Antiquarianismus, Hagiographie und Historie im 17. Jahrhundert: Zum Werk der Bollandisten. Ein wissenschaftshistorischer Versuch 9783484366312, 9783484970823

The Acta Sanctorum founded by Jean Bolland (1596–1665), a Jesuit in Antwerp, are one of the works of early modern antiqu

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German Pages 920 [924] Year 2009

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Inhalt
1. Im Namen des Heiligen – Ein Einstieg
2. Gelehrtenrepublik und Wissen(schaft)sgeschichte
3. Was sind die Acta Sanctorum?
4. Antiquarianismus – Zum Eigenbild der Bollandisten
5. Konfessionalismus – Zum Kontext der Acta Sanctorum
6. Zwischen Selektion und Reproduktion – Zur editorischen Praxis der Bollandisten
7. Konflikt und „Skepsis“ oder: Ist neues historisches Wissen möglich?
8. Resümee und Ausblick
Backmatter
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Antiquarianismus, Hagiographie und Historie im 17. Jahrhundert: Zum Werk der Bollandisten. Ein wissenschaftshistorischer Versuch
 9783484366312, 9783484970823

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Frhe Neuzeit Band 131 Studien und Dokumente zur deutschen Literatur und Kultur im europischen Kontext Herausgegeben von Achim Aurnhammer, Wilhelm Khlmann, Jan-Dirk Mller, Martin Mulsow und Friedrich Vollhardt

Jan Marco Sawilla

Antiquarianismus, Hagiographie und Historie im 17. Jahrhundert Zum Werk der Bollandisten. Ein wissenschaftshistorischer Versuch

Max Niemeyer Verlag Tbingen 2009

n

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet ber http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-484-36631-2

ISSN 0934-5531

 Max Niemeyer Verlag, Tbingen 2009 Ein Imprint der Walter de Gruyter GmbH & Co. KG http://www.niemeyer.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschtzt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulssig und strafbar. Das gilt insbesondere fr Vervielfltigungen, bersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbestndigem Papier. Druck und Einband: Hubert & Co., Gçttingen

Vorwort Dem Barock haftet etwas Unvollständiges an. Es besitzt kein sicheres genus. Sein Name ist, der Gotik vergleichbar, die Schöpfung späterer Perioden. Anders als die nächstfolgende Epoche der Aufklärung hat es keine selbstexplikative Programmschrift im Sinne von: „Was ist Barock?“, hervorgebracht. Die Programmschriften des Barock sind Monumente wie Il Gesù in Rom oder Altargemälde wie Peter Paul Rubens’ Heilige Familie unter dem Apfelbaum. Es sind Trauerspiele wie Andreas Gryphius’ Leo Armenius, das sich als ungewisses Genre zwischen Märtyrertragödie und Tyrannendrama inszeniert, oder Hans Jacob Christoph „Grimmelshausens“ Simplicissimus, dessen Reichtum an Varianten die Leistungsfähigkeit moderner stemmatologischer Verfahren auf harte Proben stellt. Als barock mögen vielleicht auch altertumskundliche Werke wie die Acta Sanctorum bezeichnet werden, insoweit sie in mitunter monumentalen Formen nicht nur an die Gewichtigkeit der behandelten Gegenstände, sondern auch an die institutionelle und intellektuelle Bedeutung derer erinnern sollten, die sie erarbeitet oder finanziell ermöglicht hatten. Werke wie die Acta Sanctorum waren allerdings auch, und darum soll es in der vorliegenden Studie vor allem gehen, Teil und Resultat gelehrter Kommunikation. Sie reorganisierten und veränderten das Reservoir publizistisch disponibler Kenntnisse. Sie verschoben die Gewichte in der sich konstituierenden Gelehrtenrepublik, provozierten Stellungnahmen, gaben Anlass zu Kontroversen oder motivierten andere Gelehrte zu vertiefenden Studien eigener Wertigkeit. Leserapostrophen und Dedikationsepisteln, in denen Aufbau und Zielsetzung der jeweiligen Werke erläutert wurden, Register und marginale Glossen dienten dazu, mögliche Lektüren zu erleichtern und zu steuern. Die Folianten der Frühen Neuzeit unterschieden sich in dieser Hinsicht nicht von Büchern, die in anderen Formaten publiziert worden waren. In ihrer Eigenschaft als Träger synchronisch bedeutsamer Informationen sollten sie gelesen werden und nicht zum Monument erstarren. Die vorliegende Studie ist ein Versuch, dieser Aufforderung gerecht zu werden. Sie wurde im Wintersemester 2007/08 an den Departments Philosophie und Geschichtswissenschaft der Universität Hamburg als Dissertation angenommen. Für den Druck wurde sie geringfügig überarbeitet. Mein Dank gilt insbesondere Professor em. Dr. Arno Herzig und Professor

VI Dr. Hans-Werner Goetz, die sie mit gewohnter Kompetenz betreut haben. Rat, Ermutigung und Hilfe habe ich von verschiedenen Seiten erfahren. Genannt seien Professor Dr. Helmut Zedelmaier, dem ich auch für die Unterstützung bei der Publikation zu großem Dank verpflichtet bin, Professor Dr. Gerrit Walther und Professor Dr. Markus Völkel. Die Treffen des Wissenschaftlichen Netzwerks „Historiographiegeschichte der Frühen Neuzeit (1400–1800)“ haben die Studie in vielerlei Hinsicht positiv beeinflusst. Den Mitgliedern des Netzwerks und insbesondere seiner treibenden Kraft, Frau PD Dr. Susanne Rau, sei dafür herzlich Dank gesagt. Verschiedene Bibliotheken haben mir die Arbeit mit ihren Beständen ermöglicht und mit ihren Dokumentenlieferdiensten zu einem reibungslosen Forschungsprozess beigetragen. Mein Dank gilt der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg Carl von Ossietzky, der Bibliothek der HelmutSchmidt-Universität/Universität der Bundeswehr Hamburg, der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, der Bibliothèque royale de Belgique Brüssel und der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen. Zahlreiche Personen haben außerordentlich zuvorkommend auf meine Anfragen reagiert, mich mit in Deutschland unzugänglichen Materialien ausgestattet, mir Literaturhinweise zukommen lassen und mich mit ihrer sachlichen Expertise unterstützt. Dafür danke ich Prof. em. Dr. Klaus Arnold (Hamburg), Dr. Stefan Benz (Bayreuth), Frau Elisabetta Caldelli (Rom), Mons. Ausilio Da Rif (Belluno-Feltre), Frank Glashoff, M. A. (Hamburg), Dr. Bernard Joassart SJ (Brüssel), Professor Dr. Walter Senner OP (Rom), Thomas Stockinger, M. A. (Wien), Dr. Thomas Wallnig (Wien) und Dr. Huberta Weigl (Wien). Frau PD Dr. Sabine Schmolinsky (Hamburg) sei für ihre mediävistische, handschriftenkundliche und theoretische Expertise gedankt. Insgesamt wäre die Arbeit ohne ihre Unterstützung kaum realisiert worden. Den Herausgebern danke ich für die Aufnahme in die Reihe „Frühe Neuzeit“ und dem Lektorat sowie der Abteilung Herstellung des Max Niemeyer Verlags für die ausgezeichnete Betreuung. Die Verantwortung für Unrichtigkeiten, streitbare Interpretationen und die formalen Charakteristika der Studie liegt natürlich beim Verfasser. Der Versuch, einige Schneisen in das Dickicht der frühneuzeitlichen Kommunikationskultur zu schlagen, dürfte nicht ohne Fehler vonstatten gegangen sein. Übersetzungen erfüllen in erster Linie die Funktion einer Lektürehilfe. Die nach Abschluss des Manuskripts im August 2007 erschienene Literatur zur Geschichte des Wissens und zur Historiographie und Hagiographie der frühen Neuzeit konnte nur bedingt berücksichtigt werden.

Konstanz, im Sommer 2008

Inhalt 1 Im Namen des Heiligen – Ein Einstieg ............................................. 1.1 1.2 1.3 1.4

1

Martyrium und Aufklärung...................................................... 1 Acta Sanctorum........................................................................ 9 (Selbst-)Akklamation............................................................... 22 Materialien ............................................................................... 28

2 Gelehrtenrepublik und Wissen(schaft)sgeschichte .......................... 42 2.1 2.2

Historiographiegeschichte........................................................ 44 Hagiographiegeschichte........................................................... 68

3 Was sind die Acta Sanctorum? .......................................................... 95 3.1 3.2 3.2.1 3.2.2 3.3 3.3.1 3.3.2 3.4

Buch, Intertext und Referenz ................................................... 95 Heilige, Festtage und sehr alte Handschriften.......................... 103 „Ex Martyrologio manuscripto“............................................... 104 „Ex Breviario“, „ex Necrologio“, „ex Officio“, … ................. 139 Heilige und Festtage jenseits der Handschrift.......................... 159 „Ex Ferrario“, „ex Saussaio“, „ex Brovvero“, … ................... 161 „Ex Gregor Turonensi“, „ex Adamo Bremensi“, „ex Eusebio“, … ..................................................................... 187 Zwischen Anspruch und Realität – Eine Bestandsaufnahme ... 216

4 Antiquarianismus – Zum Eigenbild der Bollandisten ...................... 221 4.1 Worte und Sachen .................................................................... 221 4.1.1 Imago primi saeculi – Fest....................................................... 222 4.1.2 Acta Sanctorum – Der Zahn der Zeit ....................................... 233 4.1.3 Antiquarianismus ..................................................................... 237 4.1.3.1 Rom und jenseits von Rom ...................................................... 241 4.1.3.2 Sprechende und schweigende Artefakte .................................. 248 4.2 Auf dem Weg zum Material..................................................... 258 4.2.1 Jenseits der Augenzeugenschaft............................................... 260 4.2.2 Fortschritte der Aufklärer ........................................................ 277

VIII 4.2.3 4.2.4 4.2.5 4.2.6

Exkurs zur „primären“ und „sekundären“ Quellen .................. 294 „Ad fontes“ und „ad silvam“ ................................................... 297 Monument und Motte – Zur Handschrift als Antiquität........... 310 „Opera nunc primum edita ex manuscriptis“ ........................... 317 Abbildhaftes in Raum und Zeit................................................ 323

5 Konfessionalismus – Zum Kontext der Acta Sanctorum ................. 328 5.1 Konfessionen und Passionen.................................................... 328 5.1.1 Kommentar und Konkurrenz ................................................... 334 5.1.2 Heilige, Heiligenviten und lutherische Historiographen.......... 343 Exkurs zur welt- und sozialgeschichtlichen Bedeutung des Heiligenkults...................................................................... 363 5.1.3 Bonifatius................................................................................. 372 5.1.4 Van der Meulen ....................................................................... 376 5.2 Devotionen und Traditionen .................................................... 384 5.2.1 Canisius, Welser und Rosweyde.............................................. 386 5.2.2 Eine Frage des Stils.................................................................. 395 5.2.3 Spiritualität und Abschweifung ............................................... 411 5.2.4 Lachen...................................................................................... 423 5.2.5 Dogma...................................................................................... 434 5.2.6 Kanon....................................................................................... 448 5.2.7 Memoria................................................................................... 457

6 Zwischen Selektion und Reproduktion – Zur editorischen Praxis der Bollandisten .......................................... 472 6.1 Surius ....................................................................................... 480 6.1.1 Der, der den Stil verändert hat, … .......................................... 483 6.1.2 Abbreviatur und Homogenität ................................................. 492 6.1.3 Geschichte – „Wilhelm“ oder „Wilhelm“? .............................. 501 6.2 Colgan – Gelehrte Netze in der frühen Neuzeit? ..................... 514 6.2.1 Fabel ........................................................................................ 518 6.2.2 Kollation .................................................................................. 535 6.2.3 Transkription............................................................................ 540 6.2.4 Kalendarium............................................................................. 548 6.2.5 Schein und Sein ....................................................................... 562 6.3 Bibliothek und Überschuss – Collectanea bollandiana........... 576 6.3.1 Liturgisches – Kurze und lange Viten...................................... 584 6.3.2 Oratorium – Von einer Bibliothek zur anderen........................ 609 6.3.2.1 Überlegungen zur Funktionsweise der BHL – Das Beispiel der Passio Valentini............................................ 613 6.3.2.2 Neuere Abschriften aus älteren Abschriften ............................ 620

IX

7 Konflikt und „Skepsis“ oder: Ist neues historisches Wissen möglich? ............................................ 628 7.1 Hagiographie und Diplomatik.................................................. 632 7.1.1 Sigibert und Dagobert – Neue Einblicke in alte Zusammenhänge ...................................................................... 633 7.1.2 Dagobert und Irmina – Neue Einblicke in alte Fälschungen ............................................................................. 645 7.2 Karmeliten – Identifikationsangebote für die Gelehrtenrepublik .................................................................... 673 7.2.1 Zensorisches............................................................................. 680 7.2.2 Schweigen................................................................................ 694 7.2.3 Die historische Wahrheit … .................................................... 701 7.2.4 … und die Historiographie des 17. Jahrhunderts ..................... 725

8 Resümee und Ausblick ...................................................................... 753 8.1 8.2 8.3 8.4 8.5 8.6

Neugierde................................................................................. 753 Anliegen................................................................................... 758 Altertum................................................................................... 762 Edition...................................................................................... 765 Praxis ....................................................................................... 767 Konfession ............................................................................... 771

Abkürzungen............................................................................................. 777 Quellen- und Literaturverzeichnis ............................................................ 779 1 Quellen..................................................................................... 779 1.1 Handschriften........................................................................... 779 1.2 Briefe ....................................................................................... 780 1.2.1 Historische Ausgaben .............................................................. 780 1.2.2 Moderne Ausgaben .................................................................. 780 1.3 Reiseberichte............................................................................ 782 1.4 Historische Rezensionen und Rezensionsorgane ..................... 783 1.5 Historische Nachschlagewerke ................................................ 784 1.6 Weitere Quellen ....................................................................... 786 2 Darstellungen und Hilfsmittel.................................................. 823 Abbildungen ............................................................................................. 885 Abbildungsnachweise ............................................................................... 897 Namensregister ......................................................................................... 898 Handschriftenregister................................................................................ 911

1 Im Namen des Heiligen – Ein Einstieg Das Christentum ist im Grunde nur eine Kristallisierung der Sprache. Die feierliche Beteuerung des Johannes-Evangeliums: Und das Wort wurde Fleisch, ist in gewissem Sinne diese tiefe Wahrheit: die Wahrheit der Sprache ist christlich. 1

1.1 Martyrium und Aufklärung Hagiographie und Heiligenkult waren in der Geschichtsbetrachtung der französischen Lumières kein randständiges Thema. In der Tradition der Moralistik bezog Paul-Henri Thiry d’Holbach (1723–1789) in seinem Tableau des Saints von 1770 das Wirken heiliger Personen – von Moses bis Jesus Christus, von Hieronymus († 420) bis Thomas Becket († 1170) – auf dessen gesellschaftlichen Nutzen. Wenn das Göttliche als der Grund der Sittlichkeit zu bewerten sei, musste sich solches in den Handlungen jener abgebildet haben, von denen gesagt würde, dass sich in ihnen göttliche Vollkommenheit verkörpert habe. 2 Im Tableau des Saints sollte nichts anderes als der Nachweis erbracht werden, dass diese Annahme des Fundaments entbehrte. Die Wende zu einem asketischen Lebensstil, die Thomas Becket nach seiner Ernennung zum Erzbischof von Canterbury 1162 vollzogen hatte, deutete d’Holbach als kalkulierte Strenge, hinter der Thomas „maßlosesten Ehrgeiz“ („l’ambition la plus démesurée“) und „unerträglichs–––––––— 1

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Georges Bataille, Fragment über das Christentum, in: Die Freundschaft und Das Halleluja (Atheologische Summe II), aus dem Franz. übers. und mit einem Nachwort v. Gerd Bergfleth (Georges Bataille. Das theoretische Werk in Einzelbänden), München 2002, S. 176. Vgl. [Paul-Henri Thiry d’Holbach], Tableau des Saints ou Examen de l’Esprit, de la Conduite, des Maximes & Mérite des Personnages que le Christianisme révère & propose pour Modèles [1770], in: ders., Oeuvres philosophiques, Bd. 3: Tableau des Saints. Le bon Sens. Politique naturelle. Ethnocratie. Textes établis, annotations & postface par Jean Pierre Jackson, Paris 2001, S. 8–220, hier S. 13: „C’est donc d’après le caractère moral que l’on donne le plus constamment à la divinité que nous devons juger les personnages que l’on nous assure avoir été ses favoris. Il faut donc examiner en premier lieu si la conduite de ceux que l’Eglise appelle des saints – et que’elle nous propose pour être le modèle de la nôtre – a été réellement conforme aux perfections divines et aux vues bienfaisantes de la providence, c’est-à-dire si cette conduite a été sage, équitable, avantageuse à la société.“

2 ten Hochmut“ („la hauteur la plus insoutenable“) zu verbergen suchte. 3 Die Immunität des Klerus habe den Vertretern der Kirche „mehr als hundert“ Morde ermöglicht, die die „zivile Gewalt“ unter Heinrich II. (reg. 1154– 1189) zu bestrafen lange nicht gewagt habe. 4 Die Ermordung des päpstlichen Protegé Thomas Becket war für d’Holbach daher das folgerichtige Resultat des inadäquaten Beharrens der Kirche auf einer Sphäre eigenständiger Jurisdiktion: „[…] jeder verständige Mann wird diesen nichtswürdigen Priester nur als Rebellen betrachten, der sein Los verdiente und der das Opfer jener himmelschreienden Ungerechtigkeit war, mit der er die Rechte verteidigte, die sich ein verdorbener Klerus angemaßt hatte, und die als die Rechte Gottes selbst auszugeben dieser ehrsüchtige Schurke die Unklugheit besaß.“ 5 Seine historischen Kenntnisse und einen guten Teil der Interpretation hätte d’Holbach aus verschiedenen Werken beziehen können, etwa aus dem erstmals 1724 publizierten zweiten Band der Histoire d’Angleterre des in England lebenden Exilhugenotten Paul Rapin de Thoyras (1661–1725), 6 –––––––— 3 4

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Vgl. ebd. S. 133. Vgl. ebd.: „[…] la puissance civile n’osait punir aucun de leurs attentats. Pendant le règne de ce prince [Heinrichs II.], on comptait plus de cent meurtres commis impunément par des membres du clergé.“ Ebd., S. 134: „[…] tout homme sensé ne regardera cet indigne prêtre que comme un rebelle qui mérita son sort, et qui fut la victime de l’injustice criante avec laquelle il soutint des droits usurpés par un clergé corrompu, et que ce fourbe ambitieux eut l’imprudence de donner comme les droits de Dieu lui-même.“ Hier wurde die zweite Ausgabe benutzt. Vgl. HISTOIRE || D’ANGLETERRE, || PAR || M. RAPIN DE THOYRAS, || NOUVELLE EDITION || AUGMENTÉE DES NOTES DE M. TINDAL, || & de quelques autres Remarques mises au bas des Pages; de l’ABREGÉ || HISTORIQUE fait par RAPIN THOYRAS; du Recueil des Actes || Publics d’Angleterre, de THOMAS RYMER, dispersé dans cette Edition || à la fin des Volumes auxquels chaque partie en peut appartenir; & de || MEMOIRES pour les vingt premiéres années du Régne de George II. || PAR LES SOINS DE M. DE S. M. || TOME SECOND. || A LA HAYE. || M. DCC. XLIX., S. 194: „C’est de Thomas Becket que je veux parler. Cet homme, qui étoit Fils d’un Bourgeois de Londres & d’une Mere Syrienne, avoit passé sa jeunisses à exercer la profession d’Avocat. […] Dès le commencement de ce Regne [Heinrichs II.] il eut à ménager à la Cour certaines affaires, qui lui fournirent l’occasion de se faire connoitre au Roi, & de se concilier son estime & sa bienveillance. Ce Monarque ayant conçu une haute opinion de son mérite, lui donna bien-tôt après une preuve sensible de son estime, en lui conferant la Dignité de Grand Chancelier. Dans l’exercice de cette éminente Charge, Becket se comporta envers tout le monde avec tant de fierté, qu’il devint très incommode à ses égaux, & insupportable à ses inferieurs. Sur toutes choses, il aimoit le faste & à faire parade de ses richesses.“ Nach der Weihe zum Erzbischof, „changeant tout-àcoup de maniere de vivre, il s’habilla d’une étoffe grossiere, & ne garda qu’un petit nombre de Domestiques, tous vêtus très simplement. Par cette conduite, & par beaucoup d’autres marques de la même nature, il fit connotire qu’il vouloit entierement reformer sa vie, ou qu’il avoit en tête quelque grand dessin.“ Ebd., S. 195. Thomas stellte sich nun gegen die von Heinrich II. beabsichtigten, staatsrechtlichen Veränderungen: „Il s’agissoit de reformer divers abus qui étoitent très préjudiciables à l’Etat, mais avantageux au Clergé, […].“ Ebd. Indem Thomas die pervertierte Sphäre der

3 wahrscheinlicher aber aus David Humes (1711–1776) erstem Band der History of England von 1754, in der die Zahl der hundert Morde durch Vertreter des Klerus ausdrücklich genannt worden war. 7 Grundsätzlicher betrachtet sah d’Holbach die Idee des Martyriums aus der unhinterfragten Autorität der frühchristlichen Bischöfe erwachsen. Die Christen, die ihre Bischöfe „wie Götter verehrten“, hätten diesen die Macht zugeschrieben, über ihr diesseitiges wie jenseitiges Schicksal entscheiden zu können. Eine „tiefe Unwissenheit“ und „blinder Glaube“ habe es den Bischöfen gestattet, den Christen ein „enthusiastische[s]“ Moment einzupflanzen, das sie zum Martyrium bewegte. 8 Allerdings, so lautete d’Holbachs Lehre: –––––––—

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klerikalen Jurisdiktion zu verteidigen suchte, habe er nicht länger auf irdischen, sondern auf ewigen Ruhm gezielt: „Il se flattoit par avance de l’acquisition d’une gloire immortelle, s’il soutenoit avec vigueur les interêts du Clergé, qu’on affectoit ordinairement de confondre avec ceux de Dieu. || Un des plus grand abus qu’il y eût à reformer, étoit le relâchement de la Justice envers les Prêtres convaincus de quelque crime. Le Clergé ayant peu à peu acquis une puissance absolue sur ses propres membres, lorsqu’un Clerc étoit accusé, l’affaire étoit portée à la Cour Ecclésiastique, qui en jugeoit souverainement. […] Les Laïques ne pouvoient, sans une peine extrême, se voir sujets à toute la rigueur des Loix Civiles, pour des fautes qui n’exposoient les Ecclésiastiques qu’à des châtimens très legers; […]. D’une autre côté, les Clercs assurez de l’impunité, commettoient tous les jours, contre les Laïques, des excès que ceux-ci n’osoient repousser, de peur de s’exposer à la punition.“ Ebd., S. 196. Konstitutiv für die Haltung der Bischöfe sei es gewesen, die Verteidigung eigener Interessen mit dem Dienst am Religiösen zu identifizieren: „Ils croyent ne pouvoir donner des preuves plus certaines de leur zèle pour la Religion, & pour le service de Dieu, qu’en soutenant de tout leur pouvoir ces prétendus privileges du Clergé, & par conséquent, tous les abus qui en naissoient.“ Ebd. Rapin de Thoyras beschloss die Schilderung der politischen Verwicklungen und des Todes Thomas Beckets mit den Worten: „Telle fut la fin de ce fameux Archevêque, que les uns ont mis au rang des plus illustres Martirs, & à qui d’autres ont cru pouvoir, sans injustice, refuser le titre d’honnêtehomme & de bon Chrétien.“ Ebd., S. 214. Vgl. David Hume, The History of England. From the Invasion of Julius Caesar to the Revolution in 1688. A New Edition. With the Authors Last Corrections and Improvements, to which Is Prefixed a Short Account of His Life, Written by Himself, Bd. 1 [1754], New York 1948, S. 327: „[T]he ecclesiastics, in that age, had renounced all immediate subordination to the magistrate: they openly pretended to an exemption, in criminal accusations, from a trial before courts of justice; and were gradually introducing a like exemption in civil causes: spiritual penalties alone could be inflicted on their offences; and as the clergy had extremely multiplied in England, and many of them were consequently of very low characters, crimes of the deepest dye, murders, robberies, adulteries, rapes, were daily committed with impunity by the ecclesiastics. It had been found, for instance, on inquiry, that no less than a hundred murders had, since the king’s accession, been perpetrated by men of that profession, who had never been called to account for these offences; […].“ Thomas’ Tod kommentierte Hume wie folgt: „This was the tragical end of Thomas à Becket, a prelate of the most lofty, intrepid, and inflexible spirit, who was able to cover to the world, and probably to himself, the enterprises of pride and ambition under the disguise of sanctity and of zeal for the interests of religion […].“ Ebd., S. 350. Vgl. [d’Holbach], Tableau, ed. Jackson (2001), S. 84: „[…] les évêques jouissaient dès les premiers temps de l’Eglise d’un pouvoir immense sur les chrétiens. Ceux-ci

4 Indem er für eine Sache stirbt, beweist ein Enthusiast in keiner Weise, dass diese Sache gerecht ist, und auch nicht, dass seine Meinungen wahr sind: er beweist nur, dass ihm die Güte seiner Sache durchaus zu Kopf gestiegen ist, oder, dass er ein großes Interesse daran besitzt, sie zu unterstützen; in einem Wort, dass er entschieden an Meinungen festhält, die er für nützlich hält, sei es für ihn selbst, sei es für die anderen. Aber welche diese zugrundeliegenden Ideen auch immer sein mögen, er kann sich sehr wohl täuschen, selbst wenn er einwilligt, auf die grausamste Weise zu enden. 9

Ein zweiter namhafter Protagonist der französischen Aufklärung, der Jesuitenzögling François-Marie Arouet „Voltaire“ (1694–1778), war auf der Suche nach einem möglichst bizarren Beispiel christlicher Hagiographie in einem katholischen Sammelwerk auf eine frühchristliche Legende gestoßen, das Martyrium Theodoti. Voltaire zitierte das Martyrium Theodoti im Essai sur les mœurs von 1756 zur Illustration der Einsicht, „[d]ass die falschen Legenden der ersten Christen der Verbreitung der christlichen Religion in keiner Weise geschadet haben.“ 10 Das Martyrium schilderte die Martyrien der hl. Tekusa († 303/304 oder 311/312) und des (hl.) Theodot. 11 Letzterer, ein Schankwirt, habe für die Bestattung der betagten Jungfrau Tekusa und ihrer sechs Gefährtinnen Sorge getragen, nachdem diese von dem römischen Statthalter in Ankyra wegen ihres Bekenntnisses verurteilt worden waren. Aufgrund ihres Alters seien sie, so schildert es die Legende, zunächst der von Statthalter verhängten Vergewaltigung entgangen. Sodann seien sie zu einem unbekleidet zu vollziehenden Dienst am Tempel der Minerva und der Diana gezwungen worden, ehe man sie in einem See ertränkt habe. Geleitet von dem himmlisch gesandten Märtyrer Sosiander, der die Wachen vertrieben und Theodot den Weg zu den Ermordeten gewiesen habe, wurden die Märtyrerinnen begraben. Theodot wurde seinerseits zum Tode verurteilt. Seine sterblichen Überreste wurden durch den Priester –––––––—

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les révéraient comme des dieux, recevaient leurs instructions avec la soumission ou la foi la plus humble, n’osaient former aucun doute sur leur doctrine, les craignaient comme leurs juges et comme les arbitres de leur sort, et en ce monde et dans l’autre. Avec ces dispositions, il fut très facile à ces divins pasteurs d’allumer l’enthousiasme dans les esprits qu’une ignorance profonde et une foi implicite leur soumettaient aveuglément.“ Ebd., S. 93: „En mourant pour une cause, un enthousiaste ne prouve nullement que cette cause est juste ni que ses opinions sont vraies: il prouve seulement qu’il est bien entêté de la bonté de sa cause, ou qu’il trouve un grand intérêt à la soutenir; en un mot, qu’il tient fortement à des opinions qu’il croit utiles, soit pour lui-même, soit pour les autres. Mais quelles que soient ses idées là-dessus, il peut bien se tromper, même en consentant à périr de la façon la plus cruelle.“ Voltaire, Essai sur les mœurs et l’esprit des nations et sur les principaux faits de l’histoire depuis Charlemagne jusqu’à Louis XIII. Introduction, bibliographie, relevé de variantes, notes et index par René Pomeau, Bd. 1, Paris 1963, S. 288: „Chapitre IX || Que les fausses légendes des premiers chrétiens n’ont point nui à l’établissement de la religion chrétienne“. Vgl. zur Überlieferung H. Grégoire/P. Orgels, La Passion de S. Théodote, œuvre du Pseudo-Nil, et son Noyau montaniste, in: Byzantinische Zeitschrift 44 (1951), S. 165–184, hier S. 165 Anm. 1, S. 179.

5 Frotonius als Reliquien in einer Kapelle zur letzten Ruhe gebettet. 12 Die Paraphrase der Handlung beschloss Voltaire mit den Worten: „Da ist also das, was die Jesuiten Bollandus und Papebroc sich nicht schämten, in ihrer Histoire des saints zu berichten […].“ 13 Er folgerte: „So viele Betrügereien, so viele Irrtümer, so viele widerwärtige Dummheiten, mit denen wir seit eintausendsiebenhundert Jahren überschwemmt worden sind, haben es nicht vermocht, unserer Religion Abbruch zu tun. Sie ist ohne Zweifel göttlich, da siebzehn Jahrhunderte der Spitzbübereien und Einfältigkeiten sie nicht haben zerstören können […].“ 14 Die Kirchen- und Religionskritik der französischen Aufklärung hat es zweifellos gegeben. 15 Es ist allerdings bekannt, dass ihren radikaleren Vertretern zwar das Augenmerk, nicht aber notwendig der Konsens der westeuropäischen Intelligenz sicher war. 16 Der Schweizer Universalgelehrte Albrecht von Haller (1708–1777) konnte sich mit dem Genfer Naturforscher und Philosophen Charles Bonnet (1720–1793) schnell darauf verständigen, dass Voltaire, ebenso wie andere prominente Vertreter der Lumières, das Amt eines veritablen Christenverfolgers spätantiker Prägung hätte bekleiden können. 17 Trotz der diskreditierenden Absicht hätte Voltaire dieser Vergleich vermutlich zugesagt. Er selbst war nämlich sehr darum bemüht, die Bedeutung der frühchristlichen Martyrien qualitativ und quantitativ zu relativieren. 18 Gegenüber dem Bild einer rein religiös motivierten Verfolgung betonte er die politischen Absichten der römischen Kaiser, die die Assimilation des Christentums keineswegs prinzipiell behindert hätten. 19 Spiegel–––––––— 12 13 14

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Vgl. Voltaire, Essai, ed. Pomeau, Bd. 1 (1963), S. 292f. Ebd., S. 294: „Voilà ce que les jésuites Bollandus et Papebroc ne rougirent pas de rapporter dans leur Histoire des saints […].“ Ebd.: „Tant de fraudes, tant d’erreurs, tant de bêtises dégoûtantes, dont nous sommes inondés depuis dix-sept cents années, n’ont pu faire tort à notre religion. Elle est sans doute divine, puisque dix-sept siècles de friponneries et d’imbécillités n’ont pu la détruire; et nous révérons d’autant plus la vérité que nous méprisons le mensonge.“ Vgl. Thomas Fuchs, Das Ringen mit der Tradition. Die Kritik an Kirche und Religion in der Historiographie der Aufklärungsepoche, in: ZRGG 55 (2003), S. 121–137, hier S. 128–137. Vgl. Didier Masseau, Les ennemis des philosophes. L’antiphilosophie au temps des Lumières, Paris 2000; Guido Santato, Le „Contre Voltaire“ d’Alfieri. La satire „L’Antireligi-onería“, in: SVEC 2001:12, S. 15–43. Vgl. Haller to Bonnet, Roche, 4. Mai 1759, in: The Correspondence between Albrecht von Haller and Charles Bonnet, hrsg. v. Otto Sonntag (Studia Halleriana 1), Bern/Stuttgart/Wien 1983, Nr. 83, S. 165f., hier S. 166: „Je crois comme Vous que M. de V(oltaire), que Diderot, que la Metrie, et meme M. de M(aupertuis) auroient fait de grands persecuteurs, s’ils avoient été à la place des juges Romains sous Domitien, ou sous Diocletien […].“ Vgl. Voltaire, Essai, ed. Pomeau, Bd. 1 (1963), S. 285: „Le vain plaisir d’écrire des choses extraordinaires, et de grossir le nombre des martyrs, a fait ajouter des persécutions fausses et incroyables à celles qui n’ont été trop réelles.“ Vgl. ebd., S. 283: „Si Décius, Maximin, et Dioclétien, persécutèrent les chrétiens, ce fut pour des raisons d’État. […] Ils [die Christen] jouirent la plus grande liberté pen-

6 bildliches Gegenstück zu Voltaires Lesart der römischen Christenverfolgung war seine Interpretation der Bartholomäusnacht. In ihrem Fall neigte er dazu, die Zahl der ermordeten Hugenotten an der mythologischen Obergrenze von mehr als 100000 zu fixieren und sie, anders als die frühchristlichen Martyrien, als ein Ereignis zu bewerten, das durch Akzeptanz, Mithilfe und konfessionellen Fanatismus der Bevölkerung allererst ermöglicht worden sei. 20 Mit der Chiffre „Voltaire“ die Ansichten „der Aufklärung“ zu Heiligenkult und Hagiographie zu identifizieren, 21 bedeutete dennoch, mit den als solchen auch intendierten Zuspitzungen Voltaires einem Klischee das Wort zu reden. Ein dritter Protagonist der französischen Aufklärung, Charles de Secondat de „Montesquieu“ (1689–1755), griff für sein Hauptwerk De l’Esprit des Lois von 1748 auf eine Reihe früh- und hochmittelalterlicher Viten zurück. Unbenommen ihrer ihm bisweilen fragwürdig erscheinenden literalen Stichhaltigkeit war Montesquieu bestrebt, aus der Struktur der Argumentation das rechtliche Brauchtum des Mittelalters zu rekonstruieren und es in seinen mentalen Grundlagen zu begreifen: Ich entdecke im Leben der Heiligen, dass Chlodwig einer heiligen Persönlichkeit die Herrschaft über ein Gebiet von sechs Quadratmeilen Land verlieh, und dass er wünschte, dass es von jeder Art der Jurisdiktion frei sein sollte. Ich glaube wohl, dass dies eine Unwahrheit ist, aber es ist eine sehr alte Unwahrheit; der Grund der Vita und die Lügen beziehen sich auf die Bräuche und auf die Gesetze der Zeit; und es sind diese Bräuche und Gesetze, die man hier erkunden kann. 22

Montesquieu bezog sich auf die 1680 in den Acta Sanctorum publizierte Lebensbeschreibung eines ansonsten kaum belegten frühmittelalterlichen Bischofs von Toulouse, des hl. Germier. Mit der die Vita eröffnenden Sen–––––––—

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dant vingt années sous Dioclétien. Non seulement ils avaient cette liberté de religion que le gouvernement romain accorda de tout temps à tous les peuples, sans adopter leurs cultes; mais ils participaient à tous les droits des Romains. Plusieurs chrétiens étaient gouverneurs de provinces.“ Vgl. John Leigh, Voltaire. A Sense of History (SVEC 2004 5), Oxford 2004, S. 1–43. Vgl. Martin Heinzelmann/Klaus Herbers, Zur Einführung, in: Mirakel im Mittelalter. Konzeptionen, Erscheinungsformen, Deutungen, hrsg. v. dens. (Beiträge zur Hagiographie 3), Stuttgart 2002, S. 9–21, hier S. 9f. Montesquieu, De l’esprit des lois ou du rapport que les lois doivent avoir avec la constitution de chaque gouvernement, les mœurs, le climat, la religion, le commerce, etc. A quoi l’auteur a ajouté des recherches nouvelles sur les lois romaines touchant les successions, sur les lois françoises et sur les lois féodales, in: ders., Oeuvres complètes, Bd. 2, hrsg. v. Roger Caillois, Paris 1951, Nr. 8, S. 225–1117, hier lib. XXX, c. 21, S. 922: „Je trouve dans la Vie des saints (a), que Clovis donna à un saint personnage la puissance sur un territoire de six lieues de pays, et qu’il voulut qu’il fût libre de toute juridiction quelconque. Je crois bien que c’est une fausseté, mais c’est une fausseté très ancienne; le fond de la vie et les mensonges se rapportent aux mœurs et aux lois du temps; et ce sont ces mœurs et ces lois que l’on cherche ici.“ Vgl. ebd., Anm. a: „Vita sancti Germeri, episcopi Tolosani, apud Bollandianos, 16 mai.“

7 tenz: „Zu den Zeiten des äußerst ruhmreichen Fürsten Chlodwig […]“, 23 hatte der Jesuit Daniel Papebroch (1628–1714) die Amtszeit Germiers mit der Herrschaft Chlodwigs I. (reg. 482–511) in Beziehung gesetzt und nach der Addition einiger lebensgeschichtlicher Daten, die die Vita enthielt, Germiers Ableben auf nach 560 datiert. 24 Seit der Wende zum 20. Jahr–––––––— 23

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Vgl. D[aniel] P[apebrochius], De Sancto Germerio. Episcopo Tolosæ in Gallia, in: AASS Maii, Bd. 3, 1680, 16. Mai, S. 591–595. Vita. Ex veteri MS. Tolosano, ebd., S. 592–595, hier S. 592a: „Temporibus gloriosissimi Chlodovæi (a) Principi […].“ In seiner Anmerkung identifizierte Papebroch diesen Chlodwig als Chlodwig I. Dessen Regentschaft wurde von ihm anders angesetzt, als heute üblich. Vgl. ebd., S. 594b Anm. a: „Chlodovæus I regnavit anno 480 usque ad 509 […].“ Vgl. die von Montesquieu konsultierte Passage ebd., S. 593a: „Et cognovit Rex quod Sanctus esset, & rogavit eum ut pro anima sua oraret; & dixit: Pete quod vis ex meis facultatibus, & servi mei ambulent tecum. Dixit autem S. Germerius; Nihil peto, Domine Rex, de tuis facultatibus; sed tantum ut mihi dones in territorio Tolosano quantum mea obumbrare potest chlamys cum Domino nostro B. Saturnino, ut sub ala ipsius meum requiesceat corpusculum: ipsum enim post Dominum cælestem habere desidero adjutorem & defensorem in Tolosano Comitatu. Et ait illi Rex: Habeto potestatem in circum loci qui dicitur Dux per sex millia, & in sepulturam mortuorum quantum in die septem paria boum [!] arare consueverunt.“ Papebroch vermutete, dass sich die Zusammenkunft von Germier und Chlodwig zur Zeit von Chlodwigs Feldzug gegen die Goten – in dem von Papebroch allerdings nicht genau benannten Jahr 507 – an jener Stelle abgespielt habe, wo die Garonne in die Tarn mündete und sich nun die Stadt Moissac befände. Vgl. ebd., S. 594b Anm. o: „Credibile est […] Chlodovæum tunc habuisse Palatium suum cis Garumna & Tarni confluentes, ubi pellendis Gallia Narbonensi Gothis, qui eam adhuc totam tenebant præter Tolosam, præsentior intenderet: puta ubi nunc est Mossiacum oppidum, aut alio vicino loco, per quem Aristiæ Tolosam eunti erat transeundum.“ Vgl. Papebroch, [Einleitung], ebd., S. 591f. hier S. 591a: „Trecenarius […] erat Germerius, cum ordinaretur; & triginta sex annis vixerat in Episcopatu, quando bonorum omnium jactura probatus fuit; & his post multos annos recuperatis, aliis adhuc septem annis vixit: ut annos minimum quinquaginta debuerit in eo gradu stetisse. Nihil est sane quod cogat ante annum DLX mortuum credere; […].“ Dies bezog sich auf Angaben und Ereignisse der Vita, ebd., S. 593a: „erat autem annorum triginta cum Sacerdotio est initiatus.“ Damit war Germiers Lebensalter zum Zeitpunkt der Bischofsweihe bezeichnet, der in der Vita allerdings nicht präzise fixiert worden war. Immerhin konnte ihr entnommen werden, dass Germier Chlodwig als Bischof gegenüber getreten war. Bis in das Jahr 36 seines Episkopats habe er fromm, aber unter angenehmen Umständen gelebt. Vgl. ebd., S. 593b: „Ipse autem Pontifex vixit jejunando, orando, ellemosynas dando per triginta sex annos, habens multos servos & ancillas.“ Als der Teufel Germier und die Seinigen in Versuchung führte, indem er durch eine Seuche ihre Güter verderben und ihre Leibeigenen töten ließ, habe sich Germier allein der Frömmigkeit zugewandt, ehe sich „post multos (y) annos“ das Verlorene wieder eingestellt habe. Nach weiteren sieben Jahren: „post septem annos“, sei Germier verstorben. Ebd., S. 594a. Papebroch deutete die Angabe der „multi anni“ konkret als siebenjähriges Leiden zu den das Leben beschließenden sieben Jahren in Wohlstand. Zusammen mit den besagten 36 Jahren bedeutete dies rund 50 Jahre im Episkopat. Vgl. ebd., S. 595a Anm. y: „Hos annos præsumere libet septem fuisse, ut calamitatis tempori respondeat tempus restitutæ felicitatis, atque ita Episcopus fuerit totis 50 annis.“ Da er Chlodwigs Todesjahr ebd., S. 594b Anm. a, auf 509 fixierte, ist

