricht. Jedenfalls könnte man bei einem niedrigeren Alter nicht ohne weiteres davon ausgehen, dass das Alter als solches der Grund für den Verzicht ist. Das könnte nur angenommen werden, wenn der Verzicht ausgesprochen wird, weil die Kräfte – subjektiv oder objektiv – eine Ausübung des Berufs des Rechtsanwalts nicht mehr zulassen. Auch das stößt an begriffliche Grenzen, die m.E. mit einem Mindestalter von 60 Jahren ausgeschöpft sind.
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3. Körperliche Leiden Die Titelfortführungserlaubnis kann nach Absatz 2 auch erteilt werden, wenn der Verzicht auf die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft wegen körperlicher Leiden erfolgte. Ein körperliches Leiden liegt nicht erst vor, wenn gesundheitliche Gründe vorliegen, die den Rechtsanwalt dauerhaft an der ordnungsgemäßen Ausübung seines Berufs hindern und einen Widerruf der Zulassung nach § 14 Abs. 2 Nr. 3 BRAO gebieten würden. Es reicht vielmehr aus, wenn der Rechtsanwalt auf seine Zulassung verzichtet hat, weil er sich den Aufgaben des Berufs körperlich nicht mehr gewachsen fühlt.5 Worin genau die Ursache liegt, ist letztlich nicht von Bedeutung. Dem Sinn der Erlaubnis würde es auch nicht entsprechen, hierüber zunächst umfangreiche Ermittlungen anzustellen. Anders liegt es nur, wenn ernsthafte Zweifel daran bestehen, dass überhaupt körperliche Leiden in diesem Sinne bestehen.
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Körperliche Leiden liegen auch vor, wenn der Rechtsanwalt wegen gesundheitlicher Gründe auf seine Zulassung verzichtet hat, die ihm die weitere ordnungsgemäße Ausübung seines Berufs nicht erlauben. Dass es sich dabei um körperliche Leiden handelt, ist unbestritten. Nach herrschender Meinung6 scheidet ein Verzicht wegen gesundheitlicher Gründe im Sinne von § 14 Abs. 3 Nr. 2 BRAO als Grundlage einer Erlaubnis nach Absatz 2 deshalb aus, weil der Rechtsanwalt mit einem solchen Verzicht einem Widerruf nach § 14 Abs. 2 BRAO zuvorkomme und damit den Erlaubnistatbestand umgehe. Dem kann in dieser Allgemeinheit nicht zugestimmt werden. Gesundheitliche Gründe im Sinne von § 14 Abs. 2 Nr. 3 BRAO lassen sich in der Regel nur sehr schwer von körperlichen Leiden im Sinne von
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Isele, § 17 Anm. V.A.1b; etwas abschwächend (in der Regel): Henssler/Prütting/Henssler, § 17 Rz. 9. Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 17 Rz. 6. Jessnitzer/Blumberg, § 17 Rz. 3. Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 14 Rz. 6; Henssler/Prütting/Henssler, § 17 Rz. 9; Isele, § 17 Anm. V.A.1a; Jessnitzer/Blumberg, § 174 Rz. 3. 5 Henssler/Prütting/Henssler, § 17 Rz. 10. 6 Unklar Jessnitzer/Blumberg, § 17 Rz. 3.
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§ 17 BRAO Rz. 13
Erlöschen der Befugnis zur Führung der Berufsbezeichnung
§ 17 Abs. 2 BRAO abgrenzen. Gesundheitliche Gründe treffen, ebenso wie körperliche Leiden, den Rechtsanwalt schicksalhaft, möglicherweise sogar als Folge eines von ihm in keiner Weise verschuldeten Unglücksfalls. Sie stellen für sich genommen keinen Grund dar, dem Rechtsanwalt die Möglichkeit zu nehmen, die Berufsbezeichnung Rechtsanwalt fortzuführen.1 Dies ergibt sich sogar aus dem Widerrufstatbestand selbst. § 14 Abs. 2 Nr. 3 BRAO stellt nämlich nicht allein auf die gesundheitlichen Gründe und ihre Auswirkungen auf die ordnungsgemäße Ausübung des Berufs ab. Entscheidend ist vielmehr, dass die Interessen der Rechtsuchenden gefährdet sind. Deshalb ist nach § 14 Abs. 2 Nr. 3 Hs. 2 BRAO von dem Widerruf auch abzusehen, wenn eine Gefährdung der Rechtsuchenden (ausnahmsweise) nicht gegeben ist. Einem Rechtsanwalt, der auf die Rechte aus seiner Zulassung wegen gesundheitlicher Gründe verzichtet, bevor eine Gefährdung der Rechtsuchenden eingetreten ist, kann ein Vorwurf nicht gemacht werden. Er handelt im Gegenteil so, wie es von ihm erwartet werden kann. Ein solches Verhalten kann nicht als Umgehung eines Widerrufs nach § 14 BRAO gewertet werden und darf m.E. deshalb auch nicht dazu führen, ihm die Fortführung der Berufsbezeichnung Rechtsanwalt nach Absatz 2 zu versagen. Anders liegt es erst, wenn zusätzlich noch andere Widerrufsgründe vorliegen, die ohnedies zum Widerruf geführt hätten oder wenn eine Gefährdung der Rechtsuchenden bereits eingetreten ist. 4. Ermessen 13
Nach Absatz 2 hat die Rechtsanwaltskammer bei der Erteilung der Erlaubnis ein Ermessen. Teilweise wird angenommen, dass die Rechtsanwaltskammer im Rahmen dieses Ermessens die Erteilung der Erlaubnis auch von zusätzlichen Voraussetzungen, insbesondere davon abhängig machen kann, dass sich der Rechtsanwalt während seines Berufslebens tadellos verhalten habe.2 Das wird den Grundrechten des Rechtsanwalts allerdings nicht gerecht. Die Erlaubnis zur Titelfortführung ist Ausfluss der Berufswahlfreiheit. Sie verbietet es der Rechtsanwaltskammer, die Erteilung der Erlaubnis von anderen als den gesetzlich vorbestimmten Merkmalen abhängig zu machen. Jedenfalls ist bei der Berücksichtigung von Verfehlungen, die nicht zum Widerruf der Zulassung führen würden, Zurückhaltung geboten.3 Die Rechtsanwaltskammer wird regelmäßig verpflichtet sein, die Erlaubnis zu erteilen, wenn der frühere Rechtsanwalt mit dem Verzicht nicht einem Widerruf oder anwaltsgerichtlichen Maßnahmen vergleichbaren Gewichts zuvorgekommen ist. Eine Einschränkung ergibt sich allerdings indirekt daraus, dass dem Rechtsanwalt nach Absatz 2 nur die Erlaubnis erteilt werden kann, sich „weiterhin“ Rechtsanwalt zu nennen. Nach dem Wortsinn und dem Zweck der Vorschrift zielt die Erlaubnis damit darauf, dem Rechtsanwalt über das Ende seiner Zulassung hinaus die Fortführung der Berufsbezeichnung zu erlauben. Mit diesem Zweck unvereinbar wäre es, wenn der Rechtsanwalt zunächst eine solche Erlaubnis nicht beantragt hat und Jahre später einen entsprechenden Antrag stellt.4 Denn in diesem Fall kann von einer Fortführung der Berufsbezeichnung nicht gesprochen werden. Es handelt sich vielmehr um eine Wiederaufnahme der Führung der Berufsbezeichnung, die von dem Wortlaut und dem Zweck des Absatzes 2 nicht gedeckt ist. Das bedeutet aber andererseits nicht, dass der Antrag nur vor dem Widerruf der Zulassung aufgrund des Verzichts gestellt werden könnte.5 III. Verfahren
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Zu einer Fortführung der Berufsbezeichnung ist der Rechtsanwalt nach Absatz 1 S. 1 nicht kraft Gesetzes befugt. Vielmehr erlischt seine Befugnis kraft Gesetzes mit dem Erlöschen seiner Zulassung zur Rechtsanwaltschaft. Um die Berufsbezeichnung fortführen zu können, braucht er nach Absatz 2 eine besondere Erlaubnis der Rechtsanwaltskammer. Diese muss deshalb entweder im Zusammenhang mit dem Widerruf aufgrund des Verzichts oder aber durch einen besonderen Bescheid ausgesprochen werden.
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Ob dieser Bescheid nur auf Antrag des Rechtsanwalts oder auch von Amts wegen erteilt werden kann, legt Absatz 2 nicht fest. Das bedeutet, dass der Kammer grundsätzlich beide Möglichkeiten zur Verfügung stehen.6 Veranlassung, von Amts wegen die Fortführung der Bezeichnung Rechtsanwalt zu erlauben, kann die Rechtsanwaltskammer haben, wenn die 1 2 3 4 5 6
So wohl auch Henssler/Prütting/Henssler, § 17 Rz. 10. Jessnitzer/Blumberg, § 17 Rz. 3 a.E.; wohl auch Henssler/Prütting/Henssler, § 17 Rz. 11. Isele, § 17 Anm. V.B.1c. AGH Hamm, OLG-Report 1999, 22. Dazu sogleich Rz. 16. Henssler/Prütting/Henssler, § 17 Rz. 11; Isele, § 17 Anm. V.B.1a.
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Rz. 19 § 17 BRAO
Bezeichnungsfortführung von dritter Seite angeregt oder ihr schon vor dem Widerruf bekannt wird, dass der Rechtsanwalt daran interessiert ist. Sie wird dann aber mit dem Rechtsanwalt deshalb Kontakt aufnehmen müssen und dann letztlich doch auf seinen Antrag hin tätig werden. Ein Antrag kann vor oder im Zusammenhang mit dem Verzicht, aber auch nach Ausspruch des Widerrufs beantragt werden. Im zuletzt genannten Fall muss aber ein enger räumlicher und zeitlicher Zusammenhang mit dem Widerruf bestehen. Andernfalls läge keine Fortführung der Berufsbezeichnung mehr vor. Als Faustregel kann eine Frist von sechs Monaten nach Bestandskraft des Widerrufs gelten. Über den Zeitpunkt der Erlaubnis schweigt sich Absatz 2 aus. Eine Eingrenzung ergibt sich daraus, dass die Erlaubnis nur bei einem Verzicht aus den dort bezeichneten qualifizierten Gründen erfolgen darf. Das setzt jedenfalls voraus, dass der Rechtsanwalt der Rechtsanwaltskammer gegenüber einen entsprechenden Verzicht erklärt hat. Denn ohne einen solchen Verzicht können die Voraussetzungen der Erlaubnis nicht geprüft werden. Die Rechtsanwaltskammer wird die Erlaubnis regelmäßig mit dem Verzicht erteilen. Sie könnte die Erteilung der Erlaubnis auch davon abhängig machen, dass der Verzicht rechtsbestandskräftig wird. Denn erst mit dem Eintritt der Bestandskraft tritt ein Bedürfnis für die Erlaubnis ein. Gezwungen dazu ist die Rechtsanwaltskammer nicht. Sie könnte dem Rechtsanwalt die Erlaubnis zur Fortführung der Berufsbezeichnung auch schon vor Erlass des Widerrufsbescheids, jedenfalls aber vor Eintritt seiner Bestandskraft, erteilen. Im Tenor wäre dann aber zum Ausdruck zu bringen, dass die Fortführung der Berufsbezeichnung für den Fall des Erlöschens der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft erlaubt werden soll.
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IV. Wirkungen der Erlaubnis 1. Fortführungserlaubnis Die wichtigste Wirkung der Erlaubnis besteht darin, dass der Rechtsanwalt seine Berufsbezeichnung weiterführen darf. Nach der Grundregel des Absatzes 1 S. 1 würde diese Erlaubnis nämlich mit der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft erlöschen. Zweck der Erlaubnis nach Absatz 2 ist es gerade, diese Wirkung in den Fällen des qualifizierten Verzichts wieder aufzuheben. Der Rechtsanwalt darf sich also weiterhin Rechtsanwalt nennen.
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2. Art der Fortführung Anhaltspunkte dafür, wie sich der Rechtsanwalt nach Erlöschen seiner Zulassung und Erteilung der Erlaubnis nach Absatz 2 nennen darf, ergeben sich aus Absatz 1 S. 1. Danach würde das Erlöschen seiner Zulassung dem Rechtsanwalt grundsätzlich verbieten, sich „Rechtsanwalt“ zu nennen. Da der Zweck der Erlaubnis ist, dieses Verbot nicht eintreten zu lassen, darf sich der Rechtsanwalt also auch nach dem Erlöschen weiterhin „Rechtsanwalt“ nennen. Unklar ist, ob der Rechtsanwalt seiner Berufsbezeichnung den Zusatz außer Diensten (a.D.) oder im Ruhestand (i.R.) hinzusetzen darf. Hierfür spricht jedenfalls Absatz 1 S. 2. Denn danach führt das Erlöschen der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft grundsätzlich auch zu dem Verbot, die Berufsbezeichnung mit einem Zusatz zu versehen, der auf die frühere Berechtigung hinweist. Auch dieses Verbot soll mit der Erlaubnis nach Absatz 2 nicht eintreten. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass der Rechtsanwalt bei der Erteilung der Erlaubnis die Berufsbezeichnung auch mit einem solchen Zusatz führen darf.1 Dafür spricht im Übrigen auch, dass ein solcher Zusatz den rechtlichen Status des Rechtsanwalts mit einer Erlaubnis nach Absatz 2 zutreffender beschreiben würde.2
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3. Auswirkungen auf den Status Die Erlaubnis zur Fortführung der Berufsbezeichnung verändert den Status des Rechtsanwalts nicht. Auch nach Erteilung der Erlaubnis nach Absatz 2 bleibt die Zulassung des Rechtsanwalts zur Rechtsanwaltschaft erloschen. Der Rechtsanwalt ist nicht mehr zur Ausübung des Berufs des Rechtsanwalts zugelassen. Er ist nicht mehr Mitglied seiner früheren oder einer anderen Rechtsanwaltskammer. Er ist auch nicht mehr als Rechtsanwalt zur Anbietung von Beratungsleistungen berechtigt. Möchte er das als Pensionär dennoch tun, braucht er vorbehaltlich des § 6 RDG eine besondere Beratungserlaubnis nach dem Rechtsdienstleistungsgesetz. 1 Ebenso: Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 17 Rz. 8. 2 Ähnlich Jessnitzer/Blumberg, § 17 Rz. 7.
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§ 17 BRAO Rz. 20
Erlöschen der Befugnis zur Führung der Berufsbezeichnung
V. Grenzen der Erlaubnis 20
Auch wenn der Rechtsanwalt zu der Führung der Bezeichnung Rechtsanwalt weiterhin berechtigt ist, berechtigt ihn das nicht, diese Berufsbezeichnung in jedem Zusammenhang und unter allen Umständen zu verwenden. Vielmehr muss er bei der Verwendung der Berufsbezeichnung darauf achten, dass nicht der unzutreffende Eindruck entsteht, er sei weiterhin zugelassener Rechtsanwalt. Entstünde dieser Eindruck, könnte er nach Wettbewerbsrecht auf Unterlassung in Anspruch genommen werden. Diesem Eindruck wird der Rechtsanwalt meist dadurch entgegentreten können, dass er seiner Berufsbezeichnung den Zusatz außer Diensten oder in Ruhestand hinzusetzt. Zwingend geboten ist das nicht. Entscheidend ist vielmehr der Effekt. VI. Anwaltsnotare
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Bei Anwaltsnotaren ergibt sich die Besonderheit, dass sie vor dem Ende ihrer Zulassung zwei Berufsbezeichnungen geführt haben. § 17 BRAO befasst sich nur mit der Fortführung der einen dieser Berufsbezeichnungen. Die Fortführung der Bezeichnung Notar regelt § 54 BNotO. Danach ist der frühere Anwaltsnotar berechtigt, die Berufsbezeichnung Notar mit dem Zusatz a.D. zu führen. Wenn sich der Anwaltsnotar nicht nur aus seinem Notaramt, sondern auch aus dem Beruf als Rechtsanwalt zurückgezogen hat, wird er auch die Bezeichnung Rechtsanwalt beanstandungsfrei nur mit dem Zusatz „a.D.“ oder „i.R.“ führen können. Denn die Führung des Zusatzes nur bei der Bezeichnung als Notar führt regelmäßig zu dem Trugschluss, dass er als Rechtsanwalt noch aktiv ist. Im Rechtsverkehr muss dieser unzutreffende Eindruck vermieden werden. C. Widerruf der Erlaubnis I. Voraussetzungen
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Die Erlaubnis nach Absatz 2 kann entzogen werden, wenn nachträglich ein Grund auftritt, der bei einem zugelassenen Rechtsanwalt das Erlöschen, die Rücknahme oder den Widerruf der Zulassung nach sich ziehen würde. Die Vorschrift ist nicht glücklich formuliert. Sie geht teils zu weit, bleibt aber teilweise auch hinter dem Gewollten zurück. Die Vorschrift will verhindern, dass der Rechtsanwalt zur Führung der Berufsbezeichnung Rechtsanwalt berechtigt bleibt, obwohl seine Zulassung ohne den qualifizierten Verzicht auf diese erloschen, widerrufen oder zurückgenommen worden wäre. An diesem Zweck ist die Auslegung der Vorschrift auszurichten.
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Das bedeutet zunächst, dass ein Widerruf der Erlaubnis nach Absatz 2 nicht nur in Betracht kommt, wenn nachträglich Umstände eintreten, die zu einem Erlöschen, einer Rücknahme oder einem Widerruf der Rechtsanwaltszulassung führen würden. Wäre die Vorschrift auf diesen Fall beschränkt, könnten Rücknahmegründe überhaupt keine Berücksichtigung finden, weil sie nach § 14 Abs. 1 BRAO voraussetzen, dass sie vor der Zulassung vorgelegen haben. Da die Erlaubnis nach Absatz 2 aber auch aufgrund von Rücknahmegründen soll widerrufen werden können, muss die Vorschrift auch angewendet werden, wenn, wie es in § 14 Abs. 1 BRAO richtig heißt, derartige Umstände zwar vor der Erteilung der Erlaubnis vorlagen, aber hinterher bekannt wurden.1 Über diesen Zweck hinaus geht der Wortlaut der Vorschrift insofern, weil sie unterschiedslos den Widerruf der Erlaubnis nach Absatz 2 aus allen Gründen erlaubt, die bei einem weiter zugelassenen Anwalt zum Erlöschen der Rücknahme oder zum Widerruf der Zulassung führen würden. Nicht alle Umstände, die bei einem zugelassenen Rechtsanwalt zum Erlöschen, zur Rücknahme oder zum Widerruf seiner Zulassung führen würden, kommen als Grund für einen Widerruf der Erlaubnis nach Absatz 2 in Betracht. Bei ihrer Anwendung muss die besondere Lage des ausgeschiedenen Rechtsanwalts berücksichtigt werden.
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Ein Widerruf der Titelführungserlaubnis kommt bei der Verwirkung von Grundrechten und bei einer strafrechtlichen Verurteilung, die den Verlust der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter zur Folge hat, uneingeschränkt in Betracht. Sie stellen Versagungsgründe nach § 7 Nr. 1 und 2 BRAO und Widerrufsgründe nach § 14 Abs. 2 Nr. 1 und 2 BRAO dar. Sie lassen sich ohne weiteres auf einen nicht mehr zugelassenen Rechtsanwalt mit Erlaubnis 1 Henssler/Prütting/Henssler, § 17 Rz. 14.
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Erlöschen der Befugnis zur Führung der Berufsbezeichnung
Rz. 29 § 17 BRAO
nach Absatz 2 übertragen. Eine Unterscheidung wäre hier nicht nachvollziehbar. Das gilt auch für die Versagungsgründe nach § 7 Nr. 3 und 4 BRAO (Ausschluss aus der Rechtsanwaltschaft und Richteranklage). Ein Widerruf der Erlaubnis nach Absatz 2 kommt ferner bei einem unwürdigen Verhalten im Sinne von § 7 Nr. 5 BRAO in Betracht. Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, dass es zur Zulassung des Rechtsanwalts gekommen ist und sich ein unwürdiges Verhalten nach erfolgter Zulassung bei einem weiterhin zugelassenen Anwalt nur mit Einschränkungen auf den Bestand seiner Zulassung auswirken würde. Das schlägt auf den Bestand der Erlaubnis nach Absatz 2 durch. Lag das Verhalten vor der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft, kommt es als Grundlage für einen Widerruf nur in Betracht, wenn hierauf auch eine Rücknahme gestützt werden könnte. Das ist nach § 14 Abs. 1 S. 2 BRAO nur der Fall, wenn es sein Gewicht durch den seitdem verstrichenen Zeitablauf nicht verloren hat. Lag das Verhalten nach der Zulassung, kommt es als Grund für einen Widerruf nicht in Betracht, da § 14 Abs. 2 und 3 BRAO einen dem Versagungsgrund nach § 7 Nr. 5 BRAO entsprechenden Widerrufsgrund nicht vorsieht. Ein solches Verhalten kann sich nur unter dem Gesichtspunkt einer standesrechtlichen Verantwortung auf den Bestand der Zulassung auswirken. Das ist nach § 114 Abs. 1 Nr. 5 BRAO nur der Fall, wenn es ein Gewicht erlangt, das den Ausschluss des Rechtsanwalts aus der Rechtsanwaltschaft rechtfertigt. Ein solches Verhalten führt bei einem nicht mehr zugelassenen Rechtsanwalt zum Widerruf der Erlaubnis nach Absatz 2. Diese Grundsätze gelten auch für den Versagungsgrund nach § 7 Nr. 6 BRAO (strafbare Bekämpfung der freiheitlich demokratischen Grundordnung). Auch sie kommt unmittelbar nur als Tatbestand für die Rücknahme in Betracht. Zu einem Widerruf führt ein solches Verhalten nur, wenn es zu einer strafgerichtlichen Verurteilung unter Verlust der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter führt.
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Dagegen scheidet ein Widerruf der Erlaubnis nach Absatz 2 aus, wenn der (frühere) Rechtsanwalt entweder schon von Anfang an oder aufgrund nachträglich eingetretener gesundheitlicher Umstände nicht mehr in der Lage wäre, den Beruf des Rechtsanwalts ordnungsgemäß auszuüben. War er nämlich weiterhin Rechtsanwalt, kämen eine Rücknahme oder ein Widerruf seiner Zulassung nach § 14 Abs. 1 i.V.m. § 7 Nr. 7 BRAO oder nach § 14 Abs. 2 Nr. 3 BRAO nur in Betracht, wenn die Interessen der Rechtsuchenden gefährdet wären. Eine solche Gefährdung ist aber bei einem Rechtsanwalt, der auf seine Zulassung verzichtet hat und sich daran auch hält, nicht möglich. Ein Widerruf aus diesem Grund stünde im Übrigen auch mit den Voraussetzungen für die Erteilung der Erlaubnis in Widerspruch. Denn einer der Fälle, in denen die Erlaubnis erteilt werden kann, ist ja gerade derjenige, dass der Rechtsanwalt wegen körperlicher Leiden auf seine Zulassung verzichtet.
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Nicht in Betracht kommt für einen Widerruf der Erlaubnis nach Absatz 2 auch der Widerrufstatbestand des Verlustes der Haftpflichtversicherung nach § 14 Abs. 2 Nr. 9 BRAO. Er setzt nämlich voraus, dass dem Rechtsanwalt die Unterhaltung einer Haftpflichtversicherung vorgeschrieben ist. Das ist aber nur der Fall, solange der Rechtsanwalt den Beruf als Rechtsanwalt noch ausübt. Daran aber fehlt es gerade bei einem Rechtsanwalt, der auf seine Zulassung verzichtet hat und nur noch berechtigt ist, die frühere Berufsbezeichnung weiter zu führen.
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Im Übrigen, also im Fall des Vermögensverfalls (vgl. § 7 Nr. 9, § 14 Nr. 7 BRAO), der Ausübung von Tätigkeiten, die mit dem Rechtsanwaltsberufs unvereinbar sind (vgl. § 7 Nr. 8, § 14 Abs. 2 Nr. 8 BRAO) und der Ernennung zum Richter oder Beamten auf Lebenszeit (vgl. § 7 Nr. 10 und § 14 Abs. 2 Nr. 5 BRAO) hängt der Widerruf der Erlaubnis von den Umständen ab. Im Einzelnen:
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Der Vermögensverfall erlaubt die Rücknahme oder den Widerruf der Zulassung nur, wenn er zu einer Gefährdung der Rechtsuchenden führt. Das ist zwar regelmäßig der Fall. Dieses Tatbestandsmerkmal muss aber gerade bei einem Rechtsanwalt, der auf seine Zulassung verzichtet hat, im Zusammenhang mit dem Widerruf einer Erlaubnis nach Absatz 2 sorgfältig geprüft werden. Entscheidend muss dabei sein, ob bei Erteilung der Erlaubnis eine Gefährdung der Rechtsuchenden eingetreten war und jedenfalls im Zeitpunkt des Widerrufs nicht eindeutig beseitigt ist. Lag eine Gefährdung vor und ist ihre Beseitigung nicht nachgewiesen, ist die Erlaubnis nach Absatz 2 zu widerrufen. Die wesentliche berufliche Pflicht des Rechtsanwalts ist nämlich die Unterstützung der Rechtsuchenden, mit der die Gefährdung ihrer Interessen nicht zu vereinbaren ist. Einem Rechtsanwalt, der es hierzu hat kommen lassen, sollte jedenfalls dann die Möglichkeit versagt bleiben, sich weiterhin Rechtsanwalt zu nennen, wenn er diese Gefährdung nicht beseitigt hat. Sind die Gründe für den
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§ 17 BRAO Rz. 30
Erlöschen der Befugnis zur Führung der Berufsbezeichnung
Vermögensverfall hingegen erst nach Erteilung der Erlaubnis eingetreten, dann kann es nicht mehr zu einer Gefährdung von Rechtsuchenden kommen, weil der Rechtsanwalt keine Rechtsuchenden mehr betreut. In solchen Fällen scheidet ein Widerruf nach Absatz 2 m.E. in der Regel aus. 30
Die Aufnahme von Tätigkeiten, die bei Fortbestand der Zulassung mit dem Beruf des Rechtsanwalts unvereinbar wären, kann auch Grundlage eines Widerrufs der Erlaubnis sein, die Berufsbezeichnung Rechtsanwalt nach Erlöschen der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft weiter zu führen. Zwar ist der frühere Rechtsanwalt wegen des Erlöschens der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nicht daran gehindert, solche Tätigkeiten auszuüben. Mit der Fortführung der Berufsbezeichnung möchte er aber seine Nähe zu dem Berufsstand des Rechtsanwalts zum Ausdruck bringen. Es muss dann aber auch in einer mit dem Berufsstand des Rechtsanwalts verträglichen Weise geschehen. Ein Widerruf der Erlaubnis hängt deshalb entscheidend davon ab, wie der Rechtsanwalt von seiner Erlaubnis Gebrauch macht und ob sie sich nachteilig auf das Ansehen des Anwaltsstandes auswirkt.
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Entsprechendes gilt für den allerdings eher theoretischen Fall, dass der Rechtsanwalt, dem die Fortführung der Berufserlaubnis nach Maßgabe von Absatz 2 erlaubt ist, in ein Beamten- oder Richterverhältnis auf Lebenszeit oder zum Berufssoldaten berufen wird.
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Die Widerrufsgründe nach § 14 Abs. 3 BRAO kommen bei einem Rechtsanwalt, der seine Zulassung aufgegeben hat, von vornherein nicht als Grundlage für einen Widerruf der Erlaubnis nach Absatz 2 in Betracht. II. Verfahren
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Über den Widerruf der Erlaubnis entscheidet die Rechtsanwaltskammer von Amts wegen. Vor ihrer Entscheidung hat sie nach § 28 VwVfG den betroffenen Rechtsanwalt zu hören. An den Bescheid sind keine besonderen Anforderungen zu stellen. Aus dem Umstand, dass er angreifbar ist, ergibt sich aber, dass er mit einer Begründung zu versehen und förmlich zuzustellen ist. D. Rechtsschutz
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Bei dem Widerruf einer Erlaubnis nach Absatz 2 handelt es sich um einen Verwaltungsakt nach §§ 32, 112c Abs. 1 S. 1 BRAO i.V.m. §§ 35 VwVfG, 42 VwGO. Er kann, je nach Landesrecht, mit dem Widerspruch nach § 112c Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 68 VwGO und ggf. der Anfechtungsklage nach § 112c Abs. 1 S. 1 BRAO i.V.m. § 42 VwGO angefochten werden. Die Widerspruchs- und Klagefrist beträgt nach § 112c Abs. 1 S. 1 BRAO i.V.m. §§ 68, 74 VwGO einen Monat und rechnet ab der förmlichen Zustellung des Widerrufs- bzw. Widerspruchsbescheids. Bescheids. Der Anwaltsgerichtshof entscheidet grundsätzlich abschließend. Das Rechtsmittel der Berufung (§ 112e BRAO i.V.m. § 124 VwGO) ist nach § 112e BRAO i.V.m. § 124a VwGO nur eröffnet, wenn der Anwaltsgerichtshof es zugelassen hat. Voraussetzung hierfür wiederum ist, dass ein Zulassungsgrund gegeben ist.
18 bis 26 BRAO (weggefallen) 27 BRAO Kanzlei (1) Der Rechtsanwalt muss im Bezirk der Rechtsanwaltskammer, deren Mitglied er ist, eine Kanzlei einrichten und unterhalten.
(2) 1Verlegt der Rechtsanwalt seine Kanzlei oder errichtet er eine Zweigstelle, hat er dies der Rechtsanwaltskammer unverzüglich anzuzeigen. 2Die Errichtung einer Zweigstelle im Bezirk einer anderen Rechtsanwaltskammer ist auch dieser Rechtsanwaltskammer anzuzeigen. (3) 1Will der Rechtsanwalt seine Kanzlei in den Bezirk einer anderen Rechtsanwaltskammer verlegen, hat er die Aufnahme in diese Kammer zu beantragen. 2Die Rechtsanwaltskammer nimmt den Rechtsanwalt auf, sobald er die Verlegung der Kanzlei in ihren Bezirk nachgewiesen hat. 3Mit der Aufnahme erlischt die Mitgliedschaft in der bisherigen Rechtsanwaltskammer.
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Rz. 2 § 27 BRAO
Kanzlei A. Allgemeines/Geltungsbereich/Historie . I. Wegfall des Lokalisationsgebots und der Singularzulassung . . . . . . . . . . II. Aufhebung des Zweigstellenverbots . . III. Keine Versagungsgründe mehr nach § 20 BRAO a.F . . . . . . . . . . . . . . IV. Verfahrensmodernisierung . . . . . . V. Anwendungsbereich . . . . . . . . . B. Zweck der Norm . . . . . . . . I. Zentrum für Kommunikation . . 1. Zustellanschrift . . . . . . . . 2. Erreichbarkeit . . . . . . . . . 3. Vertraulichkeit. . . . . . . . . II. Geschützte räumliche Sphäre . . III. Begründung von Zuständigkeiten IV. Verfassungsrechtlicher Zweck. .
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C. § 27 BRAO . . . . . . . . . . I. Einrichten und Unterhalten . . II. Der Kanzleibegriff . . . . . . 1. Fehlende gesetzliche Definition 2. Abgrenzung zur Niederlassung 3. Kanzleierfordernisse . . . . . a) Kanzleiraum . . . . . . . b) Kanzleiadresse . . . . . . c) Telefonische Erreichbarkeit d) Deklaration der Kanzlei . . aa) Veröffentlichung . . . bb) Kanzleischild . . . . . e) Personelle Besetzung . . . III. Verlegung der Kanzlei . . . . IV. Errichtung einer Zweigstelle .
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45 . . 45 . 50 . 50 . 51 . 55 . 55 59 . . 62 . 69 70 . 71 . . 76 . 78 . 79a
1. Zulässigkeit von Zweigstellen . . . . . . 2. Anzeigepflicht . . . . . . . . . . . . . a) Normadressat . . . . . . . . . . . b) Inhalt der Anzeigepflicht . . . . . . 3. Definition der Zweigstelle . . . . . . . . a) Zweck der Zweigstelle . . . . . . . . b) Anforderungen an die Zweigstelle. . . c) Abgrenzung der Zweigstelle . . . . . aa) Schreibbüro . . . . . . . . . . bb) Auswärtige Sprechtage . . . . . cc) Überörtliche Sozietät . . . . . . dd) Weitere Kanzleien . . . . . . . . V. Verlegung und Auflösung der Zweigstelle. VI. Wechsel des Kammerbezirks . . . . . . 1. Prüfungsumfang . . . . . . . . . . . . 2. Antragserfordernis . . . . . . . . . . . 3. Zulassung zur Rechtsanwaltschaft. . . . 4. Verlegungsnachweis . . . . . . . . . . 5. Verfahrensablauf . . . . . . . . . . . . a) Dauer . . . . . . . . . . . . . . . b) Kontinuität der Zulassung . . . . . . c) Wirksamkeit . . . . . . . . . . . . d) Mitteilungspflichten. . . . . . . . . e) Verwaltungsgebühr . . . . . . . . . D. I. II. III. IV. V.
Prozessuales . . . . . . Widerruf . . . . . . . Disziplinarmaßnahmen . Kanzleischau . . . . . Zivilrechtliche Haftung . Gebührenrecht . . . .
§ 5 BORA
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79a 80 80 85 89 90 93 95 95 96 98 101a 102 103 104 106 108 111 112 112 114 115 116 119
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120 120 130 131 132 133
Kanzlei und Zweigstelle (S. 413ff.)
A. Allgemeines/Geltungsbereich/Historie I. Wegfall des Lokalisationsgebots und der Singularzulassung Mit dem Gesetz zur Stärkung der Selbstverwaltung vom 26.3.2007 wurde mit Wirkung zum 1.6.2007 der zweite Abschnitt der BRAO umbenannt in „Kanzlei und Rechtsanwaltsverzeichnis“.1 Mit dem Wegfall der Singularzulassung bzw. des Lokalisierungsgebots wurden alle diesbezüglichen Regelungen in der BRAO gestrichen. Übrig blieben die Normierung der Kanzleipflicht (§ 27 Abs. 1 BRAO) und deren Ausnahmen (§§ 29–30 BRAO). Neu geregelt wurden der Kanzleiwechsel (früher § 33, jetzt § 27 Abs. 2 und 3 BRAO) und das Rechtsanwaltsverzeichnis (§ 31 BRAO).
1
Da es nun keine zwingende Verknüpfung von Zulassung zur Anwaltschaft und Zulassung bei einem bestimmten Gericht mehr gibt, muss auch die Kanzlei nicht mehr im Bezirk der Zulassungsgerichte eingerichtet werden, § 27 Abs. 1 BRAO. Teile der Literatur hatten sich ohnehin schon seit Längerem gegen das Lokalisierungsgebot gewandt.2 Dessen Streichung war konsequent, da mit der stufenweisen Aufhebung der verfahrensrechtlichen Lokalisierung in Zivilsachen jeder Rechtsanwalt seit dem 1.1.2000 vor jedem Amtsgericht oder Landgericht und, wenn er bei einem Oberlandesgericht zugelassen war, seit 1.8.2002 auch vor jedem Oberlandesgericht auftreten konnte.3 Zudem hatte das Lokalisationsgebot historisch gesehen auch den Zweck, die staatliche Aufsicht über die Rechtsanwälte sicherzustellen, also die freie Advokatur einzuschränken.4 Dieser Zweck ist überholt. Somit ist auch eine berufsrechtliche Fiktion einer Zulassung bei den Amts- und Landgerichten nicht mehr notwendig; § 18 BRAO konnte insgesamt aufgehoben werden.5 Die Zulassung erfolgt nunmehr lediglich zur Rechtsanwaltschaft, vgl. § 4 BRAO.
2
1 2 3 4 5
Art. 1 Nr. 13 des Gesetzes v. 26.3.2007 (BGBl. I, S. 358, 359). Bereits sehr früh Schumann, NJW 1990, 2089, 2093 mit Hinweis auf den geschichtlichen Hintergrund. Amtl. Begründung BT-Drs. 16/513, S. 12; Horn, BRAK-Mitt. 2007, 95; Dahns, NJW 2007, 1553 (1554). Amtl. Begründung BT-Drs. 16/513, S. 13. Amtl. Begründung BT-Drs. 16/513, S. 22; BR-Drs. 16/3837, S. 24.
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§ 27 BRAO Rz. 3
Kanzlei
3
Der Kanzleisitz richtet sich zukünftig nach der Zuständigkeit der Regionalkammer und nach der Mitgliedschaft in einer solchen. Dementsprechend wurde § 60 BRAO angepasst (vgl. auch § 33 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 12 Abs. 3 BRAO).
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Die gesonderte Zulassung beim BGH besteht allerdings weiterhin.1 Nach wie vor kann gem. § 164 BRAO dort nur zugelassen werden, wer durch den Wahlausschuss für Rechtsanwälte bei dem BGH benannt wird. Die Kanzlei ist am Sitz des BGH einzurichten und zu unterhalten, § 172b BRAO.
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Lediglich wegen der Ortsbezogenheit der Regelungen2 und vor allem wohl aus Kostengründen wurde in den §§ 78c Abs. 1 und 121 Abs. 3 ZPO ein Bezug zwischen Kanzleisitz und Gerichtsbezirk aufrechterhalten. Es soll in der Regel ein in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassener Rechtsanwalt beigeordnet werden.
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Resultierend aus dem Wegfall der Singularzulassung wurden im zweiten Abschnitt der BRAO neben § 18 BRAO alle Vorschriften gestrichen, die die Zulassung bei den Gerichten als Regelungsgegenstand hatten (§§ 19–21, 23, 25, 33a, 34, 35 BRAO a.F.). Die Vereidigung, die bislang in § 26 BRAO a.F. geregelt war, wird nun in den allgemeinen Zulassungsvorschriften geregelt (§ 12a BRAO). Auch wenn die Vereidigung nach geltendem Recht bislang in öffentlicher Sitzung durch den Vorsitzenden des Gerichts erfolgt ist, handelt es nicht um die Ausübung rechtsprechender Gewalt i.S.d. Art. 92 GG, sondern um eine unmittelbare dem Gericht zugewiesene Justizverwaltungsaufgabe im materiellen Sinn. Eine Übertragung auf die Rechtsanwaltkammer ist daher verfassungsrechtlich möglich.3
7
Schließlich wurden die Vorschriften der ZPO (§§ 78, 78c, 91, 121, 157, 571) und StPO (§§ 138, 142) sowie zahlreiche andere Normen angepasst. Nicht berücksichtigt wurde dabei, den § 234 S. 2 BRAO anzupassen bzw. zu streichen. § 234 S. 2 BRAO sprach noch vom Wechsel der Zulassung. Mit der BRAO-Novelle 2009 (vgl. Rz. 14) wurde die Norm aber endgültig aufgehoben. II. Aufhebung des Zweigstellenverbots
8
Das Verbot der Zweigstellen und Sprechtage in § 28 BRAO a.F. wurde aufgehoben.4 Es fand seine Berechtigung u.a. in der Funktion, Umgehungen des Lokalisierungsgebots zu verhindern.5 Mit dem Wegfall des § 18 BRAO wurde die Vorschrift obsolet. Der Gesetzgeber war zudem der Ansicht, die Regelung hätte aufgrund der veränderten Verkehrsverhältnisse und Kommunikationsmöglichkeiten ihre praktische Bedeutung bereits weitgehend verloren.6 Zuletzt zweifelte auch die anwaltsgerichtliche Rechtsprechung in Abkehr von der früheren höchstrichterlichen Rechtsprechung und Teilen der Literatur folgend an der Verfassungsmäßigkeit des § 28 BRAO a.F. Sie setzte die Verfahren aus und legte dem BVerfG die Frage gem. Art. 100 Abs. 1 GG vor.7 Zu einer Entscheidung des BVerfG kam es nicht mehr.
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Da ein ausdrückliches Verbot der Zweigstellen und Sprechtage nunmehr fehlt, entspricht die Rechtslage wieder der Rechtsanwaltsordnung (RAO) von 1878. Erst mit Beginn des Dritten Reichs erschuf die Rechtsprechung des Ehrengerichtshofs für Rechtsanwälte unter Beachtung nationalsozialistischer Gedanken das Zweigstellenverbot, das sodann in der Reichs-Rechtsanwaltsordnung des Jahres 1936 kodifiziert wurde.8 Ob sich allerdings die Verhältnisse des Anwaltsmarktes vor der Schaffung des Zweigstellenverbots auf die heutige Lage übertragen lassen und welche Probleme in der Praxis durch die Aufhebung des Zweigstellenverbots entstehen, wird sich zeigen.
10
Insbesondere ist zu bemerken, dass der Gesetzgeber das Zweigstellenverbot ohne weitere Rechtsgestaltung lediglich aufgehoben hat. Obwohl der Gesetzgeber bspw. in den §§ 27 1 2 3 4
5 6 7 8
Amtl. Begründung BT-Drs. 16/513, S. 22; vgl. § 78 Abs. 1 S. 3 ZPO n.F. Amtl. Begründung BT-Drs. 16/513, S. 19. Amtl. Begründung BT-Drs. 16/513, S. 12. Hommerich/Kilian, NJW 2007, 2308 (2311) zur Bewertung durch die Anwaltschaft; zum 1.7.2008 wurde mit dem Gesetz zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts v. 12.12.2007 (BGBl. I, S. 2840), auch die Erlaubnispflichtigkeit von Zweigstellen nach dem Rechtsberatungsgesetz aufgehoben, vgl. 1. AVO RBerG § 1 Abs. 1 S. 2. Amtl. Begründung BT-Drs. 16/513, S. 15; Römermann, AnwBl. 2007, 609 zum geschichtlichen Hintergrund. Amtl. Begründung BT-Drs. 16/513, S. 15; Dahns, NJW-Spezial 2006, 189. AGH Nordrhein-Westfalen, BRAK-Mitt. 2006, 177; Hamburgisches AnwG, BRAK-Mitt. 2006, 227; Feuerich/ Weyland, § 28 Rz. 8; Henssler/Prütting/Prütting, 2. Aufl., § 28 Rz. 4; a.A. noch BGH, NJW 1998, 2533 (2535). Ausführlich hierzu Schumann, NJW 1990, 2089 (2093).
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Kanzlei
Rz. 12 § 27 BRAO
Abs. 2, 31 BRAO wie selbstverständlich von einer Zweigstelle neben einer Kanzlei ausgeht, fehlt jegliche Definition derselben. Die Satzungsversammlung hat daher mittlerweile über § 59b Abs. 2 Nr. 1 lit. g BRAO – ebenso wie für die Kanzlei – in § 5 BORA eine konkretisierende Bestimmung geschaffen (vgl. § 5 BORA, Rz. 1 ff., S. 413 ff.). Häufig wurde in dem anwaltlichen Zweigstellenverbot eine Ungleichbehandlung gegenüber Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern gesehen.1 Die §§ 34 Abs. 2 S. 1 und 2 StBerG und 47 WiPrO gestatten nämlich Zweigstellen;2 sie enthalten aber auch enge Voraussetzungen.3 Denn die jeweilige Zweigstelle muss grundsätzlich von einem Berufsträger geleitet werden, der seinen Sitz am Ort der Niederlassung hat.4 Mit der Streichung des § 28 BRAO hat das anwaltliche Berufsrecht (neben dem der Patentanwälte)5 nunmehr die liberalste Regelung, nämlich gar keine mehr.6 Es ist nun an den Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern die Ungleichbehandlung nach Art. 3 Abs. 1 GG zu rügen. Ob dies von dem Gesetzgeber wirklich gewollt war, erscheint fraglich.
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III. Keine Versagungsgründe mehr nach § 20 BRAO a.F. Eine doppelte Bedeutung innerhalb der BRAO-Reform des Jahres 2007 hat die Streichung des § 20 BRAO a.F.: Zum einen können Richter und Beamte zukünftig nach ihrem Ausscheiden aus dem Staatsdienst auch in dem Amts-, Land- oder Oberlandesgerichtsbezirk als Rechtsanwälte ihre Kanzlei einrichten, in dem sie zuletzt – auch über längere Zeit – tätig waren. Dies ist insofern konsequent, als dass die Zulassung bei einem bestimmten Gericht schon gar nicht mehr möglich ist und damit auch nicht mehr versagt werden kann. Dennoch hat der Gesetzgeber übersehen, dass der Schutzzweck des § 20 Abs. 1 Nr. 1 BRAO a.F. nicht durch die Aufhebung der Singularzulassung weggefallen ist. Denn schon vorher war jeder Rechtsanwalt vor allen Amts-, Land- und Oberlandesgerichten postulationsfähig, das heißt, er konnte vor einem Gericht als Rechtsanwalt auftreten, selbst wenn er sich bei diesem nicht zulassen durfte. Die verfassungskonforme Norm diente der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege, insbesondere dem Schutz der Unabhängigkeit der Gerichte.7 Es sollte die Gefahr – auch nur des Anscheins – unsachgemäßer Beeinflussung der Rechtspflege vermieden werden. Diese Gefahr besteht auch heute noch, wenn der Rechtsanwalt in dem Bezirk desjenigen Gerichts seine Kanzlei und den Mittelpunkt seiner Anwaltstätigkeit einrichtet, das in räumlicher Nähe zu seiner früheren Tätigkeit als Richter oder Beamter auf Lebenszeit steht.8 Eine dieser Gefahr vorbeugende Regelung hätte ohne weiteres beispielsweise in § 27 Abs. 1 BRAO verortet werden können. Freilich ist aber zu berücksichtigen, dass eine anwaltliche Tätigkeit von Richtern und Staatsanwälten im Ruhestand bspw. nach den bayerischen Vollzugsvorschriften zum Nebentätigkeitsrecht (Nr. 8.2 Abs. 3 der Bekanntmachung vom 1.9.2009 – Gz. 2003 - V - 2114/09) dahingehend eingeschränkt ist, dass diesen nach § 41 S. 2 BeamtStG, § 71 DRiG untersagt ist, vor dem Gericht aufzutreten, dem sie zuletzt angehört haben. 1 Hamburgisches AnwG, BRAK-Mitt. 2006, 227; Kleine-Cosack, 4. Aufl., § 28 Rz. 13. 2 Das Zweigstellenverbot in § 28 Abs. 1 S. 1 PatAnwO wurde ebenfalls erst mit Wirkung zum 1.6.2007 aufgehoben, Art. 6 Nr. 1 des Gesetzes v. 26.3.2007 (BGBl. I, S. 358). 3 Das StBerG regelt in § 34 Abs. 2 S. 1 f., dass weitere Beratungsstellen unterhalten werden können, soweit dadurch die Erfüllung der Berufspflichten nicht beeinträchtigt wird. Leiter der weiteren Beratungsstelle muss jeweils ein anderer Steuerberater oder Steuerbevollmächtigter sein, der seine berufliche Niederlassung am Ort der Beratungsstelle oder in deren Nahbereich hat. § 47 WiPrO statuiert, dass Zweigniederlassungen jeweils von wenigstens einem Wirtschaftsprüfer geleitet werden müssen, der seine berufliche Niederlassung am Ort der Zweigniederlassung hat. Für Zweigniederlassungen von in eigener Praxis tätigen Wirtschaftsprüfern kann die Wirtschaftsprüferkammer Ausnahmen zulassen. 4 So auch § 7a der österreichischen Rechtsanwaltsordnung (RAO). 5 § 28 PatAnwO wurde ebenfalls durch Art. 6 Nr. 1 des Gesetzes v. 26.3.2007 (BGBl. I, S. 358) mit Wirkung v. 1.6.2007 aufgehoben. 6 Für Vertragsärzte gilt seit 1.1.2007 das neue Vertragsarztänderungsgesetz v. 22.12.2006 (BGBl. I S. 3439) und seit 1.7.2007 der neue Bundesmantelvertrag – Ärzte. Nach dem neuen § 24 Abs. 3 der Zulassungsverordnung für Vertragsärzte und dem neuen § 15a BMV-Ä ist die vertragsärztliche Tätigkeit an weiteren Orten außerhalb des Vertragsarztsitzes unter erleichterten Umständen zulässig. Vgl. zur Auslegung des neuen § 24 Abs. 3 ZulVO, BSG, Entsch. v. 9.2.2011 – B 6 KA 7/10 R, B 6 KA 12/10 R, B 6 KA 49/09 R und B 6 KA 3/10 R. Im Übrigen BSG, MedR 2010, 511 (Genehmigung einer Zweig[Filial-]praxis); LSG Schleswig-Holstein, NZS 2009, 530 (Voraussetzungen einer Ermächtigung für eine Zweigpraxis), SG Dortmund, MedR 2008, 242 (Genehmigung einer Zweig[Filial-]praxis). 7 BGH, NJW-RR 1999, 572. 8 BGH, NJW 2003, 965 (966).
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12
§ 27 BRAO Rz. 13 13
Kanzlei
Zum anderen fiel die nach Erstzulassung beginnende fünfjährige Wartefrist weg für die Befugnis, vor den Oberlandesgerichten auftreten zu dürfen.1 Mithin ist nunmehr zukünftig jeder (neu) zugelassene Rechtsanwalt sofort bei den Oberlandesgerichten postulationsfähig. Der Gesetzgeber war der Auffassung, die Berufung vom Amtsgericht zum Landgericht unterscheide sich hinsichtlich der Anforderungen an Kenntnisse und Fähigkeiten des Rechtsanwalts nicht von der Berufung vom Landgericht zum Oberlandesgericht. Vom Amtsgericht zum Landgericht könne aber jeder Rechtsanwalt Berufung einlegen. Die Höhe des Streitwerts stelle kein sachgerechtes Kriterium dar, um einen Teil der Rechtsanwaltschaft die Vertretung vor dem Oberlandesgericht zu versagen. Ferner sei der reine Zeitablauf kein geeignetes Qualitätskriterium für die Befugnis zur Vertretung vor den Oberlandesgerichten. Die Fünfjahresfrist knüpfe allein an die Tatsache der Zulassung an. Eine Zulassung könne daher auch durch Berufsträger „erlangt“ werden, die nicht oder nur in geringem Umfang forensisch tätig seien. Außerdem bestehe die Gefahr, dass die Fünfjahresfrist insbesondere in Sozietäten umgangen werde. Häufig würden dort nur pro forma die bei Oberlandesgerichten zugelassenen Rechtsanwälte auftreten; die umfassende Bearbeitung des Mandats bliebe aber den Kollegen überlassen, die dieses bereits in der Vorinstanz betreut haben, aber nicht die Voraussetzungen der fünfjährigen Wartefrist erfüllen. Dies bedeute zugleich für all diejenigen Rechtsanwälte einen erheblichen Wettbewerbsnachteil, die keinen Sozius haben, der bei einem Oberlandesgericht zugelassen ist.2 Der Gesetzgeber hat in diesem Zusammenhang leider übersehen, auch § 226 Abs. 2 BRAO aufzuheben. Dies wäre notwendig gewesen, da aufgrund des Urteils des BVerfG vom 13.12.2000 lediglich die Beschränkung auf die in § 226 Abs. 2 BRAO genannten Länder gegenstandslos wurde.3 Die Aufhebung erfolgte aber mittlerweile durch die BRAO-Novelle 2009 (vgl. Rz. 14 f.). IV. Verfahrensmodernisierung
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Mit dem Gesetz zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariellen Berufsrecht, zur Errichtung einer Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft sowie zur Änderung sonstiger Vorschriften vom 30.7.2009 („BRAO-Novelle 2009“),4 das am 1.9.2009 in Kraft getreten ist, sind im Zweiten Abschnitt des Zweiten Teils der BRAO wiederum einige Änderungen durch den Gesetzgeber vorgenommen worden. Alle über die BRAO verteilten Verfahrensvorschriften wurden in dem Dritten Abschnitt „Verwaltungsverfahren“ zusammengefasst. Das VwVfG wurde für anwendbar erklärt (§ 32 BRAO).
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In diesem Zusammenhang wurden die erst neu durch das Gesetz zur Stärkung der Selbstverwaltung eingeführten § 27 Abs. 3 S. 4 und 5 BRAO wieder aufgehoben. S. 4 regelte die Mitteilung des Aufnahmedatums durch die aufnehmende Kammer an die abgebende Kammer. Die Mitteilung hat nun nach dem neuen § 36 Abs. 2 i.V.m. § 27 Abs. 3 S. 3 BRAO zu erfolgen.5 Satz 5 regelte die Mitteilung über den Zeitpunkt des Erlöschens der Mitgliedschaft an eine gegebenenfalls zuständige Notarkammer. Diese Mitteilungspflicht wird in § 36 Abs. 4 BRAO nunmehr einheitlich geregelt.6 V. Anwendungsbereich
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Der Zweite Abschnitt im Zweiten Teil der BRAO gilt entsprechend der Überschrift „Die Zulassung des Rechtsanwalts“ zunächst nur für deutsche Rechtsanwälte. Europäische Rechtsanwälte unterliegen nach § 4 Abs. 1 EuRAG ebenfalls der deutschen Kanzleipflicht nach § 27 BRAO.7 Für ausländische Anwälte nach § 206 BRAO galt bislang § 27 BRAO explizit nicht, § 207 Abs. 2 S. 1 BRAO a.F. Dies ist historisch zu erklären, weil ursprünglich in den §§ 18 ff. BRAO a.F. die Zulassung bei den Gerichten geregelt war, die ausländischen Rechtsanwälte allerdings nicht postulationsfähig sind und daher nach alter Rechtslage auch nicht bei den Gerichten zugelassen waren. Deren zu § 27 BRAO identische Kanzleipflicht ergab sich daher aus § 207 Abs. 3 S. 1 BRAO a.F. Mit dem Gesetz zur Stärkung der Selbstverwal1 Hierzu Horn, BRAK-Mitt. 2007, 95; Dahns, NJW 2007, 1553 (1554); Hommerich/Kilian, NJW 2007, 2308 (2309) zur Bewertung durch die Anwaltschaft. 2 Amtl. Begründung BT-Drs. 16/513, S. 22; kritisch Kleine-Cosack, AnwBl. 2007, 210. 3 BVerfG, NJW 2001, 353. 4 BGBl. I, S. 2449. 5 BT-Drs. 16/11385, S. 51. 6 BT-Drs. 16/11385, S. 52. 7 Henssler/Prütting/Lörcher, § 4 EuRAG Rz. 7.
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Rz. 21 § 27 BRAO
tung und dem Wegfall der Singularzulassung hätte der Gesetzgeber eigentlich auch gleich einen Verweis auf die allgemeine Kanzleipflicht einfügen können. Dies geschah allerdings aufgrund eines Redaktionsversehens erst im Rahmen der BRAO-Novelle 2009 (vgl. Rz. 14).1 Die §§ 27 und 29 bis 31 BRAO wurden für ausländische Rechtsanwälte wieder in Bezug genommen. Nicht generell in Bezug genommen werden diese Vorschriften allerdings für Rechtsanwaltsgesellschaften, § 59m Abs. 2 BRAO. Daher stellt der im Rahmen der BRAO-Novelle 2009 neu geschaffene § 59i S. 2 BRAO mit Verweis auf § 27 Abs. 3 BRAO eine praktikable Regelung für den Kammerwechsel dar. Im Rahmen der BRAO-Novelle 2009 wurde § 209 Abs. 1 S. 3 BRAO dahingehend geändert, dass u.a. der Verweis auf § 27 BRAO nicht mehr explizit ausgeschlossen ist. Verkammerte Rechtsbeistände haben somit ebenfalls die allgemeine Kanzleipflicht zu beachten. Der Gesetzgeber begründet dies mit der Aufhebung des RBerG einschließlich seiner Ausführungsverordnungen und der Einführung des RDG zum 1.7.2008. Damit seien auch die Regelungen über die örtliche Begrenzung der Erlaubnis weggefallen, aus denen bisher eine Pflicht zur Unterhaltung eines Geschäftssitzes abgeleitet worden sei (§ 1 der AVO zum RBerG). Mit dem ersatzlosen Wegfall dieser Sonderregelungen entfalle auch der Grund für die Nichtanwendbarkeit der Vorschriften der BRAO über die Kanzleipflicht, zumal auch die BRAO nunmehr die für Rechtsbeistände schon seit jeher zulässigen Zweigstellen erlaube. Deshalb sei es nicht mehr angezeigt, die §§ 27 und 29 bis 30 BRAO von der Geltung für Kammerrechtsbeistände auszunehmen. Deren bisheriger Geschäftssitz entspreche der Kanzlei; auch Ausnahmen sollten wie für Rechtsanwälte künftig möglich sein.2
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B. Zweck der Norm Die Norm beabsichtigt, im Sinne einer geordneten Rechtspflege Regelungen für die Einrichtung und Unterhaltung von Kanzlei und Zweigstelle bereitzustellen. Sinn und Zweck der Norm können daher nur an Sinn und Zweck der Kanzlei festgemacht werden. Gerade durch die aktuellen Änderungen in der BRAO und die ständige Modernisierung der anwaltlichen Berufsausübung befindet sich der Kanzleibegriff allerdings im steten Wandel. Sinn und Zweck der Kanzleipflicht müssen ständig neu untersucht und angepasst werden.
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Die Kanzlei hat für die anwaltliche Tätigkeit eine überragende Bedeutung. Sie ist untrennbar mit ihr verknüpft. Der Status des Rechtsanwalts definiert sich auch über seine Kanzlei; diese ist für ihn somit statusbegründend. Mit der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft tritt der Rechtsanwalt als Organ der Rechtspflege (§ 1 BRAO) zugleich auch in ein besonderes Pflichtenverhältnis ein. Er übernimmt besondere Verpflichtungen und Verantwortlichkeiten für die Rechtspflege im demokratischen Gemeinwesen. Dazu gehören mitunter die Einhaltung des Verbots widerstreitender Interessen (§ 356 StGB, § 43a Abs. 4 BRAO, § 3 BORA) und die Beachtung der Schweigepflicht (§ 203 Abs. 1 Nr. 2 und 3 StGB, § 43a Abs. 2 S. 1 BRAO, § 2 BORA). Die Rechtsordnung stattet den Rechtsanwalt aus diesem Grund mit besonderen Privilegien aus.3 Gemeint sind u.a. das Zeugnisverweigerungsrecht (bspw. § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StPO) und das Recht zur Teilnahme an vereinfachten Zustellungen (§§ 174, 195 ZPO) (vgl. § 30 BRAO Rz. 11).4 Die Pflicht zur Einrichtung einer Kanzlei muss daher im Kontext dieser Rechte und Pflichten gesehen werden.
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Die Kanzlei ist damit Teil einer geordneten Rechtspflege. Die Interessen der Rechtspflege sind in hohem Maß gefährdet, wenn ein Rechtsanwalt keine Kanzlei unterhält, polizeilich nicht gemeldet ist und für Zustellungen und Zwangsvollstreckungen in laufenden Verfahren regelmäßig nicht zu erreichen ist.5
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I. Zentrum für Kommunikation6 Die geordnete Arbeit des Rechtsanwalts kann nur mit einem örtlich klar erkennbaren und während der üblichen Geschäftszeiten erreichbaren Büro geleistet werden, mithin einem 1 2 3 4 5 6
BT-Drs. 16/11385, S. 79. BT-Drs. 16/11385, S. 80. Sächsischer AGH, BRAK-Mitt. 2005, 31 (33). Henssler/Prütting/Prütting, § 30 Rz. 3. BGH, BRAK-Mitt. 1993, 171. Begrifflichkeit geprägt durch Schumann, NJW 1990, 2089 (2092); Feuerich/Weyland, § 27 Rz. 5 mit Verweis auf AGH NRW, Beschl. v. 16.5.2003 – 1 ZU 90/02.
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§ 27 BRAO Rz. 22
Kanzlei
Mindestmaß an Kommunikation und Erreichbarkeit.1 Es muss eine räumlich eindeutig definierte Stelle geben, an die alle für den Anwalt bestimmten Zustellungen, Mitteilungen und sonstigen Nachrichten wirksam gerichtet werden können. Mithin bildet die Kanzlei das Zentrum der Kommunikation für den betreffenden Anwalt und dient als Anlaufstelle für Gerichte, Behörden, Kollegen und Mandanten.2 Für Gerichte und Behörden, die der Rechtsanwalt zur Wahrung der Rechte des Mandanten anruft, muss erkennbar sein, wo der Rechtsanwalt zu erreichen ist.3 1. Zustellanschrift 22
Der Kanzleizweck, dass Zustellungen, Mitteilungen und sonstige Nachrichten wirksam an den Rechtsanwalt gerichtet werden können, setzt eine taugliche Zustellanschrift voraus.4 Eine zweckentsprechende und sachgerechte Vertretung, die ein wesentliches Element einer geordneten Rechtspflege ist,5 ist ohne eine geeignete Zustellanschrift nicht vorstellbar. Auch der Anwaltszwang dient einer geordneten Rechtspflege und liegt zugleich im Interesse der Prozessparteien.6 Vor diesem Hintergrund muss der Anwalt für seine Mandanten eine taugliche Zustellanschrift vorhalten. Auch bei der Verwendung neuer Kommunikationsformen, die unter anderem ursächlich für den Wegfall des Lokalisierungsgebots waren, ist er von dieser Pflicht nicht entbunden.
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Die Zustellung ist nämlich ein wesentliches Element der Rechtspflege, da nur dadurch sichergestellt wird, dass der Zustellungsadressat nachweisbar Kenntnis von einem Dokument erhalten konnte.7 Dies erst rechtfertigt, an die Bekanntgabe einer Entscheidung oder eines Schriftstücks prozessuale Wirkungen zu knüpfen.8 Der Postulationszwang in § 78 ZPO hat somit auch die Funktion, in den Verfahren des höheren Rechtszugs und in Familiensachen einen reibungslosen Verfahrensablauf dadurch sicher zu stellen, dass Zustellungen zumindest an einen Prozessbevollmächtigten erfolgen können. Korrespondierend dazu sehen die §§ 174 und 195 ZPO vereinfachte Formen der Zustellung und § 172 ZPO eine entsprechende Pflicht zur Zustellung an den Prozessbevollmächtigten vor. Diese Zustellungsverfahren knüpfen an das Bestehen einer Kanzlei an.9 Sie sind Bestandteil der privilegierten Stellung, die Rechtsanwälte als Organe der Rechtspflege haben.10 Durch sie wird sichergestellt, dass der Mandant über die Bedeutung der zugestellten Schriftstücke und die laufenden Fristen (rechtzeitig) aufgeklärt wird.11 Für den Prozessbevollmächtigten, in dessen Verantwortung die Prozessführung liegt, wird durch sie gewährleistet, dass er im gesamten Verfahren Kenntnis von zuzustellenden Schriftstücken nehmen kann.12
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Beachtenswert ist allerdings der Beschluss des BGH vom 18.10.2010.13 Ist die Zulassung des Rechtsanwalts bestandskräftig widerrufen, oder die sofortige Vollziehung der Widerrufsverfügung angeordnet, kann eine Ersatzzustellung nach §§ 178, 180 ZPO in den bisherigen Kanzleiräumen grundsätzlich nicht mehr wirksam vorgenommen werden.14 Die Kanzleiräume haben ihre Eigenschaft als Kanzleiräume verloren. Dies gilt auch dann, wenn der Rechtsanwalt diese weiterhin nutzt, um seine Zulassungsangelegenheit oder andere persönliche Angelegenheiten zu betreiben. Die Grundsätze über die Zustellung kraft Rechtsscheins, die in Betracht kommt, wenn der Rechtsanwalt trotz Anordnung der sofortigen Vollziehung oder bestandskräftigem Zulassungswiderruf gegenüber dem rechtsuchenden Publikum den Anschein erweckt, er unterhalte weiterhin eine Kanzlei,15 greifen nicht ein, 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15
Koch/Kilian, Rz. 188. Koch/Kilian, Rz. 188; Schumann, NJW 1990, 2089 (2092). AGH Berlin, BRAK-Mitt. 2012, 273 (275) unter Berufung auf AGH Koblenz, Beschl. v. 26.8.1999 – 2 AGH 3/99. H.M. vgl. bspw. Dahns, NJW-Spezial 2007, 495. EGH München, BRAK-Mitt. 1987, 41 mit Verweis auf BGH, Beschl. v. 21.4.1980 – AnwZ (B) 1/80. Zöller/Vollkommer, § 78 ZPO Rz. 2. Zöller/Stöber, Vor § 166 ZPO Rz. 1; vgl. auch § 14 BORA. Zöller/Stöber, Vor § 166 ZPO Rz. 1; als öffentliche Urkunde i.S.d. § 418 ZPO erbringt das Empfangsbekenntnis des Bevollmächtigten bspw. vollen Beweis dafür, dass der darin angegebene Zustellungszeitpunkt der Wirklichkeit entspricht, VG München, BayVBl. 2007, 287. BGH, VersR 1982, 273. BGH, NJW 1982, 1650. Zöller/Vollkommer, § 78 ZPO Rz. 2: Parteibezogene Zwecke des Anwaltszwangs sind Verfahrens- und Gefahrenschutz sowie Warn- und Beratungsfunktion. Zöller/Stöber, § 172 ZPO Rz. 1. BGH, Beschl. v. 18.10.2010 – AnwZ (B) 22/10, BRAK-Mitt. 2011, 80. So bereits BGH, Beschl. v. 8.2.2010 – AnwZ (B) 91/08, Rz. 3, BeckRS 2010, 14035. Vgl. BGH, NJW-RR 1993, 1083.
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wenn die Beteiligten positive Kenntnis davon haben, dass die Zulassung des Antragstellers bestandskräftig widerrufen war. 2. Erreichbarkeit Die Kanzlei hat den Zweck, dass der Rechtsanwalt dem rechtsuchenden Publikum darin zu angemessenen Zeiten für anwaltliche Dienste persönlich zur Verfügung steht.1 Man mag Zweifel haben, ob das Erfordernis an die physische Anwesenheit eines Rechtsanwalts in seinen eigenen Büroräumen heute noch dem Berufsbild der Anwaltschaft und den Anforderungen des rechtsuchenden Publikums entspricht. Jeder Rechtsuchende verfügt heute über ein Telefon. Er wird sich grundsätzlich vor dem Besuch eines Rechtsanwalts telefonisch versichern, ob er diesen zu einem bestimmten Termin auch antrifft. Terminabsprachen sind mittlerweile üblich. Rechtsanwälte gehen zunehmend dazu über, ihre Mandanten persönlich zu besuchen. Die Internationalisierung und Globalisierung des Wirtschaftsverkehrs führt auch dazu, dass der Rechtsanwalt seinen Geschäften außerhalb seines Kanzleisitzes nachgeht und daher nur noch selten in seinen Kanzleiräumen anzutreffen ist.2
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Gerade Syndikusanwälte werden während der üblichen Geschäftszeiten überhaupt nicht in ihrer Kanzlei sein, sofern die Kanzlei nicht gerade in den Räumen des Arbeitgebers eingerichtet worden ist.3 Häufig berufen sich Rechtsanwälte darauf, dass sie Laufkundschaft ohnehin ablehnen würden und bei der Annahme von Mandaten frei seien (vgl. § 44 BRAO). Mit dem Wegfall des Zweigstellenverbots und der Möglichkeit, Kanzleien im Ausland einzurichten (§ 29a Abs. 1 BRAO), können Anwälte oftmals gar nicht persönlich anwesend sein. Dies gilt ebenso bei Wahrnehmung von Terminen außerhalb der Kanzlei.
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Dem hält die Rechtsprechung zu Recht entgegen, dass der Rechtsanwalt bestimmte Hilfeleistungen i.S.e. geordneten Rechtspflege sehr wohl übernehmen muss (vgl. §§ 48–49a BRAO).4 Damit ist freilich nicht gesagt, dass diese Pflichten nicht schriftlich übertragen werden könnten. Doch sind trotz moderner Kommunikationstechniken immer noch mündliche Verhandlungen vor Gerichten notwendig (§ 128 Abs. 1 ZPO). Die Terminierung hierzu wird durch eine regelmäßige persönliche Anwesenheit des Rechtsanwalts in seiner Kanzlei erleichtert.5 Zudem kann auf § 53 Abs. 1 Nr. 2 BRAO verwiesen werden. Danach hat der Rechtsanwalt für seine Vertretung zu sorgen, wenn er sich länger als eine Woche von seiner Kanzlei entfernen will. Umgekehrt bedeutet dies, dass der Rechtsanwalt im Regelfall mindestens einmal pro Woche persönlich in der Kanzlei anwesend sein muss.6 Diese Vorschrift ist vom Gesetzgeber gerade nicht wie das Lokalisierungsgebot im Rahmen der BRAO-Änderungen aufgehoben worden.
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Im Ergebnis wird man davon ausgehen müssen, dass die Kanzleipflicht den Zweck hat, den Rechtsanwalt, der zwar nicht ständig persönlich anwesend sein muss, jedenfalls „zu den üblichen Geschäftszeiten normalerweise“ erreichen zu können.7 Sprechstunden von Dienstag 10:00 Uhr bis 12:00 Uhr, die bedeuten, dass der Anwalt seine anwaltlichen Dienste dem rechtsuchenden Publikum nur zu diesen Zeiten anbietet, können nach Ansicht des BGH schwerlich als angemessen angesehen werden.8
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3. Vertraulichkeit Die Kanzleiräume dienen als Ort, an dem vertrauliche Gespräche geführt werden können.9 Besondere Bedeutung erlangen in diesem Zusammenhang die Schutzvorschriften des § 100c Abs. 6 S. 1 und 2 StPO, die verfassungsgemäß sind und Schranken für das geheime Abhören und Aufzeichnen von Gesprächen in Kanzleiräumen darstellen.10 Gespräche mit Mandanten in Kanzleiräumen werden in der Regel von dem Schweigerecht des § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StPO erfasst sein. Damit der Rechtsanwalt dieses Privileg geltend machen kann, müssen die Besprechungsräume öffentlich – auch gegenüber Strafverfolgungsbehörden – als 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
St. Rspr., BGH, Beschl. v. 6.7.2009 – AnwZ (B) 26/09; BGH, NJW 2007, 1420. Sächsischer AGH, BRAK-Mitt. 2005, 31 (33). Kilian/vom Stein/Offermann-Burckart, § 11 Rz. 25. Sächsischer AGH BRAK-Mitt. 2005, 31 (33). Zur beschränkten Postulationsfähigkeit in § 78 ZPO a.F., BVerfG NJW 1993, 3192. Dieser Ansicht folgend Offermann-Burckart/Dahns, § 1 Rz. 20. BGH, BRAK-Mitt. 2005, 86; Schumann, NJW 1990, 2089 (2092) (für jederzeitige Erreichbarkeit). BGH, BRAK-Mitt. 2005, 86. Sächsischer AGH, BRAK-Mitt. 2005, 31 (33). BVerfG, NJW 2007, 2753 (2756).
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§ 27 BRAO Rz. 29
Kanzlei
Kanzlei definiert werden. Die Kanzlei dient dem Aufbau einer Schutzsphäre und zur Abwehr von Grundrechtseingriffen durch den Staat. Dabei ist die Kanzlei selbst über Art. 13 Abs. 1 GG geschützt.1 Das Vertrauensverhältnis zum Mandanten unterliegt dem Schutz des Art. 12 Abs. 1 GG, der die freie Berufsausübung des Rechtsanwalts und damit auch das Vertrauensverhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandant schützt.2 Die Mandanten werden durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) geschützt, weil sie sich nicht auf Art. 13 GG berufen können. Sofern ein Rechtsanwalt als Nichtbeschuldigter einer strafprozessualen Telefonüberwachung unterzogen wird, kann die zugrunde liegende Ermächtigungsgrundlage gegen Art. 8 EMRK verstoßen.3 29
Da Mandantengespräche auch telefonisch erfolgen können, muss dem Staat gegenüber eindeutig definiert werden, welche Telekommunikationseinrichtungen einer Kanzlei zugehörig und damit im Rahmen des § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 (Verteidiger) und 3 (Rechtsanwälte und sonstige Mitglieder einer Rechtsanwaltskammer) StPO besonders schützenswert sind. Ein Eingriff in das Fernmeldegeheimnis, das über Art. 10 GG verfassungsrechtlich geschützt ist, kann zunächst dadurch erfolgen, dass die Verbindungsdaten der Telekommunikationseinrichtungen durch die Ermittlungsbehörden abgefragt werden. Diesbezüglich wurde für Strafverteidiger in § 160a Abs. 1 S. 1 StPO ein weitreichendes Beweiserhebungs- und in Satz 2 ein Beweisverwertungsverbot eingeführt.4 Bei Rechtsanwälten mit anderem Tätigkeitsgebiet galt zunächst nur der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in besonderem Maße, § 160a Abs. 2 StPO a.F. Die damalige Differenzierung des Gesetzgebers nach Verteidigern und Rechtsanwälten überzeugte ebenso wenig5 wie die fragwürdige Aussage in der Gesetzesbegründung, im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung nach § 160a Abs. 2 StPO sei „insbesondere“ das Vertrauensverhältnis zum Arzt besonders schützenswert (und nicht auch das Vertrauensverhältnis zum Rechtsanwalt).6 Dementsprechend wurde in der 17. Legislaturperiode durch die neue Regierung auf Initiative des Koalitionspartners FDP ein neuer Gesetzesentwurf eingebracht, der Verteidiger und Rechtsanwälte zukünftig gleichstellen solle.7 Es wurde damit auf die teilweise scharfe Kritik von BRAK und DAV sowie zahlreichen Stimmen aus der Literatur reagiert.8 Konsequenterweise wurden durch den Gesetzgeber nunmehr mit dem Gesetz zur Stärkung des Schutzes von Vertrauensverhältnissen zu Rechtsanwälten im Strafprozessrecht vom 22.12.20099, in Kraft getreten am 1.2.2011, allgemein alle Rechtsanwälte unter den Schutz des absoluten Verwertungsverbots gestellt.
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Im Rahmen der Überwachung der Telekommunikation (also dem eigentlichen Abhören von Gesprächen) sieht zwar auch § 100a StPO keine speziellen Schutzvorschriften vor.10 Es gilt jedoch für Rechtsanwälte auch hier § 160a Abs. 1 StPO. Nach alter Rechtslage wurde aus § 148 StPO gefolgert, dass der mündliche – also auch fernmündliche – Kontakt zwischen Verteidiger und Beschuldigtem nicht der Überwachung unterliege.11 Das BVerfG bestätigte diese Ansicht.12 Die Überwachung des Telefonanschlusses eines Strafverteidigers sei nicht nur einfach-rechtlich, sondern auch im Hinblick auf die Verfassung unstatthaft, wenn sie auf die Überwachung der Kommunikation mit seinem einer Katalogtat beschuldigten Mandanten abziele. Eine derartige Abhörmaßnahme stünde in unlösbarem Widerspruch zur Rechtsgarantie des unüberwachten mündlichen Verkehrs zwischen dem Strafverteidiger und dem Beschuldigten aus § 148 StPO. Diese Vorschrift sei Ausdruck der Rechtsgarantie, die der Gewährleistung einer wirksamen Strafverteidigung diene, indem sie die Vertrauensbeziehung zwischen dem Verteidiger und dem Beschuldigten nach außen abschirme und gegen Eingriffe schütze.13 Dem unüberwachten mündlichen Verkehr zwischen dem Strafverteidiger und seinem Mandanten komme auch die zur Wahrung der Menschenwürde wichtige Funk1 St. Rspr., zuletzt BVerfG, NJW 2006, 2974 (2975). 2 BVerfG, NJW 2006, 2974 (2975). 3 EGMR, ÖJZ 1999, 115 (Kopp ./. Schweiz); instruktiv zur Bedeutung der Wohnungsfreiheit nach Art. 8 EMRK bei den freien Berufen, Kleine-Cosack, AnwBl. 2009, 328. 4 Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG v. 9.11.2007 (BGBl. I, S. 3198). 5 Kritisch auch Puschke/Singelnstein, NJW 2008, 113, 117. 6 BT-Drs. 16/5846, S. 36. 7 BT-Drs. 17/2637. 8 Dahns, NJW-Spezial 2010, 126; Hassemer, AnwBl. 2008, 413 (419); Ignor, NJW 2007, 3403. 9 BGBl. I, S. 2261. 10 Zur alten Rechtslage: LG Frankfurt, NJW 1996, 1008 (1009) für den Fall der Presse. 11 KK/Nack, § 100a StPO Rz. 27 f. mit Verweis auf BGH, NStZ 1988, 562. 12 BVerfG, NJW 2007, 2749. 13 Mit Verweis auf BGH, NJW 1986, 1183 m.w.N.
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Rz. 34 § 27 BRAO
tion zu, darauf hinwirken zu können, dass der Beschuldigte nicht zum bloßen Objekt im Strafverfahren werde.1 Das BVerfG entschied zudem, dass die zum Zweck der Aufklärung und Verfolgung schwerer Straftaten angeordnete Telefonüberwachung gegen einen Rechtsanwalt einen unverhältnismäßigen Eingriff in dessen Grundrechte aus Art. 10 Abs. 1 und 12 Abs. 1 GG darstelle, wenn die Wahrscheinlichkeit, der Rechtsanwalt werde als Nachrichtenmittler von dem oder den Tätern kontaktiert werden, äußerst gering ist.2 Das Abhören der berufsbezogenen Gespräche des Rechtsanwalts berührt den Schutzbereich des Grundrechts aus Art. 12 Abs. 1 GG, das diesem eine von staatlicher Kontrolle und Bevormundung freie Berufsausübung gewährleistet und dazu insbesondere das Vertrauensverhältnis zwischen Anwalt und Mandant schützt.3 Maßnahmen, die geeignet sind, das Entstehen eines Vertrauensverhältnisses zwischen Rechtsanwalt und Mandant zu stören oder gar auszuschließen, greifen in die Berufsausübungsfreiheit des Rechtsanwalts ein. Die Tätigkeit des Rechtsanwalts liegt dabei auch im Interesse der Allgemeinheit an einer wirksamen und geordneten Rechtspflege. Die herausgehobene Bedeutung der unkontrollierten Berufsausübung eines Rechtsanwalts gebietet die besonders sorgfältige Beachtung der Eingriffsvoraussetzungen und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und muss Fachgerichte gegebenenfalls zu einer Ablehnung der Anordnung einer Telekommunikationsüberwachung veranlassen.4
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II. Geschützte räumliche Sphäre Die Kanzlei schafft eine geschützte räumliche Sphäre. Eine eindeutige Definition der Kanzleiräume weist die Ermittlungsbehörden rechtzeitig darauf hin, dass sich darin Gegenstände befinden können, die der Beschlagnahmefreiheit nach § 97 Abs. 1 StPO unterliegen.5 Es soll das Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StPO nicht umgangen werden können.6 Dieser Gesetzeszweck, der zeitlich schon bei der Beschlagnahmeanordnung zu berücksichtigen ist, macht auch die Anordnung und Durchführung der Durchsuchung (§ 103 StPO) unzulässig, wenn die gesuchten Sachen unter § 97 StPO fallen, und hindert auch die einstweilige Beschlagnahme nach § 108 Abs. 1 StPO.7 Das Zeugnisverweigerungsrecht des Rechtsanwalts, bei dem nach § 103 StPO durchsucht werden soll, steht also der Anordnung und Durchführung der Maßnahme nicht entgegen. Jedoch dürfen Durchsuchungen nicht zu dem Zweck vorgenommen werden, Gegenstände aufzuspüren, die nach § 97 StPO von der Beschlagnahme ausgenommen sind.8
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Die Durchsuchung auch beruflich genutzter Räume greift in schwerwiegender Weise in das Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 GG ein.9 Auch wenn eine solche Durchsuchung nicht unmittelbar den Schutzbereich der Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG berührt, haben die Strafverfolgungsbehörden das Ausmaß der – mittelbaren – Beeinträchtigung der beruflichen Tätigkeit des Betroffenen zu berücksichtigen. Die herausgehobene Bedeutung der Berufsausübung eines Rechtsanwalts für die Rechtspflege und für die Wahrung der Rechte seiner Mandanten gebietet die besonders sorgfältige Beachtung der Eingriffsvoraussetzungen und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Dabei mag die Beschlagnahme und die auf sie gerichtete Durchsuchung nicht generell ausgeschlossen sein, wenn ein als Strafverteidiger tätiger Rechtsanwalt selbst Beschuldigter in einem gegen ihn gerichteten Strafverfahren ist.10
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Die herausgehobene Bedeutung der unkontrollierten Berufsausübung eines Rechtsanwalts gebietet bei der Anordnung der Durchsuchung von Kanzleiräumen die besonders sorgfältige Beachtung der Eingriffsvoraussetzungen und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit.11 Ein Verstoß gegen diese Anforderungen liegt vor, wenn sich sachlich zurei-
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Mit Verweis auf BVerfG, NJW 2004, 999 (1004) – Großer Lauschangriff. BVerfG, NJW 2007, 2752 – El Masri. So auch schon BVerfG, NJW 2005, 1917 (1919). BVerfG, NJW 2007, 2752 (2753) – El Masri. Horn, BRAK-Mitt. 2007, 94 (95). Meyer-Goßner, § 97 StPO Rz. 1. Meyer-Goßner, § 97 StPO Rz. 1; vgl. mittlerweile auch § 160a Abs. 1 StPO. Meyer-Goßner, § 103 StPO Rz. 7. Das Gewicht des Eingriffs verlangt als Durchsuchungsvoraussetzung Verdachtsgründe, die über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen hinausreichen. BVerfG, BRAK-Mitt. 2011, 240. 10 BVerfG, NJW 2009, 2518; vgl. auch BayVerfGH, Entsch. v. 26.1.2011 – Vf. 129-VI-09, Vf. 129-VI/09, BeckRS 2011, 46287 – Parteiverrat. 11 BayVerfGH, Entsch. v. 26.1.2011 – 129-VI-09, BayVBl. 2012, 482.
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§ 27 BRAO Rz. 35
Kanzlei
chende plausible Gründe für eine Durchsuchung nicht mehr finden lassen.1 Das Gewicht der Unverletzlichkeit der Wohnung in Form einer Kanzlei verlangt als Durchsuchungsvoraussetzung Verdachtsgründe, die über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen hinausreichen.2 35
Zudem müssen die Ermittler bereits vor einer Durchsuchungsmaßnahme nach § 103 StPO in Kanzleiräumen nicht nur den Eingriff in die Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 1 GG) berücksichtigen. Richtet sich eine strafrechtliche Ermittlungsmaßnahme gegen einen Berufsgeheimnisträger in der räumlichen Sphäre seiner Berufsausübung, so bringt dies darüber hinaus regelmäßig die Gefahr mit sich, dass unter dem Schutz des Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG stehende Daten von Nichtbeschuldigten, etwa den Mandanten eines Rechtsanwalts, zur Kenntnis der Ermittlungsbehörden gelangen, die die Betroffenen in der Sphäre des Berufsgeheimnisträgers gerade sicher wähnen durften. Dadurch werden nicht nur die Grundrechte der Mandanten berührt. Der Schutz der Vertrauensbeziehung zwischen Anwalt und Mandant liegt auch im Interesse der Allgemeinheit an einer wirksamen und geordneten Rechtspflege. Diese Belange verlangen eine besondere Beachtung bei der Prüfung der Angemessenheit einer strafprozessualen Zwangsmaßnahme.3
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Selbst wenn eine Durchsuchung durchgeführt wird, muss die objektiv-rechtliche Bedeutung der anwaltlichen Tätigkeit und des rechtlich geschützten Vertrauensverhältnisses zwischen Rechtsanwalt und Mandant beachtet werden.4 Bei Durchsuchung, Sicherstellung und Beschlagnahme von Datenträgern und darauf vorhandenen Daten muss der Zugriff auf für das Verfahren bedeutungslose Informationen im Rahmen des Vertretbaren vermieden werden.5
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Die Kanzleiräume bauen schließlich auch eine geschützte Sphäre für Online-Durchsuchungen auf. Die schon nach altem Recht gängige Praxis der sog. verdeckten OnlineDurchsuchung erfolgte ohne Rechtsgrundlage.6 Sie konnte insbesondere nicht auf § 102 StPO gestützt werden. Diese Vorschrift gestattet nicht eine auf heimliche Ausführung angelegte Durchsuchung.7 Da sich der Datenträger regelmäßig in den Kanzleiräumen befindet, wird neben dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG) ohnehin schon Art. 13 Abs. 1 GG tangiert sein.8 Zudem erfordert die besondere Stellung von Berufsgeheimnisträgern zwingend geeignete Vorkehrungen gegen die Aushöhlung des Geheimnisschutzes. Die effektive Verteidigung von und die Vertrauensbeziehung zu Mandanten darf nicht gefährdet werden. Dies gilt bei heimlichen Maßnahmen von Strafverfolgungsbehörden umso mehr. Schließlich ist das neu durch das BVerfG geschaffene Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme zu beachten.9
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Der Gesetzgeber geht ebenso davon aus, dass die Kanzlei eine geschützte räumliche Sphäre darstellen muss. In der Gesetzesbegründung zur Norm über die berufliche Zusammenarbeit mit anderen Berufsträgern in einer Bürogemeinschaft (§ 59a Abs. 3 BRAO) wird ausgeführt: Es ist sicherzustellen, dass die mit dem Rechtsanwalt in einem Büro tätigen Angehörigen anderer Berufe in gleicher Weise wie der Rechtsanwalt der Verschwiegenheitspflicht und den damit korrespondierenden Aussageverweigerungsrechten und Beschlagnahmeverboten unterfallen.10 Zwar war im Rahmen der Einführung des neuen Rechtsdienstleistungsgesetzes auch geplant, durch eine Erweiterung des § 59a BRAO die Zusammenarbeit der Rechtsanwälte mit „vereinbaren Berufen“ zuzulassen.11 Im Gesetzgebungsprozess wurde aber schon frühzeitig auf die Aushöhlung der Verschwiegenheitsverpflichtung hingewiesen,12 sodass von diesen Plänen schnell Abstand genommen wurde. 1 BVerfG, NJW 2007, 1443 – Vorwurf der versuchten Nötigung eines Richters. 2 BVerfG, Beschl. v. 5.5.2011 – 2 BvR 1011/10, BayVBl. 2011, 707. 3 BVerfG, NJW 2006, 3411 (3412) – Vorwurf einer Verkehrsordnungswidrigkeit; zur Arztpraxis BVerfG NStZ-RR 2008, 176. 4 Zur Betroffenheit der Grundrechte der Mandanten Kutzner, NJW 2005, 2652 (Anm. zu BVerfG, Beschl. v. 12.4.2005, NJW 2005, 1917). 5 BVerfG, NJW 2005, 1917 (1919); zur Verletzung von Art. 8 EMRK bei der Beschlagnahme elektronischer Daten: EGMR NJW 2008, 3409 – Wieser ./. Österreich. 6 BGH, NJW 2007, 930. 7 Auf die präventiven Neuregelungen der Polizeigesetze wie bspw. § 20k BKAG und der entsprechenden Landesgesetze wird an dieser Stelle nicht eingegangen. 8 Hierzu Kutscha, NJW 2007, 1169 (1170) (Anm. zu BGH, NJW 2007, 930). 9 BVerfG, NJW 2008, 822. 10 BT-Drs. 12/4993, S. 34; vgl. im Übrigen auch § 30 S. 1 BORA. 11 BR-Drs. 623/06, S. 182; § 59a BRAO Rz. 90 ff. 12 BR-Drs. 623/1/06, S. 11.
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Rz. 45 § 27 BRAO
III. Begründung von Zuständigkeiten Die Einrichtung eines festen und eindeutigen Kanzleisitzes ist auch entscheidend für die Begründung diverser Zuständigkeiten. Beispielsweise wird darüber definiert, bei welcher Rechtsanwaltskammer der Rechtsanwalt die Mitgliedschaft zu beantragen hat und welche Rechtsanwaltskammer infolgedessen für die Berufsaufsicht zuständig ist, §§ 60 Abs. 1 S. 2, 33, 27, 12 Abs. 3, 73 Abs. 2 Nr. 4 BRAO.1 Probleme ergeben sich freilich, wenn der Rechtsanwalt seine Kanzlei in den Bezirk einer anderen Rechtsanwaltskammer verlegt, ohne dort die Aufnahme zu beantragen (vgl. Rz. 130).
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Ebenso wird für den Mandanten der Leistungsort i.S.d. § 269 BGB und bei Streitigkeiten der Gerichtsstand nach § 29 Abs. 1 ZPO eindeutig bestimmt. Dies gilt jedenfalls für die Erbringung der Beratungsleistung und Sekundäransprüche.2 Hinsichtlich der Honorarpflicht dürfte es nach neuerer Rechtsprechung auf den Wohnort bzw. Sitz des Mandanten ankommen.3 Die Kanzlei dürfte also im zivilrechtlichen Bereich eine ähnliche Bedeutung haben wie der handelsrechtliche Firmensitz.
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IV. Verfassungsrechtlicher Zweck Die gesetzliche Kanzleipflicht ist nach ganz herrschender Meinung verfassungsgemäß.4 Sie stellt eine statthafte Regelung der Berufsausübung dar. Das gilt auch für die Mindesterfordernisse, welche die Rechtsprechung in Auslegung der gesetzlichen Regelung zur Erfüllung der Kanzleipflicht entwickelt hat.5
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Dieser Eingriff in die freie Berufsausübung kann mit sachgerechten und vernünftigen Erwägungen des Gemeinwohls begründet werden; das vom Gesetzgeber eingesetzte Mittel ist ferner geeignet und erforderlich, um den angestrebten Zweck zu erreichen; auch wird bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht und der Dringlichkeit der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit noch gewahrt.6
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Die Kanzleipflicht wird in ihrer Ausgestaltung durch die Rechtsprechung grundsätzlich damit gerechtfertigt, dass der Rechtsanwalt als Organ der Rechtspflege der rechtsuchenden Bevölkerung dienen soll und dass seine Hilfe durch Beratung und Vertretung in rechtlichen Angelegenheiten weitgehend unverzichtbar ist. Die Partei, die einen Rechtsanwalt in Anspruch nehmen will, bedarf der Klarheit, welche Rechtsanwälte in einem bestimmten örtlichen Bezirk tätig sind und an welchem Ort sie den Rechtsanwalt ihrer Wahl zu den üblichen Geschäftszeiten erreichen kann. Ebenso muss für die Gerichte und Behörden wegen der vielfältigen Kontakte, die sich im Laufe eines Verfahrens mit einem Rechtsanwalt ergeben können, eindeutig feststehen, wo er seine Berufstätigkeit ausübt und wo er regelmäßig anzutreffen ist.
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Der Pflicht, den Ort der Kanzlei nach außen hin unmissverständlich kenntlich zu machen, kann nicht entgegengehalten werden, der Rechtsanwalt brauche ein ihm angetragenes Mandat nicht anzunehmen. Dabei würde übersehen, dass der Rechtsanwalt im Bereich der gerichtlichen Beiordnung und der Beratungshilfe zum Tätigwerden verpflichtet ist (§§ 48 ff. BRAO). Die Erfüllung der Kanzleipflicht ist für die betroffenen Rechtsanwälte auch zumutbar; dies gilt jedenfalls dann, wenn dabei die Möglichkeit einer Befreiung (§§ 29 f. BRAO) berücksichtigt wird (vgl. § 29 BRAO Rz. 7 f).7
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C. § 27 BRAO I. Einrichten und Unterhalten Der Rechtsanwalt muss seine Kanzlei in dem Bezirk der Rechtsanwaltskammer einrichten, deren Mitglied er ist. Seine Mitgliedschaft bestimmt sich danach, von welcher Rechtsanwaltskammer der Rechtsanwalt zugelassen worden ist, §§ 60 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 Alt. 1, 33 1 Horn, BRAK-Mitt. 2007, 94 (95). 2 Nach AGH Berlin, BRAK-Mitt. 2012, 273 dient die Kanzleipflicht auch der wirksamen Durchsetzung von Ansprüchen der Mandanten. 3 BGH, NJW 2004, 54; Feuerich/Weyland, § 27 Rz. 22 m.w.N. 4 BVerfG, BRAK-Mitt. 2005, 275 (276); NJW 1986, 1801; Feuerich/Weyland, § 27 Rz. 2 mit zahlreichen Nachweisen; sogar Kleine-Cosack, § 27 Rz. 1 „zwar grundsätzlich verfassungsgemäß“. 5 BVerfG, BRAK-Mitt. 2005, 275 (276). 6 BVerfG, NJW 1986, 1801. 7 BVerfG, NJW 1986, 1801.
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§ 27 BRAO Rz. 46
Kanzlei
Abs. 3 Nr. 2, 12 Abs. 3 BRAO bzw. von welcher er aufgenommen worden ist (Kammerwechsel), §§ 60 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 Alt. 2, 33 Abs. 3 Nr. 1, 27 Abs. 3 BRAO. Der Bezirk der Rechtsanwaltskammern bestimmt sich nach den Bezirken der Oberlandesgerichte, § 60 Abs. 1 S. 1 BRAO. Für die bei dem BGH zugelassenen Rechtsanwälte gilt nunmehr § 172b BRAO. 46
Auch die sonstigen Mitglieder der Kammern haben ihren Kanzleisitz im zugehörigen Kammerbezirk einzurichten. Anwälte aus anderen Staaten unterliegen gem. § 207 Abs. 2 S. 1 BRAO in Deutschland ebenfalls der Kanzleipflicht nach § 27 BRAO. Gleiches gilt für die Rechtsbeistände, § 209 Abs. 1 S. 3 BRAO. Niedergelassene europäische Rechtsanwälte haben ohnehin dieselben rechtlichen Befugnisse wie deutsche Rechtsanwälte, § 2 Abs. 1 EuRAG. Sie unterliegen auch der Kanzleipflicht, § 4 Abs. 1 EuRAG (vgl. Rz. 16 f.).1
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Die Kanzlei muss eingerichtet werden. Hierfür hat der Rechtsanwalt ab dem Zeitpunkt der Zulassung drei Monate zur Verfügung, § 14 Abs. 3 Nr. 1 BRAO. Das geringfügige Überschreiten der Frist dürfte aus Gründen der Verhältnismäßigkeit regelmäßig keinen Widerruf begründen (vgl. Rz. 122). Vielmehr wird durch den Vorstand der Rechtsanwaltskammer als milderes Mittel zunächst eine Rüge ausgesprochen werden, §§ 43 S. 1 i.V.m. 27 Abs. 1, 74 Abs. 1 S. 1, 73 Abs. 2 Nr. 4 BRAO.2 Dennoch ist die Einrichtung der Kanzlei für den Rechtsanwalt statusbegründend (vgl. Rz. 19). Der Zulassungszeitpunkt bestimmt sich nach der Aushändigung der Zulassungsurkunde, § 12 Abs. 1 BRAO. Alternativ kann der Rechtsanwalt nach den §§ 29 f. BRAO Befreiung von der Kanzleipflicht beantragen. Der Rechtsanwalt kann nach neuer Rechtslage sofort nach Zulassung entsprechend § 12 Abs. 1 BRAO auch ohne Kanzleieinrichtung anwaltlich tätig werden.3
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Eingerichtet ist die Kanzlei dann, wenn organisatorische Maßnahmen getroffen worden sind, um der Öffentlichkeit – dem rechtsuchenden Publikum – den Willen des Rechtsanwalts zu offenbaren, bestimmte Räume – und seien es die in der eigenen Wohnung4 – zu verwenden, um dort anwaltliche Dienste bereitzustellen.5 Dazu gehört auch und gerade, dass der Rechtsanwaltskammer die Kanzleidaten bekannt gegeben worden sind (§ 27 Abs. 2 BRAO) und damit die Veröffentlichung im Anwaltsverzeichnis nach § 31 BRAO herbeigeführt worden ist (vgl. § 31 BRAO Rz. 56).
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Dass die Kanzlei auch unterhalten werden muss, versteht sich eigentlich von selbst.6 Dabei dürfen hieran keine geringeren Anforderungen als an den Tatbestand ihrer Errichtung gestellt werden.7 Allerdings wurde diese Pflicht ausdrücklich neu in § 27 BRAO (und auch in § 172b BRAO) aufgenommen. In § 27 BRAO a.F. gab es nur die Verpflichtung, die Kanzlei einzurichten; freilich aber wurde die Zulassung widerrufen für den Fall der Auflösung der Kanzlei, § 35 Abs. 1 Nr. 5 BRAO a.F., jetzt § 14 Abs. 3 Nr. 4 BRAO. In den Motiven des Gesetzgebers findet sich kein Hinweis darauf, warum das Tatbestandsmerkmal des Unterhaltens eingeführt worden ist. Der Gesetzgeber wollte vermutlich klarstellen, dass die Voraussetzungen einer Kanzlei dauerhaft erfüllt werden müssen. Geister- und Briefkastenkanzleien sollten ausgeschlossen werden. Das Erfordernis des Unterhaltens dürfte sich daher unmittelbar auf die Definition des Kanzleibegriffs auswirken. II. Der Kanzleibegriff 1. Fehlende gesetzliche Definition
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In der BRAO findet sich keine Definition der Kanzlei. Lediglich die Satzungsversammlung hat von der Ermächtigung in § 59b Abs. 2 Nr. 1 lit. g BRAO Gebrauch gemacht und den Versuch einer Definition in § 5 BORA gewagt (vgl. § 5 BORA Rz. 5 S. 414). Im Übrigen findet der Kanzleibegriff ohne weitere Definition Verwendung in der BRAO in den §§ 14 Abs. 3 Nrn. 1, 3 und 4, 29 bis 31, 51 Abs. 3 Nr. 2, 53 Abs. 1 Nr. 2, 53 Abs. 10 S. 1, 55 Abs. 1 S. 1 und Abs. 5, 59 1 Henssler/Prütting/Lörcher, § 4 EuRAG Rz. 7. 2 Dieser Ansicht folgend Offermann-Burckart/Dahns, § 1 Rz. 4. 3 Vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Stärkung der Selbstverwaltung war die Einrichtung erforderlich für die Eintragung in der Anwaltsliste; erst damit begann die Befugnis zur Ausübung der Anwaltstätigkeit, §§ 31 Abs. 2 S. 1, 32 Abs. 1 BRAO a.F.; Feuerich/Weyland, § 27 Rz. 3. 4 BGH, NJW 2005, 1420. 5 St. Rspr., zuletzt BGH, Beschl. v. 6.7.2009 – AnwZ (B) 26/09; BGH, NJW 2005, 1420; vgl. auch Dahns, NJWSpezial 2009, 654. 6 Auch nach alter Rechtslage Hartung/Römermann/Hartung, 4. Aufl., § 5 BORA Rz. 19 mit Verweis auf BGH, EGE X, 7 (8). 7 Feuerich/Weyland, § 27 Rz. 17.
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Kanzlei
Rz. 55 § 27 BRAO
Abs. 1 S. 3, 59a Abs. 2 Nr. 1, 59i S. 1, 172b S. 1, 173 Abs. 2 S. 1 sowie in der BORA in den §§ 9 S. 2, 10 Abs. 3 und 4, 19 Abs. 1 S. 2, 24 Abs. 1 Nr. 2 und 3, 28, 32 Abs. 1 S. 4 und 5. Für Anwaltsnotare gilt nach der Neuregelung § 10 Abs. 2 S. 3 BNotO. 2. Abgrenzung zur Niederlassung Gerade bei der Tätigkeit europäischer Rechtsanwälte in Deutschland treffen deutsches Berufsrecht und europäisches Niederlassungsrecht aufeinander. Das EuRAG spricht in Umsetzung der europäischen Richtlinie 98/5/EG folgerichtig in seinem § 2 von dem Ort der Niederlassung des Rechtsanwalts und nicht von dem Ort der Kanzlei. Lediglich über § 4 Abs. 1 EuRAG wird auf § 27 Abs. 1 BRAO verwiesen. Im Rahmen der Beratungen zum Gesetz zur Stärkung der Selbstverwaltung hat der Gesetzgeber auch kurzzeitig daran gedacht, den Begriff der Niederlassung in die Vorschriften zur Zulassung (§ 6 Abs. 2 BRAO) aufzunehmen, sich aber dann bewusst dagegen entschieden. Unter Verweisung auf die Kanzleipflicht (§ 27 BRAO) war er der Auffassung, die Niederlassung sei die Folge der Zulassung; der Begriff könne daher nicht schon in den Vorschriften über die Zulassung Verwendung finden.1 Die §§ 78c Abs. 1 und 121 Abs. 3 ZPO n.F. sprechen nun von dem in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassenen Rechtsanwalt.
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Die BRAO verwendet für Rechtsanwälte aus anderen Staaten und verkammerte Rechtsbeistände ebenfalls den Begriff der Niederlassung, § 206 Abs. 1 S. 1 und § 209 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 BRAO. Auch in anderen Berufsrechten findet sich der Begriff der Niederlassung. § 34 Abs. 1 S. 1 StGB definiert die berufliche Niederlassung der Steuerberater als Beratungsstelle, von der diese aus ihren Beruf selbstständig ausüben. Berufliche Niederlassung eines selbstständigen Wirtschaftsprüfers ist die eigene Praxis, von der aus er seinen Beruf überwiegend ausübt, § 3 Abs. 1 S. 1 WiPrO. Nur der Patentanwalt muss noch eine „Kanzlei“ einrichten, § 26 Abs. 1 PatAnwO.
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Der Begriff der Niederlassung dürfte wohl dem deutschen Handelsrecht entstammen (vgl. § 29 HGB) und daher tendenziell den gewerblichen Berufen zuzuordnen sein. In Abgrenzung dazu erscheint es zwar vorzugswürdig, weiterhin den Begriff der Kanzlei aufrechtzuerhalten. Es wird der deutsche Kanzleibegriff aber auch immer mehr i.S.e. einheitlichen Berufsrechts an Regelungen der anderen sozietätsfähigen Berufe angeglichen werden müssen und vor allem europarechtlich zu interpretieren sein. Eine Niederlassung im europarechtlichen Sinn liegt vor, wenn der Rechtsanwalt „in stabiler und kontinuierlicher Weise seine Berufstätigkeit in einem anderen Mitgliedsstaat ausübt, indem er sich von seinem Berufsdomizil aus u.a. an die Angehörigen dieses Staates wendet“.2
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Übertragen auf die deutsche Kanzlei und im Hinblick auf die anderen deutschen Berufsrechte bedeutet das, dass der Rechtsanwalt dauerhaft von einem festen Kanzleisitz aus, seinen Beruf ausüben und Rechtsberatungsleistungen am Markt anbieten muss. Erst dann hat er eine Kanzlei. Berufsausübung und Kanzlei bedingen sich wechselseitig und sind untrennbar miteinander verknüpft. Kanzlei und Niederlassung sind daher zum Großteil deckungsgleich. An die Kanzlei sind allerdings noch höhere Anforderungen zu stellen.
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3. Kanzleierfordernisse a) Kanzleiraum Die Kanzlei muss dauerhaft in festen und eindeutig definierten Räumlichkeiten untergebracht werden (vgl. Rz. 32–38).3 Ein Wohnmobil ohne festen Standort, Tagungsräumlichkeiten eines Hotels oder ein Restaurant sind daher ebenso von vornherein nicht geeignet wie die Einrichtung einer bloßen Hotline oder einer Internetkanzlei, also virtuellen Kanzlei (Cyber-Kanzlei).4 Der Einrichtung der Kanzleiräume i.R.e. Franchising-Systems ist im Hin-
1 Amtliche Begründung BT-Drs. 16/513, S. 20. 2 EuGH, NJW 1996, 579 – Gebhard. 3 Isele, § 29 Anm. II. 2b: „Ein Rechtsanwalt ohne Kanzleiraum ist wie ein Einzelhändler ohne Ladenlokal. Er ist eigentlich nicht vorhanden; denn niemand kann ihn erreichen, ihn sprechen, ihm etwas übergeben; er schließt sich selbst vom beruflichen Verkehr aus.“; zur grds. zulässigen Autobahnkanzlei NJW-aktuell 19/2013, 12. 4 Henssler/Prütting/Prütting, § 27 Rz. 3; Kilian/vom Stein/Offermann-Burckart, § 11 Rz. 7 und 112; Koch/Kilian, Rz. 202; Prütting, AnwBl. 2011, 46, 47: die Telekanzlei ist „Zukunftsmusik“; Knöfel, AnwBl. 2006, 77 zur elektronischen Rechtsberatung.
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§ 27 BRAO Rz. 56
Kanzlei
blick auf § 27 BRAO unbedenklich.1 Grundsätzlich kann die Kanzlei auch in einer Privatwohnung2 oder in den Räumen des Arbeitgebers3 eingerichtet werden. Unbeachtlich sind dabei grundsätzlich die Eigentumsverhältnisse an den Räumlichkeiten.4 Der Rechtsanwalt benötigt aber einen Rechtsanspruch, über die Räumlichkeiten zu verfügen.5 Wird der Rechtsanwalt bspw. faktisch von seinen Sozien ausgesperrt, so muss er sich mit einer einstweiligen Verfügung Zugang zu den Kanzleiräumen verschaffen oder anderweitig seine Kanzlei einrichten.6 56
Die Kanzlei muss auch rechtmäßig in den Räumlichkeiten eingerichtet werden.7 Der Rechtsanwalt, der die Nutzung seines von ihm bewohnten Zweifamilienhauses für den Betrieb einer Kanzlei ändern will, muss eine hierfür erforderliche Genehmigung beantragen.8 Die Einrichtung einer Kanzlei in einem reinen Wohngebiet oder sogar Naturschutzgebiet wird regelmäßig nach öffentlich-rechtlichen Normen unzulässig sein.9 Die Einrichtung in einer Privatwohnung mag gegen den privatrechtlichen Mietvertrag verstoßen.10 Geschäftliche Aktivitäten des Mieters in der Wohnung, die nach außen in Erscheinung treten, muss der Vermieter grundsätzlich nicht ohne entsprechende Vereinbarung dulden. Er kann jedoch nach Treu und Glauben verpflichtet sein, die Erlaubnis zur teilgewerblichen Nutzung zu erteilen, wenn es sich um eine Tätigkeit ohne Mitarbeiter und ohne ins Gewicht fallenden Kundenverkehr handelt; hierfür trägt der Mieter die Darlegungs- und Beweislast.11 Eine Sanktionierung durch das Berufsrecht insbesondere über § 43 BRAO wird allerdings nur in den seltensten Fällen erfolgen und nur dann, wenn ein klarer berufsrechtlicher Überhang vorhanden ist. Die Normenverstöße im öffentlichen Recht oder Zivilrecht müssten mit den Anforderungen an Kompetenz und Integrität der Anwaltschaft nicht vereinbar sein und damit die Funktion der Anwaltschaft im System der Rechtspflege stören.12 Ein Widerruf der Zulassung wird in der Regel unverhältnismäßig sein (vgl. Rz. 122). Die Einrichtung einer Kanzlei eines inhaftierten Anwalts in den Räumen einer Justizvollzugsanstalt kommt aber in keinem Fall in Betracht.13
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Die Kanzleiräume müssen sich für vertrauliche Mandantengespräche eignen, mithin muss die Pflicht zur Verschwiegenheit nach § 43a Abs. 2 S. 1 BRAO gewahrt werden können.14 Unter diesen Voraussetzungen ist auch die Einrichtung einer Kanzlei in der Privatwohnung zulässig.15 Bei einer Kanzlei in den Räumen des Arbeitgebers muss sichergestellt sein, dass Zustellungen an den Syndikusanwalt direkt vorgenommen werden können16 und das Arbeitszimmer sich als Besprechungsort eignet und absperrbare Schränke die Kanzleiakten auch vor dem eigenen Arbeitgeber sichern.17 Mandanten sollten nicht kanzleifremde Mitarbeiter passieren müssen. Der BGH erachtet in diesem Sinne die Einrichtung von Kanzleiräumen beim Arbeitgeber nur unter bestimmten Voraussetzungen für zulässig. Mithin waren im konkreten Fall die Räume des Rechtsanwalts so zugänglich, dass keine sonstigen Arbeitsräume des Arbeitgebers betreten werden mussten.18 Ebenso wird man aus Gründen der Verschwiegenheit fordern müssen, dass eine vom Geschäftsbetrieb des Arbeitgebers getrennte 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13
14 15 16 17 18
Siegmund, NJW 2004, 1635. BGH, NJW 2005, 1420. BGH, NJW 1962, 204; LG Bonn, NStZ 2007, 605 (606). OLG Koblenz, AnwBl. 1981, 151. OLG Hamm, NJW 1993, 1338; Feuerich/Weyland, § 27 Rz. 12. Dieser Ansicht folgend Offermann-Burckart/Dahns, § 1 Rz. 11. Zur Kanzlei in der Justizvollzugsanstalt BayVerfGH, Entsch. v. 9.12.2010 – 3-VI/09, NJW-aktuell 5/2011, 10. BGH, NJW 2005, 1420. Dieser Ansicht folgend Offermann-Burckart/Dahns, § 1 Rz. 9. Zu den für die Gewerbemiete entwickelten Grundsätzen zum Konkurrenzschutz: OLG Köln, Urt. v. 27.5. 2005 – 1 U 72/04; Koch/Kilian, Rz. 204. BGH, NJW-RR 2009, 1311. Jähnke, NJW 1988, 1888 (1889). Vgl. hierzu VerfGH Bayern, Entsch. v. 9.12.2010 – Vf. 3-VI-09, Vf. 3-VI/09, BeckRS 2010, 56821, die Zulassung des Anwalts war hier bereits aus anderen Gründen widerrufen. Dies hinderte ihn aber nicht, dennoch Rechtsdienstleistungen den Mithäftlingen zuteil werden zu lassen. Vgl. anderseits BGH NJW-RR 1999, 1578: Die Inhaftierung eines Rechtsanwalts bedeutet nicht zwangsläufig die Aufgabe seiner (erg. anderweitig) eingerichteten Kanzlei. OLG Düsseldorf, BRAK-Mitt. 2007, 274: zur Rechtsberatung im Coffeeshop. Feuerich/Weyland, § 27 Rz. 11. Feuerich/Weyland, § 27 Rz. 16. BGH, Beschl. v. 18.11.1996 – AnwZ (B) 23/96; LG Berlin, NStZ 2006, 470 (zum Zeugnisverweigerungsrecht des Syndikus, m.w.N.); Koch/Kilian, Rz. 201 (diese Verpflichtung könne nicht § 27, sondern nur den allgemeinen Berufspflichten entnommen werden). BGH, NJW 1962, 204.
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Kanzlei
Rz. 62 § 27 BRAO
Telefon-1 und Telefaxnummer sowie E-Mail-Adresse verwendet werden.2 Der Verstoß gegen die Pflicht zur Verschwiegenheit kann auch fahrlässig begangen werden, § 113 Abs. 1 BRAO.3 Die Kanzleiräume können im Rahmen einer Sozietät oder Bürogemeinschaft nur mit Angehörigen der sozietätsfähigen Berufe geteilt werden, § 59a BRAO. Nur so kann sichergestellt werden, dass sich alle Berufsträger gleichermaßen auf das Zeugnisverweigerungsrecht berufen können und ein einheitliches Schutzniveau erreicht wird (vgl. Rz. 38).4 Entsprechend problematisch dürfte die Einrichtung der Kanzleiräume in einem gewerblichen Office-Center oder in Warenhäusern5 sein.
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b) Kanzleiadresse Um Zustellungen, Mitteilungen und Nachrichten ordnungsgemäß empfangen zu können, müssen die Kanzleiräume über eine eindeutige Adresse verfügen (vgl. Rz. 22 f.). Lediglich ergänzend können Post- oder Gerichtsfächer eingerichtet werden.6 Um die Zustellung sicherzustellen, mag im Einzelfall auch ein c/o Zusatz zulässig sein, mit dem auf die Kurzbezeichnung einer anderen Sozietät verwiesen wird, mit der sich der Rechtsanwalt beispielsweise in Bürogemeinschaft befindet.7
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Zur Mindestausstattung gehört daher für Zustellungen nach den §§ 177, 178 ZPO eine Klingel bzw. nach § 180 ZPO ein Briefkasten.8 In diesem Zusammenhang ist auch ein Kanzleischild erforderlich. Auf diesem muss für den Zusteller die Kanzlei sowohl an der Klingel als auch an dem Briefkasten eindeutig erkennbar sein. Die Erkennbarkeit wird durch die Aufschrift des Vor- und Zunamens sowie der Berufsbezeichnung hergestellt. Für Zustellungen würde zwar ein reines Namensschild genügen. Die Notwendigkeit der Berufsbezeichnung ergibt sich aber aus anderen Gründen (vgl. Rz. 72). Auf die Größe und Gestaltung des Kanzleischildes kommt es nur hinsichtlich der Lesbarkeit an.9
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Dem Erfordernis eines Kanzleischildes unterliegt auch der Syndikusanwalt, der seine Kanzlei in den Räumen des Arbeitgebers eingerichtet hat.10 In (Außen-)Sozietäten reicht es aus, wenn die Kurzbezeichnung nach § 9 BORA auf dem Kanzleischild geführt wird.11 Ein freier Mitarbeiter oder Bürogemeinschafter, der seine Kanzlei in den Räumen einer Sozietät eingerichtet hat, muss ausnahmsweise dann kein eigenes Kanzleischild anbringen, wenn er die Kurzbezeichnung als c/o Zusatz verwendet. Er muss aber nach außen deutlich machen, dass auch von ihm für Rechtsuchende anwaltliche Dienste zur Verfügung gestellt werden.12 Dabei sollte er freilich eventuelle Haftungsgefahren bedenken.13 Auf die Existenz eines Kanzleischildes kann aber in keinem der Fälle verzichtet werden.14
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c) Telefonische Erreichbarkeit Die Erreichbarkeit des Rechtsanwalts setzt in jedem Fall einen eigenen dienstlichen Telefonanschluss voraus.15 Mit der BRAO-Novelle 2009 hat der Gesetzgeber mit § 31 Abs. 3 S. 1 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14
15
Feuerich/Weyland, § 27 Rz. 16. Dieser Ansicht folgend Offermann-Burckart/Dahns, § 1 Rz. 11. „Schuldhaft“; h.M., stellv. Feuerich/Weyland, § 113 Rz. 7. Daher sollte auch die Untermiete als eine Form der Bürogemeinschaft angesehen werden, a.A. Koch/Kilian, Rz. 203. Red. Beitrag ZAP 2004, 811 auch unter Hinweis auf die Verschwiegenheitspflicht. So auch Offermann-Burckart/Dahns, § 1 Rz. 14. Kopp, BRAK-Mitt. 2005, 178. Feuerich/Weyland, § 27 Rz. 7 f. unter Verweis auf BGH, NJW 2007, 2186. Ebenfalls kritisch zu besonderen Anforderungen Koch/Kilian, Rz. 197; ein Kanzleischild gänzlich ablehnend Hartung/Hartung, § 16 BORA Rz. 16 m.w.N. Feuerich/Weyland, § 27 Rz. 2, 16; missverständlich Hartung/Römermann/Hartung, § 5 BORA Rz. 16 und 17 a.E. Feuerich/Weyland, § 27 Rz. 14. BGH, DtZ 1993, 85 (86). Hartung/Römermann/Hartung, § 5 BORA Rz. 17. BGH, NJW 2005, 1420; Henssler/Prütting/Prütting, § 27 Rz. 5; Feuerich/Weyland, § 27 Rz. 6; Kopp, BRAKMitt. 2005, 178; zw. Sächsischer AGH, BRAK-Mitt. 2005, 31 (33); a.A. AnwG Hamm, AnwBl. 2000, 316; Hartung/Hartung, § 5 BORA Rz. 16, missverständlich Rz. 17 a.E.; Kilian/vom Stein/Offermann-Burckart, § 11 Rz. 13. BGH, Beschl. v. 6.7.2009 – AnwZ (B) 26/09; BGH, NJW 2005, 1420; a.A. unklar und ohne nähere Begründung AnwG München, NJW 2008, 600: „der althergebrachte Telefonanschluss [ist] nur noch eines von vielen Kommunikationsmitteln“.
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§ 27 BRAO Rz. 63
Kanzlei
BRAO klargestellt, dass auch die Telekommunikationsdaten in das Anwaltsverzeichnis einzutragen sind; eine Verpflichtung zur Einrichtung eines Telefonanschlusses kann der Bestimmung allerdings nicht entnommen werden (vgl. § 31 BRAO Rz. 62 f.). Ein Mobilfunkanschluss1 mag den Hausanschluss dann ersetzen, wenn die telefonische Erreichbarkeit dennoch gewährleistet ist.2 Es sollte aber bedacht werden, dass das Abhören dieser Geräte technisch einfacher ist als bei einem gewöhnlichen Festnetzanschluss.3 Freilich ist aber auch die Überwachung des Mobiltelefonanschlusses (im konkreten Fall eines Strafverteidigers) nur unter engen Voraussetzungen zulässig (vgl. Rz. 30).4 63
Diese von der Rechtsprechung entwickelte Verpflichtung ist verfassungsrechtlich unbedenklich. Die Installation eines (auch mobilen) Telefonanschlusses ist mit keinen Schwierigkeiten verbunden und belastet den Anwalt nur unerheblich. Sie ist ihm daher unter Abwägung mit den Gemeinwohlbelangen zumutbar.5 Installation eines Telefonanschlusses bedeutet in diesem Zusammenhang nur, dass eine Rufnummer freigeschalten wird. Vorgaben für die handwerkliche Installation von festen Telekommunikationsgeräten in den Räumlichkeiten selbst werden freilich nicht gemacht.
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Sofern Kommunikationsmittel in der Privatwohnung oder beim Arbeitgeber genutzt werden, ist ebenfalls dringend auf die Verschwiegenheitsverpflichtung zu achten, § 43a Abs. 2 S. 1 BRAO.6 Diesbezüglich wird regelmäßig nur die Einrichtung eines gesonderten Telefonanschlusses in Betracht kommen (vgl. Rz. 57).
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Die Erreichbarkeit setzt auch voraus, dass der Telefonanschluss zu den üblichen Geschäftszeiten normalerweise besetzt ist.7 Im Einzelfall mag hier eine Anrufweiterschaltung genügen. Lediglich ein Anrufbeantworter, der nie abgehört wird, genügt jedenfalls nicht.8 Ebenfalls soll nur eine telefonische Erreichbarkeit morgens zwischen 7.00 und 8.00 Uhr nicht genügen.9 Gleiches gilt für „Sprechstunden Dienstag von 10–12 Uhr“.10
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Die Beauftragung eines gewerblichen Callcenters dürfte regelmäßig gegen die anwaltliche Verschwiegenheitsverpflichtung nach § 43a Abs. 2 S. 1 BRAO verstoßen.11 Es erscheint schwer möglich, alle Mitarbeiter eines Callcenters ausdrücklich zur Verschwiegenheit zu verpflichten, anzuhalten und zu überwachen, § 2 Abs. 4 BORA. Insbesondere dürfte auch die strafrechtliche Sanktion des § 203 Abs. 3 S. 2 StGB nicht greifen, da die Mitarbeiter keine berufsmäßigen Gehilfen des Rechtsanwalts sind. Sie sind aus Sicht des Geheimnisberechtigten nicht in den organisatorischen und weisungsgebundenen internen Bereich der vertrauensbegründenden Sonderbeziehung eingebunden.12 Schließlich wird die Kommunikation des Mandanten mit dem Callcenter wohl nicht gegenüber dem Staat geschützt (vgl. Rz. 29).
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Das Lokalisierungsgebot und der Wegfall des Zweigstellenverbots wurden jüngst unter Hinweis auf die modernen Kommunikationsmittel hin aufgehoben (vgl. Rz. 8). Konsequenterweise sollte nun auch deren tatsächlicher Einsatz in den Kanzleien gefordert werden. Zur Standardausstattung sollten danach auch der Telefaxanschluss13 und eine E-Mail-Adresse14 gehören.15 Die berufsrechtliche Durchsetzbarkeit erscheint allerdings fraglich, denn aus Sinn und Zweck der Kanzleipflicht lassen sich derartige Pflichten nicht herleiten.16
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Besondere Beachtung erlangt in diesem Zusammenhang die Schadensersatzverpflichtung aus § 44 S. 2 BRAO. Ist ein Anwalt länger als einen Tag ortsabwesend, muss er dafür Sorge tragen, dass er über neu eingegangene Aufträge informiert wird. Die modernen Kom1 Feuerich/Weyland, § 27 Rz. 16 für Syndikusanwälte; Offermann-Burckart/Dahns, § 1 Rz. 18. 2 So die Ansicht der Satzungsversammlung bei der Schaffung des § 5 BORA, vgl. Hartung/Römermann/ Hartung, § 5 BORA Rz. 47. 3 Ausführlich zum „IMSI-Catcher“ und der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit BVerfG, NJW 2007, 351. 4 BVerfG, NJW 2007, 2749. 5 BVerfG, NJW 1986, 1801. 6 Feuerich/Weyland, § 27 Rz. 16 (weitergehend noch in 1. Aufl.). 7 BGH, BRAK-Mitt. 2005, 86. 8 BGH, BRAK-Mitt. 2005, 86; vgl. zu einem Anrufbeantworter nur mit Nachrichtentext Sächsischer AGH, BRAK-Mitt. 2005, 31 (33), bestätigt durch BGH, MittdtschPatAnw 2005, 333, BeckRS 2005, 5847. 9 Feuerich/Weyland, § 27 Rz. 5 unter Berufung auf AGH NRW, Beschl. v. 16.5.2003 – 1 ZU 90/02. 10 BGH, BRAK-Mitt. 2005, 86. 11 A.A. Jahn/Palm, AnwBl. 2011, 613. 12 Für externe Personen wie bspw. externe Schreibdienste Fischer, § 203 StGB Rz. 21. 13 Kleine-Cosack, § 27 Rz. 4. 14 Axmann/Degen, NJW 2006, 1457. 15 Kleine-Cosack, § 27 Rz. 4; Feuerich/Weyland, § 27 BRAO Rz. 5g. 16 Im Ergebnis ebenso Koch/Kilian, Rz. 208.
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Rz. 71 § 27 BRAO
munikationsmittel ermöglichen dies.1 Sofern diese schuldhaft nicht eingesetzt werden, dürfte regelmäßig der Verzögerungssschaden zu ersetzen sein. d) Deklaration der Kanzlei Die Deklaration der Kanzlei ist aufgrund des (verfassungsrechtlichen) Kanzleizwecks essenziell (vgl. Rz. 28 f.). Voraussetzung für die Einrichtung einer Kanzlei sind organisatorische Maßnahmen, um der Öffentlichkeit – dem rechtsuchenden Publikum – den Willen des Rechtsanwalts zu offenbaren, bestimmte Räume zu verwenden, um dem Publikum dort anwaltliche Dienste bereitzustellen.2 Gerichte und Behörden müssen über die zustellfähige Anschrift informiert werden. Mandanten müssen wissen, wo und wie sie den Rechtsanwalt erreichen können. Strafverfolgungsbehörden müssen auf die geschützte Sphäre hingewiesen werden. Der gesetzlichen Verpflichtung, am Ort des Gerichts, bei dem er zugelassen ist, eine Kanzlei zu errichten, kann ein Rechtsanwalt nicht allein dadurch genügen, dass er ein Zimmer seiner Privatwohnung als Büroraum einrichtet und mit einer Schreibmaschine sowie einiger Fachliteratur ausstattet. Vielmehr erfordert die Widmung als Kanzlei eine ausreichende organisatorische Vorsorge, welche es für das Publikum erkennbar macht, dass an dieser Stelle anwaltliche Dienste bereitgestellt werden.3
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aa) Veröffentlichung Die Einrichtung der Kanzlei und insbesondere deren Daten (Anschrift und Telekommunikationsdaten) müssen gegenüber der Rechtsanwaltskammer angezeigt werden, § 24 Abs. 1 Nr. 2 und 3 BORA (zur Anzeigepflicht bei Verlegung der Kanzlei vgl. Rz. 78 f.). Die Kammer veröffentlicht die Daten anschließend in dem Verzeichnis bzw. Gesamtverzeichnis nach § 31 BRAO. Nach § 10 Abs. 1 S. 1 BORA hat der Rechtsanwalt auf Briefbögen seine Kanzleianschrift anzugeben. Werden mehrere Kanzleien, eine oder mehrer Zweigstellen unterhalten, so ist für jeden auf den Briefbögen Genannten seine Kanzleianschrift (§ 31 BRAO) anzugeben (vgl. aber Rz. 93b).
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Es erscheint darüber hinaus fraglich, ob weiterhin gefordert werden kann, dass im Rahmen eines Telefonbucheintrags unter der Bezeichnung als Rechtsanwalt die volle Anschrift veröffentlicht werden muss.4 Als Teil des Widmungsakts ist dies jedenfalls nicht mehr erforderlich.5 Allerdings sollten die Daten bei einer sonstigen Veröffentlichung – ebenso wie auf dem Briefbogen – vollständig und sachlich richtig wiedergegeben werden. Es dürfen sich keine Abweichungen zu den Angaben im Anwaltsverzeichnis ergeben. Denn diese wären entweder falsch und damit (wettbewerbsrechtlich) irreführend oder richtig und der Rechtsanwalt hätte seine Anzeigepflicht nach § 24 BORA verletzt.
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bb) Kanzleischild Unverzichtbar für die Widmung als Kanzlei ist die Anbringung eines Kanzleischildes an einem Ort, der eine Wahrnehmung von außen oder zumindest im Eingangsbereich eines Gebäudes ermöglicht.6 Nur dadurch wird der Öffentlichkeit der Wille des Rechtsanwalts offenbart, bestimmte Räume zu verwenden, um dort dem rechtsuchenden Publikum anwaltliche Dienste bereitzustellen. Dies wird oft dahin gehend missverstanden, dass der Rechtsanwalt Laufkundschaft anlocken bzw. annehmen müsse.7 Entscheidend ist allein, dass der Rechts1 Henssler/Prütting/Eylmann, § 44 Rz. 7. 2 BGH, Beschl. v. 6.7.2009 – AnwZ (B) 26/09, BRAK-Mitt. 2009, 240; BGH, NJW 2005, 1420; Feuerich/Weyland, § 27 Rz. 6 m.w.N. 3 BGH, NJW 1962, 2005. 4 AGH Nordrhein-Westfalen, BRAK-Mitt. 2005, 199; Feuerich/Weyland, § 27 Rz. 5f m.w.N.; Kleine-Cosack, § 27 Rz. 4 „u.U.“; a.A. AnwG München, NJW 2008, 600. 5 So noch BGH, NJW 1962, 2005; nicht mehr ausdrücklich BGH, NJW 2005, 1420; keine Erwähnung bei Henssler/Prütting/Prütting, § 27 Rz. 5 f.; a.A. Sächsischer AGH, BRAK-Mitt. 2005, 31 (33); Hartung/Römermann/Hartung, § 5 BORA Rz. 15 und 17 a.E. jeweils m.w.N. 6 BGH, BRAK-Mitt. 2009, 240; BGH, NJW 2005, 1420; AnwGH Nordrhein-Westfalen, BRAK-Mitt. 2005, 84; Sächsischer AnwGH, BRAK-Mitt. 2005, 33; AnwG Karlsruhe, NJW-RR 2009, 204; Feuerich/Weyland, § 27 Rz. 5f; Henssler/Prütting/Prütting, § 27 Rz. 6; Koch/Kilian, Rz. 196a; Offermann-Burckart/Dahns, § 1 Rz. 15; a.A. ohne nähere Begründung AnwG München, NJW 2008, 600 „nicht mehr […] zeitgemäß“; AnwG Hamm, AnwBl. 2000, 316; Hartung/Hartung, § 5 BORA Rz. 16 – allerdings widersprüchlich zu Rz. 17 a.E.; KleineCosack, § 27 Rz. 6. 7 So Sächsischer AGH, BRAK-Mitt. 2005, 31 (33); Kilian/vom Stein/Offermann-Burckart, § 11 Rz. 13.
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§ 27 BRAO Rz. 72
Kanzlei
anwalt den Willen hat, Räumlichkeiten für anwaltliche Dienste zu nutzen, und diesen Willen mit der Anbringung eines Schildes öffentlich kund tut – dies gilt auch und gerade gegenüber Strafverfolgungsbehörden. Die Kanzlei und damit die Mandatsgeheimnisse sollen und müssen gegenüber staatlicher Überwachung geschützt werden. Dazu muss der Schutzbereich für Grundrechtseingriffe auch räumlich definiert werden (vgl. Rz. 28 f.).1 72
Hier zeigt sich auch der Unterschied zu einem gewöhnlichen Klingelschild. Dieses reicht nicht als Kanzleischild aus, weil der Rechtsanwalt damit nicht offenbart, er wolle in den Räumlichkeiten auch Mandatsgeheimnisse schützen.2 Vielmehr muss das Kanzleischild klar erkennbar einen Hinweis auf eine Rechtsanwaltskanzlei enthalten3 sowie den Vor- und Zunamen des Rechtsanwalts ggf. mit Kurzbezeichnung nach § 9 BORA. Zur Klarstellung sollte nicht nur die Berufsbezeichnung aufgenommen werden, sondern ein klarer Hinweis auf eine Kanzlei. Man wird es dem Rechtsanwalt nämlich nicht verwehren können, auch unter seiner Privatanschrift seine Berufsbezeichnung zu führen. Die notwendige Differenzierung wäre somit nicht mehr gegeben.
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Die Namen von anderen Rechtsanwälten können auf dem Kanzleischild – außer i.R.d. Kurzbezeichnung – nur geführt werden, wenn sie ihren Kanzleisitz am selben Ort haben. Ansonsten liegt eine wettbewerbsrechtlich relevante Irreführung vor.4 Diese würde freilich vermieden, wenn die anderen Rechtsanwälte klar erkennbar einem anderweitigen Kanzleiort zugeordnet würden. Ebenfalls wäre es möglich, den anderen Rechtsanwälten den hiesigen Kanzleistandort nur als Zweigstelle zuzuweisen (vgl. Rz. 98–101).
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Die von der Rechtsprechung entwickelte Verpflichtung, ein Kanzleischild anzubringen, ist auch verfassungsrechtlich unbedenklich. Die Anbringung ist mit keinen Schwierigkeiten verbunden und belastet den Anwalt nur unerheblich; sie ist ihm daher unter Abwägung mit den Gemeinwohlbelangen zumutbar.5
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Auch ein Syndikusanwalt ist von diesem Erfordernis nicht befreit (vgl. Rz. 61).6 Sofern er angibt, er wolle keine Räumlichkeiten für anwaltliche Dienste zur Verfügung stellen, so verstößt er gegen § 27 Abs. 1 BRAO. Gibt er an, er könne keine nennenswerte Beratungs- und Vertretungstätigkeit ausüben, so würde die Berufsbezeichnung des Rechtsanwalts zu einem bloßen Titel verkommen; ein Ergebnis, das dem gesetzgeberischen Ziel der Gewährleistung eines Mindestmaßes an Unabhängigkeit und Professionalität des Rechtsanwalts widerspricht.7 Zudem sollte bedacht werden, dass die Zulassung zur Anwaltschaft keine heimliche Angelegenheit ist, sondern eine öffentliche. Der Rechtsanwalt ist ein Organ der Rechtspflege, § 1 BRAO. Der Umstand der Zulassung und die Kanzleidaten sind öffentlich, vgl. § 31 BRAO. Aus § 5 BORA wird deutlich, dass der Rechtsanwalt verpflichtet ist, die notwendigen Kanzleieinrichtungen vorzuhalten. Auf die tatsächliche Inanspruchnahme im Einzelfall kommt es nicht an (vgl. Rz. 24 f.).8 e) Personelle Besetzung
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In personeller Hinsicht ist es erforderlich, dass der Rechtsanwalt regelmäßig selbst in der Kanzlei anwesend ist (vgl. Rz. 24–27).9 Entsprechend § 53 Abs. 1 Nr. 2 BRAO wird der Rechtsanwalt ohne Vertretung mindestens einmal wöchentlich seine Kanzlei aufsuchen müssen. Eine längere Abwesenheit ist nur möglich, wenn die Entgegennahme von Zustellungen und das Tätigwerden in Eilfällen gewährleistet sind.10 Zu denken ist dabei an regelmäßig anwesendes Kanzleipersonal oder die Bestellung eines anwaltlichen Vertreters. Jedenfalls reicht es zur Erreichung des Zwecks, Rechtspflege und Rechtsuchende zu schützen aus, wenn der
1 A.A. Koch/Kilian, Rz. 196, der das „billigenswerte Regelungsanliegen des § 27 BRAO (Auffindbarkeit des Rechtsanwalts bei Mandantenbesuchen und Zustellungen)“ zu eng definiert. 2 A.A. Kilian/vom Stein/Offermann-Burckart, § 11 Rz. 13. 3 BGH, NJOZ 2001, 860 (861). 4 LG München I, NJW 1989, 2894 (2895). 5 BVerfG, NJW 1986, 1801. 6 Kleine-Cosack, § 27 Rz. 6 „seit langem verzichtet“ unter Verweis auf AnwG Hamm AnwBl. 2000, 316. 7 BVerfG, Beschl. v. 4.11.1992 – 1 BvR 79/85 u.a., NJW 1993, 317 (319) – Feierabend-Anwalt; ebenso BGH, BRAK-Mitt. 2010, 29; Henssler/Prütting/Henssler, § 7 Rz. 100. 8 Henssler/Prütting/Prütting, § 5 BORA Rz. 8. 9 Huff, BRAK-Magazin 2007, 5: Es gebe (im Gegensatz zur Zweigstelle) sogar die Pflicht zur Vorhaltung von Personal oder zeitliche Vorgaben zur Anwesenheit von Kanzleimitgliedern. 10 Insbesondere bei Zustellung mit PZU: AGH Nordrhein-Westfalen, BRAK-Mitt. 2005, 199 (Verstoß gegen § 14 BRAO und nicht gegen § 27 BRAO); Henssler/Prütting/Henssler, § 7 Rz. 102.
396 Siegmund
Kanzlei
Rz. 79b § 27 BRAO
Rechtsanwalt seine Büroabläufe so organisiert, dass dem Rechtsuchenden die im Einzelfall notwendige Hilfe sobald wie möglich zugute kommt.1 Ob darüber hinaus die Möglichkeit bestehen muss, in der Kanzlei in angemessenem Umfang vorsprechen zu können („MindestKanzleibetrieb“),2 erscheint fraglich und schwer durchsetzbar. Darüber hinaus ist es unerheblich, wo der Rechtsanwalt seine Wohnstätte, Zweigstellen oder als Syndikusanwalt seinen Arbeitsplatz hat. Es darf lediglich das Mindestmaß an Unabhängigkeit und Professionalität des Rechtsanwalts nicht dadurch gefährdet werden, dass dieser – z.B. neben seiner Tätigkeit als Syndikus in einem Unternehmen – unverhältnismäßige Fahrzeiten aufwenden muss, um an den Kanzleisitz zu gelangen, und ihm damit keinerlei Freiraum mehr bleibt, seinen anwaltlichen Beruf auszuüben.3
77
III. Verlegung der Kanzlei Der Rechtsanwalt hat das Verlegen seiner Kanzlei, also seine neue Kanzleiadresse der zuständigen Rechtsanwaltskammer unverzüglich anzuzeigen. Diese Pflicht wurde von § 31 Abs. 5 BRAO a.F. auf § 27 Abs. 2 BRAO übertragen und umfasst auch die etwaige Änderung der Telekommunikationsdaten, vgl. § 24 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 34 BORA. Die Anzeigepflicht hat u.a. Bedeutung für die korrekte Führung des Anwaltsverzeichnisses.5 Im Übrigen kann die Aufnahme der Anzeigepflicht in die Normierung des § 27 BRAO dadurch erklärt werden, dass erst durch die jeweilige Anzeige an die Rechtsanwaltskammer eine Kanzlei ordnungsgemäß eingerichtet wird. Die Widmung von Räumen als Kanzlei muss öffentlich bekannt gemacht werden (Rz. 28 f.). Die Rechtsanwaltskammer muss die Einhaltung der Anzeigepflicht überwachen können und ggf. darauf hinwirken, dass eine neue Kanzleiadresse mitgeteilt wird, § 73 Abs. 2 Nr. 4 BRAO.
78
Die Anzeige muss unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern, erfolgen.6 Eine bestimmte Form ist nicht vorgeschrieben, doch muss der Rechtsanwaltskammer die Authentifizierung ermöglicht werden. In jedem Fall genügt die formlose Mitteilung per Telefax. Aber auch E-Mail dürfte als ausreichend angesehen werden können, wenn sich aufgrund der Absenderadresse keine Zweifel aufdrängen, die Nachricht könne nicht von dem Berechtigten stammen (vgl. Rz. 106 f.). Für das Verlegen der Kanzlei in einen anderen Kammerbezirk gilt § 27 Abs. 3 BRAO (vgl. Rz. 103–119).
79
IV. Errichtung einer Zweigstelle 1. Zulässigkeit von Zweigstellen Mit der Aufhebung des Verbots von Zweigstellen sind diese generell zulässig geworden (vgl. Rz. 8 ff.). Der Gesetzgeber hat lediglich die Anzeigepflicht nach § 27 Abs. 2 und die Eintragung ins Anwaltsverzeichnis nach § 31 Abs. 3 BRAO noch gesetzlich geregelt. Das lässt somit nur die Fragen offen, wem die Anzeigepflicht obliegt und wie der Eintragung im Anwaltsverzeichnis vorzunehmen ist. In negativer Hinsicht ist die Zweigstelle von der Kanzlei abzugrenzen, denn der Kanzleisitz ist relevant für die Mitgliedschaft in einer Rechtsanwaltskammer, die die Aufsicht zu führen hat.7 Dennoch wird in der Literatur teilweise umfangreich die Zulässigkeit der Zweigstellen für Anwälte und Sozietäten diskutiert, ohne – ebenfalls ausführlich – zu klären, wem die Anzeigepflicht überhaupt obliegt.8
79a
So wird beispielsweise regelmäßig gefordert, Zweigstellen müssten auch durch Sozietäten in zulässiger Weise gegründet werden können. Die Verwendung des Singulars in § 27 Abs. 2
79b
1 AGH Nordrhein-Westfalen, BRAK-Mitt. 2006, 177; a.A. wohl AnwG Hamburg, BRAK-Mitt. 2006, 227: Permanente Erreichbarkeit über moderne Kommunikationsmittel reiche aus. 2 So Koch/Kilian, Rz. 210 m.w.N. 3 BGH, BRAK-Mitt. 2010, 29; AnwGH Rheinland-Pfalz, NJW-RR 2000, 1662; vgl. auch Kilian/vom Stein/ Offermann-Burckart, § 11 Rz. 74 ff.; strenger: BGH, NJW 1961, 1211 (1213 f.); eine Übersicht zur aktuellen Rspr. gibt Koch/Kilian, Rz. 195. 4 A.A. wohl Feuerich/Weyland, § 27 Rz. 19. 5 BT-Drs. 16/513, S. 15. 6 Vgl. die Legaldefinition in § 121 Abs. 1 S. 1 BGB und die hierzu ergangene Rechtsprechung; Feuerich/Weyland, § 27 Rz. 19. 7 So auch Koch/Kilian, Rz. 216. 8 Bspw. Feuerich/Weyland, § 27 Rz. 31a; Henssler/Prütting/Prütting, § 27 Rz. 18 ff. im Gegensatz zu Rz. 23.
Siegmund 397
§ 27 BRAO Rz. 79c
Kanzlei
BRAO stehe dem nicht entgegen,1 da dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden könne, er habe Einzelanwälte besser stellen wollen.2 Diese Ansicht verkennt aber völlig, dass § 27 Abs. 2 BRAO kein Recht, sondern eine Pflicht enthält.3 Bereits die Kanzleipflicht nach § 27 Abs. 1 BRAO betrifft nämlich nur den einzelnen Anwalt. Er genügt dieser Pflicht, indem er seine Kanzlei im Rahmen einer Sozietät einrichtet. Die entscheidende Frage wäre somit lediglich, ob der Sozietät auch die Pflicht obliegt, die Zweigstelle anzuzeigen. Die Einzelanwälte wurden durch den Gesetzgeber nicht besser gestellt, sondern ihnen wurde eine gesetzliche Pflicht auferlegt, die auf die Sozietät im Rahmen der Eingriffsverwaltung nicht ohne weiteres analog übertragen werden kann. Es würde auch keinen Sinn machen, da die von der Sozietät angezeigten Zweigstellen nicht im Anwaltsverzeichnis eingetragen werden können. 79c
Ein richtiger Ansatz dürfte es daher sein, schon aus verfassungsrechtlichen Erwägungen (Art. 12 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG) grundsätzlich alles für zulässig zu erachten, was der Gesetzgeber nicht ausdrücklich verboten hat bzw. was sonst gesetzliche Vorschriften verletzt. Wenn ein Einzelanwalt einen weiteren Standort aufmacht, ist zu untersuchen, welche Rechtsqualität dieser hat. Handelt es sich um eine Zweigstelle, weil sie bestimmte Voraussetzungen erfüllt, hat der Anwalt diese anzuzeigen. Umgekehrt kann ein als Zweigstelle deklarierter Standort durch die Kammer auf die Einhaltung der Mindestanforderungen kontrolliert werden.4 Eröffnet eine Sozietät eine Zweigstelle, ist zu prüfen, durch wen diese Zweigstelle betreut wird. Hat ein Anwalt der Sozietät dort seinen Hauptsitz ist nichts weiter veranlasst.5 Soll die Zweigstelle allerdings durch Anwälte betreut werden, die ihren Kanzleisitz bspw. am Sitz der Gesellschaft eingerichtet haben, so haben diese ihre berufsrechtliche Zweigstelle am Ort der Zweigestelle der Gesellschaft einzurichten. Diese Einzelanwälte trifft die Anzeigepflicht hinsichtlich ihrer berufsrechtlichen Zweigstelle. Die Zweigstelle der Sozietät ist berufsrechtlich ohne Belang (vgl. auch Rz. 80 ff.). 2. Anzeigepflicht a) Normadressat
80
Die Anzeigepflicht richtet sich wegen des systematischen Zusammenhangs im Zweiten Teil der BRAO („Die Zulassung des Rechtsanwalts“) und des Wortlauts „der Rechtsanwalt“ in § 27 Abs. 2 S. 1 Alt. 2 BRAO eindeutig nur an den Rechtsanwalt als natürliche Person.6 Daher ist die häufig aufgeworfene Frage, inwieweit auch BGB-Gesellschaften, Partnerschaftsgesellschaften und Rechtsanwaltsgesellschaften im Sinne des § 59c BRAO Zweigstellen einrichten können, für die Anzeigepflicht irrelevant (vgl. Rz. 79a ff.). Hinsichtlich der Berechtigung, eine Zweigstelle einrichten zu dürfen, ist es aber ebenso verfehlt, auf die Trägerschaft der Kanzlei oder der Zweigstelle abzustellen.7 Kanzlei und Zweigstelle im berufsrechtlichen Sinn definieren sich nicht über die Trägerschaft. Der Rechtsanwalt hat lediglich selbst gewisse Mindestvoraussetzungen zu erfüllen; ob er sich dabei gesellschaftsrechtlicher Strukturen bedient, ist berufsrechtlich ohne Bedeutung.
81
Betreibt ein Rechtsanwalt unter einer Adresse seine Einzelkanzlei und richtet er unter einer anderen Adresse eine Zweigstelle ein, so trifft ihn selbst die Anzeigepflicht. Ihm wird diese Zweigstelle zugerechnet. Richtet ein Rechtsanwalt seine Kanzlei im Rahmen eines gesellschaftlichen Verbundes oder eines Anstellungs- oder Auftragsverhältnisses mit anderen Berufsträgern ein und errichtet er unter anderer Adresse eine Zweigstelle außerhalb dieser gemeinschaftlichen Berufsausübung (vgl. Rz. 100), so trifft ebenfalls nur ihn die Anzeige-
1 Auf die Gesetzessystematik wird regelmäßig nicht eingegangen. § 27 BRAO befindet sich im Zweiten Teil der BRAO, die die Zulassung des Einzelanwalts regelt. Bestimmungen zur berufsrechtlichen Zusammenarbeit finden sich erst im Dritten Teil! 2 Henssler/Prütting/Prütting, § 27 Rz. 20; Feuerich/Weyland, § 27 Rz. 31; Offermann-Burckart/Dahns, § 1 Rz. 48; a.A. Kilian/Offermann-Burckart/vom Stein/Offermann-Burckart, § 6 Rz. 97, 105; Deckenbrock, NJW 2010, 3750 (3753): „Die Kanzlei einer Sozietät ist deshalb streng genommen die Kanzlei ihrer einzelnen Sozien.“ 3 Deckenbrock, NJW 2010, 3750 (3753) verweist zu Recht auf § 113 Abs. 1 BRAO. 4 In erfreulicher Klarheit stellt Deckenbrock, NJW 2010, 3750 (3753) das Stufenverhältnis dar. 5 Koch/Kilian, Rz. 218. 6 So im Ansatz auch Hartung/Hartung, § 5 BORA Rz. 74. 7 Das Münchener Symposium hat die Trägerschaft bewusst offengelassen, Kopp, BRAK-Mitt. 2007, 256; zumindest missverständlich Hartung/Hartung, § 5 BORA Rz. 73.
398 Siegmund
Kanzlei
Rz. 85 § 27 BRAO
pflicht.1 Die Hauptkanzlei wird von der Kammer – sofern zumindest eine Außensozietät vorliegt – mit der Kurzbezeichnung des Verbundes geführt, die Zweigstelle nur mit dem Namen des Rechtsanwalts. Nur ergänzend sei an dieser Stelle bemerkt, dass der Anwalt unter der Zweigstelle auf die Hauptkanzlei hinzuweisen hat (vgl. Rz. 88). Betreibt der Rechtsanwalt seine Kanzlei wie im oben genannten Fall gemeinschaftlich mit anderen Berufsträgern und richtet er seine Zweigstelle in einem weiteren Verbund ein (vgl. Rz. 100),2 so treffen ebenfalls nur ihn die Anzeigepflichten. Die Hauptkanzlei wird von der Kammer mit der Kurzbezeichnung des ersten Verbundes geführt, die Zweigstelle mit der des zweiten. Auch hier sei der Vollständigkeit halber bemerkt, dass der Rechtsanwalt im Rahmen der Tätigkeit in der Zweigstelle (zumindest auf den dort verwendeten Briefbögen) auf die Hauptkanzlei hinzuweisen hat.
82
Entscheidet sich eine BGB-Gesellschaft, einen weiteren Kanzleistandort aufzumachen, ohne diesen einem konkreten Berufsträger zuzuweisen und damit eine überörtliche Kanzlei zu gründen (vgl. Rz. 98–101), so ist dies selbstverständlich berufsrechtlich nicht verboten und damit möglich. Die Gesellschaft trifft aber keine Anzeigepflicht. Jeder einzelne Anwalt der Gesellschaft hingegen tritt dann unter einer weiteren Kanzleiadresse auf, die ihm selbst zuzurechnen ist. Er hat eine weitere Kanzlei und damit eine Zweigstelle. Diesbezüglich treffen ihn die Anzeigepflichten des § 27 BRAO. Diesen Anzeigepflichten kann freilich dadurch genügt werden, dass die Gesellschaft für alle Berufsträger die notwendigen Erklärungen abgibt. In der Kammer und damit im Anwaltsverzeichnis nach § 31 BRAO wird sodann unter Verwendung der entsprechenden Kurzbezeichnung die Zweigstelle jedem einzelnen Anwalt zugeordnet. Mitglied ist nämlich nur der Einzelanwalt und nicht die Sozietät.
83
Die für die BGB-Gesellschaft angestellten Überlegungen gelten letztlich auch für Partnerschaftsgesellschaften nach PartGG und Rechtsanwaltsgesellschaften im Sinne des § 59c BRAO.3 Auch diese treffen keine Anzeigepflichten nach § 27 BRAO (auch nicht sinngemäß, vgl. § 59m Abs. 2 BRAO). Bei der Einrichtung von Zweigniederlassungen sind allerdings die handelsrechtlichen Sonderregeln der §§ 13 ff. HGB zu beachten (vgl. § 5 Abs. 2 PartGG bzw. § 13 Abs. 3 GmbHG). Die notwendige Publizität von Zweigniederlassungen wird somit nicht über das Anwaltsverzeichnis nach § 31 BRAO, sondern über das Handels- bzw. Partnerschaftsregister hergestellt. Sofern die Gesellschaft den Rechtsanwalt (z.B. über Briefbogen und Homepage) nicht eindeutig nur einem der Kanzleistandorte zuweist, hat der in der Gesellschaft tätige Rechtsanwalt wiederum selbst die Pflicht, der jeweils zuständigen Kammer zu erklären, was als seine Kanzlei- und was als seine Zweigstellenadresse einzutragen ist. Das gilt ebenso, wenn der Anwalt (zumindest auch) einer bloßen Betriebsstätte (sog. unselbstständigen Niederlassung) zugeordnet wird.
84
b) Inhalt der Anzeigepflicht Die Anzeigepflicht nach § 27 Abs. 2 S. 1 Alt. 2 BRAO betrifft die Errichtung einer oder mehrerer Zweigstellen.4 Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Zweigstellen im Bezirk der eigenen Rechtsanwaltskammer, deren Mitglied der Rechtsanwalt ist, oder dem einer anderen Rechtsanwaltskammer eingerichtet werden. Die Informationspflicht ist in allen Fällen Voraussetzung für die sachgerechte Führung des Anwaltsverzeichnisses, für das die eigene Rechtsanwaltskammer zuständig ist, § 31 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 BRAO. Die Errichtung einer Zweigstelle ist der für die Hauptkanzlei zuständigen Rechtsanwaltskammer anzuzeigen.5 Die Anzeige ist grundsätzlich formlos möglich (vgl. Rz. 79 und 106 f).6 Die Anzeige hat unverzüglich, also ohne schuldhaftes Zögern nach Errichtung der Zweigstelle zu erfolgen (vgl. Rz. 79).7
1 Im Ergebnis ebenso Hartung/Hartung, § 5 BORA Rz. 73. 2 Die Tätigkeit in mehreren Sozietäten ist nach dem Wegfall des Zweigstellenverbots durch die Änderung des § 59a Abs. 1 S. 1 BRAO (BGBl. I, S. 2840 [2848]) zulässig. 3 A.A. Hartung/Römermann/Hartung, § 5 BORA Rz. 74–77. 4 Es können auch mehrere Zweigstellen eingerichtet werden (vgl. § 31 Abs. 3 BRAO), Römermann, AnwBl. 2007, 609 (610). 5 BT-Drs. 16/513, S. 15; in § 26 Abs. 2 PatAnwO wurde durch das Gesetz zur Modernisierung von Verfahren im patentanwaltlichen Berufsrecht v. 14.8.2009 (BGBl. I, S. 2827) mittlerweile eine Anzeigepflicht eingeführt. 6 So auch Offermann-Burckart/Dahns, § 1 Rz. 51. 7 Römermann, AnwBl. 2007, 609 (610).
Siegmund 399
85
§ 27 BRAO Rz. 86
Kanzlei
86
Die Einrichtung einer Zweigstelle in einem anderen Bezirk muss zusätzlich der Rechtsanwaltskammer angezeigt werden, die für diesen Bezirk zuständig ist. Damit ist gleichzeitig durch den Gesetzgeber klargestellt worden, dass die Einrichtung einer Zweigstelle auch außerhalb des Zulassungsbezirks möglich ist.1 Die Anzeigepflicht bei Einrichtung einer weiteren Kanzlei in einem anderen Staat regelt § 29a Abs. 3 S. 1 BRAO.
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Die Anzeige der Zweigstelle bei der Rechtsanwaltskammer, in deren Bezirk sie eingerichtet worden ist, ist notwendig, damit eine Unterscheidung von den eigenen Mitgliedern ermöglicht wird und Konfusionen in der Zuständigkeit vermieden werden. Die Anzeige muss daher alle Kanzleidaten und Zweigstellendaten (Anschrift und Telekommunikationsdaten) beinhalten und dem Rechtsanwalt eindeutig zuordenbar sein.2 Nur so kann die weitere Rechtsanwaltskammer in aufsichtsrechtlichen Angelegenheiten entsprechend an die Heimatkammer verweisen.3 Die Sanktionierung eines Verstoßes gegen die Anzeigepflicht gegenüber der weiteren Kammer kann nur über die zuständige Heimatkammer erfolgen, § 33 Abs. 3 Nr. 1 BRAO. § 27 Abs. 2 S. 2 BRAO enthält für die weitere Kammer die datenschutzrechtliche Ermächtigung, die gemeldeten Daten zu speichern.
88
Aus der Anzeigepflicht in § 27 Abs. 2 BRAO kann wohl nicht die Verpflichtung abgeleitet werden, auf Kanzleischild oder Briefbogen des Hauptsitzes müsse auf die Zweigstelle hingewiesen werden.4 Sofern die Zweigstellen aber auf dem Briefbogen der Hauptkanzlei (zum Briefbogen der Zweigstelle vgl. Rz. 93) tatsächlich geführt werden, so muss zur Vermeidung von Irreführungsgefahren eine entsprechende Unterscheidung von Hauptkanzlei und Zweigstelle auch auf dem Briefbogen vorgenommen werden.5 Ein entsprechender Rechtsgedanke konnte bereits § 10 Abs. 3 BORA a.F. entnommen werden,6 wonach die Hauptkanzlei eines Rechtsanwalts immer als solche kenntlich zu machen ist. Dies geschieht insbesondere dadurch, dass die Nebenkanzleien als Zweigstellen deklariert werden. Es gilt der Grundsatz der Wahrheit und Klarheit des Briefbogens.7 Ebenso darf durch das Verwenden entsprechender Briefbögen nicht wahrheitswidrig der Eindruck erzeugt werden, es wäre an einem anderen Ort eine Zweigstelle eingerichtet, an dem aber keine existiert.8 Ein Rechtsanwalt, der durch Gestaltung des Briefbogens den Eindruck erweckt, er betreibe eine Zweigstelle, obwohl er diese tatsächlich nicht eingerichtet hat, handelt jedenfalls wettbewerbswidrig.9 Wird durch Angabe von zwei „Büros“ wahrheitswidrig der Eindruck erweckt, der Rechtsanwalt betreibe unter einer Kurzbezeichnung eine überörtliche Sozietät, so ist dies berufsrechts- und wettbewerbswidrig.10
88a
In ihrer 4. Sitzung am 6./7.11.2009 hatte die 4. Satzungsversammlung beschlossen, den ehemaligen § 10 Abs. 3 BORA zukünftig als Abs. 1 zu führen und im Hinblick auf die Zweigstellen präziser zu fassen. Der Beschluss wurde veröffentlicht11 und ist am 1.7.2010 in Kraft getreten. Nach neuem § 10 Abs. 1 BORA hatte der Rechtsanwalt auf Briefbögen seine Kanzleianschrift anzugeben.12 Werden mehrere Kanzleien, eine oder mehrere Zweigstellen unterhalten, so war für jeden auf den Briefbögen Genannten seine Kanzleianschrift (§ 31 BRAO) anzugeben. Mit dieser Regelung hatte die Satzungsversammlung klargestellt, dass auf Briefbögen kein Hinweis auf Zweigstellen erfolgen muss. Für jeden Rechtsanwalt, der auf dem Briefbogen geführt wird, war aber in jedem Fall seine Kanzleiadresse anzugeben, wie sie auch im Gesamtverzeichnis nach § 31 BRAO geführt wird. Dies galt unabhängig davon, ob der Briefbogen der Kanzlei oder der Zweigestelle verwendet wurde. Der Rechtsuchende hatte somit jederzeit die Möglichkeit, über das Gesamtverzeichnis nach dem jeweiligen Rechtsanwalt zu recherchieren.13 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13
Während alter Rechtslage offen gelassen durch BGH, BRAK-Mitt. 1992, 170. Vgl. entsprechend § 24 Abs. 1 Nr. 2 und 3 BORA. Feuerich/Weyland, § 27 Rz. 33. Hartung/Hartung, § 5 BORA Rz. 80; im Ergebnis auch Feuerich/Weyland, § 27 Rz. 29 a.E. Feuerich/Weyland, § 27 Rz. 28: „Klarheit im Rechtsverkehr“; a.A. BGH, BRAK-Mitt. 2012, 275; vgl. Rz. 88b. Jedenfalls eine unmittelbare Anwendung wurde abgelehnt durch Lemke, BRAK-Mitt. 2008, 146. Huff, BRAK-Magazin 2007, 5; vgl. auch den auf die BGB-Gesellschaft nicht unmittelbar anwendbaren § 37a HGB. Henssler/Prütting/Prütting, § 28 Rz. 6; Hartung/Römermann, § 10 BORA Rz. 70. AnwGH Bayern, NJW 2002, 3338. Huff, BRAK-Magazin 2007, 5; a.A. für Flyer AnwG Tübingen, Beschl. v. 19.12.2008 – A 3/2008, nicht veröffentlicht, mit dem Argument, eine Rüge sei aufgrund der unklaren Rechtslage unverhältnismäßig. BRAK-Mitt. 2010, 69. Ausführlich Deckenbrock, NJW 2010, 3750 (3754). Offermann-Burckart/Dahns, § 1 Rz. 46.
400 Siegmund
Kanzlei
Rz. 91 § 27 BRAO
Zu Recht weist Deckenbrock darauf hin, dass die Verwendung des Ausdrucks „mehrere Kanzleien“ im neuen § 10 Abs. 1 BORA missverständlich formuliert war.1 Die Kanzlei einer Sozietät ist streng genommen die Kanzlei ihrer einzelnen Sozien (vgl. Rz. 101 ff.). Auch die frühere Regelung im § 59a Abs. 2 BRAO a.F., die „mehrere Kanzleien“ erwähnte, richtete sich ausschließlich an den einzelnen Anwalt.2 Der für wettbewerbsrechtliche Streitigkeiten zuständige 1. Zivilsenat des BGH vertrat überdies die Auffassung, die nach § 10 Abs. 1 BORA auf dem Briefbogen zu führende Kanzleianschrift könne auch (nur) eine Zweigstellenanschrift darstellen, denn Kanzlei und Zweigstelle seien gleichbedeutend. Der klare Verweis auf § 31 BRAO zur Begriffsbestimmung sei daneben nicht relevant. Diese Entscheidung war in der Literatur überwiegend auf starke Kritik gestoßen.3
88b
3. Definition der Zweigstelle Mit der Aufhebung des § 28 BRAO ist die Einrichtung einer oder mehrerer Zweigstellen zulässig geworden (vgl. Rz. 8–11). Der Gesetzgeber hat aber die Erfordernisse einer Zweigstelle ebenso wenig wie die einer Kanzlei definiert (vgl. Rz. 10). Die Zweigstelle wird lediglich in den §§ 27 Abs. 2 und 31 Abs. 3 BRAO erwähnt.4
89
a) Zweck der Zweigstelle Ausgehend von Sinn und Zweck der Kanzleipflicht können für die Einrichtung einer Zweigstelle keine anderen Voraussetzungen als wie für die Kanzlei gelten (vgl. § 5 BORA Rz. 5 ff.).5 Die Zweigstelle ist eine Kanzlei, die neben einer bereits bestehenden ersten Kanzlei eingerichtet und unterhalten wird und die der Rechtsanwalt – ähnlich wie die erste – zu einem tatsächlichen Mittelpunkt seiner beruflichen Tätigkeit macht.6 Dies ergibt sich auch mit einem Blick auf die §§ 29a Abs. 17 und 51 Abs. 3 Nr. 2 BRAO. Der Gesetzgeber geht ganz selbstverständlich davon aus, dass mehrere Kanzleien nebeneinander eingerichtet werden können. Zur Unterscheidung der Hauptkanzlei,8 die Anknüpfungspunkt für die zuständige Rechtsanwaltskammer ist, werden die „Nebenkanzleien“ durch den Gesetzgeber als Zweigstellen bezeichnet. In beiden Kanzleien übt der Rechtsanwalt aber seinen Beruf tatsächlich aus.9 Er offenbart der Öffentlichkeit, dass an beiden Orten anwaltliche Dienste bereitgestellt werden (vgl. Rz. 48). Der Beruf wird freilich auch dann in der Zweigstelle ausgeübt, wenn die Zweigstelle mit angestellten Rechtsanwälten oder Rechtsanwälten in freier Mitarbeit besetzt wird.10
90
Die Zweigstelle ist nichts Eigenständiges, sondern leitet sich immer von der Kanzlei ab.11 Sie ist Zweigstelle der Kanzlei. Dies wird auch deutlich mit einem Blick auf den ehemaligen § 59i Abs. 2 BRAO a.F.12 Dieser setzte Kanzlei und Zweigstelle bzw. Zweigniederlassung rechtlich gleich. Eine gesonderte Regelung war bei Anwaltsgesellschaften notwendig geworden, weil in § 59i Abs. 1 BRAO a.F. – anders als bei § 27 Abs. 1 BRAO – besondere Voraussetzungen für die Hauptkanzlei geschaffen worden waren.
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1 Henssler/Streck/Deckenbrock, M, Rz. 59. 2 Kilian/Offermann-Burckart/vom Stein/Offermann-Burckart, § 6 Rz. 97. 3 Deckenbrock, AnwBl. 2013, 8; Remmertz/Siegmund, BRAK-Mitt. 2013, 16; daher wurde § 10 BORA abermals geändert, vgl. Rz. 93b am Ende. 4 § 209 Abs. 4 a.F. BRAO wurde aufgehoben. 5 BGH BRAK-Mitt. 2010, 267, 269; Feuerich/Weyland, § 27 Rz. 27; Horn, BRAK-Mitt. 2007, 94 (95); Römermann, AnwBl. 2007, 609; Kopp, Münchener Empfehlungen i.R.d. Symposions „Kanzlei – Zweigstelle – Sprechtag“, BRAK-Mitt. 2007, 256; Kopp, Bericht über die 5. Berufsrechtsreferentenkonferenz, BRAKMitt. 2007, 102 (103); offen gelassen Offermann-Burckart/Dahns, § 1 Rz. 43; a.A. Huff, BRAK-Magazin 2007, 5: Die Erreichbarkeit oder die personelle Besetzung erfordere weniger als beim Hauptsitz; Hartung/ Hartung, § 5 BORA Rz. 78, allerdings inkonsequent zu Rz. 67 „zweite Kanzlei“. 6 BGH, NJW 1998, 2533 (2534); AnwGH NRW, AnwBl. 1999, 698; OLG Karlsruhe, NJW 1992, 1114; Feuerich/ Weyland, § 28 Rz. 3; Koch/Kilian, Rz. 217 („im Stile einer Niederlassung“); Römermann, AnwBl. 2007, 609; Kleine-Cosack, § 27 Rz. 10 „weitere lokale Anlaufstelle“; Hartung/Hartung, § 5 BORA Rz. 67; noch zu den RL gem. § 177 Abs. 2 Nr. 2 BRAO a.F. Lingenberg/Hummel/Zuck/Eich/Zuck, § 79 Rz. 3; mit Aufhebung des Lokalisierungsgebots dürfte sich die a.A. von Brauns, AnwBl. 1992, 65 (67) erledigt haben. 7 Henssler/Prütting/Henssler, § 28 Rz. 5. 8 So die Wortwahl in der Gesetzesbegründung BT-Drs. 16/513, S. 15 Nr. 16 Abs. 2 S. 4. 9 OLG Karlsruhe NJW 1992, 1114 (1115). 10 Koch/Kilian, Rz. 218. 11 Feuerich/Weyland, § 27 Rz. 31d; Dorn, BRAK-Mitt. 2007, 94 (95); Hartung/Hartung, § 5 BORA Rz. 67: Die Zweigstelle ist der Kanzlei nachgeordnet; OLG Dresden, NJW 2011, 860: Die Zweigstelle ist daher zwar nicht zwingend als der Kanzlei nachgeordnet, jedoch als unselbstständiger Bestandteil der Kanzlei anzusehen. 12 Im Rahmen der BRAO-Novelle 2009 wurde § 59i Abs. 2 BRAO aufgehoben.
Siegmund 401
§ 27 BRAO Rz. 92 92
Kanzlei
Eröffnet der Rechtsanwalt eine „zweite Kanzlei“, so muss es auch diesbezüglich eine räumlich eindeutig definierte Stelle geben, an die alle für den Anwalt bestimmten Zustellungen, Mitteilungen und sonstigen Nachrichten wirksam gerichtet werden können. Eine vertrauliche Kommunikation mit Mandanten muss gesichert sein. Es muss eine geschützte räumliche Sphäre für Daten von und über Mandanten bestehen (vgl. Rz. 28–31). b) Anforderungen an die Zweigstelle
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Es müssen die allgemeinen Anforderungen an Kanzleiräume, Kanzleiadresse, Telekommunikationsmittel und deren Deklaration erfüllt sein (vgl. Rz. 55–77).1 Die Zweigstelle benötigt insbesondere eine zustellfähige Anschrift (vgl. § 31 Abs. 3 BRAO),2 einen betrieblichen (ggf. mobilen) Telefonanschluss und ein Kanzleischild.3 Der Telefonanschluss besteht in einer Rufnummer, unter der der Rechtsanwalt erreicht werden kann.4 Das Kanzleischild und der Briefbogen5 der Zweigstelle (zum Briefbogen der Hauptkanzlei vgl. Rz. 88) müssen zur Klarstellung für jeden dort tätigen Rechtsanwalt, für den die Kanzleiadresse nicht der Hauptkanzlei entspricht, den Hinweis auf die anderweitige Hauptkanzlei enthalten.6 Der Rechtsverkehr muss darüber aufgeklärt werden, dass der Rechtsanwalt seine Hauptkanzlei an einem anderen Ort hat und unter Umständen eine andere Rechtsanwaltskammer die Aufsicht führt.7 Eine Irreführung wäre zum einen ein Verstoß gegen die Pflicht, die Hauptkanzlei ordnungsgemäß zu deklarieren, und könnte zum anderen wettbewerbsrechtlich8 relevant sein. Es muss insbesondere eine Terminologie gewählt werden, die nicht irreführend ist und eine Unterscheidung zur Hauptkanzlei zulässt. Empfehlenswert ist die Verwendung des vom Gesetzgeber vorgegebenen Begriffs „Zweigstelle“.9 Der schlichte Verweis auf die Eintragungen im Anwaltsverzeichnis kann in diesem Zusammenhang nicht genügen.10
93a
In zwei durch den BGH11 aufgehobenen Entscheidungen haben sich das LG Erfurt12 und in Folge das OLG Jena13 mit den Anforderungen an den Briefbogen der Zweigstelle befasst.14 Das LG Erfurt vertrat zunächst die Auffassung, dass ein Rechtsanwalt, der auf seinem Briefbogen mehrere Büroanschriften nenne, klar erkennbar machen müsse, wo er seine Hauptniederlassung unterhalte und mit welcher Anschrift nur auf eine Zweigstelle hingewiesen werde. Keinesfalls dürfe der unzutreffende Eindruck erzeugt werden, dass der Rechtsanwalt am Standort einer Zweigstelle eine Hauptkanzlei unterhalte. Das rechtsuchende Publikum habe ein berechtigtes Interesse daran, nicht darüber getäuscht zu werden, wer ihm werbend gegenübertrete. Dabei stützte das LG Erfurt den wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruch ausschließlich auf das Verbot irreführender Werbung.15 Unter Verweis auf diese Kommentierung ließ es ausdrücklich offen, ob auch ein Verstoß gegen Marktverhaltensregeln begründet sein könnte.
93b
Das OLG Jena erkannte den Unterlassungsanspruch (teilweise) zwar an, jedoch nur deshalb, weil es § 10 Abs. 1 BORA in seiner zwischenzeitlich in Kraft getretenen Fassung heranziehen konnte (vgl. Rz. 88a). Der darin enthaltene Verweis auf § 31 BRAO könne nur bedeuten, dass auf dem Briefbogen die Kanzleiadresse kenntlich zu machen sei. Es genüge allerdings, wenn die Klarstellung auf der Rückseite des Briefbogens erfolge.16 In diesem Zu1 Feuerich/Weyland, § 27 Rz. 27; im Ansatz ebenso Kleine-Cosack, § 27 Rz. 10 „mehrere Kanzleien“. 2 Kopp, Bericht über die 5. Berufsrechtsreferentenkonferenz, BRAK-Mitt. 2007, 102 (103); Dahns, NJW 2007, 1553 (1556); Kleine-Cosack, § 27 Rz. 10. 3 BGH, BB 1993, 1761; AnwGH NRW, AnwBl. 1999, 698; Henssler/Prütting/Henssler, § 28 Rz. 6; OffermannBurckart/Dahns, § 1 Rz. 44. 4 Hartung/Hartung, § 5 BORA Rz. 83. 5 § 10 Abs. 1 BORA. 6 Ausführlich zum Briefbogen der Zweigstelle Lemke, BRAK-Mitt. 2008, 146. Feuerich/Weyland, § 27 Rz. 28 f. u.a. mit Verweis auf § 18 Abs. 2 BOStB; a.A. Römermann, AnwBl. 2007, 609 (611). 7 Feuerich/Weyland, § 27 Rz. 28a; a.A. BGH, BRAK-Mitt. 2012, 275 mit der Begründung, der Durchschnittsverbraucher könne mit der Kanzleiadresse nicht die zuständige Kammer ermitteln. Kritisch hierzu Deckenbrock, AnwBl. 2013, 8; Remmertz/Siegmund, BRAK-Mitt. 2013, 16. 8 Mit überzeugender Argumentation Lemke, BRAK-Mitt. 2008, 146; a.A. BGH, BRAK-Mitt. 2012, 275; ihm folgend Menebröcker, GRUR-Prax 2012, 563. 9 Kopp, Münchener Empfehlungen i.R.d. Symposions „Kanzlei – Zweigstelle – Sprechtag“, BRAK-Mitt. 2007, 256; Feuerich/Weyland, § 27 Rz. 28. 10 Remmertz/Siegmund, BRAK-Mitt. 2013, 16; Dahns, NJW-Spezial 2012, 382. 11 BGH, BRAK-Mitt. 2012, 275. 12 LG Erfurt, BRAK-Mitt. 2010, 226; Anm. Dahns, NJW-Spezial 2010, 478. 13 OLG Jena, BRAK-Mitt. 2011, 156; Anm. Dahns, NJW-Spezial 2011, 286. 14 Kritisch Ciper, Berliner Anwaltsblatt 3/2011, 91 15 Ablehend Ciper, Berliner Anwaltsblatt 2011, 91. 16 Kritisch Dahns, NJW-Spezial 2011, 286 unter Verweis auf Telefax und digitale Dokumente.
402 Siegmund
Kanzlei
Rz. 95 § 27 BRAO
sammenhang bestätigte das OLG, dass § 10 Abs. 1 BORA eine Marktverhaltensregel sei. Eine darüber hinausgehende Irreführung liege jedenfalls dann nicht vor, wenn alle Adressen angegeben würden, von denen aus der Betroffene anwaltlich tätig sei. Der BGH hob die Entscheidung aus Erfurt im Revisionsverfahren auf, weil er keinen Wettbewerbsverstoß erkennen konnte. Insbesondere könne die Pflicht nach § 10 Abs. 1 BORA, die Kanzleianschrift anzugeben, auch durch die Angabe (nur) der Anschrift der Zweigstelle erfüllt werden.1 Mittlerweile hat die Satzungsversammlung abermals eine Änderung des § 10 BORA beschlossen, wonach im Abs. 1 S. 2 klargestellt wird, dass Kanzleianschrift die im Verzeichnis nach § 31 BRAO eingetragene Anschrift ist.2 Nach Ansicht der Notarkammer Oldenburg ist es Anwaltsnotaren gestattet, auf dem Namensschild ihrer anwaltlichen Zweigstelle die Amtsbezeichnung „Notar“ zu verwenden. Dann muss aber mit einem ergänzenden Hinweis klargestellt werden, dass es sich nicht um eine Geschäftsstelle des Notars handelt. Mit Beschluss vom 15.2.2008 hat das KG Berlin hingegen entschieden, dass einem Anwaltsnotar die Verwendung seiner Amtsbezeichnung „Notar“ lediglich auf dem Namensschild der Geschäftsstelle gestattet sei.3 Die hiergegen eingelegte Verfassungsbeschwerde wurde mit Beschluss vom 19.8.2008 nicht angenommen.4
93c
Anders als die §§ 34 Abs. 2 S. 1 f. StBG5 und 47 WiPrO für Steuerberater und Wirtschaftsprüfer fordern (vgl. Rz. 11 und 101), muss an dem Ort der Zweigstelle kein weiterer Rechtsanwalt seine berufliche Niederlassung haben.6 Doch müssen die allgemeinen Kanzleierfordernisse auch für eine personelle Besetzung erfüllt werden.7 Der Rechtsanwalt muss regelmäßig selbst in der Zweigniederlassung anwesend sein. Entsprechend § 53 Abs. 1 Nr. 2 BRAO wird der Rechtsanwalt ohne Vertretung wöchentlich seine Zweigniederlassung aufsuchen müssen. Es müssen insbesondere die Entgegennahme von Zustellungen und das Tätigwerden in Eilfällen gewährleistet sein.8 Dies kann auch durch den Einsatz von Kanzleipersonal oder einen Vertreter sichergestellt werden. Es können theoretisch beliebig viele Zweigstellen eingerichtet werden. Durch das Erfordernis, diese regelmäßig aufsuchen zu müssen bzw. betreuen zu lassen, ergibt sich aber eine natürliche Beschränkung.
94
c) Abgrenzung der Zweigstelle aa) Schreibbüro Keine anzeigepflichtige Zweigstelle liegt bei einer bloßen Verlagerung der Kanzleiräumlichkeiten aufgrund beengter Platzverhältnisse vor, wenn also bspw. lediglich ein Schreibbüro in ein anderes Haus verlegt wird.9 Es wird kein selbstständiger Teilbetrieb geführt, sofern sich dieser in engem örtlichem Zusammenhang zur beruflichen Niederlassung befindet.10 Die ausgelagerte „Nebenstelle“ darf telefonisch und postalisch nur über das Hauptbüro erreichbar sein. Sie darf über kein eigenes Kanzleischild verfügen. Auf Briefbögen darf nur in der Weise auf sie hingewiesen werden, dass nicht der Eindruck entsteht, es würde unter dieser Nebenstelle eine organisatorisch selbstständige Zweigstelle betrieben.11 Die Nebenstelle darf nicht wie die Zweigstelle eine gewisse Selbstständigkeit besitzen. Eine Selbstständigkeit wäre gegeben, wenn bei Wegfallen der Hauptstelle, die Nebenstelle hiervon im Wesentlichen nicht berührt würde.12 Der Teilbetrieb muss in jedem Fall von der Schutzsphäre der Kanzlei mit umfasst sein (vgl. Rz. 32 f.).
1 2 3 4 5 6 7
8 9 10 11 12
BGH, BRAK-Mitt. 2012, 275; kritisch Remmertz/Siegmund, BRAK-Mitt. 2013, 16. Dahns, NJW Spezial 2013, 318 m.W.v. 1.11.2013, BRAK-Mitt. 2013, 173. KG Berlin, NJW 2008, 2197. BVerfG, DNotZ 2009, 792. Vgl. auch § 49 BOStB. Dahns, NJW 2007, 1553 (1556). Hinsichtlich einer strengen Präsenzpflicht zurückhaltend Kopp, Bericht über die 5. Berufsrechtsreferentenkonferenz, BRAK-Mitt. 2007, 102 (103); a.A. OLG Dresden NJW 2011, 869, 870; Prütting, AnwBl. 2011, 46, 47: „Davon abweichend muss in einer Zweigstelle keinerlei Personal vorhanden sein und es bedarf auch keiner Vorkehrungen, dass der Anwalt oder sein Personal in der Zweigstelle persönlich erreichbar ist“; Dahns, NJW-Spezial 2012, 382; Offermann-Burckart/Dahns, § 1 Rz. 45. AGH Nordrhein-Westfalen, BRAK-Mitt. 2006, 177. Feuerich/Weyland, § 28 Rz. 3; Koch/Kilian, Rz. 218; noch zu den RL gem. § 177 Abs. 2 Nr. 2 BRAO a.F. Lingenberg/Hummel/Zuck/Eich/Zuck, § 79 Rz. 5. LG Frankfurt a.M., DStRE 2004, 484 (zu § 34 Abs. 2 StBerG). AnwGH NRW, AnwBl. 1999, 698 (699). Chemnitz/Johnigk, Rz. 895 f. zu 1. AVO RBerG § 1 Abs. 1 S. 2 (aufgehoben).
Siegmund 403
95
§ 27 BRAO Rz. 95a 95a
Kanzlei
Noch nicht einmal ein Schreibbüro liegt vor, wenn an einem anderen Standort ein weiterer Beruf ausgeübt wird, der unter § 45 BRAO fällt. Betreibt beispielsweise der Rechtsanwalt an dem anderen Standort ein Inkassounternehmen, so ist dies keine Zweigstelle der Kanzlei, sondern organisatorisch völlig getrennt hiervon. Ein auswärtiges Büro, in dem ein Wirtschaftsprüfer ohne Hinweis auf seinen Beruf als Wirtschaftsprüfer und ohne Angebot oder Durchführung berufsspezifischer Kerntätigkeiten lediglich Aufgaben als Insolvenzverwalter wahrnimmt, ist keine Zweigniederlassung i.S. von §§ 47 und 38 Nr. 3 WPO.1 bb) Auswärtige Sprechtage
96
Ein auswärtiger Sprechtag des Rechtsanwalts liegt vor, wenn sich dieser zu bestimmten festgelegten Zeiten oder jeweils bekannt gegebenen Zeiten an einem bestimmten Ort außerhalb seiner Kanzlei aufhält, um dort Mandanten zu beraten oder neue Mandate entgegen zu nehmen.2 Es wird eine gewisse Regelmäßigkeit und Publizität dahin gehend vorausgesetzt, dass der Rechtsanwalt an diesem Tag an einem bestimmten Ort für Besprechungen zur Verfügung steht.3 Mit dem Wegfall des § 28 BRAO ist auch das Abhalten von auswärtigen Sprechtagen nicht mehr verboten;4 das ist aber wohl ohne weitere praktische Relevanz (vgl. Rz. 8).5 Ebensowenig besteht eine Anzeigepflicht gegenüber der Rechtsanwaltskammer.6 Ein Sprechtag unterscheidet sich von der anzeigepflichtigen Zweigstelle dadurch, dass es an einem gesonderten Kanzleibetrieb am auswärtigen Ort fehlt.7 Es handelt sich im Gegensatz zur Zweigstelle um keine Einrichtung, die jederzeit während der üblichen Bürostunden für die Rechtsuchenden erreichbar ist, sondern um eine von der Kanzlei räumlich getrennte Einrichtung, die nur zu bestimmten Zeiten geöffnet ist.8 Der Rechtsanwalt tritt von dem auswärtigen Ort nicht nach außen hin im Rechtsverkehr auf.9 Es werden dort keine selbstständigen Geschäftsbücher und kein Personal unterhalten.10 Die Verschwiegenheitspflicht muss hinsichtlich der Wahl der Örtlichkeit gewahrt bleiben.11
97
Es darf somit kein selbstständiger bzw. institutionalisierter12 Teilbetrieb geführt werden. Die ausgelagerte Einrichtung darf telefonisch und postalisch nur über die Kanzlei oder etwaige Zweigstellen erreichbar sein. Sie darf über kein eigenes Kanzleischild verfügen. Auf Briefbögen darf nur in der Weise auf sie hingewiesen werden, dass nicht der Eindruck entsteht, es würde unter der ausgelagerten Einrichtung eine organisatorisch selbstständige und damit anzeigepflichtige Zweigstelle betrieben. Es muss ausdrücklich, unmissverständlich und unübersehbar klargestellt werden, dass an dem betreffenden Ort nur auswärtige Sprechtage abgehalten werden.13 Es muss unter allen Umständen vermieden werden, dass an den zusätzlichen Besprechungsort Zustellungen erfolgen. Im Gegensatz zum ausgelagerten Büro dürfen an dem Besprechungsort jedoch zeitlich begrenzt Rechtsberatungsleistungen erbracht werden, ohne allerdings vertrauliche Dokumente dort zu lagern. Hierfür wäre die Einrichtung einer vollwertigen Zweigstelle erforderlich, die eine geschützte räumliche Sphäre bietet (vgl. Rz. 32–38). cc) Überörtliche Sozietät
98
Bei einer überörtlichen Sozietät nach § 59a Abs. 1 S. 1 BRAO müssen die zusammengeschlossenen Rechtsanwälte dann keine Zweigstelle der Rechtsanwaltskammer anzeigen, wenn jeder Kanzleistandort mindestens einem Sozius eindeutig zugewiesen wird.14 Die 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14
BGH, NJW 2005, 1057. OLG Düsseldorf, AnwBl. 2004, 254; zur Abgrenzung von Hausbesuchen Koch/Kilian, Rz. 220 f. Horn, BRAK-Mitt. 2007, 94 (95); Hartung/Hartung, § 5 BORA Rz. 86. Feuerich/Weyland, § 28 Rz. 14; zum 1.7.2008 wurde mit dem Gesetz zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts v. 12.12.2007 (BGBl. I S. 2840) daneben auch die Erlaubnispflichtigkeit von auswärtigen Sprechtagen nach dem RBerG aufgehoben, vgl. 1. AVO RBerG § 1 Abs. 1 S. 2. Horn, BRAK-Mitt. 2007, 94 (95); Hartung/Hartung, § 5 BORA Rz. 87. Feuerich/Weyland, § 28 Rz. 15. In diesem Sinne Römermann, AnwBl. 2007, 609 (610); noch zu den RL gem. § 177 Abs. 2 Nr. 2 BRAO a.F. Lingenberg/Hummel/Zuck/Eich/Zuck, § 79 Rz. 6. Feuerich/Weyland, § 28 Rz. 12. Offermann-Burckart/Dahns, § 1 Rz. 43. Chemnitz/Johnigk, Rz. 903 zu 1. AVO RBerG § 1 Abs. 1 S. 2 (aufgehoben). OLG Düsseldorf, BRAK-Mitt. 2007, 274: zur Rechtsberatung im Coffeeshop. Hierzu OLG Düsseldorf, BRAK-Mitt. 2007, 274; LG Frankfurt a.M., DStRE 2004, 484; Henssler/Müller, EWiR 2004, 21 (Anm.). Vgl. OLG Stuttgart, NJW 1993, 1336. Henssler/Prütting/Hartung, § 59a Rz. 111, 124; ausführlich auch Henssler/Streck/Deckenbrock, M, Rz. 65.
404 Siegmund
Kanzlei
Rz. 101 § 27 BRAO
Kanzlei des einen Sozius darf – zur Vermeidung der Anzeigepflicht – nicht zur Zweigstelle des anderen Sozius werden.1 Dies dürfte regelmäßig dann nicht der Fall sein, wenn jeder Sozius beispielsweise auf dem Briefbogen eindeutig einem Kanzleistandort zugeordnet ist, § 10 Abs. 1 S. 3 BORA.2 Mit der Streichung des § 59a Abs. 2 S. 1 BRAO a.F. muss hingegen im Innenverhältnis nicht mehr einem Standort mindestens ein dort verantwortlich tätiger Rechtsanwalt zugeordnet werden. Insbesondere wird man nicht mehr darauf abzustellen haben, in welchen Kanzleien der Sozietät ein Rechtsanwalt den Mittelpunkt seiner beruflichen Tätigkeit hat.3 Man muss nämlich mit dem Wegfall des Zweigstellenverbots dessen Umgehung nicht mehr befürchten. Eine Zweigstelle innerhalb einer Sozietät ist dann vorstellbar, wenn ein bei der Sozietät angestellter Anwalt alleine einen Kanzleistandort betreut. Denn dann liegt keine gemeinschaftliche Berufsausübung i.S.d. § 59a Abs. 1 S. 1 BRAO vor.4 Der im Beschäftigungsverhältnis befindliche Rechtsanwalt kann nicht verantwortlich den weiteren Kanzleistandort für seine Kollegen betreuen.5 Der weitere Kanzleistandort wird zur anzeigepflichtigen Zweigstelle jedes einzelnen Sozius. Nach außen muss klargestellt werden, was Hauptsitz und was Zweigstelle der Kanzlei ist.6 Jedenfalls am Ort der Zweigniederlassung muss zwingend auf den Hauptsitz verwiesen werden (vgl. Rz. 93).7
99
Zulässig ist es, dass ein Sozius neben der Tätigkeit in der Sozietät eine eigene Zweigstelle betreibt.8 Nach Wegfall des Verbots der Sternsozietät zum 1.1.2008 kann diese Zweigstelle auch in einer weiteren Sozietät eingerichtet werden. Während der Geltung des Zweigstellenverbots konnte diese zusätzliche anwaltliche Tätigkeit (gerade im Rahmen von Vorbehaltsmandaten)9 auf eigene Rechnung und unter eigenem Namen bzw. Briefbogen nur unter der Kanzleiadresse erfolgen, wie sie auch von der Sozietät verwendet wurde. Dabei durfte lediglich keine neue Bürogemeinschaft mit der Sozietät entstehen.10 Nunmehr kann der jeweilige Rechtsanwalt seine Zweigstelle an jedem beliebigen Ort einrichten. Er sollte aus Gründen der Klarstellung (vgl. § 10 Abs. 1 BORA) allerdings darauf achten, dass zumindest die Hauptkanzlei auf dem Briefbogen der Zweigstelle geführt wird (vgl. Rn. 93). Um Irritationen im geschäftlichen Verkehr zu vermeiden, ist es zudem empfehlenswert auch auf dem Briefbogen der Hauptkanzlei auf die Zweigstelle hinzuweisen.
100
Schließlich kann auch die Sozietät als solche eine Zweigstelle einrichten.11 Da aber § 27 BRAO nur auf den einzelnen Rechtsanwalt Anwendung findet (Rz. 80–84),12 haben somit alle Rechtsanwälte einer Sozietät unter ihrer Kurzbezeichnung die Zweigstelle einzurichten und im Rahmen einer Sammelerklärung gegenüber der Rechtsanwaltskammer anzuzeigen.13 Auf
101
1 Henssler/Prütting/Henssler, 2. Aufl., § 28 Rz. 8; BGH, NJW 1998, 2533 (2534); in diesem Sinne wohl auch Koch/Kilian, Rz. 218. 2 BGH, NJW 1998, 2533 (2534); AnwGH Bayern, NJW 2002, 3338 (3339). 3 Hierzu noch BGH, NJW 1998, 2533 (2534); OLG Karlsruhe, NJW 1992, 1114 (1115); Henssler/Prütting/ Henssler, 2. Aufl., § 28 Rz. 8. 4 Henssler/Prütting/Hartung, § 59a Rz. 63; vgl. auch Staehle, FS 12 Jahrzehnte MAV, 2000, S. 157, 164; a.A. Hommerich/Kilian, NJW 2007, 2308 (2310, Fn. 24). 5 Henssler/Prütting/Hartung, § 59a Rz. 65. 6 Huff, BRAK-Magazin 2007, 5. 7 Huff, BRAK-Magazin 2007, 5. 8 Kopp, Münchener Empfehlungen i.R.d. Symposions „Kanzlei – Zweigstelle – Sprechtag“, BRAK-Mitt. 2007, 256; Römermann, AnwBl. 2007, 609 (610) („und umgekehrt“); a.A. Huff, BRAK-Magazin 2007, 5; Kleine-Cosack, § 27 Rz. 12 und Feuerich/Weyland, § 27 Rz. 31b, die meinen, die Zweigstelle beziehe sich immer auf die Sozietät. Eine zweite Individualkanzlei dürfe der Anwalt aufgrund des Wortlauts des § 27 Abs. 1 BRAO nicht einrichten. Damit wird aber wohl unrichtigerweise die Kanzlei mit der gesellschaftsrechtlichen Sozietät gleichgesetzt. Es betreibt aber nur jeder Sozius seine (!) Kanzlei im Rahmen einer gemeinschaftlichen Berufsausübung und kann daher dieser Kanzlei zugeordnete Zweigstellen einrichten. Der Kanzleibegriff ist völlig losgelöst von dem Bestehen einer Sozietät, vgl. Rz. 79b ff. 9 Dazu zählt bspw. die Beiordnung eines Rechtsanwalts i.R.d. Prozesskostenhilfe. 10 BGH, NJW 2003, 3548. 11 Kopp, Münchener Empfehlungen i.R.d. Symposions „Kanzlei – Zweigstelle – Sprechtag“, BRAK-Mitt. 2007, 256. 12 Dies begründet sich weniger durch den Singular in § 27 Abs. 2 S. 1 BRAO als vielmehr durch die Systematik der BRAO – deren Erster und Zweiter Teil nur für den einzelnen Rechtsanwalt gilt. Erst der Dritte Teil enthält Regelungen für die berufliche Zusammenarbeit. Zudem könnte die Zweigstelle der Sozietät nicht im Verzeichnis nach § 31 BRAO eingetragen werden. Henssler/Streck/Deckenbrock, M, Rz. 59; a.A. Huff, BRAK-Magazin 2007, 5; Offermann-Burckart/Dahns, § 1 Rz. 48; ebenso Henssler/Prütting/Prütting, § 27 Rn. 20 und Feuerich/Weyland, § 27 Rz. 31 bb) jeweils mit ausführlicher Begründung. 13 Schon nach § 59a Abs. 2 BRAO a.F. konnte somit keine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung mit Einzelanwälten eintreten; a.A. Hommerich/Kilian, NJW 2007, 2308 (2311).
Siegmund 405
§ 27 BRAO Rz. 101a
Kanzlei
eine Anwaltsgesellschaft nach § 59c BRAO findet § 27 BRAO schon gar keine Anwendung. Für sie gelten die Sonderregeln im HGB. Bei Sozietäten mit Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern ist darauf zu achten, dass deren Berufsrecht in den §§ 34 Abs. 2 S. 1 f. StBG und 47 WiPrO bestimmte Voraussetzungen für die Einrichtung von Zweigstellen vorsieht. dd) Weitere Kanzleien 101a
Nur schwer nachvollziehbar ist die gegenwärtige Diskussion zu der angeblichen Existenz „weiterer Kanzleien“. Mit der Schaffung dieses neuen Terminus sind weitere Standorte eines Einzelanwalts in Form von Kanzleien gemeint, die dieser neben seiner Hauptkanzlei in demselben oder einem anderen Kammerbezirk einrichtet.1 Sofern die weitere Kanzlei in einem anderen Kammerbezirk eingerichtet wird, würden – konsequent zu Ende gedacht – mehrere Kammerzuständigkeiten entstehen. Um dieses Ergebnis wiederum zu vermeiden, soll der Anwalt de lege ferenda die Verpflichtung haben, einen Zulassungssitz zu erklären. Der Gesetzgeber wird im Rahmen der Diskussion aufgefordert, für eine Klarstellung zu sorgen.2
101b
Ob der Gesetzgeber allerdings dieser Aufforderung nachkommen wird, erscheint äußerst fraglich. Denn er hat bereits die erforderliche Klarstellung mit dem jetzigen Gesetzestext erreicht. Derjenige Standort eines Anwalts, an den seine Mitgliedschaft in einer Kammer und seine Zulassung geknüpft sind, nennt der Gesetzgeber Kanzlei. Alle weiteren Standorte werden als Zweigstellen bezeichnet. Es kann damit denknotwendig nur eine Kanzlei geben.
101c
Lediglich auf den Wortlaut des § 27 Abs. 1 BRAO zu verweisen, der die Einrichtung von mehreren Kanzleien nicht ausschließe, führt nicht weiter. Denn in § 27 Abs. 1 BRAO ist lediglich die Pflicht geregelt, eine Kanzlei einzurichten, an die die Zulassung und die Kammermitgliedschaft anknüpfen. Mehrere Mitgliedschaften in mehreren Kammern sind systematisch nicht möglich. Denn der Anwalt wird nach § 60 Abs. 1 S. 2 BRAO nur Mitglied einer Kammer mit (originärer) Zulassung zur Anwaltschaft oder mit Aufnahme. Die Aufnahme kann wiederum nur dann erfolgen, wenn der Anwalt seine Kanzlei nach § 27 Abs. 3 S. 1 BRAO verlegt.
101d
Zugegebenermaßen wird eine Zweigstelle nach dem allgemeinen Wortsinn und isoliert betrachtet als räumlich getrennte, abhängige Niederlassung eines Unternehmens verstanden. Vor diesem Hintergrund erklärt sich das Bedürfnis eines Anwalts, in bestimmten Fällen einen zweiten völlig selbstständigen Kanzleisitz gründen zu wollen. Dabei ist allerdings zu beachten, dass der allgemeine Wortsinn nur eine von vielen Möglichkeiten ist, die Tatbestandsmerkmale der Kanzlei und der Zweigstelle auszulegen. Entscheidend dürfte in der Regel der Telos des Gesetzes sein. Der Gesetzgeber wollte vorliegend mit den beiden Tatbestandsmerkmalen nur differenzieren zwischen dem Hauptstandort, der Anknüfungspunkt für Kammermitgliedschaft und Zulassung ist und Kanzlei genannt wird, und allen weiteren Standorten, ob abhängig oder nicht, die Zweigstellen genannt werden.3 Dies wird auch dadurch deutlich, dass der Gesetzgeber die Kanzlei im Sinne der BRAO nur als anwaltlichen Arbeitsplatz ansieht und nicht etwa mit einem Einzelunternehmen oder einer Sozietät gleichsetzt.
101e
Vor diesem Hintergrund lassen sich zwei häufig diskutierte Fallgestaltungen befriedigenden Lösungen zuführen. Ein Anwalt, der innerhalb einer Sozietät tätig ist, richtet seinen Kanzleistandort in eben dieser Sozietät räumlich ein. Die Sozietät hat selbst keine Kanzlei im Sinne des Berufsrechts (vgl. Rz. 79b). Daher kann der Anwalt selbst über eine Zweigstellenadresse unter eigenem Namen im Rechtsverkehr auftreten.4 Dabei mag es hinderlich für den Anwalt sein, auf dem Briefboden der Zweigstelle auf die Adresse des berufsrechtlich relevanten Kanzleistandorts hinzuweisen. Dies ist aber im Sinne des Verbraucherschutzes, der Transparenz des Rechtsverkehrs und einer effektiven Berufsaufsicht hinzunehmen (vgl. Rz. 93b).5
101f
Gleiches gilt, wenn ein Anwalt mehrere anwaltliche Unternehmen gründen möchte, die unterschiedliche Kanzleibezeichnungen führen sollen. Hier wäre zunächst zu klären, ob der Einzelanwalt überhaupt Kurzbezeichnungen zu führen berechtigt ist. Auf § 9 BORA („ge1 Nach Hartung/Scharmer, § 11 Rz. 5, kann man mit einer weiteren Kanzlei sogar „Mitglied einer Bürogemeinschaft werden“. 2 Huff, ZAP 2010, Fach 23, S. 888. 3 OLG Dresden, NJW 2011, 869: Die Zweigstelle ist daher zwar nicht zwingend als der Kanzlei nachgeordnet, jedoch als unselbstständiger Bestandteil der Kanzlei anzusehen, die der Rechtsanwalt gegenüber der Rechtsanwaltskammer nach § 27 Abs. 1 BRAO mitgeteilt hat. 4 Deckenbrock, NJW 2010, 3750 (3754); Römermann, AnwBl. 2007, 609; a.A. Feuerich/Weyland, § 27 Rz. 31; Henssler/Prütting/Prütting, § 27 Rz. 21; Offermann-Burckart/Dahns, § 1 Rz. 50. 5 Nach BGH, BRAK-Mitt. 2012, 275 besteht allerdings keine derartige Hinweispflicht.
406 Siegmund
Kanzlei
Rz. 104 § 27 BRAO
meinschaftlicher Berufsausübung“) kann er sich ebenso wenig berufen, wie auf das handelsrechtliche Firmenrecht. Leitet man die Berechtigung allerdings aus Art. 12 Abs. 1 GG ab (vgl. § 31 BRAO Rz. 54), so wird man konsequenterweise bei mehreren Kanzleistandorten eine einheitliche Kurzbezeichnung als zulässig erachten dürfen, § 9 BORA.1 Schließt sich der Anwalt an den beiden Standorten jeweils mit unterschiedlichen Berufsträgern zusammen, so mag er zwar unterschiedliche Kurzbezeichnungen führen dürfen. Wiederum aus Gründen des Verbraucherschutzes, der Transparenz des Rechtsverkehrs und einer effektiven Berufsaufsicht hat sich der Anwalt aber gegenüber der Kammer zu erklären, welcher Standort als seine Hauptkanzleiadresse eingetragen werden soll. V. Verlegung und Auflösung der Zweigstelle Anders als die Kanzlei kann die Zweigstelle ohne Beeinträchtigung der Anwaltszulassung jederzeit wieder aufgelöst werden. Dies hat der Gesetzgeber möglicherweise nicht berücksichtigt, denn es fehlt eine Mitteilungspflicht gegenüber der Rechtsanwaltskammer. Eine solche Pflicht lässt sich aber bereits aus den allgemeinen Kanzleipflichten (bspw. gültige Zustelladresse, ordnungsgemäße Deklaration) ableiten. Sofern der Rechtsanwaltskammer die Einrichtung einer Zweigstelle mitgeteilt worden ist, würde die Auflösung derselben ohne weitere Mitteilung einen Kanzleipflichtverstoß bedeuten. Die Nebenkanzlei wäre trotz Widmung nicht ordnungsgemäß eingerichtet. Der Verstoß könnte disziplinarrechtlich verfolgt werden. Ähnliches gilt für die Verlegung der Zweigstelle bzw. der Änderung ihrer Daten. Auch diesbezüglich fehlt es in den §§ 27 und 31 BRAO an einer ausdrücklichen Anzeigepflicht. Sie ist daher ebenfalls aus den allgemeinen Kanzleipflichten abzuleiten. Eine erweiternde Auslegung des § 27 Abs. 2 S. 2 BRAO dürfte allerdings nicht in Betracht kommen. Der Rechtsanwalt hat keine allgemeinen Berufspflichten gegenüber einer Kammer, deren Mitglied er nicht ist.
102
VI. Wechsel des Kammerbezirks § 27 Abs. 3 BRAO regelt die Verlegung der Kanzlei in einen anderen Kammerbezirk. Da die Mitgliedschaft in der Rechtsanwaltskammer nicht mehr der Zulassung bei einem Gericht folgen kann, aber weiterhin sichergestellt sein soll, dass eine eindeutige Zuordnung zu nur einer Rechtsanwaltskammer gegeben ist, wird die Verlegung der Kanzlei in einen anderen Bezirk an die Stellung eines Antrags auf Aufnahme in die Rechtsanwaltskammer des anderen Bezirks geknüpft, § 27 Abs. 3 S. 1 Hs. 2 BRAO. Die Zuständigkeit der aufnehmenden Kammer bestimmt sich nach § 33 Abs. 3 S. 2 BRAO. Die Aufnahme setzt wiederum die Einrichtung einer Kanzlei in dem anderen Bezirk voraus, § 27 Abs. 3 S. 2 BRAO. Daher kann beispielsweise ein Kammerwechsel nicht in den Fällen erfolgen, in denen ein Rechtsanwalt bereits von der Kanztleipflicht befreit ist. Ebenso scheidet ein Kammerwechsel aus, in dessen Rahmen bei der aufnehmenden Kammer zugleich die Befreiung von der Kanzleipflicht beantragt wird. In diesen Fällen gibt es keinen Grund, die Zuständigkeit der bisherigen Kammer zu ändern. Im Übrigen kann sich ein wechselnder Rechsanwalt nicht auf § 14 Abs. 3 Nr. 1 BRAO berufen, da der Kammerwechsel die Einrichtung der Kanzlei als ausdrückliche Voraussetzung hat.
103
Die BRAO-Novelle 2009 hat dazu geführt, dass auch für Anwaltsgesellschaften der Sitzwechsel in einen anderen Kammerbezirk entsprechend § 27 Abs. 3 BRAO zu handhaben ist, § 59i S. 2 BRAO. Der Gesetzgeber vertritt in diesem Zusammenhang die Auffassung, bereits bislang sei der Kammerwechsel nach § 27 Abs. 3 BRAO abzuwickeln gewesen. Die nun ausdrückliche Regelung betreffe nur den Fall, dass die Verlegung des Sitzes einer Rechtsanwaltsgesellschaft nicht zu einer Kanzleiverlegung im Sinne des § 27 Abs. 3 BRAO führe. Dies sei der Fall, wenn die Gesellschaft am Zielort bereits eine Niederlassung und damit auch eine Kanzlei unterhalte. Auch in diesem Fall müsse die Mitgliedschaft in der für den Zielort zuständigen Rechtsanwaltskammer beantragt werden.2
103a
1. Prüfungsumfang Nicht mehr erforderlich ist damit, dass der Rechtsanwalt auf die Rechte aus der bisherigen Zulassung (bei einem Gericht) schriftlich verzichtet, § 33 Abs. 1 BRAO a.F. Ebenso kann die Entscheidung über den Wechsel nicht wegen eines anwalts- oder strafgerichtlichen Ver1 Hartung/Römermann, § 9 BORA Rz. 23 verweist zudem auf die §§ 3, 5 UWG; ab 1.3.2011 lautet § 9 BORA nur noch: „Eine Kurzbezeichnung muss einheitlich geführt werden.“, BRAK-Mitt. 2010, 253. 2 BT-Drs. 16/11385, S. 60.
Siegmund 407
104
§ 27 BRAO Rz. 105
Kanzlei
fahrens bzw. Ermittlungsverfahrens ausgesetzt werden, § 33 Abs. 2 BRAO a.F. Im Fall eines anwaltsgerichtlichen Verfahrens bleibt das mit der Einleitung des Verfahrens befasste Anwaltsgericht zuständig, § 119 Abs. 2 BRAO. Während eines laufenden Rücknahme- oder Widerrufsverfahren gilt die neue Zuständigkeitsregel des § 3 Abs. 3 VwVfG i.V.m. § 32 S. 1 BRAO. 105
Da keine neue Zulassung erfolgt, kann die aufnehmende Rechtsanwaltskammer bei der Antragsbearbeitung auch nicht die §§ 6 ff. BRAO zur Anwendung bringen. Die einzigen Voraussetzungen für die Aufnahme in die neue Rechtsanwaltskammer sind daher ein Antrag des Rechtsanwalts, die bestehende Zulassung zur Rechtsanwaltschaft und der Nachweis über die Verlegung der Kanzlei. Ein Ermessen steht der Rechtsanwaltskammer nicht zu.1 Freilich kann aber die Kammer den Wechsel zum Anlass nehmen, Widerrufsgründe nach § 14 Abs. 2 BRAO zu prüfen. So ist häufig festzustellen, dass mit einem Wechsel auch Veränderungen in der Berufshaftpflichtversicherung entstehen. Daher kann eine aktuelle Bestätigung der Versicherungsgesellschaft angefordert werden. 2. Antragserfordernis
106
Die BRAO enthält hinsichtlich der Antragstellung ebenso wie beim Zulassungsantrag nach § 6 Abs. 1 BRAO, aber anders als beim Verzicht nach § 14 Abs. 2 Nr. 4 BRAO keine Formvorschriften.2 Auch § 64 VwVfG i.V.m. § 32 BRAO dürfte nicht ohne weiteres entsprechend herangezogen werden können. § 63 VwVfG setzt eindeutig die Anordnung eines förmlichen Verwaltungsverfahrens durch Rechtsvorschrift voraus.
107
Die Rechtsanwaltskammer muss von Amts wegen im beschränkten Umfang aber entsprechende Vorschriften über Inhalt und Form des Antrags machen können.3 Ein mündlicher Antrag wird schon aus Gründen der Dokumentation und Authentifizierung nicht ausreichen. So werden auch bei nichtförmlichen Verfahren i.S.d. § 10 VwVfG rechtsstaatliche Mindestanforderungen anerkannt, die sich aus den in der Sache betroffenen Grundrechten ergeben und dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung folgen.4
107a
In jedem Fall kann ein Kammerwechsel nur auf Antrag durchgeführt werden. Verlegt ein Rechtsanwalt seinen Kanzleisitz lediglich in einen anderen Kammerbezirk, so verletzt er die Pflicht, die Kanzlei im Bezirk der zuständigen Kammer einzurichten. Diese muss ggf. aufsichtsrechtlich gegen den Rechtsanwalt einschreiten. 3. Zulassung zur Rechtsanwaltschaft
108
Erforderlich für die Aufnahme in eine andere Rechtsanwaltskammer ist eine bestehende Zulassung zur Rechtsanwaltschaft. Die aufnehmende Kammer hat diesbezüglich bei der bisherigen Rechtsanwaltskammer anzufragen und die Mitgliedsakte anzufordern. Die abgebende Rechtsanwaltskammer bestätigt in diesem Zusammenhang die Zulassung und informiert über laufende Verfahren beispielsweise i.R.d. § 16 Abs. 1 BRAO oder ausstehende Nachweise i.S.v. § 15 FAO.
109
Ein Wechsel der Rechtsanwaltskammer muss auch für europäische Rechtsanwälte möglich sein. § 4 Abs. 1 EuRAG erklärt den Zweiten Teil der BRAO zwar wohl nur hinsichtlich der Erstaufnahme für entsprechend anwendbar. Es wäre aber nicht praktikabel und unverhältnismäßig zu fordern, der europäische Rechtsanwalt müsse erst auf seine Mitgliedschaft in der bisherigen Rechtsanwaltskammer verzichten und sodann einen völlig neuen Aufnahmeantrag bei einer anderen Rechtsanwaltskammer stellen. § 27 Abs. 3 S. 1 BRAO ist damit jedenfalls zugunsten des europäischen Anwalts entsprechend anwendbar. Die fortbestehende Niederlassung in Deutschland (vgl. § 2 Abs. 1 EuRAG) wird inzident dadurch überprüft, dass auch der europäische Rechtsanwalt nachweisen muss, er habe seine Kanzlei in dem Bezirk der aufnehmenden Rechtsanwaltskammer eingerichtet.
110
Die BRAO sieht einen Wechsel von ausländischen Anwälten, die nach § 206 BRAO aufgenommen worden sind, neuerdings vor. § 207 Abs. 2 S. 1 BRAO schließt die Anwendung des § 27 BRAO durch die Änderungen des Gesetzes zur Modernisierung von Verfahren im an1 Feuerich/Weyland, § 27 Rz. 19. 2 Isele, § 6 Anm. II D; a.A. Offermann-Burckart/Dahns, § 1 Rz. 19, wonach die eigenhändige Unterschrift i.S.v. § 126 BGB erforderlich sei. Eine Vorschrift, die die gesetzliche Schriftform aber erst einmal anordnet, wird nicht genannt. 3 BGHZ 94, 364: BGH, NJW 1985, 1842 (1843) für das Zulassungsverfahren. 4 Kopp/Ramsauer, § 10 VwVfG Rz. 10 mit Verweis u.a. auf BVerfG, NJW 1991, 2005.
408 Siegmund
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Rz. 114 § 27 BRAO
waltlichen Berufsrecht1 nicht mehr aus. Die alte Rechtslage hätte im Ergebnis bedeutet, dass ein ausländischer Anwalt bei einem Wechsel der Kammerbezirke zunächst bei seiner Rechtsanwaltskammer auf die Mitgliedschaft verzichten und diese dann wieder bei einer anderen Rechtsanwaltskammer beantragen müsste. Dieses Verfahren war umständlich und konnte vom Gesetzgeber nicht gewollt sein. Der unterlassene Verweis in § 206 Abs. 2 BRAO hing lediglich damit zusammen, dass die ausländischen Anwälte – anders als die europäischen Rechtsanwälte nach früherer Rechtslage – nicht bei den Gerichten zugelassen waren. Daher musste die Kanzleipflicht losgelöst vom Zweiten Teil der BRAO geregelt werden. Durch das Gesetz zur Stärkung der Selbstverwaltung2 war die Gerichtszulassung weggefallen und es hätte ein Verweis auf § 27 BRAO erfolgen müssen. Dies hat der Gesetzgeber seinerzeit nicht bedacht, so dass eine analoge Anwendung von § 27 Abs. 3 BRAO – zugunsten des betroffenen Anwalts – angezeigt war (vgl. Rz. 16 und § 29 BRAO Rz. 3). 4. Verlegungsnachweis Die Verlegung der Kanzlei wird in erster Linie dadurch nachgewiesen, dass die neue Kanzleianschrift der aufnehmenden Rechtsanwaltskammer mitgeteilt wird. Der Nachweis ist damit der gleiche wie der bei Einrichtung der Kanzlei nach § 27 Abs. 1 BRAO (vgl. Rz. 48). Sofern bereits eine Zweigstelle im neuen Kammerbezirk eingerichtet ist, genügt es auch, diese nun zur (Haupt-)Kanzlei zu deklarieren. Sie ist schließlich bereits eine vollwertige Kanzlei (vgl. Rz. 90–92).
111
5. Verfahrensablauf a) Dauer Die Rechtsanwaltskammer trifft die ihr rechtlich und tatsächlich möglichen Vorkehrungen dafür, dass das Verfahren in angemessener Frist abgeschlossen und auf Antrag besonders beschleunigt werden kann.3 Insbesondere ist nach den §§ 71a Abs. 2, 71b Abs. 3 VwVfG und 32 Abs. 2 BRAO eine Empfangsbestätigung auszustellen. Die Rechtsanwaltskammer soll den Antragsteller hinsichtlich des Antragsverfahrens beraten und ihm Auskunft geben.4 Sofern alle Voraussetzungen erfüllt sind, hat die neue Rechtsanwaltskammer den Rechtsanwalt zeitnah aufzunehmen, § 27 Abs. 3 S. 2 BRAO. Ein Ermessen steht ihr nicht zu.5
112
Eine Verzögerung bei der Aufnahme kann für den Antragsteller oftmals vermögensrechtliche Auswirkungen haben. Im Regelfall wechselt i.R.d. Kanzleiverlegung nicht nur die Mitgliedschaft bei einer Rechtsanwaltskammer, sondern auch beim Versorgungswerk. In den Überleitungsabkommen zwischen den einzelnen Versorgungswerken finden sich mitunter Stichtage. Stellt der Antragsteller seinen Antrag nun ausreichend früh und verzögert sich die Bearbeitung grundlos, so kann dem Antragsteller mitunter die Überleitung seiner Anwartschaften verwehrt werden.
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b) Kontinuität der Zulassung Mit der neuen Regelung in § 27 Abs. 3 S. 3 BRAO ist eine kurzzeitige Doppelzulassung ausgeschlossen, wie sie noch § 33 Abs. 4 BRAO a.F. vorgesehen hat. Lücken in der Zulassung werden auch nach der neuen Rechtslage vermieden,6 denn die (isolierte) Zulassung zur Rechtsanwaltschaft besteht bei einem Kammerwechsel unverändert fort. Die Gerichtszulassung und ihre rechtliche Verknüpfung mit der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft als solcher sind schließlich weggefallen. Die Mitgliedschaft in der bisherigen Rechtsanwaltskammer erlischt automatisch und damit zeitgleich mit Aufnahme in die neue Rechtsanwaltskammer, § 27 Abs. 3 S. 3 BRAO. Mithin findet nur ein Wechsel der Mitgliedschaft, nicht aber der Zulassung statt, vgl. auch § 60 Abs. 1 S. 4 BRAO. Die frühere Gefahr, dass für die Zeit während des Wechsels doppelte Kammerbeiträge erhoben wurden, ist beseitigt.
1 BGBl. I, S. 2449. 2 Gesetz v. 26.3.2007 (BGBl. I, S. 358). 3 Entsprechende Anwendung von § 71b Abs. 1 VwVfG (die Kammern fungieren mitunter gleichzeitig als einheitliche Stellen i.S.d. §§ 71a ff. VwVfG). 4 Über § 71a Abs. 2 VwVfG unmittelbare Anwendung von § 71c und unmittelbar § 24 VwVfG i.V.m. § 32 BRAO. 5 Feuerich/Weyland, § 27 Rz. 19a. 6 So der alte Gesetzeszweck: Henssler/Prütting/Prütting, 2. Aufl., § 33 BRAO Rz. 3.
Siegmund 409
114
§ 27 BRAO Rz. 115
Kanzlei
c) Wirksamkeit 115
Der Aufnahmebescheid wird mit Zustellung dem Betroffenen bekannt gegeben und in diesem Zeitpunkt wirksam, §§ 32, 34 BRAO i.V.m. § 41 Abs. 4 VwVfG. d) Mitteilungspflichten
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Die aufnehmende Rechtsanwaltskammer hat der bisher zuständigen Rechtsanwaltskammer Mitteilung über den Zeitpunkt, also das Datum der Aufnahme zu machen. Die bisher zuständige Rechtsanwaltskammer kann somit den Vortag des Aufnahmedatums als Löschungsdatum eintragen. Die Mitteilung sollte ebenfalls zeitnah erfolgen. Zwar sind daran keine Rechtswirkungen geknüpft. Doch aus Gründen der Rechtssicherheit sollte die bisher zuständige Rechtsanwaltskammer frühzeitig erfahren, dass und wann sie unzuständig geworden ist. Ansonsten könnten unerwünschte Rückwirkungen und Rückabwicklungen die Folge sein. Zudem könnte es zu (längeren) Doppeleintragungen im Anwaltsverzeichnis nach § 31 BRAO kommen (vgl. § 31 BRAO Rz. 75).1
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Für Anwaltsnotare regelt § 36 Abs. 4 BRAO eine Mitteilungspflicht gegenüber der Landesjustizverwaltung und Notarkammer. Diese Regelung ist erforderlich, da nicht mehr der Wegfall der Zulassung bei einem Gericht, sondern der Wegfall der Mitgliedschaft in der Rechtsanwaltskammer Anknüpfungspunkt für das Erlöschen des Notaramts ist (vgl. §§ 3 Abs. 2, 47 Nr. 3 BNotO n.F.).2
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Nach § 36 Abs. 2 S. 1 BRAO (§ 16 Abs. 1 S. 2 bis 4 BRAO a.F.) wird die aufnehmenden Kammer über laufende Widerrufsverfahren informiert. Die abgebende Kammer kann diese Verfahren nach § 3 Abs. 3 VwVfG weiterführen. e) Verwaltungsgebühr
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Für die Antragsbearbeitung kann die Rechtsanwaltskammer eine Verwaltungsgebühr erheben, § 192 S. 1 BRAO. Die Fälligkeit und Höhe der Verwaltungsgebühr wird durch die Kammerversammlung beschlossen, § 89 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 3 BRAO. Im Übrigen gilt das Verwaltungskostengesetz, § 192 S. 2 BRAO. Die Anzeige von Zweigstellen bei anderen Kammern dürfte bei diesen nicht zu einem bemerkenswerten Verwaltungsaufwand führen, so dass auch die Erhebung einer Gebühr wohl unverhältnismäßig wäre. D. Prozessuales I. Widerruf
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Der Rechtsanwalt hat binnen drei Monaten, nachdem die Pflicht zur Einrichtung einer Kanzlei entstanden ist, im Bezirk der Rechtsanwaltskammer, deren Mitglied er ist, seine Kanzlei einzurichten. Lässt er die Frist verstreichen, so kann nach § 14 Abs. 3 Nr. 1 BRAO die Zulassung durch die Rechtsanwaltskammer widerrufen werden. Dasselbe gilt, wenn der Rechtsanwalt seine Kanzlei nicht mehr unterhält, also aufgibt, § 14 Abs. 3 Nr. 4 BRAO. Sofern ein Rechtsanwalt seine Kanzlei in einen anderen Kammerbezirk verlegt, ohne das Wechselverfahren nach § 27 Abs. 3 S. 1 BRAO durchzuführen, liegt jedenfalls ein Verstoß gegen die Berufspflicht des § 27 Abs. 1 BRAO vor, den die Rechtsanwaltskammer zu verfolgen hat, bei der der Rechtsanwalt Mitglied ist.3 Der Widerrufsgrund nach § 14 Abs. 3 Nr. 4 BRAO dürfte nicht gegeben sein, denn eine Aufgabe der Kanzlei liegt nicht schon dann vor, wenn im Bezirk der eigenen Rechtsanwaltskammer keine Kanzleit mehr unterhalten wird. Seine Kanzlei gibt der Rechtsanwalt vielmehr erst, aber auch schon dann auf, wenn er den Mindestanforderungen an die Einrichtung einer Kanzlei nicht mehr genügt und damit für das rechtssuchende Publikum nicht mehr erreichbar ist.4
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Bei dem Widerruf handelt es sich um eine Ermessensentscheidung i.S.d. § 40 VwVfG i.V.m. § 32 BRAO, die im Hinblick auf Ermessensfehler gerichtlich überprüfbar ist, vgl. 112c Abs. 1 S. 1 BRAO i.V.m. § 114 S. 1 VwGO. Insbesondere sind die Grundrechte des Rechtsanwalts mit den Gemeinwohlinteressen abzuwägen. 1 2 3 4
So auch Feuerich/Weyland, § 27 Rz. 20. BT-Drs. 16/513, S. 22. Rz. 137. St. Rspr., zuletzt BGH, Beschl. v. 6.7.2009 – AnwZ (B) 26/09.
410 Siegmund
Kanzlei
Rz. 127 § 27 BRAO
Die Kanzleipflicht beschränkt zwar nur die Berufsausübung. Da sich aber die Anwendung der Regelung in Verbindung mit der gesetzlich vorgesehenen Sanktion (§ 14 Abs. 3 Nr. 1 und 4 BRAO) als Eingriff in die Freiheit der Berufswahl auswirken kann, muss sie insoweit strengeren verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen.1 Denn wenn die Rechtsanwaltskammer von der Möglichkeit zum Widerruf der Zulassung Gebrauch macht, verliert der Betroffene die Befugnis, die Berufsbezeichnung Rechtsanwalt zu führen und den Anwaltsberuf auszuüben (vgl. §§ 12 Abs. 4, 13 BRAO). Danach ist ihm eine geschäftsmäßige Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten nur in den Grenzen des RDG möglich.
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Mit der Bedeutung des Grundrechts der Berufsfreiheit und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wäre es nicht vereinbar, die Regelung über den Zulassungswiderruf undifferenziert bei jedem Verstoß gegen die mit der Kanzleipflicht verbundenen Obliegenheiten anzuwenden. Der Widerruf muss im Einzelfall zum Schutz besonders wichtiger Gemeinschaftsgüter zwingend erforderlich sein. Insbesondere muss die Möglichkeit milderer anwaltsgerichtlicher Maßnahmen (vgl. § 114 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BRAO) erwogen werden.2 Erst wenn festgestellt wird, dass sich der Rechtsanwalt nicht durch diese Maßnahmen von seiner Weigerung, eine Kanzlei einzurichten, abbringen lässt, ist der Widerruf gerechtfertigt.3
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Sind lediglich organisatorische Maßnahmen unterlassen worden, um die Kanzlei für das rechtsuchende Publikum erkennbar zu machen, so werden die Interessen des Gemeinwohls noch nicht in erheblicher Weise berührt. Im Rahmen einer einstweiligen Anordnung durch das BVerfG fiel daher die Interessen- bzw. Folgenabwägung zugunsten des Rechtsanwalts aus, dessen berufliche Existenzgrundlage zerstört werden könnte.4
124
Sofern kein Telefonanschluss unterhalten wird bzw. nur durch einen Anrufbeantworter besetzt ist, Zustellungen erfolglos sind, ein Briefkasten fehlt, das Kanzleischild nicht von der Straße aus einsehbar ist und das Grundstück im Übrigen unzugänglich ist, wird ein Widerruf in der Regel indiziert sein.5 Fehlende Kanzleiadresse, fehlender Telefonanschluss und fehlendes Kanzleischild können ebenfalls zu einem rechtmäßigen Widerruf führen.6 Wird bei einer Kanzlei auf Klingeln nicht geöffnet, fehlt ein Kanzleischild und ist lediglich ein Anrufbeantworter mit Nachrichtentext installiert, so sind keine milderen Maßnahmen als ein Widerruf ersichtlich.7 Sofern seit mehr als drei Monaten keine Kanzlei mehr unterhalten wird, insbesondere der Rechtsanwalt nicht mehr erreichbar ist, Zustellungen nicht möglich sind, Dritten gegenüber die Kanzleiaufgabe erklärt worden ist, kein Kanzleischild mehr vorhanden ist, kein Telefonbucheintrag vorliegt, mithin überhaupt keine Kanzleiräume mehr existieren, dann beruht ein sofortiger Widerruf nicht auf einem Ermessensfehlgebrauch.8
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Fehlt nur das Kanzleischild, weil der Rechtsanwalt genaue Auflagen bzw. einen rechtsmittelfähigen Bescheid für die Anbringung von der Rechtsanwaltskammer fordert, ist ein Widerruf ohne vorherige mildere Maßnahmen verfassungswidrig.9 Ebenso muss der Widerruf erkennen lassen, dass sich die Rechtsanwaltskammer ihres Ermessensspielraums bewusst war. Die Nichtausübung des Ermessens steht dem Ermessensfehlgebrauch im Sinne des § 112c Abs. 1 BRAO i.V.m. § 114 S. 1 VwGO gleich. Selbst bei einer Ermessensreduzierung auf Null ist die Rechtsanwaltskammer gehalten, den Sachverhalt zuvor aufzuklären und darzulegen, warum unter Abwägung auf den Einzelfall bezogener Umstände der Widerruf zum Schutz wichtiger Gemeinschaftsgüter zwingend erforderlich ist.10 Hat der Rechtsanwalt eine Änderung der Kanzleischrift angezeigt, sind Zustellungen aber nur unter der alten Anschrift möglich und unterlässt die Kammer eine weitere Sachverhaltsaufklärung, sondern stützt sich nur auf die Mitwirkungspflicht des Anwalts, so ist eine Verletzung der Kanzleipflicht nicht nachgewiesen.
126
Stellt die Kammer den Widerruf auf sachfremde Erwägungen, so ist dieser ebenfalls rechtswidrig.11 Ein inhaftierter Rechtsanwalt hatte anderweitig noch eine eingerichtete
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1 Zuletzt BVerfG, BRAK-Mitt. 2005, 275 (276); BVerfG, NJW 1986, 1801; vgl. hierzu auch schon BVerfG, NJW 1984, 556 (557) – Residenzpflicht für Patentanwälte. 2 BVerfG, NJW 2005, 1418 (1419). 3 BVerfG, NJW 1986, 1801 (1802). 4 BVerfG, NJW 1986, 1801 (1802). 5 BGH, BRAK-Mitt. 2005, 86. 6 BGH, MittdtschPatAnw 2005, 333, BeckRS 2005, 5847. 7 BGH, NJOZ 2001, 860 (862); Sächsischer AGH, BRAK-Mitt. 2005, 31 (33), bestätigt durch BGH, MittdtschPatAnw 2005, 333, BeckRS 2005, 5847. 8 BGH, BeckRS 2005, 5146; AGH Celle, Urt. v. 17.1.2011 – AGH 28/09 (II 21), n.v. 9 Zuletzt BVerfG, BRAK-Mitt. 2005, 275 (276); BVerfG, NJW 1986, 1801 (1802). 10 BGH, BRAK-Mitt. 2006, 174. 11 BGH, NJW-RR 1999, 1578.
Siegmund 411
§ 27 BRAO Rz. 128
Kanzlei
Kanzlei, die von einem allgemeinen Vertreter betrieben wurde. Er betätigte sich von der der Haftanstalt aus weiterhin anwaltlich. Die Kammer versuchte dies zu unterbinden, indem sie die Kanzleipflichtbefreiung verweigerte und die Zulassung wegen fehlender Kanzlei entzog. 128
Sind Zustellungen trotz eines der Kammer angezeigten Kanzleiumzugs nicht unter der neuen, jedenfalls aber unter der alten Kanzeliadresse möglich, so kann bereits der Nachweis durch die die Zulassung widerrufende Kammer nicht geführt werden, die Mindestvoraussetzungen einer Kanzlei seien nicht erfüllt. Die möglicherweise fehlerhafte Mitteilung über einen Kanzleiumzug rechtfertigt einen Zulassungswiderruf dann nicht, wenn tatsächlich unter anderer Adresse (möglicherweise) noch eine ordnungsgemäße Kanzlei betrieben wird. Die Tatsache, dass die Mindestvoraussetzungen einer Kanzlei nicht erfüllt werden, muss durch die zuständige Kammer positiv festgestellt werden.1
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Die Anordnung der sofortigen Vollziehung i.S.d. §§ 14 Abs. 4, 112c Abs. 1 und 3 BRAO i.V.m. § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO mag dann gerechtfertigt sein, wenn ein Rechtsanwalt keine Kanzlei unterhält, polizeilich nicht gemeldet ist und für Zustellungen und Zwangsvollstreckungen in laufenden Verfahren regelmäßig nicht zu erreichen ist.2 II. Disziplinarmaßnahmen
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Sofern die Kanzlei nicht oder nicht vollständig eingerichtet oder bereits wieder aufgelöst bzw. ohne Wechselverfahren nach § 27 Abs. 3 BRAO verlegt worden ist, stellt dies nach § 43 S. 1 i.V.m. § 27 Abs. 1 BRAO eine Berufspflichtverletzung dar.3 Diese kann durch den Vorstand der Rechtsanwaltskammer gerügt werden, § 74 BRAO. Zudem können im anwaltsgerichtlichen Verfahren die Sanktionen des § 114 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BRAO verhängt werden.4 Dies gilt auch, wenn die Anzeigepflichten nach § 27 Abs. 2 BRAO und § 24 Abs. 1 Nr. 2 und 3 BORA verletzt worden sind. Wird beispielsweise eine Zweigstelle eingerichtet, ohne dies der Kammer unverzüglich anzuzeigen, so stellt dies keinen (zusätzlichen) Verstoß gegen die Kanzleipflicht dar. Die Zweigstelle ist als solche zulässig. Lediglich die Anzeigepflicht wurde verletzt. III. Kanzleischau
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Der Begriff der Kanzleischau findet sich nicht im Gesetz. Er ist lediglich eine Umschreibung für die Tätigkeit im Rahmen des Amtsermittlungsgrundsatzes. Die Rechtsanwaltskammer ermittelt den Sachverhalt von Amts wegen, § 32 BRAO i.V.m. § 24 Abs. 1 S. 1 VwVfG. Sie bestimmt Art und Umfang der Ermittlungen, § 24 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 VwVfG. Mitarbeiter der Rechtsanwaltskammer können eine Kanzlei in Augenschein (§ 26 Abs. 1 Nr. 4 VwVfG) nehmen, die Klingel betätigen und mit Einwilligung des Berechtigten die Räume besichtigen bzw. ggf. Lichtbilder anfertigen.5 Sie können zu unterschiedlichen Zeiten die Erreichbarkeit prüfen oder bei dem Präsidenten des zuständigen Amtsgerichts um Amtshilfe bitten.6 IV. Zivilrechtliche Haftung
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Die Pflicht zur Erreichbarkeit mag sich im konkreten Mandatsverhältnis auch zivilrechtlich fortsetzen. Freilich muss der Rechtsanwalt seinem Mandanten nicht rund um die Uhr in seiner Kanzlei zur Verfügung stehen.7 Ungeklärt ist aber, wie lange und unter welchen Umständen ein Rechtsanwalt sein Büro verlassen darf und welche Vorkehrungen er zu treffen hat. In der Rechtsprechung ergeben sich allenfalls in Entscheidungen zur Wiedereinsetzung Anhaltspunkte.8 Die Erreichbarkeit wird auch im Rahmen des § 44 BRAO relevant. Erhält ein Rechtsanwalt einen Auftrag und kann er ohne zeitraubende Prüfung feststellen, dass Fristablauf droht, muss er sofort handeln. Dies setzt eine entsprechende Büroorganisation voraus, die gewährleistet, dass eingehende Aufträge dem Rechtsanwalt sofort vorgelegt wer1 BGH, NJW-RR 2009, 1577. 2 BGH, BRAK-Mitt. 1993, 171; allg. zur Anordnung der sofortigen Vollziehung BGH, Beschl. v. 13.12.2008 – AnwZ (B) 91/08, BeckRS 2009, 04225. 3 Fehlt das Kanzleischild kann dies in zulässiger Weise gerügt werden, AnwG Karlsruhe, NJW-RR 2009, 204. 4 BVerfG, NJW 2005, 1418 (1419). 5 BGH, BRAK-Mitt. 2006, 174 geht wie selbstverständlich davon aus. 6 Vgl. Sächsischer AGH, BRAK-Mitt. 2005, 31 (33). 7 OLG Frankfurt/M., BRAK-Mitt. 2006, 164 (Bespr. Chab). 8 Chab, BRAK-Mitt. 2006, 164.
412 Siegmund
Rz. 2 § 5 BORA/§ 27 BRAO
Kanzlei
den. Geht der Auftrag vormittags ein, wird man in der Regel erwarten können, dass der Rechtsanwalt noch am selben Tag Kenntnis nimmt.1 V. Gebührenrecht Von dem Begriff „Kanzlei“ im Sinne der Vorbemerkung zu Teil 7 VV-RVG wird auch die Zweigstelle einer Rechtsanwaltskanzlei erfasst. Fahrtkosten für eine Geschäftsreise zu einem Ziel innerhalb der Gemeinde, in der die Zweigstelle unterhalten wird, können deshalb nicht gem. Nr. 7003 VV-RVG erstattet werden.2 Die Zweigstelle ist zwar nicht zwingend als der Kanzlei nachgeordnet, jedoch als unselbstständiger Bestandteil der Kanzlei (im berufsrechtlichen Sinne) anzusehen, die der Rechtsanwalt gegenüber der Rechtsanwaltskammer nach § 27 Abs. 1 BRAO mitgeteilt hat. Damit wird vom Wortlaut des RVG nicht nur die Kanzlei im engeren Sinne gem. § 27 BRAO, sondern die Gesamtheit der Kanzlei – bestehend aus Hauptstelle und Zweigstellen – umfasst. Ein entgegenstehender Gesetzeszweck, der Anlass zu einer teleologischen Reduktion geben könnte, ist nicht ersichtlich. Auch ein bestimmter Wille des Gesetzgebers ist nicht erkennbar. Mit der Aufhebung des § 28 BRAO war auch keine Änderung des RVG notwendig, weil bereits die alte Rechtslage die Einrichtung von Zweigstellen, wenn auch unter Erlaubnisvorbehalt, vorsah. Schließlich findet auch die teilweise in der Literatur vertretene Auffassung, es komme darauf an, ob der Rechtsanwalt am Tag des Termins in seiner Zweigstelle Sprechstunden abhalte,3 im Gesetz keine Stütze. Ein Verteidiger mit Sitz seiner Zweigstelle an einem bestimmten Ort kann die Kosten einer Geschäftsreise zu einem Termin vor dem AG dieses Ortes nicht geltend machen.4
133
und Zweigstelle 5 BORA Kanzlei Der Rechtsanwalt ist verpflichtet, die für seine Berufsausübung erforder-
lichen sachlichen, personellen und organisatorischen Voraussetzungen in Kanzlei und Zweigstelle vorzuhalten. A. Allgemeines/Geltungsbereich/Historie . .
1
B. Zweck und Verfassungsmäßigkeit . . . .
5
C. Kommentierung . . . . . . . . . . . .
8
A. Allgemeines/Geltungsbereich/Historie Die erste Fassung des § 5 BORA wurde von der 1. Satzungsversammlung auf der Grundlage des § 59b Abs. 2 Nr. 1 lit. g BRAO beschlossen. Sie trat am 11.3.1997 in Kraft.5 Mit Streichung des Zweigstellenverbots in § 28 BRAO a.F. durch den Gesetzgeber wurde eine Anpassung des § 5 BORA gefordert.6 In der 3. Sitzung der 4. Satzungsversammlung am 15.6.2009 wurde schließlich eine Änderung des § 5 BORA dahingehend beschlossen, dass die Anforderungen für die Kanzlei auch für die Zweigestelle gelten sollten. Dieser Beschluss wurde vom Bundesministerium der Justiz mit Bescheid vom 30.9.2009 nach § 191e BRAO aufgehoben (BRAK-Mitt. 2009, 280 f.) und seinerzeit nicht verkündet. Die Bundesrechtsanwaltskammer hat gegen den Beanstandungsbescheid des Bundesministeriums der Justiz Rechtsmittel eingelegt. Mit Urteil vom 13.9.2010 hat der BGH den vorgenannten Bescheid des BMJ aufgehoben.7 Der Beschluss der Satzungsversammlung konnte verkündet werden.8 Die neue Fassung des § 5 BORA trat am 1.1.2011 in Kraft.
1
Der BGH vertrat in seiner Entscheidung die Auffassung, dass die BRAO in § 59b Abs. 2 Nr. 1 lit. g BRAO dazu ermächtige, die Anforderungen an eine Zweigstelle durch Satzung in
2
1 2 3 4 5 6
Henssler/Prütting/Eylmann, § 44 Rz. 6 m.w.N. OLG Dresden, NJW 2011, 869. Gerold/Schmidt/Madert, Nrn. 7003, 7004 VV-RVG, Rz. 8. OLG Dresden, NJW 2011, 869. Zur Historie Hartung/Hartung, § 5 BORA Rz. 45 ff. Gaier/Wolf/Göcken/Siegmund, 1. Aufl., § 27 BRAO Rz. 10; Horn, BRAK-Mitt. 2007, 94 (95); auf der 7. Sitzung der 3. Satzungsversammlung am 11.6.2007 fand sich hierfür noch keine satzungsändernde Mehrheit; s. hierzu Hartung/Hartung, § 5 BORA Rz. 71. 7 BGH, Urt. v. 13.9.2010 – AnwZ (P) 1/09, BRAK-Mitt. 2010, 267 = NJW 2010, 3787 = AnwBl. 2010, 873 (mit Anm. Lührig); kritisch Prütting, AnwBl. 2011, 47, da Art. 12 GG in den Entscheidungsgründen „überraschenderweise“ mit keinem Wort erwähnt worden sei. 8 BRAK-Mitt. 2010, 207.
Siegmund 413
§ 27 BRAO/§ 5 BORA Rz. 3
Kanzlei
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Form der Berufsordnung zu regeln. Diese Vorschrift enthalte zwar ausdrücklich eine Ermächtigung nur für Regelungen der „Kanzleipflicht“. Unter Regelungen zur Kanzleipflicht seien aber auch solche Bestimmungen zu verstehen, mit denen die Anforderungen an eine Kanzlei – ggf. mit ihrer Hauptstelle und ihren Zweigstellen – festgelegt werden.1 Unter Regelungen der „Kanzleipflicht“ lassen sich begrifflich ohne Weiteres auch Satzungsbestimmungen fassen, mit denen diese Pflicht inhaltlich ausgestaltet und näher festgelegt wird, welche Voraussetzungen der Geschäftsbetrieb eines RA erfüllen muss, damit angenommen werden kann, dass er seine Tätigkeit aus einer Kanzlei heraus betreibt. Könnte nur das „Ob“ der Kanzleieinrichtung geregelt werden, liefe die Satzungsermächtigung leer. 3
Auch wenn die BRAO, den Begriff der Kanzleipflicht (vgl. auch die Überschrift in § 29 BRAO) nur im Sinne des § 27 Abs. 1 BRAO verwende, könne sich die Satzungsermächtigung in § 59b Abs. 2 Nr. 1 lit. g BRAO auch auf die Zweigstelle beziehen. „Zweigstelle“ und „Kanzlei“ seien vom Wortsinn her keine Gegensätze. Mit dem Begriff der „Zweigstelle“ korrespondiere nach allgemeinem Sprachgebrauch der – im Gesetz freilich nicht verwendete –2 Begriff der „Hauptstelle“. Bei der Zweigstelle und der Hauptstelle handele es sich jeweils um Niederlassungen der „Kanzlei“, die sich danach unterscheiden, in welcher der Anwalt seine berufliche Tätigkeit ihrem Schwerpunkt nach entfalte.3
4
Entschließe sich ein Anwalt dazu, seine anwaltliche Tätigkeit an mehreren Orten auszuüben, dann müsse er an jedem dieser Tätigkeitsorte auch eine (vollwertige) Kanzlei einrichten und unterhalten. Eine Zweigstelle sei somit nicht nur ein Ort, an dem der Anwalt ohne Kontakt nach außen ähnlich wie in einer Gerichtsbibliothek seiner anwaltlichen Tätigkeit nachgehe, die örtlich an seiner Hauptkanzlei konzentriert bleibe. Eine Zweigstelle richte der Anwalt vielmehr ein, weil er mit Gerichten und Behörden, vor allem aber mit seinen vorhandenen und zu gewinnenden Mandanten nicht nur von seiner Hauptkanzlei aus in Kontakt treten wolle, sondern zusätzlich auch von einem anderen Ort. B. Zweck und Verfassungsmäßigkeit
5
§ 5 BORA verfolgt den Zweck, § 27 Abs. 1 BRAO aufgrund der Ermächtigungsnorm in § 59b Abs. 2 Nr. 1 lit. g BRAO zu konkretisieren und dem Rechtsanwalt die berufliche Pflicht aufzuerlegen, die zur Erfüllung der Kanzleipflicht erforderlichen sachlichen, personellen und organisatorischen Voraussetzungen zu schaffen.4 Dieser Zweck ist aber nicht erreicht worden.5 Die Rechtsprechung hatte § 27 Abs. 1 S. 1 BRAO a.F. bereits konkretisiert und wendet § 5 BORA darüber hinaus nicht weiter an.6 In Entscheidungen des BGH wird § 5 BORA noch nicht einmal erwähnt. Über die Konkretisierung der Rechtsprechung ist die Satzungsversammlung auch gar nicht hinausgegangen. Im Gegenteil, sie hat weitere unbestimmte Rechtsbegriffe geschaffen, die ihrerseits konkretisiert werden müssen. Dabei ist § 5 BORA zudem sprachlich missglückt. „Voraussetzungen“ können nicht vorgehalten werden.7
6
Vereinzelt wird in der Literatur die Ansicht vertreten, § 5 BORA habe nicht nur eine gesetzeskonkretisierende Funktion, sondern enthalte eine selbstständige Verpflichtung. Unabhängig bspw. von einer Befreiung von der Kanzleipflicht nach §§ 29 f. BRAO müsse immer den Erwartungen des Rechtsverkehrs Rechnung getragen werden, ein bestimmtes Mindestmaß in Bezug auf die Einrichtung einer Kanzlei herzustellen und im Interesse einer funktionierenden Rechtspflege zu gewährleisten.8 Bislang ist es in Praxis und Rechtsprechung noch nicht auf eine Entscheidung dieser Frage angekommen. 1 Ebenso Gaier/Wolf/Göcken/Siegmund, 1. Aufl., § 27 BRAO Rz. 10; Gaier/Wolf/Göcken/Dahns, 1. Aufl., § 59b BRAO Rz. 21; Henssler/Prütting/Prütting, § 5 BORA Rz. 12 f.; Kleine-Cosack, § 27 Rz. 11; Horn, BRAKMitt. 2007, 94 (95); a.M. Hartung/Hartung, § 5 BORA Rz. 79; Römermann, AnwBl. 2007, 609. 2 In der Gesetzesbegründung spricht der Gesetzgeber aber immerhin von der Hauptkanzlei, BT-Drs. 16/513, S. 15 Nr. 16 Abs. 2 S. 4. 3 Deckenbrock, NJW 2010, 3750 (3751 f.) und Henssler/Streck/Deckenbrock, M, Rz. 63, wendet sich trotz Zustimmung im Ergebnis gegen diesen Begründungsansatz. Die BRAO gebrauche die Begriffe Kanzlei und Zweigstelle im Alternativverhältnis. Der Kanzleibegriff könne daher nicht die Untergruppen Haupt- und Zweigstelle abdecken. Zudem habe der historische Gesetzgeber bei der Schaffung des § 59b BRAO die Zweigstelle nicht berücksichtigen können. 4 Hartung/Hartung, § 5 BORA Rz. 52. 5 Hartung/Hartung, § 5 BORA Rz. 52; Koch/Kilian, Rz. 189. 6 Sächsischer AGH, BRAK-Mitt. 2005, 31 (33): „[…] § 5 BORA konkretisiert insoweit nur […]“; Koch/Kilian, Rz. 190. 7 Hartung/Hartung, § 5 BORA Rz. 54. 8 Henssler/Prütting/Henssler, § 5 BORA Rz. 3; a.A. offenbar Sächsischer AGH, BRAK-Mitt. 2005, 31, 33.
414 Siegmund
Kanzlei
Rz. 13 § 5 BORA/§ 27 BRAO
Obwohl § 5 BORA den Zweck der Gesetzeskonkretisierung verfehlt, ist die Norm nicht verfassungswidrig.1 Der Bestimmtheitsgrundsatz kann bei der Normierung durch einen Satzungsgeber allenfalls dann verletzt sein, wenn die Norm nicht mehr auslegungsfähig ist. Die Auslegungsfähigkeit ist aber hier – ebenso wie bei § 27 Abs. 1 BRAO – gegeben.2 Davon ist die Frage zu unterscheiden, ob die im Einzelfall angewandten Sanktionen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen (vgl. § 27 BRAO Rz. 120 ff.).
7
C. Kommentierung Vor dem 1.1.2011 wurde der Begriff der Kanzlei in § 5 BORA a.F. selbst noch nicht einmal wörtlich erwähnt. Es wurden nur allgemeine Berufspflichten bestimmt. Lediglich aus der Überschrift ergab sich, dass die Erfordernisse einer Kanzlei geregelt werden sollten. Durch die Ergänzung des § 5 BORA wurde nunmehr klargestellt, dass der Rechtsanwalt verpflichtet ist, die für seine Berufsausübung erforderlichen sachlichen, personellen und organisatorischen Voraussetzungen in Kanzlei und Zweigstelle vorzuhalten.
8
Diese Verpflichtung könnte dem Wortlaut nach für den Rechtsanwalt individuell zu bestimmen sein. Denn es wird von „seiner“ Berufsausübung gesprochen.3 Zum einen kann aber dem Wortlaut nach das Tatbestandsmerkmal „Rechtsanwalt“ auch als Gattungsbegriff verstanden werden. Zum anderen kann nur gemeint sein, dass die Ausgestaltung der Kanzlei über die Mindestanforderungen hinaus eine höchstpersönliche Angelegenheit ist. Der Rechtsanwalt kann nicht nach Belieben auf die Einhaltung einzelner Mindestanforderungen verzichten und die „Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten anwenden. Er kann lediglich die Ausgestaltung selbst bestimmen (bspw. Größe und Gestaltung des Kanzleischildes).
9
Der Rechtsanwalt muss die erforderlichen Einrichtungen vorhalten. Damit ist klargestellt, dass es auf die konkrete Nutzung gerade nicht ankommt.4 Erforderliche Einrichtungen für die Berufsausübung sind die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung herausgearbeiteten Mindesterfordernisse (vgl. § 27 BRAO Rz. 55–77). Diese werden von § 5 BORA systematisch unterteilt in sachliche, personelle und organisatorische Erfordernisse.
10
Zu den sachlichen Voraussetzungen gehören der Kanzleiraum, die Telekommunikationseinrichtungen5 und das Kanzleischild einschließlich Briefkasten und Klingel.6 Die sonstige Büroausstattung wie Möbel und Literatur mag darunter fallen.7 Sie ist aber im Hinblick auf den Zweck der Kanzleipflicht weder notwendig (vgl. § 27 BRAO Rz. 18–44), noch durchsetzbar.
11
Die personelle Voraussetzung besteht in der regelmäßigen Anwesenheit des Rechtsanwalts (vgl. § 27 BRAO Rz. 76 f.). Die Personaldecke so anzupassen, dass anfallende Arbeiten in angemessener Zeit erledigt werden,8 mag schon aus haftungsrechtlichen Gründen sinnvoll sein. Dies ist aber im Hinblick auf den Zweck der Kanzleipflicht weder notwendig (vgl. § 27 BRAO Rz. 18–44) noch durch die Rechtsanwaltskammern durchsetzbar.
12
Organisatorisch ist es notwendig, dass der Rechtsanwalt zu den üblichen Geschäftszeiten normalerweise, insbesondere telefonisch erreichbar ist.9 Dies muss beispielsweise mit einer Anrufweiterleitung (vgl. § 27 BRAO Rz. 65) sichergestellt sein. Weitere Vorkehrungen, die einen effizienten Arbeitsablauf gewährleisten,10 sind ebenfalls aus haftungsrechtlichen Gründen wichtig. Im Hinblick auf den Zweck der Kanzleipflicht sind sie aber weder notwendig (vgl. § 27 BRAO Rz. 18–44) noch überprüfbar und durchsetzbar.11
13
28 BRAO (weggefallen) 1 Henssler/Prütting/Henssler, § 5 BORA Rz. 12; a.A. Hartung/Hartung, § 5 BORA Rz. 64; Büchting/Heussen/Hartung, N2, Rz. 35. 2 Henssler/Prütting/Henssler, § 5 BORA Rz. 12. 3 Hartung/Hartung, § 5 BORA Rz. 51, 53, 60; Henssler/Prütting/Henssler, § 5 BORA Rz. 7. 4 Henssler/Prütting/Prütting, § 5 BORA Rz. 8. 5 Hartung/Hartung, § 5 BORA Rz. 57. 6 Henssler/Prütting/Prütting, § 5 BORA Rz. 9. 7 So Henssler/Prütting/Prütting, § 5 BORA Rz. 9. 8 So Henssler/Prütting/Prütting, § 5 BORA Rz. 10. 9 Henssler/Prütting/Prütting, § 5 BORA Rz. 11; Rz. 62–68. 10 So Henssler/Prütting/Prütting, § 5 BORA Rz. 11. 11 Hartung/Hartung, § 5 BORA Rz. 59.
Siegmund 415
§ 29 BRAO Rz. 1
Ausnahmen von der Kanzleipflicht
von der Kanzleipflicht 29 BRAO Ausnahmen (1) Im Interesse der Rechtspflege oder zur Vermeidung von Härten kann die Rechtsanwaltskammer einen Rechtsanwalt von der Pflicht des § 27 Abs. 1 befreien.
(2) Die Befreiung kann widerrufen werden, wenn es im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist. . .
1 1
. . .
3 3 5
B. Zweck der Norm . . . . . . . . . . . .
7
C. § 29 BRAO . . . . . . . . . . . . . . . I. Befreiungstatbestände . . . . . . . . .
9 9
A. Allgemeines/Geltungsbereich/Historie . I. Aktuelle Änderungen . . . . . . . . . II. Anwendung auf ausländische Rechtsanwälte . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anwälte nach § 206 BRAO. . . . . . . 2. EU-Anwälte . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . .
10 12 17 19 20 26 30
D. Prozessuales . . . . . . . . . . . . . .
33
E. Arbeitshilfen/Praxistipps . . . . . . . .
35
1. Interesse der Rechtspflege 2. Vermeidung von Härten . II. Antragserfordernis . . . . III. Ermessensentscheidung . IV. Auflagen. . . . . . . . . V. Widerruf . . . . . . . . VI. Verfahrenserfordernisse .
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
A. Allgemeines/Geltungsbereich/Historie I. Aktuelle Änderungen 1
Durch das Gesetz zur Stärkung der Selbstverwaltung1 wurden in § 29 BRAO nur redaktionelle Änderungen vorgenommen. Die Zuständigkeit der Rechtsanwaltskammer (statt der Landesjustizverwaltung) ergibt sich nun i.V.m. § 33 BRAO unmittelbar aus der Norm. Dementsprechend konnten Absatz 1 S. 2 a.F. wegfallen und Absatz 2 S. 2 a.F. abgeändert werden, in denen jeweils die Anhörung des Vorstands der Rechtsanwaltskammer vorgesehen war.
2
Durch die Änderung des § 27 Abs. 1 BRAO ist der Anwendungsbereich des § 29 Abs. 1 BRAO eingeschränkt worden. Die Befreiung konnte nach alter Rechtslage auch dahin gehend erfolgen, dass zwar eine Kanzlei unterhalten werden, diese sich aber nicht am Ort der Zulassungsgerichte befinden muss.2 Nunmehr kann nur noch eine Befreiung von der gesamten Kanzleipflicht erfolgen.
2a
Mit dem Gesetz zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen Berufsrecht (BRAONovelle 2009) wurden alle Regelungen zum Verwaltungsverfahren und zum Rechtsbehelfsverfahren in § 29 BRAO aufgehoben. Dies betraf den ehemaligen Absatz 2 S. 2 und die Absätze 3 und 4. Die Verfahrensbestimmungen ergeben sich nunmehr unmittelbar aus den §§ 32 ff. BRAO i.V.m. den Bestimmungen des VwVfG. Das Rechtsbehelfsverfahren ist im neuen Vierten Abschnitt des Fünften Teils der BRAO geregelt. Schließlich wurde Absatz 2 sprachlich dem Absatz 1 angeglichen. Mit der BRAO-Novelle 2009 unterliegen zukünftig auch Kammerrechtsbeistände der Kanzleipflicht. Für sie gelten ebenso die Befreiungstatbestände (vgl. § 27 BRAO Rz. 17). II. Anwendung auf ausländische Rechtsanwälte 1. Anwälte nach § 206 BRAO
3
Über § 207 Abs. 2 S. 1 BRAO findet nach seiner Änderung durch das Gesetz zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen Berufsrecht § 29 BRAO auf Anwälte aus anderen Staaten ausdrücklich Anwendung; sie unterliegen neuerdings auch der Kanzleipflicht nach § 27 BRAO (vgl. § 27 BRAO Rz. 16). Die frühere Rechtslage, wonach die Anwendung der §§ 27 ff. BRAO ausdrücklich ausgeschlossen war, ist historisch zu erklären, weil ursprünglich in den §§ 18 ff. BRAO die Zulassung bei den Gerichten geregelt war, die ausländischen Rechtsanwälte allerdings nicht postulationsfähig sind und daher nach alter Rechtslage auch nicht bei den Gerichten zugelassen waren. Deren Kanzleipflicht ergab sich daher aus § 207 Abs. 3 S. 1 BRAO a.F. Ein gesonderter Befreiungstatbestand entsprechend dem in § 29 BRAO war in dieser ehemaligen Regelung nicht vorgesehen. Kam nach alter Rechtslage daher der ausländische Anwalt der Kanzleipflicht nicht nach, dann war dessen Zulassung sogar ohne Ermessen zu widerrufen. Diese Rechtslage dürfte unbefriedigend gewesen, weil Härte1 BGBl. I 2007, S. 358. 2 Vgl. BGH, NJW-RR 1995, 317 (318).
416 Siegmund
Ausnahmen von der Kanzleipflicht
Rz. 9 § 29 BRAO
fälle nicht erfasst wurden und daher § 207 Abs. 3 S. 1 BRAO verfassungsrechtlich unverhältnismäßig war (vgl. § 27 BRAO Rz. 110). Es ist allerdings fraglich, ob mit dem unbeschränkten Verweis auf die Befreiungsmöglichkeiten der §§ 29 f. BRAO nicht auch gleichzeitig unerwünschte Rechtsfolgen verbunden sind. Ausländischen Anwälten ist es zukünftig möglich, ohne jemals in Deutschland gewesen zu sein, die Aufnahme in eine deutsche Rechtsanwaltskammer und gleichzeitig die Befreiung von der Kanzleipflicht zu beantragen (vgl. Rz. 5).
4
2. EU-Anwälte Für niedergelassene europäische Rechtsanwälte enthält § 4 Abs. 1 EuRAG einen ausdrücklichen Verweis auf die sinngemäße Anwendung des Zweiten Teils der BRAO (vgl. § 27 BRAO Rz. 16). Dieser Verweis betrifft das Aufnahmeverfahren sowie die Rücknahme und den Widerruf der Aufnahme. § 29 BRAO dürfte von diesem Verweis nicht umfasst sein.1 Erstens betrifft § 29 BRAO weder das Aufnahmeverfahren noch das Rücknahme- und Widerrufverfahren. Zweitens wäre dessen Anwendung nicht sinngemäß. Nach dem Gesetz zur Stärkung der Selbstverwaltung kann nur noch eine Befreiung von der gesamten Kanzleipflicht erfolgen (vgl. Rz. 2). Würde aber eine Befreiung von der Kanzleipflicht erfolgen, so würde gleichzeitig die Niederlassung als solche in Frage gestellt. Die Niederlassung stellt aber überhaupt den Grund dar, weswegen der europäische Rechtsanwalt berechtigt ist, sich in die Rechtsanwaltskammer aufnehmen zu lassen. Sie ist erst die Ausübung der Niederlassungsfreiheit. Lässt sich der europäische Rechtsanwalt (dauerhaft) von der Kanzleipflicht befreien, kann er sich nicht mehr auf seine Niederlassungsfreiheit nach Art. 43 EGV berufen und die Aufnahme müsste widerrufen werden.
5
Dieses Ergebnis entspricht übrigens auch der früheren Rechtslage als sich die Rechtsstellung des niedergelassenen und in die Rechtsanwaltskammer aufgenommenen europäischen Rechtsanwalts nach den §§ 206 f. BRAO a.F. bestimmt hat. Gemäß § 207 Abs. 2 BRAO a.F. fanden auf einen solchen Rechtsanwalt die §§ 29, 30 BRAO a.F. keine Anwendung.2 Das Spannungsverhältnis Kanzleipflichtbefreiung und Niederlassungsfreiheit tritt am stärksten bei § 29a BRAO in Erscheinung. Es kann nicht sein, dass sich ein in Deutschland niedergelassener europäischer Rechtsanwalt von der inländischen Kanzleipflicht befreien lässt, weil er eine Kanzlei in seinem Heimatstaat betreibt. Mit der Befreiung von der Kanzleipflicht gibt er gleichzeitig seine Niederlassung auf.
6
B. Zweck der Norm Die Möglichkeit der Befreiung von der Kanzleipflicht soll die Verfassungsmäßigkeit der Kanzleipflicht in § 27 Abs. 1 BRAO sicherstellen (vgl. § 27 BRAO Rz. 44). Sofern diese für den Einzelnen zu einem unzumutbaren Eingriff in die Berufsausübungs- bzw. Berufswahlfreiheit (über § 14 Abs. 3 Nr. 1 bzw. 4 BRAO) (vgl. § 27 BRAO Rz. 120 ff.) führt, können im Rahmen einer Ausnahmegenehmigung die Gemeinwohlbelange (vgl. § 27 BRAO Rz. 43) hinten angestellt werden.3 Schwierigkeiten, die sich im Einzelfall aus der Regelung der Kanzleipflicht des § 27 BRAO ergeben können, sollen durch die Möglichkeit zur Befreiung abgefangen werden.4
7
Der Befreiungstatbestand sollte aus diesen verfassungsrechtlichen Gründen weit ausgelegt werden.5 Wegen des Wegfalls des Lokalisierungsgebots ist eine Lockerung der Kanzleipflicht allerdings nicht erforderlich. Die Kanzlei ist immer noch untrennbar mit dem Anwaltsberuf verknüpft (vgl. § 27 BRAO Rz. 18–20).
8
C. § 29 BRAO I. Befreiungstatbestände Es sind in § 29 Abs. 1 BRAO zwei Befreiungstatbestände vorgesehen. Im Interesse der Rechtspflege oder zur Vermeidung von Härten kann von der Kanzleipflicht befreit werden. 1 2 3 4 5
A.A. h.M., stellv. Feuerich/Weyland, § 4 EuRAG Rz. 9 m.w.N. Hierzu ausführlich Henssler/Prütting/Prütting, § 30 Rz. 13. Henssler/Prütting/Prütting, § 29 Rz. 1. Feuerich/Weyland, § 29 Rz. 2 mit Verweis auf die amtliche Begründung. Henssler/Prütting/Prütting, § 29 Rz. 1; Hartung/Römermann/Hartung, § 5 BORA Rz. 22; vgl. auch EGH Schleswig, BRAK-Mitt. 1987, 40.
Siegmund 417
9
§ 29 BRAO Rz. 10
Ausnahmen von der Kanzleipflicht
1. Interesse der Rechtspflege 10
Das Tatbestandsmerkmal des Interesses der Rechtspflege scheint graduell unter den Anforderungen des § 28 BRAO a.F. angesiedelt zu sein. Diese durch das Gesetz zur Stärkung der Selbstverwaltung zum 1.6.2007 aufgehobene Norm forderte, dass Zweigstellen bzw. Sprechtage im Interesse einer geordneten Rechtspflege dringend geboten sein müssen, um genehmigt werden zu können. Das war nur dann der Fall, wenn in einzelnen Landesteilen eine Unterversorgung der Bevölkerung mit Rechtsrat zu besorgen gewesen wäre.1 Die Befreiung von der Kanzleipflicht konnte somit vor Aufgabe des Lokalisierungsgebots erfolgen, wenn damit eine bessere Versorgung der Bevölkerung mit Rechtsrat in einzelnen Landesteilen einherging; dringend geboten musste die Befreiung nicht sein. Die Befreiung musste der Beratung und Vertretung der Rechtsuchenden (§ 3 Abs. 3 BRAO) förderlich sein.2
11
Bereits seit 1.1.2000 können Rechtsanwälte vor allen Amtsgerichten und Landgerichten auftreten;3 seit 1.9.2002 auch vor allen Oberlandesgerichten.4 Mit Wegfall des Lokalisierungsgebots seit 1.6.2007 besteht nun nicht einmal mehr eine Zulassung bei bestimmten Gerichten (vgl. § 27 BRAO Rz. 1 f.). Es ist daher eigentlich kein Fall mehr denkbar, bei dem die Kanzleipflicht einen Rechtsanwalt daran hindern könnte, Rechtsrat in allen Landesteilen zu erbringen.5 Engpässe bei der Versorgung einzelner Teile der Bevölkerung mit Rechtsrat sind – gerade im Zeitalter der modernen Kommunikationsmittel – nicht mehr wahrscheinlich.6 Zudem könnte einer entsprechenden Unterversorgung durch die ebenfalls seit 1.6.2007 zulässigen Sprechtage und Zweigstellen oder schlicht mit einem Kanzleiwechsel begegnet werden. Eine Befreiung von der Kanzleipflicht ist nicht notwendig. Das Berufsbild eines Rechtsanwalts, der keine Kanzlei unterhalten kann, weil er im Interesse der Rechtspflege an ständig wechselnden Orten tätig werden muss, ist schlichtweg nicht mehr denkbar.7 Der Befreiungstatbestand hat praktisch keinen Anwendungsbereich8 mehr und hätte durch den Gesetzgeber i.R.d. Gesetzes zur Stärkung der Selbstverwaltung aufgehoben werden müssen. 2. Vermeidung von Härten
12
Praktisch relevant ist die Befreiung zur Vermeidung von Härten. Gemeint sein können hier nur persönliche Härten,9 die den Rechtsanwalt unmittelbar betreffen. Denn dieser hat den Eingriff in seine Grundrechte durch die Kanzleipflicht hinzunehmen. Irrelevant ist es daher, wenn der Befreiungsantrag mit der Härte für Dritte begründet wird (beispielsweise für den Ehepartner, der die Kanzleiräume nicht mehr finanzieren kann), außer diese Härte schlägt gerade auf den Rechtsanwalt durch. Zudem muss die Befreiung von der Kanzleipflicht zur Vermeidung der Härten geeignet sein.
13
Härte bedeutet eine Belastung im Einzelfall, von der andere Rechtsanwälte nicht betroffen sind. Eine Unzumutbarkeit ist nach dem Wortlaut nicht erforderlich.10 Um bereits auf Tatbestandsebene die Bedeutung der Kanzlei für die Rechtspflege (Zustellungen, Mandatsübertragung)11 und als Kommunikationszentrum12 ausreichend zu berücksichtigen, kann eine Befreiung nur vorübergehend in Betracht kommen, das heißt, es können auch nur zeitlich begrenzte Härten berücksichtigt werden.13 Der nach alter Rechtslage denkbare Ausnahmefall, zwar dauerhaft, aber nur dahin gehend von der Kanzleipflicht zu befreien, dass am 1 Henssler/Prütting/Prütting, § 28 Rz. 10. 2 Henssler/Prütting/Prütting, § 28 Rz. 2; Hartung/Römermann/Hartung, § 5 BORA Rz. 24 mit Verweis auf AGH Rheinland-Pfalz, BRAK-Mitt. 1999, 274. 3 Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und Patentanwälte v. 17.12.1999 (BGBl. I, S. 2448). 4 Gesetz zur Änderung des Rechts der Vertretung durch Rechtsanwälte vor den Oberlandesgerichten (OLG-Vertretungsänderungsgesetz) v. 23.7.2002 (BGBl. I, S. 2850). 5 Koch/Kilian, Rz. 211 weist zu Recht auf den Zirkelschluss hin, dass der Befreiungsgrund „Interessen der Rechtspflege“ gleichzeitig der Rechtfertigungsgrund für das Bestehen der Kanzleipflicht ist. 6 In diesem Sinne Hartung/Römermann/Hartung, § 5 BORA Rz. 24. 7 Kilian/vom Stein/Offermann-Burckart, § 11 Rz. 37 mit dem Beispiel der „rollenden Tante-Emma-Kanzlei“. 8 Allg. Ansicht, stellvertr. Kleine-Cosack, § 29 Rz. 2. 9 Ohne Begründung Henssler/Prütting/Prütting, § 29 Rz. 3. 10 Vgl. im Gegensatz dazu § 1565 Abs. 2 BGB. 11 Hartung/Hartung, § 5 BORA Rz. 25; Feuerich/Weyland, § 29 Rz. 7; Kleine-Cosack, § 29 Rz. 3 (zumindest im Regelfall). 12 Henssler/Prütting/Prütting, § 29 Rz. 3. 13 Isele, § 29 Anm. II. 2b.
418 Siegmund
Ausnahmen von der Kanzleipflicht
Rz. 18 § 29 BRAO
Ort des Zulassungsgerichts eine Kanzlei eingerichtet werden muss, ist mit der Aufhebung des Lokalisationsgebots nun weggefallen.1 Eine vollständige und gleichzeitig dauerhafte Befreiung von der Kanzleipflicht würde ihrem verfassungsrechtlichen Zweck nicht gerecht, auch wenn eine taugliche Zustellmöglichkeit über § 30 BRAO sichergestellt ist.2 Als Befreiungsgründe werden anerkannt Brand- und Wasserschäden in den Kanzleiräumen, Angst vor Morddrohungen3 und Untersuchungshaft für den Rechtsanwalt (vgl. § 27 BRAO Rz. 56).4 In der Praxis werden von den Rechtsanwaltskammern teilweise auch anerkannt: schwere Krankheit,5 hohes Alter (ab 65 Jahren), Elternzeit6 und Auslandsaufenthalte, die der Fortbildung dienen.7
14
Als Befreiungsgründe genügen nicht: ein reduzierter Gesundheitszustand, bei dem zudem die Befristung bzw. Genesung nicht absehbar ist,8 eine angespannte finanzielle Lage des Rechtsanwalts9 oder sonstige wirtschaftliche Interessen,10 der Wille, keine Mandate zu übernehmen,11 die Vollstreckungsgefahr durch Gläubiger,12 die Tätigkeit als Syndikusanwalt, auch wenn die Zulassung nur dazu dienen soll, für den Arbeitgeber „der Öffentlichkeit gegenüber mit entsprechenden Titeln und Berufsbezeichnungen“ aufzutreten,13 die Tatsache, dass ein Rechtsanwalt telefonisch nicht oder nur schwer zu erreichen ist oder dass er an ihn gerichtete Post möglicherweise unbeantwortet lässt.14
15
Eine nicht nur vorübergehende schwerwiegende Erkrankung, die es unmöglich macht, den Beruf des Rechtsanwalts auszuüben, wird sich im Gegensatz dazu als Widerrufsgrund nach § 14 Abs. 2 Nr. 3 BRAO darstellen. Die Vollstreckungsgefahr durch Gläubiger legt einen Vermögensverfall nahe, § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO. Der Syndikus, der den Anwaltsberuf neben seiner Haupttätigkeit zeitlich nicht ausüben kann, dürfte einer unvereinbaren Tätigkeit im Sinne des § 14 Abs. 2 Nr. 8 BRAO ausüben.15
16
II. Antragserfordernis Die Befreiung von der Kanzleipflicht wird nur auf Antrag erteilt, § 32 BRAO i.V.m. § 22 S. 2 Nr. 2 VwVfG. Die Befreiung dient nur dem Interesse des einzelnen Rechtsanwalts und stellt damit ein antragsgebundenes Verfahren dar, das eine Sperrwirkung für die Einleitung des Verfahrens von Amts wegen entfaltet.16 Das Antragsverfahren ist zwar grundsätzlich formfrei, § 32 BRAO i.V.m. § 10 VwVfG. Der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit gebietet aber im Regelfall die Schriftform für den Antrag.17 Die Rechtsanwaltskammer kann für die Bearbeitung des Antrags eine Gebühr verlangen (§ 192 S. 1 BRAO), deren Höhe und Fälligkeit die Kammerversammlung zu beschließen hat, § 89 Abs. 2 Nr. 2 BRAO.
17
Der Zustellungsbevollmächtigte i.S.d. § 30 BRAO muss bereits mit dem Antrag benannt werden. § 14 Abs. 3 Nr. 3 BRAO gewährt dem Rechtsanwalt zwar einen Zeitraum von drei Monaten, bevor ihm die Zulassung wegen unterlassener Bestellung eines Zustellungsbevollmächtigten entzogen werden kann. Die Norm ist aber nicht so zu verstehen, dass sich der Rechtsanwalt für die Bestellung drei Monate nach der Befreiung Zeit nehmen könnte.18 Auch der Wortlaut des § 30 Abs. 1 BRAO, der die Befreiung zeitlich vor die Benennung des Zustellungsbevollmächtigten setzt, ist missverständlich.19 Nach Sinn und Zweck des § 30
18
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19
Vgl. BGH, NJW-RR 1995, 317 (318); Rz. 2. Dieser Ansicht folgend Offermann-Burckart/Dahns, § 1 Rz. 27. Kilian/vom Stein/Offermann-Burckart, § 11 Rz. 39. BGH, NJW-RR 1999, 1578. Vgl. auch das Beispiel von Isele, § 29 Anm. II.3b. Feuerich/Weyland, § 29 Rz. 8b. http://www.rak-muenchen.de/befreiung_kzl.html. Isele, § 29 Anm. II. 3b mit Hinweis auf EGH Stuttgart I 16/68 (ohne Datum). Koch/Kilian, Rz. 212. Hartung/Hartung, § 5 BORA Rz. 25 mit Verweis auf EGH Frankfurt, BRAK-Mitt. 1989, 41 und EGH Celle, EGE VII, 214 v. 19.12.1962. Sächsischer AGH, BRAK-Mitt. 2005, 31 (34). Kilian/vom Stein/Offermann-Burckart, § 11 Rz. 39. EGH München, BRAK-Mitt. 1987, 41. AGH Rheinland-Pfalz, BRAK-Mitt. 1999, 274. BGH, BRAK-Mitt. 2010, 29. Kopp/Ramsauer, § 22 VwVfG Rz. 22. Kopp/Ramsauer, § 10 VwVfG Rz. 10. Feuerich/Weyland, § 30 Rz. 14; a.A. Henssler/Prütting/Prütting, § 30 Rz. 20; Kleine-Cosack, § 30 Rz. 2. „Ist der Rechtsanwalt […] befreit, […] so hat er […] einen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen.“
Siegmund 419
§ 29 BRAO Rz. 19
Ausnahmen von der Kanzleipflicht
BRAO sollen im Interesse der Rechtspflege schon mit Beginn der Befreiung Zustellungen gegen Empfangsbekenntnis von Anwalt zu Anwalt (§ 195 ZPO) und von Amts wegen an einen Anwalt (§ 174 ZPO) sichergestellt sein (vgl. § 30 BRAO Rz. 11). Nur, wenn bereits mit Antragstellung ein Zustellungsbevollmächtigter benannt wird, wird die Rechtsanwaltskammer in die Lage versetzt, mit Eintragung der Befreiung in das elektronische Verzeichnis nach § 31 Abs. 3 BRAO auch zugleich den Zustellungsbevollmächtigten für eine ununterbrochene Zustellmöglichkeit mitzuteilen (vgl. § 31 BRAO Rz. 67). Andernfalls könnte eine bis zu drei Monate lange Lücke entstehen, in der Zustellungen nur erschwert möglich wären. Auf die Rechtsfolge des weithin unbekannten § 30 Abs. 3 BRAO gleich zu Beginn der Kanzleipflichtbefreiung zu vertrauen, erscheint rechtsunsicher. III. Ermessensentscheidung 19
Die Befreiung steht im Ermessen der Rechtsanwaltskammer. Sie „kann“ von ihr erteilt werden und nach § 32 BRAO i.V.m. § 36 Abs. 2 VwVfG mit Nebenbestimmungen (vgl. Rz. 20–25)1 versehen werden. Es besteht somit zwar kein Rechtsanspruch auf die Befreiung.2 Mittlerweile dürfte aber in einer Vielzahl von Fällen zumindest eine Selbstbindung der Verwaltung eingetreten sein, die eine Ermessensreduzierung auf Null und somit einen Rechtsanspruch nach sich zieht.3 Nach AGH Berlin belege die Bejahung der Voraussetzungen eines Vermögensverfalls das Interesse der Rechtspflege, von der Befreiung von der Kanzleipflicht Abstand zu nehmen. Dies gelte insbesondere dann, wenn der Anwalt bereits während des Bestehens der Kanzleipflicht dieser nur eingeschränkt nachgekommen sei.4 IV. Auflagen
20
Die Befreiung stellt einen Verwaltungsakt dar, § 32 BRAO i.V.m. § 35 VwVfG, der nach pflichtgemäßem Ermessen mit Auflagen i.S.v. echten Nebenbestimmungen verbunden werden kann.5
21
Häufigster Fall in der Praxis ist die Befristung, die die vorübergehende Vermeidung von Härten ermöglicht.6 Die unbeschränkte Befreiung würde dem Zweck (vgl. Rz. 7–8)7 der Kanzleipflicht zuwiderlaufen und die Zulassung zur Anwaltschaft als solche in Frage stellen.
22
Die Befreiung von der Kanzleipflicht unter der Auflage der Befristung muss von der zulässigen Verlängerung der Fristen in § 14 Abs. 3 Nr. 1 und 4 BRAO durch die Rechtsanwaltskammer abgegrenzt werden. Die Rechtsanwaltskammer kann – auch ohne Befreiungsantrag – im Einzelfall unter Würdigung aller Umstände nach pflichtgemäßem Ermessen entscheiden, ob die Zulassung bereits nach drei Monaten zu widerrufen oder ob weitere „Nachsicht am Platze“ ist.8
23
Ein zukünftiges Ereignis wird nur dann zum Inhalt einer Auflage gemacht werden können, wenn dessen Eintritt ungewiss ist (Bedingung), § 36 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG. Darunter mag die Wiedergenesung nach längerer Krankheit fallen und die vom Willen des Rechtsanwalts abhängige Einrichtung der Kanzleiräume.9 Da in diesen Fällen die vorübergehende Natur der Befreiung in Frage gestellt werden kann und eine Rechtsunsicherheit über den Eintritt der Bedingung entstehen kann, sollte von der Bedingung als Auflage abgesehen werden.
24
Schließlich kann aus Gründen der Rechtssicherheit und zur Vermeidung von Vertrauensschutz in der Befreiung ein Widerrufsvorbehalt vorgesehen werden, § 36 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG. Es sollte aber bedacht werden, dass sich eine Widerrufsmöglichkeit auch über § 29 Abs. 2 BRAO ergibt.
25
Die Befreiung kann auch mit einer Auflage i.e.S. verbunden werden, also einer Bestimmung, durch die dem Rechtsanwalt ein Tun, Dulden oder Unterlassen auferlegt wird, vgl. die Formulierung in § 14 Abs. 3 Nr. 2 BRAO („nicht binnen drei Monaten eine […] Auflage er1 2 3 4 5 6 7 8 9
Hartung/Hartung, § 5 BORA Rz. 27, 31. Isele, § 29 Anm. II mit Verweis auf LVG Oldenburg, AnwBl. 1952, 53. Vgl. hierzu etwa die Fälle: hohes Alter ab 65 Jahren und Studium im Ausland. AGH Berlin, BRAK-Mitt. 2012, 273 (275). Henssler/Prütting/Prütting, § 29 Rz. 3 mit Hinweis auf gesetzgeberische Motive. Hartung/Hartung, § 5 BORA Rz. 32. Hartung/Hartung, § 5 BORA Rz. 32; a.A. Kleine-Cosack, § 29 Rz. 3. Feuerich/Weyland, § 29 Rz. 10. Hartung/Hartung, § 5 BORA Rz. 26.
420 Siegmund
Ausnahmen von der Kanzleipflicht
Rz. 32 § 29 BRAO
füllt“) und allgemein § 36 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG. Denkbar wäre beispielsweise die Auflage, der Rechtsanwalt müsse einen Nachsendeauftrag zu seiner Wohnanschrift erteilen. Die Pflicht zur Bestellung eines Zustellungsbevollmächtigten ergibt sich bereits unmittelbar aus dem Gesetz (§ 30 BRAO) und hat als eigenständige Auflage keine gesonderte Bedeutung. V. Widerruf Die Befreiung kann nach § 29 Abs. 2 BRAO widerrufen werden. Da der Gesetzgeber nicht differenziert, sind sowohl Befreiungen im Interesse der Rechtspflege als auch die gewährten Befreiungen zur Vermeidung von Härten gemeint.1 Der Widerruf der Befreiung steht gleichermaßen im Ermessen der Rechtsanwaltskammer wie die Befreiung selbst. Ebenso, wie wenn die Befreiung aus sonstigen Gründen weggefallen wäre, muss der Rechtsanwalt nach Bestandskraft des Widerrufsbescheides innerhalb von drei Monaten seine Kanzlei (wieder) einrichten, § 14 Abs. 3 Nr. 3 BRAO.
26
Die Interessen der Rechtspflege müssen den Widerruf erforderlich machen, d.h. sie dürfen die Fortdauer der Befreiung nicht tragbar erscheinen lassen.2 Da der Gesetzgeber ganz allgemein davon ausgeht, dass die Kanzleipflicht im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist (vgl. § 27 BRAO Rz. 41–44), kann der Ausnahmezustand der Befreiung folglich nur so lange dauern, als die Ausnahmevoraussetzungen gegeben sind.3 Der Widerruf kann demzufolge ausgesprochen werden, wenn sich nachträglich herausstellt, dass die Voraussetzungen für die Befreiung von Anfang an nicht vorgelegen haben, wenn die Voraussetzungen nachträglich wegfallen sind und wenn es aus anderen Gründen im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist.4
27
Schließlich könnte ein Widerruf auch nach allgemeinen Verwaltungsgrundsätzen erfolgen, wenn bspw. ein Widerrufsvorbehalt in der Befreiung enthalten ist, § 49 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 2 VwVfG. Doch muss freilich auch ein diesbezüglicher Widerruf durch sachliche Gründe gerechtfertigt sein, die im Vorbehalt angelegt sind.5
28
Wird binnen drei Monaten eine Auflage nicht erfüllt, so kann zwar nach § 49 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 VwVfG, es muss aber nicht zuerst die Befreiung von der Kanzleipflicht widerrufen werden. Es kann sogleich unter ordnungsgemäßer Ausübung des Ermessens die Zulassung als solche widerrufen werden, § 14 Abs. 3 Nr. 2 BRAO.
29
VI. Verfahrenserfordernisse Das Verfahren ist zwar nach § 32 BRAO i.V.m. § 10 VwVfG grundsätzlich formfrei.6 Wird eine Befreiung abgelehnt, nur mit einer Auflage erteilt oder widerrufen, so muss die Rechtsanwaltskammer den Bescheid, der nicht dem Antrag entspricht (vgl. § 39 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 1 VwVfG), begründen, § 39 Abs. 1 VwVfG. Die Ausübung des Ermessens muss erkennbar sein, ansonsten besteht die Möglichkeit, dass der Bescheid wegen Nichtgebrauchs des Ermessens aufgehoben wird. Auch sonst dürfen keine Ermessensfehler in der Begründung enthalten sein.7
30
Im Rahmen des Widerrufsverfahrens muss nach § 28 Abs. 1 VwVfG rechtliches Gehör gewährt werden. Die Anhörung ist Ausdruck eines transparenten Verfahrens; gleichzeitig soll damit die Akzeptanz getroffener Entscheidungen erhöht werden.8 Sie ist ganz besonders deswegen erforderlich, weil der Widerruf der Befreiung auch den Widerruf der Zulassung nach sich ziehen kann, § 14 Abs. 3 Nr. 4 BRAO.
31
Der für den Rechtsanwalt nachteilige Bescheid ist zuzustellen, § 34 BRAO. Bezüglich des Verfahrens gelten die Vorschriften der Zustellungsgesetze der Länder.9 Nach neuer Rechtslage ist eine Rechtsbehelfsbelehrung zur Vermeidung der Rechtsfolge des § 58 Abs. 2 S. 1 VwGO i.V.m. § 112c Abs. 1 S. 1 BRAO erforderlich. Nach alter Rechtslage konnte noch darauf verzichtet werden.
32
1 2 3 4 5 6 7 8 9
Hartung/Hartung, § 5 BORA Rz. 29. Feuerich/Weyland, § 29 Rz. 12 unter Berufung auf die amtliche Begründung. Isele, § 29 Anm. III.B.1. Isele, § 29 Anm. III.B.1 mit Hinweis auf EGH Koblenz, Beschl. v. 26.3.1966 – ZU 6/65. Kopp/Ramsauer, § 49 VwVfG Rz. 35. Koch/Kilian, Rz. 213. Einen Rechtsprechungsüberblick zu Ermessensfehlern gibt Feuerich/Weyland, § 29 Rz. 16. Fricke/Ott/Streda, § 1 Rz. 59. BGH, NJW 1989, 2889 zur fehlenden Rechtsbehelfsbelehrung bei Rücknahme der Zulassung.
Siegmund 421
§ 29 BRAO Rz. 33
Ausnahmen von der Kanzleipflicht
D. Prozessuales 33
Gegen einen Bescheid, durch den ein Antrag auf Befreiung abgelehnt oder eine Befreiung nur unter Auflagen erteilt oder eine Befreiung widerrufen wurde, konnte nach alter Rechtslage Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt werden, § 29 Abs. 3 S. 3 BRAO a.F. Damit war u.a. klargestellt, dass nicht isoliert gegen die Auflage vorgegangen werden konnte; auf die abstrakte Teilbarkeit des Verwaltungsakts kam es nicht an. Zudem musste nicht zwischen Anfechtungs- und Verpflichtungsklage differenziert werden.
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Nach neuer Rechtslage ist gegen einen Bescheid, durch den ein Antrag auf Befreiung abgelehnt worden ist oder der mit modifizierenden Auflagen oder sonstigen Nebenbestimmungen versehen ist, die Verpflichtungsklage die statthafte Klageart, § 112c Abs. 1 S. 1 BRAO i.V.m. § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO. Gegen echte Auflagen ebenso gegen Bescheide, die die Befreiung widerrufen, kann die Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO erhoben werden.1 E. Arbeitshilfen/Praxistipps
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Als Alternative zur Befreiung von der Kanzleipflicht sollte immer der Verzicht auf die Zulassung erwogen werden. Denn bei Kanzleipflichtbefreiung besteht – eine entsprechende Beitragsordnung vorausgesetzt – weiterhin die Verpflichtung, Kammerbeiträge zu zahlen.2 Ebenso muss die Berufshaftpflichtversicherung nach § 51 BRAO weiter unterhalten werden.3 Die Pflicht zur Zahlung von Beiträgen an ein Versorgungswerk für Rechtsanwälte knüpft ebenfalls an die Kammerzugehörigkeit an.4 in anderen Staaten 29a BRAO Kanzlei (1) Den Vorschriften dieses Abschnitts steht nicht entgegen, daß der Rechtsanwalt auch in anderen Staaten Kanzleien einrichtet oder unterhält.
(2) 1Die Rechtsanwaltskammer befreit einen Rechtsanwalt, der seine Kanzleien ausschließlich in anderen Staaten einrichtet, von der Pflicht des § 27, sofern nicht überwiegende Interessen der Rechtspflege entgegenstehen. 2Die Befreiung kann widerrufen werden, wenn es im überwiegenden Interesse der Rechtspflege erforderlich ist. (3) Der Rechtsanwalt hat die Anschrift seiner Kanzlei in einem anderen Staat sowie deren Änderung der Rechtsanwaltskammer mitzuteilen. A. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . I. Deutsches Anwaltsrecht vor 1989 . . . . II. Novellierung des deutschen Anwaltsrechts im Jahre 1989 . . . . . . . . . .
1 1 2
B. Kanzleiniederlassung im In- und Ausland (§ 29a Abs. 1 BRAO) . . . . . . . . . . I. Regelungsinhalt . . . . . . . . . . . . II. Europarechtliche Bezüge . . . . . . . .
3 3 6
C. Kanzleiniederlassung nur im Ausland (§ 29a Abs. 2 BRAO) . . . . . . . . . . I. Regelungsinhalt . . . . . . . . . . . . II. Rechtsfolgen. . . . . . . . . . . . . .
10 10 17
D. Mitteilungspflichten (§ 29a Abs. 3 BRAO).
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E. Rahmenbedingungen für die anwaltliche Berufsausübung im Ausland . . . . . . I. EG-, EWR-Mitgliedstaaten . . . . . . . 1. Grundsatz der Niederlassungsfreiheit . . a) Niederlassungsrichtlinie . . . . . . . b) Hochschuldiplom-Richtlinie bzw. Berufsqualifikationsrichtlinie . . . . . . 2. Grundsatz der Dienstleistungsfreiheit . . II. Sonderfall Schweiz . . . . . . . . . . . III. GATS-Vertragsstaaten . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . 2. Systematik des GATS . . . . . . . . . 3. Umsetzung des GATS in Deutschland . .
26 27 28 30 33 34 36 37 37 38 39
A. Vorbemerkung I. Deutsches Anwaltsrecht vor 1989 1
Für den in Deutschland niedergelassenen Rechtsanwalt galten vor 1989 berufsrechtliche Grundprinzipien wie die uneingeschränkte Kanzleipflicht (§ 27 Abs. 2 BRAO) und das Zweig1 Kopp/Ramsauer, § 36 VwVfG Rz. 60 f. 2 Im Hinblick auf die Befreiung nach § 29a BRAO: Niedersächsischer AGH, BRAK-Mitt. 2006, 280. 3 Im Hinblick auf die Befreiung nach § 29a BRAO: AGH NRW, BRAK-Mitt. 2006, 141; Feuerich/Weyland, § 29a Rz. 10. 4 Feuerich/Weyland, § 29a Rz. 10 unter Verweis auf BVerwG, NJW-RR 2001, 785.
422 Siegmund
Kanzlei in anderen Staaten
Rz. 3 § 29a BRAO
stellenverbot (§ 28 BRAO).1 Die Kanzleipflicht stand der Möglichkeit entgegen, sich als Rechtsanwalt – unter Aufgabe seiner inländischen Kanzlei – im Ausland niederzulassen und gleichzeitig die Zugehörigkeit zur deutschen Rechtsanwaltschaft aufrechtzuerhalten. Das Fehlen einer Kanzlei im Inland führte zum Verlust der Rechtsanwaltszulassung. Ferner verwehrte das Zweigstellenverbot dem Anwalt die Möglichkeit der Errichtung und Unterhaltung von weiteren Niederlassungen im Ausland. Diese Regelungen führten zu Konflikten im Kontext zunehmender internationaler Verflechtungen auf wirtschaftlicher Ebene.2 Immer mehr Rechtsuchende benötigten den Rat in fremden Rechtsangelegenheiten, was dazu führte, dass deutsche Anwälte ihre Dienste auch im Ausland anboten. In diesem Zusammenhang wurden auch immer höhere Anforderungen an die Mobilität des Anwalts gestellt. So muss er durchaus in der Lage sein können, sich – unter Weiterführung oder Aufgabe seiner inländischen Kanzlei – beruflich im Ausland niederlassen zu können. Nicht schon allein aus wettbewerbsrechtlichen Gründen war der Gesetzgeber hier angehalten, das restriktive, auf die nationale Tätigkeit ausgerichtete Berufsrecht anzupassen.3 II. Novellierung des deutschen Anwaltsrechts im Jahre 1989 Am 13.12.1989 wurde das Gesetz zur Änderung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und Patentanwälte erlassen.4 Im Rahmen dessen wurde der Bundesrechtsanwaltsordnung die Vorschrift in der heutigen Fassung des § 29a BRAO hinzugefügt. Ziel ist die Verbesserung von Möglichkeiten für die internationale Zusammenarbeit von Rechtsanwälten. Die Niederlassung im Ausland soll durch die Befreiung von Kanzlei- und Wohnsitzpflicht erleichtert werden. Aus der amtlichen Begründung geht hervor, dass der Bedarf, fachkundigen Rat über fremdes Recht einzuholen, durch die grenzüberschreitende Tätigkeit nicht voll befriedigt wird5. Vielmehr benötige der Rechtsuchende in seinem Aufenthaltsstaat einen ständigen, kompetenten Ansprechpartner.6 Dies soll § 29a BRAO verwirklichen. Mit der Neuregelung trägt der Gesetzgeber auch der Klopp-Entscheidung7 des EuGH Rechnung. Hiernach ist es mit dem in Art. 49 AEUV8 geregelten Grundsatz der Niederlassungsfreiheit unvereinbar gewesen, dass einem deutschen Rechtsanwalt die Zulassung zur französischen Anwaltschaft verweigert wurde, weil er gleichzeitig noch eine berufliche Niederlassung in Düsseldorf unterhielt.
2
B. Kanzleiniederlassung im In- und Ausland (§ 29a Abs. 1 BRAO) I. Regelungsinhalt § 29a Abs. 1 BRAO berechtigt den Anwalt, auch in anderen Staaten Kanzleien einzurichten und zu unterhalten. Dem ausländischen Rechtsuchenden soll eine schnellere Inanspruchnahme der Hilfe in fremden Rechtsangelegenheiten geboten werden, und für den Rechtsanwalt soll es leichter sein, seine Dienste auch im Ausland anbieten zu können.9 In diesem Zusammenhang ist es für den Rechtsanwalt, der zusätzlich auch im Ausland tätig werden möchte, von großer Wichtigkeit, dass er seine Zulassung zur deutschen Rechtsanwaltschaft aufrechterhalten kann, um zum Beispiel auf diese Qualifikation hinweisen zu können. 1 Durch das Gesetz zur Stärkung der Selbstverwaltung der Rechtsanwaltschaft (BGBl. I, S. 358), das am 1.6. 2007 in Kraft trat, wurde das Zweigstellenverbot i.S.d. § 28 BRAO ersatzlos gestrichen. Zweck des § 28 BRAO war die Sicherstellung der ständigen Verfügbarkeit des Rechtsanwalts. Angesichts der heutigen Verkehrs- und Kommunikationsmöglichkeit stellte sich zunehmend die Frage nach der Rechtfertigung für ein solches Verbot bzw. der Verfassungsmäßigkeit, ausführlicher: Dahns, NJW 2007, 1553 (1555 f.). 2 Weiterführend: von Hehn, BRAK-Mitt. 1995, 183 (184); BT-Drs. 11/3253, S. 22. 3 von Hehn, BRAK-Mitt. 1995, 183 (184). 4 BGBl. 1989, S. 2135 ff. 5 Diesem Bedürfnis dient die Richtlinie des Rates der EG v. 22.3.1977 zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstverkehrs der Rechtsanwälte, umgesetzt im Gesetz über die Tätigkeit europäischer Rechtsanwälte in Deutschland (EuRAG) v. 9.3.2000 (BGBl. I, S. 182 ff.), zuletzt geändert durch das Gesetz zur Stärkung der Selbstverwaltung der Rechtsanwaltschaft v. 26.3.2007 (BGBl. I, S. 358 [364]); vgl. auch Kommentierung zum EuRAG. 6 Vgl. BT-Drs. 11/3253, S. 17. 7 EuGH, NJW 1985, 1275 f. 8 Die Artikelbezeichnungen sind solche des Vertrages von Lissabon v. 9.3.2010. Bei Zitaten, die aus der Zeit vor Inkrafttreten des Lissaboner Vertrages stammen und somit der veralteten Vertragsnummerierung folgen, werden in dieser Kommentierung fortlaufend nur die aktuellen Nummerierungen gebraucht. 9 Vgl. amtliche Begründung der Bundesregierung: BT-Drs. 11/3253, S. 22.
Eichele 423
3
§ 29a BRAO Rz. 4
Kanzlei in anderen Staaten
4
Die Vorschrift umfasst die Fälle, in denen ein Rechtsanwalt unter Beibehaltung seiner Kanzlei sich weitere Kanzleien im Ausland einrichtet und unterhält. Entsprechend regelt § 29a Abs. 1 BRAO aber auch die umgekehrten Fälle, in denen ein Anwalt, der die Voraussetzungen für die Anwaltszulassung in Deutschland erfüllt (vgl. § 4 BRAO), unter Beibehaltung seiner bisherigen Kanzlei im Ausland die Zulassung zur deutschen Anwaltschaft anstrebt.1 Mit „anderen Staaten“ sind die EG-Mitgliedsstaaten, die EWR-Vertragsstaaten, sowie die GATS-Vertragsstaaten gemeint.2 Darüber hinaus ist der Anwalt nicht nur auf die Errichtung einer Kanzlei in einem anderen Staat beschränkt, sondern darf mehrere Kanzleien in mehreren Staaten unterhalten. Darauf verweist der Gebrauch des Plurals in der Gesetzesformulierung.
5
Der Regelung des § 29a Abs. 1 BRAO sollen die Vorschriften dieses Abschnitts nicht entgegenstehen. Vor der Änderung der BRAO handelte es sich hierbei um die Vorschriften der §§ 18–36 zur Zulassung bei einem Gericht. Durch das Gesetz zur Stärkung der Selbstverwaltung der Rechtsanwaltschaft vom 1.6.20073 wurden zahlreiche Vorschriften der BRAO der Rechtswirklichkeit angepasst. Der Lokalisationsgrundsatz, der die Zulassung eines Rechtsanwalts an einem örtlichen Gericht vorsah, wurde aufgehoben und gem. § 12 durch den Grundsatz der Zulassung bei einer Rechtsanwaltskammer ersetzt.4 Die mit der Zulassung bei einem Gericht im Zusammenhang stehenden Vorschriften der §§ 18–26, § 28 und §§ 32–36 wurden mithin ersatzlos gestrichen. Nach diesen Änderungen der BRAO enthält der überarbeitete Abschnitt, umbenannt in „Kanzlei und Rechtsanwaltsverzeichnis“, die Regelungen der §§ 27–31. II. Europarechtliche Bezüge
6
Die Regelung des § 29a Abs. 1 BRAO hat insofern europarechtliche Bezüge, als sie eine Anpassung an das Gemeinschaftsrecht darstellt. Die inhaltliche Ausgestaltung der Vorschrift trägt dem Grundgedanken der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Klopp Rechnung. Hier verwehrte die Pariser Rechtsanwaltskammer einem bereits in Düsseldorf zugelassenen Rechtsanwalt die Zulassung zur Anwaltschaft in Paris mit der Begründung, das nationale Recht untersage eine solche Zweigniederlassung.5
7
Nach Ansicht des EuGH war in der Entscheidung der Rechtsanwaltskammer ein Verstoß gegen – die in der Gemeinschaft unmittelbar geltende – Rechtsvorschrift des Art. 49 AEUV zu sehen.6 Diese enthält Grundsätze über die Niederlassungsfreiheit und damit über die Zweitzulassung in anderen Mitgliedsstaaten. In der Rechtssache Klopp waren danach die Beschränkungen der freien Niederlassung von Angehörigen eines Mitgliedsstaates im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedsstaates aufzuheben. Nach Ansicht des EuGH dürfe es einem Rechtsanwalt nicht durch nationale Regelungen des Aufnahmestaates untersagt werden, im Gemeinschaftsgebiet nur eine Kanzlei zu unterhalten.7 Dies sei dem Wortlaut des Art. 49 AEUV ausdrücklich zu entnehmen. Insoweit stellte das vor der Einführung des § 29a BRAO geltende Zweigstellenverbot einen Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht dar.
8
Gleiches gilt auch für den umgekehrten Fall. In der Rechtssache Daily Mail and General Trust PLC8 ging es um die Frage, ob die Klägerin, eine Holding- und Investitionsgesellschaft, das Recht, den Sitz der Geschäftsleitung in einen anderen Mitgliedsstaat zu verlegen, von der Zustimmung des Herkunftsstaates abhängig machen darf.
9
In diesem Zusammenhang stellte der EuGH fest, dass Art. 49 AEUV auch nicht mit nationalen Regelungen des Herkunftsstaates vereinbar sei, die es eigenen Staatsangehörigen untersagen, sich in anderen Staaten des Hoheitsgebiets niederzulassen.9 Der deutsche Gesetzgeber trug durch die Schaffung des § 29a Abs. 1 BRAO auch diesem Umstand Rechnung.
1 2 3 4 5 6 7 8 9
Vgl. amtliche Begründung der Bundesregierung: BT-Drs. 11/3253, S. 22. Vgl. Henssler/Prütting/Schroeder/Federle, EuRAG Einl. Rz. 1 ff. BGBl. I, S. 358. Ausführlicher zu den Änderungen der BRAO-Vorschriften: Dahns, NJW 2007, 1553 ff. EuGH, NJW 1985, 1275 ff. EuGH, NJW 1985, 1275; hierzu: Gornig, NJW 1989, 1120 (1123); Rabe, NJW 1987, 2184 ff. EuGH, NJW 1985, 1275 (1276). EuGH, NJW 1989, 2186 ff. EuGH, NJW 1989, 2186 (2187).
424 Eichele
Kanzlei in anderen Staaten
Rz. 17 § 29a BRAO
C. Kanzleiniederlassung nur im Ausland (§ 29a Abs. 2 BRAO) I. Regelungsinhalt § 29a Abs. 2 BRAO regelt die Fälle, in denen ein Rechtsanwalt seine inländische Kanzlei aufgegeben hat und sich beruflich ausschließlich in anderen Staaten niederlassen, gleichwohl aber weiterhin zur deutschen Anwaltschaft gehören möchte.1
10
Von der Vorschrift umfasst sind aber nicht nur die Fälle, in denen ein Rechtsanwalt sich unter Aufgabe seiner heimatlichen Kanzlei im Ausland niederlässt, sondern auch die, in denen er sich im Ausland niederlässt, ohne vorher überhaupt einmal eine Kanzlei in Deutschland eingerichtet zu haben.2
11
Eine Niederlassung in „anderen Staaten“ ist möglich, insoweit es sich dabei um EG-Mitgliedsstaaten, EWR-Vertragsstaaten, die Schweiz oder GATS-Vertragsstaaten handelt.3 Der Anwalt ist ferner dazu berechtigt, mehr als nur eine Kanzlei in den genannten Hoheitsgebieten einzurichten.4
12
Die Aufrechterhaltung der Zugehörigkeit zur deutschen Rechtsanwaltschaft soll es dem Anwalt ermöglichen, auch im Ausland auf seine – im deutschen Recht erworbene – Qualifikationen hinweisen zu können.
13
Gemäß § 29a Abs. 2 BRAO ist eine Befreiung von der Pflicht nach § 27 BRAO nur möglich, sofern nicht überwiegende Interessen der Rechtspflege entgegenstehen.
14
Ein Entgegenstehen überwiegender Interessen der Rechtspflege ist jedenfalls immer dann anzunehmen, wenn durch die ausschließliche Niederlassung im Ausland die Durchsetzung von Ansprüchen gegen den Anwalt oder die Verfolgung einer schwerwiegenden Pflichtverletzung behindert würden.5 Gemeint sind hier Ansprüche und Pflichtverletzungen, die sich unmittelbar aus dem beruflichen Verhalten des Anwalts ergeben.6
15
Ebenfalls aus dem überwiegenden Interesse der Rechtspflege kann eine bereits bestehende Befreiung widerrufen werden. Die Befreiung kann nach dem neu eingefügten § 29a Abs. 2 S. 2 widerrufen werden, wenn es im überwiegenden Interesse der Rechtspflege erforderlich ist.7
16
Das „Interesse der Rechtspflege“ ist im Einzelfall durch Auslegung unter Berücksichtigung der Ziele des § 29a BRAO zu ermitteln.8 Insofern ist eine Erforderlichkeit jedenfalls dann zu bejahen, wenn der Anwalt für die Rechtsuchenden sowie die Behörden und Gerichte nicht oder nur unter unzumutbaren Voraussetzungen erreichbar ist und Ansprüche gegen ihn somit nicht durchsetzbar sind.9 Im Falle eines negativen Befreiungsbescheids oder des Widerrufs der Befreiung hat der Anwalt das Recht zur Anfechtung dieser Entscheidung. Der entsprechende Antrag kann nach der Zustellung des Widerrufs gestellt werden. Das Rechtsbehelfsverfahren ist einheitlich im neuen Vierten Abschnitt des Fünften Teils und in der dort in Bezug genommenen VwGO geregelt. II. Rechtsfolgen Den Rechtsanwalt, der ausschließlich im Ausland tätig wird und daher von der Kanzleipflicht i.S.d. § 27 BRAO befreit worden ist, ist jedoch weiterhin verpflichtet, einige berufsrechtliche Regelungen des deutschen Rechts zu beachten. Es handelt sich hierbei um Regelungen, die unmittelbar an die Zugehörigkeit zur deutschen Rechtsanwaltskammer anknüpfen. Zum 1 Vgl. amtliche Begründung der Bundesregierung: BT-Drs. 11/3253, S. 22. 2 Henssler/Prütting/Schroeder/Federle, § 29a Rz. 9. 3 Zu den Voraussetzungen, unter denen eine berufliche Niederlassung in diesen Staaten möglich ist, s. unter E. 4 Feuerich/Weyland/Feuerich, § 29a Rz. 9. 5 So die amtliche Begründung der Bundesregierung: BT-Drs. 11/3253, S. 22. 6 Zuck, NJW 1990, 1026 (1027). 7 Gesetz zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariellen Berufsrecht zur Einrichtung einer Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft sowie zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung, der Finanzgerichtsordnung und kostenrechtlicher Vorschriften, Art. 1 Nr. 10a. 8 Näher dazu: Feuerich/Weyland/Feuerich, § 29a Rz. 12. 9 Feuerich/Weyland/Feuerich, § 29a Rz. 12.
Eichele 425
17
§ 29a BRAO Rz. 18
Kanzlei in anderen Staaten
einen betrifft das die in § 51 BRAO vorgesehene Pflicht eines Rechtsanwalts zum Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung.1 Die Versicherung ist während der Dauer der Zulassung zur Anwaltschaft aufrechtzuerhalten. Fehlender Versicherungsschutz führt auch dann zur Entziehung der Zulassung, wenn der Rechtsanwalt nur im Ausland tätig ist und von § 27 BRAO befreit wurde.2 Der sich in Deutschland niederlassende ausländische Anwalt kann gem. § 7 EuRAG von der Verpflichtung nach § 51 BRAO befreit werden, wenn er der Rechtsanwaltskammer eine nach den Vorschriften des Herkunftsstaates geschlossene Versicherung nachweist, die hinsichtlich der Bedingungen und des Deckungsumfangs einer Versicherung gem. § 51 BRAO gleichwertig ist. Bei fehlender Gleichwertigkeit ist durch eine Zusatzversicherung der Schutz zu schaffen, der den Anforderungen des § 51 BRAO gleichkommt.3 18
Weiterhin ergibt sich aus der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft die Verpflichtung zur Mitgliedschaft in den Versorgungswerken.
19
Sofern die Voraussetzungen des § 29a BRAO vorliegen und der Rechtsanwalt durch die Rechtsanwaltskammern von der Kanzleipflicht befreit wurde, ist er gem. § 30 Abs. 1 BRAO dazu verpflichtet einen Zustellungsbevollmächtigten zu bestellen. Nach § 30 Abs. 2 BRAO kann an den Zustellungsbevollmächtigten auch von Anwalt zu Anwalt (§§ 174, 195 ZPO) wie an den Rechtsanwalt selbst zugestellt werden. Ist ein Zustellungsbevollmächtigter entgegen Absatz 1 nicht bestellt, so kann die Zustellung durch die Aufgabe zur Post bewirkt werden (§ 184 ZPO). Gleiches gilt, wenn eine Zustellung an den Zustellungsbevollmächtigten am Ort des Gerichts nicht ausführbar ist (§ 30 Abs. 3 BRAO).4 So können Zustellungen an den Zulassungsort des Rechtsanwalts ohne weitere Schwierigkeiten erfolgen. D. Mitteilungspflichten (§ 29a Abs. 3 BRAO)
20
Der Gesetzgeber trifft in § 29a Abs. 3 Bestimmungen, die zur Ausübung der Aufsicht über im Ausland niedergelassene Anwälte erforderlich sind.
21
Gemäß Absatz 3 S. 1 sind Anwälte grundsätzlich verpflichtet, die Anschrift der Kanzlei sowie etwaige Änderungen den zuständigen Rechtsanwaltskammern mitzuteilen. Kommt der Anwalt seiner Mitteilungspflicht nicht unmittelbar nach, begründet dies ein pflichtwidriges Verhalten. Dies könnte zu einem Widerruf der Befreiung gem. § 29a Abs. 2 S. 2 BRAO führen.
22–25
Einstweilen frei.
E. Rahmenbedingungen für die anwaltliche Berufsausübung im Ausland 26
Die Voraussetzungen, unter denen deutsche Rechtsanwälte im Ausland rechtlich tätig werden können, richten sich sowohl nach den Bestimmungen des Heimatlandes als auch nach denen des aufnehmenden Staates, die von europarechtlichen bzw. völkerrechtlichen Vorgaben beeinflusst sind. Im Folgenden werden diese Rahmenbedingungen für die anwaltliche Berufsausübung in EG bzw. EWR-Mitgliedstaaten, EU-assoziierten Staaten und GATS-Vertragsstaaten näher erläutert. I. EG-, EWR-Mitgliedstaaten
27
Rechtsanwälte, die ihre Tätigkeit in EG-Mitgliedsstaaten sowie EWR-Vertragsstaaten ausüben, unterliegen den Grundsätzen des freien Personenverkehrs. Diese sind in den Art. 45 ff. AEUV und Art. 28 ff. EWR-Abkommen normiert und werden untergliedert in Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit. 1. Grundsatz der Niederlassungsfreiheit
28
Der Grundsatz der Niederlassungsfreiheit ist in Art. 49 AEUV und Art. 31 EWR5 geregelt und gewährt allen Angehörigen eines EG-Mitgliedsstaates bzw. eines EWR-Vertragsstaates die „Gründung und Leitung von Unternehmen“ sowie das Recht zur dauerhaften „Aufnahme 1 2 3 4
AGH Hamm, BRAK-Mitt. 1997, 306. Vgl. Henssler/Prütting/Schroeder/Federle, § 29a Rz. 12. Weitergehend: § 7 EuRAG Rz. 3. Zu den genaueren Voraussetzungen, unter denen ein Zustellungsbevollmächtigter bestellt werden soll s. Kommentierung zu § 30 BRAO. 5 BGBl. II 1993, S. 267 ff.
426 Eichele
Kanzlei in anderen Staaten
Rz. 33 § 29a BRAO
und Ausübung selbstständiger Erwerbsmöglichkeiten“ in einem anderen Mitgliedsstaat der Gemeinschaft. Dabei unterliegt der im Ausland tätig werdende Rechtsanwalt den „Bestimmungen des Aufnahmestaates für seine eigenen Angehörigen“. Art. 49 AEUV und Art. 31 EWR statuieren hier das Prinzip der Inländergleichbehandlung.1 Jegliche Art der Diskriminierung von Angehörigen der Gemeinschaft ist insofern unzulässig.2 Nur zwingende Gründe des Allgemeinwohls rechtfertigen eine Einschränkung dieser Grundfreiheit.3 Der Grundsatz der Niederlassungsfreiheit wird durch die Hochschuldiplom-Richtlinie4 und die Niederlassungsrichtlinie5 konkretisiert. Der deutsche Gesetzgeber hat die Umsetzung dieser beiden Richtlinien im Gesetz über die Tätigkeit europäischer Rechtsanwälte in Deutschland (EuRAG) geregelt.6
29
a) Niederlassungsrichtlinie Die am 14.3.1998 in Kraft getretene Niederlassungsrichtlinie dient der Erleichterung der Möglichkeiten zur Berufsausübung von Rechtsanwälten in den EG-Mitgliedstaaten bzw. den EWR-Vertragsstaaten. Sie verfolgt zweierlei Regelungsziele. Zum einen statuiert sie das Recht zur Ausübung der anwaltlichen Tätigkeit unter der Berufsbezeichnung des Herkunftsstaates. Gemäß Art. 2 der Richtlinie kann sich jeder in der europäischen Gemeinschaft zugelassene Rechtsanwalt für die Dauer seiner Tätigkeitsausübung unter der Berufsbezeichnung seines Heimatlandes im Ausland niederlassen.7 Der Anwalt darf alle anwaltlichen Tätigkeiten ausüben, sowohl in seinem Heimatrecht als auch im Recht des aufnehmenden Staates.8
30
Das zweite Regelungsziel ist die Vollintegration in die Rechtsanwaltschaft des aufnehmenden Mitgliedsstaates. Eine solche ist grundsätzlich dann erlangt, wenn sich der Anwalt einer sog. Eignungsprüfung9 unterzieht. Alternativ dazu kann er von dem Erfordernis dieser Prüfung befreit und direkt in die Anwaltschaft aufgenommen werden, wenn er den Nachweis einer dreijährigen, effektiven und regelmäßigen Tätigkeit im Recht des Aufnahmestaates erbringt.10
31
Darüber finden sich weitere Bestimmungen zur gemeinschaftlichen Berufsausübung in der Richtlinie.11
32
b) Hochschuldiplom-Richtlinie bzw. Berufsqualifikationsrichtlinie Die Hochschuldiplom-Richtlinie verpflichtet die Mitgliedsstaaten zur wechselseitigen Anerkennung von Hochschulabschlüssen, die in einem anderen Mitgliedsstaat erworben wurden.12 Der Gedanke, der hier zugrunde liegt, ist der der Gleichwertigkeit der einzelnen nationalen Ausbildungsgänge.13 Ziel ist es, dem Rechtsanwalt die Berufsausübung auch im Ausland zu ermöglichen. Bestehen wesentlich inhaltliche Unterschiede zwischen denen im Ausland und im Inland abgelegten Diplomen, so kann der aufnehmende Staat von dem ausländischen Berufsangehörigen eine Eignungsprüfung oder einen höchstens drei Jahre dauernden Anpassungslehrgang fordern.14 Die Richtlinie über die Anerkennung von Berufsqualifikationen aus dem Jahre 2005 ersetzt die bisher geltenden Richtlinien, die der Anerkennung von Befähigungsnachweisen dienten und konsolidiert die alte Diplomanerkennungsrichtlinie (89/48/EWG).15 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15
Vgl. Hüchting, BRAK-Mitt. 1984, 2 ff.; Stefener, AnwBl. 1980, 367 (370). S. Rspr. des EuGH, Slg. 1989, 1591 Rz. 11 – Allué; Slg. 1974, 73 Rz. 11 – Sotigu. Vgl. Entscheidung des EuGH, NJW 1996, 579 ff. Richtlinie 89/48/EWG des Rates v. 21.12.1988 über eine allgemeine Regelung zur Anerkennung der Hochschuldiplome, die eine mindestens dreijährige Berufsausbildung abschließen, ABl. EG Nr. L 19/16 v. 24.1. 1989. Richtlinie 98/5/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 16.12.1998 zur Erleichterung der ständigen Ausübung des Rechtsanwaltsberufs in einem anderen Mitgliedsstaat als dem, in dem die Qualifikation erworben wurde, ABl. EG Nr. L 77/36 v. 14.3.1998. EuRAG v. 9.3.2000 (BGBl. I, S. 182; BGBl. II, S. 309–19). Näher erläutert wird die Richtlinie in: Hoffmann, AnwBl. 1999, 680 (681 ff.); Ewig, NJW 1999, 249 (250). Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie. Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie. Vgl. Hoffmann, AnwBl. 1999, 680 (681 f.). Art. 11 Nr. 2 der Richtlinie; dazu: Hoffmann, AnwBl. 1999, 680 (683); Henssler/Prütting/Schroeder/Federle, § 29a Rz. 26 f.; Ewig, NJW 1999, 249 (253). Art. 3 der Richtlinie. Vgl. Feuerich, NJW 1991, 1144 (1145); Henssler, in: Henssler/Nerlich, Anwaltliche Tätigkeit in Europa, 28. S. Art. 4 der Richtlinie; dazu: Gornig, NJW 1989, 1120 (1122). Richtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 7.9.2005 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen.
Eichele 427
33
§ 29a BRAO Rz. 34
Kanzlei in anderen Staaten
2. Grundsatz der Dienstleistungsfreiheit 34
Der Grundsatz der Dienstleistungsfreiheit ist in den Art. 56 AEUV und Art. 36 ff. EWG gesetzlich normiert. Selbstständige und Gesellschaften, die ihre berufliche Tätigkeit vorübergehend in den EG- bzw. EWR-Mitgliedsstaaten ausüben, fallen unter den Anwendungsbereich. Zu unterscheiden sind zwei Regelungsinhalte. Zum einen umfasst der Grundsatz der Dienstleistungsfreiheit das Verbot ungerechtfertigter Diskriminierung. Danach darf der ausländische Anwalt unter den gleichen Voraussetzungen, die für den Anwalt im Aufnahmestaat gelten, tätig werden.1 Seit der Entscheidung des EuGH im Falle Säger/Dennemeyer richtet sich der Grundsatz der Dienstleistungsfreiheit gegen jegliche Art der Beschränkung, die geeignet wäre, die Dienstleistungstätigkeit zu unterbinden oder zu behindern.2 Dieses sog. Beschränkungsverbot geht damit über das Gebot der Inländergleichbehandlung hinaus. Eine Ausnahme von dieser Beschränkung ist nur zulässig, wenn sie aus übergeordneten Gründen des Allgemeinwohls tatsächlich erforderlich und verhältnismäßig ist.3 Verhältnismäßigkeit ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn dem nationalen Allgemeinwohl nicht bereits durch Rechtsvorschriften Rechnung getragen wird, denen der ausländische Dienstleister in dem Staat unterliegt, in dem er ansässig ist.4
35
Präzisiert wird der Grundsatz der Dienstleistungsfreiheit durch die Rechtsanwaltsdienstleistungsrichtlinie vom 26.3.1977.5 Aus dieser geht hervor, dass der in EG-Mitgliedsstaaten vorübergehend tätig werdende Anwalt die gleiche Rechtsstellung hat wie der nationale Anwalt. Demnach ist er berechtigt, sowohl die Vertretung von Mandanten im Bereich der Rechtspflege zu übernehmen als auch in der außergerichtlichen Funktion des Rechtsberaters tätig zu werden. Hinsichtlich beider Dienstleistungen unterliegt er den Standesregeln seines Herkunftsstaates und denen des Aufnahmestaates.6 II. Sonderfall Schweiz
36
Für die anwaltliche Tätigkeitsausübung in der Schweiz gelten andere als die oben dargelegten Rahmenbedingungen. Die Schweiz bildet hier insofern eine Ausnahme, als sie zwar zu den Mitgliedsstaaten der EFTA gehört, aber kein Vertragsstaat der EWR ist. In der Konsequenz finden sowohl das EWR-Abkommen als auch die dazugehörigen Richtlinien keine unmittelbare Anwendung. Seit dem 21.6.1999 besteht jedoch zwischen der Europäischen Gemeinschaft, deren Mitgliedern und der Schweiz ein bilaterales Abkommen über die Freizügigkeit.7 Das Abkommen trat zum 1.6.2002 in Kraft und ist als eines von insgesamt sieben Abkommen des Regelungswerkes das Resultat eines seit 1993 fortdauernden Assoziierungsprozesses.8 Im Ergebnis ermöglicht das Abkommen trotz fehlender EWR-Zugehörigkeit der Schweiz die Geltung der Freizügigkeitsrechte für europäische Rechtsanwälte, die elementaren Richtlinien: Niederlassungsrichtlinie, Hochschuldiplom-Richtlinie und Dienstleistungsrichtlinie.9 III. GATS-Vertragsstaaten 1. Allgemeines
37
Im Übrigen finden sich Bestimmungen über die Niederlassungsmöglichkeiten von Anwälten im sog. GATS-Abkommen. Das General Agreement on Trade and Services (GATS) ist Teil des „Übereinkommens zur Einrichtung der Welthandelsorganisation (WHO)“,10 das am 1.1.1995 in Kraft getreten ist.11 Bei dem GATS-Abkommen handelt es sich um ein multilaterales Übereinkommen, das erstmals den Handel mit Dienstleistungen, mithin auch im juris1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
Vgl. Art. 37 Abs. 3 EWR-Abkommen; Art. 57 AEUV; dazu: Rabe, AnwBl. 1992, 146 (147). Vgl. EuGH, NJW 1991, 2693 ff.; dazu: Rabe, AnwBl. 1992, 146 (147); Speyer, EuZW 1991, 588 ff. EuGH, NJW 1991, 2693 ff. EuGH, NJW 1991, 2693 ff.; dazu: Hailbronner/Nachbaur, EuZW 1992, 109 (110). Richtlinie 77/240/EWG des Rates v. 22.3.1977 zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs der Rechtsanwälte, ABl. EG Nr. 78/17 v. 26.3.1977. Der deutsche Gesetzgeber hat diese Richtlinie durch das EuRAG umgesetzt. Art. 4 der Richtlinie; ausführlicher dazu: Henssler/Prütting/Schroeder/Federle, Einl. EuRAG Rz. 98 ff. BGBl. II 2001, S. 810. S. auch: Henssler/Prütting/Federle/Fried, Anhang 4 Rz. 97 ff. Hierzu ausführlicher Kilian, ZeuP 2000, 601 ff. Liste der WHO-Mitgliedsstaaten: http://www.wto.org/english/thewto_e/whatis_e/tif_e/org6_e.htm. Gesamtes Welthandelsabkommen in englischer Originalfassung und deutscher Übersetzung in BGBl. 1994, S. 14 ff.
428 Eichele
§ 30 BRAO
Zustellungsbevollmächtigter
tischen Bereich, umfasst.1 Ziel des GATS ist es, Angehörigen aus den GATT-Vertragsstaaten den Zugang zum Rechtsberatungsmarkt anderer GATS-Vertragsstaaten zu erleichtern. Unter den Anwendungsbereich fallen alle Angehörigen der Mitgliedsstaaten der Welthandelsorganisation. Abzustellen ist hier auf die Angehörigen der Berufe aus den WTO-Mitgliedsstaaten, nicht aber auf die Staatsangehörigkeit eines WTO-Staates.2 Aufgrund der Rechtsnatur des GATS, als zwischenstaatliches Übereinkommen, können die Verpflichtungen nur zwischen den Vertragsstaaten durchgesetzt werden. Eine Geltendmachung des Einzelnen scheidet daher aus.3 2. Systematik des GATS Das GATS-Abkommen basiert auf drei Säulen: dem Rahmenabkommen, den nationalen Verpflichtungskatalogen und einer Reihe von Annexen. Im Rahmenabkommen enthalten sind die vier wichtigsten Vertragsprinzipien für rechtsberatende Tätigkeiten wie Meistbegünstigungsklausel, Marktzugang, Inländergleichbehandlung und nationale Bestimmungen im Hinblick auf Handelsbarrieren.4 Die Verpflichtungskataloge beinhalten die Liberalisierungspflichten der jeweiligen Vertragsstaaten. Hinsichtlich der rechtsberatenden Dienstleistungen beschränkt sich der Verpflichtungskatalog der EG auf die Erteilung von Rechtsrat und schließt das Recht zur Vertretung vor Gericht aus.5 Annexbestimmungen sind zwar im Bereich der Finanzdienstleistungen, nicht aber im Bereich juristischer Dienstleitungen zu finden.6
38
3. Umsetzung des GATS in Deutschland Gemäß § 206 Abs. 1 BRAO können sich Angehörige von Anwaltsberufen der Mitgliedstaaten der WTO nach Aufnahme in eine Rechtsanwaltskammer in Deutschland niederlassen, um ihren Beruf auszuüben. Die Befugnis zur Rechtsberatung ist beschränkt auf die außergerichtliche Beratung im Recht des Herkunftsstaats und im Völkerrecht. Voraussetzung ist, dass der ausländische Anwaltsberuf „in der Ausbildung und in den Befugnissen“ dem Beruf des Rechtsanwalts nach der BRAO entspricht. Ob ein Beruf diesen Vorgaben entspricht, wird durch das Bundesministerium der Justiz (BMJ) geprüft und durch Rechtsverordnung festgestellt. Gemäß § 206 Abs. 2 BRAO können sich Angehörige anderer Staaten unter denselben Voraussetzungen wie nach Absatz 1 in Deutschland niederlassen, wenn die Gegenseitigkeit verbürgt ist. Auch für Absatz 2 gilt, dass das BMJ durch Rechtsverordnung bestimmt, für welche Angehörige dies gilt.7
30 BRAO Zustellungsbevollmächtigter (1) Ist der Rechtsanwalt von der Pflicht befreit, eine Kanzlei zu unterhalten, so hat er der Rechtsanwaltskammer einen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen, der im Inland wohnt oder dort einen Geschäftsraum hat.
(2) An den Zustellungsbevollmächtigten kann auch von Anwalt zu Anwalt (§§ 174, 195 der Zivilprozessordnung) wie an den Rechtsanwalt selbst zugestellt werden. (3) 1Ist ein Zustellungsbevollmächtigter entgegen Absatz 1 nicht bestellt, so kann die Zustellung durch Aufgabe zur Post bewirkt werden (§ 184 der Zivilprozessordnung). 2Das Gleiche gilt, wenn eine Zustellung an den Zustellungsbevollmächtigten nicht ausführbar ist. A. Allgemeines/Geltungsbereich/Historie . I. Aktuelle Änderungen . . . . . . . . . 1. Person des Zustellungsbevollmächtigten 2. Anzeigepflicht . . . . . . . . . . . . 3. Umfang der Bevollmächtigung . . . .
. . . . .
1 1 1 5 7
II. Anwendungsbereich . . . . . . . . . .
8
B. Zweck der Norm . . . . . . . . . . . .
11
C. Einzelkommentierung der BRAO-Vorschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Person des Zustellungsbevollmächtigten .
12 12
1 2 3 4
Weiterführend: Errens, EuZW 1994, 460 ff.; Errens, AnwBl. 1994, 461 ff.; Barth, EuZW 1994, 455 ff. Vgl. Feuerich/Weyland/Feuerich, § 206 Rz. 4. Vgl. Henssler/Prütting/Prütting, § 29a Rz. 51. Errens, EuZW 1994, 460 ff.; Ewig, BRAK-Mitt. 1994, 205 (206 ff.); zur Prüfung, ob aufgrund eines GATS eine Verpflichtung in Bezug auf eine juristische Dienstleistung besteht: Henssler/Prütting/Schroeder/Federle, § 29a Rz. 46 ff. 5 Errens, EuZW 1994, 460 (462). 6 Vgl. Errens, EuZW 1994, 460 ff.; Ewig, NJW 1995, 434 (435). 7 Vgl. ausführlich: § 206 BRAO.
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§ 30 BRAO
Zustellungsbevollmächtigter
tischen Bereich, umfasst.1 Ziel des GATS ist es, Angehörigen aus den GATT-Vertragsstaaten den Zugang zum Rechtsberatungsmarkt anderer GATS-Vertragsstaaten zu erleichtern. Unter den Anwendungsbereich fallen alle Angehörigen der Mitgliedsstaaten der Welthandelsorganisation. Abzustellen ist hier auf die Angehörigen der Berufe aus den WTO-Mitgliedsstaaten, nicht aber auf die Staatsangehörigkeit eines WTO-Staates.2 Aufgrund der Rechtsnatur des GATS, als zwischenstaatliches Übereinkommen, können die Verpflichtungen nur zwischen den Vertragsstaaten durchgesetzt werden. Eine Geltendmachung des Einzelnen scheidet daher aus.3 2. Systematik des GATS Das GATS-Abkommen basiert auf drei Säulen: dem Rahmenabkommen, den nationalen Verpflichtungskatalogen und einer Reihe von Annexen. Im Rahmenabkommen enthalten sind die vier wichtigsten Vertragsprinzipien für rechtsberatende Tätigkeiten wie Meistbegünstigungsklausel, Marktzugang, Inländergleichbehandlung und nationale Bestimmungen im Hinblick auf Handelsbarrieren.4 Die Verpflichtungskataloge beinhalten die Liberalisierungspflichten der jeweiligen Vertragsstaaten. Hinsichtlich der rechtsberatenden Dienstleistungen beschränkt sich der Verpflichtungskatalog der EG auf die Erteilung von Rechtsrat und schließt das Recht zur Vertretung vor Gericht aus.5 Annexbestimmungen sind zwar im Bereich der Finanzdienstleistungen, nicht aber im Bereich juristischer Dienstleitungen zu finden.6
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3. Umsetzung des GATS in Deutschland Gemäß § 206 Abs. 1 BRAO können sich Angehörige von Anwaltsberufen der Mitgliedstaaten der WTO nach Aufnahme in eine Rechtsanwaltskammer in Deutschland niederlassen, um ihren Beruf auszuüben. Die Befugnis zur Rechtsberatung ist beschränkt auf die außergerichtliche Beratung im Recht des Herkunftsstaats und im Völkerrecht. Voraussetzung ist, dass der ausländische Anwaltsberuf „in der Ausbildung und in den Befugnissen“ dem Beruf des Rechtsanwalts nach der BRAO entspricht. Ob ein Beruf diesen Vorgaben entspricht, wird durch das Bundesministerium der Justiz (BMJ) geprüft und durch Rechtsverordnung festgestellt. Gemäß § 206 Abs. 2 BRAO können sich Angehörige anderer Staaten unter denselben Voraussetzungen wie nach Absatz 1 in Deutschland niederlassen, wenn die Gegenseitigkeit verbürgt ist. Auch für Absatz 2 gilt, dass das BMJ durch Rechtsverordnung bestimmt, für welche Angehörige dies gilt.7
30 BRAO Zustellungsbevollmächtigter (1) Ist der Rechtsanwalt von der Pflicht befreit, eine Kanzlei zu unterhalten, so hat er der Rechtsanwaltskammer einen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen, der im Inland wohnt oder dort einen Geschäftsraum hat.
(2) An den Zustellungsbevollmächtigten kann auch von Anwalt zu Anwalt (§§ 174, 195 der Zivilprozessordnung) wie an den Rechtsanwalt selbst zugestellt werden. (3) 1Ist ein Zustellungsbevollmächtigter entgegen Absatz 1 nicht bestellt, so kann die Zustellung durch Aufgabe zur Post bewirkt werden (§ 184 der Zivilprozessordnung). 2Das Gleiche gilt, wenn eine Zustellung an den Zustellungsbevollmächtigten nicht ausführbar ist. A. Allgemeines/Geltungsbereich/Historie . I. Aktuelle Änderungen . . . . . . . . . 1. Person des Zustellungsbevollmächtigten 2. Anzeigepflicht . . . . . . . . . . . . 3. Umfang der Bevollmächtigung . . . .
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II. Anwendungsbereich . . . . . . . . . .
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B. Zweck der Norm . . . . . . . . . . . .
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C. Einzelkommentierung der BRAO-Vorschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Person des Zustellungsbevollmächtigten .
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Weiterführend: Errens, EuZW 1994, 460 ff.; Errens, AnwBl. 1994, 461 ff.; Barth, EuZW 1994, 455 ff. Vgl. Feuerich/Weyland/Feuerich, § 206 Rz. 4. Vgl. Henssler/Prütting/Prütting, § 29a Rz. 51. Errens, EuZW 1994, 460 ff.; Ewig, BRAK-Mitt. 1994, 205 (206 ff.); zur Prüfung, ob aufgrund eines GATS eine Verpflichtung in Bezug auf eine juristische Dienstleistung besteht: Henssler/Prütting/Schroeder/Federle, § 29a Rz. 46 ff. 5 Errens, EuZW 1994, 460 (462). 6 Vgl. Errens, EuZW 1994, 460 ff.; Ewig, NJW 1995, 434 (435). 7 Vgl. ausführlich: § 206 BRAO.
Siegmund 429
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§ 30 BRAO Rz. 1 II. Ort des Zustellungsbevollmächtigten . III. Benennung des Zustellungsbevollmächtigten . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Rechtsfolgen. . . . . . . . . . . . . 1. Unterlassene Benennung . . . . . . . a) Widerruf der Zulassung . . . . . .
Zustellungsbevollmächtigter .
15
. . . .
17 20 20 21
b) Zustellung durch Aufgabe zur Post . . 2. Wirkung der Vollmacht . . . . . . . . . 3. Pflichten des Zustellungsbevollmächtigten 4. Erleichterte Zustellung . . . . . . . . .
23 24 30 31
D. Prozessuales . . . . . . . . . . . . . .
33
A. Allgemeines/Geltungsbereich/Historie I. Aktuelle Änderungen 1. Person des Zustellungsbevollmächtigten 1
Die Norm ist durch das Gesetz zur Stärkung der Selbstverwaltung1 komplett neu gefasst worden. Doch entspricht sie mit kleineren Änderungen der ursprünglichen Fassung. Dies ist nur aus dem Gesetzgebungsvorgang heraus zu erklären. Der durch den Bundesrat eingebrachte Gesetzesentwurf2 sah vor, dass als Zustellungsbevollmächtigter nur noch ein anderer Rechtsanwalt oder eine sonstige zur Berufsverschwiegenheit verpflichtete Person benannt werden könne. Da der Zustellungsbevollmächtigte insbesondere auch Mandantenpost in Empfang zu nehmen habe, erschiene es zum Mandantenschutz sachgerecht, nur solche Personen zu bestellen, die in gleicher Weise wie der Rechtsanwalt der Verschwiegenheitspflicht unterliegen.3
2
Die Bundesregierung und der Rechtsausschuss hingegen hielten die Änderung nicht für sinnvoll und bezweifelten die Erforderlichkeit. Es sei nicht ersichtlich, warum die (damals) geltende Regelung unzureichend sei und ob und welche konkreten Schwierigkeiten sie bereitet habe. Es sei ein Vorteil, wenn der Rechtsanwalt auch andere Personen seines Vertrauens benennen könne. Die Verpflichtung der benannten Person, die Verschwiegenheit zu wahren, ergebe sich aus ihrem Verhältnis zu dem Rechtsanwalt. Es könne der verantwortlichen Entscheidung des Rechtsanwalts überlassen bleiben, welche Person er für den Empfang von Zustellungen benenne.4
3
Diese rein pragmatischen Überlegungen gehen gerade nicht auf die zutreffenden Bedenken des Bundesrates ein. Die Verschwiegenheitsverpflichtung ist notwendiger Bestandteil der Tätigkeit des Rechtsanwalts als Organ der Rechtspflege und gehört zu den elementaren anwaltlichen Grundwerten (vgl. § 27 BRAO Rz. 19).5 Sie wegen eines vordergründigen organisatorischen „Vorteils“ auszuhöhlen – auch wenn dies der alten Rechtslage entsprach – erscheint nicht sachgerecht. Aus welchem „Verhältnis“ zu dem Rechtsanwalt sich die Verpflichtung ergeben solle, die Verschwiegenheit zu wahren, wird durch den Gesetzgeber nicht näher ausgeführt. In § 203 Abs. 3 S. 1 StGB und § 53a Abs. 1 S. 1 StPO werden die Personen „seines [des Rechtsanwalts] Vertrauens“ jedenfalls nicht erwähnt. Es ist somit nach der herrschenden, hier allerdings nicht vertretenen (vgl. Rz. 13) Meinung weiterhin möglich, dass ein beschränkt geschäftsfähiger Siebenjähriger als Zustellungsbevollmächtigter benannt wird.
4
Mit dem Wegfall der Singularzulassung muss der Zustellungsbevollmächtigte nicht mehr am Ort des Zulassungsgerichts wohnhaft sein. Somit wurden § 30 Abs. 1 und Abs. 3 S. 2 BRAO entsprechend angepasst. Im Rahmen der BRAO-Novelle 2009 wurde schließlich durch eine Ergänzung des § 30 Abs. 1 BRAO klargestellt, dass der Zustellungsbevollmächtigte im Inland wohnen oder dort einen Geschäftsraum haben muss (vgl. Rz. 15). 2. Anzeigepflicht
5
§ 30 Abs. 1 BRAO regelt nunmehr nicht mehr die Pflicht, einen Zustellungsbevollmächtigten zu bestellen, sondern ihn gegenüber der Rechtsanwaltskammer zu benennen, vgl. § 164 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 statt Alt. 1 BGB. Die Literatur vertrat bereits vor der Neuregelung einstimmig die Ansicht, dass die Bestellung (den Zulassungsgerichten) analog § 53 Abs. 6 BRAO a.F. anzuzeigen sei, da es keinen Sinn mache, wenn ein Zustellungsbevollmächtigter bestellt 1 2 3 4
BGBl. I 2007, S. 358. BR-Drs. 945/04. BT-Drs. 16/513, S. 15. BT-Drs. 16/513, S. 23; BT-Drs. 16/3837, S. 42; hierzu auch Dahns, NJW 2007, 1553 (1554); zur BRAO-Novelle 2009: Quaas/Dahns, NJW 2009, 2705 (2710). 5 Gaier, BRAK-Mitt. 2006, 2 (4); Jaeger, NJW 2004, 1 (5).
430 Siegmund
Zustellungsbevollmächtigter
Rz. 10 § 30 BRAO
ist und keiner etwas davon weiß.1 Die Anzeige ist nunmehr besonders bedeutsam für die korrekte Führung des Anwaltsverzeichnisses nach § 31 BRAO. Leider hat es der Gesetzgeber versäumt, endlich auch die Rechtsfolgen der Nichtanzeige rechtssicher zu regeln. In den §§ 14 Abs. 3 Nr. 3 und 30 Abs. 3 BRAO verwendet er weiterhin das Tatbestandsmerkmal der Bestellung (vgl. Rz. 20). Somit hat er der Diskussion um die Folgen der Nichtanzeige kein Ende bereitet.
6
3. Umfang der Bevollmächtigung Nach § 30 Abs. 1 S. 1 BRAO a.F. musste ein ständiger Zustellungsbevollmächtigter bestellt werden. Das Tatbestandsmerkmal „ständig“ hatte zwar nach alter Rechtslage keine gesonderte Bedeutung und sollte wohl nur klarstellen, dass die Bevollmächtigung nicht nur für einzelne Zustellungen gelten kann. Es ist jedoch nun weggefallen, ohne dass die gesetzgeberischen Motive hierfür bekannt wären. Im Ergebnis dürfte aber keine Änderung der Rechtslage bezweckt worden sein. Auch nach neuer Fassung des § 31 BRAO muss die Bevollmächtigung somit (zeitlich) unbeschränkt gelten. Freilich ist es aber weiterhin möglich, den alten Zustellungsbevollmächtigten durch Neubestellung eines anderen auszutauschen, vgl. § 14 Abs. 3 Nr. 3 Alt. 2 BRAO.
7
II. Anwendungsbereich Nach dem Wortlaut des § 30 Abs. 1 BRAO und dessen systematischer Stellung nach den §§ 29 und 29a BRAO muss ein Zustellungsbevollmächtigter in allen Fällen der Kanzleipflichtbefreiung benannt werden (§§ 29 Abs. 1 Alt. 1 und 2 sowie 29a Abs. 2 BRAO).2 Einzelne Stimmen in der Literatur vertraten die Ansicht, dass der ausschließlich im Ausland tätige und von der Kanzleipflicht im Inland befreite Rechtsanwalt nicht verpflichtet sei, einen Zustellungsbevollmächtigten zu bestellen.3 Dieser Ansicht dürfte aber dadurch überholt worden sein, dass der Gesetzgeber den Klammerzusatz in § 35 Abs. 1 Nr. 4 BRAO a.F. bzw. § 14 Abs. 3 Nr. 3 BRAO n.F. um den Hinweis auf § 29a Abs. 2 BRAO ergänzt hat.4 Freilich muss aber derjenige Rechtsanwalt, der nicht von der inländischen Kanzleipflicht befreit ist und nur zusätzlich nach § 29a Abs. 1 BRAO eine Kanzlei im Ausland einrichtet, keinen Zustellungsbevollmächtigten bestellen, vgl. § 30 Abs. 1 Hs. 1 BRAO.
8
Nicht von der Kanzleipflicht befreite Rechtsanwälte können keinen Zustellungsbevollmächtigten bestellen.5 § 30 BRAO stellt insoweit eine Sondervorschrift dar. Der privilegierte Adressatenkreis in § 194 ZPO kann nicht beliebig erweitert werden. Der Grundsatz in § 52 Abs. 1 BRAO darf nicht über den Anwendungsbereich des § 30 BRAO ausgehöhlt werden.6 Die Rechtsprechung hat nur Fälle einer sonstigen Bestellung anerkannt, in denen die Zustellungsvertretung durch einen Anwalt7 oder durch einen amtlich bestellten Referendar8 erfolgt ist. Zustellungen an einen zu Unrecht benannten Zustellungsbevollmächtigten sind unwirksam.9
9
Abzugrenzen sind davon Fälle, in denen der dienstleistende europäische Rechtsanwalt vor deutschen Gerichten oder Behörden auftritt. Diesen gegenüber hat er nach § 31 EuRAG einen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen.10 Eine Benennung gegenüber der Rechtsanwaltskammer erfolgt nicht.
10
1 Schon Isele, § 30 Anm. XI; Henssler/Prütting/Prütting, 2. Aufl., § 30 Rz. 17 m.w.N. 2 § 213 BRAO wurde durch das Gesetz zur Stärkung der Selbstverwaltung aufgehoben. 3 Henssler/Prütting/Schroeder/Federle, 2. Aufl., § 29a Rz. 13; Jessnitzer/Blumberg, § 29a Rz. 4; a.A. Henssler/ Prütting/Prütting, § 30 Rz. 17; neuerdings auch Feuerich/Weyland, § 30 Rz. 2; Hartung/Römermann/Hartung, § 5 BORA Rz. 40; Kleine-Cosack, § 30 Rz. 2. 4 So nun auch Henssler/Prütting/Schroeder, § 29a Rz. 12. 5 Feuerich/Weyland, § 30 Rz. 4. 6 BGH, NJW 1982, 1649 (1650); Henssler/Prütting/Prütting, § 30 Rz. 8. 7 BGHZ 67, 10 (12 f.). 8 Henssler/Prütting/Prütting, § 30 Rz. 8. 9 BGH, NJW 1982, 1649 (1650); OLG Stuttgart, NJW 2010, 2532: Das von dem Assessor unterzeichnete Empfangsbekenntnis genügt nicht den Anforderungen (an den Nachweis) einer wirksamen Zustellung an den Adressaten nach § 37 Abs. 1 StPO i.V.m. § 174 Abs. 1 ZPO. Ein Rechtsanwalt als Adressat einer Zustellung gegen Empfangsbekenntnis kann jedenfalls einen Assessor weder für den Einzelfall noch allgemein hierzu ermächtigten. Einem Rechtsanwalt stehen kraft Gesetzes nur der Zustellungsbevollmächtigte i.S.d. § 30 BRAO, der allgemein bestellte Vertreter i.S.d. § 53 BRAO oder der Abwickler i.S.d. § 55 BRAO gleich. 10 Henssler/Prütting/Prütting, § 30 Rz. 18.
Siegmund 431
§ 30 BRAO Rz. 11
Zustellungsbevollmächtigter
B. Zweck der Norm 11
In § 30 BRAO setzen sich die Erfordernisse der Kanzleipflicht fort, auch wenn eine Befreiung hiervon erfolgt ist. Der Zustellungsbevollmächtigte stellt im Hinblick auf eine zustellfähige Adresse im Inland das Surrogat der Kanzlei dar. Im Interesse der Rechtspflege müssen an jeden Rechtsanwalt schnell und vereinfacht Zustellungen erfolgen können (vgl. § 27 BRAO Rz. 22 f.).1 Die Privilegien der vereinfachten Zustellung in den §§ 174, 195 ZPO knüpfen an die Kanzleipflicht an2 und werden mithilfe des § 30 Abs. 2 BRAO auf den Zustellungsbevollmächtigten übertragen. Somit kann die durch die Befreiung von der Kanzleipflicht entstandene Lücke im Zustellungsverkehr durch die Benennung eines Bevollmächtigten geschlossen werden.3 C. Einzelkommentierung der BRAO-Vorschrift I. Person des Zustellungsbevollmächtigten
12
Der Zustellungsbevollmächtigte kann jede Person sein, die entsprechend § 52 ZPO prozessfähig ist. Denn es gilt der Grundsatz im Zivilprozess, dass im Anwaltsprozess auch der Prozessbevollmächtigte selbst prozessfähig sein muss.4 Zwar enthält § 30 BRAO eine Ausnahme von dem Grundsatz der Spezialsubstitution in § 52 Abs. 1 BRAO – der Zustellungsbevollmächtigte muss gerade nicht selbst Rechtsanwalt sein.5 Zudem hat der Gesetzgeber durch Novellierung des § 212a ZPO a.F. in § 174 ZPO den darin aufgeführten Personenkreis erweitert und generell auf Personen erstreckt, bei denen aufgrund ihres Berufs von einer erhöhten Zuverlässigkeit ausgegangen werden kann.6 Doch gibt § 30 BRAO keine Rechtsgrundlage dafür, von § 52 ZPO eine Ausnahme zu machen.
13
Die herrschende Meinung in der Literatur, dass die beschränkte Geschäftsfähigkeit für den Zustellungsbevollmächtigten genüge,7 ist daher abzulehnen. Prozessunfähig sind auch Minderjährige, also beschränkt Geschäftsfähige.8 Es kann nicht angehen, dass beispielsweise ein Rechtsanwalt sein siebenjähriges Kind zum Zustellungsbevollmächtigten erklärt und ihm einen – wenn auch kleinen – Teil seiner Stellung als Organ der Rechtspflege überträgt.
14
Auch juristische Personen sind grundsätzlich nicht prozessfähig9 und können nicht als Zustellungsbevollmächtigte zugelassen werden.10 Jedoch sind Rechtsanwalt- und Patentanwaltsgesellschaften prozessfähig, §§ 52l BRAO und 59l PatAnwO.11 Sie können als Zustellungsbevollmächtigte zugelassen werden.12
14a
Soweit ersichtlich ist die Frage noch nicht geklärt, ob auch der Rechtsanwalt, der von der Kanzleipflicht befreit wurde, selbst zum eigenen Zustellungsbevollmächtigten z.B. mit seiner Privatadresse eingetragen werden kann. In der Praxis mag hierfür ein Bedürfnis dann bestehen, wenn der Anwalt bspw. aus Härtegründen von der Kanzleipflicht befreit werden soll. Zustellungen könnte er wirksam an seiner Privatadresse entgegennehmen. In rechtlicher Hinsicht liegt allerdings in diesen Fällen kein Handeln im fremden Namen vor. Eine Bevollmächtigung der eigenen Person ist nicht möglich. Man kann den Rechtsanwalt daher allenfalls als „Quasi-Zustellungsbevollmächtigen“ ansehen und ihn in dieser Eigenschaft im Anwaltsregister nach § 31 BRAO eintragen (vgl. § 31 BRAO Rz. 67). II. Ort des Zustellungsbevollmächtigten
15
Die neue Rechtslage nach der BRAO-Novelle 2009 sieht nunmehr klarstellend vor, dass der Zustellungsbevollmächtigte seinen Wohnsitz oder einen Geschäftsraum im Inland haben 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
Henssler/Prütting/Prütting, § 30 Rz. 2. BGH, VersR 1982, 273. Feuerich/Weyland, § 30 Rz. 1. BVerfG, NJW 1974, 1279; Zöller/Vollkommer, § 52 ZPO Rz. 2. BGH, NJW 1982, 1649 (1650); BGH, NJW 1982, 1650. Die gesetzgeberischen Motive in BT-Drs. 492/00, S. 36 lauten lediglich: „an die positiven Erfahrungen der gerichtlichen Praxis anknüpfend“. Isele, § 30 Anm. V.C.; Henssler/Prütting/Prütting, § 30 Rz. 14; Feuerich/Weyland, § 30 Rz. 9. Thomas/Putzo, § 52 ZPO Rz. 2 mit Hinweis auf wenige Ausnahmen. Thomas/Putzo, § 52 ZPO Rz. 4. So auch im Ergebnis Isele, § 30 Anm. V.B; Henssler/Prütting/Prütting, § 30 Rz. 14; Feuerich/Weyland, § 30 Rz. 10. Thomas/Putzo, § 52 ZPO Rz. 4. Feuerich/Weyland, § 30 Rz. 9.
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Zustellungsbevollmächtigter
Rz. 20 § 30 BRAO
muss; dabei muss er seine Adresse aber nicht in dem Bezirk der Rechtsanwaltskammer haben, bei der der Rechtsanwalt zugelassen ist.1 Die Zustellanschrift muss sich nur innerhalb Deutschlands befinden.2 Dies ergab sich bereits vor der klarstellenden BRAO-Novelle 2009 aus einer systematischen Betrachtung des § 184 Abs. 1 S. 1 ZPO i.V.m. den §§ 29a Abs. 2, 30 Abs. 3 S. 1 BRAO. Der Gesetzgeber will schwerer zu bewirkende und verfahrensverzögernde Auslandszustellungen vermeiden.3 Das Erfordernis, dass der Zustellungsbevollmächtigte seinen Wohnsitz am Ort der Zulassungsgerichte hat, wurde seinerzeit nur deswegen gestrichen, weil die Singularzulassung weggefallen war. Es konnte kein gesetzgeberisches Motiv vermutet werden, dass nun auch Zustellungsbevollmächtigte im Ausland zugelassen werden sollen. Bei einer Befreiung nach § 29a Abs. 2 BRAO wegen der Einrichtung einer Kanzlei im Ausland kann die Zustellung immer unmittelbar auch an den Rechtsanwalt bspw. über § 183 ZPO erfolgen. Dennoch benötigt auch er zur vereinfachten Zustellung einen Zustellungsbevollmächtigten im Inland (vgl. Rz. 27).
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III. Benennung des Zustellungsbevollmächtigten Die Benennung muss gegenüber der Rechtsanwaltskammer erfolgen. Diese benötigt die Information zur Führung des Anwaltsverzeichnisses nach § 31 BRAO (vgl. § 31 BRAO Rz. 67) und zur Überprüfung, ob ein Zustellungsbevollmächtigter ordnungsgemäß bestellt worden ist. Die Benennung muss bereits mit Beantragung der Kanzleipflichtbefreiung erfolgen (vgl. § 29 BRAO Rz. 18).4 Sie muss den Vor- und Zunamen und nach Sinn und Zweck des § 30 BRAO die genaue Zustellungsanschrift beinhalten. Ebenfalls aus Sinn und Zweck des § 30 BRAO dürfte sich ergeben, dass die Kammer den Zustellungsbevollmächtigten Dritten gegenüber bekannt geben darf.
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Die Benennung stellt nicht nur einen informatorischen Akt dar. Sie ist zugleich eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung an Dritte gem. § 164 Abs. 1 Alt. 2 BGB.5 Die Vollmacht, Zustellungen mit Wirkung für und gegen den Rechtsanwalt (§ 164 Abs. 1 S. 1 BGB) entgegennehmen zu dürfen, wird durch öffentliche Bekanntmachung gegenüber der Rechtsanwaltskammer und damit über die Eintragung im Anwaltsverzeichnis nach § 31 BRAO öffentlich erteilt, vgl. § 171 Abs. 1 Alt. 2 BGB (vgl. § 31 BRAO Rz. 67).6
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Es wird in der Literatur die Ansicht vertreten, auch eine Anscheins- oder Duldungsvollmacht würde i.R.d. § 30 Abs. 1 BRAO ausreichen.7 Dies hat jedenfalls nach neuer Rechtslage nur bedingt praktische Bedeutung. Denn es ist immer auch die Benennung gegenüber der Rechtsanwaltskammer erforderlich. Diese Benennung stellt letztlich bereits die ordentliche Bevollmächtigung dar (vgl. Rz. 18).
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IV. Rechtsfolgen 1. Unterlassene Benennung Sofern der Zustellungsbevollmächtigte zwar bestellt, aber nicht gegenüber der Rechtsanwaltskammer benannt worden ist, ist die Bestellung trotzdem wirksam nach § 164 Abs. 1 S. 1 BGB;8 sie genügt aber nicht dem § 30 Abs. 1 BRAO. Damit liegt zwar ein Berufsrechtsverstoß vor.9 Es stellt sich jedoch die Frage, welche Rechtsfolge darüber hinaus eintritt. Nach dem Wortlaut des § 14 Abs. 3 Nr. 3 BRAO, der auf die unterlassene Bestellung abstellt, kommt ein Widerruf der Zulassung nicht in Betracht. (vgl. Rz. 21 f). Ebenso ist unklar, ob die „Sanktion“ des § 30 Abs. 3 BRAO greift, die ebenfalls von einer unterlassenen Bestellung ausgeht (vgl. Rz. 23.). Der Gesetzgeber hat es im Rahmen des Gesetzes zur Stärkung der Selbstverwaltung wohl versäumt, den Wortlaut beider Normen der Änderung in § 30 Abs. 1 BRAO 1 2 3 4 5 6 7 8 9
Quaas/Dahns, NJW 2009, 2705 (2709). Feuerich/Weyland, § 29 Rz. 7; Kleine-Cosack, § 30 Rz. 2. Thomas/Putzo, § 184 ZPO Rz. 1. Dieser Ansicht folgend Feuerich/Weyland, § 30 Rz. 14; a.A. Henssler/Prütting/Prütting, § 30 Rz. 20: drei Monate wegen § 14 Abs. 3 BRAO. Vgl. hierzu Henssler/Prütting/Prütting, § 30 Rz. 15. Vgl. zur h.M. MüKo-BGB/Schramm, § 167 BGB Rz. 11 m.w.N. Henssler/Prütting/Prütting, § 30 Rz. 15. Somit sind Zustellungen an den Bevollmächtigten wirksam: BGH, MDR 1967, 32 zu § 53 BRAO Abs. 6; Feuerich/Weyland, § 30 Rz. 13; Henssler/Prütting/Prütting, § 30 Rz. 17. Feuerich/Weyland, § 30 Rz. 13.
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§ 30 BRAO Rz. 21
Zustellungsbevollmächtigter
anzupassen.1 Er hat die alte Formulierung des § 30 Abs. 1 bzw. 3 BRAO a.F. und § 35 Abs. 1 Nr. 4 BRAO a.F. lediglich unverändert übernommen (vgl. Rz. 5 f.). a) Widerruf der Zulassung 21
Schon nach alter Rechtslage ging die h.M. in der Literatur zwar davon aus, dass die Bestellung der Rechtsanwaltskammer anzuzeigen ist (vgl. Rz. 5 f.). Es wurde aber auch zu Recht darauf hingewiesen, dass die Nichtanzeige sanktionslos ist. Eine analoge Anwendung des § 35 Abs. 1 Nr. 4 BRAO kommt aber auch nach neuer Rechtslage nicht in Betracht.2 Analogien sind im allgemeinen Verwaltungsrecht nur in beschränktem Umfang zulässig,3 da nach der aus Art. 20 Abs. 3 GG abgeleiteten Lehre vom Vorbehalt des Gesetzes auch hier alle wesentlichen Entscheidungen, die nicht nur die Verhältnisse der Bürger untereinander betreffen, sondern deren Verhältnis zum Staat, vom Gesetzgeber getroffen werden müssen.4 Der Widerruf der Zulassung stellt einen massiven Eingriff in die Berufswahlfreiheit dar. Eine Analogie würde den Vorbehalt des Gesetzes missachten.
22
Zu beachten ist allerdings, dass die ordnungsgemäße Bestellung i.R.d. § 14 Abs. 3 Nr. 3 BRAO durch die Rechtsanwaltskammer nach § 32 BRAO i.V.m. § 24 VwVfG von Amts wegen zu ermitteln ist. Der Rechtsanwalt hat hieran mitzuwirken, § 32 BRAO i.V.m. §§ 10, 26 Abs. 2 VwVfG.5 Sofern der Rechtsanwalt der Rechtsanwaltskammer die ordnungsgemäße Bestellung nicht anzeigt oder keine Daten zur Bestellung bekannt gibt, so geht dies zu seinen Lasten. Die Rechtsanwaltskammer muss aufgrund des nicht ermittelbaren Sachverhalts davon ausgehen, dass kein Zustellungsbevollmächtigter bestellt worden ist. Sie hat im Rahmen ihres Ermessens zu erwägen, die Zulassung nach § 14 Abs. 3 Nr. 3 BRAO zu widerrufen. b) Zustellung durch Aufgabe zur Post
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Teilweise wird als Sanktion einer unterlassenen Anzeige eine analoge Anwendung des § 30 Abs. 3 BRAO befürwortet.6 Doch der eindeutige Wortlaut in Satz 1 stellt auf die unterlassene Bestellung ab. Unklar ist freilich, wie nach neuer Rechtslage der Verweis des Absatzes 3 S. 1 auf Absatz 1 zu verstehen ist („entgegen Absatz 1 nicht bestellt“). Der Gesetzgeber kann in diesem Zusammenhang nur die Bestellung durch Benennung i.S.v. Absatz 1 gemeint haben.7 Sofern der Rechtsanwalt somit eine Person auf andere Weise als durch Benennung gegenüber der Rechtsanwaltskammer bestellt hat, kann die Zustellung durch Aufgabe zur Post bewirkt werden. Dasselbe Ergebnis könnte man über die Anwendung des Absatzes 3 S. 2 erhalten. Sofern ein Zustellungsbevollmächtigter bestellt, aber nicht gegenüber der Rechtsanwaltskammer benannt und damit dieser unbekannt ist, sind Zustellungen praktisch nicht ausführbar. 2. Wirkung der Vollmacht
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Die Wirkung der Vollmacht ergibt sich unmittelbar aus dem Umfang der Vollmacht. Der Umfang der Vollmacht definiert sich über die Benennung als Zustellungsbevollmächtigter: Die benannte Person muss zur (ständigen) (vgl. Rz. 7) Entgegennahme und Bescheinigung von Zustellungen ermächtigt sein, die für den Rechtsanwalt in dieser seiner Eigenschaft bestimmt sind.8 Somit kann der Zustellungsbevollmächtigte mit Wirkung für und gegen den Rechtsanwalt alle an diesen gerichtete Zustellungen wirksam entgegennehmen und die Entgegennahme bescheinigen, sofern die Zustellungen die anwaltliche Tätigkeit des Rechtsanwalts betreffen.9
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Eine Beschränkung auf Zustellungen, die nach den Vorschriften der ZPO erfolgen – wenn auch ohne Beschränkung auf die Gerichtsbarkeit –, ist nicht gegeben.10 Eine derartige Be1 In den Motiven finden sich keine Hinweise zum Grund der unterschiedlichen Verwendung der Begriffe „Benennung“ und „Bestellung“. 2 Henssler/Prütting/Prütting, 2. Aufl., § 30 Rz. 17, der dieses Ergebnis mit einem Verweis auf Art. 103 Abs. 2 GG begründet. Henssler/Prütting/Prütting, § 30 Rz. 17 scheint dieses Problem nun nicht mehr zu sehen. 3 BVerfGE 11, 263 f.; hierzu auch Gern, DÖV 1985, 558. 4 Pawlowski, § 11 Rz. 501 m.w.N. 5 Kopp/Ramsauer, § 24 VwVfG Rz. 12a ff. 6 Isele, § 30 Anm. IX.A.5. 7 Kein Hinweis in den gesetzgeberischen Motiven, Rz. 5 f. 8 Isele, § 30 Anm. VII.A.1; Henssler/Prütting/Prütting, § 30 Rz. 16. 9 Isele, § 30 Anm. VII.A.1. 10 Im Kontext unklar Isele, § 30 Anm. VII.A.1c mit Argumenten gegen Friedlaender; a.A. jedenfalls Henssler/Prütting/Prütting, § 30 Rz. 21; Feuerich/Weyland, § 30 Rz. 16.
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Zustellungsbevollmächtigter
Rz. 30 § 30 BRAO
schränkung lässt sich dem Wortlaut des § 30 Abs. 1 BRAO jedenfalls nicht entnehmen.1 In Absatz 2 findet sich lediglich eine Erstreckung des Anwendungsbereichs besonderer Zustellungsformen der ZPO auch auf den Zustellungsbevollmächtigten. Der Zweck des Gesetzes ist es, jegliche Lücken in der Zustellung zu füllen.2 Wenngleich die meisten Verfahrensordnungen ohnehin auf die Zustellungsvorschriften der ZPO verweisen,3 so ist nicht einzusehen, warum Zustellungen bspw. nach § 7 VwZG nicht durch den Zustellungsbevollmächtigten entgegengenommen werden können sollen.4 Es kann im Übrigen nicht angenommen werden, die zivilrechtlich erteilte Vollmacht enthalte Beschränkungen, nach welcher Verfahrensordnung zugestellt werde (vgl. Rz. 18).5 Die Entgegennahme von Zustellungen der Rechtsanwaltskammer wird von der Vollmacht ebenfalls erfasst. Sie erfolgen nach den Zustellungsgesetzen der Länder (§ 34 BRAO) und betreffen den Rechtsanwalt in seiner beruflichen Eigenschaft. Sofern mit der Zustellung die Kanzleipflichtbefreiung bspw. nach § 29 Abs. 2 BRAO widerrufen wird, kann die Zustellung nach ebenfalls an den Bevollmächtigten erfolgen. Der Widerruf der Befreiung beeinträchtigt nämlich nicht die zivilrechtliche Bevollmächtigung. Im Regelfall wird die Vollmacht nicht unter der auflösenden Bedingung erteilt worden sein, dass die Befreiung von der Kanzleipflicht fortbesteht. Ohnehin hätte auch diese Bedingung nach § 171 Abs. 2 BGB bekannt gemacht werden müssen. Die Bevollmächtigung muss somit nach § 171 Abs. 2 BGB – also durch öffentliche Bekanntmachung (vgl. Rz. 180) – widerrufen werden. Das bedeutet beispielsweise im Fall des § 14 Abs. 3 Nr. 3 BRAO, dass der Widerruf nach § 34 BRAO auch an den Bevollmächtigten zugestellt werden kann. Wurde allerdings die Zulassung des Anwalts widerrufen, werden danach auch Zustellungen an den Bevollmächtigten nicht mehr wirksam vorgenommen werden können.6
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Die Einsetzung eines Zustellungsbevollmächtigen bedeutet des Weiteren nicht, dass an den Rechtsanwalt selbst nicht mehr zugestellt werden könnte, wenn beispielsweise seine Wohnanschrift oder Adresse im Ausland bekannt ist.7
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Zustellungen an den Bevollmächtigten haben dieselbe Rechtswirkung, wie wenn an den Rechtsanwalt zugestellt worden wäre. Dies ergibt sich bereits aus § 164 Abs. 1 S. 1 BGB. Sofern an die Zustellung der Beginn von Fristen geknüpft ist, beginnen diese mit Zugang beim Bevollmächtigten zu laufen, vgl. auch § 166 Abs. 1 BGB.8 Bei Zustellungen nach den Vorschriften der ZPO kann der Bevollmächtigte auch dann, wenn er kein Rechtsanwalt ist, Zustellungen an den vertretenen Rechtsanwalt wirksam nach den §§ 174, 195 ZPO entgegennehmen, § 30 Abs. 2 BRAO.9
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Der Umfang der Vollmacht erfasst nicht, Untervollmachten zu erteilen.10 § 30 Abs. 1 BRAO ermöglicht es dem Rechtsanwalt nur in einem gewissen zivilrechtlichen Umfang, einen Zustellungsbevollmächtigten zu bestellen. Es kann nur die Rechtsmacht zur Entgegennahme von Zustellungen eingeräumt werden. Im Übrigen gelten die Vorschriften der §§ 53 ff. BRAO. Die Verleihung der Befugnis, Untervollmachten zu erteilen würde somit gegen § 134 BGB verstoßen und damit unwirksam sein. Ebenso wenig kann der Zustellungsbevollmächtigte für den Rechtsanwalt Zustellungen vornehmen.11
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3. Pflichten des Zustellungsbevollmächtigten Die Pflichten des Zustellungsbevollmächtigten ergeben sich aus dem Vertragsverhältnis mit dem Rechtsanwalt. Mindestinhalt wird dabei die Verpflichtung sein, alle an den Rechtsanwalt in dieser Eigenschaft gerichteten Zustellungen entgegenzunehmen und die Empfangsbekenntnisse zu erteilen. Zudem hat er die zugestellten Schriftstücke unverzüglich an
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
Isele, § 30 Anm. VII.A.1a. Isele, § 30 Anm. VII.A.1b; vgl. auch Rz. 11. Vgl. exemplarisch § 37 Abs. 1 StPO und § 3 Abs. 2 S. 1 VwZG. § 5 VwZG verweist bspw. für Zustellungen durch die Post gerade nicht auf § 174 ZPO. Henssler/Prütting/Prütting, § 30 Rz. 16 geht selbst nicht davon aus. Vgl. zu Zustellungen an die Kanzlei, BGH, Beschl. v. 18.10.2010 – AnwZ(B) 22/10, BeckRS 2011, 02055. Rz. 16; Isele, § 30 Anm. IX.B.1; für den Fall der Unmöglichkeit der Zustellung an den Zustellungsbevollmächtigten auch Kleine-Cosack, § 30 Rz. 2; a.A. wohl BGH, MDR 1964, 402. Henssler/Prütting/Prütting, § 30 Rz. 22. BGH, NJW 1982, 1650; Feuerich/Weyland, § 30 Rz. 16 mit Hinweis auf amtl. Begründung. Isele, § 30 Anm. VII B.1; Henssler/Prütting/Prütting, § 30 Rz. 23 mit Verweis auf die Möglichkeiten der §§ 52, 53; Feuerich/Weyland, § 30 Rz. 17. Isele, § 30 Anm. VII.B.2; Henssler/Prütting/Prütting, § 30 Rz. 23; Feuerich/Weyland, § 30 Rz. 17.
Siegmund 435
30
§ 30 BRAO Rz. 31
Zustellungsbevollmächtigter
den Rechtsanwalt weiterzuleiten.1 Berufsrechtliche Pflichten treffen ihn nur dann, wenn er selbst ein Berufsträger ist. Der Rechtsanwaltskammer fehlt bei anderen Personen die Befugnis, berufsrechtliche Verstöße bspw. gegen § 14 BORA zu verfolgen (vgl. Rz. 3). Eine disziplinarrechtliche Zurechnung an den Rechtsanwalt scheidet nach den allgemeinen Beteiligungsgrundsätzen, die insbesondere dem Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht entnommen werden können, in der Regel aus. Eine zivilrechtliche Zurechnung ist davon unberührt, vgl. § 166 Abs. 1 BGB. 4. Erleichterte Zustellung 31
Hat der von der Kanzleipflicht befreite Rechtsanwalt einen Zustellungsbevollmächtigten nicht bestellt oder die Bestellung bereits wieder zurückgenommen, kann die Zustellung durch Aufgabe zur Post nach § 30 Abs. 3 S. 1 BRAO i.V.m. § 184 ZPO an den Rechtsanwalt selbst bewirkt werden. Verweigert der Bevollmächtigte die Annahme aller oder einzelner Zustellungen oder ist er nicht erreichbar, gilt nach § 30 Abs. 3 S. 2 BRAO das Gleiche.
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Hat ein Rechtsanwalt, der nach § 30 Abs. 1 BRAO einen Zustellungsbevollmächtigten durch Benennung gegenüber der Rechtsanwaltskammer bestellt hat, durch sein Verhalten dem Rechtsverkehr gegenüber zum Ausdruck gebracht, dass er diesen nicht mehr gelten lassen will, so ist fraglich, ob an ihn bereits nach § 184 ZPO zugestellt werden kann. Nach § 171 Abs. 2 BGB muss die Vollmacht in derselben Weise widerrufen werden, wie sie kundgegeben worden ist. Dies setzt eine entsprechende Erklärung gegenüber der Rechtsanwaltskammer voraus.2 Eine Zustellung nach § 184 ZPO kann mithin nur dann erfolgen, wenn der subjektive Wille des Rechtsanwalts, die Vollmacht nicht mehr gegen sich gelten lassen zu wollen, gegenüber der Rechtsanwaltskammer entsprechend zum Ausdruck gekommen ist. Maßstab ist der objektive Empfängerhorizont. D. Prozessuales
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Sofern der Rechtsanwalt im Zeitpunkt des Antrags auf Befreiung von der Kanzleipflicht noch keinen Zustellungsbevollmächtigten benennt, wird seinem Antrag in der Regel nicht entsprochen werden können (vgl. § 29 BRAO Rz. 18). Fällt der Zustellungsbevollmächtigte später weg oder widerruft der Rechtsanwalt gegenüber der Rechtsanwaltskammer die Bestellung, so kann unmittelbar die Zulassung des Rechtsanwalts nach § 14 Abs. 3 Nr. 3 BRAO widerrufen werden (vgl. § 29 BRAO Rz. 29). Die Rechtsanwaltskammer hat ihr Ermessen im Rahmen des § 32 BRAO i.V.m. § 40 VwVfG entsprechend auszuüben. Gegen die Entscheidungen der Kammer kann nach den §§ 112a ff. BRAO vorgegangen werden.
31 BRAO Rechtsanwaltsverzeichnis (1) Die Rechtsanwaltskammer führt ein elektronisches Verzeichnis 1
der in ihrem Bezirk zugelassenen Rechtsanwälte und gibt die in diesem Verzeichnis gespeicherten Daten im automatisierten Verfahren in ein von der Bundesrechtsanwaltskammer geführtes Gesamtverzeichnis ein. 2Die Rechtsanwaltskammer trägt die datenschutzrechtliche Verantwortung für die von ihr in das Gesamtverzeichnis eingegebenen Daten, insbesondere für die Rechtmäßigkeit der Erhebung und die Richtigkeit der Daten. 3Die Verzeichnisse dienen der Information der Behörden und Gerichte, der Rechtsuchenden sowie anderer am Rechtsverkehr Beteiligter. 4Die Einsicht in die Verzeichnisse steht jedem unentgeltlich zu.
(2) Die Eintragung in die Verzeichnisse erfolgt, sobald die Urkunde über die Zulassung ausgehändigt ist. (3) 1In die Verzeichnisse sind der Familienname, die Vornamen, der Zeitpunkt der Zulassung, die Kanzleianschrift, die Adresse des besonderen elektronischen Postfachs3 und die Telekommunikationsdaten, die der Rechtsanwalt mitgeteilt hat, in den Fällen des § 29 Abs. 1 oder des § 29a Abs. 2 der Inhalt der Befreiung, die Anschrift von Zweigstellen, die Berufsbezeichnung, Fachanwaltsbezeichnungen sowie bestehende Berufs- und Vertretungsver1 Isele, § 30 Anm. VII.C.; Henssler/Prütting/Prütting, § 30 Rz. 24; Feuerich/Weyland, § 30 Rz. 18. 2 A.A. BGH, MDR 1964, 35 f. hinsichtlich § 30 Abs. 1 BRAO a.F. und für den Fall, dass der Bevollmächtigte nicht gegenüber der Rechtsanwaltskammer benannt bzw. im Anwaltsverzeichnis öffentlich bekannt gemacht worden ist. 3 Tritt nach Art. 26 Abs. 5 des Gesetzes zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs bei den Gerichten erst zum 1.1.2016 in Kraft.
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Rz. 2 § 31 BRAO
Rechtsanwaltsverzeichnis
bote einzutragen. 2Ist bei einem Berufs- oder Vertretungsverbot ein Vertreter bestellt, ist die Vertreterbestellung unter Angabe von Familiennamen und Vornamen des Vertreters einzutragen. (4) 1Die Bundesrechtsanwaltskammer ermöglicht die Übermittlung von Daten durch Abruf aus dem von ihr geführten Gesamtverzeichnis über das auf den Internetseiten der Europäischen Kommission geführte Europäische Rechtsanwaltsverzeichnis. 2Zusätzlich zum Abruf bereitgestellt werden der Name und die Internetadresse der Anwaltskanzlei sowie von dem Rechtsanwalt selbst benannte Sprachkenntnisse und Tätigkeitsschwerpunkte, soweit der Rechtsanwalt diese Daten der Bundesrechtsanwaltskammer zu diesem Zweck mitteilt. 3 Die Sätze 1 und 2 gelten nur für Daten, die in das Europäische Rechtsanwaltsverzeichnis einzutragen sind. 4Die Bundesrechtsanwaltskammer trägt die datenschutzrechtliche Verantwortung für die von ihr an das Europäische Rechtsanwaltsverzeichnis übermittelten Daten. (5) 1Die Eintragung in die Verzeichnisse wird gelöscht, sobald die Zulassung erloschen oder der Rechtsanwalt Mitglied einer anderen Rechtsanwaltskammer geworden ist. 2Das Gesamtverzeichnis und die für das europäische Rechtsanwaltsverzeichnis vorgehaltenen Daten werden im Falle des Wechsels der Rechtsanwaltskammer berichtigt. (6) Das Bundesministerium der Justiz regelt die Einzelheiten der Führung des Gesamtverzeichnisses sowie der Übermittlung an das Europäische Rechtsanwaltsverzeichnis und der Einsichtnahme in das Gesamtverzeichnis durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates. 1
A. Allgemeines/Geltungsbereich/Historie . . I. Regionalverzeichnis und Gesamtverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtsfolge der Eintragung . . . . . . . III. Eintragungsbescheinigung . . . . . . . IV. Verfassungsmäßigkeit . . . . . . . . . V. Andere Berufsordnungen . . . . . . . . VI. Europäisches Rechtsanwaltsverzeichnis .
2 4 6 7 8 8a
B. Zweck der Norm . . . . . . . . . . . . I. Amtliches Verzeichnis . . . . . . . . . II. Anwaltssuchdienst . . . . . . . . . . .
9 9 13
C. § 31 BRAO . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Verzeichnisse . . . . . . . . . . . 1. Umfang des Datenbestandes . . . . . . a) Europäische Rechtsanwälte . . . . . b) Rechtsbeistände . . . . . . . . . . c) Ausländische Rechtsanwälte . . . . . d) Rechtsanwaltsgesellschaften . . . . . 2. Datenschutzrechtliche Rechtsgrundlagen 3. Datenübertragung . . . . . . . . . . . 4. Datenschutzrechtliche Verantwortung . .
17 17 20 22 23 24 25 28 33 35
II. Das Einsichtsrecht . . . . . . . . . 1. Einsicht in das Gesamtverzeichnis. . a) Automatisiertes Abrufverfahren . aa) Schutzwürdige Interessen . . bb) Abrufmodalitäten . . . . . . cc) Form der Datenausgabe . . . b) Verfassungsmäßigkeit . . . . . . 2. Einsicht in die Regionalverzeichnisse III. Eintragung . . . . . . . . . . . . IV. Umfang der Eintragung . . . . . . . 1. Keine Wohnanschrift . . . . . . . . 2. Zulassungsdaten . . . . . . . . . . 3. Kanzleipflichtbefreiung . . . . . . . 4. Berufs- und Vertretungsverbote . . . a) Arten . . . . . . . . . . . . . b) Keine Berufsausübungsverbote . c) Umfang der Veröffentlichung . . . 5. Fachanwaltsbezeichnungen. . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . .
37 . 38 . . 38 40 . 43 . . 45 . 46 50 . . 50a 54 . 54 . . 56 . 66 . 68 . 68 69 . . 72 . 74
D. Löschung der Eintragung . . . . . . . .
75
E. Prozessuales . . . . . . . . . . . . . .
77
A. Allgemeines/Geltungsbereich/Historie „Die Liste ist ein Requisit jeder Rechtsordnung, das der Information und der Legitimation dient.“1
1
I. Regionalverzeichnis und Gesamtverzeichnis Durch das Gesetz zur Stärkung der Selbstverwaltung2 wurde auch § 31 BRAO unter Anlehnung an die frühere Regelung neu gefasst. An die Stelle der bislang bei den Zulassungsgerichten geführten Zulassungslisten tritt das durch die Rechtsanwaltskammer zu führende Rechtsanwaltsverzeichnis. Die damals bei den Zulassungsgerichten geführten Rechtsanwaltslisten waren, ohne dass dies ausdrücklich geregelt gewesen wäre, für jedermann einsehbar, und ohne dass es dazu des Nachweises oder der Glaubhaftmachung eines berechtigten Interesses bedurft hätte. Auch nach dem Wegfall des Lokalisierungsgebots und der 1 Isele, § 31 Anm. I. 2 BGBl. I 2007, S. 358.