8 hundert tendiert die Forschung allerdings dazu, besagten Chlodwig mit Chlodwig III. (reg. 690/91–694) zu identifizieren, da der Bischof Tornoald von Paris, der nach dem Wortlaut der Vita den hl. Germier zum Bischof geweiht habe, mit einem späteren Bischof von Paris (reg. 693/94–718/19) gleichbedeutend sein dürfte. Germiers Amtszeit wird folglich auf nach 693/94 datiert. 25 Ob diese chronologische Verschiebung um rund anderthalb Jahrhunderte für Montesquieus Interpretationen von Bedeutung gewesen wäre, ist hier nicht zu untersuchen. Die Vita selbst ist wahrscheinlich im letzten Drittel des 11. Jahrhunderts, mit Sicherheit aber vor 1156 im Kloster Saint-Pierre de Lézat bei Muret verfasst worden. 26 Die Papebroch vorliegende Version scheint verloren. Sie war von dem Jesuiten Pierre Poussines (1609–1686) aus den Hinterlassenschaften seines hagiographisch tätigen Ordensbruders Odo de Gissey (1567–1643) nach Antwerpen kommuniziert worden. 27 Anders als Montesquieu scheint Voltaire nicht immer gewillt gewesen zu sein, Latein zu rezipieren. Das Martyrium Theodoti dürfte er sich aus der 1708 publizierten französischen Fassung der Anthologie der Véritables actes des martyrs des Mauriners Thierry Ruinart (1657–1709) angeeignet haben. 28 Diese war zuerst 1689 in Latein gedruckt worden und hatte – unter anderem – das Martyrium Theodoti aus den Acta Sanctorum übernommen. 29 –––––––— 25

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nicht genau nachzuvollziehen, aus welchem Grund er in seiner [Einleitung], ebd., S. 591a marginal, dennoch darauf insistierte, dass Germier „non ante an. 560 obiit“. Vgl. Louis Saltet, Étude critique sur la vie de saint Germier, in: Annales du Midi 13 (1901), S. 145–175, hier S. 172ff.; Patrice Cabau, Les évêques de Toulouse (IIIe– XIVe siècles) et les lieux de leur sépulture, in: Mémoires de la Société Archéologique du Midi de la France 59 (1999), S. 123–162, hier S. 138 mit Anm. 4. Vgl. ebd., S. 138f. Vgl. Papebroch, De Sancto Germerio, AASS Maii, Bd. 3, 1680, 16. Mai, S. 591a: „[…] vita […], quam repertam inter Odonis Gissæi schedas olim nobis Tolosa misit Petrus Poßinus, nunc Romæ Annales Societatis dignißime prosequens.“ Poussines hielt sich seit 1654 in Rom auf, wo er an der Fortsetzung der von den Jesuiten Nicola Orlandini (1554–1606) und Francesco Sacchini (1570–1625) zuerst 1614 vorgelegten Historia Societatis Iesu mitwirkte. Nach Papebrochs Andeutungen war die Vita demnach nach de Gisseys Ableben, aber vor Poussines’ Zeit in Rom nach Antwerpen gelangt. Vgl. Art. Poussines, Pierre, in: Sommervogel, Bd. 6, 1895, Sp. 1123–1134, hier Sp. 1123; Odo de Gissey hatte unter anderem Le Puy betreffende Heiligenviten gesammelt. Er verfasste eine Lebensbeschreibung des ersten Bischofs von Toulouse, des hl. Saturninus († 250), und eine 1648 posthum gedruckte Histoire de Sainte Ursule. Vgl. Art. Odo de Gissey, in: Sommervogel, Bd. 3, 1892, Sp. 1467–1469; vgl. zur Überlieferung Saltet, Étude (1901), S. 145ff., 167ff. Vgl. Voltaire, Essai, ed. Pomeau, Bd. 1 (1963), S. 292 Anm. 1. In der hier benutzten zweiten Ausgabe: Passio Sancti Theodoti Ancyrani, & septem Virginum. Auctore Nilo teste oculato. Ex tomo 4. Maii Bollandiani, in: ACTA || PRIMORUM || MARTYRUM || SINCERA & SELECTA. || Ex Libris cum EDITIS, tum MANUSCRIPTIS || collecta, eruta vel emendata, notisque & observationibus illustrata. || Opera & studio Domni THEODORICI RUINART, Presbyteri || & Monachi Benedictini è Congregatione sancti Mauri. || His præmittitur || PRÆFATIO GENERALIS, || in qua refellitur || DISSERTATIO undecima Cyprianica HENRICI

9 Aus den Acta Sanctorum hätte Voltaire mit Sicherheit weiteren Stoff für seine Polemik beziehen können. Papebroch hatte dort ausdrücklich die Ansicht vertreten, dass das von dem vermeintlichen Augenzeugen Nilus verfasste Martyrium Theodoti, im Verbund mit dem „ansehnliche[n], aber strenge[n] Stil“, der die Schilderung auszeichnete, an Alter und Glaubwürdigkeit ungleich höher einzustufen sei als andere Passiones, die mehr auf Wirkung bedacht gewesen und, in Bezug auf die dargestellten Ereignisse, später verschriftlicht worden seien. 30

1.2 Acta Sanctorum Die Geschichten um das Martyrium Theodoti sind damit nicht beendet. Die Lebensbeschreibungen der Heiligen haben die Gelehrten seit jeher polarisiert und mithin verwirrende Bruchlinien hervorgebracht. Knapp 300 Jahre nach Papebrochs Tod beschäftigte sich einer der prominentesten seiner Nachfolger, der Bollandist Hippolyte Delehaye (1859–1941), in seinem quellenkundlichen Grundlagenwerk Les légendes hagiographiques von 1905 mit dem Verhältnis von faktionalen und fiktionalen Elementen in der hagiographischen – und insbesondere in der spätantiken – Tradition, die er in verschiedene Klassen einzuteilen beabsichtigte. 31 Im Hintergrund standen Delehayes Kontroversen mit den Vertretern der hagiographischen Editorik der Benediktiner. Wiederholt sprach sich Delehaye gegen die alte Anthologie Ruinarts aus, da sie dem Anspruch einer Auswahl „des sources historiques pures, sans alliage de fantaisie ou de fiction“ 32 nicht gerecht geworden sei. Mit ähnlichen Einschätzungen bedachte er Edmond-Frédéric Le Blants (1818–1897) Actes des martyrs. Supplément aux Acta sincera de Dom Ruinart von 1882 sowie Henri Leclercqs (1869–1945) letztlich 15 Bände –––––––—

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DODWELLI || de paucitate Martyrum. || EDITIO SECUNDA || Ab ipso AUCTORE recognita, emendata & aucta. || AMSTELAEDAMI, || EX OFFICINA WETSTENIANA. || MDCCXIII, S. 336–352. Vgl. D[aniel] P[apebrochius], De Sanctis Martyribvs Ancyranis Theodoto, Tecusa, Alexandra, Clavdia, Phaina, Evphrasia, Matrona, Jvlitta, item Sosandro, in: AASS Maii, Bd. 4, 1685, 18. Mai, S. 147–165. Commentarivs prævivs, ebd., S. 147–149, hier S. 147b, zur Frage der Augenzeugenschaft: „Id ipsum quoque confirmat stylus, luculentus quidem, sed gravis, nihilque habens de licentia, admirationi magis quam fidei conciliandæ idonea, quæ in variis Martyrum Paßionibus notatur scriptis diu post rem gestam, sæpe cum exigua, non solum veritatis, sed etiam verosimilitudinis cura.“ Vgl. den Text der Passio: Ex Bibliothecæ Vaticanæ Codice 655. Martyrium S. Theodoti Ancyrani et septem cum eo virginum. Auctore Nilo teste oculato, Interprete D[aniel] P[apebrochius], ebd., S. 149–165. Vgl. Hippolyte Delehaye, Les légendes hagiographiques. 4. ed., augmentée d’une notice de l’auteur par Paul Peeters (Subsidia hagiographica 18a), Brüssel 1955 [zuerst 1905]. Vgl. ebd., S. 109–118, Zitat S. 110.

10 umfassende und zwischen 1902 und 1924 publizierte Sammlung Les Martyrs. Recueil des pièces authentiques sur les martyrs depuis les origines jusqu’au XXe siècle. 33 Die Beispiele der eher der Fiktion zuzurechnenden Passiones verband Delehaye in erster Linie mit den Ausgaben der Benediktiner. Die in seiner Nomenklatur dem „roman historique“ zugewiesene Passio der hl. Julitta und ihres dreijährigen Sohns Kyriakos beispielsweise, die angeblich zur Zeit der Diokletianischen Verfolgung das Martyrium erlitten hatten, verknüpfte Delehaye ausdrücklich mit Ruinarts Acta primorum martyrum sincera, 34 wiewohl sie von Ruinart, wenn ich richtig sehe, durchaus nicht publiziert worden war. Publiziert worden war sie hingegen 1701 in den Acta Sanctorum und 1882 in einer bis dahin noch nicht bekannten Redaktion in der Zeitschrift der Bollandisten. 35 Letztere Ausgabe wurde von der Bemerkung begleitet, dass Papebroch die andere Version der Passio nicht eigentlich ediert, sondern bewusst und ganz zu Recht dem Hohn „gelehrter und frommer Menschen“ dargeboten habe. 36 Auch in anderen Fällen sah Delehaye davon ab, sich ausdrücklich damit zu befassen, dass er und die frühneuzeitlichen Vertreter der Acta Sanctorum eine gegenüber der spätantiken Hagiographie ganz offensichtlich divergente Positionen bekleideten. Wie die Passio Iulittae et Cyrici zählte Delehaye auch das Martyrium Theodoti zu den „romans d’imagination“, assoziierte es allein mit Ruinarts Anthologie und suchte überdies, wahrscheinlich zu Unrecht, in Abrede zu stellen, dass es sich um eine spätantike Passio handelte. 37 –––––––— 33 34

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Vgl. Bernard Joassart, Henri Leclercq et les Bollandistes. Querelle autour des „Martyrs“, in: Anal. Boll. 121 (2003), S. 108–136. Vgl. Delehaye, Légendes (41955), S. 114: „Le genre roman historique […] n’est pas mal représenté dans Ruinart. On ne fera pas de difficulté d’y rattacher […] Cirycus et Iulitta […].“ Vgl. Maria-Barbara v. Stritzky, Art. Julitta u. Kyriakos, in: LThK, Bd. 5, 3 1996, Sp. 1082. Vgl. D[aniel] P[apebrochius], De sanctis Martyribus Antiochenis Quirico, Iulitta et sociis CCCCIIII. Ex Hieronymiano Martyrologio & aliis, in: AASS Iunii, Bd. 3, 1701, 16. Jun., S. 15–37; vgl. den ungezeichneten Artikel: SS. Cyrici et Julittæ Acta græca sincera. Nunc primum edita, in: Anal. Boll. 1 (1882), S. 192–207. In den ersten Bänden der Analecta Bollandiana waren die von den Bollandisten stammenden Artikel grundsätzlich ungezeichnet. Vgl. ebd., S. 192: „Quorum sanctorum Acta latina […] non tam ediderunt, quam doctorum ac piorum hominum risui et contemptui jure ac merito tradiderunt […].“ Hingegen sei man erfreut, jetzt „Acta, quae sincera aestimamus,“ veröffentlichen zu können. Vgl. Delehaye, Légendes (41955), S. 113f.; ders., La Passion de S. Théodote d’Ancyre, in: Anal. Boll. 22 (1903), S. 320–328; vgl. dagegen Grégoire/Orgels, Passion (1951), S. 166; Gérard Garitte, La Passion de S. Irénarque de Sébastée et la Passion de S. Blaise, in: Anal. Boll. 73 (1955), S. 18–54, hier S. 35 mit Anm. 1. Von den zahlreichen Texten, die Ruinart aus den Acta Sanctorum übernommen hatte, wurden von Delehaye folgende Stücke ausdrücklich als „romans d’imagination“ oder als „roman historique“ bezeichnet: Acta Sanctorum Didymi & Theodoræ virginis. Ex Aprilis Bollandiano, in: Ruinart, Acta primorum martyrum, sec. ed. 1713, S. 397– 401; Certamen Sancti Leonis & Paregorii, Qui Martyrium subierunt Pataræ in Lycia

11 Die vorliegende Arbeit wird sich in dem damit angerissenen Spannungsfeld von Historiographie-, Hagiographie- und Wissenschaftsgeschichte bewegen. In ihrem Zentrum steht mit den von dem Antwerpener Jesuiten Jean Bolland (1596–1665) begründeten Acta Sanctorum ein gleichermaßen kompliziertes wie interessantes und traditionsreiches Stück jesuitischer Gelehrsamkeit. Bolland hatte es sich zum Ziel gesetzt, sämtliche überhaupt (toto orbe) auffindbaren hagiographischen Zeugnisse katholischer Provenienz zu sammeln (colligere), zu ordnen (digerere) und zu kommentieren (notis illustrare), orientiert am Wortlaut möglichst alter Überlieferungen (Seruatâ primigeniâ Scriptorum phrasi). Das Titelblatt des ersten Bands von 1643 kündigte Materialien zu 1170 namentlich erwähnten „und weiteren unzähligen“ Heiligen an, deren Festtage im Monat Januar gelegen waren. Die übrigen Monate sollten der Reihe nach folgen. 38 Die Acta Sanctorum sind bis heute nicht vollendet. Die Arbeit an ihnen wurde nur kurzzeitig, zwischen 1794 und 1837, unterbrochen. Ihre nach wie vor jesuitischen Träger formierten sich im 19. Jahrhundert als Société des –––––––—

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pridie Kalendas Julii. Ex cod. ms. græco bibliothecæ Regiæ latine donatum in Februario Bollandiano, in: ebd., S. 545–548. Vgl. dazu die Ausgaben von D[aniel] P[apebrochius], De SS. Didymo et Theodora, Martyribvs Alexandriæ in Ægypto, in: AASS Aprilis, Bd. 3, 1675, 28. April, S. 572–575. Passio, ebd., S. 573–575; G[odefridus] H[enschenius], De SS. Leone et Paregorio Martyribvs Pataræ in Lycia, in: AASS Februarii, Bd. 3, 1658, 18. Feb., S. 57–59. Vita auctore antiquo, ex MS. Græco, collata cum Metaphraste, ebd., S. 58f. Vgl. ACTA SANCTORVM || Quotquot toto orbe coluntur, vel a catholicis Scriptoribus celebrantur, || Quæ ex Latinis & Græcis, aliarumque gentium antiquis monumentis || collegit, digessit, Notis illustrauit || IOANNES BOLLANDVS || SOCIETATE IESV THEOLOGVS, || Seruatâ primigeniâ Scriptorum phrasi. || OPERAM ET STVDIVM CONTVLIT || GODEFRIDVS HENSCHENIVS || EIVSDEM SOCIET. THEOLOGVS. || Prodit nunc duobus Tomis || IANVARIVS, || In quo MCLXX nominatorum Sanctorum, || & aliorum innumerabilium memoria, || vel res gestæ illustrantur || Ceteri menses ex ordine subsequentur || ANTVERPIÆ, APVD IACOBVM MEVRSIUM. ANNO M. DC. XLIII. Die im Laufe der Zeit erscheinenden Bände der Acta Sanctorum weisen formal einige Varianzen auf. So wurden etwa nicht alle Dossiers in allen Bänden der Acta Sanctorum namentlich gezeichnet. Auch wurden die einleitenden Kommentare teilweise ausdrücklich mit Commentarius praevius überschrieben – wie im Fall des Dossiers des Martyrium Theodoti –, teilweise aber auch nicht – wie im Fall des Dossiers des hl. Germier. Daraus resultiert unvermeidlich eine relative Heterogenität in der Zitierweise. Davon sind etwa auch wechselnde Konventionen betroffen, was die Interpunktion in den Titeln der Dossiers angeht, oder der Brauch der Bollandisten, in den ersten Bänden der Analecta Bollandiana ungezeichnete Artikel zu publizieren. Insgesamt wurden hier Graphie und Interpunktion aus den je zitierten Werken übernommen. Nach der Erstnennung der jeweiligen Titel in originaler Gestalt wurden die anschließenden und im Fließtext benutzten Kurztitel in moderner Schreibung wiedergegeben („Praefatio“ für „Præfatio“ oder „Martyrologium Romanum“ für „Martyrologivm Romanvm“). Um ferner die Orientierung innerhalb der vielfach in sich verschachtelten Dossiers sicherzustellen, wurden in vorliegender Arbeit zunächst der Titel des Dossiers und gegebenenfalls sein Autor angeführt und die speziellere(n) Sektion(en) nachgeordnet zitiert. Eigennamen werden kursiviert wiedergegeben.

12 Bollandistes in Brüssel, wo sie bis heute beheimatet sind. Seit 1882 wird die Zeitschrift der Analecta Bollandiana publiziert, seit 1886 die monographische Reihe der Subsidia hagiographica. Mit den ihr zugehörigen Bänden der Bibliotheca hagiographica latina (BHL), der Bibliotheca hagiographica graeca (BHG) und Bibliotheca hagiographica orientalis (BHO) sowie deren Supplementen stellt sie die bis in die Gegenwart grundlegenden Ordnungsmechanismen für das Feld der hagiographischen Überlieferung der Spätantike und des Mittelalters bereit. 39 Seit 1996 verfügt die Société über eine Internetseite. 40 Eine jüngst ins Leben gerufene und von dem Bollan–––––––— 39

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Vgl. Paul Devos/Joseph Van der Straeten/Florent Van Ommeslaeghe/Henry Fros, Avant-propos, in: Anal. Boll. 100 (1982), S. V f . ; François Halkin, L’inventaire hagiographique des „Anal. Boll.“, in: Anal. Boll. 101 (1983), S. 304; Paul Devos, Cent ans d’„Analecta“ et soixante ans de bollandisme, in: Anal. Boll. 102 (1984), fasc. 3/4, S. III–XII; Florent Van Ommeslaeghe, Un jubilé. 150 ans de nouveau bollandisme, in: Anal. Boll. 105 (1987), S. I–XII; Bernard Joassart, Deux projets du Père Charles De Smedt. Une réforme des Acta Sanctorum, une École des hautes études historiques, in: Anal. Boll. 110 (1992), S. 353–372; ders., Les origines des „Analecta Bollandiana“, in: Anal. Boll. 112 (1994), S. 139–158; ders., De difficiles recommencements, in: Anal. Boll. 113 (1995), S. 147–150; ders., Deux innovations dans les „Analecta Bollandiana“. L’usage des langues modernes – Le „Bulletin des publications hagiographiques“, in: Anal. Boll. 115 (1997), S. 159–165; ders., Hippolyte Delehaye (1859–1941). Un bollandiste au temps de la crise moderniste, in: Sanctity and Secularity during the Modernist Period. Six Perspectives on Hagiography around 1900, hrsg. v. L. Barmann/C. J. T. Talar (Subsidia hagiographica 79), Brüssel 1999, S. 1– 40, hier S. 8ff.; Jacques Noret, Une carrière se dessine peu à peu. Guy Philippart de Foy de 1938 à 1978, in: „Scribere sanctorum gesta“. Recueil d’études d’hagiographie médiévale offert à Guy Philippart, hrsg. v. Étienne Renard/Michel Trigalet/Xavier Hernand [u. a.] (Hagiologia 3), Turnhout 2005, S. 9–17, hier S. 14ff. mit Anm. 16. Auf die Kennzeichnung der hier konsultierten hagiographischen Schriften nach BHL wurde aus Gründen der Übersichtlichkeit verzichtet. Zum einen sind die an dieser Stelle durchaus interessierenden frühneuzeitlichen hagiographischen Schriften aufgrund der epochalen Ausrichtung der BHL im Regelfall nicht in die Systematik aufgenommen worden. Gleiches gilt für kleinere hagiographische Partikel, für Exzerpte etwa aus chronikalischen Werken oder für Viten, die – aus welchen Gründen je auch immer – nicht in den Acta Sanctorum publiziert wurden. Zum anderen beruht die BHL, sofern es um die spätantike und mittelalterliche Tradition geht, in wichtigen Teilen auf den Ausgaben der Acta Sanctorum, so dass sich mit den Nummern im Fall der vorliegenden Studie kein Gewinn an Information verbände. Ganz im Gegenteil wäre dort, wo aus den in den Acta Sanctorum verzeichneten Varianten im Rahmen der Ausgabe einer Vita mehrere Versionen und damit BHL-Nummern abgeleitet wurden, einer gewissen Unübersichtlichkeit Vorschub geleistet. Darauf wird gesondert einzugehen sein. URL: !http://www.kbr.be/~socboll/ (30. 06. 2008); dazu: La Société des Bollandistes et internet, in: Anal. Boll. 114 (1996), S. 135f. Digitalisiert zugänglich sind seit einigen Jahren auch die von den Bollandisten erstellten Kataloge hagiographischer Handschriften. URL: !http://bhlms.fltr.ucl.ac.be (30. 06. 2008). Vgl. BHLms, Bibliotheca hagiographica latina manuscripta, in: Anal. Boll. 116 (1998), S. 250–252. Ein Großteil der Bände der Acta Sanctorum der ersten Ausgabe ist heute online im Bildmodus verfügbar, abrufbar im Rahmen des Projekts Gallica la bibliothèque numérique der Bibliothèque nationale de France in Paris. URL: !http://gallica.bnf.fr

13 disten Bernard Joassart betreute Reihe, das Tabularium hagiographicum, gilt der Forschungsgeschichte der Hagiographie. 41 Bislang wird sie mit Ausgaben bollandistischer Briefwechsel des 17. bis frühen 20. Jahrhunderts bestritten. 42 Als letzter der Kalenderbände wurde 1925 der die Heiligen des 9. und 10. November umfassende vierte Band des Monats November veröffentlicht. Die 1940 von Delehaye (1859–1941) als Propylaeum des Monats Dezember vorgelegte Neubearbeitung des Martyrologium Romanum stellt das Ende einer Serie von 67 Foliobänden Acta Sanctorum dar. Eine Fortsetzung ist nicht geplant. 43 Die editorische Seite des Unternehmens findet sich heute, im Falle kleiner Schriften, in den Analecta Bollandiana aufgehoben, im Falle umfangreicherer Corpora in den Subsidia hagiographica. Die Vertreter der Acta Sanctorum haben sich stets aktiv um die Deutung der eigenen Tätigkeit bemüht. Die meisten der heute verfügbaren Kenntnisse gehen auf eine Tradition der Selbstbeschreibung zurück, die Papebroch 1668 mit einer Abhandlung über das Wirken des drei Jahre zuvor verschiedenen Gründers des Projekts Bolland ins Leben gerufen hatte. Diese Tradition wurde zunächst in den Acta Sanctorum und später in den Analecta Bollandiana, in der Form einer zumeist kürzeren bio-bibliographischen Abhandlung, fortgeführt. 44 Aus diesen Schriften schöpften Delehaye und –––––––—

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(30. 06. 2008). Für Angehörige deutscher Universitäten sind sie auch im Textmodus benutzbar, in Gestalt der von Chadwyck herausgegebenen CD-Rom, deren Lizenz von der Deutschen Forschungsgemeinschaft erworben wurde. URL: !http://acta.chadwyck.co.uk/ (30. 06. 2008). Die Acta Sanctorum können ferner in Gestalt der gedruckten Bände in allen größeren Bibliotheken eingesehen werden. Vgl. Bernard Joassart, Une nouvelle collection bollandienne: „Tabularium hagiographicum“, in: Anal. Boll. 120 (2002), S. 151–153. Vgl. Bernard Joassart (Hrsg.), Monseigneur Duchesne et les Bollandistes. Correspondance (Tabularium hagiographicum 1), Brüssel 2002; ders. (Hrsg.), Friedrich von Hügel, Cuthbert Hamilton Turner et les Bollandistes. Correspondance (Tabularium hagiographicum 2), Brüssel 2002; ders. (Hrsg.), Érudition hagiographique au XVIIIe siècle. Jean Lebeuf et les Bollandistes (Tabularium hagiographicum 3), Brüssel 2003; ders. (Hrsg.) Pierre-François Chifflet, Charles Du Cange et les Bollandistes. Correspondance (Tabularium hagiographicum 4), Brüssel 2005. Freundliche Auskunft von Bernard Joassart. Schreiben an den Verf. vom 12. Sept. 2005. Vgl. [Daniel Papebroch], In tomvm primvm de actis Sanctorum mensis martii, tractatus præliminaris de vita, operibvs et virtvtibus Ioannis Bollandi S. I. eorumdem editioni immortvi. Ad Reverendvm Patrem nostrvm Ioan. Pavlvmoliva Societatem Iesv Præpositvm Generalem Præfatio, in: AASS Martii, Bd. 1, 1668, S. I–XLVII; Conradus Janningus, Elogium R. P. Danielis Cardoni S. J. Anno, multorum et morbis et interitu Antuerpiensibus memorabili, MDCLXXVIII, XII Novembris defuncti, in: AASS Maii, Bd. 2, 1688, S. XXXVI–XXXVIII; Præfatio editoris Danielis Papebrochii. De vita, operibus & virtutibus IJȠȣ ȂĮțĮʌȚIJȠȣ [Godefridi Henschenii], in: AASS Maii, Bd. 7, 1688, S. I–LIV; Epistola Conradi Janningi ad superiores Societatis Jesu. Per Provinciam Flandro-belgicam super morte R. P. Francisci Verhovii, in: AASS Iunii, Bd. 3, 1701, S. CII–CIV; Historia de vita, gestis, operibus, ac virtutibus R. P. Danielis Papebrochii. Hagiographi Societatis Jesu IJȠȣ ȂĮțĮʌȚIJȠȣ. Auctore Joanne Pienio ejusdem S. J., in: AASS Iunii, Bd. 6, 1715, S. 3–21; Elogium

14 der Bollandist Paul Peeters (1870–1950), als sie 1920 und 1942 die Geschichte der Acta Sanctorum erläuterten. 45 Ergänzt wurden diese Arbeiten –––––––—

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R. P. Francisci Baertii. Hagiographi Societatis Jesu. Auctore Guilielmo Cupero ejusdem Societatis Sacerdote, in: AASS Iulii, Bd. 2, 1721, S. 1–5; Elogium R. P. Conradi Janningi. Hagiographi Societatis Jesu IJȠȣ ȂĮțĮʌȚIJȠȣ. Auctore Petro Boschio ejusdem Societatis presbytero, in: AASS Iulii, Bd. 3, 1723, S. 1–14; Elogium Reverendi Patris Petri Boschii. Hagiographi Societatis Jesu, IJȠȣ ȂĮțĮʌȚIJȠȣ. Auctore P. Petro Dolmans ejusdem Societatis presbytero, in: AASS Augusti, Bd. 3, 1737, [unpaginiert]; Elogium Reverendi Patris Joannis Baptistæ Sollerii. Hagiographi Societatis Jesu IJȠȣ ȂĮțĮʌȚIJȠȣ. Auctore P. Joanne Stiltingo ejusdem Societatis presbytero, in: AASS Augusti, Bd. 5, 1741, S. 1–12; Elogium Reverendi Patris Guilielmi Cuperi. Hagiographi Societatis Jesu, IJȠȣ ȂĮțĮʌȚIJȠȣ. Auctore P. Joanne Limpeno ejusdem Societatis presbytero, in: AASS Augusti, Bd. 6, 1743, S. 1–12; Elogium Reverendi Patris Joannis Pinii. Hagiographi Societatis Jesu, IJȠȣ ȂĮțĮʌȚIJȠȣ, Auctore P. Joanne Perriero ejusdem Societatis presbytero, in: AASS Septembris, Bd. 3, 1750, S. 1–12; Breve elogium PP. Urbani de Sticker, Petri Dolmans, et Joannis Vande Velde P. M., in: AASS Septembris, Bd. 5, 1755, [unpaginiert]; Elogium Reverendi Patris Joannis Perieri Hagiographi Societatis Jesu, IJȠȣ ȂĮțĮʌȚIJȠȣ, Auctore Cornelio Byeo ejusdem Societatis presbytero, in: AASS Octobris, Bd. 1, 1765, [unpaginiert]; Elogium Reverendi Patris Joannis Stiltingi Hagiographi Societatis Jesu, IJȠȣ ȂĮțĮʌȚIJȠȣ, Auctore Jacobo Buco ejusdem Societatis presbytero, in: AASS Octobris, Bd. 1, 1765, [unpaginiert]; Elogium Reverendi Patris Constantini Suyskeni Hagiographi Societatis Jesu, IJȠȣ ȂĮțĮʌȚIJȠȣ, Auctore Ignatio Hubeno presbytero, in: AASS Octobris, Bd. 4, 1780, [unpaginiert]. Vgl. aus den in der Moderne publizierten Lebensbeschreibungen in Auswahl Elogia patrum Victoris ac Remigii de Buck et Beniamini Bossue, in: AASS Novembris, Bd. 2,1, 1894, [unpaginiert] [S. 3–12]; Le R. P. Charles De Smedt, in: Anal. Boll. 30 (1911), S. I–X; Le R. P. Albert Poncelet, in: Anal. Boll. 31 (1912), S. 129–136; Le Révérend Père François Van Ortroy, in: Anal. Boll. 39 (1921), S. 5– 19; Le R. P. Hippolyte Delehaye, in: Anal. Boll. 60 (1942), S. I–XXXVII; Paul Devos, Le R. P. Paul Peeters (1870–1950). Son œuvre et sa personalité de bollandiste, in: Anal. Boll. 69 (1951), S. I–XLVII; Baudouin de Gaiffier, Le Père Maurice Coens (1893–1972), in: Anal. Boll. 90 (1972), S. I–XXIII; François Halkin/Léopold Genicot, Le Père Baudouin de Gaiffier, in: Anal. Boll. 103 (1985), S. III–VIII; Paul Devos, François Halkin, Bollandiste. Esquisse de sa vie et de son œuvre, 106 (1988), fasc. 3/4, S. V–XL; Joseph Van der Straeten, Le Père Florent Van Ommeslaeghe, in: Anal. Boll. 113 (1995), S. 5–10; Ugo Zanetti, Le Père Paul Devos, in: ebd., S. 241– 257; Le Père Henryk Fros, in: Anal. Boll. 116 (1998), S. 157–160. Vgl. auch Paul Peeters, Figures bollandiennes contemporaines (Collection Durendal 73), Brüssel/ Paris 1948. In Joassarts neuer Arbeit zu Delehaye wurde diese memoriale und der Selbstdarstellung verpflichtete Tradition in Richtung auf eine Werk- und Wissenschaftsbiographie überschritten. Vgl. Bernard Joassart, Hippolyte Delehaye. Hagiographie critique et modernisme. Préface de Roger Aubert, 2 Teile (Subsidia hagiographica 81,1–2), Brüssel 2000. Der zweite Teil besteht aus einer Dokumenten- und Briefedition. Vgl. Hippolyte Delehaye, A travers trois siècles. L’œuvre des Bollandistes. 1615– 1915, Brüssel 1920. Die zweite, im Folgenden benutzte Ausgabe erschien 1959 mit umgestelltem Titelblatt – L’œuvre des Bollandistes. A travers trois siècles […] – sowie mit posthum erweitertem Anmerkungsapparat. Delehayes Arbeit ging aus einer 1919 publizierten Artikelserie hervor. Im Fall von Peeters handelt es sich um die ausgearbeitete Fassung einiger Vorträge, die dieser bei der Académie Royale de Belgique gehalten hatte. Vgl. Paul Peeters, L’œuvre des Bollandistes (Académie Royale de

15 durch einen 1967 publizierten Beitrag des Bollandisten Baudouin de Gaiffier (1897–1984). 46 Einige spätere, zumeist kirchenhistorische Aufsätze zur Geschichte der Acta Sanctorum beruhen in ihrer Substanz auf diesen Schriften. 47 Ein vor kurzem anlässlich des vierhundertsten Jahrestags der Veröffentlichung von Rosweydes Fast publizierter Jubiläumsband der Société greift diese älteren Linien auf und arrondiert sie auf der Grundlage der in den letzten Jahren intensivierten dokumentarischen Bestrebungen der Bollandisten um eine Reihe von Details. 48 Im 19. Jahrhundert hatten sich bereits der Benediktiner und spätere Kardinal Jean-Baptiste Pitra (1812–1889) sowie die Priester Jean Baptiste Carnandet und Justin Fèvre etwas eingehender mit dem Unternehmen der Bollandisten befasst. 49 Die Arbeit Car–––––––— 46

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Belgique. Classe des Lettres, etc. Mémoires. Collection in-8o 39, Fasc. 4 et dernier [Subsidia hagiographica 24]), Brüssel 1942. Vgl. Baudouin de Gaiffier, Hagiographie et critique. Quelques aspects de l’œuvre des Bollandistes au XVIIe siècle, in: ders., Études critiques d’hagiographie et d’iconologie (Subsidia hagiographica 43), Brüssel 1967, S. 289–310. Vgl. Francis Mannhardt, Bollandus (1596–1665), in: Church Historians Including Papers on Eusebius, Orosius, St. Bede the Venerable, Ordericus Vitalis, Las Casas, Baronius, Bollandus, Muratori, Moehler, Lingard, Hergenroether, Janssen, Denifle, Ludwig von Pastor. With Foreword and Index by Peter Guilday [Papers of the American Catholic Historical Association 1], New York 1926, S. 190–211; René Aigrain, L’hagiographie. Ses sources, ses méthodes, son histoire, Paris 1953, S. 329–350; David Knowles, The Bollandists, in: ders., Great Historical Enterprises. Problems in Monastic History, Toronto/New York 1962, S. 3–32; Victor Saxer, La ricerca agiografica dai Bollandisti in poi, in: Augustinianum 24 (1984), S. 333–345; Gian Domenico Gordini, L’opera dei bollandisti e la loro metodologia, in: Santità e agiografia. Atti dell’VIII congresso di Terni (Ricerche, studi e strumenti 24), Genua 1991, S. 49– 73; Pierre Van Sull, Un œuvre scientifique, chrétienne, littéraire. L’atelier bollandien, in: Les Jésuites belges 1542–1992. 450 ans de Compagnie de Jésus dans les Provinces belgiques, hrsg. v. Alain Deneef/Xavier Dusausoit/Christophe Evers [u. a.], Brüssel 1992, S. 269–277; Eugene Rooney, Architect of the Acta Sanctorum. Heribertus Rosweyde, SJ, in: Catholic Library World 71 (2000), S. 106–113. Der in diesem Rahmen gehaltvollste Beitrag stammt von Karl Hausberger, Das kritische hagiographische Werk der Bollandisten, in: Historische Kritik in der Theologie. Beiträge zu ihrer Geschichte, hrsg. v. Georg Schwaiger (Studien zur Theologie und Geistesgeschichte des neunzehnten Jahrhunderts 32), Göttingen 1980, S. 210–244. Robert Godding/Bernard Joassart/Xavier Lequeux [u. a.], Bollandistes. Saints et légendes. Quatre siècles de recherche, Brüssel 2007. Dieser auf 178 Seiten mit 91 hochwertigen Abbildungen ausgestattete Band vermittelt ein anschauliches Bild vom Tun der Bollandisten. Er aktualisiert und ergänzt punktuell den älteren Kenntnisstand. Aufgrund seines späten Publikationsdatums konnte er hier nur dort eingearbeitet werden, wo entweder modifizierte Interpretationen zu erwarten gewesen wären oder die von Delehaye und Peeters gebotenen Informationen überschritten werden. Seinem Charakter eines Festbeitrags dürfte es entsprechen, dass in diesem Band mit Belegen insgesamt zurückhaltend verfahren und die neuere Literatur zur frühneuzeitlichen Historiographie- und Hagiographiegeschichte, jenseits der von den Bollandisten selbst publizierten Arbeiten, nicht berücksichtigt wurde. Vgl. Jean-Baptiste Pitra, Études sur la collection des actes des saints par les RR. PP. Jésuites Bollandistes; précédées d’une dissertation sur les anciennes collections hagiographiques, et suivies d’un recueil de pièces inédites, Paris 1850; Jean Baptiste

16 nandets und Fèvres ist insofern unerlässlich, als beide die älteren Lebensbeschreibungen – wiewohl nicht immer zuverlässig – ins Französische übersetzten und damit deren Auswertung sehr erleichterten und erleichtern. Einen kleineren Beitrag mit Überblickscharakter verfasste vor Delehaye der Bollandist Charles De Smedt (1833–1911). 50 Es war und ist ein personalisierter Zugriff, der diese Arbeiten trug und trägt. Der Laientheologe Friedrich von Hügel (1852–1925) schrieb nach der Lektüre von A travers trois siècles am 18. Januar 1921 an Delehaye: I want, first, to tell you what a very real rest and refreshment topic and encouragement, your L’Œuvre des Bollandistes has been to me. I have read and pondered every word; indeed most of it I have read twice, and some of it even three times or even more. […] What great men you tell us about there […]! You have braced and balanced me for my own work by the presentation of these strong virile souls!51

Leben und Schriften der wichtigsten Protagonisten der Acta Sanctorum sowie die Geschichte ihrer Entstehung zählen seit dem 17. Jahrhundert, ausgehend von den bio-bibliographischen Verzeichnissen der Jesuiten, kontinuierlich zum Nachschlagewissen der westeuropäischen Buchkultur. Demnach war Bollands Projekt aus den bibliophilen Streifzügen erwachsen, die den Jesuiten Heribert Rosweyde (1569–1629) bereits zur Zeit seines Studiums am Collège d’Anchin in Douai in die Klosterbibliotheken der Region geführt hatten. Ein von Rosweyde 1607 vorgelegter Plan für ein 18 Bände umfassendes hagiographisches Sammelwerk52 zog zwar die Versammlung umfangreicher hagiographischer Materialien nach sich, nicht aber ein zur Druckreife gelangendes Werk. Bolland erhielt nach Rosweydes Ableben im Oktober 1629 den Auftrag, die Bestände zu sichten. Er erweiterte das Programm in dem skizzierten Sinn. Aufgrund der Intensität der Arbeiten wurde ihm im Jahr 1635 mit Gottfried Henschen (1601–1681) ein erster, 1660 mit Papebroch ein zweiter dauerhafter Mitarbeiter zur Seite –––––––—

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Carnandet/Justin Fèvre, Les Bollandistes et l’hagiographie ancienne et moderne. Ètudes sur la collection des Actes des Saints. Précédées de considerations générales sur la vie des saints et d’un traité sur la canonisation, Lyon/Paris 1866. Auf diesen Studien beruht der Aufsatz von A. Scheler, Zur Geschichte des Werkes: Acta Sanctorum, in: Serapeum. Zeitschrift für Bibliothekswissenschaft, Handschriftenkunde und ältere Litteratur 7 (1846), H. 20, S. 305–315. Vgl. Charles De Smedt, Les fondateurs du Bollandisme, in: Mélanges Godefroid Kurth. Recueil de mémoires relatifs à l’histoire, à la philosophie et à l’archéologie, Bd. 1, Lüttich 1908, S. 295–303. Von Hügel à Delehaye, London 18. Januar 1921, in: Joassart (Hrsg.), Von Hügel (2002), Nr. 30, S. 74–77, hier S. 74f. Vgl. FASTI || SANCTORVM || QVORVM VITÆ || IN BELGICIS BIBLIOTHECIS || MANVSCRIPTÆ. || Item || Acta Præsidalia SS. Martyrum || Tharaci, Probi, & Andronici: || Nunc primùm integrè edita. || Collectore || HERIBERTO ROSWEYDO || Vltraiectino, è Societate IESV. || ANTVERPIÆ, || EX OFFICINA PLANTINIANA, || Apud Ioannem Moretum. || M. DC. VII. Beneuole Lector, ebd., S. 3–12, hier S. 8–10.

17 gestellt 53 – die Zahl der drei mit den Acta Sanctorum beschäftigten Jesuiten blieb in der Folgezeit im wesentlichen konstant. 54 In diesem Sinn war das Wirken Rosweydes und Bollands 1643 den Zeitgenossen in der neuen Auflage der Bibliotheca Belgica des Löwener Bibliothekars Valerius Andreas (1588–1655) bekannt gemacht worden. 55 In der zweiten Überarbeitung der von Pedro de Ribadeneira (1526–1611) begründeten Bibliotheca scriptorum Societatis Iesu, die 1676 von dem Sekretär der Ordenspräfektur in Rom Nathanael Southwell, eigentlich Bacon, (1598/99– 1676) vorgelegt werden sollte, fanden sich nun auch Henschen und Pa–––––––— 53

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Vgl. Art. Rosweyde, Héribert, in: Sommervogel, Bd. 7, 1896, Sp. 190–207; Art. Bollandus, Jean, in: Sommervogel, Bd. 1, 1890, Sp. 1624–1675; Art. Henschenius, Godefroi, in: Sommervogel, Bd. 4, 1893, Sp. 282f.; Art. Papebroch, Van Papenbroeck, Daniel, in: Sommervogel, Bd. 6, 1895, Sp. 178–185; zuletzt Bernard Joassart, Art. Bolland(us), Jean, in: LThK, Bd. 2, 31994, Sp. 562; ders., Art. Henschen(ius) (Henskens), Gottfried, in: LThK, Bd. 4, 31995; ders., Art. Papebroch (van Papenbroeck), Daniel, in: LThK, Bd. 7, 31998, Sp. 1324f.; ders., Art. Rosweyde, Heribert, in: LThK, Bd. 8, 31999, Sp. 1317. Eine tabellarische Auflistung der Lebensdaten der meisten Mitarbeiter findet sich bei Pitra, Études (1850), S. 88. Die Abfolge der Mitarbeiter, einschließlich derer, die nur kurzzeitig mit den Acta Sanctorum beschäftigt waren wie Jean Van de Velde (1710– 1747) oder Jean Clé (1722–1800), erschließt sich durch Delehaye, Œuvre (21959), S. 31–36, und jetzt durch Godding/Joassart/Lequeux [u. a.], Bollandistes (2007), S. 159–161. Vgl. Art. Heribertvs Rosweydvs, in: VALERI ANDREAE || DESSELI I. C. || BIBLIOTHECA || BELGICA: || DE BELGIS VITA SCRIPTISQ. CLARIS. || PRAEMISSA || TOPOGRAPHICA || BELGII TOTIVS SEV || GERMANIÆ INFERIORIS || DESCRIPTIONE. || Editio renovata, & tertiâ parte auctior. || LOVANII || Typis IACOBI ZEGERS, M. DC. XLIII., eigenständig paginierter Teil II: Valeri Andreæ, Desseli I. C. Bibliotheca Belgica: Quæ Viros in Belgio vitâ Scriptisque illustres continens & Librorum nomenclaturam, S. 375f: „Vltrajectinus, natus anno MDCLXIX. XI. Kal. Febr. Societati Iesv nomen dedit vicenarius. Philosophiam Duaci didicit & docuit. Sacras item litteras Duaci & Antverpiæ professus est: à quibus studiis missione impetratâ, rudeque donatus animum ad scribendum appulit, & plerasque Belgii Bibliothecas lustravit atque excussit, Sanctorum Vitas aliaque eruit. Ad ingenii perspicaciam & judicii maturitatem accedebat studium quoddam indefessum laborandi, indagandi & inquirendi in Antiquitatem omnis ævi, cùm sacram, tum etjam profanam. Edidit || Fastos Sanctorum, quorum Vitæ MSS. in Belgio; cum Actis Præsidialibus Sanctorum Taraci, Probi & Andronici. Antver. typis Plantin. 1607. 8. Specimen hîc exhibet & delineationem Operis, quod moliebatur, De Vita Christi ac B. M. Virginis, Sanctorumq[ue] in Ecclesia Catholica, Tomis omninò XIV. At Heriberto huic molitioni immortuo, successit in provinciam illam Ioannes Bollandus, qui totus est in ea ornanda ac provenda.“ Vgl. Art. Ioannes Bollandvs, in: ebd., S. 463: „Tulijmonte in Ducatu Limburgensi an. MDCXCVI. die XIII. Augusti natus, ætatis anno XVI Societati Clericorum Nominis Iesu nomen dedit, in eaque Litteras humaniores pluribus annis docuít, Scholique Machliniæ quinquennio præfuit. Varia edidit Carmina & Orationes, sed tacito ferè aut alieno nomine. || Litteras annuas Iaponiæ annorum MDCC XXVIII. XXIX. & XXX. ex Italico Latinè vertit. Antverp. apud Ioan. Meursium 1638. 8. || Totius nunc est in ornanda ac promovenda ea provincia, in quam non ita pridem successit, mortuo Heriberto Rosweydo, ediditque hoc anno 1643. De Vitis Sanctorum Mensem Ianuarium, Tomis II. in fol.“

18 pebroch verzeichnet. 56 Die Wege führten aus diesen Zusammenhängen in die verschiedenen biographischen, bibliographischen und universalen Nachschlagewerke, die seit dem letzten Drittel des 17. Jahrhunderts in wachsender Zahl zu erscheinen begannen. Erwähnt seien etwa das historisch biographische Lexikon des Abbé Louis Moréri (1643–1680), 57 das allgemeine kirchengeschichtliche Werkeverzeichnis der Nouvelle bibliotheque des auteurs ecclesiastiques des Pariser Theologen Louis Ellies DuPin (1657– –––––––— 56

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Vgl. Art. Ioannes Bollandvs, in: BIBLIOTHECA || SCRIPTORVM || SOCIETATIS IESV. || OPVS INCHOATVM || A R. P. PETRO RIBADENEIRA || Eiusdem Societatis Theologo, anno salutis 1602. || CONTINVATUM || A R. P. PHILIPPO ALEGAMBE || Ex eadem Societate, vsque ad annum 1642. || Recognitum, & productum ad annum Iubilæi || M. DC. LXXV. || A NATHANAELE SOTVELLO || Eiusdem Societatis Presbytero. || ROMÆ, Ex Typographia Iacobi Antonij de Lazzaris Varensij. || M. DC. LXXVI. || SVPERIORVM PERMISSV, S. 422f.; Art. Godefridvs Henschenivs, in: ebd., S. 302; Daniel Papebrochivs, in: ebd., S. 165; Art. Heribertvs Rosvveydvs, in: ebd., S. 334. Die erste Überarbeitung der Bibliotheca war 1643 durch den Jesuiten Philippe Alegambe (1592–1652) – unter Mitwirken Bollands – publiziert worden. Die älteste hier zugängliche Ausgabe war die zweite von 1681. Henschen und Papebroch hatten im Moréri keine eigenen Artikel erhalten. Vermutlich hatte man die Artikel aus der ersten Ausgabe von 1674, die also vor der Überarbeitung der Bibliotheca scriptorum Societatis Iesu erschienen war, übernommen. Vgl. Art. Bollandvs (Ian), in: LE GRAND DICTIONAIRE || HISTORIQVE, || OV LE MÉLANGE CVRIEVX || DE || L’HISTOIRE SACRÉE || ET PROFANE, || QVI CONTIENT EN ABBREGÉ || LES VIES DES PATRIARCHES, DES IVGES ET DES ROIS || de l’Ancien Testament; des Souverains Pontifes de l’Eglise; des saints Peres & || Docteurs Orthodoxes, des Evêques des quatre Eglises Patriarchales, || des Cardinaux, des Prelats celebres; & des Heresiarques: || CELLES DES EMPEREVRS DE ROME, DE GRECE, D’ALEMAGNE, || Chrétiens, Payens & Ottomans: des Rois, des Princes Illustres, & des grands Capitaines; des Auteurs Grecs || & Latins anciens & modernes; des Philosophes, des Inventeurs des Arts, & des autres Personnes de toute || sorte de Profession, renommées par leur Erudition, par leurs Ouvrages, ou par quelque action éclatante. || […] || SECONDE EDITION, DIVISÉE EN DEVX TOMES, || Reveuë, corrigée, & augmentée de la moitié. || Par M. LOVYS MORERI, Prêtre, Docteur en Theologie. || TOME PREMIER. || A LYON, || Chez IEAN GIRIN, & BARTHELEMY RIVIERE, ruë Marciere, à la Prudence. || M. DC. LXXXI. || AVEC PRIVILEGE DV ROY, S. 662: „Iesuite étoit de Tillemont dans le [!] Païs-Bais, où il nâquit le 13. Août de l’an 1596. Il n’en avoit que 16. lors qu’il entra dans la Compagnie de IESVS, & il s’y fit distinguer par son merite & par sa vertu. Elle luy acquit beaucoup de reputation, non seulement dans le [!] Païs-Bas, où il enseigna long-tems, mais encore dans les païs étrangers. On le crût seul capable de pouvoir exécuter le grand dessein que le P. Heribert Rosweydus avoit eu de imprimer les vies des Saints. Il falloit pour cela un grand discernement, une profonde erudition, un jugement solide, une diligence incroyable; le P. Bollandus avoit toutes ces qualités. En 1643. il publia les Saints du mois de Ianvier en deux Volumes In folio. Cet Ouvrage eut encore plus de succez qu’on n’avoit eu sujet d’en attendre, & il fut recherché avec plus de soin lors que Bollandus eut donné les trois Volumes des Saints du mois de Fevrier. Il travailloit à la continuation, & il avoit fait commencer le mois de Mars lors qu’il mourut le 12. Septembre de l’an 1665. Ceux qui luy ont succedé dans cet employ, continuent avec grand soin pour voir la conclusion de ce grand dessein du P. Bollandus.“ Vgl. dazu Art. Rosweide (Heribert), in: ebd., Bd. 2, 1681, S. 1065.

19 1719) 58 und der neunte Band der Bibliotheca Græca des Hamburger Lehrers und Polyhistors Johann Albert Fabricius (1668–1736) von 1719. 59 In der Bibliotheque curieuse et instructive des Jesuiten Claude François Menestrier (1631–1705) von 1704 wurden Bollandisten zusammen mit den gelehrten Benediktinern der Kongregation von St. Maur unter der Rubrik: „Des Etudes partagées“, behandelt. Damit wollte Menestrier die Arbeit an solchen Projekten bezeichnet wissen, „die in sich selbst zu umfangreich sind, um von einer Person allein erfolgreich bewältigt werden zu können.“ 60 –––––––— 58

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Vgl. Art. Rosweide, Heribert, Jesuite, in: NOUVELLE || BIBLIOTHEQUE || DES AUTEURS || ECCLESIASTIQUES, || CONTENANT || L’HISTOIRE DE LEUR VIE, || LE CATALOGUE, LA CRITIQUE, ET LA || CHRONOLOGIE DE LEURS OUVRAGES. || LE SOMMAIRE DE CE QU’ILS CONTIENNENT, || UN JUGEMENT SUR LEUR STYLE, || ET SUR LEUR DOCTRINE; || ET LE DENOMBREMENT DES DIFFERENTES EDITIONS || DE LEURS OEUVRES. PAR MRE. L. ELLIES DU PIN, || Docteur en Theologie de la Faculté de Paris, & Professeur Royal. || Seconde Edition revuë, corrigée & augmentée. || TOME XVII. || Des Auteurs qui ont fleuri pendant les 50 premieres années du XVII. Siecle. || A AMSTERDAM, || CHEZ PIERRE HUMBERT. || M. DCCXI., S. 93; den Abschnitt: Jean Bollandus, Godefroi Henschenius et Daniel Papebroch. Jesuites Flamands, ebd., S. 267–269. Vgl. JO. ALBERTI FABRICII, || SS. THEOL. D. ET PROF. PUBL. || BIBLIOTHECÆ || GRÆCÆ || VOLUMEN NONUM, || SIVE || LIBRI V. PARS V. ET ULTIMA, || IN QUA || PRÆTER MULTOS ALIOS, TRADUNTUR || SCRIPTORES, QUI VITAS SANCTORUM, MONACHO- || RUMQUE COMPOSUERE; ET DE THEODORIS, ANASTASIIS, || JOANNE PHILOPONO, PHOTIO, SCRIPTISQUE CENSURÆ EJUS || SUBJECTIS, AC DE SVIDA PLENIUS DISSERITUR. || ACCEDUNT NONNULLA HACTENUS INEDITA, UT || XENOCRATIS DE ALIMENTO EX AQUATILIBUS, LONGE QUAM || GESNERUS EUM OLIM VULGAVERAT, PLENIOR: HIMERII ORATIO QUA || ATHENIS JULIANUM IMP. EXCEPIT: SPECIMEN LEXICI PHOTII: NEC NON || MAXIMI SOPHISTÆ DE OBJECTIONIBUS INSOLUBILIBUS ELUDENDIS, || ET TROILI PROLEGOMENA RHETORICA. || HAMBURGI, || SUMPTU CHRISIANI LIEBEZEIT, ET THEODORI || CHRISTOPHORI FELGINER, A. M DCC XIX., S. 41: „Heriberti Rosweidi Ultrajectini S. I. Fasti sive Catalogus Alphabeticus Sanctorum quorum Vitæ in Belgicis Bibliothecis Manuscriptæ: Antwerp. 1707. [!] 8. Ejusdem Vitæ Sanctorum ibid. 1619. fol. & auctiores, 1629. fol. duobus tomis. Vitæ sanctarum Virginum quæ in sæculo vixerunt, cum tractatu de statu Virginitatis. ibid. 1626. & 1642. 8. Silva eremitarum Ægypti ac Palæstinæ. 1619. 4. […]. || Acta Sanctorum ex Rosweidi consilio, industria incredibili, maximoque labore collecta, recensita, editaque & ad extremum mensis Junii perducta à Jesuitis Antwerpiensibus Io. Bollando, Godfrido Henschenio, Daniele Papebrochio, Francisco Baërtio, Conrado Janningo, Nic. Rayæo & Io Baptista Solerio, tomis satis spissis XXV. in fol. quorum primus lucem vidit Antwerpiæ 1643. postremus 1717. Bollandus operi immortuus est A. 1665. 12. Sept. ætat. 71. Henschenius A. 1681. ætat. 81. Papebrochius A. 1714. 28. Jun. ætat. 87. Januarius mensis duobus tomis absolvitur, Februarius tribus, Martius tribus, Aprilis totidem, Majus septenis, Junius septenis […].“ [Claude François Menestrier], BIBLIOTHEQUE || CURIEUSE || ET || INSTRUCTIVE || De divers Ouvrages Anciens & Modernes, || de Litterature & des Arts. || Ouverte pour les Personnes qui aiment || les Lettres. || TOME SECOND || De l’Imprimerie de S. A. S. || A Trevoux. || Et se vend à Paris, || Chez Jean Boudot, 1704, S. 152: „[…] qui d’elles mêmes sont trop vastes pour pouvoir être exécutées avec succés par une seule personne. […] Les Peres Benédictins de la Congregation de

20 Vergleichsweise spröde und sich selbst reproduzierend, mit dem Fluchtpunkt der von den Jesuiten verbreiteten Informationen, waren hingegen die Artikel in den Gelehrtenlexika wie in Johann Burkhardt Menckes (1674– 1732) Compendi sem Gelehrten Lexicon aus dem Jahr 1715 61 oder in den universalen Lexika wie Johann Franz Buddeus’ (1667–1729) zuerst 1709 gedrucktem Allgemeinen Historischen Lexikon. 62 Der Artikel „Bollan–––––––—

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St. Maur se sont ainsi partagez entre eux, les éditions nouvelles de plusieurs saint Peres […]. Les Peres Jesuites Flamans font la même chose, pour les vies des Saints, Acta Sanctorum, pour lesquelles les Peres Bollandus, Henschenius, Papebroch & quelques autres ont travaillé & travaillent encore avec tant de succés.“ Zu diesem produktiven Autor vgl. Art. Menestrier, Claude François, in: Sommervogel, Bd. 5, 1894, Sp. 905–945, zur Bibliotheque ebd., Nr. 150, Sp. 941. Art. Bollandus (Jo.), in: Compendises || Gelehrten= || LEXICON, || Darinnen || Die Gelehrten, als F(rsten und || Staats=Leute, die in der Literatur erfahren, Theologi, || Prediger, Juristen, Politici, Medici, Philologi, Philosophi, || Historici, Critici, Linguisten, Physici, Mechanici, Mathematici, Scholastici, || Oratores und Poëten, so wohl m nn= als weiblichen Geschlechts, welche || vom Anfang der Welt grsten theils in gantz Europa biß auf jetzige Zeit || gelebet, und sich durch Schrifften oder sonst der gelehrten Welt bekant || gemacht, an der Zahl (ber 20000. nach ihrer Geburth, Absterben, vornehm= || sten Schrifften, Leben und merckw(rdigsten Geschichten, aus denen || glaubw(rdigsten Scribenten, die man jedesmahl fleißig angemerckt, || kurtz und deutlich nach Alphabetischer Ordnung || beschrieben werden, || Denen Liebhabern der Historie der Gelehrten, und || andern curieusen Personen zu n(tzlichen Gebrauch || zum Druck befrdert. || Nebst einer Vorrede || Hn. D. Joh. Burchard Menckens, || Knigl. Polnischen und Chur=S chsischen Raths, || und Historiographi, wie auch Histor. Prof. Publici, der Knigl. || Engl. Societ t, des großen F(rsten=Collegii Collegiati und der || Universit t Leipzig z. Z. RECTORIS. || Bey Johann Friedrich Gleditsch und Sohn, || Buchh ndl. in Leipzig, im Jahr 1715, Sp. 319: „geb. zu Tillemont in Niederland 1596. 13. Aug. hat sich in dem Jesuiter=Orden begeben, und sich sonderlich durch Herausgebung der Leben der Heiligen ber(hmt gemacht, welche Heribertus Rosweydus angefangen hatte, […].“ Vgl. dazu Art. Henschenius (Gottfr.), in: ebd., Sp. 958; Art. Papebrochius (Daniel), in: ebd., Sp. 1588; Art. Rosveidus (Heribertus), in: ebd., Sp. 1914. Hier konsultiert in der dritten Ausgabe. Vgl. Art. Bollandus, (Iohannes), in: Allgemeines || Historisches || LEXICON, || in welchem || das Leben und die Thaten || derer Patriarchen, Propheten, Apostel, V ter der ersten || Kirchen, P bste, Cardin le, Bischffe, Pr laten, || vornehmer Gottes=Gelahrten, nebst denen Ketzern; || wie nicht weniger derer || Kayser, Knige, Chur= und F(rsten, || grosser Herren und Minister; || ingleichen || derer ber(hmten Gelahrten, Scribenten und K(nstler; || ferner || ausf(hrliche Nachrichten von den ansehnlichsten Gr ffen, Adelichen || und andern Familien, von Cociliis, M(nchs= und Ritter=Orden, || Heydnischen Gttern, etc. || und endlich || die Beschreibungen derer Kayserthümer, Knigreiche, F(rsten= || th(mer, freyer Staaten, Landschafften, Jnseln, St dte, Schlsser, || Klster, Geb(rge, Fl(sse und so fort, || in Alphabetischer Ordnung mit bewehrten Zeugnissen vorgestellet werden. || Dritte um vieles vermehrte und verbesserte Auflage. || Erster Theil, || A– C. || Mit allergn digsten Freyheiten, Leipzig, verlegts Thomas Fritschens sel. Erben 1730, S. 580: „Ein Jesuit, war zu Tillemont in den Niederlanden den 13 aug. an. 1596 geboren. Als er 16 jahr alt war, begab er sich in die societ t […].“ Vgl. dazu Art. Henschenius, (Gottfr.), in: ebd., Bd. 2, 1730, S. 841; Art. Papebroch, (Daniel), in: ebd., Bd. 3, 1731, S. 225; Art. Rosweydus, (Heribertus), in: ebd., Bd. 4, 1732, S. 162. Auf die einzelnen Nachweise der damit weithin identischen Artikel in Johann Hein-

21 distes“ in Jean Le Rond d’Alemberts (1717–1783) und Denis Diderots (1713–1784) seit 1752 erscheinender Encyclopédie stammte von dem Abbé Edme-François Mallet (1713–1755). 63 Es handelte sich um eine – von kleineren chronologischen Ungenauigkeiten geprägte – Adaptation des gleichnamigen Artikels aus dem älteren Dictionnaire de Trévoux. 64 Dieses nach –––––––—

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rich Zedlers (1706–1763) Grossem vollst ndigen Universal Lexicon und Christian Gottlieb Jöchers (1694–1758) Allgemeinem Gelehrten=Lexicon von 1750 wurde an dieser Stelle verzichtet. Vgl. Mallet (G.), Art. Bollandistes, (Hist. ecclésiast.), in: ENCYCLOPÉDIE, || OU || DICTIONNAIRE RAISONNÉ || DES SCIENCES, || DES ARTS ET DES MÉTIERS, || PAR UNE SOCIÉTÉ DE GENS DE LETTRES. || Mis en ordre & publié par M. DIDEROT, de l’Académie Royale des Sciences & des Belles- || Lettres de Prusse; & quant à la PARTIE MATHÉMATIQUE, par M. D’ALEMBERT, || de l’Académie Royale des Sciences de Paris, de celle de Prusse, & de la Société Royale || de Londres. [=ENC] || TOME SECOND. || A PARIS, || Chez || BRIASSON, rue Saint Jacques, à la Science. || DAVID l’aîné, rue Saint Jacques, à la Plume d’or. || LE BRETON, Imprimeur ordinaire du Roy, rue de la Harpe. || DURAND, rue Saint Jacques, à Saint Landry, & au Griffon. || M. DCC. LI. || AVEC APPROBATION ET PRIVILEGE DU ROY. (Neudruck Stuttgart-Bad Cannstatt 1966), S. 314b–315a: „nom que l’on a donné à quelques Jésuites d’Anvers, ou à une société d’écrivains de leur corps, qui depuis plus d’un siecle s’occupe à recueillir tout ce qui concerne les actes & les vies des saints. On les a ainsi nommés de Bollandus, Jésuite Flamand, un de leurs principaux chefs. Voyez Acte, Saint. || Comme dans les cours de cet ouvrage nous sommes souvent obligés de citer cette savante compagnie, des actes de laquelle nous avons tiré diverses observations, il ne sera pas inutile de les faire connoître au lecteur. || Au commencement du XVII. siecle, le P. Heribert Rosweid, Jésuite d’Anvers, conçut le dessein de rassembler les vies des saints, telles qu’elles avoient été écrites par les auteurs originaux, en y ajoûtant des notes semblables à celles que les meilleurs éditeurs des Peres ont ajoûtées à leurs écrits, soit pour éclaircir les passages obscurs, soit pour distinguer le vrai du fabuleux. L’entreprise étoit grande, mais, comme on le sent assez, beaucoup au-dessus des forces d’un seul homme: aussi le P. Rosweid ne put-il pendant toute sa vie qu’amasser des matériaux, & mourut sans avoir commencé à leur donner de forme. C’étoit en 1629; & l’année suivante, le P. Bollandus reprit ce dessein sous un autre point de vûe, qui fut de composer les vies des saints d’après les auteurs originaux. En 1635, il s’associa le P. Godefroi Henschenius; & six ans après [!], ils firent paroître les actes des saints du mois de Janvier en deux volumes in-folio; ce livre eut un succès qui augmenta lorsque Bollandus eut donné trois autres volumes dans la même forme, contenant les actes des saints du mois de Février. Il s’étoit encore associé en 1650 [!] le P. Papebrock, & travailloit à donner le mois de Mars lorsqu’il mourut en 1665 […].“ Vgl. zu Mallet Frank A. Kafker, The Encyclopedists as Individuals. A Biographical Dictionary of the Authors of the „Encyclopédie“ (SVEC 257), Oxford 1988, S. 238–243; ders., The Encyclopedists as a Group. A Collective Biography of the Authors of the „Encyclopédie“ (SVEC 345), Oxford 1996, S. 12, 98f., 104f.; Walter E. Rex, L’„Arche de Noé“ et autres articles religieux de l’abbé Mallet dans l’„Encyclopédie“ [zuerst 1976], in: RDE 30 (2001), S. 127–147. Vgl. Art. Bollandistes, in: DICTIONNAIRE || UNIVERSEL || FRANÇOIS ET LATIN, || CONTENANT || LA SIGNIFICATION ET LA DÉFINITION || Tant des mots de l’une & de l’autre Langue, avec leurs différens usages, que || des termes propres de chaque Etat & de chaque Profession: La Description || de toutes les choses naturelles & artificielles; leurs figures, leurs espéces, || leurs usages & leurs pro-

22 seinem ersten Publikationsort bekannt gewordene Dictionnaire universel ist wahrscheinlich im Umfeld des Pariser Jesuitenkollegs Louis-le-Grand redigiert worden. Es erschien 1704 als Plagiat des vom Abbé Antoine Furetière (1619/20–1688) begründeten, erstmals 1690 gedruckten und von Henri Basnage de Bauval (1656–1710) maßgeblich erweiterten Wörterbuch des Dictionnaire universel. Erst seit der Ausgabe von 1721 begann es, eigene Konturen zu zeigen. 65

1.3 (Selbst-)Akklamation Was auf den ersten Blick das zeitgenössische Klischee einer jesuitischen Unterwanderung publizistischer Strukturen der frühen Neuzeit zu bestätigen scheint, 66 entspricht in Wahrheit einem aktiven und, was nicht verwundert, –––––––—

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priétéz. L’Explication de tout ce que renferment || les Sciences & les Arts, soit Libéraux, soit Méchaniques. || AVEC DES REMARQUES D’ÉRUDITION ET DE CRITIQUE. || Le tout tiré des plus excellens Auteurs, des meilleurs Léxicographes, Etymologistes || & Glossaires, qui ont paru jusqu’icy en différentes Langues. || NOUVELLE ÉDITION CORRIGÉE; || Dans laquelle on a placé les Additions selon leur rang. || DÉDIÉ AU ROY DE POLOGNE, || DUC DE LORRAINE ET DE BAR. || TOME PREMIER || A NANCY, De l’Imprimerie de PIERRE ANTOINE. M. DCC. XL. AVEC APPROBATION ET PRIVILEGE, Sp. 1102: „Les Bollandistes sont les Jésuites d’Anvèrs, qui ont travaillé & qui travaillent encore à la collection des Actes & des Vies des Saints. Comme nous citons souvent ces savans Auteurs, & qu’on leur sera obligé de plusieurs choses excellentes que l’on trouvera dans ce Dictionnaire, que ce nom d’ailleurs s’est établi dans notre langue, on sera bien aise de les connoître & d’apprendre d’où on leur a donné ce nom. Le P. Héribet [!] Rosweide d’Utrecht, Jésuite de la maison Professe d’Anvers, connu par un grand nombre d’excellens ouvrages, fit dessein, au commencement du XVIIe siécle, de recuëillir toutes les vies des Saints, & de les donner telles qu’elles ont été écrites par les Auteurs originaux, avec des Notes semblables à celles qu’il a mises à ses vies des Pères, pour éclaircir les choses obscures, distinguer les vraies des fausses, &c. Il mourut en 1629. sans avoir pû commencer son ouvrage. Jean Bollandus reprit le même dessein l’année suivante; mais au lieu que Rosweide n’avoit eû dessein de donner que les vies des Saints qui ont été composées, Bollandus se proposa, quand il n’y auroit point de vies d’un Saint de la tirer lui-même des Auteurs qui en auroient parlé, & de la faire. On lui associa en 1635. le P. Godefroy Henschenius, & en 1641. [!] il donna le mois de Janvier en deux gros volumes in fol. En 1658. [!] on leur joignit le P. Daniel Papebroch, qui commença aux Saints du mois de Mars […]. C’est du P. Bollandus, ou Bolland, qui commença ce grand Recueil projeté par Rosweid, qu’on appelle ces Auteurs les Bollandistes, c’est-à-dire, ceux qui continuent l’ouvrage commencé par Bollandus.“ Vgl. Dorothea Behnke, Furetière und Trévoux. Eine Untersuchung zum Verhältnis der beiden Wörterbuchserien (Lexicographica. Series Maior 72), Tübingen 1996, S. 57ff., 93–120; Marie Leca-Tsiomis, Ecrire l’„Encyclopédie“. Diderot: de l’usage des dictionnaires à la grammaire philosophique (SVEC 375), Oxford 1999, S. 73– 102, 110–126. Vgl. Martin Mulsow, Gegen die Fälschung der Vergangenheit. Philologie bei Mathurin Veyssière La Croze, in: Philologie und Erkenntnis. Beiträge zu Begriff und Prob-

23 selbstaffirmativen Umgang mit den je vorhandenen medialen Möglichkeiten. Dieser konnte im Effekt dazu führen, dass, wenigstens im vorliegenden Fall der Bollandisten, Selbstbeschreibung und allgemeineres Überblickswissen zur Deckung kamen. Einen Forschungsstand im engeren Sinn repräsentiert dies allerdings nicht. Die quellenkritische Problematik der fortlaufenden Aktualisierung alter und ältester Versatzstücke ist hier nur an einem Beispiel zu veranschaulichen. Papebroch hatte in seinem Tractatus de vita Bollandi von 1668 konstatiert, dass es allzu aufwändig wäre, „das Empfinden […] des ganzen Erdkreises, nachdem der Januar in so glücklichem Auftakt bekannt und durch die Hände gereicht zu werden begann, aus den von überall an Bolland gerichteten Glückwunschschreiben, derer sehr viele [von mir] aufgefunden worden sind, zu erläutern.“ 67 Papebroch zitierte daher „[u]nus pro cunctis“, wie er sagte, den Priester an der Kölner Pfarrei Maria in Pasculo Jakob Merlo-Horstius (1597–1644) mit einem Schreiben vom 4. Juli 1643. 68 Ferner verwies er auf die spätere Hochschätzung, die der kurz zuvor verstorbene Papst Alexander VII. (reg. 1655–1667) den Vertretern der Acta Sanctorum entgegengebracht habe. 69 Als besonderen Bürgen für die Früchte katholischen Forschergeists benannte er letztlich den Amsterdamer Gelehrten Gerhard Johann Voss (1577–1649). Obgleich „ein der Einheit der katholischen Kirche fremder Mann“, habe Voss in seiner 1645 gedruckten Untersuchung De vitiis sermonis Größe und Sachkunde bewiesen, da er die Haltlosigkeit erkannt habe, mit der die protestantische Historiographie die Autorschaft des hl. Athanasios († 373) für die Vita des –––––––—

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lem frühneuzeitlicher „Philologie“, hrsg. v. Ralph Häfner (Frühe Neuzeit 61), Tübingen 2001, S. 333–347, hier S. 338f. Über die Entwicklung antijesuitischer Strömungen informiert jetzt Christine Vogel, Der Untergang der Gesellschaft Jesu als europäisches Medienereignis (1753–1773). Publizistische Debatten im Spannungsfeld von Aufklärung und Gegenaufklärung (Veröff. d. Instituts f. Europäische Geschichte Mainz. Abt. f. Universalgeschichte 207), Mainz 2006, S. 22–28. Papebroch, Tractatus de vita Bollandi, AASS Martii, Bd. 1, 1668, S. XVa: „Orbis porrò vniuersi sensum, postquàm cognosci ac volvi manibus tam felici initio Ianuarius cœpit, longum foret explicare per litteras vndequaque ad P. Bollandum gratulatorias, quarum plura sunt reperta.“ Vgl. ebd., S. XVa–b: „Vnus pro cunctis [litteris] esse poterit Iacobus Merlo Horstius, Coloniæ Pastor S. Mariæ in Pasculo & Sacræ Theologiæ Licentiatus, vir tam conspicuus sanctimoniâ, vt eius, tamqam aliquando inter Cælites referendi, Vita conscripta extet, & piorum Coloniensium teratur manibus, sub titulo Ideæ veri ac pij Sacerdotis, dedicata Fabio Chisio tunc Apostolico Nuntio, posteà Pastorum omnium totiusque gregis Christiani Pastori supremo. Doctrinam autem eiusdem minimè vulgarem tum edita ab eo opuscula co[m]probant tum S. Bernardi Claræuallensis opera omnia, ipsius insigni studio elucidata, & duobus tomis magnificentissimè excusa a Coloniæ & recusa Parisijs […].“ Vgl. zu Merlo-Horstius Marcel Albert, Nuntius Fabio Chigi und die Anfänge des Jansenismus. 1639–1651. Ein römischer Diplomat in theologischen Auseinandersetzungen (RömQ Supplementheft 44), Rom/Freiburg i. Br. /Wien 1988, S. 129. Vgl. Papebroch, Tractatus de vita Bollandi, AASS Martii, Bd. 1, 1668, S. XVa.

24 hl. Antonius († 373) in Frage gestellt habe. 70 Diese Bemerkungen wurden von Delehaye und Peeters, ohne direkten Nachweis, aufgegriffen, so dass man heute davon ausgeht, dass die Januarbände der Acta Sanctorum in der katholischen wie protestantischen Welt als solchen mit Begeisterung aufgenommen worden seien. 71 –––––––— 70

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Ebd., S. XVb–XVIa: „Ad hoc supremæ sedis de operibus P. Bollandus iudicium [jenem Alexanders VII.] […] addi etiam aliud potest; reipsâ quidem gradibus propemodùm infinitis leuius, quoniam hominis ab Ecclesiæ Catholicæ vnitate extranei; magnum tamen, quia etia[m] in errore suo sinceri æstimatoris veritatum ex antiquorum consensu probatarum, quaminus eas sibi non putaret in religione sequendas esse. Fuit is Gerardus Ioannes Vossius, qui familiari heterodoxis temeritate, quidquid placitis suis aduersari intelligunt vt spurium supposititiumque reijcientibus, Vitam S. Antonij, sub magni Athanasij nomine hactenus apud doctos indoctosque receptam, negare ausus fuerat, verum illius fœtum videri […]. Ast vbi in præfixo ad eamdem Vitam commentario vidit, quanto antiquorum Patrum consensu, plura ex hac ipsâ Vita loca allegantium, ea S. Athanasio tribueretur; promisit se retractaturum quod dixerat; fecitque in eo, quòd primùm post hĊc edidit, opere De Vitijs sermonis, absque vllo scrupulo vel dubitatione profernes Athanasij auctoritatem ex eâ desumptam Vitâ.“ Vgl. Delehaye, Œuvre (21959), S. 26: „La publication provoqua dans le monde savant un véritable enthousiasme. […] De toutes parts arrivaient à Bollandus des lettres de félicitations […].“ Alfred Poncelet, Histoire de la Compagnie de Jésus dans les anciens Pays-Bas. Établissement de la Compagnie de Jésus en Belgique et ses développements jusqu’à la fin du règne d’Albert et d’Isabelle, Bd. 2: Les œuvres (Académie Royale de Belgique. Classe des Lettres et des Sciences Morales et Politiques: Mémoires, 2. sér. 21,2), Brüssel 1928, S. 479f.: „L’apparition de ces volumes, longtemps impatiemment attendus, fut un événement dans le monde savant. De toutes parts les éloges des érudits vinrent encourager les hagiographes.“ Peeters, Œuvre (1942), S. 20f.: „Leur apparition fut signalée dans tout le monde savant par un long cri d’admiration. Non seulement les catholiques, mais des érudits protestants, tels que le grand historien calviniste Gérard Vossius, rendirent un hommage public au savoir et davantage peut-être à la probité scientifique qui s’affirmait dans l’œuvre des hagiographes anversois.“ Hausberger, Werk (1980), S. 221: „Die neue Art, Geschichte zu treiben, stieß in der Gelehrtenwelt schier allgemein auf begeisterte Zustimmung. Der reformierte Theologe und Historiker Gerhard Johannes Vossius […] in Amsterdam hatte schon nach 1643 aus seiner Bewunderung für das Werk der Hagiographen keinen Hehl gemacht. Papst Alexander VII. […] erklärte nach dem Erscheinen des ihm gewidmeten ersten Februarbandes, man habe nie zuvor ein dem Ansehen der Kirche nützlicheres Werk unternommen.“ François Laplanche, Teil 4: Das Christentum im Kulturraum der alten Christenheit, Kap. 2: Die Kirchen und die Kultur des 17. Jahrhunderts, in: Die Geschichte des Christentums. Religion, Politik, Kultur, Bd. 9: Das Zeitalter der Vernunft (1620/30–1750), hrsg. v. Marc Venard. Deutsche Ausg. bearb. v. Albert Boesten-Stengel/Thomas Bremer/Alexander Brüggemann [u. a.], Freiburg i. Br. /Basel/Wien 1998, S. 932–986, hier S. 953: „Diese Bände wurden von der gelehrten Welt, sogar der calvinistischen, mit Bewunderung begrüßt.“ Walter Prevenier, Art. Bolland (Bollandus), Jan, in: Historikerlexikon. Von der Antike bis zur Gegenwart, hrsg. v. Rüdiger vom Bruch/Rainer A. Müller, München 22002, S. 32: „Die gelehrte Welt und sogar die protestant. Kreise (G. Vossius) erkannten sofort die Erudition und die wissenschaftliche Integrität des Unternehmens […].“ Godding/Joassart/Lequeux [u. a.], Bollandistes (2007), S. 43: „De toutes parts, Bolland reçoit des lettres de félicitations. […] L’Europe savante était conquise et attendait avec impatience la suite de l’ouvrage.“

25 Übersehen wurde dabei, dass Voss die Autorschaft des Athanasios für die Antoniusvita nie bestritten hatte, weder in De vitiis sermonis noch in den diesbezüglich näher liegenden De historicis graecis libri quatuor von 1624. 72 In die posthume Ausgabe von De historicis græcis von 1651 war allein die Referenz auf Rosweydes 1615 publizierte Ausgabe der Vitae patrum eingefügt worden. Demnach sei Rosweyde den Zweiflern an der Authentizität der Vita „mit vielen Hinweisen“ („multis notis“) entgegengetreten. 73 Mit dem Erscheinen der Acta Sanctorum hatte diese Einschätzung also nichts zu tun. Dennoch brachte Voss sein Wohlwollen – nicht unbedingt seine Begeisterung – in Bezug auf das Vorgehen „des äußerst gelehrten Bolland“ („doctissimi Bollandi“) 74 zum Ausdruck. Voss beschäftigte sich in De vitiis sermonis mit der Entwicklung der lateinischen Lexik in den nachklassischen Epochen. Er untersuchte die Konventionalisierung mittelalterlicher Formen, etwa: „Cellerarius, pro cellarius, sive […] Cellarium, pro –––––––— 72

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Vgl. GERARDI IOANNIS VOSSII || DE || HISTORICIS GRÆCIS || LIBRI QVATVOR. || Lugduni Batavorum, || Apud IOANNEM MAIRE, || ANNO 1624., S. 401: „B. Athanasius Constantini, filiorumque ejus, item Juliani, ac Valentis tempore fuit. Scripsit vitam B. Antonij monachi: ut testis est Nazianzenus orat. in laudem B. Athanasij, B. Hieronymus in Catalogo script. Eccles. & Socrates Eccles. Histor. lib. I. cap. XXI. Eam, modò genuina est, ante annos duodecim primus in lucem protraxit vir optimè de studiis meritus David Hœschelius.“ Vgl. zu dieser Erstausgabe des Augsburger Hellenisten, Stadtbibliothekars und Rektors des Annen-Gymnasiums David Hoeschel (1556–1617) Gérard Garitte, Histoire du texte imprimé de la Vie grecque de S. Antoine, in: Bulletin de l’Institut Historique Belge de Rome 22 (1942/43), S. 5–29, hier S. 9–13. Vgl. GERARDI IOANNIS VOSSII || De || HISTORICIS GRÆCIS || LIBRI IV; || Editio altera, priori emendatior, & multis || partibus auctior. || LUGDUNI BATAVORUM, || Ex Officinâ IOANNIS MAIRE. || MDLI, S. 486: „Athanasius Constantini, filiorúmque ejus, item Juliani, ac Valentis tempore fuit. Scripsit vitam B. Antonij monachi: ut testis B. Ephræm serm. in illud, Attende tibi ipsi, cap. X, Nazianzenus orat. in laudem B. Athanasij, B. Hieronymus in catalogo scriptor. Eccles. Rufinus Eccles. Histor. lib. I. cap. VIII, Palladius in Lausiacis cap. VIII, Socrates Eccles. Histor. lib. I cap. XXI, & Honorius libro de luminaribus Ecclesiæ, ubi de Athanasio; & iterum, ubi de Antonio; quo loco illud insigne volumen vocat. Eam vitam ante annos duodecim primus in lucem protraxit vir optimè de studiis meritus, David Hœschelius. Sanè, ut genuinam, multis propugnat Rosvveidus notis in lib. I de vitis Patrum: ubi & Hospiniani, & Sculteti argumentis occurrit. Vide etiam Barthium Advers. lib. LVII cap. I. Penes lectorem judicium esto.“ Vgl. dazu: In vitam Beati Antonii prælvdia, in: VITÆ || PATRVM || DE || VITA ET VERBIS || SENIORVM || LIBRI X. || HISTORIAM EREMITICAM || COMPLECTENTES: || AVCTORIBVS suis et NITORI pristino || restituti, ac NOTATIONIBVS illustrati, || Operâ et studio HERIBERTI ROSWEYDI || Vltraiectini, è Soc. Iesv Theologi. || Accedit ONOMASTICON Rerum et Verborum || difficiliorium, cum multiplici INDICE. || ANTVERPIÆ || EX OFFICINA PLATINIANA || Apud Viduam et Filios Io. Moreti || M. C. XV., S. 26–34, Notatio ebd., S. 29–34, hier S. 30f. Vgl. GERARDI JOANNIS VOSSII || DE || VITIIS SERMONIS, || ET || GLOSSEMATIS || LATINO-BARBARIS, || LIBRI QUATUOR. || Partim utiles ad purè loquendum, partim ad meliùs intelligendos posteriorum seculorum scriptores. || AMSTELODAMI, || Apud LUDOVICUM ELZEVIRIUM, || MDCXLV, S. 347.