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2
§ 31 BRAO Rz. 3
Rechtsanwaltsverzeichnis
hieran gebundenen Vertretungsbefugnis ausschließlich bei den Zulassungsgerichten ist es im Interesse des einfachen und sicheren Rechtsverkehrs unerlässlich, dass Gerichte, Behörden und Rechtsuchende auch künftig schnell, unbürokratisch und dem Stand der Technik entsprechend feststellen können, wer zur Rechtsanwaltschaft zugelassen ist. Das Register dient damit der Transparenz des Rechtsdienstleistungsmarkts und den Interessen der Verbraucher. Die Auskunft über Berufs- oder Vertretungsverbote ist aus Gründen des Verbraucherschutzes ebenfalls dringend geboten.1 3
Die Schaffung des Gesamtverzeichnisses aller in Deutschland zugelassenen Rechtsanwälte ist im Gesetzgebungsverfahren erst auf Vorschlag der Bundesregierung eingefügt worden. In einem deutschlandweiten Verzeichnis könne sich der Rechtsverkehr schneller einen Gesamtüberblick verschaffen. Nach dem Wegfall der Lokalisierung und der Beschränkungen der Postulationsfähigkeit sei dies zweckmäßig, weil auch der Tätigkeitsradius der Rechtsanwälte nicht auf den Bezirk ihrer eigenen Rechtsanwaltskammer beschränkt sei. Die Einsicht in die von den Rechtsanwaltskammern und der Bundesrechtsanwaltskammer geführten Verzeichnisse solle schnell und unbürokratisch möglich sein. Dem Stand der Technik entspreche es, sie elektronisch zu führen. Dies erleichtere einerseits den Rechtsanwaltskammern die Arbeit bei der Eingabe und Verwaltung der Daten, andererseits ermögliche es den weltweiten automatisierten Abruf der Daten.2 II. Rechtsfolge der Eintragung
4
Nach § 32 Abs. 1 BRAO a.F. hatte die Eintragung in die Anwaltsliste die (konstitutive) Wirkung, dass der Rechtsanwalt die Befugnis erhielt, seine Berufstätigkeit auszuüben.3 Diesbezüglich hatte der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Stärkung der Selbstverwaltung eine gewichtige Änderung vorgenommen. Der Rechtsanwalt darf nunmehr nach § 12 Abs. 4 BRAO (n.F.) seinen Beruf bereits mit Aushändigung der Zulassungsurkunde ausüben. Da die Eintragung nach § 31 Abs. 2 BRAO (in seiner ursprünglichen Ausgestaltung des Jahres 2007) erst erfolgte, wenn die Kanzlei eingerichtet oder ein Zustellungsbevollmächtigter bestellt worden war, ergab sich eine ungewöhnliche Situation. Der Rechtsanwalt konnte mindestens drei Monate lang Rechtsberatungsleistungen anbieten und vor Gerichten und Behörden auftreten (§ 14 Abs. 3 Nr. 1 und 3 BRAO), ohne dass er über das Verzeichnis recherchierbar gewesen wäre. Missverständnisse waren absehbar und gereichten dem jeweiligen Rechtsanwalt nur zum Nachteil; auch wenn er diese Situation durch Einrichtung einer Kanzlei jederzeit selbst hätte beseitigen können.
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Mit der BRAO-Novelle 20094 wurde dieses Redaktionsversehen wieder beseitigt. Die Eintragung erfolgt nun nach § 31 Abs. 2 BRAO n.F. sobald die Zulassungsurkunde ausgehändigt worden ist und der Rechtsanwalt befugt ist, seinen Beruf auszuüben. III. Eintragungsbescheinigung
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Auf Anregung der Bundesregierung wurde die vom Bundesrat im Rahmen des Gesetzgebungsvorhabens zur Stärkung der Selbstverwaltung vorgeschlagene Bescheinigung über die Eintragung in die Anwaltslisten aus dem Gesetzesentwurf wieder gestrichen, § 31 Abs. 4 a.F. BRAO. Es wurde der Mehrwert einer derartigen Bescheinigung neben den öffentlichen, elektronischen Verzeichnissen und neben der Urkunde, deren Aushändigung eine Voraussetzung für die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nach § 12 Abs. 1 BRAO n.F. ist, bezweifelt. Die Bescheinigung sei nicht mehr erforderlich, um den Nachweis der Zulassung bei einem Gericht zu führen. Die Erteilung der Bescheinigung bedeute darüber hinaus einen erheblichen Verwaltungsaufwand für die Rechtsanwaltskammer. Die Bescheinigung sei regelmäßig zu aktualisieren, wenn sich einzutragende Daten ändern. Die Rechtsanwaltskammer müsse einen Weg finden, die Bescheinigung durch Zwang einzuziehen, wenn diese im Fall des Kammerwechsels oder des Erlöschens der Zulassung nicht freiwillig zurückgegeben werde. Insgesamt sei der Aufwand nicht gerechtfertigt vor dem Hintergrund, dass jedermann in die elektronischen Verzeichnisse einsehen könne.5 1 2 3 4 5
BT-Drs. 16/513, S. 15. BT-Drs. 16/513, S. 23. Feuerich/Weyland, § 31 Rz. 11. BGBl. I, S. 2449. BT-Drs. 16/513, S. 23.
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Rechtsanwaltsverzeichnis
Rz. 8d § 31 BRAO
IV. Verfassungsmäßigkeit Die Bestimmung des § 31 BRAO ist verfassungsgemäß.1 Zwar wird durch die Datenspeicherung, Datennutzung, Datenübermittlung und Bekanntmachung das verfassungsmäßige Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG) eingeschränkt. Doch erfolgt die Einschränkung im überwiegenden Allgemeininteresse, nämlich der Transparenz des Rechtsdienstleistungsmarkts und des Verbraucherschutzes (vgl. Rz. 2). § 31 BRAO stellt selbst eine ausreichende gesetzliche Grundlage dar, die dem Gebot der Normenklarheit entspricht. Zudem ergibt sich eine gesetzliche Grundlage für die Regionalkammern2 aus den Datenschutzgesetzen der Länder und für die Bundesrechtsanwaltskammer3 aus dem BDSG.4 Vorrang in der Anwendung haben freilich die spezielleren Bestimmungen der BRAO, soweit sie reichen.5
7
V. Andere Berufsordnungen Für die Steuerberater finden sich Regelungen über ein Berufsregister in den §§ 44 Abs. 7, 76 Abs. 5, 151 Abs. 1, 158 Abs. 1 Nr. 5 StBG i.V.m. §§ 45 ff. DVStB. Die Besonderheit ist hier, dass die Einsicht nur demjenigen gestattet ist, der ein berechtigtes Interesse darlegt, § 45 Abs. 3 DVStB. Für die Wirtschaftsprüfer wird in den §§ 37 ff. WiPrO unterschieden zwischen einem Berufs- und einem Mitgliederregister. Auf Verlangen des Mitgliedes muss die Eintragung in das Mitgliederverzeichnis unterbleiben, § 37 Abs. 3 S. 1 WiPrO. Die Regelung des § 29 PatAnwO schafft eine Liste der Patentanwälte. In § 32 PatAnwO ist eine besondere Veröffentlichungspflicht aller Eintragungen vorgesehen.
8
VI. Europäisches Rechtsanwaltsverzeichnis Mit dem Zweiten Kostenrechtsmodernisierungsgesetz vom 23.7.20136 wurde mit Wirkung zum 1.8.2013 unter Art. 46 auch ein neuer Absatz 4 in § 31 BRAO eingefügt. Die bisherigen Absätze 4 und 5 wurden zu 5 und 6 sowie geringfügig modifiziert. Hintergrund der Änderung ist die Errichtung eines neuen Europäischen Rechtsanwaltsanwaltsverzeichnisses, das mehrsprachig eine Suche nach Anwälten über alle EU-Mitgliedsstaaten ermöglichen soll.
8a
Dieses einheitliche Europäische Rechtsanwaltsverzeichnis („find a lawyer“, FAL) wird durch die Europäische Kommission errichtet und im Auftrag der Kommission vom Rat der Europäischen Anwaltschaften (CCBE) entwickelt. Das Verzeichnis wird in das elektronische Europäische Justizportal der Europäischen Union (E-Justice Portal) eingestellt und ersetzt die Verweisung auf die nationalen Rechtsanwaltsverzeichnisse,7 die zuvor über das CCBESuchportal erfolgte.8
8b
Das neue Europäische Rechtsanwaltsverzeichnis soll den Rechtsuchenden in Europa ein einheitliches Suchportal in allen 22 Sprachen der Europäischen Union eröffnen. Auf europäischer Ebene gilt für den Umgang mit den Daten auf dem E-Justice-Webportal die Verordnung (EG) Nr. 45/2001 vom 18. Dezember 2000 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft und zum freien Datenverkehr (ABl. EG 2001 Nr. L 8, S. 1). Mit dem neuen § 31 Abs. 4 BRAO werden die erforderlichen gesetzlichen Grundlagen dafür geschaffen, dass die Daten der deutschen Rechtsanwälte über das Europäische Rechtsanwaltsverzeichnis recherchiert werden können.9
8c
Der Bundesrechtsanwaltskammer wird die Aufgabe übertragen, die bereits heute in dem nationalen Rechtsanwaltsverzeichnis nach § 31 BRAO (Gesamtverzeichnis) erfassten Daten für das neue Europäische Rechtsanwaltsverzeichnis zur Verfügung zu stellen. Die Daten sollen nicht in dem Europäischen Rechtsanwaltsverzeichnis selbst gespeichert, sondern aus dem bestehenden nationalen Rechtsanwaltsverzeichnis über die Internetseite der Europäi-
8d
1 2 3 4 5 6 7 8 9
BGH, BRAK-Mitt. 2013, 38. Zu den allgemeinen Anforderungen BVerfG, NJW 1983, 419. Vgl. bspw. Art. 2 Abs. 1 a.E. BayDSG i.V.m. § 62 BRAO. Vgl. § 1 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 S. 1 BDSG i.V.m. § 176 BRAO. Zur datenschutzrechtlichen Rechtmäßigkeit der einzelnen Maßnahmen s. die Einzelkommentierung. § 1 Abs. 3 S. 1 BDSG und bspw. Art. 2 Abs. 7 BayDSG. BGBl. I, S. 2586 (2711). https://e-justice.europa.eu/content_find_a_lawyer-114-de.do, Abruf am 1.8.2013. BT-Drs. 17/13537 (Bericht), S. 18. BT-Drs. 17/13537 (Bericht), S. 18.
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§ 31 BRAO Rz. 8e
Rechtsanwaltsverzeichnis
schen Kommission abgerufen werden können. Deshalb wird bestimmt, dass die Datenübermittlung durch Abruf aus dem Gesamtverzeichnis erfolgt (Abs. 4 S. 1).1 8e
Da die Bundesrechtsanwaltskammer mit dem Gesamtverzeichnis über einen aktuellen und vollständigen Datenbestand aller in Deutschland zugelassenen Rechtsanwälte verfügt, ist damit gewährleistet, dass alle Berufsangehörigen in dem Europäischen Rechtsanwaltsverzeichnis erfasst werden. Die Zielsetzung des Europäischen Rechtsanwaltsverzeichnisses, ein vollständiges Bild über alle in der Europäischen Union tätigen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte abzugeben, lässt sich nur durch Übermittlung der bei der Bundesrechtsanwaltskammer erfassten Daten erreichen.2
8f
Die Bundesrechtsanwaltskammer trägt – so wie die regionalen Rechtsanwaltskammern für die Eingabe in das Gesamtverzeichnis (§ 31 Abs. 1 S. 2 BRAO) – die datenschutzrechtliche Verantwortung für die Übermittlung an das Europäische Rechtsanwaltsverzeichnis (Abs. 4 S. 4). Soweit die Daten auf Selbsteinschätzungen der Rechtsanwälte beruhen oder von den Berufsangehörigen über von der Bundesrechtsanwaltskammer zur Verfügung gestellte technische Einrichtungen selbst in das Europäische Rechtsanwaltsverzeichnis eingegeben werden, folgt daraus aber keine Verantwortlichkeit der Bundesrechtsanwaltskammer, die Daten auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen.3
8g
In das Europäische Rechtsanwaltsverzeichnis sollen der Name des Rechtsanwalts einschließlich des Vornamens, seine Adresse, Telefon- und Telefaxnummer, E-Mail-Adresse, Internetadresse, Kammerzugehörigkeit, das Datum der Zulassung und der Name der Anwaltskanzlei eingetragen werden. Außerdem sollen, als solche gekennzeichnet, von den Rechtsanwälten selbstbenannte Sprachkompetenzen und Tätigkeitsschwerpunkte in das Europäische Rechtsanwaltsverzeichnis aufgenommen werden. Die Tätigkeitsschwerpunkte können dabei aus einer abschließenden Liste von insgesamt 20 vorgegebenen Suchbegriffen gewählt werden, auf die sich die Mitglieder des Rates der Europäischen Anwaltschaften (CCBE) geeinigt haben. Es handelt sich um folgende Tätigkeitsschwerpunkte: – Bankruptcy/insolvency law = Insolvenzrecht; – Business law = Wirtschaftsrecht; – Consumer law = Verbraucherrecht; – Criminal law = Strafrecht; – Employment law = Arbeitsrecht; – Environmental law = Umweltrecht; – EU law = Europarecht; – Family law = Familienrecht; – Human rights/civil liberties = Menschenrechte/Bürgerrechte; – Immigration and asylum law = Immigrations- und Asylrecht; – Intellectual property = Gewerblicher Rechtsschutz; – Information Technology (IT) law = IT-Recht; – Mediation/arbitration/litigation = Mediation/Schiedsverfahrensrecht/Gerichtsverfahren; – Personal injury/damage to goods = Schadensrecht; – Property law = Immobilienrecht; – Public law = Öffentliches Recht; – Social security law = Sozialrecht; – Succession law = Erbrecht; – Tax law = Steuerrecht; – Traffic and transport law = Verkehrsrecht und Transportrecht.4
8h
Andere als diese 20 Tätigkeitsschwerpunkte, die in der Rechtsverordnung nach Absatz 6 geregelt werden sollen, können von den Rechtsanwälten nicht benannt werden. Die in dem 1 2 3 4
BT-Drs. 17/13537 (Bericht), S. 18. BT-Drs. 17/13537 (Bericht), S. 18. BT-Drs. 17/13537 (Bericht), S. 18. BT-Drs. 17/13537 (Bericht), S. 18.
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Rz. 11 § 31 BRAO
Europäischen Rechtsanwaltsverzeichnis erfassten Daten decken sich nicht vollständig mit denen des nationalen Gesamtverzeichnisses. Welche Daten über das Europäische Rechtsanwaltsverzeichnis abgerufen werden können, bestimmt sich nach dessen Vorgaben. Deshalb besteht die Übermittlungspflicht der Bundesrechtsanwaltskammer nur, soweit die Daten in dem Europäischen Rechtsanwaltsverzeichnis geführt werden (Abs. 4 S. 3).1 Die national erfassten Daten über die Befreiung von der Kanzleipflicht (§ 29 Abs. 1, § 29a Abs. 2 BRAO), über Zweigstellen und über bestehende Berufs- und Vertretungsverbote gehören nicht zum Inhalt des Europäischen Rechtsanwaltsverzeichnisses und sind daher nicht über das Europäische Rechtsanwaltsverzeichnis zugänglich. Die Adresse von Zweigstellen wird daher nicht – etwa als Teil der Adresse des Rechtsanwalts – im Europäischen Rechtsanwaltsverzeichnis erfasst; Adresse ist lediglich die Anschrift der Kanzlei (§ 27 Abs. 1 BRAO). Bei Befreiung von der Kanzleipflicht nach § 29 Abs. 1 oder § 29a Abs. 2 BRAO wird die Anschrift der oder des Zustellungsbevollmächtigten (§ 30 Abs. 1 BRAO) als Adresse in dem Europäischen Rechtsanwaltsverzeichnis erfasst. Für die in dem nationalen Gesamtverzeichnis erfassten Fachanwaltsbezeichnungen gibt es zwar keine direkte Entsprechung in dem Europäischen Rechtsanwaltsverzeichnis. Die Fachanwaltsbezeichnungen sollen jedoch gemeinsam mit der Berufsbezeichnung in dem Europäischen Rechtsanwaltsverzeichnis erfasst werden, die Teil des Namens ist.2
8i
Die Daten, die nicht im bestehenden nationalen Gesamtverzeichnis enthalten sind und künftig nur in das Europäische Rechtsanwaltsverzeichnis und nicht in die nationalen Verzeichnisse aufgenommen werden sollen, werden in Absatz 4 Satz 2 genannt: der Name und die Internetadresse der Anwaltskanzlei sowie die von dem Rechtsanwalt selbst benannten Sprachkenntnisse und Tätigkeitsschwerpunkte. Auch Daten zu diesen Inhalten werden in das Europäische Rechtsanwaltsverzeichnis nur aufgenommen, soweit sie dort geführt werden (Absatz 4 Satz 3). Überdies erfolgt eine Aufnahme von Daten nur, wenn sie der Rechtsanwalt der Bundesrechtsanwaltskammer zu diesem Zweck mitteilt. Die Mitteilung ist freiwillig. Sprachkenntnisse und Tätigkeitsschwerpunkte werden von den Rechtsanwälten „selbst benannt“, also allein nach ihren Angaben ohne Prüfung durch die Bundesrechtsanwaltskammer in das Europäische Rechtsanwaltsverzeichnis aufgenommen.
8j
Im geänderten neuen Absatz 5 Satz 2 wird klargestellt, dass bei einem Wechsel der Rechtsanwaltskammer das Europäische Rechtsanwaltsverzeichnis ebenso wie das nationale Gesamtverzeichnis zu berichtigen ist. Zudem soll die bestehende Verordnungsermächtigung, Einzelheiten des Gesamtverzeichnisses zu regeln, dahingehend erweitert werden, dass auch die Einzelheiten der Übermittlung an das Europäische Rechtsanwaltsverzeichnis durch Rechtsverordnung geregelt werden können (Absatz 6).
8k
B. Zweck der Norm I. Amtliches Verzeichnis Der Zweck der Norm wurde durch § 31 BRAO nunmehr in dessen Abs. 1 S. 3 gesetzlich festgeschrieben: Die Verzeichnisse dienen der Information der Behörden und Gerichte, der Rechtsuchenden sowie anderer am Rechtsverkehr Beteiligter.
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Bereits bei § 31 BRAO a.F. war Zweck der Norm die Möglichkeit, feststellen zu können, ob ein Rechtsanwalt (bei einem bestimmten Gericht) zugelassen ist. Wie sich aus den gesetzgeberischen Motiven ergibt, wird dieser Zweck in § 31 BRAO fortgesetzt und erweitert. Das Register dient der Transparenz des Rechtsdienstleistungsmarkts und den Interessen der Verbraucher (vgl. Rz. 2). Der Verbraucherschutzgedanke dürfte dabei in der neuen Regelung mehr Gewicht erhalten haben. Denn erstmals werden die Rechtsuchenden in der Bestimmung explizit erwähnt, § 31 Abs. 1 S. 3 BRAO. Auch ihnen steht nunmehr ein ausdrückliches Einsichtsrecht zu, § 31 Abs. 1 S. 4 BRAO.
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Über das bundeseinheitliche Anwaltsverzeichnis kann sich nunmehr jeder am Rechtsverkehr Beteiligter einen raschen Überblick über den Zulassungsstatus eines Rechtsanwalts verschaffen. Der Rechtsuchende kann sich vor Rechtsdienstleistern ohne Zulassung schützen, die ihn aufgrund von Schlechtleistung, fehlender Berufshaftpflichtversicherung oder kriminellen Verhaltens schädigen könnten. Das Verzeichnis wird in diesem Zusammenhang ergänzt durch das Rechtsdienstleistungsregister nach den §§ 10 ff. RDG.
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1 BT-Drs. 17/13537 (Bericht), S. 18. 2 BT-Drs. 17/13537 (Bericht), S. 18.
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§ 31 BRAO Rz. 12 12
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Gleichzeitig wird eine wesentliche Aufgabe auf die Rechtsanwaltskammern übertragen. Die Anwaltschaft verwaltet sich durch die Führung eines eigenen Registers nunmehr ohne Einschränkungen selbst. Die Führung des eigenen Registers stellt eine erhebliche Stärkung der anwaltlichen Selbstverwaltung dar.1 Über das Anwaltsverzeichnis kann jederzeit die für die Berufsaufsicht zuständige Kammer ermittelt werden. II. Anwaltssuchdienst
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Fraglich ist es, ob das Verzeichnis auch als Anwaltssuchdienst dienen soll, mit dessen Hilfe Rechtsuchende nach einem für sie geeigneten Rechtsanwalt recherchieren können. Dann müsste nicht nur nach (namentlich) bekannten Rechtsanwälten gesucht werden können, sondern vielmehr nach allgemeinen Kriterien (Kanzleiort etc.), um einen zur Mandatierung geeignete Rechtsanwalt finden zu können.
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§ 31 BRAO a.F. hatte auch den Zweck, dem Rechtsuchenden die in Anwaltsprozessen i.S.v. § 78 ZPO (a.F.) bedeutsame Feststellung zu erleichtern, welche Rechtsanwälte bei dem jeweiligen Prozessgericht zugelassen sind.2 Die Anwaltssuche sollte somit dahingehend erleichtert werden, dass herausgefunden werden kann, welcher Rechtsanwalt die Vertretung vor dem jeweiligen Prozessgericht überhaupt übernehmen kann. Eine qualitative Selektion und damit ein Eingriff in den anwaltlichen Wettbewerb waren nicht gewollt.
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Diesen Zweck eines beschränkten Anwaltssuchdienstes dürfte auch § 31 BRAO verfolgen. Wenngleich jeder Rechtsanwalt vor jedem Gericht nunmehr postulationsfähig und damit zur Beauftragung grundsätzlich geeignet ist, soll der Rechtsuchende ermitteln können, welcher Rechtsanwalt in unmittelbarer räumlicher Nähe für ihn verfügbar ist. Gerade so kann eine flächendeckende Versorgung mit Rechtsrat gewährleistet werden. Der Rechtsuchende muss wissen, wen er überhaupt ansprechen und konsultieren kann.
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Neu in das Verzeichnis aufgenommen ist u.a. das Datenfeld Fachanwaltsbezeichnung. Das kann nur bedeuten, dass der Rechtsuchende auch in qualitativer Hinsicht eine Auswahl treffen können soll. Darüber hinaus darf aber zum einen nicht in den anwaltlichen Wettbewerb eingegriffen werden, noch darf der amtliche Charakter des Verzeichnisses in Frage gestellt werden. Die Verzeichnisse können nicht zur Selbstdarstellung der Rechtsanwälte dienen. Der Gesetzgeber hat gerade keine weiteren Datenfelder vorgesehen (bspw. Teilbereiche der Berufstätigkeit i.S.d. § 7 Abs. 1 S. 1 BORA). C. § 31 BRAO I. Die Verzeichnisse
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Der Gesetzgeber differenziert zwischen einem Verzeichnis und einem Gesamtverzeichnis. Das Verzeichnis wird durch die Regionalkammern (auch beim BGH) geführt (im Folgenden „Regionalverzeichnis“). Die Zusammenfassung aller Verzeichnisse ergibt ein Gesamtverzeichnis, das durch die Bundesrechtsanwaltskammer geführt wird. Die Regionalverzeichnisse werden schon seit geraumer Zeit elektronisch geführt. Ebenso wird – ohne dass es der Gesetzgeber nochmals explizit erwähnt hätte – das Gesamtverzeichnis elektronisch geführt.3
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Die regionalen Verzeichnisse und das Gesamtverzeichnis werden im Übrigen nicht näher durch das Gesetz definiert. Die Einzelheiten der Führung des Gesamtverzeichnisses (nicht der regionalen Verzeichnisse4) können allerdings durch das Bundesministerium der Justiz durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates geregelt werden, § 31 Abs. 6 BRAO. Seit dem Jahr 2007 ist aber immer noch nicht gelungen, eine derartige Verordnung zu erlassen. Es kann davon ausgegangen werden, dass diese in Anlehnung an bestehende konkretisierende Bestimmungen für Verzeichnisse geschaffen wird. In Betracht kommen bspw. die Regelungen für das Berufsregister der Steuerberater,5 die Verordnung über das 1 2 3 4
A.A. offensichtlich Kleine-Cosack, AnwBl. 2007, 210 (211). Henssler/Prütting/Prütting, § 31 Rz. 2. Die Daten werden im automatisierten Verfahren eingegeben, vgl. § 31 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 BRAO. Feuerich/Weyland, § 31 BRAO Rz. 55 ff. plädiert mit beachtlichen Argumenten für die Erstreckung auf die Regionalverzeichnisse. Eine Gesetzesänderung wäre aber aus verfassungsrechtlichen Gründen unumgänglich. 5 §§ 45 ff. DVStB.
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Rz. 23 § 31 BRAO
Unternehmensregister (Unternehmensregisterverordnung – URV) vom 26.2.20071 und die Verordnung über das Klageregister nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (Klageregisterverordnung – KlagRegV) vom 26.10.20052 sowie die Verordnung zum Rechtsdienstleistungsgesetz (Rechtsdienstleistungsverordnung – RDV) vom 19.6.2008.3 In einer derartigen Verordnung sollten die Modalitäten der Einsichtnahme geregelt werden. Die Führung eines elektronischen Verzeichnisses bedeutet nämlich zunächst nur den Einsatz einer elektronischen Datenbank. Nicht gesagt ist damit, ob und in welcher Weise die Datenbank über Internet für jedermann online zugänglich sein soll, nach welchen Datenfelder in welcher Weise gesucht werden darf und welche Daten abgerufen werden können (vgl. Rz. 54–74).
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1. Umfang des Datenbestandes Das Gesetz zur Stärkung der Selbstverwaltung sah in § 31 Abs. 1 S. 1 BRAO a.F. zunächst vor, dass die Regionalkammern in dem elektronischen Verzeichnis die „in ihrem Bezirk zugelassenen Rechtsanwälte“ verwalten und die Daten in ein bei der Bundesrechtsanwaltskammer geführtes Gesamtverzeichnis „aller Mitglieder der Rechtsanwaltskammern“ eingeben. Abgesehen davon, dass die Rechtsanwälte nach dem Wegfall der Singularzulassung zur Anwaltschaft in Deutschland und nicht in einem Bezirk zugelassen sind, enthielt diese Bestimmung zwei Ungenauigkeiten. Zum einen führen Regionalkammern selbstverständlich ein elektronisches Verzeichnis aller ihrer Mitglieder und nicht nur der anwaltlichen. Zum anderen kann das Gesamtverzeichnis bei der Bundesrechtsanwaltskammer nicht die Daten aller Mitglieder enthalten, wenn nur die Daten der anwaltlichen Mitglieder eingegeben werden sollen. Letztere Ungenauigkeit beseitigte der Gesetzgeber mit der BRAO-Novelle 2009 schließlich dadurch, indem er die Wörter „aller Mitglieder der Rechtsanwaltskammern“ einfach aus dem Gesetzestext strich.
20
Es bleibt damit weiter die Diskrepanz, dass eine Rechtsgrundlage für die Führung elektronischer Verzeichnisse bei den Regionalkammern geschaffen worden ist, die sich zunächst nur auf die anwaltlichen Mitglieder beschränkt. Hinsichtlich der sonstigen Mitglieder muss auf die datenschutzrechtlichen Normen aus den Landesgesetzen zurückgegriffen werden (vgl. Rz. 28).4 Sofern der Gesetzgeber die Ansicht vertritt, es sollten nicht alle Mitglieder öffentlich in einem Register eingesehen werden können, so hätte sich besser eine Beschränkung des Gesamtverzeichnisses oder des Einsichtsrechts angeboten.
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a) Europäische Rechtsanwälte Jedenfalls niedergelassene europäische Rechtsanwälte müssen in die Verzeichnisse aufgenommen werden. Sie werden durch den Wortlaut des § 31 BRAO nicht von vornherein ausgeschlossen, vgl. § 1 EuRAG („europäische Rechtsanwälte“). Zudem haben sie die dieselben Befugnisse wie deutsche Rechtsanwälte und sind diesen daher dem Status nach gleichgestellt, § 2 Abs. 1 EuRAG. Schließlich verweist § 4 Abs. 1 EuRAG hinsichtlich der Aufnahmeverfahren auch auf § 31 BRAO.5 Auch nach alter Rechtslage (§ 31 Abs. 1 BRAO a.F.) wurden die europäischen Rechtsanwälte als bei den ordentlichen Gerichten zugelassene Anwälte in den Listen geführt.
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b) Rechtsbeistände Im Rahmen der BRAO-Novelle 2009 wurde der Verweis in § 209 Abs. 1 S. 3 BRAO so abgeändert, dass auch § 31 BRAO entsprechend auf Rechtsbeistände anwendbar ist (vgl. § 27 BRAO Rz. 17). Zukünftig sollen nach Ansicht des Gesetzgebers Rechtsbeistände aus dem Verzeichnis ersichtlich sein.6 Nähere Gründe nannte der Gesetzgeber zwar nicht, doch ihm wird zugestimmt.7 Verkammerte Rechtsbeistände sind ebenso wie Rechtsanwälte Mitglieder der Regionalkammern (§ 209 Abs. 1 S. 1 BRAO) und unterstehen deren Aufsicht (§ 209 Abs. 1 S. 3 i.V.m. § 73 Abs. 2 Nr. 4 BRAO). Sie stehen in zahlreichen prozessualen Vorschriften den Rechtsanwälten gleich, § 3 Abs. 1 RDGEG. Sowohl Rechtssuchende als auch Gerichte und 1 2 3 4 5 6 7
BGBl. I, S. 217. BGBl. I, S. 3092. BGBl. I, S. 1069. Vgl. bspw. Art. 16 ff. BayDSG. Henssler/Prütting/Lörcher, § 4 EuRAG Rz. 7. BT-Drs. 16/11385, S. 80. Quaas/Dahns, NJW 2009, 2705 (2710) gehen von „vergessenen“ Rechtsbeiständen aus.
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§ 31 BRAO Rz. 24
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Behörden müssen sich daher jederzeit ein Bild davon machen können, ob ein Rechtsbeistand Mitglied einer Kammer ist. Allein die Registrierung im Rechtsdienstleistungsregister (§ 16 RDG) genügt in diesem Zusammenhang nicht, da nur die Verkammerung zu den besonderen prozessualen Befugnissen führt. Im Rahmen der Verordnung nach § 31 Abs. 6 BRAO sollte allerdings sichergestellt werden, dass bei der Recherche eine Verwechslung von Rechtsanwälten und Rechtsbeiständen ausgeschlossen ist. Der Rechtsausschuss des Bundestages hatte daher im Rahmen der BRAO-Novelle 2009 auch zu Recht durchgesetzt, dass zukünftig die Berufsbezeichnung in das Verzeichnis mit aufzunehmen sei (vgl. Rz. 59). Doch heißt das von der Bundesrechtsanwaltskammer betriebene und unter www.rechtsanwaltsregister.org zu findende Verzeichnis derzeit „Bundesweites Amtliches Anwaltsverzeichnis“. Das dürfte dem flüchtigen Betrachter suggerieren, dass dort nur Anwälte geführt werden. c) Ausländische Rechtsanwälte 24
Ebenso wie bei den verkammerten Rechtsbeiständen hat der Gesetzgeber mit der BRAONovelle 2009 den Verweis auf die allgemeinen Vorschriften des Zweiten Teils, Zweiten Abschnitts in § 207 Abs. 2 S. 1 BRAO aufgenommen. Damit werden zukünftig auch ausländische Rechtsanwälte, die nach § 206 Abs. 1 S. 1 BRAO in eine Rechtsanwaltskammer aufgenommen worden sind, in den Verzeichnissen geführt werden. Der Gesetzgeber begründete seine Entscheidung lediglich damit, dass die ausländischen Anwälte künftig aus den Verzeichnissen zu ersehen sein sollten.1 Die Gleichstellung mit Rechtsanwälten ist zwar hinsichtlich der Kanzleipflicht berechtigt (§ 27 BRAO Rz. 16, § 29 BRAO Rz. 3). Die Führung in elektronischen Verzeichnissen ist auch notwendig. Doch erscheint es zweifelhaft, ob die ausländischen Rechtsanwälte wirklich über das öffentliche Register für jedermann recherchierbar sein dürfen. Denn sie haben lediglich die Befugnis, auf dem Gebiet des Rechts des Herkunftsstaats und des Völkerrechts zu beraten, § 206 Abs. 1 S. 1 BRAO. Eine Vertretung vor deutschen Gerichten und Behörden ist von vornherein ausgeschlossen. Auch, wenn zukünftig die Berufsbezeichnung in der Verzeichnisse eingetragen wird, besteht eine zu hohe Verwechslungsgefahr mit Rechtsanwälten und deren Befugnissen (Rz. 59). d) Rechtsanwaltsgesellschaften
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Im Rahmen der BRAO-Novelle 2009 hat sich der Gesetzgeber abermals entschieden, Rechtsanwaltsgesellschaften jedweder Art nicht in die Verzeichnisse aufzunehmen. Er begründete dies damit, dass das Verzeichnis nur natürliche Berufsträger umfassen solle. Deren persönliche Qualifikation sei entscheidend für die Ausübung der Tätigkeit. Auch innerhalb der Rechtsanwaltsgesellschaft seien letztlich stets die einzelnen Rechtsanwälte als Handelnde verantwortlich. Sie treten nach außen auf, § 59l BRAO. Darüber hinaus wären bei einer Erstreckung des Verzeichnisses auf die Anwaltsgesellschaften aus Gründen der Gleichbehandlung jedenfalls auch die von der Rechtsprechung ausdrücklich für zulässig erklärten Anwalts-AG in das – öffentlichwirksame – Rechtsanwaltsverzeichnis aufzunehmen. Zudem müssten auch die nach ausländischem Recht gegründete Kapitalgesellschaften geführt werden. Schließlich könnten auch Personengesellschaften, insbesondere die Partnerschaftsgesellschaft, aber auch die Gesellschaft bürgerlichen Rechts ihre Aufnahme in das Register beanspruchen. Für eine so weit reichende und zugleich aufwändige Ausweitung des Inhalts des Verzeichnisses bestünde kein Anlass. Der Bundesrat trat dieser Auffassung im Rahmen seiner Stellungnahme zur BRAO-Novelle 2009 zu Recht entgegen. Auch zugelassene Rechtsanwaltsgesellschaften könnten als Verfahrens- und Prozessbevollmächtigte beauftragt werden und hätten hierbei die Rechte und Pflichten eines Rechtsanwalts (§ 59l BRAO).2 Die Bundesregierung wiederholte in ihrer Stellungnahme lediglich, aus Wettbewerbsgründen und zur Vermeidung einer „Verwirrung der Rechtsuchenden“ werde eine Erstreckung der Verzeichnisse auf Rechtsanwaltsgesellschaften abgelehnt.3
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Dieser Auffassung wird entgegengetreten.4 Die Rechtsanwaltsgesellschaft nach § 59c BRAO ist eigenständiges Mitglied der Kammer, § 60 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BRAO. Sie hat alle Mitgliedsrechte (bspw. das Stimmrecht auf der Kammerversammlung), und Mitgliedspflichten (bspw. Zahlung des Kammerbeitrags, Wahrung der Berufsordnung, § 59m Abs. 2 BRAO). Sie hat einen Anspruch, wie alle anderen Mitglieder behandelt zu werden. Da die zugelassene Rechts1 2 3 4
BT-Drs. 16/11385, S. 79. BT-Drs. 16/11385, S. 103. BT-Drs. 16/11385, S. 118. In diesem Sinne auch Feuerich/Weyland, § 31 Rz. 19.
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Rz. 30 § 31 BRAO
anwaltsgesellschaft selbst postulationsfähig ist (§ 59l BRAO), haben Gerichte, Behörden und Rechtsuchende ein besonderes schützenswertes Interesse, den Zulassungsstatus der Gesellschaft zu erfahren. Die Rechtsanwalts-AG ist zulassungsfähig, aber nicht -pflichtig. Sofern sie sich selbst zur Anwaltschaft zulässt, hat sie den gleichen soeben beschriebenen Status wie die Rechtsanwalts-GmbH. Mithin ist sie postulationsfähig.1 Das Gleiche gilt, wenn sich eine europäische in ihrem Heimatstaat zur Anwaltschaft zugelassene Rechtsanwaltsgesellschaft in Deutschland niederlässt und in eine deutsche Kammer aufnehmen lässt. Sofern es sich lediglich um Berufsorganisationsgesellschaften handelt (BGB-Gesellschaft, nicht zugelassene Anwalts-AG usw.), so ist eine Ungleichbehandlung aus den oben genannten Gründen gerechtfertigt. Die Partnerschaftsgesellschaft mag zwar ohne Mitgliedsstatus nach § 7 Abs. 4 S. 1 PartGG postulationsfähig sein. Doch leitet sie ihre Postulationsfähigkeit nur von ihren Gesellschaftern ab. Es kommt daher nur auf deren Eintrag im Verzeichnis an. Eine analoge Anwendung des § 31 BRAO auf zugelassene Rechtsanwaltsgesellschaften dürfte allerdings ausscheiden. Die Veröffentlichung stellt einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar, auf das sich auch eine juristische Person berufen kann2 und für den es einer klaren und bestimmten gesetzlichen Grundlage bedarf. Analogien sind im allgemeinen Verwaltungsrecht nur in beschränktem Umfang zulässig,3 da nach der aus Art. 20 Abs. 3 GG abgeleiteten Lehre vom Vorbehalt des Gesetzes auch hier alle wesentlichen Entscheidungen, die nicht nur die Verhältnisses der Bürger untereinander betreffen, sondern deren Verhältnis zum Staat, vom Gesetzgeber getroffen werden müssen.4 Eine Analogie würde den Gesetzesvorbehalt missachten. Unklar ist allerdings, wie zu entscheiden wäre, wenn die zugelassene Rechtsanwaltsgesellschaft in den Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ausdrücklich einwilligen würde, also die Aufnahme in das Verzeichnis ausdrücklich wünscht.
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2. Datenschutzrechtliche Rechtsgrundlagen Für die Erhebung und Speicherung der personenbezogenen Daten stellt § 31 Abs. 1 S. 1 BRAO eine ausreichende gesetzliche Grundlage dar, wobei bereits nach den allgemeinen Datenschutzgesetzen der Länder eine ausreichende gesetzliche Grundlage (für alle Mitgliederdaten) gegeben wäre. Bspw. nach Art. 16 Abs. 1 BayDSG ist das Erheben personenbezogener Daten zulässig, wenn ihre Kenntnis zur Erfüllung der in der Zuständigkeit der erhebenden Stelle liegenden Aufgaben erforderlich ist. Der Vorstand der Rechtsanwaltskammer kann seine gesetzlichen Aufgaben entsprechend der BRAO nur erfüllen, wenn er auf die gespeicherten Daten zurückgreifen kann.5
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Im Übrigen gelten aber die allgemeinen datenschutzrechtlichen Bestimmungen neben § 31 BRAO. Die Rechtsanwaltskammern haben technische und organisatorische Maßnahmen zu treffen, die die gespeicherten Daten schützen. Dazu zählen Zugangs-, Datenträger-, Speicher- Benutzer-, Zugriffs-, Übermittlungs-, Eingabe-, Auftrags-, Transport- und Organisationskontrolle.6 Zudem sind die Rechtsanwaltskammern gegenüber den Mitgliedern zur Auskunft darüber verpflichtet, welche Daten gespeichert sind.7 Falsche Daten sind umgehend zu berichtigen.8 Zu beachten ist im Übrigen neben den datenschutzrechtlichen Bestimmungen die besondere Verschwiegenheitsverpflichtung der Rechtsanwaltskammer gegenüber ihren Mitgliedern, § 76 Abs. 1 S. 1 BRAO.9
29
Häufig werden die Rechtsanwaltskammern eine andere Stelle (auch) mit der Speicherung und Verwaltung ihrer Daten beauftragen, bspw. einen EDV-Dienstleister. Dies ist nach den landesdatenschutzrechtlichen Bestimmungen unter bestimmten Voraussetzungen zulässig.10 Die Rechtsanwaltskammer als Auftraggeber bleibt für die Einhaltung der Vorschriften der Datenschutzgesetze und anderer Vorschriften über den Datenschutz verantwortlich. Insbesondere sind die Auftragnehmer unter besonderer Berücksichtigung der Eignung der von ihnen
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1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
So zuletzt OLG Hamm, NJW 2006, 3434 (3435). Sodan, Art. 2 GG Rz. 9. BVerfGE 11, 263 f.; hierzu auch Gern, DÖV 1985, 558. Pawlowski, § 11 Rz. 501 m.w.N. Deswegen dürfen auch über den Umfang des § 31 Abs. 3 BRAO Daten gespeichert werden, Feuerich/Weyland, § 31 Rz. 10. Vgl. bspw. Art. 7 Abs. 2 BayDSG. Vgl. bspw. Art. 10 BayDSG. Vgl. bspw. Art. 11 BayDSG. S. hierzu bspw. Art. 22 BayDSG. Vgl. bspw. Art. 6 BayDSG.
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§ 31 BRAO Rz. 31
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getroffenen technischen und organisatorischen Maßnahmen sorgfältig auszuwählen. Der Auftrag ist schriftlich zu erteilen, wobei Datenerhebung, -verarbeitung oder -nutzung, die technischen und organisatorischen Maßnahmen und etwaige Unterauftragsverhältnisse festzulegen sind. Der Auftraggeber hat sich soweit erforderlich von der Einhaltung der getroffenen technischen und organisatorischen Maßnahmen beim Auftragnehmer zu überzeugen.1 31
Dieselben Voraussetzungen gelten, wenn die Prüfung und Wartung automatisierter Verfahren oder Datenverarbeitungsanlagen durch andere Stellen vorgenommen werden und dabei ein Zugriff auf personenbezogene Daten nicht ausgeschlossen werden kann. Ist eine schriftliche Auftragserteilung nicht möglich, so ist diese unverzüglich nachzuholen.2
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Die Nutzung des Verzeichnisses zu Werbezwecken dürfte zulässig sein nach § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 Alt. 1 BDSG bzw. Abs. 3 S. 1 Nr. 3 BDSG. Über das Verzeichnis sind die Daten allgemein zugänglich wie bei allen öffentlichen Registern. Ein offensichtliches Überwiegen des Interesses der im Verzeichnis geführten Mitglieder ist nicht zu erkennen. Den Mitgliedern steht das Widerspruchsrecht nach § 28 Abs. 4 S. 1 BDSG zu. Ein präventiver Widerspruch eines Mitglieds im Rahmen eines Hinweises bei seinem Datensatz dürfte keine rechtliche Wirkung entfalten. Das Mitglied hat daher gegenüber den Kammern wohl auch keinen Anspruch darauf, dass ein solcher angebracht wird. Freilich haben die Kammern zu verhindern, dass die Daten automatisiert ausgelesen werden (vgl. Rz. 44). 3. Datenübertragung
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Die Daten des regionalen Verzeichnisses werden von der jeweiligen Rechtsanwaltskammer in ein Gesamtverzeichnis übertragen, das von der Bundesrechtsanwaltskammer geführt wird, § 31 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 BRAO. Der Gesetzgeber hätte wohl an dieser Stelle etwas genauer formulieren müssen. Die Regionalkammern verwalten alle ihre Mitglieder in elektronischen Verzeichnissen. Weitergegeben werden nur die Daten, die zur Veröffentlichung im Gesamtverzeichnis vorgesehen sind (vgl. Rz. 20 f.).
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Für die Übertragung der Daten an die Bundesrechtsanwaltskammer als weitere öffentliche Stelle besteht mit § 31 BRAO eine gesetzliche Grundlage neben den allgemeinen datenschutzrechtlichen Bestimmungen.3 Selbstverständlich muss die Datenübertragung aber im Übrigen, insbesondere in technischer Hinsicht, datenschutzrechtlichen Bestimmungen genügen. Erforderlich ist eine Transportkontrolle. Er ist zu verhindern, dass bei der Übertragung personenbezogener Daten sowie beim Transport von Datenträgern die Daten unbefugt gelesen, kopiert, verändert oder gelöscht werden können.4 Die Daten müssen daher für den Transport entsprechend verschlüsselt werden. 4. Datenschutzrechtliche Verantwortung
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Die Rechtsanwaltskammer trägt die datenschutzrechtliche Verantwortung für die von ihr in das Gesamtverzeichnis eingegebenen Daten, insbesondere für die Rechtmäßigkeit der Erhebung und die Richtigkeit der Daten, § 31 Abs. 1 S. 2 BRAO. Die datenschutzrechtliche Verantwortung bedeutet an dieser Stelle die Verantwortung für die Zulässigkeit der Übermittlung.5 Die Rechtsanwaltskammer hat zu überprüfen, ob und welche Daten übermittelt werden. Beauftragt Sie eine andere Stelle mit der Übermittlung, so bleibt sie dennoch verantwortlich (vgl. Rz. 30).
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Die Rechtsanwaltskammer bleibt für die Rechtmäßigkeit der Erhebung zuständig. Die Bundesrechtsanwaltskammer als empfangende Stelle könnte die Rechtmäßigkeit ex post nicht mehr überprüfen. Besondere Bedeutung erlangt allerdings der Umstand, dass die Rechtsanwaltskammer auch für die Richtigkeit der Daten verantwortlich bleibt. Die Rechtsanwaltskammer hat somit Änderungen in ihrem eigenen Datenbestand unverzüglich mit dem Datenbestand der Bundesrechtsanwaltskammer abzugleichen.6 Aus organisatorischen Gründen sollte in diesem Zusammenhang eine tägliche Datensynchronisation ausreichen.7 1 2 3 4 5 6
Vgl. bspw. Art. 6 Abs. 2 BayDSG. Vgl. bspw. Art. 6 Abs. 4 BayDSG. Vgl. bspw. Art. 18 BayDSG. Vgl. bspw. Art. 7 Abs. 2 Nr. 9 BayDSG. Vgl. bspw. Art. 18 Abs. 2 S. 1 BayDSG. Vgl. auch bspw. Art. 13 BayDSG, wonach bei Berichtigung von Daten die Stellen zu verständigen sind, an die die Daten übermittelt wurden. 7 Henssler/Prütting/Prütting, § 31 BRAO Rz. 6 und 13 will eine Eintragung spätestens nach einer Woche ausreichen lassen.
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Rz. 43 § 31 BRAO
II. Das Einsichtsrecht Jedermann hat ein Einsichtsrecht in die Verzeichnisse, § 31 Abs. 1 S. 4 BRAO. Gebühren können für die Einsicht nicht erhoben werden – sie ist unentgeltlich. Zudem ist kein besonderes Interesse geltend zu machen. Bereits bei § 31 BRAO a.F. wurde die Auffassung vertreten, dass das Verzeichnis, „obwohl das nirgendwo gesagt wird, einsehbar für jedermann [ist], ohne dass es dazu des Nachweises oder der Glaubhaftmachung eines berechtigten oder gar eines rechtlichen Interesses bedurfte.“1 Eine andere Regelung findet sich etwa in § 45 Abs. 3 DVStB. Danach ist die Einsicht in das Berufsregister für Steuerberater nur demjenigen gestattet, der ein berechtigtes Interesse darlegt.
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1. Einsicht in das Gesamtverzeichnis a) Automatisiertes Abrufverfahren Jedenfalls bei dem Gesamtverzeichnis wird die Einsichtnahme sinnvollerweise über ein bundeseinheitliches Portal im Internet erfolgen.2 Eine Einzelfallprüfung über die Berechtigung zur Einsicht darf ohnehin nicht erfolgen. Auch dürfte § 10 BDSG keine unmittelbare Anwendung finden, der die Voraussetzungen für die Einrichtung automatisierter Abrufverfahren regelt. Denn dessen Erfordernisse gelten nicht für den Abruf allgemein zugänglicher Daten, § 10 Abs. 5 BDSG.3 Allgemein zugänglich sind die Daten, die jedermann, sei es ohne oder nach vorheriger Anmeldung, Zulassung oder Entrichtung eines Entgelts, nutzen kann. Aufgrund des allgemeinen Einsichtsrechts dürften die Mitgliederdaten als allgemein zugänglich einzustufen sein.
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Andererseits gestaltet § 10 BDSG auch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit aus, der bei einem Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung zu beachten ist. Dessen Rechtsgedanken sollten daher auch bei der Ausgestaltung der Einsichtnahme Beachtung finden.
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aa) Schutzwürdige Interessen Es ist zu prüfen, ob das Abrufverfahren unter Berücksichtigung der schutzwürdigen Interessen der Betroffenen und der Aufgaben oder Geschäftszwecke der beteiligten Stellen angemessen ist, vgl. § 10 Abs. 1 BDSG. Das schutzwürdige Interesse der betroffenen Rechtsanwälte dürfte hinsichtlich der Kanzleidaten als gering einzustufen sein. Das Faktum der Zulassung und die Kanzleiadresse stellen als solche bereits öffentliche Daten dar, die die Eigenschaft der Rechtsanwälte als Organe der Rechtspflege (§ 1 BRAO) betreffen. Es wäre unangemessen, der Bundesrechtsanwaltskammer als beteiligter Stelle die Verpflichtung aufzuerlegen, weltweite Anfragen auf Einsicht in das Verzeichnis zu beantworten.
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Das schutzwürdige Interesse könnte allerdings bei den sonstigen Daten des § 31 Abs. 3 BRAO höher zu bewerten sein. Dies gilt insbesondere für das Zulassungsdatum, die Kanzleipflichtbefreiung sowie Berufs- und Vertretungsverbote. Doch muss bedacht werden, dass auch hinsichtlich dieser Daten ein Anspruch auf Einsicht besteht. Auch, wenn diese Daten sensibler einzustufen wären, so sind sie aber ebenfalls geschäftliche Daten und nicht der Privatsphäre zuzuordnen. Die Rechtsuchenden müssen sich i.S.d. Verbraucherschutzes darüber informieren können, seit wann ein Rechtsanwalt zugelassen ist und ob aktuelle Berufsoder Vertretungsverbote bestehen. Alle am Rechtsverkehr Beteiligte müssen sich über Kanzleipflichtbefreiungen und Zustellungsbevollmächtigte informieren können.
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In Betracht käme allenfalls, dass die sensiblen Daten in ein halböffentliches Verzeichnis gespeichert würden, auf das bspw. nur die Gerichte und Behörden Zugriff hätten. Doch widerspricht dies dem eindeutigen Wortlaut des § 31 Abs. 1 S. 4 BRAO und dem Sinn und Zweck des § 31 BRAO. Auch und gerade die Rechtsuchenden sollen sich durch Einsichtnahme in die Verzeichnisse schützen können.
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bb) Abrufmodalitäten Der Abruf des Gesamtbestandes i.R.e. Stapelverarbeitung4 dürfte unzulässig sein. Er wäre nicht durch den Zweck der Einsichtnahme gedeckt und daher unverhältnismäßig. Es 1 2 3 4
Isele, § 31 Anm. III. Unter www.rechtsanwaltsregister.org wurde das Portal eingerichtet. Gola/Schomerus, § 10 BDSG Rz. 17 für Adressdatenbanken (automatisierte Adressbücher). Gesetzliche Definition in § 10 Abs. 4 S. 4 BDSG.
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§ 31 BRAO Rz. 44
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stellt sich aber darüber hinaus die Frage, wie viele Datensätze nach welchem Verfahren abgerufen werden dürfen. Einsichtnahme bedeutet nicht nur die Anfrage zu einem bestimmten Rechtsanwalt, der bspw. namentlich bekannt ist (vgl. Rz. 13–16). Ähnlich der Einsicht in das elektronische Handelsregister1 muss eine gewisse Recherche- und Selektionsmöglichkeit gegeben sein. Nach dem Zweck des § 31 BRAO (vgl. Rz. 15) muss es möglich sein, eine Suche über die Datenfelder Nachname, Vorname, Straße (Kanzleisitz oder Zweigstelle), Postleitzahl (Kanzleisitz oder Zweigstelle), Ort (Kanzleisitz oder Zweigstelle) und Zugehörigkeit zu einer Rechtsanwaltskammer durchzuführen. Hierbei muss eine Suche auch nur mit Anfangsbuchstaben möglich sein. Eine Suche nach Rechtsanwälten mit einem bestimmten Geschlecht, mit Titeln oder Fachanwaltsbezeichnungen, mit bestimmten Zulassungsdaten, mit Kanzleipflichtbefreiungen und mit Berufs- oder Vertretungsverboten sollte nicht möglich sein. Hier bestehen keine schutzwürdigen Interessen des Einsichtnehmenden. 44
Ebenso darf das Register nicht zu Zwecken der Direktwerbung (in größerem Umfang) (vgl. aber Rz. 32) benutzt werden können. Damit würde der Zweck des Verzeichnisses missbraucht. Der Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG) wäre nicht mehr gerechtfertigt. Die Verwendung der Daten ist grundsätzlich auf den gesetzlich bestimmten Zweck begrenzt. Es ist ein entsprechender Schutz gegen Zweckentfremdung zu schaffen.2 Dies muss auch und gerade durch technische Vorrichtungen geschehen.3 cc) Form der Datenausgabe
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Hinsichtlich der Datenausgabe bietet es sich an, die weniger sensiblen Kanzleidaten (vgl. Rz. 40) in einer ersten Übersicht in Listenform anzuzeigen. Jedem Rechtsanwalt ist damit ein in Form und Umfang gleicher Eintrag gesichert. Erst in einer zweiten Ebene wird sodann das Profil des ausgewählten Rechtsanwalts dargestellt. Insgesamt muss durch technische Einstellungen verhindert werden, dass der Abruf des Gesamtbestandes möglich wird. b) Verfassungsmäßigkeit
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Das Recht für jedermann, in das Verzeichnis einsehen zu können, ist verfassungsgemäß. Es hat eine gesetzliche Grundlage, die wiederum verfassungsgemäß ist. Das Einsichtsrecht hat einen verfassungsmäßigen Zweck. Es soll Transparenz, Rechtssicherheit und Verbraucherschutz im Rechtsverkehr hergestellt werden. Ein Mandant soll bspw. erfahren können, ob sein Anwalt bei Mandatserteilung bereits zugelassen war.
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Die Einsichtnahme ist geeignet, diesen Zweck zu erreichen. Es ist auch erforderlich, die Einsichtnahme insbesondere in einem automatisierten Abrufverfahren zu gewähren. Denn es gibt kein gleich geeignetes Mittel, das weniger belastend wäre. Müsste sich bspw. der Rechtsuchende schriftlich bei der Bundesrechtsanwaltskammer erkundigen, welche Anwälte in seiner Nähe zugelassen sind, so würde er nur zeitlich verzögert eine Antwort erhalten. Zudem müssten auch in diesem Antwortschreiben alle Daten enthalten sein. Ein Anruf bei der Bundesrechtsanwaltskammer würde ihm in der Regel eine unvollständige Auskunft bringen. Nur das Anwaltsverzeichnis stellt die gewünschte Transparenz her.
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Die Veröffentlichung ist auch angemessen. Die Ausübung des Anwaltsberufs ist keine Angelegenheit, die der Privatsphäre zuzuordnen wäre. Somit wird nur leicht in den Schutzbereich des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG) eingegriffen. Die im Anwaltsverzeichnis veröffentlichten Daten sind vergleichbar mit Firmendaten, die auch über das (inzwischen elektronische) Handelsregister abgerufen werden können (vgl. Rz. 18). Das Schutzbedürfnis der Rechtsuchenden und der reibungslose Ablauf in der Rechtspflege wiegen im Einzelfall schwerer.
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Durch die Veröffentlichung wird auch nicht in den freien Wettbewerb eingegriffen. Denn Auswertungen größeren Ausmaßes lässt das Anwaltsverzeichnis in der skizzierten Form ohnehin nicht zu. Zudem findet eine Gleichbehandlung aller Anwälte statt.
1 Unternehmensregisterverordnung v. 26.2.2007 (BGBl. I, S. 217). 2 Zur Melderegisterauskunft für Zwecke der Direktwerbung, BVerwG, NJW 2006, 3367. 3 Vgl. § 1 Abs. 1 S. 1 Unternehmensregisterverordnung v. 26.2.2007 (BGBl. I, S. 217): „Die Daten werden strukturiert in Form der Extensible Markup Language (XML) oder einem nach dem Stand der Technik vergleichbaren Format gespeichert. Eine Speicherung in einem reinen Binärformat ist nur zulässig, soweit eine Umwandlung in Text nicht oder nur mit unvertretbarem Aufwand möglich ist.“
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Rz. 55 § 31 BRAO
2. Einsicht in die Regionalverzeichnisse Wie die Einsicht in die Verzeichnisse der Regionalkammern erfolgt, kann dahinstehen. Denn die Einsicht in das Gesamtverzeichnis befriedigt den Informationsbedarf ausreichend. Denkbar ist lediglich, dass Vorfälle, die an einem Tag geschehen sind (bspw. Aushändigung der Zulassungs- oder Fachanwaltsurkunde) und die noch nicht in das Gesamtverzeichnis übertragen worden sind, über die Regionalkammer recherchiert werden. Hier wird in der Regel die telefonische Auskunft ausreichend sein. Ein öffentlich einsehbares regionales Verzeichnis kann eingerichtet werden, ist aber letztlich entbehrlich. Es wird nicht aktueller als das Gesamtverzeichnis sein.
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III. Eintragung Der Kammer steht hinsichtlich der Entscheidung, ob und wann die Eintragungen vorzunehmen sind, keine Ermessen zu.1
50a
Durch die BRAO-Novelle 2009 wurde § 31 Abs. 2 BRAO geändert. Die Eintragung erfolgt nun, sobald die Urkunde über die Zulassung ausgehändigt worden ist und die Befugnis zur Ausübung des Anwaltsberufs besteht, § 12 BRAO. Dies ist sachgerecht, da ab diesem Zeitpunkt auch ein entsprechendes Informationsbedürfnis bei Gerichten, Behörden und Rechtsuchenden besteht.
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Vor dieser Änderung wurde noch auf die Einrichtung der Kanzlei (Bekanntgabe der Kanzleiadresse) bzw. die Benennung eines Zustellungsbevollmächtigen im Rahmen des § 30 BRAO abgestellt. Dies hatte zur Folge, dass der Betreffende bereits innerhalb von drei Monaten (§ 14 Abs. 3 BRAO) anwaltlich tätig sein konnte, ohne im Verzeichnis geführt zu werden.
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Diese Regelung in § 31 Abs. 2 BRAO a.F. setzte fälschlicherweise deren alte Fassung vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Stärkung der Selbstverwaltung fort. Der Rechtsanwalt, der noch keine Kanzlei eingerichtet hatte, wurde nach alter Rechtslage nicht eingetragen und durfte auch seinen Beruf noch nicht ausüben, § 32 Abs. 1 BRAO a.F. (vgl. Rz. 4 f.). Nach neuer Rechtslage besteht die Befugnis, den Beruf auszuüben, sofort mit Aushändigung der Zulassungsurkunde, § 12 Abs. 4 BRAO. Mithin verleiht die Eintragung in das Anwaltsverzeichnis keine Berechtigung mehr. Dies erkannte nun auch der Gesetzgeber.2
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IV. Umfang der Eintragung 1. Keine Wohnanschrift Weggefallen ist nunmehr die Verpflichtung aus § 31 Abs. 2 S. 1 BRAO a.F., die Wohnanschrift anzugeben. Lediglich in § 24 Abs. 1 Nr. 2 BORA existiert noch die Verpflichtung, die „Begründung“ und den Wechsel der Wohnanschrift anzuzeigen. Zwar ist die Wohnanschrift kein Datum, das in den Anwaltsverzeichnissen zum öffentlichen Abruf bereit stehen dürfte. Die Rechtsanwaltskammer trifft diesbezüglich die Verschwiegenheitsverpflichtung nach § 76 Abs. 1 S. 1 BRAO.3 Doch sollten die Rechtsanwaltskammern für die Führung des eigenen internen Mitgliederverzeichnisses einen Auskunftsanspruch gegenüber ihrem Mitglied weiterhin durch ein formelles Gesetz erhalten, das zudem eine sichere datenschutzrechtliche Grundlage bietet. Die Kenntnis der Wohnanschrift ist im Rahmen einer ordnungsgemäßen Mitgliederverwaltung notwendig und dient dazu den Rechtsanwalt bspw. in den Fällen der Kanzleiaufgabe im Interesse einer geordneten Rechtspflege überhaupt noch zu erreichen.4
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Im Rahmen der BRAO-Novelle 2009 hat der Gesetzgeber abermals eine Pflicht zur Mitteilung des Wohnsitzes gestrichen, vgl. § 29a Abs. 3 S. 1 BRAO a.F. „und seines Wohnsitzes“. Er vertritt die Auffassung, eine Berufspflicht hierzu bestehe bereits in § 24 BORA. Die BRAO kenne auch im Übrigen keine solche Pflicht, deswegen bedürfe es auch im Rahmen des § 29a BRAO keine Sonderregel.5 Vor dem Hintergrund, dass die BRAO in § 31 Abs. 2 S. 1 BRAO a.F. sehr wohl die Pflicht zur Mitteilung des Wohnsitzes kannte, erscheint diese Argumentation wenig überzeugend.
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1 BGH, BRAK-Mitt. 2013, 38: Die Eintragungen sind durch die zuständige Kammer vorzunehmen. Für ein Mitspracherecht des jeweils betroffenen Anwalts ist kein Raum. 2 BT-Drs. 16/11385, S. 53. 3 EGH Berlin, NJW 1992, 846; Eich, MDR 1991, 385. 4 Hartung/Römermann/Schamer, § 24 BORA Rz. 16. 5 BT-Drs. 16/11385, S. 52.
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§ 31 BRAO Rz. 56
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2. Zulassungsdaten 56
Inhalt des Verzeichnisses sind zunächst der Familienname, die Vornamen, die Berufsbezeichnung, die Kanzleianschrift (ggf. unter Angabe der zuständigen Kammer) und die Anschrift von Zweigstellen, § 31 Abs. 3 S. 1 BRAO. Der Familienname bzw. Nachname bestimmt sich nach dem Eintrag im Personalausweisregister, § 2a Abs. 1 S. 2 Nr. 2 PersAuswG, und dient zur eindeutigen Identifikation des Rechtsanwalts. Gegenüber Behörden, namentlich im Bereich der amtlichen Registerführung, besteht die Verpflichtung zum Führen des vollständigen Namens.1 Selbstverständlich besteht die Berechtigung für den Rechtsanwalt im Berufsleben einen Berufsnamen zu führen, sofern dieser unterscheidungsfähig ist und die Identität des Namensträgers feststeht.2 Derzeit sieht das PersAuswG die Registrierung derartiger Namen nicht (mehr) vor. Bereits in dem Entwurf eines Gesetzes über Personalausweise und den elektronischen Identitätsnachweis sowie zur Änderung weiterer Vorschriften des BMI ist die Aufnahme der Berufsnamen wieder vorgesehen. In einem Berufsregister wie dem Rechtsanwaltsverzeichnis sollten Berufsnamen Berücksichtigung finden können. Einer Rechtsgrundlage bedarf es nicht, wenn die Einwilligung des Betroffenen vorliegt. Der Berufsname könnte mit einem Zusatz (bspw. „genannt“) dem Familiennamen hinzugefügt werden. So ist sichergestellt, dass der Betroffene unter dem Namen, unter dem er beruflich auftritt, gefunden wird. Adelstitel sind in Deutschland Bestandteil des Familiennamens und werden entsprechend geführt. Die Änderung des Familiennamens ist nach § 24 Abs. 1 Nr. 1 BORA der Kammer anzuzeigen.
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In das Verzeichnis werden diejenigen Vornamen eingetragen, die auch im Personalausweisregister geführt werden (vgl. Rz. 56). Zudem ergibt sich bereits aus dem Wortlaut von § 31 Abs. 3 BRAO, dass alle Vornamen und nicht nur die Rufnamen eingetragen werden. Dies dient einer besseren Unterscheidbarkeit.3 Die Änderung der Vornamen ist nach § 24 Abs. 1 Nr. 1 BORA der Kammer anzuzeigen.4
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Akademische Grade sind kein Bestandteil des bürgerlichen Namens, sondern Namenszusatz.5 Für die Frage der Eintragungsfähigkeit akademischer Grade in öffentliche Verzeichnisse kommt es entscheidend auf die tatsächliche Übung an.6 Durch die Rechtsanwaltskammern werden in ständiger Verwaltungspraxis der Doktorgrad entsprechend § 23 Abs. 3 Nr. 3 PersAuswG7 sowie die sonstigen durch des HRG und die landesrechtlichen Hochschulgesetze anerkannten akademischen Grade in die Verzeichnisse eingetragen. Von einem Einverständnis des Betroffenen wird regelmäßig ausgegangen, so dass es keiner Rechtsgrundlage bedarf. Sofern ein akademischer Grad durch einen Rechtsanwalt geführt wird, ist die entsprechende Berechtigung hierzu auf Anforderung der Kammer nachzuweisen. Die unzulässige Führung wäre ein Verstoß gegen Wettbewerbsrecht und damit gegen Berufsrecht. Weitere Zusätze wie bspw. zusätzliche Berufsbezeichnungen werden nicht in die Verzeichnisse übernommen.
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Aufgrund der Empfehlungen des Rechtsausschusses des Bundestages wurde durch die BRAO-Novelle 2009 auch die Eintragung der Berufsbezeichnung für erforderlich gehalten. Zum einen würden schon bisher europäische Rechtsanwälte in das Verzeichnis eingetragen. Mit der BRAO-Novelle 2009 würden auch ausländische Rechtsanwälte nach § 206 BRAO und Rechtsbeistände eingetragen. Das Informationsbedürfnis der Rechtsuchenden mache es erforderlich, die jeweilige (ausländische) Berufsbezeichnung in das Verzeichnis aufzunehmen.8 Ob der Verbraucher allerdings erkennen kann, welche Rechtsberatungsbefugnisse die jeweilige Berufsbezeichnung in Deutschland vermittelt, erscheint höchst fraglich. Er wird nicht wissen, dass beispielsweise ein Attorney-at-law nur auf dem Gebiet des US-Rechts und des Völkerrechts beraten kann (§ 206 Abs. 1 S. 1 BRAO), während ein Dikigoros postulationsfähig ist und auf dem Gebiet des deutschen Rechts beraten darf (vgl. Rz. 24). Ähnliches gilt für Rechtsbeistände (vgl. Rz. 23). In jedem Fall dürften aber nur die Berufsbezeichnungen aufzunehmen sein, unter denen der Anwalt in die Kammer aufgenommen worden ist. Ein deutscher Anwalt, der zusätzlich über eine ausländische Berufsbezeichnung verfügt oder 1 2 3 4 5
BVerfG, NJW 1988, 1577 (1579); Hartung/Scharmer, § 24 BORA Rz. 11. BVerfG, NJW 2009, 1657, NJW 1988, 1577 (1579); Hartung/Scharmer, § 24 BORA Rz. 11. Feuerich/Weyland, § 31 Rz. 19. A.A. möglicherweise Hartung/Scharmer, § 24 BORA Rz. 11. BVerwGE 5, 291; BGH, NJW 1963, 581 (582); Rifai, NVwZ 2009, 816; a.A. Hartung/Römermann/Scharmer, § 24 BORA Rz. 12. 6 BGH, NJW 1963, 581 (582). 7 Ein „Dr. h.c.“ würde als „Dr.“ eingetragen. 8 BT-Drs. 16/12717, S. 63.
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Rz. 63 § 31 BRAO
bspw. zusätzlich Steuerberater ist, wird dennoch nur als Rechtsanwalt eingetragen. Nur über dieses Datum dürfen die Rechtsanwaltskammern eine amtliche Auskunft geben. Die Kanzleianschrift besteht in der Regel aus den Angaben zu Straße, Postleitzahl und Ort. Sie ist zu unterscheiden von der Postanschrift, die nicht in das Verzeichnis aufgenommen wird. Nach Sinn und Zweck der Kanzlei (vgl. § 27 BRAO Rz. 18–44) und des Registers (vgl. Rz. 9–16) kommt es nur auf den tatsächlichen Kanzleisitz an. Eine Kurzbezeichnung kann in einer gesonderten c/o-Zeile mit oder ohne dem Zusatz „c/o“ eingetragen werden. Die Kanzlei i.S.e. Gesellschaftsform wird in den Regionalverzeichnissen nur dann eingetragen, wenn sie selbst nach den §§ 59c ff. BRAO zugelassen ist. Sofern neben einer Kanzlei im Inland zusätzlich eine Kanzlei nach § 29a Abs. 1 BRAO im Ausland eingerichtet wird, so muss dieser zwar auch der heimischen Kammer angezeigt werden; doch ist die Kammer nur für die Verwaltung und Kontrolle des deutschen Kanzleisitzes zuständig. Der ausländische Kanzleisitz wird nicht in die Verzeichnisse eingetragen. Bei einer Befreiung von der Kanzleipflicht im Inland nach § 29a BRAO ist Inhalt der Befreiung auch die Anschrift der Kanzlei im Ausland, die somit zu veröffentlichen ist. An diese kann schließlich auch zugestellt werden (vgl. § 30 BRAO Rz. 27). Zudem muss der Zustellungsbevollmächtigte im Inland eingetragen werden (vgl. Rz. 67). Änderungen der Kanzleianschrift sind unverzüglich der Kammer nach § 27 Abs. 2 S. 1 BRAO bzw. § 29a Abs. 3 BRAO und § 24 Abs. 1 Nr. 2 BORA anzuzeigen.
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Die Anschrift der Zweigstellen besteht in der Regel aus den Angaben zu Straße, Postleitzahl und Ort. Wie sich aus der Verwendung des Plurals ergibt, müssen die Anschriften aller Zweigstellen eingetragen werden, die theoretisch in unbegrenzter Zahl eingerichtet werden können (vgl. § 27 BRAO Rz. 94). Über die c/o-Zeile der Zweigstellenanschrift kann eine von der Kanzleianschrift abweichende Kurzbezeichnung geführt werden, wenn der Rechtsanwalt bspw. seine Zweigstelle in einem weiteren beruflichen Zusammenschluss eingerichtet hat. Einen Anspruch auf einen doppelten Eintrag unter zwei verschiedenen Kurzbezeichnungen hat er nicht. Nur die eindeutige Definition einer Hauptkanzlei erhält die Transparenz des Verzeichnisses und hilft Missverständnisse zu vermeiden (vgl. § 27 BRAO Rz. 101a ff.). Die für den Anwalt berufsaufsichtlich zuständige Kammer muss durch jedermann eindeutig ermittelt werden können (vgl. § 27 BRAO Rz. 82). Änderungen der Zweigstellenadressen sind der zuständigen Kammer unverzüglich nach § 27 Abs. 2 S. 1 BRAO mitzuteilen.
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Das Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs sieht vor, dass ab 1.1.2016 ein besonderes elektronisches Anwaltspostfach durch die Bundesrechtsanwaltskammer für jeden Rechtsanwalt eingerichtet wird, § 31a BRAO n.F. Dementsprechend ist ab diesem Zeitpunkt auch diese Postfachadresse (bspw. im Sinne einer EGVP-ID) im Gesamtverzeichnis bekannt zu machen.
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Mit der BRAO-Novelle 2009 hat der Gesetzgeber klargestellt, dass auch die Telekommunikationsdaten1 in die Verzeichnisse einzutragen sind, um eine sichere Rechtsgrundlage für die Veröffentlichung zu schaffen.2 Zu den Telekommunikationsdaten zählen Telefon- und Faxnummern sowie E-Mail-Adressen.3 Die Website des Rechtsanwalts mag zwar ein Kontaktformular enthalten. Doch dient sie nicht primär der Kommunikation nach dem allgemeinen Begriffsverständnis. Die Eintragung der Adresse der Website ist gleichwohl mit Einverständnis des Rechtsanwalts zulässig. Einen Anspruch darauf hat dieser allerdings nicht.
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Die Telekommunikationsdaten werden nur insoweit veröffentlicht, als sie der Kammer durch den Rechtsanwalt mitgeteilt wurden. Aus der Gesetzesbegründung ergibt sich nur, dass der Gesetzgeber diese Adressen als „ergänzende Kanzleidaten ansieht“.4 Unklar bleibt allerdings, ob er davon ausgeht, dass die Angabe einer Telefonnummer der Kanzlei zukünftig freiwillig erfolgen könnte.5 Nur so könnte der Zusatz „soweit mitgeteilt“ erklärt werden. Denn Telekommunikationsdaten, die nicht mitgeteilt wurden, können zwangsläufig auch nicht veröffentlicht werden. Möglicherweise wollte der Gesetzgeber aber auch die Veröffentlichung von Telekommunikationsdaten verhindern, die die Kammer von Amts wegen ermittelt hat. Sinnvollerweise hätte der Gesetzgeber die Formulierung von § 24 Abs. 1 Nr. 3 BORA gewählt und die Veröffentlichung der jeweiligen Telekommunikationsmittel der Kanzlei nebst Nummern bzw. Adressen vorgesehen.
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1 Gemeint sind die Adressen der Telekommunikationsmittel und nicht die (Verbindungs-)Daten über die Telekommunikation als solche. 2 BT-Drs. 16/11385, S. 53 f. 3 BT-Drs. 16/11385, S. 53 f.; vgl. auch § 46 Nr. 1 lit. d Alt. 2 DVStB. 4 BT-Drs. 16/11385, S. 53. 5 Quaas/Dahns, NJW 2009, 2705 (2710) gehen von einer fingierten Einverständniserklärung aus, die jederzeit widerrufen werden könnte.
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§ 31 BRAO Rz. 64
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Der Zeitpunkt der Zulassung ist im Rahmen einer Neuzulassung einfach zu bestimmen. Er ändert sich auch nicht bei dem Wechsel in einen anderen Kammerbezirk. Unklar ist freilich, wie mit Wiederzulassungen zu verfahren ist. War der Rechtsanwalt bereits einmal zur Anwaltschaft zugelassen, hat aber zwischenzeitlich eine Unterbrechung stattgefunden, so könnten zwei oder mehr Daten aufzuführen sein. Richtigerweise sollte aber immer nur das letzte Zulassungsdatum angegeben werden (Wiederzulassungsdatum).1 Sinn und Zweck von § 31 BRAO ergeben, dass die am Rechtsverkehr Beteiligten immer nur wissen müssen, seit wann eine ununterbrochene Zulassung besteht. Bei Zweifelsfragen können sie sich an die zuständige Rechtsanwaltskammer wenden.
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Ein ähnliches Problem ergibt sich bei europäischen Rechtsanwälten. Hier wird nicht das Datum der Erst- bzw. Wiederzulassung im Heimatstaat relevant sein, sondern das Datum der Aufnahme in die deutsche Rechtsanwaltskammer. Zu beachten ist zudem, dass europäische Rechtsanwälte auch schon vor diesem Datum als dienstleistende europäische Rechtsanwalt in Deutschland rechtsberatungsbefugt und somit rechtsberatend aufgetreten sein können, vgl. §§ 25 ff. EuRAG. Eine Tätigkeit vor dem im Verzeichnis aufgeführten Aufnahmedatum muss daher keinen Verstoß bspw. gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz bedeuten. Auch diese Fragen kann nur die zuständige Rechtsanwaltskammer unmittelbar beantworten. 3. Kanzleipflichtbefreiung
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In den Fällen des § 29 Abs. 1 oder des § 29a Abs. 2 BRAO wird der Inhalt der Befreiung in das Verzeichnis eingetragen. Es genügt somit nicht nur der Hinweis auf die Befreiung von der Kanzleipflicht. Vielmehr muss der regelnde Inhalt des Befreiungsbescheides (Tenor) angegeben werden. Zum Inhalt des Bescheides gehört die Angabe der Rechtsgrundlage (§ 29 Abs. 1 oder § 29a Abs. 2 BRAO) und etwaige Auflagen, insbesondere die Befristung (vgl. § 29 BRAO Rz. 20–25). Der Sachverhalt aufgrund dessen der Bescheid ergangen ist (Krankheit etc.), gehört nicht zum regelnden Inhalt.
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Bereits Isele bemängelte im Jahr 1976: „Hier fehlt, wie vermerkt werden muss, leider die Anordnung, den Zustellungsbevollmächtigten im Falle der Befreiung ebenfalls einzutragen.“2 Daran hat sich bis heute und nach der aktuellen Änderung der BRAO immer noch nichts geändert. Durch die BRAO-Novelle 2009 wurde in § 31 Abs. 3 S. 2 BRAO lediglich die Eintragung eines Vertreters bei Berufs- und Vertretungsverboten vorgesehen. Die Pflicht zur Bestellung eines Zustellungsbevollmächtigten ergibt sich hingegen aus § 30 BRAO und stellt daher keine Auflage des Befreiungsbescheides dar (vgl. § 29 BRAO Rz. 25). Man wird aber davon ausgehen müssen, dass die Rechtsanwaltskammern zumindest befugt sind, den Zustellungsbevollmächtigten mit seiner Adresse in das Verzeichnis aufzunehmen. Der Zustellungsbevollmächtigte stellt im Hinblick auf eine zustellfähige Adresse im Inland das Surrogat der Kanzlei dar (vgl. § 30 BRAO Rz. 11). Der Zustellungsbevollmächtigte wird dafür nun endlich bei Berufs- und Vertretungsverboten eingetragen (vgl. Rz. 72). 4. Berufs- und Vertretungsverbote a) Arten
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In das Verzeichnis sind auch Berufs- und Vertretungsverbote einzutragen. Hierunter fallen nach dem klaren Wortlaut: disziplinarrechtliches gegenständlich beschränktes Vertretungsverbot, § 114 Abs. 1 Nr. 4 BRAO, strafrechtliches Berufsverbot, § 70 StGB, vorläufiges strafrechtliches Berufsverbot, § 132a StPO, und vorläufiges disziplinarrechtliches Berufsoder Vertretungsverbot, § 150 BRAO, vorläufiges disziplinarrechtliches gegenständlich beschränktes Vertretungsverbot, § 161a BRAO. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung eines Widerrufsbescheids nach den §§ 14 Abs. 4, 32, 112c BRAO i.V.m. § 80 VwGO wird vom Wortlaut nicht unmittelbar erfasst. Allerdings steht die Wirkung der Anordnung einem Berufs- und Vertretungsverbot gleich, §§ 14 Abs. 4 S. 1 i.V.m. 155 Abs. 2, 4 und 5, 156 Abs. 2, 160 Abs. 1 S. 2 und 161. Somit dürfte die Veröffentlichung zum Zwecke des Verbraucherschutzes gerade noch gerechtfertigt sein.3 Eine Klarstellung durch den Gesetzgeber wäre wünschenswert. 1 Feuerich/Weyland, § 31 BRAO Rz. 31. 2 Isele, § 31 Anm. VII D. 3 Im Ergebnis mit ähnlichen Bedenken Feuerich/Weyland, § 31 Rz. 41; Henssler/Prütting/Prütting, § 31 BRAO Rz. 12.
452 Siegmund
Rechtsanwaltsverzeichnis
Rz. 72 § 31 BRAO
b) Keine Berufsausübungsverbote Vom Wortlaut des § 31 Abs. 3 BRAO nicht gedeckt ist die Eintragung von Berufsausübungsverboten nach § 47 Abs. 1 S. 1 BRAO. Möglicherweise muss aber § 31 Abs. 3 BRAO entsprechend auf Berufsausübungsverbote Anwendung finden. In der Literatur wird teilweise die Ansicht vertreten, dass aus Gründen der Klarstellung und des Wettbewerbs in dem Verzeichnis zu vermerken ist, dass der Rechtsanwalt nach den jeweiligen Berufsausübungsverboten i.V.m. § 47 Abs. 2 BRAO zurzeit seinen Beruf als Rechtsanwalt nicht ausüben darf.1 Die dieser Ansicht zugrunde liegende Rechtsprechung beschäftigte sich jedoch nur mit der wettbewerbsrechtlichen Frage, inwieweit im Rechtsverkehr weiterhin der Name eines Rechtsanwalts geführt werden darf, der wegen § 47 Abs. 1 S. 1 BRAO an der Ausübung seines Berufs gehindert ist.
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Eine Eintragung von Berufsausübungsverboten kann allenfalls dann gefordert werden, wenn diese mit Berufs- und Vertretungsverboten gleichzustellen wären. Sinn und Zweck des § 47 BRAO ist es, eine Ausnahme bei Inkompatibilität dahingehend zu schaffen, dass die Zulassung nicht aufgegeben werden muss.2 Der Rechtsuchende ist allerdings nicht ähnlich schützenswert, wie wenn der Rechtsanwalt aufgrund von Fehlverhalten oder fehlender Berufshaftpflichtversicherung (§ 16 Abs. 7 BRAO) einem Vertretungs- oder Berufsverbot unterliegt. Es ergibt sich letztlich lediglich eine Situation wie bei sonstigen Interessenkollisionen nach § 43a Abs. 4 BRAO. Die Prozesshandlungen sind wirksam.3 Die Veröffentlichung wäre daher nur deswegen notwendig, damit Gerichte den Rechtsanwalt entsprechend § 156 Abs. 2 BRAO zurückweisen könnten.4 Dies rechtfertigt aber keine Veröffentlichung ohne eine eindeutige Rechtsgrundlage.
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Im Rahmen der Beschlussfassung über die BRAO-Novelle 2009 vertrat der Bundesrat die Ansicht, die Ausübungsverbote sollten ausdrücklich in § 31 Abs. 3 BRAO aufgenommen werden. Neben Berufs- und Vertretungsverboten stellten auch Ausübungsverbote nach § 47 BRAO Einschränkungen der anwaltlichen Tätigkeitsbefugnis dar, die in gleicher Weise bekannt zu machen seien.5 Die Bundesregierung verwarf diesen Vorschlag in ihrer Gegenäußerung. Das bei der Tätigkeit im öffentlichen Dienst ohne eine Anordnung der Rechtsanwaltskammer eintretende Berufsausübungsverbot des § 47 BRAO habe einen anderen Charakter als die aufgrund eines berufsgerichtlichen Verfahrens angeordneten Berufs- und Vertretungsverbote. Eine Veröffentlichung dieses gesetzlich angeordneten Berufsausübungsverbots im Rechtsanwaltsverzeichnis sei daher nicht geboten. Zudem müsste sie ohnehin zur Vermeidung von diskriminierenden Missverständnissen der Rechtsuchenden gesondert begründet und erklärt werden.6 Nähere Angaben zu dem „anderen Charakter des Berufsausübungsverbots“ und zu den Problemen bei einer näheren Erläuterung im Anwaltsverzeichnis machte die Bundesregierung nicht.
71
c) Umfang der Veröffentlichung Bei gegenständlichen Vertretungsverboten werden zudem die entsprechenden Rechtsgebiete zu veröffentlichen sein, sonst käme die Eintragung einem Berufsverbot gleich. Sowohl bei Berufs- als auch Vertretungsverboten sollten Beginn und Ende eingetragen werden. Diese Daten gehören zum „Inhalt“ des Verbots. Die BRAO-Novelle 2009 führte auch dazu, dass zukünftig bei einer Vertreterbestellung nach § 161 BRAO der Familien- und Vorname des Vertreters einzutragen ist. Der Gesetzgeber meint in einer Begründung, die restlichen Daten (wie bspw. die Anschrift) könnten dem Anwaltsverzeichnis entnommen werden.7 Er übersieht dabei völlig, dass nach § 53 Abs. 4 BRAO auch andere Personen, die die Befähigung zum Richteramt haben, sowie Rechtsreferendare zu Vertretern bestellt werden können. Beide stehen nicht im Verzeichnis. Zudem leuchtet es nicht ein, dass sonstige Amtsvertreter, die nach § 53 Abs. 5 BRAO durch die Kammer bestellt wurden, nicht einzutragen sind. Gleiches gilt für die Zustellungsbevollmächtigten nach § 30 BRAO.
1 Feuerich/Weyland, § 31 Rz. 40, § 47 Rz. 13 u. 28 unter Berufung auf LG Aschaffenburg, Urt. v. 16.12.1993 – 1 HKO 165/93, n.v., vgl. aber die bestätigende Entscheidung des BGH, NJW 1997, 3238. 2 Feuerich/Weyland, § 47 Rz. 1. 3 Feuerich/Weyland, § 47 Rz. 39. 4 Feuerich/Weyland, § 47 Rz. 39. 5 BT-Drs. 16/11385, S. 101. 6 BT-Drs. 16/11385, S. 117. 7 BT-Drs. 16/11385, S. 54.
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§ 31 BRAO Rz. 73 73
Rechtsanwaltsverzeichnis
Im Rahmen der BRAO-Novelle 2009 wurde durch den Gesetzgeber klargestellt, dass lediglich bestehende Berufs- und Vertretungsverbote zu veröffentlichen seien (früherer Wortlaut: Verbote, Aufhebungen, Änderungen). Umgekehrt sollen somit nicht oder nicht mehr bestehende Verbote gerade nicht ersichtlich sein. Das Verbot besteht dann, wenn es wirksam geworden ist. Ist eine Maßnahme aufgrund eines Rechtsbehelfs noch nicht wirksam geworden, so darf sie nicht veröffentlicht werden. Ein vorläufiges Verbot, das sofortige Wirkung entfaltet, ist dagegen zum Schutz der Rechtsuchenden mit dem Eintritt seiner Wirkungen zu veröffentlichen.1 Für weitere Informationen können sich die am Rechtsverkehr Beteiligten immer noch an die Rechtsanwaltskammern wenden, die vor einer eventuellen erweiterten Auskunftserteilung das berechtige Interesse des Betroffenen ggf. im Rahmen einer Anhörung prüfen und eine Abwägung im Einzelfall durchführen. 5. Fachanwaltsbezeichnungen
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Nach § 31 Abs. 3 BRAO sind auch die Fachanwaltsbezeichnungen in das Verzeichnis einzutragen. Die BRAO-Novelle 2009 führte dazu, dass mittlerweile drei Fachanwaltsbezeichnungen geführt werden dürfen, § 43c Abs. 1 S. 3 BRAO. Dementsprechend können auch bis zu drei Fachanwaltsbezeichnungen für jeden Rechtsanwalt eingetragen werden. Die Eintragung erfolgt zeitgleich mit der wirksamen Verleihung der Bezeichnung. Das bedeutet, dass bei Aufruf des Datensatz eines Rechtsanwalts dessen Fachanwaltsbezeichnungen angezeigt werden. Eine allgemeine Suche nach Trägern von Fachanwaltsbezeichnungen ist derzeit im Gesamtverzeichnis nicht vorgesehen (vgl. Vgl. Rz. 13–16). Etliche Regionalverzeichnisse ermöglichen diese Suche zur Qualitätsauswahl. Ein Anspruch auf den Eintrag von weiteren Qualifikationsmerkmalen bzw. Zertifizierungen ist aufgrund des klaren Wortlauts nicht gegeben. D. Löschung der Eintragung
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Der Regelungsinhalt des § 31 Abs. 5 BRAO ergibt sich eigentlich schon aus § 31 Abs. 1 S. 1 BRAO. Die Regionalkammer führt ein Verzeichnis nur ihrer anwaltlichen Mitglieder (vgl. Rz. 20). Verliert ein Rechtsanwalt seinen Mitgliedstatus durch das Erlöschen der Zulassung i.R.d. Ausschließung aus der Anwaltschaft (§ 13 Alt. 1 BRAO) oder Bestandskraft einer Rücknahme oder eines Widerrufs (§ 13 Alt. 2 i.V.m. § 14 BRAO), Wechsel in eine andere Rechtsanwaltskammer (§ 27 Abs. 3 BRAO) oder durch Tod,2 so muss auch der Eintrag im Verzeichnis gelöscht werden. Die Löschung erfolgt auch im Gesamtverzeichnis. Im Falle des Wechsels wird freilich durch die aufnehmende Rechtsanwaltskammer sofort ein Eintrag im Verzeichnis und damit Gesamtverzeichnis vorgenommen. Der Zusatz in § 31 Abs. 5 S. 2 BRAO über die Berichtigung ist daher nur insoweit relevant, als er klarstellt, dass die Eintragung im Gesamtverzeichnis lückenlos bestehen muss. Letztlich müssen aber wohl eher doppelte Eintragungen vermieden werden. Zwar erlischt bei einem Kammerwechsel die Mitgliedschaft in der bisher zuständigen Rechtsanwaltskammer automatisch durch die Aufnahme in eine andere Rechtsanwaltskammer, § 27 Abs. 3 S. 3 BRAO. Doch wird die Mitteilung nach § 27 Abs. 3 S. 4 BRAO und tatsächliche Löschung im Verzeichnis einige Zeit in Anspruch nehmen.
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§ 31 Abs. 5 BRAO ersetzt § 36 BRAO a.F., in dem die Löschung in der Anwaltsliste geregelt war. Der Sonderregeln in § 34 Abs. 2 BRAO a.F. bedurfte es nicht allerdings nicht mehr. Sie betrafen bspw. die Übergangszeit zwischen dem Wegfall der Befugnis vor einem Gerichten aufzutreten und der Löschung in der Anwaltsliste. Nach neuer Rechtslage ist die Befugnis des Rechtsanwalts, rechtsberatend aufzutreten, unabhängig von der Eintragung im Verzeichnis. Ein zugelassener Rechtsanwalt kann im Übrigen nicht verlangen, aus dem Verzeichnis gelöscht zu werden.3 Das Faktum seiner Zulassung sind ebenso wie seine Zulassungsdaten von öffentlichem Interesse. Sofern er geltend macht, eine Löschung sei notwendig, um Leib und Leben zu schützen, so wären zwar grundsätzlich Individualrechtsgüter und Gemeinwohlbelange gegeneinander abzuwägen. Doch bleibt dem Rechtsanwalt, eine vorübergehende Kanzleipflichtbefreiung aus Härtegründen nach § 29 Abs. 1 Alt. 2 BRAO zu beantragen. Diese führt dazu, dass seine Kanzleiadresse im Verzeichnis gelöscht werden kann. 1 BT-Drs. 16/11383, S. 53. 2 Vor der BRAO-Novelle 2009 war der Todesfall als Erlöschungsgrund sogar noch explizit in § 31 Abs. 4 S. 1 BRAO benannt. Er wurde als obsolet gestrichen. 3 BGH, BRAK-Mitt. 2013, 38.
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§§ 31a, 31b BRAO
Besonderes elektronisches Anwaltspostfach E. Prozessuales
Nach alter Rechtslage konnte der Rechtsanwalt gegen die Versagung der Eintragung (z.B. wegen verweigerter Vereidigung) nach § 223 Abs. 1 BRAO a.F. vorgehen.1 Die Einordnung der Verweigerung als Verwaltungsakt ergab sich schon daraus, dass der Rechtsanwalt ansonsten nicht die Befugnis erlangte, den Beruf des Rechtsanwalt auszuüben, § 32 Abs. 1 BRAO a.F. Eine ähnliche Rechtslage ergibt sich bspw. auch bei § 1 HandwO. Die Befugnis zur Einrichtung eines Betriebs besteht erst mit Eintragung in die Handwerksrolle. Eine solche Eintragung stellt einen Verwaltungsakt dar, gegen den sich der betroffene Gewerbetreibende mit Widerspruch und Anfechtungsklage wehren kann (§§ 20, 12 HandwO), sofern nicht eine gesonderte Mitteilung vorausgegangen ist, die als Verwaltungsakt anfechtbar wäre.2
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Nach neuer Rechtslage dürfte sich die unterlassene Eintragung oder die Löschung einer Eintragung (bspw. die Löschung eines Rechtsanwalts in Folge eines Widerrufsbescheids) als verwaltungsrechtlichen Realakt darstellen. Denn nach § 12 Abs. 4 BRAO darf der Beruf des Rechtsanwalts mit Zulassung ausgeübt werden. Die Zulassung wird wirksam mit Aushändigung der Urkunde, § 12 Abs. 1 BRAO. Die Eintragung ins Verzeichnis hat daher keine konstitutive, sondern nur eine rein deklaratorische Wirkung. Der Rechtsanwalt wird den zugrundeliegenden Verwaltungsakt (bspw. Zulassungswiderruf) mit der Anfechtungsklage angreifen und einen entsprechenden Folgenbeseitigungsantrag stellen müssen, § 112c Abs. 1 S. 1 BRAO i.V.m. § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO.3
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Unrichtige Eintragungen sind von Amts wegen zu ändern.4 Sofern sich die Verweigerung eines Änderungsantrags (z.B. Änderung des Zulassungsdatums im Verzeichnis) als Verwaltungsakt darstellt, ist wiederum dessen Anfechtung statthaft.5 Im Übrigen wird sich der Rechtsanwalt mit einer allgemeinen Leistungsklage wehren müssen. In jedem Fall ist der AGH nach § 112a Abs. 1 BRAO auch für die Gewährung von Rechtsschutz gegen hoheitliches Verwaltungshandeln zuständig, das nicht in der Form eines Verwaltungsaktes gekleidet, gleichwohl aber geeignet ist, in die berufsrechtlich begründeten Rechte und Pflichten der Beteiligten einzugreifen oder sei einzuschränken.6 Zudem dürften bei der fehlerhaften Publizierung von bspw. Berufs- und Vertretungsverboten Schadensersatzforderungen im Raum stehen, sofern der Geschädigte nachweisen kann, dass die fehlerhafte Veröffentlichung zu Umsatzeinbußen geführt hat bzw. führen wird.
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§ 31 BRAO enthält für den Rechtsanwalt keine Verpflichtung mehr, Änderungen der Kanzlei- oder Zweigstellendaten gegenüber der Rechtsanwaltskammer anzugeben, vgl. § 31 Abs. 5 BRAO a.F.7 Eine Anzeigepflicht für die Änderung der Kanzleidaten ergibt sich nunmehr aus § 27 Abs. 2 S. 1 BRAO. Eine ausdrückliche Pflicht, Änderungen der Zweigstelle bzw. deren Auflösung bekannt zu geben, hat der Gesetzgeber aber weder in § 27 BRAO noch in § 31 BRAO geregelt.8 Diese Pflicht kann allenfalls § 24 Abs. 1 Nr. 2 und 3 BORA entnommen werden. Sofern gegen die berufsrechtlichen Anzeigepflichten verstoßen wird, kann berufrechtliches Disziplinarverfahren eingeleitet werden, §§ 74, 113 BRAO.
80
elektronisches Anwaltspostfach 31a BRAO Besonderes (1) Die Bundesrechtsanwaltskammer richtet nach Überprüfung der 9
1
Zulassung und Durchführung eines Identifizierungsverfahrens in dem Gesamtverzeichnis nach § 31 für jeden eingetragenen Rechtsanwalt ein besonderes elektronisches Anwaltspostfach ein. 2Das besondere elektronische Anwaltspostfach soll barrierefrei ausgestaltet sein. (2) 1Die Bundesrechtsanwaltskammer hat sicherzustellen, dass der Zugang zu dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach nur durch ein sicheres Verfahren mit zwei voneinander unabhängigen Sicherungsmitteln möglich ist. 2Sie kann unterschiedlich ausgestaltete Zugangsberechtigungen für Rechtsanwälte und für andere Personen vorsehen.
1 Isele, § 31 BRAO Anm. XI unter Verweis auf EGH Stuttgart, EGE XI 113. 2 Zuletzt VG Karlsruhe, NJOZ 2006, 1024; Kopp/Ramsauer, § 35 VwVfG Rz. 59a m.w.N.; a.A. BVerwGE 95, 364 = NVwZ-RR 1995, 23. 3 Hierzu allgemein Kopp/Schenke, § 42 VwGO Rz. 13, 40 f. 4 Isele, § 31 Anm. X. 5 In diesem Sinne wohl BGH, BRAK-Mitt. 2013, 38. 6 VGH Baden-Württemberg, BRAK-Mitt. 2012, 252. 7 Vgl. § 27 BRAO Rz. 78. 8 § 27 BRAO Rz. 102. 9 §§ 31a, 31b BRAO treten erst am 1.1.2016 in Kraft. Wegen ihrer besonderen Bedeutung werden die Vorschriften aber hier bereits kommentiert.
Siegmund 455
§§ 31a, 31b BRAO Rz. 1
Verordnungsermächtigung
(3) Sobald die Zulassung erloschen ist, hebt die Bundesrechtsanwaltskammer die Zugangsberechtigung zu dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach auf und löscht dieses.
31b BRAO Verordnungsermächtigung Das Bundesministerium der Justiz regelt durch Rechtsverordnung
mit Zustimmung des Bundesrates die Einzelheiten der Errichtung eines Verzeichnisdienstes besonderer elektronischer Anwaltspostfächer sowie die Einzelheiten der Führung, des Eintragungsverfahrens, der Zugangsberechtigung sowie der Barrierefreiheit. A. Allgemeines/Geltungsbereich/Historie . .
1
B. Zweck der Norm . . . . . . . . . . . .
3
C. Kommentierung . . . . . I. Einrichtung des Postfaches 1. Zuständigkeit . . . . . . 2. Konzeption . . . . . . . 3. Postfachinhaber . . . . .
. . . . .
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4. Verfahren . . . . . . . . . . . . 5. Inkrafttreten . . . . . . . . . . II. Pflicht zur Nutzung des Postfaches III. Barrierefreiheit . . . . . . . . . IV. Zugangssicherung . . . . . . . . V. Löschung des Postfaches . . . . . VI. Verordnungsermächtigung . . . .
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A. Allgemeines/Geltungsbereich/Historie 1
Die Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten war seit dessen Einführung in Deutschland beispielsweise durch die Neuschaffung des § 130a ZPO mit dem Gesetz zur Anpassung der Formvorschriften des Privatrechts und anderer Vorschriften an den modernen Rechtsgeschäftsverkehr vom 13.7.20011 weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben.2 Im Gegensatz zum außerprozessualen Geschäftsverkehr, der in vielen Bereichen inzwischen auf elektronischem Wege erfolgte, basierte die Kommunikation mit der Justiz noch fast ausschließlich auf Papier. Als Grund hierfür wurde regelmäßig das noch immer – auch bei professionellen Einreichern – fehlende Nutzervertrauen in die tatsächlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen der elektronischen Kommunikation mit den Gerichten genannt.3
2
Das Potential der jüngeren technischen Entwicklungen sollte mit gesetzlichen Maßnahmen zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs auf prozessualem Gebiet genutzt, die Zugangshürden für die elektronische Kommunikation mit der Justiz sollten bedeutend gesenkt und das Nutzervertrauen im Umgang mit dem neuen Kommunikationsweg sollte gestärkt werden. Hierzu wurde das Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten geschaffen.4 Damit Rechtsanwälte für gerichtliche Zustellungen elektronisch erreichbar sind, wurde durch die Schaffung des § 31a BRAO das elektronische Anwaltspostfach auf der Grundlage eines sicheren Verzeichnisdienstes bei der Bundesrechtsanwaltskammer eingeführt. Mit § 31b BRAO wurde eine Verordnungsermächtigung geschaffen, die es ermöglicht, Einzelheiten zur Umsetzung des Postfaches rechtssicher zu regeln. B. Zweck der Norm
3
Da nach den bisherigen Erfahrungen davon auszugehen war, dass weitere Anreize zur freiwilligen Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs nicht ausreichen werden, um professionelle Einreicher wie Rechtsanwälte in absehbarer Zeit und auf breiter Front zu einer Umstellung zu bewegen, sieht das Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten die Einführung einer – modifizierten, auf die bidirektionale Kommunikation zwischen Gerichten und Anwaltschaft ausgerichteten – Nutzungspflicht vor. Daher waren die Errichtung der Infrastruktur für ein besonderes elektronisches Anwaltspostfach durch die Bundesrechtsanwaltskammer zur Schaffung der technischen Voraussetzungen für den elektronischen Rechtsverkehr aufseiten der Rechtsanwälte und die schrittweise Einführung 1 BGBl. I 2001, S. 1542. 2 Vgl. auch das Gesetz zur Reform des Verfahrens bei Zustellungen im gerichtlichen Verfahren (Zustellungsreformgesetz – ZustRG) v. 25.6.2001, BGBl. I, S. 1206, und das Gesetz über die Verwendung elektronischer Kommunikationsformen in der Justiz (Justizkommunikationsgesetz – JKomG) v. 22.3.2005, BGBl. I, S. 837. 3 BT-Drs. 17/12634, S. 1. 4 Der Bundestag hat das Gesetz am 13.6.2013 in der Fassung der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses (BT-Drs. 17/13948) beschlossen. Der Bundesrat hat am 5.7.2013 beschlossen, nicht den Vermittlungsausschuss anzurufen (BR-Drs. 500/13 (B)). Das Gesetz wurde am 16.10.2013 verkündet (BGBl. I 2013, S. 3786 ff.).
456 Siegmund
Besonderes elektronisches Anwaltspostfach
Rz. 9 §§ 31a, 31b BRAO
des obligatorischen elektronischen Rechtsverkehrs in bestimmten Bereichen für alle professionellen Einreicher, vgl. § 130d ZPO n.F., zwingend erforderlich.1 In diesem Zusammenhang wurde es als erforderlich angesehen, dass alle Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte über ein elektronisches Postfach verfügen, an das die Gerichte elektronische Dokumente übermitteln beziehungsweise bei ihnen in elektronischer Form eingereichte Dokumente der Gegenseite weiterleiten können. Die Bundesrechtsanwaltskammer sollte daher gesetzlich verpflichtet werden, für alle Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte ein besonderes elektronisches Anwaltspostfach einzurichten.2 Dies dient dann freilich auch zur Übermittlung von elektronischen Dokumenten zwischen den Anwälten (Zustellung von Anwalt zu Anwalt), vgl. § 195 Abs. 1 S. 5, Abs. 2 S. 2 ZPO n.F.3
4
Das Postfach sollte allerdings nicht nur für den Empfang von elektronischen Dokumenten dienen, sondern auch die Möglichkeit bieten, elektronische Dokumente bei Gericht einzureichen. So sieht § 130a Abs. 3 ZPO n.F. vor, dass elektronische Dokumente zukünftig nicht nur mit einer elektronischen qualifizierten Signatur eingereicht werden können, sondern alternativ auch über einen sicheren Übermittlungsweg. Als sicher gilt nach § 130a Abs. 4 Nr. 2 ZPO n.F. der Übermittlungsweg zwischen dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach oder einem entsprechenden, auf gesetzlicher Grundlage errichteten elektronischen Postfach und der elektronischen Poststelle des Gerichts.
5
Die Regelung in § 130a Abs. 4 Nr. 2 ZPO n.F. erfasst nach Meinung des Gesetzgebers das bereits seit Jahren von allen Gerichten genutzte, bundesweit verfügbare Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP), wenn die Authentizität der Teilnehmer an diesem Übermittlungsweg durch einen sicheren Verzeichnisdienst hinreichend sichergestellt sei. Diese Bedingung sei erfüllt, wenn das elektronische Dokument von einem besonderen elektronischen Anwaltspostfach an die an das EGVP angeschlossene elektronische Poststelle des Gerichts übermittelt werde. Die rechtliche Grundlage für diesen bei der Bundesrechtsanwaltskammer geführten Verzeichnisdienst werde durch § 31a BRAO geschaffen. Die erforderliche Authentifizierung sei dadurch gewährleistet, dass die Postfachadresse und die Zugangsberechtigung von der Rechtsanwaltskammer erst nach Überprüfung der Zulassung vergeben werden.4
6
C. Kommentierung I. Einrichtung des Postfaches Nach § 31a Abs. 1 S. 1 BRAO hat die Bundesrechtsanwaltskammer nach Überprüfung der Zulassung und Durchführung eines Identifizierungsverfahrens in dem Gesamtverzeichnis nach § 31 BRAO für jeden eingetragenen Rechtsanwalt ein besonderes elektronisches Anwaltspostfach einzurichten. Nach § 31 Abs. 3 S. 1 BRAO ist die Adresse dieses Postfaches in dem Gesamtverzeichnis bekannt zu machen.
7
1. Zuständigkeit Zuständig für die Einrichtung und nach § 31a Abs. 3 BRAO auch Löschung des Postfaches ist die Bundesrechtsanwaltskammer. Dementsprechend wurde mit der Schaffung des § 177 Abs. 2 Nr. 7 BRAO deren Aufgabenkatalog dahingehend erweitert, die elektronische Kommunikation der Rechtsanwälte mit Gerichten, Behörden und sonstigen Dritten zu unterstützen.
8
2. Konzeption Der Gesetzgeber sieht die Einrichtung des besonderen elektronischen Anwaltspostfaches in dem Gesamtverzeichnis nach § 31 BRAO vor. Diese Konzeption ist zumindest missverständlich. Denn bei dem Gesamtverzeichnis handelt es sich um eine schlichte Datenbank, die lediglich die Adresse des Postfaches enthält, § 31 Abs. 3 S. 1 BRAO. Das Postfach kann mit dem Verzeichnisdienst daher allenfalls verknüpft sein.
1 2 3 4
BT-Drs. 17/11691, S. 28. BT-Drs. 17/11691, S. 29. Lummel, NJW-Spezial 2013, 510. BT-Drs. 17/12634, S. 26.
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§§ 31a, 31b BRAO Rz. 10
Verordnungsermächtigung
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Die Einrichtung des Postfaches für einen Rechtsanwalt erfordert somit die Errichtung eines generellen Postfachdienstes. Der Gesetzeswortlaut ist hinsichtlich der technischen Ausgestaltung dieses Dienstes offen. Gleichwohl weist der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung darauf hin, dass in jedem Fall das Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) als möglicher Dienst angesehen werde, weil dieser „bundesweit verfügbar“ sei.1 Der Gesetzgeber übersieht dabei aber möglicherweise, dass eine flächendeckende und einheitliche Infrastruktur derzeit gerade nicht besteht. So können Rechtsanwälte derzeit beispielsweise nur ein sog. Bürgerpostfach einrichten, das nicht über den Verzeichnisdienst erreichbar ist.
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Das EGVP ist anders als der Dienst DE-Mail2 nicht gesondert gesetzlich geregelt. Lediglich in Ausführungsbestimmungen wird es mittelbar erwähnt.3 Es basiert auf dem Protokoll OSCI (Online Services Computer Interface) und stellt damit eine echte Ende-zu-Ende-Verschlüsselung und damit die Wahrung der anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht sicher. Inhalts- und Nutzungsdaten sind streng getrennt und ermöglichen die Zustellung einer Nachricht, ohne von deren Inhalt Kenntnis zu nehmen („Prinzip des doppelten Umschlags“). Die Nachrichtenvermittlung übernimmt ein eigens hierfür eingerichteter Intermediär.4 Es wird voraussichtlich durch die Bundesrechtsanwaltskammer ein gesonderter Intermediär eingerichtet werden müssen, der mittels des S.A.F.E.-Verfahrens (Secure Access to Federated e-Justice/e-Government)5 in die föderale IT-Struktur eingebunden wird. Dann wird voraussichtlich hierüber auch eine Kommunikation zwischen Anwalt und Anwalt sowie Anwalt und Kammer möglich sein.
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Das Bundesministerium der Justiz regelt durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Einzelheiten der Errichtung eines Verzeichnisdienstes besonderer elektronischer Anwaltspostfächer sowie die Einzelheiten der Führung, des Eintragungsverfahrens, der Zugangsberechtigung sowie der Barrierefreiheit, § 31b BRAO. In diesem Zusammenhang kann die generelle Nutzung des EGVP sowie die nähere Ausgestaltung festgelegt werden. 3. Postfachinhaber
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Die Einrichtung des Postfaches erfolgt für jeden im Verzeichnis nach § 31 BRAO eingetragenen Rechtsanwalt. Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, dass in dem Verzeichnis auch europäische Rechtsanwälte, Rechtsbeistände und ausländische Rechtsanwälte eingetragen sind.6 Jedenfalls europäische Anwälte und Rechtsbeistände, die postulationsfähig sind, benötigen ein eigenes Postfach.
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Zugelassene Rechtsanwaltsgesellschaften werden hingegen trotz ihrer Postulationsfähigkeit im Anwaltsverzeichnis nach § 31 BRAO nicht gelistet.7 Damit scheidet für diese nach dem Wortlaut des § 31a BRAO auch die Einrichtung eines eigenen Postfaches aus. Diese Rechtsfolge dürfte unbefriedigend sein. Man wird den Rechtsanwaltsgesellschaften möglicherweise auf entsprechenden Antrag ein Postfach einzurichten haben. 4. Verfahren
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Die Einrichtung des Postfaches erfolgt nach Überprüfung der Zulassung und Durchführung eines Identifizierungsverfahrens. Diese Aufgabe wird weiterhin den regionalen Rechtsanwaltskammern obliegen, die für die Verwaltung ihrer Mitglieder originär zuständig sind, § 33 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 BRAO.
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Im Rahmen der Neuzulassung wird die Identifizierung zukünftig in besonderem Maße Beachtung finden müssen. Aufgrund der systematischen Nähe liegt es nahe, sich an der Bestimmung des § 3 Abs. 1 SigV zu orientieren. Somit werden im Regelfall im Rahmen der Vereidigung nach § 12a BRAO Personalausweis oder Reisepass vorzulegen sein.
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Die Einrichtung der Postfächer für bestehende Mitglieder erfordert keine gesonderte Überprüfung der Zulassung, da sich diese bereits aus der tagesaktuellen Eintragung im Gesamt1 BT-Drs. 17/12634, S. 26. 2 DE-Mail-Gesetz v. 28.4.2011 (BGBl. I, S. 666), das durch Art. 2 Abs. 8 des Gesetzes v. 7.8.2013 (BGBl. I, S. 3154) geändert worden ist. 3 Vgl. bspw. Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr beim Bundesverwaltungsgericht und beim Bundesfinanzhof v. 26.11.2004, BGBl. I, S. 3091. 4 Kirmes, K u. R 2006, 438. 5 http://www.justiz.de/elektronischer_rechtsverkehr/grob-und-feinkonzept/index.php, Abruf 1.1.2014. 6 § 31 BRAO Rz. 22 ff. 7 § 32 BRAO Rz. 25 f.
458 Siegmund
Besonderes elektronisches Anwaltspostfach
Rz. 22 §§ 31a, 31b BRAO
verzeichnis nach § 31 BRAO ergeben wird. Die Regionalkammern werden allerdings zu überprüfen haben, ob im Rahmen der Neuzulassung oder auch des Kammerwechsels bereits die Identität des betreffenden Mitglieds festgestellt worden ist. 5. Inkrafttreten Nach Art. 26 Abs. 5 des Gesetzes zur Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs bei den Gerichten tritt § 31a BRAO am 1.1.2016 in Kraft. Bis zu diesem Zeitpunkt muss für jeden Rechtsanwalt ein besonderes elektronisches Anwaltspostfach eingerichtet sein.1 Dies führt freilich zu der unbefriedigenden Situation, dass die Möglichkeit zur aktiven Nutzung des Postfachs frühestens ab 1.1.2018, wenn nicht erst ab 1.1.2020 möglich sein wird.2 Die Pflicht zur Einreichung elektronischer Dokumente bei Gericht (im Regelfall unter Verwendung des besonderen elektronischen Anwaltspostfaches) wird frühestens ab 1.1.2020, jedenfalls aber ab 1.1.2022 bestehen, Art. 24 Abs. 2 des Gesetzes zur Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs.
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II. Pflicht zur Nutzung des Postfaches Die Postfächer sind für jeden Rechtsanwalt einzurichten. Dies bedeutet allerdings nicht, dass damit eine Pflicht für die aktive Nutzung des Postfaches verbunden wäre. Der Gesetzgeber will auch dem Rechtsanwalt weiterhin die Nutzung der qualifizierten elektronischen Signatur oder anderer sicherer Übermittlungswege ermöglichen.
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Die im Gesetzgebungsverfahren durch den Bundesrat geforderte Prüfung, ob eine Einschränkung der Nutzung nicht sicherer Übermittlungswege (unter Verwendung einer qualifizierten elektronischen Signatur) durch Rechtsanwälte geboten ist, führte zu dem Ergebnis, dass eine solche Einschränkung weder im Gesetz noch in der Rechtsverordnung nach § 130a Abs. 2 S. 1 ZPO und entsprechender Vorschriften der anderen Verfahrensordnungen vorgenommen werden sollte. In der Rechtsverordnung würden lediglich die technischen Rahmenbedingungen festgelegt, die für die Übermittlung und Bearbeitung von elektronischen Dokumenten geeignet seien. Die vom Bundesrat erwogenen Einschränkungen, insbesondere für Rechtsanwälte, seien zudem durch Effizienzgesichtspunkte der Justiz nicht gerechtfertigt und sollten daher auch durch Gesetz nicht geregelt werden. Ein Verbot der Einreichung qualifiziert signierter elektronischer Dokumente außerhalb des Anwaltspostfachs behindere den Zugang der Anwälte zu den Gerichten in einem verfassungsrechtlich bedenklichen Maße. Ein Ausschluss der Nutzung einer einfachen E-Mail in Verbindung mit einer qualifizierten elektronischen Signatur sei nämlich schon nicht erforderlich. Rechtsanwälte würden nach Einrichtung des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs aus Praktikabilitätsgründen sowie aus Gründen ihrer berufsrechtlichen Verschwiegenheitspflicht im Wesentlichen auf diesem Weg kommunizieren.3 Gleichwohl käme freilich auch eine Nutzung von DE-Mail in Betracht.4
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Damit ist noch nicht geklärt, ob eine passive Nutzungspflicht gegeben ist. Insbesondere wird zu überlegen sein, ob das durch die Bundesrechtsanwaltskammer eingerichtete Postfach durch den jeweiligen Nutzer für den Empfang einmalig freigeschalten werden muss. Dagegen spricht, dass Zweck der gesetzlichen Neuregelung die elektronische Erreichbarkeit jedes Rechtsanwalts für Gerichte und Behörden ist. Dafür spricht jedoch, dass erst durch diese Freischaltung das Postfach konfiguriert werden kann und gegebenenfalls Maßnahmen zur Identifizierung des Anwalts in Gang gesetzt werden können. Die Konfigurierung erfordert beispielsweise die Hinterlegung einer einfachen E-Mail-Adresse, an die Benachrichtigungen über einen Posteingang erfolgen können. Ansonsten besteht die Gefahr, dass Anwälte, die ihr Postfach nicht aktiv nutzen, Nachrichten ohne ihre Kenntnis erhalten. In diesem Zusammenhang ist zudem zu berücksichtigen, dass ein großer Teil der Anwaltschaft als Syndikusanwalt überwiegend nicht forensisch tätig ist.
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III. Barrierefreiheit Nach § 31a Abs. 1 S. 2 BRAO soll das besondere elektronische Anwaltspostfach barrierefrei ausgestaltet sein. Nach § 4 des Gesetzes zur Gleichstellung behinderter Menschen sind Systeme der Informationsverarbeitung dann barrierefrei, wenn sie für behinderte Menschen in 1 2 3 4
Lummel, NJW-Spezial 2013, 510. Lummel, NJW-Spezial 2013, 510. BT-Drs. 17/12634, S. 55. BT-Drs. 17/12634, S. 38.
Siegmund 459
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§§ 31a, 31b BRAO Rz. 23
Verordnungsermächtigung
der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe zugänglich und nutzbar sind. Näheres regelt die Verordnung zur Schaffung barrierefreier Informationstechnik nach dem Behindertengleichstellungsgesetz (Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung – BITV 2.0) vom 12.9.2011.1 IV. Zugangssicherung 23
§ 31 Abs. 2 BRAO regelt die Grundzüge der Zugangsarchitektur des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs. Satz 1 stellt zur Gewährleistung eines mit der sicheren Anmeldung gemäß § 5 des De-Mail-Gesetzes vergleichbaren Authentifizierungsniveaus sicher, dass der Zugang zum elektronischen Anwaltspostfach nur durch zwei voneinander unabhängige Sicherungsmittel wie etwa einem PIN-Code (Wissenskomponente) und einer ID-Karte (Besitzkomponente, beispielsweise einer Signaturkarte oder eines neuen Personalausweises mit Online-Ausweisfunktion)2 möglich ist. Außerdem kann gemäß Satz 2 bestimmt werden, dass nur ein Rechtsanwalt berechtigt ist, in das Postfach eingestellte elektronische Dokumente zu versenden. Der Zugriff anderer Personen wie Kanzleiangestellter kann demgemäß auf eine Leseberechtigung beschränkt werden. Die Einzelheiten sind in der Verordnung nach § 31b BRAO zu regeln.3
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Die Bundesregierung war nach der vom Bundesrat erbetenen Prüfung der Auffassung, dass die in § 31a Abs. 2 S. 2 BRAO vorgesehene Möglichkeit der unterschiedlichen Ausgestaltung von Zugangsberechtigungen für Rechtsanwälte und für andere Personen zum besonderen elektronischen Anwaltspostfach beibehalten werden sollte. Erst diese Regelung ermögliche den Rechtsanwälten eine flexible kanzleiinterne Organisation der Nutzung des Anwaltspostfachs. Zu der vom Bundesrat angenommenen gerichtlichen Verpflichtung, die Zugangsberechtigungen zum elektronischen Anwaltspostfach prüfen zu müssen, führe die Vorschrift nach Auffassung der Bundesregierung dagegen nicht.
25
Für die Erfüllung verfahrensrechtlicher Formvorschriften seien nämlich ausschließlich die in den Verfahrensordnungen bestimmten Voraussetzungen von Bedeutung. Eine wirksame Einreichung auf einem sicheren Übermittlungsweg beurteile sich nach § 130a Abs. 4 ZPO und den entsprechenden Vorschriften der anderen Verfahrensordnungen. Bei einer Einreichung aus dem besonderen elektronischen Postfach der Rechtsanwälte komme es daher nicht darauf an, welche der von § 31a Abs. 2 S. 2 BRAO vorgesehenen Zugangsberechtigungen verwendet würden. Eine entsprechende Prüfung durch die Justiz sei somit nicht erforderlich. Entscheidend sei allein, dass die Übermittlung „zwischen dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach nach § 31a BRAO oder einem entsprechenden, auf gesetzlicher Grundlage errichteten elektronischen Postfach und der elektronischen Poststelle des Gerichts“ erfolge.4 V. Löschung des Postfaches
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Sobald die Zulassung erloschen ist, ist durch die Bundesrechtsanwaltskammer nach Absatz 3 die Berechtigung zum Zugang zu dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach aufzuheben. Gleichzeitig ist dieses zu löschen.
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Die Löschung der Zulassung erfolgt durch die Regionalkammern in eigener Zuständigkeit, § 33 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 BRAO. Gleichzeitig löschen diese auch tagesaktuell den Datensatz in dem Gesamtverzeichnis nach § 31 BRAO.5 Anschließend kann durch die Bundesrechtsanwaltskammer (automatisiert) die Löschung des Postfaches erfolgen. Vor diesem Hintergrund macht allerdings das Aufheben der Zugangsberechtigung schlicht keinen Sinn mehr. Auf ein gelöschtes Postfach kann ohnehin nicht mehr zugegriffen werden.
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Richtigerweise hätte sich der Gesetzgeber auf das Aufheben der Zugangsberechtigung beschränken sollen. Denn dieses Aufheben ist im Gegensatz zur Löschung des Postfaches reversibel und bietet weitere Handlungsmöglichkeiten. Verliert ein Rechtsanwalt wegen fehlenden Versicherungsschutzes kurzzeitig die Zulassung, so könnte ihm das Zugangsrecht nach Wiederzulassung wieder eingeräumt werden. Er könnte auf die kurz vor Löschung der Zulassung 1 BGBl. I, S. 1843. 2 Alternativ wären freilich auch Hardwaretoken mit wechselnden TAN-Nummern oder die Verwendung von mobileTAN entsprechend dem Online-Banking bzw. der DE-Mail denkbar. 3 BT-Drs. 17/12634, S. 38. 4 BT-Drs. 17/12634, S. 54f. 5 § 31 BRAO Rz. 75.
460 Siegmund
Ergänzende Anwendung des Verwaltungsverfahrensgesetzes
§ 32 BRAO
eingegangenen Nachrichten zugreifen. Denkbar ist auch der Fall, dass die Zulassung mit dem Tod eines Rechtsanwalts erlischt. Einem Abwickler könnte ein besonderes Zugriffsrecht für das Postfach des verstorbenen Anwalts eingeräumt werden. Im Ergebnis kann durch den Gesetzgeber daher – jedenfalls für einen Übergangszeitraum nach der Zulassung – keine Löschung im physikalischen Sinne gemeint sein. VI. Verordnungsermächtigung § 31b BRAO enthält eine Ermächtigung zum Erlass einer Rechtsverordnung, mit der die Einzelheiten des Verzeichnisdienstes der besonderen elektronischen Anwaltspostfächer nach § 31a BRAO festgelegt werden. Bei der Ausgestaltung der Zugangsberechtigung wird zu prüfen sein, ob die Identifikationsmöglichkeiten des neuen Personalausweises (nPA) in diesem Verfahren berücksichtigt werden können. Grundlage wäre eine Kompatibilität des nPA mit dem S.A.F.E.-Verzeichnisdienst, der das besondere elektronische Anwaltspostfach verwaltet. Die Ermächtigung tritt zum 1. Juli 2014 in Kraft,1 um bis zum 1. Januar 2016 den Betrieb des Verzeichnisdienstes zu ermöglichen.2 Anwendung des Verwaltungsverfahrensgesetzes 32 BRAO Ergänzende (1) Für Verwaltungsverfahren nach diesem Gesetz oder nach einer 1
auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnung gilt, soweit nichts anderes bestimmt ist, das Verwaltungsverfahrensgesetz. 2Die Verwaltungsverfahren können über eine einheitliche Stelle nach den Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes abgewickelt werden.3 (2) 1Über Anträge ist innerhalb einer Frist von drei Monaten zu entscheiden; § 42a Absatz 2 Satz 2 bis 4 des Verwaltungsverfahrensgesetzes gilt entsprechend. 2In den Fällen des § 15 beginnt die Frist erst mit der Vorlage des ärztlichen Gutachtens. 3§ 10 bleibt unberührt. A. Allgemeines/Geltungsbereich/Historie . . I. BRAO-Novelle 2009. . . . . . . . . . . II. Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie .
1 1 14
B. Zweck der Norm . . . . . . . . . . . .
15
C. Einzelkommentierung der BRAO-Vorschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Verwaltungsverfahren . . . . . . . . . II. Anwendbarkeit des VwVfG . . . . . . . 1. Anwendungsbereich, §§ 1 und 2 VwVfG . . 2. Örtliche Zuständigkeit, § 3 VwVfG . . . . 3. Elektronische Kommunikation, § 3a VwVfG . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Amtshilfepflicht, §§ 4–8 VwVfG . . . . . 5. Verwaltungsverfahren, § 9 VwVfG . . . . 6. Formfreiheit, § 10 VwVfG . . . . . . . . 7. Beteiligungsfähigkeit, § 11 VwVfG . . . . 8. Handlungsfähigkeit, § 12 VwVfG . . . . . 9. Beteiligte, § 13 VwVfG . . . . . . . . . 10. Bevollmächtigte, § 14 VwVfG . . . . . . 11. Empfangsbevollmächtigte, § 15 VwVfG . . 12. Vertreter von Amts wegen, § 16 VwVfG . . 13. Gleichförmige Eingaben, §§ 17–19 VwVfG . 14. Befangenheit, §§ 20–21 VwVfG . . . . . . 15. Verfahrensbeginn, § 22 VwVfG . . . . . . 16. Amtssprache, § 23 VwVfG . . . . . . . . 17. Untersuchungsgrundsatz, § 24 VwVfG . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . b) Einzelfälle . . . . . . . . . . . . . c) Ermessen . . . . . . . . . . . . .
16 16 20 21 22 23 24 25 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 41 41 46 49
18. Mitwirkungspflicht . . . . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . b) Besonderheiten der BRAO . . . . . . c) Umfang der Mitwirkungspflicht . . . 19. Beratung und Auskunft, § 25 VwVfG . . . 20. Beweismittel, § 26 VwVfG . . . . . . . . 21. Versicherung an Eides statt, § 27 VwVfG . 22. Anhörung Beteiligter, § 28 VwVfG . . . . 23. Akteneinsicht, § 29 VwVfG . . . . . . . 24. Geheimhaltung, § 30 VwVfG . . . . . . . 25. Fristen und Termine, § 31 VwVfG . . . . 26. Wiedereinsetzung, § 32 VwVfG . . . . . . 27. Beglaubigung, §§ 33, 34 VwVfG . . . . . 28. Verwaltungsakt, § 35 VwVfG. . . . . . . 29. Nebenbestimmungen, § 36 VwVfG . . . . 30. Form des Verwaltungsakts, § 37 VwVfG . 31. Zusicherung, § 38 VwVfG . . . . . . . . 32. Begründung, § 39 VwVfG . . . . . . . . 33. Ermessen, § 40 VwVfG . . . . . . . . . 34. Bekanntgabe, § 41 VwVfG . . . . . . . . 35. Berichtigung, § 42 VwVfG . . . . . . . . 36. Genehmigungsfiktion, § 42a VwVfG . . . 37. Wirksamkeit des Verwaltungsakts, § 43 VwVfG . . . . . . . . . . . . . . . . 38. Nichtigkeit des Verwaltungsakts, § 44 VwVfG . . . . . . . . . . . . . . . . 39. Heilung von Verfahrensfehlern, § 45 VwVfG . . . . . . . . . . . . . . . . 40. Folgen von Verfahrensfehlern, § 46 VwVfG
50 50 57 61 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 76 77 78 80 82 85 86 87 89 93 94 95
1 Art. 26 Abs. 4 des Gesetzes zur Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs. 2 BT-Drs. 17/12634, S. 38. 3 § 32 S. 2 BRAO trat erst am 28.12.2009 in Kraft, vgl. Art. 10 S. 3 G v. 30.7.2009 (BGBl. I, S. 2449).
Siegmund 461
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§ 32 BRAO Rz. 1
Ergänzende Anwendung des Verwaltungsverfahrensgesetzes
41. Umdeutung von Verwaltungsakten, § 47 VwVfG . . . . . . . . . . . . . . . 42. Rücknahme von Verwaltungsakten, § 48 VwVfG . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorrang der BRAO . . . . . . . . b) Ergänzende Anwendung des VwVfG aa) Verfahrensbestimmungen . . . bb) Rücknahmegründe . . . . . . 43. Widerruf von Verwaltungsakten, § 49 VwVfG . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorrang der BRAO . . . . . . . . b) Ergänzende Anwendung des VwVfG 44. Erstattung, Verzinsung, § 49b VwVfG . 45. Rechtsbehelfsverfahren, § 50 VwVfG . . 46. Wiederaufgreifen, § 51 VwVfG . . . . . 47. Rückgabe von Urkunden, § 52 VwVfG . 48. Verjährung, § 53 VwVfG . . . . . . . .
.
96
. 97 . 97 . 101 . 101 . 104 . . . . . . . .
108 108 112 114 115 116 117 118
49. Öffentlich-rechtlicher Vertrag, §§ 54–62 VwVfG . . . . . . . . . . . . . . . . 50. Förmliches Verwaltungsverfahren, §§ 63–71 VwVfG . . . . . . . . . . . . 51. Einheitliche Stelle, §§ 71a-71e VwVfG. . . 52. Planfeststellungsverfahren, §§ 72–78 VwVfG . . . . . . . . . . . . . . . . 53. Rechtsbehelfe, § 79 VwVfG . . . . . . . 54. Erstattung von Kosten im Vorverfahren, § 80 VwVfG . . . . . . . . . . . . . . 55. Ehrenamtliche Tätigkeit, §§ 81–87 VwVfG. 56. Ausschüsse, §§ 88–93 VwVfG. . . . . . . 57. Übergangsbestimmungen, § 96 VwVfG . . III. Verwaltungsverfahren über eine einheitliche Stelle. . . . . . . . . . . . . . . IV. Dreimonatsfrist . . . . . . . . . . . .
119 120 121 124 125 126 127 135 142 143 145
A. Allgemeines/Geltungsbereich/Historie I. BRAO-Novelle 2009 1
Die BRAO-Novelle 2009 ergänzte nicht nur die Reform des Rechts der freiwilligen Gerichtsbarkeit, indem sie verwaltungsrechtliche Streitsachen nach der BRAO, dem EuRAG und der BNotO nicht mehr dem Verfahrensrecht der freiwilligen Gerichtsbarkeit, sondern dem der VwGO unterwarf. Vorgreiflich zum gerichtlichen Verfahren sollte auch das Verfahren, in dem die Rechtsanwaltskammern, Notarkammern oder Justizverwaltungen Entscheidungen in anwaltlichen oder notariellen Verwaltungsangelegenheiten treffen, reformiert und – anders als bisher – dem VwVfG unterstellt werden.1
2
Die bruchstückhaften und sich häufig wiederholenden Bestimmungen der BRAO, des EuRAG und der BNotO zum Verwaltungsverfahren und den gerichtlichen Verfahren sollten durch klare und ausgewogene Regelungen für Behörden und Gerichte ersetzt und Rechtsschutzlücken geschlossen werden. Der Bedeutung der berufsrechtlichen Entscheidungen für den Einzelnen sollten die genannten Gesetze auf diese Weise besser gerecht werden.2
3
Vor diesem Hintergrund regelte die BRAO-Novelle 2009 den Dritten Abschnitt im Zweiten Teil der BRAO völlig neu. Es wurden darin alle Verfahrensbestimmungen zusammengefasst, die bislang über die BRAO verstreut waren. Sofern das Verfahren der BRAO keine verwaltungsrechtlichen Sonderregeln fordert, wird auf die allgemeinen verwaltungsrechtlichen Bestimmungen (VwVfG bzw. LandesVwVfG) verwiesen. Zustellungen richten sich nach den Verwaltungszustellungsgesetzen (VwZG bzw. LandesVwZG), vgl. auch § 33 BRAO. Die berufsrechtlichen Sonderregeln betreffen insbesondere den Informationsaustausch zwischen Behörden und Gerichten in Anwaltssachen, vgl. § 36 BRAO.
4
Bislang fanden die allgemeinen Bestimmungen über das öffentlich-rechtliche Verwaltungsverfahren ausdrücklich gerade keine unmittelbare Anwendung auf die Verfahren der BRAO. Zum einen fehlte es an einer Verweisungsnorm in der BRAO. Zum anderen bestimmte § 2 Abs. 3 Nr. 1 VwVfG a.F., dass das VwVfG auf die Tätigkeit der Justizverwaltung einschließlich der ihrer Aufsicht unterliegenden Körperschaften des öffentlichen Rechts – so wie der Rechtsanwaltskammern – nur gilt, soweit die Tätigkeit der Nachprüfung im Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit unterliegt.3 Die Tätigkeit der Rechtsanwaltskammer unterlag schon nach alter Rechtslage der Nachprüfung im Verfahren vor den Gerichten der Anwaltsgerichtsbarkeit, §§ 37 ff., 100 ff., 223 BRAO a.F.
5
Im Rahmen der Einführung des Verweises in §§ 112a ff. BRAO auf die Vorschriften in verwaltungsgerichtlichen Verfahren unter Beibehaltung der Anwaltsgerichtsbarkeit als solcher, wurde aus klarstellenden Gründen nun auch § 2 Abs. 3 Nr. 1 VwVfG ergänzt. Da die Tätigkeit der der Aufsicht der Justizverwaltung unterliegenden Rechtsanwaltskammer der Nachprüfung durch die in verwaltungsrechtlichen Anwaltssachen zuständigen Gerichte unterliegt, ist der Anwendungsbereich des VwVfG nunmehr auch unanbhängig von § 32 BRAO eröffnet. 1 Allg. hierzu Quaas/Dahns, NJW 2009, 2705; Kleine-Cosack, AnwBl. 2009, 619. 2 BT-Drs. 16/11385, S. 1. 3 Henssler/Prütting/Prütting, 2. Aufl., § 36a Rz. 4.
462 Siegmund
Ergänzende Anwendung des Verwaltungsverfahrensgesetzes
Rz. 10 § 32 BRAO
Vor diesen gesetzlichen Änderungen wurde die entsprechende Anwendung des VwVfG auf die Verwaltungsverfahren der BRAO diskutiert. Die Rechtsanwaltskammern werden jedenfalls im Zweiten Teil der BRAO als Behörden hoheitlich auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts in einem öffentlich-rechtlichen Verfahren tätig. Ihre Verfügungen, Entscheidungen oder anderen Maßnahmen stellen Verwaltungsakte dar, wenn diese zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts getroffen worden und auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet sind.1 Dazu gehören die Erteilung der Zulassung (§ 6 Abs. 1 BRAO), die Versagung der Zulassung (§ 7 BRAO), die Aufgabe ein Gutachten vorzulegen (§ 15 BRAO), die Rücknahme und der Widerruf (§ 14 BRAO), die Befreiung von der Kanzleipflicht (§§ 29 Abs. 1, 29a Abs. 2 BRAO) und deren Widerruf (§§ 29 Abs. 2, 29a Abs. 2 S. 2 BRAO). Ob eine Maßnahme einen Verwaltungsakt darstellt, musste zwar früher nicht festgestellt werden, da jedenfalls Rechtschutz über § 223 BRAO a.F. gegeben war. Dennoch bedurfte die Tätigkeit in einem Verwaltungsverfahren seit langem auch entsprechender Verfahrensvorschriften.
6
Neben § 36a BRAO a.F. enthielten zwar zahlreiche andere Vorschriften im Zweiten Teil der BRAO Bestimmungen über das Verwaltungsverfahren, bspw. die §§ 6, 8, 10, 11, 12, 14, 16, 29 Abs. 3 S. 1 und 2 BRAO a.F. Doch waren diese nicht abschließend. Häufig entstand daher das Bedürfnis, die Vorschriften des VwVfG zumindest in entsprechender Anwendung heranzuziehen.2 Das VwVfG stellt einen vollständigen Normenkomplex zum allgemeinen Verwaltungsverfahren dar, der durch die Rechtsprechung bereits entsprechend ausgelegt ist. Es bot sich an, dieses geschlossene System auch für das berufsrechtliche Verwaltungsverfahren heranzuziehen. Häufig mussten ohnehin Regeln entsprechend angewandt werden, wie bspw. § 23 Abs. 2 S. 1 VwVfG, da in der BRAO spezielle Bestimmungen fehlten.3 Teilweise wurde zur Auslegung der bestehenden berufsrechtlichen Regelungen und zu deren Lückenfüllung auch auf die allgemeinen ungeschriebenen Rechtsgrundsätze eines rechtsstaatlich geordneten Verfahrensrechts zurückgegriffen, für die wiederum die Verwaltungsverfahrensgesetze Beispielwirkung haben.4
7
Durch die neue Anwendbarkeit von VwVfG und VwGO wird zum einen ein Beitrag zur Rechtsvereinheitlichung geleistet, weil behördliches und gerichtliches Verfahren allgemeinen Regeln unterstellt und Sonderregelungen nur noch in sachlich gebotenem Umfang erhalten bleiben. Zum anderen werden Regelungslücken geschlossen, indem auf differenziert und umfassend geregelte sowie in der Praxis bewährte Gesetze zurückgegriffen wird. Die BRAO-Novelle 2009 ordnet straff die verbleibenden Verfahrensvorschriften und prozessrechtlichen Vorschriften und erleichtert so die Anwendung des anwaltlichen Berufsrechts. Die Verweisung auf das VwVfG wird für alle Verwaltungsverfahren eine einheitliche Handhabung der verfahrensspezifischen Rechte und Pflichten der Beteiligten mit sich bringen. Durch die Rechtsprechung ergänzend zur BRAO entwickelte Verfahrensrechte der Beteiligten werden integriert und die Rechte der Berufsträger gestärkt.5
8
An Stelle des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Bundes können die Länder ihre eigenen Verwaltungsverfahrensgesetze zur Anwendung bringen.6 Dies ergibt sich aus § 1 Abs. 3 VwVfG, wonach für die Ausführung von Bundesrecht durch die Länder dieses Gesetz nicht gilt, soweit die öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit der Behörden landesrechtlich durch ein Verwaltungsverfahrensgesetz geregelt ist. In Bayern wurde mittlerweile ein Gesetz verabschiedet, das die Anwendung des Bayerischen VwVfG auf die Tätigkeit von Körperschaften des öffentlichen Rechts vorsieht, die der Aufsicht der Justizverwaltung unterliegen und deren Tätigkeit im Rahmen von Verfahren vor der Anwaltsgerichtsbarkeit überprüft wird.7
9
In den von der VwGO vorgesehenen Fällen ist künftig ein Vorverfahren vor Klageerhebung durchzuführen. Die Rechtsanwaltskammern sind bei eigenen Entscheidungen selbst Widerspruchsbehörde, da sie in Selbstverwaltungsangelegenheiten im Sinne des § 73 Abs. 1 Nr. 3 VwGO tätig werden. Damit hat der Widerspruch zwar keine devolutive Wirkung, die die Entscheidung einer bisher mit der Sache nicht befassten Behörde nach sich zieht. Das Wi-
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1 Henssler/Prütting/Prütting, § 36a Rz. 1. 2 Vgl. zuletzt den Vorschlag des DAV zur BRAO-Änderung, AnwBl. 2006, 721 (722); BGH, Beschl. v. 18.10. 2010 – AnwZ (B) 47/10, BeckRS 2010, 29190, Rz. 8 zu § 41 VwVfG. 3 BGH, NJW-RR 2001, 850. 4 BT-Drs. 16/11385, S. 38. 5 BT-Drs. 16/11385, S. 39 f. 6 BT-Drs. 16/11385, S. 40. 7 Art. 3 Abs. 2 Nr. 1 BayVwVfG.
Siegmund 463
§ 32 BRAO Rz. 11
Ergänzende Anwendung des Verwaltungsverfahrensgesetzes
derspruchsverfahren kann nach Ansicht des Gesetzgebers aber dennoch sinnvoll sein. Zum einen erhielten die Rechtsanwaltskammern so die Möglichkeit zur Selbstkontrolle, die zu einer Entlastung der Gerichte führen solle. Zum anderen würden die Rechte der Berufsträger umfassend geschützt, da auch die Zweckmäßigkeit von Ermessensentscheidungen überprüft werde. Demgegenüber sei die gerichtliche Prüfung auf die Einhaltung der Grenzen der Ermessensausübung beschränkt (§ 114 VwGO).1 11
Die Einführung eines Vorverfahrens war im Gesetzgebungsverfahren umstritten. Der Bundesrat wies in seiner Stellungnahme darauf hin, dass sämtliche Beteiligte des Vorverfahrens Volljuristen seien. Alle entscheidungserheblichen Tatsachen und Argumente würden daher bereits im Ausgangsverfahren berücksichtigt. Das Vorverfahren führe daher nur zu einem erhöhten Verwaltungsaufwand und zu einer weiteren Verfahrensverzögerung.2 Die Bundesregierung wiederholte in ihrer Stellungnahme im Wesentlichen ihre bisherigen Argumente.3 Es bestehe die Möglichkeit zur Selbstkontrolle, wenn die Zweckmäßigkeit von Ermessensentscheidung überprüft werde. Und es gebe die Öffnungsklausel in § 68 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 VwGO, wonach die Länder die Durchführung des Widerspruchsverfahrens durch Landesgesetz ausschließen könnten.
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Es ist anzumerken, dass durch die Rechtsanwaltskammern nahezu ausschließlich gebundene Entscheidungen getroffen werden. Die Zulassung ist nach den in § 7 BRAO genannten Gründen zu versagen und nach den in § 14 Abs. 2 BRAO genannten Gründen zu widerrufen. Ein Widerruf nach § 14 Abs. 3 BRAO bildet die Ausnahme. Auch die Verleihung einer Fachanwaltsbezeichnung ist keine Ermessensentscheidung. Es besteht vielmehr nur ein sehr enger Beurteilungsspielraum.
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Zudem ist nach einer beachtlichen Auffassung in der Literatur der Ausschluss von Vorverfahren durch Landesgesetze i.R.d. § 68 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 VwGO nur für Rechtsgebiete möglich, für die dem Land nach der Kompetenzverteilung des Grundgesetzes die Gesetzgebungskompetenz zukommt.4 Von der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz für das Gebiet der Rechtsanwaltschaft nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG hat der Bund durch die Schaffung der BRAO Gebrauch gemacht. In Bayern bspw. wird allerdings derzeit vertreten, dass das Vorverfahren nach Art. 15 Abs. 2 AGVwGO für den Bereich der Tätigkeit der Rechtsanwaltskammern ausgeschlossen ist.5 II. Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie
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Aufgrund der Beschlüsse des Rechtsausschusses des Bundestags wurde bereits im Rahmen der BRAO-Novelle 2009 an § 32 BRAO noch ein Satz 2 angefügt, wonach die Verwaltungsverfahren auch über eine einheitliche Stelle bzw. einen „einheitlichen Ansprechpartner“ nach den §§ 71a ff. VwVfG abgewickelt werden können. Dieser Zusatz war erforderlich, da nach § 73a S. 1 BRAO die Länder durch Gesetz den Rechtsanwaltskammern allein oder gemeinsam mit anderen Stellen die Aufgaben einer einheitlichen Stelle im Sinne des Verwaltungsverfahrensgesetzes übertragen können. Nach § 71a VwVfG muss die Abwicklung des Verwaltungsverfahrens über eine einheitliche Stelle durch Rechtsvorschrift gesondert angeordnet werden. Die Einrichtung von einheitlichen Stellen stellt eine Umsetzung von Art. 6 der EU-Dienstleistungsrichtlinie6 dar. Auch hier haben die Länder wie bspw. Bayern eine eigene gesetzliche Regelung geschaffen und die Aufgaben der einheitlichen Stelle auf die Rechtsanwaltskammern übertragen, Art. 2 Abs. 1 S. 1 BayEAG.7 Das Verfahren richtet sich nach den Art. 71a ff. BayVwVfG (vgl. Rz. 9), hat aber nach dem gegenwärtigen Stand keinerlei Bedeutung.
14a
Mit dem „Gesetz zur Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie in der Justiz und zur Änderung weiterer Vorschriften“ vom 22.12.20108 wurde in § 32 BRAO ein Absatz 2 hinzugefügt. 1 2 3 4 5
BT-Drs. 16/11385, S. 41. BT-Drs. 16/11385, S. 107. BT-Drs. 16/11385, S. 119. Kopp/Schenke, § 68 VwGO Rz. 17a. Offermann-Burckart/Johnigk, § 13 Rz. 28 gibt einen guten tabellarischen Überblick. Derzeit ausgeschlossen ist das Vorverfahren in Berlin, Bayern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen (befristet) und SachsenAnhalt (RAK ist dort Widerspruchsbehörde). 6 EU-RL 2006/123/EG v. 12.12.2006, ABl. L 376 v. 27.12.2006, S. 36. 7 GVBl. 2009, S. 626. 8 BGBl. I, S. 2248; in Kraft getreten am 28.12.2010.
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Ergänzende Anwendung des Verwaltungsverfahrensgesetzes
Rz. 19 § 32 BRAO
Die Änderung dient der Umsetzung des Art. 13 der EU-Dienstleistungsrichtlinie. Danach sind alle Genehmigungsverfahren unverzüglich und in jedem Fall innerhalb einer vorab festgelegten und bekannt gemachten angemessenen Frist zu bearbeiten. In Übereinstimmung mit der allgemeinen Regelung in § 42a Abs. 2 VwVfG soll diese Bearbeitungsfrist für die Verfahren nach der BRAO drei Monate betragen. Innerhalb dieser Frist können Anträge auf Zulassung zur Rechtsanwaltschaft, aber auch die sonstigen im Zusammenhang mit der Ausübung der Rechtsanwaltstätigkeit stehenden Anträge von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten – etwa Anträge auf Verleihung der Befugnis zur Führung einer Fachanwaltsbezeichnung – nach Meinung des Gesetzgebers in aller Regel abschließend bearbeitet werden. Aus Vereinheitlichungs- und Transparenzgründen sowie zur Vermeidung von Streitigkeiten darüber, wie weit der Begriff des Genehmigungsverfahrens in Art. 13 der EUDienstleistungsrichtlinie auszulegen ist, sei es angezeigt, die einheitliche Entscheidungsfrist für alle Verwaltungsentscheidungen nach der BRAO einzuführen.1 B. Zweck der Norm Die Anwendung der Verfahrensbestimmungen wird vereinheitlicht und für alle am Verfahren Beteiligten transparent. Das verwaltungsrechtliche Verfahren wird von Beginn bis Ende lückenlos geregelt. Soweit Sonderregeln für den anwaltlichen Bereich erforderlich sind, wurden diese in den §§ 33 bis 36 BRAO aufgenommen. Dem VwVfG kommt als Konkretisierung des Verfassungsrechts erhebliche Bedeutung zu.2 Seiner Geltung für die BRAO kommt im Hinblick auf die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung ebenfalls eine besondere Bedeutung zu.
15
C. Einzelkommentierung der BRAO-Vorschrift I. Verwaltungsverfahren Nach § 32 S. 1 BRAO i.V.m. § 9 VwVfG ist ein Verwaltungsverfahren die nach außen wirkende Tätigkeit der Rechtsanwaltskammern, die auf die Prüfung der Voraussetzungen, die Vorbereitung oder den Erlass eines Verwaltungsakts oder auf den Abschluss eines öffentlichrechtlichen Vertrags gerichtet ist; es schließt den Erlass des Verwaltungsaktes oder den Abschluss des öffentlich-rechtlichen Vertrags ein (vgl. Rz. 25 ff.).
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Der Verweis gilt für alle Verwaltungsverfahren nach der BRAO, nicht aber beispielsweise nach dem BBiG. Umfasst werden somit: die Zulassung (§§ 6 ff. BRAO) zur Anwaltschaft einschließlich deren Widerrufes (§§ 14 ff. BRAO) sowohl von Rechtsanwälten als auch von Rechtsanwaltsgesellschaften (§§ 59c ff. BRAO), Anträge nach § 17 BRAO, der Kammerwechsel (§ 27 Abs. 3 BRAO), die Anzeige von Zweigstellen (§ 27 Abs. 2 BRAO), die Befreiung von der Kanzleipflicht einschließlich der dann erforderlichen Bestellung eines Zustellungsbevollmächtigten (§§ 29, 29a, 30 BRAO), die Verleihung einer Fachanwaltsbezeichnung einschließlich des eventuellen Widerrufes (§ 43c BRAO), die Bestellung von Vertretern (§ 53 BRAO) bzw. Abwicklern (§ 55 BRAO) einschließlich des eventuellen Widerrufes, die Aufnahme von WHO-Anwälten nach § 206 BRAO einschließlich des eventuellen Widerrufes der Kammermitgliedschaft, die Aufnahme von Rechtsbeiständen in die Kammer einschließlich des eventuellen Widerrufes der Mitgliedschaft (§ 209 BRAO) und schließlich die Aufnahme (§§ 2 ff. EuRAG) und Eingliederung (§§ 11 ff. EuRAG) von europäischen Anwälten einschließlich des eventuellen Widerrufs (§ 4 Abs. 1 EuRAG).
17
Das VwVfG soll auch für Verwaltungsverfahren nach Rechtsverordnungen gelten, die aufgrund der BRAO erlassen worden sind. In Betracht kommen Verordnungen nach §§ 31 Abs. 5, 33 Abs. 2 S. 2 und 3, 51 Abs. 8, 59j Abs. 3, 100 Abs. 2, 206 Abs. 1 S. 2 und Abs. 2 S. 2 BRAO. Von der BRAO losgelöste Verwaltungsverfahren können aber – soweit ersichtlich – durch keine der aufgeführten Rechtsverordnungen entstehen.
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Fraglich ist es, wie bei Satzungen zu verfahren ist, die aufgrund der Satzungskompetenz in § 59b BRAO geschaffen worden sind. Dazu zählt beispielsweise die Fachanwaltsordnung. Eine ähnliche Frage stellt sich bei Geschäftsordnungen, vgl. bspw. § 63 Abs. 3 BRAO. Da aber sowohl Satzungen als auch Geschäftsordnungen lediglich die BRAO konkretisieren (vgl. bspw. § 43c BRAO), sind die daraus entstehenden Verwaltungsverfahren ebenfalls nach VwVfG abzuwickeln, so bspw. die Verleihung der Befugnis, eine Fachanwaltsbezeichnung zu führen.
19
1 BT-Drs. 17/3356, S. 13. 2 Kopp/Ramsauer, Einf. VwVfG Rz. 17.
Siegmund 465
§ 32 BRAO Rz. 19a
Ergänzende Anwendung des Verwaltungsverfahrensgesetzes
19a
Nicht zum Verwaltungsverfahren gehören somit diejenigen Tätigkeiten, die nicht den Erlass eines Verwaltungsaktes zum Gegenstand haben, also schlichtes Verwaltungshandeln und informelle Verwaltungsverfahren (Auskünfte der Kammer, Mediation, Erlass einer Geschäftsordnung durch den Vorstand, Durchführung einer Kammerversammlung etc.) (vgl. Rz. 26 f.).1
19b
Ebensowenig unterliegen Verfahren der Kammer dem VwVfG, für die die BRAO Sonderregelungen bereit hält. So mögen in Aufsichts- und Beschwerdesachen (§§ 56 ff. BRAO) oder in Rügeverfahren (§§ 74, 74a BRAO) formal Verwaltungsakte vorliegen (Belehrung, Rüge usw.), doch orientieren sich die Verfahrensbestimmungen an den Bestimmungen zum Strafprozess (§§ 57 Abs. 3 S. 5, 74a Abs. 2 S. 2 BRAO).2 II. Anwendbarkeit des VwVfG
20
Es kommen alle diejenigen Bestimmungen des VwVfG zur Anwendung, deren eigener Anwendungsbereich eröffnet ist und für die die BRAO oder eine aufgrund der BRAO erlassene Rechtsverordnung keine Sonderregelungen bereithält. 1. Anwendungsbereich, §§ 1 und 2 VwVfG
21
Zwar wird über § 32 BRAO S. 1 BRAO bereits der Anwendungsbereich eröffnet. Um Widersprüche in der Rechtsanwendung zu vermeiden, wurde durch den Gesetzgeber mit der Änderung des § 2 Abs. 3 Nr. 1 VwVfG nochmals ausdrücklich der Anwendungsbereich für Verfahren der Rechtsanwaltskammern eröffnet, die der Nachprüfung durch die Anwaltsgerichtsbarkeit unterliegen (vgl. Rz. 5). 2. Örtliche Zuständigkeit, § 3 VwVfG
22
Eine Regelung zur örtlichen Zuständigkeit der Rechtsanwaltskammern findet sich ausdrücklich in § 33 Abs. 3 BRAO, so dass § 3 VwVfG im Wesentlichen nur durch seine Regelung in Abs. 3 relevant werden dürfte.3 Durch sie wird die Bestimmung des § 16 Abs. 1 S. 2–4 BRAO a.F. ersetzt.4 Ändert sich im Lauf des Kammerwechsels die Zuständigkeit, so kann beispielsweise die bisher zuständige Kammer das Widerrufsverfahren fortführen, wenn dies unter Wahrung der Interessen der Beteiligten der einfachen und zweckmäßigen Durchführung des Verfahrens dient und die nunmehr zuständige Kammer zustimmt. Zuvor ist diese über das laufende Widerrufsverfahren nach § 36 Abs. 1 S. 1 BRAO in Kenntnis zu setzen. Gleiches gilt für die Weiterbearbeitung von Anträgen zur Verleihung der Befugnis, eine Fachanwaltsbezeichnung führen zu dürfen, § 43c BRAO.
22a
Da disziplinarrechtliche Verfahren nicht den Bestimmungen des VwVfG unterliegen (vgl. Rz. 19b), dürfte darauf auch § 3 VwVfG keine Anwendung finden. Es bleibt somit offen, wie zu verfahren ist, wenn ein Rechtsanwalt vor dem Ausspruch einer Rüge die Kammermitgliedschaft wechselt. Gleiches gilt, wenn der Wechsel erfolgt, nachdem ein Einspruch gegen eine Rüge eingelegt wurde. Man wird wohl davon ausgehen müssen, dass immer nur diejenige Kammer zuständig ist, deren Mitglied der betroffene Rechtsanwalt (gerade) ist (vgl. § 74 BRAO Rz. 13). Dies wird im Einzelfall der Prozessökonomie zuwiderlaufen. 3. Elektronische Kommunikation, § 3a VwVfG
23
Die Bestimmung des § 3a Abs. 1 VwVfG bietet nun neuerdings eine Rechtsgrundlage für die elektronische Kommunikation der Rechtsanwaltskammern mit ihren Mitgliedern und anderen Behörden oder Gerichten. Die Verwendung der qualifizierten elektronischen Signatur steht der Schriftform grundsätzlich gleich, § 3a Abs. 2 VwVfG. Über § 32 Abs. 1 S. 2 BRAO ist auch § 71e S. 1 VwVfG gegebenenfalls in Verbindung mit § 71a Abs. 2 VwVfG zu beachten. 4. Amtshilfepflicht, §§ 4–8 VwVfG
24
In § 36 BRAO finden sich Sonderregeln für die Amtshilfe in Zulassungssachen. Sofern eine Amtshilfe darüber hinaus erbracht oder abgefragt werden muss, können die §§ 4–8 VwVfG zur Anwendung kommen. 1 Ebenso Offermann-Burckart/Johnigk, § 1 Rz. 4 mit dem zutreffenden Hinweis in der Fußnote, dass diese Tätigkeiten dennoch nicht der gerichtlichen Kontrolle entzogen sind. 2 Offermann-Burckart/Johnigk, § 1 Rz. 5; Peus, BRAK-Mitt. 2007, 194; Rz. 72 ff. 3 Ebenso Offermann-Burckart/Johnigk, § 1 Rz. 9. 4 BT-Drs. 16/11385, S. 51.
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Ergänzende Anwendung des Verwaltungsverfahrensgesetzes
Rz. 31 § 32 BRAO
5. Verwaltungsverfahren, § 9 VwVfG In § 9 VwVfG findet sich eine Legaldefinition des Verwaltungsverfahrens, die auch für das entsprechende Tatbestandsmerkmal in § 32 BRAO Bedeutung hat. Es wird letztlich der sachliche Anwendungsbereich begrenzt. Das VwVfG findet auf Verfahren der BRAO oder einer auf ihrer Grundlage erlassenen Rechtsverordnung nur dann Anwendung, wenn die Kammern eine nach außen wirkende Tätigkeit entfalten, die auf die Prüfung der Voraussetzungen, die Vorbereitung und den Erlass eines Verwaltungsaktes oder den Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrags gerichtet ist, § 9 S. 1 VwVfG. Der Erlass des Verwaltungsaktes oder der Abschluss des öffentlich-rechtlichen Vertrags ist eingeschlossen, § 9 S. 2 VwVfG.
25
Damit werden diejenigen Verwaltungsmaßnahmen und -tätigkeiten, die nicht auf den Erlass eines Verwaltungsaktes oder den Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrages abzielen, wie z.B. das schlichte Verwaltungshandeln und informelle Verwaltungsverfahren vom Geltungsbereich ausgeschlossen.
26
Der Erlass einer Geschäftsordnung durch den Vorstand (§ 63 Abs. 3 BRAO) ist daher kein Verwaltungsverfahren. Auch die Bestimmungen zur Durchführung der Kammerversammlung, §§ 85 ff. BRAO, werden nicht durch das VwVfG überlagert. Sofern die Kammer im Rahmen einer telefonischen Beratung Informationen und Empfehlungen gibt, stellt dies schlichtes Verwaltungshandeln dar.1 Beispielsweise im Vorfeld von Anträgen kann sich die Kammer im Rahmen von konsensualen informellen Verwaltungshandeln mit dem Antragsteller einigen, zu welchem Zeitpunkt ein Antrag voraussichtlich erfolgreich sein wird und daher erst dann gestellt werden wird. Gleiches gilt für die (freiwillige) Mediation.2 Eine andere Beurteilung mag sich dann ergeben, wenn das Erscheinen nach § 56 Abs. 2 BRAO angeordnet wird.
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Vorgänge der internen Willensbildung sind nicht nach außen gerichtet und stellen kein Verwaltungsverfahren dar. Die interne Besprechung eines Falles mit Vorgesetzten und Mitarbeitern mag darunter fallen.3
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6. Formfreiheit, § 10 VwVfG Grundsätzlich sind die Verfahren nach der BRAO formfrei; sie sind einfach, zweckmäßig und zügig durchzuführen, § 10 VwVfG. Trotz der Formfreiheit gelten für jedes Verfahren gewisse Förmlichkeiten als unverzichtbare Mindestanforderungen jedes rechtsstaatlichen Verwaltungsverfahrens als zwingende Folgerungen aus dem Verfassungsrecht, insbesondere aus den in einer Sache betroffenen Grundrechten und dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung.4 Die Kammern können daher grundsätzlich für Anträge wie bspw. auf Zulassung einschließlich für die dazugehörigen Nachweise die Schriftform fordern. Erst aufgrund eines schriftlich fixierten und belegten Sachverhalts ist ein geordnetes Verwaltungsverfahren sowie eine gesetzmäßige und überprüfbare Verwaltungsentscheidung möglich.
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7. Beteiligungsfähigkeit, § 11 VwVfG Die Beteiligtenfähigkeit nach § 11 VwVfG stellt in den Verfahren nach der BRAO regelmäßig kein Problem dar. Mitglieder der Rechtsanwaltskammern sind derzeit natürliche oder juristische Personen nach Nr. 1. Eine Partnerschaftsgesellschaft ist – ebenso wie die OHG und KG – teilrechtsfähig und wird nach herrschender Meinung ebenfalls unter Nr. 1 zu subsumieren sein.5 Eine Sozietät in der Form der BGB-Gesellschaft wird mittlerweile auch bereits unter Nr. 1 fallen.6 Problematisch mag es sich im Einzelfall bei sonstigen Vereinigungen wie bspw. Arbeitskreisen verhalten. Hier kann aber Nr. 2 zur Anwendung kommen, so dass jeder Streit über die genaue Einordnung ohne praktische Bedeutung ist.
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8. Handlungsfähigkeit, § 12 VwVfG Sofern keine Handlungsfähigkeit nach § 12 VwVfG gegeben ist, ist in der Regel ein Vertreter nach § 16 VwVfG bzw. § 34 BRAO zu bestellen.
1 2 3 4 5 6
Näher hierzu Kopp/Ramsauer, Einf. vor VwVfG Rz. 91 ff. Kopp/Ramsauer, § 9 VwVfG Rz. 12a. Kopp/Ramsauer, § 9 VwVfG Rz. 12 mit Verweis auf BVerwGE 66, 18; 68, 193. Kopp/Ramsauer, § 10 VwVfG Rz. 10. Kopp/Ramsauer, § 11 VwVfG Rz. 6. Kopp/Ramsauer, § 11 VwVfG Rz. 7.
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§ 32 BRAO Rz. 32
Ergänzende Anwendung des Verwaltungsverfahrensgesetzes
9. Beteiligte, § 13 VwVfG 32
Soweit ersichtlich, haben die Vorschriften über die Beteiligung nach § 13 VwVfG nur eine geringe praktische Bedeutung für das anwaltliche Verwaltungsverfahren. Ein möglicher Anwendungsfall für Abs. 2 mag allerdings die Vertreterbestellung nach § 53 Abs. 2 S. 3 BRAO sein. Beantragt ein Rechtsanwalt die Bestellung eines nichtanwaltlichen Vertreters, so hat die Kammer nach § 53 Abs. 4 S. 3 BRAO inzident die Zulassungsvoraussetzungen nach § 7 BRAO zu prüfen und ihn demzufolge auch zu dem Verfahren beizuziehen. Seine Rechte wären mit Ablehnung seiner Bestellung berührt. Ähnliches gilt im Übrigen bei einer Abwicklerbestellung nach § 55 BRAO. Die Rechtsnachfolger gelten als Auftraggeber und damit als Vergütungsschuldner des Abwicklers. Sie wären zu Beteiligten zu bestellen.1 10. Bevollmächtigte, § 14 VwVfG
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Die Regelungen sehen die – eigentlich selbstverständliche – Möglichkeit vor, sich im Verwaltungsverfahren vertreten zu lassen. Für den anwaltlichen Bereich ergibt sich insoweit eine Besonderheit, als dass für den Status als Rechtsanwalt begründende oder beseitigende Erklärungen grundsätzlich allgemein gefasste Vollmachten („gegenüber der Kammer“) nicht ausreichen dürften. Der höchstpersönliche Status des Rechtsanwalts als Organ der Rechtspflege erfordert eine explizit auf den Zulassungsantrag oder -verzicht ausgestellte Erklärung. Eine spezifische Vertretungsregel findet sich im Übrigen für die Einsicht in die Mitgliedsakten des Rechtsanwalts. Diese darf nur durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt vorgenommen werden, § 58 Abs. 2 Alt. 2 BRAO. 11. Empfangsbevollmächtigte, § 15 VwVfG
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§ 15 VwVfG wird in seiner Anwendbarkeit teilweise verdrängt durch § 30 Abs. 3 BRAO.2 Sinn und Zweck der Kanzlei ist es u.a., Zustellungen zu ermöglichen (vgl. § 27 BRAO Rz. 22 f.). Ergeht eine Befreiung von der Kanzleipflicht, so muss als Surrogat ein Zustellungsbevollmächtigter bestellt werden. Dieser hat auch Zustellungen in Verwaltungsverfahren der Kammer entgegen zu nehmen (vgl. § 30 BRAO Rz. 26). Unterbleibt die Bestellung oder ist die Zustellung nicht durchführbar, verweist § 30 Abs. 3 S. 1 BRAO auf die strengere Regelung des § 184 ZPO. Zwar gilt das Schriftstück erst zwei Wochen nach Aufgabe zur Post als zugestellt. Doch hat der Empfänger keine Möglichkeit, den Nachweis zu führen, dass ihn das Dokument nicht oder erst zu einem späteren Zeitpunkt erreicht hat. 12. Vertreter von Amts wegen, § 16 VwVfG
35
Hinsichtlich der Bestimmungen über die Vertreterbestellung von Amts wegen nach § 16 VwVfG ist die durch die BRAO-Novelle 2009 neu geschaffene Bestimmung des § 35 BRAO zu beachten. Wird auf Ersuchen ein Rechtsanwalt für das Verwaltungsverfahren zum Betreuer bestellt, soll ein Rechtsanwalt bestellt werden. 13. Gleichförmige Eingaben, §§ 17–19 VwVfG
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Bislang ist – soweit ersichtlich – kein Praxisfall bei den Rechtsanwaltskammern bekannt, wonach es auf Verfahrensbestimmungen in der Form der §§ 17 bis 19 VwVfG angekommen wäre, die gleichförmige Eingaben regeln. 14. Befangenheit, §§ 20–21 VwVfG
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Im anwaltlichen Berufsrecht finden sich nur wenige Regelungen, die die Befangenheit von Rechtsanwälten regeln, die für die Kammer ehrenamtlich tätig werden. Dazu gehören beispielsweise § 69 Abs. 4 S. 3 und § 72 Abs. 2 S. 1 BRAO sowie vor allem § 23 FAO. Es ist offensichtlich, dass diese Regelungen unvollständig sind. Ein Rückgriff auf die allgemeinen Vorschriften des Verfahrensrechts in den § 20 f. VwVfG ist daher dringend notwendig.3 Erstmals bestehen auch kodifizierte Regelungen zur Befangenheit von Rechtsanwälten, die zur Mitarbeit in der Kammer herangezogen werden, sowie von Angestellten der Kammer im Sinne des § 76 Abs. 1 S. 2 BRAO. 1 Ebenso Offermann-Burckart/Johnigk, § 1 Rz. 13. 2 Ebenso Offermann-Burckart/Johnigk, § 1 Rz. 14. 3 Ebenso Offermann-Burckart/Johnigk, § 1 Rz. 15.
468 Siegmund
Ergänzende Anwendung des Verwaltungsverfahrensgesetzes
Rz. 44 § 32 BRAO
15. Verfahrensbeginn, § 22 VwVfG Grundsätzlich galt schon seit jeher in Verwaltungsverfahren nach der BRAO, dass Verfahren von Amts wegen eingeleitet werden können (Offizialprinzip) aufgrund einer Ermessensentscheidung durch die Kammer (Opportunitätsprinzip), § 22 S. 1 VwVfG. Die BRAO kennt darüber hinaus zahlreiche Rechtsvorschriften, wonach die Kammer tätig werden muss (Legalitätsprinzip), § 22 S. 2 Nr. 1 VwVfG. Entweder zwingt ein bestimmter Tatbestand zum Handeln. So ist beispielsweise die Zulassung in den Fällen des § 14 Abs. 2 BRAO zu widerrufen. Oder die Kammer wird auf Antrag tätig. So wird die Zulassung auf Antrag erteilt, § 6 Abs. 1 BRAO. Eine Zulassung ohne Antrag ist ausgeschlossen (Dispositionsmaxime), § 22 S. 2 Nr. 2 VwVfG.
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16. Amtssprache, § 23 VwVfG Nach § 23 Abs. 1 VwVfG ist die Amtssprache Deutsch.1 Sonderbestimmungen zur Anforderung von Übersetzungen (Abs. 2) und zu Fristen (Abs. 3 und 4) sind in der BRAO (auch in § 207) nicht enthalten. Lediglich § 3 Abs. 3 EuRAG enthält die Befugnis, eine beglaubigte Übersetzung anfordern zu dürfen. Die Norm stellt die gesetzliche Regelung eines „begründeten Falls“ im Sinne des § 23 Abs. 2 S. 2 VwVfG dar.
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Die Anforderung von Übersetzungen wird durch den Grundsatz der Erforderlichkeit im Rahmen des Untersuchungsgrundsatzes begrenzt. Die Kammer kann selbstverständlich auf Übersetzungen verzichten, wenn Urkunden beispielsweise in englischer Sprache gehalten sind. Sie muss es sogar, wenn ihr der Inhalt der Urkunde bereits bekannt ist (vgl. Rz. 47). Sind die Übersetzungen hingegen für die weitere Sachbehandlung erforderlich, so laufen Fristen auch erst mit deren Eingang, § 23 Abs. 3 und 4 VwVfG in Verbindung mit § 32 Abs. 2 S. 1 Hs. 1 BRAO.
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17. Untersuchungsgrundsatz, § 24 VwVfG a) Allgemeines Bislang war der Untersuchungsgrundsatz in § 36a Abs. 1 BRAO a.F. geregelt2 und galt aufgrund seiner systematischen Stellung im Zweiten Teil der BRAO nur für die „Zulassung des Rechtsanwalts“ (einschließlich der Kanzleipflicht etc.). Nunmehr verweist § 32 BRAO für alle Verfahren der BRAO auf den Amtsermittlungsgrundsatz nach § 24 VwVfG.
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Die Geltung des Untersuchungsgrundsatzes im Rahmen der Sachverhaltsermittlung ist strikt zu trennen von der Einleitung eines Verfahrens.3 Die Einleitung erfolgt auf Antrag (Dispositionsmaxime) oder von Amts wegen4 nach pflichtgemäßem Ermessen (Offizialmaxime) (vgl. Rz. 38). Nach Einleitung des Verfahrens ist die Kammer verpflichtet, sich von Amts wegen eine eigene Überzeugung von der Wahrheit bzw. Richtigkeit des Sachverhalts zu verschaffen, für den sie eine Regelung treffen will oder muss.5 Die Ermittlung des Sachverhalts ist wiederum abzugrenzen von der Beweiserhebung, die erst dann durchgeführt wird, wenn einzelne Tatbestandselemente umstritten oder zweifelhaft erscheinen.6
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Der Untersuchungsgrundsatz vermittelt selbst keine Eingriffsermächtigung. Er begründet lediglich eine Aufklärungspflicht für die Kammer hinsichtlich aller Tatsachen, die entscheidungserheblich sind. Die Aufklärung muss solange betrieben werden, bis die Kammer von dem tatsächlichen Sachverhalt überzeugt ist (Beweismaß).7 Erkenntnisquellen sind dabei u.a. die Beweismittel nach § 26 VwVfG und § 36 BRAO.
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Der Umfang der Ermittlungsbefugnis wird durch den Erforderlichkeitsgrundsatz festgelegt. Es dürfen nur in dem Umfang Ermittlungen angestellt werden, wie sie erforderlich sind für die in der BRAO vorgesehenen Maßnahmen der Rechtsanwaltskammer.8 Die Rechtsanwaltskammer muss auf die Kenntnis der zu ermittelnden Umstände bspw.
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1 Diese Bestimmung bleibt auch durch die EU-Dienstleistungsrichtlinie unangetastet, vgl. deren Art. 7 Abs. 5 S. 2. 2 Vgl. bspw. noch § 32a Abs. 1 S. 1 PatAnwO. 3 Henssler/Prütting/Prütting, 2. Aufl., § 36a Rz. 5. 4 A.A. zur alten Rechtslage Henssler/Prütting/Prütting, 2. Aufl., § 36a Rz. 5. 5 Kopp/Ramsauer, § 24 VwVfG Rz. 2. 6 Kopp/Ramsauer, § 24 VwVfG Rz. 2a. 7 Kopp/Ramsauer, § 24 VwVfG Rz. 12. 8 AGH Hamm, BRAK-Mitt. 2005, 236; AGH Berlin, BRAK-Mitt. 2000, 91; Kleine-Cosack, § 36a Rz. 1.
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§ 32 BRAO Rz. 45
Ergänzende Anwendung des Verwaltungsverfahrensgesetzes
hinsichtlich der Beurteilung etwaiger Versagungsgründe nach § 7 BRAO angewiesen sein.1 Gleichzeitig zwingt der Erforderlichkeitsgrundsatz die Rechtsanwaltskammer aber auch, alle ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten2 der Sachaufklärung auszuschöpfen, die geeignet erscheinen, die für die Entscheidung erforderliche Überzeugung zu begründen, bevor sie bspw. einen Antrag (vorschnell) zurückweist.3 45
In diesem Zusammenhang stellt § 24 Abs. 2 VwVfG klar, dass selbstverständlich auch den Betroffenen begünstigende Umstände Teil des als wahr erkannten Sachverhalts sind und daher zu berücksichtigen sind. b) Einzelfälle
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Allein das Berufen auf die fehlende Möglichkeit, Akteneinsicht nehmen zu können, oder auf ein fehlendes Passbild im Zulassungsantrag gibt dann nicht die Berechtigung einen Antrag abzulehnen, wenn die notwendigen Informationen und Unterlagen auch auf andere Weise beschafft werden können.4 Dasselbe gilt, wenn der Betroffene die Auskunft zu Vollstreckungsverfahren verweigert, eine Befragung des zuständigen Gerichtsvollziehers aber noch gar nicht stattgefunden hat.5 Ein Antragsteller hat dann freilich Verzögerungen in Kauf zu nehmen, die aus der dann erforderlich werdenden anderweitigen Informationsbeschaffung erwachsen.6
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Ist der Rechtsanwaltskammer der Inhalt eines fremdsprachlichen Schriftstücks bekannt und wird dadurch die Behauptung eines Antragstellers bestätigt, so handelt die Rechtsanwaltskammer ermessensfehlerhaft, wenn sie das Gesuch nur deshalb zurückweist, weil keine deutsche Übersetzung der Urkunde vorgelegt wurde. Die Vorlage einer deutschen Urkunde ist – trotz der deutschen Amtssprache und der Bestimmung in § 23 Abs. 2 S. 1 VwVfG – kein Selbstzweck.7
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Andererseits ist es zulässig, einem Rechtsanwalt denselben bereits einmal beantworteten Fragenkatalog nochmals zu einem späteren Zeitpunkt vorzulegen, wenn es in der Sachentscheidung auf die möglicherweise zwischenzeitlich eingetretenen Veränderungen ankommt.8 c) Ermessen
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Die Aufklärungsbemühungen der Rechtsanwaltskammer müssen umso intensiver sein, je schwerwiegender die Folgen für die Entscheidung für den Betroffenen sein können.9 Die Entscheidung der Rechtsanwaltskammer ist nur dann ermessensfehlerfrei, wenn eine entsprechende Abwägung überhaupt stattgefunden hat, vgl. § 40 VwVfG. Allerdings darf die Rechtsanwaltskammer in der Regel davon ausgehen, dass ein Bewerber, der selbst nicht zu den von ihm verlangten Angaben aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes bereit ist, erst recht keine Nachforschungen wünscht. Denn diese würden aus seiner Sicht seinem Geheimhaltungsinteresse zuwiderlaufen.10 18. Mitwirkungspflicht a) Allgemeines
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§ 36a Abs. 2 BRAO a.F. enthielt eine strenge Regelung zur Mitwirkungspflicht des Betroffenen. Dieser sollte am Verfahren zur Ermittlung des Sachverhalts mitwirken und, soweit es dessen bedurfte, sein Einverständnis mit der Verwendung von Beweismittel erklären. Sein Antrag auf Gewährung von Rechtsvorteilen war zurückzuweisen, wenn der Sachverhalt infolge seiner Weigerung nicht hinreichend aufgeklärt werden konnte. Der Betroffene war auf diese Rechtsfolge hinzuweisen. Der Rechtsanwalt sollte somit durch seine Mitwirkung die 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
BGH, NJW-RR 1997, 1148 (1149). S. auch die Möglichkeiten der Amtshilfe in § 36 BRAO. BGH, NJW 1985, 1842 (1844); AGH Celle, BRAK-Mitt. 1996, 261; AGH Berlin, BRAK-Mitt. 2000, 91. BGH, NJW 1985, 1842; Kleine-Cosack, § 36a Rz. 1 auch unter Berufung auf AGH Schleswig, Beschl. v. 21.8. 1995 – 2 EGH 4/92, n.v. BGH, NJW 2005, 1271 (1272). BGH, NJW 2005, 1271 (1272). BGH, NJW-RR 2001, 850. AGH Hamm, BRAK-Mitt. 2005, 236. AGH Celle, BRAK-Mitt. 1996, 261; AGH Berlin, BRAK-Mitt. 2000, 91; Jessnitzer/Blumberg, § 36a Rz. 2. BGH, NJW 1985, 1842 (1844).
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Ergänzende Anwendung des Verwaltungsverfahrensgesetzes
Rz. 56 § 32 BRAO
Ermittlungen fördern und die von der Rechtsanwaltskammer ermessensfehlerfrei als erheblich angesehenen Umstände offenbaren.1 Zu dieser alten Rechtslage wurde vertreten, dass den Verfahrensbeteiligten Mitwirkungspflichten auferlegt werden, die die Wirkung von Beweislastregeln haben.2 Insbesondere sei die Rechtsprechung des BGH zu § 6 Abs. 2 BRAO dahingehend kodifiziert worden, dass ein Antrag auch aus verfahrensmäßigen Gründen als unzulässig zurückgewiesen werden könne.3
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Auch das nach der BRAO-Novelle 2009 nunmehr geltende allgemeine Verfahrensrecht kennt eine Mitwirkungspflicht des Betroffenen im Sinne einer Obliegenheit. Diese ergibt sich zum einen aus einer ungeschriebenen Beschränkung des verwaltungsrechtlichen Untersuchungsgrundsatzes. Wenn die Behörde auf die Mitwirkung eines Beteiligten angewiesen ist, dieser aber die Mitwirkung verweigert, so muss sie in dieser Richtung keine weiteren Anstrengungen zur Aufklärung unternehmen.4 Zum anderen wurde die Mitwirkungspflicht in § 26 Abs. 2 S. 1 VwVfG – systematisch an ungeeigneter Stelle – kodifiziert.
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Die Mitwirkungspflicht nach allgemeinem Verfahrensrecht gilt nunmehr für alle Verwaltungsverfahren der BRAO. § 36a Abs. 2 BRAO a.F. galt nur für den Zweiten Teil der BRAO und sah zudem als Rechtsfolge für die unterlassene Mitwirkung lediglich die Zurückweisung eines Antrags auf Gewährung von Rechtsvorteilen vor.5 Es war fraglich, ob über den Wortlaut der Vorschrift hinaus diese auch für solche Verwaltungsvorgänge eine Rechtsfolge bereithalte, die keine Antragsverfahren darstellen.6 Zu denken war etwa an ein Widerrufsverfahren wegen Vermögensverfalls. Auch wenn ein Rechtsanwalt in diesen Fällen nicht gezwungen werden konnte, Auskünfte über seine Vermögensverhältnisse zu erteilen, so hatte er dennoch den Rechtsnachteil der Vermutung des Vermögensverfalls in Kauf zu nehmen.7
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Die Mitwirkungspflicht ist Obliegenheit und daher nicht im Wege des Verwaltungszwangs durchsetzbar. Ihre Verletzung führt nicht zu einem materiellen Rechtsverlust, sondern nur zu verfahrensrechtlichen Nachteilen. Die Mitwirkung muss zumutbar sein und bezieht sich nicht nur auf die Preisgabe von Informationen, sondern auch auf Mitwirkungshandlungen sonstiger Art. Unterlässt der Beteiligte die Mitwirkung, kann die Behörde davon ausgehen, dass der Beteiligte ihm günstige Umstände vorgetragen und an deren Nachweis im eigenen Interesse mitgewirkt hätte. Es besteht die Vermutung, dass die günstigen Umstände nicht vorliegen.8
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Die Mitwirkungslast ist rein verfahrensrechtlicher Natur und führt nicht zu einer Beweislastumkehr bzw. dem Verlust materieller Rechte. Der Betroffene kann daher in einem anschließenden Rechtsbehelfsverfahren die für ihn günstigen Umstände weiterhin vortragen.9
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Der Betroffene ist wie schon nach alter Rechtslage auf die negativen Verfahrensfolgen bei unterlassener Mitwirkung hinzuweisen (§ 36a Abs. 2 S. 3 BRAO a.F.10).11 Dies dürfte ein Gebot des fairen Verfahrens sein und aus der Fürsorgepflicht des § 25 VwVfG abzuleiten sein.12 Der Betroffene hat die Tragweite der Verweigerung seiner Mitwirkung zu erkennen. Der Hinweis sollte schon aus Gründen der Rechtssicherheit schriftlich in dem Bescheid erfolgen, mit dem der Rechtsanwalt zur Mitwirkung aufgefordert wird.
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1 BGH, NJW-RR 1997, 1148; Henssler/Prütting/Prütting, 2. Aufl., § 36a Rz. 7. 2 Henssler/Prütting/Prütting, 2. Aufl., § 36a Rz. 1. 3 § 36a BRAO a.F. wurde erst durch das Gesetz zur Änderung des Berufsrechts der Rechts- und Patentanwälte v. 13.12.1989 (BGBl. I, S. 2135) eingeführt; BGH, NJW 1988, 1792; BGH, NJW 1985, 1842. 4 Kopp/Ramsauer, § 24 VwVfG Rz. 23. 5 Ein Widerrufsverfahren wegen Kanzleiaufgabe war nicht auf die Gewährung von Rechtsvorteilen gerichtet und konnte keine entsprechenden Rechtsfolgen auslösen, BGH, Beschl. v. 6.7.2009 – AnwZ (B) 26/09. 6 Entgegen der verneinenden Vorinstanz ausdrücklich offengelassen durch BGH, AnwBl. 2005, 217 (218); a.A. Kleine-Cosack, § 36a Rz. 2 a.E. 7 Hessischer AGH, BRAK-Mitt. 2004, 131 (nicht rechtskräftig); aufgehoben durch BGH, Beschl. v. 7.12. 2004 – AnwZ (B) 40/04: „Dies kommt jedoch nur in Betracht, soweit der Sachverhalt für die Gewährung des Rechtsvorteils von Bedeutung ist“. 8 Kopp/Ramsauer, § 24 VwVfG Rz. 12a–12c. 9 Kopp/Ramsauer, § 24 VwVfG Rz. 12d und § 26 VwVfG Rz. 43. 10 Amtl. Begründung, BT-Drs. 11/3253, S. 23. 11 Kopp/Ramsauer, § 26 VwVfG Rz. 43; a.A. VGH Kassel, NVwZ 1985, 915: Keine Verpflichtung zu Hinweisen auf Risiken einer Säumnis bei der Erfüllung von Mitwirkungspflichten. 12 Vgl. auch § 15 Abs. 3 S. 2 BRAO.
Siegmund 471
§ 32 BRAO Rz. 57
Ergänzende Anwendung des Verwaltungsverfahrensgesetzes
b) Besonderheiten der BRAO 57
In den Verwaltungsverfahren der BRAO, die bestimmt sind von der Amtsermittlung einerseits und der Mitwirkungsobliegenheit des Rechtsanwalts andererseits kann der Fall eintreten, dass die Rechtsanwaltskammer den Sachverhalt infolge unterbliebener oder unzureichender Mitwirkung des Rechtsanwalts nicht hinreichend aufklären kann.1 Das geht zulasten des Rechtsanwalts. Er kann zwar nicht zur Erteilung bestimmter Auskünfte oder zu sonstiger Mitwirkung gezwungen werden, muss es aber im Interesse einer geordneten Rechtspflege unter Umständen hinnehmen, dass bspw. die Zulassungsvoraussetzungen oder Zulassungshindernisse nicht hinreichend überprüft werden können und die Zulassung deswegen versagt wird. Dies gilt umso mehr, als der Rechtsanwalt es selbst in der Hand hat, abzuwägen, ob seinen Interessen bspw. mehr mit einer Geheimhaltung bestimmter Vorgänge aus seinem privaten und beruflichen Leben oder mit der erstrebten Zulassung zum Anwaltsberuf gedient ist.2
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In diesen Fällen darf der Antrag des Bewerbers als unzulässig zurückgewiesen werden (§ 36a Abs. 2 S. 2 BRAO a.F.). Einer derartigen Zurückweisung steht nicht die Bestimmung des § 6 Abs. 2 BRAO entgegen, der zufolge ein Antrag nur aus den in der BRAO bezeichneten Gründen abgelehnt werden darf. Die genannte Vorschrift betrifft lediglich die Ablehnung aus sachlichen, also materiellen Gründen und lässt die Befugnis der Rechtsanwaltskammer unberührt, ein Gesuch ohne Sachentscheidung als unzulässig dann zurückzuweisen, wenn es so unvollständig ist, dass es der Verwaltung nicht die Prüfung ermöglicht, ob einer der gesetzlichen Versagungsgründe eingreift, und wenn der Bewerber die gebotene Ergänzung seiner Angaben trotz entsprechender Aufforderung nicht nachholt oder ausdrücklich verweigert.3
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Im Übrigen bedeutet die Zurückweisung eines unvollständigen Zulassungsgesuchs als unzulässig keinen so nachhaltigen Eingriff in die Berufsfreiheit, wie sie mit einer Versagung aus materiellen Gründen verbunden wäre. Gegen eine unberechtigte Ablehnung des Gesuchs als unzulässig kann der Betroffene sich mit dem entsprechenden Rechtsbehelf wehren. Unterliegt er im Verfahren, so hindert ihn eine solche Ablehnung aus förmlichen Gründen nicht, jederzeit ein neues Zulassungsgesuch einzureichen und darin die Mängel des früheren zu beheben.4
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Bei der Verweigerung entsprechender Mitwirkung erwächst dem Betroffenen, der die Befähigung zum Richteramt erlangt hat, selbst unter Berücksichtigung des grundsätzlichen Rechts auf freie Zulassung kein Anspruch darauf, dass ihn die Rechtsanwaltskammer ohne nähere eigene Prüfung des Sachverhalts zur Rechtsanwaltschaft zulässt.5 c) Umfang der Mitwirkungspflicht
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Die Verpflichtung des Rechtsanwalts umfasst in der Regel die Vorlage von Beweismittel (z.B. Dokumente), die Erteilung von Auskünften sowie (falls erforderlich6) die Zustimmung zur Verwendung solcher Beweismittel.7 Die Verpflichtung stellt sich ähnlich einer (subjektiven) Beweisführungslast dar. Verweigert der Rechtsanwalt die Mitwirkung an der Aufklärung und kann deswegen der Sachverhalt nicht in dem für die Sachentscheidung notwendigen Umfang ermittelt werden, so ist der Antrag des Rechtsanwalts auf Gewährung von Rechtsvorteilen zurückzuweisen. Kann also aufgrund der unterlassenen Mitwirkung keine Aufklärung erfolgen, so trägt der Rechtsanwalt – jedenfalls im Verwaltungsverfahren – die objektive Beweislast.8 Eine ähnliche Rechtsfolge sieht bspw. § 15 S. 2 BRAO vor. Ein Verlust von materiellen Rechten, insbesondere bspw. dem Recht, eine Vermutungswirkung im nachfolgenden Rechtsbehelfsverfahren zu widerlegen, geht damit nicht einher.
1 Es müssen allerdings überhaupt Ermittlungsversuche unternommen worden sein, BGH, Beschl. v. 6.7. 2009 – AnwZ (B) 26/09. 2 BGH, NJW 1985, 1842; Henssler/Prütting/Prütting, § 36 Rz. 7 ff. 3 BGH, NJW 1985, 1842 (1843); AGH Celle, BRAK-Mitt. 1996, 261. 4 BGH, NJW 1985, 1842 (1843). 5 BGH, NJW 1985, 1842 (1843). 6 Etwa, weil das Recht des Rechtsanwalts auf informationelle Selbstbestimmung zu beachten ist, vgl. amtliche Begründung, BT-Drs. 11/3253, S. 23. 7 Henssler/Prütting/Prütting, 2. Aufl., § 36a Rz. 7. 8 Henssler/Prütting/Prütting, 2. Aufl., § 36a Rz. 8; ebenso zum neuen Recht Offermann-Burckart/Johnigk, § 13 Rz. 19.
472 Siegmund
Ergänzende Anwendung des Verwaltungsverfahrensgesetzes
Rz. 67 § 32 BRAO
Wurde die Zulassung eines Rechtsanwalts bereits bestandskräftig wegen Vermögenverfalls widerrufen und wurden zwischenzeitlich zahlreiche erfolglose Vollstreckungsversuche unternommen, so entspricht es der Mitwirkungspflicht des ehemaligen Rechtsanwalts, in einem neuen Antragsverfahren den Anforderungen der Rechtsanwaltskammer nachzukommen und zu den gegenwärtigen Vermögensverhältnissen sowie auch zur Tilgung der damaligen Schulden im Einzelnen Stellung zu nehmen. Leistet der ehemalige Rechtsanwalt dem nicht Folge, so kann mit Recht angenommen werden, dass er sich nicht in einer geordneten wirtschaftlichen Situation, sondern im Vermögensverfall befindet.1
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19. Beratung und Auskunft, § 25 VwVfG Nach § 73 Abs. 2 Nr. 1 BRAO hat der Kammervorstand und damit auch die ihm unterstellte Geschäftsstelle die Mitglieder in Fragen der Berufspflichten zu beraten und zu belehren. Eine weitere (ungeschriebene) Fürsorgepflicht dürfte sich aus dem besonderen Vertrauensverhältnis zwischen Vorstand und Mitgliedern ergeben, die bspw. auch zu einer besonderen Verschwiegenheitsverpflichtung in § 76 BRAO geführt hat.2 Eine allgemeine Verpflichtung zur Beratung und Auskunft ergibt sich nunmehr aus § 25 VwVfG. Diese Vorschrift ist Ausfluss vor allem des Rechtsstaatsprinzips und des Sozialstaatsprinzips sowie ggf. in der Sache berührter Grundrechte.3 Wenn die Kammer als einheitliche Stelle tätig wird, gelten besondere Auskunfts- und Informationspflichten, § 71c VwVfG. Über § 71a Abs. 2 VwVfG treffen diese Pflichten die Kammer auch als zuständige Behörde.
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20. Beweismittel, § 26 VwVfG Zahlreiche Regelungen zur Beweiserhebung sind bereits im Berufsrecht vorhanden, vgl. bspw. § 56 Abs. 2 S. 2 BRAO, § 3 Abs. 2 EuRAG, § 24 Abs. 2 Hs. 2 BORA, § 6 FAO. Die Regelung des § 26 VwVfG hat somit eine ergänzende Funktion, auch im Hinblick auf den Untersuchungsgrundsatz in § 24 VwVfG.4 Die Mitwirkungspflicht der Beteiligten dürfte systematisch eher dem Untersuchungsgrundsatz zuzuordnen sein (vgl. Rz. 50–62).5 Für die Vernehmung von Zeugen (§ 26 Abs. 3 S. 1 VwVfG) enthält das Berufsrecht keine Rechtsgrundlage.
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21. Versicherung an Eides statt, § 27 VwVfG Für die Abnahme einer Versicherung an Eides statt gem. § 27 VwVfG enthält das Berufsrecht keine Rechtsgrundlage.
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22. Anhörung Beteiligter, § 28 VwVfG Die BRAO sah bislang eigene Vorschriften vor, die den Anspruch des Rechtsanwalts auf rechtliches Gehör sicherstellten, bevor belastende Maßnahmen gegen ihn ergriffen wurden, vgl. bspw. §§ 16 Abs. 2, 29 Abs. 2 S. 2 BRAO a.F. Zugunsten des pauschalen Verweises auf die Vorschriften des VwVfG wurden diese Bestimmungen aufgehoben. Es gilt nunmehr § 28 VwVfG, der den aus Verfassungsrecht abzuleitenden Anspruch auf rechtliches Gehör (Rechtsstaatsprinzip, Schutz materieller Grundrechte) für das Verwaltungsverfahren konkretisiert.6 Die fehlende Anhörung kann nachgeholt werden, § 45 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG. Aus § 45 Abs. 3 S. 1 Alt. 2 ergibt sich eine erleichterte Wiedereinsetzung. Der Formfehler ist im Hinblick auf die Aufhebung des Verwaltungsakts in der Regel unbeachtlich, § 46 VwVfG.
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23. Akteneinsicht, § 29 VwVfG Die BRAO kennt ein eigenes Akteneinsichtsrecht für die Mitgliedsakte in § 58 BRAO.7 Die Spezialregelung lässt die Einsicht nur durch Rechtsanwälte zu. Dies soll der besonderen Stellung von Anwälten als unabhängige Organe der Rechtspflege gerecht werden. Zu beachten ist dabei, dass disziplinarrechtliche Verfahrensakten8 und Verfahrensakten nach der 1 2 3 4 5 6 7 8
BGH, ZVI 2004, 242; strenger BGH, NJW 2005, 1271. Henssler/Prütting/Hartung, § 76 Rz. 2. Kopp/Ramsauer, § 25 VwVfG Rz. 2 mit Verweis auf BVerfGE 52, 380. Kopp/Ramsauer, § 26 VwVfG Rz. 1. A.A. möglicherweise BGH, Beschl. v. 27.5.2010 – AnwZ (B) 95/08, Rz. 9. Kopp/Ramsauer, § 28 VwVfG Rz. 2. Vgl. übrigens auch das Akteneinsichtsrecht in § 117b BRAO. Henssler/Prütting/Hartung, § 58 Rz. 2.
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§ 32 BRAO Rz. 68
Ergänzende Anwendung des Verwaltungsverfahrensgesetzes
FAO ebenfalls Bestandteil der Mitgliedsakte sind. Die darüber hinaus geltende Vorschrift des § 29 VwVfG dürfte daher nahezu keinen Anwendungsbereich haben. 24. Geheimhaltung, § 30 VwVfG 68
Die Vorschrift zur Geheimhaltung in § 30 VwVfG dürfte durch die Spezialregelung in § 76 BRAO völlig verdrängt werden. Insbesondere gilt die Verschwiegenheitsverpflichtung der Kammer auch gegenüber „anderen Personen“ und nicht nur gegenüber Mitgliedern.1 25. Fristen und Termine, § 31 VwVfG
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Die BRAO sieht keine gesonderten Bestimmungen zur Fristberechnung vor. Fristen im Verwaltungsverfahren sind beispielsweise in den §§ 14 Abs. 3 Nr. 1, 15 Abs. 1 S. 1 und 170 Abs. 1 S. 3 BRAO vorgesehen. Über § 31 Abs. 1 VwVfG gelten nun dem Grundsatz nach zur Frist- und Terminsberechnung die §§ 187 bis 193 BGB. Sonderregelungen sieht § 31 VwVfG in den Absätzen 2 bis 7 vor. 26. Wiedereinsetzung, § 32 VwVfG
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Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist – soweit ersichtlich – für das Verwaltungsverfahren bei der Kammer ohne Belang. 27. Beglaubigung, §§ 33, 34 VwVfG
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Bereits bislang haben die Rechtsanwaltskammern nach allgemeinen Verwaltungsgrundsätzen Abschriften ihrer eigenen Urkunden beglaubigt. So gehört die Beglaubigung von Eigenurkunden grundsätzlich zu den Befugnissen der Ausstellungsbehörde.2 Sofern das Landesrecht dies vorsieht, können Rechtsanwaltskammern nach den Vorschriften der §§ bzw. Art. 33, 34 LandesVwVfG zukünftig auch Urkunden anderer Behörden beglaubigen.3 Die Beglaubigung muss bei Mängeln der Abschrift unterbleiben, § 33 Abs. 2 VwVfG. Die Voraussetzungen des Beglaubigungsvermerks sind § 33 Abs. 3 VwVfG zu entnehmen. Auch andere Dokumente als Urkunden können beglaubigt werden, § 33 Abs. 4 VwVfG. Die Beglaubigung elektronisch signierter Dokumente ist nach § 33 Abs. 5 VwVfG möglich. Unterschriften können durch die Kammern nicht beglaubigt werden, § 34 VwVfG. 28. Verwaltungsakt, § 35 VwVfG
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Bereits vor der BRAO-Novelle 2009 wurde beispielsweise in § 223 Abs. 1 S. 1 BRAO ganz selbstverständlich und ohne weitere Definition von dem Begriff und der Existenz des Verwaltungsakts ausgegangen. Nunmehr kann die Definition in § 35 VwVfG herangezogen werden. Daraus ergibt sich, dass die meisten Amtshandlungen nach der BRAO als Verwaltungsakte zu klassifizieren sind, so bspw. die Zulassung zur Anwaltschaft und deren Widerruf, die Befreiung von der Kanzleipflicht und deren Widerruf, die Verleihung einer Fachanwaltsbezeichnung und deren Widerruf.
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Probleme bereiten allerdings die Verfahren, die einen disziplinarrechtlichen Charakter haben, so bspw. die Rügeverfahren. Zwangsgeldandrohungen und -festsetzungen nach § 57 BRAO haben zwar grundsätzlich den Charakter eines Verwaltungsakts.4 Die BRAO sieht jedoch die gerichtliche Überprüfung nach den Vorschriften der Strafprozessordnung über die Beschwerde vor, § 57 Abs. 2 S. 5 BRAO.
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Die Rüge als reine Disziplinarmaßnahme, die ein in der Vergangenheit liegendes Verhalten sanktioniert, stellt jedenfalls keinen Verwaltungsakt dar. Ein Verwaltungsakt liegt im Gegensatz zur Rüge dann vor, wenn der Kammervorstand eine nach seiner Ansicht bestehende Verpflichtung des Rechtsanwalts feststellt und diese Feststellung mit der Aufforderung verbindet, sich beruflich entsprechend zu verhalten.5 Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs sind allerdings Unterlassungsverfügungen mangels Ermächtigungsgrundlage unzulässig.6 1 2 3 4 5 6
Vgl. auch die Verschwiegenheitsverpflichtung in § 84 VwVfG für ehrenamtlich Tätige. Kopp/Ramsauer, § 33 VwVfG Rz. 1. Bspw. Art. 33 Abs. 1 S. 2, Art. 34 BayVwVfG. Kopp/Ramsauer, § 35 VwVfG Rz. 67. Henssler/Prütting/Hartung, § 74 Rz. 5. BGH, NJW 2003, 3548; BGH, NJW 2003, 504; a.A. Henssler/Prütting/Hartung, § 74 Rz. 5.
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Ergänzende Anwendung des Verwaltungsverfahrensgesetzes
Rz. 80 § 32 BRAO
Daran ändert auch nichts die neue Rechtslage, wonach die Aufforderung nun über § 35 VwVfG als Verwaltungsakt einzuordnen ist.1 Von der Rüge ebenfalls abzugrenzen ist zudem die Belehrung. Sofern sie keinen Schuldvorwurf enthält, sondern nur aufklärende Funktion hat, ist sie kein Verwaltungsakt.2 Abgrenzungsschwierigkeiten ergeben sich im Berufsrecht auch zum verwaltungsrechtlichen Realakt. So dürfte der Eintragung in das Verzeichnis nach § 31 BRAO grundsätzlich keine eigene Rechtswirkung zukommen. Sie stellt lediglich die Folge einer verwaltungsrechtlichen Entscheidung (z.B. Zulassung zur Anwaltschaft) dar, die dem Betroffenen zuvor mitgeteilt worden ist. Diese Entscheidung selbst ist als Verwaltungsakt zu qualifizieren und daher anfechtbar (vgl. § 31 BRAO Rz. 78). Durch den BGH wurde darüber hinaus offengelassen, ob es sich bei der Auskunft nach § 51 Abs. 6 S. 2 Hs. 1 BRAO um einen Verwaltungs- oder Realakt handelt.3
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29. Nebenbestimmungen, § 36 VwVfG Nebenbestimmungen zu Verwaltungsakten nach § 36 VwVfG waren im Berufsrecht vor der BRAO-Novelle 2009 nur im Rahmen der Befreiung von der Kanzleipflicht nach § 29 Abs. 3 BRAO a.F. ausdrücklich vorgesehen. Auch nach der BRAO-Novelle 2009 kommt die Befreiung von der Kanzleipflicht unter Auflagen in Betracht (vgl. § 29 BRAO Rz. 20, 25).
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30. Form des Verwaltungsakts, § 37 VwVfG Die Vorschriften zu Bestimmtheit und Form des Verwaltungsakts nach § 37 VwVfG dürften für die Kammern keine besondere Bedeutung haben. Mündliche Verwaltungsakte werden regelmäßig nicht erlassen. Zuzustellende Verwaltungsakte nach § 34 BRAO müssen ohnehin in schriftlicher Weise erfolgen. Die elektronische Form der Verwaltungsakte hat bei den Kammern noch keinen Einzug gefunden.
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31. Zusicherung, § 38 VwVfG Die Regelungen zur Zusicherung in § 38 VwVfG werden für die Verwaltungstätigkeit der Kammern keine größere Relevanz haben. Zwar kommt es häufig vor, dass Beteiligte die Durchführung eines mit einer Gebühr belegten Antragsverfahrens scheuen. Im Rahmen einer „informellen Anfrage“ wird beispielsweise erkundet, ob die Wohlverhaltensphase im Rahmen des § 7 Nr. 5 BRAO nach Meinung der Kammer bereits beendet ist. Da für diese Einzelfallentscheidung aber gerade das Antragsverfahren vorgesehen ist, wird der Beteiligte meist darauf verwiesen. Allenfalls allgemeine Auskünfte und Hinweise zu Rechtsprechung und Verwaltungspraxis können gegeben werden. Diese stellen aber keine Zusicherung dar.4
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Die Kammern könnten aus der Ermächtigung zum Erlass einzelner Verwaltungsakte zwar auch eine Rechtsgrundlage zum Erlass von darauf gerichteten Zusicherungen ableiten.5 Doch hat der Beteiligte hat keinen Anspruch auf die Zusicherung. Denn der Kammer steht ein Ermessen zu. Eine Reduzierung des Ermessens auf Null wird gemeinhin nur dann angenommen, wenn – wie in berufsrechtlichen Verfahren nicht – der Erlass eines begünstigenden Verwaltungsakts von der vorherigen Erteilung der Zusicherung abhängig gemacht wird.6
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32. Begründung, § 39 VwVfG Die Vorschriften zur Begründung von Verwaltungsakten waren bislang vereinzelt in der BRAO verortet, so bspw. in § 11 Abs. 1 S. 1, 16 Abs. 4 Hs. 1 und 29 Abs. 3 S. 1 BRAO a.F. Diese fehlende Systematik führte unter anderem dazu, dass bspw. der Bescheid, mit dem die Verleihung einer Fachanwaltsbezeichnung abgelehnt wurde, nicht zu begründen war, § 43c BRAO a.F. 1 A. A: Kleine-Cosack, § 32 Anhang, Rz. 5, der aus § 35 VwVfG eine „VA-Befugnis“ ableitet. 2 AGH Hamm, BRAK-Mitt. 1998, 47; BGH, NJW-RR 1997, 759; BVerfG, NJW 1979, 1159; vgl. aber neuerdings BGH, BRAK-Mitt. 2012, 232. 3 BGH, Urt. v. 22.10.2012 – AnwZ (Brfg) 60/11, AnwBl. Online 2013, 49, Rz. 6. Die Vorinstanz ging von einem Realakt aus. Soll die Eintragung unterlassen werden, ist die Entscheidung der Kammer bspw. mit der allg. Leistungsklage angreifbar, vgl. BGH, BRAK-Mitt. 2013, 38 und die Vorinstanz AGH Baden-Württemberg, Urt. v. 12.5.2012 – AGH 26/2011 (I). 4 Kopp/Ramsauer, § 38 VwVfG Rz. 10. 5 Kopp/Ramsauer, § 38 VwVfG Rz. 22. 6 Kopp/Ramsauer, § 38 VwVfG Rz. 24a.
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§ 32 BRAO Rz. 81 81
Ergänzende Anwendung des Verwaltungsverfahrensgesetzes
Nach der BRAO-Novelle 2009 ergibt sich nun aus § 39 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1 VwVfG ein Begründungszwang für alle schriftlichen Verwaltungsakte, mit denen in Rechte anderer eingegriffen wird. Somit sind zukünftig alle belastenden Verwaltungsakte der Kammer mit einer entsprechenden schriftlichen Begründung zu versehen. Ein Nachschieben von Gründen ist zulässig, soweit das Wesen des Verwaltungsakts nicht verändert oder der Betroffene nicht in seiner Rechtsverteidigung behindert wird.1 33. Ermessen, § 40 VwVfG
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Die BRAO a.F. enthielt lediglich eine prozessuale Bestimmung zum Ermessen in § 37 Abs. 4 BRAO a.F. Danach konnte der Antrag auf gerichtliche Entscheidung nur darauf gestützt werden, dass im Rahmen der Ermessensausübung der Zweck der Ermächtigung oder die gesetzlichen Grenzen nicht beachtet wurden. Durch die BRAO-Novelle 2009 ergibt sich der ohnehin aus allgemeinen Verwaltungsgrundsätzen abzuleitende Rechtssatz unmittelbar aus § 40 VwVfG. Nach § 39 Abs. 1 S. 3 VwVfG soll die Begründung von Ermessensentscheidungen auch die Gesichtspunkte erkennen lassen, von denen die Anwaltskammer bei der Ausübung des Ermessens ausgegangen ist.
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Die BRAO räumt den Kammern in Zulassungssachen an mehreren Stellen einen Ermessenspielraum ein, so bspw. in §§ 14 Abs. 1 S. 2 und Abs. 3, 17 Abs. 2 und 3, 29 Abs. 1 und 2 BRAO. Die Kammern haben bei der Ermessensausübung dabei immer zu beachten, dass der sensible Bereich der freien Advokatur zu beachten ist. Die Maßnahmen können sich als Eingriff in die freie Berufsausübung auswirken, weshalb in besonderem Maße die verfassungsrechtlichen Anforderungen berücksichtigt werden müssen (vgl. § 27 BRAO Rz. 122).
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Die Ermessensausübung kann nach § 112c Abs. 1 S. 1 BRAO i.V.m. § 114 S. 1 VwGO gerichtlich überprüft werden. Maßstab sind die gesetzlichen Grenzen des Ermessens und der Zweck der Ermächtigung. Nach § 114 S. 2 VwGO kann die Kammer ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen. 34. Bekanntgabe, § 41 VwVfG
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Vor der BRAO-Novelle 2009 enthielt die BRAO zwar vereinzelt Regelungen zur Zustellung von Verwaltungsakten. Eine generelle Regelung zur Bekanntgabe von Verwaltungsakten wie in § 41 VwVfG fehlte allerdings.2 So gilt nunmehr ein Verwaltungsakt am dritten Tag nach Aufgabe zur Post als bekannt gegeben, § 41 Abs. 2 S. 1 VwVfG. Besondere Bedeutung werden auch weiterhin die Bestimmungen zur Zustellung von Verwaltungsakten haben, die nach § 41 Abs. 5 VwVfG vorrangig sind, so insbesondere § 34 BRAO. 35. Berichtigung, § 42 VwVfG
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Es ist nicht ersichtlich, dass § 42 VwVfG besondere Bedeutung für das Verwaltungsverfahren im anwaltlichen Berufsrecht haben würde. 36. Genehmigungsfiktion, § 42a VwVfG
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Die Genehmigungsfiktion des § 42a VwVfG wurde durch das Vierte Gesetz zur Änderung verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften vom 11.12.2008 in das VwVfG eingefügt. Es setzt die Bestimmungen der europäischen Dienstleistungsrichtlinie (2006/123/EG) um. Die neue verwaltungsrechtliche Norm begründet nicht selbst eine Genehmigungsfiktion, sondern schafft nur einen Regelungsrahmen. Es ist die gesonderte Anordnung der Genehmigungsfiktion erforderlich. § 42a VwVfG wird durch die speziellere Bestimmung in § 32 Abs. 2 BRAO verdrängt.
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Mit gleichem Gesetz vom 11.12.2008 wurde auch § 73a BRAO neu in die BRAO eingefügt. Auf die gesonderte „Anordnung der Genehmigungsfiktion“ wurde verzichtet, so dass § 42a VwVfG für die Verwaltungsverfahren keine Rolle spielt. Auch in dem neuen § 32 Abs. 2 BRAO wurde explizit auf eine Genehmigungsfiktion durch den Gesetzgeber verzichtet (vgl. Rz. 149). 37. Wirksamkeit des Verwaltungsakts, § 43 VwVfG
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Die Wirksamkeit des Verwaltungsakts regelt sich nach § 43 VwVfG und kann gerade beim Zulassungswiderruf problematisch werden. Mit Bekanntgabe des Widerrufs an den betroffe1 Kleine-Cosack, § 32 Anhang, Rz. 2. 2 Zur entsprechenden Anwendung BGH, Beschl. v. 18.10.2010 – AnwZ (B) 47/10, BeckRS 2010, 29190, Rz. 8.
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Ergänzende Anwendung des Verwaltungsverfahrensgesetzes
Rz. 96 § 32 BRAO
nen Rechtsanwalt erhält der Verwaltungsakt äußere und innere Wirksamkeit. Nach einer Ansicht in der Literatur bedarf die Widerrufsverfügung keiner besonderen Vollziehung.1 Der Zulassungswiderruf stellt sich quasi als gestaltender Verwaltungsakt dar, der die Zulassung zur Anwaltschaft und die Mitgliedschaft in der Kammer durch seine Wirksamkeit beseitigt. Entsprechend § 49 Abs. 4 VwVfG wird der widerrufene Verwaltungsakt mit dem Wirksamwerden des Widerrufs unwirksam, wenn die Behörde keinen anderen Zeitpunkt bestimmt. Der betroffene Rechtsanwalt kann zwar – sofern nicht die sofortige Vollziehung angeordnet worden ist – die aufschiebende Wirkung mit Widerspruch bzw. Anfechtungsklage herstellen, § 80 Abs. 1 S. 1 VwGO. Doch wäre zu berücksichtigen, dass der Rechtsanwalt bis zu einem Monat (§ 70 oder § 74 VwGO) ohne Zulassung wäre. Seine gesamten Rechtshandlungen bei der Mandatsbearbeitung wären wegen Verstoßes gegen das RDG bzw. wegen Fehlens der Postulationsfähigkeit nichtig.
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Diese Rechtsfolge würde die Reibungslosigkeit der Rechtspflege in erheblichem Maße gefährden und ist vom Gesetzgeber auch nicht gewollt. Aus § 14 Abs. 4 BRAO ergibt sich nämlich, dass die Anordnung der sofortigen Vollziehung lediglich die Wirkung der §§ 155 Abs. 2, 4 und 5, 156 Abs. 2, 160 Abs. 1 S. 2 und 161 BRAO hat. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass der wirksame Widerruf vor Bestandskraft noch keine Rechtswirkung entfaltet. Der Gesetzgeber hat erfreulicherweise daher mit dem Gesetz zur Stärkung der Selbstverwaltung eine neue Sonderregelung in § 13 BRAO geschaffen. Danach erlischt die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft erst, wenn durch ein rechtskräftiges Urteil auf Ausschließung aus der Rechtsanwaltschaft erkannt ist oder wenn die Rücknahme oder der Widerruf der Zulassung bestandskräftig geworden ist.
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Es muss zudem berücksichtigt werden, dass der Widerruf durch die Schaffung des Anwaltsverzeichnisses in § 31 BRAO mittlerweile eine Vollstreckungshandlung durch die Kammer erforderlich macht. Sobald der Verwaltungsakt mit dem Eintritt der Bestandskraft vollstreckbar geworden ist, hat die Kammer den Rechtsanwalt aus dem Verzeichnis zu löschen. Sofern zuvor die sofortige Vollziehung angeordnet worden ist, wird diese als „bestehendes Berufsverbot“ in das Verzeichnis eingetragen (vgl. § 31 BRAO Rz. 68).
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38. Nichtigkeit des Verwaltungsakts, § 44 VwVfG Ein denkbarer Fall im Berufsrecht für die Nichtigkeit eines Verwaltungsakts nach § 44 VwVfG wäre die Zulassung zur Anwaltschaft ohne die Aushändigung der Urkunde (§ 44 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG i.V.m. § 12 Abs. 1 BRAO).
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39. Heilung von Verfahrensfehlern, § 45 VwVfG Die Heilung von Verfahrensfehlern nach § 45 VwVfG spielt auch im Berufsrecht immer wieder eine Rolle. So unterbleibt versehentlich die Anhörung von Beteiligten oder der Bescheid enthält nicht die erforderliche Begründung (Abs. 1 Nr. 2 und 3). Denkbar wäre auch, dass eine Fachanwaltsbezeichnung durch den Vorstand versagt wird, ohne dass der Fachausschuss nach § 43c Abs. 2 BRAO eine Prüfung durchgeführt hat (Abs. 1 Nr. 4). Eher selten dürfte eine Konstellation auftreten, wonach die Kammer ohne den erforderlichen Antrag tätig geworden ist (Abs. 1 Nr. 1).
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40. Folgen von Verfahrensfehlern, § 46 VwVfG Die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 44 VwVfG nichtig ist, kann nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat, § 46 VwVfG.
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41. Umdeutung von Verwaltungsakten, § 47 VwVfG Nach § 47 VwVfG kann nach Anhörung der Beteiligten und unter den dort genannten Voraussetzungen ein fehlerhafter Verwaltungsakt in einen rechtmäßigen Verwaltungsakt umgedeutet werden. Die Vorschrift hat in der Praxis geringe Bedeutung.2 Ein Bedeutungszuwachs durch Verwaltungsverfahren im anwaltlichen Berufsrecht ist nicht zu erwarten. 1 Henssler/Prütting/Henssler, § 16 Rz. 17 a.E. unter Berufung auf Jessnitzer/Blumberg, § 16 Rz. 7. 2 Kopp/Ramsauer, § 47 VwVfG Rz. 1.
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§ 32 BRAO Rz. 97
Ergänzende Anwendung des Verwaltungsverfahrensgesetzes
42. Rücknahme von Verwaltungsakten, § 48 VwVfG a) Vorrang der BRAO 97
Die Vorschrift des § 48 VwVfG wird durch die Spezialnormen der §§ 14 Abs. 1 und 43c Abs. 4 S. 1 BRAO überlagert.1 Es gilt der Grundsatz der Subsidiarität.2 Innerhalb des Anwendungsbereichs der BRAO bleibt § 48 VwVfG ergänzend anwendbar.3
98
Nach § 14 Abs. 1 BRAO ist die unberechtigte Anwaltszulassung, die aufgrund falscher Tatsachengrundlage erfolgt ist, für die Zukunft zurückzunehmen. Die unberechtigte Verleihung einer Fachanwaltsbezeichnung, die aufgrund falscher Tatsachengrundlage erfolgt ist, kann nach § 43c Abs. 4 S. 1 BRAO für die Zukunft zurückgenommen werden. In beiden Fällen nimmt der Gesetzgeber einen temporären rechtswidrigen Zustand in Kauf und gestattet die Rücknahme nur ex nunc. Dies geschieht zugunsten der Reibungslosigkeit der Rechtspflege und der Rechtssicherheit.4 Jede Form der Rückabwicklung der Anwaltszulassung würde zur Rechtsunsicherheit führen und soll vermieden werden.5 Die Wirkung ex tunc bei der Rücknahme der Verleihung einer Fachanwaltsbezeichnung macht schlichtweg keinen Sinn.
99
Die Rücknahme von Anwaltszulassungen ist eine gebundene Entscheidung für die Kammer, sofern die Zulassungsvoraussetzungen nicht mehr vorliegen. Dies dient dem Schutz der Reibungslosigkeit der Rechtspflege und dem Schutz der Rechtsuchenden. Eine Ausnahme ist dann möglich, wenn die Zulassung mittlerweile berechtigt erfolgen könnte, § 14 Abs. 1 S. 2 BRAO. Die Rücknahme wäre dann gegebenenfalls eine reine Förmelei. Die Fachanwaltsbezeichnung verleiht keine gesonderten Befugnisse. Sie gibt nur einen Hinweis auf die besondere Qualifikation des Anwalts. Die Kammer hat bei der Rücknahmeentscheidung ein Ermessen.
100
Aufgrund der besonderen Systematik in der BRAO, der betroffenen Verfassungswerte und der Sonderregelung in § 13 Alt. 2 BRAO erlischt die Zulassung nicht schon mit Wirksamwerden der Rücknahmeverfügung, sondern erst mit deren Bestandskraft. b) Ergänzende Anwendung des VwVfG aa) Verfahrensbestimmungen
101
Die Kammern werden allerdings auch in den Fällen der §§ 14 Abs. 1, 43c Abs. 4 S. 1 BRAO der Zahlungsverpflichtung nach § 48 Abs. 3 VwVfG nicht entgehen. Hat der Anwalt im Hinblick auf seine Zulassung oder Fachanwaltsbezeichnung Aufwendungen getätigt, wie bspw. Visitenkarten drucken lassen, und hat er den Tatbestandsirrtum der Kammer nicht schuldhaft verursacht bzw. die Aufklärung unterlassen, so kann er innerhalb eines Jahres nach Hinweis durch die Kammer den Vermögensnachteil (nicht über den Betrag des positiven Interesses hinaus) geltend machen.
102
Da die Spezialbestimmung des § 14 Abs. 1 BRAO keine zeitliche Frist für die Rücknahme vorsieht, dürfte auch § 48 Abs. 4 VwVfG keine Anwendung finden. Dies erscheint bei der Rücknahme der Zulassung gerechtfertigt, da das Vertrauen des betroffenen Rechtsanwalts und die Rechtssicherheit im Zweifel geringer zu bewerten sind als der Schutz der Rechtsuchenden sowie die Rechtsgüter der ordnungsgemäßen Rechtspflege. Dieser Ansatz entspricht im Übrigen anderen Spezialregelungen zur Rücknahme von Verwaltungsakten.6 So sieht beispielsweise auch § 45 Abs. 1 WaffG keine Rücknahmefrist vor. Diese Norm geht als spezielle und abschließende Regelung den allgemeinen Vorschriften der Verwaltungsverfahrensgesetze vor.7 Im Übrigen ist aber zu berücksichtigen, dass die Jahresfrist regelmäßig erst dann zu laufen beginnen würde, wenn eine positive und vollständige Kenntnis aller Tatsachen im weitesten Sinne vorliegen würde8 einschließlich der „Erkenntnis der Rechtswidrigkeit“.9 1 Für die Rechtsanwaltsgesellschaft gilt § 14 Abs. 1 über § 59h Abs. 2 S. 1 BRAO. 2 Kopp/Ramsauer, § 48 VwVfG Rz. 37. 3 Kopp/Ramsauer, § 48 VwVfG Rz. 38; Kleine-Cosack, AnwBl. 2009, 619 (621); zurückhaltend Quaas/Dahns, NJW 2009, 2705 (2706). 4 Henssler/Prütting/Henssler, § 14 Rz. 4. 5 Die Postulationsfähigkeit würde rückwirkend entfallen, so dass Prozesshandlungen nachträglich unwirksam würden. 6 Zum Meinungsstreit allerdings Kopp/Ramsauer, § 48 VwVfG Rz. 148 und Fn. 289. 7 MüKo-StGB/Heinrich, § 45 WaffG Rz. 1. 8 So die herrschende Rechtsprechung vgl. Kopp/Ramsauer, § 48 VwVfG, Rz. 153 und Fn. 298. 9 Kopp/Ramsauer, § 48 VwVfG, Rz. 154 und Fn. 302.
478 Siegmund
Ergänzende Anwendung des Verwaltungsverfahrensgesetzes
Rz. 108 § 32 BRAO
Bei der Rücknahme der Befugnis, die Fachanwaltsbezeichnung führen zu dürfen, hingegen dürfte das Vertrauen des Rechtsanwalts nach einem Jahr der Untätigkeit durch die Kammer höher einzustufen sein. § 48 Abs. 4 VwVfG findet ergänzend Anwendung. Inwieweit die Satzungsbestimmung des § 25 Abs. 2 FAO trotz der Ermächtigung in § 59b Abs. 2 Nr. 2 lit. b BRAO bundesgesetzliches Verfahrensrecht beeinflussen kann, kann daher dahinstehen.
102a
Die Rücknahme erfolgt bis zur Unanfechtbarkeit des Ausgangsbescheids auch bei einem Kammerwechsel durch die ursprünglich zuständige Behörde (§ 33 S. 1 Nr. 1 BRAO; ohne weitere Bedeutung: § 25 Abs. 1 FAO). Danach kann nach § 48 Abs. 5 i.V.m. § 3 VwVfG die Rücknahme auch durch eine andere Kammer erfolgen, sofern nicht nach § 3 Abs. 3 VwVfG die Zuständigkeit bei der bisher zuständigen Kammer verbleibt.
103
bb) Rücknahmegründe § 48 VwVfG gilt mit Ausnahme der Zulassung und der Verleihung der Fachanwaltsbezeichnung grundsätzlich uneingeschränkt für alle Verwaltungsakte nach der BRAO. So kann beispielsweise die Befreiung von der Kanzleipflicht zurückgenommen werden. Die Jahresfrist darf noch nicht abgelaufen sein. Die Befreiung muss rechtswidrig gewesen sein. Sie wird sinnvollerweise für die Zukunft zurückgenommen. Dem Betroffenen ist – sofern er schutzwürdig ist – der Vermögensnachteil auszugleichen, den er im Vertrauen auf den Bestand des Verwaltungsakts erlitten hat (gedeckelt auf den Betrag des positiven Interesses).
104
Soweit ersichtlich ist es allerdings ungeklärt, ob eine Rücknahme der Zulassung und der Verleihung der Fachanwaltsbezeichnung auch über § 48 VwVfG möglich ist. § 14 Abs. 1 und § 43c Abs. 4 S. 1 BRAO sehen eine Rücknahmegrund nur für den Fall vor, dass der Kammer nachträglich Tatsachen bekannt werden, bei deren Kenntnis (im Zeitpunkt der Entscheidung) die Zulassung bzw. Erlaubnis hätte versagt werden müssen. Damit sind alle übrigen Fälle nicht erfasst. Der Kammer waren beispielsweise alle Tatsachen bekannt, aber aufgrund eines Büroversehens kam es dennoch zum Erlass des begünstigenden Verwaltungsakts. Oder: Der Kammer waren alle Tatsachen bekannt, aber aufgrund eines Rechtsirrtums erfolgte eine fehlerhafte Subsumtion. Oder: Die Kammer hat die Zulassung nicht erteilt, sondern rechtswidrig abgelehnt.
105
Nach § 48 VwVfG liegt ein Rücknahmegrund bei einem rechtswidrigen Verwaltungsakt vor. Die Rechtswidrigkeit ist bereits bei jedem Verstoß gegen geltendes (formelles oder materielles) Recht gegeben (objektive Rechtswidrigkeit).1 Diese Rechtswidrigkeit soll aus Gründen der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, des öffentlichen Interesses und der Rechte der Betroffenen und Dritter auch nach Eintritt der Bestandskraft beseitigt werden können.2 Die Rücknahme steht dabei im Ermessen der Behörde.
106
Die §§ 14 Abs. 1, 43c Abs. 4 S. 1 BRAO schaffen Sonderregeln für den sensiblen Bereich der Rechtspflege. Diese Regeln sind jedenfalls im Bereich der Zulassung strenger, da der Kammer kein Ermessen zusteht. Es ist aber nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber rechtswidrige Zulassungen nur deswegen bestehen lassen wollte, weil sie nicht aufgrund einer falschen Tatsachengrundlage entstanden sind. Die Kammer hat somit auch in anderen Fällen, in denen rechtswidrige Verwaltungsakte erlassen worden sind, die Befugnis, diese aufzuheben. Sie hat dabei aber besonders sorgfältig ihr Ermessen auszuüben. Insbesondere hat sie von der Rücknahme abzusehen, wenn anschließend ohnehin sofort ein neuer, wieder begünstigender Verwaltungsakt erlassen werden müsste, vgl. den Grundsatz in § 14 Abs. 1 S. 2 BRAO. Hier hat die Kontinuität der Zulassung Vorrang.
107
43. Widerruf von Verwaltungsakten, § 49 VwVfG a) Vorrang der BRAO Ebenso wie bei der Rücknahme von Verwaltungsakten kennt die BRAO für den Widerruf der Zulassung zur Anwaltschaft und die Erlaubnis, eine Fachanwaltsbezeichnung zu führen, Sonderbestimmungen, §§ 14 Abs. 2 und 3, 43c Abs. 4 S. 2 BRAO. Hinzu kommen der Widerruf, die Berufsbezeichnung führen zu dürfen, § 17 Abs. 3 S. 1 BRAO, der Widerruf der Befreiung von der Kanzleipflicht, § 29 Abs. 2 BRAO, der Widerruf der Bestellung als Vertreter bzw. Abwickler, §§ 53 Abs. 8 bzw. 55 Abs. 4 BRAO, und der Widerruf der Zulassung als Rechts1 Kopp/Ramsauer, § 48 VwVfG Rz. 50 f. 2 Kopp/Ramsauer, § 48 VwVfG Rz. 1 f.
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§ 32 BRAO Rz. 109
Ergänzende Anwendung des Verwaltungsverfahrensgesetzes
anwaltsgesellschaft, § 59h Abs. 3 und 4 BRAO. Diese Bestimmungen haben als speziellere Normen Vorrang in der Anwendung vor § 49 VwVfG. 109
§ 14 Abs. 2 BRAO stellt sich als Spezialfall des § 49 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VwVfG dar.1 Der Kammer werden nachträglich Tatsachen bekannt, die einen Widerrufsgrund nach § 14 Abs. 2 Nr. 1–9 BRAO darstellen. Dieser entspricht wiederum einem der Versagungsgründe des § 7 BRAO (bis auf Nr. 5), die dazu berechtigen würden, die Zulassung nicht auszusprechen. Zulassung und Widerruf berühren immer Belange der Rechtspflege und stehen im öffentlichen Interesse. Der Widerruf ist nach § 14 Abs. 2 BRAO im Gegensatz zu § 49 Abs. 2 VwVfG eine gebundene Entscheidung. Er ist nicht nur befristet zulässig (vgl. im Gegensatz dazu §§ 49 Abs. 2 S. 2, 48 Abs. 4 VwVfG). Die Zulassung erlischt aufgrund der besonderen Systematik der BRAO, der betroffenen Verfassungswerte und der neuen Regelung in § 13 Alt. 3 BRAO anders als bei § 49 Abs. 4 VwVfG nicht sofort mit Wirksamkeit des Widerrufs, sondern erst mit dessen Bestandskraft (vgl. Rz. 100). Die Zuständigkeit ergibt sich zunächst aus § 33 S. 1 Nr. 1 BRAO (ohne weitere Bedeutung: § 25 Abs. 1 FAO). Bei einem Kammerwechsel gilt nach Unanfechtbarkeit des Bescheids der Verweis des § 49 Abs. 5 auf § 3 Abs. 3 VwVfG.
110
Die Widerrufsgründe der §§ 14 Abs. 3, 29 Abs. 2, 43c Abs. 4 S. 2 BRAO bestehen darin, dass der Rechtsanwalt innerhalb einer bestimmten Frist einer Pflicht (Kanzleipflicht im weitesten Sinne bzw. Fortbildungspflicht) nicht nachkommt bzw. das öffentliche Interesse ohne den Widerruf gefährdet wäre. Sie ähneln daher dem Widerruf nach § 49 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG. Sie setzen ebenso wie dieser die Ausübung des Ermessens voraus. Der Widerruf ist bei §§ 14 Abs. 3 und 29 Abs. 2 BRAO im Gegensatz zu §§ 49 Abs. 2 S. 2, 48 Abs. 4 VwVfG aber nicht nur befristet zulässig. Etwas anderes gilt im Falle des § 43c Abs. 4 S. 2 BRAO. Hier werden das Vertrauen des Rechtsanwalts und der Bestandsschutz höher zu bewerten sein, so dass §§ 49 Abs. 2 S. 2, 48 Abs. 4 VwVfG zur Anwendung kommen und der Widerruf nur innerhalb eines Jahres nach Kenntnis der ihn begründenden Umstände zulässig ist. Auf die Frage, inwieweit die Satzungsbestimmung des § 25 Abs. 2 FAO trotz der Ermächtigung in § 59b Abs. 2 Nr. 2 lit. b BRAO Auswirkungen auf bundesgesetzliches Verfahrensrecht haben kann, kommt es daher nicht mehr an.
111
Die Widerrufsgründe der §§ 17 Abs. 3 S. 1, 53 Abs. 8 und 55 Abs. 4 BRAO stehen ebenfalls im Ermessen der Kammer. Die Befugnis, die Berufsbezeichnung führen zu dürfen, kann jederzeit dann widerrufen werden, wenn auch die Zulassung bspw. aufgrund eines Widerrufs erlöschen würde. Die Bestellung von Vertretern und Abwicklern kann durch die Kammer jederzeit ohne besondere Voraussetzungen, aber selbstverständlich nach ordnungsgemäßer Ermessensausübung widerrufen werden. b) Ergänzende Anwendung des VwVfG
112
Im Hinblick auf den Zulassungswiderruf ist die enumerative Aufzählung der Widerrufsgründe in § 14 Abs. 2 und 3 BRAO als abschließend zu betrachten.2 Nur so wird die freie Berufsausübung des Rechtsanwalts und seine Stellung als unabhängiges Organ der Rechtspflege ausreichend geschützt. Die Erlaubnis nach den § 43c BRAO mag zwar auch aus anderen Gründen des § 49 Abs. 2 VwVfG widerrufen werden, doch ist die Erfüllung der sonstigen dort genannten Tatbestände nicht denkbar. Im Rahmen des § 29 Abs. 2 BRAO kommt ein Widerruf wegen Nichterfüllung von Auflagen in Betracht, § 49 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG (zum Widerruf der Befreiung von der Kanzleipflicht vgl. § 29 BRAO Rz. 26–29). Der Widerruf der Vertreter- und Abwicklerbestellung ist ohnehin ohne besondere Anforderungen jederzeit möglich. Für alle sonstigen Verwaltungsakte der BRAO gilt grundsätzlich § 49 VwVfG uneingeschränkt.
113
Eine Schadenersatzpflicht der Kammer nach § 49 Abs. 6 VwVfG dürfte regelmäßig bereits tatbestandlich ausscheiden. Denn diese setzt einen Widerruf nach § 49 Abs. 2 Nr. 3 bis 5 VwVfG voraus. Der Widerruf von Verwaltungsakten, die aufgrund der BRAO erlassen wurden, hat seine Rechtsgrundlage allerdings fast überwiegend in der BRAO. Und da der Betroffene aufgrund der Ausgestaltung der Widerrufsgründe nahezu ausschließlich selbst die Ursache für den Widerruf setzt, ist sein Vertrauen auf den Bestand des Verwaltungsakts auch nicht schützenswert.
1 Die Ausführungen gelten analog für den Widerruf der Zulassung als Rechtsanwaltsgesellschaft. 2 Dies gilt auch für den Widerruf der Zulassung als Rechtsanwaltsgesellschaft und die Befugnis zum Führen der Berufsbezeichnung.
480 Siegmund
Ergänzende Anwendung des Verwaltungsverfahrensgesetzes
Rz. 120 § 32 BRAO
44. Erstattung, Verzinsung, § 49b VwVfG Insbesondere bei der Rücknahme eines Verwaltungsakts nach der BRAO dürften die gezahlten Verwaltungsgebühren nicht nach § 49b VwVfG zurückzuerstatten sein. Denn die Gebühren sind mit Antragstellung fällig und nicht aufgrund des erlassenen Verwaltungsakts aufgewendet worden.
114
45. Rechtsbehelfsverfahren, § 50 VwVfG Die von § 50 VwVfG geregelten Sachverhalte sind für die Verwaltungsverfahren nach der BRAO ohne größere Bedeutung. Es fehlt regelmäßig an den typischen Dreiecksverhältnissen, bei denen auch die Interessen Dritter berücksichtigt werden müssen. Allenfalls die Festsetzung der Abwicklervergütung nach § 53 Abs. 10 S. 5 BRAO mag unter erleichterten Bedingungen im Rechtsbehelfsverfahren zurückzunehmen bzw. zu widerrufen sein.
115
46. Wiederaufgreifen, § 51 VwVfG Das Wideraufgreifen des Verfahrens nach § 51 VwVfG dürfte für das anwaltliche Berufsrecht keine größere Bedeutung gewinnen.1 Zwar ist vorstellbar, dass sich beispielsweise nach Ablehnung der Zulassung wegen Vermögensverfalls nach § 7 Nr. 9 BRAO die Vermögensverhältnisse des Antragstellers soweit bessern, dass eine Zulassung zur Anwaltschaft gewährt werden müsste. In diesen Fällen ist es ihm aber unbenommen, einen erneuten (gebührenpflichtigen) Zulassungsantrag zu stellen. Ein Wiederaufgreifen des alten Verfahrens ist nicht notwendig, da der ablehnende Bescheid keine Dauerwirkung hat. Die Ablehnung erfolgte nur zu einem bestimmten Zeitpunkt.2
116
Zudem ist zu beachten, dass Verwaltungsakte, die Gegenstand gerichtlicher Verfahren waren, der materiellen Rechtskraft fähig sind. Bei unveränderter Sachlage darf eine Rechtsanwaltskammer nicht erneut in die Sachprüfung eintreten. Erlässt sie dennoch einen Bescheid, der gerichtlich angegriffen wird, so prüft das angerufene Gericht im Rahmen der Begründetheit zunächst die Voraussetzungen des § 51 VwVfG. Die Rechtskraft steht als prozessulaes Institut, das auch dem öffentlichen Interesse dient, nicht zur Disposition der Beteiligten.3
116a
47. Rückgabe von Urkunden, § 52 VwVfG Bislang wurde es durch die Kammern nicht praktiziert, dass im Falle des Erlöschens der Zulassung (§ 13 BRAO) gleichzeitig die Zulassungsurkunde zurückgefordert wurde. Dies wäre nun über § 52 S. 1 und 2 VwVfG möglich. Lediglich die Anwaltsausweise wurden eingefordert. Der Verlust des Ausweises durch den Betroffenen konnte aber regelmäßig natürlich nicht nachgewiesen werden.
117
48. Verjährung, § 53 VwVfG Die Verjährungshemmung nach § 53 Abs. 1 VwVfG mag für die vollstreckbare Zahlungsaufforderung des Schatzmeisters nach § 84 Abs. 1 BRAO relevant werden. Diese Aufforderung ist ein Verwaltungsakt.4 Die Verjährungsfrist beträgt 30 Jahre, § 53 Abs. 2 VwVfG.
118
49. Öffentlich-rechtlicher Vertrag, §§ 54–62 VwVfG Die Kammern schließen in ihrer Verwaltungspraxis keine öffentlich-rechtlichen Verträge, so dass die §§ 54 bis 62 VwVfG keine Auswirkungen auf die Verfahren nach der BRAO haben werden.
119
50. Förmliches Verwaltungsverfahren, §§ 63–71 VwVfG Die BRAO ordnet bislang für keines ihrer Verwaltungsverfahren die Durchführung eines förmlichen Verfahrens entsprechend § 63 Abs. 1 VwVfG an.
1 2 3 4
A.A. möglicherweise Kleine-Cosack, AnwBl. 2009, 619 (621). Zur Abgrenzung von Antragsverfahren: Kopp/Ramsauer, § 51 VwVfG Rz. 7a und 7b. Ausführlich Kleine-Cosack, § 32 Anhang Rz. 4 f. m.w.N. Henssler/Prütting/Hartung, § 84 Rz. 5.
Siegmund 481
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§ 32 BRAO Rz. 121
Ergänzende Anwendung des Verwaltungsverfahrensgesetzes
51. Einheitliche Stelle, §§ 71a–71e VwVfG 121
Den Rechtsanwaltskammern können durch den Landesgesetzgeber nach § 73a S. 1 BRAO die Aufgaben einer einheitlichen Stelle alleine oder gemeinsam mit anderen Stellen übertragen erhalten. Für diesen Fall gelten für alle Verfahren, die über die einheitliche Stelle abgewickelt werden, nach § 71a Abs. 1 VwVfG die Vorschriften der §§ 71a–71e VwVfG. Für die Verwaltungsverfahren der BRAO ordnet § 32 S. 2 BRAO an, dass diese über eine einheitliche Stelle nach den Vorschriften des VwVfG abgewickelt werden können (Rz. 143). Zu beachten ist zudem, dass §§ 71b Abs. 3, 4 und 6, 71c Abs. 2 und 71e VwVfG auch dann gelten, wenn die Kammer als zuständige Behörde in Anspruch genommen wird.
122
Durch die europäische Dienstleistungsrichtlinie soll der grenzüberschreitende Dienstleistungsverkehr dadurch erleichtert werden, dass sich der Dienstleister im Aufnahmestaat nur an eine einheitliche Stelle zu wenden hat, über die er alle notwendigen Informationen erhalten und Formalien abwickeln kann (einheitlicher Ansprechpartner), vgl. u.a. Art. 6 der Richtlinie 2006/123/EG vom 12.12.2006.
123
Die einheitlichen Stellen üben eine Briefkastenfunktion aus. Eingänge sind fristwahrend. Sie korrespondieren im internen Verhältnis mit den zuständigen Behörden, § 71b VwVfG. Die einheitlichen Stellen versorgen den Dienstleister mit allen notwendigen Informationen, § 71c VwVfG. Zuständige Behörden und einheitliche Stellen unterstützen sich gegenseitig, § 71d VwVfG. Der Dienstleister hat einen Anspruch auf elektronische Verfahrensabwicklung, § 71e VwVfG. 52. Planfeststellungsverfahren, §§ 72–78 VwVfG
124
Das Planfeststellungsverfahren nach den §§ 72–78 VwVfG findet auf Verfahren nach der BRAO keine Anwendung, weil es durch sie nicht explizit angeordnet ist, § 72 Abs. 1 VwVfG. 53. Rechtsbehelfe, § 79 VwVfG
125
Die Vorschrift des § 79 VwVfG wird verdrängt durch die Norm des § 112c Abs. 1 S. 1 BRAO. Doch ergibt sich kein anderer Regelungsgehalt. Für förmliche Rechtsbehelfe gegen Verwaltungsakte gilt die VwGO, soweit durch die BRAO nicht etwas anderes bestimmt ist. 54. Erstattung von Kosten im Vorverfahren, § 80 VwVfG
126
Sofern bei den Kammern ein Vorverfahren (Widerspruchsverfahren) durchgeführt wird, hat die unterlegene Partei grundsätzlich die Kosten der anderen Partei zu ersetzen. Die Zuziehung eines (weiteren) Rechtsanwalts wird in der Regel nicht notwendig im Sinne des § 80 Abs. 2 VwGO. Der Betroffene wird das Verfahren aufgrund eigener Rechtskenntnis selbst führen können. 55. Ehrenamtliche Tätigkeit, §§ 81–87 VwVfG
127
Ehrenamtliche Tätigkeit bedeutet jede unentgeltliche Mitwirkung bei der Erfüllung öffentlicher Aufgaben, die auf Grund behördlicher Bestellung außerhalb eines hauptamtlichen oder nebenamtlichen Dienst ausgeführt wird. Die Selbstverwaltung der Anwaltschaft beruht auf dem Prinzip der ehrenamtlichen Tätigkeit. So sind Präsidium und Vorstand der Kammer nach § 75 S. 1 BRAO und ebenso wie Fachausschussmitglieder nach § 43c Abs. 3 S. 3 BRAO ehrenamtlich tätig. Zwar sind nur Fachausschussmitglieder durch den Vorstand der Kammer öffentlich-rechtlich bestellt. Doch kann der Berufung (§§ 86 S. 1, 84 Abs. 5 VwVfG) zu ehrenamtlicher Tätigkeit eine Wahl durch einen Ausschuss bzw. ein sonstiges Kollegialorgan wie bspw. die Wahl zum Kammervorstand durch die Kammerversammlung (oberstes Organ der Kammer, vgl. § 85 BRAO Rz. 1) vorausgehen1 Auf ihre Tätigkeit finden daher die §§ 81–87 VwVfG insoweit Anwendung, als durch die BRAO nicht Abweichendes geregelt ist, § 81 VwVfG. Anders hingegen bei ehrenamtlichen Richtern, §§ 95 S. 1, 103 Abs. 2 S. 1 BRAO, den Präsidenten der Bundesrechtsanwaltskammer, § 183 S. 1 BRAO, und den Mitgliedern der Satzungsversammlung, § 191b Abs. 3 S. 1 BRAO. Diese werden nicht in Verwaltungsverfahren nach VwVfG tätig.
128
Eine Wahl zum Kammervorstand kann nur unter den in den Nrn. 1–3 des § 67 BRAO genannten Gründen abgelehnt werden. Gleiches gilt für die Bestellung zum Mitglied des Fach1 Stelkens/Bonk/Sachs/Bank/Kallerhoff, § 81 VwVfG Rz. 9.
482 Siegmund
Ergänzende Anwendung des Verwaltungsverfahrensgesetzes
Rz. 137 § 32 BRAO
ausschusses, § 19 Abs. 1 FAO. Insoweit besteht eine Pflicht zur Übernahme des Ehrenamts, § 82 VwVfG. Bislang sieht die BRAO keine gesonderte Verpflichtung zu Unparteilichkeit und Verschwiegenheit im Sinne von § 83 Abs. 2 VwVfG vor. Die Pflicht zur Verschwiegenheit ergibt sich vielmehr unmittelbar aus § 76 BRAO. Dennoch sollte zukünftig eine derartige Erklärung zu den Akten genommen werden.
129
Die Norm des § 84 VwVfG wird vollständig durch die speziellere Norm des § 76 BRAO verdrängt. Zum einen erteilt die Genehmigung zur Aussage nicht die Aufsichtsbehörde, sondern der Gesamtvorstand der Rechtsanwaltskammer, § 76 Abs. 3 S. 1 BRAO. Zum anderen darf die Genehmigung nicht (nur) versagt werden, wenn die Aussage dem Wohl des Bundes oder eines Landes Nachteile bereiten oder die Erfüllung öffentlicher Aufgaben ernstlich gefährden oder erheblich erschweren würde (§ 84 Abs. 3 VwVfG). Die Genehmigung soll dann versagt werden, wenn Rücksichten auf die Stellung oder die Aufgaben der Rechtsanwaltskammer oder berechtigte Belange der Personen, über welche die Tatsachen bekannt geworden sind, es unabweisbar erfordern, § 76 Abs. 3 S. 2 BRAO.
130
Der Anspruch auf Entschädigung und Reisekostenvergütung ergibt sich aus § 75 S. 2 BRAO (ggf. i.V.m. § 43c Abs. 3 S. 3 BRAO, § 21 FAO). Diese Aufwandsentschädigung sieht einen Ersatz des Verdienstausfalls nicht vor. Insoweit wird § 85 VwVfG verdrängt.
131
Die Abberufung von Vorstandsmitgliedern sieht die BRAO nicht vor. Geregelt ist lediglich das vorzeitige Ausscheiden nach § 69 BRAO bzw. das Ruhen der Mitgliedschaft im Vorstand, § 69 Abs. 4 S. 1 und 2 BRAO. Eine Anwendung von § 86 VwVfG kommt daneben nicht in Betracht, da sonst die Unabhängigkeit der anwaltlichen Selbstverwaltung gefährdet wäre.
132
In § 20 Abs. 3 FAO ist die Abberufung eines Fachausschussmitglieds durch den Vorstand vorgesehen. Diese ohnehin nur als Satzungsbestimmung ausgestaltete Regelung ist insofern bedenklich, als dass für die Abberufung keinerlei Grund gefordert wird. Dies gefährdet in erheblichem Maße die unabhängige Stellung des Fachausschusses gegenüber dem Vorstand. Daher sollte ergänzend § 86 VwVfG herangezogen und für die Abberufung ein wichtiger Grund gefordert werden. Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn das Fachausschussmitglied eine Pflicht (z.B. Verschwiegenheitsverpflichtung) gröblich verletzt oder sich als unwürdig erwiesen hat oder wenn es seine Tätigkeit nicht mehr ordnungsgemäß ausüben kann.
133
Völlig neu in der Systematik der BRAO ist die Sanktionsnorm des § 87 VwVfG. Es bleibt zwar zu erwarten, dass die Bestimmung ohne praktische Relevanz bleibt. Dennoch könnte zukünftig in dem Fall, dass eine Wahl oder Bestellung ohne Grund nach § 67 BRAO abgelehnt wird eine Ordnungswidrigkeit geahndet werden. Gleiches gilt für die Niederlegung des Amtes ohne Grund (§§ 69 Abs. 1 Nr. 2 BRAO, 20 Abs. 2 FAO).
134
56. Ausschüsse, §§ 88–93 VwVfG Ausschüsse im Sinne der §§ 88–93 VwVfG sind Kollegialorgane, die aus mehreren Personen bestehen und deren Willensbildung nach dem Kollegialprinzip verläuft. Erfasst werden nicht nur Ausschüsse mit einer Kompetenz zu Endentscheidungen, sondern alle kollegialen Einrichtungen, insbesondere auch Beiräte, die nur beratende Funktion haben, und selbstständige Ausschüsse, die eine Entscheidung nur vorbereiten. Auf die Bezeichnung des Kollegialorgans kommt es nicht an. Entscheidend ist ein Mindestmaß an Organisation und Kontinuität. Jedenfalls muss das Kollegialorgan in einem Verwaltungsverfahren tätig werden.1
135
Anwaltsrichter, die Präsidenten der Bundesrechtsanwaltskammer, die Mitglieder der Satzungsversammlung sowie die Kammerversammlung werden nicht in Verwaltungsverfahren nach VwVfG tätig. Ihre Tätigkeit wird nicht von den §§ 88–93 VwVfG erfasst.2 Etwas anderes gilt für den Vorstand mit seinen Abteilungen, das Präsidium und die Fachausschüsse der Regionalkammern. Für sie gelten die Regelungen der §§ 88–93 VwVfG soweit die BRAO keine speziellen Bestimmungen enthält.
136
Nach § 89 VwVfG eröffnet, leitet und schließt der Vorsitzende die Sitzungen; er ist für die Ordnung verantwortlich. Der Präsident hat im Präsidium und im Vorstand den Vorsitz, § 80
137
1 Kopp/Ramsauer, § 88 VwVfG Rz. 5, 6 und 8. 2 Zum Meinungsstreit bzgl. der Vollversammlung einer Kammer des öffentlichen Rechts Kopp/Ramsauer, § 88 VwVfG Rz. 6a.
Siegmund 483
§ 32 BRAO Rz. 138
Ergänzende Anwendung des Verwaltungsverfahrensgesetzes
Abs. 3 BRAO. In Abteilungen hat ein gewähltes Mitglied den Vorsitz, § 77 Abs. 2 S. 2 BRAO. Gleiches gilt für die Fachausschüsse, § 17 Abs. 4 FAO. 138
Die Beschlussfähigkeit des Vorstands ergibt sich aus § 71 BRAO. Diese Bestimmung gilt auch für die aus dem Vorstand gebildeten Kollegialorgane wie Präsidium und Abteilungen. Danach genügt die Anwesenheit von mindestens der Hälfte der Mitglieder. Ebenso genügt die Beteiligung von mindestens der Hälfte am schriftlichen Verfahren. Die strengere Bestimmung des § 90 VwVfG, wonach alle Mitglieder geladen und vor allem mehr als die Hälfte der Mitglieder (mindestens aber drei) anwesend sein muss, wird insoweit verdrängt.1 Etwas anderes gilt allerdings für die Fachausschüsse. Da hier keine Sonderregeln bestehen, wird § 90 VwVfG Anwendung finden. Die Geschäftsordnung nach § 17 Abs. 6 FAO gilt nicht als Rechtsvorschrift im Sinne des § 88 VwVfG.
139
Die Regelung zur Beschlussfassung in § 91 VwVfG entspricht weitestgehend § 72 Abs. 1 BRAO. Für den Fall, dass der Vorsitzende allerdings nicht stimmberechtigt ist, gilt Stimmengleichheit als Ablehnung. Hier ergänzt das VwVfG die BRAO. Da für Fachausschüsse ohnehin keine Regelung zur Beschlussfassung besteht, findet § 91 VwVfG vollumfänglich Anwendung.
140
Für die Wahl finden sich in der BRAO nahezu keine Bestimmungen, vgl. § 72 Abs. 1 S. 2 und 3, Abs. 2 S. 2, Abs. 3 Alt. 2 BRAO. Nach § 92 VwVfG werden daher zukünftig die Wahlen auf Verlangen der Mitglieder mit Stimmzettel oder geheim erfolgen müssen. Sind mehrere gleichartige Wahlstellen zu besetzen, so ist nach dem Höchstzahlverfahren d’Hondt zu wählen, außer wenn einstimmig etwas anderes beschlossen worden ist. Über die Zuteilung der letzten Wahlstelle entscheidet bei gleicher Höchstzahl das vom Leiter der Wahl zu ziehende Los.
141
Die Regelung zur Niederschrift über die Sitzung des Vorstands ist wenig detailreich ausgestaltet und in § 72 Abs. 3 BRAO zu finden. Ähnliches gilt für die Sitzungen der Abteilungen (§ 77 Abs. 2 S. 2 BRAO: Abteilungsschriftführer) und Fachausschüsse (§ 17 Abs. 4 FAO: Schriftführer; § 24 Abs. 3 FAO: Inhaltsprotokoll). Gerade hinsichtlich des Inhalts, aber auch hinsichtlich der Form ist § 92 VwVfG für alle Gremien zu beachten. 57. Übergangsbestimmungen, § 96 VwVfG
142
§ 96 VwVfG entspricht inhaltlich dem § 215 Abs. 1 BRAO. Danach werden bereits begonnene Verwaltungsverfahren nach dem Stichtag des Inkrafttretens der BRAO-Novelle 2009 grundsätzlich nach neuem Verfahrensrecht, also entsprechend § 32 BRAO nach VwVfG fortgeführt. Bereits getroffene Maßnahmen bleiben wirksam. Vor dem Stichtag eingeleitete Verwaltungsverfahren richten sich kostenrechtlich nach altem Recht. Die Zulässigkeit von Rechtsbehelfen einschließlich des Verfahrensrechts richten sich nach altem Recht, wenn die Rechtsmittel vor dem Stichtag ergriffen wurden. III. Verwaltungsverfahren über eine einheitliche Stelle
143
§ 32 S. 2 BRAO wurde erst auf Vorschlag des Rechtsausschusses angefügt.2 Nach Art. 6 der EU-Dienstleistungsrichtlinie muss gewährleistet sein, dass Verwaltungsverfahren über einheitliche Ansprechpartner abgewickelt werden können. Die Grundlage hierfür bieten im deutschen Verwaltungsverfahrensrecht die §§ 71a ff. VwVfG (vgl. Rz. 121), in denen das Verfahren über eine einheitliche Stelle im Sinn der Dienstleistungsrichtlinie geregelt ist. Ihre Geltung muss in dem jeweiligen Fachgesetz gesondert angeordnet werden. Der neue § 32 S. 2 BRAO trifft diese Anordnung für alle Verwaltungsverfahren nach der BRAO.3 Sofern durch den Landesgesetzgeber eine Aufgabenzuweisung über § 73a BRAO erfolgt, können alle Verwaltungsverfahren (vgl. Rz. 16–17) nach der BRAO (bzw. auf ihrer Grundlage erlassenen Rechtsverordnungen, vgl. Rz. 18–19) über die einheitliche Stelle abgewickelt werden.
144
Auch wenn die Inanspruchnahme von einheitlichen Stellen bislang ohne größere praktische Relevanz geblieben ist, ist zu beachten, dass nach § 71a Abs. 2 VwVfG zahlreiche Bestimmungen für die Kammern als zuständige Behörde gelten. Nach § 71b Abs. 3 VwVfG ist eine besondere Empfangsbestätigung einschließlich Rechtsbehelfsbelehrung auszustellen. Sofern Antragsunterlagen fehlen, sind diese unverzüglich nachzufordern und entsprechende 1 Die Bestimmung, dass kein Mitglied dem schriftlichen Verfahren widersprechen darf, findet sich wohl systemwidrig in den Regelungen zur Beschlussfassung: § 72 Abs. 4 BRAO. 2 § 32 S. 2 trat erst am 28.12.2009 in Kraft, vgl. Art. 10 S. 3 G v. 30.7.2009 (BGBl. I, S. 2449). 3 BT-Drs. 16(6)294, S. 60.
484 Siegmund
Ergänzende Anwendung des Verwaltungsverfahrensgesetzes
Rz. 149 § 32 BRAO
Hinweise zum Fristlauf zu erteilen, § 71b Abs. 4 VwVfG. Die Bekanntgabe von Verwaltungsakten, die postalisch ins Ausland versandt werden, ist in § 71b Abs. 6 gesondert geregelt. Die Kammern treffen die Informationspflichten nach § 71c VwVfG. In § 71e VwVfG ist der Anspruch auf Abwicklung des Verfahrens in elektronischer Form geregelt. IV. Dreimonatsfrist Nach § 32 Abs. 2 S. 1 Hs. 1 BRAO ist über Anträge, die Verwaltungsverfahren nach § 32 Abs. 1 BRAO in Gang setzen, innerhalb von drei Monaten zu entscheiden. Dies ist dem Antragsteller bei Antragstellung mitzuteilen, §§ 71a Abs. 2 VwVfG, 32 Abs. 1 S. 2 BRAO in Verbindung mit § 71b Abs. 3 VwVfG. Durch den Verweis in § 32 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 BRAO auf § 42a Abs. 2 S. 2 bis 4 beginnt die Frist mit Eingang der vollständigen Unterlagen und kann einmal verlängert werden, wenn die Angelegenheit schwierig ist und die Verlängerung begründet wird. Die Genehmigungsfiktion nach § 42a Abs. 1 VwVfG wird nicht angeordnet.
145
Durch die Verweisung auf § 42a Abs. 2 S. 3 VwVfG wird gewährleistet, dass die zuständige Behörde in besonders gelagerten Ausnahmefällen – möglicherweise etwa im Verfahren über die Rechtsanwaltszulassung bei dem Bundesgerichtshof – die Frist angemessen verlängern kann. Eine solche Fristverlängerung ist gemäß § 42a Abs. 2 Satz 4 VwVfG gesondert zu begründen und dem Antragsteller rechtzeitig vor Ablauf der gesetzlichen Frist mitzuteilen. Von der für eine Fristverlängerung nach § 42a Abs. 2 S. 3 VwVfG erforderlichen „Schwierigkeit der Angelegenheit“ ist dabei auch dann auszugehen, wenn – etwa im Verfahren über die Befugnis zur Führung einer Fachanwaltsbezeichnung – zur Aufklärung oder Ergänzung des Sachverhalts eine weitere Mitwirkungshandlung des Antragstellers erforderlich wird. Die Frist kann in diesen Fällen um die für die Beibringung der erforderlichen Informationen oder Unterlagen erforderliche Zeit zuzüglich eines für die abschließende Prüfung und Entscheidungsfindung erforderlichen Zeitraums verlängert werden.1
146
Bereits aus der Verweisung auf § 42a Abs. 2 S. 2 VwVfG ergibt sich, dass der Lauf der dreimonatigen Entscheidungsfrist erst beginnt, wenn sämtliche zur Entscheidung über den Antrag erforderlichen Unterlagen vorliegen. Lediglich klarstellend werden daneben in den neuen S. 4 und 5 des § 32 BRAO die Fälle der Einholung eines ärztlichen Gutachtens und eines schwebenden Ermittlungs- bzw. Strafverfahrens gesondert geregelt.2 In Fachanwaltssachen beginnt die Frist somit dann zu laufen, wenn der Antrag formal vollständig eingereicht wurde. Sind umfangreiche Nachfragen zur Fallbeschreibung erforderlich, bleibt nur die angemessene Verlängerung, die mit der Fristsetzung nach § 24 Abs. 4 S. 3 FAO korrespondieren sollte, so dass noch innerhalb der verlängerten Frist eine Entscheidung nach Aktenlage ergehen kann.
147
Weitere Regelungen zur Entscheidungsfrist und zum Verwaltungsverfahren sind zur Umsetzung der EU-Dienstleistungsrichtlinie nicht erforderlich: Zum einen gelangen durch die in § 32 S. 2 BRAO geregelte Möglichkeit der Verfahrensabwicklung über eine einheitliche Stelle die §§ 71a ff. VwVfG zur Anwendung. Nach § 71a Abs. 2 VwVfG sind die für die einheitliche Stelle geltenden verfahrensrechtlichen Regelungen unmittelbar auch auf das Verfahren vor einer zuständigen Behörde anzuwenden. Die Rechtsanwaltskammern und sonstigen zur Durchführung von Verwaltungsverfahren nach der BRAO berufenen Behörden haben daher bereits nach geltendem Recht die Pflichten aus § 71b Abs. 3, 4 und 6, § 71c Abs. 2 und § 71e VwVfG zu beachten.3
148
Zum anderen bedarf es auch nicht einer gesetzlichen Anordnung einer Genehmigungsfiktion im Sinn des § 42a Abs. 1 VwVfG für Anträge auf Zulassung zur Rechtsanwaltschaft. Zwar sieht Art. 13 Abs. 4 S. 1 der EU-Dienstleistungsrichtlinie im Regelfall den Eintritt einer Genehmigungsfiktion vor, wenn ein Antrag nicht binnen der festgelegten oder verlängerten Frist beantwortet wird. Eine Genehmigungsfiktion kann allerdings nach Art. 13 Abs. 4 S. 2 der EU-Dienstleistungsrichtlinie dann ausgeschlossen werden, wenn dies durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses, einschließlich eines berechtigten Interesses Dritter, gerechtfertigt ist. Diese Voraussetzung liegt hier vor: Eine Person, der infolge einer Genehmigungsfiktion die Beratung und Vertretung der Rechtsuchenden als Rechtsanwältin oder Rechtsanwalt gestattet wird, obwohl nicht gewährleistet ist, dass sie oder er die erforderliche berufliche Qualifikation und Zuverlässigkeit besitzt, stellt eine Gefährdung für die
149
1 BT-Drs. 17/3356, S. 13 f. 2 BT-Drs. 17/3356, S. 14. 3 BT-Drs. 17/3356, S. 14.
Siegmund 485
§ 32 BRAO Rz. 150
Ergänzende Anwendung des Verwaltungsverfahrensgesetzes
Rechtspflege, die Interessen der Rechtsuchenden und die Rechtsordnung insgesamt dar. Um sicherzustellen, dass die Rechtsanwaltstätigkeit nur dann ausgeübt werden darf, wenn die Voraussetzungen der BRAO geprüft wurden, ist es deshalb gerechtfertigt, von einer Genehmigungsfiktion abzusehen.1 150
Ein Verstoß gegen die Dreimonatsfrist durch die zuständige Behörde zieht keine unmittelbare verfahrensrechtliche Rechtsfolge nach sich. Denn die Aufnahme der Dreimonatsfrist in das Verfahrensrecht sollte unter anderem (nur) Signalwirkung entfalten.2 Es besteht aber die Möglichkeit rechtsaufsichtlichen Einschreitens, § 62 Abs. 2 BRAO. Zudem kann eine Verletzung der Dreimonatsfrist Amtshaftungsansprüche auslösen.3
151
Ungeklärt scheint noch das Verhältnis zu § 75 S. 2 VwGO zu sein, der für die verwaltungsprozessuale Untätigkeitsklage gilt, die einen Unterfall der Verpflichtungsklage darstellt. Das Verstreichen von drei Monaten nach Antragstellung ist in diesem Zusammenhang Sachentscheidungsvoraussetzung für das erkennende Gericht.4 Dabei können besondere Umstände wie bspw. sonstige gesetzliche Fristen auch eine kürzere Frist geboten erscheinen lassen. Fraglich ist allerdings, wie zu verfahren ist, wenn die Behörde die Dreimonatsfrist in rechtmäßiger Weise nach § 42a Abs. 2 S. 3 VwVfG verlängert hat. Man wird dann wohl von einem zureichenden Grund nach § 75 S. 3 VwGO ausgehen müssen, so dass das Gericht das Verfahren unter Fristsetzung für die Behörde aussetzen wird. Die Dauer der Frist wird sich nach der Fristverlängerung nach § 42a Abs. 2 S. 3 VwVfG bemessen.
152
Praktische Relevanz hat die Dreimonatsfrist insbesondere in Fachanwaltssachen. Bereits nach alter Rechtslage war eine (prozessuale) Dreimonatsfrist in § 223 Abs. 2 BRAO a.F. geregelt. Der AGH Baden-Württemberg vertrat die Auffassung, dass eine Kammer die notwendigen organisatorischen Voraussetzungen dafür schaffen müsse, um den ihr übertragenen Aufgaben in der gesetzlichen Art und Weise nachkommen zu können und eine rasche Entscheidung über Fachanwaltsanträge zu ermöglichen.5 Der AGH Hamm entschied im Rahmen des § 75 VwGO, dass eine unberechtigte Forderung des Fachausschusses, der Arbeitsproben in elektronischer Form nicht genügen lasse, keine Verzögerung rechtfertigen könne.6 Das LG Köln stellte in demselben Fall einen Schadensersatzanspruch dem Grunde nach fest.7
153
Ergibt die im gerichtlichen Verfahren vorgelegte Korrespondenz, dass ein umfassender Schriftverkehr zwischen dem Antragsteller und der Kammer geführt wurde, kann eine 19monatige Prüfungszeit nach Antragseingang gerade noch als angemessen im Sinne des § 75 VwGO angesehen werden.8 und örtliche Zuständigkeit 33 BRAO Sachliche (1) Für die Ausführung dieses Gesetzes und der auf seiner Grundlage
erlassenen Rechtsverordnungen sind die Rechtsanwaltskammern zuständig, soweit nichts anderes bestimmt ist.
(2) 1Das Bundesministerium der Justiz wird ermächtigt, die Aufgaben und Befugnisse, die ihm nach diesem Gesetz zustehen, auf den Präsidenten des Bundesgerichtshofes zu übertragen. 2Die Landesregierungen werden ermächtigt, die Aufgaben und Befugnisse, die den Landesjustizverwaltungen nach diesem Gesetz zustehen, durch Rechtsverordnung auf diesen nachgeordnete Behörden zu übertragen. 3Die Landesregierungen können diese Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf die Landesjustizverwaltungen übertragen. (3) 1Örtlich zuständig ist die Rechtsanwaltskammer, 1. deren Mitglied der Rechtsanwalt ist, 2. bei der die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft beantragt ist oder 3. in deren Bezirk die Gesellschaft ihren Sitz hat, die die Zulassung als Rechtsanwaltsgesellschaft besitzt oder beantragt. 1 2 3 4 5 6 7 8
BT-Drs. 17/3356, S. 14. BR-Drs. 580/08, S. 24. LG Köln, BRAK-Mitt. 2011, 258. Kopp/Schenke, § 75 VwGO Rz. 8. AGH Baden-Württemberg, BRAK-Mitt. 2008, 274. AGH Hamm, BRAK-Mitt. 2011, 204. LG Köln, BRAK-Mitt. 2011, 258. AGH Hessen, BRAK-Mitt. 2012, 184.
486 Siegmund
Rz. 5 § 33 BRAO
Sachliche und örtliche Zuständigkeit
2 Wird die Aufnahme in eine andere Rechtsanwaltskammer beantragt (§ 27 Abs. 3), so entscheidet diese über den Antrag.
A. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . .
1
B. Zweck der Norm . . . . . . . . . . . .
3
C. Einzelkommentierung der BRAO-Vorschrift . . . . . . . . . . . . . . . . .
5
I. II. III. IV.
Sachliche Zuständigkeit . . Funktionale Zuständigkeit . Übertragungsermächtigung . Örtliche Zuständigkeit . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
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. . . .
5 9 10 16
A. Allgemeines Vor der BRAO-Novelle 2009 waren die Regelungen zur Zuständigkeit für Verwaltungsentscheidungen in der BRAO verstreut und mehrfach geregelt. Daher wurde mit § 33 BRAO eine neue einheitliche Regelung zur Zuständigkeit geschaffen. Grundsätzlich ist danach die Rechtsanwaltskammer zuständig, in der der Betroffene Mitglied ist oder sein will. Abweichend bleiben die Landesjustizverwaltungen oder das Bundesministerium der Justiz sachlich zuständig, wo dies ausdrücklich angeordnet ist. So obliegt zum Beispiel der Landesjustizverwaltung die Aufsicht über die Rechtsanwaltskammern (§ 62 Abs. 2 BRAO). Das Bundesministerium der Justiz nimmt Aufgaben im Zusammenhang mit der Rechtsanwaltschaft bei dem Bundesgerichtshof wahr, § 163 BRAO. Die Befugnis des § 33 Abs. 2 BRAO, Aufgaben auf nachgeordnete Behörden zu übertragen, übernimmt die Regelung des inhaltsgleichen gleichzeitig aufgehobenen § 224 BRAO und gestaltet die Delegationsbefugnisse der Landesregierungen und der Landesjustizverwaltungen entsprechend den Vorgaben nach Art. 80 GG aus.1
1
Die BRAO-Novelle 2009 setzt damit konsequent die im Jahr 2007 in Kraft getretenen Änderungen des Gesetzes zur Stärkung der Selbstverwaltung der Rechtsanwaltschaft fort.2 Vor diesen Änderungen waren für die Ausführung der BRAO originär die Landesjustizverwaltungen zuständig. Ausführende Behörde waren häufig die Oberlandesgerichte, § 224 BRAO a.F. Im Jahr 1998 trat § 224a BRAO in Kraft,3 wonach die Aufgaben der Landesjustizverwaltungen durch Rechtsverordnung auch auf die Rechtsanwaltskammern übertragen werden konnten. Dies wurde in den meisten Ländern umgesetzt. Durch das Gesetz zur Stärkung der Selbstverwaltung wurde schließlich die originäre Zuständigkeit der Rechtsanwaltskammern durch die Änderung der BRAO geschaffen. Durch die aktuellen Änderungen wurden die Regelungen zur Zuständigkeit nun in § 33 BRAO gebündelt.
2
B. Zweck der Norm Die Zuständigkeit von Behörden koordiniert das reibungslose Zusammenwirken der verschiedenen Stellen innerhalb des Staates. Sie ist entscheidend für die formelle Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns. Die Zuständigkeit muss in sachlicher, örtlicher und funktionaler Hinsicht geregelt sein. In § 33 BRAO wird die sachliche und örtliche Zuständigkeit bestimmt.
3
Mit der Schaffung des § 33 BRAO und der Aufhebung der vereinzelten Regelungen zur Zuständigkeit wird die BRAO gestrafft und übersichtlicher. Sie erhält die dringend benötigte Systematik. Für die am Verwaltungsverfahren Beteiligten wird eine deutlich erhöhte Transparenz erzielt, die wiederum die Rechtsdurchsetzung erleichtert.
4
C. Einzelkommentierung der BRAO-Vorschrift I. Sachliche Zuständigkeit Nach § 33 Abs. 1 BRAO sind die Rechtsanwaltskammern grundsätzlich für die Ausführung der BRAO zuständig (vgl. § 32 BRAO Rz. 16–17). Sie nehmen alle in Zulassungssachen erforderlichen Amtshandlungen vor. Somit wurden die einzelnen Regelungen zur Zuständigkeit in Zulassungs- (§ 6 Abs. 2 BRAO a.F.) und Widerrufssachen (§ 16 Abs. 1 S. 1 BRAO a.F.) überflüssig und aufgehoben. 1 BT-Drs. 16/11385, S. 54 f. 2 BGBl. I, S. 358 ff. 3 BGBl. I, S. 2600.
Siegmund 487
5
§ 33 BRAO Rz. 6
Sachliche und örtliche Zuständigkeit
6
Trotz der systematischen Stellung im Zweiten Teil der BRAO mit dem Namen „Die Zulassung des Rechtsanwalts“ gilt § 33 BRAO aufgrund des klaren Wortlauts für die Ausführung der gesamten BRAO, also auch für Amtshandlungen außerhalb des Zulassungswesens wie bspw. der Berufsaufsicht. Dies ist allerdings ohne größere praktische Bedeutung, da sich in diesen Fällen die sachliche Zuständigkeit ohnehin aus der funktionalen Zuständigkeit ableiten lässt. So sind die Aufgaben des Vorstands der Kammer zugleich auch immer die Aufgaben der Kammer selbst, vgl. bspw. §§ 73 f. BRAO. Das gleiche gilt für die Aufgaben der Kammerversammlung, § 89 BRAO, (vgl. § 73 BRAO Rz. 1).1
6a
Zu beachten ist allerdings, dass die Kammern – gerade im Rahmen der Berufsaufsicht – freilich immer nur für die eigenen Mitglieder im Sinne des § 60 Abs. 1 S. 2 BRAO zuständig sind. Verfehlungen anderer Berufsträger werden durch die anderen Berufskammern verfolgt, bspw. die Steuerberaterkammern. Rechtsanwälte, die Mitglieder in anderen Rechtsanwaltskammern sind, können nicht durch die Kammer verfolgt werden, in deren Bezirk sie rechtswidrig eine Kanzlei betreiben. Auch wenn Pflichten in der BRAO verankert sind, können Verstöße nicht durch die Rechtsanwaltskammern verfolgt werden, wenn sie durch sonstige Personen begangen worden sind, vgl. bspw. § 49b Abs. 4 S. 4 oder § 59m Abs. 3 BRAO (vgl. § 74 BRAO Rz. 12 ff.).
7
Die sachliche Zuständigkeit muss von der Verbandskompetenz abgegrenzt werden. Die Verbandskompetenz steht für alle Aufgaben und Befugnisse der Kammer. Sie umfasst sowohl die ausdrücklich zugewiesenen Aufgaben als auch die eigenen Aufgaben. Sie ist vergleichbar mit dem übertragenen und eigenen Wirkungskreis der Kommunen. Die sachliche Zuständigkeit bestimmt hingegen, welche Behörde das konkrete Verwaltungsverfahren durchzuführen hat. Sie weist der Kammer damit gleichzeitig eine Aufgabe ausdrücklich durch Gesetz zu.2
8
Schließlich gilt die sachliche Zuständigkeit der Rechtsanwaltskammern auch für die Ausführung der aufgrund der BRAO erlassenen Rechtsverordnungen (vgl. § 32 BRAO Rz. 18). Da Satzungen und Geschäftsordnungen in der Regel die Bestimmungen der BRAO lediglich konkretisieren, dürfte die Zuständigkeitsregel sich auch auf diese erstrecken (vgl. § 32 BRAO Rz. 19). II. Funktionale Zuständigkeit
9
Dem Kammervorstand obliegen die der Rechtsanwaltskammer nach der BRAO zugewiesenen Aufgaben, § 73 Abs. 1 S. 2 BRAO. Er hat daher grundsätzlich die Verwaltungsverfahren durchzuführen, für die die Kammer die sachliche Zuständigkeit nach § 33 Abs. 1 BRAO erhalten hat. Der Vorstand kann diese Aufgabe an einzelne Mitglieder des Vorstands nach § 73 Abs. 3 BRAO oder (durch Beschluss) an das Präsidium nach § 79 Abs. 1 Alt. 2 BRAO oder (durch Geschäftsordnung) an den Präsidenten nach § 80 Abs. 4 BRAO übertragen. III. Übertragungsermächtigung
10
Systematisch wohl nicht korrekt befindet sich in § 33 Abs. 2 BRAO unter der Überschrift „Sachliche und örtliche Zuständigkeit“ auch eine Ermächtigung zur Übertragung von Aufgaben und Befugnissen (vgl. Rz. 1). Nach § 33 Abs. 1 S. 1 BRAO wird das Bundesministerium der Justiz ermächtigt, die Aufgaben und Befugnisse, die ihm nach der BRAO zustehen, auf den Präsidenten des BGH zu übertragen. Diese Ermächtigung wäre wohl besser in § 163 BRAO verortet worden.
11
Gemäß § 224 BRAO a.F. hat das Bundesministerium der Justiz bereits durch „Erlass über die Ermächtigung des Präsidenten des Bundesgerichtshofs in Rechtsanwaltssachen“ vom 10.8.1959 Zuständigkeiten für die Bestellung von Vertretern und Abwicklern übertragen.3 Durch die Neufassung des § 163 S. 1 BRAO sind nun die Aufgaben des Bundesministeriums der Justiz erweitert bzw. klargestellt worden. Das Bundesministerium der Justiz, das über den Antrag auf Zulassung als Rechtsanwalt bei dem Bundesgerichtshof entscheidet (§ 170 Abs. 1 S. 1 BRAO), soll – wie nach BRAO a.F. – auch über alle Fragen entscheiden, die die Zulassung und deren Rücknahme oder Widerruf von Rechtsanwälten bei dem Bundesgerichtshof betreffen (vgl. § 163 BRAO Rz. 1 ff.). 1 Kluth, B. Rz. 48. 2 Die erforderliche Trennschärfe fehlt auch in § 33 Abs. 2 BRAO: „Aufgaben und Befugnisse“. 3 BAnz 1959, Nr. 162.
488 Siegmund
Sachliche und örtliche Zuständigkeit
Rz. 19 § 33 BRAO
Es soll auch diejenigen Aufgaben wahrnehmen, die in einem engen Zusammenhang mit diesen Zulassungsaufgaben stehen: Dabei handelt es sich um die Aufgaben, die die Kanzlei bzw. eventuelle Zweigstellen betreffen (§§ 27, 29, 29a BRAO; vgl. § 172b S. 2 BRAO), sowie die Aufgaben, die die Bestellung eines Vertreters oder Abwicklers betreffen (§§ 53, 55 BRAO; vgl. § 173 BRAO). Auch die Zuständigkeit nach § 117 Abs. 2 VVG i.V.m. § 51 Abs. 7 BRAO (vgl. aber auch § 51 Abs. 6 S. 1 BRAO), die in engem Zusammenhang mit der Aufgabe steht, die Zulassung bei fehlendem Versicherungsschutz zu widerrufen, soll beim Bundesministerium der Justiz liegen (§ 163 S. 2 BRAO).
12
Darüber hinaus soll das Bundesministerium der Justiz die Aufgaben erfüllen, die den Landesjustizverwaltungen zugewiesen sind (§ 163 S. 3 BRAO). Das gilt insbesondere für die Aufsicht über die Rechtsanwaltskammer bei dem Bundesgerichtshof (§ 62 Abs. 2 BRAO), aber auch etwa für die Berichtspflichten des Kammerpräsidenten (§ 81 BRAO). Es ist zu erwarten, dass diese Aufgaben im Wesentlichen nun auch auf den Präsidenten des Bundesgerichtshofs übertragen werden.
13
Nach § 33 Abs. 2 S. 2 BRAO können die Landesregierungen, die Aufgaben und Befugnisse, die den Landesjustizverwaltungen nach diesem Gesetz zustehen, durch Rechtsverordnung auf diesen nachgeordnete Behörden übertragen. Da mit dem Gesetz zur Stärkung zur Selbstverwaltung ohnehin bereits zahlreiche Aufgaben den Kammern zugewiesen worden sind, verbleiben nur wenige, im Wesentlichen aufsichtsrechtliche und gerichtsorganisatorische Aufgaben bei den Landesjustizverwaltungen, wie bspw. §§ 61, 62 Abs. 2, 92 Abs. 3, 94 Abs. 2 S. 1, 95 Abs. 1a S. 3, 98 Abs. 4 S. 1, 101 Abs. 2 S. 2, 102 Abs. 1 S. 1, 103 Abs. 1, 105 Abs. 2 BRAO.
14
Von der früheren Ermächtigungsnorm in § 224 BRAO a.F. ist von den Ländern im Wesentlichen Gebrauch gemacht worden. So blieben bspw. in Bayern dem Staatsministerium der Justiz die Entscheidungen nach dem Ersten und dem Zweiten Abschnitt (Anwaltsgerichte und Anwaltsgerichtshof) des Fünften Teils der BRAO vorbehalten. Hiervon ausgenommen war die Aufsicht über die Anwaltsgerichte und alle sonstigen Befugnisse nach der BRAO. Diese wurden auf die Präsidenten der Oberlandesgerichte übertragen.1
15
IV. Örtliche Zuständigkeit Die neue einheitliche Regelung zur örtlichen Zuständigkeit ersetzt die bisherigen in der BRAO an unterschiedlichen Orten normierten Regelungen, vgl. bspw. §§ 6 Abs. 2, 8 Abs. 2 S. 3, 59g Abs. 1 S. 1 BRAO a.F. Teilweise ergeben sich aber auch jetzt noch Überschneidungen. So ist in § 27 Abs. 3 S. 1 BRAO weiterhin eine Regelung zur örtlichen Zuständigkeit vorhanden. Zuständig für die Aufnahme in eine andere Kammer ist diejenige, in deren Bezirk der Rechtsanwalt seine Kanzlei verlegen will. Der Gesetzgeber hat in § 33 Abs. 3 S. 2 BRAO eine parallele Regelung geschaffen.
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Die Ziffern in § 33 Abs. 3 BRAO stehen im Alternativverhältnis. Örtlich zuständig für alle Verwaltungsverfahren ist diejenige Kammer, deren Mitglied der Rechtsanwalt ist (Nr. 1). Ist er noch nicht Mitglied, so richtet sich die Zuständigkeit nach seinem beabsichtigten Kanzleisitz. Dies ergibt sich mittelbar aus § 27 Abs. 1 bzw. Abs. 3 S. 2 BRAO, wonach der Rechtsanwalt in dem Bezirk der Kammer seine Kanzlei einzurichten hat, deren Mitglied er wird. Den Mitgliedsstatus erhält er mit Zulassung zur Anwaltschaft (§ 12 Abs. 3 BRAO) oder Aufnahme (vgl. § 27 Abs. 3 S. 3 BRAO). Für den Zulassungsantrag ist dann diejenige Kammer zuständig, die der Bewerber für seinen Kanzleisitz ausgewählt bzw. bei der er die Zulassung beantragt hat, § 33 Abs. 3 Nr. 2 BRAO. Gleiches gilt für die Aufnahme, § 27 Abs. 3 S. 1 BRAO.
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Bei Gesellschaften richtet sich die Zuständigkeit nach dem Gesellschaftssitz, § 33 Abs. 3 Nr. 3 BRAO. Diese Regelung mag dann problematisch werden, wenn sich der Verwaltungssitz im (europäischen) Ausland befindet. Analog sollte dann auf § 33 Abs. 3 Nrn. 1 und 2 BRAO zurückgegriffen werden.
18
Die Regelungen zur örtlichen Zuständigkeit werden durch die subsidiäre Bestimmung in § 3 VwVfG ergänzt (§ 32 BRAO Rz. 22). Werden beispielsweise bei mehreren Kammern Zulassungsanträge gestellt, so gilt das Prioritätsprinzip, § 3 Abs. 2 S. 1 Hs. 1 VwVfG. Ist die Reihenfolge des Eingangs der Anträge nicht feststellbar, so treffen die Aufsichtsbehörden der Kammern (§ 62 Abs. 2 S. 1 BRAO) eine gemeinsame Entscheidung zur Zuständigkeit, § 3 Abs. 2 S. 3 und 4 VwVfG.
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1 Verordnung zur Übertragung von Befugnissen der Landesjustizverwaltung nach § 224 der Bundesrechtsanwaltsordnung (ÜbertragungsVO-BRAO – ÜVOBRAO) v. 12.9.2007, GVBl. 2007, 654.
Siegmund 489
§ 33 BRAO Rz. 20 20
Sachliche und örtliche Zuständigkeit
Ändern sich im Lauf des Verwaltungsverfahrens die die Zuständigkeit begründenden Umstände, so kann die bisher zuständige Behörde das Verwaltungsverfahren fortführen, wenn dies unter Wahrung der Interessen der Beteiligten der einfachen und zweckmäßigen Durchführung des Verfahrens dient und die nunmehr zuständige Behörde zustimmt, § 3 Abs. 3 VwVfG. Diese Regelung kommt beispielsweise in dem früher durch § 16 Abs. 1 S. 2 bis 4 BRAO a.F. normierten Fall zur Anwendung. Wechselt ein Rechtsanwalt während eines Widerrufsverfahrens die Kammer, so kann die ursprünglich zuständige Kammer aus Gründen der Zweckmäßigkeit das Verfahren fortführen, wenn die nunmehr zuständige Kammer zustimmt.
34 BRAO Zustellung Verwaltungsakte, durch die die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft
oder die Mitgliedschaft in einer Rechtsanwaltskammer begründet oder versagt wird oder erlischt oder durch die eine Befreiung oder Erlaubnis versagt, zurückgenommen oder widerrufen wird, sind zuzustellen. A. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . .
1
B. Zweck der Norm . . . . . . . . . . . .
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C. Einzelkommentierung der BRAO-Vorschrift . . . . . . . . . . . . . . . . .
6
I. Anwendungsbereich . . II. Zustellungsvorschriften 1. VwZG . . . . . . . . . 2. LandesVwZG . . . . .
. . . .
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6 7 7 9
A. Allgemeines 1
Die BRAO a.F. normierte bisher mehrfach an unterschiedlichen Stellen, dass bestimmte Verfügungen zu begründen und zuzustellen sind. Auf die Zustellungen sowohl im Verwaltungsverfahren als auch im gerichtlichen Verfahren fanden nach alter Rechtslage gem. § 229 BRAO a.F. die Vorschriften der ZPO Anwendung. Für Zustellungen im gerichtlichen Verfahren in verwaltungsrechtlichen Anwaltssachen verweist nunmehr § 112c Abs. 1 S. 1 BRAO i.V.m. § 56 VwGO auf die Vorschriften der ZPO. Die Zustellungen im Verwaltungsverfahren regelt § 34 BRAO zusammengefasst. Danach sind aufgrund ihrer besonderen Bedeutung alle Entscheidungen zuzustellen, die konstitutive Auswirkungen auf die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft oder die Mitgliedschaft in einer Rechtsanwaltskammer haben. Daneben sind auch sonstige belastende Verwaltungsakte, die Erlaubnisse oder Befreiungen betreffen, zustellungspflichtig.1
2
Mit der Anordnung der Zustellung der Bescheide, die in der Bekanntgabe eines schriftlichen oder elektronischen Dokuments besteht, ergibt sich zugleich ein Schriftformerfordernis. Dieses wiederum zieht nach § 32 BRAO i.V.m. § 39 VwVfG eine Begründungspflicht nach sich. Die Zustellungen in Verwaltungsverfahren erfolgen in Zukunft nach den Verwaltungszustellungsgesetzen des Bundes und der Länder je nachdem, ob eine Landes- oder Bundesbehörde tätig geworden ist (§ 41 Abs. 5 VwVfG). Für den Widerspruchsbescheid gilt § 73 Abs. 3 S. 2 VwGO.2
3
Die bisherigen Vorschriften der BRAO, in denen Zustellungserfordernisse enthalten waren, wurden aufgehoben. Dazu gehören bspw. § 11 Abs. 1 S. 2 BRAO a.F. (Zulassungsversagung), § 16 Abs. 4 Hs. 2 BRAO a.F. (Rücknahme und Widerruf der Zulassung), § 29 Abs. 3 S. 2 BRAO a.F. (Kanzleipflicht).
4
Darüber hinaus finden sich aber immer noch Sonderregelungen in der BRAO, die durch § 34 BRAO nicht vereinheitlicht wurden. So ist die Anordnung, ein ärztliches Gutachten zu erbringen, nach § 15 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 BRAO zuzustellen. Die Androhung und Festsetzung von Zwangsgeld wird nach § 57 Abs. 2 S. 2 BRAO zugestellt. B. Zweck der Norm
5
Die Zustellung ist eine formalisierte Form der Bekanntgabe, die durch Rechtsvorschrift besonders angeordnet ist (vgl. § 41 Abs. 5 VwVfG).3 Die Bekanntgabe ist Folge des Rechts1 BT-Drs. 16/11385, S. 55. 2 BT-Drs. 16/11385, S. 55. 3 Kopp/Ramsauer, § 41 VwVfG Rz. 59.
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Zustellung
Rz. 10 § 34 BRAO
staatsprinzips und der Rechtsschutzgarantie das Art. 19 Abs. 4 GG.1 Mit der Zustellung wird in besonderem Maße sichergestellt, dass der Betroffene von Verwaltungsakten Kenntnis erlangt. Daher ist sie insbesondere bei belastenden Verwaltungsakten erforderlich, gegen die der Betroffene Rechtsmittel ergreifen können muss. Mit dem Zustellnachweis werden das Datum der Bekanntgabe und der Beginn von Rechtsmittelfristen für alle Beteiligten rechtssicher festgestellt. C. Einzelkommentierung der BRAO-Vorschrift I. Anwendungsbereich § 34 BRAO gilt für Verwaltungsakte, durch die die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft oder die Mitgliedschaft in einer Rechtsanwaltskammer begründet oder versagt wird oder erlischt oder durch die eine Befreiung oder Erlaubnis versagt, zurückgenommen oder widerrufen wird. Gemeint sind damit die Zulassung nach § 6 Abs. 1 BRAO, die Aufnahme nach §§ 27 Abs. 3 S. 2, 206 Abs. 1 S. 1, 209 Abs. 1 S. 1 BRAO, die Ablehnung der Zulassung nach § 6 Abs. 2 BRAO und die Rücknahme und der Widerruf der Zulassung nach § 14 BRAO (bzw. §§ 49, 49 VwVfG). Befreiung und Erlaubnisse können nach §§ 17 Abs. 2 (Berufsbezeichnung), 29 Abs. 2, 29a Abs. 2 S. 2 (Kanzleipflichtbefreiung), 43c BRAO (Fachanwaltsbezeichnung) versagt, zurückgenommen oder widerrufen werden. Über den Verweis in § 4 Abs. 1 EuRAG sind belastende Verwaltungsakte, die europäische Rechtsanwälte betreffen, ebenfalls zuzustellen. Werden Befreiungen oder Erlaubnisse gewährt wie bspw. die Befugnis, eine Fachanwaltsbezeichnung führen zu dürfen, so sind diese nicht zuzustellen.
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Zu Recht wird darauf hingewiesen, dass § 12 Abs. 1 BRAO einen scheinbaren Widerspruch zu § 34 BRAO aufweist, indem dort die Anwaltszulassung von der Aushändigung der Zulassungsurkunde abhängig gemacht wird. Doch ergibt sich die Lösung mit einem Blick auf § 5 VwZG, wonach die Zustellung eines Verwaltungsakts auch mit dessen persönlicher Übergabe erfolgen kann.2
6a
II. Zustellungsvorschriften 1. VwZG Gemäß § 1 Abs. 2 VwZG wird nach dem Verwaltungszustellungsgesetzes zugestellt, wenn dies durch Rechtsvorschrift besonders angeordnet worden ist. § 34 BRAO stellt eine solche Anordnungsvorschrift dar. Zudem gilt das VwZG nur für das Zustellungsverfahren der Bundesbehörden, der bundesunmittelbaren Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts und der Landesfinanzbehörden, § 1 Abs. 1 VwZG. Es findet somit auf die Amtshandlungen der Regionalkammern keine Anwendung, sondern bspw. nur auf Verwaltungsakte, die durch das Bundesministerium der Justiz im Rahmen der Zuständigkeit nach § 163 S. 1 BRAO erlassen werden.
7
Die Zustellung kann durch die in den §§ 3 ff. VwZG aufgeführten Zustellungsarten erfolgen. Die häufigste Form der Zustellung dürfte dabei die Zustellung durch die Post mit Zustellungsurkunde darstellen, § 3 VwZG. Für die Ausführung gelten die §§ 177 bis 182 ZPO entsprechend, so dass kein großer Unterschied zur alten in § 229 BRAO a.F. geregelten Rechtslage eingetreten ist.
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2. LandesVwZG Für Zustellungen der Rechtsanwaltskammern gelten die Verwaltungszustellungsgesetze der Länder, vgl. bspw. Art. 1 Abs. 1 S. 1 BayVwZVG. Im Widerspruchsverfahren wird allerdings nach den Vorschriften des VwZG zugestellt, vgl. bspw. Art. 1 Abs. 1 S. 2 BayVwZVG. Die Zustellung erfolgt, wenn es durch Rechtsvorschrift besonders angeordnet ist (vgl. bspw. Art. 1 Abs. 5 BayVwZVG). § 34 BRAO stellt eine derartige Vorschrift dar.
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Die Kammer hat die Wahl zwischen den einzelnen Zustellungsarten, bspw. Art. 2 Abs. 3 BayVwZVG. Die Zustellung kann dabei durch einen Erbringer von Postdienstleistungen erfolgen, bspw. Art. 2 Abs. 2 S. 1 Alt. 1 BayVwZVG. Am häufigsten wird wohl dabei die Zustel-
10
1 Kopp/Ramsauer, § 41 VwVfG Rz. 2 unter Verweis auf BVerwG, NJW 1984, 189. 2 Offermann-Burckart/Johnigk, § 13 Rz. 26.
Siegmund 491
§ 34 BRAO Rz. 11
Zustellung
lung durch die Post mit Zustellungsurkunde sein, bspw. Art. 3 BayVwZVG. Für die Ausführung der Zustellung gelten dabei die §§ 177 bis 182 ZPO entsprechend, Art. 3 Abs. 2 S. 1 BayVwZVG. Zur Rechtslage nach § 229 BRAO a.F., der hinsichtlich der Zustellung ebenfalls auf die ZPO verwiesen hat, hat sich daher nicht viel geändert. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass an Rechtsanwälte auch gegen Empfangsbekenntnis – auch elektronisch – zugestellt werden kann, vgl. bspw. Art. 5 Abs. 4 S. 1 BayVwZVG. 11
Für die öffentliche Zustellung ergeben sich hingegen zukünftig einige Besonderheiten. Diese subsidiäre Zustellungsart kann dann gewählt werden, wenn bspw. ein Rechtsanwalt unter keiner der bekannten oder ermittelten Adressen mehr erreicht werden kann, eine Zustellung an Vertreter oder Zustellungsbevollmächtigte nicht möglich ist und die Berufshaftpflichtversicherung das Ende des Deckungsschutzes mitgeteilt hat (§ 51 Abs. 6 S. 1 BRAO). Bislang erfolgte die Zustellung nach den §§ 185 ff. ZPO durch Aushang an der Gerichtstafel nach Anordnung durch das Prozessgericht. Zukünftig trifft die Anordnung über die öffentliche Zustellung ein zeichnungsberechtigter Bediensteter. Wer als zeichnungsberechtigter Bediensteter zur Anordnung der öffentlichen Zustellung befugt ist, bestimmt sich nach den für die Organisation der Behörde erlassenen Bestimmungen.1 Die Kammer sollte daher im Rahmen ihrer Geschäftsordnung durch den Vorstand (§ 73 Abs. 1 S. 1 BRAO) einen zeichnungsberechtigten Bediensteten bestimmen. In jedem Fall ist der Präsident der Kammer nach § 80 Abs. 1 BRAO zeichnungsberechtigt. Zudem sollte eine Stelle festgelegt werden, an der die Benachrichtigung über die Bekanntmachung angebracht wird, vgl. Art. 15 Abs. 2 S. 1 Alt. 1 BayVwZVG. eines Vertreters im Verwaltungsverfahren 35 BRAO Bestellung Wird auf Ersuchen der Rechtsanwaltskammer für das Verwaltungsverfahren ein Vertreter bestellt, soll ein Rechtsanwalt bestellt werden. A. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . .
1
B. Zweck der Norm . . . . . . . . . . . .
2
C. Einzelkommentierung der BRAO-Vorschrift . . . . . . . . . . . . . . . . .
3
A. Allgemeines 1
Bisher sah § 16 Abs. 3 BRAO a.F. die vormundschaftsgerichtliche Bestellung eines gesetzlichen Vertreters für das Verwaltungsverfahren nur in Verfahren zur Beseitigung der Zulassung und bei Vorliegen gesundheitlicher Gründe vor. Sie kann jedoch auch in anderen Situationen angemessen sein, etwa wenn die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft versagt werden soll. Mit der BRAO-Novelle 2009 findet daher über die Verweisung in § 32 BRAO die weiter reichende Regelung des VwVfG für die Bestellung eines Vertreters von Amts wegen (§ 16 VwVfG) Anwendung. § 35 BRAO regelt daher nur noch als berufsrechtliche Besonderheit, dass der Vertreter Rechtsanwalt sein soll.2 B. Zweck der Norm
2
Die Bestimmung des § 35 BRAO berücksichtigt die besondere Stellung des Rechtsanwalts als unabhängiges Organ der Rechtspflege, § 1 BRAO. Wie auch in anderen Fällen will die BRAO sicherstellen, dass an Verwaltungsverfahren, die den Status des Rechtsanwalts betreffen, keine Berufsfremden mitwirken (vgl. § 32 BRAO Rz. 33). Bereits § 16 Abs. 3 S. 2 BRAO a.F. sah die Bestellung eines Rechtsanwalts als Betreuer vor, da die Rechte des Betroffenen am besten durch einen Rechtsanwalt wahrgenommen werden.3 Eine ähnliche Anforderung findet sich in § 58 Abs. 2 Alt. 2 BRAO. C. Einzelkommentierung der BRAO-Vorschrift
3
Die Voraussetzungen für die Bestellung eines Verfahrenspflegers finden sich in § 16 VwVfG (vgl. § 32 BRAO Rz. 35). § 35 BRAO ergänzt lediglich das Erfordernis, dass der Betreuer ein Rechtsanwalt sein muss. Entsprechend dem Wortlaut genügen daher nicht die übrigen Mit1 Engelhardt/App/Schlatmann, § 10 VwZG Rz. 9. 2 BT-Drs. 16/11385, S. 55. 3 Henssler/Prütting/Prütting, § 16 Rz. 7.
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Sachverhalt, personenbezogene Daten, Mitteilungspflichten
Rz. 1 § 36 BRAO
glieder der Rechtsanwaltskammer diesem Erfordernis, wie Anwaltsgesellschaften, europäische Rechtsanwälte, ausländische Rechtsanwälte nach § 206 BRAO und Rechtsbeistände nach § 207 BRAO. des Sachverhalts, personenbezogene Daten, Mitteilungs36 BRAO Ermittlung pflichten
(1) Die Rechtsanwaltskammer kann zur Ermittlung des Sachverhalts in Zulassungssachen eine unbeschränkte Auskunft nach § 41 Abs. 1 Nr. 11 des Bundeszentralregistergesetzes als Regelanfrage einholen. (2) 1Gerichte und Behörden übermitteln personenbezogene Daten, deren Kenntnis aus Sicht der übermittelnden Stelle für die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft, die Entstehung oder das Erlöschen der Mitgliedschaft in einer Rechtsanwaltskammer, die Rücknahme oder den Widerruf einer Erlaubnis oder Befreiung oder zur Einleitung eines Rügeverfahrens oder eines anwaltsgerichtlichen Verfahrens erforderlich sind, der Rechtsanwaltskammer oder der für die Entscheidung zuständigen Stelle. 2Die Übermittlung unterbleibt, soweit 1. durch die Übermittlung schutzwürdige Interessen des Betroffenen beeinträchtigt würden und das Informationsinteresse der Rechtsanwaltskammer oder der für die Entscheidung zuständigen Stelle das Interesse des Betroffenen an dem Unterbleiben der Übermittlung nicht überwiegt oder 2. besondere gesetzliche Verwendungsregelungen entgegenstehen. 3
Informationen über die Höhe rückständiger Steuerschulden können entgegen § 30 der Abgabenordnung zum Zweck der Vorbereitung des Widerrufs der Zulassung wegen Vermögensverfalls übermittelt werden; die Rechtsanwaltskammer darf die Steuerdaten nur für den Zweck verwenden, für den sie ihr übermittelt worden sind.
(3) 1Ist ein Rechtsanwalt Mitglied einer Berufskammer eines anderen freien Berufs im Geltungsbereich dieses Gesetzes, darf die Rechtsanwaltskammer personenbezogene Daten über den Rechtsanwalt an die zuständige Berufskammer übermitteln, soweit die Kenntnis der Information aus der Sicht der übermittelnden Stelle zur Erfüllung der Aufgaben der anderen Berufskammer im Zusammenhang mit der Zulassung zum Beruf oder der Einleitung eines Rügeverfahrens oder berufsgerichtlichen Verfahrens erforderlich ist. 2Absatz 2 Satz 2 gilt entsprechend. (4) Gehört der Rechtsanwalt zugleich einer Notarkammer an und endet seine Mitgliedschaft in einer Rechtsanwaltskammer anders als durch Tod, so teilt die Kammer dies der Landesjustizverwaltung und der Notarkammer unverzüglich mit. . . . . . . .
1 1 1 2 6 7 8
B. Zweck der Norm . . . . . . . . . . . .
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C. Einzelkommentierung . . . . . . . . . I. Auskünfte aus dem Bundeszentralregister II. Übermittlung personenbezogener Daten .
14 14 18
A. Allgemeines/Geltungsbereich/Historie I. Gesetzesänderungen . . . . . . . . 1. Redaktionelle Änderung . . . . . . 2. Auskünfte von Finanzbehörden . . . 3. Auskunft an andere Berufskammern . 4. Untersuchungsgrundsatz . . . . . . 5. Mitteilungspflichten . . . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . .
18 21 22 24 26 28
. . . . . .
30 35 39
D. Prozessuales . . . . . . . . . . . . . .
40
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.
Rechtsgrundlage . . . . . . . . . . Personenbezogene Daten . . . . . . Übermittlungsrichtung . . . . . . . Übermittlungszweck . . . . . . . . Erforderlichkeit . . . . . . . . . . Schutzwürdige Interessen . . . . . Besondere gesetzliche Verwendungsregelungen . . . . . . . . . . . . 8. Übermittlung an Berufskammern . . 9. Übermittlung an die Notarkammern .
. . . . . .
A. Allgemeines/Geltungsbereich/Historie I. Gesetzesänderungen 1. Redaktionelle Änderung § 36 BRAO ist seit der BRAO-Novelle 2009 Nachfolger des § 36a BRAO, der wiederum durch das Gesetz zur Stärkung der Selbstverwaltung im Jahr 2007 zahlreiche Änderungen erfahren hat. Beispielsweise wurde § 36a BRAO an die Verschiebung der originären Zuständigkeit von der Landesjustizverwaltung zur Rechtsanwaltskammer redaktionell angepasst.
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1
§ 36 BRAO Rz. 2
Sachverhalt, personenbezogene Daten, Mitteilungspflichten
Die in § 224a Abs. 2 S. 2 BRAO a.F. enthaltene Regelung über die Einholung unbeschränkter Auskünfte aus dem Bundeszentralregister wurde in Absatz 1 integriert. 2. Auskünfte von Finanzbehörden 2
Mit dem Gesetz zur Stärkung der Selbstverwaltung hat der Gesetzgeber klargestellt, dass Rechtsanwaltskammern im Rahmen von Widerrufsverfahren wegen Vermögensverfalls Auskünfte von Finanzbehörden zu Steuerschulden einholen dürfen. Eine entsprechende Regelung wurde auch in § 64a Abs. 2 BNotO eingefügt. § 10 Abs. 2 S. 2 Hs. 2 StBerG sah diese Befugnis bereits seit längerem vor.
3
Zur Vorbereitung des Widerrufs der Zulassung wegen Vermögensverfalls (§ 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO) ist es für die zuständige Rechtsanwaltskammer oft von entscheidender Bedeutung, frühzeitig Kenntnis über Steuerverbindlichkeiten zu erlangen. Gleiches gilt für die Notaraufsichtsbehörden, die eine Amtsenthebung wegen einer die Rechtsuchenden gefährdenden Wirtschaftsführung bzw. gefährdender wirtschaftlicher Verhältnisse oder wegen Vermögensverfalls (§ 50 Abs. 1 Nr. 6 oder Nr. 8 BNotO) zu prüfen haben. Bei Rechtsanwälten oder Notaren, gegen die bereits wiederholt Zwangsvollstreckungsmaßnahmen ergangen sind, sind erfahrungsgemäß regelmäßig auch erhebliche Steuerschulden feststellbar. Häufig stellt der Umfang der Steuerrückstände ein bedeutsames, nicht selten sogar entscheidendes Moment bei der Beurteilung der wirtschaftlichen Verhältnisse dar. Insgesamt bleibt das Bild der wirtschaftlichen Gesamtsituation ohne Kenntnis der Steuerverbindlichkeiten unvollkommen und unzureichend. Insbesondere erlangen die Rechtsanwaltskammer und Notaraufsichtsbehörden nicht zwingend Kenntnis über erfolgte Vollstreckungsmaßnahmen, da die Finanzbehörden diese in eigener Zuständigkeit vornehmen.1
4
In der Vergangenheit haben Finanzämter wiederholt die Auskunft über Steuerverbindlichkeiten von Rechtsanwälten und Notaren gegenüber den Rechtsanwaltskammern und Oberlandesgerichten verweigert. Gemäß § 36 Abs. 2 S. 1 BRAO und § 64a Abs. 2 S. 1 BNotO übermitteln Behörden personenbezogene Informationen u.a. zur Vorbereitung des Zulassungswiderrufs und der Amtsenthebung an die zuständige Stelle, wenn diese Informationen aus deren Sicht erforderlich sind. Gemäß Absatz 2 S. 2 beider Vorschriften unterbleibt die Übermittlung, wenn besondere gesetzliche Verwendungsregelungen entgegenstehen. Hierauf beriefen sich die Finanzämter, soweit sie Auskünfte verweigerten. Sie hielten das Steuergeheimnis gem. § 30 AO für eine besondere, der Auskunftserteilung entgegenstehende Verwendungsregelung und begründeten dies mit einem Vergleich mit § 10 Abs. 2 S. 2 StBerG, wo ausdrücklich geregelt ist, dass § 30 AO einer Auskunftserteilung nicht entgegensteht.2
5
Diese Auffassung war zwar unzutreffend. Denn gem. § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO ist die Offenbarung steuerlicher Erkenntnisse dann zulässig, wenn hierfür ein zwingendes öffentliches Interesse besteht. Dies ist bei der von einem in Vermögensverfall befindlichen Rechtsanwalt oder Notar ausgehenden Gefährdung der Rechtsuchenden zu bejahen, ebenso bei einem Notar, dessen Wirtschaftsführung und wirtschaftliche Verhältnisse ungeordnet sind. Die Finanzbehörden akzeptierten diese Auffassung indes nicht. Daher war eine Klarstellung durch den Gesetzgeber geboten.3 3. Auskunft an andere Berufskammern
6
Schließlich wurde in § 36 Abs. 3 BRAO geregelt, dass Informationen über Rechtsanwälte mit Mehrfachqualifikationen (insbesondere Steuerberater und Wirtschaftsprüfer) auch an die für die andere Qualifikation zuständige Berufskammer oder Landesbehörde weitergeleitet werden dürfen. Die Regelung entspricht § 10 Abs. 3 StBerG und § 36a Abs. 4 WiPrO.4 4. Untersuchungsgrundsatz
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Mit der BRAO-Novelle 2009 wurde die Regelung zum Untersuchungsgrundsatz in § 36a Abs. 1 S. 1 und 2 BRAO a.F. aufgehoben. Vorbild für diese Regelung ist § 24 Abs. 1 S. 1 VwVfG gewesen. Die Bestimmungen zu den Beweismitteln in § 36a Abs. 1 S. 2 und Abs. 2 BRAO a.F. waren § 26 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 VwVfG nachgebildet. Über die neue Verweisung in § 32 1 2 3 4
Amtl. Begründung BT-Drs. 16/513, S. 15 f. Amtl. Begründung BT-Drs. 16/513, S. 16. Amtl. Begründung BT-Drs. 16/513, S. 16. Amtl. Begründung BT-Drs. 16/513, S. 16.
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Sachverhalt, personenbezogene Daten, Mitteilungspflichten
Rz. 14 § 36 BRAO
BRAO erlangt das VwVfG unmittelbar Geltung, sodass § 36a Abs. 1 S. 1 und 2 und Abs. 2 BRAO a.F. gestrichen werden konnten.1 5. Mitteilungspflichten § 36 Abs. 1 BRAO entspricht nach der BRAO-Novelle 2009 nunmehr § 36a Abs. 1 S. 3 BRAO a.F. § 36 Abs. 2 S. 2 und 3 BRAO ersetzen § 36a Abs. 3 S. 1 a.E., 2 und 3 BRAO a.F. § 36 Abs. 3 BRAO übernahm die Regelung aus § 36a Abs. 4 BRAO a.F.2
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§ 36 Abs. 2 S. 1 BRAO erweitert § 36a Abs. 3 S. 1 BRAO a.F., indem nicht mehr auf die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft, sondern die Mitgliedschaft in einer Rechtsanwaltskammer abgestellt wird. Gerichte und Behörden, andere Rechtsanwaltskammern eingeschlossen, müssen daher künftig auch einer über einen Aufnahmeantrag bei einem Kammerwechsel entscheidenden Rechtsanwaltskammer die für die Mitgliedschaft einer Rechtsanwältin oder eines Rechtsanwalts erheblichen Informationen übermitteln. Die Mitteilung nach § 16 Abs. 1 S. 4 Hs. 2 BRAO a.F. erfolgt daher künftig nach § 36 Abs. 2 S. 1 BRAO.3
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§ 36 Abs. 4 BRAO nahm die Mitteilungspflichten für Anwaltsnotarinnen und Anwaltsnotare aus § 16 Abs. 4a und § 27 Abs. 3 S. 5 BRAO a.F. auf, und erweiterte sie auf alle Fälle, in denen nach § 47 Nr. 3 BNotO das Notaramt erlischt. Absatz 4 ergänzt damit § 64a BNotO. Endet die Mitgliedschaft aufgrund eines Verwaltungsakts, tritt die Mitteilungspflicht erst mit dessen Unanfechtbarkeit ein. Wird bei einer Rücknahme oder einem Widerruf der Anwaltszulassung die sofortige Vollziehung angeordnet, so erfolgt Mitteilung nach § 14 Abs. 4 i.V.m. § 160 Abs. 1 S. 2 BRAO, um die notariellen Aufsichtsbehörden von der gem. § 54 Abs. 4 Nr. 3 BNotO eingetretenen vorläufigen Amtsenthebung in Kenntnis zu setzen.4
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B. Zweck der Norm Der Zweck des § 36 BRAO bestimmt sich nach seinen unterschiedlichen Regelungsbestandteilen. Im Wesentlichen werden spezielle Datenschutzbestimmungen geschaffen, die teilweise an die Stelle und teilweise neben die Datenschutzgesetze des Bundes und der Länder treten.5 Es werden besondere Ermittlungsbefugnisse für die Kammern geschaffen, die eine Erweiterung der §§ 24, 26 VwVfG darstellen. Und es werden Mitteilungspflichten für Gerichte und Behörden geschaffen. Diese gelten auch unter den Rechtsanwaltskammern.
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Die besonderen Regelungen zur Übermittlung von personenbezogenen Daten über Rechtsanwälte sind erforderlich, um die Reibungslosigkeit der Rechtspflege und den Schutz der Rechtsuchenden zu gewährleisten. Der Rechtsanwalt ist Organ der Rechtspflege (§ 1 BRAO) und der berufene unabhängige Berater und Vertreter in allen Rechtsangelegenheiten (§ 2 Abs. 1 BRAO). Ihm wird durch die Rechtsuchenden ein besonderes Vertrauen entgegengebracht und es werden ihm von diesen ihre Vermögenswerte anvertraut. Als Teil der Rechtspflege ist er für deren Funktionieren mitverantwortlich.
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Vor diesem Hintergrund sind die besonderen Zulassungsbeschränkungen des § 7 BRAO und die Widerrufsgründe des § 14 BRAO geschaffen worden. Um den Kammern die effiziente Verwirklichung dieser Verwaltungsaufgaben zu ermöglichen, ist es unabdingbar, ihnen auch die notwendige Tatsachengrundlage zu verschaffen. Nur wenn die Kammer beispielsweise über die schlechten Vermögensverhältnisse eines Rechtsanwalts ausreichend informiert wird, kann sie eine Widerrufsverfügung treffen. Vor diesem Hintergrund überwiegt regelmäßig das öffentliche Interesse, die genannten verfassungsmäßigen Werte zu schützen, das Interesse des Betroffenen an Geheimhaltung seiner Daten.
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C. Einzelkommentierung I. Auskünfte aus dem Bundeszentralregister Schon nach alter Rechtslage vor den Änderungen durch das Gesetz zur Stärkung der Selbstverwaltung ist die Auffassung vertreten worden, die Rechtsanwaltskammer könne unbeschränkte Auskunft aus dem Bundeszentralregister verlangen, vgl. auch §§ 43, 41 Abs. 1 1 2 3 4 5
Amtl. Begründung BT-Drs. 16/11385, S. 55 f. Amtl. Begründung BT-Drs. 16/11385, S. 56. Amtl. Begründung BT-Drs. 16/11385, S. 56. Amtl. Begründung BT-Drs. 16/11385, S. 56. Henssler/Prütting/Prütting, 2. Aufl., § 36a Rz. 10; Feuerich/Weyland, § 36a Rz. 11.
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§ 36 BRAO Rz. 15
Sachverhalt, personenbezogene Daten, Mitteilungspflichten
Nr. 11 BZRG.1 Der Gesetzgeber hat in § 36 Abs. 1 BRAO nunmehr eine Klarstellung geschaffen. Danach darf die Rechtsanwaltskammer zur Ermittlung des Sachverhalts unbeschränkte Auskünfte nach § 41 Abs. 1 Nr. 11 BZRG als Regelanfrage einholen. Das bedeutet, dass die Kammer nicht nur dann eine Auskunft anfordern kann, wenn Verdachtsmomente bestehen, der Betroffene sei im Register eingetragen. Vielmehr kann die Kammer standardmäßig vor jeder Zulassung einen Registerauszug anfordern. 15
Nach § 41 BZRG können unbeschränkte Auskünfte angefordert werden. Der Registerauszug enthält daher nicht nur die Eintragungen, die nach § 32 BZRG in ein Führungszeugnis einzutragen sind, sondern (bis auf Eintragungen nach § 41 Abs. 3 S. 1 BZRG) alle Eintragungen. Nach § 41 Abs. 4 BZRG wird die Auskunft nur auf ausdrückliches Ersuchen erteilt. Die Kammern haben den Zweck anzugeben, für den die Auskunft benötigt wird; sie darf nur für diesen Zweck verwertet werden. In diesem Zusammenhang wurde auch § 41 Abs. 1 Nr. 11 BZRG mit Wirkung vom 1.9.2009 durch den Gesetzgeber angepasst.2 Der Tatbestand enthielt bis dahin noch das Erfordernis, dass die Rechtsanwaltskammer aufgrund einer Rechtsverordnung zuständig ist (vgl. § 224a BRAO a.F.).
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Mit dem Gesetz zur Stärkung der Selbstverwaltung wurde in § 36a Abs. 1 S. 3 BRAO a.F. die Möglichkeit geschaffen, zum Zweck jeglicher Amtsermittlung der Kammern eine Registeranfrage als Regelanfrage einzuholen. Eine Regelanfrage machte allerdings allenfalls im Zulassungsverfahren einen Sinn. Darüber hinaus benötigte die Kammer auch keine Befugnis zur Anfrage „von Fall zu Fall“ in sonstigen Verwaltungsverfahren. Denn anders als der Versagungsgrund in § 7 Nr. 5 BRAO sieht § 14 Abs. 2 BRAO keinen Widerruf wegen Unwürdigkeit vor. Es besteht nur die Möglichkeit der Ausschließung aus der Anwaltschaft nach § 114 Nr. 5 BRAO als anwaltsgerichtliche Maßnahme. In diesem Verfahren hat die Generalstaatsanwaltschaft eine eigene umfassende Ermittlungsbefugnis.
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Da diese Regelung zudem in Widerspruch zu § 41 Abs. 1 Nr. 11 BZRG stand, der der Rechtsanwaltskammer die Anfragebefugnis nur für die Entscheidung in Zulassungsverfahren zugestand, hat der Gesetzgeber mit der BRAO-Novelle 2009 gleichzeitig § 36 BRAO abgeändert. Die Rechtsanwaltskammer kann nur noch zur Ermittlung des Sachverhalts in Zulassungssachen eine Regelanfrage stellen. II. Übermittlung personenbezogener Daten 1. Rechtsgrundlage
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Da die Übermittlung personenbezogener Daten einen Eingriff in das Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG) darstellt, ist hierfür eine gesetzliche Grundlage erforderlich.3 Diese wurde durch § 36 BRAO, durch die §§ 12 ff. EGGVG und den aufgrund dieser Vorschriften ergangenen Verwaltungsvorschriften (vgl. Rz. 23) sowie durch die allgemeinen datenschutzrechtlichen Bestimmungen geschaffen. Damit wird die datenschutzrechtliche Zulässigkeit der Informationserhebung und -übermittlung von einer Einverständniserklärung des Bewerbers bzw. Rechtsanwalts unabhängig gemacht.4 § 36 BRAO stellt eine Spezialregelung zu den datenschutzrechtlichen Bestimmungen dar5 und muss in deren Kontext gelesen werden.
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Die Übermittlung personenbezogener Informationen stellt zudem einen Unterfall der Amtshilfe dar. Die Amtshilfe dient zur Aufklärung eines Sachverhalts und ist eine Selbstverständlichkeit im Verwaltungsverfahren, vgl. Art. 35 Abs. 1 GG, § 4 Abs. 1 VwVfG. Eine Behörde kann um Amtshilfe insbesondere dann ersuchen, wenn sie zur Durchführung ihrer Aufgaben auf die Kenntnis von Tatsachen angewiesen ist, die ihr unbekannt sind und die sie selbst nicht ermitteln kann, § 5 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG. So sind sowohl die Rechtsanwaltskammern selbst als Behörden allen Gerichten und Behörden des Bundes und der Länder zur Amtshilfe verpflichtet wie auch umgekehrt.6 Art. 35 Abs. 1 GG regelt aber nicht die Voraussetzungen und auch nicht Umfang, Inhalt und Grenzen der Amtshilfe. Sie zu konkretisieren ist den einfachen Gesetzen vorbehalten.7 1 2 3 4 5 6 7
Feuerich/Weyland, § 36a Rz. 4. BGBl. I 2009, S. 2827. Zu den allgemeinen Anforderungen BVerfG, NJW 1983, 419 – Volkszählungsurteil. So die damalige amtl. Begründung in BT-Drs. 13/9610, S. 6. Henssler/Prütting/Prütting, § 36 Rz. 10; Feuerich/Weyland, § 36a Rz. 11. Henssler/Prütting/Hartung, § 76 Rz. 10. Henssler/Prütting/Hartung, § 76 Rz. 10.
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Sachverhalt, personenbezogene Daten, Mitteilungspflichten
Rz. 24 § 36 BRAO
Konkretisierende Bestimmungen hinsichtlich der Übermittlung personenbezogener Daten finden sich neben § 36 BRAO auch im BDSG und in den Datenschutzgesetzen der Länder. So regelt § 15 Abs. 1 BDSG, dass die Übermittlung personenbezogener Daten an öffentliche Stellen zulässig ist, wenn sie zur Erfüllung der in der Zuständigkeit der übermittelnden Stelle oder des Dritten, an den die Daten übermittelt werden, liegenden Aufgaben erforderlich ist. Zudem müssen die Voraussetzungen vorliegen, die eine Nutzung nach § 14 BDSG zulassen würden, das heißt, es müsste insbesondere das Speichern, Verändern oder Nutzen personenbezogener Daten als solches zulässig sein. Diese Zulässigkeit ist nach § 14 Abs. 1 BDSG wiederum dann gegeben, wenn das Speichern, Verändern oder Nutzen personenbezogener Daten zur Erfüllung der in der Zuständigkeit der verantwortlichen Stelle liegenden Aufgaben erforderlich ist und es für die Zwecke erfolgt, für die die Daten erhoben worden sind.
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2. Personenbezogene Daten Personenbezogene Daten sind nach der Legaldefinition des § 3 Abs. 1 BDSG Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person (Betroffener). Vor der BRAO-Novelle 2009 hat der Gesetzgeber noch den Begriff „personenbezogene Informationen“ verwendet, ohne jedoch diesem eine andere Bedeutung beizumessen. Nunmehr wurde im Sinne einer einheitlichen Rechtsordnung der Begriff des BDSG eingefügt.
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3. Übermittlungsrichtung Gerichte und Behörden übermitteln die Daten der Rechtsanwaltskammer oder der für die Entscheidung zuständigen Stelle. Da die Kammer auch Behörde ist, kann sie sowohl Mitteilungsempfänger, als auch mitteilende Stelle sein.1 In den Fällen des § 36 Abs. 3 und 4 BRAO ist sie nur mitteilende Stelle (vgl. Rz. 32–36). Da die Mitteilung im Hinblick auf die Aufgaben der BRAO zweckgebunden ist (vgl. Rz. 24–25), wird die Rechtsanwaltskammer als mitteilende Stelle in der Regel nur an andere Rechtsanwaltskammern zulassungs- bzw. aufnahmebezogene oder an die Generalstaatsanwaltschaft disziplinarbezogene Informationen (§ 120a BRAO) weitergeben. Abzugrenzen hiervon sind Fälle, in denen die Rechtsanwaltskammer aufgrund anderer Rechtsnormen mitteilende Stelle ist (§§ 93 Abs. 1, 105 AO).2 In allen Fällen ist allerdings die besondere Verschwiegenheitsverpflichtung nach § 76 Abs. 1 S. 1 BRAO zu beachten, soweit sie nicht durch speziellere Regelungen verdrängt wird.3
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Mitteilungsempfänger ist bei Mitteilungen der Gerichte und Behörden nach den §§ 12 ff. EGGVG in Verbindung mit der „Anordnung über Mitteilungen in Zivilsachen“ (MiZi)4 bzw. der „Anordnung über Mitteilungen in Strafsachen“ (MiStra)5 die Rechtsanwaltskammer. In Zivilsachen besteht der betroffene Personenkreis aus Rechtsanwälten, niedergelassenen europäischen Rechtsanwälten, Rechtsanwalt-Gesellschaften mbH, auch soweit sich diese in Gründung befinden, und Mitgliedern der Rechtsanwaltskammer nach §§ 206, 209 BRAO. Bei Strafsachen erfolgen die Mitteilungen über Rechtsanwälte – auch aus anderen Staaten – und verkammerte Rechtsbeistände. Für lediglich dienstleistende europäische Rechtsanwälte sind Mitteilungen in Zivilsachen somit nicht vorgesehen.6
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4. Übermittlungszweck Die Übermittlung ist nur zu einem bestimmten Zweck zulässig. Als Zweck lässt § 36 Abs. 2 S. 1 BRAO zu: die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft (§§ 6 ff. BRAO), die Entstehung oder das Erlöschen der Mitgliedschaft (Kammerwechsel nach § 27 Abs. 3 BRAO), die Rücknahme oder den Widerruf einer Erlaubnis (§ 17 Abs. 3 S. 1, § 43c Abs. 4 S. 1, § 209 Abs. 4 BRAO), einer 1 Feuerich/Weyland, § 36 Rz. 3; a.A. Eich, MDR 1991, 385 (388) unter Berufung auf die amtl. Begründung BTDrs. 11/3253, S. 23 und 11/5264, S. 33 f. Dort wurde jedoch nur ganz allgemein vertreten, „dass für Übermittlung von Informationen zur Ermittlung der für die Entscheidung erheblichen Tatsachen an die zuständige Stelle im Hinblick auf das Recht zur informationelle Selbstbestimmung eine bereichsspezifische Regelung zu schaffen ist.“ 2 BFH, NJW 2007, 1305. 3 BFH, NJW 2007, 1305; EGH Berlin, NJW 1992, 846; Eich, MDR 1991, 385 (388). 4 Die 8. Änderung der am 1.6.1998 in Kraft getretenen Neufassung der Anordnung über Mitteilungen in Zivilsachen (MiZi) ist bundeseinheitlich zum 1.10.2008 in Kraft gesetzt worden, BAnz. Nr. 144 v. 23.9.2008, S. 3428; 5. Abschnitt, XXIII. Mitteilungen betreffend Angehörige rechtsberatender Berufe, § 4 Abs. 3 Nr. 1. 5 Fassung v. 19.5.2008, BAnz 2008, 126a, Nr. 23 Abs. 4. 6 Kritisch Feuerich/Weyland, § 36 Rz. 13.
Siegmund 497
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§ 36 BRAO Rz. 25
Sachverhalt, personenbezogene Daten, Mitteilungspflichten
Befreiung (§ 29 Abs. 2, § 29a Abs. 2 S. 2 BRAO) oder die Einleitung eines Rügeverfahrens (§ 74 BRAO) oder eines anwaltsgerichtlichen Verfahrens (§§ 116 ff. BRAO). 25
Mit der BRAO-Novelle 2009 hat der Gesetzgeber zwar den Übermittlungszweck eines Kammerwechsels zugelassen, gleichzeitig aber den Zweck der Rücknahme und des Widerrufs der Anwaltszulassung im Wortlaut gestrichen. Da die Übermittlung von gerichtlichen Daten zur Vorbereitung eines Widerrufs der Zulassung allerdings essentiell ist, wird man nicht davon ausgehen könnte, der Gesetzgeber wolle diesen Zweck künftig nicht mehr zulassen. Man wird daher, den Zulassungswiderruf unter den Zweck des Erlöschens der Mitgliedschaft zu subsumieren haben. 5. Erforderlichkeit
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Die Übermittlung muss zur Verfolgung des Zwecks erforderlich sein. Der verfassungsmäßige Grundsatz der Erforderlichkeit ist bei jedem Grundrechtseingriff – auch und gerade bei der Maßnahme im Einzelfall – zu beachten und ist in zahlreichen Bestimmungen des BDSG ausdrücklich oder konkludent1 enthalten. Erforderlich ist eine Maßnahme dann, wenn kein anderes gleich geeignetes, aber weniger belastendes Mittel zur Verfügung steht (Wahl des mildesten Mittels).2 Die Maßnahme muss nicht nur bloß dienlich, sondern unabdingbar sein, um einen bestimmten Zweck zu erreichen. Zumutbare Alternativen dürfen nicht bestehen. Als alternative Maßnahme dürfte in diesem Zusammenhang häufig die Nachfrage beim Betroffenen gelten.
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Die Erforderlichkeit wird durch die übermittelnde Stelle beurteilt. Aus deren Sicht muss sie vorliegen, § 36 Abs. 2 S. 1 BRAO. Auch dieser Grundsatz ist bereits im BDSG niedergelegt. Die Verantwortung für die Zulässigkeit der Übermittlung trägt die übermittelnde Stelle, § 15 Abs. 2 S. 1 BDSG. Die übermittelnde Stelle ist Herrin der Information und gibt diese preis. Nur sie kann – ohne vollendete Tatsachen zu schaffen – beurteilen, inwieweit die Information für das Verwaltungshandeln erforderlich ist. 6. Schutzwürdige Interessen
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Schutzwürdige Interessen des Betroffenen dürfen grundsätzlich nicht beeinträchtigt werden, § 36 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 Hs. 1 BRAO. Darunter fallen insbesondere seine Intim- und Privatsphäre, seine wirtschaftliche und berufliche Handlungsfreiheit, seine berufliche Chancengleichheit und sein Ansehen in der Öffentlichkeit.3
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Die schutzwürdigen Interessen des Betroffenen sind aber dann nicht zu berücksichtigen, wenn das öffentliche Interesse sein Geheimhaltungsinteresse überwiegt, § 36 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 Hs. 2 BRAO. Es ist diesbezüglich eine Abwägung im Einzelfall anzustellen. Dies entspricht der verfassungsrechtlichen Prüfung der Angemessenheit der Maßnahme (Verhältnismäßigkeit i.e.S.). Je bedeutsamer und gravierender die jeweilige Maßnahme ist, die aufgrund der Information möglicherweise ergriffen werden muss, um so eher wird das öffentliche Interesse das Geheimhaltungsinteresse überwiegen.4 Das öffentliche Interesse besteht im Regelfall in der reibungslosen Rechtspflege und dem Schutz des Vertrauens der Rechtsuchenden in die ordnungsgemäße Rechtspflege. Steht bspw. zu vermuten, dass Fremdgelder in großem Umfang vor dem Hintergrund eines Vermögensverfalls veruntreut werden, so kommt der Zulassungswiderruf in Betracht und das Geheimhaltungsinteresse des Betroffenen wiegt geringer als das öffentliche Interesse. 7. Besondere gesetzliche Verwendungsregelungen
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Nach § 36 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 BRAO unterbleibt die Übermittlung, wenn besondere gesetzliche Verwendungsregeln entgegenstehen. Solche Bestimmungen finden sich z.B. in §§ 35, 68 ff. SGB X, § 65 SGB VIII und in §§ 10 ff. des Gesetzes über das Ausländerzentralregister vom 2.9. 1994 (BGBl. I S. 2265), ferner in § 203 StGB und § 30 AO. In § 36 Abs. 2 S. 3 BRAO wurde allerdings klargestellt, dass Informationen über die Höhe rückständiger Steuerschulden entgegen § 30 AO von den Finanzbehörden übermittelt werden dürfen (vgl. Rz. 2–3). Der Zweck der Übermittlung wurde hier allerdings gegenüber § 36 Abs. 2 S. 1 BRAO eingeschränkt. Die 1 2 3 4
Vgl. bspw. den Grundsatz der Datenvermeidung und Datensparsamkeit in § 3a BDSG. Bspw. Voßkuhle, JuS 2007, 429 (430). Feuerich/Weyland, § 36 Rz. 7. Feuerich/Weyland, § 36 Rz. 9.
498 Siegmund
Sachverhalt, personenbezogene Daten, Mitteilungspflichten
Rz. 35 § 36 BRAO
Übermittlung ist nur zum Zweck der Vorbereitung des Widerrufs der Zulassung wegen Vermögensverfalls zulässig. Es leuchtet allerdings nicht ein, weshalb zur Überprüfung der Vermögensverhältnisse bei der Zulassung keine Auskunft bei den Finanzbehörden angefordert werden können soll. Die Interessenlage ist vergleichbar mit dem Zulassungswiderruf. Zudem wollte der Gesetzgeber ausweislich seiner Gesetzesbegründung, lediglich die Weigerungshaltung der Finanzbehörden aufbrechen und eine Klarstellung herbeiführen. Die Klarstellung beschränkt nunmehr das Auskunftsrecht der Kammern.1 In § 36 Abs. 2 S. 3 Hs. 2 BRAO wurde zudem geregelt, dass die Rechtsanwaltskammer die Steuerdaten nur für den Zweck verwenden dürfen, für den sie ihr übermittelt worden sind. Dies ist ein allgemeiner Grundsatz, der sich auch in § 15 Abs. 3 S. 1 BDSG wiederfindet und vor allem für personenbezogene Daten gilt, die einem besonderen Amtsgeheimnis (§ 76 BRAO) unterliegen, § 39 BDSG. Es fragt sich allerdings, warum er nur für die Übermittlung von Steuerdaten gelten soll. Er hätte eher allgemein gefasst und als eigener Absatz dem § 36 BRAO angefügt werden sollen.
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Manche Finanzbehörden stellen sich derzeit auf den Standpunkt, § 36 Abs. 2 S. 3 Hs. 1 BRAO enthalte ein Ermessen, da die Norm als Kann-Vorschrift ausgestaltet sei. Dieses Ermessen werde entsprechend dem Rechtsgedanken in § 10 StBerG dahingehend ausgeübt, dass nur erhebliche „Pflichtverletzungen“ eines Rechtsanwalts mitgeteilt würden.
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Diese Auslegung ist aus mehreren Gründen verfehlt. Die Finanzbehörden haben im Wege der Amtshilfe eine Auskunft zu erteilen, die im Zweifel nicht als Verwaltungsakt ausgelegt werden kann.2 Damit kann der Behörde ein Ermessen allenfalls in analoger Anwendung des § 40 VwVfG zustehen.3 Ein Ermessensspielraum ist des Weiteren nur dann gegeben, wenn die Auslegung ergibt, dass der Gesetzgeber ein solches einräumen wollte.4 Im vorliegenden Fall mag zwar die Verwendung des Wortes „kann“ für die Einräumung eines Ermessens sprechen.5 Doch ergibt sich aus § 36 Abs. 2 S. 1 BRAO, dass Gerichte und Behörden (so auch die Finanzbehörden), ohne ein Ermessen ausüben zu dürfen, die notwendigen Informationen übermitteln. § 36 Abs. 2 S. 3 BRAO stellt lediglich klar, dass § 30 AO nicht als Verwendungsregelung entgegensteht und ist keine eigene Rechtsgrundlage für die Übermittlung. Dies ergibt sich eindeutig aus den gesetzgeberischen Motiven (vgl. Rz. 4–5). Aus demselben Grund ist auch die Ansicht mancher Finanzbehörden verfehlt, die Auskunft über die „Höhe“ der Steuerschulden beinhalte keine Informationen zu Zwangsvollstreckungsmaßnahmen. Sinn und Zweck des § 36 Abs. 2 S. 3 BRAO ist es gerade, das Vorliegen eines Vermögensverfalls überprüfen zu können. Allein die Schuldenhöhe bietet keine genügende Tatsachengrundlage für einen Widerruf.
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Die Finanzbehörden haben zwar aus ihrer Sicht zu beurteilen, ob die Übermittlung der Informationen für die anfragende Kammer zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich ist, § 36 Abs. 2 S. 1 BRAO. Insofern steht ihnen ein Beurteilungsspielraum zu.6 Bei der Anfrage zu Steuerschulden und laufenden Zwangsvollstreckungsverfahren dürfen die Finanzbehörden aber nicht nach der Erheblichkeit der Schulden differenzieren. Dann würden sie nämlich die Entscheidung der Kammern antizipieren, ob die Schulden einen Vermögensverfall begründen und ein Widerruf erzwingen. Diese Entscheidung liegt nicht in der Zuständigkeit der Finanzbehörden und würde zudem die sonstige Vermögenslage des Rechtsanwalts unberücksichtigt lassen.
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8. Übermittlung an Berufskammern Eine besondere Übermittlungsbefugnis sieht nunmehr § 36 Abs. 3 BRAO vor. Ist ein Rechtsanwalt Mitglied einer Berufskammer eines anderen freien Berufs im Geltungsbereich der BRAO, darf die Rechtsanwaltskammer personenbezogene Daten über den Rechtsanwalt an die zuständige Berufskammer übermitteln. In der Regel betrifft die Regelung somit Rechtsanwälte, die zugleich Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer sind. Die Zuständigkeit der Kammer bemisst sich nach den Berufsordnungen dieses anderen freien Berufs.
1 Im Vermittlungsverfahren verlangte der Bundesrat im übrigen, dass auch die Information über Zwangsvollstreckungsmaßnahmen wegen rückständiger Sozialversicherungsbeiträge übermittelt werden sollten, BR-Drs. 377/09, S. 1. 2 Kopp/Ramsauer, § 35 VwVfG Rz. 50. 3 Kopp/Ramsauer, § 40 VwVfG Rz. 4a. 4 Kopp/Ramsauer, § 40 VwVfG Rz. 41 unter Verweis auf BVerwG, DVBl. 1981, 977. 5 Kopp/Ramsauer, § 40 VwVfG Rz. 43. 6 Kopp/Ramsauer, § 40 VwVfG Rz. 14.
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§ 36 BRAO Rz. 36
Sachverhalt, personenbezogene Daten, Mitteilungspflichten
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Die Übermittlung erfolgt nur insoweit, als die Kenntnis der Information aus der Sicht der übermittelnden Stelle, also der Rechtsanwaltskammer, zur Erfüllung der Aufgaben der anderen Berufskammer im Zusammenhang mit der Zulassung zum Beruf oder der Einleitung eines Rügeverfahrens oder berufsgerichtlichen Verfahrens erforderlich ist. Die Erforderlichkeit bestimmt sich ebenso nach den allgemeinen Regeln (vgl. Rz. 26). Sie wird durch die übermittelnde Stelle geprüft (vgl. Rz. 27).
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Die Übermittlung kann nach dem Wortlaut des § 36 Abs. 3 S. 1 BRAO nur im Zusammenhang mit der Zulassung, nicht aber mit dem Widerruf erfolgen. Es ist fraglich, ob dieses Ergebnis vom Gesetzgeber beabsichtigt ist (vgl. Rz. 30). Denn gerade, wenn beispielsweise ein Vermögensverfall bei dem jeweiligen Berufsträger vorliegt, liegen die entsprechenden Widerrufsgründe in den einzelnen Berufsordnungen parallel vor (vgl. § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO und § 46 Abs. 2 Nr. 4 StBerG). Den Widerruf als ein Verwaltungsverfahren im Zusammenhang mit der (bestehenden) Zulassung anzusehen, dürfte nicht in Betracht kommen.
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In § 36 Abs. 3 S. 2 BRAO wird auf § 36 Abs. 2 S. 2 BRAO verwiesen. Die Übertragung der Daten an die andere Berufskammer darf somit nur erfolgen, wenn schutzwürdige Interessen des Betroffenen nicht beeinträchtigt werden bzw. das öffentliche Interesse diese überwiegt. Zudem dürfen keine gesetzlichen Verwendungsregelungen der Datenübertragung entgegenstehen. 9. Übermittlung an die Notarkammern
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Gehört der Rechtsanwalt zugleich einer Notarkammer an und endet seine Mitgliedschaft in einer Rechtsanwaltskammer anders als durch Tod, so teilt dies die zuständige Kammer unverzüglich der Landesjustizverwaltung und der Notarkammer mit, § 36 Abs. 4 BRAO. Es werden somit die Mitteilungspflichten aus § 16 Abs. 4a und § 27 Abs. 3 S. 5 BRAO a.F. in eine neue Regelung überführt und auf alle Fälle erweitert, in denen nach § 47 Nr. 3 BNotO das Notaramt erlischt. Absatz 4 ergänzt damit § 64a BNotO. Endet die Mitgliedschaft aufgrund eines Verwaltungsakts, tritt die Mitteilungspflicht erst mit dessen Unanfechtbarkeit ein. Wird bei einer Rücknahme oder einem Widerruf der Anwaltszulassung die sofortige Vollziehung angeordnet, so erfolgt Mitteilung nach § 14 Abs. 4 i.V.m. § 160 Abs. 1 S. 2 BRAO, um die notariellen Aufsichtsbehörden von der gem. § 54 Abs. 4 Nr. 3 BNotO eingetretenen vorläufigen Amtsenthebung in Kenntnis zu setzen.1 D. Prozessuales
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Sofern die Rechtsanwaltskammer personenbezogene Daten ihrer Mitglieder ohne gesetzliche Grundlage an Dritte gegeben hat, so stellt dies eine rechtswidrige Maßnahme dar. Diese begründet zugleich einen Verstoß gegen § 76 Abs. 1 BRAO. Der Betroffene kann Sperrung, Löschung oder Berichtigung seiner Daten mit der Verpflichtungs-, jedenfalls aber mit der allgemeinen Leistungsklage verlangen. Irreversible Rechtsbeeinträchtigungen dürften mit der Feststellungsklage geltend gemacht werden können. Der Verstoß gegen § 76 BRAO erfüllt allerdings nicht den Straftatbestand des § 203 StGB. Auf die Verletzung von Datenschutzrecht können die Datenschutzbeauftragten hingewiesen werden, vgl. bspw. § 21 BDSG. Schließlich bleibt noch die Geltendmachung von zivilrechtlichen Schadensersatz- oder Unterlassungsansprüchen.
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Der Erlass eines Landesjustizministers über die Mitteilung rechtskräftig verhängter anwaltsgerichtlicher Maßnahmen durch den Generalstaatsanwalt an die Gerichte konnte nach früherer Rechtslage nicht über § 223 BRAO a.F. als rechtswidrig angegriffen werden.2 Es konnte aber die auf der Grundlage eines solchen Erlasses vorgenommene Mitteilung nach § 223 BRAO a.F. überprüft werden (vgl. Rz. 50).3
36a bis 42 BRAO (weggefallen) 1 Amtl. Begründung BT-Drs. 16/11385, S. 56. 2 AnwGH Schleswig-Holstein, NJW-RR 2000, 442. 3 Feuerich/Weyland, 6. Aufl., § 36a Rz. 19; AnwGH Schleswig-Holstein, NJW-RR 2000, 442.
500 Siegmund
§ 43 BRAO
Allgemeine Berufspflicht
Vorbemerkung Vor §§ 43 ff. BRAO A. Rechte und Pflichten Der Dritte Teil der BRAO (§§ 43–59) befasst sich mit den Rechten und Pflichten des Anwalts und der beruflichen Zusammenarbeit der Rechtsanwälte.
1
Der Dritte Teil hat bis zur Neuordnung durch die Novelle vom 2.9.1994 (BGBl. I S. 2278) die Überschrift „Die Rechte und Pflichten des Anwalts“ getragen. Die Amtliche Begründung bemerkt dazu: „Die beruflichen Rechte und Pflichten des Anwalts können gesetzlich nur in Grundzügen geregelt werden, wie es auch früher in der Anwaltsordnung vom 1.7.1878 (§§ 26–40) der Fall war.1 Auch damals handelte es sich „um keine abschließende Regelung“.2 B. Berufliche Zusammenarbeit der Rechtsanwälte Die Überschrift ergänzt die „Rechte und Pflichten“ um „die berufliche Zusammenarbeit der Rechtsanwälte“. Der verbindende Zusatz „und“ erweckt den Eindruck, als ob die Regeln über die berufliche Zusammenarbeit außerhalb von Rechten und Pflichten des Anwalts stünden. Im Gegensatz dazu meint die Amtliche Begründung, die neue Überschrift sei erforderlich, weil „auch die Rechte des Anwalts hinsichtlich der beruflichen Zusammenarbeit mit Kollegen und Angehörigen anderer Berufe geregelt“ werden.3 Also ist der Zusatz überflüssig gewesen.
2
C. Dritter Teil als Pflichtenkatalog Trotz des Hinweises auf Rechte, muss man den ganzen Dritten Teil in erster Linie als Pflichtenkatalog lesen. Das ergibt sich aus Art. 12 Abs. 1 GG. Wenn die Berufsausübung frei ist, bedarf es grundsätzlich keiner besonderen Zuweisung von Rechten. Diese stehen dem Anwalt von Verfassungs wegen zu. „Rechte“, die in diesem Dritten Teil dem Anwalt zugestanden werden, bekommen ihren Sinn allerdings aus dem Umstand, dass damit eine Befreiung von einem Verbotsbereich angesprochen wird. Wäre das nicht so, wäre die Zubilligung eines besonderen Rechts überflüssig. Wenn also z.B. § 43b BRAO davon spricht, Werbung sei dem Anwalt nur unter bestimmten Bedingungen erlaubt, so heißt das, dass der Anwalt nach Auffassung des Gesetzgebers einem grundsätzlichen Werbeverbot unterliegt, das nach Maßgabe der § 43b BRAO gelockert wird.4 Nichts anderes gilt für die Befugnis des Anwalts, unter bestimmten Voraussetzungen eine Fachanwaltsbezeichnung führen zu dürfen (§ 43c BRAO). Und auch die Regelungen des § 59a BRAO über die berufliche Zusammenarbeit kann man nicht anders lesen: Das Recht zur beruflichen Zusammenarbeit wird aus einem allgemeinen Verbotsbereich herausgeschält. Das zu betonen ist wichtig, weil die Neigung weit verbreitet ist, die dem Anwalt insoweit zugestandenen Rechte als Ausnahmetatbestände zu deuten und eng auszulegen. Im Lichte des Art. 12 Abs. 1 GG ist demgegenüber die Frage zu stellen, ob denn der Verbotsbereich verfassungskonform umschrieben, ja, ob er überhaupt zu rechtfertigen ist. Berufspflicht 43 BRAO Allgemeine Der Rechtsanwalt hat seinen Beruf gewissenhaft auszuüben.
1 2 Er hat sich innerhalb und außerhalb des Berufes der Achtung und des Vertrauens, welche die Stellung des Rechtsanwalts erfordert, würdig zu erweisen.
A. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . I. Pflicht, moralische Pflicht, Rechtspflicht . 1. Pflicht, allgemein. . . . . . . . . . . . 2. Moralische Pflicht . . . . . . . . . . . 3. Rechtspflicht . . . . . . . . . . . . . a) Geltungsgrund . . . . . . . . . . .
1 1 1 2 3 3
b) Inhalt . . . . . . . . . . . . c) Unterschiedliche Strukturen der Rechtspflichten des Anwalts . . aa) Verfahrenspflichten . . . . bb) Statuspflichten . . . . . . cc) Handlungspflichten . . . .
. . .
4
. . . .
5 5 6 9
. . . .
. . . .
1 BR-Drs. 461/57, zu Dritter Teil, S. 75. 2 Friedländer merkt an, der ganze Abschnitt sei „der Fragmentarischste des Gesetzes“, Vorbem. zum zweiten Abschnitt. 3 BR-Drs. 461/57, zu Dritter Teil, S. 75. 4 Das gilt jetzt nur noch für die berufswidrige Werbung, s. § 43b BRAO.
Zuck 501
3
§ 43 BRAO Rz. 1 4. Verhältnis von moralischen zu rechtlichen Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . B. Norminhalt . . . . . . . . . . . . . . I. § 43 BRAO als tradierte Rechtsgrundlage und ihre Fortentwicklung . . . . . . . . 1. Tradition . . . . . . . . . . . . . . . 2. Fortentwicklung . . . . . . . . . . . . II. § 43 BRAO im Kontext der Freiberuflerrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. § 43 BRAO als typische Freiberufler-Regelung. . . . . . . . . . . . . . . . . . a) CCBE . . . . . . . . . . . . . . . b) Deutsches Recht . . . . . . . . . . aa) Notar . . . . . . . . . . . . . bb) Steuerberater. . . . . . . . . . cc) Arzt . . . . . . . . . . . . . . 2. Freiberufler-Status und Pflichtenbindung III. Berufspflichten . . . . . . . . . . . . 1. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . 2. Horizontale Berufspflichten . . . . . . . a) Allgemeine Vertragspflichten. . . . . b) Besondere Vertragspflichten . . . . . 3. Vertikale Berufspflichten . . . . . . . . a) Die verschiedenen Regelkreise . . . . b) Die Regelwerke . . . . . . . . . . . aa) Vierter Regelkreis . . . . . . . . bb) Verfassungsrechtliche Regeln . . cc) Einfach-rechtliche Regeln . . . . dd) Berufsrechtliches Satzungsrecht . IV. Der materiell-rechtliche Pflichtenrahmen . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . 2. Eckpunkte . . . . . . . . . . . . . . a) Zuordnung zum Rechtsstaat . . . . . b) Zuordnung zum Mandanten . . . . . c) Anwalt im „offenen Beruf“ . . . . . . d) Vorrang der Freiheit . . . . . . . . . V. System der Berufspflichten, § 43 S. 1 BRAO . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Textvorgaben . . . . . . . . . . . . . 2. Sinnbestimmung. . . . . . . . . . . . a) Allgemeine Berufspflichten . . . . .
Allgemeine Berufspflicht 10 11 11 11 12 13 13 14 15 15 16 17 18 19 19 20 20 21 22 23 27 28 29 30 31
b) Besondere Berufspflichten . . . . . c) Gewichtung . . . . . . . . . . . . 3. Relationen . . . . . . . . . . . . . . a) Funktion des § 43 BRAO . . . . . . b) Rückgriffsmöglichkeiten . . . . . . VI. Gewissenhafte Berufsausübung. . . . . 1. Rechtsgehalt . . . . . . . . . . . . . 2. Berufsmoral. . . . . . . . . . . . . . 3. Qualitätsanforderungen . . . . . . . . 4. Arbeitssicherheit . . . . . . . . . . . 5. Zusammenfassung. . . . . . . . . . . VII. § 43 S. 2 BRAO. . . . . . . . . . . . . 1. Achtung und Vertrauen . . . . . . . . 2. Würdig erweisen . . . . . . . . . . . . 3. Innerhalb und außerhalb des Berufs . . . a) Unterscheidung . . . . . . . . . . b) Verknüpfung mit § 113 BRAO . . . . c) Außerhalb des Berufsrechts liegende Anknüpfungspunkte . . . . . . . . aa) Strafrecht . . . . . . . . . . . bb) Zivilrecht . . . . . . . . . . . (1) Äußere Pflichten . . . . . . . . (2) Innere Pflichten . . . . . . . . (3) Wegfall der Unterscheidung . . .
44 45 46 46 47 48 48 49 50 53 54 55 56 57 58 59 60
cc) Öffentliches Recht . . . . . . .
67
61 62 63 64 65 66
§ 11 BORA Unterrichtung des Mandanten (S. 523 ff.) § 12 BORA Umgehung des Gegenanwalts (S. 530 ff.)
32 32 33 34 35 36 37
§ 13 BORA Versäumnisurteil (S. 536 f.)
40 40 42 43
§ 19 BORA Akteneinsicht (S. 557 ff.)
§ 14 BORA Zustellungen (S. 537 ff.) § 15 BORA Mandatswechsel (S. 541 ff.) § 16 BORA Prozesskostenhilfe und Beratungshilfe (S. 544 ff.) § 16a BORA Ablehnung der Beratungshilfe (S. 549 ff.) § 20 BORA Berufstracht (S. 562 ff.) § 25 BORA Beanstandungen gegenüber Kollegen (S. 564 ff.)
A. Allgemeines I. Pflicht, moralische Pflicht, Rechtspflicht 1. Pflicht, allgemein 1
Eine Pflicht gibt an und gibt vor, was eine Person zu tun oder zu unterlassen („Handlung“) hat. Die Pflicht statuiert eine Handlungspflicht. Sie umschreibt infolgedessen nur einen Teilbereich möglicher Rechtspflichten.1 Weil sie vorgibt, wie der Pflichtige zu handeln hat, liegt sie immer vor der Handlung selbst. Nur so kann sie Verhalten steuern. Nur so kann sich der Pflichtige an ihr ausrichten (= Vorwirkung der Pflicht, primäre Pflicht). Wird die Pflicht verletzt, greifen die dafür vorgesehenen Sanktionen (= Nachrang der Pflicht, sekundäre Pflicht).2 Zwar kann von einer Pflicht dispensiert werden (z.B. § 12 Abs. 1 S. 1 BORA). Fehlt ein solcher Dispens, ist jede Pflicht unbedingt. Das bedeutet jedoch nicht, dass eine Pflicht absolut ist. So wie es eine Vielzahl von Handlungsmöglichkeiten gibt, gibt es auch eine Vielzahl von Pflichten. Sie können miteinander in Widerspruch geraten (Pflichtenkollision). Das ist eine im Strafrecht gängige Erfahrung.3 Auch im Berufsrecht ist eine solche Pflichtenkollision nicht ausgeschlossen. Grundsätzlich kann Handeln nur durch psychologischen oder körperlichen Zwang bewirkt werden. 1 Rz. 5 ff., 9. 2 Schapp, Freiheit, Moral und Recht, 1994, S. 232. 3 Schönke/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben, Vorbem. §§ 32 ff. StGB Rz. 71 ff.
502 Zuck
Allgemeine Berufspflicht
Rz. 4 § 43 BRAO
2. Moralische Pflicht Ob es überhaupt moralische Pflichten gibt, und wenn es sie gibt, wie sie erkannt werden können, ist von Beginn der Philosophiegeschichte an umstritten gewesen.1 Umstritten ist der Geltungsgrund moralischer Pflichten, ihr konkreter Inhalt und die Frage, ob zu ihrer Erfüllung innere Überzeugung gehört oder ob moralische Pflichten auch überzeugungslos erfüllt werden können.2 Und schließlich gibt es keine Einigkeit darüber, ob moralische von rechtlichen Pflichten getrennt werden können.3
2
3. Rechtspflicht a) Geltungsgrund Die Rechtspflicht hat sich von diesen Schwierigkeiten getrennt. Ihr Geltungsgrund liegt in Gesetz, Richterrecht oder Vertrag und das alles gilt, ob es dem Rechtsunterworfenen gefällt oder nicht. Die Befolgung einer Rechtspflicht beruht auf einem gewohnheitsmäßigen Gehorsam gegenüber Rechtsregeln. Dahinter steckt ein verbreitetes Akzeptanzverhalten. Es mag auf Furcht (vor Sanktionen) oder innerer Einsicht in die Notwendigkeit der Regel beruhen, auf Opportunitätserwägungen oder dem intellektuellen Respekt vor der negativen Goldenen Regel. Eine Rechtspflicht enthält deshalb nur eine schwache Verhaltensanforderung. Da die Pflicht zur Befolgung der Rechtsregel zugeordnet ist, setzt pflichtgemäßes Verhalten Kenntnis und Verständnis der Rechtsregel voraus. Damit kommt ein prognostisches Element, ein Aspekt der Unsicherheit ins Spiel. Dieser Aspekt ist bei einfachen Rechtsregeln, z.B., dass ein Vertrag durch zwei Willenserklärungen – Angebot und Annahme – zustande kommt, gering ausgeprägt. Wenn die Rechtslage aber schwieriger wird, z.B. hinsichtlich der Frage, ob ein Bürgschaftsvertrag wirksam zustande kommt, wenn die Bürgschaftserklärung nur mit Telefax übermittelt wird und erst recht, bei den von Dworkin so genannten „hard cases“,4 dann beruht die Erkenntnis der Rechtslage (und damit auch die Bestimmung der Rechtspflichten) auf einer Prognose darüber, was die letzten Endes zuständige staatliche Stelle, also meist das letztinstanzliche Gericht, für eine Antwort auf diese Frage geben wird.5
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b) Inhalt Der Inhalt der Rechtspflicht wird durch diese Rechtsquellen angegeben, unabhängig davon, dass deren Inhalt durch Auslegung bestimmt werden muss. Man muss dabei unterscheiden: Was Gesetz oder Richterrecht vorgeben, führt dazu, dass der Adressat verpflichtet 1 „Pflicht“ in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 7, 1989, Sp. 405 ff. 2 S. dazu Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie mit juristischer Methodenlehre, 7. Aufl. 2013, Rz. 99a. 3 Ellscheid, Recht und Moral, in: Kaufmann/Hassemer/Neumann (Hrsg.), Einführung in Rechtsphilisophie und Rechtstheorie der Gegenwart, 7. Aufl. 2004, S. 214 ff. Resignierend zu diesem Befund Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, 1979, S. 375. Schapp, Ethische Pflichten und Rechtspflichten, in: Schapp, Über Freiheit und Recht, 2008, S. 38 (59) betont zwar die Unterschiede zwischen Rechtspflichten und moralischen Pflichten, sieht aber beide in einem „Verhältnis notwendiger Ergänzung“. Zum Thema Moral und Recht im Strafrecht s. Weihrauch, FS Dahs, 2005, S. 19 ff.; Ignor, FS Egon Müller, 2008, S. 289. Alexy geht davon aus, die Richtigkeit des Rechts beziehe sich auf die Frage der Gerechtigkeit. Das verlange aber immer eine Antwort auf moralische Fragen. Den Einwand, moralische Normen, die Antworten auf praktische Fragen gäben, seien nicht begründbar, begegnet Alexy mit dem Hinweis auf die Vernünftigkeit. Vernünftig sei, wer moralische Urteile einer rationalen Argumentation unterwerfe, siehe dazu Alexy, Rechtssicherheit und Richtigkeit, in: Gedächtnisschrift Brugger, 2013, 49 (50 f.). Zu den dieser Auffassung zugrunde liegenden Prämissen siehe Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, 7. Aufl. 2012, insbesondere Seite 234 ff. Demgegenüber will Gaier moralische Grundsätze nur als eine Art Normsetzung des Einzelnen für sich selbst verstanden wissen, vgl. Gaier, Recht und Moral, in: FS Stürner, Teilband I, 2013, 17 (20). Zu Ende gedacht führt das zu so viel moralischen Grundsätzen, wie es Personen auf dieser Welt gibt. Und so sehr Gaier darin zuzustimmen ist, dass das den Guten Anwalt auszeichnende Konglomerat von moralischen Grundsätzen, soft law und gesellschaftlichen Anschauungen sich einer Kodifizierung widersetzt, so sehr muss darauf bestanden werden, dass solchen Grundsätzen der nötige Einfluss auf das Handeln gesichert wird. Das wird deutlich, wenn man berücksichtigt, dass moralische Grundsätze vermehrt auch in die von Zahlen, Statistiken und Mathematik beherrschte Volkswirtschaft Einzug gehalten haben. Sandel, Was man für Geld nicht kaufen kann. Die moralischen Grenzen des Marktes, 2012, 250, hat zu Recht darauf hingewiesen, dass immer die Frage beantwortet werden muss, wie wir zusammen leben wollen. Die Teilhabe an einer gemeinsamen Lebenswelt wird vom Grundsatz der Gerechtigkeit als Fairness (Rawls) bestimmt. Worin die Gemeinsamkeit dieser Lebenswelt besteht, das lässt sich tatsächlich feststellen. 4 Vgl. etwa „Bürgerrechte ernstgenommen“, 1984, S. 144. 5 Das ist hier nicht im Sinne einer Umschreibung des Wesens des Rechts gemeint, vgl. dazu: W. Holmes, The Path of The Law, in: Collected Papers, 1929, S. 173.
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§ 43 BRAO Rz. 5
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ist. Was aus dem Vertrag folgt, ist, dass der Verpflichtete eine Verpflichtung hat.1 Nur für den letztgenannten Sektor gilt uneingeschränkt, dass die Pflicht ein Pendant zum jeweiligen subjektiven Recht ist.2 Für gesetzlich auferlegte Pflichten, wie in der BRAO und der BORA, kann man zwar ebenfalls eine dreipolige Relation (Anwalt – Staat – allgemeine Handlungsfreiheit) bilden. Die Pflicht ließe sich, wenn § 43 BRAO noch die allein maßgebliche Pflichtenklausel wäre, auch als Pendant zur Handlungsfreiheit verstehen. Die Konnexität wird aber durch § 43a BRAO aufgehoben. Der allgemeinen Handlungsfreiheit (hier: durch Art. 12 Abs. 1 GG konkretisiert als Berufsfreiheit) stehen nunmehr Einzelpflichten gegenüber, für die es an ausdifferenzierten Freiheitsgewährleistungen fehlt. Subjektives Recht und Rechtspflicht sind auf diesem Sektor inkongruent. c) Unterschiedliche Strukturen der Rechtspflichten des Anwalts aa) Verfahrenspflichten 5
Anwalt kann nicht jeder werden. Der Berufsbewerber muss vielmehr einen Zulassungsantrag stellen (§ 6 Abs. 1 BRAO) und er muss für diesen Antrag verschiedenartige materielle und verfahrensmäßige Voraussetzungen erfüllen. Die BRAO legt dem Bewerber insgesamt also, will er das Ziel erreichen, Anwalt zu werden, Verfahrenspflichten auf. Diese Verfahrenspflichten haben bestimmte Merkmale. Eines liegt in der zeitlichen Beschränkung. Eine Verfahrenspflicht verbraucht sich mit dem ihr zugrundeliegenden Verfahren. Ist das Verfahren abgeschlossen, gibt es keine Verfahrenspflichten mehr. Zum anderen hat die Verfahrenspflicht eine besondere Struktur. Während man sonst Pflichten mit einem „Sollen“ charakterisiert,3 wird die Verfahrenspflicht durch ein „Müssen“ beschrieben, das von einem „Dürfen“ abhängt.4 Wer nämlich Anwalt werden will, muss die Verfahrensregeln befolgen. Befolgt er die Verfahrensregeln nicht, gibt es keine Sanktion im eigentlichen Sinn. Der Bewerber kann nur nicht Anwalt werden. Dagegen gibt es keinen Zwang für jemand, der die Voraussetzungen des § 4 BRAO erfüllt, Anwalt zu werden. Insoweit, aber auch nur insoweit, muss der dazu Berechtigte die Verfahrensregeln nicht anwenden, er darf es lediglich. bb) Statuspflichten
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Man kann einen Schritt weitergehen: Die zuständige Rechtsanwaltskammer hat den Bewerber zur Anwaltschaft zugelassen (§ 6 Abs. 2 BRAO, aufgehoben zum 1.9.2009 und ab dann § 33 Abs. 1, Abs. 3 BRAO, vgl. Art. 10 S. 1 des Gesetzes zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariellen Berufsrecht, zur Errichtung einer Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft sowie zur Änderung sonstiger Vorschriften, G v. 30.7.2009 (BGBl. I S. 2449). Sie hat ihm eine entsprechende Urkunde ausgehändigt. Der Bewerber/die Bewerberin ist nunmehr berechtigt, die Berufsbezeichnung „Rechtsanwalt“ oder „Rechtsanwältin“ zu führen (§ 12 Abs. 4 BRAO). Der Bewerber ist vereidigt worden. Er hat eine Berufshaftpflichtversicherung abgeschlossen, ist Mitglied der zuständigen Anwaltskammer geworden (§ 12 Abs. 2, 3 BRAO). Er hat eine Kanzlei eingerichtet und unterhält sie (§ 27 Abs. 1 BRAO). Er wird in der Liste der zugelassenen Rechtsanwälte geführt (§ 31 Abs. 2 BRAO). Er hat also den berufsrechtlichen Status eines Anwalts erlangt. Das Recht regelt nicht nur Verhalten, sondern auch Zustände. Ein solcher rechtlicher Zustand ist auch der rechtliche Status eines Berufsangehörigen. Wir wollen annehmen, dass diesem Rechtsstatus auch Pflichten entsprechen. Sie sollen Statuspflichten genannt werden.
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Auch diese Statuspflichten weisen Besonderheiten auf. Zunächst handelt es sich um einen Dauerpflichtenkreis: Er besteht solange, wie der Status als Anwalt andauert; der Pflichtenkreis wird sich modifizieren, wenn der Anwalt zwar nicht aus dem Beruf ausscheidet, aber durch einen Zusatz deutlich macht, dass er beruflich nicht mehr tätig ist. An der grundsätzlichen Konstanz des Pflichtenkreises ändert sich dadurch nichts. Hier wird – zum anderen – durchweg von einem Pflichtenkreis gesprochen. Damit soll gesagt werden, dass es unterschiedliche Pflicht-Bezugspunkte gibt. Die Pflichten betreffen nämlich alle Personen und Situationen, mit denen der Anwalt beruflich in Berührung kommt, also Mandanten, andere Verfahrensbeteiligte, Richter, Beamte, etc. 1 Hart, The Concept of Law, spricht von der Unterscheidung „being obliged“ und „having an obligation“, 2. Aufl. 1997, p. 82 ff. 2 Alexy, Theorie der Grundrechte, 1985, S. 185 ff. beschreibt diese Relation als dreiteilig, weil sie neben dem Rechtsträger und dem Rechtsverpflichteten auch noch einen bestimmten Gegenstand erfasst. 3 Rz. 1. 4 G. Robels, Rechtstheorie 17 (1986), 276 (287).
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Rz. 12 § 43 BRAO
Schließlich ist als Besonderheit hervorzuheben, dass ein Status einen Zustand beschreibt. Pflichterfüllung setzt aber menschliches Handeln voraus. Statuspflichten sind infolgedessen nur mittelbare oder virtuelle Pflichten. Sie realisieren sich erst, wenn der Statusträger handelt. Dennoch sind sie unabhängig von einem solchen Handeln vorhanden, so wie auch das Recht als autonome Ordnung unabhängig von seiner Anwendung vorhanden ist.
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cc) Handlungspflichten Die klassische Rechtspflicht ist, korrespondierend zum jeweiligen Recht, eine Pflicht zu einem bestimmten Tun oder Unterlassen.1 Die damit verbundene Handlungspflicht ist abhängig vom Status des Anwalts. Insoweit besteht die Pflichtenlage solange wie der Status. Sie manifestiert sich aber immer nur in der gesollten Handlung, so dass die Handlungspflicht unter einem doppelten Aspekt zu sehen ist: Virtuell besteht die Pflicht korrespondierend zum Status und der mit ihm verbundenen oder aus ihm resultierenden Rechtslage. Insoweit beschreibt das Sollen den Latenzcharakter der Pflicht. Real wird die Pflicht in ihrer Erfüllung durch ein Tun oder Unterlassen. Die Pflicht auf Erfüllung ist also temporär wie die Verfahrenspflicht, aber, anders als diese, verbraucht sie sich nicht mit ihrer Erfüllung, sondern ist immer wieder, je nach Rechtslage, neu konkretisierbar.
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4. Verhältnis von moralischen zu rechtlichen Pflichten Zwar sind moralische von rechtlichen Pflichten zu trennen. Beziehungslos stehen sie aber nicht nebeneinander, wie schon die Amtliche Begründung belegt.2
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B. Norminhalt I. § 43 BRAO als tradierte Rechtsgrundlage und ihre Fortentwicklung 1. Tradition § 43 hat eine lange Geschichte. § 28 RAO 1878 verpflichtete den Anwalt „seine Berufstätigkeit gewissenhaft auszuüben und durch sein Verhalten in Ausübung des Berufs sowie außerhalb desselben sich der Achtung würdig zu zeigen, die sein Beruf erfordert“.3 Inhaltlich ist es dabei bis heute geblieben. Die Amtliche Begründung hat zu § 43 BRAO angemerkt: „Die Pflichten, die der Beruf des Anwalts dem Auftraggeber, der Anwaltschaft und der Allgemeinheit gegenüber mit sich bringt, lassen sich nicht erschöpfend festlegen. Dazu ist das Berufsleben des Anwalts zu vielseitig. Es wird zudem vornehmlich von ethischen Geboten beherrscht, die nur in allgemeinen Normen ihren Niederschlag finden können“.4 Der BRAOGesetzgeber hatte daraus die Konsequenz gezogen, und in § 177 Abs. 2 Nr. 2 BRAO a.F. die Bundesrechtsanwaltskammer mit der Kompetenz versehen „die allgemeine Auffassung über Fragen der Ausübung des Anwaltsberufs in Richtlinien festzusetzen“.
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2. Fortentwicklung Den auf dieser Ermächtigungsnorm zustande gekommenen RichtlRA5 hat das BVerfG zwar noch einen guten Sinn zuerkannt, soweit sie das Standesethos wiedergespiegelt haben, im Übrigen aber entschieden, dass die RichtlRA weder als normative Regelung noch als rechtserhebliches Hilfsmittel zur Konkretisierung des § 43 BRAO in Betracht kommen.6 Diesen Vorgaben hat das Gesetz zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und der Patentanwälte7 Rechnung getragen, indem es § 177 Abs. 2 Nr. 2 BRAO aufhob und durch Einrichtung der Satzungsversammlung bei der Bundesrechtsanwaltskammer in §§ 191a ff. BRAO eine Rechtsgrundlage für die Konkretisierung des anwaltlichen Berufsrechts geschaffen hat. Auf dieser Grundlage ist die BORA entstanden. 1 Rz. 1. 2 S. dazu Rz. 11 mit Fn. 4. 3 Friedlaender, § 28 Rz. 1; Friedlaender spricht von einer „allgemeinen Formel“, die sich als „typische Disziplinarvorschrift“ ausweise. 4 BT-Drs. III/120, S. 47 ff. 5 S. dazu Lingenberg/Hummel/Zuck/Eich, Kommentar zu den Grundsätzen des anwaltlichen Standesrechts, 2. Aufl. 1988. 6 BVerfG, NJW 1988, 191. 7 V. 2.9.1994 (BGBl. I, S. 2278).
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II. § 43 BRAO im Kontext der Freiberuflerrechte 1. § 43 BRAO als typische Freiberufler-Regelung 13
§ 43 BRAO ist kein Unikat. Das ergibt sich aus einer Reihe – nicht als abschließend gemeinte Darstellung – vergleichbarer Regelungen. a) CCBE
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Die CCBE-Regeln formulieren in Nr. 2.2 unter der Überschrift „Vertrauen und Würde“ in Bezug auf das Vertrauensverhältnis zum Mandanten, es werde vorausgesetzt, „dass keine Zweifel über die Ernsthaftigkeit, die Unbescholtenheit und die Rechtschaffenheit des Anwalts bestehen. Die traditionellen Werte des Anwaltsstandes sind für den Anwalt gleichzeitig Berufspflichten“. Im Zusammenhang mit dem „Vertrauen gegenüber dem Mandanten“ heißt es in Nr. 3.1.2 Satz 1: „Der Anwalt berät und vertritt seinen Mandanten unverzüglich, gewissenhaft und sorgfältig“. b) Deutsches Recht aa) Notar
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Der Notar hat sich gem. § 14 Abs. 3 S. 1 BNotO „durch sein Verhalten innerhalb und außerhalb seines Amtes der Achtung und des Vertrauens, die dem Notaramt entgegengebracht werden, würdig zu zeigen“. Eine allgemeine Redlichkeitspflicht des Notars wird aus § 14 Abs. 3 S. 1 BNotO geschlossen.1 bb) Steuerberater
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§ 57 Abs. 1 StBG verpflichtet die Steuerberater (Steuerbevollmächtigte) zur gewissenhaften Berufsausübung.2 In Absatz 2 heißt es: „Sie haben sich auch außerhalb der Berufstätigkeit des Vertrauens und der Achtung würdig zu erweisen, die ihr Beruf erfordert“.3 Vergleichbare Regelungen gibt es für die Wirtschaftsprüfer (§ 43 Abs. 1, 2 S. 3 WPO). cc) Arzt
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§ 2 Abs. 3 MuBO-Ä bestimmt: „Ärztinnen und Ärzte haben ihren Beruf gewissenhaft auszuüben und dem ihnen bei ihrer Berufsausübung entgegengebrachten Vertrauen zu entsprechen“.4 Die Differenzierungen sind danach gering. Die Ärzte werden in der Beurteilung ihres Verhaltens nur an ihrem beruflichen Verhalten gemessen.5 Die Pflicht zur Gewissenhaftigkeit gibt es bei Notaren und Beamten zwar nicht nach deren Wortlaut; sie ergibt sich aber schon aus der Amtsstellung.6 2. Freiberufler-Status und Pflichtenbindung
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Auf den ersten Blick ist es überraschend, dass der Freiberufler, der schon nach dem Wortlaut einen „freien Beruf“ ausübt7 mit einen in allen Berufsordnungen detaillierten Pflichtenkatalog belegt wird, und zumeist, wie § 43 BRAO zeigt, mit einer generalklauselartigen Pflicht. Zwar gibt es in der freiheitlich demokratischen Grundordnung des GG keine unreglementierte Freiheit: Der Einzelne muss sich „diejenigen Schranken seiner Handlungsfreiheit gefal1 Bohrer, Das Berufsrecht der Notare, 1991, Rz. 101 ff. S. auch für die Beamten § 61 S. 3 BBG: „Ihr Verhalten innerhalb und außerhalb des Dienstes muss der Achtung und dem Vertrauen gerecht werden, die ihr Beruf erfordert“ und dazu Battis, § 61 BBG Rz. 9 ff. 2 Kuhls/Maxl, § 57 StBerG Rz. 149 ff.; Gehre/von Borstel, § 57 StBerG Rz. 40 ff. 3 Kuhls/Maxl, § 57 StBerG Rz. 330 f.; Gehre/von Borstel, § 57 StBerG Rz. 75 ff. 4 Was das bedeutet, interessiert die ärztlichen Berufsrechtler nicht. Ratzel/Lippert, MuBO, 5. Aufl. 2010 schweigen sich zum Inhalt von § 2 Abs. 2 MuBO ebenso aus wie Heberer, Das ärztliche Berufs- und Standesrecht, 2. Aufl. 2001, S. 267 oder Narr, Ärztliches Berufsrecht, Stand 1994, B 86 ff. Taupitz, in: Rieger, Hk-AKM, Stand 2001, Nr. 910. Man kann daraus schließen, dass die ärztlichen Berufsrechtler der Generalklausel des § 2 Abs. 2 MuBO kaum Bedeutung beimessen. 5 Wenn außerberufliches Verhalten im Regelfall ohnehin nur bei strafbarem Verhalten oder OWiG-Verstößen sanktioniert wird (s. Rz. 58–64) ergibt sich kein wesentlicher Unterschied in der Sache. 6 S. dazu Zuck, FS Schippel, 1996, S. 817 (818 f.). 7 Für den Anwalt s. dazu § 1 BORA. Zum Begriff des Freien Berufs s. Taupitz, Die Standesordnungnen der freien Berufe, 1991; Remmers, FS Scharf, 2008, S. 273.
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len lassen, die der Gesetzgeber zur Pflege und Förderung des sozialen Zusammenlebens in der Grenze des bei dem gegebenen Sachverhalt allgemein Zumutbaren zieht, vorausgesetzt, dass dabei die Eigenständigkeit der Person gewahrt wird“.1 Der Pflichtenkatalog der §§ 43 ff. BRAO, §§ 1 ff. BORA rechtfertigt sich jedoch aus der Bedeutung des Rechts für eine funktionsfähige staatliche Ordnung und ein möglichst konfliktfreies gesellschaftliches Zusammenleben.2 Die Rolle des Anwalts als eines der Garanten eines funktionsfähigen Rechtssystems3 führt deshalb notwendigerweise zu einer engen Verknüpfung von Rechten und Pflichten. Zu beachten ist nur, dass damit lediglich ein Pflichtenkatalog als solcher gerechtfertigt wird. Einzelne gesetzliche Pflichten können selbstverständlich auf den verfassungsrechtlichen Prüfstand gehoben werden. III. Berufspflichten 1. Vorbemerkung Das allgemeine System der Rechtspflichten des Anwalts ist mit den Begriffen der Verfahrenspflicht, der Statuspflicht und der Handlungspflicht näher gekennzeichnet worden.4 Gleichwohl bestehen immer noch Unklarheiten. Sie betreffen zum einen das Verhältnis von Statuspflichten zu Handlungspflichten. Zum andern ist genauer zu betrachten, wo Handlungspflichten überhaupt eine Rolle spielen. Weil es um die Gesamtdarstellung des anwaltlichen Pflichtensystems geht, ist zunächst mit einem Bereich zu beginnen, der sich im Zusammenhang mit den Berufspflichten des Anwalts und bei der Auslegung und Anwendung der BRAO nicht sofort aufdrängt, nämlich der – hier als horizontal gekennzeichneten – Ebene der Vertragspflichten des Anwalts.5 Danach sollen die vertikalen Berufspflichten des Anwalts dargestellt werden.6
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2. Horizontale Berufspflichten a) Allgemeine Vertragspflichten Die Berufsausübung des Anwalts hängt davon ab, dass er einen Vertrag mit seinen Mandanten schließt. Im Regelfall wird der Anwaltsvertrag eine entgeltliche Geschäftsbesorgung im Sinne des § 675 BGB zum Gegenstand haben. Auftragsrecht ist in großem Umfang entsprechend anwendbar. Aus ihm ergeben sich gewisse Handlungspflichten, z.B. die Auskunfts- und Rechenschaftspflicht des § 666 BGB, aber doch eher bruchstückhaft und zufällig. Woher weiß man dann, was der Anwalt dem Mandanten schuldet? Es ist schon darauf aufmerksam gemacht worden, dass die Festlegung von Pflichten eine genaue Analyse des dahinterstehenden Rechts voraussetzt.7 Der rechtliche Rahmen ist dann der Typus des Geschäftsbesorgungsvertrags, und der konkrete Rechtsstand ergibt sich aus einer sorgfältigen Auslegung des erteilten Auftrags. Dabei sind die allgemeinen Vorgaben durch die Rechtsprechung sehr weit gefasst worden. Schon das Reichsgericht hatte im Jahr 1932 ausgeführt: „Wer einen Anwalt in Anspruch nimmt und dabei nicht zu erkennen gibt, er bedürfe seines Rats nur in einer bestimmten Richtung, will eine allgemeine und möglichst erschöpfende Belehrung über die sachliche Durchführung des erbetenen Rats, über die Gefahr, die das beabsichtigte Geschäft in sich birgt, und über die zur Abwendung von Schaden anzuwendenden Vorsichtsregeln“.8
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b) Besondere Vertragspflichten Der BGH hat diese Anforderungen noch verschärft. Er fordert die allgemeine, möglichst erschöpfende Beratung durch den Anwalt „soweit sein Auftraggeber nicht unzweideutig zu 1 BVerfGE 4, 7 (16). 2 So wie sich beim Arzt der Pflichtenkatalog aus dem überragenden Gemeinwohlbelang der Gesundheit rechtfertigt, vgl. BVerfGE 25, 236 (247): Volksgesundheit als „absolutes“ Gemeinschaftsgut. 3 S. dazu Rick, Die verfassungsrechtliche Stellung des Rechtsanwalts, 1998; Krämer, NJW 1995, 2313; Jaeger, NJW 2004, 1492; Gaier, BRAK-Mitt. 2006, 2; § 2 BORA Rz. 8; Gaier, Art. 12 GG, Rz. 62 ff.; Kirchberg, BRAKMitt. 2009, 95; Dombeck, Die Annäherung der Anwaltschaft an das Gemeinwohl, FS Jaeger 2010, 365 (366 ff.). 4 Rz. 5–9. 5 Rz. 20, 21. 6 Rz. 22–31. 7 S. Rz. 3, 4. 8 RG, JW 1932, 2855 mit Anm. Holzinger.
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erkennen gibt, dass er des Rats nur in einer bestimmten Richtung bedarf.1 Natürlich, denn im Gesetz steht von alledem nichts: Woher kommt denn dieser Pflichtenkatalog eigentlich her? Und das fragt man sich erst recht, wenn man annimmt, dass z.B. der von der Rechtsprechung etwa bei telefonischen Auskünften des Anwalts angenommene Auskunftsvertrag wohl eher eine haftungsbegründende Hilfskonstruktion ist, und vor allem dann, wenn man annimmt, dass es nicht-vertragliche Ersatzansprüche, also Pflichten und Pflichtverletzungen außerhalb des Delikts- und Bereicherungsrechts geben könnte.2 Hier wird die Auffassung von Hopt geteilt, dass Wertungsgrundlage für die Pflichtenbestimmung das berufliche Auftreten des jeweiligen Berufsangehörigen am Markt ist. Man hat also zu fragen: Welcher Art ist die berufliche Spezialisierung des Berufsangehörigen, was zeichnet seine Berufsrolle aus? Man hat – in einem zweiten Schritt – zu untersuchen, weil es nicht auf den Status des Berufsangehörigen ankommt, sondern auf seine Rolle, also einen sozialen Kontext, wie sich die berufliche Spezialisierung am Markt aktualisiert. Mit anderen Worten: Der Anwalt wird unter einer solchen Sicht zum Mitglied einer Dienstleistungsgesellschaft, als Dienstleistungsunternehmen also Marktteilnehmer, aber ein Marktteilnehmer, der durch seinen Beruf spezifisch geprägt ist, und dem deshalb eine besondere Rolle zukommt. 3. Vertikale Berufspflichten 22
Bislang ist offen geblieben, worin die berufsspezifische Rolle des Anwalts besteht. Dieses Thema führt in die Vertikale, in das anwaltliche Berufsrecht selbst. a) Die verschiedenen Regelkreise
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Anwaltliches Berufsrecht darf man sich nicht monolithisch vorstellen. Wir haben es vielmehr mit einer sehr komplexen Schichtung zu tun. Man wird drei Regelkreise zu unterscheiden haben.3
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Zum einen die unterschiedlichen Sach- und Verfahrensrechte, die die Rechte und Pflichten des Anwalts direkt oder indirekt regeln. Es handelt sich dabei um Normen, die für jedermann gelten, die also den Anwalt in seiner Jedermann-Eigenschaft erfassen. So gelten die Vorschriften der §§ 485 ff. ZPO für jedermann, der ein selbständiges Beweisverfahren anstrengen will. Man kann diesen Bereich als sach- und verfahrensbezogenes Berufsrecht zusammenfassen.
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Daneben gibt es – teils zusätzlich, teils Besonderheiten abweichend regelnd – Sach- und Verfahrensnormen, die an der Rechtsstellung des Anwalts sowie an seinem Verhalten gegenüber Gerichten, Behörden, dem Rechtsuchenden und der Öffentlichkeit sich orientieren – man denke z.B. an Normen, die den Anwaltszwang regeln, das Recht der Anwaltsvollmacht oder besondere Tätigkeitsbedingungen (§ 45 BRAO). Dieser Regelkreis erfasst das berufsspezifische Berufsrecht. Beide Regelkreise stellen in ihrer Gesamtheit das externe Berufsrecht des Anwalts dar. Von Berufsrecht i.e.S. lässt sich schließlich nur reden, soweit die Normen die Stellung und das Verhalten des Anwalts gegenüber anderen Anwälten, seiner Rechtsanwaltskammer und anderen Kammermitgliedern regeln, denn nur insoweit wird der Anwalt als Berufsangehöriger angesprochen. Dieser Bereich lässt sich als internes Berufsrecht umschreiben.
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Es gibt jedoch noch einen vierten Regelkreis. In ihm finden sich gesellschaftliche und moralische Regeln.4 Sie sagen etwas darüber aus, wie sich – nach Ansicht der angesehenen Be1 BGH, VersR 1990, 931. 2 Hopt, AcP 183 (1983), 608 ff. 3 Vgl. Zuck, FS Pfeiffer, 1988, S. 1007. Zur Überschneidung mit dem Begriff der inneren und äußeren Berufspflichten vgl. C. Bissel, Die Rechtstellung des Syndikusanwalts und die anwaltliche Unabhängigkeit, 1996, S. 70 mit Fn. 87. 4 Zuck, JZ 1989, 353. S. dazu Jaeger; NJW 2001, 1; Henssler, AnwBl. 2008, 721 (728); Hellwig, AnwBl. 2008, 644 (652); Kleine-Cosack, AnwBl. 2008, 768; Kilger, AnwBl. 2008, 824; Henssler, AnwBl. 2009, 1 (7 ff.); Singer, AnwBl. 2009, 393 (399 f.); Kilger, Berufsethische Überlegungen, in: FS Krämer 2009, S. 135; Kardinal Lehmann, BRAK-Mitt. 2009, 194; Hellwig, AnwBl. 2009, 465; Herrmann, AnwBl. 2009, 812; Graf v. Westphalen, AnwBl. 2009, 821; Müller, NJW 2009, 3745; Ignor, BRAK-Mitt. 2009, 202; Stürner/Wolf, AnwBl. 2010, 725; Filges, NJW 2010, 2619 (2623). Es werden auch schon Sonder-Moralen diskutiert, für den Strafverteidiger vgl. Salditt, AnwBl. 2009, 805, für den Insolvenzverwalter Stürner, AnwBl. 2009, 848. Die Pläne, ethische Grundsätze zu kodifizieren, sehe ich kritisch. Zwar stehe ich unverändert zur Notwendigkeit, sich wie ein „guter Anwalt“ zu verhalten. Ich halte es aber für schwierig, die Zehn Gebote, die Kant’sche Maxime oder eine andere Goldene Regel in allgemein gültige Sätze zu transformieren, d.h. sie konsensfähig zu kon-
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rufsangehörigen oder der opinio communis – ein anständiger Anwalt verhalten soll („Guter Anwalt“).1 Man kann das als einen Urgrund ansehen, aus dem neue Rechtsregeln geschöpft werden, in dem aber auch Rechtsregeln, weil gewohnheitsmäßig nicht mehr befolgt, verschwinden können.2 b) Die Regelwerke Versucht man die einzelnen Regelkreise bestimmten Regelwerken zuzuordnen, so ergeben sich:
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aa) Vierter Regelkreis Für den vierten Regelkreis gibt es begrifflich kein Regelwerk.3
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bb) Verfassungsrechtliche Regeln Am anderen Ende der Regelwerkskala steht die Verfassung. Sie hat, wie hier in Abweichung von der gängigen normhierarchischen Vorstellung angenommen wird, keinen per se maßstabbildenden Charakter. Ohnehin erwähnt sie den Anwalt nicht ausdrücklich. Art. 12 Abs. 1 GG ist, berufsspezifisch gesehen, eine neutrale Norm. Wer Art. 12 Abs. 1 GG als Maßstab für die Anwendung und Auslegung des Gesetzesrechts verwenden will, muss zuvor in die kretisieren. Ich sehe deshalb keine Möglichkeit, für aussagekräftige Sätze der Berufsmoral Mehrheiten zu finden. Fände man sie, entstünde eine Parallelordnung zur BORA, in einem ethischen Normkonvolut ohne normative rechtliche Verbindlichkeit. Mit der Kodifizierung von Berufsmoral ist zudem ein Widerspruch verbunden: Moralische Pflichten kommen begrifflich von innen, werden also nicht von außen sanktionsbewehrt auferlegt. Und schließlich: Moralische Entscheidungen sind singuläre Entscheidungen (die allgemeinen Konturen gibt das Recht vor), notwendigerweise abweichend von dem, was das Recht erlaubt, verbietet oder gar nicht regelt. Das lässt sich nicht in einem Kodex verallgemeinern. In Bezug auf eine Kodifizierung berufsrechtlicher Regeln spricht Gaier, Recht und Moral, in: FS Stürner, 1. Teilband 2013, 17 (23) zu Recht von einem „berufsrechtlichen Umweg“, den zu begehen es keinen Grund gebe. Siehe dazu auch Rz. 11 mit Fn. 4. Die mit der Kodifizierung ethischer Grundsätze verbundene Regelungsfreude geht im Übrigen auch gegen den allgemeinen, insbesondere europarechtlich angestoßenen Trend, das Regelungsvolumen im Dienstleistungssektor abzubauen, s. dazu die Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über Dienstleistungen im Binnenmarkt v. 12.12.2006 (ABl. EU Nr. L 376 S. 36) und dazu Blanpain (Ed.), Freedom of Services in the European Union, 2006; Hatje, NJW 2007, 2357 (2362 f.); Schlachter/Ohler, Europäische Dienstleistungsrichtlinie 2008; Grunewald, Was bleibt vom Standesrecht der beratenden freien Berufe?, in: Jenaer Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, 2008, S. 157 ff.; Séché, Die Vereinbarkeit freiberuflicher Regulierungen mit der EGV und besonderer Berücksichtigung des Art. 86 Abs. 2 EGV, 2008; Henssler, AnwBl. 2009, 1 (3 f.). Hauptthemen möglicher Deregulierung nach Abschluss der derzeit laufenden Normscreeningverfahren werden sicherlich Vergütungs-, Rechtsform- und Werberegeln sein, vgl. Henssler, AnwBl. 2009, 1 (5 f.); Séché, Die Vereinbarkeit freiberuflicher Regelungen mit dem EGV unter besonderer Berücksichtigung des Art. 86 Abs. 2 EGV, 2008, S. 250 f. Mit der überwiegenden Auffassung halte ich die Auswirkungen der Europäischen Dienstleistungsrichtlinie auf die Anwaltschaft für gering. Sie führt insbesondere nicht dazu, das RVG aufzuheben, vgl. Hatje, NJW 2007, 2357 (2363). Das wird durch die wenigen Regeln des Gesetzes zur Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie in der Justiz und zur Änderung weiterer Vorschriften v. 22.12.2010 (BGBl. I, S. 2248) bestätigt, vgl. dort Art. 1 des UmsetzungsG. 1 Zuck, „Guter Anwalt“, in: Anwalts-ABC Berufsrecht, 1999, S. 117 f.; zustimmend Koch/Kilian, Rz. B 172. Siehe dazu jetzt Jungk, AnwBl. 2012, 376; Zuck, NJW 2012, 1681. 2 Marek Schmidt, Standesrecht und Standesmoral, 1993, S. 73 ff. hat dieser Auffassung vorgehalten, sie führe zu einem Vorrang von Geboten der spezifischen Ressortmoral gegenüber allgemein moralischen Pflichten und scheitere deshalb am Universalitätskriterium im Sinne des kategorischen Imperativs. Dem liegt ein Missverständnis zugrunde. Der vierte Regelkreis soll gerade nicht zum Maßstab aller Dinge werden, also etwa den Mandanten den Regeln einer spezifischen Ressortmoral unterwerfen. Der vierte Regelkreis ist dadurch gekennzeichnet, dass er ohne Rechtsverbindlichkeit und damit ohne Rechtsmaßstäblichkeit ist. Es handelt sich um die tatsächliche Beschreibung eines Bereichs, in dem Anforderungen aller Art, vom jeweiligen Selbstverständnis der Berufsangehörigen bestimmt, in einer eher chaotischen Gemengelage befindlich sind, und aus dieser, von Fall zu Fall und nach Maßgabe der temporären Konsensfähigkeit zur Gewinnung näheren Bestimmung oder Änderung von Rechtsregeln aufzutauchen. Dass damit das Selbstverständnis eines Berufs in Rechtsregeln eingeht, entspricht dem freien Selbstbestimmungsrecht der Berufsangehörigen. Dass sich dies nicht in einem willkürlichen Schutz- oder Profitdenken ausdrückt, dafür muss der demokratische und öffentliche Gang der Entstehung von Rechtsregeln sorgen. Dass das schließlich nicht zu bloßer Durchsetzung partikulärer Berufsinteressen führt, dafür sorgt die Zuordnung zur besonderen berufsspezifischen Rolle des konkreten Berufs Markt. 3 Rz. 26. S. dazu dort Fn. 4. Zutreffend weist Ignor, FS Egon Müller, 2008, S. 285 (295) darauf hin, dass sich moralische Prinzipien nicht in sanktionsfähige Regeln überführen lassen.
Zuck 509
29
§ 43 BRAO Rz. 29a
Allgemeine Berufspflicht
Grundgesetznorm sowohl implantieren, welche Rolle der Anwalt innerhalb der objektiven Belange der Rechtspflege spielt, als auch, von welchem Anwaltsberuf bei den Berufsausübungsregelungen auszugehen ist. Entgegen allgemein verbreiteter Ansicht steht das nicht allein in Art. 12 Abs. 1 GG,1 sondern setzt ein durch das zu kontrollierende Gesetz näher beschriebenes Vorverständnis des Anwaltsberufs voraus.2 Wir haben es also nicht mit der Kategorie „oben – unten“ zu tun, sondern mit einer Wechselwirkung, die natürlich ständig in der Gefahr der Tautologie ist. 29a
Über die Rolle des Anwalts lässt sich außerhalb von Art. 12 Abs. 1 GG durchaus etwas entnehmen.3 So ist davon auszugehen, dass rechtliches Gehör, und damit ein zentrales Anliegen des Rechtsstaatsprinzips, nur verwirklicht werden kann, wenn der Bürger über den rechtskundigen Anwalt in die Lage versetzt wird, sich wirklich rechtliches Gehör zu verschaffen, d.h. über sachgerechte Rechtsausführungen Einfluss auf die Entscheidung des Falls zu seinen Gunsten zu nehmen.4 Und ein faires Verfahren ist nur gewährleistet, wenn die Macht von Richtern, Staatsanwälten, Sachverständigen und wirtschaftsstarken Beteiligten durch Anwälte ausgeglichen werden kann. Nur so ist Waffengleichheit zu gewährleisten.5 Und schließlich muss die unverzichtbare Rolle des Anwalts bedacht werden, die ihm bei der Verwirklichung des Gebots des effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) und des allgemeinen Justizgewährungsanspruchs (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) zukommt.6 Damit ist jedenfalls ein verfassungsrechtlicher Grundrahmen vorgegeben.7 cc) Einfach-rechtliche Regeln
30
Auf Gesetzgebungsebene finden sich – auf gleicher Rechtsquellenhöhe – unterschiedliche Fundorte. Dafür mögen § 675 BGB, § 78 ZPO, § 203 StGB und dann §§ 43 ff. BRAO als Beispiele stehen. Auch das RVG enthält Berufspflichten. Soweit diese Berufspflichten spezifiziert sind, handelt es sich nur um Auslegungsprobleme. Schwieriger ist die Frage der Wechselwirkung innerhalb der Gesetzesebene zu beurteilen. Können dem RVG allgemeine Berufspflichten entnommen werden? Dies ist zu bezweifeln, weil das RVG ein Gebührengesetz ist. Können dem RVG allgemeine Berufspflichten implantiert werden, etwa, weil das Gesetz an den „Anwalt“ anknüpft, und dieser, wie gezeigt worden ist,8 Statuspflichten unterliegt? Hier wird der Standpunkt vertreten, allgemeine aus dem RVG entnommene Berufspflichten könnten die allgemeinen BRAO-Pflichten nicht modifizieren. Das macht eine entsprechende Implantierung im RVG zumindest überflüssig. Umgekehrt ist dagegen kein Zweifel, dass berufsspezifisches Berufsrecht, wie z.B. § 203 StGB in die BRAO hineinwirkt: Insoweit bestimmt das StGB das BRAO-Berufsbild des Anwalts mit. Die BRAO erlaubt in diesem Rahmen auch die Herausbildung eines Schweigerechts.9 dd) Berufsrechtliches Satzungsrecht
31
Spezifiziert wird das BRAO-Berufsrecht durch das Satzungsrecht der BORA. IV. Der materiell-rechtliche Pflichtenrahmen 1. Vorbemerkung
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Die formelle Kategorisierung der unterschiedlichen Regelwerke erfordert eine Inhaltsbestimmung des anwaltlichen Berufsrechts, also der Erörterung der Kernfrage, wie sich der Gegenstand der Anwaltspflichten definieren lässt. Es hat sich gezeigt, dass diese Frage bei 1 Das hat nichts mit der zutreffenden Aussage zu tun, dass allein Art. 12 Abs. 1 GG als verfassungsrechtliche Anspruchsgrundlage in Betracht kommt, vgl. Gaier, BRAK-Mitt. 2006, 2 (5). Für das richtige Verständnis von Art. 12 Abs. 1 GG greift auch Gaier auf andere verfassungsrechtliche Gewährleistungen (Art. 19 Abs. 4, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) zurück, BRAK-Mitt. 2006, 2 (5); BRAK-Mitt. 2012, 142. 2 Zu Recht kritisch deshalb auch Krämer, NJW 1995, 2313 (2316); Wolff, FS Schlosser, 2005, S. 1121 (1135). 3 Zuck, JZ 1989, 353. 4 Zuck, AnwBl. 2006, 773. 5 Zuck, Waffengleichheit, in: Anwalts-ABC Berufsrecht, 1999, S. 247; s. dazu auch BVerfGE 110, 226 (253). 6 S. dazu nachdrücklich Winterhoff, AnwBl. 2008, 227 (235). 7 S. dazu früher schon Zuck, NJW 1979, 117 f.; Zuck, Verfassungsrechtliche Vorgaben der anwaltlichen Selbstdarstellung, in: 25 Jahre Bundesrechtsanwaltskammer 1984, S. 85 ff. S. Gaier, BRAK-Mitt. 2006, 2; Kirchberg, BRAK-Mitt. 2009, 95; Gaier, BRAK-Mitt. 2012, 142. 8 Rz. 6. 9 Vgl. Henssler, NJW 1994, 1817 (1821), s. dazu § 2 BORA Rz. 10, 11.
510 Zuck
Allgemeine Berufspflicht
Rz. 34b § 43 BRAO
Art. 12 Abs. 1 GG ebenso entschieden werden muss, wie bei §§ 1–3 BRAO, im horizontalen Berufsrecht bei der die Pflichten bestimmenden berufsspezifischen Rolle des Anwalts am Markt, ebenso wie im vertikalen Berufsrecht, insbesondere, wenn geklärt werden soll, was die allgemeinen Berufspflichten des Anwalts in § 43 BRAO sind. 2. Eckpunkte Vier Eckpunkte sind aufzugreifen.
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a) Zuordnung zum Rechtsstaat Der Anwalt ist Garant des Rechtsstaats, eine unverzichtbare personelle Voraussetzung für seine Verwirklichung.1 Das führt zur Unabhängigkeit gegenüber dem Staat, denn die Aufgaben am Rechtsmarkt können nur staatsfrei wahrgenommen werden. Die Unabhängigkeit des Anwalts ist dabei, wenn auch nicht inhaltlich, in ihrer kategorialen Bedeutung mit der des Richters vergleichbar.2 Man kann die Aufgabe des Anwalts im Rechtsstaatssystem auch als eine öffentliche Aufgabe, ja sogar als eine solche der Daseinsvorsorge verstehen. In einer Gesellschaftsordnung, in der alle menschlichen Handlungen potentiell rechtlich gemessen werden können, ist das Funktionieren dieser Ordnung nur sichergestellt, wenn Rechtsberatung und Rechtsvertretung sichergestellt sind. Der Auslösemechanismus für eine so verstandene Rechtsordnung liegt dabei in erster Linie in der Hand des Anwalts.3
34
Damit sind Grundpflichten verbunden. Zwar ist der Anwalt unabhängig. Er ist gleichwohl Bestandteil eines Systems. Er muss deshalb eine formal systemkonforme Rolle spielen, d.h. seinen Beitrag zur Rechtsordnung leisten. Dies setzt autonomer Rechtsgestaltung – vor allem im Rechtsverfahren – gewisse Grenzen. An sie ist z.B. bei einem Verständnis der Strafverteidigung als sozialer Gegenmacht zu erinnern oder bei den Strategien der Konfliktverteidigung.4 Die Einhaltung dieser Grundpflichten bedarf keiner generellen gesetzlichen Vorgaben. Sie darf auch nicht, um das freie Spiel der unabhängigen Verfahrensbeteiligten nicht in Gefahr zu bringen, in die Hand des Strafrichters gelegt werden. Die Überschreitung der Grenzen im Einzelfall ist vielmehr der Kontrolle der Anwaltsgerichtsbarkeit unterworfen; diese Kontrolle ist allerdings zum Schutz der Garantenstellung des Anwalts auch geboten. Anders sieht es bei der Verpflichtung des Anwalts aus, dem GeldwäscheG – GwG – vom 13.08.08 (BGBl. I 1690) i.d.F. des Gesetzes vom 4.7.2013 (BGBl. I, S. 2178) gerecht zu werden. Geldwäsche, umgangssprachlich als Einsatz „schmutzigen Geldes“ vor allem (aber nicht nur) im Rahmen der Organisierten Kriminalität verstanden, wird nach dem herrschenden Drei-Phasen-Modell als Platzierung (Placement), Verschleierung (Layering) und Integration (Einschleusung in den legalen Finanzkreislauf) aufgeschlüsselt.5 Dagegen gerichtete interne Sicherungsmaßnahmen (zu ihrem Katalog siehe § 9 GwG) obliegen unterschiedlichen Verpflichteten, u.a. aber auch den Rechtsanwälten (§ 2 I Nr. 7 GwG). Die Einhaltung dieser Pflichten unterliegt der Aufsicht, bei den Rechtsanwaltskammern der jeweils örtlich zuständigen Rechtsanwaltskammer, § 16 II Nr. 4 GwG. Nach § 9 IV 2 GwG kann die BRAK dazu Sonderregelungen treffen.6
34a
Grundpflichten betreffen aber nicht nur die Rolle des Anwalts im Rahmen der objektiven Belange der Rechtspflege. Sie betreffen auch seine Garantenstellung selbst, und damit seine primären Handlungspflichten. Unabhängigkeit kann nur garantiert werden, wenn der Anwalt seine Pflichten als berufener Berater und Vertreter auch wahrnehmen kann. Das setzt insbesondere Leistungsstandards, Qualitätskontrollen und Fortbildungspflichten voraus.7
34b
1 S. Rz. 18, 29. 2 S. § 43a BRAO Rz. 13–17, Wolf, § 1 BRAO Rz. 47 ff. 3 Ich habe insoweit auf die Bedeutung der von mir so bezeichneten „Jedermann-Ebene“ hingewiesen, vgl. Zuck, Das Recht der Verfassungsbeschwerde, 3. Aufl. 2006, Rz. 594; Zuck, JZ 2008, 287 (295); Lechner/Zuck, BVerfGG, 6. Aufl. 2011, Rz. 99. 4 Malmendier, NJW 1997, 227; s. auch LG Wiesbaden, NJW 1995, 409. Das Thema ist heute aktueller denn je, vgl. etwa Ignor, BRAK-Mitt. 2008, 50. 5 Herzog, in: Herzog, GwG 2010 Einl. Rz. 7 ff. 6 Vgl. Anordnung der BRAK v. 5.6.2012 zur Bestellung von Geldwäschebeauftragten bei Praxen mit mehr als 30 Berufsangehörigen oder Berufsträgern sozietätsfähiger Berufe nach § 59a BRAO, BRAK-Mitt. 2012, 170 (mit Erläuterungen). S. zum GwG und seinen Auswirkungen auf den Anwaltsberuf ausf. Johnigk, in: Herzog/Mühlhauser, Geldwäschebekämpfung und Gewinnabschöpfung, 2006, § 52; Johnigk, Das Geldwäschegesetz und die Berufstätigkeit der Rechtsanwälte, in: Offermann-Burckart, Anwaltsrecht in der Praxis, 201, § 8; Burmeister, AnwBl. 2012, 395. 7 Rz. 50 ff.; § 43a BRAO Rz. 110–121.
Zuck 511
§ 43 BRAO Rz. 35
Allgemeine Berufspflicht
b) Zuordnung zum Mandanten 35
Auf der anderen Seite steht das Verhältnis zum Auftraggeber. Auch ihm gegenüber besteht Unabhängigkeit.1 Es ist das vor allem die innere Unabhängigkeit des Anwalts, die ihn in den Stand versetzt, trotz dauerhafter Bindung, Weisungen im Einzelfall und wirtschaftlicher Abhängigkeit, eigenverantwortlich zu beraten und zu vertreten. Auch hier besteht aber eine Pflichtenkonstellation. Sie ist für die Beschreibung des anwaltlichen Berufsbilds von ausschlaggebender Bedeutung. Es ist dies das für die Anwalt-Mandanten-Beziehung vorausgesetzte besondere Vertrauensverhältnis.2 Von diesem besonderen Vertrauen spricht § 627 Abs. 1 BGB im Rahmen der Regelung der fristlosen Kündigung bei einer Vertrauensstellung. Diese Sonderregelung greift bei der Leistung von „Diensten höherer Art“. Zu ihnen gehört auch die anwaltliche Dienstleistung.3 Als originäres Tatbestandsmerkmal4 für die Möglichkeit fristloser Kündigung tritt das bei dieser Dienstleistung vorausgesetzte „besondere Vertrauen“ hinzu. Das Motiv für diese besondere Ausgestaltung des Kündigungsrechts war es gewesen, da das persönliche Vertrauen schon durch unwägbare Umstände gestört werden könne, insbesondere durch solche, die objektiv keinen wichtigen Grund darstellen, „die Freiheit der persönlichen Entscheidung eines jeden Teils im vollen Ausmaß“ zu wahren.5 Inhaltlich bezieht sich das besondere Vertrauen des Auftraggebers nicht nur auf die fachlichen Kenntnisse und Fähigkeiten des Anwalts, sondern immer auch auf die Person selbst.6 Daran knüpft sich die Streitfrage, ob das Vertrauen nur gegenüber einer Einzelperson gegeben sein kann.7 Entscheidend für die Beurteilung ist die typische Lage, nicht der konkrete Einzelfall.8 Berufsrechtlich wird freilich nicht von „Vertrauen“, sondern von einem „Vertrauensverhältnis“ gesprochen.9 Damit sind einige Fragen verbunden. Sie betreffen zunächst den Ansatz, Anwaltsmandate würden typischerweise aufgrund eines Vertrauensvorschusses in die fachlichen und persönlichen Qualifikationen des Anwalts vergeben. Daran kann man zweifeln, wenn das Mandat an einer (große) Sozietät oder an eine Anwalts-GmbH geht. Diese Gesellschaften haben keine persönlichen Eigenschaften. Sie können dennoch einen guten Ruf haben. Das ist freilich ein schwaches Pendant zu dem dem Einzelanwalt unterstellten persönlichen Rang. Und dann: Vergibt die Rechtsabteilung einer (großen) Firma das Anwaltsmandat wirklich im Regelfall aufgrund der persönlichen Einschätzung? Es ist eher davon auszugehen, dass das Mandat nach Ausschreibungskriterien entweder an den Spezialisten oder an den Preisgünstigsten geht. Im Regelfall weiß im Übrigen der Auftraggeber bei 158 000 Anwälten im Bundesgebiet über die persönliche Qualifikation des in Aussicht genommenen Anwalts nichts, meist auch nichts über seine fachlichen Kompetenzen. Das alles macht freilich nur deutlich, dass das vom Gesetz angesprochene „besondere Vertrauen“ keine Realität voraussetzt, sondern nur eine Erwartungshaltung beschreibt. Ein weiterer Problembereich betrifft das Vertrauensverhältnis. Ein inneres „Vertrauen“ kann das Recht nicht herstellen. Als „Verhältnis“ wird es auch bei der (erstmaligen) Mandatserteilung eine Fiktion sein. Richtig (wenn auch bisher vernachlässigt) ist allerdings, dass es im Mandatsverhältnis zwei Seiten gibt: den Dienstleistungsberechtigten (= Auftraggeber) und den 1 S. dazu § 43a BRAO Rz. 22; Wolf, § 1 BRAO Rz. 60 weist im Rahmen der „dialogischen Rechtsfindung“ zu Recht auf die notwendige „innere Distanz zum Meinen des Mandanten“ hin. 2 Ignor, NJW 2007, 3403; EGMR NJW 2007, 3409. An dieser Stelle mag man sich an Montesquieu erinnern, dessen „Vom Geist der Gesetze“ (1748) seinen dauerhaften Rang weniger der Erfolgsgeschichte des Grundsatzes der Gewaltenteilung verdankt, als seiner schon im Untertitel formulierten Grundaussage, dass der Sinn eines Gesetzes (auch) auf dem „rapport“ (Bezug) von Tatsachen zur Norm (und nicht von Normen zu Tatsachen) beruht. Zum Vertrauensverhältnis s. allgemein EuGH, BRAK-Mitt. 2010, 259; Magnus, Das Anwaltsprivileg und sein zivilprozessualer Schutz, 2010; Gesetz zur Stärkung des Vertrauensverhältnisses von Rechtsanwälten im Strafprozess v. 22.12.2010 (BGBl. I, S. 2261). 3 BGH, NJW 1987, 315; NJW 2002, 2274, unstreitig. 4 Mugdan, Die Gesamtmaterialien zum BGB für das Deutsche Reich, 2. Bd. 1899, Prot. E § 566 (G 626–628), 913; BGH, NJW 1986, 373. 5 BGH, NJW 1986, 373. Infolgedessen sind die Gründe, die zum Verlust des Vertrauens geführt haben, gleichgültig, BGH, MDR 2005, 285, Rz. 38; Staudinger/Preis (2002), § 627 BGB Rz. 2. 6 BGH, NJW 1986, 373; Erman/Belling, Bd. I, § 627 BGB Rz. 1. 7 Palandt/Weidenkaff, § 627 BGB Rz. 2; ErfK/Müller-Glöge, § 627 BGB Rz. 5; PWW/Lingemann, § 627 BGB Rz. 1; Staudinger/Preis, § 627 BGB Rz. 22; MüKo-BGB/Schwerdtner, § 627 BGB Rz. 10; OLG Celle, NJW 1981, 2762; OLG Karlsruhe, NJW 1981, 1617; OLG Köln, OLGR 2004, 321; KG, NJW 2003, 1062. A.A. OLG Schleswig, MDR 1977, 753; OLG Karlsruhe, NJW-RR 1995, 691. Die Notwendigkeit eines Vertrauensverhältnisses für die sachgerechte anwaltliche Berufsausübung hebt auch das BVerfG in seiner Rechtsprechung hervor, vgl. BVerfGE 63, 266 (286); 87, 287 (320); 93, 213 (236); 110, 226 (252); 113, 29 (47 ff.); 118, 168 (205 ff.). 8 BGH, NJW 1986, 373, einhellige Meinung. 9 § 2 BORA Rz. 7; § 3 BORA Rz. 4; § 4 BORA Rz. 5; § 11 BORA Rz. 4.
512 Zuck
Allgemeine Berufspflicht
Rz. 37a § 43 BRAO
Dienstleistungsverpflichteten (= Anwalt). So wird der Auftraggeber nicht nur Vertrauen investieren, er wird auch erwarten, dass das Vertrauen erwidert wird, wenn der Anwalt sich, soweit die Sache es erlaubt, mit den Interessen seines Auftraggebers identifiziert, loyal zu ihm steht und den Auftraggeber wahrheitsgemäß informiert, berät und vertritt.1 Das bedeutet, dass auch der Anwalt an der Entstehung, Aufrechterhaltung und Verbesserung des Vertrauensverhältnisses zum Mandanten mitwirken muss; es ist nicht nur die Aufgabe des „guten Anwalts“,2 sondern auch eine aus § 242 BGB folgende vertragliche Nebenpflicht.3 Nur dieser zweiseitige Vertrauensbezug erlaubt es überhaupt, von einem Vertrauensverhältnis zu sprechen.4 Infolgedessen kann das Vertrauensverhältnis auch durch den Auftraggeber selbst gestört werden. In diesem das Vertrauensverhältnis legitimierenden individuellem Band zwischen Anwalt und Mandant findet sich das wichtigste Argument, um den Anwalt nicht nur als Teil eines mechanisch verstandenen Rechtspflegesystems zu implantieren oder ihn als bloßen Marktteilnehmer zu denaturieren, sondern ihn wirklich in der Rolle eines unabhängigen Beraters und Vertreters des Bürgers in allen Rechtsangelegenheiten (§ 3 Abs. 1 BRAO) zu sehen und zu verstehen. c) Anwalt im „offenen Beruf“ Ein dritter Eckpunkt betrifft die Betrachtungsweise des Anwalts als Angehörigen eines „offenen Berufs“. Damit wird versucht, die berufsspezifische Rolle des Anwalts als Marktteilnehmer zu beschreiben. „Offenheit“ belegt, dass die Leistung des Anwalts am Markt und die ihm obliegenden Pflichten flexibel und transparent sein müssen. „Transparent“ will sagen: Über den Inhalt der anwaltlichen Dienstleistung, vor allem aber auch über die Kosten muss am Markt verlässliche Klarheit bestehen, auch im Vergleich zu anderen Marktteilnehmern. Das setzt einen großen Katalog von Informationsrechten und -pflichten voraus, von denen die Informationswerbung nur einen Ausschnitt darstellt. „Flexibel“ heißt: Der Anwalt muss hinsichtlich der Organisation seiner Dienstleistungen, der Art ihrer Erbringung und des Zugriffs auf Teilrechtsmärkte und hinsichtlich der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in die Lage versetzt werden, Marktregeln einer modernen Dienstleistungsgesellschaft folgen zu können, beschränkt lediglich dadurch, dass der Gegenstand seiner Dienstleistung das „Recht“ ist, und dass der Anwalt Sachwalter des Rechts ist.
36
d) Vorrang der Freiheit Die so gegebenen drei Bezugspunkte „Garant des Rechtsstaats/Vertrauensverhältnis zum Mandanten/Offenheit des Berufs“, bedürfen, und das ist der vierte Eckpunkt, einer verknüpfenden Antriebskraft, einer geistigen Legitimation. Sie liegt im Vorrang der Freiheit, in der freien und unreglementierten Selbstbestimmung des Einzelnen als der kardinalen, den Grund aller anwaltlichen Tätigkeit bildenden Bedingung.5
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Dieser Grundsatz ist essentiell für das Verständnis des anwaltlichen Berufsbildes. Es muss jedoch hervorgehoben werden: Freiheitliche und unreglementierte Selbstbestimmung ist zunächst eine formale Kennzeichnung, nämlich als Abwesenheit von Fremdbestimmung, Abwesenheit von Zwang. Es wären aber, dieses Merkmal für sich genommen, beliebige Inhalte denkbar, um frei und unreglementiert agieren zu können. Nicht nur, weil dieser Aspekt von der Rechtsprechung lediglich als Grundsatz gekennzeichnet worden ist, sondern auch, weil Freiheit auch im Rahmen einer freiheitlich demokratischen Grundordnung nicht als absolut, d.h. unter keinem Gesichtspunkt fremdbestimmt verstanden werden kann, bleibt diese Freiheit nur modal, nicht kategorial.
37a
1 2 3 4
BGH, NJW 2000, 202; OLG Karlsruhe, OLGR 2005, 568, Rz. 27. Rz. 26. BGH, NJW 2000, 202. BGH, NJW 2005, 1571 (1573); OLG Köln, DStR 2007, 2275 mit Anm. v. Meixner. Bezogen auf ein Vertrauensverhältnis (also nicht auf die Vertrauensinvestition des Auftraggebers bei Mandatsanbahnung) schuldet der Anwalt dem Mandanten Qualität, Integrität und Verschwiegenheit. Aber auch der Mandant schuldet dem Anwalt etwas, nämlich Vertrauen, sachgerechte Information und angemessene/zeitgerechte Vergütung der anwaltlichen Dienstleistung, s. zu alledem jetzt auch Göcken, FS Scharf, 2008, S. 211 (213). Göcken weist zu Recht darauf hin, dass eine Grundvoraussetzung für das Vertrauen in den Anwalt das Vertrauen in die Anwaltschaft ist. Ich fürchte freilich, dass die Rede vom Vertrauensverhältnis in erster Linie eine bloße Metapher für einen idealtypischen Bezug ist. (Auch das Wort „Metapher“ birgt viele Geheimnisse, vgl. Borges, Das Handwerk des Dichters, 2000, S. 21. Borges weist darauf hin, dass Metaphern zwei Dinge miteinander verbinden, die herkömmlicherweise nicht zusammen gesehen werden). 5 Das ist auch der Grundtenor bei Knauer/Wolf, BRAK-Mitt. 2007, 142; Kilger, AnwBl. 2008, 217.
Zuck 513
§ 43 BRAO Rz. 38
Allgemeine Berufspflicht
38
Es sind die Berufsangehörigen eines Berufsstandes selbst, die das zeitgenössische Verständnis von Berufsfreiheit bestimmen. Das geschieht primär in der gesetzten Berufsordnung, sonst im Fundus allgemeiner Anschauungen. Freiheit wird deshalb demokratisch vermittelt, sie ist, wie jedes Recht, einem politischen Umfeld, wie es sich in der konkreten Gesellschaftsordnung darstellt, zugeordnet. Nur deshalb kann sich der Anwalt, wie es § 43 S. 2 BRAO formuliert, seiner besonderen Stellung als Anwalt „würdig“ erweisen. Nur deshalb kann § 113 Abs. 2 BRAO noch vom „Ansehen der Anwaltschaft“ sprechen. Unreglementierte Selbstbestimmung des Einzelnen ist sonach Selbstbestimmung durch die Berufsangehörigen in dem dafür vorgesehenen Verfahren, also eine demokratisch legitimierte Freiheit. Sie ist aber noch in einem ganz anderen Sinn von isolationistischem und auch reduktionistischem Selbstverständnis zu bewahren. Freiheit ist, wie gezeigt, den drei anderen Eckpunkten zugeordnet, ist also eine Freiheit mit vorgegebenen Zielen. Die freie und unreglementierte Selbstbestimmung erweist sich so als ein Faktor, um die Grund-Rechte und -Pflichten des Anwalts mit eigenverantwortetem Freiheitsverständnis lebendig zu erhalten. Am Zugeordnetsein dieser Freiheit ändert sich aber dadurch nichts.
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Damit wird auch die Funktion des Freiheitsverständnisses deutlich. Die vier Eckpunkte lassen sich als Punkte eines Vierecks vorstellen. Ausgehend von einer in den 70er Jahren geführten Diskussion um die Wirtschaftsverfassung der Bundesrepublik, kann man von einem magischen Viereck1 des anwaltlichen Berufsrechts sprechen, um das anwaltliche Berufsbild näher zu kennzeichnen. Den Freiheitsaspekt muss man sich als eine Art Generator vorstellen, der die vier Eckpunkte dieses Bildes in immer neue Beziehungen zueinander setzt, vom Quadrat bis zu jeder anderen Form des Vierecks. Im Bereich eines als solchen unverändert gegebenen Ordnungsrahmens werden sodann neue Verwirklichungen von Freiheit hervorgebracht. V. System der Berufspflichten, § 43 S. 1 BRAO 1. Textvorgaben
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Das System stellt sich infolgedessen so dar: § 43 BRAO regelt die „Allgemeinen Berufspflichten“ des Anwalts, § 43a BRAO seine „Grundpflichten“. Wie § 59 Abs. 2 S. 1 BRAO zeigt, kommt zu diesen Pflichten noch die „Kanzleipflicht“ des § 27 Abs. 2 BRAO hinzu, und dann gibt es, ebenfalls über § 59b BRAO zu erschließen, in Absatz 2 Nr. 2 einen umfangreichen Katalog besonderer Berufspflichten. Die Amtliche Begründung2 sagt dazu: „Nach den Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 14.7.1987 (1 BvR 537/81 u.a.) können die Standesrichtlinien für Rechtsanwälte nur noch für eine Übergangszeit zur Konkretisierung der in der Generalklausel des § 43 BRAO verankerten beruflichen Pflichten herangezogen werden. Es besteht daher Veranlassung, die beruflichen Pflichten des Anwalt eingehender zur normieren. Dabei – so ein Hinweis des Bundesverfassungsgerichts – müssen die Normen nicht sämtlich vom Gesetzgeber stammen, Bestimmungen, die keinen statusbildenden Charakter haben, können von den Berufsangehörigen in einer Berufsordnung erlassen werden.
40a
Um den Vorgaben des BVerfG gerecht zu werden, sieht der Entwurf in Bezug auf die den Beruf prägenden Pflichten eine gesetzliche Regelung im Grundsatz vor, während die Einzelheiten durch eine Berufsordnung bestimmt werden sollen. An der Generalklausel des § 43 BRAO, die bisher die Grundlage für die in den Richtlinien festgestellte Berufsauffassung war, soll festgehalten werden. Die Neuregelungen der beruflichen Pflichten durch Gesetz treten insoweit hinzu. Die die allgemeinen Berufspflichten des § 43 BRAO ergänzenden Grundpflichten werden in §§ 43a f. BRAO festgelegt.“
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Und zu § 59b BRAO wird ausgeführt: „Die Vorschrift soll durch eine Berufsordnung den notwendigen Ersatz schaffen für die zur Konkretisierung der beruflichen Pflichten eines An1 Damals ging es um das Stabilitätsgesetz, vgl. Zuck, NJW 1967, 1301 (1304). Damit wird auf den ständigen Wandel des anwaltlichen Berufsbilds verwiesen. Zum derzeit möglichen Stand s. etwa Hellwig, AnwBl. 2008, 644; Hassemer, AnwBl. 2008, 413 und – sehr lesenswert – Marion Westphal, Veränderungen und Bedrohungen des anwaltlichen Berufsbildes, in: FS Krämer, 2009, S. 149 ff.; Egert/Kääb, BRAK-Mitt. 2009, 14; Kilian, AnwBl. 2010, 544; Kempf, AnwBl. 2010, 381; Kämmerer, Die Zukunft der freien Berufe, 2010; Filges, NJW 2010, 2619; Singer, BRAK-Mitt. 2012, 145 (150). Die tiefgreifenden Veränderungen des anwaltlichen Berufsbilds finden unter dem Einfluss der Internationalisierung der Anwaltschaft statt, s. dazu Hellwig, AnwBl. 2011, 77. Das betrifft zwar zunächst nur die Großkanzleien, wirkt aber über diese À la longue auf die gesamte Anwaltschaft ein. 2 BT-Drs. 13/4993.
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Allgemeine Berufspflicht
Rz. 46 § 43 BRAO
walts in Richtlinien festgestellten allgemeinen Auffassung ….“. Die §§ 43 bis 59b Abs. 2 Nr. 1a BRAO schreiben dem Anwalt „gewissenhafte“ Berufsausübung als allgemeine Berufspflicht vor, die durch die Berufsordnung näher zu regeln ist.“ 2. Sinnbestimmung Das gesetzliche System ist nach seiner Wortwahl nicht unmittelbar verständlich. Dennoch lässt sich der Sinn der §§ 43 ff. BRAO erschließen.
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a) Allgemeine Berufspflichten Zunächst sind ganz allgemein Grundpflichten von besonderen Pflichten zu unterscheiden. Unabhängigkeit, Verschwiegenheitspflicht, Sachlichkeitsgebot, Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen, Pflicht zum sorgfältigen Umfang mit anvertrauten Vermögenswerten und Fortbildungspflicht sind Pflichten, die virtuell mit jeder anwaltlichen Berufsausübung verbunden sind. Man kann sie Grundpflichten nennen, weil sie jeder anwaltlichen Berufstätigkeit zugrunde liegen, aber auch, weil sie ein besonderes Gewicht oder ein besonderes Konfliktpotential aufweisen.
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b) Besondere Berufspflichten Sieht man sich die besonderen Berufspflichten an (soweit sie in § 59b Abs. 2 BRAO aufgeführt sind), so sind einige von ihnen auf besondere Sachverhalte bezogen: Nicht jeder will eine Fachanwaltsbezeichnung führen, nicht jeder macht PKH-Fälle, nicht jeder ist im grenzüberschreitenden Rechtsverkehr tätig. Aber einige dieser Pflichten sind sicher allgemeine Pflichten, z.B. Regeln über die Handaktenführung, Zustellungspflichten, Zusammenarbeitsund Personalpflichten, Kanzleipflichten und schließlich ist auch jeder Anwalt Pflichtmitglied seiner Kammer. Man kann also sagen, dass die meisten besonderen Berufspflichten ebenso allgemeine Berufspflichten sind wie die Grundpflichten.
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c) Gewichtung Man könnte annehmen, die besonderen Berufspflichten hätten gegenüber den Grundpflichten weniger Gewicht. Das leuchtet ein, wen man an die Handakten denkt oder an die Fragen des Tragens der Berufstracht. Aber wenn die Fortbildungspflicht eine Grundpflicht ist, warum soll das dann nicht auch für die Werbebeschränkungen gelten oder die Pflichten im Zusammenhang mit der Annahme, Wahrnehmung und Beendigung eines Auftrags, denn ohne diese letztgenannten Pflichten gibt es überhaupt keine anwaltliche Berufstätigkeit. Man wird deshalb auf die Annahme einer Gesetzessystematik verzichten müssen, zumal auch der Versuch scheitert, Grundpflichten statusbildenden Normen zuzuordnen. Der Gesetzgeber hat nämlich auch für besondere Berufspflichten, wie die Werbung (§ 43b BRAO) und die Fachanwaltschaften (in § 43c BRAO) allgemeine Vorgaben gegeben. Grundpflichten und besondere Berufspflichten demonstrieren deshalb nur eine partiell willkürliche Einteilung. Für die Anwendung der Vorschriften bleiben diese Zuordnungen belanglos, weil die besonderen Berufspflichten keine leges speciales zu den Grundpflichten sind. Beiden Pflichtenkreise können kumulativ verletzt werden.
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3. Relationen a) Funktion des § 43 BRAO Noch wesentlich schwieriger ist es, das Verhältnis der Grundpflichten/besonderen Berufspflichten einerseits1 zu den allgemeinen Berufspflichten des § 43 BRAO andererseits zu bestimmen. Der Gesetzgeber, der formuliert, die Neuregelungen der beruflichen Pflichten träten zu § 43 BRAO hinzu, könnte davon ausgegangen sein, dass der zweite Pflichtenkreis, soweit er im Gesetz geregelt ist, § 43 BRAO konkretisiert und insoweit als lex specialis verdrängt. Wäre das so, hätte es keinen zwingenden Grund für die Aufrechterhaltung des § 43 BRAO gegeben. Man mag also zunächst annehmen, auf § 43 BRAO könne als Hintergrundnorm immer noch zurückgegriffen werden, soweit der zweite Pflichtenkreis Auslegungsfragen offen lässt und soweit Regelungslücken bleiben. Von solchen Regelungslücken ist in der Tat der BRAO-Gesetzgeber selbst ausgegangen, wenn er zu Konkretisierungen durch die 1 Dieses Verhältnis wird in Zukunft als „zweiter Pflichtenkreis“ bezeichnet.
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§ 43 BRAO Rz. 47
Allgemeine Berufspflicht
Satzung im Rahmen des zweiten Pflichtenkreises ermächtigt. Geht man davon aus, die Konkretisierung werde umfassend auf der vollen Breite des Ermächtigungskatalogs erfolgen, ist nicht recht zu sehen, welche Bedeutung § 43 BRAO noch haben sollte. Nun könnte man, auf dieser Grundlage immer noch der Ansicht sein, § 43 BRAO bleibe eine zweifelbeseitigende Grundlage. Das scheitert jedoch an der Tatsache, dass § 43 BRAO begrifflich konkretisierungsbedürftig ist, um dem Bestimmtheitsgrundsatz Genüge zu tun. Wenn der zweite Pflichtenkreis keine Konkretisierung vornimmt, gäbe es (in § 43 BRAO) keinen rechtsstaatlichen Maßstab mehr. Ob diese Auffassung jedoch zutrifft, hängt von der schon erörterten Grundfrage ab, ob es auch nicht-kodifizierte Pflichten gibt, deren nähere Ausgestaltung man den Berufsangehörigen überlassen kann. b) Rückgriffsmöglichkeiten 47
Das berufsrechtliche Schrifttum ist von vergleichbarer Unsicherheit gekennzeichnet. Zweifelsfrei ist lediglich, dass § 43 BRAO unanwendbar ist, wenn berufsrechtliche Spezialregelungen greifen.1 Haben dagegen außerhalb des anwaltlichen Berufsrechts verortete Regelungen Auswirkungen auf die Inhaltsbestimmung anwaltlichen Berufsrechts, wie z.B. § 203 StGB,2 dann bleibt § 43 BRAO unverändert eine Anspruchsgrundlage für das anzuwendende anwaltliche Berufsrecht, im Falle der Verletzung der Schweigepflicht also der § 43a Abs. 2 S. 1 BRAO, § 2 BORA.3 Das hängt damit zusammen, dass eine aufrechterhaltende Grundbestimmung, die durch Sonderregelungen konkretisiert wird und nur insoweit „verdrängt“ wird, als die allgemeine Regelung nunmehr nicht mehr die anwendbare Rechtsnorm ist. Aber eine Spezialnorm kann sich nur als solche erweisen, wenn sie auf eine Grundnorm bezogen bleibt. In diesem Rahmen muss sie sich halten und das bestimmt deshalb auch immer Grund und Grenze der Spezialnorm. Das ergibt sich aus der Tatsache, dass eine Spezialnorm begrifflich-tatbestandlich die Voraussetzungen der Generalnorm erfüllen und darüber hinaus noch wenigstens ein zusätzliches Merkmal enthalten muss.4 Das eigentliche Problem taucht erst auf, wenn man fragt, ob bei Schweigen des anwaltlichen Berufsrechts im Detail (also z.B. in der BORA) von einer gewollten Lücke für nicht ausdrücklich geregelte Berufspflichten auszugehen ist, die einen Rückgriff auf § 43 BRAO ausschließen würde, oder ob bei einem solchen Schweigen zunächst untersucht werden muss, ob es auf Unkenntnis oder einem Versehen beruht oder ob es auf all dies gar nicht ankommt, wenn man annimmt, jede Lücke führe auf § 43 BRAO zurück. Hartung hat sich dazu auf den Standpunkt gestellt, § 59b BRAO habe der Satzungsversammlung nicht nur die Kompetenz eingeräumt, das „Nähere“ zu den Berufspflichten zu regeln, sondern sie darauf auch verpflichtet. Da die enumerative Regelung in § 59b Abs. 2 BRAO abschließend sei, könne es weitere Sonder-Berufspflichten (abgesehen von den im formellen Gesetzesrecht niedergelegten Berufspflichten) nicht geben.5 Diese Argumentation ist nicht zwingend. Selbst wenn es einen abschließenden Katalog von besonderen Berufspflichten gibt, sagt das nichts darüber aus, was im Detail geregelt werden soll. Mehr als den Nachweis dafür, dass es insoweit keine besondere Berufspflicht gibt, lässt sich daraus nicht entnehmen. Da § 43 BRAO eine gültige Norm ist, ist damit keine Aussage über die Rückgriffsmöglichkeit auf diese Norm verbunden. Das wird besonders deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass die Satzungsversammlung von § 59b Abs. 2 S. 1a BRAO, das Nähere zur „Gewissenhaftigkeit“ zu regeln, bislang keinen Gebrauch gemacht hat.6 Auch verfassungsrechtliche Einwände wegen der angeblichen Unbestimmtheit des § 43 BRAO lassen sich nicht erheben.7 Für alle Generalklauseln gilt, dass sie unbestimmt sind. Niemand wird annehmen, § 242 BGB sei verfassungswidrig. Bei § 43 BRAO muss man berücksichtigen, dass über die BORA der Großteil des allgemeinen Inhalts der Norm konkretisiert worden ist. Das 1 Kleine-Cosack, § 43 Rz. 5; Feuerich/Weyland, § 43 Rz. 7. Das gilt auch für die „bewusste Lücke“, vgl. AGH NRW, BRAK-Mitt. 2013, 41 (LS 3); siehe dazu ausf. Zuck, BRAK-Mitt. 2013, 58 (59 ff.). 2 S. § 2 BORA Rz. 2. 3 Feuerich/Weyland, § 43 Rz. 7; Kleine-Cosack, § 43 Rz. 6. Feuerich/Weyland, stellen insoweit auch zu Recht den Zusammenhang mit § 113 Abs. 1 BRAO her, vgl. § 43 BRAO Rz. 9. Das darf man aber insoweit nicht überzeichnen, als ein solcher Rückgriff eben nicht nur zulässig ist, wenn man § 43 BRAO als Transportoder Überleitungsnorm ansieht. 4 Schönke/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben, Vorbem. §§ 52 ff. StGB Rz. 105; s. dazu auch Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/2, S. 1392. 5 Hartung/Hartung, § 43 Rz. 10 und jetzt noch nachdrücklicher, berufsrechtliche Maßnahmen, die allein auf § 43 BRAO gestützt würden, seien unzulässig, AnwBl. 2008, 782 (783). 6 Da mag Unsicherheit Pate gestanden haben, s. dazu auch Borgmann/Jungk/Grams, § 2 Rz. 21. 7 A.A. Hartung/Hartung, § 43 Rz. 11.
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kann dazu dienen, auch den „überschießenden“ Teil etwa des Begriffs der „Gewissenhaftigkeit1“ zu konkretisieren. Nach dem hier vertretenen Standpunkt bleibt der allgemeine Rückgriff auf § 43 BRAO als Auffangnorm2 beim Fehlen einer Spezialnorm zulässig, jedenfalls dann, wenn feststeht, dass die Satzungsversammlung keine Entscheidung getroffen oder versehentlich eine Lücke nicht geschlossen hat. Diese beiden Varianten erweisen sich aber lediglich als Unterfälle allgemeiner Rückgriffsmöglichkeit. Dieser Rückgriffsmöglichkeit sind allerdings Grenzen gesetzt. So kann § 43 BRAO nicht dazu benutzt werden, allgemeine Leitbilder vom Beruf des Anwalts umzusetzen.3 Im Übrigen enthebt die allgemeine Fassung des § 43 BRAO die Gerichte nicht von der Subsumtionspflicht.4 Auch können nicht §§ 43 und 43a BRAO gleichzeitig angewendet werden. Kompetenznormen wie § 59b BRAO scheiden überhaupt zur Pflichtenbegründung aus. Richtig wäre der Rückgriff auf § 43 S. 2 BRAO gewesen.
47a
Zusammenfassend lässt sich sagen: § 43 BRAO ist geltendes Recht, als Ergänzungsnorm neben den berufsrechtlichen Spezialregelungen unbeschränkt anwendbar, wenn diese Regeln schweigen als Auffangnorm, nachdem geklärt worden ist, dass der Gesetzgeber auf Satzungsregelungen aufgrund seines auch jetzt noch verbindlichen Willens verzichtet hat.
47b
VI. Gewissenhafte Berufsausübung 1. Rechtsgehalt Gewissenhafte Berufsausübung meint dreierlei.5 Der Anwalt ist verpflichtet, seinen Beruf lege artis auszuüben. Er muss so handeln, wie dies die Natur der Sache „anwaltliche Berufsausübung“ gebietet. Daraus ergibt sich ein Katalog externer, handwerklich beschreibbarer Pflichten.6 Der BGH hat dies so umschrieben: „Nach fester Rechtsprechung ist der Anwalt, soweit sein Auftraggeber nicht unzweideutig zu erkennen gibt, dass er des Rates nur in einer bestimmten Richtung bedarf, zur allgemeinen umfassenden und möglichst erschöpfenden Belehrung des Auftraggebers verpflichtet. Es ist Sache des Anwalts, dem Mandanten diejenigen Schritte anzuraten, die zu dem erstrebten Ziel zu führen geeignet sind. Er hat Nachteile für den Auftraggeber zu verhindern, soweit solche voraussehbar und vermeidbar sind. Unkundige muss er über die Folgen ihrer Erklärungen belehren und vor Irrtümern bewahren.
1 S. Rz. 48 ff. 2 Feuerich/Weyland, § 43 Rz. 7; Eylmann war in der zweiten Auflage (2004) des Henssler/Prütting, BRAO, § 43 Rz. 5 der Auffassung gefolgt, die Vorschrift habe jetzt (nur noch) die Funktion einer Auffangnorm. In der 3. Auflage (2010) hat Prütting, der die Kommentierung insoweit übernommen hat, diesen Standpunkt aufgegeben (§ 43 BRAO, Rz. 23). Da § 59b BRAO der Satzungsversammlung einen abschließenden Katalog zur näheren Ausgestaltung von Berufspflichten an die Hand gebe, sei es nicht zu rechtfertigen, wenn dasselbe Ziel durch Auslegung des § 43 BRAO erreicht werden könnte. Prütting schließt sich damit im Ergebnis Hartung an, vgl. Text zu Fn. 77 oben. Aus den genannten Gründen vermag ich die dahinterstehende Auffassung, § 43 BRAO sei nur noch eine Transportnorm mit Abänderungsfunktion (Prütting, in: Henssler/Prütting, BRAO, 3. Aufl. 2010, § 43, Rz. 21) nicht zu teilen. S. dazu auch § 11 BORA Rz. 2 ff. S. 523 ff. Beispiel für § 43 BRAO als Auffangnorm Nieders. AGH, BRAK-Mitt. 2010, 174 (177 f.), Untreuehandlungen im Zusammenhang mit einem notariellen Verwahrungsgeschäft. Verneinend für den Abschluss einer sittenwidrigen Vergütungsvereinbarung Schulz, BRAK-Mitt. 2010, 112 und – jedoch nicht überzeugend – für die Verletzung eines Betriebsgeheimnisses AnwG Köln, BRAK-Mitt. 2009, 290 (291); bejahend für die Vereinbarung eines sittenwidrigen Einstiegsgehalts für Berufsanfänger, BGH, BRAK-Mitt. 2010, 132 (133). 3 Irrig deshalb LG München I, NJW 1994, 1882 (1883): Das Gericht hatte die Eintragung einer AnwaltsGmbH in das Handelsregister verweigert, weil sich insoweit § 43 BRAO zu seinen Lasten konkretisiere (a.A. im Ergebnis BayObLG, BRAK-Mitt. 1995, 34 [35]). Dass dagegen BVerfG, BRAK-Mitt. 1995, 83 das Verbot irreführender Werbung aus § 43 BRAO hergeleitet hat, lässt sich vertreten, weil §§ 1, 3 UWG allgemein bestimmten, was auch für den gewissenhaft handelnden Anwalt gilt, s. auch BGH, NJW 1994, 2284; OLG Naumburg, NJW 1994, 2301; AGH Baden-Württemberg, BRAK-Mitt. 1995, 169 (170). 4 Wenig überzeugend deshalb AnwG München, BRAK-Mitt. 1995, 171; BayAGH, BRAK-Mitt. 1996, 170; die letztgenannte Entscheidung entnimmt §§ 43, 43a Abs. 2 S. 2, 59 Abs. 2 Nr. 1a BRAO eine aus der Pflicht zur Gewissenhaftigkeit folgende allgemeine Wahrheitspflicht des Anwalts, die es in dieser Form nicht gibt. 5 S. dazu Zuck, „Gewissenhaftigkeit“, in: Zuck, Anwalts-ABC Berufsrecht, 1999, S. 111 f.; DAV-Stellungnahme zum Diskussionspapier des BRAK-Präsidiums zur Berufsethik der deutschen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (BRAK-Mitt. 2011, 58, AnwBl. 2011, 659 [660]); Zuck, BRAK-Mitt. 2013, 58 (61). 6 S. dazu ausf. Borgmann/Jungk/Grams, §§ 16 ff.; Vollkommer/Heinemann, Rz. 144 ff.; Koch/Kilian, Rz. B 550 ff.
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§ 43 BRAO Rz. 48a
Allgemeine Berufspflicht
Der Anwalt muss den Mandanten auch – anders als der Notar – über mögliche wirtschaftliche Gefahren des beabsichtigten Geschäfts belehren.1 48a
Zur Gewissenhaftigkeit gehört u.a. auch die Pflicht, die Anwaltspraxis in überschaubarem Rahmen zu halten, und nicht durch Heranziehung eines abhängigen juristischen Mitarbeiterstabs so auszuweiten, dass dem Anwalt die Übersicht und die Kontrolle über den Praxisbetrieb entgleiten. Nach § 613 BGB hat er „die Dienste im Zweifel in Person zu leisten“. Deshalb muss er stets darauf bedacht sein, dass das jedem Mandat zugrunde liegende Vertrauensverhältnis auch seine persönliche Verantwortung in weitreichendem Maße verlangt.2 Derjenige Anwalt, der – ohne Sozius zu sein – als Angestellter oder freier Mitarbeiter für die Praxis seines Kollegen tätig ist, würde seine Pflicht zur beruflichen Gewissenhaftigkeit, die nicht nur das Verhältnis zu den Auftraggebern betrifft, empfindlich verletzen, wenn er sich ohne Wissen des ihn beschäftigenden Praxisinhabers von dessen Auftraggebern persönliche Honorare zahlen ließe.3
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Aus der gewissenhaften Berufsausübung ergeben sich auch besondere Pflichten im Bereich des anwaltlichen Masseninkassos, also bei Sachverhalten, die dadurch gekennzeichnet sind, dass der Anwalt die Einziehung von Forderungen ohne Einzelfallprüfung computergesteuert mit Faksimile-Unterschriften und mit Hilfe von Fremdfirmen durchführt.4 Das ist aber kein internes, die bloße Binnenorganisation des Anwalts betreffendes Problem, schon deshalb nicht, weil die Einbeziehung von Fremdfirmen auch immer mit Outsourcing verbunden ist. In der Sache ist daran festzuhalten, dass der Anwalt für seine Tätigkeit auch im Einzelfall die Verantwortung übernehmen muss. Das ist in der hier geschilderten Fallkonstellation ausgeschlossen. 2. Berufsmoral
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Im Wort „gewissenhaft“ steckt aber auch ein Aspekt der Berufsmoral:5 Der Anwalt muss die „guten (Anwalts)Sitten“ befolgen,6 sich aber auch der persönlichen Beziehung zum Mandanten7 und des Umstandes bewusst sein, dass die verfassungsrechtlich abgesicherte Teilnahme des Anwalts an der Rechtsgewährleistung Wertverwirklichung ist. Damit sind, vielfältig mit den externen Pflichten verzahnt, interne Pflichten vorgegeben. Die Verzahnung bedeutet zugleich, dass, wie in § 1 UWG und in vielen anderen Rechtsvorschriften auch, außerrechtliche Maßstäbe rechtlich verbindlich gemacht worden sind. 3. Qualitätsanforderungen
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Zur gewissenhaften Berufsausübung gehören schließlich Qualitätsanforderungen, Qualitätskontrolle und Qualitätssicherung der anwaltlichen Dienstleistung. Die weiter steigende 1 BGH, VersR 1968, 969, st. Rspr.; vgl. etwa BGH, NJW-RR 1990, 459 und dazu Borgmann/Jungk/Grams, § 15 Rz. 115. Zum „Pflichtenprogramm“ des Anwalts ausf. Koch/Kilian, Rz. B 552 ff. Zur möglichen Begrenzung anwaltlicher Pflichten (hier: durch fehlerhaftes Verhalten des Gerichts) s. BVerfG(K), NJW 2002, 2937. Kirchberg, BRAK-Mitt. 2002, 202; Zugehör, NJW 2003, 3235; Medicus, AnwBl. 2004, 257. Der BGH ist bei seiner restriktiven Linie geblieben, BGH, NJW 2003, 202 (204); NJW-RR 2003, 850 (854); AnwBl. 2008, 204 und dazu Seyfahrt, AnwBl. 2009, 48; BGH, AnwBl. 2009, 320 und dazu Chab, AnwBl. 2009, 379. Das hat das BVerfG gebilligt, vgl. BVerfG(K), NJW 2009, 2945. S. im Übrigen auch Rz. 20. 2 Es ist deshalb ausgeschlossen, ständig den Bürovorsteher zum Amtsgericht zu schicken (s. dazu auch BGH, NJW 1981, 2741). Es geht auch nicht an, nicht-anwaltliche freie Mitarbeiter (z.B. Professoren) über Ausnahmefälle hinaus mit der selbständigen Bearbeitung von Mandaten zu betrauen oder ihnen Gerichtstermine anzuvertrauen. Für Referendare außerhalb der „Station“ gilt nichts anderes, s. dazu BayEGH, BRAK-Mitt. 1982, 35. Einen weiteren Anwendungsfall für gewissenhafte Berufsausübung sieht BVerfG(K), BRAK-Mitt. 2009, 73 (77) in der Regelung des Umgehungsverbots durch § 12 BORA, s. dazu § 12 BORA Rz. 1. 3 So schon Friedlaender, Exkurs II zu § 28 RAO Anm. 17. 4 Siehe dazu AGH NRW, BRAK-Mitt. 2011, 150; Kleine-Cosack, NJW 2011, 2251; Quaas, BRAK-Mitt. 2012, 46 (47 f.); Zuck, BRAK-Mitt. 2013, 58. 5 Auf die (heute undeutlich gewordenen) religiösen und moralischen Pflichten des Wortes „gewissenhaft“ machen schon die Gebrüder Grimm, Deutsches Wörterbuch, Ausgabe 1984, Stichwort „gewissenhaft“, S. 6290 ff. aufmerksam. Die zeitgenössische Abschichtung von „Gewissen“ zeigt sich etwa in § 2 Abs. 1, 2 MuBo-Ä. Danach übt der Arzt seinen Beruf nach seinem Gewissen aus und entsprechend den Geboten der ärztlichen Ethik (Absatz 1). Absatz 2 verpflichtet ihn dagegen, seinen Beruf „gewissenhaft“ auszuüben. 6 S. Rz. 7. 7 Heute spricht man vom Vertrauensverhältnis. Früher sagte man eindeutiger „Treue gegenüber dem Mandanten bildet die Grundlage des Anwaltsberufs“, EGE I, 105; Kalsbach, BRAO, § 31 RichtlRA Rz. 1; Friedlaender, § 28 RAO Rz. 9; Borgmann/Jungk/Grams, § 16 Rz. 2. Das Vertrauensverhältnis gehört selbstverständlich auch in den externen Pflichtenkreis (s. dazu auch Rz. 25, 35).
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Allgemeine Berufspflicht
Rz. 52 § 43 BRAO
Zahl der Anwälte zwingt zu der Überlegung, ob die Qualität anwaltlicher Leistung der Quantität der zugelassenen Anwälte noch entspricht. Es wird auch immer schwerer, einen einmal erreichten Ausbildungsstand zu halten. Die Tendenz zur Spezialisierung schreitet voran. Die Juristenausbildung hält zudem an der These fest, sie müsse zum Einheitsjuristen ausbilden, und weiter daran, dass dessen Bild vom Justizjuristen geprägt wird.1 Kleinere Verbesserungen in der Ausbildung ändern nichts daran, dass der junge Anwalt auf seinen Beruf schlecht vorbereitet ist. So gibt es gute Gründe, sich um die Qualität anwaltlicher Dienstleistungen zu kümmern. Die Fragestellung ist dabei allerdings im Rahmen des § 43 S. 1 BRAO zu beschränken. Ausgangspunkt kann nur die Qualität der anwaltlichen Dienstleistung sein. In diesem Zusammenhang wird zu Recht darauf hingewiesen, dass die zur Erfüllung von Qualitätsanforderungen erforderlichen Maßnahmen eine Qualitätssicherung, d.h. auch Qualitätsmanagement voraussetzen. Dieses Qualitätsmanagement müsse, so heißt es weiter, durch eine Zertifizierung nach der ISO 9000-Familie nachgewiesen werden. Das werde in Zukunft nicht nur durch die Vergabebedingungen bei der Ausschreibung von Dienstleistungen erzwungen werden, sondern auch durch das Konkurrenzverhalten im (internationalen) Wettbewerb.2 Die Zertifizierung ist allerdings ein vergleichsweise enger und beschränkter Einstieg in die Qualitätssicherung, bezieht sie sich doch nur auf mögliche Kanzleiziele und die Darstellung von Arbeitsabläufen, trägt also unmittelbar zur Qualität der anwaltlichen Dienstleistung nichts bei. Weiter reicht in der Tat TQM,3 weil sich dieses auch mit Kanzleiführung, Mitarbeiterorientierung, Mitarbeiterzufriedenheit, der Mandantenzufriedenheit und der geschäftlichen Nutzenstiftung befasst. An Qualitätssicherungsmaßnahmen teilzunehmen, ist aber ebenso wenig Gegenstand anwaltlicher Berufspflichten wie die Unterwerfung unter eine besondere Qualitätskontrolle.
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Gegenstand der Betrachtung und Bewertung der Qualität anwaltlicher Dienstleistungen kann die Handlung – das Erbringen der anwaltlichen Dienstleistung – und der Handlungserfolg – das Produkt – sein. An dieser Stelle zeigt es sich besonders deutlich, dass die betriebswirtschaftliche, am Maßstab der Kundenzufriedenheit orientierte Betrachtungsweise und die berufsrechtliche Betrachtungsweise auseinanderfallen. Der Mandant misst zunächst nach dem Erfolg, im Übrigen nach allgemeinen Kriterien wie Serviceleistungen, Freundlichkeit, Pünktlichkeit, Informationsbereitschaft, Kosten. Die Anwaltschaft hinkt immer noch weit hinter den Qualitätsanforderungen zurück, wie sie sich etwa bei Ärzten im Bereich der vertragsärztlichen Versorgung inzwischen durchgesetzt haben.4 Berufsrechtlich ist Qualität anders zu beurteilen: Wenn kein Werkvertrag vorliegt, sondern der übliche Geschäftsbesorgungsvertrag (§ 675 BGB), kann der Anwalt ohnehin nur versprechen, lege artis zu handeln. Im strengen Sinne gibt es insoweit kein außerhalb der Handlung liegendes Produkt, sieht man von den allgemeinen Vorgaben der Auftragserteilung und den besonderen Pflichten aufgrund Weisung durch den Auftraggeber (§ 665 BGB) ab, die die Qualität der anwaltlichen Dienstleistung durch die formalen Grenzen der Haftungsrechtsprechung begrenzt, also durch jenen Pflichtenkreis, wie er durch Aufklärungspflicht, Rechtsprüfung, Beratung nach dem Grundsatz des „sichersten Wegs“ gekennzeichnet ist.5 Diese durchweg zivilrechtlich begründeten, also aus dem Anwaltsvertrag folgenden Merkmale sind auch berufsrechtlich unterlegt, d.h. sie sind auch Gegenstand der berufsrechtlichen Pflicht zur gewissenhaften Berufsausübung. Inhaltliche Qualitätsmerkmale, d.h. ausschließlich materielle Kriterien für die Erfüllung der Pflichten aus dem Anwaltsvertrag folgende Vorgaben ergeben sich daraus aber nicht. Der Anwalt erfüllt insoweit seine Pflichten „frei, selbstbestimmt und unreglementiert“ (§ 1 Abs. 1 BORA).
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1 Das Spannungsverhältnis zwischen diesen beiden Bezugspunkten erklärt die lebhafte Diskussion um die Spartenausbildung, vgl. etwa Finzel, BRAK-Mitt. 2006, 282; Hucke, AnwBl. 2007, 9; Ewers, AnwBl. 2007, 24; Osterloh, FS Hirsch, 2008, S. 509 (512 f.). S. dazu den DAV-Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Spartenausbildung und der Juristenausbildung AnwBl. 2007, 45. 2 Zur Problematik – mit jeweils unterschiedlichen Positionen – Thomas/Vorbrugg, AnwBl. 1995, 293; Endrös/ Waltl, NJW 1996, 1030; Streck, AnwBl. 1996, 57; Mauer/Krämer, AnwBl. 1996, 73; Adams, AnwBl. 1997, 436; Vorbrugg, AnwBl. 1997, 445; Kohl, Das Qualitätsmanagement in der Anwaltskanzlei, in: Kanzleimanagement – Handbuch 1998, S. 1 ff. Zu einem Fall unzulässiger Werbung für eine Anwaltszertifizierung s. LG Köln, BRAK-Mitt. 2009, 91 (nicht rkr), s. dazu Wilde, AnwBl. 2009, 184. 3 TQM, DAV-Leitfaden, 1997. 4 Vgl. etwa Seewald, in: Schnapp/Wigge, Handbuch des Vertragsarztrechts, 2. Aufl. 2006, § 21. 5 Borgmann/Jungk/Grams, § 21 Rz. 131 ff.
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§ 43 BRAO Rz. 53
Allgemeine Berufspflicht
4. Arbeitssicherheit 53
Weitere allgemeine Berufspflichten im Rahmen gewissenhafter Berufsausübung ergeben sich aus den Anforderungen an die Arbeitssicherheit in der Anwaltskanzlei,1 der Fortbildungspflicht2 sowie den datenschutzrechtlichen Erfordernissen.3 5. Zusammenfassung
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Gewissenhafte Berufsausübung kann man so bezeichnen: Der Anwalt muss seinen Beruf sachkundig, sachgerecht, sorgfältig und verantwortungsbewusst ausüben. Sachkunde und Sachgerechtigkeit gehören zu den objektiven Voraussetzungen der Berufsausübung, Sorgfalt und Verantwortungsbewusstsein zu den subjektiven. VII. § 43 S. 2 BRAO
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§ 43 S. 2 BRAO ist unveränderter Textbestandteil der Vorschrift seit 1959. 1. Achtung und Vertrauen
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Angeknüpft wird an die Begriffe „Achtung und Vertrauen“. Die beiden Maßstäbe gelten aber nicht allgemein, sondern nur insoweit, als sie sich auf die „Stellung des Anwalts“ beziehen. Es kann also nicht die allgemeine Achtung gemeint sein, die jedem Menschen aufgrund der Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG zukommt, sondern die besondere, die sich daraus ergibt, dass der Anwalt ein Organ der Rechtspflege ist. Und Vertrauen ist hier nicht als allgemeine moralische Kategorie zu verstehen, sondern als jene besondere Beziehung, die Dienste höherer Art im Rahmen des Anwaltsvertrags auszeichnet. 2. Würdig erweisen
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Maßgebend ist dabei nicht, was das tatsächliche Bild als Stellung des Anwalts widerspiegelt, sondern was die Stellung „erfordert“, was sich also insbesondere aus §§ 1–3 BRAO ergibt. Diesen normativen Anforderungen muss sich der Anwalt „würdig“ erweisen. Die altertümelnde Diktion meint nichts anderes, als dass der Anwalt diesen normativen Anforderungen entsprechen muss. Dem Anwalt obliegt das „entsprechende Verhalten“ als Berufspflicht. 3. Innerhalb und außerhalb des Berufs
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Das gilt für Handlungen des Anwalts „innerhalb und außerhalb“ des Berufs. a) Unterscheidung
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Dass es Berufspflichten des Anwalts „außerhalb des Berufs“ gibt, erklärt sich aufgrund der hier getroffenen Unterscheidung4 in Handlungs- und Statuspflichten. Während der Anwalt außerhalb des Berufs nicht beruflich handeln kann, weil das ein Widerspruch in sich wäre, und ihn insoweit, nämlich qua Handlungspflichten, auch gar keine Pflichten treffen können, bleibt der Anwalt doch „außerhalb des Berufs“ weiterhin Anwalt, weil er das nun einmal ist. Insoweit bleibt er statuspflichtig. b) Verknüpfung mit § 113 BRAO
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§ 43 S. 2 BRAO kann nicht ohne § 113 BRAO verstanden werden. Soweit die BRAO überhaupt Pflichten enthält, sind sie auch über § 113 BRAO sanktionsbewährt. Es gibt weder Sanktionen ohne Pflichten noch Pflichten ohne Sanktionen. Die allgemeine Regelung des § 43 BRAO, insbesondere Satz 2, enthält deshalb nur insoweit Pflichten, als sich aus den Vorgaben des § 43 BRAO ggf. im Zusammenhang mit anderen Regelungen (innerhalb oder außerhalb der BRAO) konkrete, Pflichten vermittelnde Handlungsvorgaben erschließen lassen. Sowohl Satz 1 als auch Satz 2 können deshalb nicht beliebig zur Konkretisierung bestimmter Pflichten verwendet werden. Eine wichtige Begrenzung ergibt sich aus § 113 Abs. 2 BRAO. Nur un1 2 3 4
Scherf, BRAK-Mitt. 1996, 226. S. § 43a BRAO Rz. 110–121. H. Zuck, AnwBl. 1996, 549. S. Rz. 5–9.
520 Zuck
Allgemeine Berufspflicht
Rz. 63 § 43 BRAO
ter den besonderen Vorgaben dieser Vorschrift gibt es außerberufliche Pflichten, die sich aus § 43 S. 2 BRAO herleiten lassen. § 113 Abs. 2 BRAO macht deutlich, dass es bezüglich der Beurteilung von „Achtung und Vertrauen“ im Bereich des außerberuflichen Verhaltens auf den (durchschnittlichen, vernünftigen) Rechtsuchenden ankommt. Im beruflichen Bereich ist nämlich eine Pflichtenverletzung nur verfolgbar, wenn Achtung und Vertrauen des Rechtsuchenden beschädigt werden. Bleibt es bei der Prämisse, dass § 43 BRAO keine sanktionslosen Pflichten kennt, muss über § 113 Abs. 2 BRAO auch die Grenze für das Verständnis des § 43 S. 2 BRAO gezogen sein, obwohl die dort genannte „Stellung des Anwalts“ die Einbeziehung von Justiz- und Kollegenverständnis zulässt. Das führt auch zu unterschiedlichen Anforderungen an pflichtgemäßes Verhalten. Außerhalb des Berufs ist es nur pflichtwidrig, wenn die Beeinträchtigung die Ausübung der Anwaltstätigkeit in bedeutsamer Weise betrifft. c) Außerhalb des Berufsrechts liegende Anknüpfungspunkte Eine ganz andere Frage ist es, wie sich § 43 BRAO zu außerhalb des Berufsrechts liegenden einfach-rechtlichen Regelungen verhält.
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aa) Strafrecht Für das Strafrecht und ähnliche Verfahren gilt der Grundsatz des disziplinären Überhangs.1
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bb) Zivilrecht Für das Zivilrecht schweigt die BRAO. Ist also ein Anwalt in einem Haftungsprozess zu Schadensersatz verurteilt worden, weil er seinen Mandanten nicht gewissenhaft vertreten hat oder ist ihm eine Werbemaßnahme vor den Zivilgerichten untersagt worden, so taucht die Frage auf, ob eine anwaltsgerichtliche Maßnahme nach § 113 BRAO zulässig ist. Für das Wettbewerbsrecht steht das außer Frage.2 Für das (zivile) Haftungsrecht gibt es jedoch unterschiedliche Auffassungen. Dabei geht es im vorliegenden Zusammenhang nicht um das Problem, welche zivilrechtlichen Auswirkungen ein Verstoß gegen berufsrechtliche Pflichten hat,3 sondern darum, ob der Verstoß gegen zivilrechtliche (Sorgfalts-)Pflichten zugleich auch als ein Verstoß gegen § 43 BRAO (hier als pars pro toto für das anwaltliche, pflichtenbegründende Berufsrecht genommen) angesehen werden kann.4 Das Problem lässt sich nur lösen, wenn man nicht vom Gegenstand der Rechtskontrolle ausgeht, also z.B. fragt, ob der Anwalt eine zweckmäßige oder inhaltlich richtige Entscheidung bei der Wahrnehmung der ihm im Auftragsverhältnis zum Mandanten zuzuordnenden Pflichten getroffen hat, sondern vom Maßstab: Die Frage kann immer nur sein, ob der Anwalt gewissenhaft im Sinne von § 43 S. 1 BRAO, entsprechend den ihm aus § 43 S. 2 BRAO treffenden Pflichten gehandelt hat und ob eine Kontrolle mit den aus §§ 1–3 BRAO folgenden Grundsätzen vertretbar ist. Liegt ein solcher Pflichtenverstoß vor, so gibt es keinen rechtfertigenden Grund, auf eine berufsrechtliche Kontrolle deshalb zu verzichten, weil die Ursache für den Pflichtenverstoß im Zivilrecht (hier: im Anwaltsvertrag) liegt. Es gibt aber auch kein qualifizierendes Merkmal, so also, dass ein solcher Pflichtenverstoß nur geahndet werden kann, wenn er schwerwiegend oder grob fahrlässig (oder in sonstiger Weise qualifiziert) ist. Qualifizierende Merkmale müssen sich vielmehr aus dem Maßstabsrecht selbst ergeben. Das ist nur in § 113 Abs. 2 BRAO der Fall („bedeutsamerweise“). Zu unbilligen Ergebnissen führt das nicht. Zum einen gibt es keinen pauschalen Rückgriff auf § 43 BRAO. Zum anderen muss stets beachtet werden, dass die freie und unreglementierte Selbstbestimmung des Anwalts bei der Wahrnehmung seiner beruflichen Aufgaben und sein unabhängiger Status bei der berufsrechtlichen Inhaltskontrolle anwaltlichen Handelns an deutlich strengere Voraussetzungen knüpft als die Haftungskontrolle.5 Haftungsbegründendes Handeln umfasst deshalb einen weiteren Sektor als berufswidriges Handeln. An der grundsätzlich berufsrechtlichen Verantwortlichkeit des Anwalts im Rahmen des Anwaltsvertrags ändert das aber nichts. 1 S. § 115b BRAO Rz. 15–20 und dazu Henssler/Prütting/Dittmann, § 115b Rz. 2. 2 Vgl. die Nachweise bei Henssler/Prütting/Prütting, § 43b Rz. 52 ff. 3 S. dazu kritisch Taupitz, MedR 1992, 271 (272); Kleine-Cosack, Einl. Rz. 13; Henssler/Prütting/Prütting, § 43 Rz. 34 ff. 4 S. dazu die unterschiedlichen Positionen bei Kleine-Cosack, § 43 Rz. 15; Feuerich/Weyland, § 113 Rz. 40 ff. 5 Unzulängliche rechtliche Aufklärung, inhaltlich falsche Beratung und unsachgemäße Vertretung sind deshalb – grundsätzlich – berufsrechtlich nicht kontrollierbar, vgl. Feuerich/Weyland, § 113 Rz. 41; s. auch Jähnke, NJW 1988, 1888.
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63
§ 43 BRAO Rz. 63a 63a
Allgemeine Berufspflicht
Die Konkretisierung dieser – sehr allgemeinen – Abgrenzung ist nicht einfach. Ein vertretbarer Ansatz liegt in der Unterscheidung zwischen äußeren und inneren Pflichten.1 Äußere Pflichten sind solche, die ohne Nachprüfung der sachlichen Richtigkeit des ihnen zugrunde liegenden Handelns beurteilt werden können. Einige Beispiele sollen das verdeutlichen: (1) Äußere Pflichten
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– Unterlassene Mandatsbearbeitung.2 – Verspätete Mandatsbearbeitung.3 Hinter diesen beiden äußeren Erscheinungsformen pflichtwidriger Mandatsbearbeitung steht die aus § 43 S. 1 BRAO folgende Berufspflicht, ein Mandat nur zu übernehmen, zu dessen Bearbeitung der Anwalt oder seine zulässigerweise damit betrauten Mitarbeiter zeitlich in der Lage sind. Ordnungsgemäße Abrechnung der der Wahrnehmung fremder Vermögensangelegenheiten (hier: Anwalt als Nachlassverwalter).4 – Nichtbearbeitung von Mandantenanfragen. – Nichtrücksendung von Empfangsbekenntnissen. Ein Anwalt, der bewusst keine Umsatzsteuererklärung abgibt und auch seinen sonstigen Verpflichtungen zur Abgabe der Steuererklärung nur noch schleppend nachkommt, verstößt gegen die Verpflichtung, seinen Beruf gewissenhaft auszuüben.5 (2) Innere Pflichten
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Einem Anwaltsliquidator ist als Verstoß gegen § 43 S. 1 BRAO vorgehalten worden, er habe es versäumt, rechtzeitig das Konkursverfahren über das Vermögen einer GmbH zu beantragen.6 Aber diese Feststellung beruht auf einer Inhaltskontrolle anwaltlichen Handelns, auf dem, was eigentlich rechtlich geboten gewesen wäre. Ein Verstoß gegen § 43 S. 1 BRAO scheidet deshalb aus. (3) Wegfall der Unterscheidung
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Eine dritte Fallgruppe betrifft den Sachverhalt, dass der Anwalt sich überhaupt nicht mehr im Rahmen des ihm erteilten Mandats hält, indem er seine Funktionen als unabhängiger Berater und Vertreter des Mandanten (§ 3 BRAO) aufgibt und diesen vorsätzlich schädigt (z.B. durch Betrug, Untreue oder Unterschlagung). In diesem Bereich entfällt die Unterscheidung zwischen inneren und äußeren Pflichten. Der Anwalt handelt immer pflichtwidrig im Rahmen des § 43 BRAO.7 cc) Öffentliches Recht
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Für das öffentliche Recht gilt, dass berufsrechtliche Pflichten immer dann berührt sind, wenn der Anwalt Rechte missbraucht, die ihm der Gesetzgeber im Vertrauen auf seine Integrität eingeräumt hat.8
1 Feuerich/Weyland, § 113 Rz. 40. 2 EGH Berlin, BRAK-Mitt. 1983, 44; BGH, BRAK-Mitt. 1989, 111, EGH München, BRAK-Mitt. 1991, 54; BGH, BRAK-Mitt. 1991, 53; EGH Kassel, BRAK-Mitt. 1991, 55. 3 EGH Berlin, BRAK-Mitt. 1983, 44. 4 EGH Hamm, BRAK-Mitt. 1984, 91. Der EGH stützt sich auf § 43 S. 1 BRAO. Der Sachverhalt wird nach geltendem Berufsrecht von § 43a Abs. 5 BRAO, § 4 Abs. 2, § 23 BORA nicht erfasst. 5 EGH Berlin, BRAK-Mitt. 1993, 176. Die Entscheidung betrifft zwar „eine äußere Pflicht“. Der Sachverhalt wird aber nicht von § 43 BRAO erfasst (weder Satz 1 noch Satz 2), sowenig wie die Nichtbezahlung der Miete für die Büroräume, der Rechnungen über Fachliteratur und der Leasingraten für ein Firmenfahrzeug. 6 EG Bremen, BRAK-Mitt. 1988, 54. 7 So zutreffend Jähnke, NJW 1988, 1888 (1891); Feuerich/Weyland, § 113 Rz. 42. 8 Henssler/Prütting/Prütting, § 43 Rz. 27.
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Rz. 2 § 11 BORA/§ 43 BRAO
Unterrichtung des Mandanten
Unterrichtung des Mandanten 11 BORA (1) Der Mandant ist über alle für den Fortgang der Sache wesentlichen 1
Vorgänge und Maßnahmen unverzüglich zu unterrichten. 2Ihm ist insbesondere von allen wesentlichen erhaltenen oder versandten Schriftstücken Kenntnis zu geben. (2) Anfragen des Mandanten sind unverzüglich zu beantworten. A. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . I. Entstehungsgeschichtliche Bedeutung . 1. Verhältnis zu § 666 BGB . . . . . . . 2. Rechtfertigung des § 11 BORA . . . . II. Funktionen der Vorschrift . . . . . . 1. Mandantenschutzregelung . . . . . . 2. Dienste höherer Art . . . . . . . . . a) Vertrauensverhältnis . . . . . . . b) Schutz des Anwalts . . . . . . . . III. Ermächtigungsgrundlage . . . . . . .
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1 1 1 2 3 3 4 4 5 6
B. Norminhalt . . . . . . . . . . . . . I. Absatz 1 . . . . . . . . . . . . . . . 1. Mandant . . . . . . . . . . . . . . a) Fallgruppen . . . . . . . . . . . b) Mehrere Auftraggeber . . . . . . . 2. Begriff der Unterrichtung . . . . . . . 3. Gegenstand der Unterrichtung . . . . a) Vorgänge und Maßnahmen. . . . . b) Redundanz . . . . . . . . . . . . aa) Vorgang . . . . . . . . . . . bb) Binnenbereich . . . . . . . . cc) Gespräche . . . . . . . . . . dd) Insbesonders: Vertrauliche Gespräche . . . . . . . . . . . ee) Gespräche „ohne Präjudiz“. . .
. . . . . . . . . . . .
7 7 7 7 8 9 10 10 11 11 12 13
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c) Schriftstücke . . . . . . . . . . . d) Wesentlichkeit . . . . . . . . . . 4. Unverzügliche Unterrichtung . . . . . 5. Wie ist zu unterrichten? . . . . . . . a) Mündliche Information . . . . . . b) Schriftstücke . . . . . . . . . . . 6. Prinzip der Verhältnismäßigkeit . . . . 7. Weitergehende Informationspflichten . a) § 44 BRAO . . . . . . . . . . . . b) § 49b Abs. 5 BRAO . . . . . . . . c) § 16 BORA . . . . . . . . . . . . d) Zivilrechtliche Informationspflichten e) Verfahrensrechtliche Informationspflichten . . . . . . . . . . . . . f) GwG . . . . . . . . . . . . . . . II. Anfragen des Mandanten (§ 11 Abs. 2 BORA) . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anfrage . . . . . . . . . . . . . . . a) Wahrnehmung des Mandats . . . . aa) Bestehendes Mandat . . . . . bb) Vor Mandatsannahme . . . . . cc) Nach Mandatsende . . . . . . b) Mandant . . . . . . . . . . . . . 2. Unverzüglichkeit . . . . . . . . . . . 3. Form . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Akteneinsichtsrecht . . . . . . . . .
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A. Allgemeines I. Entstehungsgeschichtliche Bedeutung 1. Verhältnis zu § 666 BGB Die sich aus § 11 BORA ergebenden Informationspflichten des Anwalts gegenüber seinem Auftraggeber folgen zivilrechtlich aus dem Anwaltsvertrag (§§ 611, 666, 675 BGB).1 Der Beauftragte ist verpflichtet, dem Auftraggeber die erforderlichen Nachrichten zu geben, auf Verlangen über den Stand des Geschäfts Auskunft zu erteilen und nach Ausführung des Auftrags Rechenschaft abzulegen.
1
§ 11 BORA ist mit § 666 BGB nicht deckungsgleich: Bezogen auf den bloßen Wortlaut schweigt § 666 BGB zum Zeitpunkt der Erfüllung der Informations- und Auskunftspflichten, während § 11 BORA (auch für die Auskunftspflicht) Unverzüglichkeit (im Sinne von § 121 Abs. 1 S. 1 BGB) fordert. § 666 BGB knüpft an die „erforderlichen“ Informationen an, während § 11 Abs. 1 BORA sich am Begriff der „Wesentlichkeit“ orientiert. Die Pflicht zur Rechenschaftslegung nach Beendigung des Auftrags (§ 666 BGB) kennt § 11 BORA nicht. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass § 11 BORA teilweise hinter § 666 BGB zurückbleibt (Rechenschaftslegung), teilweise eine Konkretisierung vornimmt (Zeitpunkt der Pflichterfüllung), teilweise aber auch abweicht (erforderlich/wesentlich). 2. Rechtfertigung des § 11 BORA Die Abweichungen gegenüber § 666 BGB sind nicht so gravierend, dass mit ihnen die Notwendigkeit der zum Zivilrecht hinzutretenden berufsrechtlichen Regelungen gerechtfertigt 1 Ist Werkvertragsrecht anzuwenden, etwa bei einem isolierten Gutachtensauftrag oder bei einer isolierten Auskunft, ist die zivilrechtliche Rechtsgrundlage § 631 BGB. Zum Auftrag, eine Urkunde zu entwerfen, s. BGH, NJW 1996, 661 (662). Beim Werkvertragsrecht gehören Auskunfts- und Informationspflichten zu den Nebenpflichten des § 631 BGB, vgl. Jauernig/Mansel, § 631 BGB Rz. 5; Bamberger/Roth/Voit, BGB, § 631 Rz. 89 ff.; HK-BGB/Ebert, § 631 Rz. 10.
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§ 43 BRAO/§ 11 BORA Rz. 3
Unterrichtung des Mandanten
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werden könnte. Der Sinn des § 11 BORA liegt zum einen in seiner edukatorischen Funktion. Gegen die Informations- und Auskunftspflichten wird häufig verstoßen, vor allem, wenn man sie an das Merkmal der Unverzüglichkeit knüpft. So werden – z.B. – letztinstanzliche Entscheidungen immer wieder sehr zögerlich an den Mandanten weitergeleitet, in der Annahme, da der Rechtsweg erschöpft sei, habe die Information Zeit.1 Dass es fristgebundene außerordentliche Rechtsbehelfe gibt (Anhörungsrüge etwa nach § 321a ZPO, Verfassungsbeschwerde nach § 90 Abs. 1 BVerfGG) bleibt bei diesem Vorgehen außer Betracht. Zum andern erlaubt die berufsrechtliche Parallelvorschrift eine Rechtskontrolle außerhalb des Schadensersatzrechts. Gäbe es sie nicht, blieben Verstöße gegen § 666 BGB im Ergebnis weitgehend folgenlos. Es ist deshalb nicht erstaunlich, dass § 11 BORA die Regelung des § 39 RichtlRA inhaltlich übernommen hat.2 Dem entspricht auch Nr. 3.1.2 Satz 3 CCBE.3 II. Funktionen der Vorschrift 1. Mandantenschutzregelung 3
Auszugehen ist davon, dass der Auftraggeber Herr des dem Anwalt erteilten Auftrags ist und bleibt. Das ergibt sich schon aus dem grundsätzlichen Weisungsrecht des Auftraggebers (§§ 675, 665 BGB). Damit der Auftraggeber seinen Einfluss auf das Mandat sachgerecht ausüben kann, muss er über den jeweiligen Stand des Verfahrens informiert sein oder sich informieren können. Insoweit ist § 11 BORA eine Mandantenschutzregelung.4 2. Dienste höherer Art a) Vertrauensverhältnis
4
Beachtet man, dass der Anwalt Dienste höherer Art im Sinne von § 627 Abs. 1 BGB erbringt, die aufgrund besonderen Vertrauens übertragen zu werden pflegen, bezieht man also in seine Überlegungen mit ein, dass der Auftraggeber Vertrauen in den Anwalt investiert, der Anwalt seinerseits aber einfach-rechtlich gehalten ist, dieses Vertrauen auch zu rechtfertigen,5 dann dient § 11 BORA auch der Sicherung und der Optimierung dieses Vertrauensverhältnisses. b) Schutz des Anwalts
5
Informations-/Auskunftsrechte und -pflichten sind, bezogen auf das Vertrauensverhältnis zwischen Anwalt und Auftraggeber zugleich Regelungen, die – wenn auch beschränkt – dem Schutz des Anwalts dienen.6 Denn wenn der Anwalt nachweisen kann, dass er seine Pflichten aus § 11 BORA erfüllt hat, kann er alle Schadensersatzansprüche des Mandanten, die sich auf die Verletzung von Informations- und Auskunftspflichten beziehen, erfolgreich abwehren. Diese Schutzfunktion ist allerdings, wie erwähnt, beschränkt. Das Beispiel einer verspätet übersandten letztinstanzlichen Entscheidung zeigt, dass damit nur ein Element für die Abwehr von Rechtsansprüchen des Mandanten angesprochen wird. Wichtiger ist sicher ein zweiter Umstand, der die Frage betrifft, zu welcher Information der Anwalt im Hinblick auf außerordentliche Rechtsbehelfe verpflichtet ist.7 III. Ermächtigungsgrundlage
6
§ 11 BORA ist dem Dritten Abschnitt der BORA „Besondere Berufspflichten bei der Annahme, Wahrnehmung und Beendigung des Mandats“ zugeordnet. Die Vorschrift basiert
1 Nachdrücklich dazu BGH, BRAK-Mitt. 2007, 199. 2 S. dazu Lingenberg/Hummel/Zuck/Eich/Zuck, § 39 RichtlRA: „Der Rechtsanwalt muss den Auftraggeber über alle wichtigen Maßnahmen und Vorgänge in seiner Sache unverzüglich unterrichten, ihm insbesondere von allen wesentlichen Schriftstücken, die er erhält oder absendet, Kenntnis geben. Anfragen des Auftraggebers hat es alsbald zu beantworten.“ 3 Eichele, Nr. 3.1 CCBE Rz. 50. 4 Hartung/Scharmer, § 11 Rz. 4. 5 § 43 BRAO Rz. 25, 35, 49. 6 Hartung/Scharmer, § 11 Rz. 5. 7 Zuck, Die Anhörungsrüge im Zivilprozess, 2008, Rz. 7 ff.; Zuck, in: Quaas/Zuck (Hrsg.), Prozesse in Verwaltungssachen, 2. Aufl. 2011, § 8 Rz. 14 ff.
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Unterrichtung des Mandanten
Rz. 9 § 11 BORA/§ 43 BRAO
danach auf der Ermächtigung in § 59b Abs. 2 Nr. 5a BRAO; sie konkretisiert das Merkmal der gewissenhaften Berufsausübung aus § 43 S. 1 BRAO für einen Teilbereich.1 B. Norminhalt I. Absatz 1 1. Mandant a) Fallgruppen Satz 1 knüpft die Unterrichtungspflichten an den Mandanten. Dieser Anknüpfungspunkt umfasst aber zugleich auch alle diejenigen, denen der Mandant Unterrichtungsrechte übertragen hat oder auf den sie übertragen worden sind. Zur ersten Fallgruppe gehören die Rechtsschutzversicherung,2 der Instanzanwalt, wenn das gerichtliche Verfahren in den Händen der Anwälte der höheren Instanz liegt, ggf. der Korrespondenzanwalt sowie der Prozessfinanzierer. Der zweiten Fallgruppe sind Betreuer, Erben und Testamentsvollstrecker zuzuordnen.3 Rechtsgeschäftlich kann der Mandant seine Unterrichtungsrechte jedem Dritten übertragen. Diesem gegenüber besteht die Informationspflicht des Anwalts aber nur, soweit er von dieser Übertragung Kenntnis erlangt und sich ggf. von dem damit verbundenen Verzicht auf eigene Unterrichtungsansprüche des Mandanten (was jederzeit zwischen Anwalt und Mandant vereinbart werden kann) vergewissert hat. Zu einer Mehrfachunterrichtung gegenüber unterschiedlichen Personen ist der Anwalt nicht verpflichtet, es sei denn, dies sei ausdrücklich so vereinbart.
7
b) Mehrere Auftraggeber Bei mehreren Auftraggebern gilt bei einfachen Forderungsgemeinschaften zivilrechtlich § 432 BGB.4 Das führt berufsrechtlich zur Information an alle Auftraggeber. Es gibt keinen Grund, dies gegenüber dem einfachen Recht abweichend zu beurteilen. Das kann allerdings im Rahmen des Anwaltsvertrags anders verabredet werden; meist ist das auch zweckmäßig. Handelt es sich um eine GbR, besteht die Informationspflicht dieser gegenüber. Bei Gesamthandsgläubigerstellungen, also insbesondere bei einer Erbengemeinschaft, hat jeder Miterbe den Anspruch auf Information an die Erbengemeinschaft. Bei einer großen Zahl von Miterben oder einer weit verstreuten Erbengemeinschaft empfiehlt es sich jedoch ebenfalls, eine praktikable Lösung zwischen Anwalt und Miterben hinsichtlich der Informationsrechte zu vereinbaren.
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2. Begriff der Unterrichtung Wie schon das Wort „Unterricht“ zeigt, weist die Unterrichtungspflicht vom Wortlaut her auf mehr als eine bloße Information. Wer jemanden unterrichtet, erläutert seine Information. Eine solche Deutung der Unterrichtungspflicht läge auch nahe, wenn man § 11 BORA als reine Mandantenschutzklausel versteht,5 denn in vielen Fällen wäre der Mandant gar nicht in der Lage, die ihm zuteil gewordene Information richtig zu verstehen. Eine solche Deutung der Unterrichtungspflicht scheidet aber angesichts des „Insbesondere-Zusatzes“ in Absatz 1 S. 2 aus: Jemanden von etwas „Kenntnis zu geben“ verpflichtet zu nicht mehr, als zur Information. Die sich daraus ergebende Beschränkung der Unterrichtung auf bloße Information 1 S. auch Nr. 3.1 CCBE „Beginn und Ende des Mandats“ (vgl. Nr. 3.1.2, S. 3 CCBE); Eichele, Nr. 31 CCBE, Rz. 49 ff. 2 Zu beachten ist, dass Rechte und Pflichten auch unter den Bedingungen einer Rechtsschutzversicherung nur aus dem zwischen Anwalt und Versicherungsnehmer geschlossenen Anwaltsvertrag folgen, vgl. Bauer, in: Harbauer, Rechtsschutzversicherung, 8. Aufl. 2010, § 17 ARB 75 Rz. 11. Der Versicherungsnehmer hat aber nach Eintritt des Versicherungsfalls gegenüber dem Rechtsschutzversicherer Unterrichtungs- und Auskunftspflichten, vgl. § 17 V ARB 94/2000. Diese Pflichten kann der Versicherungsnehmer dem für ihn tätigen Anwalt übertragen. Nur in diesem Rahmen kann deshalb eine Unterrichtungspflicht des Anwalts gegenüber dem Rechtsschutzversicherer entstehen, so auch Hartung/Scharmer, § 11 Rz. 9. Das kann im Einzelfall zu Streitigkeiten über den Umfang der anwaltlichen Pflichten (auch im Zusammenhang mit der Pflicht zur Weiterleitung von Fremdgeld, vgl. § 4 BORA Rz. 15) führen, s. dazu AGH Saarbrücken, OLGR 2001, 395; OLG Düsseldorf, VersR 1980, 231; OLG Saarbrücken, NJW-RR 2008, 696). 3 Henssler/Prütting/Prütting, § 11 Rz. 3. 4 Das wird durch BGH, NJW 2002, 2703 (2704) bestätigt, wo die Pflichten des § 666 ZPO als reine Binnenberücksichtigungspflichten eingestuft worden sind, ebenso BGH, NJW 2007, 1528 („Informationspflichten“). 5 S. Rz. 3.
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§ 43 BRAO/§ 11 BORA Rz. 10
Unterrichtung des Mandanten
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rechtfertigt sich aus dem immanenten Grenzen von anwaltlichen Berufspflichten: Der Anwalt übt seinen Beruf frei, selbstbestimmt und unreglementiert aus (§ 1 Abs. 1 BORA) und mit diesen Vorgaben wäre es nicht vereinbar, ihm vorzuschreiben, ob und wann er eine Information erläutert und welche Beratung er an sie knüpfen will. Es bleibt also dabei, dass aus § 11 Abs. 1 BORA nur Informationspflichten folgen.1 3. Gegenstand der Unterrichtung a) Vorgänge und Maßnahmen 10
Satz 1 bezieht sich auf „Vorgänge und Maßnahmen“, Satz 2 hebt dazu die erhaltenen oder versandten Schriftstücke besonders hervor. Satz 2 ergänzt infolgedessen den Satz 1 nicht, sondern greift einen für die Information besonders signifikanten „Vorgang“ heraus.2 b) Redundanz aa) Vorgang
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„Vorgänge und Maßnahmen“ ist eine redundante Formulierung. Auch eine Maßnahme ist, bezogen auf das konkrete Mandat, ein „Vorgang“. „Vorgang“ ist alles, was das konkrete Mandat betrifft, lässt sich also nicht abstrakt bestimmen. Es muss sich dabei nicht um Vorgänge handeln, die unmittelbar das Mandat beeinflussen, wie ein Schriftsatz der Gegenseite oder eine Mitteilung des Gerichts. Nicht unerheblich sind oft Gerichtsentscheidungen in Parallelsachen, angekündigte Verfahren, die Auswirkungen auf das konkrete Mandat haben, sowie Gesetzesänderungen. bb) Binnenbereich
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„Vorgänge und Maßnahmen“ sind nicht die vom Anwalt oder seinem Personal gefertigten Aktenvermerke oder interne Gutachten. Sie betreffen den Binnenbereich der Mandatsbearbeitung. Eine aus § 11 BORA folgende Informationspflicht gegenüber dem Mandanten besteht insoweit nicht. cc) Gespräche
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Besondere Probleme ergeben sich aus Gesprächen mit am Verfahren beteiligten Richtern. Ist das Gespräch mit dem Richter nicht ausdrücklich als vertraulich gekennzeichnet (Es gibt solche Gespräche, der Richter darf sie allerdings nicht führen), so besteht bezüglich der entsprechenden Informationen an den Mandanten – Wesentlichkeit vorausgesetzt – kein Zweifel. dd) Insbesonders: Vertrauliche Gespräche
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Vertrauliche Gespräche mit dem gegnerischen Anwalt gibt es vor allem, wenn die Möglichkeiten eines Vergleichs ausgelotet werden sollen. In der Regel betrifft das, trotz der fast immer zugesicherten Vertraulichkeit solcher Gespräche, wesentliche Vorgänge, solche also, die der Informationspflicht unterliegen. Das bedeutet, dass Gespräche, die über den Austausch bekannter Standpunkte hinausgehen, nicht unter den Vorgaben der Vertraulichkeit geführt werden können. Dem Interesse des Mandanten wird damit u.U. nicht gedient. Da der Anwalt berufsrechtlich verpflichtet ist, die Interessen seines Mandanten gewissenhaft wahrzunehmen (§ 43 S. 1 BRAO), handelt es sich um einen Fall von Pflichtenkollision.3 Sie wird nicht über den Schutz des Gegenanwalts vor den Folgen seines vertraulich geführten Gesprächs bestimmt, sondern von der Frage, ob die gewissenhafte Wahrnehmung der Interessen des Eigenmandanten die Vertraulichkeit eines solchen Gesprächs verdient. Unter dieser Prämisse muss die gegenüber dem Mandanten bestehende Informationspflicht zurücktreten. ee) Gespräche „ohne Präjudiz“
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Noch gravierender ist der mögliche Konflikt bei vertraulichen Mitteilungen oder Gesprächen oder einer entsprechenden Mitteilung „ohne Präjudiz“, wenn es sich um den grenzüber1 Kleve, WM 2007, 830. 2 Henssler/Prütting/Prütting, § 11 Rz. 8. 3 S. § 43 BRAO Rz. 1.
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Unterrichtung des Mandanten
Rz. 18 § 11 BORA/§ 43 BRAO
schreitenden Verkehr mit EG-Anwälten, vornehmlich solchen aus dem romanischen Rechtskreis handelt. Nr. 5.3 CCBE trifft dafür eine Sonderregelung, die ggf. jede Information an den Mandanten verbietet. Das verstößt gegen § 666 BGB. § 29 Abs. 1 S. 1 BORA räumt (u.a.) deutschem Gesetzesrecht Vorrang vor dem CCBE-Regeln ein. § 29 Abs. 1 S. 2 2. Hs. BORA verpflichtet den deutschen Anwalt dem ausländischen Anwalt unverzüglich – gerade auch im Hinblick auf Nr. 5.3 CCBE – auf die insoweit bestehenden Besonderheiten des deutschen Rechts hinzuweisen. Der ausländische Anwalt wird dadurch nur bedingt geschützt, weil seine Information immer dem Vorrang des § 666 BGB und damit der Informationspflicht des deutschen Anwalts gegenüber seinem Mandanten unterliegt. Die damit für deutsche Anwälte verbundene Durchbrechung des Schutzes vertraulicher Anwaltskorrespondenz wird gelegentlich übersehen.1 c) Schriftstücke § 11 S. 2 BORA hebt aus den „Vorgängen und Maßnahmen“ als praktisch bedeutsam die „erhaltenen oder versandten Schriftstücke“ heraus, wie das „Insbesondere“ des Satz 2 belegt. Auch die Pflicht, „Kenntnis zu geben“ bringt gegenüber der Unterrichtungspflicht des Satz 1 nichts Neues, sondern bestätigt, dass es sich sowohl in Satz 1 als auch in Satz 2 um bloße Informationspflichten handelt.2
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d) Wesentlichkeit Die damit verbundene weite Auslegung des Absatz 1 wird durch den Begriff der „Wesentlichkeit“ beschränkt. Was „wesentlich“ ist, hat der Anwalt nach pflichtgemäßem Ermessen zu prüfen.3 Die Informationspflichten in einem Inkasso-Massenverfahren sehen anders aus, als in einem von Empfindlichkeiten begleiteten Familienrechtsstreit. Allgemein wird man sagen können, dass „wesentlich“ alles ist, was geeignet ist, das dem Anwalt erteilte Mandat zu beeinflussen. Ausgangspunkt ist deshalb der jeweilige „Stand der Angelegenheit“.4 Die damit vertretene weite Auslegung des Begriffs des Wesentlichen, die letztlich zu einer Information des Mandanten über alle mandatsrelevanten Vorgänge führt, im Ergebnis also auf das Merkmal „wesentlich“ verzichtet, erspart dem Anwalt nicht nur den Streit darüber, welcher Vorgang wesentlich war. Es erspart ihm auch die zeitraubende Einzelfallprüfung und befriedigt zudem die Erwartungshaltung des Mandanten, der seine Sache in die Hände eines Dritten gelegt hat und den deshalb Schweigen schnell verunsichert. Der Anwalt darf sich deshalb nicht mit seiner eigenen Einschätzung begnügen. Er muss auch die Interessen des Mandanten angemessen berücksichtigen.5
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Wesentliche Vorgänge betreffen im Übrigen nicht nur rechtliche, sondern auch wirtschaftliche Umstände. 4. Unverzügliche Unterrichtung Absatz 1 verlangt die „unverzügliche“ Information, also eine solche „ohne schuldhaftes Zögern“ (§ 121 Abs. 1 S. 1 BGB). Die damit verbundene rechtliche Vorgabe ist theoretisch klar, praktisch wird gegen sie vielfach verstoßen, in der Regel aufgrund von Organisationsmängeln (s. dazu § 5 BORA) in der Kanzlei. Es gibt keinen einsehbaren Hinderungsgrund, der es grundsätzlich ausschlösse, den Informationsvorgang tagesgleich vorzunehmen. Insbesondere die rechtsmittel- oder rechtsbehelfsfähigen Entscheidungen oder gerichtlich vorgegebene Äußerungs- oder Stellungnahmefristen führen, wenn der Anwalt § 121 Abs. 1 S. 1 BGB großzügig handhabt, zu einer Fristverkürzung, die ihre Ursache in der Kanzlei des informationspflichtigen Anwalts hat. Darin liegt auf jeden Fall ein rechtfertigungsbedürftiger Mangel.6 Diese Feststellung verbietet keineswegs gängige Ausnahmen, wie nicht vertreterbedürftige Abwesenheit des sachbearbeitenden Anwalts oder die Überlastung des Schreibtischs. Sie mahnt aber die Verant1 S. Seitz, EuZW 2008, 204; die Autorin geht von einem allgemein gültigen Schutz der Anwaltskorrespondenz im europäischen Wettbewerbssystem aus. 2 Rz. 9. 3 So schon Lingenberg/Hummel/Zuck/Eich/Zuck, § 39 RichtlRA Rz. 2; seither einhellige Meinung, vgl. Henssler/Prütting/Prütting, § 11 Rz. 3. 4 So § 17 V b ARB 94/2000. 5 Henssler/Prütting/Prütting, § 11 Rz. 7; Kilian/Koch, Rz. B 758. 6 S.a. Rz. 2.
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§ 43 BRAO/§ 11 BORA Rz. 19
Unterrichtung des Mandanten
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wortung des Anwalts für die Erfüllung seiner Informationspflichten nachdrücklich an. Das gilt vermehrt dann, wenn „Anwaltsketten“ bei der Information überwunden werden müssen, wie bei der Einschaltung von Anwälten an Rechtsmittelgerichten. Muss dann – etwa wegen eines außerordentlichen Rechtsbehelfs – noch ein dritter Anwalt eingeschaltet werden, ist das Zeitkontingent des Mandanten oft fast vollständig erschöpft, bevor eine endgültige Entscheidung getroffen werden kann. 5. Wie ist zu unterrichten? a) Mündliche Information 19
Mündliche Information kann ein Anwalt mündlich weitergeben. Empfehlenswert ist das nur in Ausnahmefällen, die sich aus dem Inhalt der Information oder der knappen noch zur Verfügung stehenden Zeit ergeben können. Ob eine mündliche Information den Mandanten überhaupt erteilt oder ob sie ihm richtig zugegangen ist, das ist infolge eines zwischenzeitlich eingetretenen Zeitablaufs nicht immer verlässlich klärbar, hinsichtlich des Informationsinhalts unsicher, und deshalb notorisch streitanfällig. Die schriftliche Information ist deshalb im Regelfall zwar nicht rechtlich geboten, aber aus Sicherheitsgründen vorzuziehen. b) Schriftstücke
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Es gibt infolgedessen wenig Schriftstücke, die man mündlich kommunizieren sollte. Natürlich kann man eine Terminsverlegung, ein (geändertes) Aktenzeichen oder eine Eingangsbestätigung (soweit solche Informationen als wesentlich angesehen werden) mündlich an den Mandanten weitergeben. Auch hier ist die Schriftlichkeit sei es per E-Mail, per Fax oder postalisch vorzuziehen. Schriftstücke mit mandatsbezogenem Inhalt, also solche mit Sachaussagen, können nicht mündlich weitertransportiert werden. Die Information steckt in den Sachaussagen. Der Anwalt könnte sie zwar (vorab) vorlesen. Es ist dem Mandanten aber nicht zuzumuten, dies aufzuschreiben. Solcherart relevante Schriftstücke müssen in Abschrift, und wenn diese fehlt, in Fotokopie oder auf anderem Wege an den Mandanten weitergeleitet werden, und zwar insgesamt und nicht nur in Teilen.1 6. Prinzip der Verhältnismäßigkeit
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Die Grenze der Informationspflicht liegt im Prinzip der Verhältnismäßigkeit.2 Die Informationspflicht wird im Übrigen durch mögliche Eigenansprüche des Anwalts (z.B. wegen ausstehenden Honorars) nicht eingeschränkt. Es handelt sich um eine Vorleistungspflicht des Anwalts.3 7. Weitergehende Informationspflichten
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Zu beachten ist, dass § 11 BORA keine abschließende Regelung anwaltlicher Informationspflichten enthält. a) § 44 BRAO
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§ 44 BRAO verpflichtet den Anwalt, „der in seinem Beruf in Anspruch genommen wird und den Auftrag nicht annehmen will, die Ablehnung unverzüglich zu erklären“. b) § 49b Abs. 5 BRAO
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§ 49b Abs. 4 BRAO i.d.F. von Art. 4 Nr. 1 des Gesetzes zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts vom 12.12.2007 (BGBl. I S. 2840) verpflichtet den Anwalt vor Einwilligung des Mandanten zur Abtretung einer Vergütungsforderung oder einer Einziehungsermächtigung zur Aufklärung über die dem Anwalt gegenüber dem Gläubiger oder Einziehungsermächtigten bestehenden Informationsnotwendigkeiten. Nach der Neufassung des Absatzes 4 ist die Schriftform entfallen. § 49b Abs. 5 BRAO führt zu einer anwaltlichen Informationspflicht, wenn sich in einem Mandat die Vergütung des Anwalts aus wertabhängigen Gebühren ergibt. 1 A.A. Henssler/Prütting/Prütting, § 11 Rz. 8. 2 § 115b Rz. 14–19. 3 Hartung/Scharmer, § 11 Rz. 7.
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Unterrichtung des Mandanten
Rz. 32 § 11 BORA/§ 43 BRAO
c) § 16 BORA § 16 BORA statuiert die Pflicht des Rechtsanwalts, bei begründetem Anlass auf die Möglichkeiten von PKH und BerH hinzuweisen.
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d) Zivilrechtliche Informationspflichten Zivilrechtliche Informationspflichten können sich aus culpa in contrahendo1 (§ 242 BGB), im Zusammenhang mit Gebührenstreitigkeiten,2 bei Rechtsschutzversicherungsmandaten3 und bei Fernabsatz nach § 312c Abs. 1 S. 1 BGB4 ergeben.
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e) Verfahrensrechtliche Informationspflichten Vereinzelt, z.B. in § 12a ArbGG gibt es auch verfahrensrechtliche Informationspflichten.5
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f) GwG Zur Unterrichtungspflicht (hier allerdings nicht gegenüber dem Mandanten) gegenüber der zuständigen Behörde nach dem GwG s. die 2. Geldwäscherichtlinie 2001/97/EG.6
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II. Anfragen des Mandanten (§ 11 Abs. 2 BORA) 1. Anfrage Die Anfrage des Mandanten setzt dessen Initiative voraus.
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a) Wahrnehmung des Mandats aa) Bestehendes Mandat Inhaltlich ist die Anfrage zunächst einmal an die „Wahrnehmung des Mandats“ gebunden, bezieht sich also auf das bestehende Mandat, und muss sich, wenn sie eine Antwortpflicht des Anwalts auslösen soll, auf diesen Gegenstand beziehen.
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bb) Vor Mandatsannahme Anfragen, die vor Mandatsannahme liegen, sind ohne pflichtenauslösende Rechtsgrundlage. Will der Anwalt das mit der Anfrage ggf. verbundene Mandat nicht annehmen, gilt § 44 BRAO.
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cc) Nach Mandatsende Viele Anfragen erfolgen nach Mandatsende. Soweit es sich um Anfragen von Dritten handelt, fallen sie nicht unter Absatz 2 („Mandant“),7 es sei denn, der Dritte handle im Auftrag des Mandanten (z.B. bei Anwaltswechsel). Absatz 2 schränkt die Antwortpflicht des Anwalts nicht ein. Sie steht im Zusammenhang mit der Beendigung des Mandats. Auch „Man1 2 3 4 5 6
Koch/Kilian, Rz. B 362. Koch/Kilian, Rz. B 379. Koch/Kilian, Rz. B 382 ff., s. auch oben Rz. 7. Koch/Kilian, Rz. B 384. Koch/Kilian, Rz. B 385. S. dazu EuGH, BRAK-Mitt. 2007, 219 mit Anm. v. Otto. Vgl. weiter die Richtlinie 2005/60/EG i.d.F. der Richtlinie 2007/64 EG sowie die Richtlinie 2006/70 EG, umgesetzt durch das GwBekErgG v. 13.8.2008 (BGBl. I, S. 1690) und die dort auch für Rechtsanwälte (§ 2 Abs. 1 Nr. 7 GWG) bei der Durchführung der dort genannten Geschäfte ggf. bestehenden Anzeigepflichten nach § 11 GwG. S. dazu die Übersicht über die anwaltlichen Pflichten bei Burmeister/Uwer, AnwBl. 2008, 729; Donath/Mehle, NJW 2009, 650; Burmeister, AnwBl. 2012, 395. Zur Anordnung der Bundesrechtsanwaltskammer nach § 9 Abs. 4 S. 2 GwG betreffend interne Sicherungsmaßnahmen s. BRAK-Mitt. 2012, 170. Zum Thema Geldwäsche und Strafverteidigung s. Eckhard Müller, FS Egon Müller, 2008, S. 753; Widmaier, FS Egon Müller, 2008, S. 797 sowie OLG Frankfurt/M., NJW 2005, 1727; OLG Karlsruhe, NJW 2005, 767. S. dazu auch die Nachweise bei § 43 BRAO Rz. 34. 7 Eine analoge Anwendung des § 11 BORA scheitert am Analogieverbot des Art. 103 Abs. 2 GG, vgl. Hartung/Scharmer, § 11 Rz. 12, ohne Einwilligung des Mandanten auf jeden Fall aber an der anwaltlichen Schweigepflicht.
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§ 43 BRAO/§ 11 BORA Rz. 33
Unterrichtung des Mandanten
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danten“-Anfragen nach Beendigung des Mandats sind deshalb unverzüglich zu beantworten.1 b) Mandant 33
Der „Mandant“ ist im Zusammenhang mit „§ 11 Abs. 2 BORA auch der Noch-nicht-Mandant“ oder der ehemalige Mandant.2 Wie bei Absatz 1 fallen unter Absatz 2 auch die vom Mandanten Beauftragten oder die an seine Stelle Getretenen.3 Anfragen des gegnerischen Anwalts sind keine Mandantenanfragen. Sie müssen nicht beantwortet werden. 2. Unverzüglichkeit
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Die Anfrage ist unverzüglich zu beantworten.4 Wie bei der Informationspflicht nach Absatz 1 wird auch die Antwortpflicht oft zögerlich (und manchmal überhaupt nicht) beachtet. Zwar müssen erkennbar unsinnige, schikanöse oder völlig belanglose Anfragen nicht beantwortet werden.5 Aber schon die dieser Empfehlung zugrunde liegende Bewertung des Anliegens des Mandanten gefährdet das mit dem Anwaltsvertrag verbundene Vertrauensverhältnis zwischen Anwalt und Mandant. Der Anwalt, der sich für die Mandate auch in Zukunft empfehlen will, wird beachten müssen, dass der „sprechende Anwalt“ sich als eine bessere Marketingstrategie erweist, als der „schweigende“, von den bei einer verspäteten Antwort auf Anfragen drohenden Maßnahmen der Rechtsanwaltskammer nach § 74 BRAO ganz abgesehen. 3. Form
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Die Form der Antwort ist nicht vorgeschrieben. Sie hängt von der Natur der Anfrage ab. 4. Akteneinsichtsrecht
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Ein Akteneinsichtsrecht folgt aus § 11 BORA nicht. Der Mandant ist insoweit auf §§ 810, 811 BGB angewiesen.6 des Gegenanwalts 12 BORA Umgehung (1) Der Rechtsanwalt darf nicht ohne Einwilligung des Rechtsanwalts eines anderen Beteiligten mit diesem unmittelbar Verbindung aufnehmen oder verhandeln.
(2) 1Dieses Verbot gilt nicht bei Gefahr im Verzuge. 2Der Rechtsanwalt des anderen Beteiligten ist unverzüglich zu unterrichten; von schriftlichen Mitteilungen ist ihm eine Abschrift unverzüglich zu übersenden. A. Allgemeines . . . . . . . I. Ermächtigungsgrundlagen II. Regelungszusammenhang. III. Tradition . . . . . . . . IV. Funktionen . . . . . . . 1. Schutz des Mandanten . . 2. Gemeinwohlinteressen . . 3. Abschließende Regelung . 4. Verfassungskonformität .
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B. Norminhalt . . . . . . I. Absatz 1 . . . . . . . . 1. Adressat . . . . . . . 2. Anwalt in eigener Sache a) Streitfragen . . . .
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b) Auftreten des Anwalts . . . . . . c) Anwaltswechsel . . . . . . . . . 3. Beteiligte . . . . . . . . . . . . . 4. Identischer Streitgegenstand . . . . 5. Inhalt des Umgehungsverbots. . . . a) Grundsatz . . . . . . . . . . . b) Unmittelbarer Kontakt . . . . . c) Kontaktaufnahme . . . . . . . 6. Einwilligung des Anwalts des anderen Beteiligten . . . . . . . . . . . . a) Rechtanwalt . . . . . . . . . . b) Mitteilungsempfänger . . . . . . c) Einwilligung . . . . . . . . . . II. Absatz 2 . . . . . . . . . . . . . . 1. Ausnahme. . . . . . . . . . . . .
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1 A.A. Hartung/Scharmer, § 11 Rz. 11. Scharmer greift auf das Wort „Mandant“ zurück und hält das für einen „klaren Wortlaut“. 2 Rz. 30. 3 Rz. 7. 4 Rz. 18. 5 Henssler/Prütting/Prütting, § 11 Rz. 11. 6 Zum Akteneinsichtsrecht Privater nach § 475 StPO s. Koch, FS Hamm, 2008, S. 289.
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Rz. 5 § 12 BORA/§ 43 BRAO
Umgehung des Gegenanwalts 2. Gefahr im Verzug . . . . . . . a) Polizeirecht/StPO/GG . . . . b) Berufsrecht. . . . . . . . . 3. Wo muss die Gefahr im Verzug vorliegen? . . . . . . . . . . . 4. Wann liegt Gefahr im Verzug vor?
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5. Unterrichtungspflichten . . . . 6. Rechtsfolgen . . . . . . . . . a) Rechtsgeschäfte . . . . . . b) Wettbewerbsrechtliche Folgen c) Berufsrechtliche Sanktionen .
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A. Allgemeines I. Ermächtigungsgrundlagen § 12 BORA steht im Dritten Abschnitt der BORA „Besondere Berufspflichten bei der Annahme, Wahrnehmung und Beendigung des Mandats“. Das Verbot der Umgehung des Anwalts eines anderen Beteiligten gehört zur Mandatswahrnehmung. Man wird die Regelung deshalb der Ermächtigungsnorm des § 59b Abs. 2 Nr. 5a BRAO zuordnen müssen. Ob sie auch von § 59b Abs. 2 Nr. 8 BRAO („Das berufliche Verhalten gegenüber anderen Mitgliedern der Rechtsanwaltskammer“) erfasst wird,1 erscheint zweifelhaft.2
1
II. Regelungszusammenhang § 12 BORA hat eine Parallele in Nr. 5.5 CCBE.
2
III. Tradition Die Regelung gehört zu den Fundamenten des anwaltlichen Berufsrechts. Sie stimmt weitgehend mit der Vorgängerregelung des § 24 RichtlRA überein.3
3
IV. Funktionen 1. Schutz des Mandanten § 12 BORA schützt nicht den Gegenanwalt.4 Das Verbot dient vielmehr vor allem dem Schutz des anwaltlich vertretenen gegnerischen Mandanten. Damit soll sichergestellt werden, dass derjenige, der sich eines Anwalts zur Wahrnehmung seiner Interessen bedient, dessen Sachverstand nutzen kann. Dazu gehört auch, dass der Mandant und sein Anwalt klären können, ob dessen anwaltliche Hilfe in jeder Mandatssituation geboten ist.5
4
2. Gemeinwohlinteressen Das Verbot dient aber auch den Gemeinwohlinteressen an der Funktionsfähigkeit einer geordneten Rechtspflege und an einem fairen Verfahren.6 1 In diesem Sinne Feuerich/Weyland, § 12 Rz. 1; Hartung/Hartung, § 12 Rz. 3; Henssler/Prütting/Prütting, § 12 Rz. 1. 2 Mit Recht zweifelnd zu dieser Ermächtigungsgrundlage BVerfG(K), NJW 2001, 3325 (3326). Das BVerfG greift (u.a.) auf § 43 BRAO und auf § 59b Abs. 2 Nr. 1a BRAO zurück, so jetzt auch BVerfG(K), BRAK-Mitt. 2009, 73 (77). Es ist schwer zu sehen, wie der Anwalt gegenüber dem gegnerischen Mandanten zur Gewissenhaftigkeit verpflichtet werden soll. Dass es sich beim Umgehungsverbot um eine Berufspflicht bei der „Wahrnehmung des Auftrags“ (Nr. 5a) handelt, liegt deutlich näher. Dafür spricht auch die Entstehungsgeschichte: Die Satzungsversammlung wollte von Nr. 1a bewusst keinen Gebrauch machen, s. dazu § 43 BRAO Rz. 47. 3 „Es ist standeswidrig, ohne Einwilligung des Gegenanwalts mit der Gegenseite unmittelbar Verbindung aufzunehmen oder zu verhandeln. Von diesem Grundsatz kann bei Gefahr im Verzug abgewichen werden. Der Gegenanwalt ist alsbald zu unterrichten, von schriftlichen Mitteilungen ist ihm Abschrift zu übersenden“, s. dazu Lingenberg/Hummel/Zuck/Eich/Zuck, § 24 RichtlRA Rz. 1. 4 Zutreffend Kleine-Cosack, § 12 Rz. 1; s. dazu Hartung, AnwBl. 2007, 64. 5 BVerfG(K), NJW 2001, 3325 (3326). S. dazu auch BGH, BRAK-Mitt. 2004, 42. So auch, das Schrifttum und die bisherige Rechtsprechung bestätigend, BVerfG(K), BRAK-Mitt. 2009, 73 (77). 6 BVerfG(K), NJW 2001, 3325 (3326), BVerfG(K), BRAK-Mitt. 2009, 73 (77) ergänzt das: „Daneben liegt im Umgehungsverbot die Überlegung zugrunde, dass durch den unmittelbaren Kontakt zwischen Rechtsanwälten die sachgerechte und zügige Erledigung einer Rechtssache gefördert wird.“ S. dazu auch AnwG Hamm, BRAK-Mitt. 2001, 195; AnwG Karlsruhe, BRAK-Mitt. 2004, 181 und dazu Hartung, AnwBl. 2007, 64. Der Hinweis auf das faire Verfahren kann sich freilich nur auf den Prozessbetrieb beziehen, weil
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§ 43 BRAO/§ 12 BORA Rz. 6
Umgehung des Gegenanwalts
3. Abschließende Regelung § 12 BORA ist eine abschließende Regelung.1
6
4. Verfassungskonformität § 12 BORA ist verfassungskonform.2
7
B. Norminhalt I. Absatz 1 1. Adressat 8
Adressat des Umgehungsverbots ist der Anwalt. Er muss also in dieser Eigenschaft tätig sei. Das trifft nicht zu, wenn er als Insolvenzverwalter als Partei kraft Amtes handelt3 oder zum Testamentsvollstrecker ernannt worden ist.4 In beiden Fällen kann der Amtsinhaber Anwalt sein. In dieser Eigenschaft handelt er aber nicht als Anwalt.5 2. Anwalt in eigener Sache6 a) Streitfragen
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Ob der in eigener Sache tätige Anwalt an § 12 BORA gebunden ist, ist umstritten. Man kann sich auf den Standpunkt stellen, der in eigener Sache tätige Anwalt sei Partei. Warum solle er schlechter gestellt werden, als die „Naturpartei“ selbst, die ungehindert sei, mit der Gegenseite Kontakt aufzunehmen.7 Auf der anderen Seite steht die Auffassung, die Rechtsgrundlage des § 43 BRAO decke über Satz 1 und Satz 2 sowohl das berufliche als auch das außerberufliche Verhalten des Anwalts, so dass es nicht darauf ankomme, ob der Anwalt zugleich Partei sei. Und die Schutzfunktionen des § 12 BORA (Gegner/Funktionsfähigkeit der Rechtspflege)8 ergänzten diesen Sachverhalt, bei dem eben der Anwalt einer Naturpartei gegenübersteht, genauso.9 Da das BVerfG § 12 BORA unverändert auf § 43 BRAO stützt,10 ist auch mein schon zu § 24 RichtlRA
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dessen rechtsstaatliche Vorgaben als „allgemeines Prozessgrundrecht“ in erster Linie Gebote bezüglich der Verfahrensgestaltung durch den Richter enthält, vgl. BVerfG(K), NJW 2007, 204 (205); s. dazu auch Zuck, Die Grundrechtsrüge im Zivilprozess, 2008, Rz. 69 ff. § 12 BORA ist eine wettbewerbsneutrale Norm. Sie bietet keinen Schutz vor anwaltlicher Konkurrenz, Feuerich/Weyland, § 12 Rz. 11; OLG Köln, NJW-RR 2003, 783. Zivilrechtliche Unterlassungsansprüche können deshalb nicht auf § 12 BORA gestützt werden, OLG Nürnberg, NJW 2005, 158 (159). Ein Verstoß gegen § 12 BORA führt im Übrigen nicht zur Nichtigkeit eines insoweit berufsrechtswidrig zustande gekommenen Vertrags, BGH, NJW 2003, 3692. AnwG Karlsruhe, BRAK-Mitt. 2004, 181 (182); Steike, NJW 2007, 1411 (1412). BVerfG(K), NJW 2001, 3325 (3326); BRAK-Mitt. 2009, 73 (77). Zimmermann, ZPO, 8. Aufl. 2008, § 51 Rz. 6, 15; Hk-ZPO/Bendtsen, § 51, Rz. 14. Jauernig/Stürner, vor § 2197 BGB Rz. 1. Er kann aber auch in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter, Testamentsvollstrecker, Treuhänder, p.p. durchaus als Rechtsanwalt handeln, so zutreffend Nasse, BRAK-Mitt. 2007, 14 (15). Wird er (z.B.) unter Anwaltsbriefkopf (mit oder ohne Hinweis im Briefkopf auf seine zusätzliche Funktion) tätig, gilt für ihn § 12 BORA. Wer auf diese Art und Weise aus seiner Berufsbezeichnung „Rechtsanwalt“ seinen Nutzen ziehen will, muss sich auch daran halten lassen. Schreibt der Anwalt aber als Insolvenzverwalter, ist er an § 12 BORA nicht gebunden; meine entgegenstehende Auffassung in: Lingenberg/Hummel/Zuck/Eich/Zuck, § 24 RichtlRA Rz. 5 gebe ich auf. S. für den Insolvenzverwalter Braun/Kind, § 56 InsO Rz. 20, 23. Nasse, BRAK-Mitt. 2007, 14; Hartung, AnwBl. 2007, 64; Steike, NJW 2007, 1411. Kleine-Cosack, § 12 Rz. 2; Hartung, AnwBl. 2007, 64 (65). Hartung, findet es „grotesk“, wenn man in einem Familienrechtstreit dem sich selbst vertretenden Anwalt untersagen würde, mit seiner anwaltlich vertretenen Ehefrau über den Rechtsstreit zu sprechen. Im wirklichen Leben wird man solche Gespräche nicht verhindern können (darauf beruht meine insoweit großzügige Handhabung des Umgehungsverbots in Lingenberg/Hummel/Zuck/Eich/Zuck, § 24 RichtlRA Rz. 7). Hartung bleibt jedoch die Erklärung schuldig, warum gerade bei einem Rechtsstreit mit so weitreichenden persönlichen und wirtschaftlichen Konsequenzen, wie es ein Familienrechtsstreit nun einmal ist, der Schutzbedarf für die (anwaltlich vertretene) Ehefrau entfallen soll. Gerade dieser Fall zeigt, wie notwendig § 12 BORA ist; mit Recht kritisch deshalb auch Nasse, BRAK-Mitt. 2007, 14 (15); Steike, NJW 2007, 1411 (1412). S. Rz. 4. So im Ergebnis Steike, NJW 2007, 1411 (1412). BVerfG(K), NJW 2001, 3325 (3326).
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Umgehung des Gegenanwalts
Rz. 13 § 12 BORA/§ 43 BRAO
vertretener Standpunkt, § 43 Satz 2 BRAO gebiete die Anwendung des Umgehungsverbots auch auf das Handeln des Anwalts in eigener Sache, unverändert gerechtfertigt.1 b) Auftreten des Anwalts Es ist aber sorgfältig anhand des jeweiligen Einzelfalls zu prüfen, wie der „Anwalt in eigener Sache“ auftritt.2 Tritt der Anwalt als Anwalt nach außen auf, indem er das anwaltliche Geschäftspapier benutzt oder als Anwalt zeichnet, so muss er, ganz gleich ob dies außergerichtlich oder in einem Rechtsstreit geschieht, § 12 BORA befolgen. Verzichtet er – durchweg – (außerhalb eines Anwaltsprozesses gem. § 78 ZPO) auf seine Berufsbezeichnung, dann handelt er als Privatperson in eigener Sache. § 12 BORA ist insoweit unanwendbar.3 Der als Anwalt Zugelassene ist nicht verpflichtet, als solcher aufzutreten. Der anwaltlich vertretene andere Beteiligte ist auch sonst nicht gegen die Einflussnahme seines Gegners geschützt.4
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c) Anwaltswechsel Ein besonderes Problem ist der Anwaltswechsel. Wird das Mandat von einem anderen Anwalt fortgeführt, ist der Erstanwalt nicht gehindert, mit seinem ehemaligen Mandanten unmittelbar Kontakt aufzunehmen, wenn es – z.B. – um Gebührenansprüche des Erstanwalts gegen seinen ehemaligen Mandanten geht. Das gilt aber nur, wenn der Nachfolgeanwalt nicht damit beauftragt ist, gerade solche Gebührenansprüche abzuwehren. Ob § 12 BORA für den Erstanwalt gilt, hängt also vom Inhalt der Vertretungsanzeige des Nachfolgeanwalts ab.5
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3. Beteiligte § 12 BORA spricht von „anderen Beteiligten“. Das ist nicht nur der Verfahrens- oder Anspruchsgegner, sondern jeder, der, in welcher Rolle auch immer, in das Verfahren einbezogen und anwaltlich vertreten ist, also z.B. ein Streitverkündeter, Beigeladener oder ein Zeuge. Dabei spielt es keine Rolle, auf welcher Seite der andere Beteiligte steht. Es muss nur eine „Beteiligung“ vorliegen. So nehmen – etwa – an mündlichen Verhandlungen in gerichtlichen Verfahren Personen teil, die am Ausgang des Verfahrens interessiert sind (wie z.B. weitere Gesellschafter oder Beteiligte eines anhängigen oder angekündigten Parallelprozesses) oder solche, die über ihren formellen Beitritt zum Verfahren noch nicht entschieden haben. Selbst wenn bekannt ist, dass die insoweit Betroffenen anwaltlich vertreten sind, sind sie noch keine „anderen Beteiligten“ im Sinne des § 12 BORA, es sei denn, es läge eine formelle Vertretungsanzeige gegenüber dem Anwalt vor.
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4. Identischer Streitgegenstand Absatz 1 sagt nicht ausdrücklich, worauf sich die „Beteiligung“6 bezieht. Es muss sich um eine Beteiligung an einem Verfahren mit identischem Streitgegenstand handeln.7 Anders als bei der Bestimmung derselben Rechtssache im Rahmen des § 356 StGB kommt es deshalb nicht auf einen einheitlichen Lebenssachverhalt an. Wer einen Mieter gegen den anwaltlich vertretenen Vermieter wegen der Berechtigung einer Nebenkostenabrechnung vertritt, ist nicht gehindert, unmittelbar mit dem Vermieter über Schönheitsreparaturen, die den Mieter betreffen, zu verhandeln.
1 So ausdrücklich Steike, NJW 2007, 1411 (1413). Diese Auffassung führt zu keinem unmittelbaren Rückgriff auf § 43 BRAO (der wäre nämlich wegen der Spezialregelung des § 12 BORA unzulässig, das bemerkt Nasse, BRAK-Mitt. 2007, 14 [15] zu Recht), sondern nur zu einer Rechtfertigung der entsprechenden Auslegung des § 12. 2 So zu Recht Nasse, BRAK-Mitt. 2007, 14 (15) und AnwG München, Beschl. v. 28.2.2008 – 1 AnwGnr. 13/07; II B-1383/2006. 3 Ebenso Nasse, BRAK-Mitt. 2007, 14 (15). 4 A.A. Steike, NJW 2007, 1411 (1412). 5 S. dazu ausf. Lingenberg/Hummel/Zuck/Eich/Zuck, § 12 Rz. 12 f. Ebenso Steike, NJW 2007, 1411 (1412); a.A. Feuerich/Weyland, § 12 Rz. 4. 6 Rz. 12. 7 Einhellige Meinung, vgl. Feuerich/Weyland, § 12 Rz. 5.
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§ 43 BRAO/§ 12 BORA Rz. 14
Umgehung des Gegenanwalts
5. Inhalt des Umgehungsverbots a) Grundsatz 14
Verboten ist es, mit dem „anderen Beteiligten1 (…) unmittelbar Verbindung aufzunehmen oder zu verhandeln“. b) Unmittelbarer Kontakt
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Verboten ist nach dem Wortlaut nur der unmittelbare Kontakt. Wenn der Adressat des Verbots aber der Anwalt ist, kann es keinen Unterschied machen, ob er selbst den Kontakt herstellt oder einen Dritten vorschiebt. Das Wort „unmittelbar“ kann man deshalb nur so verstehen, dass damit eine zielgerichtete, d.h. auf den „anderen Beteiligten“ bezogene Kontaktaufnahme gemeint ist. Wer sich – z.B. – in Hörweite des „anderen Beteiligten“ über den Rechtsfall unterhält, nimmt nicht mit diesem unmittelbar Kontakt auf. c) Kontaktaufnahme
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Etwas umständlich unterscheidet Absatz 1 zwischen der Aufnahme einer Verbindung und der Verhandlung. Damit soll gesagt werden, dass schon die bloße Kontaktaufnahme (z.B. Anruf beim „anderen Beteiligten“ mit der Bitte um Rückruf) unter das Umgehungsverbot fällt, wenn die Kontaktaufnahme auf eine Einflussnahme auf den Streitgegenstand2 zielt. Mit anderen Worten: Verboten ist insoweit jeder Kontakt, gleich in welcher Form er eingeleitet wird und wie er stattfindet.3 Das gilt auch, wenn es der „andere Beteiligte“ ist, der den Kontakt mit dem Anwalt als Adressaten des Umgehungsverbots sucht.4 Hier kann der Anwalt den Kontakt zwar nicht verhindern. Er muss ihn aber mit dem Hinweis auf das Umgehungsverbot sofort abbrechen. Schriftliche Mitteilungen muss er sofort zurückgehen lassen. Es empfiehlt sich, den Gegenanwalt entsprechend zu verständigen. 6. Einwilligung des Anwalts des anderen Beteiligten
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Die unmittelbare Kontaktaufnahme mit dem anderen Beteiligten zulässig, wenn dessen Rechtsanwalt in die unmittelbare Kontaktaufnahme eingewilligt hat. a) Rechtanwalt
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Mit „Rechtsanwalt“ ist nicht nur der sachbearbeitende Anwalt gemeint. Die Einwilligung kann von jedem Anwalt der Kanzlei erklärt werden, die sich für den Beteiligten legitimiert hat.5 Das gilt auch, wenn mehrere Anwaltskanzleien für den Beteiligten tätig sind, sei es nebeneinander, sei es hintereinander, wie z.B. im Berufungs- oder Revisionsverfahren. Die damit ggf. verbundenen Abgrenzungsprobleme berühren den Adressaten des Umgehungsverbots nicht. b) Mitteilungsempfänger
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§ 12 BORA sagt nicht, wem gegenüber die vorhandene Einwilligung mitzuteilen ist. Sie kann deshalb zwar auch vom Anwalt des Beteiligten diesem gegenüber ausgesprochen werden. Da auch keine Form vorgeschrieben ist, kann sich der Adressat des Umgehungsverbots auf die ihm gegenüber vom Beteiligten behauptete Einwilligung verlassen. Um jedoch späte1 Rz. 12. 2 Rz. 13. 3 Einhellige Meinung, vgl. Koch/Kilian, Rz. B 776; Kleine-Cosack, § 12 Rz. 4; Henssler/Prütting/Prütting, § 12 Rz. 3; Feuerich/Weyland, § 12 Rz. 6; AnwG Köln, AnwBl. 2010, 135 (136). BVerfG(K), BRAK-Mitt. 2009, 73 (78) hat – im Einklang mit BVerfGE 101, 312 (328 f.) – Versäumnisurteil – allerdings darauf hingewiesen, dass sich der BRAO keine Ermächtigung entnehmen lässt, Berufspflichten zur Stärkung der Kollegialität unter Rechtsanwälten so auszugestalten, dass die primären Verpflichtungen aus dem Vertragsverhältnis zum Mandanten zurückgedrängt oder abgeschwächt werden. Das betont zu Recht Kirchberg, BRAKMitt. 2009, 78 (79). 4 Einhellige Meinung, Hartung/Hartung, § 12 Rz. 10; Feuerich/Weyland, § 12 Rz. 6; AnwG Karlsruhe, BRAKMitt. 2004, 181; BRAK-Mitt. 2006, 39. 5 Dazu gehören auch die sozietätsfähigen Angehörigen anderer Berufe gem. § 59a Abs. 1 BRAO, vgl. Hartung/Hartung, § 12 Rz. 5.
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Umgehung des Gegenanwalts
Rz. 24 § 12 BORA/§ 43 BRAO
ren Streit zu vermeiden, ist es zweckmäßig, sich das schriftlich vom Beteiligten bestätigen zu lassen oder eine Erklärung vom Anwalt des Beteiligten zu erbitten. c) Einwilligung „Einwilligung“ ist im Sinne von § 183 BGB zu verstehen. Gegen das Umgehungsverbot wird deshalb – für den Regelfall des Absatz 1 – nur dann nicht verstoßen, wenn die Einwilligung vor der Kontaktaufnahme erklärt worden ist.1
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II. Absatz 2 1. Ausnahme Eine Ausnahme von der Ausnahme, dass das Umgehungsverbot bei Einwilligung nicht gilt, statuiert Absatz 2 Satz 1 bei Gefahr im Verzug.
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2. Gefahr im Verzug a) Polizeirecht/StPO/GG Gefahr im Verzug ist ein Begriff, der seinen Ursprung im Polizeirecht hat. Die Gefahr im Verzug bezieht sich auf eine Sachlage, bei der ein Schaden eintreten würde, wenn nicht sofort eingegriffen würde.2 Auch die StPO verwendet den Begriff, so etwa im Zusammenhang mit der Anordnung der Beschlagnahme (§ 98 StPO)3 oder bei Durchsuchungen (§ 104 StPO). Das steht in unmittelbarer Verbindung zu Art. 13 GG, einer Vorschrift, die in Absatz 2 sowie in Absatz 4 S. 3 ausdrücklich an den Begriff der „Gefahr im Verzug“ anknüpft. Das BVerfG hat entschieden, der Begriff „Gefahr im Verzug“ in Art. 13 Abs. 2 GG sei als unbestimmter Rechtsbegriff eng auszulegen: Die richterliche Anordnung einer Durchsuchung sei die Regel, die nicht-richterliche die Ausnahme. „Gefahr im Verzug“ müsse im Übrigen mit Tatsachen begründet werden. Reine Spekulationen, hypothetische Erwägungen „oder lediglich auf kriminalistischer Alltagserfahrungen gestützte fallunabhängige Vermutungen“ reichten nicht aus.4
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b) Berufsrecht Da bei § 12 Abs. 2 BORA der polizeilich/strafprozessuale Zusammenhang völlig fehlt und der freiheitsrelativierende Sachbezug des Art. 13 Abs. 1 GG („Wohnung“) nicht gegeben ist, muss die berufsrechtlich relevante „Gefahr im Verzug“ eigenständig bestimmt werden. Allerdings handelt es sich auch hier um einen unbestimmten Rechtsbegriff. Als Ausnahme von einer Ausnahme ist die enge Auslegung systematisch geboten. Anders als im Polizeirecht geht es auch nicht um die Vermeidung eines Schadens, sondern um die Verhinderung eines Nachteils5 für die Wahrnehmung der Rechte des am Rechtsfall Beteiligten. Die dafür erforderliche Prognose muss nicht in jedem Fall auf Tatsachen gestützt werden. Es genügt auch der nachvollziehbare Rückgriff auf die Alltagserfahrung.
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3. Wo muss die Gefahr im Verzug vorliegen? Da der Anwalt nur die Interessen seines Mandanten wahrzunehmen befugt ist, muss sich die Gefahr für den eigenen Mandanten abzeichnen.6 Der Wortlaut des Absatzes 2 erzwingt diese Einschränkung allerdings nicht. Zwar hat der Anwalt keine Sorgfaltspflichten gegenüber seinem Gegner. Er könnte sie aber schon gegenüber einem „anderen Beteiligten“ ha1 Hartung/Hartung, § 12 Rz. 12, s. auch Rz. 24. 2 Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 5. Aufl. 2012, E Rz. 50; Schoch, in: Badura (u.a.) (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 13. Aufl. 2005, 2. Kap. Rz. 100; Wolf/Stephan, Polizeigesetz für Baden-Württemberg, 6. Aufl. 2009, § 1 Rz. 29. S. dazu etwa auch die Legaldefinition in § 2 Nr. 4 Nds. SOG v. 19.1.2005 (Nds. GVBl., S. 9): „Gefahr im Verzug: eine Sachlage, bei der ein Schaden eintreten würde, wenn nicht anstelle der zuständigen Behörde oder Person eine andere Behörde oder Person tätig wird“. 3 Vgl. dazu etwa Meyer-Goßner, § 98 StPO Rz. 6. 4 BVerfGE 103, 142. S. dazu Ziekow/Guckelberger, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 13 Rz. 69; Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, 12. Aufl. 2011, Art. 13, Rz. 18. 5 S. Rz. 24. 6 Einhellige Meinung, vgl. Feuerich/Weyland, § 12 Rz. 7; Henssler/Prütting/Prütting, § 12 Rz. 7; Hartung/ Hartung, § 12 Rz. 13.
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§ 43 BRAO/§ 12 BORA Rz. 25
Umgehung des Gegenanwalts
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ben, der, wie er ausdrücklich erklärt hat, seinen Mandanten im Verfahren unterstützt, wie etwa der auf seiner Seite beigetretene Nebenintervenient (§ 66 Abs. 1 ZPO). Es leuchtet aber – im Ausnahmefall – nicht ein, dass der Anwalt dem Gegner, dem ein wirtschaftlicher Großschaden droht, bei Abwesenheit von dessen Anwalt nicht unmittelbar verständigen darf. Es kann dies auch im Interesse der eigenen Mandanten sein, weil es künftige Vollstreckungsmaßnahmen beeinträchtigen könnte, wenn die Information unterbleibt. Eine berufsrechtliche Verpflichtung zu einem solchen Direktkontakt besteht jedoch nicht. 4. Wann liegt Gefahr im Verzug vor? 25
Der allgemeine Gefahrbegriff orientiert sich nicht an Bagatellen. Die Gewichtung ist von der Bedeutung des konkret gefährdeten Guts abhängig. Es muss sich also um den Mandanten betreffende rechtliche oder wirtschaftliche Nachteile handeln, die vorübergehend oder dauerhaft hinzunehmen ihm nicht zugemutet werden können. Bei vorübergehenden Nachteilen bedarf die Annahme von Gefahr im Verzug besonderer Rechtfertigung. 5. Unterrichtungspflichten
26
Wird mit einem anderen Beteiligten bei Gefahr im Verzug ohne Einwilligung von dessen Anwalt unmittelbar Kontakt aufgenommen, so ist dieser unverzüglich (im Sinne von § 121 Abs. 1 S. 1 BGB) zu unterrichten (Satz 2 1. Hs.).
27
Schriftliche Mitteilungen sind an den Anwalt unverzüglich weiterzureichen (Satz 2 2. Hs.). Satz 2 gilt entsprechend, wenn der Kontakt mit Einwilligung nach Absatz 1 erfolgt ist.1 6. Rechtsfolgen
28
a) Rechtsgeschäfte bleiben wirksam, denn § 12 BORA ist lediglich eine Ordnungsvorschrift, kein Verbotsgesetz im Sinne des § 134 BGB.2 b) Der Verstoß gegen § 12 BORA löst auch keine wettbewerbsrechtlichen Folgen aus.3
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c) Berufsrechtliche Sanktionen (§§ 74, 113 BRAO) kommen je nach der Schwere des Verstoßes in Betracht.4 „Je nach der Schwere“ impliziert5, dass ein Verstoß gegen § 12 BORA per se schwerwiegend ist.6 Das Gewicht des Verstoßes kann jedoch nur, wie immer, wenn es um Sanktionen geht, anhand aller Umstände des Einzelfalls ermittelt werden.
13 BORA Versäumnisurteil Der Rechtsanwalt darf bei anwaltlicher Vertretung der Gegenseite ein
Versäumnisurteil nur erwirken, wenn er dies zuvor dem Gegenanwalt angekündigt hat; wenn es die Interessen des Mandanten erfordern, darf er den Antrag ohne Ankündigung stellen. A. Nichtigkeit der Vorschrift . . . . . . . .
1
B. Förmliche Aufhebung. . . . . . . . . .
2
C. Möglichkeit kollegialer Rücksichtnahme? . . . . . . . . . . . . . . . .
3
A. Nichtigkeit der Vorschrift 1
Die Vorschrift ist, wie das BVerfG gem. § 31 Abs. 2 BVerfGG mit Gesetzeskraft festgestellt hat, nichtig.7 Die Nichtigkeit besteht eo ipso; die Entscheidung des BVerfG hat nur deklaratorische Bedeutung.8 1 2 3 4 5 6 7 8
Feuerich/Weyland, § 12 Rz. 3. Prütting, in: Henssler/Prütting, § 12 BORA Rz. 12; Hartung/Hartung, § 12 BORA Rz. 25. Prütting, in: Henssler/Prütting, § 12 BORA Rz. 13. Hartung/Hartung, § 12 BORA Rz. 26. So zutreffend Prütting, in: Henssler/Prütting, § 12 BORA Rz. 11. So Hartung/Hartung, § 12 BORA Rz. 24; ihm folgend AnwG Köln, AnwBl. 2010, 135 (136). BVerfGE 101, 312. Zutreffend Henssler, AnwBl. 2009, 1 (11 f.). Umbach/Clemens/Dollinger/Heusch, BVerfGG, 2. Aufl. 2005, § 31 Rz. 74. Abwegig deshalb Schönfelder, Deutsche Gesetze, BORA 98/1, der in Fn. 1 behauptet, BVerfGE 101, 312 habe § 13 BORA „aufgehoben“. Aufgehoben hat das BVerfG lediglich die im berufsgerichtlichen Verfahren ergangenen Beschlüsse, vgl. Entscheidungsformel Nr. 2, BVerfGE 101, 312 (313, 331).
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Rz. 1 § 14 BORA/§ 43 BRAO
Zustellungen B. Förmliche Aufhebung
In der 5. Sitzung der 4. Satzungsversammlung bei der BRAK vom 25./26.06.2010 in Berlin ist § 13 BORA förmlich aufgehoben worden. Das BMJ hat mit Schreiben vom 28.09.10 gegenüber der BRAK nach Maßgabe des § 191e BRAO erklärt, gegen die Rechtmäßigkeit des Satzungsbeschlusses bestünden keine Bedenken. Der Hinweis der BRAK, die Änderungsbeschlüsse der Satzungsversammlung (sie betrafen insgesamt vier BORA-Vorschriften) träten am 01.03.2011 in Kraft,1 läuft für § 13 BORA leer, weil die Vorschrift unabhängig von ihrer förmlichen Aufhebung nichtig ist.
2
C. Möglichkeit kollegialer Rücksichtnahme? Ursache der Nichtigkeit war die fehlende gesetzliche Grundlage. § 59b Abs. 2 BRAO ermächtigte zu § 13 BORA nicht. Da § 59b Abs. 2 BRAO eine abschließende Ermächtigungsgrundlage darstellt,2 ist diese Mangel, was die Kompetenzen der Satzungsversammlung angeht, nicht heilbar. Eine Regelungslücke ist dadurch nicht entstanden: „Schon der Mandatsvertrag verpflichtet den Anwalt, das Versäumnisurteil nur dann zu erwirken, wenn es im konkreten Fall tatsächlich den Interessen des Mandanten entspricht. Das ergibt sich bereits aus § 1 Abs. 3 BORA. Kein Rechtsanwalt ist durch die ZPO gezwungen, ein Versäumnisurteil zu beantragen; insoweit bleibt Raum für kollegialen Rücksichtnahme“.3 Im Schrifttum ist diese Passage aufgegriffen worden.4 Sie verleitet jedoch zu Missverständnissen, soweit das BVerfG in seinem obiter dictum dem Anwalt Raum für kollegiale Rücksichtnahme zubilligt. Die ZPO kennt keine Kollegialitätspflichten. Die Obliegenheiten, die den Anwalt im Rahmen einer Prozessordnung treffen, dienen nicht dem Schutz des gegnerischen Anwalts. Der Anwalt muss sich vielmehr ausschließlich an seine aus dem Mandatsvertrag und den prozessrechtlichen Vorgaben resultierenden Bindungen richten. Das betont das BVerfG zutreffend. Das kann sich im Einzelfall zugleich als kollegiale Rücksichtnahme auswirken, ist aber für die vom Anwalt zu treffende Entscheidung nicht der Maßstab, sondern eine bloße Nebenwirkung. Dass diese Nebenwirkung erwünscht sein kann, hängt damit zusammen, dass der „gute Anwalt“5 eine solche Möglichkeit nutzen wird, wenn sie zugleich im Interesse des Mandanten ist oder ihm zumindest nicht schadet.
3
14 BORA Zustellungen Der Rechtsanwalt hat ordnungsgemäße Zustellungen entgegenzuneh1
men und das Empfangsbekenntnis mit dem Datum versehen unverzüglich zu erteilen. 2 Wenn der Rechtsanwalt bei einer nicht ordnungsgemäßen Zustellung die Mitwirkung verweigert, muss er dies dem Absender unverzüglich mitteilen.
A. I. II. III.
Allgemeines . . . . . . Ermächtigungsgrundlage Tradition . . . . . . . Funktion . . . . . . .
. . . .
. . . .
. . . .
B. Norminhalt . . . . . . . . . I. Zustellung, Allgemeines . . . II. § 14 S. 1 BORA . . . . . . . . 1. Entgegennahme der Zustellung a) Entgegennahme . . . . . b) Vollmacht . . . . . . . .
. . . .
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4 4 5 5 5 6
c) Unfrankierte Empfangsbekenntnisse 2. Empfangsbekenntnis . . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . b) Datum . . . . . . . . . . . . . . c) Erteilung . . . . . . . . . . . . . d) Unverzüglich . . . . . . . . . . . e) Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . III. § 14 S. 2 BORA . . . . . . . . . . . . 1. Nicht-ordnungsgemäße Zustellung . . 2. Mitteilung . . . . . . . . . . . . . . 3. Unverzüglich . . . . . . . . . . . .
7 . . 8 . 8 9 . . 10 . 11 . 11a . 12 12 . 13 . . 14
A. Allgemeines I. Ermächtigungsgrundlage § 14 BORA beruht auf § 59b Abs. 2 Nr. 6b BRAO, der ausdrücklich dazu ermächtigt, das Nähere der „Pflichten bei Zustellungen“ zu regeln. Das Zustellungsrecht ist in den einzelnen 1 2 3 4 5
BRAK-Mitt. 2010, 253 f. Einhellige Meinung, vgl. Henssler/Prütting/Koch, § 59b BRAO Rz. 15. BVerfGE 101, 312 (330). Feuerich/Weyland, § 13 Rz. 2. S. § 43 BRAO Rz. 26.
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1
§ 43 BRAO/§ 14 BORA Rz. 2
Zustellungen
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Prozessordnungen geregelt, vgl. § 195 ZPO, §§ 166 ff. ZPO, § 56 Abs. 2 VwGO, §§ 46, 50 ArbGG, § 63 SGG, § 53 FGO, § 37 StPO, § 5 Abs. 2 VwZO.1 Die einfach-rechtlichen Regelungen spielen insoweit eine Rolle, als sich aus ihnen ergibt, wann eine Zulassung ordnungsgemäß ist.2 Die berufsrechtlichen Pflichten bestehen bei der vereinfachten Zustellung aber unabhängig von den einfach-rechtlichen Vorgaben, weil es insoweit keine prozessualen Mitwirkungspflichten gibt.3 II. Tradition 2
§ 14 BORA stellt die vereinfachende Zusammenfassung der §§ 12, 27 RichtlRA dar.4 Inhaltlich weicht § 14 BORA vom Vorgängerrecht nicht ab. III. Funktion
3
Das Zustellungsrecht der Prozessordnungen kann man im Zusammenhang mit dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG), dem fairen Verfahren (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG), dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG), dem allgemeinen Justizgewährungsanspruch (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG),5 aber auch unter dem Aspekt der Prozesswirtschaftlichkeit sehen.6 Die Berufspflicht des Anwalts, an der konkreten Umsetzung des einfach-rechtlichen Zustellungsrechts mitzuwirken, folgt aus § 1 BRAO, also aus seiner Stellung als Organ der Rechtspflege.7 B. Norminhalt I. Zustellung, Allgemeines
4
Berufsrechtliche Pflichten sind immer im Zusammenhang mit dem einfach-rechtlichen Zustellungsrecht zu sehen. Die Mitwirkung ab Zustellungsverfahren setzt nämlich eine ordnungsgemäße Zustellung voraus (§ 14 S. 1 BORA).8 Verweigern darf der Anwalt seine Mitwirkung nur, wenn die Zustellung nicht ordnungsgemäß erfolgt ist (§ 14 BORA).9 Ob eine Zustellung ordnungsgemäß erfolgt ist oder nicht, bestimmt sich ausdrücklich nach dem maßgeblichen Zustellungsrecht, in den meisten Fällen unmittelbar oder aufgrund einer Verweisung nach der ZPO. Die rechtliche Beurteilung des Zustellungsrechts ist nach den maßgeblichen Auslegungskriterien vorzunehmen, folgt also objektiven Grundsätzen. II. § 14 S. 1 BORA 1. Entgegennahme der Zustellung a) Entgegennahme
5
Erster Aspekt der in § 14 BORA geregelten Berufspflichten ist die Pflicht zur Entgegennahme. Die Zustellung ist wirksam erfolgt, wenn der Anwalt das zuzustellende Schriftstück 1 Zu den zivilprozessualen Zulassungsvorschriften s. Zöller/Stöber, vor § 166 ZPO Rz. 6 ff. 2 S. Rz. 4–14. 3 Hartung/Scharmer, § 14 Rz. 8; Feuerich/Weyland, § 14 Rz. 3. So schon früher Lingenberg/Hummel/Zuck/ Eich/Zuck, § 27 RichtlRA unter Hinweis auf RGZ 98, 241; BGHZ 30, 305. 4 § 12 RichtlRA lautete: „Amtliche Zustellungen. Es ist Standespflicht, bei vereinfachten amtlichen Zustellungen das zuzustellende Schriftstück entgegenzunehmen und das mit dem Datum versehene Empfangsbekenntnis unverzüglich zu erteilen. Wenn bei nicht ordnungsgemäßen Zustellungen der Rechtsanwalt die erforderliche Mitwirkung verweigert, muss er dies dem Absender unverzüglich mitteilen“, s. dazu Lingenberg/Hummel/Zuck/Eich/Zuck, Anm. zu § 12 RichtlRA. § 27 RichtlRA regelte die Zustellung von Anwalt zu Anwalt: „Es ist Standespflicht, bei der Zustellung von Anwalt zu Anwalt das zuzustellende Schriftstück entgegenzunehmen und das mit dem Datum versehene Empfangsbekenntnis unverzüglich zu erteilen. Wenn bei der nicht ordnungsgemäßen Zustellung der Rechtsanwalt die erforderliche Mitwirkung verweigert, muss er das dem Absender unverzüglich mitteilen“, s. dazu Lingenberg/Hummel/Zuck/Eich/ Zuck, Anm. zu § 27 RichtlRA. 5 Auf diese Zusammenhänge macht auch BVerfG(K) NJW 2001, 1563 aufmerksam. 6 Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Übers. § 166 ZPO Rz. 2. 7 Henssler/Prütting/Prütting, § 14 Rz. 2; Koch/Kilian, Rz. B 763. 8 Vgl. Rz. 5. 9 Vgl. Rz. 6.
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Zustellungen
Rz. 9 § 14 BORA/§ 43 BRAO
mit dem Willen entgegengenommen hat, es als zugestellt anzunehmen.1 Ausschlaggebend ist danach nicht der Zugang des Schriftstücks in der Kanzlei des Rechtsanwalts,2 sondern die von dessen Willen getragene Annahme, das Schriftstück als zugestellt zu behandeln.3 Die Entgegennahme des Schriftstücks ist deshalb für den Anwalt ein höchstpersönlicher Akt.4 Es ist also durchaus möglich, dass das Schriftstück in der Kanzlei eingeht, aber nicht zur Kenntnis des Anwalts gelangt, weil dieser krank oder abwesend ist. Unabhängig von den Notwendigkeiten einer Vertreterbestellung (§ 53 BRAO) muss der Rechtsanwalt jedoch seinen Kanzleibetrieb so organisieren, dass auch während seiner Abwesenheit Schriftstücke zugestellt werden können.5 b) Vollmacht Eine wichtige Voraussetzung für die Bejahung einer ordnungsgemäßen Zustellung ist die Klärung der Frage, ob der Anwalt zur Entgegennahme des Schriftstücks bevollmächtigt ist. Allgemein bemisst sich das nach der Rolle des Anwalts im Verfahren.6 Im Anwaltsprozess muss auch nach einer dem Gericht angezeigten Mandatsniederlegung weiterhin an den nicht mehr bevollmächtigten Anwalt zugestellt werden, solange sich kein neuer Verfahrensbevollmächtigter bestellt hat (§ 87 ZPO).7 Im Parteiprozess gilt das nicht.8 Hat der Verfahrensbeteiligte mehrere Anwälte, ist die Zustellung an einen von ihnen wirksam.9 Konkret ist für die Frage, ob an einen Anwalt zugestellt werden kann oder nicht dessen Vollmacht und deren Umfang ausschlaggebend. Das spielt insbesondere bei der Zustellung einseitiger empfangsbedürftiger Willenserklärungen eine Rolle.
6
c) Unfrankierte Empfangsbekenntnisse Unfrankiert versandte Empfangsbekenntnisse müssen (das kann man mit einigem Wohlwollen aus § 174 ZPO schließen) – mit Ausnahme der Zustellung von Anwalt zu Anwalt – auf eigene Kosten zurückgesandt werden.10 Die Zustellung ist also auch insoweit ordnungsgemäß.
7
2. Empfangsbekenntnis a) Allgemeines Die in § 14 BORA statuierte Berufspflicht vollendet sich durch die Pflicht zur Erteilung des Empfangsbekenntnisses. Eine besondere Form ist für das Empfangsbekenntnis nicht vorgeschrieben.
8
b) Datum Für den Zeitpunkt der Zustellung selbst ist es bedeutungslos, wann das Empfangsbekenntnis ausgestellt wird und welches Datum es trägt. Das datierte (und unterschriebene)11 Empfangsbekenntnis erbringt aber als öffentliche Urkunde im Sinne des § 418 ZPO den Beweis nicht nur für die Entgegennahme des darin bezeichneten Schriftstücks, sondern auch dafür, dass der darin genannte Zustellungszeitpunkt der Wirklichkeit entspricht.12 Der Anwalt ist 1 2 3 4 5 6
7 8 9 10 11 12
BVerfG(K), NJW 2001, 1563 (1564). BGH, NJW 1991, 42. BGH, NJW 2006, 1206 (1207); Hartung/Scharmer, § 14 Rz. 10. Das hindert nicht die Entgegennahme durch einen anderen Anwalt (Sozius, freier Mitarbeiter, Angestellter) der Kanzlei, durch den amtlich bestellten Vertreter (§ 53 VII BRAO), den Abwickler gem. § 55 Abs. 2 S. 3 BRAO oder einen Zustellungsbevollmächtigten nach § 30 BRAO. Zur Zustellung durch Postzustellungsurkunde s. AGH NRW, BRAK-Mitt. 2005, 199. S. dazu ausf. Borgmann/Jungk/Grams, § 53 Rz. 6. Zur Zustellung an den Anwalt als Ersatzzustellungsvertreter bei Anfechtung einer WEG-Verwalterwiederwahl s. AG Dortmund NJW 2009, 85. Eine Beschwerdemöglichkeit gegen die Bestellung eines Rechtsanwalts als Ersatzzustellungsvertreter gibt es nach Auffassung des LG Berlin nicht, vgl. LG Berlin, NJW 2009, 85. S. BGH, NJW 2007, 2124 (2125). BGH, NJW 1991, 295. S. dazu aber VGH Kassel, NJW 1999, 379. BGH, NJW 1980, 2309. Kleine-Cosack, § 14 Rz. 3; Hartung/Scharmer, § 14 Rz. 19 f.; Koch/Kilian, Rz. B 768; Feuerich/Weyland, § 14 Rz. 4; a.A. (noch) Henssler/Prütting/Prütting, § 14 Rz. 9. S. Rz. 10. BVerfG(K), NJW 2001, 1563 (1564); BGH, NJW 2006, 1206 (1207). Der Gegenbeweis ist zulässig. Das setzt voraus, dass die Beweiswirkung des § 174 ZPO vollständig entkräftet und jede Möglichkeit ausgeschlossen ist, dass die Angaben des Empfangsbekenntnisses richtig sein könnten; hingegen ist der Gegen-
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§ 43 BRAO/§ 14 BORA Rz. 10
Zustellungen
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deshalb verpflichtet, das Empfangsbekenntnis mit dem Datum zu versehen, an dem er das zuzustellende Schriftstück mit dem Willen entgegengenommen hat, es zu behalten.1, 2 Zivilprozessual soll die Wirksamkeit der Zustellung nicht davon abhängen, dass das Empfangsbekenntnis mit einem Datum versehen ist.3 § 14 BORA ist aber eine selbständige (berufsrechtliche) Regelung mit einer eindeutigen, nicht auslegungsfähigen Vorgabe. Berufsrechtlich bleibt es deshalb bei der Pflicht, das Empfangsbekenntnis mit dem Datum zu versehen. c) Erteilung 10
Die Erteilung setzt die eigenhändige Unterschrift des Anwalts unter das Empfangsbekenntnis voraus und die Rücksendung an den Absender. Das Erfordernis der eigenhändigen Unterschrift schließt Fax-Rücksendungen aus, und, ohne Einhaltung der Voraussetzungen des SignaturG auch die Rücksendung per E-Mail. d) Unverzüglich
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Die Erfüllung der Pflichten des Satz 1 muss unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern erfolgen (§ 121 Abs. 1 S. 1 BGB). e) Rechtsfolgen
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Hat der Anwalt das Empfangsbekenntnis unterschrieben, kann er sich der damit verbundenen Rechtsfolgen nicht mehr entziehen. Es wird unterstellt, dass er zu diesem Zeitpunkt Kenntnis vom Inhalt des zugestellten Schriftstücks genommen hat.4 Er kann also z.B. nicht einwenden, er sei unmittelbar nach Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses in Urlaub gefahren und habe sich erst nach seiner Rückkehr mit dem Inhalt des Schriftstücks befasst, mit der Folge eines Fristbeginns (etwa für die 2-Wochenfrist des § 321a ZPO) erst von diesem späteren Zeitpunkt an. Das BVerfG hat das nicht gebilligt, sondern angenommen, der Anwalt habe sich insoweit einer Kenntnisnahme „bewusst verschlossen“. Am Empfangsbekenntnis müsse er sich deshalb festhalten lassen.5 III. § 14 S. 2 BORA 1. Nicht-ordnungsgemäße Zustellung
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Eine Mitwirkungspflicht des Anwalts besteht nicht, wenn die Zustellung nicht-ordnungsgemäß war.6 Der Anwalt ist zwar berufsrechtlich nicht verpflichtet, seine Mitwirkung an einer nicht-ordnungsgemäßen Zustellung zu verweigern. Eine entsprechende Pflicht kann sich aber aus dem Anwaltsvertrag ergeben, weil eine nicht-ordnungsgemäße Zustellung geeignet ist, die Rechtsposition des Mandanten zu seinen Lasten zu verändern (z.B. Lauf der Rechtsmittelfrist/einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung [§ 174 BGB]). 2. Mitteilung
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Die Verweigerung der Mitwirkung ist kein innerer Vorgang. Sie muss dem Absender mitgeteilt werden. In welcher Form das geschieht, steht dem Anwalt frei. 3. Unverzüglich
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Die Mitteilung an den Absender muss unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 Abs. 1 S. 1 BGB) erfolgen.
1 2 3 4 5 6
beweis nicht schon dann geführt, wenn lediglich die Möglichkeit der Unrichtigkeit besteht, die Richtigkeit der Angaben aber nur erschüttert ist, BGH, NJW 2001, 2722; NJW 2006, 1206 (1207). So auch BGH, Beschl. v. 17.4.2007 – VIII ZB 100/05, juris; Beschl. v. 28.2.2009 – III ZR 110/08 n.v. Rz. 5. BVerfG(K), NJW 2001, 1563 (1564). BGH, NJW 2005, 3217. Zur Mängelbehebung s. § 189 ZPO. Diese Voraussetzung greift jedoch bei einer fiktiven Zustellung nicht, vgl. BVerfG(K), NJW 2007, 2241 (2242). BVerfG(K), NJW-RR 2010, 1215; s. dazu auch Zuck, Kommentar zur Kammerrechtsprechung des BVerfG in den Verfassungsbeschwerdesachen des Jahres 2010, LexisNexis 2011, Nr. 56.10. Rz. 4.
540 Zuck
Rz. 4 § 15 BORA/§ 43 BRAO
Mandatswechsel
15 BORA Mandatswechsel (1) Der Rechtsanwalt, der das einem anderen Rechtsanwalt übertra-
gene Mandat übernimmt, hat sicherzustellen, dass der früher tätige Rechtsanwalt von der Mandatsübernahme unverzüglich benachrichtigt wird. (2) Der Rechtsanwalt, der neben einem anderen Rechtsanwalt ein Mandat übernimmt, hat diesen unverzüglich über die Mandatsmitübernahme zu unterrichten. (3) Absätze 1 und 2 gelten nicht, wenn der Rechtsanwalt nur beratend tätig wird. . . . . . . . .
. . . . . . . .
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B. Norminhalt . . . . . . . . . . . . I. Absatz 1 . . . . . . . . . . . . . . 1. Beauftragung eines anderen Anwalts. 2. Benachrichtigung . . . . . . . . .
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7 7 7 8
A. Allgemeines . . . . . . . . . I. Ermächtigungsgrundlage . . . II. Regelungszusammenhänge . . III. Tradition . . . . . . . . . . IV. Funktionen . . . . . . . . . 1. Mandanteninteresse . . . . . 2. Kollegialitätserwägungen . . . V. Missverständliche Überschrift.
. . . . . . . .
. . . . . . . .
3. Unverzüglichkeit . . . . . . . . II. Absatz 2 . . . . . . . . . . . . 1. Weiterer Anwalt . . . . . . . . a) Beratung . . . . . . . . . . b) Mandatsniederlegung . . . . 2. Neben einem anderen Anwalt . . 3. Unverzüglichkeit . . . . . . . . III. „Rechtsanwalt“ in Absatz 1 und 2 1. Sozietät . . . . . . . . . . . . 2. Anwalts-GmbH . . . . . . . . a) Organisation . . . . . . . . b) Organe . . . . . . . . . . .
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9 10 10 10 11 12 13 14 15 16 16 17
A. Allgemeines I. Ermächtigungsgrundlage § 15 BORA beruht auf der Ermächtigungsnorm des § 59b Abs. 2 Nr. 5a BRAO, denn die Vorschrift betrifft sowohl Annahme und Beendigung eines Mandats, als auch dessen Wahrnehmung (vgl. Absatz 2).
1
II. Regelungszusammenhänge Eine (von § 15 BORA allerdings abweichende, s. Rdn. 4) Regelung findet sich für den grenzüberschreitenden Verkehr in Nr. 5.6 CCBE.
2
III. Tradition § 15 BORA folgt in seinen Grundzügen § 26 RichtlRA, der folgenden Wortlaut hatte:
3
„§ 26 Beauftragung eines anderen oder weiteren Rechtsanwalts (1) Will der Auftraggeber seinen Rechtsanwalt wechseln, so darf der neu beauftragte Rechtsanwalt den Auftrag nur annehmen, wenn er sich überzeugt hat, dass das frühere Auftragsverhältnis beendet ist. (2) Der neu beauftragte Rechtsanwalt hat den früheren Rechtanwalt von der Annahme des Auftrags zu verständigen. (3) Will ein Auftraggeber, der anwaltlich vertreten ist, einen weiteren Rechtsanwalt mit seiner Vertretung beauftragen, so muss dieser den bereits beauftragten Rechtsanwalt vor Annahme eines solchen Auftrags verständigen.“1
IV. Funktionen 1. Mandanteninteresse Während § 26 Abs. 1 RichtlRA noch verlangt hatte, der neue Anwalt müsse sich von der Beendigung des früheren Mandats überzeugen, sich also (ebenso wie Nr. 5.6.1 CCBE) an Kollegialitätspflichten orientiert hatte, bezieht sich § 15 BORA, davon abweichend, nur noch auf das Interesse des Mandanten, in dem es den Anwaltswechsel erlaubt.2
1 S. dazu Lingenberg/Hummel/Zuck/Eich/Zuck, Anm. zu § 26 RichtlRA. 2 Hartung/Scharmer, § 15 Rz. 9; s. auch Koch/Kilian, Rz. B 780.
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§ 43 BRAO/§ 15 BORA Rz. 5
Mandatswechsel
2. Kollegialitätserwägungen 5
Gänzlich verdrängt sind aber die Kollegialitätserwägungen nicht. Die in § 15 BORA vorgesehenen Benachrichtigungs- (Absatz 1) und Unterrichtungspflichten (Absatz 2) gegenüber dem früheren und dem weiteren Anwalt sollen – ggf. kostenverursachende – Doppelarbeit verhindern, aber auch vor Überrumpelung bewahren.1 V. Missverständliche Überschrift
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§ 15 BORA spricht allgemein in der Überschrift von „Mandatswechsel“. Das betrifft jedoch nur Absatz 1, und genau genommen wechselt nicht das Mandat, sondern der Anwalt („anderer Anwalt“). Absatz 2 befasst sich dagegen mit der Zuziehung eines weiteren Anwalts („neben einem anderen Rechtsanwalt“), belässt es also nicht nur beim Mandat, sondern bezieht auch die Tätigkeit des bisher beauftragten Anwalts mit ein. § 26 RichtlRA hatte deutlicher gesehen, dass es um zwei unterschiedliche Sachverhalte geht, und deshalb die richtige Überschrift „Beauftragung eines anderen oder weiteren Rechtsanwalt“ gewählt.2 B. Norminhalt I. Absatz 1 1. Beauftragung eines anderen Anwalts
7
Das Auftragsverhältnis zwischen Anwalt und Mandant ist nach § 627 BGB nach Maßgabe von dessen Absatz 2 jederzeit kündbar. Die Übernahme des Mandats durch den neu vom Auftraggeber ausgewählten Anwalt ist deshalb unbeschränkt zulässig. Weder Zivil- noch Berufsrecht stehen der Mandatsübernahme durch den neuen Anwalt entgegen. Ob der Auftraggeber das Mandatsverhältnis zu seinem früheren Anwalt (rechtswirksam) beendet hat, darum muss sich der neue Anwalt – berufsrechtlich – nicht kümmern. Das ist ausschließlich Sache des Mandanten. Da der neue Anwalt aber in vielfältiger Weise auf den früheren Anwalt angewiesen sein kann, so vor allem bei der Herausgabe von Unterlagen (§ 675 i.V.m. §§ 666, 667 BGB),3 wird der „gute Anwalt“4 seinen neuen Mandanten zur Mandatsbeendigung gegenüber dem früheren Anwalt befragen und ggf. beraten. 2. Benachrichtigung
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Die insoweit fortdauernden Kollegialitätspflichten, die Schutzpflichten gegenüber dem Mandanten z.B. wegen überflüssiger Kostenbelastungen durch Maßnahmen des früheren Anwalts, die Notwendigkeiten sachgerechter Prozessführung, aber auch die Berücksichtigung der gegenüber einem Gericht bestehenden Anzeigepflichten, gebieten die Benachrichtigung, d.h. die Information des früheren Anwalts. Die Benachrichtigungspflicht ist in qualifizierter Form ausgestaltet: Der neue Anwalt muss sie sicherstellen. Das erfordert eine gewissenhafte5 Wahrnehmung der mit der Beauftragung verbundenen Pflichten. Absatz 1 schreibt im Übrigen nicht vor, wer die Benachrichtigung vornehmen muss. 3. Unverzüglichkeit
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Die „Gewissenhaftigkeit“ bestimmt auch den Begriff der Unverzüglichkeit im Sinne des § 121 Abs. 1 S. 1 BGB. Schuldhaftes Zögern wird in vielen Fällen, insbesondere in Eilverfahren, bei drohendem Fristablauf, zu erwartender Kostenverursachung der Maßnahmen oder im Blick auf unmittelbar bevorstehende Entscheidungen von erheblicher Tragweite sein, die in nicht wenigen Fällen das unverzügliche Handeln an ein sofortiges Handeln herankommen lässt. Der „gute Anwalt“6 wird im Regelfall „in einem Atemzug“ das neue Mandat übernehmen und den früheren Anwalt benachrichtigen.
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Feuerich/Weyland, § 15 Rz. 2; s. auch Koch/Kilian, Rz. B 779. Lingenberg/Hummel/Zuck/Eich/Zuck, § 26 RichtlRA Rz. 2; wie hier Hartung/Scharmer, § 15 Rz. 7. Koch/Kilian, Rz. B 574 f. § 43 BRAO Rz. 26. § 43 BRAO Rz. 48. § 43 BRAO Rz. 26.
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Mandatswechsel
Rz. 15 § 15 BORA/§ 43 BRAO
II. Absatz 2 1. Weiterer Anwalt a) Beratung Die Zuziehung eines weiteren Anwalts oder mehrerer weiterer Anwälte wird im Regelfall vorher abgesprochen, erfolgt also dann ohnehin einvernehmlich. Handelt der Mandant ohne den früheren Anwalt zu verständigen, ist das zwar zulässig, der Mandant tut sich damit aber keinen Gefallen. Der frühere Anwalt wird das, selbst wenn ein Spezialist zugezogen wird, als Misstrauensäußerung verstehen, und das Mandat kündigen. Es empfiehlt sich deshalb, den Mandanten, wo immer möglich, im Hinblick auf die Folgen von Seiten des weiteren Anwalts entsprechend zu beraten. Auch der „weitere Anwalt“ selbst wird sorgfältig zu prüfen haben, ob seine Zuziehung wirklich sinnvoll ist, ggf. sollte er das Mandat (unter Beachtung des § 44 BRAO) ablehnen.
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b) Mandatsniederlegung Scheitert die Zusammenarbeit zwischen den Anwälten, so fragt sich, welcher der beiden das Mandat niederlegen muss. Berufsrechtliche Regelungen gibt es dafür nicht. Die Entscheidung muss zivilrechtlich dem Auftraggeber überlassen bleiben.1
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2. Neben einem anderen Anwalt „Neben“ einem anderen Anwalt kann auch „nach“ einem anderen Anwalt bedeuten. Dort, wo der tätige Anwalt auch in der nächsten Instanz oder in einem Verfahren über einen außerordentlichen Rechtsbehelf weiter tätig sein dürfte oder wo die Verantwortlichkeit des tätigen Anwalts nicht entfallen soll (sich aber ggf. ändert, wie bei der Einschaltung von BGHAnwälten) wird der weitere Anwalt in seiner besonderen Funktion nicht neben, sondern anstelle des tätigen Anwalts eingeschaltet. Das fällt nicht unter Absatz 1, weil nicht das übertragene Mandat übernommen wird (es sei denn, mit der Übernahme des Mandats im Berufungs- oder Beschwerdeverfahren – hier als Beispiel erwähnt – solle ausdrücklich ein Anwaltswechsel vollzogen werden). Es fällt aber auch nicht unter Absatz 2, weil „neben“ dasselbe Mandat meint (es kann aber unter Absatz 2 fallen, wenn beide Anwälte eine Rolle im weiteren Verfahren übernehmen sollen), das Rechtsmittelverfahren aber insoweit ein anderes Verfahren als das Ausgangsverfahren ist. In der Praxis spielt diese Problematik jedoch nur eine marginale Rolle, weil die Zuziehung eines weiteren/anderen Anwalts in der Regel auf Initiative des tätigen Anwalts erfolgt.
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3. Unverzüglichkeit Auch bei der Mandatsmitübernahme gilt das Gebot der Unverzüglichkeit (im Sinne des § 121 Abs. 1 S. 1 BGB) der Unterrichtung. Das folgt schon aus der Natur der Sache. Mitübernahme setzt immer ein Miteinander voraus. Darüber muss sich der Anwalt vergewissern, wenn er seine Pflichten aus dem Mandatsverhältnis gewissenhaft2 wahrnehmen will. Im Gegensatz zu Absatz 1 ist hier die Unterrichtung durch den Anwalt selbst vorgeschrieben.
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III. „Rechtsanwalt“ in Absatz 1 und 2 Sowohl für Absatz 1 als auch für Absatz 2 ist ungeklärt, ob das Wort „Rechtsanwalt“ im schon bestehenden Mandat wörtlich zu verstehen ist. § 59a BRAO erlaubt die berufliche Zusammenarbeit des Anwalts mit bestimmten Vertretern anderer Berufsgruppen, u.a. auch in einer Sozietät. Die anwaltliche Tätigkeit kann insbesondere auch in Form einer GmbH oder einer AG ausgeübt werden.
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1. Sozietät3 § 33 BORA regelt die Sozietät mit Angehörigen anderer Berufe nicht, weil § 15 BORA keine Regelung im Hinblick auf die Sozietät ist. Die Ausgangssituation ist zwar mit der des 1 Lingenberg/Hummel/Zuck/Eich/Zuck, § 26 RichtlRA Rz. 1. 2 § 43 BRAO Rz. 48. 3 S. dazu scharfsinnig Schultz, FS Hirsch, 2008, S. 525.
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§ 43 BRAO/§ 15 BORA Rz. 16
Mandatswechsel
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§ 15 BORA vergleichbar, wenn etwa der Steuerberater, der Sozius eines Rechtsanwalts ist, durch einen Fachanwalt für Steuerrecht ersetzt oder durch diesen in seiner Tätigkeit ergänzt werden soll. Da der Steuerberater mit seinem Anwaltssozius zur gemeinsamen Berufsausübung verbunden ist, berührt der „Mandatswechsel“1 auch den Anwalt, mit dem der Steuerberater als Sozius verbunden ist. Dennoch wird man §§ 33, 15 BORA als abschließende Sondervorschriften verstehen müssen. Die Regelungen erfassen nur den Anwaltswechsel, nicht aber den Wechsel von einem Nicht-Anwalt auf einen Anwalt.2 2. Anwalts-GmbH a) Organisation 16
Schwieriger ist die Entscheidung, wenn der Wechsel von einer Anwalts-GmbH auf einen Anwalt erfolgen soll oder wenn zur Anwalts-GmbH ein weiterer Anwalt in der Beratung hinzutreten soll. § 59m BRAO verweist nicht auf § 59b BRAO. Es gibt also keine Ermächtigung zum Erlass von BORA-Vorschriften für die Anwalts-GmbH selbst.3 § 15 BORA kann deshalb in Bezug auf eine Anwalts-GmbH nicht gelten.4 Diesem Ergebnis kann man auch nicht durch den Rückgriff auf den in § 59m BRAO erwähnten § 43 BRAO ausweichen. Aus § 43 BRAO lässt sich § 15 BORA nicht ableiten. b) Organe
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Das betrifft aber nur die Anwalts-GmbH selbst. Diese handelt durch Organe und Vertreter „in deren Person die für die Erbringung rechtsbesorgender Leistungen gesetzlich vorgeschriebenen Leistungen im Einzelfall vorliegen müssen“ (§ 59l S. 3 BRAO). Das sind auch (und in erster Linie) Anwälte.5 Ihnen gegenüber gilt bei einem „Mandatswechsel“ im Sinne des § 15 BORA6 diese Vorschrift uneingeschränkt. und Beratungshilfe 16 BORA Prozesskostenhilfe (1) Der Rechtsanwalt ist verpflichtet, bei begründetem Anlass auf die Möglichkeiten von Beratungs- und Prozesskostenhilfe hinzuweisen.
(2) Der Rechtsanwalt darf nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe oder bei Inanspruchnahme von Beratungshilfe von seinem Mandanten oder Dritten Zahlungen oder Leistungen nur annehmen, die freiwillig und in Kenntnis der Tatsache gegeben werden, dass der Mandant oder der Dritte zu einer solchen Leistung nicht verpflichtet ist. . . . . . . . . .
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B. Norminhalt . . . . . . . . . I. Absatz 1 . . . . . . . . . . . 1. Begründeter Anlass . . . . . a) Bestehende Anhaltspunkte
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A. Allgemeines . . . . . . . I. Ermächtigungsgrundlage . II. Regelungszusammenhänge 1. BRAO-Regelungen/RVG . a) BRAO . . . . . . . . b) RVG . . . . . . . . . 2. CCBE . . . . . . . . . . III. Tradition . . . . . . . . IV. Funktion . . . . . . . .
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b) Erfolglosigkeit . . . . . . . . . c) Niedrige Anforderungen . . . . . 2. Möglichkeiten von PKH/Beratungshilfe. . . . . . . . . . . . . . . . a) PKH . . . . . . . . . . . . . . b) Beratungshilfe . . . . . . . . . c) Inhaltliche Information . . . . . d) Tätigkeitsverpflichtung/Gebühren 3. Hinweispflicht . . . . . . . . . . . a) Mandatsbezug i.w.S. . . . . . . b) Umfang der Beratungspflichten . aa) Kostenrisiko . . . . . . . . bb) Sonderinformationspflichten. c) Prozesskostenfinanzierung. . . .
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1 Rz. 6. 2 Dass die nicht-anwaltlichen Sozietätsmitglieder gem. § 59a BRAO das anwaltliche Berufsrecht beachten müssen, ändert an diesem Ergebnis nichts, weil es bei § 15 BORA nicht um die Passiv- sondern um die Aktivseite geht. 3 Zuck, Anwalts-GmbH, 1999; § 59m BRAO Rz. 19; Hartung/v. Wedel, § 59m BRAO Rz. 10; Feuerich/Weyland, § 59m BRAO Rz. 5. 4 Das gilt jedoch nur für die Passivseite. Soll die Anwalts-GmbH an die Stelle eines anderen Anwalts treten oder mit ihm tätig werden, führt § 33 Abs. 2 BORA zur Geltung der Berufspflichten aus § 15 BORA auch für die Anwalts-GmbH, s. Feuerich/Weyland, § 59m BRAO Rz. 5; AGH Hamm, NJW-RR 2002, 1494; Henssler/ Prütting/Henssler, § 33 BORA, Rz. 5 f.; Bormann, § 59m BRAO Rz. 9. 5 Zuck, Anwalts-GmbH 1999, § 59l BRAO Rz. 6, Hartung/v. Wedel, § 59l BRAO Rz. 6. 6 S. oben Rz. 6.
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Rz. 6 § 16 BORA/§ 43 BRAO
Prozesskostenhilfe und Beratungshilfe II. Absatz 2 . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Indienstnahme des Anwalts . . . . . . . 2. Anwaltliche Gefährdungslage . . . . . .
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3. Annahme von Zahlungen oder Leistungen a) Zahlungen . . . . . . . . . . . . . b) Leistungen . . . . . . . . . . . . . 4. Freiwilligkeit . . . . . . . . . . . . .
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A. Allgemeines I. Ermächtigungsgrundlage § 16 BORA beruht in seinem Absatz 1 auf § 59b Abs. 2 Nr. 5a BRAO, denn die dort vorgesehene Hinweispflicht steht im Zusammenhang mit der Annahme oder Wahrnehmung eines Auftrags. Die Ermächtigungsgrundlage für Absatz 2 setzt ein bestehendes Mandat voraus. Insoweit käme grundsätzlich erneut § 59b Abs. 2 Nr. 5a BRAO in Betracht. Da aber Absatz 2 die Bewilligung von PKH oder die Inanspruchnahme von BerH voraussetzt, greift die Sondervorschrift des § 59b Abs. 2 Nr. 5b BRAO: Es handelt sich um eine Regelung „im Rahmen von Beratungs- und Prozesskostenhilfe“.
1
II. Regelungszusammenhänge 1. BRAO-Regelungen/RVG a) BRAO § 16 BORA ergänzt die Grundregelungen der Pflicht zur Übernahme der Prozessvertretung (§ 48 BRAO) und der Pflicht zur Übernahme der Beratungshilfe (§ 49a Abs. 1 BRAO). Berufsrechtlich gehört die Beratung über die Möglichkeiten von PKH und Beratungshilfe zur gewissenhaften Berufsausübung (§ 43 BRAO).
2
b) RVG Im Zusammenhang mit § 16 Abs. 2 BORA ist § 47 RVG zu beachten.
3
2. CCBE Nr. 3.7 CCBE enthält eine § 16 Abs. 1 BORA vergleichbare Regelung.
4
III. Tradition § 57 RichtlRA, einem eigenen Abschnitt VI „Prozesskostenhilfe, Beratungshilfe und Pflichtverteidigung“ zugeordnet, befasste sich mit der berufsgemäßen Handhabung des PKHoder Beratungshilfemandats, nicht aber mit damit im Zusammenhang stehenden Beratungspflichten. Den damit verbundenen allgemeinen Sorgfaltspflichten wurde aber, dem Zivilrecht folgend, eine § 16 Abs. 1 BORA entsprechende Berufspflicht gegenüber dem Mandanten entnommen.1
5
Die PKH ergänzende Honorierung des Anwalts war dagegen Gegenstand umfangreicher Regelungen (§§ 59, 60, 61, 62 RichtlRA). § 16 Abs. 2 BORA fasst diese Regelungen – in der Sache gleich – zusammen. IV. Funktion Zivilrechtlich ergänzt die (durch § 280 Abs. 1 BGB sanktionierte) allgemeine Berufspflicht des Anwalts als Nebenpflicht den Anwaltsvertrag (§§ 611, 675 BGB), ist aber auch den Pflichten vor Vertragsschluss (§ 311 Abs. 2 BGB) zuzuordnen. Die besonderen Pflichten im Zusammenhang mit PKH und Beratungshilfe haben ihren Zweck in der Verwirklichung des Sozialstaatsprinzips und der aus Art. 3 Abs. 1 GG folgenden Notwendigkeit, die Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsstaats weitgehend anzu-
1 Lingenberg/Hummel/Zuck/Eich/Hummel, § 57 RichtlRA Rz. 13 (PKH), § 63 RichtlRA Rz. 7 ff. (Beratungshilfe). Der dem zugrunde liegende Beschluss des Richtlinienausschusses der BRAK (Lingenberg/Hummel/Zuck/Eich/Hummel, § 63 RichtlRA Rz. 8) entspricht in seinem Inhalt dem jetzigen § 16 Abs. 1 BORA.
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§ 43 BRAO/§ 16 BORA Rz. 7
Prozesskostenhilfe und Beratungshilfe
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gleichen.1 Der hohe Rang des rechtsstaatlichen Ausgleichungsgebots ist der Grund für die parallelen Berufspflichten des § 16 BORA. B. Norminhalt I. Absatz 1 1. Begründeter Anlass a) Bestehende Anhaltspunkte 7
Die in Absatz 1 statuierte Hinweispflicht setzt einen begründeten Anlass voraus. Es muss also Anhaltspunkte für die Notwendigkeit von PKH/Beratungshilfe geben. Der Anwalt wird, wenn er weiß, worum es dem (künftigen) Mandanten geht, die Größenordnung des Kostenrisikos zumindest überschlägig einschätzen können. Die dem Anwalt erteilte Information reicht häufig schon für sich allein aus, die Möglichkeit von PKH/Beratungshilfe in Betracht zu ziehen. Anhaltspunkte können sich aber auch aus bestimmten Personengruppen ergeben. Harz IV-Empfänger, Rentner, Studenten, Berufsanfänger, Berufstätige mit – nach Art ihrer Berufstätigkeit – beschränktem Einkommen, z.B., geben Veranlassung, die Finanzierungsmöglichkeiten für das Mandat zu klären. Vergleichbare Fragen stellen sich aber auch bei Personen, deren Einkommen man generell zwar höher einschätzen würde, bei denen es aber um das Ende eines langwierigen kostenintensiven Verfahrens geht. Wenn es sich nicht um ein offensichtlich kostenarmes Mandat handelt, wird es eigentlich fast immer geboten sein, über die dem Anwalt ohnehin zugänglichen Informationen hinaus beim Mandanten nachzufragen, ob er das Mandat finanzieren kann. Insoweit erweist sich die Beschränkung der Hinweispflicht auf einen begründeten Anlass als eine die Eigeninteressen des Anwalts vernachlässigende Regelung. Schon um spätere Gebührenauseinandersetzungen möglichst zu vermeiden, sollte der Anwalt kein Mandat annehmen, ohne sich vorher vergewissert zu haben, dass zumindest seine Gebühren bezahlt werden können. Die Information über die finanziellen Möglichkeiten des Mandanten ist dafür unverzichtbar. Damit wird zugleich die nötige Voraussetzung für die Hinweispflicht nach Absatz 1 geschaffen. b) Erfolglosigkeit
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Ein begründeter Anlass ist nicht gegeben, wenn die Verfolgung der vom Mandanten beabsichtigten Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung erkennbar keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 114 Satz 1 ZPO). Denn wer die prognostischen Voraussetzungen des § 114 ZPO offensichtlich nicht erfüllt, für den gibt es keinen begründeten Anlass für eine Beratung nach § 16 Abs. 1 BORA. Bei der Möglichkeit der Beratungshilfe kommt es insoweit darauf an, ob die Wahrnehmung der Rechte nicht offensichtlich mutwillig ist (§ 1 Abs. 1 Nr. 3 BerHG). c) Niedrige Anforderungen
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Die Anforderungen an die Begründetheit des Anlasses erweisen sich damit als niedrig,2 die Hinweispflicht des Anwalts setzt also früh ein. Auf der anderen Seite muss es aber wenigstens einen Anlass für entsprechende Nachfragen des Anwalts geben. Nachforschungsoder Kontrollpflichten hat der Anwalt nicht. 2. Möglichkeiten von PKH/Beratungshilfe a) PKH
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PKH gibt es in allen Verfahrensordnungen (§§ 114 ff. ZPO, § 172 Abs. 3 S. 2 2. Hs. StPO [Klagerzwingungsverfahren], § 379 Abs. 3 S. 1, § 379a Abs. 1 StPO [Privatklage], § 397a Abs. 2, 3 StPO, § 406g Abs. 3 S. 1 Nr. 2, Abs. 4 S. Nr. 3, Abs. 4 S. 3 StPO [Nebenklage], § 73a SGG, 1 BVerfGE 81, 347 (356); BVerfG(K), AnwBl. 2006, 591; NJW 2009, 209; NJW 2010, 2567, st. Rspr. S. dazu Zuck, Die Grundrechtsrüge im Zivilprozess, 2008, Rz. 169 m.w.N.; ausf. BVerfG(K), NJW 2008, 1061 – Fall Päffgen. Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats v. 11.3.2010 – 1 BvR 365/09, bverfg.de. Zu Recht hat Gaier an die Anwaltschaft appelliert, ihre insoweit bestehenden berufsrechtlichen Pflichten ernst zu nehmen, AnwBl. 2009, 202. 2 Ebenso Henssler/Prütting/Prütting, § 16 Rz. 5.
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Prozesskostenhilfe und Beratungshilfe
Rz. 16 § 16 BORA/§ 43 BRAO
§ 166 VwGO, § 142 FGO, § 14 FGG, § 11a ArbGG, auch – ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung – im Verfassungsbeschwerdeverfahren vor dem BVerfG). PKH im Verfassungsbeschwerdeverfahren vor dem BVerfG folgt eigenen Regeln.1 Sonst verweisen alle Prozessordnungen auf §§ 114 ff. ZPO. b) Beratungshilfe Beratungshilfe wird nach Maßgabe des BerHG gewährt.2
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c) Inhaltliche Information Der Hinweis auf die Möglichkeit von PKH/BerH darf sich nicht nur auf die bloße Erwähnung von PKH/BerH beschränken. Eine Möglichkeit wird dem Begünstigten nur eingeräumt, wenn er von ihr ggf. auch Gebrauch machen kann. Das setzt eine inhaltliche Information, zumindest über die im konkreten Fall relevanten Grundvoraussetzungen von PKH/BerH voraus. Bei möglicher Inanspruchnahme von PKH wird der Anwalt also erklären müssen, dass – bei Gewährung – die Kosten nach Maßgabe des geltenden Rechts vom Staat übernommen werden und der Mandant nicht zuzahlen muss. Der Anwalt wird auch auf die wirtschaftlichen und rechtlichen Grundvoraussetzungen von PKH und den Zusammenhang des PKH-Verfahrens mit einem etwaigen Gerichtsverfahren hinzuweisen haben.
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d) Tätigkeitsverpflichtung/Gebühren Zur Pflicht des Rechtsanwalts in PKH/BerH-Sachen tätig zu werden, s. §§ 48, 49a BRAO. Zu den Gebühren des Anwalts in PKH-Sachen s. § 45 RVG, in BerH-Sachen § 44 RVG.
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3. Hinweispflicht Die Darstellung der Voraussetzungen3 und des Inhalts der Hinweispflicht4 bedürfen mehrerer Ergänzungen.
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a) Mandatsbezug i.w.S. Die Hinweispflicht hängt nicht von einem schon bestehenden Mandat ab.5 Auch und gerade für die Anbahnung des Mandats, also für die Vorverhandlungen, die zum Mandat führen sollen, ist die Finanzierbarkeit des Auftrags für den (künftigen) Mandanten u.U. eine Kernfrage. § 16 Abs. 1 BORA enthält bezüglich der Hinweispflicht keine Einschränkung. Die Hinweispflicht ist also in einem weiten Sinn mandatsbezogen.
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b) Umfang der Beratungspflichten aa) Kostenrisiko Die auf PKH/BerH bezogene Hinweispflicht muss von einer allgemeinen Beratungspflicht des Anwalts über die Kostenrisiken der vom (künftigen) Mandanten beabsichtigten Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung abgegrenzt werden. Dass anwaltliche Tätigkeit Geld kostet, ist als bekannt vorauszusetzen. Wie viel Geld die anwaltliche Tätigkeit kostet (und die des gegnerischen Anwalts sowie des Gerichts) soll der allgemein zugänglichen Gebührenund Kostenordnung entnommen werden können.6 Angesichts der Unübersichtlichkeit des Gebühren- und Kostenrechts (man nehme nur das VV zum RVG) ist diese Prämisse jedoch für die Naturpartei fragwürdig. Das gilt erst recht im Hinblick auf Gebührenvereinbarungen (§ 4 RVG), insbesondere bei Zeitgebühren. Selbst wenn man eine allgemeine Verpflichtung des Rechtsanwalts ablehnt, im Regelfall7 ungefragt über das Kostenrisiko aufklären zu müs-
1 Zuck, Das Recht der Verfassungsbeschwerde, 3. Aufl. 2006, Rz. 1230 ff.; Lechner/Zuck, BVerfGG, 6. Aufl. 2011, § 34a, Rz. 5 ff. 2 V. 18.6.1980 (BGBl. I, S. 689) i.d.F. des Gesetzes v. 31.8.2013 (BGBl. I, S. 3533). 3 Rz. 6–9, 16–18. 4 Rz. 10. 5 S. Rz. 5. 6 Borgmann/Jungk/Grams, Kap. IV, Rz. 99 ff. Zu eng deshalb Gerold/Schmidt, § 1 RVG Rz. 50. 7 Zu einem Ausnahmefall, weil des ausländische Auftraggeber das deutsche Gebührenrecht nicht kennt, BGH, NJW 1980, 2128. Zum Regelfall vgl. BGH, BRAK-Mitt. 2009, 19.
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§ 43 BRAO/§ 16 BORA Rz. 17
Prozesskostenhilfe und Beratungshilfe
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sen, verneint,1 wird man eine Beratung über das Kostenrisiko zur Grundlage der Hinweispflicht machen müssen. Erst wenn der Anwalt sich dabei einen wenigstens groben Überblick verschafft hat, kann er feststellen, ob er „begründeten Anlass“ für die Hinweispflicht hat2 und nur, wenn der Mandant über entsprechende Informationen verfügt, kann er seine Möglichkeiten nutzen.3 bb) Sonderinformationspflichten 17
Wirtschaftliche Sonderinformationspflichten ergeben sich auf jeden Fall aus § 12a Abs. 2 S. 2 ArbGG und aus § 49b Abs. 5 BRAO.4 c) Prozesskostenfinanzierung
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§ 16 Abs. 1 BORA erwähnt nur die Möglichkeit der PKH/Beratungshilfe. Gilt die Hinweispflicht auch für die Möglichkeit der Prozesskostenfinanzierung? Aus § 16 Abs. 1 BORA folgt das nicht, ergibt sich aber aus den anwaltlichen Pflichten zur gewissenhaften Berufsausübung nach § 43 BRAO.5 II. Absatz 2 1. Indienstnahme des Anwalts
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Die PKH-Gebühren und die staatlichen Leistungen für die Beratungshilfe sind gesetzlich beschränkt (§ 49 RVG). Der Anwalt wird insoweit staatlich in Dienst genommen (für PKH s. § 48 Abs. 1 Nr. 1 BRAO). Die angemessene Entschädigung für die Inanspruchnahme wird ihm durch die beschränkten Gebührensätze vorenthalten.6 Mit der Indienstnahme des Anwalts ist die Wahrnehmung von im öffentlichen Interesse liegenden Aufgaben verbunden, nämlich die Verfolgung des Zwecks, die öffentlichen Kassen zu schonen. Das BVerfG hat darin eine vernünftige Erwägung des Gemeinwohls gesehen, die den mit der Indienstnahme des Anwalts verbundenen Eingriff in seine Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) rechtfertigt;7 im konkreten Fall hatte das BVerfG darauf hingewiesen, der Anwalt habe das Mandat freiwillig übernommen, bei der Bewilligung von PKH würden in gewissem Umfang auch die Prozessaussichten geprüft, im Falle des Obsiegens könne gegenüber dem Prozessgegner die Erstattung der vollen Gebühren gefordert werden, so dass es sich insgesamt um die Regelung einer erfolgsbezogenen Vergütung handle. Das führt zur Rechtmäßigkeit des § 48 Abs. 1 Nr. 1 BRAO. 2. Anwaltliche Gefährdungslage
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Wie der vorstehend geschilderte Sachverhalt (wenn auch in extremer Weise bei einer Differenz von rund 1 300,00 Euro zu rund 115 000,00 Euro) zeigt, besteht auf Seiten des Anwalts eine schwer zu stillende Neigung, die so entstehenden wirtschaftlichen Lücken zu schließen. Auch der Mandant steht in vielen Fällen unter psychologischem Zwang, weil er befürchtet, der gering(er) vergütete Anwalt werde sich der Sache nicht in angemessener Weise anneh1 Überzeugend ist das alles nicht. Wie und was soll der Durchschnittsmandant fragen, wenn er nicht zuvor informiert worden ist! 2 Rz. 6. 3 Auch hier handelt es sich nicht um ein isoliertes, nur das anwaltliche Berufsrecht betreffendes Problem. Auch im ärztlichen Berufsrecht wird eine wirtschaftliche Aufklärungspflicht als Nebenpflicht aus dem Behandlungsvertrag dann bejaht, wenn es Behandlungsalternativen mit erheblich unterschiedlicher Kostenauswirkung gibt, oder ein Zweifel an der Erstattung durch die PKV oder an der Leistungsfähigkeit des Patienten, vgl. Ratzel/Lippert/Ratzel, MBO, 5 Aufl. 2010, § 12 MuBO Rz. 5; Quaas/Zuck, Medizinrecht, 2. Aufl. 2008, § 13 Rz. 30, 95 m.w.N. aus der Rechtsprechung. Vgl. auch Rz. 12. 4 Dabei handelt es sich um eine berufsrechtliche Pflicht, vgl. Hartung, MDR 2004, 1094; Völtz, BRAK-Mitt. 2004, 103; s. auch Hartmann, NJW 2004, 2484. Für die Verletzung der anwaltlichen Pflicht aus § 49b V BRAO hat der Mandant die Beweislast, BGH, NJW 2008, 371 s. dazu auch Dahns, NJW-Spezial 2007, 623; Grams, BRAK-Mitt. 2008, 14. 5 Im Ergebnis wie hier Bräuer, AnwBl. 2001, 112; Gerold/Schmidt, § 1 RVG Rz. 52. Zur Prozesskostenfinanzierung allgemein s. Frechen/Kochheim, NJW 2004, 2113; Buschbell, AnwBl. 2004, 435; AnwBl. 2006, 825; Siebert/Nagata, BRAK-Mitt. 2007, 49; Wilde, AnwBl. 2007, 489. 6 BVerfGE 54, 251 (271). 7 BVerfG(K), NJW 2008, 1063 (1064). In einem Verfahren mit einem Streitwert von 42 Mio. DM führte das zu einer konkreten Abrechnungsdifferenz von 1 384,89 Euro zu 115 243,51 Euro. S. auch Henke, AnwBl. 2008, 134.
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§ 16a BORA/§ 43 BRAO
Ablehnung der Beratungshilfe
men. Diese tatsächliche Ausgangssituation erklärte schon die entsprechenden Regelungen in §§ 59 ff. RichtlRA.1 Die Gefährdungslage in der Praxis rechtfertigt und erklärt deshalb aber auch unverändert § 16 Abs. 2 BORA. 3. Annahme von Zahlungen oder Leistungen a) Zahlungen Der Geldtransfer wirft keine Probleme auf.
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b) Leistungen Anders sieht es bei den Leistungen aus. Man wird den Leistungsbegriff zunächst auf geldwerte Leistungen beziehen müssen, sodann auf solche Leistungen, die mit dem PKH-Mandat in Beziehung stehen. Schenkt der Mandant der Ehefrau des Anwalts eine Uhr, ist das grundsätzlich keine Leistung, die von § 16 Abs. 2 BORA erfasst wird. Für Gefälligkeiten und geringwertige Leistungen (der Mandant bringt einen Blumenstrauß aus seinem Garten mit/ er legt zwei Euro in die Kaffeekasse des Büros) gilt das ebenso. Es spricht viel dafür, auch „übliche Leistungen“ von vornherein, also ohne Klärung der sonstigen Voraussetzungen von § 16 Abs. 2 BORA auszunehmen, so z.B. wenn der Mandant Unterlagen kopiert oder einscannt, damit sie E-Mail-tauglich sind. Den Leistungsbegriff des § 16 Abs. 2 BORA sollte man schon deshalb nicht kleinlich handhaben, weil die sonst erforderliche bürokratische Kontrolle das Vertrauensverhältnis zwischen Anwalt und Mandant (§ 627 BGB)2 zu stören geeignet ist.
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4. Freiwilligkeit Der Mandant oder der Dritte können nur auf Basis der erforderlichen Tatsachenkenntnis freiwillig handeln. Dies setzt Kenntnis der PKH/BerH-Voraussetzungen, und insbesondere des Umfangs fehlender Verpflichtung voraus. Der Anwalt hat für das Vorliegen dieser Umstände die Beweislast.3 der Beratungshilfe 16a BORA Ablehnung (1) (weggefallen)
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(2) Der Rechtsanwalt ist nicht verpflichtet, einen Beratungshilfeantrag zu stellen.
(3) 1Der Rechtsanwalt kann die Beratungshilfe im Einzelfall aus wichtigem Grund ablehnen oder beenden. 2Ein wichtiger Grund kann in der Person des Rechtsanwaltes selbst oder in der Person oder in dem Verhalten des Mandanten liegen. 3Ein wichtiger Grund kann auch darin liegen, dass die Beratungshilfebewilligung nicht den Voraussetzungen des Beratungshilfegesetzes entspricht. 4Ein wichtiger Grund liegt insbesondere vor, wenn a) der Rechtsanwalt durch eine Erkrankung oder durch berufliche Überlastung an der Beratung/Vertretung gehindert ist; b) (weggefallen); c) der beratungshilfeberechtigte Mandant seine für die Mandatsbearbeitung erforderliche Mitarbeit verweigert; d) das Vertrauensverhältnis zwischen Anwalt und Mandant aus Gründen, die im Verhalten oder in der Person des Mandanten liegen, schwerwiegend gestört ist; e) sich herausstellt, dass die Einkommens- und/oder Vermögensverhältnisse des Mandanten die Bewilligung von Beratungshilfe nicht rechtfertigen; f) (weggefallen); g) (weggefallen).
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S. oben Rz. 4. S. Rz. 35 zu § 43 BRAO. Wie hier Henssler/Prütting/Prütting, § 16 Rz. 9. S. dazu die Bekanntmachung in BRAK-Mitt. 3/2009.
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§ 43 BRAO/§ 16a BORA Rz. 1
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A. Allgemeines . . . . . . . . . . . . I. Ermächtigungsgrundlage/Regelungszusammenhang . . . . . . . . . . II. Entstehungsgeschichte . . . . . . . III. Funktion . . . . . . . . . . . . . B. Norminhalt . . . . . . . I. Absatz 2 . . . . . . . . . II. Absatz 3 . . . . . . . . . 1. Anlass. . . . . . . . . . 2. Satz 1 . . . . . . . . . . 3. Kein Personenbezug . . . 4. Beratungshilfebewilligung
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5. Wichtiger Grund . . . . . . . . . . . . a) Lit. a: Berufliche Überlastung/Erkrankung im Einzelfall . . . . . . . . . . aa) Berufliche Überlastung . . . . . bb) Erkrankung . . . . . . . . . . cc) Hinreichende Rechtskenntnisse/ mangelnde Erfahrung . . . . . . b) Lit. c: Verweigerung der Mithilfe . . . c) Lit. d: Schwerwiegende Störung des Vertrauensverhältnisses . . . . . . . d) Lit. e: Fehlende Bewilligungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . .
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A. Allgemeines I. Ermächtigungsgrundlage/Regelungszusammenhang 1
Wie § 16 BORA beruht auch § 16a BORA auf § 59b Abs. 2 Nr. 5a BRAO.1 § 16a BORA steht in untrennbarem Zusammenhang mit § 49a Abs. 1 BRAO. Die Erwägungen, vor allem der Arbeitsausschüsse der Satzungsversammlung machen deutlich, dass die unterschiedlichen Auffassungen ihrer Mitglieder ihre Ursache häufig in der ungenauen Klärung der Rechtsgrundlagen hat. Das betrifft vor allem drei Fragenkreise: – die formelle Gesetzeslage: Auf welche BRAO-Ermächtigungsnorm wird zurückgegriffen, wie ist sie auszulegen, und was ist im Übrigen schon in der BRAO, dem RVG oder im sonst relevanten Gesetzesrecht geregelt? Auf der mangelhaften Vergewisserung dieser Zusammenhänge basiert auch die – leicht vorhersehbare – Teilaufhebung des § 16a BORA durch das BMJ. – Die Verknüpfung einzelner BORA-Änderungen mit dem Gesamtsystem der BORA. Die begrenzten Zuständigkeiten des einzelnen Arbeitsausschusses beschränken dessen Blickpunkt. Die intensive Befassung mit Details zeigt, wie immer, die Lückenhaftigkeit einer jeden Norm, wenn man von ihr die abschließende Regelung eines Sachverhalts erwartet. Ä la longue führt das vom Ansatz her zu einem immer kasuistischeren Regelwerk (in der Praxis nur behindert durch die geringe Flexibilität einer Großversammlung, wie es die Satzungsversammlung nun einmal ist). Die BORA nähert sich damit den alten RichtRA an; deren Detailfreude hatte man gerade beim Erstkonzept der BORA vermeiden wollen. – Es wird nicht immer klar, von welcher Erwartungshaltung (Funktion) bezüglich der BORA die Beteiligten ausgehen. Liegt das Schwergewicht in einer notwendigen Konkretisierung allgemeiner berufrechtlicher Normen? Dann wird nur über ein normatives Problem gestritten, wie etwa, ob man Einzelheiten für das Merkmal der Gewissenhaftigkeit vorgeben solle oder nicht. Oder will man die BORA als Arbeitshilfe für den anwaltlichen Praktiker nutzen (Ich bezweifle, dass der Normalanwalt die BORA überhaupt kennt. Sie spielt erst bei der Beurteilung des schon entstandenen Problems eine Rolle. Die Arbeitshilfe betrifft in erster Linie die Aufsichtsgremien der Kammern), wird also über didaktische Erfordernisse diskutiert? Dabei geraten normative Notwendigkeiten schnell aus dem Blick. Das zeigt der in großem Umfang didaktisch motivierte, genau deshalb aber fehlgeschlagene Versuch, in § 16a BORA Fallgruppen für den „wichtigen Grund“ zu bilden. Das hat erhebliche Bedeutung für die Auslegung des § 16a BORA. Da nämlich § 49a Abs. 1 S. 2 BRAO vorgibt, dass Beratungshilfe nur „im Einzelfall“ (aus wichtigem Grund) abgelehnt werden kann, wird damit der Handlungsspielraum des BORA-Satzungsgebers entsprechend beschränkt. Er kann keine allgemeinen Regeln für die Ablehnung der Beratungshilfe aus wichtigem Grund vorgeben, weil das der Einzelfallabhängigkeit einer solchen Entscheidung zuwider liefe. Er kann auch den Einzelfall nicht näher bestimmen, weil allgemeine Regelungen und Einzelfall einander ausschließen. Dagegen ist der Satzungsgeber nicht gehindert, (praxisrelevante) Fallgruppen für das Vorliegen eines wichtigen Grundes zu bilden; er muss nur vermeiden, den „wichtigen Grund“ abschließend zu definieren. Die Bildung von Fallgruppen für die Beurteilung dessen, was ein wichtiger Grund ist, ist, weil „wichtiger Grund“ ein unbestimmter Rechtsbegriff ist, eine praktische Notwendigkeit. Wo der Gesetzgeber es bei 1 § 16 BORA Rz. 1.
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Ablehnung der Beratungshilfe
Rz. 3 § 16a BORA/§ 43 BRAO
der Generalklausel des „wichtigen Grundes“ belassen hat, wie etwa in § 626 BGB, ist diese Aufgabe von der Rechtsprechung geleistet worden.1 II. Entstehungsgeschichte 1. § 16a BORA beruht auf einem Beschluss der 2. Sitzung der 4. Satzungsversammlung bei der Bundesrechtsanwaltskammer am 14.11.2008 in Berlin. Dort war folgender Text beschlossen worden:
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„(1) Der Rechtsanwalt ist nicht verpflichtet, vor Vorlage eines Berechtigungsscheines und Zahlung der Beratungshilfegebühr nach Nr. 2500 VV RVG die Beratungshilfeleistung zu erbringen. (2) Der Rechtsanwalt ist nicht verpflichtet, einen Betragungshilfeantrag zu stellen. (3) Der Rechtsanwalt kann die Beratungshilfe im Einzelfall aus wichtigem Grund ablehnen oder beenden. Ein wichtiger Grund kann in der Person des Rechtsanwaltes selbst oder in der Person oder in dem Verhalten des Mandanten liegen. Ein wichtiger Grund kann auch darin liegen, dass die Beratungshilfebewilligung nicht den Voraussetzungen des Beratungshilfegesetzes entspricht. Ein wichtiger Grund liegt insbesondere vor, wenn a) der Rechtsanwalt durch eine Erkrankung oder durch berufliche Überlastung an der Beratung/Vertretung gehindert ist oder es ihm auf dem Rechtsgebiet, auf dem Beratungshilfe gewünscht wird, an hinreichenden Rechtskenntnissen oder an Erfahrung fehlt; b) der beratungshilfeberechtigte Mandant seine Eigenleistungen nach einmaliger Mahnung nicht erbringt; c) der beratungshilfeberechtigte Mandant seine für die Mandatsbearbeitung erforderliche Mitarbeit verweigert; d) das Vertrauensverhältnis zwischen Anwalt und Mandant aus Gründen, die im Verhalten oder in der Person des Mandanten liegen, schwerwiegend gestört ist; e) sich herausstellt, dass die Einkommens- und/oder Vermögensverhältnisse des Mandanten die Bewilligung von Beratungshilfe nicht rechtfertigen; f) die Beratungshilfe in einem Beratungshilfeschein für eine nicht konkret bezeichnete Angelegenheit bewilligt wurde; g) die Beratungshilfe in einem Beratungshilfeschein für mehrere Angelegenheiten bewilligt wurde.“2
2. Das BMJ hob Teile des § 16a BORA mit dem Beschluss vom 12.3.2009 wie folgt auf: „Auf Grund des § 191e der Bundesrechtsanwaltsordnung, eingefügt durch Artikel 1 Nummer 32 des Gesetzes vom 2 September 1994 (BGBl. S 2278), hebt das Bundesministerium der Justiz in Nummer IV der Beschlüsse zur Änderung der Berufsordnung der 2. Sitzung der 4. Satzungsversammlung bei der Bundesrechtsanwaltskammer am 14. November 2008, die am 6./15. Dezember 2008 ausgefertigt und dem Bundesministerium der Justiz am 18. Dezember 2008 übermittelt worden sind, folgende Regelungen auf: 1. § 16a Absatz 1 der Berufsordnung; 2. in § 16a Absatz 3 Satz 4 Buchstabe a der Berufsordnung die Wörter „oder es ihm auf dem Rechtsgebiet, auf dem Beratungshilfe gewünscht wird, an hinreichenden Rechtskenntnissen oder an Erfahrung fehlt“; 3. § 16a Absatz 3 Satz 4 Buchstabe b der Berufsordnung; 4. § 16a Absatz 3 Satz 4 Buchstabe f der Berufsordnung; 5. § 16a Absatz 3 Satz 4 Buchstabe g der Berufsordnung. Begründung: Zu Nummer 1: § 16a Absatz 1 BORA-E regelt zwei Sachverhalte, die beide nicht mit höherrangigem Recht vereinbar sind. a) Die Regelung in § 16a Absatz 1 Alternative 1 BORA-E, nach der der Rechtsanwalt nicht verpflichtet sein soll, vor Vorlage eines Berechtigungsscheins die Beratungshilfeleistung zu erbringen, verstößt gegen § 49a Absatz 1 BRAO in Verbindung mit § 4 Absatz 2 Satz 4 BerHG. Nach § 49a Absatz 1 BRAO ist der Rechtsanwalt verpflichtet, die in dem Beratungshilfegesetz vorgesehene Beratungshilfe zu übernehmen. Das Beratungshilfegesetz eröffnet dem Rechtsuchenden die Möglichkeit, sich wegen Beratungshilfen unmittelbar an einen Rechtsanwalt zu wenden und den Beratungshilfeantrag nachträglich zu stellen, § 4 Absatz 2 Satz 4 BerHG. Der Rechtsanwalt ist daher verpflichtet, in diesen Fällen die Beratungshilfe schon vor Vorlage eines Berechtigungsscheins zu erbringen. Die be1 ErfK/Müller-Glöge, § 626 BGB Rz. 15. 2 BRAK-Mitt. 2009, 64 f.
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schlossene Satzungsregelung, die den Rechtsanwalt abweichend hiervon von der Verpflichtung freistellen möchte, die Beratungshilfe zu erbringen, widerspricht den gesetzlichen Regelungen. b) Die Regelung in § 16a Absatz 1 Alternative 2 BORA-E, nach der der Rechtsanwalt nicht verpflichtet sein soll, Beratungshilfe vor Zahlung der Beratungshilfegebühr zu erbringen, verstößt gegen § 49a Absatz 1 BRAO Wenn sich ein bedürftiger Rechtsuchender wegen Beratungshilfe an einen Rechtsanwalt wendet, ist dieser gem. § 49a Absatz 1 Satz 1 BRAO verpflichtet, die Beratungshilfe zu gewähren, also das Beratungshilfemandat anzunehmen. Der Rechtsanwalt ist in diesen Fällen vorleistungspflichtig (§ 614 BGB). Er hat zwar nach § 9 RVG das Recht, für die Beratungshilfegebühr einen Vorschuss zu verlangen. Weigert sich der Rechtsuchende, einen geforderten Vorschuss zu zahlen, berechtigt dies den Anwalt, anders als in der beanstandeten Satzungsregelung vorgesehen, jedoch nicht in jedem Fall zur Ablehnung von Beratungshilfe. Es muss vielmehr im Einzelfall abgewogen werden, ob Gründe vorliegen, die zur Ablehnung von Beratungshilfe berechtigen. Beratungshilfe darf nur im Einzelfall aus wichtigem Grund abgelehnt werden (§ 49a Absatz 1 Satz 2 BRAO). Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn dem Rechtsanwalt unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Gewährung von Beratungshilfe nicht zugemutet werden kann (vgl. § 314 Absatz 1 BGB). Zum Beispiel kann der Rechtsanwalt bei völlig mittellosen Rechtsuchenden oder bei eilbedürftigen Angelegenheiten verpflichtet sein, Beratungshilfe zu leisten, auch wenn der Rechtsuchende die Beratungshilfegebühr nicht zahlt. Zu Nummer 2: Die Regelung in § 16a Absatz 3 Satz 4 Buchstabe a Alternative 3 BORA-E, nach der der Anwalt berechtigt sein soll, Beratungshilfe wegen nicht hinreichender Rechtskenntnisse oder fehlender Erfahrung abzulehnen, verstößt gegen § 49a Absatz 1 BRAO. Beratungshilfe kann wegen fehlender hinreichender Rechtskenntnisse oder Erfahrung nicht stets, sondern nur im Einzelfall abgelehnt werden, wenn dies einen wichtigen Grund darstellt. Es gibt Fälle, in denen trotz nicht hinreichender Rechtskenntnisse oder fehlender Erfahrung Beratungshilfe geleistet werden muss. Die ist beispielsweise der Fall, wenn eine Einarbeitung in der Thematik in zumutbarer Weise möglich oder die fehlende Erfahrung für die Bearbeitung des Falls nicht hinderlich ist. Zu Nummer 3: Die Regelung in § 16a Absatz 3 Satz 4 Buchstabe b BORA-E verstößt gegen § 49a Absatz 1 BRAO. Die ausbleibende Zahlung der Beratungshilfegebühr trotz Mahnung führt nicht in jedem Fall dazu, dass der Rechtsanwalt die Beratungshilfeleistung ablehnen darf. Eine Ablehnung der Beratungshilfe ist nur im Einzelfall aus wichtigem Grund möglich (§ 49a Absatz 1 Satz 2 BRAO). Auf die Begründung zu Nummer 1b wird verwiesen. Zu Nummer 4: Die Regelung in § 16a Absatz 3 Satz 4 Buchstabe f BORA-E verstößt gegen § 49a Absatz 1 BRAO. Ein wichtiger Grund zur Ablehnung von Beratungshilfe liegt nicht vor, wenn eine Angelegenheit im Beratungshilfeschein nicht konkret bezeichnet worden ist. Über den Antrag auf Beratungshilfe entscheidet das Amtsgericht (§ 4 Absatz 1 Satz 1 BerHG). Es ist Aufgabe des Gerichts, die Angelegenheit im Berechtigungsschein zu bezeichnen, für die Beratungshilfe gewährt wird (§ 6 Absatz 1 BerHG). Das Beratungshilfegesetz sieht eine Überprüfung durch den Rechtsanwalt insofern nicht vor. Er ist an die Entscheidung des Gerichts gebunden. Nachteile für den Rechtsanwalt bei der Kostenfestsetzung, die ihn möglicherweise berechtigen können, Beratungshilfe aus wichtigem Grund abzulehnen, weil eine Angelegenheit nicht konkret im Berechtigungsschein bezeichnet wird, ergeben sich hieraus nicht. Denn der Berechtigungsschein legt nicht fest, wie viele Angelegenheiten im gebührenrechtlichen Sinne vorliegen. Die Entscheidung über die Frage, ob der Anwalt Beratungshilfegebühren für eine oder mehrere Angelegenheiten erhält, wird unabhängig von der Angabe der Angelegenheit im Berechtigungsschein im Kostenfestsetzungsverfahren getroffen. Zu Nummer 5: Die Regelung in § 16a Absatz 3 Satz 4 Buchstabe g BORA-E verstößt gegen § 49a Absatz 1 BRAO. Es liegt kein wichtiger Grund im Sinne des § 49a Absatz 1 BRAO vor. Die Aufnahme mehrerer Angelegenheiten in einen Berechtigungsschein zieht keine nachteiligen gebührenrechtlichen Folgen nach sich. Der Berechtigungsschein legt nicht bindend fest, wie viele Angelegenheiten im gebührenrechtlichen Sinne vorliegen. Auf die Begründung zu Nummer 4 wird verwiesen. Brigitte Zypries“1
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3. In der sich daraus ergebenden Fassung ist § 16a BORA bekannt gemacht worden.2
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4. § 16a BORA ist am 1.9.2009 in Kraft getreten. 1 BRAK-Mitt. 2009, 65 f. 2 BRAK-Mitt. 3/2009. Um die Absatz-Zählung nicht ändern zu müssen, ist der aufgehobene Absatz 1 (kursiv gedruckt) stehen geblieben.
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Ablehnung der Beratungshilfe
Rz. 10 § 16a BORA/§ 43 BRAO
III. Funktion Die Neuregelung verfolgt das Ziel, mit Hilfe eines Regelungskatalogs zu konkretisieren, wann ein wichtiger Grund vorliegt, um die Beratungshilfe im Einzelfall abzulehnen oder beenden zu können.1
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B. Norminhalt I. Absatz 2 Berufsrechtlich verweist § 49a Abs. 1 BRAO auf die nach dem BerHG vorgesehene Beratung. § 4 BerHG macht die Gewährung von Beratungshilfe von einem Antrag abhängig. Die Vorschrift, die weitere Einzelheiten über die Antragstellung und die Entscheidungszuständigkeit enthält, sagt nichts darüber, wer den Antrag auf Beratungshilfe stellen kann. Das entspricht der Regelung des § 117 Abs. 1 S. 1 ZPO für die Prozesskostenhilfe. Aus der allgemeinen Fassung wird geschlossen, der Antrag könne auch durch einen Bevollmächtigten, also z.B. von einem Anwalt, gestellt werden.2 Das kann man für den Antrag auf Beratungshilfe nicht anders beurteilen. Da das BerHG das aber nur als bloße Möglichkeit einräumt, kann damit keine aus dem Gesetz resultierende Pflicht des Anwalts verbunden sein, einen solchen Antrag zu stellen. Da das BerHG den verfahrensrechtlichen Rahmen für die berufsrechtlichen Pflichten des Anwalts bildet, ist die Regelung in Abs. 2 berufsrechtlich zulässig. Sie hat jedoch lediglich klarstellenden Charakter. Die berufsrechtlich fehlende Verpflichtung zur Stellung eines Beratungshilfeantrags schließt es selbstverständlich nicht aus, dass der Anwalt eine entsprechende Verpflichtung übernimmt. Gebühren kann er dafür nicht geltend machen, was sich aus der allgemeinen Fassung des § 8 BerHG ergibt.
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II. Absatz 3 1. Anlass Einer der wichtigsten Gründe für § 16a BORA war die in der Praxis entstandene Unsicherheit, wann denn der in § 49a Abs. 1 S. 2 BRAO zur Voraussetzung gemachte wichtige Grund für die Ablehnung der Beratungshilfe vorliegt.3
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2. Satz 1 a) Satz 1 spezifiziert § 49a Abs. 1 S. 2 BRAO in zulässiger Weise. Wer die Befugnis hat, einen Auftrag abzulehnen, hat auch die Befugnis, ihn zu beenden, wenn man davon ausgeht, dass die Hinderungsgründe für die Beauftragung mit einem Beratungshilfemandat stets auch die Durchführung dieses Auftrags betreffen. Das ist zeitunabhängig. Man wird allerdings zu beachten haben, dass nach Übernahme des Beratungshilfemandats die Anforderungen an das Vorliegen eines wichtigen Grundes für die Beendigung steigen. Im Regelfall wird es sich um Umstände handeln müssen, die erst nach Übernahme des Beratungshilfemandats aufgetreten oder (ohne Nachlässigkeit des Anwalts) erst später bekannt geworden sind (s. dazu auch Satz 2).
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b) Die Bindung an den Einzelfall, im Einklang mit § 49a Abs. 1 S. 2 BRAO, weist auf die damit verbundene Beschränkung der Ablehnungsmöglichkeiten. Weder in § 16a Abs. 3 BORA noch in § 49a Abs. 1 S. 2 BRAO werden die allgemeinen Ablehnungsgründe erwähnt. Sie werden vielmehr von beiden Vorschriften vorausgesetzt. Dazu gehören das Bestehen einer Interessenkollision4 sowie die Versagungsgründe der §§ 45–47 BRAO.5 Sie sind einzelfallunabhängig.
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1 Dahns, Bericht aus der Satzungsversammlung, BRAK-Magazin 6/2008, S. 9. 2 Zöller/Geimer, § 117 ZPO Rz. 2. 3 Dahns, Bericht aus der Satzungsversammlung, BRAK-Magazin 6/2008, S. 9. Der Bericht macht den aus der Erstfassung des § 16a BORA (s. oben Rz. 3) zugrunde liegenden Mangel deutlich: Die Satzungsversammlung hat den Einzelfall geregelt, besaß aber angesichts des § 49a Abs. 1 S. 2 BRAO nur die Kompetenz, exemplarische Fallgruppen für den „wichtigen Grund“ zu bilden. 4 Schoreit/Gross, Beratungshilfe Prozesskostenhilfe Verfahrenskostenhilfe, 10. Aufl. 2010, § 49b BRAO Rz. 3; § 49a BRAO Rz. 6; Henssler/Prütting/Henssler, § 49a BRAO Rz. 12 ff.; vgl. auch § 43a Abs. 4 BRAO. 5 Henssler/Prütting/Henssler, § 49a BRAO Rz. 12 ff.; Feuerich/Weyland, § 49a BRAO Rz. 6.
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§ 43 BRAO/§ 16a BORA Rz. 11
Ablehnung der Beratungshilfe
3. Kein Personenbezug 11
Satz 2 stellt klar, dass das Vorliegen eines wichtigen Grundes personenunabhängig ist. Auch bei der Kündigung eines Arbeitnehmers aus wichtigem Grund hat die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung es nicht für wesentlich gehalten, ob der „wichtige Grund“ im Arbeitnehmer- oder im Arbeitgeberbereich seine Ursache hat.1 Man kann daran zweifeln, ob Satz 2 nicht teils zu viel und teils zu wenig regelt. So macht es, wie das Beispiel der personenbedingten Kündigung (im Arbeitsrecht) zeigt, keinen Unterschied, ob ein Kündigungsgrund in der Person des Arbeitnehmers liegt, wie etwa bei Krankheit, oder in seinem Verhalten, wie etwa bei Schlechtleistung, oder in der Begehung von Straftaten:2 Das Verhalten ist begrifflich personenbezogen. Immerhin lässt sich die Textfassung zur Vermeidung von Missverständnissen rechtfertigen. Dass allerdings nur der Rechtsanwalt, nicht aber der Mandant, den wichtigen Grund auslösen kann, ist, wie die aufgehobenen Regelungen in Absatz 3 S. 4 lit. f und g, vor allem aber auch Absatz 3 S. 3 zeigen, zu eng. Die Ursache könnte auch in der Bewilligung selbst liegen. Im Ergebnis ist das aber bedeutungslos, weil § 16a BORA nur spezifiziert, aber nicht sperrt. Der Rückgriff auf § 49a Abs. 1 S. 2 BRAO hat ohnehin immer Vorrang. 4. Beratungshilfebewilligung
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Satz 3 ist gesetzestechnisch unglücklich formuliert, weil er in einem Teilbereich von Satz 4 lit. c erfasst wird.3 Satz 3 betrifft jedenfalls die gesamten Bewilligungsvoraussetzungen des § 1 BerHG. Damit ist jedoch eine Reihe von Problemen verbunden.
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a) Hat der Rechtspfleger dem Rechtssuchenden den Bewilligungsschein ausgestellt (§ 6 BerHG), ist für den Berechtigten ein entsprechender Anspruch auf Beratungshilfe entstanden. Da der Berechtigungsschein die grundsätzliche Verpflichtung des Anwalts zur Übernahme der Beratungshilfe zur Folge hat, liegt darin kein Justizverwaltungsakt im Sinne des § 23 EGGVG, weil der Rechtspfleger Rechtsprechung im funktionalen Sinn ausübt,4 wohl aber ein rechtskräftiger Rechtsprechungsakt. Ihn zu Lasten des Begünstigten zu beseitigen, kann nicht berufsrechtlich ermöglicht werden. Von der dem Anwalt eingeräumten Möglichkeit („kann“) wird dieser jedoch kaum Gebrauch machen. Schon aus Zeitgründen wird er sich mit Einzelheiten des BerHG5 nicht befassen wollen. Das alles müsste er auch noch unentgeltlich tun. In der Zeit erbringt er leichter die Beratungshilfeleistung. Wie sich allerdings nachträgliche Veränderungen der Sach- und Rechtslage6 auswirken, dazu schweigt das BerHG. Der Rechtsanwalt hat nach Übernahme der Beratungshilfe ein Mandat. Das hindert ihn an entsprechenden Mitteilungen an das Amtsgericht. Der Rechtssuchende wird zwar den Wegfall der Voraussetzungen dem Amtsgericht mitteilen müssen, sonst würde er, wenn er Beratungshilfe in Anspruch nimmt, sich strafbar machen. Ob er das tut, darauf hat der Anwalt keinen Einfluss.
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b) Satz 3 betrifft auch den Sachverhalt der Beratungshilfetätigkeit vor Erteilung der Bewilligung, vgl. § 4 Abs. 2 S. 4 BerHG. Man kann Satz 3 so verstehen, dass er die erst noch zu erteilende Beratungshilfeberechtigung mitumfasst. In dieser Konstellation kann der Anwalt eigenständig über deren Voraussetzungen entscheiden. 5. Wichtiger Grund
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Satz 4 hat jetzt noch vier Varianten, ist aber wegen des „Insbesondere-Zusatzes“ nicht als abschließende Regelung zu verstehen.7
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S. dazu die Nachweise bei ErfK/Müller-Glöge, § 626 BGB Rz. 20. Eisemann, Kündigung, personenbedingte Nr. 259, Rz. 20, in: Küttner, Personalbuch 2009, 16. Aufl. S. Rz. 21. Kissel/Mayer, § 23 EGGVG Rz. 9, 39. Und der BerHVV v. 17.12.1994 (BGBl. I, S. 3839), jetzt i.d.F. v. 30.7.2004 (BGBl. I, S. 2014 [2016]). Beispiele: Die den Rechtssuchenden belastende Regelung ist vom Gesetzgeber aufgehoben worden. Die rechtskräftige Entscheidung eines Gerichts hat den Sachverhalt verbindlich geklärt. Der Streit unter den Beteiligten ist inzwischen beigelegt. 7 Böhnlein, in: Feuerich/Weyland, § 16a BORA Rz. 13.
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Ablehnung der Beratungshilfe
Rz. 18 § 16a BORA/§ 43 BRAO
a) Lit. a: Berufliche Überlastung/Erkrankung im Einzelfall aa) Berufliche Überlastung Wenn es sich nicht um einen Berufsanfänger oder einen De facto-Ruheständler handelt, klagen Anwälten häufig, sie seien überlastet. Diese allgemeine Überlastung kann aber für die Ablehnung des Beratungshilfemandats nicht ausreichen, weil dann die Ablehnung zum Regelfall würde. Die über § 49a Abs. 1 S. 2 BRAO erzwungene Einzelfallbezogenheit der Entscheidung prägt das richtige Verständnis des lit. a. Es muss sich um einen Grad von Überlastung handeln, der, etwa wegen der Eilbedürftigkeit der Beratung oder des für sie zu betreibenden Zeitaufwands keine sachgerechte Behandlung des Beratungshilfemandats gewährleistet. Das kann durchaus vorkommen, wenn der Anwalt – etwa – in den letzten Zügen einer Fristsache oder eines zeitgebundenen Gutachtens liegt. Das alles bleibt aber einzelfallabhängig und ist rechtfertigungsbedürftig. Wer mit dem Hinweis auf lit. a die Übernahme der Beratungshilfe ablehnen will, sollte sich fragen, ob er auch das Millionenmandat oder den Sensationsfall mit der Begründung ablehnen würde, er sei überlastet.1
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bb) Erkrankung Für die Erkrankung des Anwalts gilt das, was zur Überlastung ausgeführt worden ist,2 entsprechend. Die Erkrankung muss ein solches Gewicht und eine solche Dauer haben, dass sie die Übernahme oder die Fortführung des Beratungshilfemandats hindert. Das Beispiel chronischer Erkrankungen, wie z.B. Rheuma oder Diabetes, zeigt, dass es auf den Bezug der Krankheit zur Arbeitsfähigkeit des Anwalts ankommt. Zu krank darf er sich wegen § 14 Abs. 3 Nr. 3 BRAO nicht machen.
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cc) Hinreichende Rechtskenntnisse/mangelnde Erfahrung In der (vom BMJ aufgehobenen) Ursprungsfassung3 war als wichtiger Grund für die Ablehnung auch noch das Fehlen „hinreichender Rechtskenntnisse“ oder entsprechender Erfahrung genannt worden. Die Satzungsversammlung hatte damit die zu dieser Frage bestehende Rechtsunsicherheit beenden wollen.4 Der Anwalt ist „der berufene … Berater und Vertreter in allen Rechtsangelegenheiten“ (§ 3 Abs. 1 BRAO). Die Kompliziertheit der Rechtsordnung, der zunehmende Konkurrenzdruck (der zur Spezialisierung auf Nischenbereiche veranlasst) sowie der Marketingerfolg von Fachanwaltsbezeichnungen lassen den Allgemeinanwalt zwar nicht verschwinden. Das anwaltliche „Grundgeschäft“ im Familienrecht, Verkehrsrecht, Mietrecht, Arbeitsrecht und Schadensersatzrecht, bleibt umfangreich. Es verlangt breit angelegte Kenntnisse des Anwalts. Das ändert aber nichts daran, dass es eine Vielzahl von Spezialistengruppen gibt, sagen wir – als beliebige Beispiele – im Strafrecht, im Presserecht oder im Kapitalmarktrecht. Da mögen – seit der Studien- und Referendarzeit – die allgemeinen Rechtskenntnisse des Anwalts völlig versiegt oder nur noch auf einem rudimentären Stand vorhanden sein. Spezialisten überleben beruflich nur, wenn sie erfolgreich spezialisiert sind. Sie werden kaum Zeit haben, sich in die Probleme eines Sorgerechtsfalls, einer steuerlichen Beratung oder eine betriebsbedingten Kündigung einzuarbeiten, zumal fehlende Kenntnis es häufig schon schwer macht, überhaupt herauszufinden, auf welche Frage (und damit auch auf welche Antwort) es ankommt. Im konkreten Einzelfall bleibt deshalb, trotz der Aufhebung der entsprechenden Passage in § 16a Abs. 3 Satz 4 lit. a BORA durch das BMJ,5 die Ablehnung wegen fehlender Rechtskenntnis – gestützt auf § 49a Abs. 1 Satz 2 BRAO – möglich. Das gilt genauso für den Allgemeinpraktiker, wenn er zu einer erkennbaren Spezialfrage (sagen wir: Begriff des No-Label-Use im Arzneimittelrecht) beraten soll. Fehlende Erfahrung (trotz Kenntnis) ist dagegen kein wichtiger Grund. Berufsanfängern fehlt zwar begrifflich die Erfahrung. Sie haben aber im Allgemeinen die erforderliche Zeit, sich einzuarbeiten. Das kann auch von ihnen verlangt werden.
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Zur Erkrankung s. Henssler/Prütting/Henssler, § 49a Rz. 14. S. Rz. 16. S. oben Rz. 2. Ablehnungsgrund grundsätzlich bejaht: Hartung/Hartung, § 49a Rz. 8; Kleine-Cosack, § 49a Rz. 2; s. auch § 49a Rz. 6. Ablehnungsgrund verneint Feuerich/Weyland, § 49a Rz. 6; Schoreit/Gross, § 1 Rz. 2. 5 S. oben Rz. 5.
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§ 43 BRAO/§ 16a BORA Rz. 19
Ablehnung der Beratungshilfe
b) Lit. c: Verweigerung der Mithilfe 19
Das zwischen Anwalt und Mandant von Rechts wegen vorgesehene Vertrauensverhältnis hängt auch vom Rechtssuchenden ab.1 Es liegt nahe, von seiner Mitwirkung auszugehen. Das ist – cum grano salis – nicht anders als beim Erfordernis der Compliance im Arzt-Patienten-Verhältnis.2 Für dieses steht allerdings fest, dass fehlende Compliance nicht sanktionsbewehrt ist,3 wohl unter dem Gesichtspunkt, dass jeder Mensch frei ist, über sein Leben und seine Gesundheit zu entscheiden. Überzeugend ist allerdings der damit verbundene absolute Vorrang des Selbstbestimmungsrechts des Patienten, zumindest im Bereich der GKV, nicht. Wer an der Behandlung, der er ja zugestimmt hat, nicht mitwirkt, zweckentfremdet das Geld der Solidargemeinschaft. Folgt man jedoch der h.M., dass fehlende Compliance nicht sanktionsbewehrt ist, so erlaubt das „Erst-Recht-Schlüsse“ auf den Anwaltsvertrag. Es ist hier schon – sehr vorsichtig – formuliert worden, die Mitwirkung des Mandanten an seiner Rechtssache sei „naheliegend“. Das ist jedoch nichts weiter als eine Folgerung des gesunden Menschenverstandes. Es liegt in der Tat nahe, dass derjenige, der einen Lebenssachverhalt zu einem Rechtsfall gemacht hat, und dafür Zeit und Geld einsetzt, sich um die Erreichung der damit verbundenen Ziele auch kümmert. Wenn der Mandant aber davon ausgeht, er sei seiner Verpflichtung mit der Beauftragung des Anwalts nunmehr ledig, und sich der Sache nicht mehr annimmt, so schädigt er nur sich selbst. Die Allgemeinheit ist, anders als in den Compliance-Sachverhalten, nicht betroffen. Man muss deshalb davon ausgehen, dass es keine Mitwirkungs-Pflicht des Mandanten im Rahmen eines Anwaltsvertrags gibt. Rechtlich relevant wird die fehlende Mitwirkung des Mandanten erst auf der zweiten Ebene, nämlich bei dem dem Anwaltsvertrag zugrundeliegenden Vertrauensverhältnis.4 Ist dieses nachhaltig gestört, kann der Anwalt das Vertragsverhältnis kündigen (§ 627 BGB). Das rechtfertigt auch die Regelung in lit. c. Die insoweit „erforderliche Mitarbeit“ wird sich in erster Linie auf die Klärung des der Rechtssache zugrundeliegenden Sachverhalts beziehen. Was erforderlich ist, muss der Anwalt wissen und sagen, ggf. erfragen.5 Zur erforderlichen Mitwirkung gehört auch, dass sie in angemessener Zeit geschieht. Was insoweit angemessen ist, bestimmt sich nach dem Zeitrahmen der Beratung, also etwa danach, ob es sich um eine Fristsache handelt oder nicht. c) Lit. d: Schwerwiegende Störung des Vertrauensverhältnisses
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Ob der praktische Anwendungsbereich dieser Regelung sehr groß ist, lässt sich bezweifeln. Beratungshilfemandate sind in der Regel keine Dauermandate. Ein tatsächliches Vertrauensverhältnis wird sich selten herausbilden. Das zeigt auch schon der Zusatz „schwerwiegend“, der auf besondere, konkretisierbare Einzelumstände verweist. So wird zwar der sinnlos betrunkene Mandant das Vertrauensverhältnis schwerwiegend stören, aber nicht, wenn die Beratung gerade den Alkoholmissbrauch des Mandanten betrifft. Das Vertrauensverhältnis ist eine rechtliche Prämisse eines jeden Anwaltsvertrages.6 Das läuft auf die Beurteilung der Frage hinaus, ob dem Anwalt die Beendigung des Mandats persönlich zugemutet werden kann, nicht dagegen auf die Gewichtung des bisher in das Mandat wechselseitig investierten „Vertrauens“. Nur so ist es auch möglich, lit. d nicht nur bei der Beendigung des Mandats anzuwenden, sondern auch bei der Ablehnung der Mandatsübernahme.7 Der Rück1 § 43 BRAO Rz. 36. 2 Die Mitwirkungsbereitschaft des Patienten an der Behandlung spielt vor allem in der Transplantationsmedizin eine Rolle. Angesichts des erheblichen wirtschaftlichen Aufwands für jede Transplantation, der Knappheit von Spenderorganen und der daraus resultierenden Wartelisten, ist es naheliegend, von dem Patienten, der den „Zuschlag“ für die Transplantation erhalten hat, auch die entsprechende Unterstützung für die Umsetzung der notwendigen medizinischen Maßnahmen einzufordern, s. dazu Zuck, GesR 2006, 244 (247) unter Hinweis auf die entsprechenden Transplantationsrichtlinien. 3 Zuck, GesR 2006, 244 (247). 4 § 43 BRAO, Rz. 36. In der Rechtfertigung, nicht in den Anwendungsparametern, überschneidet sich deshalb lit. c mit lit. d. 5 Das ist nicht immer einfach, insbesondere in den Fällen, in denen der Mandant eine bestimmte Rechtsfrage als Ausgangspunkt für die Beratung zugrunde legt, der Anwalt aber erkennt, dass das die falsche Frage ist – mit der Folge unter Umständen notwendiger neuer Sachverhaltsermittlungen. 6 S. dazu ausf. § 43 BRAO Rz. 36. 7 Die Kommentierung folgt in der Verwendung der Wörter „Anwalt“ und „Mandant“ dem Satzungstext. Ein Meisterwerk ist der Satzungsversammlung dabei nicht gelungen. Einige Absätze lang spricht sie in § 16a vom „Rechtsanwalt“, um das dann ab lit. b zu vergessen. Der „Mandant“ deckt sich weder mit dem begrifflich richtigen „Auftraggeber“ oder, wenn man das BerHG zugrunde legt, dem „Rechtssuchenden“. Das könnte man verschmerzen, wenn man nicht davon ausgehen müsste, Mandant könne nur sein, mit wem
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Rz. 1 § 19 BORA/§ 43 BRAO
Akteneinsicht
griff auf lit. d kann sich deshalb als schwierig erweisen. Meist wird es möglich sein, auf eine der spezifischeren Klauseln des § 16a Abs. 3 BORA auszuweichen. d) Lit. e: Fehlende Bewilligungsvoraussetzungen § 1 Abs. 1 Nr. 1 BerHG macht die Gewährung von Beratungshilfe u.a. davon abhängig, dass der Rechtssuchende die erforderlichen Mittel „nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht aufbringen kann.“ Die Beratungshilfe hängt also insoweit vom Grad der finanziellen Bedürftigkeit des Rechtssuchenden ab. Damit wird ein Ausschnitt aus der allgemeinen Ablehnungsbefugnis des Absatz 3 S. 3 besonders hervorgehoben.1
21
19 BORA Akteneinsicht (1) Wer Originalunterlagen von Gerichten und Behörden zur Ein1
sichtnahme erhält, darf sie nur an Mitarbeiter aushändigen. 2Dies gilt auch für das Überlassen der Akte im Ganzen innerhalb der Kanzlei. 3Die Unterlagen sind sorgfältig zu verwahren und unverzüglich zurückzugeben. 4Bei deren Ablichtung oder sonstiger Vervielfältigung ist sicherzustellen, dass Unbefugte keine Kenntnis erhalten. (2) 1Ablichtungen und Vervielfältigungen dürfen Mandanten überlassen werden. 2Soweit jedoch gesetzliche Bestimmungen oder ein zulässigerweise ergangene Anordnung der die Akten aushändigenden Stelle das Akteneinsichtsrecht beschränken, hat der Rechtsanwalt dies auch bei der Vermittlung des Akteninhalts an Mandanten oder andere Personen zu beachten. A. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . I. Ermächtigungsgrundlage und Regelungszusammenhang . . . . . . . . . . . . II. Tradition . . . . . . . . . . . . . . . III. Funktion . . . . . . . . . . . . . . .
1
B. Norminhalt . . . . . . . . . . . . . I. Absatz 1 . . . . . . . . . . . . . . . 1. Satz 1, 2 . . . . . . . . . . . . . . . a) Originalunterlage . . . . . . . . . b) Aushändigung an Mitarbeiter . . . aa) Bezugspunkt . . . . . . . . . bb) Mitarbeiter . . . . . . . . . . cc) Aushändigungsrecht . . . . . (1) Keine räumliche Beschränkung. (2) Einsichtsrecht . . . . . . . . c) Akte . . . . . . . . . . . . . . . d) Adressat . . . . . . . . . . . . . 2. Satz 3 . . . . . . . . . . . . . . . . a) Integritätsfunktion . . . . . . . .
4 4 4 4 5 6 7 9 9 10 11 12 13 13
. . . . . . . . . . . . . .
1 2 3
b) Verwahrungspflicht . . . . . . . . . c) Rückgabepflicht . . . . . . . . . . 3. Satz 4 . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Sachzusammenhang . . . . . . . . b) Ablichtungen und Vervielfältigungen . c) Kopieanfertigung . . . . . . . . . . aa) Unbefugte . . . . . . . . . . . bb) Ausschluss der Kopierbefugnis . . II. Absatz 2 . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Satz 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Folgen . . . . . . . . . . . . . . . b) Überlassung an den Mandanten . . . 2. Satz 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . b) Beschränkung durch Gesetz . . . . . c) Zulässigerweise ergangene Anordnung aa) Zuständige Stelle . . . . . . . . bb) Strafrechtliche Sanktion . . . . . cc) Rechtsschutz . . . . . . . . . . d) Beachtenspflicht . . . . . . . . . .
14 15 16 16 17 18 18 19 20 21 21 22 23 23 24 25 25 26 27 28
A. Allgemeines I. Ermächtigungsgrundlage und Regelungszusammenhang § 19 BORA steht im Vierten Abschnitt der BORA: „Besondere Berufspflichten gegenüber Gerichten und Behörden.“ Ermächtigungsgrundlage ist § 59b Abs. 2 Nr. 6a BRAO. Schon aus der Ermächtigungsgrundlage wird ersichtlich, dass sich § 19 BORA nicht mit dem Recht auf Akteneinsicht selbst befasst (zumal es sich dabei auch nicht um eine Pflicht handelt). Das Recht auf Akteneinsicht ergibt sich vielmehr aus den einschlägigen Verfahrensvorschriften, vgl. etwa § 299 ZPO, § 100 VwGO, § 147 StPO, § 78 FGO, § 34 FGG, § 120 SGG, § 177b BRAO, § 25 SGB X, § 29 VwVfG.2 § 19 BORA regelt vielmehr die berufsrechtlichen Folgen, nachdem es zu einer Akteneinsicht gekommen ist.
ein Anwaltsvertrag zustande gekommen ist. Das ist aber gerade nicht der Fall, wenn der Anwalt die Übernahme des Beratungshilfemandats ablehnt. 1 S. Rz. 17 ff. 2 Zur zum Teil unterschiedlichen Ausgestaltung des Akteneinsichtsrechts in den verschiedenen Verfahrensordnungen s. übersichtlich Hartung/Scharmer, § 19 Rz. 16 ff.; s. früher schon Pawlita, AnwBl. 1986, 1.
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§ 43 BRAO/§ 19 BORA Rz. 2
Akteneinsicht
II. Tradition 2
Die RichtlRA enthielten in den §§ 13–16 eine sehr detaillierte Regelung der berufsrechtlich zulässigen Handhabung überlassener Gerichts- und Behördenakten.1 Die in den RichtlRA enthaltenen Grundgedanken sind jetzt in konzentrierter Form in § 19 BORA enthalten.2 III. Funktion
3
Während das Recht auf Akteneinsicht sein Fundament in Art. 103 Abs. 1 GG3 und im Prinzip der Herstellung von Chancengleichheit zwischen Mandant und Gericht/Behörde hat,4 wird durch § 19 BORA letztlich das Gebot des effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) und des allgemeinen Justizgewährungsanspruchs (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) verwirklicht. Berufsrechtlich ist § 19 BORA primär eine Missbrauchsbegrenzungsvorschrift in Bezug auf die Handhabung der dem Anwalt gewährten Akteneinsicht. Ihre Legitimation bezieht die Vorschrift aus der Stellung des Anwalts als eines unabhängigen Organs der Rechtspflege (§ 1 BRAO).5 B. Norminhalt I. Absatz 1 1. Satz 1, 2 a) Originalunterlage
4
Die Sätze 1 und 2 entsprechen § 15 Abs. 1 RichtlRA. Dort ist allerdings von „Originalakten“ die Rede gewesen. § 19 Abs. 1 S. 1 BORA verwendet stattdessen den Begriff der „Originalunterlage“. Der Gedanke, die sich aus § 19 BORA ergebenden Berufspflichten bezögen sich infolgedessen nur auf Originale, also nicht auf Kopien und Abschriften, die sich in den Gerichts- oder Behördenakten befinden, verstößt jedoch gegen den in Absatz 1 S. 3 zum Ausdruck gekommenen Schutzzweck der Regelung: Die Integrität der überlassenen Akten soll insgesamt vom Anwalt gewahrt werden.6 Das wird durch Satz 2 bestätigt, der wieder den Begriff der Akte verwendet. Dass § 19 Abs. 1 S. 1 BORA den Begriff der „Unterlage“ gebraucht, sollte sicherstellen, dass auch der bloße Aktenauszug von der Vorschrift erfasst wird. b) Aushändigung an Mitarbeiter
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Die Originalunterlagen dürfen nur an Mitarbeiter ausgehändigt werden (Satz 1). aa) Bezugspunkt
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Bezugspunkt sind die dem Anwalt überlassenen Originalunterlagen. Die Fertigung von Kopien und deren Aushändigung an andere wird von § 19 Abs. 1 S. 37 und § 19 Abs. 2 BORA8 erfasst. bb) Mitarbeiter
7
(1) Die Aushändigungsbefugnis der Originalunterlagen ist auf Mitarbeiter beschränkt. Mitarbeiter des Anwalts ist nur, wer an ihn vertraglich gebunden ist und der Verschwiegenheitspflicht unterliegt. Das sind auch die in der Kanzlei des Anwalts tätigen Referendare, ggf. auch Schüler, die ein Berufspraktikum absolvieren. Der Bote ist es nur dann, wenn er zumindest für den Einzelfall vertraglich an den Anwalt gebunden, und über die ihn treffenden Verschwiegenheitspflichten belehrt worden ist. Unter dieser Prämisse kann auch ein Sach1 2 3 4 5 6
S. dazu im Einzelnen Lingenberg/Hummel/Zuck/Eich/Zuck, Anm. zu §§ 13 ff. RichtlRA. Zur schwierigen Entstehungsgeschichte der Endfassung des § 19 s. Hartung/Scharmer, § 19 Rz. 6 ff. So schon Lingenberg/Hummel/Zuck/Eich/Zuck, § 13 RichtlRA Rz. 6. BVerfG(K), AnwBl. 1998, 410 (411); Deckers, NJW 1994, 2261 (2264). S. auch Bohl, NVwZ 2005, 133. So auch Hartung/Scharmer, § 19 Rz. 26. Rz. 13. Zur Einsichtnahme in die beim Grundbuchamt geführten Grundakten siehe OLG Hamm, BRAKMitt. 2013, 87. 7 Rz. 13. 8 Rz. 21.
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Akteneinsicht
Rz. 13 § 19 BORA/§ 43 BRAO
verständiger (etwa, weil ein auf Baurecht spezialisierter Anwalt mit einem Architekten zusammenarbeitet oder als Medizinrechtler mit einem Arzt) oder ein Dolmetscher (etwa im Rahmen einer Asylrechtskanzlei) ein Mitarbeiter sein. Immer ist aber die vertragliche Einbindung und die Belehrung über die Schweigepflicht Voraussetzung. (2) Wird der Sachverständige rechtlich selbständig, ohne Einbindung in die Organisation des Anwalts tätig, so kann er begrifflich kein Mitarbeiter sein. Dem Schriftsachverständigen können deshalb Originalunterlagen (zur Prüfung etwa der Echtheit einer Unterschrift) nicht vom Anwalt überlassen werden. Will der Anwalt also selbst eine solche Kontrolle durchführen lassen, ist das nur im Wege der Einsichtnahme in der Kanzlei möglich. Großkanzleien haben ihre eigenen Marketing-, Controlling- und Buchhaltungsabteilungen. Auch das sind Mitarbeiter. Alle diese Funktionen können aber, ebenso wie die steuerliche Beratung, auch „außer Haus“ ausgeübt werden. Dem liegen Verträge zugrunde und – ggf. – unterliegen diese an selbständig tätige Dritte ausgehändigten Unterlagen auch der Verschwiegenheitspflicht (§ 2 BORA). Die rechtliche Selbständigkeit solcher Dritter, also ihre Tätigkeit ohne Einbindung in die Organisation des Anwalts, schließt es aus, sie als dessen Mitarbeiter einzustufen. An solche selbständig tätige Dritte dürfen deshalb Originalunterlagen nicht ausgehändigt werden.
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cc) Aushändigungsrecht (1) Keine räumliche Beschränkung Das Aushändigungsrecht ist nicht räumlich beschränkt. Der Mitarbeiter darf die Originalunterlagen an seinen Arbeitsplatz mitnehmen, der (echte) freie Mitarbeiter also auch nach Hause, wenn dort sein Arbeitsplatz ist.
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(2) Einsichtsrecht Die Sätze 1 und 2 regeln nur das Aushändigungsrecht. Das Einsichtsrecht Dritter in Originalunterlagen wird dadurch nicht ausgeschlossen. Ausgehend vom Integritätsgrundsatz (Absatz 1 S. 3)1 kann das aber nur unter dauerhafter Aufsicht durch den Anwalt oder einen seiner anwaltlichen Mitarbeiter erfolgen.2 Diese Regeln gelten auch für die Einsichtnahme durch den Mandanten. Jeder Großzügigkeit ist, was die Kontrolle des Anwalts angeht, gefährlich.
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c) Akte Etwas umständlich, und wohl in erster Linie, weil das so schon in § 15 Abs. 1 RichtlRA stand, stellt Satz 2 klar, dass das Aushändigungsrecht nicht nur für Aktenauszüge, sondern auch für die Akte insgesamt gilt. Das hätte man sicherlich auch ohne Satz 2a minore ad maius schließen können. Auf jeden Fall hätte es genügt, in Satz 1 von der Originalakte oder Aktenauszügen zu sprechen. Irritierend ist der Zusatz „innerhalb der Kanzlei“. Selbstverständlich gelten die Regeln des Aushändigungsrechts auch, wenn die Akte im Ganzen außerhalb der Kanzlei überlassen wird.3
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d) Adressat Adressat der Berufspflicht ist nur der Anwalt, weil nur er Berufspflichten unterworfen ist. Das muss aber nicht der sachbearbeitende Anwalt sein;4 in Betracht kommt jeder Anwalt der Kanzlei, also auch der kanzleifremde Vertreter (§ 53 BRAO) oder der Abwickler (§ 55 BRAO).
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2. Satz 3 a) Integritätsfunktion Satz 3 regelt zwar eine Selbstverständlichkeit. Die Sicherung der Integrität der dem Anwalt überlassenen Originalunterlagen ist aber eine kardinale Pflicht, denn sie betrifft mit der Sicherung der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege ein wichtiges Gemeinwohlinteresse. Die Originalunterlagen eines Verfahrens sind dessen unerlässliche Grundlage, und damit auch Voraussetzung richtiger Entscheidungsfindung. 1 2 3 4
S. Rz. 13. Lingenberg/Hummel/Zuck/Eich/Zuck, § 15 RichtlRA Rz. 4. Rz. 7. So auch Feuerich/Weyland, § 19 Rz. 4.
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§ 43 BRAO/§ 19 BORA Rz. 14
Akteneinsicht
b) Verwahrungspflicht 14
Der Anwalt als Freiberufler versteht sich so auch in seiner Büroorganisation. Sie ist zwar im Regelfall professionell, aber sie ist es nicht immer. Der mit der Erwähnung der sorgfältigen Verwahrungspflicht erhobene Zeigefinger erweist sich in diesen Fällen als notwendige Ermahnung. c) Rückgabepflicht
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Das gilt auch für die Pflicht zur unverzüglichen, d.h. ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 Abs. 1 S. 1 BGB) vorzunehmenden Rückgabe der Originalunterlagen. Gegen diese Pflicht wird oft verstoßen. Es ist peinlich, wenn – insbesondere – das Gericht die Rückgabe der Unterlagen anmahnen muss. Wie langsam ein konkretes Gerichtsverfahren aus Sicht der Beteiligten auch ablaufen mag: Die verzögerte Rückgabe der Akten behindert den Fortgang zusätzlich; sie verträgt sich auch nicht mit dem Selbstverständnis des Anwalts als eines Organs der Rechtspflege,1 der für sich in Anspruch nimmt, „auf Augenhöhe“ dem Gericht gegenüberzustehen. 3. Satz 4 a) Sachzusammenhang
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Satz 4 muss man im Zusammenhang mit Absatz 2 sehen. Während Absatz 2 die Überlassung von Kopien regelt, befasst sich mit Satz 1 mit der notwendigen Voraussetzung, nämlich, dass überhaupt Kopien angefertigt werden dürfen. Das entspricht § 13 S. 1 RichtlRA. b) Ablichtungen und Vervielfältigungen
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Satz 4 spricht von „Ablichtungen und Vervielfältigungen“. Das muss man als Übernahme altmodischer Terminologie tolerieren. Gemeint ist jede Form der Reproduktion des Unterlageninhalts, auf welche technische Art und Weise auch immer. Der Einfachheit halber wird hier zusammenfassend das Wort „Kopie“ verwendet. Es kann sich als zweckmäßig erweisen, Originalunterlagen einzuscannen, um über sie im elektronischen Rechtsverkehr verfügen zu können. Die damit verbundene Speicherung und die Möglichkeit des E-Mail-Versands ändern jedoch an der Verschwiegenheitspflicht (§ 2 BORA) nichts. Satz 4 erfasst deshalb diesen Sachverhalt nicht, es sei denn, das Gericht habe den elektronischen Zugang auf die Akten gestattet oder diese überhaupt elektronisch übermittelt.2 c) Kopieanfertigung aa) Unbefugte
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Der Anwalt wird häufig die Kopien nicht selbst anfertigen. Satz 4 erhält sein Gewicht nicht aus der Befugnis, Kopien anfertigen zu dürfen,3 sondern in seiner Funktion, die Integrität der Originalunterlagen zu wahren4 und der Verschwiegenheitspflicht (§ 2 BORA) gerecht zu werden. Diese Legitimationsgrundlagen ermöglichen auch eine zutreffende Auslegung des Begriffs des „Unbefugten“. Befugt sind sicher auch nicht-anwaltliche Mitarbeiter, soweit sie der Verschwiegenheitspflicht unterliegen (§ 2 Abs. 4 BORA). Im Regelfall scheidet deshalb die Einschaltung eines Kopiershops dann aus, soweit die Originalunterlagen der Verschwiegenheitspflicht unterliegen (und das betrifft den Regelfall). Insoweit hilft auch die Aufsicht des Anwalts über den Kopiervorgang nicht weiter. bb) Ausschluss der Kopierbefugnis
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Die Kopier-Befugnis kann bei Originalunterlagen, die unter Geheimnisschutz stehen, beschränkt oder ausgeschlossen werden (s. Absatz 2 S. 2).5 1 Rz. 3. 2 S. dazu etwa § 299 Abs. 3 ZPO, § 78 Abs. 2 FGO, § 100 Abs. 2 S. 2 VwGO. Auch hier sieht aber § 100 Abs. 2 S. 3 VwGO vor, dass eine qualifizierte elektronische Signatur vorliegt und Schutz gegen ungerechtfertigte Kenntnisnahme gewährleistet ist, z.B. durch Verschlüsselung der Daten, s. dazu Kopp/Schenke, § 100 VwGO Rz. 5. 3 Rz. 16. 4 Rz. 3. 5 Rz. 23.
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Akteneinsicht
Rz. 25 § 19 BORA/§ 43 BRAO
II. Absatz 2 Akten zu kopieren ist kein Selbstzweck. Absatz 2 befasst sich deshalb folgerichtig mit den möglichen Verwendungszwecken der Kopien.
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1. Satz 1 a) Folgen Absatz 2 S. 1 befasst sich mit den Folgen des dem Anwalt nach Absatz 2 S. 4 eingeräumten Kopier-Rechts.1
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b) Überlassung an den Mandanten Die Kopien2 dürfen dem Mandanten überlassen werden. Das gilt insbesondere auch für den Verteidiger.3 Der Begriff des Mandanten erfasst aber auch den von diesem Bevollmächtigten oder von Gesetzes wegen an seine Stelle Getretenen. Er umfasst auch nötige Hilfspersonen, wie etwa einen Dolmetscher oder bei einem des Lesens Unkundigen die Einschaltung eines Vorlesers. Absatz 2 Satz 2, der auch „andere Personen“ einbezieht, macht deutlich, dass mit dem Wort „Mandant“ nur der wichtigste Anwendungsfall des Überlassungsrechts erwähnt wird. Die Übermittlung ist eben auch an „andere Personen“ zulässig.4 „Andere Personen“ sind nicht nur solche, die einen unmittelbaren Bezug zum Mandat aufweisen. Auch die Überlassung – z.B. – an Bürgerinitiativen oder an die Medien ist grundsätzlich zulässig.5
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2. Satz 2 a) Grundsatz Das Akteneinsichtsrecht kann durch Gesetz oder eine zulässige Anordnung der die Akten aushändigenden Stelle beschränkt werden. Ist das der Fall, muss der Anwalt das in der Folge beachten. Das entspricht § 16 RichtlRA.
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b) Beschränkung durch Gesetz Das Akteneinsichtsrecht ist in manchen Bereichen gesetzlich beschränkt, vgl. etwa § 299 Abs. 3 ZPO, § 100 Abs. 3 VwGO, § 120 Abs. 4 SGG, § 78 Abs. 3 FGO, § 29 VwVfG. Wird aber schon die Akteneinsicht überhaupt von Gesetzes wegen untersagt, stellt sich die Frage der Überlassung von Kopien gar nicht. Das gilt auch für die bloße Beschränkung, weil auch insoweit schon die Akteneinsicht selbst ausscheidet. Mit Recht beschränkt sich deshalb Satz 2 auf die „Vermittlung des Akteninhalts“, also auf die inhaltliche Informationsweitergabe.
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c) Zulässigerweise ergangene Anordnung aa) Zuständige Stelle Im Regelfall erfolgt die Beschränkung des Akteneinsichtsrechts durch Anordnung der zuständigen Stelle, § 147 Abs. 5 StPO, § 99 VwGO, § 120 Abs. 3 SGG, § 174 Abs. 3 GVG. Hinsichtlich der Akteneinsicht in die bei der zuständigen Rechtsanwaltskammer geführten Personalakten des Anwalts ist es der Rechtsanwaltskammer überlassen, wie sie ihre Arbeitsabläufe regelt. Ohne vorherige Anmeldung und unabhängig von der Anwesenheit eines Geschäftsführers hat der Anwalt auch innerhalb der Geschäftszeiten der Rechtsanwaltskammer kein Einsichtsrecht.6 Das erfasst nur den Bereich der Überlassung der Akten im Ganzen und den sicherlich seltenen Fall, in dem die Aussonderung eines ein Geheimnis enthaltenden Teils 1 2 3 4 5 6
Rz. 16. Rz. 17. BGHSt 29, 299. Ebenso Hartung/Scharmer, § 19 Rz. 31. S. aber Rz. 24. Nieders. AGH, BRAK-Mitt. 2012, 230. Führt die Rechtsanwaltskammer ein zivilgerichtliches (wettbewerbsrechtliches) Verfahren gegen einen Anwalt, hat dieser kein Einsichtsrecht in die verfahrensbezogenen Akten, weil sie nicht Teil seiner Personalakte sind, AGH Hamburg, BRAK-Mitt. 2012, 230. Siehe dazu im Übrigen § 58 BRAO Rz. 14 ff.
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§ 43 BRAO/§ 19 BORA Rz. 26
Akteneinsicht
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der Akten nicht möglich ist. Für den Regelfall geht es also auch hier nur um die Information über den Akteninhalt.1 bb) Strafrechtliche Sanktion 26
Zu beachten ist, dass es für die unbefugte Weitergabe von Akteninhalten strafrechtliche Sanktionen gibt, vgl. § 353d StGB (verbotene Mitteilungen über Gerichtsverhandlungen) und § 355 Abs. 2 S. 2 StGB (Zuziehung eines Anwalts als Sachverständigen). cc) Rechtsschutz
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Die – wünschenswerte – Klärung der Zulässigkeit einer das Akteneinsicht beschränkenden Anordnung ist nicht möglich, weil Rechtsmittel/Rechtsbehelfe generell ausscheiden.2 d) Beachtenspflicht
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Die sich aus Absatz 2 ergebenden Beschränkungen hat der Anwalt zu beachten, d.h. ohne Wenn und Aber zu befolgen.3 Die Beachtenspflicht besteht gegenüber dem Mandanten ebenso wie gegenüber „anderen Personen“.4 Das gilt vor allem, wenn der Anwalt die Öffentlichkeit für das Mandat zu interessieren sucht.
20 BORA Berufstracht Der Rechtsanwalt trägt vor Gericht als Berufstracht die Robe, soweit 1
das üblich ist. 2Eine Berufspflicht zum Erscheinen in Robe besteht beim Amtsgericht in Zivilsachen nicht. A. I. II. III.
Allgemeines . . . . . . . . . . . . . Ermächtigungsgrundlage/Tradition . . Funktion . . . . . . . . . . . . . . Gerichtsverfassungsrecht und Berufsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Parallelität der gesetzlichen Regelungen 2. Landesrecht und Berufsrecht . . . . .
. . .
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. . .
3 3 4
B. Norminhalt . . . I. Satz 1 . . . . . . 1. Üblichkeit . . . . a) Lokaler Bezug b) Gericht . . . 2. Robe . . . . . . II. Satz 2 . . . . . .
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A. Allgemeines I. Ermächtigungsgrundlage/Tradition 1
§ 20 BORA beruht auf § 59b Abs. 2 Nr. 6c BRAO. Vom Grundsatz her entspricht die Regelung § 11 RichtlRA.5 Das BVerfG hatte § 11 RichtlRA gewohnheitsrechtlich gerechtfertigt6 sich dabei aber auf den Standpunkt gestellt, die Vorschrift gehöre nicht zum Berufsrecht der Anwaltschaft, sondern zum Normkomplex der Gerichtsverfassung.7 II. Funktion
2
Die am Gewohnheitsrecht orientierte Betrachtungsweise sieht in der berufsrechtlich vorgeschriebenen Robenpflicht eine Betonung des Anwalts als Organ der Rechtspflege.8 His1 2 3 4 5
S. aber Rz. 24. S. dazu im Einzelnen Hartung/Scharmer, § 19 Rz. 34 ff. Das ergibt sich aus der Unanfechtbarkeit der Anordnung, vgl. Henssler/Prütting/Prütting, § 19 Rz. 10. S. Rz. 22. „Der Rechtsanwalt ist verpflichtet, vor Gericht die Amtstracht zu tragen“, s. dazu Lingenberg/Hummel/ Zuck/Eich/Zuck, § 11 RichtlRA Nr. 1. 6 BVerfGE 28, 21; s. auch VG Berlin NJW 2007, 793 (n. rkr). Eine Verfassungsbeschwerde im „Mannheimer Krawattenstreit“ (Wilke, BRAK-Magazin 4/2012, S. 6) hat das BVerfG nicht zur Entscheidung angenommen, weil der Frage, ob ein Strafverteidiger in der Hauptverhandlung vor der Strafkammer zum Tragen einer Krawatte verpflichtet werden könne, nicht das nach BVerfGE 90, 22 erforderliche nötige Gewicht beigemessen werden könne, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats v. 13.3.2012 – 1 BvR 210/12, NJW 2012, 2570. 7 BVerfGE 28, 21 (32). S. dazu Lingenberg/Hummel/Zuck/Eich/Zuck, § 11 RichtlRA Rz. 2. 8 Henssler/Prütting/Prütting, § 20 Rz. 3; ausf. Hartung/Scharmer, § 20 Rz. 15 ff.
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Berufstracht
Rz. 5 § 20 BORA/§ 43 BRAO
torisch gesehen ist das richtig, zeitgenössisch betrachtet findet sich aber nicht mehr als die Aufrechterhaltung einer Gewohnheit aufgrund der gesetzlichen Ermächtigung in § 59b Abs. 2 Nr. 6c BRAO. Für die insgesamt 1,5 Mio. Amtsgerichtsprozesse im Jahr gibt es ohnehin keine Robenpflicht. Die Zuständigkeit von Einzelrichtern ist deutlich erweitert worden; dort treten Anwälte üblicherweise ohne Robe auf. In all diesen Fällen bleibt der Anwalt aber Organ der Rechtspflege. III. Gerichtsverfassungsrecht und Berufsrecht 1. Parallelität der gesetzlichen Regelungen § 20 BORA ist eine berufsrechtliche Regelung. Folgt man BVerfGE 28, 21 (32), so besteht die Pflicht des Anwalts zum Tragen einer Berufstracht aufgrund des Gerichtsverfassungsrechts, hat also eine dem Berufsrecht parallel liegende einfach-rechtliche Grundlage. Dass diese Grundlage auf vorkonstitutionellem Gewohnheitsrecht beruht, ist verfassungsrechtlich zulässig.1 § 20 BORA führt infolgedessen nur dazu, dass gegen den die Vorschrift nicht befolgenden Anwalt berufsrechtliche Sanktionen möglich sind, und das unabhängig von der Frage, welche sitzungspolizeilichen Konsequenzen im Rahmen des § 176 GVG ihm gegenüber gezogen werden könnten.2 Gerichtsverfassungsrechtliches Gewohnheitsrecht und anwaltliches Berufsrecht stehen infolgedessen nebeneinander.3
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2. Landesrecht und Berufsrecht Die vom Inhalt her gegebene Parallelität von Gerichtsverfassungsrecht und anwaltlichem Berufsrecht spielt noch auf einer anderen Ebene eine Rolle, nämlich dann, wenn auf Landesebene durch Gesetz oder die Verwaltung Regelungen getroffen werden, mit denen die Berufstracht der Anwälte reglementiert wird. Da die gewohnheitsrechtliche Regelung der Berufstracht den Rang von Bundesrecht hat, kann der Landesgesetzgeber davon nicht abweichen. Bloße verwaltungsrechtliche Vorgaben sind ohne gesetzliche Grundlage. Dagegen ist auch in diesem Zusammenhang die Annahme verfehlt, § 20 BORA sperre den Landesgesetzgeber.4 Das scheitert schon formal daran, dass Satzungsrecht Nachrang gegenüber dem Landesgesetzgeber hat. Im Übrigen gilt auch insoweit, dass die berufsrechtliche Regelung auf einer anderen Sachebene liegt als die gerichtsverfassungsrechtliche.5
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B. Norminhalt I. Satz 1 1. Üblichkeit a) Lokaler Bezug § 20 Satz 1 BORA orientiert sich an der Üblichkeit. Die kann sich in jedem Gerichtssprengel anders entwickeln. Dass das zu Unterschieden bei gleichem Sachverhalt – bezogen auf andere Gerichte – führen kann, ist bedeutungslos, wie schon die Generalausnahme in Satz 2 zeigt. 1 Sachs/Sachs, Art. 20 GG Rz. 106. Das gilt auch im Rahmen des Art. 12 Abs. 2 S. 2 GG, vgl. v. Mangoldt/ Klein/Starck/Manssen, Art. 12 GG Rz. 107; Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf/Hofmann, Art. 12 GG Rz. 91; s. auch BVerfGE 34, 293 (303 f.); 60, 215 (229 f.). Die durch vorkonstitutionelles Gewohnheitsrecht gebildete Grundlage wird auch nicht durch § 20 BORA abgelöst, weil es sich insoweit um eine berufsrechtliche, nicht um eine gerichtsverfassungsrechtliche Regelung handelt, s. dazu auch Rz. 4. 2 S. dazu krit. Kissel/Mayer, § 176 GVG Rz. 20 m.w.N.; Beulke, FS Hamm, 2008, S. 21 (37). Die auf § 176 GVG gestützte Zurückweisung des Anwalts wegen Verstoßes gegen Kleidervorschriften wird im Regelfall nicht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen, s. dazu auch LAG Niedersachsen, AnwBl. 2008, 883. 3 OLG München, NJW 2006, 3079. So früher schon Gröner, Strafverteidiger und Sitzungspolizei, 1998, S. 121. Zum sogenannten T-Shirt-Verteidiger s. ausführlich Beulke, FS Hamm, 2008, S. 21. Man kann infolgedessen nicht annahmen, das Berufstracht–Recht habe jetzt im Satzungsrecht seinen endgültigen neuen Standort gefunden (so aber Hartung/Scharmer, § 20 Rz. 32), ganz abgesehen davon, dass das jedem Landesgesetzgeber sein eigenes Betätigungsfeld einräumen würde. Und wer dem BVerfG fehlerhaftes rechtsstaatliches Verständnis vorwirft, muss angesichts einer gefestigten Rechtsprechung zu Art. 12 Abs. 1 GG (mit fast uneingeschränkter Zustimmung des verfassungsrechtlichen Schrifttums) zur Unterstützung dieser Auffassung gute Gründe – sie fehlen bisher – anführen. 4 Unzutreffend deshalb Pielke, NJW 2007, 3251 (3252). 5 Rz. 3.
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§ 43 BRAO/§ 20 BORA Rz. 6
Berufstracht
b) Gericht 6
„Gericht“ ist weit zu verstehen; es genügen die Usancen des jeweiligen Spruchkörpers. Diese Auffassung rechtfertigt sich aus der geringen Bedeutung, um nicht zu sagen der Bedeutungslosigkeit der Berufstrachtregulierung.1 2. Robe
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Über die Robe mag man rätseln.2 Über das Wort „Robe“ kann man jedoch nicht ernstlich streiten. Natürlich kann sie aus vielerlei Materialien bestehen, und sie kann in vielerlei Farben vorkommen. In der Praxis herrscht die aus Kunststoff gefestigte schwarze Robe. Das ist nicht gewohnheits-rechtlich so, aber es ist Gewohnheit. Dass die „Robe“ nichts über Hemd, Krawatte und den sonstigen Aufzug des Anwalts aussagt, versteht sich.3 Für ungebührliches Erscheinen reichen die Sanktionen des Gerichtsverfassungsrechts (§ 176 GVG). Streit lohnt das alles nicht. Mit den Worten eines (ehedem) berühmten Kommunarden: „Wenns der Rechtsfindung dient …“4 II. Satz 2
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Satz 2 darf man nicht so verstehen, als ob bei entsprechender Übung nach Satz 1 die Freizeichnung von der Robenpflicht entfalle. Diese Auffassung verbietet sich jedoch nach Entstehungsgeschichte, Wortlaut und Sinnzusammenhang des Satz 2. Die Ausnahme gilt danach vorbehaltslos.5 gegenüber Kollegen 25 BORA Beanstandungen Will ein Rechtsanwalt einen anderen Rechtsanwalt darauf hinweisen,
dass er gegen Berufspflichten verstoße, so darf dies nur vertraulich geschehen, es sei denn, dass die Interessen des Mandanten oder eigene Interessen eine Reaktion in anderer Weise erfordern. . . . . .
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B. Norminhalt . . . . . . . . . . . . . . I. Regel . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Berufspflichten . . . . . . . . . . . .
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A. I. II. III. IV.
Allgemeines . . . . . . Ermächtigungsgrundlage Parallelvorschriften . . Tradition . . . . . . . Funktion . . . . . . .
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2. Adressat . . . . . . . . 3. Vertraulichkeit. . . . . . a) Anknüpfungspunkt . . b) Voraussetzungen . . . II. Ausnahme . . . . . . . . 1. Reaktion in anderer Weise 2. Interesse des Mandanten . 3. Eigene Interessen . . . .
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A. Allgemeines I. Ermächtigungsgrundlage 1
§ 25 BORA ist § 59b Abs. 2 Nr. 8 BRAO zuzuordnen. Soweit es um die anwaltlichen Mitglieder der eigenen Rechtsanwaltskammer geht, greift Nr. 8 mit dem Hinweis auf „das berufliche Verhalten gegenüber anderen Mitgliedern der Rechtsanwaltskammer“, bei Mitgliedern einer anderen Rechtsanwaltskammer liegt der Ansatz in „den Pflichten bei beruflicher Zusammenarbeit“. Das Wort „Zusammenarbeit“ umfasst dabei nicht nur gemeinsames Handeln, sondern jeden beruflichen Bezug, also auch den antagonistischen. Würde man das nicht anneh1 Aus Sicht der Anwaltschaft bleibt nur noch eine praktische Funktion. In Verfahren von öffentlichem Interesse ist es oft hilfreich, dass Anwälte als solche identifiziert werden können. Nachdem das Lokalisierungsprinzip weitgehend entfallen ist, wird auch für das Gericht die Unterscheidung zwischen der Prozesspartei und dem „reisenden“ Anwalt erleichtert. Ein „Plädoyer“ für die Robe findet sich bei Hassemer, AnwBl. 2008, 413 (415 f.). Das „Erkennbarkeitsargument“ verwirft Hassemer, als „ersichtlich daneben“. Die Robe ist „symbolic power“ des Juristenstandes, d.h. sie ist als „Zeichen“ für das Organ der Rechtspflege zu sehen. Vgl. auch Rz. 2. 2 Detailliert Pielke, NJW 2007, 3251. 3 Zutreffend Weihrauch, FS Egon Müller, 2008, S. 753 (760). 4 S. dazu auch Zuck, Kleiderordnungen, in: Zuck, Juristischer Zeitgeist, 2007, S. 109 (111). 5 Pielke, NJW 2007, 3251 m.w.N.
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Beanstandungen gegenüber Kollegen
Rz. 7 § 25 BORA/§ 43 BRAO
men, müsste man dem Wort „Rechtsanwaltskammer“ in Nr. 8 ein „n“ hinzufügen. Wer auch das für eine Auslegung contra legem hielte, müsste auf die Anwendung des § 25 BORA auf Anwälte mit anderer Kammerzugehörigkeit verzichten, ein schwer verständliches Ergebnis. II. Parallelvorschriften Für den grenzüberschreitenden Verkehr gilt Nr. 5.9 CCBE.
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III. Tradition Kollegialitätspflichten hatten in den RichtlRA großen Stellenwert.1 Davon ist als einzige Vorschrift, wenn auch in anderer Funktion2 § 25 BORA übrig geblieben.3 Die Vorschrift entspricht in ihrer Grund-Regel § 19 Nr. 1 RichtlRA.4
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IV. Funktion Berufsrechtliche Kollegialitätspflichten kennt die BORA nicht. Es handelt sich auch nicht um eine Schutzvorschrift zugunsten des Mandanten.5 Dieser sieht die beteiligten Anwälte doch auch sonst im „Kampf ums Recht“. Das Vertrauen des Mandanten geht viel eher bei behaupteter fehlerhafter Rechtsanwendung verloren. Es geht § 25 BORA vielmehr um den Rechtsanwalt als unabhängigen Organ der Rechtspflege, d.h. um die Integrität der anwaltlichen Berufsausübung. Die sieht der Mandant doch schon als gefährdet an, wenn Anwälte sich duzen, sich die Hand geben oder gemeinsam Kaffee trinken gehen.
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B. Norminhalt I. Regel 1. Berufspflichten § 25 BORA bezieht sich auf den möglichen Verstoß gegen Berufspflichten, also gegen berufsspezifisches Berufsrecht.6 Der Verstoß gegen Pflichten oder Obliegenheiten, die den Anwalt aus Verfahrensrecht oder materiellem Recht treffen, gehört nicht hierher.
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2. Adressat Adressat des Hinweises muss ein Rechtsanwalt sein. Der Begriff ist aber nicht technisch zu verstehen. Auch wer sonst Mitglied einer Rechtsanwaltskammer sein kann (§ 59b Abs. 2 Nr. 8 BRAO), wird von § 25 BORA erfasst, also auch der verkammerte Rechtsbeistand (§ 209 Abs. 1 BRAO),7 die in § 206 BRAO genannten Personen sowie die Geschäftsführer der in § 60 I Abs. 1 BRAO genannten Rechtsanwaltsgesellschaften, soweit sie nicht ohnehin Anwälte sind.
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3. Vertraulichkeit a) Anknüpfungspunkt Das Gebot der Vertraulichkeit bezieht sich auf den eigenen und den gegnerischen Mandanten sowie sonstige Dritte (wie etwa Gerichte, Behörden, Sachverständige, Zeugen).
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S. dazu die Übersicht bei Hartung/Römermann/Scharmer, § 25 Rz. 4. Rz. 4. Hartung/Scharmer, § 25 Rz. 11. „§ 19 Maßnahmen gegen Kollegen. 1. Glaubt ein Rechtsanwalt, dass ein Kollege standeswidrig handelt, so soll er ihn auf den Verstoß gegen das Standesrecht hinweisen. Das darf jedoch nur vertraulich geschehen.“ Im Hintergrund für diese Richtlinie stand die Überlegung, die öffentliche Austragung von Differenzen unter Anwälte schade dem Ansehen der Anwaltschaft insgesamt, vgl. Lingenberg/Hummel/Zuck/Eich/Zuck, § 19 RichtlRA Rz. 1. 5 Wie hier AnwG Köln, BRAK-Mitt. 2009, 290 (292); a.A. Henssler/Prütting/Hartung, § 25 Rz. 1; Hartung/ Scharmer, § 25 Rz. 14; Feuerich/Weyland, § 25 Rz. 1. 6 § 43 BRAO Rz. 25. 7 Zur Stellung des Rechtsbeistands in einer Rechtsanwaltsgesellschaft s. BGH, NJW-RR 2008, 366.
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b) Voraussetzungen 8
Die Vertraulichkeit wird gewahrt durch ein 4-Augen-Gespräch, ein Telefongespräch ohne Mithörmöglichkeiten und durch schriftliche Mitteilungen „persönlich/vertraulich“. Mitteilungen per Fax oder per E-Mail erfüllen diese Voraussetzungen nicht, auch nicht bei einem persönlichen Faxanschluss oder einer persönlichen E-Mail-Adresse des gegnerischen Anwalts, weil in keinem dieser Fälle für den Absender sichergestellt ist, dass der Empfänger die Nachricht unmittelbar „persönlich/vertraulich“ erhält. II. Ausnahme
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§ 25 BORA erlaubt von der sonst zwingenden Regel zwei Ausnahmen, in der allgemeinen Form einer „Reaktion in anderer Weise“. 1. Reaktion in anderer Weise
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Darunter ist, weil die Regel „Vertraulichkeit“ vorschreibt, eine die Vertraulichkeit verlassende Reaktion zu verstehen. Dazu gehören etwa die Beschwerde bei der zuständigen Rechtsanwaltskammer (§ 73 Abs. 2 Nr. 2, 4 BRAO), die Einleitung zivilgerichtlicher Maßnahmen1 oder die Anzeige bei der Staatsanwaltschaft. Hinsichtlich der Form der Reaktion gilt: Sicher erlaubt die für den Meinungskampf entwickelte Devise vom „Gegenschlag“2 eine deutliche Reaktion. Dass auf einen groben Klotz ein grober Keil gehört, ist aber nicht immer richtig. Jede Reaktion muss das Sachlichkeitsgebot3 berücksichtigen. Das gilt auch für die Auswahl der Mittel und den einzubeziehenden Personenkreis. Es sollte nie übersehen werden, dass der Streit über Berufspflichten im Allgemeinen ein bloßer Nebenkriegsschauplatz ist. 2. Interesse des Mandanten
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Eine „andere Reaktion“ kann im Interesse des Mandanten liegen. Dieses hat immer Vorrang.4 Auch unsachliche Angriffe in einem an das Gericht gerichteten Schriftsatz, insbesondere solche, die die Ehre des Mandanten oder seine Integrität zu beeinträchtigen drohen, muss man nicht vertraulich erwidern, in solchen Fällen darf man es – wegen der aus dem Mandatsvertrag folgenden Pflichten – nicht einmal. 3. Eigene Interessen
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Vergleichbares gilt für die Wahrnehmung eigener Interessen. Übertriebene Empfindlichkeit ist dem Anwaltsberuf zwar abträglich. Aber kein Anwalt muss sich diffamieren lassen. Wird er in einer Stellungnahme an das Gericht oder auch in einem Schreiben, das der gegnerische Mandant als Abschrift erhält, als jemand bezeichnet, der die Unwahrheit sagt, so ist es geboten (unterstellt, die Behauptung ist falsch), sich dagegen nachdrücklich zu wehren. Dass das nicht nur möglich, sondern geboten ist, folgt aus der Funktion des § 25 BORA, den Gemeinwohlbelang der funktionsfähigen Rechtspflege durch eine integere Anwaltschaft zu sichern. 1 Zivilrechtlich können Äußerungen eines Anwalts in einem Rechtsstreit nicht untersagt werden, s. dazu BGH, NJW 1971, 284 f.; 1992, 1134 (1135); 1995, 397 f.; 2005, 279 (280 f.); BVerfG(K), NJW 1991, 2074 (2075); AnwBl. 2008, 203 (204), Die Rechtsprechung geht davon aus, dass der betroffene Anwalt – zunächst im Zivilprozess – gegenüber unwahren und ehrverletzenden Aussagen nicht schutzlos ist. Ausnahmen sind jedoch denkbar bei „bewusst oder erwiesen unwahren Tatsachenbehauptungen“ und „bei Schmähkritik“ (zu dieser s. etwa BVerfGE 82, 272 [283 f.]; 93, 266 [294]. Zur Bezeichnung einer Anwaltskanzlei als „Winkeladvokatur“ vgl. LG Köln, BRAK-Mitt. 2012, 94, OLG Köln, BRAK-Mitt. 2012, 227 und, diese Entscheidung aufhebend und Schmähkritik verneinend, BVerfG(K), Beschl. v. 2.7.2013 – 1 BvR 1751/12, juris. Zum Begriff der Schmähkritik in der Rechtsprechung des BVerfG vgl. Masing, Schmähkritik und Formalbeleidigung, in: FS Stürner, 1. Teilband 2013, 25. Masing macht zu Recht darauf aufmerksam, dass die Einstufung einer Äußerung als Schmähkritik nicht von der Verletzungsschwere durch die Äußerung abhängt, sondern allein davon, dass es dem Sich-Äußernden nicht mehr um die Sache, sondern allein um die Person geht. Siehe dazu auch § 43a BRAO Rz. 60). Vgl. BVerfG(K), AnwBl. 2008, 203 (204) und dazu – sehr nuancenreich – Hirtz, AnwBl. 2008, 163. Peinlich in der Form (Gerichtsentscheidungen sind keine Schaubühne für ReimRichter) ArbG Detmold, NJW 2008, 782. 2 S. dazu Fischer, StGB, 56. Aufl. 2011, § 193 StGB Rz. 20 m.w.N. aus der Rechtsprechung. 3 § 43a BRAO Rz. 46 ff. 4 Kleine-Cosack, Anm. zu § 25; Hartung/Scharmer, § 25 Rz. 22.
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§ 43a BRAO
Grundpflichten des Rechtsanwalts
des Rechtsanwalts 43a BRAO Grundpflichten (1) Der Rechtsanwalt darf keine Bindungen eingehen, die seine be-
rufliche Unabhängigkeit gefährden.
(2) 1Der Rechtsanwalt ist zur Verschwiegenheit verpflichtet. 2Diese Pflicht bezieht sich auf alles, was ihm in Ausübung seines Berufes bekanntgeworden ist. 3Dies gilt nicht für Tatsachen, die offenkundig sind oder ihrer Bedeutung nach keiner Geheimhaltung bedürfen. (3) 1Der Rechtsanwalt darf sich bei seiner Berufsausübung nicht unsachlich verhalten. Unsachlich ist insbesondere ein Verhalten, bei dem es sich um die bewusste Verbreitung von Unwahrheiten oder solche herabsetzenden Äußerungen handelt, zu denen andere Beteiligte oder der Verfahrensverlauf keinen Anlass gegeben haben.
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(4) Der Rechtsanwalt darf keine widerstreitenden Interessen vertreten. (5) 1Der Rechtsanwalt ist bei der Behandlung der ihm anvertrauten Vermögenswerte zu der erforderlichen Sorgfalt verpflichtet. 2Fremde Gelder sind unverzüglich an den Empfangsberechtigten weiterzuleiten oder auf ein Anderkonto einzuzahlen. (6) Der Rechtsanwalt ist verpflichtet, sich fortzubilden. A. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . I. Historische Entwicklung des anwaltlichen Berufsrechts . . . . . . . . . . . . . . 1. Überkommenes System. . . . . . . . . 2. Bastille-Entscheidungen . . . . . . . . 3. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Begründungsschwäche . . . . . . . aa) Mangelnde Kodifizierungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . bb) Fragwürdige Erkenntnisquellen . cc) Mangelhaftigkeit der RichtlRA . . b) Nichtakzeptable Entscheidungslogik . II. Zeitgenössische Würdigung . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . 2. Stärkung der Selbstverwaltung . . . . . 3. Gesetzliche Grundlagen . . . . . . . . B. Norminhalt . . . . . . . . . . . . . . I. Berufliche Unabhängigkeit (Absatz 1) . . 1. Unabhängigkeit als Handlungsnorm . . . 2. Statusrechtliche Unabhängigkeit . . . . a) Unabhängiges Organ der Rechtspflege aa) Beschränkte Aussage . . . . . . bb) Freie Advokatur. . . . . . . . . cc) Zusammenfassung . . . . . . . b) Freier Beruf. . . . . . . . . . . . . aa) Wirtschaftliche Unabhängigkeit . bb) Die gesellschaftliche Unabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . cc) Die innere Unabhängigkeit . . . . dd) Mandantenunabhängigkeit . . . 3. Bedeutung der Unabhängigkeit . . . . . a) Verzicht auf Unabhängigkeit? . . . . b) Sinn der Unabhängigkeit . . . . . . 4. Bindungsverbot . . . . . . . . . . . . a) Tradition . . . . . . . . . . . . . . aa) RichtlRA . . . . . . . . . . . . bb) BORA . . . . . . . . . . . . . b) Rechtsfolge. . . . . . . . . . . . . c) Zur Eingehung von Bindungen . . . . aa) „Eingehung“ und Zulassung . . . bb) Art der Bindung. . . . . . . . . (1) Zweitberuf . . . . . . . . . . . (2) Syndikusanwalt . . . . . . . . . (3) Mandantenbindung . . . . . . . (4) Angestellter Anwalt . . . . . . . d) Gefährdung. . . . . . . . . . . . .
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5. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . a) Aktualisierung von Handlungspflichten. . . . . . . . . . . . . . . . . b) Folgen fehlender Konkretisierung . . c) Unmittelbarkeit des Bindungswillens . d) Gefährdung . . . . . . . . . . . . II. Verschwiegenheit (Absatz 2) . . . . . . 1. Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . 2. Verhältnis zu § 2 BORA . . . . . . . . . 3. Norminhalt . . . . . . . . . . . . . . III. Sachlichkeitsgebot . . . . . . . . . . . 1. Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . a) RichtlRA . . . . . . . . . . . . . . b) Anwaltliches Berufsbild . . . . . . . c) Rechtsprechung des BVerfG . . . . . d) Vom BVerfG entwickelte Grundzüge . aa) Vertragsrechtliche Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . bb) Konturen im Einzelnen . . . . . (1) Position der Freiheit. . . . . . . (2) Kampf ums Recht . . . . . . . . (3) Sanktioniertes Sachlichkeitsgebot e) Vorgaben für die Normgeber . . . . . f) Amtliche Begründung zu § 43a Abs. 3 BORA . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bedeutung des Absatzes 3 . . . . . . . a) Satz 1 . . . . . . . . . . . . . . . aa) Zusammenhang mit Satz 2 . . . . (1) Fallgruppen . . . . . . . . . . (2) Funktion des Satzes 1 . . . . . . bb) Gehalt des Satzes 1 . . . . . . (1) Verbot unsachlichen Verhaltens (2) Bereich der Berufsausübung . . (3) Geltung gegenüber Dritten . . b) Satz 2 . . . . . . . . . . . . . . aa) Die bewusste Verbreitung von Unwahrheiten (Fallgruppe 1). . (1) Wahrheitspflicht? . . . . . . . (2) Fahrlässiges Verhalten . . . . (3) Verbreiten . . . . . . . . . . (4) Unwahrheit durch Schweigen . (5) Geltungsumfang . . . . . . . (6) In eigener Sache . . . . . . . (7) Fallgruppen . . . . . . . . .
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bb) Anlasslose herabsetzende Äußerung . . . . . . . . . . . . . . (1) Anlassbezug . . . . . . . . . .
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§ 43a BRAO Rz. 1 (2) Gewicht der Äußerung. . . . . . IV. Verbot der Wahrnehmung widerstreitender Interessen (Absatz 4) . . . . . . . . 1. Entstehungsgeschichte und Funktion . . a) Tradition . . . . . . . . . . . . . . b) Regelungszusammenhänge . . . . . 2. Funktion . . . . . . . . . . . . . . . a) Vertrauensverhältnis . . . . . . . . b) Funktionsfähigkeit der Rechtspflege . c) Zusammenhang beider Funktionen . . d) Unabhängigkeit . . . . . . . . . . . e) Gradlinigkeit der Berufsausübung . . 3. Norminhalt . . . . . . . . . . . . . . V. Sorgfalt beim Geldverkehr (Absatz 5) . . 1. Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . a) RAO . . . . . . . . . . . . . . . . b) RichtlRA 1929 . . . . . . . . . . . c) Drittes Reich . . . . . . . . . . . . d) RichtlRA Britische Zone . . . . . . . e) RichtlRA 1957 . . . . . . . . . . . f) BORA . . . . . . . . . . . . . . . 2. Funktionen . . . . . . . . . . . . . . a) Vertrauensverhältnis . . . . . . . . b) Funktionsfähigkeit der Rechtspflege . 3. Norminhalt . . . . . . . . . . . . . .
Grundpflichten des Rechtsanwalts 87 91 91 91 92 93 94 95 96 97 98 99 100 100 100 101 102 103 104 105 106 107 108 109
VI. Die Fortbildungspflicht (Absatz 6) . . . . 1. Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . a) Rechtsprüfung . . . . . . . . . . . b) Zurückhaltung der Anwaltschaft . . . c) BORA . . . . . . . . . . . . . . . d) BRAO-Neufassung . . . . . . . . . 2. Was ist das Schutzgut des Absatzes 6? . . 3. Sinn und Zweck der Fortbildungspflicht . a) Konkretisierungsfähigkeit des Absatzes 6 . . . . . . . . . . . . . . . . b) Folgerungen . . . . . . . . . . . . 4. Aktueller Diskussionsstand . . . . . . . a) Fortbildungspflicht . . . . . . . . . b) Zuständigkeit für die Fortbildung . . 5. Auswirkungen der Fortbildungspflicht . . a) Haftungsrisiko . . . . . . . . . . . b) Spezialisierung . . . . . . . . . . . § 2 BORA
Verschwiegenheit (S. 601 ff.)
§ 3 BORA
Widerstreitende Interessen, Versagung der Berufstätigkeit (S. 615 ff.)
§ 4 BORA
Fremdgelder und andere Vermögenswerte (S. 623 ff.)
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A. Allgemeines I. Historische Entwicklung des anwaltlichen Berufsrechts 1. Überkommenes System 1
Das überkommene System des anwaltlichen Berufsrechts hatte sich mit der Generalklausel des § 43 BRAO als gesetzliche Grundlage für die Kennzeichnung der anwaltlichen Pflichten (im Wesentlichen) begnügt. Es galt der allgemein der „herkömmlichen Rechtstradition“ zugeschriebene Satz, Berufspflichten müssten generalklauselartig umschrieben werden, weil eine erschöpfende Aufzählung der Berufspflichten unmöglich sei; außerdem seien die Berufspflichten den Berufsangehörigen im Allgemeinen bekannt.1 Die Rechtsprechung der früheren Ehrengerichte und die RichtlRA seien für die Auslegung Hilfe genug. Insbesondere von den RichtlRA wurde gesagt, sie stellten ein wesentliches Hilfsmittel für die Konkretisierung der anwaltlichen Berufspflichten dar.2 Dabei stand fest, dass die RichtlRA keinen Satzungscharakter hatten.3 Die „schwache“ Regelung war im Schrifttum – de lege ferenda – kritisiert worden.4 2. Bastille-Entscheidungen
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Das BVerfG hatte in den Bastille-Entscheidungen vom 14.7.1987 – für alle Beteiligten überraschend5 – festgestellt, die RichtlRA seien schon de lege lata insoweit bedeutungslos, 1 BVerfGE 26, 186 (204); 41, 251 (264); 44, 105 (115 f.); 45, 346 (351 f.); 63, 266 (288); 66 337 (355). Wegen der Gläubigkeit gegenüber einer höchstrichterlich sanktionierten Rechtstradition war niemand aufgefallen, dass sich die Elemente „allgemein bekannt“ und „nicht normierbar“ eklatant widersprechen. Wie die Entwicklung belegte, waren die Berufspflichten so konkret normiert, dass sogar bestritten werden konnte, § 43 BRAO habe noch einen dauerhaften Anwendungsbereich (Zuck, NJW 1988, 175 [176]). Auf der anderen Seite stimmte es nicht, dass die Berufspflichten bekannt waren Da Berufsrecht kein Gegenstand anwaltlicher Berufsausübung ist, sondern „nur“ deren Voraussetzung, war im Regelfall vom weitgehender Unkenntnis auszugehen, s. dazu ausführlich Lingenberg/Hummel/Zuck/Eich/Zuck, Einl. Rz. 24 ff. Zur historischen Entwicklung s. Römermann, BRAK-Mitt. 2009, 208; Busse, BRAK-Mitt. 2010, 180; Gaier, BRAKMitt. 2012, 143; Gaier, Recht und Moral, in: FS Stürner, 1. Teilband 2013, 17; Singer, BRAK-Mitt. 2012, 145; Zuck, NJW 2013, 1681. 2 BVerfGE 36, 212 (217f); 57, 121 (132 f.); 66, 337 (356). 3 Sue, Rechtsstaatliche Probleme des anwaltlichen Standesrechts 1986, S. 71 ff.; Lingenberg/Hummel/Zuck/ Eich/Zuck, Einl. Rz. 27 ff.; BVerfGE 36, 212 (217); 76, 171 (185 f.). 4 Kleine-Cosack, AnwBl. 1986, 505; Zuck, ZRP 1987, 145; s. auch Redeker, NJW 1982, 2761; Jarass, NJW 1982, 1833 (1836); Ostler, NJW 1987, 281 (288 f.); Redeker, NJW 1987, 304; Schiefer, NJW 1987, 1969 (1978). 5 Tettinger, Kammerrecht, 1997, S. 117; Prütting, AnwBl. 2009, 9.
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Grundpflichten des Rechtsanwalts
Rz. 8 § 43a BRAO
als sie1 nicht mehr der Konkretisierung des § 43 BRAO dienen könnten.2 Die Statuierung von Berufspflichten stelle einen Eingriff in die Berufsfreiheit dar. Dies setze normative Regelungen voraus. Diese könnten auch den jeweiligen Berufsangehöriger3 überlassen werden, statusbildende Normen müsse der Gesetzgeber aber selbst treffen.4 3. Kritik Auch wenn das inzwischen alles Rechtsgeschichte ist: an der fehlenden Überzeugungskraft und den fehlerhaften Konsequenzen der Entscheidungen ändert das nichts.
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a) Begründungsschwäche Es mag sein, dass das Gericht die Ausfüllung der Generalklausel u.a. durch die RichtlRA – nach 35 Jahren unbeanstandeter Praxis unter der Herrschaft von Art. 12 Abs. 1 GG – nicht mehr hinnehmen wollte. Dafür reicht aber die Begründung nicht aus.
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aa) Mangelnde Kodifizierungsfähigkeit Wenn sich die Vielfalt anwaltlicher Berufspflichten einer Kodifizierung von der Natur der Sache her entzieht, dann ist das ein im Wesen dieser Pflichten liegender Umstand, den kein Gesetzgeber beseitigen kann.
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bb) Fragwürdige Erkenntnisquellen Wenn die frühere Ehrengerichtsbarkeit eine zulässige Erkenntnisquelle war (und für die Übergangszeit auch geblieben war), dann musste belegt werden, wie es denn der Ehrengerichtsbarkeit gelungen war, die nicht kodifizierungsfähigen allgemeinen Berufspflichten zu konkretisieren. Tatsächlich hat die damalige Ehrengerichtsbarkeit diese Aufgabe so gelöst (und das kann man ihren Judikaten über die Zeitläufe hinweg mühelos entnehmen), dass sie den RichtlRA und den mit diesen verbundenen Zeitgeist gefolgt ist. Dann leidet aber die ehrengerichtliche Judikatur an denselben Mängeln wie die RichtlRA selbst: es ist aufgrund einer scheinbaren Rechtsquelle entschieden worden.
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cc) Mangelhaftigkeit der RichtlRA Und wenn es tatsächlich möglich sein sollte, die Berufspflichten zu konkretisieren, dann war wenig einsichtig, warum das BVerfG das als einen diesen Richtlinien anhaftenden Mangel beschreibt. Es hätte genügt zu sagen, dass sie als Auslegungshilfe ausscheiden (auch wenn die Anwaltschaft es damals begrüßt hat, eine gesteigerte Regelungskompetenz zu bekommen). Dass im Übrigen nur normative Regelungen Auslegungshilfen sein können ist angesichts der Relevanz von Anschauungen, Überzeugungen, Gutachten und Meinungsumfragen, um ganz wenige Beispiele zu nennen, eine durch nichts begründete freie Erfindung des Gerichts gewesen.
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b) Nichtakzeptable Entscheidungslogik Die Logik der Entscheidung habe ich deshalb – wegen der praktischen Konsequenz – nicht akzeptieren wollen: Wenn die Prämisse lautet: Eine Generalklausel ist so unbestimmt, dass sie durch Rechtsprechung und sonstige Auslegungshilfen konkretisiert werden muss, um rechtsstaatlichen Anforderungen zu genügen, und eines dieser beiden Erfordernisse, nämlich die sonstigen Auslegungshilfen (RichtlRA) wegfällt, dann ist die Generalklausel nun-
1 Von gewissen Ausnahmen für eine Übergangszeit bis zur Neuordnung des anwaltlichen Berufsrechts abgesehen. 2 BVerfGE 76, 171; 76, 196. S. dazu Nirk, AnwBl. 1987, 504; Zuck, MDR 1988, 106; Domcke, ZRP 1988, 348; Kleine-Cosack, NJW 1988, 1634 (166); Zuck, NJW 1988, 175; Pfeiffer, BRAK-Mitt. 1988, 226; Redeker, AnwBl. 1988, 14 (15); Schmalz, BRAK-Mitt. 1988, I; Weigel, BRAK-Mitt. 1988, 2; Hahndorf, AnwBl. 1989, 430; Teichmann, AnwBl. 1989, 308; Kornblum, AnwBl. 1988, 361. 3 BVerfGE 76, 171 (188) spricht von der Ermächtigung (zum Erlass von Satzungen) der „Berufsverbände“. Die BRAO hätte die Satzungskompetenz auch der Bundesrechtsanwaltskammer zugestehen können, vgl. Zuck/ Quaas, BRAK-Mitt. 1982, 141; ausf. Zuck, NJW 1988, 175 (177 f.); a.A. Kleine-Cosack, NJW 1988, 164 (167). 4 BVerfGE 76, 171 (188); das Gericht knüpft damit an den Facharztbeschluss, BVerfGE 33, 125 (157 ff.) an, s. dazu Kleine-Cosack, NJW 1988, 164 (167).
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§ 43a BRAO Rz. 9
Grundpflichten des Rechtsanwalts
mehr rechtsstaatlich unbestimmt, also verfassungswidrig.1 Wollte man diesen Schluss nicht ziehen, musste man die Generalklausel auch ohne die ergänzenden Auslegungshilfen für bestimmt genug halten. Das kann man aber nur, wenn man die Prämisse aufgibt. II. Zeitgenössische Würdigung 1. Allgemeines 9
Die Zeit ist über alle diese Argumente hinweggegangen. Es gibt jedoch gute Gründe, sich mit den Bastille-Entscheidungen und den RichlRA zu beschäftigen. Zunächst ist – methodisch – darauf aufmerksam zu machen, dass die Entstehungsgeschichte von Rechtsnormen derzeit eine Renaissance erfährt. Die neue Grundrechtstheorie2 fragt, was denn überhaupt zum Gewährleistungsbereich einer Grundrechtsnorm gehören kann. Das kann man nur über die Entstehungsgeschichte ermitteln. Rüthers hat das für die Auslegungskriterien nachdrücklich ganz allgemein angemahnt3 und es sei daran erinnert, dass die Zweitberufsentscheidung des BVerfG4 ganz wesentlich von einer entstehungsgeschichtlichen Betrachtung geprägt gewesen ist.5 Aber dann muss in diesem Zusammenhang auch einer Legendenbildung entgegengewirkt werden, die uns hat Glauben machen wollen, dass das anwaltliche Berufsrecht bis 1987 in den Händen interessengeleiteter „Standesfürsten“ gelegen habe.6 Sicher: Der Richtlinienausschuss der Bundesrechtsanwaltskammer hatte, wie alle solchen Ausschüsse ein Demokratiedefizit, weil seine Mitglieder nicht gewählt, sondern berufen worden waren. Mit diesem Einwand muss sich auch ein von Gesetzes wegen eingerichteter Ausschuss wie der Gemeinsame Bundesausschuss (§ 92 SGB V: Er erlässt Richtlinien mit Rechtsnormcharakter) befassen;7 das BVerfG ist dem im sogenannten Nikolausbeschluss8 ausgewichen. Es trifft aber schon nicht zu, dem Richtlinienausschuss ein Rechtsstaatsdefizit anzudichten. 35 Jahre hat er mit ausdrücklicher verfassungsgerichtlicher Billigung agiert. Erst ein Federstrich des BVerfG hat das geändert, so wie ein Federstrich des BVerfG die außerordentlichen Rechtsbehelfe (die bis zu BVerfGE 107, 395, also mehr als 50 Jahre, nach ständiger Rechtsprechung zum Rechtsweg als Zulässigkeitsvoraussetzung für die Verfassungsbeschwerde gehört hatten) die Grundlage entzogen hatte. Solche Paradigmenwechsel wird es immer wieder geben. Sie stellen nicht die Vergangenheit ins Abseits, sondern ordnen die Zukunft neu. In den Richtlinienausschuss wurden im Übrigen bewusst keine Kammerpräsidenten berufen. Man wollte dort angesichts von nur sechs Mitgliedern keine Vorstandsund Hauptversammlungsabhängigkeiten. Sicher wurden im Laufe der Zeit einige der Mitglieder zu Kammerpräsidenten gewählt (Dombeck, Hübner, Finzel). Ein Bonus war damit nicht verbunden. Nicht das Amt, sondern das Argument zählte. Hettinger, den Vorsitzenden (Weigel) und mich als stellvertretenden Vorsitzenden betraf das ohnehin nicht. Auch die Bundesrechtsanwaltskammer hat diesen Ausschuss nicht gesteuert. Formell hatte sie, weil ein Ausschuss eine abhängige Einrichtung ist, zwar alle Fäden in der Hand. Unterschiedliche BRAK-Geschäftsführer haben dort stets das Protokoll geführt, aber eben nicht mehr. Der Ausschuss selbst behandelte die RichtlRA wie Rechtsnormen. In den langen Jahren meiner Tätigkeit im Richtlinienausschuss habe ich nichts anderes erlebt, als die durch umfangreiche Voten vorbereitete Erörterung von Rechtsfragen (häufig aufgrund von Anfragen von Kammermitgliedern) so lange, bis sich eine Rechtsauffassung durchgesetzt hatte. Was man dem Richtlinienausschuss vorgehalten hat, hält man jetzt, wenn auch unter etwas anderen Vorzeichen, der Satzungsversammlung vor (Inkompetenz/fehlende Verfassungstreue).9 Kilger hat die RichtlRA gerügt, weil in ihnen das Wort „Freiheit“ nicht vorkomme. Sorgfältige Lektüre hätte ihm allerdings die Erkenntnis vermittelt, dass der Vorspruch der RichtlRA 1 Zuck, NJW 1988, 175. Dort weitere Argumente. Meine Auffassung ist einhellig abgelehnt worden, vgl. die Hinweise bei Kleine-Cosack, § 43 Rz. 3 und BVerfG, NJW 1990, 2122. 2 Vgl. etwa Merten/Papier, Grundfragen der Grundrechtsdogmatik, 2007. 3 Rüthers, JZ 2008, 446 und früher schon Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung, 6. Aufl. 2005, S. 490 ff. 4 NJW 1993, 317. 5 S. dazu Zuck, JZ 1993, 470. 6 Hartung/Hartung, Einf. Rz. 27. Die formell zutreffende Beschreibung der Kompetenzen wird, wie gleich noch zu zeigen sein wird, der Rechtswirklichkeit nicht gerecht. An der Stimmgewichtung der Kammern in der BRAK-Hauptversammlung hat sich übrigens bis heute nichts geändert: eine Kammer = eine Stimme, vgl. § 190 BRAO. Die Mär von den rechtsvergessenen, nur interessengeleiteten 20 Kammerpräsidenten wird immer wieder neu aufgetischt, so jetzt wieder von Ignor, FS Egon Müller, 2008, S. 283 (285). 7 S. dazu: Schlegel/Voelzke/Beier, SGB V, 2008, § 92 SGB V Rz. 27 ff. 8 BVerfGE 115, 25. S. dazu jetzt nachdrücklich Heinig, Der Sozialstaat im Dienst der Freiheit, 2008, S. 421 ff. 9 Vgl. Kleine-Cosack, AnwBl. 2007, 409; Streck, AnwBl. 2007, 454.
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Grundpflichten des Rechtsanwalts
Rz. 10 § 43a BRAO
ausdrücklich sagt: Der Rechtsanwalt „übt einen freien Beruf aus“. Dass das nur im Vorspruch steht, ist angesichts des Umstandes, dass es sich bei den RichtlRA insgesamt lediglich um eine Auslegungshilfe, also nicht um Rechtsnormen gehandelt hat, kein Einwand. Im Übrigen fehlt der Worlaut-Argumentation jede Überzeugungskraft (auch freiheitsverbürgende Grundrechtsnormen wie Art. 14 GG kommen ohne ausdrückliche Anrufung der Freiheit aus). Kilger wird doch nicht ernstlich behaupten wollen, den RichtlRA sei es nicht um die Freiheit der Advokatur gegangen.1 Das 20-Jahr-Jubiläum der Bastille-Entscheidungen des BVerfG hat die Repräsentanten der Anwaltschaft veranlasst, den mit den Entscheidungen verbundenen Sieg der Selbstverwaltung zu feiern und zugleich davor zu warnen, diese Selbstverwaltung zu gefährden.2 Man sieht heute in den Bastille-Entscheidungen (zu Recht) eine Stärkung der Freien Advokatur3 aber auch die durch sie geförderte Entwicklung in der Kommerzialisierung des Anwaltsberufs.4, 5 Nach den Bastille-Entscheidungen gibt es keinen Stand mehr,6 und auch keine Ehre.7 Auch sind die Anscheinsregeln der RichtlRA entfallen, unter rechtsstaatlichen Prämissen zu Recht, auch wenn der gute Anwalt8 nach wie vor den bösen Schein vermeiden wird. In der Sache hat aber die BORA die RichtlRA zwar zeitgenössisch modernisiert, sie in ihrem Kern aber erhalten. Das ist auch naheliegend gewesen, denn die Anwaltschaft ist 1997 nicht vom Himmel gefallen.
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2. Stärkung der Selbstverwaltung Selbstverständlich wollte die Anwaltschaft ihre Berufsrechts-Kompetenz behalten. Berufsrecht als Satzungsrecht hat man deshalb gerne als Befehl des BVerfG aufgegriffen. Damit war aber auch die Zweiteilungsautomatik des Facharztbeschlusses in Gang gesetzt. Es 1 Vgl. Lingenberg/Hummel/Zuck/Eich/Zuck, Vorspruch, Rz. 6 f. 2 Dombeck, BRAK-Mitt. 2007, 142. 3 S. dazu früher schon Laufhütte, FS Pfeiffer, 1988, S. 959 und dezidiert BVerfGE 15, 226 (234); 50, 16 (29); 63, 266 (287); 110, 226 (251 f.). Wie schwach die Stärkung des Grundsatzes der Freien Advokatur sich gegenüber dem Zeitgeist erweist, zeigt die Rechtsprechung zur staatlichen Überwachung (auch) anwaltlicher Berufsausübung, vgl. § 43 BRAO Rz. 32 ff. (s. dazu nunmehr Knauer/Wolf, BRAK-Mitt. 2007, 143 [146 f.]) und die Probleme, die mit einem „gläsernen Anwalt“ verbunden sind (§ 43 BRAO Rz. 30 [Datenschutzrecht], Rz. 31 [Anwalt als Abgeordneter], s. zu immer weiteren neuen Herausforderungen Kirchberg, BRAK-Mitt. 2006, 7 ff. 4 Vorläufiger Höhepunkt: Versteigerung anwaltlicher Dienstleistungen im Internet, vgl. § 3 BORA Rz. 8. Zum Erfolgshonorar s. BVerfG JZ 2008, 680 mit Anm. von Zuck; Hamacher, AnwBl. 2007, 307; Johnigk, NJW 2007, 986; Kirchberg, BRAK-Mitt. 2007, 74; Kilian, BB 2007, 1061; Ebert, AnwBl. 2007, 428; Stüer, AnwBl. 2007, 431; Kleine-Cosack, NJW 2007, 1405. Am 1.7.2008 ist das Gesetz zur Neuregelung des Verbots der Vereinbarung von Erfolgshonoraren (BGBl. I, S. 1000) in Kraft getreten, s. dazu Streck, AnwBl. 2008, 59; Kilian, NJW 2008, 1905; Teubel, Erfolgshonorar für Anwälte, 2008; Henssler, AnwBl. 2008, 721 (725); Eggert/Oberlaender, BRAK-Mitt. 2009, 4; Hänsch, Das anwaltliche Erfolgshonorar, 2008; Schons, FS Hartung, 2008, S. 185; Römermann, NJW 2008, 3115; Hartmann, Kostengesetze, 39. Aufl. 2009, Anm. zu § 4a RVG. 5 Knauer/Wolff, BRAK-Mitt. 2007, 143 (144 ff.), Hamacher, AnwBl. 2007, 825. Zu Recht betonen die Autoren den Kern der Bastille-Entscheidungen, nämlich die Stärkung der demokratischen Rechte der Selbstverwaltung. S. dazu auch Kilger, AnwBl. 2008, 217 (219 f.). 6 Koch, begrüßt das, vgl. Koch/Kilian, Anwaltliches Berufsrecht, 2007, Einl. A Rz. 6. Damit haben wir uns zwar vom Standesbegriff verabschiedet, von dem mit Recht gesagt worden ist, er sei „insofern zum ideologischen Schleier (geworden) als er purer Interessenvertretung das Odium bloßer Partikularität und die Aura höherer Legitimität nehmen sollte“, Walther, in: Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 6, 1997, S. 284. Aber der Niedergang des Standesbegriffs dokumentiert nur den Sieg über ein Wort (Die Rechtssoziologie kümmert sich im Übrigen um die insoweit empfindsame Anwaltschaft nicht. Sie kennt und behandelt unverändert den (anwaltlichen) Berufsstand, vgl. etwa Raiser, Grundlagen der Rechtssoziologie, 4. Aufl. 2007, S. 335 f.). International ist der „Sieg“ ohnehin nicht vollständig, wie die deutsche Übersetzung von Nr. 2.2 CCBE zeigt. Die Gesellschaft bleibt gegliedert, sei es in Klassen (zu denen auch die Erwerbsklasse der Anwälte gehört, vgl. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 5. Aufl. 1976, S. 178) eine Zuordnung, die, wie der unverändert aktuelle Begriff der politischen Klasse zeigt (s. dazu Mosca, Die herrschende Klasse, 1950, S. 53 ff.) keineswegs an den Marxismus gebunden war, und es geht unverändert unter dem Oberbegriff der Stratifizierung um unterschiedliche Gesellschaftsschichten aufgrund der unterschiedlichen Sozialstruktur innerhalb einer jeden Gesellschaft. Dazu gehören auch die durch ihr besonderes Berufsprestige gekennzeichneten Gesellschaftsschichten, wie die der Ärzte und der Anwälte, vgl. Nohlen (Hrsg.), Lexikon der Politik, Bd. 7, 1998, S. 573; Raiser, Grundlagen der Rechtssoziologie, 4. Aufl. 2007, S. 336. 7 Auf diesen „Erfolg“ kann die Anwaltschaft sicher besonders stolz sein. Aber die Anwaltsgerichte, die die Ehrengerichte abgelöst haben, sehen sich vergleichbarer Kritik ausgesetzt, s. etwa Kleine-Cosack, AnwBl. 1999, 565, und dass es unverändert eine spezifische anwaltliche Berufmoral gibt, ist – zumindest bei den Moralphilosophen – völlig unstrittig. 8 S. dazu § 43 BRAO Rz. 26.
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§ 43a BRAO Rz. 10a
Grundpflichten des Rechtsanwalts
konnte nur noch über Umfang und Ausgestaltung der statusbildenden Normen gestritten werden. Das erklärt, warum es, vom Wortlaut her nicht auf den ersten Blick verständlich, „Allgemeine Pflichten“ (§ 43 BRAO) und „Grundpflichten“ (§ 43a BRAO) gibt. Die „Grundpflichten“ sind – als Komplementärbegriff zu den Allgemeinen Pflichten des § 43 BRAO verstanden – die statusbildenden besonderen Pflichten, jene also, die ins Gesetz gehören, wiederum im Gegensatz zu jenen, die man der BORA überlassen konnte. 10a
Die Amtliche Begründung1 stellt das zutreffend dar: „Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 14.7.1987 (BVerfG v. 14.7.1987 – 1 BvR 537/81 u.a.) können die Standesrichtlinien für Rechtsanwälte nur noch für eine Übergangszeit zur Konkretisierung der in der Generalklausel des § 43 BRAO verankerten beruflichen Pflichten herangezogen werden. Es besteht daher Veranlassung, die beruflichen Pflichten des Rechtsanwalts eingehender zu normieren. Dabei – so ein Hinweis des Bundesverfassungsgerichts – müssen die Normen nicht sämtlich vom Gesetzgeber stammen, Bestimmungen, die keinen statusbildenden Charakter haben, können von den Berufsangehörigen in einer Berufsordnung erlassen werden. Um den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts gerecht zu werden, sieht der Entwurf in Bezug auf die den Beruf prägenden beruflichen Pflichten eine gesetzliche Regelung im Grundsatz vor, während die Einzelheiten durch eine Berufssatzung bestimmt werden sollen. An der Generalklausel des § 43 BRAO, die bisher die Grundlage für die in den Richtlinien festgestellte Berufsauffassung war, soll festgehalten werden. Die Neuregelungen der beruflichen Pflichten durch Gesetz treten insoweit hinzu.“
3. Gesetzliche Grundlagen 11
Die Regelung dieser Grundpflichten in den Abätzen 1–6 ist klar, sachgerecht und insgesamt als gesetzgeberische Leistung gelungen. Das wird durch den Umstand bestätigt, dass die Konkretisierungen in der BORA nur geringen Umfang eingenommen haben (§§ 2 ff. BORA). B. Norminhalt I. Berufliche Unabhängigkeit (Absatz 1) 1. Unabhängigkeit als Handlungsnorm
12
Aufgrund der Unterscheidung zwischen Status- und Handlungspflichten2 hat Absatz 1 eine notwendige Funktion. Da Statuspflichten „ruhende“ Pflichten sind, ist es unverzichtbar, wenn Unabhängigkeit auch das Handeln des Rechtsanwalts bestimmen soll, die Pflicht zur Unabhängigkeit in Form einer Handlungsnorm zu konkretisieren. Dabei enthält Absatz 1 keine positive Pflicht zur Unabhängigkeit, sondern das Verbot, Bindungen einzugehen, die die Unabhängigkeit gefährden. Absatz 1 setzt also das Unabhängigkeitsverständnis der §§ 1–3 BRAO voraus, knüpft die Handlungspflichten aber nicht an die Vielfalt der Möglichkeiten, aufgrund derer die Unabhängigkeit berührt werden könnte, sondern vielmehr lediglich an die Eingehung von Bindungen, und bei diesen nur an solche, die die Unabhängigkeit gefährden. 2. Statusrechtliche Unabhängigkeit
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Der Bezugspunkt „Unabhängigkeit“ zwingt zu einem Rückgriff auf die statusrechtliche Unabhängigkeit der §§ 1–3 BRAO. Es zeigt sich dabei, dass der Begriff der Unabhängigkeit vielschichtig ist. a) Unabhängiges Organ der Rechtspflege
14
§ 1 BRAO bezeichnet den Anwalt als „unabhängiges Organ der Rechtspflege“. aa) Beschränkte Aussage
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„Unabhängig“ ist gem. § 1 BRAO der Anwalt als Organ der Rechtspflege. Das führt zu zwei Folgerungen: Zum einen trifft § 1 BRAO keine Aussage zur Mandantenunabhängigkeit. Sie ist ausdrücklich in § 3 Abs. 1 BRAO geregelt. Zur Frage der Gesellschaftsunabhängigkeit, der inne1 BT-Drs. 12/4993, S. 27. 2 Vgl. § 43 BRAO Rz. 6–9.
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Grundpflichten des Rechtsanwalts
Rz. 17 § 43a BRAO
ren Unabhängigkeit und der wirtschaftlichen Unabhängigkeit verhält sich § 1 BRAO ebenfalls nicht. Gegenstand der Unabhängigkeit kann deshalb nur der Bereich der Staatsunabhängigkeit sein. Es ist aber nicht nur der Bereich der Unabhängigkeit auf einen Sektor beschränkt. Dieser Sektor hat seinerseits besondere Umrisse. Staatsunabhängigkeit hat weder unmittelbar etwas mit sachlicher Unabhängigkeit zu tun1, noch wird sie durch persönliche Unabhängigkeit institutionell gesichert.
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bb) Freie Advokatur Der Begriff der Staatsunabhängigkeit, als bloße Unabhängigkeit vom Staat beschrieben, ist ohne Gehalt. Inhaltliche Bedeutung bekommt das Wort (staats)unabhängig nur und erst, wenn man es als einfache rechtliche Fixierung einer politischen Forderung versteht, die Geschichte hat und Geschichte gemacht hat, nämlich die Freiheit der Advokatur. Historisch gesehen ist die „Freie Advocatur“ als „Die erste Forderung aller Justizreformen in Preußen“2 3 nichts anderes gewesen als die Abschaffung der eigentlich treibenden Wurzel allen Übels, nämlich „der Beamtenstellung des Anwalts“. Das ist und bleibt der Kern der Unabhängigkeit des Anwalts als Organ der Rechtspflege. Diese Kennzeichnung, so selbstverständlich sie heute erscheint, ist auch notwendig. Denn da andere Organe der Rechtspflege, wie Richter, Staatsanwalt und Notar staatliche Ämter innehaben, ist es unabdingbar, die Andersartigkeit der Organstellung des Rechtsanwalts zu kennzeichnen.
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In diesem Zusammenhang verdient hervorgehoben zu werden, dass der Begriff der Unabhängigkeit damit zwar ausschlaggebend für das Verständnis des § 1 BRAO ist. Das ändert aber nichts daran, dass mit der Kennzeichnung eines Organs als staatsunabhängig nur eine punktuelle Aussage getroffen wird. Allen Versuchen, mehr aus dem Wort „unabhängig“ herauszulesen ist deshalb zu wehren. Das gilt gerade auch dort, wo die Unabhängigkeit vom Staat über die Statusfrage hinaus eine Rolle spielt. Schon v. Gneist hatte nämlich darauf aufmerksam gemacht, dass es dem Staat bei der Zulassung einer Person als Anwalt unbenommen bleibe, persönliche und sachliche Zugangsvoraussetzungen zu schaffen und eine Gebührenordnung vorzusehen.4 Auch hier zeigt sich, dass die Zuordnung des Wortes „unabhängig“ nicht zum Anwalt („Der Rechtsanwalt ist unabhängig“), sondern zum Organ der Rechtspflege. (Der Anwalt als „unabhängiges Organ der Rechtspflege“) strikter Beachtung bedarf.5
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cc) Zusammenfassung „Unabhängig“ im Sinne von § 1 BRAO heißt also staatsunabhängig, weil der Anwalt kein Staats-Diener ist. Unabhängig heißt aber auch, weil auf das Organ als funktionales Element der Rechtspflege bezogen, unabhängig gegenüber anderen Rechtspflegeorganen. Offen bleibt damit nur der Grad der Unabhängigkeit.
1 Im Schrifttum ist zwar viel davon die Rede, Staatsunabhängigkeit bedeute die Freiheit von staatlichen Weisungen, vgl. Kalsbach, BRAO Anm. II zu § 1 BRAO; Pfeiffer, BRAK-Mitt. 1987, 102 (103); Prütting, AnwBl. 1994, 135 (137); Feuerich/Weyland, § 1 Rz. 15. Aber wer vom Staat unabhängig ist, kann begrifflich nicht mehr weisungsgebunden sein. Wenn man mit der Weisungsfreiheit deshalb ein eigenständiges Merkmal ins Spiel bringen will, muss dieses eine andere Wurzel haben. Sie lässt sich in § 2 BRAO finden. 2 So der Titel der entsprechenden Schrift von Gneist’s, aus dem Jahr 1867. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Die Begrenzung der staatlichen Macht sieht das BVerfG in der Herauslösung der Anwaltschaft aus staatlichen Bindungen und der damit verbundenen Gewährleistung eines vom Staat unabhängigen freien Berufs. 3 BVerfG, BRAK-Mitt. 2007, 122. Zu Recht weist das BVerfG darauf hin, dass diese Regelungen nicht allein im individuellen Interessen des einzelnen Rechtsanwalts ihre Legitimation finden, sondern auch im Interesse der Allgemeinheit an einer wirksamen und rechtsstaatlich geordneten Rechtspflege, BVerfGE 110, 226 (251 f.); BRAK-Mitt. 2007, 122 (123). 4 von Gneist, Freie Advocatur, 1867, S. 52 ff. 5 Siehe dazu, die geschichtliche Entwicklung nachzeichnend, Eckertz-Höfer, NJW 2013, 1581. Im Ergebnis zu Recht hat Eckertz-Höfer die Formulierung vom „unabhängigen Organ der Rechtspflege“ für immer noch sachgerecht gehalten, weil sie auf eine ethische Grundformel verweise, NJW 2013, 1580 (1581). Ich habe es allerdings für vorzugswürdiger gehalten, insoweit von einem „moralischen Grundbestand“ auszugehen, Zuck, NJW 2013, 1582 (1583). Damit wird zugleich auf den „Guten Anwalt“ verwiesen, vgl. Zuck, NJW 2012, 1681 und dazu auch § 43 BRAO Rz. 11 dort mit Fn. 4.
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Grundpflichten des Rechtsanwalts
b) Freier Beruf 18
Der Anwalt übt einen freien Beruf aus (§ 2 Abs. 1 BRAO). Freiheit lässt sich inhaltlich auch durch eine Reihe von Voraussetzungen kennzeichnen, die allesamt dem Begriff der Unabhängigkeit zuzuordnen sind.1 Zu erörtern sind die wirtschaftliche,2 die gesellschaftliche (Rz. 20) und die innere Unabhängigkeit3 sowie die Mandantenunabhängigkeit.4 aa) Wirtschaftliche Unabhängigkeit
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Der Grundsatz der wirtschaftlichen Unabhängigkeit verlangt, dass die Voraussetzungen für die wirtschaftliche Existenz des Anwalts gewährleistet sind.5 Frei kann nur der sein, dessen Lebensumstände freies Handeln überhaupt erst erlauben. Will man das nicht nur als eine wünschenswerte gesellschaftspolitische Forderung verstehen, so reduziert sich freilich die Voraussetzung der wirtschaftlichen Unabhängigkeit auf einen engen rechtlichen Kern. Gäbe es kein RVG, also keine staatliche Gebührenordnung, nach der der Rechtsanwalt (meistens) abzurechnen hat (§ 1 RVG, § 49b BRAO), wäre also der Anwalt bloßer Marktteilnehmer, so unterläge er den allgemeinen Marktbedingungen. Es wäre seine Sache, welche Vergütung er für seine Leistung durchsetzen könnte; insoweit fehlt jede Sicherung. Es bliebe lediglich die Frage, ob der Staat verpflichtet wäre, angesichts der Unverzichtbarkeit des Anwalts und der Anwaltschaft für das Funktionieren des Rechtsstaates eine solche Gebührenordnung vorzuhalten. Auch beim Vorhandensein einer Gebührenordnung (wie des RVG) bleibt es Sache des einzelnen Anwalts, dafür zu sorgen (oder darauf zu warten), dass sich seine Leistung am Markt durchsetzt. Insoweit gibt der Grundsatz der wirtschaftlichen Unabhängigkeit nur eine Chance (keineswegs eine Gewinnerwartung) auf Sicherung der wirtschaftlichen Existenz, nicht deren Sicherung selbst. Das entspricht einer gefestigten Rechtsprechung des BVerfG. Art. 12 Abs. 1 GG gibt dem Einzelnen keinen Anspruch auf Erfolg im Wettbewerb oder auf Sicherung künftiger Erwerbsmöglichkeiten.6 Eine Garantie für auskömmliche Gebühren im Rahmen einer konkreten Berufsausübung lässt sich infolgedessen aus Art. 12 Abs. 1 GG nicht entnehmen. Das Gebührenrecht muss lediglich die Möglichkeit eröffnen, auskömmliche Entgelte für berufliche Leistungen zu erhalten. Das auskömmliche Entgelt ist dabei nicht einzelfallbezogen zu betrachten. Bei gesetzlichen Gebührenordnungen ist vielmehr von einer Mischkalkulation auf Seiten der Berufsangehörigen auszugehen, die es ihnen erlaubt, sowohl ihren Kostenaufwand als auch ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.7 Diese Grundsätze hat das BVerfG in einer Vielzahl von Entscheidungen entwickelt, die sich mit der Angemessenheit gesetzlicher Gebührenregelungen zu befassen hatten8. Wäre das anders, würde der Staat also – etwa zur Gewährleistung des Rechtsstaats – ein Mindesteinkommen garantieren, wäre die Staatsunabhängigkeit des Anwalt, wie sie § 1 BRAO statuiert,9 nicht mehr gesichert. Die Voraussetzung der wirtschaftlichen Unabhängigkeit kann – rechtlich – infolgedessen nur (aber auch: immerhin) bedeuten, dass der Staat, der den Anwalt an eine Gebührenordnung bindet, gewährleisten muss, dass der Anwalt auf der Grundlage dieser Gebührenordnung auch sein Auskommen finden kann. Insoweit entfaltet das Prinzip der wirtschaftlichen Unabhängigkeit – als Voraussetzung der freien Berufsausübung durch Art. 12 Abs. 1 GG abgesichert – genau an dieser Stelle seine rechtliche Wirkung. Das RVG muss dem durchschnittlichen Anwalt mit einem durchschnittlichen Leistungsspektrum die Chance einräumen, auf dieser gesetzlichen Grundlage angemessen leben zu kön1 Damit wird, jedenfalls insoweit, der Auffassung eine Absage erteilt, die Freiheit und Unabhängigkeit für austauschbare Begriffe hält. 2 Rz. 19. 3 Rz. 21. 4 Rz. 22. 5 Zur wirtschaftlichen Unabhängigkeit vgl. Quack, NJW 1975, 1337; Schneider, Der Rechtsanwalt, ein unabhängiges Organ der Rechtspflege, 1976, S. 102 ff.; Hartstang, Der deutsche Rechtsanwalt, 1986, S. 86; Pfeiffer, BRAK-Mitt. 1987, 102 (104); Heister-Neumann, FS Scharf, 2008, S. 229. 6 BVerfGE 106, 275 (299), st. Rspr. 7 BVerfGE 107, 133 (143 f.). 8 BVerfGE 101, 312 – Betreuervergütung; BVerfG(K), NJW 2007, 3420 – Pauschgebühr für Pflichtverteidiger; BVerfGE 107, 133 – Ermäßigung von Anwaltsgebühren in den neuen deutschen Ländern; BVerfGE 106, 275 – Festbeträge gem. § 35 ff. StGB V a.F.; BVerfG, JZ 2007, 680 mit (krit.) Anm. v. Zuck – Erfolgshonorar für Anwälte; BVerfG, JZ 2008, 301 (mit abw. M. Gaier) – Kappungsgrenze bei der Streitwertbemessung. S. dazu ausf. Zuck, JZ 2008, 287 ff. 9 Rz. 15–17.
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Grundpflichten des Rechtsanwalts
Rz. 20a § 43a BRAO
nen. Es gibt aber einen Gegenpol. Im Zusammenhang mit § 2 PreisG und BVerfGE 8, 275 (329) lässt sich das Sozialstaatsprinzip so aktualisieren, dass dem rechtlichen Erfordernis der wirtschaftlichen Unabhängigkeit gesamtwirtschaftliche und soziale Gründe zum Nutzen des allgemeinen Wohls gegenübergestellt werden. Das ist auch anzuerkennen. Wichtig ist nur die Erkenntnis, dass es gute Gründe dafür gibt, den Freiheitsrechten, denen die wirtschaftliche Unabhängigkeit zu dienen bestimmt ist, Vorrang einzuräumen und unter dieser Vorgabe einen Ausgleich zu suchen.1 Im Ergebnis fordert das Zeitnähe und angemessene Anpassungen der staatlichen Gebührenordnung, insbesondere des RVG. bb) Die gesellschaftliche Unabhängigkeit2 Jeder, auch der Anwalt, ist ein Kind seiner Zeit, in eine Gesellschaft eingebettet. Insoweit ist Gesellschaftsunabhängigkeit eine Chimäre. Man kann Gesellschaftsunabhängigkeit als Unabhängigkeit von gesellschaftlichen Machtgruppen verstehen, mögen diese Machtgruppen ideologisch, parteipolitisch oder wirtschaftlich orientiert sein. Während wirtschaftliche Unabhängigkeit auf Rechte verweist, bezieht sich Gesellschaftsunabhängigkeit auf Pflichten. Nimmt man als Beispiel für ideologische Abhängigkeit das Praxisschild „Sozialistisches Anwaltskollektiv“,3 für Parteiabhängigkeit den Kaul-Beschluss4(SED), für die wirtschaftliche Abhängigkeit den renommierten Großmandanten mit Dauerberatungsvertrag,5 so zeigt sich, dass wirtschaftliche Abhängigkeit kein Problem des § 2 Abs. 1 BRAO ist, sondern dem Bereich der Unabhängigkeit gegenüber dem Mandanten zugeordnet werden muss.6 Das gilt in erhöhtem Umfang auch für die ideologische und parteipolitische Abhängigkeit, doch handelt es sich hier bei der daraus folgenden Abhängigkeit gegenüber dem Mandanten schon um eine Folge allgemeiner Unfreiheit. Wer sich als sozialistisches Anwaltskollektiv versteht, macht eine Vorgabe für die Mandatsanbahnung, und wer sich zum Sprachrohr der Parolen einer politischen Partei macht, kann jedenfalls damit seine Freiheit so begrenzen, dass sich seine Tätigkeit nur noch auf Sachverhalte bezieht, die in diesen Rahmen passen. Die Frage ist nur, ob aus festgestellter Gesellschaftsabhängigkeit rechtliche Folgerungen zu ziehen sind. Hier wird der Standpunkt vertreten, dass es, sieht man von den allgemeinen Regeln des Rechts ab, keine inhaltliche Bindung des Anwalts an eine bestimmte Verwirklichung von Freiheit gibt. Dem Anwalt kann nicht, weil er einen freien Beruf ausübt, versagt sein, sich einer Ideologie, einer Sekte, einer Religion oder eine politischen Partei zu verschreiben, und sich voll mit einer solchen Richtung zu identifizieren. Würde also eine Anwaltskanzlei als „Christliche Rechtsanwälte“ firmieren, würde ein Anwalt sich als „Operativer Theton“ (Scientology) kennzeichnen oder in Schriftsätzen oder Plädoyers die fremdenfeindlichen Parolen einer politischen Partei in einem Verfahren vertreten, dass ein Mitglied dieser Partei betrifft, so käme es weder auf den Grad der Akzeptanz von Christen, Scientology oder politischer Partei an, noch – im Regelfall – auf den Grad der Anhängigkeit, sondern allein darauf, ob die Rechtsordnung z.B. eine Firmenführung verbietet, ob ein Vortrag gegen strafrechtliche Normen oder gegen die guten Sitten verstößt oder ob z.B. ein religiösem Wahn verfallener Anwalt noch berufsfähig ist. Nicht die Abhängigkeit ist dann das entscheidende rechtliche Kriterium, sondern die rechtliche Beurteilung des in Abhängigkeit Handelnden. Die Bindung an die allgemeine Rechtsordnung stellt sicher, dass die Freiheit nicht missbraucht wird. Unter diesen Bedingungen gibt es im Rahmen des § 2 Abs. 1 BRAO kein rechtliches Gebot der gesellschaftlichen Unabhängigkeit.
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Es ist deshalb ganz folgerichtig, dass der Rechtsanwalt auch nicht politisch zuverlässig sein muss.7
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1 S. dazu auch Schneider, Der Rechtsanwalt, ein unabhängiges Organ der Rechtspflege, 1976, S. 103 ff. m.w.N.; Haas, BRAK-Mitt. 1992, 65. 2 Habscheid, NJW 1962, 1985 (1989); Pfeiffer, Die freie Anwaltschaft im Rechtsstaat, in: Hundert Jahre Rechtsanwaltskammer, 1991, S. 57 (66 f.); Pfeiffer, BRAK-Mitt. 1987, 102 (103); Hartstang, Anwaltsrecht, 1991, S. 336 ff. Feuerich/Weyland zu § 1 BRAO und BVerfGE 108, 133 (144) m.w.N. Die Kappungsgrenzenentscheidung macht insoweit darauf aufmerksam, dass das anwaltliche Gebührenrecht insgesamt im Rahmen eines Interessenausgleichs zwischen einer ordnungsgemäß funktionierenden Rechtspflege und eine die Leistungsfähigkeit der Anwaltschaft sichernden Vergütung gesehen werden muss, vgl. BVerfG, JZ 2008, 301 (302 f.). 3 BGHSt 24, 235. 4 BGHSt 36, 326 und dazu BVerfGE 22, 114. 5 S. auch Maier, Kunst des Rechtsanwalts, 1971, S. 153 ff. In dem hier gewählten Zusammenhang bezieht sich die wirtschaftliche Abhängigkeit auf die Abhängigkeit von Wirtschaftsmacht. 6 S. unten Rz. 22. 7 Vgl. Zuck, NJW 1969, 1121 (1123); Reifner, NJW 1984, 1151; Schier, AnwBl. 1984, 410; Brangsch, FS Oppenhoff, 1985, S. 26; v. Löbbecke, FS Simon, 1987, S. 665.
Zuck 575
§ 43a BRAO Rz. 20b 20b
Grundpflichten des Rechtsanwalts
Nach 1945 hat sich der BGH nicht leicht getan, die nötige Distanz zu ungeliebter (d.h. von der schweigenden Mehrheit nicht akzeptierter) politischer Zugehörigkeit und zu Äußerungen von Anwälten zu gewinnen. Die Anwälte haben es dem BGH auch nicht immer leicht gemacht, was auch in der Entstehungsgeschichte des § 7 Nr. 6 BRAO eine Rolle gespielt hat.1 Die jetzige Rechtslage wird allein von BVerfGE 63, 266 beherrscht, wonach (sogar) das aktive Eintreten für eine als verfassungsfeindlich eingestufte Partei die Zulassung zur Anwaltschaft nicht hindert, es sei denn, der Bewerber bekämpfe die freiheitlich demokratische Grundordnung in strafbarer Weise im Sinne des § 7 Nr. 6 BRAO. cc) Die innere Unabhängigkeit
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Wirklich frei kann nur sein, wer innerlich unabhängig ist. Das ist in erster Linie eine Charakterfrage, die Frage nicht nach der Person, sondern der Persönlichkeit des Rechtsanwalts. Insoweit gibt es sicherlich eine Vielzahl von Fakten, die das Handeln des Rechtsanwalts prägend beeinflussen. Für die Richterschaft hat man begonnen, diesem Problem nachzugehen,2 und zwar vor allem unter dem Aspekt des Schutzes vor den Medien und der öffentlichen Meinung, dem Problem des Belastungsdrucks und der Alltagsroutine, aber auch der Zulässigkeit und der Grenzen von Richterrecht. Ganz allgemein geht es um die (äußere) Freiheit von sachfremden Einflüssen und vorzeitigen Festlegungen.3 Damit ist aber zugleich schon gesagt, dass die innere Unabhängigkeit nicht Gegenstand von Rechten und Pflichten ist, sondern das Ethos anwaltlicher Berufsausübung betrifft.4 dd) Mandantenunabhängigkeit
22
Die in § 3 Abs. 1 BRAO erwähnte Unabhängigkeit5 bedeute, so heißt es, dass der Anwalt von der Partei Distanz halte.6 Ob er das könne, hänge von seiner Persönlichkeit ab.7 Mit diesem Inhalt gehörte allerdings der Begriff der Unabhängigkeit nicht mehr in die BRAO, sondern allein in einen (rechtlich nicht verbindlichen) Kanon dessen, was nach der Überzeugung angesehener und erfahrener Anwälte ein anständiger Anwalt tun oder unterlassen soll.8 Es stellt sich aber auch noch eine ganz andere Frage: Im Regelfall9 ist der Anwalt im Verhältnis zu seinem Mandanten an dessen Weisungen gebunden (§§ 675, 665 BGB),10 soweit sich die Weisungen im Rahmen des gesetzlich Zulässigen halten.11 Wie verhält sich die Weisungsgebundenheit des Rechtsanwalts zu seiner Unabhängigkeit?
22a
Der rechtliche Gehalt der Unabhängigkeit vom Auftraggeber liegt nicht in der Charakterstärke des Anwalts, sondern in der damit verbundenen Kennzeichnung seines berufsrechtlichen Status. Der freie Anwalt (§ 2 Abs. 1 BRAO) ist in dieser Freiheit trotz des funktionalen Bezugs zur Rechtspflege durch die Unabhängigkeit vom Staat12 gesichert. Dieser Sicherung bedarf er aber auch im Rahmen seiner vertraglichen Bindungen gegenüber dem Auftraggeber. Vertraglich könnte er sich gegenüber dem Auftraggeber im Rahmen der Rechtsordnung zu allem verpflichten; als bloßer Vertreter des Auftraggebers im rechtstechnischen Sinne würde letztlich nicht mehr der Anwalt sondern der Auftraggeber die Rolle des Organs der Rechtspflege übernehmen müssen. Die Sicherung der rechtsstaatlichen Gewährleistungsfunktionen beschreibt deshalb die durch die Berufspflichten des Anwalts konkretisierte Unabhängigkeit gegenüber dem Auftraggeber.
1 v. Löbbecke, FS Simon, 1987, S. 665 (673 f.). 2 Zweigert, FS v. Hippel, 1967, S. 711; Schreiber, FS Jeschek, 1985, S. 757 ff.; Pfeiffer, FS Zeidler, Bd. 1, 1987, S. 67 ff. Hassemer, JZ 2008, 1 (5) bringt die Bindung des Richters an das Gesetz und seine Unabhängigkeit in ein von „massiven Widerlager“ geprägtes Gleichgewicht. 3 Pfeiffer, FS Zeidler, Bd. 1, 1987, S. 67 (73). 4 Prütting, AnwBl. 1994, 415 (auch wenn Prütting, die innere Unabhängigkeit nicht erwähnt). 5 Meist missverständlich als Parteiunabhängigkeit bezeichnet. Gemeint ist die Unabhängigkeit vom Auftraggeber. 6 Borgmann/Jungk/Grams, Rz. 30 ff. zu § 3 m.w.N. 7 Schneider, Der Rechtsanwalt, ein unabhängiges Organ der Rechtspflege, 1976, S. 95; Hartstang, Der deutsche Rechtsanwalt, 1986, S. 83; Pfeiffer, BRAK-Mitt. 1987, 102 (104). 8 Zuck, JZ 1989, 353 (356), s. dazu § 43 BRAO Rz. 25. 9 Anwaltsvertrag als Dienstvertrag, vgl. Borgmann/Jungk/Grams, § 10 Rz. 24 ff. BGH, LM Nr. 28 zu § 675 BGB, ausführlich Borgmann/Jungk/Grams, Rz. 25 ff. 10 BGH, LM Nr. 28 zu § 675 BGB, ausführlich Borgmann/Jungk/Grams, § 22 Rz. 143 ff. m.w.N. 11 S. dazu etwa BGH, NJW 1991, 2280 (2282). 12 Rz. 15–17.
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Grundpflichten des Rechtsanwalts
Rz. 24 § 43a BRAO
Der zivilrechtlich gebundene Anwalt bleibt deshalb berufsrechtlich ungebunden. Wir haben es mit zwei Ebenen zu tun: Die zivilrechtlich ausgestaltete (horizontale) Vertragsebene „Auftraggeber – Anwalt“, die das Innenverhältnis beschreibt und (u.a.) durch Weisungsrechte des Auftraggebers gekennzeichnet ist und die öffentlich-rechtlich ausgestaltete (vertikale) Berufsrechtsebene, die vom Element der Unabhängigkeit beherrscht wird. So wie es in der horizontalen Ebene Grenzen der Weisungsbefugnisse des Auftraggebers gibt,1 gibt es auch Grenzen der Weisungsbefugnisse an der Schnittfläche zu den vertikalen Bindungen des Anwalts „im Rahmen des gesetzlich Zulässigen“. Das bedeutet, dass die Weisung des Auftraggebers sich auch im Rahmen des für den Anwalt berufsrechtlich Zulässigen, wie es sich insbesondere aus §§ 43, 43a BRAO und der BORA ergibt, halten muss. Wenn es in § 8 RichtlRA hieß: „Eine Weisung des Auftraggebers kann einen Verstoß gegen das Standesrecht nicht rechtfertigen“, so wurde damit nur in Worte gefasst, was sich der Sache nach schon aus dem Bezug zu § 3 Abs. 1 BRAO und § 675 BGB ergibt. Wenn man will, kann man die Unabhängigkeit des §§ 3 Abs. 1 BRAO äußere Unabhängigkeit nennen. Da der Anwalt auch gegenüber dem Auftraggeber nicht „blind“ weisungsgebunden ist, gibt es auch eine innere Unabhängigkeit.
22b
3. Bedeutung der Unabhängigkeit a) Verzicht auf Unabhängigkeit? Es wird verbreitet angenommen, die dem Anwalt attestierte Unabhängigkeit beschreibe einen konturenlosen, nicht justiziablen Begriff.2 Man sollte sich deshalb um seine Erhellung nicht weiter bemühen.3 Der Verzicht auf die Anstrengung, einen im Gesetz mehrfach (z.B. §§ 1, 3, 43a Abs. 1, 59b Abs. 2 S. 1b, 59f Abs. 4 BRAO) und das auch noch in zentralen Vorschriften enthaltenen Begriff verstehen zu wollen, mag die damit – zugegebenermaßen – verbundene Mühe als Ursache haben. Als juristische Aussage ist die These jedoch unhaltbar. Das wird auch bei Koch selbst deutlich, denn eine Leerstelle will er auch nicht hinterlassen. Er ersetzt die Unabhängigkeit durch eigene Koryphäen-Zitate,4 aber bei allem Respekt: Auch der anwaltliche Gesetzesexeget ist an Gesetz und Recht gebunden. Was so nicht in § 43a Abs. 1 BRAO steht, kann weder hineingelegt noch herausgelesen werden.
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b) Sinn der Unabhängigkeit Kochs exegetische Resignation ist zwar nicht unverständlich, insbesondere, wenn es um den Bereich der inneren Unabhängigkeit, aber auch den der Mandantenabhängigkeit geht. Innere Freiheit ist unkontrollierbar und die wirtschaftliche Abhängigkeit (mehr noch als die Weisungsgebundenheit) vom Auftraggeber (aber ggf. auch vom anwaltlichen Arbeitgeber) ist anwaltliche Alltagserfahrung. Das wird noch deutlicher im Zusammenhang mit der Bindungsproblematik werden.5 Man wird einräumen müssen, dass das Fehlen innerer Unabhängigkeit nur justiziabel wird, wenn der Anwalt seine Abhängigkeit offenlegt (Beispiele gibt es etwa in NPD-Verfahren). Die wirtschaftliche Abhängigkeit des Anwalts wird oft mit Händen zu greifen sein (Beispiel: ungerechtfertigte positive Voten gegenüber der Rechtsschutzversicherung). Aber die eingeschränkte Verwirklichbarkeit der gesetzlichen Vorgaben hebt ihr Vorhandensein nicht auf. Das gilt erst recht im Zusammenhang mit der Staatsunabhängigkeit und der wirtschaftlichen Unabhängigkeit des Anwalts. Ohne den Gedanken der Staatsunabhängigkeit ließe sich das Berufsbild der Freien Advokatur nicht konturieren. Insoweit ist der Zusammenhang mit der Unabhängigkeit des Richters noch einmal bedeutsam.6 Ihre Gewährleistung hat schon für die verfassungsrechtliche Struktur der US-Verfassung eine zentrale Rolle gespielt. Madison hat dabei darauf hingewiesen, es werde durch die Sicherung der Unabhängigkeit des Richters – sozusagen vorbeugend – dessen Kontrollkompetenz gegenüber den gesetzgebenden Körperschaften hervorgehoben.7 Das ist nun aber auch ein Argument zu der die Freie Advokatur gewährleistenden Unabhängigkeit des Anwalts. Diese sichert, unabhängig von der Exegese ihrer einzelnen Elemente, die rechtsstaatlich unver1 S. dazu im einzelnen Borgmann/Jungk/Grams, Rz. 143 ff. zu § 22. 2 Schautes, Anwaltliche Unabhängigkeit 2005, S. 283; Kleine-Cosack, § 1 Rz. 18; Henssler/Prütting/Henssler, § 43a Rz. 7; Hartung/Hartung, § 43a Rz. 8. 3 Koch/Kilian, Rz. A 24. 4 Kilger, AnwBl. 2003, 449 (451); Redeker, AnwBl. 1988, 14 (16). 5 Rz. 29–36. 6 Rz. 21. 7 Madison, in: Zehnpfennig (Hrsg.), Die Federalist Papers, 2007, Nr. 78, S. 460.
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§ 43a BRAO Rz. 25
Grundpflichten des Rechtsanwalts
zichtbare Position des Anwalts für eine funktionsfähige Rechtspflege.1 Und dass die wirtschaftliche Unabhängigkeit des Anwalts ein Garant für ein (wenn auch nur grundsätzlich gewährleistetes) angemessenes Gebührenaufkommen ist, steht außer Frage. 4. Bindungsverbot 25
Die vorstehend gegebene Darstellung des unabhängigen Status des Anwalts2 leitet über zu den seine Handlungspflichten konkret bestimmenden Vorgaben des eingeschränkten Bindungsverbots des Absatz 1. a) Tradition aa) RichtlRA
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§ 43a Abs. 1 BRAO hat einen Vorläufer in § 40 RichtlRA.3 Der Text lautete: „Der Rechtsanwalt darf keine Bindungen eingehen, die seine berufliche Unabhängigkeit gefährden könnten“. bb) BORA
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Der BRAK-Ausschuss Berufsordnung hatte als § 2 BORA-E vorgesehen: „Der Rechtsanwalt darf keine Bindungen eingehen, die seine berufliche Unabhängigkeit gefährden könnten“. In der BORA taucht nur noch – in § 3 Abs. 1 BRAO wiederholender Weise – in § 1 Abs. 3 BRAO der Begriff der Unabhängigkeit vom Auftraggeber auf. Die Konkretisierung des § 43a Abs. 1 BRAO, die nach § 59b Abs. 2 Nr. 1b BRAO möglich gewesen wäre, wurde in der Satzungsversammlung gar nicht erst erwogen. Der für diese Frage zuständige 4. Ausschuss hatte zwar das Problem schon in seiner ersten Sitzung zunächst kontrovers diskutiert.4 Die Befürworter einer BORA-Norm wollten damit sowohl die Staatsfreiheit als auch eine ungeschützte Freiheit gegenüber dem Mandanten betonen. Außerdem sei eine Unabhängigkeitsregelung für angestellte Rechtsanwälte und Syndikusanwälte erforderlich, um Weisungen des Dienstherrn vorzubeugen. Die Bekräftigung der Unabhängigkeit sei auch zur Wahrung der Unabhängigkeit gegenüber Rechtsschutzversicherern hilfreich.
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Die Gegner wiesen auf den schillernden Inhalt des Begriffs hin. Niemand sei bisher gegenüber der gesetzlichen Rechtslage etwas Neues eingefallen. Mehr als Appelle könne deshalb eine explizite Regelung nicht leisten. Da Unabhängigkeit ein Synonym für Freiheit sei, könne man den Begriff im Rahmen des § 1 BORA unterbringen. Diese Auffassung hat sich im 4. Ausschuss einstimmig durchgesetzt. b) Rechtsfolge
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Der Verzicht auf Konkretisierung einer im Rahmen des § 59b BRAO konkretisierungsfähigen Vorschrift führt nicht zu einem regelungsfreien Raum, sondern nur dazu, dass die Konkretisierung nicht mehr von der Satzungsversammlung, sondern von Rechtsprechung und Schrifttum vorgenommen wird. Damit sind zwei Aspekte verbunden: Aus dem Selbstbestimmungsrecht der Anwaltschaft wird eine Endbestimmungspflicht der Rechtsprechung (denn d i e s e muss das Recht anwenden). Zugleich verändert sich der Umfang der Inhaltsbestimmung: Die Inhaltskonkretisierung der Satzungsversammlung ist ein Vorgang autonomer Willensbildung, lediglich kontrolliert durch das Justizministerium und die Gerichte. Die Anwaltschaft hat insoweit erhebliche Freiräume wie sie eine allgemeine Norm näher ausgestalten will. Die Inhaltsbestimmung durch die Gerichte ist reine Rechtsanwendung. Die Gerichte haben die Argumentationslast, ob eine von ihnen vorgenommene Konkretisierung wirklich aus der allgemeinen Norm ableitbar ist. Aus der Sicht der Anwaltschaft (und aus der Sicht des Rechtsanwenders) sind die Ergebnisse dieser Konkretisierung kaum vorhersehbar. Sie folgen dem Zufallsprinzip. Es kann insbesondere nicht sichergestellt werden, wenn man den Verzicht auf Satzungskonkretisierungen für das Ergebnis gelungener Deregulierungspolitik hält, dass die Gerichte dieser Auffassung folgen, nunmehr also davon ausgehen, die allgemeine Norm enthalte keine konkreten Handlungspflichten. Die Annahme, die Satzungsver1 2 3 4
§ 43 BRAO Rz. 18. Rz. 12–42. S. dazu Lingenberg/Hummel/Zuck/Eich/Hummel, Anm. zu § 14 RichtlRA, insbesondere Rz. 5 f. Protokoll der ersten Sitzung des Ausschusses 4 v. 1./2.12.1995 in Frankfurt/M., SV-Mat. 12/96, n.v.
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Grundpflichten des Rechtsanwalts
Rz. 33 § 43a BRAO
sammlung könne unerwünschte Rechtsprechungsergebnisse nachträglich konkretisieren, taugt nur bedingt. Höchstrichterliche Entscheidungen etwa engen die faktischen Handlungsspielräume eines Satzungsgesetzgebers spürbar ein. c) Zur Eingehung von Bindungen aa) „Eingehung“ und Zulassung Das Gesetz spricht, wie früher schon § 40 RichtlRA1 von „Eingehen“ von Bindungen, also dem Wortlaut nach von einer Bindung nach der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft und als Rechtsanwalt. Die berufliche Unabhängigkeit wird aber auch gefährdet, wenn eine „vorberufliche“ Bindung, die diese Voraussetzungen erfüllt, feststeht. Aus Absatz 1 ergibt sich deshalb, dass der Anwalt eine solche Bindung lösen muss.2 Ein Anwendungsbereich wird sich nur finden lassen, wenn die Zulassungssperre des § 7 Nr. 8 BRAO nicht greift, wonach der Bewerber zur Rechtsanwaltschaft nicht zugelassen werden darf, wenn er eine Tätigkeit ausübt, die „das Vertrauen in seine Unabhängigkeit gefährden kann“. Dabei sind zwei Varianten denkbar:
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(1) Der Bewerber hätte gar nicht zugelassen werden dürfen. Dann kommt es darauf an, ob dies zum Widerruf der Zulassung nach § 14 Abs. 1 Nr. 8 BRAO führt, weil die Ahndung einer Berufspflichtverletzung wegen desselben Sachverhalts nicht in Betracht3 kommt oder ob der Widerruf eine unzumutbare Härte im Sinne des § 14 Abs. 1 Nr. 8 BRAO darstellen würde.4 In diesem Fall kommt eine Ahndung wegen eines Verstoßes gegen § 43a Abs. 1 BRAO in Betracht.
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(2) Der Bewerber ist zu Recht zugelassen worden, es liegt aber dennoch ein Verstoß gegen § 43a Abs. 1 BRAO vor. Dieser Sachverhalt ist denkbar, weil § 7 Nr. 8 BRAO teils enger (Tätigkeit/Bindung) teils weiter (Eignung zur Gefährdung/Gefährdung) gefasst ist als § 43a Abs. 1 BRAO.
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bb) Art der Bindung Die Bindung kann faktischer Natur sein, z.B. aufgrund eines Status, etwa als Abgeordneter5 oder einer Mitgliedschaft, etwa in einer Sekte; sie kann aber auch rechtlicher Natur sein. Das bezieht sich vor allem auf vertragliche Bindungen gegenüber Dritten, gegenüber dem Auftraggeber und gegenüber anderen Anwälten
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(1) Zweitberuf Die vertragliche Bindung gegenüber Dritten betrifft insbesondere den (kaufmännischen) Zweitberuf.6 Seit BVerfGE 87, 287 steht fest, dass die Verweigerung der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft ein sich deutlich abzeichnendes naheliegendes Risiko von Interessen-(Pflichten-)Kollisionen voraussetzt, denen nicht wirksam mit Berufsausübungsregeln begegnet werden kann, so dass durch die weitere Tätigkeit des Bewerbers die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege oder die Stellung der Anwaltschaft als unabhängiges Rechtspflegeorgan gefährdet ist.7 Eine solche Interessenkollision liegt jedoch nicht schon dann vor, „wenn das Wissen aus der ei1 2 3 4
S. Lingenberg/Hurnmel/Zuck/Eich/Hummel, Rz. 13 zu § 40 RichtlRA. Lingenberg/Hummel/Zuck/Eich/Hummel, Rz. 13 zu § 40 RichtlRA. So – zu Altrecht – BGH, NJW 1990, 1373. Eine unzumutbare Härte soll allerdings nur ausnahmsweise vorliegen, vgl. Kleine-Cosack, § 14 BORA Rz. 27; Henssler/Prütting/Henssler, § 14 BORA Rz. 29; Feuerich/Weyland, § 14 BORA Rz. 72. Das darf man aber nicht missverstehen. Der Begriff der „Ausnahme“ bezieht sich in diesem Zusammenhang auf die Tatsache, dass die tatsächlichen Voraussetzungen für eine unzumutbare Härte selten vorliegen werden, nicht aber auf das Erfordernis einer engen oder strengen Auslegung. Es sind vielmehr alle Umstände des konkreten Einzelfalls zu prüfen, die für oder gegen das Vorliegen einer unzumutbaren Härte sprechen, s. dazu auch EGH Celle, BRAK-Mitt. 1990, 249. Der Begriff der „unzumutbaren Härte“ ist ein unbestimmter Rechtsbegriff. Das Vorliegen der unzumutbaren Härte ist gerichtlich voll nachprüfbar, BGH, NJW 1984, 1689. 5 BGH, NJW 1978, 2089 hat schon verneint, dass der Abgeordnete eine Tätigkeit im Sinne des § 7 Nr. 8 BRAO ausübt. Das ist aber nicht richtig, vgl. Zuck, DÖV 1979, 446; Zuck, NJW 1979, 1121 (1122). Nach der Gestaltung des konkreten Einzelfalls kann das Vertrauen in die Unabhängigkeit aber durchaus gefährdet sein. Auf kommunalpolitischer Ebene gibt es – kommunalrechtlich – keine Unvereinbarkeitsregelungen, wohl aber Vertragsvorbehalte. 6 Die Tätigkeit im öffentlichen Dienst wird die zweite Variante (um die es hier allein geht), nämlich die Gefährdung des Vertrauens in die Unabhängigkeit regelmäßig nicht erfüllen. 7 S. dazu BGH, NJW 1995, 1031; NJW 1996, 2377; BRAK-Mitt. 2006, 222 (223).