26 cella […].“ 75 Einen Teil seines Untersuchungsmaterials hatte er aus den Acta Sanctorum bezogen. 76 Ermöglicht habe dies, so Voss, eine Zugriffsweise, die im Zuge der typographischen Aufbereitung der Texte von substantiellen Veränderungen abgesehen habe: „Wir verfügen über dem eigentlichen Ursprung nach barbarische Eigennamen, Worte, Partikel: über die einen unter ihnen nicht weniger als über jene anderen, die [zwar] unstreitig barbarische, nicht aber aus barbarischen hervorgeströmt sind, du dürftest eine große Zahl [davon] in den Viten der Heiligen ausfindig machen, besonders, je nachdem, in denen, die zuerst aufgeschrieben worden sind.“ 77 Aus der Perspektive Papebrochs wäre Voss’ allein sprachformales Interesse an den Heiligenviten vermutlich kein besonders starkes Argument gewesen, um den Gewinn zu veranschaulichen, den die Acta Sanctorum für die katholische Welt bedeuteten. Es ist nicht zu bestreiten, dass die Acta Sanctorum im Laufe der Zeit ein beachtliches Maß an Aufmerksamkeit auf sich vereinigen sollten. Wie dies unter den Bedingungen der frühen Neuzeit vor sich ging und wer sich auf welche Weise äußerte, ist allerdings eigens zu untersuchen. Die Kenntnis von der Fertigstellung eines Werks verbreitete sich in dieser an gelehrten Erzeugnissen nicht armen Zeit keineswegs von selbst. Vier Depeschen, die 1993 von Joassart publiziert worden sind, signalisieren die wohlwollende Aufnahme der Januarbände in Rom. Insbesondere aber zeigen sie das Bestreben Bollands, sie mit Hilfe der jesuitischen Strukturen an der Kurie zunächst einmal bekannt zu machen und für eine positive Resonanz zu sorgen. Der Jesuit Guillaume Du Loroy (1599–1657), an der Administration des Ordens tätig und mit der Verteilung von insgesamt acht Exemplaren beauftragt, qualifizierte die Acta Sanctorum am 26. Dezember 1643 als ein „fürwahr herrliches […] und unsterbliches Werk“. 78 Eine zweite, am selben Tag versandte Mitteilung stammte vom Bibliothekar des jesuitischen Pro–––––––— 75 76 77

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Vgl. Voss, De vitiis sermonis, 1645, S. 378. Vgl. ebd., S. 270, 346, 353, 359, 374, 378. Ebd., S. 347: „Habemus de nominibus, verbis, particulis, ortu ipso barbaris: quorum non minùs, quàm eorum, quæ barbara quidem sunt, sed à non barbaris promanarunt, magnam vim reperias in vitis Sanctorum, præsertim prout primitus scriptæ.“ Vgl. zu Voss Luc Deitz, Gerhard Johann Vossius’ „De philologia liber“ und sein Begriff von „Philologie“, in: Philologie und Erkenntnis. Beiträge zu Begriff und Problem frühneuzeitlicher „Philologie“, hrsg. v. Ralph Häfner (Frühe Neuzeit 61), Tübingen 2001, S. 3–34. Guillaume Du Loroy an Jean Bolland, Rom, 26. Dezember 1643, in: Bernard Joassart, L’accueil réservé aux Acta Sanctorum à Rome en 1643. En marge d’un anniversaire, in: Anal. Boll. 111 (1993), S. 5–18, hier S. 10–13, Zitat S. 10: „Appulit huc integra et salva sarcina librorum a Reverentia Vestra missa in qua reperi octo exemplaria libri sui Ianuarii. Gratulor Reverentiae Vestrae iterum iterumque […], praeclarum sane opus est, et immortale. Distributionem a Reverentia Vestra praescriptam conabor observare […].“ Vgl. dazu die Kommentare von Joassart, ebd., S. 9 Anm. 15, S. 14.

27 fesshauses, Silvestro Pietra Santa (1590–1647). Bolland kannte Pietra Santa seit dessen Zeit als Kölner Nuntius (1622–1634). Als Rektor des Jesuitenkollegs von Loreto (1638–1642) war dieser ein Ansprechpartner für die Beschaffung hagiographischer Materialien dieser Region gewesen. 79 Nach dessen Aussagen habe Kardinal Francesco Barberini (1597–1679), bibliophiler Neffe Urbans VIII., zwischen 1626 und 1633 Kardinalbibliothekar der – den Bollandisten bis zur Arbeit an den Märzbänden verschlossenen – Bibliotheca Vaticana und Widmungsträger des zweiten Januarbands, schon „bei Gelegenheit“ die Erwartung geäußert, „dass es [das Werk] der christlichen Welt und Kirche Gottes nicht weniger nützlich sein wird als es die Annales des Kardinals Baronio gewesen sein dürften.“ 80 Knapp einen Monat später, am 23. Januar 1644, konnte derselbe Pietra Santa berichten, „mit wieviel dankbarem Empfinden und mit welcher Ehrerbietung Kardinal Barberini gestern den Januar Eurer Würden aufgenommen habe und mit wieviel Lobreden das begonnene Werk bedacht worden sei. In der Aula haben sehr viele vorzügliche und hochrangige Männer die so ruhmreiche Arbeit gepriesen […].“ 81 Am 12. März 1644, rund ein dreiviertel Jahr nach der Publikation, signalisierte der Ordensgeneral der Jesuiten Mutius Vitelleschi (1563–1645): „Ich sage […] höchsten Dank für seinen mir vor nicht allzu langer Zeit in Euer Würden Namen geschenkten Januar. Ein würdiges Werk umstandslos aus Zedernholz und für das ich, damit es möglichst zeitig fertiggestellt werde, den Fleiß Euer Würden anstacheln würde, wenn ich nicht glaubte, was erzählt wird, einen Eilenden anzutreiben. Der Lohn Gottes selbst wird übergroß sein.“ 82

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Vgl. ders., Jean Bolland et la recherche des documents. Le „Memoriale pro R. P. Silvestro Pietrasancta“, in: Anal. Boll. 120 (2002), S. 141–150, hier S. 142ff. Vgl. Pietra Santa an Jean Bolland, Rom, 26. Dezember 1643, in: Joassart, L’accueil (1993), S. 14f., hier S. 14: „Opportune huc Romam advectus est Ianuarius Reverentiae Vestrae ut possit Pontifici, et Cardinali Barberino offerri ipsis Calendis Ianuarius, aut saltem statim ineunte mense. Plaudunt omnes operi magno; de quo mihi aliquando dixit Cardinalis Barberinus, illud non minus fore utile Orbi Christiano atque Ecclesiae Dei, ac fuerint Annales Cardinalis Baronii.“ Pietra Santa an Jean Bolland, Rom, 23. Januar 1644, in: ebd., S. 15f., hier S. 15: „[…] quam grato animo ac cultu heri Cardinalis Barberinus acceptaverit Ianuarium Reverentiae Vestrae et quot elogiis opus inchoatum sit prosecutus. In Aula plurimi Praesules et Viri primarii laborem tam gloriosam commendarunt […].“ Mutius Vitelleschi an Jean Bolland, Rom, 12. März 1644, in: ebd., S. 17: „Gratias ago […] Reverentiae Vestrae summas de Ianuario suo non ita pridem donato mihi Reverentiae Vestrae nomine. Opus plane dignum cedro, et ad quod maturius pertexendum stimularem ego industriam Reverentiae Vestrae nisi crederem me, quod aiunt, currentem incitare. Laborum merces erit ipse Deus magna nimis.“

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1.4 Materialien Der Forschungsstand zur Frühzeit des Unternehmens verkörpert sich, in disparater Form, in den Einleitungen zu den bisher vorliegenden Ausgaben der Korrespondenzen der Bollandisten, mithin in den – an dieser Stelle nicht einzeln aufzulistenden – überlieferungsgeschichtlichen Sequenzen im Rahmen editorischer oder quellenkundlicher Artikel in den Analecta Bollandiana. Zwei neuere Aufsätze des aktuellen Chairman der Bollandisten Robert Godding gelten den Kontakten zwischen den Antwerpener Jesuiten und dem umbrischen Hagiographen Ludovico Jacobilli (1598–1670) 83 und den Vertretern des irischen Priesterseminars der Minoriten St. Antonius von Padua in Löwen, 84 die seit den ausgehenden 1620er Jahren an den Acta Sanctorum veteris et majoris Scotiae, seu Hiberniae, Sanctorum insulae tätig waren. Diese irischen Acta Sanctorum waren, neben den zwischen 1668 und 1701 vollendeten Acta Sanctorum Ordinis Sancti Benedicti des Mauriners Jean Mabillon (1632–1707), das dritte größere hagiographische Sammelwerk dieses Namens im 17. Jahrhundert. Sie waren von den Minoriten Patrick Fleming (1599–1631) und Hugh Ward (um 1580–1635) projektiert worden. Als dritter Band der Sacrae hiberniae antiquitates erschien der erste Teil 1645 in Löwen unter der Ägide des Minoriten John Colgan (1592–1658). Er beinhaltete Materialien zu den irischen Heiligen der Monate Januar bis März und wurde in dieser Form nicht fortgeführt. 85 –––––––— 83 84

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Vgl. Robert Godding, Ludovico Jacobilli e i Bollandisti, in: Ludovico Jacobilli, erudito umbro del ‘600, hrsg. v. Maria Duranti, Foligno 2004, S. 127–138. Vgl. Robert Godding, Irish Hagiography and the „Acta Sanctorum“ (1643–1794), in: Studies in Irish Hagiography. Saints and Scholars, hrsg. v. John Carey/Máire Herbert/Pádraig Ó Riain, Dublin 2001, S. 289–316. ACTA || SANCTORVM || VETERIS ET MAIORIS || SCOTIÆ, || SEV || HIBERNIÆ, || SANCTORVM INSVLAE, || Partim ex variis per Europam MS. Codd. exscripta, || partim ex antiquis monumentis & probatis Au- || thoribus eruta & congesta; omnia Notis || & Appendicibus illustrata, || PER R. P. F. IOANNEM COLGANVM || In Conuentu FF. Minor. Hibern. strictior. obseru. Louanij || S. THEOLOGIÆ LECTOREM IVBILATVM. || Nunc primùm de eisdem Actis iuxtà ordinem mensium & dierum prodit || TOMVS PRIMVS, || Qui de sacris Hiberniæ Antiquitatibus est || TERTIVS || Ianuarium, Februarium, & Martium complectens. || LOVANII, || APUD EVERARDVM DE WITTE, M. DC. XLV. || Cum Priuilegio. Vgl. Richard Sharpe, Medieval Irish Saints’ Lives. An Introduction to Vitae Sanctorum Hiberniae, Oxford 1991, S. 46–61; Pádraig A. Breatnach, An Irish Bollandus. Fr Hugh Ward and the Louvain Hagiographical Enterprise, in: Éigse 31 (1999), S. 1–30. Es folgten allein 1647 die sich den drei wichtigsten irischen Heiligen widmenden Triadis Thaumaturgae seu Divorum Patricii, Columbae et Brigidae acta. Vgl. Ludwig Bieler, John Colgan as Editor, in: Franciscan Studies 8 (1948), S. 1–24; ders., Trias Thaumaturga, in: Father John Colgan O. F. M. 1592–1658. Essays in Commemoration of the Third Centenary of His Death, hrsg. v. Terence O Donnell, Dublin 1959, S. 41–49; Canice Mooney, Father John Colgan, O. F. M. His Work and Times and Literary Milieu, in: ebd., S. 7–40.

29 Die historiographie- und hagiographiegeschichtliche Einbettung bleibt, trotz zahlreicher Detailkenntnisse, noch zu leisten. Weshalb sich etwa Rosweyde für hagiographische Traditionen interessierte? „Nous l’ignorons.“ 86 Welche Strukturen die Korrespondenzen auszeichneten, ist jenseits der kontinuierlich exponierten Tatsache, dass sie von beträchtlichem Umfang waren, unbekannt. Delehayes in der ersten Fassung von A travers trois siècles referenzlose Bemerkung: „Dans ce qui nous reste de leur immense correspondance, il n’y a vraiment aucun nom illustre dans l’histoire de l’érudition qui ne soit représenté par quelque utile contribution“, 87 wurde in der posthumen Ausgabe durch den Hinweis auf Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716) ergänzt. 88 Mit dem „Jesuitenfreund“ 89 Leibniz korrespondierte man im Kontext seiner eigenen historiographischen und herausgeberischen Interessen seit Januar 1686. In einer Denkschrift für Kaiser Leopold I. (reg. 1658–1705) aus dem Jahr 1689 zählte Leibniz Papebroch – neben dem jesuitischen Polyhistor Athanasius Kircher (1601/02–1680), dem jesuitischen Mathematiker Honoratus Faber (1607–1688), dem Fürstbischof von Paderborn-Münster Ferdinand von Fürstenberg (1626–1683) und dem Mainzer Staatsminister Philipp Wilhelm von Boineburg (1656–1717) – zu den „am meisten gerühmten Männern Europas“.90 Briefwechsel der Bollandisten mit Blaise Pascal (1623–1662), mit Samuel Pufendorf (1632–1694), Baruch de Spinoza (1632–1677), Nicolas Malebranche (1638–1717) oder –––––––— 86 87 88 89 90

Peeters, Œuvre (1942), S. 5. Delehaye, Siècles (1920), S. 84. Vgl. ders., Œuvre (21959), S. 64 mit Anm. [1]. René Fülöp-Miller, Macht und Geheimnis der Jesuiten. Eine Kultur- und Geistesgeschichte (Knauer. Bücher der Welt), München/Zürich 1947, S. 204. Vgl. Leibniz für den Kaiser. Über seine Forschungen und Pläne, Wien, Ende Januar (?) 1689, in: Gottfried Wilhelm Leibniz, Sämtliche Schriften und Briefe, Reihe 1: Allgemeiner politischer und historischer Briefwechsel, Bd. 5: 1687–1690, hrsg. v. der deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Berlin [Ost] 1954, Nr. 218, S. 376–380, hier S. 378: „Commercium habui per literas cum celebrissimis Europae Viris, velut Athanasio Kirchero, P. Honorato Fabri, P. Papebrochio; ut Celsissimum Episcopum Padebornensem, Baronem Boineburgium, aliosque magnos in Republica et literis viros nunc taceam.“ Vgl. den frühesten Brief: Leibniz an Daniel Papebroch, 2. (12.) Januar 1686, in: Leibniz, Schriften, Reihe 1: Briefwechsel, Bd. 4: 1684–1687, hrsg. v. der deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Berlin [Ost] 1950, Nr. 458, S. 544f. Vgl. zu Leibniz als Historiograph und Editor Armin Reese, Die Rolle der Historie beim Aufstieg des Welfenhauses. 1680–1715 (Quellen und Darstellungen zur Geschichte Niedersachsens 71), Hildesheim 1967, S. 176ff.; Horst Eckert, Gottfried Wilhelm Leibniz’ Scriptores rerum Brunsvicensium. Entstehung und historiographische Bedeutung (Veröff. d. Leibniz-Archivs 3), Frankfurt a. M. 1971; Gerd van den Heuvel, „Deß NiederSächsischen Vaterlandes Antiquitäten.“ Barockhistorie und landesgeschichtliche Forschungen bei Leibniz und seinen Zeitgenossen, in: Niedersächs. Jb. f. Landesgesch. 68 (1996), S. 19–41. Über diese Tätigkeiten informieren eine Reihe von Beiträgen in Herbert Breger/Friedrich Niewöhner (Hrsg.), Zu Leibniz und Niedersachsen. Tagung anläßlich des 350. Geburtstages von G. W. Leibniz, Wolfenbüttel 1996 (Studia Leibnitiana. Sonderh. 28), Stuttgart 1999.

30 Jean Le Clerc (1657–1736), sofern der Anschaulichkeit halber einige Namen aus dem ideengeschichtlichen Kanon des 17. Jahrhunderts genannt werden sollen, hat es allerdings nicht gegeben. Die Mehrzahl der Briefe, um den Bestand an dieser Stelle nur grob zu ordnen, war funktionalen Charakters. Sie wurden mit Vertretern solcher Institutionen ausgetauscht, die Zugang zu hagiographischen Materialien besaßen. Die meisten dieser Kontakte entwickelten sich folglich innerhalb der katholischen Intelligenz. Teils waren sie punktuellen Charakters. Der Servit und Theologe an den Universitäten Pisa und Florenz Gerardo Capassi (1653–1731) sandte für das Dossier der seligen Gerardesca († um 1269) in den Maibänden der Acta Sanctorum eine Zeichnung dieser hochmittelalterlichen Kamaldulenserin nach Antwerpen, die er nach deren Darstellung auf dem Hauptaltar von S. Michele in Borgo zu Pisa angefertigt hatte. 91 Teils ist aber auch mit langjährigen Kontakten zu rechnen, beispielsweise jene mit dem seinerzeit berühmten Florentiner Büchersammler und Bibliothekar der herzoglich toskanischen Bibliothek Antonio Magliabechi (1633–1714) 92 und mit dem aus Antwerpen stammenden Präfekten der Bibliotheca Vaticana Emmanuel Schelstrate (1645–1692). 93 Mit Mabillon korrespondierte man im Zuge der fortschreitenden Arbeit an den Acta Sanctorum Ordinis Sancti Benedicti. Mit einer relativen Intensivierung zwischen 1682 und 1687 scheint dieser Austausch knapp 20 Briefe hervorgebracht zu haben.94 –––––––— 91

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Vgl. D[aniel] P[apebrochius], De B. Gerardesca Pisana Ordinis Camaldvlensis Tertiara, in: AASS Maii, Bd. 7, 1688, 29. Mai, S. 164–180. Vita verosimiliter à Confessario collecta, Ex Veteri Ms. Monasterii S. Silvestri Pisis, S. 165–180, hier S. 179a. „[…] exhibendo imaginem Beatæ, qualem supra num. 2 dixi adhuc spectari super aram majorem S. Michaelis in Burgo, in quadam tabula, multis sanctorum Ordinis Camaldulensis Patronorum imaginibus per modum limbi circumornata, singulis singulas veluti conchas seu forulos implentibus. Harum una, ut dixi, est S. Gerardesca in habitu Ordinis Camaldulensis diademata more ceterorum Sanctorum; prout ipsam nobis inde delineandam curavit Fr. Gerardus Capaßius, ex Ordine Servorum B. Mariæ in Academia Pisana Theologiæ Professor.“ Vgl. Andrea-Maria Dal Pino, Il Padre Gerardo Capassi (1653–1737) e la sua corrispondenza con Schelstrate, i Bollandisti e i Maurini, in: Studi Storici dell’Ordine dei Servi di Maria 7 (1955/56), S. 75–126, hier S. 92. Erhalten ist ein Brief vom Januar 1688. Vgl. ebd., Nr. 11, S. 114; vgl. zu der Heiligen Lieselotte Schütz, Art. Gerardesca von Pisa, in: LCI, Bd. 6, 1974, S. 392. Vgl. Mario Battistini, Nel terzo centenario degli Acta Sanctorum. Antonio Magliabechi e la sua collaborazione all’ Opera Bollandiana, in: Bulletin de l’Institut historique belge de Rome 22 (1942/43), S. 113–258. Vgl. Lucien Ceyssens (Hrsg.), La correspondance d’Emmanuel Schelstrate. Préfet de la Bibliothèque Vaticane (Bibliothèque de l’Institut historique belge de Rome 1), Brüssel/Rom 1949; Bernard Joassart, Emmanuel Schelstrate et les Bollandistes. Lettres inédites à Daniel Papebroch, in: Anal. Boll. 116 (1998), S. 361–383. Vgl. Ursmer Berlière, Mabillon et la Belgique. Le voyage de Flandre (1672). Correspondance, in: Revue Mabillon 4 (1908/09), S. 4–38, 231–242, 289–323, hier S. 18. Der erste Brief Papebrochs an Mabillon datiert auf den 16. Mai 1671, der letzte auf den 16. Juni 1687. Berlière hat insgesamt 17 Briefe publiziert. Vgl. ebd., Nr. 6, S. 30f.; Nr. 14, S. 240f.; Nr. 21, S. 297; Nr. 23, S. 299f.; Nr. 26, S. 302f.; Nr. 27,

31 Der mögliche Gesamtumfang der Korrespondenzen ist gegenwärtig schwer zu bestimmen. Nach der Darstellung des Bollandisten Johannes Stilting (1703–1762) habe Jean Baptiste Du Sollier (1669–1740) in den 38 Jahren seiner Tätigkeit an den Acta Sanctorum rund 12000 Briefe versandt. Grundlage dieser Schätzung war ein von Du Sollier angelegtes, sich auf anderthalb Quartbände erstreckendes Inventar. Pro Tag habe Du Sollier nicht selten zwischen fünf und zwölf Depeschen versandt. 95 Nach freundlicher Auskunft Joassarts sind diese Quartbände oder analoge Verzeichnisse aus dem ersten Jahrhundert der Acta Sanctorum in der Bibliothek der Bollandisten nicht nachzuweisen. Erhalten hätten sich nur einige Kladden, die von Du Sollier bisweilen nach dem Erhalt von Briefen angelegt worden seien. Eine im 20. Jahrhundert vorgenommene Verzettelung der Teile der Korrespondenzen, die sich heute in der Bibliothek der Bollandisten und in den Collectanea bollandiana der Bibliothèque royale de Belgique in Brüssel befinden, soll, langfristig gesehen, in digitalisierter Form zugänglich gemacht werden. 96 Trotz dieser Probleme ist es möglich, sich einige Zahlen zu vergegenwärtigen. Im Rahmen der – für die vorliegende Studie in Teilen genutzten – Collectanea bollandiana der Bibliothèque royale befinden sich für den –––––––—

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S. 303f.; Nr. 29, S. 305f.; Nr. 31, S. 307; Nr. 32, S. 308; Nr. 33, S. 309; Nr. 34, S. 309f.; Nr. 35, S. 310f.; Nr. 36, S. 312; Nr. 38, S. 314f.; Nr. 42, S. 318f.; Nr. 43, S. 319f.; Nr. 44, S. 320f. Ein Inventar der Korrespondenzen Mabillons, einschließlich der Drucknachweise, ergänzt um die verlorenen Briefe, die sich eindeutig aus den erhaltenen erschließen lassen, bietet Henri Leclercq, Mabillon, Teil 2, Paris 1957, S. 871–998. Dem ersten Brief Papebrochs an Mabillon ging einer Mabillons an Papebroch vom 21. März 1671 voraus. Vgl. ebd., Nr. 58, und die Nachweise Nr. 65, 116, 117, 191, 193, 205, 216, 271, 273, 275, 278, 279, 289, 293, 296, 298, 315, 337, 355, 657, 692, 722. Vgl. zum Kontakt zwischen Maurinern und Bollandisten auch Albert Poncelet, Mabillon et Papebroch, in: Mélanges et documents publiés à l’occasion du 2e Centenaire de la Mort de Mabillon (Archives de la France monastique 6), Ligugé/Paris 1908, S. 171–175; Bernard Joassart, Daniel Papebroch et Thierry Ruinart. Une lettre inédite du Bollandiste au Mauriste, in: Anal. Boll. 116 (1998), S. 161–165. Vgl. Johannes Stilting, Elogium Sollerii, in: AASS Augusti, Bd. 5, 1741, S. 9a. „Jam verò quantâ diligentiâ, solertiâque studuerit colligere documenta omnia, tum impressa tum manuscripta, quæ ad Acta Sanctorum copiosiùs rectiùsque illustranda conducere existimabat, mihi imprimis constat ex testimonio ejus collegarum, & abunde quoque colligitur ex notitia litterarum, quam præ manibus habeo. Etenim litterarum omnium, quas scripsit Antverpiæ, brevem servavit notitiam, describendo diem, quâ datæ, personam, ad quam missæ, verbuloque materiam, de qua scriptæ. Implevit brevibus his titulis tomum unum in quarto cum dimidia parte alterius. Inveni ibidem frequentissimè quinque aut sex epistolas eodem die missas, non rarò etiam octo vel novem, imò subinde duodecim ejusdem dici numeravi, ita ut numerus omnium, quantùm ex pagellarum enumeratione conjicio, ad duodecim circiter millia reducatur.“ Vgl. Delehaye, Œuvre (21959), S. 63f.; Peeters, Œuvre (1942), S. 41. Schreiben an den Verf. vom 12. Sept. 2005. Vgl. dazu jetzt auch Godding/Joassart/ Lequeux [u. a.], Bollandistes (2007), S. 54. Sie sprechen von „milliers de lettres reçues par les Bollandistes au long d’un siècle et demi […].“

32 Zeitraum von Rosweydes Wirken bis etwa 1730, grob überschlagen, rund 650 Briefe. 97 Ein überdurchschnittlich intensiver Austausch wie jener mit Schelstrate zählt nach der Publikation sämtlicher heute bekannter Stücke 34 Briefe, die Schelstrate zwischen 1683 und 1692 an die Bollandisten gerichtet hat. 98 Die nach den erhaltenen Exemplaren ihrerseits vollständig gedruckte Korrespondenz Papebrochs mit Francis Harold († 1685), dem Bibliothekar des Kollegs St. Isidor der Franziskaner in Rom, beinhaltet 33 Schreiben Papebrochs für den Zeitraum zwischen 1665 und 1683. Die Antworten Harolds scheinen, von einer Ausnahme abgesehen, verloren. Dessen Kladden lassen den Schluss zu, dass von Harold wenigstens 15 Briefe nach Antwerpen gesandt worden sind. 99 Die Erfassung der aus dem Austausch mit dem Jesuiten Alexander Wiltheim (1604–1684) zwischen 1642 und 1677 hervorgegangenen Schreiben führte Jean-Claude Muller 1984 zu insgesamt 45 Depeschen, 17 von Wiltheim empfangenen und 28 von diesem nach Antwerpen übermittelten. 100 Die – auf die Arbeit an den Acta Sanctorum bezogene – Korrespondenz der Bollandisten dürfte bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts also im Bereich einiger tausend versandter und empfangener Briefe und Depeschen gelegen haben. Einen Vergleichswert bietet die ungleich besser erschlossene Korrespondenz Mabillons. Daniel-Odon Hurel spricht von 2896 Briefen von und an Mabillon. Darin eingeschlossen sind vergleichsweise überschaubare 232 verlorene Schreiben, deren Existenz aus anderen Quellen erschlossen werden konnte. Insgesamt zählt Hurel 150

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Vgl. Joseph Van den Gheyn, Catalogue des manuscrits de la Bibliothèque royale de Belgique, Bd. 5: Histoire – Hagiographie, Brüssel 1905, S. 406–675. Nach Auskunft Joassarts überschreitet die Zahl der in der Bibliothek der Bollandisten verwahrten Briefe die Zahl der Briefe in der Bibliothèque royale. Dies schließe allerdings die Korrespondenzen des 19. und 20. Jahrhunderts ein. Schreiben an den Verf. vom 12. Sept. 2005. Die Bestände der Bollandisten sind bis heute nicht vollständig katalogisiert und wurden hier nicht verwendet. Die Aufstellung der in dieser Arbeit genutzten Handschriften der Bibliothèque royale befindet sich im Quellenverzeichnis. Van den Gheyns Katalogisierung ist insbesondere, was Folienangaben anbelangt, nicht immer zuverlässig. Es wurde darauf verzichtet, an jeder Stelle auf solche und andere Abweichungen hinzuweisen. Zitiert werden die Handschriften mit ihrer Signatur und der laufenden Katalognummer Van den Gheyns in Klammer. Vgl. Joassart, Schelstrate (1998), S. 372f. Vgl. Fergal Grannell, Letters of Daniel Papebroch, S. J. to Francis Harold, O. F. M. (1665–1690), in: Archivum Franciscanum Historicum 59 (1966), S. 385–455, hier S. 386, 392 mit Anm. 2. Vgl. Jean-Claude Muller, La correspondance d’Alexandre Wiltheim S. J., in: Hemecht 36 (1984), S. 167–232, hier S. 170. Muller bietet Regesten der Schreiben. Auf diese Publikation hat Stefan Benz, Zwischen Tradition und Kritik. Katholische Geschichtsschreibung im barocken Heiligen Römischen Reich (Historische Studien 473), Husum 2003, S. 77, hingewiesen.

33 Personen, die von Mabillon Briefe erhielten und 545, die solche an ihn gesandt haben. 101 Das größte Desiderat besteht gegenwärtig nicht darin, die Korrespondenzen der Bollandisten vollständig zu erfassen, sondern einen Untersuchungszusammenhang zu konstituieren, der ihre qualitative Auswertung ermöglicht, zumal mittlerweile beachtliche Teile in gedruckter Form vorliegen. Während seit den 1940er Jahren vor allem in kirchen- und ordensgeschichtlichen Zeitschriften teilweise umfangreichere Corpora in den Druck gelangten, die also Delehaye oder Peeters auch nicht zur Verfügung standen, 102 entwickelten sich die Analecta Bollandiana erst seit den 1990er Jahren zu einem Ort der kontinuierlichen Publikation einschlägiger Schreiben. 103 Ferner ist mit Briefen der Bollandisten in den Werkausgaben anderer –––––––— 101 102

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Vgl. Daniel-Odon Hurel, À propos de l’inventaire et de l’édition de la Correspondance de Jean Mabillon, in: Fredouille (Hrsg.), Mauristes (2001), S. 85–98, hier S. 93. Vgl. De Gaiffier, Hagiographie (1967), S. 291–296; Godding/Joassart/Lequeux [u. a.], Bollandistes (2007), S. 164f. Die bis dato umfangreichste Sammlung war der Anhang von Pitra, Études (1850), S. 192–227; vgl. neben den bereits erwähnten Ausgaben auch Ildefonso Tassi, La corrispondenza letteraria di D. Benedetto Bacchini col P. Daniele van Papenbroeck bollandista, in: Benedictina 6 (1952), S. 123–149; Andrea-Maria Dal Pino, Agiografia servitana nell’opera dei Bollandisti dal 1660 al 1701, in: Studi Storici dell’Ordine dei Servi di Maria 12 (1962), S. 140–201; Pl. Lefèvre, Trois lettres du bollandiste Papebroch adressées à l’abbaye d’Averbode en 1694, in: Analecta Praemonstratensia 42 (1966), S. 117–131. Zuvor hat man mit vereinzelten Drucken zu rechnen. Vgl. Marcel van Cutsem, Une lettre inédite du P. Gazet sur la catacombe de Saint-Hermès, in: Anal. Boll. 52 (1934), S. 334–342; François Halkin, Lettres inédites du bollandiste Du Sollier à l’historien Schannat (1721–1734), in: Anal. Boll. 62 (1944), S. 226–256; ders., Lettres inédites du bollandiste Du Sollier à l’historien Schannat (1721–1734) (suite), in: Anal. Boll. 63 (1945), S. 5–47; Maurice Coens, Une correspondance de Papebroch avec les moniales de La Chaise-Dieu-du-Theil à propos de S. Juvence, martyr catacombaire, in: Anal. Boll. 64 (1946), S. 181–199. Daneben wurden einzelne Schreiben in Teilen oder gesamtheitlich in sachbezogenen Artikeln veröffentlicht; vgl. an dieser Stelle exemplarisch den ein Schreiben Papebrochs enthaltenden Appendix von Paul Grosjean, Notes sur quelques sources des „Antiquitates“ de Jacques Ussher. – Édition de la „Vita Commani“, in: Anal. Boll. 77 (1959), S. 154–187; mit Korrespondenzen Rosweydes ders., Les manuscrits de Corneille Duyn donnés jadis à Héribert Rosweyde et conservés actuellement à Bruxelles, in: ebd., S. 108–134; Maurice Coens, Un manuscrit perdu de Rouge-Cloître. Décrit d’après les notes d’Héribert Rosweyde et d’Aubert le Mire, in: Anal. Boll. 78 (1960), S. 53–74; Auszüge, die inzwischen durch die oben Anm. 42 genannte Ausgabe ersetzt sind, bot Maurice Coens, Du Cange et les „Acta Sanctorum“, in: Bulletin de la Classe des Lettres et des Sciences Morales et Politiques de l’Academie royale de Belgique 5e sér. 41 (1955), S. 551– 570. Vgl. in jüngerer Zeit Joassart, Accueil (1993); ders., Une lettre inédite de Benedetto Bacchini à Daniel Papebroch, in: Anal. Boll. 116 (1998), S. 157–160; ders., Papebroch et Ruinart (1998); ders., Pierre-François Chifflet, Héribert Rosweyde et Jean Bolland. Documents inédits à propos de l’hagiographie franc-comptoise, in: Anal. Boll. 117 (1999), S. 163–178; ders., Daniel Papebroch et Raymond Capizucchi. Maître du Sacré Palais. Un prélude à la querelle autour des origines carmélitaines, in: ebd., S. 369–371; ders., Daniel de la Vierge, les Bollandistes et les origines carmélitaines, in: Anal. Boll. 118 (2000), S. 387–398; ders., François Combefis, Jacques

34 Gelehrter zu rechnen. Neben dem Beispiel Leibniz gilt dies für die Edition zweier Schreiben, die Papebroch in den Jahren 1675 und 1680 an den Oratorianer Pasquier Quesnel (1634–1719) gerichtet hat, 104 und für das Epistolario Lodovico Antonio Muratoris (1672–1750), das zwölf Briefe Muratoris an den Bollandisten Conrad Janninck (1650–1723) enthält. 105 Ein Schreiben des Jesuiten Pierre Halloix (1571–1656) publizierte Claire Falla im Anhang ihrer Monographie zu diesem Gelehrten. 106 Der eine oder andere Brief wurde bereits zeitgenössisch veröffentlicht. Dies betrifft etwa eine kurze und undatierte Anfrage Rosweydes an den englischen Protoantiquar William Camden (1551–1623), ob sich „in den englischen Bibliotheken […] ein Martyrologium Bedas, Usuards oder ähnlich alter Autoren“ auffinden lassen würde, 107 drei Schreiben, die Rosweyde von dem Pariser Jesuiten Denis Peteau (1583–1652) erhalten hatte, 108 ein der griechischen Hagiographie –––––––—

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Quétif et les Bollandistes. Huit lettres inédites des deux Dominicains, in: ebd., S. 147–179; ders., Jacques Sirmond et les débuts du Bollandisme, in: Anal. Boll. 119 (2001), S. 345–356; ders., Pierre-François Chifflet, Charles du Cange et les Bollandistes. Un nouveau volume du „Tabularium hagiographicum“, suivi d’une lettre partiellement inédite de Papebroch à Du Cange, in: Anal. Boll. 123 (2005), S. 185–189. Dieser Besprechung folgt ein im Februar 2005 neu aufgefundener, bislang nur teilweise gedruckter Brief Papebrochs an Du Cange, ebd., S. 186f.; ders., Une lettre inédite d’Aubert Le Mire à Héribert Rosweyde, in: Anal. Boll. 124 (2006), S. 44. Vgl. zuletzt ders., Jean-Paul Oliva, Charles de Noyelle et les Bollandistes d’après les archives bollandiennes, in: Anal. Boll. 125 (2007), S. 139–197. Vgl. Pasquier Quesnel et les Pays-Bas. Correspondance, publiée avec introduction et annotations par J. A. G. Tans (Publications de l’Institut Français d’Amsterdam. Maison Descartes 6), Groningen/Paris 1960, Nr. 2, S. 2–4, Nr. 7, S. 10f. Abgedruckt wurde hier ferner eine Abhandlung über Dionysios Areopagites, die Quesnel für die Bollandisten verfasst hatte: De scriptis Dionysianis epistola Paschasii Quesnel Oratorii D. Jesu presbyteri ad Rev. et. Doctiss. virum Danielem Papebrokium e Societate Jesu, in: ebd., Nr. 7a, S. 11–47. Vgl. den ersten Brief: Muratori a Corrado Janning, Mediolani Id. Ian. 1698, in: L. A. Muratori, Epistolario, Bd. 1: 1691–1698, hrsg. v. Matteo Càmpori, Modena 1901, Nr. 262, S. 286f.; zu den übrigen die Nachweise von Baudouin de Gaiffier, Lettres de Bollandistes à L. A. Muratori, in: Rivista di storia della Chiesa in Italia 4 (1950), S. 126–136, hier S. 126f. mit Anm. 5. Die an Muratori gesandten Briefe sind in Càmporis Ausgabe nicht enthalten. Im Fall der Bollandisten handelt es sich um 6 Schreiben Papebrochs und 13 Schreiben Jannincks an Muratori. Vgl. ebd., S. 127ff. Vgl. unten S. 328 mit Anm. 4. Vgl. Heribertus Rosweydus G. Camdeno, in: V. CL. || GULIELMI CAMDENI, || ET || ILLUSTRIUM VIRORUM || AD G. CAMDENUM || CUM || APPENDICE VARII ARGUMENTI. || Accesserunt || Annalium Regni Regis Jacobi I. Apparatus, || ET || Commentarius de Antiquitate, Dignitate, & Officio || COMITIS MARESCALLI ANGLIÆ. || Præmittitur || G. CAMDENI VITA. || Scriptore THOMA SMITHO S. T. D. || Ecclesiæ Anglicanæ Presbytero. || LONDINI, || Impensis RICHARDI CHISWELL ad Insigne || Rosæ Coronatæ in Cœmeterio D. Pauli. MDCXCI, Nr. CXX, S. 162: „Valde optarem in Anglicis bibliothecis inquiri Martyrologium Bedæ, Usuardi, vel similium veterum.“ Vgl. Peteau an Rosweyde, Paris, 2. April 1623, in: DIONYSII || PETAVII || AVRELIANENSIS || E SOCIET. IESV || EPISTOLARVM || LIBRI TRES. || PARISIIS, ||

35 geltender Brief von Johannes van Meurs (Meursius) (1579–1639) 109 oder Bollands wohl vergeblichen Versuch, mit Voss näher in Kontakt zu treten. 110 Nahezu in seiner Gesamtheit ungedruckt ist hingegen der Briefverkehr mit den katholischen Gelehrten im Reich. 111 Pitra hat immerhin, aus der Bibliothek der Bollandisten, ein Schreiben Bollands an den Jesuiten Johan-

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Apud SEBASTIANVM CRAMOISY, Regis ac Reginae || Architypographum, viâ Iacobæâ, sub Ciconiis. || Et GABRIELEM CRAMOISY. || M. DC. LII. || CVM PRIVILEGIO REGIS., Nr. 18, S. 201–205; Peteau an Rosweyde, Paris, 12. Dez. 1624, in: ebd., Nr. 19, S. 205f.; Peteau an Rosweyde, Paris, 19. Nov. 1627, in: ebd., Nr. 20, S. 207–209. Vgl. Meursius an Rosweyde, Antwerpen, 20. Feb. 1613, in: MARQUARDI GUDII || ET DOCTORUM VIRORUM AD EUM || EPISTOLÆ. || Quibus accedunt ex Bibliotheca Gudiana CLARISSIMORUM ET || DOCTISSIMORUM VIRORUM, qui superiore & nostro || sæculo floruerunt; || ET || CLAUDII SARRAVII || Senatoris Parisiensis || EPISTOLÆ || Ex eadem Bibliotheca auctiores. || Curante || PETRO BURMANNO. || ULTRAJECTI, || Apud FRANCISCUM HALMAM./ GULIELMUM vande WATER. Bibliopol. || M. DC. XCVII., S. 278f. Vgl. Bolland an Voss, Antwerpen, 20. April 1639, in: GERARDI JOAN. VOSSII || ET || CLARORUM VIRORUM || AD EUM || EPISTOLÆ, || Collectore || PAULO COLOMESIO || Ecclesiæ Anglicanæ Presbytero || Londini nuper editæ, || Nunc accuratius recusæ; || Argumentis & || INDICIBUS NECESSARIIS || Auctæ. || Opus omnibus Philologiæ & Ecclesiasticæ || Antiquitatis Studiosis utilissimum. || Quibus accessit || DODECAS EPISTOLARUM || CLARISSIMI VIRI || GEORGII HIERONYMI VELSCHII, || AUGUSTÆ VINDELICORUM, || Sumptibus LAURENTII KRONIGERI, & Hæred. || GOEBELIANORUM. || Typis Schönigianis. M. DC. XCI., Teil 2 [eigenständig paginiert]: Clarorum virorum ad Vossium epistolæ, Nr. 281, S. 205b–206a. Anlass des Schreibens war ein Werk „de […] quibus sanctorum reliquiis, aliisque antiquis monumentis“, das der päpstliche Nuntius in Spanien, Laurentius Cocchius, Voss zukommen lassen wollte. Bolland, der mit der Sendung beauftragt war, nahm dies zum Anlass, um die eigene Person vorzustellen: „[…] Eâ nunc utor occasione, D. T. salutandi, offerendique ei obsequium meum. Notus Opinor, Dominationi tuæ, fuit Heribertus Rosweydus. Et vastum opus, de sanctorum vitis, meditabatur, collegeratque jam plurima, mihi adhuc digesserat, cum eum mors, anno ætatis 60. oppressit. Ne frustrà ei labor susceptus esset, adjeci ad ea, quæ congesserat, ordinanda animum […].“ Der zweite Brief, Bolland an Voss, Antwerpen, Juni 1644, in: ebd., Nr. 392, S. 293b, nahm Jahre später auf diese Sendung Bezug. Er legt nahe, dass Voss auf jenes Schreiben nicht geantwortet hat. Bolland bat Voss um Rückmeldung bei Cocchius, da dieser von „Geistesart der Italiener“ sei und Voss’ Schweigen als Geringschätzung oder als Unzuverlässigkeit Bollands auslegen könnte: „Si otium esset eruditissmo Viro, ut paucis ei [Cocchius] rescriberet, rem mihi gratissimam faceret; vereor enim ne, ut est genius Italorum, se vel ab eo contemptum, vel à me delusum existimet.“ Über diese frühneuzeitlichen Abdrucke informieren die Artikel von Sommervogel. Ein zentraler Publikationsort, an dem sich auch die bereits vorher gedruckten Briefe zusammenfanden, waren Pieter Burmanns (1668–1741) Syllologes epistolarum von 1727. Vgl. Benz, Tradition (2003), S. 74ff. Benz selbst hat auf handschriftliche Briefe in Wien, München, Würzburg und Köln zurückgegriffen; vgl. ebd., S. 74 mit Anm. 252, S. 76 mit Anm. 263, S. 77 mit Anm. 264, S. 201 mit Anm. 155.