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§ 43a BRAO Rz. 34
Grundpflichten des Rechtsanwalts
nen oder anderen Tätigkeit für die jeweils andere von Interesse und ihr vorteilhaft ist“. Hinzukommen muss vielmehr – bei objektiv vernünftiger Betrachtungsweise – die Wahrscheinlichkeit der schon erwähnten Pflichtenkollision.1 Nach st. Rspr. des BGH sind danach Tätigkeiten eines Anwalts im Versicherungs-, Finanzdienstleistungs-, und Maklergewerbe i.d.R. mit dem Anwaltsberuf unvereinbar. Für die Tätigkeit im „Private Banking“ gilt nichts anderes.2 (2) Syndikusanwalt 34
Die zweite große Fallgruppe betrifft die Tätigkeit des Syndikusanwalts.3 Der Syndikusanwalt ist seinem Arbeitgeber über ein ständiges Dienst- oder Beschäftigungsverhältnis verbunden (§ 46 BRAO). Zugleich ist er als Rechtsanwalt zugelassen. Der Syndikusanwalt kann dabei in unterschiedlicher Form tätig sein.4 Zum Teil wird er nur rechtsberatend für seinen Arbeitgeber wirken, in der Regel nimmt er jedoch zusätzliche juristische Funktionen (z.B. in der Personalabteilung/Unternehmensleitung) wahr. Praktisch bedeutsam ist nur die dritte Fallgruppe, also die Gruppe jener Angestellten, die außerdem noch als Anwälte tätig werden.5 Auszugehen ist von der Doppelberufstheorie:6 „Der Syndikusanwalt entspricht bei seiner Tätigkeit als Syndikus für seinen Dienstherrn nicht dem allgemeinen anwaltlichen Berufsbild, wie es in der Vorstellung der Allgemeinheit besteht. In das Berufsbild des Anwalts, das sich von ihm als einem unabhängigen Organ der Rechtspflege geformt hat, lässt sich nur die Tätigkeit einfügen, die der Syndikus als Anwalt außerhalb seines Dienstverhältnisses ausübt. Der Syndikus hat zwei Arbeitsbereiche: Einen arbeitsvertraglich gebundenen und einen als freier Anwalt. Im Rahmen des Arbeitsverhältnisses besitzt er keine Unabhängigkeit, sondern unterliegt dem Prinzip der Über- und Unterordnung.7 Es liegen insoweit zwei Berufe derselben Person vor“.8, 9 Die mit diesem Konzept verbundenen Probleme sind aber allesamt von den Zulassungs- und Ausübungsregeln des anwaltlichen Berufsrechts für Syndikusanwälte erfasst. Praktische, § 43a Abs. 1 BRAO unterfallende Probleme kann es nicht geben. (3) Mandantenbindung
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Die Bindung gegenüber dem Auftraggeber ist das Wesen eines jeden Anwaltsvertrages. Es ist schon dargestellt worden,10 dass die vertragsrechtliche Abhängigkeit des Anwalts von seinem Auftraggeber als solche seine berufsrechtliche Unabhängigkeit nicht berührt. Es ist auf der anderen Seite unverkennbar, dass es eine ganze Reihe von Mandantenbindungen gibt, die geeignet sind, die Unabhängigkeit des Anwalts zu berühren. Hinzuweisen ist auf die Vorgaben, die religiöse oder politische Vereinigungen oder Interessenverbände dem Anwalt auferlegen können.11 Ein Dauermandant, z.B. eine Versicherung, kann dem Anwalt inhaltliche oder abrechnungsmäßige Vorgaben machen, denen er sich nicht – ohne Verzicht auf das Mandat – entziehen kann. Ähnlich kann es bei wirtschaftlich bedeutsamen Einzelmandaten liegen. Es sind auch persönliche, insbesondere familiäre Bindungen denkbar, die die Unabhängigkeit tangieren. Alle diese (und viele weitere) Fallgruppen belegen, dass der reale Anwalt in einem dichten Geflecht realer Abhängigkeiten steckt. Im Regelfall sind dies aber keine Abhängigkeiten, die von §§ 43a Abs. 1, 113 BRAO sanktioniert werden. Das beruht weniger auf dem Umstand, dass es für diese und vergleichbare Vorgänge keinen Kläger und deshalb auch keinen Richter gibt, weil der Mandant die Abhängigkeit will und der Anwalt sie 1 BGH, NJW 1995, 1031; NJW 1996, 2377, s. dazu umfassend Frellesen, FS Hirsch, 2008, S. 471. 2 BGH, BRAK-Mitt. 2006, 222 (223). 3 Vgl. dazu Biermann, AnwBl. 1990, 420; Kleine-Cosack, ZIP 1991, 1337; Kolvenbach, FS Quack, 1991, S. 715; Kleine-Cosack, NJW 1993, 1289; Zuck, JZ 1993, 470; Hamacher, BRAK-Mitt. 2004, 100; Bissel, Die Rechtsstellung des Syndikusanwalts und die anwaltliche Unabhängigkeit, 1996; Kleine-Cosack, AnwBl. 2011, 467; DAV-Stellungnahme, AnwBl. 2012, 426; Kury, BRAK-Mitt. 2013, 2. 4 Vgl. Kleine-Cosack, NJW 1994, 2249 (2254); Biermann, AnwBl. 1990, 420 (424); Bissel, Die Rechtsstellung des Syndikusanwalts und die anwaltliche Unabhängigkeit, 1996, S. 124 ff.; Schwung, AnwBl. 2007, 14; Henssler/Prütting/Henssler, § 46 Rz. 12; Schwung, AnwBl. 2007, 14. 5 Die sich aus § 46 BRAO und anderen Vorschriften ergebenden Tätigkeitsbeschränkungen für die Syndikusanwälte sind hier nicht zu behandeln. 6 Zutreffend Henssler/Prütting/Henssler, § 46 Rz. 35. 7 BGHZ 33, 276. 8 BVerfGE 87, 287. Ich meine deshalb, Angestellte der Fallgruppen 1 und 2 könnten als Syndikusanwalt gar nicht – auf Dauer – zugelassen werden, weil sie überhaupt nicht anwaltlich tätig sind. Zum Zeitpunkt ihrer Zulassung kann das zwar keine Rolle spielen, wohl aber bei späterer Überprüfung. 9 BAG, NJW 1996, 2254 (2255). 10 Rz. 22. 11 Rz. 20.
580 Zuck
Grundpflichten des Rechtsanwalts
Rz. 36 § 43a BRAO
duldet, beide, weil sie sich davon Nutzen versprechen. Eher greift schon das Argument, dass weite Bereiche dieser Bindungen von der verfassungsrechtlich gesicherten freien und unreglementierten Selbstbestimmung des Anwalts erfasst werden, so dass, wenn nicht zusätzliche Folgen eintreten, keine unzulässige Bindung vorliegt. Ausschlaggebend ist, ob die Bindung selbst, d.h. qua Bindung die berufliche Unabhängigkeit berührt, also, ob die berufliche Unabhängigkeit unmittelbar ihr Gegenstand ist, oder ob es sich nur um eine bloße (Neben-) Folge der Bindung handelt. So wird das Beratungsmandat mit dem einzigen Großmandanten nicht zur Beschränkung der beruflichen Unabhängigkeit des Anwalts geschlossen; die wirtschaftlichen Folgen können den Anwalt aber in unzulässige Abhängigkeit bringen. Letzteres ist jedoch kein Anwendungsfall des § 43a Abs. 1 BRAO. Anders wäre es, wenn der Auftraggeber den Anwalt schon im Vertrag selbst „knebelt“. (4) Angestellter Anwalt Ein wichtiger, die Unabhängigkeit des Anwalts potentiell beeinträchtigender Bereich ist die Bindung von Anwälten an andere Anwälte. Dieser Bereich betrifft das weite Thema der anwaltlichen Zusammenarbeit.1 Hier interessiert nur der angestellte Anwälte.2 3 Da zum Wesen des Arbeitsverhältnisses die persönliche Abhängigkeit gehört, kann natürlich, wie immer man diese im Einzelnen definiert,4 die Unabhängigkeit gefährdet sein. Sicherlich unterliegt der angestellte Anwalt im Innenverhältnis der Weisungsbefugnis des Prinzipalanwalts auch hinsichtlich der Art und Weise der Beratung und Vertretung des Mandanten. Man kann auch nicht, wie im Verhältnis zum Mandanten, die Eingriffe in die Unabhängigkeit als unbeabsichtigte Nebenfolge des Arbeitsverhältnisses ansehen. Das Gegenteil ist der Fall: Wer einen Anwalt als Angestellten will, will einen abhängigen Anwalt. Sieht man einmal von dem schwachen, (aber gebräuchlichen) Argument ab, die BRAO in der jetzigen Fassung habe den angestellten Anwalt als weit verbreitet vorgefunden, auf eine Sonderregelung verzichtet und damit (wie – angeblich – aus § 56 Abs. 2 Nr. 1 BRAO ersichtlich) die Zulässigkeit attestiert, bleibt nur der Hinweis, der Prinzipalanwalt sei selbst ungeschränkt an das anwaltliche Berufsbild gebunden und könne deshalb die Unabhängigkeit seines angestellten Anwalts nicht schon über das Arbeitsverhältnis als solches tangieren. An der faktischen Abhängigkeit des angestellten Anwalts ändert das nichts, auch nicht daran, dass er im Innenverhältnis nicht den Voraussetzungen der §§ 2, 3 BRAO entspricht – auch wenn im Außerverhältnis § 2 Abs. 1 BRAO unberührt bleibt. Die damit verbundene Potenzierung der Arbeitskraft des Prinzipalanwalts, der wahre Grund für die Verteidigung gegebener Abhängigkeit als Fall von Unabhängigkeit, reicht aber zur Rechtfertigung nicht aus, sowenig wie die Akzeptanz dieses Vertragstyps durch die dem Zwang der Verhältnisse folgenden angestellten Anwälte. Letzten Endes lässt sich der Status des angestellten Anwalts nur rechtfertigen, wenn man den Begriff der Unabhängigkeit einschränkend auslegt und annimmt, § 43a Abs. 1 BRAO habe das anwaltliche Binnenverhältnis gar nicht erfassen wollen. Für eine solche Auslegung spricht die grundsätzlich uneingeschränkte Zulässigkeit von Rechtsanwaltsgesellschaften. Das Ergebnis stützend mag man auch auf § 56 Abs. 1 Nr. 1 BRAO hinweisen, eine Vorschrift, die ursprünglich sicher nicht diesen Sachverhalt erfassen sollte, sondern „externe“ Beschäftigungsverhältnisse. Der wichtige Fall der wirtschaftlichen Abhängigkeit des angestellten Rechtsanwalts wird von § 26 BORA aufgegriffen.5 1 Zuck, AnwBl. 1988, 19; BVerfGE 108, 150 (165) beschreibt den Wechsel vom Einzelanwalt zu anwaltlichen Zusammenschlüssen, s. dazu auch Huff, Anwalt 2000, S. 8 ff; Heussen, AnwBl. 2003, 16 f. 2 Rewolle, AnwBl. 1978, 388; Knief, AnwBl. 1985, 58; Wettlaufer, AnwBl. 1989, 194; Lingenberg/Hummel/Zuck/ Eich/Eich, § 81 RichtlRA; Fuhrmann, Rechtsstellung des angestellten Rechtsanwalts, 1989; Berghahn, Der Rechtsanwalt als freier Mitarbeiter, 1989; Hartstang, Anwaltsrecht, 1991, S. 95 ff.; Brieske, AnwBl. 1992, 519; Kilger, AnwBl. 1992, 219; Streck, AnwBl. 1992, 309; Borgmann, AnwBl. 1993, 574; Bohle/Eich, Die Verträge des Rechtsanwalts mit seinen juristischen Mitarbeitern, 1997; v. Steinrück, AnwBl. 2008, 90; Knöfel, AnwBl. 2008, 241. Umfassend dazu Lingemann/Winkel, NJW 2009, 343; NJW 2009, 483; NJW 2009, 817; NJW 2009, 966; NJW 2009, 1574; Moll/Streck, in: Henssler/Streck, Handbuch Sozietätsrecht, 2. Aufl. 2011, S. 722 ff. 3 Der „freie Mitarbeiter“ wirft unter dem Aspekt der Unabhängigkeit keine Probleme auf, s. Henssler/Prütting/Henssler, § 43a Rz. 22; Koch/Kilian, Rz. B 331. 4 S. dazu etwa BAG, NZA 1995, 21; LAG BW, BB 1985, 1534; LAG Berlin, NZA 1987, 488; LAG Frankfurt, BB 1990, 2492; LAG Frankfurt, DB 1996, 100 und zu alledem Bohle/Eich, Die Verträge des Rechtsanwalts mit seinen juristischen Mitarbeitern, 1996, S. 6 ff.; Koch/Kilian, Rz. B 328 f. 5 S. dazu Koch/Kilian, Rz. B 335 ff. und AGH NRW, BRAK-Mitt. 2008, 76 (n. rkr.) – Sittenwidriges Einstiegsgehalt für Berufsanfänger. Der AGH hat 2 300 Euro als Richtmaß für ein Einstiegsgehalt angesehen.
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§ 43a BRAO Rz. 37
Grundpflichten des Rechtsanwalts
d) Gefährdung 37
Das Gesetz spricht nicht von einer Beeinträchtigung der Unabhängigkeit, sondern von ihrer Gefährdung. Damit ist nicht die Verletzungs- sondern die Gefahrensituation maßgebend; es ist also eine Vorverlegung erfolgt. Das deutet einerseits den Schutz der Unabhängigkeit aus. Anderseits wird die Feststellung, ob § 43a Abs. 1 BRAO verletzt ist, erschwert, weil die Gefährdung, die auf eine drohende Verletzung des Rechtsguts verweist, eine Prognose verlangt. Gegenüber § 40 Abs. 1 RichtlRA gibt es durch den Verzicht auf die Möglichkeit der Gefährdung („gefährden könnte“) eine Nuance: sie deutet auf eine sichere Prognose.
37a
Noch etwas anderes ist zu beachten: Die Gefährdung bezieht sich nicht auf die Funktion der jeweiligen Beziehung, sondern auf den beruflichen Status des Anwalts. Es genügt infolgedessen nicht die Feststellung, eine einzelne Handlung oder Maßnahme sei gefährdend für die Unabhängigkeit Es muss vielmehr das Gesamtbild betrachtet werden. Es ist deshalb nicht ausreichend, wenn z.B. für einen Beratungsvertrag feststeht, er vertrage sich nicht mit dem Berufsbild des unabhängigen Anwalts. Hinzukommen muss, dass das Gewicht dieses einzelnen Vertrages bezogen auf die gesamte berufliche Tätigkeit des Anwalts so schwer wiegt, dass seine berufliche Unabhängigkeit insgesamt gefährdet ist. 5. Zusammenfassung Insgesamt liegt die Bedeutung des Absatz 1 in folgendem:
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a) Aktualisierung von Handlungspflichten 39
Die Vorschrift aktualisiert die latenten Statuspflichten zu unmittelbar bindenden Handlungspflichten.1 b) Folgen fehlender Konkretisierung
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Dass Absatz 1 im Rahmen der Ermächtigung des 59b BRAO von der BORA nicht ausgefüllt worden ist, ist ein Mangel, der sich vor allem im Verhältnis zum Mandanten2 bemerkbar macht. Die Konkretisierung besonders gefährdungsintensiver Fallgruppen wäre möglich gewesen. Das Fehlen einer solchen Konkretisierung schafft keine Freiräume, sondern verlagert die gesetzlich mögliche Inhaltsbestimmung von der Satzungsversammlung auf die Anwaltsgerichte. c) Unmittelbarkeit des Bindungswillens
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Prüft man die Bindung des Anwalts, so ist ausschlaggebend, ob diese als solche gewollt, d.h. unmittelbarer Vertragsgegenstand gewesen ist oder ob es sich um eine Nebenfolge der getroffenen Abreden gehandelt hat.3 d) Gefährdung
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Von einer Gefährdung kann nur gesprochen werden, wenn die beanstandete Bindung den Gesamtstatus des Anwalts bezüglich seines beruflichen Verhaltens oder doch wenigstens einen gewichtigen Teil desselben erfasst.4 II. Verschwiegenheit (Absatz 2) 1. Entstehungsgeschichte
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§ 42 RichtlRA5 hatte eine umfangreiche Regelung der Verschwiegenheitspflicht enthalten. Die Regelung hatte während der Übergangszeit6 bis zum Inkrafttreten der BORA fortgegolten.7 Die Amtliche Begründung zur BRAO hatte formuliert: „Die Pflicht zur Verschwiegen1 2 3 4 5 6 7
Rz. 12. Rz. 35. Rz. 35. Rz. 37. Lingenberg/Hummel/Zuck/Eich/Zuck, Anm. zu § 42 RichtlRA. Ab BVerfGE 76, 171 (14.7.1987–11.3.1997). Lingenberg/Hummel/Zuck/Eich/Zuck, Rz. N 89 ff.
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Grundpflichten des Rechtsanwalts
Rz. 46a § 43a BRAO
heit ist Grundlage für das Vertrauensverhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandant“;1 sie hatte damit zum Ausdruck gebracht, dass es sich um eine wesentliche Berufspflicht handelt, die der Gesetzgeber selbst regeln müsse. 2. Verhältnis zu § 2 BORA § 2 BORA wiederholt § 43a Abs. 2 BRAO teilweise, ergänzt aber zugleich die gesetzliche Regelung in bedeutsamer, wenn auch weitgehend tradierter Weise im Rahmen der Ermächtigung des § 59b Abs. 2 Nr. 1 lit. c) BRAO.2 Soweit § 2 BORA mit § 43a Abs. 2 BRAO deckungsgleich ist (z.B. hinsichtlich des Satzes/des Satzteils: „Der Rechtsanwalt ist zur Verschwiegenheit … verpflichtet“) regelt die BORA-Vorschrift nichts, denn der Sachverhalt ist schon (durch höherrangiges Recht) geregelt. Die Satzung könnte auch gar nichts regeln, weil die Aufnahme in den Katalog des § 43a BRAO bedeutet, dass der BRAO-Gesetzgeber die Vorschrift als statusbestimmende Norm angesehen hat, die im Parlamentsgesetz geregelt werden musste. Hier wie an anderer Stelle auch dient die Wiederholung des Textes des Parlamentsgesetzes in der BORA der besseren Verständlichkeit des Satzungsrechts. Wer nur läse: „Der Rechtsanwalt ist zur Verschwiegenheit berechtigt“, könnte den Text leicht missverstehen. Wer im Übrigen – z.B. – die Verpflichtungsaussage nur mit § 2 Abs. 1 BORA zitiert, verfährt nicht präzise, weil es insoweit keinen eigenständigen Normgehalt des § 2 Abs. 1 BORA gibt. Schädlich ist das nicht, weil § 43a Abs. 2 S. 1, 2 BRAO über § 2 Abs. 1 BORA immer mitgedacht werden muss.3
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3. Norminhalt 45
Insoweit wird auf die Kommentierung zu § 2 BORA verwiesen. III. Sachlichkeitsgebot 1. Entstehungsgeschichte a) RichtlRA Dass der Anwalt seine Dienstleistung sachlich, d.h. professionell erbringen sollte, ist selbstverständlich. Ob der Mandant, dessen Weisungen der Anwalt im Rahmen des gesetzlich Zulässigen unterworfen ist (§ 675 BGB), dies auch immer will ist eine ganz andere Frage. Und ob der Anwalt sachlich handeln muss, ist im Einzelnen bis heute ein Problem geblieben.
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Die RichtlRA hatten die damit verbundenen Unsicherheiten deutlich werden lassen. Sie erwähnten zwar das Gebot der Sachlichkeit hie und da, z.B. in § 1 Abs. 1 S. 2: „Er (der Rechtsanwalt) hat die ihm anvertrauten Interessen sachlich zu vertreten“. Überragende Bedeutung hatte das Gebot der Sachlichkeit danach sicher nicht, und so sprach Lingenberg auch nur davon, der Anwalt solle „Öl auf die Wogen, aber nicht ins Feuer schütten“.4 Die besondere Bedeutung des Sachlichkeitsgebots als einer kardinalen Pflicht des Anwalts ist erst im Richtlinienausschuss der Bundesrechtsanwaltskammer herausgearbeitet und entwickelt worden.5 Das war von Anfang an jedoch eine umstrittene Sicht. Kleine-Cosack stützte sein Verdikt über die von ihm so bezeichneten „Antiquierten Standesrichtlinien“ vor allem auch auf das in den RichtlRA verankerte Sachlichkeitsgebot: „Das ist im internationalen Vergleich einmalig, was seine Unhaltbarkeit bereits indiziert und seine Aufrechterhaltung im Rahmen der Vorschriften der europäischen Integration unmöglich erscheinen lässt“.6 Kleine-Cosack war der Meinung, das Sachlichkeitsgebot verletzte als solches sowohl Art. 5 Abs. 1 GG als auch Art. 10 EMRK.
46a
1 2 3 4 5
BT-Drs. 12/4993, S. 27. S. dazu auch § 2 BORA Rz. 6. S. dazu auch § 2 BORA Rz. 9. Lingenberg, Kommentar zu den Grundsätzen des anwaltlichen Standesrechts, 1981, § 1 RichtlRA Rz. 2. BRAK-Mitt. 1983, 175; Weigel, BRAK-Mitt. 1988, 2 (8); Lingenberg/Hummel/Zuck/Eich/Zuck, § 1 RichtlRA Rz. 9 ff. 6 AnwBl. 1986, 505 (508). Ich habe Zweifel, ob die internationale Rechtslage richtig beurteilt wird. Das Sachlichkeitsgebot ist unter der Geltung der RichtlRA noch aus dem Gebot gewissenhafter Berufsausübung des § 43 BRAO a.F. hergeleitet worden. Nr. 3.12 Satz 1 CCBE-Regeln gebietet aber auch dem europäischen Anwalt, den Mandanten „gewissenhaft“ zu beraten und zu vertreten. Äußerungsdelikte sind auch international sanktioniert. Nr. 4.4 CCBE-Regeln verbietet die Lüge so wie § 43a Abs. 3 S. 2 BRAO erste Alternative BRAO n.F. Wenn die CCBE-Regeln auch das Sachlichkeitsgebot nicht kennen, so kennen sie doch die diesem zugrundeliegende Sache.
Zuck 583
§ 43a BRAO Rz. 47
Grundpflichten des Rechtsanwalts
b) Anwaltliches Berufsbild 47
Hinter diesem Streit „Hier kardinale Pflicht, dort in der Sache verfassungswidriger Ehrenschutz“ stehen unterschiedliche Vorstellungen vom anwaltlichen Berufsbild. Wer das Sachlichkeitsgebot schon an der Wurzel bekämpft, versteht den Anwalt nur als „frei, selbstbestimmt und unreglementiert“ (§ 1 Abs. 1 BORA), sieht also die Selbstverwirklichung anwaltlichen Berufsausübung im Vordergrund. Wenn man will, kann man dieses Verständnis auch als realistisch loben, denn zumindest die „kleine Unsachlichkeit“ ist ständiger Begleiter anwaltlicher Auseinandersetzung. Die Gegenmeinung argumentiert mit den rechtsstaatlichen Bindungen des Anwaltsberufs, dem Instrument des Anwaltszwangs etwa1 und dem Umstand, dass der Bürger für sein Honorar eine professionell-definierte Gegenleistung beanspruchen könne und nicht nur die personellen Eigenheiten seines Beraters und Vertreters. c) Rechtsprechung des BVerfG
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Das BVerfG hat das Sachlichkeitsgebot nicht für inhaltlich verfassungswidrig gehalten. Es hat auch nicht für seine Abschaffung plädiert. Im Gegenteil: Das Gericht hat anerkannt, dass das Sachlichkeitsgebot „seit jeher zu den anwaltlichen Berufspflichten (gehört)“ hat.2 Das BVerfG hat weiter ausgeführt: „Die Bedeutung des Gebots kann darin gesehen werden, dass es zu einem sachgerechten, professionellen Austragen von Rechtsstreitigkeiten anhält.“3 d) Vom BVerfG entwickelte Grundzüge
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Die Hauptaufgabe des Gerichts bestand darin, verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen für das Sachlichkeitsgebot zu fixieren4 um dem weiten Begriff der Sachlichkeit griffigere Konturen zu verleihen.5 aa) Vertragsrechtliche Rahmenbedingungen
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Da das Sachlichkeitsgebot die freie Berufsausübung (Art. 12 Abs. 1 GG) beschränkt, setzt es voraus, dass es – in seiner jeweiligen Konkretisierung – durch vernünftige Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt ist und dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit genügt.6 Außerdem muss sich seine Anwendung innerhalb der vom Grundrecht der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) gezogenen Grenzen halten.7 bb) Konturen im Einzelnen
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Aus diesen allgemeinen verfassungsrechtlichen Vorgaben hat das BVerfG drei Konsequenzen gezogen: (1) Position der Freiheit
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Ausgangsposition ist die „starke (Rechts-)Position der Freiheit: Die anwaltliche Berufsausübung unterliegt grundsätzlich der freien und unreglementierten Selbstbestimmung des
1 S. dazu Zuck, JZ 1993, 500 (504 ff.). 2 BVerfGE 76, 171 (190); so auch Weigel, BRAK-Mitt. 1988, 2 (8); Zuck, NJW 1988, 175 (179); BGH, NJW 1988, 1099. 3 BVerfGE 76, 171 (190); s. jetzt auch BVerfG(K) AnwBl. 2008, 463; Kirchberg, BRAK-Mitt. 2009, 95 (99). 4 Rz. 50. 5 Rz. 51–55. 6 BVerfGE 61, 291 (312); 68, 272 (278); 76, 171 (192). Zum Prinzip der Verhältnismäßigkeit s. § 115b BRAO Rz. 14–19. 7 BVerfGE 71, 162 (178 ff.); 76, 171 (192); BVerfG(K), BRAK-Mitt. 1996, 213 (214); wichtig ist in diesem Zusammenhang vor allem auch der Hinweis auf Art. 5 Abs. 1 GG, soweit es um das richtige Verständnis der zu beurteilenden Aussagen geht. Hier gilt in ständiger Rechtsprechung: „Der Einfluß der Grundrechte (aus Art. 5 I GG) wird verkannt, wenn Gerichte der Verurteilung einer Äußerung zugrundelegen, die so nicht gefallen ist, wenn sie ihr einen Sinn geben, die sie nach dem festgestellten Wortlaut objektiv nicht hat, oder wenn sie sich unter mehreren objektiv möglichen Deutungen für die zur Verurteilung führende entscheiden, ohne die anderen unter Angaben überzeugender Gründe auszuschließen“, BVerfGE 85, 1 (13 f.), st. Rspr. s. dazu Grimm, NJW 1995, 1697; BVerfG(K), NJW 2003, 1855; BVerfG(K), NJW 2007, 2686 (2687).
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Grundpflichten des Rechtsanwalts
Rz. 55 § 43a BRAO
Einzelnen“.1 Auf der anderen Seite ist der Anwalt unabhängiges Organ der Rechtspflege (§ 1 BRAO) und der berufene Berater und Vertreter des Rechtsuchenden (§ 3 BRAO). Das bringt ihn in eine Pflichtenstellung: Der Anwalt hat die Aufgabe zum Finden einer sachgerechten Entscheidung beizutragen, Gerichte und Behörden vor Fehlentscheidungen zu Lasten seines Mandanten zu bewahren „und diesen vor verfassungswidriger Beeinträchtigung oder staatlicher Machtüberschreitung zu sichern; insbesondere soll er die rechtsunkundige Partei vor der Gefahr des Rechtverlustes schützen“.2 Das BVerfG sieht also Freiheit und Bindung des Rechtsanwalts als zwei Seiten eines einheitlichen Berufsbildes. (2) Kampf ums Recht Die starke Position der Freiheit aber auch die Notwendigkeiten eigenständiger anwaltlicher Berufsausübung3 erlauben es nicht, das Sachlichkeitsgebot an einem anwaltlichen Verhalten zu orientieren, das man als stilwidrig, ungehörig, als Verstoß gegen den guten Ton und das Taktgefühl oder als dem Ansehen des Anwaltsstandes abträglich ansehen könnte.4 Die „kleine Unsachlichkeit“5 hat das BVerfG danach aus dem sanktionierten Pflichtenkatalog herausgenommen und sie damit dem gesellschaftlichen Sanktionensystem überantwortet. Damit ist eine Eintrittsschwelle für das Gebot der Sachlichkeit geschaffen worden, mit deren Hilfe es überhaupt erst möglich geworden ist, dieses Gebot justitiabel zu machen. Wichtiger noch ist, dass diese Schwelle es dem Anwalt erlaubt, die Interessen seiner Mandanten frei und ohne Furcht vor Sanktionen wahrzunehmen. Mit Recht hat das BVerfG darauf hingewiesen, dass diese Interessenwahrnehmung es dem Anwalt nicht immer erlaubt „so schonend mit den Verfahrensbeteiligten umzugehen, dass diese sich nicht in ihrer Persönlichkeit beeinträchtigt fühlen. Nach allgemeiner Auffassung darf er – im Kampf ums Recht – auch starke, eindeutige Ausdrücke und sinnfällige Schlagworte benutzen. Nicht entscheidend kann es sein, ob ein Anwalt seine Kritik anders hätte formulieren können“.6
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(3) Sanktioniertes Sachlichkeitsgebot Das sanktionierte Sachlichkeitsgebot greift deshalb erst ein, wenn es sich um strafbare Beleidigungen7, die bewusste Verbreitung von Unwahrheiten oder solche neben der Sache liegende herabsetzende Aussagen und Verhaltensweisen handelt, zu denen andere Beteiligte oder der Verfahrensablauf keinen Anlass gegeben haben.8
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e) Vorgaben für die Normgeber 55
Das BVerfG hat in seiner Bastille-Entscheidung sehr vorsichtig bemerkt: „Die Ausgangsverfahren geben keinen Anlass zu der abschließenden Prüfung, in welchem Umfang das Sachlichkeitsgebot den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen würde. Für die Übergangszeit9 ist
1 BVerfGE 63, 266 (282f); 76, 171 (192); BVerfG(K), BRAK-Mitt. 1996, 213 (214). BVerfGE 101, 331 (347), 103, 172 (182 f.), 108, 150 (158); 110, 226 (251 f.); 118, 1 (15) mit Anm. Zuck, JZ 2007, 684; 2008, 301 – Gebührenkappungsgrenze, s. dazu Zuck, JZ 2008, 287. 2 BVerfGE 76, 171 (192); BVerfG(K), BRAK-Mitt. 1996, 213 (214); s. auch Vollkommer, Die Stellung des Anwalts im Zivilprozess, 1984, S. 20 f.; Stürner, JZ 1986, 1089 (1090). 3 Zu Recht wird der zuletzt genannte Gedanke von Nr. 4.3 CCBE-Regeln betont, wonach der Rechtsanwalt die Interessen des Mandanten in der „ihm … am zweckmäßigsten erscheinenden Weise“ vertritt. 4 BVerfGE 76, 171 (192 f.); BVerfG(K), BRAK-Mitt. 1996, 213 (214). 5 Rz. 47. 6 BVerfGE 76, 171 (192); BVerfG(K), BRAK-Mitt. 1996, 213 (214); AGH, BRAK-Mitt. 1997, 261; AGH Bremen, BRAK-Mitt. 2009, 286 (289). Daran sind Disziplinierungsmaßnahmen gescheitert: Untätiger Richter: Dienstaufsichtsbeschwerde mit Dextroenergen gekoppelt, BVerfG(K), NJW 1989, 3148. S. dazu jetzt Singer, AnwBl. 2009, 393 (398). Zurückweisung einer Dienstaufsichtsbeschwerde, die die Worte enthielt: „Zumutung“ und den Vorwurf, der Sachbearbeiter habe „nach willkürlichem Ermessen gehandelt“, BVerfG(K) NJW 1991, 2274. Vorwürfe wegen zweitägiger Bearbeitung im Haftprüfungsverfahren: Der Verteidiger hat das als „ungehörig“ bezeichnet. Im Rahmen seiner weiteren Argumentation spricht er von einer „bedauerlichen Kollusion zwischen Gericht und Ermittlungsbehörde“, BVerfG(K), BRAK-Mitt. 1990, 176. Beschwerdeverfahren wegen Einstellung eines staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahrens: Dort hatte es über einen gerichtsmedizinischen Gutachter geheißen: „Ich muss sagen, ich habe im Laufe meines langen Anwaltslebens schon mancherlei Unsinn gelesen. Das übersteigt jedoch das übliche Maß“, BVerfGE 76, 171 (174). 7 AGH Bremen, BRAK-Mitt. 2009, 286. 8 BVerfGE 76, 171 (192); BVerfG(K), BRAK-Mitt. 1996, 213 (214). 9 Gemeint war die Zeit bis zum Inkrafttreten neuer BRAO-Vorschriften/entsprechender Satzungsregelungen.
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§ 43a BRAO Rz. 56
Grundpflichten des Rechtsanwalts
eine Anwendung … auf das zu beschränken, was zur Aufrechterhaltung einer funktionsfähigen Rechtspflege unerlässlich ist … Ob der Normgeber bei der künftigen Neuordnung des Standesrechts eine weitergehende Tragweite für das Sachlichkeitsgebot vorsehen dürfte und ob nicht weitergehende Einschränkungen der Berufsfreiheit als statusbestimmende Regelungen vom Gesetzgeber selbst verantwortet werden müssten, kann offen bleiben“.1
f) Amtliche Begründung zu § 43a Abs. 3 BORA 56
Die Amtliche Begründung zu § 43a Abs. 3 BRAO hat ausgeführt: „Die Sachlichkeit gehört seit jeher zu den anwaltlichen Berufspflichten und ist als für die Rechtspflege unerlässliche Regelung als Berufspflicht im Gesetz zu normieren. Sachlichkeit ist das Kennzeichen sachgemäßer, professioneller anwaltlicher Arbeit, die, soweit sie mit Wort und Schrift ausgeübt wird, auch in dieser Form der durch Art. 5 Abs. 1 GG geschützten Selbstbestimmung unterliegt. Die Erläuterung in Abs. 3 S. 1 soll dazu dienen, für den Erlass der Berufsordnung und die Rechtsanwendung den Hinweis zu geben, dass die Anforderungen an die Sachlichkeit nicht zu eng gezogen werden.
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Ein sachgerechtes Austragen von Rechtsstreitigkeiten vermeidet Beleidigungen oder bewusste Verbreitung von Unwahrheiten, die sich emotionalisierend und schädlich für die Wahrnehmungs- und Urteilsfähigkeit anderer Verfahrensbeteiligter auswirken. Eine Verletzung des Sachlichkeitsgebots ist auch in herabsetzenden persönlichen Angriffen zu sehen, die mit dem Gegenstand des Verfahrens nichts zu tun haben, bei dem aber die Gelegenheit eines Verfahrens zur Abrechnung mit dem Kritisierten genutzt wird, und die für alle Beteiligten Kraft und Zeit kosten, ohne etwas zur Rechtsfindung oder Interessenwahrnehmung für den Mandanten beizutragen“.2 2. Bedeutung des Absatzes 3 a) Satz 1
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Satz 1, wonach sich der Rechtsanwalt bei seiner Berufsausübung nicht unsachlich verhalten darf, zielt in ganz unterschiedliche Richtungen.3 aa) Zusammenhang mit Satz 2
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Die Verknüpfung mit dem „Insbesondere-Satz 2“ zeigt, dass der Gesetzgeber in Satz 1 eine Generalklausel statuiert hat, die über die „Insbesondere-Sachverhalte“ des Satz 2 wirksam sein soll. Damit sind drei Aspekte verbunden: (1) Fallgruppen
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Sähe man Satz 1 isoliert, so wäre gegen ihn einzuwenden, was das BVerfG gegen das Sachlichkeitsprinzip der RichtlRA4 eingewendet hat „selbst wenn es auf einer ausdrücklichen normativen Grundlage beruhen würde“: Es sei nicht hinreichend rechtsstaatlich bestimmt und erwecke Bedenken aus Art. 12 Abs. 1 GG, Art. 5 Abs. 1 GG.5 Man muss aber Satz 1 im Zusammenhang mit Satz 2 betrachten. Die Kriterien der „bewussten Verbreitung von Unwahrheiten“ und der „anlassIosen herabsetzenden Äußerungen“ verleihen dem Sachlichkeitsgrundsatz Konturen. Wie auch sonst in der Kasuistik ist es nicht ausgeschlossen, aus diesen beiden Fallgruppen weitere Fallgruppen zu entwickeln, die von Satz 1 erfasst werden. Nur wenn die Verknüpfung mit den vorhandenen Fallgruppen ausscheidet, etwa, wenn eine Fallgruppe außerhalb der Eintrittsschwelle6 gebildet wird, würde es am Bestimmtheitsgebot (und unter Umständen auch an den Voraussetzungen der Art. 12 Abs. 1, 5 Abs. 1 GG) fehlen. Satz 1 hat also latenten Gehalt, geeignet, um formell starres Recht an geänderte Auffassungen oder geänderte Lebenssachverhalte anzupassen.
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Eine erste Fallgruppe wird schon jetzt von Satz 1 erfasst: Es betrifft dies den Sachverhalt, dass Äußerungen des Anwalts unter Straftatbestände fallen, ohne durch die Wahrnehmung
1 BVerfGE 76, 171 (193 f.). 2 BT-Drs. 12/4993, S. 27. 3 Die Annahme, es handle sich um eine weitgehende Leerformel (so Henssler/Prütting/Henssler, § 43a Rz. 126) wird der Vorschrift nicht gerecht. 4 S. Rz. 46. 5 BVerfGE 76, 171 (191 f.); s. oben Rz. 51–54. 6 S. oben Rz. 53.
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Grundpflichten des Rechtsanwalts
Rz. 60 § 43a BRAO
berechtigter Interessen gedeckt zu sein (§§ 185, 186, 197 StGB).1 Dabei deckt sich der Verstoß gegen §§ 185 ff. StGB nicht mit dem bewussten Verbreiten von Unwahrheiten nach Satz 2. Nicht jede bewusste Unwahrheit ist zugleich eine Beleidigung.2 Die Anwaltsgerichte haben einen solchen Verstoß angenommen – bei dem gegenüber einem das Verfahren einstellenden Staatsanwalt erhobenen Vorwurf, es handle sich um eine „durch nichts zu rechtfertigende Willkürentscheidung“, eine „offenbar politische Entscheidung“ und im Hinblick auf die Angehörigkeit des Angeklagten zur Volksgruppe Sinti und Roma um den Verdacht „einer insoweit rassistisch gelenkten Fehlbehandlung“;3 – bei dem unberechtigt erhobenen Vorwurf der Rechtbeugung gegen Richter eines OLGSenats;4 – bei folgenden Ausführungen im Anwaltsschriftsatz: „Man könnte meinen, man hätte bei der Justiz hier im Lande Hornochsen sitzen“. Und „gemeinhin hat man es bei Personen, die so wetterwendig argumentieren, mit unaufrichtigem Gesindel zu tun, oder mit Dummköpfen, die nicht bis drei zählen können“;5 – bei der Behauptung „die Begründung für einen Senatsbeschluss sei gelogen“;6 – die in einem Schriftsatz an eine Rechtsanwaltskammer im Rahmen einer berufsrechtlichen Auseinandersetzung aufgestellte Behauptung, eine Anwaltskanzlei stelle sich als „Winkeladvokatur“ dar.7 Unter einem Winkeladvokaten versteht man einen Anwalt, dem es an juristischen Kenntnissen mangelt und der auf unseriöse Methoden zurückgreift. Eine Kanzlei oder einen Anwalt so zu bezeichnen, ist offenkundig kränkend. Das OLG Köln hat deshalb – in einem außerhalb des Berufsrechts stehenden Verfahren – eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts angenommen.8 Das BVerfG hat, einzelfallbezogen, eine Abwägung zwischen der Schwere der Persönlichkeitsbeeinträchtigung durch die Äußerung und Einbußen bei der Meinungsfreiheit durch das Verbot der Äußerung vorgenommen und dabei das Vorliegen von Schmähkritik verneint. Diese sei dadurch gekennzeichnet, dass nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund stehe.9 So liege es hier nicht, weil der Anwalt den Außenauftritt der Kanzlei moniert, also einen Sachbezug hergestellt habe.10 Die dann immer noch erforderliche Interessenabwägung müsse zwar zugrunde legen, dass die Bezeichnung als „Winkeladvoktur“ in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der kanzleiangehörigen Rechtsanwälte eingreife. Ausschlaggebend sei aber, dass die Äußerung zunächst nur gegenüber der Rechtsanwaltskammer gefallen und dann erst in einen Zivilprozess eingeführt worden sei, wo nur die Prozessbeteiligten und das Gericht von ihr Kenntnis nehmen konnten.11 Rechtsschutz gegenüber Prozessbehauptungen sei aber nur gegeben, wenn die Unvertretbarkeit einer Äußerung auf der Hand liege oder sich ihre Mitteilung als missbräuchlich darstelle. So liege es hier nicht. Letzten Endes stützt sich die Kammer auf 1 BVerfGE 76, 171 (193); BVerfG(K), NJW 1991, 1045 – Patentanwalt. Ich teile nicht die Auffassung von Kleine-Cosack, (§ 43a Rz. 73), dass die Wahrnehmung berechtigter Interessen auch für die zweite Alternative des Satz 2 in Betracht kommt (anlasslose herabsetzende Äußerungen). Es ist nicht vorstellbar, dass eine anlasslose Herabsetzung, und das heißt doch: eine grundlose Herabsetzung, gerechtfertigt sein könnte, denn dann hätte sie ja einen Anlass oder einen Grund. 2 Zu Recht unterscheidet deshalb das BVerfG beide Sachverhalte, vgl. BVerfGE 76, 171 (193); BVerfG(K), NJW 1991, 2274 (2275). 3 Der EGH München, BRAK-Mitt. 1991, 104 sagt ein wenig blumig, die Vorwürfe gelangten in ihrer Gesamtheit „in den Bereich der strafrechtlichen Erheblichkeit (§ 185 StGB)“. Die Anwendung der zweiten Alternative von § 43a Abs. 3 BRAO die zur Zeit der Entscheidung des EGH durch BVerfGE 76, 171 (193) schon vorgegeben war, hätte nähergelegen. 4 EGH NRW, BRAK-Mitt. 1994, 52. Der EGH selbst stützt sich auf die Pflicht zur Gewissenhaftigkeit des § 43 BRAO a.F. Auch hier wäre eher die zweite Alternative des § 43a Abs. 3 BRAO in Betracht gekommen. 5 BGH, NJW 1988, 1099 (1100). 6 BVerfG(K), BRAK-Mitt. 1996, 213 (215). 7 LG Köln, BRAK-Mitt. 2012, 94; OLG Köln, BRAK-Mitt. 2012, 227; die instanzgerichtlichen Entscheidungen aufhebend, BVerfG, Beschl. der 3. Kammer des Ersten Senats v. 2.7.2013 – 1 BvR 1751/12, juris und dazu allgemein Masing (der Berichterstatter im fraglichen Verfassungsbeschwerdeverfahren), Schmähkritik und Formalbeleidigung – zur Abwägungsdogmatik des Bundesverfassungsgerichts im Recht des Ehrenschutzes, in: FS Stürner, 1. Teilband 2013, 26 ff. 8 OLG Köln, BRAK-Mitt. 2012, 227. 9 BVerfGE 82, 272 (284), st. Rspr. 10 BVerfG(K), Beschl. v. 2.7.2013 – 1 BvR 1751/12, Rz. 17, juris. 11 BVerfG(K), Beschl. v. 2.7.2013 – 1 BvR 1751/12, Rz. 20, juris.
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§ 43a BRAO Rz. 61
Grundpflichten des Rechtsanwalts
die Feststellung, dass es sich nur um eine begrenzt gewichtige Herabsetzung allein die berufliche Ehre betreffend gehandelt habe, zumal die Äußerung nur auf die Kanzlei bezogen gewesen sei und das Wort „Winkeladvokatur“ in Anführungszeichen gesetzt war. Über Abwägungsergebnisse lässt sich fast immer streiten. Es erscheint zweifelhaft, dass die Kammer sich auf den beschränkten Personenkreis eines Zivilprozesses zurückzieht. Auch wenn insoweit „nur“ die Sozialsphäre der beteiligten Anwälte berührt wird, treffen Zweifel an der beruflichen Integrität eines Anwalts – gerade gegenüber einem Gericht – doch ein zentrales Element anwaltlicher Berufsausübung. Im Ergebnis ist die Entscheidung aber zu billigen. Die Äußerung bezieht sich – relativierend – auf die Kanzlei und nur mittelbar auf Personen. Der Kanzlei steht aber das allgemeine Persönlichkeitsrecht nicht zu. 61 62
Eine zweite Fallgruppe betrifft den Missbrauch verfahrensrechtlicher Befugnisse.1 Eine dritte Fallgruppe bezieht sich auf die Drohung mit Rechtsbehelfen oder Rechtsmitteln gegenüber dem entscheidenden Gericht und der Drohung mit der Öffentlichkeit. Entscheidend ist dabei, dass die Äußerung als ernst gemeinte Drohung verstanden werden muss. Es genügt also nicht, der Hinweis auf Rechtsmittel oder die Öffentlichkeit als solcher. Die tatsächliche Einschaltung der Öffentlichkeit ist dagegen eine demokratische Selbstverständlichkeit.2 (2) Funktion des Satzes 1
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Die Funktion des Satz 1 ist es deshalb, im Rahmen der Ermächtigung des § 59b Abs. 2 Nr. 1 lit. d) BRAO das Sachlichkeitsgebot zu spezifizieren und fortzuentwickeln. Der Satzungsgesetzgeber hat darauf verzichtet. bb) Gehalt des Satzes 1
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Unabhängig von der materiellen Bedeutung des Satz 1 sind mit der Regelung drei wichtige Aussagen verbunden. (1) Verbot unsachlichen Verhaltens
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Satz 1 verbietet das unsachliche Verhalten. Das ist richtig: wer offen lässt, was „sachlich“ ist, schafft bis zur definierten Eintrittsschwelle3 der Unsachlichkeit Freiräume für anwaltliches Handeln. Wer den Begriff der Sachlichkeit definiert4 engt den Handlungsspielraum des Anwalts erheblich ein. (2) Bereich der Berufsausübung
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Satz 1 regelt nur den Bereich der Berufsausübung. Das Sachlichkeitsgebot betrifft also das außerhalb des Berufs des Anwalts liegende Verhalten selbst dann nicht, wenn die Voraussetzungen des § 113 Abs. 2 BRAO im Übrigen gegeben wären. (3) Geltung gegenüber Dritten
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Das klassische Sachlichkeitsgebot der RichtlRA bezog sich auf Gerichte und Behörden.5 Ich hatte daran in meinem Entwurf zur BRAO6 festgehalten, weil ich der Meinung gewesen war, das Verhältnis „Anwalt – Mandant“ werde in erster Linie von dem diese Beziehung beherrschenden Vertrauensverhältnis7 bestimmt.8 Jetzt gilt das Sachlichkeitsgebot auch gegenüber Sachverständigen, Zeugen und Mandanten, übrigens auch gegenüber den Medien. 1 Rz. 68. 2 Ob die Einschaltung auch sinnvoll ist, ist keine Frage des anwaltlichen Berufsrechts, s. dazu auch Henssler/Prütting/Henssler, § 43a Rz. 149. 3 Rz. 53. 4 Wie ich es in § 43 Abs. 2 S. 2 meines BORA-E versucht habe (BRAK-Mitt. 1988, 86); s. auch Zuck, NJW 1988, 175 (179). Der BGH ist mir gefolgt, vgl. NJW 1988, 1099 (1100). Man könnte jetzt formulieren, unsachlich sei, was in der konkreten Situation bei gewissenhafter Berufsausübung ungeeignet sei, der Sache des Mandanten zu dienen. 5 S.o. Rz. 46. 6 Zu § 43 Abs. 2 BRAO-E im zweiten Abschnitt „Verhalten gegenüber Gerichten und Behören“ (BRAK-Mitt. 1988, 86). 7 § 43 BRAO Rz. 35. 8 BRAK-Mitt. 1988, 94.
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Grundpflichten des Rechtsanwalts
Rz. 69 § 43a BRAO
Da die Eintrittsschwelle gegenüber den Verfahrensbeteiligten1 bei unwahren Behauptungen und unsachlichen Äußerungen liegt2 ist dagegen nichts einzuwenden. b) Satz 2 Satz 2 übernimmt die Vorgaben von BVerfGE 76, 171 (193) als Beispiele für unprofessionelles anwaltliches Verhalten. Die fast wörtliche Wiedergabe der in der Entscheidung erwähnten beiden Fallgruppen ist eine signifikante Bestätigung für die Unselbständigkeit eines Parlaments, das es nicht wagt, einen Text zu korrigieren, der aus dem Votum des zuständigen wissenschaftlichen Mitarbeiters des Berichterstatters stammt. Die damit verbundene sklavische Bindung an die Verfassungsrechtsprechung bringt – ungewollt – jede rechtspolitische Bewegung zum Erliegen. Insoweit ist noch einmal darauf hinzuweisen, dass Satz 2 durch sein „Insbesondere-Element“ mit dem weitgefassten Satz 1 verbunden ist; damit wird deutlich, dass weitere Fallgruppen möglich bleiben.3 Sie könnten sich aus dem Umstand ergeben, dass die beiden in Satz 2 enthaltenen Fallgruppen an personales Fehlverhalten des Anwalts anknüpfen. Erinnert man sich daran, dass der Anwalt seine Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Aufrechterhaltung einer funktionsfähigen Rechtspflege erbringt,4 so könnte sich unsachliches Verhalten auch in einer generellen Störung dieser Funktionsfähigkeit ausdrücken, etwa durch Missbrauch prozessualer Möglichkeiten – als ohne Rückgriff auf persönliche Umstände.5 Da der Anwalt aber weder Staatsanwalt ist noch Garant des Untersuchungsgrundsatzes, sondern in erster Linie den Interessen seines Mandanten verpflichtet ist (§ 3 BRAO) kommen insoweit nur Missbrauchssachverhalte in Betracht.6
68
aa) Die bewusste Verbreitung von Unwahrheiten (Fallgruppe 1) (1) Wahrheitspflicht? Der Anwalt unterliegt keiner allgemeinen Wahrheitspflicht, in dem Sinn, dass er von sich aus sagen muss, was er weiß. Insbesondere darf der Anwalt die bestehenden prozessualen Möglichkeiten nutzen. Das „bewusste Verbreiten von Unwahrheiten“ meint etwas anders, nämlich das bewusste Verbreiten unwahrer Tatsachenbehauptungen, also von Lügen.7 Sind diese Lügen strafbare Äußerungsdelikte oder ist damit ein Prozessbetrug verbunden, so ist Satz 1 anzuwenden. Da sich Tatsachenbehauptungen nicht immer leicht von Meinungsäußerungen unterscheiden lassen8 hat Absatz 3 insgesamt – im Gegensatz zur Auffassung Kleine1 2 3 4 5
Rz. 54. Rz. 54. Rz. 58. BVerfGE 76, 171 (192 f.). Z.B. etwa Umgehung zulässiger staatlicher Anordnungen, BGHSt 26, 304; Handlungen, durch die staatliche Organe unter Druck gesetzt werden sollen, BGHSt 9, 20; Handlungen, die verfahrensfremden Zwecken dienen, BGH, StrVert. 1981, 133. 6 So ausdrücklich BVerfG(K), NJW 1991, 2274 f. 7 S. Dreier/Schulze-Fielitz, Art. 5 I, II Rz. 64 m.w.N.; Henssler/Prütting/Henssler, § 43a Rz. 137 ff. Kleine-Cosacks Versuch, die anwaltliche Lüge zu bagatellisieren, weil sie verbreitet und ggf. auch nützlich sei und im Übrigen ein Lügenverbot auf einseitigen moralischen Ansichten beruhe (Kleine-Cosack, § 43a Rz. 67, 68, 69) beruht auf einem falschen Ansatz: Auch Ladendiebstahl, Steuerhinterziehung und zu schnelles Fahren mit dem Pkw sind weit verbreitet, häufig auch nützlich und das alles ist in der Regel mit keinem gewichtigen gesellschaftlichen Unwerturteil verbunden. Eine Aussage zur Rechtslage ergibt sich aus solchen Hinweisen auf die Wirklichkeit jedoch nicht. Im Übrigen kann sich die Anwaltschaft eine Kapitulation vor den Fakten gar nicht leisten. Der Anwalt als Organ der Rechtspflege, als einer der Mitgaranten des Rechtsstaats und als „guter Anwalt“ vor allem auch vom Mandanten gewünscht, darf nicht bewusst die Unwahrheit sagen. Zur Klärung der Rechtslage ist es aber natürlich hilfreich, sich im Einzelfall der konkreten Funktion einer Lüge zu vergewissern, insoweit zutreffend Kleine-Cosack, § 43a Rz. 69. Sinn macht die Lüge nur, wenn sie entscheidungserhebliche Tatsachen betrifft. Dann liegt aber häufig ein Straftatbestand vor, im Gerichtsverfahren ein Prozessbetrug oder eine Begünstigung. Ist die Lüge nicht entscheidungserheblich, gibt es keinen Anlass, sie zu rechtfertigen. Die Lüge fällt dann grundsätzlich unter die erste Alternative des Satz 2. 8 Bei Tatsachenbehauptungen steht die objektive Beziehung zwischen der Äußerung und der Realität im Vordergrund. Insofern sind sie einer Überprüfung auf ihren Wahrheitsgehalt zugänglich. Meinungen sind durch die subjektive Beziehung des einzelnen zum Inhalt seiner Aussage geprägt. Für sie ist das Element der Stellungnahme und des Dafürhalten kennzeichnend, BVerfGE 90, 241 (247), st. Rspr. s.a. Grimm, NJW 1995, 1697; kritisch Dreier/Schulze-Fielitz, Art. 5 I, II GG Rz. 65; Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf/Kannengießer, Art. 5 GG Rz. 3; Zuck, Die Grundrechtsrüge im Zivilprozess, 2008, Rz. 123, BVerfG(K), NJW 2007, 2687 f.
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§ 43a BRAO Rz. 70
Grundpflichten des Rechtsanwalts
Cosacks1 – die Bedeutung, auch Sachverhalte zu erfassen, die weder als Straftatbestände unter Satz 1 fallen noch als unwahre Tatsachenbehauptungen unter Satz 2 erste Alternative fallen.2 (2) Fahrlässiges Verhalten 70
Da die Verbreitung der Unwahrheit „bewusst“ erfolgen muss scheidet fahrlässiges Verhalten des Anwalts aus. Da aber Wahrheitspflichten, so sie denn bestehen, immer auch von Aufklärungspflichten abhängen können3 ist, wie übrigens bei §§ 186, 187 StGB auch4 bedingter Vorsatz ausreichend.5 (3) Verbreiten
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„Verbreiten“ heißt „mitteilen“,6 also sich (einem) anderen gegenüber äußern. Die Lüge ist ein Äußerungstatbestand. In welcher Form das geschieht ist unerheblich: Der Anwalt kann sich selbst äußern oder einen anderen als gut- oder bösgläubiges Äußerungs„werkzeug“ einsetzen. (4) Unwahrheit durch Schweigen
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Ein erhebliches Problem stellt die „Unwahrheit durch Schweigen“ dar. Es ist schon darauf hingewiesen worden, dass sich unsachlich nur verhalten kann, wer sich äußert.7 Wenn in der Regel in diesem Zusammenhang die Frage nach der „Unwahrheit durch Schweigen“ behandelt wird, so sollte nicht übersehen werden, dass das kein Problem des § 43a Abs. 3 BRAO ist, sondern unter dem Aspekt der gewissenhaften Berufsausübung (§ 43 Satz 1 BRAO) gewürdigt werden muss. Der Anwalt nimmt die Interessen des Auftraggebers wahr. Aufgrund seiner eigenen gegenüber dem Mandanten bestehenden Pflichten, den entscheidungserheblichen Sachverhalt zu ermitteln, aber auch im Rahmen des zwischen ihm und dem Mandanten bestehenden Vertrauensverhältnisses8 kennt er – lege artis – die Sicht des Mandanten. Wenn der Anwalt diese Sicht darstellt, darf er nicht lügen. Sein Schweigen fällt aber – von Rechts wegen – unter das Opportunitätsprinzip: Der Mandatsvertrag verbietet ihm, dem Auftraggeber durch Reden zu schaden.
72a
Die Unwahrheit kommt in zwei Varianten vor: Die Verfahrensbeteiligten, sei es der eigene Mandant, der Gegner, Zeugen oder Sachverständige oder etwa der Dolmetscher, verschweigen etwas. Der Anwalt kennt den wahren Sachverhalt, aber das Schweigen ist der von ihm vertretenen Sache günstig (Variante 1). Die Verfahrensbeteiligten sagen die Unwahrheit, was der vom Anwalt vertretenen Sache nutzt (Freispruch/Prozessgewinn z.B.). Muss er die ihm bekannte Wahrheit mitteilen (Variante 2)? In Variante 1 schweigen die anderen, in Variante 2 reden sie.
72b
Beide Varianten sind jedoch gleich zu behandeln: „Verbreiten“ ist positives Handeln, ein berufsrechtliches Äußerungsdelikt. Es kann nicht durch Unterlassen verwirklicht werden. Der Anwalt kann deshalb nicht gegen Satz 2 verstoßen, wenn er schweigt.9 Bei seinen eige1 Kleine-Cosack, § 43a Rz. 65 ff.; s. auch Kleine-Cosack, AnwBl. 1988, 579; dagegen Zuck, NJW 1988, 175 (179). 2 Rz. 75–83. 3 Eine allgemeine uneingeschränkte Aufklärungspflicht gibt es allerdings nicht, so zutreffend Henssler/ Prütting/Henssler, § 43a Rz. 142. Es darf aber nicht übersehen werden, dass dem Anwalt im Rahmen gewissenhafter Berufsausübung vielfältige Pflichten treffen, vgl. Borgmann/Jungk/Grams, § 16 Rz. 1 ff. S. etwa für die Anwendung des § 138 Abs. 4 ZPO, BGHZ 109, 205 (209 ff.) Im Einzelnen sind Inhalt und Umfang von Aufklärungspflichten als Element von Wahrheitspflichten weitgehend ungeklärt, s. dazu Henssler/ Prütting/Henssler, § 43a Rz. 142. 4 Vgl. Fischer, § 186 StGB Rz. 13, § 187 StGB Rz. 4. 5 A.A. Henssler/Prütting/Henssler, § 43a Rz. 142, der direkten Vorsatz fordert. 6 So zutreffend Henssler/Prütting/Henssler, § 43a Rz. 139. 7 Rz. 71. 8 § 43 BRAO Rz. 35. 9 Das gilt natürlich nicht, wenn der Anwalt sich äußert, und dabei, d.h. bezogen auf die Äußerung etwas verdrängt, was im Ergebnis zur bewussten Verbreitung einer Unwahrheit führt. Käme es also darauf an, ob an einem Vormittag ein Gespräch stattgefunden hat, und erklärt – z.B. – der Gegner, ein solches Gespräch habe um 10 Uhr stattgefunden, so kann der Anwalt, wenn er sich äußert, sich nicht damit begnügen, zu erklären, das Gespräch habe um 10 Uhr nicht stattgefunden, und dabei zu verschweigen, dass es um 10.15 Uhr stattgefunden hat, wenn dabei der Eindruck erweckt wird und auch erweckt werden soll, es habe überhaupt kein Gespräch stattgefunden. Selten ist ein Sachverhalt so eindeutig. Auf der anderen
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Grundpflichten des Rechtsanwalts
Rz. 76 § 43a BRAO
nen Mandanten kommen aber andere Sachverhalte ins Spiel, wie etwa Beihilfe zum Prozessbetrug oder Begünstigung. Die allgemeine Pflicht zu gewissenhafter Berufsausübung wird den Rechtsanwalt zwar nicht zum Reden zwingen, wohl aber zur Niederlegung des Mandats, wenn der Mandant bei seinen Aussagen bleibt. (5) Geltungsumfang Das Verbreitungsverbot gilt gegenüber allen Verfahrensbeteiligten, auch gegenüber den eigenen Mandanten. Das kann etwa die bewusst unrichtige Darstellung der Sach- und Rechtslage gegenüber dem Mandanten sein. (Dazu gehört auch die bewusste Fehlinformation über die [zu erwartenden] Kosten des Verfahrens.) Eine schwierige Frage stellt sich im Zusammenhang mit der sogenannten „Vertraulichkeit der Korrespondenz“.1 Es gibt auch in Deutschland bei der Berufsausübung des Anwalts vertrauliche Gespräche mit Gericht und Gegenanwalt. So werden Verfahrensabläufe besprochen, Vergleichsmöglichkeiten ausgelotet – in der Regel im Interesse des eigenen Mandanten –; § 11 BORA (und das das Mandatsverhältnis beherrschende Zivilrecht) gebieten die Information des Mandanten. Das gilt auch für den einschlägigen Schriftwechsel. Die Behauptung des Anwalts, mit niemand gesprochen oder mit niemandem Briefe gewechselt zu haben, ist deshalb die bewusste Verbreitung einer Unwahrheit; sie wird aber von § 11 Abs. 1 BORA,2 nicht von § 43a Abs. 3 S. 2 BRAO erfasst. Im internationalen Rechtsverkehr (soweit die CCBE-Regeln anwendbar sind) ist stets Nr. 5.3 CCBE-Regeln zu beachten.
73
(6) In eigener Sache Was in „eigener Sache“ gilt, ist umstritten. Kleine-Cosack will den Anwalt insoweit von der Wahrheitspflicht freistellen.3 Henssler will ihn uneingeschränkt der Wahrheitspflicht unterwerfen.4 Hier wird eine mittlere Linie verfolgt. Es kommt danach darauf an, was der Gegenstand der „eigenen Sache“ ist. Betrifft sie die Berufsausübung des Anwalts, so gilt die Wahrheitspflicht, wenn der Anwalt sich äußert (also z.B. in einem Verfahren wegen eines Verstoßes nach Maßgabe des § 113 Abs. 1 BRAO5). Liegt die „eigene Sache“ außerhalb der Berufsausübung (wie etwa bei einem Verfahren wegen Steuerhinterziehung im Bereich der privaten Einkommensteuererklärung) gibt es keine allgemeinen berufsrechtlichen Wahrheitspflichten.6
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(7) Fallgruppen Einige praktische Fallgruppen (alphabetisch):
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Aussichtsloses Rechtsmittel:7
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Ich erwähne dies im Zusammenhang mit Satz 2 erste Alternative,8 weil ihm oft eine gezielte Fehlberatung gegenüber dem Mandanten und unter Umständen eine falsche Darstellung der Erfolgsaussichten gegenüber der Rechtsschutzversicherung zugrundeliegt. Gemeint sind die Sachverhalte des offenkundig und eindeutig aussichtslosen Rechtsmittels ohne rechtfertigenden Grund. Dazu können auch Angaben gehören, mit denen ein Rechtsmittel überhaupt erst gerechtfertigt wird, z.B. bei der Beschwer. Zu beachten ist aber, dass nicht die Aussichtslosigkeit des Rechtsmittels den Kasus macht, sondern die gezielte Falsch-
1 2 3 4 5 6 7 8
Seite steht nämlich fest, dass der Anwalt auch nicht verpflichtet sein, kann, immer vollständig vorzutragen: Das ergibt sich weder unter der Geltung des Beibringungsgrundsatzes noch des Untersuchungsgrundsatzes. Die pflichtgemäße Interessenwahrnehmung kann ihn zugunsten seines Mandanten sogar dazu zwingen, entweder lückenhaft vorzutragen oder lückenhaften Vortrag nicht zu ergänzen, so schwierig die Abgrenzung im Einzelfall sein mag: Das Reden des Anwalts muss eindeutig geboten sein (insbesondere um den Vorwurf des, [versuchten] Prozessbetruges oder der Begünstigung zu vermeiden), so auch Henssler/Prütting/Henssler, § 43a BRAO Rz. 143 ff. S. dazu Ignor, FS Egon Müller, 2008, S. 283 (291); Singer, AnwBl. 2009, 393 (398). S. Nr. 5.3 CCBE-Regeln und dazu § 11 BORA Rz. 15. S. dort Rz. 14 f. § 43a Rz. 70. § 43a Rz. 120 in: Henssler/Prütting; ebenso Isele, BRAO 1976, Anh. zu § 43 BRAO Stichwort „Wahrheit“; Jessnitzer/Blumberg, § 43a Rz. 3. Also nicht bei einem berufsgerichtlichen Verfahren wegen eines außerhalb des Berufs liegenden Verhalten des Rechtsanwalts, vgl. § 113 Abs. 2 BRAO, § 43a Abs. 3 S. 1 BRAO und oben Rz. 67. Im Ergebnis wie hier EG Hamburg, BRAK-Mitt. 1987, 100. S. dazu auch Feuerich/Weyland, § 43a Rz. 41. In Betracht kommt auch die Anwendung von Satz 1 2. Fallgruppe, s. oben Rz. 60.
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§ 43a BRAO Rz. 77
Grundpflichten des Rechtsanwalts
darstellung. So kann es eine Vielzahl von Mandanteninteressen geben, die auch ein aussichtsloses Rechtsmittel erforderlich machen. Es kann nötig sein, um Zeit zu gewinnen,1 aber auch um Klarheit zu schaffen. Musterprozesse werden nicht selten mit dem Ziel geführt, für einen Sachverhalt eine höchstrichterlich verbindliche Rechtsauffassung feststellen zu lassen – ganz gleich, wie der Rechtsstreit ausgeht. Ich kann mir freilich nicht vorstellen, dass ein solches Vorgehen berufsrechtlich verfolgt würde. 77
Bestreiten: Wer die ihm als wahr bekannte Behauptung eines Gegners bestreitet, verstößt gegen das Sachlichkeitsgebot.2 Auch die häufige Äußerung: „Das muss ich bestreiten“, wenn der Anwalt überhaupt keine Information zum vorgetragenen Sachverhalt hat, ist unsachlich. Ich habe das allerdings für sanktionslose Fälle der „kleinen Unsachlichkeit“.3
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Beweisantritte: Beweisanträge und Beweisantritte dienen der Klärung entscheidungserheblicher Sachverhalte. Sie sind deshalb unbeschadet der Antwort auf die Frage berufsrechtlich zulässig, ob der Anwalt annimmt, der Beweis werde geführt werden.4 Filibuster-Beweisanträge, d.h. solche, die allein der Verfahrensverschleppung dienen sollen, sind unsachlich, weil sie auf einem Missbrauch von Verfahrensrechten beruhen.
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Notlüge: Sie ist dem Anwalt nicht erlaubt.5
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Öffentlichkeit: Die Einschaltung der Öffentlichkeit ist als solche stets zulässig, es sei denn, die Form der Einschaltung sei unangemessen oder die Mittel-Zweck-Relation werde nicht gewahrt. Die Transparenz der Justiz ist eine unverzichtbare rechtsstaatliche Forderung.6 Der Anwalt darf sich an der Herstellung der damit verbundenen Öffentlichkeit beteiligen. Die Persönlichkeitsrechte seines Mandanten muss er stets wahren, anwaltliche Marketingüberlegungen dürfen nicht im Vordergrund stehen. Der gute Anwalt7 wird dabei allein die Interessen seines Mandanten bedenken. Ob er aber die Öffentlichkeit sucht oder sich eher zurückhält, ist keine Frage des anwaltlichen Berufsrechts.
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Schuldiger Angeklagter: Theorie und Praxis fallen hier meist auseinander. Der Anwalt darf nicht lügen, aber er darf das Verfahrensrecht (und das materielle Recht) zugunsten des Angeklagten uneingeschränkt nutzen. Er wird dann – in dubio pro reo – auch auf Freispruch plädieren dürfen, wenn er weiß, dass sein Mandant der Täter war.8
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Strafantrag: Willkürlich gestellte Strafanträge sind unsachlich. Die Koppelung mit zivilrechtlichen Ansprüchen (entweder Bezahlung oder Strafanzeige) kann sich als Nötigung oder Erpressung darstellen.9
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Unrichtiger Rechtsvortrag: Das Äußern falscher Rechtsauffassungen ist berufsrechtlich sanktionslos, es sei denn, dieser Vortrag erfolgt in Tatsachenform.10
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Vertagungsgesuche: Falscher Vortrag bei Vertagungsgesuchen wird als Notlüge behandelt, s. dort.11 bb) Anlasslose herabsetzende Äußerung
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Die zweite Alternative des Satz 2 wirft zwei Fragen auf: Es ist zu klären, wann eine Äußerung anlassbezogen ist12 und dann muss untersucht werden, wann es sich um eine relevante Herabsetzung handelt.13
1 S. dazu die Kontroverse um EGH Hamburg, NJW 1986, 2125 mit Anm. Zuck, NJW 1986, 2093 (2095); Quaas, BRAK-Mitt. 1986, 2232; Lingenberg/Hummel/Zuck/Eich/Zuck, § 1 RichtlRA Rz. 14; Henssler/ Prütting/Henssler, § 43a Rz. 145. 2 So schon Friedlaender, § 28 RAO Rz. 3; Feuerich/Weyland, § 43a Rz. 39. 3 Rz. 47. 4 S. auch BGH, StrVert 1989, 237. 5 Lingenberg/Hummer/Zuck/Eich/Hummel, § 68 RichtlRA Rz. 76; Henssler/Prütting/Henssler, § 43a Rz. 144. 6 S. dazu Zuck, DRiZ 1997, 23; Feuerich/Weyland, § 43a Rz. 49. 7 Vgl. Rz. 27 zu § 43 BRAO. 8 S. dazu Henssler/Prütting/Henssler, § 43a Rz. 146; Feuerich/Weyland, § 43a Rz. 44. Die Gratwanderung zwischen Wahrheits- und Schweigepflicht setzt anwaltliche Erfahrung und entsprechendes Verantwortungsbewusstsein voraus. 9 S. dazu Lingenberg/Hummel/Zuck/Eich/Zuck, § 1 RichtlRA Rz. 22. 10 Z.B. hinsichtlich des Inhalts ein unveröffentlichten Urteils oder ausländischen Rechts. 11 Rz. 79. 12 Rz. 86. 13 Rz. 87.
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Grundpflichten des Rechtsanwalts
Rz. 89 § 43a BRAO
(1) Anlassbezug Das Gesetz stellt den Anlassbezug über die Beteiligten und über den Verfahrensablauf her. Der Begriff des Beteiligten ist für jedes Verfahren gesondert zu bestimmen. Hier kann er, da er sich notwendig auf alle denkbaren Verfahren bezieht, nur so verstanden werden, dass damit jeder gemeint ist, der an einem Vorgang, der Gegenstand anwaltlicher Tätigkeit ist, teilhat. Auf die Rechtsstellung des „Beteiligten“ kommt es danach nicht an, die faktische Beteiligung, etwa eines sich einmischenden Zuhörers im Gerichtssaal, genügt.
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Nichts anderes gilt für den „Verfahrensablauf“. Es genügt jede Ereigniskette, es muss sich also nicht um ein formelles Verfahren handeln.
86a
Anlassbezogen ist eine Äußerung dann, wenn ein vernünftiger Dritter die Reaktion als solche (es geht zunächst noch nicht um ihren Inhalt) nachvollziehen, d.h. einen Zusammenhang herstellen kann. Im Hintergrund der Rechtsprechung des BVerfG (und damit der Gesetzesfassung) steht die ursprünglich so genannte Theorie vom Gegenschlag, wonach eine Äußerung auch als Gegenschlag gegen eine unzutreffende Information bei der Bildung der öffentlichen Meinung zulässig sein könne.1 Etwas weiter ging dann die sogenannte Tonjäger-Entscheidung des BVerfG,2 die in einem öffentlichen Meinungskampf herabsetzende Äußerungen dann billigte „wenn sie ein adäquates Mittel zur Abwehr eines von der Gegenseite beabsichtigten grundrechtsgefährdenden Verhaltens sind“. Inzwischen stellt das BVerfG in erster Linie darauf ab,3 ob es sich um die Teilnahme an dem von Art. 5 Abs. 1 GG geschützten Prozess der öffentlichen Meinungsbildung gehandelt hat.4 Der Kern dieser Argumentation, nämlich einer Äußerung (auch) als Reaktion zu verstehen, trifft auf § 43a Abs. 2 S. 2 BRAO zu.5
86b
(2) Gewicht der Äußerung Welche herabsetzenden Äußerungen von ihrem Gewicht her von der zweiten Alternative des Satz 2 erfasst werden, lässt sich verlässlich abgrenzen. Aus BVerfGE 76, 171 (192 f.) kann entnommen werden, dass Äußerungen „die von einzelnen Verfahrensbeteiligten lediglich als „stilwidrig, ungehörig, als Verstoß gegen den guten Ton oder das Taktgefühl“ empfunden, oder ganz allgemein als für das Ansehen der Anwaltschaft abträglich eingestuft werden, das Sachlichkeitsgebot nicht verletzen.
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Dieser, pauschal als Etikette zu verstehende, Bereich, fällt wegen mangelnden Gewichts nicht unter das Sachlichkeitsgebot. Es fehlt insoweit an den „besonderen Umständen“, die zu der herabsetzenden Äußerung hinzutreten müssen.6
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Auf der anderen Seite fallen strafbare Beleidigungen, die nicht durch die Wahrnehmung berechtigter Interessen gedeckt sind, immer unter Absatz 2 S. 27 (Strafbarkeitsbereich). Bei der Beurteilung von Interessen als im Sinne von § 193 StGB berechtigt ist im besonderen Maße darauf zu achten, dass der Anwalt als der berufene Berater und Vertreter des Rechtsuchenden auch die Aufgabe hat, Fehlentscheidungen zu verhindern8 und dabei seine Mandanten vor Rechtsverlusten zu schützen.9 Was berechtigt ist, bemisst sich deshalb insbesondere nach den beruflichen Aufgaben des Anwalts und die diese beherrschende, grund1 BVerfGE 12, 113 – Richard Schmid. 2 BVerfGE 24, 278. 3 S. Löffler/Ricker, Handbuch des Presserechts, 5. Aufl. 2005, § 42 Rz. 33 ff.; Prinz/Peters, Medienrecht, 1999, Rz. 756 f. Allgemein zu herabsetzende Äußerungen im Rahmen des Art. 5 I GG v. Münch/Kunig/Wendt, Art. 5 GG Rz. 14a. 4 BVerfGE 54, 129 – Römerberggespräche. 5 Im Übrigen wären die Voraussetzungen dieser Rechtsprechung für die Anwendung im Berufsrecht viel zu eng. 6 BVerfG(K), AnwBl. 1993, 632; AnwBl. 2008, 463. Über die Zuordnung in diesem Bereich kann man fast immer streiten. Das Anwaltsgericht Köln hat folgende Behauptung in einem Anwaltsschriftsatz gegenüber einer Behörde (in einem Sozialrechtsfall) für unsachlich gehalten: „Was Sie überhaupt noch mit der Rechtsordnung zu tun haben, habe ich – ehrlich gesagt – bis heute noch nie gewusst … Was hier geschieht, ist ein bewusstes Treiben des Bürgers durch die Behörde in den Schuldenstand“, AnwG Köln BRAK-Mitt. 2009, 87. Ich halte diese Entscheidung für überzogen. Sie mag allerdings ihren eigentlichen Grund in dem Umstand gehabt haben, dass der Anwalt schon mehrfach von seiner Kammer wegen Unsachlichkeit gerügt worden war. 7 BVerfG(K), AnwBl. 1993, 632. Ob sie berufsrechtlich geahndet werden müssen, bemisst sich nach § 115b BRAO. 8 BVerfG(K), AnwBl. 1993, 632. 9 § 1 Abs. 3 BORA.
Zuck 593
89
§ 43a BRAO Rz. 90
Grundpflichten des Rechtsanwalts
sätzlich durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit. Soweit in diesem Zusammenhang die Äußerungen des Anwalts beurteilt werden ist darüber hinaus der Schutzbereich der Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 GG genau zu beachten. Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG verletzen Behörden und Gerichte Art. 5 Abs. 1 GG, „wenn sie einer Meinungsäußerung zum Nachteil des Äußernden eine Bedeutung geben, die sie nach dem festgestellten Wortlaut objektiv nicht hat, oder wenn sie sich unter mehreren objektiv möglichen Deutungen für die zur Verurteilung führende entscheiden, ohne die andere unter Angabe überzeugender Gründe auszuschließen“.1 90
Das BVerfG hat sich ausdrücklich auf den Standpunkt gestellt, dass die nicht-anlassbezogene Herabsetzung oberhalb des Etikettebereichs und unterhalb des Strafbarkeitsbereichs liegen kann, dass es also eine dritte Fallgruppe der nicht-anlassbezogenen Herabsetzung i.e.S. gibt. Theoretisch liegt die Lücke da, wo beim Streit über einzelne Tatbestandsmerkmale des § 185 StGB, z.B. der Kundgabe gegenüber einem anderen,2 dem Problem der Beleidigungsfähigkeit,3 oder der unterschiedlichen Beurteilung der Schuldfähigkeit, § 185 StGB für anwendbar gehalten wird.
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Es fehlt bislang an Beispielen für diesen Bereich.4 Sie ließen sich leicht bilden, wenn der Etikettenbereich schrumpfte. Das wäre jedoch aus verfassungsrechtlichen Gründen unzulässig. 1 BVerfGE 43, 130 (136 f.); 82, 43 (510); BVerfG(K), AnwBl. 1993, 632 (633); s.a. Rz. 69. Auf das Erfordernis, umstrittene Äußerungen im Hinblick auf die strengen Anforderungen des Art. 5 Abs. 1 GG zu deuten, weist erneut BVerfG(K) AnwBl. 2008, 463 f. hin. In einem Fall, der geradezu klassisch den als „einfach“ vorsichtig gekennzeichneten Stil anwaltlicher Auseinandersetzung wiedergibt (Der gegnerische Anwalt hatte den Mandanten des Beschwerdeführers aufgefordert, 2 500 Euro Schmerzensgeld zu bezahlen, weil er sich in „Rambo-Manier“ im Straßenverkehr bewegt und „nach diesseitigem Dafürhalten … den Tatbestand der Gefährdung des Straßenverkehrs [§ 315c StGB] verwirklicht habe. Der Anwalt [= Beschwerdeführer] des angesprochenen Mandanten erwiderte, der Gegner habe „sich durch die Geltendmachung einer fingierten Forderung über 2 500 Euro wegen eines Verkehrsverstoßes der Erpressung strafbar gemacht“. Er werde „deswegen … noch von der Staatsanwaltschaft hören“. Die zuständige Rechtsanwaltskammer erteilte dem Beschwerdeführer – m.E. zu Recht – eine Rüge. Das BVerfG hat das akzeptiert), hat das BVerfG zur Wahrnehmung berechtigter Interessen ausgeführt: „Ein Verhalten, das einen Beleidigungstatbestand erfüllt, kann nur dann als Verletzung beruflicher Pflichten beanstandet werden, wenn es nicht in Wahrnehmung berechtigter Interessen erfolgt ist (vgl. BVerfGE 76, 171 [193]). Im Rahmen der Prüfung der Wahrnehmung berechtigter Interessen ist eine fallbezogene Abwägung zwischen den Grundrechten der Berufsfreiheit – gegebenenfalls unter Einbeziehung auch der Meinungsfreiheit – und den Rechtsgütern, deren Schutz die einschränkende Norm bezweckt, verfassungsrechtlich geboten (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats v. 14.2.2000 – 1 BvR 390/95, NJW 2000, 3413 [3415]). Für das Strafrecht wird eine solche Abwägung durch § 193 StGB ermöglicht, wonach Äußerungen, die zur Ausführung oder Verteidigung von Rechten oder zur Wahrnehmung berechtigter Interessen gemacht werden, nur insofern strafbar sind, als das Vorhandensein einer Beleidigung aus der Form der Äußerung oder aus den Umständen, unter welchen sie geschah, hervorgeht. Eine herabsetzende Äußerung nimmt dann den Charakter einer Formalbeleidigung oder Schmähkritik an, wenn in ihr nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Sie muss jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik in der Herabsetzung der Person, die gleichsam an den Pranger gestellt wird, bestehen (vgl. BVerfGE 82, 272 [284]).“ 2 Trotz erwarteter Diskretion, vgl. Fischer, § 185 StGB Rz. 10. 3 Fischer, § 185 StGB Rz. 17 ff. 4 Die Praxis hat es in der Regel mit veritablen Beleidigungen zu tun, so, wenn ein Anwalt über einen anderen Anwalt schreibt: „Der Angehörige ihrer Kanzlei macht einen außerordentlich unangenehmen und der Anwaltschaft nicht eben zuträglichen Eindruck; er erschien in Jeans, ohne Strümpfe und unterstützte mit seinem fortgeschrittenen feisten Erscheinungsbild ein unerträgliches Lamentieren über die vermeintlich erschütternde sogenannte soziale Situation dieser Mandanten, die in einem großen Mercedesfahrzeug … angereist waren“, vgl. Kammerreport Rechtsanwaltskammer Hamburg 4/1997, S. 5). Keine Zweifel bestehen insoweit auch bei anwaltlichen Bemerkungen über Justizvollzugsakte Bediensteter, die als „Kommunistenschweine“ bekämpft werden, allerdings mit dem unlogischen Zusatz, das sei wie im „Scheiß-Nazistaat“, vgl. Kammerreport Rechtsanwaltskammer Hamburg 4/1997, S. 5. Auch die Bezeichnung eines an einer Mietrechts-Auseinandersetzung Beteiligten „als asozialer Parasit“ hat das zuständige Anwaltsgericht als Beleidigung angesehen, vgl. Kammerreport Rechtsanwaltskammer Hamburg 4/1997, S. 5 f. Dagegen könnte die Beschreibung eines Richters als „ein jüngerer, etwas feister Mann“ unterhalb der Beleidigungsschwelle liegen, dann aber unter die Gruppe der nicht-anlassbezogenen Herabsetzungen i.e.S. fallen (als Verstoß gegen das Sachlichkeitsgebot gerügt vom Anwaltsgericht Hamburg, vgl. Kammerreport Rechtsanwaltskammer Hamburg 4/1997, S. 5). S. auch HambAnwG, BRAK-Mitt. 2008, 275. Das Anwaltsgericht hatte einen Anwaltsschriftsatz zu beurteilen, in dem vorgetragen worden war, ein Antrag auf Gewährung von PKH sei zurückzuweisen, weil das Verteidigungsvorbringen des Beklagten ohne Aussicht auf Erfolg sei und es im höchsten Maße unverantwortlich wäre, dem Beklagten „ausgerechnet seine gegenwärtigen Prozessbevollmächtigten beizuordnen, die wettbewerbsrechtliche Kenntnisse erst durch das
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Grundpflichten des Rechtsanwalts
Rz. 95 § 43a BRAO
IV. Verbot der Wahrnehmung widerstreitender Interessen (Absatz 4) 1. Entstehungsgeschichte und Funktion a) Tradition Das Verbot ist alter Bestand anwaltlichen Berufsrechts.1 Es galt immer schon als eine selbstverständliche Pflicht. Dennoch waren und sind die Elemente dieser Pflicht zum Teil lebhaft umstritten. Auch wird ständig gegen das Verbot verstoßen. Schon in der RAO 1878 war das Verbot Bestandteil eines Katalogs von Sachverhalten, bei deren Vorliegen der Rechtsanwalt nicht tätig werden durfte (§ 31 RAO).2 Die RichtlRA verschärften die gesetzlichen Anforderungen. Sie sahen (anders als § 356 StGB) zunächst fahrlässiges Handeln schon als Berufspflichtverletzung an, später auch den bloßen Anschein der Wahrnehmung widerstreitender Interessen (§ 46 RichtlRA). Das BVerfG beanstandete die RichtlRA im Allgemeinen, Anscheinsregelungen wie in § 46 Abs. 3 RichtlRA aber im Besonderen.3 Die BRAO hatte in § 45 eine vergleichbare Regelung enthalten. Die Novelle 1994 hob das Verbot aus dem neugefassten umfangreichen Katalog des § 45 BRAO heraus und wies sie in einer komprimierten Fassung den Grundpflichten des § 43a BRAO zu. Der Zusammenhang mit § 45 BRAO darf dennoch bei Auslegung und Anwendung des Absatz 4 nicht außer Acht gelassen werden. § 3 BORA gibt eine ausführliche ergänzende Regelung zu § 43a Abs. 4 BRAO.
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b) Regelungszusammenhänge Ein Zusammenhang besteht mit der strafrechtlichen Ahndung des Parteiverrats in § 356 StGB, weil die Schutzgüter beider Vorschriften gleich sind. Außerdem ist für den grenzüberschreitenden Rechtsverkehr Nr. 3.2 CCBE zu beachten.4
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2. Funktion 93
Welche gesetzgeberischen Überlegungen liegen § 43a Abs. 4 BRAO zugrunde? a) Vertrauensverhältnis Die Amtliche Begründung5 erwähnt an erster Stelle, das Vertrauensverhältnis zum Mandanten, also die bei der Erbringung von Diensten höherer Art, die aufgrund besonderen Vertrauens übertragen zu werden pflegen (§ 627 Abs. 1 BGB) zugrundeliegende Beziehung zwischen Rechtsanwalt und Auftraggeber.6
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b) Funktionsfähigkeit der Rechtspflege Dem Tatbestand des Parteiverrats liegt dagegen der Gedanke zugrunde, dass Anwälte, welche sich ihren Auftraggebern gegenüber pflichtwidrig verhalten, das Vertrauen der Öffentlichkeit in das ordnungsgemäße Funktionieren ihres Berufsstandes erschüttern; geschütztes Rechtsgut ist daher das Vertrauen der Allgemeinheit in die Zuverlässigkeit und Integrität der Anwaltschaft. „Die Schutzwürdigkeit des Rechtsguts folgt daraus, dass Anwälte (und sonstige Rechtsbeistände) unverzichtbare Aufgaben in unserem Rechtsstaat zu erfüllen haben und die Rechtsuchenden zur Wahrung ihrer Interessen nicht nur weitgehend darauf angewiesen sind, sondern auch gesetzlich verpflichtet sind, sich bei der Durchsetzung ihrer Rechte eines Anwalts zu bedienen“.7
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vorliegende Verfahren zu gewinnen hoffen“. Diese überflüssige (wenn auch, was man nicht weiß, vielleicht richtige), aber auf jeden Fall pointiert-unsachliche Bemerkung hat das Anwaltsgericht als Wahrnehmung berechtigter Interessen im Sinne des § 193 StGB eingestuft. Ein Anwalt könne nicht verlangen, vom Berufsrecht daran gehindert zu werden, dass ihm der Gegner Rechtsunkenntnis vorwerfe. Recht so. Siehe dazu auch § 43a Rz. 60 a.E. („Winkeladvokatur“). § 3 BORA Rz. 3. „Der Rechtsanwalt hat seine Berufstätigkeit zu versagen: … 2. wenn sie von ihm in derselben Rechtsache bereits einer anderen Partei im entgegengesetzten Interesse gewährt ist; …“. S. dazu Friedlaender, § 31 Rz. 4 ff. BVerfGE 76, 196 (206). S. § 3 BORA Rz. 2. BT-Drs. 12/4993, S. 27. S. dazu § 43 BRAO Rz. 36. Schönke/Schröder/Cramer/Heine, § 356 StGB Rz. 1 m.w.N.
Zuck 595
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§ 43a BRAO Rz. 96
Grundpflichten des Rechtsanwalts
c) Zusammenhang beider Funktionen 96
Gemeinwohlbindung und Vertrauensverhältnis gehen funktional zusammen: Die Wahrung des Vertrauens ist Voraussetzung für die richtige anwaltliche Aufgabenerfüllung im Rechtssystem.1 d) Unabhängigkeit
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Die Amtliche Begründung spricht weiter von der Wahrung der Unabhängigkeit des Rechtsanwalts.2 Das betrifft die Unabhängigkeit gegenüber dem Mandanten (§ 3 BRAO) sowie die innere Unabhängigkeit des Rechtsanwalts, denn wer zwei Herren (mit kollidierenden Interessen) dient, ist als Organ der Rechtspflege gefährdet, schon wegen seiner möglichen Erpressbarkeit. e) Gradlinigkeit der Berufsausübung
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Schließlich hebt die Amtliche Begründung noch „die im Interesse der Rechtspflege gebotene Gradlinigkeit der anwaltlichen Berufsausübung“ hervor.3 Die damit angesprochene „Pflicht zur Beibehaltung des einmal in der Sache eingeschlagenen Wegs der anwaltlichen Tätigkeit“4 ist nicht wörtlich zu verstehen. Der Anwalt darf und muss seine Meinung und seine Strategie ändern, wo das im Interesse des Mandanten erforderlich (und zulässig) ist. Gemeint ist das Abweichen vom Wege aus Gründen, die aus der pflichtwidrigen Interessenwahrnehmung folgen. Da es aber gar nicht darauf ankommt, welche Richtung der Anwalt nimmt (denn das in der Regel, wegen des abweichenden Schutzguts der Vorschrift, unerhebliche Einverständnis eines weiteren „Interessenten“ kann ja zur Beibehaltung der eingeschlagenen Linie führen), meint die Gradlinigkeit als moralische Kategorie des gegenüber dem Auftraggeber gebotenen (wie man früher gesagt hätte) pflichtgemäßen Verhaltens. Gradlinigkeit ist deshalb nicht mehr als das richtige Verhalten des unabhängigen Anwalts zu seinem ihm vertrauenden Auftraggeber. Eine eigenständige Aussage ist deshalb mit dieser Kennzeichnung der Grundlagen des Absatz 4 nicht verbunden. 3. Norminhalt
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Zu den Einzelheiten des Verbots s. § 3 BORA. V. Sorgfalt beim Geldverkehr (Absatz 5) 1. Entstehungsgeschichte5 a) RAO
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Die RAO 1878 äußerte sich zu Fragen des Geldverkehrs nicht. Für den führenden Kommentar zur RAO von Friedlaender, war bis zur letzten dritten Auflage der Geldverkehr des Anwalts kein Thema. b) RichtlRA 1929
101
Der RichtlRA 19296 griffen das Thema jedoch in Rz. 43, 44 auf: „Im Verkehr mit den Klienten ist peinliche Gewissenhaftigkeit zu beachten, namentlich und ganz besonders beim Geldverkehr … Die Vermengung eigenen mit fremden Geldern ist möglichst zu vermeiden. Für Auftraggeber eingehende Gelder sind tunlichst alsbald an den Empfangsberechtigten abzuführen.“ c) Drittes Reich
102
Noack, der Kommentator der RRAO7 befasst sich mit der Thematik ebenfalls nicht, vielleicht aus ideologischen Gründen: Der Anwalt als Mitglied der Volksgemeinschaft geht mit 1 2 3 4
Ebenso Henssler/Prütting/Henssler, § 43a Rz. 161 ff. BT-Drs. 12/4993, S. 27. BT-Drs. 12/4993, S. 27. Kalsbach, BRAO § 45 a.F. Rz. 2. Kalsbach, weist darauf hin, dass es sich insoweit um ein überliefertes Element der strafrechtlichen und der ehrengerichtlichen Rechtsprechung handelt. 5 S. auch Henssler/Prütting/Henssler, § 43a Rz. 161 ff., § 4 BORA Rz. 4. 6 AnwBl. 1929, Beilage Heft 6. 7 Noack, RAO, 1937.
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Grundpflichten des Rechtsanwalts
Rz. 107 § 43a BRAO
Geld immer sorgfältig um. Die Richtl-RRAK enthielten aber in Abschnitt D IV („Verhältnis zu den Rechtsanwälten“) deutliche Hinweise: „30. Die peinlichste Sorgfalt in der Behandlung fremder Gelder ist Voraussetzung für die Vertrauensstellung des Anwalts. Unzuverlässigkeit im Geldverkehr wird mit allem Nachdruck durch rücksichtslosen Ausschluss aus der Anwaltschaft entgegengetreten werden. Aber selbst der Anschein der leisesten Lässigkeit in Gelddingen muss vermieden werden. Die Vermengung eigener mit fremden Geldern ist unzulässig, wenn nicht die jederzeitige vollständige Befriedigung des Empfangsberechtigten gesichert ist. Fremde Gelder sind unverzüglich an den Empfangsberechtigten abzuführen. Fremde Gelder von mehr als 200 RM, die für längere Zeit aufzubewahren sind, sind so anzulegen, dass sie unbedingt dem Zugriff Dritter entzogen sind, möglichst auf >Anderkonten< eines vertrauenswürdigen Kreditinstituts“1
d) RichtlRA Britische Zone In Wahrheit war die Behandlung der Fremdgeldproblematik überhaupt nicht ideologieabhängig, sondern ein Produkt der Nähe des Anwalts zu den ihm anvertrauten Geldern. Die RichtlRA Britische Zone (1952) konnten deshalb diese Regelung unverändert übernehmen.2
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e) RichtlRA 1957 Die RichtlRA 1957 fassten den Text kürzer, ergänzten ihn aber um weitere Regelungen.3 Fast wörtlich wanderte der Text so über § 36 RichtlRA 1963 in § 47 RichtlRA 1973.4 Sie lauteten so:
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„§ 47 Geldverkehr (1) Bei der Behandlung der dem Rechtsanwalt anvertrauten fremden Vermögenswerte ist größte Sorgfalt unerlässliche Voraussetzung für die Vertrauensstellung des Rechtsanwalts. Auch der bloße Anschein der Lässigkeit muss vermieden werden. (2) Fremde Gelder sollen unverzüglich an den Empfangsberechtigten weitergeleitet werden. Anderenfalls müssen sie auf ein Anderkonto eingezahlt werden, soweit nichts anderes vereinbart ist. (3) Andere fremde Vermögenswerte, insbesondere Wertpapiere und sonstige geldwerte Urkunden, dürfen nicht mit dem eigenen Vermögen vermischt werden. (4) Nach Beendigung eines Auftrages hat der Rechtsanwalt unverzüglich und ordnungsgemäß abzurechnen. (5) Zur Deckung eigener Kostenforderungen darf der Rechtsanwalt fremde Gelder nicht verwenden, soweit diese zweckgebunden sind. Eingegangene Unterhaltsbeträge darf der Rechtsanwalt nur insoweit auf eigene Kostenforderungen verrechnen, als sie den angemessenen Unterhaltsbedarf des Berechtigten offensichtlich übersteigen.“
f) BORA Die BORA nimmt sich der unverändert bedeutsam gebliebenen Pflichten in §§ 4, 23 BORA an.
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2. Funktionen 106
Welche gesetzgeberischen Überlegungen liegen Absatz 5 zugrunde? a) Vertrauensverhältnis
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Die Amtliche Begründung formuliert: „Die Sorgfaltspflicht des Rechtsanwalts beim Umgang mit fremden Vermögenswerten resultiert aus dem vertraglichen Vertrauensverhältnis zu seinem Mandanten und der Erwartung in die uneingeschränkte 1 Isele nimmt an, insbesondere Absatz 2 und 3 der Nr. 30 seien auf einschlägige EGH-Rechtsprechung zurückzuführen, BRAO 1976, 581. 2 Cüppers, Rechtsanwaltsordnung Britische Zone, 1950, Anh. 6; Kalsbach, Standesrecht des Rechtsanwalts, 1956, S. 277 ff.; Isele, BRAO, S. 581. Die damals erarbeitete „Anleitung für die Behandlung von Mandantengeldern“ (abgedruckt bei Kalsbach, BRAO § 35 RichtlRA Rz. 4) ist heute noch lesenswert. 3 Abgedruckt bei Kalsbach, BRAO vor § 35 RichtlRA. 4 Ergänzt um einen neuen Absatz 4, s. dazu Lingenberg/Hummel/Zuck/Eich/Zuck, Anm. zu § 47 RichtlRA.
Zuck 597
§ 43a BRAO Rz. 108
Grundpflichten des Rechtsanwalts
Integrität des Rechtsanwalts in seiner Stellung als Organ der Rechtspflege. Satz 2 enthält zudem eine ausdrückliche Regelung zum berufsgerechten Umgang mit Fremdgeld.“1
b) Funktionsfähigkeit der Rechtspflege 108
Ähnlich wie bei Absatz 4 geht es auch hier um den Schutz der Funktionsfähigkeit der Rechtsgewährung und -gewährleistung im ganzen. Wegen seiner rechtsstaatlichen Garantenstellung innerhalb der Rechtspflege, nicht dagegen wegen der bloßen finanziellen Mandanteninteressen (für sie würde und müsste das Zivilrecht genügen) werden die Rechte und Pflichten aus dem Anstellungsvertrag mit den besonderen Berufspflichten des Absatzes 4 belegt. Diese „Überhöhung“ ist auch verhältnismäßig: Die anwaltliche Berufsgeschichte belegt, dass der Umgang mit fremdem Vermögen eine besondere Versuchung darstellt. Die Hervorhebung berufsrechtlicher Grundpflichten ist deshalb ein geeignetes, erforderliches und auch zumutbares Mittel, um die für die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege auch in diesem Bereich nötige Ordnung herzustellen und zu sichern. Dem trägt auch die gegenüber den allgemeinen zivilrechtlichen Sorgfaltspflichten in §§ 4, 23 BORA vorgenommene Konkretisierung Rechnung. Verfassungsrechtliche Kritik an Absatz 52 ist deshalb nicht berechtigt.3 3. Norminhalt
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Zu Einzelheiten vergleiche §§ 4, 23 BORA. VI. Die Fortbildungspflicht (Absatz 6) 1. Entstehungsgeschichte a) Rechtsprüfung
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Zu den zentralen Pflichten des Anwalts aus dem Anwaltsvertrag gehört die Pflicht zur Rechtsprüfung. Eine außerordentlich strenge Haftungsrechtsprechung hat den Anwalt verpflichtet, Gesetze, Rechtsprechung und (in allerdings geringerem Umfang) Schrifttum zu kennen, und, wo das nicht der Fall ist, sich diese Kenntnisse alsbald zu verschaffen.4 Das Zivilrecht erzwingt infolgedessen, um ein Mandat lege artis, und insoweit frei von Haftungsrisiken wahrnehmen zu können, die dauerhafte Fortbildung des Anwalts. Da die Grundmaterie anwaltlicher Tätigkeit Gesetzesrecht und Präjudizien sind, und beide Bereiche sich in ständigem und oft erheblichem Wandel befinden,5 ist der anwaltliche Fortbildungsbedarf ungleich höher als bei anderen Freiberuflern, etwa bei Ärzten. b) Zurückhaltung der Anwaltschaft
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Während aber bei den Ärzten die Pflicht zur Fortbildung auch eine berufsrechtliche Tradition hat,6 hat sie in der Anwaltschaft eher ein Schattendasein geführt.7 Seit 1878 war die Fortbildungspflicht immer nur ein ungeschriebener Bestandteil der Pflicht zur gewissenhaften Berufsausübung gewesen, und allenfalls indirekt angesprochen, soweit § 177 S. 2 Nr. 7 BRAO a.F. der Bundesrechtsanwaltskammer auch die Aufgabe zugewiesen hatte, die berufliche Fortbildung zu fördern.8
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BT-Drs. 12/4993, S. 28. S. dazu § 43 BRAO Rz. 35. Jähnke, NJW 1988, 1888 (1891); Feuerich, AnwBl. 1988, 502. So, mit weiteren Argumenten, zu Recht Henssler/Prütting/Henssler, § 43a Rz. 161. Borgmann/Jungk/Grams, Anwaltshaftung, § 19; Vollkommer/Heinemann, Anwaltshaftungsrecht, 2. Aufl. 2003, S. 183 ff.; Rinsche, Die Haftung des Rechtsanwalts und des Notars, 6. Aufl. 1998, alle mit umfangreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung. S. dazu Zuck, MDR 1996, 14. S. dazu Hess, in: Wenzel, Handbuch des Fachanwalts Medizinrecht, Kap. 2 Rz. 375; Schroeder-Prinzen, in: Ratzel/Luxenburger, Handbuch Medizinrecht, 2008, § 7 Rz. 530 ff.; Quaas, in: Quaas/Zuck, Medizinrecht, 2. Aufl. 2008, § 12 Rz. 59 ff. Zum Freiheitsrecht bei anderen freien Berufen s. Dahns/Eichele, BRAK-Mitt. 2002, 259 (261 ff.). Nicht nur ärztlichen Berufsordnungen, sondern auch die Kammergesetze enthalten ausdrückliche Fortbildungspflichten für den Arzt. Das erwähnt ausdrücklich Taupitz, Die Standesordnungen der freien Berufe, 1991, S. 543. Mihm, FS zum 125-jährigen Bestehen der Rechtsanwaltskammer Hamm, 2004, S. 451 ff., Typisch etwa Paul, AnwBl. 2006, 252. S. dazu Henssler/Prütting/Eylmann, § 43a Rz. 179 ff. Singer, AnwBl. 2009, 393 (397 f.).
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Grundpflichten des Rechtsanwalts
Rz. 115 § 43a BRAO
c) BORA Erst Ende der 70er Jahre kam das Thema der Qualität anwaltlicher Dienstleistung und die berufsrechtliche Notwendigkeit der Fortbildung vermehrt zur Sprache, allerdings bis zur ISO 9000-Diskussion1 nur langsam.2
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Und obwohl man sich darüber einig war, dass – berufsrechtlich – die Pflicht zur Fortbildung schon aus der Pflicht zur gewissenhaften Berufsausübung folge3 gewann in der Anwaltschaft doch der Gedanke einer ausdrücklichen Regelung der Fortbildungspflicht in der BORA an Boden. Umstritten bleibt die Thematik gleichwohl. Der zuständige BRAK-Ausschuss hatte formuliert: „Der Rechtsanwalt ist verpflichtet, sich in dem Maße fortzubilden, wie das zur Erhaltung und Weiterentwicklung der für seine Berufsausübung notwendigen Sachkunde erforderlich ist“. Der DAV-Entwurf enthielt dagegen insoweit überhaupt keine Regelung.
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d) BRAO-Neufassung Der Gesetzgeber nahm die Fortbildungspflicht als Grundpflicht in den Katalog des § 43a BRAO mit folgender Begründung auf:
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„Die in Abs. 6 geregelte Fortbildungspflicht gehört als Qualitätssicherung anwaltlicher Leistung mit zu den Grundpflichten eines Berufsstandes, der als berufener Berater und Vertreter in allen Rechtsangelegenheiten zur Verfügung steht. Im Interesse des rechtsuchenden Publikums ist erforderlich, präventiv dafür zu sorgen, daß sich der Rechtsanwalt selbst um die Qualität seiner Leistung und Aktualisierung seiner Kenntnisse kümmert. Dafür kommt vor allem die Pflicht zur Fortbildung in Betracht. Auch im Interesse der Gleichbehandlung der Rechtsanwälte erschien es mit Rücksicht auf die sanktionsbewehrte Fortbildungspflicht der Fachanwälte (§ 43c Abs. 4 Satz 2) sachgerecht, auch solche Rechtsanwälte zur Fortbildung zu verpflichten, die eine Fachanwaltsbezeichnung nicht führen.“4
2. Was ist das Schutzgut des Absatzes 6? „Die Fortbildung ist das dynamische Element der Qualitätssicherung der anwaltlichen Dienstleistung. Berufsrechtlich steht damit auch insoweit die rechtsstaatliche Garantenstellung des Rechtsanwalts zur Vorhaltung und Funktionsfähigkeit des Rechtssystems im Vordergrund. Der Rechtsanwalt soll sich fortbilden, damit er dem jeweiligen objektiven Stand des Rechtssystems subjektiv entspricht. Es geht also nicht darum, seine Marketingchancen zu verbessern oder den Rechtsuchenden im Rahmen des Anwaltsvertrages zu schützen. Beides sind notwendige Folgen des mit der Fortbildungsverpflichtung verbundenen Schutzes des Vertrauens in das Rechtssystem. Es bedarf deshalb auch keines Rückgriffs auf den Gleichheitssatz im Zusammenhang mit den Fortbildungspflichten des Fachanwalts“.5
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3. Sinn und Zweck der Fortbildungspflicht a) Konkretisierungsfähigkeit des Absatzes 6 Im Regelfall sind alle Grundpflichten des § 43a BRAO konkretisierungsfähig, wie sich im Einzelnen aus § 59b BRAO ergibt. Der Regierungsentwurf hatte das auch für die Fortbildungspflicht vorgesehen.6 Der Rechtsausschuss hat die entsprechende Satzungsermächtigung jedoch gestrichen. Dem einzelnen Anwalt solle die Art und Weise der Fortbildung nicht vorgeschrieben werden.7 Nun fragt sich natürlich, ob die tradierte Verankerung der Fortbildungspflicht in der Pflicht zur gewissenhaften Berufsausübung als Konkretisierungsvehikel nach Maßgabe des § 59b BRAO benutzt werden könnte. Darüber hat es im Schrifttum eine ausführliche Diskussion gegeben.8 Die Auffassung, dass der Gesetzgeber keine Konkretisierungsmöglichkeit wollte, ist zutreffend.9 Der Gesetzgeber hat schon die Grundpflicht selbst (hier: Gewissenhaftigkeit) so präzisiert, dass Qualitätsforderungen der Gewissenhaftigkeit 1 S. Rz. 53 zu § 43 BRAO. 2 S. Commichau, NJW 1977, 1361 (1368 ff.); Zuck, BRAK-Mitt. 1985, 63; Zuck, MDR 1986, 816 f.; Redeker, NJW 1987, 304 (305); Redeker, NJW 1987, 2610 (2614 f.); Schiefer, NJW 1987, 1969 (1976); Eich, MDR 1988, 177; Hartung, AnwBl. 1988, 516 (519). 3 BVerfGE 64, 115 (122); BGH, NJW 1983, 1665; OLG München, BRAK-Mitt. 1990, 116; Loewer, BRAK-Mitt. 1994, 186. Singer, AnwBl. 2009, 393 (397 f.). 4 BT-Drs. 12/4993, S. 28. 5 Die Amtliche Begründung sieht die Zusammenhänge nicht hinreichend klar, s. dazu zutreffend auch Henssler/Prütting/Henssler, § 43a Rz. 232 ff. 6 BT-Drs. 12/4493. 7 BT-Drs. 12/7656, S. 50. 8 Ahlers, BRAK-Mitt. 1995, 46; Zuck, MDR 1996, 1204 (1212). 9 So auch Henssler/Prütting/Henssler, § 43a Rz. 237; Feuerich/Weyland, § 43a Rz. 98.
Zuck 599
115
§ 43a BRAO Rz. 116
Grundpflichten des Rechtsanwalts
zugeordnet geblieben sind,1 nicht aber die Fortbildungspflicht. Sind aber die Pflichten spezialisiert, gilt das auch für die Konkretisierungsermächtigung. b) Folgerungen 116
Hat Absatz 6 ohne Konkretisierungsmöglichkeit einen im Sinn des § 113 BRAO tauglichen Inhalt?2 Welche Rechtskenntnisse man von einem Anwalt, der ein Mandat übernommen und damit Leistungsfähigkeit angezeigt hat, lege artis erwarten kann, bestimmen die – spätestens im Haftungsprozess – objektiv bestehenden Notwendigkeiten. Der damit gegebene Fallbezug konkretisiert den Inhalt der Fortbildungspflicht unter den allgemeinen Vorgaben der §§ 1, 3 BRAO.
116a
Dabei darf nicht außer Acht gelassen werden, dass der Gesetzgeber selbst mit § 43a Abs. 6 BRAO die allgemeine Berufspflicht des § 43 BRAO konkretisiert hat, um das Wesentliche zu bestimmen. Schon § 43 BRAO ist – jedenfalls von der h.M. – für justitiabel gehalten worden; um wieviel mehr muss es eine Konkretisierung sein, die – über die Bestimmung des Wesentlichen – gerade rechtsstaatlichen Anforderungen genügen will. 4. Aktueller Diskussionsstand a) Fortbildungspflicht
117
Es ist zwar weitgehend anerkannt, dass Fortbildung der Qualitätssicherung anwaltlicher Dienstleistung dient und damit eine gewichtige Gemeinwohlfunktion für die RechtspflegeGewährleistungen erfüllt.3 Die Anwaltschaft scheint aber (außerhalb der Fachanwaltsregelungen in § 43c Abs. 4 S. 2 BRAO, § 15 FAO) jede Fortbildungspflicht, sei es aufgrund ihres Selbstverständnisses von freier und unreglementierter Berufsausübung, sei es, weil sie – entgegen den eigentlichen Zielen der Fortbildung – eine Erhöhung ihres Haftungsrisiko fürchtet,4 zu scheuen. Aber man kann nicht zugleich den Anwaltszwang aus § 78 ZPO als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme begrüßen, das (auch) auf der Leistungsfähigkeit des Anwalts beruhende Vertrauensverhältnis zum Mandanten hochhalten,5 für den Anwalt als unabhängiges Organ der Rechtspflege gleiche Augenhöhe mit Beamten und Richtern fordern, die das rechtfertigende Pflichterfüllung aber vom eigenen Belieben abhängig machen. Sicher kann man das Argument akzeptieren, dass fehlende Fortbildung erst im Haftpflichtfall bedeutsam wird, und bis zu diesem Zeitpunkt inhaltlich nicht wirklich kontrollierbar ist. Es trifft auch zu, dass noch so viele Fortbildungszertifikate keineswegs vergleichbare Qualität garantieren.6 Aber wie die Fachanwalts-Rahmenbedingungen zeigen, schafft formell nachgewiesene Fortbildung (aufgrund entsprechender Berufspflichten) zumindest die Möglichkeit verbesserter Qualität der anwaltlichen Dienstleistung. Auch rechtspolitisch ist das Beharren weiter Kreise der Anwaltschaft auf innerer Freiheit ein schönes Argument für alle diejenige, die meinen, für Rechtsberatung reiche schon ein Diplom aus;7 letzten Endes könne man das all jenen überlassen, die sich in ihrer jeweiligen Branche durch „learning by doing“ ein gewisses Rechts-ABC angeeignet hätten.
1 S. § 43 BRAO Rz. 50–52. 2 Auch das ist umstritten, vgl. Ahlers, BRAK-Mitt. 1995, 46; Zuck, MDR 1996, 1204 (1212). 3 Feuerich/Weyland, § 43a Rz. 96; gründlich dazu Saenger, BRAK-Mitt. 2007, 249. Saenger stellt zu Recht vier Fragen (und er beantwortet sie auch), BRAK-Mitt. 2007, 253: – Wessen Aufgabe ist die Fortbildung? Rechtsanwaltskammer (§ 73 Abs. 1, 2 BRAO); s. dazu Rz. 118. – Wie wird die Qualität der Fortbildung sichergestellt? Über eine inhaltliche Prüfkompetenz der Kammern (BRAK-Mitt. 2007, 254). – Sind Sanktionen erforderlich? Nein (BRAK-Mitt. 2007, 254). – Wie soll Fortbildung erfolgen? Differenziert (BRAK-Mitt. 2007, 255). Nach wie vor wird die Fortbildungspflicht kontrovers diskutiert, vgl. einerseits Offermann-Burckart, AnwBl. 2008, 763 (pro), andererseits Kleine-Cosack, AnwBl. 2008, 708 (contra). S. dazu auch die europäischen Studien, wiedergegeben bei Spengler, BRAK-Mitt. 2007, 153. Das alles gilt auch international, vgl. Brouwer, BRAK-Mitt. 2005, 100; Eichele/Odenkirchen, BRAK-Mitt. 2005, 103. 4 S. Rz. 23. 5 § 43 BRAO Rz. 35. 6 Zutreffend insoweit Paul, AnwBl. 2006, 252. 7 S. dazu Osterloh, FS Hirsch, 2008, S. 509 (514 f.).
600 Zuck
§ 2 BORA/Rz. 121 § 43a BRAO
Verschwiegenheit b) Zuständigkeit für die Fortbildung
Wenn Fortbildung wirklich Sinn machen soll, muss sie von Anwälten für Anwälte erfolgen. Das ist zum einen Sache des DAI,1 aber auch der Kammern.2 Diese können aber sicher kein Monopol für diese Aufgabe beanspruchen.3
118
5. Auswirkungen der Fortbildungspflicht Von der berufsrechtlichen Fortbildungsverpflichtung gehen erhebliche Wirkungen aus. Sie sind der Hauptgrund für die verbreitete Abneigung der Anwaltschaft, justitiable Pflichten in diesem Bereich zu akzeptieren.
119
a) Haftungsrisiko Der Verstoß gegen berufsrechtliche Fortbildungspflichten verstärkt das Haftungsrisiko bei mangelnder Rechtskenntnis des Anwalts.4 Die Fortbildungspflicht erleichtert nämlich die Annahme, das Fehlverhalten könne auch haftungsrechtlich bedeutsam sein. Und die Entwicklung berufsrechtlicher Grundsätze, z.B. über die Rechtsprechung der Anwaltsgerichte, kann leicht zu Fallgruppen führen, die dann auch zu (neuen) Haftungsfallgruppen werden. Da die Anwaltschaft aber kein Rechtsberatungs- und -vertretungsmonopol hat und die Qualität anwaltlicher Dienstleistungen auch ein taugliches Kontrollinstrument innerhalb des anwaltlichen Wirkens ist, erweist sich die Fortbildungspflicht nicht als Damoklesschwert, sondern als Antrieb für bessere Qualität. Das dient der Anwaltschaft, und dem einzelnen Anwalt.
120
b) Spezialisierung Es ist nicht zu verkennen, dass die damit verbundenen Risiken zu erhöhter Vorsicht bei der Annahme von Mandaten führen werden, etwa, wenn es an der Zeit fehlt, sich mandatsgerecht fortzubilden. Damit wird die nötige Entwicklung vom inzwischen mehr und mehr fiktiven „Allrounder“ zum Profi in abgegrenzten Bereichen gefördert.
2 BORA Verschwiegenheit (1) Der Rechtsanwalt ist zur Verschwiegenheit berechtigt und verpflichtet.
(2) Das Recht und die Pflicht zur Verschwiegenheit beziehen sich auf alles, was ihm in Ausübung seines Berufes bekannt geworden ist, und bestehen nach Beendigung des Mandats fort. (3) Die Pflicht zur Verschwiegenheit gilt nicht, soweit diese Berufsordnung oder andere Rechtsvorschriften Ausnahmen zulassen oder die Durchsetzung oder Abwehr von Ansprüchen aus dem Mandatsverhältnis oder die Verteidigung des Rechtsanwalts in eigener Sache die Offenbarung erfordern. (4) Der Rechtsanwalt hat seine Mitarbeiter und alle sonstigen Personen, die bei seiner beruflichen Tätigkeit mitwirken, zur Verschwiegenheit (§ 43a Abs. 2 Bundesrechtsanwaltsordnung) ausdrücklich zu verpflichten und anzuhalten. A. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . I. Ermächtigungsgrundlage . . . . . . . . II. Regelungszusammenhänge . . . . . . . 1. Deutsches Recht . . . . . . . . . . . . a) Strafrecht . . . . . . . . . . . . . b) Auskunfts- und Zeugnisverweigerungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . 1 2 3 4
1 1 2 2 2 3
c) Getrennte Regelkreise . . . . . . . 2. CCBE . . . . . . . . . . . . . . . . III. Tradition . . . . . . . . . . . . . . IV. Funktionen . . . . . . . . . . . . . 1. Sicherung des Vertrauensverhältnisses. 2. Funktionsfähigkeit der Rechtspflege . .
. . . . . .
4 5 6 7 7 8
Mihm, FS zum 125-jährigen Bestehen der Rechtsanwaltskammer Hamm, 2004, S. 451 ff. Kloepfer/Quast, BRAK-Mitt. 2007, 2; zur Deutschen Anwaltsakademie s. Stobbe, AnwBl. 2008, 654. S. dazu Hellwig, AnwBl. 2006, 505 (513 f.); Kleine-Cosack, AnwBl. 2006, 168 (170). Auch Kleine-Cosack, § 43a Rz. 139, der die Vorschrift für „völlig bedeutungslos“ hält und sie deshalb – folgerichtig – auch gar nicht kommentiert, räumt ein, dass der Verstoß gegen Fortbildungspflichten im Rahmen der FAO durch die Haftungsrechtsprechung sanktioniert wird. Dieser Zusammenhang ist aber auch bei der allgemeinen Fortbildungspflicht gegeben.
Zuck 601
121
§ 43a BRAO/§ 2 BORA Rz. 1
%25$
B. Norminhalt . . . . . . . . . . . . . . I. Absatz 1 . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verschwiegenheitspflicht . . . . . . . . 2. Schweigerecht . . . . . . . . . . . . . a) Entstehungsgeschichte . . . . . . . b) Verbindliches Recht . . . . . . . . . II. Absatz 2 . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gegenstand . . . . . . . . . . . . . . a) Abweichung von § 43a Abs. 2 BRAO. . b) Alles, was in Ausübung des Berufs bekannt geworden ist . . . . . . . . . c) Fallkette . . . . . . . . . . . . . . d) Jedermann . . . . . . . . . . . . . e) Indirekte Verstöße . . . . . . . . . 2. Dauer der Verschwiegenheitspflicht . . . III. Absatz 3 . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gesetzlich zugelassene Ausnahme . . . . a) BORA-Ausnahmen . . . . . . . . . b) Ausnahmen in anderen Rechtsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . c) Datenschutzrecht . . . . . . . . . . d) Abgeordnetengesetz und Schweigepflicht . . . . . . . . . . . . . . e) Staatliche Überwachung und Verschwiegenheitspflicht . . . . . . . . aa) Freie Advokatur und Schutzstaat . . . . . . . . . . . . . .
Verschwiegenheit 9 9 9 10 10 11 12 12 12 13 14 20 24 25 26 27 28 29 30 31 32 32
bb) Telefonüberwachung des Festnetzanschlusses des Anwalts nach 33 § 100a StPO . . . . . . . . . . . cc) Telefonüberwachung des Mobil34 telefons eines Anwalts . . . . . . dd) Akustische Wohnraumüber35 wachung . . . . . . . . . . . . 36 ee) TÜK . . . . . . . . . . . . . . ff) E-Mail-Verkehr/Mailbox . . . . . 37 gg) Online-Durchsuchungen . . . . . 38 hh) Rechtsaufsicht . . . . . . . . . 38a 2. Erforderlichkeit der Offenbarung . . . . 39 40 a) Entbindung von der Schweigepflicht . b) Konkludente Entbindung von der 41 Schweigepflicht . . . . . . . . . . . aa) Steuerrecht. . . . . . . . . . . 41 42 bb) Prozesskostenfinanzierung. . . . c) Wahrnehmung berechtigter Interessen 43 aa) Durchsetzung oder Abwehr von Ansprüchen aus dem Mandats44 verhältnis . . . . . . . . . . . bb) Verteidigung des Anwalts in eige45 ner Sache . . . . . . . . . . . IV. Absatz 4 . . . . . . . . . . . . . . . . 48 1. Mitarbeiter . . . . . . . . . . . . . . 49 50 2. Berufspflichten . . . . . . . . . . . . a) Belehrung . . . . . . . . . . . . . 50 51 b) Wiederholte Belehrung . . . . . . .
A. Allgemeines I. Ermächtigungsgrundlage 1
§ 2 BORA beruht auf § 59b Abs. 2 S. 1c BRAO. Dort ist von „Verschwiegenheit“ die Rede. § 59b BRAO umfasst nicht nur die Ermächtigung, dass Nähere über die Pflichtenstellung zu regeln, sondern, wie § 59b Abs. 1 BRAO zeigt, auch die Befugnis, das Nähere über berufliche Rechte zu regeln. II. Regelungszusammenhänge 1. Deutsches Recht a) Strafrecht
2
Das einfache Recht enthält vor allem in § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB eine die berufliche Verschwiegenheitspflicht sanktionierende Norm. b) Auskunfts- und Zeugnisverweigerungsrecht
3
Zum Schweigerecht des Anwalts gibt es darüber hinaus eine Vielfalt von Auskunfts- und Zeugnisverweigerungsrechten (§ 383 Abs. 1 Nr. 6, § 385 Abs. 2 ZPO, § 53 Abs. 1 Nr. 3, § 53a, § 102 Abs. 1 Nr. 3a StPO, § 15 Abs. 1 FGG, § 98 VwGO, § 46 Abs. 2, § 80 Abs. 2 ArbGG, § 84 Abs. 1 FGO, § 102 Abs. 1 Nr. 3 AO, § 56 Abs. 1 VwVfG, § 28 Abs. 1 BVerfGG, § 56 BRAO, § 21 Abs. 3 SGB X, § 118 Abs. 1 SGG), s. auch das Beschlagnahmerecht des § 97 StPO. Die Verschwiegenheitspflicht des Anwalts macht – gelegentlich – das Schweigerecht zu einer Schweigepflicht. c) Getrennte Regelkreise
4
Auch hier ist zu beachten, dass sonstiges einfaches Recht und berufsspezifisches Berufsrecht1 zwei getrennten Rechtskreise angehören. Wann der Anwalt berufsrechtlich zur Verschwiegenheit verpflichtet ist, bestimmt sich infolgedessen unabhängig von den sonstigen Regelungen (mag es auch in vielen Fällen aus der Natur der Sache heraus Gleichklang geben). 1 § 43 BRAO Rz. 25.
602 Zuck
Verschwiegenheit
Rz. 9 § 2 BORA/§ 43a BRAO
2. CCBE Nr. 2.3 CCBE („Berufsgeheimnis“) enthält ebenfalls eine Regelung der Verschwiegenheitspflicht.
5
III. Tradition § 2 BORA korrespondiert mit § 42 RichtlRA:
6
„§ 42 Verschwiegenheitspflicht (1) Die Pflicht zur Verschwiegenheit erstreckt sich über die gesetzliche Schweigepflicht (§ 203 StGB) hinaus auf alles, was dem Rechtsanwalt in Ausübung seines Berufs anvertraut worden oder ihm anlässlich seiner Berufsausübung bekannt geworden ist, soweit nicht das Gesetz oder die in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze Ausnahmen zulassen. (2) Beide Pflichten bestehen auch über die Beendigung des Auftragsverhältnisses hinaus und auch dem gegenüber, dem die betreffende Tatsache bereits von anderer Seite mitgeteilt worden ist, sowie gegenüber anderen Rechtsanwälte und gegenüber Familienangehörigen. (3) Der Rechtsanwalt hat seine Mitarbeiter und Angestellten zur Beachtung dieser Grundsätze anzuhalten.“1
IV. Funktionen 1. Sicherung des Vertrauensverhältnisses Normzweck ist die Sicherung des Vertrauensverhältnisses zwischen Anwalt und Mandant (§ 627 BGB), als einer Grundpflicht (§ 43a BRAO) von hohem Rang. So wie es in der Ethik Kardinaltugenden gibt, gibt es im Berufsrecht Kardinalpflichten; zu ihnen gehört die Verschwiegenheitspflicht.2
7
2. Funktionsfähigkeit der Rechtspflege Mit der Verschwiegenheitspflicht wird nicht nur das informationelle Selbstbestimmungsrecht des Mandanten geschützt,3 sondern auch, auf der Basis des Art. 12 Abs. 1 GG und des Prinzips der Verhältnismäßigkeit die freie Berufsausübung des Anwalts zutreffend eingeordnet. Das gilt auch für das Schweigerecht des Anwalts.4 Letzten Endes sichert die Verschwiegenheitspflicht die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege. Nur der Anwalt, dem der Mandant vertrauen kann, soll in Anspruch genommen werden dürfen.5
8
B. Norminhalt I. Absatz 1 1. Verschwiegenheitspflicht Absatz 1 statuiert den Grundsatz: Der Anwalt ist zur Verschwiegenheit verpflichtet. Damit wird der Wortlaut des § 43a Abs. 2 S. 1 BRAO wiederholt. Gegenüber der Regelung durch Par1 Ein Verschwiegenheitsrecht kannte § 42 RichtlRA nicht, s. dazu – für einen Einzelfall – Lingenberg/Hummel/Zuck/Eich/Zuck, § 42 RichtlRA Rz. 15. 2 Henssler/Prütting/Henssler, § 43a BRAO Rz. 41 ff.; s.a. Rz. 36 zu § 43 BRAO. Zu diesem Verständnis s. Mann, Anwaltliche Verschwiegenheit und Corporate Governance, 2009; Knoepfel/Mock, AnwBl. 2010, 230. Zum anwaltlichen Berufsgeheimnis in der Rechtsprechung des EGMR vgl. Dean, AnwBl. 2010, 373. Zutreffend weist Kleine-Cosack, entgegen einigen missverständlichen Äußerungen der Rechtsprechung darauf hin, dass die Verschwiegenheitspflicht eine allgemeine Pflicht des Anwalts ist, Kleine-Cosack, § 43a BRAO Rz. 4. 3 Kleine-Cosack, § 43a BRAO Rz. 4 unter Hinweis auf LG Karlsruhe, NJW-RR 2002, 706 (707). Zu den verfassungs- und europarechtlichen Grundlagen des Anwaltsgeheimnisses siehe umfassend Gurlit/Zander, BRAK-Mitt. 2013, 4. 4 S. dazu Henssler, NJW 1994, 1817 (1819); Kleine-Cosack, NJW 1994, 2249 (2251); Koch/Kilian, Rz. B 701; Feuerich/Weyland, § 43a BRAO Rz. 13. 5 Welche Bedeutung das hat, zeigt die Praxis. Kleinstadt-Mandanten nehmen oft lange Wege in Kauf, um in der Großstadt sich – nach ihrer Ansicht – darauf verlassen zu können, dass ihr Rechtsfall nicht zum Stadtgespräch wird.
Zuck 603
9
§ 43a BRAO/§ 2 BORA Rz. 10
Verschwiegenheit
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lamentsgesetz hat die gleichlautende Satzungsbestimmung keinen eigenständigen Regelungsgehalt. Mit der – sonst unverständlichen – Wiederholung des Gesetzestexts wird lediglich der Zweck verfolgt, die berufsrechtlichen Bestimmungen zur Verschwiegenheitspflicht in einen lesbaren Zusammenhang zu bringen. Absatz 1 hat insoweit nur eine didaktische Funktion.1 2. Schweigerecht a) Entstehungsgeschichte 10
Auch die Befugnis des Anwalts, über das ihm Anvertraute schweigen zu dürfen, folgt aus dem Vertrauensverhältnis zum Mandanten, gründet also im Anwaltsvertrag (§ 627 BGB). Der Anlass, das Schweigerecht ausdrücklich zu normieren, kommt aus den Erfahrungen ausländischer Anwaltschaften, die im Rahmen ihrer jeweiligen staatlichen Systeme immer wieder unter Offenbarungsdruck gesetzt werden. Nicht ohne Grund spricht Nr. 2.3 Abs. 1 S. 3 CCBE deshalb von einem Grundrecht (gemeint ist damit ein Grund-Recht) des Anwalts. In Rechtssystemen, die auch inhaltlich dem Rechtsstaatsprinzip oder der rule of law verpflichtet sind, hat das Schweigerecht keine vergleichbare praktische Bedeutung. Es handelt sich dennoch keineswegs um einen Programmsatz.2 Das Schweigerecht des Anwalts ist sein Recht. b) Verbindliches Recht
11
Da das Schweigerecht im Anwaltsvertrag wurzelt, ist es verbindliches Recht. Das betrifft die konkreten gegenüber dem Mandanten bestehenden Informationspflichten (vgl. § 11 BORA), also auch die allgemeine Pflicht des Anwalts, die Interessen des Mandanten wahrzunehmen. Dazu kann auch Öffentlichkeitspolitik gehören. II. Absatz 2 1. Gegenstand a) Abweichung von § 43a Abs. 2 BRAO
12
Verschwiegenheitspflicht und Schweigerecht3 werden von Absatz 2 erfasst. Die Einbeziehung des Verschwiegenheitsrechts korrespondiert Absatz 1. Darin liegt die einzige Abweichung zu § 43a Abs. 2 BRAO, soweit sich diese Regelung auf den Inhalt der Verschwiegenheitspflicht bezieht. Soweit § 2 Abs. 2 BORA den Wortlaut des § 43a Abs. 2 BRAO wiederholt, fehlt jeder Regelungsgehalt.4 b) Alles, was in Ausübung des Berufs bekannt geworden ist
13
Gegenstand der danach für den Anwalt bestehenden Rechte und Pflichten ist „alles, was ihm in Ausübung seines Berufs bekannt geworden ist“. Absatz 2 ist aber nach Maßgabe des Absatzes 3 zu lesen. Die weit gefasste Beschreibung des Gegenstands, insbesondere der Verschwiegenheitspflicht, muss aber unabhängig von Satz 3 unter zwei Aspekten des Berufsgeheimnisses eingeschränkt werden. „In Ausübung des Berufs“ erfährt der Anwalt viel, was begrifflich nicht Gegenstand der Verschwiegenheitspflicht ist, z.B. Gesetzesänderungen, offenkundige Tatsachen im Sinne des § 291 ZPO oder Informationen, die den Privatbereich von Richtern oder Anwälten betreffen, oder Informationen, die sich auf Bagatellen beziehen (§ 43a Abs. 2 S. 3 BRAO). Die Entscheidung, was der Anwalt in Ausübung seines Berufs oder – wie es noch in § 42 Abs. 1 RichtlRA hieß – „anlässlich“ der Berufsausübung erfährt, ist kaum zu treffen, vor allem, wenn man auch noch das Zufallswissen mit einbezieht.5 1 Folgerichtig erörtert der BGH die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht nach Firmenübergag beim Rechtsschutzversicherer nur am Maßstab des § 43a Abs. 2 S. 1 BRAO. § 2 BORA erwähnt der BGH nicht, vgl. NJW-RR 2007, 355. S. dazu ausf. § 43a BRAO Rz. 44. 2 S. dazu die Entstehungsgeschichte bei Hartung/Hartung, § 2 Rz. 2. 3 Rz. 9–11. 4 Rz. 9. 5 Hartung/Hartung, § 2 Rz. 16. Zum typischen Berufsbild des Rechtsanwalts gehört auch die Treuhandtätigkeit, sofern die Rechtsberatung nicht weitgehend hinter die wirtschaftliche Geschäftsabwicklung zurücktritt, VGH Kassel, AnwBl. 2008, 790.
604 Zuck
Verschwiegenheit
Rz. 20 § 2 BORA/§ 43a BRAO
c) Fallkette Das soll anhand einer konstruierten Fallkette verdeutlicht werden. Auszugehen ist von einem einfachen Sachverhalt: Eine verheiratete Frau (Müller [M] I – III) ist an einem Rechtsstreit über die Anfechtung der Vaterschaft eines ehelichen Kindes als Alleinsorgeberechtigte für das Kind beteiligt. Wie steht es mit der Verschwiegenheitspflicht des Anwalts in folgenden Konstellationen?
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Bei einem Tennisturnier eröffnet M 1 ihrem Anwalt (A), es stehe (für sie) fest, dass ihr Mann nicht der Vater des Kindes sei. A handelt im Tennisturnier nicht „in Ausübung seines Berufs“. Da er aber Anwalt von M I ist, könnte man den Sachverhalt der Kategorie „aus Anlass des Berufs“ zuordnen.
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A, der Anwalt von M II, hat den Anwaltsvertrag mit ihr telefonisch geschlossen. A und M II kennen sich persönlich nicht. Sie spielen – zufällig – im Ausland zusammen Tennis. Auf ihre Namen und ihre Berufe haben sie dabei nicht geachtet. In vorgerückter Stunde erzählt M II die Geschichte vom Kuckuckskind. Hier kann man noch nicht einmal annehmen, die Information sei aus Anlass der Berufsausübung von A erfolgt.
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A und M III kennen sich. Als Anwalt ist A nicht für M III tätig. Bei einem Tennisturnier erzählt M III als private Pikanterie, nicht jedoch mit der Bitte um (Rechts)Rat die bekannte Geschichte. Ein halbes Jahr später erhält A für M III das Mandat für das Kind. Das Thema „Kuckuckskind“ wird im Mandat nicht mehr angesprochen. Musste A – sieht man einmal von gesellschaftlichen Gründen ab – vor der Mandatserteilung Dritten gegenüber schweigen? Muss er es nach der Mandatserteilung? Es ist ihm doch nichts als Anwalt offenbart worden.
17
Aus diesen drei Fällen sind zwei Lehren zu ziehen. Auch wenn § 2 Abs. 2 BORA den Textbestandteil „anlässlich der Berufsausübung“ (wie er noch in § 42 RichtlRA enthalten war), nicht mehr kennt, unterfällt die Information der Schweigepflicht. Absatz 2 kann deshalb schon nicht wörtlich verstanden werden, weil das den Schutz der Vertraulichkeit einschlösse, wenn der Anwalt seinen Beruf gerade nicht ausübt (wie z.B. bei jedem privaten Telefongespräch, in einer Kaffeepause, im Gespräch mit einem Bekannten). Letzten Endes ausschlaggebend ist der Mandatsbezug. Ist dieser gegeben, sind die Informationsquellen und der Informationsanlass gleichgültig, wenn es sich überhaupt um den möglichen Gegenstand eines Berufsgeheimnisses handelt.1 Die M I- und M II-Informationen unterfallen deshalb der Verschwiegenheitspflicht. Bei M III muss man unterscheiden. Vor Mandatserteilung kann A – berufsrechtlich – erzählen, was er will. Nach Mandatserteilung erlangt die frühere Information Mandatsbezug; sie unterliegt deshalb der Verschwiegenheitspflicht. Die Verknüpfung mit dem Mandat erfasst auch die Kenntnis, die im Rahmen von Nebentätigkeiten erfolgt, wie z.B. als gesetzliche Vertreter, Vormund, Betreuer2 sowie Kenntnisse aus der Tätigkeit als Vermittler, Schlichter oder Mediator (§ 18 BORA).3
18
Der Mandatsbezug führt zu einem weiten Anwendungsbereich der Verschwiegenheitspflicht. So gehört auch die Tatsache, dass überhaupt ein Mandatsverhältnis besteht, zur Verschwiegenheitspflicht.4 Auch die Anbahnung eines Mandats, also die Vorgespräche über ein zu erteilendes Mandat wird von der Verschwiegenheitspflicht erfasst, jedenfalls so lange, wie der Abschluss eines Anwaltsvertrags nicht endgültig ausgeschlossen ist.5
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d) Jedermann Die Verschwiegenheitspflicht besteht gegenüber jedermann6 (vom Schweigerecht abgesehen allerdings nicht gegenüber dem eigenen Mandanten), also auch gegenüber Familienangehörigen und (Ehe)Partnern des Anwalts und – selbstverständlich – auch gegenüber an1 Die Verschwiegenheitspflicht gilt deshalb auch innerhalb einer Bürogemeinschaft, vgl. ausf. Hartung/ Hartung, § 2 Rz. 18 ff.; einschränkend dazu Kleine-Cosack, § 43a BRAO Rz. 50. 2 Hartung/Hartung, 3. Aufl. 2006, § 2 Rz. 7; a.A. Henssler/Prütting/Henssler, § 43a, Rz. 46. 3 A.A. AnwG Mecklenburg-Vorpommern, AnwBl. 2007, 716. 4 Mandantenlisten in der Homepage des Anwalts sind deshalb, wenn das bestehende Mandat nicht ohnehin öffentlich geworden ist, nur mit Zustimmung des jeweils genannten Mandanten zulässig; s. dazu Habemeister, AnwBl. 2007, 748. Zur „Gegnerliste“ s. BVerfG(K), BRAK-Mitt. 2008, 69 mit Anm. v. Uechtriz. 5 Das Prahlen mit Mandaten ist eine nicht abzustellende anwaltliche Untugend, s. Koch/Kilian, Rz. B 707 unter Hinweis auf Streck, NJW 2001, 3605; Jaeger, NJW 2004, 1496; Schons, AnwBl. 2007, 441. Die lautstark geführten Handy-Gespräche von Anwälten im Zug erlauben nicht selten eine vollständige Identifizierung der Beteiligten eines Rechtsfalls. 6 Auch gegenüber Behörden VGH Kassel, AnwBl. 2008, 790.
Zuck 605
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§ 43a BRAO/§ 2 BORA Rz. 21
Verschwiegenheit
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deren Anwälten. „Andere Anwälte“ sind solche, denen gegenüber vom Mandanten keine Vollmacht für das fragliche Mandat erteilt worden ist. In einer Sozietät greift die Verschwiegenheitspflicht gegenüber Sozien nur bei einem (einem einzelnen Anwalt, beschränkt auf diesen) erteilten sogenannten Vorbehaltsmandat. 21
Die Verschwiegenheitspflicht würde deshalb auch gegenüber freien Mitarbeitern, angestellten Anwälten und dem sonstigen zur Verschwiegenheit verpflichteten Personal des Anwalts (vgl. Absatz 4)1 gelten. Hier wird man aber von einer konkludenten Entbindung von der Schweigepflicht auszugehen haben2 (Rz. 41).
22
Die Verschwiegenheitspflicht trifft den sachbearbeitenden Anwalt, alle Anwälte der Kanzlei, die in der Kanzlei mitarbeitenden sonstigen Mitglieder einer Rechtsanwaltskammer, den Personenkreis aus § 59a BRAO und das zur Verschwiegenheit verpflichtete Personal (Absatz 4).
23
Schweigepflichtig nach § 2 BORA sind die anwaltlichen Gesellschafter einer Rechtsanwaltsgesellschaft und deren Geschäftsführer sowie Mitglieder der Aufsichtsorgane (§ 59m Abs. 3 BRAO).3 Auf die Anwalts-AG sind diese Vorschriften entsprechend anzuwenden.4 Schweigepflichtig sind auch die Syndikusanwälte. Der EuGH hat dazu entschieden: „Im europäischen Kartellverfahren genießt der unternehmensinterne Schrifwechsel mit einem Syndikusanwalt keinen Vertraulichkeitsschutz. Seit der Entscheidung des EuGH aus dem Jahr 19825 hat sich die rechtliche Stellung der Syndikusanwälte in Europa nicht in einem Maße entwickelt, das eine Weiterentwicklung der damaligen Rechtsprechung in dem Sinne rechtfertigen lässt, dass Syndikusanwälten der Schutz der Vertraulichkeit zuerkannt wird. Das Erfordernis der Unabhängigkeit setzt das Fehlen jedes Beschäftigungsverhältnisses zwischen einem Rechtsanwalt und seinem Mandanten voraus.“6
Für das Unionsrecht ist mit dieser Entscheidung der Rückgriff auf ein legal professional privilege für Syndikusanwälte praktisch ausgeschlossen.7 Insoweit schwächt der EuGH die Rechtsposition des Syndikusanwalts. Das gilt vor allem aufgrund des wenig sachkundigen Verständnisses des EuGH zum Wesen der Unabhängigkeit eines Rechtsanwalts. Wenn es allgemein richtig wäre, dass unabhängig nur sein kann, wer nicht in einem Beschäftigungsverhältnis zu seinem Mandanten steht, dann ergriffe das auch die Beratungsverträge. Der EuGH verkennt, dass die Mandantenunabhängigkeit eine innere Unabhängigkeit kennzeichnet. Sie hat mir der Frage, welche Rechtsbeziehungen der Rechtsanwalt zu seinem Auftraggeber eingeht, als solche nichts zu tun.8 e) Indirekte Verstöße 24
Gegen die Verschwiegenheitspflicht kann auch indirekt verstoßen werden. Das ist schon an der Rezeption der Anwaltskanzlei möglich,9 aber auch beim Mithören von Telefongesprächen, sei es des Personals der Kanzlei, sei es während einer Besprechung mit dem Anwalt. Genau genommen sind auch Fax und E-Mail (hier: wenn die Nachricht nicht verschlüsselt ist) Gefährdungspotentiale für die Verschwiegenheitspflicht. Bei beiden Kommunikationsmitteln kann die Einhaltung der Verschwiegenheitspflicht nicht immer verlässlich gewährleistet werden. Daran hält sich in der Praxis kaum jemand. Wer korrekt vorgehen will, braucht die Einwilligung des Mandanten, der Anwalt sollte das dann auch dokumentieren können.10 1 Rz. 49. 2 Das wird auch gelten, wenn vereinbart ist, dass ein nicht-anwaltlicher Experte zugezogen werden muss, z.B. ein Sachverständiger, ein sonstiger Spezialist oder ein Übersetzer, zutreffend Koch/Kilian, Rz. B 712. 3 S. dazu BR-Drs. 1002/97, S. 20; Zuck, Anwalts-GmbH 1999, § 59m BRAO Rz. 31. 4 Feuerich/Weyland, § 43a BRAO Rz. 19. 5 EuGH, AM&S, Urt. v. 18.5.1982 – Rs 155/79, Slg. 1982, 1575 (1610 f.). 6 EuGH, BRAK-Mitt. 2010, 259. 7 Zutreffend Hamacher, AnwBl. 2011, 42 (45). Zum legal professional privilege vgl. Wolf/Hasenstab, BRAKMitt. 2010, 150 (153 f.); Mann/Leisinger, AnwBl. 2010, 776. 8 Zuck, § 43a BRAO, Rz. 22, 24. Im Ergebnis wie hier Hamacher, AnwBl. 2011, 42 (45). 9 Wie sieht es mit dem Postboten, dem Hausmeister, dem Ableser für den Stromverbrauch und den Handwerkern aus, allesamt Gelegenheits-Besucher der Anwaltskanzlei? Wird in irgendeiner Kanzlei der Betrieb so lange eingestellt? Und wie ist es im Wartezimmer, wenn ein Mandant namentlich in das Anwaltszimmer gebeten wird? 10 S. dazu Koch/Kilian, Rz. B 707; Feuerich/Weyland, § 43a BRAO Rz. 25. Kommuniziert der Mandant selbst per E-Mail, darf man seine konkludente Einwilligung in die E-Mail-Korrespondenz des Anwalts unterstellen, s. dazu auch Härting, MDR 2001, 61; Härting, NJW 2005, 1248. v. Lewinski, BRAK-Mitt. 2004,
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Verschwiegenheit
Rz. 29 § 2 BORA/§ 43a BRAO
Ein besonderes Kapitel ist das zunehmende Outsourcing von Dienstleistungen.1 Sie betreffen das sogenannte Non-legal-outsourcing“,2 das Cloud Computing,3 das grenzüberschreitende Outsourcing,4 strafrechtliche Probleme des Outsourcing5 sowie das Outsourcing bei Scan-Dienstleistungen.6 2. Dauer der Verschwiegenheitspflicht Auf die Vorwirkung der Verschwiegenheitspflicht ist schon hingewiesen worden.7 Es gibt aber auch eine Nachwirkung. Die Beendigung des Mandats beseitigt die Verschwiegenheitspflicht nicht, wie Absatz 2 in seinem zweiten Satzteil ausdrücklich bestätigt.
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III. Absatz 3 Absatz 3 befreit unter bestimmten Voraussetzungen8 von der Verschwiegenheitspflicht.
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1. Gesetzlich zugelassene Ausnahme Die Verschwiegenheitspflicht gilt nicht, wenn die BORA oder andere Rechtsvorschriften Ausnahmen zulassen.
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a) BORA-Ausnahmen BORA-Ausnahmen gibt es nicht. Sie könnten beschlossen werden, weil die Satzungsversammlung auch von vornherein die Verschwiegenheitspflicht oder das Schweigerecht einschränken oder konkretisieren könnte.9
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b) Ausnahmen in anderen Rechtsvorschriften Ausnahmen in anderen Rechtsvorschriften ergeben sich etwa aus § 138 StGB,10 § 807 ZPO,11 § 840 ZPO,12 § 49b Abs. 4 BRAO13 oder dem Geldwäschebekämpfungsgesetz (GwG)vom 13.8.2008 (BGBl. I S. 1690).14 Bei den nicht von § 3 Abs. 1 GwG erfassten anwaltlichen Geschäften bleibt es jedoch bei der allgemeinen Verschwiegenheitspflicht. Aus der Zeugen- oder Sachverständigen-Stellung des Anwalts folgt keine Befreiung von der Verschwiegenheitspflicht. Der Anwalt ist auf die gesetzlichen Auskunfts-/Zeugnisverweigerungsrechte angewiesen.15 Eine weitere Ausnahme ergibt sich aus den Vorlagepflichten des Rechtsanwalts im Rahmen einer steuerlichen Außenprüfung (§ 102 I Nr. 3, § 104 Abs. 1 Satz 1
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14
15
12; zu großzügig Hartung/Hartung, § 2 Rz. 38; v. Lewinski, BRAK-Mitt. 2004, 12 (14); Degen, NJW 2008, 1473 (1479); Degen/Diem, Anwaltsstrategien für das Kanzleimanagement, 2007, Rz. 112 f.; Kleine-Cosack, § 43a BRAO Rz. 51 f. Kleine-Cosack macht im Übrigen zu Recht darauf aufmerksam, dass die Verschlüsselungstechniken bislang noch nicht hinreichend vereinheitlicht sind. Dass das Internet vor unbefugter Kenntnisnahme sicher ist, widerspricht der Realität. Entgegen der h.M. im anwaltsrechtlichen Schrifttum sind Anwälte verpflichtet, wenn die Ausnahmen nicht greifen, die Verschlüsselungsvorgaben zu beachten. Siehe dazu allgemein Ewer, AnwBl. 2012, 476; Spatschek, AnwBl. 2012, 478; Recktenwald, AnwBl. 2012, 488. Hellwig, AnwBl. 2012, 590. Leutheusser-Schnarrenberger, AnwBl. 2012, 477. Kotthoff, AnwBl. 2012, 482. Häring, AnwBl. 2012, 486; Bräutigam, AnwBl. 2012, 487; Spatschek, AnwBl. 2013, 95. Jandt/Nebel, NJW 2013, 1570. Rz. 13. S. aber auch Rz. 13. A.A. Hartung/Hartung, § 2 Rz. 41. Nichtanzeige geplanter (schwerer) Straftaten, s. aber § 139 StGB. Abgabe der eidesstattlichen Versicherung durch einen Rechtsanwalt: Honorarforderungen gegen einen Mandanten und dessen Namen muss er angeben, BGH, NJW 2010, 1380. Rechtsanwalt als Drittschuldner. Abtretung einer Honorarforderung an einen anderen Anwalt, s. dazu OLG Köln, AnwBl. 2006, 282; Kilian, AnwBl. 2006, 235. I.d.F. v. 4.7.2013 (BGBl. I, S. 2178). S. dazu ausf. Koch/Kilian, Rz. B 714 f. Zu den auch insoweit bestehenden Grundpflichten des Anwalts auf Verschwiegenheit s. BVerfGE 110, 226 (259 f.). Zum GwG vgl. die Nachweise bei § 11 BORA Rz. 28 und Johnigk, in: Offermann-Burckart, Anwaltsrecht in der Praxis, 2010, 143 ff. Feuerich/Weyland, § 43a BRAO Rz. 30.
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§ 43a BRAO/§ 2 BORA Rz. 30
Verschwiegenheit
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AO).1 § 44c Abs. 1 KWG (zur Auskunftserteilung an die BaFin) schränkt das Recht und die Verpflichtung zur anwaltlichen Verschwiegenheit ebenfalls ein. Ein Auskunftsverlangen der BaFin gegenüber einem Rechtsanwalt ist jedoch dann mit Art. 12 Abs. 1 GG unvereinbar und deshalb ermessensfehlerhaft, wenn ein Vorgehen gegen den Mandanten des Anwalts möglich und erfolgversprechend ist.2 c) Datenschutzrecht 30
Unverändert ungeklärt ist das Verhältnis von Datenschutzrecht zu anwaltlichem Berufsrecht.3 Es geht dabei zunächst um die Frage, in welchem Verhältnis anwaltliches Berufsrecht zum Datenschutzrecht steht. Der Anwalt verarbeitet Daten mandats- und personenbezogen. Herr des Datengeheimnisses ist der Auftraggeber. Seine Rechte werden durch die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht geschützt.4 Das ist systematisch im Zusammenhang mit der Funktion des § 2 BORA zu sehen, die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege zu sichern.5 Personenbezogene Daten sind aber auch die Daten Dritter. Deren informationales Selbstbestimmungsrecht (Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 2 Abs. 1 GG) ist von Verfassungswegen schutzwürdig. Das wird durch die Datenschutzgesetze des Bundes und der Länder verwirklicht. Damit ist das rechtliche Klärungspotential allgemein umschrieben. Es hat eine Vielzahl von Äußerungen hervorgerufen.6 Zunächst ist zu fragen, ob der Gesetzgeber die Kollision geregelt hat. § 1 Abs. 3 S. 1 BDSG führt zur Priorität der spezielleren Norm.7 Unmittelbar befassen sich weder BRAO noch BORA mit den Rechten und Pflichten aus der Datenvereinbarung. Das anwaltliche Berufsrecht genießt also über § 1 Abs. 3 S. 1 BDSG keinen Vorrang. Schwieriger ist die Frage zu beantworten, ob § 2 Abs. 3 BORA auf eine Ausnahme von der Verschwiegenheitspflicht durch eine „andere Rechtsvorschrift“ (hier: das BDSG) verweist, mit der Folge des absoluten Vorrangs des BDSG. Dieser Schluss scheitert aber schon an § 1 Abs. 3 S. 2 BDSG, der die Pflichten aus Berufsgeheimnissen unberührt lässt. Absolut kann der Vorrang also nicht sein. Das ändert aber nichts an der grundsätzlichen Anwendbarkeit des Datenschutzrechts auf Rechtsanwälte.8 Zuständig sind danach die Aufsichtsbehörde nach § 38 BDSG und nicht die Rechtsanwaltskammern nach §§ 62 Abs. 1, 73 ff., 56 BRAO. Diesen fehlt die Kompetenz schon deshalb, weil es im Anwaltsrecht keinen datenschutzrechtlichen Sachgegenstand gibt, der beaufsichtigt werden könnte.9 Die hier vertretene Auffassung ändert 1 BFH, BRAK-Mitt. 2010, 86 (89). Verweigerungsrechte bestehen allerdings in Bezug auf einzelne Unterlagen. 2 BVerwGE 141, 262. 3 Symptomatisch Gola/Schomerus, § 2 BDSG Rz. 12. Die Autoren begnügen sich in der Sache mit dem einem Offenbarungseid gleichkommenden Hinweis, hier werde „eine Frage aufgeworfen“. 4 Rz. 7. 5 Rz. 8. 6 Rüpke, NJW 1993, 3097; Rüpke, AnwBl. 2003, 19; Rüpke, Freie Advokatur, anwaltliche Informationsverarbeitung und Datenschutzrecht, 1995; Abel (Hrsg.), Datenschutz in Anwaltschaft, Notariat und Justiz, 2. Aufl. 2003; Dobmeier, Datenschutz in der Anwaltskanzlei, 2004; Sassenberg, Rechtsfragen des Einsatzes von Wissensmanagement in Anwaltskanzleien, 2005, S. 106 ff.; Sassenberg, AnwBl. 2007, 769; Rüpke, NJW 2008, 1121; Rüpke, ZRP 2008, 87; König, FS Hamm, 2008, S. 325 ff.; Weichert, NJW 2009, 550; H. Redeker, NJW 2009, 554. 7 Simitis/Walz, § 1 BDSG Rz. 158. 8 Zutreffend Simitis/Petri, § 38 BDSG Rz. 28. Der insgesamt von Rüpke, (s. Fn. 6) erhobene Vorwurf, die den Anwalt in die datenschutzrechtlichen Vorgaben einbindenden Bestimmungen des BDSG seien verfassungswidrig, ist bisher nur in Behauptungsform erhoben. Er ist so nicht haltbar. Zunächst müsste man sich um die Klärung der Frage bemühen, ob dieses Ergebnis nicht durch verfassungskonforme Auslegung des Datenschutzrechts vermieden werden kann, vgl. dazu Zuck, Die Grundrechtsrüge im Zivilprozess, 2008, Rz. 12 ff. Und dann darf man nicht übersehen, welch hohen Stellenwert das informationelle Selbstbestimmungsrecht der von der Datenverarbeitung Betroffenen hat. Es ist also eine Grundrechtsabwägung geboten, wie sie etwa detailliert von BVerfG, NJW 2007, 753 für Grundrechte vorgenommen worden ist, die mit dem Recht auf informationale Selbstbestimmung kollidieren können, s. dazu Brosius-Gersdorf, FPR 2007, 398. Solche Abwägungsvorgänge setzen im Übrigen detaillierte Sachverhaltsermittlungen voraus. Wenn es denn in der Gemengelage „Berufsrecht/Datenschutzrecht“ unterschiedliche Fallkonstellationen gibt (eine hat König, FS Hamm, 2008, S. 325 [330 f.] erörtert, s. dazu vorstehend Fn. 36) dann kann eine verfassungsrechtliche Kontrolle nur greifen, wenn Auskunftsmöglichkeiten und berufsrechtliche Schutznotwendigkeiten sorgfältig einander gegenüber gestellt worden sind. Daran fehlt es bisher. Im Übrigen spricht allein das vollständige Schweigen des gesamten Anwaltsrechts zur Datenverarbeitung gegen die These, das Datenschutzrecht greife in verfassungswidriger Weise in das Anwaltsrecht ein. 9 Zur Bestellung von internen oder externen Datenschutzbeauftragten in der Anwaltskanzlei, s. Sassenberg, AnwBl. 2007, 769. König, FS Hamm, 2008, S. 325 macht im Übrigen zu Recht darauf aufmerksam, dass nicht immer der Datenschutzbeauftragte die Aufgaben der Datenschutzbehörde wahrzunehmen hat.
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Verschwiegenheit
Rz. 30 § 2 BORA/§ 43a BRAO
nichts daran, dass die von den Aufsichtsbehörden in Anspruch genommene Befugnis, Anwaltskanzleien zu betreten und Unterlagen einzusehen (§ 38 Abs. 4 BDSG) angesichts des § 1 Abs. 3 S. 1 BDSG ihre Grenze an § 43a Abs. 2 BRAO findet, andererseits an den sich über § 38 Abs. 3 S. 2 BDSG ergebenden Auskunftsverweigerungsrechten.1 Die Inanspruchnahme in soweit leerlaufender Kompetenzen zeigt, dass – zum einen – die Auffassung zutrifft, es gebe im Verhältnis von anwaltlichem Berufsrecht und Datenschutzrecht keine Alles oder Nichts-Position; es kommt vielmehr zu Überschneidungen, teils zugunsten des anwaltlichen Berufsrechts, teils zugunsten des Datenschutzrechts.2 Auf diese „Gemengelage“ kann der Gesetzgeber reagieren, er muss es aber nicht.3 Bewegung wird in die Sache durch den EuGH kommen. Im Beschluss vom 9.3.2010 – C 518/07 Kommission/Deutschland4 ist die Bundesrepublik zur Neuorganisation ihrer Datenschützer verurteilt worden, weil sie § 28 Abs. 1 Unterabsatz 2 der maßgeblichen EG-Richtlinie5 unzureichend umgesetzt hat. Der EuGH hat insoweit gerügt, die für den Datenschutz zuständigen Kontrollstellen seien in den Bundesländern staatlicher Aufsicht unterstellt worden. Damit werde das Erfordernis „völliger Unabhängigkeit“ nicht gewährleistet. In der Konsequenz dieser Entscheidung findet eine Verlagerung der Aufsicht aus der Innenverwaltung heraus auf die Landesdatenbeauftragten statt.6 Die damit einhergehenden Organisationsänderungen könnten Veranlassung geben, die Aufsicht den Rechtsanwaltskammern zu übertragen. Diese Auffassung wird durch eine Entscheidung des KG gestützt, die, entgegen dem Standpunkt von Datenschützern7 zu dem Ergebnis gekommen ist, der Rechtsanwalt sei wegen § 38 Abs. 3 Satz 2 BDSG im Hinblick auf § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB nicht verpflichtet, den Datenschutzbeauftragten mandatsbezogene Informationen zu geben, die seiner Verschwiegenheitspflicht unterliegen.8 Inhalt und Grenzen der anwaltlichen Schweigepflicht sind nicht immer einfach zu bestimmen. Die Kompetenz dafür liegt aber eindeutig bei den Rechtsanwaltskammern.9
1 S. dazu AG Berlin-Tiergarten, BRAK-Mitt. 2007, 43 und dazu König, FS Hamm, 2008, S. 325; AG Heidelberg, NJW-RR 2006, 1434. 2 So schon H. Zuck, in: Abel (Hrsg.), Datenschutz in Anwaltschaft, Notariat und Justiz, 2. Aufl. 2003, § 2 Rz. 33 ff. S. auch König, FS Hamm, 2008, S. 325 (330 f.), der gegenüber der Entscheidung des AG BerlinTiergarten, BRAK-Mitt. 2007, 43 kritisch darauf hinweist, dass das Gericht eigentlich erstmal hätte klären müssen, ob sich das Auskunftsersuchen überhaupt auf eine datenmäßige Verarbeitung oder Nutzung von Daten bezogen hatte. 3 Die „Gesetzesinitiative“ der Bundesrechtsanwaltskammer i.d.F. des Beschlusses der 110. BRAK-HV v. 23.11.2006 ist steckengeblieben (s. dazu auch König, FS Hamm, 2008, S. 325 [336 ff.]). Der sog. Düsseldorfer Kreis in dem sich die obersten Aufsichtsbehörden für den Datenschutz im nicht öffentlichen Bereich zusammengeschlossen haben, hat in seinem Beschluss v. 8./9.11.2007 in Hamburg unverändert daran festgehalten, dass die Erhebung und Verwaltung personenbezogener – auch mandatsbezogener – Daten durch Anwälte dem BDSG unterliegt und das die Aufsichtsbehörden der Länder zuständig sind, die Datenschutzkontrolle durchzuführen. In diesem Sinne hat sich auch der Datenschutzbeauftragte des Bundes in seinem Tätigkeitsbericht 2005–2006 zum Datenschutz bei Rechtsanwälten geäußert (Rz. 9.7). In ihrer Stellungnahme zum Datenschutzrecht 2005–2006 hat die Bundesregierung u.a. ausgeführt: „Die Rechtsanwaltskammer beruft sich zur Begründung ihrer Rechtsauffassung auf § 38 Abs. 3 S. 2 BDSG, wonach der Auskunftspflichtige gegenüber der Datenschutzaufsichtsbehörde ein Auskunftsverweigerungsrecht hat, soweit die Beantwortung von Fragen ihn der Gefahr strafgerichtlicher Verfolgung aussetzen würde. Da vorsätzliche Verstöße gegen die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht strafbewehrt sind (§ 203 StGB), seien Rechtsanwälte gegenüber der Aufsichtsbehörde zur Auskunftsverweigerung berechtigt und aus berufsrechtlicher Sicht verpflichtet, soweit es um personenbezogene Daten geht, die der anwaltlichen Verschwiegenheit unterliegen (ebenso AG Berlin-Tiergarten, NJW 2007, S. 97; n. rk.). Hinzu kommt, dass die Einhaltung der Anforderungen des Datenschutzrechts neben der Aufsicht durch die Datenschutzaufsichtsbehörden der Länder auch durch die Rechtsanwaltskammern kontrolliert wird. Die Rechtsanwaltskammern haben die Aufgabe, die Erfüllung der den Mitgliedern der Kammer obliegenden Pflichten zu überwachen (§ 73 Abs. 2 Nr. 4 BRAO). Diese Berufsaufsicht erstreckt sich auf den gesamten beruflichen Pflichtenkreis des Rechtsanwalts und erfasst damit auch die Kontrolle der Einhaltung des Datenschutzrechts. Die Rechtsanwaltskammern sind institutionell nicht weniger unabhängig als die Datenschutzaufsichtsbehörden der Länder, da sie lediglich einer Rechtsaufsicht unterliegen.Vor diesem Hintergrund prüfen derzeit BMJ und BMI, ob im Bereich der Datenschutzaufsicht über Rechtsanwälte Rechtsänderungen erforderlich sind. Über das Ergebnis dieser Prüfung wird die Bundesregierung den BfDI unterrichten“. 4 EuZW 2010, 296 mit zust. Anm. v. Roßnagel, EuZW 2010, 299. 5 Richtlinie 95/46 EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 24.10.1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (ABl. EG Nr. L I 281 S. 31). 6 Roßnagel, EuZW 2010, 299 (300). 7 Weichert, NJW 2009, 550 und dazu H. Redeker, NJW 2009, 554. 8 KG, NJW 2011, 324 mit Anm. von Härting, AnwBl. 2011, 50. 9 Filges, NJW 2010, 2619 (2621).
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§ 43a BRAO/§ 2 BORA Rz. 31
Verschwiegenheit
d) Abgeordnetengesetz und Schweigepflicht 31
§ 44a AbgG i.d.F. vom 8.10.2011 (BGBl. I, S. 2218) erlaubt den Bundestagsabgeordneten Nebeneinkünfte. Für sie hat sich der Bundestag (auf der Rechtsgrundlage des § 44b AbgG) Verhaltensregeln gegeben.1 Danach ist auch die anwaltliche Tätigkeit eines Bundestagsabgeordneten anzeigepflichtig, von einer bestimmten Höhe an sind es auch die daraus erzielten Einkünfte, entsprechend der Festlegung durch den Präsidenten des Bundestags.2 Soweit der Abgeordnete sich bezüglich der Nebentätigkeit auf seine Verschwiegenheitspflicht berufen kann, ist die Anzeigepflicht entsprechend der Festlegungen durch den Präsidenten so zu erfüllen, dass die Verschwiegenheitspflicht nicht verletzt wird (§ 1 Abs. 5 VR).3 Das BVerfG hat § 1 Abs. 5 VR und Nr. 8 AB gebilligt.4 Die VR sind Bestandteil der GO des Bundestags. Die GO wird verbreitet als Satzung angesehen, also als Rechtsnorm.5 Sie ist eine „Rechtsvorschrift“ im Sinne des § 2 Abs. 2 BORA und geht deshalb ohnehin der Verschwiegenheitspflicht vor. Selbst wenn man die Prämissen anders setzt: Die VR/AB erlauben eine Offenlegung, die die Verschwiegenheitspflicht des Anwalts nicht tangiert. Dies setzt allerdings voraus, dass mit der Offenlegung jede (naheliegende) Deanonymisierung ausgeschlossen werden kann. Die Rechtslage ist jetzt durch die Entscheidung des BVerwG im Schily-Fall geklärt.6 Schily war neben einem Abgeordneten-Mandat auch als Rechtsanwalt tätig. Er verweigerte die nach den Bundestags-Transparenzregeln nach Ansicht des Bundestagspräsidenten gebotenen Auskünfte über seine Anwaltshonorare unter Hinweis auf seine Verschwiegenheitspflicht.7 Es wurde gegen ihn ein Ordnungsgeld in Höhe von drei Monatsbezügen der Abgeordnetenentschädigung festgesetzt. Das BVerwG hat einen vorsätzlichen Verstoß gegen die Verbotsregeln zwar festgestellt,8 die Verhängung des Ordnungsgeldes aber als ermessensfehlerhaft beanstandet.9 e) Staatliche Überwachung und Verschwiegenheitspflicht aa) Freie Advokatur und Schutzstaat
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Die größte Gefahr für das anwaltliche Berufsgeheimnis und den Schutz der Verschwiegenheitspflicht droht der Anwaltschaft aus den angeblich unvermeidlichen Vorgaben für eine effektive Bekämpfung der Organisierten Kriminalität und terroristischer Bestrebungen. „Gefahr für die Anwaltschaft“ verharmlost das Problem allerdings: Es geht um die Aufrechterhaltung der rechtsstaatlichen Errungenschaft einer funktionsfähigen Rechtspflege und damit um die freiheitlich demokratische Grundordnung überhaupt und es geht um Bürgerrechte. Die Rechtsstaaten westlicher Prägung haben sich, ihre innere Schwäche damit dokumentierend, in die Defensivposition des Schutzstaats zurückgezogen. Das BVerfG verteidigt zwar unter den Vorgaben des Prinzips der Verhältnismäßigkeit einige verfassungsrechtliche Restposten, macht damit aber zugleich deutlich, dass von der „Freien Advokatur“ im Schutzstaat moderner Prägung nicht mehr viel übrig geblieben ist. bb) Telefonüberwachung des Festnetzanschlusses des Anwalts nach § 100a StPO
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Sie ist grundsätzlich zulässig, darf aber nicht im Widerspruch zur Rechtsgarantie des unüberwachten mündlichen Verkehrs zwischen Strafverteidiger und Beschuldigten (§ 148 StPO) treten.10 1 Zum Text der Verhaltensregeln (VR) vgl. Bekanntmachung v. 12.7.2005 (BGBl. I, S. 2512). 2 Die Präsidentenregeln finden sich in den Ausführungsbestimmungen (AB) v. 30.12.2005 (BGBl. I, S. 2006, S. 10). Nach Nr. 8 dieser Regeln müssen Anwälte insoweit ihre Auftraggeber nicht nennen. Es genügen Angaben über die Art der Tätigkeit in den einzelnen Mandatsverhältnissen, also z.B. die Tätigkeit des Anwalts als Strafverteidiger. 3 Danach genügt die Angabe der „Branchenbezeichnung“. 4 BVerfGE 118, 277 (372 f.); a.A. die unterlegene Meinung BVerfGE 118, 377 (395 ff.), ausführliche Zustimmung zur Entscheidung BVerwGE 135, 77 (84 ff.). 5 Jarass/Pieroth, Art. 40 GG Rz. 7. 6 BVerwGE 135, 77. 7 Dazu umfassend BVerwGE 135, 77 (88 ff.). 8 BVerwGE 135, 77 (83 ff.). 9 BVerwGE 135, 77 (98 ff.). 10 BVerfG(K), NJW 2007, 2749. Die Überwachung ist unzulässig, wenn die Wahrscheinlichkeit, der Anwalt werde als Nachrichtenübermittler genutzt, gering ist, BVerfG(K), NJW 2007, 2752.
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Verschwiegenheit
Rz. 38 § 2 BORA/§ 43a BRAO
cc) Telefonüberwachung des Mobiltelefons eines Anwalts Nutzt der Anwalt sein Handy auch für geschäftliche Telefonate, so greifen Abhör-Maßnahmen in schwerwiegender Weise in das Vertrauensverhältnis1 zwischen Anwalt und Mandant ein; die Strafverfolgungsbehörden müssen diesen Umstand bei der Anordnung von Überwachungsmaßnahmen berücksichtigen.2
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dd) Akustische Wohnraumüberwachung Die neue Regelung der akustischen Wohnraumüberwachung in § 100c StPO ist verfassungsgemäß.3
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ee) TÜK Überwachungsmaßnahmen werden ab 1.1.2008 in großem Umfang durch § 160a StPO i.V.m. § 100a ff. StPO erfasst.4
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ff) E-Mail-Verkehr/Mailbox Auch die Überwachung des E-Mail-Verkehrs und von Mailboxen ist möglich.5
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gg) Online-Durchsuchungen Das aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG folgende Grundrecht der Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme lässt die heimliche Infiltration eines informationstechnischen Systems zum Zwecke der Überwachung der Nutzung des Systems und zum Auslesen seiner Speicherdaten nur zu, wenn tatsächliche Anhaltspunkte einer konkreten Gefahr für ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut bestehen.6 Man kann denn Katalog zulässiger Überwachungsmaßnahmen anwaltlicher Berufstätigkeit7 als Sieg des Rechtsstaats feiern. Betrachtet man aber das Ergebnis lückenloser Überwachungsmöglichkeiten nach dem „positiven“ Murphy’schen Gesetz, wonach alles, was rechtlich möglich ist, auch rechtlich geregelt wird, gegenwärtigt man sich die Komplexität der gesetzlichen Regelungen aus §§ 160a ff. StPO, und vergisst man nicht, dass alle verfassungsrechtlichen Entscheidungen auf dem schwankenden Boden des Prinzips der Verhältnismäßigkeit ruhen (eines Kontrollmaßstabs der sich selbst weitgehend sekundärer Kontrolle entzieht),8 so sieht man eher die freie Advokatur (und den Schutz des Berufsgeheimnisses) vom Netzwerk-Dickicht staatlicher Kontrollenmöglichkeiten überwuchert.9 Die Konturenlosigkeit10 des neuen Grundrechts auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme lässt die freiheitsgewährleistende Funktion des Grundrechtsschutzes so stark zurücktreten, dass sich ausdifferenzierte Regelungsgrundlagen, wie sie etwa für den Schutz des anwaltlichen Berufsgeheimnisses vorhanden sind, kann noch behaupten können.11
1 S. § 43 BRAO Rz. 35, hier Rz. 7. 2 BVerfG(K), NJW 2007, 2749. Zur (zulässigen) Ermittlung des Standorts durch den IMSI-Catcher s. BVerfG(K), NJW 2007, 351 und dazu Nachbauer, NJW 2007, 335. 3 BVerfG(K), NJW 2007, 2753; s.a. BVerfGE 109, 279. 4 I.d.F. des Gesetzes zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung (TÜK) v. 21.12.2007 (BGBl. I, S. 3198). S. dazu Döpfer, AnwBl. 2008, 339. 5 Löffelmann, AnwBl. 2006, 598 (399). 6 BVerfG, NJW 2008, 822 – Onlinedatenspeicherung; s. dazu Graulich, NVwZ 2008, 543; Britz, DÖV 2008, 545; Hassemer, AnwBl. 2008, 413; König/Harrendorf, AnwBl. 2008, 567; Graf von Westphalen, AnwBl. 2008, 801; Sokol, FS Hamm, 2008, S. 719; Deckers, AnwBl. 2009, 241. Zu §§ 20 ff. BKAG s. Roggan, NJW 2009, 257 (259 ff.). S. auch BVerfG, NJW 2008, 1505 – automatische Erfassung von Autokennzeichen. 7 Rz. 32–38. 8 S. dazu Ladeur, Kritik der Abwägung in der Grundrechtsdogmatik, 2004; Christensen/Fischer-Lescano, Das Ganze des Rechts, 2007, S. 148 ff.; G. Kirchhof, Grundrechte und Wirklichkeit, 2007; Zuck, JZ 2008, 287 (292 ff.). 9 S. dazu auch Ignor, NJW 2007, 3403; König, FS Hamm, 2008, S. 325 ff. 10 Britz, DÖV 2008, 411. 11 Zum freiheitsverteidigenden Ansatz möglicher und nötiger Überwachungssysteme s. Albers, Recht auf informationelle Selbstbestimmung 2005, S. 454 ff. Britz, Freie Entfaltung durch Selbstdarstellung 2007, S. 255 ff. Gietl, K & R, 2007, 545 (548); Graulich, NVwZ 2008, 485 (489). Zur ganzen Thematik s. freiheitsverteidigend und nachdenkenswert Hassemer, AnwBl. 2008, 413 (417 ff.).
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§ 43a BRAO/§ 2 BORA Rz. 38a
Verschwiegenheit
hh) Rechtsaufsicht 38a
Rechtsaufsicht ist Staatsaufsicht. Ihre wichtigsten Bereiche sind die Kommunalaufsicht und die Aufsicht über Selbstverwaltungskörperschaften, wie z.B. die Versicherungsträger (§ 87 SGB IV).1 Die Rechtsaufsicht sichert gemäß Art. 20 Abs. 3 GG die Bindung der Verwaltung an Gesetz und Recht. Wie § 88 SGB IV zeigt, sind der Rechtsaufsicht umfangreiche Prüfbefugnisse zugeordnet. Dazu gehört auch die Befugnis der Aufsichtsbehörde, die Vorlage von Unterlagen, insbesondere von Akten und Verträgen mit Dritten, zu verlangen.2 Die staatliche Aufsicht kann damit grundsätzlich auf Unterlagen zugreifen, die Dritte berühren. Damit sind – möglicherweise – Eingriffe in das informationelle Selbstbestimmungsrecht Dritter verbunden. Soweit die Aufsichtsmaßnahmen erforderlich sind, stehen dem jedoch datenschutzrechtliche Sperren nicht entgegen.3 Wie aber sieht es mit der Schutzfunktion der anwaltlichen Schweigepflicht aus, wenn es – z.B. – um den mit einer Selbstverwaltungskörperschaft geschlossenen Beratungsvertrag oder die Herausgabe der zwischen der Körperschaft und dem Rechtsanwalt geführten Anwaltskorrespondenz geht. Da – etwa – Versicherungsträger ebenso wie die Kommunen an die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit gebunden sind, kann die Aufsicht sicherlich einen mit einem Rechtsanwalt, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer geschlossenen Vertrag auf die Einhaltung dieser Grundsätze prüfen und deshalb auch die Vorlage der einschlägigen Verträge fordern. Anders sieht es jedoch mit der Anwaltskorrespondenz aus. Sie ist zwar nicht per se den Prüfrechten der Aufsicht entzogen. Das – bislang nicht von der Rechtsprechung geklärte – Problem liegt jedoch darin, dass anwaltliche Beratung sich präventiv auf künftige Aufsichtsmaßnahmen beziehen kann oder unmittelbar die Beratung im Rahmen der schon tätigen Aufsicht (bis hin zu einem Rechtsstreit mit dieser) betrifft. Hätte die Aufsicht uneingeschränkten Zugriff auf diese Informationen, könnte sie die Vertraulichkeit der Anwaltskorrespondenz leerlaufen lassen. Anwaltliche Beratung wäre nur noch mündlich möglich, was bei rechtlich schwierigen oder vom Sachverhalt her unüberschaubaren Fragestellungen oft unmöglich ist. Die damit einhergehende Kollision von Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 12 Abs. 1 GG wird sich infolgedessen nur einzelfallbezogen im Wege praktischer Konkordanz4 auflösen lassen. 2. Erforderlichkeit der Offenbarung
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Drei Fallgruppen sind zu beachten. a) Entbindung von der Schweigepflicht
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Da die Schutzfunktionen der Vorschrift in erster Linie auf die Sicherung des Vertrauensverhältnisses zwischen Anwalt und Mandat gerichtet sind,5 bleibt der Mandant „Herr des Geheimnisses“, auch soweit das Wissen des Anwalts gar nicht auf Informationen des Mandanten, sondern denen eines Dritten beruht. Der entsprechend einsichtsfähige und über Umfang und Bedeutung des anwaltlichen Wissens aufgeklärte Mandant kann deshalb der Offenlegung des sonst geheimhaltungsbedürftigen Wissens zustimmen, d.h. den Anwalt von seiner Schweigepflicht entbinden. Zweckmäßigerweise erfolgt dies vor der Offenbarung, d.h. in Form der Einwilligung (§ 183 BGB). Andernfalls bestünden strafrechtliche Risiken für den Anwalt (§ 203 StGB). Der – zunächst – unbefugten Offenbarung kann aber auch nachträglich zugestimmt werden (§ 184 BGB – Genehmigung). Die Befreiung ist formlos möglich. Sie sich schriftlich geben zu lassen, empfiehlt sich. b) Konkludente Entbindung von der Schweigepflicht aa) Steuerrecht
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Die Entbindung von der Schweigepflicht kann auch konkludent erfolgen. Diese Möglichkeit ist vorsichtig zu handhaben. Angesichts der Verschwiegenheitspflicht des Anwalts ist es seine Sache, für eindeutige Verhältnisse zu sorgen, wenn es um die Entbindung von der Ver-
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Pieper, Aufsicht, 2006, 78 ff., 228 ff. Schirmer/Kater/Schneider, Aufsicht in der Sozialverwaltung, Stand 2009, Nr. 305, S. 6. Engelhard, in: juris PK-SGB IV 2006, § 88, Rz. 61. Lechner/Zuck, BVerfGG, 6. Aufl. 2011, Einl. Rz. 25 m.w.N. Rz. 7.
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Verschwiegenheit
Rz. 44 § 2 BORA/§ 43a BRAO
schwiegenheitspflicht geht.1 Schwierig ist die Offenlegung einzuordnen, die der Anwalt, etwa bei der Geltendmachung von Bewirtungskosten oder bei einer Betriebsprüfung vornehmen muss. Während die Betriebsprüfung auf einer gesetzlichen Grundlage beruht, die § 43a BRAO, § 2 BORA vorgeht (§ 193 AO), fehlt eine entsprechende gesetzliche Regelung für die steuerliche Geltendmachung von Bewirtungskosten. Es spricht viel dafür, bei den Bewirtungskosten von einer stillschweigenden Einwilligung des Mandanten in die Offenlegung auszugehen.2 bb) Prozesskostenfinanzierung Der Abschluss eines Prozesskostenfinanzierungsvertrags erfordert umfangreiche Informationen an den Finanzierer. Im Regelfall wird eine ausdrückliche Befreiung von der Verschwiegenheitspflicht vorliegen. Ist der Mandant mit dem Abschluss eines solchen Vertrages durch den Anwalt einverstanden, liegen die Informationsmöglichkeiten gegenüber dem Finanzierer auf der Hand. Auch eine konkludente Entbindung von der Verschwiegenheitspflicht kommt deshalb in Betracht. Anders sieht es jedoch aus, wenn der Anwalt eine Prozesskostenfinanzierung zur Beitreibung einer anwaltlichen Honorarforderung abschließt. Liegt keine Ermächtigung des Gebührenschuldners vor, soll ein solcher Vertrag wegen Verstoß gegen § 203 StGB i.V.m. § 134 BGB nichtig sein.3
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c) Wahrnehmung berechtigter Interessen Diese Sachverhaltsgruppe umfasst die
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– Durchsetzung oder Abwehr von Ansprüchen aus dem Mandatsverhältnis4 – Die Verteidigung des Anwalts in eigener Sache.5 aa) Durchsetzung oder Abwehr von Ansprüchen aus dem Mandatsverhältnis Der wichtigste Anwendungsbereich ist die Durchsetzung von Honorarforderungen des Anwalts gegenüber seinem Mandanten.6 Was der Anwalt insoweit lege artis vortragen muss, darf er vortragen, aber nicht mehr. Von der Höhe des anwaltlichen Honorars hängt diese Befugnis nicht ab, lässt man die schikanöse gerichtliche Durchsetzung von Restforderungen (z.B. 0,50 E) außer Betracht. Minima non curat praetor – das ist zwar eine gute Richtschnur, aber für ausstehende Honorare keine Rechtsregel:7 Der Mandant, der seinen Anwalt nicht vertragsgerecht vergütet, kann sich nicht auf die Höherrangigkeit der Schweigepflicht berufen, denn diese wurzelt ebenso im Anwaltsmandat wie der Gebührenanspruch des Anwalts.8 Die Abwehr von Ansprüchen aus dem Mandat wird im Regelfall zugleich eine Verteidigung des Anwalts in eigener Sache sein. Wird also z.B. über die Herausgabe von Unterlagen gestritten, so liegt die Rechtsgrundlage im Mandatsverhältnis. Der Anwalt, der die Handakten nicht herausgibt, verteidigt sich dabei zugleich in eigener Sache.
1 Zutreffend Koch/Kilian, Rz. B 712. Zur stillschweigenden Entbindung von der Verschwiegenheitspflicht gegenüber der Rechtsschutzversicherung s. van Bühren, NJW 2007, 3606 (3609). Insbesondere zu den anwaltlichen Mitwirkungspflichten im Besteuerungsverfahren und der beruflichen Schweigepflicht vgl. BFH, NJW 2008, 2366 mit Anm. v. Bilsdorfer, sowie ausf. Hentschel, NJW 2009, 810. 2 Zum Umfang der insoweit gebotenen Offenlegung s. BFH, BRAK-Mitt. 2004, 138. 3 LG Bonn, NJW-RR 2007, 132; OLG Köln, NJW 2008, 589 (= Berufungsentscheidung), beide gestützt auf § 203 StGB, § 134 BGB, unter Rückgriff auf BGH, NJW 2005, 507. Ich halte das Ergebnis für unzutreffend. Warum sollte der Gebührenschuldner mit der Finanzierung eines gegen ihn gerichteten Rechtsstreits einwilligen? Die Befreiung von der Verschwiegenheitspflicht wird in solchen Fällen nie zu erlangen sein. Wenn es sich nicht um eine offensichtlich unbegründete Klage handelt, kann der Fall nicht anders behandelt werden, wie bei der allgemeinen Honorarklage (s. Rz. 44). Dass im Übrigen bei den Modalitäten des Prozesskostenfinanzierungsvertrags § 49b Abs. 4 BRAO beachtet werden muss (vgl. OLG Köln, NJW 2008, 589 [590]) ist dagegen selbstverständlich. 4 Rz. 44. 5 Rz. 45. 6 S. dazu Berger, MDR 2003, 970. 7 In diese Fallgruppe gehört auch die offensichtlich unbegründete Honorarklage. 8 A.A. Henssler/Prütting/Henssler, § 43a BRAO Rz. 80; Feuerich/Weyland, § 43a BRAO Rz. 28, die beide das Prinzip der Verhältnismäßigkeit bemühen. Das ist aber nur unter praktischen, nicht unter rechtlichen Gesichtspunkten richtig.
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§ 43a BRAO/§ 2 BORA Rz. 45
Verschwiegenheit
bb) Verteidigung des Anwalts in eigener Sache 45
In erster Linie geht es um die Regressforderungen des Mandanten gegen seinen Anwalt wegen nicht sachgerechter Wahrnehmung der Pflichten aus dem Anwaltsvertrag. Das setzt auf Anwaltsseite die erforderliche Information des Haftpflichtversicherers voraus, entsprechenden Vortrag im Rechtsstreit und, im Zusammenhang mit Information und Vortrag, auch die Durchbrechung der Verschwiegenheitspflicht beim erforderlichen Kontakt mit Dritten (z.B. Sachverständigen/Zeugen).
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Offenlegungsbefugt ist der Anwalt aber auch, wenn ihm Dritten gegenüber oder überhaupt öffentlich, insbesondere in den Medien, berufsrechtliche oder strafrechtliche Vorwürfe durch den Mandanten gemacht werden. Gehen diese Vorwürfe weder mittelbar noch unmittelbar vom Mandanten aus, hat nach allgemeiner Meinung die Verschwiegenheitspflicht des Anwalts Vorrang.1 Das macht den Anwalt insbesondere bei Angriffen durch die Medien weitgehend schutzlos. Wegen des Schweigerechts der Medien kann die entsprechende Information der Medien durch den (ehemaligen) Mandanten vom Anwalt nicht bewiesen werden, es sei denn, der Inhalt der Information kann der Natur der Sache nach nur vom Mandanten stammen. Eine Einschränkung ist deshalb geboten: Sind die erhobenen Vorwürfe in gewichtiger Weise ehrabschneidend oder existenzgefährdend (das betrifft insbesondere strafrechtlich relevante Vorgänge), muss der Anwalt sich auch unter Zurücksetzung der Verschwiegenheitspflicht wehren dürfen. Wird dem Anwalt also z.B. öffentlich von der Presse vorgeworfen, er habe Mandantengelder veruntreut, so muss er dagegen uneingeschränkt vorgehen können, auch wenn es nicht möglich ist, den Mandanten als mögliche mittelbare Informationsquelle auszumachen.
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Alle Beschränkungen der Verschwiegenheitspflicht bei der Verteidigung des Anwalts in eigener Sache sind aber durch das Prinzip der Erforderlichkeit begrenzt. Der Anwalt darf nicht mehr offenbaren, als zu seiner Verteidigung erforderlich ist. Der durchaus übliche Gegenangriff, die Vorwürfe seien schon deshalb unberechtigt, weil sich der Mandant auch sonst unkorrekt verhalten habe, sind berufsrechtlich unzulässig, wenn sie nur unter Verstoß gegen die Verschwiegenheitspflicht erhoben werden können. IV. Absatz 4
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Absatz 4 legt dem Anwalt zwei Pflichten gegenüber Mitarbeitern und sonstigen an seiner beruflichen Tätigkeit Mitwirkenden auf: Belehrung über die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht und Sorge für deren Einhaltung. 1. Mitarbeiter
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Mitarbeiter sind die zur Mitarbeit in der Kanzlei vertraglich verpflichteten Personen. Sonstige Mitwirkende sind eigenverantwortlich außerhalb der Organisation der Anwaltskanzlei arbeitende Personen, also z.B. Sachverständige, sonstige externe Fachleute, Dolmetscher, externer Schreibdienst. Auch sie muss der Anwalt zur Verschwiegenheit verpflichten, er wird sie, wegen ihrer eigenverantwortlichen Tätigkeit nur in Grenzen zur Einhaltung der Verschwiegenheitspflicht „anhalten“ können. Das kommt nur aus begründetem Anlass in Betracht. 2. Berufspflichten a) Belehrung
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Die „Belehrung“ setzt auch einen Hinweis auf die Folge des Verstoßes voraus sowie weiter, dass auch gegenüber Familienangehörigen, Freunden und Partnern des Mitarbeiters die Verschwiegenheitspflicht gilt. Die Belehrung sollte aktenkundig gemacht werden. b) Wiederholte Belehrung
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Aus gegebenem Anlass sollte man auch die Mitarbeiter auf die Einhaltung der Verschwiegenheitspflicht aufmerksam machen, etwa, wenn es um ein Mandat mit öffentlichem Interesse geht, und die Medien auf Informationen drängen. Besondere Vorsicht ist für die Telefonzentrale angezeigt: Anfragen unbekannter Dritter oder solcher, deren Name man nicht einwandfrei verstanden hat, müssen im Hinblick auf die Verschwiegenheitspflicht besonders sorgsam behandelt werden. 1 Feuerich/Weyland, § 43a BRAO Rz. 29.
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Interessenkonflikt, Versagung der Tätigkeit
Rz. 3 § 3 BORA/§ 43a BRAO
Interessen, Versagung der Berufstätigkeit 3 BORA Widerstreitende (1) Der Rechtsanwalt darf nicht tätig werden, wenn er eine andere Partei
in derselben Rechtssache im widerstreitenden Interesse bereits beraten oder vertreten hat oder mit dieser Rechtssache in sonstiger Weise im Sinne der §§ 45, 46 Bundesrechtsanwaltsordnung beruflich befasst war.
(2) 1Das Verbot des Abs. 1 gilt auch für alle mit ihm in derselben Berufsausübungs- oder Bürogemeinschaft gleich welcher Rechts- oder Organisationsform verbundenen Rechtsanwälte. 2Satz 1 gilt nicht, wenn sich im Einzelfall die betroffenen Mandanten in den widerstreitenden Mandaten nach umfassender Information mit der Vertretung ausdrücklich einverstanden erklärt haben und Belange der Rechtspflege nicht entgegenstehen. 3Information und Einverständniserklärung sollen in Textform erfolgen. (3) Die Absätze 1 und 2 gelten auch für den Fall, dass der Rechtsanwalt von einer Berufsausübungs- oder Bürogemeinschaft zu einer anderen Berufsausübungs- oder Bürogemeinschaft wechselt. (4) Wer erkennt, dass er entgegen den Absätzen 1 bis 3 tätig ist, hat unverzüglich seinen Mandanten davon zu unterrichten und alle Mandate in derselben Rechtssache zu beenden. (5) Die vorstehenden Regelungen lassen die Verpflichtung zur Verschwiegenheit unberührt. . . . . .
1 1 2 3 4
B. Norminhalt . . . . . . . . . . . . . . I. Absatz 1, Absatz 2 S. 1, Absatz 3 . . . . . 1. Absatz 1 . . . . . . . . . . . . . . . . a) Dieselbe Rechtssache . . . . . . . . b) Widerstreitende Interessen . . . . . aa) Interessenlage des Mandanten . . bb) Wirtschaftliche Interessen . . . . c) Interessenwahrnehmung (Tätigwerden) . . . . . . . . . . . aa) Tätigwerden . . . . . . . . . . bb) Tätigkeitsfelder . . . . . . . . . d) Bereits beraten oder in sonstiger Weise befasst . . . . . . . . . . . . . . . aa) Vorgängige Beratung . . . . . . bb) Vorbefassung in sonstiger Weise im Sinne von §§ 45, 46 BRAO . . . 2. Absatz 2 S. 1 . . . . . . . . . . . . . .
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A. I. II. III. IV.
Allgemeines . . . . . . . Ermächtigungsgrundlage . Regelungszusammenhänge Tradition . . . . . . . . Funktion . . . . . . . .
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a) Erstreckungsregelung . . . . . . . b) Erstreckungsgegenstand . . . . . c) Andere Rechtsanwälte . . . . . . d) Organisationsform . . . . . . . . e) Ausnahmen . . . . . . . . . . . 3. Absatz 3. . . . . . . . . . . . . . . a) Kanzleiwechsler . . . . . . . . . b) Bisherige Kanzlei . . . . . . . . . c) Aufnehmende Kanzlei . . . . . . . II. Einverständliche Aufhebung der Tätigkeitsverbote (§ 3 Abs. 2 S. 2, 3 BORA) . 1. Verfassungsrechtliche Vorgaben . . . . a) Einzelfallabwägung . . . . . . . . b) Interessenlage . . . . . . . . . . aa) Chinese Walls . . . . . . . . . bb) Einverständnis . . . . . . . . cc) Belange der Rechtspflege . . . 2. Textform (§ 3 Abs. 2 S. 3 BORA) . . . . III. Rechtsfolgen (Absatz 4) . . . . . . . 1. Mandatsbeendigung . . . . . . . . . 2. Unterrichtungspflicht . . . . . . . . IV. Verschwiegenheitspflichten (Absatz 5) .
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A. Allgemeines I. Ermächtigungsgrundlage § 3 BORA beruht auf § 59b Abs. 2 Nr. 1e BRAO. Die Vorschrift greift damit den allgemeinen Verbotstext des § 43a Abs. 4 BRAO auf.
1
II. Regelungszusammenhänge Eine vergleichbare, aber keineswegs mit § 3 BORA deckungsgleiche Regelung möglicher Interessenkonflikte enthält für den grenzüberschreitenden Rechtsverkehr Nr. 3.2 CCBE. Erhebliche Bedeutung kommt aber vor allem § 356 StGB, der Regelung des Parteiverrats, zu.
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III. Tradition 3
Vorgängerregelung des § 3 BORA war § 46 RichtlRA, mit folgendem Wortlaut: „§ 46 Widerstreitende Interessen (1) Der Rechtsanwalt darf nicht tätig werden, wenn er selbst oder ein mit ihm in Sozietät oder in anderer Weise zu gemeinschaftlicher Berufsausübung verbundener Rechtsanwalt oder ein Partner seiner Büro-
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§ 43a BRAO/§ 3 BORA Rz. 4
Interessenkonflikt, Versagung der Tätigkeit
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gemeinschaft ein andere Partei in derselben Rechtssache bereits im entgegengesetzten Interesse, gleichviel in welcher Eigenschaft, beraten oder vertreten hat (vgl. § 45 Nr. 2 BRAO, § 356 StGB). Das Gleiche gilt, wenn die Beratung durch einen Angestellten oder freien juristischen Mitarbeiter erfolgt ist. Auch soweit das Verhalten nicht strafbar ist, kann es standeswidrig sein (z.B. bei Fahrlässigkeit). (2) Der Rechtsanwalt, der als Konkursverwalter, Vergleichsverwalter, Nachlassverwalter oder in ähnlicher Funktion tätig war, darf nach Beendigung seines Amtes nicht gegen den Träger des von ihm verwalteten Vermögens tätig werden, soweit es sich um Angelegenheiten handelt, mit denen er in seiner vorgenannten Eigenschaft bereits befasst war. (3) Der Rechtsanwalt hat schon den Anschein der Vertretung widerstreitender Interessen zu vermeiden.“1
Gegenüber dem Vorgängerrecht ist § 3 BORA vielfach umgestaltet worden; an den Grundbegriffen „dieselbe Rechtssache“ und „widerstreitende Interessen“ hat sich jedoch nichts geändert. IV. Funktion 4
Mit der Amtlichen Begründung zur Berufsrechtsnovelle 1994 ist davon auszugehen, dass § 43a Abs. 4 BRAO (§ 3) damit die Unabhängigkeit des Anwalts (§ 1 BRAO) sichern, das Vertrauensverhältnis zum Mandanten untermauern und dadurch die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege sichern soll.2 Die rechtlichen Interessen seines Mandanten wahrzunehmen und keine fremden, das zeichnet den Anwalt als berufenen und unabhängigen Berater und Vertreter des Bürgers aus, ist also ein dem Anwaltsberuf immanentes Erfordernis.3 B. Norminhalt I. Absatz 1, Absatz 2 S. 1, Absatz 3 1. Absatz 1 a) Dieselbe Rechtssache
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Das Verbot der Tätigkeit in widerstreitenden Interessen hat als Ausgangspunkt „dieselbe Rechtssache“. Der Begriff stammt aus § 356 StGB. Maßgeblich ist die (Teil)Identität zumindest zweier Rechtssachen. Sie bestimmt sich nach dem sachlich-rechtlichen Inhalt des Anwaltsmandats.4 Das setzt nicht-Identität der geltend gemachten Ansprüche voraus; maßgebend ist das der Rechtssache zugrunde liegende einheitliche Lebensverhältnis, also z.B. ein Mietverhältnis oder die Ehe.5 Auf die beteiligten Personen kommt es ebenso wenig an, wenn nur das Lebensverhältnis einheitlich bleibt. Unbeachtlich ist auch die Frage, ob die einheitlichen Lebensverhältnisse zeitlich parallel liegen oder zeitlich nacheinander gegeben sind. Das alles sind gesicherte Erkenntnisse. Um „dieselbe Rechtssache“ handelt es sich nicht, wenn ein Anwalt einen Auftrag gegen einen Mandanten annimmt, für den er sonst, d.h. unabhängig von einem tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang mit dem neuen Auftrag regelmäßig tätig ist. Die Entgegennahme eines solchen Auftrags ist also grundsätzlich berufsrechtlich zulässig. Aus §§ 311 Abs. 2, 675 BGB treffen den Anwalt aber in diesem 1 S. dazu Lingenberg/Hummel/Zuck/Eich/Zuck, Anm. zu § 46 RichtlRA. 2 BT-Drs. 12/4993, S. 27. Offermann-Burckart, Anwaltsrecht in der Praxis 2010, 213 ff.; s.a. Restemeier, FS Scharf, 2008, S. 281. 3 S. dazu ausf. Deckenbrock, Strafrechtlicher Parteiverrat und berufsrechtliches Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen, 2009, Rz. 120 ff., Rz. 271 ff.; BVerfGE 108, 150 (158 f., 160) und dazu KleineCosack, AnwBl. 2003, 539; Kilian, BB 2003, 2189; Kirchberg, BRAK-Mitt. 2003, 819. Das BVerfG hebt zunächst das persönliche Vertrauensverhältnis zum Mandanten und die Unabhängigkeit des Anwalts besonders hervor, ergänzt diesen Absatz aber ebenfalls unter Bezugnahme auf die Amtliche Begründung um „das Gemeinwohl in Gestalt der Rechtspflege, die auf eine Gradlinigkeit der anwaltlichen Berufsausübung angewiesen ist“, BVerfGE 108, 150 (161 f.). Alle drei Belange treten nebeneinander und bedingen einander, so auch BVerfG(K), NJW 2006, 2469 (2470). S. dazu auch Quaas, NJW 2008, 1697 (1698). 4 BGHSt 18, 192 (193); 34, 190 (191); BGH(Z), NJW-RR 2008, 795; Fischer, § 356 StGB Rz. 5 ff.; OffermannBurckart, AnwBl. 2008, 446 (447 f.); Fischer, in: Offermann-Burckart, Anwaltsrecht in der Praxis 2010, 213 (220 ff.). 5 Bloße Mandantenidentität reicht für die Annahme derselben Rechtssache nicht aus, s. Hartung/Römernann/Hartung, Anwaltliche Berufsordnung, 4. Aufl. 2008, § 3 Rz. 55; so früher schon Lingenberg/Hummel/ Zuck/Eich/Zuck, § 46 RichtlRA Rz. 15.
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Interessenkonflikt, Versagung der Tätigkeit
Rz. 8 § 3 BORA/§ 43a BRAO
Zusammenhang Offenbarungspflichten, bei deren schuldhafter Verletzung er schadenersatzpflichtig wird.1 b) Widerstreitende Interessen aa) Interessenlage des Mandanten Ob die Interessen der Parteien einander widerstreiten, entscheidet sich nach der durch das Mandat bestimmten Interessenlage des Mandanten.2 Insoweit ist die Bewertung der Interessenlage vom Willen des Mandanten abhängig. Das „Bestimmungsrecht“ des Mandanten ist aber objektiv zu würdigen.3 Auf die subjektive Wertung aus Sicht des Anwalts oder des Mandanten kommt es infolgedessen nicht an. Es geht auch insoweit allein um das pflichtwidrige Verhalten des Anwalts. Das folgt aus den Funktionen des § 3 BORA in ihrer Gesamtheit).4
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bb) Wirtschaftliche Interessen Die hier genannten Interessen sollen nicht solche wirtschaftlicher Art sein.5 Das ist die logische Konsequenz aus der Tatsache, dass der Anwalt von Berufs wegen in einem Rechtsfall tätig wird. Vorsicht ist jedoch geboten: Es wird wenig wirtschaftliche Interessen in einem Mandat geben, die nicht ein rechtliche Seite haben oder bekommen können.
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c) Interessenwahrnehmung (Tätigwerden) aa) Tätigwerden Relevant werden die in einem einheitlichen Lebenssachverhalt kollidierenden Interessen erst, wenn der Anwalt Interessen wahrnimmt, sei es, indem er berät, sei es, indem er vertritt. § 3 BORA konkretisiert insoweit § 43a Abs. 4 BRAO zu Recht. In welchem Verfahrens(abschnitt) die Interessenwahrnehmung stattfindet, ist gleichgültig. Wesentlich ist allein, dass der Anwalt überhaupt tätig wird. Zu Recht hat das BVerfG darauf hingewiesen, dass das Verbot der Wahrnehmung widerstreitender Interessen nicht schon den Abschluss des Anwaltsvertrags untersagt, sondern erst dessen Effektuierung. Das macht § 3 Abs. 4 BORA unmissverständlich deutlich.6 Hier ist immer zu beachten, dass das bloße Einverständnis beider Beteiligter den Interessengegensatz nicht ausschließt.7
1 BGH, NJW 2008, 1307. Die Entscheidung des BGH wirft viele, von ihr nicht behandelte einfach-rechtliche Fragen auf. Sie betreffen teils den Fragenkreis der Unabhängigkeit des Anwalts, teils, was der BGH völlig übersehen hat, die Verschwiegenheitspflicht des Anwalts gegenüber seinem Altmandanten, wenn man bedenkt, dass schon der Name dieses Mandanten von der Verschwiegenheitspflicht erfasst wird, vgl. Rz. 20 zu § 2 BORA; s. dazu ausf. Henssler/Deckenbrock, NJW 2008, 1275; Kleine-Cosack, AnwBl. 2008, 278 (280); Grunewald, JZ 2008, 691. 2 Das erlaubt in erheblichem Umfang, vor allem in Verfahren mit Parteimaxime, eine Einflussnahme des Mandanten auf einen möglichen Interessengegensatz. Die richtige Handhabung dieser Möglichkeiten befreit – jeweils nach Lage der Dinge – von der Interessenproblematik. In diesem Sinne kann der Mandant in das Handeln seines Anwalts einwilligen (§ 183 BGB), d.h. ihn von der Pflichtwidrigkeit befreien. Er kann ein solches Handeln aber nicht genehmigen (§ 184 BGB). Die Möglichkeit, dem Willen des Mandanten größere Bedeutung beizumessen, erörtert auch Grunewald, JZ 2008, 691 (692). Ob denn aber überhaupt widerstreitende Interessen vorliegen, kann nur im Blick auf die konkreten Umstände des Falls beurteilt werden. Maßgeblich ist, ob der in den maßgeblichen Rechtsvorschriften typisierte Rechtskonflikt tatsächlich auftritt. Der Rückgriff auf einen bloß latenten Interessenkonflikt scheitert an einer verfassungskonformen Auslegung des § 43a Abs. 4 BRAO, § 3 Abs. 1 BORA, BGH, BRAK-Mitt. 2012, 224. 3 So schon Lingenberg/Hummel/Zuck/Eich/Zuck, § 46 RichtlRA Rz. 15; ebenso Koch/Kilian, Rz. B 637. S. dazu umfassend und praxisnah Offermann-Burckart, AnwBl. 2008, 446 (448 ff.); Offermann-Burckart, Anwaltsrecht in der Praxis, 2010, 222 ff. 4 Rz. 4. 5 H.M., vgl. Koch/Kilian, Rz. B 636. 6 BVerfG(K), NJW 2008, 1298 (1300) – Ebay (Versteigerung anwaltliche Beratungsleistungen). Der „gute Anwalt“ (Rz. 7 zu § 43 BRAO) wird die mit der Versteigerung verbundene „Ent-Vertraulichung“ des Mandats nicht wollen, der (geschäfts)tüchtige Anwalt auch nicht, denn der seine Leistung versteigernde Anwalt hat in dem vom BVerfG entschiedenen Fall gerade einmal 12,50 Euro für eine bis zu 60 Minuten dauernde Beratung in familien- und erbrechtlichen Fragen „erlöst“. S. auch Rz. 35 f. 7 S. dazu ausf. Offermann-Burckart, AnwBl. 2005, 312 (315 f.).
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§ 43a BRAO/§ 3 BORA Rz. 9
Interessenkonflikt, Versagung der Tätigkeit
bb) Tätigkeitsfelder 9
Die Tätigkeitsfelder sind vielgestaltig.
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(1) Zulässig ist die Vertretung mehrerer Bieter im Vergabe-Verfahren, eines Ehegatten und seiner Kinder in Unterhaltssachen, verschiedener Käufer bei einem Unternehmenskauf, mehrerer Geschädigter bei Kapitalanlagen, mehrerer Schuldner im Zwangsversteigerungsverfahren und mehrerer Gesamtschuldner zur Abwehr gegen sie gerichteter Ansprüche, weil in all diesen Fällen angenommen wird, es seien nur wirtschaftliche Interessen berührt. Das hat erhebliche Auswirkungen, wenn das Geld nicht für alle reicht. Hier ist es besonders wichtig, dieses Problem im Zusammenhang mit der Mandatserteilung zu klären.1
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(2) Umstritten ist, ob der Anwalt bei einer einvernehmlichen Scheidung für beide Seiten tätig werden darf. Ausgangspunkt ist meist die Erklärung, die Scheidungswilligen seien sich über alle Fragen im Detail einig. Das mag so sein, betrifft aber nur die Fragen, die sich die Beteiligten gestellt und deren Bedeutung sie erkannt haben. Es erscheint deshalb im Regelfall ausgeschlossen, dass die Auftraggeber des Mandats interessengleich bleiben.2 Einzelfallabhängig ist auch das anwaltliche Tätigwerden bei der Verkehrsunfallregulierung.3 Ausgeschlossen ist die gleichzeitige Vertretung des geschädigten Halters, wenn er das Fahrzeug selbst gefahren hat und der verletzten Insassen gegen die Haftpflichtversicherung des Unfallgegners. Zulässig ist dagegen die alleinige Vertretung der geschädigten Insassen. Auch die Frage, ob es zulässig ist, dass der Anwalt des Geschädigten den Strafaktenauszug an die gegnerische Versicherung übermittelt, wird vom Einzelfall (d.h. im Wesentlichen vom Akteninhalt) abhängen. Das mit diesem Vorgehen realisierte Beschleunigungsinteresse reicht für sich allein jedenfalls nicht aus, weil es zu den möglicherweise dahinter stehenden gegenläufigen Interessen nichts sagt.4
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(3) Unzulässig ist die Mehrfachverteidigung (§ 146 StPO),5 die Hinterlegung von Geld beim Gegenanwalt, die gleichzeitig Tätigkeit als Verteidiger und als Beistand eines Zeugen.6
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(4) Einzelfallabhängig ist die Beurteilung der Mediation. Man versteht darunter eine Methode der außergerichtlichen Konfliktlösung, bei der ein neutraler Dritter (= Mediator) die Beteiligten dabei unterstützt, ihren Streit einvernehmlich beizulegen.7 Der Anwalt wird in 1 Rz. 6, 7. Zur Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen vgl. BGH, BRAK-Mitt. 2013, 83. Danach verstößt ein Rechtsanwalt, der anlässlich desselben Erbfalls Pflichtteilsbeteiligte bei der Durchführung von Pflichtteilsansprüchen und deren Mutter bei der Abwehr von Nachlassforderungen vertritt, ohne die Interessenkollision auflösende Mandatsbeschränkungen gegen § 43a Abs. 4 BRAO, § 3 Abs. 1 BORA. Zur Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen hat der BGH ausgeführt, dass die Interessen eines unterhaltsberechtigten volljährigen Kindes grundsätzlich im Widerspruch zu denjenigen seiner Eltern, die beide Unterhalt schulden und anteilig nach ihren Erwerbs- und Vermögensverhältnissen haften, stehen. Ein Rechtsanwalt dürfe deshalb nicht zugleich die unterhaltspflichtigen Eltern bei der Abwehr des Anspruchs und das unterhaltsberechtigte Kind bei dessen Durchsetzung vertreten, BGH, BRAK-Mitt. 2012, 224. 2 Das alles ist umstritten. Gutmann, AnwBl. 1963, 90; Jost, NJW 1980, 327; Molketin, AnwBl. 1982, 12; Herrmann, BRAK-Mitt. 1985, 15; Hartung, MDR 1999, 1179; Kirsch, Bln. AnwBl. 2000, 550; Medler, FF 2003, 44; Henssler, MDR 2003, 1083; Hartung, FF 2003, 156; Deckenbrock, Strafrechtlicher Parteiverrat und berufsrechtliches Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen, 2009, Rz. 176 ff. m.w.N. Gegen die Zulässigkeit etwa OLG Karlsruhe, NJW 2001, 3197 (3198 f.); dafür AG Gifhorn, FPR 2004, 161. S. zu alledem auch die Satzungsversammlung, BRAK-Mitt. 2006, 212 (213). Mit Recht mahnt Offermann-Burckart zu „äußerster Vorsicht“, AnwBl. 2008, 446 (449). Zur Bedeutung des Einverständnisses s. AnwBl. 2008, 446 (452 f.). Zu alledem ausf. Offermann-Burckart, Anwaltsrecht in der Praxis 2010, 228 ff. 3 Vgl. van Bühren, NJW 2007, 3606 (3608 f). 4 A.A. Feuerich/Weyland, § 43a BRAO Rz. 75; s. dazu auch Offermann-Burckart, Anwaltsrecht in der Praxis 2010, 241 ff. 5 Zur Zulässigkeit der sukzessiven Mehrfachverteidigung s. BGH, NStZ 2002, 12. Zur Verteidigung mehrerer Beschuldigter durch mehrere Anwälte einer Rechtsanwaltsgesellschaft s. BVerfGE 43, 79. Hier kommt es auf den konkreten Fall und die Klärung der Frage an, ob ein einheitlicher Lebenssachverhalt vorliegt. In diesem Fall scheidet die Vertretung mehrerer Beschuldigter durch mehrere Sozien aus, so zutreffend Hartung/Hartung, § 3 Rz. 83. Im Ergebnis wie hier Feuerich/Weyland, § 43 BRAO Rz. 8. 6 Berufsrechtlich von BVerfG(K), BRAK-Mitt. 2000, 139 nicht behandelt. 7 Henssler, in: Henssler/Koch, Mediation in der Anwaltspraxis, 2. Aufl. 2004, § 3 Rz. 23. Umstritten ist die Frage, ob der mit der Sache vorbefasste Anwalt das Mediationsmandat ablehnen muss, s. dazu Hess, Mediation und weitere Verfahren konsensualer Streitbeilegung – Regelungsbedarf im Verfahrens- und Berufsrecht? Gutachten F zum 67. DJT 2008, F 62; Deckenbrock, Strafrechtlicher Parteiverrat und berufsrechtliches Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen, 2009, Rz. 95. Die „richtige“ Definition der Mediation steht noch aus, vgl. Hess, Mediation und weitere Verfahren konsensualer Streitbeilegung – Regelungsbedarf im Verfahrens- und Berufsrecht? Gutachten F zum 67. DJT 2008, F 15 ff.; Hartung/Wendenburg, NJW 2009, 1551 (1556); Haft/Schlieffen, Handbuch Mediation, 2. Aufl. 2009.
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Interessenkonflikt, Versagung der Tätigkeit
Rz. 17 § 3 BORA/§ 43a BRAO
einem solchen Fall für beide und gegen keine der Parteien tätig, behält also eine Stellung als unabhängiger Mittler. Darin liegt keine Vertretung widerstreitender Interessen.1 d) Bereits beraten oder in sonstiger Weise befasst aa) Vorgängige Beratung Das Tätigkeitsverbot gilt nur aufgrund der besonderen Vortätigkeit des Anwalts, sei es, dass er die andere Partei (dieselbe Rechtssache),2 widerstreitende Interessen,3 unterstellt) „bereits beraten“4 hat oder mit der Rechtsache in sonstiger Weise im Sinne der §§ 45, 46 BRAO beruflich befasst war.5
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Dem Wortlaut nach greift das Tätigkeitsverbot bei jeder Art von Vorbefassung. Gemeint ist aber dem Sinn der Vorschrift entsprechend nur die berufliche Vorbefassung.6 Streit gibt es aber darüber, ob „beruflich“ auf „anwaltliche Tätigkeit“ zu reduzieren ist.7 Da schwer zu erkennen ist, wie ein Anwalt beruflich, aber nicht als Anwalt handeln kann, muss man diese Umschreibung auf Sachverhalte beziehen, in denen der Anwalt noch kein Mandat hat, also im Vorfeld eines Mandats etwa Auskünfte erteilt, mit einem Sachverständigen über ein mögliches Gutachten spricht oder an einer road show teilnimmt.8 In allen diesen Fällen erscheint jedoch die Lösung leichter, wenn man schon die „widerstreitenden Interessen“ verneint. Da es nämlich noch kein Mandat gibt, verfolgt der Anwalt zunächst eigene Interessen, die ihm den Zugang zum Mandat erleichtern sollen.9 Unproblematisch ist deshalb grundsätzlich der beauty contest. Hat der Anwalt noch kein eigenes Mandat, unterscheidet sich der beauty contest von der road show nur dadurch, dass der Wettbewerb um künftige Mandate nicht auf Eigeninitiative des Anwalts beruht, sondern auf Einladung. Legt der das Mandat vergebende Auftraggeber seine Ziele offen, ist das seine Sache. Er kann das auch in der Zeitung tun. Da sich das alles außerhalb eines Mandats abspielt, kann es keine widerstreitenden Interessen geben. Zu beachten ist nur, dass der Teilnehmer am beauty contest (an dem er in der Regel als Spezialistenanwalt mit einschlägigen eigenen Mandaten teilnimmt) u.U. zivilrechtliche Offenbarungspflichten im Sinne von BGH NJW 2008, 1307 hat.10
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Man entgeht mit dieser Sichtweise dem Problem, dass ein weitgefasster Begriff der beruflichen Vorbefassung alle hier genannten Sachverhalte vom Wortlaut her erfasst, verbunden mit dem Zusatz, das Ergebnis sei nicht praktikabel. Das ist gegenüber einem Gesetzestext nur ein Einwand gegen das Gesetz, nicht ein Argument für eine bestimmte Auslegung. bb) Vorbefassung in sonstiger Weise im Sinne von §§ 45, 46 BRAO §§ 45, 46 BRAO enthalten für bestimmte berufliche Konstellationen anwaltliche Tätigkeitsverbote. Insoweit kommt es nicht auf anwaltliche Tätigkeit, sondern auf berufliche Tätigkeit nach Maßgabe der §§ 45, 46 BRAO an.
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2. Absatz 2 S. 1 a) Erstreckungsregelung In Absatz 2 Satz 1 findet sich eine Erstreckungsregelung. Sie – in ihrer jetzigen Fassung – eine Vorgeschichte.
1 Deckenbrock, Strafrechtlicher Parteiverrat und berufsrechtliches Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen, 2009, Rz. 179 f. Die Abgrenzung zum Gespräch mit beiden scheidungswilligen Ehegatten ist schwierig, vgl. KG, NJW 2008, 1458; zur Familienmediation s. auch Haft/Gräfin von Schlieffen, Handbuch Mediation, 2002, § 34. 2 Vgl. Rz. 5. 3 Vgl. Rz. 6, 7. 4 Rz. 14. 5 Rz. 15. 6 BGHSt 20, 41; Offermann-Burckart, AnwBl. 2005, 312. 7 S. dazu jetzt Feuerich/Weyland, § 43a BRAO Rz. 56. Zum beauty contest vgl. Offermann-Burckart, Anwaltsrecht in der Praxis 2010, 218 f. 8 Zur road show s. Zuck, JZ 2008, 287 (294). 9 Auch Offermann-Burckart, AnwBl. 2005, 312 (313) weist die widerstreitenden Interessen (mit der h.M.) dem Mandat zu. 10 Rz. 5.
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§ 43a BRAO/§ 3 BORA Rz. 18
Interessenkonflikt, Versagung der Tätigkeit
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In der Erstfassung der BORA hatte Absatz 2 so gelautet: „(2) Das Verbot gilt auch, wenn ein anderer Rechtsanwalt oder Angehöriger eines anderen Berufes im Sinne des § 59a Bundesrechtsanwaltsordnung, mit dem der Rechtsanwalt in Sozietät, zur gemeinschaftlichen Berufsausübung in sonstiger Weise (Anstellungsverhältnis, freie Mitarbeit) oder in Bürogemeinschaft verbunden ist oder war, in derselben Rechtssache, gleich in welcher Funktion, im widerstreitenden Interesse berät, vertritt, bereits beraten oder vertreten hat oder mit dieser Rechtssache in sonstiger Weise beruflich befasst ist oder war.“1
Das BVerfG hat akzeptiert, dass § 43a Abs. 4 BRAO eine der Verfassung entsprechende Satzungsregelung ermögliche. Sie müsse „eine dem Einzelfall gerecht werdende Abwägung aller Belange unter besonderer Berücksichtigung der Mandanteninteressen“ enthalten.2 Da dies bei § 3 Abs. 2 BORA a.F. nicht der Fall gewesen war, hat das BVerfG die Vorschrift für nichtig erklärt. Die ab 1.7.2006 geltende Neufassung des Absatzes 23 ist vom BVerfG nicht beanstandet worden.4 b) Erstreckungsgegenstand 18
Erstreckungsgegenstand sind die Verbote des Absatzes 1, also das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen und die aus §§ 45, 46 BRAO folgenden Tätigkeitsverbote. c) Andere Rechtsanwälte
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Vergleicht man § 3 Abs. 2 BORA a.F. mit § 3 Abs. 2 BORA n.F. erstreckt sich das Verbot nur auf andere Anwälte und nicht, wie früher, auch auf Angehörige eines anderen Berufs im Sinne von § 59a BRAO. d) Organisationsform
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Absatz 2 Satz 1 stellt klar, dass die Verbotserstreckung nicht von der jeweiligen Organisationsform für die Vorbefassung abhängig ist. Infolgedessen gehören auch Außensozietäten, verfestigte Kooperationen, die EWIV und, wie ausdrücklich erwähnt, Bürogemeinschaften5 in den Verbund, ebenso die Anwalts-GmbH und die Anwalts-AG. Die Art der Mandatserteilung, z.B. in Form eines Vorbehaltsmandats für ein einzelnes Mitglied einer Sozietät ist irrelevant.6 e) Ausnahmen
21
Zu Ausnahmen vom Erstreckungsverbot (§ 3 Abs. 2 S. 2, 3 BORA) s. Rz. 29–34 3. Absatz 3 a) Kanzleiwechsler
22
Eine weitere Erstreckungsregelung ergibt sich für die sogenannten (anwaltlichen) Kanzleiwechsler. Auch sie werden, wenn sie von einer Berufsausübungs-/Bürogemeinschaft in eine andere Berufsausübungs-/Bürogemeinschaft wechseln, den Regelungen der Absätze 1 und 2 unterworfen. Die Erwähnung des Absatz 2 bezieht sich allerdings nur auf Absatz 2 Satz 2, 3,7 also auf die Ausnahmen von der Erstreckung.
1 Kleine-Cosack, hatte früher dieser Fassung attestiert, sie sei „der untaugliche Versuch einer Konkretisierung“, BRAO, 4. Aufl. 2003, Anm. zu § 3 BORA. 2 BVerfGE 108, 150 (164). S. dazu Kleine-Cosack, AnwBl. 2003, 539; Kilian, BB 2003, 2189; Kirchberg, BRAKMitt. 2003, 236. 3 BRAK-Mitt. 2006, 79. 4 BVerfG(K), NJW 2006, 2469. Krit. dazu Scharmer, BRAK-Mitt. 2006, 150; Hartung, NJW 2006, 2721 (2722); Sahan, AnwBl. 2008, 698; Deckenbrock, AnwBl. 2009, 170. Maier-Reimer, NJW 2006, 3601. 5 Deckenbrock, hat die Erstreckung auf Bürogemeinschaften für gesetzwidrig gehalten, NJW 2008, 3529 (3531 ff.); AnwBl. 2009, 16 (21). 6 Kleine-Cosack, AnwBl. 2006, 13 (15); Quaas, NJW 2008, 1697 macht zu Recht darauf aufmerksam, dass die Zulässigkeit der Sternsozietät nach Aufhebung des § 31 BORA das Verbot der Wahrnehmung widerstreitender Interessen unberührt lässt. 7 S. Rz. 29–34.
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Interessenkonflikt, Versagung der Tätigkeit
Rz. 31 § 3 BORA/§ 43a BRAO
b) Bisherige Kanzlei Für die bisherige Kanzlei (K I) des Wechslers (W) ergeben sich keine Besonderheiten. Hier gelten unverändert § 43a Abs. 4 BRAO, § 3 Abs. 2 BORA.
23
c) Aufnehmende Kanzlei Die Probleme entstehen in der W aufnehmenden Kanzlei (K II). Kilian folgend sind vier Fallgruppen zu unterscheiden.1
24
aa) W betreute bei K I persönlich das Kollisionsmandat für die eine Seite (z.B. für einen Mieter), nunmehr aber in K II für die andere Seite (im Beispiel: für den Vermieter). Das dafür bestehende Tätigkeitsverbot ergibt sich aus der Verweisung auf Absatz 1.2
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bb) W hat bei K I persönlich das Kollisionsmandat betreut (z.B. für den Mieter), in K II wird das Mandat (im Beispiel: für den Vermieter) von einem anderen Anwalt betreut. Hier gilt die Infektionsregel. K I und K II werden im Ergebnis wie eine Kanzlei behandelt. Durch die persönliche Vorbefassung bei K I „infiziert“ W K II insgesamt. Das Problem kann nur nach § 3 Abs. 2 S. 2 BORA gelöst werden.3
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cc) W war in K I im Kollisionsmandat nicht persönlich tätig, er ist es aber bei K II. Das ist die reziproke Variante zu Rz. 26. Für sie gilt deshalb ebenfalls die Infektionsregel.
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dd) W ist weder bei K I im Kollisionsmandat tätig gewesen noch ist er es bei K II. Gilt auch hier die Infektionsregel?4 Im Einklang mit der (nicht rechtsverbindlichen) Arbeitshilfe der BRAK5 wird hier angenommen, auch dieser Sachverhalt werde von der Erstreckung erfasst. Stellt man die Mandanteninteressen in den Vordergrund, dann ist für ihn Kanzlei = Kanzlei. Der Kanzleiwechsler ist zum Gegner „übergelaufen“, und dort wird, so meint der Mandant (häufig nicht zu Unrecht) auch ein Austausch über seinen Fall stattfinden, wer immer ihn als Sachbearbeiter behandelt (hat). Auch das daraus resultierende Tätigkeitsverbot kann nur über § 3 Abs. 2 S. 2 BORA beseitigt werden.6
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ee) Einen besonderen Sachverhalt behandelt AGH München, AnwBl. 2012, 655. Das Gericht nimmt an, es liege kein Fall einer Interessenkollision vor, wenn ein neu in eine Berufsausübungsgemeinschaft eingetretener Anwalt alleine ein Mandat annimmt, auf dessen Gegenseite ein Anwalt tätig war, der bei Eintritt des Anwalts aus der Berufsausübungsgemeinschaft schon ausgeschieden war. Dann seien beide Anwälte nicht in derselben Berufsausübungs- oder Bürogemeinschaft verbunden gewesen.7
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II. Einverständliche Aufhebung der Tätigkeitsverbote (§ 3 Abs. 2 S. 2, 3 BORA) 1. Verfassungsrechtliche Vorgaben 29
Satz 2 kodifiziert inhaltlich die Vorgaben aus BVerfGE 108, 150 (s. Rz. 17). a) Einzelfallabwägung Geboten ist eine dem Einzelfall gerecht werdende Abwägung.8 Für den Kanzleiwechsel gibt es also kein absolutes Tätigkeitsverbot, sondern nur ein dem konkreten Wechselfall gerecht werdendes. Das ist einzelfallabhängig, d.h. mandatsbezogen, zu klären.
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b) Interessenlage 31
Maßgebend sind die Interessen des betroffenen Mandanten. 1 2 3 4 5 6 7 8
Koch/Kilian, Rz. B 656 ff. Feuerich/Weyland, § 3 Rz. 29. Rz. 29 ff. S. dazu Hartung, NJW 2006, 2721 (2726); Saenger/Risse, MDR 2006, 1385 (1388); Maier-Reimer, NJW 2006, 3601 (3605); Koch/Kilian, Rz. B 660. BRAK-Mitt. 2006, 212 (215). Rz. 29–34. Grundsätzlich zustimmend Deckenbrock, AnwBl. 2012, 594, allerdings verbunden mit dem Zusatz, eine Sicherheit für die rechtliche Beurteilung dieses Sachverhalts gebe es erst durch eine höchstrichterliche Entscheidung, AnwBl. 2012, 594 (596). S. auch BVerfG(K), NJW 2006, 2469 (2470). Gegenüber der „Gefahr des Transports von Vertrauen“ weist Kleine-Cosack, § 3 Rz. 16 zu Recht auf die Maßgeblichkeit der Umstände des Einzelfalls hin.
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§ 43a BRAO/§ 3 BORA Rz. 32
Interessenkonflikt, Versagung der Tätigkeit
aa) Chinese Walls 32
So kann es, gerade bei der Fallgruppe zu Rz. 28 eine Rolle spielen, welche Vorkehrungen in der aufnehmenden Kanzlei in räumlicher oder organisatorischer Hinsicht getroffen worden sind, um Interessenkonflikte zu vermeiden. Das führt zum Stichwort der Chinese Walls.1 Unter Chinese Walls versteht man ein Bündel organisatorischer Maßnahmen, durch die der Informationsfluss innerhalb einer Kanzlei zum Zwecke der Vermeidung von Interessenkonflikten gesteuert wird.2 Zu diesen organisatorischen Vorkehrungen können gehören:3 – Mitwirkungsverbot für den Anwalt, der das Kollisionsmandat betreffende „sensible“ Informationen hat, ggf. gesichert durch eine eidesstattliche Erklärung – Kein Zugang zu den einschlägigen Akten4 – Arbeitsteilung/Ausschluss privater Kontakte – Verfahrensregeln – Supervision – Interdisziplinäre Kontrollen und Maßnahmen. Das alles klingt nicht sehr erfolgversprechend, um wirklich konfligierende Interessen voneinander abzuschotten, bleibt aber dennoch im Prinzip ein sinnvoller Ansatz. bb) Einverständnis
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Der Mandant steuert seine Interessen selbst. Er kann sich deshalb mit der Vertretung5 ausdrücklich einverstanden erklären. Zweckmäßigerweise versichert sich der Anwalt dieses Einverständnisses vor Aufnahme seiner Tätigkeit.6 Und wie immer, wenn ein Einverständnis erklärt werden soll, kann dies nur unter den Vorgaben eines informed consent geschehen, der Mandant muss also „umfassend“7 informiert werden. cc) Belange der Rechtspflege
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Den in § 3 Abs. 2 S. 2 BORA erwähnten „Belangen der Rechtspflege“ kommt keine unmittelbare praktische Bedeutung zu.8 2. Textform (§ 3 Abs. 2 S. 3 BORA)
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Information und Einverständniserklärung „sollen“ (d.h.: im Regelfall) in Textform (§ 126b BGB) erfolgen. Das bedeutet, dass die Erklärung lesbar sein muss. Die Person des Erklärenden muss genannt und der Abschluss der Erklärung muss erkennbar gemacht werden.9 Das erlaubt auch Erklärungen per Fax oder E-Mail. 1 Westerwelle, Rechtsanwaltssozietäten und das Verbot widerstreitender Interessen, 1997, S. 138 f.; Zuck, Anwalts-ABC Berufsrecht, 1999, Stichwort „Chinese Walls“ (S. 63 f.); Kilian, WM 2000, 1366; Kilian, in: Henssler/Streck (Hrsg.), Handbuch des Sozietätsrechts, 2001, H 211 f. Appel/Renz, AnwBl. 2004, 576; Deckenbrock, Strafrechtlicher Parteiverrat und berufsrechtliches Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen, 2009, Rz. 514 ff., 729 ff. (zum US-amerikanischen Anwaltsrecht). 2 Die Ansätze dazu hatten sich unter praktischen Gesichtspunkten bei den früheren Big Five, den (damals) führenden WP-Gesellschaften, entwickelt, s. dazu Zuck, Anwalts-ABC Berufsrecht, 1999, Stichwort „Chinese Walls“, S. 63 f. 3 S. dazu Kilian, WM 2000, 1366. S. dazu auch ausdrücklich BVerfGE 108, 150 (1639). 4 Das betrifft den Sachverhalt, bei dem innerhalb einer (Groß)Kanzlei beide Seiten (in verschiedenen Mandatsbeziehungen) vertreten werden. Das ist auch in Deutschland kein singulärer Fall. Man denke nur an den Öffentlich-Rechtler, der gegen ein Land tätig wird, im (meist bedeutsamen) Einzelfall aber auch – natürlich außerhalb widerstreitender Interessen und nicht in derselben Rechtssache – für dieses Land arbeitet. S. dazu Cornelius, FS Bartenbach, 2005, S. 3 ff. 5 Sie umfasst auch die Beratung. Zur Bedeutung der Einwilligungsmöglichkeiten nach § 3 Abs. 2 BORA siehe Kilian, AnwBl. 2012, 597. 6 Die nachträgliche Heilung ist möglich, Kleine-Cosack, AnwBl. 2006, 13 (16); diese Variante bleibt aber wegen des damit erkennbar verbundenen Risikos gefährlich. 7 BVerfG(K), NJW 2006, 2469 (2470). S. dazu auch Hartung/Hartung, § 3 Rz. 141 ff. 8 A.A. Purrucker, BRAK-Mitt. 2007, 150 (151 f.) und wohl auch Quaas, NJW 2008, 1697 (1698) der als Belange der Rechtspflege nur solche ansieht, die an einer unabhängigen, verschwiegenen und gradlinigen Wahrnehmung der Mandanteninteressen durch den Anwalt Zweifel hervorrufen. Mit Recht ist jedoch die Satzungsversammlung diesen unbestimmten Vorgaben nicht gefolgt. Wie hier – im Ergebnis – Grunewald, NJW 2009, 1563 (1564). 9 Einer eigenhändige Unterschrift (§ 126 Abs. 1 BGB) bedarf es nicht.
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Fremdgelder und andere Vermögenswerte
§ 4 BORA/§ 43a BRAO
III. Rechtsfolgen (Absatz 4) 1. Mandatsbeendigung Wird für den Anwalt erkennbar, dass ein Tätigkeitsverbot gegeben ist, darf er schon gar nicht tätig werden. Die ihm erteilten Mandate muss er beenden. Das betrifft – wohlgemerkt – beide Mandate. Wenn seine Erkenntnis in schuldhafter Weise zu spät gereift ist, unterliegt er den erforderlichen berufsrechtlichen/strafrechtlichen Sanktionen. Von Verschulden ist auch auszugehen, wenn in großen Berufsausübungsgemeinschaften entsprechende Regeln zur Verhinderung von Kollisionsmandaten fehlen, unzureichend sind oder nicht kontrolliert werden.1 Das Ganze gilt, wenn der Anwalt die Mandate nicht unverzüglich (d.h. ohne schuldhaftes Zögern, § 121 Abs. 1 S. 1 BGB) beendet.2 Damit wird jedoch nur die berufsrechtliche Pflicht umschrieben. Zivilrechtlich ist der Anwaltsvertrag wegen § 134 BGB nichtig. Vergütungsansprüche des Anwalts bestehen nicht. Vom Anwalt unter Verstoß gegen § 43a Abs. 4 BRAO, § 3 BORA vorgenommene Rechtshandlungen bleiben jedoch wirksam.
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2. Unterrichtungspflicht Der Anwalt muss „seinen Mandanten“ unverzüglich vom Tätigkeitsverbot unterrichten. „Sein Mandant“ sind alle diejenigen Auftraggeber, auf die sich das Tätigkeitsverbot bezieht.3
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IV. Verschwiegenheitspflichten (Absatz 5) Absatz 5 enthält ein bloßes memento mori.4 Soweit die Tätigkeitsverbote greifen, bleibt die Verschwiegenheitspflicht ohnehin unberührt. Sie gilt aber auch, wenn Einwilligungserklärungen das jeweilige Tätigkeitsverbot entfallen lassen. Fremdgelder und andere Vermögenswerte 4 BORA (1) Zur Verwaltung von Fremdgeldern hat der Rechtsanwalt in Erfüllung
der Pflichten aus § 43a Abs. 5 Bundesrechtsanwaltsordnung Anderkonten zu führen.
(2) 1Fremdgelder und sonstige Vermögenswerte, insbesondere Wertpapiere und andere geldwerte Urkunden, sind unverzüglich an den Berechtigten weiterzuleiten. 2Solange dies nicht möglich ist, sind Fremdgelder auf Anderkonten zu verwalten; dies sind in der Regel Einzelanderkonten. 3Auf einem Sammelanderkonto dürfen Beträge über 15 000,– E für einen einzelnen Mandanten nicht länger als einen Monat verwaltet werden. 4Sonstige Vermögenswerte sind gesondert zu verwahren. 5Die vorstehenden Bestimmungen gelten nicht, solange etwas anderes in Textform vereinbart ist. 6Über Fremdgelder ist unverzüglich, spätestens mit Beendigung des Mandats, abzurechnen. (3) Eigene Forderungen dürfen nicht mit Geldern verrechnet werden, die zweckgebunden zur Auszahlung an andere als den Mandanten bestimmt sind. . . . . . . .
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B. Norminhalt . . . . . . . . . . . . . . I. Absatz 1 (Anderkonten) . . . . . . . . 1. Systematik . . . . . . . . . . . . . .
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A. Allgemeines . . . . . . . I. Ermächtigungsgrundlage . II. Regelungszusammenhänge 1. CCBE . . . . . . . . . . 2. Geldwäschegesetz . . . . III. Tradition . . . . . . . . IV. Funktion . . . . . . . .
. . . . . . .
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2. Fremdgeld . . . . . . . . . . . . . . 3. Anderkonto . . . . . . . . . . . . . . a) Begriff . . . . . . . . . . . . . . . b) Führung der Anderkonten . . . . . . c) Pflicht zur Führung von Anderkonten . II. Absatz 2 . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Systematik . . . . . . . . . . . . . . 2. Fremdgeld und sonstige Vermögenswerte 3. Weiterleitung oder Verwahrung . . . . . a) Weiterleitung . . . . . . . . . . . .
7 8 8 9 10 12 12 13 14 14
1 Das Problem liegt nicht in der Schaffung solcher Kontrollmechanismen, sondern in ihrer inneren Ordnung. Zwar sind Kollisionsmandate innerhalb eines Büros über PC leicht abrufbar. Es fehlt aber in aller Regel an einer verlässlichen Ordnung für die Bezeichnung eines Mandats. Hinzu kommt, dass die Bezeichnungen aus den unterschiedlichsten Gründen wechseln können. 2 Die „unverzügliche“ Beendigungspflicht ergibt sich aus dem Zusammenhang mit der Informationspflicht, wo die Unverzüglichkeit vorgeschrieben ist. 3 Hartung/Hartung, § 3 Rz. 143. 4 Ebenso Hartung/Hartung, § 3 Rz. 157.
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§ 43a BRAO/§ 4 BORA Rz. 1
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aa) Transportrisiko bei Vermögensgegenständen. . . . . . . . . bb) Fremdgeld . . . . . . . . . . cc) Unverzügliche Weiterleitung . . b) Verwahrung . . . . . . . . . . . 4. Die Verwaltung von Fremdgeld . . . . a) Voraussetzungen . . . . . . . . .
Fremdgelder und andere Vermögenswerte . . . . . .
14 15 16 17 18 18
b) Fremdgeld . . . . . . . . . . . . . 5. Die Verwahrung sonstiger Vermögenswerte 6. Abweichende Vereinbarung . . . . . . . III. Abrechnungsverhalten . . . . . . . . . 1. Abrechnungspflichten . . . . . . . . . 2. Zweckgebundenes Geld . . . . . . . . 3. Hebegebühr . . . . . . . . . . . . . .
19 20 21 22 22 23 24
A. Allgemeines I. Ermächtigungsgrundlage 1
§ 4 BORA beruht auf § 59b Abs. 2 Nr. 1 f. BRAO, der als mögliche Regelung der auch den „Umgang mit fremden Vermögenswerten“ eröffnet. Die Vorschrift des § 4 BORA konkretisiert § 43a Abs. 5 BRAO. Die jetzige, am 1.7.2009 in Kraft getretene1 Fassung des § 4 BORA beruht auf den Beschlüssen der 2. Sitzung der 4. Satzungsversammlung der Bundesrechtsanwaltskammer vom 14.11.2008 in Berlin.2 II. Regelungszusammenhänge 1. CCBE
2
§ 4 BORA entspricht für den grenzüberschreitenden Verkehr dem allgemeinen Sinn nach die Regelung in Nr. 3.8 CCBE, die sich allerdings – wenn auch sehr ausführlich – nur mit „Mandantengeldern“, nicht mit sonstigen dem Anwalt anvertrauten Vermögenswerten befasst. 2. Geldwäschegesetz
3
Zu beachten ist außerdem das GwG,3 das dem Anwalt ggf. besondere Pflichten bei der Einzahlung fremder Gelder auf ein Anderkonto auferlegt. III. Tradition
4
Vorgänger des § 4 BORA ist § 47 RichtlRA.4 IV. Funktion
5
Der korrekte Umgang in Geldsachen ist für den Anwaltsberuf von elementarer Bedeutung.5 Die damit verbundenen Berufspflichten reagieren auf die Tatsache, dass Geld per se 1 Bescheid des BMJ v. 12.3.2009 lit. C, BRAK-Mitt. 2009, 65 (66). 2 Dahns, BRAKMagazin 6/2008, S. 9; BRAK-Mitt. 2009, 65. Der Ausschuss 3 (Geld, Vermögensinteressen, Honorar) hatte eine Reihe substantieller Änderungen des § 4 BORA vorgeschlagen. Sie fanden in der Satzungsversammlung durchweg nicht die erforderlichen Mehrheiten, vgl. Protokoll der 2. Sitzung der 4. Satzungsversammlung vom 8.12.2008, S. 24 ff. Das erklärt die beschlossenen Änderungen in § 4 Abs. 2 S. 2 2. Hs., § 4 Abs. 2 S. 5 und 6 BORA. Die darin enthaltenen bloßen Klarstellungen sind der in der Satzungsversammlung übriggebliebene „Restposten“ aus einer Gesamtnovellierung des § 4 BORA. Auf diese (für sich genommenen überflüssigen) Klarstellungen hätte die Satzungsversammlung besser überhaupt verzichtet. 3 Geldwäschegesetz v. 13.8.2008 i.d.F. v. 4.7.2013 (BGBl. I, S. 2178). S. dazu Leitner, AnwBl. 2003, 675; Spieker, FS zum 125-jährigen Bestehen der Rechtsanwaltskammer Hamm, 2004, S. 359; Zuck, Juristischer Zeitgeist 2007, 190. S. dazu auch § 43 BRAO Rz. 34; § 11 BORA Rz. 28. 4 „§ 47 Geldverkehr (1) Bei der Behandlung der dem Rechtsanwalt anvertrauten fremden Vermögenswerte ist größte Sorgfalt unerlässliche Voraussetzung für die Vertrauensstellung des Rechtsanwalts. Auch der bloße Anschein der Lässigkeit muss vermieden werden. (2) Fremde Gelder sollen unverzüglich an den Empfangsberechtigten weitergeleitet werden. Andernfalls müssen sie auf ein Anderkonto eingezahlt werden, soweit nichts anderes vereinbart ist. (3) Andere fremde Vermögenswerte, insbesondere Wertpapiere und sonstige geldwerte Urkunden dürfen nicht mit dem eigenen Vermögen vermischt werden. (4) Nach Beendigung eines Auftrags hat der Rechtsanwalt unverzüglich und ordnungsgemäß abzurechnen. (5) Zur Deckung eigener Kostenforderung darf der Rechtsanwalt fremde Gelder nicht verwenden, soweit diese zweckgebunden sind. Eingegangene Unterhaltsbeträge darf der Rechtsanwalt nur insoweit auf eigene Kostenforderungen verrechnen, als sie den angemessenen Unterhaltsbedarf des Berechtigten offensichtlich übersteigen.“ 5 Vgl. Lingenberg/Hummel/Zuck/Eich/Zuck, § 87 RichtlRA Rz. 2. Nachdrücklich und beherzigenswert in diesem Sinne auch Koch/Kilian, Rz. B 738; s.a. Henssler/Prütting/Henssler, § 43a BRAO Rz. 217.
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Fremdgelder und andere Vermögenswerte
Rz. 9 § 4 BORA/§ 43a BRAO
verführerisch wirkt. Sinn und Zweck des § 4 BORA (wie schon des § 43a Abs. 5 BRAO), liegen deshalb in der Sicherung der uneingeschränkten Integrität des Anwalts in seiner Stellung als unabhängigem Organ der Rechtspflege.1 Es geht also um den Schutz des allgemeinen Vertrauens in die Funktionsfähigkeit der Anwaltschaft in der Rechtspflege. Die Regelungen dienen aber auch dem Schutz der Mandanteninteressen. Der Mandant soll dem Anwalt nicht nur persönlich (etwa in der Wahrung der ihm anvertrauten Informationen), sondern auch im finanziellen Bereich vertrauen dürfen. Das Berufsrecht hat insoweit vorbeugend-erzieherische Funktion. Es liegt den nicht immer abschreckenden strafrechtlichen Sanktionen, wenn es sich etwa um Unterschlagung (§ 246 StGB), Untreue (§ 266 StGB) oder Betrug (§ 263 BGB) handelt, voraus. B. Norminhalt I. Absatz 1 (Anderkonten) 1. Systematik Absatz 1 knüpft an § 43a Abs. 5 S. 2 BRAO an, bezieht sich also auf die Fremdgelder, die nicht unverzüglich an den Berechtigten weitergeleitet werden können oder sollen. Die Weiterleitungspflichten des § 43a Abs. 5 S. 2 BRAO werden in Absatz 2 konkretisiert.2 Die Verwahrung von Fremdgeld auf einem Anderkonto kommt also erst und nur dann in Betracht, wenn die unverzügliche Weiterleitung ausscheidet.
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2. Fremdgeld Fremdes Geld ist Geld, das dem Anwalt materiell-rechtlich nicht zusteht. Auch der anwaltliche Treuhänder oder Verwalter erhält in dieser Funktion fremdes Geld. Formell kann der Anwalt durchaus Gläubiger der Geldforderung, etwa bei einer Abtretung zur Einziehung, sein. Darauf kommt es jedoch nicht an. Das Geld bleibt Fremdgeld.
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3. Anderkonto a) Begriff Weder § 43a Abs. 5 BRAO noch § 4 BORA sagen etwas über den Begriff des Anderkontos. Bankrechtlich ist das Anderkonto ein offenes Treuhandkonto für bestimmte Berufsgruppen, deren Berufsrecht einen pflichtgemäßen Umgang mit zu treuen Händen überlassenen Vermögensgegenständen vorschreibt.3 Das offene Treuhandkonto ist bankrechtlich dadurch gekennzeichnet, dass der Kontoinhaber gegenüber dem Kreditinstitut offen legt, dass das Konto ausschließlich zur Aufnahme von Geldern bestimmt ist, die der Kontoinhaber in seiner Funktion erhält.4 Vermischt der Anwalt auf dem Anderkonto fremde und eigene Gelder, liegt kein Anderkonto mehr vor.5
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b) Führung der Anderkonten Für die Führung von Anderkonten gibt es – bankrechtlich – besondere „Bedingungen für Anwaltskonten und Anwaltsdepots von Rechtsanwälten und Gesellschaften von Rechtsanwälten“ in der Fassung 12/2001.6 1 2 3 4
BT-Drs. 12/4993, S. 28. Rz. 14–17. BGHZ 109, 47 (51) – Vergleichsverwalter. Zur Treuhand allgemein siehe Riechert, AnwBl. 2012, 458. BGH, WM 1996, 249 (251). Der Anwalt, der auf einem Anderkonto Geld erhält, das von einem Dritten in Erfüllung einer mit dem Mandanten getroffenen Vereinbarung geleistet wird, handelt in der Regel als Vertreter seiner Auftraggebers, BGH, NJW 2007, 267 (Bereitstellung einer Kaution). S.a. HambAnwG, BRAKMitt. 2008, 278: Unberechtigte Anweisungen durch den Mandanten und der Gegenpartei, einen Geldbetrag zur Sicherung eines Räumungsanspruchs der Gegenpartei zu verwahren (als Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen) und dazu krit. Kahlert, BRAK-Mitt. 2009, 264. 5 Hadding/Häuser, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechtshandbuch, Bd. I, 3. Aufl. 2007, § 37 Rz. 39. 6 „Begriffsbestimmungen 1. (1) Für Rechtsanwälte oder Gesellschaften von Rechtsanwälten (im Weiteren: „Kontoinhaber“) werden Anderkonten und Anderdepots (beide im Folgenden „Anderkonten“ genannt) eingerichtet. Diese dienen der Verwahrung von Vermögenswerten eines Mandanten, die dem Kontoinhaber anvertraut wurden. Der Bank gegenüber ist nur der Kontoinhaber berechtigt und verpflichtet.
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Fremdgelder und andere Vermögenswerte
c) Pflicht zur Führung von Anderkonten 10
Absatz 1 ist so zu verstehen, dass jeder Anwalt ein Anderkonto einrichten und unterhalten muss. Ob diese Vorschrift in der Praxis ernst genommen wird, ist zu bezweifeln. Es ist auch schwer zu sehen, was sich die Satzungsversammlung gedacht hat. Die h.M. nimmt nämlich an, das Anderkonto müsse vorgehalten werden, damit es schon beim ersten Anwendungsfall vorhanden sei.1 Nimmt man das ernst und will man wegen der Monatsbegrenzung in Absatz 2 Satz 3 dem Sammelanderkonto ausweichen, so muss nach jeder Inanspruchnahme eines Anderkontos ein neues Vorhalte-Anderkonto für künftigen zusätzlichen Anderkontenbedarf eingerichtet werden. In Großkanzleien oder in Kanzleien mit viel Fremdgeldverkehr ist das nicht realisierbar. Und dann muss man sich fragen, ob „der Rechtsanwalt“ wirklich „jeder Rechtsanwalt“ ist, also in einer Sozietät jeder der, sagen wir, 100 Anwältinnen (2) Ein Sammelanderkonto dient der Verwahrung von Vermögenswerten verschiedener Mandanten. Kontoeröffnung 2. (1) Bei jeder Kontoeröffnung ist der Kontoinhaber verpflichtet, den Namen und die Anschrift desjenigen mitzuteilen, für dessen Rechnung er handelt (wirtschaftlich Berechtigter). Wird das Anderkonto vom Kontoinhaber für einen anderen als den nach Satz 1 benannten wirtschaftlich Berechtigten wieder verwendet, ist der Kontoinhaber verpflichtet, unverzüglich Name und Anschrift des neuen wirtschaftlich Berechtigten schriftlich mitzuteilen. (2) Beantragt der Kontoinhaber die Eröffnung eines Sammelanderkontos, ist dieses als „Sammelanderkonto“ kenntlich zu machen. Nr. 2 Abs. 1 gilt nicht für Sammelanderkonten, jedoch ist der Kontoinhaber auf Verlangen der Bank verpflichtet, Namen und Anschrift des oder der wirtschaftlich Berechtigten schriftlich mitzuteilen. (3) Auf Wunsch des Kontoinhabers kann die Bank weitere Anderkonten auch ohne schriftlichen Kontoeröffnungsantrag einrichten. 3. Ist der Rechtsanwalt auch Notar (Anwaltsnotar, Notaranwalt) oder Patentanwalt, so führt die Bank seine Anderkonten als Rechtsanwalts-Anderkonten, sofern er nicht beantragt hat, ein Anderkonto als Notar- oder als Patentanwalts-Anderkonto zu führen. Kontoführung 4. Der Kontoinhaber darf Werte, die seinen eigenen Zwecken dienen, nicht einem Anderkonto zuführen oder auf einem Anderkonto belassen. Diese Werte sind auf ein Eigenkonto zu übertragen. 5. Der Kontoinhaber sorgt dafür, dass auf einem Sammelanderkonto in der Regel Werte über 15.000 Euro für einen einzelnen Mandanten nicht länger als einen Monat verbleiben. 6. Die Eigenschaft eines Kontos als Anderkonto kann nicht aufgehoben werden. Ist der Rechtsanwalt auch Notar (Anwaltsnotar, Notaranwalt) oder Patentanwalt, so kann er bestimmen, dass ein Anderkonto in Zukunft als Notar- oder Patentanwalts-Anderkonto zu führen ist. 7. Eine Kontovollmacht darf der Kontoinhaber nur einem Rechtsanwalt, Notar, Notarsassessor, Patentanwalt, Wirtschaftsprüfer, vereidigtem Buchprüfer, Steuerberater oder Steuerbevollmächtigten erteilen. 8. Die Bank nimmt unbeschadet der Regelung in Nr. 2 Abs. 1 keine Kenntnis vom Rechtsverhältnis zwischen Kontoinhaber und seinem Mandanten. Rechte des Mandanten auf Leistung aus einem Anderkonto oder auf Auskunft über ein Anderkonto bestehen der Bank gegenüber nicht; die Bank ist demgemäß nicht berechtigt, dem Mandanten Verfügungen über ein Anderkonto zu gestatten oder Auskunft über das Anderkonto zu erteilen, selbst wenn nachgewiesen wird, dass das Konto im Interesse des Mandanten errichten worden ist. 9. Die Bank prüft die Rechtmäßigkeit der Verfügungen des Kontoinhabers in seinem Verhältnis zu Dritten nicht, auch wen es sich um Überweisungen von einem Anderkonto auf ein Eigenkonto handelt. 10. Ansprüche gegen die Bank aus Anderkonten sind nicht abtretbar und nicht verpfändbar. 11. Im Falle der Pfändung wird die Bank den pfändenden Gläubiger im Rahmen der Drittschuldnererklärung auf die Eigenschaft als Anderkonto hinweisen. 12. Die Bank wird bei einem Anderkonto weder das Recht der Aufrechnung noch ein Pfand- oder Zurückbehaltungsrecht geltend machen, es sei denn wegen Forderungen, die in Bezug auf das Anderkonto selbst entstanden sind. Rechtsnachfolge 13. (1) Wird das Anderkonto als Einzelkonto für einen Rechtsanwalt geführt, so wird im Falle seines Todes die zuständige Rechtsanwaltskammer oder die von ihr bestimmte Person Kontoinhaber, bis die Landesjustizverwaltung einen Abwickler bestellt. (2) Absatz 1 gilt entsprechend, wenn der Kontoinhaber infolge Zurücknahme oder Erlöschens seiner Zulassung aus der Rechtsanwaltschaft ausscheidet oder gegen ihn ein Berufs- oder Vertretungsverbot verhängt ist. Wird im Falle eines Berufs- oder Vertretungsverbots von der Landesjustizverwaltung ein Vertreter für den Kontoinhaber bestellt, so tritt dieser an die Stelle der in Absatz 1 genannten Personen. Die Wirksamkeit von Rechtshandlungen des Rechtsanwalts wird durch ein Berufs- oder Vertretungsverbot nicht berührt (§ 155 Abs. 5 BRAO).“ S. dazu die Kommentierung von Bunte, AGB-Banken und Sonderbedingungen, 2. Aufl. 2009. 1 Ausführlich zur Begründung Koch/Kilian, Rz. B 742; Feuerich/Weyland, § 43a BRAO Rz. 91. Ausführlich zur „Pflicht zur Errichtung eines Anderkontos“, Johnigk, BRAK-Mitt. 2012, 104. Johnigk bestätigt im Ergebnis die hier vertretene Ansicht, dass ein Anderkonto nicht generell, sondern nur anlassbezogen zu führen ist; a.A. noch Hartung/Nerlich, 4. Aufl., § 4 Rz. 19.
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Fremdgelder und andere Vermögenswerte
Rz. 14 § 4 BORA/§ 43a BRAO
und Anwälte. Da jeder Anwalt nämlich ein Vorbehaltsmandat bekommen könnte, käme dafür das Sozietäts-Anderkonto nicht in Betracht; für diesen Fall würde dann kein Anderkonto vorgehalten worden sein. Dem allem kann man mit einer verfassungskonformen Auslegung des Absatz 1 ausweichen: Da der Anwalt das Anderkonto „zur Verwaltung von Fremdgeldern“ zu führen hat, und ihn auch nur insoweit Pflichten aus § 43a Abs. 5 BRAO treffen können, ist das die Prämisse für die Pflicht, überhaupt ein Anderkonto zu führen. Das Anderkonto ist also bei richtigem Verständnis des Absatzes 1 nicht generell, sondern nur anlassbezogen zu führen. Da die Einrichtung eines Anderkontos ein bagatellarisch-bürokratischer Akt ist, schon deshalb, weil der Anwalt ohnehin ein Geschäftskonto führt, sind mit diesem Verständnis der Vorschrift auch keine ins Gewicht fallenden Verzögerungen bei der Weiterleitung des Fremdgelds auf ein Anderkonto verbunden. Zugleich erledigt sich mit dieser Auslegung auch die Kritik, § 4 Abs. 1 BORA sei eine unverhältnismäßige Regelung.
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II. Absatz 2 1. Systematik Absatz 2 unterscheidet zwischen Berufspflichten, die sich auf Fremdgelder (Absatz 2 Satz 1–3) und auf „sonstige Vermögenswerte“ (Absatz 2 Satz 4) beziehen. Die Regelung geht für beide Fallgruppen vom Grundsatz der „unverzüglichen Weiterleitung an den Berechtigten“ aus (Absatz 2 Satz 1), wo das ausscheidet, bestimmt sie die Vorgaben für die Verwaltung/Verwahrung (Absatz 2 Satz 2–4).
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2. Fremdgeld und sonstige Vermögenswerte Das Substrat der Berufspflichten aus § 4 BORA sind Fremdgelder und sonstige Vermögenswerte. Zu Fremdgeldern s. Rz. 7. „Sonstige Vermögenswerte“ sind gem. Absatz 2 Satz 1 nach dem Insbesondere-Zusatz zunächst einmal „Wertpapiere und andere geldwerte Urkunden“. Da auch das Wertpapier eine Urkunde darstellt,1 muss es sich bei der „anderen“ geldwerten Urkunde um Nicht-Wertpapiere handeln. Geldwert ist eine Urkunde nur, wenn sie unmittelbar geldwerte Ansprüche verbrieft, wie z.B. Schuldscheine, Testamente, Frachtbriefe. Viele Urkunden können in einem übertragenen Sinn „geldwert“ sein, etwa, weil mit ihrer Hilfe etwas bewiesen werden kann, was in der Folge einen geldwerten Vorteil verspricht. Diese „mittelbaren“ geldwerten Urkunden werden von Absatz 2 Satz 1 nicht erfasst. Die meisten anderen geldwerten Urkunden werden eine Funktion im Rahmen des Anwaltsmandats haben. Für sie ist dann regelmäßig, entsprechend Absatz 2 Satz 4 „etwas anderes zu vereinbaren“.2 Über die Insbesondere-Klausel hinaus erfasst Absatz 2 alle anderen Vermögenswerte. Da jeder Gegenstand einen Vermögenswert hat, liegt das richtige Verständnis objektiv in der Bestimmung eines besonderen Wertes entsprechend der Verkehrsanschauung. Im Einzelfall kann auch der subjektive (Affektions)Wert eine Rolle spielen. Der gängige Katalog „anderer Vermögensgegenstände“ erfasst Edelsteine, Edelmetalle, Schmuck, Kunstgegenstände, umschreibt damit aber nur klassische Vermögensgegenstände. Letzten Endes kann jeder Gegenstand unter den vorstehend näher gekennzeichneten Voraussetzungen zu einem „anderen Vermögenswert“ im Sinne des Absatz 2 Satz 1 werden.
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3. Weiterleitung oder Verwahrung a) Weiterleitung aa) Transportrisiko bei Vermögensgegenständen Grundsätzlich ist der Anwalt verpflichtet, Fremdgeld und andere Vermögenswerte unverzüglich an den Berechtigten weiterzuleiten (Absatz 2 Satz 1). Er muss sich also verlässlich über die Person des Berechtigten informieren. Die Weiterleitung geschieht, weil es sich um eine anwaltliche Grundpflicht handelt, wenn nichts anderes vereinbart ist, auf Kosten des Anwalts. Er muss auch alles tun, um Transportrisiken bei der Weiterleitung zu vermeiden. Das kann aber nur im Rahmen des Zumutbaren geschehen. Eine Versicherungspflicht für weiter1 Baumbach/Hefermehl/Casper, Wechselgesetz, Scheckgesetz, Recht der kartengestützten Zahlungen, 23. Aufl. 2008, WPR 3. Dort auch zur Einordnung von Plastik-Karten, wie etwa Visa, als Wertpapier. 2 Rz. 20.
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§ 43a BRAO/§ 4 BORA Rz. 15
Fremdgelder und andere Vermögenswerte
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zuleitende Vermögenswerte hat der Anwalt nur, wenn das so, einschließlich der Regelung für die Prämienzahlung, vereinbart worden ist. In vielen Fällen ist, wenn es sich um „andere Vermögenswerte“ handelt, die Abholung durch den Berechtigten der sicherste Weg. Sie kann eine Form der Weiterleitung sein. Der Anwalt kann die Abholung jedoch nicht erzwingen. bb) Fremdgeld 15
Die Weiterleitung von Fremdgeld erfolgt durch Überweisung oder Barübergabe. Im Einzelfall kann die Weiterleitungspflicht umstritten sein.1 cc) Unverzügliche Weiterleitung
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Die Weiterleitung muss unverzüglich, d.h. ohne schuldhafter Zögern (§ 121 Abs. 1 S. 1 BGB) erfolgen. Verbreitet dem Anwalt zugebilligte Großzügigkeit in der Auslegung dieser Vorgabe, z.B. eine Woche für Bargeld, drei Wochen für Buchgeld2 und das mag dann erst recht für die Weiterleitung „anderer Vermögenswerte“ gelten, haben keine gesetzliche Grundlage und sind auch nicht angebracht. Grundsätzlich muss es dem Anwalt möglich sein, Bargeld und Buchgeld tagesgleich weiterzuleiten; das schließt in besonderen Konstellationen (Wochenende, Vor-Feiertage, Rosenmontag in Köln) und bei besonderen persönlichen Umständen (plötzliche Erkrankung des Anwalts/der zuständigen Bürokraft) die Inanspruchnahme längerer Zeiten nicht aus. Die Pflicht zur unverzüglichen Weiterleitung wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass es – z.B. in Großkanzleien – inzwischen auch eine ämtergleiche Bürokratie gibt: Die interne Notwendigkeit, die Controlling-Abteilung einschalten zu müssen, beeinflusst zwar das reale Tempo der Weiterleitung, aber nicht das rechtliche. Drei Wochen bei Buchgeld, und – im Regelfall – bei anderen Vermögenswerten muss man als groben Verstoß gegen das Unverzüglichkeitsgebot einstufen. b) Verwahrung
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Die Verwahrung ist ein Unterfall der Verwaltung. Fremdgeld ist zu verwalten (Absatz 2). Andere Vermögenswerte sind zu verwahren, d.h. so aufzubewahren, dass der Vermögenswert unangetastet bleibt. 4. Die Verwaltung von Fremdgeld a) Voraussetzungen
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Die Verwaltung setzt voraus, dass die unverzügliche Weiterleitung nicht möglich ist. Das ist manchmal schon beim Zugang des Fremdgeldes evident, etwa, wenn das mögliche Empfängerkonto unbekannt ist und der Empfänger unbekannt verzogen ist. Manchmal setzt das eine Klärung der Verhältnisse voraus, so etwas bei einer Mehrheit von Berechtigten, wie z.B. einer Erbengemeinschaft. Die Klärung muss aber unverzüglich möglich sein, weil davon die Weiterleitungspflicht abhängt. Zwar könnte man sich auf den Standpunkt stellen, solange der Anwalt den Berechtigten in sinnvoller Weise ermittle, handle er ohne schuldhaftes Zögern und die Weiterleitung bleibe bis zum Ende der Ermittlungen möglich. Da sich aber das Merkmal der Unverzüglichkeit auf die Weiterleitungspflicht und nicht auf die Ermittlungsnotwendigkeiten bezieht, führt die bestehende Unmöglichkeit der Weiterleitung zur Verwaltungspflicht. b) Fremdgeld
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Die Verwaltung von Fremdgeld erfolgt in der Regel auf Einzelanderkonten. Bei Sammelanderkonten dürfen Beträge über 15 000 Euro nicht länger als einen Monat verwaltet werden (Absatz 2 S. 3).3 1 S. dazu AGH Saarbrücken, OLGR 2001, 395; OLG Düsseldorf, VersR 2008, 231; OLG Saarbrücken, NJW-RR 2008, 696. Hat der Rechtsschutzversicherer des Mandanten an den Anwalt Kostenvorschüsse geleistet, hat der Anwalt Zahlungen des unterlegenen Prozessgegners zur Kostenerstattung an Rechtsschutzversicherer auszuzahlen. Zwar fehlt es insoweit an vertraglichen Rechtsbeziehungen. Die Pflicht folgt aber aus den Regeln der Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 677, 681 Satz 2, 667 BGB). 2 Kilian/Koch, Rz. B 742. 3 Johnigk, BRAK-Mitt. 2012, 104 (106 f.) weist zu Recht darauf hin, dass eine Differenzierung zwischen Einzel- und Sammelanderkonten nicht (mehr) vorgesehen ist, wenn man von der 15 000 Euro-Regelung absieht.
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§ 43b BRAO
Werbung 5. Die Verwahrung sonstiger Vermögenswerte
Absatz 2 S. 4 verlangt „gesonderte Verwahrung“, sagt aber nicht wo und wie. Naheliegend ist ein Anderdepot bei der Bank. Wenn die gesonderte Verwahrung möglich ist, kommt auch ein Kanzleisafe in Betracht. „Gesondert“ wird die Verwahrung im Kanzleisafe nur möglich sein, wenn in ihm keine zusätzlichen Vermögenswerte verwahrt werden, oder wenn es sich um einen (Groß)Safe handelt, der ein isoliert abschließbares Sonderfach enthält. Es ist zu bezweifeln, dass ein Kunstgegenstand, ein wertvoller Teppich oder ein Gemälde in der Kanzlei so aufbewahrt werden können, dass die Unantastbarkeit des Vermögenswerts1 gewährleistet ist.
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6. Abweichende Vereinbarung Für alle Weiterleitungs-, Verwaltungs- und Verwahrungspflichten gilt, d.h. „für alle vorstehenden Bestimmungen“, dass mit dem Berechtigten in Textform etwas anderes vereinbart werden kann. „Textform“ bezieht sich auf die in § 126b BGB aufgeführten Möglichkeiten (Absatz 2 S. 5).
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III. Abrechnungsverhalten 1. Abrechnungspflichten § 4 Abs. 2 S. 6 BORA hebt hervor, dass die schon aus § 23 BORA resultierenden Abrechnungspflichten gegenüber dem Mandanten unverändert bestehen bleiben, also mit den berufsrechtlichen Pflichten im Zusammenhang mit Fremdgeld und anderen Vermögenswerten nichts zu tun haben. Die Neufassung des § 4 Abs. 2 S. 6 BORA, die gegenüber der Altfassung auf die Erwähnung des § 23 BORA verzichtet, dient lediglich der Klarstellung.
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2. Zweckgebundenes Geld § 4 Abs. 3 BORA statuiert, entsprechend § 366 Abs. 1 BGB, den Vorrang des Bestimmungsrechts des Zahlenden über die Verwendung des Geldes. Geht also in dieser Weise zweckgebundenes Geld ein, z.B. als Unterhaltsleistung oder Mietzinszahlung an den NichtMandanten, so unterliegt der Anwalt einem Aufrechnungsverbot hinsichtlich seiner eigenen Forderungen gegenüber dem Mandanten. Nicht zweckgebundenes Fremdgeld bleibt dagegen grundsätzlich aufrechnungsfähig.2 Soll das Geld aber bestimmungsgemäß dem Mandanten zufließen, so steht dem Anwalt, eine entsprechende Aufrechnungslage vorausgesetzt,3 gegenüber dem Mandanten eine entsprechende Aufrechnungsbefugnis wegen seiner eigenen ihm gegenüber dem Mandanten bestehenden Forderungen zu.4
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3. Hebegebühr Rechtsanwälte sind nach VV Nr. 1009 befugt, für die Entgegennahme, Verwahrung und Weiterleitung von Fremdgeld eine Hebegebühr zu berechnen. Sie beträgt bei einem Betrag von bis zu 2 500 Euro 1,0 %, von einem Mehrbetrag bis einschließlich 10 000 Euro 0,5 % sowie von dem Mehrbetrag über 10 000 Euro 0,25 %.
43b BRAO Werbung Werbung ist dem Rechtsanwalt nur erlaubt, soweit sie über die berufliche Tätigkeit in Form und Inhalt sachlich unterrichtet und nicht auf die Erteilung eines Auftrags im Einzelfall gerichtet ist. A. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . II. Befürchtungen nach Freigabe der Werbung . . . . . . . . . . . . . . .
1 1 2
III. Verfassungsrechtliche Vorgaben. . . . .
3
B. Zweck der Norm . . . . . . . . . . . . I. Einschränkung der Berufs- und Meinungsfreiheit durch § 43b BRAO . . .
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1 Rz. 16. 2 BGH, NJW 2003, 57, anders, wenn die Aufrechnung gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) verstößt, OLG Karlsruhe, AnwBl. 2004, 658, etwa, wenn das Fremdgeld auch dem künftigen Lebensunterhalt des Mandanten zu dienen bestimmt ist, OLG Düsseldorf, AnwBl. 2005, 787. 3 Zu dieser s. BGH, NJW 1993, 2042. 4 S. OLG Köln, AnwBl. 1999, 608, s.a. BGH, NJW 1998, 290 und dazu Henke, AnwBl. 2007, 290.
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§ 43b BRAO Rz. 1
Werbung
II. Verhältnis zwischen Berufsrecht und Werberecht . . . . . . . . . . . . . . III. Verhältnis des § 43b BRAO zu den §§ 6–10 BORA . . . . . . . . . . . . . C. § 43b BRAO . . . . . . . . . . . . . I. Begriff der Werbung . . . . . . . . . II. Zulässiger Umfang der anwaltlichen Werbung . . . . . . . . . . . . . . 1. Sachliche, berufsbezogene Werbung in Form und Inhalt . . . . . . . . . . . 2. Bewertung einzelner Werbemaßnahmen a) Angaben zum Rechtsanwalt . . . . b) Internetauftritt . . . . . . . . . . c) Werbeslogans . . . . . . . . . . . d) Zusammenarbeit mit den Medien. . e) Veranstaltungen/Messen. . . . . .
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f) Rundschreiben . . . . . . . . . . . g) Werbemittel . . . . . . . . . . . . h) Kooperationen/Zusammenschlüsse/ Zusammenarbeit . . . . . . . . . . i) Bezeichnung als Experte/Spezialist etc. . . . . . . . . . . . . . . . . j) Werbung mit Selbstverständlichkeiten – insbesondere Zulassungsangaben . . k) Weitere Werbemethoden. . . . . . . 3. Verbot der Werbung um ein einzelnes Mandat . . . . . . . . . . . . . . . .
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D. Arbeitshilfen/Praxistipps . . . . . . . .
28
§ 6 BORA
Werbung (S. 640 ff.)
§ 7 BORA
Benennung von Teilbereichen der Berufstätigkeit (S. 642 ff.)
23 24 25 26 27
§ 7a BORA Mediator (S. 648 ff.)
A. Allgemeines I. Einführung 1
§ 43b BRAO signalisiert mit seinem Inkrafttreten im Jahr 1994 am deutlichsten den Wandel in der Tätigkeit des Rechtsanwalts. War ihm bis zu den „Bastille-Entscheidungen“ des BVerfG1 Werbung weitgehend verboten, so hat sich dies in den vergangenen Jahren grundlegend geändert.2 Werbung gehört heute selbstverständlich zur Berufsausübung des Rechtsanwalts. Sie ist alleine aufgrund der großen Zahl der zugelassenen Rechtsanwälte (Stand 1.1. 2014: ca. 164 000) notwendig, um sich auf dem Markt der anwaltlichen Dienstleistungen behaupten zu können. Zudem ermöglicht sie es dem Anwalt den Umfang seines Angebots an Dienstleistungen zu beschreiben und entsprechend darzustellen. Denn im Gegensatz zur Auffassung noch immer vieler Rechtsanwälte und Verbraucher ist heute nicht mehr jeder Anwalt in der Lage, eine umfassende Rechtsberatung in allen Rechtsgebieten anbieten zu können. Wenn es 2–3 Rechtsgebiete sind, ist der Rechtsanwalt schon engagiert. Ursächlich dafür ist die auch weiterhin zunehmende Komplexität unseres Rechtssystems, gerade auch im Zusammenspiel zwischen Gesetzgebung, Rechtsprechung und Literatur. Es ist einem einzelnen Rechtsanwalt kaum möglich, einen entsprechenden Überblick zu behalten. So veröffentlichen alleine die Zivilsenate des BGH rund 600–700 sog. „Leitsatz-Entscheidungen“ im Jahr, also Entscheidungen, die die Bundesrichter nach ihrer, zugegebenermaßen oft subjektiven, Auffassung für wichtig und veröffentlichungswürdig halten. Hier den Überblick zu behalten, insbesondere aber die entsprechenden Schlussfolgerungen aus den Entscheidungen für die anwaltliche Praxis zu ziehen, ist über alle Fachgebiete hinweg kaum möglich. Daher ist heute eine Spezialisierung des Rechtsanwalts notwendig, um eine qualifizierte Rechtsberatung anbieten zu können. Diese Spezialisierung weisen dabei allerdings nicht nur Rechtsanwälte in größeren Sozietäten auf, sondern selbstverständlich auch Rechtsanwälte in Einzelkanzleien, Bürogemeinschaften, Kooperationen oder in kleineren Sozietäten. Unumgänglich ist daher die Information des Verbrauchers darüber, welche Dienstleistung der jeweilige Rechtsanwalt anbietet. Diese Information muss sich der Bürger rasch und zuverlässig beschaffen können. Dabei ist zu beachten, dass sich das Verhältnis des Bürgers zur Werbung verändert hat. Der Verbraucher verlangt – von der Rechtsprechung oft auch als mündiger, verständiger Bürger bezeichnet – immer mehr nach sachlicher Information und ist damit in der Lage, zwischen verschiedenen Angeboten zu unterscheiden. II. Befürchtungen nach Freigabe der Werbung
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Mit der weitgehenden Freigabe der Werbung der Rechtsanwälte waren Befürchtungen geäußert worden, dass die Werbung des Berufsstandes ausufern könnte. Diese Bedenken Anfang der 90er Jahre haben sich in keiner Weise bewahrheitet.3 Die deutsche Anwaltschaft ist mit den neuen Möglichkeiten vernünftig, zum Teil sogar übervorsichtig, umgegangen. Auffällig war dabei, dass es meistens Anwaltskollegen waren, die mit der Werbung ihrer Konkur1 BVerfGE 76, 196. 2 Zur Entwicklung nach den Entscheidungen s. Wolf, NJ 2013, 10; Knauer/Wolf, BRAK-Mitt. 2007, 142. 3 So schon Huff, MDR 1999, 464.
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Rz. 6 § 43b BRAO
renten nicht einverstanden waren und nur ganz selten Verbraucher und ihre Verbände gegen das Auftreten von Rechtsanwälten vorgegangen sind. Auch die Rechtsanwaltskammern klagten – unabhängig von der Frage, ob sie dazu eine Befugnis haben, selten – zu Recht – gegen ihre Mitglieder.1 Gelegentlich hat man bei den Verfahren Kollegen gegen Kollegen den Verdacht, dass der Neidfaktor eine nicht unerhebliche Rolle spielt, weil man nicht die gleiche gute Idee wie der Kollege hatte. Als Beispiel mögen hier die Fälle der Informationsveranstaltungen für und der Rundschreiben an Nichtmandanten angesehen werden. Hier musste erst der Wettbewerbssenat des BGH2 klarstellen, dass es sich in beiden Fällen zwar um Werbung, aber um eine sachbezogene und damit zulässige, handelte. Die Liste dieser Beispiele ließe sich fortsetzen. III. Verfassungsrechtliche Vorgaben Um den Bürgern die gewünschte Information anbieten zu können, darf der Rechtsanwalt mit seiner Dienstleistung an die Öffentlichkeit treten. Dies ist essentieller Bestandteil des Rechts auf freie Berufsausübung, die Art. 12 GG garantiert. Hier hat das BVerfG immer wieder3 klar gestellt, dass Einschränkungen der Werbefreiheit der Rechtsanwälte nur aus überwiegenden Gründen des Gemeinwohls erfolgen dürfen und dabei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eingehalten sein muss.4 Zudem bedürfen diese Beschränkungen immer einer gesetzlichen Grundlage.5 Gründe des Schutzes von Anwaltskollegen vor Konkurrenz stellen heute keinen Grund des Gemeinwohls mehr dar, der geeignet wäre, die Freiheit der Berufsausübung einzuschränken.
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Für den Rechtsanwalt ist neben Art. 12 GG aber für seine Berufsausübung auch das Recht auf freie Meinungsäußerung aus Art. 5 GG sehr wichtig. Dieses Grundrecht erstreckt sich nicht nur auf private sondern auch auf kommerzielle Äußerungen, also Aussagen im Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit.6 Diese können vom Rechtsanwalt selber ausgehen, in dem er mit Informationen auf die Medien zugeht, sie können aber auch dadurch entstehen, dass die Medien im Rahmen ihrer Pressefreiheit auf den Rechtsanwalt zugehen,7 und ihn um Informationen bitten.8 Beides ist heute, wie noch dargestellt wird, zulässig, wobei der Grundsatz der wahren Tatsachenbehauptungen und des Verbots der Schmähkritik bei öffentlichen Äußerungen gerade auch für Rechtsanwälte gilt.
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Beide Grundrechte der Art. 5 und 12 GG bilden den verfassungsrechtlichen Rahmen für die Freiheit der anwaltlichen Berufsausübung. Den Blick auf beide Grundrechte darf man bei der Frage, ob eine „Werbung“ oder eine „Äußerung“ des Rechtsanwalts zulässig ist, nicht aus den Augen verlieren.
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B. Zweck der Norm I. Einschränkung der Berufs- und Meinungsfreiheit durch § 43b BRAO Eingriffe in das Recht auf die freie Berufsausübung und der Meinungsfreiheit bedürfen – wie dargestellt – immer einer gesetzlichen Grundlage. Für den Rechtsanwalt ist sie für die Werbung in § 43b BRAO aufgenommen worden. Die §§ 6–10 BORA konkretisieren dabei aufgrund der Satzungskompetenz des § 59b Abs. 2 Nr. 3 BRAO die Regelung des § 43b BRAO. Die Regelungen gehen über die §§ 3 ff. UWG hinaus, die allgemeine Grundregeln der Werbung aufstellen. Begründet wird dies vor allem mit der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege, dem Status des Rechtsanwalts als Organ der Rechtspflege und den Interessen des Rechtssuchenden.9 1 BGH, NJW 2003, 662 und 504 – presserecht. de, und rechtsanwaelte-notar.de, m. Anm. Huff, LMK 2003, 38. 2 BGHZ 147, 71 – Anwaltswerbung II, m. Anm. Huff, LM H. 8/2001 § 43b BRAO Nr. 9; BGH, NJW 2001, 2886 m. Anm. Huff, LM H. 10/2001 § 1 UWG Nr. 848. S. auch Hartung/v. Lewinski, Vor § 6 BORA Rz. 139, der dies ebenfalls kritisch sieht. 3 Z.B. BVerfG, BRAK-Mitt. 2003, 275; BVerfGE 111, 366 = BRAK-Mitt. 2005, 22 und zuletzt BVerfG, BRAKMitt. 2009, 126 (zu § 10 BORA). Im Überblick immer noch lesenswert Jaeger, NJW 2004, 1. 4 Sehr deutlich BVerfG, BRAK-Mitt. 2008, 69 – Gegnerliste, m. Anm. Uechtritz. 5 So auch Köhler/Bornkamm/Köhler, UWG, 31. Aufl. 2013, § 4 UWG Rz. 11.85. 6 BVerfGE 102, 347. 7 S. dazu BVerfG, NJW 2000, 1635 m. Anm. Huff, EWiR § 43b BRAO 1/2000, 77 – Überlassung eines Fotos an eine Redaktion. 8 S. dazu ausführlich Huff, in: FS Busse, 2005, S. 163; Huff/Stachow, in: FS Scharf, 2008, S. 79. 9 Ständige Rspr. des BVerfG, z.B. BVerfGE 80, 269; 82, 18; 94, 372 (zu Apothekern; s. dazu auch Jaeger, NJW 2004, 1).
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Der Gesetzgeber geht davon aus, dass die unabhängige, kollisionsfreie, eigenverantwortliche, gewissenhafte, sorgfältige und verschwiegene Tätigkeit des Rechtsanwalts eine Einschränkung hinsichtlich des werblichen Verhaltens erfordert. Das „vernünftige“ bzw. „sachliche“ Verhalten des Rechtsanwalts wird damit sozusagen als weitere berufliche Pflicht angesehen, die eine Beschränkung der Werbefreiheit erlaubt. 7
Die Regelung des § 43b BRAO unterliegt keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.1 Zwar kann man durchaus die Auffassung vertreten, dass Art. 12 GG in der heutigen Zeit keine Einschränkung der Werbung des Anwalts mehr erlaubt und dass die Vorschriften der §§ 3 ff. UWG auch für die Anwaltschaft ausreichten. Dennoch scheint es sinnvoll, die Beschränkung auf eine sachliche Werbung und auf das Verbot der Werbung um ein einzelnes Mandat in § 43b BRAO festzuschreiben. Diese Regelung ist durch die Gründe des Gemeinwohls gedeckt. Sie belastet den Rechtsanwalt auch nicht über Gebühr. Denn er kann im Rahmen der ihm erlaubten sachlichen Werbung ausreichend am Markt auftreten und dies wie unten geschildert wird, relativ umfassend. Die Erfahrungen zeigen auch, dass die „sachliche“ also die nicht marktschreierische Werbung, beim rechtssuchenden Publikum in der Regel sehr viel besser ankommt, als eine zu laute, zu bunte Werbung. II. Verhältnis zwischen Berufsrecht und Werberecht
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Der Rechtsanwalt unterliegt als jemand, der sich am Geschäftsleben beteiligt, ohne weiteres auch den Vorschriften der §§ 1 ff. UWG.2 Dabei bildet das UWG den weiten Kreis der Vorschriften, die der Rechtsanwalt einhalten muss, die berufsrechtlichen Vorschriften bilden den engeren Kreis des Zulässigen. Was nach dem Berufsrecht evtl. zulässig ist, kann durchaus wettbewerbsrechtlich zu beanstanden sein. Und wer gegen § 43b BRAO verstößt, der verstößt in der Regel auch gegen § 4 Nr. 11 UWG, welcher den Verstoß gegen Marktverhaltensvorschriften sanktioniert. Wobei Köhler zu Recht ausführt, dass nicht alle Verstöße gegen BRAO und BORA Marktverhaltensvorschriften darstellen, die Bedeutung im Sinne des § 4 Nr. 11 UWG erlangen.3 Beachtlich kann hier sein, dass der Rechtsanwalt der Vorschrift des § 3 UWG unterliegt. So ist etwa theoretisch denkbar, dass der Anwalt durch Verhaltensweisen gegen den Katalog als Anhang zu § 3 Abs. 3 UWG, die so genannte „Schwarze Liste“ verstoßen kann,4 wobei ein Verstoß gegen den Anhang oft mit einer unsachlichen Werbung nach § 43b BRAO einhergeht. Daher muss ein Rechtsanwalt alle Werbemaßnahmen unterlassen, die auch sonst einem Gewerbetreibenden untersagt sind, wie etwa verbotene Werbung per Fax, Telefon oder e-Mail. Auf diese „normalen“ Wettbewerbsverstöße wird im Folgenden nur dann eingegangen, wenn es in Bezug auf den Rechtsanwalt und seine Tätigkeiten Besonderheiten geben sollte. Hat ein Rechtsanwalt unzulässig geworben und ist es daraufhin zum Abschluss eines Mandatsvertrags gekommen, so stellt sich die Frage, welche Auswirkungen der Verstoß gegen § 43b BRAO auf den Vertrag hat. In der Regel wird man davon ausgehen können, dass der Anwaltsvertrag aufgrund eines Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot (§ 134 BGB) nichtig ist und der Rechtsanwalt keinen Anspruch auf sein Honorar hat.5 III. Verhältnis des § 43b BRAO zu den §§ 6–10 BORA
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§ 43b BRAO wird als Grundvorschrift verstanden, die aufgrund des § 59b Abs. 2 Nr. 3 BRAO durch die Satzungsversammlung weiter konkretisiert werden kann. Eine eigene überschießende Kompetenz zur Ausweitung über § 43b BRAO hinaus ergibt sich nicht.6 Bedenken können sich aber bei den §§ 6 ff. BORA ergeben, denn ob diese durch die Ermächtigungsgrundlage des § 59b Abs. 2 Nr. 3 BRAO und die Regelung des § 43b BRAO gerechtfertigt sind, wird zum Teil zu Recht bezweifelt.7 So hat das OLG Nürnberg zutreffend die Regelung des § 6 Abs. 2 BORA mit ihrem Verbot der Angabe von Umsatz- und Gewinnangaben als verfassungswidrig angesehen.8 Hierbei handelt es sich um sachliche und wahrgemäße Angaben, 1 2 3 4 5 6 7 8
So auch Feuerich/Weyland/Böhnlein, § 43b Rz. 6 ff. S. dazu auch Köhler/Bornkamm/Köhler, UWG, 31. Aufl. 2013, § 4 UWG Rz. 11.85 ff. Köhler/Bornkamm/Köhler, UWG, 31. Aufl. 2013, § 4 UWG Rz. 11.60; Bieber, WRP 2008, 723. Eingeführt mit dem UWG 2008 am 30.12.2008 (BGBl. I 2008, S. 2949). So zu Recht AG Weilheim, Urt. v. 5.7.2012 – 2 C 102/12. So wohl auch Feuerich/Weyland/Böhnlein, § 59b Rz. 12 und Hartung/Hartung, § 59b Rz. 5. S. dazu Huff, § 6 BORA Rz. 37. OLG Nürnberg, NJW 2004, 2167. So auch Huff, EWiR § 6 BORA 1/04, 223.
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warum diese verboten sein sollen, ist nicht ersichtlich. Hinzu kommt auch, dass Anwaltskanzleien, die etwa in der Form der AG oder der GmbH organisiert sind, den handelsrechtlichen Veröffentlichungsverpflichtungen unterliegen, sodass das Satzungsrecht des § 6 BORA diese höherrangige Regelung nicht aufheben kann. Aus Gründen des Gemeinwohls sind diese Einschränkungen nicht erforderlich. C. § 43b BRAO I. Begriff der Werbung Unter Werbung versteht man allgemein das Verhalten eines am Markt tätigen Freiberuflers, Selbständigen oder Gewerbetreibenden, das gezielt darauf ausgerichtet ist, den potentiellen Mandanten/Kunden auf sich aufmerksam zu machen, jetzt oder später ihn für die Inanspruchnahme der angebotenen Dienstleistung zu gewinnen oder aber auch bestehende Geschäftsverbindungen zu erhalten und auszubauen.1 Dabei ist es – entgegen manchen Definitionen2 – nicht erforderlich, dass dies zu Lasten der Konkurrenz geschieht, also einen Verdrängungswettbewerb erfordert.3 Es kann sich auch um das Eröffnen neuer Märkte handeln, die bisher von niemandem besetzt worden sind, so z.B. geschehen bei der „Erfindung“ der baubegleitenden Rechtsberatung, die es so und in der entsprechenden Konstruktion bis zum Angebot einiger spezialisierten Kanzleien als „Paket“ nicht gab. Daher sind neue Werbemethoden nicht grundsätzlich zu beanstanden. Sie sind genauso an den unten beschriebenen Maßstäben zu messen, wie alt hergebrachte Methoden. Dabei ist der Begriff der Werbung insgesamt weit zu verstehen. Darunter fallen sowohl die klassischen Werbeformen, wie Anzeigen, Broschüren etc., als auch das gesamte Marketing,4 also der geplante einheitliche und strukturierte Auftritt der Kanzlei nach außen. Zur Werbung gehört auch die – zulässige – Öffentlichkeitsarbeit eines Rechtsanwalts.5 Auch wenn sie zum Teil auf einen anderen Grundrechtsschutz (Art. 5 GG) als die klassische Werbung (Art. 12 GG) stützt, ist die Zielrichtung genau die gleiche: Es geht darum, über die Öffentlichkeit die Zielgruppe auf sich aufmerksam zu machen und damit für sich zu interessieren.6 Unter einer zulässigen Öffentlichkeitsarbeit kann man auch das Sponsoring, also die Unterstützung von Veranstaltungen etc., verstehen. Gelegentlich ist die Abgrenzung zwischen den verschiedenen Möglichkeiten der Werbung schwierig, so kann man von der Kanzlei selbst oder mit organisierte Veranstaltungen sowohl als Werbung, als Teil der Öffentlichkeitsarbeit als Sponsoring ansehen. Für die Frage der Zulässigkeit einzelner Maßnahmen ist diese Unterscheidung aber nicht bedeutsam, weil der Begriff der Werbung weit zu fassen ist.
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II. Zulässiger Umfang der anwaltlichen Werbung Aufgrund des § 43b BRAO ist dem Rechtsanwalt nicht alles an Werbung gestattet, was wettbewerbsrechtlich zulässig wäre. Vielmehr unterliegt der Rechtsanwalt zwei entscheidenden Einschränkungen, nämlich der Beschränkung auf die sachliche Werbung und dem Verbot der Werbung um ein einzelnes Mandat. Beide Fallgruppen werden im Folgenden getrennt behandelt.
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1. Sachliche, berufsbezogene Werbung in Form und Inhalt Gesetzlich ist nicht definiert, was unter eine sachliche Werbung im Sinne des § 43b BRAO fällt. Zunächst ist es erforderlich, dass es sich überhaupt um Werbung7 des oder für den Rechtsanwalt handelt. Die Werbung muss dem Rechtsanwalt zuzurechnen sein, was nicht immer der Fall ist. So ist der positive Medienbericht, etwa die Mitteilung der Medien, dass der Rechtsanwalt einen Prozess für seinen Mandanten gewonnen hat oder er in einem Porträt vorgestellt wird, zwar streng genommen Werbung für den Rechtsanwalt, sie ist ihm aber in der Regel nicht zuzurechnen. So ergibt sich aus vielen den Medien überlassenen Gerichts1 S. z.B. zuletzt BVerfG, GRUR 2008, 618 – Anwaltsdienste bei ebay: s. auch zustimmend Huff, KammerForum 2/2008, S. 6, s. auch Henssler/Prütting/Prütting, § 43b Rz. 14; Feuerich/Weyland/Böhnlein, § 43b Rz. 3. 2 So wohl aber Feuerich/Weyland/Böhnlein, § 43b Rz. 2. 3 S. auch Huff, MDR 1999, 464. 4 Zuletzt anschaulich Schieblon, Marketing für Kanzleien und Wirtschaftsprüfer, 2009. 5 S. dazu ausführlich Huff, in: FS Busse, 2005, S. 163; Huff/Stachow, in: FS Scharf, 2008, S. 79. 6 BVerfG, NJW 2000, 3195 – Entscheidung zur grundsätzlichen Zulässigkeit von Sponsoring. 7 S. Rz. 10.
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entscheidungen der Namen des Prozessbevollmächtigten1 bzw. treten die Rechtsanwälte im Gerichtssaal in Anwesenheit der Medien auf. Die Medien handeln hier nicht im Auftrag für und mit Wissen der Rechtsanwälte. Etwas anderes kann dann gelten, wenn sich die Rechtsanwälte die wettbewerbswidrige Werbung – etwa unangemessen positive Artikel – zu Eigen machen, in dem sie zum Beispiel die Artikel auf die Homepage einstellen.2 Dann handeln sie selber wettbewerbswidrig und es kann von ihnen Unterlassung verlangt werden. 13
Ein Verstoß gegen das Sachlichkeitsgebot liegt erst dann vor, wenn die Werbung eine übertriebene reklamehafte (oft als „marktschreierisch“ bezeichnete) Herausstellung des Angebots darstellt und dabei die Information hinter der Art und Weise der Werbung eindeutig und weit zurücktritt. Dabei handelt es sich hier immer um eine wertende Betrachtung. Es sind der Anlass, das Mittel, der Zweck, die Zielrichtung und die Begleitumstände zu berücksichtigen und in die Wertung mit einzubeziehen.
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Die bisher entschiedenen Fälle der Bejahung der Unsachlichkeit sind eher zweifelhaft. Bei der Form der Werbung kann die Kombination einer Rundfunkwerbung für einen Rechtsanwalt, der seine Hinweise auf das Verkehrsrecht mit „Crashgeräuschen“ unterlegt hatte, nicht als unsachlich zu bezeichnen sein.3 Das Gleiche gilt für die Werbung eines Anwalts mit einem „Juristischen Forderungsmanagement“, das als unsachlich angesehen wurde.4 Hier handelt es sich um das Angebot einer neuen Dienstleistung, die nicht unsachlich ist. Der Inhalt der Werbung war Gegenstand der Beanstandung im Fall der „Chefberatung für den Mittelstand“.5 Ob der BGH allerdings heute noch so entscheiden würde, ist zweifelhaft. Denn es handelt sich hierbei zwar um eine deutliche Werbeaussage, sie ist nach heutigem Verständnis nicht übertrieben reklamehaft. Und die Aussage, „Wir werden als adäquate Gesprächspartner auch von den Richtern geschätzt“6 ist zwar vielleicht keine sinnvolle Aussage in einer Werbung, aber noch keine unsachliche Äußerung. Zu Recht haben die Gerichte daher in einer Vielzahl von Entscheidungen die Unsachlichkeit abgelehnt, so die Werbung durch Zeitungsanzeigen,7 die Verteilung von Hochglanzbroschüren an Mandanten und Nichtmandanten,8 Werbung auf Straßenbahnwagen9 und auch die Versteigerung anwaltlicher Dienstleistungen über eBay.10
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Dabei muss sich eine sachliche Werbung auch nicht alleine auf die Mitteilung von Tatsachen und Fakten beschränken, sondern darf einen werbenden, einen für den einzelnen Anwalt einnehmenden Charakter haben, es darf bis an die Grenze der Unsachlichkeit auch mit der Ansprache an Gefühle gearbeitet werden.11 Eine Atmosphäre darf angesprochen werden, mit der etwa ein legitimes Informationsinteresse der Mandanten befriedigt wird.12 Daher ist auch die „Sympathiewerbung“, die auf Emotionen im Verhältnis zum Rechtsanwalt abstellt, erlaubt.13 Auch dürfen Ironie und Sprachwitz zur Anwendung kommen. Dies ist nicht gleichzusetzen mit einer unzulässigen Anpreisung, sondern stellt ein erlaubtes Stilmittel in dem Außenauftritt der Rechtsanwälte dar.14 2. Bewertung einzelner Werbemaßnahmen a) Angaben zum Rechtsanwalt
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Der Rechtsanwalt darf umfassend (und natürlich wahrheitsgemäß) über seinen beruflichen und persönlichen Werdegang berichten, über die Kanzleibroschüre bis hin zum Inter1 Sehr deutlich etwa bei den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, bei dem die Namen der Prozessbevollmächtigten auch auf der Homepage des Gerichts (www.bundesverfassunsgericht.de) oder beim BGH, bei dem die Journalisten Terminzettel erhalten, aus denen sich die Namen der Prozessbevollmächtigten ergeben. 2 S. dazu LG München I, MMR 2009, 491 (nicht rechtskräftig, Berufung OLG München – 29 U 1687/07) zur Übernahme einer wettbewerbswidrigen Rangliste auf die Homepage. S. dazu Huff, EWiR § 6 UWG 1/08, 61 und Huff, Stbg H. 2/2008, S. M 1. 3 Noch anders OLG München, NJW 1999, 140. 4 OLG Düsseldorf, NJW-RR 2001, 922. 5 BGH, GRUR 1991, 917 – Anwaltswerbung I. 6 OLG Frankfurt, NJW 2005, 1283. 7 BGH, GRUR 1997, 765. 8 OLG München, NJW 2000, 2824. 9 BVerfG, NJW 2004, 2765. 10 BVerfG, NJW 2008, 1298 m. Anm. Huff, KammerForum H. 2/2008, 6. 11 So BVerfG, NJW 2004, 3565; BGH, GRUR 2005, 520 – Optimale Interessenvertretung. 12 S. z.B. BVerfG, NJW 2004, 3765 zur Werbung auf Straßenbahnwagen. 13 BVerfG, NJW 2003, 3470. 14 BVerfG, BRAK-Mitt. 2001, 295.
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Rz. 17 § 43b BRAO
netauftritt. Dies betrifft zunächst alle direkt berufsbezogenen Angaben, wie etwa erworbene Titel (z.B. der Mastertitel LL.M.1), Zusatzqualifikationen, Sprachkenntnisse, bisher ausgeübte Tätigkeiten und Ähnliches. Allerdings ist dabei klarzustellen, ob bestimmte Tätigkeiten, wie etwa Lehraufträge etc. noch ausgeübt werden oder nicht. Wenn hier falsche Eindrücke beim rechtssuchenden Publikum erweckt werden, können solche Angaben berufsrechtsund wettbewerbswidrig sein. Die Außendarstellung einer Scheinsozietät als Sozietät erweckt einen solchen falschen Eindruck nicht, da durch die Haftungsregelung für den Verbraucher kein Nachteil entsteht.2 Einschränkungen, private Angaben (Familienstand, Kinder, weitere Lebensumstände, Hobbys) wegzulassen, sind mit Art. 12 GG nicht in Einklang zu bringen.3 Gerade der Lebenslauf eines Rechtsanwalts ist für Mandanten ein wichtiges Entscheidungskriterium, denn private und berufliche Erfahrungen lassen sich nicht trennen. Daher hat das BVerfG zu Recht die Mitteilung einer Anwältin über ihre frühere sportliche Karriere als zulässig betrachtet.4 Einschränkungen sind daher kaum denkbar. Dabei muss es dem Rechtsanwalt selber überlassen bleiben, ob er bestimmte Angaben für sinnvoll hält oder nicht. Hier mit dem Berufs- oder dem Wettbewerbsrecht einzugreifen, lässt sich nicht rechtfertigen. b) Internetauftritt Der Internetauftritt, die eigene Homepage, ist heute für jeden Rechtsanwalt unerlässlich geworden.5 Dabei lässt sich zwar meist nicht messen, ob alleine durch den Internetauftritt Mandate gewonnen werden. Aber viele Umfragen haben gezeigt, dass sowohl Geschäfts- wie Privatmandanten immer häufiger im Internet nachsehen, um sich einen Eindruck über den Rechtsanwalt zu gewinnen, den sie vielleicht beauftragen möchten. Der Internetauftritt einer Kanzlei ist ein wesentliches Mittel der Berufsausübung und daher als wichtiges Werbemittel zulässig.6 Dabei ist es unerheblich, ob man es als ein der Praxisbroschüre „vergleichbares Informationsmittel“ gem. § 6 Abs. 2 S. 2 BORA einstuft. Denn die Grundlage ergibt sich dafür aus § 43b BRAO. Für die Angaben auf den Seiten im Internet gelten die gleichen Grundsätze wie für jedes andere Werbemittel. Umfasst davon ist auch die Domain, also die Adresse, unter der die Homepage zu erreichen ist.7 Auch gute Ideen dürfen hier – wie bei den Werbeslogans (s. unten) – umgesetzt werden, so etwa die Angabe der URL „recht-freund lich.de“.8 Das BVerfG9 hat die Veröffentlichung von Gegnerlisten nicht beanstandet, sondern sogar ausdrücklich für erlaubt befunden. Gestattet ist es Anwälten auch, auf Ihrer Homepage Vollmachten oder Ähnliches zum Download bzw. Ausdrucken für potentielle Mandanten anzubieten. Dies stellt keine unzulässige Werbung um ein Mandat im Einzelfall dar, wie das OLG München zu Recht festgestellt hat.10 Auch besondere Angebote im Internet, wie z.B. die „Scheidung online“ werden von der Rechtsprechung heute als zulässig angesehen, wenn sie eine ausführliche Information des Verbrauchers enthalten, und er damit über die Dienstleistung nicht getäuscht wird.11 Hier wird vom Verbraucher m.E. zuviel erwartet und ein unzutreffender Eindruck erweckt, diese Rechtsprechung ist daher kritisch zu sehen. Umstritten ist bisher die Frage, ob ein Gästebuch angeboten werden darf oder nicht. Zu Recht hat das LG Nürnberg-Fürth12 entgegen dem LG Trier13 keine Bedenken gegen diese Einrichtung. Ein Gästebuch ist zulässig, wenn der Inhalt durch den die Homepage betreibenden Rechtsanwalt regelmäßig auf wettbewerbswidrige Äußerungen kontrolliert wird. So muss er z.B. Schmähkritiken entfernen und auch sonstige falsche Tatsachenaussagen berichtigen bzw. die Einträge löschen. Ob sich daher der Aufwand für einen Rechtsanwalt lohnt, muss er 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13
S. dazu KG, Urt. v. 22.2.2012 – 5 U 51/11, NJW 2012, 3589. BGH, Urt. v. 12.7.2012 – AnwZ (Brfg) 37/11. BVerfG, NJW 2003, 2816. BVerfG, NJW 2003, 2816. S. konkret Schulte/Schulte, MMR 2002, 585; Dahns, BRAK-Mitt. 2004, 2; Axmann/Degen, NJW 2006, 1457; zur Geschichte Hartung/v. Lewinski, Vor § 6 BORA Rz. 6 ff. S. dazu ausführlich Borowski, ZAP F. 23, S. 843. So Schulte/Schulte, MMR 2002, 585, die für eine weitgehende Freiheit bei den Adressen votieren. OLG Celle, NJW 2001, 3133. BVerfG, BRAK-Mitt. 2008, 69 m. Anm. Uechtritz. OLG München, NJW 2002, 760 m. Anm. Huff, EWiR § 43b BRAO 1/02, 155. S. dazu auch Huff, NJW 2003, 3525. S. dazu OLG Hamm, Urt. v. 7.3.2013 – I-4 U 162/12, wobei das Gericht ein ungewöhnliches Verständnis anwaltlicher Tätigkeit offenbart, s. dazu Huff, ZAP 2013, 691. LG Nürnberg-Fürth, AnwBl. 1997, 226. LG Trier, WRP 1996, 1231.
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§ 43b BRAO Rz. 18
Werbung
selber entscheiden. Zudem sind auf der Homepage Bilder der Rechtsanwälte, der Kanzlei, von Veranstaltungen etc. erlaubt. Zulässig ist es auch auf Veröffentlichungen der Anwälte oder Ähnliches hinzuweisen und auf diese (kostenfrei für den Besucher) zu verlinken (an Einhaltung der Urheberrechte der Verlage ist zu denken). Auch allgemeine Links darf der Rechtsanwalt schalten, denn alleine der Hinweis auf andere Internetseiten stellt noch keine verbotene Werbung dar. Wichtig beim Internetauftritt ist auch die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben, insbesondere der Impressumspflichten.1 Diese entstehen allerdings erst, wenn es tatsächlich einen funktionierenden, an den Markt gerichteten Internetauftritt gibt (§ 5 TMG). Alleine die Reservierung einer Seite und die Aussage, dass hier demnächst ein Internetauftritt entsteht, ist noch kein aktiver Marktauftritt, so dass die umfassenden Pflichten nicht erfüllt sein müssen. Anwaltskollegen haben hier in der Vergangenheit öfter versucht, ihre Kollegen wettbewerbsrechtlich abzumahnen. Da auch die Notwendigkeit der Kontaktaufnahme mit dem Betreiber einer Seite vorgeschrieben ist, darf ein Rechtsanwalt den Kontakt mit sich über das Internet via E-Mail eröffnen. Werden die Pflichtangaben nach § 2 DL-InfoV auf der Homepage vorgenommen2, so müssen diese vollständig sein, wenn sie den alleinigen Veröffentlilchungsweg darstellen. c) Werbeslogans 18
Gut durchdachte Werbeslogans oder so genannte „Claims“ zur Beschreibung der anwaltlichen Tätigkeit haben Dutzende von Gerichtsentscheidungen zur Folge gehabt. Die Verfahren sind weitgehend vom Neid der Kollegen bestimmt gewesen und nicht von der Frage, ob sie wirklich eine unsachliche unzutreffende Werbung darstellen. Meist hat die Rechtsprechung nach einigen anfänglichen Schwankungen3 keine Unsachlichkeit gesehen, etwa bei den Aussagen „Ihre Rechtsfragen sind unsere Aufgaben“ das BVerfG,4 wodurch sich im Anschluss viele Diskussionen erledigt haben und alte Rechtsprechung nicht mehr anzuwenden ist. Zu Recht hat daher das OLG Naumburg5 die Werbung mit der Aussage „anwalt sofort“ und dem Hinweis auf Kaffee und Kuchen als zulässig angesehen. Zu Recht ist auch der Slogan „All you need is l@w“ nicht beanstandet worden.6 d) Zusammenarbeit mit den Medien
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Schon aus den oben dargestellten Gründen des Grundrechts auf Meinungsfreiheit nach Art. 5 GG ist einem Rechtsanwalt die Zusammenarbeit mit den Medien gestattet. Er darf von sich aus den Medien Informationen über sich, seine Mandanten7 und über aktuelle Rechtsthemen (neue Gesetze, Entscheidungen etc.) zukommen lassen und sich dabei als Gesprächspartner anbieten.8 Er darf sich auch auf Medienanfragen hin für Interviews zur Verfügung stellen und in weitem Umfang den Kontakt mit den Medien suchen, wobei er dabei die „Spielregeln“ der Medien unbedingt beachten sollte,9 wenn er mit seiner Öffentlichkeitsarbeit Erfolg haben möchte. Unzulässig wird die Werbung allerdings dann, wenn ein Medienauftritt genutzt wird, um für Mandate zu werben (s. dazu unten) oder aber wenn in einem Artikel/Interview unzutreffende Aussagen gemacht werden.10 e) Veranstaltungen/Messen
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Wurde es vor einigen Jahren noch als ungewöhnlich angesehen, dass sich Rechtsanwälte auf einer Messe oder Ausstellung präsentieren, so ist dies heute eine Selbstverständlichkeit geworden.11 Die Spanne reicht dabei von dem Auftritt auf gewerblichen Recruiting-Messen 1 S. dazu die entsprechende Mitteilung des Bundesjustizministeriums auf der Homepage www.bmj.bund.de. 2 Wobei dies nur einer der zulässigen Informationswege ist und keine Pflicht darstellt, s. LG Dortmund, Urt. v. 26.3.2013 – 3 O 102/13. 3 S. dazu Hartung/v. Lewinski, § 6 BORA Rz. 77. 4 BVerfG, NJW 2000 1635 m. Anm. Huff, EWiR § 43b BRAO 3/2000, 387. 5 OLG Naumburg, AnwBl. 2008, 142. 6 AGH Hamburg, BRAK-Mitt. 2002, 236. 7 Natürlich nur dann, wenn die ausdrückliche Einwilligung des Mandanten im Hinblick auf die Verschwiegenheitspflichten vorliegt. 8 S. dazu ausführlich Huff, in: FS Busse, 2005, S. 163; Huff/Stachow, in: FS Scharf, 2008, S. 79. 9 S. dazu ausführlich Huff, in: FS Busse, 2005, S. 163; Huff/Stachow, in: FS Scharf, 2008, S. 79. 10 LG Leipzig, Urt. v. 5.11.2008 – 2 HK O 3165/08 in Bezug auf die Kostentragung bei Inkassomaßnahmen. S. auch EGMR, Urt. v. 23.10.2007 – 7969/04 zur unklaren Darstellung von Anwaltsgebühren in einem Faltblatt (s. dazu auch BVerfG, BRAK-Mitt. 2003, 275). 11 Erlaubt ausdrücklich seit BVerfG, NJW 2000 1635 m. Anm. Huff, EWiR § 43b BRAO 2/2000, 239.
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Werbung
Rz. 22 § 43b BRAO
(JuraCon etc.), Ausstellungen am Rande von Seminarveranstaltungen bis hin zur Teilnahme an Messen, die sich an bestimmte Berufsgruppen richten.1 Auch Veranstaltungen in den eigenen Kanzleiräumen – von der Informationsveranstaltung – gerne auch mit einer „Grundverpflegung“2 – bis hin zur Kunstausstellung sind heute nicht mehr zu beanstanden und gehören zum selbstverständlichen Angebot vieler großer und kleiner Kanzleien. Dabei darf eine Kanzlei auch Nichtmandaten – wie z.B. Fondsanleger – gezielt einladen, wenn er deren Adressen rechtmäßig ermitteln kann (etwa durch die Einsicht in Register etc.).3 Nicht zutreffend ist nach den bisherigen Grundsätzen die Entscheidung des OLG Düsseldorf,4 dass die Rechtsberatung in einem Cafe (Coffee & Law), nicht organisiert, aber unter Mitwirkung von Rechtsanwälten durchgeführt, grundsätzlich nicht erlaubt sei, weil dort Regeln der Verschwiegenheit etc. nicht eingehalten werden können. Hierbei lässt das OLG außer Acht, dass (potentielle) Mandanten sehr wohl wissen, in welchem Umfeld sie eine Beratung in Anspruch nehmen wollen. Die Hoheit über die Gesprächssituation hat immer der Mandant. f) Rundschreiben Grundsätzlich erlaubt sind nach einer Grundsatzentscheidung des BGH5 Rundschreiben von Rechtsanwälten sowohl an Mandanten wie auch an Nichtmandanten. Dies stellt, so der BGH zu Recht, ein erlaubtes Werbemittel dar und ist gerade keine Werbung um ein Mandat im Einzelfall. Abgrenzungskriterium dafür ist, dass es sich um ein für den Angeschriebenen erkennbares Rundschreiben an eine Mehrzahl von Adressaten handelt.6 Ist das Anschreiben etwa – Vollmacht, individualisierte Darstellungen – sehr individuell gestaltet, so kann rasch die Grenze zur unzulässigen Einzelmandatswerbung überschritten sein. Dabei können, müssen aber nicht, die Adressaten gemeinsame Ziele oder Interessen oder eine gemeinsame „Betroffenheit“ (z.B. Anleger einer insolventen Firma)7 sein.8 Die klare Ansicht des BGH wird immer wieder zu Unrecht in Frage gestellt9. Unzulässig wird die Werbung durch ein Rundschreiben nur dann, wenn etwa die Daten unter Verstoß gegen datenschutzrechtliche Vorschriften erlangt und damit gegen ein gesetzliches Verbot verstoßen wurde.
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g) Werbemittel Ein Rechtsanwalt wirbt auch nicht unsachlich für sich, wenn er für seine Mandanten und übrigen Gesprächspartner übliche Werbemittel wie Kugelschreiber, Bleistifte und Schreibblöcke bereithält. So bietet zum Beispiel der Deutsche Anwaltverein ein breites zulässiges Spektrum an. Allerdings muss auch hier beachtet werden, dass die inhaltlichen Aussagen, die in und auf Werbemitteln enthalten sind, nicht gegen § 43b BRAO verstoßen dürfen. Hier gelten die allgemeinen Grundsätze. Ob auf den Rechtsanwalt die Grundsätze der Schockwerbung10 übertragen werden können, ist umstritten.11 Meines Erachtens dürfen die hier entwickelten Grundsätze, die aus der gewerblichen Wirtschaft stammen, nicht eins zu eins auf Rechtsanwälte übertragen werden. Hier muss der Rechtsanwalt sachlicher als ein Gewerbetreibender bleiben. Auch die Diskussion um die Zulässigkeit – durchaus auch aufwändig gestalteter Kanzleibroschüren – hat sich seit einigen Entscheidungen12 wieder entspannt. Dabei verliert die Kanzleibroschüre im Verhältnis zum Internetauftritt zunehmend an Bedeutung.
1 Zulässige Teilnahme an einer Kreistierschau, OLG Saarbücken, BRAK-Mitt. 2000, 311. 2 BGHZ 147, 71 – Anwaltswerbung II, m. Anm. Huff, LM H. 8/2001 § 43b BRAO Nr. 9. 3 S. dazu Huff, EWiR § 43b BRAO 3/03, 411 zu einer zunächst unverständlichen Entscheidung des OLG Naumburg, NJW-RR 2003, 708. 4 OLG Düsseldorf, BRAK-Mitt. 2007, 274. 5 BGH, NJW 2001, 2886 m. Anm. Huff, LM H. 10/2001 § 1 UWG Nr. 848, so jetzt noch einmal BGH, Urt. v. 13.11.2013 – I ZR 15/12. 6 OLG München, NJW 2002, 760. 7 So anders und unzutreffend OLG Naumburg, NJW-RR 2003, 708 m. kritischer Anm. Huff, EWiR § 43b BRAO 3/03, S. 411. S. dazu Huff, NJW 2003, 3525. 8 Ausführlich dazu Huff, NJW 2003, 3525. 9 S. KG, Urt. v. 31.8.2010 – 5 W 198/10, NJW 2011, 865, wohl auch OLG München, Urt. v. 12.1.2012 – 6 U 813/11; aufgehoben vom BGH, Urt. v. 13.11.2013 – I ZR 15/12. 10 BVerfG, Urt. v. 12.2.2000 – 1 BvR 1762/95, Beschl. v. 11.3.2003 – 1 BvR 426/06. 11 S. dazu AGH NRW, Urt. v. 6.9.2013 – 2 AGH 3/13 zur geplanten Werbung eines Rechtsanwalts auf Kaffeetassen. 12 Z.B. BVerfG, NJW 1996, 3067.
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§ 43b BRAO Rz. 23
Werbung
h) Kooperationen/Zusammenschlüsse/Zusammenarbeit 23
Dem Rechtsanwalt ist es erlaubt, auf Kooperationen mit anderen Berufen, auch mit nicht-sozietätsfähigen Berufsangehörigen,1 hinzuweisen. Dies gilt auch für Mitgliedschaften in Netzwerken, EWiV etc.,2 Vereinen (Anwaltsvereinen, Arbeitsgemeinschaften) und sonstigen Zusammenschlüssen. Zu Recht hat das OLG Karlsruhe3 klargestellt, dass der Betreiber und die anwaltlichen Nutzer eines Internetportals, dass Rechtsanwälten die Möglichkeit bietet, u.a. einen Terminsvertreter zu finden und dafür eine Gebühr verlangt, gegen keine berufsrechtlichen Vorschriften, insbesondere nicht gegen § 49b Abs. 3 S. 1 BORA verstößt und damit der Rechtsanwalt nicht wettbewerbswidrig handelt (§ 4 Nr. 11 UWG). Solche Zusammenarbeitsmöglichkeiten müssen Rechtsanwälten gestattet sein, hier geht es nicht um die Teilung von Gebühren, sondern um die Finanzierung einer Dienstleistung. i) Bezeichnung als Experte/Spezialist etc.
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S. hierzu die Kommentierung zu Rz. 41. j) Werbung mit Selbstverständlichkeiten – insbesondere Zulassungsangaben
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Aus wettbewerbsrechtlicher Hinsicht ist die Werbung mit Selbstverständlichkeiten oft problematisch und zwar aus den Grundgedanken der §§ 3,5 UWG: So können auch objektiv richtige Angaben als irreführend angesehen werden. Dies gilt dann, wenn sie bei einem erheblichen Teil der Verkehrskreise, also insbesondere den Mandanten, einen unrichtigen Eindruck erwecken. Dies bedeutet, dass durch die Angabe von Selbstverständlichkeiten diese als ein besonderer Vorzug des Werbenden angesehen wird und eben nicht als Selbstverständlichkeit.4 Bejaht wurde die Irreführung z.B. bei der Aussage „zugelassen bei allen Amts- Land- und Oberlandesgerichten“, da dies für alle Anwälte gilt.5 Der Wettbewerbssenat des BGH hat die Werbung „zugelassen beim OLG Frankfurt“ nicht beanstandet, wenn ein Kollege tatsächlich einmal beim OLG zugelassen war6. Begründet wird dies – unzutreffend – damit, dass dem Verbraucher die Vertretungsregelungen nicht bekannt seien und die wahre Aussage hier nicht verwirre. Zuzustimmen ist daher der Ansicht der OLGe Bremen und Köln, die zurecht heute eine Verwirrung des Verbrauchers bejahen. Eine berufsrechtliche Klarstellung in der BORA wäre hier wünschenswert.
25a
Aber die wahrheitsgemäße Angabe „regelmäßige Fortbildung“ ist keine Werbung mit einer Selbstverständlichkeit. Denn § 43a Abs. 6 BRAO verpflichtet zwar den Anwalt zur Fortbildung. Überwacht wird dies allerdings bisher – außerhalb der Fachanwaltschaften – nicht. Auch der Hinweis, dass eine Kanzlei ohne zusätzliche Kosten die Deckungsanfrage bei der Rechtsschutzversicherung übernimmt, ist daher nicht irreführend.7 k) Weitere Werbemethoden
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Entschieden ist nach langer Diskussion die Frage, ob Anwalts-Hotlines zulässig sind oder nicht. Der BGH hat hier in einer Grundsatzentscheidung 20028 alles Notwendige gesagt und keine Bedenken gegen die meisten der üblichen Gestaltungen geäußert. Dabei muss nur Klarheit über den Betreiber, die beratenden Rechtsanwälte etc. herrschen. Zulässig ist auch das Sponsoring z.B. von Veranstaltungen aller Art, von Büchern und Broschüren und wo es sonst noch denkbar ist. Dies hat das BVerfG klargestellt.9 Auch Briefbögen fallen unter den Begriff Werbung,10 denn ihre Gestaltung kann sehr wohl einen werblichen Effekt haben. Ge1 BGH, NJW 2005, 2692 zur generellen Zulässigkeit und Huff, NJW-Spezial 2005, 429 zu den Anforderungen an eine echte „Kooperation“. 2 S. nur OLG Köln, NJW 2003, 2178 – AdvoGrarant. 3 OLG Karlsruhe, Urt. v. 5.4.2013 – 4 U18/13. 4 Auch Köhler/Bornkamm/Köhler, UWG, 31. Aufl. 2013, § 5 UWG Rz. 2 115. 5 So z.B. OLG Bremen, Beschl. v. 20.2.2013 – 2 U 5/13, K&R 2013, 498; OLG Köln, Urt. v. 22.6.2012 – 6 U 4/12, KammerForum 2012, 123; s. dazu Borowski, ZAP Fach 23, S. 848. 6 BGH, Urt. v. 20.3.2013 – I ZR 146/12. 7 KG, Urt. v. 19.3.2010 – 5 U 42/08. 8 BGH, NJW 2003, 819 und noch einmal NJW 2005, 1266. 9 BVerfG, NJW 2000, 3195. 10 So ausdrücklich BGH, Urt. v. 24.10.2012 – AnwZ (Brfg) 14/12, s. Huff, ZAP F. 23, 219 zu BGH, NJW 1996, 2733.
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Werbung
Rz. 28 § 43b BRAO
rade bei unzutreffenden Angaben, z.B. „& Partner“, obwohl keine PartGG besteht, ist dies der Fall.1 Aber die Briefbogen dürfen keine unzutreffenden Eindrücke erwecken, so darf der Plural „Rechtsanwälte“ auch nur verwendet werden, wenn mindestens zwei Anwälte in der Kanzlei tätig sind.2 Dies kommt im Einzelfall auf die entsprechende Gestaltung an. Elemente wie Farben, Linien, Striche etc. sind nicht zu beanstanden. In der Regel sind auch Logos, etwa die Zusammensetzung von Buchstaben etc., zulässig. Allerdings kann man einen aggressiven Stier als Logo als reklamehaft und unsachlich empfinden.3 Hier kommt es auch auf den Empfängerhorizont an, so dass auch aus heutiger Sicht die Beanstandung dieses konkreten Logos noch zutreffend ist. Auch Werbetafeln/Banner mit einwandfreiem Inhalt auf Taxitüren, Fahrradständern, auf allgemeinen Werbetafeln gehören heute zum Alltag und es käme niemand auf die Idee, sich darüber noch zu streiten. Auch in Telefonbüchern dürfen Rechtsanwälte selbstverständlich mit wahren Angaben werben. Dabei muss hier auf die richtigen Bezeichnungen geachtet werden, muss die Zuordnung zur jeweiligen Qualifikation passen.4 Ob die Bezeichnung einer Kanzlei als „Das Haus der Rechtsanwälte“ tatsächlich den Verbraucher in die Irre führt, ist zu bezweifeln.5 3. Verbot der Werbung um ein einzelnes Mandat Werbung ist dem Rechtsanwalt nur erlaubt, wenn sie nicht auf die Erteilung eines Auftrags im Einzelfall gerichtet ist. Dabei ist der Begriff auch im Sinne des Art. 12 GG eng auszulegen.6 Er ist nicht gleichzusetzen mit der Werbung um einzelne Mandanten und ist nicht immer dann schon verletzt, wenn ein Rechtsanwalt sein Ziel zu verstehen gibt, in konkreten Angelegenheiten mandatiert zu werden.7
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Verboten ist eine Werbung nur, wenn ein möglicher Mandant in einer bestimmten Angelegenheit der Beratung oder Vertretung bedarf und der Anwalt dies weiß (subjektives Element) und dann zum Anlass seiner Werbung nimmt.8 Ein Verstoß gegen die Einzelfallwerbung liegt nicht vor, wenn es sich um ein allgemeines Kennen der Interessenlage handelt, sondern konkret der Beratungsbedarf des konkreten Mandanten bekannt ist.9 Im Zweifel ist bei einer „zielgruppenorientierten Werbung“ von einer Werbung um Mandanten und nicht um Mandate auszugehen.10 Daher sind Rundschreiben z.B. an neu eingetragene Geschäftsführer zulässig, wenn nicht konkret um ein konkretes Mandat geworben wird, sondern die Darstellung des Beratungsangebots im Vordergrund steht. Wenn allerdings in einem Medienauftritt ein Anwalt dazu auffordert, zu ihm zu kommen um gegen den Arbeitgeber vorzugehen, ist die Grenze überschritten, dies ist eine unerlaubte Werbung um ein einzelnes Mandat. Insgesamt zeigen die bisherigen Erfahrungen, dass ein Verstoß gegen das Werbeverbot um ein einzelnes Mandat hohe Anforderungen verlangt und auch die Literatur und Rechtsprechung strenger bei der Annahme der Voraussetzungen für einen Verstoß werden. D. Arbeitshilfen/Praxistipps Das folgende Prüfungsschema soll die rasche Prüfung, ob eine Werbemaßnahme zulässig ist, erleichtern:11 1. Handelt es sich bei der Maßnahme um „Werbung“ im Sinne des § 43b BRAO (bei Verstoß zugleich auch ein Verstoß gegen § 4 Nr. 11 UWG)? 1 BGH, Urt. v. 24.10.2012 – AnwZ (Brfg) 14/12. 2 Anschaulich LG Arnsberg, Urt. v. 2.12.2010, 8 O 128/10 = BRAK-Mitt. 2011, 102, so auch Henssler/Prütting/Prütting, § 43b Rz. 31. 3 S. nur OLG Düsseldorf, BRAK-Mitt. 2000, 46 – ebenso zur Vorinstanz Huff, EWiR § 43b BRAO 1/99, 59. 4 So muss die Fachanwaltszuordnung klar werden, s. Huff, KammerForum 1/2008, 16 unter Hinweis auf BGH, BRAK-Mitt. 2007, 177. 5 So aber LG Osnabrück, Urt. v. 22.12.2010 – 1 O 2937/10. 6 BVerfG, GRUR 2008, 618 m. Besprechung Huff, KammerForum 2/2008, 6. So auch Henssler/Prütting/ Prütting, § 43b Rz. 39. 7 So zu Recht OLG Naumburg, AnwBl. 2007, 869. So auch BGHZ 147, 71 – Anwaltswerbung II, m. Anm. Huff, LM H. 8/2001 § 43b BRAO Nr. 9; BGH, NJW 2001, 2886 m. Anm. Huff, LM H. 10/2001 § 1 UWG Nr. 848. 8 S. auch BGHZ 147, 71 – Anwaltswerbung, II, m. Anm. Huff, LM H. 8/2001 § 43b BRAO Nr. 9; BGH, NJW 2001, 2886 m. Anm. Huff, LM H. 10/2001 § 1 UWG Nr. 848. 9 So eng das Verbot auslegend auch Köhler/Bornkamm/Köhler, UWG, 31. Aufl. 2013, § 4 UWG Rz. 11.97 und jetzt BGH, Urt. v. 13.11.2013 – I ZR 15/12. 10 Huff, NJW 2003, 3525. 11 In Anlehnung an Axer/Deister, NJW 2009, 39.
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§ 43b BRAO/§ 6 BORA Rz. 1
Werbung
a) Werbung im klassischen Sinne? b) Maßnahme der Öffentlichkeitsarbeit? c) Marketingmaßnahme? d) Sponsoring- Aktivität? 2. Ist die Werbung mir erlaubter Maßen zuzurechen? 3. Erfüllt die Werbung die Voraussetzung des § 43b BRAO? a) ist sie im weiten Sinne berufsbezogen? b) ist sie sachlich in Form und Inhalt? c) ist sie nicht auf die konkrete Erteilung des Mandats im Einzelfall gerichtet? 4. Verstößt die Werbung eventuell gegen allgemeine Vorschriften des Wettbewerbsrecht der §§ 3, 4, 5, 6 und 7 UWG?
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6 BORA Werbung (1) Der Rechtsanwalt darf über seine Dienstleistung und seine Person informieren, soweit die Angaben sachlich unterrichten und berufsbezogen sind.
(2) 1Die Angabe von Erfolgs- und Umsatzzahlen ist unzulässig. 2Hinweise auf Mandate und Mandanten sind nur in Praxisbroschüren, Rundschreiben und anderen vergleichbaren Informationsmitteln oder auf Anfrage zulässig, soweit der Mandant ausdrücklich eingewilligt hat. (3) Der Rechtsanwalt darf nicht daran mitwirken, dass Dritte für ihn Werbung betreiben, die ihm selbst verboten ist.
1
A. Zweck der Norm . . . . . . . . . . . .
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B. Kommentierung . . . . . . . . . . . . I. § 6 Abs. 1 BORA . . . . . . . . . . . .
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II. § 6 Abs. 2 BORA . . . . . . . . . . . . III. § 6 Abs. 3 BORA . . . . . . . . . . . .
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Die Vorschrift des § 6 BORA hat eine wechselvolle Geschichte hinter sich. Die Entwicklung1 zeigt, wie schwer sich die Satzungsversammlung und damit auch viele Rechtsanwälte, mit der Frage tun, wie Rechtsanwälte werben dürfen. Zunächst viel enger gefasst, sah die Satzungsversammlung insbesondere nach der Spezialistenentscheidung des BVerfG vom 28.7. 2004,2 die Notwendigkeit, die §§ 6, 7 BORA der neuen Rechtsprechung anzupassen. Nach heftigen Diskussionen wurde dann in der Sitzung der Satzungsversammlung vom 21.2.2005 die Änderung beschlossen. Die heutige Fassung des § 6 BORA ist seit dem 1.11.2005 in Kraft. A. Zweck der Norm
2
§ 6 BORA soll § 43b BRAO ergänzen und ausfüllen sowie weitere Detailregelungen treffen. Insgesamt ist aber festzuhalten, dass nach dem modernen Verständnis des § 43b BRAO3 die Vorschrift des § 6 BORA schlicht überflüssig ist. Mit einer konsequenten Anwendung des § 43b BRAO können in rechtlich sauberer Weise die Fragen der anwaltlichen Werbung geklärt werden.
3
§ 6 Abs. 1 BORA stellt eine etwas genauere Formulierung als § 43b BRAO dar. Hier wird, was an sich selbstverständlich ist, klar gestellt, dass ein Rechtsanwalt nicht nur über seine Dienstleistung, sondern auch über seine Person informieren darf. Da ein Rechtsanwalt kein Gewerbe ausübt, sondern eine persönliche Dienstleistung erbringt, ist die Information über die Person eine wesentliche und erlaubte Information. Es handelt sich zudem bei § 6 Abs. 1 BORA um eine Art Generalklausel gegenüber den anderen speziellen Vorschriften der BORA (§ 6 Abs. 2, 3, §§ 7–10 BORA).
4
§ 6 Abs. 2 BORA beschreibt Verbote und Gebote in Bezug auf bestimmte Werbeformen. Besonders problematisch ist eine solche Festschreibung von Werbemitteln im Hinblick auf 1 Ausführlich und anschaulich dazu Hartung/v. Lewinski, § 6 BORA Rz. 1 ff. 2 BVerfG, NJW 2004, 2656. 3 S. dazu Rz. 10 ff.
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Werbung
Rz. 10 § 6 BORA/§ 43b BRAO
die laufende Fortentwicklung der Kommunikationswege und -möglichkeiten. So sind die Entwicklungen bei der Werbung im und über das Internet immer noch nicht abgeschlossen, neue Werbeformen kommen hinzu („Twitter“) andere verlieren an Bedeutung. Daher sollte – wenn überhaupt – eher auf den Inhalt der Werbung als auf den Werbeweg abgestellt werden. § 6 Abs. 3 BORA enthält eine Regelung, die dem Rechtsanwalt die Mitwirkung bei der Werbung durch Dritte, die ihm selber verboten ist, verbietet.
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B. Kommentierung Für den Begriff der Werbung kann zunächst auf die Ausführungen zu § 43b BRAO verwiesen werden.1 Die dort beschriebene Definition der Werbung hat auch für Auslegung des § 6 BORA Bedeutung.
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I. § 6 Abs. 1 BORA § 6 Abs. 1 BORA enthält inhaltlich keine Beschränkungen gegenüber § 43b BRAO. Dies wäre auch von der Ermächtigungsgrundlage des § 59 BRAO nicht in Einklang zu bringen. Daher ist dem Absatz 1 keine weitere Auswirkung zu entnehmen. Es kann hier auf die Ausführungen zu § 43b BRAO verwiesen werden. Alle dort als zulässig oder unzulässig Werbemethoden entsprechen oder widersprechen somit auch dem § 6 Abs. 1 BORA.
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II. § 6 Abs. 2 BORA § 6 Abs. 2 S. 1 BORA verbietet Rechtsanwälten kategorisch die Mitteilung von Erfolgsund Umsatzzahlen. Dabei ging die Satzungsversammlung davon aus, dass sich der Erfolg eines Rechtsanwalts nicht in Zahlen feststellen lässt und damit die Gefahr besteht, dass eine solche Werbung bei dem Verbraucher einen falschen Eindruck des Erfolgs des Rechtsanwalts hervorruft. Dieser Auffassung der Satzungsversammlung kann nicht gefolgt werden. Einem Rechtsanwalt kann nicht untersagt werden mit wahren und zutreffenden Aussagen zu seiner beruflichen Tätigkeit zu werben. Eine Einschränkung einer solchen Werbung durch die BORA stellt einen Verstoß gegen Art. 12 GG dar und ist somit verfassungswidrig.
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Zu Recht hat daher das OLG Nürnberg einer Rechtsanwaltskanzlei erlaubt, ihre Umsatzzahlen zu nennen und die Vorschrift des damals noch geltenden § 6 Abs. 3 für verfassungswidrig erklärt.2 Das Gericht argumentiert dabei mit den Grundgedanken der Rechtsprechung zu Art. 12 GG. Danach könne es einem am Wirtschaftsleben Beteiligten nicht untersagt werden, mit wahren Aussagen an die Öffentlichkeit (im entschiedenen Fall im Rahmen einer Pressekonferenz) zu gehen. Der Verbraucher sei sehr wohl in der Lage zu erkennen, ob und in welchem Umfang Umsatzangaben für ihn aussagekräftig sind. Unterstützt wird diese Argumentation auch noch dadurch, dass eine Rechtsanwaltskanzlei, wenn sie in der Form der AG oder GmbH organisiert ist, nach den aktien- und handelsrechtlichen Vorschriften zur Veröffentlichung der Jahresabschlüsse verpflichtet ist (§ 325 Abs. 1 HGB). Diese Pflicht kann nicht durch § 6 Abs. 2 S. 1 außer Kraft gesetzt werden. Eine Erlaubnis der Kapitalgesellschaften Zahlen zu nennen und ein Verbot für Einzel- und Personengesellschaften dies nicht zu tun, ist nicht nur ein Verstoß gegen Art. 12 GG sondern auch gegen Art. 3 GG. Die Angabe von zutreffenden Umsatzangaben ist daher zulässig. Bedauerlich ist nur, dass die Satzungsversammlung nicht dem Appell von Dahns3 gefolgt ist und diesen jetzt in § 6 Abs. 2 S. 1 BORA formulierten Satz ersatzlos zu streichen. Allerdings scheint auch niemand mehr gegen die Veröffentlichung von Umsatzzahlen von Kanzleien vorzugehen, die regelmäßig in Medieninformationen genannt und dann auch in den Medien aufgegriffen werden.
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Die gleichen verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen gegen das Verbot der Angabe von Erfolgszahlen. Unter Erfolgszahlen kann man z.B. die Angabe zur Zahl der gewonnenen und verlorenen Prozesse verstehen. Auch die Zahl neuer Mandanten wäre eine solche Erfolgszahl. In einem Verständnis eines liberalen und am Art. 12 GG orientierten Verständnisses der erlaubten Information über die anwaltliche Tätigkeit, ist ein absolutes Verbot der Angabe von Erfolgszahlen nicht zu halten. Zu Recht hat daher das OLG Frankfurt4 die Aus-
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Rz. 10. OLG Nürnberg, NJW 2004, 2167. NJW-Spezial 2004, 190. OLG Frankfurt, NJW 2000, 1652.
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§ 43b BRAO/§ 6 BORA Rz. 11
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sage eines Anwalts in einem Interview nicht beanstandet, der ausgeführt hatte, das fast 100 Prozent der Mandanten einen – vorher verweigerten – Studienplatz erhalten hätten. Voraussetzung für die Angabe solcher Erfolgszahlen ist natürlich, dass die Angaben, die der Rechtsanwalt macht, wahr sind. 11
§ 6 Abs. 2 S. 2 BORA versucht die Information des Rechtsanwalts über Mandate und Mandanten auf bestimmte Informationsmittel einzuschränken. So sollen diese Angaben nur in Praxisbroschüren, Rundschreiben und anderen vergleichbaren Informationsmitteln oder auf Anfrage zulässig sein, soweit der Mandant ausdrücklich eingewilligt hat. Die Vorschrift ist verfassungskonform dahingehend – auch im Sinne der Spezialistenentscheidung des BVerfG1 auszulegen, dass der Anwalt bei einer vorherigen Zustimmung seines Mandaten – die im Übrigen schon aufgrund der anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht nach § 203 StGB notwendig ist – den Namen seines Mandanten nennen darf. Eine Beschränkung des Mediums, in dem die Nennung erfolgt, ist unzulässig, weil sie gegen Art. 12 GG verstößt. Dabei kommt es auf die Frage, ob die Mitteilung durch den Anwalt selber geschieht oder auf Anfrage, nicht an. Zudem findet sich auch in der Entscheidung des BVerfG zur so genannten Gegnerliste2 eine Unterstützung für die hier vertretene Ansicht der weiten Nennungsmöglichkeiten. Wenn einem Rechtsanwalt schon erlaubt ist, unter bestimmten Umständen seine Gegner zu nennen, so kann ihm bei der Zustimmung seines Mandanten erst Recht nicht die Nennung eines konkreten Mandats oder eines Mandanten verboten werden. III. § 6 Abs. 3 BORA
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Die Vorschrift, dass ein Anwalt nicht an der ihm verbotenen Werbung durch Dritte mitwirken darf, beschreibt eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Es handelt sich hier um einen „alten“ Grundsatz im Wettbewerbsrecht.3 Wirbt ein Dritter verboten für einen Rechtsanwalt, so kann er dies unter Umständen zwar nicht verhindern, darf aber auf keinen Fall aktiv daran mitwirken. Dies ergibt sich im Übrigen auch schon aus § 43b BRAO, so dass es einer Normierung in § 6 Abs. 3 BORA eigentlich nicht bedurft hätte. Es gibt aber durchaus Fälle, in denen der Rechtsanwalt an einer unzulässigen Werbung mitwirkt. So hat das LG München I über den Fall eines unzulässigen Rankings von Steuerberatern entschieden. Hier hatte ein Steuerberater/Rechtsanwalt das erkennbar unzulässige Ranking im Magazin Focus-Money aus werblichen Gründen auf seine Homepage eingestellt.4 Das LG München I sah in dem Verhalten des Anwalts eine unzulässige eigene Werbung (§ 6 UWG) ohne auf die berufsrechtlichen Vorschriften abzustellen.
von Teilbereichen der Berufstätigkeit 7 BORA Benennung (1) Unabhängig von Fachanwaltsbezeichnungen darf Teilbereiche der 1
Berufstätigkeit nur benennen, wer seinen Angaben entsprechende Kenntnisse nachweisen kann, die in der Ausbildung, durch Berufstätigkeit, Veröffentlichungen oder in sonstiger Weise erworben wurden. 2Wer qualifizierende Zusätze verwendet, muss zusätzlich über entsprechende theoretische Kenntnisse verfügen und auf dem benannten Gebiet in erheblichem Umfang tätig gewesen sein. (2) Benennungen nach Absatz 1 sind unzulässig, soweit sie die Gefahr einer Verwechslung mit Fachanwaltschaften begründen oder sonst irreführend sind. (3) Die vorstehenden Regelungen gelten für Berufsausübungsgemeinschaften nach § 9 entsprechend. A. Zweck der Norm . . . . . . . . . . . .
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B. Kommentierung . . . . . . . . . . . . I. Benennung von Teilbereichen (§ 7 Abs. 1 S. 1 BORA) . . . . . . . . . . . . . . II. Verwendung qualifizierender Zusätze (§ 7 Abs. 1 S. 2 BORA) . . . . . . . . .
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III. Verwechselungsgefahr und Irreführungsverbot (§ 7 Abs. 2 BORA) . . . . . . . . IV. Geltung für Berufsausübungsgemeinschaften (§ 7 Abs. 3 BORA) . . . . . . .
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BVerfG, NJW 2004, 2656. BVerfG, BRAK-Mitt. 2008, 69 m. zustimmender Anm. Uechtritz, und Dahns, NJW-Spezial 2008, 126. Sehr ausführlich zur Geschichte der Vorschrift Hartung/v. Lewinski, § 6 Rz. 199 ff. LG München I, MMR 2009, 491 m. Besprechung Huff, EWiR § 6 UWG 1/08, 61.
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Benennung von Teilbereichen der Berufstätigkeit
Rz. 5 § 7 BORA/§ 43b BRAO
§ 7 BORA hat ebenso wie § 6 BORA eine bewegte Geschichte hinter sich. Immer wieder geändert spiegelt die Vorschrift die Wandlung wider, die mit besonderen Angaben über den Inhalt der Tätigkeit des Rechtsanwalts verbunden ist.1 Insbesondere die früher enthaltene Beschränkung von Zusatzangaben auf „Interessen- und Tätigkeitsschwerpunkte“ sorgte vielfach für Unverständnis. Zudem verstand der Verbraucher als der Kunde der Anwaltschaft die „Qualifikationsleiter“ nicht. Und was zum Beispiel ein „Interessenschwerpunkt“ mehr aussagen sollte, als dass man Interesse an einem Rechtsgebiet hat und damit ohne sachlichen Gehalt ist, konnte eigentlich niemand erklären.
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Für die heutige Fassung des § 7 BORA von besonderer Bedeutung ist die so genannte „Spezialisten“-Entscheidung des BVerfG.2 In ihr stellte das BVerfG in einem bewusst angestrengten Musterverfahren fest, dass sich ein bundesweit anerkannter Rechtsanwalt auf dem Gebiet des Verkehrsrechts, der sowohl umfangreiche theoretische Kenntnisse als auch praktische Erfahrungen nachweisen konnte, sich als „Spezialist“ bezeichnen darf. Konsequenz der Entscheidung und der sich daran anschließenden Sitzung der Satzungsversammlung, insbesondere am 21.2.2005, war dann die Verabschiedung einer neuen Fassung des § 7 BORA. Der von der Satzungsversammlung verabschiedete § 7 Abs. 3 BORA sah noch eine Fortbildungsverpflichtung vor, wenn man Teilbereiche benannte. Das Bundesjustizministerium hatte gegen diese Formulierung Bedenken, weil diese Pflicht sich nicht mit der Ermächtigungsgrundlage des § 59b BRAO in Einklang bringen lasse und beanstandete diese Formulierung. Nach einer Diskussion um die Frage, wer was abändern und verkünden durfte,3 wurde die jetzt geltende Fassung verkündet und trat am 1.3.2006 in Kraft.4
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A. Zweck der Norm Die jetzt geltende Fassung der Vorschrift versucht, für die verschiedenen von Rechtsanwälten verwendeten Spezialisierungshinweise (oder besser besondere Tätigkeitshinweise) den Rahmen abzustecken. Dabei wird unterschieden zwischen den einfachen (Abs. 1 Satz 1) und den „qualifizierenden“ Hinweisen (Abs. 1 Satz 2) durch Rechtsanwälte und der Verwendung von Fachanwaltsbezeichnungen. Absatz 2 bezeichnet dann eigentlich eine Selbstverständlichkeit des allgemeinen Wettbewerbsrechts,5 nämlich dass eine Werbung nicht irreführend sein darf. Oder anders formuliert: Es geht um das Interesse der Rechtssuchenden an einer zutreffenden Information über die Tätigkeit des Anwalts und die Vermeidung von Irreführungen.6 Und zu Recht erweitert Absatz 3 den Anwendungsbereich auf Berufsausübungsgemeinschaften nach § 9 BORA.
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Im Ergebnis kann man trefflich darüber diskutieren, ob § 7 BORA einer verfassungsrechtlichen Prüfung standhält. Denn mit guten Argumenten kann man die Auffassung vertreten, dass § 7 BORA schlichtweg überflüssig ist,7 weil das gleiche Ergebnis – nämlich der Verwendung wahrheitsgemäßer Angaben durch einen Rechtsanwalt – auch dann erreichen lässt, wenn man zum wettbewerbsrechtlichen Instrumentarium (§§ 5 UWG) greift. § 7 BORA beschreibt mit anderen Worten noch einmal eine schon durch andere – allgemein geltende – Vorschriften geregelte Verhaltensvorschrift. Daraus aber den Schluss zu ziehen, dass diese Vorschrift verfassungswidrig ist, geht zu weit. Insgesamt ist § 7 BORA noch verfassungsgemäß.8 Sie beschreibt konkreter als es dass Wettbewerbsrecht es kann, wie man zulässige Hinweise auf die Gebiete der anwaltlichen Tätigkeit geben kann. Dafür besteht durchaus ein praktisches Bedürfnis.
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B. Kommentierung I. Benennung von Teilbereichen (§ 7 Abs. 1 S. 1 BORA) Grundsätzlich darf ein Rechtsanwalt Teilbereiche seiner Tätigkeit nur benennen, wenn er entsprechende Kenntnisse nachweisen kann. Was unter einem Teilbereich zu verstehen ist, 1 2 3 4 5 6 7 8
S. am ausführlichsten dazu Hartung/v. Lewinski, § 7 Rz. 1 ff. BVerfG, NJW 2004, 2656 – dazu Offermann-Burkart, NJW 2004, 2617, Quaas/Sieben, BRAK-Mitt. 2004, 198. Römermann AnwBl. 2005, 636. S. auch Offermann-Burkhart, BRAK-Mitt. 2006, 154. S. dazu Rz. 10 ff. So auch Köhler/Bornkamm/Köhler, UWG, 31. Aufl. 2013, § 4 UWG Rz. 11.99. So deutlich Kleine-Cosack, § 7 BORA Rz. 1. So auch Köhler/Bornkamm/Köhler, UWG, 31. Aufl. 2013, § 4 UWG Rz. 11.99.
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§ 43b BRAO/§ 7 BORA Rz. 6
Benennung von Teilbereichen der Berufstätigkeit
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beschreibt die Vorschrift nicht. Im Sinne des Art. 12 GG ist der Begriff sehr weit auszulegen.1 Ausgangspunkt ist hier das Recht insgesamt, also der „Gesamtbereich“ des Rechts. Er kann sowohl ganze Rechtsgebiete (Strafrecht, Zivilrecht) als auch kleine Bereiche (Unterhaltsrecht, Kündigungsschutzrecht etc.) gewählt werden. Erlaubt sind aber nicht nur konkrete rechtliche Bezeichnungen, sondern auch allgemeine Aussagen, wie die „Beratung ein allen Erbfragen“ oder „Forderungsmanagement“.2 Entscheidend ist dabei, dass für den Rechtssuchenden ein Informationswert mit der Bezeichnung verbunden ist.3 6
Einen Teilbereich darf allerdings nur benennen, wer entsprechende Kenntnisse nachweisen kann, die er auf bestimmte Weise erworben hat. Zwar nennt Absatz 1 S. 1 einige – gleich zu besprechende – Beispiele, jedoch wird diese Aufzählung durch die Formulierung „in sonstiger Weise“ ergänzt und erweitert. Fasst man dies zusammen, so geht es darum, dass der Rechtsanwalt, der einen Teilbereich bezeichnet, tatsächlich besondere Kenntnisse hat.
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Kenntnisse können „in der Ausbildung“ erworben worden sein. Dies bedeutet nicht, dass es eine spezielle Ausbildung in dem betreffenden Gebiet gewesen sein muss. Sondern es reicht auch aus, wenn dies im Studium (z.B. Seminare etc.), in der Referendarzeit, durch die Teilnahme an Fortbildungen etc. geschieht. Auch wann diese „Ausbildung“ absolviert wurde, ist dabei unerheblich. Der Zeitpunkt der Ausbildung kann nur dann einmal eine Rolle spielen, wenn sich das Recht nach der Ausbildung völlig verändert hat. Hier können sich dann eventuell Zweifel ergeben.
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Auch der Begriff der „Berufstätigkeit“ ist weit zu sehen. Es muss sich dabei um keine anwaltliche Berufstätigkeit handeln. So ist es denkbar aus der Tätigkeit als Wohnungseigentumsverwalter besondere Kenntnisse auf dem Gebiet des WEG erworben oder als Mitarbeiter einer Agentur für Arbeit berufliche Erfahrungen im Recht der Arbeitsförderung zu haben.
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Auch Veröffentlichungen sollen dem Nachweis besonderer Fachkenntnisse dienen können. Zwar erwirbt man durch Veröffentlichungen keine Kenntnisse, sondern gibt diese nur weiter. Gemeint ist aber, dass derjenige, der zu juristischen Themen veröffentlicht, sich in der Regel besonders mit den Rechtsfragen auseinander gesetzt und damit ausreichende Kenntnisse erworben hat. Dabei ist das Medium, in dem veröffentlicht wurde, nicht entscheidend. Denn ein juristisch qualifizierter Beitrag kann auch in einem Verbandsorgan oder in einer Tageszeitung erscheinen, hinter der manche Veröffentlichung in einer „Fachzeitschrift“ zurück bleibt. Es ist vielmehr auf den Inhalt abzustellen, der transportiert wird. Und der muss sich inhaltlich mit dem betroffenen Gebiet befassen. Dabei wird man den Begriff der Veröffentlichung weit fassen müssen.
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Als Auffangtatbestand benennt Absatz 1 S. 1 auch Nachweise „in sonstiger Weise“. Nach den drei vorher genannten Gebieten kann man darunter etwa Projektarbeiten, Forschungstätigkeiten, die zu keiner Veröffentlichung geführt haben oder ähnliches verstehen.
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Der Nachweis der Kenntnisse nach Absatz 1 S. 1 muss der Anwalt dann erbringen, wenn im Streit steht, ob er zu Recht einen Teilbereich benennt. Dies kann sowohl gegenüber der Rechtsanwaltskammer im Rahmen der Berufsaufsicht oder aber in einem möglichen Wettbewerbsverfahren geschehen. Wenn es um Berufserfahrungen geht, darf der Rechtsanwalt gegenüber der Rechtsanwaltskammer auch konkrete Verfahren benennen, weil die Rechtsanwaltskammer (Vorstand, Geschäftsführung, Mitarbeiter) eine eigene Verschwiegenheitspflicht hat, im Wettbewerbsprozess ist dies schwieriger, weil hier eventuell die Verschwiegenheitspflicht betroffen sein kann.4 Aber es wäre durchaus erlaubt, entschiedene Verfahren anhand der Aktenzeichen der Gerichtsverfahren zu benennen. II. Verwendung qualifizierender Zusätze (§ 7 Abs. 1 S. 2 BORA)
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Für die Verwendung qualifizierter Zusätze sieht Absatz 1 S. 2 besondere Voraussetzungen vor. Dieses Verlangen ist berufsrechtlich und wettbewerbsrechtlich notwendig. Denn wer einen Zusatz verwendet muss auch die Voraussetzungen dafür nachweisen können. Die Erfüllung dieser Voraussetzungen führt dazu, dass ein Verstoß gegen § 43b BRAO und § 5 UWG (Irreführung) ausgeschlossen ist, weil dann die Werbung des Anwalts wahrheitsgemäß ist. 1 2 3 4
So So So So
auch Köhler/Bornkamm/Köhler, UWG, 31. Aufl. 2013, § 4 UWG Rz. 11.100. schon vor der Neufassung des § 7 BORA OLG Düsseldorf, MDR 2000, 607. zu Recht Feuerich/Weyland/Böhnlein, § 43b Rz. 12; § 7 Rz. 12. zu allgemein Hartung/v. Lewinski, § 7 Rz. 42.
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Rz. 20 § 7 BORA/§ 43b BRAO
Unter einem qualifizierten Zusatz ist jede Bezeichnung zu verstehen, die über die normale Angabe eines Fachgebiets hinausgeht. So etwa die Bezeichnung als „Experte“, „Spezialist“ oder „Fachberater“. Dabei ist es hier egal, ob der Zusatz von einem Rechtsanwalt selber geführt oder ihm die Führung von einem Dritten „verliehen“ wird oder er – zum Beispiel gegen Entgelt – die Befugnis erhält, eine Bezeichnung eines Dritten zu führen.
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Dabei müssen immer beide Elemente des Satzes 2 vorliegen, nämlich die besonderen theoretischen Kenntnisse und die praktischen Erfahrungen. Verwendet der Rechtsanwalt die Bezeichnung selber, so muss er beide Voraussetzungen erfüllen. Wird dabei die Bezeichnung von einem Dritten verliehen, so muss sich dieser von beiden Voraussetzungen überzeugen. Es kann nicht in das Ermessen des Anwalts gestellt werden, die praktischen Erfahrungen separat nachzuweisen. Gerade bei der Verleihung durch einen Dritten, muss auf einen Blick klar werden, dass beide Voraussetzungen eingehalten wurden.
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Für die besonderen Kenntnisse kann auf die Anforderungen nach Satz 1 verwiesen werden.1 Im Mittelpunkt stehen hier allerdings die theoretischen Kenntnisse. Diese können wiederum durch Ausbildung, Fortbildung etc. nachgewiesen werden.
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Fraglich ist, was unter einer Tätigkeit in erheblichem Umfang zu verstehen ist. Orientieren kann man sich sicherlich an den Fachanwaltsfällen, die für ein Gebiet erfüllt sein müssen. Da der qualifizierende Zusatz aber noch kein Fall ist, kann die Grenze bei der Hälfte der Fälle gezogen werden. Wobei hier im Gegensatz zur Fachanwaltschaft auch der Nachweis durch weniger umfangreichere Mandate vorgenommen werden kann.
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Umstritten ist weiterhin, unter welchen Voraussetzungen sich ein Rechtsanwalt als Spezialist etc. bezeichnen darf. Denn die Spezialisten-Entscheidung des BVerfG2 hat einen Ausnahmefall zu Recht entschieden, aber die genauen Kriterien offen gelassen. Dies hat wiederum zu einigen Gerichtsentscheidungen3 und Stimmen in der Literatur4 geführt. Remmertz5 führt zu Recht an, dass sowohl bei Absatz 1 S. 2 wie auch in Bezug auf Absatz 2 des § 7 BORA strengste Voraussetzungen an den Spezialisten zu stellen sind, die sogar noch über die Anforderungen des Fachanwalts hinausgehen müssen (zur Verwechselungsgefahr mit dem Fachanwalt bei der Spezialisten-Benennung s. unten).
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Für besondere Aufmerksamkeit hat das „Dekra-Verfahren“ gesorgt. Die Dekra Certification GmbH und das „Deutschen Anwaltszentrum“, eine Einrichtung zweier junger Assistenten der Freien Universität Berlin, wandten sich im Oktober 2008 mit einem Werbeschreiben für eine „Dekra Zertifizierung für Juristen“ an eine Vielzahl von Rechtsanwälten um diese für eine Teilnahme an einem Lehrgang und einem Test zu gewinnen. Nach deren Bestehen sollte der Rechtsanwalt befugt sein, ein Zertifikat zu verwenden, das sich aus dem Logo der Dekra, einem Paragrafen und der Formulierung „Zertifiziert im Arbeitsrecht gültig bis 11/2009“ zusammensetzt. Das LG Köln6 hat diese Werbung auf Antrag zweier Fachanwälte unter dem Gesichtspunkt des § 5 UWG als wettbewerbswidrig angesehen. In der mündlichen Verhandlung vor dem OLG Köln (6 U 38/09) haben die Dekra und das DAZ die geforderte strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben. Die Kosten des Verfahrens wurden ihnen auferlegt.
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Dem vorausgegangen war eine intensive rechtliche Diskussion. Der 6. Zivilsenat des OLG Köln vertrat die Auffassung, dass die Verwendung des Dekra-Zertifikats einen qualifizierenden Zusatz im Sinne des § 7 Abs. 1 S. 2 BORA sehe, ohne dass geprüft werde, ob praktische Erfahrungen vorlägen. Durch das Schreiben der Dekra und des Deutschen Anwaltszentrums werde eine Anstiftung zu dieser dann verbotenen Werbung geleistet.
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Insgesamt ist die Untersagung der Werbung zutreffend. Denn mit einem „Zertifikat“ darf nur werben, wer tatsächlich besondere theoretische und praktische Erfahrungen besitzt. Denn der kundige – wenn auch z.T. flüchtige – Verbraucher geht davon aus, dass derjenige, der mit besonderer Sachkunde wirbt, diese tatsächlich auch besitzt. Und dazu gehören nicht nur theoretische sondern auch praktische Kenntnisse.7
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1 Rz. 6. 2 BVerfG, NJW 2004, 2656. 3 OLG Stuttgart, NJW 2008, 1326; OLG Nürnberg, NJW 2007, 1984; LG Kiel, NJW 2006, 2496 m. zust. Anm. Huff, EWiR § 43b BRAO 1/07, 13; LG Dortmund, BRAK-Mitt. 2006, 44; LG Regensburg, NJW-RR 2004, 1044; LG Offenburg, BRAK-Mitt. 2007, 182. 4 Remmertz, NJW 2008, 266. 5 Remmertz, NJW 2008, 266. 6 BRAK-Mitt. 2009, 91. 7 Ausführlich dazu Huff, JuraCon Jahrbuch 2009/2010, S. 104 ff.
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§ 43b BRAO/§ 7 BORA Rz. 21
Benennung von Teilbereichen der Berufstätigkeit
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Auch die Bezeichnung als „Prädikatsanwalt“ ist nicht erlaubt, auch wenn man ein Prädikatsexamen, eine bestimmte Zulassungsdauer und einen Fachanwaltstitel nachweisen kann. Zwar kann man zweifeln, ob die Bezeichnung einen Verstoß gegen Absatz 1 S. 2 darstellt. Aber das Verbot der Bezeichnung durch das OLG Nürnberg1 ist zu Recht erfolgt. Denn nach der hier vertretenen Auffassung setzt ein Qualifikationshinweis immer praktische und theoretische Kenntnisse voraus. Und diesen Anforderungen wird alleine das Abstellen auf die Examensnote, eine allgemeine Dauer der anwaltlichen Tätigkeit von fünf Jahren und der Erwerb eines Fachanwaltstitels nicht gerecht.2 Es wird vielmehr der Eindruck erweckt, als gebe es eine darüber hinaus reichende Qualifikation, was gerade nicht der Fall ist. Die Bezeichnung als Prädikatsanwalt stellt dabei eine irreführende Werbung (§ 3 UWG) dar, die auch ohne Rückgriff auf § 7 Abs. 1 S. 2 BORA zu untersagen ist.
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Anders sieht es bei der Bezeichung als „Vorsorgeanwalt“ aus. Diese Bezeichnung, mit der sich Rechtsanwälte bezeichnen, die sich umfangreich mit den Fragen der Vorsorge z.B. bei Krankheit etc. befassen, ist erlaubt, weil sie weder gegen §§ 43b BRAO noch gegen § 7 BORA verstößt, wie der AGH NRW im zweiten Anlauf zurecht festgestellt hat.3
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Auch die Bezeichnung „zertifizierter Testamentsvollstrecker“ darf nur dann geführt werden, wenn sowohl die theoretischen wie praktischen Kenntnisse vorliegen.4 Da diese Voraussetzung bei der Verleihung der Bezeichnung vorliegen muss, ist die Verwendung nicht gestattet, wenn praktische Erfahrungen nicht nachweisbar vor bzw. bei der Verleihung gegeben sind. So ist damit etwa die Bezeichnung „zertifizierter Testamentsvollstrecker (AGT)“ nicht erlaubt, weil praktische Erfahrungen nicht vermittelt oder geprüft werden, sondern nur eine Zulassung als Anwalt vorliegen muss. Die Rechtsprechung des BGH gilt damit für alle „Zertifikate“. Sie dürfen nur verwendet werden, wenn wirklich theoretische und praktische Erfahrungen zusammen kommen.5
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Mit einer Zertifizierung nach der ISO-Norm 9001 darf geworben werden, da es sich um eine andere Form der Zertifizierung als oben dargestellt handelt. Hier werden Kanzleiabläufe überprüft und dies weiß der Verbraucher auch.6 III. Verwechselungsgefahr und Irreführungsverbot (§ 7 Abs. 2 BORA)
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Die Vorschrift gebietet dem Rechtsanwalt keine Bezeichnungen zu verwenden, die beim Rechtssuchenden eine Verwechselung mit dem Fachanwalt herbeiführen kann. Allerdings muss die Zuordnung der Fachanwaltsbezeichnungen zu dem Berufsträger, der die Bezeichnung führt, klar sein, also am besten beim einzelnen Kollegen stehen. Nur die allgemeine Angabe der Fachanwaltsbezeichnungen ohne eine Zuordnung führt in die Irre.7 Zudem muss die geführte Fachanwaltsbezeichnung konkret benannt werden, sich als „Fachanwalt“ zu benennen ist irreführend. Insgesamt sind unterschiedliche Fallkonstellationen denkbar.
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Umstritten ist die Einordnung der Bezeichnung als „Rechtsanwalt für …“, wenn diese Bezeichnung auf einem Gebiet verwendet wird, auf dem es eine Fachanwaltschaft gibt. Entgegen der kaum begründeten Ansicht des AGH Schleswig-Holstein8 sind solche Bezeichnungen zulässig und verstoßen nicht gegen Abs. 2.9 Denn der Verbraucher wird hier nicht irregeführt, insbesondere wird nicht der Eindruck des Spezialisten etc. erweckt. Die Bezeichnung darf also verwandt werden. Das Gleiche gilt auch für die Bezeichnung „Kanzlei für …“ in einem Fachanwaltsgebiet. Zu Recht hatte schon vor der jetzigen Fassung des § 7 der BGH10 gegen die Verwendung dieser Bezeichnung mit dem Zusatz „Arbeitsrecht“ keine Bedenken. 1 OLG Nürnberg, Urt. v. 13.7.2009 – 3 U 525/09. 2 S. auch Huff, JuraCon Handbuch 2009/2010, S. 104 (108 f.). 3 AGH NRW, Urt. v. 7.9.2012 – 2 AGH 29/11, NJW 2013, 318 (entgegen AGH NRW, Urt. v. 7.1.2011 – 2 AGH 36-38/10), s. dazu Kleine-Cosack, NJW 2013, 272. 4 So jetzt klar BGH, Urt. v. 9.6.2011 – I ZR 113/10 – „Zertifizierter Testamentsvollstrecker“ 5 S. dazu ausführlich Huff, in: AGT e.V. (Hrsg.), Tagungsband 2. Deutscher Testamentsvollstreckertag, Bonn, 2010, S. 37 ff. 6 Unzutreffend daher OLG Hamm, Urt. v. 31.1.2012 – 4 U 100/11, NJW-RR 2012, 734. 7 So auch zu Recht das OLG Köln, Urt. v. 4.4.2012 – 6 W 23/12, BRAK-Mitt. 2012, 132. 8 AGH Schleswig-Holstein, BRAK-Mitt. 2009, 133 m. ablehnender Bespr. Huff, BRAK-Mitt. 2009, 134. 9 So ausdrücklich Huff, BRAK-Mitt. 2009, 134. 10 BGH, BRAK-Mitt. 2001, 139. S. auch BVerfG, NJW 2001, 1926.
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Benennung von Teilbereichen der Berufstätigkeit
Rz. 30 § 7 BORA/§ 43b BRAO
Unzutreffend ist daher auch die in einem obiter dictum vom BVerfG geäußerte Auffassung,1 dass die Verwendung der Bezeichnung „Rechtsanwälte und Steuerberatung“ stelle eine Verwechselungsgefahr mit dem Fachanwalt für Steuerrecht dar. Vielmehr darf diese Bezeichnung verwendet werden.2 Auch die Bezeichung als „Steuerbüro“ sieht der BGH jetzt zu Recht als zulässig an und sieht keine Verwechselungsgefahr.3
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Eine Verwechslungsgefahr bzw. eine Irreführungsgefahr besteht hier nur dann, wenn eine besondere – sprachliche – Nähe zur Fachanwaltschaft vorliegt. So dann, wenn in der Bezeichnung des Anwalts die Bezeichnung „Fach“ verwendet wird.4 Unzulässig sind natürlich auch Fantasie-Fachanwaltsbezeichungen, wie der „Fachanwalt für Markenrecht“5, der „Fachanwalt für Domainrecht“6 oder der „Fachanwalt für Bauproduktrecht“.
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Werben darf aber ein Rechtsanwalt, der aus welchen Gründen auch immer eine Fachanwaltsbezeichnung nicht mehr führt, mit dem Hinweis auf die früher einmal bestehende Fachanwaltsbezeichnung, etwa mit dem Hinweis „vormals Fachanwalt für …“ oder „Fachanwalt für xxx von xxx bis xxxx.“. Denn es handelt sich, wie bei dem „Notar a.D.“ um eine wahre Tatsachenbehauptung. Eine Irreführungsgefahr kann sich auch dann ergeben, wenn ein „Zertifikat“ angeboten wird, dessen inhaltliche Ausrichtung aus einem Fachanwaltsgebiet (auch eines Teilgebiets) stammt. Im so genannten Dekra-Verfahren7 begründete das vorgesehene und dann aufgrund der wettbewerbsrechtlichen Auseinandersetzung8 zunächst gestoppte Zertifikat mit dem Text „Zertifiziert im Arbeitsrecht“ eine Irreführung und auch eine Verwechselungsgefahr. Denn der Rechtsverkehr geht von einer besonderen Qualifikation auf dem Gebiet des Arbeitsrechts aus, die sogar über der Qualifikation des Fachanwalts liegen kann. Daher haben verschiedene Vorstände von Rechtsanwaltskammern, etwa die in Köln, Berlin, Hamm, Tübingen und Frankfurt, zu Recht eine Verwechselungsgefahr gesehen und angekündigt, gegen Kollegen berufsrechtlich vorzugehen, die das Zertifikat in einem Gebiet der Fachanwaltschaften verwenden. Auf diesen Aspekt wurde in dem Dekra-Verfahren vor dem LG und dem OLG Köln nicht eingegangen, weil er nicht entscheidungserheblich war.
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Eine Verwechselungsgefahr besteht auch bei „geprüfter Teilnehmer“ wenn nicht ausdrücklich auf den theoretischen Charakter verwiesen wird. Zulässig ist daher nur die – wenig werbeträchtige – Aussage etwa in dem Stil: „Geprüfter Absolvent des Spezialisierungslehrgangs Baurecht der Deutschen Anwaltsakademie 2002“. Hier wird auch das zeitliche Element festgeschrieben.
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Aber auch andere Formen der besonderen Herausstellung müssen anhand einer Irreführungs- und Verwechselungsgefahr geprüft werden. Allerdings kommt es hier auf die genaue Formulierung an. Geht es zum Beispiel ausdrücklich nur um die Fortbildung, auf die auch so hingewiesen wird und wird nicht der Eindruck der besonderen Sachkunde auf dem gesamten Gebiet erweckt, so liegt kein Verstoß gegen Absatz 1 S. 2 vor. Dies gilt etwa für das „Fortbildungssiegel“ des Deutschen Anwaltsinstitut9 und das „BRAK-Fortbildungs-Zertifikat“. Bei beiden „Titeln“ kann der Verbraucher im Übrigen im Internet die Grundlagen für die Verleihung nachlesen, die Irreführungsgefahr kann damit durchaus gebannt werden. Noch sicherer wäre es, wenn die Organisationen den Internetauftritt noch deutlicher – am besten im Logo – hervorheben würden.
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Bei der Benennung als „Spezialist“ ist zu unterscheiden. Wird die Bezeichnung genau mit der Bezeichnung einer Fachanwaltschaft verwendet, so liegt darin ein Verstoß gegen Absatz 2. Denn die Bezeichnung Fachanwalt ist durch die Fachanwaltsordnung besonders geschützt. Nur wer in einer bestimmten Zeit eine bestimmte Anzahl von Fällen bearbeitet und vorher die theoretischen Kenntnisse erworben hat, darf die Bezeichnung führen und darf diese nur dann weiter führen, wenn er seiner Fortbildungspflicht nach § 15 FAO nachkommt. Diese Voraussetzungen werden von der zuständigen Rechtsanwaltskammer überprüft und
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1 BVerfG, BRAK-Mitt. 2006, 172 m. kritischer Besprechung Huff, BRAK-Mitt. 2006, 173. 2 S. dazu AGH NRW, Urt. v. 5.11.2010 – 2 AGH 30/09 gegen BVerfG, BRAK-Mitt. 2006, 172; auch allgemein Kleine-Cosack, AnwBl. 2005, 275. 3 BGH, Urt. v. 18.10.2012 – I ZR 137/11. 4 S. dazu Huff, BRAK-Mitt. 2009, 134. 5 LG Frankfurt a.M., Urt. v. 13.1.2010 – 2-06 521/09, MMR 2010, 336. 6 LG Frankfurt a.M., Urt. v. 8.3.2012 – 2-03 O 437/11, NJW-RR 2012, 1395. 7 S. dazu Huff, BRAK-Mitt. 2009, 165. 8 S. dazu oben Rz. 58. 9 Das DAI hat nach Diskussionen im Dekra-Verfahren auf den Begriff „Zertifikat“ verzichtet.
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§ 43b BRAO/§ 7 BORA Rz. 31
Benennung von Teilbereichen der Berufstätigkeit
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überwacht. Der Rechtssuchende darf also, wenn ein Rechtsanwalt die Fachanwaltsbezeichnung führt, davon ausgehen, dass die Voraussetzungen objektiv kontrolliert vorliegen. Zu Recht wurde daher der „Spezialist für Familienrecht“ eines Kollegen, der kein Fachanwalt war, als berufsrechtswidrig angesehen1 31
Bei einem selbsternannten Spezialisten ist dies alles nicht der Fall. Niemand überprüft die Verwendung des Begriffes, es geht hier um eine reine Selbsteinschätzung. Im Streitfall muss der Anwalt die Voraussetzungen für sein „Spezialistentum“ nachweisen. Im Sinne des Rechtsuchenden ist dies nicht. Daher ist die Verwendung der Bezeichnung irreführend.2
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Das oben Gesagte gilt auch für Teilgebiete, für die es eine Fachanwaltschaft gibt. So ist die Bezeichnung „Spezialist für Unterhaltsrecht“ unzulässig. Der Rechtssuchende kann nicht mehr unterscheiden, was die Unterschiede zwischen dem Fachanwalt für Familienrecht und dem Spezialisten für Unterhaltsrecht sind. Ungenommen ist es dabei jedem Rechtsanwalt zusätzlich zu der Bezeichnung als Fachanwalt auch noch bestimmte Rechtsgebiete zu beschreiben und damit das was die Fachanwaltschaft umfasst, anschaulich zu machen.
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Anders sieht dies nur aus, wenn es auf dem benannten Rechtsgebiet keine Fachanwaltsbezeichnung gibt. Hier liegt es an der Satzungsversammlung Klarheit zu schaffen. Solange es aber Gebiete gibt, in denen es keine Fachanwaltschaft gibt, kann es auch keine Verwechslungs- und Irreführungsgefahr geben. Zulässig ist somit zur Zeit etwa der „Spezialist für Reiserecht“. Erst dann, wenn eine Fachanwaltschaft beschlossen wird, greift der Schutz des Absatzes 2 ein. IV. Geltung für Berufsausübungsgemeinschaften (§ 7 Abs. 3 BORA)
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Zu Recht erstreckt Absatz 3 die Geltung der Absätze 1 und 2 auch auf alle Formen der beruflichen Zusammenarbeit.3
7a BORA Mediator Als Mediator darf sich bezeichnen, wer durch geeignete Ausbildung nachweisen kann, dass er die Grundsätze des Mediationsverfahrens beherrscht. A. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . .
1
B. Kommentierung . . . . . . . . . . . . I. Bezeichnung als Mediator . . . . . . . .
3 4
II. Geeignete Ausbildung . . . . . . . . . III. Nachweis der Ausbildung . . . . . . . . IV. Zertifizierter Mediator . . . . . . . . .
5 8 8a
A. Allgemeines 1
§ 7a BORA wurde durch die Satzungsversammlung am 25.4.2002 mit Wirkung zum 1.1. 2003 in die BORA eingefügt. Hintergrund war damals eine Diskussion um die Frage, ob ein Rechtsanwalt sich als „Mediator“ bezeichnen dürfe. Warum diese Diskussion entsprang, lässt sich heute leider nicht mehr nachvollziehen. Denn bis zur Entscheidung der Satzungsversammlung hatte die Rechtsprechung die Bezeichnung dann als zulässig angesehen, wenn die Bezeichnung zutreffend verwendet wurde.4 Nach dem Beschluss der Satzungsversammlung machte der BGH5 deutlich, dass er ebenfalls keine Bedenken gegen die Verwendung der Bezeichnung Mediator hatte, wenn eine fundierte Ausbildung zugrunde liegt. Ein Verstoß gegen § 43b BRAO sei nicht erkennbar, argumentierten die Gerichte damals zutreffend. Diesen Entscheidungen ist auch gerade unter dem Gesichtspunkt des Art. 12 GG, der Einschränkungen der Werbung nur in engen Grenzen zulässt,6 zuzustimmen. Eine Regelung für die Bezeichnung als Mediator war und ist überflüssig.7 Auch das Mediationsgesetz vom 21.7.20128 hat an dieser Einschätzung nichts geändert. Gerade die Regelung in § 5 Abs. 1 MediationsG 1 OLG Karlsruhe, Urt. v. 1.3.2013 – 4 U 120/12. 2 Unklar und verwirrend KG, Urt. v. 27.1.2012 – 5 U 191/10, dass die Bezeichnung „Experten-Kanzlei Scheidung“ erlaubt. 3 Hartung/v. Lewinski, § 7 Rz. 91. 4 AGH NW, BRAK-Mitt. 2000, 196; AGH BW, NJW 2001, 3199. 5 BGH, NJW 2002, 2948. 6 Rz. 3. 7 So auch Henssler/Prütting/Prütting, § 7a BORA Rz. 7. 8 BGBl. I, S. 1577.
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Mediator
Rz. 5 § 7a BORA/§ 43b BRAO
zeigt, dass die Ausbildung zum Mediator immer noch nicht einheitlich geregelt ist. Vielmehr kann man den Katalog in § 5 MediationsG nur als „Empfehlung“ verstehen, die aber keinerlei Verbindlichkeit hat. Erstaunlich war daher bei dieser Sachlage, dass das Bundesjustizministerium die Vorschrift des § 7a BORA nicht beanstandet und so sein Inkrafttreten verhindert hat. Denn die Vorschrift ist verfassungswidrig.1 Der Inhalt der Vorschrift ist zu unbestimmt, es wird mit leeren Begriffen gearbeitet. Somit verstößt die Vorschrift gegen das Bestimmtheitsgebot des Art. 20 GG. Es wird nicht geregelt, was eine „geeignete Ausbildung“ ist, durch die man „die Grundsätze des Mediationsverfahrens beherrscht“. Heute gibt es eine Vielzahl von Anbietern, die Rechtsanwälte und andere Berufsgruppen zu Mediatoren ausbilden.2 Eine staatlich regulierte Ausbildung, die insbesondere Inhalte festlegt, gibt es aber bisher nicht. Zudem ist auch nicht erkennbar, warum der nicht definierte Begriff „Mediator“ nur unter den Einschränkungen des § 7a BORA verwandt werden darf. Die normalen Vorschriften des Wettbewerbsrechts sind hier das richtige Regulativ, so dass die Vorschrift des § 7a BORA nicht nur verfassungswidrig, sondern auch schlicht überflüssig ist.
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B. Kommentierung Doch solange kein Gericht Gelegenheit erhält, sich mit der Frage der Verfassungswidrigkeit des § 7a BORA zu befassen, findet die Vorschrift Anwendung. Sie spielt allerdings in der berufsrechtlichen Praxis der Kammern kaum eine Rolle. Dies zumeist auch deshalb, weil die Rechtsanwälte die Berufsbezeichnung verwenden, ohne vorher die Rechtsanwaltskammer zu befragen. Dies ist nach dem Wortlaut der Vorschrift auch nicht erforderlich. Die Kammern werden damit nur befasst, wenn es entweder eine konkrete Nachfrage nach den Voraussetzungen der Bezeichnung als Mediator gibt oder aber wenn die Befugnis zur Führung der Bezeichnung in Frage gestellt wird. Häufig sind beide Fallgestaltungen nicht.
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I. Bezeichnung als Mediator Die Bezeichnung zur Führung der Bezeichnung Mediator ist umfassend zu verstehen. Ein Rechtsanwalt, der meint die Bezeichnung führen zu dürfen, darf dies nicht nur auf seinem Briefbogen und Visitenkarten tun, sondern auch im Internet, in Kanzleibroschüren und anderen Veröffentlichungen.
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Zwar spricht das Gesetz nur von der Bezeichnung „Mediator“. Damit ist aber nicht gemeint, dass nur das Wort genauso verwendet werden darf. Vielmehr sind auch Wortkombinationen wie „Anwaltsmediator“, „Familienmediator“ oder „Wirtschaftsmediator“ erlaubt. Auch die Verwendung eines Zusatzes mit einem Hinweis darauf, bei wem die theoretischen Kenntnisse erworben wurden, etwa bei der Ausbildung der Bundesarbeitsgemeinschaft Familienmediation (BAFM) oder bei der „Deutschen Anwaltsakademie (DAA)“, ist erlaubt. II. Geeignete Ausbildung Die Vorschrift geht davon aus, dass nur derjenige, der eine geeignete Ausbildung nachweisen kann, sich als Mediator bezeichnen darf. Auffällig ist, dass hier § 5 Mediationsgesetz genauer gefasst ist. Was unter einer geeigneten Ausbildung zu verstehen ist, ist unklar. Ging eine BRAK-Arbeitsgruppe Mediation Ende der neunziger Jahre noch davon aus, dass für eine gute Mediatorenausbildung eine theoretische Ausbildung von 200 Stunden erforderlich ist,3 sehen heute die meisten Anbieter einer Ausbildung und die Mehrzahl örtlichen Rechtsanwaltskammern 90 Stunden als ausreichend an, um die erforderlichen Kenntnisse zu erlangen.4 Gegen das Verlangen einer Ausbildung von 200 Stunden durch die BRAK-Arbeitsgruppe, die sicherlich keine Befugnis hatte, verpflichtende Standards zu schaffen, spricht, dass damit 1 Ebenso Henssler/Prütting/Prütting, § 7a BORA Rz. 2; unentschieden Horn, NJW 2007, 1413; ohne die Frage anzusprechen: Feuerich/Weyland/Böhnlein, § 7a Rz. 1. 2 S. auch Horn, NJW 2007, 1413 m.w.N. 3 S. BRAK-Mitt. 2006, 186. 4 So die Umfrage von Horn, NJW 2007, 1413.