36 nes Gamans (1605–1684) vom 12. Juni 1643 publiziert. 112 Gamans war die zentrale Vermittlungsfigur für die Materialbeschaffung in den süddeutschen Territorien. 113 Der älteste in den Collectanea bollandiana erhaltene Brief datiert auf den 17. Juni 1644. 114 Der Kontakt bestand allerdings schon länger. Er dürfte auf Gamans’ Zeit in der flandro-belgischen Ordensprovinz in den 1630er Jahren zurückzuführen sein. 115 Im Fall einer Lebensbeschreibung des hl. Symeon Stylites d. Ä. († 389/90?), die in den Collectanea bollandiana erhalten ist, verweisen Marginalien Bollands auf den Erhalt dieser Vita im Jahr 1641. 116 Die in der Sammelhandschrift folgende Abschrift einer metrischen Vita des – vielleicht Mitte des 7. Jahrhunderts verstorbenen – hl. Hadelinus trägt in Gamans’ Hand den Vermerk, sie „an[no] 1636“ aus einer Einsiedelei erhalten zu haben, die sich offenbar dort („vbi S. Hadelini vixit et obijt“) gehalten hatte, wo sich das ehemalige Kloster Celles bei Dinant, südlich von Namur, befunden hatte. 117 Wann genau die Vita an Bolland gelangte, ist damit allerdings nicht geklärt. –––––––— 112 113 114 115

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Vgl. Bolland au P. Gamans, Anvers, 12 juin 1643, in: Pitra, Études (1850), Nr. II,5, S. 198f. Vgl. Benz, Tradition (2003), S. 76f. Vgl. Bolland an Gamans, Antwerpen, 17. Juni 1644, BRB, Coll. boll. Ms. 8935 (3497), fol. 101r–v. Vgl. Bernhard Duhr, Geschichte der Jesuiten in den Ländern deutscher Zunge, Bd. 2: Geschichte der Jesuiten in den Ländern deutscher Zunge in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, Teil 2, Freiburg i. Br. 1913, S. 284f.; ders., Geschichte, Bd. 3: Geschichte der Jesuiten in den Ländern deutscher Zunge in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, München/Regensburg 1921, S. 557–560; ferner Art. Gamans, Jean, in: Sommervogel, Bd. 3, 1892, Sp. 1148–1150; Art. Gamans, Johann, in: Ludwig Koch, Jesuiten-Lexikon. Die Gesellschaft Jesu einst und jetzt (Paderborn 1934), Teil 1, Löwen-Heverlee 1962, Sp. 636. Vgl. Vita sancti symeo[n]is, BRB, Coll. boll. Ms. 8228 (3459), fol. 22r–31v, hier fol. 22r, in der Hand Bollands am oberen rechten Rand: „accepi à P. Joan[ne] Gamans 1641.“ Vgl. Sancti Hadelinj Ecclesiæ Cellens[is] Patroni Vita in versus redacta per Hadelinum Bietlot Præsbiterum Cellensem Anno à Christo nato Millesimo Quinquentesimo Octuagesimo nono ætatis vero suæ circiter quadragesimo secundo, ebd., fol. 32r–49r, hier fol. 32r. Dieses von Hadalinus/Hadelinus gegründete Kloster und spätere Kollegiatstift war 1338 nach Visé verlegt worden. Vgl. zur Person Richard Forgeur, Art. Hadalinus, in: LThK, Bd. 4, 21960, Sp. 1304. Wenn hier und im Folgenden die ältere Ausgabe des LThK zitiert wird, dann in solchen Fällen, in denen man für die neuere Ausgabe auf die jeweiligen Artikel verzichtet hat. In den Acta Sanctorum wurden aus dieser frühneuzeitlichen Vita Hadalini nur einige Passagen innerhalb der einleitenden Teile des Dossiers zitiert. Vgl. dazu die Bemerkungen: I[oannes] B[ollandus], De S. Hadalino Presbytero, Viseti et Cellis in Belgio, in: AASS Februarii, Bd. 1, 1658, 3. Feb., S. 366–377. Commentarius præuius, ebd., S. 366–372, hier S. 368b: „Aliam elegiaco carmine compositam Vitam dedit Ioanni Gamansio nostro Eremita Sacerdos cellulæ supra tumulum S. Hadelini incola, quæ hunc titulum præfert: S. Hadelini Ecclesiæ Cellensis Patroni Vita, in versus redacta […]. Eam frequenter inferiùs citamus; integram dare operæ pretium non fuit.“ Zuvor hatte Bolland im Rahmen des Commentarius praevius aus ihr zitiert, erkennbar an der Versform. Keine Spuren hat hingegen Gamans abschriftliche Version der Vita Symeonis in den

37 In Delehayes Epochenabriss war Gamans nur an einer Stelle in Erscheinung getreten. Mit Pierre van den Bossches (1689–1736) Elogium Janningi berichtete Delehaye von jener obskuren Episode, als Janninck und François Baert (1651–1719) sich im Mai 1688 in Aschaffenburg aufhielten, um die hagiographisch relevanten Hinterlassenschaften Gamans’ in Besitz zu nehmen. Diese hätten allerdings, wie es hieß, auf dem Transport nach Frankfurt Schiffbruch erlitten, so dass sie für die Acta Sanctorum verloren gewesen seien. 118 Leibniz hatte sich schon 1686 darum bemüht, Zugriff auf diese Bestände zu erlangen und sich bei Papebroch nach ihnen erkundigt. 119 Papebroch hatte damals noch geantwortet, dass er, was die Heiligen anbelange, den größten Teil der Sammlung bereits zu Gamans’ Lebzeiten erhalten habe. Auf seine eigene Anfrage sei ihm erwidert worden, dass der Bestand bis auf weiteres in Aschaffenburg verwahrt werden solle. 120 In Aschaffenburg selbst konstatierte Janninck, an Papebroch gewandt, am 26. Mai 1688, dass der Rektor des Kollegs der Jesuiten Heinrich Schönmann (1635–1691) ihnen angeboten habe, Gamans’ Materialien zu benutzen, sofern sie bereit –––––––— 118

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Acta Sanctorum hinterlassen. Vgl. De S. Simeone Stylita, in: AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, 5. Jan., S. 261–286. Vgl. Delehaye, Œuvre (21959), S. 61f.: „En 1688, s’organisa une expédition à travers l’Allemagne. C’est encore Janninck qui en fut chargé, en compagnie du P. Baert. […] A Aschaffenbourg, il leur fut permis de fouiller les papiers laissés en grand nombre par le P. Gamans. Les Acta Sanctorum ne devaient pas profiter de la part qu’ils prélevèrent sur cet héritage. Elle périt tout entière avec le bateau qui la transportait à Francfort-sur-le Main.“ Boschius, Elogium Janningi, AASS Iulii, Bd. 3, 1723, S. 4a: „Divitiæ longe maximæ Aschaffenburgi repertæ, scriptorum, inquam R. P. Joannis Gamans, immensa congeries: unde seligere non pauca per superiores licuit, quæ ad Sanctos, undecumque collecta, pertinebant; sed ea (proh dolor!) cum Aschaffenburgo Francofurtum aliquanto post nostrorum discessum veherentur, invidus Mœnus lethalis undis æternaque, uti subinde renuntiatum est, oblivione demersit.“ Vgl. dazu jetzt Bernard Joassart, Le voyage littéraire de Conrad Janning et François Baert en Allemagne, Bohême, Autriche et France (1688), in: Anal. Boll. 123 (2005), S. 90–132, hier S. 95; Godding/Joassart/Lequeux [u. a.], Bollandistes (2007), S. 71. Vgl. Leibniz an Daniel Papebroch, Hannover 14. (24.) Mai 1686, in: Leibniz, Schriften, Reihe 1: Briefwechsel, Bd. 4 (1950), Nr. 484, S. 582–586, hier S. 585: „Notitiam olim habui cum R. P. Gamansio Societatis Vestræ, qvando ego Francofurti agebam, ille Aschaffenburgi, sed multi sunt anni, et vereor ne interim obierit ille, atqve collectanea sanè egregia, sint dissipata. Præsertim cùm pauci sint in Germania qvi talia curent.“ Vgl. Daniel Papebroch an Leibniz, Antwerpen, 14. Oktober 1686, in: ebd., Nr. 498, S. 599f., hier S. 599: „[…] ad illud tuarum litterarum punctum, quo quærebas de Ioanne Gamansio nostro, viveretne, et quid factum sit collectaneis eius. Defectum suppleo, et significo vixisse ab annis circiter tribus: quæ in collectaneis habebat spectantia ad Sanctos, ea vivus adhuc pleraque ad me misit: post mortem, quærens factum esset ceteris, responsum est, omnia Aschaffenburgi diligenter servari, si forte aliquando constituatur aliquis qui ferraginem istam in ordinem redigat: ut autem mihi mitterentur persuadere non potui; […].“ Vgl. dazu auch Duhr, Geschichte, Bd. 3, 1921, S. 557, der sich auf ein späteres Schreiben stützte, aus dem Leibniz’ Interesse hervorgeht: Leibniz an Otto Grote, (Wien, Ende November 1688), in: Leibniz, Schriften, Reihe 1: Briefwechsel, Bd. 5 (1954), Nr. 168, S. 305–307, hier S. 306.

38 wären, eine Erzbischof Anselm-Franz von Ingelheim (reg. 1679–1695) zu widmende Geschichte des Mainzer Erzbistums zu verfassen. Janninck zeigte sich allerdings unschlüssig. Er zog in Erwägung, nach dem Vorbild anderer selbstständiger Abhandlungen, die Papebroch für die Acta Sanctorum verfasst hatte, zunächst einen Überblick zu schreiben und diesen, mit Blick auf die einzelnen Erzbischöfe, nach und nach zu ergänzen. Gegebenenfalls könne man sich das Ganze, so Janninck, durch Pfründe finanzieren lassen. Zugleich war er sich nicht sicher, ob Schönmann es den Bollandisten gestatten würde, die in Aschaffenburg in einem ersten Schritt ausgewählten Materialien auch wirklich mit sich zu führen. 121 Am 6. Juni notierte Janninck, dass eine Unterredung in Bamberg mit dem Provinzial der Provinz Germania superior Augustin Borler (1632–1698) wenig ermutigend verlaufen sei. Dieser erwarte von den Bollandisten eine Abhandlung über das Fest Mariä Himmelfahrt und zeige wenig Interesse, ihnen in der Sache Gamans behilflich zu sein. 122 Zehn Tage später beklagte Janninck lautstark („Sed heus!“) keineswegs, dass die bereits ausgewählten Teile im Main versunken wären, sondern dass Schönmann sie in Frankfurt einem Kaufmann aus Gründen der Sicherheit („periculo iacturae“) zum Transport nach Belgien übergeben

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Vgl. Litterae ex itinere Viennensi anno 1688 scriptae quae loco diarii gestorum esse possunt, in: Joassart, Voyage (2005), S. 100–132, hier Nr. 7, Aschaffenburg, 26 mai 1688, S. 109: „De Collectaneis P. Gamans quid dicam? Vix ulli erunt hic usui, ut animadverto, paulatim dissipanda, hinc et P. Rector huius Collegii insinuavit, si nos Historiam saltem Archiepiscopatus Moguntani [!] concinnare inde vellemus et dedicare Archiepiscopo, collaboraturum se ut omnia nobis concedantur, quae insuper sunt, videlicet omnes notitiae 12 Episcopatuum Moguntino subiectorum. […] De facienda tamen historia Moguntina nihil promittam, nisi quod R. Va hac in re censuerit. Interim ego sic censeo, posse de Archiepiscopis Moguntinis agi, uti de Mediolanensibus et Hierosolymanis deducta aliquanto latius historia ut iustum volumen impleatur. De aliis deinde Episcopatibus duodecim fieri possent successive totidem tractatus praeliminares. Venit mihi etiam in mentem, posse fortassis sub conditione faciendae historiae Moguntinae moveri Archiepiscopum, ut nobis assignet sustentationem per beneficia ecclesiastica. Si enim pro Diœcesi eius laboramus cur non et inde sustemur? […] Quae seposuimus iam ex scriptis P. Gamans, nescio an P. Rector permissurus sit, ut auferamus.“ Die angesprochenen Abhandlungen waren der Tractatus præliminaris II quo chronologice deducitur series episcopum et archiepiscopum Mediolanensium usque ad annum Christi MCCLXI. Ex vetustis Catalogis Mss. Bibliothecæ Ambrosianæ. A G. Henschenio transcriptis & à D. Papebrochio illustratis, in: AASS Maii, Bd. 7, 1688, S. LIV–LXXXIII, und der unten S. 694 mit Anm. 188, S. 737f., diskutierte Traktat Papebrochs über die Patriarchen und Bischöfe von Jerusalem. Vgl. Litterae, in: Joassart, Voyage (2005), Nr. 8, Bamberg, 6 juin 1688, S. 110f., hier S. 110: „Invenimus hic R. P. Provincialem, P. Augustinum Borler, cum eoque egi de scriptis P. Gamans dixique posse chronologiam Episcoporum Moguntinorum inde fieri, praecipuis quibusque rebus ad Episcopatum cuiuslibet relatis. Respondit autem se circa festum Assumptae Virginis futurum Aschaffenburgi, eaque super re litteras R. Vae tum expectaturum. […] Id moneo, ut non nimis cupidum se ostendat nanciscendi scripta illa.“

39 habe. 123 Über den weiteren Weg der Dokumente ist nichts bekannt. Will man Janninck nicht geradezu prophetische Fähigkeiten zuschreiben, dürfte van den Bossche, in Verwendung dieser Quelle, Jannincks Zweifel an der Klugheit dieses Entschlusses paraphrasiert („proh dolor!“) und als Beschreibung des Verlusts gedeutet haben. Wenn Schönmann die damals gesichteten Aufzeichnungen also wirklich auf den Weg gebracht haben sollte, dann ist es keineswegs auszuschließen, dass sie auch in Antwerpen eintrafen. 124 Die Hinterlassenschaften der Bollandisten müssten auf diese Frage hin allerdings erst ausgewertet werden. Als Angehörige eines jungen Ordens konnten die Bollandisten nicht auf historisch gewachsene Bibliotheken ihrer eigenen Institution zurückgreifen. Ohne die mit den Korrespondenzen etablierte Kultur der Abschriften hätte es die Acta Sanctorum also nie gegeben. Als Teil des Versuchs, den eigenen Zugriff weiter zu systematisieren, sind die sogenannten Gelehrtenreisen der Bollandisten zu bewerten. Udo Kindermann gab 2002 jenes Reisetagebuch heraus, das Papebroch verfasste, als er und Henschen sich zwischen Juli 1660 und Dezember 1662 durch die Bibliotheks- und Kirchenlandschaften des Reichs, Italiens und Frankreichs bewegten. Es handelt sich um die erste größere und bekannteste der Reisen, die die Vertreter der Acta Sanctorum im Laufe der Zeit unternahmen. Der von Kindermann edierte Text beinhaltet die Darstellung der Fahrt durch die Territorien des Reichs bis zu den Aufenthalten in Trient und Rovereto. 125 Die Stationen in Italien und Frankreich, die von Mario Battistini und neuerdings Joassart dargestellt und dokumentiert worden sind, erschließen sich vor allem aus den Briefen, die Henschen an Bolland schrieb. 126 –––––––— 123

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Vgl. ebd., Nr. 10, Chomutov, 16 juin 1688, S. 111f., hier S. 112: „Sed heus! oblitus nuper fui significare, ut certum mercatorem designet Francofurti, ad quem P. Rector Aschaffenburgensis Henricus Schönman mittat scripta P. Gamans a nobis seposita, per eundem porro in Belgium dirigenda. Cupit enim eiusmodi missionem sine periculo iacturae esse; quod rectius per mercatores quam per nostros fiet.“ Vgl. zu Gamans’ Nachlass Benz, Tradition (2003), S. 77 mit Anm. 267. Vgl. Kunstdenkmäler zwischen Antwerpen und Trient. Beschreibungen und Bewertungen des Jesuiten Daniel Papebroch aus dem Jahre 1660. Erstedition, Übersetzung und Kommentar von Udo Kindermann, Köln/Weimar/Wien 2002. Das heute im Museum Bollandianum aufbewahrte Autograph wird unter dem Titel Diarium itineris romani anno 1660 geführt. Im Folgenden wird es unter diesem Namen zitiert. Der im Titel geführte Ausdruck der „Erstedition“ ist zu relativieren, da nicht wenige Abschnitte des Tagebuchs bereits in regionalhistorischen und heimatkundlichen Zeitschriften, teils von Kindermann selbst, publiziert worden sind. Vgl. etwa ders., Südund Welschtiroler Kunstdenkmäler im 17. Jahrhundert. Erstedition und Übersetzung eines lateinischen Reiseberichts des Bollandisten Daniel Papebroch, in: Der Schlern 66 (1992), S. 17–42, hier S. 18 Anm. 1ff., hier mit den Nachweisen der bis dato vorliegenden Abdrucke und Übersetzungen. Vgl. zu den Stationen in Italien die Nachweise von Mario Battistini, I padri bollandisti Henschenio e Papebrochio a Roma nel 1660–61, in: Archivio della R. Società romana di Storia patria 53–55 (1930–32), S. 1–40, hier S. 2 Anm. 1; Battistini skiz-

40 Auf weiteres Schrifttum, das im engeren oder weiteren Kontext des Unternehmens anzusiedeln ist, 127 sei hier nur kursorisch verwiesen. Ebenso wie die methodischen und historiographischen Abhandlungen, die den einzelnen Bänden der Acta Sanctorum vorangestellt worden waren, sind bereits Mitte des 18. Jahrhunderts die wichtigsten Kontroversschriften in einem eigenen Band versammelt worden. 128 Im 19. Jahrhundert edierten Frans Hendrik Mertens und Ernest Buschmann Papebrochs Manuskript der auf 3500 Seiten entwickelten Annales Antverpienses, die von einem Kommentar zum hl. Norbert von Xanten († 1134) ihren Ausgang genommen hatten. 129 Ein seinerzeit prominentes, heute aber nur selten mit den Bollan–––––––—

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zierte in seinen zahlreichen kleineren Beiträgen, auch im Rekurs auf die Korrespondenzen, Reisewege und Kontakte. Teilweise bot er im Anhang Abdrucke einiger Briefe. Vgl. etwa ders., I padri bollandisti Henschenio e Papebrochio in Toscana nel 1661, in: Rivista storica degli archivi toscani 2 (1930), S. 280–305, hier S. 297–305. Drei der insgesamt sechs veröffentlichten Dokumente sind Briefe Magliabechis (Nr. 2, 4, 6), die auch in die systematische Ausgabe von Battistini, Centenario (1942/43), aufgenommen worden sind; vgl. zu Frankreich François Halkin, Témoignages des premiers bollandistes sur leur passage en Bourgogne et à Paris (I. Lettres d’Henskens à Bolland; II. Extraits du „Diarium itineris romani“ de Papebroch), in: Anal. Boll. 65 (1947), S. 71–106; jetzt Bernard Joassart, Henschen et Papebroch en France en 1662. Savoie – Dauphiné – Normandie – Flandres, in: Anal. Boll. 124 (2006), S. 93–150; ders., Henschen et Papebroch à Paris en 1662, in: ebd., S. 359–400. Die hier von Joassart gedruckten Schreiben stammen aus dem Ms. 7761 der Bibliothèque royale. Dieser Bestand erschließt sich, soweit ich sehe, nicht aus den Handschriftenkatalogen. Nach Joassart, Voyage (2005), S. 90 mit Anm. 2, beinhaltet er über 140 Briefe Henschens an Bolland. Abschriften dieser Briefe und des Diarium von 1660/62 enthält das Ms. 17671–72 der Bibliothèque royale. Vgl. Van den Gheyn, Catalogue, Bd. 11: Histoire de Hollande. Mélanges d’histoire. Géographie. Voyages, itinéraires, expéditions, Brüssel 1927, Nr. 7404, S. 270. Aus diesem Bestand hat Pitra einige Auszüge publiziert: Godefroi Henschenius, Fragments de ses lettres au P. Bolland. Pendant son voyage de Rome. (In itu, mora et reditu Romano, annis 1660– 1662), in: Pitra, Études (1850), Nr. III, 1–6, S. 199–202. Die verschiedenen Ausgaben der Acta Sanctorum, die Teilpublikationen, Übersetzungen und separate wissenschaftliche Publikationen der Bollandisten erschließen sich aus dem posthum zusammengestellten Guide bibliographique, in: Delehaye, Œuvre (21959), S. 166–189. In der vorliegenden Arbeit wurde im Regelfall die älteste Ausgabe konsultiert. Die einzige wesentliche Ausnahme bildet zweite Band des Monats April, der in der Ausgabe Paris und Rom von 1866 benutzt wurde. Vgl. ACTA || SANCTORUM || BOLLANDIANA || Apologetis libris in unum volumen nunc primum contractis || VINDICATA. || SEU || SUPPLEMENTUM APOLOGETICUM || AD ACTA BOLLANDIANA || Sanctissimo Domino Nostro Papæ || BENEDICTO XIV. || D. D. D. || ANTUERPIÆ || Apud Bernardum Albertum Vander Plassche. || MDCCLV. Die Sammlung der einleitenden Abhandlungen erschien zwischen 1749 und 1751 in drei Bänden. Sie war Teil der in Venedig gedruckten Ausgabe der Acta Sanctorum und wurde hier nicht benutzt. Vgl. Delehaye, Œuvre (21959), Guide bibliographique, S. 169. Vgl. Annales Antverpienses. Ab urbe condita ad annum M.DCC. Collecti ex ipsius civitatis monumentis. Publicis privatisque latinae ac patriae linguae usque fere manu exaratis auctore Daniele Papebrochio S. I. Ad cod. ms. ex. Bibl. Regia quae vulgo Burgundica vocatur ediderunt F. H. Mertens, et Ern. Buschmann, 4 Bde., Antwerpen

41 disten assoziiertes historiographisches Erzeugnis ist die Imago primi saeculi von 1640. Es handelt sich um den von Bolland und Henschen gestalteten und außerhalb wie innerhalb des Ordens – aufgrund des exaltierten Eigenlobs – durchaus umstrittenen Festbeitrag der flandro-belgischen Ordensprovinz aus Anlass der Jubelfeiern, mit denen das einhundertjährige Bestehen des Ordens begangen wurde. 130

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1845–1847. Vgl. zum Schreibanlass Papebroch, Ad lectores philopatridas. De occasione ac stylo operis, eoque collatis per amicos monumentis et adiumentis, in: ebd., Bd. 1 (1845), S. I–XVI, hier S. I: „Tomo primo de Actis Sanctorum Iunii finem impositurus cum S. Norberto, Archiepiscopo Magedeburgensi, Ordinis Praemonstratensis Fundatore, atque Antverpiensium, post Normannicam vastationem resurgentium Apostolo; dum rogor illius Actis addere brevem notitiam Abbatiae, apud nos per ipsum institutae, multa repperi, quae, si in ordinem Annalium digererentur, posset Patriae nostrae Historia, a Christophoro Stella, Ludovico Guicciardino, Ioanne Bapt. Grammago, Carolo Scribanio, Iacobo le Roy, aliisque dumtaxat delibata, ab initio usque ad finem seculi XVII. integrari.“ Vgl. zum Manuskript Mertens/Buschmann, Praefatio editorum, in: ebd., S. I–VII, hier S. II. Vgl. unten Kap. 4.1.1.

2 Gelehrtenrepublik und Wissen(schaft)sgeschichte In ihrer Anlage schließt die vorliegende Arbeit, grob gesprochen, an die von Helmut Zedelmaier und Martin Mulsow seit einigen Jahren geforderte und beförderte Beschäftigung mit den „Praktiken der Gelehrsamkeit“ an, durch die jenseits der Konzentration auf Ideen, Begriffe und Konzepte auch das Studium der Formen, Umstände und Bedingungen gelehrten Tuns in der frühen Neuzeit etabliert werden soll. 1 Dieser Ansatz kann zunächst als eine Erweiterung und Modifikation der älteren Ideengeschichte begriffen werden. Er trifft sich auf der einen Seite mit den vor allem in Frankreich und den Niederlanden gepflegten Analysen der Strukturen der Respublica litteraria. 2 Auf der anderen Seite grenzt er an ein aktuelles und allgemeineres –––––––— 1

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Vgl. Martin Mulsow, Die Frühe Neuzeit als Gegenstand einer neuen Kulturgeschichte, in: Dialektik 1998, H. 1, S. 149–157, hier S. 150f.; ders., Kulturkonsum, Selbstkonstitutionen und intellektuelle Zivilität. Die Frühe Neuzeit im Mittelpunkt des kulturgeschichtlichen Interesses, in: ZHF 25 (1998), S. 529–547, hier S. 544ff.; Helmut Zedelmaier/Martin Mulsow, Einleitung, in: Die Praktiken der Gelehrsamkeit in der Frühen Neuzeit, hrsg. v. dens. (Frühe Neuzeit 64), Tübingen 2001, S. 1–7, hier S. 1ff.; ferner ders., Moderne aus dem Untergrund. Radikale Frühaufklärung in Deutschland. 1680–1720, Hamburg 2002, S. 8–40; Frank Büttner/Markus Friedrich/ Helmut Zedelmaier, Zur Einführung, in: Sammeln, Ordnen, Veranschaulichen. Zur Wissenskompilatorik in der Frühen Neuzeit, hrsg. v. dens. (Pluralisierung und Autorität 2), Münster 2003, S. 9–12, hier S. 9f. Mulsow sucht diesen Ansatz als „Alltagsgeschichte der Gelehrsamkeit“ zu konzeptionalisieren. Vgl. zuletzt ders., Eine Reise durch die Gelehrtenrepublik. Soziales Wissen in Gottlieb Stolles Journal der Jahre 1703–1704, in: Kultur der Kommunikation. Die europäische Gelehrtenrepublik im Zeitalter von Leibniz und Lessing, hrsg. v. Ulrich Johannes Schneider (Wolfenbütteler Forschungen 109), Wiesbaden 2005, S. 185–201, hier S. 185–189. Vgl. Hans Bots/Françoise Waquet (Hrsg.), Commercium litterarium. La communication dans la République des Lettres. 1600–1750. Conférences des colloques tenus à Paris 1992 et à Nimègue 1993, Amsterdam/Maarsen 1994; Hans Bots/Françoise Waquet, La République des Lettres (Europe & histoire), Berlin 1997; Emmanuel Bury, Espaces publics, espaces privés. Les lieux du débat d’idées au XVIIe siècle, in: Le Public et le Privé, hrsg. v. Antony McKenna/Pierre-François Moreau (Libertinage et philosophie 3), Saint-Étienne 1999, S. 89–107. Das Studium der Respublica litteraria ist in gewisser Weise das Komplement zu dem in Deutschland etablierten Konzept der aufklärerischen Öffentlichkeit, ohne dass ihr deren Konzentration auf das 18. Jahrhundert oder die Exposition einer als dominierend bewerteten Schicht, des Bürgertums, eignete. Vgl. dazu kurz Ute Daniel, How Bourgeois Was the Public Sphere of the Eighteenth Century? Or: Why it Is Important to Historicize „Strukturwandel und Öffentlichkeit“, in: Das Achtzehnte Jahrhundert 26 (2002), S. 9–17. Eine stärkere sozialgeschichtliche Ausrichtung der nach wie vor ideengeschichtlich ange-

43 Interesse an Aspekten des „Wissens“ und Fragen des „Medialen“, das eine Hinwendung zu solchen Phänomenen mit sich gebracht hat, die mit der räumlichen oder materiellen Bindung von Informationen in Verbindung stehen, mit den Arten und Mechanismen ihrer Verwahrung oder gesellschaftlichen Streuung. 3 Thematische Zentren bilden bisher etwa Korrespondenzen als Ausdruck der szientistischen Vernetzung, 4 enzyklopädische Gattungen, die sich mit der Verbreitung und Popularisierung gelehrter –––––––—

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legten Forschung zur Respublica litteraria wäre dabei durchaus zu wünschen. Vgl. Daniel Roche, Les républicains des lettres. Gens de culture et Lumières au XVIIIe siècle (Nouvelles études historiques), Paris 1988, S. 7–22. Diese Entwicklungen haben noch keinen deutlichen Niederschlag in den ideengeschichtlichen Überblicksdarstellungen gefunden. Vgl. Günther Lottes, Neue Ideengeschichte, in: Kompass der Geschichtswissenschaft. Ein Handbuch, hrsg. v. Joachim Eibach/Günther Lottes (UTB für Wissenschaft 2271), Göttingen 2002, S. 261–269; Luise Schorn-Schütte, Neue Geistesgeschichte, in: ebd., S. 270–280; Lutz Raphael, „Ideen als gesellschaftliche Gestaltungskraft im Europa der Neuzeit“. Bemerkungen zur Bilanz eines DFGSchwerpunktprogramms, in: Ideen als gesellschaftliche Gestaltungskraft im Europa der Neuzeit. Beiträge für eine erneuerte Geistesgeschichte, hrsg. v. dems./HeinzElmar Tenorth (Ordnungssysteme. Studien zur Ideengeschichte der Neuzeit 20), München 2006, S. 11–27. Vgl. Martin Gierl, Korrespondenzen, Disputationen, Zeitschriften. Wissensorganisation und die Entwicklung der gelehrten Medienrepublik zwischen 1670 und 1730, in: Macht des Wissens. Die Entstehung der modernen Wissensgesellschaft, hrsg. v. Richard van Dülmen/Sina Rauschenbach, Köln/Weimar/Wien 2004, S. 417–438; Johannes Burkhardt/Christine Werkstetter (Hrsg.), Kommunikation und Medien in der Frühen Neuzeit (HZ Beih. N. F. 41), München 2005; Marian Füssel, Auf dem Weg zur Wissensgesellschaft. Neue Forschungen zur Kultur des Wissens in der Frühen Neuzeit, in: ZHF 34 (2007), S. 273–289; Markus Völkel, „Lob des Blüthenstaubs“ oder „musivisches Werk“? Neuerscheinungen auf dem Gebiet der Wissensgeschichte, in: AKG 89 (2007), S. 191–216. Vgl. Franz Mauelshagen, Netzwerke des Vertrauens. Gelehrtenkorrespondenzen und wissenschaftlicher Austausch in der Frühen Neuzeit, in: Vertrauen. Historische Annäherungen, hrsg. v. Ute Frevert, Göttingen 2003, S. 119–151; Michael Kempe, Gelehrte Korrespondenzen. Frühneuzeitliche Wissenschaftskultur im Medium postalischer Kommunikation, in: Die Medien der Geschichte. Historizität und Medialität in interdisziplinärer Perspektive, hrsg. v. Fabio Crivellari/Kay Kirchmann/Marcus Sandl [u. a.] (Historische Kulturwissenschaft 4), Konstanz 2004, S. 407–429; Thomas Wallnig, Gelehrtenkorrespondenzen und Gelehrtenbriefe, in: Quellenkunde der Habsburgermonarchie (16.–18. Jahrhundert). Ein exemplarisches Handbuch, hrsg. v. Josef Pauser/Martin Scheutz/Thomas Winkelbauer (MIÖG Ergänzungsbd. 44), München 2004, S. 813–827; Christiane Berkvens-Stevelinck/Hans Bots/Jens Häseler (Hrsg.), Les grands intermédiares culturels de la République des Lettres. Études de réseaux de correspondances du XVIe au XVIIIe siècles (Les dix-huitièmes siècles 91), Paris 2005. Vgl. auch die Fallstudien von Alois Schmid, Der Briefwechsel des P. Matthäus Rader SJ. Eine neue Quelle zur Kulturgeschichte Bayerns im 17. Jahrhundert, in: ZBLG 60 (1997), S. 1109–1140; Ludwig Richter, Bohuslav Balbín und Christian Weise. Eine Gelehrtenfreundschaft über konfessionelle Schranken hinweg, in: Konfessionelle Pluralität als Herausforderung. Koexistenz und Konflikt in Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Winfried Eberhard zum 65. Geburtstag, hrsg. v. Joachim Bahlcke/Karen Lambrecht/Hans-Christian Maner, Leipzig 2006, S. 537–551.

44 Kenntnisse in Verbindung bringen lassen, 5 die je zeitgenössischen Theorien ihrer Disposition im Sinne der dominanten „Ordnungen des Wissens“ 6 oder Institutionen wie Bibliotheken in ihrer Eigenschaft als „Orte des Wissens“ oder „Wissensspeicher“. 7

2.1 Historiographiegeschichte Auf die Felder der Historiographie und der Umgehensweise mit historischen Kenntnissen übertragen, bedeutet dies, einer Vielzahl von Phänomenen Beachtung zu schenken, die in den historiographiegeschichtlichen Überblicken seit den Zeiten Franz Xaver Wegeles (1823–1897), Eduard Fueters (1876–1926) und Heinrich von Srbiks (1878–1951) kaum berück–––––––— 5

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Vgl. Richard Yeo, Encyclopaedic Visions. Scientific Dictionaries and Enlightenment Culture, Cambridge 2001; Daniel Brewer/Julie Candler Hayes (Hrsg.), Using the „Encyclopédie”. Ways of Knowing, Ways of Reading (SVEC 2002:05), Oxford 2002; Christel Meier (Hrsg.), Die Enzyklopädie im Wandel vom Hochmittelalter bis zur frühen Neuzeit. Akten des Kolloquiums des Projekts D im Sonderforschungsbereich 231 (29. 11.–1. 12. 1996), München 2002; Ingrid Tomkowiak (Hrsg.), Populäre Enzyklopädien. Von der Auswahl, Ordnung und Vermittlung des Wissens, Zürich 2002; Theo Stammen/Wolfgang E. J. Weber (Hrsg.), Wissenssicherung, Wissensordnung und Wissensverarbeitung. Das europäische Modell der Enzyklopädien (Colloquia Augustana 18), Berlin 2004; Ulrich Johannes Schneider (Hrsg.), Seine Welt wissen. Enzyklopädien in der Frühen Neuzeit (Katalog zur Ausstellung der Universitätsbibliothek Leipzig und der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel), Darmstadt 2006; Paul Michel/Madeleine Herren, Unvorgreifliche Gedanken zu einer Theorie des Enzyklopädischen – Enzyklopädien als Indikatoren für Veränderungen bei der Organisation und der gesellschaftlichen Bedeutung von Wissen, in: Allgemeinwissen und Gesellschaft. Akten des internationalen Kongresses über Wissenstransfer und enzyklopädische Ordnungssysteme, vom 18. bis 21. September 2003 in Prangins, hrsg. v. Paul Michel/Madeleine Herren/Martin Rüesch, Aachen 2007, S. 9–74. Vgl. Wilhelm Schmidt-Biggemann, Topica universalis. Eine Modellgeschichte humanistischer und barocker Wissenschaft (Paradeigmata 1), Hamburg 1983; Helmut Zedelmaier, Bibliotheca universalis und Bibliotheca selecta. Das Problem der Ordnung des gelehrten Wissens in der frühen Neuzeit (Beih. zum AKG 33), Köln/Weimar/Wien 1992; ders., Orte und Zeiten des Wissens, in: Dialektik 2000, H. 2, S. 129–136; ders., Buch, Exzerpt, Zettelschrank, Zettelkasten, in: Archivprozesse. Die Kommunikation der Aufbewahrung, hrsg. v. Hedwig Pompe/Leander Scholz (Mediologie 5), Köln 2002, S. 38–53; Markus Krajewski, Zettelwirtschaft. Die Geburt der Kartei aus dem Geiste der Bibliothek, Berlin 2002; Leander Scholz, Das Archiv der Klugheit. Strategien des Wissens um 1700 (Communicatio 30), Tübingen 2002; Frank Grunert/Friedrich Vollhardt (Hrsg.), Historia literaria. Neuordnungen des Wissens im 17. und 18. Jahrhundert, Berlin 2007. Vgl. Stefan Benz, Die Hofbibliothek zu Wien als Ort des Wissens, in: Das achtzehnte Jahrhundert und Österreich 18/19 (Themenheft: Orte des Wissens) (2004), S. 15–48, bes. S. 15ff.; Dirk Werle, Copia librorum. Problemgeschichte imaginierter Bibliotheken 1580–1630 (Frühe Neuzeit 119), Tübingen 2007; angekündigt: Frank Grunert/Anette Syndikus (Hrsg.), Erschließen und Speichern von Wissen in der Frühen Neuzeit. Formen und Funktionen, Berlin 2007.

45 sichtigt wurden. 8 Durch sie hat sich ein Kanon historiographischer Texte etabliert, der nahezu ausschließlich aus gedruckten Werken bestand und besteht. Von Interesse waren weniger Aspekte der zeitgenössischen Verfügbarkeit jeweils verarbeiteter Stoffe, Texte und Materialien, die Bandbreite potentieller Darstellungsformen oder die Rahmenbedingungen der historiographischen Produktion insgesamt, sondern, kaum vereinfacht gesagt, das nach Maßgabe auktorialer Originalität oder epochaler Repräsentativität im Kontext größerer geistesgeschichtlicher Linien evaluierte Endprodukt der historiographischen Theorie und Praxis. Den zumeist sehr kurzen Aussagen, mit denen dieses oder jenes Werk charakterisiert werden sollte, eignete folglich nur relative Aussagekraft. Wegele betrachtete die Acta Sanctorum, trotz „auch evidente[r] Schwächen in Sache der Methode und Kritik“, als die Fortsetzung der in den Territorien des Reichs stagnierenden humanistischen Historiographie. Von ihnen sei „zumal für die ältere Geschichte des Mittelalters, die mit dem Heiligenleben so vielfache Berührungspunkte hat, und weiterhin besonders auch für die Behandlung der Diplomatik […] ein höchst fruchtbarer, nachhaltiger Anstoß“ 9 ausgegangen. Für Srbik assoziierten sie sich jenen klerikalen Strömungen des französischen 17. Jahrhunderts, die sich gegen die ultramontane Zentralgewalt sowie bis dato vorherrschende kirchliche Autoritätsbegriffe gewandt hätten: „Die Bollandistenschule der Jesuiten in Belgien begann die Acta Sanctorum, Gallikanismus und Jansenismus leuchteten als Gegner päpstlicher Allgewalt in die Kirchengeschichte hinein, kritischer Sinn wagte sich an die geheiligten Quellen der Glaubenslehre heran.“ 10 Fueter allerdings setzte den bis in die Gegenwart entscheidenden Akzent, als er bemerkte: Hätten die Bollandisten keinen anderen Zweck verfolgt, als das Material zur Geschichte der Heiligen so vollständig wie möglich zu sammeln, so verdienten die Acta Sanctorum […] hier ebensowenig eine Erwähnung als andere Quellenpublikationen. Aber die Acta hatten sich ein höheres Ziel gesetzt. Sie verfolgten apologetische Tendenzen. Sie suchten den Heiligenkult gegen die Angriffe der Protestanten und Humanisten dadurch zu retten, daß sie von den Legenden, die die Spottsucht der Gegner am stärksten herauszufordern geneigt waren, soviel wie möglich opferten. Zu einem gu-

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Vgl. zu diesen älteren Gesamtdarstellungen Jean-Michel Dufays, Théories et pratiques de l’historiographie à l’époque moderne. État de la question, in: Pratiques et concepts de l’histoire en Europe. XVIe–XVIIIe siècles. Colloque tenu en Sorbonne les 22 et 23 mai 1989, hrsg. v. Chantal Grell/Jean-Michel Dufays (Mythes, Critique et Histoire 4), Paris 1990, S. 9–17; Christian Simon, Historiographie (UTB für Wissenschaft 1901), Stuttgart 1996, S. 24–31; Markus Völkel, Geschichtsschreibung. Eine Einführung in globaler Perspektive (UTB für Wissenschaft 2692), Köln/Weimar/ Wien 2006, S. 25–28. Franz X. von Wegele, Geschichte der Deutschen Historiographie seit dem Auftreten des Humanismus (Geschichte der Wissenschaften in Deutschland. Neuere Zeit 20), München/Leipzig 1885, S. 411f. Heinrich Ritter von Srbik, Geist und Geschichte. Vom deutschen Humanismus bis zur Gegenwart, Bd. 1, München 1950, S. 97.

46 ten Teile brauchten sie sich dabei nur der Mittel der gewöhnlichen historischen Kritik zu bedienen. Die törichten Heiligenfabeln, die den Humanisten Anlaß zu Gelächter gegeben hatten, entstammen ja meistens einer späteren Periode der Legendenbildung und konnten schon aus wissenschaftlichen Gründen zugunsten älterer, schlichterer Berichte als unglaubwürdig erklärt werden. 11

Die Anlage des umfangreichsten hagiographischen Sammelwerks der Geschichte scheint, bereits auf der Ebene der Heuristik, kaum dadurch erklärbar zu sein, dass von den Materialien, die zuvor mit großem Aufwand zusammengetragen worden waren, „soviel wie möglich“ geopfert werden sollte. Beispiele für Fueters Hypothese eines apologetischen Zugriffs oder, –––––––— 11

Eduard Fueter, Geschichte der neueren Historiographie (Handbuch der mittelalterlichen und neueren Geschichte Abt. 1), München/Berlin 31936 [zuerst 1911] (Neudruck Zürich/Schwäbisch Hall 1985), S. 325; vgl. im Anschluss Hausberger, Werk (1980), S. 221; Gordini, Opera (1991), S. 59; Ulrich Muhlack, Geschichtswissenschaft im Humanismus und in der Aufklärung. Die Vorgeschichte des Historismus, München 1991, S. 368; Thomas Winkelbauer, Plutarch, Sueton und die Folgen. Konturen und Konjunkturen der historischen Biographie, in: Vom Lebenslauf zur Biographie. Geschichte, Quellen und Probleme der historischen Biographik und Autobiographik. Referate der Tagung „Vom Lebenslauf zur Biographie“ am 26. Oktober 1997 in Horn, hrsg. v. dems. (Schriftenreihe des Waldvierteler Heimatbundes 40), Horn-Waidhofen/Thaya 2000, S. 9–46, hier S. 35; vgl. ferner James Westfall Thompson, A History of Historical Writing, Bd. 2: The Eighteenth and Nineteenth Centuries, Gloucester, Mass. 1967, S. 9: „In the course of past centuries the lives of the saints had become embellished with legendary matter and encrusted with apocryphal anecdotes, and often silly fables which had provoked the derision of humanists and Protestants. To rescue the lives of the saints from contempt and to establish their true nature and value as a great body of religious and historical literature was the purpose of the Bollandists.“ Denys Hay, Annalists and Historians. Western Historiography from the Eighth to the Eighteenth Centuries, London 1977, S. 160: „Much of the work [der Bollandisten] resulted in what we would call the debunking of popular and muchloved legends. This earned the compilers much dislike and criticism. Their systematic establishment of the truth, though sought with faith and sincerity, tended to ally them with the avowed sceptics of the late seventeenth century – men like Bayle and Fontenelle.“ Heinrich Fichtenau, Diplomatiker und Urkundenforscher, in: MIÖG 100 (1992), S. 9–49, hier S. 10: „Papebroch und dem Jesuitenorden ging es um mehr als um eine aufgeklärte Entrümpelung der Hagiographie. Diese hatte fast ausschließlich religiöser Erbauung gedient, bis sie auf protestantischer Seite in die Säkularisierungsgeschichte hineingeholt wurde. Nun galt es, den für die Religion wertvollen Kern zu bewahren und alles Anfechtbare abzustoßen, […].“ Klaus Herbers/Lenka Jiroušková/ Bernhard Vogel, Zur Einführung. Mittelalterliche Mirakelberichte, in: Mirakelberichte des frühen und hohen Mittelalters, hrsg. v. dens. (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters. Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe 43), Darmstadt 2005, S. 1–28, hier S. 10: „Oft bestimmte die Frage nach der Historizität die Präsentation; es galt, historisch verbürgte Traditionen gegen protestantische oder andere Angriffe zu retten und den Rest auszuscheiden.“ Mit anderen Wertungen galten die Bollandisten Andreas Kraus, Grundzüge barocker Geschichtsschreibung, in: HJb 88 (1968), S. 54–77, hier S. 60ff., als die Protagonisten einer „mechanische[n] Quellenkritik“, deren „Grundsätze nicht geeignet waren, auch dem Geist ihrer Quellen nahezukommen.“ Mit einem „barocke[n] Sinn für Fakten, für meßbare Quantitäten“ hätten unter anderem sie dazu beigetragen, „sogar in der Kirchengeschichte die Abkehr von der heilsgeschichtlichen Betrachtung“ einzuleiten.

47 wie unlängst von Michael Maurer angenommen, eines Vorgehens, das sich insbesondere um eine die Wunder betreffende Revision der Heiligenviten verdient gemacht habe, 12 wurden bislang nicht beigebracht. Mit welchen Strukturen in den Acta Sanctorum tatsächlich zu rechnen ist, sei hier nur anhand eines Beispiels illustriert. Im Jahr 1701 erschien in den Acta Sanctorum das Dossier zum hl. Benno von Meißen († 1106). Es handelt sich um einen der konfessionsgeschichtlich symbolträchtigsten Kulte in der frühen Neuzeit. Im Jahr 1524 war es anlässlich der Erhebung der Reliquien zu einem Schlagabtausch zwischen Martin Luther (1483–1546) auf der einen Seite und dem Humanisten Hieronymus Emser (1478–1527), dem Franziskaner Augustin von Alveldt († um 1535) und dem Abt von Altzelle Paul Bachmann († 1538) auf der anderen Seite gekommen. In seiner Flugschrift Wider den neuen Abgott hatte Luther mit Blick auf die Bulle, mit der am 31. März 1523 die Kanonisation Bennos verfügt worden war – „Oh Bulla, o yhr heyligen erheber, wenn wollt yhr euch eyn mal schemen?“ –, von der Partizipation an der Abgötterei abgeraten, die die Verehrung Verstorbener bedeutete: „So huete dich f(r dem newen Abgott unter Benno namen. Und willtu yhn nicht heylig halten, so las dyrs doch leyd seyn, das man mit den todten solch affen spiel treybt und furet durch sie die armen leut zum teuffel.“ 13 –––––––— 12

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Vgl. Michael Maurer, Neuzeitliche Geschichtsschreibung, in: Aufriß der Historischen Wissenschaften, Bd. 5: Mündliche Überlieferung und Geschichtsschreibung, hrsg. v. dems., Stuttgart 2003, S. 281–499, hier S. 315f.: „Das Apologie-Bedürfnis, das im Zeitalter der Reformation und Gegenreformation herrschend geworden war, zeigte auch im Zeitalter der Fürsten und Stände noch Wirksamkeit. Ja, es trug sogar bedeutende Früchte bezüglich der historischen Methodik. Denn die Tendenz der Humanisten, Wunder zu leugnen und die göttliche Vorsehung aus der Geschichte zu verabschieden, mußte die katholische Kirche insbesondere dort betreffen, wo sie sich auf die geschichtliche Wirklichkeit solcher Wunder bezog: bei den Heiligenviten. Mit diesem Problem hatte sich schon Caesar Baronius auseinanderzusetzen, der den Heiligenkatalog im Geiste des Tridentinums neu bearbeitete. Vor allem aber waren es die Bollandisten und Mauriner, die hier bahnbrechend wirkten.“ Martin Luther, Widder den newen Abgott, in: D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe (Weimarer Ausgabe) [= WA], Bd. 15, Weimar 1899 (Neudruck Weimar 1966), S. 183–198, hier S. 187, 192. Vgl. Lennart Pinomaa, Die Heiligen bei Luther (Schriften der Luther-Agricola-Gesellschaft A 16), Helsinki 1977, S. 59ff.; Peter Manns, Luther und die Heiligen, in: Reformatio ecclesiae. Beiträge zu kirchlichen Reformbemühungen von der Alten Kirche bis zur Neuzeit. Festgabe für Erwin Iserloh, hrsg. v. Remigius Bäumer, Paderborn/München/Wien [u. a.] 1980, S. 535–580, hier S. 545–551; Heribert Smolinsky, Augustin von Alveldt und Hieronymus Emser. Eine Untersuchung zur Kontroverstheologie in der frühen Reformationszeit im Herzogtum Sachsen (Reformationsgeschichtliche Studien und Texte 122), Münster 1983, S. 145–151, 289–301; Ulrich Köpf, Protestantismus und Heiligenverehrung, in: Heiligenverehrung in Geschichte und Gegenwart. Wiss. Studientagung der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart 1987, hrsg. v. Peter Dinzelbacher/Dieter R. Bauer, Ostfildern 1990, S. 320–344, hier S. 325, 332; Arnold Angenendt, Heilige und Reliquien. Die Geschichte ihres Kults vom frühen Christentum bis zur Gegenwart, München 2 1997 [zuerst 1994], S. 238; Christoph Volkmar, Die Heiligenerhebung Bennos von

48 Bereits im Jahr 1512 war Emsers Vita Bennonis erschienen. Es handelte sich um eine Auftragsarbeit Georgs des Bärtigen von Sachsen (reg. 1500– 1539), der in Rom auf die von den sächsischen Herzögen seit Ende des 15. Jahrhunderts betriebene Kanonisation Bennos gedrungen hatte. 14 Im Zuge der Akzeptanz der lutherischen Lehre seit Herzog Heinrich dem Frommen (reg. 1539–1541) gelangten Bennos Reliquien, nachdem sie mehrere Jahre durch Sachsen verschoben worden waren, 1576 in die Hofkapelle Albrechts V. von Bayern (reg. 1550–1579). Ein Jahr nach Albrechts Tod, 1580, wurden sie in die Münchener Liebfrauenkirche transferiert.15 Das in München ansässige Jesuitengymnasium brachte im Herbst 1598, zur Eröffnung des Studienjahrs, ein Drama des hl. Benno auf die Bühne. Es erinnerte an die Geschichte der Reliquien und ihre konfessionellen Hintergründe: „Jetzt ist der Wahnsinn ja zu einem solchen Grad gediehen, daß die Reliquien der Heiligen mit den Füßen zertreten, von den Flammen verzehrt, von den Fluten verschlungen werden.“16 Eine seit 1603 bestehende Bruderschaft wurde 1608 von Paul V. (reg. 1605–1621) bestätigt. 17 Die „wunderwerck/ so Gott durch anruffung vnd F(rbitte erstgemeltes H. Bischoff Bennonis allhie inn M(nchen mehrmalen vnd offentlich gewircket“, nahmen kontinuierlich zu und erfuhren in zahlreichen Flugschriften Verbreitung. 18 In dem –––––––—

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Meißen (1523/24). Spätmittelalterliche Frömmigkeit, landesherrliche Kirchenpolitik und reformatorische Kritik im albertinischen Sachsen in der frühen Reformationszeit (Reformationsgeschichtliche Studien und Texte 146), Münster 2002, S. 161–172. Vgl. Wolfgang Petke, Zur Herkunft Bischof Bennos von Meißen, des Patrons Münchens, Altbayerns und des Bistums Meißen, in: Archivalische Zeitschrift 66 (1970), S. 11–20; James Michael Weiss, Hagiography by German Humanists. 1483–1516, in: JMRS 15 (1985), S. 299–316, hier S. 309ff., 315; vgl. zum Verfahren Armin Kohnle, Zur Heiligsprechung des Bischofs Benno von Meißen (1523), in: Papstgeschichte und Landesgeschichte. Festschrift für Hermann Jakobs zum 65. Geburtstag, hrsg. v. Joachim Dahlhaus/Armin Kohnle (Beih. z. AKG 39), Köln/Weimar/Wien 1995, S. 555– 572; Otfried Krafft, Papsturkunde und Heiligsprechung. Die päpstlichen Kanonisationen vom Mittelalter bis zur Reformation. Ein Handbuch (Archiv für Diplomatik, Schriftgeschichte, Siegel- und Wappenkunde. Beih. 9), Köln/Weimar/Wien 2005, 1018–1026; vgl. zu den Vorlagen der Vita Bennonis und dem im Umfeld der Kanonisation entstandenen Schrifttum mit neuen Ergebnissen Fidel Rädle, Der heilige Benno von Meißen und Hildesheim. Texte aus der Handschrift Dombibliothek Hs 123b, in: Die Dombibliothek Hildesheim. Bücherschicksale, hrsg. v. Jochen Bepler/Thomas Scharf-Wrede, Hildesheim 1996, S. 271–304. Vgl. Robert Böck, Die Verehrung des hl. Benno in München. Wallfahrtsgeschichte und Mirakelbücher, in: Bayerisches Jb. f. Volkskunde 1958, S. 53–73, hier S. 56. Zitiert nach der Transkription und Übersetzung durch Fidel Rädle, Münchens Stadtpatron auf der Jesuitenbühne. „Benno Comoedia“ (München 1598), in: Jesuitica. Forschungen zur frühen Geschichte des Jesuitenordens in Bayern bis zur Aufhebung 1773, hrsg. v. Julius Oswald/Rita Haub (ZBLG Beih. 17, Reihe B), München 2001, S. 504–530, hier S. 517: „Nunc ventum eô est insaniae, || Ut sacra lipsana obterantur calcibus, || Flammis vorentur, hauriantur gurgite.“ Böck, Verehrung (1958), S. 60. Gr(ndtliche Verzaichnus/ || Etlich: f)rnemmer Wun= || derzaichen/ so Gott der Allm chtig durch das || F(rbitt deß H. Bischoff Bennonis zu Endt deß 1601. vnd || im

49 unter Herzog Maximilian I. (reg. 1597–1651) 1622 vollendeten Umbau der Liebfrauenkirche stand der Heilige im Zentrum einer 1604 bis 1609 errichteten Bogenkonstruktion, des „Bennobogens“, die ikonographisch und architektonisch auf die im Binnenchor lokalisierte Grablege der Wittelsbacher ausgerichtet war. 19 Emsers heute als weithin erfunden betrachtete Vita Bennonis wurde neben Kanonisationsakten, Mirakel- und Translationsberichten in den Acta Sanctorum reproduziert: „[…] die Vita des hl. Benno hat Hieronymus Emser sorgfältig aufgeschrieben […]“, vermerkte Henschen in diesem von ihm begonnenen und von Papebroch vollendeten Dossier. 20 Ein Appendix präsentierte Mirakelberichte. Unter anderem enthielt er die latei-

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Anfang deß 1602. Jahrs/ in M(chen augenscheinlich/ mit- || meniglichs verwunderung vnd entsetzung/ || gewircket. || Getruckt zu M(nchen bey Adam Berg. || Jm Jahr/ 1602, [unpaginiert], fol. Aijr. Weitere Flugschriften aus den Jahren 1606, 1608, 1609, 1615, 1617, 1622, 1643, 1644 förderten die Popularität der vor allem regional bedeutsamen Wallfahrt. Vgl. Böck, Verehrung (1958), S. 56ff., 61ff.; Walter Pötzl, Volksfrömmigkeit, in: Handbuch der bayerischen Kirchengeschichte, Bd. 2: Von der Glaubensspaltung bis zur Säkularisation, hrsg. v. Walter Brandmüller, St. Ottilien 1993, S. 871–961, hier S. 906f. Zu den Nachweisen: VD17, 12:12577580A; VD17, 12:126116Z; VD17, 12:126225D; VD17, 12:126277B; VD17, 12:127574Z; VD17, 12:125297L; VD17, 12:126124R; VD17, 12:125719A; VD17, 1:080431G; VD17, 1:080422H; VD17, 12:126127P; VD17, 12:126130S; VD17, 12:126133Q; VD17, 12:126136N; VD17, 12:126088E; VD17, 12:126139L. Vgl. Karin Berg, Der „Bennobogen“ der Münchner Frauenkirche. Geschichte, Rekonstruktion und Analyse der frühbarocken Binnenchoranlage (Tuduv-Studien. Reihe Kunstgeschichte 1), München 1979, S. 153–159; Philip M. Soergel, Wondrous in His Saints. Counter-Reformation Propaganda in Bavaria (Studies on the History of Society and Culture 17), Berkeley/Los Angeles/London 1993, S. 182ff. G[odefridus] H[enschenius], De Sancto Bennone Episcopo Misnensi in Saxonia et Slavorum Apostolo Monachii in Bavaria deposito, in: AASS Iunii, Bd. 3, Antwerpen 1701, 16. Juni, S. 146–231. Commentarius prævius. De vitæ chronologia, Auctore, Miraculis; & Canonizationem secuto cultu, ebd., S. 146–148, hier S. 146b: „[…] Vitam ejusdem S. Bennonis accurate descripsit Hieronymus Emserus, Sacrorum Canonum Doctor, & typis vulgavit anno MDXII, […].“ Die Vita Emsers wurde abgedruckt als: Vita Auctore Hieronymo Emsero, Collata cum iis, quæ ad Leonem X missa, & in Bulla Canonizationis continentur, ebd., S. 150–173. Eingerahmt wurde sie von den Prozessunterlagen, die – in gekürzter und überarbeiteter Form – 1521 unter dem Titel Vita beati Bennonis Episcopi Misnensis ad Leonem X. pont. max. erschienen waren. Diese beinhalteten eine kurze Vita, die in den Acta Sanctorum unter dem Titel: Epitome vetus actorum. Ex editione Romana anni MDCXXI, ebd., S. 148f., erschien. Die beigefügten Mirakelberichte druckten die Bollandisten am Ende der Vita Emsers ab: D[aniel] P[apebrochius], Miraculis S. Bennonis, ebd., S. 176–193. Es handelte sich hierbei, so Papebroch, um die Wiedergabe der in der römischen Ausgabe vorgenommenen Auswahl: „Hæc miracula sanctitatem B. Bennonis plane declarant; multa autem brevitatis causa prætermisimus, quæ superioribus temporibus in apertum fuerunt prolata. Edita autem sunt hæc Romæ, sub Pontificatu sanctissimi in Christo Patris Domini nostri, D. Leonis Papæ X, anno ejusdem nono, post Christum natum MDXXI, die XII Martii.“ Ebd., S. 176a. Vgl. dazu Kohnle, Heiligsprechung (1995), S. 560 mit Anm. 30, 34.

50 nische Übersetzung der vernakulärsprachlichen Mirakelberichte aus dem Münchener Umfeld. 21 –––––––— 21

Vgl. De Sancto Bennone, AASS Iunii, Bd. 3, 1701, 16. Juni. D[aniel] P[apebrochius], Appendix. Ex Germanicis impressis Latinæ reddita, Pars II: Miracula Monachii patrata seculo XVII. Ex impressis Germanicis. Interprete P Francisco Halder S. J., ebd., S. 205–230. Sie erstreckten sich bis zum Jahr 1622. Abgeschlossen wurde das Dossier von einem Bericht des Jesuiten Franciscus Halder (1625–1685) zur Säkularfeier der Translation: Annus MDCLXXX à translato in Bavariam corpore centesimus, ebd., S. 230f. Nach S. 204 folgten vier Tafeln mit Darstellungen Bennos. Sofia Boesch Gajano, Dalla storiografia alla storia, in: Miracoli. Dai segni alla storia, hrsg. v. ders./Marilena Modica (sacro/santo. n.s. 1), Rom 2000, S. 215–233, hier S. 221, vertritt die Ansicht, dass die Bollandisten sich im Geist der Gegenreformation auch mit den Mirakelberichten befasst hätten. Die Möglichkeit des Wunders sei zwar nicht prinzpiell bestritten worden, die Mirakelberichte seien allerdings als historische Dokumente begriffen und in dieser Eigenschaft mit wissenschaftlichen Verfahren auf ihren Wahrheitsgehalt geprüft worden: „La Controriforma ha ‚ripostoǥ alle critiche della Riforma, ponendo il problema della ‚veritàǥ del miracolo e degli strumenti per provarla. La riposta teologica elaborata dal concilio di Trento fu accompagnata infatti da una riflessione critica, con due versanti principali: quello dell’erudizione storica e quello della scienza. La storiografia – prima fra tutte l’impresa dei Bollandisti – pose su nuove basi lo studio della santità e del culto dei santi, fondato sulla certezza delle testimonianze, sottoposte a rigidi criteri di analisi filologica, archeologica, storica. Non che venisse messa in discussione la possibilità del miracolo quale intervento di Dio attraverso i suoi santi, ma i racconti di miracoli – come ogni altra fonte relativa a ogni santo e al suo culto – acquistavano per la prima volta la loro identità di testimonianza storica e letteraria, da sottoporre alle leggi della verificia scientifica.“ Was genau damit gemeint ist, wird von ihr allerdings nicht ausgeführt. Einer der gegenwärtig besten Kenner der Materie, Simon Ditchfield, Liturgy, Sanctity and History in Tridentine Italy (Cambridge Studies in Italian History and Culture), Cambridge 1995, S. 124, stellt hingegen zu Recht fest: „Indeed, it is important to remember that the Bollandists’ systematic collection and annotation of hagiographical texts published from 1643 onwards as the Acta Sanctorum resulted in the preservation of miracle stories on an unprecedented scale […].“ Horst Walter Blanke, Historiographiegeschichte als Historik (Fundamenta historica. Texte und Forschungen 3), Stuttgart-Bad Cannstatt 1991, S. 159f., gilt das Wunder grundsätzlich als ein Phänomen, das dem methodischen Fortschritt zum Opfer fiel. Mit Blick auf die Historiographie des 18. Jahrhunderts wird konstatiert: „So wird die Möglichkeit göttlicher Wunder zwar nicht grundsätzlich bestritten (sie bleiben weiterhin eine Sache des persönlichen Glaubens); aber Wundererzählungen werden, da sie empirisch unüberprüfbar sind, aus der Geschichte in die Theologie verwiesen. Auf diese Weise wird der (professionelle) Geschichtsschreiber in seiner Gestaltungsfreiheit auf den Aussagegehalt seiner Quellen eingeschränkt; jegliche Form von Fabelei, d. h. einer Gestaltung seines Stoffes, die durch Quellen nicht abgesichert ist, wird ihm untersagt – das unterscheidet ihn vom Dilettanten und Romancier. Die Quellen erhalten ihr wissenschaftsspezifisches Vetorecht […].“ Auf welche Quellen Blanke seine Aussagen stützt, ist nicht zu erkennen. Sie weisen eine gewisse Nähe zu Max Weber, Wissenschaft als Beruf, in: ders., Studienausgabe der Max Weber-Gesamtausgabe, Bd. I/17: Wissenschaft als Beruf (1917/1919), Politik als Beruf (1919), hrsg. v. Wolfgang J. Mommsen/ Wolfgang Schluchter, Tübingen 1994, S. 1–23, hier S. 16, auf. Weber wollte jedoch weit genauer und vor allem in wissenschaftssystematischer Hinsicht die Wunder nicht wegen ihrer vermeintlichen Unüberprüfbarkeit, sondern aufgrund ihrer empirischen Unerklärbarkeit aus dem Erkenntnisbereich der Wissenschaft verweisen. Prinzipiell be-

51 Ein apologetischer Impuls im Sinne der Entschuldung eigener Traditionen lag diesem Dossier nicht zugrunde. Man wird nicht einmal sagen können, dass, falls Henschen oder Papebroch in den älteren Dokumenten in der Tat herumgestrichen oder diese ostentativ verworfen hätten, dies in Begriffen methodischer Fortschrittlichkeit beschrieben werden könnte. Es ist nicht die Aufgabe eines editorischen Unternehmens, inhaltlich, von wem auch immer, als missliebig bewertete Passagen aus historischen Schriften zu entfernen. Einschlägige Vorgehensweisen im Zuge der Viteneditionen der Monumenta Germaniae Historica, in denen Wunder zwar nicht durchgängig, aber in zahlreichen Fällen nur selektiv oder in petit gesetzt gedruckt wurden, gelten spätestens seit František Graus’ (1921–1989) Grundlagenstudie zu Volk, Herrscher und Heiliger im Reich der Merowinger von 1965 nicht mehr als editorisches Ruhmesblatt. 22 Das Theorem der Säkularisierung zählt zu den einflussreichsten und problematischsten in der Historiographiegeschichte überhaupt. 23 Bereits in der Darstellung Fueters stand, in einer wenig transparenten Passage zur „Säkularisation der Geschichte“, 24 die vermeintliche Aussonderung des Wunderbaren nahezu symbolisch für die innovativen Tendenzen des italienischen Humanismus, den er im Übrigen als „eine ausgesprochene Laienbewegung“ apostrophierte. 25 In dieser seien auch providentielle Geschichts–––––––—

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trachtet ist das Wunder, wenigstens quantitativ, eines der quellenmäßig am besten überlieferten Phänomene der abendländischen Geschichte. Es kann gerade nicht den Durchbruch des sogenannten „Vetorechts“ der Quellen veranschaulichen, sondern bestenfalls eine sich wandelnde Welterfahrung und die daraus abgeleiteten Folgerungen. Dieser Wandel ist nicht zu früh anzusetzen. Selbst in den seit Mitte des 17. Jahrhunderts anhebenden philosophischen Auseinandersetzungen um die Gottesbeweise nahm das Wunder, verstanden als die Möglichkeit Gottes, die von ihm gestiftete natürliche Ordnung im Einzelfall zu suspendieren, eine zentrale und keineswegs nur abschlägig beschiedene Stellung ein. Vgl. Winfried Schröder, Ursprünge des Atheismus. Untersuchungen zur Metaphysik- und Religionskritik des 17. und 18. Jahrhunderts (Quaestiones. Themen und Gestalten der Philosophie 11), StuttgartBad Cannstatt 1998, S. 268–280. Vgl. František Graus, Volk, Herrscher und Heiliger im Reich der Merowinger. Studien zur Hagiographie der Merowingerzeit, Prag 1965, S. 28; Friedrich Lotter, Methodisches zur Gewinnung historischer Erkenntnisse aus historiographischen Quellen, in: HZ 229 (1979), S. 298–356; hier S. 304ff.; Annegret Wenz-Haubfleisch, Miracula post mortem. Studien zum Quellenwert hochmittelalterlicher Mirakelsammlungen vornehmlich des ostfränkisch-deutschen Reichs (Siegburger Studien 26), Siegburg 1998, S. 23f.; Hedwig Röckelein, Reliquientranslationen nach Sachsen im 9. Jahrhundert. Über Kommunikation, Mobilität und Öffentlichkeit im Frühmittelalter (Beih. d. Francia 48), Stuttgart 2002, S. 31ff. Vgl. Helmut Zedelmaier, „Im Griff der Geschichte“. Zur Historiographiegeschichte der Frühen Neuzeit, in: HJb 112 (1992), S. 436–456, hier S. 437–442. Vgl. Fueter, Geschichte (31936), S. 11–14. Vgl. ebd., S. 12f.: „In einer anderen Beziehung gingen jedoch die Humanisten noch über ihre römischen Vorbilder hinaus. Im Gegensatz zu Livius schieden sie von Bruni an alle Mirakel oder Prodigien aus ihrer Darstellung aus. Die wunderbaren Legenden, die Giovanni Villani erzählt, wird man bei Bruni vergebens suchen. Das Beispiel

52 konstruktionen „gänzlich eliminiert“ worden. 26 In neueren Überblicksartikeln wird diese, systematisch kaum je untersuchte, Ansicht fortgeführt. In humanistischer Zeit sei die „Geschichte […] aus dem Kontext der gottgeleiteten Heilsgeschichte gelöst“ worden, sie wird „säkular und als von Menschen gemacht verstanden; sie ist wie Petrarcas Caesar aus den Motiven der Handelnden zu erklären […].“ 27 Wenigstens von den 1971 von Eckhard Kessler herausgegebenen Theoretikern der ars historica konnten durchaus andere Ansichten vertreten werden. Giacomo Aconcio (1492/1520–1566) bezeichnete die Erkenntnis des Wirkens Gottes in der Welt als den ersten Zweck der Geschichtslektüre. 28 Nach Ansicht von Giovanni Antonio Viperano (um 1530–1610) sollten beim Schreiben der Historie neben den natürlichen Begebenheiten auch solche göttlicher Provenienz berücksichtigt –––––––—

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wurde allgemein befolgt. Besonders soweit es sich um c h r i s t l i c h e Wunder handelte. Viel länger hielten sich die Fabeln in der kanonischen alten Geschichte (und – bei einzelnen Historikern – d i e Wundergeschichten, die antiken Prodigien glichen). Auch nachdem die Humanisten mit den fabulosen Berichten des Mittelalters gründlich aufgeräumt hatten, wagten sie es noch nicht, dasselbe radikale Verfahren auf die antike Überlieferung anzuwenden – ganz ähnlich wie in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Theologen die kritischen Grundsätze, nach denen sie das alte Testament behandelten, erst nach und nach auch dem neuen gegenüber geltend machten. Doch sogar innerhalb dieser ihrer heiligen Geschichte pflegten die Humanisten Wundergeschichten nur mit Vorbehalt zu wiederholen. Sie verharrten meistens in den Bahnen, die Euhemeros und die Kirchenväter eingeschlagen hatten, und begnügten sich damit, die antiken Sagen zu rationalisieren. Sie behandelten im übrigen die alte Geschichte so selten, daß ihre halb kritische Haltung praktisch von geringer Bedeutung war.“ Ebd., S. 12. Johannes Helmrath, Die Umprägung von Geschichtsbildern in der Historiographie des europäischen Humanismus, in: Von Fakten und Fiktionen. Mittelalterliche Geschichtsdarstellungen und ihre kritische Aufarbeitung, hrsg. v. Johannes Laudage (Europäische Geschichtsdarstellungen 1), Düsseldorf 2003, S. 323–352, hier S. 327. Vgl. grundlegend Eckhard Kessler, Geschichte: Menschliche Praxis oder kritische Wissenschaft? Zur Theorie der humanistischen Geschichtsschreibung, in: ders. (Hrsg.), Theoretiker humanistischer Geschichtsschreibung. Nachdruck exemplarischer Texte aus dem 16. Jahrhundert. Francesco Robortello, Dionigi Atanagi, Francesco Patrizi, Giacomo Aconcio, Giovanni Antonio Viperano, Uberto Foglietta, Alessandro Sardi, Sperone Speroni. Mit einer Einleitung, analytischer Inhaltsübersicht, Bibliographie und Indices (Humanistische Bibliothek. Abhandlungen und Texte, Reihe 2: Texte 4), München 1971, S. 7–47, hier S. 7: „Eines der wesentlichen Elemente, durch die der Humanismus seit Petrarca sich vom vorhergehenden Mittelalter unterscheidet, ist sein Verhältnis zur Geschichte, die nicht mehr als das Handeln Gottes in der Welt, sondern als Werk des Menschen im Vollzug seines Werdens verstanden wird.“ Vgl. Giacomo Aconcio, Delle osservationi et avvertimenti che aver si debbono nel legger delle historie (um 1562), in: ebd., Nr. 4, S. 306: „Chi saper vuole quali cose, come, et con che ordine si debbiano nel legger delle historie osservare, egli è necessario di haver l’occhio a que’ fini che a scriverle muover debbono gli storici, de’ quali a me certamente paiono i principali esser tre. Il primo: perchè possiamo la providenza del grande Iddio nel governo di tutte le cose reconoscere […].“

53 werden, etwa „Prodigien, Wunderzeichen oder die Sprüche heiliger Männer, […].“ 29 Die bei den vorchristlichen Autoren verzeichneten Wunder würde der kluge Historiograph allerdings nur berichten und sich eines Urteils enthalten. 30 Seine entscheidende Geltungskraft übte das Theorem der Säkularisierung allerdings auf die Darstellung der aufklärungszeitlichen Historiographie aus. Inspiriert von den philosophiegeschichtlichen Essays Karl Löwiths (1897–1973) und Adalbert Klempts und der von ihnen entwickelten Schlüsseldichotomie „Fortschritt contra Vorsehung“ 31 verfestigte sich im Zuge der geschichtstheoretischen und geschichtsphilosophischen Wende der deutschen Historiographiegeschichte die Annahme, dass die Professionalisierung der Historiographie mit dem Verschwinden religiöser Interpretamente in Beziehung zu setzen sei. Das Theorem der Säkularisierung popularisierte sich einerseits, in Form des von Löwith vertretenen Gedankens, dass die Geschichtsphilosophie des 19. Jahrhunderts – als Modus der Welterkenntnis – als säkularisiertes Derivat der alten Heilsgeschichte – als Modus der Gotteserkenntnis – zu betrachten sei, durch Reinhart Kosellecks (1923–2006) Artikel Geschichte, Historie im Rahmen der Geschichtlichen Grundbegriffe. 32 Andererseits bekleidete es eine zentrale Position im Umfeld des von –––––––— 29

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Vgl. Giovanni Antonio Viperano, De scribenda historia liber, Antwerpen 1569, in: ebd., Nr. 5, S. 32: „Notanda sunt etiam quæ vel ante rem, vel in re, vel post rem diuinitus co[n]tigerunt, vt prodigia, vt oracula, vt sanctorum hominum voces, […].“ Vgl. ebd., S. 45: „Quod si quædam etiam fortè occurrant scribenda, quæ humanam fidem excedunt, veluti portenta, & miracula, aut his similia, quæ Liuius, et Dion vsq[ue] ad superstitionem obseruarunt, prudens scriptor ita illa referat, non vt quicquam neget, vel affirmet, sed in medio relinquat, vt de illis, pro sua quisque sententia iudicet; sibi nullum periculum inde sit.“ Alessandro Sardi, De i precetti historici discorsi, Venedig 1586, in: ebd., Nr. VII, S. 146f., riet ebenfalls zur Vorsicht bei den antiken Schilderungen übernatürlicher Ereignisse, „[m]a dallo impossibile naturale eccettuo le cose mirabilmente auenenti per volontà Diuina: nelle quali lo Historico senza superstitione sia Fedele, & Christiano.“ Karl Löwith, Weltgeschichte und Heilsgeschehen. Die theologischen Voraussetzungen der Geschichtsphilosophie, Stuttgart/Berlin/Köln [u. a.] 71979 [zuerst 1953], S. 62–98; Adalbert Klempt, Die Säkularisierung der universalhistorischen Auffassung. Zum Wandel des Geschichtsdenkens im 16. und 17. Jahrhundert (Göttinger Bausteine zur Geschichtswissenschaft 31), Göttingen/Berlin/Frankfurt a. M. 1960. Vgl. Reinhart Koselleck, Art. Geschichte, Historie. V. Die Herausbildung des modernen Geschichtsbegriffs, in: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, hrsg. v. Otto Brunner/Werner Conze/Reinhart Koselleck, Bd. 2, Stuttgart 1975, S. 647–691, hier S. 682–691; ders., VI. „Geschichte“ als moderner Leitbegriff, in: ebd., 691–715, hier S. 711. Vgl. zu diesem Thesenkomplex ausführlich Arno Seifert, „Verzeitlichung“. Zur Kritik einer neueren Frühneuzeitkategorie, in: ZHF 10 (1983), S. 447–477; ders., Von der heiligen zur philosophischen Geschichte. Die Rationalisierung der universalhistorischen Erkenntnis im Zeitalter der Aufklärung, in: AKG 68 (1986), S. 81–117; Helmut Zedelmaier, Die Marginalisierung der historia sacra in der frühen Neuzeit, in: Storia della storiografia 35 (1999), S. 15–26; Johannes Heinßen, Historismus und Kulturkritik. Studien zur deutschen Geschichtskultur im späten 19. Jahrhundert (Veröff. d. MPI f. Geschichte

54 Jörn Rüsen entworfenen Projekts: „Überwindung des Historismus – eine Erneuerung der Aufklärung“. 33 Vor dem Hintergrund der Historismusdebatten der 1970er Jahre ging es Rüsen darum, die zuvor eher implizit als explizit die historiographischen Überblicke bestimmende Frage nach der „Verwissenschaftlichung“ der Historie systematisch zu bearbeiten. Seine umfangreichste Ausarbeitung erfuhren dieser Ansatz und das ihn tragende Modell der „disziplinären Matrix“ 34 in Horst Walter Blankes Dissertation Historiographiegeschichte als Historik von 1991. 35 In Konzentration auf geschichtstheoretische Traktate der deutschen Spätaufklärung galt es einerseits, mit eben jener Zeit „die Herausbildung moderner wissenschaftlicher Standards“ 36 zu verknüpfen und damit andererseits die Identifikationspunkte einer sich verändernden Geschichtswissenschaft historisch zu verschieben. 37 Neben Prozessen wie –––––––—

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195), Göttingen 2003, S. 21ff.; Jan-Friedrich Missfelder, Die Gegenkraft und ihre Geschichte. Carl Schmitt, Reinhart Koselleck und der Bürgerkrieg, in: ZRGG 58 (2006), S. 310–336, hier S. 317f. mit Anm. 37. Jörn Rüsen, Konfigurationen des Historismus. Studien zur deutschen Wissenschaftskultur (stw 1082), Frankfurt a. M. 1993, S. 76. Vgl. ders., Art. Disziplinäre Matrix, in: Lexikon Geschichtswissenschaft. Hundert Grundbegriffe, hrsg. v. Stefan Jordan, Stuttgart 2002, S. 61–64. Vgl. Blanke, Historiographiegeschichte (1991). Das rund 80 Seiten starke Kernkapitel: „Artikulation bürgerlichen Emanzipationsstrebens und der Verwissenschaftlichungsprozess der Historie. Grundzüge der deutschen Aufklärungshistorie und die Aufklärungshistorik“, ebd., S. 111–188, war zuvor zusammen mit Dirk Fleischer publiziert worden. Vgl. ders./Dirk Fleischer, Artikulation bürgerlichen Emanzipationsstrebens und der Verwissenschaftlichungsprozeß der Historie. Grundzüge der deutschen Aufklärungshistorie und die Aufklärungshistorik, in: Theoretiker der deutschen Aufklärungshistorie, Bd. 1: Die theoretische Begründung der Geschichte als Fachwissenschaft, hrsg. v. dens. (Fundamenta historica. Texte und Forschungen 1), StuttgartBad Cannstatt 1990, S. 19–102. Vgl. Blanke, Historiographiegeschichte (1991), S. 54f., 111. Vgl. ders., Art. Aufklärungshistorie, in: Jordan (Hrsg.), Lexikon (2002), S. 34–37, hier S. 36: „Seit den späten 1970er Jahren ist die A. gewissermaßen wieder entdeckt worden: Der Rückgriff auf sie diente der Historismus-Kritik und der Begründung des neuen Wissenschaftsparadigmas der Historischen Sozialwissenschaft.“ In der Folgezeit wurde vor allem das Verhältnis zwischen Aufklärungshistorie und Historismus reflektiert. Vgl. ders., Die Entstehung der Geschichtswissenschaft im Spiegel der Historiographiegeschichtsschreibung, in: Geschichtsdiskurs, Bd. 2: Anfänge des modernen historischen Denkens, hrsg. v. Wolfgang Küttler/Jörn Rüsen/Ernst Schulin, Frankfurt a. M. 1994, S. 62–66; Hans Schleier, Fragen zum Verwissenschaftlichungsprozeß der Geschichtswissenschaft. Kommentar zu Horst Walter Blanke, in: ebd., S. 67–72; Georg G. Iggers, Ist es in der Tat in Deutschland früher zu einem Verwissenschaftlichungsprozeß der Geschichte gekommen als in anderen europäischen Ländern?, in: ebd., S. 73–86; Friedrich Hauer, Verwissenschaftlichung der Geschichte. Kommentar zu Georg G. Iggers, in: ebd., S. 87–91. Die Fluchtpunkte Historismus oder Aufklärungshistorie sowie die Leitkategorie der „Verwissenschaftlichung“ bestimmten über Rüsen und Blanke hinaus, mit unterschiedlichen Akzenten, die Perspektive der deutschen Historiographiegeschichte. Vgl. Fritz Wagner, Die Anfänge der modernen Geschichtswissenschaft im 17. Jahrhundert (Vorgetragen am

55 „Entrhetorisierung und […] Narratisierung der historiographischen Darstellungsformen“, 38 der „Theoretisierung der leitenden Hinsichten“ und der „Methodisierung des historischen Denkens“ 39 traten die „Universalisierung der historischen Identität“ und deren „Säkularisierung“ 40 als die Kennzeichen einer sich verwissenschaftlichenden Historiographie in Erscheinung. Unter Säkularisierung verstand Blanke, und mit ihm Dirk Fleischer, die Tatsache, „daß der Geschichtsverlauf seiner übernatürlichen Bezogenheit entzogen und allein mit dem Maßstab der Vernunft bewertet wird“. 41 Fleischer konnte in einem eigenen Beitrag allerdings den gegenteiligen Nachweis führen, dass „für eine ganze Reihe von Aufklärungshistorikern die Geschichtswissenschaft“ sehr wohl „eine religiöse Sinnstiftungsqualität besaß.“ 42 Die vereinfachende Konfrontation von Vernunft und Religiosität entsprach keineswegs den Bedürfnissen der laikalen Intelligenz des späten 18. Jahrhunderts. Für August Ludwig Schlözer (1735–1809) beispielsweise, der bereits für Koselleck einer der Gewährsleute für die Annahme war, dass in der Aufklärung „unter Verzicht auf Transzendenz erstmals das Menschengeschlecht als das präsumptive Subjekt seiner eigenen Geschichte in dieser Welt angesprochen“ worden sei, 43 gründete der höchste Nutzen der Universalhistorie als „Dienerin der Religion“ in einem rationaltheologischen Geschichts- und Gottesbegriff: –––––––—

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8. Dezember 1978) (Sitzungsberichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften: Philologisch-historische Klasse 1979, H. 2), München 1979; Stefan Fisch, Auf dem Weg zur Aufklärungshistorie. Prozesse des Wandels in der protestantischen Historiographie nach 1600, in: GG 23 (1997), S. 115–133; Wolfgang Hardtwig, Die Verwissenschaftlichung der neueren Historiographie, in: Geschichte. Ein Grundkurs, hrsg. v. Hans-Jürgen Goertz, Reinbek bei Hamburg 1998, S. 245–260; den Überblick von Ulrich Muhlack, Geschichte und Theorie der Geschichtswissenschaft, Teil 1–4, in: GWU 49 (1998), S. 119–136, 187–199, 246–259, 360–369. Vgl. Blanke, Historiographiegeschichte (1991), S. 145ff., 165–170. Vgl. ebd., S. 153–165, Zitate S. 153, 159. Vgl. ebd., S. 172–175. Vgl. dazu auch die Kapitel: „Theoretisierung der leitenden Interessen“, „Methodisierung der empirischen Geltungssicherung“, „Entrhetorisierung der Darstellungsformen“, „Universalisierung der historischen Identität“, von Rüsen, Konfigurationen (1993), S. 53–76. Blanke/Fleischer, Artikulation (1990), S. 101f.; Blanke, Historiographiegeschichte (1991), S. 175. Dirk Fleischer, Geschichtswissenschaft und Sinnstiftung. Über die religiöse Funktion des historischen Denkens in der deutschen Spätaufklärung, in: Aufklärung und Historik. Aufsätze zur Entwicklung der Geschichtswissenschaft, Kirchengeschichte und Geschichtstheorie in der deutschen Aufklärung. Mit Beilagen, hrsg. v. Horst Walter Blanke/Dirk Fleischer, Waltrop 1991, S. 173–201, hier S. 174. Koselleck, Art. Geschichte, Historie. V. Herausbildung (1975), S. 688; vgl. dazu auch Blanke, Historiographiegeschichte (1991), S. 55, 169f., 175; ders., Art. Schlözer, August Ludwig, in: Historikerlexikon. Von der Antike bis zur Gegenwart, hrsg. v. Rüdiger vom Bruch/Rainer A. Müller, München 22002, S. 294f., hier S. 295; vgl. dagegen jetzt Martin Peters, Altes Reich und Europa. Der Historiker, Statistiker und Publizist August Ludwig (v.) Schlözer (1735–1809) (Forschungen zur Geschichte der Neuzeit. Marburger Beiträge 6), Münster 2003, S. 161f., 174ff.