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§ 43b BRAO/§ 7a BORA Rz. 6
Mediator
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die Anforderungen höher wären als für die theoretischen Kenntnisse, die für eine Erlangung einer Fachanwaltsbezeichnung erforderlich sind. Hier werden nämlich nur 120 Stunden Theorie verlangt. Auch eine Abschlussklausur kann nicht verlangt werden, denn eine Überprüfung des Wissens kann im Sinne des Art. 12 GG für eine solche Bezeichnung nicht verlangt werden. Insgesamt erscheint es nach angemessen, heute eine theoretische Ausbildung von 90 Stunden zu verlangen. Ein Wettbewerb nach unten, wie er bei dem einen oder anderen Ausbilder schon zu beobachten ist, kann bedeuten, dass keine ausreichenden Kenntnisse mehr vermittelt werden. 6
Die Kriterien der Ausbildung nähern sich zwar an, wie Horn1 herausgearbeitet hat, liegen aber noch keineswegs fest. Es ist auch sehr fraglich, wer dazu befugt wäre, Kriterien für die Ausbildung festzulegen. Eigentlich kann immer nur ein „Negativbeweis“ durch ein Gericht geführt werden, nämlich dass der konkret vorgelegte Ausbildungsplan aus wettbewerbsrechtlicher Sicht nicht ausreichend ist. Und was unter der „Beherrschung des Mediationsverfahrens“ zu verstehen ist, bleibt ebenfalls im Dunkeln.
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Nicht geklärt ist bisher die Frage, ob theoretische Kenntnisse ausreichend sind, oder ob auch praktische Erfahrungen vorliegen müssen. Denn dies kann auch zum Verständnis einer geeigneten Ausbildung gehören, insbesondere, wenn man die „Beherrschung des Mediationsverfahrens“ in diesem Sinne versteht. Für diese Sichtweise spricht auch, dass § 7 Abs. 1 S. 2 BORA für die Führung eines qualifizierenden Zusatzes verlangt, dass sowohl theoretische wie praktische Kenntnisse vorliegen müssen.2 Geht man von der Sicht des Verbrauchers aus, der es sowohl beim Fachanwalt wie auch beim „qualifizierenden Zusatz“ gewöhnt ist, dass sowohl praktische wie theoretische Erfahrungen zusammen kommen, so muss der Mediator, bevor er die Bezeichnung führen darf, erste praktische Erfahrungen sammeln. Wie umfangreich sie sein müssen ist – gerade auch im Hinblick auf die oben beschriebene Unbestimmtheit der Norm – kaum zu beurteilen. Die Durchführung von einigen Mediationen muss verlangt werden, bevor die Führung der Bezeichnung auch im wettbewerbsrechtlichen Sinne unbedenklich ist. III. Nachweis der Ausbildung
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Der Rechtsanwalt muss den Nachweis, dass er über eine entsprechende Ausbildung verfügt, nicht aktiv führen, er muss also nicht bei der Rechtsanwaltskammer die Erlaubnis zur Führung des Titels beantragen. Er muss nur, und dies entspricht dem wettbewerbsrechtlichen Grundsatz der wahren Werbung, nachweisen, dass er die Voraussetzungen für die Führung der Bezeichnung erfüllt. Eine bestimmte Form ist für den Nachweis nicht erforderlich. Zweckmäßig dürfte es sein, ihn durch die Vorlage von Urkunden zu führen, aber auch der Zeugenbeweis, ist nicht ausgeschlossen.3 IV. Zertifizierter Mediator
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§ 5 Abs. 2 MediationsG schafft den Begriff des „zertifizierten Mediators“, dessen Voraussetzungen der Verordnungsgeber nach § 6 MeditiationsG regeln kann, aber bis jetzt nicht geregelt hat. Dabei ist auffällig, dass § 6 MeditationsG eigentlich nur die Aus- und Fortbildung regelt, aber nicht Anforderungen an die praktischen Erfahrungen verlangt. Insofern erscheint der Begriff „zertifiziert“ unangebracht. Da es sich aber jetzt um einen vom Gesetzgeber definierten Begriff handelt, ist dies so hinzunehmen. In der Übergangszeit gelten die oben für den „zertifizierten Testamentsvollstrecker“ entwickelten Grundsätze. Und so weit bekannt, gibt es bisher keine Angebote für einen „zertifizierten Mediator“.
43c BRAO Fachanwaltschaft (1) Dem Rechtsanwalt, der besondere Kenntnisse und Erfahrungen
in einem Rechtsgebiet erworben hat, kann die Befugnis verliehen werden, eine Fachanwaltsbezeichnung zu führen. Fachanwaltsbezeichnungen gibt es für das Verwaltungsrecht, das Steuerrecht, das Arbeitsrecht und das Sozialrecht sowie für die Rechtsgebiete, die durch Satzung in einer Berufsordnung nach § 59b Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe a bestimmt sind. Die Befugnis darf für höchstens drei Rechtsgebiete erteilt werden. 1 NJW 2007, 1413 (1414). 2 S. dazu ausführlich Rz. 52 ff. 3 S. dazu auch Horn, NJW 2007, 1413 (1415).
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Rz. 1 § 43c BRAO
Fachanwaltschaft
(2) Über den Antrag des Rechtsanwalts auf Erteilung der Erlaubnis entscheidet der Vorstand der Rechtsanwaltskammer, nachdem ein Ausschuss der Kammer die von dem Rechtsanwalt vorzulegenden Nachweise über den Erwerb der besonderen Kenntnisse und Erfahrungen geprüft hat. (3) Der Vorstand der Rechtsanwaltskammer bildet für jedes Fachgebiet einen Ausschuss und bestellt dessen Mitglieder. Einem Ausschuss gehören mindestens drei Rechtsanwälte an; diese können Mitglieder mehrerer Ausschüsse sein. Die §§ 75 und 76 sind entsprechend anzuwenden. Mehrere Rechtsanwaltskammern können gemeinsame Ausschüsse bilden. (4) Die Erlaubnis zum Führen der Fachanwaltsbezeichnung kann mit Wirkung für die Zukunft von dem Vorstand der Rechtsanwaltskammer zurückgenommen werden, wenn Tatsachen nachträglich bekanntwerden, bei deren Kenntnis die Erlaubnis hätte versagt werden müssen. Sie kann widerrufen werden, wenn eine in der Berufsordnung vorgeschriebene Fortbildung unterlassen wird. A. Entstehungsgeschichte. . . . . . . . . I. Die BRAO-Novelle von 1991. . . . . . . II. Die BRAO-Novelle von 1994. . . . . . . B. Normzweck . . . . . . . . . . . . . I. § 43c BRAO als zentrale Vorschrift des Fachanwaltsrechts. . . . . . . . . . II. BVerfG, Beschluss vom 14.7.1987 . . . III. § 43c BRAO als Rahmenermächtigung . IV. § 43c BRAO keine statusbildende Berufsausübungsregelung . . . . . . V. Satzungsautonomie der Anwaltschaft .
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C. Norminhalt . . . . . . . . . . . . . . I. Der Rechtsanwalt als Fachanwalt im Sinne des Gesetzes . . . . . . . . . II. Das Zusammenspiel von § 43c BRAO und FAO . . . . . . . . . . . . . . . III. Verleihung der Fachanwaltsbezeichnung (Absatz 1). . . . . . . . . . . . . . . 1. Verleihung durch die RAK an einen Rechtsanwalt . . . . . . . . . . . . . a) Persönlicher Anwendungsbereich . . b) Abhängigkeit vom Zulassungsstatus . . . . . . . . . . . . . . . c) Verleihung durch die RAK. . . . . .
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2. Besondere Kenntnisse und Erfahrungen . 3. Gesetzliche Fachanwaltsbezeichnungen (Abs. 1 Satz 2) . . . . . . . . . 4. Beschränkung auf höchstens drei Rechtsgebiete (Abs. 1 Satz 3) . . . . . . . . . IV. Anerkennungsverfahren (Abs. 2) . . . . 1. Prüfung durch den Ausschuss . . . . . a) BGH: „formalisiertes Nachweisverfahren“ . . . . . . . . . . . . . b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . 2. Entscheidung durch den Kammervorstand . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtsanspruch auf Erteilung der Fachanwaltserlaubnis . . . . . . . . . V. Bildung von Ausschüssen (Abs. 3) . . . . VI. Rücknahme und Widerruf (Abs. 4) . . . 1. Abschließende Aufzählung? . . . . . . 2. Rücknahmegründe . . . . . . . . . . 3. Widerrufsgründe . . . . . . . . . . . 4. Ermessen . . . . . . . . . . . . . . . VII. Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . 1. Anfechtungs- und Verpflichtungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Untätigkeitsklage . . . . . . . . . . .
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A. Entstehungsgeschichte Die Bestimmung des § 43c BRAO ist den Novellierungen der BRAO von 1991 und 1994 zu verdanken, die zu einem „Normenchaos“ führten, das zu Recht als „gesetzgeberischer Albtraum1“ bezeichnet wurde. Gegenstand war das gesetzgeberische Bemühen, im Anschluss an den zu den „Standesrichtlinien“ (Richtlinien der BRAK-HV 1986) ergangenen Beschluss des BVerfG vom 14.7.19872 die Rechtsgrundlagen für die Führung und den Widerruf von Fachanwaltsbezeichnungen zu schaffen. Das BVerfG entschied, die Standesrichtlinien seien keine ausreichende Grundlage für die Einschränkung der (anwaltlichen) Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG3. Entsprechend judizierte der BGH mit Beschluss vom 14.5.19904, wonach die Verleihung von Fachanwaltsbezeichnungen durch die Rechtsanwaltskammern in Ermangelung einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage unzulässig sei. In der Folge kam es zu unterschiedlichen Auffassungen von Bundestag und Bundesrat zur Befugnis der Bundes1 Eich, BRAK-Mitt. 1985, 121. 2 BVerfGE 76, 171; dazu u.a. Jährig, Fachanwaltschaften, S. 46 ff.; Kleine-Cosack, NJW 1988, 164 ff.; Quaas, AnwBl. 1988, 25 ff. 3 Dazu gehörte auch § 76 der Richtlinien, der die Gestattung der Fachanwaltsbezeichnung regelte, weshalb dessen weitere Anwendbarkeit als „Übergangsrecht“ zur Aufrechterhaltung einer funktionsfähigen Rechtspflege im Sinne der Entscheidung des BVerfG v. 14.7.1987 höchst streitig war – dazu Feuerich, AnwBl. 1988, 502; Kleine-Cosack, NJW 1988, 64; Quaas, AnwBl. 1988, 25; Weigel, BRAK-Mitt. 1988, 3. 4 BGHZ 111, 229 ff.; NJW 1990, 1719.
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§ 43c BRAO Rz. 2
Fachanwaltschaft
regierung zum Erlass einer Rechtsverordnung über die Fachanwaltsbezeichnungen gemäß § 42b BRAO der Novelle von 1991. I. Die BRAO-Novelle von 1991 2
Auf der Grundlage des BGH-Urteils vom 14.5.19901 stand fest, dass die bereits zugelassenen Fachanwälte zwar aufgrund Vertrauensschutzes ihre Fachanwaltsbezeichnungen behalten durften, neue Fachanwaltstitel wurden jedoch nicht mehr vergeben. Dies führte – unterstützt vom 58. Deutschen Juristentag2 – zu vielfältigen Initiativen der BRAK und des DAV, mit der Folge, dass noch in der 11. Legislaturperiode des Bundestages das Gesetz zur Änderung des Berufsrechts der Notare und Rechtsanwälte vom 29.1.19913 verabschiedet und als dessen wesentlicher Teil mit den neuen §§ 42a bis d BRAO die gesetzlichen Grundlagen für die Verleihung von Fachanwaltsbezeichnungen geschaffen wurden. § 210 BRAO enthielt eine Vertrauensschutzregelung für die schon zugelassenen Fachanwälte.
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Die Verabschiedung dieses Gesetzes war auch deshalb dringend geworden, weil für das Gebiet der neuen Bundesländer mit dem noch durch die Volkskammer beschlossenen Rechtsanwaltsgesetz vom 13.9.1990 (RAG)4 solche gesetzlichen Grundlagen bereits vorhanden waren. § 15 RAG enthielt außerdem eine Verordnungsermächtigung für den Minister der Justiz, an dessen Stelle später die Bundesregierung trat. Mit Erlass der Verordnung über Fachanwaltsbezeichnungen nach dem RAG (RAFachAnwV) vom 23.2.19925 machte die Bundesregierung von dieser Ermächtigung Gebrauch.
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Eine entsprechende Verordnungsermächtigung für die alten Bundesländer war mit § 42d BRAO vorhanden, die indessen die Bundesregierung nur ermächtigte, mit Zustimmung des Bundesrates Vorschriften zu erlassen, durch die im Interesse der Rechtspflege die Anforderungen an den Nachweis der besonderen Kenntnisse und Erfahrungen oder an eine auf dem Fachgebiet notwendige Fortbildung geregelt werden sollten. § 42d Satz 5 BRAO sah ein Änderungs- oder Ablehnungsrecht des Bundestages vor. Auch von dieser Ermächtigung machte die Bundesregierung Gebrauch und legte am 14.6.1991 den Entwurf einer Verordnung über Fachanwaltsbezeichnungen6 vor, die sich an der bereits bewährten Verleihungspraxis und den Empfehlungen der BRAK orientierte7. Um das Regelungschaos im Bereich der Fachanwaltschaften vollständig zu machen, versagte der Bundesrat am 27.9.1991 der Rechtsverordnung seine Zustimmung. Zwar hatte er in der Sache keine Einwendungen. Als verfassungswidrig erachtete er jedoch den dem Parlament in der Ermächtigungsnorm des § 42b BRAO eingeräumten Mitwirkungsvorbehalt8: Dies führe zu einer vom Grundgesetz nicht vorgesehenen und daher unzulässigen Mischform der Normsetzung. Artikel 80 Abs. 1 GG lasse eine Mitwirkung des Bundestages bei der Formulierung konkreter Verordnungsinhalte nicht zu.
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Da die beabsichtigte Rechtsverordnung deshalb nicht in Kraft treten konnte, mussten in einem erneuten gesetzgeberischem Anlauf Regelungen zur Verleihung von Fachanwaltsbezeichnungen und zum Verfahren getroffen werden. Dies geschah mit dem Gesetz über die Fachanwaltsbezeichnungen (RAFachBezG), das am 27.2.1992 verkündet wurde9. Fachanwaltsbezeichnungen für die Gebiete Steuerrecht, Verwaltungsrecht, Arbeitsrecht und Sozialrecht konnten nun wieder verliehen werden. II. Die BRAO-Novelle von 1994
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Das 1992 geschaffene Recht zur Verleihung von Fachanwaltsbezeichnungen war nicht von langer Dauer. Mit dem Gesetz zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und der Patentanwälte (GNeuOBRRA) vom 2.9.199410 wurden das RAFachBezG und die 1 BGHZ 111, 229 ff.; dazu u.a. Henssler/Prütting, § 43c Rz. 3 m.w.N. in Fn. 19. 2 Vgl. Ausschuss der Abteilung Berufsrecht beim 58. Deutschen Juristentag, 1990, TOP 18; Koch, AnwBl. 1990, 582. 3 BGBl. I 1991, S. 150 ff. 4 GBl. I 1990, Nr. 61, S. 1504. 5 BGBl. I 1992, S. 379. 6 BR-Drs. 381/91. 7 Jährig, Fachanwaltschaften, S. 53 f. 8 Pressemitteilungen des Bundesrats v. 27.9.1991, NJW 1991, 3204; Jekewitz, ZRP 1991, 281. 9 BGBl. I 1992, S. 369 f. 10 BGBl. I 1994, S. 2278, 2294.
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Fachanwaltschaft
Rz. 11 § 43c BRAO
RAFachAnwV beseitigt1 und zugleich bestimmt, dass die Regelungen dieser Vorschriften bis zum Erlass einer Berufssatzung weiter anzuwenden waren2. Die Regelungen der Fachanwaltschaften wurden nun in der BRAO, dem neu geschaffenen § 43c BRAO zusammengefasst. § 43c BRAO n.F. enthält die Normen der ehemaligen §§ 42a bis d BRAO a.F., denen nach Auffassung des Gesetzgebers statusbildender Charakter zugeschrieben wurde3. Inhaltliche Änderungen wurden gegenüber dem früheren Recht nicht vorgenommen. Einzelheiten des Verfahrens sowie die Bestimmung neuer Fachanwaltschaften blieben einer noch zu erlassenen Berufsordnung auf der Grundlage der neu geschaffenen Satzungsermächtigung für die BRAK in § 59b Abs. 2 Nr. 2 lit. a und b BRAO n.F. vorbehalten. Insoweit erschien es dem Gesetzgeber ausreichend, die klassischen vier Fachanwaltsbezeichnungen, die den Gerichtsbarkeiten entsprachen (Steuer-, Arbeits-, Sozial- und Verwaltungsrecht) gesetzlich abzusichern (§ 43c Abs. 1 Satz 2 BRAO).
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Die Folge ist eine wenig überzeugende, nur historisch zu erklärende Zweiteilung der zulässigen Fachanwaltsbezeichnungen: In § 43c Abs. 1 Satz 2 BRAO sind die überkommenen Fachanwaltschaften geregelt, während alle anderen Fachanwaltsbezeichnungen durch Satzungsrecht geschaffen werden. Die fachgebietsspezifischen Voraussetzungen für die Verleihung finden sich für alle Fachanwaltschaften im Satzungsrecht. Konsequenz des zweigeteilten Regelungsmodells ist, dass die in § 43c Abs. 1 Satz 2 BRAO garantierten Fachanwaltschaften als gesetzliche Regelungen einen intensiveren Bestandsschutz genießen, da ihre Abschaffung durch die Anwaltschaft im Wege eines Beschlusses der Satzungsversammlung (SV) nicht zulässig wäre4.
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B. Normzweck I. § 43c BRAO als zentrale Vorschrift des Fachanwaltsrechts § 43c BRAO ist die zentrale Vorschrift der die Verleihung von Fachanwaltsbezeichnungen regelnden Bestimmungen der §§ 43c, 59b Abs. 2 Nr. 2a und b, 210 BRAO und der Fachanwaltsordnung (FAO). Als grundlegende Norm des „Fachanwaltsrechts“ ist es ihre Aufgabe, die Befugnis der Rechtsanwaltskammer zu regeln, Fachanwaltsbezeichnungen zu verleihen, das dazu erforderliche Verfahren einschließlich der materiellen Voraussetzungen für das Recht, eine Fachanwaltsbezeichnung zu führen, in seinen Grundzügen zu bestimmen und vorzusehen, unter welchen Voraussetzungen eine Fachanwaltsbezeichnung zurückgenommen bzw. widerrufen werden kann.
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II. BVerfG, Beschluss vom 14.7.1987 Mit diesem Regelungsinhalt reagierte der Gesetzgeber auf die Entscheidung des BVerfG vom 14.7.19875, wonach statusbildende Entscheidungen im Berufsrecht vom Gesetzgeber selbst zu treffen sind. Das BVerfG hatte insoweit zwischen statusbildenden Berufsausübungsregelungen, die dem Gesetzgeber vorbehalten sind, und nicht-statusbildenden Normen, die von einer mit Satzungsautonomie ausgestatteten Körperschaft des öffentlichen Rechts erlassen werden dürfen, differenziert6. Unter statusbildende Normen werden solche Bestimmungen verstanden, die zwar noch auf der Ebene der Berufsausübung angesiedelt sind, in ihrer Bedeutung für die Berufsgestaltung der Betroffenen und für die Allgemeinheit jedoch Berufswahlregelungen nahe kommen7.
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III. § 43c BRAO als Rahmenermächtigung An diese Rechtsprechung anknüpfend hat der Gesetzgeber in der Begründung zu § 43c BRAO angegeben, mit der Zusammenfassung der in den §§ 42a bis d BRAO a.F. enthaltenen
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Art. 21 Abs. 11 Satz 1 GNeuOBRRA. Art. 21 Abs. 11 Satz 2 GNeuOBRRA. BT-Drs. 12/4993, S. 29. Henssler/Prütting, § 43c Rz. 5. BVerfGE 76, 171. So BVerfG bereits im sog. Facharzt-Beschluss v. 9.5.1972 – BVerfGE 33, 125 (163). BVerfGE 33, 125 (161 f.); Jährig, Fachanwaltschaften, S. 80; Sue, rechtsstaatliche Probleme, S. 99; Wimmer, NJW 1989, 1772 ff.
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statusbildenden Normen in § 43c BRAO dem Hinweis des BVerfG Rechnung tragen zu wollen, zumindest die Grundzüge der Anerkennungsvoraussetzungen, des Verfahrens und der Rücknahme selbst durch ein förmliches Gesetz zu regeln. An diese Bestimmungen knüpfen die nach § 59b Abs. 2 Nr. 2 BRAO zu erlassenden Regelungen des Satzungsrechts an. Die Ausführungsbestimmungen der FAO als einer „Berufsordnung“ i.S.d. § 59b Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 BRAO müssen sich deshalb innerhalb des durch die Ermächtigungsnorm des § 43c BRAO gesetzten Rahmens bewegen. Den Rahmen vorzugeben ist Normzweck des § 43c BRAO. IV. § 43c BRAO keine statusbildende Berufsausübungsregelung 12
Allerdings erscheint zweifelhaft, ob mit § 43c BRAO tatsächlich statusbildende Berufsausübungsregelungen im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG getroffen werden. Das BVerfG hat selbst dies im Fachanwaltsbeschluss vom 13.5.19811 verneint. Fachanwaltsbezeichnungen kommt kein statusbildender Charakter zu, weil es sich dabei nicht um Berufsbezeichnungen mit Ausschließlichkeitsanspruch handelt. Die Erlaubnis zum Führen einer Fachanwaltsbezeichnung lässt das dem Rechtsanwalt gesetzlich nach § 3 Abs. 1 BRAO eingeräumte Tätigkeitsfeld unberührt. Davon gehen der BGH in seiner Entscheidung vom 14.5.19902 und die herrschende Literatur3 zu Recht aus. Demgemäß lässt sich § 43c BRAO nicht entnehmen, es handele sich um „verfassungsrechtlich gebotene“ Normen, die für die Interpretation der (Verfassungsmäßigkeit der) FAO und einzelner dort enthaltener Bestimmungen (z.B. über das Fachgespräch nach § 7 FAO) maßgebend seien4. Als „verfassungsrechtliche Auslegungshilfe“ scheidet § 43c BRAO aus. Richtig ist nur, dass von dieser Bestimmung der Rahmen vorgegeben wird, der für die Auslegung und Anwendung der FAO maßgebend ist. Außerhalb dieses Ermächtigungsrahmens darf sich die FAO – und dürfen sich die darauf gestützten Entscheidungen der Kammern – nicht bewegen. V. Satzungsautonomie der Anwaltschaft
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Mit der gesetzlichen Regelung (lediglich) der Grundzüge des für die Verleihung der Fachanwaltsbezeichnung maßgebenden Rechts hat der Gesetzgeber andererseits die Satzungsautonomie der Anwaltschaft, insbesondere ihres „Anwaltsparlaments“, (der Satzungsversammlung) bekräftigt. Gesetzesinitiativen und deren Umsetzung sind ein zeitaufwendiges und von (zu) vielen Partikularinteressen bestimmtes Vorhaben. Die Anwaltschaft selbst kann rascher als der Gesetzgeber auf Veränderungen im wirtschaftlichen und rechtlichen Bereich, die neue Spezialisierungshinweise erfordern, reagieren und dem rechtsuchenden Bürger eine Hilfe an die Hand geben, den von ihm benötigten Spezialisten zu finden5. Die relativ geringe Regelungsdichte der das Recht der Fachanwaltschaft regelnden Bestimmung des § 43c BRAO ist deshalb nachhaltig zu begrüßen. C. Norminhalt I. Der Rechtsanwalt als Fachanwalt im Sinne des Gesetzes
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Nach § 43c BRAO kann einem Rechtsanwalt, der besondere Kenntnisse und Erfahrungen in einem Rechtsgebiet erworben hat, das als Fachanwaltsgebiet durch § 43c Abs. 1 Satz 2 bzw. die auf § 59b Abs. 2 Nr. 2 BRAO gestützte Berufsordnung (FAO) anerkannt ist, durch die für ihn zuständige Rechtsanwaltskammer (RAK) die Befugnis verliehen werden, eine Fachanwaltsbezeichnung zu führen. Der Verleihung geht ein förmlich geregeltes Prüfverfahren voraus, das in den Grundzügen in § 43c Abs. 2 BRAO gesetzlich umschrieben ist. Damit ist Fachanwalt der Rechtsanwalt, der den Erwerb besonderer theoretischer Kenntnisse und praktischer Erfahrungen in einem förmlichen Verfahren nachgewiesen hat. Auf einen Nenner 1 BVerfGE 57, 121 (132). 2 BGH, NJW 1990, 1719. 3 Kleine-Cosack, AnwBl. 1989, 536 (542); Kornblum, NJW 1990, 2118; Prütting, JZ 1990, 1022; Quaas, AnwBl. 1988, 25 (27); a.A. Löwe, BRAK-Mitt. 1988, 70; Sue, Rechtsstaatliche Probleme, S. 118, Wimmer, NJW 1989, 1772 (1775). 4 Zu diesem Ansatz BGH, Beschl. v. 17.3.2005, BRAK-Mitt. 2005, 123 ff.; dazu kritisch Quaas/Sieben, BRAKMitt. 2003, 250 ff.; Quaas, § 7 FAO Rz. 71 ff. 5 BT-Drs. 12/4993, S. 29 (35).
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Rz. 21 § 43c BRAO
gebracht ist Fachanwalt der „geprüfte Spezialist“, dem seine herausgehobene Eignung in einem förmlichen Verfahren attestiert wurde. Er unterscheidet sich insoweit von dem selbst ernannten Spezialisten, der sich nach § 7 BORA zwar als Spezialist oder Experte für ein bestimmtes Teilgebiet bezeichnen darf, dabei aber eine Verwechslung mit einer bestehenden Fachanwaltschaft vermeiden muss, um nicht berufswidrig zu handeln1. Der Hinweis auf eine dem Fachanwalt vorbehaltene Qualifikation nach Selbsteinschätzung ist eine gemäß § 3 UWG, § 43b BRAO verbotene, weil irreführende Werbung2. II. Das Zusammenspiel von § 43c BRAO und FAO § 43c BRAO regelt die Grundzüge zu den Voraussetzungen und zum Verfahren der Verleihung der Fachanwaltschaften. Die Einzelheiten sind in der FAO bestimmt:
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§ 43c Abs. 1 Satz 1 BRAO trifft die grundsätzliche Entscheidung des Gesetzgebers, dass die Rechtsanwaltskammern die Befugnis verleihen können, eine Fachanwaltsbezeichnung zu führen. § 43c Abs. 1 Satz 2 BRAO zählt die bei Inkrafttreten der Vorschrift bereits bestehenden Fachanwaltschaften auf. Nach § 43c Abs. 1 Satz 3 BRAO dürfen höchstens zwei Fachanwaltsbezeichnungen geführt werden.
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§ 1 FAO greift diese Regelungen auf und wiederholt in Satz 1 die Aufzählung der (vier) zulässigen Fachanwaltsbezeichnungen des § 43c Abs. 1 Satz 2 BRAO. Mit § 1 Satz 2 FAO wird der Kreis der Fachanwaltsbezeichnungen um zwischenzeitlich 15 weitere Fachanwaltschaften vom Familienrecht über das Medizinrecht bis hin zum Bankenrecht erweitert. § 43c Abs. 1 Satz 1 BRAO statuiert ferner das Erfordernis der besonderen Kenntnisse und Erfahrungen als Voraussetzung der Verleihung einer Fachanwaltsbezeichnung. Wann solche Kenntnisse und Erfahrungen vorliegen, hat der Gesetzgeber selbst nicht geregelt. Die näheren Anforderungen an den Maßstab und die besonderen Voraussetzungen für den Nachweis der besonderen Kenntnisse und Erfahrungen sind deshalb allgemein in den §§ 2, 4 bis 6, 7 FAO sowie für die einzelnen Fachgebiete speziell in den §§ 8 bis 14l FAO niedergelegt. Als weitere – in § 43c BRAO selbst nicht enthaltene – Voraussetzung der Verleihung enthält § 3 FAO das Erfordernis einer vor Antragstellung mindestens dreijährigen Zulassung und Tätigkeit als Rechtsanwalt.
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In § 43c Abs. 2 BRAO sind die Grundlagen für das Verleihungsverfahren bestimmt. Zuständig für die Erteilung der Erlaubnis ist der Vorstand der RAK. Dieser trifft die Entscheidung, nachdem ein Ausschuss der Kammer das Vorliegen der besonderen Kenntnisse und Erfahrungen aufgrund der vom Antragsteller vorzulegenden Nachweise geprüft hat. Das von dem Ausschuss einzuhaltende Verfahren ist in den §§ 7, 24 FAO detailliert geregelt.
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Grundsätze für die Bildung und Besetzung der Ausschüsse sind in § 43c Abs. 3 BRAO niedergelegt. Pro Fachgebiet hat die RAK gemäß § 43c Abs. 3 Satz 1 und 2 BRAO einen Ausschuss („Fachausschuss“) zu bilden und mindestens drei Mitglieder, die jedoch in mehreren Ausschüssen tätig sein können, zu bestellen. Die Mitglieder des Ausschusses werden nach § 43c Abs. 3 Satz 3 BRAO i.V.m. §§ 75, 76 BRAO ehrenamtlich tätig. Gemäß § 43c Abs. 3 Satz 4 BRAO können mehrere Rechtsanwaltskammern einen gemeinsamen Ausschuss bilden. Konkretisiert werden diese Grundlagen durch die §§ 17 bis 21, 23 FAO. Geregelt wird dort Näheres zur Zusammensetzung der Ausschüsse (§ 17 FAO), zur Bildung von gemeinsamen Ausschüssen (§ 18 FAO), zur Bestellung (§ 19 FAO), zum Ausscheiden (§ 20 FAO), zur Ausschließung und Ablehnung von Ausschussmitgliedern (§ 23 FAO) sowie zu deren Entschädigung (§ 21 FAO).
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§ 43c Abs. 4 BRAO enthält schließlich die grundsätzliche Möglichkeit von Rücknahme und Widerruf der Erlaubnis. Als Widerrufsgrund kommt gemäß § 43c Abs. 4 Satz 2 BRAO das Unterlassen der vorgeschriebenen Fortbildung fest. Welche Anforderungen an die Fortbildung des Fachanwalts zu stellen sind, regeln §§ 4 Abs. 2, 15 FAO. Detaillierte Regelungen zum gesamten Widerrufs- und Rücknahmeverfahren trifft § 25 FAO.
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§ 210 BRAO ist eine Vertrauensschutzregelung bezüglich der vor Einführung der §§ 42a bis d BRAO a.F. auf der Grundlage der Fachanwaltsrichtlinien bis zum 01.08.1991 erworbenen Fachanwaltsbezeichnungen. Ergänzend greift § 16 FAO ein, der eine Übergangsregelung
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1 § 7 BORA; zur Spezialistenentscheidung des BVerfG v. 28.7.2004, BRAK-Mitt. 2004, 231 ff. – s. u.a. Quaas/ Sieben, BRAK-Mitt. 2004, 198 ff.; Quaas, BRAK-Mitt. 2006, 265 (266). 2 BVerfG, NZA 1992, 327; 1993, 691; NJW 1992, 493; Kleine-Cosack, NJW 1992, 785 (789); Jährig, Fachanwaltschaften, S. 64.
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§ 43c BRAO Rz. 22
Fachanwaltschaft
für Rechtsanwälte, die ihren Antrag vor Inkrafttreten der Fachanwaltsordnung bzw. vor einer entsprechenden Änderung sie belastender Bestimmungen gestellt haben, enthält. III. Verleihung der Fachanwaltsbezeichnung (Absatz 1) 22
§ 43c BRAO, an dessen Verfassungsmäßigkeit im Grundsatz keine Zweifel bestehen1, regelt die grundlegenden Voraussetzungen für die Verleihung (und den Widerruf) von Fachanwaltsbezeichnungen. Die Verleihung erfolgt durch die Kammer gegenüber einem Rechtsanwalt (1.), der besondere Kenntnisse und Erfahrungen in einem speziellen Rechtsgebiet erworben hat (2.). Vier solcher Rechtsgebiete bezeichnet der Gesetzgeber selbst (3.). Er beschränkt die Verleihung auf höchsten zwei Rechtsgebiete (4.). 1. Verleihung durch die RAK an einen Rechtsanwalt a) Persönlicher Anwendungsbereich
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Eine Fachanwaltsbezeichnung kann nur einem Rechtsanwalt i.S.d. § 4 BRAO oder ihm gesetzlich gleichgesteller Rechtsberater vergeben werden. Ausländische Anwälte, die gemäß § 206 BRAO Mitglied der RAK sind, können einen Fachanwaltstitel nicht erwerben, weil sie unter der Berufsbezeichnung ihres Herkunftsstaates in Deutschland tätig sind und ihre Rechtsberatungsbefugnis auf ausländisches und internationales Recht beschränkt ist. Die Vorschriften des Fachanwaltsrechts beziehen sich auch bestimmte Fachgebiete deutschen Rechts, so daß Anwälte, die nicht im deutschen Recht beraten dürfen, eine hierauf bezogene Qualifikation nicht erwerben können2.
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Registrierten europäischen Rechtsanwälten i.S.d. § 2 EuRAG ist der Erwerb eines Fachanwaltstitels möglich. Sie haben das uneingeschränkte Recht zur Prozessvertretung und Rechtsberatung im deutschen Recht. Nach § 6 Abs. 1 EuRAG sind deshalb die Vorschriften des 3. Teils der BRAO auf sie anwendbar und der Erwerb einer Fachanwaltsbezeichnung somit auch ohne ausdrückliche Erwähnung in § 43c BRAO bzw. der FAO möglich3.
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Für Kammerrechtsbeistände i.S.d. § 209 BRAO ist der Erwerb des Fachanwaltstitels ebenfalls möglich. Zwar werden sie weder in § 3 FAO noch einer sonstigen Bestimmung der FAO erwähnt4. Die dadurch entstandene Lücke im Regelungskonzept der FAO ist indessen im Einklang mit der ratio legis des § 209 Abs. 1 Satz 4 BRAO durch eine analoge Anwendung der §§ 1 ff. FAO zu schließen. Sachliche Gründe, die eine unterschiedliche Behandlung von Rechtsanwälten und Vollrechtsbeiständen im Sinne von § 209 BRAO rechtfertigen könnten, sind nicht zu erkennen5. b) Abhängigkeit vom Zulassungsstatus
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Die auf § 43c BRAO beruhende Fachanwaltsbezeichnung ist andererseits untrennbar mit dem Beruf und der Zulassung des Rechtanwalts verknüpft, nimmt also insoweit an seinem „Status“ teil. Dies hat der Anwaltssenat erst jüngst zu der Frage entschieden, ob die einem Rechtsanwalt erteilte Erlaubnis zum Führen der Fachanwaltsbezeichnung mit der Bestandkraft des Zulassungswiderrufs erlischt und auch dann nicht wieder auflebt, wenn der Rechtsanwalt wieder zugelassen wird. Beides hat der Anwaltssenat bejaht6. Die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft (§ 13 BRAO) ist die Grundvoraussetzung für die Verleihung einer Fachanwaltsbezeichnung7. Mit dem Erlöschen der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft hat sich die Befugnis des Rechtsanwalts zum Führen der Fachanwaltsbezeichnung „auf andere Weise“ i.S.d. nach § 32 Abs. 1 Satz 1 BRAO anwendbaren § 43 Abs. 2 VwVfG erledigt. Mit dem Erlö1 Vgl. Jährig, Fachanwaltschaften, S. 59 ff.; zu der Frage der Beschränkung auf höchstens drei Fachgebiete, s. unten Rz. 37. 2 Henssler/Prütting, § 43c BRAO Rz. 19. 3 Feuerich/Weyland, § 6 EuRAG Rz. 3; Franz, BB 2000, 989. 4 Die von der SV beschlossene Bestimmung des § 15 Abs. 2 FAO wurde durch das BMJ mit Bescheid v. 7.3. 1997, BRAK-Mitt. 1997, 81 aufgehoben. 5 BGH, Beschl. v. 1.7.2002 – AnwZ (B) 45/01, MDR 2002, 1279; Offermann-Burckart, Fachanwalt werden, Rz. 128 f.; z.T. a.A. Henssler/Prütting, § 43c Rz. 22. 6 BGH, Urt. v. 2.7.2012 – AnwZ (Brfg) 57/11, AnwBl. 2012, 846; das Urteil ist mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen – 1 BvR 1815/12, über die bei Redaktionsschluss noch nicht entschieden wurde; ebenso Beschl. v. 3.8.2012 – AnwZ (Brfg) 39/121, juris Rz. 5 f. 7 BGH, Beschl. v. 3.8.2012 – AnwZ (Brfg) 39/11, Rz. 5 u. Vw. auf Gaier/Wolf/Göcken/Quaas, § 3 FAO Rz. 11.
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Rz. 32 § 43c BRAO
schen der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft kann die Verleihung der Befugnis demgemäß keine Rechtsfolgen mehr zeitigen. Das gilt auch hinsichtlich der mit der Fachanwaltsverleihung konkludent verbundenen „Feststellungswirkung“, dass der Bewerber den für die Gestattung erforderlichen Nachweis der besonderen theoretischen Kenntnisse und praktischen Erfahrungen nach § 43c Abs. 2 BRAO erbracht hat. Das ändert sich auch dann nicht, wenn der Rechtsanwalt wieder zugelassen wird. Eine erneute Zulassung des Rechtsanwalts kann das erledigende Ereignis des Zulassungswiderrufs nicht rückwirkend beseitigen.1 Die erneute Zulassung des Rechtsanwalts führt also nicht „automatisch“ zu einem „Wiederaufleben“ der Fachanwaltschaft. Vielmehr muss der Anwalt die Erlaubnis nach dem dafür in der FAO normierten Verfahren neu beantragen. Gegebenenfalls sind bei Wiederzulassung des Rechtsanwalts zwischenzeitliche Fortbildungen im Sinne von § 15 FAO entsprechend § 4 Abs. 2 FAO und – hinsichtlich des Fallnachweises – die Zeiträume aus § 5 Abs. 3 FAO entsprechend zu berücksichtigen, um so unzumutbare Härten bei lediglich kurzfristiger Zulassungsunterbrechung im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung auszugleichen. c) Verleihung durch die RAK Die Befugnis, eine Fachanwaltsbezeichnung zu führen, wird dem Rechtsanwalt „durch die Rechtsanwaltskammer, der der angehört, (…) verliehen“. Die Zuständigkeit der RAK, der der Rechtsanwalt angehört, ist darin begründet, dass es sich bei der Fachanwaltsverleihung um ein Zurücktreten des berufsrechtlich verankerten Werbeverbots handelt und dass die Kammer aus ihrer berufsrechtlichen Erfahrung heraus am zutreffendsten beurteilen kann, ob die Voraussetzungen für eine Verleihung gegeben sind.
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Dies gilt auch, wenn mehrere Kammern gemeinsame Ausschüsse (§ 18 FAO) eingerichtet haben. Der Vorstand der RAK kann die Zuständigkeit für die Verleihung gem. § 77 BRAO auf eine Abteilung übertragen. Von dieser Möglichkeit haben zahlreiche Kammern Gebrauch gemacht2.
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Bei der „Verleihung“ handelt es sich um einen (begünstigenden) Verwaltungsakt. Es ist die Entscheidung, die der Vorstand der RAK gem. § 43c Abs. 2 BRAO über den Antrag des Rechtsanwalts trifft. Gegenstand dieses Verfahrens ist, ob der Antragsteller die gemäß §§ 4 bis 7 FAO erforderlichen Nachweise geführt hat, denen der Kammervorstand entnehmen kann, dass die Voraussetzungen für die Verleihung vorliegen.
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Eine Fachanwaltsbezeichnung darf erst nach einer Verleihung durch den Kammervorstand geführt werden. Solange dies nicht der Fall ist, beruht eine gleichwohl auf Briefbögen o.Ä. vorgenommene Führung einer Fachgebietsbezeichnung auf Selbsteinschätzung und ist als irreführende Werbung ausnahmslos nicht gestattet3.
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2. Besondere Kenntnisse und Erfahrungen § 43c Abs. 1 Satz 1 BRAO setzt für das Führen einer Fachanwaltsbezeichung materiell voraus, dass der Rechtsanwalt „besondere Kenntnisse und Erfahrungen in einem Rechtsgebiet erworben hat“. Dass diese Kenntnisse und Erfahrungen nicht nur „erworben“, sondern auch nachgewiesen wurden, ergibt sich aus § 43c Abs. 2 BRAO.
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Unter welchen Voraussetzungen „besondere“ theoretische Kenntnisse und „besondere“ (praktische) Erfahrungen vorliegen und an welchem Maßstab dies zu prüfen ist, gibt § 43c BRAO weder hinsichtlich des Erwerbs (§ 43c Abs. 1 Satz 1 BRAO) noch hinsichtlich der von dem Rechtsanwalt nach § 43c Abs. 2 BRAO vorzulegenden Nachweise vor. Auch wird nicht klar, was die „besonderen“ von den „allgemeinen“ theoretischen Kenntnisse und (praktischen) Erfahrungen unterscheidet, die das Berufsbild des „Allgemeinanwalts“ nach § 3 Abs. 1 BRAO prägen4. Lediglich die Hervorhebung der „besonderen“ Kenntnisse und Erfahrungen zeigt, dass nach dem Willen des Gesetzgebers nicht notwendig „hohe“5, wohl aber spezielle Kenntnisse und Erfahrungen vorliegen müssen, um den Erwerb und den Nachweis des Fachanwaltstitels rechtfertigen zu können. § 43c Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BRAO dient insoweit der Gewährleistung der besonderen, d.h. der speziellen Fachkompetenz6.
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1 BVerwGE 139, 337 (342); s.a. Offermann-Burckart, Anm. zu AGH NW v. 27.7.2011, BRAK-Mitt. 2011, 296. 2 Hartung/Scharmer, § 43c BRAO Rz. 8. 3 BGH, NJW 1990, 2130; BVerfGE 57, 121; OLG Stuttgart, WRP 1992, 350, Feuerich/Weyland, § 43c BRAO Rz. 29. 4 Zur Unterscheidung zwischen Fachanwalt und Allgemeinanwalt s.u. Quaas, BRAK-Mitt. 2000, 211. 5 So aber Hartung/Scharmer, § 43c Rz. 10. 6 BVerfG, BRAK-Mitt. 1998, 195 zu § 2 FAO; AGH Hessen, MDR 2000, 328; Jährig, Fachanwaltschaften, S. 97.
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§ 43c BRAO Rz. 33 33
Fachanwaltschaft
Es kommt hinzu, dass mit dem Fachanwaltstitel dem rechtsuchenden Publikum erkennbar gemacht wird, es handele sich bei dem jeweiligen „Fachanwalt für …“ um einen in diesem Rechtsgebiet ausgewiesenen Spezialisten. Da das auf Grund dieses Titels durch den Mandanten dem Anwalt entgegengebrachte Vertrauen in hohem Maße schutzwürdig ist, muss mit der Verleihung des Fachanwaltstitels sichergestellt sein, dass die Kenntnisse und Erfahrungen des Fachanwalts auf diesem Fachgebiet tatsächlich und dauerhaft eine spezielle Fachkompetenz des Fachanwalts begründen. Es ist mithin ein (insoweit) strenger Maßstab anzulegen. Eine großzügige Vergabe von Fachanwaltstiteln ist mit § 43c Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BRAO nicht zu vereinbaren1. § 43c Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 BRAO verlangen schließlich das kumulative Vorliegen („und“) der besonderen theoretischen Kenntnisse und praktischen Erfahrungen. Durch den Nachweis der besonderen theoretischen Kenntnisse soll sichergestellt werden, dass der Fachanwaltsbewerber über ein vertieftes Wissen in dem gewählten Spezialgebiet verfügt. Der Nachweis der besonderen praktischen Erfahrungen soll erreichen, dass der Bewerber nicht nur theoretisches Spezialwissen angehäuft hat, sondern auch über praktische anwaltliche Erfahrungen d.h. über Routine und über praktisches know-how auf diesem Spezialgebiet verfügt2. Dem liegt die Annahme zu Grunde, dass bestimmte Fertigkeiten nur durch praktische Tätigkeit vermittelbar sind.
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Fachanwalt kann nach Auffassung des Gesetzgebers allerdings nur werden, wer beide Voraussetzungen erfüllt und diese auch nachgewiesen hat. Die besonderen theoretischen Kenntnisse können weder durch den Nachweis einer umfangreichen und langjährigen Praxiserfahrung ersetzt werden, noch ist es umgekehrt möglich, den Nachweis der besonderen praktischen Erfahrungen durch herausragende theoretische Kenntnisse zu kompensieren: Erst beides zusammen rechtfertigt das durch die Führung der Fachanwaltsbezeichnung in Anspruch genommene Vertrauen3.
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Wie im Einzelnen diese Voraussetzungen beschaffen sind und welche (auch verfahrensmäßigen) Anforderungen an ihren Nachweis gestellt werden, ergibt sich aus § 43c BRAO nicht. Sowohl die Ausfüllung des „Fachanwaltstandards“4 als auch dessen Einhaltung, Überprüfung und Gewährleistung auf Dauer (Fortbildung!) sind Fragen, deren Regelung der Gesetzgeber mit Einräumung der Satzungskompetenz in § 59b Abs. 2 Nr. 2 lit. a und b BRAO dem Anwaltsparlament überlassen hat. 3. Gesetzliche Fachanwaltsbezeichnungen (Abs. 1 Satz 2)
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Für die Aufnahme der vier in § 43c Abs. 1 Satz 2 BRAO aufgeführten Fachanwaltschaften ist nicht von Bedeutung, welche Notwendigkeit sich gerade für diese vier Rechtsgebiete ergibt, sie als Fachanwaltschaften zu begründen5. Es trägt deshalb auch nicht die für die Einführung der Rechtsgebiete aufgeführte Begründung des Gesetzgebers, es handele sich um solche Bereiche des Rechts, auf denen sich nur ein Teil der Anwaltschaft intensiv betätige und auf denen das Bedürfnis des rechtsuchenden Publikums, spezialisierte Rechtsanwälte in Erfahrung zu bringen, besonders deutlich hervorgetreten sei6. Letztlich entscheidend war, dass mit der Einfügung der §§ 42a bis b in die BRAO durch das Gesetz zur Änderung des Berufsrechts der Notare und Rechtsanwälte vom 29.1.19917 die Verleihung der bis dahin vorhandenen Fachanwaltsbezeichnungen auf eine gesicherte Rechtsgrundlage gestellt werden sollten. Aufgenommen in die BRAO wurden deshalb (nur) diejenigen Fachanwaltschaften, die bereits in § 76 der Richtlinien der Bundesrechtsanwaltskammer von 1986 Eingang gefunden hatten. Dies waren die Fachanwaltschaften für Verwaltungsrecht, Steuerrecht, Arbeitsrecht und Sozialrecht8. Vermutet werden kann, dass sich die Auswahl an den in Art. 95 GG 1 BayAGH, BRAK-Mitt. 1996, 205; Jährig, Fachanwaltschaften, S. 97. 2 BGH, Beschl. v. 16.4.2007, VersR 2007, 1249 (1250). 3 BGH, BRAK-Mitt. 1995, 128; Kleine-Cosack, AnwBl. 2005, 593 (597 f.); Quaas, BRAK-Mitt. 2006, 265 (266); Jährig, Fachanwaltschaften, S. 98 ff. 4 Dazu Quaas, BRAK-Mitt. 2006, 265 (266). 5 Zu den einzelnen Rechtfertigungen für die Bereiche des Verwaltungsrechts, Steuerrechts, Arbeitsrechts und Sozialrechts s. im Einzelnen Jährig, Fachanwaltschaften, S. 243 ff. m.zr.w.Nw. 6 BT-Drs. 11/8307, S. 19. 7 GBl. I 1991, S. 150. 8 Hintergrund der damaligen Entscheidung der BRAK, gerade für diese Rechtsgebiete Fachanwaltschaften einzuführen, war allerdings auch der Entwurf des Prozessvertretungsgesetzes des Bundesministeriums für Justiz v. 15.8.1978, vor den obersten Bundesgerichten in Zukunft „nur besonders qualifizierte Rechtsberater“ zuzulassen – vgl. Jährig, Fachanwaltschaften, S. 245.
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Rz. 40 § 43c BRAO
genannten Gerichtsbarkeiten orientierte. Ein besonderes Konzept lag ihr indessen nicht zu Grunde1. 4. Beschränkung auf höchstens drei Rechtsgebiete (Abs. 1 Satz 3) Nach § 43c Abs. 1 Satz 3 BRAO darf die Befugnis zur Führung von Fachanwaltsbezeichnungen für höchstens drei Rechtsgebiete erteilt werden. Bis zur BRAO-Novelle, die am 1.9. 2009 in Kraft getreten ist,2 lag die Obergrenze zulässig erteilter Fachanwaltsbezeichnungen bei zweien, was – insbesondere nach der deutlichen Erhöhung der Zahl der Fachanwaltschaften – immer wieder Anlass auch zu verfassungsrechtlichen Diskussionen war. Es wurde geltend gemacht, dass sich ein hohes Qualitätsniveau auch in mehr als zwei (kleineren), insbesondere verwandten Rechtsgebieten sicherstellen lässt.3 Die gegenteilige Auffassung der Rechtsprechung sowohl des BGH4 wie auch des BVerfG5 erschien überprüfungsbedürftig. Diesen Einwänden ist der Gesetzgeber mit § 43c Abs. 3 Satz 1 BRAO n.F. nachgekommen. Die Erhöhung auf drei Fachanwaltsbezeichnungen ist für alle denkbaren praxisrelevanten Sachverhalte ausreichend, zumal eine inflationäre Häufung von Fachanwaltstiteln geeignet sein kann, die besondere Qualifikation des Fachanwalts zu entwerten.6 In der Praxis zeigt sich, dass mit der maßvollen Anhebung der Obergrenze alle gut leben können. Die Zahl der Rechtsanwälte, die drei Fachanwaltsbezeichnungen führen, ist bislang denkbar gering. Sie lag zum 1.1.2011 bei lediglich 191,7 was einem Anteil von nur 0,45 % an der der Gesamtzahl der Fachanwälte entspricht.8
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IV. Anerkennungsverfahren (Abs. 2) § 43c Abs. 2 enthält die grundlegenden Bestimmungen für das Verfahren zur Prüfung der Voraussetzungen für die Erteilung. Ein gebietsspezifischer Ausschuss der RAK prüft die Nachweise über den Erwerb der nach der FAO geforderten besonderen theoretischen Kenntnisse und praktischen Erfahrungen (a). Die Prüfung endet mit einer Entscheidung durch den Kammervorstand (b). Auf dieser Entscheidung hat der Bewerber bei Vorliegen der in § 43c Abs. 1 BRAO genannten Voraussetzungen einen Rechtsanspruch (c).
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1. Prüfung durch den Ausschuss Der von dem Kammervorstand für jedes Fachgebiet eingesetzte Ausschuss prüft zunächst die Nachweise über den Erwerb der besonderen Kenntnisse und Erfahrungen, indem er – nach kursorischer Vollständigkeitsprüfung durch den Ausschussvorsitzenden (§ 24 Abs. 1 FAO) – entweder im schriftlichen (§ 24 Abs. 2 FAO) oder im mündlichen Verfahren (§ 24 Abs. 3 FAO) über die vorgelegten Nachweise berät und entscheidet, ob von dem Antragsteller, ggf. unter Beifügung von Auflagen, weitere Nachweise vorgelegt werden müssen (§ 24 Abs. 4 FAO).
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a) BGH: „formalisiertes Nachweisverfahren“ Gegenstand der Nachweisprüfung sind die von dem Antragsteller vorgelegten Unterlagen bezüglich des Erwerbs der besonderen Kenntnisse und Erfahrungen. Fraglich ist dabei, ob diese in § 43c Abs. 2 BRAO vorgesehene „Prüfung“ (lediglich) eine – bezogen auf die Anforderungen für den Erwerb der besonderen theoretischen Kenntnisse (§ 4 FAO) und den Erwerb der besonderen praktischen Erfahrungen (§ 5 FAO) – „formalisierte Vollständigkeitsprüfung“ der von dem Antragsteller (nach § 6 FAO) vorgelegten Unterlagen darstellt9, der Fachgebietsausschuss also – negativ formuliert – nicht befugt ist, die fachliche Qualifikation des Bewerbers inhaltlich zu prüfen10 oder ob die Prüfung über die bloße Feststellung der Voll1 2 3 4 5 6 7 8 9
Quaas, BRAK-Mitt. 2000, 211. BGBl. I 2009, S. 44 (49 ff.). So zutr. Hartung/Scharmer, § 43c BRAO Rz. 19. BGH, Beschl. v. 4.4.2005, BRAK-Mitt. 2005, 188 ff. BVerfG, Beschl. v. 13.10.2005, BRAK-Mitt. 2005, 274 mit Anm. Zastrow, BRAK-Mitt. 2006, 30. BR-Drs. 700/08 v. 26.9.2008, S. 57. BRAK-Mitt. 2011, 71 (72). Offermann-Burckart, Fachanwalt werden und bleiben, 3. Aufl., Rz. 863. So im Kern die Rechtsprechung des BGH – u.a. BRAK-Mitt. 2003, 25 ff.; w.Nw. bei Hartung/Scharmer, § 43c BRAO Rz. 53. 10 So der BGH auch nach der Neufassung von § 7 FAO gem. Beschl. v. 7.3.2005, BRAK-Mitt. 2005, 123 ff.; Beschl. v. 6.3.2006, AnwBl. 2006, 413; Beschl. v. 16.4.2007, VersR 2007, 1249 (1250).
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ständigkeit hinaus geht und das Recht und die Pflicht des Ausschusses enthält, die „Fachanwaltseignung“ des Antragstellers anhand der vorgelegten Unterlagen zu überprüfen1. b) Stellungnahme 41
Wortlaut und Entstehungsgeschichte von § 43c BRAO lassen beide Interpretationen zu2. Da indessen § 43c Abs. 2 BRAO dem Fachausschuss die Aufgabe überträgt, die Nachweise über den Erwerb der besonderen Kenntnisse und Erfahrungen zu „prüfen“, ohne allerdings über den Antrag des Rechtsanwalts auf Erteilung der Erlaubnis entscheiden zu können, spricht vieles dafür, dass der (zutreffend so bezeichnete) „Vorprüfungsausschuss“ eine inhaltliche Kontrolle der vorgelegten Nachweise vorzunehmen hat, ob der Antragsteller tatsächlich – wie die Nachweise vorgeben – die nach § 43c Abs. 1 Satz 1 BRAO erforderlichen besonderen Kenntnisse und Erfahrungen „erworben“ hat. Bestehen daran Zweifel, weil die von dem Antragsteller vorgelegten Nachweise (über die Klausuren, deren Bewertung, Buchveröffentlichungen, Falllisten etc.) Mängel bezüglich der geforderten „besonderen“ Kenntnisse und Erfahrungen erkennen lassen, wird man den Ausschuss für verpflichtet halten müssen, diesen Zweifeln nachzugehen und damit eine inhaltliche Überprüfung der vorgelegten Unterlagen im Hinblick auf eine daraus folgende Ablehnung oder mit Auflagen versehene Überarbeitung des Antrags vorzunehmen. Eine solche Verfahrensweise gebietet schon der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz des Rechtsstaatsprinzips nach Art. 20 Abs. 3 GG3.
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Wie der in § 43c Abs. 2, 3 BRAO vorgesehene Ausschuss bei Zweifeln über das Vorliegen der (formellen und materiellen) Voraussetzungen der beantragten Anerkennung als Fachanwalt verfährt, gibt § 43c Abs. 2 BRAO nicht vor. Die Bestimmung lässt Inhalt und Maßstab der Prüfung durch den Fachausschuss ausdrücklich offen. § 43c Abs. 2 BRAO sieht auch für den Kammervorstand kein Verfahren vor, auf welche Weise er über den Antrag des Rechtsanwalts auf Erteilung der Erlaubnis entscheidet. § 43c Abs. 2 i.V.m. § 59b Abs. 2 Nr. 2 lit. b BRAO lassen vielmehr erkennen, dass insoweit – bezogen auf das „Prüfungsverfahren“ durch den Fachausschuss und die Entscheidungsbildung für und durch den Vorstand der RAK – die SV befugt sein soll, die erforderlichen Regelungen im Hinblick auf das Nachweisverfahren zu treffen. Dies schließt ggf. die Anordnung und Durchführung eines Fachgesprächs ein, das darauf angelegt ist, die sich aus den vorgelegten Unterlagen ergebenden Zweifel zu beseitigen und insoweit die vorgelegten Nachweise zu ergänzen. Aufgabe des Fachgespräches ist es, dem Ausschuss eine gesicherte Entscheidungsgrundlage für sein Votum zu liefern, das er – über den Vorsitzenden – im Vorstand der RAK für dessen Entscheidung über den Antrag vorzulegen hat. 2. Entscheidung durch den Kammervorstand
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Hat der Ausschuss sein Votum abgegeben, entscheidet der Vorstand der RAK über den Antrag des Rechtsanwalts auf Erteilung der Fachgebietserlaubnis. An das Votum ist der Vorstand nicht gebunden4.
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Die Entscheidung erfolgt durch einen dem Rechtsanwalt zuzustellenden (§ 229 BRAO) Bescheid. Wird dem Antrag stattgegeben, hat die Verleihung der Fachanwaltsbezeichnung Geltung für das ganze Bundesgebiet5. Wird der Antrag abgelehnt, bedarf der Bescheid einer Begründung. Diese muss erkennen lassen, aus welchen Gründen im Einzelnen dem Antrag nicht stattgegeben worden ist. Lässt die Begründung (des Kammervorstands) erkennen, dass dieser bei seiner Entscheidung die vom Prüfungsausschuss gegebene Begründung für dessen ablehnendes Votum in einem für den Antragsteller wesentlichen Punkt verkennt, ist der Bescheid schon deshalb fehlerhaft6. Wird der Antrag wegen nicht ausreichend nachgewiesener praktischer Erfahrungen abgelehnt, muss aus der Begründung des Bescheids hervorgehen, welche Fälle nach Ansicht der RAK nicht zu berücksichtigen sind und aus welchen Gründen eine Ablehnung im Übrigen erfolgt7. Eine lediglich floskelhafte Darlegung in einem Bescheid, die Fälle seien in weitaus überwiegender Zahl einfacher Art und entsprä1 So – jedenfalls bezogen auf die Möglichkeit, bei Zweifeln über die Eignung des Antragstellers ein Fachgespräch (§ 7 FAO) anzuordnen – Quaas/Sieben, BRAK-Mitt. 2003, 250 ff.; Quaas, § 7 FAO Rz. 71 ff., Hartung/Scharmer, § 43c BRAO Rz. 42 ff. 2 Zur Entstehungsgeschichte vgl. insoweit ausführlich Hartung/Scharmer, § 43c BRAO Rz. 1 ff. 3 AGH BW, BRAK-Mitt. 2005, 237 f. 4 BGH, NJW 2000, 3648. 5 BVerfG, AnwBl. 2002, 427; Feuerich/Weyland, § 43c BRAO Rz. 35. 6 BGH, BRAK-Mitt. 1995, 73. 7 AGH Celle, BRAK-Mitt. 2002, 142.
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chen nicht dem durch § 2 Abs. 2 FAO vorgegebenen Standard, führt zur Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides1. 3. Rechtsanspruch auf Erteilung der Fachanwaltserlaubnis Nach dem etwas missverständlichen Wortlaut des § 43c Abs. 1 S. 1 BRAO „kann“ einem Rechtsanwalt, der besondere Kenntnisse und Erfahrungen in einem Rechtsgebiet erworben hat, die Befugnis verliehen werden, eine Fachanwaltsbezeichnung zu führen. Daraus folgt keine „Ermessensentscheidung“ des Kammervorstandes. Vielmehr hat der Bewerber, der die gem. § 43c Abs. 2 BRAO geforderten Nachweise über den Erwerb der besonderen Kenntnisse und Erfahrungen erbracht hat, mit Rücksicht auf das Grundrecht der Berufsfreiheit gem. Art. 12 Abs. 1 GG einen verfassungsrechtlich abgesicherten, durch § 43c Abs. 1 S. 1 BRAO gesetzlich begründeten Rechtsanspruch auf die Verleihung des Fachanwaltstitels. Der Rechtsanspruch ist mit der Verpflichtungsklage durchsetzbar. Ein irgendwie gearteter „Ermessensspielraum“ kommt dem Vorstand der Rechtsanwaltskammer bei der Verleihung der Fachanwaltserlaubnis grundsätzlich nicht zu2. Ausnahmen können sich mit Rücksicht auf ein durchgeführtes Fachgespräch nach § 7 FAO ergeben3.
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V. Bildung von Ausschüssen (Abs. 3) § 43c Abs. 3 BRAO bestimmt die Organisation der Entscheidungsfindung für das Verfahren nach § 43c Abs. 2 BRAO, soweit die „Vorprüfungsausschüsse“ betroffen sind. Danach bildet der Vorstand der RAK für jedes Fachgebiet einen (Fach-)Ausschuss und bestellt dessen Mitglieder. Insoweit verdanken die Fachausschüsse ihre Entstehung einem entsprechenden Beschluss des Kammervorstandes bzw. – sofern die RAK von der Möglichkeit des § 77 BRAO Gebrauch gemacht hat – der Abteilung (für Fachanwaltsangelegenheiten)4.
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Für jeden Ausschuss werden durch den Kammervorstand mindestens drei Rechtsanwälte als Ausschussmitglieder bestellt. Diese können Mitglieder mehrerer Ausschüsse sein. Die Mitglieder der Fachausschüsse üben ihre Tätigkeit unentgeltlich aus. Sie erhalten entsprechend § 75 Satz 2 BRAO, auf den in § 43c Abs. 3 Satz 2 BRAO verwiesen ist, eine Aufwandsentschädigung und eine Reisekostenvergütung (§ 21 FAO). Im Übrigen unterliegen sie der Pflicht zur Verschwiegenheit (§ 76 BRAO), die aber nicht gegenüber dem Vorstand gilt, soweit ihre Aufgabe Mitteilungen an den Vorstand erfordert.
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Mehrere Rechtsanwaltskammern können gemeinsame Fachgebietsausschüsse bilden; dies kann für alle Fachgebiet, aber – so in der Regel die Praxis – auch nur für einzelne Fachgebiete geschehen (vgl. § 18 FAO). Auch insoweit überlässt § 43c Abs. 3 Satz 3 i.V.m. § 59b Abs. 2 Nr. 2 lit. b BRAO die Einzelheiten der Regelung durch Satzung5.
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VI. Rücknahme und Widerruf (Abs. 4) Die Erlaubnis kann mit Wirkung für die Zukunft zurückgenommen werden, wenn Tatsachen nachträglich bekannt werden, bei deren Kenntnis die Erlaubnis hätte versagt werden müssen. Die Erlaubnis kann ebenfalls mit Wirkung nur für die Zukunft widerrufen werden, wenn der Rechtsanwalt eine vorgeschriebene Fortbildung (vgl. § 15 FAO) unterlassen hat. Die Bestimmung bereitet insbesondere wegen der anzuwendenden Rücknahme- bzw. Widerrufsgründe nicht selten Schwierigkeiten:
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1. Abschließende Aufzählung? Die in § 43c Abs. 4 Satz 1 und 2 BRAO genannten Gründe für die Rücknahme (Satz 1) bzw. den Widerruf der Erlaubnis (Satz 2) sind nicht abschließend, obwohl der Wortlaut jedenfalls des § 43c Abs. 4 Satz 2 BRAO dies nahe legt6. Für die Rücknahme der Verleihung einer 1 Bay. AGH, BRAK-Mitt. 2004, 85. 2 So die st. Rspr. des Anwaltssenats seit BGH, Beschl. v. 18.11.1996 – AnwZ(B) 29/96; Beschl. v. 24.10.1994 – AnwZ(B) 23/94, BRAK-Mitt. 1995, 75 ff. 3 Vgl. u. § 7 FAO Rz. 71 ff. 4 Zur Ausschussbildung im Einzelnen s. Quaas, § 17 FAO Rz. 4 ff. 5 Zu Einzelheiten vgl. Quaas, § 18 FAO Rz. 2 f. 6 Deshalb kann nach Kleine-Cosack, BRAO § 25 FAO Rz. 2 ein Widerruf der Erlaubnis nur bei Nichterfüllung der Fortbildungspflicht erfolgen.
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Fachanwaltschaft
Fachanwaltsbezeichnung weist der BGH1 zutreffend darauf hin, dass § 43c Abs. 4 Satz 1 BRAO über den Wortlaut hinaus Raum für die entsprechende Anwendung des § 48 VwVfG lasse. Dies ergebe sich schon aus dem überragenden Interesse der Allgemeinheit am Schutz der Rechtsuchenden, eine mit schweren Verfahrensfehlern – z.B. Nichtanhörung des Ausschusses, fehlende Beschlussfassung des Vorstandes – oder materiellen Fehlern behaftete, zu Unrecht erteilte Befugnis zur Führung der Fachanwaltsbezeichnung nicht auf Dauer bestehen zu lassen2. Analog muss auch ein Widerruf der Erlaubnis aus anderen Gründen denn einer unterlassenen Fortbildung möglich sein. § 43c Abs. 4 Satz 2 BRAO will ersichtlich den Widerrufsgrund der Verletzung der Fortbildungspflicht beispielhaft hervorheben, um dem Gewicht der Fortbildung für den Bestand der jeweiligen Fachanwaltsverleihung Rechnung zu tragen. Wird allerdings dem Rechtsanwalt die Anwaltszulassung widerrufen, erlischt damit automatisch die dem Anwalt erteilte Erlaubnis zum Führen der Fachanwaltsbezeichnung3 2. Rücknahmegründe 51
Der in § 43c Abs. 4 Satz 1 BRAO aufgeführte Rücknahmegrund nachträglich bekannt gewordener Tatsachen, bei deren Kenntnis die Erlaubnis hätte versagt werden müssen, liegt insbesondere dann vor, wenn der Antragsteller das Vorliegen bestimmter Verleihungsvoraussetzungen vorgetäuscht hat (gefälschtes Lehrgangszeugnis nebst Klausuren; Aufnahme von Fällen in die Fallliste, die der Rechtsanwalt nicht selbst bearbeitet hat etc.). Im Übrigen gelten die zu § 48 VwVfG entwickelten Grundsätze entsprechend. 3. Widerrufsgründe
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Als möglichen Widerrufsgrund nennt § 43c Abs. 4 Satz 2 BRAO das Unterlassen der in der Berufsordnung vorgeschriebenen (§ 15 FAO) Fortbildung:
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a) Damit wird – als Widerrufsgrund – auf die unterlassene Fortbildung und nicht auf den in § 15 Abs. 3 FAO enthaltenen Nachweis der Fortbildung abgestellt. Der Verstoß gegen die aus § 15 Abs. 3 FAO folgende Pflicht, die Erfüllung der Fortbildungsverpflichtung der RAK unaufgefordert nachzuweisen, rechtfertigt für sich genommen nicht einen Widerruf nach § 43c Abs. 4 Satz 2 BRAO. Ein Verstoß gegen die Nachweispflicht kann allerdings mit einer Rüge bzw. einer anwaltsgerichtlichen Maßnahme geahndet werden.
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b) Durch den Verweis auf § 15 FAO wird im Übrigen deutlich, dass ein Widerruf der Erlaubnis nur in Betracht kommt, wenn die dort genannten Anforderungen an die Fortbildung des Fachanwalts nicht erfüllt werden. Dazu bedarf es zunächst der Klärung, was unter einer „wissenschaftlichen Publikation“ oder einer „anwaltlichen Fortbildungsveranstaltung“ zu verstehen ist, an der der Fachanwalt dozierend oder hörend im gem. § 15 Satz 2 FAO genannten Umfang teilgenommen hat. Auch der Zeitpunkt der Fortbildungsmaßnahmen ist für den Begriff der „jährlichen“ Fortbildung von Bedeutung4.
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c) Hinsichtlich sonstiger Widerrufsgründe gilt § 49 Abs. 2 VwVfG entsprechend. In Betracht kommt insbesondere der Widerrufsgrund des § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwVfG, wenn die RAK, der der Rechtsanwalt angehört, auf Grund nachträglich eingetretener Tatsachen berechtigt wäre, die Erlaubnis nicht zu erteilen und wenn ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet würde. 4. Ermessen
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Rücknahme und Widerruf der Erlaubnis sind nicht zwingend, sondern stehen – wie der Wortlaut der Vorschrift („kann“) zeigt – im Ermessen der RAK, das sorgfältig unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls sowie des Verhältnismäßigkeitsgebotes ausgeübt werden muss5. Bei dem Widerruf der Erlaubnis nach § 43c Abs. 4 Satz 2 BRAO handelt es sich allerdings um ein sog. „intendiertes Ermessen“6, wonach die Fachanwaltserlaubnis bei Fehlen des in § 15 FAO vorgesehenen Nachweises im Regelfall zu widerrufen ist. Es müssen 1 2 3 4 5
BGH, Beschl. v. 21.5.2004, BRAK-Mitt. 2004, 234. Ebenso Hartung/Scharmer, § 43 BRAO Rz. 70 ff. BGH, AnwBl. 2012, 846; s.o. Rz. 26. BGH, Urt. v. 8.4.2013 – AnwZ (Brfg) 16/12, BRAK-Mitt. 2013, 181. BGH, BRAK-Mitt. 2013, 46; BGH, NJW 2001, 1945; BRAK-Mitt. 2001, 188; Kleine-Cosack, AnwBl. 2005, 593 (601), Quaas, BRAK-Mitt. 2007, 8 (10). 6 Zur Rechtsfigur des intendierten Ermessens s. BVerwGE 72, 1 (6); 105, 55 (57); Kopp/Ramsauer, VwVfG, 7. Aufl., 2000, § 40 Rz. 45.
662 Quaas
Fachanwaltschaft
Rz. 61 § 43c BRAO
besondere Umstände hinzutreten, wonach trotz fehlendem Nachweis einer Lehrgangsteilnahme oder wissenschaftlichen Publikation die Fachanwaltserlaubnis weitergeführt werden darf. Anderenfalls – bei Annahme eines „freien“ Ermessens – würde der Zweck der mit § 15 FAO beabsichtigten „formalisierten“ Fortbildung, nämlich die rechtsförmliche Sicherung einer einheitlich hohen Befähigung spezialisierter Rechtsanwälte1, unterlaufen. Von einem so verstandenen Qualitätsbewusstsein getragen, hatte sich die SV ausdrücklich dafür ausgesprochen, dass ein Widerruf bereits bei einem einmaligen Verstoß gegen die Fortbildungspflicht möglich sein soll2. Die Rechtsprechung ist großzügiger. Eine einmalige Nichterfüllung der Fortbildungspflicht führt nicht zwingend zum Verlust der Fachanwaltsbezeichnung3. Es kommt aber auf weitere Umstände des Einzelfalls an, die im Rahmen der Gesamtabwägung über den Widerruf der Fachanwaltsbezeichnung zu berücksichtigen sind. Sie müssen allerdings von besonderem Gewicht sein, um die Regelannahme des Widerrufs zu durchbrechen. Wird beispielsweise die Fortbildung im Bezugsjahr unterlassen und im Folgejahr nicht nachgeholt, wird sich die Möglichkeit des Widerrufs zu einer Notwendigkeit verdichtet haben4.
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Ein Widerruf der Erlaubnis kommt weiter in Betracht, wenn gegen den Fachanwalt auf seinem Fachgebiet ein endgültiges (§ 114 Abs. 1 Nr. 4, 204 Abs. 5 BRAO) oder ein vorläufiges Vertretungsverbot (§§ 150, 155, 161a BRAO) wirksam ausgesprochen wurde. Allerdings muss auch insoweit die Ermessensausübung dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügen. Dabei ist zu beachten, dass der Widerruf der Erlaubnis auf Dauer wirkt, während das Vertretungsverbot von einem bis zu fünf Jahren reicht (§ 114 Abs. 1 Nr. 4 BRAO). Ein auf die Dauer des Vertretungsverbotes – und damit der Unzulässigkeit des Tätigwerdens des Rechtsanwalts auf dem ihm untersagten Rechtsgebiet (§ 114a Abs. 1 Satz 1 BRAO) – beschränkter Widerruf könnte insoweit pflichtgemäßem Ermessen entsprechen, sofern man eine analoge Anwendung des § 36 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG für anwendbar hält. In einem solchen Fall sollte indessen zusätzlich erwogen werden, ob man dem „befristeten Widerruf“ der Erlaubnis nicht eine Auflage beifügt, wonach der Rechtsanwalt für die Dauer des Vertretungsverbotes seiner Fortbildungsverpflichtung nach § 15 FAO unbeschadet des Umstandes nachzukommen habe, dass ihm die Fachanwaltserlaubnis für die Dauer des Vertretungsverbotes widerrufen wurde.
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VII. Rechtsschutz 1. Anfechtungs- und Verpflichtungsklage Gegen die Ablehnung des Antrags auf Führung der Fachgebietsbezeichnung kann der Antragsteller – ggf. nach Durchführung eines Vorverfahrens – Anfechtungs- und Verpflichtungsklage bei dem AGH erheben (§ 112c BRAO i.V.m. § 42 VwGO)5. Gegen die Rücknahme oder den Widerruf der Erlaubnis ist die Anfechtungsklage statthaft. Vor der Entscheidung ist dem Rechtsanwalt rechtliches Gehör zu gewähren (vgl. für die Rücknahme und den Widerruf § 25 Abs. 3 Satz 1 FAO).
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2. Untätigkeitsklage a) Eine Untätigkeitsklage (§ 112c BRAO i.V.m. § 75 VwGO) kommt in Betracht, wenn der Kammervorstand über einen Antrag auf Führung der Fachgebietsbezeichnung nicht innerhalb angemessener Frist entscheidet, die nach § 75 Abs. 2 VwGO regelmäßig drei Monate ab Antragstellung bzw. Einlegung des Widerspruchs beträgt. Nur eine vor Ablauf dieser Frist erhobene Klage ist unzulässig.
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b) Ist nach Ablauf dieser Frist die Klage erhoben und führt sie zu einer – nach Fristsetzung durch das Gericht – entsprechenden Bescheidung des Antrags, kann der Kläger die Klage für erledigt erklären. Dann ist in entsprechender Anwendung des § 161 VwGO über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Sie fallen nach der zwingenden Vorschrift des § 161 Abs. 3 VwGO dem Beklagten zu Last, wenn der Kläger mit seiner Bescheidung vor Klage-
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1 2 3 4
BVerfGE 57, 121 (135 f.); Kellner, NJW 2002, 1372 (1375). Henssler/Prütting, § 15 FAO Rz. 12 m.w.Nw. BGH, NJW 2001, 1945 f. Hartung/Scharmer, § 43c BRAO Rz. 77; Henssler/Prütting/Offerman-Buckart, § 43c Rz. 39; offen gelassen durch BGH, BRAK-Mitt. 2013, 46 (Rz. 12). 5 Vgl. zum anwaltsgerichtlichen Rechtsschutz in verwaltungsrechtlichen Anwaltssachen Quaas, DVBl 2012, 1413 ff., Quaas, in: FS Stüer, Bau- und Fachplanungsrecht, 2013, S. 661 ff.
Quaas 663
§ 43d BRAO
Darlegungs- u. Informationspflichten bei Inkassodienstleistungen
erhebung rechnen konnte. Liegt zwischen Antragstellung des Klägers und der erfolgten Klageerhebung ein Zeitraum von mehr als drei Monaten, ist regelmäßig vom Vorliegen eines zureichenden Grundes zur Erhebung der Klage auszugehen. Die Behörde kann die Kosten in Folge des § 161 Abs. 3 VwGO nur dann vermeiden, wenn ein sachlich zureichender Grund für die Entscheidung erst nach Ablauf von drei Monaten seit Antragstellung gegeben ist und – was in der Praxis oft übersehen wird – die Behörde dem Kläger über diesen Grund vor Ablauf dieser Frist durch Zwischenbescheid Kenntnis gegeben hat.1 Das gilt auch für den Fall eines Antrags auf Verleihung einer Fachanwaltsbezeichnung, wenn dem Kläger die Gestattungsurkunde erst im Verlauf des gerichtlichen Verfahrens erteilt wurde.2 Darlegungs- und Informationspflichten bei Inkassodienstleistungen 43d BRAO (1) Der Rechtsanwalt, der Inkassodienstleistungen erbringt, muss,
wenn er eine Forderung gegenüber einer Privatperson geltend macht, mit der ersten Geltendmachung folgende Informationen klar und verständlich vermitteln: 1. den Namen oder die Firma seines Auftraggebers, 2. den Forderungsgrund, bei Verträgen unter konkreter Darlegung des Vertragsgegenstands und des Datums des Vertragsschlusses, 3. wenn Zinsen geltend gemacht werden, eine Zinsberechnung unter Darlegung der zu verzinsenden Forderung, des Zinssatzes und des Zeitraums, für den die Zinsen berechnet werden, 4. wenn ein Zinssatz über dem gesetzlichen Verzugszinssatz geltend gemacht wird, einen gesonderten Hinweis hierauf und die Angabe, aufgrund welcher Umstände der erhöhte Zinssatz gefordert wird, 5. wenn eine Inkassovergütung oder sonstige Inkassokosten geltend gemacht werden, Angaben zu deren Art, Höhe und Entstehungsgrund, 6. wenn mit der Inkassovergütung Umsatzsteuerbeträge geltend gemacht werden, eine Erklärung, dass der Auftraggeber diese Beträge nicht als Vorsteuer abziehen kann. Auf Anfrage hat der Rechtsanwalt der Privatperson folgende Informationen ergänzend mitzuteilen: 1. eine ladungsfähige Anschrift seines Auftraggebers, wenn nicht dargelegt wird, dass dadurch schutzwürdige Interessen des Auftraggebers beeinträchtigt werden, 2. bei Verträgen die wesentlichen Umstände des Vertragsschlusses.
(2) Privatperson im Sinn des Absatzes 1 ist jede natürliche Person, gegen die eine Forderung geltend gemacht wird, die nicht im Zusammenhang mit ihrer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit steht. A. Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . I. Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken . . . . . . . . . . . . . . . II. Keine unmittelbaren gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben . . . . . . . . . . 1. EU-Richtlinienrecht . . . . . . . . . . 2. Bedeutung des EU-Richtlinienrechts . . III. Gesetzesentwurf zur Fortentwicklung des Verbraucherschutzes bei unerlaubter Telefonwerbung . . . . . . . . . . . . 1. Fortentwicklung des Verbraucherschutzes. . . . . . . . . . . . . . . . 2. § 43d BRAO . . . . . . . . . . . . . . IV. Referentenentwurf des BMJ. . . . . . . V. Gesetzesentwurf der Bundesregierung . . VI. § 43d im BRAO-Kontext. . . . . . . . .
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B. Norminhalt . . . . . . . . . . . . . . I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . II. Erbringung von Inkassodienstleistungen . 1. Inkassodienstleistung . . . . . . . . . 2. Personale Bezüge . . . . . . . . . . . a) Rechtsanwalt . . . . . . . . . . . . b) Privatperson . . . . . . . . . . . . 3. Geltendmachung . . . . . . . . . . . a) Allgemein . . . . . . . . . . . . . b) Erste. . . . . . . . . . . . . . . . c) Inhaltlich. . . . . . . . . . . . . . III. Einzelvorgaben . . . . . . . . . . . . 1. Name oder Firma des Auftraggebers (Nr. 1). . . . . . . . . . . . . . . . . a) Auftraggeber . . . . . . . . . . . . b) Name/Firma . . . . . . . . . . . .
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1 BVerwG, Urt. v. 15.11.1974 – VII C 57.72 – Buchholz 451.50 § 8 GetrG Nr. 20 u.v.m. 2 A.A. AGH Hessen, Urt. v. 29.3.2012, BRAK-Mitt. 2012, 184 (Kostenquotelung trotz eines Zeitraumes von 19 Monaten nach Antragstellung!).
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Darlegungs- u. Informationspflichten bei Inkassodienstleistungen 2. Forderungsgrund (Nr. 2) . . . . . . . 3. Zinsansprüche (Nr. 3, 4) . . . . . . . a) Reguläre Zinsen gemäß § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB (Nr. 3) . . . . . . . . b) Erhöhte Zinsen (Nr. 4) . . . . . . . 4. Inkassovergütung/Inkassokosten (Nr. 5) a) Inkassovergütung . . . . . . . . . b) Inkassokosten . . . . . . . . . . 5. Umsatzsteuerbeträge (Nr. 6) . . . . . 6. § 43d Abs. 1 Satz 2 BRAO . . . . . . . a) Ergänzende Informationen. . . . . b) Ladungsfähige Anschrift (Satz 2 Nr. 1) . . . . . . . . . . . c) Zusätzliche wesentliche Umstände (Satz 2 Nr. 2) . . . . . . . . . . .
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Rz. 4 § 43d BRAO . . . . .
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D. Verfassungsrechtliche Beurteilung I. Entstehungsgeschichte . . . . . . II. Die Position des Gesetzgebers. . . III. Die Position der Anwaltschaft . . . 1. Art. 12 Abs. 1 GG. . . . . . . . . 2. Prinzip der Folgerichtigkeit . . . . 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . .
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C. Rechtsfolgen. . . . . . . I. Berufsrecht . . . . . . . 1. Berufsrechtliche Kontrolle 2. Kontrollmaßstäbe . . . . II. Zivilrecht . . . . . . . .
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A. Entstehungsgeschichte I. Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken § 43d BRAO ist Bestandteil des Gesetzes gegen unseriöse Geschäftspraktiken.1 Das Gesetz zielt auf die Eindämmung unseriöser Praktiken, indem es „bestimmte Verbotstatbestände, die Verringerung finanzieller Anreize, mehr Transparenz sowie neue oder schärfere Sanktionen bei einigen unseriösen Geschäftspraktiken vorsieht“.2
1
II. Keine unmittelbaren gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben 1. EU-Richtlinienrecht Die Gesetzesüberschrift enthält eine Fußnote, die darauf verweist, das Gesetz diene der Umsetzung von EU-Richtlinienrecht.3 Der vom Gesetzgeber erwähnte Art. 13 der Richtlinie 2002/58 EG i.d.F. der Richtlinie 2009/136 EG betrifft, wie seine Überschrift zeigt, „unerbetene Nachrichten“: „Die Verwendung von automatischen Anruf- und Kommunikationssystemen ohne menschlichen Eingriff (automatische Anrufmaschinen), Faxgeräten oder elektronischer Post für die Zwecke der Direktwerbung darf nur bei vorherigen Einwilligung der Teilnehmer oder Nutzer gestattet werden“ (Art. 13 Abs. 1 i.d.F. der Änderungsrichtlinie).
2
2. Bedeutung des EU-Richtlinienrechts Die vom Gesetzgeber erwähnte Richtlinienumsetzung bezieht sich deshalb nur auf einen kleinen Ausschnitt des Gesetzes, nämlich die Neufassung des § 7 Abs. 2 Nr. 4 UWG.4 Folgerichtig werden bei der Diskussion von „Anlass und Ziel des Gesetzesentwurfs“ gemeinschaftsrechtliche Vorgaben nicht erwähnt.5 § 43d BRAO ist deshalb nicht durch unmittelbare Vorgaben des Gemeinschaftsrechts veranlasst.
3
III. Gesetzesentwurf zur Fortentwicklung des Verbraucherschutzes bei unerlaubter Telefonwerbung 1. Fortentwicklung des Verbraucherschutzes Am 4.8.2009 war das Gesetz zur Bekämpfung unerlaubter Telefonwerbung und zur Verbesserung des Verbraucherschutzes bei besonderen Vertriebsformen in Kraft getreten.6 Der 1 Gesetz gegen unserlöse Geschäftspraktiken v. 1.10.2013 (BGBl. I, S. 3714), in Kraft getreten (im Wesentlichen) am 9.10.2013. § 43d BRAO tritt erst am 1.11.2014 in Kraft. Zum Gesetz insgesamt vgl. Köhler, NJW 2013, 3473. Zur Anwendung der dem Gesetz zugrunde liegenden Richtlinie 2005/29/EG auf gesetzliche Krankenkassen s. EuGH, VersR 2013, 1593. 2 BT-Drs. 17/13057 v. 15.4.2013, S. 1 (10). 3 Nämlich: Art. 13 der Richtlinie 2002/58 EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 12.7.2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation (ABl. L 201 v. 31.7.2002, S. 37), zuletzt geändert durch Art. 2 der Richtlinie 2009/136 EG (ABl. L 337 v. 18.12.2009, S. 11). 4 BT-Drs. 17/13057 v. 15.4.2013, S. 15. S. dazu Art. 7 Nr. 1 des Gesetzes und dazu BT-Drs. 17/13057, S. 17. 5 BT-Drs. 17/13057, S. 10. 6 BGBl. I, S. 2413.
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4
§ 43d BRAO Rz. 5
Darlegungs- u. Informationspflichten bei Inkassodienstleistungen
Gesetzgeber sah sich jedoch weiterhin einer Vielzahl von Beschwerden über belästigende Telefonwerbung gegenüber.1 Das führte zum Entwurf des Gesetzes zur Fortentwicklung des Verbraucherschutzes bei unerlaubter Telefonwerbung.2 2. § 43d BRAO 5
Mit diesem Entwurf wurde ein Antrag des Freistaats Bayern und des Landes NordrheinWestfalen aufgegriffen, der die Einfügung eines § 43d in die BRAO zum Ziel hatte. Der Antrag hatte gelautet: „§ 43d Inkassodienstleistungen Wer als Rechtsanwalt eine fremde oder zum Zweck der Einziehung auf fremde Rechnung abgetretene Forderung aus einem Fernabsatzvertrag (§ 312b des Bürgerlichen Gesetzbuchs) gegenüber einem Verbraucher außergerichtlich geltend macht, hat die sich aus § 15a des Gesetzes über außergerichtliche Rechtsdienstleistungen ergebenden Pflichten in entsprechender Anwendung zu beachten“.3
Das wurde so in den Gesetzesentwurf des Bundesrats übernommen.4 In der Begründung heißt es dazu: „Mit der Änderung wird sichergestellt, dass auch Rechtsanwälte bei Inkassodienstleitungen im Zusammenhang mit Fernabsatzverträgen die Schuldner über die wesentlichen Umstände des Vertragsschlusses informieren, und sich insoweit rechtzeitig bei ihrem Auftraggeber erkundigen müssen. Für die entsprechende Anwendung des § 15a RDG-E auf Rechtsanwälte besteht deswegen Bedarf, weil auch einzelne Rechtsanwälte in großem Umfang das Inkasso für unseriöse Anbieter betreiben und damit zur Schädigung einer Vielzahl von Verbrauchern beitragen. Die berufsrechtlichen Sorgfaltspflichten werden in diesem Bereich, der ein erhöhtes Missbrauchspotential aufweist, unter Berücksichtigung der besonderen Stellung des Rechtsanwalts als Organ der Rechtspflege im Rahmen des Erforderlichen konkretisiert, ohne in die grundgesetzlich geschützte Berufsfreiheit unzulässig einzugreifen“.5 Die Bundesregierung hat in ihrer Stellungnahme die Einfügung eines § 43d in die BRAO abgelehnt. Es sei mit der Funktion des Rechtsanwalts als Parteivertreter nicht zu vereinbaren, ihm eine Berufspflicht aufzuerlegen, die allein der Unterrichtung und Aufklärung der Gegenseite diene und ihn bei der Vertretung der Interessen seines Mandanten Einschränkungen unterwerfe, die geeignet sein könnten, das besondere gesetzlich geschützte Vertrauensverhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandant zu beeinträchtigen.6 Dem hat sich die BRAK in ihrer Stellungnahme zum Gesetzesentwurf angeschlossen.7 IV. Referentenentwurf des BMJ 6
Das BMJ hat die Bedenken der Bundesregierung nicht geteilt. Der Referentenentwurf verstärkt die vorgesehene berufsrechtliche Regelung, indem er auf die entsprechende Anwendung des RDG verzichtet und stattdessen die RDG-Vorgaben in § 43d BRAO aufnimmt.8 Auf verfassungsrechtliche Fragen geht der Entwurf nur in einer gegenüber der Stellungnahme der Bundesregierung gegenläufigen Tendenz ein. Es heißt jetzt, die Gleichstellung der Rechtsanwälte mit sonstigen Inkassoanbietern sei durch Art. 3 Abs. 1 GG geboten.9 V. Gesetzesentwurf der Bundesregierung
7
Der Gesetzesentwurf der Bundesregierung folgt in Bezug auf § 43d BRAO dem Referentenentwurf wörtlich.10
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S. dazu auch BT-Drs. 17/13057, S. 10 f. BR-Drs. 17/6482 v. 6.7.2011. BR-Drs. 557/10 v. 16.9.2010. BR-Drs. 17/6482 v. 6.7.2011, S. 6. BR-Drs. 17/6482, S. 11. BR-Drs. 17/6482, S. 14. BRAK-Stellungnahme Nr. 52/2011 von September 2011. Referentenentwurf des BMJ, Fassung 19.9.2012. Referentenentwurf, S. 37. BT-Drs. 17/13057 v. 15.4.2013, S. 13 (28).
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Darlegungs- u. Informationspflichten bei Inkassodienstleistungen Rz. 11 § 43d BRAO VI. § 43d im BRAO-Kontext § 43d BRAO ist Bestandteil des Dritten Teils der BRAO, „Die Rechte und Pflichten des Rechtsanwalts und die berufliche Zusammenarbeit der Rechtsanwälte“ betreffend. Die Vorschrift schließt unmittelbar an § 43 (Allgemeine Berufspflicht), § 43a (Grundpflichten des Rechtsanwalts), § 43b (Werbung) und § 43c (Fachanwaltschaft) an. Der Dritte Teil erfasst, unter der Generalklausel des § 43 in den §§ 43a–59a ff. alle wichtigen anwaltlichen Berufspflichten1, wobei man durchaus davon ausgehen kann, dass die §§ 44–59 BRAO weniger bedeutsame anwaltliche Rechte und Pflichten fixieren.2 Nimmt man dann folgerichtig an, der Kern des anwaltlichen Berufsrechts finde sich in §§ 43–43c BRAO, müsste man diese Bewertung auch § 43d BRAO zugutekommen lassen. Diese Bedeutung hat § 43d BRAO als bloße Informationsregelung jedoch nicht. Wenn man auch einen Zusammenhang zwischen § 43 BRAO und den folgenden Vorschriften herstellen kann, so lässt sich eine echte Systematik zwischen §§ 43a–c BRAO nicht herstellen. Der Standort des § 43d BRAO wird also nicht von Rang und Bedeutung dieser Vorschrift bestimmt, sondern allein durch den Umstand, dass zwischen § 43c und § 44 BRAO noch Platz war.
8
B. Norminhalt I. Allgemeines § 43d BRAO unterscheidet sich von § 11a RDG nur durch die unterschiedliche personale Anknüpfung. Während § 11a RDG in Abs. 1 von „registrierten Personen, die Inkassodienstleistungen erbringen“ ausgeht3, orientiert sich § 43d BRAO am „Rechtsanwalt, der Inkassodienstleistungen erbringt“.4 Sonst sind § 11a RDG und § 43d BRAO identisch. Die Amtliche Begründung nimmt deshalb insoweit uneingeschränkt Bezug auf die Erläuterungen zu § 11a RDG.5
9
II. Erbringung von Inkassodienstleistungen 1. Inkassodienstleistung Die Inkassodienstleistung wird in § 2 Abs. 1 Satz 1 RDG legaldefiniert: „Rechtsdienstleistung6 ist, unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen des Absatzes 1, die Einziehung fremder oder zum Zwecke der Einziehung auf fremde Rechnung abgetretenen Forderungen, wenn der Forderungseinzug als eigenständiges Geschäft betrieben wird (Inkassodienstleistung)“.7 Forderungen, die nicht unter den Begriff der Inkassodienstleistung fallen, werden infolgedessen von § 43d BRAO nicht erfasst. Die Amtliche Begründung hebt in diesem Zusammenhang das Factoring hervor.8
10
2. Personale Bezüge a) Rechtsanwalt § 43d Abs. 1 BRAO verpflichtet den „Rechtsanwalt“. § 59m Abs. 2 BRAO schreibt für die (zulässigen) Rechtsanwaltsgesellschaften (u.a.) die zwingende Geltung der §§ 43–43b BRAO vor. Das Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken9 schweigt. Es handelt sich um ein Redaktionsversehen. Solange es vom Gesetzgeber nicht korrigiert wird, gilt § 43d BRAO für 1 2 3 4 5 6
Prütting, in: Henssler/Prütting, BRAO, 4. Aufl. 2014, § 43 Rz. 8. Prütting, in: Henssler/Prütting, BRAO, 4. Aufl. 2014, § 43 Rz. 7. Zu den „registrierten Personen“ s. § 10 RDG und zur Regelung selbst Siegmund, § 10 RDG Rz. 42 ff. § 43d Abs. 1 BRAO. BT-Drs. 17/13057, S. 28. „Rechtsdienstleistung ist jede Tätigkeit in konkreten fremden Angelegenheiten, sobald sie eine rechtliche Prüfung des Einzelfalls erfordert“, § 2 Abs. 1 RDG. 7 S. dazu Johnigk, § 2 RDG Rz. 57 ff. Zum anwaltlichen Masseninkasso s. AGH NRW, BRAK-Mitt. 2011, 150; Quaas, BRAK-Mitt. 2012, 46 (47 f.); Kleine-Cosack, NJW 2011, 2251; Zuck, BRAK-Mitt. 2013, 58. 8 Beim echten Factoring werden die Forderungen mit dem Risiko des Forderungsausfalls an den Faktor übertragen, beim unechten Factoring verbleibt das Delkredererisiko beim Abtretenden. Zum Factoring bei anwaltlichen Gebührenforderungen s. § 49b Abs. 4 Satz 2 BRAO und dazu Kilian, in: Henssler/Prütting, BRAO, 3. Aufl. 2010, § 49b Rz. 203 ff. Nicht erfasst werden auch die Einziehung von Forderungen im Rahmen des UWG, des UKlagG und des UrhG, weil insoweit Sonderregelungen getroffen worden sind. 9 S. oben Rz. 1.
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11
§ 43d BRAO Rz. 12 Darlegungs- u. Informationspflichten bei Inkassodienstleistungen Rechtsanwaltsgesellschaften nicht. Die Geltung über § 11a RDG scheidet aus, weil § 3 BRAO als Spezialgesetz dem RDG vorgeht.1 b) Privatperson 12
Das Gegensatzpaar „natürliche Person/juristische Person (auch teilrechtsfähige)“ ist geläufig. Aber was ist eine Privatperson? Es liegt nahe, Privatpersonen als besondere Gruppe der natürlichen Personen anzusehen, nämlich – etwa – solche, die kein Amt ausüben, wie der Abgeordnete2 oder Angehörige des öffentlichen Dienstes (insbesondere Beamte). Aber wie sieht es mit Aufsichtsratsmitgliedern, Vorstandsvorsitzenden und Firmengeschäftsführern aus? Muss man ggf. untersuchen, ob eine Zeitschriftenbestellung den „privaten Bereich“ dieser Personen betrifft oder nicht? Wenn letzteres nicht der Fall ist, könnte man sich auf den Standpunkt stellen, die Anknüpfung an die „Privatperson“ betreffe nur das Handeln im privaten Bereich. So kann z.B. ein Abgeordneter Zeitschriften privat abonnieren oder zur Wahrnehmung seiner Aufgaben als Parlamentarier. Will man zu einem handhabbaren Ergebnis kommen, muss man die Vorschrift insoweit eng auslegen. Privatpersonen sind dann nur solche natürlichen Personen, deren Verpflichtungen, soweit sie den Bereich der Inkassodienstleistungen betreffen, ausschließlich innerhalb ihrer Privatsphäre begründet worden sind. Dieses enge Verständnis des Begriffs der Privatperson wird auch durch den allgemeinen Zweck des § 43d BRAO bestätigt. Geschützt werden soll der unerfahrene oder unkundige Verbraucher. 3. Geltendmachung
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Die Darlegungs- und Informationspflichten obliegen dem Rechtsanwalt „mit der ersten Geltendmachung“. a) Allgemein
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„Geltend machen“ heißt unmissverständlich fordern. Das ergibt sich als Selbstverständlichkeit aus dem Begriff der Inkassodienstleistung, die von der Einziehung von Forderungen spricht (§ 2 Abs. 1 Satz 1 RDG). Wer z.B. nur mahnt, zieht noch nicht ein, sondern bereitet die Einziehung lediglich vor. Wenn die Mahnung allerdings eine Abmahnung nach § 97a UrhG n.F. betrifft, treffen auch hier den Abmahnenden (mittelbar seinen Rechtsvertreter) Informationspflichten, allerdings eigenständige von §§ 11a RDG n.F., 43d BRAO abweichende. Von der „Geltendmachung“ im Sinne des § 43d BRAO ebenfalls ausgeschlossen sind die umfangreichen Auskunftsverfahren bei Urheberrechtsverletzungen. b) Erste
15
Was eine „erste“ Zahlungsaufforderung ist, bestimmt sich nach dem Gegenstand der Forderung. Verändert sich dieser, weil sich – etwa – die Hauptforderung inzwischen erhöht hat (und nun der Mehrbetrag geltend gemacht wird), gelten die Detailvorgaben des § 43d BRAO erneut auch für die Differenzrechnung, weil es sich insoweit um eine erstmalige Forderung handelt. Für Nebenforderungen, wie insbesondere Zinsforderungen, die erst nach der Hauptforderung geltend gemacht werden, wird die erste Geltendmachung durch die (erstmalige) Zinsforderung bestimmt. Wesentlich ist, dass Darlegung und Information „mit“ (= zusammen mit) der entsprechenden Zahlungsaufforderung übermittelt wird.3 Daran ändert sich auch nichts, wenn der Rechtsanwalt für die Zahlung (wie üblich) eine Frist gesetzt hat. Es geht u die Geltendmachung, und nicht um die Zahlung. Darlegung und Information können nicht (innerhalb der gesetzten Frist) nachgeschoben werden. c) Inhaltlich
16
aa) Formale Vorgaben für die Geltendmachung gibt es nicht. Der Rechtsanwalt kann sich aller zur Verfügung sehender Kommunikationsmittel bedienen, theoretisch also auch die Forderung mündlich geltend machen. Er muss dann aber auch den Darle1 Wolf, § 1 RDG Rz. 22. 2 Vgl. Jarass/Pieroth, GG Art. 38 Rz. 25. 3 BT-Drs. 17/13057, S. 21.
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Darlegungs- u. Informationspflichten bei Inkassodienstleistungen Rz. 24 § 43d BRAO gungs- und Informationskatalog des § 43d BRAO abarbeiten. Das zu dokumentieren wird nur möglich sein, wenn die Geltendmachung aufgezeichnet worden ist. bb) Die Darlegungs- und Informationspflichten muss der Rechtsanwalt selbst erbringen. Es genügt nicht, den Schuldner lediglich auf Internetinformationen des Rechtsanwalts zu verweisen, die der Schuldner dann selbst abrufen muss.1 Anders als bei der für allgemeine Geschäftsbedingungen zulässigen bloßen Möglichkeit der Einsichtnahme (etwa in einer Bankfiliale) bedeutet „übermitteln“, dass die Information dem Schuldner unmittelbar zur Verfügung gestellt wird, ihm also keinen zusätzlichen Informationsbeschaffungsaufwand auferlegt.
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cc) Die Information muss „klar und verständlich“ übermittelt werden. Das orientiert sich an einem durchschnittlichen Adressaten und bedeutet, dass die Information „ohne weiteres“ für ihn verständlich sein muss.2 Auf Ausländer, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind, muss der Rechtsanwalt selbst dann keine Rücksicht nehmen, wenn ihm diese Tatsache bekannt ist. Es genügt, dass der deutsche Text als solcher „ohne weiteres“ verständlich ist. Zwar läuft die Information dann ggf. leer. Wer sich aber im deutschen Geschäftsleben betätigt, muss dessen Vorgaben hinnehmen.
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III. Einzelvorgaben Abs. 1 enthält einen umfangreichen Katalog der dem Rechtsanwalt auferlegten Darlegungs- und Informationspflichten. Zu übermitteln sind danach:
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1. Name oder Firma des Auftraggebers (Nr. 1) a) Auftraggeber Das Berufsrecht kennt den Begriff des Auftraggebers (vgl. etwa § 73 Abs. 2 Nr. 3 BRAO). Er knüpft an den Begriff des Auftrags an, bezieht sich damit auf den dem Rechtsanwalt zugegangenen Antrag auf Erbringung anwaltstypischer Dienstleistungen. Nimmt der Rechtsanwalt diesen Auftrag an, kommt der dem entsprechend Vertrag zustande.3 Auftraggeber ist also der den Auftrag erteilende Partner des Anwaltsvertrages. Damit steht fest, dass es nicht darauf ankommt, wer Inhaber der geltend gemachten Forderung ist.4
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b) Name/Firma 21
„Name“ meint den vollen Namen, also Vor- und Zuname. „Firma“ ist der Name eines Kaufmanns, unter dem er seine Geschäfte betreibt und die Unterschrift abgibt (§ 17 HGB). Nicht-Kaufleute haben keine Firma5, müssen also mit ihrem „Namen“ angegeben werden. Die Firmenbezeichnung muss, einschließlich der erforderlichen Zusätze6 korrekt übermittelt werden. Die Angabe, durch wen eine Firma persönlich vertreten wird, ist nicht vorgeschrieben.
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2. Forderungsgrund (Nr. 2) Der Rechtsanwalt muss den Forderungsgrund angeben, bei Verträgen unter konkreter Darlegung des Vertragsgegenstandes und des Datums des Vertragsschlusses. Im Großen und Ganzen entsprechen diese Vorgaben den Regelungen für das Mahnverfahren (vgl. § 690 Abs. 1 Nr. 3 ZPO).
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Der „Forderungsgrund“ wird durch die Angabe des Streitgegenstands-Typs7 (z.B. Rundfunk-Beitrag), also ganz allgemein gekennzeichnet. Wie im Mahnverfahren muss der Schuldner auch hier erkennen können, welcher Anspruch gegen ihn geltend gemacht wird.8
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1 2 3 4 5 6 7
BT-Drs. 17/13057, S. 21. BT-Drs. 17/13057, S. 26. Böhnlein, in: Feuerich/Weyland, BRAO § 44 Rz. 14. S. auch § 11 Abs. 1 Satz 1 RVG. BT-Drs. 17/13057, S. 21. Hopt, in: Baumbach/Hopt, HGB, 35. Aufl. 2012, § 17 Rz. 13. S. etwa § 19 HGB und Hopt, in: Baumbach/Hopt, HGB, 35. Aufl. 2012, § 18 Rz. 22. Streitgegenstand ist nach h.M. der geltend gemachte Anspruch, vgl. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 17. Aufl. 2009, § 92, Rz. 25 („Begehren antragsgemäßer Entscheidung“). 8 BGH, NJW 2001, 305 (306). Unabhängig von den Besonderheiten des Mahnverfahrens muss der Schuldner deshalb sehen können, ob und in welchem Umfang er sich zur Wehr setzen muss.
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§ 43d BRAO Rz. 25 Darlegungs- u. Informationspflichten bei Inkassodienstleistungen 25
Bei Forderungen aus Verträgen sind zusätzliche Angaben erforderlich. Der Vertragsgegenstand muss konkret dargelegt werden. Wie in § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO1 bezieht sich dieses Erfordernis auf die – summarische – Darstellung des für den geltend gemachten Anspruch maßgeblichen Lebenssachverhalts2, auf jeden Fall aber in einer für die Privatperson „hinreichend genauen Weise“.
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Bei gesetzlichen Ansprüchen, z.B. aus unerlaubter Handlung, greift dies alles nicht.3 Der Amtlichen Begründung ist jedoch in ihrer Ansicht zu folgen, dass die sonst ggf. genügenden Angaben zum Forderungsgrund (also z.B. „aus Schadensersatz“) nicht genügen, weil der Schuldner insoweit gerade nicht erkennen kann, welche Ansprüche gegen ihn geltend gemacht werden. Hier ist es geboten, Handlung und Handlungszeitpunkt offenzulegen.4 3. Zinsansprüche (Nr. 3, 4) a) Reguläre Zinsen gemäß § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB (Nr. 3)
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Bei der Geltendmachung von Zinsen muss eine Zinsberechnung vorgelegt werden. Zu ihr gehören die Darlegung der zu verzinsenden Forderung, der Zinssatz und der Zinsrechnungszeitraum. Mit dieser Regelung werden zwei Ziele verfolgt. Der Schuldner soll die – häufig per se undurchsichtige – Zinsberechnung kontrollieren können. Und der Rechtsanwalt soll seinerseits die (ihm ggf. vom Auftraggeber übermittelte) Zinsberechnung auf ihre Schlüssigkeit hin überprüfen.5 Dazu gehört die Klarstellung, ob sich die Zinsforderung auf die Ausgangsforderung oder (auch) auf Nebenforderungen bezieht. Der Rechtsanwalt muss dabei differenzieren, wenn sich die Zinssätze für Haupt- und Nebenforderung unterscheiden. Die – eigentlich selbstverständliche – Angabe des Verzinsungszeitraums setzt den Schuldner in den Stand, zu überprüfen, ob die Voraussetzungen des § 288 ZPO (oder anderer maßgeblicher Zinsregelungen) überhaupt eingehalten worden sind. b) Erhöhte Zinsen (Nr. 4)
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Werden Zinsen über den gesetzlichen Zinssatz hinaus geltend gemacht, also nach § 288 Abs. 2, 3 BGB, muss der Rechtsanwalt darauf gesondert hinweisen und den Rechtsgrund für die erhöhte Zinsforderung angeben.
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Der „geschuldete Hinweis“ kann summarisch erfolgen. Es genügt – zunächst – der Rückgriff auf § 288 Abs. 2 oder Abs. 3 BGB.
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Da der Rechtsanwalt aber auch die Umstände, die den erhöhten Zinssatz rechtfertigen, angeben muss, muss er die Vorgaben aus Abs. 2 und Abs. 3 konkretisieren. Für Abs. 2 muss er dartun, dass es sich um Entgeltforderungen6 aus Rechtsgeschäften handelt, an denen kein Verbraucher (§ 13 BGB) beteiligt war.7 Erhöhte Zinsen nach Abs. 3 können sich nur aus einer Individualabrede ergeben.8
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Im Übrigen greift § 288 Abs. 4 BGB, wenn die Voraussetzungen des § 286 BGB gegeben sind. Das setzt umfangreiche Darlegungen voraus, weil der Rechtsanwalt die Zinslast (wenn sein Auftraggeber keine Bank ist) belegen und beweisen muss.9 Dafür werden im Rahmen des § 43d BRAO summarische Angaben genügen.10 4. Inkassovergütung/Inkassokosten (Nr. 5) a) Inkassovergütung
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Die Inkassovergütung i.e.S. betrifft die Vergütung von Personen, die Inkassodienstleistungen erbringen (= registrierte Personen gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RDG, vgl. § 4 Abs. 4 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Foerste, in: Musielak, ZPO, 9. Aufl. 2012, § 253 Rz. 24 ff. Ausf. dazu BGH, NJW 2013, 217 (218). Zur Konkurrenz von vertraglichen und deliktischen Ansprüchen s. Schaub, in: PWW, BGB, § 823 Rz. 31 ff. BT-Drs. 17/13057, S. 21. BT-Drs. 17/13057, S. 21. BGH, NJW 2010, 3226 (327). Der Verbraucherbegriff gilt für das gesamte Zivil- und Zivilverfahrensrecht, BGHZ 162, 256). Die Vorschrift gilt als weitgehend leerlaufend, Grüneberg/Palandt, § 288 Rz. 11. BGH, NJW 2012, 2427. BT-Drs. 17/13057, S. 22. Die von der Allgemeinen Begründung geforderte Angabe „aller wesentlichen Umstände“ lässt von der Wohltat summarischen Vortrags allerdings nicht mehr viel übrig.
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Darlegungs- u. Informationspflichten bei Inkassodienstleistungen Rz. 36 § 43d BRAO RDGEG). Insoweit handelt es sich deshalb nicht um eine anwaltliche Gebührenregelung. Als geltend zu machende Forderung tauchte sie bislang nur auf, wenn vor Einschaltung eines Rechtsanwalts ein Inkassodienstleister tätig geworden war.1 Eine Inkassovergütung i.e.S. gab es infolgedessen für den Rechtsanwalt nicht. b) Inkassokosten2 Der Rechtsanwalt wird nicht umsonst tätig. Erbringt er Inkassodienstleistungen, muss er sie auch abrechnen.3 Bislang fiel die Geschäftsgebühr (zuzüglich Mehrwertsteuer und Auslagen) nach VV 2300 an. Der Gebührenrahmen liegt zwischen Faktor 0,5 und 2,5. Abgerechnet wurden in der Regel Gebühren zwischen dem Faktor 1,3 und 1,5.4
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Das wird sich jedoch alles ändern. § 4 Abs. 7 RDGEG i.d.F. von Art. 3 des Gesetzes gegen unseriöse Geschäftspraktiken sieht in Abs. 5 und 6 durch Rechtsverordnung die Schaffung von Inkasso-Regelsätzen für außergerichtliche Inkassodienstleistungen von Rechtsanwälten vor. Es werden Inkasso-Regelsätze eingeführt. Sie werden wertmäßig an dem durchschnittlich mit der jeweiligen Inkassotätigkeit verbundenen Aufwand ausgerichtet. Dabei sollen pauschale Höchstbeträge vorgesehen werden (siehe dazu ausf. § 4 Abs. 6 RDGEG). Eine höhere Vergütung kann der Rechtsanwalt nur verlangen, wenn er darlegt, dass der erforderliche Bearbeitungsaufwand aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls so hoch war, dass eine Kostenerstattung auf der Grundlage der Inkassoregelsätze grob unbillig wäre (§ 4 Abs. 5, 7 RDGEG). Da schon § 4 Abs. 5 Satz 2 RDGEG eine „Darlegung“ verlangt, wird der Rechtsanwalt, insbesondere bei der Höhe der Inkasso-Kosten konkrete Angaben machen müssen, wenn er von den Inkasso-Regelsätzen abweichen will. Dazu gehören Angaben zur Erforderlichkeit des Bearbeitungsaufwands, d.h. Angaben dazu, warum eine mögliche alternative Form der Bearbeitung ausgeschlossen war.5 Dazu bedarf es eines Hinweises auf die „besonderen Umstände des Einzelfalls“. Und dann muss auch noch die Schlussfolgerung (nicht nur in Behauptungsform) belegt werden, dass die Abrechnung der Inkasso-Regelsätze zu einem „grob unbilligen“ Ergebnis führen würde. Die praktischen Konsequenzen des § 4 Abs. 7 RDGEG reichen weit. Einzelinkasso führt dann, wenn erhöhte Gebühren geltend gemacht werden sollen, zu einem erheblichen Aufwand. Im Masseninkasso ist mit deutlichen Einbußen des Gebührenaufkommens zu rechnen. Im Übrigen sollten auch die dogmatischen Konsequenzen der Inkasso-Regelsätze für Rechtsanwälte nicht unterschätzt werden. Der Gesetzgeber unterwirft den Rechtsanwalt damit gewerblichen Regelungen. Er fördert die wohl unaufhaltsame Kommerzialisierung des Anwaltsberufs.6
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5. Umsatzsteuerbeträge (Nr. 6) Wer mit der Inkassovergütung Umsatzsteuerbeträge geltend macht, muss eine Erklärung beifügen, dass der Auftraggeber7 diese Beträge nicht als Vorsteuer absetzen kann. Nr. 6 spricht zwar nur von der Inkassovergütung. Sie wird aber nach § 4 Abs. 5 RDGEG Bestandteil der Inkassoregelsätze. Die geforderte Erklärung muss sich deshalb auch auf die in den Regelsätzen enthaltenen „sonstigen Inkassokosten“ beziehen, wenn für diese Umsatzsteuerbeträge geltend gemacht werden.
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6. § 43d Abs. 1 Satz 2 BRAO a) Ergänzende Informationen Auf Anfrage muss der Rechtsanwalt der Privatperson weitere ergänzende Informationen liefern. 1 Damit verband sich die Frage, ob neben der Vergütung des Inkassobüros Gebühren für die anwaltliche Inkassotätigkeit erstattungsfähig waren, s. dazu BGH, NJW 2005, 2991 (2994); Wedel, AnwBl. 2011, 753. 2 S. dazu Goebel, Inkassokosten, 2008. 3 S. dazu Scheungrab, in: Münchener AnwaltsHandbuch Vergütungsrecht, 2007, § 7 Rz. 48 ff. 4 Scheungrab, in: Münchener AnwaltsHandbuch Vergütungsrecht, 2007, § 7 Rz. 55. Der Stand der Rechtsprechung blieb aber dazu unübersichtlich, vgl. BT-Drs. 17/13057, S. 25. S. auch Wedel, AnwBl. 2011, 753 (754). 5 „Erforderlichkeit“ deutet immer auf das Prinzip der Verhältnismäßigkeit. Erforderlich ist eine Maßnahme nur dann, wenn ein gleich wirksames, den Schuldner weniger stark berührendes Mittel nicht zur Verfügung gestanden hat, vgl. – sinngemäß – BVerfGE 30, 292 (316). Das korrespondiert mit dem Begriff der „notwendigen Kosten“ in § 91 ZPO, vgl. dazu etwa BGH, NJW 2012, 2734, Rz. 9. 6 Zuck/Gerhardt, ZRP 2012, 61; Zuck, NJW 2012, 1681 (1684 f.). 7 Zu diesem s. oben Rz. 20.
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§ 43d BRAO Rz. 37 Darlegungs- u. Informationspflichten bei Inkassodienstleistungen Anfragender ist die in Anspruch genommene Privatperson oder deren bevollmächtigter Vertreter. Anfragen Dritter werden von § 43d Abs. 2 BRAO nicht erfasst. Über den Zeitpunkt der ergänzenden Mitteilung sagt die Regelung nichts. Da mit diesen Angaben die schon vorhandenen Angaben ergänzt werden sollen, also diejenigen, die (zusammen) „mit“ der ersten Geltendmachung der Forderung gemacht worden sind, ist davon auszugehen, dass die Ergänzungsanfrage unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern zu beantworten ist. b) Ladungsfähige Anschrift (Satz 2 Nr. 1) 37
Die ergänzende Mitteilung muss dem Rechtsanwalt möglich sein. Manche Auftraggeber sind nicht mehr auffindbar. Der Rechtsanwalt muss sich zwar auch in diesem Fall um die Ermittlung der Anschrift bemühen. Das kann aber scheitern. Das sollte der Privatperson mitgeteilt werden. Als Fälle der Beeinträchtigung schutzwürdiger Interessen des Auftraggebers die der Ergänzungsmitteilung entgegenstehen, nennt die Amtliche Begründung – nicht abschließend – die wiederholte Bedrohung des Auftraggebers oder das Stalking durch den Schuldner sowie Sperrregelungen zugunsten des Auftraggebers nach § 96 StPO.1 c) Zusätzliche wesentliche Umstände (Satz 2 Nr. 2)
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Die summarischen Angaben nach Nr. 2 mögen dem Schuldner nicht ausreichen. Dann muss der Rechtsanwalt ergänzend „wesentliche Umstände des Vertragsschlusses“ mitteilen. Dieses Verlangen ist aber nur gerechtfertigt, wenn objektiver Ergänzungsbedarf besteht. Der muss sich auf „wesentliche“ Umstände des Vertragsschlusses beziehen. Angaben zu Art und Weise des Vertragsschlusses zählen nicht notwendigerweise zu solchen wesentlichen Umständen.2 Was „wesentlich“ im Sinne von Satz 2 Nr. 2 ist, ist einzelfallbezogen zu klären. C. Rechtsfolgen
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Man muss wissen, welche Rechtsfolgen mit einem Verstoß gegen § 43d BRAO verbunden sind. I. Berufsrecht 1. Berufsrechtliche Kontrolle
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§ 43d BRAO ist Bestandteil des berufsrechtlichen Katalogs der Rechte und Pflichten des Rechtsanwalts, wie sie in der BRAO zusammengefasst sind.3 Berufspflichten, die sich auf Handlungspflichten beziehen, sind (hier) vom Status des Berufsträgers als Anwalt abhängig.4 Die materiellen Vorgaben für die Inhalte anwaltlicher Tätigkeit, insbesondere also für die sachliche Berechtigung, Ansprüche geltend zu machen, werden von der BRAO nicht erfasst. Pflichtverletzungen des Rechtsanwalts können deshalb nur geahndet werden, wenn sie sich aus der BRAO oder der BORA selbst ergeben (§ 113 Abs. 1 BRAO). Das kann – z.B. – über das Merkmal der gewissenhaften Berufsausübung (§ 43 Satz 1 BRAO) zu einer berufsrechtlichen Kontrolle der inhaltlichen Berufstätigkeit des Rechtsanwalts führen.5 Berufsrechtsverstöße haben aber keine Auswirkung auf die rechtliche Beurteilung der anwaltlichen Berufstätigkeit selbst. Verstöße gegen § 43d BRAO unterliegen also nur der anwaltlichen Disziplinargewalt.6 2. Kontrollmaßstäbe
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§ 113 Abs. 1 BRAO sieht in Bezug auf einen schuldhaften Verstoß (u.a.) gegen BRAOPflichten die Verhängung einer anwaltsgerichtlichen Maßnahme vor. § 43d BRAO enthält ei1 2 3 4 5 6
BT-Drs. 17/13057, S. 22. A.A. BT-Drs. 17/13057, S. 22. S. oben § 43 BRAO Rz. 40 ff. Zuck, § 43 BRAO Rz. 9. Zuck, § 43 BRAO, Rz. 63. Die Bußgeldvorschriften des Gesetzes gegen unseriöse Geschäftspraktiken sind ausschließlich RDG – bezogen, vgl. § 20 RDG n.F.
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Darlegungs- u. Informationspflichten bei Inkassodienstleistungen Rz. 44 § 43d BRAO nen Katalog anwaltlicher Berufspflichten. Für die „schuldhafte Verletzung“ kommt neben Vorsatz jede Form der Fahrlässigkeit in Betracht.1 Der Katalog der anwaltsgerichtlichen Maßnahmen ist in § 114 BRAO enthalten. Zu beachten ist der Zusammenhang mit § 74 BRAO.2 Bei geringer Schuld und wenn ein Antrag auf Einleitung eines anwaltsgerichtlichen Verfahrens nicht erforderlich ist, bleibt es bei der Rügebefugnis des Vorstands. Einzelverstöße gegen Vorschriften des § 43d BRAO werden im Allgemeinen ein Vorgehen nach § 113 BRAO nicht rechtfertigen. Das mag dann anders sein, wenn umfangreich oder wiederholt gegen § 43d BRAO verstoßen wird.3 II. Zivilrecht Berufsrechtliche Verstöße machen das Vorgehen des Rechtsanwalts nicht einfachrechtlich fehlerhaft. Alle Vorgaben des § 43d BRAO betreffen aber die Voraussetzungen für eine schlüssige Anspruchsbegründung. Spätestens im Rechtsstreit muss der Rechtsanwalt deshalb die Lücken schließen. Da ihn aber die Inkassokostenregelungen über § 4 Abs. 7 RDGEG unmittelbar treffen4, betreffen den Anwalt Mängel in Bezug auf die Geltendmachung außergerichtlicher Kosten in vollem Umfang. Sind Darlegung und Information nicht entsprechend § 43d BRAO erfolgt, kann der Rechtsanwalt die außergerichtlichen Kosten nicht geltend machen.
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D. Verfassungsrechtliche Beurteilung I. Entstehungsgeschichte Die Überlegungen zur Einführung des § 43d BRAO sind von verfassungsrechtlichen Argumenten begleitet worden. Die Bundesregierung hat zwar bei ihrer Kritik am Gesetzesentwurf Art. 12 Abs. 1 GG nicht erwähnt5, ist aber wohl so zu verstehen. Die Ministerialbürokratie hat schon im Referentenentwurf die Erstreckung der Informationspflichten auf Rechtsanwälte (Einheitslösung) als durch Art. 3 Abs. 1 GG geboten angesehen.6 Die Anwaltsgremien haben dagegen die Auferlegung anwaltlicher Informationspflichten als Verstöße gegen Art. 12 Abs. 1 GG und das Gebot der Folgerichtigkeit betrachtet.7
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II. Die Position des Gesetzgebers Dass der Gesetzgeber sich ausdrücklich auf Art. 3 Abs. 1 GG zurückgezogen hat, erklärt sich wohl nur aus dem Rechtfertigungsdruck, der durch die Kritik der Bundesregierung entstanden war. Ein aus Art. 3 Abs. 1 GG folgendes Gebot, auch die Anwälte den in § 43d BRAO geregelten Informationspflichten zu unterwerfen, ist jedoch nicht erkennbar. Zum einen ist es ohnehin Sache des Gesetzgebers, die Vergleichsgruppen zu bestimmen, d.h. zu entscheiden, welche Elemente der zu ordnenden Lebensverhältnisse er dafür als maßgebend ansieht, sie im Recht gleich oder ungleich zu behandeln.8 Die von ihm vorgenommenen Wertungen sind allerdings am Prinzip der Verhältnismäßigkeit zu messen.9 Man könnte argumentieren, es sei geboten gewesen, Rechtsanwälte den sonstigen Inkassodienstleistern gleichzustellen, wenn man eine vollständige Schutzsituation für die Verbraucher erreichen wolle. Dem ließe sich entgegenhalten, Rechtsanwälte unterschieden sich aufgrund ihrer besonderen Ausbildung und ihren verbreiteten berufsrechtlichen Pflichten so sehr von den sonstigen Inkassodienstleistern, dass es gerade an der Erforderlichkeit der gesetzlichen Regelung fehle. Da Anlass für die Einbeziehung von Anwälten in die gesetzliche Regelung aber auch das Fehlver-
1 Zuck, § 113 BRAO Rz. 46. 2 Zuck, § 114 Rz. 2. Zum aufsichtsrechtlichen „besonderen Hinweis“ s. Lauda, § 74 BRAO Rz. 9; AGH NRW, BRAK-Mitt. 2011, 150 und dazu Quaas, BRAK-Mitt. 2012, 46 (48). 3 Krit. Kilian, in: Henssler/Prütting, BRAO, 4. Aufl. 2014, § 43d Rz. 4. 4 S. oben Rz. 34. 5 BT-Drs. 17/6482, S. 14; s. oben Rz. 5. 6 Übernommen im Gesetzesentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 17/13057, s. oben Rz. 6 f. 7 S. dazu die BRAK-Stellungnahme v. 19.2.2013 sowie die Stellungnahme des Sachverständigen Rechtsanwalt Dr. Mirko Möller, LL.M. bei seiner Anhörung im Rechtsausschuss v. 15.5.2013; s. auch Möller, BRAK-Magazin 3/2013, S. 10. 8 BVerfGE 50, 57 (77), st. Rspr. 9 BVerfGE 1, 275 (290 f.), st. Rspr.
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§ 43d BRAO Rz. 45 Darlegungs- u. Informationspflichten bei Inkassodienstleistungen halten einzelner Anwälte gewesen war1, erscheint die Einheitslösung unter dem Aspekt des Art. 3 Abs. 1 GG vertretbar. Das führt dazu, dass der Gesetzgeber zu dieser Einheitslösung durch Art. 3 Abs. 1 GG gerade nicht gezwungen war. Die Annahme der Vertretbarkeit bedeutet deshalb nur, dass die Einheitslösung nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt. III. Die Position der Anwaltschaft 1. Art. 12 Abs. 1 GG 45
Die mit § 43d BRAO verbundene Berufsausübungsregelung muss sich ebenfalls am Prinzip der Verhältnismäßigkeit messen lassen. Greift man dazu auf Gefährdungen und Beeinträchtigungen des Vertrauensverhältnisses zwischen Anwalt und Mandant zurück2, wie sie – zumindest aus Sicht des Mandanten – mit umfangreichen Informationen an den Gegner verbunden sein könnten, so ist fraglich, ob die Einbeziehung der Anwälte in die Informationspflichten des § 43d BRAO als zumutbare Regelung angesehen werden kann. Ob eine gesetzliche Regelung für die von ihr Betroffenen im Sinne des Prinzips der Verhältnismäßigkeit zumutbar ist, bemisst sich anhand einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des mit der Maßnahme verbundenen Grundrechtseingriffs und dem Gewicht des zu schützenden Rechtsgut.3 Auf der einen Seite muss man sehen, dass es sich im Großen und Ganzen nur um vorverlagerte Informationen handelt, nämlich um solche, die der Anwalt ohnehin nach § 253 ZPO4 oder im Mahnverfahren zur Schlüssigkeit seines Vortrage erteilen muss. Wer einen Anspruch geltend macht, etwa aus einer Nebenkostenabrechnung im Mietrecht, muss eine Fülle von Tatsachen aus dem Bereich seines Mandanten dem Gegner gegenüber offenlegen.5 Der Unterschied zu § 43d BRAO liegt nur in der Tatsache, dass hier eine gesetzliche Offenlegungspflicht besteht, während sonst die Offenlegung nicht erzwungen werden kann, sondern lediglich zur Folge hat, dass, wenn sie unterbleibt oder nicht ausreicht, die Rechtsverfolgung scheitert. Auf der anderen Seite hat, auch veranlasst durch Unionsrecht, der Verbraucherschutz erhebliches Gewicht, wie die umfangreichen einschlägigen Bestimmungen im BGB zeigen. Der Vergleich zwischen Belastung und Schutzgut schließt infolgedessen die Annahme aus, § 43 BRAO sei eine für die Rechtsanwälte unzumutbare Regelung. 2. Prinzip der Folgerichtigkeit
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Das BVerfG misst dem Erfordernis der Folgerichtigkeit einer gesetzlichen Regelung zunehmend Bedeutung bei.6 Mangelnde Folgerichtigkeit führt zur Unvereinbarkeit einer gesetzlichen Regelung mit dem GG. Folgerichtigkeit meint nicht nur einen linear-logischen Zusammenhang zwischen den einzelnen Bestandteilen einer gesetzlichen Regelung, sondern setzt einen wertenden Vergleich zwischen den einzelnen Gesetzeselementen voraus.7 Es muss infolgedessen ein Systembezug hergestellt werden, für dessen Bestimmung sich der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung durch die so genannte „neue Formel“8 anbietet, was zugleich auch die Einbeziehung des Prinzips der Verhältnismäßigkeit veranlasst.9 Im Verhältnis zwischen parlamentarischem Gesetzgeber und Anwaltschaft verschiebt sich unter dem Maßstab der Folgerichtigkeit der jeweilige Bezugsrahmen. Während der Gesetzgeber die Folgerichtigkeit seiner Regelung am Verhältnis zwischen allgemeinen Inkassodienstleistern und Rechtsanwälten misst, sieht die Anwaltschaft die Folgerichtigkeit inner-
1 Das Ausmaß rechtswidrigen Anwalts-Inkassos ist allerdings nicht verlässlich festgestellt worden. Auf die Annahme, es handle sich insoweit nur um vernachlässigbare Einzelfälle, stützen sich Einwände, die darauf hinauslaufen, es sei unverhältnismäßig, die Anwaltschaft durch die Einheitslösung insgesamt unter Generalverdacht zu stellen. Die tatsächlichen Prämissen für diese Argumentation sind aber ungesichert. Und selbst wenn es sich nur um „einzelne“ Anwälte handelte, bliebe offen, welche faktische Bedeutung dem zukäme, vgl. Zuck, BRAK-Mitt. 2013, 58 unter Hinweis auf einen einzigen Anwalt, der rund 900 000 Inkassofälle p.a. zu betreuen hatte. 2 Zum Vertrauensverhältnis s. ausf. § 43 BRAO Rz. 35. 3 BVerfGE 110, 141 (145), 126, 112 (153); BVerfG, NJW 2013, 1499 (1503 Rz. 109); st. Rspr. 4 S. dazu BGH, NJW 2013, 540 (541 f.). 5 S. dazu Eisenschmid, in: Schmidt-Futterer, Mietrecht, 11. Aufl. 2013, § 535 BGB Rz. 649 ff. und im Einzelnen Langenberg, in: Schmidt-Futterer, Mietrecht, 11. Aufl. 2013, § 556 BGB Rz. 71 (zur BetriebskostenV). 6 BVerfGE 121, 317 – Rauchverbot in Eckkneipen; BVerfGE 122, 210 – Pendlerpauschale. 7 Osterloh, Folgerichtigkeit, in: FS Bryde, 2013, S. 429 (432, 434). 8 BVerfGE 55, 72 (88), st. Rspr., vgl. etwa BVerfGE 132, 72 (82 Rz. 21); 132, 372 (388 Rz. 45). 9 Osterloh, Folgerichtigkeit, in: FS Bryde, 2013, S. 429 (435 ff.); s. auch oben Rz. 44.
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Rz. 2 § 44 BRAO
Mitteilung der Ablehnung eines Auftrags
halb der den Anwälten obliegenden Pflichten bedroht.1 Das ist aber kein durchschlagendes Argument: Der Vergleich zwischen dem, was dem Rechtsanwalt ohnehin bei gewissenhafter Berufsausübung2 und dem, was ihm durch § 43d BRAO inhaltlich auferlegt wird3, hat im Sinne der Zumutbarkeitsvoraussetzungen des Prinzips der Verhältnismäßigkeit4 zu geringes Gewicht, um einen Verstoß gegen den Grundsatz der Folgerichtigkeit zu begründen. 3. Ergebnis Verfassungsrechtliche Einwände lassen sich gegen § 43d BRAO nicht erfolgreich erheben.
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der Ablehnung eines Auftrags 44 BRAO Mitteilung Der Rechtsanwalt, der in seinem Beruf in Anspruch genommen wird 1
und den Auftrag nicht annehmen will, muß die Ablehnung unverzüglich erklären. 2Er hat den Schaden zu ersetzen, der aus einer schuldhaften Verzögerung dieser Erklärung entsteht. A. Allgemeines/Historie . . . . . . . . . . I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . II. Gesetzgebungsgeschichte der Norm und rechtspolitische Überlegungen . . . . .
1 1
B. Einzelerörterung . . . . . . . . . . . . I. Anwaltsvertrag. . . . . . . . . . . . . 1. Beauftragung als Rechtsanwalt . . . . .
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2. Anwaltsvertrag . . . II. Zugang des Antrags . III. Ablehnung. . . . . . IV. Rechtsfolge . . . . . 1. Kein Vertragsschluss . 2. Schadensersatzpflicht 3. Verjährung . . . . .
. . . . . . .
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A. Allgemeines/Historie I. Allgemeines Im Gegensatz zur BNotO (§ 15 BNotO) kennt die BRAO keinen generellen Kontrahierungszwang. Ein solcher Kontrahierungszwang besteht nur in den Fällen der Beiordnung, § 48 BRAO bzw. der Pflichtverteidigung und der Beratungshilfe, § 49a BRAO. § 44 BRAO greift aber in die allgemeine Systematik des Vertragsschlusses ein, indem er dem Rechtsanwalt die Verpflichtung auflegt, das ihm angetragene Mandat, welches er nicht annehmen will, unverzüglich abzulehnen. Zwar bleibt es bei der Grundregel des § 146 BGB. Danach erlischt das nicht rechtzeitig angenommene Angebot. Jedoch legt § 44 BRAO, wie § 663 BGB, demjenigen, welcher zur Besorgung bestimmter Geschäfte öffentlich bestellt wurde oder sich hierzu öffentlich angeboten hat, eine unverzügliche Ablehnungspflicht auf. Verstößt der Rechtsanwalt hiergegen kommt zwar kein Vertrag zustande. Insoweit bleibt die Regelung hinter § 362 HBG zurück. Jedoch macht sich der Rechtsanwalt in diesen Fällen schadensersatzpflichtig. Der Sache nach handelt es sich hier um eine Haftung aus culpa in contrahendo, welche auf das negative Interesse gerichtet ist.5 § 44 BRAO ist daher keine berufsrechtliche Vorschrift im engeren Sinne, sondern ein Sonderprivatrecht des Anwaltsvertrags. Die Vorschrift entspricht § 63 StBerG und § 51 WPO.
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II. Gesetzgebungsgeschichte der Norm und rechtspolitische Überlegungen Die Norm führt sich auf § 30 der Reichs-Rechtsanwaltsordnung von 1878 zurück. Der Wortlaut der Vorschrift wurde zwar im Lauf der Zeit leicht verändert, der Sache nach hat die Vorschrift aber keine Änderung erfahren. Vor Einführung der RRO war jedoch ein Kontrahierungszwang weit verbreitet. Einen Kontrahierungszwang sahen neben dem Gemeinen Recht, das Preußische Recht, die sächsische Advokatenordnung und die Hannoversche Prozessordnung vor.6 Der Gesetzgeber der Reichs-Rechtsanwaltsordnung verzichtete auf einen 1 S. oben § 43d BRAO Rz. 44. 2 § 43 BRAO Rz. 48 ff. 3 Die damit verbundenen formellen Pflichten, etwa aus den technischen Vorgaben für die Geltendmachung selbst (s. oben Rz. 13 ff.) können in diesem Zusammenhang vernachlässigt werden. 4 § 43d BRAO Rz. 44. 5 Für § 663 BGB Staudinger/Martinek, 2006, § 663 BGB Rz. 13 f. 6 Drucksache des Reichstags, 3. Leg. Per. II Session, 1878, Bd. 53 Nr. 5, S. 80 f.
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Rz. 2 § 44 BRAO
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halb der den Anwälten obliegenden Pflichten bedroht.1 Das ist aber kein durchschlagendes Argument: Der Vergleich zwischen dem, was dem Rechtsanwalt ohnehin bei gewissenhafter Berufsausübung2 und dem, was ihm durch § 43d BRAO inhaltlich auferlegt wird3, hat im Sinne der Zumutbarkeitsvoraussetzungen des Prinzips der Verhältnismäßigkeit4 zu geringes Gewicht, um einen Verstoß gegen den Grundsatz der Folgerichtigkeit zu begründen. 3. Ergebnis Verfassungsrechtliche Einwände lassen sich gegen § 43d BRAO nicht erfolgreich erheben.
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der Ablehnung eines Auftrags 44 BRAO Mitteilung Der Rechtsanwalt, der in seinem Beruf in Anspruch genommen wird 1
und den Auftrag nicht annehmen will, muß die Ablehnung unverzüglich erklären. 2Er hat den Schaden zu ersetzen, der aus einer schuldhaften Verzögerung dieser Erklärung entsteht. A. Allgemeines/Historie . . . . . . . . . . I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . II. Gesetzgebungsgeschichte der Norm und rechtspolitische Überlegungen . . . . .
1 1
B. Einzelerörterung . . . . . . . . . . . . I. Anwaltsvertrag. . . . . . . . . . . . . 1. Beauftragung als Rechtsanwalt . . . . .
8 8 8
2
2. Anwaltsvertrag . . . II. Zugang des Antrags . III. Ablehnung. . . . . . IV. Rechtsfolge . . . . . 1. Kein Vertragsschluss . 2. Schadensersatzpflicht 3. Verjährung . . . . .
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A. Allgemeines/Historie I. Allgemeines Im Gegensatz zur BNotO (§ 15 BNotO) kennt die BRAO keinen generellen Kontrahierungszwang. Ein solcher Kontrahierungszwang besteht nur in den Fällen der Beiordnung, § 48 BRAO bzw. der Pflichtverteidigung und der Beratungshilfe, § 49a BRAO. § 44 BRAO greift aber in die allgemeine Systematik des Vertragsschlusses ein, indem er dem Rechtsanwalt die Verpflichtung auflegt, das ihm angetragene Mandat, welches er nicht annehmen will, unverzüglich abzulehnen. Zwar bleibt es bei der Grundregel des § 146 BGB. Danach erlischt das nicht rechtzeitig angenommene Angebot. Jedoch legt § 44 BRAO, wie § 663 BGB, demjenigen, welcher zur Besorgung bestimmter Geschäfte öffentlich bestellt wurde oder sich hierzu öffentlich angeboten hat, eine unverzügliche Ablehnungspflicht auf. Verstößt der Rechtsanwalt hiergegen kommt zwar kein Vertrag zustande. Insoweit bleibt die Regelung hinter § 362 HBG zurück. Jedoch macht sich der Rechtsanwalt in diesen Fällen schadensersatzpflichtig. Der Sache nach handelt es sich hier um eine Haftung aus culpa in contrahendo, welche auf das negative Interesse gerichtet ist.5 § 44 BRAO ist daher keine berufsrechtliche Vorschrift im engeren Sinne, sondern ein Sonderprivatrecht des Anwaltsvertrags. Die Vorschrift entspricht § 63 StBerG und § 51 WPO.
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II. Gesetzgebungsgeschichte der Norm und rechtspolitische Überlegungen Die Norm führt sich auf § 30 der Reichs-Rechtsanwaltsordnung von 1878 zurück. Der Wortlaut der Vorschrift wurde zwar im Lauf der Zeit leicht verändert, der Sache nach hat die Vorschrift aber keine Änderung erfahren. Vor Einführung der RRO war jedoch ein Kontrahierungszwang weit verbreitet. Einen Kontrahierungszwang sahen neben dem Gemeinen Recht, das Preußische Recht, die sächsische Advokatenordnung und die Hannoversche Prozessordnung vor.6 Der Gesetzgeber der Reichs-Rechtsanwaltsordnung verzichtete auf einen 1 S. oben § 43d BRAO Rz. 44. 2 § 43 BRAO Rz. 48 ff. 3 Die damit verbundenen formellen Pflichten, etwa aus den technischen Vorgaben für die Geltendmachung selbst (s. oben Rz. 13 ff.) können in diesem Zusammenhang vernachlässigt werden. 4 § 43d BRAO Rz. 44. 5 Für § 663 BGB Staudinger/Martinek, 2006, § 663 BGB Rz. 13 f. 6 Drucksache des Reichstags, 3. Leg. Per. II Session, 1878, Bd. 53 Nr. 5, S. 80 f.
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§ 44 BRAO Rz. 3
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allgemeinen Kontrahierungszwang, ging aber zugleich davon aus, dass „der Rechtsanwalt in allen Fällen, in denen seine Thätigkeit in Anspruch genommen wird seinen Beruf ausüben werde.“1 Es sei ein nobile officium – so der Gesetzgeber weiter –, dass der Rechtsanwalt seine Berufstätigkeit nicht ohne triftigen Grund versage. Ein Verstoß hiergegen würde u.U. sogar eine ehrengerichtliche Rüge zur Folge haben.2 3
Die gesetzgeberische Entscheidung keinen Kontrahierungszwang zu begründen ist vor einem Hintergrund der in der Reichsgebührenordnung für Rechtsanwälte bzw. in der BRAGO und jetzt im RVG angelegten Quersubvention zu beurteilen. Die in der Gebührenordnung angelegte Quersubventionierung soll dazu dienen, den Zugang zum Recht auch in rechtlich komplexen Fällen mit niedrigem Streitwert zu ermöglichen.3
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Diese Form der streitwertunabhängigen Sicherung des Zugangs zum Recht wird mit dem Argument kritisiert, die Quersubvention funktioniere nicht, weil sich Teile der Anwaltschaft dieser Aufgabe verweigern würden, indem sie sich die wirtschaftlich attraktiven Fälle (Rosinen) herauspickten.4
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Gegenüber dieser Kritik ist zunächst einmal darauf hinzuweisen, dass § 44 BRAO in Zusammenhang mit dem anwaltlichen Leitbild, wie es in §§ 1 bis 3 BRAO geformt ist, zu lesen ist. Das darin formulierte Selbstverständnis der Rechtsanwälte als Angehörige eines freien Berufs macht – vorausgesetzt es wird auf breiter Basis gelebt – einen Kontrahierungszwang entbehrlich.5 Bezogen auf das ursprüngliche Verständnis des freien Berufs hat Taupitz nachdrücklich dargelegt, dass zwar die altruistische Berufsauffassung des freien Berufs nicht dem tatsächlichen Verhalten der Freiberufler stets entspricht, jedoch der Beruf dem Postulat unterliegt sich nicht primär von den Erbwerbsaussichten leiten zu lassen. In einer ganzen Reihe von berufsrechtlichen Bestimmungen ist das individuelle Erfolgsstreben, so Taupitz, daher kanalisiert und sanktioniert worden.6 U.a. wurde die Weigerung im Armenrecht tätig zu werden als standeswidrig angesehen.7
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Der Zugang zum Recht in rechtlich komplexen Fällen mit niedrigem Streitwert lässt sich nicht über ein rein marktwirtschaftliches Modell gewährleisten, weil das Verhältnis von Produktionskosten und Streitwert nicht als lineare Funktion beschrieben werden kann.8 Dies wäre aber eine der Grundbedingungen für das neoklassische Modell der vollständigen Konkurrenz.9 Die Bearbeitungszeit des einzelnen Rechtsfalls wird nämlich idealiter weder durch die Anzahl der bearbeiteten Fälle noch durch deren wirtschaftlichen Wert bestimmt, sondern ausschließlich von der mit dem einzelnen Fall verbundenen rechtlichen Schwierigkeit. Zwischen der rechtlichen Schwierigkeit und der wirtschaftlichen Bedeutung des Rechtsfalls besteht kein denknotwendiger Zusammenhang. Rechtlich hoch komplexe Sachverhalte können – bezogen auf den Streitwert – verschwindend gering und umgekehrt können rechtlich einfache Probleme – wiederum bezogen auf den Streitwert – von immenser Bedeutung sein. Es liegt also, wie bei den natürlichen Monopolen,10 keine lineare Verknüpfung von Input und Output bei der Produktion vor.
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Richtig an der Kritik, die Quersubventionierung des RVG würde zu einer individuellen Strategie des Rosinenpickens führen, ist jedoch, dass allgemein dort, wo der Gesetzgeber eine Quersubventionierung bei den natürlichen Monopolen vorgibt, zugleich das Rosinenpicken durch den Kontrahierungszwang unterbunden wird.11 Wie sich in den Fällen der §§ 48 und 49a BRAO zeigt, widerspräche ein solcher Kontrahierungszwang auch nicht grundsätzlich dem Tätigkeitsbild des Rechtsanwalts. Rechtspolitisch viel mehr entscheidend ist aber das in §§ 1 bis 3 BRAO formulierte Bild des freien Berufs, welcher sich nicht vom Gewinnstreben leiten lässt, in der Praxis stets aufs Neue zu beleben. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
Drucksache des Reichstags, 3. Leg. Per. II Session, 1878, Bd. 53 Nr. 5, S. 80 f. Drucksache des Reichstags, 3. Leg. Per. II Session, 1878, Bd. 53 Nr. 5, S. 80 f. Vgl. hierzu Chr. Wolf, Recht durch Rechtsanwälte, in: BRAK Schriftenreihe, Bd. 16, 2008, S. 1 (16, 17 f.). Basedow, Österreichische Notarzeitung, Bd. 122 (1990), S. 187 (193); XVI. Hauptgutachten der Monopolkommission, BT-Drs. 16/2460, S. 399. Wörtlich heißt es in der Begründung der BRAO: „Vielmehr liegt die Eigenart des freien Berufs vornehmlich darin begründet, dass seine Angehörigen sich nicht vom Streben nach Gewinn bestimmen lassen dürfen“, BT-Drs. 3/120, S. 49. Taupitz, Standesordnung der freien Berufe, 1991, S. 61. EGHE 18, 131 f.; Lingenberg/Hummel/Zuck/Eich/Hummel, § 57 Rz. 12. Hierzu Chr. Wolf, Recht durch Rechtsanwälte, in: Bundesrechtsanwaltskammer Schriftenreihe, Bd. 16, 2008, S. 1 (14). Chr. Wolf, Recht durch Rechtsanwälte, in: BRAK Schriftenreihe, Bd. 16, 2008, S. 1 (14). Knieps, Wettbewerbsökonomie, 3. Aufl. 2008, S. 24. Fritsch/Wein/Ewers, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, 8. Aufl. 2011, S. 215.
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Mitteilung der Ablehnung eines Auftrags
Rz. 12 § 44 BRAO
B. Einzelerörterung I. Anwaltsvertrag 1. Beauftragung als Rechtsanwalt § 44 BRAO regelt lediglich die Pflicht, den Antrag des potentiellen Mandanten an den Rechtsanwalt als Rechtsanwalt tätig zu werden, unverzüglich abzulehnen. Dies ergibt sich aus der Formulierung „in seinem Beruf“. Der Rechtsanwalt muss daher nur den Antrag auf Abschluss des Anwaltsvertrags, welchen er nicht annehmen will, unverzüglich zurückweisen. Soll der Rechtsanwalt hingegen auf einem Gebiet tätig werden, welches zwar typischer Weise von Rechtsanwälten auch wahrgenommen wird, bei dem es aber nicht zum Beruf des Rechtsanwalts zählt, sondern lediglich zu den vereinbarten Tätigkeiten, greift § 44 BRAO nicht ein. Beispiel: Vermögensverwaltervertrag1 oder Treuhandvertrag2 jeweils ohne Rechtsberatungselement. Allerdings ist im Zweifel davon auszugehen, dass ein mit einem Anwalt geschlossener Vertrag ein Anwaltsvertrag ist.3
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2. Anwaltsvertrag Der Antrag muss auf den Abschluss eines Anwaltsvertrags abzielen. Der zwischen dem Rechtsanwalt und dem Mandanten abgeschlossene Vertrag ist ein privatrechtlicher Vertrag. In der Regel ist er als Geschäftsbesorgungsvertrag über eine Dienstleistung höherer Art (§§ 675 Abs. 1, 611 ff. BGB) zu qualifizieren. Denkbar ist auch, dass das Vertragsverhältnis als Werkvertrag zu bestimmen ist, wenn der Rechtsanwalt z.B. mit der Erstellung eines Vertragsentwurfs beauftragt ist.4
9
Besondere Probleme wirft die Frage auf, ob und wenn ja welche vertraglichen Beziehungen zwischen dem Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger und dem Angeklagten bestehen. Die h.M. geht dabei davon aus, dass zwischen Pflichtverteidiger und Angeklagtem kein Vertragsverhältnis zustande kommt.5 Die Haftung soll sich in diesem Fall aus einem gesetzlichen Schuldverhältnis ergeben (vgl. Schultz, Rz. 134). Wenig harmonisiert ist diese Ansicht mit der Beiordnung des Rechtsanwalts in zivilrechtlichen Fällen. Hier bedarf es eines zwischen dem Mandanten und dem Rechtsanwalt geschlossenen Geschäftsbesorgungsvertrags, zu dessen Abschluss der Rechtsanwalt in Folge der Beiordnung jedoch verpflichtet ist.6
10
II. Zugang des Antrags Nur derjenige Antrag ist unverzüglich zurückzuweisen, der auch zugegangen ist. Der Zugang ist auch maßgebend für die Frage, ob der Antrag unverzüglich zurückgewiesen wurde. Die Frist beginnt erst mit dem Zugang zu laufen. Hinsichtlich des Zugangs enthält § 44 BRAO gegenüber den Bestimmungen des § 130 BGB keine Sonderregelungen. Demnach muss der Antrag so in den Machtbereich des Empfängers gelangen, dass dieser die Möglichkeit der Kenntnisnahme hat.7 Dabei versteht man unter Möglichkeit der Kenntnisnahme denjenigen Zeitpunkt, nach dem bei gewöhnlichem Lauf der Dinge mit Kenntnisnahme zu rechnen ist.8 Nimmt der Rechtsanwalt von dem Antrag tatsächlich zu einem früheren Zeitpunkt Kenntnis als nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu rechnen war, erfolgte die Kenntnisnahme zu dem Zeitpunkt der realen Kenntnisnahme.
11
III. Ablehnung Die Ablehnung muss unverzüglich erfolgen. Der Begriff „unverzüglich“ ist in § 121 Abs. 1 BGB als ohne schuldhaftes Zögern legaldefiniert. Die dem Anwalt danach zur Verfügung stehende Zeit, um über die Ablehnung des Antrags zu entscheiden, richtet sich nach der Dring1 2 3 4 5
BGH, NJW 1994, 1405; BGH, NJW 1967, 876. BGH, NJW 1995, 1025 (1027). BGH, NJW 1999, 3040 (3042). Zur Abgrenzung Schultz, Rz. 6 ff. Widmaier/Barton, MAH Strafverteidigung § 57 Rz. 9 m.w.N.; a.A. LR/Lüderssen/Jahn, Strafprozessordnung, Vor § 137 StPO Rz. 67 ff. 6 BGH, NJW 1973, 573. 7 NJW 1980, 990; BGHZ 67, 271 (275); BGH, NJW-RR 1996, 641 (642). 8 MüKo-BGB/Einsele, 6. Aufl. 2012, § 130 Rz. 16.
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§ 44 BRAO Rz. 13
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lichkeit des Falls und dessen rechtlicher Komplexität.1 Bei drohendem Fristablauf wird man eine Reaktion innerhalb eines Arbeitstages erwarten können.2 Dabei hat der Rechtsanwalt das der Eilbedürftigkeit entsprechende Kommunikationsmittel zu wählen (Telefon, Fax oder E-Mail).3 Eine bestimmte Form für die Ablehnung ist nicht vorgeschrieben. Soweit kein Fristablauf droht, ist eine Woche als angemessene Reaktionszeit anzusehen, zumal es dem Rechtsanwalt möglich sein muss, die bereits angenommen Mandate ordnungsgemäß zu bearbeiten. In Strafsachen besteht eine besondere Eilbedürftigkeit im Fall einer Hausdurchsuchung und in Haftsachen. Hier ist eine sofortige Reaktion des Strafverteidigers erforderlich. 13
Nicht übertragbar auf § 44 BRAO sind die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Wiedereinsetzung.4 Die Wiedereinsetzung setzt voraus, dass eine Partei ohne ihr Verschulden eine Frist oder Notfrist versäumt hat (z.B. § 233 ZPO). Zugerechnet wird dabei der Partei nur das Verschulden ihres Vertreters (§ 51 Abs. 2 und § 85 Abs. 2 ZPO), hingegen wird im Rahmen der Wiedereinsetzung nicht das Verschulden etwaiger Erfüllungsgehilfen zugerechnet.5 Daher ist der Wiedereinsetzungsantrag begründet, wenn das Verschulden nicht beim bevollmächtigten Rechtsanwalt, sondern bei einem seiner Kanzleimitarbeiter liegt. Für die Haftung nach § 44 BRAO muss sich der Rechtsanwalt aber ganz normal das Verschulden seiner Kanzleimitarbeiter nach § 278 BGB zurechnen lassen.
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Nimmt der Rechtsanwalt das ihm angetragene Mandat zwar an, ist er aber von vornherein nicht bereit mit Rücksicht auf die Gegenpartei den Mandanten gerichtlich zu vertreten, hat er dies dem Mandaten bereits vor Vertragsschluss offen zu legen. Ansonsten macht er sich nach §§ 311 Abs. 2, 280 BGB schadensersatzpflichtig.6 IV. Rechtsfolge 1. Kein Vertragsschluss
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Der Zugang des Antrags auf Abschluss eines Anwaltsvertrags führt für sich allein noch nicht zum Abschluss des Anwaltsvertrags. Vielmehr bedarf es der Annahme, § 44 BRAO ändert hieran nichts.7 Fraglich ist, ob § 44 BRAO auch die Bindungsfrist des Antragenden beeinflusst. Nach § 147 Abs. 2 BGB kann der Antragende solange angenommen werden, wie unter regelmäßigen Umständen die Annahme erwartet werden kann. Da dem Mandanten eine Schadensminderungspflicht obliegt, kann er nicht länger an den Antrag gebunden sein als der Rechtsanwalt Zeit hat nach § 44 BRAO den Antrag abzulehnen. Nach diesem Zeitpunkt muss sich der Mandant um einen anderen Rechtsanwalt bemühen. § 44 BRAO führt auch dann nicht zu einem Kontrahierungszwang oder zu einer Verpflichtung jedenfalls die unaufschiebbaren Maßnahmen durchzuführen, wenn unaufschiebbare Maßnahmen zu tätigen wären, Dies gilt auch im Fall des angetragenen Substitutionsmandates.8 2. Schadensersatzpflicht
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Die Schadensersatzpflicht ergibt sich aus § 44 BRAO i.V.m. § 280 BGB. § 44 BRAO normiert die vorvertragliche Pflicht. Jedoch setzt sich die Beweislastregel § 280 Abs. 1 S. 2 BGB gegenüber § 44 BRAO durch. Insoweit ist diese lex posterior.
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Zu ersetzten ist der negative Vertrauensschaden, d.h. der antragende Mandant ist so zu stellen, wie er stünde, falls der Rechtsanwalt seiner Pflicht die Ablehnung des Mandates unverzüglich abzulehnen nachgekommen wäre. Der Schaden liegt regelmäßig darin, dass ein Gestaltungsrecht nicht rechtzeitig ausgeübt oder eine sonstige materiell-rechtliche oder prozessuale Frist versäumt wurde.9 1 2 3 4 5 6 7 8 9
Henssler/Prütting/Kilian, § 44 Rz. 10. Henssler/Prütting/Kilian, § 44 Rz. 10. Henssler/Prütting/Kilian, § 44 Rz. 14. Z.B. in BGH, NJW 1974, 861, so aber Henssler/Prütting/Kilian, § 44 Fn. 16. MüKo-ZPO/Gehrlein, § 233 ZPO Rz. 24. BGHZ 174, 186 ff. BGHZ 47, 320. Dahns, NJW-Spezial 2007, 333; Henssler/Prütting/Kilian, § 44 Rz. 9. Zum Schadensersatz Schultz, Rz. 268 ff.
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§ 45 BRAO
Versagung der Berufstätigkeit 3. Verjährung Der Anspruch verjährt nach den allgemeinen Vorschriften des BGB.
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der Berufstätigkeit 45 BRAO Versagung (1) Der Rechtsanwalt darf nicht tätig werden: 1. wenn er in derselben Rechtssache als Richter, Schiedsrichter, Staatsanwalt, Angehöriger des öffentlichen Dienstes, Notar, Notarvertreter oder Notariatsverwalter bereits tätig geworden ist; 2. wenn er als Notar, Notarvertreter oder Notariatsverwalter eine Urkunde aufgenommen hat und deren Rechtsbestand oder Auslegung streitig ist oder die Vollstreckung aus ihr betrieben wird; 3. wenn er gegen den Träger des von ihm verwalteten Vermögens vorgehen soll in Angelegenheiten, mit denen er als Insolvenzverwalter, Nachlassverwalter, Testamentsvollstrecker, Betreuer oder in ähnlicher Funktion bereits befasst war; 4. wenn er in derselben Angelegenheit außerhalb seiner Anwaltstätigkeit oder einer sonstigen Tätigkeit im Sinne des § 59a Abs. 1 Satz 1 bereits beruflich tätig war; dies gilt nicht, wenn die berufliche Tätigkeit beendet ist. (2) Dem Rechtsanwalt ist es untersagt: 1. in Angelegenheiten, mit denen er bereits als Rechtsanwalt gegen den Träger des zu verwaltenden Vermögens befasst war, als Insolvenzverwalter, Nachlassverwalter, Testamentsvollstrecker, Betreuer oder in ähnlicher Funktion tätig zu werden; 2. in Angelegenheiten, mit denen er bereits als Rechtsanwalt befasst war, außerhalb seiner Anwaltstätigkeit oder einer sonstigen Tätigkeit im Sinne des § 59a Abs. 1 Satz 1 beruflich tätig zu werden. (3) Die Verbote der Absätze 1 und 2 gelten auch für die mit dem Rechtsanwalt in Sozietät oder in sonstiger Weise zur gemeinschaftlichen Berufsausübung verbundenen oder verbunden gewesenen Rechtsanwälte und Angehörigen anderer Berufe und auch insoweit einer von diesen im Sinne der Absätze 1 und 2 befasst war. A. Allgemeines/Historie . . . . . . . . . . I. Systematik . . . . . . . . . . . . . . II. Historische Entwicklung . . . . . . . .
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B. Zweck der Norm . . . . . . . . . . . . I. Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . II. Bedeutungswandel . . . . . . . . . . .
3 3 4
C. Einzelheiten der Regelung . . . . . . . I. Tätigkeitsverbote bei außeranwaltlicher Vorbefassung . . . . . . . . . . . . . 1. § 45 Abs. 1 Nr. 1 BRAO: Vorbefassung als öffentlicher Amtsträger oder Schiedsrichter . . . . . . . . . . . . . . . . a) Richter, Staatsanwälte und Angehörige des öffentlichen Dienstes . . . . b) Notare, Notarvertreter, Notariatsverwalter . . . . . . . . . . . . . . . c) Schiedsrichter . . . . . . . . . . . d) Vor- und Nachbefassung . . . . . . . e) Einheitlicher Lebenssachverhalt . . . f) Vorbefassung in amtlicher oder schiedsrichterlicher Eigenschaft . . . aa) Allgemeines . . . . . . . . . . bb) Anwaltsnotare . . . . . . . . . (1) Beurkundung und Beglaubigung . (2) Verwahrungsgeschäfte und sonstige Betreuungstätigkeiten. . . . (3) Nebentätigkeiten . . . . . . . . 2. § 45 Abs. 1 Nr. 2 BRAO: Rechtsbestand, Auslegung und Vollstreckung von als Notar aufgenommenen Urkunden . . . . .
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6 7 10 14 15 16 17 18 19 20 24 27
3. § 45 Abs. 1 Nr. 3 BRAO: Vorbefassung als Insolvenzverwalter, Betreuer oder in ähnlichen Funktionen . . . . . . . . . a) Erfasste Vortätigkeiten . . . . . . . b) Zweckorientierte Auslegung . . . . . c) Besondere Fallgruppen . . . . . . . 4. § 45 Abs. 1 Nr. 4 BRAO: Vorbefassung im Zweitberuf . . . . . . . . . . . . . . a) Tätigkeitsverbot statt Versagung der Zulassung . . . . . . . . . . . . . b) Erhöhte Bedeutung durch neues Rechtsberatungsrecht. . . . . . . . c) Berufliche Vorbefassung . . . . . . . d) Vorbefassung im Zweitberuf . . . . . e) Vorbefassung als Selbständiger. . . . f) Geltendmachung eigener Rechte . . . g) Vorbefassung in derselben Angelegenheit . . . . . . . . . . . . . . . . h) Andauern der Vorbefassung . . . . . II. Tätigkeitsverbote bei anwaltlicher Vorbefassung . . . . . . . . . . . . . . . 1. Spiegelbildliche Funktion. . . . . . . . 2. § 45 Abs. 2 Nr. 1 BRAO: Insolvenzverwaltung, Betreuung und vergleichbare Tätigkeiten bei anwaltlicher Vorbefassung . . 3. § 45 Abs. 2 Nr. 2 BRAO: Zweitberufliche Tätigkeit bei anwaltlicher Vorbefassung . III. Gemeinsame Berufsausübung . . . . . . D. Prozessuales/Rechtsfolgen . . . . . . .
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§ 45 BRAO Rz. 1
Versagung der Berufstätigkeit
A. Allgemeines/Historie I. Systematik 1
§ 45 BRAO dient der Regelung möglicher Interessenkonflikte des Anwalts, der selbstständig oder im Angestelltenverhältnis Rechtsberatung für Dritte erbringt und in der gleichen Angelegenheit entweder zuvor außeranwaltlich tätig war bzw. noch ist (Absatz 1) oder nach anwaltlicher Vorbefassung in anderer Funktion tätig wird (Absatz 2). Der Fall des Syndikusanwalts, der hauptberuflich dauerhaft für einen nichtanwaltlichen Arbeitgeber tätig wird und lediglich nebenberuflich als Anwalt arbeitet, ist dagegen in § 46 BRAO geregelt. § 47 BRAO behandelt schließlich den Fall, dass Anwälte vorübergehend im öffentlichen Dienst tätig sind, weil die Zulassung hier anders als bei der Ernennung zum Richter oder Beamten auf Lebenszeit nicht nach § 14 Abs. 2 Nr. 5 BRAO widerrufen wird. II. Historische Entwicklung
2
Historischer Ausgangspunkt der Regelung von Interessenkonflikten im anwaltlichen Berufsrecht ist § 31 RAO von 1878, der für den Rechtsanwalt folgende Verbote enthielt: – in Nr. 1 das Verbot, eine mit pflichtwidrigem Handeln verbundene anwaltliche Tätigkeit auszuüben, – in Nr. 2 das Verbot der Wahrnehmung widerstreitender Interessen (Prävarikation), – und in Nr. 3 das Verbot, in derselben Rechtssache als Anwalt tätig zu werden, „an deren Entscheidung er als Richter teilgenommen hat“. Der Bundesgesetzgeber übernahm die Regelung des § 31 Nr. 1 und 2 RAO 1959 in sprachlich modifizierter Form in § 45 Nr. 1 und Nr. 2 BRAO und erweiterte das Tätigkeitsverbot des § 31 Nr. 3 RAO auf Schiedsrichter, Staatsanwälte und Angehörige des öffentlichen Dienstes. Gleichzeitig erließ er in § 45 Nr. 4 BRAO ein Tätigkeitsverbot für den Fall, dass es um den Rechtsbestand oder die Auslegung einer Urkunde ging, die der Anwalt zuvor als Notar, Notarvertreter oder Notariatsverwalter selbst aufgenommen hatte. Im Rahmen der umfassenden Novellierung der BRAO im Jahre 1994 hat der Gesetzgeber den praktisch mit Abstand wichtigsten Fall der Prävarikation in § 43a Abs. 4 BRAO verlagert, allerdings ohne dort wie in § 45 Abs. 3 BRAO ausdrücklich eine Erstreckung des Tätigkeitsverbots auf den Fall der beruflichen Zusammenarbeit vorzusehen. Gleichzeitig hat er das Verbot der Mandatsübernahme bei Verletzung berufsrechtlicher Pflichten gestrichen, weil es ohnehin selbstverständlich ist, dass der Rechtsanwalt seine Berufspflichten einzuhalten hat. Schließlich ist der Katalog der Tätigkeitsverbote erweitert worden. Dies ist vor dem Hintergrund geschehen, dass das BVerfG die Möglichkeit zur Ausübung eines Zweitberufs 1992 ganz erheblich ausgedehnt hat,1 wodurch nach Auffassung des Gesetzgebers die Gefahr von Interessenkonflikten und das Risiko der Beeinträchtigung der anwaltlichen Unabhängigkeit erheblich zugenommen haben.2 B. Zweck der Norm I. Ausgangspunkt
3
Passend zur Gesetzesbegründung findet sich in der einschlägigen Kommentarliteratur zum Normzweck von § 45 BRAO in der Regel die Feststellung, die Vorschrift solle verhindern, dass eine berufliche Tätigkeit des Rechtsanwalts außerhalb des Anwaltsberufs Interessenkollisionen herbeiführe und anwaltliche Berufspflichten beeinträchtige.3 Im Zweitberuf dürfe der Anwalt Bindungen gegenüber berufsfremden Dritten eingehen und sich deren Weisungen in einem Umfang unterwerfen, der ihm in anwaltlicher Eigenschaft verboten sei. Hierdurch würden Integrität und Unabhängigkeit und damit die Funktion der Anwaltschaft im System der Rechtspflege gefährdet.4 Die schärfsten Maßnahmen zur Verhinderung solcher Gefährdungen seien die Versagung bzw. der Widerruf der Anwaltszulassung (§§ 7 Nr. 8, 10, 14 Abs. 2 Nr. 8 BRAO). Im Vergleich zu derartigen objektiven Zulassungsschranken bei der Berufswahl seien Tätigkeitsverbote als Berufsausübungsregelungen ein milderes Mittel, reichten aber gleichwohl in vielen Fällen zur Vermeidung von Interessenkollisionen und zum 1 2 3 4
BVerfG, NJW 1993, 317 (320) = BVerfGE 87, 287 ff. BT-Drs. 12/4993, S. 29 f.; Feuerich/Weyland/Böhnlein, § 45 Rz. 1. S. etwa Hartung/Römermann/Hartung, § 45 Rz. 10; Henssler/Prütting/Kilian, § 45 Rz. 3 f., 7. Hartung/Römermann/Hartung, § 45 Rz. 9.
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Versagung der Berufstätigkeit
Rz. 6 § 45 BRAO
Schutz der anwaltlichen Unabhängigkeit völlig aus. Im Sinne einer verfassungskonformen Ausgestaltung des Berufsrechts sei ihnen deshalb unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten gegenüber Versagung bzw. Widerruf der Zulassung der Vorzug zu geben.1 II. Bedeutungswandel Welchen Stellenwert die Vermeidung möglicher Interessenkollisionen und die Abwehr von Gefahren für die anwaltliche Unabhängigkeit besitzt, hängt nicht zuletzt vom Verständnis der Funktion des Anwalts im jeweiligen Rechtssystem ab. In Deutschland hat sich das anwaltliche Berufsbild in den letzten zwei Jahrzehnten immer weiter vom Ideal des unabhängigen Organs der Rechtspflege (§§ 1, 3 Abs. 1 BRAO) entfernt. Die Entwicklung des anwaltlichen Berufsrechts ist dabei eingebettet in einen allgemeinen Trend zu einem gewandelten Rechtsverständnis. Die kontinentaleuropäische Tradition begreift die Rechtsordnung in erster Linie als geschlossenes System, das der möglichst weitgehenden Durchsetzung der in den jeweiligen Normen verkörperten Gerechtigkeitsvorstellungen des Gesetzgebers dient.2 Den Anwalt trifft danach neben der reinen Interessenvertretung auch und nicht zuletzt eine Verantwortung für die Funktionsfähigkeit des Rechtspflegesystems insgesamt und für eine objektiv richtige Rechtsanwendung. Demgegenüber sind Rechtsentstehung und Rechtsverwirklichung nach dem angloamerikanischen Konzept des „adversarial legalism“3 in erheblich stärkerem Maße Ergebnis eines fallgebundenen, kompetitiven Prozesses, in dem die Rolle des Anwalts weitgehend auf die einseitige Wahrnehmung der Interessen des Mandanten beschränkt ist. Interessenvertretung und Rechtsverwirklichung sind nach diesem Verständnis deckungsgleich, die anwaltliche Unabhängigkeit gegenüber dem Mandanten verliert an Bedeutung. Mit dem Vordringen angloamerikanischen Rechtsdenkens wandelt sich die Rechtspflegefunktion des Anwalts auch in Kontinentaleuropa zunehmend in eine reine Dienstleistungsfunktion,4 die einen höheren Grad der Abhängigkeit von Mandanten, Partnern, Vorgesetzten oder externen Kapitalgebern zu erlauben scheint.
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Verlagert sich der Schwerpunkt der anwaltlichen Funktion demnach immer stärker hin zur reinen Interessenvertretung, dürfte jedenfalls bei den Regelungen in § 45 Abs. 1 Nr. 1–3, Abs. 2 Nr. 1 BRAO neben der Sicherung der anwaltlichen Unabhängigkeit auch der Schutz des Ansehens und der Integrität der dort genannten öffentlichen Amtsträger und sonstigen Berufsgruppen von zentraler Bedeutung sein. Es geht also nicht mehr nur um die Sicherung eines ordnungsgemäßen Beitrags der Anwaltschaft zur Funktionsfähigkeit des Rechtspflegesystems. Vielmehr sollen die Tätigkeitsverbote gem. § 45 Abs. 1 Nr. 1–3 und Abs. 2 Nr. 1 BRAO möglichen negativen Auswirkungen einer gleichzeitigen oder sukzessiven Kombination der Ausübung anwaltlicher und nicht-anwaltlicher Tätigkeiten allgemein und umfassend begegnen. Dennoch bleibt der Regelungsstandort der Vorschriften in der BRAO richtig, weil es um die Zulässigkeit (Absatz 1 Nr. 1–3) bzw. um die Folgen (Absatz 2 Nr. 1) anwaltlicher Berufsausübung geht. Trotz des graduellen Bedeutungswandels der Vorschrift steht mithin auch die Kompetenz des Bundesgesetzgebers (Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG) nach wie vor außer Frage. Demgegenüber existiert bei § 45 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 Nr. 2 BRAO ein vergleichbarer, über die Sicherung der anwaltlichen Unabhängigkeit hinausgehender Normzweck grundsätzlich nicht. § 45 Abs. 1 Nr. 4 BRAO wird deshalb im Lichte der Berufsfreiheit regelmäßig restriktiv auszulegen sein,5 während § 45 Abs. 2 Nr. 2 BRAO teilweise sogar für verfassungswidrig gehalten wird.6
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C. Einzelheiten der Regelung I. Tätigkeitsverbote bei außeranwaltlicher Vorbefassung 1. § 45 Abs. 1 Nr. 1 BRAO: Vorbefassung als öffentlicher Amtsträger oder Schiedsrichter § 45 Abs. 1 Nr. 1 BRAO spricht ein Tätigkeitsverbot bei Vorbefassung in derselben Rechtssache als öffentlicher Amtsträger bzw. als Schiedsrichter aus. 1 Vgl. Henssler/Prütting/Kilian, § 45 Rz. 4 f.; Feuerich/Weyland/Böhnlein, § 45 Rz. 2. 2 Zur Entwicklung des Rechtsverständnisses in Deutschland Pawlowski, Einführung in die juristische Methodenlehre, 2. Aufl. 2000, Rz. 149 ff., 171 ff., 189 ff. m.w.N. 3 Zum Ganzen Kagan, Adversarial Legalism, 2001, S. 3 ff., 99 ff. 4 Zum Verhältnis Rechtspflegefunktion/Dienstleistungsfunktion Ahrens, ZZP 115 (2002), 281 (282 ff., 285 ff.). 5 Kleine-Cosack, § 45 Rz. 28; Hartung/Römermann/Hartung, § 45 Rz. 41; vgl. auch BVerfG, NJW 2002, 503 (zum ähnlich gelagerten Fall der Vorbefassung als Syndikusanwalt). 6 Kleine-Cosack, § 45 Rz. 41; Hartung/Römermann/Hartung, § 45 Rz. 49.
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§ 45 BRAO Rz. 7
Versagung der Berufstätigkeit
a) Richter, Staatsanwälte und Angehörige des öffentlichen Dienstes 7
Was Richter, Staatsanwälte und Angehörige des öffentlichen Dienstes angeht, so kann man insoweit in § 45 Abs. 1 Nr. 1 BRAO eine Ergänzung der Regelungen in §§ 1, 3 Abs. 1 BRAO über die Unabhängigkeit des Anwalts vom Staat und in § 7 Nr. 10 BRAO über die Inkompatibilität des Anwaltsberufs mit dem Amt eines Richters oder Beamten sehen. Die BRAO geht ebenso wie schon die Rechtsanwaltsordnung von 1878 vom Grundsatz der freien Advokatur aus.1 Um dem Bürger eine effektive Wahrnehmung seiner Rechte vor staatlichen Gerichten und Behörden und eine eigenverantwortliche Ausgestaltung seiner Rechtsbeziehungen zu ermöglichen, ist zwingend erforderlich, dass er auf frei von staatlichen Einflüssen tätige Berater zurückgreifen kann.2 Sowohl das Rechtsstaatsprinzip allgemein (Art. 20 Abs. 3 GG) als auch die Rechtsschutzgarantie gegenüber der öffentlichen Gewalt (Art. 19 Abs. 4 GG) und das Recht auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) im Besonderen setzen ebenso wie die effektive Wahrnehmung der Grundrechte voraus, dass dem Bürger vom Staat unabhängiger, primär an seinen Interessen ausgerichteter Rechtsrat zur Verfügung steht. Die anwaltliche Unabhängigkeit ist deshalb durch das Rechtsstaatsprinzip3 und – wegen der konstitutiven Bedeutung für die Berufsausübung – auch durch Art. 12 Abs. 1 GG4 gegenüber staatlichen Eingriffen geschützt. Mit dieser Unabhängigkeit wäre namentlich die Weisungsgebundenheit des Beamten im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnisses gegenüber seinem Dienstherren5 regelmäßig unvereinbar.6
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Vor dem Hintergrund, dass § 7 Nr. 10 BRAO die Inkompatibilität der gleichzeitigen Berufsausübung als Rechtsanwalt und als Beamter oder Richter vorsieht und für diesen Fall die Zulassung zur Anwaltschaft versagt, dürfte das Tätigkeitsverbot nach § 45 Abs. 1 Nr. 1 BRAO regelmäßig jedoch nur für Ruhestandsbeamte relevant werden, weil jene kein öffentliches Amt mehr wahrnehmen und die fortbestehenden Pflichten aus dem Beamtenverhältnis (wie z.B. die Pflicht zur Amtsverschwiegenheit) eine Anwaltstätigkeit nicht ausschließen.7 Auch bei sonstigen Angehörigen des öffentlichen Dienstes ist die Anwaltszulassung nach § 7 Nr. 8 BRAO regelmäßig zu versagen, wenn hoheitliche Funktionen im Rahmen der Eingriffsverwaltung ausgeübt werden.8 Auch für sonstige Angehörige des öffentlichen Dienstes dürfte § 45 Abs. 1 Nr. 1 BRAO deshalb vielfach erst nach der Pensionierung Bedeutung erlangen. Demgegenüber ist mit Blick auf die Richtertätigkeit eine parallele anwaltliche Berufsausübung in den Sonderfällen denkbar, in denen der Anwalt als ehrenamtlicher Richter – auch im anwaltsgerichtlichen Verfahren (§ 95 BRAO)9 – tätig wird.
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Findet § 45 Abs. 1 Nr. 1 BRAO demnach schwerpunktmäßig bei Ruhestandsbeamten und ehemaligen Angehörigen des öffentlichen Dienstes Anwendung, dürfte es in der Praxis vielfach weniger um die Gewährleistung der anwaltlichen Unabhängigkeit gegenüber dem Staat als um den Schutz des Vertrauens der Öffentlichkeit in die Integrität und Neutralität von Justiz und öffentlicher Verwaltung gehen. Art. 33 Abs. 4 GG behält bestimmte öffentliche Funktionen im Prinzip den in einem besonderen Dienst- und Treueverhältnis zum Staat stehenden, statusrechtlich abgesicherten Beamten vor, sofern sie nicht von Richtern oder anderen öffentlichen Amtsträgern wie den Notaren wahrgenommen werden. Es geht um die Gewährleistung eines neutralen, verfassungs- und gesetzeskonformen Verwaltungshandelns10 auch und gerade unter dem Druck gegenteiliger politischer oder wirtschaftlicher Interessen.11 Bei der Rechtsprechung i.S.v. Art. 92 GG als Kernelement hoheitlicher Gewalt bestehen an Unabhängigkeit und Neutralität noch weitergehende Anforderungen, weshalb 1 Vgl. BT-Drs. III/120, S. 49; geprägt wurde der Begriff von Rudolf Gneist, in seinem 1867 erschienenen Werk „Freie Advocatur, die erste Forderung aller Justizreform in Preußen“. 2 BVerfGE 63, 266 (284); NJW 2003, 2520 f.; Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 1 Rz. 15; Henssler/Prütting/ Koch, § 1 Rz. 38, 46 f.; Ahrens, Anwaltsrecht für Anfänger, 1996, Rz. 208 f. 3 Kleine-Cosack, § 1 Rz. 12. 4 BVerfGE 63, 266 ff. 5 § 35 BeamtStG, § 62 BBG; zur beamtenrechtlichen Gehorsamspflicht als Teil der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums BVerfGE 9, 268 (286); 113, 361 (363). 6 BGH, NJW-RR 1998, 568 f.; Henssler/Prütting/Henssler, § 7 Rz. 116; s.a. Kleine-Cosack, ZIP 1991, 1337 (1343). 7 BGHZ 55, 236 (238); NJW-RR 1998, 568 f.; NJW-RR 2009, 1576 f.; AGH Berlin, BRAK-Mitt. 2002, 282; Henssler/Prütting/Henssler, § 7 Rz. 121. 8 BVerfGE 87, 287; Kleine-Cosack, NJW 1993, 1289 (1292); Henssler/Prütting/Henssler, § 7 Rz. 88. 9 OLG Schleswig, MDR 2002, 1459. 10 § 35 BeamtStG, § 60 BBG, Art. 20 Abs. 3 GG. 11 Näher v. Mangoldt/Klein/Starck/Jachmann, Art. 33 GG Rz. 30, 33; Merten, ZBR 1999, 1 (3 ff.); s.a. BVerfGE 70, 251 (267).
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Rz. 11 § 45 BRAO
Art. 97 GG hier spezielle Schutzmechanismen vorsieht. Mit diesen Grundsätzen wäre es unvereinbar, wenn ein ehemaliger Amtsträger das aufgrund seiner früheren Amtstätigkeit erworbene Sonderwissen später in den Dienst der privaten Interessen eines Mandanten stellen könnte, die regelmäßig nicht deckungsgleich mit den vom Staat zu verfolgenden Gemeinwohlbelangen sind. Es darf auch nicht der Eindruck entstehen, der ehemalige Amtsträger werde aufgrund seiner Beziehungen für den Mandanten mehr erreichen können als andere Rechtsanwälte.1 Weil eine Werbung mit der früheren Tätigkeit als Staatsbediensteter mittlerweile als zulässig angesehen wird2 und namentlich hohe Beamte – insbesondere auch der Europäischen Kommission – nach dem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst von Anwaltskanzleien vielfach gerade aufgrund ihrer politischen und administrativen Kontakte eingestellt werden, erlangt das Tätigkeitsverbot nach § 45 Abs. 1 Nr. 1 BRAO hier eine besondere Bedeutung. b) Notare, Notarvertreter, Notariatsverwalter In der Praxis wesentlich wichtiger ist freilich das ebenfalls in § 45 Abs. 1 Nr. 1 BRAO enthaltene Tätigkeitsverbot bei notarieller Vorbefassung. Der Notar ist kein gewöhnlicher Freiberufler, sondern Träger eines öffentlichen Amtes (§ 1 BNotO). Seine Hauptaufgabe besteht in der Errichtung öffentlicher Urkunden mit beweiskräftigen, für die Gerichte verbindlichen Feststellungen über Erklärungen und Tatsachen (§§ 415 ff. ZPO). Außerdem schafft er Vollstreckungstitel (§ 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO), die Grundlage staatlicher Gewaltanwendung im Rahmen der Zwangsvollstreckung sind und nur mit förmlichen Rechtsmitteln angegriffen werden können (§§ 795, 767 ZPO). Beweis- und Vollstreckungswirkung machen jede für sich die Beurkundungstätigkeit zu einem staatlichen Hoheitsakt3, was auch durch das Unionsrecht nicht in Frage gestellt wird.4 Beide setzen sowohl verfassungsrechtlich5 als auch nach den Wertungen des sekundären Unionsrechts6 eine präventive rechtliche Kontrolle des Inhalts der betroffenen Erklärungen durch den Notar voraus (§§ 4, 17 BeurkG, 14 Abs. 2 BNotO), der den Beteiligten dabei ebenso objektiv, neutral und unabhängig gegenüberstehen muss, wie der Richter bei der Entscheidung eines Rechtsstreites.7
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Dies gilt nicht nur bei der Beurkundung von Willenserklärungen, sondern auch bei Tatsachenbeurkundungen, zu denen etwa neben notariellen Niederschriften über Versammlungen (z.B. Hauptversammlungsprotokoll, §§ 36 ff. BeurkG, 130 AktG) auch die Unterschriftsund die Abschriftsbeglaubigung (§§ 39 ff. BeurkG) gehören. Denn auch hier erstreckt sich die volle Beweiskraft nach § 418 Abs. 1 ZPO auf alle in der Urkunde bezeugten Tatsachen.8 Auch insoweit haben die Gerichte von der Richtigkeit der Feststellungen des Notars auszugehen. Die strikte Neutralitätspflicht des Notars nach § 14 Abs. 1 S. 2 BNotO gilt aber auch für alle übrigen notariellen Tätigkeiten, die sämtlich öffentlich-rechtlich ausgestaltet sind. Erfasst werden insbesondere auch die Erteilung von Vertretungs- oder Registerbescheinigungen (§ 21 BNotO), die Abnahme von Eiden (§ 22 BNotO), die Aufbewahrung von Wertgegenständen (§ 23 BNotO), sonstige Betreuungstätigkeiten auf dem Gebiet der vorsorgenden Rechtspflege (§ 24 BNotO), die Vollstreckbarerklärung von Anwaltsvergleichen oder vereinbarten
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1 Für aktive Bedienstete im öffentlichen Dienst ebenso BGH, BRAK-Mitt. 1994, 42; Henssler/Prütting/ Henssler, § 7 Rz. 88. 2 AnwG Hamm, BRAK-Mitt. 1999, 275; Kornblum, AnwBl. 1988, 361 (365); Bornkamm, WRP 1993, 643 (649 f.); Henssler/Prütting/Kilian, § 43b Rz. 21. 3 BVerfGE 17, 371 (376 ff.); 73, 280 (294); BVerfG, ZNotP 2009, 239, Rz. 41; NJW 2012, 2639 (2641) Rz. 49. 4 Vgl. EuGH, Urt. v. 24.5.2011 – Rs. C-54/08, EuZW 2011, 468, Rz. 75 f.; 98; so ausdrücklich auch BVerfG, NJW 2012, 2639 (2641) Rz. 46; Henssler/Kilian, NJW 2012, 481 (484 f.); Preuß, ZNotP 2011, 322 ff.; Fuchs, EuZW 2011, 475 (476); Bormann/Diehn/Sommerfeldt/Bormann, § 34 GNotKG Rz. 5 f.; s.a. Lorz, DNotZ 2011, 491 (494 f.). 5 Münch, Vollstreckbare Urkunde und prozessualer Anspruch, 1989, S. 177 f. 6 Generalanwalt La Pergola, Schlussanträge v. 2.2.1999 zur Rs. C-260/97 (Unibank), EuGH Slg. 1997, I-3715, Rz. 7; Art. 4 Nr. 3 lit. a Verordnung (EG) Nr. 805/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 21.4. 2004 zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen, ABl. EU Nr. L 143, 15; Art. 2 lit. i) Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 4.7.2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses, Abl. EU Nr. L 201, 107. 7 Niese, ZZP 73 (1960), 1, 27; Habscheid, Freiwillige Gerichtsbarkeit, 7. Aufl. 1983, S. 26; ebenso zum Ganzen nunmehr auch Eylmann/Vaasen/Vaasen, Einl. BNotO Rz. 40, der sich der hier bereits in der Vorauflage abgedruckten Kommentierung unmittelbar angeschlossen hat. 8 Eylmann/Vaasen/Limmer, § 36 BeurkG Rz. 5.
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§ 45 BRAO Rz. 12
Versagung der Berufstätigkeit
Schiedssprüchen (§§ 796c, 1053 Abs. 4 ZPO) und die Erteilung der Vollstreckungsklausel für notarielle Vollstreckungstitel (§ 797 Abs. 2 ZPO).1 12
Das deutsche Rechtspflegesystem geht entsprechend der Rechtslage in den meisten kontinentaleuropäischen Mitgliedstaaten im Zivilrecht von einem Zweisäulenmodell aus. Die vorsorgende Rechtspflege durch den Notar dient dem Schutz unerfahrener, ungewandter Beteiligter vor rechtlicher Benachteiligung und gewährleistet Rechts- und Beweissicherheit zum Zweck späterer Streitvermeidung. Sie erfüllt damit gegenüber der richterlichen Streitentscheidung eine echte Komplementärfunktion.2 Zwischen dem Gebot der Neutralität und Überparteilichkeit für den Notar und der Verpflichtung des Rechtsanwalts zur parteigebundenen Interessenvertretung besteht bei Tätigwerden in derselben Angelegenheit deshalb wie bei Richtern und Beamten in aller Regel ein echtes Inkompatibilitätsverhältnis.3 Dies gilt auch für Notarvertreter bzw. Notariatsverwalter, weil sie für die Dauer ihrer Bestellung die gleiche staatliche Urkundsgewalt besitzen wie ein Notar, dieselben Funktionen wahrnehmen und derselben Neutralitätspflicht unterliegen (§§ 39 Abs. 4, 57 Abs. 1 BNotO).
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Während das Inkompatibilitätsverhältnis und damit das Tätigkeitsverbot nach § 45 Abs. 1 Nr. 1 BRAO im hauptberuflichen Notariat wie bei Richtern und Beamten wegen des Verbots gleichzeitiger anwaltlicher Berufsausübung regelmäßig nur im (seltenen) Fall eines Berufswechsels oder des Eintritts in den Ruhestand relevant werden kann, besitzt es im Anwaltsnotariat erhebliches Gewicht, weil Anwaltsnotare den Beruf des Rechtsanwalts und das öffentliche Amt des Notars nebeneinander ausüben. Der Anwaltsnotar unterliegt den gleichen Neutralitäts- und Objektivitätsanforderungen wie der hauptberufliche Notar. Trotz der beiden unterschiedlichen Notariatsverfassungen existiert in Deutschland nach Maßgabe der Bundesnotarordnung grundsätzlich nur ein einziger, einheitlicher Notarberuf mit gleichen, bundesgesetzlich normierten Berufs-, Verfahrens- und Kostenregelungen.4 Die Unterschiede zwischen hauptberuflichem Notariat und Anwaltsnotariat betreffen im Wesentlichen nur die Regelung des Berufszugangs (§§ 6, 7 BNotO) und der Sozietätsfähigkeit (§ 9 BNotO). Für den Anwaltsnotar begründet die Unvereinbarkeit zwischen notarieller Neutralitätspflicht und anwaltlicher Interessenwahrnehmung deshalb in ganz besonderem Maße die Notwendigkeit klarer Kollisionsregelungen. c) Schiedsrichter
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Der Schiedsrichter übt im Gegensatz zu Richtern, Beamten und Notaren keine öffentliche Gewalt aus, sondern wird aufgrund einer Parteivereinbarung tätig. Die Entscheidungen eines Schiedsgerichts besitzen keine Vollstreckungswirkung, sondern bedürfen der Vollstreckbarerklärung durch ein staatliches Rechtspflegeorgan (Gericht bzw. Notar, §§ 1062, 1053 Abs. 4 ZPO),5 der grundsätzlich eine inhaltliche Evidenzkontrolle nach Gewährung rechtlichen Gehörs für den Gegner vorauszugehen hat (§ 1060 Abs. 2 S. 1 i.V.m. §§ 1059 Abs. 2 Nr. 2b, 1063 Abs. 1 S. 2 ZPO). Systematisch wäre es deshalb wohl richtiger gewesen, den Fall der Vorbefassung als Schiedsrichter in einer eigenen Nummer zu regeln. Weil jedoch auch ein Schiedsgericht nur bei Unparteilichkeit des Schiedsrichters (vgl. § 1036 Abs. 1 S. 1 ZPO) sachgerecht arbeiten kann, hat der Gesetzgeber den Schiedsrichter mit öffentlichen Amtsträgern im Justiz- und Verwaltungsbereich in § 45 Abs. 1 Nr. 1 BRAO zusammengefasst. d) Vor- und Nachbefassung
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Während die Neutralität der Amtsführung bei anwaltlicher Vorbefassung durch die Ausschluss- und Befangenheitsregelungen der Prozessordnungen (vgl. z.B. §§ 41 ff. ZPO) und Verwaltungsverfahrensgesetze (vgl. z.B. § 20 VwVfG) bzw. durch die beurkundungsrechtlichen Mitwirkungsverbote (§ 3 Abs. 1 Nr. 7 BeurkG, § 16 BNotO) gesichert wird, schützt § 45 Abs. 1 Nr. 1 BRAO das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Überparteilichkeit von öffentlichen Amtsträgern und Schiedsrichtern, wenn diese nachfolgend als Anwalt tätig werden. Ähnlich wie Ausschlussregelungen und Mitwirkungsverbote steht das Tätigkeitsverbot nach § 45
1 Henssler/Prütting/Kilian, § 45 Rz. 18; Feuerich/Weyland/Böhnlein, § 45 Rz. 9. 2 Vgl. Preuß, ZEuP 2005, 291; s.a. Habscheid, Freiwillige Gerichtsbarkeit, 7. Aufl. 1983, S. 26; ebenso nunmehr auch Eylmann/Vaasen/Vaasen, Einl. BNotO Rz. 41. 3 Henssler/Prütting/Kilian, § 45 Rz. 8; Schippel/Bracker/Kanzleiter, § 14 BNotO Rz. 45. 4 Löwer, MittRhNotK 1998, 312. 5 Vollstreckungstitel ist hier nicht das Schiedsurteil, sondern die Entscheidung des Gerichts bzw. des Notars über die Vollstreckbarerklärung, § 794 Abs. 1 Nr. 4a ZPO.
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Versagung der Berufstätigkeit
Rz. 18 § 45 BRAO
Abs. 1 Nr. 1 BRAO wegen des überindividuellen Normzwecks nicht zur Disposition der Beteiligten. Auf die Einhaltung der Vorschrift kann deshalb nicht verzichtet werden.1 e) Einheitlicher Lebenssachverhalt Das Tätigkeitsverbot nach § 45 Abs. 1 Nr. 1 BRAO setzt eine Vorbefassung als Richter, Schiedsrichter, Staatsanwalt, Angehöriger des öffentlichen Dienstes, Notar, Notarvertreter oder Notariatsverwalter in derselben Rechtssache voraus. Eine konkrete Schädigung der Interessen des Mandanten2 ist ebenso wenig erforderlich wie eine Parteimehrheit oder ein konkreter Interessengegensatz.3 Die Reichweite von § 45 Abs. 1 Nr. 1 BRAO beim „Rollentausch“4 vom Amtsträger zum Anwalt ist also weiter als diejenige von § 356 StGB, § 43a Abs. 4 BRAO bei der Prävarikation. Dies ist vor dem Hintergrund des bereits dargelegten Schutzzwecks der Sicherung des Vertrauens der rechtssuchenden Bevölkerung in die Integrität des Rechtspflegesystems insgesamt (unter Einschluss von Justiz, Verwaltung, Notariat und Anwaltschaft) auch verfassungsmäßig gerechtfertigt. Der Begriff derselben Rechtssache ist wie in § 43a Abs. 4 BRAO, § 3 BORA zu verstehen, so dass wegen näherer Einzelheiten auf die dortigen Erläuterungen verwiesen werden kann. Eine Amtshandlung schließt jede nachfolgende anwaltliche Tätigkeit zum selben Lebenssachverhalt aus.
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f) Vorbefassung in amtlicher oder schiedsrichterlicher Eigenschaft § 45 Abs. 1 Nr. 1 BRAO greift nur dann ein, wenn die Vorbefassung in amtlicher oder schiedsrichterlicher Eigenschaft erfolgt ist.
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aa) Allgemeines Dazu ist jedenfalls bei einem Verwaltungsbediensteten ohne Belang, ob die Vorbefassung in einem förmlichen Verfahren erfolgt ist.5 Vielmehr genügt jede inhaltliche Beschäftigung mit dem betroffenen Lebenssachverhalt im Rahmen einer früheren Verwaltungstätigkeit.6 Wenn etwa ein ehemaliger Regierungspräsident mit der Planung einer Sondermüllverbrennungsanlage befasst gewesen ist, darf er nicht anschließend ein anwaltliches Rechtsgutachten zur Standortauswahl für diese Anlage erstatten.7 Ebenso ist einem ehemaligen Finanzbeamten, der die Steuererklärungen einer GmbH geprüft hat, die Vertretung des Geschäftsführers der Gesellschaft in einem Strafverfahren wegen dieser Erklärungen untersagt.8 Ein Rechtsanwalt, der als Mitglied eines Organs einer Körperschaft öffentlichen Rechts hoheitlich tätig geworden ist,9 darf diese Körperschaft in derselben Rechtssache nicht als prozessbevollmächtigter Rechtsanwalt vertreten. Dagegen soll nach Auffassung des OVG Lüneburg die beratende Mitwirkung als Justiziar einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft am Erlass einer Satzungsbestimmung der anwaltlichen Vertretung in einem nachfolgenden Rechtsstreit über die Gültigkeit dieser Satzungsbestimmung nicht entgegenstehen.10 Diese Auslegung des Tätigkeitsverbots nach § 45 Abs. 1 Nr. 1 dürfte jedoch zu eng sein und dem Normzweck eines effektiven Schutzes des Vertrauens der Öffentlichkeit in die Integrität und Neutralität der Verwaltung nicht gerecht werden. So genügt denn auch bei Richtern ein Tätigwerden im selbständigen Beweisverfahren (§§ 485 ff. ZPO) oder als ersuchter Richter im Rahmen einer Beweisaufnahme (vgl. etwa §§ 156 ff. GVG, §§ 372 Abs. 2, 375, 402, 434, 451 ZPO), um eine anwaltliche Beschäftigung mit derselben Angelegenheit auszuschließen. Die Mitwirkung an einer verfahrensabschließenden Entscheidung über die betroffene Rechtssache ist demgegenüber nach h.M. gerade nicht erforderlich, um das Tätigkeitsverbot
1 Hartung/Römermann/Hartung, § 45 Rz. 11; Kleine-Cosack, § 45 Rz. 8. 2 OLG Düsseldorf, NJW 1989, 2901; Kleine-Cosack, § 45 Rz. 8; vgl. auch AGH München, BRAK-Mitt. 2003, 182 (184). 3 AGH Celle, BRAK-Mitt. 2005, 87. 4 Henssler, NJW 2001, 1521 (1525). 5 Feuerich/Weyland/Böhnlein, § 45 Rz. 8. 6 Henssler/Prütting/Kilian, § 45 Rz. 15. 7 Feuerich/Weyland/Böhnlein, § 45 Rz. 8. 8 EGH Koblenz, BRAK-Mitt. 1983, 141 f. 9 Auch insoweit ist wegen der Ausübung von Hoheitsbefugnissen von einer Zugehörigkeit zum öffentlichen Dienst i.S.v. § 45 Abs. 1 Nr. 1 BRAO auszugehen, selbst wenn kein Anstellungsverhältnis vorliegt, OVG Magdeburg, GewArch 2004, 159. 10 OVG Lüneburg, NJW 2009, 2759 (2760 f.).
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§ 45 BRAO Rz. 19
Versagung der Berufstätigkeit
nach § 45 Abs. 1 Nr. 1 auszulösen.1 Für Angehörige der öffentlichen Verwaltung können insoweit keine anderen Maßstäbe gelten. bb) Anwaltsnotare 19
Während die Frage der Vorbefassung in amtlicher Eigenschaft bei Richtern, Beamten und sonstigen Angehörigen des öffentlichen Dienstes regelmäßig keine Abgrenzungsschwierigkeiten aufwirft, können sich hier insbesondere bei Anwaltsnotaren Probleme ergeben. (1) Beurkundung und Beglaubigung
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Eine notarielle Vorbefassung liegt eindeutig dann vor, wenn der Anwalt als Notar, Notarvertreter oder Notariatsverwalter eine Beurkundung oder Beglaubigung vorgenommen hat oder im Rahmen der notariellen Amtsbefugnisse nach §§ 21, 22 BNotO bzw. nach den vollstreckungsrechtlichen Vorschriften der ZPO tätig geworden ist.
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Die Beurkundung von Willenserklärungen schließt die rechtliche Beratung der Beteiligten als integralen Bestandteil mit ein, da nur so eine präventive Rechtskontrolle und eine Umsetzung des Willens der Beteiligten in einer rechtlich angemessenen Form möglich ist.2 Nur auf diese Weise kann auch ein effektiver Schutz unerfahrener oder ungewandter Beteiligter gewährleistet werden (§ 17 BeurkG).3 Für eine anwaltliche Beratung ist deshalb neben dem Beurkundungsverfahren regelmäßig kein Raum (vgl. § 24 Abs. 2 S. 1 BNotO).4 Auch die Fertigung von unselbständigen Entwürfen ist im Falle späterer Beurkundung mit der Beurkundungsgebühr abgegolten5 und kann nicht etwa gesondert anwaltlich abgerechnet werden. Vollzugstätigkeiten wie die Einholung von privaten und öffentlich-rechtlichen Genehmigungen, die Einholung von Negativattesten oder die Stellung von Anträgen bzw. die Übermittlung von Anmeldungen und Strukturdaten an öffentliche Register (vgl. etwa § 53 BeurkG, § 15 GBO) sind Voraussetzung für eine effiziente Urkundsabwicklung. Auch sie darf der Anwaltsnotar deshalb wegen § 45 Abs. 1 Nr. 1 BRAO und aufgrund seiner nachwirkenden Neutralitätspflicht gem. § 14 Abs. 1 S. 2 BNotO nur in notarieller und nicht in anwaltlicher Funktion durchführen.6
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Aber auch ein späteres anwaltliches Auftreten ist bei vorhergehender Beurkundungstätigkeit in derselben Rechtssache ausgeschlossen. Hat der Notar eine einseitige Willenserklärung oder eine vertragliche Vereinbarung beurkundet, ist er mithin für die anwaltliche Geltendmachung von Ansprüchen aus dieser Urkunde gesperrt.7 So kann ein Anwaltsnotar, der einen Grundstückskaufvertrag beurkundet hat, nicht etwa nachfolgend Gewährleistungsansprüche des Käufers gegen den Verkäufer vor Gericht geltend machen.8 Ein Anwalt, der zuvor als Notar einen GmbH-Gesellschaftsvertrag beurkundet hat, darf einen Gesellschafter bei der Abwehr eines auf Einzahlung der Stammeinlage gerichteten Anspruchs nicht vertreten.9 Aber auch die Prozessvertretung im Rahmen einer Klage gegen die Ausübung eines naturschutzrechtlichen Vorkaufsrechts ist dem Anwaltsnotar untersagt, wenn er den zugrunde liegenden Kaufvertrag beurkundet und der zuständigen Behörde zur Genehmigung nach dem Grundstücksverkehrsgesetz vorgelegt hat.10 Der Anwaltsnotar darf keine Mandanteninteressen im Rahmen einer Teilungsversteigerung wahrnehmen, wenn Miteigentumsanteile an dem betroffenen Grundstück zuvor in einer von ihm errichteten Urkunde veräußert worden sind.11 Wer als Anwaltsnotar einen Ehevertrag zur Modifizierung des gesetzlichen Güterstandes beurkundet hat, kann einen Ehegatten im Scheidungsverfahren nicht mehr vertreten.12 Ebenso unzulässig ist die anwaltliche Geltendmachung von Un-
1 BGH, NJW 1968, 840 f. = BGHZ 49, 295; Henssler/Prütting/Kilian, § 45 Rz. 15. 2 Eylmann/Vaasen/Frenz, § 17 BeurkG Rz. 4 ff., 7 ff.; Hergeth, Europäisches Notariat und Niederlassungsfreiheit nach dem EG-Vertrag, 1996, S. 175; Baumann, MittRhNotK 1996, 1 (21). 3 Eylmann/Vaasen/Frenz, § 17 BeurkG Rz. 17. 4 Vgl. auch BGH, NJW 1993, 2747 f.; NJW 1996, 1675 f. 5 Reithmann, FS Schippel, 1996, S. 769; s.a. Schippel/Bracker/Reithmann, § 24 BNotO Rz. 101. 6 Eylmann/Vaasen/Hertel, § 24 BNotO Rz. 32, 61. 7 AGH Celle, BRAK-Mitt. 2005, 87; BGH, NZG 2010, 1390. 8 Weitere Fallbeispiele bei Henssler/Prütting/Kilian, § 45 Rz. 17. 9 BGH, NZG 2010, 1390. 10 OVG Lüneburg, DVBl. 2002, 715. 11 OLG Hamm, NJW 1992, 1174 f. 12 BGH, DNotZ 1992, 455 f.; KG, NJW-RR 2000, 799.
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Versagung der Berufstätigkeit
Rz. 25 § 45 BRAO
terhaltsansprüchen nach vorheriger Beurkundung einer Unterhaltsvereinbarung.1 Falls der Anwaltsnotar einen Erbscheinsantrag beurkundet, so darf er später nicht in einem Rechtstreit über die Erbfolge auftreten.2 Bei notarieller Vorbefassung im Rahmen einer Unterschriftsbeglaubigung ist völlig unstreitig, dass § 45 Abs. 1 Nr. 1 eingreift, wenn der Notar die Erklärung selbst entworfen hat.3 Denn hier gelten die gleichen Prüfungs-, Belehrungs- und Vollzugspflichten wie bei der Beurkundung.4 Demgegenüber wird das Tätigkeitsverbot nach § 45 Abs. 1 Nr. 1 BORA bei der Unterschriftsbeglaubigung ohne Entwurf zum Teil in Frage gestellt.5 In der Tat beschränken sich die Feststellungen des Notars bei der Unterschriftsbeglaubigung ohne Entwurf nach § 40 BeurkG grundsätzlich auf die Identität der unterzeichnenden Person sowie darauf, dass jene in Gegenwart des Notars die Unterschrift vollzogen bzw. anerkannt hat. Wird der Notar ersucht, die Unterschrift unter einem bereits vorliegenden Dokument zu beglaubigen, trifft ihn nach § 40 Abs. 2 BeurkG nur eine eingeschränkte Prüfungspflicht im Sinne einer bloßen Evidenzkontrolle, ob die Beglaubigung wegen Unsittlichkeit oder Rechtswidrigkeit der mit ihr verfolgten Zwecke zu versagen ist.6 Selbst ohne zugehörigen Text kann eine Unterschrift beglaubigt werden, wie sich aus § 40 Abs. 5 BeurkG ergibt. Dennoch macht es Sinn, eine nachfolgende Anwaltstätigkeit auch bei der Unterschriftsbeglaubigung ohne Entwurf auszuschließen. Denn die Bindung von Gerichten und Behörden an die tatsächlichen Feststellungen des Notars (§ 418 Abs. 1 ZPO)7 ist nur dann zu rechtfertigen, wenn die Neutralität und Objektivität der notariellen Amtsführung von vornherein außer jedem Zweifel steht.
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(2) Verwahrungsgeschäfte und sonstige Betreuungstätigkeiten Wesentlich schwieriger ist die Frage der notariellen Vorbefassung bei Anwaltsnotaren zu beurteilen, sofern es um Verwahrungstätigkeiten oder um die sonstige Betreuung der Beteiligten auf dem Gebiet der vorsorgenden Rechtspflege wie z.B. die Anfertigung von Vertragsentwürfen oder die isolierte Beratung der Beteiligten geht. Insoweit kann der Anwaltsnotar parteigebunden auf privatrechtlicher Basis als Rechtsanwalt oder auch neutral und unparteilich in öffentlich-rechtlicher Form als Notar tätig geworden sein.8 Sofern der Anwaltsnotar hier entgegen Ziff. I.3 der Richtlinienempfehlungen der Bundesnotarkammer nicht ausdrücklich klargestellt hat, ob er als Anwalt oder Notar handeln wollte, scheidet eine klare tatsächliche Feststellung über die anwaltliche oder notarielle Natur der Vorbefassung regelmäßig aus. In diesem Fall kann jedoch auch im Rahmen von § 45 Abs. 1 Nr. 1 BRAO auf die gesetzlichen Vermutungen in § 24 Abs. 2 BNotO zurückgegriffen werden.9 Während danach bei Vorbereitungs- und Vollzugshandlungen im Zusammenhang mit einer Beurkundung gem. § 24 Abs. 2 S. 1 BNotO unwiderlegbar von einer notariellen Vorbefassung auszugehen ist, lässt eine isolierte Beratungs- oder Betreuungstätigkeit gem. § 24 Abs. 2 S. 2 BNotO im Zweifel auf eine anwaltliche Vorbefassung schließen. Entsprechendes gilt auch bei Entwürfen, die für die Beurkundung vor einem anderen Notar oder im Ausland bestimmt sind.10 In der Tat werden Anwaltsnotare isolierte Vertragsentwürfe, die nicht auf eine Beurkundung zielen, ebenso wie allgemeine Beratung in aller Regel schon deshalb in ihrer Eigenschaft als Rechtsanwalt durchführen, weil sie dann im Normalfall wesentlich höhere Gebühren abrechnen können als nach den moderaten Gebührensätzen der Kostenordnung.
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Bei Verwahrungsgeschäften des Anwaltsnotars wird es sich regelmäßig um eine notarielle Vorbefassung handeln, sofern sie im Rahmen des Vollzugs einer Urkunde erfolgen (z.B. Kauf-
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1 AG Emmerich, NJW 1999, 1875; dagegen liegt nicht dieselbe Rechtssache vor, wenn der im Zugewinnausgleichsverfahren auftretende Anwalt zuvor als Notar das Grundstücksgeschäft eines Ehegatten beurkundet hat. § 45 Abs. 1 Nr. 1 BORA ist hier mangels Präjudizialität von Wirksamkeit und Inhalt des Grundstücksgeschäfts für das Zugewinnausgleichsverfahren unanwendbar, selbst wenn das Grundstück Rechenposten für die Bestimmung des Zugewinns ist, LG Flensburg, Urt. v. 20.4.2004 – 1 S 30/04. 2 KG, BerlAnwBl. 1999, 268. 3 Henssler/Prütting/Kilian, § 45 Rz. 18; vgl. aus der Praxis hierzu etwa LG Bielefeld, JurBüro 2004, 612 f.: Keine Geltendmachung von Ansprüchen aus Erbenhaftung durch den Anwalt gegen den Erben, dessen Erbausschlagungserklärung von dem Notarsozius des Anwalts beglaubigt worden ist. 4 BGH, NJW 1996, 1675 f. 5 Zur Frage der Interessenkollision bei Unterschriftsbeglaubigungen Maaß, ZNotP 1999, 178 (182); Armbrüster/Leske, ZNotP 2001, 450 (455). 6 Eylmann/Vaasen/Limmer, § 40 BeurkG Rz. 19 f. 7 Eylmann/Vaasen/Limmer, § 40 BeurkG Rz. 6. 8 Schippel/Bracker/Reithmann, § 24 BNotO Rz. 136. 9 Henssler/Prütting/Kilian, § 45 Rz. 19. 10 Meyer, NotBZ 2004, 289, Fn. 29; einschränkend Schippel/Bracker/Reithmann, § 24 BNotO Rz. 135.
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§ 45 BRAO Rz. 26
Versagung der Berufstätigkeit
preiszahlung über Anderkonto).1 Geht es dagegen um eine selbständige Verwahrung unabhängig von einem Urkundsgeschäft, kommt sowohl eine anwaltliche als auch eine notarielle Vorbefassung in Betracht. Der BGH hat im Zusammenhang mit der Führung von Anderkonten darauf abgestellt, ob der Anwaltsnotar als einseitiger Interessenvertreter seines Auftraggebers tätig geworden ist.2 Im Schrifttum wird die Qualifikation der Vorbefassung hier zum Teil davon abhängig gemacht, unter welcher Bezeichnung der Anwaltsnotar aufgetreten ist. Sei er als Notar aufgetreten, dürfe der Rechtsverkehr darauf vertrauen, dass die (unbeschränkbare) Notarhaftung nach § 19 BNotO eingreife und im Haftungsfall die Notarversicherung mit ihrer höheren Mindestversicherungssumme nebst Vertrauensschadenversicherung und Vertrauensschadensfonds zur Verfügung stehe (§§ 19a, 67 Abs. 3 Nr. 3, Abs. 4 Nr. 3 BNotO).3 Auch die Rechtsprechung tendiert dazu, von einer notariellen Vorbefassung auszugehen, wenn der Anwaltsnotar im Rahmen der Anderkontenführung die Bezeichnung „Notarkonto“ verwendet hat oder im Schriftverkehr als „Rechtsanwalt und Notar“ aufgetreten ist.4 26
Gelangt man im Rahmen der Abgrenzung zu dem Ergebnis, dass die Beratungs- oder Betreuungstätigkeit auf dem Gebiet der vorsorgenden Rechtspflege bzw. das Verwahrungsgeschäft als notarielle Vorbefassung des Anwaltsnotars zu qualifizieren sind, kommt das Tätigkeitsverbot nach § 45 Abs. 1 Nr. 1 BRAO zur Anwendung. Liegt dagegen lediglich eine anwaltliche Vorbefassung vor, ist § 45 Abs. 1 Nr. 1 BRAO nicht einschlägig und kann ein Tätigkeitsverbot allein im Falle eines Interessenkonflikts nach § 43a Abs. 4 BRAO gegeben sein. (3) Nebentätigkeiten
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Keine notarielle Vorbefassung liegt dann vor, wenn es sich bei der früheren Tätigkeit um eine Nebentätigkeit nach § 8 BNotO gehandelt hat. Denn hier ist der Notar gerade nicht als Amtsträger, sondern als Privatperson tätig geworden. Eine Versagung nachfolgender anwaltlicher Berufstätigkeit ist in dieser Fallkonstellation allenfalls nach § 45 Abs. 1 Nr. 4 BRAO denkbar. 2. § 45 Abs. 1 Nr. 2 BRAO: Rechtsbestand, Auslegung und Vollstreckung von als Notar aufgenommenen Urkunden
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Nach § 45 Abs. 1 Nr. 2 BRAO ist dem Anwalt bei Vorbefassung als Notar, Notarvertreter oder Notariatsverwalter ein Tätigwerden untersagt, wenn es um Streit über den Rechtsbestand bzw. über die Auslegung einer von ihm aufgenommenen Urkunde geht oder wenn die Vollstreckung aus dieser betrieben wird. Die Vorschrift übernimmt den Regelungsgehalt des früheren § 45 Nr. 4 BRAO a.F. und fügt den Fall der Vollstreckung aus der streitigen Urkunde hinzu. § 45 Abs. 1 Nr. 2 BRAO ist lex specialis zu § 45 Abs. 1 Nr. 1 BRAO, geht jedoch vollständig in diesem auf und ist deshalb eigentlich überflüssig.5 Der Normzweck wird neben dem Schutz des Vertrauens in die notarielle Unparteilichkeit6 auch darin gesehen, dass der Einsatz des Anwalts für den Mandanten durch Rücksichtnahme auf die Belange der anderen Urkundsbeteiligten beeinträchtigt werden könnte.7 Außerdem begründe die (praktisch freilich sehr seltene) Möglichkeit eines drohenden Regresses im Falle mangelnder Sorgfalt bei der Beurkundung die Gefahr, dass der Anwalt in einem Folgeprozess in erster Linie seine eigenen Interessen und weniger diejenigen seines Mandanten im Auge habe.8 Ausschlaggebend dürfte auch hier der Schutz der (nachwirkenden) Neutralität der notariellen Amtsführung sein, weil die anderen Gesichtspunkte allein zur verfassungsrechtlichen Rechtfertigung eines Tätigkeitsverbots kaum ausreichen.
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Abgrenzungsprobleme im Rahmen der Vorschrift haben weitgehend an Bedeutung verloren, weil nunmehr regelmäßig § 45 Abs. 1 Nr. 1 BRAO als Auffangtatbestand eingreift.9 Ein Streit um den Rechtsbestand der Urkunde liegt nicht nur dann vor, wenn formale Mängel des Beurkundungsverfahrens geltend gemacht werden, sondern auch, wenn sich die Beteilig1 2 3 4 5 6 7 8 9
Schippel/Bracker/Reithmann, § 24 BNotO Rz. 136. BGH, DNotZ 1992, 813 (818). Schippel/Bracker/Reithmann, § 24 BNotO Rz. 138. BGH, DNotZ 1997, 221 (224); ZNotP 1999, 35; OLG Frankfurt, DNotZ 2004, 203 f. Kleine-Cosack, § 45 Rz. 17. Henssler/Prütting/Kilian, § 45 Rz. 22; s.a. Vetter, FS Schippel, 1996, S. 795 ff. Henssler/Prütting/Kilian, § 45 Rz. 22. Feuerich/Weyland/Böhnlein, § 45 Rz. 12. Henssler/Prütting/Kilian, § 45 Rz. 23.
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Versagung der Berufstätigkeit
Rz. 30 § 45 BRAO
ten auf materiellrechtliche Einwendungen (z.B. Anfechtung, Scheingeschäft) berufen.1 Unzulässig ist eine anwaltliche Tätigkeit nach § 45 Abs. 1 Nr. 2 BRAO auch dann, wenn es um Streit bei der Auslegung einer von dem Anwalt in notarieller Funktion aufgenommenen Urkunde geht. Der Begriff der Auslegung ist ebenfalls weit zu verstehen und schließt alle rechtlichen Schlussfolgerungen aus den in der Urkunde enthaltenen rechtsgeschäftlichen Bestimmungen mit ein.2 Bei der Beurkundung von reinen Tatsachenerklärungen ist § 45 Abs. 1 Nr. 2 BRAO jedoch nicht einschlägig.3 Offen ist, ob das Tätigkeitsverbot nach § 45 Abs. 1 Nr. 2 BRAO auch dann gilt, wenn der Streit nicht den Rechtsbestand oder die Auslegung der notariellen Urkunde selbst, sondern allein die Erfüllung der beurkundeten Pflichten betrifft.4 Seit der Novelle von 1994 hat diese Frage nur noch theoretische Bedeutung, da eine Anwaltstätigkeit bei notarieller Vorbefassung in derselben Rechtssache stets nach § 45 Abs. 1 Nr. 1 BRAO ausgeschlossen ist und die spätere anwaltliche Interessenvertretung durch den Notar bei der Vollstreckung eigener Urkunden5 nunmehr ausdrücklich von Absatz 1 Nr. 2 erfasst wird. Auch die Meinungsverschiedenheiten über den Begriff der „Aufnahme“ der Urkunde haben ihre praktische Relevanz verloren, weil hier ebenfalls der Auffangtatbestand des § 45 Abs. 1 Nr. 1 BRAO eingreift. So wird die „Aufnahme“ einer Urkunde verneint, wenn der Anwalt einen Vertrag als Notar nur entworfen, aber nicht beurkundet hat.6 Während bei Errichtung eines Testaments vor dem Notar durch Übergabe einer offenen Schrift nach der Rechtsprechung eine „Urkundsaufnahme“ i.S.v. § 45 Abs. 1 Nr. 2 BRAO zu bejahen ist,7 weil hier dieselben Belehrungspflichten wie im Fall der Beurkundung des Testaments selbst bestehen,8 soll im Fall der Übergabe einer verschlossenen Schrift mangels Prüfungs- und Einwirkungsmöglichkeit des Notars keine „Urkundsaufnahme“ vorliegen.9 In beiden Fällen ist der Anwalt aber zugleich unstreitig nach § 45 Abs. 1 Nr. 1 BORA als Notar tätig geworden, so dass eine anwaltliche Vertretung bei Streit über Inhalt und Wirksamkeit des Testaments bereits nach § 45 Abs. 1 Nr. 1 BRAO ausscheidet. 3. § 45 Abs. 1 Nr. 3 BRAO: Vorbefassung als Insolvenzverwalter, Betreuer oder in ähnlichen Funktionen a) Erfasste Vortätigkeiten § 45 Abs. 1 Nr. 3 BRAO verbietet dem Anwalt ein Tätigwerden, wenn er gegen den Träger des verwalteten Vermögens in Angelegenheiten vorgehen soll, mit denen er bereits als Insolvenzverwalter, Nachlassverwalter, Testamentsvollstrecker, Betreuer oder in ähnlicher Funktion10 befasst war. Das Vertrauen in die objektive Verfahrensführung der genannten Funktionsträger würde erheblich beeinträchtigt, wenn diese im Rahmen der Vermögensverwaltung erlangtes „Insiderwissen“ später gegen den Inhaber des betroffenen Vermögens einsetzen könnten.11 Hier muss ähnlich wie bei den in § 45 Abs. 1 Nr. 1 BRAO genannten öffentlichen Amtsträgern bereits der Anschein einer Interessenkollision vermieden werden, weil die genannten Berufsgruppen nicht als Interessenvertreter aufgrund privater Vollmacht, sondern im Rahmen ihrer regelmäßig durch staatlichen Bestellungsakt verliehenen Befugnisse unter gerichtlicher oder behördlicher Kontrolle tätig werden. Anders als Richter, Notare, Beamte üben die in § 45 Abs. 1 Nr. 3 BRAO genannten Personengruppen zwar keine hoheitliche Tätigkeit aus. Sie erfüllen jedoch eine Rechtspflegefunktion in einem staatlichen Rechtspflegever-
1 Vetter, FS Schippel, 1996, S. 798; s.a. OLG Frankfurt, NJW 1960, 1162; 1964, 1033. 2 BGHSt 22, 157 = BGHZ 50, 226. Nicht erfasst wird von § 45 Abs. 1 Nr. 2 BORA dagegen der Fall, dass der Notarvertreter einen Vorgang beurkundet hat und sodann den Kostenschuldner gegen den Notar im Kostenbeitreibungsverfahren vertritt, denn hier geht es nicht um die Auslegung der Urkunde. Auch ein Verstoß gegen die notarielle Neutralitätspflicht nach §§ 14 Abs. 1, 39 Abs. 4 BNotO liegt hier nicht vor, da der Notar bzw. Notarvertreter nicht Beteiligter im Beurkundungsverfahren, sondern Verfahrensträger bzw. Verfahrensorgan ist. Es wird aber regelmäßig § 45 Abs. 1 Nr. 1 BORA einschlägig sein; zum Ganzen EG Bremen, MDR 1992, 22. 3 Feuerich/Weyland/Böhnlein, § 45 Rz. 19. 4 Hartung/Römermann/Hartung, § 45 Rz. 27. 5 Dazu unter altem Recht etwa LG Hannover, DNotZ 1962, 251 (252 f.). 6 OLG Hamm, AnwBl. 1977, 22. 7 OLG Frankfurt, NJW 1964, 1033. 8 So ausdrücklich §§ 30 S. 4 2. Hs. i.V.m. 17 BeurkG; Eylmann/Vaasen/Baumann, § 30 BeurkG Rz. 5; MüKoBGB/Hagena, § 2232 Rz. 28. 9 Feuerich/Weyland/Böhnlein, § 45 Rz. 13a. 10 Etwa als Nachtragsliquidator gemäß § 66 Abs. 5 S. 2 GmbHG; AGH Rostock, BRAK-Mitt. 2009, 242. 11 BT-Drs. 12/4993, S. 29 f.
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§ 45 BRAO Rz. 31
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fahren unter Verfahrensträgerschaft des Gerichts,1 wobei sich die gerichtliche Verfahrenshoheit in der Regel sowohl auf die Bestellung als auch auf die Überwachung erstreckt, von der Intensität her jedoch sehr unterschiedlich ausfallen kann (vgl. §§ 27 Abs. 1, 56 Abs. 1, 21 Abs. 2 Nr. 1, 58 InsO, §§ 150 Abs. 1, 153 Abs. 1 ZVG, §§ 1975, 1962, 1915 Abs. 1, 1789, 1837 Abs. 2 S. 1 BGB).2 Ein Indiz für die Anwendbarkeit von § 45 Abs. 1 Nr. 3 BRAO mag sein, dass der Rechtsanwalt im Rahmen der Vorbefassung nicht als Vertreter des jeweiligen Vermögensträgers, sondern als Partei kraft Amtes im eigenen Namen tätig geworden ist.3 Begriffsnotwendig ist dies – wie der ausdrücklich geregelte Fall des Betreuers zeigt – im Hinblick auf den Normzweck jedoch nicht. Erfasst wird eine Vorbefassung neben den in § 45 Abs. 1 Nr. 3 BRAO ausdrücklich genannten Fällen deshalb etwa auch bei einer Tätigkeit als Vormund oder Pfleger.4 Dagegen greift das Tätigkeitsverbot nach § 45 Abs. 1 Nr. 3 BRAO bei einer Vorbefassung als Vorsorgebevollmächtigter trotz der Substitutionsfunktion gegenüber der Betreuung (§ 1896 Abs. 2 S. 2 BGB) nicht ein, weil der Vorsorgebevollmächtigte allein aufgrund privaten Vollmachts- und Auftragsverhältnisses und nicht Kraft gerichtlicher Bestellung und unter gerichtlicher Kontrolle tätig wird. b) Zweckorientierte Auslegung 31
Der Begriff der Angelegenheit ist vergleichbar demjenigen „derselben Rechtssache“ in §§ 45 Abs. 1 Nr. 1, 43a BRAO und § 356 StGB auszulegen. Es wird also zumindest teilweise eine Identität des Sachverhalts mit den sich daraus ergebenen materiellen Rechtsverhältnissen vorausgesetzt.5 Dennoch bedurfte es gegenüber dem allgemeinen Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen in § 43a Abs. 4 BRAO für die in § 45 Abs. 1 Nr. 3 BRAO genannten Fälle einer besonderen Regelung. Denn es ist nicht abschließend geklärt, ob es sich bei den in § 45 Abs. 1 Nr. 3 BRAO genannten Aufgaben um einen eigenständigen Zweitberuf handelt oder ob der Anwalt sie in anwaltlicher Funktion wahrnimmt.6 Sofern man hier von einer Vorbefassung außerhalb des Anwaltsberufs ausgeht, greift § 43a BRAO nicht ein, weil jener nur anwaltliche Interessenkonflikte erfasst.7 § 45 Abs. 1 Nr. 3 BRAO ist gegenüber Nr. 4 lex specialis und schließt dessen Anwendbarkeit aus. Liegt eine Vorbefassung i.S.v. § 45 Abs. 1 Nr. 3 BRAO vor, ist dem Anwalt also nur ein Vorgehen gegen den Träger des verwalteten Vermögens verboten.8 Demgegenüber ist ihm ein anwaltliches Vorgehen gegen Dritte z.B. zum Zwecke der Beitreibung von Forderungen des Insolvenzschuldners gegen Geschäftspartner ohne weiteres erlaubt, auch wenn diese Forderungen in die Insolvenzmasse fallen.9 Selbst gegen den Träger des verwalteten Vermögens darf der Anwalt rechtlich vorgehen, soweit dies zu den Pflichten des ihm verliehenen privaten Amtes gehört. So ist es z.B. dem Insolvenzverwalter selbstverständlich gestattet, in anwaltlicher Funktion Vermögensgegenstände des Insolvenzschuldners auch gegen dessen Willen zur Masse zu ziehen.10 Auch Verwalterrechte dürfen anwaltlich gegen den Vermögensträger geltend gemacht werden, weil insoweit ebenfalls keine Gefahr des Missbrauchs von „Insiderwissen“ besteht.11 c) Besondere Fallgruppen
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Kein Verstoß gegen § 45 Abs. 1 Nr. 3 BRAO ist ferner in den Fällen der Doppeltreuhand beim sog. Treuhandmodell im vorläufigen Insolvenzverfahren gegeben. Der („schwache“) 1 Eingehend Preuß, Zivilrechtspflege durch externe Funktionsträger. Das Justizverfassungsrecht der Notare und Verwalter, 2005, S. 302 ff. 2 Der Testamentsvollstrecker nimmt in diesem Zusammenhang eine gewisse Sonderstellung ein. Er kann auch ohne Zutun des Nachlassgerichts durch letztwillige Verfügung ernannt werden (§ 2197 Abs. 1 BGB) und wird nicht gerichtlich überwacht (MüKo-BGB/Zimmermann, vor § 2197 BGB Rz. 5). Bei groben Pflichtverletzungen ist jedoch eine Entlassung durch das Nachlassgericht möglich (§ 2227 BGB). 3 Zur Amtstheorie beim Insolvenzverwalter BGHZ 88, 334; BGH, NJW 1995, 1484; ZIP 1999, 75 f.; beim Testamentsvollstrecker BGHZ 25, 275; MüKo-BGB/Zimmermann, vor § 2197 BGB Rz. 5. 4 Henssler/Prütting/Kilian, § 45 Rz. 26; Feuerich/Weyland/Böhnlein, § 45 Rz. 24. 5 Henssler/Prütting/Kilian, § 45 Rz. 27. 6 Dazu näher Deckenbrock/Fleckner, ZIP 2005, 2290 (2294 ff.); vgl. auch BGH, ZIP 2005, 176 (178), wo die Ausübung eines Zweitberufs bei der Insolvenzverwaltung durch Wirtschaftsprüfer verneint wird; anders BVerfG, ZIP 2004, 1649 (1652); 2005, 537, wo die Insolvenzverwaltung als eigenständiger Beruf bezeichnet wird. 7 Henssler/Prütting/Kilian, § 45 Rz. 25. 8 Henssler/Prütting/Kilian, § 45 Rz. 33. 9 Hartung/Römermann/Hartung, § 45 BRAO Rz. 41; Feuerich/Weyland/Böhnlein, § 45 Rz. 25; differenzierend Kleine-Cosack, § 45 Rz. 27. 10 Henssler/Prütting/Kilian, § 45 Rz. 28. 11 Henssler/Prütting/Kilian, § 45 Rz. 28.
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Versagung der Berufstätigkeit
Rz. 36 § 45 BRAO
vorläufige Insolvenzverwalter ohne Verfügungsbefugnis kann ohne gerichtliche Einzelermächtigung keine Masseforderungen nach § 55 Abs. 2 InsO begründen.1 Dennoch kann z.B. ein Unternehmen während des vorläufigen Insolvenzverfahrens zwingend auf Weiterlieferungen Dritter zur Betriebsfortführung angewiesen sein. Zur Erfüllung oder Sicherung der Forderungen dieser Dritten werden in der Praxis deshalb zum Teil Gelder auf ein sog. Treuhandkonto transferiert, das der vorläufige Insolvenzverwalter als Doppeltreuhänder des Insolvenzschuldners und der zu befriedigenden Gläubiger einrichtet. Die insolvenzrechtlichen Wirkungen dieser Konstruktion sind umstritten.2 § 45 Abs. 1 Nr. 3 BRAO steht dem Treuhandmodell jedoch nicht entgegen. Denn der Anwalt geht hier nicht gegen den Insolvenzschuldner vor, sondern sichert im Gegenteil die Fortführung von dessen Unternehmen.3 Schließlich darf der Anwalt trotz Vorbefassung i.S.v. § 45 Abs. 1 Nr. 3 BRAO auch dann gegen den Vermögensträger vorgehen, wenn es um Forderungen geht, die mit dem verwalteten Vermögen nichts zu tun haben.4 So ist z.B. der als Testamentsvollstrecker tätige Anwalt nicht gehindert, gleichzeitig Zahlungsansprüche aus einem von dem Erben persönlich abgeschlossenen Rechtsgeschäft oder aus einem von dem Erben verursachten Verkehrsunfall gegen jenen geltend zu machen. Denn diese Ansprüche richten sich nicht gegen den Nachlass. Regelmäßig wird es hier freilich schon am selben Lebenssachverhalt fehlen, so dass § 45 Abs. 1 Nr. 3 BRAO bereits aus diesem Grund nicht anwendbar ist.
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4. § 45 Abs. 1 Nr. 4 BRAO: Vorbefassung im Zweitberuf a) Tätigkeitsverbot statt Versagung der Zulassung § 45 Abs. 1 Nr. 4 BRAO ist als direkte Antwort des Gesetzgebers auf die Liberalisierung der Möglichkeiten zur Ausübung eines Zweitberufs durch das BVerfG im Jahre 1992 zu sehen. Bei der Novellierung der BRAO 1994 wollte man verhindern, dass rechtliche oder wirtschaftliche Bindungen gegenüber nichtanwaltlichen Dritten im Zweitberuf zu Abhängigkeiten führen, die die sachgerechte Wahrnehmung des Mandats und damit die Rechtspflegefunktion des Anwalts beeinträchtigen können. Bei Vorbefassung im Zweitberuf (außerhalb des Anwendungsbereichs von § 59a Abs. 1 S. 1 BRAO) sieht § 45 Abs. 1 Nr. 4 BRAO deshalb für den Anwalt in derselben Angelegenheit ein Tätigkeitsverbot vor, soweit nicht ausnahmsweise nach wie vor die Zulassung wegen Unvereinbarkeit gem. §§ 7 Nr. 8, 14 Abs. 2 Nr. 8 BRAO5 zu versagen bzw. zu widerrufen ist.
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b) Erhöhte Bedeutung durch neues Rechtsberatungsrecht Die in der Praxis nicht unerhebliche Bedeutung der Vorschrift hat durch das Gesetz zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts v. 12.12.20076 weiter zugenommen: Je enger der Begriff der Anwälten vorbehaltenen Rechtsdienstleistung definiert wird, in desto größerem Umfang können Angehörige anderer Berufe Rechtsberatung durchführen. Entsprechendes gilt für die Zulassung von Rechtsberatung durch Nichtanwälte als Nebenleistung im Rahmen einer anderweitigen Tätigkeit.7 Denn in den Fällen, in denen berufsfremden Dritten Rechtsberatung gestattet ist, kann auch der Anwalt rechtlichen Rat im Zweitberuf erteilen.
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c) Berufliche Vorbefassung Das Tätigkeitsverbot gem. § 45 Abs. 1 Nr. 4 BRAO setzt in der Person des Anwalts bzw. des nach § 45 Abs. 3 BRAO zur gemeinsamen Berufsausübung verbundenen Dritten zunächst eine berufliche Vorbefassung in der gleichen Angelegenheit voraus. In Anlehnung an die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung wird unter Beruf dabei jede Tätigkeit verstanden, die in ideeller wie in materieller Hinsicht der Schaffung und Erhaltung einer Lebens1 2 3 4 5
BGH, ZInsO 2002, 819. Marotzke, ZInsO 2005, 561 ff.; Frind, ZInsO 2005, 1296 ff. Werres, ZInsO 2006, 918 (922). Feuerich/Weyland/Böhnlein, § 45 Rz. 25; Henssler/Prütting/Kilian, § 45 Rz. 27. Z.B. im Fall des Versicherungsmaklers, BGH, BRAK-Mitt. 1994, 43; 1995, 123 f.; 1997, 253 f.; 2000, 43; AGH Koblenz, BRAK-Mitt. 2004, 134; im Fall des Grundstücksmaklers BGH, BRAK-Mitt. 1988, 49; BRAK-Mitt. 2001, 90; WRP 2004, 246 (247 ff.). 6 BGBl. I, S. 2840. 7 Zum Ganzen unter früherem Recht grundlegend: BVerfGE 97, 12 (28 f.); ebenso NJW 2002, 1190 f.; NJW 2002, 3531 f.; ferner BGH, NJW 2003, 3046 (3047 f.); NJW 2005, 969; 2005, 2458; BVerwG, NJW 2005, 1293 ff.; OLG Düsseldorf, NJW-RR 2006, 562; nunmehr §§ 2, 5 RDG.
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§ 45 BRAO Rz. 37
Versagung der Berufstätigkeit
grundlage dient oder hierzu beiträgt.1 Insbesondere beim Zweitberuf dürfen an diesen Beitrag jedoch keine zu strengen Anforderungen gestellt werden.2 Ob die Tätigkeit selbständig oder unselbständig ausgeübt wird, ist grundsätzlich unerheblich.3 Sie braucht zwar nicht tatsächlich dauerhaft ausgeübt werden, muss jedoch zumindest auf Dauer angelegt sein.4 So genügt z.B. die vereinzelte Übernahme von Makleraufträgen durch einen Anwalt nicht zu der Annahme, dass dieser beruflich als Makler tätig geworden ist. Ein Verstoß gegen § 45 Abs. 1 Nr. 4 BRAO scheidet hier, sofern nicht ohnehin anwaltliche Vorbefassung anzunehmen ist,5 schon mangels Beruflichkeit aus.6 Ist jedoch ein Anwalt in der makelnden Sozietät zugleich Notar, wird die Übernahme des Maklerauftrages durch die anwaltlichen Sozien regelmäßig gegen §§ 14 Abs. 4, 9 Abs. 2 BNotO verstoßen.7 Ehrenamtliche Tätigkeit ist kein Beruf, weshalb z.B. die Beschäftigung mit derselben Angelegenheit als Vorsitzender des Haus- und Grundstückseigentümervereins eine spätere Anwaltstätigkeit hierzu nicht ausschließt.8 d) Vorbefassung im Zweitberuf 37
Die berufliche Vorbefassung muss ferner außerhalb des Anwaltsberufs bzw. eines der nach § 59a Abs. 1 S. 1 BRAO sozietätsfähigen Berufe erfolgt sein.9 Handelt es sich bei dem Zweitberuf um eine Tätigkeit, die als Nebenleistung auch die Erbringung von Rechtsdienstleistungen umfasst, kann die Abgrenzung von anwaltlicher und nicht-anwaltlicher Vorbefassung erhebliche Probleme bereiten. Namentlich bei Tätigkeiten, die auch bei Ausführung durch berufsfremde Dritte zulässigerweise Rechtsberatung umfassen,10 stellt sich die Frage, ob der Rechtsanwalt hier in anwaltlicher Eigenschaft oder im Zweitberuf tätig geworden ist. Hierunter fallen etwa Haus- und Wohnungsverwaltung11 oder Fördermittelberatung.12 Demgegenüber sind die Fälle der Vorbefassung als Testamentvollstrecker13 oder Insolvenzverwalter14 abschließend in § 45 Abs. 1 Nr. 3 BRAO geregelt, so dass sich die Abgrenzungsproblematik hier nicht stellt.15 Andererseits kann auch bei einer auf Dauer angelegten Tätigkeit im Bereich der Immobilienvermittlung oder Vermögensverwaltung eine nähere Abgrenzung zwischen anwaltlicher Vorbefassung und Vorbefassung im Zweitberuf erforderlich sein. Dabei gilt als Faustformel: Ist der Inhalt der dem Anwalt übertragenen Aufgabe in nicht unwesentlichem Umfang rechtsberatender Natur, liegt eine anwaltliche Vorbefassung vor, die die Vermittlungstätigkeit mit einschließt. Etwas anderes gilt lediglich dann, wenn die rechtsberatende Tätigkeit völlig in den Hintergrund tritt und keinerlei Relevanz besitzt.16 Besteht die dem Rechtsanwalt übertragene Aufgabe in der Vermittlung eines Kauf- oder Darlehensgeschäftes, so ist im Zweifel davon auszugehen, dass er bei seinem Tätigwerden insbesondere die rechtlichen Interessen des Auftraggebers betreut. Dies gilt umso mehr, wenn die Partei gerade deshalb anstelle eines Maklers einen Rechtsanwalt beauftragt hat, weil sie rechtliche Beratung von ihm erwartet.17 Beteiligt sich ein Anleger über einen Treuhänder mittelbar an einem Kapitalanlagemodell, das durch eine besondere zivilrechtliche Gestaltung eine wirtschaftlich und steuerlich günstige Geldanlage verspricht, so setzt die treuhän1 Henssler/Prütting/Kilian, § 45 Rz. 35; Kleine-Cosack, § 45 Rz. 26; BVerfGE 54, 301 (313); 97, 228 (252); 102, 197 (212). 2 Vgl. Henssler/Prütting/Kilian, § 45 Rz. 31. 3 BVerfGE 7, 377 (398 f.); 54, 301 (322); zu teleologisch begründeten Ausnahmen bei einer Vorbefassung als Selbständiger unten Rz. 38. 4 BVerfGE 14, 19 (22); 16, 147 (163); 32, 1 (28). 5 Dazu näher unten Rz. 37. 6 Henssler/Prütting/Kilian, § 45 Rz. 30. 7 BGH, NJW 2001, 1569 f. = BGHZ 147, 39. 8 Henssler/Prütting/Kilian, § 45 Rz. 33. 9 Kleine-Cosack, § 45 Rz. 25; Henssler/Prütting/Kilian, § 45 Rz. 29. 10 Vgl. etwa BVerwG, NJW 2005, 1293 ff.; OLG Düsseldorf, NJW-RR 2006, 562. 11 BGH, NJW 1993, 1924. 12 BGH, NJW 2005, 2458. 13 BGH, NJW 2005, 968; 2005, 969 ff. 14 BVerwG, NJW 2005, 1293 ff. 15 S. oben Rz. 31. 16 BGHZ 18, 340 f.; 57, 53 (56); WM 1976, 1135 f.; 1977, 551 f.; NJW 1985, 2642; schon wegen der Unvereinbarkeit der (auf Dauer angelegten) Ausübung des Berufs des Grundstücksmaklers mit der Anwaltstätigkeit (vgl. BGH, BRAK-Mitt. 1988, 49; BRAK-Mitt. 2001, 90; NJW 2008, 517) wird regelmäßig davon auszugehen sein, dass die Vorbefassung in anwaltlicher Eigenschaft erfolgt ist, um die Anwaltszulassung nicht zu gefährden. Denn bei mangelnder Abgrenzbarkeit ist die Zulassung zu widerrufen bzw. zu versagen, BGH, WRP 2004, 246 (247 ff.). 17 BGH, NJW 1980, 1855 f.; 1985, 2642.
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Rz. 39 § 45 BRAO
derische Verwaltung der Beteiligung regelmäßig nicht nur steuerrechtliche,1 sondern auch zivilrechtliche Kenntnisse voraus. Deshalb ist bei der entsprechenden Treuhandtätigkeit eines Rechtsanwalts grundsätzlich ebenfalls von einer anwaltlichen Vorbefassung auszugehen.2 Auch Verwaltertätigkeit nach dem WEG kann im Einzelfall anwaltliche Vorbefassung sein.3 § 45 Abs. 1 Nr. 4 BRAO ist folglich in diesen Fällen nicht anwendbar. Demgegenüber wird im Rahmen der einfachen Anlageberatung in der Regel keine Rechtsberatung erfolgen und deshalb normalerweise eine Vorbefassung im Zweitberuf vorliegen.4 Eine Vorbefassung im Zweitberuf ist ferner auch dann anzunehmen, wenn der Anwalt zuvor als Leiter der Finanzdienstleistungsdirektion einer Versicherungsgesellschaft tätig gewesen ist.5 Betrifft die Vorbefassung im Zweitberuf dieselbe Angelegenheit, ist dem Rechtsanwalt nach § 45 Abs. 1 Nr. 4 BRAO ein anwaltliches Tätigwerden verboten. Führt eine Buchhaltungs-GmbH durch ihren Geschäftsführer für einen Dritten Buchhaltungsarbeiten aus und fertigt dieser anschließend als Rechtsanwalt die Einkommenssteuer-, Gewerbesteuer- und Umsatzsteuererklärungen für das gleiche Jahr, liegt ebenfalls ein Verstoß gegen § 45 Abs. 1 Nr. 4 BRAO vor.6 Die Ausübung eines selbständigen Zweitberufs kann schließlich auch bei Inkassotätigkeit anzunehmen sein, wenn jene organisatorisch und räumlich getrennt außerhalb der Anwaltskanzlei in einem rechtlich verselbständigten Gewerbebetrieb erfolgt.7 e) Vorbefassung als Selbständiger Vor dem Hintergrund, dass Normzweck von § 45 Abs. 1 Nr. 4 BRAO der Schutz der anwaltlichen Tätigkeit vor Einflussnahme berufsfremder Dritter durch wirtschaftliche oder rechtliche Bindungen im Zweitberuf ist, wird man eine Vorbefassung als Selbständiger vielfach vom Anwendungsbereich der Vorschrift ausnehmen müssen, weil hier kein Weisungsund Abhängigkeitsverhältnis gegenüber einem Arbeitgeber besteht.8 Zur Vermeidung einer unverhältnismäßigen Beschränkung der Berufsfreiheit ist der Anwendungsbereich von § 45 Abs. 1 Nr. 4 BRAO im Sinne einer verfassungskonformen Auslegung auf Fälle zu begrenzen, in denen die anwaltliche Unabhängigkeit tatsächlich oder in nachvollziehbarer Weise potentiell gefährdet ist bzw. Interessenkonflikte entweder vorliegen oder doch zumindest wahrscheinlich erscheinen.9 Dies ist bei einer Vorbefassung als Selbständiger, aber z.B. auch als Aufsichtsratsmitglied einer Kapitalgesellschaft10 regelmäßig nicht der Fall. Unanwendbar ist § 45 Abs. 1 Nr. 4 BRAO auch auf Abgeordnete. Zwar wird ein Abgeordnetenmandat jedenfalls bei Zahlung von Diäten heute regelmäßig beruflich ausgeübt werden. Doch sind Abgeordnete allein ihrem Gewissen unterworfen und an Weisungen nicht gebunden (vgl. Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG), weshalb eine Einwirkung Dritter auf die anwaltliche Mandatsführung über den Zweitberuf hier von vornherein ausgeschlossen ist.11 Demgegenüber dürfte es bei der Wahrnehmung von politischen Mandaten auf kommunaler Ebene vielfach schon an der Beruflichkeit fehlen, weil jene meist ehrenamtlich ausgeübt werden.
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f) Geltendmachung eigener Rechte Entgegen dem Wortlaut dürfte § 45 Abs. 1 Nr. 4 BRAO von der ratio legis her auch dann nicht eingreifen, wenn der Rechtsanwalt eigene Rechte geltend macht, die in einer Vorbefassung im Zweitberuf wurzeln. Denn bei der Verfolgung eigener Interessen ist eine Einflussnahme Dritter auf die Anwaltstätigkeit über den Umweg des Zweitberufs in aller Regel sehr unwahrscheinlich.12 Deshalb dürfte etwa die klageweise Durchsetzung von wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsansprüchen im Zusammenhang mit einer gleichzeitig ausgeübten Bauträgertätigkeit des Rechtsanwalts nicht gegen § 45 Abs. 1 Nr. 4 BRAO verstoßen.13 1 Vgl. BGH, NJW 1986, 1171 f. 2 BGH, NJW 1993, 199; vgl. auch NJW-RR 1989, 1102 zum Mittelverwendungstreuhänder beim Bauherrenmodell. 3 AG Freiburg, NZM 2006, 447 f. 4 BGH, NJW 1980, 1855 f. 5 BGH, NJW 1996, 2378. 6 AGH München, BRAK-Mitt. 2003, 182 (183 f.). 7 VGH Kassel, NJW 2000, 2370 f. 8 Henssler/Prütting/Kilian, § 45 Rz. 34; BVerfG, NJW 2002, 503 f. 9 BVerfG, NJW 2002, 503 f.; OLG Koblenz, NJW-RR 2007, 1003; vgl. auch AG Freiburg, NZM 2006, 447 f. 10 OLG Stuttgart, BeckRS 2009, 13830. 11 BGH, NJW 1978, 2098. 12 Henssler/Prütting/Kilian, § 45 Rz. 36. 13 OLG München, OLGR 1999, 213; a.A. Hartung/Römermann/Hartung, § 45 Rz. 41.
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§ 45 BRAO Rz. 40
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g) Vorbefassung in derselben Angelegenheit 40
Vorbefassung in derselben Angelegenheit meint das Gleiche wie Vorbefassung in derselben Rechtssache,1 weshalb insoweit wie bei § 45 Abs. 1 Nr. 1 BRAO auf die Ausführungen zu §§ 43a Abs. 4 BRAO, 3 BORA verwiesen werden kann. h) Andauern der Vorbefassung
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Das Tätigkeitsverbot nach § 45 Abs. 1 Nr. 4 BRAO greift nur dann ein, wenn die Vorbefassung im Zweitberuf noch andauert. Mit dieser Einschränkung wollte der Gesetzgeber ermöglichen, dass der aus einem Unternehmen ausgeschiedene Rechtsanwalt die zuvor in abhängiger Stellung bearbeiteten Fälle anwaltlich weiterführen kann.2 Dies kollidiert bei Vorbefassung des Syndikusanwalts mit § 46 Abs. 2 Nr. 1 BRAO, der eine solche zeitliche Begrenzung nicht vorsieht. Weil es aber für die Einflussmöglichkeiten eines früheren berufsfremden Arbeitgebers auf die spätere freiberufliche Tätigkeit des Anwalts keinen Unterschied machen kann, ob der Anwalt zuvor allein in nichtanwaltlicher Funktion im Rahmen des Anstellungsverhältnisses tätig war oder ob er zugleich nebenher eine Anwaltszulassung besaß, wird man auch beim Syndikusanwalt von einer zeitlichen Begrenzung des Vorbefassungsverbotes ausgehen müssen.3 Dementsprechend gilt die zeitliche Begrenzung des Tätigkeitsverbots ferner unabhängig davon, ob die Vorbefassung rechtsbesorgender oder außerrechtlicher Natur war.4 Der Wortlaut von § 45 Abs. 1 Nr. 4 BRAO lässt offen, ob das Tätigkeitsverbot nur dann entfällt, wenn der Anwalt den Zweitberuf ganz aufgegeben hat, oder ob es ausreicht, dass die zweitberufliche Vorbefassung in derselben Angelegenheit beendet ist. Weil das Tätigkeitsverbot nach § 45 Abs. 1 Nr. 4 BRAO nicht allein aus dem Umstand des Zweitberufs, sondern aus der außeranwaltlichen Beschäftigung mit derselben Rechtsache folgt, wird man letzteres als ausreichend ansehen müssen.5 II. Tätigkeitsverbote bei anwaltlicher Vorbefassung 1. Spiegelbildliche Funktion
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§ 45 Abs. 2 BRAO kehrt die Tätigkeitsverbote des § 45 Abs. 1 Nr. 3 und 4 BRAO um. § 45 Abs. 2 Nr. 1 BRAO verbietet es dem Rechtsanwalt, der bereits anwaltlich gegen den Träger des zu verwaltenden Vermögens vorgegangen ist, anschließend in derselben Angelegenheit in einer der Verwaltungsfunktionen nach § 45 Abs. 1 Nr. 3 BRAO tätig zu werden. § 45 Abs. 2 Nr. 2 untersagt im Falle anwaltlicher Vorbefassung eine Beschäftigung mit derselben Angelegenheit im Zweitberuf außerhalb des Anwendungsbereichs von § 59a Abs. 1 S. 1 BRAO. 2. § 45 Abs. 2 Nr. 1 BRAO: Insolvenzverwaltung, Betreuung und vergleichbare Tätigkeiten bei anwaltlicher Vorbefassung
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§ 45 Abs. 2 Nr. 1 BRAO dient ebenso wie § 45 Abs. 1 Nr. 3 BRAO nicht nur der Vermeidung möglicher Interessenkonflikte, sondern auch und primär dem Schutz des Vertrauens der Öffentlichkeit in die ordnungsgemäße Wahrnehmung der dort genannten Rechtspflegeaufgaben, weil jene zwar durch Private, aber in einem staatlich angeordneten Rechtspflegeverfahren unter gerichtlicher Kontrolle erledigt werden.6 Ausgeschlossen ist die spätere Tätigkeit als Insolvenzverwalter, Betreuer, Testamentsvollstrecker oder die Übernahme vergleichbarer Aufgaben von vornherein nur bei anwaltlicher Vorbefassung gegen den Träger des betroffenen Vermögens.7 § 45 Abs. 2 Nr. 1 BRAO für sich allein verbietet dem Anwalt deshalb nicht die Übernahme einer Testamentsvollstreckung, wenn die testamentarische Ernennung von einem Sozius (§ 45 Abs. 3 BRAO) notariell beurkundet worden ist.8 Derartige 1 Henssler/Prütting/Kilian, § 45 Rz. 37. 2 BT-Drs. 12/7656, S. 49; OLG Frankfurt, AnwBl. 2009, 452. 3 OLG Frankfurt, AnwBl. 2009, 452; Hartung/Römermann/Hartung, § 45 Rz. 45; Henssler/Prütting/Henssler, § 46 Rz. 9, 42; a.A. Henssler/Prütting/Kilian, § 45 Rz. 40. 4 Hartung/Römermann/Hartung, § 45 Rz. 45; a.A. Henssler/Prütting/Kilian, § 45 Rz. 40. 5 Henssler/Prütting/Kilian, § 45 Rz. 38; Hartung/Römermann/Hartung, § 45 Rz. 45. 6 S.o. Rz. 30. 7 Zur Frage der Geltendmachung des Tätigkeitsverbots durch den Gemeinschuldner und andere Verfahrensbeteiligte im Insolvenzverfahren bzw. durch erfolglose Mitbewerber um die Position des Insolvenzverwalters im Verfahren nach § 23 EGGVG OLG Frankfurt, ZInsO 2009, 242. 8 Feuerich/Weyland/Böhnlein, § 45 Rz. 36.
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Rz. 44 § 45 BRAO
Gestaltungen scheitern seit 1998 jedoch an § 3 Abs. 1 Nr. 4 BeurkG.1 Unschädlich für die spätere Übernahme einer Insolvenzverwaltung ist auch die Anfertigung eines Rechtsgutachtens für den Insolvenzschuldner zur Notwendigkeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, weil hier keine anwaltliche Vorbefassung gegen, sondern für den Insolvenzschuldner vorliegt.2 Nach § 56 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 InsO n.F.3 wird die für die Bestellung zum Insolvenzverwalter erforderliche Unabhängigkeit ferner nicht schon dadurch ausgeschlossen, dass der betroffene Bewerber „den Schuldner vor dem Eröffnungsantrag in allgemeiner Form über den Ablauf des Insolvenzverfahrens und dessen Folgen beraten hat“. Vor dem Hintergrund dieser Neuregelung wird man § 45 Abs. 2 Nr. 1 BRAO dahingehend auszulegen haben, dass jedenfalls eine anwaltliche Erstberatung über den grundsätzlichen Ablauf eines Insolvenzverfahrens sowie etwaige Haftungsrisiken (z.B. wegen verzögerter Stellung des Insolvenzantrages oder wegen nicht abgeführter Sozialversicherungsbeiträge) einer späteren Tätigkeit als Insolvenzverwalter nicht entgegensteht.4 Ein denkbarer Anwendungsfall von § 45 Abs. 2 Nr. 1 BRAO dürften dagegen sog. Poolverwaltungen sein, bei denen ein Anwalt die Interessen eines Sicherheitenpools von Banken und Kreditversicherern oder eines Forderungspools von Lieferanten vertritt und gleichzeitig oder nachfolgend als Insolvenzverwalter bestellt werden soll.5 In der Regel wird das Tätigkeitsverbot nach § 45 Abs. 2 Nr. 1 BRAO freilich kaum selbständige Bedeutung erlangen, weil die Gerichte bei anwaltlicher Vorbefassung gegen den Träger des zu verwaltenden Vermögens bereits von einer Bestellung des Anwalts zum Insolvenzverwalter, Betreuer, etc. absehen oder ihn aus seinem privaten Amt umgehend wieder entlassen werden.6 Der eigenständige praktische Gehalt von § 45 Abs. 2 Nr. 1 BRAO wird sich deshalb regelmäßig auf die der Vorschrift immanente Folgepflicht beschränken, das Gericht im Bestellungsverfahren auf die anwaltliche Vorbefassung hinzuweisen.7 3. § 45 Abs. 2 Nr. 2 BRAO: Zweitberufliche Tätigkeit bei anwaltlicher Vorbefassung § 45 Abs. 2 Nr. 2 BRAO bezweckt zum einen die vorbeugende Vermeidung von Interessenkonflikten bei nachfolgender außeranwaltlicher Tätigkeit im Zweitberuf. So ist z.B. denkbar, dass der Anwalt8 zunächst die Opfer eines Medikamentenskandals vertritt, um anschließend in seinem Zweitberuf als Arzt für den Pharmahersteller ein medizinisches Parteigutachten zur Unschädlichkeit des betreffenden Arzneimittels auszuarbeiten. § 43a Abs. 4 BRAO greift hier nicht ein, weil er – wie oben ausgeführt9 – nur anwaltliche Interessenkonflikte regelt. Zum anderen will § 45 Abs. 2 Nr. 2 BRAO aber zugleich auch verhindern, dass der Anwalt die Interessenwahrnehmung für denselben Mandanten außerhalb berufsrechtlicher Pflichten in einer für die anwaltliche Rechtspflegefunktion abträglichen Weise fortsetzt.10 So wird etwa die Gefahr gesehen, das im Rahmen der Anwaltstätigkeit (z.B. durch Akteneinsicht nach § 147 StPO) erworbene Kenntnisse im Zweitberuf anderweitig verwertet werden.11 Deshalb fehlt beim Tätigkeitsverbot nach § 45 Abs. 2 Nr. 2 BRAO anders bei der korrespondierenden Regelung in § 45 Abs. 1 Nr. 4 BRAO auch eine zeitliche Begrenzung.12 Die Bedeutung der Vorschrift in der Praxis ist bislang gering. Wegen der umfassenden Reichweite des Tätigkeitsverbots und des Fehlens einer zeitlichen Beschränkung wird überdies von vielen die Verfassungsmäßigkeit von § 45 Abs. 2 Nr. 2 BRAO bezweifelt.13 In der Tat erscheint unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten fraglich, ob bei Fehlen eines Interessenkonflikts allein die Gefahr einer Verwertung anwaltlichen Sonderwissens ein derart weitreichendes Tätig1 Schippel/Bracker/Schäfer, § 16 BNotO Rz. 40; für Unzulässigkeit schon unter altem Recht OLG Oldenburg, DNotZ 1990, 431; für Zulässigkeit vor Inkrafttreten von § 3 Abs. 1 Nr. 4 BeurkG BGH, DNotZ 1987, 768; 1997, 466. 2 Feuerich/Weyland/Böhnlein, § 45 Rz. 36. 3 Angefügt m.W.v. 1.3.2012 durch G v. 7.12.2011 (BGBl. I, S. 2582). 4 Frings/Bernsen, NJW-Spezial 2012, 405 f.; krit. zur fehlenden Klarstellung des Verhältnisses zwischen § 45 Abs. 2 Nr. 1 BRAO und § 56 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 InsO n.F. Römermann, NJW 2012, 645 (648). 5 Dazu näher Lüke, ZIP 2003, 557 (558 f.). 6 Henssler/Prütting/Kilian, § 45 Rz. 42; OLG Zweibrücken, FGPrax 1997, 104. 7 Feuerich/Weyland/Böhnlein, § 45 Rz. 37. 8 Auf Rechtsbeistände ist das Tätigkeitsverbot des § 45 Abs. 2 Nr. 2 BRAO nur anwendbar, wenn sie vor der in Rede stehenden Vorbefassung in die Rechtsanwaltskammer aufgenommen worden sind, vgl. § 209 Abs. 1 S. 3 BRAO; OLG Dresden, OLG-NL 2005, 1. 9 S.o. Rz. 31. 10 Henssler/Prütting/Kilian, § 45 Rz. 43. 11 Feuerich/Weyland/Böhnlein, § 45 Rz. 37. 12 Henssler/Prütting/Kilian, § 45 Rz. 43. 13 Henssler/Prütting/Kilian, § 45 Rz. 44; Kleine-Cosack, § 45 Rz. 41 f.; Hartung/Römermann/Hartung, § 45 Rz. 49.
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keitsverbot zu rechtfertigen vermag.1 Dies gilt zumal vor dem Hintergrund, dass die Verschwiegenheitspflicht nach § 43a Abs. 2 BRAO und die Strafdrohung des § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB auch bei Verwendung geschützter Informationen im Zeitberuf grundsätzlich fort bestehen und berufsrechtlich bzw. im Rahmen eines Strafverfahrens geahndet werden können. Demgegenüber greifen die kompetenzrechtlichen Bedenken2 gegen das Tätigkeitsverbot nach § 45 Abs. 2 Nr. 2 BRAO nicht durch, weil hier zwar nicht die Zulässigkeit, aber doch immerhin die Folgen anwaltlicher Berufsausübung geregelt werden. Der Bundesgesetzgeber kann deshalb gem. Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG eine entsprechende Regelung neben die vom Landesgesetzgeber erlassenen besonderen Tätigkeitsverbote stellen, wie sie etwa im Bereich des Kommunalrechts bestehen.3 III. Gemeinsame Berufsausübung 45
Nach § 45 Abs. 3 BRAO gelten die Tätigkeitsverbote der Absätze 1 und 2 auch bei außeranwaltlicher Vorbefassung von Dritten, mit denen der Anwalt zur gemeinsamen Berufsausübung zusammengeschlossen ist oder war. Neben der klassischen Sozietät in Form einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts werden unstreitig auch die Partnerschaft, die AnwaltsGmbH, die Anwalts-AG und sonstige Gesellschaftsformen anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union erfasst, sofern der Gesellschaftszweck in der Entgegennahme von Aufträgen und in der Vereinnahmung von Honoraren für die Gesellschaft besteht.4 Auch der angestellte Anwalt fällt unter § 45 Abs. 3 BRAO, weil hier ebenfalls eine Zusammenarbeit zum Zwecke der gemeinsamen Erbringung von Rechtsdienstleistungen vorliegt.5 Ob die lediglich fallweise Zusammenarbeit mit einem freien Mitarbeiter eine hinreichend feste berufliche „Verbindung“ i.S.v. § 45 Abs. 3 BRAO begründet, erscheint dagegen zweifelhaft. Entgegen § 3 Abs. 2 BORA n.F. gelten die Tätigkeitsverbote des § 45 Abs. 1 und 2 BRAO nicht für Bürogemeinschaften.6 Denn die Bürogemeinschaft dient gerade nicht der gemeinsamen Berufsausübung. Vielmehr ist der Gesellschaftszweck hier auf die Reduzierung von Kosten durch die gemeinsame Nutzung eines Anwaltsbüros und seiner Infrastruktur beschränkt.7 Auch die EWiV wird entgegen § 3 Abs. 2 BORA n.F. von § 45 Abs. 3 BRAO nicht erfasst,8 denn auch sie ist keine Berufsausübungsgesellschaft, sondern dient lediglich der Unterstützung der beruflichen Aktivität ihrer Mitglieder und ist deshalb auf Hilfsfunktionen beschränkt (Art. 3 Abs. 2 VO Nr. 2137/85 EWG). Die Berufsordnung kann den engeren Wortlaut von § 45 Abs. 3 BRAO insoweit nicht korrigieren. Zum einen beschränkt sich die Satzungsermächtigung in § 59b Abs. 2 Nr. 1 lit. e BRAO auf die Regelung widerstreitender Interessen, die im Rahmen von § 45 Abs. 1 und 2 BRAO nicht notwendig vorausgesetzt werden.9 Zum anderen hat der Gesetzgeber im Unterschied zu § 43a Abs. 4 BRAO in den §§ 45, 46 BRAO selbst geregelt, unter welchen Voraussetzungen die dortigen Tätigkeitsverbote bei Vorbefassung anwaltlicher oder nichtanwaltlicher Sozien greifen. Wegen des in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Prinzips des Vorrangs des Gesetzes kann der Satzungsgeber die Tatbestände der §§ 45 Abs. 3 und 46 Abs. 3 BRAO mithin nicht einfach kraft eigener Machtvollkommenheit modifizieren.10 Folglich dürfte § 45 Abs. 3 BRAO auch für sonstige Kooperationen nur dann einschlägig sein, wenn sich jene über gemeinsame Werbemaßnahmen und die wechselseitige Zuweisung von Mandaten hinaus auf die gemeinsame Mandatsbearbeitung erstrecken. Unter dem Blickwinkel einer effizienten Gewährleistung der anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht wäre eine Ausweitung von § 45 Abs. 3 BRAO auf Bürogemeinschaften und andere Zusammenschlüsse mit rein organisatorischer Zielsetzung zwar sinnvoll, wenn ein Interessenkonflikt vorliegt
1 Henssler/Prütting/Kilian, § 45 Rz. 44. 2 Kleine-Cosack, § 45 Rz. 41; Hartung/Römermann/Hartung, § 45 Rz. 49. 3 Zu kommunalen Vertretungsverboten für Rechtsanwälte näher BVerfGE 52, 42; 56, 99; 61, 68; BVerfG, NJW 1988, 694; Feuerich/Weyland/Böhnlein, § 45 Rz. 45 ff. 4 Henssler/Prütting/Kilian, § 45 Rz. 45; Feuerich/Weyland/Böhnlein, § 45 Rz. 38; vgl. für die klassische Sozietät in Form der GbR aus der Rechtsprechung etwa OLG Schleswig, MDR 2002, 1459; zur Anwendbarkeit von § 45 Abs. 3 BRAO auf Scheinsozietäten LG Bielefeld, JurBürO 2004, 612 f. 5 Henssler/Prütting/Kilian, § 45 Rz. 45. 6 Henssler/Prütting/Kilian, § 45 Rz. 45; für Verfassungswidrigkeit von § 3 Abs. 2 BORA n.F. insoweit Deckenbrock, NJW 2008, 3529 (3532). 7 Henssler/Prütting/Hartung, § 59a Rz. 150. 8 Differenzierend Henssler/Prütting/Kilian, § 45 Rz. 45. 9 Henssler/Prütting/Kilian, § 45 Rz. 45; Kleine-Cosack, AnwBl. 2006, 13 (15); a.A. Deckenbrock, AnwBl. 2011, 705 (710), der hier § 59b Abs. 2 Nr. BRAO als Ermächtigungsgrundlage heranziehen will. 10 Kleine-Cosack, AnwBl. 2006, 13 (15).
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Rz. 47 § 45 BRAO
und wechselseitiger Zugang zu den Akten besteht.1 Der Wortlaut von § 45 Abs. 3 BRAO, der eine gemeinschaftliche Berufsausübung voraussetzt, dürfte dies jedoch gegenwärtig nicht hergeben. Weil der Normzweck jedenfalls bei § 45 Abs. 1 Nr. 1 bis 3, Abs. 2 Nr. 1 BRAO über die Gewährleistung des ungeteilten Einsatzes des Anwalts für die Belange des Mandanten und den Schutz sensibler Informationen hinausgeht und zusätzlich die Sicherung des Vertrauens der Öffentlichkeit in die neutrale und objektive Amtsführung der dort genannten Berufsgruppen umfasst, greift die sog. Sozietätswechslerentscheidung des BVerfG2 hier nicht.3 Danach reicht zwar die abstrakte Möglichkeit eines Missbrauchs vertraulicher Informationen ebenso wie die damit einhergehende Gefährdung des Vertrauens in die Integrität der Anwaltschaft nicht aus, um ein Tätigkeitsverbot nach § 43a Abs. 4 BRAO zu rechtfertigen. Im Gegensatz dazu muss jedoch bei der Wahrnehmung öffentlicher Rechtspflege- und Verwaltungsaufgaben durch Beamte, Richter und Notare (§ 45 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BRAO) bereits jeglicher Anschein der Parteilichkeit vermieden werden. Entsprechendes gilt auch für Verwalter bzw. Betreuer eines fremden Vermögens, soweit sie unter gerichtlicher oder behördlicher Aufsicht in einem staatlichen Rechtspflegeverfahren tätig werden (§ 45 Abs. 1 Nr. 3 und § 45 Abs. 2 Nr. 1 BRAO). Zur Gewährleistung des Vertrauens der Bevölkerung in die Neutralität und Objektivität des Staates und seiner Funktionsträger sind dabei wegen der überragenden Bedeutung dieses Gesichtspunkts für die Funktionsfähigkeit und Stabilität des demokratischen Gemeinwesens deutlich weitergehende Beschränkungen der Berufsfreiheit zulässig als allein zum Schutz der effektiven anwaltlichen Interessenwahrnehmung. Anders als bei § 43a Abs. 4 BRAO ist deshalb jedenfalls im Rahmen von § 45 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 und Abs. 2 Nr. 1 BRAO auch im Sozietätskontext für eine „verantwortliche Beurteilung“ des Konfliktpotenzials durch die betroffenen Rechtsanwälte und die entsprechend aufgeklärten Mandanten kein Platz. Vielmehr greifen die Tätigkeitsverbote des § 45 BRAO jedenfalls bei Absatz 1 Nr. 1 bis 3 und Absatz 2 Nr. 1 immer schon dann, wenn ein Vorbefassungstatbestand in der Person eines mit dem Anwalt zur gemeinsamen Berufsausübung verbundenen Dritten erfüllt ist. Der Ausnahmetatbestand nach § 3 Abs. 2 S. 2 BORA n.F. ist hier nicht einschlägig, da mit einer Satzungsregelung die zwingende gesetzliche Erstreckung der Tätigkeitsverbote auf Berufsausübungsgemeinschaften nicht durchbrochen werden kann.4 Wegen des anders gearteten Normzwecks wäre eine Anpassung von § 45 Abs. 3 BRAO an die Rechtslage bei § 43a Abs. 4 BRAO im Übrigen jedenfalls in den Fällen des § 45 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 und Abs. 2 Nr. 1 BRAO auch de lege ferenda nicht wünschenswert.5
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Zur Vermeidung von Verstößen gegen §§ 43a Abs. 4, 45 (und ggf. auch 46) BRAO hat der Rechtsanwalt in einer Berufsausübungsgemeinschaft ein Mandatsregister zu führen, aus dem alle anwaltlichen und für Tätigkeitsverbote relevanten nicht-anwaltlichen Tätigkeiten der mit ihm beruflich verbundenen Personen ersichtlich sind.6 Sind Notare in der Berufsausübungsgemeinschaft tätig, müssen sie nach § 28 BNotO, § 15 DONot ohnehin ein Verzeichnis führen, dass die Feststellung von Vorbefassungen i.S.v. § 3 Abs. 1 Nr. 7 i.V.m. Nr. 4 BeurkG, § 16 BNotO erlaubt. Ein solches über die Namensverzeichnisse zu Urkundenrolle und Massenbuch nach § 13 DONot hinausgehendes Verzeichnis hat bei einer interprofessionellen und/oder überörtlichen Sozietät alle Angehörigen ohne Rücksicht auf den Beruf und den Ort ihrer Tätigkeit zu umfassen. In das Verzeichnis sind ferner alle Personen aufzunehmen, für die der Notar oder andere Angehörige der Berufsausübungsgemeinschaft in ihrer Funktion als Rechtsanwalt, Patentanwalt, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer oder vereidigter Buchprüfer tätig waren. Die ausgeführten Tätigkeiten sind zumindest schlagwortartig zu umschreiben, wobei gewährleistet sein muss, dass eine sichere Ermittlung der Vorbefassungsfälle möglich ist. Die Landesjustizverwaltung wird die Einhaltung von § 28 BNotO, § 15 DONot bei den betroffenen Notaren im Rahmen der Notarprüfung regelmäßig kontrollieren. Von den übrigen Angehörigen der Berufsausübungsgemeinschaft kann sie zu diesem Zweck nach § 93 Abs. 4 S. 2 BNotO im erforderlichen Umfang Auskunft und Aktenvorlage verlangen.7
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Feuerich/Weyland/Böhnlein, § 45 Rz. 38. BVerfG, NJW 2003, 2520 (2521 ff.). A.A. Saenger/Riße, BRAK-Mitt. 2007, 97 ff. Kleine-Cosack, AnwBl. 2006, 13 (15); a.A. Saenger/Riße, BRAK-Mitt. 2007, 97 (100); Deckenbrock, AnwBl. 2009, 16 (19 f.). 5 A.A. Henssler/Prütting/Kilian, § 45 Rz. 48; Deckenbrock, AnwBl. 2011, 705 (710). 6 Henssler/Prütting/Kilian, § 45 Rz. 47. 7 Zum Ganzen näher Schippel/Bracker/Schäfer, § 28 BNotO Rz. 7 ff.
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§ 45 BRAO Rz. 48
Versagung der Berufstätigkeit
D. Prozessuales/Rechtsfolgen 48
Verstößt der Anwalt gegen ein Tätigkeitsverbot nach § 45 BRAO, hat dies zunächst berufsrechtliche Konsequenzen und kann durch Rüge (§ 74 BRAO) bzw. im anwaltsgerichtlichen Verfahren (§ 113 BRAO) geahndet werden. In den Fällen notarieller Vorbefassung (§§ 45 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BRAO) wird meist auch ein Verstoß gegen die fortwirkende Neutralitätspflicht des Notars gem. § 14 Abs. 1 S. 2 BNotO vorliegen.1 Der Schwerpunkt der Verfehlung wird hier regelmäßig im notariellen Bereich liegen, weshalb eine Ahndung in diesen Fällen gem. § 110 Abs. 1 S. 1 BNotO meist im notariellen Disziplinarverfahren zu erfolgen hat.2 Außerdem führt die Verletzung von § 45 BRAO zur Nichtigkeit des Anwaltsvertrages (§ 134 BGB).3 Dem Anwalt steht mithin kein Honorar zu. Bereits geleistete Zahlungen hat er ggf. nach Bereicherungsrecht an den Mandanten zurückzugewähren. Demgegenüber ist eine Prozessvollmacht auch bei Verstoß der Mandatsübernahme gegen § 45 BRAO regelmäßig schon deshalb wirksam, weil sie gegenüber dem Anwaltsvertrag abstrakt ist.4 Streng genommen muss deshalb in der Regel gar nicht auf eine Analogie zu §§ 114a Abs. 2, 155 Abs. 5 BRAO zurückgegriffen werden, um zu begründen, dass Rechtshandlungen des Anwalts bzw. Rechtshandlungen Dritter ihm gegenüber auch im Falle einer Verletzung von § 45 BRAO wirksam sind.5 Ob Gerichte, Behörden oder sonstige Dritte berechtigt sind, den gegen § 45 BRAO verstoßenden Rechtsanwalt analog § 156 Abs. 2 BRAO zurückzuweisen, ist umstritten. Überwiegend wird ein Zurückweisungsrecht abgelehnt, weil die Vorschriften der BRAO über die Zurückweisung von Anwälten im Hinblick auf § 3 Abs. 2 BRAO nicht analogiefähig seien.6 Außerdem sei es nicht Aufgabe von Prozessgerichten und Verwaltungsbehörden, Verstöße gegen berufsrechtliche Tätigkeitsverbote zu ahnden. Vielmehr seien zur Überwachung der Einhaltung des Berufsrechts allein Rechtsanwaltskammern und Anwaltsgerichte zuständig.7
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Ferner macht jedenfalls eine Verletzung von § 45 Abs. 1 Nr. 4 BRAO das Handeln des Rechtsanwalts grundsätzlich nicht zugleich wettbewerbswidrig i.S.v. § 1 UWG. Zwar ist die Sittenwidrigkeit eines Wettbewerbsverhaltens grundsätzlich indiziert, wenn es gegen ein wertbezogenes Gesetz verstößt, das dem Schutz wichtiger Gemeinschaftsgüter dient. Denn Wettbewerb, der unter Missachtung wichtiger Belange der Allgemeinheit betrieben wird, ist regelmäßig unlauter.8 Auch handelt es sich bei § 45 Abs. 1 Nr. 4 BRAO um eine solche wertbezogene Norm, die mit der Sicherung der anwaltlichen Unabhängigkeit Allgemeinwohlbelange verfolgt. Nach Auffassung des BGH9 kommt § 45 Abs. 1 Nr. 4 BRAO jedoch weder primär noch sekundär die Funktion zu, die Gegebenheiten eines bestimmten Marktes zu regeln. Soweit das Verbot der Mandatsübernahme den Wettbewerb im Einzelfall beeinflusse, liege hierin lediglich eine Reflexwirkung. Denn das Interesse der Allgemeinheit an der Einhaltung von § 45 Abs. 1 Nr. 4 BRAO gelte nicht der Lauterkeit des Wettbewerbs, sondern allein der Gewährleistung einer ordnungsgemäßen Rechtspflege.
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Ist die Notwendigkeit eines Anwaltswechsels im Zivilprozess aufgrund notarieller Vorbefassung des Prozessvertreters in derselben Rechtssache (§ 45 Abs. 1 Nr. 1 BRAO) vorhersehbar und damit vermeidbar, ist ein Ersatz der Mehrkosten gemäß § 91 Abs. 2 S. 3 ZPO ausgeschlossen.10 Ein Rechtspfleger darf einen Kostenfestsetzungsantrag der erstattungsberechtigten Partei nicht mit der Begründung zurückweisen, der Anwaltsvertrag sei nach § 45 i.V.m. § 134 BGB nichtig und es seien keine Anwaltsgebühren geschuldet. Denn hier liegt keine einfache Rechtsfrage vor, die einer Klärung im Kostenfestsetzungsverfahren zugänglich wäre.11 1 Feuerich/Weyland/Böhnlein, § 45 Rz. 43; Schippel/Bracker/Kanzleiter, § 14 BNotO Rz. 45; OLG Hamm, DNotZ 1977, 441. 2 Eylmann/Vaasen/Lohmann, § 110 BNotO Rz. 15; BGH, DNotZ 1992, 455 f. 3 BGH, NZG 2010, 1390; OLG Hamm, MDR 1989, 743; NJW-RR 1989, 442; NJW 1992, 1174 f.; LG Bielefeld, JurBüro 2004, 612; AG Emmerich, NJW 1999, 1875. 4 BGH, NJW 1993, 1926; OLG Schleswig, MDR 2002, 1459; OLG Hamm, NJW-RR 1989, 442; Schmellenkamp, AnwBl. 1985, 14. 5 BGH, NJW 1993, 1926; OVG Magdeburg, GewArch 2004, 159; OLG Oldenburg, ZMR 2005, 651; vgl. auch BGH, BRAK-Mitt. 2010, 145. 6 KG, NJW-RR 1995, 762; Kleine-Cosack, § 45 Rz. 50; Henssler/Prütting/Kilian, § 45 Rz. 50; a.A. Feuerich/ Weyland/Böhnlein, § 45 Rz. 43; OLG Hamm, NJW-RR 1989, 442. 7 Henssler/Prütting/Kilian, § 45 Rz. 50. 8 BGHZ 140, 134 (138 f.); NJW 2000, 864; NJW 2000, 3351 (3353). 9 BGH, NJW 2001, 2089 (2091). 10 KG, BerlAnwBl. 1999, 268. 11 BGH, RVGreport 2007, 110; anders LG Bielefeld, JurBüro 2004, 612 f.
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Rechtsanwälte in ständigen Dienstverhältnissen
Rz. 3 § 46 BRAO
in ständigen Dienstverhältnissen 46 BRAO Rechtsanwälte (1) Der Rechtsanwalt darf für einen Auftraggeber, dem er aufgrund eines ständigen Dienst- oder ähnlichen Beschäftigungsverhältnisses seine Arbeitszeit und -kraft zur Verfügung stellen muss, vor Gerichten oder Schiedsgerichten nicht in seiner Eigenschaft als Rechtsanwalt tätig werden. (2) Der Rechtsanwalt darf nicht tätig werden: 1. wenn er in derselben Angelegenheit als sonstiger Berater, der in einem ständigen Dienstoder ähnlichen Beschäftigungsverhältnis Rechtsrat erteilt, bereits rechtsbesorgend tätig geworden ist; 2. als sonstiger Berater, der in einem ständigen Dienst- oder ähnlichen Beschäftigungsverhältnis Rechtsrat erteilt, wenn er mit derselben Angelegenheit bereits als Rechtsanwalt befasst war. (3) Die Verbote des Absatzes 2 gelten auch für die mit dem Rechtsanwalt in Sozietät oder in sonstiger Weise zur gemeinschaftlichen Berufsausübung verbundenen oder verbunden gewesenen Rechtsanwälte und Angehörigen anderer Berufe und auch insoweit einer von diesen im Sinne des Absatzes 2 befasst war. A. I. II. III. IV.
Allgemeines . . . . . . . . . . Einleitung . . . . . . . . . . . Aktuelle Fassung des § 46 BRAO . Begrifflichkeiten . . . . . . . . Zahlen und Tätigkeiten . . . . .
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B. Zweck der Norm . . . . . . . . . . . .
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C. Kommentierung . . . . . . . . . . . . I. Grundüberlegungen . . . . . . . . . .
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II. § 46 Abs. 1 BRAO – Das Vertretungsverbot . . . . . . . . . . . . . . III. § 46 Abs. 2 BRAO – Tätigkeitsverbot IV. § 46 Abs. 3 BRAO – Erstreckung der Tätigkeitsverbote auf Dritte . . . . V. Befreiung von der Rentenversicherungspflicht, § 6 SGB VI. . . . . .
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A. Allgemeines I. Einleitung Die Vorschrift regelt – im Zusammenhang mit §§ 7 Nr. 8, 14 Abs. 2 Nr. 8 BRAO und auch mit § 45 BRAO – die Stellung des so genannten Syndikusanwalts, wobei in der heutigen Zeit überlegt werden muss, ob der Begriff die verschiedenen Konstellationen tatsächlich noch umfasst oder vom Unternehmensanwalt zu sprechen ist. Was genau unter einem Syndikusanwalt zu verstehen ist, ist weder gesetzlich noch in anderer Art und Weise definiert.
1
II. Aktuelle Fassung des § 46 BRAO Die jetzt geltende Fassung des § 46 BRAO1 wurde mit dem Gesetz zur Neuordnung des Berufsrechts v. 2.9.1994 geschaffen.2 Nach der Entscheidung des BVerfG v. 4.11.19923 war im laufenden Gesetzgebungsverfahren die (zutreffende) Notwendigkeit gesehen worden, § 46 BRAO der nunmehr vom BVerfG vertretenen Zweiberufstheorie Rechnung zu tragen. Jedoch ist, wie unten4 zu zeigen ist, dabei keine besondere gesetzliche Klarheit geschaffen worden, wie leider für viele unserer Gesetzgebungsverfahren mittlerweile typisch ist. Vielmehr haben sich neue Fragen gestellt, die eigentlich geklärt schienen. Den Weg zur neuen Vorschrift hat Roxin5 sehr genau mit allen Unverständlichkeiten beschrieben. Diesen muss man kennen, wenn man sich mit der geltenden Fassung des § 46 BRAO befasst.
2
III. Begrifflichkeiten In der Regel wird unter einem Syndikusanwalt ein Rechtsanwalt verstanden, der aufgrund eines Dienstvertrags (dies kann, muss aber nicht ein Arbeitsvertrag nach § 611 ff. BGB sein) gegen ein bestimmtes Entgelt (Vergütung) als ständiger Rechtsberater für diesen Ar1 2 3 4 5
Zur historischen Entwicklung s. ausführlich Henssler/Prütting/Henssler, § 46 Rz. 2–4. BGBl. I, S. 2278. BVerfGE 87, 287. Rz. 3. NJW 1995, 17.
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§ 46 BRAO Rz. 4
Rechtsanwälte in ständigen Dienstverhältnissen
beitgeber tätig ist.1 Dabei muss dies heute nicht mehr die hauptberufliche oder überwiegende Tätigkeit sein. In immer mehr Fällen handelt es sich bei der Syndikustätigkeit um eine „Teilzeit“-Tätigkeit. Gerade bei der Beratung kleinerer Unternehmen und von Verbänden greifen diese als Arbeitgeber gerne auf Rechtsanwälte zurück, die oft nur mit 15–25 Stunden in der Woche für ihren Arbeitgeber tätig sind. Doch mit dieser einfachen Definition erfasst man heute die Aufgabengebiete für Rechtsanwälte in Unternehmen nur auf den ersten Blick. Denn in einem nächsten Schritt ist zu überprüfen, was unter einem „Rechtsberater“ zu verstehen ist. Handelt es sich dabei um einen die reine „klassische Rechtsberatung“, wie sie auch ein Anwalt vornimmt, der ein bestimmtes Mandat erhält? Im Sinne der heute immer mehr das Wirtschaftsleben bestimmenden und komplexer werdenden Rechtsfragen, muss die rechtliche Tätigkeit, die Beratung im und des Unternehmens, sehr früh ansetzen. Unter Rechtsberatung muss heute jede Tätigkeit im Unternehmen verstanden werden, die die Lösung von Fragen aus allen Bereichen des Unternehmens betrifft, die rechtliche Implikationen haben können. Eine Hilfe können hier die Merkmale bilden, die im Rahmen des § 6 SGB VI herangezogen werden.2 Dabei muss somit der im Unternehmen tätige Rechtsanwalt nicht immer in der Rechtsabteilung angesiedelt sein, sondern kann in operativen Abteilungen, wie etwa dem Vertrieb oder der Kundenbetreuung, aber auch der Personalabteilung, tätig werden. Auch diese Tätigkeiten der Beratung sind als Rechtsberatung anzusehen, wenn die Merkmale einer solchen rechtsberatenden Tätigkeit erfüllt sind. 4
Abgrenzen muss man den Syndikusanwalt von demjenigen Rechtsanwalt, der zwar als Rechtsanwalt zugelassen ist, daneben aber einer weiteren Tätigkeit als Arbeitnehmer nachgeht, die mit einer rechtsberatenden Tätigkeit wie ein externer Rechtsanwalt nichts zu hat. Darunter zu verstehen sind etwa Tätigkeiten in der Herstellung, der Planung oder reine kaufmännischen und verwaltende Tätigkeiten. Hier kann man nicht mehr von einem Syndikusanwalt des Unternehmens sprechen. Anschaulich beschrieben werden diese Fälle immer dann, wenn es um die Befreiung in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 6 SGB VI geht.3 Hier streiten sich im Regelfall diejenigen Juristen um eine „Anwaltstätigkeit“ im Unternehmen, die gerade nicht rechtsberatend tätig sind. Insgesamt fallen die genauen Abgrenzungen schwer. Denn es sind Mischformen denkbar, zu deren Klärung bisher aber kaum Rechtsprechung vorliegt. Dies mag daran liegen, dass die in Unternehmen tätigen Rechtsanwälte meistens „kammerunauffällig“ sind und daher bisher kaum eine Auseinandersetzung über die Beschreibung ihrer Tätigkeit geführt wurde. Zu denken ist hier etwa daran, dass ein Teil der Tätigkeit klassische Rechtsberatung ist, aber auch Projekte betreut werden, die nicht in die anwaltlichen Tätigkeiten fallen. Hier wird man im Streitfall danach entscheiden müssen, wo der Schwerpunkt der Tätigkeit bei einem nichtanwaltlichen Arbeitgeber liegt. „Nicht rechtsberatende Tätigkeiten“ sind bis zur Hälfte der konkreten Tätigkeit unschädlich, die rechtsberatende Tätigkeit muss also den Schwerpunkt (inhaltlich und zeitlich) der Tätigkeit bilden.4 IV. Zahlen und Tätigkeiten
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Über die Zahl der Syndikusanwälte in Deutschland gibt es immer noch keine genauen Erkenntnisse. Leider führen die Rechtsanwaltskammern über die ihnen gemeldeten angestellten Beschäftigten keine (veröffentlichten) Statistiken. Zahlen nennen könnten die Versorgungswerke der Rechtsanwälte. Denn sie können erkennen, ob der Rechtsanwalt bei einem „nichtanwaltlichen Arbeitgeber“ beschäftigt ist. Schätzungen5 aus der Mitte der Neunziger Jahre gingen noch davon aus, dass 6 Prozent der Rechtsanwälte als „klassische“ Syndikusanwälte tätig sind. Diese Zahl dürfte nach neuen Schätzungen zu gering sein,6 die Zahl dürfte heute bei rund 20 Prozent liegen. Dies wären also zwischen 20 000 und 25 000 Rechtsanwälten.
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Die Tätigkeiten der Syndikusanwälte im Rahmen der angestellten Tätigkeiten lassen sich heute schwer beschreiben. Die pauschale Aussage, dass die Unternehmensjuristen eher Ge1 2 3 4
Henssler/Prütting/Henssler, § 46 Rz. 1. S. dazu Rz. 32. S. dazu Huff, BRAK-Mitt. 2013, 215, unten Rz. 32 und Reineke, NJW 2008, 2881. S. dazu SG Nordhausen, Urt. v. 9.11.2006 – S 4 R 483/06, das die Tätigkeit eines Unternehmensanwalts, der auch Geschäftsführer wurde in 2/ 3 Rechtsanwaltstätigkeit und 1/ 3 Geschäftsführer aufteilte. 5 Prütting/Hommerich, Das Berufsbild des Syndikusanwalts, 1998. 6 S. dazu Huff, KammerForum 2013, 6, dass bei Neuzulassungen und Wechslern im Kammerbezirk Köln die Zahl der Syndikusanwälte in den Jahren 2011 und 2013 zwischen 24 und 26 Prozent lag. Zusammenfassend zu den vorherigen Ergebnissen auch Hartung/Hartung, § 46 Rz. 6 ff.
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Rz. 10 § 46 BRAO
neralisten sind, die sich mit dem Wirtschaftsrecht im Allgemeinen befassen, stimmt so nicht mehr. Zwar gibt es dies noch, jedoch sind heute die Anwälte in den Unternehmen, gerade bei größeren Rechtsabteilungen, sehr häufig spezialisiert. Insgesamt muss es sich immer um eine anwaltliche, also eine rechtsberatende, Tätigkeit handeln. B. Zweck der Norm § 46 Abs. 1 BRAO verbietet es dem Syndikusanwalt seinen Auftraggeber/Arbeitgeber in seiner Eigenschaft als Rechtsanwalt vor Gerichten und Schiedsgerichten zu vertreten. Es handelt sich also um ein Vertretungsverbot.
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§ 46 Abs. 2 BRAO enthält ein Tätigkeitsverbot für den Rechtsanwalt, wenn er in derselben Angelegenheit als sonstiger „rechtsberatender Berater“ in einem Dienst- oder anderen Beschäftigungsverhältnis bereits rechtsbesorgend tätig geworden ist (Nr. 1) oder (Nr. 2) genau umgekehrt, der Rechtsanwalt darf nicht als sonstiger Berater tätig werden, wenn er mit derselben Angelegenheit bereits als Rechtsanwalt befasst war. § 46 Abs. 3 BRAO dehnt die Tätigkeitsverbote des Absatzes 2 auch auf die Sozietät und andere Formen der Zusammenarbeit aus. Insgesamt enthält § 46 BRAO in seinen drei Absätzen ein unnötig kompliziertes Regelwerk, bei dem sich erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken ergeben.1 C. Kommentierung I. Grundüberlegungen Ausgangspunkt für die verfassungsrechtlichen Überlegungen ist Art. 12 GG. Das darin beschriebene Grundrecht der Berufsfreiheit gewährleistet das Recht des Bürgers, mehrere von ihm gewählte Berufe gleichzeitig auszuüben. Dies hat das BVerfG mehrfach ausgesprochen.2 Wird diese Wahlfreiheit mit dem Ziel beschränkt, die Verbindung bestimmter beruflicher Tätigkeiten auszuschließen, so ist dies nur dann zulässig, wenn dies durch ein Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes geschieht. Eine solche Einschränkung der Berufsfreiheit braucht zur Begründung allerdings den „Schutz eines besonders wichtigen Gemeinschaftsguts im Rahmen der Verhältnismäßigkeit“, wie es das BVerfG formuliert. Dabei sind die Gründe für die Unvereinbarkeit verschiedener Berufe zum Beispiel der Schutz des Verbrauchers vor unerkannten Interessenkollisionen und Ähnliches. Nicht aber, wie zum Beispiel früher öfters argumentiert worden war, der Schutz innerhalb einer Berufsgruppe vor unerwünschter Konkurrenz. Zu berücksichtigen ist bei der Frage der Einschränkung der Berufsfreiheit in der heutigen Zeit auch, dass es immer mehr Fallkonstellationen gibt, in denen der Bürger zur Sicherung der wirtschaftlichen Existenz sogar darauf angewiesen sein kann, mehrere Berufe auszuüben. Ihm diese Möglichkeit zu versagen, ist in den gewandelten gesellschaftlichen Verhältnissen kaum mehr begründbar.
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Es stellt sich daher die Frage, ob und in welchem Umfang die Berufstätigkeit eines Rechtsanwalts beschränkt werden darf. Unterscheiden muss man zwei Fragestellungen, die nicht immer sauber voneinander getrennt werden:3
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– Darf der Rechtsanwalt einen weiteren nichtanwaltlichen Beruf ausüben? – In welchem Umfang darf ein Rechtsanwalt anwaltlich für einen nichtanwaltlichen Arbeitgeber arbeiten und wie ist dann seine Stellung zu bewerten? Kann er als Rechtsanwalt tätig sein oder nur als „angestellter Jurist“? Dann wäre man wieder bei der Frage 1 gelandet. Die erste Frage nach der Ausübung der Vereinbarkeit der anwaltlichen Tätigkeit mit einer weiteren Tätigkeit ist seit der Entscheidung des BVerfG v. 4.11.19924 weitgehend entschieden. Ein Rechtsanwalt darf neben seiner anwaltlichen Tätigkeit unter den Voraussetzungen des § 7 Nr. 8 BRAO5 auch eine weitere Tätigkeit ausüben, wenn diese Tätigkeit mit dem Beruf eines unabhängigen Organs der Rechtspflege vereinbar und das Vertrauen in seine Unab1 2 3 4 5
S. dazu unten Rz. 16, 19. BVerfGE 21, 173 und 87, 287. Zum Steuerberater s. zuletzt BVerfG, Beschl. v. 23.8.2013 – 1 BvR 2912/11. S. dazu Henssler/Prütting/Henssler, § 46 Rz. 11 ff. BVerfGE 87, 287. S. dazu § 7 BRAO Rz. 64 ff.
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§ 46 BRAO Rz. 11
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hängigkeit dadurch nicht gefährdet ist. Das BVerfG – so wird es immer wieder dargestellt – vertrete hier eine sog. „Doppelberufstheorie“ oder auch „Zwei-Berufe-Theorie“. Das ist für die damals entschiedenen Fälle (es waren etliche Verfahren zusammengefasst worden) sicherlich richtig. Ob dies aber grundsätzlich so gilt, ist aus der Entscheidung nicht herauszulesen. 11
In der Regel verweigern die Anwaltskammern heute die Zulassung zur Anwaltschaft nur noch in seltenen Fällen. Zuletzt hat der BGH die Zulassung eines Vermögensberaters einer Bank und eines „Akquisiteurs“ zur Anwaltschaft untersagt.1 Man kann diese Entscheidung noch von den Grundsätzen des BVerfG als gedeckt ansehen. Jedoch finden sich in der Entscheidung einige Passagen der Begründung, die so nicht zu akzeptieren sind. Wenn der BGH bei der Frage der Unvereinbarkeit zum Beispiel darauf abstellt, dass die Gefahr bestünde, dass der betroffene Jurist nicht seine Tätigkeit für die Bank und seine anwaltliche Tätigkeit trennen kann, so ist dies eine reine Prognose, die so nicht stehen bleiben kann. Denn der antragstellende Jurist war nicht im Vertrieb oder im direkten Kundenkontakt tätig, sondern als Jurist in der Beratung und rechtlichen Prüfung für seine Kollegen. Im Grundsatz kann also ein Rechtsanwalt eine breite Palette an Tätigkeiten neben seiner anwaltlichen Beschäftigung ausüben. Doch die angestellte Tätigkeit ist dann keine Tätigkeit als Syndikusanwalt in dem bisherigen Sprachgebrauch.
12
Sehr unterschiedlich gesehen wird in der Literatur die Frage, ob der Rechtsanwalt bei seinem nichtanwaltlichen Arbeitgeber als Rechtsanwalt tätig ist oder nicht. Denn wenn man es ablehnte, ihm auch in seiner rechtsberatenden Tätigkeit als Rechtsanwalt zu sehen, wäre die Regelung des § 46 Abs. 1 BRAO unverständlich. Es handelt sich hierbei um eine der Kernfragen für die Syndikusanwälte.2 Sie hat auch verfassungsrechtliche Auswirkungen.3 Denn wenn ein Rechtsanwalt unter bestimmten beruflichen Umständen seine anwaltliche Tätigkeit nicht so ausüben kann, wie er möchte, wird er in seinen Rechten aus Art. 12 GG beeinträchtigt.
12a
Bis zur BRAO-Novelle 1994 war diese Frage geklärt4 und zwar dahingehend, dass bis auf die Tätigkeitsverbote die Rechtsanwälte in ihrem Unternehmen als Rechtsanwälte tätig waren. Die Literatur geht heute überwiegend davon aus, dass auch der Syndikusanwalt als Rechtsanwalt tätig wird. Hartung vertritt dies zu Recht seit langem ausdrücklich.5 Roxin hat sich ebenfalls ausdrücklich dieser Auffassung insbesondere aus der strafrechtlichen Sicht angeschlossen.6 Und auch Redeker7 hat den Standpunkt aus Anlass des Akzo-Nobel-Verfahrens vor dem EuGH sehr deutlich und überzeugend vertreten.8 Dieser Auffassung haben sich jetzt die meisten Berufsrechtler angeschlossen, wie etwa Prütting9, Plitt/Stütze10, Jung/ Horn11, Offermann-Burckart12 und Huff13. Henssler scheint dagegen die gegenteilige Auffassung zu vertreten, auch wenn er dies nicht an allen Stellen so deutlich ausführt, sich aber aus verschiedenen Zitaten ergibt.14
12b
Anders sieht dies bisher zum Teil – ohne eine sorgfältige Auseinandersetzung – die Rechtsprechung. Der EuGH vertrat die Ansicht, dass in EU-Kartellverfahren ein Unternehmensanwalt nicht wie ein externer Rechtsanwalt tätig ist. Dies wurde insbesondere damit begründet, dass die Rechtslage der Unternehmensanwälte in Europa nicht einheitlich geregelt sei und daher keine klare Rechtsstellung erkennbar werde.15 Die Entscheidung des EuGH ist aber nicht ohne weiteres auf die deutsche Rechtslage zu übertragen.16 Mittlerweile hat der
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BGH, BRAK-Mitt. 2006, 222 und BRAK-Mitt. 2008, 73. S. im Überblick und zur aktuellen Lage auch Jatzkowski, JUVE Rechtsmarkt 5/07, S. 55. A.A. Redeker, NJW 2004, 889. Hartung/Hartung, § 46 Rz. 6 ff. Hartung/Hartung, § 46 Rz. 6 ff. NJW 1995, 17. NJW 2004, 889 – s. Verfahren vor dem EuGH C-550/07 P zur Vorinstanz: EuG, Urt. v. 17.9.2007 – T 125/03 u. 253/03, dazu auch Seitz, EuZW 2008, 204. Entschieden durch Urt. v. 4.9.2010 – C 550/07 P mit krit. Besprechung Huff, ZAP 2010, 1137. KammerForum 2012, 4. NJW 2011, 2556. AnwBl. 2011, 209. AnwBl. 2012, 778. AnwBl. 2011, 473. So am deutlichsten Henssler/Prütting/Henssler, § 46 Rz. 21, jedoch z.T. ohne konkrete Begründung. Urt. v. 4.9.2010 – C 550/07 P. Huff, ZAP 2010, 1137.
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Rechtsanwälte in ständigen Dienstverhältnissen
Rz. 16 § 46 BRAO
niederländische Hooge Raad1 das Urteil des EuGH als in den Niederlanden nicht anwendbar angesehen und den Syndikusanwälten die gleiche Rechtsstellung wie externen Rechtsanwälten zugestanden. Der BGH hat in seiner umstrittenen Entscheidung vom 7.2.20112 ohne eine erkennbare Auseinandersetzung mit den Gegenargumenten die Auffassung vertreten, der Syndkusanwalt könne nicht anwaltlich tätig sein, da er nicht unabhängig sei. Welche Unabhängigkeit damit genau gemeint sei, erläutert der BGH nicht. Auch die vorherige Entscheidung des BGH3 – und zwar des Haftungssenats – weist erhebliche Widersprüche auf. Auch eine weitere Entscheidung des BGH4 stammt vom Notarsenat.
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Der Auffassung der Mehrheit der Literatur ist ausdrücklich zuzustimmen. Der „richtige“ Syndikusanwalt, der wirklich rechtsberatend für das Unternehmen tätig wird, ist als Rechtsanwalt im Unternehmen tätig. Dafür sprechen folgende Gründe:
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Zunächst einmal ist entgegen der Auffassung von Henssler5 der Gesetzeswortlaut eindeutig. § 46 Abs. 1 BRAO geht in seinem Wortlaut davon aus, dass bis auf eine Vertretung vor Gerichten und Schiedsgerichten der Rechtsanwalt als Rechtsanwalt für seinen Arbeitgeber/ Auftraggeber tätig werden darf. Denn ansonsten hätte in § 46 Abs. 1 BRAO ein ausdrückliches Tätigkeitsverbot aufgenommen werden müssen, um für Klarheit zu sorgen. Hätte dies der Gesetzgeber 1994 gewollt, so hätte er dies tun müssen. Da aber bis zur Gesetzesnovelle diese Frage unstreitig war, kann man davon ausgehen,6 dass die damalige Lage in Literatur und Rechtsprechung nicht geändert werden sollte.
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Syndikusanwälte sind zugelassene Rechtsanwälte und werden im Unternehmen dann als Rechtsanwälte tätig, wenn sie eine rechtsberatende Tätigkeit wie ein externer Rechtsanwalt für ihren Arbeitgeber ausüben. An dieser Tatsache ändert sich nichts, wenn sie rechtsberatend in einem Unternehmen oder einem Verband – also für einen Arbeitgeber/Auftraggeber – tätig werden. Es kommt alleine auf das Wie und nicht auf das Wo anwaltlicher Tätigkeit an. Es sei an dieser Stelle die Frage erlaubt, worin eigentlich der Unterschied liegt, ob ein Rechtsanwalt ein Dauermandat für ein Unternehmen betreut oder aber für die gleiche Tätigkeit angestellt ist? Auch die Deutsche Rentenversicherung verlangt für die Befreiung in der gesetzlichen Rentenversicherung gerade die anwaltliche Tätigkeit, um auch die Befreiung für Tätigkeit im Unternehmen zu gewähren. Rechtsprechung und Schrifttum nehmen weitgehend an, dass der Syndikusanwalt in die Rechte und Pflichten, wie sie das Berufsrecht in Gesetz oder Satzung für die Anwaltschaft normiert, eingebunden ist. Es ist in Deutschland, anders als im EuGH-Verfahren Akzo Nobel7 nicht mehr streitig, dass auch dem Syndikusanwalt im Rahmen seiner Beratung des Arbeitgebers ein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht und dass Korrespondenz, die er in dieser Funktion geführt hat, dem Beschlagnahmeverbot unterfällt.8 Ebenso bindet ihn die Verschwiegenheitspflicht; er unterliegt also den Regelungen des § 203 Nr. 2 StGB.9 Wäre, wie der BGH10 und etwa Henssler11 meinen, seine interne Tätigkeit ein Zweitberuf, also keine rechtsanwaltliche Arbeit, wäre eine Anwendung des § 203 StGB ausgeschlossen. Denn hierfür kann es auf den bloßen Titel Rechtsanwalt und die Zulassung als Rechtsanwalt allein kaum ankommen. Auch für das dem internen Syndikusanwalt anvertraute Geheimnis besteht die strafrechtlich sanktionierte Verschwiegenheitspflicht des § 203 StGB.
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Ein weiteres Argument für die Tätigkeit des Syndikusanwalts als Rechtsanwalt für seinen Arbeitgeber kann man aus dem Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 GG herleiten. Denn geschätzt 40–50 Prozent der Rechtsanwälte in Deutschland arbeiten als angestellte Anwälte in einer Anwaltskanzlei. Es sind junge Anwälte, die noch die Hoffnung haben, später Partner
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1 Urt. v. 15.3.2013 – 12/02667. 2 BGH, Beschl. v. 7.2.2011 – AnwZ (B) 20/10, AnwBl. 2011, 494, schon vorher andeutungsweise in BGHZ 141, 69. S. auch die durchweg kritischen Besprechungen der Entscheidung z.B. Huff, AnwBl. 2011, 473; KleineCosack, AnwBl. 2011, 467, Moosmayer, NJW 2010, 3548. 3 BGHZ 141, 69. 4 BGH, NJW 2003, 2750 m. kritischer Anm. Frenzel, MDR 2003, 1324. 5 Henssler/Prütting/Henssler, § 46 Rz. 20. 6 Trotz einer gegenteiligen Formulierung in der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses, zitiert bei Henssler/Prütting/Henssler, § 46 Rz. 23 ff. 7 Urt. v. 14.9.2011 – C-550/07-P. 8 A.A. LG Bonn, Beschl. v. 28.9.2005 – 37 Qs 27/05. 9 So deutlich Roxin, NJW 1995, 17 und LG Berlin, NStZ 2006, 470. 10 BGH, Beschl. v. 7.2.2011 – AnwZ (B) 8/10, AnwBl. 2011, 494. So jetzt auch BSG, Urt. v. 3.4.2014 – B 5 RE 3, 9 und 13/14 R. 11 Henssler/Prütting/Henssler, § 46 Rz. 23 ff.
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§ 46 BRAO Rz. 16a
Rechtsanwälte in ständigen Dienstverhältnissen
der Sozietät, zu werden. Aber diese Chancen nehmen deutlich ab. Aber es sind auch Rechtsanwälte, die wissen, dass sie nie Partner werden können (und zunehmend auch nicht wollen). Niemand ist bisher auf die Idee gekommen, dass diese angestellten Rechtsanwälte einen Zweitberuf ausüben, obwohl sie ihre Arbeitskraft in vollem Umfange ihrem Dienstherrn, nämlich der Sozietät etc., zur Verfügung stellen müssen. Sie sind als Rechtsanwalt zugelassen, sind aber nach der Definition des BGH1 in einem Zweitberuf tätig. Da sie in der Regel keine andere Tätigkeit als die im Anstellungsverhältnis ausüben, hätten sie eigentlich nicht als Rechtsanwalt zugelassen werden dürfen, wie es Redeker sehr anschaulich aufgegriffen hat.2 Denn sie dürfen ja nach den meisten Anstellungsverträgen nicht als Rechtsanwalt in eigener Kanzlei tätig werden. Zudem ist die Unabhängigkeit dieser Rechtsanwälte in der Kanzlei nicht gegeben, denn sie sind aufgrund des bestehenden Arbeitsvertrags und des daraus sich immer ergebenden Direktionsrechts weisungsgebunden. Es ist schon erstaunlich, dass hier noch keine offene Diskussion stattfindet. 16a
Kein Argument für die fehlende Anwalteigenschaft ist das Argument, dass der Syndikusanwalt nicht unabhängig im Sinne des § 3 BRAO sei, da er weisungsgebunden ist. Abgesehen von der Tatsache, dass auch der angestellte Rechtsanwalt in einer Kanzlei immer weisungsgebunden ist, kann diese Unabhängigkeit nicht gemeint sein. § 3 BRAO umfasst insbesondere die Unabhängigkeit vom Staat. Sie bedeutet aber nicht, das es eine Freiheit bei der Entscheidung im Mandat ist. Frei kann hier immer nur der Rechtsrat sein, nicht aber die endgültige Entscheidung, die der Arbeitgeber/Mandant trifft. Will der Anwalt dem nicht folgen kann er entweder nur seine Bedenken (auch aus Haftungsgründen) festhalten und der Weisung folgen oder muss wenn er dies nicht möchte, das Mandat niederlegen.
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Auch die Berufsorganisationen haben erkannt, dass die Rechtsstellung des Syndikusanwalts durch eine gesetzliche Änderung klargestellt werden muss. Schlägt der DAV noch eine Änderung des § 46 BRAO vor3 hat der Berufsrechtsausschuss der Bundesrechtsanwaltskammer sich für eine Änderung des § 6 BRAO ausgesprochen, was jetzt in den Rechtsanwaltskammern diskutiert wird.4 Nach der hier vertretenen Auffassung sind solche Klarstellungen nicht erforderlich, wenn man § 46 BRAO entsprechend versteht. Da aber die Diskussionen auch innerhalb des Berufsstands nicht abreißen, erscheint der Weg der Definition der Syndikustätigkeit in den §§ 3, 6 BRAO sinnvoll.
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Zusammenfassend ist festzuhalten: Der Syndikusanwalt in seiner anwaltlichen Tätigkeit für das Unternehmen ist in vollem Umfang Rechtsanwalt. Er hat damit alle Rechte und Pflichten in dieser Position. Dies bedeutet, dass das anwaltliche Berufsrecht auf ihn anwendbar ist, wie etwa das Verbot der Umgehung des Gegenanwalts in § 12 BORA etc. Er darf daher mit seiner Berufsbezeichnung nach außen auftreten. Dabei kann es allerdings einen Unterschied zwischen der allgemeinen Tätigkeit für das Unternehmen und der anwaltlichen Tätigkeit geben. Es ist Aufgabe des Anwalts dies bei seiner Tätigkeit nach außen klar zu machen. Dabei stellt sich zum Beispiel die Frage, welches Briefpapier der Syndikusanwalt verwenden soll. Nach der hier vertretenen Auffassung wäre es konsequent, wenn der Syndikusanwalt als Rechtsanwalt auf einem eigenen Briefbogen unter seiner Firmenadresse aufträte. Dies müsste dann aber auch der Ort seiner Kanzlei sein. In der Praxis ist aber immer wieder festzustellen, dass Syndikusanwälte dies anders tun und eine andere Kanzleiadresse angeben. Nach der Aufhebung des Zweigstellenverbots sind jetzt – auch wenn es viele Probleme bereitet – zwei und mehr Kanzleisitze erlaubt. II. § 46 Abs. 1 BRAO – Das Vertretungsverbot
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§ 46 Abs. 1 BRAO verbietet es dem Syndikusanwalt für seinen Arbeitgeber/Auftraggeber vor Gerichten und Schiedsgerichten in seiner Eigenschaft als Rechtsanwalt tätig zu werden. Dies bedeutet, dass er sich nicht als Rechtsanwalt bestellen und eine Klage erheben, einen Antrag stellen oder an einer mündlichen Verhandlung teilnehmen darf.
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Zunächst stellt sich die Frage, ob diese Regelung mit der oben vertretenen Auffassung in Einklang steht, dass der Syndikusanwalt bei seinem Arbeitgeber/Auftraggeber als Rechtsanwalt anzusehen ist und als solcher tätig werden darf oder ob es verfassungsrechtliche Be1 BGH, Beschl. v. 7.2.2011 – AnwZ (B) 20/10, AnwBl. 2011, 494. 2 NJW 2004, 889. 3 Stellungnahme des Berufsrechtsausschusses des DAV v. 4.5.2012 – 42/12 (www.anwaltverein.de), s. dazu auch Ewer, AnwBl. 2011, 527. 4 S. dazu Filges, BRAK-Mitt. 2013, 201 und zur Diskussion Kury, BRAK-Mitt. 2013, 2.
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Rechtsanwälte in ständigen Dienstverhältnissen
Rz. 22 § 46 BRAO
denken gibt.1 So kann man durchaus argumentieren, dass der Rechtsanwalt als Syndikusanwalt in seiner Berufsfreiheit aus Art. 12 GG beeinträchtigt wird, wenn er auch nicht seinen Auftraggeber/Arbeitnehmer vor Gericht vertreten darf. Denn die Gründe, die für das Vertretungsverbot des § 46 Abs. 1 BRAO angeführt werden, sind schwerlich mit den überwiegenden Gründen des Gemeinwohls in Einklang zu bringen. Die immer wieder vertretene Auffassung, dass es das Vertrauen in die Unabhängigkeit des Rechtsanwalts als Vertreter seines Mandanten ist, ist in der heutigen Zeit eine schwache Begründung. Denn zum einen ist der Rechtsanwalt auch von seinem Mandanten nicht unabhängig. Er hat auch den Weisungen seines Mandanten zu folgen, anderenfalls muss er das Mandat niederlegen. Andere Möglichkeiten hat er nicht. Mit der Unabhängigkeit, gerade in Zeiten des Rückgangs der individuellen Umsätze im Rechtsberatungsmarkt, ist daher oftmals nicht sehr weit her. Zudem müsste dann auch, wie schon Redeker treffend bemerkt hat2 die Unabhängigkeit des angestellten Rechtsanwalts bezweifelt werden. Warum der bei einem Rechtsanwalt angestellte Rechtsanwalt unabhängiger sein soll, als der bei einem nichtanwaltlichen Arbeitgeber angestellte Anwalt, ist nicht nachvollziehbar.3 Man kann sogar argumentieren, dass die rechtliche Stellung des Arbeitnehmers aufgrund der kündigungsschutzrechtlichen Regelungen stärker ist, sich rechtswidrigen Weisungen zu widersetzen, als die eines unabhängigen Anwalts, der dann immer mit der Kündigung des Mandats ohne Angabe von Gründen rechnen muss. Auch die Begründungen des BGH,4 auf die insbesondere Henssler zur Begründung der Verfassungsmäßigkeit des Vertretungsverbots abstellt, entbehren einer inhaltlichen Begründung, sondern beziehen sich eher auf Allgemeinplätze. Insgesamt muss man daher sagen, dass § 46 Abs. 1 BRAO nicht im Einklang mit Art. 12 GG steht und daher verfassungswidrig ist.5 Bis zu einer entsprechenden Feststellung durch das BVerfG, die durch einen Rechtsstreit über die Vertretungsbefugnis ausgelöst werden müsste, und die leider kaum ein Syndikusanwalt führen wird, muss die Norm weiter beachtet werden. Das Vertretungsverbot des § 46 Abs. 1 BRAO knüpft an ein privates Beschäftigungsverhältnis an. Die öffentlich-rechtlichen Beschäftigungsverhältnisse sind in § 47 BRAO geregelt. Es kann sich um einen Arbeitsvertrag oder auch um einen allgemeinen Dienstvertrag handeln. Voraussetzung dafür ist, dass der Rechtsanwalt, so definiert es § 46 Abs. 1 BRAO, seine Arbeitszeit und Arbeitskraft zur Verfügung stellen muss. Daher kann unter bestimmten Umständen auch der freie Mitarbeiter unter die Regelung des § 46 Abs. 1 BRAO fallen, besonders dann, wenn der freie Mitarbeiter in die zeitlichen und organisatorischen Abläufe der ihn beschäftigenden Kanzlei eingebunden ist. Nähme man die Formulierung genau, so wären auch Dauermandate als Rechtsanwalt davon erfasst. Dies ist aber nicht der Sinn und Zweck der Regelung des § 46 Abs. 1 BRAO.
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Vom Wortlaut eindeutig erfasst ist auch ein Vertretungsverbot des angestellten Rechtsanwalts für seine Kanzlei, auch wenn dies von einem Teil der Literatur abgelehnt wird.6 Die Begründung, dass die Gefährdung der anwaltlichen Unabhängigkeit hier weit weniger ausgeprägt sein soll, ist nicht nachvollziehbar. Genauso wie das Argument, dass der Rechtsanwalt/die Kanzlei kein persönliches Interesse an der Mandatsbearbeitung und damit weniger Anlass hat, aus fachfremden Gründen sich in das Mandatsverhältnis einzugreifen,7 ist so nicht nachzuvollziehen. Es kann hier kein Unterschied zwischen dem anwaltlichen und dem nichtanwaltlichen Arbeitgeber gesehen werden. Beide können Interessen in die eine oder andere Richtung haben. Die Praxis zeigt sogar eher, dass oft der nichtanwaltliche Arbeitgeber seinem Syndikusanwalt mehr Freiheit lässt, als die Kanzlei dem angestellten Anwalt. Nach der hier vertretenen Auffassung gilt das Verbot des § 46 Abs. 1 BRAO auch für den angestellten Rechtsanwalt gegenüber seiner Kanzlei.
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Für Prozesse, in denen kein Anwaltszwang besteht, kann der Syndikusanwalt allerdings als Vertreter des Unternehmens im Rahmen einer Vollmacht zur Vertretung für den Arbeitgeber/Auftraggeber auftreten. Er ist dann als nichtanwaltlicher Vertreter tätig. Schwierigkeiten mit dem RDG gibt es dabei nicht, da er ja als Mitarbeiter des Unternehmens tätig wird.
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1 Die Hartung/Hartung, § 46 Rz. 41 erhebt, aber keine endgültige Lösung aufzeigt. Für eine Verfassungswidrigkeit spricht sich Kleine-Cosack, § 46 Rz. 17 ff. aus. 2 NJW 2004, 889. 3 NJW 2004, 889. 4 BGHZ 141, 69. 5 So auch ausdrücklich Kleine-Cosack, § 46 Rz. 17. 6 Henssler/Prütting/Henssler, § 46 Rz. 26. 7 So aber Henssler/Prütting/Henssler, § 46 Rz. 26.
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§ 46 BRAO Rz. 23
Rechtsanwälte in ständigen Dienstverhältnissen
Dies ist zum Beispiel gerade in Amts- und Arbeitsgerichtsverfahren auch in der Praxis sehr häufig der Fall, nicht nur in kleineren Unternehmen, sondern durchaus auch in Konzernen. 23
Im Anwaltsprozess muss der Arbeitgeber/Auftraggeber also einen externen Rechtsanwalt mit der Vertretung des Unternehmens/des Verbands/der Einrichtung beauftragen. Das Verbot gilt allerdings nur für den konkreten Arbeitgeber/Auftraggeber,1 also für die juristische Person/Gesellschaft, die Vertragspartner des Syndikusanwalts sind. Für ein anderes Unternehmen, für einen andere juristische Person oder aber auch eine Privatperson darf der Syndikusanwalt auftreten. Dies ergibt sich auch aus der Rechtsprechung des BVerfG2 zu § 46 Abs. 2 Nr. 1 BRAO, die auf § 46 Abs. 1 BRAO ausstrahlt.
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Erfasst von dem Begriff der anwaltlichen Tätigkeit sind sowohl die Tätigkeit als Prozessvertreter, die Beantragung von Mahn- und Vollstreckungsbescheiden, das Stellen von PKHAnträgen und die Durchführung des Vollstreckungsverfahrens. Wie weit die Verteidigung gehen kann, muss klar getrennt werden. Die Tätigkeit als Pflicht- oder Wahlverteidiger des Auftraggebers (etwa des Gesellschafters, der gesetzlichen Vertreter des Auftraggebers) ist ausgeschlossen. Zudem darf er als Verletztenbeistand nach der StPO nicht tätig werden, da dies ausdrücklich einem Anwalt vorbehalten ist. Fraglich ist, ob der Anwalt im Vor- und Ermittlungsverfahren tätig werden darf.3 Wenn man konsequent in dem Sinne der Problematik der Weisungsgebundenheit argumentiert, müsste auch diese Vertretung untersagt sein. In der Konsequenz der hier vertretenen Auffassung ist also auch die Tätigkeit im Ermittlungsverfahren vom Vertretungsverbot umfasst.
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Das Vertretungsverbot gilt nicht für eine Tätigkeit für Dritte. So auch, wenn sein Arbeitgeber ein Dachverband für eine Vielzahl von Mitgliedsunternehmen ist. Dies hat der BGH wiederholt zu Recht klargestellt.4 Somit können die Einzelverbände oder auch die einzelnen Mitglieder von dem Syndikusanwalt als Rechtsanwalt vertreten werden. Auch Arbeitnehmer des Arbeitgebers, die keine Organfunktion haben, dürfen vom Syndikusanwalt vertreten werden. Fraglich ist, ob es sehr sinnvoll ist, wenn der Syndikusanwalt dies im Zusammenhang mit betrieblichen Belangen tun sollte, denn hier kann sich sehr rasch eine Interessenkollision mit seiner Tätigkeit für den Arbeitgeber ergeben.
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Verstößt ein Rechtsanwalt gegen die Vorschrift des § 46 Abs. 1 BRAO so stellt dies einen Verstoß gegen seine beruflichen Pflichten dar. Solche Verstöße können nach den §§ 113 ff. BRAO als Verstöße gegen das Berufsrecht geahndet werden. Ein Verstoß gegen das Vertretungsverbot führt nach überwiegender Ansicht nur zu einer Nichtigkeit des zugrunde liegenden Vertrags5 nicht aber zu einer Unwirksamkeit der Prozesshandlungen, denn der Rechtsanwalt ist ja als Rechtsanwalt zugelassen und darf auftreten.6 Das Zurückweisungsrecht des § 156 Abs. 2 BRAO ist auf diesen Fall nicht anzuwenden, da dieses nur für die Verbote des § 156 Abs. 1 BRAO gilt und nur für die anwaltsgerichtlichen Maßnahmen, nicht aber für § 46 Abs. 1 BRAO gilt. Eine entsprechende Anwendung7 ist ausgeschlossen, da hier keine auslegungsbedürftige Regelungslücke besteht. III. § 46 Abs. 2 BRAO – Tätigkeitsverbot
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§ 46 Abs. 2 BRAO enthält über das Vertretungsverbot des Absatzes 1 hinaus ein Tätigkeitsverbot. Die Vorschrift will einen Rollenwechsel in beide Richtungen hin verhindern. Die Vorschrift ist alles andere als klar formuliert und bis heute in der Literatur umstritten,8 Rechtsprechung dazu ist kaum zu finden, bis auf eine Entscheidung des BVerfG.9 Nr. 1 verbietet dem Rechtsanwalt als Rechtsanwalt tätig zu werden, wenn er in derselben Tätigkeit schon als sonstiger Berater im Rahmen eines Dienstvertrags/Arbeitsvertrags tätig geworden ist. Nr. 2 sieht den umgekehrten Fall vor, dass er erst als Anwalt tätig war und dann sonstiger Berater wird. Man kann sehr gut nach dem Sinn und Zweck dieser Vorschrift fragen. Ein Rollenwechsel wird 1 Hartung/Hartung, § 46 Rz. 36; AnwG Köln, Beschl. v. 20.5.2009 – 10 EV 29/09 für Anwalt als GmbH-Geschäftsführer. 2 BVerfG, DVBl. 2002, 404. 3 Dafür Henssler/Prütting/Henssler, § 46 Rz. 30. 4 BGHZ 40, 282; zuletzt BGH, NJW 1987, 1328. 5 Henssler/Prütting/Henssler, § 46 Rz. 39. 6 So ausdrücklich OVG Magdeburg, DVBl. 2000, 140. 7 Henssler/Prütting/Henssler, § 46 Rz. 40. 8 Henssler/Prütting/Henssler, § 46 Rz. 42 und Hartung/Hartung, § 46 Rz. 43. 9 BVerfG, DVBl. 2002, 404.
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Rechtsanwälte in ständigen Dienstverhältnissen
Rz. 31 § 46 BRAO
als verboten angesehen, wie es der BGH in einer der wenigen Entscheidungen zu dieser Vorschrift vertreten hat.1 Einen Grund dafür kann man schwerlich finden, besonders weil § 45 Abs. 1 Nr. 4 BRAO hier eigentlich alles Notwendige regelt. Wie Henssler2 zu Recht ausführt, würde damit auch den Fall der beendeten Tätigkeit des Syndikusanwalts erfasst sein. Das Tätigkeitsverbot der Nr. 1 (Berater wird Rechtsanwalt) steht im deutlichen Widerspruch zu § 45 Abs. 1 Nr. 4 BRAO, der nicht aufzulösen ist. Zudem ist keinerlei Notwendigkeit zu sehen, warum dieser Wechsel verboten sein soll. Denn warum ein Rechtsanwalt, der evtl. vorher ohne Zulassung als Rechtsanwalt für ein Unternehmen tätig war, diesen als zugelassener Rechtsanwalt nicht beraten soll, ist nicht ersichtlich, denn Gründe des Gemeinwohls sind für diese massive Einschränkung der Berufsfreiheit nicht zu finden. § 46 Abs. 2 Nr. 1 BRAO ist also verfassungswidrig, da diese Regelung gegen Art. 12 GG verstößt. Zumindest ist der § 46 Abs. 2 BRAO insgesamt dahingehend auszulegen, dass nach Beendigung des Angestelltenverhältnisses eine Tätigkeit als Rechtsanwalt erlaubt ist.3 Bei der Nr. 2 geht die Einschränkung dahin, dass nur eine solche Vertragsbeziehung erfasst ist, bei der die Gefahr einer Interessenkollision besteht, § 43a Abs. 4 BRAO. Dafür sprechen auch die Ausführungen des BVerfG in seiner „Mieterverein“-Entscheidung.4 Dort hatte es das BVerfG ausdrücklich erlaubt, dass der Syndikusanwalt eines Mietervereins in derselben Sache später die beratenden Mieter als Rechtsanwalt vertritt. Damit schränkt das BVerfG ganz erheblich die Bedeutung des § 46 Abs. 2 BRAO ein. Mit der Leitlinie der Frage nach der Interessenkollision kann man nahezu alle Fälle lösen, die sich im Falle des Wechsels von der einen auf die andere Seite stellen. IV. § 46 Abs. 3 BRAO – Erstreckung der Tätigkeitsverbote auf Dritte In sich konsequent erstreckt § 46 Abs. 3 BRAO die Tätigkeitsverbote des Absatzes 2 auf Rechtsanwälte, die mit dem betroffenen Rechtsanwalt zur gemeinsamen Berufsausübung verbunden sind. Nach der oben5 vertretenen Auffassung ist die Vorschrift verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass Absatz 2 nur für die Fälle der Interessenkollision greift.
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Zur gemeinsamen Berufsausübung gehören die Sozietät (GbR), die Partnerschaftsgesellschaft, die Anwalts-GmbH und die Anwalts-AG. Nicht darunter fallen reine Bürogemeinschaften und auch Kooperationen nach § 8 BORA.6
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V. Befreiung von der Rentenversicherungspflicht, § 6 SGB VI Wer als Rechtsanwalt zugelassen wird, wird in der Regel Pflichtmitglied in einem der Rechtsanwaltsversorgungswerke. Dafür wird er, wenn er als Angestellter Pflichtversicherter ist, in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI von der Versicherungspflicht befreit. Diese Befreiung betrifft die Tätigkeit „wegen der sie Mitglied der Berufsgruppe sind“. Die Versicherung in den Rechtsanwaltsversorgungswerken ist – da es sich unter anderem um eine kapitalgedeckte Versicherung handelt – deutlich attraktiver als die Versicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung. Daher ist es das Ziel vieler angestellter Rechtsanwälte bei nichtanwaltlichen Arbeitgebern die Befreiung nach § 6 SGB VI zu erhalten. Gerade für junge Rechtsanwälte hat dies auch eine erhebliche wirtschaftliche Bedeutung. Denn als zugelassene Rechtsanwälte sind sie auf jeden Fall Pflichtmitglied in der Rechtsanwaltsversorgung und müssen, unabhängig von der Einkommenssituation, in der Regel einen Mindestbeitrag zwischen 1/10 bis 3/10 des Höchstbeitrags von 10/10 zahlen. Hinzu kommt dann noch der Beitrag für die Deutsche Rentenversicherung, also der Arbeitnehmeranteil.
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Seit Anfang 2009 sieht die Deutsche Rentenversicherung Bund (früher: Bundesversicherungsanstalt für Angestellte) bei Befreiungsanträgen sehr viel genauer hin und hat ihre Praxis ohne jede Vorankündigung geändert. Sie argumentiert, dass § 6 SGB VI eng auszulegen ist. Die Tätigkeit eines Rechtsanwalts für einen nichtanwaltlichen Arbeitgeber muss daher eine „berufstypische Tätigkeit“ sein. Ein Rechtsanwalt, der für einen nichtanwaltlichen Arbeitgeber arbeitet, muss dort eine für einen Rechtsanwalt typische Tätigkeit ausüben.7 Die-
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So wohl BGHZ 141, 69. Henssler/Prütting/Henssler, § 46 Rz. 42. Henssler/Prütting/Henssler, § 46 Rz. 42. So jetzt ausdrücklich OLG Frankfurt, AnwBl. 2009, 452. BVerfG, DVBl. 2002, 404. Rz. 27. Henssler/Prütting/Henssler, § 46 Rz. 46 – zum Begriff der Kooperation s. Huff, NJW-Spezial 2005, 429. So jetzt auch das BSG, Urt. v. 31.10.2012 – B 12 R 3/11 R – allerdings bisher nicht für Rechtsanwälte, sondern nur allgemein bei der Definition „tätigkeitsbezogen“.
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§ 46 BRAO Rz. 32
Rechtsanwälte in ständigen Dienstverhältnissen
ser Auffassung stimmt auch die sozialrechtliche Literatur zu und sieht den Syndikusanwalt als befreiungsfähig an.1 32
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Zum Hintergrund: Seit dem Juni 2005 (jetzt Stand Mai 2011) verwendet die Deutsche Rentenversicherung – in Absprache mit der Arbeitsgemeinschaft berufsständischer Versorgungseinrichtungen – ein neues Merkblatt mit Hinweisen, die Voraussetzung für die Befreiung nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI sind.2 Zu den Kriterien, nach denen sich die anwaltliche Tätigkeit von der juristischen Tätigkeit abgrenzen lässt, gehören nach Ansicht der Deutschen Rentenversicherung kumulativ die Tätigkeitsfelder Rechtsberatung, Rechtsentscheidung, Rechtsgestaltung und Rechtsvermittlung. Der Arbeitgeber ist verpflichtet für den Befreiungsantrag seines Mitarbeiters eine entsprechende Erklärung abzugeben. Diese Angaben müssen immer dann erneuert werden, wenn die Tätigkeit bei dem nichtanwaltlichen Arbeitgeber in erheblicher Weise gewechselt wird. Die Deutsche Rentenversicherung weist in ihrem Merkblatt darauf hin, dass wenn die Befreiungsvoraussetzungen tatsächlich nicht gegeben sind, nach § 28p Abs. 1 SGB IV die nicht gezahlten Pflichtbeiträge nacherhoben werden, wobei der Arbeitgeber den Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteil allein in voller Höhe zu zahlen hat. Die Verjährungsfrist beträgt hier 4 Jahre. Zurzeit nimmt die DRV bei Betriebsprüfungen sich insbesondere auch die Tätigkeiten von befreiten Rechtsanwälten unter die Lupe. Die Deutsche Rentenversicherung beschreibt die vier Merkmale wie folgt: Rechtsberatung: Die unabhängige Analyse von betriebsrelevanten konkreten Rechtsfragen, die selbständige Herausarbeitung und Darstellung von Lösungswegen und Lösungsmöglichkeiten vor dem spezifischen betrieblichen Hintergrund und das unabhängige Bewerten der Lösungsmöglichkeiten. Rechtsentscheidung: Das außenwirksame Auftreten als rechtskundiger Entscheidungsträger verbunden mit einer von Arbeitgeberseite umschriebenen eigenen Entscheidungskompetenz. Neben einer von allen Weisungen unabhängigen Alleinentscheidungsbefugnis ist auch eine wesentliche Teilhabe an Abstimmungs- und Entscheidungsprozessen im Unternehmen ausreichend. Rechtsgestaltung: das selbständige Führen von Vertrags- und Einigungsverhandlungen mit den verschiedensten Partnern des Arbeitgebers. Rechtsvermittlung: das mündliche Darstellen abstrakter Regelungskomplexe vor größeren Zuhörerkreisen, die schriftlicher Aufarbeitung abstrakter Regelungskomplexe und die Bekanntgabe und Erläuterung von Entscheidungen im Einzelfall. Mit drei Urteilen vom 3.4.20143 hat das BSG nunmehr grundsätzlich jede Befreiungsmöglichkeit für Syndikusanwälte abgelehnt: „Wer daher eine weisungsgebundene Tätigkeit ausübt, die seine ganze Arbeitskraft in Anspruch nimmt, kann überhaupt kein Anwalt sein“, heißt es dazu im Terminsbericht des BSG.4 Dabei geht das BSG davon aus, dass auch angestellte Rechtsanwälte in Kanzleien im Grundsatz nicht zu befreien sind, solange sie – wenn man den Terminsbericht richtig versteht – nicht völlig weisungsfrei gegenüber ihrem anwaltlichen Arbeitgeber sind. Die Urteile vom 3.4.2014 gehen von einem veralteten, nicht mehr zutreffenden Berufsbild aus. Sie verstoßen gegen Art. 12 GG, indem sie dem Rechtsanwalt die Möglichkeit nehmen, sich eine anwaltliche Tätigkeit mit allen Vor- und Nachteilen zu wählen, egal ob als freier Anwalt in eigener Praxis, als angestellter Rechtsanwalt in einer Kanzlei oder als angestellter Rechtsanwalt in einem Unternehmen.5 Sie werden aller Voraussicht nach verfassungsrechtlich überprüft werden. Zudem stellen sich eine Vielzahl von Übergangsfragen, die die Sozialgerichte noch lange beschäftigen werden.6 Ob es zu einem Einschreiten des Gesetzgebers kommt, ist völlig offen.
1 Grüner/Dalichau, SGB VI – Rentenversicherung, Kommentar und Rechtssammlung, Stand: 1. Dezember 2012, § 6 II Nr. 2 – Stichwort: Syndikusanwälte; Reinhardt, SGB VI, Kommentar, 2. Aufl. 2010, § 6 Rz. 4; Schmidt, in: Kreikebohm, SGB VI, 4. Aufl. 2013, § 6 Rz. 24–25, 29–32. So jetzt auch für das Sozialrecht Henssler/Prütting/Henssler, § 46 Rz. 25d. 2 S. nur Esser, AnwBl. 2007, 17; Wirges, NZS 2006, 19; Ettwig, SGb 2005, 441; Huff, NJW-Editorial H. 36/2005, S. 3; Prossliner, AnwBl. 2009, 133. 3 BSG, Urt. v. 3.4.2014 – B 5 RE 3, 9 und 13/14 R. 4 Die schriftlichen Urteilsgründe lagen bei Redaktionsschluss (22.4.2014) noch nicht vor. 5 S. dazu ausführlich Huff, Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 2.1.2014, S. 10. 6 Zu den ersten Fragen s. Huff, AuA 2014, 300 ff.
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Rz. 2 § 47 BRAO
Rechtsanwälte im öffentlichen Dienst
Zurzeit gibt es heftige Auseinandersetzungen darum, ob und wie Syndikusanwälte die vier Merkmale erfüllen1. Eine Vielzahl von Sozialgerichten haben hier durchaus unterschiedlich entscheiden, wobei die Mehrzahl davon ausgeht, dass bei einer typischen anwaltlichen Tätigkeit und der Erfüllung der vier Merkmalen die Befreiung zu erteilen ist. Zurzeit sind die Verfahren auch beim BSG angekommen2, wobei mit einer Entscheidung im Jahr 2014 zu rechnen ist. Die Anwaltschaft muss aufpassen, dass hier nicht die anwaltliche Tätigkeit nicht vom Berufsstand sondern von Sozialrichtern definiert wird.3 Dazu sollte es nicht kommen.
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im öffentlichen Dienst 47 BRAO Rechtsanwälte (1) Rechtsanwälte, die als Richter oder Beamte verwendet werden, 1
ohne auf Lebenszeit ernannt zu sein, die in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit berufen werden oder die vorübergehend als Angestellte im öffentlichen Dienst tätig sind, dürfen ihren Beruf als Rechtsanwalt nicht ausüben, es sei denn, dass sie die ihnen übertragenen Aufgaben ehrenamtlich wahrnehmen. 2Die Rechtsanwaltskammer kann jedoch dem Rechtsanwalt auf seinen Antrag einen Vertreter bestellen oder ihm gestatten, seinen Beruf selbst auszuüben, wenn die Interessen der Rechtspflege dadurch nicht gefährdet werden. (2) Bekleidet ein Rechtsanwalt ein öffentliches Amt, ohne in das Beamtenverhältnis berufen zu sein, und darf er nach den für das Amt maßgebenden Vorschriften den Beruf als Rechtsanwalt nicht selbst ausüben, so kann die Rechtsanwaltskammer ihm auf seinen Antrag einen Vertreter bestellen. (3) (weggefallen) A. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . .
1
B. Zweck der Norm . . . . . . . . . . . .
4
C. Kommentierung . . . . . . . . . . . . I. Rechtsanwälte im öffentlichen Dienst (§ 47 Abs. 1 BRAO) . . . . . . . . . . . 1. Betroffene Beschäftigungen . . . . . . . a) Richter und Beamter . . . . . . . . b) Soldat auf Zeit . . . . . . . . . . . c) Vorübergehende Tätigkeit als Angestellter im öffentlichen Dienst . . 2. Verbot, den Beruf auszuüben . . . . . . 3. Rechte während des Ruhens der Zulassung 4. Pflichten des Rechtsanwalts während des Ruhens der Zulassung . . . . . . .
6 6 6 8 9 10 18 19
II. Ausnahmen vom Ausübungsverbot (§ 47 Abs. 1 S. 2 BRAO) . . . . . . . 1. Antragserfordernis . . . . . . . . . 2. Antragsunterlagen . . . . . . . . . 3. Ermessensentscheidung der Rechtsanwaltskammer . . . . . . . . . . 4. Tätigkeit des Anwalts und des Vertreters . . . . . . . . . . . . . . . . III. Rechtsanwälte als Träger eines öffentlichen Amts (§ 47 Abs. 2 BRAO) . . . 1. Schutzzweck . . . . . . . . . . . 2. Öffentliche Ämter . . . . . . . . . 3. Vertreterbestellung . . . . . . . .
. . . . . .
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A. Allgemeines § 47 BRAO in der jetzt geltenden Fassung4 regelt zwei in der anwaltlichen Praxis wichtige Fälle: Die vorübergehende Tätigkeit im öffentlichen Dienst (§ 47 Abs. 1 BRAO) und die Übernahme eines öffentlichen Amts (§ 47 Abs. 2 BRAO). War früher die vorübergehende Tätigkeit im öffentlichen Dienst eher die Ausnahme, so hat diese Form der Tätigkeit in der letzten Zeit an Bedeutung gewonnen. So wurden z.B. Behörden nur für eine bestimmte Zeit oder eine bestimmte Aufgabe (Treuhandanstalt, Soffin) eingerichtet. Dass hier keine Einstellung neuer Mitarbeiter auf Dauer vorgenommen werden sollte, ist verständlich. Zudem nutzen auch die Behörden immer mehr die Möglichkeiten des Arbeitsrechts aus, etwa im Rahmen des TzBfG, um einen effektiven Personaleinsatz vorzunehmen. Diese Entwicklung wirft auch neue Fragen für die Anwendung des § 47 Abs. 1 BRAO auf. Hinzu kommt noch die Entwicklung, dass der öffentliche Dienst immer mehr Stellen durch Teilzeitbeschäftigte besetzt, es also auch um die Frage geht, wie viele Berufe ein Bürger ausüben darf und unter welchen Voraussetzungen ihm Reglementierungen auferlegt werden dürfen.
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Dagegen haben sich die Abläufe bei § 47 Abs. 2 BRAO mittlerweile eingespielt. So lassen Rechtsanwälte, die Staatssekretäre oder Minister werden, ihre Zulassung ruhen und vermerken dies nicht mehr nur auf den Briefbögen ihrer Kanzlei, sondern treten nahezu „werbend“
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1 S. dazu den aktuellen Überblick von Huff, BRAK-Mitt. 2013, 215 mit Verweisen auf die ergangenen Entscheidungen und die entsprechende Literatur. 2 Aktenzeichen B 5 RE 5, 9, 13, 14, 15/14. 3 Huff, BRAK-Mitt. 2013, 215. 4 Geändert durch Gesetz v. 26.3.2007 (BGBl. I, S. 358).
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damit auf. Dass dies immer unproblematischer wird, liegt auch daran, dass viele dieser Anwälte bereits Sozietäten angehören, so dass das vorübergehende Ruhen der Zulassung ohne Schwierigkeiten aufgefangen werden kann. 3
§ 47 Abs. 1 S. 2 und Abs. 2 BRAO beschreiben daher die Möglichkeit, bei einer bestimmten eigentlich mit dem Anwaltsberuf unvereinbaren aber vorübergehenden Tätigkeit den Beruf des Rechtsanwalts „nicht auszuüben“ aber Rechtsanwalt zu bleiben und die Zulassung nicht zu verlieren. Allgemein wird dies auch als die Möglichkeit des „Ruhens“ der Zulassung verstanden, auch wenn dieser Begriff im Gesetz nicht auftaucht.1 Die Verwendung der Bezeichnung „Ruhen“ wäre aber klarer und würde für weniger Missverständnisse bei der Anwendung der Norm sorgen. Ruhen bedeutet, dass der Rechtsanwalt seine Rechte aus § 3 BRAO für eine bestimmte Zeit nicht wahrnimmt. Als Ausnahme (§ 47 Abs. 1 S. 2 BRAO) wird dem Anwalt die Möglichkeit eingeräumt, weiterhin trotz einer Beschäftigung im öffentlichen Dienst, als Anwalt tätig bleiben zu dürfen oder einem Vertreter die Tätigkeit in seiner Kanzlei zu überlassen. B. Zweck der Norm
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§ 47 BRAO beruht direkt auf dem Grundrecht des Art. 12 GG,2 der Berufsfreiheit. Rechtsanwälten, die nur vorübergehend entweder als Angestellte oder im Rahmen eines besonderen Amts im öffentlichen Dienst tätig sind, sollen vor unzumutbaren Rechtsnachteilen bewahrt werden.3 Denn würden sie mit dem Eintritt in den öffentlichen Dienst sofort ihre Zulassung verlieren (§ 14 Abs. 2 Nr. 5 und Nr. 8 BRAO), hätte dies ganz erhebliche Nachteile.4 § 47 BRAO stellt somit unter bestimmten Umständen eine Privilegierung des Anwalts in bestimmten Beschäftigungsverhältnissen, entweder bis zu einer dauerhaften Verbeamtung oder Ernennung zum Richter auf Lebenszeit oder aber bei einer vorübergehenden Tätigkeit dar. Das geringste Problem ist es, nach der Tätigkeit im öffentlichen Dienst die Zulassung wieder zu erhalten. Die Rechtsanwaltskammern lassen in der Regel Rechtsanwälte, die mit vollständigen Unterlagen ihre Zulassung beantragen, in kürzester Zeit zu (meist 2–3 Wochen). Bedeutsamer ist jedoch, dass mit dem Verzicht/dem Widerruf der Zulassung bei einer Tätigkeit im öffentlichen Dienst die Mitgliedschaft im zuständigen Versorgungswerk der Rechtsanwälte endet. Dabei ist hier aber zu beachten, dass die Sozialversicherungsbeiträge aus der Angestelltentätigkeit in der Regel nicht in das Versorgungswerk fließen können, sondern an die Deutsche Rentenversicherung Bund abzuführen sind. Denn Voraussetzung für eine Abführung an das Versorgungswerk ist nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI, dass es sich bei der Tätigkeit im öffentlichen Dienst um eine „anwaltliche Tätigkeit“ handelt.5 Dies ist bei der Richter- oder Beamtentätigkeit nicht gegeben. Aber auch bei der Angestelltentätigkeit ist dieser Nachweis nicht einfach zu führen.6 In den meisten Tätigkeiten im öffentlichen Dienst wird diese „anwaltliche Tätigkeit“ nicht im Vordergrund stehen. Somit kann sich die Mitgliedschaft im Versorgungswerk sogar als Belastung darstellen, denn der Mindestbeitrag muss auch in der Zeit des „Ruhens der Zulassung“ weiter entrichtet werden.7 Zudem geht mit dem Verzicht auch die Fachanwaltsbezeichnung verloren und muss nach der Zulassung wieder erworben werden, je nach Zeitdauer der Nichtzulassung eventuell auch im theoretischen Teil, was mit erheblichem Zeit- und Geldaufwand verbunden ist. Zudem müssen auch wieder die entsprechenden Fallzahlen nachgewiesen werden. Bei einem Ruhen bleibt der Fachanwaltstitel erhalten. Dies gebietet auch der Grundsatz der Gleichbehandlung. Denn auch bei einem Rechtsanwalt, dessen Tätigkeit nicht ruht, wird nicht nachgeprüft, ob er auf dem Fachanwaltsgebiet überhaupt tätig ist. Allerdings ist zur Erhalt der Fachanwaltsbezeichnung auch die Erfüllung der Fortbildungspflicht nach § 15 FAO erforderlich.
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§ 47 BRAO ist daher als Ergebnis einer Güterabwägung anzusehen. Auf der einen Seite steht die mögliche Interessenkollision zwischen der Tätigkeit im öffentlichen Dienst8 und der 1 Nur § 104 BVerfGG kennt den Begriff des Ruhens für einen Rechtsanwalt, der zum Richter des BVerfG gewählt wird. 2 So noch einmal ausdrücklich BVerfG, NJW 2007, 2317 und Beschl. v. 30.6.2009 – 1 BvR 893/09, das den Widerruf der Zulassung bei Tätigkeiten im öffentlichen Dienst verfassungsrechtlich als unbedenklich angesehen hat. S. Dahns, NJW-Spezial 2009, 590. 3 So auch Feuerich/Weyland/Böhnlein, § 47 Rz. 2. 4 Die Regelung des § 14 Abs. 2 Nr. 5 BRAO verstößt auch nicht gegen europäisches Recht und ist insgesamt weiter verfassungsgemäß, S. dazu BGH, Beschl. v. 10.10.2011 – AnwZ (B) 10/10. 5 Zu den Diskussionen s. § 46 BRAO Rz. 30 und Huff, BRAK-Mitt. 2013, 215. 6 S. ausführlich zu den notwendigen Voraussetzungen beim Unternehmensanwalt s. § 46 BRAO Rz. 30 ff. 7 S. Rz. 22. 8 S. dazu § 7 Nr. 8 und 10, § 14 Abs. 2 Nr. 5 und 8 BRAO.
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Rz. 10 § 47 BRAO
Tätigkeit als unabhängiger Rechtsanwalt.1 Wer endgültig im öffentlichen Dienst tätig ist, kann nicht als Rechtsanwalt zugelassen sein.2 Verzichtet er nicht auf die Zulassung, so muss die zuständige Rechtsanwaltskammer die Zulassung widerrufen. Handelt es sich dagegen nur um eine vorübergehende Tätigkeit, muss abgewogen werden, ob von dem Rechtsanwalt erwartet werden kann, dass er auf seine Zulassung verzichtet oder ob das Ruhen ausreichend ist. C. Kommentierung I. Rechtsanwälte im öffentlichen Dienst (§ 47 Abs. 1 BRAO) 1. Betroffene Beschäftigungen § 47 Abs. 1 BRAO kennt drei unterschiedliche Anwendungsbereiche, in denen zugelassene Rechtsanwälte im öffentlichen Dienst beschäftigt werden:
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– als Richter oder Beamte, die nicht auf Lebenszeit ernannt sind; – als Soldaten in einem Dienstverhältnis auf Zeit; – als vorübergehende Angestellte im öffentlichen Dienst. Gemeinsam ist allen drei Tätigkeiten, dass sie ein festes Beschäftigungsverhältnis, also einen Arbeits- oder Dienstvertrag oder eine entsprechende Ernennung voraussetzen. § 47 Abs. 1 S. 1 BRAO ist nicht anwendbar bei einer freien Mitarbeit, die etwa auf einem Dienstvertrag außerhalb eines Arbeitsvertrags oder einem Werkvertrag beruhen kann, etwa die Mitarbeit an einem bestimmten Projekt. Für die Abgrenzung gelten hier die gleichen Grundsätze wie für die Abgrenzung zwischen Angestelltentätigkeit und freiberuflicher Tätigkeit, als z.B. Eingliederung in den Betrieb, Weisungsbefugnis, Bestimmung der Arbeitszeit etc.
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a) Richter und Beamter Wer unter diesen Begriff fällt, bestimmt sich nach den entsprechenden Gesetzen, wie etwa den Beamtengesetzen und dem Deutschen Richtergesetz. Aber auch Beamte nach den Vorschriften der Europäischen Union und anderer zwischenstaatlicher und überstaatlicher Einrichtungen sind darunter zu verstehen (z.B. Art. 238 EG-Vertrag). Gerade in der Zeit der Erprobung kann ein Bedürfnis des Beamten/Richters bestehen, nicht sofort auf seine Rechte aus der Zulassung zu verzichten, sondern sich in dieser Zeit, die meist am Anfang des Berufslebens steht, klar zu werden, wie der weitere Berufsweg aussehen soll. Das gleiche gilt für Beamte auf Zeit, wie zum Beispiel bei Juniorprofessoren, die nur auf Zeit eingestellt werden.3 Daher spricht die Interessenabwägung, die nach Art. 12 GG notwendig ist, für eine „Zwischenlösung“ zwischen aktiver Anwaltstätigkeit und Verzicht auf die Zulassung.4 Dabei benötigt der Richter oder Beamte für die Dauer des Ruhens seiner Tätigkeit auch keine Nebentätigkeitsgenehmigung oder Freistellungserklärung. Denn er darf ja (s. unten) gerade nicht als Anwalt tätig sein. Die Vorschrift des § 47 Abs. 1 S. 1 BRAO ist nur für die Zeit bis zur Verbeamtung auf Lebenszeit anwendbar. Sobald die Verbeamtung auf Lebenszeit erfolgt, ist die Zulassung zu widerrufen (§ 14 Abs. 2 Nr. 5 BRAO).
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b) Soldat auf Zeit Was darunter zu verstehen ist, regeln die §§ 1, 4, 37 ff. SoldatenG. Für den Soldaten gelten die gleichen Grundsätze wie oben für die Beamten und Richter beschrieben.
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c) Vorübergehende Tätigkeit als Angestellter im öffentlichen Dienst Hier müssen für eine Pflicht zur Nichtausübung des Berufs zwei Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen: Es muss sich um eine Tätigkeit im öffentlichen Dienst handeln und diese Tätigkeit darf nur vorübergehend sein. Dabei ist zunächst zu prüfen, ob es sich um eine Tä1 S. nur BGH, BRAK-Mitt. 1992, 217 und 1995, 125. 2 So schon BGHZ 49, 238, eine Entscheidung, die bis heute Gültigkeit hat. 3 S. dazu auch AnwGH Hamm, KammerForum 2009, 55 – hier wollte der Professor aber aktiver Rechtsanwalt bleiben (§ 47 Abs. 1 S. 2 BRAO), was der AnwGH ablehnte. Der BGH (Beschl. v. 21.7.2009 – AnwZ (B) 50/09 verwarf die Beschwerde als unzulässig. Das BVerfG (Beschl. v. 30.6.2009 – 1 BvR 893/09) hat die Verfassungsbeschwerde nicht angenommen; dazu Dahns, NJW-Spezial 2009, 590. 4 S. Rz. 4. Zur Frage der Mitgliedschaft im Versorgungswerk in diesen Fällen s. VGH Mannheim, Urt. v. 19.11. 2009 – 9 S 2931, NJW 2010, 2375.
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tigkeit im öffentlichen Dienst handelt. Liegt diese schon nicht vor, muss man sich mit dem umstrittenen Merkmal des „vorübergehend“ nicht mehr auseinandersetzen. 11
Unter einer Tätigkeit im „öffentlichen Dienst“ versteht man die Anstellung bei einer juristischen Person des öffentlichen Rechts, entweder nach deutschem oder nach europäischem Recht. Umfasst sind aber auch Beamte zwischenstaatlicher Organisationen, wenn die Mitarbeiter dort in einem nach deutschem Verständnis beamtenähnlichen Status beschäftigt sind. Umfasst sind dabei alle klassischen Behörden, selbstverständlich auch neu errichtete, wie etwa die Bundesnetzagentur, die Treuhandanstalt1 aber auch eigenständige Körperschaften, wie Berufsgenossenschaften, Kammern oder Anstalten des öffentlichen Rechts (etwa Versorgungsbetriebe für Wasser etc.). Dabei ist für das BVerfG die Staatsnähe ausschlaggebend, so dass andere öffentlich-rechtliche Tätigkeiten wie für eine Kirche nicht immer unter den Anwendungsbereich des § 47 BRAO (§ 7 Nr. 8 und 10, § 14 Abs. 2 Nr. 5 und Nr. 8 BRAO) fallen.2
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Unter der „Tätigkeit“ im öffentlichen Dienst ist jede Tätigkeit zu verstehen. Bestimmte „hoheitliche“ Tätigkeiten muss der Rechtsanwalt nicht ausüben.3 Für die Anwendung des § 47 Abs. 1 S. 1 BRAO reichen also auch Tätigkeiten aus, die nicht der Qualifikation des Anwalts als Volljuristen i.S. des DRiG entsprechen müssen, wie z.B. die Tätigkeit als Sachbearbeiter.
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Voraussetzung für die Einschränkung des § 47 Abs. 1 S. 1 BRAO ist aber auch eine feste Anstellung, also der Abschluss eines Dienstvertrages. Daher fallen Tätigkeiten als Honorarprofessor, Lehrbeauftragte an Universitäten, Fachhochschulen und sonstigen Bildungseinrichtungen nicht unter den Begriff der Anstellung4. Das Gleiche gilt auch für die Ernennung zum Arbeitsgemeinschaftsleiter im Rahmen der Referendarausbildung, da es sich hier ebenfalls um keine Anstellung handelt.
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Um überhaupt zur Anwendung der „Privilegierung“ des § 47 Abs. 1 S. 1 BRAO gegenüber den Vorschriften der § 7 und § 14 BRAO (Nichtzulassung, Widerruf der Zulassung) zu gelangen, darf die Tätigkeit im öffentlichen Dienst nur „vorübergehend“ sein. Leider enthält das Gesetz keine Definition was darunter zu verstehen ist. Auch die Rechtsprechung hat bisher auch in der immer wieder zitierten Entscheidung vom 4.1.19685 nur eine Abgrenzung zu unbefristeten Beschäftigung vorgenommen und festgestellt, dass eine Festanstellung im öffentlichen Dienst, die zwar gekündigt werden kann aber nicht befristet ist, keine vorübergehende Tätigkeit darstellt. Getragen war diese Entscheidung auch von dem Gedanken, dass die Zulassung in der Regel nicht so einfach zu erlangen ist. Diese Gedanken sind gut vierzig Jahren nach der Entscheidung des BGH weitgehend überholt. Die Zulassung durch die Rechtsanwaltskammern erfolgt heute in der Regel bei Vorliegen aller Unterlagen in der Regel innerhalb weniger Wochen.
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Doch damit ist sowohl den betroffenen Rechtsanwälten wie den Rechtsanwaltskammern wenig geholfen. Auch die Feststellung, dass ein auf bestimmter Zeit geschlossener Vertrag im öffentlichen Dienst immer als vorübergehend anzusehen ist,6 ist so ohne weiteres nicht zutreffend. Denn diese Argumente werden zum Teil wörtlich aus der Entscheidung des BGH aus dem Jahr 19687 entnommen. Zu fragen ist daher nach dem Sinn und Zweck des Begriffs. In Abgrenzung zu der dauerhaften Beschäftigung im öffentlichen Dienst sollte demjenigen, der nur kurzfristig im öffentlichen Dienst arbeitet, nicht die Möglichkeit genommen werden, ohne Schwierigkeiten in den Anwaltsberuf zurück zu kehren und an seine frühere Tätigkeit ohne neues Zulassungsverfahren anzuknüpfen. Auch soll damit eine Unsicherheit abgefedert werden, die sich aus einer befristeten Tätigkeit ergibt. Auf der anderen Seite darf durch mehrere befristete Verträge auch kein Ungleichgewicht zu denjenigen geschaffen werden, die unbefristet, aber mit der drohenden Möglichkeit der Kündigung, beschäftigt sind, aber die Zulassung mit der Anstellung verlieren. Im Ergebnis spricht Vieles dafür, für das Merkmal „vorübergehend“ nicht an die Höchstdauer des § 14 TzBfG von zurzeit zwei Jahren ohne sachlichen Grund anzuknüpfen. Hier sind ja auch erneute Befristungen aus sachlichen Gründen nicht ausgeschlossen. Daher hat der Gesetzgeber auch nicht den Begriff „befristet“, sondern „vorübergehend“ gewählt. Damit ist unter vorübergehend eine Tätigkeit zu verstehen, die nur eine Zwischenstation im beruflichen Lebensweg beschreibt. Nicht gemeint sind da1 BGH, BRAK-Mitt. 1993, 219. 2 BVerfG, NJW 2007, 2317 zum Kirchenbeamten, der nicht in der Nähe zum Staat ist. 3 So auch Feuerich/Weyland/Böhnlein, § 47 Rz. 6; AGH Hamm, Kammererforum 2009, 118; BGH, NJOZ 2003, 2732. 4 So auch Hartung/Hartung, § 47 Rz. 17. 5 BGHZ 49, 238. 6 Feuerich/Weyland/Böhnlein, § 47 Rz. 10; Henssler/Prütting/Henssler/Schaich, § 47 Rz. 9 f. 7 BGHZ 49, 238.
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Rz. 19 § 47 BRAO
bei Wechsel in den öffentlichen Dienst, die zwar vom Verständnis her endgültig sind, nicht aber von der vertraglichen Situation. Als vorübergehend sind daher Verträge bis zu einer Höchstdauer von einem Jahr anzusehen. Bei Tätigkeiten die darüber hinausgehen, kann von vorübergehend nur dann gesprochen werden, wenn eine Fortsetzung über den Beendigungszeitpunkt hinaus tatsächlich ausgeschlossen ist und dies auch vom Arbeitgeber bestätigt wird. Da dies in der Regel nicht der Fall ist, sind Beschäftigungen von über einem Jahr nicht mehr als vorübergehend anzusehen. Bei solchen Verträgen muss sich der Rechtsanwalt – was ihm auch zuzumuten ist – sich entscheiden, ob er sie eingehen oder doch lieber die Zulassung behalten will. Es macht einfach keinen Sinn, dass bei einer Vielzahl von Rechtsanwälten die Zulassung ruht, weil sie einer anderen Beschäftigung nachgehen.1 Nicht abschließend geklärt ist auch, ob unter der vorübergehenden Tätigkeit auch die Tätigkeit in der Probezeit im öffentlichen Dienst fällt. Denn nahezu bei allen Angestellten im öffentlichen Dienst wird heute eine Probezeit vereinbart. Sie beträgt im Regelfall sechs Monate. Sähe man die Vorschrift des § 7 Nr. 8 BRAO als strikte Regelung an, so müsste der Angestellte im öffentlichen Dienst sofort auf seine Rechte aus der Zulassung verzichten oder aber die Rechtsanwaltskammer müsste die Zulassung widerrufen. Dies kann aber gerade im Hinblick auf die Regelung des § 47 BRAO zu ungerechten Ergebnissen führen. Wer zunächst befristet auf sechs Monate beschäftigt ist und dann unbefristet übernommen wird, kann die Vorteile des § 47 Abs. 1 S. 1 BRAO in Anspruch nehmen, wer eine Probezeit hat, nach deren Ablauf er ebenfalls unbefristet beschäftigt ist, muss sofort die Zulassung aufgeben. Dieses Ergebnis ist unbillig. Für die Dauer einer Probezeit fällt also der Angestellte ebenfalls unter § 47 Abs. 1 S. 1 BRAO. Er muss also in dieser Zeit die Zulassung ruhen lassen, wenn nicht die Voraussetzungen des § 47 Abs. 1 S. 2 BRAO gegeben sind.
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Das Ruhen ist auch deshalb der richtige Weg in diesen Fällen, weil ansonsten der Arbeitgeber eine für die Tätigkeit im Sinne des § 46 BRAO2 erforderliche unwiderufliche Freistellungserklärung abgeben müsste. Gerade bei Beschäftigungen im öffentlichen Dienst darf nach den beamtenrechtlichen und tarifvertragsrechtlichen Vorschriften eine solche Erklärung eigentlich überhaupt nicht abgegeben werden, denn sie widerspricht den entsprechenden Vorschriften.3
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Nicht erfasst sind ehrenamtliche Tätigkeiten des Rechtsanwalts. Die Ausübung eines Ehrenamts ist etwas anderes als die „normale“ angestellte Tätigkeit. Doch diese Fälle sind bisher noch nicht praktisch geworden, weil es kaum ehrenamtliche Tätigkeiten im öffentlichen Dienst gibt.
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2. Verbot, den Beruf auszuüben Wenn die Voraussetzungen des § 47 Abs. 1 S. 1 BRAO erfüllt sind, unterliegt der Rechtsanwalt einem Tätigkeitsverbot als Rechtsanwalt, auch wenn er seine Zulassung (§§ 4, 12 BRAO) behält.4 Es ist ihm untersagt als Rechtsanwalt tätig zu werden oder aber seine Tätigkeit durch einen Vertreter ausführen zu lassen. Ihm steht das Recht zur Rechtsberatung (§ 3 BRAO) nicht mehr zu. Er bleibt zwar in das Rechtsanwaltsverzeichnis (§ 31 BRAO) eingetragen, dort sollte aber, auch wenn dies unter den Rechtsanwaltskammern nicht unumstritten ist, „Zulassung ruht“ aufgenommen werden. Dies dient der Klarheit des Verzeichnisses.5 Die Klarheit des Verzeichnisses und der Verbraucherschutz machen dies meines Erachtens erforderlich.
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3. Rechte während des Ruhens der Zulassung Während der Zeit des Ruhens der Zulassung darf der Rechtsanwalt die Berufsbezeichnung weiter verwenden, er muss aber auf das Ruhen hinweisen, um im Rechtsverkehr nicht den Eindruck zu erwecken, er dürfe nach § 3 BRAO tätig werden.6 Dies gilt sowohl für den Einzelanwalt wie auch für das Mitglied einer Bürogemeinschaft oder einer Sozietät etc. So ist es dem Einzelanwalt gestattet, seinen bisherigen Kanzleibriefbogen mit dem Zusatz „Zulassung ruht“ für Schriftverkehr außerhalb der anwaltlichen Tätigkeit zu verlangen. Bei Sozietäten darf der Name des Anwalts weiter geführt werden, nur ist auch hier der Zusatz „Zulassung ruht“ not1 2 3 4 5 6
So jetzt auch Hartung/Hartung, § 47 Rz. 19. S. § 46 BRAO Rz. 8 ff. S. zum Nebentätigkeitsrecht nur Schnelle/Hopkins, NVwZ 2010, 1333. S. Rz. 3. S. dazu auch die Diskussion bei der BRAO-Novelle 2009, s. BT-Drs. 16/11385, S. 65 (Anlage 4). So auch Hartung/Hartung, § 47 Rz. 33.
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wendig aber vom BGH auch zu Recht als ausreichend und nicht wettbewerbswidrig angesehen worden.1 Zudem darf der Rechtsanwalt weiterhin an der Kanzlei beteiligt bleiben und auch Einnahmen erzielen, die etwa aus früheren Mandaten etc. herrühren.2 Es wäre verfassungsrechtlich bedenklich, den Rechtsanwalt für den „vorübergehenden Zustand“ des Ruhens der Zulassung zu einem Verkauf etc. zu verpflichten. Denn damit wäre die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG berührt. Ob eine Verpachtung3 der richtige Weg ist, darf bezweifelt werden. Zulässig ist er auf jeden Fall. Nur darf keine aktive Mitwirkung in dem Kanzleibetrieb erfolgen. 4. Pflichten des Rechtsanwalts während des Ruhens der Zulassung 20
Ruht die Zulassung des Rechtsanwalts sowohl nach § 47 Abs. 1 oder Abs. 2 BRAO, so treffen den Rechtsanwalt dennoch einige Pflichten, weil er weiterhin als Rechtsanwalt zugelassen ist. Dies ist auch sachgerecht, denn es steht alleine in der Entscheidung des Rechtsanwalts, ob er den Antrag auf Ruhen der Zulassung stellt oder ob er auf die Rechte aus der Zulassung verzichtet. Daher treffen ihn in dieser Zeit auch die Pflichten aus der BRAO und BORA, es sind grundsätzlich auch berufsrechtliche Verfahren möglich. Er unterliegt für berufsrechtliche Verstöße (vor und während des Ruhens), auch weiterhin dem Rügerecht des Vorstands (§ 74 BRAO) und der Anwaltsgerichtsbarkeit (§ 113 BRAO).4 Der Rechtsanwalt ist weiterhin verpflichtet:
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– seinen Kammerbeitrag zu entrichten;5 – seine Haftpflichtversicherung nach § 51 BRAO aufrechtzuerhalten,6 weil nur so der umfassende Schutz des Rechtssuchenden gewährt werden kann, wie der BGH im Anschluss an die Literatur zu Recht ausführt;7 – wenn er Fachanwalt ist, seiner Fortbildungspflicht nach § 15 FAO nachzukommen. II. Ausnahmen vom Ausübungsverbot (§ 47 Abs. 1 S. 2 BRAO) 22
§ 47 Abs. 1 S. 2 BRAO beschreibt zwei Ausnahmen vom grundsätzlichen Ausübungsverbot, nämlich die Erlaubnis weiter tätig bleiben zu dürfen oder aber einen Vertreter zu bestellen, um den Kanzleibetrieb aufrecht zu erhalten. Es handelt sich hier ebenfalls wieder um einen Ausfluss des Grundsatzes, dass nur nach den überwiegenden Grundsätzen des Gemeinwohls in die Berufsfreiheit eingegriffen werden darf. Starre Regelungen sollen im Kernbereich der beruflichen Tätigkeiten vermieden werden. Daher kann die Rechtsanwaltskammer auf Antrag Ausnahmen von dem Grundsatz des Ruhens/Tätigkeitsverbots gestatten. 1. Antragserfordernis
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Erforderlich ist immer ein konkreter Antrag des Rechtsanwalts, der zu begründen ist. In diesem Antrag muss der Rechtsanwalt darlegen, warum er entweder eine Vertreterbestellung beantragt oder aber selber tätig bleiben möchte. Es ist an ihm, die Unterschiede seiner Tätigkeit zu den klassischen Tätigkeiten im öffentlichen Dienst darzulegen und zu argumentieren, warum die gesetzlich vermutete Interessenkollision nicht gegeben ist. Vor der Antragstellung darf der Rechtsanwalt, der im öffentlichen Dienst tätig ist, seine Tätigkeit nicht weiter ausüben, denn die Rechtsfolgen des § 47 Abs. 1 S. 1 BRAO treten im Moment der Aufnahme der Tätigkeit im öffentlichen Dienst ein, während die Ausnahme des Satzes 2 zwingend mit einer Antragstellung verknüpft ist. Verstöße gegen die Antragspflicht können berufsrechtlich geahndet werden. Zudem verletzt der Anwalt, der der Rechtsanwaltskammer nicht umgehend seine Nebentätigkeit mitteilt, seine Pflichten aus § 56 Abs. 2 Nr. 1 BRAO. 2. Antragsunterlagen
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Zur Prüfung des Antrags sind der Rechtsanwaltskammer verschiedene Unterlagen vorzulegen. Notwendig ist die Vorlage des Arbeitsvertrags, einer vom Arbeitgeber formulierten 1 2 3 4 5 6 7
BGH, NJW 1997, 3238, hier hatte der Wettbewerbssenat des BGH keinerlei Bedenken geäußert. So auch Feuerich/Weyland/Böhnlein, § 47 Rz. 33. Zuck, NJW 1993, 3118. So auch Hartung/Hartung, § 47 Rz. 35. EGH Schleswig-Holstein, BRAK-Mitt. 1981, 35. So zuletzt BGH, BRAK-Mitt. 2006, 137. BGH, BRAK-Mitt. 2006, 137; Feuerich/Weyland/Böhnlein, § 47 Rz. 14.
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und unterzeichneten Stellenbeschreibung, soweit sich die genaue Tätigkeit nicht aus dem Arbeitsvertrag ergibt, was aber gerade im öffentlichen Dienst nicht der Regelfall ist. Vorzulegen ist auch eine umfassende Freistellungserklärung des Arbeitgebers/Dienstherrn, wie es für alle Rechtsanwälte mit einer Nebentätigkeit erforderlich ist.1 Dabei muss diese Erklärung umfassend sein, sie muss insbesondere die Unwiderruflichkeit der Erklärung erhalten, die allerdings oft im Gegensatz zu den Beamtengesetzen und dem DRiG steht und meist unwiderruflich gar nicht erteilt werden darf. Außerdem sieht das Nebentätigkeitsrecht2 oft eine Beschränkung der Nebentätigkeit auf einen gewissen Stundenumfang (etwa 8 Stunden pro Woche) vor, was ebenfalls nicht hinzunehmen ist.3 Wird sie trotzdem erteilt, so geht die individuelle Erklärung dem öffentlichen Recht in der Außenwirkung vor. Der Rechtsanwaltskammer kann nicht zugemutet werden, hier Aufklärungsarbeiten zu leisten, wie ein eventuelles Spannungsverhältnis aufzulösen ist. Zudem muss auch die Regelung, dass das jederzeitige Verlassen der Arbeitsstätte zur Wahrnehmung anwaltlicher Tätigkeiten enthalten sein. Verweisungen auf die Wahrnehmung innerhalb bestimmter Gleitzeiten oder Anwesenheitszeiten (Teilzeitbeschäftigte) können nicht akzeptiert werden. Ein Anwalt muss als Anwalt jederzeit tätig sein können. Auch hier kollidiert oft das Dienstrecht mit der Zulassung als Rechtsanwalt.
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3. Ermessensentscheidung der Rechtsanwaltskammer Liegen die Unterlagen vor, muss die Rechtsanwaltskammer im Rahmen ihres Ermessens über den Antrag entscheiden. Ausgangspunkt für die Prüfung ist dabei ein Regel-/Ausnahmeverhältnis. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass in der Regel eine Tätigkeit im öffentlichen Dienst nicht mit der Anwaltstätigkeit in Einklang zu bringen ist. Eine Ausnahme kann gelten, „wenn die Interessen der Rechtspflege dadurch nicht gefährdet werden“. Daher gelten hier die gleichen Überlegungen wie bei den Fragen der Zulassung, allerdings mit der Maßgabe, dass zugunsten des Anwalts von einer vorübergehenden und keiner auf Dauer angelegten Tätigkeit auszugehen ist. Gefährdet sind die Interessen der Rechtspflege, wenn Interessenkollisionen und das Vertrauen in die Unabhängigkeit des Anwalts gefährdet sind. Beispiel: Ein Rechtsanwalt, der auch Fachanwalt für Arbeitsrecht ist, wird von der Bundesagentur für Arbeit (eindeutig eine Behörde) für die Bearbeitung von Widerspruchsbescheiden eingestellt. Hier kollidieren die Interessen als freier Rechtsanwalt mit denen des hoheitlich tätigen Angestellten oder Beamten, der über staatliche Gelder zu entscheiden hat. Hier darf zwar beim Vorliegen einer vorübergehenden Tätigkeit4 seine Zulassung ruhen, aber seine Tätigkeit als Anwalt sowohl durch eine eigene Tätigkeit als auch durch die eines Vertreters ist nicht gestattet. Zum einen ergeben sich Zweifel an der Unabhängigkeit des Anwalts, wenn er auf dem gleichen Gebiet weiter tätig ist, zum anderen verschafft er sich auch einen Vorteil (kennt das Amt, kennt die Tricks) in der Außenwahrnehmung, die mit der Stellung eines Rechtsanwalts nicht in Einklang zu bringen ist.5 Zu Recht hat daher der AnwGH Hamm die Tätigkeit eines Juniorprofessors als Beamter auf Zeit als unvereinbar mit der Tätigkeit angesehen. Da der Professor in seiner Tätigkeit und seinen Berufspflichten in besonderem Maße hoheitlich tätig ist, ist die Tätigkeit als aktiver Anwalt mit seiner Beamtentätigkeit nicht vereinbar.6 Eine Ausnahme wird in der Rechtsprechung in der Regel bei wissenschaftlichen Mitarbeitern an Hochschulen gemacht.7 Dabei kommt es auch hier, wie bei dem Juniorprofessor, auf die konkrete Ausgestaltung der Stelle an. Denkbar ist allerdings die Tätigkeit als Rechtsanwalt dann zu gestatten, wenn der Rechtsanwalt sich im Sonderurlaub oder in der Elternzeit befindet, denn hier liegen die oben beschriebenen Interessenkollisionen meist nicht vor. Wobei noch nicht abschließend geklärt ist, ob die Ausübung der Anwaltstätigkeit in der Elternzeit gestattet ist und nicht gegen die Grundidee der Elternzeit als Zeit für das Kind und die Familie verstößt.
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Bei der Entscheidung der Rechtsanwaltskammer ist zu unterscheiden, ob der Anwalt selber oder durch einen Vertreter tätig werden will. Will er selber tätig bleiben, so sind die oben
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1 Diese Freistellungserklärung darf allerdings befristet sein, so AnwGH Hessen, Urt. v. 3.6.2013 – 2 AGH 21/12. 2 Zum Nebentätigkeitsrecht s. nur Schnelle/Hopkins, NVwZ 2010, 1333. 3 S. dazu zutreffend AnwGH Hamm, KammerForum 2009, 55 zur Einschränkung für einen Juniorprofessor auf acht Stunden in der Woche. 4 S. oben Rz. 15. 5 So auch im Grundsatz BVerfG, NJW 1993, 320. 6 AnwGH Hamm, KammerForum 2009, 55. Zum unbefristet tätigen Sachbearbeiter in einer Arge s. AGH Hamm, Kammerforum 2009, 118. 7 S. dazu BVerfG, NJW 1995, 951.
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beschriebenen Anforderungen auf jeden Fall einzuhalten. Wird eine Vertreterbestellung beantragt, so spielt auch der Zeitfaktor eine Rolle, der sich auch wieder aus dem Grundsatz des Art. 12 GG ableitet. Dient die Vertreterbestellung der Abwicklung der Anwaltstätigkeit des jetzt im öffentlichen Dienst Tätigen, so kann die Genehmigung durchaus mit einer Befristung gestattet werden, an die sich dann das Tätigkeitsverbot des § 47 Abs. 1 S. 1 BRAO anschließt. Zudem sind auch verbindliche Erklärungen zu berücksichtigen, dass keine neuen Mandate mehr angenommen werden. Je mehr bei der Tätigkeit die Abwicklung der Kanzleitätigkeit im Mittelpunkt steht, desto eher sollte die Rechtsanwaltskammer dem Antrag nach § 47 Abs. 1 S. 2 BRAO entsprechen. Denn dann reduziert sich die Gefährdung der Interessen der Rechtspflege. Es ist hier die Aufgabe des Rechtsanwalts, seine Interessen offen zu legen. 28
Insgesamt sind wenige Fallkonstellationen denkbar, bei denen auf Dauer eine weitere Tätigkeit des Anwalts möglich ist, wenn er im öffentlichen Dienst arbeitet. Denkbar sind allerdings bestimmte Übergangsmodelle, wie oben beschrieben, so dass ein Entweder-Oder oft umgangen werden kann. 4. Tätigkeit des Anwalts und des Vertreters
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Wird dem Rechtsanwalt die Erlaubnis nach § 47 Abs. 1 S. 2 BRAO erteilt, selber weiterhin als Rechtsanwalt tätig zu sein, so ändert sich an seiner Berufstätigkeit nichts. Er kann im vollen Umfang seine Rechte aus § 3 BRAO wahrnehmen und unterliegt nur den üblichen Beschränkungen der §§ 45, 46 BRAO. Bestellt die Rechtsanwaltskammer auf den Antrag des Anwalts hin einen Vertreter, so gelten folgende Grundsätze, wie sonst bei der Vertreterbestellung nach § 53 BRAO auch. Der Rechtsanwalt selber darf nicht mehr tätig werden. Für ihn tritt – unter seinem Briefbogen etc. – der Vertreter auf, der die Vertreterbestellung als solche auch kenntlich machen muss. III. Rechtsanwälte als Träger eines öffentlichen Amts (§ 47 Abs. 2 BRAO) 1. Schutzzweck
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Auch § 47 Abs. 2 BRAO schützt den Rechtsanwalt vor dem Verlust seiner Zulassung, wenn er in ein öffentliches Amt berufen wird, ohne zum Beamten ernannt worden zu sein. Darf er aufgrund der Vorschriften für das öffentliche Amt die Anwaltstätigkeit nicht ausüben, so hat die Rechtsanwaltskammer auf einen Antrag einen Vertreter zu bestellen. Imkompatibilitätsregelungen des öffentlichen Amts strahlen hier auf den Anwaltsberuf aus. Verfassungsrechtlich ist dies nicht zu beanstanden. 2. Öffentliche Ämter
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Unter öffentlichen Ämtern im Sinne des § 47 Abs. 2 BRAO wird insbesondere das Amt des Bundespräsidenten, die Ämter der Mitglieder einer Bundes- oder Landesregierung,1 der parlamentarischen Staatsekretäre und verschiedener Beauftragter (z.B. des Wehrbeauftragten) verstanden. So darf der Bundespräsident nach Art. 55 Abs. 2 GG keinen Beruf ausüben, die gleiche Regelung steht in Art. 66 GG für die Bundesminister. Eine besondere Regelung gilt für die Richter des Bundesverfassungsgerichts. § 104 BVerfGG stellt hier fest, dass die Rechte des Anwalts, der Verfassungsrichter wird, ruhen und nach dem Ausscheiden aus dem Amt wieder aufleben. Dies ist die einzige Vorschrift, in der ausdrücklich vom „Ruhen“ und nicht nur vom Ausübungsverbot die Rede ist. Eine Vertreterbestellung kommt hier nicht in Betracht. Nicht betroffen von der Regelung sind die gewählten Abgeordneten eines Parlaments,2 sie dürfen weiterhin aktive Rechtsanwälte bleiben und üben in der Praxis häufig diese Tätigkeit neben ihrem Mandat aus.
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Dogmatisch bedeutet die Regelung des § 47 Abs. 2 BRAO, dass der Rechtsanwalt nach Antritt des öffentlichen Amts seine Tätigkeit als Rechtsanwalt nicht mehr persönlich ausüben darf. Dies bedeutet, dass die Zulassung des Anwalts ab dem Zeitpunkt der Ernennung ruht. Dies entspricht den verfassungsrechtlichen Vorgaben für ein öffentliches Amt,3 bei dem die Rückgabe der Zulassung nicht verlangt werden kann. 1 Dies können je nach Landesgesetz die Minister und auch die Staatssekretäre sein. 2 BGHZ 72, 70. 3 Feuerich/Weyland/Böhnlein, § 47 Rz. 26.
716 Huff
Rz. 1 § 48 BRAO
Pflicht zur Übernahme der Prozessvertretung 3. Vertreterbestellung
§ 47 Abs. 2 BRAO sieht auf Antrag des Anwalts eine Vertreterbestellung vor. Dabei ist dies als Anspruch gegenüber der Rechtsanwaltskammer zu verstehen, wenn der entsprechende Antrag vorliegt. Ein Ermessen hat die Rechtsanwaltskammer nicht.
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Mit dem Antritt des öffentlichen Amts darf der Rechtsanwalt seine Tätigkeit nicht mehr ausüben, bleibt aber als Rechtsanwalt zugelassen, die Reglung ist deckungsgleich mit § 47 Abs. 1 S. 1 BRAO.1 Auch hier muss der Anwalt auf das Ruhen der Tätigkeit hinweisen. Dieser Hinweis ist auch wettbewerbsrechtlich unbedenklich, wie der BGH in dem Fall eines Ministers ausdrücklich klar gestellt hat.2
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Mit der Bestellung des Vertreters (§ 53 BRAO) kann der Vertreter die Kanzlei des Anwalts fortführen und so die Kanzlei aufrechterhalten. Dies gilt sowohl für eine Einzelpraxis wie für die Mitgliedschaft in einer Sozietät etc. Hier gelten die Ausführungen zu § 47 Abs. 1 S. 2 BRAO.
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zur Übernahme der Prozessvertretung 48 BRAO Pflicht (1) Der Rechtsanwalt muss im gerichtlichen Verfahren die Vertretung einer Partei oder die Beistandschaft übernehmen,
1. wenn er der Partei auf Grund des § 121 der Zivilprozessordnung, des § 4a Abs. 2 der Insolvenzordnung, des § 11a des Arbeitsgerichtsgesetzes oder auf Grund anderer gesetzlicher Vorschriften zur vorläufig unentgeltlichen Wahrnehmung ihrer Rechte beigeordnet ist; 2. wenn er der Partei auf Grund der §§ 78b, 78c der Zivilprozessordnung beigeordnet ist; 3. wenn er dem Antragsgegner auf Grund des § 138 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit als Beistand beigeordnet ist. (2) Der Rechtsanwalt kann beantragen, die Beiordnung aufzuheben, wenn hierfür wichtige Gründe vorliegen. A. Verfassungsrechtliche Grundlagen
. . .
B. Inhalt der Regelung . . . . . . . . . I. Beiordnung . . . . . . . . . . . . . 1. Zeitlicher Beginn der Pflichten . . . . 2. „Andere gesetzliche Vorschriften“, Notanwalt . . . . . . . . . . . . . . .
1
. . .
3b 3b 3b
.
5
II. Rechtsfolgen der Beiordnung . . . . . III. Aufhebung der Beiordnung . . . . . . 1. Auf Antrag des beigeordneten Anwalts . 2. Auf Antrag der Partei . . . . . . . . .
. . . .
6 8 8 11
A. Verfassungsrechtliche Grundlagen Da der Gesetzgeber in zahlreichen Normen die Wahrnehmung von Aufgaben in der Rechtspflege der Rechtsanwaltschaft übertragen hat und der Anspruch auf effektiven Rechtsschutz verfassungsrechtlich über das Rechtsstaatsgebot (Art. 19 Abs. 4 GG) sowie durch Art. 6 Abs. 1 EMRK garantiert ist, müssen3 Verfahrensordnungen Regelungen enthalten, die dem Gericht die Möglichkeit geben, Prozessbeteiligten einen Bevollmächtigten beizuordnen, wenn der Beteiligte die ihm nach der Verfahrensordnung zugewiesene Rechtsstellung nicht selbst wahrnehmen kann. Art. 19 Abs. 4 GG enthält allerdings nicht nur den Anspruch des einzelnen auf effektiven Rechtsschutz; jene Norm statuiert ganz allgemein auch das Gebot auf effektiven Rechtsschutz und ist damit zugleich ein Belang des Allgemeinwohls. Insbesondere in Strafverfahren sowie Verfahren, die dem FamFG unterliegen, ist die Beiordnung eines „Bevollmächtigten“ deshalb auch nicht davon abhängig, dass der Prozessbeteiligte die Beiordnung beantragt oder billigt.4 In jenen Fällen wird der Bevollmächtigte nämlich auch im öffentlichen Interesse und damit unabhängig vom Wunsch und Willen des Verfahrensbeteiligten tätig.5 1 S. dazu oben Rz. 19 f. 2 BGH, NJW 1997, 3238, s. zur Fragestellung auch Zuck, NJW 1993, 3118. 3 Vgl. zum Anspruch auf Prozesskostenhilfe aus Art. 6 Abs. 1 EMRK, EGMR EuGRZ 1979, 626 – Airey; Meyer-Ladewig, Art. 6 EMRK Rz. 43 m.w.N.; Frowein/Peukert, Art. 6 EMRK Rz. 54; zu Art. 19 Abs. 4 GG vgl. BVerfG, NJW 1992, 889; 2003, 576. 4 Vgl. dazu BVerfGE 39, 238 (242). 5 Das Bundesverfassungsgericht spricht von einer besonderen Form der Indienstnahme Privater im öffentlichen Interesse, BVerfGE 39, 238 (241); 68, 237 (254); 110, 226 (261).
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1
§ 48 BRAO Rz. 2
Pflicht zur Übernahme der Prozessvertretung
2
Die der Beiordnung korrespondierende Pflicht des Anwalts zur Wahrnehmung der Interessen des Verfahrensbeteiligten oder des öffentlichen Interesses beschränkt die Freiheit des Anwalts, selbst aussuchen zu können, für wen er tätig werden und wen er vor Gericht vertreten will; sie beschränkt ferner die ebenfalls durch Art. 12 GG geschützte Freiheit des Anwalts, das für seine Tätigkeit verlangte Entgelt auszuhandeln.1 Beide Einschränkungen sind – in den Grenzen der Verhältnismäßigkeit – verfassungsrechtlich jedoch durch jede sachgerechte und vernünftige Erwägung des Allgemeinwohls gerechtfertigt.2 In die innerhalb des Art. 12 GG vorzunehmende Abwägung ist demnach der Grund einzubeziehen, auf dem die Beiordnung beruht: Die Beiordnung eines Notanwalts ist am Anwaltszwang, die Beiordnung im Rahmen der Prozesskosten- und Verfahrenskostenhilfe mithin an der Notwendigkeit, auch dem bedürftigen Rechtssuchenden effektiven Rechtsschutz zu gewähren, zu messen.
3
Die Bewilligung von Prozess- und Verfahrenskostenhilfe ist Verpflichtung des Sozialstaats gegenüber der bedürftigen Partei.3 Sieht die Prozessordnung keine Pflicht zur Kostenerstattung vor4, verlangt der in Art. 6 EMRK zum Ausdruck kommende Grundsatz des fair trial,5 der im Grundgesetz als Teil des Rechtsstaatsgebots verstanden wird,6 Normen, die es ermöglichen, der bedürftigen Partei einen Bevollmächtigten beizuordnen, wenn der Prozessgegner sich seinerseits der Hilfe eines Anwalts bedient und die Komplexität des Verfahrens oder der Sache dies erfordern.7
3a
Die Regelung des § 48 BRAO steht nicht mehr in der Kritik.8 Dies liegt daran, dass die für die Übernahme von Mandaten nach Bewilligung von Prozesskosten- oder Verfahrenskostenhilfe sowie für die Verteidigung im Rahmen einer Pflichtverteidigung gewährte Vergütung i.d.R. auskömmlich ist und häufig einen nicht unerheblichen Teil des Einkommens des einzelnen Anwalts darstellt.9 Verfassungswidrig wird die Höhe der dem beigeordneten Anwalt auf Staatskosten gezahlte Vergütung erst, wenn die Vergütung bei generalisierender Betrachtung den personellen und sachlichen Aufwand nicht abdeckt, der dem beigeordneten Anwalt durch die ihm übertragene Aufgabe entsteht, und er darüber hinaus nicht in der Lage ist, durch jene Tätigkeit einen unter Berücksichtigung der Wahrnehmung der öffentlichen Aufgaben angemessenen Gewinn zu erzielen.10 B. Inhalt der Regelung I. Beiordnung 1. Zeitlicher Beginn der Pflichten
3b
Die gerichtliche Beiordnung konkretisiert für den betroffenen Einzelfall die Pflicht des Anwalts zur Wahrnehmung der Interessen der beigeordneten Partei. Die Beiordnung gleicht nach Inhalt und Qualität einem Verwaltungsakt.11 Sie begründet jedoch noch nicht das Mandatsverhältnis, sondern verpflichtet den Rechtsanwalt zunächst nur, sich zur Übernahme des Mandatsverhältnisses bereit zu halten. Die Partei, der ein Rechtsanwalt beigeordnet wird, wird durch die Beiordnung berechtigt, aber nicht verpflichtet, die anwaltliche Hilfe in 1 Vgl. BVerfG, NJW 2007, 979; BVerfGE 101, 331 (337). 2 Der Eingriff in die durch Art. 12 GG garantierte Berufsfreiheit stellt sich nach dem Maßstab der vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Drei–Stufen–Theorie als Berufsausübungsregelung dar, vgl. dazu Leibholz/Rinck/Hesselberger, Art. 12 GG Rz. 161, 296. 3 Für die Prozesskostenhilfe vgl. BVerfGE 35, 348 (355); für die Stundung der Kosten des Insolvenzverfahrens gem. § 4a InsO gilt nichts anderes. 4 Vgl. etwa für das ArbGG: § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG. 5 Vgl. etwa dazu im Einzelnen Meyer-Ladewig, Art. 6 EMRK Rz. 1 ff; Leibholz/Rinck/Hesselberger, Art. 20 GG Rz. 1231 ff. 6 S. BVerfGE 110, 339 (342); BVerfG, NJW 1994, 2347; BVerfGE 78, 123 (126); Leibholz/Rink/Hesselberger, Art. 20 GG Rz. 1361. 7 Dazu im Einzelnen Hauck/Helml, § 11a ArbGG Rz. 24 f. 8 Vgl. zur historischen Entwicklung die Nachweise bei Schoreit/Groß, Beratungshilfe, Prozesskostenhilfe, Verfahrenskostenhilfe 10. Aufl., 2010, S. 112 f sowie etwa Brangsch, AnwBl. 1972, 15; und die Entschließung der Bundesrechtsanwaltskammer AnwBl. 1971, 304; vgl. auch EKMR AnwBl. 1975, 137. 9 Das statistische Jahrbuch der Anwaltschaft 2013/2014, Tab. 7.5.3. beziffert die Aufwendungen der Bundesländer mit der Beiordnung von Anwälten in Zivilsachen im Jahr 2012 auf rund 460 Mio. Euro; zu Einzelheiten auch die 1. Aufl. Vor §§ 48 ff. BRAO Rz. 3 ff. 10 Vgl. dazu BVerfGE 47, 85 (321); 54, 252 (271); 68, 237 (255); vgl. auch BVerfG, NJW 2008, 1063 sowie Gaier, AnwBl 2010, 73 (75 f.). 11 Vgl. BVerfGE 39, 238 (244) für die Pflichtverteidigung.
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Pflicht zur Übernahme der Prozessvertretung
Rz. 6 § 48 BRAO
Anspruch zu nehmen. Deshalb unterliegt auch nur der Rechtsanwalt dem durch § 48 BRAO geregelten Kontrahierungszwang.1 Dies bedeutet allerdings nicht, dass der Anwalt erst mit Übertragung des Mandats durch die bedürftige Partei die Pflicht zur Wahrnehmung der Interessen jener Partei übernimmt. Der beigeordnete Anwalt hat vielmehr auch schon vor Abschluss des Geschäftsbesorgungsvertrages gegenüber der Partei, der er beigeordnet ist, Fürsorge- und Rücksichtnahmepflichten.2 Dazu gehört insbesondere die Pflicht, die – bedürftige – Partei auf die Notwendigkeit des Abschlusses des Geschäftsbesorgungsvertrages und auf einen etwa drohenden Fristablauf hinzuweisen. Die Pflicht zur Übernahme der Vertretung der beigeordneten Partei kraft richterlichen Beschlusses besteht nur, wenn die bedürftige Partei aufgrund eigener Bemühungen keinen zur Vertretung unter Prozesskostenhilfe- oder Verfahrenskostenhilfebedingungen bereiten Rechtsanwalt gefunden hat (§ 121 Abs. 5 ZPO i.V.m. § 48 Abs. 1 Nr. 1 BRAO). Die bedürftige Partei muss dem Gericht daher glaubhaft gemacht haben, zumindest einige Anwälte vergeblich um ihre Bereitschaft zur Vertretung ersucht zu haben.3 Allerdings kann der beigeordnete Rechtsanwalt nicht darauf verweisen, seine Beiordnung sei zu Unrecht erfolgt, weil die Partei entgegen den eigenen Ausführungen die Möglichkeit gehabt habe, einen zu ihrer Vertretung bereiten Anwalt zu finden. Die Pflicht zur Übernahme des Mandats entfällt nur, wenn für die Aufhebung der Beiordnung ein wichtiger Grund i.S.d. § 48 Abs. 2 BRAO vorliegt. Ein wichtiger Grund könnte allerdings in einer wahrheitswidrigen Erklärung der Partei, sich um einen zur Vertretung bereiten Anwalt bemüht zu haben, liegen, weil das für das Bestehen des Mandatsverhältnisses nötige Vertrauensverhältnis durch jene wahrheitswidrige Angabe von Anbeginn gestört sein kann.
4
2. „Andere gesetzliche Vorschriften“, Notanwalt „Andere gesetzliche Vorschriften“ im Sinne des § 48 Abs. 1 Nr. 1 BRAO sind etwa die Regelungen der §§ 76 FamFG, 166 VwGO, 73a SGG, 142 FGO, 14 FGG, 29 Abs. 3 EGGVG, 133 PatG, 172 Abs. 3 Satz 2, 379 Abs. 3 StPO, 120 Abs. 2 StVollzG, die die Vorschriften der ZPO über die Prozesskostenhilfe jeweils für entsprechend anwendbar erklären. Für den Bereich der Arbeitsgerichtsbarkeit gilt seit Streichung des § 11a Abs. 1, 2 und 2a ArbGG a.F. durch das Gesetz zur Änderung des Prozess- und Beratungshilferechts § 121 Abs. 2 ZPO (vgl. zum gesetzgeberischen Ziel insoweit BT-Drs. 17/11472, S. 46 f.). Die Pflicht zur Übernahme der Vertretung ordnet § 48 Abs. 1 Nr. 2 BRAO zudem für den Fall der Beiordnung als Notanwalt nach §§ 78b, 78c ZPO an. Unterschiede zur Verpflichtung zur Übernahme des Mandats ergeben sich für den beigeordneten Notanwalt im Verhältnis zu den Fällen der Prozesskostenhilfe insofern, als er die Übernahme des Mandats von der Zahlung eines Prozesskostenvorschusses abhängig machen darf.4 Die Aufgaben des als Beistand gem. § 138 FamFG i.V.m. § 48 Abs. 1 Nr. 3 BRAO beigeordneten Rechtsanwalts bestimmt § 90 ZPO. Auch wenn dem als Beistand beigeordneten Rechtsanwalt keine Prozessvollmacht für das Scheidungsverfahren erteilt wird, kann jener Anwalt für seine Partei Erklärungen abgeben, die – wenn die Partei nicht sofort widerspricht – als Erklärungen der Partei gelten.5 Er kann für die Partei, der er beigeordnet ist, jedoch keine Prozesshandlungen vornehmen; es können an ihn auch keine Zustellungen mit Wirkung für die Partei vorgenommen werden.6
5
II. Rechtsfolgen der Beiordnung Die Pflicht des Rechtsanwaltes, sich zur Übernahme des Mandatsverhältnisses bereit zu halten und Fürsorgepflichten für die Partei, der er beigeordnet ist, wahrzunehmen (vgl. Rz. 3b), wird mit der Bekanntgabe der Beiordnung an ihn begründet.7 Die der Partei i.d.R. formlos ebenfalls bekanntgegebene8 Beiordnung entfaltet für den Anwalt noch keine Pflichten. 1 Vgl. dazu auch Wolf, FS Schneider, 2008, S. 414 (426); Brangsch, NJW 1961, 110 f.; Zöller/Geimer, § 121 ZPO Rz. 28; BGHZ 47, 320 (322). 2 Vgl. dazu BGHZ 30, 226 (230); RGZ 115, 60 (63). 3 Vgl. dazu BVerwG, DVBl. 1999, 1662; OVG Münster, DVBl. 2001, 1226. 4 § 78c Abs. 2 ZPO. 5 § 90 Abs. 2 ZPO. 6 BGH, NJW 1995, 1225. 7 § 43 Abs. 1 VwVfG analog; vgl. dazu auch BGHZ 30, 226 (229). Die Regelung des § 32 BRAO ändert nichts an der fortgeltenden analogen Anwendung des § 43 Abs. 1 VwVfG für die Bekanntgabe der Beiordnung. Die Beiordnung erfolgt auf der Grundlage der jeweiligen Prozess- oder Verfahrensordnung, nicht auf Grund der BRAO. Die BRAO regelt lediglich die Pflicht zur Übernahme der Vertretung. 8 S. dazu BGH, VersR 1985, 68 f.; BGHZ 5, 157 (160); 30, 226 (229).
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§ 48 BRAO Rz. 7
Pflicht zur Übernahme der Prozessvertretung
Die aus der Beiordnung folgenden Pflichten enden entweder mit Aufhebung des Beiordnungsbeschlusses oder Beendigung des Verfahrenszuges (§ 119 Abs. 1 Satz 1 ZPO), für den die Beiordnung erfolgt ist. Das zivilrechtliche Mandatsverhältnis kann demgegenüber auch schon vor Abschluss des Verfahrenszuges, für den die Beiordnung gilt, durch vom Mandanten ausgesprochene Kündigung beendet werden. Eine Kündigung des Mandatsverhältnisses durch den Rechtsanwalt selbst verstößt gegen § 48 BRAO und ist deshalb gem. § 134 BGB nichtig.1 Eine gegenüber dem Gericht angezeigte „Niederlegung“ des Mandats entfaltet keine Wirkung.2 Betreibt der Rechtsanwalt das Geschäft der Partei, der er beigeordnet ist, nicht weiter, macht er sich ihr gegenüber schadensersatzpflichtig und verstößt gegen die ihm aus § 48 BRAO obliegende Berufspflicht. Liegen wichtige Gründe für die Beendigung des Mandats vor, muss der beigeordnete Anwalt um seine Entpflichtung gem. § 48 Abs. 2 BRAO nachsuchen. 7
Vor der Begründung des Mandats durch Abschluss des Geschäftsbesorgungsvertrages mit dem beigeordneten Anwalt werden der Partei Kenntnisse des Anwalts nicht zugerechnet. Allein dessen Kenntnis von der Beiordnung setzt den für die Partei maßgeblichen Fristablauf daher auch nicht in Gang.3 Zustellungen können an ihn nicht mit Wirkung für die Partei vorgenommen werden;4 der beigeordnete Anwalt kann Zustellungen deshalb unter Hinweis auf das Fehlen des Mandatsverhältnisses zurückweisen (wegen der bestehenden vorvertraglichen Hinweis- und Fürsorgepflichten s. Rz. 3b).5 III. Aufhebung der Beiordnung 1. Auf Antrag des beigeordneten Anwalts
8
Liegt ein wichtiger Grund vor, kann der Rechtsanwalt gem. § 48 Abs. 2 BRAO beantragen, die Beiordnung aus wichtigem Grund aufzuheben. § 48 Abs. 2 BRAO gilt sowohl für den Rechtsanwalt, der sich vorab gegenüber der Partei zur Vertretung im Wege der Prozesskostenhilfe bereit erklärt hat; wie auch für den, der den Mandatsvertrag aufgrund des Kontrahierungszwangs (s. Rz. 4) geschlossen hat. Bei der Entscheidung über die Entpflichtung sind neben dem Interesse der bedürftigen Partei und dem Interesse des beigeordneten Rechtsanwalts auch das öffentliche Interesse an einer funktionsfähigen Rechtspflege und das Interesse der übrigen Prozessbeteiligten an einer zügigen Erledigung des Verfahrens zu beachten.6 Die Beschränkung der Entpflichtungsmöglichkeit auf wichtige Gründe soll deshalb auch verhindern, dass mit der Beendigung der Vertretung verfahrensfremde Zwecke verfolgt werden, insbesondere eine Verfahrensverzögerung etwa durch Niederlegung des (Pflichtverteidiger-)Mandats.7 Die Entscheidung über die Entpflichtung ist daher im jeweiligen Einzelfall unter Abwägung jener Rechtsgüter zu treffen.8 Da der Gesichtspunkt der Verfahrensbeschleunigung durch die Regelungen in §§ 198 ff. GVG erhebliches Gewicht erhalten hat, werden die Anforderungen an den die Entpflichtung rechtfertigenden Grund mit zunehmendem Fortschritt des Verfahrens entsprechend hoch sein müssen.9
9
Wichtiger Grund, der eine Entpflichtung des Rechtsanwalts rechtfertigen kann, ist jedenfalls eine Interessenkollision,10 eine nachhaltige und tiefgreifende Störung des Vertrauensverhältnisses zwischen Anwalt und Partei,11 die Weigerung der Partei, die unterzeichnete Prozessvollmacht an den Rechtsanwalt zu übersenden,12 der Wechsel der gerichtlichen Zuständigkeit.13 Dagegen genügt nicht jede Differenz mit dem Mandanten für die Entpflich1 Die Regelung des § 134 BGB gilt auch für das einseitige Rechtsgeschäft der Kündigung, vgl. Staudinger/ Sack/Seibel, 2011, § 134 BGB Rz. 15. 2 Vgl. BGHZ 27, 163 (166); BVerwG, Beschl. v. 10.4.2006 – 5 B 87/05, juris, BeckRS 2006, 23062; OLG Zweibrücken, OLG Report Zweibrücken 1998, 336. 3 BGHZ 30, 226 (228). 4 BGH, NJW 1995, 1225; vgl. auch RGZ 147, 154 (156). 5 Vgl. dazu auch BGHZ 30, 226 (230); RGZ 115, 60 (63). 6 Vgl. OLG Frankfurt, MDR 1989, 167. 7 Vgl. BGH, NJW 1993, 3275 f. 8 Vgl. dazu für den Bereich des Zivilrechts auch Engels, in: Vorwerk, Das Prozessformularbuch, Kap. 10 Rz. 135 ff. 9 Vgl. dazu schon vor Inkrafttreten der §§ 198 ff. GVG OLG Frankfurt, MDR 1989, 167. 10 Vgl. dazu OLG Celle, FamRZ 1983, 1045; OLG Frankfurt, NJW 1999, 1414. 11 BGH, NJW-RR 1992, 189. 12 BGH, EzFamR ZPO § 78b Nr. 1. 13 OLG Bamberg, OLG Report Bamberg 2001, 256 – Unzumutbarkeit der weiteren Vertretung für den beigeordneten Rechtsanwalt bei Wechsel der gerichtlichen Zuständigkeit von Berlin nach Schweinfurt.
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Pflicht zur Übernahme der Prozessvertretung
Rz. 12a § 48 BRAO
tung, auch unsachliche Kritik des Mandanten1 oder dessen zeitweilig unbekannter Aufenthalt2 stellen keine wichtigen Gründe im Sinne des § 48 Abs. 2 ZPO dar. Die Entpflichtung erfolgt auf Antrag des beigeordneten Rechtsanwalts. Im Antrag auf Entpflichtung muss der wichtige Grund dargelegt werden,3 um dem Gericht eine Entscheidung über das Gesuch zu ermöglichen. Gegebenenfalls ist der Grund glaubhaft zu machen. Der Beschluss über die Entpflichtung wird gegenüber dem Rechtsanwalt durch Bekanntgabe wirksam. Erst nach Bekanntgabe der Aufhebung der Beiordnung kann er eine Beendigung des Mandats herbeiführen.4 Die Gründe der Entpflichtung sind dafür maßgebend, ob der entpflichtete Anwalt seinen Gebührenanspruch gegen die Staatskasse gem. § 54 RVG verloren hat, weil er durch eigenes schuldhaftes Verhalten die Beiordnung eines anderen Anwalts erforderlich gemacht hat.5
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2. Auf Antrag der Partei Streitig ist, ob auch die Partei einen Anspruch auf Aufhebung der Beiordnung im Hinblick auf den ihr konkret beigeordneten Rechtsanwalt hat. Im Gesetz ist ein Anspruch des Rechtsanwalts auf Aufhebung der Beiordnung vorgesehen. Daraus entnimmt ein Teil der Rechtsprechung auch die Möglichkeit der Partei, die Entpflichtung zu beantragen, während ein anderer Teil ihr ein solches Recht aufgrund des Wortlauts des § 48 Abs. 2 BRAO selbst nicht zugestehen will.6 Jener Streit wirkt sich auf das Recht der Partei, einen anderen Anwalt beigeordnet zu bekommen, allerdings nicht aus: Der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 8.4.19757 ist zu entnehmen, dass der beigeordnete Anwalt keinen Anspruch auf Aufrechterhaltung der Beiordnung hat. Wird der Partei ein anderer Anwalt beigeordnet, kann die bisherige Beiordnung von Amts wegen aufgehoben werden. Es kommt daher allein darauf an, welche Voraussetzungen vorliegen müssen, um dem Antrag der Partei, ihr einen anderen Anwalt beizuordnen, entsprechen zu müssen.
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Dem Antrag der Partei, ihr einen anderen Anwalt beizuordnen, ist zu entsprechen, wenn ein wichtiger Grund vorliegt,8 so dass die Voraussetzungen an die von der Partei begehrte Entpflichtung lediglich an denselben Rechtsbegriff geknüpft sind, der auch für die vom Anwalt beantragte Aufhebung der Beiordnung maßgebend ist. Ein wichtiger Grund für die Aufhebung der Beiordnung auf Antrag der Partei ist i.d.R. gegeben, wenn das Vertrauensverhältnis gestört ist. Ihr wird die Beiordnung eines neuen Anwalts nur dann verwehrt, wenn sie den Vertrauensverlust durch sachlich ungerechtfertigtes und mutwilliges Verhalten herbeigeführt hat.9 Mutwillig handelt die Partei allerdings nicht, wenn ihr Handeln aus ihrer Sicht gerechtfertigt war.
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Ob im Rahmen der Entscheidung über die Entpflichtung auch zu berücksichtigen ist, dass durch den Wechsel für die Staatskasse keine zusätzlichen Kosten entstehen, erscheint zweifelhaft. Der überwiegende Teil der Rechtsprechung bejaht dies, ohne auf die Regel des § 49b BRAO einzugehen.10 Das OLG Naumburg11 vertritt demgegenüber die Ansicht, einer im Zusammenhang mit dem Wechsel der Beiordnung abgegebenen Erklärung, soweit durch den Wechsel Mehrkosten für die Staatskasse entstünden, werde auf die Durchsetzung dieses Teils der Gebühren verzichtet, komme keine Bedeutung zu, da der Verzicht gemäß §§ 49b Abs. 1 BRAO, 134 BGB unwirksam sei. Dem ist selbst dann zuzustimmen, wenn man über § 242 BGB eine Bindungswirkung des Anwalts an seine Erklärung annimmt (vgl. dazu § 49b BRAO Rz. 26). Staatliche Organe sind an Recht und Gesetz gebunden; sie dürfen daher
12a
1 OLG Dresden, NJW-RR 1999, 643. 2 OLG Schleswig, NJW 1961, 131. 3 OLG Karlsruhe, OLG Report Karlsruhe, 2007, 107 (108); KG, Beschl. v. 28.9.2001 – 4Ws 153/01 n.v.; BGH, RVGReport 2011, 37; LArbG RPf, Beschl. v. 28.10.2010 – 9 Ta 230/10, juris; BVerwG, NJW 2011, 1894. 4 A.A. offenbar OLG Karlsruhe, OLG Report Karlsruhe 2007, 107. 5 OLG Karlsruhe, OLG Report Karlsruhe 2007, 107 f. 6 Vgl. die Darstellung des Streitstandes bei OLG Nürnberg, MDR 2003, 712. 7 BVerfGE 39, 238 (241, 242); vgl. dazu auch Leibholz/Rinck/Hesselberger, Art. 12 GG Rz. 757. 8 Vgl. OLG Karlsruhe, FamRZ 1998, 632 f.; Zöller/Geimer, § 121 ZPO Rz. 33, 34. 9 Vgl. BGH, NJW-RR 1992, 189; EzFamR ZPO § 78b Nr. 1; BVerwG, Beschl. v. 10.4.2006 – 5 B 87/05, juris. 10 Vgl. OLG Brandenburg, Beschl. v. 8.1.2001 – 9 WF 232/00; OLG Karlsruhe, OLG Rep 2007, 107; SozG NRW, Beschl. v. 29.4.2011 – L 20 AY 182/10 B, juris; OLG Nürnberg, MDR 2003, 712; LAG Hamm, Beschl. v. 12.9. 2003 – 4 Ta 470/02, nur juris; OLG Düsseldorf, StraFo 2007, 156; OLG Frankfurt, StRR 2008, 69; OLG Bamberg, NJW 2006, 1536. 11 OLG Naumburg, RVGReport 2010, 333; zuvor schon OLG Jena, JurBüro 2006, 265; OLG Köln, StraFo 2008, 348.
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§ 49 BRAO Rz. 1
Pflichtverteidigung, Beistandsleistung
auch an zivilrechtlich unwirksamen Abreden nicht mitwirken.1 Der Maßstab, an dem zu messen ist, ob ein wichtiger Grund für die Beiordnung eines anderen Anwalts gegeben ist, lässt sich deshalb nicht mit der Begründung absenken, durch den Anwaltswechsel entstünden der Staatskasse keine durch die Beiordnung verursachten höheren Kosten. Liegt ein wichtiger Grund für den Wechsel des beizuordnenden Anwalts vor, ist dem Antrag der Partei zu entsprechen; zusätzliche Kosten trägt die Staatskasse. Beistandsleistung 49 BRAO Pflichtverteidigung, (1) Der Rechtsanwalt muss eine Verteidigung oder Beistandsleistung
übernehmen, wenn er nach den Vorschriften der Strafprozessordnung, des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten, des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen oder des IStGH-Gesetzes zum Verteidiger oder Beistand bestellt ist.2 (2) § 48 Abs. 2 ist entsprechend anzuwenden. . . .
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B. Inhalt der Regelung . . . . . . . . . . I. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . 1. Innerhalb der StPO . . . . . . . . . . 2. Anwendungsbereich anderer gesetzlicher Regelungen . . . . . . . . . . . . . . II. Bestellung zum Pflichtverteidiger oder Beistand. . . . . . . . . . . . . . . . III. Wirkung der Bestellung . . . . . . . . .
1a 1a 1a
A. Verfassungsrechtliche Grundlagen
3 4 6
IV. Aufhebung der Bestellung. . . . . . . 1. Bestellung eines Wahlanwalts . . . . . 2. Pflichtwidrige Ausübung der Pflichtverteidigung . . . . . . . . . . . . . 3. Vertrauensverlust . . . . . . . . . . 4. Langfristige Verhinderung . . . . . . 5. Unkenntnis des Straf- und Strafverfahrensrechts; Bedrohung durch Dritte . .
. .
7 8
. . .
9 10 11
.
12
A. Verfassungsrechtliche Grundlagen 1
Auch die Regelung des § 49 BRAO greift in die Berufsausübungsfreiheit des Anwalts ein (vgl. dazu § 48 BRAO Rz. 2). Jener Eingriff steht mit der Verfassung im Einklang3; er ist durch Gründe des Allgemeinwohls gerechtfertigt. Die mit der Pflicht zur Übernahme der Verteidigung oder Beistandsleistung i.S.d. § 49 BRAO verbundene Einschränkung der Berufsausübungsfreiheit des Anwalts ist dem öffentlichen Interesse an einer sachgerechten Verteidigung des Beschuldigten oder Angeklagten gegenüber zu stellen. Die Beiordnung stärkt das Vertrauen der Allgemeinheit in die Strafrechtspflege. Mit der Beiordnung wird dem Pflichtverteidiger nämlich auch die Aufgabe übertragen, sicher zu stellen, dass die Regeln der in § 49 Abs. 1 BRAO genannten Verfahrensordnungen eingehalten werden (vgl. § 49 BRAO Rz. 12). B. Inhalt der Regelung I. Anwendungsbereich 1. Innerhalb der StPO
1a
Die Strafprozessordnung verlangt die Mitwirkung eines Verteidigers (§ 140 Abs. 1 StPO; „notwendige Verteidigung“), wenn – die Hauptverhandlung im ersten Rechtszug vor dem Oberlandesgericht oder dem Landgericht stattfindet; – dem Beschuldigten ein Verbrechen zur Last gelegt wird; – das Verfahren zu einem Berufsverbot führen kann; – der Beschuldigte sich mindestens drei Monate auf Grund richterlicher Anordnung oder mit richterlicher Genehmigung in einer Anstalt befunden hat und nicht mindestens zwei Wochen vor Beginn der Hauptverhandlung entlassen wird; – zur Vorbereitung eines Gutachtens über den psychischen Zustand des Beschuldigten seine Unterbringung nach § 81 StPO in Frage kommt; 1 Vgl. dazu BVerfGE 6, 32 (38); BVerfGE 111, 307 (323); Leibholz/Rinck, Rz. 586, Art. 20 GG; Sachs, Art. 20 GG Rz. 110. 2 § 49 Abs. 1 BRAO in der im BGBl. III, Gliederungsnummer 303–8 veröffentlichten bereinigten Fassung. 3 Vgl. BVerfGE 68, 237 (256); 110, 226 (261).
722 Vorwerk
Pflichtverteidigung, Beistandsleistung
Rz. 4 § 49 BRAO
– ein Sicherungsverfahren durchgeführt wird; – der bisherige Verteidiger durch eine Entscheidung von der Mitwirkung in dem Verfahren ausgeschlossen ist. Darüber hinaus ist dem Angeklagten oder Beschuldigten (nachfolgend nur: Beschuldigter1) ein Verteidiger durch den Vorsitzenden auf Antrag oder von Amts wegen zu bestellen, wenn „wegen der Schwere der Tat oder wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint oder ersichtlich ist, dass sich der Beschuldige nicht selbst verteidigen kann“.2 Zweck jener Regelung ist es, „im öffentlichen Interesse dafür zu sorgen, dass ein Beschuldigter in den vom Gesetz bestimmten Fällen rechtskundigen Beistand erhält und dass ein ordnungsgemäßer Verfahrensablauf gewährleistet ist.“3 Pflichtverteidigung ist eine besondere Form der „Indienstnahme Privater im öffentlichen Interesse“.4 Zu Wahlverteidigern können Rechtsanwälte5 und Rechtslehrer an deutschen Hochschulen mit Befähigung zum Richteramt zugelassen werden (§ 4 BRAO Rz. 45 ff.). Die Bestellung eines Rechtslehrers zum Pflichtverteidiger sieht die Rechtsordnung nicht vor.6 Die differenzierte Inanspruchnahme ist deshalb auch für die Auslegung der Bestimmung des § 1 BRAO von Bedeutung, die den Rechtsanwalt als Organ der Rechtspflege definiert (vgl. § 1 BRAO Rz. 27 ff.).
2
2. Anwendungsbereich anderer gesetzlicher Regelungen Die Pflicht zur Übernahme der Verteidigung oder Beistandsleistung erstreckt sich nicht nur auf die in der StPO,7 sondern auch auf die in dem OWiG8 oder in dem IStGHG9 geregelten Fälle; ferner auf die durch §§ 116, 117a BRAO i.V.m. § 140 Abs. 1 Nr. 5 und 8 StPO angeführten Sachverhalte. Die §§ 68, 104 Abs. 1 Nr. 10, 109 Abs. 1 Satz 1 JGG sowie § 34a EGGVG lösen ebenfalls die Pflicht zur Übernahme der Verteidigung oder der Wahrnehmung der Aufgaben der Kontaktperson aus.10
3
II. Bestellung zum Pflichtverteidiger oder Beistand Für den Beschluss, mit dem die Bestellung zum Pflichtverteidiger angeordnet wird, ist, soweit die jeweiligen Verfahrensordnungen die Regelungen der StPO für anwendbar erklären, der Vorsitzende des für das Hauptverfahren zuständigen Spruchkörpers zuständig.11 Im Fall der Kontaktsperre liegt die Zuständigkeit beim Präsidenten des Landgerichts, in dessen Bezirk die maßgebende Justizvollzugsanstalt liegt.12 Im Anwendungsbereich der StPO ist der Beschluss an keine Form gebunden und kann daher auch – etwa im Wege telefonischer Übermittlung – mündlich13 und sogar konkludent14 ergehen. Die erfolgte Bestellung wirkt für das gesamte Verfahren mit Ausnahme der Verhandlung über die Revision.15 Für Entscheidungen, die etwa im Strafvollzug nach Erlass des Urteils ergehen, ist ebenfalls die Bestellung 1 Die Begriffsbestimmung erfolgt im Hinblick auf die nach § 141 Abs. 3 StPO eröffnete Möglichkeit des Vorsitzenden, bereits im Vorverfahren einen Verteidiger zu bestellen. 2 § 140 Abs. 2 S. 1 StPO; Meyer-Goßner, § 140 StPO Rz. 21 f. 3 BVerfGE 39, 238 (242); BVerfG, NJW 2001, 1269; 2007, 504. 4 BVerfGE 39, 238 (241); 68, 237 (254); 110, 226 (261). 5 Das GSRA hat die Worte „bei einem deutschen Gericht zugelassenen“ in der zuvor geltenden Fassung des § 138 Abs. 1 StPO gestrichen (BGBl. I 2007 S. 365). 6 Art. 5 Abs. 3 GG könnte einer entsprechenden Regelung entgegenstehen; diskutiert wird die differenzierte Inanspruchnahme von Rechtslehrer einerseits und Rechtsanwalt andererseits im Rahmen der Pflichtverteidigung in der Literatur nicht. 7 § 140 StPO. 8 § 60 OWiG. 9 § 46 Abs. 4 des Gesetzes über die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGHG), (BGBl. I 2002, S. 2144). 10 Vgl. dazu auch Feuerich/Weyland, § 49 BRAO Rz. 4. 11 § 141 Abs. 4 StPO. 12 § 34a Abs. 3 S. 1 EGGVG. 13 KG, Beschl. v. 29.9.2001 – 4 Ws 153/01, BeckRS 9001, 16650. 14 BGH, NStZ 1997, 299 f. 15 Vgl. BGHSt 19, 258; KK/Laufhütte, § 140 StPO Rz. 6. Zum vom 5. Strafsenat des BGH im genannten Beschl. gewünschten Erfordernis der Revisionsbearbeitung durch andere Anwälte als im Ausgangsverfahren nach dem Vorbild der zivilprozessualen Regelung vgl. auch § 172 BRAO Rz. 13.
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4
§ 49 BRAO Rz. 5
Pflichtverteidigung, Beistandsleistung
eines Pflichtverteidigers möglich.1 Da der Beschuldigte das Recht hat, sich eines Verteidigers seines Vertrauens zu bedienen,2 sieht § 142 Abs. 1 Satz 2 StPO vor, dass dem Beschuldigten die Möglichkeit gegeben wird, einen bestimmten Pflichtverteidiger seines Vertrauens vorzuschlagen, der grundsätzlich auch bestellt werden soll. Einen Rechtsanspruch auf Beiordnung eines bestimmten Pflichtverteidigers gibt es allerdings nicht.3 Das folgt aus der vorrangig im öffentlichen Interesse liegenden Aufgabe des Pflichtverteidigers. Genau aus diesem Grund kann auch der Rechtsanwalt nicht die Bestellung zum Pflichtverteidiger in einer bestimmten Sache verlangen.4 5
Hat der Beschuldigte auf eigene Initiative zunächst einen Wahlverteidiger gewählt, kann er dessen Bestellung als Pflichtverteidiger beantragen.5 Hat der Wahlverteidiger das Mandat niedergelegt, kann das Gericht jenen Wahlverteidiger nunmehr als Pflichtverteidiger bestellen.6 Die Niederlegung des Mandats hindert die Beiordnung demnach nicht. Der Pflichtverteidiger soll möglichst aus der Zahl der im Gerichtsbezirk niedergelassenen Rechtsanwälte bestellt werden.7 Jene Regelung dient dem Kosteninteresse der Justizkasse; wobei jenes Kosteninteresse gegenüber dem Interesse des Beschuldigten auf Bestellung eines Pflichtverteidigers seines Vertrauens abzuwägen ist.8 Darüber hinaus trägt jene Regelung der Tatsache Rechnung, dass der Pflichtverteidiger sowohl in der Hauptverhandlung am Ort des Gerichts anwesend sein, als auch für den – in den Fällen notwendiger Verteidigung vielfach in Untersuchungshaft befindlichen – Beschuldigten erreichbar sein muss.9 III. Wirkung der Bestellung
6
Durch seine Beiordnung als Pflichtverteidiger erlangt der Rechtsanwalt unmittelbar die Rechte und Pflichten des Verteidigers. Der Abschluss eines Geschäftsbesorgungsvertrages ist – anders als im Fall des § 48 BRAO (§ 48 BRAO Rz. 3b) – nicht erforderlich. Nimmt der Pflichtverteidiger seine ihm durch die Verfahrensordnung übertragenen Aufgaben nicht wahr, hat dies die sich aus der Verfahrensordnung jeweils ergebenden Folgen. Unabhängig davon sind berufsrechtliche Disziplinarmaßnahmen und Schadenersatzpflichten denkbar. Die in § 145 Abs. 4 StPO vorgesehene Möglichkeit, dem Pflichtverteidiger die Kosten der Aussetzung des Verfahrens aufzuerlegen, wenn „durch die Schuld des Verteidigers eine Aussetzung erforderlich wird“, ist nicht als Sanktion für die Verletzung von Pflichten zu verstehen.10 Da sich eine aktive Pflichtverteidigung nicht erzwingen lässt, muss der Anwalt, der sich der Pflichtverteidigung verweigert, entpflichtet werden, weil seine Beiordnung nicht die Gewähr dafür bietet, dass der Zweck der Beiordnung erfüllt wird.11 IV. Aufhebung der Bestellung
7
Die durch Hinweis auf § 48 Abs. 2 BRAO mögliche Aufhebung der Beiordnung als Pflichtverteidiger kommt in Betracht, wenn die bisherige Mitwirkung des Verteidigers am Verfahren der Zielsetzung der Beiordnung als Verteidiger nicht entspricht oder auch nach erfolgter Entbindung als Pflichtverteidiger gewährleistet ist, dass der Beschuldigte ordnungsgemäß verteidigt wird. Im Einzelnen sind folgende Konstellationen denkbar:12
1 2 3 4 5
6 7 8 9 10
11 12
Vgl. OLG Stuttgart, NJW 2000, 3367; KK/Laufhütte, § 141 StPO Rz. 11 m.w.N. BVerfGE 9, 36 (38). BVerfGE 9, 36 (38); 39, 238 (243). BVerfGE 39, 238 (242). Vgl. OLG Koblenz, StV 1995, 118. Danach ist regelmäßig ein zwischen Beschuldigtem und bisherigem Wahlverteidiger bestehendes Vertrauensverhältnis zu vermuten, das es rechtfertigt, diesen zum Pflichtverteidiger zu bestellen. Vgl. andererseits aber auch zum sog. „Erschleichen der Pflichtverteidigung“ Molketin, MDR 1989, 503. BGH, NJW 1993, 3275 (3276). § 142 Abs. 1 Satz 1 StPO i.d.F. d. GSRA. Vgl. dazu BGH, NJW 1997, 3385 (3386). Vgl. dazu BGH, NJW 1997, 3385 (3386); OLG Nürnberg, OLGSt StPO § 142 Nr. 6. So Brangsch, AnwBl. 1972, 15. Der seinerzeit in der berufsrechtlichen Literatur vertretenen Auffassung, wegen der damals geringen Pflichtverteidigergebühren sei die berufspflichtwidrige Ablehnung der Übernahme von Pflichtverteidigerbestellungen nicht ahndbar, Brangsch, a.a.O., wird man angesichts der vorgenommenen Änderungen im Vergütungssystem nicht mehr folgen können. Vgl. dazu auch OLG Karlsruhe, StV 2005, 77, m.w.N. Vgl. dazu auch die Zusammenstellung bei Hellwig/Zebisch, NStZ 2010, 602.
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Pflichtverteidigung, Beistandsleistung
Rz. 10 § 49 BRAO
1. Bestellung eines Wahlanwalts Nach § 143 StPO ist die Bestellung zurück zu nehmen, wenn demnächst ein anderer Verteidiger gewählt wird und jener Verteidiger die Verteidigung übernimmt. Die Annahme des Gerichts, der Beschuldigte werde das Honorar des Wahlverteidigers nicht zahlen können, so dass dessen Verbleib im Verfahren nicht gesichert sei, rechtfertigt nicht die Aufrechterhaltung der Beiordnung, da die Möglichkeit besteht, den Wahlverteidiger zum Pflichtverteidiger zu bestellen.1 Besteht ein Bedürfnis, dafür, Vorsorge treffen zu müssen, dass das Verfahren nicht durch „Obstruktion“2 des Wahlverteidigers behindert wird, ist es zulässig, die Beiordnung des bisherigen Pflichtverteidigers aufrecht zu erhalten.3 Das gilt insbesondere in umfangreichen Strafverfahren.4
8
2. Pflichtwidrige Ausübung der Pflichtverteidigung Als wichtiger Grund für die Abberufung i.S.d. §§ 49 Abs. 2, 48 Abs. 2 BRAO kommt im Übrigen jeder Umstand in Betracht, der den Zweck der Pflichtverteidigung, dem Beschuldigten einen geeigneten Beistand sowie den ordnungsgemäßen Verfahrensablauf zu sichern, ernsthaft gefährdet.5 Dazu gehören Fälle der Interessenkollision. Als Interessenkollision kommt die Wahrnehmung der Interessen des Opfers in einem früheren oder noch laufenden Verfahren in Betracht;6 ferner die Vertretung eines Mitbeschuldigten7 oder der Verdacht gegen den Pflichtverteidiger selbst, an der angeklagten Tat oder einer Anschlusstat beteiligt zu sein.8 Das Fehlen eines Vertrauensverhältnisses zwischen Beschuldigtem und Pflichtverteidiger stellt dagegen im Fall des Antrags auf Entpflichtung durch den Verteidiger keinen wichtigen Grund für die Entpflichtung dar. Ob der Verteidiger dem Beschuldigten vertraut, ist für die ordnungsgemäße Verteidigung des Beschuldigten ohne Belang.9 Eine ablehnende oder feindliche Haltung der Wahlverteidiger oder der Beschuldigten10 rechtfertigt für sich genommen die Entpflichtung ebenfalls nicht. Selbst Tätlichkeiten gegen den Pflichtverteidiger durch einen Beschuldigten,11 der damit die Entpflichtung des gegen seinen Willen bestellten Pflichtverteidigers erreichen wollte, sind nicht als wichtiger Grund angesehen worden, die Bestellung des Pflichtverteidigers aufzuheben.12
9
3. Vertrauensverlust Von der Möglichkeit des Anwaltes, auf eigenen Antrag von der Übernahme der Verteidigung befreit zu werden, ist die den Regeln des Strafprozessrechts folgende Entpflichtung des Pflichtverteidigers von Amts wegen oder auf Antrag des Beschuldigten zu unterschei1 Vgl. OLG Frankfurt, StV 2001, 610 f. 2 Vgl. zum Begriff Haffke, StV 1981, 471 (475 ff.). Das dem Strafverteidiger zur Verfügung stehende „Obstruktionspotential“ ergibt sich daraus, dass das Strafverfahren nur durchgeführt werden kann, wenn der Verteidiger während der Hauptverhandlung ständig anwesend ist. Fehlt er, ist nach § 338 Nr. 5 StPO ein absoluter Revisionsgrund gegeben. Die Bestellung eines neuen Pflichtverteidigers erfordert, dass diesem ausreichend Zeit zur Verfügung steht, um sich einarbeiten zu können. Wird ihm diese nicht gewährt, liegt wiederum ein absoluter Revisionsgrund nach § 338 Nr. 8 StPO vor. In umfangreichen Strafverfahren ist der zur Einarbeitung erforderliche Zeitraum länger als der Zeitraum, während dessen die Hauptverhandlung nach § 229 StPO maximal unterbrochen werden darf. Ein Wechsel in der Person des Verteidigers kann deswegen dazu führen, dass das Verfahren „platzt“ und von neuem mit der Hauptverhandlung begonnen werden muss. Aus diesen Besonderheiten des Strafverfahrens erklärt sich, dass die Rechtsprechung hohe Anforderungen an den „wichtigen Grund“ stellt, den eine Entpflichtung des Verteidigers erfordert. 3 Vgl. dazu BGH, StV 2004, 302; Dethlefsen, Die Abberufung eines Pflichtverteidigers, 1997, S. 124 ff.; Theiß, Die Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung de lege lata und de lege ferenda, 2004, S. 50 ff. 4 Vgl. dazu OLG Karlsruhe, NJW 1978, 1172; OLG Frankfurt, StV 2001, 610 (611); Pfeiffer, § 141 StPO Rz. 1. 5 BVerfGE 39, 238 (245); vgl. zu den einzelnen Fallgruppen Seier, FS Hirsch, 1999, S. 976; Theiß, Die Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung de lege lata und de lege ferenda, 2004, S. 263 ff.; Dethlefsen, Die Abberufung eines Pflichtverteidigers, 1997, S. 190 ff. 6 Vgl. dazu BGH, StV 1992, 406 (407). 7 Vgl. dazu OLG Frankfurt, NJW 1999, 1414 (1415). 8 Vgl. dazu Seier, FS Hirsch, 1999, S. 981. 9 So zutreffend Dethlefsen, Die Abberufung des Pflichtverteidigers, 1997 S. 195, Theiß, Die Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung de lege lata und de lege ferenda, 1997, S. 283, vgl. auch BGH, NJW 1993, 3275 (3277). 10 Vgl. dazu OLG Karlsruhe, NJW 1978, 1172. 11 Vgl. KG, AnwBl. 1978, 241. 12 Vgl. KG, AnwBl. 1978, 241.
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10
§ 49 BRAO Rz. 11
Pflichtverteidigung, Beistandsleistung
den. Liegen Umstände vor, die auch bei objektiver Betrachtung aus Sicht des Beschuldigten eine nachhaltige Beeinträchtigung seines Vertrauens in eine sachgerechte Verteidigung durch den Pflichtverteidiger besorgen lassen, kann der Vorsitzende die Bestellung auch dann zurücknehmen und einen anderen Pflichtverteidiger bestellen,1 wenn der zunächst bestellte Pflichtverteidiger berufsrechtlich weiterhin zur Übernahme der Verteidigung verpflichtet wäre. 4. Langfristige Verhinderung 11
Einer Verhinderung durch verlegbare Termine hat der Pflichtverteidiger vorzusorgen,2 im Einzelfall ist bei der Terminierung der Hauptverhandlung auf seine berechtigten Belange Rücksicht zu nehmen.3 In Einzelfällen kann er im Termin durch seinen allgemein bestellten Vertreter4 oder einen speziell für den Termin zum Pflichtverteidiger bestellten Kollegen5 vertreten werden. Wegen Terminschwierigkeiten wird der Rechtsanwalt daher regelmäßig nicht von der Pflichtverteidigung entbunden werden. Denkbarer Grund für die Abbestellung des Pflichtverteidigers ist jedoch die vorhersehbare längerfristige Verhinderung im Termin durch Krankheit, Mutterschutz, u.ä.6 Die Notwendigkeit der Einschränkung des allgemeinen Kanzleibetriebs7 für die Zeit der Pflichtverteidigung ist kein wichtiger Grund im Sinne der §§ 49 Abs. 2, 48 Abs. 2 BRAO. 5. Unkenntnis des Straf- und Strafverfahrensrechts; Bedrohung durch Dritte
12
Mangelnde Erfahrung im Straf- oder Strafverfahrensrecht begründet die Entpflichtung. Zwar fordert § 142 Abs. 1 StPO nicht ausdrücklich besondere Befähigung oder Erfahrung als Voraussetzung für die Bestellung als Verteidiger. Der Zweck der Bestellung, im öffentlichen Interesse dafür zu sorgen, dass ein Beschuldigter in den vom Gesetz bestimmten Fällen rechtskundigen Beistand erhält und dass ein ordnungsgemäßer Verfahrensablauf gewährleistet ist (vgl. Rz. 1), erfordert jedoch die Kenntnis des formellen und materiellen Rechts; oder zumindest die Selbsteinschätzung des Anwalts, sich in jene Materie zügig einarbeiten zu können. Ist jene Voraussetzung nicht gegeben, kann die Entpflichtung mit Erfolg begehrt werden.8 Drohen dem Anwalt konkrete Gefahren, etwa gesundheitlicher Art oder eine konkrete Bedrohung durch Dritte,9 kann er ebenfalls seine Entpflichtung durchsetzen. zur Übernahme der Beratungshilfe 49a BRAO Pflicht (1) Der Rechtsanwalt ist verpflichtet, die in dem Beratungshilfege1
setz vorgesehene Beratungshilfe zu übernehmen. 2Er kann die Beratungshilfe im Einzelfall aus wichtigem Grund ablehnen. (2) 1Der Rechtsanwalt ist verpflichtet, bei Einrichtungen der Rechtsanwaltschaft für die Beratung von Rechtsuchenden mit geringem Einkommen mitzuwirken. 2Er kann die Mitwirkung im Einzelfall aus wichtigem Grund ablehnen. . . .
1
. . . . . . . . . .
2
A. Verfassungsrechtliche Grundlagen B. Inhalt der Regelung
I. Kontrahierungszwang . . . . . . . . . II. Gegenstand der Beratungshilfe . . . . .
2 3
A. Verfassungsrechtliche Grundlagen 1
Die Beratungshilfe für Bürger mit geringem Einkommen ist das vor- und außergerichtliche Gegenstück zur Prozesskostenhilfe.10 Beratungshilfe wird als Sozialhilfe auf dem Ge1 2 3 4 5 6 7 8
Vgl. etwa BGH, NJW 1993, 3275 (3277). Vgl. BGH, NJW 1961, 740 (741). Vgl. OLG Düsseldorf, StV 1998, 256. BGH, NStZ 1992, 248. Vgl. dazu BGH, StV 2004, 302 f. Vgl. dazu Seier, FS Joachim Hirsch, 1999, S. 980. Vgl. OLG Frankfurt, NJW 1972, 1964 (1965). Wie hier allerdings ohne Begründung Hartung/Römermann/Lörcher, § 49 BRAO Rz. 9; Feuerich/Weyland, § 49 BRAO Rz. 9. A.A. Dethlefsen, Die Abberufung eines Pflichtverteidigers, 1997, S. 194. 9 Vgl. OLG Schleswig, SchlHA 1982, 122. Pauschale anonyme Bedrohungen ohne polizeiliche Erkenntnisse zu einer tatsächlichen Gefährdung der Verteidiger genügen allerdings nicht. 10 Vgl. Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung v. 2.11.1979, BT-Drs. 8/3311, S. 9.
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Pflicht zur Übernahme der Beratungshilfe
Rz. 4 § 49a BRAO
biet der Rechtspflege verstanden.1 Verfassungsrechtliche Diskussionen hat die Regelung des § 49a BRAO bei ihrem Inkrafttreten nicht ausgelöst,2 obwohl schon seinerzeit erkennbar war, dass ein Teil der finanziellen Lasten jener Sozialhilfeleistung auf die Anwaltschaft abgewälzt werden würde.3 Die Vergütung für die anwaltliche Tätigkeit war nämlich schon im Gesetzgebungsverfahren unterhalb derjenigen angesetzt, die der Anwalt für Wahlanwaltsleistungen verlangen kann.4 Die Vergütungssätze wurden allerdings angehoben.5 B. Inhalt der Regelung I. Kontrahierungszwang Die Regelung des § 49a BRAO verpflichtet den Anwalt, mit dem Berechtigten einen Geschäftsbesorgungsvertrag abzuschließen;6 jener Pflicht kann er sich nicht unter Hinweis auf die ihm zustehende – gegenüber der Wahlleistung niedrigere – Vergütung entziehen. Vereinbarungen über eine Vergütung sind nichtig.7
2
II. Gegenstand der Beratungshilfe Voraussetzung für die Gewährung von Beratungshilfe ist, dass der Bedürftige die Mittel für die Beratung durch einen Anwalt nicht selbst aufbringen kann, ihm nicht andere Möglichkeiten zur Verfügung stehen, deren Inanspruchnahme dem Rechtsuchenden zuzumuten ist, und die Wahrnehmung der aus dem Beratungshilfegesetz gewährten Rechte nicht mutwillig ist.8 Mittellos ist der Beratungsbedürftige, wenn in seiner Person die Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung erfüllt sind.9 Andere zumutbare Möglichkeiten, rechtliche Beratung zu erlangen, sind etwa für Gewerkschaftsmitglieder die Gewerkschaften; soweit Unterhaltsansprüche Gegenstand der Beratung sein sollen, das Jugendamt. Mietervereine und Verbraucherschutzverbände gehören ebenfalls zu den Einrichtungen, bei denen zumutbar anderweitige rechtliche Beratung erlangt werden kann.10 Der Begriff der Mutwilligkeit im Sinne des § 1 BerHG ist nicht mit dem des Prozesskostenhilferechts gleichzusetzen.11 Auf etwaige Erfolgsaussichten des rechtlichen Begehrens kommt es im Rahmen der Beratungshilfe nicht an,12 der Beratungshilfebedürftige will gerade die ihm unklare rechtliche Situation klären und prüfen lassen, ob Erfolgsaussichten bestehen.
3
Liegen die Voraussetzungen für die Gewährung von Beratungshilfe vor, erteilt der Rechtspfleger des Amtsgerichts am Wohnsitz des Rechtsuchenden auf dessen Antrag einen Berechtigungsschein für Beratungshilfe, wenn der Beratungshilfe nicht unmittelbar durch das Amtsgericht durch sofortige Auskunft, einen Hinweis auf andere Möglichkeiten für Hilfe oder die Aufnahme eines Antrages oder einer Erklärung entsprochen werden kann.13 Der Beratungshilfebedürftige kann auch unmittelbar einen Anwalt aufsuchen und um Beratung nachsuchen. Er muss dort seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse glaubhaft machen sowie versichern, dass er beim Amtsgericht noch nicht um Beratungshilfe nachgesucht hat und ihm diese dort auch nicht abgelehnt worden ist.14 Der Anwalt, der die Beratung erteilt hat, beantragt alsdann – ggf. konkludent über den gestellten Vergütungsantrag15 –
4
1 Vgl. dazu BVerfGE 35, 348 (355). 2 In der Begründung zum Gesetzentwurf findet sich lediglich der Satz: „Die Bundesrechtsanwaltsordnung ist durch eine gesetzliche Regelung über die Verpflichtung des Rechtsanwalts zum Beistand im Wege der Beratungshilfe zu erweitern “, BT-Drs. 8/3311, S. 16. 3 Zur Struktur des Teilmarktes, auf dem Beratungsleistungen im Rahmen der Beratungshilfe erbracht werden: Kilian, BRAK-Mitt. 2010, 106. 4 Vgl. BT-Drs. 8/3311, S. 15. 5 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz (BGBl. I 2013, S. 2586). 6 Klein, JurBüro 2001, 172 (176), spricht von Kontrahierungszwang. 7 § 8 BerHG. 8 § 1 Abs. 1 BerHG. 9 § 1 Abs. 1 BerHG. 10 In den Stadtstaaten Hamburg, Bremen und Berlin auch die öffentlichen Rechtsberatungsstellen, § 14 BerHG. Vgl. zur Möglichkeit anderweitiger Rechtsauskunftshilfe ausführlich Schoreit/Groß/Dehn, § 1 BerHG Rz. 58 ff; Kalthoener/Büttner/Wrobel/Sachs, Rz. 941 ff. 11 Bischof, NJW 1981, 895; Schoreit/Groß/Dehn, § 1 BerHG Rz. 100 m.w.N. 12 Vgl. Grunsky, NJW 1980, 2041 (2047); Schoreit/Groß/Dehn, § 1 BerHG Rz. 104 m.w.N. 13 §§ 3, 4 BerHG. 14 § 7 BerHG. 15 Vgl. zum Ablauf auch Engels, in: Vorwerk, Das Prozessformularbuch, Kap. 6, Rz. 22 ff.
Vorwerk 727
§ 49b BRAO
Vergütung
die Erteilung des Berechtigungsscheins für den Beratungsbedürftigen. Stellt das Amtsgericht fest, dass die Voraussetzungen für die Gewährung von Beratungshilfe nicht vorgelegen haben, trägt der Anwalt bei Wahl dieses Verfahrensablaufs allerdings das Gebührenrisiko.1
49b BRAO Vergütung (1) Es ist unzulässig, geringere Gebühren und Auslagen zu verein1
baren oder zu fordern, als das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz vorsieht, soweit dieses nichts anderes bestimmt. 2Im Einzelfall darf der Rechtsanwalt besonderen Umständen in der Person des Auftraggebers, insbesondere dessen Bedürftigkeit, Rechnung tragen durch Ermäßigung oder Erlass von Gebühren oder Auslagen nach Erledigung des Auftrags. (2) 1Vereinbarungen, durch die eine Vergütung oder ihre Höhe vom Ausgang der Sache oder vom Erfolg der anwaltlichen Tätigkeit abhängig gemacht wird oder nach denen der Rechtsanwalt einen Teil des erstrittenen Betrages als Honorar erhält (Erfolgshonorar), sind unzulässig, soweit das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz nichts anderes bestimmt. 2Vereinbarungen, durch die der Rechtsanwalt sich verpflichtet, Gerichtskosten, Verwaltungskosten oder Kosten anderer Beteiligter zu tragen, sind unzulässig. 3Ein Erfolgshonorar im Sinne des Satzes 1 liegt nicht vor, wenn lediglich vereinbart wird, dass sich die gesetzlichen Gebühren ohne weitere Bedingungen erhöhen.
(3) 1Die Abgabe und Entgegennahme eines Teils der Gebühren oder sonstiger Vorteile für die Vermittlung von Aufträgen, gleichviel ob im Verhältnis zu einem Rechtsanwalt oder Dritten gleich welcher Art, ist unzulässig. 2Zulässig ist es jedoch, eine über den Rahmen der Nummer 3400 der Anlage 1 zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz hinausgehende Tätigkeit eines anderen Rechtsanwalts angemessen zu honorieren. 3Die Honorierung der Leistungen hat der Verantwortlichkeit sowie dem Haftungsrisiko der beteiligten Rechtsanwälte und den sonstigen Umständen Rechnung zu tragen. 4Die Vereinbarung einer solchen Honorierung darf nicht zur Voraussetzung einer Mandatserteilung gemacht werden. 5Mehrere beauftragte Rechtsanwälte dürfen einen Auftrag gemeinsam bearbeiten und die Gebühren in einem den Leistungen, der Verantwortlichkeit und dem Haftungsrisiko entsprechenden angemessenen Verhältnis untereinander teilen. 6Die Sätze 2 und 3 gelten nicht für beim Bundesgerichtshof zugelassene Prozessbevollmächtigte. (4) 1Die Abtretung von Vergütungsforderungen oder die Übertragung ihrer Einziehung an Rechtsanwälte oder rechtsanwaltliche Berufsausübungsgemeinschaften (§ 59a) ist zulässig. 2Im Übrigen sind Abtretung oder Übertragung nur zulässig, wenn eine ausdrückliche, schriftliche Einwilligung des Mandanten vorliegt oder die Forderung rechtskräftig festgestellt ist. 3Vor der Einwilligung ist der Mandant über die Informationspflicht des Rechtsanwalts gegenüber dem neuen Gläubiger oder Einziehungsermächtigten aufzuklären. 4Der neue Gläubiger oder Einziehungsermächtigte ist in gleicher Weise zur Verschwiegenheit verpflichtet wie der beauftragte Rechtsanwalt. (5) Richten sich die zu erhebenden Gebühren nach dem Gegenstandswert, hat der Rechtsanwalt vor Übernahme des Auftrags hierauf hinzuweisen. A. Allgemeines/Geltungsbereich . . . . . . I. Regelungsinhalt . . . . . . . . . . . . II. Letzte Gesetzesänderungen . . . . . . .
1 1 2
. . . . . .
3 3 4 5 7 10
C. Einzelkommentierung . . . . . . . . . I. Verbot der Unterschreitung der gesetzlichen Gebühren (§ 49b Abs. 1 BRAO) . . 1. Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verstoß gegen das Gebührenunterschreitungsverbot . . . . . . . . . . . . . . a) Berufsrechtliche Folgen . . . . . . .
18
B. Zweck der Norm . . . . . . . . I. Regelungszweck . . . . . . . . II. Anwendungsbereich . . . . . . 1. Persönlicher Anwendungsbereich 2. Sachlicher Anwendungsbereich . 3. Ausnahmen . . . . . . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
18 18 24 25
1 Vgl. dazu Schoreit/Groß/Dehn, § 7 BerHG Rz. 3.
728 von Seltmann
b) Zivilrechtliche Folgen . . . . . . . 3. Preiswerbung . . . . . . . . . . . . II. Erfolgshonorar und quota litis (§ 49b Abs. 2 BRAO) . . . . . . . . . 1. Struktur der Neuregelung. . . . . . . 2. Inhalt der Regelung . . . . . . . . . 3. Belehrungspflichten . . . . . . . . . 4. Keine Regelung zum Teilerfolg . . . . 5. Formvorschriften . . . . . . . . . . 6. Erhöhung der gesetzlichen Gebühren (§ 49b Abs. 2 S. 3 BRAO) . . . . . . . 7. Folgen einer unwirksamen Erfolgshonorarvereinbarung . . . . . . . . . . . III. Gebührenteilung (§ 49b Abs. 3 BRAO) . 1. Verbot der Entgegennahme von Gebühren für die Vermittlung von Aufträgen .
. .
26 27
. . . . . .
33 35 37 42 43 44
.
47
. 47a . 48 .
49
Rz. 5 § 49b BRAO
Vergütung 2. Zulässige Gebührenteilung . . . . . . . IV. Abtretung von Vergütungsforderungen (§ 49b Abs. 4 BRAO) . . . . . . . . . . 1. Abtretung und Übertragung an Rechtsanwälte (§ 49b Abs. 4 S. 1 BRAO) . . . . 2. Abtretung und Übertragung an andere Personen als Rechtsanwälte (§ 49b Abs. 4 S. 2 BRAO) . . . . . . . . . . . . . . 3. Aufklärungspflicht (§ 49b Abs. 4 S. 3 BRAO) . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verschwiegenheitspflicht (§ 49b Abs. 4 S. 4 BRAO) . . . . . . . . . . . . . .
50 54 56
5. Honorarausfallversicherung . . . . . . . V. Hinweis- und Informationspflichten des Rechtsanwalts (§ 49b Abs. 5 BRAO) . . . VI. Grundsätzliche Pflicht zur Belehrung über die Anwaltsvergütung . . . . . . .
63 64 73
§ 21 BORA Honorarvereinbarung (S. 743) 59 61
§ 22 BORA Gebühren- und Honorarteilung (S. 743 f.) § 23 BORA Abrechnungsverhalten (S. 744)
62
A. Allgemeines/Geltungsbereich I. Regelungsinhalt § 49b BRAO wurde durch Gesetz vom 2.9.1994 mit Wirkung zum 8.9.1994 neu eingeführt.1 Er regelt das Verbot der Unterschreitung des gesetzlichen Gebühren (Abs. 1), das grundsätzliche Verbot der Vereinbarung von Erfolgshonoraren und quota litis-Vereinbarungen (Abs. 2), unter welchen Voraussetzungen Gebührenteilungen möglich sind (Abs. 3), die Abtretung von Vergütungsforderungen (Abs. 4) sowie die Hinweispflicht bei gegenstandswertabhängigen Gebühren (Abs. 5).
1
II. Letzte Gesetzesänderungen § 49b BRAO wurde seit seinem Inkrafttreten bereits einige Male geändert. Wesentliche Änderungen waren die Einführung der Hinweispflicht bei gegenstandswertabhängigen Gebühren in Abs. 5 durch das Kostenrechtsmodernisierungsgesetz mit Wirkung zum 1.7.2004,2 die Änderung der Abtretungsregel in Abs. 4 durch Gesetz vom 12.12.2007 mit Wirkung zum 18.12.2007,3 die Neuregelung des anwaltlichen Erfolgshonorars durch Gesetz vom 12.6.2008,4 das am 1.7.2008 in Kraft trat sowie die redaktionelle Änderung in Abs. 3 S. 6, dass die Sätze 2 und 3 lediglich für am Bundesgerichtshof zugelassene Rechtsanwälte nicht gelten, durch Gesetz vom 18.6.2009 mit Wirkung zum 1.9.2009.5
2
B. Zweck der Norm I. Regelungszweck § 49b enthält die wesentlichen berufsrechtlichen Bestimmungen zu anwaltlichen Vergütung. Die in § 49b BRAO festgelegten Grundsätze werden durch die Vorschriften des RVG und der BORA ergänzt, konkretisiert und weiter ausgeformt.
3
II. Anwendungsbereich Der Anwendungsbereich des § 49b BRAO ist persönlich auf den Rechtsanwalt und sachlich auf seine anwaltliche Tätigkeit beschränkt. Der Anwendungsbereich entspricht dem, den § 1 RVG für die Vergütung des Rechtsanwalts festlegt.
4
1. Persönlicher Anwendungsbereich Durch die Beschränkung des Anwendungsbereichs des RVG auf die Rechtsanwältin bzw. den Rechtsanwalt wird erreicht, dass die Beschränkungen des § 49b BRAO allein für die Tätigkeit des Rechtsanwalts maßgeblich sind. § 49b BRAO ist nicht anwendbar auf Patentanwälte, Notare und Wirtschaftsprüfer. Das jeweilige Berufsrecht hat entsprechende eigene Vorschriften. 1 2 3 4 5
BGBl. I, S. 2278. BGBl. I, S. 718. BGBl. I, S. 2840. BGBl. I, S. 1000. BR-Drs. 377/09 v. 24.4.2009.
von Seltmann 729
5
§ 49b BRAO Rz. 6 6
Vergütung
Ausländische Rechtsanwälte können ihre Vergütung im Zweifel nach ihrem Heimatrecht fordern, wobei gleichgültig ist, ob sie in Deutschland oder im Ausland oder ob sie für Deutsche oder für Ausländer tätig werden. Europäische Anwälte, die im Inland tätig werden, haben die Stellung und damit die Rechte und Pflichten eines inländischen Rechtsanwalts. Sie können folglich gegenüber ihren inländischen Mandanten nach den Regeln des RVG abrechnen. Für deutsche Rechtsanwälte mit Sitz im Ausland ist deutsches Recht anwendbar, wenn keine abweichende Vereinbarung getroffen wurde und wenn sie in Deutschland tätig sind, z.B. einen Rechtsstreit für einen Auftraggeber mit Sitz in Deutschland führen sollen. Dagegen ist im Zweifel das Recht am Sitz des Rechtsanwalts für die Vergütung maßgeblich, wenn der Rechtsanwalt im Ausland tätig werden soll. § 49b BRAO behält aber selbst bei der Vereinbarung ausländischen Gebührenrechts über Art. 34 EGBGB als international zwingende Norm Geltung.1 2. Sachlicher Anwendungsbereich
7
Die Anwendbarkeit des § 49b BRAO ist auf die anwaltliche Tätigkeit, also die Berufstätigkeit des Rechtsanwalts beschränkt. Gemäß § 3 Abs. 1 BRAO ist der Rechtsanwalt der berufene unabhängige Berater und Vertreter in allen Rechtsangelegenheiten. Als Voraussetzung der Anwendbarkeit des § 49b BRAO muss die Tätigkeit des Rechtsanwalts für seinen Mandanten somit auf die Beratung oder Vertretung in einer Rechtsangelegenheit gerichtet sein.
8
Auch die Tätigkeit des Rechtsanwalts als Mediator ist anwaltliche Tätigkeit. Die Gegenauffassung2 lässt sich seit dem Inkrafttreten des RVG schon deshalb nicht mehr vertreten, weil das RVG in § 34 BRAO ausdrücklich die Vergütung des Rechtsanwalts für seine Tätigkeit als Mediator erwähnt.
9
Andere Mitglieder einer Rechtsanwaltskammer, Partnerschaftsgesellschaften und Rechtsanwaltsgesellschaften stehen dem Rechtsanwalt im Sinne des § 1 Abs. 1 S. 1 RVG gleich. § 49b BRAO ist also anwendbar, wenn es sich um anwaltliche Tätigkeit handelt. 3. Ausnahmen
10
Übt der Rechtsanwalt eine der in § 1 Abs. 2 RVG genannten Tätigkeiten aus, berechnet sich seine Vergütung nicht nach dem RVG. § 49b BRAO ist also ebenfalls nicht anwendbar. Die Aufzählung ist nicht abschließend. Dies folgt aus den Worten „… oder eine ähnliche Tätigkeit …“
11
Die Tätigkeit als Vormund ist gem. § 1836 Abs. 1 S. 1 BGB grundsätzlich unentgeltlich. Dies gilt grundsätzlich auch für die Tätigkeit als Betreuer, da nach § 1908i Abs. 1 BGB die §§ 1835 bis 1837 Abs. 1 bis 3 BGB sinngemäß anzuwenden sind. Die Vergütungsvoraussetzungen für die Tätigkeit des Berufsvormundes regelt § 1836 Abs. 2 BGB. Wegen der Verweisung in § 1908i BGB gilt auch diese Vorschrift entsprechend für den Berufsbetreuer.
12
Auf den Pfleger finden nach § 1915 BGB die für den Vormund geltenden Vorschriften entsprechende Anwendung. Ein Verfahrenspfleger kann gem. § 276 FamFG in Betreuungsverfahren oder gem. § 419 FamFG in Unterbringungsverfahren bestellt werden, soweit dies zu Wahrnehmung der Interessen des Betroffenen erforderlich ist. Gemäß § 277 FamFG sind der Aufwendungsersatz und die Vergütung des Pflegers aus der Staatskasse zu zahlen. Die Höhe der zu bewilligenden Vergütung ist stets nach § 1 des Gesetzes über die Vergütung von Vormündern und Betreuern zu bemessen.
13
Der Testamentsvollstrecker kann nach § 2221 BGB für seine Tätigkeit eine angemessene Vergütung verlangen, sofern nicht der Erblasser etwas anderes bestimmt hat. Die Vergütung kann festgesetzt werden durch Festlegung des Erblassers, durch Vereinbarung mit den Erben oder durch Entscheidung des Prozessgerichts.3 Die Höhe der Vergütung ist gesetzlich nicht festgelegt.
14
Die Vergütung des Insolvenzverwalters ist durch die InsVV festgelegt. Übt der Rechtsanwalt über seine Tätigkeit als Insolvenzverwalter hinaus für die Insolvenzmasse anwaltliche Tätigkeiten aus, die ein nicht als Rechtsanwalt zugelassener Insolvenzverwalter vernünftiger Weise einem Rechtsanwalt übertragen hätte, so kann er für diese Tätigkeiten eine Vergütung nach dem RVG verlangen (§ 5 InsVV). § 49b BRAO ist also anwendbar. Der Sachwalter erhält 1 OLG Frankfurt, NJW-RR 2000, 1367. 2 Enders, JurBüro 1998, 57; Römermann/Praß, AnwBl. 2013, 499. 3 Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, § 1 RVG Rz. 524 ff.
730 von Seltmann
Vergütung
Rz. 20a § 49b BRAO
gem. 12 Abs. 1 InsVV in der Regel 60 v.H. der für den Insolvenzverwalter bestimmten Vergütung. Der Treuhänder im Sinne des § 292 InsO erhält gem. § 13 InsVV 15 v.H. der Insolvenzmasse. Der Anspruch auf Vergütung und Auslagenersatz der Mitglieder eines Gläubigerausschusses richtet sich nach § 73 InsO. Die Vergütung beträgt gem. § 17 InsVV regelmäßig zwischen 35 und 95 Euro pro Stunde. Gemäß § 18 InsVV sind die Auslagen einzeln aufzuführen und zu belegen. Die Vergütung des Zwangsverwalters richtet sich nach der ZwVwV vom 19.12.2003.1
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Die Vergütung des Rechtsanwalts als Schiedsrichter ist gesetzlich nicht geregelt. Sie kann sich entweder aus einer Schiedsgerichtsordnung oder aus dem Schiedsrichtervertrag ergeben. Fehlt es an einer besonderen Vereinbarung, so gilt die übliche Vergütung gem. § 612 Abs. 2 BGB.
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Ähnliche Tätigkeiten sind z.B. die Vermögensverwaltung,2 Vertretung nach § 779 S. 2 ZPO,3 Anlageberatung.4
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C. Einzelkommentierung I. Verbot der Unterschreitung der gesetzlichen Gebühren (§ 49b Abs. 1 BRAO) 1. Grundsatz § 49b Abs. 1 S. 1 BRAO regelt, dass es unzulässig ist, geringere Gebühren und Auslagen zu vereinbaren oder zu fordern, als das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz vorsieht, soweit dieses nichts anderes bestimmt. Im Grundsatz gilt also, dass die durch das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz bestimmten Gebühren und Auslagen weder durch Vereinbarung noch durch nachträgliches Fordern geringerer Gebühren und Auslagen unterschritten werden dürfen. Allerdings verweist § 49b Abs. 1 S. 1 BRAO auf die Vorschriften des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes, soweit diese abweichende Regelungen treffen.
18
§ 4 Abs. 1 S. 1 RVG regelt, dass in außergerichtlichen Angelegenheiten eine niedrigere als die gesetzliche Vergütung vereinbart werden kann. Die wichtigste Ausnahme vom Gebührenunterschreitungsverbot des § 49b Abs. 1 BRAO sind also sämtliche außergerichtlichen Angelegenheiten. Allerdings ist zu beachten, dass für die außergerichtliche Beratung seit dem 1.7. 2006 keine gesetzliche Vergütung mehr existiert. Dies bedeutet, dass der Bereich der Beratung ohnehin mangels gesetzlicher Gebührenregelung nicht dem Gebührenunterschreitungsverbot unterliegt.5 Für den Bereich der außergerichtlichen Vertretung kann nach § 49b Abs. 1 i.V.m. § 4 Abs. 1 RVG eine niedrigere als die gesetzliche Vergütung vereinbart werden. Das Gebührenunterschreitungsverbot gilt umgekehrt also nur für die gerichtlichen Angelegenheiten. Eine Einschränkung, die sowohl eine Grenze nach unten als auch eine Grenze nach oben bedeutet, sieht allerdings § 4 Abs. 1 S. 2 RVG vor. Die vereinbarte Vergütung muss danach in einem angemessenen Verhältnis zu Leistung, Verantwortung und Haftungsrisiko des Rechtsanwalts stehen.
19
Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist durch das Gesetz zur Änderung des Prozesskostenhilfe- und Beratungshilferechts mit Wirkung ab dem 1.1.2014 in § 4 Abs. 1 Satz 3 RVG eingefügt worden. Liegen die Voraussetzungen der Bewilligung von Beratungshilfe vor, kann der Rechtsanwalt auch bei der außergerichtlichen Vertretung auf die Vergütung verzichten.6 Pro-bono-Tätigkeit ist also ausdrücklich zulässig unter der Bedingung, dass die Beratungshilfevoraussetzungen im konkreten Fall gegeben sind.
20
Immer wieder stellt sich die Frage, ob es eine gesetzliche Gebühr bei Rahmengebühren gibt und wie hoch diese ist. Diese Frage ist insbesondere bei den Betragsrahmengebühren im sozialgerichtlichen Verfahren sowie in gerichtlichen Bußgeld- sowie Strafverfahren im Hinblick auf das Gebührenunterschreitungsverbot des § 49b Abs. 1 BRAO zu entscheiden. Es kann insbesondere dann eine Rolle spielen, wenn Rechtsdienstleistungen auf Gebieten, in denen Betragsrahmengebühren bestehen, ausgeschrieben werden (z.B. Hartz IV-Verfahren),
20a
1 2 3 4 5 6
BGBl. I, S. 2804. BGH, BB 1969, 1413. Mümmler, JurBüro 1976, 159 (164). BGH, AnwBl. 1980, 458. BR-Drs. 516/12, S. 72. BGBl. I 2013, S. 3533.
von Seltmann 731
§ 49b BRAO Rz. 20b
Vergütung
wenn sog. Rationalisierungsabkommen mit Rechtsschutzversicherern getroffen werden, die auch Gebührenabreden für Bereiche enthalten, in denen Betragsrahmengebühren entstehen (insbesondere Bußgeldsachen) sowie bei Preiswerbungen von Rechtsanwaltskanzleien. 20b
Zu unterscheiden ist zwischen Betragsrahmengebühren und Satzrahmengebühren. Bei Betragsrahmengebühren werden jeweils die untere und die obere Grenze durch Beträge in Euro angegeben, während bei Satzrahmengebühren die untere und die obere Grenze durch festgelegte Gebührensätze bestimmt werden.
20c
§ 14 RVG regelt die Bestimmung der konkreten Gebühr bei Rahmengebühren. Der Rechtsanwalt bestimmt gem. § 14 Abs. 1 RVG die Gebühr. Es ist seine Aufgabe, die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände zu bestimmen.1 Unabhängig davon, ob also Satzrahmengebühren oder Betragsrahmengebühren geregelt sind, muss der Rechtsanwalt sein Ermessen unter Anwendung der in § 14 RVG genannten Kriterien Umfang der anwaltlichen Tätigkeit, Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, Bedeutung der Angelegenheit, Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Auftraggebers, Haftungsrisiko und ggf. weiterer Bemessungskriterien bestimmen. Da § 14 Abs. 1 RVG vorgibt, dass der Rechtsanwalt im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände sein Ermessen auszuüben hat, ist Voraussetzung, dass sämtliche Umstände, die für die Gebührenbemessung in dem konkreten Einzelfall erforderlich sind, auch bekannt sind. Die dann durch Ermessensausübung bestimmte Gebühr ist die Gebühr im konkreten Einzelfall.
20d
Zu beantworten ist ferner die Frage, ob die für den Einzelfall bestimmte Gebühr auch die gesetzliche Gebühr im Sinne des § 49b Abs. 1 BRAO ist oder ob es Grund für die Annahme gibt, dass die gesetzliche Gebühr die Rahmenuntergrenze ist. Dies ist ausdrücklich zu verneinen. Das Gesetz gibt einen Gebührenrahmen vor und regelt gleichzeitig, wie die Gebühr innerhalb des Rahmens zu bestimmen ist. Diese bestimmte gesetzliche Gebühr ist gerichtlich überprüfbar. Die Rahmenuntergrenze stellt hingegen nur die Grenze dar, die bei gerichtlichen Gebühren erst recht nicht unterschritten werden darf. Die gesetzliche Gebühr ist also die im konkreten Einzelfall bestimmte Gebühr.
20e
Eine Unterschreitung der gesetzlichen Gebühr liegt also vor, wenn der Rechtsanwalt die im Einzelfall nach den Kriterien des § 14 RVG bestimmte Gebühr unterschreitet. In der Kommentierung wird dieses Problem im Wesentlichen ausgeklammert, Lediglich Kilian stellt fest, dass bei Rahmengebühren der Rechtsanwalt die Gebühr nach billigem Ermessen unter Anwendung des § 14 RVG zu bestimmen hat, sodass nur die den Ermessensspielraum überschreitende Einstufung „nach unten“ tatbestandsmäßig im Sinne des § 49b Abs. 1 BRAO sein kann.2
20f
Dieser Auffassung ist zuzustimmen. Dafür, dass gegen das Gebührenunterschreitungsverbot nur dann verstoßen wird, wenn die Rahmenuntergrenze unterschritten wird, gibt es keinerlei Anhaltspunkte.
20g
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 2.1. 2012.3 Zwar stellt das OLG in Rz. 47 der Entscheidung fest, dass die Antragstellerin mit der Kalkulierung von Mindestgebühren nicht die gesetzliche Rechtsanwaltsvergütung unterschreite. Allerdings wird auch geprüft, ob die Antragstellerin ihr Ermessen bei ihrer Kalkulation ausgeübt hat. Das Gericht kommt zu dem Ergebnis, dass dies der Fall sei. Die einzelnen Kriterien werden genannt, sodass nach Auffassung des OLG Düsseldorf das Preisangebot der Antragstellerin nicht ungewöhnlich niedrig sei, sondern sich innerhalb der Bandbreite der zulässigen Rahmengebühr nach § 14 RVG halte, auch wenn dabei der Vergütungsrahmen nach unten ausgeschöpft worden sei. Das Angebot gerate deswegen aber nicht in die „Gefahrenzone“ einer niedrigeren als der gesetzlichen und dann rechtlich unstatthaften Vergütung (vgl. Rz. 30). Daraus ist zu schließen, dass das OLG Düsseldorf gerade nicht davon ausgeht, dass die Unterschreitung der gesetzlichen Gebühr schon dann ausgeschlossen ist, wenn die gesetzliche Mindestgebühr nicht unterschritten wird, sondern dass es sehr wohl die Ausübung des Ermessens durch den Rechtsanwalt zur Voraussetzung der Bestimmung der gesetzlichen Gebühr macht.
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Allerdings gilt das Gebührenunterschreitungsverbot des § 49b Abs. 1 BRAO auch in gerichtlichen Verfahren nicht uneingeschränkt. § 4 Abs. 2 RVG bestimmt, dass der Rechtsanwalt sich für gerichtliche Mahnverfahren und Zwangsvollstreckungsverfahren nach den 1 Gerold/Schmidt/Mayer, § 14 RVG Rz. 4. 2 Henssler/Prütting/Kilian, § 49b Rz. 26. 3 VII – Verg 70/11.
732 von Seltmann
Vergütung
Rz. 25 § 49b BRAO
§§ 803 bis 863 und 899 bis 915b der Zivilprozessordnung verpflichten kann, dass er, wenn der Anspruch des Auftraggebers auf Erstattung der gesetzlichen Vergütung nicht beigetrieben werden kann, einen Teil der Erstattung an Erfüllungs statt annehmen werde. Auch hier gilt wieder die Einschränkung nach Satz 2, dass der nicht durch Abtretung zu erfüllende Teil der gesetzlichen Vergütung in einem angemessenen Verhältnis zu Leistung, Verantwortung und Haftungsrisiko des Rechtsanwalts stehen muss. Die Abtretung eines Teils des Erfüllungsanspruchs gegen den Schuldner an Erfüllungs statt bedeutet, dass der Vergütungsanspruch des Rechtsanwalts nach dem RVG gegenüber dem Auftraggeber insoweit erlischt, er kann sich daraufhin nur noch an den Erstattungsschuldner, nicht aber an den Mandanten halten.1 Durch die Abtretungsvereinbarung schuldet der Auftraggeber dem Rechtsanwalt also eine niedrigere als die gesetzliche Vergütung. Der Anwalt als alleiniger Inhaber des abgetretenen Teils des Erstattungsanspruchs kann mit dieser Forderung nach seinem Willen verfahren, er kann sie also beizutreiben versuchen, erlassen, seinerseits abtreten oder die Aufrechnung erklären. Wie bei der Vergütungsvereinbarung in außergerichtlichen Angelegenheiten findet aber auch bei der Abtretung des Erstattungsanspruchs gegen den Schuldner eine Angemessenheitsprüfung statt. Der Rechtsanwalt darf sich nicht den kompletten Anspruch abtreten lassen, sondern nach dem Gesetzeswortlaut nur einen Teil. Der nicht durch Abtretung zu erfüllende andere Teil der Vergütung muss wiederum im angemessenen Verhältnis zu Leistung, Verantwortung und Haftungsrisiko des Rechtsanwalts stehen. Welches Verhältnis zwischen der Vergütungspflicht des Mandanten und dem durch Abtretung zu erfüllenden Teil der gesetzlichen Vergütung des Rechtsanwalts bestehen muss, liegt weitgehend im Ermessen der Parteien2 und ist in jedem Fall von einer Einzelfallprüfung anhängig. Schematische Einschätzungen verbieten sich grundsätzlich bei jeder Angemessenheitsprüfung. Schließlich sieht § 49b Abs. 1 S. 2 BRAO selbst noch eine Ausnahme vom Verbot der Gebührenunterschreitung vor. Der Rechtsanwalt darf danach im Einzelfall besonderen Umständen in der Person des Auftraggebers, insbesondere dessen Bedürftigkeit, Rechnung tragen durch Ermäßigung oder Erlass von Gebühren und Auslagen nach Beendigung des Auftrags. Das Gesetz nimmt ausdrücklich Bezug auf den Einzelfall. Dies bedeutet, dass der Rechtsanwalt z.B. nicht mit einer gerichtlichen Vertretung von Bedürftigen pro bono werben darf. Darüber hinaus ist ausdrücklich geregelt, dass der Rechtsanwalt den besonderen Umständen in der Person des Auftraggebers durch Ermäßigung oder Erlass von Gebühren und Auslagen nur im Nachhinein Rechnung tragen darf. Er darf seinem Auftraggeber also nicht von vornherein versprechen, auf seine gesetzlichen Gebühren ganz oder zum Teil verzichten zu wollen. Auch dadurch ist die Werbung mit pro bono-Tätigkeit ausgeschlossen. Der Zugang zum Recht ist über die Gewährung von Beratungs- und Prozesskostenhilfe gesichert, so dass auch wirtschaftlich Bedürftigen die Inanspruchnahme anwaltlicher Vertretung möglich ist.
22
Die Bedürftigkeit des Mandanten ist aber nur ein möglicher Grund für die Ermäßigung oder den Erlass von Gebühren und Auslagen im Nachhinein. Zu den besonderen Umständen in der Person des Auftraggebers gehören auch verwandtschaftliche oder freundschaftliche Beziehungen zwischen Auftraggeber und Rechtsanwalt. Dem Rechtsanwalt muss nach der Gesetzesbegründung bei der gerichtlichen Vertretung von Verwandten und Freunden ein gewisser Ermessensspielraum in Bezug auf seine Gebühren zustehen.3 Auch bei der Vertretung eines Kollegen in eigener Sache, einer Witwe eines Kollegen oder eines Mitarbeiters der Kanzlei des Rechtsanwalts darf der Rechtsanwalt im Nachhinein auf die Gebühren verzichten.4
23
2. Verstoß gegen das Gebührenunterschreitungsverbot Der Verstoß gegen das Verbot, die gesetzliche Vergütung zu unterschreiten, kann sowohl berufsrechtliche als auch zivilrechtliche Folgen haben.
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a) Berufsrechtliche Folgen Aufgrund des Standorts der Vorschrift in der BRAO handelt es sich bei dem Verbot der Gebührenunterschreitung in gerichtlichen Verfahren in erster Linie um eine berufsrechtliche 1 2 3 4
Gerold/Schmidt/Mayer, § 4 RVG Rz. 15. Gerold/Schmidt/Mayer, § 4 RVG Rz. 21. BT-Drs. 12/4993, S. 31. Feuerich/Weyland, § 49b Rz. 5.
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§ 49b BRAO Rz. 26
Vergütung
Vorschrift. Der Vorstand der Rechtsanwaltskammer muss also berufsrechtlich gegen den Rechtsanwalt vorgehen, der entgegen den Vorschriften der §§ 49b Abs. 1 BRAO, 4 Abs. 1 und 2 RVG mit seinem Auftraggeber eine niedrigere als die gesetzliche Vergütung vereinbart. b) Zivilrechtliche Folgen 26
Neben dem Berufsrechtsverstoß kommen aber auch zivilrechtliche Folgen in Betracht. § 49b Abs. 1 BRAO enthält ein gesetzliches Verbot der Gebührenunterschreitung in gerichtlichen Verfahren. Entsprechende Vereinbarungen, die unter Verstoß gegen dieses Verbot getroffen werden, sind somit gem. § 134 BGB nichtig.1 Dies führt aber nicht dazu, dass der Rechtsanwalt, der gegen das Verbot des § 49b Abs. 1 BRAO verstoßen hat, dennoch die vollen gesetzlichen Gebühren und Auslagen fordern kann. Er muss sich nach dem Grundsatz von Treu und Glauben gem. § 242 BGB an der Vereinbarung festhalten lassen, da er sich mit seinem früheren Verhalten in Widerspruch setzte, wenn er unter Berufung auf § 134 BGB seine Gebührenansprüche geltend machte, auf die er ursprünglich unter Verstoß gegen das anwaltliche Berufsrecht verzichtet hatte.2 3. Preiswerbung
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Seit dem Inkrafttreten des RVG hat die anwaltliche Werbung mit Niedrigpreisen, teilweise auch mit Dumpingpreisen, zugenommen. Hinsichtlich der Zulässigkeit einer solchen Werbung ist zu differenzieren. Grundsätzlich ist jedenfalls neben den Vorschriften des UWG § 49b Abs. 1 BRAO zu beachten.
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In gerichtlichen Verfahren dürfen die gesetzlichen Gebühren und Auslagen nicht unterschritten werden. Es ist damit auch unzulässig, mit Preisbeispielen zu werben, die von Gebühren und Auslagen ausgehen, die unterhalb der gesetzlichen Gebühren und Auslagen liegen. Da nach § 49b Abs. 1 S. 2 BRAO Ausnahmen vom Gebührenunterschreitungsverbot auch in gerichtlichen Verfahren nur in Ausnahmefällen möglich sind, verbietet sich auch jegliche verallgemeinernde Werbung in Bezug auf diese Ausnahmefälle (s. Rdn. 22 ff.).
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Für Preiswerbung in außergerichtlichen Angelegenheiten muss zwischen der außergerichtlichen Beratung und der außergerichtlichen Vertretung unterschieden werden. Für Vergütungsvereinbarungen bei außergerichtlicher Vertretung gilt § 4 Abs. 1 S. 2 RVG. Die vereinbarte Vergütung muss in angemessenem Verhältnis zu Leistung, Verantwortung und Haftungsrisiko des Rechtsanwalts stehen. Dies bedeutet, dass grundsätzlich im Einzelfall entschieden werden muss, ob diese Kriterien in dem konkreten Mandat erfüllt sind. Weiterhin heißt dies, dass auch eine Werbung für eine Vielzahl von unbestimmten Fällen mit festen Preisen berufs- und gebührenrechtlich grundsätzlich ausgeschlossen ist. Wird eine Pauschalvergütung für eine unbestimmte Vielzahl von Fällen angeboten, ist dies mit der Regelung in § 4 Abs. 1 S. 2 und Abs. 2 S. 2 RVG nur vereinbar, wenn in jedem Einzelfall das angemessene Verhältnis des Pauschalbetrags zu Leistung, Verantwortung und Haftungsrisiko des Anwalts gewahrt ist.3 Die Rechtsprechung hat ein Angebot, den Forderungseinzug von Forderungen zwischen 5 000 Euro und 1,5 Mio Euro zu einem Pauschalpreis von 75 Euro netto pro Auftrag mit dem Leistungsspektrum Mahnschreiben, telefonisches Nachfassen, Mahnbescheid, Vollstreckungsbescheid, Zwangsvollstreckungsmaßnahme durchzuführen, wegen Verstoßes gegen § 49b Abs. 1 BRAO für unwirksam und wettbewerbswidrig erklärt.4
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Die außergerichtliche Beratung ist seit dem 1.7.2006 aus dem RVG herausgenommen worden. Sieht das Gesetz aber keine gesetzliche Vergütung mehr vor, so kann in diesem Bereich eine Vergütungsvereinbarung nicht gegen § 49b Abs. 1 RVG verstoßen, weil es keine gesetzlichen Gebühren mehr gibt, die unterschritten werden können. § 4 Abs. 1 S. 2 RVG ist nicht anwendbar, da diese Bestimmung unmittelbar an § 4 Abs. 1 S. 1 RVG anknüpft mit der Folge, dass sie nur in den dort bestimmten Fällen anwendbar ist.5 Auch eine analoge Anwendung kommt nicht in Betracht, da das Gesetz keine planwidrige Regelungslücke enthält.6 Das OLG Stuttgart erklärte deshalb die Werbung von Rechtsanwälten mit einer Pauschalgebühr von 20 Euro inkl. Mehrwertsteuer für eine erste Beratung von Verbrauchern in allen Angele1 2 3 4 5 6
OLG München, NJW 2002, 3641. BGH, NJW 1980, 2407; OLG München, NJW 2002, 3641; Feuerich/Weyland, § 49b Rz. 8. OLG Köln, NJW 2006, 923. OLG Köln, NJW 2006, 923. OLG Stuttgart, NJW 2007, 924. OLG Stuttgart, NJW 2007, 924.
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Vergütung
Rz. 33 § 49b BRAO
genheiten für zulässig und hob die entgegenstehende Entscheidung des LG Ravensburg auf.1 Der AGH Berlin entschied, dass die unentgeltliche Beratung von Hartz-IV-Empfängern nicht gegen § 49b Abs. 1 BRAO verstößt, da jedenfalls mit dem Inkrafttreten des neuen § 34 RVG am 1.7.2006 die gesetzlichen Gebühren für die außergerichtliche Beratung ersatzlos weggefallen seien und deshalb eine unzulässige Gebührenunterschreitung ausscheide.2 Ebenso geht das Anwaltsgericht für den Bezirk der Rechtsanwaltskammer München in einer Entscheidung vom 1.2.2010 davon aus, dass der Gesetzgeber mit der Einführung des § 34 RVG eine bewusste Deregulierung vollzogen habe, die es lediglich gebiete, ein Gebührenvereinbarung zu treffen. Wenn dies eine Gebühr von 0,00 Euro sei, so stelle diese Vereinbarung einer Nullgebühr bereits eine zulässige Vereinbarung über eine Gebühr dar.3 Dieser Auffassung ist zuzustimmen, so dass die vor dem 1.7.2006 ergangenen Entscheidungen, die § 49b Abs. 1 BRAO i.V.m. § 4 RVG a.F. für anwendbar erklärt hatten, jedenfalls nach dem Inkrafttreten des neuen § 34 RVG nicht mehr anwendbar sein dürften. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Gesetzesbegründung zu § 34 RVG. Sofern vertreten wird, dass aus der Gesetzesbegründung folge, dass die Regelung ein Appell an den Anwalt sei, dass Gebührenvereinbarungen in diesem Bereich zur Regel werden und § 34 RVG die gesetzliche Gebühr sei4, vermag dies nicht zu überzeugen. § 34 RVG enthält selbst keine Gebühr, sondern verweist gerade für Fälle, in denen keine Vereinbarung getroffen wurde, auf das BGB. Wenn der Gesetzgeber eine eigene gesetzliche Gebühr für die außergerichtliche Beratung und Gutachtenerstattung hätte erhalten wollen, hätte er dies geregelt und nicht auf eine allgemeine Auffangnorm außerhalb des RVG verwiesen. In der Gesetzesbegründung zu Art. 14 des Gesetzes zur Änderung des Prozesskostenhilfeund Beratungshilferechts hat der Gesetzgeber im Übrigen zwischenzeitlich klargestellt, dass nach geltendem Recht ein Verzicht auf die Gebühr insgesamt bei außergerichtlicher Beratung möglich ist.5 Die Gegenauffassung dürfte sich daher nicht mehr vertreten lassen.
30a
Zulässig sind nach der Rechtsprechung des BGH telefonische Beratungsleistungen mit Abrechnung über die Telefongebühren. Im Rahmen eines telefonischen Beratungsdienstes, bei dem die über 0190er-Rufnummern eingehenden Anrufe von Ratsuchenden von dem Betreiber des Beratungsdienstes unmittelbar an die mit diesem vertraglich verbundenen Rechtsanwälte weitergeleitet werden, und diese jeweils einen bestimmten Anteil am Gesprächsentgelt entsprechend dem jeweiligen Gesprächsaufkommen erhalten, kommt der Vertrag über die Beratungsleistung zwischen dem Anrufer und dem sich jeweils meldenden Rechtsanwalt zustande. In dem von dem Betreiber des Beratungsdienstes mit seinem Geschäftsmodell geförderten Verhalten des telefonisch eingeschalteten Rechtsanwalts liegt kein Wettbewerbsverstoß. Insbesondere verstößt der Rechtsanwalt, der dem Ratsuchenden für jede Minute der Beratung 2,48 DM berechnet, nicht gegen die preisrechtlichen Bestimmungen der BRAO und des RVG. Zwar birgt das System einer telefonischen Rechtsberatung, bei der die Dienstleistung nach Zeit abgerechnet wird, gewisse Risiken für ein berufsrechtswidriges Verhalten der beteiligten Rechtsanwälte bzw. für die Unter- oder Überschreitung der gesetzlichen Gebühren; dies führt aber nicht dazu, dass die Werbung für einen telefonischen Beratungsdienst schlechthin untersagt werden könnte.6
31
Auch die Versteigerung anwaltlichen Rechtsrats über ein Internetauktionshaus ist im Hinblick auf § 49b Abs. 1 BRAO nicht zu beanstanden. Der Gesetzgeber hat den Rechtsanwälten durch § 34 RVG im Bereich der außergerichtlichen Beratung den Preiswettbewerb eröffnet. Dem stellt sich nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts ein Rechtsanwalt, der seine Beratungsleistungen ab einem bestimmten Preis anbietet und dem Markt überlässt, ob hierfür ein höherer Preis zu erzielen ist.7
32
II. Erfolgshonorar und quota litis (§ 49b Abs. 2 BRAO) Der Deutsche Bundestag hat in seiner 158. Sitzung am 25.4.2008 in zweiter und dritter Lesung den Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Verbots der Vereinbarung von Er-
1 2 3 4 5 6 7
LG Ravensburg, NJW 2006, 2930. AGH Berlin, BRAK-Mitt. 2007, 173. AnwG München, Urt. v. 1.2.2010 – 10 EV 143/09; Backs, Kammer Forum der RAK Sachsen, 4/2011, 23 (24). Backs, Kammer Forum der RAK Sachsen 4/2011, 23 (24). BR-Drs. 516/12, S. 72. BGH, NJW 2003, 819; FamRZ 2005, 1086. BVerfG, NJW 2008, 1298.
von Seltmann 735
33
§ 49b BRAO Rz. 34
Vergütung
folgshonoraren beschlossen.1 Der Bundesrat entschied am 23.5.2008, sodass das Gesetz am 1.7.2008 in Kraft treten konnte.2 34
Anlass für das Tätigwerden des Gesetzgebers war der Beschluss des BVerfG vom 12.12. 2006, der das Verbot der Vereinbarung von Erfolgshonoraren in § 49b Abs. 1 BRAO für verfassungswidrig erklärt hat, soweit es keine Ausnahme für den Fall zulässt, dass mit der Vereinbarung einer erfolgsbasierten Vergütung besonderen Umständen in der Person des Rechtsuchenden Rechnung getragen wird, die diesen anderenfalls davon abhielten, seine Rechte zu verfolgen.3 Das BVerfG gab in diesem Beschluss dem Gesetzgeber auf, bis zum 1.7.2008 eine gesetzliche Neuregelung zu schaffen. Der Gesetzgeber kam diesem Auftrag mit dem Gesetz zur Neuregelung des Verbots der Vereinbarung von Erfolgshonoraren nach. 1. Struktur der Neuregelung
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Das Gesetz sieht vor, dass es in § 49b Abs. 2 BRAO beim grundsätzlichen Verbot der Vereinbarung von Erfolgshonoraren bleibt. Nach § 49b Abs. 2 BRAO sind Vereinbarungen, durch die eine Vergütung oder ihre Höhe vom Ausgang der Sache oder vom Erfolg der anwaltlichen Tätigkeit abhängig gemacht wird, oder nach denen der Rechtsanwalt einen Teil des erstrittenen Betrages als Honorar erhält (Erfolgshonorar) unzulässig, soweit das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz nichts anderes bestimmt. Es findet keine Unterscheidung zwischen dem reinen Erfolgshonorar, durch das je nach Erfolg ein Zuschlag oder Abschlag auf die Vergütung vorgenommen wird (sog. Palmarium), und der quota litis-Vereinbarung, durch die der Rechtsanwalt einen Teil des erstrittenen Betrags als Honorar erhält, statt. Das Gesetz definiert beide Arten der Vereinbarung als Erfolgshonorar.4 Das grundsätzliche Verbot findet sich in der BRAO, die vom BVerfG für geboten erklärten Ausnahmen sind im RVG geregelt. In der BRAO ist zusätzlich klargestellt, dass Vereinbarungen, durch die der Rechtsanwalt sich verpflichtet, Gerichtskosten, Verwaltungskosten oder Kosten anderer Beteiligter zu tragen, unzulässig sind. Der Rechtsanwalt soll sich also nicht als Prozessfinanzierer gerieren.
35a
Nach einer Entscheidung des OLG München stellt auch ein Prozessfinanzierungsvertrag eine unzulässige Umgehung des Verbotes von Erfolgshonoraren nach § 49b Abs. 2 BRAO dar, wenn die mit der Führung des Prozesses mandatierten Rechtsanwälte mit der prozessfinanzierenden GmbH eine stille Gesellschaft gegründet haben und und die Erfolgsbeteiligung ohne Auskehrung an die prozessfinanzierende GmbH unmittelbar unter den Rechtsanwälten als stillen Gesellschaftern aufgeteilt wird.5
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Als berufsrechtliche Vorschrift bestimmt § 49b Abs. 2 BRAO auch, dass – nur – bei zulässigen Erfolgshonorarvereinbarungen auch in gerichtlichen Verfahren die gesetzlichen Gebühren unterschritten werden dürfen. Darin liegt also eine weitere Ausnahme vom Gebührenunterschreitungsverbot in gerichtlichen Verfahren nach Absatz 1. 2. Inhalt der Regelung
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Die Ergänzung zu § 49b Abs. 2 BRAO ist in § 4a RVG zu finden. Ein Erfolgshonorar darf danach nur für den Einzelfall und nur dann vereinbart werden, wenn der Auftraggeber aufgrund seiner wirtschaftlichen Verhältnisse bei verständiger Betrachtung ohne die Vereinbarung eines Erfolgshonorars von der Rechtsverfolgung abgehalten würde.
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Der Gesetzgeber hat sich mit dieser Lösung nicht dafür entschieden, Erfolgshonorare generell für zulässig zu erklären, also die „ganz große Lösung“ zu wählen, sondern die Regelung gilt für jeden Auftraggeber, der aufgrund seiner wirtschaftlichen Verhältnisse bei verständiger Betrachtung ohne die Vereinbarung eines Erfolgshonorars von der Rechtsverfolgung abgehalten würde. Nach der Begründung der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses liegt ein solcher Fall nicht nur dann vor, wenn die wirtschaftlichen Verhältnisse dem Rechtsuchenden gar keine Alternative lassen.6 Die „verständige Betrachtung“ erfordere, dass nicht nur die wirtschaftlichen Verhältnisse, sondern auch die finanziellen Risiken und deren Bewertung durch den einzelnen Auftraggeber bei der Entscheidung über die Zulässigkeit von Erfolgshonoraren berücksichtigt werden. Die Regelung enthalte insgesamt einen flexi1 2 3 4 5 6
Plenarprotokoll 16/158, S. 16702 ff. BGBl. I 2008, S. 1000. BVerfG, NJW 2007, 979. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 27.2.1012 – I-24 U 170/11, 24 U 170/11. OLG München, Urt. v. 10.5.2012 – 23 U 4635/11. BT-Drs. 16/8916.
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Vergütung
Rz. 41 § 49b BRAO
blen Maßstab, der auch etwa einem mittelständischen Unternehmen im Falle eines großen Bauprozesses z.B. die Möglichkeit eröffnen solle, ein anwaltliches Erfolgshonorar zu vereinbaren. Bislang umstritten war die Frage, ob dann, wenn zugunsten des Mandanten die Voraussetzungen der Prozesskostenhilfe vorliegen, davon ausgegangen werden kann, dass die drohende Kostenlast die Prozessführung hindert. Das Kammergericht hatte diese Frage mit der Begründung verneint, dass eine Partei, die Prozesskostenhilfe erhält, die Kosten ihres eigenen Prozessbevollmächtigten ebenso wie die Gerichtskosten ohnehin nicht tragen müsse.1 Diese Frage beantwortet das Gesetz inzwischen eindeutig in § 4a Abs. 1 Satz 3 RVG in der ab 1.1.2014 geltenden Fassung. Für die Beurteilung der Frage, ob der Rechtssuchende aufgrund seiner wirtschaftlichen Verhältnisse bei verständiger Betrachtung ohne die Vereinbarung eines Erfolgshonorars von der Rechtsverfolgung abgehalten würde, bleibt die Möglichkeit, Beratungs- oder Prozesskostenhilfe in Anspruch zu nehmen, außer Betracht.2
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Für die Praxis bedeutet dies, dass nicht schematisch vorgegangen werden darf. Bei jedem Mandat, das sich grundsätzlich für die Vereinbarung eines Erfolgshonorars eignet, müssen also einerseits die objektiven wirtschaftlichen Verhältnisse des Rechtsuchenden berücksichtigt werden. Andererseits ist eine „verständige Betrachtung“ des Einzelfalls vorzunehmen und das eventuelle finanzielle Risiko und dessen Auswirkung auf den Auftraggeber zu berücksichtigen.
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Ein gewisses Risiko birgt diese Einzelfallabwägung deshalb, weil die wirtschaftlichen Verhältnisse und die finanziellen Risiken für den Auftraggeber in den seltensten Fällen objektiv bestimmt sein dürften. Die Anwaltschaft hatte deshalb vorgeschlagen, in den Gesetzestext aufzunehmen, dass es bezüglich der wirtschaftlichen Verhältnisse des Auftraggebers nur auf dessen Angaben ankommen kann. Dadurch wäre sichergestellt, dass der Mandant die Vereinbarung nicht nachträglich damit angreifen kann, dass er behauptet, die Voraussetzungen für die Vereinbarung eines Erfolgshonorars hätten gar nicht vorgelegen.3 Diesen Vorschlag setzte der Gesetzgeber nicht um. Es empfiehlt sich daher für den eine Erfolgshonorarvereinbarung abschließenden Rechtsanwalt, in die Vereinbarung aufzunehmen, wie sich die wirtschaftlichen Verhältnisse des Auftraggebers darstellen.
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Das Kammergericht geht in einem Beschluss vom 22.9.2011 sogar davon aus, dass es für die Wirksamkeit einer Erfolgshonorarvereinbarung nicht darauf ankommt, dass der Rechtsanwalt vorträgt, dass er vor Abschluss der Vereinbarung in ausreichender Weise geprüft habe, ob deren Voraussetzungen vorliegen, wenn sich im Rechtsstreit um das Erfolgshonorar nicht zweifelsfrei feststellen lasse, dass der Auftraggeber aufgrund seiner wirtschaftlichen Verhältnisse bei verständiger Betrachtung ohne die Vereinbarung eines Erfolgshonorars von der Rechtsverfolgung abgehalten worden wäre.4
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Der Gesetzgeber legt auch nicht fest, wie Erfolgshonorare zu gestalten sind. „No win, no fee“-Vereinbarungen sind also ebenso zulässig wie die Vereinbarung eines gewissen Erfolgszuschlags oder -abschlags. Es ist lediglich zu beachten, dass nach § 4a Abs. 1 S. 2 RVG in gerichtlichen Verfahren für den Fall des Misserfolgs nur dann eine niedrigere als die gesetzliche Vergütung vereinbart werden darf, wenn für den Erfolgsfall ein angemessener Zuschlag auf die gesetzliche Vergütung vereinbart wird. Ob der Zuschlag angemessen ist, ist aus der Sicht der Vertragspartner für den Zeitpunkt des Vertragsschlusses zu beurteilen. Bei der Beurteilung werden nach der Gesetzesbegründung insbesondere zwei Umstände zu berücksichtigen sein: Zum einen muss der Zuschlag umso größer sein je weiter im Misserfolgsfall die gesetzliche Vergütung unterschritten werden soll. Wird also vereinbart, dass im Fall des Misserfolgs der Rechtsanwalt keine Vergütung erhalten soll („no win, no fee“), muss der Zuschlag größer sein als in einem Fall, in dem der Rechtsanwalt auch im Misserfolgsfall eine – unter der gesetzlichen Vergütung liegende – Grundvergütung erhalten soll („no win, less fee“). Zum anderen muss der Zuschlag umso größer sein, je geringer die Erfolgsaussichten sind. Beträgt die Erfolgsaussicht 50 %, wird im Allgemeinen ein Zuschlag angemessen sein, dessen Wert der Unterschreitung der gesetzlichen Mindestvergütung im Misserfolgsfall entspricht.
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1 KG, Beschl. v. 22.9.2011 – 6 U 185/10; Henssler/Prütting/Kilian, BRAO, § 49b Rz. 111. 2 BGBl. I 2013, S. 3533. 3 Gemeinsame Stellungnahme von Bundesrechtsanwaltskammer und DAV zum Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Verbots der Vereinbarung von Erfolgshonoraren unter www.brak.de; BRAK-Stellungnahme Nr. 3/2008; DAV-Stellungnahme Nr. 8/2008. 4 KG, Beschl. v. 22.9.2011 – 6 U 185/10.
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§ 49b BRAO Rz. 42
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Sind die Erfolgsaussichten größer, genügt ein niedrigerer Zuschlag, sind die Erfolgsausichten geringer, muss der Zuschlag größer sein.1 3. Belehrungspflichten 42
Nach § 4a Abs. 2 RVG muss jede Erfolgshonorarvereinbarung bestimmte weitere Inhalte enthalten. Dazu gehört die Angabe der voraussichtlichen gesetzlichen Vergütung und ggf. der erfolgsunabhängigen vertraglichen Vergütung, zu der der Rechtsanwalt bereit wäre, den Auftrag zu übernehmen (Nr. 1) und die Angabe, welche Vergütung bei Eintritt welcher Bedingungen verdient sein soll (Nr. 2). Außerdem sind in der Vereinbarung die wesentlichen Gründe anzugeben, die für die Bemessung des Erfolgshonorars bestimmend sind (§ 4a Abs. 3 S. 1 RVG). Ferner ist ein Hinweis aufzunehmen, dass die Vereinbarung keinen Einfluss auf die ggf. vom Auftraggeber zu zahlenden Gerichtskosten, Verwaltungskosten und die von ihm zu erstattenden Kosten anderer Beteiligter hat (§ 4a Abs. 3 S. 2 RVG). 4. Keine Regelung zum Teilerfolg
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Vielfach war im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens eine Regelung zum Teilerfolg gefordert worden. Diese enthält das Gesetz nicht. Es ist daher unabdingbar, bei Abschluss jeder Vergütungsvereinbarung, mit der eine erfolgsabhängige Vergütung vereinbart wird, über eine Regelung für den Fall des Teilerfolges nachzudenken. Dabei sollte darauf geachtet werden, den Teilerfolg genau zu definieren und daran eine Rechtsfolge zu knüpfen. 5. Formvorschriften
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Die Formvorschriften für sämtliche Vergütungsvereinbarungen – seien es erfolgsabhängige Vergütungsvereinbarungen oder erfolgsunabhängige Vergütungsvereinbarungen – sind in § 3a RVG geregelt. Nach § 3a Abs. 1 RVG bedarf eine Vergütungsvereinbarung der Textform. Vergütungsvereinbarungen sind also nicht nur schriftlich im Sinne des § 126 BGB formwirksam, sondern auch, wenn sie per Telefax oder E-Mail abgegeben sind. Die Textform gilt für jede Form der Vergütungsvereinbarung, es wird nicht mehr danach differenziert, ob eine höhere oder eine niedrigere als die gesetzliche Vergütung vereinbart wird. Schließlich ist es eine weitere Erschwernis für die Vereinbarung der Vergütung, dass die Erklärung, die Vergütung vereinbaren zu wollen, nicht mehr nur vom Auftraggeber, sondern von beiden Parteien abzugeben ist.
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Die Vereinbarung muss als Vergütungsvereinbarung oder in vergleichbarer Weise bezeichnet werden, von anderen Vereinbarungen mit Ausnahme der Auftragserteilung deutlich abgesetzt sein und darf nicht in der Vollmacht enthalten sein. Damit ist einerseits der Streit darüber beseitigt, ob nur das Wort „Vergütungsvereinbarung“ über der Vereinbarung stehen muss, oder ob auch eine vergleichbare Formulierung gewählt werden darf, andererseits wird klargestellt, dass die Vergütungsvereinbarung in der Auftragserteilung enthalten sein darf und nicht deutlich von ihr abgesetzt sein muss.
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Gebührenvereinbarungen für Beratungsleistungen nach § 34 RVG sind weiterhin ohne Beachtung der strengen Form des § 3a Abs. 1 S. 1 und 2 möglich. Dies gilt auch dann, wenn es sich um die Vereinbarung einer erfolgsabhängigen Vergütung handelt. 6. Erhöhung der gesetzlichen Gebühren (§ 49b Abs. 2 S. 3 BRAO)
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Abs. 2 S. 3 stellt klar, dass keine unzulässige Erfolgshonorarvereinbarung vorliegt, wenn lediglich vereinbart wird, dass sich die gesetzlichen Gebühren ohne weitere Bedingungen erhöhen. Damit hat der Gesetzgeber durch den Zusatz, dass zu der Erhöhung keine weitere Bedingung hinzutreten darf, eine Klarstellung gegenüber der mit dem 1. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz eingefügten Regelung des § 49b Abs. 2 S. 2 a.F. beschlossen. Seit seinem Inkrafttreten am 1.7.2004 war umstritten, ob nur die gesetzlichen Gebühren, die selbst eine Erfolgskomponente beinhalten, bspw. die Einigungsgebühr, durch Vereinbarung erhöht werden durften2 oder ob für den Fall des Erfolgs jede Vereinbarung zulässig war, sofern für den Misserfolgsfall jedoch mindestens die gesetzliche Gebühren geschuldet werden.3 Durch den eingefügten Zusatz ist nunmehr klargestellt, dass die Vereinbarung erhöhter 1 BT-Drs. 16/8916. 2 Hartung/Römermann, § 4 RVG Rz. 80. 3 Pohl, Berliner AnwBl. 2005, 102 ff.
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Vergütung
Rz. 52 § 49b BRAO
gesetzlicher Gebühren dann nicht als Erfolgshonorar zu bewerten ist, wenn es sich um Gebühren mit Erfolgskomponenten handelt. Hierbei handelt es sich insbesondere um die Gebühren nach Nrn. 1000 bis 1007, 4141 und 5115 des Vergütungsverzeichnisses zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz. Die Vereinbarung darf jedoch nicht von Bedingungen, insbesondere vom Ausgang der Sache abhängig gemacht werden.1 7. Folgen einer unwirksamen Erfolgshonorarvereinbarung Der Verstoß gegen § 49b Abs, 2 BRAO i.V.m. § 4a RVG führt allerdings nicht zur Nichtigkeit des Anwaltsvertrags und belässt dem Rechtsanwalt grundsätzlich den Anspruch auf die gesetzliche Vergütung.2 Bei einer nichtigen Erfolgshonorarvereinbarung kann der Rechtsanwalt gemäß § 4a Satz 1 RVG nur keine höhere als die gesetzliche Vergütung fordern, der grundsätzliche Anspruch auf die gesetzliche Vergütung bleibt ihm belassen.3 Ihm kann allerdings die gesetzliche Vergütung nach dem Grundsatz von Treu und Glauben dann zu versagen sein, wenn der er in seinem – regelmäßig rechtsunkundigen – Auftraggeber das Vertrauen begründet hat, eine Anwaltsvergütung nur im Erfolgsfall zahlen zu müssen.4 Für die Prüfung kommt es darauf an, ob der Auftraggeber, wenn er die Unwirksamkeit der Abrede gekannt hätte, den Rechtsanwalt nicht beauftragt hätte.5
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III. Gebührenteilung (§ 49b Abs. 3 BRAO) § 49b Abs. 3 BRAO regelt, dass die Abgabe oder Entgegennahme eines Teils der Vergütung oder anderer Vorteile für die Vermittlung von Aufträgen grundsätzlich unzulässig ist. Ausnahmen von diesem Grundsatz bilden Vereinbarungen zwischen Rechtsanwälten über eine angemessene Vergütung für Tätigkeiten, die über die Tätigkeiten, die nach Nr. 3400 VV RVG vergütet werden, hinausgehen.
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1. Verbot der Entgegennahme von Gebühren für die Vermittlung von Aufträgen Der Rechtsanwalt darf nach § 49b Abs. 3 S. 1 BRAO keine Gebühren oder sonstigen Vorteile für die Vermittlung von Aufträgen entgegennehmen oder abgeben. Dies gilt sowohl im Verhältnis zu anderen Rechtsanwälten als auch im Verhältnis zu Dritten. Damit ist es insbesondere unzulässig, mit einem weiteren Rechtsanwalt für die Vermittlung eines Mandates, beispielsweise wegen des Vorliegens einer Interessenkollision in der eigenen Kanzlei, ein Vermittlungshonorar zu vereinbaren.
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2. Zulässige Gebührenteilung Zulässig ist es aber, wenn ein Rechtsanwalt einen weiteren Rechtsanwalt beauftragt, an der Bearbeitung des Mandats mitzuarbeiten und diesen dafür im eigenen Namen honoriert.6 Dazu gehört auch die Beauftragung eines weiteren Anwalts im eigenen Namen, einen Gerichtstermin wahrzunehmen, weil der mandatierte Rechtsanwalt selbst verhindert ist. In der Regel wird vereinbart, dass der Terminsvertreter die Terminsgebühr oder einen Teil derselben erhält.
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Ebenfalls zulässig ist es nach § 49b Abs. 3 S. 5 BRAO, dass mehrere beauftragte Rechtsanwälte einen Auftrag gemeinsam bearbeiten und die Gebühren in einem den Leistungen, der Verantwortung und dem Haftungsrisiko entsprechenden angemessenen Verhältnis untereinander teilen.
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Zulässig ist auch die Gebührenteilung zwischen Verkehrsanwalt und Prozessbevollmächtigtem. Grundsätzlich richtet sich die Vergütung des Verkehrsanwalts nach Nr. 3400 VV RVG. Er erhält eine Verfahrensgebühr in Höhe der dem Verfahrensbevollmächtigten zustehenden Verfahrensgebühr, höchstens in Höhe von 1,0. Häufig liefert der Verkehrsanwalt dem Prozessbevollmächtigten aber unterschriftsreife Schriftsätze, so dass die Vergütung nach Nr. 3400 VV RVG nicht angemessen erscheint. Dafür treffen Prozessbevollmächtigter und Verkehrsanwalt dann eine Vergütungsvereinbarung, häufig vereinbaren sie Gebührenteilung. Ist keine klare Vereinbarung getroffen, ist § 22 BORA heranzuziehen. Danach ist als angemessene Honorie-
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1 2 3 4 5 6
BT-Drs. 16/8384. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 27.2.2012 – I-24 U 170/11, 24 U 170/11. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 27.2.2012 – I-24 U 170/11, 24 U 170/11. BGH, NJW 1955, 1921. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 27.2.2012 – I-24 U 170/11, 24 U 170/11. Gerold/Schmidt/Mayer, § 3a RVG Rz. 78.
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§ 49b BRAO Rz. 53
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rung im Sinne des § 49b Abs. 3 S. 2 und 3 BRAO in der Regel die hälftige Teilung aller anfallenden gesetzlichen Gebühren ohne Rücksicht auf deren Erstattungsfähigkeit anzusehen. 53
Die Gebührenteilung mit am BGH zugelassenen Rechtsanwälten ist gem. § 49b Abs. 3 S. 6 BRAO nicht erlaubt. IV. Abtretung von Vergütungsforderungen (§ 49b Abs. 4 BRAO)
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Am 18.12.2007 trat durch das Gesetz zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts (Rechtsdienstleistungsgesetz) u.a. eine wichtige Änderungen in § 49b Abs. 4 BRAO in Kraft.1 Die Vorschrift dient dem Schutz der anwaltlichen Verschwiegenheit und regelt die Voraussetzungen der Abtretung von Gebührenforderungen durch Rechtsanwälte. Nach der Neuregelung reicht nun bei der Abtretung einer Vergütungsforderung an nichtanwaltliche Dritte bereits die schriftliche Einwilligung des Mandanten oder die rechtskräftige Feststellung der Forderung aus. Die Neufassung stellt zudem klar, dass die Abtretung von Vergütungsforderungen oder die Übertragung ihrer Einziehung an Rechtsanwälte oder anwaltliche Berufsausübungsgemeinschaften i.S.d. § 59a Abs. 1 BRAO stets ohne Einschränkung zulässig ist. Mit dieser Neuregelung hat sich der Streit erledigt, ob und unter welchen Voraussetzungen Rechtsanwälte das Inkasso ihrer Honorare auf Verrechnungsstellen übertragen dürfen. Die Abtretung kann zudem im Rahmen eines Factorings auch als Finanzierungsinstrument genutzt werden.
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Bis zur Neufassung war umstritten, ob § 49b Abs. 4 a.F. BRAO nur die „Weitergabe“ der Verschwiegenheitspflicht an den Zessionar oder darüber hinaus auch die Zulässigkeit der Abtretung an einen Rechtsanwalt ohne Zustimmung des Mandanten regelt.2 1. Abtretung und Übertragung an Rechtsanwälte (§ 49b Abs. 4 S. 1 BRAO)
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Nach Satz 1 ist es dem Rechtsanwalt vorbehaltlos gestattet, Vergütungsforderungen an Rechtsanwälte abzutreten oder sie diesen zur Einziehung zu übertragen. Auf die Einwilligung des Mandanten kommt es bei der Abtretung oder Übertragung zur Einziehung an Rechtsanwälte nicht an.3
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Dasselbe gilt für die Abtretung oder Übertragung an rechtsanwaltliche Berufsausübungsgemeinschaften. Auch diese sind unabhängig von der Einwilligung des Mandanten zulässig. Mit dem Verweis auf § 59a BRAO werden alle Fälle gemeinschaftlicher Berufsausübung gem. § 59a Abs. 1 und 2 BRAO erfasst.4
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In allen Fällen der Abtretung oder Übertragung von Vergütungsforderungen durch Rechtsanwälte an Rechtsanwälte unterliegen die neuen Gläubiger oder Einziehungsermächtigten strengen Regelungen zur Verschwiegenheit (s. auch Rz. 62). Vertrauensschutzinteressen des Mandanten kann im Einzelfall durch Vereinbarung eines Abtretungsverbots Rechnung getragen werden.5 2. Abtretung und Übertragung an andere Personen als Rechtsanwälte (§ 49b Abs. 4 S. 2 BRAO)
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Nach der früheren Gesetzeslage war es für die Abtretung oder Übertragung von Vergütungsforderungen an andere als Rechtsanwälte nicht ausreichend, dass eine Einwilligung des Mandanten vorlag. Das Gesetz forderte vielmehr kumulativ, dass die Forderung einerseits rechtskräftig festgestellt und andererseits ein erster Vollstreckungsversuch fruchtlos geblieben war. Nach neuem Recht genügt die ausdrückliche schriftliche Erklärung des Mandanten, um dem Rechtsanwalt eine Forderungsabtretung oder ihre Übertragung zur Einziehung zu gestatten. Nach der Gesetzesbegründung erfordert der Schutzzweck der Regelung, die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht abzusichern, keine weitere Einschränkungen.6 Weil der Mandant den Rechtsanwalt von der Verschwiegenheitsverpflichtung entbinden könne, sei es konsequent, ihm auch die Entscheidung zu überlassen, ob sein Rechtsanwalt Vergütungsforderungen auch an Nichtanwälte abtreten darf.7 1 2 3 4 5 6 7
BGBl. I 2007, S. 2848. BGH, NJW 2005, 507; Urt. v. 5.6.2005 – IX ZR 14/04. BT-Drs. 16/3655, S. 82. BT-Drs. 16/3655, S. 82. BT-Drs. 16/3655, S. 82. BT-Drs. 16/3655, S. 82. BT-Drs. 16/3655, S. 82.
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Rz. 66 § 49b BRAO
Alternativ zur ausdrücklichen Einwilligung des Mandanten genügt nach Satz 2, dass die Forderung rechtskräftig festgestellt worden ist. Weil der Zessionar oder Einziehungsermächtigte in diesem Fall auf schützenswerte Informationen nicht mehr angewiesen ist, um die Forderung geltend zu machen, überwiegt das Interesse des Anwalts, seine Forderung zu realisieren. Das weitere in der alten Fassung enthaltene Erfordernis eines fruchtlosen Vollstreckungsversuchs ist entbehrlich.1
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3. Aufklärungspflicht (§ 49b Abs. 4 S. 3 BRAO) Satz 3 sieht vor, dass der Mandant vor der Erklärung der Einwilligung aufzuklären ist. Er muss darüber unterrichtet werden, dass der beauftragte Rechtsanwalt gem. § 402 BGB gesetzlich bzw. vertraglich verpflichtet ist, dem neuen Gläubiger oder dem Einziehungsermächtigten die Informationen zu erteilen und Unterlagen auszuhändigen, die dieser benötigt, um die Forderung geltend zu machen.2
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4. Verschwiegenheitspflicht (§ 49b Abs. 4 S. 4 BRAO) Nach Satz 4 ist der neue Gläubiger oder Einziehungsermächtigte verpflichtet, die Verschwiegenheit in gleicher Weise zu wahren wie der beauftragte Rechtsanwalt.
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5. Honorarausfallversicherung Seit einiger Zeit bieten Versicherungen mit der Honorarausfallversicherung ein neues Produkt auf dem Markt an. Diese Zusatzversicherung soll den Anwälten zumindest teilweise die finanziellen Folgen einer nicht einbringlichen Vergütungsforderung absichern. Voraussetzung für die Versicherungsleistung ist, dass die Zwangsvollstreckung nicht oder nicht zur vollen Befriedigung geführt hat und die vollstreckbare Ausfertigung des Titels gegen den Vergütungsschuldner an die Versicherung ausgehändigt wird. Einer Abtretung, die nur unter den Voraussetzungen des Absatzes 4 möglich wäre, bedarf es nach den Versicherungsbedingungen nicht. Für die Durchsetzung der Vergütungsansprüche des Rechtsanwalts gilt § 2 Abs. 3 BORA mit der Folge, dass die Verschwiegenheitsverpflichtung nicht gilt, soweit die Durchsetzung der Ansprüche die Offenbarung erfordern.
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V. Hinweis- und Informationspflichten des Rechtsanwalts (§ 49b Abs. 5 BRAO) Seit dem Inkrafttreten des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes am 1.7.2004 wird darüber gestritten, welche Rechtsfolge sich ergibt, wenn der Rechtsanwalt der neu eingeführten Hinweispflicht des § 49b Abs. 5 BRAO nicht nachkommt. Insbesondere wird diskutiert, ob es sich nur um rein berufsrechtliche Folgen handeln kann oder ob dem Mandanten ein Leistungsverweigerungsrecht oder ein Schadensersatzanspruch zusteht.
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§ 49b Abs. 5 BRAO, eingefügt durch Art. 4 Abs. 18 Nr. 1d) KostRMoG, regelt, dass der Rechtsanwalt vor Übernahme des Auftrags darauf hinzuweisen hat, wenn sich die zu erhebenden Gebühren nach dem Gegenstandswert richten. Eine Rechtsfolge für den Fall der Verletzung dieser Hinweispflicht sieht das Gesetz nicht vor. Also wurde in der Folge darüber gestritten, ob eine Verletzung der Hinweispflicht nur berufsrechtliche oder auch schadensersatzrechtliche Konsequenzen haben kann.
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Das Amtsgericht Charlottenburg entschied die Frage in einem ersten Urteil vom 19.12.20063 dahingehend, dass es an die Verletzung der Hinweispflicht keine schadensersatzrechtlichen Folgen knüpfte, sondern darauf hinwies, dass die Pflichtverletzung allenfalls berufsrechtliche Folgen für den Rechtsanwalt haben könnte. In dem der Entscheidung zu Grunde liegenden Fall hatte der frühere Prozessbevollmächtigte des Beklagten unstreitig nicht darauf hingewiesen, dass seine Vergütung ihrer Höhe nach von dem Gegenstandswert abhängt. Das Amtsgericht ging in Übereinstimmung mit den Beschlüssen der Tagung der Gebührenreferenten der Rechtsanwaltskammern vom 10.3.2004 davon aus, dass die Verletzung der Hinweispflicht lediglich berufsrechtliche Konsequenzen und keinen Schadensersatzanspruch bzw. einen auf Freistellung von der Gebührenforderung gerichteten Anspruch des Mandanten gegenüber dem Rechtsanwalt begründen kann. Zur Begründung führte es an, dass nach der Intention
66
1 BT-Drs. 16/3655, S. 82. 2 BT-Drs. 16/3655, S. 82. 3 BRAK-Mitt. 2007, 136.
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§ 49b BRAO Rz. 67
Vergütung
des Gesetzgebers die Unterrichtungsverpflichtung des § 49b Abs. 5 BRAO die allgemeine anwaltliche Berufspflicht gem. § 43 BRAO konkretisieren wollte, mit der Folge, dass eine Verletzung dieser besonders ausgestalteten Hinweispflicht zwar berufsrechtliche, nicht jedoch schadensersatzrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen kann. 67
In der Literatur wird zum Teil dieselbe Auffassung vertreten.1 Denn der Standort der Vorschrift spricht ebenso wie die Intention des Gesetzgebers dafür, dass es sich um eine rein berufsrechtliche Vorschrift handelt. Ein Schadensersatzanspruch des Mandanten sollte nicht begründet werden.
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Der BGH entschied inzwischen aber, dass der Rechtsanwalt, der seiner Hinweispflicht nach § 49b Abs. 5 BRAO nicht nachkommt, dem Mandanten bei einer Verletzung dieser Pflicht nach den Grundsätzen zum Verschulden bei Vertragsschluss nach § 311 Abs. 2 BGB haftet.2 Der BGH stellte klar, dass auch die Verletzung von Berufspflichten Schadensersatzansprüche des Mandanten begründet, wenn sie seinem Schutz dienen. Der Mandant müsse aber vortragen und ggf. unter Beweis stellen, wie er auf eine allgemeine Information darüber, dass nach Streitwert abgerechnet wird, reagiert hätte. Im entschiedenen Fall hatten die Beklagten lediglich vorgetragen, bei einem Hinweis der klagenden Rechtsanwälte, dass diese hinsichtlich der möglichen Anfechtung des Kaufvertrags die Beratung mit einem Gegenstandswert von 220 000 Euro abzurechnen gedächten, hätten sie umgehend klargestellt, dass sie keine Beratung über diesen Gegenstand wünschten. Ein derartiger Hinweis sei jedoch nicht geschuldet gewesen. Er hätte sich vielmehr darauf beschränken können, dass die Gebühren nach dem Gegenstandswert abgerechnet werden.
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Der BGH weist klar darauf hin, dass Schadensersatzansprüche begründet werden könnten, allerdings § 49b Abs. 5 BRAO kein gesetzliches Verbot enthalte. § 134 BGB finde deshalb keine Anwendung, der Vergütungsanspruch des Rechtsanwalts entfalle nicht durch einen Verstoß gegen die vorvertragliche Hinweispflicht.
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Der BGH bekräftigte in dieser Entscheidung seine Rechtsprechung, dass der Rechtsanwalt auf die durch einen Vertragsschluss kraft Gesetzes entstehenden Anwaltsgebühren regelmäßig nicht ungefragt hinweisen muss, weil kein Mandant ein unentgeltliches Tätigwerden des Fachberaters erwarten darf und dessen gesetzliche Gebühren allgemein zu erfahren sind. Nur auf Verlangen des Auftraggebers oder aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls habe der Rechtsanwalt die voraussichtliche Höhe des Entgelts mitzuteilen (s. auch Rz. 73 ff.).
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In einer weiteren Entscheidung bestätigte der BGH seine Entscheidung vom 24.5.2007 insofern, als dass er wiederum darauf hinwies, dass § 49b Abs. 5 BRAO nicht nur berufsrechtliche, sondern auch zivilrechtliche Bedeutung aufweise. Der Rechtsanwalt, der den Mandanten vor Übernahme des Auftrags schuldhaft nicht darauf hinweise, dass sich die für seine Tätigkeit zu erhebenden Gebühren nach dem Gegenstandswert richteten, sei dem Mandanten zum Ersatz des hierdurch verursachten Schadens verpflichtet. Der BGH stellte aber ausdrücklich heraus, dass der Mandant im Rahmen des geltend gemachten Schadensersatzanspruchs die Beweislast dafür trage, dass der Rechtsanwalt seiner Hinweispflicht nach § 49b Abs. 5 BRAO nicht nachgekommen sei.
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Der im Schrifttum teilweise vertretenen Auffassung, der Rechtsanwalt müsse nachweisen, dass er seiner Hinweispflicht genüge getan habe, folgte der BGH ausdrücklich nicht. Es ergebe sich auch keine Beweislastumkehr oder Beweiserleichterung aus dem Gesichtspunkt der Verletzung einer Dokumentationsobliegenheit. Es gebe nämlich schon keine Dokumentationsverpflichtung aus § 49b Abs. 5 BRAO oder aus § 242 BGB.3 VI. Grundsätzliche Pflicht zur Belehrung über die Anwaltsvergütung
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Grundsätzlich gibt es neben der berufsrechtlichen Hinweispflicht nach § 49b Abs. 5 BRAO keine Verpflichtung des Rechtsanwalts, seinen Auftraggeber über den Anfall und die Höhe seiner Vergütung zu belehren. Denn der Rechtsuchende muss üblicherweise davon ausgehen, dass die anwaltliche Leistung nicht aus reiner Gefälligkeit heraus erbracht wird.
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Die Rechtsprechung hat allerdings in einigen Sonderfällen doch eine Verpflichtung des Rechtsanwalts erkannt, den Mandanten auf die Höhe der zu erwartenden Gebühren und Aus1 Völtz, BRAK-Mitt. 2004, 103. 2 BGH, BRAK-Mitt. 2007, 175. 3 BGH, BRAK-Mitt. 2008, 35.
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Gebühren- und Honorarteilung
Rz. 1 § 22 BORA/§ 49b BRAO
lagen hinzuweisen: Verlangt der Auftraggeber dies, muss der Rechtsanwalt über die Höhe der zu erwartenden Gebühren und Auslagen aufklären. Hierzu gehört nicht nur die Gesamtsumme der zu erwartenden Gebühren, sondern auch der Hinweis darauf, welche Gebühren voraussichtlich entstehen werden.1 Auch ohne ausdrückliche Nachfrage des Mandanten muss der Rechtsanwalt den Mandanten auf die Gebühren hinweisen, wenn besondere Umstände unter Berücksichtigung von Treu und Glauben eine Belehrung des Mandanten erfordern.2 Solche besondere Umstände hat die Rechtsprechung angenommen, wenn der Rechtsanwalt erkennt, dass sein Mandant falsche Vorstellungen von der Kostendeckung durch seine Rechtsschutzversicherung hat3 oder wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung wegen der Höhe der Kosten im Einzelfall unwirtschaftlich ist.4 Einen weiteren Hinweis auf Informationspflichten des Anwalts in Bezug auf seine Vergütung lieferte das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zur Verfassungswidrigkeit der Vereinbarung von Erfolgshonoraren. Die Zulässigkeit des Erfolgshonorars soll von der Einhaltung von Hinweis- und Informationspflichten abhängig gemacht werden.
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21 BORA Honorarvereinbarung (1) Das Verbot, geringere als die gesetzlichen Gebühren zur fordern
oder zu vereinbaren, gilt auch im Verhältnis zu Dritten, die es an Stelle des Mandanten oder neben diesem übernehmen, die Gebühren zu bezahlen, oder die sich gegenüber dem Mandanten verpflichten, diesen von anfallenden Gebühren freizustellen. (2) (aufgehoben)
§ 21 BORA konkretisiert das Gebührenunterschreitungsverbot des § 49b Abs. 1 BRAO.5 Durch die Vorschrift wird klargestellt, dass das Gebührenunterschreitungsverbot in § 49b Abs. 1 BRAO nicht nur für Vergütungsvereinbarungen zwischen dem Rechtsanwalt und seinem Mandanten gilt, sondern es wird auf das Verhältnis zwischen dem Rechtsanwalt und einem Dritten ausgedehnt, der es übernommen hat, die Gebühren für oder neben dem Mandaten an den Rechtsanwalt zu zahlen. Mit dieser Regelung wird möglichen Umgehungen des Gebührenunterschreitungsverbots durch Vereinbarungen mit Dritten entgegengewirkt.6
1
Dritte im Sinne dieser Vorschrift können entweder Personen sein, die es aufgrund von Vereinbarungen mit dem Auftraggeber übernommen haben, für diesen die Gebühren an den Rechtsanwalt zu zahlen oder ihn von den anwaltlichen Gebühren freizustellen. Insbesondere unterfallen dieser Regelung aber Vereinbarungen mit Rechtsschutzversicherern, durch die niedrigere als die gesetzlichen Gebühren vereinbart werden.7
2
Die Vorschrift des § 21 BORA hat durch das Inkrafttreten des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes am 1.7.2004 an besonderer Bedeutung gewonnen, da die Rechtsschutzversicherer der Anwaltschaft flächendeckend den Abschluss sog. Rationalisierungsabkommen angeboten haben, die die Unterschreitung der gesetzlichen Gebühren auch in gerichtlichen Verfahren, z.B. in Bußgeldsachen, vorsahen. Der Abschluss eines solchen Abkommens im Geltungsbereich des § 49b Abs. 1 BRAO, also in Tätigkeitsbereichen, für die keine Ausnahme vom Gebührenunterschreitungsverbot vorgesehen ist, verstößt gegen § 21 BORA. Der Rechtsanwalt, der ein solches Abkommen abschließt, handelt also berufsrechtswidrig.
3
und Honorarteilung 22 BORA GebührenAls eine angemessene Honorierung im Sinne des § 49b Abs. 3 Satz 2 und 3 Bundesrechtsanwaltsordnung ist in der Regel eine hälftige Teilung aller anfallenden gesetzlichen Gebühren ohne Rücksicht auf deren Erstattungsfähigkeit anzusehen.
§ 22 BORA ergänzt und konkretisiert § 49b Abs. 3 BRAO. Zum einen soll § 22 BORA den Rechtsanwälten eine Hilfestellung für den Fall gegeben, dass die Vereinbarung einer angemessenen Honorierung nicht konkret genug gefasst ist. Dann ist als angemessene Honorierung im Sinne des § 49b Abs. 3 S. 2 und 3 BRAO in der Regel die hälftige Teilung aller anfal1 2 3 4 5 6 7
BGH, NJW 1980, 2128. BGH, NJW 1969, 932. OLG Düsseldorf, NJW 2000, 1650. BGH, NJW 1969, 932; 1985, 2642; NJW-Spezial 2006, 190. Vgl. § 49b BRAO Rz. 18 ff. Feuerich/Weyland/Vosseburger, § 21 Rz. 1. Protokoll der Satzungsversammlung 3/2006, S. 5.
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1
§ 49b BRAO/§ 22 BORA Rz. 2
Gebühren- und Honorarteilung
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lenden gesetzlichen Gebühren ohne Rücksicht auf deren Erstattungsfähigkeit anzusehen. Zweitens dient die Vorschrift als Auslegungshilfe für die Angemessenheit der vereinbarten Vergütung im Verhältnis zu Verantwortlichkeit und Haftungsrisiko des Rechtsanwalts. Sind keine besonderen Anhaltspunkte für eine abweichende Bewertung gegeben, liegt jedenfalls dann kein berufsrechtswidriges Verhalten vor, wenn die Rechtsanwälte untereinander die hälftige Teilung der anfallenden gesetzlichen Gebühren vereinbaren. 2
Schließlich wird klargestellt, dass die hälftige Gebührenteilung ohne Rücksicht auf die Erstattungsfähigkeit der Gebühren erfolgt. Hintergrund dieser Regelung ist, dass die Satzungsversammlung die Unsicherheit durch die sehr stark unterschiedliche Rechtsprechung zur Erstattungsfähigkeit der Verkehrsanwaltsgebühr beseitigen wollte.1
23 BORA Abrechnungsverhalten Spätestens mit Beendigung des Mandats hat der Rechtsanwalt gegen-
über dem Mandanten und/oder Gebührenschuldner über Honorarvorschüsse und Fremdgelder unverzüglich abzurechnen.2
1
§ 23 BORA enthält eine klarstellende Regelung zur Abrechnung von Mandaten und ergänzt die Vorschriften des § 43a Abs. 5 BRAO und der §§ 8, 9 und 10 RVG. Dadurch werden die Bestimmungen zur ordnungsgemäßen Abrechnung in den §§ 8 bis 10 RVG zu einer berufsrechtlich sanktionierbaren Berufspflicht erhoben.3
2
§ 23 BORA bezieht sich sowohl auf Fremdgelder als auch auf Honorarvorschüsse. Abrechnungszeitpunkt ist spätestens der Zeitpunkt der Mandatsbeendigung. Der Rechtsanwalt ist aufgrund dieser Vorschrift verpflichtet, unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern, abzurechnen. Gegenstand der Abrechnung sind die Gebühren, Auslagen, evtl. geleistete Vorschüsse sowie Fremdgelder.4
3
Die 5. Satzungsversammlung hat in ihrer 5. Sitzung am 6./7.12.2013 folgenden neuen Wortlaut des § 23 BORA beschlossen: „Spätestens mit Beendigung des Mandats hat der Rechtsanwalt gegenüber dem Mandanten und/oder Gebührenschuldner über Honorarvorschüsse unverzüglich abzurechnen und ein von ihm errechnetes Guthaben auszuzahlen.“ Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der zuständige Ausschuss 3 sich im Hinblick auf die Entscheidung des AGH NRW v. 7.9.2012 – 2 AGH 8/12 – mit der Frage befasst habe, ob § 23 BORA um eine Auszahlungsverpflichtung zu ergänzen sei. Der AGH habe nämlich festgestellt, dass berufsrechtlich nicht zu beanstanden sei, wenn der Rechtsanwalt zwar abrechne, ein von ihm errechnetes Guthaben aber nicht auszahle. Der Ausschuss 3 habe hinsichtlich einer Auszahlungsverpflichtung zunächst Bedenken gehabt, ob diese mit einer möglichen Aufrechnung oder einem Zurückbehaltungsrecht kollidiere. Von der Formulierung, dass der Rechtsanwalt das von ihm errechnete Guthaben auszahlen müsse, seien die Fälle der Aufrechnung des Zurückbehaltungsrechts aber erfasst. Bei der Formulierung der Neufassung ließ sich die Satzungsversammlung davon leiten, dass der Rechtsanwalt als Organ der Rechtspflege einen Beruf ausübt, dem hohes Vertrauen entgegengebracht werde. Deshalb verbiete es sich, in Fällen, in denen rechtswidrig nicht ausgezahlt werde, auf die zivilrechtliche Klärung zu verweisen.5 Die Neufassung tritt am 1.9.2014 in Kraft. von Schutzschriften 49c BRAO Einreichung Der Rechtsanwalt ist verpflichtet, Schutzschriften ausschließlich 6
zum Schutzschriftenregister nach § 945a der Zivilprozessordnung einzureichen.
1 Feuerich/Weyland, § 22 Rz. 2. 2 Von der 5. Satzungsversammlung beschlossener neuer Text: … über Honorarvorschüsse unverzüglich abzurechnen und ein von ihm errechnetes Guthaben auszuzahlen. 3 Feuerich/Weyland, § 23 Rz. 1. 4 Feuerich/Weyland, § 23 Rz. 4. 5 Protokoll der Satzungsversammlung 2/2014, S. 36 f. 6 § 49c BRAO eingef. durch das Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten v. 10.10.2013 (BGBl. I, S. 3786). Die Vorschrift tritt erst zum 1.1.2017 in Kraft, von einer Kommentierung wurde daher zunächst abgesehen.
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Rz. 2 § 50 BRAO
Handakten des Rechtsanwalts
Handakten des Rechtsanwalts 50 BRAO (1) Der Rechtsanwalt muss durch Anlegung von Handakten ein geord-
netes Bild über die von ihm entfaltete Tätigkeit geben können.
(2) 1Der Rechtsanwalt hat die Handakten auf die Dauer von fünf Jahren nach Beendigung des Auftrags aufzubewahren. 2Diese Verpflichtung erlischt jedoch schon vor Beendigung dieses Zeitraumes, wenn der Rechtsanwalt den Auftraggeber aufgefordert hat, die Handakten in Empfang zu nehmen, und der Auftraggeber dieser Aufforderung binnen sechs Monaten, nachdem er sie erhalten hat, nicht nachgekommen ist. (3) 1Der Rechtsanwalt kann seinem Auftraggeber die Herausgabe der Handakten verweigern, bis er wegen seiner Gebühren und Auslagen befriedigt ist. 2Dies gilt nicht, soweit die Vorenthaltung der Handakten oder einzelner Schriftstücke nach den Umständen unangemessen wäre. (4) Handakten im Sinne der Absätze 2 und 3 dieser Bestimmung sind nur die Schriftstücke, die der Rechtsanwalt aus Anlass seiner beruflichen Tätigkeit von dem Auftraggeber oder für ihn erhalten hat, nicht aber der Briefwechsel zwischen dem Rechtsanwalt und seinem Auftraggeber und die Schriftstücke, die dieser bereits in Urschrift oder Abschrift erhalten hat. (5) Absatz 4 gilt entsprechend, soweit sich der Rechtsanwalt zum Führen von Handakten der elektronischen Datenverarbeitung bedient. A. Historie . . . . . . . . . . . . . . . .
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B. Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . .
2
C. Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . I. § 50 Abs. 1 BRAO – Arbeitsmittel Handakte . . . . . . . . . . . . . . . . . II. § 50 Abs. 2 BRAO – Aufbewahrung und Herausgabe . . . . . . . . . . . . . 1. Frist . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beendigung des Mandats . . . . . . . 3. Herausgabe . . . . . . . . . . . . . 4. Vernichten der Handakte . . . . . . . 5. Zeitpunkt der Vernichtung . . . . . .
.
3
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3
. . . . . .
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III. § 50 Abs. 3 BRAO – Zurückbehaltungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Besondere Unterlagen . . . . . . . . 2. Unangemessene Benachteiligung des Mandanten . . . . . . . . . . . . . 3. Beispiele des unangemessenen Zurückbehaltens . . . . . . . . . . . . . . IV. § 50 Abs. 4 BRAO – Inhalt der Handakte V. § 50 Abs. 5 BRAO – Elektronische Akte .
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§ 17 BORA Zurückbehaltung von Handakten (S. 754 f.)
A. Historie Der Regelungsinhalt dieser Vorschrift war in allen vorangegangenen Rechtsanwaltsordnungen seit 1878 enthalten. Eine erste ausführliche geschlossene Regelung wurde in §§ 21b–e der Richtlinien zur Ausübung des Rechtsanwaltsberufs durch die Vereinigung der Vorstände der Rechtsanwaltskammern der britischen Zone formuliert.1 Im Jahr 1959 wurde dann die Regelung als bundesweites Gesetz in § 50 BRAO a.F. eingeführt. Die bisher selbstverständliche und durch die Berufsrechtsnovelle von 19942 nur neu gefasste aber nicht materiell rechtlich geänderte Pflicht zum Führen der Handakte soll die Tätigkeit des Rechtsanwalts in nachprüfbarer Form widerspiegeln. Sie ist die zentrale Regelung im verwaltungstechnischen Tätigkeitsbereich des Rechtsanwalts und selbstverständlich auch jeder Rechtsanwaltsgesellschaft (§ 59m Abs. 2 BRAO); sie ist für die anwaltliche Tätigkeit zudem auch Spezialregelung, z.B. gegenüber dem zivilrechtlichen Zurückbehaltungsrecht nach § 273 BGB.
1
B. Zweck Mit der Handakte steht dem Rechtsanwalt ein Organisations- und Arbeitsmittel zur Verfügung, das ihm den historischen Verlauf seiner eigenen Tätigkeit aufzeigt und die Verwaltung einer Vielzahl von Sachverhalten und Vorgängen erleichtert. Die Norm bezweckt damit die Sicherstellung der Mindestvoraussetzung einer Verwaltungsstruktur für die anwaltliche Tätigkeit einerseits und die Schaffung eines Beweismittels für den Rechtsanwalt und seinen Mandanten andererseits. Die Regelung verpflichtet den Rechtsanwalt zur Führung der Hand1 Abgedruckt bei Cüppers, S. 188 f. 2 BGBl. I 1994, S. 2278 mit amtl. Begründung BT-Drs. 12/4993, S. 31.
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§ 50 BRAO Rz. 3
Handakten des Rechtsanwalts
akte und dient damit seinem Schutz.1 Mit der Handakte weist er Inhalt und Umfang seiner Tätigkeit für den Mandanten nach. Zugleich dient die Regelung dem Schutz des Mandanten, der mit der Handakte ein Beweismittel für ein eventuelles Fehlverhalten des Anwalts erhält.2 Die Norm geht von der Pflicht zur Führung der Handakte und damit von dem Vorhandensein der Handakte aus. Davon ausgehend behandeln einzelne Regelungen der Vorschrift nur die Aufbewahrung der Handakte und das Recht des Rechtsanwalts, unter besonderen Voraussetzungen die Herausgabe der Handakte an den Mandanten zu verweigern. Erst nachdem Aufbewahrung und Herausgabe geregelt sind, erklärt die Vorschrift unvollkommen den Inhalt der Handakte. Der Wortlaut wird deshalb trotz mehrmaliger sprachlicher und materiell rechtlicher Anpassung nach wie vor den vielfältigen Anforderungen an den Regelungsinhalt der Vorschrift nicht hinreichend gerecht. Auch die Konkretisierung von § 50 BRAO durch § 17 BORA reicht insofern nicht aus. C. Inhalt I. § 50 Abs. 1 BRAO – Arbeitsmittel Handakte 3
Der Norminhalt greift in seiner Anwendung weit über den Wortlaut hinaus. Absatz 1 setzt ohne Wertung das Vorhandensein einer Handakte als Arbeitsmittel zur Ausübung des Anwaltsberufs voraus. Der Rechtsanwalt hat die Pflicht zur Anlage einer Akte, selbst dann, wenn er in eigener Sache tätig ist. Ein Spielraum ist nicht gegeben; der Mandant kann den Rechtsanwalt von dieser Pflicht nicht befreien. Für jedes Mandat ist eine gesonderte Akte anzulegen, gleichgültig, ob es sich um ein gerichtliches oder ein außergerichtliches Verfahren handelt. Geschieht dies nicht, ist ein organisatorischer Mangel anzunehmen. Die Pflicht zur Aktenanlage gilt immer, wenn Korrespondenz mit einem Gegner geführt wird, die zwangsläufig auch zur Korrespondenz mit dem eigenen Mandanten führt, dem Kenntnis von der Korrespondenz zu geben ist. Dagegen wird die Aufnahme lediglich der persönlichen Daten des Mandanten z.B. zum Zwecke der Rechnungsstellung nach Beratung noch nicht die Pflicht zur Anlage einer Handakte begründen. Auch wenn Absatz 1 es nicht ausdrücklich fordert, ist auch in diesen Fällen die Anlage eines Retents ratsam, da sich aus der Beratung eine Vertretung entwickeln kann und die Aktennotiz über den Beratungsinhalt in dieser einfachen Anfangsform der Akte einen Platz findet. Auch in diesen Fällen hilft die Handakte/ Retent z.B. zur Verteidigung gegen Vorwürfe und zur Begründung von Honoraransprüchen. Diese zweckmäßige Handhabung wird aber nicht verbindlich gefordert werden können, zumal die Handaktenqualität lediglich mit einzelnen Worten, Zahlen, Daten und anderen Kurzinformationen wohl nicht erlangt wird. Sie werden nicht den Inhalt des Beratungsgesprächs und seines Ergebnisses im Sinne der Vorschrift widerspiegeln. Deshalb wird man davon ausgehen müssen, dass der Rechtsanwalt erst dann eine Handakte anlegen muss, wenn er z.B. im Beratungsgespräch Unterlagen zu seiner Information von dem Mandanten erhalten hat.3 Die Handakte hat dem Rechtsanwalt jederzeit zur Verfügung zu stehen und ein geordnetes Bild über die von dem Rechtsanwalt entfaltete Tätigkeit zu geben.
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Damit fordert die Vorschrift die Führung der Handakte als Ausfluss der Pflicht zur gewissenhaften Berufsausübung nach § 43 BRAO. Dies wiederum bedeutet, dass die Handakte den Verlauf der anwaltlichen Tätigkeit in dem Mandat zeitlich und inhaltlich geordnet, somit auch vollständig belegen muss. Dies wiederum erfordert die Anlage der Handakte ab Beginn des Mandats. Als Mindestinhalt müssen aus ihr die personenbezogenen Kommunikationsdaten (z.B. Adresse) des Mandanten, Geldabrechnungen (Fremdgeld), Beginn und Ende des Mandats und die für die Führung des Mandats notwendigen Vollmachten zu entnehmen sein. Der Mindestinhalt der Handakte ist bedeutsam für die Entscheidung, inwieweit der Rechtsanwalt seinem Auftraggeber seine Handakte herausgeben muss oder ihm die Herausgabe verweigern kann. § 50 Abs. 4 BRAO formuliert hinsichtlich der Herausgabe der Handakte sehr eng. Die praktische Anwendung dieser Regelung aber geht über den Mindestinhalt hinaus. Sinnvoll ist es nämlich, alle Informationen, Unterlagen und Schriftstücke aller Art, die das Mandatsverhältnis betreffen, in der Handakte zusammenzufassen. So sollten sich aus dem Inhalt der Handakte sämtliche finanziellen Abwicklungen ergeben, wie die Anlage von Anderkonten (Kontoeröffnungsanträge), die Zahlung von Vorschüssen und die verauslagten Kosten (Gerichtskosten) mit Kontoauszügen und Belegen. Bei der Verwaltung von 1 Borgmann/Jungk/Grams, Kapitel IV, § 23 Rz. 155 ff. 2 Lingenberg/Hummel/Zuck/Eich/Zuck, § 36 Rz. 2 und 3. 3 Lingenberg/Hummel/Zuck/Eich/Zuck, § 36 Rz. 7.
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Handakten des Rechtsanwalts
Rz. 7 § 50 BRAO
Fremdgeldern ist § 43a Abs. 5 BRAO in Verbindung mit § 4 BORA zu beachten. Diese Maßnahme erleichtert die Rechnungslegung nach Abschluss des Mandats, die Aufbewahrung zu steuerlichen Zwecken und die jederzeitige Auskunftserteilung gegenüber dem Mandanten. Sämtliche Unterlagen, die der Rechtsanwalt von Behörden, Gerichten, Staatsanwaltschaften, Gutachtern oder auch dem Gegner erhalten hat, sind dem Inhalt der Handakte zuzurechnen. Dies gilt auch für das Mandat betreffende Presseartikel, Sachberichte, Entscheidungssammlungen, Aktennotizen, Gesprächsnotizen oder auch nur Merkzettel mit eigenen Informationen oder Gedanken zum Fall. Wie die Ordnung in der Akte erfolgt, ist nicht geregelt. Eine Ordnung nach Zeitablauf, Themen oder Sachverhalten ist möglich und wird sich den Besonderheiten des Mandats anpassen. So erscheint es sinnvoll, von vornherein Aktenteile getrennt in den Akten aufzubewahren, wenn sie z.B. von steuerlicher Relevanz sind oder besonderen Aufbewahrungsfristen unterliegen. Neben den Pflichten aus § 50 BRAO bestehen für den Rechtsanwalt als selbständige besondere Verpflichtungen das Aufzeichnungs- und Aufbewahrungsgebot nach § 8 GwG. § 8 GwG regelt die Aufzeichnungs- und Aufbewahrungspflicht bei der Identitätsfeststellung des wirtschaftlich Berechtigten einer Finanztransaktion. Der auf ein Konto Einzahlende ist bei der ersten Einzahlung zu identifizieren. Welche Informationen dazu aufzunehmen sind und wie sie gespeichert werden, nennt diese Vorschrift. Sie sieht die Aufbewahrung dieser Aufzeichnungen über fünf Jahre vor. Um Vollständigkeit zu gewährleisten, wurde vereinzelt in der Literatur gefordert, die Akte zu paginieren.1 Die Forderung überzieht jedoch die Anforderungen an den Verwaltungsaufwand zum Führen der Akte. Bei Hunderten von Mandaten, die regelmäßig jährlich in einem Anwaltsbüro anfallen, ist der Aufwand, Akten zu paginieren, erheblich, zumal alle neu eingehenden Schriftsätze eingerichtet und im Anschluss an die vorangegangenen Seiten nummeriert werden müssen. Sinnvoll ist es aber, die wenigen abzugebenden Akten vor Herausgabe an Dritte zu paginieren, um die Vollständigkeit nach Herausgabe und Rückgabe zu prüfen und sicherzustellen. Dagegen schützt die Nummerierung der Seiten nicht vor der Manipulation des Akteninhalts durch den Rechtsanwalt selbst, um beispielsweise einem speziellen Vorwurf zu entgehen, es sei denn, er nimmt die Manipulation erst nach Rückgabe seiner paginierten und Kenntnis des zeitgleich erhobenen Vorwurfs vor. Ein solches Verhalten ist aber selbstverständlich eine Berufspflichtverletzung.2
5
II. § 50 Abs. 2 BRAO – Aufbewahrung und Herausgabe Absatz 2 normiert zuerst die Pflicht zum Aufbewahren der Handakte. Diese Pflicht setzt auch den ständigen Zugang zu und die Verfügbarkeit über die Akten voraus. Für das Aufbewahren der Akten selbst gibt es keine Vorgaben. Die Aufbewahrung ist weder in Feuer gesicherten Schränken, noch in besonderen Regalen gefordert. Allein die Pflicht zur Verschwiegenheit des Rechtsanwalts nach § 43a Abs. 2 BRAO setzt voraus, dass nicht jedermann Zugang zu den Akten hat. Eine Aufbewahrung kommt deshalb nur in den Kanzleibesuchern regelmäßig nicht zugänglichen Praxisbereichen in Frage. Demnach ist zum Beispiel das Aufbewahren der Akten in umschlossenen, aber nicht abgeschlossenen Behältnissen im Wartezimmer nicht zulässig. Darin liegt zumindest ein fahrlässiger Verstoß gegen die Verschwiegenheitspflicht.3 Zudem wird der Rechtsanwalt die Aufbewahrung der Akten auch aus eigenem Interesse sorgfältig vornehmen,4 ist der Verlust der Akte doch mit erheblicher Mühe bei der Rekonstruktion verbunden und besteht zudem bei Vernichtung die Gefahr des Vertrauensverlustes durch den Mandanten.
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1. Frist Die Pflicht zur Aufbewahrung der Handakte besteht für die Dauer von fünf Jahren nach Beendigung des Auftrags. Die Frist von fünf Jahren gilt auch für Aufzeichnungen gem. § 8 Abs. 3 GWG, so dass diese Aufbewahrungsfrist mit der des § 50 BRAO übereinstimmt. Auch wenn es mithin zulässig wäre, identifizierende Angaben in der Handakte des Rechtsanwalts aufzubewahren und insofern keine gesonderte Akte zu führen, empfiehlt sich gleichwohl eine getrennte Aktenführung, da die identifizerenden Angaben nicht beschlagnahmefrei sind. 1 2 3 4
Lingenberg/Hummel/Zuck/Eich, § 36 Rz. 4. Lingenberg/Hummel/Zuck/Eich, § 36 Rz. 5. Henssler/Prütting/Eylmann, § 43a Rz. 54, 56. Lambertz, S. 79, 2. Kapitel, C.I.3. – Zusammenfassung.
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§ 50 BRAO Rz. 7a
Handakten des Rechtsanwalts
Die Aufbewahrungsfrist von fünf Jahren kann abgekürzt werden – Satz 2 –
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a) durch eine entsprechende Vereinbarung des Rechtsanwalts mit dem Mandanten1 b) oder durch die Aufforderung an den Mandanten gem. Absatz 2 S. 2, die Handakten in Empfang zu nehmen, die jedoch erst nach Beendigung des Auftrags rechtswirksam erfolgen kann.2 7b
Zu a) ist zu beachten, dass eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen für die Beauftragung als Anwälte enthaltene Bestimmung, wonach die Verpflichtung des Rechtsanwalts zur Aufbewahrung und Herausgabe von Handakten ein Jahr nach Beendigung des Auftrags erlischt, gegen die AGB-Regelungen nach §§ 305 ff. BGB verstößt, weil sich eine solche Klausel nicht mit § 50 Abs. 2 BRAO vereinbaren lässt und eine Abkürzung der Frist auf weniger als drei Jahre unangemessen ist.3
7c
Zu b) besagt die amtliche Begründung, dass die Aufforderung an den Mandanten erst nach Beendigung des Auftrags erfolgen kann. Das ist nur logisch, da erst dann die Aufbewahrungsfrist beginnt. Nur durch die Umstände – im Regelfall durch Erfüllung bzw. Erledigung des Auftrags mit Erreichen des Vertragszweckes – lässt sich im Einzelfall die Beendigung des Auftrags ermitteln. Den sich daraus ergebenden Unsicherheiten der Feststellung des Ende des Mandats sollte der Rechtsanwalt durch Aufforderung zur Abholung durch den Mandanten begegnen. Nach weiterem Ablauf von sechs Monaten erlischt dann die Pflicht zur Aufbewahrung, wenn der Mandant der Aufforderung nicht nachkommt. Dann kann der Rechtsanwalt davon ausgehen, dass der Mandant kein Interesse am Erhalt der Akten hat und kann die Akten vernichten. Jedoch hat er auch dann noch den Nachweis der Aufforderung zu führen. Gleichwohl erledigt sich der Herausgabeanspruch der Handakten nicht mit der Beendigung der Aufbewahrungsfrist, sondern erst mit der tatsächlichen Vernichtung4 oder der Löschung der elektronisch gespeicherten Daten. 2. Beendigung des Mandats
8
Nicht immer leicht ist die Entscheidung, wann das Mandat oder der Auftrag des Rechtsanwalts beendet ist. Die Bestimmung des letzten Zeitpunktes des Bestehens des Mandats ist unproblematisch bei einmaligen Beratungen ohne Folgepflichten sowie bei eindeutig wirksamer Kündigung des Vertragsverhältnisses durch den Rechtsanwalt oder den Mandanten. In anderen Fällen kann sie erhebliche Schwierigkeiten bereiten.5 In Zivilprozessen bildet häufig die Beendigung der Instanz einen Anhaltspunkt, wobei jedoch für die erste Instanz zu beachten ist, dass grundsätzlich auch die Zwangsvollstreckungsakte zur Erfüllung des anwaltlichen Auftrags gehört; der Auftrag des Verteidigers läuft in der Regel mangels anderweitiger Vereinbarung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens.6 Strafvollzug, Gnadenverfahren und andere Maßnahmen im Strafverfahren sind regelmäßig zusätzliche anwaltliche Aufträge, die nicht von vornherein vom Auftrag des Rechtsanwalts, den Angeklagten zu verteidigen, erfasst sind. Die Beendigung des Auftrags durch Erreichen des Vertragszwecks ist in der Regel dann anzunehmen, wenn die übertragenen Aufgaben durch den Rechtsanwalt erledigt sind und der Rechtsanwalt zu erkennen gegeben hat, dass er seinen Auftrag als erfüllt ansieht, beispielsweise durch Übersenden einer Schlussrechnung.7
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Dann ist davon auszugehen, dass dem Rechtsanwalt keine Tätigkeit mehr für seinen Mandanten möglich und der Auftrag erfüllt ist oder die Instanz durch ein Urteil beendet wurde. Hier einzuordnen ist auch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Auftraggebers sowie eine Kündigung oder einverständliche Beendigung des Mandats. Selbst in diesen Fällen aber hat der Rechtsanwalt seinen Mandanten zu belehren, z.B. über Rechtsmittel, Vollstreckungsmöglichkeiten und Fristen. Diese nachvertraglichen Pflichten beinhalten sogar die Kontrolle der tatsächlichen Weitergabe der Akte an einen anderen Rechtsanwalt. Die vorstehenden Annahmen gelten für das Zivilverfahren ebenso wie das Strafverfahren und andere gerichtliche Verfahren. 1 2 3 4 5 6 7
Isele, § 50 Anm. V.C.3b aa; Feuerich/Weyland, § 50 Rz. 9. Isele, § 50 Anm. V.C.3b bb m.w.N. LG Koblenz, BRAK-Mitt. 1987, 215 m.w.N. Isele, § 50 Anm. IV.G.3. Hartung/Römermann/Hartung, § 50 Rz. 110 ff. Vgl. insoweit Friedländer, § 32 Rz. 46–48; Isele, § 50 Anm. V.C.3a, § 51 Anm. III.B. Vgl. OLG Bamberg, VersR 1978, 329; Borgmann/Haug, Anwaltshaftung, 3. Aufl. 1995, § 23 Rz. 142 und Borgmann/Jungk/Grams, Kap. III, § 15 Rz. 96 ff. m.w.N.
748 Tauchert/Dahns
Handakten des Rechtsanwalts
Rz. 12 § 50 BRAO
Es ist die Auffassung vertreten worden, dass nach einem das Mandat beendenden Tod des Rechtsanwalts die Aufbewahrungspflicht des Absatz 2 S. 1 mit der Möglichkeit ihrer Abkürzung nach Satz 2 auf dessen Erben übergehe,1 für die dann nach § 203 Abs. 3 S. 2 StGB die Schweigepflicht bezüglich des Akteninhalts fortgelten würde. Tatsächlich tritt der Erbe in die Rechtsstellung des verstorbenen Rechtsanwalts ein, das heißt, er wird als Rechtsnachfolger des verstorbenen Rechtsanwalts Eigentümer von dessen Handakten. Damit geht auch die Pflicht zur Verschwiegenheit und Wahrung der Mandanteninteressen auf ihn über. Das aber kann einerseits der Erbe nicht leisten, andererseits vergeht mit der Feststellung der Erben meist viel Zeit, so dass eine geraume Zeit eine zweifelsfreie rechtliche Zuordnung des Aktenbestandes häufig nicht möglich ist. Auch überfordert die Pflicht zur Verschwiegenheit häufig den Erben, der mit den Handakten und ihren Inhalten meist nichts anzufangen weiß. Eine ordnungsgemäße Verwaltung eines Aktenbestandes von nennenswertem Umfang dürfte deshalb in solchen Fällen, wenn nicht die Sozien oder der Käufer einer Einzelpraxis die Akten und damit die Aufbewahrungspflicht übernehmen, nur durch die Bestellung eines Abwicklers der Kanzlei nach § 55 BRAO gewährleistet sein. Entsprechendes gilt für den Fall des Widerrufs oder der Rücknahme der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft. Allerdings normiert § 55 BRAO in diesen Fällen regelmäßig nicht die Pflicht zur Bestellung eines Abwicklers.2
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3. Herausgabe Auf die Herausgabe der Handakten hat der Mandant einen Anspruch nach §§ 675, 667 BGB i.V.m. § 50 BRAO, ebenso wie auf Auskunft und Rechenschaft.3 Die Herausgabe der Handakten an einen anderen Rechtsanwalt als Mandatsnachfolger nach Beendigung des Mandats erfordert die Prüfung, dass letzterer vom Mandanten beauftragt ist, kann aber nicht von der Vorlage einer Vollmacht abhängig gemacht werden.4 Die Frage, ob es geboten und damit nachvertragliche Anwaltspflicht ist, die Handakten an einen neuen Parteivertreter herauszugeben, wird nicht einheitlich beantwortet.5 Man wird aber davon ausgehen müssen, dass dies geboten ist, da der Mandant einen Herausgabeanspruch hat, für dessen Geltendmachung er sich auch eines Rechtsanwalts bedienen kann.6 Auch ein Anspruch auf Einsichtnahme in seine Handakten steht dem Mandanten jederzeit aus §§ 675, 666 BGB i.V.m. § 50 BRAO zu. Eine Pflicht zur Übersendung der Handakten besteht dagegen für den Rechtsanwalt nicht. Aus dem Anwaltsvertrag folgt, dass die Ansprüche des Mandanten am Leistungsort, das heißt dem Ort der Kanzlei des Rechtsanwalts nach § 269 BGB zu erfüllen sind.7 Der Mandant kann sie deshalb nur dort einsehen oder dort abholen.
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Inwiefern ein Insolvenzverwalter Anspruch auf Herausgabe der Handakten bei Insolvenz des Mandanten des Rechtsanwalts hat, ist nach wie vor sehr umstritten.8 Einerseits stehen die Verschwiegenheit und der Geheimnisschutz gegen eine unbeschränkte Verfügungsmacht des Insolvenzverwalters, andererseits sind die Akten ein Vermögenswert, der zur Insolvenzmasse zu ziehen ist. Deshalb kann eine Lösung, die nur der Gesetzgeber befriedigend vorgeben kann, nur in der Mitte liegen. Der Insolvenzverwalter hat einen Anspruch auf Herausgabe der Handakten zur Überprüfung, ob ein Honoraranspruch zur Masse gegeben ist; wegen der Pflicht zur Verschwiegenheit sind ihm nur die Aktenteile herauszugeben, die ihm die Erfüllung seiner Aufgabe ermöglichen. Unter Umständen erhält er also nicht die gesamte Handakte, sondern nur den Kostenteil. Bei Veräußerung der Praxis ist unbestritten die Zustimmung des Mandanten zum Übergang seiner Akte auf den Erwerber notwendig.9 Andererseits beschränkt nach überwiegender Ansicht das Berufsgeheimnis ebenso wenig wie das Privatgeheimnis die Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters, der deshalb ohne zu fragen in die Akten Einsicht nehmen kann. Die Begründung folgt spätestens aus der Pflicht des Insolvenzverwalters, die Gebührenansprüche des Insolvenzschuldners zu prüfen und geltend zu machen. Daraus wird schließlich gefolgert, dass die Akten dem Insolvenzbeschlag unterliegen.10
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1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Friedländer, § 32 Rz. 56. Knodel, ZRP 2006, 263. BGH, WM 2005, 1956 (1958); Offermann-Burckart, Kammer aktuell 2009, 8. Chemnitz, in Anm. zu entgegen gesetzter Entscheidung des LG Verden in AnwBl. 1976, 130; Feuerich/ Weyland, § 50 Rz. 24. S. auch § 55 BRAO Rz. 71. Vgl. auch Hartstang/Grote/Abeltshauser, S. 508; Knodel, ZRP 2006, 263. Borgmann/Jungk/Grams, Kapitel IV, § 23 Rz. 155, 163; Henssler/Prütting/Stobbe, § 50 Rz. 14. LG München, NJW 2001, 1583. Friedländer, § 32 Rz. 42a; BGH, NJW 1990, 510 zu Ansprüchen des Konkursverwalters auf Handakten eines Rechtsanwalts, Knodel, ZRP 2006, 263. BGH, NJW 1995, 2026; BGH, NJW 2001, 2462. Lambertz, Der Kanzleiabwickler, 2004, 5. Kapitel, B.I.2d, S. 156 ff.
Tauchert/Dahns 749
§ 50 BRAO Rz. 13
Handakten des Rechtsanwalts
4. Vernichtung der Handakte 13
Ist die Aufbewahrungspflicht erloschen, so können die Handakten vernichtet werden.1 Für die Ansicht von Isele,2 wonach selbst bei Abkürzung der zivilrechtlichen Aufbewahrungsfrist keine öffentlich-rechtliche Aufbewahrungspflicht für die Dauer von fünf Jahren fortbestehe, fehlt eine überzeugende Begründung, weshalb sich immer mehr Stimmen für eine Aufbewahrungspflicht wertvoller Urkunden aussprechen. Aus den beiden letzten Absätzen der amtlichen Begründung zu § 50 BRAO ergibt sich, dass nach der Vorstellung des Gesetzgebers die Handakten vernichtet werden können, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 S. 2 erfüllt sind. Die Vernichtung der Handakten wirft aber eine Reihe von Fragen auf, die zum Teil eindeutigen Lösungen nicht ohne weiteres zugänglich sind. Dieses praktische Problem verstärkt sich durch den Generationenwechsel um die Jahrhundertwende. Es verwirklicht sich zumeist bei Einzelanwälten, da in Sozietäten und auch Bürogemeinschaften oft ein Interesse an der Aufbewahrung der Akten besteht; nicht zuletzt, um den Mandantenstamm zu erhalten. Geht man davon aus, dass der Rechtsanwalt die Voraussetzungen nach Absatz 2 erfüllt hat, also alle Schriftstücke an den Mandanten im Laufe des Verfahrens rechtzeitig übersandt und ihn dann im Sinne des Absatzes 2 zur Übernahme aufgefordert hatte, ohne dass der Mandant dieser Aufforderung nachkam, kann sich der Rechtsanwalt zur Vernichtung der Akten berechtigt fühlen. Der technische Ablauf der Vernichtung ist geprägt von der Pflicht zur Verschwiegenheit des Rechtsanwalts. Auch nach Beendigung des Mandates gilt es, das Anwaltsgeheimnis zu wahren. Nur dadurch wird das Vertrauen zum Rechtsanwalt gerechtfertigt und in den Beruf gestärkt. Deshalb kann die Vernichtung nicht über Papiercontainer erfolgen, sondern bedarf aufmerksamer und gründlicher Vernichtung. Wenn der Rechtsanwalt dies wegen der Menge der zu vernichtenden Akten nicht selbst erledigen will, muss er sich eines Fachunternehmens bedienen. Beauftragte Unternehmen haben zu erklären, dass die Entsorgung (zumeist Verbrennung) der Akten unter Einhaltung der Pflicht zur Verschwiegenheit erfolgt. Diese Unternehmen sind für die Pflicht des Rechtsanwalts zur Aktenvernichtung seine Erfüllungsgehilfen im Sinne des § 278 BGB.3
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Die Frage bleibt, ob der Rechtsanwalt seine Handakte bedenkenlos insgesamt vernichten kann. Er wird zwar nicht Aktenteile aufbewahren müssen, die sich schon in der Verwahrung des Gerichts befinden und deshalb ohne besondere Schwierigkeiten wiederhergestellt werden können. Das gilt begrenzt auch für Vollstreckungstitel, die zum einen rechtzeitig an den Mandanten herausgegeben worden sein sollten und zum anderen wegen der Möglichkeit, weitere vollstreckbare Ausfertigungen aus der Gerichtsakte zu erlangen. Dennoch sind immer wieder Situationen denkbar, die die Aufbewahrung einzelner Briefe oder Schriftstücke, Kontoauszügen oder Bilanzen sowie Vollstreckungstitel ratsam erscheinen lassen; das aber ist am Einzelfall zu entscheiden. Nicht vernichtet werden dürfen Urkunden, die nicht der Mandant, sondern ein Dritter dem Rechtsanwalt zur Verfügung gestellt hat, solange sie nach den allgemeinen zivilrechtlichen Vorschriften dem Dritten herauszugeben sind.4 5. Zeitpunkt der Vernichtung
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Damit wird erneut die Frage angesprochen, wann endgültig die Vernichtung erfolgen kann. Durch den Wegfall des § 51b BRAO und die Geltung der allgemeinen zivilrechtlichen Verjährungsvorschriften bleibt Absatz 2 die weitergehende Regelung, die außer durch Erfüllung der Voraussetzungen in Absatz 2 Satz 2 keine Verkürzung erfahren kann. Ist eine Verkürzung mit dem Mandanten nicht zu erreichen, gilt die Fünf-Jahresfrist des Absatzes 2 Satz 1. Hieraus wird auch entgegen obiger Ansicht die Auffassung vertreten, dass zum Beispiel Vollstreckungstitel von dem Rechtsanwalt 30 Jahre aufzubewahren sind. Wenngleich diese Verpflichtung als überzogen gelten kann, ist es auf Grund der geänderten Verjährungsregeln auch für den Rechtsanwalt ratsam, zum eigenen Schutz eine längerfristige Aufbewahrung vorzusehen. Das ist auch unter dem Gesichtspunkt von Steuerprüfungsfristen der Fall. Hier gilt im Regelfall die zehnjährige Aufbewahrungsfrist nach § 147 Abs. 3 AO, soweit sich nicht kürzere Fristen aus Steuergesetzen ergeben. Aus diesen Überlegungen heraus können die Aufbewahrungsfristen bezüglich einzelner Teile einer Handakte auch unterschiedlich sein. Deshalb empfiehlt es sich, in der Akte von vornherein die Vorgänge zu trennen, die offensichtlich anderen Fristen unterliegen. Für eine lange Aufbewahrungsfrist spricht, dass bei bestehenden Dauermandaten 1 2 3 4
Isele, § 50 Anm. V.E.2 m.w.N. Isele, § 50 Anm. V.D.2, E.1. S. auch § 2 Abs. 4 BORA. So schon Friedländer, § 32 Rz. 55.
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Handakten des Rechtsanwalts
Rz. 19 § 50 BRAO
oder wiederkehrenden Kontakten mit demselben Mandanten eine Aktenvernichtung nicht dem Interesse des Mandanten dienen dürfte. Einer langen Aufbewahrung können heute jedoch datenschutzrechtliche Überlegungen entgegenstehen, so z.B. der im Datenschutz geltende „Grundsatz der Datensparsamkeit“. Danach sollen personenbezogene Informationen so wenig wie möglich erhoben und nicht länger als notwendig und erforderlich vorgehalten werden.1 In Verbindung mit dem Grundgedanken der Verschwiegenheitsverpflichtung des Rechtsanwalts ist deshalb die Datenvernichtung permanent zu beachten. Hier ist ein Ausgleich zu finden zwischen dem Wunsch des Rechtsanwalts auf umfassende Information auch für den Fall, dass spätere Anfragen erfolgen und den Interessen des Mandanten, die dahingehend angenommen werden, dass er keine andauernde, nicht erforderliche Speicherung seiner individuellen Daten wünscht. Das gilt nicht zuletzt, um der Gefahr vorzubeugen, dass seine Daten anderweitig verwandt werden können. Diese Fragen zur Aktenvernichtung verschärfen sich bei der Tätigkeit des Abwicklers, weshalb insofern auch auf § 55 BRAO2 verwiesen wird. Hinsichtlich der Absätze 2 und 3 des § 50 BRAO ist anzumerken, dass die Pflicht zur Aufbewahrung der Handakten mit der Pflicht zur Herausgabe der Handakten an den Mandanten auf Anforderung korrespondiert. Der Mandant kann Auskünfte über das Vertragsverhältnis nach §§ 675, 666 BGB verlangen. Er kann danach aber auch die Akte herausverlangen. Davon geht Absatz 3 aus, wonach der Rechtsanwalt seinem Auftraggeber die Herausgabe der Handakten unter bestimmten Voraussetzungen verweigern kann.
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III. § 50 Abs. 3 BRAO – Zurückbehaltungsrecht Die Vorschrift entspricht inhaltlich dem bisherigen Absatz 1. Die neu gefasste Billigkeitsklausel hat keine inhaltliche Änderung zur Folge.
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Durch Absatz 3 S. 1 wird dem Rechtsanwalt ein über § 273 BGB hinausgehendes besonderes Zurückbehaltungsrecht gewährt, bis er wegen seiner Gebühren und Auslagen befriedigt ist (amtl. Begr.), deren Fälligkeit nicht vorausgesetzt wird. Eine Erledigung des Auftrags, wie § 8 RVG das für die Fälligkeit einer Honorarforderung voraussetzt, hindert den Rechtsanwalt nicht daran, die Handakte zurück zu behalten, ebenso wenig wie ein Kostenfestsetzungsbeschluss nicht vorliegen muss. Man wird aber wohl annehmen müssen, dass der Rechtsanwalt mit der Geltendmachung eines Zurückhaltungsrechtes seine Honorarabrechnung im Sinn des §§ 10 RVG vorlegen muss. Der Rechtsanwalt kann den Mandanten über seine Honorarforderung nicht im Unklaren lassen. Andernfalls könnte er die grundsätzlich geschuldete Herausgabe der Akte unverhältnismäßig verzögern. Der Mandant muss in der Lage sein, seinen Herausgabeanspruch durch Zahlung des Honorars zu erfüllen. Das Zurückbehaltungsrecht besteht in aller Regel nur wegen der Honorarforderung aus der konkreten Angelegenheit, auf die sich die Handakte bezieht3. Soweit es um Geschäftspapiere des Mandanten geht, dürfen Handakten, die eine andere Angelegenheit betreffen, auch dann nicht zurückbehalten werden, wenn es sich insgesamt um ein einheitliches Lebensverhältnis handelt.4 Diese Auffassung wird teilweise abgelehnt.5Begründet wird die Auffassung mit dem Hinweis, Absatz 3 regle dies nicht und der Gesetzgeber habe dem Rechtsanwalt gerade dieses Druckmittel zur Verfügung stellen wollen. Deshalb wird man auch nicht von vornherein annehmen können, dass der Rechtsanwalt berufswidrig handelt, wenn er die Akte zurückbehält, um den Mandanten in anderer Sache zur Zahlung zu veranlassen. Das gilt insbesondere dann, wenn die beiden abzurechnenden Verfahren in einem engen inneren Zusammenhang und Lebenssachverhalt stehen.6 Die Angemessenheit ist am Einzelfall zu prüfen. Allerdings fallen unter Absatz 3 nur die Honoraransprüche des beauftragten Rechtsanwalts, so dass das Druckmittel nicht eingesetzt werden kann, um Honoraransprüche zum Beispiel eines Kooperationspartners einzuziehen.
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1. Besondere Unterlagen Die Herausgabe eines Vollstreckungstitels an den früheren Mandanten kann der Rechtsanwalt auch wegen eines verjährten Gebührenanspruchs verweigern, wenn die Verjährung 1 2 3 4 5 6
Gola/Schomerus, § 3a BDSG Rz. 4 ff. § 55 BRAO Rz. 67. BGH, WM 1997, 2087 (2090); NJW-RR 2005, 364. BGH, BRAK-Mitt. 1998, 156 m. Anm. v. Borgmann, AnwBl. 1998, 95 (Anwaltliche Handakte). Hartung/Römermann/Nerlich, § 50 Rz. 65. Vgl. hierzu auch BGH, NJW 1997, 2944.
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§ 50 BRAO Rz. 20
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noch nicht eingetreten war, als der Herausgabeanspruch des Mandanten entstand, es sei denn, dass die Voraussetzungen des Satz 2 vorliegen.1 Zu dieser Situation dürfte es aber gar nicht kommen, da der Rechtsanwalt Vollstreckungstitel und andere „geldwerte Urkunden“ nach § 43a Abs. 5 BRAO i.V.m. § 4 BORA pflichtgemäß und unverzüglich an den Mandanten herauszugeben hat. Hartung betont dazu, bei diesen Urkunden scheide das Druckmittel des anwaltlichen Zurückbehaltungsrechts aus, weil derartige Schriftstücke zwar handaktenfähig seien, nicht aber Objekt des anwaltlichen Zurückbehaltungsrechts sein könnten.2 Die Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechts an den Handakten ohne Erteilung einer Kostenrechnung durch den Rechtsanwalt ist nach EG Hamburg zivilrechtlich nicht gerechtfertigt und berufsrechtlich zu beanstanden.3 2. Unangemessene Benachteiligung des Mandanten 20
Das Recht zur Verweigerung der Herausgabe wird dadurch eingeschränkt, dass das Zurückbehalten den Mandanten nicht unangemessen benachteiligen darf. Die Verhältnismäßigkeit wird zwischen dem Schaden, der dem Mandanten durch das Vorenthalten der Akten oder einzelner Schriftstücke entsteht und dem Gebührenanspruch des Rechtsanwalts gemessen. Das Zurückbehalten der Akte muss ein adäquates Mittel zum Erreichen des Zwecks der Gebührenzahlung sein. Dabei kommt es nicht allein auf finanzielle Nachteile an, die durch das Zurückbehalten entstehen; vielmehr ist es unangemessen, wenn der Mandant unwiederbringliche Rechts- bzw. Vermögensnachteile erleidet. Der unbestimmte Rechtsbegriff „unangemessen“ ist am Einzelfall zu bewerten. 3. Beispiele des unangemessenen Zurückbehaltens
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Die Fallgestaltungen eines unangemessenen Zurückbehaltens sind naturgemäß vielzählig. Beispiele für das Eingreifen der Billigkeitsklausel des Absatzes 3 S. 2 sind Geringfügigkeit der geschuldeten Beträge, Gefahr eines unverhältnismäßig hohen Schadens (Unterhaltstitel oder der Reisepass, der vom Mandanten dringend gebraucht wird).4 Auch die Nichtausübung von Aufrechnungsmöglichkeiten bei gleichzeitiger Geltendmachung des Zurückhaltungsrechtes kann im Einzelfall als unangemessen anzusehen sein. Der Rechtsanwalt muss abrechnen und seine Gebühren und Auslagen dem Mandanten bekannt geben, um ihm so zu ermöglichen, das Druckmittel der Zurückhaltung abzuwenden.5 Der Rechtsanwalt darf auch nicht die gesetzlichen Regelungen, zum Beispiel die Verjährung durch die Zurückhaltung außer Kraft setzen. Die Fälle der Zurückbehaltung nach Verjährung des Gebührenanspruchs werden allerdings selten sein, da der Mandant drei Jahre nach Beendigung des Auftrags regelmäßig kein Interesse mehr an der vom Rechtsanwalt geführten Handakte haben wird. Auch eine Übersicherung des anwaltlichen Gebührenanspruchs, wenn der Rechtsanwalt im Besitz anderer weiterer Sicherungsmittel ist, kann unangemessen sein (Aufrechnungsmöglichkeit mit Fremdgeld oder eine andere Vollstreckungsmöglichkeit).
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Im Übrigen wird nicht selten den Interessen des Mandanten bei Bestehen des Zurückbehaltungsrechts durch Überlassen von Kopien gedient sein. Falls sich das Interesse des Mandanten speziell auf die Herausgabe der Originale richtet, kann die Herausgabe zu treuen Händen an einen vom Mandanten beauftragten Rechtsanwalt hilfreich sein (§ 17 BORA). IV. § 50 Abs. 4 BRAO – Inhalt der Handakte
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Erst nachdem sich § 50 Abs. 2 und 3 BRAO mit einzelnen Interessenlagen befasst hat, enthält Absatz 4 den unzureichenden Versuch, den Inhalt der Handakte näher zu beschreiben. Die Handakten bestehen aus den zu einer Angelegenheit gehörigen, anlässlich der anwaltlichen Tätigkeit in den Besitz des Rechtsanwalts gelangten oder von ihm hergestellten Urkunden und Belegen, sofern sie nicht – wie Geld, Wertpapiere, Schmuckstücke usw. – zur Einreihung in die Akten ungeeignet erscheinen6 (vgl. auch § 4 Abs. 1 und 2 BORA). § 50 BRAO 1 EG Düsseldorf, AnwBl. 1979, 123, im Anschluss an BGHZ 48, 116, entgegen Isele, § 50 Anm. VI.C.2d; vgl. auch LG Kassel, AnwBl. 1976, 130. 2 Hartung/Römermann/Nerlich, § 50 Rz. 84. 3 EG Hamburg, EGE XIV 286. 4 Feuerich/Weyland, § 50 Rz. 22, 23. 5 Zur Frage des Zurückbehaltungsrechts nach § 50 BRAO bei nicht ordnungsgemäßer Abrechnung nach § 7 RVG; vgl. LG Mannheim, AnwBl. 2013, 149. 6 Friedländer, § 32 Rz. 2.
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Handakten des Rechtsanwalts
Rz. 25 § 50 BRAO
bezieht sich nach dieser allgemeinen Begriffsbestimmung nicht auf den gesamten Inhalt der Handakten, sondern auf einen Teil dieses Inhalts, nämlich nur auf die Schriftstücke, die der Rechtsanwalt aus Anlass seiner beruflichen Tätigkeit von dem Auftraggeber oder für ihn erhalten hat (vgl. Absatz 4: „Handakten im Sinne dieser Vorschrift“ mit den aus der Vorschrift ersichtlichen Ausnahmen). Da der Rechtsanwalt die Pflicht hat, seinen Mandanten von der für ihn im Rahmen seines Auftrags geführten Korrespondenz unverzüglich zu unterrichten, bleiben nur die Schriftstücke, die der Rechtsanwalt tatsächlich von seinem Mandanten zur Bearbeitung des Auftrags erhalten hat.1 Naturgemäß sind das aber gerade die Unterlagen, die der Mandant auch nach Beendigung des Mandats zur weiteren Bearbeitung benötigt, sei es zur Durchführung eines Rechtsmittels, der Beauftragung eines anderen Rechtsanwalts oder auch nur der weiteren Verhandlung mit dieser oder einer anderen Gegenseite. Wegen dieses begrenzten Handakteninhalts hat der Mandant nach Auffassung des AG Charlottenburg2 grundsätzlich kein Einsichtsrecht in die Handakten, wenn er Abschriften der gewechselten Schriftsätze erhalten hat (vgl. § 11 Abs. 1 S. 2 BORA), und zwar vor allem auch dann nicht, wenn die Einsichtnahme der Vorbereitung eines Regressverfahrens gegen seinen Rechtsanwalt dienen soll. V. § 50 Abs. 5 BRAO – Elektronische Akte Diese Vorschrift ist durch die Berufsrechtsnovelle im Jahre 1994 neu angefügt worden. Sie stellt klar, dass zu den Handakten nicht nur Schriftstücke zu rechnen sind, sondern auch elektronische Dateien, deren sich der Rechtsanwalt anstelle überkommener Akten bedient. Die Regelung der Einzelheiten ist der Berufsordnung zugewiesen worden.3 Die gesetzlichen Grundlagen hierfür sind durch das Signaturgesetz und die gesetzlichen Umsetzungen z.B. im Justizkommunikationsgesetz4 und anderen Gesetzen geschaffen worden. Da das Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) für Akten und/oder elektronische Dateien gleichermaßen Anwendung findet, sind bei der elektronischen Aktenführung keine anderen Regeln anzuwenden, als bei der herkömmlichen Handakte. So kann der Mandant den Inhalt seiner Handakte auch auf Datenträger herausverlangen. Dem nicht mit elektronischen Medien oder nicht mit kompatiblen Softwareprogrammen ausgestatteten Mandanten wird man das Recht zubilligen müssen, die von dem Rechtsanwalt elektronisch geführte Akte in Papierform zu erhalten, wie auch der Rechtsanwalt nicht verpflichtet werden kann, dem Mandanten die Daten elektronisch auf kompatiblen Datenprogrammen zu übermitteln. Im Zweifel ist auf die Papierform zurückzugreifen. Die Anwendung des BDSG für die anwaltliche Tätigkeit begründet aber einen Konflikt mit der Pflicht zur Verschwiegenheit des Rechtsanwalts. Die Auskunfts-, Einsichtnahme- und Betretungsrechte der Kanzlei durch den Datenschutzbeauftragten ermöglichen den Zugriff auf den Inhalt der elektronischen Handakte, umso mehr, als die Datenschutzgesetze der Länder häufig auch geordnete Unterlagen (Akten) als Dateien definieren.
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Im Übrigen ergeben sich aus der notwendigen Führung von Handakten weitere Folgerungen. Dem Beschlagnahmeverbot des § 97 Abs. 1 StPO unterliegen die Handakten des Rechtsanwalts nur, wenn der Mandant selbst Beschuldigter ist.5 Doch können einem Rechtsanwalt anvertraute Schriftstücke seines Mandanten bei dem Rechtsanwalt beschlagnahmt werden, wenn sich der Tatverdacht auch gegen den Rechtsanwalt richtet. Die Staatsanwaltschaft ist nicht befugt, Dritten für andere Zwecke als der Durchführung des Strafverfahrens Einsicht in solche beim Rechtsanwalt beschlagnahmten Schriftstücke zu gewähren.6 Die gesetzliche Einschränkung des Beschlagnahmeverbots durch § 97 Abs. 2 S. 2 StPO gilt nicht im Verhältnis zwischen dem Verteidiger und dem Beschuldigten.7 Das grundsätzliche Verbot der Beschlagnahme von Verteidigungsunterlagen gilt unabhängig davon, ob sie sich bei dem Verteidiger oder dem Beschuldigten befinden.8
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1 Der AGH Nordrhein Westfalen (BRAK-Mitt. 2012, 37) hat klargestellt, dass eine Handakte im Sinne der BRAO stets mandatsbezogen ist. Dies bedeutet, dass es ohne Mandatsbezug keine Handakte im Sinne der BRAO geben kann. 2 AG Charlottenburg, NJW 1997, 1450 (Einsicht des Mandanten in die Akten des Rechtsanwalts). 3 § 59 Abs. 2 Nr. 5d BRAO. Vgl. BT-Drs. 12/4993, S. 31. 4 Justizkommunikationsgesetz (BGBl. I 2005, S. 837). 5 LG Koblenz, MDR 1983, 778. 6 OLG Koblenz, AnwBl. 1985, 314 (315); BRAK-Mitt. 1985, 145; 1986, 81 (133). 7 LG Mainz, NStZ 1986, 473 m.w.N. 8 AG Hanau, NJW 1989, 1493 m.w.N.; BVerfG, NJW 2006, 3411, Verhaltenshinweise bei Durchsuchung der Kanzlei – Bundesrechtsanwaltskammer Schreiben Nr.: 80/2007 v. 12.2.2007; ZAP Nr. 10 v. 19.5.2006, Fach 22, S. 413.
Tauchert/Dahns 753
§ 50 BRAO Rz. 26/§ 17 BORA
Zurückbehaltung von Handakten
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Zur Beschlagnahme von Sachverständigengutachten hat der Strafrechtsausschuss der Bundesrechtsanwaltskammer schon in seiner 145. Tagung festgestellt, dass Sachverständigengutachten, die sich im Besitz und Gewahrsam des Verteidigers befinden, nach § 97 StPO grundsätzlich nicht beschlagnahmt werden können, wenn es Verteidigungszwecken dient. Dann kommt es auch nicht darauf an, wer das Sachverständigengutachten dem Verteidiger übergeben hat.1 Die Vorlage der Handakten zum Nachweis des Gebührentatbestandes in Beratungshilfesachen wird verschiedentlich von den Gerichten gefordert, um den Gebührenansatz glaubhaft zu machen. Diese Forderung gerät in Konflikt mit der Pflicht zur Verschwiegenheit (§ 203 StGB). Die Rechtsanwaltskammer Celle hat sich bereits im Jahre 19852 mit diesem Thema befasst und ist zu der Auffassung gelangt, dass die Vorlage der gesamten Handakte ohne Zustimmung des Mandanten gegen die Verschwiegenheitspflicht des Rechtsanwalts verstößt. Der Einwand, auch im Gebührenprozess sei die Handakte vorzulegen, ist nicht durchschlagend, da hier die Ausnahme zur Verschwiegenheitspflicht vorliegt, weil der Mandant den Anspruch des Rechtsanwalts bestreitet und dieser sich verteidigen muss und somit keine Forderung von dritter Seite geltend gemacht wird. Handakten können also nur mit Zustimmung des Mandanten Dritten oder Gerichten vorgelegt werden.3 Auch die veränderte Rechtslage im Gebührenrecht gibt keinen Anlass, die bisherige Auffassung infrage zu stellen.
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Die Zurückbehaltung der Handakten soll gegenüber einem Insolvenzverwalter nicht geltend gemacht werden können.4 Aufgabe der Insolvenzverwaltung ist es, Ansprüche des Schuldners in die Masse zu ziehen. In den Verfahrensakten des Rechtsanwalts können sich Honoraransprüche finden, die der Insolvenzverwalter geltend zu machen hat. Deshalb kann der von der Insolvenz betroffene Rechtsanwalt zumindest den Kostenteil seiner Handakte dem Insolvenzverwalter nicht vorenthalten. Dennoch bleibt die Konkurrenz zwischen Rechtsanwalt und Insolvenzverwalter, da häufig der Kostenanteil nicht ausreicht, den Anspruch zu überprüfen und unter Umständen zu Geld zu machen. Deshalb stellt sich bei der Vertretung bzw. Abwicklung eines Rechtsanwalts verschärft diese Konkurrenzsituation in Bezug auf den Besitz an den Handakten.5 Auch das öffentliche Interesse an der unverzüglichen Abwicklung eines Insolvenzverfahrens begründet diese Auffassung. Der Insolvenzverwalter soll sogar dann die Handakte von dem Rechtsanwalt herausverlangen können, wenn er sie schon seinem Mandanten herausgegeben hat, sie aber bei dem Mandanten verloren gegangen ist.6
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von Handakten 17 BORA Zurückbehaltung Wer die Herausgabe der Handakten (§ 50 Abs. 3 und 4 Bundesrechts1
anwaltsordnung) verweigert, kann einem berechtigten Interesse des Mandanten auf Herausgabe dadurch Rechnung tragen, dass er ihm Kopien überlässt, es sei denn, dass berechtigte Interesse richtet sich gerade auf die Herausgabe der Originale. 2In diesem Fall darf der Rechtsanwalt anbieten, die Originale an einen von dem Mandanten zu beauftragenden Rechtsanwalt zu treuen Händen herauszugeben, wenn damit dem berechtigten Interesse des Mandanten Rechnung getragen wird.
1
Mit der Vorschrift des § 17 BORA hat die Satzungsversammlung den Versuch unternommen, den Regelungsinhalt des § 50 BRAO zu konkretisieren. Dass dies notwendig war, zeigt die Vielzahl alter Einzelfallentscheidungen. Eine wirklich hilfreiche Konkretisierung ist der Satzungsversammlung gleichwohl nicht gelungen. Es wird nicht wie erwartet die Angemessenheit im Verhältnis zum Zurückbehaltungsrecht erläutert, sondern es werden lediglich zwei Möglichkeiten aufgezeigt, wie den berechtigten Interessen des Mandanten gegenüber dem Zurückbehaltungsrecht entsprochen werden kann. Im Ergebnis höhlen diese Möglichkeiten jedoch nur den Sinn und Zweck des in § 50 BRAO geregelten Druckmittels des Rechtsanwalts zur Erlangung seiner Gebühren aus. Dieser Vorschrift hätte es deshalb nach einhelliger Ansicht im Ergebnis nicht bedurft.7
2
Die Vorschrift bezweckt die Regelung der berechtigten Interessen des Mandanten, ohne auf die Frage einzugehen, welche Interessen das sind und inwieweit damit insbesondere § 50 1 Vgl. BRAK-Mitt. 1989, 190. 2 BRAK-Mitt. 1985, 91 (92). 3 Eberlein, BRAK-Mitt. 1985, 165 (Entbindung von der Schweigepflicht als Lösung). Diese Auffassung ist wohl auch heute noch vertretbar. 4 BGHZ 109, 260. 5 Lambertz, Der Kanzleiabwickler, 2004, S. 166, 5. Kapitel, B. II.1a – Problemdarstellung m.w.N. 6 AG Charlottenburg, NJW 1997, 1450. 7 Offermann-Burckart, Kammer aktuell 2009, 8.
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Berufshaftpflichtversicherung
§ 51 BRAO
BRAO eine Ergänzung oder Konkretisierung erfährt. Sinn erhält die Vorschrift nur, wenn die Zurückhaltung durch den Rechtsanwalt unangemessen und damit unberechtigt ist. Zugleich muss der Mandant dadurch unwiederbringliche Rechtsverluste erleiden. In solchen Fällen soll der Rechtsanwalt dem Mandanten Kopien seiner Handakte zur Verfügung stellen. Es ist nicht erkennbar, was dem Rechtsanwalt dann noch als Druckmittel zur Erlangung seiner Gebühren bleibt, zumal § 810 BGB die Einsicht in Urkunden, die sich in der Handakte befinden, schon als Anspruch formuliert.
3
Richtet sich der Herausgabeanspruch des Mandanten gerade auf die originalen Urkunden, so bietet die Norm die Möglichkeit, die Originale zu treuen Händen an einen anderen Rechtsanwalt herauszugeben. Auch diese Regelung geht an der Lebenswirklichkeit vorbei. Die treuhänderische Empfangnahme durch den neuen Bevollmächtigten des Mandanten kann nur dazu führen, dass dieser den Urkundeninhalt im Sinne des Mandanten nutzt. Auch in diesem Fall bleibt das Anliegen des § 50 BRAO, dem Rechtsanwalt seinen Gebührenanspruch zu sichern, auf der Strecke. Wirkliche Arbeitshilfen enthalten deshalb weder § 50 BRAO noch § 17 BRAO.
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Hinweise: Es bleibt zu wünschen, dass sich eine weitere Novellierung der BRAO konkreter mit den Belangen des Rechtsanwalts an seinem wichtigsten Arbeitsmittel befasst. Dabei sollte zum einen der Inhalt der Akte und der Sinn ihrer Führung in der Kanzlei so konkret wie möglich angesprochen werden; zum anderen ist die Frage der Vernichtung aus der Vorschrift selbst nicht zu beantworten. Dieses drängende Problem müsste in der Zukunft gesetzlich geregelt werden. Nicht zuletzt werden sich neue Fragen aus der elektronischen Aktenführung ergeben, die der Gesetzgeber heute schon ansprechen sollte. Zu denken ist dabei an den unzureichenden Datenschutz, dem die sensiblen Mandantendaten ohne bereichsspezifische Regelungen in der BRAO zurzeit durch die Geltung des Bundesdatenschutzgesetzes ausgeliefert sind. Damit haben nicht nur Steuerbeamte, sondern auch Datenschützer Zugriff auf die Mandantendaten. Zudem wird die flächendeckende Anwendung des elektronischen Rechtsverkehrs für Rechtsanwälte, Mandanten, Gerichte und Verwaltungsbehörden kompatible Systeme erforderlich machen. Forderungen zur Sicherung der elektronischen Akte im Hinblick auf Zugriffsmöglichkeiten Dritter müssen ebenso berücksichtigt werden, wie bei der elektronischen Aktenführung ein Datenverlust unbedingt vermieden werden muss. Weitere Fragen werden sich bei der Anwendung des elektronischen Rechtsverkehrs einstellen, ohne dass die Detailfragen bereits heute offensichtlich erkennbar sind.
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Die Frist der Aufbewahrung von Handakten wird durch eine Reihe von Gesetzen außerhalb der BRAO (AO, GwG u.a.), bestimmt, so dass es sinnvoll erscheint, keine zeitliche Vorgabe mehr in das Gesetz aufzunehmen. Der Vorschlag des DAV,1 die Frist auf 10 Jahre zu erstrecken, scheint nur an steuerlichen Überlegungen orientiert zu sein und ist deshalb zu kurz gegriffen. Die Verjährungsregelungen des BGB (Verjährungsanpassungsgesetz) nach Wegfall des § 51b BRAO und nach der Schuldrechtsreform lassen eine sichere zeitliche Eingrenzung dieser Frage nicht zu, wenn Maßstab der Schutz des Rechtsanwalts selbst ist. Dann kann ein Anspruch wegen Schlechtleistung auch noch 10 Jahre nach Beendigung des Mandats denkbar sein. Hilfe bringt dann hoffentlich die EDV, mit der künftig leichter, Platz und Kosten sparender eine elektronische Akte archiviert werden kann.
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51 BRAO Berufshaftpflichtversicherung (1) Der Rechtsanwalt ist verpflichtet, eine Berufshaftpflichtversiche1
rung zur Deckung der sich aus seiner Berufstätigkeit ergebenden Haftpflichtgefahren für Vermögensschäden abzuschließen und die Versicherung während der Dauer seiner Zulassung aufrechtzuerhalten. 2Die Versicherung muss bei einem im Inland zum Geschäftsbetrieb befugten Versicherungsunternehmen zu den nach Maßgabe des Versicherungsaufsichtsgesetzes eingereichten Allgemeinen Versicherungsbedingungen genommen werden und sich auch auf solche Vermögensschäden erstrecken, für die der Rechtsanwalt nach § 278 oder § 831 des Bürgerlichen Gesetzbuches einzustehen hat. (2) Der Versicherungsvertrag hat Versicherungsschutz für jede einzelne Pflichtverletzung zu gewähren, die gesetzliche Haftpflichtansprüche privatrechtlichen Inhalts gegen den Rechtsanwalt zur Folge haben könnte; dabei kann vereinbart werden, dass sämtliche Pflichtverletzungen bei Erledigung eines einheitlichen Auftrags, mögen diese auf dem Verhalten 1 Vorschläge des DAV zur Änderung der Bundesrechtsanwaltsordnung (Stand 30.8.2006) in AnwBl. 2006, 721 ff., 728 u. 740.
Tauchert/Dahns 755
§ 51 BRAO Rz. 1
Berufshaftpflichtversicherung
des Rechtsanwalts oder einer von ihm herangezogenen Hilfsperson beruhen, als ein Versicherungsfall gelten. (3) Von der Versicherung kann die Haftung ausgeschlossen werden: 1. für Ersatzansprüche wegen wissentlicher Pflichtverletzung, 2. für Ersatzansprüche aus Tätigkeiten über in anderen Staaten eingerichtete oder unterhaltene Kanzleien oder Büros, 3. für Ersatzansprüche aus Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Beratung und Beschäftigung mit außereuropäischem Recht, 4. für Ersatzansprüche aus Tätigkeiten des Rechtsanwalts vor außereuropäischen Gerichten, 5. für Ersatzansprüche wegen Veruntreuung durch Personal, Angehörige oder Sozien des Rechtsanwalts. (4) 1Die Mindestversicherungssumme beträgt 250 000 EURO für jeden Versicherungsfall. Die Leistungen des Versicherers für alle innerhalb eines Versicherungsjahres verursachten Schäden können auf den vierfachen Betrag der Mindestversicherungssumme begrenzt werden. 2
(5) Die Vereinbarung eines Selbstbehalts bis zu 1 vom Hundert der Mindestversicherungssumme ist zulässig. (6) 1Im Versicherungsvertrag ist der Versicherer zu verpflichten, der zuständigen Rechtsanwaltskammer, bei Rechtsanwälten bei dem Bundesgerichtshof auch dem Bundesministerium der Justiz, den Beginn und die Beendigung oder Kündigung des Versicherungsvertrages sowie jede Änderung des Versicherungsvertrages, die den vorgeschriebenen Versicherungsschutz beeinträchtigt, unverzüglich mitzuteilen. 2Die Rechtsanwaltskammer erteilt Dritten zur Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen auf Antrag Auskunft über den Namen und die Adresse der Berufshaftpflichtversicherung des Rechtsanwalts sowie die Versicherungsnummer, soweit der Rechtsanwalt kein überwiegendes schutzwürdiges Interesse an der Nichterteilung der Auskunft hat; dies gilt auch, wenn die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft erloschen ist. (7) Zuständige Stelle im Sinne des § 117 Abs. 2 des Versicherungsvertragsgesetzes ist die Rechtsanwaltskammer. (8) Das Bundesministerium der Justiz wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates nach Anhörung der Bundesrechtsanwaltskammer die Mindestversicherungssumme anders festzusetzen, wenn dies erforderlich ist, um bei einer Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse einen hinreichenden Schutz der Geschädigten sicherzustellen. A. Allgemeine Geltung . . . . . . . . . .
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B. Zweck der Norm . . . . . . . . . . . .
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C. Die Vorschrift . . . . . . . . . . . . I. § 51 Abs. 1 BRAO – Versicherungspflicht II. § 51 Abs. 2 BRAO – Versicherungsumfang . . . . . . . . . . . . . . . 1. Regressanspruch. . . . . . . . . . . 2. Dritthaftung . . . . . . . . . . . . . III. § 51 Abs. 3 BRAO – Haftungsausschluss
. .
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. . . .
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IV. § 51 Abs. 4 BRAO – Deckungsumfang V. § 51 Abs. 6 BRAO – Melde- und Auskunftspflicht . . . . . . . . . VI. § 51 Abs. 7 BRAO – Zuständige Stelle VII. Verjährung von Ersatzansprüchen . VIII. Auslandsbezug . . . . . . . . . .
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. . . .
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D. Hinweise . . . . . . . . . . . . . . .
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E. Allgemeine Versicherungsbedingungen – AVB-RSW . . . . . . . . . . . .
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A. Allgemeine Geltung 1
Die gesetzliche Berufshaftpflichtversicherung dient vorrangig dem Schutz der Rechtsuchenden. Dennoch hat der Gesetzgeber erst sehr spät die Pflicht zur Versicherung statuiert (BRAO-Novelle 1994). Vorher gab es insbesondere keine Kontrolle, ob der Rechtsanwalt tatsächlich eine Versicherung abgeschlossen hatte. Dadurch konnte der Rechtsuchende nicht wirklich sicher sein, ob er einen etwaigen Anspruch gegen seinen Rechtsanwalt durchsetzen konnte. Die eingeführte Kontrolle durch die Kontrollmitteilung des Versicherers hat das geändert.1 Um sicherzustellen, dass jeder Rechtsanwalt im Haftungsfall erfolgreich in 1 Begründung zum Regierungsentwurf, BT-Drs. 12/4993, S. 31.
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Berufshaftpflichtversicherung
Rz. 5 § 51 BRAO
Anspruch genommen werden kann, ist die Pflicht zum Abschluss und zur Aufrechterhaltung der Berufshaftpflichtversicherung gesetzlich vorgeschrieben. Jeder Rechtsanwalt – freier Mitarbeiter, angestellter oder nebenberuflicher Anwalt, Sozius, Gesellschafter einer Rechtsanwaltsgesellschaft – gleichgültig, ob tatsächlich oder überwiegend im Ausland tätig– hat seit in Kraft treten der Berufsrechtsnovelle am 9.9.1994 vor einer Zulassung den Abschluss der Berufshaftpflichtversicherung nachzuweisen und sie während der Rechtsanwaltszulassung lückenlos zu unterhalten.1 Das Fehlen der Berufshaftpflichtversicherung hat zur Folge, dass die Zulassungsurkunde nicht ausgehändigt wird, wobei die Vorlage einer vorläufigen Deckungszusage genügt (§ 12 Abs. 2 BRAO). Bei Beendigung des Versicherungsschutzes ist die erfolgte Zulassung zwingend zu widerrufen – mit Anordnung des sofortigen Vollzugs (§ 14 Abs. 2 Nr. 9, Abs. 4 BRAO). Ist der Versicherungsvertrag nicht mehr in Kraft, hat der Versicherer die Rechtsanwaltskammer unverzüglich vom Zeitpunkt des Ablaufs der Versicherungsdeckung zu unterrichten. Der Inhalt der vom Versicherer der Rechtsanwaltskammer vorzulegenden Erklärung und die sich aus der Meldung ergebenden versicherungsrechtlichen Folgen ergeben sich aus § 117 VVG i.V.m. § 51 Abs. 7 BRAO.2 Die Regelung für diese Meldepflicht orientiert sich an § 19a BNotO und ist angepasst an die versicherungsrechtlichen Richtlinien des Rates der Europäischen Gemeinschaft. Deshalb kann der Abschluss der Versicherung auch nicht allein bei einem inländischen Versicherer gefordert werden. Vielmehr reicht der Deckungsschutz einer europäischen Versicherung aus, wenn diese den Versicherungsumfang nach § 51 BRAO gewährleistet und bescheinigt. Entsprechendes regelt § 7 des Europäischen Rechtsanwaltsgesetzes (EuRAG).3 Zugleich lag der Abschluss einer Versicherung schon immer im eigenen Interesse des Rechtsanwalts. Die haftungsträchtige anwaltliche Tätigkeit birgt die Gefahr in sich, durch Regressforderungen in der beruflichen und damit persönlichen Existenz bedroht zu werden. Deshalb liegt es im ureigenen Interesse des Rechtsanwalts, seine Berufshaftpflichtversicherung an dem konkreten Risiko seiner Tätigkeit auszurichten.
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An der allgemeinen Geltung der Vorschrift hat sich auch nichts geändert, obgleich die Vorschrift gerade in jüngster Zeit vielfache Änderungen in ihrer Formulierung, aber besonders auch in ihren rechtlichen Grundlagen erfahren hat. Dazu zählen das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts,4 das für Neuregelungen von Schuldverhältnissen gilt, die seit 1.1. 2002 entstanden sind und das Gesetz zur Anpassung von Verjährungsvorschriften an das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts,5 worin die Verjährungsvorschriften für vertragliche Schadensersatzansprüche gegen Rechtsanwälte mit Ablauf des 14.12.2004 aufgehoben wurden, und schließlich das Gesetz zur Reform des Versicherungsvertragsrechts.6
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B. Zweck der Norm Zweck der Vorschrift ist es, Mandanten und Rechtsanwalt vor den Risiken anwaltlicher Tätigkeit zu schützen. Die Norm dient deshalb dem Verbraucherschutz ebenso wie der Gewährleistung der unabhängigen, eigenverantwortlichen Tätigkeit des Rechtsanwalts als Organ der Rechtspflege. Nur durch den Schutz der Berufshaftpflichtversicherung ist es dem Rechtsanwalt möglich, den Mandanten uneigennützig und ohne Sorge um die eigene Existenz und Zukunft interessengerecht gegenüber Dritten und vor Gericht zu vertreten. Andererseits ist es dem Rechtsuchenden nur möglich, seinen Anspruch gegen den Rechtsanwalt auf Schadensersatz durchzusetzen, wenn er Kenntnis von der Versicherung des Rechtsanwalts erlangen kann.
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C. Die Vorschrift I. § 51 Abs. 1 BRAO – Versicherungspflicht „Berufstätigkeit“ im Sinne von Absatz 1 Satz 1 entspricht dem Begriff der anwaltlichen Tätigkeit in § 1 Abs. 1 RVG, der geprägt ist durch die Gewährung der berufstypischen Auf1 Feuerich/Weyland/Böhnlein, § 51 Rz. 6. 2 Vgl. Brieske, AnwBl. 1995, 225 und allgemein Kindermann/Brieske, in: „Ratgeber für junge Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen“, 13. Aufl. 2013, Die Berufshaftpflichtversicherung, S. 103 ff. 3 § 7 EuRAG. 4 BGBl. I 2001, S. 3138. 5 BGBl. I 2004, S. 3214. 6 BGBl. I 2007, S. 2631.
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§ 51 BRAO Rz. 6
Berufshaftpflichtversicherung
gaben mit Ausnahme der in § 1 Abs. 2 RVG genannten, nicht unbedingt anwaltsspezifischen Tätigkeiten (Vormund, Betreuer, Pfleger, Testamentsvollstrecker, Insolvenzverwalter, Vergleichsverwalter, Mitglied des Gläubigerausschusses oder des Gläubigerbeirats, Treuhänder, Zwangsverwalter, Schiedsrichter, Mediator1 sowie als Abwickler einer Kanzlei nach § 55 BRAO, des Zustellungsbevollmächtigten nach § 30 BRAO und des Notarvertreters innerhalb von 60 Tagen eines Versicherungsjahres, soweit diese Tätigkeiten nicht überwiegend bzw. ausschließlich ausgeübt werden). Die Vermögenshaftpflichtversicherer haben dem in ihren „Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Vermögensschadenhaftpflichtversicherung von Rechtsanwälten“ (AVB) Rechnung getragen und alle vorgenannten Tätigkeiten in ihre Risikobeschreibung aufgenommen, so dass sie regelmäßig mitversichert sind, wie sich aus den „Allgemeinen Versicherungsbedingungen“ ersehen lässt, die am Ende der Kommentierung dieser Vorschrift abgedruckt sind.2 6
Bedeutsam ist der persönliche Geltungsbereich der Vorschrift. Der Rechtsanwalt ist verpflichtet, die Berufshaftpflichtversicherung persönlich und auf seine Person lautend abzuschließen und sie während der Dauer seiner Zulassung aufrechtzuerhalten. Eine sog. „Sozietätsversicherung“, in der alle Rechtsanwälte in einem einzigen Versicherungsvertrag zusammengeschlossen sind, reicht alleine nicht aus. Sie führt vielmehr sogar zu finanziellen Nachteilen des angestellten Sozius, da die Übernahme der Beiträge zur Berufshaftpflichtversicherung durch den Arbeitgeber zu Arbeitslohn führt, weil der Berufsträger selbst zum Abschluss der Versicherung verpflichtet ist und deshalb ein überwiegend eigenbetriebliches Interesse des Arbeitgebers ausscheidet.3 Zudem ist beim Ausscheiden aus der Sozietät nicht sichergestellt, dass sofort eine Anschlussversicherung zeitlich und sachlich lückenlosen Versicherungsschutz gewährt.4 Eine Ausnahme von dieser Regelung gibt es nicht, weshalb auch Gesellschafter einer Rechtsanwaltsgesellschaft neben der Gesellschaft selbst eine eigenständige Versicherung unterhalten müssen, da ihnen auch neben ihrer Gesellschafterstellung rechtlich erlaubt ist, Anwaltsverträge auf eigene Rechnung und Verantwortung abzuschließen.5 Etwas anderes ist es, wenn durch eingeschränkte Tätigkeit mit dem Versicherer unter Umständen eine reduzierte Prämie vereinbart werden kann (z.B. Syndikusbonus). Diese Möglichkeit deutet sich in Absatz 5 der Vorschrift an, wonach ein Selbstbehalt bis zu einem Prozent der Mindestversicherungssumme vereinbart werden kann. Das von der Bundesrechtsanwaltskammer geschaffene Qualitätssiegel („Qualität durch Fortbildung“)6 gibt die Hoffnung, dass es Trägern dieses Zertifikats gelingt, mit den Versicherern eine geringere Versicherungsprämie bei gleich hoher Deckungssumme zu vereinbaren.7 Grundsätzlich kommt es nicht darauf an, in welchem Umfang anwaltliche Tätigkeit ausgeübt oder welches Einkommen aus anwaltlicher Tätigkeit erzielt wird. Der zugelassene Rechtsanwalt ist versicherungspflichtig. Wichtig ist, dass sich die abgeschlossene Versicherung auch auf Erfüllungs- und Verrichtungsgehilfen im Sinne der §§ 278, 831 BGB erstreckt. Die Mitarbeiter der Kanzlei, aber auch Rechtsreferendare und Praktikanten sind in unterschiedlicher Bedeutung in die anwaltliche Tätigkeit einbezogen. Sie können deshalb nicht ohne Versicherungsschutz bleiben. Um die Lückenlosigkeit dieses Versicherungsschutzes zu gewährleisten, ist das Kanzleipersonal in die Berufshaftpflichtversicherung des Rechtsanwalts einzubeziehen. Entsprechende Regelungen finden sich in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen der Berufshaftpflichtversicherungen für Rechtsanwälte und auch Notare.8
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Die Versicherungspflicht gilt auch für den in Deutschland zugelassenen, aber ausschließlich oder überwiegend im Ausland tätigen Rechtsanwalt. Mit Rücksicht auf Absatz 1 Satz 2 reicht allerdings eine im Ausland, z.B. in Italien, abgeschlossene Berufshaftpflichtversicherung auch bei ausschließlicher Tätigkeit im Ausland nicht aus, ist der Rechtsanwalt doch be-
1 Aufnahme in die Versicherungsbedingungen durch Erklärung gegenüber der Bundesrechtsanwaltskammer in BRAK-Mitt. 1997, 160. 2 Es handelt sich um die Allgemeinen und Besonderen Versicherungsbedingungen sowie Risikobeschreibungen zur Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung für Rechtsanwälte und Patentanwälte, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und vereidigte Buchprüfer (AVB-RSW) der Allianz Versicherungs AG mit Stand zum Mai 2011 (HV 60/06). 3 BFH, BRAK-Mitt. 2007, 230; NJW 2008, 1838. 4 Brüning/Abel, Die moderne Anwaltskanzlei, 3. Aufl. 2001, § 11 Rz. 8; Feuerich/Weyland/Böhnlein, § 51 Rz. 6. 5 Henssler/Prütting/Henssler, § 59j Rz. 1. 6 http://www.brak.de/fuer-anwaelte/qualitaet-durch-fortbildung/Qualitätssiegel der BRAK – s. auch BRAKMagazin, 15.2.2007, S. 4. 7 Schon Braun, BRAK-Mitt. 1994, 202 und Stöhr, AnwBl. 1995, 234 ff. 8 Für Notarangestellte in AVB-N/HV 39, abgedruckt bei Weingärtner, Ordnungs-Nr. 629.
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rechtigt, seinen Beruf jederzeit in Deutschland auszuüben.1 Der Versicherungsschutz ist unabhängig davon für die Beratung und Vertretung des Rechtsanwalts lediglich im Rahmen des europäischen Rechts beziehungsweise die Vertretung vor europäischen Gerichten privilegiert. Ausländische Rechtsanwälte, die sich nach §§ 206, 207 BRAO in Deutschland niedergelassen haben, haben ebenfalls eine Berufshaftpflichtversicherung im Sinne und Umfang des § 51 BRAO abzuschließen. Sie erfüllen ihre Versicherungspflicht aber auch durch Abschluss eines § 51 BRAO entsprechenden Versicherungsvertrages mit einem ausländischen Versicherungsunternehmen.2 Diese Erleichterung ist sachgerecht, da die ausländischen Rechtsanwälte nach §§ 206, 207 BRAO nur auf dem Gebiet ihres ausländischen Heimatrechts und internationalen Rechts im Geltungsbereich der Bundesrechtsanwaltsordnung tätig sein dürfen. Deshalb ist davon auszugehen, dass der von ihnen eingegangene Versicherungsumfang bei der Versicherung des Heimatlandes dem entspricht, den ein deutscher Rechtsanwalt bei seiner Tätigkeit im Ausland im weitesten Sinne gem. § 29a BRAO unterhält. Dennoch bleiben vielfältige Probleme. So z.B., wenn ein ausländischer Rechtsanwalt im Sinne der §§ 206, 207 BRAO in einer deutschen Sozietät mitgearbeitet und eventuell auch noch als Mitarbeiter (zumindest unechter oder Scheinsozius) auf dem Briefkopf geführt wird, ohne jeden Hinweis auf seine beschränkte Beratungsbefugnis.3 Dann nämlich kann sein anwaltliches Fehlverhalten zu einer Haftung der gesamten Sozietät werden und umgekehrt können sich anwaltliche Beratungs- und Vertretungsfälle des Mandanten, der die Sozietät beauftragt hat, für den ausländischen Rechtsanwalt haftungsbegründend auswirken. In beiden Fällen ist dringend anzuraten, bei dem Zusammenschluss mit ausländischen Rechtsanwälten immer auf eine spezielle Beauftragung des ausländischen Rechtsanwalts oder der inländischen Sozietät unter Ausschluss des ausländischen Rechtsanwalts zu achten. Das kann nur über die Vollmacht selbst erfolgen und bleibt wegen der Haftung auch des Scheinsozius auch dann noch problematisch. Hier gilt es, auch im Versicherungsvertrag der Sozietät Vorsorge zu treffen.4
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Der mit der Erlaubnis nach § 17 Abs. 2 BRAO zur Führung der Bezeichnung „Rechtsanwalt“ versehene frühere, nicht mehr zugelassene und nicht mehr tätige Rechtsanwalt muss mangels anwaltlicher Tätigkeit keine Versicherung mehr unterhalten.
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II. § 51 Abs. 2 BRAO – Versicherungsumfang 1. Regressanspruch Die Vorschrift macht an dieser Stelle (§ 51 Abs. 2 BRAO) deutlich, dass die Haftpflichtansprüche, die von der Berufshaftpflichtversicherung abgedeckt werden, nur privatrechtlichen Inhalts gegen den Rechtsanwalt sein können. Es handelt sich somit um Schadensersatzansprüche aus mangelhafter Erfüllung des Anwaltsvertrages. Die mangelhafte Erfüllung muss Vermögensschäden bei den Mandanten verursacht haben. Dabei ist der erste Verstoß des Rechtsanwalts, der zum Schaden führt, maßgebend (Verstoßprinzip). Die Pflichtverletzung des Rechtsanwalts muss somit schuldhaft und ursächlich für den Vermögensschaden des Mandanten sein. Sie kann allerdings auf eigenem Fehlverhalten oder einer Pflichtverletzung Dritter beruhen, für die der Rechtsanwalt verantwortlich ist (Erfüllungsgehilfen). Von der eingeräumten Möglichkeit, sämtliche Pflichtverletzungen bei Erledigung eines einheitlichen Auftrags als einen Versicherungsfall zu vereinbaren, wird regelmäßig nicht gesondert Gebrauch gemacht. Jedoch werden ebenso selten in Regressprozessen gegen Rechtsanwälte mehrere unter verschiedene Verstöße innerhalb eines einheitlichen Auftrags als unterschiedliche und aus verschiedenen Anspruchsgrundlagen begründet geltend gemacht. Eine solche Anspruchshäufung wirkt sich unter Umständen auf den Verjährungsbeginn des Schadensersatzanspruchs wegen mehrerer Beratungsfehler aus, da dann der Verjährungsbeginn für die kenntnisabhängige Verjährungsfrist für jeden Beratungsfehler gesondert zu laufen beginnt.5
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2. Dritthaftung Die Versicherung des Rechtsanwalts deckt in erster Linie Ansprüche des Mandanten gegenüber dem Rechtsanwalt wegen Verletzung des Anwaltsvertrages/Dienstvertrages ab, den 1 2 3 4 5
BGH, BRAK-Mitt. 2010, 213. Empfehlungen des BRAK-Ausschusses Internationale Sozietäten, BRAK-Mitt. 2005, 182 (183). Sassenbach/Stöhr, BRAK-Mitt. 2007, 155. Feuerich/Weyland/Böhnlein, § 51 Rz. 7. BGH, NJW 2008, 506.
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er mit dem Rechtsanwalt vereinbart hat. Die Tätigkeit des Rechtsanwalts kann aber auch bei Nichtmandanten, die in keinem direkten Vertragsverhältnis zu dem Rechtsanwalt stehen, vertraglich oder vorvertraglich begründete Ansprüche entstehen lassen.1 Das ist dann der Fall, wenn der Mandant auf die Richtigkeit des anwaltlichen Rats oder der anwaltlichen Tätigkeit vertraut und deshalb eine Vermögensverfügung vornimmt, die wiederum einen Schaden bei Dritten bewirkt. Erstellt der Rechtsanwalt z.B. ein Gutachten, erteilt er eine Auskunft oder überprüft er einen Jahresabschluss und der Mandant gibt den Inhalt des Ergebnisses weiter, so vertraut nicht nur der Mandant, sondern auch der Dritte auf die Richtigkeit und Vollständigkeit der Vorlage des Rechtsanwalts. Die Fehlerhaftigkeit der anwaltlichen Tätigkeit führt dann zum Schaden auch bei dem Dritten. Dieser Fehler ist versichert und nicht von einem Ausschluss der Versicherung erfasst. Das gilt auch in den Fällen, in denen ausnahmsweise der Mandant den Anwalt beauftragt, für einen Dritten tätig zu werden. Dann bleibt der Anwalt dem Mandanten verpflichtet, die Wirkung seines Handelns trifft aber den Dritten. Solche Verträge zu Gunsten Dritter im Sinne der §§ 328 ff. BGB bieten die Grundlage, Belange eines Dritten bei Abschluss und Abwicklung eines Vertrages zu berücksichtigen. Wenn dann der Dritte selbst die Leistung des Rechtsanwalts, z.B. im Rahmen eines Rechtsberatungsvertrages oder Treuhandvertrages, verlangen kann, kann er auch bei mangelhafter Leistung des Rechtsanwalts Schadensersatz verlangen.2 Enthält der Vertrag keine ausdrücklichen Bestimmungen über den Schutz des Dritten, so nimmt der BGH in seiner Rechtsprechung eine Auslegung vor. Voraussetzung für die Annahme eines Anspruchs ist, dass dem Rechtsanwalt die Einbeziehung des Dritten in den vertraglichen Schutzbereich des Vertrages bekannt oder zumindest erkennbar ist. Weiterhin muss eine so genannte Drittbezogenheit der Leistung vorliegen, so dass der Vertragszweck bestimmungsgemäß und typischerweise die Beeinträchtigung des Dritten bewirken kann. Schließlich muss der Mandant selbst ein berechtigtes Interesse am Schutz des Dritten haben und letztlich muss der Dritte schutzbedürftig sein.3 11
Ein weiterer Vertragstyp, der zur Dritthaftung führen kann, ist ein Vertrag zwischen dem Rechtsanwalt und dem Empfänger zur Auskunft (Auskunftsvertrag – i.S.d. § 675 Abs. 2 BGB). Der Rechtsanwalt haftet nicht für eine falsche Auskunft gegenüber dem Gegner seines eigenen Mandanten. Beim Auskunftsvertrag aber entsteht ein eigenständiges Vertragsverhältnis zwischen dem Rechtsanwalt und einem Dritten dann, wenn der Rechtsanwalt sich ausdrücklich oder üblicherweise durch schlüssiges Verhalten verpflichtet, eine bestimmte Auskunft zu erteilen. Kriterien für die Beurteilung sind die besondere Sachkunde des Rechtsanwalts und eine direkte Kontaktaufnahme zwischen den Vertragsparteien.4 III. § 51 Abs. 3 BRAO – Haftungsausschluss
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Absatz 3 führt gesetzlich festgelegte Risikoausschlüsse auf, die in den allgemeinen Versicherungsbedingungen präzisiert werden. Absatz 3 Nr. 1 schließt Ersatzansprüche wegen vorsätzlicher Pflichtverletzungen aus.5 Darunter fällt bereits eine wissentliche Pflichtverletzung. Sie kann vorliegen, wenn der Rechtsanwalt nach allgemeinen Maßstäben hätte wissen müssen, dass er ein Gesetz missachtet oder eine Vorschrift oder Anweisung des Mandanten verletzt.6 Mit diesem Nachweis kann sich der Versicherer seiner Leistungspflicht entziehen. Die Beweislast für das offensichtliche notwendige und als selbstverständlich vorausgesetzte Wissen trägt allerdings der Versicherer.7 Durch diese Regelung gerät der Versicherungsschutz des Rechtsuchenden in Gefahr,8 da nur der fahrlässig geschädigte Mandant Versicherungsschutz genießt, während der vorsätzlich Geschädigte leer ausgeht. Doch können nur die in Absatz 3 abschließend aufgezählten Fälle zu einem Haftungsausschluss führen.
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Bei der neu geschaffenen Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung und der Rechtsanwaltsgesellschaft darf ein Versicherer Ersatzansprüche wegen wissentlicher Pflichtverletzung hingegen nicht bzw. nicht mehr ausschließen (vgl. §§ 51a Absatz 1 Satz 2; 59j Abs. 1 BRAO, die beide bewusst nicht auf § 51 Abs. 3 Nr. 1 BRAO verweisen, so dass die 1 2 3 4 5 6 7 8
BGH, NJW 2008, 1105. Müller, AnwBl. 2007, 787; BGH, NJW 2004, 3630. BGH, NJW 2004, 3035; 2004, 3630 und Zugehör, NJW 2008, 1105. BAG, NJW 1992, 2080; BGH, NJW-RR 2006, 993. Borgmann/Jungk/Grams, Kap. VIII Rz. 5. BGH, NJW 1992, 1179. BGH, NJW-RR 1991, 145. Terbille, MDR 1999, 1426.
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allgemeine Regelung des § 103 VVG gilt, wonach der Versicherer erst dann von der Leistungspflicht befreit ist, wenn auch der Schaden vorsätzlich herbeigeführt worden ist). Grund für diese Sonderregelungen war die im Gesetzgebungsverfahren vom Rechtsausschuss benannte rechtliche Schutzlücke: „Der Versicherungsschutz entfiele bereits dann, wenn ein wissentlicher Pflichtverstoß vorliegt; darauf, ob auch der Schaden vom Vorsatz umfasst war, kommt es nicht an. Eine deliktische Haftung setzte demgegenüber regelmäßig voraus, dass der Vorsatz nicht nur die Handlung, sondern auch den Schaden umfasst. Der Versicherungsschutz könnte also in dieser besonderen Situation entfallen, ohne dass deliktische Ansprüche bestünden, die diesen Ausfall – gemeint ist das Nichtbestehen eines nicht auf das Gesellschaftsvermögen begrenzten Schadensersatzanspruchs – kompensieren würden.“1 Der Ausschluss der Haftung bei einer anwaltlichen Tätigkeit im Ausland ist auf den außereuropäischen Bereich beschränkt. Die allgemeinen Geschäftsbedingungen der Versicherungen sehen heute regelmäßig den Versicherungsschutz auch für die Tätigkeit ihrer Versicherungsnehmer im ausländischen Recht und vor ausländischen Gerichten vor, wenn es sich um europäisches Recht oder europäische Gerichte handelt.2 Soweit die anwaltliche Tätigkeit außereuropäisches Recht betrifft oder in außereuropäischen Ländern anwaltliche Dienstleistung erbracht wird, ist eine zusätzliche entsprechende Versicherung abzuschließen, ohne dass dieser Sachverhalt von § 51 BRAO als Berufspflicht erfasst würde (§ 51 Abs. 3 Nr. 3 und 4 BRAO).
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Selbstverständlich schließt die Versicherung Deckungen auf Grund eines Verstoßes wegen Veruntreuung durch Rechtsanwälte, Angestellte und jegliches Personal aus. Grund dafür ist die Überwachungspflicht des Rechtsanwalts, dem die Verantwortung für die ordnungsgemäße Abwicklung und Tätigkeit seines gesamten Büros obliegt. Deckung ist allerdings – begrenzt auf Vermögensschäden – für sonstige vorsätzliche Pflichtverletzungen der Erfüllungsgehilfen im Sinne der §§ 278, 831 BGB gegeben. Ist dem Mandanten ein Vermögensschaden entstanden und ist nicht eindeutig geklärt, ob ein Ausschlusstatbestand für den Versicherer vorliegt, ist der Versicherer als Sicherheit für den Mandanten eintrittspflichtig.3
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IV. § 51 Abs. 4 BRAO – Deckungsumfang Die Mindestversicherungssumme beträgt 250 000 Euro (Absatz 4 Satz 1). Die Verpflichtung, eine Berufshaftpflichtversicherung mit einer Mindestversicherungssumme von 250 000 Euro zu unterhalten, gilt ohne Rücksicht darauf, welches Einkommen der Rechtsanwalt erzielt; die generelle Festlegung der Mindestversicherungssumme verstößt nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Eine gesetzlich geforderte Abstufung des Deckungsschutzes nach dem Umfang der anwaltlichen Tätigkeit ergäbe keine sachgerechte Lösung, weil sie die berufsrechtliche Überprüfung wesentlich erschweren würde und dem Schutzbedürfnis der Rechtsuchenden, die ein berechtigtes Interesse daran haben, durch eine entsprechende Haftpflichtversicherung bei jedem Rechtsanwalt mindestens in demselben Umfang vor Schäden aus vertraglicher Pflichtverletzung geschützt zu sein, nicht entspräche.4 Um insoweit – ohne ein aufwendiges Gesetzgebungsverfahren – geänderten wirtschaftlichen Verhältnissen Rechnung tragen zu können, ist das Bundesministerium der Justiz (BJM) ermächtigt, durch Rechtsverordnung – allerdings mit Zustimmung des Bundesrats – Anpassungen der Mindestversicherungssumme vorzunehmen (Absatz 8).5
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Die Mindestversicherungssumme ist ausgerichtet an der Versicherung des einzelnen Rechtsanwalts. Ist der Rechtsanwalt Mitglied einer Sozietät, regeln die allgemeinen Vertragsbedingungen der Versicherer, dass in einem Versicherungsfall die durchschnittliche Versicherungssumme aller Sozietätsmitglieder den Versicherungsumfang bestimmt. Unterhalten die Sozietätsmitglieder unterschiedliche Versicherungssummen, gefährden sie unter Umständen ihren Versicherungsschutz. Beispiel: Ein Sozietätsmitglied ist mit 500 000 Euro versichert, das andere mit einer Million. Im Versicherungsfall wird von 1,5 Millionen: 2 = 750 000 Euro als einfache Deckungssumme im Schadensfall ausgegangen. Unter Umständen besteht also eine Unterdeckung von 250 000 Euro bei einem Schaden von einer Million. Hierzu gibt es Variationsmöglichkeiten. Im Grundsatz sollte immer eine einheitliche Deckungssumme aller Sozien bestehen. Dies führt zu besonderen Belastungen, insbesondere für junge Sozietätsmitglieder, die als Einzelanwalt alleine eine so hohe Versicherungsdeckung aufgrund ihres durchschnitt-
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Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drs. 17/13944, S. 15. Borgmann, AnwBl. 2005, 732. OLG Celle, VersR 1978, 27. BGH, BRAK-Mitt. 1997, 39. Vgl. BT-Drs. 12/4993, S. 32.
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Berufshaftpflichtversicherung
lichen Tätigkeitsrisikos nicht eingehen müssten. Hier kann nur der Arbeitsvertrag oder besondere Versicherungsstrukturen für die Sozietät abhelfen. Die einfachste Lösung besteht in der Versicherung aller Sozietätsmitglieder in gleicher Höhe. Dann kann es im Einzelfall nicht zu einer Unterdeckung kommen. Eine weitere Möglichkeit Spitzenschäden zu begegnen ist es, eine einheitliche Deckungssumme zu vereinbaren, jedoch für einen oder mehrere Fälle des Jahres zusätzlich eine erhöhte Deckung zu wählen, die dann demjenigen zugerechnet werden kann, der diesen überdurchschnittlichen Schaden verursacht. Da es nicht darauf ankommt, wer die Versicherungsprämie zahlt, kann eine entsprechende Regelung im Arbeitsvertrag des Berufsanfängers die besondere Prämie höher berücksichtigen (jedoch mit der oben geschilderten Folge der Gehaltserhöhung).1 Die Berufshaftpflichtversicherungen bieten darüber hinaus weitere Varianten der Versicherung für unterschiedliche Risiken an. 17
Regelmäßig ist ein Höchstbetrag in Höhe des Vierfachen der Deckungssumme als Leistung des Versicherers innerhalb eines Versicherungsjahres vereinbart.2 Kommt es gegenüber verschiedenen Gläubigern innerhalb eines Versicherungsjahres zu Schadensfällen, die dem Versicherer gemeldet worden sind, sind die Gläubiger/Mandanten gem. § 118 VVG anteilig zu befriedigen,3 falls die Versicherungssumme zur Deckung des Schadens nicht ausreicht.
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Zum Versicherungsumfang der Berufshaftpflichtversicherung für Rechtsanwalts-Gesellschaften – s. § 59j BRAO. Die Versicherung für die Gesellschaft ist unabhängig von der Berufshaftpflichtversicherung des einzelnen Rechtsanwalts abzuschließen. Die Versicherung für die Gesellschaft berührt nicht die Notwendigkeit des Abschlusses und der Aufrechterhaltung der Berufshaftpflichtversicherung des Rechtsanwalts. V. § 51 Abs. 6 BRAO – Melde- und Auskunftspflicht
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Nach AVB – RSW Teil 2 A 34 muss ein Umstand, der das Nichtbestehen oder die Beendigung eines Versicherungsverhältnisses zur Folge hat, um Wirkung gegenüber Dritten zu erlangen, der Rechtsanwaltskammer angezeigt werden. Die Anzeige hat durch den versicherten Rechtsanwalt und durch die Versicherung zu erfolgen. Die Versicherung sollte bei einer Kündigung frühzeitig das Ende des Versicherungsschutzes der Rechtsanwaltskammer anzeigen, damit diese die nach §§ 14 Abs. 2 Nr. 10, Abs. 4 BRAO erforderlichen Maßnahmen ergreifen kann. Mit dem Gesetz zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariellen Berufsrecht, zur Errichtung einer Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft sowie zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung, der Finanzgerichtsordnung und kostenrechtlicher Vorschriften wird durch Ergänzung des § 51 Abs. 6 S. 1 BRAO die Meldepflicht des Versicherers für die Anwaltschaft bei dem Bundesgerichtshof nicht nur gegenüber Rechtsanwaltskammern bei dem Bundesgerichtshof sondern zusätzlich auf das Bundesministerium der Justiz erweitert. Die Ergänzung der Meldepflicht des Versicherers ist folgerichtig, da für die Rechtsanwaltschaft bei dem Bundesgerichtshof für verschiedene Aufgaben einerseits die Rechtsanwaltskammern (z.B.: Einhaltung der berufsrechtlichen Regelungen), andererseits des Bundesministerium der Justiz (z.B.: Zulassung und Erlöschen zur Rechtsanwaltschaft, Bestellung eines Vertreters oder Abwicklers) zuständig ist. Um diese geteilten Aufgaben einheitlich wahrnehmen zu können, müssen Rechtsanwaltskammer und Ministerium dieselben Informationen erhalten.
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Die Anzeige nach Absatz 7 (Adressat der Anzeige) ist nur an die Rechtsanwaltskammer zu richten, nachdem die Landesjustizverwaltungen nach § 224a BRAO a.F. die Befugnisse auf die Rechtsanwaltskammern übertragen haben.5 Entsprechend wurde die Vorschrift 2007 in Absatz 7 berichtigt.6
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Zu Fragen vor und nach Abschluss eines Versicherungsvertrages, im Versicherungsfall, bei einer streitigen Auseinandersetzung mit einer Versicherung und bei der Vertretung des Geschädigten gegenüber dem früheren Rechtsanwalt und dessen Versicherung, vgl. die Hinweise von Brieske; das Gleiche gilt für die Ausführungen von Stöhr, der sich auch mit versicherungsrechtlichen Fragen bei Sozietäten befasst.7 1 2 3 4 5 6 7
BGH, BRAK-Mitt. 2007, 231. S. Allgemeine Versicherungsbedingungen am Ende dieser Kommentierung. Borgmann/Jungk/Grams, Kap. VIII § 39 Rz. 10. Am Ende dieser Kommentierung abgedruckt. § 224a BRAO eingeführt durch Gesetz v. 31.8.1998 (BGBl. I 1998, S. 2600). Gesetz zur Stärkung der Selbstverwaltung der Rechtsanwaltschaft. Brieske, AnwBl. 1995, 225 ff.; Stöhr, AnwBl. 1995, 234 ff.
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Rz. 21a § 51 BRAO
Den Rechtsanwalt traf bislang keine Auskunftspflicht über Bestehen und Umfang seiner Berufshaftpflichtversicherung gegenüber dem Mandanten, da dieser wegen des privatrechtlichen Versicherungsvertragsverhältnisses zwischen dem Rechtsanwalt und seiner Versicherung keinen unmittelbaren Anspruch gegen den Versicherer hatte und somit die begehrte Auskunft nicht fordern konnte.1 Der Rechtsanwalt ist aber zur unverzüglichen Meldung eines möglichen Schadensereignisses gegenüber seinem Versicherer verpflichtet. Eine Unterlassung kann wegen Obliegenheitspflichtverletzung nach den Allgemeinen Versicherungsbedingungen zum Verlust des Deckungsschutzes führen.2 Diese Verpflichtung des Rechtsanwalts begründet aber dann keinen Schutz des Rechtsuchenden, wenn der Rechtsanwalt seiner Verpflichtung gerade nicht nachkommt. Dann aber war bisher nicht geklärt, wie der Rechtsuchende den ihm zu gewährenden Versicherungsschutz erlangen soll. Ohne gesetzlich geregelte Auskunftsbefugnis durch die Rechtsanwaltskammer läuft in diesen Fällen die Schutzfunktion der Versicherung leer. Bei Vorliegen eines besonderen berechtigten Interesses sollte deshalb die Rechtsanwaltskammer Dritten Auskunft über den Bestand des Versicherungsverhältnisses erteilen können, nämlich wenn der Rechtsuchende anders keine Auskunft erhält; sei es, weil der Rechtsanwalt nicht antwortet oder nicht erreichbar ist und daher ein Unterlassen der Meldung an den Versicherer zu vermuten ist und dem Rechtsuchenden dadurch erheblicher Schaden droht und eine Durchsetzung seines Anspruchs vereitelt wird.3 Diese Forderung der Rechtsanwaltskammer Frankfurt am Main hat das Hessische Justizministerium in seine Initiative zum Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Selbstverwaltung der Rechtsanwaltschaft aufgenommen. Das Gesetz ist zum 1.6.2007 in Kraft getreten.4 Die dadurch in Absatz 6 erfolgte Ergänzung ermächtigt nunmehr die Rechtsanwaltskammer, Dritten Auskunft zur Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen über die Berufshaftpflichtversicherung des Rechtsanwalts zu erteilen. Nur wenn der Rechtsuchende diejenigen Informationen über die Versicherung des Rechtsanwalts erlangen kann, die erforderlich sind, um auf den Freistellungsanspruch des Rechtsanwalts gegenüber der Versicherung zugreifen zu können, ist zum Schutze des Rechtsuchenden ein effektiver Schutz gewährleistet.5 Der Anspruch des Mandanten ist nicht nur auf die Fälle beschränkt, in denen dem Dritten nach § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 VVG ein Direktanspruch gegen Versicherer zusteht, weil der Rechtsanwalt insolvent oder sein Aufenthalt unbekannt ist.6 Zudem ist bei der Prüfung der Auskunftspflicht der Rechtsanwaltskammer auch zu berücksichtigen, dass § 2 Abs. 1 Nr. 11 DL-InfoV einem Dienstleistungserbringer aufgibt, dem Dienstleistungsempfänger vor Abschluss eines schriftlichen Vertrages oder – sofern kein schriftlicher Vertrag geschlossen wird – vor Erbringung der Dienstleistung Angaben zu seiner bestehenden Berufshaftpflichtversicherung in klarer und verständlicher Form zur Verfügung zu stellen. Dem Informationsinteresse des Kunden wird damit gesetzlich der Vorrang vor dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung und etwaigen Geheimhaltungsinteressen des Dienstleisters eingeräumt. Die Vorschrift des § 51 Abs. 6 Satz 2 BRAO steht mithin in einem erkennbaren Spannungsverhältnis zu § 2 Abs. 1 Nr. 11 DL-InfoV. Während die berufsrechtliche Vorschrift ausschließlich das Verhältnis der Rechtsanwaltskammer zum Verbraucher betrifft, verpflichtet § 2 Abs. 1 Nr. 11 DL-InfoV den Rechtsanwalt selbst bereits vor Erbringung seiner Dienstleistung gegenüber seinem Mandanten. Da Rechtsanwälte nunmehr stets von sich aus vor Mandatsbeginn über ihre Berufshaftpflichtversicherung informieren müssen, können sie im Hinblick auf den Auskunftsanspruch des Mandanten gegenüber der Rechtsanwaltskammer faktisch keine schutzwürdigen Interessen an einer Nichterteilung mehr ins Feld führen. Daher stellt sich die Frage, ob die Rechtsanwaltskammern im Falle des § 51 Abs. 6 Satz 2 BRAO den Anwalt gleichwohl nach wie vor anschreiben und nachfragen müssen, ob dieser ein überwiegendes schutzwürdiges Interesse an der Nichterteilung geltend machen kann. Soweit ersichtlich, wird dies von den Rechtsanwaltskammern nach wie vor unterschiedlich gehandhabt. Teilweise teilen Kammern nunmehr bei Anfragen die Berufshaftpflichtversicherung stets ohne Nachfrage beim Rechtsanwalt mit, da die Eigenverpflichtung des Anwalts aus § 2 Abs. 1 Nr. 11 DL-InfoV ein möglicherweise überwiegendes schutzwürdiges 1 Braun, BRAK-Mitt. 2002, 150. 2 AVB-RSW, Allianz, Teil 1.1, B, §§ 5, 6. 3 Durch das Gesetz zur Stärkung der Selbstverwaltung der Rechtsanwaltschaft (BT-Drs. 16/513 v. 2.2.2006) wird laut Art. 1 bei § 51 Abs. 6 ein neuer Satz eingefügt. 4 Gesetz zur Stärkung der Selbstverwaltung der Rechtsanwaltschaft v. 26.3.2007 (BGBl. I 2007, S. 358). 5 BT-Drs. 16/513, S. 17 – zu Nummer 31 – Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Selbstverwaltung der Rechtsanwaltschaft (Gesetzentwurf des Bundesrates). 6 BGH, NJW 2013, 234.
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§ 51 BRAO Rz. 21b
Berufshaftpflichtversicherung
Interesse nach § 51 Abs. 6 Satz 2 BRAO beseitige. Andere Kammern halten an ihrer bisherigen Praxis fest und begründen dies damit, dass es sich um unterschiedliche Rechtsgrundlagen handele. Seit Inkrafttreten der DL-InfoV stellt sich das Vorgehen einiger Rechtsanwaltskammern nach § 51 Abs. 6 Satz 2 BRAO (Anlage eines Vorgangs zur Personalakte des Anwalts, Rückfrage beim Anwalt, Fristüberwachung zur Antwort an den Antragsteller, Erstellung der Antwort) jedenfalls als verzichtbarer Formalismus dar, der überflüssigen Verwaltungsaufwand hervorruft. Aus diesem Grund sollte der Gesetzgeber § 51 Abs. 6 Satz 2 BRAO dahingehend ändern, dass die Rechtsanwaltskammern zukünftig auf Antrag ohne Weiteres Auskunft über Namen und Adresse der Berufshaftpflichtversicherung des Anwalts sowie die Versicherungsnummer geben dürfen. 21b
Die Pflicht zur Auskunft sieht das Gesetz zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariellen Berufsrecht usw. auch dann vor, wenn die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft erloschen ist. Der Mandant hatte damit ein Auskunftsrecht gegenüber der Rechtsanwaltskammer, jedoch bisher keinen unmittelbaren Anspruch gegen die Berufshaftpflichtversicherung.1 Das Gesetz zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariellen Berufsrecht vom 30.7.2009 (BGBl. I S. 2449) geht mit der Ergänzung von § 51 Abs. 6 S. 2 BRAO auf wesentliche Forderungen der Praxis ein, wonach nun die Auskunftspflicht der Rechtsanwaltskammern auch dann gilt, wenn die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft erloschen ist. Bisher bestand eine berufsrechtliche Kompetenz der Rechtsanwaltskammern nur so lange, wie der Rechtsanwalt oder die Rechtsanwältin Mitglied der Rechtsanwaltskammern war. Erlosch diese Zulassung zur Rechtsanwaltschaft durch Tod, Widerruf oder Rücknahme der Zulassung, endete die Verantwortlichkeit der Rechtsanwaltskammern abrupt. Gerade Fälle des Widerrufs oder der Rücknahme der Zulassung begründen aber häufig Nachfragen und oft auch Ansprüche von Mandanten gegen ihren Rechtsanwalt, dessen Zulassung erloschen ist. Wenn nun die Pflicht zur Auskunft auch dann für die Rechtsanwaltskammern gegeben ist, wenn die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft erloschen ist, wird dadurch der Schutz der Mandanten wesentlich erweitert. Mandanten haben jetzt die Möglichkeit, sich nach Kenntnis des Versicherers direkt an diesen mit ihren Ansprüchen zu wenden. Damit ist das Auskunftssystem geschlossen. Der Versicherer hat die Rechtsanwaltskammern über den Bestand des Versicherungsvertrages zu unterrichten und die Rechtsanwaltskammer hat dem betroffenen Mandanten Auskunft über den Versicherer zu erteilen. Damit wird der Mandant in die Lage versetzt, seine Ansprüche geltend zu machen und gegenüber dem Versicherer durchzusetzen. Erneut wird der Schutz des Mandanten durch diese Gesetzesänderung gestärkt.
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Zudem ist durch die Reform des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) ein Direktanspruch des Geschädigten unmittelbar gegen den Versicherer eingeführt worden.2 Dieser ist in den Fällen gegeben, in denen über das Vermögen des Versicherungsnehmers das Insolvenzverfahren eröffnet oder der Eröffnungsantrag mangels Masse abgewiesen oder ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt worden ist. Der Direktanspruch ist auch dann ermöglicht, wenn der Aufenthalt des Versicherungsnehmers unbekannt ist.3 Als Ausnahme darf dem Auskunftsanspruch kein überwiegendes schutzwürdiges Interesse des Rechtsanwalts an der Nichterteilung der Auskunft zustehen. Das ist dann nicht der Fall, wenn der Rechtsanwalt nicht von sich aus an der Regulierung des Schadensfalles mitwirkt. Das kann immer dann angenommen werden, wenn der Rechtsanwalt weder seinem Mandanten noch der Rechtsanwaltskammer noch seiner Versicherung antwortet. Deshalb ist es erste Pflicht des Rechtsanwalts, die Meldung eines Schadensfalles nach § 5 AVB – unverzüglich und vollständig an die Berufshaftpflichtversicherung abzugeben.4 Diese Voraussetzungen stellt jetzt § 51 Abs. 6 BRAO nach Ergänzung durch den Rechtsausschuss auf Vorschlag der Bundesregierung zum Gesetzesentwurf fest. Die Gesetzesformulierung nennt nun konkret diejenigen Informationen, die die Rechtsanwaltskammer weitergeben darf. Diese Angaben erleichtern die Zuordnung, wenn Mandanten Schadensersatzansprüche geltend machen und sie dafür Informationen über die Berufshaftpflichtversicherung ihrer Rechtsanwältin oder ihres Rechtsanwalts benötigen.5
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Inwieweit in der Auskunftspflicht ein bedenklicher Eingriff in die Verschwiegenheitsverpflichtung des Rechtsanwalts gesehen werden könnte, wenn der Mandant einen direkten An1 2 3 4 5
Kleine-Cosack, AnwBl. 2007, 210 (211); Dahns, NJW 2007, 1553 (1556). VVG § 113. Chab, AnwBl. 2008, 63. Brieske, DAV Ratgeber für Junge Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen, 11. Aufl. 2006, S. 131. Begründung des Gesetzentwurfes eines Gesetzes zur Stärkung der Selbstverwaltung der Rechtsanwaltschaft durch den Rechtsausschuss v. 13.12.2006, BT-Drs. 16/3837, S. 43. Im Übrigen: BT-Drs. 16/513, S. 24.
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Berufshaftpflichtversicherung
Rz. 26 § 51 BRAO
spruch gegen die Berufshaftpflichtversicherung des Rechtsanwalts erlangt und die Versicherung sich dann mit ihm auseinander setzt, ist zur Zeit noch nicht abzuschätzen. Man wird jedoch davon ausgehen müssen, dass die Versicherung nicht über mehr Erkenntnisse des Einzelfalles verfügt, als der Mandant selbst, wenn der Rechtsanwalt weder den Vorgang seiner Versicherung gemeldet hat, noch sich der Auseinandersetzung mit seinem Mandanten stellt. In jedem Fall ist es ein Eingriff in die Privatautonomie bezüglich der zwischen Rechtsanwalt und seiner Versicherung geschlossenen Verträge. Dieser Eingriff rechtfertigt sich aber mit der Wahrnehmung der Interessen des Mandanten durch den Rechtsanwalt und der darauf begründeten Güterabwägung. Insoweit dürfte § 51 Abs. 6 BRAO im Verhältnis zum Versicherungsvertragsgesetz die spezielle gesetzliche Regelung sein.1 Wenn die Reform des Versicherungsvertragsgesetzes den Direktanspruch des Geschädigten bei der Pflichtversicherung unter bestimmten Voraussetzungen festgestellt und dieser grundsätzliche Gedanke schon in § 51 BRAO aufgenommen worden ist,2 bleibt fraglich, ob es sich zu Gunsten des Verbrauchers auswirkt. Die Entscheidung der Rechtsanwaltskammer, die Auskunft zu gewähren bzw. abzulehnen, ist für den Rechtsuchenden im Verwaltungsrechtsweg und für den Rechtsanwalt im anwaltsgerichtlichen Verfahren überprüfbar. Die Entscheidung der Bekanntgabe des Versicherers des Rechtsanwalts erfolgt innerhalb des vorgegebenen berufsrechtlichen Rahmens, indem der Vorstand der Rechtsanwaltskammer die Auskunft erteilt. Gegen die Entscheidung des Vorstands steht dem Rechtsanwalt der Antrag auf gerichtliche Entscheidung offen. Die Entscheidung ist ein Verwaltungsakt der nach § 51 Abs. 6 i.V.m. § 73 BRAO ergeht3. Dagegen erteilt die Rechtsanwaltskammer Dritten zur Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen Auskunft über die Versicherung des Rechtsanwalts. Diese Auskunftspflicht ist nicht eingebettet in den berufsrechtlichen Rahmen, sondern ist Ausfluss des allgemeinen Rechtsgedankens eines Direktanspruchs i.S.d. VVG, um zivilrechtliche Ansprüche des Rechtsuchenden zu ermöglichen. Die Verweigerung der Auskunft der Rechtsanwaltskammer gegenüber dem geschädigten Rechtsuchenden ist deshalb als Verwaltungsakt nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) einzuordnen, da die Rechtsanwaltskammer als Körperschaft des öffentlichen Rechts mit der Auskunftspflicht einer öffentlich-rechtlichen Verpflichtung folgt. Deshalb ist der Anspruch des Rechtsuchenden gegenüber der grundsätzlich auskunftspflichtigen Rechtsanwaltskammer auch eine öffentlichrechtliche Streitigkeit, für die die Verwaltungsgerichtsbarkeit zuständig ist. Dementsprechend führt der Anwaltsgerichtshof Baden-Württemberg in einem Beschluss vom 8.1.2008 aus:
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„Ein solcher Anspruch eines Bürgers ist nicht dem Sachgebiet des anwaltlichen Berufsrechts zuzuordnen, er ist nicht berufsrechtlicher, sondern allgemein öffentlich-rechtlicher Natur. Da sich die Gerichtsbarkeit des Anwaltsgerichtshof nach der Generalklausel des § 223 BRAO nur auf Berufsangehörige, Berufsbewerber und ehemalige Rechtsanwälte beschränkt, folgt allein aus dessen Natur als „besonderes Gericht“ im Sinne des Art. 101 Abs. 2 GG. „…“ So ist durch die Auskunft an den Dritten (Mandanten) nicht das Berufsrecht der Rechtsanwälte betroffen, sondern der Umfang der Auskunftspflicht der Antragsgegnerin nach § 51 BRAO gegenüber einem privaten Dritten.“4
Damit eröffnen sich weitere Fragen: Müsste die ablehnende Auskunft der Rechtsanwaltskammer mit einer verwaltungsrechtlichen Rechtsmittelbelehrung versehen werden? Ist dann das verwaltungsrechtliche Widerspruchsverfahren vorzuschalten, sind einstweilige Anordnungen möglich, ist der Vorstand im Verwaltungsverfahren trotz seiner Pflicht zur Verschwiegenheit i.S.d. § 76 BRAO zur Auskunft/Stellungnahme verpflichtet und durchbricht diese Auskunft dann nicht die Pflicht zur Verschwiegenheitspflicht des betroffenen Rechtsanwalts? Fragen, die nach allgemeinen verwaltungsrechtlichen Verfahrensregelungen wohl positiv zu beantworten sind, aber den Weg des Rechtsuchenden nicht erleichtern.
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Die Versicherung für Mehrfachberufler (Rechtsanwälte, Anwaltsnotare, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, Patentanwälte, vereidigte Buchprüfer) begründet besondere Probleme, die regelmäßig unter Berücksichtigung der verschiedenen Berufsrechte und ihre gesetzlichen Grundlagen zu beurteilen sind. Erleichterungen und Hilfe zur Beurteilung dieser Frage sind bisher nur in den allgemeinen Geschäftsbedingungen der Berufshaftpflichtversicherer zu erkennen, nicht durch die einzelnen, nach wie vor nicht einheitlich gestalteten Berufsordnungen. Eine Hilfestellung bietet da lediglich der Grundsatz, wonach das Berufsrecht an-
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1 Dahns, NJW 2007, 1553 (1556). 2 Chab, AnwBl. 2008, 63. 3 A.A. AGH Baden-Württemberg, BRAK-Mitt. 2011, 285, der in der Bekanntgabe der Haftpflichtversicherung keinen Verwaltungsakt, sondern einen Realakt erblickt, mit der Folge, dass ein Rechtsmittel unzulässig wäre. 4 BRAK-Mitt. 2008, 75.
Tauchert/Dahns 765
§ 51 BRAO Rz. 27
Berufshaftpflichtversicherung
zuwenden ist, dem der Schwerpunkt der Tätigkeit und damit des fehlerhaften Handelns zuzurechnen ist1 und selbstverständlich ist vorrangig darauf abzustellen, was die Vertragsparteien im Mandatsvertrag vereinbart haben. So hat der BGH bei einem Rechtsanwalt, der zugleich Steuerberater ist, angenommen, dass sein Vertrag mit den Mandanten über Steuerberatung in der Regel ein Steuerberatervertrag ist.2 27
In diesem Zusammenhang kommt der nach steuerrechtlichen Gesichtspunkten immer enger zu beurteilenden Frage Bedeutung zu, wann anwaltliche Tätigkeit als gewerbliche Tätigkeit zu bewerten ist. Gefestigt ist die steuerliche Bewertung als gewerbliche Tätigkeit, z.B. bei einer weit überwiegend oder ausschließlichen Beschäftigung des Rechtsanwalts als Insolvenzverwalter oder als Berufsbetreuer.3 Die Tätigkeit eines Berufsbetreuers gilt auch für den Rechtsanwalt als gewerbliche Tätigkeit. Auch ein Testamentsvollstrecker, der über einen längeren Zeitraum eine Vielzahl von Testamentsvollstreckungen bearbeitet, handelt immer „nachhaltig“ im Sinne des Steuerrechts und ist damit unternehmerisch tätig.4 Entscheidend aber bleibt, ob mit dem Mandanten ein Anwalts-, Steuerberater- oder Wirtschaftsprüfervertrag geschlossen worden ist. Der darauf gerichtete erkennbare Wille der Vertragsparteien entscheidet.5 VI. § 51 Abs. 7 BRAO – Zuständige Stelle
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Nach Absatz 7 sind im Regelfall die Rechtsanwaltskammern zuständige Stelle nach dem Versicherungsvertragsgesetz. Für Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte bei dem Bundesgerichtshof aber bestimmt das Gesetz zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariellen Berufsrecht in § 163 BRAO das Bundesministerium der Justiz zur zuständigen Stelle. VII. Verjährung von Ersatzansprüchen
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Zur zivilrechtlichen Haftung des Anwalts vgl. das eigenständige Kapitel von Schultz, der unter anderem auch auf das alte und neue Recht zur Verjährung eingeht.
30–55
Einstweilen frei.
VIII. Auslandsbezug 56
1. Für den deutschen Rechtsanwalt ist der Abschluss der Berufshaftpflichtversicherung im Sinne des § 51 BRAO Pflicht, gleichgültig, ob er Einzelanwalt, angestellter Rechtsanwalt, Sozius oder Gesellschafter einer Partnerschaftsgesellschaft oder einer Rechtsanwaltsgesellschaft mbH (§ 59j BRAO) ist. Von der Art und Weise, wie er seine Berufsausübung organisiert, wird die Versicherungspflicht nicht berührt. Auch kommt es nicht darauf an, ob der Rechtsanwalt seinen Beruf ausschließlich, überwiegend oder nur teilweise im Ausland ausübt, oder gar alleine eine Kanzlei im Ausland unter Befreiung von der Residenzpflicht im Inland gem. § 29a BRAO eingerichtet hat.6 Als in Deutschland zugelassener Rechtsanwalt hat er eine Berufshaftpflichtversicherung abzuschließen und für die Dauer der Berufsausübung zu unterhalten. Zweckmäßig ist es, wenn er sich zusätzlich bei einer Tätigkeit im Ausland darüber informiert, welche zusätzliche Versicherung er abschließen sollte, die seine Auslandstätigkeit in besonderem Maße abgesichert. Soweit er seinen Beruf im europäischen Ausland ausübt, ist seine Tätigkeit als Berater im deutschen und europäischen Recht und als Vertreter vor europäischen Gerichten nach den AVB-RSW mitversichert. Zudem gelten für ihn die Regelungen der Dienstleistung beziehungsweise Niederlassung im Sinne des Europäischen Rechtsanwaltsgesetzes (EuRAG) in der Ausformung des jeweiligen Gesetzes des europäischen Auslands. Der Versicherungsschutz bezieht sich aber nach den AVB nicht auf Haftpflichtansprüche aus Tätigkeiten a) über in anderen Staaten eingerichtete oder unterhaltene Kanzleien oder Büros, b) im Zusammenhang mit der Beratung und Beschäftigung mit außereuropäischen Recht, 1 2 3 4 5 6
BGHZ 102, 220 (223). BGH, WM 1994, 504. Borgmann/Jungk/Grams, § 6 Rz. 1 ff., 8–11. BFH, NJW 2007, 1391 und ZAP Nr. 9 v. 3.5.2007. BGH, WM 1994, 504; 1995, 2075. Feuerich/Weyland, § 51 Rz. 7, 20.
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Berufshaftpflichtversicherung
Rz. 58 § 51 BRAO
c) des Rechtsanwalts vor außereuropäischen Gerichten.1 Der Einschluss europäischen Rechts in den Versicherungsschutz muss auch die Beratung im Recht der Europäischen Gemeinschaft erfassen.2 Will der Rechtsanwalt in den vom Versicherungsausschluss erfassten Bereichen tätig werden, muss er entweder im Inland oder im Land, in dem er seine Dienstleistung erbringt, eine angemessene Zusatzversicherung abschließen. Die Bundesrechtsanwaltsordnung kann dazu keine Berufsrechtsregelung aufstellen, da es dem Gesetzgeber insofern an einer Kompetenz fehlt. Aus den Gründen, die einen Versicherungsschutz im Inland erfordern, ist allerdings der Abschluss zur Existenzsicherung und damit als Eigenschutz für den Rechtsanwalt unverzichtbar. Auch hierzu gilt, dass es gleichgültig ist, aus welcher Organisation der Berufsausübung heraus der Rechtsanwalt im Ausland tätig ist. Unter Umständen kann der fehlende Versicherungsschutz im Rahmen der Sozietät oder der Rechtsanwaltsgesellschaft nicht nur die Existenz des Rechtsanwalts bedrohen, sondern die der gesamten Berufsausübungsgemeinschaft. Deshalb ist die anwaltliche Tätigkeit im außereuropäischen Ausland mit besonderer Vorsicht anzugehen. Hier müssen vor einer Berufsausübung die Möglichkeiten des zusätzlichen Versicherungsschutzes ebenso ausgelotet werden wie die Möglichkeiten der Haftungsbeschränkung in personeller wie sachlicher Hinsicht. 2. Für den ausländischen Rechtsanwalt bestehen verschiedene Möglichkeiten:
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a) Erbringt er als europäischer Rechtsanwalt vorübergehend Dienstleistungen oder ist er in Deutschland zugelassen, unterliegt er der Pflicht zum Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung. Die speziellen Regelungen dafür sind die §§ 1, 7 EuRAG. Dabei ist der niedergelassene europäische Rechtsanwalt von der Verpflichtung, eine Berufshaftpflichtversicherung nach § 51 BRAO zu unterhalten, befreit, wenn er der Rechtsanwaltskammer eine nach den Vorschriften des Herkunftsstaates geschlossene Versicherung oder Garantie nachweist, die hinsichtlich der Bedingungen und des Deckungsumfanges einer Versicherung gem. § 51 BRAO gleichwertig ist. Fehlt die Gleichwertigkeit, ist eine Zusatzversicherung abzuschließen oder eine ergänzende Garantie zu schaffen (§ 7 EuRAG). b) Ein ausländischer Rechtsanwalt, der anwaltliche Dienstleistung gem. §§ 206, 207 BRAO in Deutschland erbringt, ist berechtigt, unter der Berufsbezeichnung seines Herkunftsstaates Rechtsbesorgung auf dem Recht seines Herkunftsstaates und des Völkerrechts in Deutschland zu erbringen (§ 206 Abs. 1 BRAO). Da nach § 207 Abs. 2 BRAO für den ausländischen Rechtsanwalt die Regelungen über die allgemeinen Berufspflichten sinngemäß gelten, findet für sie auch § 51 BRAO Anwendung. Damit hat der Rechtsanwalt die sich aus seiner Berufstätigkeit ergebenden Haftpflichtgefahren durch eine Berufshaftpflichtversicherung abzudecken.3 c) Außereuropäische Rechtsanwaltsgesellschaften sind von §§ 206, 207 BRAO nicht erfasst. Ihre Tätigkeit ist auf den handelnden Rechtsanwalt zu reduzieren. Es gibt die Möglichkeit, dass aa) der tätige Rechtsanwalt den Regelungen der §§ 206, 207 BRAO unterliegt oder bb) die Gesellschaft sich deutscher zugelassener Rechtsanwälte bedient, die dann wiederum eine Versicherung nach § 51 BRAO unterhalten müssen und damit auch nicht mehr den inhaltlichen Beschränkungen im Hinblick auf die Rechtsbesorgung unterliegen, vielmehr auch im deutschen Recht umfassend tätig sein können. Entscheidend hierbei ist, dass die ausländische Rechtsanwaltsgesellschaft den Versicherungsschutz ernst nimmt und/oder die anwaltliche Tätigkeit dem bestehenden Versicherungsschutz entsprechend ausübt. Überschreitet die Tätigkeit eines ausländischen Rechtsanwalts den Umfang des dafür abgeschlossenen Deckungsschutzes, kann die persönliche Haftung des tätigen Rechtsanwalts, aber auch die Haftung auf die übrigen Gesellschafter durchgreifen.4 D. Hinweise 1. Jedem Rechtsanwalt ist anzuraten, den Versicherungsfragen besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Das gilt von Beginn seiner anwaltlichen Tätigkeit an bis zu deren Beendi1 2 3 4
AVB-RSW, Allianz, Teil 2, A, 2.1. Brieske, AnwBl. 1995, 225. Feuerich/Weyland, § 51 Rz. 7. Sassenbach/Stöhr, BRAK-Mitt. 2007, 155.
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§ 51 BRAO Rz. 59
Berufshaftpflichtversicherung
gung. In den einzelnen Phasen der Berufstätigkeit sollte immer wieder die bestehende Berufshaftpflichtversicherung überprüft werden. In erster Linie gilt es, mit dem eigenen Versicherer aufmerksam die Versicherungsbedingungen durchzugehen und sie den eigenen und veränderten Tätigkeiten und Risikoentwicklungen im Laufe der Zeit anzupassen. Das ist nicht zuletzt aufgrund der wirtschaftlich unterschiedlichen Interessen zwischen Versicherer und Versichertem im Einzelfall schwierig. Der Wille des Gesetzgebers, der davon ausging, dass Zusatztätigkeiten nicht mit zusätzlichen Versicherungsprämien belastet werden sollten, wird regelmäßig durch die Allgemeinen Vertragsbedingungen nicht ausreichend berücksichtigt. Dennoch ist es den Kammern gelungen, die Versicherer zu bewegen, die häufigsten Nebentätigkeiten eines Rechtsanwalts nach den üblichen Vertragsbedingungen mitzuversichern. Aus dieser Mitversicherung wächst die anwaltliche Tätigkeit aber dann heraus, wenn gerade diese Nebentätigkeit oder der besondere Tätigkeitsbereich überwiegend z.B. gewerblich geprägt oder gar die einzige Tätigkeit des Rechtsanwalts ist. 59
2. Neben dem fehlenden Versicherungsschutz ist die Einhaltung der Obliegenheitsverpflichtung des Rechtsanwalts gegenüber seiner Berufshaftpflichtversicherung zur unverzüglichen Meldung von möglichen Schadensfällen zu betonen. Die Meldung sollte immer frühzeitig, spätestens aber mit Anspruchsstellung des Mandanten, abgegeben werden. Besonders nach dem Wegfall des § 51b BRAO und Überleitung der Verjährungsvorschriften für anwaltliches Fehlverhalten auf die allgemeinen Regelungen des BGB ergeben sich aus anwaltlichem Fehlverhalten existenzgefährdende Risiken, denen nur mit einer ausreichenden Berufshaftpflichtversicherung begegnet werden kann. E. Allgemeine Versicherungsbedingungen – AVB-RSW
60
Die Allgemeinen und Besonderen Versicherungsbedingungen sowie Risikobeschreibungen zur Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung für Rechtsanwälte und Patentanwälte, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und vereidigte Buchprüfer (AVB-RSW) der Allianz Versicherungs AG mit Stand zum Mai 2011 (HV 60/06). Allgemeine und Besondere Versicherungsbedingungen sowie Risikobeschreibungen zur Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung für –
Rechtsanwälte und Patentanwälte
–
Steuerberater
–
Wirtschaftsprüfer und vereidigte Buchprüfer (AVB-RSW)
Inhalt Teil 1.1 Allgemeine Versicherungsbedingungen A.
Der Versicherungsschutz (§§ 1–4)
§1
§4
Gegenstand des Versicherungsschutzes, Vermögensschaden, Versicherungsnehmer Vorwärts- und Rückwärtsversicherung Beginn und Umfang des Versicherungsschutz Ausschlüsse
B.
Der Versicherungsfall (§§ 5 und 6)
§5 §6
Versicherungsfall, Obliegenheiten im Versicherungsfall, Zahlung des Versicherers Leistungsfreiheit, Leistungskürzung und Fortbestehen der Leistungspflicht bei einer Obliegenheitsverletzung nach § 5
C.
Das Versicherungsverhältnis (§§ 7–16)
§7
Versicherung für fremde Rechnung, Abtretung, Verpfändung, Rückgriffsansprüche Prämienzahlung (Erst- und Folgeprämie) und Rechtsfolgen bei Nichtzahlung, Verzug bei Abbuchung, Prämienregulierung, Prämienrückerstattung Vertragsdauer, Kündigung, Erlöschen Verjährung, zuständiges Gericht, anwendbares Recht
§2 §3
§8
§9 § 10
768 Tauchert/Dahns
§ 11 § 11a § 11b § 12 § 13 § 14 § 15 § 16
Form der Willenserklärungen gegenüber dem Versicherer Vorvertragliche Anzeigepflichten des Versicherungsnehmers, Rechtsfolgen von Anzeigepflichtverletzungen Anzeigepflichten des Versicherungsnehmers während der Vertragslaufzeit Sozien Mitarbeiter Kumulsperre Sachschäden Bürohaftpflicht
Teil 1.2 Versicherungsschutz für gesellschaftsrechtliche Haftung A. B. C.
Gegenstand des Versicherungsschutzes Zurechnung Beginn und Umfang des Versicherungsschutzes der gesellschaftsrechtlichen akzessorischen Haftung
Teil 2
Besondere Bedingungen und Risikobeschreibungen für Rechtsanwälte und Patentanwälte (BBR-RA)
A. 1. 2. 3.
Besondere Bedingungen Jahreshöchstleistung Ausschlüsse Meldepflichten des Versicherers
Rz. 60 § 51 BRAO
Berufshaftpflichtversicherung 4. B.
Überschreiten der Pflichtversicherung Risikobeschreibungen für die Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung von Rechtsanwälten (einschließlich des Rechtsanwalts-Risikos von Anwaltsnotaren) Risikobeschreibungen für die Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung von Patentanwälten
noch Sachschäden (Beschädigung, Verderben, Vernichtung oder Abhandenkommen von Sachen, insbesondere auch von Geld und geldwerten Zeichen) sind, noch sich aus solchen von dem Versicherungsnehmer oder einer Person, für die er einzutreten hat, verursachten Schäden herleiten.
Teil 3
Besondere Bedingungen und Risikobeschreibungen für Steuerberater (BBR-S)
1. Sozien
A. 1. 2. 3. 4. 5. 6. B.
Besondere Bedingungen Mitversicherung Höchstbetrag der Versicherungsleistung Jahreshöchstleistung Ausschlüsse Meldepflichten des Versicherers Überschreiten der Pflichtversicherung Risikobeschreibungen für die Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung von Steuerberatern
2. Innenverhältnis
Teil 4
Besondere Bedingungen und Risikobeschreibungen für Wirtschaftsprüfer und vereidigte Buchprüfer (BBR-W)
3. Zurechnung
C.
A. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.
Besondere Bedingungen Mitversicherung Höchstbetrag der Versicherungsleistung Jahreshöchstleistung Bestimmung zum Selbstbehalt Ausschlüsse Meldepflichten des Versicherers Überschreiten der Pflichtversicherung
B.
Risikobeschreibungen zur Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung von Wirtschaftsprüfern und vereidigten Buchprüfern
Teil 5
Zusatzvereinbarung zur Bürohaftpflichtversicherung
Teil 1.1 Allgemeine Versicherungsbedingungen A. Der Versicherungsschutz (§§ 1–4) § 1 Gegenstand des Versicherungsschutzes, Vermögensschaden, Versicherungsnehmer I. Versicherungsschutz für berufliche Tätigkeit, Vermögensschadenbegriff 1. Gegenstand des Versicherungsschutzes Der Versicherer bietet dem Versicherungsnehmer Versicherungsschutz für den Fall, dass er wegen eines bei der Ausübung beruflicher Tätigkeit von ihm selbst oder einer Person, für die er nach § 278 oder § 831 BGB einzustehen hat, begangenen Verstoßes von einem anderen auf Grund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen Inhalts für einen Vermögensschaden verantwortlich gemacht wird. Ausgenommen sind Ansprüche auf Rückforderung von Gebühren oder Honoraren sowie Erfüllungsansprüche und Erfüllungssurrogate gemäß § 281 i.V.m. § 280 BGB.
II. Berufsangehörige als Versicherungsnehmer
Üben Berufsangehörige ihren Beruf nach außen hin gemeinschaftlich aus, sind sie Sozien ohne Rücksicht darauf, wie ihre vertraglichen Beziehungen untereinander (Innenverhältnis) geregelt sind.
Die vertraglichen Beziehungen des Innenverhältnisses können sein: Anstellungsverhältnis, freie Mitarbeit, Bürogemeinschaft, Kooperation, Gesellschaft bürgerlichen Rechts, nicht als Berufsträgergesellschaft anerkannte Partnerschaft und ähnliches.
In der Person eines Sozius gegebene Umstände, die den Versicherungsschutz beeinflussen, gehen zu Lasten aller Sozien. III. Berufsträgergesellschaft als Versicherungsnehmer 1. Versicherungsschutz für Repräsentanten Nimmt eine anerkannte Berufsträgergesellschaft für sich selbst Versicherung, bezieht sich der Versicherungsschutz für diese Gesellschaft auf die den Organen, Geschäftsführern, Gesellschaftern von Personengesellschaften, Partnern und Angestellten oder sonstigen Personen, derer sie sich zur Erfüllung ihrer Berufstätigkeit bedient, zur Last fallenden Verstöße. 2. Zurechnung In der Person des Verstoßenden gegebene Umstände, die den Versicherungsschutz beeinflussen, werden dem Versicherungsnehmer zugerechnet; das gilt nicht, wenn Angestellte (nicht Organe, Geschäftsführer, Gesellschafter von Personengesellschaften, Partner) des Versicherungsnehmers oder sonstige Personen, derer er sich zur Erfüllung seiner Berufstätigkeit bedient, in Erfüllung dieser Tätigkeit von Gesetz, Vorschrift, Anweisung oder Bedingung des Auftraggebers wissentlich abgewichen sind oder sonst ihre Pflichten wissentlich verletzt haben. § 2 Vorwärts- und Rückwärtsversicherung I. Vorwärtsversicherung Die Vorwärtsversicherung umfasst die Folgen aller vom Beginn des Versicherungsschutzes an (§ 3) bis zum Ablauf des Vertrages vorkommenden Verstöße. II. Rückwärtsversicherung
2. Definition des Vermögensschadens
1. Versicherungsumfang
Vermögensschäden sind solche Schäden, die weder Personenschäden (Tötung, Verletzung des Körpers oder Schädigung der Gesundheit von Menschen)
Die Rückwärtsversicherung bietet Versicherungsschutz gegen in der Vergangenheit vorgekommene Verstöße, welche dem Versicherungsnehmer oder
Tauchert/Dahns 769
§ 51 BRAO Rz. 60 den versicherten Personen bis zum Abschluss der Rückwärtsversicherung nicht bekannt geworden sind. Bei Antragstellung ist die zu versichernde Zeit nach Anfangs- und Endpunkt zu bezeichnen. 2. Bekannter Verstoß Ein Verstoß gilt als bekannt, wenn ein Vorkommnis vom Versicherungsnehmer oder versicherten Personen als wenn auch nur möglicherweise – objektiv fehlsam erkannt oder ihnen, wenn auch nur bedingt, als fehlsam bezeichnet worden ist, auch wenn Schadenersatzansprüche weder erhoben noch angedroht noch befürchtet worden sind.
Berufshaftpflichtversicherung oder Vergleiches zur Entschädigung verpflichtet ist und der Versicherer hierdurch gebunden ist. 1.2 Anerkenntnisse und Vergleiche, die vom Versicherungsnehmer ohne Zustimmung des Versicherers abgegeben oder geschlossen worden sind, binden den Versicherer nur, soweit der Haftpflichtanspruch auch ohne Anerkenntnis oder Vergleich bestanden hätte. 1.3 Der Versicherer ist bevollmächtigt, alle zur Beilegung oder Abwehr des Haftpflichtanspruchs ihm zweckmäßig erscheinenden Erklärungen im Namen des Versicherungsnehmers abzugeben.
III. Verstoßzeitpunkt bei Unterlassung
2. Höchstbetrag der Versicherungsleistung
Wird ein Schaden durch fahrlässige Unterlassung verursacht, gilt im Zweifel der Verstoß als an dem Tag begangen, an welchem die versäumte Handlung spätestens hätte vorgenommen werden müssen, um den Eintritt des Schadens abzuwenden.
2.1 Die Versicherungssumme stellt den Höchstbetrag der dem Versicherer – abgesehen vom Kostenpunkte (s. Ziffer 5) – in jedem einzelnen Versicherungsfall obliegenden Leistung dar und zwar mit der Maßgabe, dass nur eine einmalige Leistung der Versicherungssumme in Frage kommt:
§ 3 Beginn und Umfang des Versicherungsschutzes I. Vorläufige Deckung
a) gegenüber mehreren entschädigungspflichtigen Personen, auf welche sich der Versicherungsschutz erstreckt,
1. Beginn
b) bezüglich eines aus mehreren Verstößen stammenden einheitlichen Schadens,
Die vorläufige Deckung wird mit entsprechender Erklärung des Versicherers ab dem vereinbarten Zeitpunkt wirksam. 2. Inhalt Die vorläufige Deckung richtet sich nach den Vertragsgrundlagen, die dem endgültigen Versicherungsvertrag zugrunde liegen sollen. Der Versicherungsnehmer erhält die für die vorläufige Deckung und den endgültigen Versicherungsvertrag geltenden Versicherungsbedingungen und die Information für Versicherungsnehmer zusammen mit dem Versicherungsschein, auf Wunsch auch zu einem früheren Zeitpunkt. II. Hauptvertrag 1. Beginn mit Einlösung des Versicherungsscheins Der Versicherungsschutz beginnt vorbehaltlich einer anderen Vereinbarung mit der Einlösung des Versicherungsscheines durch rechtzeitige Zahlung der Prämie gemäß § 811 Ziffer 1, der im Antrag angegebenen Kosten und etwaiger öffentlicher Abgaben. 2. Beginn bei späterer Prämieneinforderung Wird die erste Prämie erst nach dem als Beginn der Versicherung festgesetzten Zeitpunkt eingefordert, dann aber ohne Verzug bezahlt, beginnt der Versicherungsschutz mit dem vereinbarten Zeitpunkt. III. Umfang des Versicherungsschutzes 1. Abwehrschutz und Freistellung Der Versicherungsschutz umfasst die Abwehr unberechtigter Schadenersatzansprüche und die Freistellung des Versicherungsnehmers von berechtigten Schadenersatzverpflichtungen. 1.1 Berechtigt sind Schadenersatzverpflichtungen dann, wenn der Versicherungsnehmer aufgrund Gesetzes, rechtskräftigen Urteils, Anerkenntnisses
770 Tauchert/Dahns
c) bezüglich sämtlicher Pflichtverletzungen bei der Erledigung eines einheitlichen Auftrags, mögen diese auf dem Verschulden des Versicherungsnehmers oder einer von ihm herangezogenen Hilfsperson beruhen. 2.2 Weitere Bestimmungen zum Höchstbetrag der Versicherungsleistung regeln die Besonderen Bedingungen (Teil 3 BBR-S bzw. Teil 4 BBR-W). 3. Jahreshöchstleistung Die Leistungen des Versicherers können im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen begrenzt werden. Weitere Bestimmungen zur Jahreshöchstleistung regeln die Besonderen Bedingungen (Teil 2 BBR-RA, Teil 3 BBR-S bzw. Teil 4 BBR-W). 4. Selbstbehalt/Eigenbehalt des Versicherungsnehmers 4.1 An der Summe, die vom Versicherungsnehmer auf Grund richterlichen Urteils oder eines vom Versicherer genehmigten Anerkenntnisses oder Vergleichs zu bezahlen ist (Haftpflichtsumme), wird der Versicherungsnehmer mit einem Selbstbehalt von EUR 1 500 beteiligt (Festselbstbehalt), 4.2 Abweichend hiervon kann ein anderer, z.B. gestaffelter Selbstbehalt (der Versicherer ersetzt in den Fällen der Ziffer 4.1 von den ersten 5 000 EUR 90 %, vom Mehrbetrag bis 45 000 EUR 97,5 % und vom Mehrbetrag 100 %; der vom Versicherungsnehmer selbst zu tragende Schaden beträgt in jedem Falle mindestens 250 EUR, höchstens jedoch 1 500 EUR) oder ein erhöhter Festselbstbehalt bzw. Eigenbehalt in Höhe von 2 500 EUR vereinbart werden. 4.3 Ein Selbstbehalt ist jedoch ausgeschlossen, wenn bei Geltendmachung des Schadens durch einen Dritten die Bestellung bzw. Zulassung des Berufsträgers oder die Anerkennung bzw. Zulassung der Berufsträgergesellschaft erloschen ist. Dies gilt
Rz. 60 § 51 BRAO
Berufshaftpflichtversicherung auch, wenn Haftpflichtansprüche gegen die Erben des Versicherungsnehmers erhoben werden. Zudem entfällt in den ersten drei Jahren nach der Zulassung/Bestellung als Berufsträger der Selbstbehalt, sofern kein abweichender Selbstbehalt bzw. ein Eigenbehalt vereinbart wurde.
Geschädigten zur Verfügung stellt, hat der Versicherer für den von der Weigerung bzw. der Verfügungsstellung an entstehenden Mehraufwand an Hauptsache, Zinsen und Kosten nicht aufzukommen.
5. Prozesskosten
Der Versicherungsschutz bezieht sich nicht auf Haftpflichtansprüche
5.1 Die Kosten eines gegen den Versicherungsnehmer anhängig gewordenen, einen gedeckten Haftpflichtanspruch betreffenden Haftpflichtprozesses sowie einer wegen eines solchen Anspruchs mit Zustimmung des Versicherers vom Versicherungsnehmer betriebenen negativen Feststellungsklage oder Nebenintervention gehen zu Lasten des Versicherers. Sofern nicht im Einzelfall mit dem Versicherer etwas anderes vereinbart ist, werden die Rechtsanwaltskosten entsprechend den Gebührensätzen des RVG übernommen. 5.2 Übersteigt der geltend gemachte Haftpflichtanspruch die Versicherungssumme, trägt der Versicherer die Gebühren und Pauschsätze nur nach der der Versicherungssumme entsprechenden Wertklasse. Dies gilt sowohl bei der Abwehr unberechtigter Schadenersatzansprüche als auch bei der Freistellung des Versicherungsnehmers von berechtigten Schadenersatzverpflichtungen. Bei den nicht durch Pauschsätze abzugeltenden Auslagen tritt eine verhältnismäßige Verteilung auf Versicherer und Versicherungsnehmer ein. 5.3 Übersteigt der Haftpflichtanspruch nicht den Betrag des Mindest- oder eines vereinbarten festen Selbstbehalts, treffen den Versicherer keine Kosten. 5.4 Sofern ein Versicherungsnehmer sich selbst vertritt oder durch einen Sozius oder Mitarbeiter vertreten lässt, werden eigene Gebühren nicht erstattet. Ist der Versicherungsnehmer als Berufsträgergesellschaft anerkannt, werden keine Gebühren erstattet, sofern der Versicherungsnehmer sich von für die Gesellschaft tätigen Personen vertreten lässt. 5.5 Bei der Inanspruchnahme vor ausländischen Gerichten ersetzt der Versicherer begrenzt auf seine Leistungspflicht Kosten höchstens nach der der Versicherungssumme entsprechenden Wertklasse nach deutschem Kosten- und Gebührenrecht, sofern nicht im Einzelfall mit dem Versicherer etwas anders vereinbart ist. 6. Sicherheitsleistung zur Abwendung der Zwangsvollstreckung An der Sicherheitsleistung oder Hinterlegung, die zur Abwendung der zwangsweisen Beitreibung der Haftpflichtsumme zu leisten ist, beteiligt sich der Versicherer in demselben Umfange wie an der Ersatzleistung, höchstens jedoch bis zur Höhe der Versicherungssumme. 7. Leistungsbegrenzung bei gescheiterter Erledigung des Haftpflichtanspruchs oder zur VerfügungsteIlung der Versicherungsleistung Falls die vom Versicherer verlangte Erledigung eines Haftpflichtanspruchs durch Anerkenntnis, Befriedigung oder Vergleich am Verhalten des Versicherungsnehmers scheitert oder falls der Versicherer seinen vertragsmäßigen Anteil zur Befriedigung des
§ 4 Ausschlüsse
1. mit Auslandsbezug, entsprechend den Regelungen in den Besonderen Bedingungen (Teil 2 BBR-RA, Teil 3 BBR-S und Teil 4 BBR-W); 2. soweit sie auf Grund Vertrages oder besonderer Zusage über den Umfang der gesetzlichen Haftpflicht hinausgehen; 3. wegen Schäden durch Veruntreuung entsprechend den Regelungen in den Besonderen Bedingungen (Teil 2 BBR-RA, Teil 3 BBR-S und Teil 4 BBR-W); 4. aus der Tätigkeit des Versicherungsnehmers oder seines Personals als Leiter, Geschäftsführer, Vorstands-, Aufsichtsrats-, Beiratsmitglied von Firmen, Unternehmungen, Vereinen, Verbänden. Ist der Versicherungsnehmer als Berufsträgergesellschaft anerkannt, gilt dies entsprechend für die Berufsgesellschaft und die dort tätigen mitversicherten Personen gemäß § 7 I 1; 5. wegen Schadenverursachung durch wissentliches Abweichen von Gesetz, Vorschrift, Anweisung oder Bedingung des Auftraggebers oder durch sonstige wissentliche Pflichtverletzung. Der Versicherungsnehmer behält, wenn dieser Ausschlussgrund nicht in seiner Person und auch nicht in der Person eines Sozius vorliegt – unbeschadet der Bestimmungen des § 7 III 2 – den Anspruch auf Versicherungsschutz. § 1 III bleibt unberührt. B. Der Versicherungsfall (§§ 5 und 6) § 5 Versicherungsfall, Obliegenheiten im Versicherungsfall, Zahlung des Versicherers I. Versicherungsfall Versicherungsfall ist der Verstoß, der Haftpflichtansprüche gegen den Versicherungsnehmer zur Folge haben könnte. II. Obliegenheiten im Versicherungsfall 1. Schadenanzeige 1.1 Jeder Versicherungsfall ist dem Versicherer (vgl. § 11) unverzüglich, spätestens innerhalb einer Woche, in Textform anzuzeigen. 1.2 Auch wenn der Versicherungsnehmer den Versicherungsfall selbst bereits angezeigt hat, hat er dem Versicherer unverzüglich Anzeige zu erstatten, wenn gegen ihn ein Anspruch gerichtlich geltend gemacht, Prozesskostenhilfe beantragt, ein Mahnbescheid erlassen, ihm der Streit verkündet, ein Schlichtungsverfahren vor der Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft beantragt, ein Ermittlungsverfahren eingeleitet oder ein Strafbefehl erlassen wird. Das gleiche gilt im Falle eines Arrestes, einer einstweiligen Verfügung oder eines selbstständigen Beweisverfahrens. Gegen Mahnbescheide
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§ 51 BRAO Rz. 60 oder Verfügungen von Verwaltungsbehörden auf Schadenersatz hat er, ohne die Weisung des Versicherers abzuwarten, fristgemäß Widerspruch zu erheben und die erforderlichen Rechtsbehelfe zu ergreifen. 1.3 Macht der Geschädigte seinen Anspruch gegenüber dem Versicherungsnehmer geltend, ist dieser zur Anzeige innerhalb einer Woche nach der Erhebung des Anspruchs verpflichtet. 1.4 Durch die Absendung der Anzeige werden die Fristen gewahrt. Für die Erben des Versicherungsnehmers tritt an Stelle der Wochenfrist jeweils eine Frist von einem Monat. 2. Mitwirkung des Versicherungsnehmers bei der Schadenabwehr 2.1 Der Versicherungsnehmer ist, soweit für ihn zumutbar, verpflichtet, unter Beachtung der Weisungen des Versicherers, insbesondere auch hinsichtlich der Auswahl des Prozessbevollmächtigten, für die Abwendung und Minderung des Schadens zu sorgen und alles zu tun, was zur Klarstellung des Schadenfalles dient. 2.2 Er hat den Versicherer bei der Abwehr des Schadens sowie bei der Schadenermittlung und -regulierung zu unterstützen, ihm ausführliche und wahrheitsgemäße Schadenberichte zu erstatten, alle Tatumstände, welche auf den Schadenfall Bezug haben, mitzuteilen und alle nach Ansicht des Versicherers für die Beurteilung des Schadenfalls erheblichen Schriftstücke einzusenden. 2.3 Den aus Anlass eines Schadenfalles erforderlichen Schriftwechsel hat der Versicherungsnehmer unentgeltlich zu führen. Sonstiger anfallender Aufwand sowie auch die Kosten eines vom Versicherungsnehmer außergerichtlich beauftragten Bevollmächtigten werden nicht erstattet. 2.4 Eine Streitverkündung seitens des Versicherungsnehmers an den Versicherer ist nicht erforderlich. Die Kosten einer solchen werden vom Versicherer nicht ersetzt. III. Zahlung des Versicherers 1. Zeitpunkt Ist die Schadenersatzverpflichtung des Versicherungsnehmers mit bindender Wirkung (§ 3 III Ziffer 1.1) für den Versicherer festgestellt hat dieser den Versicherungsnehmer binnen zwei Wochen vom Anspruch des Dritten freizustellen. 2. Erfüllung Die Leistungen des Versicherers erfolgen in Euro. Die Verpflichtung des Versicherers gilt mit dem Zeitpunkt als erfüllt, in dem der Euro-Betrag bei einem inländischen Geldinstitut angewiesen ist. § 6 Leistungsfreiheit, Leistungskürzung und Fortbestehen der Leistungspflicht bei einer Obliegenheitsverletzung nach § 5 I. Leistungsfreiheit Wird eine Obliegenheit verletzt, die dem Versicherer gegenüber zu erfüllen ist, ist der Versicherer von der Verpflichtung zur Leistung frei, wenn der Ver-
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Berufshaftpflichtversicherung sicherungsnehmer die Obliegenheit vorsätzlich verletzt hat. II. Leistungskürzung Im Fall einer grob fahrlässigen Verletzung der Obliegenheit ist der Versicherer berechtigt, seine Leistung in einem der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers entsprechenden Verhältnis zu kürzen. Weist der Versicherungsnehmer nach, dass er die Obliegenheit nicht grob fahrlässig verletzt hat, bleibt der Versicherungsschutz bestehen. III. Fortbestehen der Leistungspflicht Der Versicherer bleibt zur Leistung verpflichtet, wenn der Versicherungsnehmer nachweist, dass die Verletzung der Obliegenheit weder für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalls noch für die Feststellung oder den Umfang der dem Versicherer obliegenden Leistung ursächlich war. Das gilt nicht, wenn der Versicherungsnehmer die Obliegenheit arglistig verletzt hat. C. Das Versicherungsverhältnis (§§ 7–16) § 7 Versicherung für fremde Rechnung, Abtretung, Verpfändung, Rückgriffsansprüche I. Versicherung für fremde Rechnung 1. Geltung der Vertragsbestimmungen für versicherte Personen Soweit sich die Versicherung auf Haftpflichtansprüche erstreckt, die gegen andere Personen als den Versicherungsnehmer selbst gerichtet sind (versicherte Personen), finden alle in dem Versicherungsvertrag bezüglich des Versicherungsnehmers getroffenen Bestimmungen auch auf diese Personen sinngemäße Anwendung. Der Versicherungsnehmer bleibt neben den versicherten Personen für die Erfüllung der Obliegenheiten verantwortlich. 2. Geltendmachung der Versicherungsansprüche Versicherte Personen können ihre Versicherungsansprüche selbständig geltend machen. 3. Ansprüche des Versicherungsnehmers gegen versicherte Personen Ansprüche des Versicherungsnehmers gegen versicherte Personen sind, soweit nichts anderes vereinbart ist, von der Versicherung ausgeschlossen. II. Abtretung, Verpfändung Der Freistellungsanspruch darf vor seiner endgültigen Feststellung ohne Zustimmung des Versicherers weder abgetreten noch verpfändet werden. Eine Abtretung an den geschädigten Dritten ist zulässig. III. Rückgriffsansprüche 1. Übergang von Ansprüchen des Versicherungsnehmers gegen Dritte Rückgriffsansprüche des Versicherungsnehmers gegen Dritte, ebenso dessen Ansprüche auf Kostenersatz, auf Rückgabe hinterlegter und auf Rückerstattung bezahlter Beträge sowie auf Abtretung
Rz. 60 § 51 BRAO
Berufshaftpflichtversicherung gemäß § 255 BGB gehen in Höhe der vom Versicherer geleisteten Zahlung ohne weiteres auf diesen über. Der Übergang kann nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers geltend gemacht werden. Der Versicherer kann die Ausstellung einer den Forderungsübergang nachweisenden Urkunde verlangen. 2. Rückgriff gegen Angestellte des Versicherungsnehmers Rückgriff gegen Angestellte des Versicherungsnehmers wird nur genommen, wenn der Angestellte seine Pflichten vorsätzlich oder wissentlich verletzt hat. 3. Wahrungs- und Mitwirkungspflichten Der Versicherungsnehmer hat seinen Anspruch gemäß Ziffer 1 oder ein zur Sicherung dieses Anspruchs dienendes Recht unter Beachtung der geltenden Form- und Fristvorschriften zu wahren und bei dessen Durchsetzung durch den Versicherer soweit erforderlich mitzuwirken. Die Folgen einer Verletzung dieser Obliegenheit ergeben sich aus § 86 Abs. 2 WG. § 8 Prämienzahlung (Erst- und Folgeprämie) und Rechtsfolgen bei Nichtzahlung, Verzug bei Abbuchung, Prämienregulierung, Prämienrückerstattung I. Vorläufige Deckung 1. Prämie
lung nicht bewirkt ist, zum Rücktritt vom Vertrag berechtigt. Dies gilt nicht, wenn der Versicherungsnehmer nachweist, dass er die Nichtzahlung nicht zu vertreten hat. 3. Leistungsfreiheit des Versicherers bei Nichtzahlung Ist die Prämie zur Zeit des Eintritts des Versicherungsfalles noch nicht bezahlt, ist der Versicherer von der Verpflichtung zur Leistung frei. Dies gilt nicht, wenn der Versicherungsnehmer nachweist, dass er die Nichtzahlung nicht zu vertreten hat. III. Zahlung der Folgeprämien des Hauptvertrages 1. Fälligkeit Die nach Beginn des Versicherungsschutzes (§ 3 II) zahlbaren regelmäßigen Folgeprämien sind an den im Versicherungsschein festgesetzten Zahlungsterminen und sonstige Prämien bei Bekanntgabe an den Versicherungsnehmer zuzüglich etwaiger öffentlicher Abgaben zu entrichten. 2. Zahlungsfrist bei Nichtzahlung Wird eine Folgeprämie nicht rechtzeitig gezahlt, kann der Versicherer dem Versicherungsnehmer auf dessen Kosten in Textform eine Zahlungsfrist von mindestens zwei Wochen bestimmen. Dabei sind die rückständigen Beträge der Prämie, Zinsen und Kosten im Einzelnen zu beziffern und die Rechtsfolgen anzugeben, die nach den Ziffern 3 und 4 mit dem Fristablauf verbunden sind.
Der Versicherungsnehmer ist verpflichtet, eine Prämie für die vorläufige Deckung zu zahlen, soweit der Hauptvertrag mit dem Versicherer der vorläufigen Deckung nicht zustande kommt. Diese entspricht der Laufzeit der vorläufigen Deckung in Höhe des Teils der Prämie, die beim Zustandekommen des Hauptvertrags für diesen zu zahlen wäre.
3. Leistungsfreiheit des Versicherers bei Nichtzahlung
2. Wegfall des Versicherungsschutzes
4. Kündigungsrecht des Versicherers bei Nichtzahlung
Der Versicherungsschutz aus einer vorläufigen Deckung entfällt rückwirkend, wenn der Versicherungsnehmer die Erstprämie für den endgültigen Versicherungsvertrag nicht rechtzeitig gezahlt hat.
Tritt der Verstoß nach dem Ablauf dieser Frist ein und ist der Versicherungsnehmer zur Zeit des Eintritts mit der Zahlung der Prämie oder der Kosten im Verzug, ist der Versicherer nicht zur Leistung verpflichtet.
Der Versicherer kann nach Fristablauf den Vertrag ohne Einhaltung einer Frist kündigen, sofern der Versicherungsnehmer mit der Zahlung der geschuldeten Beträge in Verzug ist.
3. Rechtzeitigkeit der Zahlung Die Zahlung gilt als rechtzeitig, wenn sie unverzüglich nach Zugang der Deckungszusage und der Zahlungsaufforderung erfolgt. II. Zahlung der Erstprämie des Hauptvertrages 1. Fälligkeit Die erste oder einmalige Prämie ist unverzüglich nach Abschluss des Versicherungsvertrages zu zahlen, jedoch nicht vor dem vereinbarten und im Versicherungsschein angegebenen Beginn des Versicherungsschutzes. Ist die Zahlung der Jahresprämie in Raten vereinbart, gilt die erste Rate als Erstprämie. 2. Rücktrittsrecht des Versicherers bei Nichtzahlung Wird die erste oder einmalige Prämie nicht rechtzeitig bezahlt, ist der Versicherer, solange die Zah-
IV. Verzug bei Abbuchung 1. Verzugsvoraussetzungen Ist vereinbart, dass der Versicherer die jeweils fälligen Prämien von einem Konto einzieht und kann eine Prämie aus Gründen, die der Versicherungsnehmer zu vertreten hat, nicht fristgerecht eingezogen werden oder widerspricht der Versicherungsnehmer einer berechtigten Einziehung von seinem Konto, gerät er in Verzug und es können ihm auch die daraus entstehenden Kosten in Rechnung gestellt werden. Der Versicherer ist zu weiteren Abbuchungsversuchen berechtigt aber nicht verpflichtet. 2. Verzug nach Zahlungsaufforderung Ist die Einziehung einer Prämie aus Gründen, die der Versicherungsnehmer nicht zu vertreten hat, nicht möglich, so kommt er erst in Verzug, wenn er nach einer Zahlungsaufforderung in Textform nicht fristgerecht zahlt.
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§ 51 BRAO Rz. 60 3. Aufforderungsrecht des Versicherers zur Überweisung Kann aufgrund eines Widerspruchs oder aus anderen Gründen eine Prämie nicht eingezogen werden, so kann der Versicherer von weiteren Einzugsversuchen absehen und den Versicherungsnehmer in Textform zur Zahlung durch Überweisung auffordern. V. Prämienregulierung Aufgrund einer Änderungsanzeige oder sonstiger Feststellungen gemäß § 11b II wird die Prämie entsprechend dem Zeitpunkt der Veränderung richtig gestellt. VI. Prämienrückerstattung 1. Zeitanteilige Prämie 1.1 Endet das Versicherungsverhältnis vor Ablauf der Vertragszeit oder wird es nach Beginn der Versicherung rückwirkend aufgehoben oder ist es von Anfang an nichtig, steht dem Versicherer für diese Versicherungsperiode nur derjenige Teil der Prämie zu, der dem Zeitraum entspricht, in dem Versicherungsschutz bestanden hat. 1.2 Dies gilt auch in den Fällen, in denen die Prämie auf mehrere Jahre vorausbezahlt war oder das Verhältnis infolge Kündigung im Schadenfalle (§ 9 II) endet. 1.3 Wird das Versicherungsverhältnis durch Rücktritt oder durch Anfechtung des Versicherers wegen arglistiger Täuschung (§ 11a II Ziffer 1) beendet, steht dem Versicherer die Prämie bis zum Wirksamwerden der Rücktritts- oder Anfechtungserklärung zu. 2. Geschäftsgebühr Tritt der Versicherer wegen Zahlungsverzug der Erstprämie (§ 8 II Ziffer 2) zurück, kann er eine angemessene Geschäftsgebühr verlangen. § 9 Vertragsdauer, Kündigung, Erlöschen I. Vertragsdauer und ordentliche Kündigung 1. Vorläufige Deckung 1.1 Die vorläufige Deckung endet spätestens zu dem Zeitpunkt, zu dem nach einem vom Versicherungsnehmer geschlossenen Hauptvertrag oder einem weiteren Vertrag über vorläufige Deckung ein gleichartiger Versicherungsschutz beginnt. 1.2 Kommt der endgültige Versicherungsvertrag nicht zustande, weil der Versicherungsnehmer seinen Antrag nach § 8 VVG widerruft oder einen Widerspruch nach § 5 Abs. 1 u. 2 VVG erklärt, endet die vorläufige Deckung mit dem Zugang des Widerrufs oder des Widerspruchs beim Versicherer.
Berufshaftpflichtversicherung 2. Hauptvertrag Der Vertrag ist zunächst für die in dem Versicherungsschein festgesetzte Zeit abgeschlossen. Beträgt diese mindestens ein Jahr, bewirkt die Unterlassung rechtswirksamer Kündigung eine Verlängerung des Vertrages jeweils um ein Jahr. Die Kündigung ist rechtswirksam, sofern sie spätestens drei Monate vor dem jeweiligen Ablauf des Vertrages in Textform erklärt wird. II. Kündigung im Schadenfall 1. Kündigungsvoraussetzungen Das Versicherungsverhältnis kann nach Eintritt eines Versicherungsfalles in Textform gekündigt werden, wenn eine Zahlung aufgrund eines Versicherungsfalles geleistet oder der Haftpflichtanspruch rechtshängig geworden ist oder der Versicherungsnehmer mit einem von ihm geltend gemachten Versicherungsanspruch rechtskräftig abgewiesen ist. 2. Kündigungsfrist Der Versicherer hat eine Kündigungsfrist von einem Monat einzuhalten. Der Versicherungsnehmer kann mit sofortiger Wirkung oder zum Schluss der laufenden Versicherungsperiode kündigen. 3. Erlöschen des Kündigungsrechts Das Recht zur Kündigung erlischt, wenn es nicht spätestens einen Monat, nachdem die Zahlung geleistet, der Rechtsstreit durch Klagerücknahme, Anerkenntnis oder Vergleich beigelegt oder das Urteil rechtskräftig geworden ist, ausgeübt wird. III. Rechtzeitigkeit der Kündigung Die Kündigung ist nur dann rechtzeitig, wenn sie dem Vertragspartner innerhalb der jeweils vorgeschriebenen Frist zugegangen ist. IV. Erlöschen des Versicherungsschutzes Bei Wegfall des versicherten Interesses (z.B. Wegfall der Zulassung) erlischt der Versicherungsschutz. Teil 3 Nr. A 1.a) BBR-S bleibt unberührt. § 10 Verjährung, zuständiges Gericht, anwendbares Recht I. Verjährung Die Verjährung der Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag richtet sich nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches. II. Zuständiges Gericht 1. Klagen gegen den Versicherer
1.3 Ist die vorläufige Deckung befristet, endet sie automatisch mit Fristablauf. Ziffer 1.1 bleibt unberührt.
1.1 Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag können gegen den Versicherer bei dem für seinen Geschäftssitz oder für den Geschäftssitz seiner vertragsführenden Niederlassung örtlich zuständigen Gericht geltend gemacht werden.
1.4 Ist die vorläufige Deckung unbefristet, kann jede Vertragspartei ohne Einhaltung einer Frist in Textform kündigen. Die Kündigung des Versicherers wird erst nach Ablauf von zwei Wochen nach Zugang wirksam. Ziffer 1.1 bleibt unberührt.
1.2 Für Klagen des Versicherungsnehmers aus dem Versicherungsvertrag oder der Versicherungsvermittlung ist auch das deutsche Gericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Versicherungsnehmer zur Zeit der Klageerhebung seinen Wohnsitz, in
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Rz. 60 § 51 BRAO
Berufshaftpflichtversicherung Ermangelung eines solchen seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Ist der Versicherungsnehmer eine juristische Person, bestimmt sich das zuständige deutsche Gericht nach dem Geschäftssitz. 2. Klagen gegen den Versicherungsnehmer 2.1 Für Klagen des Versicherers ist ausschließlich das Gericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Versicherungsnehmer zur Zeit der Klageerhebung seinen Wohnsitz, in Ermangelung eines solchen seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. 2.2 Ist der Versicherungsnehmer eine juristische Person, bestimmt sich das zuständige Gericht nach dem Geschäftssitz. 3. Unbekannter Wohnsitz oder Aufenthalt des Versicherungsnehmers Ist der Wohnsitz oder der gewöhnlicher Aufenthalt des Versicherungsnehmers in Deutschland im Zeitpunkt der Klageerhebung nicht bekannt, bestimmt sich die gerichtliche Zuständigkeit für Klagen aus dem Versicherungsvertrag gegen den Versicherer oder den Versicherungsnehmer ausschließlich nach dem Sitz des Versicherers oder seiner für den Versicherungsvertrag zuständigen Niederlassung. Ist der Versicherungsnehmer eine juristische Person, gilt dies entsprechend, wenn sein Geschäftssitz unbekannt ist. 4. Wohn- oder Geschäftssitz des Versicherungsnehmers außerhalb der Europäischen Gemeinschaft, Island, Norwegen oder der Schweiz Hat der Versicherungsnehmer zum Zeitpunkt der Klageerhebung seinen Wohn- oder Geschäftssitz nicht in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft, Island, Norwegen oder der Schweiz ist das Gericht nach Ziffer 3 Satz 1 ausschließlich zuständig. III. Anwendbares Recht
den Entschluss des Versicherers erheblich sind, den Vertrag mit dem vereinbarten Inhalt zu schließen (z.B. § 11b II Ziffer 2). Der Versicherungsnehmer ist auch insoweit zur Anzeige verpflichtet, als nach seiner Vertragserklärung, aber vor Vertragsannahme der Versicherer Fragen im Sinne des Satzes 1 stellt. 2. Gefahrerhebliche Umstände Gefahrerheblich sind die Umstände, die geeignet sind, auf den Entschluss des Versicherers Einfluss auszuüben, den Vertrag überhaupt oder mit dem vereinbarten Inhalt abzuschließen. 3. Zurechnung des Vertreterwissens Wird der Vertrag von einem Vertreter des Versicherungsnehmers geschlossen und kennt dieser den gefahrerheblichen Umstand, muss sich der Versicherungsnehmer so behandeln lassen, als habe er selbst davon Kenntnis gehabt oder dies arglistig verschwiegen. II. Rechtsfolgen von Anzeigepflichtverletzungen 1. Rechte des Versicherers Die Folgen einer Verletzung der Anzeigepflicht ergeben sich aus §§ 19–22 VVG. Unter den dort genannten Voraussetzungen kann der Versicherer vom Versicherungsvertrag zurücktreten, leistungsfrei sein, den Vertrag kündigen, wegen arglistiger Täuschung anfechten oder auch berechtigt sein, den Vertrag zu ändern. 2. Kündigungsrecht des Versicherungsnehmers bei Vertragsänderung Erhöht sich durch die Vertragsänderung gemäß Ziffer 1 der Beitrag um mehr als 10 % oder schließt der Versicherer die Gefahrabsicherung für den nicht angezeigten Umstand aus, kann der Versicherungsnehmer den Vertrag nach Maßgabe von § 19 Abs. 6 VVG kündigen.
Die Rechte und Pflichten aus dem Versicherungsvertrag bestimmen sich ausschließlich nach deutschem Recht.
§ 11b Anzeigepflichten des Versicherungsnehmers während der Vertragslaufzeit
§ 11 Form der Willenserklärungen gegenüber dem Versicherer
Schließt der Versicherungsnehmer den Hauptvertrag oder den weiteren Vertrag über vorläufige Deckung mit einem anderen Versicherer ab, hat er dem bisherigen Versicherer den Vertragsschluss unverzüglich mitzuteilen.
Alle für den Versicherer bestimmten Anzeigen und Erklärungen sollen auch dann in Text- oder Schriftform erfolgen, wenn eine solche Form weder im Gesetz noch im Versicherungsvertrag vorgesehen ist, und an die Allianz Versicherungs-AG, 10900 Berlin gerichtet werden. § 11a Vorvertragliche Anzeigepflichten des Versicherungsnehmers, Rechtsfolgen von Anzeigepflichtverletzungen I. Vorvertragliche Anzeigepflichten des Versicherungsnehmers 1. Vollständigkeit und Richtigkeit von Angaben über gefahrerhebliehe Umstände Der Versicherungsnehmer hat bis zur Abgabe seiner Vertragserklärung dem Versicherer alle ihm bekannten Gefahrumstände anzuzeigen, nach denen der Versicherer in Textform gefragt hat und die für
I. Vorläufige Deckung
II. Gefahrerhöhung 1. Selbständige Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers Treten nach Abgabe der Vertragserklärung des Versicherungsnehmers Umstände ein, die für die Übernahme des Versicherungsschutzes Bedeutung haben (§ 11a I Ziffer 2), hat er die Gefahrerhöhung, nachdem er von ihr Kenntnis erlangt hat, dem Versicherer unverzüglich anzuzeigen. 2. Anzeigepflicht nach Aufforderung des Versicherers Der Versicherungsnehmer ist verpflichtet, nach Erhalt einer Aufforderung des Versicherers, welche auch durch einen der Prämienrechnung beigefügten
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§ 51 BRAO Rz. 60 Hinweis erfolgen kann, Mitteilung darüber zu machen, ob und welche Änderungen in dem versicherten Risiko gegenüber den zum Zwecke der Prämienbemessung gemachten Angaben eingetreten sind, zum Beispiel zuschlagspflichtige Personen, der bei einem anderen Versicherer bestehende Versicherungsschutz für eine höhere Versicherungssumme oder der erstmalige Abschluss eines solchen Versicherungsvertrages, Änderungen einer Nebentätigkeit. Diese Anzeige ist innerhalb eines Monats nach Erhalt der Aufforderung zu machen. Auf Verlangen des Versicherers sind die Angaben durch die Geschäftsbücher oder sonstige Belege nachzuweisen. 3. Leistungsfreiheit infolge unrichtiger Angaben und arglistigen Verschweigens Unrichtige Angaben zu den Gefahrumständen gemäß Ziffern 1 und 2 oder das arglistige Verschweigen sonstiger Gefahrumstände können den Versicherer unter den Voraussetzungen des § 26 VVG berechtigen, den Versicherungsschutz zu versagen. III. Änderung von Anschrift und Name Hat der Versicherungsnehmer eine Änderung seiner Anschrift dem Versicherer nicht mitgeteilt, genügt für eine Willenserklärung, die dem Versicherungsnehmer gegenüber abzugeben ist, die Absendung eines eingeschriebenen Briefs an die letzte dem Versicherer bekannte Anschrift. Die Erklärung gilt drei Tage nach der Absendung des Briefs als zugegangen. Dies gilt entsprechend für den Fall einer Namensänderung des Versicherungsnehmers. § 12 Sozien I. Versicherungsfall Der Versicherungsfall auch nur eines Sozius (§ 1 II) gilt als Versicherungsfall aller Sozien. Dies gilt nicht für Tätigkeiten außerhalb der gemeinschaftlichen Berufsausübung. II. Durchschnittsleistung Der Versicherer tritt für die Sozien zusammen mit einer einheitlichen Durchschnittsleistung ein. Für diese Durchschnittsleistung gilt folgendes: 1. Berechnung der Versicherungsleistung Die Leistung auf die Haftpflichtsumme ist in der Weise zu berechnen, dass zunächst bei jedem einzelnen Sozius festgestellt wird, wie viel er vom Versicherer zu erhalten hätte, wenn er, ohne Sozius zu sein, allein einzutreten hätte (fiktive Leistung), und sodann die Summe dieser fiktiven Leistungen durch die Zahl aller Sozien geteilt wird.
Berufshaftpflichtversicherung § 13 Mitarbeiter I. Mitarbeiter als Risikoerweiterung Die Beschäftigung eines zuschlagspflichtigen Mitarbeiters, der nicht Sozius im Sinne des § 1 II ist, gilt als Erweiterung des versicherten Risikos nach § 11b II Ziffer 2. II. Folgen der Nichtanzeige Wird trotz Aufforderung die Beschäftigung eines Mitarbeiters nicht angezeigt, so verringert sich dem Versicherungsnehmer gegenüber die Leistung (§ 12) des Versicherers, wie wenn der Mitarbeiter Sozius im Sinne von § 1 II wäre. III. Versicherungsschutz für Mitarbeiter In Ansehung solcher Verstöße, die vor Ablauf der Frist des § 11b II Ziffer 2 oder nach Bezahlung des Mitarbeiterzuschlags erfolgt sind, umfasst die Versicherung im Rahmen des Versicherungsvertrages auch Haftpflichtansprüche, die unmittelbar gegen die Mitarbeiter erhoben werden (§ 7 I Ziffer 1). § 14 Kumulsperre I. Ein Versicherungsnehmer mit unterschiedlichen Qualifikationen Unterhält der Versicherungsnehmer auf Grund zusätzlicher Qualifikationen weitere Versicherungsverträge (z.B. in der Eigenschaft als Rechtsanwalt, Rechtsbeistand, Patentanwalt, Steuerberater, vereidigter Buchprüfer oder Wirtschaftsprüfer) und kann er für ein und denselben Verstoß Versicherungsschutz auch aus einem oder mehreren Versicherungsverträgen in Anspruch nehmen, begrenzt die Versicherungssumme des Vertrages mit der höchsten Versicherungssumme die Leistung aus allen Versicherungsverträgen; eine Kumulierung der Versicherungssummen findet nicht statt. § 78 Abs. 2 Satz 1 VVG gilt entsprechend. II. Mehrere Versicherungsnehmer mit unterschiedlichen Berufsqualifikationen Werden Angehörige der rechts-, steuer- und wirtschaftsberatenden Berufe, welche auf Grund gleicher, mehrfacher oder verschiedener Qualifikationen Versicherungsverträge unterhalten, für einund denselben Verstoß verantwortlich gemacht und kann für diesen Verstoß Versicherungsschutz aus mehreren Versicherungsverträgen in Anspruch genommen werden, begrenzt die Versicherungssumme des Vertrages mit der höchsten Versicherungssumme die Leistung aus allen Versicherungsverträgen; eine Kumulierung der Versicherungssummen findet nicht statt.
2. Berechnung der Kosten
III. § 12 bleibt unberührt.
Bezüglich der Kosten sind die Bestimmungen in § 3 III Ziffer 5 in sinngemäßer Verbindung mit den vorstehenden Bestimmungen anzuwenden.
§ 15 Sachschäden
3. Anwendung auf Nichtversicherungsnehmer Dieser Durchschnittsversicherungsschutz besteht nach Maßgabe des § 7 I Ziffer 1 auch zugunsten eines Sozius, der Nichtversicherungsnehmer ist.
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I. Versicherte Ansprüche Im bedingungsgemäßen Umfang mitversichert sind Ansprüche wegen Sachschäden 1. an Akten und anderen für die Sachbehandlung in Betracht kommenden Schriftstücken,
Rz. 60 § 51 BRAO
Berufshaftpflichtversicherung 2. an sonstigen beweglichen Sachen, die das Objekt der versicherten Betätigung des Versicherungsnehmers bilden, sofern es sich nicht um Sachschäden aus Anlass der Ausübung technischer Berufstätigkeit oder der Verwaltung von Grundstücken handelt. II. Nicht versicherte Ansprüche Nicht versichert sind Ansprüche wegen Sachschäden, die entstehen durch Abhandenkommen von Geld, Geldwerten Zeichen, Wertsachen, Inhaberpapieren und in blanko indossierten Orderpapieren; das Abhandenkommen von Wechseln sowie von zu Protest gegangenen Schecks fällt nicht unter diese Bestimmung. § 16 Bürohaftpflicht Die Versicherung der Bürohaftpflicht (Sach- und Personenschäden sowie hieraus resultierende immaterielle Schäden bei Mandatsverhältnissen, die den Schutz der Rechtsgüter des § 253 Abs. 2 BGB zum Gegenstand haben (Schmerzensgeld)) ist gesondert möglich (siehe Teil 5). Teil 1.2 Versicherungsschutz für gesellschaftsrechtliche Haftung A. Gegenstand des Versicherungsschutzes In Ergänzung von Teil 1.1 § 1 I bietet der Versicherer für den Fall Versicherungsschutz, dass von einem anderen auf Grund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen Inhalts für einen Vermögensschaden aus Verstößen aus der Ausübung beruflicher Tätigkeit verantwortlich gemacht wird 1. die Partnerschaftsgesellschaft oder die Sozietät, in der der Versicherungsnehmer als Partner oder Sozius tätig ist, 2. der Versicherungsnehmer akzessorisch für Verstöße 2.1 welche vor dem Eintritt des Versicherungsnehmers begangen wurden von einem Mitglied der Partnerschaftsgesellschaft oder der Sozietät nach §§ 28,128,130 HGB (Eintrittsversicherung), 2.2 nach dem Ausscheiden aus der Partnerschaftsgesellschaft oder der Sozietät nach §§ 128, 160 HGB (Austrittsversicherung), 2.3 eines berufsfremden Sozius oder Partners in einer Partnerschaftsgesellschaft im Rahmen dessen beruflicher Tätigkeit nach § 128 HGB (Versicherung für interprofessionelle akzessorische Haftung). B. Zurechnung In der Person eines Sozius oder Partners in einer Partnerschaftsgesellschaft gegebene Umstände, die den Versicherungsschutz beeinflussen, gehen zu Lasten aller Sozien und der Sozietät bzw. aller Partner in einer Partnerschaftsgesellschaft und der Partnerschaftsgesellschaft. C. Beginn und Umfang des Versicherungsschutzes der gesellschaftsrechtlichen akzessorischen Haftung 1. Abwehrschutz und Freistellung Der Versicherungsschutz für die Eintritts- bzw. Austrittsversicherung oder die Versicherung für die
interprofessionelle akzessorische Haftung umfasst die Abwehr unberechtigter Schadenersatzansprüche und, soweit nicht Versicherungsschutz über eine andere Berufshaftpflichtversicherung besteht, die Freistellung von berechtigten Schadenersatzverpflichtungen in dem zum Verstoßzeitpunkt geltenden gesetzlichen Mindestumfang, es sei denn, zum Verstoßzeitpunkt war in dem Berufshaftpflichtversicherungsvertrag des den Verstoß verursachenden Sozius oder Partners in einer Partnerschaftsgesellschaft ein anderer Umfang vereinbart. 2. Höchstbetrag der Versicherungsleistung und Jahreshöchstleistung Die Versicherungssummme und die Jahreshöchstleistung gelten für die Eintrittsversicherung und die Versicherung für die interprofessionelle akzessorische Haftung nach der zum Verstoßzeitpunkt geltenden gesetzlichen Mindestversicherungssumme, es sei denn, in dem Berufshaftpflichtversicherungsvertrag des den Verstoß verursachenden Sozius oder Partners in einer Partnerschaftsgesellschaft war zum Verstoßzeitpunkt eine höhere Versicherungssumme oder Jahreshöchstleistung vereinbart. Maximal gelten die zu diesem Vertrag vereinbarte Versicherungssumme und Jahreshöchstleistung. Eine Kumulierung der Versicherungssummen und Jahreshöchstleistungen findet nicht statt. 3. Austrittsversicherung Für die Austrittsversicherung gilt der Versicherungsschutz, der zum Zeitpunkt des Austritts vereinbart war. Teil 2 Besondere Bedingungen und Risikobeschreibungen für Rechtsanwälte und Patentanwälte (BBR-RA) A. Besondere Bedingungen 1. Jahreshöchstleistung Ist eine höhere als die gesetzliche Mindestversicherungssumme vereinbart, beträgt die Höchstleistung des Versicherers für alle Versicherungsfälle eines Versicherungsjahres (Jahreshöchstleistung) vorbehaltlich abweichender Vereinbarung das Zweifache der vereinbarten Versicherungssumme; die Jahreshöchstleistung beträgt jedoch mindestens das Vierfache der Mindestversicherungssumme. 2. Ausschlüsse 2.1 Haftpflichtansprüche mit Auslandsbezug Der Versicherungsschutz bezieht sich nicht auf Haftpflichtansprüche aus Tätigkeiten a) über in anderen Staaten eingerichtete oder unterhaltene Kanzleien oder Büros, b) im Zusammenhang mit der Beratung und Beschäftigung im außereuropäischen Recht, c) des Rechtsanwalts vor außereuropäischen Gerichten. 2.2 Veruntreuungsschäden Der Versicherungsschutz bezieht sich nicht auf Haftpflichtansprüche wegen Schäden durch Veruntreuung durch Personal, Sozien oder Angehörige des Versicherungsnehmers; als Angehörige gelten:
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§ 51 BRAO Rz. 60 a) der Ehegatte des Versicherungsnehmers, der Lebenspartner im Sinne des Lebenspartnerschaftsgesetzes oder einer vergleichbaren Partnerschaft nach dem Recht anderer Staaten; b) wer mit dem Versicherungsnehmer in gerader Linie verwandt oder verschwägert oder im zweiten Grad der Seitenlinie verwandt ist. 2.3 Tätigkeit als Angestellter In Erweiterung von § 4 Ziffer 4 bezieht sich der Versicherungsschutz nicht auf Haftpflichtansprüche aus der Tätigkeit des Versicherungsnehmers als Angestellter. 3. Meldepflichten des Versicherers Der Versicherer ist verpflichtet, der Rechtsanwaltsbzw. Patentanwaltskammer den Beginn und die Beendigung oder Kündigung des Versicherungsvertrages sowie jede Änderung des Versicherungsvertrages, die den vorgeschriebenen Versicherungsschutz beeinträchtigt, unverzüglich mitzuteilen. 4. Überschreiten der Pflichtversicherung Soweit die vereinbarte Versicherungssumme den Betrag von 250 000 Euro und die vereinbarte Jahreshöchstleistung den Betrag von 1 000 000 Euro übersteigt oder soweit der Umfang des vereinbarten Versicherungsschutzes über den Umfang des gesetzlich vorgeschriebenen Versicherungsschutzes hinausgeht, gelten die Bedingungen des Teil 1 entsprechend, soweit nichts Abweichendes, z.B. durch zusätzliche Vereinbarungen, bestimmt ist. Erweiterungen des Versicherungsschutzes lassen den Umfang des gesetzlich vorgeschriebenen Versicherungsschutzes unberührt. 4.1 Inanspruchnahme des Versicherungsnehmers vor außereuropäischen Gerichten Für Haftpflichtansprüche aus der Inanspruchnahme des Versicherungsnehmers vor außereuropäischen Gerichten besteht Leistungspflicht nur in Höhe der Mindestpflichtversicherungssumme. 4.2 Ausschluss kaufmännischer Risiken Ergänzend zu § 4 bezieht sich der Versicherungsschutz nicht auf Haftpflichtansprüche wegen Schäden aus einer kaufmännischen Kalkulations-, Spekulations- oder Organisationstätigkeit. Soweit der Versicherungsnehmer gemäß InsO (z.B. als (vorläufiger) Insolvenzverwalter. Soder(Insolvenzverwalter, Gläubigerausschussmitglied, Sachwalter und Treuhänder), als Gesamtvollstreckungsverwalter, als gerichtlich bestellter (vorläufiger) Liquidator oder Abwickler oder als Abwickler einer Praxis gemäß § 55 BRAO tätig ist. sind Haftpflichtansprüche wegen Schäden aus einer kaufmännischen Kalkulations- oder Organisationstätigkeit bis zur Höhe der vereinbarten Versicherungssumme, maximal in Höhe von EUR 2 000 000 versichert. 4.3 Deckung für Auszahlungsfehler bei Anderkonten Versicherungsschutz wird auch für den Fall geboten, dass der Versicherungsnehmer wegen einer fahrlässigen Verfügung über Beträge, die in unmittelbarem Zusammenhang mit einer Rechtsanwaltstätigkeit auf ein Anderkonto eingezahlt sind, von dem Berechtigten in Anspruch genommen wird.
778 Tauchert/Dahns
Berufshaftpflichtversicherung Das gleiche gilt für Inanspruchnahme des Versicherungsnehmers aus fahrlässigen Verfügungen über fremde Gelder, die zur alsbaldigen Anlage auf ein Anderkonto in Verwahrung genommen und ordnungsgemäß v er bucht sind. B. Risikobeschreibungen für die Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung von Rechtsanwälten (einschließlich des RechtsanwaltsRisikos von Anwaltsnotaren) Im Rahmen der dem Vertrag zugrundeliegenden Allgemeinen Versicherungsbedingungen zur Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung für Rechtsanwälte und Patentanwälte ist versichert die gesetzliche Haftpflicht des Versicherungsnehmers aus der gegenüber seinem Auftraggeber freiberuflich ausgeübten Tätigkeit als Rechtsanwalt. Mitversichert ist die Tätigkeit –
gemäß InsO, z.B. als (vorläufiger) Insolvenzverwalter, Sonder(insolvenz)verwalter, Gläubigerausschussmitglied, Sachwalter und Treuhänder;
–
als Gesamtvollstreckungsverwalter;
–
als gerichtlich bestellter (vorläufiger) Liquidator oder Abwickler;
–
als Testamentsvollstrecker, Nachlasspfleger, Nachlassverwalter, Vormund, Betreuer, Pfleger, Beistand;
–
als Schiedsrichter, Schlichter, Mediator;
–
als Abwickler einer Praxis gemäß § 55 BRAO, Zustellungsbevollmächtigter gemäß § 30 BRAO;
–
als Notarvertreter für die Dauer von 60 Tagen innerhalb eines Versicherungsjahres;
–
als Mitglied eines Aufsichtsrates, Beirates, Stiftungsrates oder ähnlicher Gremien, soweit die dem Verstoß zugrunde liegende Tätigkeit einer anwaltlichen Berufsausübung entspricht.
Soweit der Versicherungsnehmer als (vorläufiger) Insolvenzverwalter, Sonder(insolvenz)verwalter tätig ist, sind im bedingungsgemäßen Umfang insbesondere Haftpflichtansprüche mitversichert 1. wegen Schäden, welche daraus resultieren, dass der Betrieb des Schuldners ganz oder teilweise fortgeführt wird; 2. aus §§ 34, 69 AO und vergleichbaren Fällen der persönlichen Haftung wegen Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen oder anderen öffentlichen Abgaben, sofern nicht wissentlich vom Gesetz abgewichen wurde; 3. welche darauf beruhen, dass Versicherungsverträge nicht oder nicht ordnungsgemäß abgeschlossen, erfüllt oder fortgeführt werden, es sei denn, es wurde bewusst davon abgesehen; 4. wegen Fehl- oder Doppelüberweisungen sowie Fehlern bei der Auszahlung der Insolvenzquote und der Abrechnung des Insolvenzgeldes; 5. wegen Schäden durch vorsätzliche Straftaten gegen das Vermögen durch Personal des Versicherungsnehmers wie auch des Insolvenzschuldners, soweit der Versicherungsnehmer wegen fahrlässiger Verletzung seiner Aufsichtsund Überwachungspflicht in Anspruch genommen wird;
Rz. 60 § 51 BRAO
Berufshaftpflichtversicherung 6. gegen den Versicherungsnehmer wegen Pflichtverletzungen von Angestellten des Insolvenzschuldners, Angestellten und Sozien/Partnern/ Gesellschaftern des Versicherungsnehmers und dessen freien Mitarbeitern, derer er sich zur Mitwirkung bei der Ausübung seiner Tätigkeit bedient. Mitversichert ist im Rahmen des Vertrages die gesetzliche Haftpflicht von Vertretern des Versicherungsnehmers aus der Vertretertätigkeit, solange der Versicherungsnehmer an der Ausübung seines Berufes gehindert ist. Die Mitversicherung besteht nicht, soweit der Vertreter durch eine eigene Versicherung gedeckt ist. Mitversichert ist im Rahmen des Vertrages die gesetzliche Haftpflicht der Erben des Versicherungsnehmers aus Verstößen, die bis zur Bestellung eines Praxisabwicklers oder bis zur Praxisveräußerung, längstens jedoch bis zu 8 Wochen nach dem Ableben des Versicherungsnehmers, vorgekommen sind. Diese Risikobeschreibung zählt die mitversicherten Tätigkeiten abschließend auf. Ansprüche aus der Tätigkeit als Leiter, Vorstands-, Aufsichtsrats- oder Beiratsmitglied, Geschäftsführer von Unternehmungen, Vereinen, Verbänden und als Angestellter sind auch im Rahmen der mitversicherten Tätigkeiten vom Versicherungsschutz ausgeschlossen. Unter die zu § 1 I Ziffer 2 genannten Vermögensschäden fallen auch solche, die durch Freiheitsentzug verursacht worden sind (Straf- oder Untersuchungshaft, Unterbringung). C. Risikobeschreibungen für die Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung von Patentanwälten Im Rahmen der dem Vertrag zugrundeliegenden Allgemeinen Versicherungsbedingungen zur Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung für Rechtsanwälte und Patentanwälte ist versichert die gesetzliche Haftpflicht des Versicherungsnehmers aus der freiberuflich ausgeübten Tätigkeit als Patentanwalt. Mitversichert ist im Rahmen des Vertrages die gesetzliche Haftpflicht von Vertretern des Versicherungsnehmers aus der Vertretung, solange der Versicherungsnehmer an der Ausübung seines Berufes gehindert ist. Die Mitversicherung besteht nicht, soweit der Vertreter durch eine eigene Versicherung gedeckt ist. Teil 3 Besondere Bedingungen und Risikobeschreibungen für Steuerberater (BBR-S) A. Besondere Bedingungen 1. Mitversicherung a) Mitversichert sind allgemeine Vertreter (§ 69 StBerG), Praxisabwickler (§ 70 StBerG) oder Praxistreuhänder (§ 71 StBerG) für die Dauer ihrer Bestellung sowie Vertreter (§ 145 StBerG) während der Dauer eines Berufs- oder Vertretungsverbots. Diese Mitversicherung besteht in dem Umfange nicht, in dem die Mitversicherten durch eine eigene Versicherung Deckung erhalten.
b) Für den Versicherungsnehmer in freier Mitarbeit oder in einem Anstellungsverhältnis tätige selbständige Steuerberater und Steuerbevollmächtigte sind gegen die aus der Mitarbeit sowie aus § 63 StBerG sich ergebenden Haftpflichtgefahren für Vermögensschäden mitversichert; Teil 1 § 7 II Ziffer 2 gilt sinngemäß. Dies gilt nicht, wenn neben der Mitarbeit eigene Mandate betreut werden. 2. Höchstbetrag der Versicherungsleistung § 3 III Nr. 2.1c) erhält folgende Fassung: bezüglich sämtlicher Folgen eines Verstoßes. Dabei gilt mehrfaches auf gleicher oder gleichartiger Fehlerquelle beruhendes Tun oder Unterlassen als einheitlicher Verstoß, wenn die betreffenden Angelegenheiten miteinander in rechtlichem oder wirtschaftlichem Zusammenhang stehen. In diesem Fall ist die Leistung des Versicherers auf das Fünffache der Mindestversicherungssumme begrenzt. Ist die vereinbarte Versicherungssumme höher als das Fünffache der gesetzlich vorgeschriebenen Mindestversicherungssumme, tritt der Versicherer mit der vereinbarten Versicherungssumme ein. 3. Jahreshöchstleistung Eine Höchstleistung des Versicherers für alle innerhalb eines Versicherungsjahres verursachten Schäden kann vereinbart werden. Sie beträgt vorbehaltlich abweichender Vereinbarung das Zweifache der Versicherungssumme. Sie muss mindestens das Vierfache der Mindestversicherungssumme betragen. 4. Ausschlüsse 4.1 Haftpflichtansprüche mit Auslandbezug: Der Versicherungsschutz bezieht sich nicht auf Haftpflichtansprüche a) welche vor ausländischen Gerichten geltend gemacht werden; dies gilt auch im Falle eines inländischen Vollstreckungsurteils (§ 722 ZPO); b) aus der Verletzung oder Nichtbeachtung ausländischen Rechts; Die Risikoausschlüsse gem. Ziffern a) und b) gelten jedoch nicht für das europäische Ausland, die Türkei und die Staaten auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion einschließlich Litauen, Lettland und Estland. c) Eingeschlossen ist die gesetzliche Haftpflicht aus der Verletzung oder Nichtbeachtung des Rechts der in Ziffer b) nicht genannten Staaten, soweit sie bei der das Abgabenrecht dieser Staaten betreffenden geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen entstanden sind und dem Auftrag zwischen dem Versicherungsnehmer und seinem Auftraggeber nur deutsches Recht zugrundeliegt. Die Leistungspflicht des Versicherers ist in diesen Fällen auf die gesetzlich vorgeschriebene Mindestversicherungssumme beschränkt. d) Der Versicherungsschutz bezieht sich nicht auf Haftpflichtansprüche, welche aus Tätigkeiten geltend gemacht werden, die über Niederlassungen, Zweigniederlassungen oder weitere Beratungsstellen im Ausland ausgeübt werden, soweit diese nicht durch Besondere Vereinbarung eingeschlossen sind.
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§ 51 BRAO Rz. 60 4.2 Veruntreuungsschäden Der Versicherungsschutz bezieht sich nicht auf Haftpflichtansprüche wegen Schäden, welche durch Fehlbeträge bei der Kassenführung, durch Verstöße beim Zahlungsakt oder durch Veruntreuung durch das Personal des Versicherungsnehmers entstehen. 4.3 Haftpflichtansprüche aus unternehmerischem Risiko Der Versicherungsschutz bezieht sich nicht auf Haftpflichtansprüche wegen Schäden, die dadurch entstanden sind, dass a) der Versicherungsnehmer im Bereich eines unternehmerischen Risikos, das sich im Rahmen der Ausübung einer versicherten Tätigkeit ergibt, einen Verstoß begeht, z.B. als Insolvenzverwalter bei der Fortführung eines Unternehmens, als Testamentsvollstrecker, soweit ein gewerbliches Unternehmen zum Nachlass gehört; b) ein Versicherungsvertrag nicht abgeschlossen oder fortgesetzt wurde, es sei denn, der Versicherungsnehmer beweist, dass von dem Abschluss oder der Fortführung nicht bewusst abgesehen wurde. 5. Meldepflichten des Versicherers Der Versicherer ist verpflichtet, der gemäß § 67 StBerG zuständigen Steuerberaterkammer den Beginn und die Beendigung. oder Kündigung des Versicherungsvertrages sowie jede Änderung des Versicherungsvertrages, die den vorgeschriebenen Versicherungsschutz beeinträchtigt, unverzüglich mitzuteilen. 6. Überschreiten der Pflichtversicherung Soweit die vereinbarte Versicherungssumme den Betrag von 250 000 Euro und die vereinbarte Jahreshöchstleistung den Betrag von 1 000 000 Euro übersteigt oder soweit der Umfang des vereinbarten Versicherungsschutzes über den Umfang des gesetzlich vorgeschriebenen Vesicherungsschutzes hinausgeht, gelten die vorstehenden Bedingungen entsprechend, wenn nichts Abweichendes, z.B. durch zusätzliche Vereinbarungen, bestimmt ist. Erweiterungen des Versicherungsschutzes lassen den Umfang des gesetzlich vorgeschriebenen Versicherungsschutzes unberührt. 7. Deckung für Auszahlungsfehler bei Anderkonten Versicherungsschutz besteht auch für den Fall, dass der Versicherungsnehmer wegen einer fahrlässig fehlsamen Verfügung über Beträge, die auf einem Anderkonto eingezahlt sind, von dem Berechtigten in Anspruch genommen wird. Voraussetzung ist, dass die Einzahlung auf dem Anderkonto in unmittelbarem Zusammenhang mit einer versicherten Tätigkeit erfolgte. B. Risikobeschreibungen für die Vermögensschaden- Haftpflichtversicherung von Steuerberatern I. Der Versicherungsschutz umfasst 1. Tätigkeiten nach § 33 StBerG; 2. die Hilfeleistung bei der Führung von Büchern und Aufzeichnungen und die Aufstellung von
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Berufshaftpflichtversicherung Erfolgsrechnungen, Vermögensübersichten und Bilanzen, auch wenn der Auftraggeber hierzu nicht schon aufgrund steuerrechtlicher Vorschriften verpflichtet ist. II. Der Versicherungsschutz erstreckt sich auch auf die Tätigkeiten, die nach § 57 Abs. 3 Nr. 2, 3 und 6 StBerG mit dem Beruf vereinbar sind, und zwar 1. Durchführung von betriebswirtschaftlichen Prüfungen sowie die Erteilung von Vermerken und Bescheinigungen hierüber; hierunter fallen auch Unterschlagungs-, Kassen- und Kontenprüfungen; 2. Erstattung von berufsüblichen Gutachten; 3. Erstellung von Bilanzanalysen; 4. Fertigung oder Prüfung der Lohnabrechnung, Erteilung von Verdienstbescheinigungen, An- und Abmeldung bei Sozialversicherungsträgern und sonstigen gesetzlichen Einrichtungen (z.B. Arbeitsamt wegen Schlechtwettergeld, Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes, Pensionssicherungsverein) sowie die dabei vorzunehmende Prüfung der Beitragspflicht und die Berechnung der abzuführenden Beträge, die Erteilung von Haushalts- und Lebensbescheinigungen; 5. Bearbeitung von sonstigen öffentlichen Abgaben oder Zuwendungen, auch soweit diese nicht der Verwaltung der Finanzbehörden unterliegen; 6. Tätigkeit als nicht geschäftsführender Treuhänder; 7. Beratung und die Wahrnehmung sonstiger fremder Interessen in wirtschaftlichen Angelegenheiten, soweit diese berufsüblich sind, z.B.: a) die wirtschaftliche Beratung bei der Gründung, Umwandlung, Sanierung, Auflösung oder bei dem Verkauf von Unternehmen, beim Abschluss von Verträgen, bei der Gründung und Unterhaltung betrieblicher Versorgungseinrichtungen, bei Finanzierung von Projekten, bei Aufstellung von Budgets und Wirtschaftlichkeitsberechnungen; b) die Unternehmens- und Organisationsberatung; c) die Beratung bei der Einrichtung von Datenverarbeitungsanlagen und der Erstellung von Programmen, soweit letztere nicht technischen Zwecken dienen. Voraussetzung ist, dass der Versicherungsnehmer oder die von ihm mit diesen Arbeiten betrauten Personen über die besonderen Kenntnisse und Erfahrungen verfügen, um diesen Auftrag sachgerecht durchführen zu können. Auf die elektronische Datenverarbeitung oder die Erstellung von Datenträgern erstreckt sich der Versicherungsschutz nur dann, wenn diese Arbeiten im Zusammenhang mit einer anderen versicherten Tätigkeit erledigt werden. Nicht versichert ist die Empfehlung einer bestimmten Datenverarbeitungsanlage. 8. Durchführung von Lehr- und Vortragsveranstaltungen zur Vorbereitung auf die Steuerberaterprüfung sowie die Prüfung als Wirtschaftsprüfer und vereidigter Buchprüfer und zur Fortbildung
Rz. 60 § 51 BRAO
Berufshaftpflichtversicherung der Mitglieder der Steuerberaterkammern und deren Mitarbeiter. III. Der Versicherungsschutz erstreckt sich im Rahmen von Teil 3, A. Ziffer 4.3 BBR-S auch auf die Tätigkeit –
gemäß InsO, z.B. als (vorläufiger) Insolvenzverwalter, Sonder(insolvenz)verwalter, Gläubigerausschussmitglied, Sachwalter und Treuhänder;
–
als Gesamtvollstreckungsverwalter;
–
als gerichtlich bestellter (vorläufiger) Liquidator oder Abwickler;
–
als Testamentsvollstrecker, Nachlasspfleger, Nachlassverwalter, Vormund, Betreuer, Pfleger, Beistand;
–
als Schiedsrichter, Schiedsgutachter
soweit diese Tätigkeiten nicht überwiegend ausgeübt werden. IV. Der Versicherungsschutz erstreckt sich auch auf die Besorgung sonstiger fremder Rechtsangelegenheiten, soweit die Grenzen der erlaubten Tätigkeit nicht bewusst überschritten werden (vgl. § 5 RDG). V. Nicht versichert sind unternehmerische Tätigkeiten, wie z.B. die über eine steuerliche und wirtschaftliche Beratung hinausgehende Empfehlung wirtschaftlicher Geschäfte, insbesondere von Geldanlagen und Kreditgewährungen, sowie die Tätigkeit als Vorstand, Aufsichtsrat, Beirat, Geschäftsführer oder Leiter von Unternehmungen. VI. Eine gewerbliche Tätigkeit, für die die zuständige Steuerberaterkammer von dem berufsrechtlichen Verbot eine Ausnahme zugelassen hat (§ 57 Abs. 4 Nr. 1, 2. Halbsatz StBerG), kann gesondert versichert werden. Teil 4 Besondere Bedingungen und Risikobeschreibungen für Wirtschaftsprüfer und vereidigte Buchprüfer (BBR-W) A. Besondere Bedingungen 1. Mitversicherung Mitversichert ist ein gemäß § 121 Wirtschaftsprüferordnung bestellter Vertreter während der Dauer eines Berufsverbotes. Diese Mitversicherung besteht in dem Umfange nicht, in dem der Mitversicherte durch eine eigene Versicherung Deckung erhält. 2. Höchstbetrag der Versicherungsleistung § 3 III Nr. 2.1c) erhält folgende Fassung: bezüglich sämtlicher Folgen eines Verstoßes ohne Rücksicht darauf, ob Schäden in einem oder mehreren aufeinander folgenden Jahren entstanden sind. Dabei gilt mehrfaches auf gleicher oder gleichartiger Fehlerquelle beruhendes Tun oder Unterlassen als einheitlicher Verstoß, wenn die betreffenden Angelegenheiten miteinander in rechtlichem oder wirtschaftlichem Zusammenhang stehen. Mit Ausnahme von gesetzlich vorgeschriebenen Pflichtprüfungen ist in diesem Fall die Leistung des Versicherers auf das Fünffache der Mindestversicherungssumme begrenzt. Ist die vereinbarte Versicherungssumme höher als das Fünffache der
gesetzlich vorgeschriebenen Mindestversicherungssumme, tritt der Versicherer mit der vereinbarten Versicherungssumme ein. 3. Jahreshöchstleistung Eine Begrenzung der Höchstleistung des Versicherers für alle Versicherungsfälle eines Versicherungsjahres (Jahreshöchstleistung) kann für den Teil der vereinbarten Versicherungssumme, der die Mindestversicherungssumme übersteigt, vereinbart werden. 4. Bestimmung zum Selbstbehalt Von der Summe, die vom Versicherungsnehmer auf Grund richterlichen Urteils oder eines vom Versicherer genehmigten Anerkenntnisses oder Vergleichs zu bezahlen ist (Haftpflichtsumme), ersetzt der Versicherer von den ersten 5 000 Euro 90 %, vom Mehrbetrag bis 45 000 Euro 97,5 %, vom Mehrbetrag 100 %. Der vom Versicherungsnehmer selbst zu tragende Schaden beträgt in jedem Falle mindestens 250 EUR (Mindestselbstbehalt), höchstens jedoch 1 500 EUR. Abweichend hiervon kann ein höherer Selbstbehalt vereinbart werden. 5. Ausschlüsse 5.1 Haftpflichtansprüche mit Auslandbezug: Der Versicherungsschutz bezieht sich nicht auf Haftpflichtansprüche a) welche vor ausländischen Gerichten geltend gemacht werden; dies gilt auch im Falle eines inländischen Vollstreckungsurteils (§ 722 ZPO); b) aus der Verletzung oder Nichtbeachtung ausländischen Rechts. Der Risikoausschluss gilt jedoch nicht für das europäische Ausland, die Türkei und die Staaten auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion einschließlich Litauen, Lettland und Estland. Eingeschlossen ist die gesetzliche Haftpflicht aus betriebswirtschaftlicher Prüfungstätigkeit in Staaten, die zuvor nicht genannt sind, wenn dem Auftrag zwischen dem Versicherungsnehmer und seinem Auftraggeber nur deutsches Recht zugrundeliegt. Die Leistungspflicht des Versicherers ist in diesen Fällen auf die gesetzlich vorgeschriebene Mindestversicherungssumme beschränkt. Eingeschlossen ist die gesetzliche Haftpflicht aus der geschäftsmäßigen Hilfe in Steuersachen, die das Abgabenrecht von Staaten betrifft, die zuvor nicht genannt sind, wenn dem Auftrag zwischen dem Versicherungsnehmer und seinem Auftraggeber nur deutsches Recht zugrunde liegt. Die Leistungspflicht des Versicherers ist in diesen Fällen auf die gesetzlich vorgeschriebene Mindestversicherungssumme beschränkt. Der zuvor genannte Versicherungsschutz erstreckt sich nicht auf Ansprüche aus der Tätigkeit als Insolvenz-, Konkurs-, Vergleichs- und Nachlassverwalter, als Liquidator, Sequester, Testamentsvollstrecker, Pfleger, Vormund und Treuhänder, als
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§ 51 BRAO Rz. 60 Sachwalter, Gläubigerausschuss- und Gläubigerbeiratsmitglied sowie als Schiedsrichter oder Schiedsgutachter, sofern die Bestellung nach ausländischem Recht erfolgte. 5.2 Veruntreuungsschäden Der Versicherungsschutz bezieht sich nicht auf Haftpflichtansprüche wegen Schäden, welche durch Fehlbeträge bei der Kassenführung, durch Verstöße beim Zahlungsakt oder durch Veruntreuung durch das Personal des Versicherungsnehmers entstehen. 5.3 Haftpflichtansprüche aus unternehmerischem Risiko Der Versicherungsschutz bezieht sich nicht auf Haftpflichtansprüche wegen Schäden, die dadurch entstanden sind, dass a) der Versicherungsnehmer im Bereich eines unternehmerischen Risikos, das sich im Rahmen der Ausübung einer versicherten Tätigkeit ergibt, einen Verstoß begeht, z.B. als Insolvenzverwalter bei der Fortführung eines Unternehmens, als Testamentsvollstrecker, soweit ein gewerbliches Unternehmen zum Nachlass gehört, als Notgeschäftsführer oder als geschäftsführender Treuhänder; b) ein Versicherungsvertrag nicht abgeschlossen oder fortgesetzt wurde, es sei denn, der Versicherungsnehmer beweist, dass von dem Abschluss oder der Fortführung nicht bewusst abgesehen wurde. 6. Meldepflichten des Versicherers Der Versicherer ist verpflichtet, 6.1 der gem. § 54 WPO zuständigen Wirtschaftsprüferkammer den Beginn und die Beendigung oder Kündigung des Versicherungsvertrages sowie jede Änderung des Versicherungsvertrages, die den vorgeschriebenen Versicherungsschutz beeinträchtigt, den Beginn und die Beendigung der Versicherungspflicht in Folge einer Änderung der Form der beruflichen Tätigkeit und den Widerruf einer vorläufigen Deckungszusage unverzüglich anzuzeigen; 6.2 durch eine bestätigte oder durch eine beglaubigte Abschrift des Versicherungsscheins den Nachweis zu erbringen, dass Mitgliedern der WPK, die ihren Beruf in Sozietäten mit Personen ausüben, die selbst nicht Mitglieder der WPK sind, auch bei gesamtschuldnerischer Inanspruchnahme der nach § 54 WPO vorgeschriebene Versicherungsschutz für jeden Versicherungsfall uneingeschränkt zur Verfügung steht (§ 44b WPO). 7. Überschreiten der Pflichtversicherung Soweit die vereinbarte Versicherungssumme den Betrag von einer Million Euro übersteigt oder soweit der Umfang des vereinbarten Versicherungsschutzes über den Umfang des gesetzlich vorgeschriebenen Versicherungsschutzes hinausgeht, gelten die vorstehenden Bedingungen entsprechend, wenn nichts Abweichendes, z.B. durch zusätzliche Vereinbarungen, bestimmt ist. Erweiterungen des Versicherungsschutzes lassen den Umfang des gesetzlich vorgeschriebenen Versicherungsschutzes unberührt.
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Berufshaftpflichtversicherung B. Risikobeschreibungen zur VermögensschadenHaftpflichtversicherung von Wirtschaftsprüfern und vereidigten Buchprüfern I. Der Versicherungsschutz umfasst die Erledigung der beruflichen Aufgaben eines Wirtschaftsprüfers oder vereidigten Buchprüfers gemäß § 2, § 43a Abs. 4 Nr. 8, § 129 WPO, und zwar 1. die Durchführung betriebswirtschaftlicher Prüfungen, insbesondere solcher von Jahresabschlüssen wirtschaftlicher Unternehmen, die Erteilung von Bestätigungsvermerken über die Vornahme und das Ergebnis solcher Prüfungen einschließlich der Aufstellung von Bilanzen und Vermögensübersichten; 2. die Beratung und Vertretung in Steuersachen einschließlich der Hilfestellung in Steuerstrafsachen und bei der Erfüllung von Buchführungspflichten; 3. Tätigkeiten, welche die Beratung und Wahrung fremder Interessen in wirtschaftlichen Angelegenheiten zum Gegenstand haben, z.B.: a) die wirtschaftliche Beratung bei der Gründung, Umwandlung, Sanierung, Auflösung oder bei dem Verkauf von Unternehmen, beim Abschluss von Verträgen; bei der Gründung und Unterhaltung betrieblicher Versorgungseinrichtungen, bei Finanzierung von Projekten; bei Aufstellung von Budgets und Wirtschaftlichkeitsberechnungen. b) die Unternehmens- und Organisationsberatung; c) die Beratung bei der Einrichtung von Datenverarbeitungsanlagen und der Erstellung von Programmen, soweit letztere nicht technischen Zwecken dienen. Voraussetzung ist, dass der Versicherungsnehmer oder die von ihm mit diesen Arbeiten betrauten Personen über die besonderen Kenntnisse und Erfahrungen verfügen, um diesen Auftrag sachgerecht durchführen zu können. Auf die elektronische Datenverarbeitung oder die Erstellung von Datenträgern erstreckt sich der Versicherungsschutz nur dann, wenn diese Arbeiten im Zusammenhang mit einer anderen versicherten Tätigkeit erledigt werden. Nicht versichert ist die Empfehlung einer bestimmten Datenverarbeitungsanlage. d) die Wahrung fremder Interessen als Vermögens-, Haus- und Grundbesitzverwalter, als Betreuer von Kreditsicherheiten, bei Durchführung außergerichtlicher Vergleiche; 4. die Tätigkeit als nicht geschäftsführender Treuhänder, z.B. die treuhänderische Verwaltung auf Grund gesetzlicher oder rechtsgeschäftlicher Treuhänderschaft; 5. die berufsübliche Erstattung von Gutachten einschließlich der Erstellung versicherungsmathematischer Gutachten für die Bildung und Überprüfung von Pensions- und sonstigen Rentenrückstellungen und für die Gründung und Unterhaltung von Pensionskassen und ähn-
Rz. 60 § 51 BRAO
Berufshaftpflichtversicherung lichen Versorgungseinrichtungen, auch soweit dazu elektronische Datenverarbeitungsmaschinen benutzt werden. Voraussetzung ist, dass der Versicherungsnehmer oder die von ihm mit diesen Arbeiten betrauten Personen über die besonderen Kenntnisse und Erfahrungen verfügen, um diesen Auftrag sachgerecht durchführen zu können. II. Eingeschlossen sind in den Versicherungsschutz im Rahmen von Teil 4, A. Ziffer 5.3 BBR-W die Tätigkeiten als 1. Insolvenzverwalter, Sachwalter, gerichtlich bestellter Liquidator, Gläubigerausschussmitglied, Treuhänder gemäß InsO; 2. Testamentsvollstrecker, Nachlasspfleger, Nachlassverwalter, Vormund, Betreuer, Pfleger, Beistand; 3. Schiedsrichter oder Schiedsgutachter. III. Der Versicherungsschutz erstreckt sich auch auf die Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten einschließlich der Rechtsberatung, soweit die durch das RDG gezogenen Grenzen nicht bewusst überschritten werden.
gen eines Sachschadens oder Personenschadens sowie hieraus resultierenden immateriellen Schadens bei Mandatsverhältnissen, die den Schutz der Rechtsgüter des § 253 Abs. 2 BGB zum Gegenstand haben (Schmerzensgeld) von einem Dritten in Anspruch genommen werden. Versicherungsfall ist das Schadenereignis. II. Mitversichert ist die gesetzliche Haftpflicht als Eigentümer, Mieter, Pächter, Nutznießer von Grundstücken, Gebäuden oder Räumlichkeiten, sofern sie ausschließlich für Zwecke des versicherten Berufs benutzt werden. III. Nutzung von Internet-Technologien 1. Abweichend von Teil 1.1 § 1 und § 15 sowie Ziffer I ist ferner mitversichert die gesetzliche Haftpflicht wegen Schäden im Zusammenhang mit der Ausübung der versicherten beruflichen Tätigkeit aus dem Austausch, der Übermittlung und der Bereitstellung elektronischer Daten, z.B. im Internet, per E-mail oder mittels Datenträger, soweit es sich handelt um Schäden aus a) der Löschung, Unterdrückung, Unbrauchbarmachung oder Veränderung von Daten (Datenveränderung) bei Dritten durch Computer-Viren und/oder andere Schadprogramme;
IV. Nicht versichert sind 1. Tätigkeiten, die mit dem Beruf des Wirtschaftsprüfers oder vereidigten Buchprüfers nicht vereinbar sind;
b) der Datenveränderung aus sonstigen Gründen sowie der Nichterfassung und fehlerhaften Speicherung von Daten bei Dritten und zwar wegen
2. die in § 43a Abs. 4 Ziffern 1 bis 5 und Ziffer 7 der WPO genannten Tätigkeiten;
aa) sich daraus ergebender Personen- und Sachschäden, nicht jedoch weiterer Datenveränderungen sowie
3. alle unternehmerischen Tätigkeiten, z.B. als Vorstand, Aufsichtsrat, Beirat, Geschäftsführer oder Leiter von Unternehmungen.
bb) der Kosten zur Wiederherstellung der veränderten Daten bzw. Erfassung/korrekten Speicherung nicht oder fehlerhaft erfasster Daten;
V. Anzeigen und Willenserklärungen zu Verträgen, die von der Versicherungsstelle für das wirtschaftliche Prüfungsund Treuhandwesen in Wiesbaden verwaltet werden, können in Erweiterung des Teil 1 § 11 AVB auch an diese Stelle gerichtet werden.
c) der Störung des Zugangs Dritter zum elektronischen Datenaustausch;
Teil 5 Zusatzvereinbarung zur Bürohaftpflichtversicherung
d) der Verletzung von Persönlichkeitsrechten; insoweit besteht auch Versicherungsschutz für immaterielle Ansprüche, nicht jedoch von Urheberrechten;
Durch entsprechenden Hinweis im Versicherungsschein oder Nachtrag kann für Rechts- und Patentanwälte sowie Steuerberater die Bürohaftpflichtversicherung mitversichert werden. Für vereidigte Buchprüfer und Wirtschaftsprüfer ist die Mitversicherung nur möglich, wenn sie vor der Bestellung gem. WPO bei einer Allianz-Gesellschaft Versicherungsschutz hatten oder die Rechtsanwalts- und Steuerberatersozien/-partner die Bürohaftpflichtversicherung bei einer Allianz-Gesellschaft mitversichert haben. Besondere Bedingung zur Bürohaftpflichtversicherung einschließlich der Nutzung von Internet-Technologien für Rechtsanwälte und Patentanwälte, Steuerberater (sowie vereidigte Buchprüfer und Wirtschaftsprüfer) I. Versichert ist abweichend von Teil 1.1 § 1 die gesetzliche Haftpflicht des Versicherungsnehmers, seiner Sozien/Partner und seiner Mitarbeiter im Zusammenhang mit der Ausübung der versicherten beruflichen Tätigkeit für den Fall, dass sie we-
e) der Verletzung von Namensrechten; insoweit besteht auch Versicherungsschutz für immaterielle Ansprüche. 2. Im Rahmen des versicherten Risikos obliegt es dem Versicherungsnehmer, dass seine auszutauschenden, zu übermittlenden, bereitgestellten Daten durch Sicherheitsmaßnahmen und/ oder -techniken (z.B. Virenscanner, Firewall) gesichert oder geprüft werden bzw. worden sind, die dem Stand der Technik entsprechen. Diese Maßnahmen können auch durch Dritte erfolgen. IV. 1. Die Versicherungssumme für Schäden gem. Ziffern I und 11 beträgt je Schadenereignis für Personenschäden 2 000 000 Euro und für Sachschäden 1 000 000 Euro. 2. Die Versicherungssumme für Schäden gem. Ziffern III 1a–d beträgt 1 000 000 Euro. 3. Die Versicherungssumme für Schäden gem. Ziffer III 1e beträgt 250 000 Euro.