56 Zwar bricht auch schon aus Specialgeschichten hie und da ein kleiner Schimmer von den wunderbaren Wegen der Vorsehung hervor. Aber so wie sich die Betrachtung des Erdballs gegen die Betrachtung des ganzen Weltsystems verh lt, indem jene schon den Naturforscher hinreisset, diese aber ihn noch mehr in Erstaunen setzt, wenn er (ber sich schaut, und Welten (ber seinem Haupte rollen siehet, und in diesen Welten zusammen Harmonie und Ordnung findet: so verh lt sich die Ueberdenkung einzelner Reihen von Begebenheiten gegen die Anschauung des Weltlaufs im Grossen, der Regierung der ganzen Welt, und des Zusammenhangs aller Dinge. Diese […] wirft den Geist weit tiefer zur Anbetung desjenigen Wesens nieder, das unsichtbar die Schicksale der Menschen in langen Ketten h lt; das in dem einen Jahrtausende freie Geschpfe wie Maschinen zu Werkzeugen seiner Absichten in dem andern vorbereitet; das am stlichen Ende der Welt Handlungen hervorruft, durch die es zu seiner Zeit Strafgerichte im Westen (bet. 44

Ein entschiedener Kirchenkritiker wie der Schweizer Isaak Iselin (1728– 1782) ging in seinen erstmals 1764 publizierten Reflexionen Über die Geschichte der Menschheit davon aus, dass es gerade die Vernunft sei, die den Menschen zu der Einsicht führte, nur „Werkzeug“ in jenem größeren Zusammenhang zu sein, das seinen Lebenszweck in der Beförderung der „wohlth tigen gttlichen Absichten“ finden würde, die sich aus der Betrachtung der dem Zufall enthobenen „Ordnung“ und „Harmonie“ der Dinge erschlössen. 45 Fleischer tendierte dazu, diese und ähnliche Befunde, die das allgemeinere Epochenbild der deutschen Historiographiegeschichte ohnehin nicht nennenswert beeinflusst haben, zu nivellieren. 46 Rüsens Haltung hingegen blieb ambivalent, zumal Wolfgang Hardtwig nahezu zeitgleich, im Zuge der Auseinandersetzung mit religiösen Elementen („Ge–––––––— 44

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Ludwig August Schlözer, Vorstellung seiner Universal-Historie (1772/73). Mit Beilagen. Hrsg., eingel. u. kommentiert von Horst Walter Blanke (Beiträge zur Geschichtskultur 4), Hagen 1990, [Teil 1, 1772], S. 37f. Vgl. Fleischer, Geschichtswissenschaft (1991), S. 178f. Jsaak Jselin || (ber die || Geschichte der Menschheit. || Erster Band. || F(nfte mit dem Leben des Verfassers vermehrte Auflage. || Basel, bey Johann Schweighauser, 1786 (Neudruck Hildesheim/New York 1976), S. 62–70, Zitate S. 63. Vgl. Fleischer, Geschichtswissenschaft (1991), S. 179: „Alle bislang zitierten Aussagen zur Vorsehungslehre und zum religiösen Nutzen historischer Erinnerungsarbeit stammen aus programmatischen Einleitungen in historiographische Werke oder aus sonstigen theoretischen Texten. Sie alle lassen vermuten, daß in der Historiographie der zitierten Historiker eine Fülle von religiösen Deutungsschemata verwandt wurden. Aber: Wenn man die historiographische Praxis der Aufklärungshistoriker selbst untersucht, dann tritt sehr schnell eine völlige Ernüchterung ein, denn man stellt sofort fest, daß nur äußerst selten ein historisches Ereignis durch einen Rekurs auf die göttliche Vernunft oder Gottes Hand erklärt und interpretiert wird.“ Die Folgerung, dass diese theoretische Reflexion „die (Kirchen-)Historiker von der Aufgabe“ entlastet habe, „in jeder einzelnen Begebenheit Gottes Handeln nachweisen zu müssen“, ebd., S. 200, setzt die überzogene Annahme voraus, dass dies in früheren Zeiten notwendig der Fall gewesen sei. Blanke, Historiographiegeschichte (1991), S. 124f., zitiert Schlözer in verkürzter Form. Die „deutschen Aufklärungshistoriker“ hätten „am positiven Wert der Religion grundsätzlich“ festgehalten, „Schlözer etwa betonte, daß bei den historischen Erinnerungsarbeiten zuweilen ‚hie und da ein kleiner Schimmer von den wunderbaren Wegen der Vorsehungǥ erkennbar werde.“

57 schichtsreligion“) in der Erkenntnistheorie des Historismus, zu dem überraschenden Ergebnis kam: „Ranke, Droysen oder Meinecke […] sprechen ganz unverstellt von ‚Gottǥ, dem ‚Göttlichen und Ewigenǥ oder dem ‚Absolutenǥ als Ziel der historischen Erkenntnisbemühung.“47 Rüsen vertrat in der Folgezeit zwar weiterhin die Ansicht: „Der aus den Tatsachen kritisch ausgetriebene […] religiöse Sinn verwandelte sich im Medium der Religionskritik der Aufklärung in die Vernunftgewißheit autonomer Subjekte.“ 48 Mit Fleischer und in Anlehnung an Hardtwigs Terminologie war nun allerdings anzumerken, dass „Geschichtsreligion kein besonderes Kennzeichen des (deutschen) Historismus“ sei, „sondern schon [!] in der deutschen Spätaufklärung als fundamentale Bedingung historischer Sinnbildung auftritt.“ 49 Weitere Differenzierungen, etwa zwischen den Konfessionen oder zwischen laikalen und klerikalen Gottesbildern, wurden nicht angestrebt. Im Zusammenspiel mit der herkömmlichen Vorstellung eines Primats des Staats im Denken des Historismus konzentrierte sich Rüsens Interpretation des Religiösen im 19. Jahrhundert vielmehr auf die angenommene und als verhängnisvoll gedeutete Allianz mit der Idee der Nation: „In ihrem Konzept drückt sich der religiöse Sinn, den der Historismus historischen Erfahrungen abgewann, politisch aus. Der Historismus läßt sich daher als eine kulturell elaborierte Form der religiösen Inbrunst verstehen, die den Nationalismus massenpsychologisch wirksam und gefährlich gemacht hat.“ 50 Die Durchsetzung „einer radikale[n] Verinnerweltlichung der der geschichtlichen Erfahrung im ganzen zugesprochenen Sinn-Totalität“ galt nun nicht mehr als Verdienst der Aufklärung – oder des Humanismus –, sondern, mit Hardtwig, als Resultat marxistischer Geschichtsphilosophie und weberscher Wissenschaftstheorie. 51 Aus all dem folgt, dass Veränderungen im Denken des Geschichtsprozesses als Ganzem und das Vorhandensein religiös, konfessionell oder kle–––––––— 47

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Wolfgang Hardtwig, Geschichtsreligion – Wissenschaft als Arbeit – Objektivität. Der Historismus in neuer Sicht, in: HZ 252 (1991), S. 1–32, hier S. 1f. Dieser Beitrag führte in der Tat ein vernachlässigtes Element in die Debatte ein. Unter den „Grundzüge[n] der historistischen Geschichtstheorie“ findet sich noch bei Rüsen, Konfigurationen (1993), S. 106ff., kein ausdrücklicher Hinweis auf die Bedeutsamkeit religiöser Sinnstiftung im 18. oder 19. Jahrhundert. Keine Rolle spielen einschlägige Interpretamente auch im Abschnitt: „Positionen des Klassischen Historismus“, von Stefan Jordan, Geschichtstheorie in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die Schwellenzeit zwischen Pragmatismus und Klassischem Historismus, Frankfurt a. M./New York 1998, S. 151–176. Jörn Rüsen, Historische Methode und religiöser Sinn – Vorüberlegungen zu einer Dialektik der Rationalisierung des historischen Denkens in der Moderne, in: Küttler/ Rüsen/Schulin (Hrsg.), Geschichtsdiskurs, Bd. 2 (1994), S. 344–377, hier S. 363. Vgl. ebd., S. 376 Anm. 52; ders., Geschichte im Kulturprozeß, Köln/Weimar/Wien 2002, S. 34 mit Anm. 62. Vgl. ders., Methode (1994), S. 367; ders., Geschichte (2002), S. 37f. Vgl. ebd., S. 38; Hardtwig, Geschichtsreligion (1992), S. 15ff.

58 rikal bestimmter Elemente in der historiographischen Theorie und Praxis nicht mit Modifikationen des technischen Niveaus kurzgeschlossen werden können. Zwischen beiden Bereichen besteht kein bisher in irgendeiner Form nachgewiesenes „dialektisches“ Verhältnis. Ein Werk wie die Acta Sanctorum wurde von solchen geschichtsphilosophischen Spekulationen allerdings insofern erfasst, als es der Historiographiegeschichte bis heute kaum erklärbar war, worin die Leistung seiner Verfasser bestanden haben könnte, wenn nicht darin, Teil dieses Prozesses gewesen zu sein. Aufgrund seines limitierten Erkenntnisinteresses ist der Ansatz Rüsens und Blankes inzwischen vielfach kritisiert worden. 52 Wie hier nur kursorisch angedeutet werden konnte, sind die mit ihm einhergehenden Probleme nicht nur konzeptionellen, sondern auch – und essentiell – empirischen Charakters. Chantal Grell und Mouza Raskolnikoff benötigten für die Darstellung eines vergleichsweise beschränkten Themenfelds, der Antikenrezeption in Frankreich zwischen 1680 und der Französischen Revolution, insgesamt rund 2000 Seiten. 53 Während sich Rüsen und Blanke auf einen idealen Wertekanon konzentrierten, der als Signatur des sich in der Spätaufklärung durchsetzenden bürgerlichen Geschichtsbegriffs diskutiert wurde, 54 wurde von Grell die –––––––— 52

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Vgl. Irmline Veit-Brause, Eine Disziplin rekonstruiert ihre Geschichte. Geschichte der Geschichtswissenschaft in den 90er Jahren (I), in: NPL 43 (1998), S. 36–66, bes. S. 36f., 40–47; ferner Siegfried Baur, Revidivus oder redivivus? Zur Kritik neuerer Historiographiegeschichtsschreiber, in: Etappe 9 (1993), S. 136–143; Daniel Fulda, Wissenschaft aus Kunst. Die Entstehung der modernen deutschen Geschichtsschreibung 1760–1860 (European Cultures. Studies in Literature and the Arts 30), Berlin/New York 1996, S. 10ff.; Christoph Popp, Der Mannheimer Altertumsverein 1859–1949. Regionale Forschungen, Sozialstruktur und Geschichtsbild eines Historischen Vereins (Mannheimer historische Forschungen 10), Mannheim 1996, S. 10f.; Thomas Brechenmacher, Postmoderner Geschichtsdiskurs und Historiographiegeschichte. Kritische Bemerkungen mit Blick auf eine narrativistische Darstellung, in: HJb 119 (1999), S. 295–306, hier S. 295ff.; Thomas Prüfer, Die Bildung der Geschichte. Friedrich Schiller und die Anfänge der modernen Geschichtswissenschaft (Beiträge zur Geschichtskultur 24), Köln/Weimar/Wien 2002, S. 10–18; Susanne Rau, Geschichte und Konfession. Städtische Geschichtsschreibung und Erinnerungskultur im Zeitalter von Reformation und Konfessionalisierung in Bremen, Breslau, Hamburg und Köln (Hamburger Veröffentlichungen zur Geschichte Mittel- und Osteuropas 9), Hamburg/München 2002, S. 85f. Anm. 48, S. 504 Anm. 1459f.; Angelika Epple, Historiographiegeschichte als Diskursanalyse und Analytik der Macht. Eine Neubestimmung der Geschichtsschreibung unter den Bedingungen der Geschlechtergeschichte, in: L’homme 15 (2004), S. 77–96, hier S. 77ff. Vgl. Mouza Raskolnikoff, Histoire romaine et critique historique dans l’Europe des Lumières. La naissance de l’hypercritique de la Rome antique (Collection de l’École française de Rome 163), Rom 1992; Chantal Grell, Le Dix-huitième siècle et l’antiquité en France. 1680–1789, 2 Bde. (SVEC 330/331), Oxford 1995. Blanke, Historiographiegeschichte (1991), S. 144: „Die Geschichtsschreibung der Aufklärung betont die Emanzipation des Menschen von allen Formen ungerechtfertigter Autorität; sie wendet sich gleichermaßen gegen willkürliche weltliche Herrschaft und gegen erstarrte kirchliche Institutionen. Sie betont demgegenüber den Glauben an die Eigengesetzlichkeit der Vernunft, den Gedanken der politischen

59 Frage nach schichtenspezifischen Geschichtskonstruktionen allererst gestellt („L’antiquité ‚bourgeoiseǥ“, „L’antiquité ‚aristocratiqueǥ“, „L’antiquité ‚absolutisteǥ“). 55 Die theoretischen Traktate der deutschen Spätaufklärung sind überdies in ihrer Aussagekraft beschränkt. Vorgänge wie „Entrhetorisierung“ und „Narratisierung“ der darstellenden Formen waren und sind anhand ihrer zwar kaum zu untersuchen, bekleideten im kategoriellen Geflecht des von Rüsen und Blanke entwickelten Gebäudes jedoch zentrale Positionen. Auf der Basis der von Kessler ausgewerteten Traktate der ars –––––––—

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Gleichberechtigung und des bürgerlichen Verhältnisses zwischen verschiedenen Völkern und Rassen, die Idee der Toleranz zwischen den verschiedenen Religionen – und sie formuliert eine feste Zuversicht in die Unaufhaltsamkeit des Fortschritts. […] Von den Historikern der Spätaufklärung ist der Emanzipationsgedanke auch als leitender Gesichtspunkt ihrer historiographischen Bemühungen expliziert worden. Kritisch setzten sie sich von voraufklärerischen Formen der Geschichtsschreibung, insbesondere von der barocken Regentengeschichte, ab und begründen als Aufgabe einer zeitgemäßen Historiographie den Versuch einer Geschichte des Bürgertums und bürgerlicher Unternehmungen […].“ Rüsen, Konfigurationen (1993), S. 139–156, entwickelte diese Frage ausführlich am Beispiel Friedrich Schillers (1759–1805). Natürlich stand nicht für alle Aufklärer die Gleichberechtigung zwischen den Völkern am Horizont. Vgl. etwa [Christoph] M[einers], Von den Variet ten und Abarten der Neger, in: Gttingisches || Historisches Magazin || von C. Meiners und L. T. Spittler. || Sechster Band. || Hannover || im Verlage der Gebrüder Helwing || 1790, 625–645, hier S. 625, ging davon aus: „Die h ßlichen, dummen, und (belartigen Neger machen […] die grste Zahl der urspr(nglichen Einwohner von Afrika aus.“ Hoffnung auf Besserung bestand für diese Leute nur unter europäischer Herrschaft. Vgl. ebd., S. 642f.: „Die fortschreitende Verbesserung des Afrikanischen Bluts durch die best ndige neue Vermischung mit Europ ischem, die sich in allen hnlichen F llen auch in den (brigen Erdtheilen zeigt, gew hrt die angenehme Aussicht, daß die Europ er nicht bloß durch ihre Herrschaft, und Aufkl rung, sondern auch vorz(glich durch ihre Vermischung mit andern weniger edlen Vlkern zur Vervollkommnung und Begl(ckung der letztern beytragen knnen, und beytragen werden. || So wie die Neger=Raçe durch Europ isches Blut veredelt […] wird […]; so wird sie auf der andern Seite noch mehr verschlimmert, wenn sie sich mit den urspr(nglichen Americanern vermischt.“ Vgl. dazu zuletzt auch Wolfgang Hardtwig, Einleitung, in: ders., Hochkultur des bürgerlichen Zeitalters (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 169), Göttingen 2005, S. 9–18, hier S. 15: „Eine, wenn nicht überhaupt die wesentlichste Form, in der sich das Bürgertum über seine eigenen ökonomischen und kulturellen Leistungen, über seine politischen Konzepte und insofern auch über seine Zukunftsperspektiven verständigte, war die Geschichtsschreibung.“ Dabei wird festgehalten: „Geschehenes und Zurückliegendes zu erinnern und erzählend zu vergegenwärtigen, ist keine spezifische Leistung des Bürgertums, Geschichtsschreibung gibt es in allen alphabetisierten Kulturen. Das Christentum hatte ein heilsgeschichtliches Schema geschaffen, das insofern einem säkularen Fortschrittsdenken vorarbeitete, als es die Vergangenheit im Blick auf eine zukünftige – wenn auch außerweltliche – Vollendung organisierte. Der für das Geschichtsdenken seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert charakteristische Entwicklungsgedanke aber trägt die Signatur des aufsteigenden Bürgertums. Er organisiert das gesamte Wissen über alle Formen menschlicher Kultur unter dem Gesichtspunkt, dass sich der Sinn allen Tuns durch Orientierung am Zeitablauf erschließt und dass dieser Ablauf insgesamt zu verstehen ist als eine permanente, wenn auch immer wieder retardierte Steigerung von Kultur und Wohlfahrt.“ Vgl. Grell, Le Dix-huitième siècle, Bd. 1 (1995), S. 500–538.

60 historica assoziierte sich „Rhetorik“ mit einem sich in der Person des Historiographen verkörpernden, rein ethisch determinierten Begriffs von historischer Wahrhaftigkeit. 56 Diese ältere „Tradition der Geschichtsschreibung“ sei in der Spätaufklärung insofern obsolet geworden, als „die sprachlichen Mittel zur Erzielung von Überzeugungskraft als nicht“ länger „ausschlaggebend für die Konsensfähigkeit der historischen Erkenntnis“ betrachtet worden seien. 57 Daher bedeutete die „Narratisierung“ für Rüsen und Blanke, –––––––— 56

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Vgl. Blanke, Historiographiegeschichte (1991), S. 89, 147; vgl. auch Wolfgang Hardtwig, Die Verwissenschaftlichung der Geschichtsschreibung und die Ästhetisierung der Darstellung, in: Theorie der Geschichte. Beiträge zur Historik, Bd. 4: Formen der Geschichtsschreibung, hrsg. v. Reinhart Koselleck/Heinrich Lutz/Jörn Rüsen, München 1982, S. 147–191, hier S. 153: „Die Wahrheit der Geschichte stellt sich dem rhetorisch-humanistischen Geschichtenerzähler nicht als logisches oder gnoseologisches Problem dar, sondern als eine Frage des Willens zur Aufrichtigkeit, als ein ethisches Problem.“ Eckhard Kessler, Das rhetorische Modell der Historiographie, in: ebd., S. 37–85, hier S. 72f., hatte sich etwas umfangreicher geäußert. Für die italienischen Theoretiker des 16. Jahrhunderts habe sich mit dem Problem „Wahrhaftigkeit“ zwar „zunächst eine moralische Haltung“ verbunden. „Aber“, so Kessler, „die Artes historicae bleiben nicht bei der moralischen Forderung stehen, sondern operationalisieren diese durch eine Analyse jener Bedingungen, unter denen historischer Überlieferung Wahrheitscharakter zugebilligt wird und durch deren methodische Beobachtung der Wille zur Wahrhaftigkeit sich realisieren kann.“ Es ist wichtig, sich zu vergegenwärtigen, dass das Attribut der „rhetorischen“ Historiographie als Epochensignatur aus der analytischen Klassifikation dieser theoretischen Trakate erwuchs und nicht aus dem Studium frühneuzeitlicher Geschichtswerke. Rüsen, Konfigurationen (1993), S. 64. Konzediert wird in diesem Zusammenhang: „Der Ausdruck ‚Entrhetorisierungǥ ist eine Verlegenheitsvokabel. Mit ihm soll weder die Rhetorik als irrational qualifiziert noch die Wissenschaftlichkeit der historischen Erkenntnis als unvereinbar mit rhetorischen Prinzipien der Gestaltung historischen Wissens erklärt werden. Er soll vielmehr zweierlei ausdrücken: einmal das Selbstverständnis der Historiker, die den Verwissenschaftlichungsprozeß des historischen Denkens bewußt und reflektiert vorangetrieben haben. Außerdem soll er eine qualitative Änderung in der Art der Geschichtsschreibung selber ansprechen.“ Ebd. Vgl. auch Blanke, Historiographiegeschichte (1991), S. 165: „Mit der Verlegenheitsvokabel der Entrhetorisierung soll dabei weder die rhetorische Geschichtsschreibung als irrational disqualifiziert werden – sie hat ihre eigene Rationalität – noch soll damit behauptet werden, wissenschaftliche Geschichtsschreibung sei grundsätzlich unvereinbar mit den der Rhetorik entstammenden Regeln der darstellerischen Gestaltung. || Allerdings schließt die Verwissenschaftlichung der Historie eine antirhetorische Wendung ein: Die entstehende Fachhistorie setzt sich insofern scharf von der historischen Schriftstellerei ab, als eine schöne sprachliche Gestaltung nicht mehr allein als ausschlaggebend für die Überzeugungskraft historischer Darstellung angesehen wurde […].“ Die Umschreibungen der Rhetorik als „historische Schriftstellerei“ oder als Anleitung für eine „schöne sprachliche Gestaltung“ des Stoffes lassen auf ein letztlich kolloquiales Verständnis von „Rhetorik“ schließen. In einem technischen Sinn ist die Rhetorik, als das frühneuzeitliche Wissenschaftsreflexion terminologisch und systematisch tragende referentielle Gerüst, auf diese Weise nicht zu beschreiben. Vgl. auch Rüsen, Methode (1994), S. 345: „Die Entstehung modernen historischen Denkens ist ein Vorgang, in dem das ältere Methodenkonzept in das jüngere transformiert wird. Historiographie als literarische Form verliert den Charakter eines Kunstprodukts, das regelgeleitet hergestellt werden kann. Das heißt natürlich nicht, daß moderne Histo-

61 und dies ist sehr wichtig, einen über die sprachliche Form hinausgreifenden Paradigmenwechsel, da mit der „narrativen Synthesebildung […] die wissenschaftskonstitutive diskursive Rationalität methodischer Begründung […] in die historiographische Formung des historischen Wissens“ überhaupt erst Eingang gefunden habe. Die vermeintliche „Preisgabe der rhetorischen Tradition in der Reflexionsarbeit der Geschichtswissenschaft“ 58 wird im wesentlichen aus zwei Quellen deduziert. Zum einen aus einer Invektive Schlözers gegen die Zuverlässigkeit der Darstellungen Voltaires: „Denkm ler, Annalen, und Specialgeschichten lehren uns theilweise, wie sie [die Welt] vordem w a r . Fabeln, Romane, und Voltaires zeigen, wie sie h tte sein k  n n e n . Sittenlehrer, Politiker, und Naturkenner bestimmen, wie sie seyn s o l l t e .“ 59 Zum anderen wird auf die Klage des damaligen Studenten Johann Christian Kestner (1741–1800) über diejenigen verwiesen, welche aus der Geschichte einen schimmernden Roman machen, ein Gedicht, welches nur so lange gefällt, als wir den Betrug nicht merken, oder als wir uns, durch hervorstechende Schilderungen und unterhaltende Auftritte beschäftigt, gern hinter gehen lassen. Diese bleiben weit unter unserer Erwartung, und dies ist genug, uns zu misfallen; denn wir erwarten Wahrheit. Sie erzählen unter dem Nahmen eines würklichen oder bekanten Volks nur die Geschichte ihrer Einbildungskraft. Wir sehen Begebenheiten, die sich nie zugetragen haben, und vielleicht unmöglich anders, als in der Vorstellung dieser Geschichtschreiber zutragen konnten […]. 60

Es sei dahingestellt, ob Schlözers und Kestners Insistieren auf dem für die historia als vera narratio seit jeher konstitutiven Tatsächlichkeitsanspruch 61 sowie die Distanzierung von ihres Erachtens in dieser Hinsicht unzulänglichen Darstellungen in einem technischen Sinn als Auseinandersetzung mit der Tradition der Rhetorik interpretiert werden können. Wichtiger ist, dass –––––––—

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riographie ungeregelt wäre, sondern nur: daß ihre literarische Regelung nicht mehr ausreicht, um dem historischen Wissen die als unverzichtbar angesehene Geltungskraft zu geben […].“ Der Nachweis, dass „literarische Regelung“ zu irgendeinem historischen Zeitpunkt ausgereicht hätte, um die Akzeptanz einer historiographischen Darstellung zu gewährleisten, wird von Rüsen nicht erbracht und wäre wohl auch kaum zu erbringen. Ders., Konfigurationen (1993), S. 65f. Schlözer, Vorstellung [Teil 1, 1772], ed. Blanke (1990), S. 3f.; vgl. auch ebd., S. 45: „Die Kritik gr bt […] Facta aus Annalen und Denkm lern einzeln aus, (die Voltaires machen sie selbst, oder f rben sie wenigstens): die Zusammenstellung ist das Werk des Geschichtschreibers.“ Johann Christian Kestner, Untersuchung der Frage: Ob sich der Nutzen der neuern Geschichte auch auf Privatpersonen erstrecke? (1767), in: Blanke/Fleischer (Hrsg.), Theoretiker, Bd. 2 (1990), Nr. 41, S. 699–705, hier S. 700f. mit Anm. 60. Vgl. Rüsen, Konfigurationen, S. 65f. mit Anm. 56, 60; Blanke, Historiographiegeschichte (1991), S. 165f., hier allerdings ohne diese Quellen. Vgl. Daniel Fulda, Art. Historiographie, in: Jordan (Hrsg.), Lexikon (2002), S. 152– 155, hier S. 152; Paul Ricœur, Art. Wahrheit, historische, in: ebd., S. 316–320, hier S. 316.

62 aus diesem, auf der zeitgenössischen Theorie errichteten, 62 Gebäude der Eindruck erwuchs, dass es bis ins späte 18. Jahrhundert keine sich systematisch auf Evidenz stützende Darstellungen von Geschichte und historische Materialien analysierende – und daraus Geltungskraft schöpfende – Verfahrensweisen gab. 63 Dieser Eindruck konnte sich allerdings auch deswegen verfestigen, weil sich die frühneuzeitliche Historiographiegeschichte erst in den letzten rund fünfzehn Jahren zu intensivieren begonnen hat. Allgemeine Aussagen über die Verwendung von Belegmaterial in den vielfach voluminösen und auf langjährigen Recherchen beruhenden Geschichtswerken der frühen Neuzeit, ein Problem, dem unlängst ein Themenheft des Journal of the History of Ideas gewidmet war, 64 sind beim Stand der Dinge also kaum möglich. Einige jüngere Arbeiten haben sich mittlerweise, nun in der Tat im Rückgriff auf konkrete historiographische Werke, mit der Entwicklung der erzählenden Formen im Übergang zum Historismus beschäftigt. 65 In retro–––––––— 62

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Auf diese grundsätzliche Problematik haben bereits Arno Seifert, Geschichte oder Geschichten. Historie zwischen Metaphysik und Poetik, in: HJb 96 (1978), S. 389– 410, hier S. 390f., und Chantal Grell, L’histoire entre érudition et philosophie. Étude sur la conaissance historique à l’âge des Lumières (Questions), Paris 1993, S. 13, hingewiesen. Vgl. dazu, mit etwas anderen Akzenten, die Überlegungen von Ulrich Muhlack, Zur katholischen Geschichtskultur in Deutschland im 19. Jahrhundert, in: Wissenskulturen. Beiträge zu einem forschungsstrategischen Konzept, hrsg. v. Johannes Fried/ Thomas Kailer (Wissenskultur und gesellschaftlicher Wandel 1), Berlin 2003, S. 105–118, hier S. 106; ders., Einleitung, in: Historisierung und gesellschaftlicher Wandel in Deutschland im 19. Jahrhundert, hrsg. v. dems. (Wissenskultur und gesellschaftlicher Wandel 5), Berlin 2003, S. 7–17, hier S. 8ff.; Epple, Historiographiegeschichte (2004), S. 91f. Solche Einschätzungen können sich auch auf das 17. Jahrhundert als solches beziehen. Es gäbe „keinen Zweifel“ daran, bemerkten Sebastian Neumeister und Conrad Wiedemann 1987 im Rückgriff auf das wissenstheoretische Schrifttum der Zeit, dass den barocken Gelehrten „das Geschäft der Disposition, also der Ordnung und Befestigung des Tradierten, sehr viel näher lag als das der rationalen Begründung und der empirischen Wissenserweiterung. Soweit letzteres überhaupt geübt wurde, war es Vorklang der neuen, der kritischen Epoche.“ Sebastian Neumeister/Conrad Wiedemann, Vorwort, in: Res publica litteraria. Die Institutionen der Gelehrsamkeit in der frühen Neuzeit, hrsg. v. dens., Teil 1 (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung 14), Wiesbaden 1987, S. IX–XI, hier S. X; vgl. auch Scholz, Archiv (2002), S. 22, 28, 40. Demnach sei das „barocke Wissensmodell“ letztlich „an der eigenen Statik gegenüber der Fülle der sinnlichen Daten gescheitert […].“ Vgl. Jacob Soll, Introduction. The Uses of Historical Evidence in Early Modern Europe, in: JHI 64 (H. 2. Themenheft: The Uses of Historical Evidence in Early Modern Europe) (2003), S. 149–157. Die maßgeblichen Impulse setzte die literaturwissenschaftliche Studie von Fulda, Wissenschaft (1996). Unter Berücksichtigung fiktionaler Genres und der Dichtungstheorie der deutschen Klassik ging Fulda von der „Kernthese“ aus, „daß die Adaption von Literatur, Poetik und Ästhetik der Zeit um 1800 eine grundlegend neue Art der Auffassung, Erkenntnis, Strukturierung, Erklärung und Deutung des zu erkennenden Geschichtsprozesses wie der zu erstellenden Geschichtserzählung konstituierte, und zwar jene, auf deren Grundlage die Geschichtswissenschaft bis in die Gegenwart ar-

63 spektiver Hinsicht allerdings wären die hier erzielten Resultate, langfristig gesehen, mit den Gegebenheiten des 17. Jahrhunderts abzugleichen. Denn zum einen wird man historiographische Werke wie Louis Maimbourgs (1610–1686) Histoire du Calvinisme von 1682 66 oder Louis Sébastien Le Nain de Tillemonts (1637–1698) zwischen 1690 und 1701 in fünf Bänden gedruckte Histoire des empereurs et des autres princes qui ont regné durant les six premiers siècles de l’église, 67 um nur zwei beliebige Beispiele zu nennen, kaum als Vertreter einer „rhetorischen“ oder „nicht-narrativen“ Historiographie qualifizieren können. Der mit der darstellenden Praxis kaum zu vereinbarende Gedanke an eine Entwicklung von der „Rhetorik“ zur „Narration“ wäre also zugunsten des Studiums des breiten Felds der durchgängig aufweisbaren erzählenden Formen zu modifizieren – ohne dass damit gesagt wäre, dass die Rhetorik als wissenschaftssystematische Basis frühneuzeitlicher Gelehrsamkeit nicht analysiert werden sollte. Zum anderen ist die Perspektive dahingehend zu erweitern, dass neben erzählenden Formen, denen aus literaturwissenschaftlicher Sicht das Hauptaugenmerk gilt, 68 auch andere und mit ihnen koexistierende Formen der sprachlichen –––––––—

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beitet.“ Zusammenfassend ders., Erschrieben oder Aufgeschrieben? Zu einigen Problemen der aktuellen Historiographieforschung, in: HJb 120 (2000), S. 301–316, hier S. 302. Die Debatte um die Frage der Narrativität ist mit Fuldas Arbeit in empirischer Hinsicht erst eröffnet worden, auch wenn seine Resultate und Vorgehensweisen zu Widerspruch herausgefordert haben. Vgl. Brechenmacher, Geschichtsdiskurs (1999). Die besondere Bedeutung, die Fulda mit der Geschichtsschreibung Schillers und, neben Johann Gottfried Herder (1744–1803), mit dessen ästhetischen, geschichts- und wissenschaftstheoretischen Reflexionen verbinden konnte, wurde inzwischen bestätigt. Auf ähnlichen Grundlagen, sich aber teilweise entschieden gegen Fulda wendend, gelangte auch Johannes Süssmann, Geschichtsschreibung oder Roman? Zur Konstitutionslogik von Geschichtserzählungen zwischen Schiller und Ranke (1780– 1824) (Frankfurter historische Abhandlungen 41), Stuttgart 2000, S. 75–112, zu dem Ergebnis, dass mit Schiller eine sich als „Revolution der Darstellung“ entfaltende „Neubegründung der Geschichtsschreibung“ zu konstatieren sei. Zitate ebd., S. 75, 83; vgl. ferner Prüfer, Bildung (2002), S. 14ff.; 354ff. Bereiche jenseits des traditionellen geistesgeschichtlichen Kanons erschließt Angelika Epple, Empfindsame Geschichtsschreibung. Eine Geschlechtergeschichte der Historiographie zwischen Aufklärung und Historismus (Beiträge zur Geschichtskultur 26), Köln/Weimar/Wien 2003. Vgl. Ruth Whelan, The Anatomy of Superstition. A Study of the Historical Theory and Practice of Pierre Bayle (SVEC 259), Oxford 1989, S. 61–81; Jean-Louis Quantin, Croisades et supercroisades. Les „Histoires“ de Maimbourg et la politique de Louis XIV, in: Les princes et l’histoire du XIVe au XVIIIe siècle. Actes du colloque organisé par l’Université de Versailles – Saint-Quentin et l’Institut Historique Allemand, Paris/Versailles, 13–16 mars 1996, hrsg. v. Chantal Grell/Werner Paravicini/ Jürgen Voss (Pariser Historische Studien 47), Bonn 1998, S. 619–644. Vgl. Bruno Neveu, Un historien à l’école de Port-Royal. Sébastien Le Nain de Tillemont. 1637–1698 (Archives internationales des idées 15), Den Haag 1966. Vgl. Jörg Schönert, Zum Status und zur disziplinären Reichweite von Narratologie, in: Geschichtsdarstellungen. Medien – Methoden – Strategien, hrsg. v. Vittoria Borsò/

64 Darstellung zu berücksichtigen sind, etwa deskriptive, analytische und exegetische. Die Bandbreite historiographiegeschichtlich relevanter Textsorten, die mithin in ein und demselben Werk zur Anwendung kommen konnten, ist mit der Dualität „Rhetorik“ und „Narration“ ohnehin nicht zu erfassen. Neben den traditionellen chronistischen, annalistischen oder biographischen Formen und deren Entwicklung ist an weitere, im 17. Jahrhundert prominent vertretene Textsorten zu denken, etwa an romaneske 69 und kommentierende 70 oder an solche didaktischen 71 oder theoretischen Charakters. 72 Die Editorik, die teilweise bis heute, inspiriert von Arnaldo Momiglianos (1908–1987) berühmtem Essay Ancient History and the Antiquarian von 1950, 73 auf chronologisch problematische Weise als Reaktion auf eine vermeintliche Krise der historiographischen Produktion im 17. Jahrhundert interpretiert wird, 74 welche aus den – realiter später an Wirkungsmacht –––––––— 69

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Christoph Kann (Europäische Geschichtsdarstellungen 6), Köln/Weimar/Wien 2004, S. 131–143, hier S. 134. Vgl. Gustave Dulong, L’abbé de Saint-Réal. Étude sur les rapports de l’histoire et du roman au XVIIe siècle, 2 Bde., Paris 1921 (Neudruck Genf 1980); Andrée Mansau, Saint-Réal et l’humanisme cosmopolite, Lille 1976; dies., Saint-Réal. Un historien au miroir (1643–1692), in: Histoire en Savoie 27 (1992), H. 105, S. 1–67. Vgl. Markus Völkel, Der Kommentar zu Historikern im 16. und 17. Jahrhundert, in: Der Kommentar in der Frühen Neuzeit, hrsg. v. Ralph Häfner/Markus Völkel (Frühe Neuzeit 115), Tübingen 2006, S. 181–208. Vgl. Raymond E. Wanner, Claude Fleury (1640–1723) as an Educational Historiographer and Thinker (International Archives of the History of Ideas 76), Den Haag 1975. Vgl. Phyllis K. Leffler, The „histoire raisonnée“, 1660–1720. A Pre-Enlightenment Genre, in: JHI 37 (1976), S. 219–240; Arno Seifert, Cognitio historica. Die Geschichte als Namengeberin der frühneuzeitlichen Empirie (Historische Forschungen 11), Berlin 1976; Erich Hassinger, Empirisch-rationaler Historismus. Seine Ausbildung in der Literatur Westeuropas von Guicciardini bis Saint-Evremont (Rombach Wissenschaft – Reihe Historiae 5), Freiburg i. Br. 21994; vgl. zu einzelnen Autoren etwa Philippe-Joseph Salazar, „La divine sceptique“. Éthique et rhétorique au 17e siècle. Autour de La Mothe Le Vayer (Études littéraires françaises 68), Tübingen 2000; François Waquet (Hrsg.), Mapping the World of Learning. The „Polyhistor“ of Daniel Georg Morhof (Wolfenbütteler Forschungen 91), Wiesbaden 2000; vgl. grundsätzlich Astrid Witschi-Bernz, Bibliography of Works in the Philosophy of History. 1500–1800 (History and Theory. Beih. 12), Middletown, Conn. 1972. Vgl. Arnaldo Momigliano, Alte Geschichte und antiquarische Forschung, in: ders., Wege in die Alte Welt. Mit einer Einführung v. Karl Christ, übers. v. Horst Günther, Berlin 1991, S. 79–107; zuerst: ders., Ancient History and the Antiquarian, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 13 (1950), S. 285–315; vgl. dazu Timothy J. Cornell, Ancient History and the Antiquarian Revisited. Some Thoughts on Reading Momigliano’s Classical Foundations, in: Ancient History and the Antiquarian. Essays in Memory of Arnaldo Momigliano, hrsg. v. M. H. Crawford/C. R. Ligota (Warburg Institute Colloquia 2), London 1995, S. 1–14. In Deutschland verbreitete sich diese Vorstellung durch die Ausführungen von Horst Günther, Art. Geschichte, Historie. V. Historisches Denken in der frühen Neuzeit, in: Brunner/Conze/Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 2 (1975), S. 625–647, hier S. 635f. Die mit ihr assozierten Linien gehen auf Paul Hazard, La

65 gewinnenden 75 – Strömungen des historischen Skeptizismus erwachsen seien, ist inzwischen anhand der Werke Melchior Goldasts (1578–1635) 76 oder André Duchesnes (1584–1640) 77 mehr oder minder eingehend studiert worden. Das Zentrum der Forschung bildet hier allerdings nach wie vor die – mit den Bollandisten zumeist in einem Atemzug genannte – hagiographische, historiographische und patristische Editorik der Mauriner. 78 –––––––—

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crise de la conscience européenne (1680–1715), Paris 1935, S. 48ff., zurück. Für die auf das späte 18. und frühe 19. Jahrhundert konzentrierte Literatur bot sie insofern eine bequeme Absatzfolie, als neben dem Entwicklungsgang von der „Rhetorik“ zur „Narration“ ein zweiter Prozess zu konstatieren war, der die durchgreifende Innovativität der Spätaufklärung oder der deutschen Klassik zu illustrieren schien: von der editorischen und quellenkundlichen Basisarbeit zur narrativen Synthese. Vgl. Süssmann, Geschichtsschreibung (2000), S. 53f.: „Systematisch erschließen Leibniz und Muratori neue Quellen, edieren Akten und Dokumente, sammeln Überreste. Sie pflegen die Hilfswissenschaften, die Chronologie, die Diplomatik, die Numismatik. Sie sammeln die Bausteine einer künftigen Geschichtsschreibung. Was man auf diesem Weg […] erhält, sind Berge von gesicherten ‚wahrenǥ Tatsachen, die aus ihrem Zusammenhang in den Partikulargeschichten gelöst und systematisch geordnet werden. Da die historiographische Tradition nicht länger als zuverlässiges Protokoll des Geschehenen gilt, schlachten die Gelehrten sie aus und häufen die haltbaren Informationen daraus in ihren immer weiter aufquellenden Handbüchern.“ Vgl. grundsätzlich Sergio Bertelli, Ribelli, libertini e ortodossi nella storiografia barocca (Biblioteca di storia 6), Florenz 1973; Carlo Borghero, La certezza e la storia. Cartesianesimo, pirronismo e conoscenza storica, Mailand 1983; Markus Völkel, „Pyrrhonismus historicus“ und „fides historica“. Die Entwicklung der deutschen historischen Methodologie unter dem Gesichtspunkt der historischen Skepsis (Europäische Hochschulschriften. Reihe 3: Geschichte und ihre Hilfswissenschaften 313), Frankfurt a. M./Berlin/New York 1987; Martin Mulsow, Cartesianismus, Libertinismus und historische Kritik. Neuere Forschungen zur Formation der Moderne um 1700, in: Philosophische Rundschau 42 (1995), S. 297–314. Vgl. Anne A. Baade, Melchior Goldast von Haiminsfeld. Collector, Commentator and Editor (Studies in Old Germanic Languages and Literatures 2), New York/San Francisco/Bern [u. a.] 1992; Gundula Caspary, Späthumanismus und Reichspatriotismus. Melchior Goldast und seine Editionen zur Reichsverfassungsgeschichte (Formen der Erinnerung 25), Göttingen 2006. Vgl. Jürgen Voss, Das Mittelalter im historischen Denken Frankreichs. Untersuchungen zur Geschichte des Mittelalterbegriffs und der Mittelalterbewertung von der zweiten Hälfte des 16. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts (Veröffentlichungen des Historischen Instituts der Universität Mannheim 3), München 1972, S. 144–149; Philippe Ariès, Zeit und Geschichte. Aus dem Franz. v. Perdita Duttke, Frankfurt a. M. 1988 [franz. 1986], S. 176f.; Chantal Grell, La monarchie française et l’histoire au XVIIe siècle. Etat des recherches en France, in: dies./Paravicini/Voss (Hrsg.), Princes (1998), S. 535–554, hier S. 536; Emmanuel Bury, Le „Père de l’Histoire de France“. André Duchesne (1584–1640), in: Littératures Classiques 30 (1997), S. 121–131. Vgl. in Auswahl Bruno Neveu, Mabillon et l’historiographie gallicane vers 1700. Érudition ecclésiastique et recherche historique au XVIIe siècle [1976], in: ders., Érudition et religion aux XVIIe et XVIIIe siècles. Préface de Marc Fumaroli, Paris 1994, S. 175–233; Dom Yves Chaussy, Les Bénédictins de Saint-Maur, Bd. 1: Aperçu historique sur la Congregation, (Collection des Études Augustiniennes. Série MoyenÂge et Temps Modernes 24), Paris 1989; Blandine Barret-Kriegel, Jean Mabillon et la science de l’histoire, in: Jean Mabillon, Brièves reflections sur quelques Regles de

66 Die Vermutung, dass es im Lauf des 17. Jahrhunderts zu einer „völligen Verwerfung der Historie“ 79 gekommen sei, konvergiert mit der Tatsache, dass dieser Zeitraum lange Zeit einen „weißen Fleck“ 80 in der deutschen Historiographiegeschichte repräsentierte. Das 17. Jahrhundert aber war gewiss keine historiographische Krisenzeit, sondern stellt ein überaus reiches, aufgrund der dominant lateinischen Schriftproduktion allerdings nicht einfach zu erschließendes Terrain dar. Stefan Benz’ Monographie zur Katholischen Geschichtsschreibung im barocken Heiligen Römischen Reich von 2003 gestattet es erstmals, verlässliche Aussagen zum Gesamtumfang wenigstens eines großen historiographischen Teilkomplexes zu treffen. Benz ermittelte 1076 – im Übrigen durchweg männliche – Autoren, die zwischen 1563 und 1735 mindestens ein als im weiteren Sinne historiographisch zu qualifizierendes Werk zum Druck gebracht haben. 81 Die Werke und Schriften, die nicht in den Druck gelangten, sind damit noch nicht einmal erfasst. Die historiographische Produktion der frühen Neuzeit war insgesamt, unbenommen der „medienwissenschaftlich“ pointierten Konfrontation von skriptographischer und typographischer Kultur,82 in beachtlichen Teilen von der fortdauernden Bedeutsamkeit der Handschriftlichkeit geprägt. Dies gilt nicht nur für die gerade hier aufzusuchende Geschichts–––––––—

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l’histoire [1677]. Préface et notes de Blandine Barret-Kriegel. Texte transcrit par M. N. Baudouin-Matuszek, Paris 1990, S. 7–100; Raskolnikoff, Histoire (1992), S. 38– 48; Daniel-Odon Hurel, The Benedictines of the Congregation of St.-Maur and the Church Fathers, in: The Reception of the Church Fathers in the West. From the Carolingians to the Maurists, hrsg. v. Irena Backus, Bd. 2, Leiden/New York/Köln 1997, S. 1009–1038; Jean-Louis Quantin, Le catholicisme classique et les Pères de l’Église. Un retour aux sources (1669–1713) (Collection des Études Augustiniennes. Série Moyen-Âge et Temps Modernes 33), Paris 1999, S. 189–198; Pierre Gasnault, L’érudition mauriste à Saint-Germain-des-Prés (Collection des Études Augustiniennes. Série Moyen Âge et Temps Modernes 34), Paris 1999; Jean-Claude Fredouille (Hrsg.), Les Mauristes à Saint-Germain-des-Prés. Actes du Colloque de Paris (2 décembre 1999) (Collection des Études Augustiniennes. Série Moyen Âge et Temps Modernes 36), Paris 2001. Süssmann, Geschichtsschreibung (2000), S. 51. Zedelmaier, „Griff“, (1992), S. 450. Vgl. Benz, Tradition (2003), S. 636–673. Vgl. Michael Giesecke, Von den skriptographischen zu den typographischen Informationsverarbeitungsprogrammen. Neue Formen der Informationsgewinnung und -darstellung im 15. und 16. Jahrhundert, in: Wissensliteratur im Mittelalter und in der frühen Neuzeit. Bedingungen, Typen, Publikation, Sprache, hrsg. v. Horst Brunner/Norbert Richard Wolf (Wissensliteratur im Mittelalter 13), Wiesbaden 1993, S. 328–346; Leander Scholz/Andrea Schütte, „Heiliger Sokrates, bitte für uns!“ – Simulation und Buchdruck, in: Gelehrte Kommunikation. Wissenschaft und Medium zwischen dem 16. und 20. Jahrhundert, hrsg. v. Jürgen Fohrmann, Wien/Köln/Weimar 2005, S. 21–128; vgl. auch die Debatte zwischen Elizabeth L. Eisenstein, An Unacknowledged Revolution Revisited, in: AHR 107 (2002), S. 87–105; Adrian Johns, How to Acknowledge a Revolution, in: ebd., S. 106–125; Elizabeth L. Eisenstein, Reply, in: ebd., S. 126–128.