Tauchert/Dahns 783
§ 51a BRAO
Berufshaftpflichtversicherung einer PartG mbH
4. In Fällen von Schäden gem. Ziffer III werden Aufwendungen des Versicherers für Kosten abweichend von Teil 1.1 § 3 III Ziffer 5 als Leistung auf die Versicherungssumme angerechnet. Kosten sind Anwalts-, Sachverständigen-, Zeugenund Gerichtskosten, Aufwendungen zur Abwendung oder Minderung des Schadens bei oder nach Eintritt des Versicherungsfalles sowie Schadenermittlungskosten, auch Reisekosten, die dem Versicherer nicht selbst entstehen; dies gilt auch dann, wenn diese Kosten auf Weisung des Versicherers entstanden sind. 5. Abweichend von § 3 III Ziffer 2 gelten mehrere zeitlich zusammenhängende Schäden aus derselben Ursache als ein Schadenereignis. V. Die Gesamtleistung für alle Schadenereignisse eines Versicherungsjahres wird auf das Zweifache der Versicherungssumme begrenzt. Bei Schadenereignissen gem. Ziffer III stellt die Versicherungssumme zugleich die Höchstleistung für alle Versicherungsfälle eines Versicherungsjahres dar.
VI. Der von dem Versicherungsnehmer allein zu deckende Schaden beträgt in jedem Falle 50 Euro (Festselbstbehalt). VII. In Ergänzung von Teil 1.1 § 4 und § 15 Abs. 2 bezieht sich der Versicherungsschutz nicht auf Haftpflichtansprüche 1. wegen Schäden, die die versicherten Personen durch den Gebrauch eines Kraftfahrzeugs verursachen; 2. von versicherten Personen sowie Angehörigen versicherter Personen; 3. wegen Schäden, die entstehen aus Anlass der Verwaltung von Grundstücken. Insoweit kann gesondert Versicherungsschutz beantragt werden. 4. die in außereuropäischen Staaten und nach dem Recht außereuropäischer Staaten geltend gemacht werden. VIII. Im übrigen gilt Teil 1.1 AVB-RSW sinngemäß, sofern er nicht seines Inhalts wegen unanwendbar ist.
einer Partnerschaftsgesellschaft mit 51a BRAO Berufshaftpflichtversicherung beschränkter Berufshaftung
(1) Die Berufshaftpflichtversicherung einer Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung (§ 8 Absatz 4 des Partnerschaftsgesellschaftsgesetzes) muss die Haftpflichtgefahren für Vermögensschäden decken, die sich aus der Beratung und Vertretung in Rechtsangelegenheiten ergeben. § 51 Absatz 1 Satz 2, Absatz 2, 3 Nummer 2 bis 5 und Absatz 5 bis 7 ist entsprechend anzuwenden. Zuständig ist die Rechtsanwaltskammer am Sitz der Gesellschaft. (2) Die Mindestversicherungssumme beträgt 2 500 000 Euro für jeden Versicherungsfall. Die Leistungen des Versicherers für alle innerhalb eines Versicherungsjahres verursachten Schäden können auf den Betrag der Mindestversicherungssumme, vervielfacht mit der Zahl der Partner, begrenzt werden. Die Jahreshöchstleistung für alle in einem Versicherungsjahr verursachten Schäden muss sich jedoch mindestens auf den vierfachen Betrag der Mindestversicherungssumme belaufen. (3) Das Bundesministerium der Justiz wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates nach Anhörung der Bundesrechtsanwaltskammer die Mindestversicherungssumme anders festzusetzen, wenn dies erforderlich ist, um bei einer Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse einen hinreichenden Schutz der Geschädigten sicherzustellen. A. Normgeschichte . . . . . . . . . . . . I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . II. Hintergrund des Gesetzgebungsvorhabens . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Niederlassungsfreiheit und Rechtsprechung des EuGH . . . . . . . . . . . . 2. Trend zum Rechtsformwechsel in die LLP . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtsformvergleich: LLP und Partnerschaftsgesellschaft . . . . . . . . . b) Entscheidung des BGH vom 19.11.2009 3. Initiativen zum Gesetzgebungsverfahren . B. Die Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung. . . . . . . . I. § 8 Abs. 4 PartGG. . . . . . . . . . . . 1. Haftungsbeschränkung auf das Gesellschaftsvermögen . . . . . . . . . . . . a) Haftungsbeschränkung für Ansprüche aus beruflichen Fehlern . . . . . . . b) Sonstige Verbindlichkeiten . . . . .
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2. Voraussetzungen der Haftungsbeschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Berufshaftpflichtversicherung . . . . b) Namenszusatz . . . . . . . . . . . aa) Allgemein verständliche Abkürzung . . . . . . . . . . . . . . bb) „Part“ oder „PartG“ . . . . . . . cc) Angaben auf Geschäftsbriefen . . dd) Führen des Namenszusatzes . . . 3. Insolvenzantragspflicht gemäß § 15a InsO 4. Steuerliche Behandlung . . . . . . . . C. Die Berufshaftpflichtversicherung der PartG mbB . . . . . . . . . . . . I. § 51a Abs. 1 BRAO . . . . . . . . . II. § 51a Abs. 2 BRAO . . . . . . . . . 1. § 51a Abs. 2 Satz 1 BRAO . . . . . . 2. § 51a Abs. 2 Satz 2 und 3 BRAO . . . III. § 51a Abs. 3 BRAO . . . . . . . . . IV. Interprofessionelle Sozietäten . . . V. Verletzungsfolgen . . . . . . . . .
. . . . . . . .
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Berufshaftpflichtversicherung einer PartG mbH
Rz. 5 § 51a BRAO
A. Normgeschichte I. Einführung Der Bundestag verabschiedete am 13.6.2013 das Gesetz zur Einführung einer Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung und zur Änderung des Berufsrechts der Rechtsanwälte, Patentanwälte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer. Das Gesetz wurde im Bundesgesetzblatt Jahrgang 2013 Teil I Nr. 38, ausgegeben zu Bonn am 18.7.2013, S. 2386 verkündet und trat am 19.7.2013 in Kraft.
1
Seit Inkrafttreten des Gesetzes steht den Freien Berufen die Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung (PartG mbB) als neue Rechtsform für die berufliche Zusammenarbeit zur Verfügung. Anders als bei der herkömmlichen Partnerschaftsgesellschaft, in der die handelnden Partner für berufliche Fehler gesamtschuldnerisch, persönlich neben der Gesellschaft haften, d.h. gemäß § 8 Abs. 1 und Abs. 2 PartGG die Haftung auf den Handelnden konzentriert wird, haftet bei der PartG mbB für Verbindlichkeiten der Partnerschaft aus Schäden wegen fehlerhafter Berufsausübung nur das Gesellschaftsvermögen, wenn die Partnerschaftsgesellschaft zu diesem Zweck eine Berufshaftpflichtversicherung unterhält.
2
II. Hintergrund des Gesetzgebungsvorhabens 1. Niederlassungsfreiheit und Rechtsprechung des EuGH Nach den Entscheidungen des EuGH zur Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften, insbesondere Centros1, Überseering2 und Inspire Art3, sind Gesellschaften, die in anderen Mitgliedsstaaten der EU wirksam gegründet worden sind, in den übrigen Mitgliedsstaaten in der jeweiligen Rechtsform als Gesellschaften ausländischen Rechts anzuerkennen. Demnach können im EU-Ausland gegründete Kapitalgesellschaften entweder, sofern das Gesellschaftsrecht des Gründungsstaates dies zulässt, ihren Verwaltungssitz aus dem Gründungsstaat in einen anderen EU-Mitgliedsstaat verlegen oder eine Zweigniederlassung in einem anderen EU-Mitgliedsstaat errichten und ausschließlich dort ihre Tätigkeit entfalten.4 Dies gilt für gewerblich tätige Gesellschaften, wie für Freiberuflergesellschaften.
3
2. Trend zum Rechtsformwechsel in die LLP In den Jahren vor Inkrafttreten des Gesetzes war zu beobachten, dass viele deutsche Anwaltskanzleien ihre Rechtsform in die der englischen Limited Liability Partnership (LLP) wechselten5, die seit 2001 in Großbritannien zur Verfügung steht6.
4
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung (BT-Drs. 17/10487) sah in dem Wechsel freiberuflicher Gesellschaften in eine ausländische Rechtsform in einem gemeinsamen Markt nichts Vorwerfbares, sondern verstand ihn vielmehr als einen Ausdruck des Wettbewerbs der Systeme. In diesem Trend wurde aber auch ein Regelungsdefizit des deutschen Rechts erkennbar, dem mit der Schaffung der PartG mbB begegnet werden sollte.7 a) Rechtsformvergleich: LLP und Partnerschaftsgesellschaft Der Vorteil der LLP gegenüber deutschen Rechtsformen und insbesondere der herkömmlichen Partnerschaftsgesellschaft besteht in ihrer Haftungsverfassung in Verbindung mit ihrer steuerlichen Behandlung. Sie vereint das Haftungsregime einer Kapitalgesellschaft mit – bei entsprechender gesellschaftsrechtlicher Ausgestaltung – der steuerlichen Behandlung einer Personengesellschaft, d.h. sie ist steuerlich transparent. Das folgt aus der hybriden Gesellschaftsform der LLP8. Auf die LLP ist – was für das Haftungsregime entscheidend ist – das englische Gesellschaftsrecht anwendbar, so dass die members, die Gesellschafter der LLP,
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EuGH, Urt. v. 9.3.1999 – Rs. C-212/97, Slg. 1999, I-1459 – Centros. EuGH, Urt. v. 5.11.2002 – Rs. C-208/00, Slg. 2002, I-9919 – Überseering. EuGH, Urt. v. 30.9.2003 – Rs. C-167/01, Slg. 2003, I-10155 – Inspire Art. Vgl. nur EuGH, Urt. v. 30.9.2003 – Rs. C-167/01, Slg. 2003, I-10155 – Inspire Art, Rz. 95 ff. BT-Drs. 17/10487, S. 11. Limited Liability Partnerships Act 2000. BT-Drs. 17/10487, S. 13–14. BRAK-Mitt. 2009, 22 ff.
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§ 51a BRAO Rz. 6
Berufshaftpflichtversicherung einer PartG mbH
grundsätzlich nur beschränkt auf ihre Einlage haften.1 Das Deliktsstatut einer in Deutschland ansässigen LLP hingegen richtet sich nach deutschem Recht, so dass die members für fahrlässig verursachte Vermögensschäden grundsätzlich nicht haften.2 Das hat zur Folge, dass die members einer in Deutschland tätigen LLP weitgehend vor einer persönlichen Haftung für Verbindlichkeiten aus Ansprüchen wegen beruflicher Fehler sowie einer persönlichen Haftung für sonstige Verbindlichkeiten abgeschirmt werden. Nach dem Doppelbesteuerungsabkommen zwischen Deutschland und Großbritannien ist eine ausschließlich in Deutschland tätige LLP in Deutschland steuerpflichtig.3 Das englische Gesellschaftsrecht räumt den Gründern einer LLP weitgehende Freiheiten hinsichtlich der Gestaltung des Gesellschaftsvertrags ein, so dass eine in Deutschland ansässige LLP, wenn sie nach dem Rechtstypenvergleich der Finanzverwaltung als Personengesellschaft einzuordnen ist, steuerlich auch wie eine deutsche Personengesellschaft zu behandeln ist.4 Sie ist hinsichtlich der Besteuerung transparent und ihre Gesellschafter können den Gewinn mittels Einnahme-ÜberschussRechnung ermitteln. 6
Die herkömmliche Partnerschaftsgesellschaft ist als Personengesellschaft steuerlich transparent. Die Haftungsverfassung der herkömmlichen Partnerschaftsgesellschaft sieht – anders als bei der LLP – aber eine gesamtschuldnerische Haftung der Partner neben dem Vermögen der Gesellschaft für Verbindlichkeiten der Partnerschaft vor, § 8 Abs. 1 PartGG. Allein in Bezug auf die Haftung für berufliche Fehler findet gemäß § 8 Abs. 2 PartGG eine Haftungskonzentration auf den oder die handelnden Partner mit der Folge statt, dass nur sie neben der Partnerschaft für Schadenersatzansprüche wegen Berufsfehlern gesamtschuldnerisch und persönlich haften, wenn ihre Bearbeitungsbeiträge nicht von nur untergeordneter Bedeutung waren. b) Entscheidung des BGH vom 19.11.2009
7
Die Nachteile der Haftungsverfassung der herkömmlichen Partnerschaftsgesellschaft wurden durch die Entscheidung des BGH zur Haftung eines neu in die Partnerschaft eintretenden Partners für vor seinem Eintritt begründete Verbindlichkeiten aus fehlerhafter Berufsausübung verschärft.5 Demnach haftet ein neu eintretender Partner gemäß § 8 Abs. 1 Satz 2 PartGG i.V.m. § 130 HGB auch für vor seinem Beitritt begründete Verbindlichkeiten der Partnerschaftsgesellschaft und zwar auch für solche aus fehlerhafter Berufsausübung, wenn er nach seinem Eintritt mit der Bearbeitung des Auftrags befasst ist und einen Bearbeitungsbeitrag von nicht untergeordneter Bedeutung leistet, selbst wenn er den beruflichen Fehler nicht mehr korrigieren kann. 3. Initiativen zum Gesetzgebungsverfahren
8
Im November 2009 hatten drei deutsche Großkanzleien vor dem Hintergrund des immer häufiger zu beobachtenden Rechtsformwechsels deutscher Kanzleien in die Rechtsform der LLP mit einem Thesenpapier auf den Reformbedarf bei den Haftungsregelungen des Partnerschaftsgesellschaftsgesetzes aufmerksam gemacht.6
9
Die Haftungskonzentration der herkömmlichen Partnerschaft barg gerade für größere Sozietäten, in denen Teams mit der Bearbeitung der Mandate befasst werden, praktische Schwierigkeiten.7 Sowohl die Feststellung welcher Partner mit der Bearbeitung des Auftrags befasst war,8 als auch die Auslegung der Formulierung der „Bearbeitungsbeiträge von untergeordneter Bedeutung“ in § 8 Abs. 2 letzter HS PartGG bereitete Probleme9.
1 Schnittker/Leicht, BB 2010, 2971 (2975). 2 Schnittker, Gesellschafts- und steuerrechtliche Behandlung einer englischen Limited Liability Partnership mit Verwaltungssitz in Deutschland, 2007, S. 106 ff.; anderes gilt für in England ansässige LLPs nach englischem Deliktsrecht: nach dem englischen tort of negligence findet eine deliktische Haftung für Vermögensschäden infolge fahrlässiger Falschberatung statt. 3 Bank, Die britische Limited Liability Partnership: Eine attraktive Organisationsform für Freiberufler?, 2006, S. 362. 4 Schnittker/Leicht, BB 2010, 2971 (2975). 5 BGH, Urt. v. 19.11.2009 – IX ZR 12/09, NJW 2010, 1360–1362. 6 Thesenpapier der Sozietäten Flick Gocke Schaumburg, Gleiss Lutz und Hengeler Mueller v. 25.11.2009. 7 BT-Drs. 17/10487, S. 13. 8 A.A. Henssler, in: Henssler/Prütting, BRAO, 3. Aufl. 2010, § 8 PartGG Rz. 32. 9 Henssler, PartGG, 2. Aufl. 2008, § 8 Rz. 72 ff.; ebenfalls Henssler, in: Henssler/Prütting, BRAO, 3. Aufl. 2010, § 8 PartGG Rz. 37.
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Berufshaftpflichtversicherung einer PartG mbH
Rz. 15 § 51a BRAO
Auf dem 68. Deutschen Juristentag 2010 in Berlin sprach sich die Anwaltschaft mehrheitlich dafür aus, dass der Gesetzgeber prüfen soll – nachdem von Freiberuflern in- und ausländische Gesellschaftsrechtsformen gewählt werden können, bei denen die Haftung auf das Vermögen der Gesellschaft beschränkt ist – ob es sich empfiehlt, auch bei Partnerschaftsgesellschaften die Haftung auf das Vermögen der Gesellschaft zu begrenzen, sofern ein angemessener Berufshaftpflichtversicherungsschutz besteht.1
10
Im Dezember 2010 war der Deutsche Anwaltverein (DAV) mit einem Regelungsvorschlag an die damalige Bundesjustizministerin Frau Leutheusser-Schnarrenberger herangetreten. Im Mai 2011 unterbreitete die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) in einer Stellungnahme2 Gesetzesänderungsvorschläge, die sich sodann im Wesentlichen im Gesetzentwurf der Bundesregierung (BT- Drs. 17/10487) wiederfanden.
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B. Die Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung I. § 8 Abs. 4 PartGG § 8 Abs. 4 PartGG statuiert, dass die Haftung für Verbindlichkeiten aus Schäden wegen fehlerhafter Berufsausübung in der Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung (PartG mbB) auf das Gesellschaftsvermögen begrenzt ist. Als echte Bedingung für die Haftungsbegrenzung legt § 8 Abs. 4 Satz 1 2. HS PartGG fest, dass die PartG mbB eine eigene Berufshaftpflichtversicherung unterhält. Voraussetzung ist somit, dass das jeweilige Berufsrecht eine Regelung zur Berufshaftpflichtversicherung der PartG mbB vorsieht, wie § 51a BRAO für Rechtsanwälte.
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Im Wortlaut des neuen § 8 Abs. 4 PartGG heißt es: 1 Für Verbindlichkeiten der Partnerschaft aus Schäden wegen fehlerhafter Berufsausübung haftet den Gläubigern nur das Gesellschaftsvermögen, wenn die Partnerschaft eine zu diesem Zweck durch Gesetz vorgegebene Berufshaftpflichtversicherung unterhält. 2Für die Berufshaftpflichtversicherung gelten § 113 Absatz 3 und die §§ 114 bis 124 des Versicherungsvertragsgesetzes entsprechend. 3Der Name der Partnerschaft muss den Zusatz „mit beschränkter Berufshaftung“ oder die Abkürzung „mbB“ oder eine andere allgemein verständliche Abkürzung dieser Bezeichnung enthalten; anstelle der Namenszusätze nach § 2 Absatz 1 Satz 1 kann der Name der Partnerschaft mit beschränkter Berufshaftung den Zusatz „Part“ oder „PartG“ enthalten.
1. Haftungsbeschränkung auf das Gesellschaftsvermögen a) Haftungsbeschränkung für Ansprüche aus beruflichen Fehlern Die Haftung ist nur für Ansprüche aus Schäden wegen fehlerhafter Berufsausübung auf das Gesellschaftsvermögen der Partnerschaft begrenzt. Für sonstige Verbindlichkeiten der Partnerschaftsgesellschaft haften die Partner weiterhin persönlich und als Gesamtschuldner.
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Dass sich die Haftungsbeschränkung bei der PartG mbB ausschließlich auf einen von mehreren Verpflichtungsgründen des Gesellschaftszweckes bezieht, ist ein Novum im deutschen Gesellschaftsrecht.3 Eine Differenzierung der Verbindlichkeiten nach bestimmten Verpflichtungsgründen ist dem deutschen Recht grundsätzlich fremd. So haftet bei Kapitalgesellschaften in der Rechtsform der GmbH gemäß § 13 Abs. 2 GmbHG und der AG gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2 AktG für (alle) Verbindlichkeiten der Gesellschaft de lege lata nur das Gesellschaftsvermögen. Und auch bei der KG als Personengesellschaft ist die Haftung des Kommanditisten, soweit er seine Einlage geleistet hat, gegenüber allen Gläubigern der Gesellschaft auf die Höhe seiner Einlage beschränkt.
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b) Sonstige Verbindlichkeiten Die Haftungsbeschränkung umfasst nur Verbindlichkeiten der Partnerschaftsgesellschaft aus Schäden wegen fehlerhafter Berufsausübung. Ausgenommen sind eigene Verbindlichkeiten der Partner, d.h. beispielsweise solche, die die Partner im Rahmen der Mandatsbearbeitung im eigenen Namen neben ihrer beruflichen Tätigkeit in der Partnerschaft eingegangen 1 Verhandlungen des 68. Deutsche Juristentages Berlin 2010, Band II/1, Q74, Beschluss 14 (angenommen 80:18:30). 2 BRAK-Stellungnahme 31/2011. 3 BRAK-Stellungnahme 13/2012, S. 3.
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Berufshaftpflichtversicherung einer PartG mbH
sind oder die in Folge der Geltendmachung deliktischer Schadenersatzansprüche – auch wegen beruflicher Fehler im Rahmen der Mandatsbearbeitung für die Partnerschaft – gegen sie persönlich entstehen.1 16
Nicht erfasst sind ferner alle übrigen Verbindlichkeiten der Partnerschaftsgesellschaft, z.B. aus Arbeits-, Miet-, Leasing- oder anderen schuldrechtlichen Verträgen.2 2. Voraussetzungen der Haftungsbeschränkung a) Berufshaftpflichtversicherung
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Nach § 8 Abs. 4 Satz 1 2. HS PartGG ist Bedingung für die Haftungsbeschränkung, dass die Partnerschaft eine zu diesem Zweck durch Gesetz begründete Berufshaftpflichtversicherung unterhält. Das PartGG begründet demnach die Berufshaftpflichtversicherung nicht selbst. Vielmehr muss in den jeweiligen Berufsrechten, um die Bedingung des Abschlusses und der Aufrechterhaltung einer Berufshaftpflichtversicherung für die jeweilige Berufsgruppe erfüllbar zu machen, eine Regelung speziell zu § 8 Abs. 4 PartGG getroffen werden. Dies ist für die Rechtsanwälte in § 51a BRAO geschehen, in § 45a PAO für die Patentanwälte, in § 67 StBerG für die Steuerberater sowie in § 54 WPO für die Wirtschaftsprüfer. Damit steht den Freien Berufen, die entweder über kein eigenes Berufsrecht verfügen oder in ihrem Berufsrecht keine Regelung zur Berufshaftpflichtversicherung nach § 8 Abs. 4 PartGG getroffen haben, die Rechtsformvariante der PartG mbB nicht offen.3
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Das Tatbestandsmerkmal des „Unterhaltens“ der Berufshaftpflichtversicherung ist dahingehend auszulegen, dass die Versicherung in angemessener Höhe abgeschlossen worden ist und im Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses auch noch besteht.4
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Bei der Anmeldung zum Partnerschaftsregister muss gemäß § 4 Abs. 3 PartGG eine Versicherungsbescheinigung gemäß § 113 Abs. 2 VVG dem Registergericht vorgelegt werden. Die Zuständigkeit des Registergerichts richtet sich nach § 4 Abs. 1 PartGG i.V.m. § 106 HGB analog. § 4 Abs. 3 PartGG hat folgenden Wortlaut: Der Anmeldung einer Partnerschaft mit beschränkter Berufshaftung nach § 8 Absatz 4 muss eine Versicherungsbescheinigung gemäß § 113 Absatz 2 des Gesetzes über den Versicherungsvertrag beigefügt sein.
b) Namenszusatz 20
Neben dem Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung durch die Partnerschaftsgesellschaft muss die Gesellschaft gemäß § 8 Abs. 4 Satz 3 PartGG aus Publizitätsgründen den Namenszusatz „mit beschränkter Berufshaftung“, die Abkürzung „mbB“ oder eine andere allgemein verständliche Abkürzung dieser auf die Haftungsbeschränkung hinweisenden Bezeichnung führen. Der Namenszusatz ist zwar keine echte Bedingung der Haftungsbeschränkung, jedoch hat das Nichtführen dieses Zusatzes nach den Grundsätzen der Rechtsscheinhaftung die persönliche Haftung der Partner zur Folge. aa) Allgemein verständliche Abkürzung
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Als allgemein verständliche Abkürzung wird in § 8 Abs. 4 Satz 3 1. HS PartGG das Kürzel „mbB“ vorgeschlagen. Dieser Vorschlag wurde in der Diskussion um die gesetzliche Ausgestaltung der haftungsbeschränkten Partnerschaft kritisiert, da er in der Öffentlichkeit unbekannt und deswegen gerade nicht allgemein verständlich sei. Vorgeschlagen wurde unter Rückgriff auf § 4 GmbHG daher die Abkürzung „mbH“, die allgemein bekannt und auch nicht irreführend sei, da sie eine Weite der Haftungsbeschränkung suggeriere – nämlich hinsichtlich aller Verbindlichkeiten –, die über die tatsächliche Beschränkung hinausgehe.5 Dem wurde im Regierungsentwurf mit der zutreffenden Erwägung entgegen getreten, dass Gläubiger sonstiger Verbindlichkeiten aufgrund der zu weitgehenden Warnwirkung der Abkürzung „mbH“ gegebenenfalls von der klageweisen Geltendmachung ihrer Ansprüche in der irrigen 1 2 3 4 5
BT-Drs. 17/10487, S. 14. BT-Drs. 17/10487, S. 14. BT-Drs. 17/10487, S. 15. BT-Drs. 17/10487, S. 14. BRAK-Stellungnahme 31/2011, S. 5.
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Berufshaftpflichtversicherung einer PartG mbH
Rz. 27 § 51a BRAO
Annahme absehen könnten, ihre Ansprüche unterlägen der Haftungsbeschränkung. Und dies liefe auf eine Täuschung des Rechtsverkehrs hinaus.1 bb) „Part“ oder „PartG“ Ferner kann gemäß § 8 Abs. 4 Satz 3 2. HS PartGG eine Partnerschaft mit beschränkter Berufshaftung anstelle der Rechtsformzusätze „und Partner“ oder „Partnerschaft“ in Ergänzung zu § 2 Abs. 1 Satz 1 PartG auch die Zusätze „Part“ oder „PartG“ führen. Damit wird es der haftungsbeschränkten Partnerschaft ermöglicht, als „PartG mbB“ oder „Part mbB“ aufzutreten.2
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cc) Angaben auf Geschäftsbriefen Die Pflicht zu Angaben auf Geschäftsbriefen gemäß § 7 Abs. 5 PartGG i.V.m. § 125a Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 HGB erstreckt sich bei der PartG mbB auch auf den auf die Haftungsbeschränkung hinweisenden Namenszusatz.
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Dies stellt § 7 Abs. 5 PartGG klar: Für die Angabe auf Geschäftsbriefen der Partnerschaft ist § 125a Absatz 1 Satz 1, Absatz 2 des Handelsgesetzbuchs mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass bei einer Partnerschaft mit beschränkter Berufshaftung auch der von dieser gewählte Namenszusatz im Sinne des § 8 Absatz 4 Satz 3 anzugeben ist.
dd) Führen des Namenszusatzes Wird der auf die Haftungsbegrenzung hinweisende Namenszusatz nicht im Zeitpunkt der Begründung des Mandatsverhältnisses geführt, haften die handelnden Partner nach den Grundsätzen der Rechtsscheinhaftung gesamtschuldnerisch und persönlich neben dem Vermögen der Partnerschaft für berufliche Fehler, auch wenn die PartG mbB als solche richtiggehend im Partnerschaftsregister eingetragen ist.
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Der Wegfall der Haftungsbegrenzung trotz Eintragung ins Partnerschaftsregister ergibt sich aus der schwachen Publizitätswirkung des Partnerschaftsregisters. So haftet nach den Grundsätzen der sogenannten „Scheinpartnerschaft“ derjenige, der im Rechtsverkehr als Partner auftritt, ohne Partner zu sein, persönlich, auch wenn im Partnerschaftsregister die Partner namentlich eingetragen sind.3 Dem „Scheinpartner“ ist es verwehrt, sich auf die fehlende Eintragung im Partnerschaftsregister zu berufen. Er kann im Rahmen der Rechtsscheinhaftung von redlichen Gläubigern analog § 8 Abs. 1 und 2 PartGG in Anspruch genommen werden.4
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3. Insolvenzantragspflicht gemäß § 15a InsO Die PartG mbB unterliegt nicht der Insolvenzantragspflicht gemäß § 15a InsO5. Bei der PartG mbB handelt es sich nicht um eine „Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit, bei der kein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist“, § 15a Abs. 1 Satz 2 InsO, da die Partner für sonstige Verbindlichkeiten jenseits der Ansprüche aus Schäden wegen beruflicher Fehler unbegrenzt persönlich haften. Dies wird durch den nach § 8 Abs. 4 Satz 3 PartGG aus Publizitätsgründen zu führenden Namenszusatz „mit beschränkter Berufshaftung“ deutlich.6
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4. Steuerliche Behandlung Die PartG mbB stellt eine Mischform dar, in der Merkmale einer Personengesellschaft mit denen einer Kapitalgesellschaft verbunden werden. Zum einen haften die Partner persönlich für sonstige Verbindlichkeiten, zum anderen ist die Haftung für Verbindlichkeiten aus Schäden wegen beruflicher Fehler auf das Gesellschaftsvermögen beschränkt. Dennoch ist sie 1 2 3 4
BT-Drs. 17/10487, S. 14. BT-Drs. 17/10487, S. 14. OLG München, NJW-RR 2001, 1358–1361 Tz. 60. So auch Henssler, in: Henssler/Prütting, BRAO, 3. Aufl. 2010, § 8 PartGG Rz. 17 und in: Henssler, PartGG, 2. Aufl. 2008, § 8 PartGG Rz. 44 ff. m.w.N.; Kopp, in: Henssler/Streck, Handbuch Sozietätsrecht, 2. Aufl. 2011, C Rz. 215; Feuerich, in: Feuerich/Weyland, BRAO, 7. Aufl. 2008, § 8 PartGG Rz. 7. 5 BT-Drs. 17/10487, S. 14. 6 BRAK-Stellungnahme 13/2012, S. 5 f.
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§ 51a BRAO Rz. 28
Berufshaftpflichtversicherung einer PartG mbH
Personengesellschaft, die nicht der Körperschaftssteuerpflicht gemäß §§ 1 ff. KStG unterliegt. 28
Die PartG mbB ist ferner kein einkommenssteuerpflichtiges Steuersubjekt. Sie ist einkommensteuerrechtlich transparent, so dass die Partner den durch die PartG mbB erzielten Gewinn als Einkünfte aus selbständiger Arbeit nach § 18 EStG gemäß ihrem persönlichen Steuersatz zu versteuern haben.
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Als Freiberuflergesellschaft unterliegt sie auch nicht der Gewerbesteuerpflicht. Da sie nicht Kapitalgesellschaft ist, ist sie auch nicht qua Rechtsform gewerbesteuerpflichtig. C. Die Berufshaftpflichtversicherung der PartG mbB
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Voraussetzung für die Haftungsbegrenzung nach § 8 Abs. 4 PartGG ist, dass die Partnerschaftsgesellschaft eine durch Gesetz begründete Berufshaftpflichtversicherung unterhält. Danach ist es dem Berufsrecht des jeweiligen Freien Berufs vorbehalten, eine entsprechende Regelung zu treffen, um die Berufshaftpflichtversicherung zu begründen.1
31
Für Rechtsanwälte wurde mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Einführung einer Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung und zur Änderung des Berufsrechts der Rechtsanwälte, Patentanwälte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer am 19.07.2013 die in § 8 Abs. 4 Satz 1 PartGG geforderte Regelung für eine Berufshaftpflichtversicherung der PartG mbB von Rechtsanwälten in § 51a BRAO getroffen. Zugleich erfolgte eine diesbezügliche Regelung in § 45a PAO für Patentanwälte, in § 67 StBerG i.V.m. §§ 51, 52 DVStB für Steuerberater und in § 54 WPO für Wirtschaftsprüfer. I. § 51a Abs. 1 BRAO
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§ 51a Abs. 1 Satz 1 BRAO begründet unter ausdrücklicher Bezugnahme auf § 8 Abs. 4 PartGG die Berufshaftpflichtversicherung, die Bedingung für die Haftungsbeschränkung in der PartG mbB ist, und eröffnet damit den Rechtsanwälten, von der Rechtsformvariante der Partnerschaftsgesellschaft Gebrauch machen zu können.
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§ 51a Abs. 1 Satz 2 BRAO verweist auf die Vorschriften in § 51 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2, 3 Nr. 2 bis 5 und Abs. 5 bis 7 BRAO, die Regelungen zur Berufshaftpflichtversicherung des Einzelanwalts enthalten.
34
Gemäß § 51a Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 51 Abs. 1 Satz 2 BRAO muss die Versicherung bei einem im Inland zum Geschäftsbetrieb befugten Versicherungsunternehmen zu den nach Maßgabe des VVG eingereichten AVB abgeschlossen werden und sich auch auf solche Vermögensschäden erstrecken, für die der Rechtsanwalt nach § 278 BGB oder § 831 BGB einzustehen hat.
35
Nach § 51a Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 51 Abs. 2 BRAO hat der Versicherungsvertrag Versicherungsschutz für jede einzelne Pflichtverletzung zu gewähren, die gesetzliche Haftpflichtansprüche privatrechtlichen Inhalts gegen die PartG mbB zur Folge haben könnte. Diesbezüglich besteht die Möglichkeit, zu vereinbaren, dass sämtliche Pflichtverletzungen bei Erledigung eines einheitlichen Auftrags als ein Versicherungsfall anzusehen sind.
36
Nach § 51a Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 51 Abs. 5 BRAO ist die Vereinbarung eines Selbstbehalts in Höhe von bis zu 25 000 Euro zulässig.
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Gemäß § 51a Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 51 Abs. 3 Nr. 2 bis 5 BRAO kann die Haftung ausgeschlossen werden für Ersatzansprüche aus Tätigkeiten über in anderen Staaten eingerichtete oder unterhaltene Kanzleien oder Büros, für Ersatzansprüche aus Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Beratung und Beschäftigung mit außereuropäischem Recht, für Ersatzansprüche aus Tätigkeiten der PartG mbB vor außereuropäischen Gerichten oder für Ersatzansprüche wegen Veruntreuung durch Personal, Angehörige oder Partner der haftungsbeschränkten Partnerschaft.
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Auf Empfehlung des Rechtsausschusses ist ein Verweis auf § 51a Abs. 3 Nr. 1 BRAO entfallen. Nach § 51a Abs. 3 Nr. 1 BRAO kann der Versicherungsschutz für Ersatzansprüche wegen wissentlicher Pflichtverletzung ausgeschlossen werden. Der Rechtsausschuss des Bundestages hatte in seiner Beschlussempfehlung zum Regierungsentwurf (BT-Drs. 17/13944) den Wegfall dieses Ausschlussgrundes dogmatisch unsauber begründet. Nach Ansicht des 1 BT-Drs. 17/10487, S. 15.
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Berufshaftpflichtversicherung einer PartG mbH
Rz. 42 § 51a BRAO
Rechtsausschusses würde im Falle eines Leistungsausschlusses nach § 51a Abs. 3 Nr. 1 BRAO eine Schutzlücke drohen, wenn bei einem wissentlichen Berufsfehler der Geschädigte auf das Gesellschaftsvermögen beschränkt oder auf deliktische Ansprüche gegen den Handelnden angewiesen wäre. Der Ersatz im Rahmen der deliktischen Haftung erfordere, so die Begründung des Rechtsausschusses, dass sich der Vorsatz sowohl auf die Handlung als auch auf den Schaden erstreckt, so dass in Konstellationen, in denen nicht nachweisbar sei, dass der Schaden vom Vorsatz umfasst gewesen sei, ein deliktischer Anspruch gegen den Handelnden ausscheiden würde.1 Diese Begründung überzeugt nicht. Denn es ist rechtsdogmatisch anerkannt, dass sich der Vorsatz im Deliktsrecht nur auf den haftungsbegründenden und nicht auf den haftungsausfüllenden Tatbestand, d.h. nicht auch auf den Schaden, erstrecken muss.2 Problematisch könnte indessen vielmehr sein, dass das Vermögen nicht als sonstiges Recht im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB geschützt ist und dies im Einzelfall zu Schutzlücken führt. Daher ist dem Rechtsausschuss im Ergebnis zuzustimmen. Allerdings wird im Falle der vorsätzlichen Herbeiführung des Schadens der Versicherer von der Leistungspflicht nach § 103 VVG frei, wenn der Versicherungsnehmer vorsätzlich und widerrechtlich den bei dem Dritten eingetretenen Schaden herbeigeführt hat. § 51a Abs. 1 Satz 3 BRAO legt fest, welche Rechtsanwaltskammer örtlich zuständige Rechtsanwaltskammer im Sinne des § 51 Abs. 6 und 7 BRAO ist. Örtlich zuständig ist die Rechtsanwaltskammer am Sitz der Partnerschaft. Sitz der Partnerschaftsgesellschaft ist – in Anlehnung an das Recht der OHG3 – der tatsächliche Verwaltungssitz der Gesellschaft, d.h. der Ort, von dem aus die Geschäfte der Gesellschaft geführt werden.4
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Gemäß § 51a Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 51 Abs. 6 und 7 BRAO hat der Versicherer der zuständigen Rechtsanwaltskammer den Beginn und die Beendigung oder Kündigung des Versicherungsvertrages sowie jede Änderung des Versicherungsvertrages, die den vorgeschriebenen Versicherungsschutz beeinträchtigt, unverzüglich mitzuteilen. Die zuständige Rechtsanwaltskammer ist zudem „zuständige Stelle“ i.S.d. § 117 Abs. 2 VVG. Ferner erteilt die zuständige Rechtsanwaltskammer Dritten zur Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen auf Antrag Auskunft über den Namen und die Adresse der Berufshaftpflichtversicherung der PartG mbB sowie die Versicherungsnummer, soweit die Gesellschaft kein überwiegendes schutzwürdiges Interesse an der Nichterteilung der Auskunft geltend machen kann.
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Durch § 4 Abs. 3 PartGG und § 51a Abs. 1 Satz 2 und 3 BRAO wird sichergestellt, dass die PartG mbB ab Eintragung in das Partnerschaftsregister eine Berufshaftpflichtversicherung im nach § 51a Abs. 2 BRAO geforderten Umfang tatsächlich unterhält. Bei der Anmeldung der PartG mbB zum Partnerschaftsregister muss gemäß § 4 Abs. 3 PartGG eine Versicherungsbescheinigung nach § 113 Abs. 2 VVG dem zuständigen Registergericht vorgelegt werden. Die zuständige Rechtsanwaltskammer ist durch das Registergericht gemäß § 6 Partnerschaftsregisterverordnung (PRV) über die Eintragung zu unterrichten. In der Folge hat der Berufshaftpflichtversicherer gemäß § 51a Abs. 1 Satz 1 und 2 BRAO i.V.m. § 51 Abs. 6 BRAO die Pflicht, der für den Sitz der PartG mbB örtlich zuständigen Rechtsanwaltskammer den Beginn und die Beendigung oder Kündigung des Versicherungsvertrages sowie jede Änderung des Versicherungsvertrages, die den vorgeschriebenen Versicherungsschutz beeinträchtigt, unverzüglich mitzuteilen.
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§ 8 Abs. 4 Satz 2 PartGG stellt klar, dass § 113 Abs. 3 VVG sowie die §§ 114 bis 124 VVG für die Berufshaftpflichtversicherung lediglich entsprechend anzuwenden sind. Gleiches muss für den Verweis in § 4 Abs. 3 PartGG auf § 113 Abs. 2 VVG sowie in § 51a Abs. 1 Satz 2 BRAO auf § 51 Abs. 7 BRAO auf § 117 Abs. 2 VVG gelten. Denn bei der Berufshaftpflichtversicherung, die nach § 8 Abs. 4 PartGG zum Zwecke der Haftungsbegrenzung abzuschließen ist, handelt es sich um eine freiwillige Versicherung5, während die §§ 113 ff. VVG die Pflichtversicherung zum Regelungsgegenstand haben. Durch die entsprechende Anwendbarkeit der §§ 113 ff. VVG, insbesondere des § 117 Abs. 1 VVG, wird sichergestellt, dass der Anspruch des geschädigten Dritten gegen den Versicherer auch dann besteht, wenn der Versicherer im Innenverhältnis gegenüber der PartG mbB von seiner Leistung frei geworden ist, z.B. weil
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1 BT-Drs. 17/13944, S. 21. 2 Schaub, in: Prütting/Wegen/Weinreich, BGB Kommentar, 8. Aufl. 2013, § 823 BGB Rz. 19; Grüneberg, in: Palandt, BGB, 72. Aufl. 2013, Vorb v § 249 BGB Rz. 24. 3 BGH, BB 1957, 799; Steitz, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 2011, § 106 HGB Rz. 13. 4 Henssler, in: Henssler/Prütting, BRAO, 3. Aufl. 2010, § 3 PartGG Rz. 7; Feuerich, in: Feuerich/Weyland, BRAO, 7. Aufl. 2008, § 3 PartGG Rz. 7; Kopp, in: Henssler/Streck, Handbuch Sozietätsrecht, 2. Aufl. 2011, C Rz. 60; a.A. Hirtz, in: Henssler/Strohn, § 3 PartGG Rz. 9. 5 BT-Drs. 17/10487, S. 14; BT-Drs. 17/13944, S. 20.
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§ 51a BRAO Rz. 43
Berufshaftpflichtversicherung einer PartG mbH
die PartG mbB mit der Prämienzahlung in Verzug ist oder eine gegenüber dem Versicherer bestehende Obliegenheit verletzt hat (sog. fiktiver Deckungsanspruch des Geschädigten).1 Befriedigt der Versicherer den Geschädigten, geht die Forderung des Geschädigten gegen die PartG mbB auf den Versicherer im Rahmen des gesetzlichen Forderungsübergangs nach § 117 Abs. 5 VVG über. 43
Die Einordnung der Berufshaftpflichtversicherung nach § 8 Abs. 4 PartGG als freiwillige Versicherung ist auch rechtlich konsistent, denn ein Entfallen der Berufshaftpflichtversicherung nach § 8 Abs. 4 PartGG führt, anders als beim Einzelrechtsanwalt und der Rechtsanwaltsgesellschaft, nicht zum Widerruf der Zulassung gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 9 bzw. § 59h Abs. 3 Satz 1 BRAO, sondern lediglich zum Verlust der Haftungsbeschränkung auf das Vermögen der Partnerschaftsgesellschaft und somit zum Aufleben der persönlichen Haftung der (handelnden) Partner, die ihrerseits verpflichtet sind, eine Berufshaftpflichtversicherung zu unterhalten, § 51 BRAO.
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Aufgrund der beschriebenen Rechtsfolge beim Entfallen der Berufshaftpflichtversicherung, d.h. dem Aufleben der persönlichen Haftung der (handelnden) Partner, deren Handeln gemäß § 51 BRAO ihrerseits durch eine Berufshaftpflichtversicherung gedeckt ist, lässt das Bedürfnis für eine Nachhaftung gemäß § 117 Abs. 2 VVG, auf den gemäß § 51a Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 51 Abs. 7 BRAO verwiesen wird, fraglich erscheinen. Aus Gesichtspunkten des Verbraucherschutzes ist die entsprechende Anwendung des § 117 Abs. 2 VVG indes nicht zu beanstanden, zumal der Versicherungsschutz nach § 51a Abs. 2 BRAO den des Einzelrechtsanwalts um das zehnfache übersteigt.
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Gemäß § 8 Abs. 4 Satz 2 PartGG i.V.m. § 115 VVG kann der Geschädigte seinen Schadenersatzanspruch gegen die PartG mbB wegen fehlerhafter Berufsausübung auch als Direktanspruch gegen den Versicherer geltend machen, wenn über das Vermögen der PartG mbB das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, § 11 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 27 InsO, oder der Eröffnungsantrag mangels Masse abgewiesen worden ist, § 26 InsO, oder ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt worden ist, §§ 21 Abs. 2 Nr. 1, 56 InsO, oder wenn „der Aufenthalt des Versicherungsnehmers“, d.h. der Sitz der Gesellschaft, unbekannt ist. II. § 51a Abs. 2 BRAO
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§ 51a Abs. 2 BRAO legt fest, in welchem Umfang die PartG mbB Versicherungsschutz zu unterhalten verpflichtet ist. Der Regelungsgehalt des § 51a Abs. 2 BRAO entspricht dem des § 59j Abs. 2 BRAO, der den Umfang des von Rechtsanwaltsgesellschaften zu gewährleistenden Versicherungsschutzes regelt. 1. § 51a Abs. 2 Satz 1 BRAO
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Gemäß § 51a Abs. 2 Satz 1 BRAO hat die PartG mbB für jeden Versicherungsfall Versicherungsschutz in Höhe einer Mindestversicherungssumme von 2,5 Mio. Euro bereitzustellen. Der Versicherungsschutz der PartG mbB ist damit gegenüber dem Versicherungsschutz, den der einzelne Rechtsanwalt gemäß § 51 BRAO bereitzustellen hat, um das zehnfache erhöht. Für den Einzelrechtsanwalt beträgt die Mindestversicherungssumme pro Versicherungsfall 250 000 Euro. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung begründet die erhöhte Mindestversicherungssumme unter Verweis auf eine Entscheidung des BVerfG vom 22.2.20012 zu § 59j BRAO mit dem Schutz der Rechtssuchenden gegen schadenverursachendes Handeln der Rechtsanwälte und mit dem Ausgleich für die fehlende persönliche Haftung der Partner.3
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Die Regelung zur Berufshaftpflichtversicherung der Rechtsanwaltsgesellschaften hatte das BVerfG für verfassungsgemäß erachtet. In dem Umstand, dass Steuerberatungsgesellschaften wie auch Wirtschaftsprüfungsgesellschaften eine Berufshaftpflichtversicherung unterhalten müssen, die gegenüber der des einzelnen Steuerberaters (vgl. §§ 67, 72 Abs. 1 StBerG i.V.m. § 52 Abs. 1 und 3 DVStB) oder des einzelnen Wirtschaftsprüfers (vgl. § 54 Abs. 1 WPO i.V.m. § 323 Abs. 2 HGB) nicht erhöht ist, erkannte das BVerfG keinen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz in Art. 3 Abs. 1 GG. Die Differenzierung rechtfertige sich allein schon durch die unterschiedliche berufliche Tätigkeit der Berufsgruppen, so das 1 Huber, in: Schwintowski/Brömmelmeyer, Praxiskommentar zum Versicherungsvertragsrecht, 2. Aufl. 2011, § 117 VVG Rz. 3; BT-Drs. 17/13944, S. 20. 2 BVerfG, Beschl. v. 22.2.2001 – 1 BvR 337/00, NJW 2001, 1560–1561. 3 BT-Drs. 17/10487, S. 15.
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Berufshaftpflichtversicherung einer PartG mbH
Rz. 52 § 51a BRAO
BVerfG.1 Ferner stelle die fehlende persönliche Haftung der Gesellschafter einer Rechtsanwaltsgesellschaft einen gravierenden Unterschied zur persönlichen Haftung des einzelnen Rechtsanwalts dar, der sich nicht mit dem Einwand entkräften lasse, der persönlich Haftende besitze häufig nur geringes Privatvermögen. Denn persönliche Haftung bedeute mehr. Das Bewusstsein, persönlich zu haften, führe, so das BVerfG, nach allgemeiner Lebenserfahrung zu einer veränderten Risikoabschätzung und einem veränderten geschäftlichen Verhalten, das im Regelfall dem Mandanten zugutekomme. Wer sich als Person nicht hinter die Rechtsform zurückziehen könne, setze seine berufliche Reputation und seine wirtschaftliche Zukunft aufs Spiel. Es gibt gute Argumente, die zumindest Zweifel an der Rechtsansicht des BVerfG und an der gegenüber dem Einzelanwalt erhöhten Berufshaftpflichtversicherung der Rechtsanwaltsgesellschaft rechtfertigen. Die Rechtsanwaltsgesellschaft wird gemäß § 59c Abs. 1 BRAO zur Rechtsanwaltschaft zugelassen und ist als juristische Person – wie auch der Einzelanwalt als natürliche Person – Träger berufsrechtlicher Rechte und Pflichten. Gemäß § 59m Abs. 2 BRAO gelten sinngemäß die Vorschriften der §§ 43 bis 43b, 44, 48, 49a bis 50, 51a Abs. 1, § 56 Abs. 1 und 2 sowie die §§ 57 bis 59 BRAO. Die Rechtsanwaltsgesellschaft ist daher wie der Einzelrechtsanwalt gemäß § 43 Satz 1 BRAO zur gewissenhaften Berufsausübung verpflichtet. Es dürfte nicht belegbar sein, dass ein Zusammenschluss von regelmäßig mehreren Rechtsanwälten zur gemeinsamen Berufsausübung in einer Rechtsanwaltsgesellschaft bzw. nunmehr in einer PartG mbB zu einer Verminderung der Qualität anwaltlicher Leistungen führt. Jedenfalls übersteigt im Regelfall – trotz der hypothetischen Gefahr der Verringerung der anwaltlichen Sorgfalt wegen des Wegfalls der persönlichen Haftung – eine Verzehnfachung der Mindestversicherungssumme das reale Sicherungsinteresse der Mandantschaft bei weitem und ist daher unangemessen.2
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2. § 51a Abs. 2 Satz 2 und 3 BRAO Gemäß § 51a Abs. 2 Satz 2 BRAO können die Leistungen des Versicherers für alle innerhalb eines Versicherungsjahres verursachten Schäden auf den Betrag der Mindestversicherungssumme maximiert mit der Anzahl der Partner begrenzt werden. Die Jahreshöchstleistung des Versicherers muss sich jedoch mindestens auf den vierfachen Betrag der Mindestversicherungssumme, mithin 10 Mio. Euro, belaufen.
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Der Wortlaut, der nahezu dem des § 59j Abs. 2 Satz 2 BRAO gleicht, weicht insofern von diesem ab, als dass er die „Geschäftsführer, die nicht Partner sind,“ nicht in den Multiplikator für die Ermittlung der Jahreshöchstleistung des Versicherers einbezieht. Grund hierfür ist, dass für die Partnerschaftsgesellschaft als Personengesellschaft der Grundsatz der Selbstorganschaft Anwendung findet. Regelmäßig sind die Geschäftsführer der PartG mbB auch deren Partner.3 Die Verwendung des Begriffs würde ferner zu einem dogmatischen Bruch führen, da Geschäftsführer, die nicht Partner sind, qua ihrer Tätigkeit schon keine beruflichen Fehler begehen.4 Sie führen zwar die Geschäfte der Gesellschaft, aber nicht deren berufliche Tätigkeiten aus, und verantworten daher allein den Umgang mit den sonstigen Verbindlichkeiten der Gesellschaft, können aber keine Schadenersatzansprüche aus beruflichem Fehlverhalten begründen. Durch die Berufshaftpflichtversicherung der PartG mbB sollen aber allein Schadenersatzansprüche aus fehlerhafter Berufsausübung und gerade nicht sonstige Verbindlichkeiten abgedeckt werden.
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Die in § 51a Abs. 2 Satz 2 BRAO vorgesehene Regelung, die Jahreshöchstleistung des Versicherers durch die Mindestversicherungssumme vervielfacht mit der Anzahl der Partner begrenzen zu können, birgt allerdings die Gefahr der Unwirtschaftlichkeit der PartG mbB. Hierdurch droht der Gesetzeszweck hinter der Schaffung der PartG mbB, eine attraktive
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1 Zustimmend Henssler, in: Henssler/Prütting, BRAO, 3. Aufl. 2010, § 59j BRAO Rz. 3; Feuerich, in: Feuerich/ Weyland, BRAO, 7. Aufl. 2008, § 59j BRAO Rz. 3; Kleine-Cosack, BRAO, 6. Aufl. 2009, § 59j BRAO Rz. 4; kritisch Römermann, in: Hartung/Römermann, Berufs- und Fachanwaltsordnung, 4. Aufl. 2008, § 59j BRAO Rz. 8. 2 So noch die Begründung des Referentenentwurfs des BMJ, S. 12, 18–19, zum nicht mehr im Regierungsentwurf enthaltenen Vorschlag, es auch Rechtsanwälten zu ermöglichen, die Haftung auch für grobe Fahrlässigkeit durch AGB auf den vierfachen Betrag der Mindestversicherungssumme zu begrenzen; Henssler, in: Henssler/Prütting, BRAO, 3. Aufl. 2010, § 59j BRAO Rz. 2; Zuck, Anwalts-GmbH, 1999, § 59j BRAO Rz. 26; Römermann, in: Hartung/Römermann, Berufs- und Fachanwaltsordnung, 4. Aufl. 2008, § 59j BRAO Rz. 8; Kleine-Cosack, BRAO, 6. Aufl. 2009, § 59j BRAO Rz. 4. 3 BT-Drs. 17/10487, S. 15. 4 BRAK-Stellungnahme 13/2012, S. 4.
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§ 51a BRAO Rz. 53
Berufshaftpflichtversicherung einer PartG mbH
deutsche Rechtsform der LLP entgegenzusetzen, unterlaufen zu werden. Der Wortlaut des § 51a Abs. 2 Satz 2 BRAO entspricht nahezu dem Wortlaut des § 59j Abs. 2 Satz 2 BRAO, der die Regelung zur Begrenzung der Jahreshöchstleistung bei der Rechtsanwaltsgesellschaft enthält. PartG mbB und Rechtsanwaltsgesellschaft sind indes nicht vergleichbar. Zum 1.1. 2013 gab es 586 Rechtsanwaltsgesellschaften in der Rechtsform der GmbH im gesamten Bundesgebiet.1 Rechtsanwaltsgesellschaften in der Rechtsform der GmbH haben im Durchschnitt eine Größe von maximal zehn Gesellschaftern inklusive Geschäftsführern. Zum 1.1. 2013 gab es 3 224 eingetragene Partnerschaftsgesellschaften in Deutschland2, die demgegenüber zum Teil bis zu 100 oder mehr Partner haben. Partnerschaften in dieser Größenordnung müssten nach § 51a Abs. 2 BRAO Versicherungsschutz in dreistelliger Millionenhöhe pro Jahr gewährleisten, was nach Aussage des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (GDV)3 versicherungstechnisch einer unbeschränkten Maximierung der Jahreshöchstleistung gleichkäme. Falls überhaupt ein Berufshaftpflichtversicherer eine Versicherung in diesem Umfang anzubieten bereit sei, würde sich dies treibend auf die Höhe der Versicherungsprämien auch in der Breite auswirken, so der GDV. Demnach würden sich auch für kleinere PartG mbB die Prämien entsprechend erhöhen. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung ging dabei bereits von einer Verteuerung der Prämien für den einzelnen Rechtsanwalt als Partner einer PartG mbB um das dreifache aus, wobei dieser Angabe nur eine auf einer vagen Schätzung basierende Rechnung zugrunde gelegt wurde.4 53
Um die Attraktivität der PartG mbB für die deutsche Anwaltschaft zu stärken und eine Haftungsbeschränkung zu wirtschaftlich sinnvollen Konditionen zu ermöglichen, forderten die BRAK5, der GDV6 und die Bundessteuerberaterkammer (BStBK)7 im Gesetzgebungsvorhaben neben der vorgesehenen relativen Begrenzung der Jahreshöchstleistung nach § 51a Abs. 2 Satz 2 BRAO durch Maximierung der Mindestversicherungssumme mit der Anzahl der Partner, eine Deckelung der Jahreshöchstleistung auf das Zehnfache der Mindestversicherungssumme im Gesetz zu verankern. Die BRAK regte in ihrer Stellungnahme folgenden Wortlaut für § 51a Abs. 2 Satz 2 und 3 BRAO an: „Die Leistungen des Versicherers für alle innerhalb eines Versicherungsjahres verursachten Schäden können auf den Betrag der Mindestversicherungssumme vervielfacht mit der Anzahl der Partner begrenzt werden. Die Jahreshöchstleistung für alle in einem Versicherungsjahr verursachten Schäden kann auf den zehnfachen Betrag der Mindestversicherungssumme begrenzt werden, muss sich jedoch mindestens auf den vierfachen Betrag der Mindestversicherungssumme belaufen.“
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Mit dieser Regelung hätte sichergestellt werden können, dass für jede PartG mbB, auch wenn sie nur aus zwei oder drei Partnern besteht, Versicherungsschutz für mindestens vier Schäden in der Größenordnung von 2,5 Mio. Euro respektive insgesamt in Höhe von 10 Mio. Euro pro Versicherungsjahr besteht. Bei PartG mbB mit mehr als zehn Partnern hätte die Jahreshöchstleistung auf zehn Schäden mit einem Schadensumfang von 2,5 Mio. Euro respektive 25 Mio. Euro beschränkt werden können, aber nicht müssen.
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Somit wäre sowohl die Attraktivität der neuen PartG mbB gesteigert als auch dem Sicherungsinteresse der Mandanten entsprochen worden. Die Möglichkeit der Deckelung der Jahreshöchstleistung hätte prämientechnisch zu einer leichteren Kalkulierbarkeit für die Berufshaftpflichtversicherer führen und sich daher mittelbar auch auf die Prämienhöhe auswirken können.8 Ferner wäre dem realen Sicherungsbedürfnis der Rechtssuchenden mit einer Mindestversicherungssumme von 2,5 Mio. Euro pro Versicherungsfall sowie einem jährlichen Versicherungsschutz von mindestens 10 Mio. Euro bis zu 25 Mio. Euro entsprochen worden.9
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Die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung trat dieser Forderung jedoch mit dem Argument entgegen, dass eine den Versicherungsschutz einschränkende Deckelung nicht erforderlich ist. Mehrere zugelassene Rechtsanwaltsgesellschaften mit 50 bis 60 Gesell1 2 3 4 5 6 7 8 9
Große Mitgliederstatistik der BRAK zum 1.1.2013. Große Mitgliederstatistik der BRAK zum 1.1.2013. Stellungnahme des GDV v. 3.2.2012, S. 5 ff. BT-Drs. 17/10487, S. 12. BRAK-Stellungnahme 13/2012, S. 5. Stellungnahme des GDV v. 3.2.2012, S. 8–9. Stellungnahme der BStBK v. 14.3.2012, S. 3. Stellungnahme des GDV v. 3.2.2012, S. 9. Kleine-Cosack, BRAO, 6. Aufl. 2009, § 59j BRAO Rz. 4; 1 Mio. Euro pro Versicherungsfall wollen ausreichen lassen Henssler, in: Henssler/Prütting, BRAO, 3. Aufl. 2010, § 59j BRAO Rz. 2; Zuck, Anwalts-GmbH, 1999, § 59j BRAO Rz. 26; Römermann, in: Hartung/Römermann, Berufs- und Fachanwaltsordnung, 4. Aufl. 2008, § 59j BRAO Rz. 8.
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Berufshaftpflichtversicherung einer PartG mbH
Rz. 62 § 51a BRAO
schaftern und Geschäftsführern hätten den gemäß § 59j BRAO notwendigen Versicherungsschutz am Markt erhalten. Daher sei davon auszugehen, auch große PartG mbB würden den geforderten Versicherungsschutz erlangen können.1 Auf die Problematik der Unwirtschaftlichkeit und der verminderten Attraktivität der PartG mbB aufgrund hoher Versicherungsprämien ging der Entwurf indes nicht ein. III. § 51a Abs. 3 BRAO § 51 Abs. 3 BRAO ermächtigt das Bundesjustizministerium, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates nach Anhörung der BRAK die Mindestversicherungssumme in § 51a Abs. 2 BRAO in anderer Höhe festzusetzen, wenn dies erforderlich ist, um bei einer Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse einen hinreichenden Schutz der Geschädigten sicherzustellen. § 51 Abs. 3 BRAO entspricht in seinem Wortlaut den Regelungen zur Berufshaftpflichtversicherung des Einzelanwalts und der Rechtsanwaltsgesellschaft in § 51 Abs. 8 BRAO und § 59j Abs. 3 BRAO.
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IV. Interprofessionelle Sozietäten Eine einheitliche Regelung bezüglich der Höhe der Berufshaftpflichtversicherung interprofessioneller PartG mbB gibt es nicht. Die Frage, welche Berufshaftpflichtversicherung für interprofessionelle Sozietäten von Rechtsanwälten mit Steuerberatern und/oder Wirtschaftsprüfern und/oder Patentanwälten vorgehalten werden muss, um die Haftung wirksam zu begrenzen, muss nach dem allgemeinen berufsrechtlichen Grundsatz beantwortet werden, nach dem im Falle divergierender Berufsrechte das strengste Berufsrecht Anwendung findet.2
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Für haftungsbeschränkte Partnerschaftsgesellschaften von Rechtsanwälten und Patentanwälten besteht aufgrund der Regelung des § 45a PAO, der im Wortlaut dem § 51a BRAO gleicht, keine Rechtsunsicherheit. Hinsichtlich der Höhe der Versicherung gilt § 45a Abs. 2 PAO bzw. § 51a Abs. 2 BRAO, d.h. 2,5 Mio. Euro je Versicherungsfall und eine jährliche Höchstleistung des Versicherers in Höhe von mindestens 10 Mio. Euro bezüglich sämtlicher im Versicherungsjahr verursachten Schäden.
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Haftungsbeschränkte Partnerschaftsgesellschaften von Steuerberatern müssen gemäß § 67 Abs. 2 StBerG und § 52 Abs. 4 DVStB, um die Voraussetzungen nach § 8 Abs. 4 Satz 1 PartGG zu erfüllen, eine Berufshaftpflichtversicherung unterhalten, deren Mindestversicherungssumme 1 Mio. Euro beträgt. Die Leistungen des Versicherers für alle innerhalb eines Versicherungsjahres verursachten Schäden können dabei – wie bei der Rechtsanwalts-PartG mbB – auf den Betrag der Mindestversicherungssumme vervielfacht mit der Anzahl der Partner begrenzt werden. Die Jahreshöchstleistung für alle in einem Versicherungsjahr verursachten Schäden darf indes 4 Mio. Euro nicht unterschreiten. Da die Versicherungssummen je Versicherungsfall sowie die Mindestversicherungssumme nach § 51a Abs. 2 und § 67 Abs. 2 StBerG divergieren, hat sich eine PartG mbB von Rechtsanwälten und Steuerberatern dem Grundsatz der Anwendung des strengsten Berufsrechts folgend gemäß den Anforderungen des § 51a BRAO zu versichern.
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Partnerschaftsgesellschaften mbB von Wirtschaftsprüfern müssen gemäß § 54 Abs. 1 WPO i.V.m. § 323 Abs. 2 Satz 1 HGB eine Berufshaftpflichtversicherung in Höhe von 1 Mio. Euro pro Prüfung vorhalten. Bei Prüfungen börsennotierter Aktiengesellschaften beträgt die Versicherungssumme gemäß § 323 Abs. 2 Satz 2 HGB 4 Mio. Euro pro Prüfung. Die Jahreshöchstleistung des Versicherers für alle innerhalb eines Versicherungsjahres verursachten Schäden kann dabei, anders als bei den Rechtsanwälten, Patentanwälten und Steuerberatern, nicht nach oben begrenzt werden. Eine PartG mbB von Rechtsanwälten und Wirtschaftsprüfern hat dem Grundsatz der Anwendung des strengsten Berufsrechts folgend zumindest eine Versicherungssumme in Höhe von 2,5 Mio. Euro je Versicherungsfall bei unbegrenzter Jahreshöchstleistung des Versicherers für sämtliche im Versicherungsjahr verursachten Schäden zu unterhalten.
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V. Verletzungsfolgen Wird der Abschluss der Berufshaftpflichtversicherung nicht oder nicht in dem gemäß § 51a Abs. 2 BRAO geforderten Umfang bei der Anmeldung zum Partnerschaftsregis1 BT-Drs. 17/10487, S. 15. 2 BT-Drs. 17/13944, S. 21.
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§ 51a BRAO Rz. 63
Berufshaftpflichtversicherung einer PartG mbH
ter gemäß § 4 Abs. 3 PartGG nachgewiesen, wird das Registergericht die Eintragung ablehnen. 63
Endet der Versicherungsvertrag, wird er gekündigt oder ändert er sich derart, dass der in § 51a Abs. 2 BRAO vorgeschriebene Versicherungsschutz nicht mehr gewährleistet ist, entfällt die Bedingung für die Haftungsbeschränkung nach § 8 Abs. 4 Satz 1 PartGG, sodass die Begrenzung der Haftung auf das Gesellschaftsvermögen für Ansprüche aus Schäden wegen beruflicher Fehler entfällt. Die Partner haften in diesem Fall wieder gesamtschuldnerisch und persönlich neben dem Vermögen der Partnerschaftsgesellschaft gemäß § 8 Abs. 1 PartGG. Allerdings findet dann auch die Regelung des § 8 Abs. 2 PartGG mit der Folge Anwendung, dass die gesetzliche Haftungskonzentration auf den oder die handelnden Partner für berufliche Fehler eingreift.1
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Endet der Versicherungsschutz oder wird er nicht mehr in der erforderlichen Höhe unterhalten ist der Versicherer gemäß § 51a Abs. 1 Satz 1 und 2 BRAO i.V.m. § 51 Abs. 6 BRAO verpflichtet, dies der örtlich zuständigen Rechtsanwaltskammer, d.h. der Rechtsanwaltskammer am Sitz der PartG mbB, unverzüglich mitzuteilen.
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Führt eine Partnerschaftsgesellschaft den Zusatz „mit beschränkter Berufshaftung“ oder das Kürzel „mbB“ oder eine andere allgemein verständliche Abkürzung dieser Bezeichnung, obwohl sie den hierfür gesetzlich vorgeschriebenen Versicherungsschutz nicht unterhält, drohen den Partnern in berufsrechtlicher Hinsicht anwaltsgerichtliche Maßnahmen (§ 113 Abs. 1 BRAO) wegen Verstoßes gegen das Sachlichkeitsgebot, insbesondere das Verbot der Lüge2 gemäß § 43a Abs. 3 Satz 2 BRAO. Ferner können das Registergericht gemäß § 2 Abs. 2 PartGG i.V.m. § 37 Abs. 1 HGB oder ein durch den unzulässigen Namensgebrauch verletzter Dritter gemäß § 2 Abs. 2 PartGG i.V.m. § 37 Abs. 2 HGB die Unterlassung der Verwendung des Namenszusatzes verlangen. Die unzulässige Verwendung kann darüber hinaus wettbewerbsrechtliche Konsequenzen zur Folge haben.3
51b BRAO (weggefallen) Begrenzung von Ersatzansprüchen 52 BRAO Vertragliche (1) Der Anspruch des Auftraggebers aus dem zwischen ihm und dem
Rechtsanwalt bestehenden Vertragsverhältnis auf Ersatz eines fahrlässig verursachten Schadens kann beschränkt werden: 1. durch schriftliche Vereinbarung im Einzelfall bis zur Höhe der Mindestversicherungssumme;
2. durch vorformulierte Vertragsbedingungen für Fälle einfacher Fahrlässigkeit auf den vierfachen Betrag der Mindestversicherungssumme, wenn insoweit Versicherungsschutz besteht. (2) 1Die Mitglieder einer Sozietät haften aus dem zwischen ihr und dem Auftraggeber bestehenden Vertragsverhältnis als Gesamtschuldner. 2Die persönliche Haftung auf Schadensersatz kann auch durch vorformulierte Vertragsbedingungen beschränkt werden auf einzelne Mitglieder einer Sozietät, die das Mandat im Rahmen ihrer eigenen beruflichen Befugnisse bearbeiten und namentlich bezeichnet sind. 3Die Zustimmungserklärung zu einer solchen Beschränkung darf keine anderen Erklärungen enthalten und muss vom Auftraggeber unterschrieben sein. A. Historie . . . . . . . . . . . . . . . .
1
B. Sinn und Zweck der Norm
. . . . . . .
2
C. Die Norm im Einzelnen . . . . . . . . .
5
I. § 52 Abs. 1 BRAO – Möglichkeiten der Haftungsbeschränkung . . . . . . . . . 1. Schriftliche Vereinbarung . . . . . . . .
5 6
1 BT-Drs. 17/10487, S. 15. 2 Feuerich/Weyland, BRAO, § 43a BRAO Rz. 38 ff.; Henssler/Prütting, BRAO, § 43a BRAO Rz. 158; Hartung/ Hartung, Berufs- und Fachanwaltsordnung, § 43a BRAO Rz. 44 ff.; ablehnend Kleine-Cosack, BRAO, § 43a BRAO Rz. 64 ff. 3 Henssler/Prütting, BRAO, § 2 PartGG Rz. 7 und Henssler, PartGG, § 2 Rz. 40; Feuerich/Weyland, BRAO, § 2 PartGG Rz. 17.
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Vertragliche Begrenzung von Ersatzansprüchen 2. Vorformulierte Vertragsbedingungen . . II. § 52 Abs. 2 BRAO – Gesamtschuldnerische Haftung . . . . . . . . . . . . . 1. Haftung der Sozien . . . . . . . . . . . a) Ausscheiden nach der Pflichtverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ausscheiden vor erkannter Pflichtverletzung . . . . . . . . . . . . . . . c) Eintritt eines neuen Sozius. . . . . . 2. Haftung von Scheinsozien . . . . . . . 3. Beschränkung der Haftung auf den Sachbearbeiter . . . . . . . . . . . . . . . 4. Isolierte Zustimmungserklärung. . . . . III. Beurteilung . . . . . . . . . . . . . . 1. Einzelfall – Versicherung . . . . . . . . 2. Unsicherer Verjährungszeitpunkt . . . . IV. Haftungsbeschränkung durch Rechtsformwahl . . . . . . . . . . . . . . .
14 17 17 21 22 23 24 27 28 30 30 31 32
Rz. 2 § 52 BRAO
1. Haftung in der Partnerschaftsgesellschaft 2. Haftung in der Rechtsanwaltsgesellschaft mbH . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Haftung in der Rechtsanwalts-AG . . . . 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . V. Haftung in interprofessionellen Verbindungen . . . . . . . . . . . . . VI. Versicherungsschutz bei Auslandsberührung . . . . . . . . . . . . . . . 1. Versicherungsschutz in Europa . . . . . 2. Ausländische Gesellschaftsformen. . . .
33
D. Bemerkungen und Hinweise . . . . . . I. Die Versicherung, ständiger Begleiter des Rechtsanwalts . . . . . . . . . . . II. Unklare Versicherungsregelungen behindern den europäischen Dienstleistungsverkehr . . . . . . . . . . . .
40
34 35 36 37 38 38 39
40
41
A. Historie Die von der Rechtsprechung entwickelte immer strenger werdende Haftung der Rechtsanwälte für Fehler bei der Berufsausübung führte schon früh zur Diskussion über Haftungsbeschränkungen. Den auch heute noch als nicht angemessen angesehenen Anforderungen an die Sorgfaltspflicht des Rechtsanwalts konnte nur mit Haftungsbeschränkungen begegnet werden. Die Entwicklung der Rechtsprechung wurde dadurch nicht aufgehalten. Nach wie vor erhöht die Rechtsprechung ihre Anforderungen an die anwaltliche Sorgfaltspflicht umso mehr, als sie sich selbst in ihren Pflichten zur Entscheidung (Außergerichtliche Streitschlichtung und Mediation) zurücknimmt, sei es durch immer mehr und schneller erlassene und immer weniger vorbereitete Gesetze, sei es aufgrund der Tatsache, dass der Justizapparat nicht mehr zufriedenstellend gehandhabt werden kann. Diese Einflüsse von außen haben die Anwaltschaft gezwungen, intensiv über Haftungsbeschränkungen nachzudenken. Ursprünglich wollte die Anwaltschaft diese Haftungsbeschränkungen überhaupt nicht, wie die Diskussion über die Zulässigkeit von Haftungsbeschränkungen in den zwanziger Jahren zeigt.1 Haftungsbeschränkungen zu vereinbaren, ließ sich aber nicht vermeiden. Ihre Grenzen steckte die Rechtsprechung erst durch die §§ 138, 242 BGB und später nach Inkrafttreten des AGB-Gesetzes 1977 – anhand der §§ 3, 9 und 11 AGBG vorgenommenen Inhaltskontrolle ab. Heute richtet sich diese Rechtsprechung nach den §§ 305 ff. BGB. Schon an den Arbeiten zur BRAO-Novelle 1994 wird deutlich, dass der Gesetzgeber nach Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts2 die Bedeutung der Haftungsgefahr für die unabhängige Rechtsberatung erkannt hat. Jedenfalls regelte er in der Novelle 1994 erstmals die vertragliche Haftungsbeschränkung. Dadurch soll ein angemessener Ausgleich der gegenläufigen Interessen des Verbrauchers einerseits und des Rechtsanwalts andererseits ermöglicht werden.3 In den über 10 Jahren seit ihrem Bestehen sind die Vorschriften der §§ 51a und 51b BRAO umfangreich kommentiert und in ihrer Regelungstiefe ausgelotet worden (§ 51b BRAO ist durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz und die darin bewirkte Übernahme der Verjährungsfristen für die Geltendmachung des Anspruchs auf Schadensersatz gegen einen Rechtsanwalt aufgehoben und in die §§ 194 ff. BGB übernommen worden). In dem gleichen Zeitraum hat die rasante Entwicklung der Ausübungsformen anwaltlicher Tätigkeit (vom Einzelanwalt zur Anwalts-AG) die Überlegungen zu Haftungsbeschränkungen immer wieder neu angefacht.4
1
Durch das am 19.7.2013 in Kraft getretene Gesetz zur Einführung einer Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung (PartG mbB) ist die früher in § 51a BRAO verortete Vorschrift zur Haftungsbeschränkung zu § 52 BRAO geworden.
1a
B. Sinn und Zweck der Norm Ebenso wie § 51 BRAO bezweckt § 52 BRAO, Mandanten und Rechtsanwalt vor den Risiken anwaltlicher Tätigkeit zu schützen. 1 2 3 4
Borgmann/Jungk/Grams, § 25 Rz. 33 ff. BVerfG, NJW 1998, 191 ff. Dahns, NJW-Spezial 2006, 477. Henssler, NJW 1999, 241 (historischer Überblick des Gesetzgebungsverfahrens).
Tauchert/Dahns 797
2
§ 52 BRAO Rz. 2a
Vertragliche Begrenzung von Ersatzansprüchen
2a
Die freiberufliche anwaltliche Tätigkeit ist nach wie vor geprägt von der persönlichen Haftung für jeden Fehler im Rahmen der Berufsausübung. Das gilt auch, wenn dieser Grundsatz nicht mehr unbeschränkt geltend soll. Die Prägung des Anwaltsberufs durch das Vertrauensverhältnis zwischen Mandant und Anwalt wird nach wie vor angenommen. Die unbeschränkte persönliche Haftung soll aber für das Berufsbild des Anwalts nicht mehr maßgebend sein. Begründung dafür ist die bestehende Möglichkeit der vertraglichen Haftungsbeschränkung gem. § 52 BRAO.1 Nicht zuletzt deshalb stellt die Rechtsprechung sehr hohe Anforderungen an die Sorgfaltspflichten des Rechtsanwalts,2 und dieser haftet für jede Fahrlässigkeit. Das gilt umso mehr, als das Schadensrisiko nicht durch den Gegenstandswert des Mandats begrenzt ist, sondern diesen Wert um ein Vielfaches übersteigen kann. In der Gesellschaft bürgerlichen Rechts (Sozietät) haften zudem alle Mitglieder als Gesamtschuldner persönlich, auch wenn sie keinen Einfluss auf die Tätigkeit des einzelnen Sozius nehmen können. Die Risiken steigern sich mit immer komplexeren rechtlichen Vorgängen innerhalb oft international verflochtener Gesellschaften. Bisher war die Anwaltschaft eng an die Gebührenordnung gebunden. Es bestand zwischen Honoraranspruch und Versicherungsprämie ein Missverhältnis. Wenn sich jetzt die Bindung der Rechtsanwälte an die gesetzlichen Vergütungsvorschriften lockert, bleibt die Risikodeckung durch die Haftpflichtversicherung dennoch begrenzt, da sie in bestimmter Höhe wirtschaftlich kaum noch tragbar ist und insbesondere in keinem angemessenen Verhältnis zum Honorar steht. Deshalb war es notwendig, dass der Gesetzgeber Möglichkeiten für vertragliche Haftungsbeschränkungen einräumte. Damit soll dem Rechtsanwalt ermöglicht werden, ein hohes, möglicherweise seine Existenz gefährdendes Haftungsrisiko in vertretbaren Grenzen zu halten. Das entspricht gleichzeitig den Interessen des Mandanten, der ein entsprechend unkalkulierbares und möglicherweise ein ebenfalls seine Existenz bedrohendes Schadensrisiko für den Fall eingeht, dass der Rechtsanwalt keine Versicherung hat oder seine Vertragspflichten nicht erfüllt. Dann läuft der Mandant nämlich Gefahr, den dadurch entstehenden Schaden selbst zu tragen. Die Berufshaftpflichtversicherung (§ 51 BRAO) dagegen gewährleistet den Ausgleich wirtschaftlicher Schäden zuverlässiger als die unbeschränkte persönliche Haftung des Anwalts, die im Einzelfall nicht zu realisieren ist. Die Vereinbarung von Haftungsbeschränkungen mit klaren gesetzlichen Regelungen ermöglicht es dem Rechtsanwalt zudem, sein Haftungsrisiko besser zu kalkulieren. Gleichzeitig erkennt auch der Mandant seinen Vorteil in der vereinbarten Haftungsbeschränkung. Es stellt deshalb einen angemessenen Interessenausgleich dar, wenn der Rechtsanwalt die Haftung für einen fahrlässig verursachten Fehler beschränken kann.3 Eine vollständige Freizeichnung des Rechtsanwalts ist allerdings ebenso ausgeschlossen wie die Begrenzung der Haftung für vorsätzliches Handeln. Dadurch wird der Schutz des Mandanten durch die Berufshaftpflichtversicherung gewährleistet, so dass die Aufklärung des Mandanten über den Versicherungsumfang und die Vereinbarung der Haftungsbeschränkung dem besonderen Vertrauensverhältnis zwischen Mandant und Rechtsanwalt entspricht und damit dient. In diesem Sinne versucht der BGH in seiner Rechtsprechung auch den Ausgleich zwischen den Interessen des Mandanten und denen des Rechtsanwalts; auch wenn besonders bei den Rechtsanwälten der subjektive Eindruck vorherrscht, die Rechtsprechung benachteilige sie in diesem Ausgleich durch immer strengere Anforderungen.4
3
§ 52 BRAO bietet die Möglichkeit, durch einzelvertragliche schriftliche Vereinbarung die Haftung für Fehler bei Ausübung anwaltlicher Tätigkeit zu begrenzen. Dies gilt allgemein, aber auch gem. spezieller Regelungen wie z.B. § 8 Partnerschaftsgesetz (PartGG) für Einzelanwälte, Sozien, Partnerschaften und Anwalts-Gesellschaften. Dabei haften in der Partnerschaft nur diejenigen Partner, die mit der Bearbeitung des betroffenen Auftrags befasst waren, und das abweichend von dem Grundsatz, dass für Verbindlichkeiten der Partnerschaft neben dem Gesellschaftsvermögen die Partner als Gesamtschuldner einzustehen haben. Bei den Kapitalgesellschaften, in denen der Anwaltsberuf ausgeübt wird, haftet grundsätzlich nur das Gesellschaftsvermögen, nicht aber der Gesellschafter persönlich.5 Das gilt sogar für die Ein-Mann-Rechtsanwalts-GmbH oder AG.6 Eine Haftungsbeschränkung kraft Rechtsform scheidet allerdings bei der herkömmlichen Sozietät aus. Zur Begründung wird die beschränkte Rechtsfähigkeit der Gesellschaft bürgerlichen Rechts nach außen hin angeführt. 1 2 3 4 5
OLG Nürnberg, NJW-Spezial 2008, 382. Borgmann/Jungk/Grams, § 25 Rz. 2 und § 26 Rz. 25; Feuerich/Weyland, § 51a Rz. 1. Chab, AnwBl. 2006, 205. Ganter, AnwBl. 2007, 181 (186). §§ 59c–59m BRAO – eingeführt durch Gesetz zur Änderung der Bundesrechtsanwaltsordnung, der Patentanwaltsordnung und anderer Gesetze v. 31.8.1998 (BGBl. I 1998, S. 2600). 6 Zuck, Anwalts-GmbH, § 59e Rz. 1.
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Vertragliche Begrenzung von Ersatzansprüchen
Rz. 8 § 52 BRAO
Deshalb kann in ihr eine Haftungsbeschränkung nur durch Einigung mit dem Vertragspartner vereinbart werden.1 Die Haftungsbeschränkung nach § 52 BRAO setzt ein Vertragsverhältnis voraus. Deshalb kann sich die Regelung nicht auf gesetzliche, deliktische Schadensersatzansprüche beziehen. Auch wenn der Rechtsanwalt in amtlicher oder amtsähnlicher Stellung handelt, kann es eine Haftungsbeschränkung nicht geben. Als Vormund, Betreuer, Pfleger, Testamentsvollstrecker, Nachlassverwalter, Insolvenzverwalter oder Zwangsverwalter besteht zwischen dem in dieser Eigenschaft handelnden Rechtsanwalt und den Beteiligten eine Haftung aus gesetzlichem Schuldverhältnis.2
4
Als Voraussetzung für die Vereinbarung einer Haftungsbeschränkung muss ein Vertrag mit einem Rechtsanwalt/Rechtsanwaltsgesellschaft bestehen; was bedeutet, dass die Vereinbarung auch nur mit dem Mandanten, nicht aber mit einem Dritten getroffen werden kann, demgegenüber der Rechtsanwalt anderweitig zum Schadensersatz verpflichtet sein kann (Dritthaftung).3
4a
C. Die Norm im Einzelnen I. § 52 Abs. 1 BRAO – Möglichkeiten der Haftungsbeschränkung Die Vorschrift ermöglicht die Beschränkung der Haftung in drei Fallgruppen in unterschiedlichem Umfang:
5
1. Schriftliche Vereinbarung Durch schriftliche Vereinbarung im Einzelfall (Individualvereinbarung) kann die Haftung bis auf den Betrag von 250 000 Euro (Mindestversicherungssumme) abgesenkt werden. Entscheidend ist die schriftliche Vereinbarung zu Mandatsbeginn. Sie setzt die Erörterung mit den Mandanten über die Haftungsrisiken des Falles voraus. In der anwaltlichen Praxis hat diese Vorschrift wenig Bedeutung erlangt. Das geforderte Aushandeln ist zeitaufwendig, umständlich und begründet die Befürchtung, die Gefahr eines Vertrauens-, oder gar Mandatsverlustes heraufzubeschwören.4
6
Da die Vorschrift nur von fahrlässig verursachtem Schaden spricht, kann die Haftung für vorsätzliches Handeln nicht ausgeschlossen werden, wohl aber kann auch grob fahrlässiges Verhalten in die Haftungsbegrenzung eingezogen bezogen werden, da die Vorschrift lediglich von Fahrlässigkeit spricht und deshalb jede Art der Fahrlässigkeit erfasst ist. Gleiches hat der BGH zur Schuldform anerkannt,5 dass die Vereinbarung der Haftungsbeschränkung sich nicht nur auf leichte, sondern auch auf grobe Fahrlässigkeit des Rechtsanwalts erstrecken kann. Das erscheint gerechtfertigt, da die Grenze zwischen einfacher und grober Fahrlässigkeit fließend ist. Fahrlässig handelt, wer die im Rechtsverkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Das ist für den Rechtsanwalt dann anzunehmen, wenn er bei objektiver Beurteilung in der bestimmten Lage des jeweiligen Einzelfalles im Zeitpunkt seines pflichtwidrigen Verhaltens hätte erkennen können, dass er sich pflichtwidrig verhält und dem Auftraggeber daraus ein Schaden entstehen kann und er dies hätte vermeiden können.6 Grob fahrlässig handelt, wer die erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich hohem Maße verletzt, also ganz nahe liegende Überlegungen nicht anstellt, bewusst unberücksichtigt lässt und das unbeachtet lässt, was sich im konkreten Fall jedem aufgedrängt hätte. Nach BGH muss zur Annahme eines grob fahrlässigen Handelns die allgemeine Fahrlässigkeit/Sorgfaltspflicht in so erheblichem Maß vernachlässigt werden, so dass eine schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung anzunehmen ist.7
7
Grobe Fahrlässigkeit ist in Fällen angenommen worden, wenn der Rechtsanwalt seinen Anwaltsvertrag verletzt. Darunter fallen meist Fristversäumnisse, die mangelnde Klärung des Sachverhalts, mangelhafte Rechtsprüfung oder fehlende Schadensverhütung. Dennoch ist immer die Bewertung des Einzelfalles notwendig, da die Pflichtverletzung des Anwalts
8
1 2 3 4 5 6 7
BGHZ 146, 341; Lux, NJW 2003, 2806. Zugehör, ZAP 2005, 296. BGH, NJW 2004, 121. Kleine-Cosack, § 51a Rz. 1. BGH, NJW 1998, 1864 (1866). BGH, NJW 1994, 2232. BGH, NJW 1992, 3225.
Tauchert/Dahns 799
§ 52 BRAO Rz. 9
Vertragliche Begrenzung von Ersatzansprüchen
immer innerhalb seiner vertraglichen Verpflichtungen und im Zusammenhang mit dem zu bearbeitenden Rechtsfall zu beurteilen ist. Dabei sind Schwierigkeiten der Rechtslage und unzureichende Information durch den Mandanten ebenso zu berücksichtigen wie internationale Rechtsmaterie und Sprachrisiken. Bei der Bewertung bedarf es zudem einer Interessenabwägung zwischen den Interessen des Rechtsanwalts und denen des Mandanten.1 9
Oft ist es nur die Sichtweise auf den konkreten Lebenssachverhalt, die im Nachhinein über die Qualität der Fahrlässigkeit entscheidet.2 Dennoch wird das Anliegen eines Rechtsanwalts, eine einzelvertragliche Haftungsbeschränkung auf grobe Fahrlässigkeit zu erstrecken auf Misstrauen des Mandanten stoßen. Es wird deshalb lediglich bei sehr komplexen Fallkonstellationen mit hohen Gegenstandswerten und einem unzumutbaren, die Existenz gefährdenden Haftungsrisiko für den Anwalt (z.B. bei internationalen Mandaten) zu einer solchen Vereinbarung kommen. Das gilt umso mehr, als der Rechtsanwalt seinen Auftraggeber über Bedeutung und Tragweite der angestrebten Freizeichnung aufklären muss. Dabei ist zu berücksichtigen, dass regelmäßig der Auftraggeber rechtsunkundig ist und es ist zu fragen, ob der Mandant seine eigenen Interessen intellektuell und wirtschaftlich gegenüber dem Rechtsanwalt selbst wahrnehmen3 und so seine Risiken und die sich daraus ergebenden Schadensgefahren erkennen kann.4 Dazu setzt die Vereinbarung eine weitgehende Information des Mandanten durch den Anwalt voraus. Der Mandant muss über die Konsequenzen und die Tragweite der Beschränkung aufgeklärt werden und ihm sind auch Alternativen, wie zum Beispiel der Abschluss von Einzelobjekt-Versicherungen für das konkrete Mandat aufzuzeigen. Dazu gehört aber auch das Bewusstsein des Mandanten, auf welche gegebenen Rechtspositionen er gegebenenfalls durch die Haftungsbeschränkung verzichtet.5
10
Wenn der Rechtsanwalt diese geforderte umfangreiche Belehrung und Aufklärung selbst gegenüber dem Mandaten vorgenommen hat, fordert das Gesetz zusätzlich Schriftform im Sinne des § 126 BGB6 (jetzt ergänzt durch die elektronische Form des § 126a BGB). Die fehlende Schriftform macht die vereinbarte Haftungsbeschränkung nichtig.7 Dabei dürfen die schriftlichen Erklärungen nicht mit anderen Erklärungen verbunden werden. Diese strenge Formvorschrift scheint sich nach der Rechtsänderung zum Erfolgshonorar und der damit verbundenen Entwicklung der Vorschriften des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) mit seinen Auswirkungen auf die Honorarvereinbarung zu lockern. Die Schriftform begründet die zwischen beiden Parteien, das heißt dem Rechtsanwalt und seinem Mandanten, getroffene vertragliche Abrede. Zwei gleich lautende Urkunden werden dazu unterschrieben und jede Partei erhält ein Exemplar.
11
Ein Problem besteht nach wie vor in der Frage, ob die vom Rechtsanwalt dem Mandanten vorgegebenen Vereinbarungsinhalte über die Haftungsbeschränkung eine Vereinbarung im Einzelfall ist oder ob sie eine Vertragsbedingung im Sinne von Allgemeinen Geschäftsbedingungen darstellen. Der Vorschlag der Haftungsbegrenzung wird regelmäßig vom Rechtsanwalt kommen, ebenso wie die entsprechende Formulierung. Er muss deshalb im Streitfall nachweisen, dass diese Formulierungen zwischen ihm und seinem Mandanten aus gleichwertigen Verhandlungspositionen heraus ausgehandelt worden sind.8 Das wird bei der Ungleichheit des Kenntnisstandes von Rechtsanwalt und Mandant kaum der Fall sein. Mit dieser aus dem Recht der allgemeinen Geschäftsbedingungen entwickelten Argumentation kann aber § 52 Abs. 1 Nr. 1 BRAO nicht angewandt werden. Vielmehr hat der Gesetzgeber dieses Problem gesehen und es gerade darum den Rechtsanwälten ermöglicht, eine Haftungsbeschränkung mit ihren Mandanten zu vereinbaren. Das Gesetz fordert deshalb lediglich die schriftliche Vereinbarung und die gegenseitige Unterzeichnung. Nach § 4 Abs. 1 S. 2 RVG ist es aber entgegen der alten Regelung in der BRAGO nicht mehr notwendig, eine Honorarvereinbarung separat zu erstellen.9 Eine Vergütung ist aber noch als solche zu bezeichnen und von der Haftungsbegrenzung deutlich abzusetzen. Eine Haftungsbeschränkung und eine Hono1 2 3 4 5 6 7 8 9
BGH, NJW 1994, 1211; Grams, AnwBl. 2001, 292. Zugehör, ZAP 2005, 291 (299). Berger, NJW 2001, 2152 (2154 f.). Grams, AnwBl. 2001, 233 (235). Feuerich/Weyland/Böhnlein, § 51a Rz. 7. v. Westphalen, MDR 1997, 989. Ausführlich dazu: Henssler/Prütting/Stobbe, § 51a Rz. 11 u. 80. Zugehör, ZAP 2005, 291 (301); Henssler/Prütting/Stobbe, § 51a Rz. 47. S. dazu: § 3a RVG nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Neuregelung des Verbots der Vereinbarung von Erfolgshonoraren (ErfHonVNG) v. 12.6.2008, gültig ab 1.7.2008 (BGBl. I 2008, 1000); von Seltmann, BRAKMitt. 2008, 99.
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Vertragliche Begrenzung von Ersatzansprüchen
Rz. 14b § 52 BRAO
rarabrede können so in einer Urkunde zusammengefasst werden. Beachtet werden sollte aber, dass die Themenbereiche deutlich voneinander getrennt werden. Die Literatur schlägt deshalb weiter vor, beide Vereinbarungsbereiche getrennt zu unterschreiben, wenn nicht sogar in zwei Urkunden zu erfassen.1 Die Haftung kann bis auf die Mindestversicherungssumme von 250 000 Euro (§ 51 Abs. 4 BRAO) und bei der Anwalts-GmbH bis auf 2,5 Millionen Euro (§ 59j Abs. 2 BRAO) abgesenkt werden. Die Versicherungsverträge begrenzen dabei gem. § 51 Abs. 4 S. 1 BRAO die Versicherungsdeckung auf das Vierfache, so dass sich die Mindestversicherungssumme des Versicherungsvertrages auf eine Million Euro beläuft. Das Vierfache der Gesellschaftsversicherung nach § 59j Abs. 2 BRAO liegt bei viermal 2,5 Millionen, also 10 Millionen Euro. Dieser Umfang des Versicherungsschutzes muss jedoch bestehen.2
12
Die Vorschrift setzt voraus, dass auch tatsächlich Versicherungsschutz besteht. Dieses Bestehen muss zum Verstoßzeitpunkt gegeben sein. Für die Versicherungsdeckung gilt der Zeitpunkt des Vertragsabschlusses. Ist aber zum Zeitpunkt des Verstoßes die vereinbarte Versicherungsleistung schon ganz oder teilweise verbraucht, wäre auch der mit dem Mandanten vereinbarte Versicherungsschutz wertlos. Deshalb ist der Auffassung zu folgen, die fordert, dass nicht nur der Höhe nach Versicherungsschutz bestehen muss, sondern auch für den Deckungsbereich, der für das konkrete Mandat benötigt wird.3
13
2. Vorformulierte Vertragsbedingungen Weiter als § 52 Abs. 1 Nr. 1 BRAO konkretisiert Nummer 2 die Möglichkeit der Haftungsbeschränkung durch vorformulierte Vertragsbedingungen für Fälle einfacher Fahrlässigkeit auf den vierfachen Betrag der Versicherungssumme pro Jahr.4
14
Dabei geht das Gesetz von dem regelmäßig in dieser Höhe mit dem Versicherer vertraglich vereinbarten Versicherungsschutz aus. Der Gesetzgeber hat die Haftungsbeschränkung ausschließlich für einfache/leichte Fahrlässigkeit zugelassen. Im Rahmen des Anfang 2012 vom Bundesministerium der Justiz vorgelegten Referentenentwurfs zur Einführung einer Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung war jedoch vorgesehen, Rechtsanwälten zukünftig zu ermöglichen, eine solche Haftungsbeschränkung durch allgemeine Geschäftsbedingungen für alle Fälle von Fahrlässigkeit vorzunehmen – mithin auch für grob fahrlässig verursachte Schäden. Damit sollte das Berufsrecht der Rechtsanwälte an die entsprechenden Regelungen der Steuerberater (§ 67a Abs. 1 Nr. 2 StBerG) und der Wirtschaftsprüfer (§ 54a Abs. 1 Nr. 2 BPO) angeglichen werden. Das BMJ hatte argumentiert, dass die Abgrenzung zwischen Fällen einfacher und grober Fahrlässigkeit schwierig sei. Die sich daraus ergebende Unsicherheit für die Reichweite einer durch vorformulierte Vertragsbedingungen vereinbarten Haftungsbeschränkung habe in der Praxis dazu geführt, dass von ihr nur wenig Gebrauch gemacht werde. Zudem seien keine Gründe ersichtlich, die eine unterschiedliche Behandlung der Rechtsanwälte im Vergleich mit den Angehörigen der steuer- und wirtschaftsberatenden Berufe rechtfertigen. Dieser Vorschlag, der auf eine Anregung der Bundesrechtsanwaltskammer5 zurückgegangen ist, wurde von der Bundesregierung jedoch nicht aufgegriffen.
14a
Bei der Haftungsbegrenzung für grobe Fahrlässigkeit im Rahmen von vorformulierten Vertragsbedingungen würden die zum Schutz der Verbraucher aufgestellten Grundregeln des AGB-Gesetzes (jetzt §§ 305 ff. BGB) nach Auffassung des Gesetzgebers außer Kraft gesetzt werden, erhält der Mandant doch einen vom Rechtsanwalt vorformulierten Vertragstext vorgelegt, dessen Auswirkungen er bei Unterzeichnung meist nicht abschätzen kann. Selbstverständlich ist dementsprechend auch eine völlige Freizeichnung durch allgemeine Mandatsbedingungen nicht gestattet, weil das dem besonderen Vertrauensverhältnis zwischen Mandant und Rechtsanwalt widerspräche. Bei bestehendem, entsprechendem Versicherungsschutz erhält der Mandant die Sicherheit, einen Schadensersatzanspruch in dieser Höhe realisieren zu können. Er ist damit in der Regel besser gestellt, als bei unbeschränktem Anspruch, bei dem die Berufshaftpflichtversicherung des Rechtsanwalts nur in Höhe der gesetzlichen Mindestversicherungssumme eintritt. Der geforderte erhöhte Versicherungsschutz
14b
1 2 3 4 5
Chab, AnwBl. 2006, 205 (206). Zuck, Anwalts-GmbH, § 59j Rz. 25. Zimmermann, NJW 2005, 177; Chab, AnwBl. 2006, 205 (206). Dahns, NJW-Spezial 2006, 477. BRAK-Stellungnahme 31/2011.
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§ 52 BRAO Rz. 15
Vertragliche Begrenzung von Ersatzansprüchen
gilt als Ausgleich für die Versuchung, die Haftung durch Auftragsbedingungen zu beschränken. Erleichternd wird hier die Belehrung über Risikostruktur des Mandats und die Tragweite des Haftungsausschusses nicht gefordert.1 Greift die vorformulierte Haftungsbeschränkung nicht, so haftet der Anwalt unbeschränkt persönlich. Er muss also die Anforderungen der Vorschrift genau einhalten und es bleibt – für ihn und den Mandanten – das Risiko, dass der Versicherungsschutz im Schadensfall nicht besteht. 15
Das kann wie oben gezeigt der Fall sein, wenn die Versicherungssumme durch Vorschäden bereits ganz oder teilweise verbraucht ist.2 Damit bleiben bei dieser Vorschrift erhebliche Unwägbarkeiten, die eine erhebliche Rechtsunsicherheit zur Folge haben. Eine bewusst in Kauf genommene Rechtsunsicherheit entsteht durch die eingangs erwähnte Begrenzung der Haftungsbeschränkung auf Fälle der Fahrlässigkeit. Erst der Regressprozess wird zeigen, ob das Verschulden des Rechtsanwalts auf einfacher oder grober Fahrlässigkeit beruht und damit, ob die Haftungsbeschränkung wirksam ist oder nicht. Grobe Fahrlässigkeit ist gegeben, wenn die verkehrsübliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße außer Acht gelassen wurde.3 Ob das der Fall war, wird im Nachhinein nach langem Gerichtsverfahren – wenn überhaupt – zu klären sein. Damit verliert die Vorschrift ihre gewünschte Bedeutung; einer praktischen Handhabung ist sie nicht zugänglich, zumal durch vorformulierte Vertragsbedingungen eine nachträgliche Beschränkung der Haftung für einen bereits begangenen Fehler nicht möglich ist.4 Sinn der Vorschriften der §§ 51 und 52 BRAO ist es aber gerade, im Zeitpunkt des Abschlusses der Vereinbarung das Risiko für beide Seiten kalkulierbar zu machen und für den Rechtsanwalt das Haftungsrisiko abschätzen zu können. Auch muss der vierfache Betrag der Mindestversicherungssumme im Zeitpunkt des Verstoßes gegen die anwaltlichen Sorgfaltspflichten als Versicherungsdeckung zur Verfügung stehen. Er darf nicht in diesem Moment schon durch andere Haftungsfälle verringert sein und dafür hat alleine der Rechtsanwalt zu sorgen. Diese erheblichen Risiken für den Rechtsanwalt und den Mandanten bei Abschluss vorformulierter Vertragsbedingungen legen es nahe, von vorneherein Individualvereinbarungen zu treffen, zumal selbst in der angenommenen strengen Haftungsrechtsprechung des BGH nur selten von einfacher Fahrlässigkeit ausgegangen wird.5
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Wie eingangs schon gezeigt, ist die gesamte Vorschrift praktisch unbedeutend, da das vom Gesetz geforderte Aushandeln der vorformulierten Vertragsbedingungen wegen der hohen Anforderungen der Rechtsprechung vom Rechtsanwalt kaum zu erfüllen und schon gar nicht zu beweisen ist.6 Wenn aber die Voraussetzungen des § 52 Abs. 1 Nr. 2 BRAO erfüllt sind, beeinträchtigen die §§ 307 bis 309 BGB nach dem Willen des Gesetzgebers die Wirksamkeit und Angemessenheit der Haftungsbeschränkung nicht.7 Jedoch darf die Vereinbarung des Haftungsausschlusses nach wie vor nicht in einer Vollmachtsurkunde des Mandanten zur Unterzeichnung vorgelegt werden, da sie in diesem Zusammenhang überraschend wäre (§ 305c BGB). Der Mandant erwartet einen Haftungsausschluss nicht in der Vollmachtsurkunde. Dasselbe gilt für den Haftungsausschluss in vorformulierten Vertragsbedingungen für fernmündliche Auskünfte, die Verkürzung der Verjährungsfristen auf weniger als drei Jahre und die Abtretung von Kostenerstattungs- und sonstigen Ansprüchen an einen anderen Rechtsanwalt.8 II. § 52 Abs. 2 BRAO – Gesamtschuldnerische Haftung 1. Haftung der Sozien
17
Nach Satz 1, dem Obersatz der Vorschrift, haften die Mitglieder einer Sozietät aus dem zwischen ihr und dem Auftraggeber bestehenden Vertragsverhältnis als Gesamtschuldner. Jeder Rechtsanwalt hat mithin für die Fehler der anderen Sozien einzustehen und zwar mit seinem Privatvermögen und dem Gesellschaftsvermögen. Unter Sozietäten sind nach dieser Vorschrift nur die Gesellschaft bürgerlichen Rechts und die Partnerschaft zu verstehen. Das folgt aus der persönlichen Erbringung der im Anwaltsvertrag vereinbarten Dienstleistung 1 2 3 4 5 6 7 8
Wölk, AnwBl. 2003, 328 (332). Ausführlich dazu: Zimmermann, NJW 2005, 177. Borgmann/Jungk/Grams, § 41 Rz. 45 u. 54. Kleine-Cosack, § 51a Rz. 9; Grams, AnwBl. 2001, 292. BGH, NJW 1994, 1211. Berger, NJW 2001, 2152 (2154). Hartung/Grams, § 51a Rz. 29; Chab, AnwBl. 2006, 205. Feuerich/Weyland/Böhnlein, § 51a Rz. 12, 13.
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Vertragliche Begrenzung von Ersatzansprüchen
Rz. 22 § 52 BRAO
und der Tatsache, dass die Gesellschafter der Sozietät neben dem Gesellschaftsvermögen auch mit ihrem Privatvermögen für Gesellschaftsverbindlichkeiten haften.1 Bei Kapitalgesellschaften greift dagegen die persönliche Haftung deshalb nicht ein, weil hier die Kapitalgesellschaft handelt, wenn auch durch ihre Organe und Vertreter. Die Kapitalgesellschaft hat selbst die Rechte und Pflichten des Rechtsanwalts (§ 59l S. 2 BRAO). Für Fehler haftet die GmbH/AG als Vertragspartnerin deshalb mit ihrem Gesellschaftsvermögen, nicht hingegen der einzelne Rechtsanwalt.2 Allerdings kann eine solche Gesellschaft auch eine Haftungsbeschränkung gem. § 52 Abs. 1 BRAO vereinbaren.3 Für Sozietäten findet § 12 AVB (AVB-RSW)4 Anwendung. Danach gilt der Versicherungsfall eines Sozius als Versicherungsfall aller Sozien. Gleichgültig ist, wer von dem Mandanten in Anspruch genommen wird beziehungsweise wer die Pflichtverletzung begangen hat. Wie schon bei § 51 BRAO ausgeführt, müssen die Sozien deshalb unbedingt auf einer einheitlichen Versicherungssumme bestehen, da der Versicherer Versicherungsschutz nach seinen Versicherungsbedingungen nur mit einer einheitlichen Durchschnittsleistung der Versicherungssummen aller Sozien – einschließlich der Scheinsozien – gewährt. Hier drohen sonst Deckungslücken!5
18
Zu beachten ist, dass die Sozietätshaftung auch dann im Verhältnis zum Mandanten gilt, wenn die Rechtsanwälte nur gemeinsam nach außen in Erscheinung (Außensozietät) treten und dem rechtsuchenden Publikum gegenüber den Anschein einer Sozietät (Scheinsozietät) erwecken. Es kommt also nicht auf die Ausgestaltung der Zusammenarbeit im Innenverhältnis an.
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Die Gesellschaft bürgerlichen Rechts (Sozietät) hat nach außen nur beschränkte Rechtsfähigkeit. Damit kann sie zwar eigene Rechte und Pflichten begründen, im Zivilprozess aktiv und passiv parteifähig sein; Vertragspartner ist aber die gesamte Sozietät, es sei denn, ein Sozius erhält einen individuellen Einzelauftrag, der sich meist in besonderer Vollmacht für den handelnden Sozius ausweist. Aus dieser Gestaltung ist eine besondere Haftungsbeschränkung nicht zu begründen. Insbesondere hat der BGH die Gründung einer GbR mbH abgelehnt.6 Deshalb bleiben für die Haftungsbeschränkung in der Sozietät nur die in § 52 BRAO aufgeführten Möglichkeiten. Die damit verbundenen Fragen bleiben also unentschieden. Eine Übersicht der sich daraus ergebenden Problematik hat Michael Brügge, zusammengestellt.7 Einige spezielle Probleme sollen nachfolgend angesprochen werden:
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Ein besonderes Haftungsproblem ergibt sich bei dem Ausscheiden aus einer Sozietät nach Pflichtverletzung und ebenso bei Eintritt eines neuen Sozius in die Sozietät.8 a) Ausscheiden nach der Pflichtverletzung Das Ausscheiden ändert nichts an der einmal begründeten Haftung des ausscheidenden Gesellschafters der Sozietät. Für die Inanspruchnahme gilt die Kanzleizusammensetzung mit den im Verstoßzeitpunkt beteiligten Sozien und Scheinsozien. Rechtsanwälte und ihre Erben können deshalb noch lange nach Ausscheiden aus der Sozietät und sogar nach Aufgabe ihrer Berufstätigkeit in Anspruch genommen werden. Das gilt umso mehr nach dem Wegfall des § 51b und des damit häufig später eintretenden Verjährungszeitpunkts.9
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Fragen bei Ausscheiden eines Sozius ergeben sich bei seinem Ausscheiden nach der Pflichtverletzung und vor der Pflichtverletzung. b) Ausscheiden vor erkannter Pflichtverletzung In diesen Fällen kann es zur Haftung des ausscheidenden Rechtsanwalts durch Nachhaftung kommen. § 736 Abs. 2 BGB verweist auf § 160 HGB und die darin geregelte fünfjährige Nachhaftung nach Ausscheiden des Sozius. Für die Berechnung der Frist kommt es wieder 1 2 3 4 5 6 7 8 9
BGH, NJW 1971, 1801; Borgmann, NJW 2000, 2956. Sassenbach, AnwBl. 2007, 293. Zugehör, ZAP 2005, 292. AVB-RSW, s. auch Feuerich/Weyland/Böhnlein (§ 51 BRAO Rz. 10), § 12 (AVB-P). Kindermann/Brieske, DAV-Ratgeber für junge Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen, 2013, S. 116. BGHZ, 146, 341. Brügge, Quo vadis Sozietät? Chab, ZAP 2007, 723. Chab, AnwBl. 2005, 356.
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§ 52 BRAO Rz. 23
Vertragliche Begrenzung von Ersatzansprüchen
auf den Verstoßzeitpunkt an. Das ist der Zeitpunkt, in dem die Pflichtverletzung tatsächlich erfolgt ist. Nach h.M. kann deshalb der Schaden aus einer Sorgfaltspflichtverletzung auch erst nach dem Ausscheiden eintreten, obschon seine Ursache vorher gesetzt worden ist. Der ausgeschiedene Rechtsanwalt haftet damit für einen Verstoß, den ein Mitglied der Sozietät begangen hat, als der ausscheidende Rechtsanwalt noch der Sozietät angehörte.1 c) Eintritt eines neuen Sozius 23
Die Rechtsprechung ist bis heute unsicher, ob denn der in die Gesellschaft bürgerlichen Rechts neu eingetretene Sozius für Altverbindlichkeiten der ihn aufnehmenden Sozietät mithaftet.2 Anspruchsgrundlage waren die §§ 128, 130 HGB für die BGB-Gesellschaft.3 Zu diesem Thema gibt es verschiedene Fallvarianten (Bildung einer Sozietät durch Eintritt, Begrenzung der Haftung auf allgemeine Verbindlichkeiten, Honorarforderungen u.a.).4 Die darin liegende versicherungsrechtliche Problematik lässt sich befriedigend nicht lösen, da der neu eintretende Sozius sich nicht zufriedenstellend und angemessen für die schon in der aufnehmenden Sozietät entstandenen Schadensfälle versichern kann. Eine so genannte „Rückwärtsdeckung“ wäre möglich. Fraglich ist aber, für welchen Zeitraum. Eine seriöse Risikoschätzung und damit die Festlegung einer angemessenen Prämie für eine solche Rückwärtsversicherung ist nicht möglich.5
23a
Mit seinem Urteil vom 19.11.20096 hat der BGH neue Grundsätze für die Haftung des in eine Partnerschaft eintretenden Rechtsanwalts festgelegt. Ist ein Partner mit der Bearbeitung eines Mandats befasst, kann er auch für vor seinem Eintritt in die Partnerschaft begangene berufliche Fehler eines anderen mit diesem Mandat befassten Partners haften. Gemäß § 8 Abs. 1 Satz 2 PartGG in Verbindung mit § 130 HGB haftet ein neu eintretender Gesellschafter auch für vor seinem Beitritt begründete Verbindlichkeiten der Partnerschaftsgesellschaft. Diese Erwägung trifft nach Ansicht des BGH gleichermaßen auch für Verbindlichkeiten zu, die sich aus fehlerhafter Berufsausübung ergeben. Soweit in der Literatur teilweise davon die Rede ist, in § 8 Abs. 1 Satz 2 PartGG genannte Bezugsnormen des § 130 HGB gelten nicht für Verbindlichkeiten aus dem Bereich der beruflichen Pflichtverletzungen, wird insofern nach Auffassung des BGH nicht berücksichtigt, dass die Sonderregelung der Haftungskonzentration in § 8 Abs. 2 PartGG für Verbindlichkeiten aus dem vorgenannten Bereich lediglich den weit gefassten Haftungstatbestand des § 8 Abs. 1 Satz 2 PartGG modifiziert, nicht aber ausschließt. Zwar kann ein neu in die Partnerschaft eintretender Partner vor seinem Eintritt nicht mit der Mandatsbearbeitung befasst gewesen sein. Es reicht jedoch aus, dass er danach mit dem Mandat in Berührung gekommen ist, um ihn in den Kreis der Haftenden mit einzubeziehen. Daher gilt § 8 Abs. 1 Satz 2 PartGG grundsätzlich auch für die Verbindlichkeiten aus Berufshaftung. Ferner argumentiert der BGH, dass der Wortlaut des § 8 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 PartGG nicht für eine Auslegung des Inhalts hergibt, dass ein Partner, der keinen Fehler zu verantworten habe, nicht haftet. 2. Haftung von Scheinsozien
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Scheinsozien sind Rechtsanwälte, die gemeinsam mit Sozien oder Praxisinhabern nach außen in Erscheinung treten und so dem rechtsuchenden Publikum gegenüber den Anschein eines Gesellschafters erwecken. Dabei kommt es nicht darauf an, wie das Innenverhältnis ausgestaltet ist. Es ist gleichgültig, ob es sich um angestellte Rechtsanwälte, freie Mitarbeiter, Bürogemeinschaften oder Kooperation (beziehungsweise „gefestigte Korporationen“) handelt. Entscheidend ist, dass der Anschein einer Sozietät nach außen erweckt wird. Die Außendarstellung ist zumeist begründet durch die Briefkopfgestaltung, aber auch durch Internetauftritte, Visitenkarten und anderes. Entscheidend ist, dass der Rechtsuchende den Rechtsanwalt als Mitglied einer Sozietät wahrnimmt und das Gegenteil nicht offensichtlich ist. Um den Anschein zu vermeiden, muss die Briefkopfgestaltung eindeutig sein und ebenso eindeutig von dem durchschnittlichen Mandanten verstanden werden. Die Rechtsprechung geht regelmäßig davon aus, dass das Publikum gemeinsame Tätigkeitshinweise mit der tatsächlichen beruflichen Zusammenarbeit der genannten Rechtsanwälte verbindet und kei1 2 3 4 5 6
BGH, WM 1982, 743. BGH, NJW 2004, 3492; 2004, 3190; 2003, 1803; Dahns, NJW-Spezial 2006, 381. OLG Saarbrücken, BRAK-Mitt. 2006, 114; Chab, ZAP 2007, 85. Borgmann, NJW 2005, 22 (24). Sassenbach, AnwBl. 2002, S. 54 ff.; Chab, ZAP 2007, 85. BGH, NJW 2010, 1360.
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Rz. 27 § 52 BRAO
nesfalls nur die gemeinsame Nutzung von Räumen und Material. Regelmäßig soll der Zusammenschluss auch tatsächlich den Eindruck erwecken, die anwaltliche Tätigkeit werde gemeinsam und damit umfassender, effektiver, spezialisierter und mit mehr Qualität geleistet. Dieser Anschein begründet die Sozietätshaftung – auch für Scheinsozien.1 Der Scheinsozius hat es schwer, die besondere Ausgestaltung der Zusammenarbeit im Innenverhältnis zu beweisen und damit den Anschein der Sozietät zu widerlegen. Zumindest aber gibt es keine Rechtsscheinhaftung eines Mitglieds einer anwaltlichen Sozietät für Forderungen, die nicht die anwaltstypische – rechtsberatende oder rechtsvertretende – Tätigkeit betreffen.2 Zur Klärung der Frage, wann die Rechtsscheinhaftung angenommen wird, orientieren sich die Gerichte an den näheren Umständen des Einzelfalles. Dabei ist der konkrete Kenntnisstand des Anspruchstellers ausschlaggebend.3 Weiter ist festzustellen, dass die Haftung des Scheinsozius strenger ist als die innerhalb der echten Sozietät. Sie erstreckt sich nicht nur auf fahrlässig begangene Sorgfaltspflichtverletzungen, sondern kann auch vorsätzliche Handlungen einschließen. Der BGH hat einen Scheinsozius in Haftung genommen, obgleich nicht er, sondern sein Sozius Mandantengelder veruntreut hatte.4 Das Gericht hat dabei nicht auf die Verschuldensform der Pflichtverletzung abgehoben, sondern es allein für entscheidend angesehen, dass der Mandatsvertrag sich auf anwaltliche Tätigkeit bezog. In einem besonderen Fall, in dem ein Treuhandvertrag zu Grunde lag, ging das OLG Celle sogar noch weiter, da es sich bei der Treuhand nicht immer um eine anwaltstypische Tätigkeit handelt.5 Diesen Weg hat der BGH weiter beschritten, indem er urteilte, dass für das deliktische Handeln eines Scheinsozius die Rechtsanwaltssozietät entsprechend § 31 BGB haftet. Diese Entscheidung ist vielfach besprochen, doch ändern kann sich an der umfassenden Haftung der anwaltlichen Gesellschaft bürgerlichen Rechts nichts.6
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Der zuletzt angedeutete Fall zeigt die schwerwiegenden Haftungsfolgen für den Scheinsozius. Zudem ist bei Fehlern innerhalb eines Treuhandgeschäfts oder bei vorsätzlichen Handlungen der Versicherungsschutz der Berufshaftpflichtversicherung nicht gegeben. Vorsätzliches Handeln führt zum Ausschluss des Versicherungsschutzes wegen wissentlicher Pflichtverletzung. In Fällen, in denen eine originäre Anwaltstätigkeit nicht vorliegt, erstreckt sich zumeist der Deckungsumfang nicht auf diese Pflichtverletzung. Hinzu kommt, dass in diesen Fällen der Anspruch gegen den Handelnden, nicht aber gegen den Scheinsozius erfolgreich ist. Die Fälle dieser nicht eindeutig geregelten Zusammenarbeit bergen also ein besonders hohes Haftungsrisiko.
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3. Beschränkung der Haftung auf den Sachbearbeiter Die dritte Möglichkeit (nach Absatz 1 und 2) ist die in Satz 2 genannte Haftungsbeschränkung auf den Sachbearbeiter innerhalb einer Berufsausübungsgemeinschaft. Durch vorformulierte Vertragsbedingungen soll nur das Mitglied haften, das die Mandatsbearbeitung tatsächlich im Rahmen seiner beruflichen Befugnisse vornimmt. Die anderen Mitglieder der Berufsausübungsgemeinschaft werden von der Haftung freigestellt. Deshalb bedarf es im Interesse der Klarheit und Rechtsicherheit der namentlichen Bezeichnung des Handelnden und Haftenden in der Vereinbarung. Zusätzlich sichert das Gesellschaftsvermögen das Risiko. Von besonderer Bedeutung ist dabei, dass gem. § 12 i.V.m. § 1 AVB-R (RSW) die Versicherung sämtlicher Beteiligten einheitlich gestaltet ist. Ist das nicht der Fall, bildet der Versicherer im Schadensfall eine Durchschnittsleistung, die regelmäßig unter der Quersumme der einzelnen Versicherungssumme liegt.7 Vorausgesetzt wird dabei, dass nur die persönliche Haftung beschränkt werden kann. Das Vermögen der Sozietät haftet also in jedem Fall. Weiterhin ist die Haftungsbeschränkung nur auf den Anwaltsregress anwendbar, nicht bei anderen Verträgen, die die Sozietät eingeht. Auch kann die Haftung nur auf ein Mitglied der Sozietät, also einen echten Sozius und nicht auf angestellte Rechtsanwälte oder freie Mitarbeiter konzentriert werden. Wechselt der Sachbearbeiter, muss die Vereinbarung angepasst werden. In der Vereinbarung müssen alle Sachbearbeiter des Einzelfalles namentlich genannt sein. Schließlich 1 2 3 4 5 6 7
Aber für Scheinsozien = OLG Saarbrücken, BRAK-Mitt. 2006, 270. BGH, BRAK-Mitt. 2008, 160 m.w.N., Dahns, NJW-Spezial 2008, 478. OLG Köln, NJW-RR 2004, 2179; OLG Saarbrücken, MDR 2006, 1019; Grams, BRAK-Mitt. 2003, 13. BGH, NJW 1999, 3040; BGH, AnwBl. 2007, 717. OLG Celle, BRAK-Mitt. 2006, 217. BGH, AnwBl. 2007, 717; Weinbeer, AnwBl. 2007, 711; Dahns, NJW-Spezial 2007, 429. Grams, AnwBl. 2001, 292 (293); Zimmermann, NJW 2005, 177.
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§ 52 BRAO Rz. 28
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kann die Haftungsbeschränkung nur im Rahmen eigener beruflicher Befugnisse vereinbart werden. Das heißt, in einer interdisziplinären Sozietät kann nicht die Haftung für reine anwaltliche Tätigkeit auf einen Sozius, der z.B. Steuerberater ist, übertragen werden. Anders ist es, wenn Rechtsanwalt und Steuerberater als Sozien gemeinsam ein Mandat bearbeiten.1 4. Isolierte Zustimmungserklärung 28
§ 52 Abs. S. 3 BRAO fordert schließlich eine schriftliche Zustimmungserklärung zu einer vom Rechtsanwalt vorgelegten Haftungsbeschränkung. Außerdem darf sie keine anderen Erklärungen (nur eventuell deutlich abgesetzte und gesondert unterschriebene Honorarvereinbarung) enthalten und muss vom Auftraggeber unterschrieben sein. Dieses Formerfordernis ist auf Wunsch des Bundesrates angefügt worden, um den Mandanten durch das Erfordernis der Unterzeichnung einer gesonderten Urkunde hinreichend davor zu schützen, die ihm abverlangte Erklärung zu übersehen.2 Fehlt diese gesetzlich vorgeschriebene Form, so ist die vereinbarte Haftungsbeschränkung nichtig (§ 125 BGB).
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§ 52 BRAO enthält damit eine abschließende Sonderregelung für eine vertragliche Haftungsbeschränkung. Sie kann nicht zu Gunsten des Rechtsanwalts ausgeweitet werden.3 Wird dennoch eine über den Inhalt der Vorschrift hinausgehende vertragliche Begrenzung der Haftung des Rechtsanwalts vereinbart, ist diese Vereinbarung wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot nichtig (§ 134 BGB). Bei Unwirksamkeit gilt in diesen Fällen die angemessene gesetzliche Regelung gem. §§ 280 ff. BGB.4 III. Beurteilung 1. Einzelfall – Versicherung
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In den von § 52 BRAO erfassten Fällen ist die durch die Vereinbarung gewonnene Sicherheit trügerisch. Die Wirksamkeit der Haftungsbeschränkungen stellt sich wegen der Unwägbarkeiten einer möglichen AGB-Prüfung erst im Nachhinein heraus. Weiterhin bleibt die Grauzone zwischen einfacher und grober Fahrlässigkeit, die ebenfalls erst nach Abschluss eines lang andauernden Gerichtsverfahrens geklärt ist. Deshalb sollte der Rechtsanwalt immer ausreichenden Versicherungsschutz sicherstellen. Denn nur soweit Versicherungsschutz besteht, ist eine Haftungsfreizeichnung wirksam. Deshalb stellt nur die Versicherung des einzelnen Mandats sicher, dass die vereinbarte Haftungsbeschränkung auf die geforderte Versicherungssumme von z.B. 1 000 000 Euro tatsächlich im Verstoßzeitpunkt unverbraucht zur Verfügung steht.5 Die Einzelfallversicherung wird dem Mandanten jedoch noch schwieriger nahe zu bringen sein als die anderen in § 51a BRAO genannten Möglichkeiten der Haftungsbegrenzung. 2. Unsicherer Verjährungszeitpunkt
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Hinzu kommt die Unsicherheit bei der Verjährung von Ersatzansprüchen, die durch die Schuldrechtsreform eingetreten ist. Durch das Gesetz zur Anpassung von Verjährungsvorschriften an das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts, in Kraft getreten am 15.12. 2004, ist § 51b BRAO ersatzlos gestrichen worden. Damit gilt für die Verjährung von Schadensersatzansprüchen von Mandanten gegenüber Rechtsanwälten die Regelverjährung nach § 199 Abs. 1 BGB. Diese Verjährungsfrist beginnt mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Mandant von den den Anspruch begründeten Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen. Der kenntnisabhängige Beginn des Verlaufs der Verjährungsfrist führt zu einer Verschiebung des Beginns der Verjährungsfrist von Ersatzansprüchen weit in die Zeit nach Beendigung des Mandats. Die in § 199 Abs. 3 BGB genannten Fristen führen damit zur Aktenaufbewahrung über einen Zeitraum nach § 50 Abs. 2 Nr. 1 BRAO hinaus.6 1 2 3 4 5 6
Henssler/Prütting/Stobbe, § 51a Rz. 77; Furmans, NJW 2007, 1400. BR-Drs. 93/93, S. 98. Grams, AnwBl. 2001, 233. BGHZ 107, 351. Zimmermann, NJW 2005, 180. S. § 50 Abs. 2 Nr. 1 BRAO; Schmidt-Räntsch, Das neue Schuldrecht, Rz. 17 ff., 89.
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Vertragliche Begrenzung von Ersatzansprüchen
Rz. 35 § 52 BRAO
IV. Haftungsbeschränkung durch Rechtsformwahl Neben der Haftungsbeschränkung nach § 52 BRAO besteht für Rechtsanwälte, die ihren Beruf gemeinsam oder mit anderen Berufsträgern ausüben, die Möglichkeit der Haftungsbeschränkung durch Rechtsformwahl.1
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1. Haftung in der Partnerschaftsgesellschaft Den Schutz durch eine gesellschaftsrechtliche Haftungsbeschränkung gewährt das Gesetz über die Partnerschaftsgesellschaften Angehörigen freier Beruf seit 1998 in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Umwandlungsgesetzes, des Partnerschaftsgesetzes und andere Gesetze.2 Nach § 8 Abs. 2 Partnerschaftsgesellschaftsgesetz (PartGG) haftet für eine Sorgfaltspflichtverletzung neben der Partnerschaft nur derjenige Partner, der mit der Bearbeitung eines Auftrags befasst war. Bei dieser Haftung wird unterschieden zwischen allgemeinen Verbindlichkeiten, für die die Partner persönlich mit ihrem ganzen Vermögen gesamtschuldnerisch haften und der Haftung aus Berufsversehen. Dazu wird die Ansicht vertreten, die Vorschrift umfasse auch vorsätzliches Fehlverhalten.3 Dieser weite Haftungsumfang hat seine Grenzen aber dort, wo das Gesellschaftsvermögen zusammen mit dem Privatvermögen nicht ausreicht, den Geschädigten zu befriedigen. Dann müssen entweder wieder alle Partner bis zur Erfüllung des Anspruchs persönlich haften oder das Risiko der Insolvenz eingehen.
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Seit dem 19.07.2013 steht der Anwaltschaft auch die Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung zur Verfügung. Bei dieser Alternative zur bisherigen einfachen Partnerschaftsgesellschaft wird die Haftung für berufliche Fehler gemäß § 8 Abs. 4 Satz 1 PartGG auf das Gesellschaftsvermögen beschränkt. Wenn einzelne Partner neben ihrer Tätigkeit in der Partnerschaft Mandate oder Aufträge im eigenen Namen annehmen, fallen hieraus resultierende Verbindlichkeiten nicht unter die Haftungsbeschränkung. Ebenfalls nicht umfasst von der Haftungsbeschränkung sind deliktische Ansprüche, die sich unmittelbar gegen einen handelnden Partner richten. Sonstige Verbindlichkeiten, beispielsweise aus Miet- oder Arbeitsverträgen, sind ebenfalls nicht von der Haftungsbeschränkung umfasst. Das Bestehen einer erhöhten Berufshaftpflichtversicherung in Höhe von 2,5 Mio. Euro pro Schadensfall ist Bedingung für die gesetzliche Beschränkung der Haftung der neuen Partnerschaftsgesellschaft. Diese erhöhte Versicherungssumme entspricht den bestehenden Vorgaben für die Berufshaftpflichtversicherung von Rechtsanwaltsgesellschaften gemäß § 59j BRAO.
33a
2. Haftung in der Rechtsanwaltsgesellschaft mbH Mit der Einführung der Rechtsanwaltsgesellschaft mbH4 besteht eine weitere Haftungsbeschränkung auf das Gesellschaftsvermögen (§ 13 GmbH-Gesetz). Der Gesellschafter haftet – auch bei einer Ein-Mann-GmbH – nicht persönlich. Dabei hat eine Rechtsanwalts-GmbH für das Handeln ihrer Organe und satzungsgemäßen Vertreter entsprechend § 31 BGB sowie ihre angestellten und freiberuflich tätigen Rechtsanwälte gem. § 278 BGB einzustehen. Die Berufshaftpflichtversicherung orientiert sich nicht an dem Gesellschaftskapital, sondern verpflichtet die GmbH nach § 59j BRAO zum Abschluss einer Versicherungsdeckung von mindestens 2,5 Millionen Euro. Der einzelne Gesellschafter hat darüber hinaus noch seine individuelle Berufshaftpflichtversicherung über mindestens 250 000 Euro zu unterhalten.5
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3. Haftung in der Rechtsanwalts-AG Nachdem der BGH die Rechtsanwaltsaktiengesellschaft6 für zulässig erklärt hat, ist auch bei ihr davon auszugehen, dass nur das Gesellschaftsvermögen als Haftungskapital heranzuziehen ist. Solange es keine besonderen berufsrechtlichen Regelungen für die Aktiengesellschaften gibt, sind die Versicherungsfragen an den Vorschriften zur Rechtsanwalts-Gesellschaft mbH zu orientieren; es gelten also die gleichen Haftungsgrundsätze.
1 Haftungsbeschränkungen bei Gesellschaften, Sassenbach, AnwBl. 2007, 293; Feuerich/Weyland/Böhnlein, § 51a Rz. 21. 2 BGBl. I 1998, S. 1878. 3 Voll/Heinemann, Anwaltshaftungsrecht, 2. Aufl. 2003, Rz. 583. 4 BGBl. I 1998, S. 2600. 5 Zuck, Anwalts-GmbH, § 59j Rz. 28; Sassenbach, AnwBl. 2007, 294. 6 BGH, BRAK-Mitt. 2005, 174; BGH, NJW 2005, 1568; Jungk, BRAK-Mitt. 2005, 109.
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§ 52 BRAO Rz. 36
Vertragliche Begrenzung von Ersatzansprüchen
4. Ergebnis 36
Bei allen Gesellschaftsformen gelten dieselben Grundsätze der Haftungsbeschränkung, so auch für die Ein-Mann-Aktiengesellschaft und es ist möglich, ergänzend eine Haftungsbeschränkung nach § 52 Abs. 1 BRAO zu vereinbaren.1 Trotz der neuen Rechtsprechung zur Rechtspersönlichkeit der BGB-Gesellschaft2 ist eine Entscheidung für eine Haftungsbeschränkung in der Berufsausübung einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts nicht gefallen. Damit bleibt in Sozietäten dem Sozius nur die rechtsgeschäftliche Haftungsbeschränkung gem. § 52 Abs. 1 BRAO und eine Haftungskonzentration auf den Sachbearbeiter nach § 52 Abs. 2 BRAO.3 V. Haftung in interprofessionellen Verbindungen
37
Interprofessionelle Verbindungen sind seit langem im Vordringen. Das „Dienstleistungsangebot aus einer Hand“ ist das Argument für den Zusammenschluss zum Vorteil des Mandanten und als Voraussetzung für die Bewältigung immer komplexer werdender, insbesondere wirtschaftlicher Transaktionen, die rechtlich vorzubereiten und zu begleiten sind. Zwar hat das Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) keine Erweiterung der sozietätsfähigen Berufe im Sinne des § 59a BRAO gebracht, wonach der Rechtsanwalt nicht nur mit anderen rechtsberatenden Berufen oder freien Berufen eine Gemeinschaft hätte eingehen können, sondern mit jedem Berufsträger, wenn er einen „vereinbaren“ Beruf ausübt (§ 59a BRAO).4 Mit dieser Marktentwicklung muss aber weiter gerechnet werden und die Versicherung muss mit dieser Entwicklung mithalten.
37a
Zu beachten gilt insbesondere, dass der BGH mit Urteil vom 10.5.20125 klargestellt hat, dass in einer interprofessionellen Sozietät für einen Regressanspruch wegen Verletzung anwaltlicher Beratungspflichten auch diejenigen Sozien persönlich haften, die selbst nicht Rechtsanwälte sind.
37b
Damit kommt es bei interprofessionellen Sozietäten künftig generell nicht mehr darauf an, welcher Berufsträger das Mandat in eigener Person überhaupt rechtlich wahrnehmen darf. Entgegen einer im Schrifttum vertretenen Auffassung6 (Rinkler, in: Zugehör u.a., Hdb. der Anwaltshaftung, 3. Aufl. 2011, Rz. 397) kann der nach früherer Rechtsprechung bestandene Ausschluss der Haftung berufsfremder Sozien nicht dadurch aufrechterhalten werden, dass dem Anwaltsvertrag die konkludente Vereinbarung entnommen wird, die Haftung berufsfremder Sozien werde ausgeschlossen. Ohne konkrete Anhaltspunkte kann den Erklärungen der Parteien ein solcher Wille zur Beschränkung der Haftung nicht entnommen werden. Ist nach dem Parteiwillen gerade ein Sozietätsmandat einer aus Anwälten, Steuerberatern und/oder Wirtschaftsprüfern bestehenden Sozietät gewollt, so gibt es in der Regel keinen Grund für die Annahme, die persönliche Haftung solle sich auf einzelne Sozietätsmitglieder beschränken. Dass der BGH auf Grundlage seines Grundsatzurteils zur Rechtsfähigkeit der GbR aus dem Jahre 2001 von einer akzessorischen Haftung aller Partner in einer gemischten Sozietät ausgeht, ist im Ergebnis dogmatisch konsequent. VI. Versicherungsschutz bei Auslandsberührung 1. Versicherungsschutz in Europa
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Immer stärker wird die Auslandstätigkeit der Rechtsanwälte weltweit. Dadurch entstehen Versicherungsfragen für den deutschen Rechtsanwalt, der in Europa oder außerhalb Europas Rechtsrat erteilt. In jedem Fall ist der ausreichende Deckungsschutz der Versicherung für den Rechtsanwalt von existenzieller Bedeutung. Umgekehrt muss der ausländische Rechtsanwalt eine Deckung im Umfang des § 51 BRAO nachweisen. Die fehlende Angleichung der Versicherungsbedingungen in Europa und außerhalb Europas erschweren dabei die Orientierung, so dass diese Fragen vor einem Tätigwerden mit Auslandsberührung mit dem Haftpflichtversicherer im Bezirk der Anwaltszulassung und gegebenenfalls auch dem Haftpflichtversicherer im Land der Ausübung anwaltlicher Tätigkeit geklärt werden müssen. 1 Ott, Möglichkeiten der Haftungsbeschränkung bei Rechtsanwälten unter besonderer Berücksichtigung neuer Formen beruflicher Zusammenarbeit, 2001. 2 BGH, NJW 2003, 1445 und 1803. 3 Zugehör, ZAP 2005, 651; Chab, ZAP 2007, 723. 4 Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechtsberatungsgesetzes (RDG), BT-Drs. 16/3655. 5 BGH, NJW 2012, 2435. 6 Rinkler, in: Zugehör u.a., Hdb. der Anwaltshaftung, 3. Aufl. 2011, Rz. 397.
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§ 53 BRAO
Bestellung eines allgemeinen Vertreters 2. Ausländische Gesellschaftsformen
Eine weitere Problematik öffnet sich durch die Berufsausübung in ausländischen Gesellschaftsformen wie zum Beispiel der Limited Liability Partnership (LLP) auch in Deutschland. Die Rechtsgrundlagen dafür sind in der BRAO nicht geregelt. Es ist jedoch anerkannt, dass die Tätigkeit ausländischer Kapitalgesellschaften in Deutschland auf dem Gebiet der Rechtsberatung zulässig ist.1 Die Unterscheidungen, ob in der englischen und amerikanischen LLP ein mehr personen- oder kapitalgesellschaftlicher Charakter vorherrscht, machen die Einordnung in das deutsche Gesellschaftsrecht schwierig, zumal andere kulturelle, geschichtliche und rechtliche Entwicklungen diese Gesellschaftsform geprägt haben. Unabhängig davon, ob man sich an dem Partnerschaftsgesellschaftsgesetz oder den Regelungen der BRAO zur Rechtsanwalts-GmbH orientieren will, solange eine gesetzliche Regelung nicht vorliegt, sollte die Vertretung des Mandanten nicht im Namen der LLP erfolgen, sondern im eigenen Namen der postulationsfähigen Rechtsanwälte, um Haftungsfragen über Versicherungsinhalte von Beginn an zu vermeiden.2
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D. Bemerkungen und Hinweise I. Die Versicherung, ständiger Begleiter des Rechtsanwalts Die Berufshaftpflichtversicherung der Rechtsanwälte wirft in allen Bereichen immer noch Fragen auf. Die wissenschaftliche Aufbereitung beginnt.3 Es zählt aber die Praxis und die verändert sich ständig. Deshalb ist jeder Rechtsanwalt von Beginn seiner Tätigkeit an gehalten, sich mit diesen Fragen nicht nur durch einmaligen Abschluss eines Versicherungsvertrages zu Beginn seiner beruflichen Tätigkeit zu befassen; vielmehr muss die Versicherungsfrage ständige Begleiterin parallel zu seiner beruflichen Entwicklung sein. Bei jeder Fallbearbeitung ist ein Fehler – auch ein ganz einfacher – möglich.4 Wenn er auftritt, gilt die sofortige, unverzügliche und vollständige Schadensmeldung an den Versicherer. Andernfalls droht wegen Verletzung der Obliegenheitsverpflichtung unter Umständen der Verlust des Versicherungsschutzes. Dem Fehler muss sich der Rechtsanwalt stellen. Er sollte den Vorwurf des Mandanten gegebenenfalls durch einen Kollegen überprüfen lassen, parallel zur Prüfung durch die Versicherung. Gemeinsam mit der Versicherung ist die Verteidigung im Fall einer gerichtlichen Klärung abzusprechen oder ein außergerichtlicher Vergleich anzubieten.
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II. Unklare Versicherungsregelungen behindern den europäischen Dienstleistungsverkehr Auch aus Sicht der Versicherung des Rechtsanwalts ist es an der Zeit, gesetzliche Regelungen für die Rechtsanwalts-Aktiengesellschaft und die aus Europa kommenden Gesellschaftsformen zu finden. Die Unsicherheit der versicherungsrechtlichen Grundlagen für die anwaltliche Tätigkeit im Ausland wirkt sich als Beschränkung des Dienstleistungsverkehrs aus. Deshalb sind Gesetzesinitiativen zu europäischen Gesellschaften zu begrüßen. Ohne verlässliche Versicherungsregelungen aber bleibt die anwaltliche Berufsausübung für die freiberuflichen Gesellschafter ein existenzielles Risiko, das nur der Gesetzgeber beseitigen kann. Deshalb sollte bei Schaffung europäischer Gesellschaften den Versicherungsfragen besonderes Gewicht beigemessen werden. eines allgemeinen Vertreters 53 BRAO Bestellung (1) Der Rechtsanwalt muss für seine Vertretung sorgen, 1. wenn er länger als eine Woche daran gehindert ist, seinen Beruf auszuüben; 2. wenn er sich länger als eine Woche von seiner Kanzlei entfernen will. (2) 1Der Rechtsanwalt kann den Vertreter selbst bestellen, wenn die Vertretung von einem derselben Rechtsanwaltskammer angehörenden Rechtsanwalt übernommen wird. 2Ein Vertreter kann auch von Vornherein für alle Verhinderungsfälle, die während eines Kalenderjahres eintreten können, bestellt werden. 3In anderen Fällen kann ein Vertreter nur auf Antrag des Rechtsanwalts von der Rechtsanwaltskammer bestellt werden. 1 2 3 4
Henssler, AnwBl. 2005, 374; Grunewald/Müller/Au, NJW 2005, 465. Sassenbach, AnwBl. 2007, 293. van Bühren, Die Berufshaftpflichtversicherung der Rechtsanwälte, 2004. Reiff, AnwBl. 1997, 3 (15); Stobbe, AnwBl. 1997, 16.
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§ 53 BRAO
Bestellung eines allgemeinen Vertreters
(3) (weggefallen) (4) 1Die Rechtsanwaltskammer soll die Vertretung einem Rechtsanwalt übertragen. 2Sie kann auch andere Personen, welche die Befähigung zum Richteramt erlangt haben, oder Referendare, die seit mindestens zwölf Monaten im Vorbereitungsdienst beschäftigt sind, zu Vertretern bestellen. 3§ 7 gilt entsprechend. (5) 1In den Fällen des Absatzes 1 kann die Rechtsanwaltskammer den Vertreter von Amts wegen bestellen, wenn der Rechtsanwalt es unterlassen hat, eine Maßnahme nach Absatz 2 Satz 1 zu treffen oder die Bestellung eines Vertreters nach Absatz 2 Satz 3 zu beantragen. 2Der Vertreter soll jedoch erst bestellt werden, wenn der Rechtsanwalt vorher aufgefordert worden ist, den Vertreter selbst zu bestellen oder einen Antrag nach Absatz 2 Satz 3 einzureichen, und die ihm hierfür gesetzte Frist fruchtlos verstrichen ist. 3Der Rechtsanwalt, der von Amts wegen als Vertreter bestellt wird, kann die Vertretung nur aus einem wichtigen Grund ablehnen. (6) Der Rechtsanwalt hat die Bestellung des Vertreters in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 der Rechtsanwaltskammer anzuzeigen. (7) Dem Vertreter stehen die anwaltlichen Befugnisse des Rechtsanwalts zu, den er vertritt. (8) Die Bestellung kann widerrufen werden. (9) 1Der Vertreter wird in eigener Verantwortung, jedoch im Interesse, für Rechnung und auf Kosten des Vertretenen tätig. 2Die §§ 666, 667 und 670 des Bürgerlichen Gesetzbuchs gelten entsprechend. (10) 1Der von Amts wegen bestellte Vertreter ist berechtigt, die Kanzleiräume zu betreten und die zur Kanzlei gehörenden Gegenstände einschließlich des der anwaltlichen Verwahrung unterliegenden Treugutes in Besitz zu nehmen, herauszuverlangen und hierüber zu verfügen. 2 An Weisungen des Vertretenen ist er nicht gebunden. 3Der Vertretene darf die Tätigkeit des Vertreters nicht beeinträchtigen. 4Er hat dem von Amts wegen bestellten Vertreter eine angemessene Vergütung zu zahlen, für die Sicherheit zu leisten ist, wenn die Umstände es erfordern. 5Können sich die Beteiligten über die Höhe der Vergütung oder über die Sicherheit nicht einigen oder wird die geschuldete Sicherheit nicht geleistet, setzt der Vorstand der Rechtsanwaltskammer auf Antrag des Vertretenen oder des Vertreters die Vergütung fest. 6 Der Vertreter ist befugt, Vorschüsse auf die vereinbarte oder festgesetzte Vergütung zu entnehmen. 7Für die festgesetzte Vergütung haftet die Rechtsanwaltskammer wie ein Bürge. A. Historie . . . . . . . . . . . . . . .
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B. Zweck der Norm . . . . . . . . . . . I. Begründung . . . . . . . . . . . . . II. Regelungsumfang . . . . . . . . . . .
2 2 6
C. Einzelregelungen . . . . . . . . . . . I. § 53 Abs. 1 BRAO – Verhinderungsfälle . II. § 53 Abs. 2 BRAO – längere Vertretungszeiten . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Form der Bestellung . . . . . . . . . 2. Beendigung und Folgen der Vertreterbestellung . . . . . . . . . . . . . . 3. Vertreterbestellung für alle Verhinderungsfälle während eines Kalenderjahres. 4. Vertreterbestellung auf Antrag . . . . . III. § 53 Abs. 4 BRAO – Person des Vertreters . . . . . . . . . . . . . . . . IV. § 53 Abs. 5 BRAO – Bestellung eines Vertreters von Amts wegen . . . . . . . . V. § 53 Abs. 6 BRAO – Anzeige der Vertreterbestellung . . . . . . . . . . . . . VI. § 53 Abs. 7 BRAO – Befugnisse des Vertreters . . . . . . . . . . . . . . . . VII. § 53 Abs. 8 BRAO – Widerruf der Bestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. § 53 Abs. 9 BRAO – Rechtsstellung des Vertreters . . . . . . . . . . . . . .
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IX. § 53 Abs. 10 BRAO – Befugnisse des Vertreters, Vergütung und Bürgenhaftung . 1. § 53 Abs. 10 S. 1 bis 3 BRAO – Voraussetzungen für die Bestellung eines amtlich bestellten Vertreters . . . . . . . 2. Weitere Hinweise zur Rechtsstellung des amtlich bestellten Vertreters. . . . . . a) Allgemeine Anmerkung. . . . . . . b) Haftung und Versicherung des Vertreters . . . . . . . . . . . . . . 3. § 53 Abs. 10 S. 4 bis 7 BRAO – Vergütung und Aufwendung . . . . . . . . . . . a) § 53 Abs. 10 S. 4 BRAO – angemessene Vergütung . . . . . . . . . . aa) Allgemein . . . . . . . . . . . bb) Angemessene Vergütung . . . . cc) Auslagen – Aufwendungen . . . dd) Sicherheitsleistung – erforderliche Umstände . . . . . . . . b) § 53 Abs. 10 S. 5 BRAO – Festsetzung der Vergütung durch die Rechtsanwaltskammer . . . . . . . c) § 53 Abs. 10 S. 6 BRAO – Entnahme von Vorschüssen . . . . . . . . . . d) § 53 Abs. 10 S. 7 BRAO – Bürgenhaftung . . . . . . . . . . . . . . e) Versicherbarkeit der Vergütung . . . D. Hinweise . . . . . . . . . . . . . . .
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43 49 49 50 52 52 52 53 54 56
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Bestellung eines allgemeinen Vertreters
Rz. 3 § 53 BRAO
A. Historie Bereits die Rechtsanwaltsordnung (RAO) von 1878 enthielt eine Vertretungsregelung. Der Rechtsanwalt, der sich von seinem Wohnsitz länger als eine Woche entfernte, hatte dies anzuzeigen und seinen Vertreter zu benennen. Auch war detailliert geregelt, welche Personen zur Vertretung befugt waren. Nach Übernahme entsprechender Regelungen in die Reichsrechtsanwaltsordnung (RRAO) gelangten sie in die Rechtsanwaltsordnung (RAO) für die britische Zone und von dort in die Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO). Isele schildert, dass schon bei Übernahme in die BRAO fraglich war, ob die Vertreterbestellung der Landesjustizverwaltung oder der Rechtsanwaltskammer obliegen sollte.1 Innerhalb der BRAO gab es mehrfache redaktionelle und inhaltliche Änderungen und Ergänzungen. Das Gesetz zur Änderung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und Patentanwälte vom 13.12.1989 brachte die wichtige Ergänzung der Absätze 9 und 10.2 Mit Einführung des § 224a BRAO erhielten die Landesregierungen 1999 die Befugnis, die ihnen zustehenden Aufgaben durch Rechtsverordnung den Rechtsanwaltskammern zu übertragen. Alle Landesregierungen haben zwischenzeitlich von dieser Befugnis Gebrauch gemacht und so sind die Rechtsanwaltskammern befugt, den Vertreter nach § 53 BRAO zu bestellen.3 Deshalb hat der Rechtsanwalt die Vertreterbestellung auch bei der Rechtsanwaltskammer anzuzeigen und zu beantragen. Die letzte Änderung dieser Norm enthält das Gesetz zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariellen Berufsrecht, zur Errichtung einer Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft sowie zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung, der Finanzgerichtsordnung und kostenrechtlicher Vorschriften vom 30.7.20094. Durch das Gesetz zur Stärkung der Selbstverwaltung der Rechtsanwaltschaft vom 26.3.20075 ist in § 53 Abs. 2 BRAO die Möglichkeit der Selbstbestellung des Vertreters aufgenommen worden, wenn die Vertretung von einen, derselben Rechtsanwaltskammer angehörenden, Rechtsanwalt übernommen wird. Diese Änderung ist eine Folge des Wegfalls der Zulassung bei einem bestimmten Gericht (Wegfall der Lokalisation durch Aufhebung des § 18 BRAO). Dieser Änderung wiederum folgt die Anpassung in Absatz 5. Darin ist geregelt, dass die Rechtsanwaltskammer einen Vertreter von Amts wegen bestellen kann, wenn der Rechtsanwalt selbst es unterlässt, einen Vertreter zu benennen oder ihn zu beantragen. Auch die Erweiterung der Postulationsfähigkeit und der Wegfall des Zweigstellenverbots wirken sich dementsprechend hier aus.
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B. Zweck der Norm I. Begründung Die Regelung über die Vertreterbestellung ist seit der RAO von 1878 immer als selbstverständlich angenommen worden. Dabei ist selten hinterfragt worden, welchem Zweck die Norm dient; vielmehr wird davon ausgegangen, dass der Rechtsanwalt seine Dienste anbietet und schon deshalb erreichbar sein muss. Dieselbe Konsequenz wird aus der Tatsache hergeleitet, wonach der Rechtsanwalt Organ der Rechtspflege ist. Der Rechtsanwalt muss also erreichbar sein und zwar, weil es in seinem eigenen Interesse liegt, es den Interessen des Mandanten dient und diese Erreichbarkeit Gewähr für eine funktionierende Rechtspflege bietet. Ob diese Annahmen auch nach den Gesetzesänderungen der letzten Jahre denselben Stellenwert einnehmen, dürfte fraglich sein – mit der Folge, dass die Erreichbarkeit nicht mehr in allen Fallkonstellationen wesentliche Begründung für die Notwendigkeit sein kann, in den geregelten Fällen einen Vertreter zu bestellen.
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Das Interesse des Rechtsanwalts, der seine Dienste im Eigeninteresse anbietet, kann nicht für die Vertreterbestellung ausschlaggebend sein. Wenn der Rechtsanwalt keine Vertretung einsetzt, nimmt er seine Dienstleistung bewusst aus dem Markt. Die dadurch eintretenden Verluste treffen nur ihn selbst. Die flächendeckende Versorgung der Bevölkerung mit anwaltlichem Rechtsrat lässt es heute nicht mehr zwingend erscheinen, dass der Rechtsanwalt in jedem Fall seiner längerfristigen Verhinderung einen Vertreter stellen muss. Der auf Rechtsrat angewiesene Rechtsuchende findet immer eine Vertretung. Heute wird umgekehrt der
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1 Isele, § 53 Anm. I. C. 2. 2 Gesetz zur Änderung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und der Patentanwälte (BGBl. I 1998, S. 2135). 3 BGBl. I 1998, S. 2603 in Verbindung mit Ländererlassen, zum Beispiel für Hessen: Ausführung der Bundesrechtsanwaltsordnung und der Verordnung zur Regelung der Zuständigkeiten nach der Bundesrechtsanwaltsordnung-Erlass v. 1.6.1999 (Hess JMBl 1999, 405 ff.). 4 BGBl. I 2009, S. 2449. 5 BGBl. I 2007. S. 358.
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§ 53 BRAO Rz. 4
Bestellung eines allgemeinen Vertreters
Rechtsanwalt für eine Vertretung sorgen, um seinen Kanzleibetrieb aufrecht zu erhalten und konkurrenzfähig zu bleiben. 4
In seiner Abwesenheit soll der Rechtsanwalt einen Vertreter stellen, um den Mandanten umfassend betreuen zu können. Dieses Argument ist aber ebenfalls weniger von der Notwendigkeit, sondern mehr von wirtschaftlichen Aspekten geprägt. Der Rechtsanwalt, der durch fehlende Vertretung, zum Beispiel durch Versäumen einer Frist, seinen Mandanten einen Schaden zufügt, hat für diesen einzustehen. Er wird zugleich regelmäßig diesen Mandanten verlieren. Deshalb erscheint es auch in diesem Fall für den Rechtsanwalt von überwiegendem Interesse, einen Vertreter zu bestellen. Der Schutz des Rechtsuchenden ist im Verhältnis dazu von untergeordneter Bedeutung. Der ordnungsgemäß seinen Beruf ausübende Rechtsanwalt wird in Vorbereitung seiner Abwesenheit angemessen die Interessen seines Mandanten berücksichtigen. Es bleibt lediglich der Fall, dass der Mandant im Zeitraum der Abwesenheit seines Rechtsanwalts unverhofft Rechtsrat benötigt. Dann sind heute ausreichende Kommunikationsmöglichkeiten für den Mandanten gegeben, seinen Rechtsanwalt beziehungsweise dessen Kanzleimitarbeiter zu erreichen. Andernfalls kann er anderweitig Rechtsrat einholen. Den Nachteil hat der abwesende Rechtsanwalt. Die heutigen Gegebenheiten fordern mithin nicht zwingend die gesetzliche Verpflichtung zur Bestellung eines allgemeinen Vertreters.
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Bleibt das Argument der Vertreterbestellung zur Gewährleistung einer ordnungsgemäßen Rechtspflege. Der Rechtsanwalt ist „Organ der Rechtspflege“. Aus dieser Organstellung folgt die Verpflichtung, ebenso wie für das Gericht, ständig präsent und für jeden Bürger erreichbar zu sein. Hier sind alle Verfahrenssituationen denkbar, die eine unmittelbare Reaktion des Rechtsanwalts erfordern (einstweilige Verfügung, eilige Terminsbestimmung, Maßnahmen im Strafverfahren oder vorläufige Verfahrensanordnungen) und daher eine Vertreterbestellung sinnvoll, wenn nicht gar notwendig erscheinen lassen. Damit stützen allein die Argumente aus der Position des Rechtsanwalts als einem Teil der Rechtspflege die Regelung des § 53 BRAO, dessen Bedeutung jedoch immer geringer wird. II. Regelungsumfang
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§ 53 BRAO regelt die verschiedenen Fälle der Bestellung eines allgemeinen Vertreters als Generalsubstitution. Absatz 1 Nr. 1 bietet auch die rechtliche Grundlage dafür, demjenigen Rechtsanwalt einen Vertreter zu bestellen, der durch ein strafgerichtliches Verbot (§ 70 StGB) oder vorläufiges Berufsverbot (§ 132a StPO) rechtlich gehindert ist, seinen Beruf auszuüben.1 Für die Bestellung eines Vertreters im Falle eines Berufs- oder Vertretungsverbots nach § 150 BRAO gilt hingegen die Spezialvorschrift des § 161 BRAO; im Fall eines gegenständlich beschränkten Berufsverbots darf dem Rechtsanwalt für die vom Vertretungsverbot erfassten Rechtsgebiete kein amtlich bestellter Vertreter bestimmt werden, weil es hierfür an einer Rechtsgrundlage fehlt.2
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Nützliche Hinweise für die Tätigkeit des amtlich bestellten Vertreters bietet die Bundesrechtsanwaltskammer in „Hinweise für die Tätigkeit des amtlich bestellter Vertreters“, erstellt durch den BRAK-Ausschuss – „Abwickler/Vertreter“.3 C. Einzelregelungen I. § 53 Abs. 1 BRAO – Verhinderungsfälle
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Nach Absatz 1 muss der Rechtsanwalt für seine Vertretung sorgen, wenn er länger als eine Woche seinen Beruf nicht ausüben kann oder sich von seiner Kanzlei entfernen will. Nicht ausdrücklich im Gesetz geregelt ist der Fall, in dem der Rechtsanwalt nur bis zu einer Woche entweder gehindert ist, seinen Beruf auszuüben, oder sich von seiner Kanzlei entfernen will. In diesem kurzen Zeitraum stand es ihm auch bisher frei, einen Vertreter zu bestellen oder nicht. Der Rechtsanwalt kann auch bis zur Dauer von einer Woche unter den Voraussetzungen des Absatz 2 S. 1 den Vertreter selbst bestellen, da es sich um ein Weniger handelt, als im Gesetz geregelt. Der Rechtsanwalt kann also grundsätzlich selbst bestimmen, ob er in dieser kurzen Zeit einen Vertreter bestellt oder nicht. Es wird davon ausgegan1 Vgl. BT-Drs. 10/3854, S. 29. 2 BGH, BRAK-Mitt. 1992, 218. 3 BRAK-Mitt. 1994, 24 – Die Hinweise sind fortgeschrieben worden, vgl. zuletzt BRAK-RS 30/1996 v. 5.3.1996.
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Bestellung eines allgemeinen Vertreters
Rz. 11 § 53 BRAO
gen, dass die Verhinderung von weniger als einer Woche von dem vertretenen Rechtsanwalt im Voraus so organisiert werden kann, dass weder ein Schaden für den Mandanten noch für die Rechtspflege zu befürchten ist. Für dennoch eintretende Risiken trägt der Rechtsanwalt die alleinige Verantwortung (z.B. hinsichtlich des Versäumens einer Frist). Die in Absatz 1 ausgesprochene Pflicht des Rechtsanwalts, für seine Vertretung zu sorgen, umfasst auch die Pflicht zur Vertretungsvorsorge im Voraus für den Fall einer plötzlichen Verhinderung (Erkrankung, Unfall, familiäre Gründe und anderes).1 Da solche plötzlichen Verhinderungen immer Lebenswirklichkeit sind, ist der Rechtsanwalt verpflichtet, seine Kanzlei allgemein anzuweisen, für einen solchen Fall um einen Vertreter bemüht zu sein, damit Fristen nicht versäumt werden, und gegebenenfalls für ihn, wenn er selbst nicht dazu in der Lage ist, die Bestellung eines Vertreters bei der Rechtsanwaltskammer zu veranlassen. Ein Rechtsanwalt, der solche allgemeine Anweisungen nicht erteilt, handelt in der Regel schuldhaft.2 So ist der Rechtsanwalt für den Fall einer plötzlichen Erkrankung oder sonstigen unerwarteten Verhinderung verpflichtet, sein Kanzleipersonal für diese Fälle im Voraus (schriftlich) anzuweisen, sich an einen Rechtsanwalt zu wenden, der zur Vertretung bereit ist. Er sollte also im Voraus eine Vereinbarung mit einem befreundeten Kollegen treffen, um Risiken, die sich aus unvorhergesehener Verhinderung ergeben können, entgegenzuwirken.3 Welche Maßnahmen für den plötzlich erkrankten Anwalt zumutbar und möglich sind, macht ein Urteil des BGH vom 3.11.2005 deutlich.4 Danach hat der Rechtsanwalt rechtzeitig das Gericht von seiner krankheitsbedingten Verhinderung am Termin zu unterrichten und dazu auch gegenüber der Telefonzentrale so eindringlich aufzutreten, dass kein Zweifel an seiner Krankheit besteht. Zudem muss er rechtzeitig den gegnerischen Prozessbevollmächtigten unterrichten und schließlich wäre alles vermieden worden, hätte er für seine Vertretung im Voraus für den Eventualfall seiner Erkrankung gesorgt. Nach Absatz 1 Nr. 1 muss der Rechtsanwalt an der Berufsausübung gehindert sein. Ein Hindernis in diesem Sinne stellt nicht die Entscheidung des Anwaltsgerichts gem. § 114 Nr. 4 BRAO dar, wonach das Gericht das Verbot verhängt, auf bestimmten Rechtsgebieten anwaltlich für eine bestimmte Dauer tätig zu sein. In Fällen des § 161a BRAO ist deshalb eine Vertreterbestellung nicht zulässig. Nach überwiegender Auffassung stellt auch die Wahrnehmung auswärtiger Gerichtstermine über einen längeren Zeitraum zum Beispiel in Strafverfahren keinen Verhinderungsfall dar. Die Bestellung eines Vertreters soll nicht dazu dienen, die Arbeitskraft eines Rechtsanwalts zu verdoppeln.5
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Will der Rechtsanwalt sich länger als eine Woche von seiner Kanzlei entfernen oder ist er für diesen Zeitraum an der Ausübung seines Berufes gehindert, hat er sich wiederum einen Vertreter zu bestellen. Mit der räumlichen Entfernung von der Kanzlei ist ein anderer Fall als der der Verhinderung an der Berufsausübung gemeint. Die Entfernung von der Kanzlei kann gerade im Rahmen der Berufsausübung notwendig sein. Diese Regelung hat durch Aufhebung des Zweigstellenverbots6 an ursprünglicher Bedeutung verloren. Da die Regelung aber bestehen geblieben ist, ist anzunehmen, dass der Gesetzgeber gerade an eine Vertreterbestellung in den Fällen gedacht hat, in denen der Rechtsanwalt sich von seiner Kanzlei berufsbedingt entfernen will. Mit diesem Gedanken wird die Eigenverantwortlichkeit anwaltlicher Berufsausübung im Sinne des Art. 12 GG gestärkt.7 Die Ausweitung der Postulationsfähigkeit nach § 78 ZPO wird häufiger die Entfernung des Rechtsanwalts von seiner Kanzlei auch über einen längeren Zeitraum hinaus erfordern. Für diese Fälle wird der Rechtsanwalt künftig verstärkt Vorsorge durch Anweisungen gegenüber seinem Kanzleipersonal treffen müssen.
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II. § 53 Abs. 2 BRAO – längere Vertretungszeiten 1. Form der Bestellung Absatz 2 ergänzt die zeitliche Regelung des Absatzes 1. Die Voraussetzungen für die Bestellung sind die gleichen. Bei einer Verhinderung zwischen einer Woche und einem Monat konnte der Rechtsanwalt den Vertreter selbst bestellen. Ist er länger als einen Monat an der 1 2 3 4 5 6 7
BGH, BRAK-Mitt. 2005, 181 u. BGH, NJW 2006, 448 u. 2412. BGH, MDR 1961, 305. BGH, MDR 1961, 305. BGH, NJW 2006, 448. Hartung/Scharmer, § 53 Rz. 11; Darstellung der Gegenansicht in Rz. 12. Gesetz zur Stärkung der Selbstverwaltung der Rechtsanwaltschaft v. 26.3.2007 (BGBl. I 2007, S. 358). Henssler/Prütting/Prütting, § 53 Rz. 6.
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anwaltlichen Berufsausübung gehindert, konnte bisher der Vertreter nur auf Antrag des Rechtsanwalts von der Rechtsanwaltskammer bestellt werden. Absatz 2 Satz 1 galt entsprechend. Diese Regelung ist durch das Gesetz zur Stärkung der Selbstverwaltung der Rechtsanwaltschaft ersatzlos aufgehoben worden, so dass er immer, auch bei Vorausbestellung bis zu einem Jahr, seinen Vertreter selbst bestellen kann. Eine bestimmte Form für die Selbstbestellung eines Vertreters nach Absatz 2 Satz 1 ist nicht vorgesehen. Verständigen sich zwei Rechtsanwälte darüber, dass der eine im bevorstehenden Urlaub des anderen jeweils auf Bitten von dessen Kanzlei die anwaltlichen Geschäfte erledigen, insbesondere Schriftsätze unterzeichnen soll, so liegt darin die Bestellung eines allgemeinen Vertreters gem. Absatz 2 Satz 1.1 Einer Anzeige gegenüber der Rechtsanwaltskammer bedarf es aber in Fällen des Absatzes 2 Satz 1. (§ 53 Abs. 6 BRAO). Umso weniger die Berufsausübung durch Einzelanwälte erfolgt, umso geringer wird das Anwendungsgebiet dieser Vorschrift. In Sozietäten, Gesellschaften und Partnerschaften werden Vertreterbestellungen vor allem nach Aufhebung der Lokalisationsschranken und des Zweigstellenverbots immer seltener werden, es sei denn, besondere Fallkonstellationen (Nachweis des handelnden Rechtsanwalts in einem außergerichtlichen oder gerichtlichen Verfahren) erfordern den Nachweis der Vertreterbestellung. 12
Der von dem Rechtsanwalt selbst bestellte Vertreter muss Rechtsanwalt sein und derselben Rechtsanwaltskammer wie der vertretene Rechtsanwalt angehören. Eine Kontrolle durch die Rechtsanwaltskammer erfolgt nicht mehr, insbesondere nicht im Hinblick auf die Möglichkeit der Verdopplung der Arbeitskraft oder zu der Frage, ob eine Vertretung überhaupt notwendig gewesen ist. Der Rechtsanwalt muss die Vertretung lediglich anzeigen. Nur in Fällen des Absatzes 2 Satz 3 muss der Rechtsanwalt die Vertretung beantragen und die Rechtsanwaltskammer darüber entscheiden. 2. Beendigung und Folgen der Vertreterbestellung
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Mit Übernahme der anwaltlichen Tätigkeit nach vorangegangener Vertreterbestellung ist die Vertretung beendet. Unterbricht der Rechtsanwalt durch Übernahme der anwaltlichen Geschäfte in der Vertretungszeit, beendet er die Vertretung. Will er wieder vertreten werden, muss er erneut einen Vertreter bestellen, auch wenn die Frist der – unterbrochenen – Vertreterbestellung noch nicht abgelaufen ist. Der Rechtsanwalt kann auch die Vertreterbestellung widerrufen und gegebenenfalls einen anderen Rechtsanwalt als Vertreter bestellen. Ein schutzwürdiges Vertrauen des Vertreters auf den Fortbestand der Vertretung gibt es nicht.2
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Ein Verschulden im Bestellungszeitraum des nach Absatz 2 S. 1 bestellten Vertreters muss sich die Partei nach § 85 Abs. 2 ZPO aber zurechnen lassen.3 Das gilt allerdings dann nicht, wenn die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft mit sofortiger Wirkung widerrufen worden ist. Dann kann ein Verschulden des Rechtsanwalts der von ihm vertretenen Partei nicht gem. § 85 Abs. 2 ZPO zugerechnet werden.4 3. Vertreterbestellung für alle Verhinderungsfälle während eines Kalenderjahres
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Nach Absatz 2 Satz 2 kann der Rechtsanwalt auch einen Vertreter von vornherein für alle Verhinderungsfälle, die während eines Kalenderjahres eintreten können, bestellen. Diese vorher in Absatz 3 enthaltene Regelung ist in Absatz 2 Satz 2 aufgenommen und Absatz 3 ist aufgehoben worden. Neu ist auch in diesem Fall die Selbstbestellung und sie gilt ebenfalls nur, wenn der bestellte Vertreter derselben Rechtsanwaltskammer wie der vertretene Rechtsanwalt angehört.5 Ein Verhinderungsfall ist immer dann anzunehmen, wenn der Rechtsanwalt an seiner Berufsausübung im Ganzen gehindert ist.6 Für die Verhinderung an einzelnen anwaltlichen Tätigkeiten ist der Rechtsanwalt selbst verantwortlich, das heißt, er hat für seine Vertretung zu sorgen und die Interessen des Mandanten wahrzunehmen. Der diesen Überlegungen zu Grunde liegende Gedanke, der Rechtsanwalt soll durch die Vertretung nicht seine Arbeitskraft verdoppeln können, erscheint auch nach Aufhebung des Zweigstellenver1 2 3 4 5 6
BGH, MDR 1967, 32. BGH, BRAK-Mitt. 1992, 218. OVG Hamburg, BRAK-Mitt. 1993, 114. BAG, NJW 2007, 3226. Dahns, NJW 2007, 1553 (1556). BGH, BRAK-Mitt. 1998, 199.
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Rz. 16 § 53 BRAO
bots und der Lokalisation weiterhin folgerichtig. Die grundlegenden Überlegungen des früheren § 53 Abs. 3 BRAO sind im Grundsatz auch jetzt noch anzuwenden. Der „allgemeine Vertreter“, der bestellt wurde für den Rechtsanwalt, der zumeist in öffentlichen Ämtern tätig ist, sollte auch heute noch möglich sein. Die Anwaltschaft will vor allem ehrenamtlich tätige Mitglieder fördern, die sich für das Gemeinwohl sowohl in parlamentarischen Gremien als auch in den anwaltlichen Berufsorganisationen einsetzen. Entscheidend dafür ist, dass der Rechtsanwalt nicht im Voraus seine Verhinderungsfälle aus seiner Nebentätigkeit erkennen und terminieren kann. Es sind jedoch verschiedene andere Situationen denkbar, z.B. eine chronische Erkrankung, politische Betätigung, Wahrnehmung von Ehrenämtern, Tätigkeit für ein Unternehmen in Familienbesitz u.a. Entscheidend ist insofern nicht mehr, dass es sich bei der Nebentätigkeit gerade nicht um eine anwaltliche Berufsausübung handelt, sondern dass der Rechtsanwalt an seiner anwaltlichen Berufsausübung im Ganzen gehindert ist.1 In diesen Konstellationen soll er für die plötzliche Verhinderung, bei deren Wahrnehmung er anwaltliche Tätigkeit nicht ausübte, ohne besondere, immer erneut wiederholte, Antragstellung einen Vertreter zur Verfügung haben (z.B. Abgeordneter, Verbandsfunktionär, Krankenbehandlung). Vorrangig stellt die Regelung des Absatzes 2 Satz 2 jedoch auf die Fälle ab, in denen der Rechtsanwalt nicht anderweitigen, nicht überraschenden und in seiner anwaltlichen Tätigkeit begründeten Terminen zu folgen hat, sondern seine Termine und damit seine Verhinderungsfälle während des Kalenderjahres für ihn nicht immer bekannt und überschaubar sind. In diesem Fall soll er schon zu Beginn des Jahres die Vertreterbestellung vornehmen können. Im Regelfall bedarf es allerdings bei kurzfristiger Verhinderung nicht einmal der Anzeige; vielmehr kann der Rechtsanwalt seinen Vertreter jederzeit bei Abwesenheit bis zu einem Monat selbst bestellen. Meist sind die Vertretungsfälle deshalb nicht anders zu beurteilen, als in den Fällen, in denen die Verhinderung frühzeitig erkannt wird und zur Vertreterbestellung durch den Rechtsanwalt selbst führt. Deshalb kann wohl auch ein allgemeiner Vertreter nicht einem Rechtsanwalt bestellt werden, der beantragt, ihm für den Fall seines Todes, einer möglichen Erkrankung oder sonstigen persönlich bedingten Verhinderungsfällen einen allgemeinen Vertreter zu bestellen. Vielmehr kann die Rechtsanwaltskammer diesen Antrag nur zur Kenntnis nehmen und zu gegebener Zeit im Fall des Eintretens des Ereignisses, das die Vertretung notwendig macht, entsprechend den Hinweisen des Antragstellers entscheiden. Auch kann er selbst durch Anweisung an sein Büropersonal und Absprachen mit seinem in Aussicht genommenen Vertreter die notwendigen Vereinbarungen treffen, um Nachteilen für seinen Mandanten und sich selbst im Falle seines Ausfallens zu vermeiden. Alle anderen Fälle sind die des „allgemeinen Vertreters“ für unvorhersehbare Verhinderungen. Hierzu gilt die bisherige Auffassung (vor dem Gesetz zur Stärkung der Selbstverwaltung der Rechtsanwaltschaft):2 „Diese Regelung hat praktische Bedeutung nur für Rechtsanwälte, die außer in ihrem Beruf ehrenamtlich oder auf sonstige Weise im öffentlichen Leben tätig und dadurch stark in Anspruch genommen sind. Die Wahrnehmung von Gerichtsterminen in erheblichem Umfang kann hingegen die Bestellung eines allgemeinen Vertreters nicht rechtfertigen, da diese Tätigkeit in den Rahmen der Berufsausübung fällt (EGH Hessen, BRAK-Mitt. 1993, 224). Das Gleiche gilt für die auswärtige Beratung von Mandanten (BGH, BRAKMitt. 1998, 199). Eine Einschränkung des Begriffs Verhinderung allein auf die Fälle der Hinderung durch Wahrnehmung politischer oder ehrenamtlicher Tätigkeiten im öffentlichen Leben widerspricht dem logisch systematischen Zusammenhang von § 53 Abs. 3 mit § 53 Abs. 1 und läßt sich auf die Gesetzgebungsgeschichte nicht stützen (BGH, BRAK-Mitt. 1998, 199 im Anschluß an AnwGH Koblenz BRAK-Mitt. 1998, 45). Für die Bestellung eines weiteren allgemeinen Vertreters ist im Regelfall, selbst wenn diese Bestellung – abweichend vom Wortlaut des Gesetzes, nach dem ein Vertreter bestellt werden kann – für zulässig erachtet werden sollte, kein Raum (BayAGH, BRAK-Mitt. 1996, 264). Die Vertretungsmacht des nach Abs. 3 bestellten Vertreters ist nicht von einer Anzeige des einzelnen Verhinderungsfalles abhängig. Von einem Prozessbeteiligten kann nicht in Zweifel gezogen werden, ob im Einzelfall ein solcher Verhinderungsfall vorliegt; das Gericht ist einer Prüfung dieser Frage enthoben (BGH, MDR 1975, 388). Aus Abs. 7 folgt nicht, dass der RA, dem, ohne dass er seine Stellung als Prozessbevollmächtigter einbüßt, ein Vertreter nach Abs. 3 bestellt wird, während der ganzen Zeit der Bestellung seine Postulationsfähigkeit verliert (BGH, MDR 1971, 33). Doch kann das Tätigwerden des Vertretenen neben dem Vertreter unter dem Gesichtspunkt der unzulässigen Verdoppelung der Arbeitskraft, insbesondere in den Fällen der Vertreterbestellung nach Abs. 3 unter Umständen berufswidrig sein (vgl. Isele, § 53 Anm. IX B; Feuerich/Braun, § 53 Rz. 48). Bei der Bestellung eines allgemeinen Vertreters im Rahmen einer überörtlichen Sozietät kann das Zweigstellenverbot und das Lokalisierungsgebot umgangen und damit ein wettbewerbswidriger Vorsprung gegenüber anderen RAen herbeigeführt werden (BayEGH BRAK-Mitt. 1992, 55). Darauf ist zu achten. Falls der nach Abs. 3 bestellte Vertreter die Beendigung der Vertretungszeit am Ende des Kalenderhalbjahres übersieht, können sich erhebliche Haf-
1 Feuerich/Weyland/Böhnlein, § 53 Rz. 8. 2 Henssler/Prütting/Prütting, § 53 Rz. 6; Hartung/Römermann/Scharmer, § 53 Rz. 18 ff.
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§ 53 BRAO Rz. 17
Bestellung eines allgemeinen Vertreters
tungsrisiken ergeben (vgl. hierzu, auch zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Fristversäumungen, Lang, Haftpflichtfragen, AnwBl. 1981, 496).“1
4. Vertreterbestellung auf Antrag 17
Bisher folgte aus der Formulierung des § 53 Abs. 2 BRAO, dass bei längerer Verhinderung über einen Monat hinaus die Selbstbestellung nicht mehr möglich ist und der Rechtsanwalt die Bestellung seines Vertreters bei der Rechtsanwaltskammer beantragen muss. Das entspricht der bisherigen Rechtslage, die durch das Gesetz zur Stärkung der Selbstverwaltung der Rechtsanwälte mit der Fassung des § 53 Abs. 2 BRAO dahingehend geändert wurde, dass es nunmehr keine zeitliche Beschränkung für die Selbstbestellung mehr gibt. In diesem Zusammenhang ist auch § 224a BRAO ersatzlos gestrichen worden, da die Aufgaben (auch die Vertreterbestellung) grundsätzlich der Rechtsanwaltskammer gesetzlich übertragen wurden und somit einer landesrechtlichen Erlassregelung nicht mehr bedürfen.
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Die Bestellung eines Vertreters durch die Rechtsanwaltskammer gem. Absatz 2 Satz 3 ist wirksam erfolgt, wenn die Rechtsanwaltskammer sich des Schriftstücks, das die Bestellung enthält, zwecks Bekanntmachung an den Antragsteller oder irgendeine andere Stelle entäußert hat; eine Absendung an den Vertreter ist dazu nicht erforderlich.2 Das entspricht der bisherigen Auffassung.
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Einen Streit zwischen dem vertretenen Rechtsanwalt und der Rechtsanwaltskammer über die Vertreterbestellung hat auf Antrag der Anwaltsgerichtshof zu entscheiden. Zumeist wird es Streit über die persönliche oder fachliche Eignung des Vertreters geben. Im Fall der Ablehnung des von dem Rechtsanwalt vorgeschlagenen Vertreters hat die Rechtsanwaltskammer dann ihre Erwägungen für die Ablehnung im anwaltsgerichtlichen Verfahren darzulegen.3 Solche Erwägungen sind gerechtfertigt, wenn z.B. die Voraussetzungen des § 7 BRAO vorliegen. Auch vorangegangene schwerwiegende Verstöße gegen Berufspflichten, die zu einer anwaltsgerichtlichen Maßnahme oder zumindest zu einem anwaltsgerichtlichen Ermittlungsverfahren geführt haben, können die Ablehnung neben der nach § 161 BRAO begründen.
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§ 53 Abs. 3 BRAO ist durch das Gesetz zur Stärkung der Selbstverwaltung der Rechtsanwaltschaft ersatzlos aufgehoben. III. § 53 Abs. 4 BRAO – Person des Vertreters
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Nach Absatz 2 Satz 3 hat der Rechtsanwalt im Falle der Verhinderung dann einen Antrag auf Vertreterbestellung zu stellen, wenn die Fälle, in denen er selbst seinen Vertreter bestellen kann, nicht vorliegen. Diese Fälle werden selten sein, denn der Rechtsanwalt kann unabhängig von der Dauer der Verhinderung den Vertreter selbst bestellen. In Fällen der Antragstellung kann er seinen Vertreter selbst vorschlagen. Die Rechtsanwaltskammer soll einen Vertreter bestellen, den der zu Vertretende benannt hat. In Absatz 2 Satz 1 wird die Auswahl des Vertreters regional begrenzt durch seine Mitgliedschaft in derselben Rechtsanwaltskammer. Zu beachten ist jedoch nach wie vor, dass der Vertreter vor dem Gericht, vor dem er den Rechtsanwalt vertreten soll, postulationsfähig ist. Nach ersatzloser Aufhebung des § 18 BRAO ist aber der Rechtsanwalt mit seiner Zulassung zur Rechtsanwaltschaft durch die Rechtsanwaltskammer bei allen Amts-, Land- und Oberlandesgerichten zur Vertretung berechtigt. Die Zulassung beim Oberlandesgericht ist an keine zeitliche Bedingung mehr geknüpft und bedarf nicht einmal mehr eines Antrags. Eine Zulassungsvoraussetzung gibt es nur noch beim BGH in Zivilsachen.
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Es besteht die Auffassung, dass sich in Antragsfällen die Sollvorschrift so verdichtet, dass die Rechtsanwaltskammer die Vertretung einem Rechtsanwalt übertragen muss, es sei denn, es stehen gewichtige (meist persönlich motivierte) Gründe der Bestellung des vorgeschlagenen Rechtsanwalts entgegen. Begründet wird diese Auffassung mit der Erfahrung, dass in aller Regel nur ein Rechtsanwalt Wissen und Erfahrung sowie organisatorische Fähigkeiten mitbringt, die zur Führung eines Kanzleibetriebes und der ordnungsgemäßen Vertretung 1 Dieser Text gibt die Rechtsprechung vor dem 2007 in Kraft getretenen Gesetz zur Stärkung der Selbstverwaltung der Rechtsanwaltschaft wieder. Es bleibt abzuwarten, inwieweit die Rechtsprechung § 53 Abs. 2 S. 2 BRAO künftig ausgestaltet. Der Text ist dem BRAO-Kommentar von Jessnitzer/Blumberg, 9. Aufl. 2000, § 53 Rz. 6 entnommen. 2 OLG Frankfurt, AnwBl. 1980, 70 m.w.N. 3 Hartung/Scharmer, § 53 Rz. 30.
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Bestellung eines allgemeinen Vertreters
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von Mandanten erforderlich sind.1 Deshalb wird auch die Bestellung von Assessoren kritisch gesehen, da diese nicht ohne weiteres über anwaltsspezifische Fähigkeiten und Erfahrungen verfügen.2 Absatz 4 nennt aber auch andere Personen, denen die Fähigkeit zur Vertretung zugesprochen wird, wobei diese Personen selbstverständlich nicht von einem Versagungsgrund der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft betroffen sein dürften (§ 7 BRAO). Als Vertreter können auch nicht solche Personen bestellt werden, gegen die ein vorläufiges Berufsverbot verhängt ist oder gar das vorläufige Verbot, auf bestimmten Rechtsgebieten als Vertreter und Beistand tätig zu werden.
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Ist ein Referendar zum allgemeinen Vertreter eines Rechtsanwalts für alle Fälle der Verhinderung bestellt,3 so stehen ihm die anwaltlichen Befugnisse des Rechtsanwalts auch insoweit zu, als der Rechtsanwalt zum Pflichtverteidiger bestellt ist; erklärt sich der Rechtsanwalt hinsichtlich der Ausübung der Pflichtverteidigung als verhindert, so ist dies vom Gericht nicht nachzuprüfen.4 Zulässigkeit und Wirksamkeit der vom Referendar in der Hauptverhandlung vor der Großen Strafkammer vorgenommenen Pflichtverteidigerhandlungen hängen nicht von der Zustimmung des Vorsitzenden ab. Ein Anspruch auf Vergütung steht nur dem durch den Referendar vertretenen Rechtsanwalt zu.5 Durch landesrechtliche Bestimmungen kann die Möglichkeit der Bestellung von Referendaren eingeschränkt sein.
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Ausländische Rechtsanwälte sind nur dann als geeignete Vertreter anzusehen, wenn sie europäische Rechtsanwälte im Sinne der §§ 1, 2 oder 4 EuRAG sind. Sie gelten dann als Mitglied der Rechtsanwaltskammer und sind bei der Rechtsanwaltskammer zugelassen. Im Zulassungsverfahren hat sich die Rechtsanwaltskammer von ihren Kenntnissen und Erfahrungen überzeugt. Europäische Rechtsanwälte sind nach §§ 2, 6 EuRAG berechtigt, anwaltliche Tätigkeiten auszuüben und § 53 BRAO gilt auch für sie. Anderes gilt für ausländische Rechtsanwälte, die gem. § 206 BRAO im Bezirk der Rechtsanwaltskammer tätig sind. § 206 BRAO schränkt ihre Befugnisse zur anwaltlichen Tätigkeit weitgehend ein. Aufgrund dieser Einschränkungen ist davon auszugehen, dass sie insbesondere im deutschen Recht nicht über die gleiche Qualifikation und Erfahrung wie ein inländischer Rechtsanwalt verfügen.
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IV. § 53 Abs. 5 BRAO – Bestellung eines Vertreters von Amts wegen Absatz 5 erklärt sich aus sich selbst heraus. Die Regelung betrifft einen wohl eher seltenen Fall. Er tritt ein durch Unfall oder plötzliche Erkrankung oder sonstige unvorhergesehene Ereignisse. Es sind die Fälle, für die die Rechtsprechung eine vorausgehende Anweisung des Rechtsanwalts an sein Büropersonal fordert. Deshalb muss der Rechtsanwalt im Voraus Verfahrensabläufe in innerbetrieblichen Dienstanweisungen festlegen, damit sich eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter in solchen Fällen um eine Vertretung kümmern können. Es fallen aber auch darunter die Vertreterbestellung von Amts wegen, wenn gegen den Rechtsanwalt ein Verfahren auf Widerruf und Rücknahme der Zulassung anhängig und in diesem Verfahren der sofortige Vollzug angeordnet ist.
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In all diesen Fällen soll die Rechtsanwaltskammer den Rechtsanwalt auf seine Pflichten zur Vertreterbestellung hinweisen und ihm Gelegenheit zur Erledigung und Stellungnahme geben. Reagiert der Rechtsanwalt nicht – aus welchen Gründen auch immer – ist ein Vertreter zu bestellen. Geht man von den denkbaren Fällen aus, die Absatz 5 regeln soll, dürfte das gewählte Verfahren zu umständlich sein, um den Rechtsanwalt, seinen Mandanten und einer geordneten Rechtspflege wirklich dienlich zu sein. Das folgt schon daraus, dass die Rechtsanwaltskammer regelmäßig als letzte die Information über die Verhinderung des Rechtsanwalts erhält. In Eilfällen sollte deshalb von der Anhörung abgesehen werden.
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Der Rechtsanwalt, der von Amts wegen als Vertreter bestellt wird, kann die Vertretung nur aus einem wichtigen Grund ablehnen. Auch diese Regelung des Absatzes 5 Satz 3 ist unpraktisch. Einen Vertreter gegen seinen Willen einzusetzen, wird in der Sache keinen Erfolg haben. Ein gegen seinen Willen eingesetzter Vertreter wird der Aufgabe nicht gerecht; die zu erwartende Qualität seiner Tätigkeit und damit der Einsatz für die Mandanten dürfte zu be-
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Hartung/Scharmer, § 53 Rz. 35. Hartung/Scharmer, § 53 Rz. 39. BVerfG, NJW 1994, 930. BGH, NJW 1975, 2351. OLG Düsseldorf, NJW 1994, 296.
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zweifeln sein. An dem Erfolg aber hat auch die Rechtsanwaltskammer Interesse, denn der Vertreter stärkt mit seiner Tätigkeit das Ansehen der Rechtsanwaltschaft, wenn in der Interessenvertretung des Mandanten keine Lücke entsteht und trotz der wichtigen Gründe, die zur Verhinderung geführt haben, eine Verzögerung des Verfahrens nicht eintritt. Deshalb wird sich die Rechtsanwaltskammer bemühen, Kammermitglieder zu finden, die bereit sind, Vertretungen dieser Art zu übernehmen. Regelmäßig finden sich Vertreter bei den Sozien, den Bürogemeinschaftern, Partnern oder befreundeten Rechtsanwälten. Andernfalls ist es für den vorgesehenen Vertreter leicht, seinerseits gewichtige Gründe für die Ablehnung vorzutragen. Die baldige Aufgabe der anwaltlichen Tätigkeit, die eigene schlechte Gesundheit, Arbeitsüberlastung, anderweitige Spezialisierung und die Störung des Vertrauensverhältnisses zum Mandanten sind nur einige Gründe, die die Ablehnung der Vertretung rechtfertigen. 29
Über die Ablehnung entscheidet wiederum die Rechtsanwaltskammer. Es ist bisher kein Fall bekannt geworden, wonach ein Vertreter durch die Rechtsanwaltskammer zur Vertretung „gezwungen“ worden ist. Die Entscheidung der Rechtsanwaltskammer, mit der die Zulässigkeit der Ablehnungsgründe verneint wird, stellt einen Verwaltungsakt dar. V. § 53 Abs. 6 BRAO – Anzeige der Vertreterbestellung
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Die Neuregelung des § 53 BRAO geht davon aus, dass der Rechtsanwalt regelmäßig seinen Vertreter selbst bestellen kann. Die Anzeige ist deshalb keine Bedingung für die Wirksamkeit der Bestellung eines Vertreters nach Absatz 2 Satz 1.1 Auch soll es keine Anzeigepflicht für die Fälle des § 53 Abs. 2 S. 2, also der Bestellung eines Vertreters für alle Verhinderungsfälle von vornherein geben. Ein Grund für diese Regelung erschließt sich nicht. Ein Redaktionsversehen ist wahrscheinlich. Dennoch kann die Verletzung der Anzeigepflicht nach § 113 BRAO anwaltsgerichtlich geahndet werden.2 Sinn der Vorschrift ist es, dass die Rechtsanwaltskammer über die Situation ihrer Mitglieder im Fall beruflicher Verhinderung unterrichtet ist, um es ihr zu ermöglichen, darüber die Rechtsuchenden ebenso wie die Gerichte zu informieren und Auskunft über den Vertretungsfall und den Vertreter erteilen zu können. Weitergehende Folgerungen wollte der Gesetzgeber daraus wohl nicht ableiten.3 Dann aber ist zu erwägen, die Vorschrift ganz zu streichen. Ihre Bedeutung für die Vertreterbestellung bleibt in der Praxis abzuwarten. VI. § 53 Abs. 7 BRAO – Befugnisse des Vertreters
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Dem Vertreter stehen die anwaltlichen Befugnisse des Rechtsanwalts zu, den er vertritt. Im Rahmen der Vertretung sollte der Vertreter deshalb das Geschäftspapier des Vertretenen benutzen. Seine Unterschrift sollte er mit einem auf die Vertretung hinweisenden Zusatz versehen.4 Deshalb kann nach Absatz 7 der Vertreter auch solche Prozesshandlungen für den vertretenen Rechtsanwalt vornehmen, die diesem als Vertreter eines anderen Rechtsanwalts obliegen.5 Deshalb kann ein zum Vertreter bestellter Referendar gegen ein Urteil Berufung einlegen, wenn der vertretene Rechtsanwalt dies als Vertreter könnte. Es genügt, dass der Vertreter eindeutig nach außen zum Ausdruck bringt, dass er für den Vertretenen handelt; es ist nicht erforderlich, aber zweckmäßig, dass der Vertreter sich in den für den vertretenen Rechtsanwalt angefertigten Schriftsätzen als „allgemeiner Vertreter“ oder „amtlich bestellter Vertreter“ bezeichnet.6 Unterzeichnet der nach § 53 Abs. 2 S. 1 BRAO bestellte Vertreter eines Pflichtverteidigers die Revisionsschrift, so ist die Unterschrift wirksam. Das Gleiche gilt, wenn der amtlich bestellte Vertreter einen bestimmenden Schriftsatz (z.B. eine Berufungsbegründung) mit seinem Namen und dem vorangestellten Zusatz: „i.V.“ unterzeichnet oder wenn der Rechtsanwalt seine Unterschrift nicht mit einem Vertretungszusatz versehen hat, aus den übrigen Umständen sich aber die Vertreterbestellung deutlich ergibt. Ist in der 1 So auch schon: BGH, MDR 1967, 32. 2 Henssler/Prütting/Prütting, § 53 Rz. 20. 3 Hessische Bundesratsinitiative zum Gesetz zur Stärkung der Selbstverwaltung der Rechtsanwälte – Begründung zu Nr. 31. 4 Hartung/Scharmer, § 53 Rz. 90. 5 BGH, NJW 1981, 1740. 6 BGH, NJW 1975, 542.
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Berufungsschrift deutlich zum Ausdruck gebracht, für den vertretenen Rechtsanwalt zu handeln, so muss in den weiteren Schriftsätzen hierauf nicht nochmals hingewiesen werden.1 Die Vertretungsmacht des Vertreters kann weder durch einseitige Vorbehalte des vertretenen Rechtsanwalts noch durch Vereinbarung beider Rechtsanwälte mit Wirkung nach außen beschränkt werden.2 Doch kann der Vertreter, wenn nicht besondere Umstände die Annahme von Rechtsmissbrauch nahe legen, mit einem Dritten wirksam vereinbaren, diesem gegenüber nicht als amtlich bestellter Vertreter, sondern als Bevollmächtigter des Vertretenen tätig zu werden.3 Herr des Verfahrens ist der Mandant. Er entscheidet, wen er als Bevollmächtigten einsetzt. Auf seine Kosten kann er diesen auch während des Verfahrens wechseln.
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Der amtlich bestellte Vertreter ist kein gesetzlicher Vertreter.4 Der vertretene Rechtsanwalt verliert durch die Vertreterbestellung nicht seine anwaltlichen Rechte. Vielmehr haben der vertretene Rechtsanwalt und sein Vertreter dieselben anwaltlichen Rechte. Bedeutung hat dies für den „amtlich bestellten Vertreter“. Er muss nicht Rechtsanwalt sein, weshalb es bedeutsam ist, dass ihm die Rechte eines Rechtsanwalts durch die Vertreterbestellung übertragen werden. Dadurch kann der Vertreter bei den Gerichten, bei denen der vertretene Rechtsanwalt postulationsfähig ist, als Vertreter wirksam alle Prozesshandlungen vornehmen. Auch Rechtshandlungen, die der vertretene Rechtsanwalt als Betreuer oder Insolvenzverwalter in Gerichtsverfahren wahrgenommen hat, kann der Vertreter fortführen.5 Entscheidend ist, dass der Vertreter lediglich die anwaltlichen Rechte des Vertretenen wahrnehmen kann. Er kann nicht Rechte wahrnehmen, die den Vertretenen persönlich betreffen, wie zum Beispiel als Beschuldigter in einem Strafverfahren oder in Zivilverfahren gegen den vertretenen Rechtsanwalt selbst.6
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§ 53 Abs. 7 BRAO gilt auch für die Strafverteidigung, speziell die Pflichtverteidigung. Sogar der Angeklagte soll nur mit plausiblen Gründen den Vertreter seines bisherigen Strafverteidigers ablehnen können. Unabhängig von der Kostenfolge erscheint dies jedoch im sensiblen Bereich der Straf- und Pflichtverteidigung fraglich. Das notwendige Vertrauensverhältnis zwischen Mandant und Strafverteidiger ist nicht ohne Weiteres zwischen Mandant und Vertreter des Strafverteidigers gegeben. Anders verhält es sich bei der Pflichtverteidigung. Hier hat das Vertrauensverhältnis zwischen Mandant und Verteidiger nicht den alleinigen Stellenwert, besonders wenn der Pflichtverteidiger vorrangig zur Sicherung des Verlaufs des Strafverfahrens eingesetzt wird.7
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Die obigen Ausführungen gelten entsprechend auch für den Rechtsreferendar als amtlich bestelltem Vertreter.8
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VII. § 53 Abs. 8 BRAO – Widerruf der Bestellung Die Bestellung kann in jedem Fall widerrufen werden. Der Rechtsanwalt kann von sich aus die von ihm veranlasste Bestellung jederzeit widerrufen. Ein schutzwürdiges Vertrauen des Vertreters auf den Fortbestand der Vertretung ist nicht gegeben.9 Der Widerruf einer amtlichen Vertreterbestellung durch die Rechtsanwaltskammer ist wie die Bestellung selbst ein Verwaltungsakt, der gerichtlich überprüft werden kann. Der Widerruf ist eine Form der Beendigung der Vertreterbestellung, die ansonsten nach Ablauf des Bestellungszeitraums endet. Die Vertreterbestellung endet auch mit dem Tod des Vertretenen, wobei jedoch nach § 54 BRAO die Rechtshandlungen des Vertreters bis zur Löschung des Vertretenen wirksam sind. Danach folgt die Entscheidung, ob ein Abwickler im Sinne des § 55 BRAO einzusetzen ist.
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VIII. § 53 Abs. 9 BRAO – Rechtsstellung des Vertreters Durch Absatz 9 wird die Stellung des allgemeinen Vertreters nur im Grundsatz umschrieben; die Regelung im Einzelnen bleibt der Verabredung zwischen dem Rechtsanwalt und sei1 BGH, MDR 1990, 490; OLG Koblenz, MDR 1991, 1097; vgl. auch die Anm. von Witopil, BRAK-Mitt. 1991, 235; BGH, NJW-RR 1995, 950; BRAK-Mitt. 1999, 45 (99); MDR 1991, 676. 2 BGH, MDR 1967, 32. 3 BGH, NJW 1972, 212 (213). 4 BGH, NJW 1972, 212. 5 Hartung/Römermann/Scharmer, § 53 Rz. 46. 6 BGH, NJW 1993, 747; Feuerich/Weyland, § 53 Rz. 44. 7 S. hierzu Hartung/Römermann/Scharmer, § 53 Rz. 56 ff. 8 Vehslage, ZAP F. 23, S. 415 ff. 9 BGH, BRAK-Mitt. 1992, 218.
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nem Vertreter vorbehalten. Für den Vertreter gelten die §§ 666, 667 und 670 BGB entsprechend. Damit hat der Vertreter Auskunfts-, Rechnungslegungs- und Herausgabepflichten gegenüber dem vertretenen Rechtsanwalt. Grundsätzlich hat der Vertreter Anspruch auf Aufwendungsersatz und – wie Absatz 10 besagt – Anspruch auf Vergütung. In allen Fällen der Vertreterbestellung haben sich der vertretene Rechtsanwalt und der Vertreter über die Modalitäten der Vertretung einschließlich der Vergütung zu einigen. Beide kennen am besten die Notwendigkeiten, die für die Tätigkeit als Vertreter bedeutsam sind. 38
Deshalb sind Probleme nur in den Fällen angelegt, in denen ein Vertreter durch die Rechtsanwaltskammer von Amts wegen bestellt werden muss. Gegeben ist das in Fällen des strafgerichtlichen Vertretungs- oder Berufsverbots (§ 70 StGB), des vorläufigen Berufsverbots (§ 132a StPO), der Verhängung eines Berufs- oder Vertretungsverbots als vorläufiger Maßnahme (§ 150 BRAO), der Anordnung des sofortigen Vollzugs im Verfahren auf Widerruf der Zulassung (§ 161 BRAO) oder auch nur der Unerreichbarkeit eines Rechtsanwalts. In diesen Fällen muss die Rechtsanwaltskammer den Vertreter auswählen. Die Auswahl entspricht häufig nicht den Vorstellungen des vertretenen Rechtsanwalts und oft kommt es nicht zu einer Zusammenarbeit zwischen Vertreter und vertretenem Rechtsanwalt; oft sogar zum Streit und zur Behinderung der Arbeit des Vertreters. Diesem Umstand hat der „Abwickler – Ausschuss“ der Bundesrechtsanwaltskammer Rechnung getragen und „Hinweise für die Tätigkeit des amtlich bestellten Vertreters“ veröffentlicht, die durch den Ausschuss ergänzt werden.1
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Da neben dem Vertreter auch der vertretene Rechtsanwalt noch vertretungsberechtigt bleibt, sind Konflikte insbesondere dann nicht leicht zu meistern, wenn die Aufrechterhaltung der Praxis durch den Vertreter über einen längeren Zeitraum notwendig ist. Einerseits können die Konflikte begründet sein in der unterschiedlichen Interessenlage zwischen dem Vertreter und dem abzuwickelnden Rechtsanwalt, andererseits können sie sich allein aus langer Zeitdauer entwickeln. Im Fall der länger dauernden Krankheit des zu vertretenden Rechtsanwalts ist häufig eine finanzielle Einigung nur dann unproblematisch, wenn die Vertretertätigkeit ausreichende Einnahmen erbracht hat. Das aber ist nur selten der Fall, zumal der Vertreter gleichzeitig seine eigene Praxis aufrechterhalten muss. Deshalb ist es von Beginn der Vertretung an notwendig, dass der Vertreter insbesondere über seine Einnahmen und Ausgaben Rechnung legt und seine Tätigkeit dokumentiert, um bei Rückgabe der Kanzleigeschäfte den vertretenen Rechtsanwalt einerseits über den Sachstand der Mandate zu informieren, andererseits seine finanzielle Situation zu belegen.
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Noch problematischer wird es, wenn der vertretene Rechtsanwalt – aus welchen Gründen auch immer – nicht mit dem Vertreter zusammenarbeitet und ein Widerruf oder eine Rücknahme der Zulassung noch nicht möglich ist oder im Verfahren nach Antrag auf gerichtliche Entscheidung über mehrere Instanzen zeitintensiv verhandelt wird. In diesen Fällen kann die Kanzlei unter Umständen jahrelang durch den Vertreter zu verwalten sein. Dann aber ist es nicht mehr angemessen, die Aufrechterhaltung der Kanzlei anzustreben. Vielmehr ist in Abstimmung mit der Rechtsanwaltskammer zu entscheiden, in welchem Umfang die Vertretung zur Wahrnehmung der Interessen der Mandanten noch notwendig ist. Gegebenenfalls müssen die Interessen des vertretenen Rechtsanwalts zurückstehen, insbesondere dann, wenn die Kanzlei auch schon vor Vertreterbestellung durch Krankheit oder sonstiges Fehlverhalten des vertretenen Rechtsanwalts Not leidend war. Da diese Fälle erfahrungsgemäß weit überwiegend Einzelanwälte betreffen, gilt der Grundsatz, dass es dem Vertreter nicht zugemutet werden kann, die Unordnung und den desolaten Zustand der Praxis zu beseitigen und dem Vertretenen die Praxis zu erhalten oder gar zu verbessern. Dem entspricht, dass der Vertreter verpflichtet ist, neue Mandate mit Wirkung für den Vertretenen anzunehmen, er sich jedoch nicht selbst um neue Mandate für den Vertretenen bemühen muss. Deshalb ist mit dem Rechtsgedanken aus § 665 BGB in Verbindung mit den Vertretungsvorschriften entsprechend davon auszugehen, dass der Vertreter nicht die Praxis auf eigene Kosten weiterführen oder erhalten kann.
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In Fällen, in denen sich die Vertretung faktisch als Abwicklung darstellt, ist daher im Interesse des Vertretenen die Vertretung als Abwicklung zu führen. Das gilt zum Beispiel wenn offensichtlich ist, dass die Praxis dem Verständnis einer ordnungsgemäßen anwaltlichen Tätigkeitsplattform nicht mehr entspricht und der Vertretene sich weder um seine Praxis kümmert, noch den Vertreter in seiner Tätigkeit unterstützt, oft sogar unerreichbar ist. Dann sollte der Vertreter keine neuen Mandate mehr für den vertretenen Rechtsanwalt annehmen, 1 Zuletzt BRAK-Mitt. 1995, 238.
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sondern die Kosten gering halten und abwickeln. Gleichwohl muss er auch in diesen Fällen auf die Dokumentation seiner Tätigkeit, seines Zeitaufwandes und insbesondere eine Rechnungslegung der Ein- und Ausnahmen genau achten. Auch der „verschollene“ Rechtsanwalt kann zurückkehren und Auskunft und Rechnungslegung über die Tätigkeit des Vertreters verlangen.1 Der Vertreter bleibt in allen Fällen Erfüllungsgehilfe im Sinne des § 278 BGB – gegebenenfalls gesetzlicher Vertreter des Vertretenen. Im Regelfall haftet er deshalb nicht gegenüber dem Mandanten. In der Haftung gegenüber dem Mandanten bleibt der vertretene Rechtsanwalt. Diese Regelung kann aber durchbrochen werden, wenn bei längerer Abwesenheit und völliger Einflusslosigkeit des Vertretenen auf die Mandatsführung des Vertreters oder bei einer entwickelten engen Vertrauensbeziehung zu dem Mandanten die Verantwortung des Vertreters für das Mandat in den Vordergrund tritt.2
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IX. § 53 Abs. 10 BRAO – Befugnisse des Vertreters, Vergütung und Bürgenhaftung 1. § 53 Abs. 10 S. 1 bis 3 BRAO – Voraussetzungen für die Bestellung eines amtlich bestellten Vertreters Nachdem Absatz 9 die Rechtsstellung des Vertreters ebenso grundsätzlich wie allgemein regelt, konkretisiert Absatz 10 die Stellung des von Amts wegen bestellten Vertreters. Seine Befugnisse werden näher beschrieben. Satz 1 nennt die Grundvoraussetzungen, die die Tätigkeit des Vertreters auch dann sicherstellen, wenn der vertretene Rechtsanwalt nicht nur nicht mitarbeitet, sondern sich gegen den Vertreter stellt. Ohne das Recht zum Betreten der Kanzlei kann sich der Vertreter kein Bild über den Umfang seiner notwendigen Tätigkeiten machen; kann ohne Inbesitznahme der zur Kanzlei gehörenden Gegenstände keine Informationen über die laufenden Verfahren erhalten und schließlich nur mit dem Recht, Gegenstände in Besitz zu nehmen und heraus zu verlangen sowie darüber zu verfügen, die finanzielle Situation überblicken und die Interessen der Mandanten wahrnehmen. Zusätzlich ist insbesondere die Inbesitznahme des der anwaltlichen Verwahrung unterliegenden Treuguts aufgezählt. Dies ist notwendig, um die finanziellen Interessen der Mandanten zu schützen und zu sichern. Alle diese Maßnahmen wären unwirksam, wäre der amtlich bestellte Vertreter nicht eigenverantwortlich tätig und hätte er dabei den Weisungen des vertretenen Rechtsanwalts zu folgen.
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Bestreitet oder verweigert der vertretene Rechtsanwalt gar die in Absatz 10 Satz 1 bis 3 näher ausgeführten Befugnisse des Vertreters, muss dieser seine Befugnisse und Rechte gerichtlich durchsetzen. Auch eine anwaltsgerichtliche Maßnahme nach §§ 116 ff. BRAO kommt in diesen Fällen in Betracht.3 Dies ist mittels einstweiliger Verfügung möglich; unter Umständen hatte er sich aber auch tatsächlich durch Öffnen der Türen Zugang zu den Praxisräumen zu verschaffen. Kosten, die durch Maßnahmen entstehen, die der Vertreter vorzunehmen hat, um die Voraussetzungen für seine Tätigkeit zu schaffen, weil der vertretene Rechtsanwalt zumindest nicht mitwirkt, gehen zu Lasten des Vertretenen (Argument aus dem in Absatz 9 geregelten Auftragsrecht).
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Vorrangiges Ziel des amtlich bestellten Vertreters muss es sein, alle Informationen zu erlangen, die es ihm ermöglichen, die Interessen des Mandanten wahrzunehmen, diese Interessen zu schützen und eine geordnete Rechtspflege in den Verfahren des vertretenen Rechtsanwalts zu gewährleisten. Deshalb ist neben der Inbesitznahme aller dazu notwendigen Gegenstände einschließlich der Akten die Überprüfung des geschäftlichen Postverkehrs des vertretenen Rechtsanwalts notwendig. Die geschäftlichen Posteingänge gehören zu den „der Kanzlei gehörenden Gegenständen“. Das bedeutet, dass der Vertreter nicht nur die Posteingänge in Besitz nehmen kann, sondern dass der vertretene Rechtsanwalt verpflichtet ist, dem Vertreter den Zugang zu sämtlichen Postsendungen zu ermöglichen. Auch hier ist im Streitfall der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vor den ordentlichen Gerichten gegeben.
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Um seine Tätigkeit zu dokumentieren und insbesondere die finanziellen Belange des Mandanten zu schützen, ist dem Vertreter in allen Fällen anzuraten, von Beginn seiner Tätigkeit an eine für die Vertretung gesondert angelegte Buchhaltung zu führen. Zwar ist der
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1 Zu den vorangegangenen Ausführungen s.: „Hinweise für die Tätigkeit des amtlich bestellten Vertreters“, BRAK-Mitt. 1994, 22; BRAK-Mitt. 1995, 238. 2 OLG Frankfurt a.M., NJW 1986, 3091. 3 Henssler/Prütting/Prütting, § 53 Rz. 30.
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Vertreter berechtigt, neben dem von ihm Vertretenen über dessen Konten zu verfügen, es ist ihm aber anzuraten, ein gesondertes Geschäftskonto, besser ein Rechtsanwalts-Anderkonto einzurichten, auf das er die Guthaben des Vertretenen überträgt und das er getrennt von seinen eigenen Geschäftskonten hält.1 47
In Wahrnehmung seiner geschilderten umfangreichen Befugnisse darf der Vertreter seinen Auftrag aber nicht überziehen. Er bleibt auch als amtlich bestellter Vertreter Erfüllungsgehilfe und gesetzlicher Vertreter des Vertretenen im Sinne des § 278 BGB. Seine Tätigkeit ist begrenzt durch den Auftrag der Interessenwahrnehmung der Mandanten und die Sicherstellung einer geordneten Rechtspflege. Damit verdrängt er den vertretenen Rechtsanwalt nicht aus einer Eigentümerstellung oder seiner Stellung als Vertragspartner des Vermieters, des Miet- oder Leasingvertrages oder als Arbeitgeber. Mit allen Verträgen, die zur Führung einer Anwaltspraxis notwendig sind, hat er grundsätzlich nichts zu tun. Nur dann, wenn er die Kanzlei des Vertretenen zur Bewältigung seines Auftrags benötigt, hat er in eigener Entscheidung gegebenenfalls selbst die Verträge fortzuführen, neu zu schließen und zu finanzieren. Soweit diese Aufwendungen für die Vertretertätigkeit erforderlich sind, kann er Aufwendungen nach § 53 Abs. 9 S. 2 BRAO i.V.m. § 670 BGB gegenüber dem vertretenen Rechtsanwalt geltend machen.2
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Die grundsätzliche Feststellung, wonach der vertretene Rechtsanwalt Eigentümer seiner Kanzleigegenstände bleibt, erstreckt sich auch auf den Aktenbestand der Kanzlei, für den der vertretene Rechtsanwalt verantwortlich bleibt. Der Vertreter wird lediglich unmittelbarer Fremdbesitzer auch der Akten. 2. Weitere Hinweise zur Rechtsstellung des amtlich bestellten Vertreters a) Allgemeine Anmerkung
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Auch nach Bestellung eines Vertreters bleiben die Rechte des vertretenen Rechtsanwalts bestehen. Er kann sogar neben dem Vertreter tätig sein. Lediglich eine Behinderung des Vertreters wäre unter Umständen eine Pflichtverletzung. Ein Rechtsanwalt, dem ein Vertreter von Amts wegen bestellt worden ist, bleibt Mitglied der Rechtsanwaltskammer mit allen Rechten und Pflichten, einschließlich der Beitragszahlung. Er bleibt auch verpflichtet, in Beschwerdeverfahren mitzuwirken, Auskunft zu erteilen und Handakten vorzulegen (§ 56 BRAO).3 b) Haftung und Versicherung des Vertreters
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Der amtlich bestellte Vertreter haftet im Regelfall nicht.4 Er tritt nicht in das Mandatsverhältnis ein, sondern bleibt Erfüllungsgehilfe des vertretenen Rechtsanwalts. Das Mandatsverhältnis bleibt zwischen dem Vertretenen und seinem Mandanten bestehen. Deshalb haftet dem Mandanten auch nur der vertretene Rechtsanwalt; auch wenn der Vertreter den Schaden verursacht. Da der vertretene Rechtsanwalt häufig einen amtlich bestellten Vertreter erhalten hat, weil er seine anwaltliche Tätigkeit nicht ordnungsgemäß ausübt und keine Gewähr für eine angemessene Interessenvertretung bietet oder gar keine Versicherung mehr unterhält, ist der einzige Schutz des Mandanten die Verpflichtung des Rechtsanwalts, eine Berufshaftpflichtversicherung nach § 51 BRAO abzuschließen und zu unterhalten, die sich auf Vermögensschäden erstreckt. Damit kann der Mandant seinen Anspruch aus fehlerhafter Mandatsbetreuung dem vertretenen Rechtsanwalt ebenso gegenüber geltend machen wie dem Vertreter selbst. Durch die Pflicht, eine Berufshaftpflichtversicherung zu unterhalten, ist somit der Verbraucher weitgehend vor Fehlern im Rahmen der anwaltlichen Berufsausübung geschützt.
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Die Berufshaftpflichtversicherung umfasst regelmäßig auch die Haftung für das Handeln des Vertreters im Rahmen seiner Vertretertätigkeit. Die Einstandspflicht der Versicherung des vertretenen Rechtsanwalts für das Handeln des Vertreters ist in den AVB geregelt, für die Zeit der Verhinderung des Versicherungsnehmers an seiner Berufsausübung. Das gilt in den Fällen, in denen der Vertreter, der nicht Rechtsanwalt ist, der Pflicht zum Abschluss der 1 Feuerich/Weyland/Böhnlein, § 53 Rz. 60. 2 Hinweise für die Tätigkeit des amtlich bestellten Vertreters BRAK-Mitt. 1995, 238; Feuerich/Weyland/ Böhnlein, § 53 Rz. 49. 3 Feuerich/Weyland/Böhnlein, § 53 Rz. 72. 4 BGH, BRAK-Mitt. 2005, 137.
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Berufshaftpflichtversicherung nicht unterliegt. Soweit der Vertreter Rechtsanwalt ist, erhält er durch seine eigene Berufshaftpflichtversicherung Versicherungsschutz für in der Vertretung verursachte Schadensfälle. 3. § 53 Abs. 10 S. 4 bis 7 BRAO – Vergütung und Aufwendung a) § 53 Abs. 10 S. 4 BRAO – angemessene Vergütung aa) Allgemein Nur für den von Amts wegen bestellten Vertreter gilt die hier getroffene Regelung über die Entschädigung. Nur in Fällen der amtlich bestellten Vertretung kann es zu Differenzen kommen. Wenn der Vertreter den zu vertretenden Rechtsanwalt gar nicht kennt und dieser unter Umständen auch nicht die Vertretung befürwortet und unterstützt, wird es Schwierigkeiten auch über die Einigung der Vergütung geben. Andernfalls ist immer eine Einigung anzunehmen. Von einer entsprechenden Regelung für den vom Rechtsanwalt selbst bestellten Vertreter hat der Gesetzgeber deshalb bewusst abgesehen in der Erwägung, dass in einem solchen Fall die Beteiligten einen angemessenen Ausgleich für die – freiwillig übernommene – Vertretung vereinbaren werden1; unter Umständen auch unter Mitwirkung der Rechtsanwaltskammer. Für beide Fälle aber gilt Satz 4 und damit auch die Vereinbarung einer Sicherheitsleistung, wenn die Umstände das erfordern. Die Vorschrift befasst sich aber allein mit der Vergütung des Vertreters. Eine Regelung für die Auslagen, die der Vertreter zur Durchführung seiner Aufgaben erbringen muss, enthält sie nicht. Die Vergütung ist eine Gesamtvergütung. Wie und in welcher Weise sie gezahlt wird, regelt Satz 6 nur indirekt, indem er eine Vorschussentnahme erwähnt.
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bb) Angemessene Vergütung Für die Festsetzung einer angemessenen pauschalierten Gesamtvergütung nach Absatz 10 Satz 4 sind maßgebend der Zeitfaktor, die berufliche Erfahrung, die Schwierigkeit, die Dauer und das Gehalt, das für einen Angestellten oder sog. freien Mitarbeiter gezahlt wird sowie (beim Abwickler s. § 55 BRAO) die Tatsache, dass es sich um eine Berufspflicht handelt.2 In der Praxis der Rechtsanwaltskammern wird die pauschale Vergütung am häufigsten als monatlicher Pauschalbetrag oder als pauschaler Stundensatz festgesetzt. Der monatliche Pauschalbetrag richtet sich entweder nach der angemessenen Vergütung eines „freien Mitarbeiters“ oder – vornehmlich bei jüngeren Rechtsanwälten – nach der Vergütung für einen Angestellten der Gruppe BAT II a. 1991 schwankten die monatlichen Vergütungen zwischen 3000 DM und 6000 DM zuzüglich Mehrwertsteuer. Stundenpauschalen gelten vor allem für Abwicklungen, die einen bestimmten, überschaubaren, kurzen Zeitraum in Anspruch nehmen. Hier galten 1991 Sätze von 50 DM an aufwärts;3 heute liegen die Beträge je nach Kammerbezirk zwischen 50 und 100 Euro.4
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Der AGH Mecklenburg-Vorpommern5 hat klargestellt, dass Stundenpauschalen bei umfangreichen länger andauernden Vertretungen kein geeigneter Ansatzpunkt für die Bemessung der angemessenen Vergütung sind und diese daher nur dann festgesetzt werden sollten, wenn die Abwicklung lediglich einen überschaubaren, kurzfristigen Zeitraum in Anspruch nimmt. Bei einer Vertretung für die Dauer von zwei Monaten handelt es sich noch um einen überschaubaren Zeitraum, so dass eine Abrechnung als Pauschale nach Monaten auch in Ansehung der vorgenannten BGH-Rechtsprechung nicht zwingend geboten ist.
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cc) Auslagen – Aufwendungen Die genannte Vergütung und ihre Festsetzung bezieht sich nur auf die von dem Vertretenen nach Absatz 10 Satz 4 geschuldete Vergütung für die Tätigkeit des Vertreters. Sie umfasst nicht die Aufwendungen des allgemeinen Vertreters z.B. für das Personal im Büro des Vertretenen. Hier handelt es sich um einen Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen nach § 53 Abs. 9 S. 2 BRAO i.V.m. § 670 BGB, die von der Rechtsanwaltskammer nicht festzuset1 2 3 4 5
Vgl. BT-Drs. 11/3253, S. 23. BGH, BRAK-Mitt. 1993, 44. BGH, BRAK-Mitt. 1993, 44. Vgl. auch Simonsen/Leverenz, BRAK-Mitt. 1996, 17 ff. AGH Mecklenburg-Vorpommern, BRAK-Mitt. 2011, 34. BRAK-Mitt. 2010, 81.
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zen sind und für welche die Rechtsanwaltskammer nur kraft ausdrücklich vereinbarter Verpflichtung aufzukommen hat1 und für die demnach auch die Bürgenhaftung nach Absatz 10 S. 7 nicht gilt. Der BGH hat sich in seiner Entscheidung vom 24.10.20032 grundsätzlich und ausführlich mit der Zuordnung der Vergütungs- und Aufwendungsersatzansprüche auseinander gesetzt. In dieser Entscheidung weist er die Vergütung dem hoheitlich geprägten verwaltungsrechtlichen Anspruch des Vertreters zu, während dessen Auslagen und Aufwendungen einen zivilrechtlichen Anspruch begründen, der vor den ordentlichen Gerichten durchzusetzen ist. Den Anspruch nach § 53 Abs. 9 S. 2 BRAO i.V.m. § 670 BGB muss der Vertreter – wie jeder Gläubiger – gegen den Vertretenen durchsetzen. Da der Aufwendungsersatzanspruch deshalb außerhalb des Festsetzungsverfahrens nach Absatz 10 Satz 5 geltend zu machen und zu erfüllen ist, darf die Rechtsanwaltskammer auf diesen Anspruch gezahlte Vorschüsse bei der Festsetzung der Vergütung nicht berücksichtigen.3 Weiterhin hält der BGH in dieser Entscheidung fest, dass der Vertreter – ebenso wie der Abwickler – anlässlich seiner Tätigkeit erlangte Gebühreneinnahmen seinem Vergütungsanspruch gegen zu rechnen hat. 55
Aufwendungen, die erforderlich sind, um die Aufgabe der Vertretung für den vertretenen Rechtsanwalt zu erfüllen, hat der Vertretene zu ersetzen. Erforderlich für die Vertretung sind nach der Rechtsprechung auch unter Umständen Kosten für den laufenden Bürobetrieb. Da der Vertreter für seine Tätigkeit vergütet werden soll, also natürlich keine finanziellen Einbußen hinnehmen muss, kann er seine Auslagen und Aufwendungen aus Geldern des vertretenen Rechtsanwalts decken. Auch hier ist häufig festzustellen, dass keine finanziellen Mittel des vertretenen Rechtsanwalts verfügbar sind. Um durch die Übertragung der amtlichen Vertretung den Vertreter nicht finanziell zu belasten, wird die Rechtsanwaltskammer auch für diese Fälle mit ihm zu Lasten des Kammervermögens eine Vereinbarung treffen, wonach sie die erforderlichen Auslagen und Aufwendungen des Vertreters erstattet. Diese Vereinbarung ist begründet mit der Wahrung des Ansehens der Anwaltschaft. Ebenso wie bei der Vergütung erhält die Rechtsanwaltskammer dann nach Abtretung einen Ersatzanspruch gegen den vertretenen Rechtsanwalt. dd) Sicherheitsleistung – erforderliche Umstände
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Bevor der Vertreter einen Antrag auf Festsetzung der Vergütung durch die Rechtsanwaltskammer stellen kann, hat er eine Einigung mit dem vertretenen Rechtsanwalt zu versuchen. Scheitert dieser Versuch, setzt die Rechtsanwaltskammer die Vergütung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles fest. Für die festgesetzte Vergütung haftet sie gegebenenfalls als Bürge. Kommt es aber zu einer Vereinbarung, hat der Vertreter dann auf eine Sicherheitsleistung zu drängen, wenn Umstände es erwarten lassen, dass der vertretene Rechtsanwalt die Vereinbarung nicht wird einhalten können. Dafür spricht der Widerruf der Zulassung wegen Vermögensverfalls, eine persönliche Verschuldenssituation des vertretenen Rechtsanwalts im privaten Bereich oder alle sonstigen Anzeichen, die auf eine unsichere, ungeordnete Vermögenssituation schließen lassen. Kann die geforderte Sicherheitsleistung nicht erbracht werden, sollte sich der Vertreter frühzeitig mit der Rechtsanwaltskammer über seine Vergütung einigen. Trifft er eine Vereinbarung mit dem vertretenen Rechtsanwalt ohne Sicherheitsleistung, ist die Rechtsanwaltskammer für den Fall, dass die Vereinbarung nicht eingehalten wird, unter Umständen nicht gehalten, die Vereinbarung anstelle des vertretenen Rechtsanwalts zu erfüllen. Die Rechtsanwaltskammer wird aber auch dann eine angemessene Vergütung für den Vertreter festsetzen, jedoch unabhängig von der zwischen den Rechtsanwälten getroffenen Vereinbarung und unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles. b) § 53 Abs. 10 S. 5 BRAO – Festsetzung der Vergütung durch die Rechtsanwaltskammer
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Da zu erwarten ist, dass es in Fällen der Einsetzung eines amtlichen Vertreters häufig zu Schwierigkeiten der Einigung über die Vergütung des Vertreters kommt, regelt Satz 5 die Festsetzung der Vergütung durch den Vorstand der Rechtsanwaltskammer auf Antrag des Vertretenen. Zuerst setzt das voraus, dass der Versuch der Beteiligten, sich über die Vergütung oder die Sicherheit zu einigen, gescheitert ist. Vor der Festsetzung haben die Beteiligten, insbesondere der Antragsteller, zu beantragen und schlüssig zu begründen, dass der 1 BGH, BRAK-Mitt. 1993, 46; 1999, 37. 2 BRAK-Mitt. 2004, 32 ff. 3 BGH, BRAK-Mitt. 1999, 37 m. Anm. Deppert, BRAK-Mitt. 2000, 59 (64).
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Bestellung eines allgemeinen Vertreters
Rz. 61 § 53 BRAO
Einigungsversuch vorgenommen wurde und erfolglos war und seine Angaben im Antrag zu beziffern und zu belegen. Danach hat die Rechtsanwaltskammer die Höhe der Vergütung nach eigenem Ermessen festzusetzen. Dabei ist der Begriff der angemessenen Vergütung ein unbestimmter Rechtsbegriff, der der gerichtlichen Nachprüfung unterliegt.1 Bei der Bestimmung der angemessenen Vergütung sind alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen.2 Die Kriterien der Festsetzung der Vergütung sind schon 1991 auf der Grundlage einer Umfrage bei allen Rechtsanwaltskammern festgestellt und vom BGH in einer Entscheidung aufgeführt worden.3 Die darauf folgende Festsetzung ist ein Verwaltungsakt und unterliegt dementsprechend der Nachprüfung. Hat die Rechtsanwaltskammer vor der abschließenden Festsetzung Abschlagszahlungen zugestimmt, unterliegt auch diese Zustimmung der gerichtlichen Überprüfung auf Antrag des vertretenen Rechtsanwalts. c) § 53 Abs. 10 S. 6 BRAO – Entnahme von Vorschüssen Der Vertreter ist befugt, Vorschüsse auf die vereinbarte oder festgesetzte Vergütung von Praxiskonten zu entnehmen. Dabei wird davon ausgegangen, dass eine Vergütung zwischen dem Vertreter und dem vertretenen Rechtsanwalt vor Aufnahme der Tätigkeit des Vertreters vereinbart wird. Ebenso geht die Regelung davon aus, dass der amtlich bestellte Vertreter die Festlegung seiner angemessenen Vergütung zu Beginn seiner Tätigkeit anstrebt. In beiden Fällen soll die Einigung vor Beginn der Vertretertätigkeit erfolgen. Nur so ist Absatz 10 Satz 6 zu verstehen. Die Praxis gestaltet sich in den Fällen der Bestellung eines amtlichen Vertreters weitgehend anders. Der amtlich bestellte Vertreter muss seine Tätigkeit unverzüglich aufnehmen, um Schaden von den Mandanten und Hindernisse im Ablauf der Verfahren zu vermeiden – auch in Fällen, in denen eine Vergütungsvereinbarung mit dem vertretenen Rechtsanwalt offensichtlich nicht zu erlangen ist. Dann muss er sich unverzüglich mit der Rechtsanwaltskammer in Verbindung setzen. Mit der Rechtsanwaltskammer wird er eine vorläufige Vergütung vereinbaren, die nach kurzer Zeit der Vertretertätigkeit überprüft und als Vorschuss auf die abschließende Festsetzung von der Rechtsanwaltskammer festgestellt wird. Dann kann der Vertreter zum einen den so vorläufig festgesetzten Vorschuss den Geschäftskonten entnehmen, mit Gebühreneinnahmen verrechnen oder den Ausgleich von der Rechtsanwaltskammer erwirken.
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d) § 53 Abs. 10 S. 7 BRAO – Bürgenhaftung Wenn eine Einigung zwischen den Beteiligten nicht zu Stande kommt oder der vertretene Rechtsanwalt offensichtlich vermögenslos ist, setzt die Rechtsanwaltskammer die Vergütung fest. Sie haftet dann für die von ihr festgesetzte Vergütung wie ein Bürge. Das bedeutet, dass die Rechtsanwaltskammer in einem objektiven Verfahren nach Anhörung des vertretenen Rechtsanwalts auf Antrag des Vertreters dessen Vergütung festsetzt. Für den mit Festsetzungsbescheid festgesetzten Betrag haftet dann das Vermögen der Rechtsanwaltskammer. Die Fälle, die einer Vertreterbestellung zugrunde liegen, werden immer komplexer, die Fristen, innerhalb derer Rechtsmittel des vertretenen Rechtsanwalts entschieden werden, sind zum Teil erheblich, damit auch der Zeitraum der Vertretung und damit auch die Summen, die durch Vertreterbestellungen von den Kammermitgliedern aufzubringen sind. Die Vertreterbestellungen belasten insofern erheblich das Kammervermögen.
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Soweit die Kammer Vergütungsansprüche des Vertreters erfüllt, hat sie einen Anspruch auf Abtretung des Anspruchs des Vertreters gegen den vertretenen Rechtsanwalt und kann diesen abgetretenen Anspruch gegen den vertretenen Rechtsanwalt geltend machen. Der Rückgriff ist jedoch meist erfolglos, zumal wenn die Vertreterbestellung mit der Vermögenslosigkeit des vertretenen Rechtsanwalts begründet worden war. Der gegebenenfalls gegen den vertretenen Rechtsanwalt erlangte Titel kann aber vollstreckt werden, wodurch der vertretene Rechtsanwalt in die Gefahr gerät, seine Anwaltszulassung zu verlieren.
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Durch die Bürgenstellung der Rechtsanwaltskammer erhält diese auch alle Rechte eines Bürgen gem. §§ 765 ff. BGB. Die ihr dadurch zustehenden Einreden des Bürgen haben zur Folge, dass auch die Rechtsanwaltskammer gegenüber dem Vertreter die erlangten Gebühren ebenso aufrechnen wie die fehlende Erforderlichkeit des Umfangs seiner Tätigkeit dem Vertreter entgegen halten kann. Hier hat der Vertreter Auskunfts- und Darlegungspflichten
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1 BGH, Beschl. v. 24.10.2003 – AnwZ (B) 62/02. 2 Feuerich/Weyland/Böhnlein, § 53 Rz. 68. 3 BGH, BRAK-Mitt. 1993, 44 – s. genauere Darstellung bei: Hartung/Römermann/Scharmer, § 53 Rz. 121.
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§ 53 BRAO Rz. 62
Bestellung eines allgemeinen Vertreters
gegenüber dem Bürgen in demselben Umfang, wie er sie gegenüber dem vertretenen Rechtsanwalt hat. e) Versicherbarkeit der Vergütung 62
Mit der Versicherbarkeit der Bürgenhaftung der Rechtsanwaltskammer nach Absatz 10 Satz 71 haben sich die Rechtsanwaltskammern schon des Öfteren befasst. Die zu versichernden Summen sind jedoch so hoch und ihre Entstehung zu ungewiss, dass die dafür zu entrichtenden Versicherungsprämien insbesondere für die Rechtsanwaltskammern mit kleinerem Haushalt unverhältnismäßig wären und deshalb die Versicherung der Bürgenhaftung bisher abgelehnt wurde. Die Prämienbelastung stand dem Gebot der Beitragsstabilität für die Mitglieder entgegen. Deshalb versuchen die Rechtsanwaltskammern, die Belastung durch den persönlichen Einsatz der Vorstände und Geschäftsführungen gering zu halten oder einschränkende Vergütungsregelungen zu erlassen. Bedenken begründen auch die Begehrlichkeiten, die durch die regelmäßige Zahlung lukrativer Vertretungsvergütungen geweckt werden könnten. D. Hinweise
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1. Der Ablauf der Bestellung eines amtlich bestellten Vertreters beginnt mit dem vom Vorstand verfügten Bestellungsbeschluss der Rechtsanwaltskammer. Sobald die Rechtsanwaltskammer diesen Beschluss dem Vertreter bekannt gegeben hat, erlangt die Bestellung Wirksamkeit. Dann ist es Aufgabe des Vertreters, seine Arbeitsweise, seine Vergütung und seine Auslagen mit dem vertretenen Rechtsanwalt zu organisieren und zu regeln. Trifft er eine Vergütungsvereinbarung, hat er für Sicherheiten zu sorgen. Kann der vertretene Rechtsanwalt die Sicherheit nicht stellen, muss der Vertreter mit der Rechtsanwaltskammer eine Vergütungsvereinbarung treffen. Dabei sollten für die Vertretertätigkeit erforderliche Auslagen berücksichtigt werden. Um den Umfang seiner Tätigkeit dokumentieren zu können, sollte der Vertreter seine Tätigkeit zeitlich erfassen, Einnahmen und Ausgaben in einer gesonderten Buchhaltung aufzeigen und gegebenenfalls bei umfangreichen Mandaten den Sachverhalt festhalten. Anfangs in kürzeren, später in längeren zeitlichen Abständen sollte der amtlich bestellte Vertreter der Rechtsanwaltskammer über seine Tätigkeit berichten. Alle diese Maßnahmen dienen der Sicherung der Vergütung des Vertreters und der Abwehr oder der Wertung eventuell von dem vertretenen Rechtsanwalt später geltend gemachter Ansprüche.
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2. Die Aufhebung des Zweigstellenverbots ermöglicht es dem Rechtsanwalt, seine anwaltliche Tätigkeit an verschiedenen Orten anzubieten und auszuüben. Kommt es dann zur Notwendigkeit der Bestellung eines amtlich bestellten Vertreters, ist es zweifelhaft, ob ein einzelner Vertreter ausreicht, um die gegebenenfalls weit auseinander liegenden Zweigstellen im notwendigen Umfang zu betreuen, ohne dabei seine eigene Kanzlei über Gebühr zu vernachlässigen. Wenn es zur Bestellung mehrerer Vertreter kommen muss, erhöhen sich die Vergütungszahlungen, für die die Rechtsanwaltskammer wie ein Bürge einzustehen hat. Die Rechtsanwaltskammer wird deshalb künftig in solchen Fällen besonders auf die Notwendigkeit und den Umfang einer solchen Bestellung achten und zugleich die Erforderlichkeit der Vertreterbestellung und dann die Vertretertätigkeit selbst strenger bewerten müssen. Weitere Schwierigkeiten können sich auftun, nachdem durch die Aufhebung des Zweigstellenverbots auch die Tätigkeitsbeschränkungen der §§ 59e und 59f BRAO weggefallen sind, wonach den Gesellschaftern/Geschäftsführern untersagt war, ihren in der Rechtsanwaltsgesellschaft ausgeübten Beruf in einem weiteren beruflichen Zusammenschluss auszuüben. (s. § 59e und f, Abs. 2 BRAO)
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3. Die Übertragung der Aufgaben der Landesjustizverwaltung auf die Rechtsanwaltskammer durch Gesetz entlastet die Rechtsanwaltskammer von der Verwaltungsaufgabe der vielzähligen Vertreterbestellungen. Ihr Spielraum für die Entscheidung über die Vertreterbestellung hat sich dadurch ebenso wie für den einzelnen Rechtsanwalt erheblich vergrößert. Demgemäß kann es bei der Bestellung eines amtlich bestellten Vertreters durch die Rechtsanwaltskammer häufiger zu Konflikten zwischen ihr und dem vertretenen Rechtsanwalt kommen. Es bleibt deshalb weiterhin Aufgabe der Rechtsprechung, die von der gesetzlichen Regelung vorgegebenen Grundlagen auszufüllen und zu erläutern. Das gilt insbesondere für die Frage, ob eine Vertretung eines vermögenslosen Rechtsanwalts bis zur rechtskräftigen 1 Vgl. BRAK-Mitt. 1992, 129 sowie Simonsen/Leverenz, BRAK-Mitt. 1996, 17 (20).
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Rz. 70 § 53 BRAO
Entscheidung über den Widerruf oder die Rücknahme der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft geführt werden muss oder ab wann die Vertretung mit dem Ziel der Aufgabe der Kanzlei betrieben werden kann. 4. Abschließend bleibt darauf hinzuweisen, dass die Tätigkeit des Vertreters in Konkurrenz zur Tätigkeit des Insolvenzverwalters treten kann. Das gilt insbesondere dann, wenn über das Vermögen des vertretenen Rechtsanwalts die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens geprüft wird, beziehungsweise beschlossen worden ist. Dann ist zu berücksichtigen, dass sich die Befugnisse des Vertreters nur auf die anwaltliche Berufstätigkeit des vertretenen Rechtsanwalts bezieht und er dann gegenüber dem Insolvenzverwalter die gleichen Rechte und Pflichten hat wie gegenüber dem vertretenen Rechtsanwalt.
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5. Die Schwierigkeiten, denen sich der amtlich bestellte Vertreter bei der Bewältigung seiner Aufgabe ausgesetzt sieht und die Konfliktmöglichkeiten, die sich aus seiner Rechtsstellung im Verhältnis zu dem vertretenen Rechtsanwalt und dem Mandanten ergeben können, machen es notwendig, dass die Rechtsanwaltskammer berufserfahrene Rechtsanwälte mit dieser Aufgabe betraut. Den finanziellen Aufwand dafür darf die Rechtsanwaltschaft nicht scheuen, da sie ansonsten das Ziel, das Ansehen der Anwaltschaft zu schützen und zu erhalten, die Interessen des Mandanten zu wahren und die des vertretenen Rechtsanwalts zu beachten und zugleich eine ordnungsgemäße Rechtspflege zu gewährleisten, schwerlich erreicht.
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6. Vertreter für eine Rechtsanwaltsgesellschaft? Das Erlöschen, die Rücknahme oder der Widerruf der Zulassung einer Rechtsanwaltsgesellschaft ist in § 59h BRAO geregelt. Nach Absatz 6 kann für die Gesellschaft, die die Zulassung verloren hat, ein Abwickler bestellt werden. Jedoch konkurrieren die gesellschaftsrechtlichen Vorschriften mit denen der BRAO. Soweit sich Rechtsanwälte in Kapitalgesellschaften zur Ausübung ihres Berufs zusammengeschlossen haben, unterliegen sie einerseits dem Berufsrecht, andererseits dem Handelsund Gesellschaftsrecht und nicht zuletzt nehmen sie innerhalb der gewählten Organisationsform die Interessen der Mandanten als Organe der Rechtspflege wahr. Die Rechtsanwaltsgesellschaft ist eine eigene Rechtspersönlichkeit, die von Rechtsanwälten verantwortlich geführt wird (§§ 59e, 59f, 59l BRAO). Deshalb regelt das Gesetz auch Erlöschen, Rücknahme und Widerruf der Zulassung einer Rechtsanwaltsgesellschaft (§ 59h BRAO). Für diese Fälle sieht § 59h Abs. 6 BRAO die Bestellung eines Abwicklers vor, wenn die zur gesetzlichen Vertretung bestellten Personen keine hinreichende Gewähr zur ordnungsgemäßen Abwicklung der schwebenden Angelegenheit bieten. Dann ist § 55 BRAO entsprechend anzuwenden.
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Aus der Tatsache aber, dass für die Führung einer Rechtsanwaltsgesellschaft zugleich die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft für den seine Gesellschaft als Organ vertretenden Rechtsanwalt notwendig ist, werden sich Sachverhalte ergeben, zu deren Klärung allein die Bestellung eines Abwicklers nicht ausreicht; die vielmehr zumindest vorübergehend, vorrangig den Einsatz eines Vertreters fordern. So z.B., um die hinreichende Gewähr für die ordnungsgemäße Wahrnehmung der Interessen der Gesellschaft in der Person des Gesellschafters/ Geschäftsführers festzustellen.
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So ist insbesondere in einer „Ein-Mann-Rechtsanwalts GmbH“ die Situation denkbar, dass der Rechtsanwalt durch Krankheit oder eigenes pflichtwidriges Handeln als Gesellschafter – Geschäftsführer der GmbH ausfällt. Zumindest bis zur Bestandskraft von Widerrufs- oder Rücknahmeverfügung gegenüber dem Rechtsanwalt – aber auch gegenüber der Gesellschaft – ist dann ein Vertreter für ihn einzusetzen (die Voraussetzungen für die Bestellung eines Betreuers werden nicht immer vorliegen). Durch diese Maßnahme gegenüber ihrem Organ ist die Gesellschaft direkt betroffen. Der Vertreter ist ebenso wie der Abwickler nicht Liquidator im Sinne des Handels- und Gesellschaftsrechts. Vielmehr hat er sich auf die ursprünglichen anwaltlichen Pflichten zu beschränken und die schwebenden Angelegenheiten im Interesse des Mandanten abzuwickeln, indem er die laufenden Aufträge für die Gesellschaft fortführt (§§ 53 Abs. 1, 4; 14, 16, 161, 55 Abs. 2 BRAO). Ebenso wenig wie der Abwickler hat sich der Vertreter nicht um Kanzleiräume, Arbeitsverträge oder sonstige Vertragsverhältnisse der früheren Rechtsanwaltsgesellschaft zu kümmern. Daraus erwachsen für die Rechtsanwaltskammer Schwierigkeiten. Sie hat in erster Linie und ohne Ermessensspielraum bei Vorliegen entsprechender Voraussetzungen den Vertreter zur Wahrnehmung der Interessen der Mandanten und zur Aufrechterhaltung einer ordnungsgemäßen Rechtspflege für die Gesellschaft oder/und für deren Geschäftsführer zu bestellen. Mandate aber sind in diesen Fällen regelmäßig der Rechtsanwaltsgesellschaft erteilt, so dass dahingestellt sein kann, dass der Geschäftsführer selbst auch eigene anwaltliche Tätigkeit neben der Geschäftsführerposition ausgeübt haben kann. Es geht nur um ihn als das die Gesellschaft führende Organ. Zugleich benötigt die Gesellschaft auch einen Vertreter zur wirtschaftlichen Ausfüh-
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§ 53 BRAO Rz. 71
Bestellung eines allgemeinen Vertreters
rung der Tätigkeiten der Gesellschaft. Hierzu ist ein (Not-) Geschäftsführer vom Amtsgericht einzusetzen. Es ist hier schon zweifelhaft, wer die dazu notwendigen Anträge stellt. Zudem wird diese Aufgabe ein Rechtsanwalt nicht ohne Weiteres übernehmen. Die wirtschaftlichen Gefahren sind zu erheblich, bleibt doch einerseits die Zulassung des Rechtsanwalts als Gesellschafter/Geschäftsführer einer „Ein-Mann-GmbH“ bis zur Bestandskraft der Widerrufs- oder Rücknahmeverfügung bestehen und ist andererseits die Rechtsanwaltsgesellschaft mbH als Kapitalgesellschaft ohne ihn handlungsunfähig, was nicht unverzüglich zur Beendigung der Tätigkeit der Gesellschaft führt. 71
In jedem Fall erhöht sich mit solchen Vorgängen erneut die finanzielle Belastung für die Rechtsanwaltskammer. Das ergibt sich aus der geschilderten Situation für die „Ein-MannGmbH“ ebenso wie für die denkbare Konstellation der Beendigung anwaltlicher Tätigkeit von mehreren Gesellschaftern/Geschäftsführern und den Möglichkeiten anwaltlicher Zusammenarbeit, die sich nach Wegfall des Zweigstellenverbots eröffnen. Es erscheint deshalb notwendig, die sich aus den möglichen Gesellschaftsverhältnissen (Rechtsanwalts-GmbH, Rechtsanwalts-AG und andere denkbare Gestaltungsformen des Gesellschaftsrechts) in denen der Rechtsanwalt seine Tätigkeit ausüben kann, ergebenden Fragestellungen aufzuarbeiten und die Regelungen der §§ 53, 55, 59 BRAO aufeinander abzustimmen. Jedenfalls scheint eine Konstellation, die die Ernennung eines Vertreters fordert, von dem Gesetzgeber nicht bedacht worden zu sein. Er meint, mit den Verantwortlichkeiten der Organe für die Gesellschaft auszukommen. Doch das erscheint zumindest bei der zulässigen „Ein-MannGmbH“ fraglich. Bis zu einer gesetzlichen Klärung werden besondere Fallkonstellationen, die den Einsatz eines Vertreters notwendig machen, nur durch praxisnahes Verhalten der betroffenen Rechtsanwälte und Rechtsanwaltskammern bewältigt werden können.
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Im Zuge der damaligen Reform der Partnerschaftsgesellschaft hatte die Bundesrechtsanwaltskammer bereits angeregt1, in einem neuen Absatz 11 des § 53 BRAO klarzustellen, dass die Regelungen dieser Vorschrift entsprechend für Rechtsanwaltsgesellschaften gelten. Diese Änderung würde den Rechtsanwaltskammern rechtssicher ermöglichen, einen Rechtsanwalt zum Vertreter einer führungslosen Ein-Mann-Rechtsanwalts-GmbH zu bestellen, damit dieser deren Mandate fortführen kann.
54 BRAO (weggefallen) eines Abwicklers der Kanzlei 55 BRAO Bestellung (1) Ist ein Rechtsanwalt gestorben, so kann die Rechtsanwaltskam1
mer einen Rechtsanwalt oder eine andere Person, welche die Befähigung zum Richteramt erlangt hat, zum Abwickler der Kanzlei bestellen. 2§ 7 gilt entsprechend. 3Der Abwickler ist in der Regel nicht länger als für die Dauer eines Jahres zu bestellen. 4Auf Antrag des Abwicklers ist die Bestellung, höchstens jeweils um ein Jahr, zu verlängern, wenn er glaubhaft macht, dass schwebende Angelegenheiten noch nicht zu Ende geführt werden konnten. (2) 1Dem Abwickler obliegt es, die schwebenden Angelegenheiten abzuwickeln. 2Er führt die laufenden Aufträge fort; innerhalb der ersten sechs Monate ist er auch berechtigt, neue Aufträge anzunehmen. 3Ihm stehen die anwaltlichen Befugnisse zu, die der verstorbene Rechtsanwalt hatte. 4Der Abwickler gilt für die schwebenden Angelegenheiten als von der Partei bevollmächtigt, sofern diese nicht für die Wahrnehmung ihrer Rechte in anderer Weise gesorgt hat. (3) 1§ 53 Abs. 5 Satz 3, Abs. 9 und 10 gilt entsprechend. 2Der Abwickler ist berechtigt, jedoch außer im Rahmen eines Kostenfestsetzungsverfahrens nicht verpflichtet, Kostenforderungen des verstorbenen Rechtsanwalts im eigenen Namen für Rechnung der Erben geltend zu machen. (4) Die Bestellung kann widerrufen werden. (5) Ein Abwickler kann auch für die Kanzlei eines früheren Rechtsanwalts bestellt werden, dessen Zulassung zur Rechtsanwaltschaft erloschen ist.
1 BRAK-Stellungnahme 31/2011.
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Rz. 3 § 55 BRAO
Bestellung eines Abwicklers der Kanzlei A. Historie . . . . . . . . . . . . . . . .
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B. Zweck der Norm . . . . . . . . . . . .
2
C. Einzelne Regelungen der Norm . . . . . I. § 55 Abs. 1 S. 1 und 2 BRAO – Bestellung des Abwicklers/Verfahren der Bestellung . 1. Zuständig für die Bestellung . . . . . . 2. Fälle, Anhörung . . . . . . . . . . . . 3. Person des Abwicklers . . . . . . . . . 4. Bestellung . . . . . . . . . . . . . . . II. § 55 Abs. 1 S. 3 und 4 BRAO – Dauer der Bestellung und zeitliche Begrenzung . . . 1. Dauer . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Beginn . . . . . . . . . . . . . . . b) Ende der Bestellung . . . . . . . . . c) Wiederbestellung/erneute Bestellung . 2. Anfechtbarkeit. . . . . . . . . . . . . III. § 55 Abs. 2 BRAO – Rechtsstellung, Befugnisse und Aufgaben des Abwicklers . . . 1. Allgemein . . . . . . . . . . . . . . . 2. § 55 Abs. 2 S. 1 und 2 BRAO – schwebende Angelegenheiten/laufende Aufträge . . . 3. § 55 Abs. 2 S. 3 und 4 BRAO – Rechtsstellung des Abwicklers . . . . . . . . . . a) Im gerichtlichen Verfahren . . . . . . b) Rechtsstellung des Abwicklers innerhalb der Kanzlei. . . . . . . . . . . IV. § 55 Abs. 3 BRAO – Finanzielle Aspekte der Abwicklung . . . . . . . . . . . . 1. Allgemein . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vergütung und Aufwendungen . . . . .
5 5 5 6 8 15 16 16 16 19 20 21 22 22 23 26 26 32 40 40 42
a) Angemessene Vergütung . . . . . . b) Aufwendungen, Auslagen . . . . . . V. Beitreiben der Gebühren des ausgeschiedenen Rechtsanwalts . . . . . . VI. § 55 Abs. 4 BRAO – Widerruf der Bestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. § 55 Abs. 5 BRAO – Abwicklerbestellung nach Widerruf oder Rücknahme der Zulassung des ausgeschiedenen Rechtsanwalts . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Verhältnis des Abwicklers zu Insolvenzverwalter, Testamentsvollstrecker, Betreuer des früheren Rechtsanwalts . . . 1. Abwickler und Erben . . . . . . . . . 2. Abwickler und Insolvenzverwalter . . . a) Auskunftspflicht . . . . . . . . . . b) Befugnis zur Buchführung . . . . . c) Aktenbesitz . . . . . . . . . . . . d) Vergütung des Abwicklers im Insolvenzverfahren . . . . . . . . . . . e) Zwischenergebnis . . . . . . . . . 3. Abwickler und Testamentsvollstrecker . 4. Abwickler und Betreuer des früheren Rechtsanwalts . . . . . . . . . . . . D. I. II. III.
42 46 47 49
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53 53 54 57 58 59 60 61 62 65
Spezielle Fragen zur Abwicklertätigkeit. Veräußerung der Praxis . . . . . . . . Aufbewahrung der Handakten . . . . . Verjährung des Anspruchs eines Abwicklers auf seine Vergütung . . . . . . . .
66 66 67
E. Hinweise . . . . . . . . . . . . . . .
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A. Historie Bei § 55 BRAO handelt sich um eine relativ junge Vorschrift, da sie erst durch § 2 der Verordnung zur Änderung und Ergänzung der Reichsrechtsanwaltsordnung vom 1.3.1943 eingeführt wurde.1 Die Rechtsanwaltsordnung für die britische Zone übernahm die Vorschrift. Darüber gelangte sie in die Bundesrechtsanwaltsordnung vom 1.8.1959. Wesentliche Änderungen brachte das Gesetz zur Änderung der Berufsordnung der Rechtsanwälte und Patentanwälte vom 13.12.1989.2 Im Jahre 2007 ist die BRAO erneut durch das Gesetz zur Stärkung der Selbstverwaltung der Rechtsanwälte novelliert worden. Mit diesem Gesetz ist die Befugnis zur Verwaltung des Abwicklers von der Bestellung bis zur Abberufung allein auf die Rechtsanwaltskammern übertragen worden.3
1
B. Zweck der Norm Ebenso wie § 53 BRAO dient diese Vorschrift den Interessen der Rechtsuchenden, der Sicherheit des Rechtsverkehrs und der Wahrung des Ansehens der Anwaltschaft. Die Bestellung eines Abwicklers der Kanzlei durch die Rechtsanwaltskammer kommt in Betracht nach Absatz 1 Satz 1 beim Tod des Rechtsanwalt, ferner nach Absatz 5, wenn seine Zulassung zur Rechtsanwaltschaft gem. § 13 BRAO erloschen oder nach § 14 BRAO widerrufen worden ist. In jedem Fall soll zur Wahrnehmung der Interessen der Rechtsuchenden und zur Sicherung der ordnungsgemäßen Abwicklung des Rechtsverkehrs unverzüglich ein Abwickler bestellt werden, der diese Interessen wahrnimmt und damit das Ansehen der Anwaltschaft vor Schaden bewahrt. Wie schon bei der Vertretung nach § 53 BRAO ist § 55 BRAO auch nicht sinngemäß auf die Fälle eines gegenständlich beschränkten Vertretungsverbots anzuwenden (§§ 114, 161a BRAO).
2
Für den verstorbenen oder den ehemaligen Rechtsanwalt soll möglichst schnell ein Abwickler bestellt werden, der die anhängigen Rechtsstreitigkeiten ohne Zeitverlust und ohne
3
1 RGBl. I 1943, S. 123. 2 BGBl. I 1984, S. 2135. 3 BGBl. I 2007, S. 348.
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§ 55 BRAO Rz. 4
Bestellung eines Abwicklers der Kanzlei
Mehrkosten für den Rechtsuchenden abschließt. In dem Zeitraum, in dem der Abwickler die Verfahren führt, soll auch den Erben ermöglicht werden, die Praxis zu verwerten. Problematische Fälle entstehen heute zumeist auf Grund von Rücknahme und Widerruf der Zulassung, da die betroffenen Rechtsanwälte meist keine finanziell erfolgreichen Praxen führen, vielmehr der Widerruf der Zulassung auf Grund Vermögensverfalls des betroffenen Rechtsanwalts verfügt werden musste. 4
Mit der Bestellung zum Abwickler wird eine öffentlich rechtliche Pflicht für den Abwickler begründet, die Kanzlei des früheren Rechtsanwalts ordnungsgemäß abzuwickeln.1 Seine Tätigkeit wird mangels eines eigenen Nutzens für den Abwickler als „fremdnützig“ bezeichnet.2 Der Abwickler handelt weitgehend selbstverantwortlich, selbstständig und weisungsfrei. In den Fällen des § 55 Abs. 2 S. 2 BRAO tritt der Abwickler als selbstverantwortlicher Vertragspartner für den Mandanten des früheren Rechtsanwalts auf. Er ist nicht Vertreter des früheren Rechtsanwalts. In allen übrigen Fällen ist er gem. §§ 55 Abs. 3, 53 Abs. 9 S. 1 BRAO Vertreter des früheren Rechtsanwalts mit der Folge, dass der frühere Rechtsanwalt gem. § 164 ff. BGB berechtigt und verpflichtet wird und für die haftungsbegründenden Handlungen seines Vertreters gem. § 278 BGB ein zu stehen hat.3 Diese dem Vertreter sehr ähnliche Rechtsstellung des Abwicklers rechtfertigt die Verweise in § 55 Abs. 3 BRAO auf weite Teile des § 53 BRAO. Der Abwicklerausschuss der Bundesrechtsanwaltskammer hat sich intensiv mit den sich aus der Abwicklertätigkeit ergebenden Fragen befasst. Das Ergebnis ist in den Zusammenstellungen von Simonsen/Leverenz4 1995/1996 grundsätzlich festgehalten und seitdem von dem Ausschuss weiter entwickelt worden. Unter anderem hat der Abwicklerausschuss der Bundesrechtsanwaltskammer „Hinweise für die Tätigkeit des Abwicklers“ veröffentlicht und fortgeschrieben.5 C. Einzelne Regelungen der Norm I. § 55 Abs. 1 S. 1 und 2 BRAO – Bestellung des Abwicklers/Verfahren der Bestellung 1. Zuständig für die Bestellung
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Die Rechtsanwaltskammer bestellt den Abwickler. Die Bestellung nimmt der Vorstand vor. Die Entscheidung fällt durch Beschluss in einer Sitzung des Vorstands oder der zuständigen Abteilung des Vorstands und ist zu protokollieren (§ 72 Abs. 3 BRAO). Die Ausführung kann der Präsident oder der Vorsitzende der zuständigen Abteilung vornehmen. Die Beschlussfassung kann auch im Umlaufverfahren erfolgen, wenn die Geschäftsordnung dies vorsieht. Dann erhalten die Vorstandsmitglieder, die der zuständigen Abteilung angehören, nacheinander dieselben Schriftstücke, und geben ihr Votum ab. Die Ausführung der Beschlussfassung erfolgt dann wieder durch den Präsidenten, den Abteilungsvorsitzenden oder alle Abteilungsmitglieder.6 Um tätig werden zu können, muss die Rechtsanwaltskammer von einer Situation Kenntnis erlangen, die es notwendig macht, dass ein Abwickler bestellt wird. Diese Kenntnis erlangt sie durch Anzeige der Erben, von Kollegen des verstorbenen Rechtsanwalts oder stellt sie selbst im Rahmen des Verfahrens auf Widerruf/Rücknahme der Zulassung fest. Erhält die Rechtsanwaltskammer Kenntnis, hat sie von sich aus zu entscheiden, ob sie einen Abwickler einsetzt. Ihr ist somit ein Ermessen eingeräumt zu entscheiden, ob überhaupt eine Abwicklung notwendig ist. Dieses Ermessen ist an der vorgefundenen Situation auszurichten. In jedem Fall ist ein Abwickler einzusetzen, gegen den keine Bedenken aus den in § 7 BRAO genannten Gründen sprechen und gegen den weder ein vorläufiges Berufsverbot oder ein Verbot verhängt wurde, auf bestimmten Rechtsgebieten als Vertreter oder Beistand tätig zu werden.
1 OLG Düsseldorf, AnwBl. 1997, 226. 2 Feuerich/Weyland, § 55 Rz. 2. 3 OLG Düsseldorf, AnwBl. 1997, 226; Feuerich/Weyland, § 55 Rz. 3; Simonsen/Leverenz, BRAK-Mitt. 1995, 224 ff. und BRAK-Mitt. 1996. 4 Simonsen/Leverenz, BRAK-Mitt. 1995, 224 ff. und BRAK-Mitt. 1996. 5 „Hinweise für die Tätigkeit des Abwicklers“ – Merkblatt zuletzt im Dezember 2004, zu finden in der aktuellen Fassung der Homepage der Bundesrechtsanwaltskammer unter: BRAK Intern/Ausschüsse/Ausschuss Abwickler/Vertreter/Hinweise für die Tätigkeit des Abwicklers. 6 Brandenburgischer AGH, Beschl. v. 27.3.2006 – AGH 6/05.
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Bestellung eines Abwicklers der Kanzlei
Rz. 8 § 55 BRAO
2. Fälle, Anhörung Bei der Prüfung der Voraussetzungen für die Bestellung ist es von Bedeutung, in welcher Form der Berufsausübungsgemeinschaft der abzuwickelnde Rechtsanwalt seinen Beruf ausgeübt hat; ob also der Rechtsanwalt als Einzelanwalt tätig war oder in Bürogemeinschaft, Sozietät oder einer Rechtsanwaltsgesellschaft gearbeitet hat. Die Fälle, in denen ein Abwickler zu bestellen ist, sind unterschiedlich und erfordern verschiedene Entscheidungen. Regelmäßig ist es nicht notwendig, einen Abwickler zu bestellen, wenn der ausgeschiedene Rechtsanwalt in einer Sozietät, Rechtsanwaltgesellschaft oder Partnerschaftsgesellschaft tätig war. Dann übernehmen regelmäßig die Kolleginnen und Kollegen die anwaltliche Tätigkeit, zumal dort Mandate nur in Ausnahmen nicht der Berufsausübungsgemeinschaft erteilt werden. Die Rechtsprechung geht sogar von einer Pflicht des Sozius zur Übernahme der Mandate eines verstorbenen Kollegen aus.1 Damit ist die Fortführung der Mandate sichergestellt. Dennoch kann auch in diesen Fällen die Bestellung eines Abwicklers notwendig sein, wenn der Partner z.B. eine so spezielle fachliche Ausrichtung seiner Tätigkeit hatte, dass sich in der Berufsausübungsgemeinschaft kein anderer Spezialist findet. Auch im Falle einer zerstrittenen Sozietät, in der ein Sozius verstorben ist, kann es zweckmäßig sein, nicht den überlebenden Sozius zum Abwickler zu bestellen. Die Rechtsanwaltskammer kann hierzu aber grundsätzlich nicht verpflichtet werden2. Auch Kapazitätsprobleme können zur Bestellung eines weiteren Rechtsanwalts als Abwickler führen. Soweit es die internen Verträge für die gemeinschaftliche Berufsausübung regeln, ist auch eine Vereinbarung mit den Erben leicht. Für die Übernahme der Praxis müssen gesonderte Vereinbarungen mit den Erben getroffen werden. Gab es wegen des Verhaltens, auf Grund dessen der Rechtsanwalt ausscheiden musste, bei der Berufsausübung Streit oder ist eine Regelung mit den Erben nicht zu erreichen, ist oft wegen der Interessenkollision nicht ein Bürogemeinschafter als Abwickler einzusetzen, sondern ein außenstehender Dritter.3 War der ausgeschiedene Rechtsanwalt alleine tätig, wird regelmäßig ein Abwickler zu bestellen sein. Dann gebieten es die Interessen der Rechtsuchenden und die Interessen einer geordneten Rechtspflege, dass die schwebenden Angelegenheiten zeitnah und ohne Nachteile für die Mandanten fortgeführt werden.
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Grundsätzlich ist es sinnvoll und angezeigt, vor der Bestellung des Abwicklers auch den früheren Rechtsanwalt oder die Erben des verstorbenen Rechtsanwalts zu hören, in geeigneten Fällen auch andere Personen.4 Es ist jedoch nicht rechtsfehlerhaft, wenn die im Gesetz nicht vorgesehene zusätzliche Anhörung des früheren Rechtsanwalts unterbleibt; letzteres kann sogar angezeigt sein, z.B. im Fall des Absatz 5, wenn die Zulassung des früheren Rechtsanwalts nach § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO wegen Vermögensverfalls widerrufen worden ist.5 Eine unterlassene Anhörung berührt nicht die Wirksamkeit der Abwicklerbestellung. Anders als bei § 53 BRAO ist eine Selbstbestellung nicht möglich und eine Aufforderung zur Antragstellung sachlich nicht geboten. Die Rechtsanwaltskammer hat die Situation zu beurteilen und über die Bestellung eines Abwicklers zu entscheiden. Da erst in zweiter Linie die Interessen des ausgeschiedenen Rechtsanwaltes von Bedeutung sind, geht es in erster Linie meist um eine rasche Entscheidung und Bestellung des Abwicklers, besonders dann, wenn der Rechtsanwalt wegen Vermögensverfalls oder gar Gefährdung von Vermögensinteressen des Mandanten aus der anwaltlichen Tätigkeit ausscheiden musste.6 Ob dann eine Anhörung zur Klärung der Situation notwendig ist, hat die Rechtsanwaltskammer nach eigenem pflichtgemäßem Ermessen zu beurteilen. Die Anhörung gibt Aufschluss über die Umstände der Beendigung der Tätigkeit des ausgeschiedenen Rechtsanwaltes, die in der Praxis herrschende Situation und häufig über Vorschläge zur Auswahl des Abwicklers. Meist verfügt die Rechtsanwaltskammer jedoch ebenfalls über ausreichende Grundlagen zur Entscheidung aus Mitteilungen in Zivil und Strafsachen (MiZi – MiStra).
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3. Person des Abwicklers Die Rechtsanwaltskammer kann einen Rechtsanwalt oder eine andere Person, welche die Befähigung zum Richteramt erlangt hat, zum Abwickler der Kanzlei bestellen. Auch hier 1 2 3 4 5 6
Bay. AGH, BRAK-Mitt. 2005, 1194. Vgl. insofern Bay. AGH, BRAK-Mitt. 2010, 135. BRAK-Mitt. 2005, 194. Vgl. Isele, § 55 Anm. II.B.3b. EGH Frankfurt, EGE XIV, 236. Hartung/Römermann/Scharmer, § 55 Rz. 22.
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§ 55 BRAO Rz. 9
Bestellung eines Abwicklers der Kanzlei
handelt es sich um eine Ermessensentscheidung. Voraussetzung ist, dass keine Gründe nach § 7 BRAO der Bestellung entgegenstehen. 9
Es ist sinnvoll, einen Rechtsanwalt zum Abwickler zu bestellen. Das gilt insbesondere, wenn der ausgeschiedene Rechtsanwalt überwiegend in einem speziellen Rechtsgebiet tätig war. Dann sollte ein Rechtsanwalt gefunden werden, der ebenfalls auf diesem Gebiet tätig ist. Nur ein Rechtsanwalt verbindet in seiner Person die erforderlichen materiellrechtlichen und prozessualen Kenntnisse mit der gerade bei einer Abwicklung besonderen wichtigen Fähigkeit zur Organisation eines anwaltlichen Kanzleibetriebes und dem nötigen wirtschaftlichen Denken eines Freiberuflers.1 Damit ist den Interessen der Rechtsuchenden am besten gedient. Abwickler kann grundsätzlich jeder Rechtsanwalt werden, der im Bundesgebiet zugelassen ist. Die Auswahl der Person des Abwicklers wird sich regelmäßig auch heute noch an einer geringen Entfernung zwischen der eigenen Praxis des Abwicklers und der abzuwickelnden Praxis orientieren. Weiterhin ist ein Rechtsanwalt als Abwickler regelmäßig für diese Tätigkeit berufshaftpflichtversichert. Nicht zuletzt ist auch die Übernahme des Amtes als Abwickler für jeden Rechtsanwalt eine Berufspflicht.2 Regelmäßig verfügen die Rechtsanwaltskammern auch über Namen der zur Übernahme von Abwicklungen bereiten und häufig sogar darin erfahrener Rechtsanwälte, so dass die Bestellung eines Rechtsanwalts zum Abwickler schneller und im Interesse und zum Vorteil des ausgeschiedenen Rechtsanwaltes, der Mandanten und zur Wahrung der Rechtspflege und des Ansehens der Rechtsanwaltschaft erfolgen kann.
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Andere Personen mit Befähigung zum Richteramt wird die Rechtsanwaltskammer ausnahmsweise dann bestellen, wenn eine enge berufliche Zusammenarbeit mit anderen Rechtsanwälten nicht gegeben war, ein Rechtsanwalt sich für die Abwicklertätigkeit wegen örtlicher, sachlicher oder sonstige besondere Gegebenheiten nicht findet oder die Erben einen bestimmten Abwickler vorschlagen. Das geschieht unter Umständen, weil sie sich die Übernahme der Praxis durch ihn erhoffen. In diesen Fällen werden gerade nicht die notwendigen spezifischen anwaltlichen Kenntnisse und unternehmerischen Erfahrungen zu erwarten sein, die für die Abwicklung bedeutsam sind. Die Rechtsanwaltskammer wird deshalb diese Abwickler in ihrer Tätigkeit verstärkt begleiten und vor der Bestellung darauf achten müssen, dass sie über die notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten verfügen und eine Versicherung im Umfang des § 51 BRAO vor Aufnahme der Tätigkeit abgeschlossen haben. Auch hier müssen zur Bestellung die Voraussetzungen des § 7 BRAO vorliegen.
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Beschränkungen in der Person liegen z.B. im Fehlen der Befähigung zum Richteramt. So kann ein Kammerrechtsbeistand deshalb selbst dann nicht zum Abwickler einer Anwaltskanzlei bestellt werden, wenn er Sozius des ausgeschiedenen Rechtsanwalts war. Rechtsbeistände können aber zum Abwickler der Kanzlei eines ausgeschiedenen Rechtsbeistands bestellt werden.3
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Auch die Bestellung eines Referendars zum Abwickler ist damit – anders als nach § 53 BRAO – nicht möglich. Als Gründe dafür werden zum einen angeführt die Tatsache, dass die Abwicklung zeitlich nicht abschätzbar ist, so dass die Ausbildung des Referendars beeinträchtigt werden könnte. Das gilt für die zeitliche Ausdehnung der Tätigkeit ebenso wie für ihre Intensität. Zum anderen verfügt der Referendar noch nicht über die Erfahrung, die für die Abwicklung notwendig ist, tritt der Abwickler doch in die laufenden Verfahren, die der ausgeschiedene Rechtsanwalt geführt hat, unmittelbar ein.
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Ausländische Rechtsanwälte können gem. § 206 BRAO Mitglied der Rechtsanwaltskammer sein. Ihnen fehlt aber neben der Befähigung zum Richteramt eine Vergleichbarkeit in der Rechtsausübungsbefugnis, da sie regelmäßig nur berechtigt sind, sich unter der Berufsbezeichnung des Herkunftsstaates zur Rechtsbesorgung auf den Gebieten des Rechts des Herkunftsstaates und des Völkerrechts in Deutschland niederzulassen. Eine anwaltliche Tätigkeit im deutschen Recht ist ihnen damit untersagt, so dass sie für die Bestellung als Abwickler nicht in Betracht kommen.
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Europäische Rechtsanwälte dagegen erlangen im Fall der Niederlassung in Deutschland nach § 11 bzw. § 13 EuRAG (nach einigen Jahren des Erwerbs entsprechender Erfahrung im deutschen Recht durch anwaltlichen Berufsausübung in Deutschland) auf Antrag die Zulassung als deutscher Rechtsanwalt. Sie müssen dazu den Nachweis einer effektiven und regel1 Hartung/Römermann/Scharmer, § 55 Rz. 16, 27. 2 Feuerich/Weyland, § 55 Rz. 9. 3 Hartung/Scharmer, § 55 Rz. 13.
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Rz. 17 § 55 BRAO
mäßigen Tätigkeit als niedergelassener europäischer Rechtsanwalt in Deutschland auf dem Gebiet des deutschen Rechts, einschließlich des Gemeinschaftsrechts führen. Vom ersten Tag ihrer Aufnahme als europäischer Rechtsanwalt dürfen sie auf dem Gebiet des deutschen Rechts tätig sein und können so Erfahrungen sammeln. Auf ihren Antrag erhalten sie dann die gleichen Befugnisse wie ein deutscher Rechtsanwalt, so dass auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der europäische Rechtsanwalt nur unter der Berufsbezeichnung seines Herkunftslandes tätig sein kann – § 5 EuRAG – dieser als Abwickler bestellt werden kann. Das gilt insbesondere dann, wenn er nach den Regeln des europäischen Rechtsanwaltsgesetzes zur Rechtsanwaltschaft zugelassen ist.1 4. Bestellung Die Bestellung zum Abwickler ist ein Verwaltungsakt, der wirksam wird, wenn die Rechtsanwaltskammer ihn bekannt gibt. Die Bestellung ist jederzeit möglich – auch längere Zeit nach dem eigentlichen Ereignis (Tod, Widerruf, Rücknahme). Es kann sich erst später herausstellen, dass es sachdienlich ist, einen Abwickler zu bestellen.2 Häufig ist die Kanzleiabwicklung beendet und dennoch bedürfen Einzelfälle der Bearbeitung. Diese Fälle werden oft erst spät bekannt und erst dann wird von den Mandanten die Bestellung eines Abwicklers beantragt. Die Rechtsanwaltskammer muss stets den Einzelfall beurteilen und nach pflichtgemäßem Ermessen entscheiden.
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II. § 55 Abs. 1 S. 3 und 4 BRAO – Dauer der Bestellung und zeitliche Begrenzung 1. Dauer a) Beginn § 55 Abs. 1 S. 3 und 4 BRAO bilden den zeitlichen Rahmen der Abwicklerbestellung. Die Bestellung ist in der Regel zuerst auf ein Jahr zu begrenzen. Das bedeutet nicht, dass die Abwicklung ein Jahr bestehen muss. Vielmehr soll die Abwicklung so rasch wie möglich durchgeführt werden. Naturgemäß hängt die Dauer der Abwicklung von der vorgefundenen Aufgabe ab. Eine umfangreiche anwaltliche Tätigkeit des ausgeschiedenen Rechtsanwalts wird eine längere Abwicklungszeit begründen als die Praxis, in der seit geraumer Zeit wegen Krankheit oder aus sonstigen persönlichen Gründen keine Mandate bearbeitet wurden oder durch vorangegangene Vertreterbestellung die Bearbeitung der Mandate schon weitgehend abgeschlossen wurde. Je nach Situation kann es deshalb sogar sinnvoll sein, den Abwicklungszeitraum von vornherein auf einen geringeren Zeitraum zu begrenzen. In jedem Fall sollte in enger Zusammenarbeit zwischen Rechtsanwaltskammer und Abwickler der Zeitraum der Abwicklertätigkeit so gering wie möglich gehalten werden. So werden die Interessen des Mandanten wahrgenommen und zugleich Kosten gespart. Auch ist der zeitliche Aufwand für den Abwickler selbst belastend, da er neben der abzuwickelnden Kanzlei regelmäßig auch seine eigene Kanzlei zu führen hat. Durch die Abwicklertätigkeit darf der Abwickler nicht seine eigene Existenz gefährden, indem er sein Büro vernachlässigt.
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§ 55 Abs. 1 S. 4 BRAO ermöglicht es dem Abwickler, den Antrag zu stellen, den Tätigkeitszeitraum auszuweiten und die Bestellung zu verlängern. Auch hier soll die Verlängerung regelmäßig nicht länger als ein weiteres Jahr andauern. Zweck dieser Regelung ist die Erreichung des Ziels der raschen Abwicklung und damit der Wahrung des Mandanteninteresses an einer zügigen Mandatsbearbeitung. Gerade das aber hat der Abwickler nicht alleine in der Hand. Verfahrensabläufe werden vom Inhalt des Mandats, der Bearbeitung durch das Gericht und oft auch der Verfügbarkeit von Zeugen und Beweisen beeinflusst. Wenn ein solcher Fall vorliegt, ist es Aufgabe des Abwicklers, die Verlängerung zu beantragen. Stellt er den Antrag nicht, verliert er seinen Vergütungsanspruch für den Zeitraum nach Beendigung der Bestellung zum Abwickler.3 Nachdem deutlich wurde, dass immer mehr Abwicklungen nicht innerhalb des Regeljahres abgeschlossen werden konnten, hat der Gesetzgeber reagiert und durch das Gesetz zur Änderung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und Patentanwälte vom 13.12.1989 einen entsprechenden Satz 5 in Absatz 1 angefügt,4 der nach dem Inkrafttre-
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S. hierzu ausf. Hartung/Scharmer, § 55 Rz. 15 und 16. BGH, NJW 1980, 1050. BayAGH, BRAK-Mitt. 2004, 134. BGBl. I 1989, S. 2135.
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ten des Gesetzes zur Stärkung der Selbstverwaltung der Anwaltschaft durch Aufhebung des Satzes 3 nunmehr Satz 4 wurde. Stellt der Abwickler einen solchen Verlängerungsantrag nicht, endet die Abwicklung. Die Rechtsanwaltskammer kann aber auch von Amts wegen bei Kenntnis der Notwendigkeiten den Abwicklerzeitraum verlängern. Andernfalls besteht nur noch die Möglichkeit, erneut eine Abwicklung zu verfügen. 18
In seinem Antrag auf Verlängerung soll der Abwickler glaubhaft machen, dass die Verlängerung notwendig ist, um die anhängigen Verfahren (schwebenden Angelegenheiten) abzuschließen. Die Glaubhaftmachung besteht in der schlüssigen Darlegung der Notwendigkeiten, die die Verlängerung der Abwicklung begründen. Dazu reicht es aus, wenn der Abwickler anwaltlich versichert, dass und welche Verfahren noch anhängig oder zu betreuen sind. Die Rechtsanwaltskammer kann im Bedarfsfall die Verlängerung der Tätigkeit nur auf die besonderen Verfahren begrenzen und verfügen. Die Vorschrift spricht hier etwas ungenau von „schwebenden Angelegenheiten, die noch nicht zu Ende geführt werden konnten“. Damit soll erkennbar werden, dass es sich nicht nur um gerichtlich anhängige Verfahren handeln muss, sondern dass es sich unter Umständen auch um Beratungsmandate über Vertragsverhandlungen oder außergerichtliche Mandate mit jeglichem Inhalt handeln kann, die nicht ohne Weiteres von einem anderen Rechtsanwalt fortgeführt werden können, z.B. weil es einer fachlichen Spezialisierung bedarf oder der Tätigkeitsumfang den vollen Einsatz eines Rechtsanwalts fordert. Weiterer wesentlicher Aspekt dabei ist, dass die Gebühren bei dem ausgeschiedenen Rechtsanwalt angefallen sind und bei einem Anwaltswechsel erneut anfallen würden.1 Allein um dies zu verhindern, ist im Interesse des Mandanten und zur Wahrung des Ansehens der Anwaltschaft ein Abwickler einzusetzen. b) Ende der Bestellung
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Regelmäßig endet die Abwicklerbestellung mit Ablauf der Bestellungszeit oder aber auch mit dem Tod des Abwicklers. Einer ausdrücklichen Widerrufsverfügung der Bestellung bedarf es nach Ablauf der Bestellungszeit nicht. Ein Widerruf kommt nur dann infrage, wenn vorzeitig die Abwicklung durch Erledigung der bei Bestellung vorgefundenen schwebenden Angelegenheiten beendet ist – dann ist die abzuwickelnde Kanzlei aufgelöst. Die Abwicklung ist auch beendet, wenn die Kanzlei an einen neuen Inhaber übergegangen ist; sei es durch Vereinbarung mit dem ausgeschiedenen Rechtsanwalt oder den Erben eines verstorbenen Rechtsanwalts. Unter Umständen können in diesen Fällen dem Übernehmer auch Aufgaben als Abwickler zu übertragen sein, so dass er für in der Vergangenheit abgeschlossene Mandatsverhältnisse als Abwickler bis zum Abschluss tätig ist. Im Regelfall wird jedoch der Übernehmer Rechtsanwalt sein, so dass es deshalb einer zusätzlichen Bestellung eines Abwicklers für die künftige Tätigkeit nicht bedarf. c) Wiederbestellung/erneute Bestellung
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Es treten immer wieder Fälle auf, in denen eine Abwicklung beendet wurde, die Kanzlei als abgewickelt galt, sich aber zum Teil nach Jahren die Notwendigkeit der Bestellung eines Abwicklers für einzelne Rechtsfälle zeigt. In diesen Fällen wird die Rechtsanwaltskammer für bestimmte Verfahren entweder den früheren Abwickler erneut oder aber einen neuen Abwickler bestellen – eventuell den Praxisübernehmer, dem unter Umständen noch die Verfahrensakten zur Verfügung stehen. Dann soll nach der Rechtsprechung des BGH2 dem erneut bestellten Abwickler auch das Recht zur Annahme neuer Mandate in den ersten sechs Monaten zu stehen. Diese Rechtsprechung ist an den Einzelfall anzupassen. Der BGH ging davon aus, dass der Abwickler im Anschluss an den Ablauf seiner regelmäßig einjährigen Abwicklerbestellung erneut bestellt werden sollte. Geht man von vorhandenen umfangreichen Verfahren in diesem Moment aus, wird in seltenen Fällen der bisherige Abwickler zum wiederholten Mal als Kanzleiabwickler bestellt. Dann mag ihm das Recht zur Annahme neuer Mandate zu Recht zustehen. Im Regelfall aber handelt es sich bei der Wiederbestellung nach Jahren um einzelne abzuwickelnde Mandate, die die Berechtigung zur Annahme neuer Mandate nicht rechtfertigt. Nach Ablauf von mehr als sechs Monaten kann ein schutzwürdiges Interesse der Rechtsuchenden an neuer Mandatierung des Abwicklers allgemein noch angenommen werden. Weder ein formaler, noch ein innerer Zusammenhang mit der Bearbeitung durch den ausgeschiedenen Rechtsanwalt kann dann noch angenommen werden. Das schutzwürdige Interesse konzentriert sich in diesen Fällen nur noch auf das abzuwickelnde einzelne Verfahren. 1 Feuerich/Weyland, § 55 Rz. 24. 2 BGH, NJW 1991, 1236 und Schlee, AnwBl. 1991, 404.
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2. Anfechtbarkeit Die Entscheidung der Rechtsanwaltskammer, einen Abwickler zu bestellen, stellt einen Justizverwaltungsakt dar. Dieser Verwaltungsakt ist gerichtlich überprüfbar und zwar von dem ausgeschiedenen Rechtsanwalt ebenso wie von dem eingesetzten Abwickler.1 Die Anfechtung kann jedoch nur darauf gestützt werden, dass der Verwaltungsakt den Antragsteller in seinen Rechten beeinträchtigt, weil er rechtswidrig ist. Rechtswidrig ist der Verwaltungsakt lediglich, wenn entweder die Voraussetzungen des § 55 BRAO zur Bestellung des Abwicklers nicht vorliegen oder aber die Rechtsanwaltskammer ihr Ermessen rechtsfehlerhaft ausgeübt hat.
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III. § 55 Abs. 2 BRAO – Rechtsstellung, Befugnisse und Aufgaben des Abwicklers 1. Allgemein Die allgemeinen Pflichten und Rechte des Abwicklers ergeben sich in Grundzügen aus Absatz 2. Nützliche Hinweise für die Tätigkeit des Abwicklers gibt die Bundesrechtsanwaltskammer in Form der Hinweise des Abwicklerausschusses für Abwickler.2 Einen umfassenden Überblick über Fragen zur Rechtsstellung und Vergütung des Kanzleiabwicklers bieten Simonsen/Leverenz in der Zusammenfassung der Ergebnisse der Arbeit des Abwicklerausschusses für die Zeit bis 1995.3 Der Abwickler gilt als in den laufenden Angelegenheiten von der Partei bevollmächtigt, wenn die Partei nicht in anderer Weise für ihre Vertretung sorgt. Es gilt der Grundsatz, dass nach wie vor der Mandant „Herr des Verfahrens“ ist. Er muss nicht den Abwickler in Anspruch nehmen; er kann sich selbst einen anderen Rechtsanwalt als Vertreter bestellen, wobei er das Risiko doppelter Kosten trägt. In Einzelfällen hat es sich als sinnvoll erwiesen, wenn der ausgeschiedene Rechtsanwalt noch in der Kanzlei beschäftigt wird (vorausgesetzt, er unterstützt den Abwickler loyal). Seine Kenntnisse der Aktenlage und der Büroorganisation erleichtern die Abwicklung. Dabei muss aber die bestellende Rechtsanwaltskammer ebenso wie der Abwickler selbst in besonderem Maße beachten, dass der Abwickler auf keinen Fall Interessen des abzuwickelnden Rechtsanwalts wahrnimmt oder gar als dessen Rechtsbeistand fungiert oder die Situation auch nur von außen stehenden Dritten so empfunden wird. Ebenso darf nicht der Anschein entstehen, dass der in seiner früheren Kanzlei zur Abwicklung von Altmandaten mitarbeitende ausgeschiedene Rechtsanwalt nach wie vor die Interessen seiner Mandanten wahrnimmt. Allein der Abwickler hat vorrangig den Schutz und die Interessen der Mandanten zu beachten, so dass eine Wahrnehmung der Interessen des ausgeschiedenen Rechtsanwalts regelmäßig zu Interessenkonflikten führt, die die Abberufung des Abwicklers zur Folge haben können. Ganz im Gegenteil kann das durch die Bestellung begründete öffentlich-rechtliche Verhältnis zwischen Rechtsanwaltskammer und Abwickler den Abwickler verpflichten, gegen den ausgeschiedenen Rechtsanwalt vorzugehen, ihn unter Umständen sogar anzuzeigen, wenn er anlässlich seiner Abwicklertätigkeit Veruntreuungen oder andere strafrechtlich relevante Verhaltensweisen aufdeckt.4 Auch ist der Abwickler berechtigt, den Mandanten ein Fehlverhalten des ausgeschiedenen Rechtsanwalts zu ihrem Nachteil mitzuteilen.5 Dem Abwickler steht jedoch ein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53 Abs. 1 Nr. 3d StPO zu. Eine weitergehende Auffassung meint, der Abwickler dürfe sich nicht auf sein Zeugnisverweigerungsrecht berufen, wenn ihn der Mandant von seiner Verschwiegenheitspflicht entbindet, denn die Verschwiegenheitspflicht diene dem Schutz des Mandanten und der Aufrechterhaltung und Funktionsfähigkeit der Rechtspflege. Die Pflicht zur Wahrnehmung der Interessen des Mandanten begründe deshalb die Pflicht zur Aussage im Strafverfahren gegen den abzuwickelnden Rechtsanwalt. Andererseits bleiben die Rechtsbeziehungen zwischen dem Abwickler und Dritten, insbesondere den Erben, rein privatrechtlicher Natur.6
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2. § 55 Abs. 2 S. 1 und 2 BRAO – schwebende Angelegenheiten/laufende Aufträge § 55 Abs. 2 BRAO beschreibt die grundlegenden Aufgaben des Abwicklers. Es ist seine Verpflichtung, die Kanzlei ordnungsgemäß und zweckentsprechend abzuwickeln. Dabei tritt er 1 2 3 4 5 6
AGH Naumburg, Beschl. v. 23.1.2004 – AGH 6/05. BRAK-Mitt. 1995, 238 fortgeschrieben und veröffentlicht auf der Homepage der BRAK. Simonsen/Leverenz, BRAK-Mitt. 1995, 224 und BRAK-Mitt. 1996, 17. BGH, NJW 1999, 3037; AnwBl. 1999, 285; Feuerich/Weyland, § 55 Rz. 17. Feuerich/Weyland, § 55 Rz. 32. OLG Düsseldorf, AnwBl. 1997, 226.
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aber nur bezüglich der anwaltlichen Rechte und Pflichten innerhalb der bestehenden Mandate an die Stelle des ausgeschiedenen Rechtsanwalts. Er übernimmt dessen anwaltliche Pflichten, Aufgaben und Befugnisse gegenüber dem Mandanten und den Gerichten, bei denen dieser Verfahren führt. Somit gehen auf den Abwickler nur die anwaltlichen Befugnisse, nicht aber die Befugnisse des ausgeschiedenen Rechtsanwalts aus Mietverhältnissen, Arbeitsverträgen, Eigentum usw. über. Um seiner Aufgabe nachzukommen, muss der Abwickler die in § 53 Abs. 10 BRAO genannte Berechtigung zum Betreten der Kanzleiräume und der Inbesitznahme der für die Tätigkeit notwendigen Gegenstände erhalten sowie das vorhandene Treugut heraus verlangen und darüber verfügen können. Diese Beschränkung der Rechtsstellung des Abwicklers auf die vorrangige Wahrnehmung der Interessen des Mandanten beschreibt seine wichtigste Aufgabe, nämlich die schwebenden Angelegenheiten des ausgeschiedenen Rechtsanwalts abzuwickeln und die laufenden Aufträge mit dem Ziel der unverzüglichen Beendigung fortzuführen1. Dass der Gesetzgeber hier zwei Begriffe in einem Absatz nennt, liegt wohl daran, dass die schwebenden Angelegenheiten als Oberbegriff anzusehen sind. Unter diese Begriffe fallen alle in der Praxis anhängigen Mandatsverträge – gleich welchen Inhalts. 24
Die Abwicklung der schwebenden Angelegenheiten umfasst neben der rechtlichen Bearbeitung der Mandate auch die sich daraus ergebenden Nebenpflichten, wie z.B. die Abwicklung von Rechtsanwaltsanderkonten, die Erfüllung von Vergleichen – soweit sie in die Geschäftsführung des ausgeschiedenen Rechtsanwalts fallen –, die Abgabe von Willenserklärungen für den Mandanten zur Erledigung noch von dem ausgeschiedenen Rechtsanwalt im Interesse des Mandanten vorgenommener, vorbereiteter Rechtsgeschäfte. Dazu gehören auch Pflichten, die ansonsten der ausgeschiedene Rechtsanwalt hätte wahrnehmen müssen, wie z.B. Aktenverwahrung und spätere Vernichtung und Auskunftspflichten usw. gegenüber Insolvenzverwaltern, Testamentsvollstreckern und anderen von Amts wegen eingesetzten Personen, die in einem direkten Verhältnis zum ausgeschiedenen Rechtsanwalt und dem von ihm geführten Mandat stehen.
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Bei der Abwicklung der schwebenden Angelegenheiten handelt der Abwickler in eigener Verantwortung und tritt hier als berufener Vertreter des ausgeschiedenen Rechtsanwalts auf. Er ist nicht – wie bei der Wahrnehmung der Mandanteninteressen bei Fortführung der laufenden Aufträge im Gerichtsverfahren selbstverantwortlicher Vertragspartner des Mandanten – sondern vielmehr in kanzleiinternen Angelegenheiten (Gebührenabrechnung, Lieferanten der Kanzlei) Vertreter des früheren Rechtsanwalts mit der Folge, dass dieser gem. §§ 164 ff. BGB durch die Willenserklärung des Abwicklers berechtigt und verpflichtet wird und der ausgeschiedene Rechtsanwalt insofern für die haftungsbegründenden Handlungen des Abwicklers nach § 278 BGB einzustehen hat. Weiter hat dies zur Folge, dass der ausgeschiedene Rechtsanwalt für Verbindlichkeiten, die vor Abwicklerbestellung entstanden sind, nach wie vor gegenüber dem Mandanten aus dem mit ihm bestehenden Mandatsvertrag haftet.2 3. § 55 Abs. 2 S. 3 und 4 BRAO – Rechtsstellung des Abwicklers a) Im gerichtlichen Verfahren
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In gerichtlichen Verfahren führt der Abwickler die laufenden Aufträge (anwaltliche Tätigkeit) fort. Der bestellte Kanzleiabwickler tritt als Verfahrensbevollmächtigter vollständig an die Stelle des verstorbenen oder aus der Rechtsanwaltschaft ausgeschiedenen Rechtsanwalts. Folglich sind ihm allein gerichtliche Entscheidungen zuzustellen.3 Er gilt dabei als von den Mandanten bevollmächtigt, die Mandate bis zu ihrem Abschluss weiter zu betreiben (§ 55 Abs. 2 S. 4 BRAO). Der Mandant als „Herr des Verfahrens“ kann sich um eine anderweitige anwaltliche Vertretung bemühen. Dann muss er das Mandat des Abwicklers kündigen und einen anderen Rechtsanwalt beauftragen. In jedem Fall verliert der ausgeschiedene Rechtsanwalt seine Rechtsstellung als beauftragter Rechtsanwalt des Mandanten kraft Gesetzes von der Bestellung des Abwicklers an. Wird der Abwickler bestellt, dann tritt er als selbstverantwortlich Handelnder ab diesem Zeitpunkt für den Mandanten des früheren 1 Wierz/Overkamp (BRAK-Mitt. 2013, 206) vertreten die Auffassung, dass der Abwickler befugt sei, das jederzeitige Kündigungsrecht des ausgeschiedenen Rechtsanwalts nach § 627 Abs. 1 BGB mit Wirkung für diesen gegenüber dem Mandanten zu erklären. Der Abwickler habe mithin die Möglichkeit, den Umfang seiner Pflicht gegenüber dem Mandanten drastisch zu verringern. 2 Feuerich/Weyland, § 55 Rz. 19; AnwBl. 1997, 226. 3 BayOLG, BRAK-Mitt. 2005, 40.
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Rechtsanwalts auf. Er ist also bei dieser rein anwaltlichen Interessenvertretung nicht Vertreter des ausgeschiedenen Rechtsanwalts (wie für interne Angelegenheiten der Kanzlei) und haftet damit für begangene Pflichtverletzungen ab seiner Bestellung selbst. Weder der frühere Rechtsanwalt noch dessen Erben haften von da an für Handlungen des Abwicklers und jetzigen Bevollmächtigten bei der Fortführung des laufenden Auftrags.1 Der Abwickler kann somit wirksam alle Prozesshandlungen in dem Verfahren wahrnehmen, in das er für den ausgeschiedenen Rechtsanwalt eintritt. Dabei hat er immer zu verdeutlichen, dass er als Abwickler und nicht als Inhaber seiner eigenen Praxis handelt. Dies geschieht regelmäßig durch den Zusatz „als Abwickler“ in seinen Schreiben und Schriftsätzen. Eine einmalige Anzeige gegenüber dem Gericht ist aber auch ausreichend, um klarzustellen, dass der Abwickler nicht als originärer Mandatsträger, sondern eben als Abwickler künftig im Verfahren tätig ist. Eine Änderung dieser Tatsache hat er dem Gericht und Prozessbeteiligten bekannt zu geben (z.B. im Fall der Übernahme der Praxis durch Vereinbarung mit dem ausgeschiedenen Rechtsanwalt oder den Erben). Seine Prozesshandlungen nimmt er selbstständig und weisungsfrei vor. In den übernommenen Verfahren wird er sich unverzüglich nach Bestellung bei Gericht melden und seine Abwicklerbestellung anzeigen. Diese Anzeige ist nicht Wirksamkeitsvoraussetzung für seine Handlungen als Abwickler.2 Die Anzeige ist aber zweckmäßig, damit Gericht, Gegner und Dritte die Funktion des Abwicklers im Verfahren kennen. Die Bestellung hat der Abwickler auch gegenüber dem Mandanten anzuzeigen, wodurch diesem die Möglichkeit gegeben wird, sich um eine andere anwaltliche Vertretung zu bemühen. In diesem Fall bleibt der Abwickler so lange Bevollmächtigter des Mandanten, bis sich ein neuer Bevollmächtigter bei Gericht gemeldet hat (§ 87 ZPO). Die Meldepflicht des neuen, von dem Mandanten beauftragten, Bevollmächtigten begründet sich aus dem anderen Zweck der Abwicklerbestellung, wonach der Abwickler die Aufgabe hat, möglichst unverzüglich Gerichtsverfahren fortzuführen und damit den ordnungsgemäßen Verlauf der Rechtspflege sicherzustellen. Auch vermeidet die unverzügliche Meldung bei Gericht eine gleichzeitige doppelte Tätigkeit des Abwicklers und des neuen bevollmächtigten Rechtsanwalts.
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Im Anwaltsprozess bewirkt die Abwicklerbestellung wie der Tod des Rechtsanwalts die Unterbrechung des Verfahrens. Sie bleibt bestehen, bis ein neuer Rechtsanwalt die Begründung eines Mandats dem Gericht anzeigt und sich damit im Verfahren als Prozessbevollmächtigter der Partei oder als Abwickler meldet. Das Verfahren wird wieder aufgerufen, wenn der Abwickler gegenüber dem Gericht das unterbrochene Verfahren wieder aufnimmt und das Gericht die Bestellung des neuen Bevollmächtigten/des Abwicklers dem Gegner zugestellt hat (§ 244 ZPO). Zur Wiederaufnahme des Verfahrens reicht nicht die Anzeige des Abwicklers über die Tatsache der Abwicklerbestellung an das Gericht. Vielmehr stellt der Abwickler ebenso wie ein eventuell neu bestellter Parteivertreter ein Wiedereinsetzungsgesuch.3 Der Abwickler ist mit Eintritt in das Verfahren gegenüber allen Verfahrensbeteiligten, besonders aber gegenüber dem Auftraggeber, zur Erfüllung sämtlicher Anwaltspflichten aus dem Mandatsverhältnis verpflichtet, wie sie für den ausgeschiedenen Rechtsanwalt begründet waren. Er muss deshalb unter anderem für eine ordnungsgemäße Rechtsberatung und Vertretung sorgen und die sich aus §§ 666, 667, 675 BGB ergebenden Pflichten gegenüber dem Mandanten erfüllen.4 Da der Abwickler auch als solcher weiterhin Rechtsanwalt und damit unabhängiges Organ der Rechtspflege ist, unterliegt er auch in der Führung der Mandate des ausgeschiedenen Rechtsanwalts umfassend den berufsrechtlichen Vorschriften. Beschwerden über seine Abwicklertätigkeit sind deshalb bei der Rechtsanwaltskammer anzubringen und dort im Wege des Aufsichts- und Rügerechts zu bewerten und zu bescheiden.
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§ 55 Abs. 2 S. 2 BRAO begründet für den Abwickler das Recht, über die Abwicklung der laufenden Aufträge hinaus, innerhalb der ersten sechs Monate nach seiner Bestellung, neue Aufträge anzunehmen. Diese Möglichkeit beginnt mit Bestellung zum Abwickler und endet mit Ablauf des sechsten Abwicklungsmonats. Eine Verpflichtung dazu besteht nicht. § 55 Abs. 2 S. 2 BRAO ist eine eng auszulegende Sondervorschrift, die sich in der Aufgabe begründet, aber auch erschöpft, die schutzwürdigen Interessen der Rechtsuchenden wahrzunehmen und den ordnungsgemäßen Ablauf der Rechtspflege zu gewährleisten.5 Deshalb kann der Abwickler entscheiden, ob er neue Mandate als Abwickler oder auch „in eigener Kanzlei“
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BGH, NJW 1966, 1362; Feuerich/Weyland, § 55 Rz. 18. Hartung/Scharmer, § 55 Rz. 352. Hartung/Scharmer, § 55 Rz. 55. Feuerich/Weyland, § 55 Rz. 17. Hartung/Scharmer, § 55 Rz. 73.
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annehmen und führen will. Im Regelfall entsteht insbesondere in Fällen, in denen der Abwickler für einen Rechtsanwalt berufen wird, der wegen Vermögensverfalls seine Zulassung verloren hat, ein Interessenkonflikt finanzieller Art. Die Rechtsanwaltskammer steht nach § 53 Abs. 10 BRAO für die Vergütung des Abwicklers als Bürgin ein. Mit der Annahme neuer Mandate in den ersten sechs Monaten könnte der Abwickler seine Vergütung finanzieren. Damit würde er die Bürgenhaftung1 der Rechtsanwaltskammer verringern. Das hatte Bedeutung, solange der Abwickler neue Mandate in Verfahren annahm, in denen er bei dem zuständigen Gericht nicht als Rechtsanwalt zugelassen war. Mit Wegfall des Lokalisationsprinzips infolge des Gesetzes zur Stärkung der Selbstverwaltung der Anwaltschaft ist dieser Anreiz für den Abwickler nicht mehr gegeben. Wurde deshalb die Möglichkeit der Annahme neuer Mandate im Namen des abzuwickelnden Rechtsanwalts schon bisher überschätzt, verliert sie künftig wohl völlig an Bedeutung mit der Folge, dass die Rechtsanwaltskammern noch mehr im Rahmen ihrer Bürgenhaftung für die Vergütung des Rechtsanwalts eintreten müssen. Bedeutung könnte diese Fallkonstellation nur dann behalten, wenn es dem Mandanten besonders wichtig ist, dass der Abwickler seine Mandate übernimmt, die inhaltlich z.B. als Folgemandate eine so enge innere Bindung an vorangegangene Verfahren haben, dass sich die Übernahme des Mandats durch den Abwickler, dem alle Unterlagen der früheren Verfahren zur Verfügung stehen, aufdrängt. Andernfalls wird der Mandant entweder den Abwickler in seiner „eigenen Praxis“ mandatieren oder aber einen anderen Rechtsanwalt beauftragen. 30
Der Abwickler hat nach Abschluss der ersten Instanz einen der verwaisten Kanzlei erteilten Rechtsmittelauftrag ebenso zu überwachen, wie den, der durch Annahme eines neuen Mandats für den Abwickler selbst entsteht. Bei der Annahme neuer Mandate ist der Mandant auch darauf hinzuweisen, dass unter Umständen das neue Mandat innerhalb der Zeit, in der der Abwickler als solcher bestellt ist, nicht abgeschlossen werden kann. In diesen Fällen kann die Rechtsanwaltskammer jedoch die Abwicklerbestellung verlängern, ohne dass damit die Sechs- Monatsfrist zur Annahme neuer Mandate erneut beginnt. Diese Verlängerung wird auf die Führung noch anhängiger Verfahren bei Gericht (laufende Aufträge im Sinne von Prozessmandaten) oder die Abwicklung z.B. von Vergleichen aus laufenden Aufträgen zu beschränken sein. Anders ist es, wenn der Abwickler selbst wechselt. Das kann bei umfangreichen Abwicklungen der Fall sein und ist aufgrund der komplexen Sachverhalte gerichtlicher Verfahren und der daraus resultierenden langen Verfahrensdauer selbst immer häufiger notwendig. Dann muss dem neuen Abwickler die Möglichkeit ebenso gewährt werden, durch neue Mandate innerhalb der ersten sechs Monate seit Bestellung die finanzielle Belastung seiner Tätigkeit zu mildern, um den Abwickler selbst vor finanziellen Einbußen zu bewahren. In jedem Fall soll die beschränkte neue Mandatsbegründung vorrangig dazu führen, die Abwicklung zügig und im Interesse der Mandanten und der Rechtspflege zu beenden. Der Abwickler soll sich nicht unnötig lange an der Abwicklungstätigkeit „festhalten“.2 Hier kommt der Rechtsanwaltskammer eine besondere Verantwortung bei der Entscheidung zu, ob die Abwicklung verlängert oder neu bestellt werden soll.3 Sie steht bei dieser Entscheidung in einem Interessenwiderstreit, der sich aus ihrer Verpflichtung zur sparsamen und sachgerechten Vermögensverwaltung der Beiträge der Mitglieder einerseits aber auch aus der Wahrung des Ansehens der Rechtsanwaltschaft andererseits ergibt. Vorrangig zu entscheiden ist im Interesse der Rechtsuchenden (konkreten Mandanten) und zur Wahrung des Ansehens der Rechtsanwaltschaft. Deshalb müssen die finanziellen Interessen der Rechtsanwaltskammer und damit die ihrer Mitglieder zurückstehen, was zu immer höheren Belastungen für die Rechtsanwaltskammer führt und damit sogar zu Beitragserhöhungen für die Mitglieder führen kann.
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In diesem Zusammenhang sind die Folgen der Aufhebung des Zweigstellenverbots durch das Gesetz zur Stärkung der Selbstverwaltung der Rechtsanwaltschaft noch nicht abzusehen. Es ist zu erwarten, dass Rechtsanwälte vermehrt das Recht zur Einrichtung von Zweigstellen in Anspruch nehmen werden. Soweit es sich um Berufsausübungsgemeinschaften handelt, dürfte dies unproblematisch sein. Bei Einzelanwälten, die ihre Berufstätigkeit aufgeben, wird dies aber dazu führen, dass unter Umständen jeweils ein Abwickler für jede Zweigstelle zu bestellen ist, wenn der Rechtsanwalt dort jeweils nennenswerte anwaltliche Berufstätigkeit ausgeübt und dementsprechend viele Mandate und Gerichtsverfahren geführt hat. Es wird in besonders gelagerten Fällen einem einzelnen Abwickler nicht zuzumu1 Allgemein zur Festsetzung der Abwicklervergütung und Bürgenhaftung der Rechtsanwaltskammer, März BRAK-Mitt. 2009, 162 ff. 2 Hartung/Römermann/Scharmer, § 55 Rz. 74. 3 Differenzierung durch BGH, NJW 1991, 1236; AnwBl. 1991, 404.
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ten sein, lange Reisewege in Kauf zu nehmen, um die Mandate an verschiedenen Orten abzuwickeln. Soweit eine Übernahme der Akten in die Praxis des Abwicklers im Bezirk der Zulassungskammer nicht vertretbar erscheint, wird ein weiterer oder mehrere Abwickler zu bestellen sein. Daraus können den Rechtsanwaltskammern weitere nicht unerhebliche finanzielle Belastungen erwachsen. b) Rechtsstellung des Abwicklers innerhalb der Kanzlei Dem Abwickler stehen nach Absatz 2 Satz 3 die „anwaltlichen Befugnisse“ des ausgeschiedenen Rechtsanwalts zu. Gemeint ist, dass er sich nur damit zu befassen hat, die schwebenden Angelegenheiten und laufenden Aufträge für den Mandanten abzuwickeln. Mit Mietverträgen, Arbeitsverträgen, Leasingverträgen und sonstigen Besitz- und Eigentumsfragen an der Kanzlei, ihren zur Berufsausübung notwendigen Gerätschaften und dem Kanzleipersonal hat der Abwickler grundsätzlich nichts zu tun. Ihm stehen insofern keine Rechte zu. Er hat nur das Recht, die Kanzleiräume zu betreten und die für die Abwicklertätigkeit notwendigen Gegenstände, vor allem Akten in Besitz zu nehmen, heraus zu verlangen und darüber zu verfügen. Mit diesem Recht übt er seine Tätigkeit weisungsfrei und selbstständig aus. Aus dieser selbstständigen und weisungsfreien Tätigkeit des Abwicklers erwächst umgekehrt für den ausgeschiedenen Rechtsanwalt oder seine Erben ein Anspruch auf Auskunft, Rechnungslegung und gegebenenfalls Herausgabe nach Beendigung der Abwicklung. Diese Ansprüche entwickeln sich aus der privatrechtlichen Beziehung zwischen Abwickler, ausgeschiedenem Rechtsanwalt oder seinen Erben (§§ 666, 667, 670 BGB). Hier gelten entsprechend die Ausführungen zu § 53 BRAO. An die Auskunftspflicht des Abwicklers werden hohe Anforderungen gestellt. Er hat seinen zeitlichen Aufwand im Einzelnen darzulegen und gegebenenfalls zu begründen. Er muss aber dem ausgeschiedenen Rechtsanwalt mit seiner Auskunft auch die Möglichkeit eröffnen, die Ansprüche nach Grund und Höhe zu überprüfen.1 Über Einnahmen und Ausgaben hat er Rechnung zu legen und über alle Kontenbewegungen, soweit er über Kanzleikonten verfügt. Nach hiesiger Auffassung geht allerdings die Meinung zu weit, der Abwickler habe über den Verlauf und das Veranlasste dem Rechtsanwalt zu den einzelnen Akten im Einzelnen genau zu berichten.2 Der Abwickler hat den Rechtsanwalt oder seine Erben in verkehrsüblicher Weise zu informieren und ihm notwendige Informationen zu verschaffen.
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Wenn ein Rechtsanwalt gestorben ist oder eher wegen plötzlicher Krankheit oder aus anderen Gründen seine intakte Kanzlei aufgeben muss, ist die Abwicklertätigkeit meist nicht problematisch. Regelmäßig kommt es zu sinnvollen Verabredungen und vertraglichen Vereinbarungen zwischen den Erben und dem Abwickler und/oder einem Übernehmer der Praxis. In diesen Fällen findet der Abwickler meist eine geordnete, funktionierende Kanzlei vor, in deren Ablauf er sich leicht hinein finden kann und wo feststeht, welche Aufgabe der Abwickler zuerst in Angriff nehmen muss. Anders ist es dann, wenn der ausgeschiedene oder verstorbene Rechtsanwalt krankheitsbedingt oder mangels Organisation und finanziellen Mitteln dem Abwickler eine ungeordnete Praxis überlässt. Das geht oft einher mit dem Widerstand des ausgeschiedenen Rechtsanwalts gegen den Abwickler und beinhaltet häufig den Versuch des Ausgeschiedenen, noch vorhandene finanzielle Mittel aus der Praxis zu erlangen. Regelmäßig ist dann auch aus den schwebenden Verfahren kein Gebührenanspruch mehr gegen den Mandanten geltend zu machen. Dann ist der Interessenwiderstreit zwischen Abwickler und ausgeschiedenem Rechtsanwalt noch drastischer als in Vertretungsfällen.3
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Um dem Abwickler eine Hilfestellung für die Bewältigung der Konfliktfälle zwischen Abwickler und ausgeschiedenem Rechtsanwalt und der Rechtsanwaltskammer zu geben, hat der Abwicklerausschuss der Bundesrechtsanwaltskammer auch für den Abwickler „Hinweise für die Tätigkeit des Abwicklers“ erstellt. Diese Hinweise werden vom Ausschuss fortgeschrieben und den Rechtsanwaltskammern zur Verfügung gestellt.4
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Aus der Parallelität der Pflichten der Erben des verstorbenen Rechtsanwalts beziehungsweise den Pflichten und Rechten des ausgeschiedenen Rechtsanwalts (besonders in Fällen des vorläufigen Berufsverbots) ergeben sich einzelne besonders wichtige Punkte:
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BGH, NJW 1982, 573; BayAGH, BRAK-Mitt. 2004, 236. LG Dessau, BRAK-Mitt. 2005, 146 m. kritischer Anm. von Tauchert. Hartung/Scharmer, § 55 Rz. 58. BRAK-Mitt. 1995, 238; Homepage BRAK-Intern, Ausschüsse.
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– Betreten der Kanzlei: Ohne die Kanzlei zu betreten, kann der Abwickler nicht die notwendigen Akten und Unterlagen in Besitz nehmen, die seine Tätigkeit erst ermöglichen. Deshalb muss der Abwickler unter Umständen auch den Zugang mit gerichtlicher Hilfe im Wege eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung durchsetzen. Spätestens nach Erhalt der einstweiligen Verfügung ist er berechtigt, die Türen durch ein Schlüsseldienst öffnen zu lassen und erforderlichenfalls die Schlösser auszuwechseln, um den Aktenbestand und die Kontounterlagen zu sichern.1
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– Sicherung der Konten/Rechtsanwaltsanderkonten: Um bei Beendigung der Abwicklung seiner Pflicht zur Rechnungslegung nachkommen zu können, aber auch um zu Beginn der Abwicklung überhaupt einen Überblick über die finanzielle Lage der Kanzlei zu erhalten, ist von Anbeginn anzuraten, eine eigene Buchhaltung speziell für die Abwicklung einzurichten. Diese muss unabhängig von der eigenen Buchhaltung in der Praxis des Abwicklers geführt werden, zumal der Abwickler Kanzleigelder auf Bürokonten und Bargeld verwenden kann, um notwendige Auslagen zu finanzieren. Das Besitzrecht aller Unterlagen leitet sich aus der Bestellung zum Abwickler her. Damit wird der Abwickler unmittelbarer Fremdbesitzer aller zur Kanzlei gehörenden Gegenstände die er für seine Abwicklertätigkeit benötigt, wozu auch die Kontounterlagen gehören.2 Insbesondere bei Konten aber bleibt der ausgeschiedene Rechtsanwalt neben dem Abwickler verfügungsberechtigt, weshalb unbedingt ein eigenes „Abwicklerkonto“ einzurichten ist.
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Eine besondere Position nimmt der Abwickler ein, wenn in das Vermögen, das er für den ausgeschiedenen Rechtsanwalt als Treuhänder verwaltet, die Zwangsvollstreckung betrieben wird. Dann sind auf ihn die §§ 727 ff. ZPO analog anzuwenden. Schon das LG Hamburg hat in einem Beschluss von 19703 ausgeführt, dass der Kanzleiabwickler aufgrund seiner besonderen Rechtsstellung berechtigt ist, die Kostenforderung des verstorbenen Rechtsanwalts im eigenen Namen für Rechnung der Erben geltend zu machen. Damit war materiellrechtlich klargestellt, dass Träger des Rechts die Erben sind, aber zur Einziehung der Kanzleiabwickler berechtigt ist. Für die Zwangsvollstreckung wurde daraus gefolgert, dass der Kanzleiabwickler wie ein Nachfolger zu behandeln und deshalb auch § 727 ZPO entsprechend anwendbar ist. Seitdem gingen die Kommentare aus Praktikabilitätsgründen davon aus, dass der Abwickler Rechtsnachfolger des abzuwickelnden Rechtsanwalts ist. Diese allgemeine Bewertung präzisieren zwei neuere Entscheidungen. Das OLG Karlsruhe4 geht zwar auch von einer Rechtsnachfolge im Sinne des § 727 ZPO aus, räumt aber ein, dass der Abwickler nur durch die auf ihn vom Schuldner übergegangene Verfügungsbefugnisse an die Stelle des ausgeschiedenen Rechtsanwalts tritt. Es wird eine Einzelnachfolge hinsichtlich der Verwaltung und Verfügung des Treuguts (zu verwaltendes Vermögen des ausgeschiedenen Rechtsanwalts, ein speziell von ihm eingerichtetes und unterhaltenes Anderkonto) angenommen, so dass eine Vollstreckungsklausel eines gegen den früheren Rechtsanwalt erwirkten Titels analog zu § 748 ZPO umgeschrieben werden kann. Das LG Nürnberg5 differenziert schließlich noch, ob es sich bei dem Anderkonto um ein von dem ausgeschiedenen Rechtsanwalt eingerichtetes Konto handelt, also seinem Vermögensbestand zuzurechnen ist oder ob es sich um ein von dem Abwickler zur Verwaltung der Abwicklung eingerichtetes Anderkonto handelt. Hier gilt der Leitsatz: „Der Gläubiger eines ehemaligen Rechtsanwalts kann nicht das vom Kanzleiabwickler für die Abwicklung der Kanzlei eingerichtete Anderkonto pfänden. Er ist auf die Vollstreckung in das nach der Abwicklung vorhandene Guthaben beschränkt.“
Die Entscheidungen machen deutlich, dass der Abwickler als Treuhänder des von dem ausgeschiedenen Rechtsanwalt zu verwaltenden Vermögens in der Zwangsvollstreckung nur aus Gründen der Praktikabilität wie ein Rechtsnachfolger des ausgeschiedenen Rechtsanwalts behandelt und damit einem Insolvenz- und Nachlassverwalter gleichgestellt wird. 38
– Ort der Aufbewahrung: Der Abwickler kann bestimmen, wo die für die Abwicklung notwendigen Gegenstände aufbewahrt werden. Er entscheidet, ob er sie in seine Kanzlei übernimmt oder in der des aus1 2 3 4 5
Hartung/Scharmer, § 55 Rz. 60. Feuerich/Weyland, § 55 Rz. 31. LG Hamburg, MDR 1970, 429. OLG Karlsruhe, BRAK-Mitt. 2004, 284. LG Nürnberg, AnwBl. 2006, 491.
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geschiedenen Rechtsanwalts belässt. Der Abwickler darf gem. Absatz 3 Satz 1 i.V.m. § 53 Abs. 10 S. 1 BRAO den Ort bestimmen, an den die Akten und Aktenschränke der abzuwickelnden Kanzlei gegebenenfalls verbracht werden; insbesondere kann er die Aktenbearbeitung in seinen eigenen Praxisräumen durchführen und muss dies tun, wenn die Akten auf andere Weise nicht gegen Eingriffe des früheren Rechtsanwalts geschützt werden können.1 Für in diesem Zusammenhang auftretende Streitigkeiten zwischen Vertreter/Abwickler und vertretenem/früherem Rechtsanwalt sind die ordentlichen Gerichte zuständig. Soweit Eingriffe in die Tätigkeit des Abwicklers zu befürchten sind, hat der Abwickler die Gegenstände zur Sicherheit in seine Kanzlei zu überführen. Die auf Kanzleikonten vorgefundenen Gelder kann er zur Deckung der notwendigen Auslagen verwenden. Soweit es für die Abwicklertätigkeit erforderlich ist, kann der Abwickler die Gelder auch zur Zahlung von Mitarbeitern oder der Nutzung der Praxis und seiner Gerätschaften verwenden. Dann aber muss der Abwickler eigene, selbstständige Verträge mit den Vertragspartnern schließen, für die er auch finanziell verantwortlich ist. Über diese Verträge und ihre Erforderlichkeit für die Abwicklung hatte er Auskunft zu erteilen und Rechnung zu legen. 39
– Postverkehr: Der Abwickler hat von Beginn seiner Tätigkeit an sicherzustellen, dass er Kenntnis von der Geschäftskorrespondenz des ausgeschiedenen Rechtsanwalts erhält. Das kann er durch entsprechende Bekanntgabe gegenüber dem Mandanten und Gerichten ebenso bewirken, wie durch Post-Nachsendeaufträge oder die direkte Einsicht in der Kanzlei. Er muss aber sicherstellen, dass der ausgeschiedene Rechtsanwalt nicht die Post abfangen und unterdrücken kann. Der Anspruch des Abwicklers auf Herausgabe der gesamten Kanzleipost ist daher im Wege der einstweiligen Verfügung nach §§ 935 ff. ZPO geltend zu machen,2 wenn eine einverständliche Lösung nicht möglich ist. Die Kosten für solche gerichtliche Verfahren hat der ausgeschiedene Rechtsanwalt zu tragen. Soweit dieser dazu nicht in der Lage ist, muss der Abwickler über die Kosten dafür frühzeitig eine Vereinbarung mit der Rechtsanwaltskammer treffen. IV. § 55 Abs. 3 BRAO – Finanzielle Aspekte der Abwicklung 1. Allgemein Nach Absatz 3 S. 1 gelten entsprechend die Regelungen des § 53 BRAO (Rechte des Vertreters) für den Abwickler und zwar:
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– Abs. 5 S. 3 – Der Rechtsanwalt, der von Amts wegen als Vertreter bestellt wird, kann die Vertretung nur aus einem wichtigen Grund ablehnen. – Abs. 9 – Der Vertreter wird in eigener Verantwortung, jedoch im Interesse, für Rechnung und auf Kosten des Vertretenen tätig. Die §§ 666, 667 und 670 des bürgerlichen Gesetzbuchs gelten entsprechend. – Abs. 10 – Der von Amts wegen bestellte Vertreter ist berechtigt, die Kanzleiräume zu betreten und zur Kanzlei gehörende Gegenstände einschließlich des der anwaltlichen Verwahrung unterliegenden Treuguts in Besitz zu nehmen, herauszuverlangen und hierüber zu verfügen. An Anweisungen des Vertretenen ist er nicht gebunden. Der Vertretene darf die Tätigkeit des Vertreters nicht beeinträchtigen. Er hat dem von Amts wegen bestellten Vertreter eine angemessene Vergütung zu zahlen, für die Sicherheit zu leisten ist, wenn die Umstände es erfordern. Können sich die Beteiligten über die Höhe der Vergütung oder über die Sicherheit nicht einigen oder wird die geschuldete Sicherheit nicht geleistet, setzt der Vorstand der Rechtsanwaltskammer auf Antrag des Vertretenen oder des Vertreters die Vergütung fest. Der Vertreter ist befugt, Vorschüsse auf die vereinbarte oder festgesetzte Vergütung zu entnehmen. Für die festgesetzte Vergütung haftet die Rechtsanwaltskammer wie ein Bürge. Durch diese Verweisung gelten die Absätze 9 und 10 des § 53 BRAO für den Abwickler vorbehaltlos. Da sich die Rechtsprechung über die Vergütung jedoch an der Abwicklung und nicht der Vertretung ausgeschiedener Rechtsanwälte entwickelt hat, wird an dieser Stelle noch einmal darauf eingegangen. Der Kanzleiabwickler ist „im Interesse, für Rechnung und auf Kosten des Vertretenen“ tätig. (§ 55 Abs. 3 S. 1 i.V.m. § 53 Abs. 9 S. 1 BRAO). Daraus folgt, 1 OLG Koblenz, BRAK-Mitt. 1996, 172. 2 AGH Sachsen-Anhalt, MDR 1995, 748.
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dass der ausgeschiedene Rechtsanwalt oder seine Erben dem Abwickler eine angemessene Vergütung zu zahlen haben. Der Abwickler kann auf seine Vergütung Vorschüsse aus den in der Praxis verfügbaren Geldern (aber nicht von den Rechtsanwaltsanderkonten) entnehmen. Über diese „angemessene Vergütung“ hat sich der Abwickler vorab mit dem ausgeschiedenen Rechtsanwalt oder seinen Erben zu einigen. Kommt es nicht zur Einigung, hat die Rechtsanwaltskammer eine angemessene Vergütung festzusetzen. Für den festgesetzten Betrag ist sie wie ein Bürge haftbar. Die Festsetzung kann angefochten werden.1 2. Vergütung und Aufwendungen a) Angemessene Vergütung 42
1992 zwang die Tatsache, dass immer mehr Abwicklungen notwendig wurden und dadurch immer höhere Ausgaben für die Vergütung des Abwicklers durch die Rechtsanwaltskammer zu zahlen, waren die Bundesrechtsanwaltskammer zur Überprüfung der Arbeitsgrundlagen der Abwickler mit dem besonderen Schwerpunkt der Vergütung.2 Die 72. Hauptversammlung ernannte einen Ausschuss, dem Geschäftsführer verschiedener Rechtsanwaltskammern angehörten (Abwickler- und Vertreterausschuss der Bundesrechtsanwaltskammer), der die Überprüfung der Frage zur Aufgabe hatte, welche Beträge für die Vergütung des Abwicklers angemessen seien und ob sie versicherbar wären. Der Ausschuss nahm im Juni 1992 seine Arbeit auf. Während die Frage der Versicherbarkeit zu sinnvollen und zu leistenden Prämien alsbald verneint wurde, blieb die Frage der angemessenen Vergütung bis heute Aufgabe dieses Ausschusses.3 Die für die Vergütung entwickelten Modelle sind im Aufsatz von Simonsen/Leverenz dargestellt.4 Dieser Diskussion folgten schon bald nach Entscheidungen durch den AGH Celle zwei grundsätzliche Entscheidungen des BGH vom 30.11.1992. Zuvor hatte der BGH bei der Bundesrechtsanwaltskammer angefragt, nach welchen Kriterien und in welcher Höhe die einzelnen Rechtsanwaltskammern die Vergütung festsetzten.5 In seinen Entscheidungen legte der BGH die Kriterien und auch die Höhe einer angemessenen Vergütung grundsätzlich fest.6 Im ersten Beschluss stellte der BGH klar, dass für die Rechtsanwaltskammer keine Möglichkeit besteht, neben der Vergütung für den Abwickler auch noch Aufwendungsersatz festzusetzen. Er führt allerdings auch aus: „Gleichwohl werden bei dem Vermögensverfall eines Rechtsanwalts die Kosten für die vorläufige Aufrechterhaltung des Kanzleibetriebes häufig von den Rechtsanwaltskammern übernommen, um eine Rufschädigung und Vertrauensminderung der Anwaltschaft zu begrenzen. Dazu bedarf es aber stets eine Vereinbarung.“
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Für die Höhe der angemessenen Vergütung des Abwicklers ist der BGH in seinem zweiten Beschluss von folgenden Kriterien ausgegangen: Zeitaufwand, berufliche Erfahrung, Stellung des Vertreters, Schwierigkeit und Dauer der Abwicklung. „Am häufigsten wird eine pauschale Festsetzung der Gestalt vorgenommen, dass entweder ein bestimmter Pauschalbetrag je Monat oder ein bestimmter Pauschalbetrag je aufgewandter Arbeitsstunde festgelegt wird.“
Geeigneter Ansatzpunkt für die angemessene Vergütung schien ihm eine Gesamtvergütung für jeweils einen längeren Zeitraum, zumindest einem Monat. Bei Bemessung der Höhe der Vergütung orientiert sich die Entscheidung an dem Gehalt, „das für einen Angestellten oder so genannten freien Mitarbeiter in einer Anwaltspraxis gezahlt wird. Dabei sind auch regionale Unterschiede in den einzelnen Bezirken zu berücksichtigen.“ Die Entscheidung gelangte 1992 ausgehend von einer monatlichen Vergütung für eine Vollzeitbeschäftigung zu Beträgen zwischen 3 000 und 6 000 DM; in schwierig gelagerten Fällen könne sie auch bei 8 000 DM liegen. Von dieser grundsätzlichen Haltung ist der BGH seitdem nicht mehr abgerückt und die Anwaltsgerichtshöfe sind ihm gefolgt.7 Vielmehr hat der BGH in folgenden Entscheidungen 1 AGH Hamm, BRAK-Mitt. 2002, 37. 2 BRAK, 72. HV 1992. 3 Erste Stimmen schon 1992, Berliner Anwaltsblatt Heft 12, S. 431 – Eich, „Bürgenhaftung der Rechtsanwaltskammer für die vom Vorstand festgesetzte Vertretervergütung“. 4 Simonsen/Leverenz, BRAK-Mitt. 1995, 227. 5 Schreiben der Bundesrechtsanwaltskammer v. 9.12.1992. 6 BGH, Beschl. v. 30.11.1992, BRAK-Mitt. 1993, 44; BRAK-Mitt. 1993, 46. 7 Z.B. AGH Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 17.7.1997 – 2 AGH 1/96; BayAGH, Beschl. v. 24.3.2004 – 1-26/03.
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seinen Standpunkt konkretisiert, wonach er bei einem längeren Abwicklungszeitraum die Vereinbarung von Stundenhonoraren für unzweckmäßig1 hielt und einen monatlichen Pauschalbetrag für angemessener erachtete, wobei bei der Bemessung nicht unberücksichtigt bleiben durfte, „dass der Abwickler seine Tätigkeit im Interesse der Anwaltschaft und der Rechtspflege leistet und von der Gemeinschaft der Rechtsanwälte des jeweiligen Bezirks bezahlt wird“.2
In der Folgezeit haben die Rechtsanwaltskammern versucht, die ständig steigenden Kosten für Abwicklervergütungen einzudämmen. Dies führte zur Kritik am Auswahlverfahren des Abwicklers3 und vereinzelt zu an den Entscheidungen des BGH orientierten schriftlich fixierten Vergütungsgrundsätzen. So hat zuletzt die Rechtsanwaltskammer Frankfurt am Main in ihren Vergütungsgrundsätzen vom Juli 2004 festgehalten:
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1. Die angemessene Vergütung eines Vertreters/Abwicklers im Sinne der §§ 53, 55 BRAO wird auf 30 E zuzüglich Mehrwertsteuer pro Stunde festgelegt. 2. Die angemessene Vergütung des Vertreters/Abwicklers wird begrenzt durch die Vereinbarung eines monatlichen, pauschalen Höchstbetrages von E 3000 zuzüglich Mehrwertsteuer. 3. Die angemessene Vergütung kann im Einzelfall durch Beschluss des Vorstands beziehungsweise der zuständigen Abteilung des Vorstands oder des Schatzmeisters unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles in anderer Höhe festgesetzt werden. 4. Die angemessene Vergütung des Vertreters/Abwicklers erfasst keinerlei Aufwendungsersatz, gleichgültig aus welchem Grund; es sei denn, der Vertreter/Abwickler hat die Aufwendungen der Rechtsanwaltskammer vor ihrem Entstehen angezeigt und die Zustimmung der Rechtsanwaltskammer für die Eingehung der den Aufwendungsersatz begründenden Verträge erhalten.
Solche Vergütungsleitsätze haben sich jedoch bei den Kammern generell nicht durchgesetzt. Zu unterschiedlich sind die Gegebenheiten, denen sich eine Abwicklung und damit auch die Vergütung der Abwicklertätigkeit anpassen müssen. Fest steht, dass der Abwickler eine Vergütung nur für die Zeit seiner Bestellung geltend machen kann.4 Versäumt er die Verlängerung seiner Bestellung zu beantragen, hat er für diese Zeit keinen Vergütungsanspruch. Noch nicht entschieden ist, ob der Abwickler vor seiner Bestellung zum Abwickler auf eine Inanspruchnahme der Kammer aus der Bürgenhaftung verzichten kann. So wird vereinzelt argumentiert, dass ein solcher Verzicht nicht wirksam vereinbart werden könne.5 Dies überzeugt jedoch nicht, da die Übernahme der Abwicklung im Interesse der Anwaltschaft geschieht und auch persönliche Gründe für einen solchen Verzicht sprechen können. Der Grundsatz der Privatautonomie spricht dafür, diese Entscheidung dem eingesetzten Abwickler zu überlassen. Dass er einen Vergütungsanspruch nicht geltend machen muss, ist allerdings unzweifelhaft. In letzter Zeit geht es in der Diskussion zumeist um den zeitlichen Umfang der Abwicklertätigkeit, den die Rechtsanwaltskammer zu vergüten hat. Dabei ist der Arbeitsaufwand zwischen abgeschlossenen alten Akten (älter als zehn Jahre), abgelegten Akten (älter als fünf Jahre), Akten innerhalb der Aufbewahrungsfrist des § 50 BRAO (bis fünf Jahre) und den laufenden Akten, die die schwebenden Angelegenheiten und laufenden Aufträge enthalten, zu berücksichtigen. Um dieser schwierigen Bewertung mit angemessenem Aufwand gerecht zu werden, hat der AGH Rheinland-Pfalz in einem Beschluss durchschnittlich 15 Minuten pro Akte für erforderlich gehalten und zwar für die Sichtung einer Akte mit der Entscheidung, ob sie abgelegt werden kann oder bearbeitet werden muss.6 Da die Frage der angemessenen Vergütung die Gerichte häufig befasst, ist die Rechtsprechung zu Einzelfällen angewachsen.7
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b) Aufwendungen, Auslagen Die immer umfangreicher werdenden Abwicklungen bürden dem Abwickler immer höhere Kosten auf, die er als erforderliche Aufwendungen für die aktive Tätigkeit auslegen muss. Die 1 In diesem Sinne auch der Brandenburgische AGH, BRAK-Mitt. 2011, 81; etwas anderes gelte jedoch in Fällen, in denen es um eine ca. fünfstündige Tätigkeit als Abwickler geht. Der Bayerische AGH (BRAK-Mitt. 2012, 247) hat in einem anderen Einzelfall eine Vergütung mit einem Stundensatz in Höhe von 83 Euro netto für angemessen erachtet. 2 BGH, NJW-RR 1993, 1335 f. 3 Knöfel, AnwBl. 2005, 530. 4 BayAGH, Beschl. v. 16.5.2002, BRAK-Mitt. 2004, 134. 5 Knöfel, AnwBl. 2005, 530. 6 AGH Rheinland-Pfalz, BRAK-Mitt. 2005, 197. 7 Hartung/Scharmer, § 53 Rz. 100 ff.
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Tatsache, dass bei immer mehr abzuwickelnden Abwicklerfällen ohne Vermögen, Einnahmen aus der Abwicklertätigkeit nicht zu erlangen sind, hat zur Folge, dass die Aufwendungen nicht vom Abwickler getragen werden können. Deshalb kommt es von Seiten des Abwicklers ebenso wie von der Rechtsanwaltskammer zu Mischkalkulationen, die einer gesetzlichen Grundlage entbehren. Unter keinen Umständen können die Kosten dem Abwickler auferlegt werden, wenn er keine Möglichkeit hat, sie durch Gebühreneinnahmen aus Abwicklertätigkeit oder vorhandenen Geldern zu decken. Der BGH hatte 2003 Gelegenheit, sich mit der Erstattungsfähigkeit von Aufwendungen des Kanzleiabwicklers zu befassen.1 In seinem Beschluss hat der BGH nicht nur klargestellt, dass zwischen dem Abwickler und der Rechtsanwaltskammer ein öffentlich-rechtliches Rechtsverhältnis besteht und zwischen dem Abwickler und den Erben oder sonstigen Rechtsnachfolgern (z.B. Nachlassverwalter) des verstorbenen Rechtsanwalts privatrechtliche Beziehungen in Gestalt eines Geschäftsbesorgungsverhältnisses anzuwenden sind. Er bekräftigte auch den Grundsatz, wonach die Festsetzung durch die Rechtsanwaltskammer ausschließlich die Vergütung des Abwicklers betrifft. Der Rechtsanwaltskammer ist es nicht gestattet, die Höhe des Aufwendungsersatzanspruchs festzusetzen. Der Aufwendungsersatz dagegen richtet sich allein gegen die Rechtsnachfolger des verstorbenen Rechtsanwalts (§§ 55 Abs. 3 S. 1, 53 Abs. 9 S. 2, BRAO § 670 BGB) und ist nicht Gegenstand der Bürgenhaftung. Das hindere aber nicht, dass der Abwickler aus vorhandenen Mitteln nicht nur Vergütungsvorschüsse, sondern auch Aufwendungen entnehmen dürfe. Im Fall der Mittellosigkeit der Praxis „dürfe dem Abwickler nicht angesonnen werden, die notwendigen Aufwendungen vollständig aus eigenen Mitteln zu bestreiten. Der Abwickler darf nicht in die Gefahr gebracht werden, im wirtschaftlichen Ergebnis eine umfangreiche Abwicklertätigkeit mit erheblichen Vergütungseinbußen oder gar mit Verlust zu beenden …“. Als Regulativ für die Entnahme aus vorhandenen freien Mitteln kommt es allein auf die Erforderlichkeit der getätigten Aufwendungen in Ausführung der Abwicklertätigkeit an. Dabei hat das Oberlandesgericht München2 auch die Heranziehung eines weiteren Rechtsanwalts zur Erledigung der Aufgaben, die im Zusammenhang mit der Betreuung der Kanzlei des vertretenen Rechtsanwalts mit vielen Vorgängen als im Rahmen der Vertretung/Abwicklung erforderlichen Aufwendungen angesehen und diese Kosten nicht den Auslagen, sondern dem Vergütungsanspruch zugerechnet. V. Beitreiben der Gebühren des ausgeschiedenen Rechtsanwalts 47
Um seine Aufwendungen zu finanzieren, Vergütungsvorschüsse zu realisieren und überhaupt die Kosten der Abwicklung gering zu halten, ist der Abwickler berechtigt, Kostenforderungen des früheren Rechtsanwalts im eigenen Namen und für Rechnung des früheren Rechtsanwalts beziehungsweise seiner Erben geltend zu machen. Er ist dazu jedoch nur im Rahmen eines Kostenfestsetzungsverfahrens verpflichtet.3 In der Praxis empfiehlt es sich, dass der Abwickler Gebührenrückstände einholt, die der ausgeschiedene Rechtsanwalt mit seiner Tätigkeit begründet hat, nicht zuletzt, um die Abwicklervergütung zu sichern. Wenn das Gesetz dem Abwickler die Geltendmachung fälliger Gebühren freistellt, dann aus dem Gedanken, dass vorrangig die Interessen des rechtsuchenden Mandanten gewahrt werden und nicht die Abwicklertätigkeit in erster Linie in der Geltendmachung der Honorarforderung bestehen soll. Schließlich können der ausgeschiedene Rechtsanwalt oder seine Erben ebenfalls den Honoraranspruch geltend machen und durchsetzen. „Der ehemalige Rechtsanwalt ist als Gläubiger seiner Vergütungsansprüche auch nach dem Ausscheiden aus der Anwaltschaft berechtigt und verpflichtet, zur Einforderung dieser Ansprüche außerhalb eines Kostenfestsetzungsverfahrens entsprechende Berechnung zu unterzeichnen und den Auftraggebern mitzuteilen, wenn der bestellte Abwickler insoweit nicht tätig geworden ist“.4 Im Rahmen des Kostenfestsetzungsverfahrens jedoch soll eine Verpflichtung für den Abwickler gelten, diese Kosten zu verfolgen, um damit auch die Interessen der Erben an einer Geringhaltung der Abwicklerkosten zu wahren. Die Begrenzung des Kostenfestsetzungsverfahrens durch die Änderung des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG), wonach für außergerichtliche Gebühren ein Kostenfestsetzungsverfahren nicht mehr zur Verfügung steht,5 wird auch diese Aufgabe mehr und mehr dem Abwickler übertragen, da nur er dementsprechend die vorhandenen Akten auswerten und den Gebührenanspruch 1 2 3 4 5
BGH, BRAK-Mitt. 2004, 32. OLG München, BRAK-Mitt. 2007, 91. Feuerich/Weyland, § 55 Rz. 34. BGH, BRAK-Mitt. 2004, 238. Gesetz zur Reform des RVG v. 5.5.2004 (BGBl. I 2004, S. 718) – Kostenrechtsmodernisierungsgesetz.
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erfolgreich geltend machen kann. So kann ein auf einen verstorbenen Rechtsanwalt lautender Kostentitel auf Antrag auch auf den Abwickler seiner Kanzlei umgeschrieben werden.1 Andernfalls müssten die Erben einen Anwalt mit der Beitreibung der Gebühren beauftragen. Die Bestellung des Abwicklers endet mit seinem Tod, mit dem Ablauf der Bestellungszeit und mit dem in Absatz 4 vorgesehenen Widerruf. Doch gilt der Abwickler in Anwaltsprozessen so lange als von der Partei bevollmächtigt, bis die Bestellung eines anderen Rechtsanwalts angezeigt ist.2
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Die Gebühren eines während des Rechtsstreits verstorbenen Prozessbevollmächtigten der Partei sind neben denjenigen des an seiner Stelle bestellten Prozessbevollmächtigten auch dann erstattbar, wenn ein Abwickler für die Praxis des verstorbenen Rechtsanwalts bestellt war.3 Wird ein Rechtsanwalt nach Beendigung seiner Bestellung als Abwickler einer Kanzlei in einer nicht beendeten Angelegenheit auftragsgemäß weiter anwaltlich tätig, so erwachsen ihm ungeachtet des in der Person des verstorbenen Rechtsanwalts entstandenen Vergütungsanspruchs in erstattbarer Weise diejenigen Gebühren, für die er durch seine weitere Tätigkeit den Gebührentatbestand neu verwirklicht; das gilt auch dann, wenn ein anderer Rechtsanwalt die Abwicklung der Kanzlei fortführt. Kann der zum Abwickler einer Kanzlei bestellte Rechtsanwalt einen von ihm als Abwickler begonnenen Prozess nicht über die Dauer seiner Bestellung hinaus weiterführen, dann sind die Mehrkosten erstattbar, die dadurch anfallen, dass mit der Weiterführung des Prozesses ein anderer Rechtsanwalt beauftragt werden muss; unerheblich ist dabei, ob der Abwickler bei der Aufnahme des Mandats innerhalb der 6-Monats-Frist des Absatz 2 S. 2 damit rechnen konnte, dass der Auftrag während der Abwicklungszeit erledigt werden könne.4 Auch hier wird es zweckmäßig sein, mit Mandanten Gebührenvereinbarungen zu schließen. VI. § 55 Abs. 4 BRAO – Widerruf der Bestellung Ein Rechtsanwalt, der eine Abwicklungstätigkeit bereits begonnen hat, kann in der Regel nur dann nach Absatz 3 S. 1 i.V.m. § 53 Abs. 5 S. 3 und 4 BRAO durch die Rechtsanwaltskammer von dieser Aufgabe entbunden werden, wenn er durch eine weitere Abwicklungstätigkeit seine eigene Leistungsfähigkeit konkret gefährdet oder Gründe vorliegen, die eine Abwicklung selbst beenden. Die Liquiditätsschwäche der übernommenen Abwicklungsmasse ist im Hinblick auf § 53 Abs. 10 S. 7 BRAO, der über Absatz 3 S. 1 anzuwenden ist, kein wichtiger Grund für eine Entbindung von der Pflicht.5 Die Entscheidung der Rechtsanwaltskammer nach Absatz 1 S. 1 und 5, Absatz 4 und 5 ist, soweit die gesetzlichen Voraussetzungen in Betracht kommen, eine uneingeschränkt anfechtbare Rechtsentscheidung.
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Der Widerruf der Bestellung erfolgt, sobald der Zweck der Abwicklung erreicht ist, die abzuwickelnde Kanzlei mithin aufgelöst ist. Regelmäßig wird die Bestellung des Abwicklers für ein Jahr ausgesprochen und endet mit Ablauf des Jahres. Da es möglich ist, dass der Zweck der Abwicklung früher erreicht wird, ist der jederzeitige Widerruf möglich. Der Widerruf ist auch aus wichtigen Gründen, die in der Person des Abwicklers entstehen, möglich. Das Verhalten des Abwicklers kann ein Auswechseln der Person erforderlich machen. Diese Entscheidung hat die Rechtsanwaltskammer nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen. Sie ist an Zweckmäßigkeitsgründen auszurichten. Grundsätzlich hat der einmal bestellte Abwickler keinen Rechtsanspruch bis zur endgültigen Abwicklung der Kanzlei Abwickler zu bleiben.6 Das gilt z.B. in Fällen, in denen die Praxis von einem anderen Rechtsanwalt übernommen wird. Dazu ist eine Vereinbarung mit dem ausgeschiedenen Rechtsanwalt oder den Erben notwendig. Einer Zustimmung des Abwicklers bedarf es nicht. Die Rechtsanwaltskammer wird einer sinnvollen Übertragung der Kanzlei auf einen anderen Rechtsanwalt nicht widersprechen können; gegebenenfalls kann sie nur den Vergütungsanspruch für den Abwickler einwenden. Der Übernehmer der Kanzlei tritt in sämtliche zivilrechtlichen Rechte und Pflichten innerhalb des Kanzleibetriebes ein, so auch in die des Abwicklers. Er tritt nicht automatisch die Nachfolge der Mandate an, die der Abwickler bearbeitet. Um das zu errei-
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LG Hamburg, AnwBl. 1970, 77. Schon BGH, MDR 1963, 397. OLG Frankfurt, AnwBl. 1980, 517 m.w.N. OLG Oldenburg, AnwBl. 1966, 194. EGH Celle, BRAK-Mitt. 1992, 110. Feuerich/Weyland, § 55 Rz. 14.
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chen, müsste der neue Kanzleiinhaber selbst zum Abwickler bestellt werden oder die Mandanten müssten ihm ein neues Mandat erteilen.1 51
Erforderlichenfalls sollte der Abwickler sich rechtzeitig um eine Verlängerung seiner Bestellung nach Absatz 1 S. 5 bemühen. Es wird nämlich die Ansicht vertreten, dass Anwaltskosten, die dadurch in einer Sache entstehen, dass der Abwickler seine Bestellung nicht bis zum Schluss der betreffenden Sache verlängern lässt, nicht erstattbar seien.2 Wird in einem solchen Fall der Verlängerungsantrag abgelehnt, so dass der zum Abwickler einer Kanzlei bestellte Rechtsanwalt aus diesem Grund einen als Abwickler begonnenen Prozess nicht über die Dauer seiner Bestellung hinaus weiterführen kann, so sind die Mehrkosten zu erstatten, die dadurch anfallen, dass mit der Weiterführung des Prozesses ein anderer Rechtsanwalt beauftragt werden muss.3 Mit Beendigung der Abwicklung erlischt die Postulationsfähigkeit des Abwicklers als solche. Damit kann der Abwickler, wenn er nicht selbst beauftragt wird, das Verfahren nicht weiterführen. Der Wegfall der Postulationsfähigkeit unterbrach im Anwaltsprozess das Verfahren, wenn die Partei damit den einzigen zu ihrer Vertretung befugten Rechtsanwalt verlor.4 Diese bisher bedeutsame Folge der Postulationsfähigkeit verliert künftig weitgehend ihre Wirkung, da ein Rechtsanwalt regelmäßig vor allen Gerichten der Bundesrepublik (ausgenommen BGH in Zivilsachen) vertretungsbefugt ist.5 Damit bleibt künftig der Mandant auch dann wirksam vertreten, wenn der Abwickler versäumt hat, rechtzeitig einen Antrag auf Verlängerung seiner Abwicklertätigkeit zu stellen. Dieses Versäumnis kann dem Abwickler aber als berufsrechtliches Fehlverhalten angelastet werden, da er prozessleitende Anträge dann nur als Rechtsanwalt und nicht als Abwickler vor Gericht stellen kann und dadurch entweder dem Mandanten Kosten durch den Anwaltswechsel oder aber durch die Verzögerung des Verfahrens verursacht. VII. § 55 Abs. 5 BRAO – Abwicklerbestellung nach Widerruf oder Rücknahme der Zulassung des ausgeschiedenen Rechtsanwalts
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Absatz 5 ist in Verbindung mit Absatz 1 zu sehen. In der Folge ist grundsätzlich unerheblich, ob der Rechtsanwalt gestorben oder durch die in Absatz 5 genannten Maßnahmen aus dem Anwaltsberuf ausgeschieden ist. Die Umstände, die sich daraus ergeben, sind im Einzelfall unterschiedlich; andere Konsequenzen oder Verhaltensweisen des Abwicklers ergeben sich aber daraus nicht. Naturgemäß ist im Regelfall jedoch das Verhältnis des Abwicklers zu einem nach Absatz 5 ausgeschiedenen Rechtsanwalt konfliktvoller als das Verhältnis zu den Erben eines verstorbenen Rechtsanwalts. VIII. Verhältnis des Abwicklers zu Insolvenzverwalter, Testamentsvollstrecker, Betreuer des früheren Rechtsanwalts 1. Abwickler und Erben
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Das Verhältnis des Abwicklers zu den Erben des verstorbenen Rechtsanwalts ist rein zivilrechtlicher Natur.6 Der Abwickler hat die Kanzlei ordnungsgemäß und zweckentsprechend abzuwickeln. Die Erben dagegen sind regelmäßig darauf bedacht, möglichst rasch aus den Verpflichtungen für die Kanzlei entlassen zu werden und möglichst geringe Kosten tragen zu müssen. Die Kosten der Abwicklung (Vergütung und Auslagen des Abwicklers) sind Nachlassschulden und von den Erben auszugleichen. Ein Festsetzungsbescheid der Rechtsanwaltskammer über die angemessene Abwicklervergütung ist den Erben zuzustellen. Deshalb versuchen die Erben die Kanzlei insgesamt möglichst umgehend zu veräußern oder zumindest auf einen Übernehmer zu übertragen. Die möglichst umgehende Fortführung der Kanzlei durch einen neuen Inhaber wird prinzipiell allen Interessen gerecht. Die Erben ebenso wie die Rechtsanwaltskammer werden von Kosten für die Abwicklung entlastet, der Ansehensverlust für die Anwaltschaft wird vermieden, Arbeitsplätze bleiben bestehen und der Fortgang der Rechtspflege wird gewährleistet. Die Rechtsanwaltskammer wird deshalb 1 2 3 4 5
Hartung/Scharmer, § 55 Rz. 47. So OLG Hamburg, AnwBl. 1973, 129 – nicht unbestritten. OLG Oldenburg, AnwBl. 1966, 194. Feuerich/Weyland, § 55 Rz. 26. Änderung des § 78 ZPO im Zuge der Novellierung der BRAO durch das Gesetz zur Stärkung der Selbstverwaltung der Rechtsanwaltschaft. 6 BGH, NJW 1999, 3037.
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Rz. 56 § 55 BRAO
die Erben bei der Suche nach einem Nachfolger unterstützen und nach pflichtgemäßem Ermessen darüber entscheiden, ob der eingesetzte Abwickler abberufen werden kann. Das ist dann der Fall, wenn der Praxisnachfolger in die in der Praxis bestehenden Verträge eintritt, er künftige Mandate selbst annimmt und gegebenenfalls für die übernommenen Mandate als Abwickler eingesetzt wird. Über die Modalitäten des Verkaufs/der Übernahme der Praxis müssen sich Übernehmer und Erben einigen. 2. Abwickler und Insolvenzverwalter Wenn ein Abwickler aus den Gründen des Absatzes 5 bestellt werden muss, liegt der Entzug der Zulassung immer häufiger in der Vermögenslosigkeit des ausscheidenden Rechtsanwalts. Dann wird regelmäßig die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des ehemaligen Praxisinhabers geprüft. Dann treten Insolvenzverwalter und Abwickler in Konkurrenz1, haben sie doch sich in vielen Aspekten widersprechende Aufgaben beziehungsweise sich überschneidende Arbeitskreise.2 Der Abwickler tritt mit dem Ziel an, die Kanzlei abzuwickeln; der Insolvenzverwalter mit dem Ziel, möglichst viele Werte in die Insolvenzmasse einzubeziehen. Lösen lässt sich der Konflikt in den Bereichen, in denen der Insolvenzverwalter über Kanzleiinventar und alle mit der Kanzlei verbundenen Vertragsverhältnisse entscheidet. Praxiseinrichtung, Verträge wie Miet-, Arbeits- und Leasingverträge aber auch die Praxisunterlagen kann der Insolvenzverwalter mit Beschlag belegen. Insofern wird der Insolvenzverwalter Rechtsnachfolger des ausgeschiedenen Rechtsanwalts und tritt als solcher bezüglich der wirtschaftlichen Belange der Praxis in die Rechtsstellung des früheren Praxisinhabers ein. Dementsprechend übernimmt er auch die Praxiskonten und steht insoweit verfügungsberechtigt neben dem Abwickler.
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Der Abwickler dagegen ist auf einen eng begrenzten Aufgabenkreis beschränkt. Er tritt lediglich in die anwaltlichen Befugnisse des ehemaligen Rechtsanwalts ein. Ihm obliegt allein die Fortführung der Mandate. Seine originären Rechte zum Betreten der Kanzlei und Herausgabe des anwaltlichen Treuguts verbleiben ihm und können ihm vom Insolvenzverwalter nicht streitig gemacht werden. Insgesamt darf der Insolvenzverwalter den Abwickler in seiner Aufgabenerfüllung nicht beeinträchtigen. Das gilt unstreitig dann, wenn der ausgeschiedene Rechtsanwalt ein Treuhandkonto für Treugelder eingerichtet hat und damit ein Vermischen seiner privaten bzw. der Praxisgelder mit dem Treugut vermieden hat. Im Fall der Insolvenz des Treuhänders, d.h. des ausgeschiedenen Rechtsanwalts, kann deshalb nach wie vor der Treugeber (Mandant) die Herausgabe des Treuguts im Wege des Aussonderungsrechts geltend machen. Entsprechend gilt auch in der Zwangsvollstreckung der Grundsatz der Trennung des Treuguts vom eigenen Vermögen des Rechtsanwalts. Hat also ein Rechtsanwalt Fremdgelder in einem Privat- oder Geschäftskonto vereinnahmt, das nicht allein der Aufnahme von Fremdgeldern dient, so kann der Auftraggeber einer Vollstreckung in dieses Konto nicht widersprechen. Kann eine klare Einordnung nicht erfolgen, empfiehlt sich die Hinterlegung. Im Ergebnis gilt, Treuhandkonten wirtschaftlich dem Treugeber zuzurechnen. Im Fall der Insolvenz über das Vermögen des Treuhänders kann der Treugeber ein Aussonderungsrecht an dem Treugut nach § 47 InsO geltend machen.3 Das gilt auch für den Abwickler.
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Der Versuchung, den Abwickler als Insolvenzverwalter zu bestellen oder umgekehrt, stehen Bedenken aus § 45 BRAO entgegen. Zu vielfältig sind die Möglichkeiten für Interessenkollisionen zwischen beiden Tätigkeiten.4 Bei strenger Trennung der Aufgabenbereiche unter Berücksichtigung des Zwecks und der Ziele der jeweiligen Funktion lassen sich Konflikte zwischen Abwickler und Insolvenzverwalter weitgehend vermeiden. Problematisch, weil eng nebeneinander liegend, bleiben die Bereiche der – gegenseitigen Auskunftspflicht über laufende Verfahren und sich daraus ergebender Vergütungsforderungen des ausgeschiedenen Rechtsanwalts, – der Abrechnung der Tätigkeit des Abwicklers im Rahmen einer eigenen Buchhaltung, – der Verfügungsmacht, Einsicht und Auskunft über die Akten des ausgeschiedenen Rechtsanwalts und nicht zuletzt 1 Allgemein und ausführlich zum Verhältnis zwischen Abwickler und Insolvenzverwalter Tauchert/SchulzeGrönda, BRAK-Mitt. 2010, 115. 2 Franke/Böhme, AnwBl. 2004, 339. 3 Lange, Treuhandbanken in Zwangsvollstreckung und Insolvenz, NJW 2007, 2513. 4 A.A.: Braun, 5. Aufl. 2012, § 35 InsO Rz. 48 u. 49; BGHZ 43, 36 (48).
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§ 55 BRAO Rz. 57
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– über die Vergütung des Abwicklers und sein Recht zur Nutzung der vorhandenen Geldmittel zur Deckung seiner Aufwendungen und Auslagen. a) Auskunftspflicht 57
Auskunft über die laufenden Verfahren und den Kontostand des ausgeschiedenen Rechtsanwalts hat der Abwickler dem Insolvenzverwalter zu erteilen. Der Insolvenzverwalter muss wissen, welche Werte der Masse zuzuordnen sind. Diesem Recht kann der Abwickler seine Pflicht zur Verschwiegenheit nicht entgegenhalten. Die Mitwirkungspflicht des Schuldners gem. § 97 InsO begründet die Durchbrechung der anwaltlichen Verschwiegenheitsverpflichtung.1 Die Durchbrechung der anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht erfolgt jedoch nur in dem Umfang, in dem dem Insolvenzverwalter Sachverhalte mitzuteilen sind, die ihn über den Forderungstand der Praxis unterrichten, nicht jedoch wird ein eigenständiges Akteneinsichtsrecht gewährt. Der Insolvenzverwalter kann auch z.B. Streitigkeiten über Honorarforderungen des ausgeschiedenen Rechtsanwalts an sich ziehen, um die Insolvenzmasse zu verstärken. Er hat aber wiederum kein Recht, Rechtsanwaltsanderkonten zur Masse zu ziehen und damit auf Fremdgelder zuzugreifen. Darüber verfügt allein der Abwickler.2 b) Befugnis zur Buchführung
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Der Abwickler soll für die Geschäftskonten des ausgeschiedenen Rechtsanwalts und Rechtsanwaltsanderkonten eine eigenständige Buchhaltung einrichten. Diese Buchhaltung führt er auch fort, wenn der Insolvenzverwalter eingesetzt ist. Das gilt zumindest solange, wie Gelder bei dem Abwickler eingehen und er Rechtsanwaltsanderkonten führt. Bei Beendigung der Abwicklung hat der Abwickler Auskunft über diese Gelder auch dem Insolvenzverwalter zu erteilen und Rechnung zu legen. Da sich hier die Aufgabenkreise des Abwicklers und des Insolvenzverwalters treffen, ergeben sich im Einzelfall Konflikte, die die Funktionsträger untereinander regeln müssen. c) Aktenbesitz
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Ein weiterer Konfliktbereich ist der Besitz der Akten. Soweit sich aus den Akten Forderungen des ausgeschiedenen Rechtsanwalts gegen Dritte ergeben, kann der Insolvenzverwalter die Akten vom Abwickler herausverlangen, um Gebührenansprüche selbst oder durch beauftragte Rechtsanwälte oder den Abwickler geltend zu machen mit dem Ziel, dadurch die Masse zu mehren. Aktive Akten (schwebende Angelegenheiten und laufende Aufträge betreffend) kann er von dem Abwickler aber nicht herausverlangen. Er kann von dem Abwickler lediglich Auskunft über werthaltige Ansprüche des ausgeschiedenen Rechtsanwalts oder Gebührenansprüche des Abwicklers fordern. d) Vergütung des Abwicklers im Insolvenzverfahren
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Am problematischsten ist die Frage zu beantworten, ob die Vergütungsforderung des Abwicklers und die durch seine Tätigkeit erlangten Gebühren eine Masseverbindlichkeit darstellen. Eine Entscheidung darüber hat auch der BGH noch nicht getroffen, sondern dies vielmehr bewusst offen gelassen.3 Schwierig wird die Antwort deshalb, weil es darauf ankommen soll, ob die Eröffnung des Insolvenzverfahrens vor, während oder nach Einsetzung des Abwicklers verfügt wird. Die Entscheidung geht davon aus, dass in den Fällen, in denen die Abwicklung vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens begonnen worden ist, die Ansprüche des Abwicklers auf bis dahin entstandener Vergütung und Auslagen Vorrang haben, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sind, mit der Folge, dass der Abwickler gegen den Anspruch des Insolvenzverwalters auf Herausgabe des aus der Abwicklung Erlangten mit seinem Vergütungsanspruch auch dann noch aufrechnen kann, wenn zwischenzeitlich das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist.4 Auch soll dann der Vergütung- und Auslagenanspruch des Abwicklers den entsprechenden Ansprüchen des Insolvenzverwalters vorgehen und vorab aus der Insolvenzmasse berichtigt werden müssen.5
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Hartung/Scharmer, § 55 Rz. 95. BGH, AnwBl. 2005, 716. BGH, AnwBl. 2005, 716. BGH, BRAK-Mitt. 2005, 282. Franke/Böhme, AnwBl. 2004, 339.
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Rz. 63 § 55 BRAO
e) Zwischenergebnis Die sich aus den sich überschneidenden Wirkungskreisen des Abwicklers und des Insolvenzverwalters ergebenden Probleme werden auch künftig die Gerichte beschäftigen. Die Entscheidung ist nach den aufgezeigten Grundlagen lediglich am Einzelfall zu treffen. Wenn in den Regelfällen der Vergütungsanspruch des Kanzleiabwicklers weder nach §§ 53, 55 BRAO beziehungsweise § 324 Abs. 1 Nr. 6 InsO direkt oder analog bevorzugt befriedigt werden kann, wird dieses Ergebnis unbefriedigend. Bestand der Anspruch bereits im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, so stellte er eine Insolvenzforderung gem. § 38 InsO dar.1 Wurde der Abwickler erst nach Verfahrenseröffnung bestellt, entsteht sein Vergütungsanspruch erst dann und der Abwickler zählt nicht zu den Insolvenzgläubigern. Die Insolvenzmasse dient lediglich zur Befriedigung der persönlichen Gläubiger, die im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens einen Vermögensanspruch gegen den Schuldner haben. Neuverbindlichkeiten fallen nicht darunter. Der Kanzleiabwickler kann dann in der Regel erst nach Aufteilung der Insolvenzmasse an die Gläubiger seinen Anspruch gegen den Schuldner geltend machen2 – was bedeutet, dass er leer ausgeht. Der Konflikt zwischen Insolvenzverwalter und Abwickler ist in dieser Frage nur durch den Gesetzgeber zu lösen.3 Diese unbefriedigende Situation ist für den Abwickler letztendlich kein wirklicher Nachteil. Soweit er durch diese Regelungen als Massegläubiger ausfällt, bleibt dahinter die Bürgenhaftung der Rechtsanwaltskammer. Die Nachteile treffen also die Anwaltschaft.
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3. Abwickler und Testamentsvollstrecker Da § 55 BRAO in erster Linie dafür geschaffen ist, die Kanzlei eines verstorbenen Rechtsanwalts abzuwickeln, ist es nur natürlich, wenn der Abwickler mit dem Testamentsvollstrecker oder dem Nachlassverwalter zusammentrifft. Die Aufgabenüberschneidungen sind nicht so gravierend wie bei dem Insolvenzverwalter, aber eine Kollision mit den erbrechtlichen Verwaltern ist möglich.
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Der Testamentsvollstrecker hat die letztwillige Verfügung des Erblassers auszuführen. Er tritt damit an die Stelle der Erben. Anders als bei den Erben kann der Tätigkeitsbereich des Testamentsvollstreckers beschränkt sein. Regelmäßig hat der Testamentsvollstrecker den Nachlass zu verwalten. Auch der Testamentsvollstrecker hat das Recht, den Nachlass in Besitz zu nehmen und über die Nachlassgegenstände zu verfügen. Unter Nachlassgegenstände fallen alle Einrichtungsgegenstände der Praxis, aber auch Honorarforderungen und Akten. Während eine Überschneidung bezüglich der in der Praxis laufenden Verträge und der Praxiseinrichtung nicht infrage kommt, müssen sich Abwickler und Testamentsvollstrecker über die Geltendmachung von Honorarforderungen und die Inbesitznahme des Aktenbestandes absprechen. Wichtig bleibt der Anspruch bezüglich der Akten. Jedoch haben auf das Mandatsverhältnis die Rechte des Testamentsvollstreckers keinen Einfluss, so dass dieser wesentliche Teil konfliktfrei bleibt und der Abwickler für seine Tätigkeit die „aktiven Akten“ herausverlangen oder zurückbehalten kann. Auch für den Nachlassverwalter ergibt sich keine andere Beurteilung. Mit Anordnung der Nachlassverwaltung verliert der Erbe die Befugnis über den Nachlass und die Erbenhaftung wird auf den Nachlass beschränkt. Die Nachlassverwaltung kann in eine Nachlassinsolvenz übergehen. Das LG Hamburg hat schon 19944 in diesem Zusammenhang den Anwendungsbereich des früheren § 224 KO nicht nur für Nachlasspfleger und Testamentsvollstrecker, sondern entsprechend auch für den amtlich bestellten Abwickler einer Kanzlei angewandt, weil er eine besondere Art Nachlasspflegschaft wahrnehme, so dass Kostenforderungen des verstorbenen Rechtsanwalts als Masseschulden vorrangig zu befriedigen sind (Absatz 3 Satz 1 i.V. mit § 53 Abs. 9 BRAO). Auch der Nachlassverwalter kann kraft Gesetzes über Praxiseinrichtung, die Rechte aus Verträgen, die in der Praxis abgeschlossen sind und über Honorarforderungen des verstorbenen Rechtsanwalts verfügen. Auch hier ist eine Überschneidung nur im Bereich der Honorarforderungen und Akten zu erkennen. Da die Beitreibung von Honorarforderungen nicht primäre Aufgabe des Abwicklers ist, können auch hier Interessenkollisionen durch Absprachen vermieden werden.5 1 OLG Rostock, BRAK-Mitt. 2004, 187. 2 Lambertz, Der Kanzleiabwickler, 2004, S. 180. 3 Zum Verhältnis Insolvenzverwalter/Abwickler s. Tauchert/Schulze-Grönda, BRAK-Mitt. 2010, 115; Feuerich/Weyland, § 55 Rz. 35 ff. und Hartung/Scharmer, § 55 Rz. 99. 4 LG Hamburg, NJW 1994, 1883. 5 Lambertz, Der Kanzleiabwickler, 2004, S. 184.
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§ 55 BRAO Rz. 64 64
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Es bleibt für alle erbrechtlichen Verwalter im Verhältnis zum Abwickler ebenso wie beim Insolvenzverwalter ein letzter Konflikt in Form der Vergütung des Abwicklers. Testamentsvollstrecker, insbesondere aber Nachlassverwalter, haben ebenso wie der Insolvenzverwalter das Nachlassvermögen zu stärken. Deshalb wird der Abwickler ebenso wie beim Insolvenzverwalter in diesen Fällen die schwächere Position haben. Auch hier wird diese Regelung der Bedeutung und der Aufgabe des Abwicklers nicht gerecht, so dass nur eine gesetzliche Änderung einen gerechten Interessenausgleich herbeiführen kann, will man mit der Bürgenhaftung nicht allein die Rechtsanwaltskammer belasten. Akten, insbesondere aber Honorarforderungen des verstorbenen Rechtsanwalts fallen in die Insolvenzmasse, beziehungsweise den Nachlass und sind deshalb Mittelpunkt des Interesses beider Tätigkeitsbereiche. Einigkeit besteht immer, dass die Verwalter auf die Mandatsverträge keinen Einfluss nehmen und damit die Tätigkeit des Abwicklers insoweit nicht beeinträchtigen dürfen. Das Verhältnis von InsO zur BRAO führt dazu, dass der Insolvenzverwalter alle Verfügungen tätigen darf, die die Kanzleiabwicklung nicht beeinträchtigen, solche hingegen nicht, die eine Behinderung des Abwicklers bewirken.1 Bei Beachtung dieser Grundregel kommt es nur noch hinsichtlich des Rechts auf Vorschussentnahme durch den Abwickler und insgesamt seiner Vergütung zu einer wirklichen Benachteiligung des Abwicklers, da der Vergütungsanspruch, auch wenn er schon im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestanden hat, Insolvenzforderung gem. § 38 InsO wird. Dieses Ergebnis überzeugt nicht, weil nicht einzusehen ist, aus welchen Gründen der Kanzleiabwickler schlechter als der Insolvenzverwalter/ erbrechtliche Verwalter gestellt werden soll. 4. Abwickler und Betreuer des früheren Rechtsanwalts
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Noch etwas leichter lassen sich die Kollisionen zwischen Abwickler und Betreuer des ausgeschiedenen Rechtsanwalts regeln. Der Rechtsanwalt, der seine eigenen Interessen nicht mehr selbst wahrnehmen kann, wird einen Betreuer nach §§ 1896 ff. BGB erhalten. Der Wirkungskreis dieses Betreuers wird vom Gericht festgelegt. In Kenntnis der Befugnisse des Abwicklers wird das Gericht den Tätigkeitsbereich des Abwicklers bei Bestellung des Betreuers aussparen. Damit tritt der Betreuer ansonsten an die Stelle des ausgeschiedenen Rechtsanwalts. Er hat deshalb dieselben Rechte gegenüber dem Abwickler wie dieser, also insbesondere das Recht auf Auskunft und Rechnungslegung durch den Abwickler. Hier ergeben sich auch im finanziellen Bereich keine anderen Rechtsverhältnisse als die zwischen dem ausgeschiedenen Rechtsanwalt und dem Abwickler. D. Spezielle Fragen zur Abwicklertätigkeit I. Veräußerung der Praxis
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Übernimmt ein anderer Rechtsanwalt oder der Abwickler durch Kaufvertrag die Praxis eines ausgeschiedenen Rechtsanwalts, sind die Aufgaben als Abwickler von der Mandatsführung in der erworbenen Kanzlei strikt zu trennen. Die Rechte und Pflichten des Abwicklers sind von den Pflichten des ausgeschiedenen Rechtsanwalts oder seiner Erben unabhängig und beide Pflichtenkreise bestehen nebeneinander. Als Abwickler eingezogene Fremdgelder hat er an die berechtigten Auftraggeber herauszugeben, es sei denn, er ist noch in seiner Eigenschaft als amtlich bestellter Abwickler mit der Verteilung von Fremdgeldern gefasst. Die Aufgaben des Abwicklers bei Führung von Fremdgeldkonten können dem Abwickler durch einseitigen Widerruf des Treuhandauftrages nicht abgenommen werden.2 II. Aufbewahrung der Handakten
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Mit Fragen im Zusammenhang mit den Pflichten des Abwicklers bei der Behandlung von Handakten hat sich der Ausschuss der Bundesrechtsanwaltskammer seit Beginn seiner Tätigkeit befasst.3 Die Vielzahl der Fallkonstellationen lässt eine abschließende Antwort dazu nicht finden. Der Ausschuss hat in seiner Arbeit deshalb in Anlehnung an § 50 BRAO drei Kategorien gebildet, die ihre Begründung aus dem Stand der Bearbeitung und der zeitlichen Entfernung zur Beendigung des Mandats herleitet. 1 Lambertz, Der Kanzleiabwickler, 2004, S. 190. 2 BGH, MDR 1999, 1288. 3 Simonsen/Leverenz, BRAK-Mitt. 1996, 17 (21); Hartung/Scharmer, § 55 Rz. 79.
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Rz. 72 § 55 BRAO
Die „aktiven Akten“ sind solche, die in § 53 BRAO unter den Begriff der „schwebenden Angelegenheit“ oder dem der „laufenden Angelegenheit“ fallen. Es sind die Akten, in denen das Mandat nicht abgeschlossen und der Mandatsvertrag noch nicht erfüllt ist. Diese Akten hat der Abwickler vorrangig im Interesse der Mandanten und einer geordneten Rechtspflege zu bearbeiten.
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In der zweiten Gruppe sind die abgeschlossenen Akten, in denen das Mandat beendet und der Mandatsvertrag erfüllt ist. Gegebenenfalls steht noch der Ausgleich der Gebühren offen und unter Umständen noch eine Belehrungspflicht des Abwicklers über Rechtsmittel gegen die zuvor ergangene Entscheidung aus. Für diese Akten besteht die Pflicht des Abwicklers, sie für die Dauer von fünf Jahren nach Beendigung des Auftrags aufzubewahren, wenn nicht der Mandant vor dieser Frist zur Übernahme der Akten aufgefordert und die Akten übergeben werden können (§ 50 Abs. 2 S. 2 BRAO)
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Akten, die abgeschlossen und älter als fünf Jahre sind, kann der Abwickler vernichten. Steuerliche Belange können es für den Abwickler, insbesondere aber für den Erben sinnvoll sein lassen, die Akten auch mehr als zehn Jahre aufzubewahren und sie erst dann zu vernichten. Diese Akten gehören zur dritten Gruppe, der sich der Abwickler an sich zuletzt widmen sollte.
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Jedoch ist es erste Aufgabe des Abwicklers, den vorgefundenen Aktenbestand zu sichten, um festzustellen, in welche Gruppe eine einzelne Akte fällt. Diese Aufgabe ist zeitintensiv und mühselig, zumal wenn eine geordnete Aktenablage nicht vorgefunden wird. Auch kann die Notwendigkeit entstehen, Akten bis zum Ablauf der genannten Zeiträume einzulagern. Die Aufbewahrung der „Alt-Akten“, also des Bestandes, der nicht direkt vom Abwickler als „aktive Akte“ zu bearbeiten ist, ist Sache des ausgeschiedenen Rechtsanwalts beziehungsweise seiner Erben, wenn solche nicht vorhanden sind oder ausgeschlagen haben, auch des Fiskus, des Insolvenzverwalters oder der erbrechtlichen Verwalter. Deshalb muss sich der Abwickler darum nur bemühen, dass er ein entsprechendes Mandat für die Aufbewahrung dieser Akten, verbunden mit einer Kostendeckung, erhält. Praktisch ist dies in den meisten Fällen nicht möglich und der Abwickler ist auf sich allein gestellt, da er zur Verwahrung von Handakten berechtigt und verpflichtet ist.1 Die Rechtsanwaltskammern helfen hier – allerdings nur zögerlich – da sie in diesen Fällen meist die Kosten übernehmen müssen. Dem Abwickler kann nicht zugemutet werden, die Kosten für eine Aufbewahrung oder gar die Einlagerung zu übernehmen. In allen Fällen kommt hinzu, dass auch die abgeschlossenen Handakten dem Gebot der Verschwiegenheit2 unterliegen und dieses hohe Gut der Anwaltschaft nicht durch unsichere Aktenverwahrung gefährdet werden darf. So kann es nicht sein, dass z.B. ein Vermieter Akten des ausgeschiedenen Rechtsanwalts im Rahmen seines Vermieterpfandrechts in Besitz nimmt oder sie unsachgemäß entsorgt, weil sich niemand für die Akten zuständig zeigt. Es ist auch nicht ausreichend, wenn der Vermieter ebenso wie die Erben gesetzlich nach § 203 StGB zur Verschwiegenheit verpflichtet ist. Als zufriedenstellende Lösung bietet sich bisher nur die Übertragung der Aufbewahrung und Entsorgung auf den Abwickler an. Nur so können letztendlich die Interessen des Mandanten und das Gebot der Verschwiegenheit des Rechtsanwalts gewahrt werden. Die dafür anfallenden erheblichen Kosten sind dann von der Anwaltschaft zu tragen.3 Natürlich kann das nur dann gelten, wenn sich für die Akten kein anderer Verantwortlicher findet. Das wird selten der Fall sein, zumal sich im Fall des Todes letztlich der Fiskus und im Fall der Aufgabe der anwaltlichen Tätigkeit wegen Vermögensverfalls oder aus persönlichen Gründen meist ein verantwortlicher Betreuer oder Insolvenzverwalter findet. Voraussetzung ist weiterhin, dass ein gesetzlicher Grund für die Ernennung eines Abwicklers vorlag. Das Gesetz selbst sieht nicht vor, dass ein Abwickler nur eingesetzt wird, um sich um die verbleibenden Akten zu kümmern. Voraussetzung ist vielmehr, dass der Abwickler schwebende Angelegenheiten oder laufende Aufträge des ausgeschiedenen Rechtsanwalts zu bearbeiten hat.4
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III. Verjährung des Anspruchs eines Abwicklers auf seine Vergütung Die Vergütungsansprüche sind rein zivilrechtlicher Natur. Es handelt sich um einen Geschäftsbesorgungsvertrag nach § 675 BGB, da die Abwicklung entgeltlich erfolgt. Da eine Sonderverjährung in § 675 BGB nicht enthalten ist, gilt die Regelverjährung gem. §§ 195, 199 1 2 3 4
AGH Naumburg, NJW-RR 1995, 1206. Simonsen/Leverenz, BRAK-Mitt. 1996, 17 (21). Knodel, ZRP 2005, 263. So die Auffassung des Abwicklerausschusses der Bundesrechtsanwaltskammer seit 1992.
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§ 55 BRAO Rz. 73
Bestellung eines Abwicklers der Kanzlei
BGB. Die Verjährung beträgt demnach drei Jahre und beginnt mit dem Schluss des Jahres, in dem 1. der Anspruch entstanden ist und 2. der Gläubiger von den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt hat (§ 199 BGB). E. Hinweise 73
1. Die Regelungen der §§ 53, 55 BRAO sind ausführlich gestaltet und noch ausführlicher kommentiert. Sie wurden mehrfach angepasst. Doch bleiben viele rechtliche Fragen ungeklärt. Die Ausübung des anwaltlichen Berufs und damit das Berufsrecht sind immer in Bewegung. Die wirtschaftliche Entwicklung geht mit der Entwicklung in der Gesamtgesellschaft einher und fordert Anpassungen der Berufsausübung und damit auch des Berufsrechts. Deshalb entstehen immer wieder Regelungslücken oder Interessenkonflikte zwischen gesetzlich geregelten Tätigkeitsbereichen, wie speziell dem des Abwicklers und des Insolvenzverwalters. Diese Kollisionen lassen sich durch Auslegung bewältigen, sind aber nur durch Gesetz zufriedenstellend zu regeln. Die Position des Abwicklers müsste gegenüber anderen Verwaltern (Insolvenzverwalter oder Vermögensverwalter oder erbrechtliche Verwalter) in der BRAO gestärkt und in z.B. der Insolvenzordnung angemessen berücksichtigt werden. Nur so können die offenkundigen Interessenkollisionen zwischen dem Tätigkeitsbereich des Abwicklers und dem des Insolvenzverwalters insbesondere hinsichtlich der Vergütungsregelung beider Berufe vermieden werden.
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2. Die zu Abwicklern bestellten Rechtsanwälte sollten das Angebot der Rechtsanwaltskammer annehmen und sich mit dem Vorstand oder der Geschäftsführung frühzeitig in Verbindung setzen, um Inhalt und Umfang ihrer Abwicklertätigkeit in dem übernommenen Abwicklungsfall zu besprechen. Die vom Abwicklerausschuss der Bundesrechtsanwaltskammer herausgegebenen Hinweise und Fragebogen zu einzelnen Abwicklungsabschnitten und das Abwicklerlexikon sowie die von einigen Kammern herausgegebenen Vergütungsrichtlinien geben dem Abwickler Orientierungshilfe von Beginn seiner Tätigkeit an. Diese Hinweise sind regelmäßig der Homepage der Rechtsanwaltskammern zu entnehmen. Damit können unnötige Konflikte und finanzielle Verluste insbesondere durch die Wahrnehmung überflüssiger und für den Abwickler teilweise unzulässiger Aufgaben vermieden werden.
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3. Der Ablauf einer Abwicklung1 nach §§ 53, 55 BRAO gestaltet sich wie folgt: – Der Antrag auf Bestellung eines Abwicklers geht bei der Rechtsanwaltskammern ein: Die Rechtsanwaltskammer prüft, ob Bedarf besteht. Wenn keine schwebenden Angelegenheiten zu bearbeiten sind, die Kanzlei gegebenenfalls verkauft werden kann oder die Kanzlei von einem anderen Gesellschafter fortgeführt werden kann, besteht der Bedarf regelmäßig nicht. – Suche nach einem geeigneten Abwickler: Übernahme durch Bürogemeinschafter oder Kooperationspartner, Bestellung eines Mitglieds der Rechtsanwaltskammer aus der Abwicklerliste, möglichst ortsnahe Verbindung zwischen den Kanzleien und möglichst gleiche Tätigkeitsschwerpunkte – Bestellung eines Abwicklers: Anhörung des Abzuwickelnden, Einverständnis der Erben, Bestellung durch den Vorstand (Präsidenten), zuerst kurzfristige Bestellung – maximal ein Jahr. – Besprechung des Ablaufs der Abwicklung: Erfassen des Aktenbestands, Fristenkontrolle, Mitteilung an alle Mandanten, Gerichte und sonstige Vertragspartner, Vermögensschadenhaftpflichtversicherung, eigenes Abwicklerkonto und eigene Buchhaltung einrichten, Beschränkung der Tätigkeit auf die anhängigen Mandate: § 55 Abs. 2 S. 1; Besonderheiten der abzuwickelnden Praxis. – Rechte des Abwicklers: Dem Abwickler stehen die anwaltlichen Befugnisse zu, die der verstorbene/ausgeschiedene Rechtsanwalt hatte (§§ 55 Abs. 2; 53 Abs. 7 BRAO). – Vergütung des Abwicklers: Vergütungsvereinbarung zwischen Abwickler und Erben oder ausgeschiedenem Rechtsanwalt schließen, Sicherheitsleistung einfordern, Vergütung und Auslagen, Aufwendungsersatz vorhandenem Vermögen entnehmen. Bei Vermögenslosigkeit Verhandlungen mit Rechtsanwaltskammer über Vorschüsse und Auslagen aufnehmen. Mit den Erben Möglichkeiten des Verkaufs und der Praxisübernahme ausloten. 1 Zum Ablauf einer Kanzleiabwicklung vgl. auch Schwärzer, BRAK-Mitt. 2008, 108.
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Bestellung eines Abwicklers der Kanzlei
Rz. 76 § 55 BRAO
– Betreuung des Abwicklers durch die Rechtsanwaltskammer: Übersendung der Fragebögen, Anforderungen von Berichten über Zeitaufwand, Umfang des Aktenbestandes, finanzielle Situation der Praxis, Beitreibung von Honoraransprüchen noch sinnvoll? – Ende der Bestellung – Verlängerung: Die Abwicklung läuft mit Beendigung des Bestellungszeitraums aus. Die Vergütung kann nur für diesen Zeitraum gewährt werden. Der Verlängerungsantrag ist rechtzeitig zu stellen und zu begründen. Die Begründung muss Informationen über weitere schwebende Angelegenheiten und die Erforderlichkeit der Verlängerung enthalten. Bei Verlängerung ist die Vereinbarung mit den Erben zu erweitern. – Festsetzung der Vergütung: Der Antrag muss einen Nachweis des Versuchs und des Scheiterns der Einigung über die Vergütung mit dem ausgeschiedenen Rechtsanwalt oder den Erben sowie das Fehlen einer Sicherheitsleistung enthalten. Ein Vergütungsantrag muss nicht gestellt werden. Der zeitliche Tätigkeitsumfang und sachliche Arbeitsaufwand sind ausführlich darzulegen. Es hat eine Anhörung des ausgeschiedenen Rechtsanwalts oder der Erben zum Vergütungsantrag zu erfolgen. Der Festsetzungsbescheid mit Rechtsmittelbelehrung durch den Vorstand wird dem Abwickler und Erben/ausgeschiedenem Rechtsanwalt zugestellt. Der Bescheid ist anfechtbar. Zahlen die Erben oder der Rechtsanwalt nicht, muss die Vergütung vor dem Zivilgericht eingeklagt werden. – Bürgenhaftung (§§ 55 Abs. 3 i.V.m. 53 Abs. 10 S. 7 BRAO): Für die festgesetzte Vergütung haftet die Rechtsanwaltskammer wie ein Bürge. Auslagen und Aufwendungen können nicht festgesetzt werden. Die Rechte eines Bürgen stehen der Rechtsanwaltskammer zu. Der Abwickler tritt seine Ansprüche nach Zahlung an die Rechtsanwaltskammer ab. Der Abwickler kann seine Vergütung festsetzen lassen, aber auf die Bürgenhaftung verzichten, indem er die festgesetzte Vergütung nicht geltend macht. 76
4. Abwickler für eine Rechtsanwaltsgesellschaft Das Erlöschen, die Rücknahme oder der Widerruf der Zulassung einer Rechtsanwaltsgesellschaft ist in § 59h geregelt. Diese Maßnahmen müssen nicht auch die die Gesellschaft führenden Organe selbst betreffen. Ist die Gesellschaft insolvent, muss das nicht auf deren Gesellschafter oder Geschäftsführer zutreffen. Nach Absatz 6 kann für die Gesellschaft, die ihre Zulassung verloren hat, dennoch ein Abwickler bestellt werden, wenn die zur Vertretung der Gesellschaft bestellten Organe nicht die notwendige Gewähr bieten, die Aufgaben der Gesellschaft ordnungsgemäß wahrzunehmen. Dann gelten die Regelungen der §§ 53, 55 BRAO entsprechend. Jedoch konkurrieren die handels- und gesellschaftsrechtlichen Vorschriften mit den berufsrechtlichen Regelungen der BRAO. Der Abwickler ist nicht Liquidator im Sinne des Handels- und Gesellschaftsrechts, vielmehr hat er sich auf die ursprünglichen Pflichten des Abwicklers zu beschränken und die schwebenden Angelegenheiten im Interesse des Mandanten abzuwickeln in dem er die laufenden Aufträge fortführt. (§ 55 II BRAO). Insofern nimmt er dann die Aufgaben der Organe der Gesellschaft an deren Stelle wahr und hat sich nicht um Kanzleiräume/Mietverhältnisse, Arbeitsverträge oder sonstige Vertragsverhältnisse der Rechtsanwaltsgesellschaft zu kümmern. Daraus erwachsen der Rechtsanwaltskammer Schwierigkeiten. Liegen die Voraussetzungen dazu vor, hat die Rechtsanwaltskammer den Abwickler ohne weiteres Ermessen zur Wahrnehmung der Interessen der Mandanten und zur Aufrechterhaltung einer ordnungsgemäßen Rechtspflege zu bestellen. Zugleich benötigt die Gesellschaft eine Abwicklung zur wirtschaftlichen Beendigung ihrer Tätigkeit. Hierzu ist ein Liquidator vom Amtsgericht einzusetzen. Diese Aufgabe kann ein Rechtsanwalt übernehmen, wird es aber nicht ohne Weiteres. Die wirtschaftlichen Gefahren sind zu erheblich, bleibt doch einerseits unter Umständen die Zulassung des Rechtsanwalts als Gesellschafter einer Ein-Mann-GmbH bestehen (zumindest in Fällen der Bestellung eines Vertreters) und kann es andererseits vorkommen, dass mehrere Rechtsanwälte zugleich auf ihre Zulassung verzichten und so eine desolate Rechtsanwaltsgesellschaft mit beschränkter Haftung hinterlassen. Für diese Kapitalgesellschaft dann als alleiniger Abwickler/Liquidator die Tätigkeit der Gesellschaft zu beenden, ist oft zu unübersichtlich, zu riskant und schon hinsichtlich der zu zahlenden hohen Gerichtskostenvorschüsse finanziell zu aufwändig. Es bleibt somit nur die Bestellung des Abwicklers mit dem engen, begrenzten Auftrag der Abwicklung der schwebenden rechtlichen Angelegenheiten. Auch ob diese Leistung von einem einzelnen Abwickler erbracht werden kann, muss die Rechtsanwaltskammer im Einzelfall in eigenem pflichtgemäßen Ermessen feststellen und entscheiden – und zwar unter Berücksichtigung auch der §§ 59l und 59m. In jedem Fall erhöht sich mit solchen Vorgängen erneut die finanzielle Belastung für die Rechtsanwaltskammer. Es erscheint deshalb notwendig, die sich aus den möglichen Gesellschaftsverhältnissen (Rechtsanwalts-GmbH, Rechtsanwalts-AG und andere denkbare Ge-
Tauchert/Dahns 853
§ 56 BRAO
Besondere Pflichten gegenüber dem Vorstand der RAK
staltungsformen des Gesellschaftsrechts) in denen der Rechtsanwalt seine Tätigkeit ausüben kann, ergebenden Fragestellungen aufzuarbeiten und die Regelungen der §§ 53, 55, 59h BRAO aufeinander abzustimmen. Zurzeit jedenfalls wird die Tätigkeit des Abwicklers und des Liquidators ebenso wie das Verhältnis des Abwicklers zum Insolvenzverwalter in der praktischen Tätigkeit Reibungen hervorrufen, die nur durch praktisches Verhalten gelöst werden können.1 Pflichten gegenüber dem Vorstand der Rechtsanwaltskammer 56 BRAO Besondere (1) In Aufsichts- und Beschwerdesachen hat der Rechtsanwalt dem Vor1
stand der Rechtsanwaltskammer oder einem beauftragten Mitglied des Vorstandes Auskunft zu geben sowie auf Verlangen seine Handakten vorzulegen oder vor dem Vorstand oder dem beauftragten Mitglied zu erscheinen. 2Das gilt nicht, wenn und soweit der Rechtsanwalt dadurch seine Verpflichtung zur Verschwiegenheit verletzen oder sich durch wahrheitsgemäße Beantwortung oder Vorlage seiner Handakten die Gefahr zuziehen würde, wegen einer Straftat, einer Ordnungswidrigkeit oder einer Berufspflichtverletzung verfolgt zu werden und er sich hierauf beruft. 3Der Rechtsanwalt ist auf das Recht zur Auskunftsverweigerung hinzuweisen.
(2) 1In Vermittlungsverfahren der Rechtsanwaltskammer hat der Rechtsanwalt auf Verlangen vor dem Vorstand der Rechtsanwaltskammer oder einem beauftragten Mitglied des Vorstandes zu erscheinen. 2Das Erscheinen soll angeordnet werden, wenn der Vorstand oder das beauftragte Vorstandsmitglied nach Prüfung zu dem Ergebnis kommt, dass hierdurch eine Einigung gefördert werden kann. (3) 1Der Rechtsanwalt hat dem Vorstand der Rechtsanwaltskammer unverzüglich anzuzeigen, 1. dass er ein Beschäftigungsverhältnis eingeht oder dass eine wesentliche Änderung eines bestehenden Beschäftigungsverhältnisses eintritt, 2. dass er dauernd oder zeitweilig als Richter, Beamter, Berufssoldat oder Soldat auf Zeit verwendet wird, 3. dass er ein öffentliches Amt im Sinne des § 47 Abs. 2 bekleidet. 2
Dem Vorstand der Rechtsanwaltskammer sind auf Verlangen die Unterlagen über ein Beschäftigungsverhältnis vorzulegen. . . . . . . .
1 1 2 2 3 4 5
B. Norminhalt . . . . . . . . . . . . . . I. Absatz 1 . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Aufsichts- und Beschwerdesachen . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . b) Aufsichtssachen . . . . . . . . . . aa) Begriff . . . . . . . . . . . . . bb) Kammerkompetenzen . . . . . . (1) Unterschiedliche berufsrechtliche Strukturen . . . . . . . . . . . (2) Außerberufliches Verhalten . . . (3) Verfahrensrechtliche Beschränkungen . . . . . . . . . . . . . c) Beschwerdesachen . . . . . . . . . 2. Auskunfts- und Vorlageverpflichtung . . 3. Berechtigung für das Auskunfts- und Vorlageverlangen und für die Geltendmachung der Erscheinenspflicht. . . . . a) Auskunftsverlangen . . . . . . . . . aa) Allgemeine Regelung . . . . . . bb) Präsident. . . . . . . . . . . .
6 6 6 6 7 7 8
A. Allgemeines . . . . . . I. Regelungsgegenstand. . II. Regelungsfunktionen . . 1. Kammerbezogen . . . . 2. Anwaltsbezogen . . . . 3. Zuordnung von Absatz 3 III. Regelungsberechtigung .
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4. 5.
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7.
8. 9.
cc) Geschäftsführer. . . . . . . . b) Vorlagepflichten . . . . . . . . . c) Erscheinenspflicht . . . . . . . . Verpflichtete. . . . . . . . . . . . . Verlangen nach Auskunft, Handaktenvorlage oder Erscheinen . . . . . . . a) Formelle Voraussetzungen . . . . . b) Inhaltliche Voraussetzungen . . . . aa) Auskunftsbegehren . . . . . . bb) Vorlage der Handakten . . . . cc) Pflicht zum Erscheinen . . . . (1) Parallelität zum Auskunftsbegehren . . . . . . . . . . . (2) Modernisierungsgesetz . . . . Auskunftserteilung . . . . . . . . . . a) Pflicht zur Auskunftserteilung . . . b) Der Inhalt der Auskunftserteilung . aa) Vollständigkeit . . . . . . . . bb) Wahrheitspflicht . . . . . . . cc) Vorbeugende Auskunft . . . . Vorlage der Handakten . . . . . . . . a) Inhalt der Handakten . . . . . . . b) Rückgabepflicht der Kammer . . . Erscheinenspflicht . . . . . . . . . . Weigerungsrechte . . . . . . . . . . a) Verweigerung der Auskunft . . . . aa) Belehrung . . . . . . . . . . bb) Berufung . . . . . . . . . . .
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1 Zum Thema Anwaltsgesellschaften und Abwicklung vgl. auch ausführlich Schwärzer, BRAK-Mitt. 2009, 259.
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Besondere Pflichten gegenüber dem Vorstand der RAK cc) Verpflichtung zur Verschwiegenheit . . . . . . . . . . . . . . (1) Befreiung von der Verschwiegenheitspflicht . . . . . . . . . . . (2) Recht zur Offenbarung . . . . . dd) Gefahr der Verfolgung . . . . . . b) Verlangen zur Vorlage von Handakten/ zum Erscheinen . . . . . . . . . . . II. Absatz 3 . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Inhalt der Regelung . . . . . . . . . . 2. Verhältnis zu Absatz 1 . . . . . . . . . 3. Anzeigepflichten . . . . . . . . . . . . a) Nr. 1 (Beschäftigungsverhältnis) . . .
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Rz. 3 § 56 BRAO
aa) Beschäftigungsverhältnis bb) Eingehung . . . . . . . cc) Wesentliche Änderung. . b) Nr. 2 (öffentlicher Dienst) . . aa) Art der Verwendung . . . bb) Zeitbezug . . . . . . . (1) Auf Dauer . . . . . . . (2) Auf Zeit . . . . . . . . c) Nr. 3 (öffentliches Amt) . . . 4. Vorlagepflichten . . . . . . . . III. Sanktionen/Rechtsschutz . . . .
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41 42 43 44 44 45 45 46 47 48 49
§ 24 BORA Pflichten gegenüber der Rechtsanwaltskammer (S. 865 ff.)
A. Allgemeines I. Regelungsgegenstand § 56 BRAO regelt, dürftig ergänzt durch § 24 BORA „besondere“ Pflichten des Anwalts gegenüber seiner Kammer. Dass er überhaupt Pflichten hat, ergibt sich aus der in § 60 Abs. 1 BRAO vorgeschriebenen Kammermitgliedschaft der dort genannten Personen.1 Wenn das Gesetz insoweit von „besonderen“ Berufspflichten spricht, meint es jedoch nicht das Gegenteil zu allgemeinen Berufspflichten, sondern einen sachbezogenen Ausschnitt aus den Pflichten der in § 60 Abs. 1 BRAO genannten Personen gegenüber ihrer Rechtsanwaltskammer. Dieser besondere Ausschnitt wird durch drei Fallgruppen gekennzeichnet: den Auskunftspflichten in Aufsichts- und Beschwerdesachen (§ 56 Abs. 1 BRAO), die Erscheinenspflichten im Vermittlungsverfahren und den davon unabhängigen Anzeigepflichten des § 56 Abs. 3 BRAO. Die Auskunfts-, Erscheinens- und Anzeigepflichten decken jedoch nicht den ganzen Bereich der besonderen Pflichten, wie sie sich aus § 56 BRAO ergeben, ab. Zu ihnen treten die die Handakten betreffende Vorlagepflicht2 hinzu sowie die allgemeine Pflicht zum Erscheinen.3
1
II. Regelungsfunktionen 1. Kammerbezogen § 56 BRAO soll dem Kammervorstand die Erfüllung seiner Aufgaben in Aufsichts-, Vermittlungs- und Beschwerdesachen (§ 73 Abs. 2 Nr. 2–4, § 74 BRAO) erleichtern oder ggf. überhaupt erst ermöglichen. Die Rechtfertigung der daraus resultierenden Pflichten liegt in der Aufgabe der Kammer, die anwaltliche Berufsordnung aufrechtzuerhalten und damit auf diesem Sektor eine rechtsstaatliche Rechtspflege zu gewährleisten.4
2
2. Anwaltsbezogen5 Im Kammerbezug erschöpft sich die Funktion des § 56 BRAO nicht. Man muss § 56 BRAO auch als anwaltliche Schutzvorschrift verstehen. Über die entsprechenden Auskunftspflichten nach Absatz 1 wird der Anwalt in die Lage versetzt, unbegründete Beschwerden oder von Amts wegen eingeleitete Ermittlungen aus seiner Sicht darstellen und ggf. entkräften zu können und ihn damit zugleich in den Stand zu versetzen, soweit ihm das möglich ist, entlastende Umstände vorzutragen.6 1 2 3 4
Zu den besonderen Berufspflichten als solchen s. § 43 BRAO Rz. 44. S. Rz. 17. S. Rz. 18. BGH, NJW 1979, 324. Soweit Henssler/Prütting/Hartung, § 56 Rz. 2 die kammerbezogenen Funktionen isoliert auf die Beratung und Belehrung der Kammermitglieder nach § 73 Abs. 2 Nr. 1 BRAO erstrecken will, kann ihm nicht gefolgt werden. Im Zusammenhang mit der Beratung als solcher gibt es nämlich keine Auskunftspflichten. Diese entstehen erst, wenn ein Zusammenhang mit einem Aufsichts- oder Beschwerdeverfahren hergestellt worden ist. 5 In der Folge wird der Anwaltsbezug par pro toto für die einzelnen Personengruppen des § 60 Abs. 1 BRAO verwendet. S. dazu genauer Rz. 19. 6 BGHSt 21, 167; Feuerich/Weyland, § 56 Rz. 1; Hartung/Scharmer, § 56 Rz. 5. So früher schon Lingenberg/ Hummel/Zuck/Eich/Zuck, § 17 RichtlRA Rz. 4. Brieske, AnwBl. 2005, 1999 weist zu Recht auf die Notwen-
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3
§ 56 BRAO Rz. 4
Besondere Pflichten gegenüber dem Vorstand der RAK
3. Zuordnung von Absatz 3 4
Auch die Anzeigepflichten des Absatzes 3 lassen sich den kammer- und anwaltsbezogenen Funktionen des § 56 Abs. 1 BRAO zuordnen, weil Verstöße gegen Absatz 3 ebenfalls zu einem Aufsichts- oder Beschwerdeverfahren führen können. III. Regelungsberechtigung
5
Geltendes Recht, vor allem althergebrachtes,1 kann immer auf den verfassungsrechtlichen Prüfstand gehoben werden. Die anwaltlichen Auskunftsrechte hat jedoch schon der BGH für verfassungskonform gehalten.2 Soweit sie auf der Kammermitgliedschaft des Anwalts beruhen, mag man rechtspolitisch die Notwendigkeit von Rechtsanwaltskammern in Frage stellen.3 Auch ein engagierter Kritiker des bestehenden Systems wie Kleine-Cosack muss jedoch rechtlich einräumen, dass weder europa- noch verfassungsrechtlich grundlegende Einwände gegen das Kammersystem zu erheben sind.4 B. Norminhalt I. Absatz 1 1. Aufsichts- und Beschwerdesachen a) Allgemeines
6
Aufsichts- und Beschwerdesachen unterscheiden sich nicht nach ihrem Gegenstand, sondern nach ihrer unterschiedlichen Anstoßfunktion. In Aufsichtssachen wird der Vorstand der Kammer von Amts wegen tätig, in Beschwerdesachen kommt der Anstoß von einem – bezogen auf die Kammer – außenstehenden Dritten.
1 2 3
4
digkeit hin, von den, dem Anwalt insoweit damit eingeräumten Schutzmöglichkeiten, auch rechtzeitig Gebrauch zu machen. Zur historischen Entwicklung des § 56 BRAO s. Henssler/Prütting/Hartung, § 56 Rz. 1. S. dazu im Einzelnen auch Friedlaender, § 58 RAO Rz. 1. BGH, NJW 1979, 324. Rechtspolitik verlangt natürlich nach deutlichen Worten, vgl. etwa Kleine-Cosack, AnwBl. 2006, 368; Kleine-Cosack, Vorbem. vor § 60 ff. Rz. 5. Rechtlich gesehen sind jedoch solche interessenbezogenen Unmutsäußerungen bedeutungslos. Würden die Kammern abgeschafft, bliebe den Anwälten nur die Mitgliedschaft im DAV. Dass man zur Durchsetzung von allgemeinen Belangen in einem privaten Verein besser aufgehoben ist als in einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft, ist nicht bewiesen und wird im Übrigen von Kleine-Cosack selbst bezweifelt, AnwBl. 2009, 345 (346). Dieser Hinweis dient nicht dem Versuch, einen Kronzeugen für berechtigte Kritik am DAV zu präsentieren. Das scheitert schon daran, dass sich Kleine-Cosack vergleichbar negativ über Anwaltskammern, die Anwaltsgerichtsbarkeit, die Satzungsversammlung und den BRAO-Gesetzgeber geäußert hat. Mir geht es vielmehr um etwas anderes. In Verbänden jeder Art wechseln immer Licht und Schatten. Konkurrierende Berufsverbände pflegen ihre damit verbundenen Differenzen geradezu liebevoll, indem sie die eigenen Stärken rühmen und die Schwächen der anderen geißeln. Versetzte man sich in die utilitaristische Kunstfigur des vernünftigen, unparteiischen und wohlwollenden Beobachters (s. dazu ausf. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, 1. Aufl. dt. 1971, S. 211 ff.), so könnte man leicht erkennen, dass Kammern und Anwaltsvereine unterschiedliche Aufgaben haben. Sie sind nicht als Alternativen zu verstehen, sondern sie stellen Ergänzungen dar. In dieser Sicht nehmen sie gleichermaßen die Interessen ihrer Mitglieder, der Anwaltschaft und die rechtsstaatlichen Belange in kompetenter, kraftvoller und kreativer Art und Weise wahr. Kleine-Cosack, § 60 Rz. 4. S. dazu insgesamt Feuerich/Weyland, § 60 Rz. 9 f. und Koch/Kilian, Rz. B 88, der zu Recht das Ende des Diskussion angemahnt hat. Erstaunlich ist allerdings in diesem Zusammenhang der von Kleine-Cosack gegebene Hinweis auf die Sørensen-Entscheidung des EGMR (mit der für die Durchschnittsleser unzugänglichen Fundstelle ÖJZ 2006, 550). Der vom EGMR entschiedene Fall hat überhaupt nichts mit der Pflichtmitgliedschaft in berufsständischen Kammern zu tun, sondern betrifft die allein in Dänemark und Island vom jeweiligen nationalen Gesetzgeber zugelassene Möglichkeit für private Arbeitgeber, eine Stelle (hier: für einen studentischen Ferienjob) ausschließlich an einen Bewerber zu vergeben, der sich zur Mitgliedschaft in einer bestimmten Gewerkschaft (unter Zahlung von Mitgliedsbeiträgen) verpflichtet, sog. closed shop-Regelung. Das hat der EGMR unter Hinweis auf die Besonderheiten des Einzelfalls als Verstoß gegen Art. 11 EMRK (negative Vereinigungsfreiheit) angesehen. Die dänische Regierung, die schon mehrfach in vergleichbaren Fällen beim EGMR unterlegen war, und deshalb eine gesetzliche Neuregelung vorbereitet hatte, hat im Laufe des Verfahrens zugesichert, der Rechtsprechung des EGMR künftig Rechnung tragen zu wollen, vgl. E. v. 11.1.2006 – Applic. Nr. 52562/99 und 52620/99 Sørensen (und Rasmussen) ./. Dänemark.
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Besondere Pflichten gegenüber dem Vorstand der RAK
Rz. 11 § 56 BRAO
b) Aufsichtssachen aa) Begriff Eine Aufsichtssache liegt vor, wenn der Vorstand der Rechtsanwaltskammer1 zu der Auffassung gelangt ist, ein Anwalt habe gegen seine Berufspflichten verstoßen oder könne gegen seine Berufspflichten verstoßen haben oder wenn zu erwarten ist, er werde gegen seine Pflichten verstoßen. Die Aufsicht liegt also dem eigentlichen Aufsichtsverfahren und erst recht den Aufsichtsmaßnahmen voraus. Bezogen auf einen vorhandenen, möglichen oder zu befürchtenden Pflichtenverstoß kann sich je nach den Umständen des Einzelfalls die Aufsicht auch in bloßer Beratung/Belehrung des Anwalts erschöpfen.2
7
bb) Kammerkompetenzen Immer setzt die Berufung auf eine Aufsichtssache voraus, dass der Kammervorstand im Rahmen seiner Befugnisse, also kompetenzgerecht handelt.
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(1) Unterschiedliche berufsrechtliche Strukturen Aufsicht kommt nur in Betracht, wenn es um die Einhaltung der Berufspflichten des Anwalts geht. Die Rechtspflichten des Anwalts sind sehr unterschiedlich strukturiert.3 Sie sind außerdem von gesellschaftlichen und moralischen Regeln zu trennen, aus denen sich ergibt, was ein „guter Anwalt“ tun sollte.4 Weil es sich insoweit nicht um Rechtspflichten handelt, kann ein Verstoß gegen diese nicht zu einer Aufsichtssache führen. Betrachtet man die verschiedenen Regelkreise, die sich mit dem berufsrechtlichen Verhalten des Anwalts befassen, so kann als Gegenstand einer Aufsichtssache nur der handlungsbezogene5 Teil des externen Berufsrechts,6 also das anwaltliche Verhalten gegenüber Gerichten, Behörden, den Rechtssuchenden oder der Öffentlichkeit betreffend, sowie der gesamte Sektor des internen Berufsrechts,7 also das Verhalten des Anwalts gegenüber anderen Anwälten, seiner Kammer und gegenüber anderen Kammermitgliedern.8 Daraus folgt zugleich, dass die Verfahrenspflichten,9 also insbesondere die die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft betreffenden Regeln der §§ 4 ff. BRAO nicht Gegenstand einer Aufsichtssache sein können. Zulassungsfragen werden im Verwaltungsverfahren der Kammer geklärt. Die Verfahrensbeteiligten sollen zwar bei der Ermittlung des Sachverhalts mitwirken (§ 36a Abs. 2 BRAO). Ein Verstoß kann dann zwar zu Nachteilen für den Verfahrensbeteiligten führen,10 aber nicht zu einer Aufsichtssache.11
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(2) Außerberufliches Verhalten Außerberufliches Verhalten des Anwalts, von § 43 Satz 2 BRAO den allgemeinen Berufspflichten zugeordnet12 kann nur zu einer Aufsichtssache führen, wenn die Voraussetzungen des § 113 Abs. 2 BRAO erfüllt sind. Das betrifft grundsätzlich entweder eine rechtswidrige Tat (§ 11 Abs. 2 Nr. 5 StGB) oder eine mit Geldbuße bedrohte Handlung (§ 1 OWiG).
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(3) Verfahrensrechtliche Beschränkungen Die kompetenzielle Bindung der Kammer wirkt sich auch verfahrensrechtlich aus. Eine Aufsichtssache mündet, wenn eine berufsrechtlicher Verstoß festgestellt worden ist, zunächst 1 2 3 4 5
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S. Rz. 14–16. S. dazu aber oben Rz. 2. § 43 BRAO Rz. 5–9. § 43 BRAO Rz. 26. Zu den Handlungspflichten des Anwalts im Gegensatz zu seinen Verfahrens- und Statuspflichten s. § 43 BRAO Rz. 9. Da die Statuspflichten einen Dauerpflichtenkreis beschreiben (§ 43 BRAO Rz. 6), können auch aus ihnen aufsichtsrelevante Berufspflichten hergeleitet werden, so z.B., wenn der Anwalt nach dem Ausscheiden aus dem Beruf (d.h. dem Status des Rechtsanwalts) das in berufsrechtswidriger Weise kundtut. § 43 BRAO Rz. 25. § 43 BRAO Rz. 25. § 43 BRAO Rz. 25. § 43 BRAO Rz. 5. BGH, AnwBl. 2005, 217 (218); Feuerich/Weyland, § 36a Rz. 6 f.; Kleine-Cosack, § 36a Rz. 4. Kleine-Cosack, § 56 Rz. 3. Infolgedessen stehen der Kammer auch nicht die Möglichkeiten der §§ 56, 57 BRAO zur Verfügung, s. dazu Feuerich/Weyland, § 56 Rz. 7. S. § 43 BRAO Rz. 60.
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§ 56 BRAO Rz. 12
Besondere Pflichten gegenüber dem Vorstand der RAK
im Rügerecht des Vorstandes (§ 74 BRAO). Bei festgestellten Verstößen eines Anwalts gegen berufsrechtliche Bestimmungen steht der Kammer dagegen nicht die Möglichkeit einer Untersagungsverfügung zu.1 c) Beschwerdesachen 12
Auch die Beschwerdesache ist inhaltlich eine Aufsichtssache.2 Unterschiedlich ist nur die Anstoßfunktion:3 Bei der Beschwerdesache kommt sie nicht unmittelbar vom Vorstand. Da also die Beschwerdesache ebenfalls eine Aufsichtssache ist, gibt es keinen Zwang, nach Rücknahme der Beschwerde das Aufsichtsverfahren einzustellen.4 Es ist – unter pflichtgemäßer Ermessensausübung und Wahrung des Prinzips der Verhältnismäßigkeit – Sache des Vorstands, ob das Aufsichtsverfahren fortgeführt werden soll oder nicht.5 Es gibt erkennbar sinnlose Beschwerden, also solche, die unter keinem denkbaren Gesichtspunkt zu Aufsichtsmaßnahmen führen können. Sinnlose Verfassungsbeschwerden landen im Allgemeinen Register,6 sinnlose Menschenrechtsbeschwerden behandelt der EGMR in einem internen Beschlussverfahren, von dem der Beschwerdeführer nur das (negative) Ergebnis, nicht aber den Entscheidungsinhalt erfährt (Art. 53 Abs. 2 VerfO-EGMR). Die Kammern sollten offensichtlich aussichtslose Beschwerden7 a limine zurückweisen, ohne den insoweit bürokratischen Aufwand des Auskunftsverfahrens in Gang zu bringen.8 2. Auskunfts- und Vorlageverpflichtung
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§ 56 BRAO regelt im Rahmen von Aufsichtssachen9 drei besondere Berufspflichten: Die Auskunftsverpflichtung,10 die Vorlageverpflichtung11 und die Erscheinenspflicht.12 Das setzt die Klärung der Frage voraus, wer zur Erfüllung dieser Pflichten auffordern darf13 und wen die Verpflichtungen treffen.14 Außerdem müssen die Anforderungen an die Berechtigung des jeweiligen Verlangens des Kammervorstands geklärt werden.15 3. Berechtigung für das Auskunfts- und Vorlageverlangen und für die Geltendmachung der Erscheinenspflicht a) Auskunftsverlangen aa) Allgemeine Regelung
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Das Auskunftsverlangen kann nur der Kammervorstand (§ 63 BRAO), ein beauftragtes Mitglied des Vorstands oder eine Vorstandsabteilung (§ 77 Abs. 2, 5 BRAO, auch ein beauftragtes Abteilungsmitglied) geltend machen. Das Vorstandsmitglied oder die Abteilung kann allgemein oder für bestimmte Fälle (auch für einen Einzelfall) mit der Behandlung von Aufsichtssachen beauftragt sein. Die ordnungsgemäße Beauftragung muss das Vorstandsmitglied oder die Abteilung auf Verlangen des Auskunftspflichtigen nachweisen. In der Regel erfolgt das aber durch Einsichtnahme des Anwalts in den Geschäftsverteilungsplan der Kammer. 1 BGH, NJW 2003, 662 – Internet-Domain-Name. Der BGH schließt das aus dem „Normgefüge“ der §§ 57, 74 BRAO, vgl. dazu die Parallelentscheidung NJW 2003, 504. Als unabhängiges Organ der Rechtspflege stehe der Anwalt nicht in einem allgemeinen Abhängigkeits- oder Unterordnungsverhältnis zum Kammervorstand. 2 Hartung/Römermann/Scharmer, § 56 Rz. 7. 3 S. Rz. 6. 4 Hartung/Römermann/Scharmer, § 56 Rz. 8. 5 S. auch Rz. 14. 6 Zuck, Das Recht der Verfassungsbeschwerde, 4. Aufl. 2013, Rz. 903 ff. 7 „Offensichtlich aussichtslos“ ist ein Rechtsbehelf, über dessen Erfolglosigkeit es für einen durchschnittlichen Verfahrensbeteiligten keine vernünftigen Zweifel geben kann. Dies ist dann der Fall, wenn die Beschwerde in der Rechtsordnung (aufgrund des mitgeteilten Sachverhalts) keine Stütze findet. 8 Ich folge insoweit uneingeschränkt Kleine-Cosack, § 56 Rz. 5. 9 S. Rz. 12. 10 Rz. 20–23. 11 Rz. 29, 30. 12 Rz. 31. 13 Rz. 14–16. 14 Rz. 19. 15 Rz. 20–23.
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Besondere Pflichten gegenüber dem Vorstand der RAK
Rz. 21 § 56 BRAO
bb) Präsident Auch der Präsident kann auskunftsberechtigt sein. Zwar folgt das nicht aus § 80 Abs. 1 BRAO, denn danach vertritt der Präsident die Kammer (und nicht den Vorstand).1 Das schließt es aber nicht aus, dem Präsidenten im Einzelfall oder generell entsprechende Befugnisse einzuräumen (§ 80 Abs. 1 S. 2 BRAO). Die Frage ist im Allgemeinen nur von theoretischer Bedeutung, soweit nämlich die Kammern entsprechende Vorstandsabteilungen eingerichtet haben.2
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cc) Geschäftsführer Der Geschäftsführer ist nicht Vorstandsmitglied. Er kann daher in eigenem Namen in Aufsichtssachen nicht tätig werden.3 Er kann aber, wenn er das ausdrücklich – etwa durch einen „i.A.“-Zusatz – deutlich macht, im Wege der Delegation für einen Auskunftsberechtigten nach § 56 BRAO4 tätig werden.5
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b) Vorlagepflichten Für die Verpflichtung des Anwalts, ggf. seine Handakte vorzulegen, gelten die Berechtigungsvorgaben für das Auskunftsverlangen6 gleichermaßen.
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c) Erscheinenspflicht Auch für die Anordnung des Erscheinens gelten die Berechtigungsregeln des Absatzes 1 S. 1 uneingeschränkt.
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4. Verpflichtete Die Erfüllung der sich aus Absatz 1 ergebenden Pflichten obliegt jedem Mitglied der Kammer, also Rechtsanwälten, Anwälten aus anderen Staaten, die gem. § 2 ff. EuRAG oder § 206 BRAO Mitglied der Kammer geworden sind, Mitglieder gem. § 60 Abs. 2 S. 2 BRAO, verkammerte Rechtsbeistände nach § 209 BRAO und Rechtsanwaltsgesellschaften (§ 59m Abs. 2 BRAO).
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5. Verlangen nach Auskunft, Handaktenvorlage oder Erscheinen a) Formelle Voraussetzungen Das Verlangen muss die eindeutige Auffassung des Vorstands enthalten, sich zu einem dem Anwalt gegenüber erhobenen Vorwurf des Verstoßes gegen seine Berufspflichten zu äußern. Der Betroffene muss verlässlich erkennen können, ob der Vorstand ihn nur anschreibt, um ihm rechtliches Gehör zu gewähren, oder aber in Form eines Auskunftsverlangens. Das Auskunftsverlangen muss außerdem den Hinweis auf das Recht des Anwalts zur Auskunftsverweigerung enthalten (Absatz 1 S. 3).
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b) Inhaltliche Voraussetzungen aa) Auskunftsbegehren Das Auskunftsbegehren muss hinreichend konkretisiert sein.7 Der Anwalt muss der Aufforderung des Vorstands zweifelsfrei entnehmen können, welcher Sachverhalt der Aufsichtssache zugrunde liegt, und worin (und mit welcher Begründung) der Beschwerdeführer oder der Vorstand im Verhalten des Anwalts einen aufsichtsrechtlich relevanten Verstoß gegen dessen Berufspflichten sieht. Die danach erforderlichen Einzelheiten können sich aus einer Beschwerde ergeben. Ist das nicht der Fall, genügt die kommentarlose Übersendung der Be1 Zutreffend Hartung/Scharmer, § 56 Rz. 16. 2 Hartung/Scharmer, § 56 Rz. 17. BGHSt 50, 230 (231) zeigt, dass auch der Präsident als beauftragtes Vorstandsmitglied in Betracht kommt. 3 S. dazu BGH, NJW-RR 2006, 137, wo ein Auskunftsverlangen des Kammervorstands daran gescheitert ist, dass der Hinweis auf das Auskunftsverweigerungsrecht (s. Rz. 32 ff.) vom Geschäftsführer der Kammer erteilt worden war. 4 S. Rz. 14. 5 So Hartung/Scharmer, § 56 Rz. 18; Johnigk, BRAK-Mitt. 2008, 101 (104). 6 Rz. 14–16. 7 AGH Rheinland-Pfalz, BRAK-Mitt. 2004, 237.
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§ 56 BRAO Rz. 22
Besondere Pflichten gegenüber dem Vorstand der RAK
schwerde für eine sachgerechte Auskunftsforderung nicht.1 Wird nach Auskunftserteilung weiter ermittelt und gehen weitere Stellungnahmen ein, so berechtigt, insbesondere wenn neuer Sachverhalt vorgetragen wird, § 56 BRAO zu einem erneuten Auskunftsbegehren. Soweit es nur um Rechtsausführungen geht, greift zugunsten des Anwalts der Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG). Der Anwalt ist entsprechend zu informieren. Ob er sich äußern will, ist seine Sache. § 57 BRAO gilt insoweit nicht. bb) Vorlage der Handakten 22
Was für das Auskunftsbegehren gilt, gilt auch für die Berechtigung, die Vorlage der Handakten zu fordern. Obwohl Absatz 1 S. 3 nur das Auskunftsverlangen erwähnt, muss der Rechtsanwalt auch über sein Recht, die Vorlage der Handakten zu verweigern, belehrt werden. Die Schutzfunktionen des Satz 3 sind identisch. cc) Pflicht zum Erscheinen (1) Parallelität zum Auskunftsbegehren
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Auch hier gelten die gleichen Voraussetzungen wie für das Auskunftsbegehren. Das bezieht sich auch auf die Hinweispflichten nach § 56 Abs. 1 S. 3 BRAO. § 56 Abs. 1 S. 2 BRAO erwähnt die Pflicht zum Erscheinen nicht. Das hat auch einen guten Grund, denn das bloße Erscheinen berührt die in Satz 2 als schützenswert anerkannten Rechtspositionen noch nicht. Da die Pflicht zum Erscheinen aber nicht der bloßen Identifikation des Anwalts dient, sondern ihren Sinn in der damit verbundenen Möglichkeit der Befragung des Anwalts hat, greifen, soweit der Anwalt befragt wird, sowohl Satz 2 als auch Satz 3. (2) Modernisierungsgesetz
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Das Gesetz zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariellen Berufsrecht, zur Errichtung einer Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft sowie zur Änderung sonstiger Vorschriften2 hat in § 56 Abs. 2 S. 1 BRAO n.F. eine ausdrückliche Erscheinenspflicht in Vermittlungssachen vorgesehen. Das beruht auf der Aufwertung des Vermittlungsverfahrens in § 73 Abs. 2 Nr. 2 und 3 BRAO und der Einrichtung einer Schlichtungsstelle bei der Bundesrechtsanwaltskammer (§§ 191a ff. BRAO n.F).3 Die Vermittlungsbefugnisse des Vorstands umfassen danach auch die Befugnis, Schlichtungsvorschläge zu unterbreiten (zu deren Verbindlichkeit vgl. § 73 Abs. 5 S. 2 BRAO n.F.). Die Rechte des Mandanten sind insoweit gestärkt worden, als das Vermittlungsverfahren auch ohne Zustimmung des betroffenen Anwalts eingeleitet wird (§ 73 Abs. 5 S. 1 BRAO n.F.). Die unbedingte Erscheinenspflicht in Satz 1 („hat“) wird durch Satz 2 relativiert. Der Anwalt hat nur zu erscheinen, wenn der Vorstand das anordnet. Die Voraussetzung für die Anordnung, die Einigung könne dadurch gefördert werden, wird meist gegeben sein, weil jede Aussprache grundsätzlich dazu dient, den Sachverhalt genauer zu klären, damit aber auch die Rechtslage. Dass bei der Erwägung, die Einigung werde durch das Erscheinen des Anwalts gefördert, die Anordnung lediglich erfolgen soll, ist ohne großes Gewicht. Eine Sollvorschrift muss im Regelfall strikt beachtet werden, nur in atypischen Fällen, die auf konkreten Umständen beruhen müssen, ist ein Abweichen von einer Sollvorschrift zulässig.4 Im Übrigen ist Satz 2 keine Sperrvorschrift. Der Vorstand ist nicht gehindert, das Erscheinen des Anwalts auch aus anderen Gründen, als sie in Satz 2 aufgeführt sind, anzuordnen. 6. Auskunftserteilung a) Pflicht zur Auskunftserteilung
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Auf die sachgerechte Anforderung einer Auskunft in Aufsichtssachen5 muss der Anwalt reagieren. Er darf das Auskunftsersuchen nicht unbeantwortet lassen. Er muss entweder die 1 Hartung/Scharmer, § 56 Rz. 21. 2 V. 30.7.2009 (BGBl. I, S. 2449) in Kraft getreten zum 1.9.2009, vgl. Art. 9. Zum Gesetz Kleine-Cosack, AnwBl. 2009, 619; Quaas/Dahns, NJW 2009, 2705. 3 Zum Verhältnis von § 56 Abs. 2 BRAO n.F. zu §§ 191a ff. BRAO n.F. s. Römermann, AnwBl. 2008, 815 (818). 4 BVerwGE 119, 17 (20); BSG, NVwZ-RR 1991, 2; BFH 123, 232; Kopp/Ramsauer, § 40 VwVfG Rz. 44; Stelkens/ Bonk/Sachs/Sachs, § 40 VwVfG Rz. 26. 5 S. Rz. 20–23.
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Besondere Pflichten gegenüber dem Vorstand der RAK
Rz. 29 § 56 BRAO
gestellten Fragen beantworten oder erklären, dass er die Auskunft ganz oder zu Teilen verweigere.1 Üblicherweise wird der Kammervorstand eine Frist für die Beantwortung seiner Aufforderung setzen.2 Die Fristsetzung muss angemessen sein. Das bemisst sich nach dem Gegenstand der Aufsichtssache, aber auch nach den (dem Vorstand bekannten) persönlichen Verhältnissen des Pflichtigen (z.B. Urlaub/Krankheit). Wird keine Frist gesetzt, muss der Anwalt innerhalb angemessener Zeit antworten. b) Der Inhalt der Auskunftserteilung aa) Vollständigkeit Will der Anwalt ein Verfahren nach § 57 BRAO vermeiden, muss die Auskunft, bezogen auf das Auskunftsverlangen, vollständig sein.3 Ob eine Auskunft vollständig ist, liegt nicht in der subjektiven Einschätzung des Vorstands oder des Anwalts, sondern in der objektiv zu beurteilenden Relation zwischen Auskunftsverlangen und Auskunftserteilung.
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bb) Wahrheitspflicht Zwar unterliegt der Anwalt keiner allgemeinen Wahrheitspflicht.4 Wenn er aber gegenüber der Kammer Auskunft gibt, darf er nicht lügen.5 Das wird mit seiner Stellung als Organ der Rechtspflege begründet. Wäre das richtig, unterläge der Anwalt einer allgemeinen Wahrheitspflicht. Zutreffender erscheint es deshalb, den sonst entstehenden Wertungswiderspruch zu vermeiden: Was soll ein Auskunftsverlangen zur Gewährleistung einer funktionsfähigen Rechtsordnung, wenn der Verpflichtete das – außerhalb seiner Weigerungsrechte – durch unwahre Angaben leerlaufen lassen könnte?6
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cc) Vorbeugende Auskunft Die Neigung, Auskunftsschreiben der Kammer überhaupt nicht zu beantworten, ist weit verbreitet. Sie führt nicht nur zum Zwangsgeldverfahren nach § 57 BRAO, sondern kann sich auch in Sanktionsverfahren gegen den Anwalt erschwerend auswirken. Das verweist auf einen weiteren, meist übersehenden Aspekt. Im Hintergrund von Aufsichtssachen steht häufig das Strafrecht. Es sei nur auf § 203 StGB (Verschwiegenheitspflicht), § 356 StGB (Interessenkollision), §§ 263, 266 StGB (Vermögensdelikte) oder auf Verfahren wegen Steuerhinterziehung verwiesen. Aber auch zivilgerichtliche Verfahren, also Klagen oder Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegenüber Anwälten können eine (negative) Rolle spielen. Aufgrund von Mistra und Mizi werden solche Vorgänge der Kammer bekannt.7 Das setzt vorbeugende Maßnahmen schon in den außerhalb der Kammer ablaufenden Verfahren voraus, ggf. aber auch eine vorsorgliche Kontaktaufnahme mit der Kammer, bevor die Sache dort zu einer Aufsichtssache wird. Hier ist für den Anwalt ein „richtiger Umgang mit sich selbst“ geboten.8
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7. Vorlage der Handakten a) Inhalt der Handakten Auf Verlangen des Vorstands hat der Anwalt seine Handakten vorzulegen, wenn er sich nicht auf Absatz 1 Satz 2 berufen kann und auch nicht beruft. Die Vorlage erfolgt auf Kosten des Anwalts. Die Handakten müssen vollständig sein. Aus dem Wortlaut des § 56 Abs. 1 folgt das zwar ebenso wenig wie aus § 24 BORA, der nur die Vollständigkeit der Auskünfte erwähnt, und auch nicht, entgegen einer verbreiteten Ansicht, aus BGHZ 109, 260.9 Den Handakten1 2 3 4 5 6 7 8 9
BGH, NJW 1979, 324 (325). Feuerich/Weyland, § 57 Rz. 6. S. dazu auch § 24 BORA Rz. 25. § 43a BRAO Rz. 69. BGHSt 27, 374. Dem folgt das Schrifttum. Dass der Anwalt bei seinen Auskünften sachlich bleiben muss, ist im Übrigen selbstverständlich, vgl. § 43a Abs. 3 S. 1 BRAO Rz. 69 ff. So, wenn auch nur als Zusatzargument, Hartung/Scharmer, § 56 Rz. 31. Elbs/Klemke, AnwBl. 2005, 56. Nachdrücklich und hilfreich dazu Brieske, AnwBl. 2005, 199; s. auch Römermann, AnwBl. 2005, 178; Schellenberg, AnwBl. 2005, 179. Vgl. etwa Feuerich/Weyland, § 56 Rz. 20. Der BGH hat sich jedoch nicht mit dem Handaktenbegriff des § 56 BRAO beschäftigt. Im Rahmen des § 50 Abs. 4 BRAO nimmt der BGH Briefwechsel zwischen Anwalt und Mandant aus dem Handaktenbegriff aus. Diesen Briefwechsel kennt zwar der Mandant, aber eben gerade nicht die Kammer.
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§ 56 BRAO Rz. 30
Besondere Pflichten gegenüber dem Vorstand der RAK
begriff des § 56 BRAO muss man vielmehr funktional bestimmen, ganz abgesehen davon, dass Handakten üblicherweise nicht blattiert sind und ihre Vollständigkeit für die Kammer deshalb unüberprüfbar bleibt. Handakten sind oft sehr umfangreich. Was sollen in einer Aufsichtssache, die das Verhältnis des Anwalts in dritter Instanz – z.B. – betreffen, die Handakten der ersten und zweiten Instanz? Handakten enthalten oft Hilfsunterlagen, wie Entscheidungskopien oder Gutachten. Was soll der Vorstand damit? Zu den Handakten gehören auch Kostenrechnungen. Welche Bedeutung haben sie, wenn die Umgehung des Gegenanwalts gerügt worden ist? Kurz: Wie bei der Auskunftserteilung wird die – insoweit natürlich erforderliche – Vollständigkeit der Handakte durch das Auskunftsverlangen bestimmt. Die Kammer hat keine allgemeinen Ermittlungs- oder auch nur Informationsrechte. Der Anwalt muss als Bestandteile der Handakten nur vorlegen, was sich unmittelbar auf das konkrete Auskunftsverlangen bezieht.1 Mit dem Begriff der Unmittelbarkeit soll verhindert werden, dass der Anwalt persönliche Vermerke, die etwa vertrauliche Gespräche oder eigene Eindrücke des Anwalts (nicht für Dritte bestimmt) wiedergeben, vorlegen muss. b) Rückgabepflicht der Kammer 30
Der Vorstand darf die Handakten so lange behalten, wie das zur sachgerechten Behandlung der Aufsichtssache erforderlich ist. Aufsichtssachen können sich, weil das Vorstandsmitglied seine Tätigkeit nur neben seiner anwaltlichen Tätigkeit ausübt, und weil – in Abteilungssachen – ein Beschlussverfahren nötig ist, monatelang hinziehen. Wer Handakten anfordert, muss deshalb berücksichtigen, dass ihre verspätete Herausgabe die sachgerechte Bearbeitung des Mandats durch den Anwalt erschweren oder unmöglich machen kann. Nicht immer ist dem Anwalt eine Kopie der Handakten zuzumuten. Die insoweit dem Vorstand auferlegte Interessenabwägung unterliegt dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit (s. dazu § 115b BRAO Rz. 14–19). Da der Anwalt mit der Vorlage der Handakten eine ihm obliegende Pflicht erfüllt, muss er sie auch auf seine Kosten wieder abholen. 8. Erscheinenspflicht
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Mit der Erscheinenspflicht wird die Auskunftspflicht ergänzt. Die Pflicht erschöpft sich deshalb nicht im bloßen Erscheinen. Im Gespräch mit dem Vorstand muss der Anwalt nach Maßgabe des § 56 Abs. 1 BRAO deshalb ebenfalls vollständig und wahrheitsgemäß Auskunft erteilen. Wird das Erscheinen nach Absatz 2 angeordnet, muss der Anwalt sachgerecht an der Vermittlung mitwirken. Sachgerechte Mitwirkung bedeutet, dass er das ihm Zumutbare tun muss, um einen vernünftigen Schlichtungsvorschlag des Vorstands zu ermöglichen oder der Vermittlung von vornherein zum Erfolg zu verhelfen. 9. Weigerungsrechte a) Verweigerung der Auskunft aa) Belehrung
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Der nach § 56 Abs. 1 S. 3 BRAO vorgeschriebene Hinweis auf das Recht des Anwalts zur Auskunftsverweigerung und die Pflicht, sich ggf. darauf auch zu berufen, ist unverzichtbar. Er ist vom Vorstand zu erteilen.2 Der Hinweis muss sich, wenn es sich nicht um ein einheitliches Auskunftsbegehren handelt, auf jedes einzelne Auskunftsbegehren beziehen.3 Zur Hinweispflicht gehört auch, den Anwalt auf die berufsrechtlichen Konsequenzen aufmerksam zu machen, wenn er es unterlässt, sich zu äußern.4 Die bloße Erwähnung von § 56 Abs. 1 S. 1–3 BRAO genügt deshalb nicht.5 Fehlt der Hinweis, stellt das Schweigen des Anwalts keine Berufspflichtverletzung dar. Trotzdem erteilte Auskünfte bleiben verwertbar, wenn der Anwalt zugestimmt hat,6 sonst jedoch nicht, auch dann nicht, wenn fest1 2 3 4
So auch Henssler/Prütting/Hartung, § 56 Rz. 17. BGH, NJW-RR 2006, 137 (138). AGH Koblenz, BRAK-Mitt. 2004, 137. BGH, Beschl. v. 17.10.2005 – AnwSt(R) 11/04, vgl. Deppert, BRAK-Mitt. 2006, 259 (265). Ich halte deshalb die Einstufung des Hinweises als Belehrung für zutreffend; a.A. Johnigk, BRAK-Mitt. 2008, 101 (106 f.). 5 Feuerich/Weyland, § 56 Rz. 35. 6 Von einer Zustimmung ist nicht deshalb auszugehen, weil der Anwalt die Auskunft erteilt hat. Damit ist nämlich nicht sichergestellt, dass die Schutzfunktionen des § 56 Abs. 1 S. 3 BRAO eingehalten worden sind.
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Besondere Pflichten gegenüber dem Vorstand der RAK
Rz. 38 § 56 BRAO
steht, dass der Anwalt § 56 Abs. 1 S. 3 BRAO auch ohne Belehrung gekannt hat. Wenn § 56 Abs. 1 S. 3 BRAO ein unverzichtbares rechtsstaatliches Erfordernis ist, und wenn man berücksichtigt, dass die Schweigepflicht das informationelle Selbstbestimmungsrecht des Mandanten und die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege schützt,1 dann muss die Verwendung ausscheiden.2 bb) Berufung Das Auskunftsverweigerungsrecht des § 56 Abs. 1 S. 3 BRAO greift nur, wenn sich der Anwalt – nach entsprechender Belehrung3 – ausdrücklich darauf beruft. Das folgt schon aus dem Wortlaut des Gesetzes. Ist der Anwalt entsprechend belehrt, beruft er sich nicht auf sein Auskunftsverweigerungsrecht und lässt er das Auskunftsbegehren des Vorstandes unbeantwortet, handelt er pflichtwidrig.
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cc) Verpflichtung zur Verschwiegenheit Das Auskunftsverweigerungsrecht steht dem Anwalt zu, wenn er durch die Auskunft seiner Verpflichtung zur Verschwiegenheit entgegen handeln würde.
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(1) Befreiung von der Verschwiegenheitspflicht Das scheidet dann aus, wenn der Anwalt von seiner Verschwiegenheitspflicht befreit oder konkludent entbunden worden ist.4 Da der Anwalt aufgrund seiner Auskunftspflichten an den Kammeraufgaben zur Wahrung einer funktionsfähigen Rechtspflege mitwirkt, wird man von ihm zu verlangen haben, dass er Grund und Umfang seiner Verschwiegenheitspflicht klärt, und sich um die Befreiung von der Verschwiegenheitspflicht bemüht. Koch/Kilian halten solche Überlegungen zwar im Ansatz für berechtigt, räumen aber schließlich den Interessen des Mandanten Vorrang ein, so dass ein solches Vorgehen dem Anwalt nicht zuzumuten sei.5 Das betrifft aber nur die Art der Einwirkung auf den Mandanten. Sicher darf der Anwalt keinen Druck ausüben, weil er damit das informationelle Selbstbestimmungsrecht des Mandanten gefährden könnte. Da es aber auch um die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege geht, ist es nicht unzumutbar, den Mandanten wenigstens zu fragen, ob er zu einer Entbindung von der Verschwiegenheitspflicht bereit ist.6
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(2) Recht zur Offenbarung In der Regel spielt die Verschwiegenheitspflicht nur eine Rolle, wenn Dritte in die Aufsichtssache involviert sind. Wenn der Anwalt sich gegen berufsrechtliche Vorwürfe (aber auch nur insoweit) nicht anders zur Wehr setzen kann, als unter Offenbarung von Umständen, die der Verschwiegenheitspflicht unterliegen, darf er das tun.
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dd) Gefahr der Verfolgung Der Vorstand ist zwar nicht gehindert, Fragen zu stellen, die erkennbar den Bereich möglicher Verfolgung des Anwalts wegen einer Straftat, einer Ordnungswidrigkeit oder einer Berufspflichtverletzung verfolgt zu werden, betreffen.7 Dem Anwalt steht insoweit jedoch sein Auskunftsverweigerungsrecht zu (§ 56 Abs. 1 S. 2 BRAO).
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b) Verlangen zur Vorlage von Handakten/zum Erscheinen Die Regelungen zum Auskunftsverweigerungsrecht gelten ebenso für die Weigerung, die Handakten vorzulegen oder vor dem Kammervorstand zu erscheinen.
1 § 2 BORA Rz. 7, 8. 2 Insgesamt a.A. das Schrifttum, vgl. Feuerich/Weyland, § 56 Rz. 36; Henssler/Prütting/Hartung, § 56 Rz. 12; Hartung/Römermann/Scharmer, § 56 Rz. 26. Offen gelassen bei Kleine-Cosack, § 56 Rz. 9. 3 Rz. 32. 4 § 2 BORA Rz. 40–42. 5 Koch/Kilian, Rz. B 721. 6 Wie hier im Ergebnis Feuerich/Weyland, § 56 Rz. 31. 7 BGHSt 21, 167. Das folgt schon daraus, dass nicht von vornherein feststeht, ob der Anwalt sich auf sein Auskunftsverweigerungsrecht berufen kann oder berufen wird.
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§ 56 BRAO Rz. 39
Besondere Pflichten gegenüber dem Vorstand der RAK
II. Absatz 3 1. Inhalt der Regelung 39
Absatz 3 enthält eine Reihe von Anzeigepflichten. Sie betreffen nicht nur zweitberufliche Tätigkeiten, weil auch der angestellte Anwalt in einem Beschäftigungsverhältnis steht. Der Anwalt muss diese Pflichten unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 Abs. 1 S. 1 BGB) erfüllen. Bei Beschäftigungsverhältnissen sind die erforderlichen Unterlagen dem Vorstand auf Verlangen vorzulegen (s. auch § 24 BORA). 2. Verhältnis zu Absatz 1
40
Die Anzeigepflichten stehen außerhalb der Pflichten nach Absatz 1. Wird aber gegen Absatz 3 verstoßen, kann dies zu einer Aufsichtssache im Sinne des Absatz 1 führen. 3. Anzeigepflichten a) Nr. 1 (Beschäftigungsverhältnis) aa) Beschäftigungsverhältnis
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Nr. 1 spricht von Beschäftigungsverhältnissen, nicht von Anstellungsverhältnissen, bringt also zum Ausdruck, dass sich die Regelung sowohl auf den angestellten Anwalt als auch auf den freien Mitarbeiter beziehen soll (s. auch § 8 BORA). bb) Eingehung
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Nr. 1 regelt nur die Anzeigeverpflichtung bei der Eingehung eines Beschäftigungsverhältnisses, nicht dagegen bei seiner Beendigung. Der Gesetzgeber ist (wohl) davon ausgegangen, dass die Beendigung im Allgemeinen keine berufsrechtlichen Fragen aufwirft. Das erscheint zumindest zweifelhaft, wenn man an die vielen Streitigkeiten beim Ausscheiden eines Anwalts aus einer Kanzlei denkt, und den häufig unternommenen Versuch, den Auszuscheidenden (als künftigen Wettbewerber) zu behindern. Diese Lücke wird zwar durch § 24 Abs. 1 Nr. 5 BORA geschlossen. Ob allerdings § 24 Abs. 1 Nr. 5 BORA angesichts der ausdrücklichen Entscheidung in § 56 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 eine zulässige Klarstellung darstellt, ist fraglich. cc) Wesentliche Änderung
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Was wesentlich ist, darüber lässt sich immer streiten. Als wesentlich wird man auf jeden Fall den Wechsel in der Art des Beschäftigungsverhältnisses, etwa vom angestellten Anwalt zum freien Mitarbeiter oder umgekehrt anzusehen haben. Wesentlich können aber auch Änderungen bei den Vergütungen sein, vor allem bei Kürzungen.1 b) Nr. 2 (öffentlicher Dienst) aa) Art der Verwendung
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Nr. 2 erwähnt Richter, Beamte, Berufssoldaten oder Soldaten, nicht aber die Angestellten im öffentlichen Dienst. Die besonderen Berufspflichten bei der Verwendung im öffentlichen Dienst in § 47 BRAO knüpfen aber auch an den Angestellten im öffentlichen Dienst an. Zwar hat der Gesetzgeber des § 56 BRAO auch § 47 BRAO gekannt. Es gehört aber zu den alltäglichen Kühnheiten juristischer Auslegung, die insoweit entstandene Lücke zu schließen, sei es über den Weg der Figur a maiore ad minus, sei es über eine als offenkundig vergleichbar angesehene Normgrundlage. bb) Zeitbezug (1) Auf Dauer
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Wer auf Dauer Beamter oder Soldat wird, scheidet aus der Rechtsanwaltschaft aus, sobald seine Zulassung nach § 14 Abs. 2 Nr. 5 BRAO widerrufen worden ist. Da § 14 Abs. 2 Nr. 5 BRAO die Dauerangestellten im öffentlichen Dienst nicht erwähnt, kommt ein Zulassungs1 S. dazu AGH NRW, BRAK-Mitt. 2008, 76 und Sagel, AnwBl. 2008, 126 m.w.N.
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Pflichten gegenüber der Rechtsanwaltskammer
§ 24 BORA/Rz. 49 § 56 BRAO
widerruf nach dieser Vorschrift nicht in Betracht. Anwendbar bleibt aber § 14 Abs. 2 Nr. 8 BRAO.1 (2) Auf Zeit 46
Bei einer Verwendung auf Zeit gelten die besonderen Regelungen des § 47 BRAO. c) Nr. 3 (öffentliches Amt) Anzeigepflichtig ist (mit den Verbotsfolgen des § 47 Abs. 2 BRAO) die Bekleidung eines öffentlichen Amtes. Das betrifft vor allem Ministerposten nach Bundes- oder Landesrecht, nicht aber, was die Rechtsfolgen aus § 47 Abs. 2 BRAO angeht, Bundestags- und Landtagsabgeordnete.2
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4. Vorlagepflichten Satz 2 statuiert, ergänzt durch § 24 Abs. 2 BORA3 die Pflicht, auf Verlangen des Vorstands Unterlagen über ein Beschäftigungsverhältnis vorzulegen. Das kann ein Beschäftigungsverhältnis im Sinne des Absatz 3 Nr. 1 sein, aber auch ein Beschäftigungsverhältnis im öffentlichen Dienst nach Absatz 3 Nr. 2. Vorzulegen sind nur die für die Behandlung des Auskunftsgesuchs erforderlichen Unterlagen.
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III. Sanktionen/Rechtsschutz Werden die Berufspflichten nach § 56 BRAO verletzt, kommt das Zwangsgeldverfahren nach § 57 BRAO in Betracht. Die Kammer kann – in der Folge – ein Rügeverfahren nach § 74 BRAO gegen den Anwalt durchführen oder die Einleitung eines anwaltsgerichtlichen Verfahrens beantragen (§ 74a BRAO). Gegen etwaige Maßnahmen nach § 56 BRAO (Auskunftsverlangen/Handaktenvorlage/Erscheinenspflicht) kann der Anwalt Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 112a ff. BRAO stellen.4 gegenüber der Rechtsanwaltskammer 24 BORA Pflichten (1) Der Rechtsanwalt hat dem Vorstand der Rechtsanwaltskammer unaufgefordert und unverzüglich anzuzeigen: 1. die Änderung des Namens, 2. Begründung und Wechsel der Anschrift von Kanzlei, Zweigstelle und Wohnung, 3. die jeweiligen Telekommunikationsmittel der Kanzlei und Zweigstelle nebst Nummern, 4. die Eingehung oder Auflösung einer Sozietät, Partnerschaftsgesellschaft oder sonstigen Verbindung zur gemeinschaftlichen Berufsausübung, 5. die Eingehung und Beendigung von Beschäftigungsverhältnissen mit Rechtsanwälten. (2) Zur Erfüllung der Auskunftspflichten aus § 56 Bundesrechtsanwaltsordnung sind dem Vorstand der Rechtsanwaltskammer Auskünfte vollständig zu erteilen und auf Verlangen Urkunden vorzulegen. I. Rechtsgrundlage . . . . . . . II. Regelungsgegenstände . . . . III. Absatz 1 – Anzeigepflichten . . 1. Formelle Voraussetzungen . . a) Vorstand . . . . . . . . . b) Unaufgefordertes Handeln . c) Unverzüglich . . . . . . . d) Schriftform . . . . . . . . 1 2 3 4
. . . . . . . .
. . . . . . . .
. . . . . . . .
. . . . . . . .
. . . . . . . .
1 2 3 3 3 4 5 6
2. Gegenstand der Anzeigepflichten . . . . a) Namensänderung (Nr. 1). . . . . . . b) Anschrift von Kanzlei, Zweigstelle und Wohnung (Nr. 2) . . . . . . . . . . aa) Kanzlei. . . . . . . . . . . . . bb) Wohnung . . . . . . . . . . . . cc) Bekanntgabe . . . . . . . . . . c) Telekommunikationsmittel (Nr. 3) . .
7 7 8 9 10 11 12
Feuerich/Weyland, § 56. BGH, NJW 1978, 2098. S. § 24 BORA Rz. 24, 25. Feuerich/Weyland, § 56 Rz. 38; s. auch BGH, NJW 2003, 504. Das Gesetz zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariellen Berufsrecht, zur Errichtung einer Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft sowie zur Änderung sonstiger Vorschriften, v. 30.7.2009 (BGBl. I, S. 2249), hat die §§ 223 ff. BRAO aufgehoben.
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§ 56 BRAO/§ 24 BORA Rz. 1
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d) Gemeinschaftliche Berufsausübung (Nr. 4) . . . . . . . . . . . . . . aa) Eingehung oder Auflösung . . . bb) Formen der gemeinschaftlichen Berufsausübung . . . . . . . (1) Sozietät . . . . . . . . . . . (2) Partnerschaftsgesellschaft . . . (3) Sonstige Verbindungen zur gemeinschaftlichen Berufsausübung . . . . . . . . . . . .
Pflichten gegenüber der Rechtsanwaltskammer . .
13 13
. . .
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e) Beschäftigungsverhältnisse (Nr. 5) . . aa) Funktion der Vorschrift . . . . . bb) Verhältnis zu § 56 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 BRAO . . . . . . . . . . . . . cc) Anwaltsbezug . . . . . . . . . IV. Absatz 2 – Auskunfts- und Vorlagepflichten . . . . . . . . . . . . . . . 1. Auskunftspflichten . . . . . . . . . . . 2. Vorlagepflichten . . . . . . . . . . . .
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I. Rechtsgrundlage1 1
Die Vorschrift gilt in der Fassung der Beschlüsse der 4. Satzungsversammlung2. die Satzungsversammlung hat die Konsequenzen aus dem Wegfall des Zweigstellenverbots3 gezogen. § 24 BORA n.F. ist am 1.3.2010 in Kraft getreten.4 § 24 BORA beruht auf § 59b Abs. 2 Nr. 8 BRAO. Unmittelbar werden allerdings nur § 24 Abs. 1 Nr. 4 und 5, sowie § 24 Abs. 2 BORA von § 59b Abs. 2 Nr. 8 BRAO erfasst. § 24 Abs. 1 Nr. 1 bis 2 BORA lassen sich aber dem Zulassungsrecht zuordnen. Eine Ermächtigungsgrundlage für Nr. 3 ist dagegen nicht ersichtlich. Etwaige Verstöße setzen die Prüfung in Gang, ob die Zulassungsvoraussetzungen (noch) eingehalten sind. Das gehört zwar nicht zur Aufsicht im Sinne des § 56 BRAO, kann aber einem in der Zuständigkeit der Kammer liegenden allgemeinen Aufsichtsbegriff zugeordnet werden. II. Regelungsgegenstände
2
§ 24 BORA erfasst zwei anwaltliche Pflichtenkreise: Anzeigepflichten (Absatz 1) und Vorlagepflicht (Absatz 2). III. Absatz 1 – Anzeigepflichten 1. Formelle Voraussetzungen a) Vorstand
3
Der Anwalt muss den Vorstand unterrichten. Dafür genügt es, wenn er sich an die Kammergeschäftsstelle wendet. Diese wird, soweit erforderlich, geschäftsordnungsgemäß die Unterrichtung an das zuständige Vorstandsmitglied weiterleiten. b) Unaufgefordertes Handeln
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Die in Absatz 1 konkretisierte Information muss der Anwalt von sich aus dem Kammervorstand5 zugänglich machen. Unterlässt der Anwalt das, kann das zu einer Aufsichtssache im Sinne des § 56 I BRAO führen. c) Unverzüglich
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Die Anzeige muss unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 Abs. 1 S. 1 BGB) erfolgen. 1 Zur Entstehungsgeschichte (Das Handeln der Satzungsgremien wirkt in diesem Bereich ziemlich konfus), s. Hartung/Römermann/Scharmer, § 24 Rz. 1 ff.; Beschlüsse der 3. Sitzung der 4. Satzungsversammlung bei der Bundesrechtsanwaltskammer am 15.6.2009 in Berlin, BRAK-Mitt. 2009, 279 (Berufsordnung Nr. II) und § 17 RichtlRA und dazu Lingenberg/Hummel/Zuck/Eich, Anm. zu § 17 RichtlRA, Allgemein zur Kompetenz der Satzungsversammlung zur Regelung des Zweigstellenrechts s. BGH, AnwBl. 2010, 873 und dazu Prütting, AnwBl. 2011, 46. 2 Jetzt § 24 Abs. 1 Nr. 2 und Rz. 9. 3 § 28 Abs. 1 BRAO enthielt ein grundsätzliches Zweigstellenverbot. Durch Art. 1 Nr. 17 des Gesetzes zur Stärkung der Selbstverwaltung der Rechtsanwaltschaft v. 26.3.2007 (BGBl. I, S. 358) wurde § 28 BRAO insgesamt aufgehoben. S. dazu Kleine-Cosack, § 27 BRAO Rz. 10. 4 BRAK-Mitt. 2009, 278 (281). S. dazu Dahns, in: Offermann-Burckart, Anwaltsrecht in der Praxis 2010, 10 (Rz. 29). 5 S. § 56 BRAO Rz. 3.
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Pflichten gegenüber der Rechtsanwaltskammer
Rz. 12 § 24 BORA/§ 56 BRAO
d) Schriftform § 24 BORA sagt nichts zur Schriftform, und schon gar nichts zu § 126 BGB. Wenn man schon Schriftlichkeit verlangt, muss man die elektronische Form (§ 126a BGB) und die Textform (§ 126b BGB) zulassen. Die schriftliche Form ist aus Nachweisgründen zwar ratsam. Bei Absatz 1 Nr. 1 bis 3 könnte aber auch ein Telefongespräch genügen.
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2. Gegenstand der Anzeigepflichten a) Namensänderung (Nr. 1) Der Anwalt ist unter seinem Namen zur Rechtsanwaltschaft zugelassen worden. Namensänderungen, etwa durch Eheschließung, Scheidung oder Adoption sind insoweit zulassungsrelevant und deshalb anzuzeigen. Soweit akademische Grade Namensbestandteile sein können, wie beim deutschen oder ausländischen Doktorgrad (vgl. § 1 Abs. 2 Nr. 3 PAuswG)1 ist auch das zwar ein ordnungsrechtlich relevanter Namensbestandteil. Man muss sich aber auf den Standpunkt stellen, die Erlangung des Doktorgrades ändere an der Identität des Namensträgers nichts und sie sei auch berufsrechtlich neutral.2 Dass der Vorstand ein Interesse haben kann, zu klären, ob der „Doktor“ legal erworben worden ist oder ob die Voraussetzungen für das Führen eines ausländischen Doktorgrades vorliegen, ist nicht von der Hand zu weisen. Vergleichbare Fragen könnten sich auch stellen, wenn der Doktortitel aberkannt wird. Man sollte aber die Indienstnahme des Anwalts zur Weitergabe unaufgeforderter Informationen nicht überziehen. Entgegen der h.M. wird hier deshalb eine entsprechende Anzeigepflicht verneint.3
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b) Anschrift von Kanzlei, Zweigstelle und Wohnung (Nr. 2) 8
Begründung und Wechsel müssen angezeigt werden. aa) Kanzlei Eine allgemeine Anzeigepflicht ergibt sich schon aus § 27 Abs. 1 S. 1 BRAO. Ist der Anwalt gem. §§ 29, 29a BRAO von der Kanzleipflicht befreit, muss er nach § 30 BRAO einen Zustellungsbevollmächtigten benennen. Nach dem Sinn der Nr. 2 müssen auch Änderungen in dessen Anschrift angezeigt werden. Unter Zweigstelle versteht man eine Kanzlei, die neben einer schon bestehenden Kanzlei eingerichtet und betrieben wird. Wesentlich ist, dass die Zweigstelle der Kanzlei nachgeordnet ist.4 Die Anzeigepflicht folgt nur aus § 24 Abs. 1 Nr. 2 BORA.
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bb) Wohnung Die auch insoweit für Begründung und Wechsel vorgeschriebene Anzeigepflicht rechtfertigt sich aus der Notwendigkeit, bei berufsrechtlichen Verstößen des Anwalts gegen die Kanzleipflicht wenigstens über eine zustellungsfähige Anschrift zu verfügen.5
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cc) Bekanntgabe Die Kanzleianschrift ist Bestandteil des elektronischen Verzeichnisses (§ 31 Abs. 1, 3 BRAO). Daraus ergibt sich wegen der Bezugnahme auf die Telekommunikationsdaten des § 24 Abs. 1 Nr. 3 BORA auch die Angabe der Zweigstelle. Die Wohnungsanschrift unterliegt der Vorstandsverschwiegenheit (§ 76 BRAO).
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c) Telekommunikationsmittel (Nr. 3) Da die „jeweiligen“ Telekommunikationsmittel (mit Nummer) anzugeben sind, taucht die Frage auf, ob die Anzeigepflicht sich auf alle vom Anwalt bereit gehaltenen Telekommunikationsmittel bezieht. Der Wortlaut legt das nahe. § 24 Abs. 2 kann allerdings nicht herangezogen werden, weil Nr. 3 nicht der Aufsicht nach § 56 BRAO zugeordnet werden kann. Die 1 Der „Professor“ gehört nicht zum Katalog des § 1 Abs. 2 PAuswG. 2 Dafür spricht, dass akademische Grade nicht Bestandteil des Rechtsanwaltsverzeichnisses sind, vgl. § 31 Abs. 3 BRAO. 3 Abweichend Hartung/Scharmer, § 24 BORA Rz. 12; Feuerich/Weyland, § 24 BORA Rz. 7. 4 S. dazu Dahns, in: Offermann-Burckart, Anwaltsrecht in der Praxis 2010, 10 (Rz. 42). 5 Hartung/Scharmer, § 24 BORA Rz. 17.
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§ 56 BRAO/§ 24 BORA Rz. 13
Pflichten gegenüber der Rechtsanwaltskammer
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jeweiligen, d.h. anwaltsbezogenen Telekommunikationsmittel können deshalb neben dem Festnetzanschluss auch die Handynummer, den Telefaxanschluss und den E-Mail-Zugang umfassen. Folgt man der Überlegung, der Satzungsgeber habe die Mandanteninteressen schützen wollen,1 so belegt das nicht nur das Fehlen einer Ermächtigungsgrundlage,2 sondern erzwingt außerdem den Schluss, dass der Anwalt über das Minimum der telefonischen Erreichbarkeit hinaus (vgl. § 5 BORA) selbst bestimmen kann, welche Telekommunikationsmittel er angeben will. Das wird durch § 31 Abs. 3 BRAO n.F. bestätigt, weil dort nur von den Telekommunikationsdaten die Rede ist, „die der Rechtsanwalt mitgeteilt hat“. Was er allerdings angegeben hat, muss richtig bleiben; insoweit sind auch Änderungen anzuzeigen. d) Gemeinschaftliche Berufsausübung (Nr. 4) aa) Eingehung oder Auflösung 13
Nr. 4 macht die Anzeigepflicht von „Eingehung oder Auflösung“ der jeweiligen gemeinschaftlichen Berufsausübung abhängig. Anders als bei § 56 Abs. 3 Nr. 1 BRAO sind „wesentliche Änderungen“ nicht anzeigepflichtig. Anzeigepflichtig ist immer der einzelne Anwalt. Wird eine aus 500 Mitgliedern bestehende Sozietät in eine GmbH umgewandelt, was man angesichts der Lückenhaftigkeit des § 24 BORA als Regelung der Auflösung der Sozietät und Gründung der GmbH verstehen kann, fragt sich, wer die Anzeigepflicht ausüben muss. Da die Auflösung ein einheitlicher Vorgang ist, wird man nicht von 500 Anwälten Anzeigen verlangen dürfen. Große Sozietäten haben ohnehin Regelungen, wer für sie im Außenverhältnis handlungsbefugt ist. Die Anzeige des oder der insoweit legitimierten Vertreter der Sozietät genügt. Die GmbH unterliegt dagegen als solche der BORA nicht.3 Die einzelnen Anwaltsgesellschafter der GmbH bleiben aber an § 24 BORA gebunden und sind deshalb anzeigepflichtig. Auch hier muss es aber möglich sein, die Ausübung dieser Pflicht dem GmbH-Geschäftsführer oder einem sonstigen GmbH-Mitglied zu übertragen. bb) Formen der gemeinschaftlichen Berufsausübung
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Eingehung/Auflösung lassen sich auf alle anwaltlichen Vereinbarungen zur gemeinschaftlichen Berufsausübung anwenden. Einige hat Nr. 4 besonders hervorgehoben. (1) Sozietät
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Die Sozietät, die häufigste Form anwaltlicher Zusammenarbeit, ist eine BGB-Gesellschaft. Was das berufsrechtlich bedeutet, ist unklar,4 zumal die BRAO die Sozietät nicht legaldefiniert und sie seit 18.12.2007 ihren letzten Anhaltspunkt (in § 59a BRAO) durch Streichung verloren hat.5 Auch § 33 BORA bringt insoweit keinen inhaltlichen Aufschluss, wenn man davon absieht, dass die Erstreckungsklausel (von der Sozietät auf alle anderen Formen der beruflichen Zusammenarbeit) die Aufzählung weiterer Zusammenarbeitsformen in Nr. 4 als überflüssig erscheinen lässt. Nr. 4 bietet allerdings keinen Anlass, der Berufsrechtsdogmatik der Sozietät weiter nachzugehen.6 (2) Partnerschaftsgesellschaft7
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Ob das Registergericht im Rahmen des § 4 PartGG bei der Eintragung der Partnerschaftsgesellschaft auch deren berufsrechtliche Zulässigkeit (hier: bezogen auf Anwälte) zu prüfen hat, ist umstritten.8 Selbst wenn man das annimmt, muss das Registergericht zunächst in Zweifelsfragen gem. § 4 Satz 1 PRV der zuständigen Anwaltskammer Gelegenheit zur Stellungnahme geben. 1 Hartung/Scharmer, § 24 BORA Rz. 19. 2 S. Rz. 1. 3 § 59m BRAO ordnet die Geltung der Ermächtigungsnorm des § 59b BRAO nicht an, vgl. Hartung/v. Wedel, § 59m Rz. 8 ff. Die GmbH hat allerdings selbständige Anzeigepflichten nach § 59m BRAO, vgl. Zuck, Anwalts-GmbH 1999, § 59m Rz. 1 ff. 4 Ausführlich dazu die berechtigt-kritischen Bemerkungen von Schultz, FS Hirsch, 2008, S. 525 (527 ff.). 5 S. dazu Hartung/v. Wedel, vor § 59a Rz. 2 f. 6 Insoweit ist allerdings noch einmal auf Schultz, FS Hirsch, 2008, S. 525 zu verweisen; s. auch Hartung/ v. Wedel, vor § 59a Rz. 14 ff. Zur Scheinsozietät vgl. Feuerich/Weyland, § 24 BORA Rz. 9 sowie Dahns, in: Offermann-Burckart, Anwaltsrecht in der Praxis 2010, 12 f. (Rz. 48 ff.). 7 Zur Partnerschaftsgesellschaft s. Hartung/Römermann/Römermann, vor § 59a Rz. 42 ff.; Feuerich/Weyland, PartGG (S. 1348); v. Lewinski, S. 157. 8 Vgl. die Nachweise bei Hartung/v. Wedel, § 59a Rz. 56.
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Rz. 22 § 24 BORA/§ 56 BRAO
Die Auflösung einer Partnerschaftsgesellschaft ist wegen des in § 9 Abs. 1 PartGG normierten Prinzips „Ausscheiden statt Auflösung“ selten. (3) Sonstige Verbindungen zur gemeinschaftlichen Berufsausübung Zu ihnen gehören weder die EWIV als transnationale Anwaltskooperation noch die in § 8 S. 1 BORA behandelte verfestigte Kooperation:1 Zwar liegt, wie § 8 Satz 1 BORA belegt, eine Verbindung zur gemeinsamen Berufsausübung vor, weil sich die Partner vertraglich aneinander gebunden haben. Bei allen Kooperationen bleiben die Partner aber – begrifflich – selbständig, so dass man nicht von einer gemeinschaftlichen Berufsausübung sprechen kann.2
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Bürogemeinschaften sind jedoch Formen gemeinschaftlicher Berufsausübung. Zwar sind auch sie bloße Betriebsgemeinschaften,3 aber § 59a Abs. 3 BRAO stellt sie den in § 59a Abs. 1, 2 BRAO aufgeführten Berufsausübungsformen gleich. Auch Beschäftigungsverhältnisse zählen zur gemeinschaftlichen Berufsausübung. Für sie gilt jedoch die Sonderregelung der Nr. 5.4
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e) Beschäftigungsverhältnisse (Nr. 5) aa) Funktion der Vorschrift Nr. 5 steht im Zusammenhang mit § 26 BORA.5 Wenn Anwälte nur zu angemessenen Bedingungen beschäftigt werden dürfen, muss es auch entsprechende Kontrollmöglichkeiten für die Anwaltskammern geben. Nr. 5 muss man deshalb im Zusammenhang mit Nr. 4 sehen. Viele Sozietäten sind Scheinsozietäten. Mancher sogenannte freie Anwalt ist tatsächlich ein angestellter Anwalt. Im Übrigen ist daran festzuhalten, dass der angestellte Anwalt ebenso wie der freie Mitarbeiter mit dem Prinzipal-Anwalt zur gemeinschaftlichen Berufsausübung verbunden ist.6 Nr. 5 erweist sich danach als lex specialis zu Nr. 4.
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bb) Verhältnis zu § 56 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 BRAO Dem Anwalt obliegt schon nach § 56 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 BRAO im Rahmen seines Beschäftigungsverhältnisses eine Anzeigepflicht. Soweit es um die Eingehung des Beschäftigungsverhältnisses geht, wiederholt § 24 Abs. 3 Nr. 5 BORA lediglich § 56 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 BRAO. Im Gegensatz zu § 56 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 BRAO wird jedoch die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses nicht erwähnt. Angesichts der BRAO-Regelung ist das unerheblich. Dagegen fehlt die „wesentliche Änderung eines bestehenden Beschäftigungsverhältnisses“ wie sie in § 56 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 BRAO enthalten ist.
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cc) Anwaltsbezug Nr. 5 behandelt das Beschäftigungsverhältnis mit Rechtsanwälten. Das umfasst zwar auch Rechtsanwaltsgesellschaften, nicht aber Beschäftigungsverhältnisse mit Angehörigen sonstiger sozietätsfähiger Berufe (§ 59a BRAO). Die Regelung bezieht sich nicht auf Beschäftigungsverhältnisse im öffentlichen Dienst.7
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IV. Absatz 2 – Auskunfts- und Vorlagepflichten 1. Auskunftspflichten Absatz 2 ergänzt, bezogen auf die Auskunftspflichten nach § 56 BRAO die BRAO-Regelung, indem Vollständigkeit der Auskünfte verlangt wird.8 Das würde auch ohne § 26 Abs. 2 BORA gelten. 1 S. dazu auch Zuck, Vertragsgestaltung bei Anwaltskooperationen, 1995. 2 Im Schrifttum bleiben die Zusammenhänge unklar. Römermann etwa räumt zu § 33 BORA Rz. 22 ein, dass Kooperationen Formen beruflicher Zusammenarbeit sind, leugnet aber vor § 59a Rz. 175, dass es sich um eine gemeinsame Berufsausübung handelt. 3 Zuck, Anwalts-ABC Berufsrecht, 1999, S. 62; Grams, BRAK-Mitt. 2002, 119; v. Lewinski, S. 156. 4 S. dazu Rz. 19. 5 S. dazu Sagel, AnwBl. 2008, 126; Koch/Kilian, Rz. B 335 ff., s. oben § 43a BRAO Rz. 36 und jetzt AGH NRW, BRAK-Mitt. 2008, 76 (n. rkr.). 6 S. Rz. 18. 7 Vgl. § 56 BRAO Rz. 44–46. 8 S. dazu § 56 BRAO Rz. 26.
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§ 56 BRAO/§ 24 BORA Rz. 23
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2. Vorlagepflichten 23
Absatz 2 erweitert die in § 56 Abs. 3 BRAO auf Beschäftigungsverhältnisse1 bezogene Pflicht, auf Verlangen des Vorstands die erforderlichen Unterlagen vorzulegen, auf die gesamten Gegenstände des Auskunftsverlangens, d.h. auch auf § 56 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 BRAO. Dass § 24 Abs. 3 BORA von Urkunden spricht, während § 56 Abs. 2 BRAO den Begriff der Unterlage verwendet, ist rechtlich bedeutungslos. bei Verletzung der besonderen Pflichten 57 BRAO Zwangsgeld (1) Um einen Rechtsanwalt zur Erfüllung seiner Pflichten nach § 56 1
anzuhalten, kann der Vorstand der Rechtsanwaltskammer gegen ihn, auch zu wiederholten Malen, Zwangsgeld festsetzen. 2Das einzelne Zwangsgeld darf eintausend Euro nicht übersteigen. (2) 1Das Zwangsgeld muss vorher durch den Vorstand oder den Präsidenten schriftlich angedroht werden. 2Die Androhung und die Festsetzung des Zwangsgelds sind dem Rechtsanwalt zuzustellen.
(3) 1Gegen die Androhung und gegen die Festsetzung des Zwangsgeldes kann der Rechtsanwalt innerhalb eines Monats nach der Zustellung die Entscheidung des Anwaltsgerichtshofes beantragen. 2Der Antrag ist bei dem Vorstand der Rechtsanwaltskammer schriftlich einzureichen. 3Erachtet der Vorstand den Antrag für begründet, so hat er ihm abzuhelfen; andernfalls ist der Antrag unverzüglich dem Anwaltsgerichtshof vorzulegen. 4Zuständig ist der Anwaltsgerichtshof bei dem Oberlandesgericht, in dessen Bezirk die Rechtsanwaltskammer ihren Sitz hat. 5Im übrigen sind die Vorschriften der Strafprozessordnung über die Beschwerde sinngemäß anzuwenden. 6Die Gegenerklärung (§ 308 Abs. 1 der Strafprozessordnung) wird vom Vorstand der Rechtsanwaltskammer abgegeben. 7Die Staatsanwaltschaft ist an dem Verfahren nicht beteiligt. 8Der Beschluss des Anwaltsgerichtshofes kann nicht angefochten werden. (4) 1Das Zwangsgeld fließt der Rechtsanwaltskammer zu. 2Es wird auf Grund einer von dem Schatzmeister erteilten, mit der Bescheinigung der Vollstreckbarkeit versehenen beglaubigten Abschrift des Festsetzungsbescheides nach den Vorschriften beigetrieben, die für die Vollstreckung von Urteilen in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten gelten. A. Anwendungsbereich . . . . . . . . . .
1
B. Wesen des Zwangsgelds. . . . . . . . . I. Zwangsgeld als Beugemittel . . . . . . . II. Sektorales Zwangsmittel . . . . . . . .
2 2 3
C. Anwendungsvoraussetzungen . . I. Nichterfüllung der Pflichten nach § 56 BRAO . . . . . . . . . . . II. Ermessensentscheidung . . . . III. Höhe des Zwangsgelds . . . . .
. . . .
4
. . . . . . . . . . . .
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D. Verfahren . . . . . . . . . . . . . . I. Darstellung des Verfahrens . . . . . . II. Androhung des Zwangsgelds (Absatz 2) 1. Aufforderung nach § 56 BRAO . . . . . 2. Androhung . . . . . . . . . . . . . a) Zuständigkeit. . . . . . . . . . .
. . . . . .
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b) Schriftlich . . . . . . . . c) Bestimmtheitsgrundsatz . d) Rechtsmittelbelehrung . . e) Zustellung . . . . . . . . f) Rechtsschutz . . . . . . . g) Erledigung . . . . . . . . III. Festsetzung des Zwangsgeldes 1. Zuständigkeit . . . . . . . . 2. Androhung . . . . . . . . . 3. Bestimmtheitsgrundsatz . . . 4. Zustellung. . . . . . . . . . 5. Rechtsmittelbelehrung . . . . 6. Erledigung . . . . . . . . . 7. Rechtsschutz . . . . . . . . IV. Vollstreckung . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . .
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A. Anwendungsbereich 1
Die Funktion des § 57 BRAO liegt darin, den Anwalt zur Einhaltung seiner Pflichten nach § 56 BRAO anzuhalten.2 Diese Möglichkeit besteht auch gegenüber Rechtsanwaltsgesellschaften (§ 59m Abs. 2 BRAO), dort allerdings beschränkt auf die Pflichten aus § 56 Abs. 1 BRAO, weil § 59m Abs. 2 BRAO nur auf diesen Teil des § 56 BRAO verweist. Über den An-
1 Vgl. Rz. 18. 2 BGH, NJW 2003, 504 bezieht – wohl versehentlich – § 57 BRAO nur auf § 56 Abs. 1 S. 1 BRAO. Das widerspricht jedoch dem Wortlaut von § 57 Abs. 1 S. 1 BRAO.
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Zwangsgeld bei Verletzung der besonderen Pflichten
Rz. 4 § 57 BRAO
wendungsbereich des § 56 BRAO hinaus gibt es keine Möglichkeit für die Kammer, ein Zwangsgeld zu verhängen.1 B. Wesen des Zwangsgelds I. Zwangsgeld als Beugemittel Das Zwangsgeld ist keine Erfindung des anwaltlichen Berufsrechts.2 Es hat sich aus der früheren Zwangsstrafe entwickelt.3 Das erklärt, warum in der früheren ehrengerichtlichen Rechtsprechung § 57 BRAO noch als Regelung einer Ungehorsamsstrafe verstanden worden ist.4 Jetzt wird das Zwangsgeld allgemein,5 und deshalb auch in § 57 BRAO, als reines Beugemittel angesehen.6 Trotz fehlenden Strafcharakters setzt die Verhängung des Zwangsgeldes aber nach h.M. Verschulden voraus. Das Verschulden werde vermutet, so heißt es. Die Beweislast dafür, dass es nicht vorliege, habe der Anwalt.7 Dem ist nicht zu folgen. § 57 BRAO beschreibt einen Eingriffstatbestand. Wer sich auf ihn beruft, muss seine Voraussetzungen darlegen. Das Verschulden kann deshalb kaum vermutet werden, und erst recht hat der Anwalt nicht die Beweislast für fehlendes Verschulden. Auf all das kommt es jedoch ohnehin nicht an. Die Zulässigkeit von Zwangsmitteln im Allgemeinen, der Festsetzung von Zwangsgeld im Besonderen ist in vielen Verfahrensordnungen vorgesehen (vgl. etwa § 35 FamFG,8 § 463c StPO, § 200 VwGO, § 328 AO, § 888 ZPO). Soweit sich die Kommentatoren überhaupt mit der Verschuldensproblematik befassen, wird aus dem Wesen des Beugemittels geschlossen, dass es auf ein Verschulden des Pflichtigen nicht ankomme.9 Es gibt keinen Grund, den Begriff des Beugemittels in der BRAO anders zu verstehen.
2
II. Sektorales Zwangsmittel Der klassische Katalog der Zwangsmittel besteht aus einer Trias (§ 9 VwVG): Ersatzvornahme, Zwangsgeld und unmittelbarer Zwang. Dies führt zwar zu keiner dieser Reihenfolge entsprechenden Rangordnung, wohl aber zu einer aus der Natur der Sache folgenden Ordnung. Im Bereich des § 57 BRAO scheiden Ersatzvornahme und unmittelbarer Zwang angesichts des Status des Anwalts als unabhängigem Organ der Rechtspflege aus, so dass sich die Frage nicht stellt, ob anstelle des ohnehin ausdrücklich nur erwähnten Zwangsgeldes noch andere Zwangsmaßnahmen in Betracht kämen. So wie das Zwangsgeld auf Verstöße gegen § 56 BRAO (also vom Gegenstand her) beschränkt ist, so bleibt es auch als mögliches Zwangsmittel ein Solitär.
3
C. Anwendungsvoraussetzungen I. Nichterfüllung der Pflichten nach § 56 BRAO Das Zwangsgeld dient gem. Absatz 1 S. 1 dazu, den Anwalt zur Erfüllung seiner Pflichten anzuhalten. Die möglichen Anwendungsbereiche sind die Nichtbeantwortung der Vorstandsanfragen nach § 56 BRAO oder das Schweigen auf die Anordnung der Handaktenvorlage oder die Weigerung, dem angeordneten Erscheinen Rechnung zu tragen. Häufig ist auch die unvollständige oder unwahre Beantwortung von Auskunftsfragen10 oder die unvollstän1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
BGH, NJW 2003, 504. Vgl. etwa § 11 VwVG. Dünchheim, NVwZ 1996, 118. S. dazu Isele, § 57 Anm. IV B. Dazu muss man berücksichtigen, dass in § 75 RAO BritZ in diesem Zusammenhang noch von einer Ordnungsstrafe die Rede war, s. dazu Hartung/Scharmer, § 57 Rz. 1. Engelhardt/App, § 11 VwVG Rz. 1. Feuerich/Weyland, § 57 Rz. 2; Kleine-Cosack, § 57 Rz. 2; Hartung/Scharmer, § 57 Rz. 4. Vgl. etwa Hartung/Scharmer, § 57 Rz. 12; Feuerich/Weyland, § 57 Rz. 9 unter Hinweis auf Isele, § 57 Anm. III C. Das FamFG ist nach Art. 112 FGG-RG am 1.1.2009 in Kraft getreten; zum Übergangsrecht s. Art. 111 FGG-RG. Vgl. etwa Zimmermann, § 888 ZPO Rz. 8; Tipke/Kruse/Kruse, AO, Stand 2007, § 328 AO Rz. 29; Engelhardt/App, § 11 VwVG Rz. 1. Feuerich/Weyland, § 57 Rz. 7; a.A. (zu unwahren Angaben) Hartung/Scharmer, § 57 Rz. 9. Zwar liegt § 56 BRAO nicht der Gedanke einer allgemeinen Wahrheitspflicht des Anwalts zugrunde (vgl. § 56 BRAO Rz. 27). Wohl aber muss § 57 BRAO auch angewendet werden können, um den bei unvollständigen/unwahren Angaben entstehenden Wertungswiderspruch aufzulösen (vgl. § 56 BRAO Rz. 27).
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§ 57 BRAO Rz. 5
Zwangsgeld bei Verletzung der besonderen Pflichten
dige Übermittlung von Unterlagen, wobei sich die das Vorgehen nach § 57 BRAO auslösende Unvollständigkeit aus dem Maß der Erforderlichkeit des Auskunftsbegehrens ergibt.1 II. Ermessensentscheidung 5
Nach Absatz 1 S. 1 „kann“ der Vorstand ein Zwangsgeld festsetzen. Wenn § 9 Abs. 2 S. 1 VwVG formuliert, dass Zwangsmittel müsse in einem angemessenen Verhältnis zu seinem Zweck stehen, so betrifft das in erster Linie das bei § 57 BRAO nicht wesentliche Verhältnis der einzelnen Zwangsmittel zueinander. Davon unabhängig kommt in § 9 Abs. 1 S. 1 VwVG aber ein richtiger Gedanke zum Vorschein, nämlich der des richtigen Verhältnisses von Zweck und Mittel. Bei einer erkennbar auf Unkenntnis beruhenden Auskunft oder bei geringfügig unvollständigen Unterlagen sollte nicht gleich zum Schwert des Zwangsgelds gegriffen werden. III. Höhe des Zwangsgelds
6
Das Zwangsgeld ist auf 1 000 Euro beschränkt2 (§ 57 Abs. 1 S. 2 BRAO). Eine Untergrenze ist, anders als in § 9 Abs. 3 VwVG nicht vorgeschrieben. Die Höhe des Zwangsgelds wird aber angemessen sein müssen.3 Fühlbar wird das Zwangsgeld wohl erst durch die (unbeschränkte) Wiederholungsmöglichkeit seiner Verhängung (§ 57 Abs. 1 S. 1 BRAO). Über die Summierung können 1 000 Euro beliebig überschritten werden. D. Verfahren I. Darstellung des Verfahrens
7
Es sind folgende Verfahrensschritte zu unterscheiden: – Androhung des Zwangsgelds4 – Festsetzung5 – Vollstreckung.6 II. Androhung des Zwangsgelds (Absatz 2) 1. Aufforderung nach § 56 BRAO
8
Voraussetzung für die Androhung des Zwangsgelds ist eine wirksame Aufforderung nach § 56 BRAO. 2. Androhung
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Absatz 2 S. 1 setzt die Androhung des Zwangsgelds voraus.7 a) Zuständigkeit
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Sie erfolgt durch den Vorstand8 oder durch den Präsidenten, dem dieses Recht, anders als für § 56 BRAO im Zusammenhang mit dem Zwangsgeldverfahren gesondert eingeräumt worden ist. Der Geschäftsführer hat dieses Recht (originär) nicht. 1 S. dazu allgemein § 56 BRAO Rz. 20–23, 26. 2 § 11 Abs. 2 VwVG ist immer noch nicht auf Euro umgestellt worden. Die 3/2000 DM sind deshalb dort als 1,53 Euro und 1022,58 Euro zu lesen. § 57 hält sich hinsichtlich seiner Obergrenze in diesem Rahmen. 3 Feuerich/Weyland, § 57 Rz. 4, z.B. Bedeutung des Falls oder Hartnäckigkeit der Weigerung. Auch wenn es nicht auf das Verschulden ankommt (s. oben Rz. 7), kann jedoch die subjektive Seite der Sache ebenfalls eine Rolle spielen, etwa bezüglich der Intensität des Verstoßes. 4 Rz. 8. 5 Rz. 10. 6 Rz. 11. 7 Zu den Voraussetzungen einer wirksamen Zwangsgeldandrohung s. Nieders. AGH, BRAK-Mitt. 2011, 239 und dazu ausf. und krit. Peus, BRAK-Mitt. 2012, 56. 8 Handelt die zuständige Vorstandsabteilung, genügt die Unterschrift des Abteilungsvorsitzenden, wenn sie mit dem Hinweis verbunden ist, dem liege ein entsprechender Abteilungsbeschluss zugrunde, Hartung/ Scharmer, § 57 Rz. 17. S. auch § 56 BRAO Rz. 14–16.
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Zwangsgeld bei Verletzung der besonderen Pflichten
Rz. 19 § 57 BRAO
b) Schriftlich Schriftlichkeit ist nicht nur nach Maßgabe des § 126 BGB gegeben, sondern auch bei Einhaltung der elektronischen Form (§ 126a BGB). Die Textform nach § 126b BGB scheidet aus.
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c) Bestimmtheitsgrundsatz Das angedrohte Zwangsgeld muss exakt beziffert sein.1
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d) Rechtsmittelbelehrung Auch wenn die Rechtsmittelbelehrung nicht ausdrücklich vorgeschrieben ist, wird man sie verlangen müssen.2 Das folgt aus der immer weiterreichenden Effektuierung des Gebots des effektiven Rechtsschutzes.3 Man kann dem nicht entgegenhalten, der Anwalt sei, anders als die sogenannte Naturpartei nicht schutzbedürftig. Da jedoch Anwälte nicht regelmäßig mit berufsrechtlichen Verfahren zu tun haben, fehlen ihnen, wie die Praxis zeigt, insoweit häufig die erforderlichen Kenntnisse.
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e) Zustellung Die Anordnung ist dem Anwalt zuzustellen (Absatz 2 S. 2).4
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f) Rechtsschutz Gegen die Androhung des Zwangsgelds kann der Anwalt innerhalb eines Monats nach Zustellung die Entscheidung des AGH beantragen (§ 57 Abs. 3 S. 1 BRAO). Die weiteren Verfahrenseinzelheiten ergeben sich insoweit aus § 57 Abs. 3 S. 2 BRAO.
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g) Erledigung Erfüllt der Anwalt nach Zustellung der Zwangsgeldandrohung, was ihm nach § 56 BRAO aufgegeben worden war, oder beruft er sich auch ein Auskunftsverweigerungsrecht, erledigt sich die Androhung.5
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III. Festsetzung des Zwangsgeldes 1. Zuständigkeit Für die Festsetzung ist nur der Vorstand6 zuständig, also weder (originär) der Präsident noch der Geschäftsführer. Die Delegation auf den Präsidenten ist durch die Geschäftsordnung möglich, denn der Präsident ist aus der Mitte des Vorstands gewählt worden.7
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2. Androhung Die Festsetzung des Zwangsgelds bedarf der vorherigen Androhung.8
18
3. Bestimmtheitsgrundsatz Wie bei der Androhung9 kann nur ein bestimmter Betrag festgesetzt werden. Er darf nicht höher sein als der angedrohte, darf die Androhung aber unterschreiten. 1 EGH Hamm, EGE X, 143. 2 A.A. Hartung/Römermann/Scharmer, § 57 Rz. 19; Feuerich/Weyland, § 57 Rz. 12. 3 BVerfG, NJW 1995, 3173. Das BVerfG hat in dieser Entscheidung allerdings hinzugefügt, im Klageverfahren im Zivilprozess sei – derzeit – keine Rechtsmittelbelehrung erforderlich. 4 Zur Zustellung s. § 112c BRAO n.F. § 112c BRAO n.F. verweist auf die entsprechende Anwendung der VwGO, s. dazu § 56 VwGO. § 56 Abs. 2 VwGO sieht die Zustellung vom Amts wegen nach den Vorschriften der ZPO vor, d.h. nach Maßgabe der §§ 166 ff. ZPO. Vgl. dazu Johnigk, in: Offermann-Burckart, Anwaltsrecht in der Praxis 2010, 301 f. 5 Die wiederholte Erledigung von Kammerbegehren nach § 56 BRAO erst nach Zwangsgeldandrohung kann aber zu einer eigenständigen Aufsichtssache führen, so zu Recht Feuerich/Weyland, § 57 Rz. 13. 6 S. § 56 BRAO Rz. 14–16. 7 S. § 56 BRAO Rz. 15. 8 Nieders. AGH, BRAK-Mitt. 2006, 137. Vgl. auch Rz. 8–16. 9 S. Rz. 12.
Zuck 873
19
§ 57 BRAO Rz. 20
Zwangsgeld bei Verletzung der besonderen Pflichten
4. Zustellung Der Beschluss ist zuzustellen (Absatz 2 S. 2).1
20
5. Rechtsmittelbelehrung Auch für die Zwangsgeldfestsetzung ist eine Rechtsmittelbelehrung erforderlich.2
21
6. Erledigung 22
Kommt der Anwalt nach Zustellung des Beschlusses seinen Pflichten aus § 56 BRAO nach, erledigt sich das Verfahren.3 7. Rechtsschutz Siehe dazu § 57 Abs. 3 BRAO und Rz. 15.
23
IV. Vollstreckung 24
Zur Vollstreckung s. Absatz 4. Maßgeblich sind die §§ 803 ff. ZPO. in die Personalakten 58 BRAO Einsicht (1) Der Rechtsanwalt hat das Recht, die über ihn geführten Personalakten einzusehen.
(2) Der Rechtsanwalt kann das Recht auf Einsicht in seine Personalakten nur persönlich oder durch einen anderen bevollmächtigten Rechtsanwalt ausüben. (3) Bei der Einsichtnahme darf der Rechtsanwalt oder der von ihm bevollmächtigte Vertreter sich eine Aufzeichnung über den Inhalt der Akten oder Abschriften einzelner Schriftstücke fertigen. . . . . . .
1 1 2 3 4 5
B. Befugnis zur Führung von Personalakten I. Kompetenz . . . . . . . . . . . . . . II. Kompetenzträger . . . . . . . . . . .
6 6 7
C. Inhalt der Personalakte . . . . . . . . . I. Aufsichtsbefugnisse der Kammer als Grenze . . . . . . . . . . . . . . . . II. Zweckbindung . . . . . . . . . . . . .
8
A. Der Begriff der Personalakte . . I. Allgemeine Bedeutung . . . . . II. Begrifflichkeit . . . . . . . . . 1. Personalakte im formellen Sinn . 2. Personalakte im materiellen Sinn 3. Personalakte in § 58 Abs. 1 BRAO
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
9 10
1. Identifizierung . . . . . . . . . . . . . 2. Beruflicher Werdegang . . . . . . . . . 3. Beruflicher Bezug . . . . . . . . . . . D. Akteneinsichtsrecht . . . . . . . . I. Rechtsanwalt . . . . . . . . . . . 1. Begriff des Rechtsanwalts/Dritte . . 2. Andere Behörden . . . . . . . . . II. Delegationsmöglichkeiten . . . . . III. Einsichtnahme. . . . . . . . . . . 1. Vollständigkeit . . . . . . . . . . 2. Ort der Einsichtnahme . . . . . . . 3. Aufzeichnungen/Abschriften/Kopien .
. . . . . . . . .
. . . . . . . . .
11 12 13 14 14 14 15 16 17 17 18 19
A. Der Begriff der Personalakte I. Allgemeine Bedeutung 1
Die Personalakte ist kein Spezifikum des Anwaltsrechts.4 Regelungen über Personalakten finden sich im öffentlichen Dienstrecht,5 insbesondere im Beamtenrecht (vgl. etwa § 90 BBG),6 sie spielen aber auch eine erhebliche Rolle im Arbeitsrecht.7 1 2 3 4 5 6
Vgl. Rz. 14. Rz. 13. Rz. 16. Auch wenn sie in diesem eine gesonderte Regelung erfahren hat, vgl. Rz. 5. Wichmann/Langer, Öffentliches Dienstrecht, 6. Aufl. 2007, Rz. 224. S. dazu etwa Battis, BBG, 3. Aufl. 2004, Anm. zu § 90 BBG und, gem. § 63 Abs. 1 S. 1 BeamtStG am 20.6.2008 in Kraft getreten, § 50 BeamtStG, s. dazu Reich, BeamtStG, 2009, Anm. zu § 50. 7 Reinecke, in: Küttner, Personalbuch, 17. Aufl. 2010, Nr. 333.
874 Zuck
Einsicht in die Personalakten
Rz. 9 § 58 BRAO
II. Begrifflichkeit Man unterscheidet zwischen dem formellen und dem materiellen Personalaktenbegriff.
2
1. Personalakte im formellen Sinn Personalakten im formellen Sinn sind in einer Akte oder mehreren Beiakten unter der Bezeichnung „Personalakten“ zusammengefasste Vorgänge über eine Person.1
3
2. Personalakte im materiellen Sinn Unter einer Personalakte im materiellen Sinn werden alle Unterlagen verstanden (einschließlich der in Dateien gespeicherten), die die fragliche Person betreffen, wenn und soweit sie in unmittelbarem (inneren) Zusammenhang mit ihrer beruflichen Tätigkeit stehen.2
4
3. Personalakte in § 58 Abs. 1 BRAO Eine eigenständige Personalaktenregelung, sieht man einmal von den Modalitäten des Einsichtsrechts ab, enthält § 58 BRAO vom Wortlaut her nicht. Abgesehen von der Tilgungsregelung des § 205a BRAO3 finden sich auch sonst in der BRAO keine weiteren Regelungen über die Personalakte. Es steht aufgrund der besonderen Funktion der Personalaktenregelung in § 58 BRAO, Einsichtsrechte zu gewährleisten, aber fest, dass – bezogen auf eben dieser Einsichtsrechte – der formelle Personalaktenbegriff 4 bedeutungslos ist. Ausschlaggebend ist deshalb allein der materielle Personalaktenbegriff.5 Darin liegt eine der Besonderheiten gegenüber dem sonstigen Personalaktenrecht.6
5
B. Befugnis zur Führung von Personalakten I. Kompetenz Obwohl die BRAO schweigt, ist die Befugnis des Kammervorstands zur Führung von Personalakten nicht zu bezweifeln. Sie ergibt sich aus den allgemeinen und besonderen Aufsichtsbefugnissen der Kammer (§§ 14, 58, 73 BRAO). Diese können nur wahrgenommen werden, wenn die Kammer über die notwendigen berufsbezogenen Unterlagen über ihr Pflichtmitglied verfügt.
6
II. Kompetenzträger Aus der Aufgabenstellung der Kammer (§ 73 BRAO) folgt zugleich, dass es der Kammervorstand ist, und nicht etwa die Justizverwaltung, der die Kompetenz hat, Personalakten über einen Anwalt zu führen. Wer tatsächlich innerhalb der Kammer dazu befugt ist, ergibt sich aus der Geschäftsordnung. Üblicherweise ist die Personalaktenführung Sache der Kammerverwaltung, also der Geschäftsführung.
7
C. Inhalt der Personalakte Da es auf den materiellen Personalaktenbegriff ankommt,7 muss geklärt werden, welche Vorgänge im unmittelbaren (inneren) Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit des Rechtsanwalts stehen.
8
I. Aufsichtsbefugnisse der Kammer als Grenze Die möglichen Aufsichtsbefugnisse des Kammervorstands8 stellen die Grenze für die Bestimmung des unmittelbaren Zusammenhangs eines Vorgangs mit der beruflichen Tätigkeit 1 So BVerwG, ZBR 1965, 215 für die Personalakte des Beamten. 2 So etwa für das Arbeitsverhältnis BAG, NJW 1978, 124. So auch Reich, BeamtStG, 2009, § 50 Rz. 3 unter Hinweis auf BVerwGE 50, 30; 55, 186 (190). 3 Feuerich/Weyland, § 58 Rz. 13. 4 Rz. 3. 5 Rz. 4. 6 Rz. 1. 7 Rz. 5. 8 Rz. 6.
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9
§ 58 BRAO Rz. 10
Einsicht in die Personalakten
des Anwalts dar. Der Begriff der Unmittelbarkeit wird also durch die Aufsichtsbefugnisse der Kammer bestimmt. Was nicht Gegenstand einer Aufsichtssache oder allgemeiner Aufsicht der Kammer sein kann, gehört nicht in die Personalakte. Diese funktionelle Betrachtungsweise wird durch den Status des Anwalts gerechtfertigt.1 Er ist und bleibt unabhängiges Organ der Rechtspflege, das nicht in einem allgemeinen Abhängigkeits- oder Unterordnungsverhältnis zur Kammer steht.2 II. Zweckbindung 10
Der Bezug zu den anwaltsbezogenen Kammerfunktionen3 führt im Einzelnen zu folgenden möglichen Inhalten der Personalakte: 1. Identifizierung
11
Der Anwalt muss identifizierbar sein. Was Gegenstand des Anwaltsverzeichnisses ist (= Personalien, § 31 Abs. 3 BRAO), ist, einschließlich eines Lichtbilds, auch Gegenstand der Personalakte. 2. Beruflicher Werdegang
12
Auch die Entwicklung des Status des Rechtsanwalts kann berufsrechtlich eine Rolle spielen.4 Sein beruflicher Werdegang, einschließlich der Ausbildung, ist deshalb notwendiger Bestandteil der Personalakte. Die Referendars-Personalakten sind jedoch nicht Bestandteil der Personalakten.5 3. Beruflicher Bezug
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Für die Personalakten wesentlich – das kann man allerdings nur beispielhaft angeben – sind danach die Zulassungsvorgänge, Rentenbescheide, Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse, den Anwalt betreffende Gerichtsentscheidungen (vgl. Mistra und Miza) Vorgänge aus Aufsichts- und Beschwerdesachen, Belehrungen und Beratungen des Kammervorstands, Außendarstellungen des Anwalts und Medienberichte. Auch Vorgänge aus dem außerberuflichen Bereich können zu den Personalakten gehören, wenn sie zu einer Aufsichtssache führen könnten.6 D. Akteneinsichtsrecht I. Rechtsanwalt 1. Begriff des Rechtsanwalts/Dritte
14
Das Akteneinsichtsrecht steht dem Rechtsanwalt zu (Absatz 1). Das ist nicht wörtlich zu verstehen, sondern bezieht sich, aufgrund des funktionalen Bezugs der Regelung,7 auf alle Kammermitglieder.8 Für den aus der Anwaltschaft ausgeschlossenen Anwalt, seine Hinterbliebenen, seine Erben oder seinen Lebenspartner gibt es kein Recht auf Einsichtnahme. Die Kammer kann aber, bei Glaubhaftmachung eines berechtigten Interesses, Akteneinsicht gewähren. Sie muss dabei aber auch die unter den vorstehend möglicherweise als berechtigt bezeichneten Personen deren jeweils eigenständigen Rechte, die durch die Einsichtnahme einer anderen berechtigten Person beeinträchtigt werden könnten, berücksichtigen.9 2. Andere Behörden
15
Auch andere Behörden, wie etwa die Staatsanwaltschaft, aber auch die Anwaltsgerichte könnten sich auf ein Einsichtsrecht berufen. Aus § 58 BRAO kann es jedoch nicht hergeleitet 1 2 3 4 5 6 7 8 9
Zutreffend Feuerich/Weyland, § 58 Rz. 4. BGH, NJW 2003, 504. Rz. 6. § 43 BRAO Rz. 10. Feuerich/Weyland, § 58 Rz. 11 f. § 56 BRAO Rz. 10. Rz. 9. § 56 BRAO Rz. 19. Hartung/Scharmer, § 58 Rz. 16.
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§ 59 BRAO
Ausbildung von Referendaren
werden, weil § 58 BRAO nur das Einsichtsrecht des Anwalts regelt. Auch § 36a Abs. 3 BRAO führt nicht weiter, weil dort nur der umgekehrte Weg beschrieben wird, nämlich die Übersendung von Akten an die Kammer. Da die Personalakte der Vorstandsverschwiegenheitspflicht nach § 76 BRAO unterliegt, bedarf es für ein Einsichtsrecht etwa der Staatsanwaltschaft oder eines Anwaltsgerichts einer besonderen gesetzlichen Grundlage. Die allgemeine berufsrechtliche Zuständigkeit von Staatsanwaltschaft und Anwaltsgericht reicht dafür nicht aus.1 Der Zugriff auf die Personalakte setzt deshalb eine Beschlagnahmeanordnung des Gerichts, bei Gefahr im Vollzug der Staatsanwaltschaft, voraus (§ 97 StPO). Bei sonstigen Behörden wird im Allgemeinen § 76 BRAO Vorrang haben.2 II. Delegationsmöglichkeiten Der Rechtsanwalt kann das Einsichtsrecht persönlich oder durch einen anderen bevollmächtigten Rechtsanwalt3 ausüben. Die Vollmacht muss sich ausdrücklich auf die Einsichtnahme beziehen. Das alles gilt auch für den allgemeinen Vertreter (§ 53 BRAO) und den Abwickler (§ 55 BRAO).
16
III. Einsichtnahme4 1. Vollständigkeit Das Recht auf Einsichtnahme umfasst die vollständige Personalakte. Dem Anwalt darf nichts verheimlicht werden.
17
2. Ort der Einsichtnahme Die Personalakte kann nur bei der Kammer eingesehen werden. Ein Mitnahmerecht der Personalakte zur Einsichtnahme in die Kanzlei oder in die Wohnung hat der Anwalt nicht. Der Kammer ist es zwar nicht untersagt, dem Anwalt die Personalakte mitzugeben. Da Verlust oder Manipulationen nie ausgeschlossen werden können, empfiehlt sich das nicht.
18
3. Aufzeichnungen/Abschriften/Kopien Der Anwalt darf sich Aufzeichnungen aus der Personalakte machen und Abschriften einzelner Schriftstücke (auch aller Schriftstücke) fertigen (Absatz 3). Er kann die Personalakte oder Teile derselben kopieren (in der Kammer und gegen Kostenerstattung). Einen Rechtsanspruch soll er für die Kopiermöglichkeit nach einhelliger Meinung nicht haben.5 Das wirkt ein wenig antiquiert. Wenn der Anwalt die Kopiekosten trägt, sollte man ihm anstelle einer handgeschriebenen Abschrift die Möglichkeit der Kopie zubilligen. von Referendaren 59 BRAO Ausbildung Der Rechtsanwalt soll in angemessenem Umfang an der Ausbildung 1
der Referendare mitwirken. 2Er hat den Referendar, der im Vorbereitungsdienst bei ihm beschäftigt ist, in den Aufgaben eines Rechtsanwalts zu unterweisen, ihn anzuleiten und ihm Gelegenheit zu praktischen Arbeiten zu geben. 3Gegenstand der Ausbildung soll insbesondere sein die gerichtliche und außergerichtliche Anwaltstätigkeit, der Umfang mit Mandanten, das anwaltliche Berufsrecht und die Organisation einer Anwaltskanzlei. A. Funktion der Vorschrift. . . . . . . . .
1
B. Ausbildungsverpflichtung. . . . . . . . I. § 59 S. 1 BRAO als Sollvorschrift . . . . . II. Zuweisung von Referendaren . . . . . .
2 2 3
C. Rechtsverhältnis zwischen Anwalt und Referendar . . . . . . . . . I. Referendar . . . . . . . . . . . 1. Referendar . . . . . . . . . . . 2. Vorbereitungsdienst . . . . . . .
. . . .
. . . .
. . . .
4 5 5 6
1 Wenig verständlich lässt das Schrifttum die berufsrechtlichen Kompetenz allein genügen, vgl. Feuerich/ Weyland, § 58 Rz. 17; Hartung/Scharmer, § 58 Rz. 14. Früher schon in diesem Sinne Henssler/Prütting/ Hartung, § 58 Rz. 9. 2 Zur Parallelgeltung des BDSG allgemein s. Simitis/Walz, § 1 BDSG Rz. 183. 3 Vgl. § 56 BRAO Rz. 19. 4 S. dazu Nieders. AGH, BRAK-Mitt. 2012, 230 und § 19 BORA mit Rz. 25. 5 S. etwa Feuerich/Weyland, § 58 Rz. 19.
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19
§ 59 BRAO Rz. 1
Ausbildung von Referendaren
II. Rechtsverhältnis . . . . . . . . . . . . D. Ausbildungspflicht . . . . . . . . I. Gegenstände. . . . . . . . . . . II. Konkurrierende Pflichtenkataloge . 1. Inhaltliche Pflichten . . . . . . . 2. Ordnungspflichten . . . . . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
7 8 8 9 9 10
E. Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . I. Berufspflichten . . . . . . . . . . . . II. Pflichten aus dem öffentlich-rechtlichen Ausbildungsverhältnis . . . . . . . . .
11 11 12
§ 28 BORA Ausbildungsverhältnisse (S. 881 ff.)
A. Funktion der Vorschrift 1
§ 59 BRAO ist durch das Gesetz zur Reform der Juristenausbildung neu gefasst worden.1 Das Gesetz zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts hat zudem § 59 Abs. 2 BRAO mit Wirkung zum 18.12.2007 aufgehoben.2 In der Amtlichen Begründung zu § 59 Abs. 1 BRAO hatte es geheißen: „Mit dem neuen § 59 Abs. 1 S. 1 soll daher die grundsätzliche Pflicht jeder Rechtsanwältin und jedes Rechtsanwalts3 festgeschrieben werden, in angemessenem Umfang an der Ausbildung der Referendarinnen und Referendare mitzuwirken“.4 Diesem vollmundigen Satz folgt allerdings sogleich die Einschränkung „eine durchsetzbare individuelle Verpflichtung auszubilden (werde) nicht begründet“.5 Insoweit soll § 59 BRAO lediglich Signalfunktion haben.6 Ob solcherart „politische Vorschriften“ wirklich rechtlichen Funktionen zugeordnet werden können, ist deshalb mehr als fraglich.7 B. Ausbildungsverpflichtung I. § 59 S. 1 BRAO als Sollvorschrift
2
Es ist, trotz der Gestaltung des § 59 BRAO als Sollvorschrift (die im Übrigen anerkanntermaßen auf Regelhaftigkeit verweist)8 allgemein anerkannte Auffassung dass es überhaupt keine Ausbildungsverpflichtung im Rechtssinne für den Anwalt gibt. Damit wird jedoch die Amtliche Begründung an die Stelle des Gesetzestextes gesetzt. Rechtsvorschriften muss man ernst nehmen. Es ist deshalb davon auszugehen, dass der Anwalt an der Ausbildung von Referendaren im Regelfall mitwirken muss. Der Anwalt muss infolgedessen über nachvollziehbare Gründe verfügen, wenn er keinen Referendar ausbilden will.9 II. Zuweisung von Referendaren
3
Sollvorschriften können aber auch die Nebenfunktion haben, einen Anspruch auf Erfüllung der Regelvoraussetzungen zu verneinen.10 Daraus folgt, dass der Anwalt keinen Rechtsanspruch darauf hat, dass ihm überhaupt Referendare zur Ausbildung zugewiesen werden.11 Wird dem Anwalt allerdings ein Referendar zur Ausbildung von der Kammer zugewiesen, muss er ihn im Regelfall auch ausbilden.12 Dem Anwalt bleibt es unbenommen, auf persönliche Umstände (z.B. Krankheit), auf eine den allgemeinen Ausbildungsfunktionen im Sinne von Satz 3 entgegenstehende Spezialisierung oder das erkennbar nicht gewährleistete Vertrauensverhältnis zwischen Anwalt und Referendar hinzuweisen mit der Folge, dass die Ausbildungspflicht entfällt.13 Wo landesrechtlich vorgesehen ist, dass der Referendar den Anwalt 1 Gesetz v. 11.7.2002 (BGBl. I, S. 2592). Zur früheren Rechtslage allgemein s. auch Lingenberg/Hummel/ Zuck/Eich/Zuck, § 33 RichtlRA Rz. 7. 2 Gesetz v. 12.12.2007 (BGBl. I, S. 2840). 3 Zu diesem Bezeichnungsunfug s. Zuck, Juristischer Zeitgeist, 2007, S. 38. 4 BT-Drs. 14/7176, S. 15. 5 BT-Drs. 14/7176, S. 15. 6 Feuerich/Weyland, § 59 Rz. 2. Sehr pointiert formuliert Kleine-Cosack, Anm. zu § 59: „Die Bestimmung hat keine praktische Bedeutung“; er hat deshalb auf jede Kommentierung verzichtet. 7 S. Rz. 2, 3. 8 Abweichungen von der Regel sind deshalb nur in atypischen Fällen zulässig, Kopp/Ramsauer, § 40 VwGO Rz. 44, st. Rspr. S. dazu auch § 56 BRAO Rz. 24. 9 A.A. Feuerich/Weyland, § 59 Rz. 2. Wie hier dagegen Hartung/Scharmer, § 59 Rz. 11. 10 Kopp/Ramsauer, § 40 VwGO Rz. 44. 11 Feuerich/Weyland, § 59 Rz. 3. 12 A.A. Feuerich/Weyland, § 59 Rz. 3. Im Normalfall darf im Übrigen nur ein Referendar zugewiesen werden. 13 Länder, die Listen ausbildungsgeeigneter Anwälte führen, können ungeeignete Anwälte aus der Liste ausschließen. Da es nicht Sache der Justizverwaltung sein kann, Qualitätskontrollen gegenüber Anwälten vorzunehmen, kommen für einen solchen Ausschluss nur Ordnungsgesichtspunkte in Betracht, also – z.B. – die Dauer der Zulassung des Anwalts zur Anwaltschaft, verwandtschaftliche oder familiäre Bezie-
878 Zuck
Ausbildung von Referendaren
Rz. 9 § 59 BRAO
für seine Pflichtstation zu benennen und dessen Einwilligungserklärung vorzulegen hat, stellt sich diese Problematik nicht. C. Rechtsverhältnis zwischen Anwalt und Referendar § 59 BRAO spricht von dem im Vorbereitungsdienst beim Anwalt beschäftigten Referendar, setzt also die dafür maßgeblichen Umstände als bekannt voraus. Das ist kurz aufzuschlüsseln.
4
I. Referendar 1. Referendar Referendar ist, wer zum Vorbereitungsdienst (§§ 5, 5b DRiG) zugelassen worden ist.1 Der Referendar bleibt auch in seiner Anwaltsstation in einem öffentlichrechtlichen Ausbildungsverhältnis zum Staat.2 Der regelt die Besoldung und die Zulässigkeit von Nebentätigkeiten, insbesondere die Frage, ob der Anwalt der Referendar eine zusätzliche Vergütung zahlen darf, und wenn, ob diese auf die staatlichen Vergütungsansprüche des Referendars anzurechnen sind. Landesrechtlich wird der Referendar zu ganztägiger Tätigkeit verpflichtet. Diese Vorgabe wird in der Praxis weitgehend missachtet.
5
2. Vorbereitungsdienst Der Vorbereitungsdienst dauert zwei Jahre (§ 5b Abs. 1 DRiG). Die Pflichtstation beim Anwalt (in unterschiedlicher landesrechtlicher Ausgestaltung) ist auf neun Monate begrenzt (§ 5b Abs. 4 S. 1 DRiG).
6
II. Rechtsverhältnis Es ist bislang nicht geklärt, welchen Rechtsstatus der Referendar im Verhältnis zu seinem Ausbilder hat. Da der Referendar unverändert auch beim Anwalt im Ausbildungsverhältnis zum Land verbleibt, ggf. auch Beamter auf Widerruf ist, bedarf die selbstverständliche Feststellung, dass der Anwalt die Tätigkeit des Referendars wie ein Arbeitgeber in Ausübung seines Direktionsrechts bestimmt, und insoweit auch gegenüber dem Referendar weisungsbefugt ist, näherer Begründung. Man kann sie nur in einer öffentlichrechtlichen Indienstnahme des Anwalts finden. Das gilt auf jeden Fall für die Pflichtstation. In der Wahlstation unterwirft sich der Anwalt einseitig den sich aus dem öffentlichrechtlichen Ausbildungsverhältnis ergebenden Pflichten.
7
D. Ausbildungspflicht I. Gegenstände Satz 2 und 3 geben einen aus sich heraus verständlichen allgemeinen Katalog der Gegenstände der Ausbildung. Er kann landesrechtlich durch verbindliche Ausbildungspläne der Justizverwaltung konkretisiert werden. Das schließt sowohl die – häufige – Scheinbeschäftigung des Referendars aus, als auch die Befassung mit bloßen Routinetätigkeiten oder mit Entlastungsaufgaben, wie z.B. im anwaltlichen Mahnwesen oder beim Erwirken von Versäumnisurteilen.
8
II. Konkurrierende Pflichtenkataloge 1. Inhaltliche Pflichten Der § 59 BRAO steht mit seinen Sätzen 2 und 3 nicht isoliert. Die Landesrechte geben ihrerseits Ausbildungsgrundsätze vor. Sie gehen zum Teil außerordentlich ins Detail, so hungen zwischen Rechtsanwalt und Referendar oder etwa dauerhafte Verstöße gegen die Pflicht, ein Zeugnis auszustellen (s. dazu Rz. 10) oder der Nachweis, der Anwalt habe gröblich gegen seine Ausbildungspflichten nach Satz 3 verstoßen. 1 Die Einzelheiten regelt das jeweilige Landesrecht, s. dazu die Nachweistabelle bei Schönfelder, Deutsche Gesetze, Nr. 97 zu § 5 DRiG und ausf. Schmidt-Räntsch, § 5b DRiG Rz. 6 ff. 2 Dienstvorgesetzter ist in der Regel der Präsident des zuständigen Landgerichts.
Zuck 879
9
§ 59 BRAO Rz. 10
Ausbildung von Referendaren
etwa die RefAusbVwV der Justizministeriums Baden-Württemberg,1 wo in Rz. 3 ins Einzelne gehende Vorgaben für die Ausbildung in der Anwaltsstation gemacht werden. Es gibt aber noch eine weitere Rechtsquelle, nämlich die in § 73 Abs. 2 Nr. 9 BRAO neu geschaffene Vorstandskompetenz (u.a.), bei Ausbildung und Prüfung der Referendare mitzuwirken. Das erlaubt auch eine inhaltliche Einwirkung auf die konkrete Ausbildung (z.B. Ausbildungspläne).2 Damit verbunden ist aber auch die Möglichkeit der finanziellen Unterstützung der Anwaltsausbildung durch die Kammer über Beiträge/Umlagen oder Leistungen aus dem Kammervermögen.3 Geht man, wie hier angenommen, von einer Indienstnahme des Anwalts im Rahmen des öffentlichrechtlichen Ausbildungsverhältnisses aus, so ist im Außenverhältnis, d.h. in Bezug auf die Verfolgung der allgemeinen Ausbildungsziele des Vorbereitungsdiensts allein das Landesrecht maßgebend. Berufsrechtlich kann dagegen dem Anwalt nur vorgegeben werden, was sich aus § 59 Satz 2, 3 BRAO ergibt. Zu einer Differenz führt das im Allgemeinen nicht, wenn man davon ausgeht, das speziellere Landesrecht akzentuiere lediglich die allgemeinen Vorgaben des § 59 BRAO. Allerdings stellt sich in diesem Zusammenhang noch einmal die Frage der Zuweisung. Nicht jede Kanzlei ist so allgemein strukturiert, dass sie – z.B. – dem forensischen Katalog der RefAusbVvW BW gerecht werden kann.4 2. Ordnungspflichten 10
Der Anwalt muss nach Ende der Ausbildung – zeitnah!5 – ein qualifiziertes Zeugnis ausstellen.6 Das Zeugnis muss sachgerecht sein, darf sich also nicht als bloßes Gefälligkeitszeugnis erweisen.7 Landesrechtlich wird oft noch ein Berichtsheft verlangt. E. Haftung I. Berufspflichten
11
Der Anwalt haftet berufsrechtlich für die Erfüllung der von ihm nach § 59 BRAO übernommenen Pflichten.8 Das gilt nicht nur bezüglich der Verletzung von Ordnungspflichten,9 sondern auch hinsichtlich der Verletzung inhaltlicher Pflichten. Das erfasst allerdings nicht die Qualität der Ausbildung. Diese lässt sich nicht verlässlich messen. II. Pflichten aus dem öffentlich-rechtlichen Ausbildungsverhältnis
12
Wenn es richtig ist, dass der Anwalt im Rahmen einer Indienstnahme staatliche (Ausbildungs-)Aufgaben wahrnimmt,10 stellt sich die Haftungsfrage auch unter dieser Vorgabe. Der Referendar, der eine schlechte Prüfungsnote erzielt hat oder durchgefallen ist, könnte einwenden, er sei nicht sachgerecht in der Anwaltsstation ausgebildet worden. Das Land könnte sich im Einzelfall auf den Standpunkt stellen, es habe die Vergütung für den Referendar für neun Monate nutzlos aufgewendet. Soweit ersichtlich, sind beide Einwände noch nie 1 V. 13.9.2002, abgedruckt bei Dürig, Gesetze des Landes Baden-Württemberg Nr. 39b. 2 S. dazu die Empfehlung der Bundesrechtsanwaltskammer für einheitliche Lerninhalte und Feingliederung in der Anwaltsausbildung, BRAK-Mitt. 2003, 168. 3 Grundsätzlich zulässig, vgl. AGH Hamburg, NJW 2004, 1174 mit Anm. v. Axmann, S. 1141; BGH, NJW 2005, 1710 mit Anm. v. Huff, S. 1692; s. dazu auch Ewer, AnwBl. 2005, 488. Im Ergebnis gebilligt durch BVerfG(K), Beschl. v. 24.8.2005 – 1 BvR 1260/05. 4 Führung von Mandantengesprächen und Fertigung entsprechender Aktenvermerke/Fertigung von Klagen und Klagerwiderungsschriftsätzen, Fertigung von Schriftsätzen in Antragsverfahren/Wahrnehmung von Gerichtsterminen mit Terminsberichten an den Mandanten/Fertigung von Rechtsmittelbegründungs- und Erwiderungsschriftsätzen. 5 = unverzüglich. Dagegen wird oft verstoßen. 6 S. dazu, unverändert aktuell, Lingenberg/Hummel/Zuck/Eich/Zuck, § 33 RichtlRA Rz. 13 f. 7 Dazu gibt es eine merkwürdige Erwartungshaltung der Referendare, der der ausbildende Anwalt leider oft genug folgt: Ein exzellentes Zeugnis wird als wesentlicher Bestandteil der Anwaltsstation angesehen. Ich bin einmal für ein „gut“ von einem Referendar scharf gerügt worden, weil in seinem Heimatort ein „sehr gut“ die übliche Note sei. Weniger als „sehr gut“ bedeute, dass der Referendar im Wesentlichen ungenügende Arbeit geleistet habe. Was er über die Verhältnisse an seinem Heimatort berichtet hat, habe ich in der Folge bestätigt gefunden. 8 Hartung/Scharmer, § 59 Rz. 16. 9 Rz. 10. 10 § 59 BRAO Rz. 7.
880 Zuck
Rz. 4 § 28 BORA/§ 59 BRAO
Ausbildungsverhältnisse
erhoben worden. Auch wenn sie im Regelfall schon in der Kausalitätsebene scheitern werden: Das ändert nichts daran, dass der ausbildende Anwalt grundsätzlich auch gegenüber dem Referendar und dem Land für die sachgerechte Erfüllung seiner Ausbildungspflichten haftet.
28 BORA Ausbildungsverhältnisse Der Rechtsanwalt hat zu gewährleisten, dass die Tätigkeit eines Auszubildenden in der Kanzlei auf die Erreichung des Ausbildungsziels ausgerichtet ist.
I. Entstehungsgeschichte . . . . . II. Funktion . . . . . . . . . . . III. Inhalt . . . . . . . . . . . . . 1. BBiG . . . . . . . . . . . . . a) Gegenstand . . . . . . . . b) Formelle Voraussetzungen . . c) Pflichten des Auszubildenden d) Ausbilderpflichten . . . . .
. . . . . . . .
. . . . . . . .
. . . . . . . .
. . . . . . . .
1 2 3 4 4 5 6 7
2. RENOPAT-V . . . . . . . . . a) Ausbildungsvertrag . . . . . b) Formalien . . . . . . . . . IV. Berufsrechtliche Vorgaben . . . 1. Gewährleistungspflicht . . . . . 2. Ausbildungsvertrag . . . . . . 3. Berufsrechtliche Überwachung . a) Überwachungsmöglichkeiten b) „Guter Anwalt“ . . . . . . .
. . . . . . . . .
. . . . . . . . .
. . . . . . . . .
. . . . . . . . .
8 8 9 10 10 11 12 12 13
I. Entstehungsgeschichte Die Ausbildung zum Rechtsanwaltsfachgehilfen war schon Gegenstand der RichtlRA.1 Diese sind auf jeden Fall durch BVerfGE 76, 171 gegenstandslos geworden. Man kann sich allerdings fragen, ob § 28 BORA eine wirklich nötige Vorschrift ist, auch wenn sie durch die Ermächtigung in § 59b Abs. 2 Nr. 8 BRAO gedeckt wird, hat sich doch gegenüber § 87 RichtlRA die Gesamtrechtslage grundlegend geändert. Die Ausbildung ist insgesamt verrechtlicht worden.2 Die inhaltlichen Vorgaben (u.a.) für die Ausbildung bestimmter nicht-anwaltlicher Fachmitarbeiter in der Anwaltskanzlei (mit Ausnahme der Referendare, vgl. § 59 BRAO) ergeben sich seitdem aus staatlichem Ausbildungsrecht, nicht aber aus anwaltlichem Berufsrecht.
1
II. Funktion Man kann deshalb fragen, welche Bedeutung der inhaltlich aussagelosen Regelung des § 28 BORA zukommt. Der Anwalt übernimmt jedoch in § 28 BORA eine Gewährleistungspflicht für die Erreichung der Ausbildungsziele. Der Inhalt dieser Gewährleistungspflicht ergibt sich aus BBiG und RENOPAT-V. § 28 BORA ist damit zwar eine unvollständige Vorschrift; sie erweist sich jedoch als dynamische Verweisungsnorm. Sie vernetzt das materielle Recht mit dem anwaltlichen Berufsrecht und stellt so sicher, dass der Kammervorstand auch die Einhaltung der Ausbildungsziel-Gewährleistung berufsrechtlich überwachen und beeinflussen kann.3
2
III. Inhalt Die zu gewährleistenden Ausbildungsziele für die Rechtsanwaltsfachangestellten4 ergeben sich aus BBiG und der RENOPAT-V.
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1. BBiG5 a) Gegenstand Nach § 1 Abs. 3 BBiG hat der Ausbilder „die für die Ausbildung einer qualifizierten beruflichen Tätigkeit in einer sich wandelnden Arbeitswelt notwendigen beruflichen Fertigkeiten, 1 Zur Vorgeschichte s. Hartung/Scharmer, § 28 BORA Rz. 11. 2 BBiG v. 23.3.2005 (BGBl. I, S. 931) i.d.F. v. 7.9.2007 (BGBl. I, S. 2246) sowie die RENOPAT-V v. 23.11.1987 (BGBl. I, S. 2392) i.d.F. v. 17.2.2008 (BGBl. I, 2566, 2739). 3 S. Rz. 10–13. 4 So die aufgrund der ÄndV v. 15.2.1995 maßgebliche Bezeichnung, s. dazu im Einzelnen Nr. 1 der ÄndV. 5 S. dazu etwa ErfK/Schlachter, Nr. 150.
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4
§ 59 BRAO/§ 28 BORA Rz. 5
Ausbildungsverhältnisse
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Kenntnisse und Fähigkeiten (berufliche Handlungsfähigkeit) in einem geordneten Ausbildungsgang zu vermitteln. Sie hat ferner den Erwerb der erforderlichen Berufserfahrungen zu ermöglichen“. b) Formelle Voraussetzungen 5
„Wer andere Personen zur Berufsausbildung einstellt (Auszubildende), hat mit dem Auszubildenden einen Berufsausbildungsvertrag zu schließen“ (§ 10 Abs. 1 BBiG). c) Pflichten des Auszubildenden
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„Auszubildende haben sich zu bemühen, die berufliche Handlungspflicht1 zu erwerben, die zum Erreichen des Ausbildungsziels erforderlich ist …“ (§ 13 Satz 1 BBiG). Näheres ergibt sich aus § 13 Satz 2 BBiG. d) Ausbilderpflichten
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„Ausbildende haben 1. dafür zu sorgen, dass dem Auszubildenden die berufliche Handlungsfähigkeit2 vermittelt wird, die zum Erreichen des Ausbildungsziels erforderlich ist, und die Berufsausbildung in einer durch ihren Zweck gebotenen Form planmäßig, zeitlich und sachlich gegliedert so durchzuführen, dass das Ausbildungsziel in der vorgesehenen Ausbildungszeit erreicht werden kann, …“. Weiteres ergibt sich aus § 14 Abs. 1 Nr. 2–5 und § 14 Abs. 2 BBiG.3 2. RENOPAT-V4 a) Ausbildungsvertrag
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Die AusbildungsV sieht vor, dass die Ausbildung – drei Jahre dauert (§ 3 RENOPAT-V), – mindestens die folgenden Fertigkeiten und Kenntnisse vermittelt: Stellung des Rechtsanwalts, des Notars und des Patentanwalts; Büropraxis und -organisation; Aufgaben und Aufbau der Rechtspflege (§ 4 RENOPAT-V), – für die Rechtsanwaltsfachangestellten: fallbezogene Rechtsausbildung im bürgerlichen Recht und Handelsrecht sowie im Arbeits- und Sozialrecht, im Zivil-, Straf- und Bußgeldverfahren sowie im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit; Rechtsanwaltsvergütungsund Notarkostenrecht; Mitarbeit im gerichtlichen Mahnverfahren; Bearbeitung von Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzangelegenheiten; Grundlagen der besonderen Gerichtszweige (§ 5 RENOPAT-V). b) Formalien
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Es muss ein Ausbildungsplan erstellt werden (§ 10 RENOPAT-V), außerdem ist ein Berichtsheft in Form eines Ausbildungsnachweises zu führen (§ 11 S. 1 RENOPAT-V). Die Ausbildung wird mit einer Prüfung abgeschlossen (§§ 13 ff. RENOPAT-V). Es ist bei Beendigung des Ausbildungsverhältnisses ein qualifiziertes (§ 16 Abs. 2 BBiG) schriftliches Zeugnis auszustellen (§ 16 Abs. 1 BBiG). IV. Berufsrechtliche Vorgaben 1. Gewährleistungspflicht
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Der Anwalt hat eine Gewährleistungspflicht. Der Pflichteninhalt bezieht sich aber nicht, wie in § 14 BBiG auf die „Sorge“ um die Vermittlung der beruflichen Handlungsfähig1 § 1 Abs. 3 BBiG, vgl. Rz. 4. 2 § 1 Abs. 3 BBiG, vgl. Rz. 4. 3 Jeder Anwalt hat die fachliche Eignung zur Ausbildung, § 30 Abs. 4 Nr. 3 BBiG. Das ist ganz allgemein von der „Ausübung eines freien Berufs“ gedeckt. Diese Voraussetzung wird durch die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft erfüllt. Eine Eignungskontrolle nach § 32 BBiG obliegt der Kammer deshalb nicht. 4 Sie beruht auf der Ermächtigungsnorm des § 25 BBiG.
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Ausbildungsverhältnisse
Rz. 13 § 28 BORA/§ 59 BRAO
keit,1 sondern nur auf die erforderliche „Ausrichtung“ auf das Erreichen des Ausbildungsziels. Berufsrechtlich genügen also die sachgerechten Bemühungen des Anwalts.2 2. Ausbildungsvertrag Die allgemeinen Gewährleistungspflichten erfassen auch die formellen Voraussetzungen der Ausbildung, wie etwa den Ausbildungsvertrag.3 Das gilt auch für die Angemessenheit der Vergütung (§§ 17 ff. BBiG). Nach § 87 Abs. 1 BBiG ist die Rechtsanwaltskammer die für die Berufsausübung der Rechtsanwaltsfachangestellten zuständige Stelle. Die Kammer regelt deshalb auch inhaltlich, soweit Berufsbildungsgesetz und RENOPAT-V oder sonstiges Recht keine Sonderregelungen enthalten, die Durchführung der Berufsausbildung (§ 71 Abs. 4 BBiG). Die Kammern stellen in diesem Zusammenhang – zum Teil – ein Muster für einen Ausbildungsvertrag zur Verfügung. Sie haben auch vielfach Empfehlungen zur Höhe der angemessenen Vergütung4 ausgesprochen. Diese Empfehlungen sind, wie schon die Bezeichnung „Empfehlung“ belegt, ohne Rechtsverbindlichkeit.5 Die Kammer kann deshalb die Eintragung in das BBiG nicht von der Verwendung des von ihr zur Verfügung gestellten Vertragsmusters oder der Einhaltung von Vergütungsmindestsätzen6 abhängig machen. Die Verwendung des Vertragsmusters empfiehlt sich allerdings für den Ausbilder. Auch die Mindestsätze der Kammer sind meist fair.7
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3. Berufsrechtliche Überwachung a) Überwachungsmöglichkeiten Wie auch sonst lassen sich die formellen Erfordernisse der Ausbildung (z.B. Arbeitsvertrag, Schulbesuch, Berichtsheft, Zeugnis) überwachen, aber nicht die inhaltlichen. Ihre Erfüllung wird vielfach auch gar nicht möglich sein: Es ist nicht zu erkennen, wie der Allgemeinanwalt Fertigkeiten und Kenntnisse des Patentanwalts (§ 4 Nr. 1 RENOPAT-V) vermitteln soll. Man muss sich auch fragen, ob der durchschnittliche Praktiker etwas vom Sozialrecht weiß (§ 5 Nr. 2 RENOPAT-V) oder von den Grundlagen der besonderen Gerichtszweige, z.B. der Verfassungsgerichtsbarkeit (§ 5 Nr. 6 RENOPAT-V). Gelegentlich kann man insoweit auch fragen, wie weit die Kenntnisse der überwachenden Stelle überhaupt reichen. Zwar ist gegen die Vollständigkeit8 der Ausbildungsziele nichts einzuwenden. Aber selbst die Beschränkung auf das bloße Bemühen des Ausbilders zur Erreichung der Ausbildungsziele9 ist nicht überwachbar. Insoweit ist es richtig, dass § 28 BORA praktisch leerläuft, aber eben auch nur insoweit. Bloße Appellfunktion10 hat die Vorschrift schon deshalb nicht, weil die Einhaltung der formellen Voraussetzungen der Berufsausbildung kontrollierbar bleibt.11
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b) „Guter Anwalt“12 Aber auch wenn der Anwalt sich materiellrechtlich in einem nicht kontrollierbaren (Frei)Raum bewegt, sollte er zweierlei nicht außer Acht lassen. Er selbst muss sich, wenn er professionell arbeiten will, ständig fort- und weiterbilden, heute mehr denn je.13 Die Fortbil1 2 3 4 5 6 7 8
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S. Rz. 4. Darauf weist richtig hin Hartung/Römermann/Scharmer, § 28 BORA Rz. 12. Oder die Gewährleistung der Einhaltung der Schulpflicht des Auszubildenden. S.a. Rz. 8, 9. S. Rz. 11. Das hat BVerwGE 62, 117 ausdrücklich festgestellt. Die Entscheidung ist zwar zu § 10 BBiG a.F. (vom 14.8.1969, BGBl. I S. 1112) ergangen. Ein sachlicher Unterschied zu §§ 13 ff. BBiG n.F. besteht jedoch nicht. Zu deren arbeitsrechtlicher Beurteilung und der Zulässigkeit einer Unterschreitung s. etwa BAG, NZA 1991, 773; 1996, 698 – beide zu § 10 BBiG a.F. Im Übrigen ist die Kammer unabhängig von etwaigen Empfehlungen stets befugt, die Angemessenheit der Vergütung zu prüfen, so zu Recht Feuerich/Weyland, § 89 Rz. 29. Wie vollständig auch immer: Die Verwaltungsgerichtsbarkeit und das Verwaltungsverfahren fehlen in § 5 RENOPAT-V überhaupt. Die Verfassungsgerichtsbarkeit taucht nur – indirekt – bei den „Grundlagen der besonderen Gerichtszweige“ in § 5 Nr. 6 RENOPAT-V auf. Wer also in einer öffentlichrechtlichen Kanzlei ausgebildet wird, der hat – sachbezogen – nur die Ausbildung in „Grundlagen“, also so gut wie gar nichts. S. Rz. 10. Henssler/Prütting/Hartung, § 28 BORA Rz. 2. S. Rz. 11. Vgl. § 43 BRAO Rz. 26. § 43a BRAO Rz. 109–121.
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§ 59a BRAO
Berufliche Zusammenarbeit
dungsmöglichkeit sollte er auch seinen Auszubildenden zur Verfügung stellen. Und dann sollte der Anwalt nicht außer Acht lassen, dass der „Zugang zum Machthaber“1 über sein Personal geht, ebenso wie der praktische Teil der Mandatsabwicklung. Das Anwaltspersonal ist mehr als die in diesem Zusammenhang viel apostrophierte Visitenkarte der Kanzlei. Es ist vielmehr ein wesentlicher Faktor der Mandantenzufriedenheit.2 Gute Ausbildung ist zwar aufwendig, aber der Aufwand rechnet sich. Zusammenarbeit 59a BRAO Berufliche (1) Rechtsanwälte dürfen
1 sich mit Mitgliedern einer Rechtsanwaltskammer und der Patentanwaltskammer, mit Steuerberatern, Steuerbevollmächtigten, Wirtschaftsprüfern und vereidigten Buchprüfern zur gemeinschaftlichen Berufsausübung im Rahmen der eigenen beruflichen Befugnisse verbinden. 2§ 137 Abs. 1 Satz 2 der Strafprozessordnung und die Bestimmungen, die die Vertretung bei Gericht betreffen, stehen nicht entgegen. 3Rechtsanwälte, die zugleich Notar sind, dürfen eine solche Verbindung nur bezogen auf ihre anwaltliche Berufsausübung eingehen. 4Im Übrigen richtet sich die Verbindung mit Rechtsanwälten, die zugleich Notar sind, nach den Bestimmungen und Anforderungen des notariellen Berufsrechts.
(2) Eine gemeinschaftliche Berufsausübung ist Rechtsanwälten auch gestattet: 1. mit Angehörigen von Rechtsanwaltsberufen aus Staaten, die nach dem Gesetz über die Tätigkeit europäischer Rechtsanwälte in Deutschland oder nach § 206 berechtigt sind, sich im Geltungsbereich dieses Gesetzes niederzulassen und ihre Kanzlei im Ausland unterhalten, 2. mit Patentanwälten, Steuerberatern, Steuerbevollmächtigten, Wirtschaftsprüfern oder vereidigten Buchprüfern anderer Staaten, die einen in der Ausbildung und den Befugnissen den Berufen nach der Patentanwaltsordnung, dem Steuerberatungsgesetz oder der Wirtschaftsprüferordnung entsprechenden Beruf ausüben und mit Patentanwälten, Steuerberatern, Steuerbevollmächtigten, Wirtschaftsprüfern oder vereidigten Buchprüfern im Geltungsbereich dieses Gesetzes ihren Beruf gemeinschaftlich ausüben dürfen. (3) Für Bürogemeinschaften gelten die Absätze 1 und 2 entsprechend. A. Allgemeines/Historie . . . . . . . . . .
1
B. Zweck der Norm . . . . . . . . . . . . I. Zweck der einzelnen Teilregelungen . . . II. Charakter und Reichweite . . . . . . .
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C. Einzelheiten der Regelung . . . . . . . I. Grundtypen der beruflichen Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Berufsausübungsgemeinschaft . . . . . a) Begriff . . . . . . . . . . . . . . . b) Beispiele . . . . . . . . . . . . . . c) Dauerhaftigkeit . . . . . . . . . . . d) Zusammensetzung . . . . . . . . . e) Abgrenzung . . . . . . . . . . . . 2. Bürogemeinschaft . . . . . . . . . . . a) Begriff . . . . . . . . . . . . . . . b) Abgrenzung . . . . . . . . . . . . 3. Kooperation . . . . . . . . . . . . . . II. Gesellschaftsrechtliche Grundlagen . . . 1. Klassische Anwaltssozietät (GbR). . . . a) Herkömmliches Verständnis . . . . . b) Rechtsfähigkeit und Neuausrichtung der Haftungsverfassung . . . . . . . c) Haftung bei Eintritt in bzw. Austritt aus der Sozietät. . . . . . . . . . . d) Keine gesetzliche Haftungskonzentration . . . . . . . . . . . . . . . .
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e) Summenmäßige Haftungsbeschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . f) Vertragliche Haftungskonzentration . g) Scheinsozietät . . . . . . . . . . . 2. Partnerschaft . . . . . . . . . . . . . a) Rechtsnatur . . . . . . . . . . . . b) Entstehung. . . . . . . . . . . . . c) Geschäftsführung, Vertretung . . . . d) Haftungsverfassung . . . . . . . . . e) Scheinpartnerschaft. . . . . . . . . f) Gesetzliche Haftungskonzentration . g) Summenmäßige Haftungsbeschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . h) Steuerrechtliche Behandlung . . . . 3. Personenhandels- und Anwaltskapitalgesellschaften . . . . . . . . . . . . . a) Personenhandelsgesellschaften . . . b) Anwalts-GmbH . . . . . . . . . . . c) Anwalts-AG . . . . . . . . . . . . aa) Verfassungsrechtliche Herleitung der Zulässigkeit . . . . . . . . . bb) Behandlung „in Anlehnung an die Anwalts-GmbH“ . . . . . . . . cc) Zulassungsvoraussetzungen im Einzelnen . . . . . . . . . . . 4. Bürogemeinschaft . . . . . . . . . . . a) Rechtliche Einordnung . . . . . . .
33 34 35 36 36 37 38 39 40 41 42 43 44 44 45 46 47 48 49 51 51
1 Ein allgemein vernachlässigtes Thema, vgl. C. Schmitt, Gespräch über die Macht und den Zugang zum Machthaber, 1954. 2 Hommerich/Kilian, AnwBl. 2008, 456.
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§ 59a BRAO
Berufliche Zusammenarbeit
dungsmöglichkeit sollte er auch seinen Auszubildenden zur Verfügung stellen. Und dann sollte der Anwalt nicht außer Acht lassen, dass der „Zugang zum Machthaber“1 über sein Personal geht, ebenso wie der praktische Teil der Mandatsabwicklung. Das Anwaltspersonal ist mehr als die in diesem Zusammenhang viel apostrophierte Visitenkarte der Kanzlei. Es ist vielmehr ein wesentlicher Faktor der Mandantenzufriedenheit.2 Gute Ausbildung ist zwar aufwendig, aber der Aufwand rechnet sich. Zusammenarbeit 59a BRAO Berufliche (1) Rechtsanwälte dürfen
1 sich mit Mitgliedern einer Rechtsanwaltskammer und der Patentanwaltskammer, mit Steuerberatern, Steuerbevollmächtigten, Wirtschaftsprüfern und vereidigten Buchprüfern zur gemeinschaftlichen Berufsausübung im Rahmen der eigenen beruflichen Befugnisse verbinden. 2§ 137 Abs. 1 Satz 2 der Strafprozessordnung und die Bestimmungen, die die Vertretung bei Gericht betreffen, stehen nicht entgegen. 3Rechtsanwälte, die zugleich Notar sind, dürfen eine solche Verbindung nur bezogen auf ihre anwaltliche Berufsausübung eingehen. 4Im Übrigen richtet sich die Verbindung mit Rechtsanwälten, die zugleich Notar sind, nach den Bestimmungen und Anforderungen des notariellen Berufsrechts.
(2) Eine gemeinschaftliche Berufsausübung ist Rechtsanwälten auch gestattet: 1. mit Angehörigen von Rechtsanwaltsberufen aus Staaten, die nach dem Gesetz über die Tätigkeit europäischer Rechtsanwälte in Deutschland oder nach § 206 berechtigt sind, sich im Geltungsbereich dieses Gesetzes niederzulassen und ihre Kanzlei im Ausland unterhalten, 2. mit Patentanwälten, Steuerberatern, Steuerbevollmächtigten, Wirtschaftsprüfern oder vereidigten Buchprüfern anderer Staaten, die einen in der Ausbildung und den Befugnissen den Berufen nach der Patentanwaltsordnung, dem Steuerberatungsgesetz oder der Wirtschaftsprüferordnung entsprechenden Beruf ausüben und mit Patentanwälten, Steuerberatern, Steuerbevollmächtigten, Wirtschaftsprüfern oder vereidigten Buchprüfern im Geltungsbereich dieses Gesetzes ihren Beruf gemeinschaftlich ausüben dürfen. (3) Für Bürogemeinschaften gelten die Absätze 1 und 2 entsprechend. A. Allgemeines/Historie . . . . . . . . . .
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B. Zweck der Norm . . . . . . . . . . . . I. Zweck der einzelnen Teilregelungen . . . II. Charakter und Reichweite . . . . . . .
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C. Einzelheiten der Regelung . . . . . . . I. Grundtypen der beruflichen Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Berufsausübungsgemeinschaft . . . . . a) Begriff . . . . . . . . . . . . . . . b) Beispiele . . . . . . . . . . . . . . c) Dauerhaftigkeit . . . . . . . . . . . d) Zusammensetzung . . . . . . . . . e) Abgrenzung . . . . . . . . . . . . 2. Bürogemeinschaft . . . . . . . . . . . a) Begriff . . . . . . . . . . . . . . . b) Abgrenzung . . . . . . . . . . . . 3. Kooperation . . . . . . . . . . . . . . II. Gesellschaftsrechtliche Grundlagen . . . 1. Klassische Anwaltssozietät (GbR). . . . a) Herkömmliches Verständnis . . . . . b) Rechtsfähigkeit und Neuausrichtung der Haftungsverfassung . . . . . . . c) Haftung bei Eintritt in bzw. Austritt aus der Sozietät. . . . . . . . . . . d) Keine gesetzliche Haftungskonzentration . . . . . . . . . . . . . . . .
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e) Summenmäßige Haftungsbeschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . f) Vertragliche Haftungskonzentration . g) Scheinsozietät . . . . . . . . . . . 2. Partnerschaft . . . . . . . . . . . . . a) Rechtsnatur . . . . . . . . . . . . b) Entstehung. . . . . . . . . . . . . c) Geschäftsführung, Vertretung . . . . d) Haftungsverfassung . . . . . . . . . e) Scheinpartnerschaft. . . . . . . . . f) Gesetzliche Haftungskonzentration . g) Summenmäßige Haftungsbeschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . h) Steuerrechtliche Behandlung . . . . 3. Personenhandels- und Anwaltskapitalgesellschaften . . . . . . . . . . . . . a) Personenhandelsgesellschaften . . . b) Anwalts-GmbH . . . . . . . . . . . c) Anwalts-AG . . . . . . . . . . . . aa) Verfassungsrechtliche Herleitung der Zulässigkeit . . . . . . . . . bb) Behandlung „in Anlehnung an die Anwalts-GmbH“ . . . . . . . . cc) Zulassungsvoraussetzungen im Einzelnen . . . . . . . . . . . 4. Bürogemeinschaft . . . . . . . . . . . a) Rechtliche Einordnung . . . . . . .
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1 Ein allgemein vernachlässigtes Thema, vgl. C. Schmitt, Gespräch über die Macht und den Zugang zum Machthaber, 1954. 2 Hommerich/Kilian, AnwBl. 2008, 456.
884 Bormann
Rz. 2 § 59a BRAO
Berufliche Zusammenarbeit b) Abgrenzung . . . . . . . . . . . . c) Innen- bzw. Außengesellschaft . . . . 5. EWIV . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Berufsrechtliche Vorgaben für Berufsausübungsgemeinschaften . . . . . . . . . 1. Allgemeine Regelungen . . . . . . . . . a) Zusammensetzung . . . . . . . . . b) Aufhebung des Verbots der Sternsozietät . . . . . . . . . . . . . . aa) Frühere Rechtslage . . . . . . . bb) Jetzige Rechtslage . . . . . . . c) Scheinsozietät . . . . . . . . . . . d) Mischsozietät. . . . . . . . . . . . e) Vertretung widerstreitender Interessen aa) Rechtstatsächlicher Hintergrund . bb) Verfassungsgerichtliche Vorgaben cc) Neufassung der Berufsordnung . . dd) Praktische Konsequenzen . . . . f) Sonstige Tätigkeitsverbote . . . . . g) Verschwiegenheitspflicht, Zeugnisverweigerungsrecht und Beschlagnahmeverbot . . . . . . . . . . . . . . . 2. Überörtliche Berufsausübungsgemeinschaften . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zulässigkeit . . . . . . . . . . . . b) Verantwortliche Leitung jedes Kanzleistandorts durch einen Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . c) Intraurbane Berufsausübungsgemeinschaften . . . . . . . . . . . . . . d) Besonderheiten bei überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaften . . . 3. Interprofessionelle Berufsausübungsgemeinschaften . . . . . . . . . . . . a) Zulässigkeit . . . . . . . . . . . . b) Reichweite . . . . . . . . . . . . . c) Rechtsform . . . . . . . . . . . . . d) Berufsrechtliche Bindungen . . . . . e) Anwaltsnotar . . . . . . . . . . . . f) Künftige Entwicklung . . . . . . . .
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aa) Ursprünglich geplante Neuregelung . . . . . . . . . . . . bb) Korrektur im Gesetzgebungsverfahren und neue Ansätze in der Rechtsprechung . . . . . . . . 4. Internationale Berufsausübungsgemeinschaften . . . . . . . . . . . . . . . . a) Monoprofessionelle Berufsausübungsgemeinschaften . . . . . . . . . . . b) Interprofessionelle Berufsausübungsgemeinschaften . . . . . . . . . . . c) Berufskollisionsrecht . . . . . . . . d) Beschränkung interprofessioneller Zusammenschlüsse . . . . . . . . . e) Grenzüberschreitende Interessenkonflikte . . . . . . . . . . . . . . f) Anknüpfung der Mandatsverhältnisse. IV. Berufsrechtliche Vorgaben für Bürogemeinschaften . . . . . . . . . . . . 1. Zusammensetzung . . . . . . . . . . . 2. Verschwiegenheitspflicht . . . . . . . . 3. Tätigkeitsverbote . . . . . . . . . . . § 8 BORA
Kundgabe gemeinschaftlicher Berufsausübung und anderer beruflicher Zusammenarbeit (S. 919 ff.)
§ 9 BORA
Kurzbezeichnungen (S. 921 ff.)
92 93 93 94 95 97 98 99 100 100 101 102
§ 10 BORA Briefbögen (S. 923 ff.)
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§ 27 BORA Beteiligung Dritter (S. 928 f.)
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§ 30 BORA Zusammenarbeit mit Angehörigen anderer Berufe (S. 929 ff.)
85 85 86 87 88 89 90
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§ 31 BORA (aufgehoben) (S. 934) § 32 BORA Beendigung einer beruflichen Zusammenarbeit (S. 934 ff.) § 33 BORA Geltung der Berufsordnung bei beruflicher Zusammenarbeit (S. 941 ff.)
A. Allgemeines/Historie Das Recht der beruflichen Zusammenarbeit hat für die Verfassung der Rechtsanwaltschaft und für die Entwicklung des Anwaltsmarkts herausragende Bedeutung.1 Gesellschaftsrechtliche und sonstige schuldvertragliche Vereinbarungen mit anderen Anwälten und berufsfremden Dritten über die gemeinsame Erbringung von Rechtsdienstleistungen bestimmen das wirtschaftliche und organisatorische Umfeld der anwaltlichen Berufsausübung und sind für Unabhängigkeit und Objektivität des einzelnen Berufsträgers ggf. von entscheidendem Einfluss. Berufliche Zusammenschlüsse können ferner Konzentrationstendenzen begünstigen und damit jedenfalls in bestimmten Bereichen des Rechtsberatungsmarktes die Marktstrukturen prägen. Zur Gewährleistung unabhängiger und objektiver Beratung im Interesse der rechtsuchenden Bevölkerung und der rechtsuchenden Unternehmen und damit im Interesse eines geordneten Funktionierens des gesamten Rechtspflegesystems greift der Staat regulierend in den Bereich der beruflichen Zusammenarbeit ein.
1
Das deutsche Berufsrecht stand beruflichen Zusammenschlüssen traditionell skeptisch gegenüber. Problematisch erschien die Bildung von Sozietäten zum einen unter dem Gesichtspunkt des freiberuflichen Charakters der Anwaltstätigkeit, zum anderen im Hinblick auf die anwaltliche Unabhängigkeit.2 Noch in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts glaubte man, dass sich der Anwalt nicht „zur großbetrieblichen Konzentration“ eigne. Man fürchtete das Aufkommen „mechanischer Betriebsamkeit und geschäftsmäßiger Routi-
2
1 Stürner/Bormann, NJW 2004, 1481 (1483 ff., 1490 f.); s. auch Henssler/Streck/Henssler, Kap. A Rz. 3 ff.; Knöfel, Grundfragen, S. 93 ff., 105 ff. 2 Lingenberg/Hummel/Zuck/Eich/Zuck, § 28 Rz. 3, 60 f.
Bormann 885
§ 59a BRAO Rz. 3
Berufliche Zusammenarbeit
ne“, welche die für den Freiberufler charakteristische persönliche Dienstleistung verdrängen könnten.1 Auch die BRAO ging 1959 noch von der Vorstellung des Einzelanwalts aus.2 Neben der auf die gemeinsame Nutzung von Büroräumen und -einrichtungen beschränkten Bürogemeinschaft kam nach traditioneller Vorstellung deshalb lediglich die Verbindung gleichberechtigter Partner zu einer GbR in Betracht, bei der die Gesellschafter dem Mandanten für die Qualität der anwaltlichen Dienstleistung gesamtschuldnerisch einzustehen hatten.3 Weil der Rechtsanwalt am Ort seiner Zulassung eine Kanzlei unterhalten musste und weil ihm die Einrichtung von Zweigstellen verboten war, hielt die herrschende Meinung überörtliche Sozietäten für unzulässig. Außerdem wollte man den Eindruck eines „filialmäßig eingerichteten Gewerbebetriebes“ vermeiden.4 Den Auftakt für einschneidende Veränderungen machte im Anschluss an eine entsprechende Empfehlung der Rechtsanwaltskammer Düsseldorf der BGH mit einem Beschluss vom 18.9.1989,5 mit dem er überörtliche Sozietäten für zulässig erklärte. Die Kanzleipflicht und das seinerzeitige Zweigstellenverbot galten nach Auffassung des BGH nur für den einzelnen Anwalt, nicht aber für die Sozietät als solche. Das in den Standesrichtlinien enthaltene Erfordernis der „gemeinsamen Kanzlei“ sei mit den beiden Grundsatzentscheidungen des BVerfG vom 14.7.19876 zur Verfassungswidrigkeit des anwaltlichen Standesrechts hinfällig geworden. Solange der Anwalt selbst nur einen Sitz habe, stehe dem Zusammenschluss mit Kollegen an anderen Orten (und im Ausland) nichts entgegen. Damit war der Weg für die Bildung nationaler und internationaler Großkanzleien in Deutschland geebnet.7 B. Zweck der Norm I. Zweck der einzelnen Teilregelungen 3
Normzweck des § 59a BRAO ist ausweislich der Gesetzesbegründung die Schaffung von „gesetzliche[n] Regeln der Zusammenarbeit von Rechtsanwälten untereinander und mit Angehörigen anderer Berufsgruppen auf örtlicher, überörtlicher und internationaler Ebene“.8
4
§ 59a Abs. 1 BRAO enthält zunächst eine abschließende Aufzählung derjenigen Berufe, mit deren Angehörigen sich Anwälte zur gemeinschaftlichen Berufsausübung zusammenschließen dürfen.
5
§ 59a Abs. 1 S. 2 BRAO stellt klar, dass Bestimmungen, die die Vertretung bei Gericht betreffen, die Sozietätsfähigkeit nicht einschränken: Nach der früher herrschenden Lehre von der Doppelverpflichtung wurde das für die Anwaltssozietät in der Form der GbR konstitutive Merkmal der gemeinsamen Entgegennahme von Aufträgen in Frage gestellt, sofern einzelne Mitglieder in dem betreffenden Verfahren wegen zahlenmäßiger Beschränkung der Wahlverteidiger nach § 137 Abs. 1 S. 2 StPO nicht auftreten durften bzw. vor dem erkennenden Gericht nicht postulationsfähig waren (§ 78 ZPO a.F.). Gemäß § 59a Abs. 1 S. 2 BRAO kam das Mandatsverhältnis auch in diesen Fällen mit sämtlichen anwaltlichen Sozien zustande. Die gesamtschuldnerische Haftung für einen von der Sozietät entgegengenommenen Auftrag erstreckte sich mithin auch hier auf sämtliche anwaltlichen Mitglieder der Sozietät – auch auf solche, die in dem betreffenden Verfahren nicht auftreten durften, was nach Aufhebung von Lokalisationsprinzip9 und Singularzulassung beim OLG10 auch in Zivilsachen freilich ohnehin nur noch selten vorkam. Mit der neuen Rechtsprechung des BGH11 zur Rechts- und Parteifähigkeit der GbR und zur akzessorischen Haftung der Gesellschafter analog § 128 HGB ist die Vorschrift mittlerweile überholt. 1 Feuchtwanger, S. 290 f. 2 Feuerich/Weyland/Vossebürger, § 1 Rz. 27. 3 BGHZ 56, 355 (357 ff.); Lingenberg/Hummel/Zuck/Eich/Zuck, § 28 Rz. 4 ff., 49 ff.; Friedlaender, Exkurs zu § 40 Rz. 3, 15. 4 §§ 27, 28 BRAO a.F.; Lingenberg/Hummel/Zuck/Eich/Zuck, § 28 Rz. 9. 5 BGHZ 108, 290 (293 ff.). 6 BVerfGE 76, 171 (184 ff.) und 76, 196 (205). 7 Knöfel, S. 547 ff. m.w.N.; Bormann, ZZPInt 8 (2003), 3 (18 ff.).; s.a. Römermann, AnwBl. 2009, 681 f. 8 BT-Drs. 12/4993, S. 33. 9 Zur Neufassung von § 78 ZPO durch das RABerufsRNeuOG v. 17.12.1999 (BGBl. I, S. 2448) und das OLGVertrÄndG v. 23.7.2002 (BGBl. I, S. 2850); Zöller/Vollkommer, § 78 ZPO Rz. 2. 10 Zur Verfassungswidrigkeit des Verbots der Simultanzulassung beim LG und OLG: BVerfGE 103, 1 (13 ff.); formal aufgehoben wurde § 25 BRAO a.F. erst durch das Gesetz zur Stärkung der Selbstverwaltung der Rechtsanwaltschaft v. 26.3.2007 (BGBl. I, S. 358). 11 BGHZ 142, 315 (319); 146, 341 (344 ff.).
886 Bormann
Berufliche Zusammenarbeit
Rz. 11 § 59a BRAO
Im Hinblick auf den öffentlich-rechtlichen Charakter des Notaramtes und die originär staatlichen Funktionen des Notars stellt § 59a Abs. 1 S. 3 BRAO klar, dass sich Anwaltsnotare allein in ihrer Eigenschaft als Rechtsanwalt mit anderen Rechtsanwälten oder sozietätsfähigen Berufen zum Zwecke der beruflichen Zusammenarbeit zusammenschließen dürfen. Für die Frage, ob und in welchem Umfang derartige Zusammenschlüsse für Anwaltsnotare zulässig sind, verweist § 59a Abs. 1 S. 4 BRAO auf das notarielle Berufsrecht.
6
§ 59a Abs. 2 BRAO regelt die Zulässigkeit internationaler Berufsausübungsgemeinschaften mit Rechtsanwälten aus anderen Ländern (Nr. 1) bzw. mit den Angehörigen sozietätsfähiger Berufe im Ausland, sofern jene nach Ausbildung und Befugnissen über eine vergleichbare Position wie inländische Berufsträger verfügen (Nr. 2).
7
Demgegenüber enthält § 59a BRAO nach der Aufhebung von Absatz 2 a.F. durch das Gesetz zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts v. 12.12.20071 keine Regelung mehr, die überörtliche oder intraurbane Berufsausübungsgemeinschaften (Berufsausübungsgemeinschaften an einem Ort mit mehreren Kanzleien) ausdrücklich für zulässig erklärt. Nachdem jeder Anwalt jedoch nunmehr bereits als Einzelperson beliebig viele Zweigstellen an unterschiedlichen Orten einrichten darf,2 wird man ihm erst recht die Befugnis zur Eingehung überörtlicher bzw. intraurbaner Berufsausübungsgemeinschaften einräumen müssen. Weil die Zulässigkeit überörtlicher bzw. intraurbaner Berufsausübungsgemeinschaften heute allgemein anerkannt ist und weil es künftig allein „der Verantwortung des einzelnen Rechtsanwalts obliegen“ soll, „wie er seine Tätigkeit organisiert“,3 hielt der Gesetzgeber eine ausdrückliche Regelung zur überörtlichen Sozietät offenbar für verzichtbar.
8
§ 59a Abs. 3 BRAO regelt die Bürogemeinschaft und beschränkt diese ebenfalls auf die in § 59a Abs. 1 und Abs. 2 BRAO aufgezählten sogenannten sozietätsfähigen Berufe, weil bisher nur jene einer vergleichbaren Verschwiegenheitspflicht wie der Rechtsanwalt unterliegen bzw. vergleichbare Zeugnisverweigerungsrechte und Beschlagnahmeverbote geltend machen können.
9
II. Charakter und Reichweite Erläuterungsbedürftig sind infolge der tatsächlichen Entwicklung und der zahlreichen Änderungen heute insbesondere Charakter und Reichweite von § 59a BRAO.
10
Bei Erlass der Vorschrift im Jahre 1994 hatte der Gesetzgeber trotz Offenheit für weitere Entwicklungen namentlich im Hinblick auf die damals neu geschaffene Partnerschaft4 als Organisationsmodell für die gemeinschaftliche Berufsausübung vor allem die BGB-Gesellschaft vor Augen. In der Tat kamen nach der im Kollisionsrecht herrschenden Sitztheorie5 nur deutsche Gesellschaftsformen für im Inland ansässige Anwaltssozietäten in Betracht. Bei den Personengesellschaften schieden OHG und KG von vornherein aus, weil die Anwaltstätigkeit als freier Beruf kein Handelsgewerbe darstellte.6 Anwaltskapitalgesellschaften wurden wegen möglicher Beeinträchtigung der anwaltlichen Unabhängigkeit im Hinblick auf die denkbare Beteiligung externer Kapitalgeber für unzulässig gehalten. Darüber hinaus standen nach herkömmlicher Auffassung das persönliche Vertrauensverhältnis zwischen Anwalt und Mandant und der Grundsatz der persönlichen Haftung für eigene Fehler der Zulässigkeit von Anwaltskapitalgesellschaften entgegen.7 Überdies sah man in der Gründung von Anwalts-GmbHs oder -AGs einen Verstoß gegen das RBerG, weil wegen des Erfordernisses der Befähigung zum Richteramt nach damals h.M. nur natürliche Personen zur Anwaltschaft und damit zum juristischen Dienstleistungsmarkt zugelassen werden durften.8
11
1 BGBl. I, S. 2840. 2 Das Zweigstellenverbot nach § 28 BRAO a.F. wurde aufgehoben durch das Gesetz zur Stärkung der Selbstverwaltung der Rechtsanwaltschaft v. 26.3.2007 (BGBl. I, S. 358); näher Dahns, NJW 2007, 1553 (1555 f.). 3 BT-Drs. 16/3655, S. 83. 4 BT-Drs. 12/4993, S. 23; Römermann/Spönemann, NZG 1998, 15. 5 BGHZ 25, 134 (144); 51, 27 (28); 118, 151 (167); 134, 116 (118); Staudinger/Großfeld, IntGesR Rz. 38; Ebenroth/Bippus, JZ 1988, 677 ff. 6 Hartung/Römermann/Römermann, 4. Aufl., vor § 59a BRAO Rz. 89; a.A. Sproß, AnwBl. 1996, 201 ff.; Ganster, Freier Beruf und Kapitalgesellschaft – das Ende der freien Professionen?, 2000, S. 329. 7 Michalski, Das Gesellschafts- und Kartellrecht der berufsrechtlich gebundenen freien Berufe, 1989, S. 352; Düwell, AnwBl. 1990, 388 f.; Kremer, GmbHR 1983, 259 (264 f.). 8 Donath, ZHR 156 (1992), 134 (137 ff.).
Bormann 887
§ 59a BRAO Rz. 12
Berufliche Zusammenarbeit
12
Dessen ungeachtet erklärte das BayObLG1 die Anwalts-GmbH jedoch bereits kurz nach dem Inkrafttreten von § 59a BRAO mit der Begründung für zulässig, dass die erwähnten Berufsbild-Argumente gewandelten Berufsvorstellungen nicht mehr entsprächen. Ferner lag nach Auffassung des BayObLG auch kein Verstoß gegen das RBerG vor. Denn die AnwaltsGmbH schaffte nach Auffassung des Gerichts lediglich die rechtlichen und organisatorischen Voraussetzungen für die Berufsausübung, während die Rechtsberatung als solche den in der Gesellschaft tätigen Anwälten vorbehalten blieb. Der Gesetzgeber zog mit dem Erlass der §§ 59c–59m BRAO 19982 nach und traf für die Anwalts-GmbH eine detaillierte Regelung, die zentrale Grundsätze der vom BayObLG aufgestellten Zulässigkeitsvoraussetzungen wie das Verbot externer Kapitalbeteiligung, die verantwortliche Leitung der Gesellschaft durch Rechtsanwälte und den Ausschluss von tätigkeitsbezogenen Einzelweisungen der Gesellschafter übernahm, gleichzeitig jedoch eine Anwaltszulassung für die Anwalts-GmbH selbst vorsah. Bereits kurze Zeit später ging die tatsächliche Rechtsentwicklung erneut über den Gesetzgeber hinweg, als das BayObLG Anfang 2000 auch die Anwalts-AG zuließ3 und der BGH dieser Organisationsform Anfang 2005 endgültig zum Durchbruch verhalf.4
13
Seit einigen Jahren kommen nun jedenfalls in gesellschaftsrechtlicher Hinsicht aufgrund der EuGH-Rechtsprechung neben der GbR, der Partnerschaft, der GmbH und der AG auch die Gesellschaftsformen anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union zur Organisation der beruflichen Zusammenarbeit von deutschen Rechtsanwälten in Frage. Ohne eine direkte Aussage zum Kollisionsrecht zu treffen, hat der EuGH unter Berufung auf die Niederlassungsfreiheit in der Rechtssache Centros entschieden, dass die Eintragung der Zweigniederlassung einer ausländischen Gesellschaft nicht mit der Begründung abgelehnt werden darf, dass sich die Geschäftstätigkeit der Gesellschaft praktisch auf das Inland beschränkt und es sich deshalb um eine sogenannte Scheinauslandsgesellschaft handelt.5 Nach dem Urteil des EuGH in der Rechtssache Überseering ist jeder Mitgliedstaat beim Zuzug einer Gesellschaft aus einem anderen Mitgliedstaat nach Art. 49, 54 AEUV verpflichtet, „die Rechtsfähigkeit und damit die Parteifähigkeit zu achten, die diese Gesellschaft nach dem Recht ihres Gründungsstaates besitzt“.6 Schließlich darf nach den vom EuGH in der Rechtssache Inspire Art entwickelten Grundsätzen die Tätigkeit einer Auslandsgesellschaft im Inland weder von einer stigmatisierenden Firmierung („formal ausländische Gesellschaft“) noch von der Einhaltung der im Inland gültigen Mindestkapitalvorschriften abhängig gemacht werden.7 Daraus lässt sich nach verbreiteter Meinung eine Aussage für das Kollisionsrecht jedenfalls insoweit entnehmen, als inländischen Unternehmen und Freiberuflern die Wahl einer ausländischen Gesellschaftsform und die Anerkennung einer im Ausland gegründeten Gesellschaft trotz inländischen Verwaltungssitzes wohl derzeit vorbehaltlich einer anderen Regelung durch den Gemeinschaftsgesetzgeber grundsätzlich nicht versagt werden kann.8 Nach der jüngsten EuGHRechtsprechung setzt die Anwendbarkeit der Bestimmungen über die Niederlassungsfreiheit in Art. 49, 54 AEUV allerdings eine „tatsächliche Ansiedlung der betreffenden Gesellschaft“ im Registrierungssaat und „die Ausübung einer wirklichen wirtschaftlichen Tätigkeit in diesem Staat“ voraus.9 Die Wahl der Gesellschaftsform eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union sollte deshalb nur noch dann in Erwägung gezogen werden, wenn die jeweilige Anwaltsgesellschaft in diesem Mitgliedstaat auch tatsächlich eine Zweigniederlassung unterhält und dort in nennenswertem Umfang anwaltlich tätig ist. Sonst sind angesichts der nunmehr deutlich restriktiveren Tendenzen des EuGH Zweifel an der wirksamen Existenz der 1 BayObLGZ 1994, 353 (356 ff.); kurz zuvor hatte der BGH eine Zahnheilkunde-GmbH für zulässig erklärt (BGHZ 124, 224 [228 ff.]). 2 §§ 59c–59m eingef. das Gesetz zur Änd. der BRAO, der PAO und anderer Gesetze v. 31.8.1998 (BGBl. I, S. 2600), insoweit in Kraft getreten am 1.3.1999. 3 BayObLGZ 2000, 83 (85 ff.). 4 BGH, AnwBl. 2005, 424 (425 ff.); dazu Henssler, AnwBl. 2005, 374 ff. 5 EuGH, Urt. v. 9.3.1999, Rs. C-212/97, Slg. 1999, I-1459, Rz. 34 ff. 6 EuGH, Urt. v. 5.11.2002, Rs. C-208/00, Slg. 2002, I-9919, Rz. 380–92. 7 EuGH, Urt. v. 30.9.2003, Rs. C-167/01, Slg. 2003, I-10155, Rz. 133–142. 8 Vgl. zum Gesellschaftsrecht allgemein BGHZ 154, 185 (189); KG, BB 2003, 2644 (2647 ff.); OLG Zweibrücken, NZG 2003, 537 f.; Borges, ZIP 2004, 733 ff.; Ulmer, NJW 2004, 1201 ff.; konkret für eine anwaltliche Berufsausübungsgemeinschaft in der Form einer englischen Private Limited Company by Shares (Ltd.) AGH Berlin, BRAK-Mitt. 2007, 171 ff. 9 EuGH, Urt. v. 12.7.2012, Rs. C-378/10, Rz. 34 – VALE, NJW 2012, 2715 (2717), unter Berufung auf die steuerrechtliche Rechtsprechung des Gerichtshofs; dazu grundlegend Urt. v. 12.9.2006, Rs. C-196/04, Slg. 2006, I-7995, Rz. 54 – Cadbury/Schweppes; restriktiv auch schon Generalanwalt Maduro in den Schlussanträgen zur Rs. C-210/06, Rz. 29 – Cartesio, ZIP 2008, 1067; näher zum Ganzen Kindler, EuZW 2012, 888 (891 f.); König/Bormann, NZG 2012, 1241 (1242 f.); Böttcher/Kraft, NJW 2012, 2701 (2702 ff.).
888 Bormann
Berufliche Zusammenarbeit
Rz. 16 § 59a BRAO
jeweiligen Anwaltsgesellschaft vorprogrammiert, was erhebliche Auswirkungen auf das Zustandekommen der Mandatsverhältnisse und die Haftungsverfassung haben kann. Die gleichen Grundsätze wie für EU-Gesellschaften sollen auch für Gesellschaften aus den Mitgliedstaaten des EWR (Liechtenstein, Island und Norwegen)1 sowie – auf der Grundlage von Art. XXV Abs. 5 S. 2 des Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrags zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika vom 29.10.1954 – grundsätzlich auch für US-amerikanische Gesellschaften gelten.2 Demgegenüber sind Kapitalgesellschaften aus Drittstaaten mit Verwaltungssitz im Inland nach wie vor als solche weder rechtsnoch parteifähig, sondern allenfalls als rechtsfähige Personengesellschaften zu behandeln.3
13a
Ob eine berufsrechtliche Beschränkung der anwaltlichen Zusammenarbeit auf inländische Rechtsformen – jenseits der vom EuGH selbst für den Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit gezogenen Grenzen – unionsrechtlich zu rechtfertigen wäre,4 kann hier dahin gestellt bleiben. Denn das Gesetz zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts v. 12.12. 20075 hat das Recht der beruflichen Zusammenarbeit in § 59a BRAO nun auch explizit vom Begriff der „Sozietät“ und damit von der GbR abgekoppelt und der Vorschrift damit ausdrücklich zu rechtsformunabhängiger Geltung verholfen, was jedenfalls begrifflich auch ausländische Rechtsformen einschließen kann.6 § 59a BRAO ist deshalb nunmehr als Regelung zu verstehen, die unabhängig von der Rechtsform des anwaltlichen Zusammenschlusses berufsrechtliche Vorgaben über den Kreis der zur gemeinsamen Berufsausübung in Betracht kommenden Personen macht.
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Dies ist vor dem Hintergrund der tatsächlichen Entwicklung und der gesellschaftsrechtlichen Diskussion um die Zulassung ausländischer Gesellschaftsformen für im Inland beheimatete Unternehmen und Freiberufler konsequent. Folgerichtig wäre es jedoch gewesen, dann auch rechtsformunabhängige Sonderregelungen für die Bildung von Anwaltskapitalgesellschaften zu erlassen. Hier beschränkt sich die BRAO jedoch nach wie vor allein auf die Regelung der Rechtsanwalts-GmbH. Die von der Rechtsprechung bejahte berufsrechtliche Zulässigkeit der Anwalts-AG wird ebenso wenig behandelt wie die Frage der berufsrechtlichen Zulässigkeit oder der berufsrechtlichen Anforderungen an Anwaltskapitalgesellschaften ausländischer Rechtsform. Vor dem Hintergrund, dass es sich bei den berufsrechtlichen Vorschriften über die Zusammenarbeit um öffentliches Recht handelt, das jedenfalls für alle im Inland zugelassenen Anwälte unabhängig vom Gesellschaftsstatut des jeweiligen Zusammenschlusses Geltung beansprucht (unten Rz. 95), hätte es nahegelegen, hier im Rahmen der gerade abgeschlossenen Berufsrechtsreform eine umfassende Regelung zu treffen. So wird sich die Praxis weiterhin mit rechtstechnisch unbefriedigenden Analogien zum bzw. mit Lösungen „in Anlehnung an“ das Recht der Anwalts-GmbH behelfen müssen (dazu näher § 59c BRAO Rz. 21 f.).
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C. Einzelheiten der Regelung I. Grundtypen der beruflichen Zusammenarbeit Geht man von einer rechtsformunabhängigen Geltung des § 59a BRAO aus, wird man berufsrechtlich im Wesentlichen zwischen folgenden drei Typen der beruflichen Zusammenarbeit unterscheiden können: Berufsausübungsgemeinschaft, Bürogemeinschaft und Kooperation.
Forsthoff, in: Hirte/Bücker, § 2 Rz. 29; Rehm, in: Eidenmüller/Rehm, § 2 Rz. 47 ff.; Wachter, BB 2006, 2489 f. BGHZ 153, 353 (355 ff.); NZG 2005, 44; Drouven/Mödl, NZG 2007, 8 f.; Beck-OK/Mäsch, Art. 12 Rz. 45. BGH, NJW 2009, 289 (290 f.); a.A. die Vorinstanz OLG Hamm, BB 2006, 2487 ff. Zu den Rechtfertigungsvoraussetzungen für Beschränkungen der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit („Vier-Kriterien-Test“) EuGH Slg. 1993, I-1663, Rz. 32 – Kraus; Slg. 1995, I-4165, Rz. 37 – Gebhard; Slg. 1999, I-1459, Rz. 34 – Centros. 5 BGBl. I, S. 2840. 6 BT-Drs. 16/3655, S. 82 f.; s. zur berufsrechtlichen Behandlung von grenzüberschreitend tätigen Anwaltskapitalgesellschaften in der EU ferner Henssler, NJW 2009, 950 ff.; s. zur Hybrid-Form der englischen Limited Liability Partnership (LLP) ferner die Empfehlungen des BRAK-Ausschusses „Internationale Sozietäten“, BRAK-Mitt. 2008, 17 ff. und 2009, 22 ff. sowie Schnittker/Leicht, BB 2010, 2971 ff. Ob und inwiefern für die Postulationsfähigkeit der LLP analog auf § 7 Abs. 4 PartGG zurückgegriffen werden kann, ist bislang nicht abschließend geklärt; offen BGH, NJW 2009, 3162 (3163). Jedenfalls müsste dann zuvor gemäß § 5 Abs. 2 PartGG i.V.m. § 13d HGB eine Eintragung der deutschen Zweigniederlassung ins Partnerschaftsregister erfolgen; Henssler, NJW 2009, 3136 ff. 1 2 3 4
Bormann 889
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§ 59a BRAO Rz. 17
Berufliche Zusammenarbeit
1. Berufsausübungsgemeinschaft a) Begriff 17
Die engste Form der beruflichen Zusammenarbeit ist die Berufsausübungsgemeinschaft1, deren mögliche Zusammensetzung in § 59a Abs. 1 S. 1 BRAO geregelt ist. Ausgangspunkt der Begriffsbildung ist hier die klassische Sozietät in Form der BGB-Gesellschaft, die gemeinhin als „organisierter Zusammenschluss von Rechtsanwälten zur gemeinsamen Berufsausübung durch gemeinsame Entgegennahme von Aufträgen und Entgelt bei gesamtschuldnerischer Haftung“ definiert wird.2 Die gemeinsame Entgegennahme von Aufträgen und die gesamtschuldnerische Haftung können bei einer Einbeziehung rechtsfähiger3 und haftungsbeschränkter Gesellschaftsformen4 in den Kreis zulässiger Varianten der beruflichen Zusammenarbeit jedoch nicht mehr als Definitionsmerkmale für die Berufsausübungsgemeinschaft herangezogen werden. Nicht einmal das Vorliegen einer Gesellschaft geschweige denn eine mitgliedschaftliche Stellung als Gesellschafter wird man für eine Berufsausübungsgemeinschaft voraussetzen dürfen, wenn man mit diesem Begriff auch die Zusammenarbeit im Angestelltenverhältnis und ggf. sogar in Form der freien Mitarbeit erfassen möchte. Soweit ist man bisher unter Geltung des Begriffs der „Sozietät“ in § 59 Abs. 1 S. 1 BRAO a.F. zwar kaum gegangen. Wenn jetzt aber in § 59 BRAO nur noch von einer „Verbindung“ zum Zwecke der „beruflichen Zusammenarbeit“ die Rede ist, liegt es nahe, hierunter sämtliche Formen beruflichen Zusammenwirkens unabhängig von der rechtlichen Ausgestaltung zu subsumieren. Denn es ist nicht einzusehen, warum für die Zusammenarbeit im Angestelltenverhältnis oder in Form der freien Mitarbeit laxere Maßstäbe gelten sollen als für gesellschaftsrechtliche Zusammenschlüsse, zumal mögliche Gefahren für die unabhängige Berufsausübung bei Weisungsgebundenheit gegenüber berufsfremden Arbeit- bzw. Auftraggebern mindestens genauso groß sein dürften wie bei einer gesellschaftsrechtlichen Verbindung auf gleicher „Augenhöhe“. Konstitutiv für das Vorliegen einer Berufsausübungsgemeinschaft ist danach von den ursprünglichen Sozietätsmerkmalen lediglich noch die gemeinschaftliche Berufsausübung. Diese setzt voraus, dass sowohl der Anwalt als auch seine (anwaltlichen oder nicht-anwaltlichen) Mitgesellschafter bzw. sein (anwaltlicher oder nicht-anwaltlicher) Arbeitgeber gemeinschaftlich beruflich tätig werden. Eine solche gemeinschaftliche berufliche Tätigkeit wird man immer dann bejahen können, wenn im Rahmen des beruflichen Zusammenschlusses Leistungen für Dritte erbracht werden, die anwaltliche Beratung oder Vertretung einschließen und an denen ein Anwalt mitwirkt. Voraussetzung dafür ist nach der gesetzlichen Systematik seit Inkrafttreten der Neuregelung des Rechtsberatungsrechts, dass der Unternehmensträger der Berufsausübungsgemeinschaft, in dessen Namen und für dessen Rechnung die Rechtsdienstleistung erbracht wird, selbst nach Maßgabe des jeweiligen Berufsrechts oder nach dem RDG zu außergerichtlichen Rechtsdienstleistungen befugt ist (§ 3 RDG) bzw. den Mandanten nach dem jeweiligen Verfahrensrecht vor Gericht vertreten darf (vgl. z.B. § 79 Abs. 2 ZPO, § 67 Abs. 2 VwGO, § 10 Abs. 2 FamFG5).6 Deshalb muss z.B. die natürliche oder juristische Person, in deren Namen der angestellte Anwalt Rechtsdienstleistungen für Dritte erbringt, selbst zur außergerichtlichen Beratung bzw. Prozessvertretung berechtigt sein. Auch die juristische Person, in deren Namen der Anwalt als Gesellschafter (für Dritte) rechtsdienstleistend tätig wird, muss deshalb wegen der eigenen Rechtspersönlichkeit selbst zur Anwaltschaft zugelassen sein bzw. eine Rechtsdienstleistungserlaubnis nach dem RDG besitzen (vgl. §§ 59c, 59l BRAO).7 Lediglich bei Personengesellschaften wie der GbR oder der eingetragenen Partnerschaft wird wegen der – trotz aller Modifizierungen fortbestehenden – Rechtsnatur als personengebundener Gesamthandgemeinschaft auf die 1 Die hier verwendete Terminologie knüpft an neuere Vorschriften der Berufsordnung wie § 3 BORA an. Der Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts enthielt insofern terminologische Unklarheiten, als er in der Begründung (BT-Drs. 16/3655, S. 83) auch die Bürogemeinschaft unter den Begriff der gemeinschaftlichen Berufsausübung fasste; s. Henssler, Schriftliche Stellungnahme anlässlich der Sachverständigenanhörung zum Entwurf eines Rechtsdienstleistungsgesetzes am 9.5.2007 in Berlin, These 9.3. 2 Statt aller Henssler/Prütting/Hartung, § 59a Rz. 23. 3 Zur Rechtsfähigkeit der BGB-Gesellschaft BGHZ 146, 341 (344 ff.); s.a. bereits BGHZ 142, 315 (319). 4 Zur Anwalts-GmbH §§ 59c–59m BRAO, zur Anwalts-AG BGH, AnwBl. 2005, 424 (425 ff.). 5 Vgl. zum abschließenden Charakter der in § 79 ZPO getroffenen Vertretungsregelung die Begründung des Regierungsentwurfs zum Gesetz zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts, BT-Drs. 16/3655, S. 87. 6 Vgl. Henssler/Prütting/Weth, § 3 RDG Rz. 3 u. 8; s. ferner die Begründung des Regierungsentwurfs zum Gesetz zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts, BT-Drs. 16/3655, S. 32. 7 Näher § 59c BRAO Rz. 22.
890 Bormann
Berufliche Zusammenarbeit
Rz. 22 § 59a BRAO
Anwaltszulassung bzw. sonstige Rechtsdienstleistungsbefugnis der Gesellschafter abgestellt, obwohl das Mandatsverhältnis hier regelmäßig im Namen der Gesellschaft abgeschlossen wird.1 Demgegenüber reicht es nicht aus, dass der Unternehmensträger lediglich einen zur Rechtsdienstleistung befugten Erfüllungsgehilfen hinzuzieht.2 Die Bundesregierung wollte dies zwar im Rahmen der Neuregelung des Rechtsberatungsrechts ändern.3 Der Gesetzgeber ist dem jedoch nicht gefolgt.4 b) Beispiele Eine Berufsausübungsgemeinschaft bilden danach z.B. sowohl – die in einer BGB-Gesellschaft als Gesellschafter oder Angestellte tätigen Anwälte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer
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als auch – die Gesellschafter und angestellten Anwälte in einer Rechtsanwalts-GmbH – oder der alleinige Inhaber einer Anwaltskanzlei und sein anwaltlicher Arbeitnehmer, aber nicht – der Syndikusanwalt und das ihn beschäftigende Unternehmen. c) Dauerhaftigkeit Merkmal der Berufsausübungsgemeinschaft ist ferner, dass sie auf eine gewisse Dauer angelegt ist. Die in ihr zusammengeschlossenen Anwälte und sonstigen Berufsträger müssen mithin die Absicht haben, die Zusammenarbeit grundsätzlich über einen längeren Zeitraum, also über die gemeinschaftliche Bearbeitung eines oder mehrerer bestimmter Mandate hinaus fortzusetzen. Eine lediglich auf Einzelfälle beschränkte freie Mitarbeit wird deshalb regelmäßig keine Berufsausübungsgemeinschaft begründen. Ist die freie Mitarbeit dagegen von dauerhafter Natur, kann dies trotz des fallweisen Charakters der werkvertraglichen Beziehungen zur Annahme einer Berufsausübungsgemeinschaft ausreichen (vgl. §§ 8 S. 1, 9 S. 1 BORA).
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d) Zusammensetzung Die Möglichkeiten der Zusammensetzung von Berufsausübungsgemeinschaften sind – vorbehaltlich der Sonderregelungen für Anwaltskapitalgesellschaften – in § 59a Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 BRAO abschließend geregelt. Danach sind Berufsausübungsgemeinschaften nur mit den dort genannten Berufen möglich.5 Diese Berufe werden vielfach in Anlehnung an die frühere Terminologie bei der BGB-Gesellschaft als „sozietätsfähige“ Berufe bezeichnet.6
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e) Abgrenzung Nicht unter den Begriff der Berufsausübungsgemeinschaft und damit nicht unter die Beschränkungen des § 59a Abs. 1 S. 1 BRAO fallen dagegen der Syndikusanwalt oder der als Rechtsanwalt zugelassene Unternehmens- bzw. Verbandsjustiziar, die im Rahmen der „Zusammenarbeit“ mit ihrem Arbeitgeber regelmäßig ausschließlich für diesen tätig werden.7 Hier fehlt es bereits an der „gemeinschaftlichen Berufsausübung“ zwischen Anwalt und Arbeitgeber, weil beide nicht gemeinsam für einen Mandanten, sondern nur erster für letzteren tätig wird.
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Abgrenzungsschwierigkeiten bestehen dagegen immer dort, wo im Rahmen interprofessioneller Zusammenarbeit unter Mitwirkung eines Anwalts Leistungen an Dritte erbracht
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1 Unten Rz. 30. 2 Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaften kommen deshalb mangels Anwaltszulassung und allgemeiner Rechtsbesorgungsbefugnis als Berufsausübungsgemeinschaften i.S.v. § 59a Abs. 1 S. 1 BRAO nicht in Betracht (vgl. Kleine-Cosack, DB 2007, 1851 [1857]). 3 Vgl. § 5 Abs. 3 RDG-E, BT-Drs. 16/3655, S. 8, 38 f., 56 f.; näher unten Rz. 91. 4 Vgl. näher die Beschlussempfehlungen des BT-Rechtsausschusses, BT-Drs. 16/6634, S. 57, 113, 116. 5 Rz. 55, 85, 94, 97. 6 Statt aller Henssler/Prütting/Hartung, § 59a Rz. 99. 7 Zum Begriff des Syndikusanwalts Henssler/Prütting/Henssler, § 46 Rz. 1; Creifelds, Stichwort Syndikusanwalt. Dass der Syndikusanwalt im Rahmen seines Anstellungsverhältnisses allein für seinen Arbeitgeber tätig wird, kommt nicht überall mit der wünschenswerten Klarheit zum Ausdruck; vgl. etwa die Ausführungen von Hartung/Hartung, § 46 Rz. 7 ff.
Bormann 891
§ 59a BRAO Rz. 23
Berufliche Zusammenarbeit
werden, die gleichzeitig als anwaltliche Rechtsberatung oder als nicht-anwaltliche Rechtsbesorgung denkbar sind. Mit der Ausdehnung der Möglichkeiten zur Erbringung von Rechtsdienstleistungen durch Nichtanwälte durch das Gesetz zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts v. 12.12.20071 sind hier die Grenzen noch weiter verschwommen. So kann etwa ein Anwalt, der im Zweitberuf Hausverwalter ist, mit einem Bauunternehmer eine Haus- und Wohnungsverwaltungs-GbR gründen. Betreibt der Anwalt im Rahmen der Haus- und Wohnungsverwaltungs-GbR Rechtsberatung für die von ihm betreuten Hauseigentümer, kann er dies sowohl in anwaltlicher Eigenschaft als auch in seiner Eigenschaft als Hausverwalter im Wege einer erlaubten Annextätigkeit tun (§ 5 Abs. 2 Nr. 2 RDG).2 Ersterenfalls wäre die Haus- und Wohnungsverwaltungs-GbR als interprofessionelle anwaltliche Berufsausübungsgemeinschaft zu qualifizieren, die mangels Zugehörigkeit des Bauunternehmers zu den sozietätsfähigen Berufen i.S.v. § 59a Abs. 1 S. 1 BRAO unzulässig wäre. Letzterenfalls wäre dagegen von einer „gewöhnlichen“ BGB-Gesellschaft auszugehen, die außerhalb des Geltungsbereichs des anwaltlichen Berufsrechts läge und deshalb ohne weiteres zulässig wäre. In derartigen Fällen wird man sich an folgende Faustformel halten können: Ist der Inhalt der dem Anwalt im Rahmen des beruflichen Zusammenschlusses übertragenen Aufgaben in nicht unwesentlichem Umfang rechtsberatender Natur, liegt im Zweifel ein anwaltliches Tätigwerden vor und die Beschränkungen des § 59a BRAO sind zu beachten. Etwas anderes wird man lediglich dann annehmen können, wenn die rechtsberatende Tätigkeit (bei einer Gesamtbetrachtung) völlig in den Hintergrund tritt und deshalb ein Tätigwerden im Zweitberuf naheliegt.3 2. Bürogemeinschaft a) Begriff 23
Im Unterschied zur Berufsausübungsgemeinschaft dient die Bürogemeinschaft i.S.v. § 59a Abs. 3 BRAO nicht der gemeinschaftlichen Berufsausübung. Ihr Zweck beschränkt sich vielmehr allein darauf, den äußeren Rahmen des für die Berufsausübung notwendigen Büros gemeinschaftlich zu organisieren.4 Für die Zusammensetzung der Bürogemeinschaft gelten die für Berufsausübungsgemeinschaften vorgesehenen Beschränkungen über § 59a Abs. 3 BRAO entsprechend.
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Eine gesetzliche Begriffsbestimmung der Bürogemeinschaft sucht man in der BRAO vergebens. Der Gesetzgeber setzt die Existenz der Bürogemeinschaft in § 59a Abs. 3 BRAO einfach voraus. Demgegenüber wurde die Bürogemeinschaft in § 39 Abs. 2 RAG der DDR ausdrückliche definiert.5 Danach lag eine Bürogemeinschaft vor, „wenn Rechtsanwälte ein gemeinsames Büro betr[ie]ben und entsprechend vertraglicher Abreden … die Kosten für die Führung des Büros … teil[t]en“, ohne dass eine gemeinsame „Entgegennahme von Aufträgen“ erfolgte bzw. ohne dass eine gemeinsame Haftung bestand. b) Abgrenzung
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Bei der Bürogemeinschaft nimmt folglich jeder Berufsträger Aufträge getrennt entgegen und bearbeitet seine Mandate allein. Jeder Anschein beruflicher Zusammenarbeit wird (jedenfalls bei BGB-Gesellschaften) regelmäßig von vornherein vermieden, um den Rechtsschein einer Sozietät und damit eine gesamtschuldnerische Haftung für Beratungsfehler der anderen in der Kanzlei tätigen Berufsträger auszuschließen.6 Der Zweck der Bürogemeinschaft beschränkt sich also auf die „Reduzierung von Kosten durch Führung und Unterhaltung eines gemeinsamen Büros unter Beibehaltung der beruflichen Selbstständigkeit“. Die Bürogemeinschaft ist mithin reine Betriebsgesellschaft und keine Berufsausübungsgesellschaft.7
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Ein weiteres Abgrenzungsmerkmal war früher, dass eine Bürogemeinschaft stets nur am selben Ort bestehen konnte, da der einzelne Anwalt grundsätzlich nur in einer Kanzlei tätig 1 BGBl. I, S. 2840. 2 So auch schon bisher BGH, NJW 1993, 1924. 3 Vgl. BGHZ 18, 340 f.; 57, 53 (56); WM 1976, 1135 f.; WM 1977, 551 f.; NJW 1985, 2642; BRAK-Mitt. 1988, 49; BRAK-Mitt. 2001, 90 (alle zur Abgrenzung anwaltlicher Tätigkeit von der Tätigkeit als Immobilienmakler). 4 Henssler/Streck/Hartung, Kap. I Rz. 8. 5 Henssler/Prütting/Hartung, § 59a Rz. 149. 6 Henssler/Prütting/Hartung, § 59a Rz. 153; Henssler/Streck/Hartung, Kap. I Rz. 20, 66 ff. 7 Henssler/Prütting/Hartung, § 59a Rz. 150.
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Berufliche Zusammenarbeit
Rz. 29 § 59a BRAO
sein durfte.1 Demgegenüber war die Zulässigkeit überörtlicher Sozietäten (jedenfalls bei verantwortlicher Leitung jedes Büros durch einen anwaltlichen Gesellschafter) in der Rechtsprechung bereits seit 1989 anerkannt.2 Mit der Aufhebung des Zweigstellenverbots nach § 28 BRAO a.F. durch das Gesetz zur Stärkung der Selbstverwaltung der Rechtsanwaltschaft vom 26.3.20073 darf nun inzwischen auch jeder Einzelanwalt grundsätzlich mehrere Kanzleien an verschiedenen Orten unterhalten.4 Künftig sind deshalb auch überörtliche Bürogemeinschaften denkbar. 3. Kooperation Die loseste Form der beruflichen Zusammenarbeit bildet die sog. Kooperation, die allerdings in der BRAO selbst nicht geregelt ist, seit der Änderung von § 8 BORA zum 1.3.20115 im Berufsrecht generell keine Erwähnung mehr findet und somit nur noch eine informelle Begriffskategorie zur Erfassung beruflichen Zusammenwirkens jenseits von Berufsausübungs- und Bürogemeinschaften bildet. Im Unterschied zur Berufsausübungsgemeinschaft werden bei einer Kooperation Mandate weder gemeinschaftlich noch für die jeweilige Gesellschaft oder den jeweiligen Kanzleiinhaber angenommen, sondern von jedem im Rahmen der Kooperation tätigen Anwalt allein. Dementsprechend werden die Mandate in einer Kooperation grundsätzlich nicht gemeinschaftlich, sondern getrennt bearbeitet. Deshalb bezieht sich die Haftung für Berufsfehler regelmäßig auch nur auf das einzelne Kooperationsmitglied. Anders als bei der Berufsausübungsgemeinschaft und auch bei der Bürogemeinschaft werden regelmäßig keine gemeinsamen Räume unterhalten und es findet auch keine gemeinsame Organisation des Büros statt. Weil Qualität und Intensität der Zusammenarbeit bei einer Kooperation mithin deutlich geringer anzusiedeln sind als bei einer Berufsausübungsgemeinschaft, findet § 59a BRAO nach herrschender Meinung auf Kooperationen keine Anwendung. Deshalb ist eine Kooperation auch mit nicht sozietätsfähigen Personen möglich.6 Hinweise auf Kooperationen sind nach der Neufassung von § 8 BORA nunmehr berufsrechtlich uneingeschränkt zulässig, wenn hierdurch nicht fälschlicherweise der Eindruck einer Berufsausübungsgemeinschaft erweckt wird (näher § 8 BORA Rz. 7 f.), also in den wettbewerbsrechtlichen Grenzen des Verbots irreführender Werbung (§§ 3, 5 UWG) auch dann, wenn die Kooperation nicht auf Dauer angelegt oder durch tatsächliche Ausübung verfestigt ist.7
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II. Gesellschaftsrechtliche Grundlagen Jeder der drei genannten Grundtypen der beruflichen Zusammenarbeit (Berufsausübungsgemeinschaft, Bürogemeinschaft und Kooperation) kann in verschiedenen Rechtsformen organisiert sein. Während Bürogemeinschaften und Kooperationen meist in der Form einer BGB-Gesellschaft oder ggf. auch einer EWIV organisiert sind, finden für Berufsausübungsgemeinschaften neben der BGB-Gesellschaft und der Partnerschaft zunehmend auch Kapitalgesellschaften und ausländische Gesellschaftsformen Verwendung. Die folgenden Anmerkungen geben einen Überblick über die wichtigsten Organisationsformen für eine Berufsausübungsgemeinschaft.8
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1. Klassische Anwaltssozietät (GbR) a) Herkömmliches Verständnis Die klassische Sozietät in Form der BGB-Gesellschaft wird – wie bereits ausgeführt – üblicherweise als organisierter Zusammenschluss von Rechtsanwälten zur gemeinsamen Berufsausübung durch gemeinsame Entgegennahme von Aufträgen und Entgelt bei gleichzeitiger gesamtschuldnerischer Haftung definiert.9 Zivilrechtlich lag dem nach der früher herrschen1 2 3 4 5 6 7 8 9
Henssler/Streck/Hartung, Kap. I Rz. 22. BGHZ 108, 290 (293 ff.). BGBl. I, S. 358. Hommerich/Kilian, NJW 2007, 2308 (2310). Beschl. v. 26.6.2010, BRAK-Mitt. 2010, 253. Zum Ganzen BGH, NJW 2005, 2692; AGH Hamm, BRAK-Mitt. 2005, 198. Dazu näher Römermann, BB 2005, 2041; Huff, NJW-Spezial 2005, 429 f. Überblick auch bei Römermann, AnwBl. 2009, 681 (682 f.). Statt aller Henssler/Prütting/Hartung, § 59a Rz. 23; Überblick zur jüngeren Rechtsprechung zu verschiedenen Gesichtspunkten von Freiberuflersozietäten bei Goette, AnwBl. 2007, 637 ff.
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den Lehre von der Doppelverpflichtung1 folgende Konstruktion zugrunde: In Abweichung von der nach §§ 714, 709 Abs. 1 BGB angeordneten gemeinschaftlichen Geschäftsführung und Gesamtvertretung wurde gem. § 710 BGB davon ausgegangen, dass jeder Sozius gegenüber dem Mandanten zur Entgegennahme von Aufträgen im Namen der Sozietät berechtigt war. Dabei handelte er sowohl als Vertreter der übrigen Gesellschafter persönlich als auch der BGB-Gesellschaft als Trägerin des Gesamthandvermögens.2 Aufgrund der gemeinsamen vertraglichen Verpflichtung hafteten die Gesellschafter gem. § 427 BGB für die ordnungsgemäße Vertragserfüllung als Gesamtschuldner. Dabei traf die Gesellschafter neben dem Gesellschaftsvermögen grundsätzlich die volle persönliche Haftung für Pflichtverletzungen ihrer Sozien. Zwar wirkt nach § 425 BGB das Verschulden eines Gesamtschuldners grundsätzlich nur gegen diesen selbst. Dies gilt jedoch nur, wenn sich aus dem Charakter des Schuldverhältnisses nichts anderes ergibt. Für Anwaltssozietäten ging die ganz h.M. jedoch davon aus, dass dem einheitlichen Auftreten der Sozietät gegenüber dem Mandanten die Pflicht aller Gesellschafter entsprach, im Schadensfall gesamtschuldnerisch für Pflichtverletzungen eines Sozietätsmitgliedes einzustehen.3 Angesichts des doppelten Verpflichtungsobjekts (Gesellschafter einerseits, Gesamthandvermögen andererseits) war nach diesem Konzept eine Haftungsbeschränkung auf das Gesamthandvermögen in dem Sinne denkbar, dass die Vertretungsmacht der geschäftsführenden Gesellschafter auf das Gesamthandvermögen beschränkt wurde. Diese Beschränkung der Vertretungsmacht auf das Gesellschaftsvermögen konnte auch im Gesellschaftsvertrag geregelt werden. Um eine persönliche Verpflichtung der übrigen Sozien nach den Grundsätzen über die Anscheins- und Duldungsvollmacht auszuschließen, musste die Beschränkung der Vertretungsmacht auf das Gesellschaftsvermögen nach außen hin allerdings eindeutig klargestellt werden. Ob hierzu der Hinweis „Gesellschaft bürgerlichen Rechts mit beschränkter Haftung“ oder ähnliche Formulierungen ausreichten, war bis zuletzt umstritten.4 b) Rechtsfähigkeit und Neuausrichtung der Haftungsverfassung 30
Mit zwei Entscheidungen aus den Jahren 1999 und 2001 hat der 2. Zivilsenat des BGH die endgültige Wende hin zu einer uneingeschränkten Bejahung der Rechts- und Parteifähigkeit der Außen-GbR vollzogen und damit die jahrzehntelangen Diskussionen um die Rechtsnatur der BGB-Gesellschaft beendet.5 Danach ist die Außen-GbR rechtsfähig und kann mangels entgegenstehender Spezialregelungen als solche am Rechtsverkehr teilnehmen, Rechte erwerben und Verbindlichkeiten eingehen sowie klagen und verklagt werden.6 Es gelten damit die gleichen Grundsätze wie für die Personenhandelsgesellschaft nach § 124 HGB. Für die Haftung ergeben sich daraus nach der jetzt herrschenden Akzessorietätstheorie7 folgende Konsequenzen: Vertragspartner eines im Namen der Sozietät8 entgegengenommenen Mandats wird allein die BGB-Gesellschaft, nicht die einzelnen Gesellschafter.9 Verletzt ein in der Sozietät tätiger Rechtsanwalt die Pflichten aus dem Anwaltsvertrag, haftet die rechts- und parteifähige Sozietät für den Schaden mit ihrem Gesellschaftsvermögen (und zwar je nachdem ob ein Gesellschafter oder ein angestellter Anwalt tätig geworden ist, über § 3110 bzw. § 278 BGB). Daneben haften die Sozien wie die Gesellschafter einer OHG nach Maßgabe der §§ 128 ff. HGB kraft Gesetzes nach dem Akzessorietätsprinzip persönlich und unbeschränkt mit ihrem gesamten Vermögen als Gesamtschuldner. Diese akzessorische persönliche Haftung kann im Gesellschaftsvertrag oder durch sonstige interne Vereinbarung gegenüber 1 Habersack, JuS 1993, 1; Hommelhoff, ZIP 1998, 8; weitere Nachweise bei Ulmer, ZIP 1999, 509 (511). 2 BGHZ 56, 355 (357 ff.); 70, 247 (249); 124, 47 (48); NJW 1978, 1003 f.; NJW 1995, 1841; ZIP 2000, 545 f.; zur rechtlichen Konstruktion im anwaltlichen Kontext Grunewald, ZAP 2001, 627 f. = Fach 23, 551 f. 3 BGHZ 56, 355 (359 f.); 97, 273 (279); so auch schon RGZ 85, 306. 4 Grunewald, ZAP 2001, 627 f. = Fach 23, 551 f.; Habersack, BB 2001, 477 (481 f.). 5 BGHZ 146, 341 (344 ff.); s.a. bereits BGHZ 142, 315 (319). 6 Dies schließt die Beiordnungsfähigkeit nach § 121 Abs. 1 ZPO im Rahmen der Gewährung von Prozesskostenhilfe mit ein; BGH, NJW 2009, 440 (441); ausdrücklich a.A. entgegen der BGH-Rspr. jedoch LSG Stuttgart, JurBüro 2010, 39 (40). 7 K. Schmidt, NJW 2001, 993 (998 f.); Reiff, NZG 2000, 365; Ulmer, ZGR 2000, 339 ff.; Grunewald, ZAP 2001, 627 f. = Fach 23, 551 f.; Altmeppen, ZIP 1999, 1758 f.; Römermann, NJW 2009, 1560 f. 8 Zur Abgrenzung von Sozietätsmandaten und Eigenmandaten einzelner Sozien und zur entsprechenden Auslegung der auf den Abschluss des Mandatsvertrages gerichteten Erklärungen BGH, NJW 2009, 1597 und BGH, NJW 2011, 2301 (2303); s. ferner auch Römermann, NJW 2009, 1560. 9 Vgl. BGH, NJW 2011, 2301 (2302 f.). 10 Ausdrücklich für berufshaftungsrechtliche Verbindlichkeiten einer Anwaltssozietät BGH, AnwBl. 2007, 717 f.; allgemein für die BGB-Gesellschaft bereits BGH, BB 2003, 862 ff.
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Rz. 32 § 59a BRAO
Dritten nicht abbedungen werden (vgl. § 128 Abs. 1 S. 2 HGB). Die Akzessorietätstheorie gelangt demnach im Grundsatz zum gleichen Ergebnis wie die Lehre von der Doppelverpflichtung. Sie bedarf jedoch keiner vertraglichen Begründung der Vertretungsmacht und keiner Durchbrechung des Grundsatzes der getrennten Beurteilung des Verschuldens der einzelnen Gesamtschuldner nach § 425 BGB.1 Eine „Gesellschaft bürgerlichen Rechts mit beschränkter Haftung“ ist danach nicht mehr möglich. Jedoch wird man eine Haftungsbeschränkung durch Abrede mit dem Mandanten nach wie vor als wirksam erachten müssen.2 c) Haftung bei Eintritt in bzw. Austritt aus der Sozietät Wie der BGH3 inzwischen klargestellt hat, haftet der neu eintretende Sozius grundsätzlich auch für vor seinem Beitritt zu der Sozietät begründete „Altverbindlichkeiten“. Bereits 1979 hatte der BGH erwogen, den Gesellschafter einer GbR ähnlich wie den Gesellschafter einer Personenhandelsgesellschaft nach § 130 HGB bei Annahme einer akzessorischen Haftung auch für die vor seinem Beitritt begründeten Gesamthandsverbindlichkeiten haften zu lassen. Der Weg dahin war für den BGH jedoch damals noch verschlossen, weil er bis zur Wende der Rechtsprechung der Doppelverpflichtungslehre folgte. Nach dem Übergang zur Akzessorietätstheorie lässt sich eine Haftung für Altverbindlichkeiten dagegen zwanglos aus einer Analogie zu § 130 HGB herleiten. Die BGB-Gesellschaft besitzt anders als Kapitalgesellschaften kein gebundenes Haftungskapital. Es existieren keine besonderen Gläubigerschutzvorschriften zur Kapitalerhaltung. Die Gesellschafter können deshalb jederzeit sanktionslos auf das Gesellschaftsvermögen zugreifen. Der mangelnde Gläubigerschutz wird allein durch die persönliche Haftung der Gesellschafter kompensiert, welche „alleinige Grundlage für die Wertschätzung und Kreditwürdigkeit“ der BGB-Gesellschaft im Rechtsverkehr ist. Weil auch der neu eintretende Gesellschafter mit dem Beitritt zur Gesellschaft uneingeschränkten Zugriff auf das Gesellschaftsvermögen erhält, muss er konsequenterweise auch demselben Haftungsregime wie die Altgesellschafter und damit auch einer Haftung für früher bereits begründete Altverbindlichkeiten unterworfen werden. Der Grundsatz der persönlichen Haftung des Neugesellschafters für Altverbindlichkeiten gilt nach der Rechtsprechung des BGH4 uneingeschränkt auch für freiberufliche Sozietäten: Wenn der Gesetzgeber bei der extra für freiberufliche Bedürfnisse geschaffenen Partnerschaft nach § 8 Abs. 1 S. 2 PartGG i.V.m. § 130 HGB eine gesamtschuldnerische Haftung des neu eintretenden Gesellschafters für Altverbindlichkeiten für angemessen hält5, kann für die BGB-Gesellschaft nichts anderes gelten.6 Beim Austritt aus der Sozietät richtet sich die Nachhaftung des ausgeschiedenen Gesellschafters nach § 736 Abs. 2 BGB i.V.m. § 160 Abs. 1 S. 1 HGB. Der Altgesellschafter haftet danach für die „bis zu seinem Ausscheiden begründeten Verbindlichkeiten“ für einen Zeitraum von maximal fünf Jahren, nachdem der jeweilige Gläubiger von dem Austritt Kenntnis erlangt hat.7 Bislang ist nicht abschließend geklärt, wann und unter welchen Voraussetzungen eine Verbindlichkeit i.S.v. § 160 Abs. 1 S. 1 HGB begründet ist. Während hier z.T. der Abschluss des Anwaltsvertrages für maßgeblich gehalten wird8, sieht es die Gegenmeinung jedenfalls bei Schadensersatzansprüchen als erforderlich an, dass die zugrundeliegende Pflichtverletzung bereits vor dem Ausscheiden des Altgesellschafters verwirklicht worden ist.9
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d) Keine gesetzliche Haftungskonzentration Die Frage, ob bei freiberuflichen BGB-Gesellschaften eine gesetzliche Konzentration der Gesellschafterhaftung für Fehler bei der Berufsausübung auf den jeweiligen Mandatsbear1 Grunewald, ZAP 2001, 627 f. = Fach 23, 551 f.; s.a. K. Schmidt, NJW 2001, 993 (999). 2 Habersack, BB 2001, 477 (481). 3 BGH, NJW 2003, 1803 (1804 f.); die Oberlandesgerichte waren zuvor unterschiedlicher Auffassung; vgl. einerseits OLG Düsseldorf, BRAK-Mitt. 2002, 97; anderseits OLG Hamm, NJW-RR 2002, 495 f. 4 BGH, NJW 2003, 1803 (1805); eine rückwirkende Haftung für vor Änderung der Rechtsprechung des BGH zur Rechtsfähigkeit der BGB-Gesellschaft begründete Altverbindlichkeiten ist jedoch unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes ausgeschlossen; BGH, NJW 2003, 1803 (1805); ZIP 2006, 82 (84); Römermann, NJW 2009, 1560 (1562). 5 Dazu BGH, NJW 2010, 1360 (1361 f.). 6 Zurückhaltender dagegen Jungk, BRAK-Mitt. 2010, 70 (71). 7 BGH, NJW 2007, 3784 (3785); MüKo-BGB/Ulmer/Schäfer, § 736 BGB Rz. 27. 8 So OLG Saarbrücken, DStRE 2008, 534 für den Anspruch des Mandanten auf Weiterleitung von Geldleistungen, welche die Sozietät für ihn entgegengenommen hat. 9 LG Bonn, DStR 2010, 1648; Meixner/Schröder, DStR 2008, 527, 528.
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beiter analog § 8 Abs. 2 PartGG in Betracht kommt, hat der BGH nach anfänglichem Zögern1 nunmehr verneint.2 Die Gesellschafter einer BGB-Gesellschaft müssen deshalb nach wie vor von einer unbeschränkten Haftung mit ihrem persönlichen Vermögen für Sorgfaltspflichtverletzungen ihrer Sozien und Angestellten ausgehen, die – wie oben ausgeführt – auch durch den Gesellschaftsvertrag nicht beschränkt werden kann. e) Summenmäßige Haftungsbeschränkung 33
Gemäß § 52 Abs. 1 BRAO kann jeder Anwalt seine Haftung jedoch durch schriftliche Individualvereinbarung mit dem Mandanten auf den Betrag der Mindestversicherungssumme (250 000 Euro) und durch die Verwendung von AGB gegenüber dem Mandanten für Fälle einfacher Fahrlässigkeit bei Versicherungsschutz in entsprechender Höhe auf den vierfachen Betrag der Mindestversicherungssumme (1 000 000 Euro) beschränken. Entgegen der allgemeinen BGH-Rechtsprechung3 ist damit unter den Voraussetzungen des § 52 Abs. 1 BRAO eine Haftungsbeschränkung auch durch AGB möglich. f) Vertragliche Haftungskonzentration
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Nach § 52 Abs. 2 S. 2 BRAO kann die persönliche Haftung der Gesellschafter darüber hinaus sowohl durch Individualvereinbarung mit dem Mandanten als auch durch die Verwendung von AGB gegenüber dem Mandanten auf den jeweiligen Mandatsbearbeiter beschränkt werden. Voraussetzung ist, dass der oder die jeweiligen Mandatsbearbeiter namentlich benannt werden und sich zumindest ein Sozius unter den Mandatsbearbeitern befindet. Eine Haftungsbeschränkung auf angestellte Anwälte ist nicht möglich.4 Die Privilegierung von Anwälten im Gegensatz zu anderen BGB-Gesellschaftern rechtfertigt sich daraus, dass Anwälte eine Berufshaftpflichtversicherung besitzen. Bei interprofessionellen Sozietäten soll die Haftung nach dem Willen des Gesetzgebers nur auf solche Mitglieder beschränkt werden können, die als Rechtsanwälte zugelassen sind.5 Dies erscheint jedenfalls dann nicht zwingend, wenn der berufsfremde Sozius ebenfalls zum Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung verpflichtet ist.6 Die Vereinbarungen über die Haftungskonzentration unterliegen besonderen Formerfordernissen, die in der Kommentierung zu § 52 BRAO näher erläutert sind. Zu beachten ist, dass die Haftung des Gesamthandvermögens durch eine Haftungskonzentration nach § 52 Abs. 2 S. 2 BRAO unberührt bleibt. Bei Überschuldung der Gesamthand im Haftungsfall kann deshalb eine Nachschusspflicht nach § 735 BGB greifen, sofern der – intern regelmäßig primär zur Schadenstragung verpflichtete – mandatsbearbeitende Sozius zur Deckung des Schadens allein nicht in der Lage ist. Wollen sich die Sozien gegen eine persönliche Haftung für Berufsfehler der Mitgesellschafter durch Vereinbarung mit dem Mandaten gem. § 52 Abs. 2 S. 2 BRAO absichern, sollten sie deshalb zugleich auch die Nachschusspflicht nach § 735 BGB ausschließen.7 g) Scheinsozietät
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Vielfach treten mehrere Anwälte lediglich im Außenverhältnis gleichberechtigt als „Sozietät“ im Sinne einer BGB-Gesellschaft auf, während in Wahrheit lediglich einzelne Berufsträger Gesellschafter sind und die übrigen auf dem Briefkopf oder auf dem Kanzleischild aufgeführten Anwälte im Angestelltenverhältnis arbeiten. Denkbar ist auch, dass tatsächlich überhaupt keine BGB-Gesellschaft existiert und die Kanzlei einem einzigen Anwalt gehört, der mehrere angestellte Anwälte oder freie Mitarbeiter beschäftigt, die nach außen hin als gleichberechtigte Gesellschafter auftreten. In diesen Fällen spricht man von einer „Schein-“ oder „Außensozietät“.8 Wer als Scheinsozius tätig wird, der wurde nach der früher herrschenden Lehre von der Doppelverpflichtung nach den Grundsätzen über die Anscheins- und Dul1 BGH, NJW 2003, 1803 (1805). 2 BGH, NJW 2012, 1435 (1442). 3 Nach BGHZ 142, 315 ff. soll eine Haftungsbeschränkung durch Vereinbarung mit dem jeweiligen Gläubiger nur durch Individualabrede möglich sein. Davon macht der BGH allerdings selbst auch außerhalb des Anwendungsbereichs von § 51a BRAO und unabhängig von der anwaltlichen Berufshaftpflicht weitere Ausnahmen, so z.B. für geschlossene Immobilienfonds; vgl. BGH, NJW 2002, 1642. 4 Grunewald, ZAP 2001, 627 (630) = Fach 23, 551 (554). 5 BT-Drs. 12/4993, S. 52. 6 So i.E. auch Grunewald, ZAP 2001, 627 (630) = Fach 23, 551 (554). 7 Grunewald, ZAP 2001, 627 (630 f.) = Fach 23, 551 (554 f.). 8 Henssler/Prütting/Hartung, § 59a Rz. 144.
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dungsvollmacht mit verpflichtet.1 Die heute herrschende Akzessorietätsheorie2 kommt über die Figur der Scheingesellschaft3 durch eine analoge Anwendung von § 128 HGB zum gleichen Ergebnis:4 Wer zurechenbar den Rechtsschein einer BGB-Außengesellschaft setzt, muss sich so behandeln lassen, als wenn diese auch tatsächlich bestehen würde. Dann würde er jedoch analog § 128 HGB für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft haften und ist deshalb auch für Berufsfehler seiner „Scheinsozien“ verantwortlich.5 Auf dieser dogmatischen Grundlage ist es deshalb wenig überzeugend, wenn der BGH eine Haftung des Scheinsozius für Verbindlichkeiten, „die nicht die anwaltstypische – rechtsberatende oder rechtsvertretende – Tätigkeit betreffen“, wie z.B. den Kaufpreis für die Anschaffung einer PC-Anlage ausschließen will.6 2. Partnerschaft a) Rechtsnatur Als weitere Form der beruflichen Zusammenarbeit im Rahmen einer Personengesellschaft kommt für Rechtsanwälte die Partnerschaft in Betracht. Bei der Partnerschaft handelt es sich um eine rechtsfähige Außengesellschaft, deren Rechtsfähigkeit anders als bei der BGBGesellschaft ausdrücklich im Gesetz normiert ist.7 Vor dem Hintergrund, dass die Partnerschaft Trägerin des Gesellschaftsvermögens ist sowie aktive und passive Parteifähigkeit, Grundbuchfähigkeit, Deliktsfähigkeit und Insolvenzfähigkeit besitzt, ist sie einer juristischen Person weitgehend angenähert. Sie bleibt jedoch eine Gesamthandgemeinschaft ohne eigene Rechtspersönlichkeit.8
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b) Entstehung Erforderlich zur Gründung der Partnerschaft ist die Beteiligung von mindestens zwei Personen, die Angehörige eines freien Berufes i.S.v. § 1 Abs. 2 S. 1 PartGG sein müssen. Weitergehende Anforderungen des Berufsrechts bleiben nach § 1 Abs. 3 PartGG unberührt, sodass die Beschränkungen der beruflichen Zusammenarbeit nach § 59a BRAO hier uneingeschränkt Anwendung finden.9 Die Partnerschaft entsteht mit Eintragung im Partnerschaftsregister nach registergerichtlicher Prüfung aufgrund der Anmeldung in öffentlich beglaubigter Form.10 Die Eintragung hat konstitutive Wirkung, so dass die Gesellschaft erst mit der Eintragung wirksam nach außen entsteht.11 Zwischen Abschluss des Gesellschaftsvertrages und Eintragung ist die Partnerschaft lediglich eine gewöhnliche GbR.12
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c) Geschäftsführung, Vertretung Für die Ausgestaltung des Innenverhältnisses besteht bei der Partnerschaft entsprechend den allgemeinen Grundsätzen des deutschen Personengesellschaftsrechts grundsätzlich Vertragsfreiheit. Subsidiär gelten nach § 6 Abs. 3 S. 2 PartGG die §§ 110 bis 116 Abs. 2, 117 bis 119 HGB und – soweit diese keine Regelung enthalten – nach § 1 Abs. 4 PartGG die Regelungen zur GbR nach §§ 705 ff. BGB. Anders als bei den übrigen Personengesellschaften kann die Geschäftsführungsbefugnis des einzelnen Partners bei der Partnerschaft nach § 6 Abs. 2 PartGG jedoch insoweit nicht beschränkt werden, als die Berufsausübung betroffen ist. Dem Prinzip der Selbstorganschaft wird hier also verstärkt Rechnung getragen.13 Nach richtiger Ansicht wird man § 6 Abs. 2 PartGG nicht allein auf die Geschäftsführungsbefugnis im Innenverhält1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13
BGHZ 70, 247 (249); NJW 2001, 165 (166). Vgl. BGHZ 146, 341 (344 ff.); s.a. bereits BGHZ 142, 315 (319). Dazu Baumbach/Hopt/Hopt, § 128 HGB Rz. 5. MüKo-BGB/Ulmer/Schäfer, § 714 BGB Rz. 40; Lux, NJW 2008, 2309 (2311); i.E. ebenso BGH, AnwBl. 2007, 717 (719). LG Bonn, DStR 2010, 1648. BGH, NJW 2008, 2330; krit. dazu Lux, NJW 2008, 2309 (2311 f.). Vgl. § 7 Abs. 2 PartGG i.V.m. § 124 HGB; § 2 PartGG, § 11 Abs. 2 Nr. 1 InsO; Bank, Die britische Limited Liability Partnership, 2006, S. 281. BT-Drs. 12/6152, S. 9 (16); Bank, Die britische Limited Liability Partnership, 2006, S. 281. Henssler/Prütting/Henssler, § 1 PartGG Rz. 26. § 4 Abs. 1 PartGG i.V.m. § 106 Abs. 1 HGB, § 5 Abs. 2 PartGG i.V.m. § 12 HGB. § 7 Abs. 1 PartGG; Hartung/Römermann/Römermann, 4. Aufl., vor § 59a BRAO Rz. 57. So zutreffend Henssler/Prütting/Henssler, § 7 PartGG Rz. 2; Bank, Die britische Limited Liability Partnership, 2006, S. 288. BT-Drs. 12/6152, S. 15; Bank, Die britische Limited Liability Partnership, 2006, S. 291.
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nis, sondern auch auf die Vertretungsmacht im Außenverhältnis anzuwenden haben.1 Im Übrigen verweist § 7 Abs. 1 PartGG für die Vertretung auf das Recht der OHG. Die Gesellschafter der Partnerschaft besitzen demzufolge nach § 125 Abs. 1 HGB grundsätzlich Einzelvertretungsmacht, sofern der Gesellschaftsvertrag nicht ausnahmsweise Gesamtvertretung für mehrere oder alle Partner vorsieht. Zur Entgegennahme von Willenserklärungen gilt aber nach § 125 Abs. 2 S. 3 HGB stets jeder Partner allein als empfangsberechtigt. d) Haftungsverfassung 39
Was die Haftung für Verbindlichkeiten angeht, so haftet die Partnerschaft mit ihrem gesamthänderisch gebundenen Vermögen für alle im Namen der Gesellschaft eingegangenen Verbindlichkeiten, und zwar unabhängig davon, ob sie vertraglicher, quasivertraglicher oder gesetzlicher Natur sind. Vertragliches und deliktisches Fehlverhalten der Gesellschafter wird der Partnerschaft entsprechend § 31 BGB zugerechnet.2 Für das Verhalten ihrer als Erfüllungs- bzw. Verrichtungsgehilfen eingesetzten Mitarbeiter hat die Partnerschaft nach § 278 BGB bzw. § 831 BGB einzustehen.3 Ähnlich wie § 128 S. 1 HGB und entsprechend der neuen Rechtsprechung zur GbR sieht § 8 Abs. 1 S. 1 PartGG vor, dass auch die Gesellschafter der Partnerschaft grundsätzlich gesamtschuldnerisch für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft neben der Partnerschaft einzustehen haben. Es gilt also auch hier der mittlerweile für das Personengesellschaftsrecht allgemein anerkannte Grundsatz der akzessorischen Haftung.4 Gegen die persönliche Inanspruchnahme aus einer Gesellschaftsschuld stehen dem einzelnen Partner neben seinen persönlichen Einreden nach § 8 Abs. 1 S. 2 PartGG i.V.m. § 129 Abs. 1–3 HGB alle Einwendungen zu, die auch die Partnerschaft geltend machen könnte. Um gegen einen Gesellschafter der Partnerschaft vollstrecken zu können, müssen die Gläubiger entsprechend § 129 Abs. 4 HGB einen persönlich gegen den jeweiligen Partner gerichteten Titel vorweisen können. Anders als bei der GbR war bei der Partnerschaft aufgrund der eindeutigen Gesetzeslage seit jeher völlig unbestritten, dass neu eintretende Gesellschafter gesamtschuldnerisch mit den bisherigen Partnern für die Altschulden der Gesellschaft haften (§ 8 Abs. 1 S. 2 PartGG i.V.m. § 130 HGB).5 Allerdings können sie sich insoweit auf die Haftungsbeschränkung nach § 8 Abs. 2 PartGG und ggf. noch weitergehend nach § 8 Abs. 4 PartGG berufen (s.u. Rz. 41).6 e) Scheinpartnerschaft
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Gemäß § 5 Abs. 2 PartGG i.V.m. § 15 Abs. 3 HGB können ferner auch diejenigen Personen für Gesellschaftsverbindlichkeiten in Anspruch genommen werden, die als Partner in das Register eingetragen und bekannt gemacht worden sind, auch wenn sie tatsächlich keine Mitglieder der Partnerschaft sind. Auf die positive Registerpublizität können sich Dritte allerdings nur dann berufen, wenn ihnen die Unrichtigkeit des Registers nicht bekannt gewesen ist.7 Nach überwiegender Auffassung in der Literatur haften ferner sog. Scheinpartner gegenüber gutgläubigen Dritten, wenn sie durch ihr Auftreten unter dem Namen der Partnerschaft zurechenbar den Anschein einer Mitgliedschaft in der Gesellschaft gesetzt haben und das Verhalten des Dritten hierdurch veranlasst worden ist.8 Zu denken ist hier wie bei der GbR vor allem an den Fall, dass ein Anwalt mit seinem Wissen auf dem Briefkopf oder dem Kanzleischild einer Partnerschaft geführt wird, ohne der Gesellschaft tatsächlich beigetreten zu sein. Die fehlende Registereintragung hindert eine Haftung des Scheinpartners nicht, weil dem konkret entstandenen Vertrauen nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen der Vorrang vor dem allgemeinen Registerinhalt beizumessen ist, von dem die Mandanten im Regelfall keine Kenntnis genommen haben.9 1 Bank, Die britische Limited Liability Partnership, 2006, S. 297; ähnlich Knoll/Schüppen, DStR 1995, 646. 2 Bank, Die britische Limited Liability Partnership, 2006, S. 298; Ganster, Freier Beruf und Kapitalgesellschaft – das Ende der freien Professionen?, 2000, S. 385. 3 Bank, Die britische Limited Liability Partnership, 2006, S. 298; Jawansky, DB 2001, 2281 (2283). 4 Henssler/Prütting/Henssler, § 8 PartGG Rz. 9. 5 BGH, NJW 2010, 1360 (1361 f.); dazu Bräuer, AnwBl. 2010, 422. 6 BGH, NJW 2010, 1360 (1362): „Für eine teleologische Reduktion“ der Haftungsbeschränkung „des § 8 Abs. 2 PartGG auf Berufsfehler, die sich zugetragen haben, während der in Anspruch Genommene der Partnerschaft angehörte, ist“ nach Auffassung des BGH „kein Raum“. 7 Bank, Die britische Limited Liability Partnership, 2006, S. 301. 8 OLG München, BB 2001, 592; Henssler/Prütting/Henssler, § 8 PartGG Rz. 17; Bank, Die britische Limited Liability Partnership, 2006, S. 301. 9 K. Schmidt, Handelsrecht, S. 386 ff.
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Berufliche Zusammenarbeit
Rz. 43 § 59a BRAO
f) Gesetzliche Haftungskonzentration Wesentlicher Grund für die Attraktivität der Partnerschaft ist die gesetzliche Haftungskonzentration nach § 8 Abs. 2 PartGG, die die persönliche Haftung der Partner beschränkt: § 8 Abs. 2 PartGG begrenzt die gesamtschuldnerische akzessorische Haftung der Gesellschafter einer Partnerschaft für Ansprüche aus fehlerhafter Berufsausübung gegen die Partnerschaft. Für sorgfaltswidrige Mandatsbearbeitung haften nur diejenigen Partner persönlich neben der Gesellschaft, die mit der Ausführung des Auftrages befasst waren.1 Derjenige Partner, der lediglich einen Bearbeitungsbeitrag von untergeordneter Bedeutung erbracht hat, haftet persönlich überhaupt nicht. Diese Haftungskonzentration auf die handelnde Person führt damit zu einer Privilegierung der nicht an der Bearbeitung des betreffenden Auftrags beteiligten Partner. Ziel der gesetzlichen Haftungsbeschränkung ist es, den Angehörigen freier Berufe Rechts- und Planungssicherheit zu geben, die Haftungsrisiken der Gesellschafter kalkulierbar zu machen und der Partnerschaft auf diese Weise den Charakter einer wirklichen Alternative zu den Kapitalgesellschaften zu verleihen.2 Ist die individuelle Zuordnung der Mandatsbearbeitung zu einzelnen Partnern nicht möglich, greift jedoch wiederum die akzessorische Haftung sämtlicher Partner nach § 8 Abs. 1 S. 1 PartGG.3 Weil es sich bei § 8 Abs. 2 PartGG um eine gesellschaftsrechtliche Regelung zur Haftungskonzentration handelt, § 52 Abs. 2 S. 2 BRAO demgegenüber eine Regelung über die Möglichkeit der vertragsrechtlichen Vereinbarung einer Haftungskonzentration mit dem Mandanten trifft, wird § 8 Abs. 2 PartGG trotz des Berufsrechtsvorbehalts in § 1 Abs. 3 PartGG von § 52 Abs. 2 S. 2 BRAO nicht berührt.4 Nachdem die anwaltlichen Berufsorganisationen seit einigen Jahren einen vollständigen Ausschluss der persönlichen Haftung der Partner und eine Beschränkung der Haftung auf das Gesellschaftsvermögen nach dem Vorbild der englischen Limited Liability Partnership (LLP) gefordert hatten,5 kam es im Juli 2013 trotz Bedenken in der Rechtswissenschaft6 zur Einführung der sog. Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung als neuer Variante der Partnerschaft, bei der die vertragliche Haftung für Schäden aus fehlerhafter Berufsausübung bei Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung mit einer wie bei der Anwalts-GmbH ausgestalteten Mindestversicherungssumme auf das Gesellschaftsvermögen beschränkt werden kann.7
41
g) Summenmäßige Haftungsbeschränkung Unabhängig davon kann die Haftung darüber hinaus jedoch von jedem Partner nach § 8 Abs. 3 PartGG i.V.m. § 51a Abs. 1 BRAO durch Individualvereinbarung auf die Höhe der Mindestversicherungssumme (250 000 Euro) und durch allgemeine Vertragsbedingungen auf den vierfachen Betrag der Mindestversicherungssumme (1 000 000 Euro) beschränkt werden. Wegen Einzelheiten wird insoweit auf die Kommentierung zu § 51a BRAO verwiesen.
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h) Steuerrechtliche Behandlung Vor dem Hintergrund, dass die Partnerschaft keine juristische Person ist, ist sie nicht körperschaftssteuerpflichtig i.S.v. §§ 1 ff. KStG. Ferner ist die Partnerschaft auch kein eigenständiges Steuersubjekt i.S.d. Einkommenssteuerrechts. Der von der Partnerschaft erzielte Gewinn wird also den einzelnen Partnern anteilig zugerechnet, die ihre Gewinnanteile als Einkünfte aus selbstständiger Arbeit nach § 18 EStG zu versteuern haben.8 Weil sich ausschließlich Angehörige freier Berufe zu einer Partnerschaft zusammenschließen dürfen (§ 1 Abs. 1 S. 1 PartGG), sind Einkommen aus einer Partnerschaft grundsätzlich auch nicht der Gewerbesteuer unterworfen.9 Die Partnerschaft verbindet also den Vorteil der persönlichen 1 Maßgeblich ist die tatsächliche Befassung, nicht die vorgesehene Zuständigkeitsverteilung in der Partnerschaft; OLG Hamm, DStR 2010, 2007; zust. Grams, BRAK-Mitt. 2010, 164. 2 BT-Drs. 13/9820, 21; Bank, Die britische Limited Liability Partnership, 2006, S. 303. 3 Henssler/Prütting/Henssler, § 8 PartGG Rz. 23. 4 Vgl. zur historischen Genese der gesetzlichen Haftungskonzentration Henssler/Prütting/Henssler, § 8 PartGG Rz. 12 f. 5 Ewer, AnwBl. 2010, 857; Filges, BRAK-Mitt. 2011, 45; Übersicht bei Kilian, NJW 2011, 3413 (3415). 6 Schmidt, NJW 2005, 2801 (2806); Kilian, NJW 2011, 3413 (3415); vgl. auch Kilian, NZG 2000, 1008 (1011). 7 Vgl. § 8 Abs. 4 PartGG, § 51a Abs. 2 BRAO, eingefügt durch das Gesetz zur Einführung einer Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung und zur Änderung des Berufsrechts der Rechtsanwälte, Patentanwälte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer v. 15.7.2013, BGBl. I, S. 2386; näher dazu Leitzen, DNotZ 2013, 596 ff.; Römermann/Praß, NZG 2012, 601 ff. 8 Bank, Die britische Limited Liability Partnership, 2006, S. 313. 9 Bank, Die britische Limited Liability Partnership, 2006, S. 313.
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§ 59a BRAO Rz. 44
Berufliche Zusammenarbeit
Haftungsbeschränkung mit der Besteuerung nach den Regeln für Personengesellschaften und hat die klassische Sozietät jedenfalls bei größeren Berufsausübungsgemeinschaften in den letzten Jahren mehr und mehr verdrängt. 3. Personenhandels- und Anwaltskapitalgesellschaften a) Personenhandelsgesellschaften 44
Die Bildung von Personenhandelsgesellschaften (OHG und KG) ist Rechtsanwälten dagegen nach überwiegender Auffassung versagt.1 Sowohl OHG als auch KG müssen nach §§ 105, 161 HGB auf den Betrieb eines Handelsgewerbes oder auf die Vermögensverwaltung gerichtet sein. Als „negatives“ Tatbestandsmerkmal setzt der Begriff des Gewerbes jedoch voraus, dass die Tätigkeit nicht zu den freien Berufen gehört.2 Diese Ausnahme rechtfertigt sich heute allein aus historischen Gründen und aus der sozialen Anschauung. Wenn das Berufsrecht der Steuerberater und Wirtschaftsprüfer von diesem Grundsatz eine Ausnahme vorsieht und die Bildung einer KG oder auch einer GmbH & Co KG (und damit der Sache nach einer haftungsbeschränkten Personengesellschaft3) bei Ausübung von Treuhandtätigkeiten zulässt (§§ 49 Abs. 2, 50 Abs. 1 S. 3, 50a StBerG, § 27 Abs. 2 WPO), so ist dies auf Rechtsanwälte nicht übertragbar. Denn der Beruf des Rechtsanwalts weist „angesichts der seit jeher bestehenden besonderen Rolle der Rechtsanwaltschaft als Organ der Rechtspflege und wesentlicher Bestandteil der rechtsstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes“ eine wesentlich andere Prägung auf, welche die Nutzung einer auf den Betrieb eines Handelsgewerbes gerichteten Organisationsform nach Auffassung des BGH ausschließt.4 Anders als bei der zweckneutralen GmbH oder AG kann auch aus Art. 12 GG kein Anspruch auf die Nutzung der KG als zweckgebundener Rechtsform hergeleitet werden.5 Das BVerfG hat eine hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.6 Damit ist jedenfalls de lege lata auch allen Forderungen zur Öffnung der OHG oder KG für Rechtsanwälte7 eine klare Absage erteilt worden.8 Nachdem somit – unabhängig vom Eingreifen des Beteiligungsverbots gemäß § 59c Abs. 2 BRAO9 – auch die Anwalts-GmbH & Co KG bereits an der Frage der Rechtsform gescheitert ist, wird sich die Praxis bei ihrer Suche nach einer haftungsbeschränkten Personengesellschaft für Rechtsanwälte nunmehr der Partnerschaft mit beschränkter Berufshaftung zuwenden.10 b) Anwalts-GmbH
45
Zulässigkeit und Ausgestaltung der Anwalts-GmbH sind seit 1999 in §§ 59c bis 59m BRAO ausdrücklich geregelt. Wegen Einzelheiten wird auf die Kommentierung zu diesen Vorschriften verwiesen. c) Anwalts-AG
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Wie seit der Grundsatzentscheidung des BGH vom 10.1.200511 endgültig feststeht, können Rechtsanwälte ihrer Berufsausübung auch in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft nachgehen. aa) Verfassungsrechtliche Herleitung der Zulässigkeit
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Verfassungsrechtlich hat der BGH dies damit begründet, dass der Aktiengesellschaft als juristischer Person des Privatrechts nach Art. 19 Abs. 3 i.V.m. Art. 12 Abs. 1 GG die Anwalts1 BGH, NJW 2011, 3036 ff.; AGH München, NZG 2011, 344 (346 f.); Hartung/Römermann/Römermann, 4. Aufl., vor § 59a Rz. 88; a.A. Sproß, AnwBl. 1996, 202 ff.; Ganster, Freier Beruf und Kapitalgesellschaft – das Ende der freien Professionen?, 2000, S. 329. 2 Baumbach/Hopt/Hopt, § 1 HGB Rz. 19; AGH München, NZG 2011, 344 (346 f.).; zur Abgrenzung des freien Berufs vom Gewerbe BVerfG, BRAK-Mitt. 2012, 77 (79); s.a. BVerfGE 120, 1 (31). 3 Dazu näher Karl, NJW 2010, 967 ff. 4 BGH, NJW 2011, 3036 (3038 f.).; s.a. BVerfGE, BRAK-Mitt. 2012, 77 (79). 5 BGH, NJW 2011, 3036 (3038). 6 BVerfG, BRAK-Mitt. 2012, 77 (78 f.). 7 Hartung/Römermann/Römermann, 4. Aufl., vor § 59a Rz. 89; Karl, NJW 2010, 967 ff.; vgl. auch K. Schmidt, DB 2009, 271. 8 Krit. Henssler, NZG 2011, 1121 ff. 9 Dazu AGH München, NZG 2011, 344 (347). 10 Dahns/Keller, BRAK-Mitt. 2012, 98, 103; näher oben Rz. 41. 11 BGH, AnwBl. 2005, 424 (425 ff.).
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Berufliche Zusammenarbeit
Rz. 49 § 59a BRAO
tätigkeit mangels ausdrücklicher Verbotsnormen nicht versagt werden könne. Zwar sehe § 59c Abs. 1 BRAO nur die Zulassung von GmbHs zur Anwaltschaft vor. Jedoch habe der Gesetzgeber seinerzeit bewusst auf eine Aussage zur Zulässigkeit von Anwalts-Aktiengesellschaften verzichtet. Aus einem derartigen Regelungsverzicht könne ein Verbot der Anwalts-AG aber nicht hergeleitet werden.1 Ergänzend stützt der BGH die grundsätzliche Zulässigkeit der Anwalts-AG auf Art. 3 GG. Wenn die Aktiengesellschaft in einer ihrer Rechtsform entsprechenden Weise den wesentlichen Anforderungen genüge, die an die Zulassung einer GmbH als Rechtsanwaltsgesellschaft zu stellen sind und die in §§ 59c ff. BRAO ihren Niederschlag gefunden haben, könne der AG die Zulassung als Rechtsanwaltsgesellschaft im Hinblick auf den Gleichheitssatz nicht versagt werden.2 Damit hat sich die im Schrifttum vertretene Auffassung3 erledigt, eine Anwalts-AG sei lediglich als Besitz- oder Organisationsgesellschaft statthaft. Der BGH begründet die Zulässigkeit der Anwalts-AG verfassungsrechtlich allein aus Sicht der Gesellschaft. Ebenso hätte man die Notwendigkeit einer Zulassung der AG zur Rechtsanwaltschaft über Art. 12 GG jedoch auch aus Sicht des einzelnen Anwalts herleiten können. Wenn ihm die Organisation im Rahmen einer GmbH gestattet wird, muss er grundsätzlich auch die Möglichkeit zur Organisation in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft besitzen.4 Der BGH lässt dabei ausdrücklich dahinstehen, ob es verfassungsrechtlich möglich gewesen wäre, Anwälten den Zugang zu Kapitalgesellschaften generell zu versagen. Nachdem Rechtsprechung und Gesetzgebung aber einmal den Weg für die Anwalts-GmbH freigemacht haben, ließ sich ein Verbot der Anwalts-AG jedoch nicht länger aufrechterhalten.5 bb) Behandlung „in Anlehnung an die Anwalts-GmbH“ Was die Zulassungsvoraussetzungen im Einzelnen anbetrifft, war dem BGH mangels Annahme einer Regelungslücke der Weg zu einer Analogie zu den Vorschriften über die Anwalts-GmbH nach §§ 59c ff. BRAO versperrt.6 Ausgehend von einem bewussten Regelungsverzicht des Gesetzgebers gelangt er jedoch letztlich zum selben Ergebnis, indem er die in §§ 59c ff. BRAO aufgestellten Voraussetzungen zu allgemeinen Rechtsgrundsätzen über die Eigenverantwortlichkeit und Weisungsfreiheit der anwaltlichen Berufsausübung in einer Kapitalgesellschaft erhebt und die Voraussetzungen für die berufsrechtliche Zulassung der Anwalts-AG „in Anlehnung“ hieran festlegt.7
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cc) Zulassungsvoraussetzungen im Einzelnen Danach müssen für die Zulassung einer Anwalts-AG folgende Bedingungen erfüllt sein: – Eigenverantwortlichkeit und Weisungsfreiheit der in der Anwalts-AG tätigen Rechtsanwälten, – Beschränkung des Unternehmensgegenstandes auf die Übernahme von Aufträgen, die nach § 3 Abs. 1 BRAO zur Berufstätigkeit von Rechtsanwälten gehören, – Verzicht auf Mitgliedschaft in beruflichen Zusammenschlüssen (vgl. § 59c Abs. 1 und 2 BRAO), – Beschränkung des Kreises der Aktionäre auf in der Gesellschaft tätige Rechtsanwälte und Angehörige anderer sozietätsfähiger Berufe (vgl. § 59e Abs. 1 S. 1 und 2 BRAO), – verantwortliche Führung der Anwalts-AG durch Rechtsanwälte und anwaltliche Mehrheit im Vorstand (vgl. § 59f BRAO). Darüber hinaus müssen für die Zulassung der Anwalts-AG nach der Rechtsprechung des BGH auch die allgemeinen, nichtspezifisch gesellschaftsrechtlichen Voraussetzungen für die Berufsausübung als Rechtsanwalt gegeben sein. Dies sind insbesondere geordnete Vermögensverhältnisse (d.h. kein Vermögensverfall i.S.v. §§ 7 Nr. 9, 59d Nr. 2 BRAO) und das Bestehen einer hinreichenden Berufshaftpflichtversicherung. Entfällt eine dieser Voraussetzungen nach der Zulassung der Anwalts-AG, so führt dies nach den Maßstäben des BGH in 1 2 3 4 5 6 7
BGH, AnwBl. 2005, 424 f.; Henssler, AnwBl. 2005, 374. BGH, AnwBl. 2005, 424 (426); Henssler, AnwBl. 2005, 374. Kempter/Kopp, NJW 2004, 3605 (3607). Henssler, AnwBl. 2005, 374 f. BGH, AnwBl. 2005, 424 (426). Henssler, AnwBl. 2005, 374 f. BGH, AnwBl. 2005, 424 (426).
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§ 59a BRAO Rz. 50
Berufliche Zusammenarbeit
gleicher Weise zum Erlöschen, zur Zurücknahme oder zum Widerruf der Zulassung wie bei der GmbH (vgl. § 59h BRAO).1 50
Um eine jederzeitige Überprüfbarkeit der Zulassungsvoraussetzungen durch die Berufsaufsicht sicherzustellen, unterliegt die Anwalts-AG den gleichen Mitwirkungs- (§ 36a Abs. 2 BRAO) und Anzeigepflichten (§ 59m Abs. 1 BRAO) wie die Anwalts-GmbH. Sie hat danach insbesondere jede Änderung der Satzung, des Aktionärskreises, des Vorstandes und des Aufsichtsrates sowie die Errichtung oder Auflösung von Zweigniederlassungen der zuständigen Rechtsanwaltskammer unter Beifügung einer öffentlich beglaubigten Abschrift der jeweiligen Urkunde unverzüglich anzuzeigen. Wird die Änderung im Handelsregister eingetragen, ist ein beglaubigter Handelsregisterauszug nachzureichen. Um die Einhaltung der Mitteilungspflichten hinsichtlich der Zusammensetzung des Aktionärskreises gewährleisten zu können, muss sich die Gesellschaft nach § 68 Abs. 2 AktG auf die Ausgabe vinkulierter Namensaktien beschränken, deren Übertragung an ihre Zustimmung gebunden bleibt.2 Schließlich gelten nach den vom BGH entwickelten Regeln die (sonstigen) anwaltlichen Berufspflichten nach Maßgabe der für die Anwalts-GmbH einschlägigen Verweisung in § 59m Abs. 2 BRAO für die Anwalts-AG entsprechend. 4. Bürogemeinschaft a) Rechtliche Einordnung
51
Die rechtliche Einordnung von Vereinbarungen über die Begründung einer Bürogemeinschaft ist umstritten. Zum Teil wird von einem typengemischten Vertrag mit miet-, dienst- und gesellschaftsvertraglichen Elementen ausgegangen.3 Die überwiegende Meinung ordnet die Bürogemeinschaft jedoch (vorbehaltlich ausdrücklicher Wahl anderer Gestaltungsformen durch die betroffenen Berufsträger) als BGB-Gesellschaft ein.4 Letztlich dürfte die Qualifikation davon abhängen, wie weit man den Begriff der Bürogemeinschaft i.S.v. § 59a Abs. 3 BRAO versteht. Setzt man zutreffender Weise eine gemeinsame Verwaltung und Nutzung der Organisationsstruktur der Kanzlei voraus, wird man stets von der Verfolgung eines gemeinschaftlichen Zwecks der Parteien ausgehen können und deshalb das Vorliegen einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts zu bejahen haben. Jene wird den gemeinsamen Betrieb der technischen Ausstattung (z.B. Kopierer, Faxgerät, EDV-Anlage) ebenso umfassen wie den gemeinsamen Abschluss der für den Kanzleibetrieb erforderlichen Verträge (Raummiete, Kaufverträge über Bürogegenstände, Elektrizitätsbezug, etc.) und ggf. auch die gemeinsame Einstellung von Personal.5 b) Abgrenzung
52
Beschränkt sich das Zusammenwirken der Anwälte dagegen allein auf die gemeinsame Anschaffung eines bestimmten Gegenstandes (z.B. eines Kopiergerätes) oder auf den gemeinsamen Abschluss des Mietvertrages über die Kanzleiräume, sind die Parteien regelmäßig nicht durch einen über diesen Vorgang hinausgehenden Zweck verbunden. Es liegt dann lediglich ein einfaches Austauschverhältnis mit mehreren Beteiligten, richtigerweise jedoch keine Bürogemeinschaft i.S.v. § 59a Abs. 3 BRAO vor.6 c) Innen- bzw. Außengesellschaft
53
Anders als man auf den ersten Blick annehmen könnte, ist die Bürogemeinschaft keine reine Innengesellschaft. Zwar werden die in der Bürogemeinschaft tätigen Anwälte in aller Regel ein gemeinsames Auftreten gegenüber den Mandanten vermeiden, um den Rechtsschein einer Sozietät und damit eine gesamtschuldnerische Haftung für Fehler bei der Berufsausübung auszuschließen.7 Bei der Deckung des Kanzleibedarfs, der Einstellung von Personal und der Anmietung der Kanzleiräume treten sie jedoch regelmäßig auch im Außenverhältnis gemeinsam auf.8 1 2 3 4 5 6 7 8
BGH, AnwBl. 2005, 424 (426). BGH, AnwBl. 2005, 424 (427). Nachweise bei Henssler/Streck/Hartung, Kap. I Rz. 33. Zuck, Vertragsgestaltung bei Anwaltskooperationen, Vertragsmuster mit Erläuterungen für verfestigte Kooperation, Bürogemeinschaft, EWIV, 1995, Rz. 78 ff.; Henssler/Prütting/Hartung, § 59a Rz. 150. Einzelheiten bei Henssler/Streck/Hartung, Kap. I Rz. 38 ff. Näher Henssler/Streck/Hartung, Kap. I Rz. 38 ff. Henssler/Prütting/Hartung, § 59a Rz. 153. Henssler/Streck/Hartung, Kap. I Rz. 46, 51, 55.
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Berufliche Zusammenarbeit
Rz. 57 § 59a BRAO
5. EWIV Die Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung (EWIV) ist keine Berufsausübungsgesellschaft, sondern lediglich eine Betriebsgesellschaft zur transnationalen Kooperation von Freiberuflern innerhalb der Europäischen Union. Sie beruht auf einer gemeinschaftsrechtlichen Grundlage.1 Der Gesellschaftszweck der EWIV ist darauf beschränkt, die wirtschaftliche Tätigkeit ihrer Mitglieder zu erleichtern oder zu entwickeln sowie die Ergebnisse dieser Tätigkeit zu verbessern oder zu steigern. Die EWIV hat nach Art. 3 Abs. 1 der Verordnung ausdrücklich nicht den Zweck, Gewinne für sich selbst zu erzielen. Erwägungsgrund Nr. 5 der Verordnung begründet ein sog. Ersetzungsverbot, wonach die EWIV nicht die Tätigkeit eines ihrer Mitglieder ersetzen darf. Die EWIV selbst übt also keinen freien Beruf aus und ist unmittelbar als solche auch nicht zur Rechtsberatung befugt. Ihre Tätigkeit steht nach Art. 3 Abs. 2 der Verordnung lediglich im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Tätigkeit ihrer Mitglieder und hat lediglich helfenden und unterstützenden Charakter. Die EWIV kommt demnach regelmäßig nur für Anwaltskooperationen in Betracht.2 Weil § 59a Abs. 1 und 2 BRAO für Kooperationen nicht greifen, können sich Anwälte im Rahmen einer EWIV grundsätzlich auch mit Personen außerhalb des Kreises der sozietätsfähigen Berufe zusammenschließen.3 Mitglieder einer EWIV können nicht nur einzelne Rechtsanwälte sein,4 sondern auch Rechtsanwaltssozietäten.5
54
III. Berufsrechtliche Vorgaben für Berufsausübungsgemeinschaften 1. Allgemeine Regelungen a) Zusammensetzung § 59a Abs. 1 und 2 BRAO regeln – wie oben unter Rz. 20 bereits ausgeführt – abschließend die mögliche Zusammensetzung von Berufsausübungsgemeinschaften. Berufsausübungsgemeinschaften mit anderen im Inland zugelassenen Rechtsanwälten sind unproblematisch zulässig. Anwaltskapitalgesellschaften dürfen sich jedoch wegen § 59c Abs. 2 BRAO nicht an anderen anwaltlichen Berufsausübungsgesellschaften beteiligen.6 Die Beteiligung an Partnerschaften ist zusätzlich nach § 1 Abs. 1 S. 3 PartGG verboten. Für interprofessionelle und internationale Berufsausübungsgemeinschaften gelten besondere Regelungen.7
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b) Aufhebung des Verbots der Sternsozietät § 59a Abs. 1 S. 1 BRAO a.F. enthielt nach h.M. ein Verbot der Sternsozietät, das aber durch die Neufassung der Vorschrift durch das Gesetz zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts v. 12.12.20078 aufgehoben worden ist.
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aa) Frühere Rechtslage Nach überwiegender Auffassung war dem Wortlaut von § 59a Abs. 1 S. 1 BRAO a.F. ein Verbot der Sternsozietät zu entnehmen, weil sich Rechtsanwälte danach lediglich „in einer Sozietät“ zusammenschließen durften.9 Zwar war das Verständnis des Worts „eine“ als Zahlwort keineswegs zwingend. Vielmehr konnte man ihm auch die Bedeutung eines unbestimmten Artikels beilegen.10 Das Verbot der Sternsozietät entsprach jedoch dem Willen des historischen Gesetzgebers, der damit den Erwartungen des Rechtsverkehrs Rechnung tragen wollte.11 Sinn und Zweck sowie Verfassungsmäßigkeit der Beschränkung waren umstritten.12 1 2 3 4 5 6 7 8 9
Verordnung (EWG) Nr. 2137/85 des Rates v. 25.7.1985, ABl. EG Nr. L 199, 1. Vgl. Hartung/Römermann/Römermann, 4. Aufl., vor § 59a Rz. 137. Zuck, NJW 1990, 954 (957). So aber Müller-Gugenberger, NJW 1989, 1449 (1456). Hartung/Römermann/Römermann, 4. Aufl., vor § 59a Rz. 141; Grüninger, DB 1990, 1449 (1451 ff.). Dazu näher § 59c BRAO Rz. 23, 30. S.u. Rz. 85 ff., 93 ff. BGBl. I, S. 2840. BGH, NJW 1999, 2970 (2971 f.); NJW 2003, 3548 f.: keine gleichzeitige Mitgliedschaft in Sozietät und Bürogemeinschaft; zur Verfassungsmäßigkeit des Verbots der Sternsozietät BGH, NJW 2006, 1132 (1133 f.). 10 Hartung/Römermann/Römermann, 4. Aufl., § 59a Rz. 8.; s.a. Kilian, NZG 2001, 150 (154, Fn. 42). 11 BT-Drs. 12/4993, S. 33; Zuck, NJW 1999, 263 (265). 12 Kilian, NJW 2001, 326 ff.; Henssler, ZIP 1998, 2121 ff.; Römermann, EWiR 2006, 365 f.
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§ 59a BRAO Rz. 58
Berufliche Zusammenarbeit
Zur Vermeidung der Einbeziehung freiberuflicher Einkünfte in die Gewerbesteuer1 bei gleichzeitiger Durchführung von Insolvenzverwaltungen wurde die Zugehörigkeit zu zwei personenidentischen Sozietäten vielfach für zulässig gehalten.2 58
Die Ursprungsfassung des früheren § 31 BORA erstreckte das Verbot der Sternsozietät mittelbar auch auf nicht-anwaltliche Sozien, indem sie Rechtsanwälten den Zusammenschluss mit Wirtschaftsprüfern oder Steuerberatern untersagte, die bereits in einer anderen Gesellschaft tätig waren. Der BGH erklärte diese Regelung jedoch mangels hinreichender Satzungsermächtigung in der BRAO für unwirksam.3 Die Entscheidung wirft ein Schlaglicht auf das Problem, dass die Satzungsversammlung bei der Bundesrechtsanwaltskammer als Selbstverwaltungsorgan nur Vorschriften für die Mitglieder des eigenen Berufsstandes aufstellen kann. Wirtschaftsprüfer und Steuerberater durften sich deshalb im Gegensatz zu Rechtsanwälten mangels eines entsprechenden Verbots im eigenen Berufsrecht schon früher an verschiedenen interprofessionellen Sozietäten mit Rechtsanwälten beteiligen. bb) Jetzige Rechtslage
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Mit dem Gesetz zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts v. 12.12.20074 sind die Worte „in einer Sozietät“ in § 59a Abs. 1 S. 1 BRAO gestrichen worden. Der Gesetzgeber hat das Verbot der Sternsozietät mithin aufgehoben. § 31 BORA als der BRAO gegenüber nachrangiges Satzungsrecht war damit obsolet und ist ebenfalls aufgehoben worden (unten § 31 BORA Rz. 1 f.). Die gleichzeitige Mitgliedschaft in verschiedenen Berufsausübungsgemeinschaften ist damit für Rechtsanwälte nunmehr zulässig.
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In der Praxis wird der in einer Sternsozietät tätige Rechtsanwalt darauf achten müssen, für welche Sozietät er im Einzelfall ein Mandat entgegennimmt und inwiefern er dies offen legen muss. So ist z.B. denkbar, dass ein Mandant nicht eine Sozietät, sondern vielmehr einen Anwalt beauftragt, ohne sich über dessen Beteiligung an mehreren Sozietäten bewusst zu sein. In diesem Fall empfiehlt es sich für den Rechtsanwalt, Auskunft darüber zu geben, für welche Sozietät er das Mandat annimmt. Auf diese Weise werden Unklarheiten hinsichtlich des Kreises der verpflichteten Sozien von vornherein vermieden. Je nachdem, ob die eine Sozietät in Form einer GbR und die andere Sozietät z.B. als Partnerschaft organisiert ist, können sich zudem für den Mandanten bei der Auswahl des Anwalts wichtige Unterschiede im Hinblick auf den Haftungsumfang des betroffenen beruflichen Zusammenschlusses ergeben.5
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Auch die Einhaltung des Verbots der Vertretung widerstreitender Interessen dürfte in der Sternsozietät besondere Probleme aufwerfen. Die vom BVerfG postulierte „verantwortliche Beurteilung“ des Konfliktpotentials durch die betroffenen Rechtsanwälte6 stellt bereits beim Sozietätswechsel hohe Anforderungen beim Ausgleich zwischen Verschwiegenheitspflicht und Auskunftspflicht gegenüber den betroffenen Mandanten. Durch die Zulassung der Sternsozietät wird dieses Problem künftig zum Dauerzustand zwischen den Sozietäten werden, an denen der Sternsozius beteiligt ist. Der Sternsozius wird folglich in hohem Maße mit Kollisionsprüfungen befasst sein, um die fortlaufende Gefahr eines Verstoßes gegen § 43a Abs. 4 BRAO zu vermeiden.7
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Zum Schutz der Neutralität des Anwaltsnotars sah der Regierungsentwurf eine Erstreckung des Mitwirkungsverbots nach § 3 Abs. 1 Nr. 7 BeurkG ursprünglich allein auf die Fälle vor, in denen der Sozius des Sozius des Anwaltsnotars in derselben Angelegenheit anwaltlich tätig wird (Sternsozietät der ersten Stufe). Die Bundesregierung wollte damit den Fall erfassen, dass ein Anwaltsnotar indirekt in der Weise an eine Rechtsanwaltskanzlei angegliedert ist, dass er nur mit einem der Kanzleianwälte eine Berufsausübungs- oder Bürogemeinschaft bildet, welcher ihm die Kanzleimandate zur Beurkundung zuführt und als Mittler für eine Beteiligung der anderen Kanzleimitglieder an den Notargebühren dient.8 Wie der Bundesrat zutreffend ausgeführt hat, wäre eine derartige Regelung zum Schutz der Neutralität des An1 Vgl. BFH, NJW 1997, 2404 f.; NJW 2002, 919 f.; Olbing/Kamps, AnwBl. 2002, 168 ff.; Seer/Drüen, BB 2000, 2176 ff. 2 AGH Hamburg, AnwBl. 1999, 226 f. 3 BGH, NJW 1999, 2970 (2971 f.); Becker-Eberhard, JZ 2000, 418 (419 f.). 4 BGBl. I, S. 2840. 5 Zur haftungs- und versicherungsrechtlichen Situation bei der Sternsozietät Laschke, AnwBl. 2009, 546 ff. 6 BVerfGE 108, 150 (158 ff.). 7 Näher Quaas, NJW 2008, 1697 ff. 8 BT-Drs. 16/3655, S. 84; zur Bedeutung der allgemeinen Unparteilichkeitspflicht nach § 14 BNotO im Kontext der Sternsozietät ebendort S. 120.
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Berufliche Zusammenarbeit
Rz. 64 § 59a BRAO
waltsnotars nicht ausreichend gewesen. Zur effektiven Absicherung der Unparteilichkeit ist vielmehr eine Ausdehnung auch auf die Fälle geboten, in denen es dem Anwaltsnotar und dem vorbefassten Anwalt an einem gemeinsamen Sozius fehlt und die Sternsozietät nur über die Zwischenschaltung eines oder mehrerer weiterer Anwälte vermittelt wird (Sternsozietät der zweiten Stufe).1 Der Bundestag hat dem insoweit Rechnung getragen, als er das Mitwirkungsverbot nach § 3 Abs. 1 Nr. 7 BeurkG über den Sozius des Sozius hinaus auf Vorbefassungsfälle von Angehörigen solcher Anwaltsunternehmen erstreckt hat, die mit der Anwaltskanzlei des Notars ein verbundenes Unternehmen i.S.v. § 15 AktG bilden. Der Begriff des verbundenen Unternehmens ist dabei rechtsformübergreifend zu verstehen und umfasst alle Arten von Anwaltskonzernen, unabhängig davon, ob eine Anwalts-AG beteiligt ist oder nicht.2 c) Scheinsozietät Vielfach kommt es in der Praxis zur Kundgabe sog. Außen- oder Scheinsozietäten, bei denen in Wahrheit keine Sozietät besteht, sondern die im Kanzleibriefkopf aufgeführten Anwälte lediglich Mitarbeiter des Kanzleiinhabers sind. Entsprechend der früher in § 8 S. 1 BORA a.F. ausdrücklich enthaltenen Klarstellung ist es für die Zulässigkeit des Hinweises auf eine Berufsausübungsgemeinschaft unerheblich, ob die gemeinschaftlich tätigen Berufsträger gesellschaftsrechtlich miteinander verbunden sind oder ob lediglich ein Anstellungsverhältnis besteht bzw. freie Mitarbeit geleistet wird. Die Rechtsprechung sieht demzufolge im Einklang mit der herrschenden Lehre Scheinsozietäten heute allgemein berufsrechtlich als unbedenklich an.3 Demgegenüber hatte der BGH die Kundgabe von Scheinsozietäten früher für unzulässig gehalten und dies u.a. mit der Verkehrsauffassung der rechtsuchenden Bevölkerung begründet, die „eine kollegiale Zusammenarbeit aller gleichzeitig aufgeführten Rechtsanwälte auf gleicher Ebene“ erwarte.4 Man mag in der Tat darüber streiten, ob das Vertrauen des Mandanten in die Unabhängigkeit seines anwaltlichen Beraters in der Weise schutzwürdig ist, dass jener frei von Weisungen und Bindungen im Rahmen eines Angestelltenverhältnisses handelt. Überwiegend wird heute nurmehr die Haftungssituation als maßgeblich für die Kundgabe einer Außensozietät angesehen.5 Insoweit besteht tatsächlich kein Bedürfnis zur Offenlegung der vertraglichen Grundlagen der beruflichen Zusammenarbeit. Wegen der haftungsrechtlichen Folgen der Scheinsozietät wird auf die Ausführungen oben unter Rz. 35 verwiesen.
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d) Mischsozietät § 59a Abs. 1 S. 2 BRAO stellt klar, dass Bestimmungen, die die Vertretung bei Gericht betreffen, die Sozietätsfähigkeit nicht einschränken: Nach der früher herrschenden Lehre von der Doppelverpflichtung wurde das für die Anwaltssozietät in der Form der GbR konstitutive Merkmal der gemeinsamen Entgegennahme von Aufträgen in Frage gestellt, sofern einzelne Mitglieder in dem betreffenden Verfahren wegen zahlenmäßiger Beschränkung der Wahlverteidiger nach § 137 Abs. 1 S. 2 StPO nicht auftreten durften bzw. vor dem erkennenden Gericht nicht postulationsfähig waren (§ 78 ZPO). Gemäß § 59a Abs. 1 S. 2 BRAO kam das Mandatsverhältnis auch bei derartigen Mischsozietäten mit sämtlichen anwaltlichen Sozien zustande. Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist – wie oben ausgeführt – von einer Rechts- und Parteifähigkeit der BGB-Gesellschaft auszugehen.6 Abgesehen vom Sonderfall der Einzelmandatierung bestimmter Sozien kommt das Mandatsverhältnis deshalb nach heutigem Verständnis regelmäßig allein mit der BGB-Gesellschaft zustande.7 Die Sozien haften für die Erfüllung des Mandatsverhältnisses lediglich akzessorisch. Eine gesonderte Regelung über die gemeinsame Entgegennahme von Aufträgen (und die daraus folgende gesamtschuldnerische Haftung) in Fällen, in denen lediglich einzelne Sozien zur Vertretung bei Gericht befugt sind, ist deshalb nicht mehr erforderlich. Vielmehr haften nach der heutigen Rechtslage unabhängig von der jeweiligen Vertretungsbefugnis stets sämtliche Gesellschafter einer BGB-Gesellschaft akzessorisch, wenn auch bei fehlender eigener Erfüllungsmöglichkeit ggf. nicht auf Erfüllung, sondern nur auf Schadensersatz.8 1 2 3 4 5 6 7 8
BT-Drs. 16/3655, S. 107. So die Begründung der Beschlussempfehlung des BT-Rechtsausschusses, BT-Drs. 16/6634, S. 117. BGH, NJW 2001, 165 f.; Henssler/Prütting/Prütting, § 8 BORA Rz. 2. BGH, NJW 1996, 2308 (2310); Hartung/Römermann/Römermann, 4. Aufl., § 8 BORA Rz. 36. Hartung/Römermann/Römermann, 4. Aufl., § 8 BORA Rz. 38 ff. Oben Rz. 30. Grunewald, ZAP 2001, 627 f. = Fach 23, 551 f.; s. ferner oben Rz. 30. Näher Baumbach/Hopt/Hopt, § 128 HGB Rz. 8 ff.
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§ 59a BRAO Rz. 65 65
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§ 59a Abs. 1 S. 2 BGB ist aber nicht nur gesellschaftsrechtlich überholt. Vielmehr ist in Zivilsachen inzwischen auch der berufs- und verfahrensrechtliche Hintergrund der Vorschrift weitgehend entfallen. Bereits zum 1.1.2000 hatte der Gesetzgeber das in § 78 ZPO a.F. verankerte Prinzip der Beschränkung der Postulationsfähigkeit vor den Landgerichten auf das Gericht der jeweiligen Zulassung aufgehoben und eine bundesweite Postulationsfähigkeit vor sämtlichen Landgerichten eingeführt.1 Am 13.12.2000 erklärte das BVerfG die Singularzulassung beim OLG nach § 25 BRAO a.F. für verfassungswidrig.2 Mit dem Gesetz zur Änderung des Rechts der Vertretung durch Rechtsanwälte vor den Oberlandesgerichten vom 23.7.20023 eröffnete der Gesetzgeber sodann entsprechend den Vorgaben des BVerfG die Möglichkeit der Simultanzulassung vor den Amts- und Landgerichten und dem Oberlandesgericht und führte darüber hinaus die bundesweite Postulationsfähigkeit vor sämtlichen Oberlandesgerichten ein. Allein an dem Grundsatz, dass eine Zulassung vor dem Oberlandesgericht fünf Jahre Berufserfahrung erforderte, hielt der Gesetzgeber zunächst noch fest. Durch das Gesetz zur Stärkung der Selbstverwaltung der Rechtsanwaltschaft vom 26.3.20074 hat der Gesetzgeber nunmehr das Prinzip der Zulassung bei einem bestimmten Gericht in § 18 BRAO a.F. ersatzlos abgeschafft. Gleichzeitig hat er auch die Wartefrist für die Postulationsfähigkeit vor den Oberlandesgerichten beseitigt, sodass nunmehr jeder Rechtsanwalt in Zivilsachen mit Ausnahme des BGH, bei dem eine eigene Anwaltschaft besteht, vor allen Gerichten bundesweit auftreten kann.5 Weil eine Mischsozietät mit BGH-Anwälten nicht möglich ist und jene sich allein untereinander verbinden können,6 ist der Fall unterschiedlicher Postulationsfähigkeit von in einer BGB-Gesellschaft zusammengeschlossenen Anwälten heute nicht mehr denkbar. § 59a Abs. 1 S. 2 BGB hat also auch insoweit keine Bedeutung mehr. e) Vertretung widerstreitender Interessen
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Besondere Bedeutung erlangt bei Berufsausübungsgemeinschaften das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen nach § 43a Abs. 4 BRAO, welches durch § 3 BORA eine nähere Konkretisierung erfahren hat. aa) Rechtstatsächlicher Hintergrund
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Aufgrund der zunehmenden Oligopolisierung namentlich im wirtschaftsberatenden Bereich ist es heute keine Seltenheit mehr, dass großen Anwaltssozietäten gleichzeitig oder nacheinander Mandate von Klienten mit entgegengesetzten Interessen angetragen werden. Zwar ist unter Rechtsanwälten weltweit das Prinzip anerkannt, dass niemand Diener zweier Herren sein kann.7 Umstritten ist jedoch, wie sich dieser Grundsatz im Einzelfall auswirkt. Berufsrechtlich sind hier vier Problemkreise betroffen: Es geht um den ungeteilten Einsatz für die Belange des Mandanten,8 den Schutz sensibler Informationen,9 den Schutz des Vertrauens zwischen Anwalt und Mandant im konkreten Einzelfall10 und den Schutz des Vertrauens der Öffentlichkeit in die Integrität der Anwaltschaft im Allgemeinen.11 Viele Großkanzleien versuchen die Problematik von Interessenkonflikten durch organisatorische Vorrichtungen in Form sog. screens oder chinese walls zu lösen. Jene sollen den kanzleiinternen Informationsfluss unterbinden und die gleichzeitige oder sukzessive Vertretung von Mandanten mit gegenläufigen Interessen durch Anwälte derselben Sozietät ermöglichen.12 Während sich der Einzelanwalt oder Partner in einer überschaubaren Sozietät in vergleich1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
RABerufsRNeuOG v. 17.12.1999 (BGBl. I, S. 2448). BVerfGE 103, 1 (13 ff.). BGBl. I, S. 2850. BGBl. I, S. 358. Hommerich/Kilian, NJW 2007, 2308 f.; Dahns, NJW 2007, 1553 (1554 f.). § 172a BRAO. Matthäus 6, 24. Wolfram, Modern Legal Ethics, 1986, S. 316 f. BT-Drs. 12/4993, S. 27; Henssler, NJW 2001, 1521 f. BVerfGE 108, 150 (158 ff.); Müller, AnwBl. 2001, 491 f. US-amerikanische Gerichtsentscheidungen sprechen hier prägnant von „perception of impropriety in the eyes of the public“; vgl. etwa In re Corrugated Container Antitrust Litigation, 659 F.2d 1341, 1345 (5th Cir. 1981). Die Entscheidung bezog sich allerdings noch auf Disciplinary Rule (DR) 9–101 des Model Code of Professional Responsibility der American Bar Association von 1969 und ist nach Ablösung des Model Code durch die Model Rules 1983 in den meisten Bundesstaaten überholt; vgl. aber Steel v. General Motors Corp., 912 F. Supp. 724, 740 f. (D.N.J. 1995); kritisch zum Ganzen Wolfram, Modern Legal Ethics, 1986, S. 319 ff.; Kilian, WM 2000, 1366 (1369). 12 Kilian, WM 2000, 1366 (1372 ff.); Wolfram, Modern Legal Ethics, 1986, S. 401.
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Rz. 72 § 59a BRAO
baren Situationen jedoch selbst ein Urteil darüber bilden kann, ob er das Konfliktrisiko nach berufsethischen und standesrechtlichen Maßstäben für vertretbar hält, wird sich der Anwalt in der Großkanzlei in der Regel auf die Einschätzung der sozietätseigenen Clearing-Stelle verlassen müssen.1 bb) Verfassungsgerichtliche Vorgaben Dessen ungeachtet hat das BVerfG 2003 das strenge Konzept der Konfliktvermeidung nach § 3 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 BORA a.F. gekippt und zugunsten einer flexiblen Lösung im Einzelfall ersetzt.2 Früher galt: Hatte ein Partner oder angestellter juristischer Mitarbeiter der Kanzlei zuvor die Gegenseite vertreten, bestand (in derselben Rechtssache)3 ein Vertretungsverbot für die gesamte Sozietät. Dieses Vertretungsverbot galt auch dann fort, wenn der betroffene Anwalt die Sozietät inzwischen verlassen hatte.4 Das BVerfG erklärte die entsprechende Regelung jedoch für verfassungswidrig, weil es hierin eine unverhältnismäßige Erschwerung des Sozietätswechsels sah. Die abstrakte Möglichkeit eines Missbrauchs vertraulicher Informationen und die damit ggf. einhergehende Gefährdung des öffentlichen Vertrauens in die Integrität der Anwaltschaft seien nicht ausreichend, um ein so weitreichendes Verbot zu rechtfertigen. Jetzt soll es vielmehr nur noch auf die „verantwortliche Beurteilung“ des Konfliktpotentials durch die betroffenen Rechtsanwälte und die entsprechend aufgeklärten Mandanten im Einzelfall ankommen.5
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cc) Neufassung der Berufsordnung Die Satzungsversammlung hat mit Beschluss vom 7.11.20056 die Konsequenzen aus der Rechtsprechung des BVerfG gezogen und die Erstreckung des Vertretungsverbots im Falle widerstreitender Interessen auf die jeweilige Berufsausübungsgemeinschaft in § 3 Abs. 2 und 3 BORA neu geregelt. Hat ein Anwalt in derselben Rechtssache bereits eine andere Partei mit gegenteiligen Interessen vertreten oder beraten, gilt das Vertretungsverbot grundsätzlich nach wie vor für alle „mit ihm in derselben Berufsausübungs- oder Bürogemeinschaft … verbundenen Rechtsanwälte“ unabhängig von deren Rechts- bzw. Organisationsform. Dies gilt jedoch nicht, „wenn sich im Einzelfall die betroffenen Mandanten in den widerstreitenden Mandaten nach umfassender Information mit der Vertretung ausdrücklich einverstanden erklärt haben und Belange der Rechtspflege nicht entgegenstehen“.
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dd) Praktische Konsequenzen Unter Berücksichtigung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung ergeben sich aus dieser Programmatik folgende Schlussfolgerungen für die Praxis:
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Liegt ein Fall des „Sozietätswechsels“ vor, hat ein Anwalt also zuvor in einer anderen Berufsausübungsgemeinschaft gearbeitet, sind zunächst im Wege eines generellen Mandatsabgleichs mögliche Konflikte zwischen den Mandanten der aufnehmenden und der abgebenden Berufsausübungsgemeinschaft zu klären. Hierbei wird die aufnehmende Berufsausübungsgemeinschaft auf die Kooperation der früheren Kanzlei des Sozietätswechslers angewiesen sein, was den Mandatsabgleich im Einzelfall u.U. erschweren kann.7
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Unabhängig von einem möglichen „Sozietätswechsel“ hat die Berufsausübungsgemeinschaft in jedem Fall auch ihre eigenen früheren und laufenden Mandate mit dem neuen Mandat auf etwaige Interessenkonflikte abzugleichen.
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1 In den USA wird die Clearing-Stelle auch als „chair of conflicts“ bezeichnet. Oft werden die Aufgaben auch von einem „ethics committee“ oder „professional responsibility committee“ wahrgenommen. Zur Praxis des Konfliktmanagements Shapiro, 69 Fordham L. Rev. 1139 ff. (2000). 2 BVerfGE 108, 150 (158 ff.). 3 Die Beschränkung des Verbots der Vertretung widerstreitender Interessen auf „dieselbe Rechtssache“ wird von der h.M. aus § 356 StGB abgeleitet und ist unmittelbar in § 3 Abs. 1 BORA niedergelegt; Feuerich/ Weyland/Böhnlein, § 43a Rz. 60 ff.; Kilian, WM 2000, 1366 f.; krit. Henssler, NJW 2001, 1521 (1523). 4 Der BGH (NJW 2001, 1572 f.) stellte früher darauf ab, dass ein Mandatsvertrag nach der Doppelverpflichtungslehre bei der BGB-Gesellschaft im Regelfall mit allen Sozien zustande kam und sah den Tatbestand des Interessenkonflikts deshalb schon in der Person des einzelnen Anwalts als erfüllt an; dagegen Schlosser, NJW 2002, 1376 (1380). 5 BVerfGE 108, 150 (158 ff.); zu den negativen Folgen Hartung/Hartung, § 3 BORA Rz. 119 f. 6 Beschluss der fünften Sitzung der 3. Satzungsversammlung v. 7.11.2005, BRAK-Mitt. 2006, 79. 7 Westerwelle, NJW 2003, 2958 f.
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§ 59a BRAO Rz. 73
Berufliche Zusammenarbeit
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Ergibt der beschriebene Mandatsabgleich, dass ein potenzieller Interessenkonflikt zwischen Mandaten der früheren und der jetzigen Sozietät des betroffenen Anwalts bzw. zwischen eigenen Mandaten der jeweiligen Sozietät besteht, ist aufgrund einer konkreten Betrachtung im Einzelfall zu überprüfen, ob trotz dieses potenziellen Interessenkonflikts eine Weitergabe geheimhaltungsbedürftigen Wissens oder eine Beeinträchtigung der Interessenwahrnehmung ausgeschlossen ist. Dies mag z.B. aufgrund des Einsatzes von chinese walls oder wegen Bearbeitung der betroffenen Mandate ausschließlich an verschiedenen Kanzleistandorten der Fall sein.1
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Scheidet ein Interessengegensatz danach in tatsächlicher Hinsicht aus, ist der Berufsausübungsgemeinschaft die Übernahme des neuen Mandats trotz hierzu in Konflikt stehender eigener Mandate bzw. trotz der Wahrnehmung gegenteiliger Interessen durch die „Altsozietät“ des neu aufgenommenen „Sozietätswechslers“ erlaubt.
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Liegt demgegenüber ein tatsächlicher Interessenkonflikt vor, lässt sich die Weitergabe geheimhaltungsbedürftiger Informationen bzw. die Beeinträchtigung einer effektiven Interessenwahrnehmung also nicht mit hinreichender Sicherheit ausschließen, ist der Berufsausübungsgemeinschaft die Übernahme des neuen Mandats grundsätzlich verboten.2
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Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn die vollumfänglich informierten Mandanten einer Übernahme bzw. Fortführung der Mandate zustimmen, was nach § 3 Abs. 2 S. 3 BORA in Textform (§ 126b BGB; also z.B. per E-Mail3) erfolgen „soll“.4 Die betroffenen Mandanten auf beiden Seiten müssen dazu nicht nur bis ins Detail über den erkannten Interessenkonflikt, sondern auch über alle möglichen Konsequenzen aufgeklärt werden, was insbesondere den Hinweis darauf voraussetzt, dass trotz bestmöglicher Schutzmaßnahmen stets ein Restrisiko der Verwertung geheimhaltungsbedürftiger Informationen für die Gegenseite besteht.5 Ferner muss der Einverständniserklärung der Mandanten eine zutreffende Einschätzung des Interessenkonflikts zugrunde liegen. Beruht die Einverständniserklärung dagegen auf fehlerhaften Vorstellungen, hat die Berufsausübungsgemeinschaft die Übernahme bzw. Fortführung des betroffenen Mandats trotz Zustimmung der Mandanten abzulehnen. Die Aufklärung wird deshalb stets den Erfahrungshorizont der Mandanten berücksichtigen müssen. An sie werden bei rechtlich unerfahrenen Privatpersonen bzw. bei kleinen oder mittelständischen Unternehmen folglich regelmäßig strengere Anforderungen zu stellen sein als bei Großkonzernen mit eigener Rechtsabteilung.6
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Ob im Falle des Einverständnisses entsprechend aufgeklärter und informierter Mandanten mit der Mandatsübernahme bzw. -fortführung trotz eines Interessenkonflikts bei Zugrundelegung der Vorgaben der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung sonstige Belange der Rechtspflege denkbar sind, die hier ein Tätigkeitsverbot auslösen können, erscheint zweifelhaft.7 Denn das BVerfG lässt die bloße Gefährdung des öffentlichen Vertrauens in die Integrität der Anwaltschaft als Rechtfertigung für die sozietätsweite Erstreckung des Verbots der Vertretung widerstreitender Interessen ja – wie bereits erwähnt – gerade nicht mehr ausreichen.8 f) Sonstige Tätigkeitsverbote
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Zur „sozietätsweiten“ Erstreckung der Tätigkeitsverbote bei außeranwaltlicher Vor- bzw. Nachbefassung bzw. bei Vor- oder Nachbefassung als Syndikusanwalt wird auf die Kommentierung zu §§ 45 Abs. 3, 46 Abs. 3 BRAO verwiesen.
1 Westerwelle, NJW 2003, 2958 (2960). Zur Behandlung von Interessenkonflikten und Outsourcing-Strategien bei nunmehr zulässigen Stemsozietäten Quaas, NJW 2008, 1697 ff. 2 Ähnlich Westerwelle, NJW 2003, 2958 (2960); anders dagegen Hartung/Hartung, § 3 BORA Rz. 139, der eine Ausnahme von der Erstreckung des Verbots der Vertretung widerstreitender Interessen allein im Fall des „Sozietätswechsels“ und dort auch nur dann zulassen will, wenn der von einer in die andere Berufsausübungsgemeinschaft wechselnde Anwalt das widerstreitende Mandat nicht selbst bearbeitet hat. 3 BeckOK/Wendtland, § 126b BGB Rz. 5. 4 Ein Verstoß gegen das Formerfordernis hat mithin keine Unwirksamkeit der Einverständniserklärung zur Folge; vgl. Hartung/Hartung, § 3 BORA Rz. 151. 5 Westerwelle, NJW 2003, 2958 (2960). 6 Westerwelle, NJW 2003, 2958 (2960). 7 Kritisch aufgrund mangelnder Bestimmtheit des Begriffs der „Belange der Rechtspflege“ in § 3 Abs. 2 S. 2 BORA n.F. Hartung/Hartung, § 3 BORA Rz. 154 ff. 8 BVerfGE 108, 150 (158 ff.).
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Rz. 82 § 59a BRAO
g) Verschwiegenheitspflicht, Zeugnisverweigerungsrecht und Beschlagnahmeverbot Die Verschwiegenheitspflicht nach § 43a Abs. 2 BRAO und das Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO erstreckten sich in der BGB-Gesellschaft nach bisheriger Auffassung auf alle Sozien, gleichgültig ob diese Mandatsbearbeiter waren oder nicht. Begründet wurde dies regelmäßig damit, dass Mandatsaufträge nach der vorherrschenden Doppelverpflichtungslehre grundsätzlich von allen Sozien gemeinschaftlich entgegengenommen wurden.1 Jeder Sozius erlangte Kenntnis von relevanten Informationen demzufolge regelmäßig im Rahmen der Wahrnehmung eines eigenen Mandats und damit entsprechend dem Wortlaut von § 43a Abs. 2 BRAO im Rahmen seiner eigenen Berufsausübung. Geht man jedoch mit der neueren Rechtsprechung des BGH von der Rechts- und Parteifähigkeit der BGB-Gesellschaft aus, so wird allein jene Vertragspartner des Mandatsverhältnisses. Dieselbe Situation besteht auch bei der Partnerschaft und bei der Anwalts-GmbH (wo der Gesetzgeber eine Erstreckung der Verschwiegenheitspflicht in § 59m Abs. 2 und 3 BRAO bezeichnenderweise ausdrücklich geregelt hat). Zwar stellt eine Berufsausübungsgemeinschaft ihrem Wesen nach schon begrifflich einen Zusammenschluss zur gemeinschaftlichen Berufsausübung dar. Wie § 8 Abs. 2 PartGG und § 51a Abs. 2 S. 2 BRAO zeigen, geht der Gesetzgeber jedoch davon aus, dass eine Mandatsbearbeitung im Rahmen einer Berufsausübungsgemeinschaft auch durch einzelne Gesellschafter allein erfolgen kann. Wegen des außerhalb von screens und chinese walls regelmäßig freien Informationsflusses in einer Berufsausübungsgemeinschaft kann im Ergebnis von der Sache her aber kein Zweifel bestehen, dass die Verschwiegenheitspflicht nach § 43a Abs. 2 BRAO und das Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO für alle in der Berufsausübungsgemeinschaft tätigen Gesellschafter, angestellten Anwälte und freien Mitarbeiter gelten müssen.2 Mit dem Wortlaut von § 43a Abs. 2 BRAO bzw. § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO ist eine derart weite, an teleologischen Gesichtspunkten orientierte Auslegung durchaus vereinbar. Denn eine „Kenntniserlangung“ in Ausübung des eigenen Berufs bzw. in der Eigenschaft als Rechtsanwalt liegt auch dann vor, wenn der Anwalt von den geschützten Informationen nicht im Rahmen der eigenen Mandatsbearbeitung, sondern lediglich im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit für die jeweilige Berufsausübungsgemeinschaft erfahren hat.
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Konstruktiv unproblematisch ist regelmäßig auch die Erstreckung des Beschlagnahmeverbots nach § 97 Abs. 1 StPO auf alle in der Berufsausübungsgemeinschaft tätigen Gesellschafter. Das Beschlagnahmeverbot setzt nach § 97 Abs. 2 S. 1 StPO voraus, dass die betroffenen Gegenstände im Gewahrsam der Person sind, die zur Zeugnisverweigerung nach § 53 StPO berechtigt wäre. Bei Berufsausübungsgemeinschaften wird man regelmäßig unterstellen können, dass sämtlichen Gesellschaftern gemeinsam der Gewahrsam an den Kanzleiakten zusteht. Das Beschlagnahmeverbot greift daher unabhängig davon, welcher Gesellschafter das Mandat bearbeitet hat.3
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2. Überörtliche Berufsausübungsgemeinschaften a) Zulässigkeit § 59a Abs. 2 BRAO a.F. stellte früher ausdrücklich klar, dass überörtliche Berufsausübungsgemeinschaften zulässig sind. Was heute als selbstverständlich gilt, bedurfte aus der Sicht des Gesetzgebers 1994 noch einer gesonderten Regelung. Weil die Zulässigkeit überörtlicher Berufsausübungsgemeinschaften mittlerweile allgemein anerkannt ist, hielt der Gesetzgeber eine ausdrückliche Regelung zur überörtlichen Sozietät nunmehr offenbar für verzichtbar und hat § 59a Abs. 2 BRAO a.F. durch das Gesetz zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts v. 12.12.20074 aufgehoben. An der Zulässigkeit überörtlicher Sozietäten hat sich dadurch nichts geändert.
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b) Verantwortliche Leitung jedes Kanzleistandorts durch einen Gesellschafter Früher verlangte § 59a Abs. 2 BRAO a.F. für die Zulässigkeit überörtlicher Berufsausübungsgemeinschaften, dass in jeder Kanzlei zumindest ein Gesellschafter tätig war, für den 1 Vgl. Henssler/Prütting/Hartung, § 59a Rz. 106. 2 So zutreffend Henssler/Prütting/Kilian, § 43a Rz. 47; demgegenüber sieht Kleine-Cosack, § 43a Rz. 36 bei Berufsausübungsgemeinschaften eine „offene Flanke der Verschwiegenheitspflicht“; zur Verpflichtung von Kanzleimitarbeitern zur Verschwiegenheit wird auf die Kommentierung zu § 2 Abs. 4 BORA und zu § 43a BRAO verwiesen. 3 Henssler/Prütting/Hartung, § 59a Rz. 107. 4 BGBl. I, S. 2840.
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§ 59a BRAO Rz. 83
Berufliche Zusammenarbeit
diese Kanzlei den Mittelpunkt seiner beruflichen Tätigkeit bildete. Dies schloss aus, dass die Kanzlei von einem angestellten Rechtsanwalt oder einem freien Mitarbeiter geführt wurde.1 Weitergehend wurde aus § 59a Abs. 2 BRAO a.F. abgeleitet, dass sämtliche Gesellschafter oder gar sämtliche Anwälte in einer überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaft einen Standort zum Schwerpunkt ihrer beruflichen Tätigkeit machen mussten. § 59a Abs. 2 BRAO a.F. sollte eine Irreführung des rechtsuchenden Publikums darüber verhindern, dass einzelne Sozietätsanwälte gleichzeitig an mehreren Standorten tätig waren.2 Dies war unter dem früher geltenden Zweigstellenverbot nach § 28 BRAO a.F. verboten. Diese Vorschrift ist jedoch durch das Gesetz zur Stärkung der Selbstverwaltung der Rechtsanwaltschaft vom 26.3.20073 aufgehoben worden. Anwälte können seitdem beliebig viele Zweigstellen im Bundesgebiet einrichten und auswärtige Sprechtage abhalten. Die Forderung nach Bildung eines örtlichen Schwerpunkts des einzelnen Anwalts in der überörtlichen Sozietät ist damit obsolet geworden.4 Folgerichtig hat der Gesetzgeber sie fallen lassen. c) Intraurbane Berufsausübungsgemeinschaften 83
Zulässig sind neben überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaften mit Kanzleistandorten in verschiedenen Gemeinden auch intraurbane Berufsausübungsgemeinschaften, die mehrere Kanzleistandorte innerhalb einer Gemeinde unterhalten.5 In der Praxis finden sich intraurbane Berufsausübungsgemeinschaften freilich in der Regel nur übergangsweise, wenn zwei große Berufsausübungsgemeinschaften fusionieren, beide Berufsausübungsgemeinschaften am gleichen Standort ein eigenes Büro hatten und beide Büros zunächst noch nebeneinander fortbestehen. d) Besonderheiten bei überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaften
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Zur Behandlung von Interessenkonflikten in überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaften wird auf die vorstehenden Ausführungen unter Rz. 66 ff., zur Gestaltung des Briefkopfs und zur Verwendung von Kurzbezeichnungen auf die Kommentierung zu §§ 10 bzw. 9 BORA verwiesen. Ist ein Anwaltsnotar in seiner Eigenschaft als Rechtsanwalt mit nicht an seinem Amtssitz tätigen Personen zur gemeinsamen Berufsausübung verbunden oder hat er mit ihnen gemeinsame Geschäftsräume, darf er nach § 10a Abs. 1 BNotO als Notar grundsätzlich nur an seinem Amtssitz tätig werden. Das daraus abgeleitete Verbot der Verwendung der Amtsbezeichnung „Notar“ auf Geschäftspapieren, die von Büros der Berufsausübungsgemeinschaft außerhalb des Amtsbereichs des Notars versendet werden (§ 29 Abs. 3 S. 1 1. Alt. BNotO), ist durch Beschluss des BVerfG vom 8.3.2005 für mit Art. 12 GG unvereinbar und nichtig erklärt worden.6 Zur Begründung verweist das BVerfG darauf, dass jedem Notar die Berufsausübung außerhalb seines Amtsbereichs bereits anderweitig untersagt ist und die Regelung deshalb unverhältnismäßig sei. Vielmehr sei das Verbot sogar bedenklich, weil es die Seriosität des Anwaltsnotars in Frage stellen könne, wenn dieser je nach Versendungsort der Geschäftspost teilweise als „Rechtsanwalt und Notar“ und teilweise nur als „Rechtsanwalt“ auftrete. Zur Vermeidung einer Irreführung des rechtsuchenden Publikums sei es mithin ausreichend, wenn der Anwaltsnotar – dem Rechtsgedanken des § 29 Abs. 3 S. 2 BNotO folgend – auf den Briefbögen seiner Berufsausübungsgemeinschaft unter Nennung seiner Amtsbezeichnung als Notar und seines Amtssitzes erscheint. Eine Nennung allein der Amtsbezeichnung ohne Angabe des Amtssitzes bleibt dagegen auch weiterhin unzulässig.7 Auf die Namensschilder einer überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaft können die vom BVerfG entwickelten Grundsätze dagegen nicht übertragen werden, weil hier ein unmittelbarer Ortsbezug zu den jeweiligen Kanzleiräumen besteht. Das Verbot der Nennung der Amtsbezeichnung von an anderen Amtssitzen bestellten Anwaltsnotaren (§ 29 Abs. 3 S. 1 2. Alt. BNotO) ist hier gerechtfertigt, weil jene in den konkreten Kanzleiräumen gerade nicht als Notar tätig sind und dort auch keine Geschäftsstelle unterhalten.8 Entsprechendes gilt 1 2 3 4 5 6 7 8
Die Regelung ging zurück auf OLG Hamm, NJW 1991, 2650. OLG Hamm, NJW 1991, 2650. BGBl. I, S. 358. Hommerich/Kilian, NJW 2007, 2308 (2310 f.). Henssler/Streck/v. Westphalen, Kap. B Rz. 587. BVerfG, NJW 2005, 1483. Schippel/Bracker/Schäfer, § 29 BNotO Rz. 24. Schippel/Bracker/Bracker, § 3 DONot Rz. 5; zur früheren wettbewerbsrechtlichen Rechtsprechung zu Amts- und Namensschildern bei überörtlichen Sozietäten ferner OLG Köln, MittBayNot 1994, 478; AG Nordhausen, MittBayNot 1994, 479.
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Berufliche Zusammenarbeit
Rz. 87 § 59a BRAO
für anwaltliche Zweigstellen, die Anwaltsnotare außerhalb ihrer Geschäftsstelle als Notar unterhalten. Auch bei den Namensschildern solcher Zweigstellen ist die Verwendung der Amtsbezeichnung „Notar“ untersagt.1 3. Interprofessionelle Berufsausübungsgemeinschaften a) Zulässigkeit § 59a Abs. 1 S. 1 BRAO gestattet dem Rechtsanwalt neben dem Zusammenschluss mit anderen Rechtsanwälten auch die Eingehung einer Berufsausübungsgemeinschaft mit den Angehörigen der dort genannten sonstigen freien Berufe. Sozietätsfähig sind danach neben den Mitgliedern einer Rechtsanwaltskammer, wozu auch Kammerrechtsbeistände gehören, Mitglieder einer Patentanwaltskammer, Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer und vereidigte Buchprüfer. Diese Aufzählung ist abschließend. Der Zusammenschluss mit Angehörigen anderer freier Berufe ist nach geltendem Recht untersagt.2 Steuerberatungs- und Wirtschaftsprüfungskapitalgesellschaften dürfen sich an einer anwaltlichen Berufsausübungsgemeinschaft nach dem Normzweck des § 59c Abs. 2 BRAO3 ebenso wenig beteiligen wie die dort ausdrücklich genannte Anwalts-GmbH. Patenanwaltsgesellschaften ist die Beteiligung an anwaltlichen Berufsausübungsgemeinschaften bereits nach ihrem eigenen Berufsrecht untersagt (vgl. § 52c Abs. 2 PAO).4 Für Partnerschaften folgt das Verbot der Beteiligung freiberuflicher Kapitalgesellschaften ferner außerdem aus § 1 Abs. 1 S. 3 PartGG.
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b) Reichweite Die Zusammenarbeit bei interprofessionellen Berufsausübungsgemeinschaften beschränkt sich auf eine Tätigkeit „im Rahmen der eigenen beruflichen Befugnisse“. Der BGH hat daraus früher für die BGB-Gesellschaft gefolgert, dass ein Mandatsverhältnis im Zweifel nur mit denjenigen Sozien zustande kommt, die auf dem einschlägigen Sachgebiet tätig werden dürfen.5 Diese Rechtsprechung ist mit der Anerkennung der Rechtsfähigkeit der BGBGesellschaft und dem Siegeszug der Akzessorietätstheorie inzwischen überholt. Vielmehr geht nunmehr auch der BGH davon aus, dass die BGB-Gesellschaft als solche zur Mandatserfüllung verpflichtet wird und alle Sozien (einschließlich der berufsfremden Gesellschafter) akzessorisch hierfür haften.6 Dabei sind die Sozietätsmitglieder nach den allgemeinen für Personengesellschaften entwickelten Grundsätzen zur Vertragserfüllung freilich jeweils nur insoweit verpflichtet, wie dies ihr durch das jeweilige Berufsrecht definierter Aufgabenbereich gestattet. Ansonsten haften sie lediglich auf Geld.7
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c) Rechtsform Was die Rechtsform betrifft, so stehen für eine interprofessionelle Berufsausübungsgemeinschaft neben der klassischen GbR die Partnerschaft, die Anwalts-GmbH, die Anwalts-AG und nach Maßgabe des einschlägigen Gesellschaftsstatuts ggf. auch ausländische 1 KG, NJW 2008, 2197 f.; grundsätzlich auch BVerfG, DNotZ 2009, 792 (793 f.); näher Schippel/Bracker/Bracker, § 3 DONot Rz. 5a. 2 AGH BW, BRAK-Mitt. 1995, 169 f.; Henssler/Prütting/Hartung, § 59a Rz. 89; nicht sozietätsfähig sind z.B. ein Arzt oder eine Apothekerin (OLG Bamberg, BRAK-Mitt. 2011, 302 f.), eine Diplomverwaltungswirtin (vgl. BGH, BRAK-Mitt. 2003, 279), ein Mediator (AGH Celle, BZKM 2003, 85 f.; differenzierend Hartung/ Wendenburg, NJW 2009, 1551 ff.) oder ein US-amerikanischer Certified Public Accountant (vgl. OLG Frankfurt, NJW-RR 1998, 204 f.); kritisch Gotzens, Die interprofessionelle Zusammenarbeit von Rechtsanwälten mit Angehörigen anderer freier Berufe, 1998, S. 166 ff.; Quodbach, Grenzen der interprofessionellen Zusammenarbeit für Rechtsanwälte, 2002, S. 207; Michalski/Römermann, NJW 1996, 3233 f.; Kilian/ Glindemann, BRAK-Mitt. 2011, 303 f. 3 § 59c Rz. 23, 30. 4 Dies gilt jedenfalls dann, wenn man § 52c Abs. 2 PAO das bei § 59c Rz. 31 näher dargelegte Verständnis als Regelung zur Wahrung des Charakters als reiner Berufsausübungsgesellschaft zugrunde legt; sonst ist das Verbot der Beteiligung an anwaltlichen Berufsausübungsgemeinschaften auch hier aus § 59c Abs. 2 BRAO herzuleiten. 5 BGH, NJW 2000, 1333 (1335); NJW-RR 2006, 1071; so auch noch Jungk, AnwBl. 2010, 865 (866); offen bereits BGH, NJW-RR 2008, 1954; NJW 2009, 1597. 6 Näher Römermann, NJW 2009, 1560 (1561 f.); Lux, MDR 2009, 957; Henssler, AnwBl. 2009, 670 (672); LG Bochum, BeckRS 2010, 21420; nunmehr auch BGH, NJW 2011, 2301 (2302 f.); NJW 2012, 2435 (2441 f.). 7 Römermann, NJW 2009, 1560 (1562); zur Frage der Erfüllung von Leistungspflichten einer Personen(handels)gesellschaft durch die akzessorisch haftenden Gesellschafter näher Baumbach/Hopt/Hopt, § 128 HGB Rz. 8 ff.
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§ 59a BRAO Rz. 88
Berufliche Zusammenarbeit
Gesellschaftsformen zur Verfügung.1 Entgegen einer früher vertretenen Ansicht steht dem Anwalt die Partnerschaft auch für einen Zusammenschluss mit Wirtschaftsprüfern und Steuerberatern offen, selbst wenn die Partnerschaft nicht als Wirtschaftsprüfungs- bzw. Steuerberatungsgesellschaft anerkannt ist.2 d) Berufsrechtliche Bindungen 88
Jedes Mitglied einer interprofessionellen Berufsausübungsgemeinschaft unterliegt den Bindungen seines eigenen Berufsrechts. Sofern die Berufspflichten alle Mitglieder der Berufsausübungsgemeinschaft treffen, ist der (praktisch seltene) Fall der Kollision unterschiedlicher Regelungen für die verschiedenen Berufe bislang nicht abschließend geklärt.3 Gesetzliche Tätigkeitsverbote wie in §§ 45, 46 BRAO gelten bei ausdrücklicher Anordnung (§ 45 Abs. 3, 46 Abs. 3 BRAO) auch für die berufsfremden Sozien. Demgegenüber ist die mittelbare Erstreckung von Regelungen der BORA auf nichtanwaltliche Sozien (vgl. §§ 30, 33 Abs. 2 BORA) regelmäßig bedenklich, weil es hierfür an einer hinreichenden Rechtsetzungskompetenz der Satzungsversammlung (als grundsätzlich nur für Rechtsanwälte zuständigem Selbstverwaltungsorgan) fehlt.4 Als faktisches Hindernis für die Bildung interprofessioneller Zusammenschlüsse kann sich der Ausschluss von Wirtschaftsprüfern von der Abschlussprüfung wegen vorhergehender abschlussrelevanter Rechtsberatung durch anwaltliche Sozien nach § 319a Abs. 1 S. 3 i.V.m. Abs. 1 S. 1 Nr. 2, §§ 319a Abs. 1 S. 2 i.V.m. 319 Abs. 4 HGB erweisen.5 e) Anwaltsnotar
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Besonderheiten gelten für den Anwaltsnotar. Dieser ist kein gewöhnlicher Freiberufler, sondern Träger eines öffentlichen Amtes (§ 1 BNotO). Seine Hauptaufgabe besteht in der Errichtung öffentlicher Urkunden mit beweiskräftigen, für die Gerichte verbindlichen Feststellungen von Erklärungen und Tatsachen (§§ 415 ff. ZPO). Außerdem schafft er Vollstreckungstitel (§ 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO), die Grundlage staatlicher Gewaltanwendung im Rahmen der Zwangsvollstreckung sind und nur mit förmlichen Rechtsbehelfen angegriffen werden können (§§ 795, 767 ZPO). Beweis- und Vollstreckungswirkung machen jede für sich die Beurkundungstätigkeit zu einem staatlichen Hoheitsakt,6 was auch durch das Unionsrecht nicht in Frage gestellt wird.7 Beide setzen sowohl verfassungsrechtlich8 als auch nach den Wertungen des sekundären Gemeinschaftsrechts9 eine präventive rechtliche Kontrolle des Inhalts der betroffenen Erklärungen durch den Notar voraus (§§ 4, 17 BeurkG, § 14 Abs. 2 BNotO), der den Beteiligten dabei ebenso objektiv, neutral und unabhängig gegenüberstehen muss wie der Richter bei der Entscheidung eines Rechtsstreites.10 Der Notar hat sein ihm persönlich verliehenes Notaramt deshalb ausschließlich allein und in eigener Verantwortung nach Maßgabe der öffentlich-rechtlichen Vorschriften der BNotO und des BeurkG auszuüben. Die Beurkundungstätigkeit des Notars kann als hoheitliche Funktion nicht Gegenstand pri1 Henssler/Prütting/Hartung, § 59a Rz. 133; zu den wichtigsten Organisationsformen für anwaltliche Berufsausübungsgemeinschaften im Einzelnen oben Rz. 28 ff. 2 So für das Berufsrecht der Steuerberater nunmehr ausdrücklich § 51a BOStB; Hartung/Römermann/ Römermann, vor § 59a BRAO Rz. 52. 3 Zur unzureichenden Harmonisierung der Berufsrechte näher Henssler, AnwBl. 2009, 670 (674). 4 BGH, NJW 1999, 2970 (2971 f.). 5 Zu den Auswirkungen des US-amerikanischen Sarbanes-Oxley Act auf interprofessionelle Sozietäten in Deutschland näher Bormann, ZZPInt 8 (2003), 3 (37 ff.); s.a. Knöfel, S. 496 ff. 6 BVerfGE 17, 371 (376 ff.); 73, 280 (294); BVerfG, ZNotP 2009, 239, Rz. 41; NJW 2012, 2639 (2641), Rz. 49. 7 Vgl. EuGH, Urt. v. 24.5.2011, Rs. C-54/08, EuZW 2011, 468, Rz. 75 f., 98; so ausdrücklich auch BVerfG, NJW 2012, 2639 (2641), Rz. 46; Henssler/Kilian, NJW 2012, 481 (484 f.); Preuß, ZNotP 2011, 322 ff.; Fuchs, EuZW 2011, 475 (476); Bormann/Diehn/Sommerfeldt/Bormann, § 34 GNotKG Rz. 5 f.; s.a. Lorz, DNotZ 2011, 491 (494 f.). 8 Münch, Vollstreckbare Urkunde und prozessualer Anspruch, 1989, S. 177 f. 9 Generalanwalt La Pergola, Schlussanträge v. 2.2.1999 zur Rs. C-260/97 (Unibank), EuGH Slg. 1997, I-3715, Rz. 7; Art. 4 Nr. 3 lit. a i) Verordnung (EG) Nr. 805/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 21.4.2004 zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen, ABl. EU Nr. L 143, 15; Art. 2 lit. i) Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 4.7.2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses, ABl. EU Nr. L 201, 107. 10 Niese, ZZP 73 (1960), 1 (27); Habscheid, Freiwillige Gerichtsbarkeit, 7. Aufl. 1983, S. 26; ebenso zum Ganzen nunmehr auch Eylmann/Vaasen/Vaasen, Einl. BNotO Rz. 40, der sich der hier bereits in der 1. Aufl. abgedruckten Kommentierung unmittelbar angeschlossen hat.
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Berufliche Zusammenarbeit
Rz. 92 § 59a BRAO
vatrechtlicher Vereinbarungen sein.1 Anwaltsnotare dürfen sich folglich mit Angehörigen anderer sozietätsfähiger Berufe nach Absatz 1 S. 3 nur „bezogen auf ihre anwaltliche Berufsausübung“ verbinden, während hauptberuflichen Notaren der Zusammenschluss mit anderen Berufen nach § 9 Abs. 1 BNotO gänzlich verboten ist. Für die berufliche Verbindung eines Anwaltsnotars in seiner Eigenschaft als Rechtsanwalt ist im Übrigen das notarielle Berufsrecht maßgeblich. Dem Gesetzgeber ist bei der Beschränkung der Sozietätsmöglichkeiten von Notaren ein weiter Spielraum eröffnet,2 solange er keine willkürlichen Ungleichbehandlungen vornimmt.3 Sozietätsfähig sind bei Anwaltsnotaren nach § 9 Abs. 2 BNotO derzeit die Angehörigen der gleichen Berufe wie bei Rechtsanwälten. Die unabhängige und neutrale Amtsführung des Anwaltsnotars in der Sozietät wird durch Mitwirkungsverbote bei Beteiligung oder anwaltlicher Vorbefassung der Sozien nach § 3 Abs. 1 Nr. 4, 7 BeurkG geschützt. f) Künftige Entwicklung Der Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts4 sah eine massive Erweiterung der Möglichkeiten zur beruflichen Zusammenarbeit vor.
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aa) Ursprünglich geplante Neuregelung Nach dem Willen der Bundesregierung sollte es Rechtsanwälten ermöglicht werden, sich auch mit anderen als den derzeit in § 59a Abs. 1 und 2 BRAO genannten Berufen zu einer Berufsausübungsgemeinschaft zusammenzuschließen. Der Regierungsentwurf setzte gem. § 59a Abs. 4 S. 1 BRAO-E nur noch voraus, dass es sich um einen vereinbaren Beruf i.S.v. §§ 7 Nr. 8, 14 Abs. 2 Nr. 8 BRAO handelte. Vor dem Hintergrund der wenig präzisen Rechtsprechung zu § 7 Nr. 8 BRAO hätte als Folge fast jeder Beruf als sozietätsfähig anerkannt werden müssen.5 Außerdem sollten Rechtsanwälte nach § 59a Abs. 4 S. 2 BRAO-E zusätzlich die Möglichkeit erhalten, auch im Einzelfall Aufträge gemeinsam mit Angehörigen vereinbarer Berufe anzunehmen oder im Auftrag eines Angehörigen eines vereinbaren Berufs für dessen Vertragspartner Rechtsdienstleistungen zu erbringen.6 Der Anwalt sollte also in die Lage versetzt werden, sich etwa mit Ärzten, Architekten, Ingenieuren, aber auch mit privaten Sicherheitsdiensten, Privatdetektiven oder anderen Dritten gesamtschuldnerisch zur Erbringung von Rechtsdienstleistungen zu verpflichten. Die Regelung war im Zusammenhang mit § 5 Abs. 3 RDG-E zu sehen. Danach sollte Dritten die Übernahme juristischer Mandate unter der Voraussetzung erlaubt werden, dass sie einen Rechtsanwalt als Erfüllungsgehilfen einschalten würden und jener den rechtsdienstleistenden Teil der Tätigkeit „eigenverantwortlich“ erbringen würde.7 Allein für Anwaltsnotare wäre es nach § 9 Abs. 2 BNotO bei der bisherigen Beschränkung der sozietätsfähigen Berufe geblieben. Dies stand im Hinblick auf den originär staatlichen Charakter der notariellen Tätigkeit und die besonders hohen Anforderungen an die Unabhängigkeit und Neutralität des Notars stets außer Frage.
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bb) Korrektur im Gesetzgebungsverfahren und neue Ansätze in der Rechtsprechung Die Konsequenzen der radikalen Öffnung der Sozietätsmöglichkeiten für die Entwicklung der Anwaltschaft wären kaum absehbar gewesen.8 Sofern Anwälte im Rahmen von § 59a Abs. 4 BRAO-E, § 5 Abs. 3 RDG-E als Erfüllungsgehilfen für berufsfremde Dritte tätig geworden wären, hätte sich die Frage gestellt, ob die in § 5 Abs. 3 RDG-E vorausgesetzte „Eigenverantwortlichkeit“ der Erbringung von Rechtsdienstleistungen in der Praxis überhaupt realisierbar gewesen wäre. Typischerweise wird ein Erfüllungsgehilfe oder Subunternehmer nämlich nicht „eigenverantwortlich“ tätig, sondern ist den Weisungen seines Auftraggebers 1 Eylmann/Vaasen/Baumann, § 9 BNotO Rz. 4, 20; Schippel/Bracker/Görk, § 9 BNotO Rz. 2 f. 2 Papier, notar 2002, 7 (12); zu einer ggf. erforderlichen Rechtfertigung von Sozietätsbeschränkungen für Notare unter dem Unionsrecht EuGH, Urt. v. 24.5.2011, Rs. C-54/08, EuZW 2011, 468, Rz. 98; vgl. ferner EuGH, Urt. v. 19.2.2002, Rs. C-309/99, Slg. 2002, I-1577, Rz. 100–110 – Wouters. 3 BVerfGE 98, 49 (62 ff.). 4 BT-Drs. 16/3655, S. 38 f., 82 ff.; Überblick bei Henssler, AnwBl. 2009, 670 (671). 5 Römermann, NJW 2006, 3025 (3029); Römermann, DB 2005, 931 (936); Kleine-Cosack, DB 2006, 2797 (2802); Kleine-Cosack, AnwBl. 2007, 737 (740 f.). Ausnahmen hätten im Wesentlichen wohl nur noch für Makler und Bankberater gegolten; vgl. zuletzt BGH, NJW 2006, 2488. 6 Nach Auffassung von Hamacher, AnwBl. 2005, 378 (380), wäre dies allerdings nur auf „Koordinationsebene“ und nicht im Angestelltenverhältnis möglich gewesen. 7 Krit. Römermann, BRAK-Mitt. 2005, 212 ff. 8 Römermann, NJW 2006, 3025 (3029); Kleine-Cosack, DB 2006, 2797 (2802); s.a. Dahns, NJW-Spezial 2005, 237; Kleine-Cosack, AnwBl. 2007, 737 (740 f.).
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§ 59a BRAO Rz. 93
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unterworfen.1 Der Bundestag hat deshalb zu Recht § 59a Abs. 4 BRAO-E, § 5 Abs. 3 RDG-E wieder gestrichen und zunächst2 auf eine Ausweitung des Kreises der sozietätsfähigen Berufe und eine Erweiterung der Möglichkeiten zur Zusammenarbeit mit berufsfremden Dritten verzichtet. Auch die EU-Dienstleistungsrichtlinie3 erfordert keine Erweiterung der Möglichkeiten zur interprofessionellen Zusammenarbeit. Zwar dürfen Dienstleistungserbringer nach Art. 25 der Richtlinie fortan keinen Anforderungen mehr unterworfen werden, die die gemeinschaftliche oder partnerschaftliche Ausübung unterschiedlicher Tätigkeiten beschränken. Solche Beschränkungen dürfen nach Art. 25 Abs. 1 UAbs. 2 lit. a der Richtlinie jedoch beibehalten werden, soweit dies im Hinblick auf spezielle reglementierte Berufsgruppen notwendig erscheint, um ihren spezifischen Standesregeln und ihrer Unabhängigkeit Rechnung zu tragen. Dies wird – wie der EuGH in der Rechtssache Wouters4 entschieden hat – bei Anwälten z.B. regelmäßig der Fall sein, wenn die andere Berufsgruppe keinen vergleichbaren Verschwiegenheitspflichten unterliegt. Unter Berücksichtigung der vom sekundären Unionsrecht in Art. 11 Ziff. 5 Anwaltsniederlassungsrichtlinie 98/5/EG5 getroffenen Wertungen, der den Mitgliedstaaten ausdrücklich umfassendes Ermessen beim Verbot bzw. bei der Beschränkung interprofessioneller Berufsausübungsgemeinschaften im Falle grenzüberschreitender Niederlassung einräumt, dürfte hier ein erheblicher Gestaltungsspielraum des nationalen Gesetzgebers bestehen.6 Auch der 68. Deutsche Juristentag 2010 in Berlin hat sich eindeutig gegen eine Lockerung der Regelungen über die interprofessionelle Zusammenarbeit ausgesprochen.7 Neue Impulse könnten sich jedoch durch die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung ergeben, nachdem der BGH das Verbot der Bildung einer interprofessionellen Berufsausübungsgemeinschaft von Anwälten mit Ärzten und Apothekern für unvereinbar mit Art. 12 GG angesehen hat, weil bei diesen eine vergleichbare Verschwiegenheitspflicht und eine vergleichbare Berufsaufsicht durch öffentlich-rechtliche Berufskammern besteht.8 Die Vorlage zum BVerfG gemäß Art. 100 GG könnte zu einer Öffnung der beruflichen Zusammenarbeit mit anderen verkammerten Berufen führen, die ähnlichen Anforderungen an Unabhängigkeit, Berufsverschwiegenheit, Beschlagnahmefreiheit und Berufsaufsicht unterliegen. 4. Internationale Berufsausübungsgemeinschaften a) Monoprofessionelle Berufsausübungsgemeinschaften 93
§ 59a Abs. 2 Nr. 1 BRAO erlaubt die Bildung von Berufsausübungsgemeinschaften mit Angehörigen von Rechtsanwaltsberufen aus den Mitgliedstaaten der Europäischen Union oder anderen Staaten, die ihre Kanzlei im Ausland unterhalten und nach Maßgabe des EuRAG bzw. nach § 206 BRAO berechtigt wären, sich in Deutschland niederzulassen. Neben den in der Anlage zu § 1 EuRAG aufgeführten Personen sind dies im Falle des § 206 BRAO u.a. Rechtsanwälte aus den USA und Japan.9 Unterhalten solche Anwälte eine Kanzlei im Inland und ist ein ordnungsgemäßes Aufnahmeverfahren durch die zuständige Rechtsanwaltskammer erfolgt, sind sie bereits nach § 6 Abs. 1 EuRAG bzw. nach § 207 Abs. 2 S. 1 i.V.m. § 59a Abs. 1 BRAO sozietätsfähig. b) Interprofessionelle Berufsausübungsgemeinschaften
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Ferner ermöglicht § 59a Abs. 2 Nr. 2 BRAO die Verbindung zur gemeinsamen Berufsausübung mit ausländischen Patentanwälten, Steuerberatern, Steuerbevollmächtigten und vereidigten Buchprüfern, sofern jene einen Beruf ausüben, der den deutschen Ausbildungs1 Römermann, NJW 2006, 3025 (3029). 2 In der Begründung zur Beschlussempfehlung des BT-Rechtsausschusses heißt es, derart „weit reichende Änderung[en] … sollte[n] in einem gesonderten Gesetzgebungsverfahren zur Änderung der BRAO weiterverfolgt werden“, welches Gelegenheit biete, „die Einzelheiten der Regelung weiter zu prüfen und abzustimmen“; BT-Drs. 16/6634, S. 116; s.a. Hommerich/Kilian, NJW 2010, 31 (36 f.). 3 Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 12.12.2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt, ABl. EU Nr. L 376, 36. 4 EuGH, Urt. v. 19.2.2002, Rs. C-309/99, Slg. 2002, I-1577, Rz. 99 ff. 5 Richtlinie 98/5/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 16.2.1998 zur Erleichterung der ständigen Ausübung des Rechtsanwaltsberufs in einem anderen Mitgliedstaat, ABl. EG Nr. L 77, 36. 6 BGH, NJW 2013, 2674 (2679); OLG Bamberg, BRAK-Mitt. 2011, 302 (303 f.); s. dazu ferner Kilian/Glindemann, BRAK-Mitt. 2011, 303 (304). 7 Beschlüsse des 68. Deutschen Juristentages Berlin 2010, Abteilung Berufsrecht, Ziff. 16–16b). 8 BGH, NJW 2013, 2674 (2679 ff.). 9 S. zu Einzelheiten die Kommentierung zu § 206 BRAO.
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Rz. 97 § 59a BRAO
und Berufsstandards (vor allem im Hinblick auf Verschwiegenheitspflichten, Zeugnisverweigerungsrechte und Beschlagnahmeverbote)1 vergleichbar ist. Voraussetzung ist darüber hinaus, dass die ausländischen Berufsträger nach Maßgabe von §§ 52a Abs. 2 Nr. 2 PAO; 56 Abs. 3 StBerG und 44b Abs. 2 S. 2 WPO für Angehörige des eigenen Berufsstandes in Deutschland sozietätsfähig sind. c) Berufskollisionsrecht Im Kontext des internationalen Berufsrechts stellt sich die Frage nach Geltungsbereich und Reichweite von § 59a BRAO. Ohne hier Stellung zu den verschiedenen im Schrifttum entwickelten kollisionsrechtlichen Ansätzen2 nehmen zu wollen, wird man § 59a BRAO als öffentlich-rechtliche Vorschrift einzuordnen haben. Nach der an den Dauerverwaltungsakt der Zulassung3 anknüpfenden Systematik der BRAO beansprucht das deutsche Berufsrecht jedenfalls bei auf Dauer angelegten Statusverhältnissen wie beruflichen Verbindungen Geltung für alle Rechtsanwälte, die in Deutschland zugelassen sind. Kraft ausdrücklicher Anordnung gilt die Vorschrift ferner auch für solche Berufsträger, die im Rahmen einer Niederlassung im Inland als europäischer Rechtsanwalt i.S.v. §§ 2 ff. EuRAG bzw. als ausländischer Berufsträger nach Maßgabe von §§ 206 f. BRAO Aufnahme gefunden haben. Dieser Befund wird auch dadurch gestützt, dass Art. 11 Richtlinie 98/5/EG4 den Mitgliedstaaten die Durchsetzung nationaler Sozietätsbeschränkungen gegenüber der Niederlassungsfreiheit von Rechtsanwälten aus anderen EU-Ländern ausdrücklich gestattet. Dass Anwälte aus anderen EU Mitgliedstaaten dagegen nach § 27 Abs. 2 S. 1 EuRAG, Art. 4 Abs. 4 S. 1 Richtlinie 77/249/EWG5 auch dann den Bestimmungen des § 59a BRAO unterworfen sind, wenn sie in Ausübung der Dienstleistungsfreiheit lediglich vorübergehend im Inland tätig sind, erscheint demgegenüber vor dem Hintergrund der Regelung in § 27 Abs. 2 S. 2 EuRAG, Art. 4 Abs. 4 S. 2 Richtlinie 77/249/EWG wenig wahrscheinlich.
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Nach den vorstehenden Ausführungen haben jedenfalls im Inland niedergelassene Rechtsanwälte mit ausländischer Zulassung damit zu rechnen, dass sie kumulativ den Sozietätsbeschränkungen des deutschen Rechts und des Rechts ihres Zulassungsortes unterworfen werden. Entsprechendes kann je nach Ausgestaltung des ausländischen Berufsrechts auch für in Deutschland zugelassene Anwälte mit Niederlassung im Ausland gelten. Der EuGH spricht hier von einer „Kumulation der zu beachtenden Berufs- und Standesregeln“, die der Gerichtshof grundsätzlich toleriert.6
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d) Beschränkung interprofessioneller Zusammenschlüsse Besondere Bedeutung erlangt im internationalen Zusammenhang die Beschränkung interprofessioneller Berufsausübungsgemeinschaften, weshalb hier kurz auf die Rechtslage in den USA, England und Frankreich als im internationalen Rechtsverkehr besonders wichtigen Partnerländern eingegangen werden soll. In den USA sind interprofessionelle Berufsausübungsgemeinschaften traditionell verboten.7 Vorschläge zur Aufhebung dieses Verbots8 konnten sich bislang nicht durchsetzen.9 Im Staat New York sind seit 1.11.2001 zwar „vertragliche Beziehungen“ („contractual relationships“) zwischen Anwälten und Nicht-Anwäl1 2 3 4 5 6
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Henssler/Prütting/Hartung, § 59a Rz. 138; BT-Drs. 12/4993, S. 34. S. etwa Knöfel, AnwBl. 2003, 3 ff.; Hellwig, BRAK-Mitt. 2002, 52 ff.; Friedländer, AnwBl. 1954, 1 ff. Dazu näher Knöfel, S. 436 ff. Oben Rz. 92. Richtlinie 77/249/EWG des Rates v. 22.3.1977 zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs der Rechtsanwälte, ABl. EG Nr. L 78, 17. EuGH, Urt. v. 19.1.1988, Rs. C-292/86, Slg. 1988, I-111, Rz. 18 – Gullung; s.a. Kaldellis, LIEI 28 (2001/1) 23, 33; zum Phänomen der Kumulation von Berufspflichten Kespohl-Willemer, EuZW 1990, 88 f.; Rabe, ZEuP 1996, 1 (3); Kilian, AnwBl. 2003, 452 (460 f.); Hellwig, AnwBl. 2004, 213 (215); BRAK-Mitt. 2009, 50 ff.; zur berufsrechtlichen Behandlung von grenzüberschreitend tätigen Anwaltskapitalgesellschaften in der EU Henssler, NJW 2009, 950 ff.; zur Behandlung der englischen Limited Liability Partnership (LLP) in Deutschland gibt es Empfehlungen des BRAK-Ausschusses „Internationale Sozietäten“, abgedruckt in BRAK-Mitt. 2008, 17 ff., und 2009, 22 ff.; zur LLP allgemein ferner Schnittker/Leicht, BB 2010, 2971 ff.; zur Postulationsfähigkeit einer LLP Roth, BB 2010 Beilage 3, 29 ff. American Bar Association (ABA) Model Rule of Professional Conduct 5.4; zur gegenständlich beschränkten Ausnahme in Washington D.C. Terry, 72 Temp. L. Rev. 869, 875 (1999). American Bar Association Commission on Multidisciplinary Practice, Report to the House of Delegates, submitted July 2000. Fox, 44 Ariz. L. Rev. 547 (2002); Ourednik, 4 Fla. Coastal L. J. 167, 175 (2003); Wolfram, 52 Case W. Res. L. Rev. 961, 974 (2002).
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§ 59a BRAO Rz. 98
Berufliche Zusammenarbeit
ten zur gemeinsamen Erbringung von juristischen und nicht-juristischen Dienstleistungen erlaubt. Eine Gebührenteilung bleibt jedoch nach wie vor untersagt. Außerdem dürfen Nicht-Anwälte keinerlei Gesellschafterstellung, Anteils-, Geschäftsführungs- oder Weisungsrechte erwerben, die „in Verbindung mit juristischen Dienstleistungen“ stehen.1 Die internationale Reichweite des Verbots interprofessioneller Berufsausübungsgemeinschaften ist bislang ungeklärt. ABA Model Rule of Professional Conduct 8.5 zur interstate practice, die nach Comment 7 jetzt auch auf internationale Fälle anwendbar ist, gibt hier kaum Orientierungshilfe. In Frankreich hat der Gesetzgeber zwar grundsätzlich schon seit langem die Möglichkeit zur Bildung von interprofessionellen Berufsausübungsgemeinschaften eingeführt.2 Die französische Regierung hat jedoch bis heute die erforderlichen Ausführungsdekrete nicht erlassen.3 Auch die Ende 2001 eingeführten4 und durch die Berufsrechtsnovelle von 2011 erweiterten5 Möglichkeiten für Freiberufler zur Bildung von interprofessionellen Beteiligungsgesellschaften bleiben Anwälten über den Bereich der juristischen Berufe hinaus mangels Anpassung der Ausführungsvorschriften– soweit ersichtlich – auch weiterhin verschlossen.6 Wegen der gesellschaftsrechtlichen Grundlage ist jedoch unklar, ob das Verbot interprofessioneller Berufsausübungsgemeinschaften für in Frankreich zu- bzw. niedergelassene Anwälte auch bei Verwendung ausländischer Rechtsformen gilt.7 In England eröffnete der Legal Services Act 20078 solicitors übergangsweise bereits ab 2009 die Möglichkeit zur Bildung von beruflichen Zusammenschlüssen zur Erbringung von Rechtsdienstleistungen („legal disciplinary practices“) mit einem Anteil von bis zu 25 % Nichtanwälten unter den Gesellschaftern und mit nicht-anwaltlichen Geschäftsführern. Nachdem sich das neu zu bildende Legal Services Board als oberste staatliche Regulierungsbehörde für den Rechtsberatungsbereich konstituiert hat und mit dem Handbuch der Solicitors Regulation Authority (SRA) am 17.6. 2011 die ersten Ausführungsvorschriften („licensing rules“) einer zuständigen Regulierungsstelle („approved regulator“) für die Zulassung von „alternative business structures“ genehmigt hat, sind berufliche Zusammenschlüsse mit Nichtanwälten für solicitors seit dem 6.10. 2011 darüber hinaus in zahlreichen weiteren Formen möglich.9 Näheres ist für die einzelnen juristischen Berufsgruppen in den Ausführungsvorschriften der jeweiligen Regulierungsstelle geregelt, die ein Mindestmaß an Objektivität und Unabhängigkeit der betroffenen Rechtsdienstleister gewährleisten müssen, um ihrerseits genehmigungsfähig zu sein. Die „SRA Practice Framework Rules“ machen darüber hinaus für solicitors und zugelassene Berufsausübungsgemeinschaften auch Vorgaben, wenn diese zur Erledigung von Vorbehaltsaufgaben von einer Niederlassung im Ausland aus tätig werden. Sie erlauben insoweit die Berufsausübung im Rahmen von interprofessionellen Zusammenschlüssen, wenn diese am Ort der Niederlassung zulässig ist.10 Man wird gespannt sein dürfen, welche Bedeutung die interprofessionelle Zusammenarbeit in England künftig entfalten und welchen Umfang sie annehmen wird. e) Grenzüberschreitende Interessenkonflikte 98
Das vom BVerfG eingeführte Konzept der „verantwortlichen Beurteilung“ des Konfliktpotentials von Interessenkollisionen durch die betroffenen Mandanten und Rechtsanwälte im Einzelfall führt zu weitgehender Flexibilität (bzw. kritisch betrachtet zu weitgehender Beliebigkeit) bei der Behandlung von Prävarikationsfällen. Diese Flexibilität (oder Beliebigkeit) hat für international tätige Berufsausübungsgemeinschaften freilich den Vorteil, dass 1 New York Rule of Professional Conduct 5.8(a); Lucci, 8 Fordham J. Corp. & Fin. L. 151 ff. (2003). 2 Art. 1 Loi no 90–1258, Art. 2 Abs. 1 Loi no 66–879. 3 Das Verbot interprofessioneller Berufsausübungsgemeinschaften folgt derzeit aus Art. 124 Abs. 1 Décret no 91–1197, Art. 2 Décret no 92–680 für Anwaltspersonengesellschaften und aus Art. 2 Décret no 93–492 für Anwaltskapitalgesellschaften; s. zur Kapitalbeteiligung durch Angehörige anderer freier Berufe als Minderheitsgesellschafter an Anwaltskapitalgesellschaften Art. 5 Abs. 2 Nr. 5 Loi no 90–1258 und Henssler, NJW 2010, 1425 (1426). 4 Art. 5–1, 31–1 Loi no 90–1258, eingef. durch Art. 32 Loi no 2001–1168. 5 Art. 31–2 Loi no 90–1258, eingef. durch Art. 32 Loi no 2011–331. 6 Art. 48–2 Décret no 93–492, das den Kreis der Gesellschafter bei Beteiligungsgesellschaften auf die Angehörigen anderer juristischer Berufe beschränkt, gilt unverändert fort. Ausführungsvorschriften zu den gesetzlichen Neuregelungen wurden in das Décret no 93–492 im Zuge der Neufassung durch Décret no 2012–403 v. 23.3.2012 nicht aufgenommen. 7 Zur tatsächlichen Situation in Frankreich Terry, 72 Temp. L. Rev. 869, 888 f. (1999); Daly, 80 Wash. U.L.Q. 589, 606 ff. (2002). 8 C 29. 9 Das SRA Handbook ist in der jeweils aktuellen Version unter www.sra.org.uk abrufbar. 10 Vgl. SRA Practice Framework Rules 1.2 und 5.2.
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Berufliche Zusammenarbeit
Rz. 99 § 59a BRAO
eine kumulative Anwendbarkeit deutschen und ausländischen Berufsrechts im grenzüberschreitenden Sozietätskontext bei Interessenkollisionen regelmäßig keine besonderen Probleme bereiten dürfte. Besonders häufig werden deutsches und englisches oder US-amerikanisches Berufsrecht nebeneinander zu beachten sein. Nach englischer Auffassung kommt es für die Behandlung von Prävarikationsfällen nicht auf das Ansehen der Anwaltschaft, sondern auf den Schutz sensibler Informationen an.1 Danach kann ein Anwalt, der mit dem alten Mandat nicht befasst war und der auch keine vertraulichen Informationen erlangt hat, nach seinem Ausscheiden aus der Sozietät grundsätzlich für die Gegenseite tätig werden.2 Ist er weiterhin in der Sozietät beschäftigt, kann die Disqualifikation der übrigen Anwälte vermieden werden, wenn der Informationsaustausch durch Errichtung von chinese walls verhindert wird.3 Im Mutterland der modernen Großkanzleien, den USA, gelten dagegen strengere Maßstäbe. Dort wird vermutet, dass ein Anwalt sein Wissen mit allen übrigen Kollegen in der Sozietät teilt. Im Falle eines Interessenkonflikts sind daher grundsätzlich alle Sozietätsangehörigen disqualifiziert (sog. imputed disqualification).4 Überwiegend wird diese Vermutung allerdings für widerlegbar gehalten.5 Der Einsatz von Informationssperren wird unterschiedlich beurteilt. Während einige Gerichte in chinese walls ein geeignetes Mittel zur Vermeidung von Interessenkonflikten sehen,6 wird deren Effizienz von anderen Gerichten bezweifelt.7 Für die Praxis erscheint mithin eine genaue Prüfung der jeweiligen Rechtslage in sämtlichen US-Bundesstaaten empfehlenswert, in denen sich Kanzleistandorte befinden. f) Anknüpfung der Mandatsverhältnisse Von der Frage des anwendbaren Berufsrecht s und der Zulässigkeit internationaler Zusammenschlüsse zu unterscheiden ist die Frage, welchem Recht Anwaltsverträge zwischen einer internationalen Berufsausübungsgemeinschaft und ihren Mandanten unterliegen. Der Anwaltsvertrag ist nach deutschem Recht ein Dienstvertrag (§ 611 BGB), in aller Regel in Form eines Geschäftsbesorgungsverhältnisses (§ 675 BGB). Das Statut des Anwaltsvertrages bestimmt sich aus deutscher Sicht nach den Vorschriften des deutschen Internationalen Privatrechts. Maßgeblich sind die Regeln des internationalen Schuldvertragsrechts (Art. 3 ff. Rom I-VO8). Das Personalstatut der internationalen Anwaltsgesellschaft spielt dagegen für die kollisionsrechtliche Anknüpfung des Anwaltsvertrages keine Rolle.9 Das auf den internationalen Anwaltsvertrag anwendbare Recht richtet sich folglich in erster Linie nach der freien Rechtswahl der Vertragsparteien (Art. 3 Rom I-VO).10 Zu empfehlen ist die Wahl des Rechts derjenigen Niederlassung, von der aus das jeweilige Mandat verantwortlich geführt wird.11 Fehlt eine Rechtswahl, ist gem. Art. 4 Abs. 1 lit. b), 19 Abs. 2 Rom I-VO eine objektive Anknüpfung an den Niederlassungsort vorzunehmen.12 Auch aus der Gesamtheit der Um1 2 3 4
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Rakusen v. Ellis, Munday and Clarke [1912] 1 Ch. 831, 845; In Re A Firm of Solicitors [1992] Q.B. 959, 969 f. In Re A Firm of Solicitors [1997] Ch. 1, 10 f. Prince Jefri Bolkiah v. KPMG [1999] 2 A.C. 222, 237 ff. per Lord Millet. So American Bar Association (ABA) Model Rule of Professional Conduct 1.10(a). Im Fall des „Sozietätswechsels“ gilt eine differenzierte Regelung: Hat der Anwalt die Kanzlei verlassen, darf er grundsätzlich die Gegenseite vertreten. Geht es jedoch um dieselbe oder eine „substanziell verwandte“ Angelegenheit, unterliegen im Regelfall sowohl der Anwalt selbst als auch sämtliche Mitglieder der neuen Sozietät einem Beratungsverbot; s. Model Rules of Professional Conduct 1.9(b) und 1.10(b); ferner Wolfram, Modern Legal Ethics, 1986, S. 395. Mit Zustimmung des früheren Mandanten darf der Anwalt in jedem Fall die Gegenseite vertreten, Model Rules of Professional Conduct 1.9(b) a.E. und 1.10(c). Weil die Model Rules nur eine unverbindliche Empfehlung darstellen, kann das Berufsrecht in einzelnen Bundesstaaten allerdings von der hier dargestellten Regelung abweichen. Schiessle v. Stephens, 717 F. 2d 417, 421 (7th Cir. 1983); Government of India v. Cook Industries, Inc., 569 F.2d 737, 741 (2d Cir. 1978); Silver Chrysler Plymouth, Inc. v. Chrysler Motors Corp., 518 F.2d 751, 754 (2d Cir. 1975); Wolfram, Modern Legal Ethics, 1986, S. 398 ff. Schiessle v. Stephens, 717 F.2d 417, 421 (7th Cir. 1983); Manning v. Waring, Cox, James, Sklar & Allen, 849 F.2d 222, 225 ff. (6th Cir. 1988). Amoco Chemicals Corp. v. MacArthur, 568 F. Supp. 42, 47 (N.D.Ga. 1983); Towne Development of Chandler v. Superior Court, 842 P.2d 1377, 1381 f. (Ariz. App. Div. 1, 1992). Verordnung EG Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 17.6.2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I), ABl. EU Nr. L 177, 6. Knöfel, S. 246; a.A. Lüke, FS R. Geimer, 2002, S. 583 (601). Sieg, S. 196; Eisenberg, Das internationale Privatrecht der Anwaltshaftung, 1998, S. 39 f.; Heß, NJW 1999, 2485, Pisani, IPRax 2001, 293 (295). Mankowski, AnwBl. 2001, 249 (256 f.); Knöfel, S. 251 f. Zum früheren nationalen IPR: RGZ 151, 193 (199); BGH, NJW 1957, 184 (185); NJW 2004, 1521; Friedlaender, JW 1923, 158; Engels, MDR 1999, 1244 (1245); Berger, NJW 2001, 1530 (1533); zum Begriff des Dienstleistungsvertrages i.S.d. Rom I-VO MüKo/Martiny, Art. 4 VO (EG) 593/2008 Rz. 17 ff.
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§ 59a BRAO Rz. 100
Berufliche Zusammenarbeit
stände (Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO) ergibt sich regelmäßig keine engere Verbindung zu einer anderen Rechtsordnung.1 Sind mehrere Niederlassungen einer internationalen Sozietät beauftragt, wird normalerweise das Recht am Ort derjenigen Niederlassung maßgeblich sein, die das Mandat federführend betreut.2 IV. Berufsrechtliche Vorgaben für Bürogemeinschaften 1. Zusammensetzung 100
§ 59a Abs. 3 BRAO beschränkt den Kreis der möglichen Mitglieder einer Bürogemeinschaft auf Rechtsanwälte und Angehörige der anderen in § 59a Abs. 1 S. 1 BRAO genannten sozietätsfähigen Berufe, also Kammerrechtsbeistände (§ 209 BRAO), Patentanwälte, Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer, vereidigte Buchprüfer, Steuerberatungsgesellschaften, Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, Buchprüfungsgesellschaften, niedergelassene europäische Anwälte, sonstige nach Maßgabe des § 206 BRAO zur Niederlassung im Inland berechtige ausländische Anwälte und Angehörige ausländischer sozietätsfähiger Berufe i.S.v. § 59a Abs. 2 Nr. 2 BRAO. Die Bürogemeinschaft ist also genau wie eine Berufsausübungsgemeinschaft nur mit den Angehörigen derjenigen rechts- und wirtschaftsberatenden Berufe zulässig, die einer Verschwiegenheitspflicht und den damit verbundenen Beschlagnahmeverboten und Aussageverweigerungsrechten unterliegen sowie einer Berufsaufsicht durch die jeweiligen Berufskammern und damit durch gleichfalls zur Berufsverschwiegenheit verpflichtete Kollegen unterstehen.3 Ein wirksamer Schutz von Berufsgeheimnissen im Rahmen einer Bürogemeinschaft ist dennoch nicht unbedingt gewährleistet. 2. Verschwiegenheitspflicht
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So ist angesichts der häufig bestehenden wechselseitigen Zugänglichkeit der Akten problematisch, dass sich die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht nach dem eindeutigen Wortlaut von § 43a Abs. 2 BRAO nur auf solche Tatsachen beschränkt, die dem Anwalt im Rahmen seiner eigenen Berufsausübung bekannt geworden sind. Weil eine gemeinschaftliche Berufsausübung bei der Bürogemeinschaft im Gegensatz zur Berufsausübungsgemeinschaft gerade nicht stattfindet, gilt die Pflicht zur Berufsverschwiegenheit also nicht für die von den anderen Berufsträgern in der Bürogemeinschaft bearbeiteten Mandate.4 Eine – teleologisch naheliegende – weite Auslegung, die allen in der Bürogemeinschaft tätigen Anwälten eine wechselseitige Verschwiegenheitspflicht hinsichtlich der Mandate ihrer Kollegen auferlegt, erscheint wegen des anders gelagerten Zwecks der Bürogemeinschaft im Gegensatz zur Berufsausübungsgemeinschaft (oben Rz. 79) nur schwer zu rechtfertigen. Befriedigende Lösungen werden sich hier regelmäßig nur auf vertraglicher Ebene erreichen lassen.5 De lege ferenda sollte man über eine ausdrückliche Erstreckung der Verschwiegenheitspflicht des Rechtsanwalts auf die Akten und Dateien der übrigen Berufsträger in einer Bürogemeinschaft nachdenken. 3. Tätigkeitsverbote
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Entgegen § 3 Abs. 2 BORA n.F. findet keine Erstreckung der Tätigkeitsverbote nach §§ 45 Abs. 1 und 2, 46 Abs. 1 und 2 BRAO auf andere Mitglieder einer Bürogemeinschaft statt.6 Denn die Bürogemeinschaft dient – anders als §§ 45, 46 Abs. 3 BRAO voraussetzen – gerade nicht der gemeinsamen Berufsausübung. Vielmehr ist der Gesellschaftszweck hier auf die Reduzierung von Kosten durch die gemeinsame Nutzung eines Anwaltsbüros und seiner Infrastruktur beschränkt.7
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Knöfel, S. 268, a.A. Sieg, S. 195; Heß, NJW 1999, 2485. Sieg, S. 193; Mankowski, RabelsZ 63 (1999), 203 (220). Vgl. AGH Celle, NJW-RR 2006, 927 f. Henssler/Prütting/Hartung, § 59a Rz. 157; Henssler/Prütting/Henssler, § 43a Rz. 45. Deckenbrock, NJW 2008, 3529 (3530 f.). Differenzierend Henssler/Prütting/Kilian, § 45 Rz. 45; für Verfassungswidrigkeit von § 3 Abs. 2 BORA n.F. insoweit Deckenbrock, NJW 2008, 3529 (3532). 7 Henssler/Prütting/Hartung, § 59a Rz. 150.
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Kundgabe gemeinschaftlicher Berufsausübung
Rz. 3 § 8 BORA/§ 59a BRAO
gemeinschaftlicher Berufsausübung und anderer beruflicher 8 BORA Kundgabe Zusammenarbeit
1 Auf eine Verbindung zur gemeinschaftlichen Berufsausübung darf nur hingewiesen werden, wenn sie in Sozietät oder in sonstiger Weise mit den in § 59a BRAO genannten Berufsträgern erfolgt. 2Die Kundgabe jeder anderen Form der beruflichen Zusammenarbeit ist zulässig, sofern nicht der Eindruck einer gemeinschaftlichen Berufsausübung erweckt wird.
A. Zweck der Norm . . . . . . . . . . . .
1
B. Einzelheiten der Regelung . . . . . . .
3
I. Berufsausübungsgemeinschaften i.S.v. § 59a BRAO . . . . . . . . . . . . . . II. Andere Formen der beruflichen Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . .
3 7
A. Zweck der Norm § 8 BORA regelt die Zulässigkeit (werblicher) Hinweise auf eine berufliche Zusammenarbeit mit anderen Personen. Auf eine Verbindung zur gemeinschaftlichen Berufsausübung, also eine Berufsausübungsgemeinschaft (§ 59a BRAO Rz. 17 ff.), darf ein Rechtsanwalt nur hinweisen, wenn sie mit Angehörigen der in § 59a Abs. 1 und 2 BRAO abschließend aufgeführten sozietätsfähigen Berufe besteht, und zwar unabhängig davon, ob es sich um eine GbR, eine Partnerschaft, ein Angestelltenverhältnis, freie Mitarbeit, oder eine Anwaltskapitalgesellschaft1 handelt. Dies ist konsequent, weil die Bildung einer Berufsausübungsgemeinschaft mit anderen Dritten nach § 59a BRAO ausdrücklich verboten ist und ein Hinweis auf solche rechtswidrig zustande gekommenen Zusammenschlüsse bei der rechtsuchenden Bevölkerung irrige Vorstellungen über die Existenz einer tatsächlich nicht bestehenden Haftpflichtversicherung der berufsfremden Partner oder nicht bestehende Verschwiegenheitspflichten, Zeugnisverweigerungsrechte oder Beschlagnahmeverbote hervorrufen würde. Für die in § 8 BORA nicht erwähnte Bürogemeinschaft (§ 59a BRAO Rz. 23 ff.) gelten wohl entsprechende Grundsätze, weil ein Hinweis auf die Zusammenarbeit mit nicht sozietätsfähigen Dritten hier wegen § 59a Abs. 3 BRAO ebenfalls irreführend wäre, auch wenn die bei der Berufsausübungsgemeinschaft angeführten Schutzgesichtspunkte wegen der getrennten Mandatsverhältnisse und des Fehlens einer büroübergreifenden Verschwiegenheitspflicht bei der Bürogemeinschaft nach richtiger Auffassung nicht einschlägig sind2. Dagegen sind Hinweise auf andere Formen der beruflichen Zusammenarbeit nach der Neufassung von § 8 BORA mit Wirkung zum 1.3.20113 nunmehr berufsrechtlich grundsätzlich uneingeschränkt zulässig. Allerdings darf hierdurch – wie § 8 S. 2 BORA jetzt eindeutig klarstellt – kein irreführender Eindruck einer tatsächlich nicht bestehenden Berufsausübungsgemeinschaft hervorgerufen werden.
1
Für die Art und Weise der Kundgabe des Bestehens einer Berufsausübungsgemeinschaft sind §§ 9 und 10 BORA, bei Partnerschaften zusätzlich § 2 PartGG bzw. bei Anwaltskapitalgesellschaften § 59k BRAO, § 4 GmbHG, § 4 AktG und die firmenrechtlichen Vorschriften des Handelsrechts zu beachten.
2
B. Einzelheiten der Regelung I. Berufsausübungsgemeinschaften i.S.v. § 59a BRAO Auf eine gemeinschaftliche Berufsausübung im Rahmen eines beruflichen Zusammenschlusses darf nur dann hingewiesen werden, wenn diese mit sozietätsfähigen Personen im Sinne des § 59a BRAO besteht. Dabei ist unerheblich, ob die gemeinschaftlich tätigen Berufsträger gesellschaftsrechtlich miteinander verbunden sind oder ob lediglich ein Anstellungsverhältnis besteht bzw. freie Mitarbeit geleistet wird, weil der Begriff der „Verbindung zur gemeinschaftlichen Berufsausübung“ im Sinne der anerkannten Auslegung von § 59a BRAO alle Formen von Berufsausübungsgemeinschaften umfasst (näher § 59a BORA Rz. 17 ff.). Deshalb konnte die Aufzählung von Beispielen gemeinschaftlicher Berufsausübung in § 8 S. 1 BORA im Zuge der Neufassung der Vorschrift zum 1.3.2011 entfallen. Damit ist auch die Kundgabe sog. Außen- oder Scheinsozietäten erlaubt, bei denen in Wahrheit
1 AGH Hamm, NJW-RR 2002, 1494 f. 2 Näher oben § 59a BRAO Rz. 25, 101. 3 Beschl. der Satzungsversammlung v. 26.6.2010, BRAK-Mitt. 2010, 253.
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3
§ 59a BRAO/§ 8 BORA Rz. 4
Kundgabe gemeinschaftlicher Berufsausübung
%25$
keine Sozietät besteht, sondern die im Kanzleibriefkopf aufgeführten Anwälte lediglich Mitarbeiter des Kanzleiinhabers sind.1 Der BGH hatte die Kundgabe von Scheinsozietäten früher für unzulässig gehalten und dies mit der „Verkehrserwartung“ der rechtsuchenden Bevölkerung begründet, dass „eine kollegiale Zusammenarbeit aller gleichzeitig aufgeführten Rechtsanwälte auf gleicher Ebene“ stattfinde.2 Man mag in der Tat darüber streiten, ob das Vertrauen des Mandanten in die Unabhängigkeit seines anwaltlichen Beraters in der Weise schutzwürdig ist, dass jener frei von Weisungen und Bindungen im Rahmen eines Angestelltenverhältnisses handelt. Überwiegend wird heute aber nur noch die Haftungssituation als maßgeblich für die Kundgabe einer Außensozietät angesehen. Insoweit besteht tatsächlich kein Bedürfnis zur Offenlegung der vertraglichen Grundlagen der beruflichen Zusammenarbeit. Wer als Scheinsozius tätig wird, der wurde nach der früher herrschenden Lehre von der Doppelverpflichtung nach den Grundsätzen über die Anscheins- und Duldungsvollmacht mit verpflichtet.3 Die heute herrschende Akzessorietätsheorie4 kommt über die Figur der Scheingesellschaft5 durch eine analoge Anwendung von § 128 HGB zum gleichen Ergebnis:6 Wer zurechenbar den Rechtsschein einer BGB-Außengesellschaft setzt, muss sich so behandeln lassen, als wenn diese auch tatsächlich bestehen würde. Dann würde er jedoch analog § 128 HGB für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft haften. Eine Irreführung über die Haftungssituation liegt demnach bei der Scheinsozietät nicht vor, weshalb § 8 BORA auch den Hinweis auf ein scheinbares Sozietätsverhältnis gestattet. 4
Auf die Rechtsform der beruflichen Zusammenarbeit ist bei der Partnerschaft durch den Zusatz „und Partner“ oder „Partnerschaft“ hinzuweisen. Gleichzeitig ist BGB-Gesellschaften ebenso wie Kapitalgesellschaften7 die Führung eines entsprechenden Zusatzes nach § 11 Abs. 1 S. 1 PartGG seit 1.7.1997 verboten. Alte BGB-Gesellschaften, die den Zusatz „und Partner“ bzw. „Partnerschaft“ bereits vor dem 1.7.1995 geführt haben, dürfen diesen auch weiterführen, müssen zur Klarstellung seit 1.7.1997 nach § 11 Abs. 1 S. 3 PartGG jedoch einen Hinweis auf die Rechtsform als GbR hinzufügen. Anwaltskapitalgesellschaften haben stets ihre Rechtsform anzugeben (§ 4 GmbHG, § 4 AktG). Jedenfalls bei der Anwalts-GmbH ist zudem der Sachzusatz „Rechtsanwaltsgesellschaft“ erforderlich (§ 59k Abs. 1 BRAO).
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Wie § 8 S. 1 BRAO nunmehr eindeutig klarstellt, sind Hinweise auf eine gemeinschaftliche Berufsausübung mit Personen außerhalb des Kreises der sozietätsfähigen Berufe i.S.v. § 59a BRAO unzulässig. Das rechtsuchende Publikum vertraut bei der Kundgabe eines Zusammenschlusses zur gemeinschaftlichen Berufsausübung darauf, „dass die mit dem Rechtsanwalt in einem Büro tätigen Angehörigen anderer Berufe in gleicher Weise wie der Rechtsanwalt der Verschwiegenheitspflicht und den damit korrespondierenden Aussageverweigerungsrechten und Beschlagnahmeverboten unterfallen. Gewährleistet ist dies aber nur „in den in § 59a BRAO genannten Berufen, die zudem der Aufsicht durch ihre eigenen Berufskammern“, also „durch gleichfalls zur Verschwiegenheit verpflichtete Kollegen unterliegen“.8 Deshalb ist der Hinweis auf die berufliche Zusammenarbeit mit einer Diplom-Verwaltungswirtin,9 einem Diplom-Ökonomen10 oder einer Unternehmensberaterin11 bei Berufsausübungsgemeinschaften unzulässig, sofern nicht ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass der berufsfremde Dritte nicht Teil der Berufsausübungsgemeinschaft ist, sondern mit ihm lediglich ein Kooperationsverhältnis besteht (dazu unten Rz. 8).
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Bei der Gestaltung des Kanzleibriefbogens wird § 8 S. 1 BORA auch nicht etwa von § 10 Abs. 3 BORA verdrängt. Zwar enthält § 10 Abs. 3 BORA im Gegensatz zu § 8 S. 1 BORA keine Einschränkung auf sozietätsfähige Berufe. Zweck der Vorschrift ist jedoch nicht, die Hinweismöglichkeiten bei Berufsausübungsgemeinschaften über den Personenkreis der sozietätsfähigen Berufe i.S.v. § 59a BRAO hinaus zu erweitern. Vielmehr ist die Zulässigkeit der Kundgabe der beruflichen Zusammenarbeit abschließend in § 8 BORA geregelt. § 10 Abs. 3 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
BGH, NJW 2001, 165 f.; Henssler/Prütting/Prütting, § 8 BORA Rz. 2, 5. BGH, NJW 1996, 2308 (2310); Hartung/Römermann/Römermann, 4. Aufl., § 8 BORA Rz. 36. BGHZ 70, 247 (249); NJW 2001, 165 f. Vgl. BGHZ 146, 341 (344 ff.); s.a. bereits BGHZ 142, 315 (319); zu den Auswirkungen auf freiberufliche Sozietäten etwa K. Schmidt, NJW 2005, 2801 (2805 f.). Dazu Baumbach/Hopt/Hopt, § 128 HGB Rz. 5. MüKo-BGB/Ulmer/Schäfer, § 714 BGB Rz. 40. BGHZ 135, 257 (259). AGH Celle, NJW-RR 2006, 927 f. AGH Hamm, NJW-RR 2002, 1494 f. AGH Celle, NJW-RR 2006, 927 f. AGH Stuttgart, BRAK-Mitt. 1995, 169 f.
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§ 9 BORA/§ 59a BRAO
Kurzbezeichnungen
BORA normiert lediglich die Verpflichtung zur Angabe des jeweiligen Berufs im Rahmen eines nach § 8 BORA zulässigen Hinweises.1 II. Andere Formen der beruflichen Zusammenarbeit Dagegen darf auf andere Formen der beruflichen Zusammenarbeit auch dann hingewiesen werden, wenn diese mit nicht sozietätsfähigen Dritten außerhalb des in § 59a BRAO genannten Personenkreises bestehen.2 Im Unterschied zur Berufsausübungsgemeinschaft werden bei anderen Form der beruflichen Zusammenarbeit wie z.B. einer losen Kooperation (§ 59a BRAO Rz. 27) Mandate nicht gemeinschaftlich angenommen und bearbeitet. Deshalb bezieht sich die Haftung auch nur auf das einzelne Kooperationsmitglied. Anders als bei der Berufsausübungsgemeinschaft (§ 59a BRAO Rz. 17 ff.) und auch bei der Bürogemeinschaft (§ 59a BRAO Rz. 23 ff.) werden regelmäßig keine gemeinsamen Räume unterhalten und es findet auch keine gemeinsame Organisation des Büros statt.
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Gerade dann, wenn im Einzelfall nicht nur rechtliche, sondern auch tatsächliche Probleme bestehen, kann ein Hinweis auf die Zusammenarbeit mit einem besonders sachkundigen Kooperationspartner (etwa im Arzthaftungsrecht mit einem Mediziner oder im Baurecht mit einem Bausachverständigen) für das rechtsuchende Publikum hilfreich sein. Dabei muss jedoch gemäß § 8 S. 2 BORA jeder unzutreffende Eindruck des Bestehens einer Berufsausübungsgemeinschaft (und wegen § 59a Abs. 3 BRAO wohl auch einer Bürogemeinschaft) vermieden werden. Wegen des weiten Wortlauts von § 8 S. 2 BORA ist sowohl das aktive Vorspiegeln als auch das passive Dulden des Eindrucks einer tatsächlich nicht bestehenden Berufsausübungsgemeinschaft verboten. Nur so lässt sich ein Irrtum über die Existenz einer tatsächlich nicht bestehenden Haftpflichtversicherung der berufsfremden Partner oder über nicht bestehende Verschwiegenheitspflichten, Zeugnisverweigerungsrechte oder Beschlagnahmeverbote mit ausreichender Gewissheit verhindern.
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Unzulässig ist auch, wenn in der Kopfleiste des Briefbogens einer Anwaltskanzlei blickfangmäßig die Namen der Sozietätsmitglieder zusammen mit den Berufsbezeichnungen von Kooperationspartnern herausgestellt werden und dadurch irrtümlich der Eindruck erweckt wird, dass zumindest ein Sozietätsmitglied über die angegebenen Zusatzqualifikationen verfügt. Die Gefahr einer Irreführung des rechtsuchenden Publikums wird hier auch dadurch nicht ausgeräumt, dass die fremden Berufsbezeichnungen am Rande des Briefkopfes „durch Namensnennung der Kooperationspartner unter Hinzufügung ihrer beruflichen Stellung erläutert werden“.3 Bei der Kundgabe einer Kooperation mit nicht sozietätsfähigen Kooperationspartnern auf dem Kanzleibriefkopf sollte deshalb neben dem Hinweis auf das Vorliegen eines bloßen Kooperationsverhältnisses zusätzlich eine optische Differenzierung (z.B. durch räumlichen Abstand oder durch eine unterschiedliche Schriftgröße) zwischen den Mitgliedern oder Angestellten der Sozietät einerseits und den berufsfremden Kooperationspartnern andererseits erfolgen.
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Demgegenüber ist es nach der Neufassung von § 8 S. 1 BORA zum 1.3.2011 nunmehr für die Kundgabe sonstiger Formen der beruflichen Zusammenarbeit unerheblich, ob diese auf Dauer angelegt oder durch tatsächliche Ausübung verfestigt sind. Die Satzungsversammlung hat damit die Konsequenz daraus gezogen, dass diese Voraussetzungen in der Praxis ohnehin kaum justiziabel waren4 und ein hinreichender Schutz des rechtssuchenden Publikums insoweit auch durch das Verbot irreführender Werbung nach §§ 3, 5 UWG gewährleistet ist.
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9 BORA Kurzbezeichnungen Eine Kurzbezeichnung muss einheitlich geführt werden. A. Historie/Zweck der Norm . . . . . . . .
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B. Allgemeine Grundsätze für Kurzbezeichnungen . . . . . . . . . . . . . . . . I. Personenbezeichnungen . . . . . . . .
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1. Inhaltliche Ausgestaltung. . . . . . 2. Namensfortführung . . . . . . . . II. Sach- und Fantasiebezeichnungen . . III. Einheitlichkeit der Kurzbezeichnung
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AGH Hamm, NJW-RR 2002, 1494 f. Vgl. zu § 8 S. 1 BORA a.F. BGH, NJW 2005, 2692; AGH Hamm, BRAK-Mitt. 2005, 198 f. BGH, NJW 2003, 346 f. Vgl. Huff, NJW-Spezial 2005, 429 f.; Römermann, BB 2005, 2041.
Bormann 921
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§ 59a BRAO/§ 9 BORA Rz. 1
Kurzbezeichnungen
A. Historie/Zweck der Norm 1
§ 9 BORA regelt die Verwendung von Kurzbezeichnungen durch berufliche Zusammenschlüsse. Es geht um die Festlegung der „Firma“, unter der ein beruflicher Zusammenschluss nach außen hin auftritt. Während § 9 BORA in seiner Ursprungsfassung als Bestandteil der Kurzbezeichnung bei gemeinschaftlicher Berufsausübung zunächst wohl allein die Namen früherer und jetziger Sozien im Auge hatte,1 hielt die Rechtsprechung über solche personalisierten Zusätze hinaus jedoch schon sehr bald auch Sach- und Fantasiebezeichnungen für zulässig.2 Nachdem ein Korrekturversuch der Satzungsversammlung3 an verfassungsrechtlichen Bedenken des Bundesministeriums der Justiz scheiterte4, wurden mit Wirkung zum 1.11.2004 Sach- und Fantasiebezeichnungen für Berufsausübungsgemeinschaften uneingeschränkt zugelassen.5.
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Gleichzeitig wurde die Möglichkeit zur Führung von Kurzbezeichnungen von der Rechtsprechung bald auch für Kooperationen (einschließlich der EWIV6) eröffnet,7 obwohl sie nach dem eindeutigen Wortlaut von § 9 BORA a.F. zunächst allein Berufsausübungsgemeinschaften vorbehalten war. Nachdem sich Schranken für die Gestaltung von Kurzbezeichnungen danach im Wesentlichen nur noch aus dem allgemeinen Berufsrecht (insbes. § 43b BRAO). dem UWG und rechtsformabhängig aus dem Firmenrecht ergaben, hat die Satzungsversammlung die Konsequenz gezogen und den Regelungsgehalt von § 9 BORA mit Wirkung zum 1.3.2011 auf die Vorgabe der Verwendung einer einheitlichen Kurzbezeichnung beschränkt.8 Damit hat sich auch die Frage der Anwendbarkeit der Vorschrift auf Anwaltskapitalgesellschaften9 erledigt, bei denen gemäß § 59k BRAO i.V.m. den gesellschaftsrechtlichen Vorschriften ohnehin die Notwendigkeit zu einer einheitlichen Firmierung besteht. B. Allgemeine Grundsätze für Kurzbezeichnungen I. Personenbezeichnungen 1. Inhaltliche Ausgestaltung
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Kurzbezeichnungen können die Namen gegenwärtiger oder früherer Kanzleiinhaber, Gesellschafter, aber auch Angestellter oder freier Mitarbeiter (arg. e § 9 Abs. 2 BORA a.F.) enthalten, wobei die die unterschiedlichen Namensbestandteile vielfach durch Konjunktionen („und“) oder Verbindungszeichen („+“, „&“) miteinander verbunden werden. Üblich, aber nicht unbedingt notwendig ist ein auf die gemeinschaftliche Berufsausübung hindeutender Zusatz. Die Partnerschaft hat nach § 2 Abs. 1 PartGG in ihrem Namen die Zusätze „und Partner“ bzw. „Partnerschaft“ zu führen. Gleichzeitig sind diese Zusätze nach § 11 PartGG ausschließlich der Rechtsform der Partnerschaft vorbehalten.10 Die handelsrechtliche Firma der Anwalts-GmbH hat nach § 59k Abs. 1 BRAO den Zusatz „Rechtsanwaltsgesellschaft“ zu enthalten. Gleichzeitig muss die Firma einer Anwalts-GmbH oder einer Anwalts-AG nach § 4 GmbHG bzw. § 4 AktG den Rechtsformzusatz „GmbH“ bzw. „AG“ enthalten. 2. Namensfortführung
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Die Fortführung des Namens ausgeschiedener Anwälte in der Kurzbezeichnung ist berufsrechtlich unproblematisch möglich, wenn das Ausscheiden des betroffenen Gesellschafters nach Maßgabe von § 10 Abs. 4 BORA in der Kanzleikorrespondenz kenntlich gemacht wird (näher § 10 BORA Rz. 10–12).
1 Vgl. § 9 Abs. 2 u. 3 BORA a.F. 2 AGH Stuttgart, MDR 2000, 178; AnwG Hamburg, NJW 2000, 2827. 3 Beschl. v. 7.11.2002; vgl. dazu das Schreiben des Vorsitzenden der Satzungsversammlung an die Bundesministerin der Justiz v. 18.2.2003, BRAK-Mitt. 2003, 67 f. 4 Bescheid des Bundesministeriums der Justiz v. 21.2.2003, BRAK-Mitt. 2003, 68 f.; zum Ganzen auch AGH Hamburg, NJW 2004, 371 f. 5 Beschl. der Satzungsversammlung v. 26.4.2004, BRAK-Mitt. 2004, 177. 6 BGH, NJW 2002, 608 f. 7 AGH Hamburg, NJW 2004, 371 f.; OLG Köln, NJW-RR 2003, 782 f. 8 Beschl. v. 26.6.2010, BRAK-Mitt. 2010, 253. 9 Verneinend BGH, NJW 2004, 1099, 1101; s.a. Rz. 177. 10 Näher hierzu § 8 BORA Rz. 4.
922 Bormann
§ 10 BORA/§ 59a BRAO
Briefbögen II. Sach- und Fantasiebezeichnungen
Sach- und Fantasiebezeichnungen sind in den Grenzen des Sachlichkeitsgebots nach § 43b BRAO grundsätzlich uneingeschränkt zulässig. Dabei