67 schreibung von Frauen und insbesondere Nonnen, 83 für lokale, städtische und territoriale Zusammenhänge, 84 sondern auch für die – sich in vollem Umfang häufig erst aus den Nachlässen erschließende – Tätigkeit altertumskundlicher Gelehrter und der sich um sie konstituierenden Zirkel. 85 Die Aufgabe der vorliegenden Arbeit wird es sein, verlässliche Aussagen über die Acta Sanctorum zu erarbeiten, über die Arten der Organisation, der Präsentation und Diskussion der historischen Materialien, über ihre Charakteristik im Kontext der editorischen Bestrebungen der frühen Neuzeit und die sich mit ihnen assoziierenden Fremd- und Eigenbilder. Welchem Zweck sollten die Acta Sanctorum dienen? Auf welchen Fundamenten wurden sie errichtet? Wie veränderten sich historische Kenntnisse im Durchgang durch die Acta Sanctorum? Welche Aussagen über die Lage der Historiographie und Hagiographie im 17. Jahrhundert sind aus dem Vorgehen Rosweydes, Bollands und seiner Nachfolger abzuleiten? Worin unterschieden sie sich von anderen hagiographischen Sammelwerken, etwa von der erstmals zwischen 1570 und 1575 in sechs Bänden erschienener Sammlung De probatis Sanctorum historiis des Kölner Kartäusers Laurentius Surius (1522– 1578)? 86 Weshalb wird mit den Bollandisten, nicht aber mit Surius – oder –––––––— 83

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Vgl. Charlotte Woodford, Nuns as Historians in Early Modern Germany (Oxford Modern Languages and Literature Monographs), Oxford 2002; Kate J. P. Lowe, Nuns’ Chronicles and Convent Culture in Renaissance and Counter-Reformation Italy, Cambridge 2003. Vgl. Peter Wolf, Bilder und Vorstellungen vom Mittelalter. Regensburger Stadtchroniken der frühen Neuzeit (Frühe Neuzeit 49), Tübingen 1999; Heiko Droste, Schreiben über Lüneburg. Wandel von Funktion und Gebrauchssituation der Lüneburger Historiographie (1350 bis 1639) (Veröffentlichung der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen 195), Hannover 2000; Thomas Fuchs, Geschichtsschreibung in Hessen in der frühen Neuzeit. Traditionsstiftung und Erinnerungspolitik (Hessische Forschungen zur geschichtlichen Landes- und Volkskunde 40), Kassel 2002; Rau, Geschichte (2002); Frank Glashoff, Quellenkritische Anmerkungen zu frühneuzeitlichen Glatzer Chroniken, in: Glaciographia Nova. Festschrift für Dieter Pohl, hrsg. v. Arno Herzig, Hamburg 2004, S. 73–92; Susanne Rau, Erinnerungskultur. Zu den theoretischen Grundlagen frühneuzeitlicher Geschichtsschreibung und ihrer Rolle bei der Ausformung kultureller Gedächtnisse, in: Neue Zugänge zur Geschichte der Geschichtswissenschaft, hrsg. v. Jan Eckel/Thomas Etzemüller, Göttingen 2007, S. 135–170, hier S. 138 mit Anm. 14. Vgl. Ingo Herklotz, Cassiano Dal Pozzo und die Archäologie des 17. Jahrhunderts (Römische Forschungen der Bibliotheca Hertziana 28 = Veröffentlichungen der Bibliotheca Hertziana [Max-Planck-Institut] in Rom), München 1999; Peter N. Miller, Peiresc’s Europe. Learning and Virtue in the Seventeenth Century, New Haven/London 2000. Vgl. Karl Schellhass, Deutsche und kuriale Gelehrte im Dienste der Gegenreformation (1572–1585), in: QFIAB 14 (1911), S. 286–314, hier S. 286ff.; Paul Holt, Die Sammlung von Heiligenleben des Laurentius Surius, in: Neues Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde 44 (1922) (Neudruck Berlin 1957), S. 341–364; ders., Laurentius Surius und die katholische Erneuerung im 16. Jahrhundert, in: Jb. d. Kölnischen Geschichtsvereins 6/7 (1925), S. 52–84; Hildegard Hebenstreit-Wilfert, Wunder und Legende. Studien zu Leben und Werk von Laurentius

68 einem anderen der zahlreichen hagiographischen Sammelwerke der frühen Neuzeit 87 – die Grundlegung der Hagiographie als „Wissenschaft“ verbunden – „à l’époque même où les Kepler, Bacon, Galilée, Descartes jetaient les bases de la modernité scientifique“? 88 In welcher Hinsicht wiederum kann ein hagiographisches Sammelwerk überhaupt historiographiegeschichtliche Relevanz beanspruchen?

2.2 Hagiographiegeschichte Die hagiographischen Gattungen sind von der Mediävistik für die säkulare Geschichtswissenschaft erschlossen worden. 89 In diesem Rahmen wurden –––––––—

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Surius (1522–1578), insbesondere zu seiner Sammlung „De probatis Sanctorum historiis“, Tübingen 1975; Gérald Chaix, Réforme et contre-réforme catholiques. Recherches sur la Chartreuse de Cologne au XVIe siècle, Teil 1 (Analecta Cartusiana 80[,1]), Salzburg 1981, S. 373–379; Serena Spanò Martinelli, Cultura umanistica, polemica antiprotestante, erudizione sacra nel „De probatis Sanctorum historiis“ di Lorenzo Surio, in: Raccolte di vite di santi dal XIII al XVIII secolo. Strutture, messaggi, fruizioni, hrsg. v. Sofia Boesch Gajano (Università degli Studi di Roma „La Sapienza“. Collana del Dipartimento di Studi storici dal Medioevo all’età contemporanea 5), Fasano di Brindisi 1990, S. 131–141; Rau, Geschichte (2002), S. 385ff.; Benz, Tradition (2003), S. 265ff. Vgl. Boesch Gajano (Hrsg.), Raccolte (1990); Gennaro Luongo (Hrsg.), Erudizione e devozione. Le Raccolte di Vite di santi in età moderna e contemporanea (sacro/santo 4), Rom 2000; Sofia Boesch Gajano/Raimondo Michetti (Hrsg.), Europa sacra. Raccolte agiografiche e identità politiche in Europa fra Medioevo ed Età moderna (Università degli studi Roma tre. Dipartimento di Studi storici geografici antropologici. Studi e ricerche 7), Rom 2002. Eigene Beiträge zu den Acta Sanctorum finden sich in diesen Bänden allerdings nicht. Guy Philippart, Introduction, in: Hagiographies. Histoire internationale de la littérature hagiographique latine et vernaculaire en Occident des origines à 1550, Bd. 1, hrsg. v. dems. (Corpus Christianorum. Hagiographies 1), Turnhout 1994, S. 9–24, hier S. 10. Vgl. zur Forschung Stephen Wilson, Introduction, in: Saints and Their Cults. Studies in Religious Sociology, Folklore and History, hrsg. v. dems., Cambridge 1983, S. 1– 53; Sofia Boesch Gajano, Santi e culti. Un progetto collettivo, in: Dimensioni e problemi della ricerca storica 2 (1988), S. 131–142; Patrick Geary, Saints, Scholars, and Society. The Elusive Goal, in: Saints. Studies in Hagiography, hrsg. v. Sandro Sticca (Medieval and Renaissance Texts and Studies 141), Binghampton, N. Y. 1996, S. 1– 22; Edina Bozóky/Anne-Marie Helvétius, Introduction, in: Les reliques. Objets, cultes, symboles. Actes du colloque international de l’Université du Littoral-Côte d’Opal (Boulogne-sur-Mer) 4–6 septembre 1997, hrsg. v. dens. (Hagiologia 1), Turnhout 1999, S. 11–16; Hans-Werner Goetz, Moderne Mediävistik. Stand und Perspektiven der Mittelalterforschung, Darmstadt 1999, S. 162–165; die national organisierten Berichte der Sektion „Gli studi agiografici sul medioevo negli ultimi trenta anni in Europa“, in: Hagiographica 6 (1999), S. 1–168; Anne-Marie Helvétius, Les saints et l’histoire. L’apport de l’hagiologie à la médiévistique d’aujourd’hui, in: Die Aktualität des Mittelalters, hrsg. v. Hans-Werner Goetz (Herausforderungen 10), Bochum 2000, S. 135–163; Francesco Scorza Barcellona, Les études hagiographiques au 20e siècle. Bilan et perspectives, in: RHE 95 (2000), S. 17–33; Klaus Herbers, Hagiogra-

69 und werden die Acta Sanctorum einerseits, nach Maßgabe ihrer gegenwärtigen Funktion, als eine für viele Schriftstücke nach wie vor unerlässliche Quellenausgabe betrachtet, als „principal source for research into the societies and cultures of early Christian and medieval Europe“. 90 Andererseits firmieren sie – und insbesondere die quellenkundlichen Schriften Delehayes – in wissenschaftsgeschichtlicher Hinsicht als Folie der Profilierung säkularwissenschaftlicher Zugriffsweisen, die allerdings bis in die 1980er Jahre hinein von erheblichen hermeneutischen Schwierigkeiten gekennzeichnet waren. 91 Das als faktographisch gering veranschlagte Niveau der Heiligenviten führte im Bemühen, sie für andere Erkenntnisinteressen nutzbar zu machen, zu der Einschätzung, dass ihre mittelalterlichen Verfasser, gegenüber einem in erster Linie devotionalen Zweck dieses Schrifttums, nie den –––––––—

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phie im Kontext. Konzeption und Zielvorstellung, in: Hagiographie im Kontext. Wirkungsweisen und Möglichkeiten historischer Auswertung, hrsg. v. Dieter R. Bauer/ Klaus Herbers (Beiträge zur Hagiographie 1), Stuttgart 2000, S. IX–XXVIII. Nach der Verlagsankündigung von Chadwyck-Healey: Acta Sanctorum Database, Information on the Lives of the Saints and every Aspect of Life from the Beginning of the Christian Era to the End of the Sixteenth Century, Published on CD-ROM and the World Wide Web, Cambridge 1999, [S. 1]. Vgl. Ernesto Menestò/Francesco Scorza Barcellona, Presentazione, in: Hagiographica 1 (1994), S. VII–IX, hier S. VII f .; Philippart, Introduction (1994), S. 10ff.; Raoul C. Van Caenegem, Introduction aux sources de l’histoire médiévale. Typologie. Histoire de l’érudition médiévale. Grandes collections. Sciences auxiliaires. Bibliographie (CCCM), Turnhout 1997, S. 230ff., 276; Art. Bollandisten, in: Res medii aevi. Kleines Lexikon der Mittelalterkunde, hrsg. v. Renate Neumüllers-Klauser, Wiesbaden 1999, S. 37f., hier S. 37. Vgl. Berendt Schwineköper, Christus-Reliquien-Verehrung und Politik. Studien über die Mentalitäten des früheren Mittelalters, insbesondere über die religiöse Haltung und sakrale Stellung der früh- und hochmittelalterlichen deutschen Kaiser und Könige, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 117 (1981), S. 183–281, hier S. 189: „Wunder sind dem aufklärerisch-rational bestimmten Menschen nur schwer verständlich, deshalb steht er auch solchen Vorgängen in der Vergangenheit meist ziemlich ratlos gegenüber. Daher sind ihm manche Verhaltensmuster mittelalterlicher Menschen entweder unbegreiflich oder gar lächerlich. Will man sie verstehen, so muß man davon ausgehen, daß es sich ihrer Sünden bewußten Menschen jener Zeit wenig erfolgversprechend erscheinen mußte, sich mit ihren Bitten und Gebeten etwa direkt an Gott oder den Gottessohn zu wenden […].“ Hans-Martin Schaller, Der heilige Tag als Termin mittelalterlicher Staatsakte, in: DA 30 (1974), S. 1–24, hier S. 3, ging davon aus, dass die von ihm analysierte Koinzidenz von Festtag und politischem Agieren dem „modernen Menschen“ im Sinne einer „Verquickung von Religion und Politik“ als ein „oft unbegreifliche>s@ oder gar sehr unsympathische[s] Merkmal des Mittelalters“ erscheinen könne. Er resümierte: „Ein ungeheurer Bewußtseinswandel trennt uns vom Mittelalter. Wir haben riesige technische und zivilisatorische Fortschritte gemacht, aber wir sind im Vergleich zu unsern Vorfahren in mancher Beziehung auch ärmer geworden. Wir sind ihnen überlegen im rein verstandesmäßigen Denken; sie schauten auch noch auf das der Ratio nicht zugängliche Wesen der Dinge. Mit andern Worten: Wir haben mehr Intellekt, sie hatten mehr Intuition; wir haben mehr Wissen, sie hatten mehr Weisheit. Von dieser Weisheit kündet auch heute noch der ‚Der heilige Tag als Termin mittelalterlicher Staatsakteǥ.“

70 Anspruch erhoben hätten, historiographische Tradition – im Bernheimschen Sinne – zu schaffen. 92 Auf dieser Basis bezeichnete der Jesuit und Psychoanalytiker Michel de Certeau (1925–1986) die Acta Sanctorum insofern als einen negativen Wendepunkt in der Geschichte der Hagiographie, als ihre Vertreter die Heiligenviten, auf vermeintlich unangemessene Weise, dem Tatsächlichkeitsanspruch der Historiographie unterworfen hätten. Mit den Bollandisten verknüpfte er den Beginn des „Vorrechts der ‚Tatsachenǥ“ bei der Bewertung des hagiographischen Schrifttums, den „Übergang von der dogmatischen Wahrheit zur historischen Wahrheit als Selbstzweck“. Da aber „die gelehrte Auswahl nur das in Betracht zieht, was an den Dokumenten ‚aufrichtigǥ oder ‚wahrǥ ist, wird die unkritische Hagiographie (die wichtigste Form) beiseite gedrängt. Eine Spaltung setzt ein.“ De Certeau hingegen suchte zu verdeutlichen: „Die res gestae stellen nur ein Lexikon dar. Jede ‚Heiligenvitaǥ muß vielmehr als ein System betrachtet werden, das – mit Hilfe einer topologischen Kombination von ‚Wahrheitenǥ und ‚Wundernǥ – eine Offenbarung organisiert.“ 93 Diese Urteile entsprechen kaum mehr dem Forschungsstand. Der Anspruch auf Tatsachentreue dürfte für das Gros der – die Geschichtswissenschaft interessierenden – Lebensbeschreibungen der Heiligen ebenso konstitutiv gewesen sein wie ihre memorialen und damit auch traditionalen Sei–––––––— 92

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Vgl. Graus, Volk (1965), S. 42; Lotter, Methodisches (1979), S. 307f.: „Die Frage nach den Kriterien einer Unterscheidung von Hagiographie und reiner Historiographie erfordert zunächst eine Bestimmung des Wesens hagiographischer Literatur. Im Gegensatz zur Historiographie verfolgt die Hagiographie nicht die Absicht, der Nachwelt eine Darstellung geschichtlicher Vorgänge zu vermitteln, sondern will lediglich Heilige und ihre Kulte propagieren, etablieren und stabilisieren. […] Sofern in der Darstellung eines Heiligen und seiner Taten historische Ereignisse und Zustände zur Sprache kommen, werden sie der hagiographischen Zielsetzung des Werkes untergeordnet.“ Lotter bezog sich auf Delehaye, Légendes 41955 [zuerst 1905]. Delehaye hatte aber eher die fließenden Übergänge hervorgehoben und neben einer allgemeineren Nomenklatur die Einzelfallprüfung als unerlässlich bewertet. Vgl. ebd., S. 2: „On le voit, pour être strictement hagiographique, le document doit avoir un caractère religieux et se proposer un but d’édification. Il faudra donc réserver ce nom à tout monument écrit inspiré par le culte des saints, et destiné à le promouvoir. || Ce qu’il importe d’accentuer dès le début, c’est la distinction entre l’hagiographie et l’histoire. L’œuvre de l’hagiographie peut être historique, mais elle ne l’est pas nécessairement. Elle peut revêtir toutes les formes littéraires propres à glorifier les saints, depuis la relation officielle adaptée à l’usage des fidèles jusqu’à la composition poétique la plus exubérante et la plus complètement dégagée de la réalité. || Personne, évidemment, n’oserait soutenir que les hagiographies se sont assujettis partout et toujours à la loi sévère de l’histoire. Mais à quel degré se mesurent leurs écarts? Voilà ce qu’il faut déterminer dans chaque cas particulier.“ Vgl. dazu auch Joassart, Delehaye, Teil 1 (2000), S. 334. Michel de Certeau, Eine Variante. Hagio-graphische Erbauung, in: ders., Das Schreiben der Geschichte. Aus dem Franz. v. Sylvia M. Schomburg-Scherff. Mit einem Nachwort v. Roger Chartier (Historische Studien 4), Frankfurt a. M./New York 1991 [franz. 1975], S. 198–213, hier S. 199, 201.

71 ten. 94 Ausdrücklich thematisiert wurde der Tatsächlichkeitsanspruch etwa in Dietrichs von Apolda († nach 1302/03) Vita der hl. Elisabeth von Thüringen († 1231). 95 Im Prolog bemerkte Dietrich, dass seine Vorlagen ebenso wie die ansonsten zuverlässige Summa Vite Konrads von Marburg († 1233) wichtiger Informationen entbehrten: „In diesen werden nämlich weder die Abstammung der Person und der Würdenträger verzeichnet, noch werden Namen, Ränge und Ämter geschildert, und auch die Mannigfaltigkeit der Gegenden, Orte und Zeiten und die Namen dieser die Historie betreffenden –––––––— 94

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Vgl. Felice Lifshitz, Beyond Positivism and Genre. „Hagiographical“ Texts as Historical Narrative, in: Viator 25 (1994), S. 95–113; Stephanie Coué, Hagiographie im Kontext. Schreibanlaß und Funktion von Bischofsviten aus dem 11. und vom Anfang des 12. Jahrhunderts (Arbeiten zur Frühmittelalterforschung 24), Berlin/New York 1997, S. 18f. Sofern die von de Certeau thematisierte „Spaltung“ genauer untersucht werden sollte, verliefe sie wahrscheinlich nicht zwischen einer Zeit vor und einer Zeit nach den Acta Sanctorum, sondern innerhalb des Spektrums der Hagiographie, beispielsweise zwischen den Gregorviten des Paulus Diaconus († 799) und Hartmanns von Aue († nach 1220) Gregorius. Der Überlieferungszusammenhang des letzteren legt nahe, dass aus dem Bündel möglicher Interessenlagen die moraltheologischen gegenüber den kultischen und traditionalen im Sinne eines Gedächtnisses an die Person Gregors des Großen selbst († 604) überwogen haben dürften. Vgl. Ulrich Ernst, Der „Gregorius“ Hartmanns von Aue im Spiegel der handschriftlichen Überlieferung. Vom Nutzen der Kodikologie für die Literaturwissenschaft, in: Euphorion 90 (1996), S. 1–40, hier S. 18f.; vgl. zur Debatte auch die Fallstudie von Peter Strohschneider, Johannes Rothes Verslegende über Elisabeth von Thüringen und seine Chroniken. Materialien zum Funktionsspektrum legendarischen und historiographischen Erzählens im späten Mittelalter, in: IASL 23 (1998), S. 1–29; weiterhin Guy Philippart, L’hagiographie comme littérature. Concept récent et nouveaux programmes?, in: Revue des Sciences Humaines 251 (Themenheft: L’Hagiographie) (1998), S. 11–39, hier S. 22–26; Hans-Werner Goetz, Geschichtsschreibung und Geschichtsbewußtsein im hohen Mittelalter (Orbis mediaevalis 1), Berlin 1999, S. 300ff.; Hedwig Röckelein, Das Gewebe der Schriften. Historiographische Aspekte der karolingerzeitlichen Hagiographie Sachsens, in: Bauer/Herbers (Hrsg.), Hagiographie (2000), S. 1–25, hier S. 2–7; Thomas Pratsch, Exploring the Jungle. Hagiographical Literature between Fact and Fiction, in: Fifty Years of Prosopography. The Later Roman Empire, Byzantium and Beyond, hrsg. v. Averil Cameron (Proceedings of the British Academy 118), Oxford 2003, S. 59–72, hier S. 62. Aufgrund der teilweise reduzierten Verankerung der Handlungsabläufe in Zeit und Raum und der Einbindung des Geschehens in ein heilsgeschichtliches Ganzes können Viten aber nach wie vor als „nichthistoriographische“ Gattung reflektiert werden. Vgl. Georg Scheibelreiter, Die Verfälschung der Wirklichkeit. Hagiographie und Historizität, in: Fälschungen im Mittelalter. Internationaler Kongreß der Monumenta Germaniae Historica. München 16.– 19. Sept. 1986, Bd. 5: Fingierte Briefe, Frömmigkeit und Fälschung, Realienfälschungen (Schriften der MGH 33,5), Hannover 1988, S. 282–319, hier S. 282ff.; Dirk Schlochtermeyer, Heiligenviten als Exponenten eines „zeitlosen“ Geschichtsbewußtseins?, in: Hochmittelalterliches Geschichtsbewußtsein im Spiegel nichthistoriographischer Quellen, hrsg. v. Hans-Werner Goetz, Berlin 1998, S. 161–177, hier S. 162f. Vgl. Matthias Werner, Die Elisabeth-Vita des Dietrich von Apolda als Beispiel spätmittelalterlicher Hagiographie, in: Geschichtsschreibung und Geschichtsbewußtsein im späten Mittelalter (VuF 31), Sigmaringen 1987, S. 522–541; Monika Rener, Lateinische Hagiographie im deutschsprachigen Raum von 1200–1450, in: Philippart (Hrsg.), Hagiographies, Bd. 1 (1994), S. 199–265, hier S. 242ff.

72 Dinge sind nicht beschrieben worden.“ 96 Daher habe er sich um weitere Zeugnisse bemüht: Ich habe auch die Chronistik durchgesehen und, im Wunsch, die Schriften unterschiedlicher Leute zu finden, all das, was ich begehrte. Weil ich aber nicht fündig wurde, wo mein erregter Gang verweilte, habe ich die Klöster der Mönche und Nonnen aufgesucht, dann Städte und Burgen und Ortschaften, ich habe sehr alte und glaubwürdige Leute befragt, ich habe Briefe versandt, die Vollständigkeit der Historie und die Wahrheit der Geschehnisse in all jenen und aus all jenen erkundend. 97

Diese und ähnliche Äußerungen in den Prologen der Bischofsviten des hohen Mittelalters haben inzwischen dazu geführt, dass die Vitenliteratur als ein wichtiger Teil auch der historiographischen Methodenreflexion des Mittelalters bewertet wird. 98 Bolland und andere frühneuzeitliche Gelehrte sprachen synonym von Vitae Sanctorum und Historiae Sanctorum. 99 Dies entsprach wahrscheinlich einem konventionellen Wortgebrauch.100 Wissenschaftssystematisch verzeichnete der Jesuit Philippe Labbé (1607–1665) in seiner Nova bibliotheca mss. librorum die Heiligenviten und sogar Translationsberichte unter den „Historica & Chronologica“101 und nicht unter den –––––––— 96

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Die Vita der heiligen Elisabeth des Dietrich von Apolda, hrsg. v. Monika Rener (Veröff. d. Hist. Komm. für Hessen 53), Marburg 1993, S. 21f.: „Non enim in eis [scriptis] persone et personarum genus, nomina, dignitates et officia exprimuntur, sed nec provinciarum, locorum temporumque varietates et vocabula ad hystoriam pertinencium sunt descripta.“ Ebd., S. 21f.: „Respexi eciam cronicam et scripta diversorum invenire cupiens, quod querebam. Igitur cum non invenirem ubi requiesceret pes affectus mei, visitavi monachorum et monialium monasteria, ivi ad civitates, castraque et oppida, interrogavi personas antiquissimas et veraces, direxi litteras hystorie huius integritatem et rei geste veritatem in hiis omnibus et ab hiis omnibus investigans.“ Vgl. Stephanie Haarländer, Vitae episcoporum. Eine Quellengattung zwischen Hagiographie und Historiographie, untersucht an Lebensbeschreibungen von Bischöfen des Regnum Teutonicum im Zeitalter der Ottonen und Salier (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 47), Stuttgart 2000, S. 77f. Vgl. etwa unten S. 308 Anm. 246, 247, S. 374 Anm. 121, S. 387 Anm. 160, S. 412 Anm. 227, S. 413 Anm. 232. Vgl. Joachim Knape, „Historie“ in Mittelalter und Früher Neuzeit. Begriffs- und gattungsgeschichtliche Untersuchungen im interdisziplinären Kontext (Saecula spiritalia 10), Baden-Baden 1984, S. 168f. Vgl. PHILIPPI LABBEI || BITVRICI, || SOCIETATIS IESV PRESBYTERI, || NOVA BIBLIOTHECA || MSS. LIBRORVM, || SIVE SPECIMEN || ANTIQVARVM LECTIONVM || LATINARVM ET GRÆCARVM || In quatuor partes tributarum, cum Coronide Poëticâ. || Accedunt Supplementa decem. || I. Index Ant. Lect. Canisij. II. Catal. Tettij. III. Mss. Scoriaci in || Hispaniâ. IV. Mss. D. de Montchal Arch. Tolosani. V. Mss. || DD. Moræi & Naudæi. VI. Congr. de Fide propaganda, multi- || que Arabici, Persici, Hebræi, &c. cu[m] Cat. Grolii. VII. Mss. Bi- || bliothecæ Regis Christianissimi. VIII. Ex Xysto eiusde[m] Biblio- || thecæ. IX. Veteres editiones ante annum 1500. X. Spicilegiu[m]. || Sequitur Bibliotheca Bibliothecarum, Catalogorum, Indicum, &c. || cum duplici Indice copiosissimo. || PARISIIS, || Apud IOANNEM HENAVLT, viâ Iacobeâ, ad insigne || S. Raphaëlis Angeli, paullò infrà Templum S. Benedicti. || M. DC. LIII. || Cum Approbatione, & Priuilegio Regis.

73 „Biblica & Theologica“. Daraus folgt nicht, dass es keinerlei zeitgenössische Debatten über die Tatsächlichkeit der in den Viten geschilderten Begebenheiten gegeben hat, sondern dass die Frage, wer die Faktizität der Viten wann auf welche Weise beurteilte, welche Folgerungen daraus gezogen wurden und vor allem natürlich, was all dies mit der Entstehung der Acta Sanctorum zu tun haben könnte, allererst zu stellen ist. Grundsätzlich unangemessen wäre es, auch hinsichtlich Delehayes, dessen quellenkundliche Schriften schwerlich als eine aus ihrer eigenen Zeit zu lösende Summe der „méthodologique bollandiste“ 102 rezipiert werden können, das Problem der Faktionalität und Fiktionalität allzu einseitig zu exponieren. 103 In Delehayes Schriften sind Erkenntnisinteressen zu erkennen, in welchen sich die gleichermaßen lebendigen wie kontroversen Debatten um hagiographisches Schrifttum in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts widerspiegeln. Intensiv und keineswegs nur abschlägig setzte er sich mit den neopaganen Deutungen der Entstehung des Heiligenkults – als einem dem archetypischen Muster des vorchristlichen Heroenkults folgenden Phänomenkomplex – auseinander, die von Autoren wie Karl Gustav Adolf von Harnack (1851–1930) oder Paul Ernst Lucius (1852–1902) entwickelt worden waren. 104 Sein begriffsgeschichtlicher Essay „Sanctus“ zum „Vocabulaire de la sainteté“ 105 ist bis heute unersetzt. Mit den Arbeiten zu Heiligentypen und den „Orten“ des Heiligen widmete er sich Fragen, die später –––––––—

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Prima pars. Historica & Chronologica, ebd., S. 1–20, hier beispielsweise S. 19: „S. MEDARDI Nouiomensis Episcopi vita per Radbodum Nouiomensem. Ex codice Thuano 593. || S. MENVLFI Episcopi. Ex veteri Breuiario Biturigum […]. || Translatio corporis sanctæ Monicæ Matris sancti Augustini […]. || S. NICONIS vita ex Græco in Latinum sermonem conuersa à R. P. Iacobo Sirmondo Soc. Iesu. […].“ Scorza Barcellona, Études (2000), S. 22. Vgl. Marc Van Uytfanghe, Les avatars contemporains de l’„hagiologie“. A propos d’un ouvrage récent sur saint Séverin du Norique, in: Francia 5 (1977), S. 639–671, hier S. 640; ders., Die Vita im Spannungsfeld von Legende, Biographik und Geschichte (mit Anwendung auf einen Abschnitt aus der „Vita Amandi prima“), in: Historiographie im frühen Mittelalter, hrsg. v. Anton Scharer/Georg Scheibelreiter (Veröff. d. Inst. f. Österreichische Geschichtsforschung 32), Wien/München 1994, S. 194– 221, hier S. 199; Haarländer, Vitae (2000), S. 8f. Vgl. (Paul) Ernst Lucius, Die Anfänge des Heiligenkults in der christlichen Kirche, hrsg. v. Gustav Anrich, Tübingen 1904; Karl Gustav Adolf von Harnack, Das ursprüngliche Motiv der Abfassung von Märtyrer- und Heilungsacten in der Kirche, in: Sitzungsberichte d. Königl. Preussischen Akademie der Wissenschaften. Philos.-hist. Kl., Jg. 1910, I., Berlin 1910, S. 106–125; Hippolyte Delehaye, Les premiers „Libelli miraculorum“, in: Anal. Boll. 29 (1910), S. 427–434; ders., Les Origines du culte des martyrs, Brüssel 1912; ders., Rezension: Lucius, Anfänge (1904), in: Anal. Boll. 24 (1905), S. 487f. Vgl. dazu Gerhard Ludwig Müller, Gemeinschaft und Verehrung der Heiligen. Geschichtlich-systematische Grundlegung der Hagiologie, Freiburg i. Br./Basel/Wien 1986, S. 168–178. Vgl. Hippolyte Delehaye, Sanctus. Essai sur le culte des saints dans l’antiquité (Subsidia hagiographica 17), Brüssel 1927, S. 74–121.

74 die Geschichtswissenschaft, in mehr oder minder modifizierter Form, neu für sich entdecken sollte. 106 In Les légendes hagiographiques suchte Delehaye ein vor allem klerikal gedachtes Publikum davon zu überzeugen, dass die Integrität eines oder einer Heiligen keineswegs beschädigt werde, wenn die Authentizität der schriftlichen Überlieferung als fragwürdig zu bewerten sei. Der Schluss von der historischen Person auf die Qualität der Tradition und umgekehrt sei in jedem Falle zu vermeiden: „Man lässt eine Erzählung gelten, weil sie sich auf einen wirklich echten Heiligen bezieht; man bezweifelt die Existenz eines Heiligen, weil die Historien, die ihn angehen, wenig glaubwürdig, ja sogar lächerlich sind. Dasselbe Prinzip führt, entsprechend der Schule, die es anwendet, zu zwei gleichermaßen widersinnigen Schlüssen.“ 107 Mit vergleichsweise pragmatischem Anspruch sollten seine späteren Cinq leçons sur la méthode hagiographique von 1943 eine katholische und kirchenhistorisch versierte Leserschaft mit einigen „principes élémentaires de la critique hagiographique“ ausstatten, um die Historizität kultischer Schriften und Gegenstände eigenständig bewerten zu können. Nach Aussage Delehayes reagierten die Cinq leçons auf entsprechende Anfragen, die häufiger an die Bollandisten gerichtet würden. 108 –––––––— 106

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Vgl. ders., Légendes grecques des saints militaires, Paris 1909; ders., Martyr et Confesseur, in: Anal. Boll. 39 (1921), S. 20–49; ders., Loca Sanctorum, in: Anal. Boll. 48 (1930), S. 5–64. Vgl. Sofia Boesch Gajano, Des „Loca sanctorum“ aux espaces de la sainteté. Étapes de l’historiographie hagiographique, in: RHE 95 (2000), S. 48–70, hier S. 49; zu den Typen unlängst Peter Dinzelbacher, Heiligkeitsmodelle zwischen Mittelalter und früher Neuzeit, in: Confessional Sanctity (c. 1500–c. 1800), hrsg. v. Jürgen Beyer/Albrecht Burkhardt/Fred van Lieburg [u. a.] (Veröff. d. Instituts f. Europäische Geschichte Mainz. Abt. f. abendländische Religionsgeschichte. Beih. 51), Mainz 2003, S. 1–23. Delehaye, Légendes (41955), S. 203: „On admet un récit, parce qu’il se rapporte à un saint bien authentique; on met en doute l’existence d’un saint, parce que les histoires qui le concernent sont peu croyables, voire ridicules. Le même principe, suivant l’école qui l’applique, conduit à ces deux conclusions également absurdes.“ Vgl. auch die: Préface de la troisième édition, in: ebd., S. VIII–XV, hier S. XI: „C’est une grave erreur, et très répandue, de penser que, quand l’histoire du saint est déclarée légendaire, tout est perdu et que la personnalité du héros est comprise du même coup. […] Les saints ont une existence visible en dehors des textes littéraires. Leur mémoire se perpétue et vit dans la vie même de l’Église, et ce n’est pas sans raison que les Bollandistes, à côté des Actes des saints, recueillent avec tant de soin les faits qui constituent ce qu’ils appellent leur gloire posthume.“ Vgl. ders., Cinq leçons sur la méthode hagiographique (Subsidia hagiographica 21), Brüssel 1943, S. 5f.: „Les pages qui vont suivre s’adressent à un public assez familiarisé avec l’histoire ecclésiastique pour se faire une idée juste des faits sur lesquels nos déductions sont appuyées. […] Nous avons longtemps hésité à publier ce petit volume, qui a trop l’apparence d’un bouquet de fleurs fanées. Diverses circonstances nous ayant récemment remis devant les yeux à quel point les principes élémentaires de la critique hagiographique sont mal connus de ceux-là même qui auraient besoin de s’en inspirer, ou n’existent qu’à l’état vague dans certains esprits, il a paru opportun de reprendre quelques questions fondamentales, au point de vue spécial de la mé-

75 Delehayes Versuche, das Eindringen fiktionaler Elemente in die Tradition zu erklären, unterschieden sich kategoriell nur bedingt von jenen, die später in der Geschichtswissenschaft zur Anwendung kommen sollten. Während im Zuge der mentalitätsgeschichtlichen Bestrebungen der Mediävistik die Heiligenviten als „reflet d’un inconscient collectif“ 109 begriffen werden konnten, deutete sie Delehaye in ihren fiktionalen Teilen als Ausfluss der „imagination populaire“, 110 als Produkt jenes „anonymen Schöpfers, den man das Volk nennt […]. Sein Werk ist das einer geheimnisvollen und kollektiven Kraft, frei in ihrem Gang, eilig und regellos wie die Einbildungskraft, unablässig auf der Suche nach neuen Erfindungen, aber unfähig, sie schriftlich zu fixieren.“ 111 Er tendierte dazu, imaginäre Elemente als ein Entgegenkommen der schriftkundigen, klerikalen Seite zu interpretieren, welche sich mit der „nature simpliste du génie populaire“ gleichsam vereinigt habe. Da ihm die Kategorie des Topischen noch nicht zu Gebote stand, betrachtete er die vielfach stereotype Gestalt der Viten als Ausdruck der Dispositionen eines intuitiv agierenden und über ein beschränktes Reservoir an Ideen verfügenden Volks, auf dessen (niedrige) Stufe sich die klerikale Intelligenz keineswegs widerstrebend eingelassen habe. 112 Wenige Jahre –––––––—

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thode. L’ignorance de cette méthode se retrouve au fond des questionnaires adressés presque journellement aux Bollandistes par des personnes, cultivées d’ailleurs, sur des problèmes assez simples, mais qu’elles ne savent, comme elles disent, par quel bout prendre. Tantôt il s’agit de la légende du saint, que l’on n’aborde qu’avec une sorte de respect superstitieux; tantôt on s’engage, sans fil conducteur, dans le fouillis des martyrologes, où l’on ne tarde pas à s’égarer; parfois aussi on est à la recherche d’un critère pour se prononcer sur l’authenticité d’une relique.“ Unabhängig davon, ob wirklich „presque journellement“ solche Anfragen bei den Bollandisten eintrafen, ist an ihrer Existenz nicht zu zweifeln. Sie sind bereits im 17. Jahrhundert nachweisbar. Vgl. Coens, Correspondance (1946). Elisabeth Gaucher, [Introduction], in: Revue des Sciences Humaines 251 (Themenheft: L’Hagiographie) (1998), S. 7–9, hier S. 7. Delehaye, Légendes (41955), S. 9f. Im Unterschied zum Mythos oder Märchen galt ihm die Legende als eine Erzählung, die „suppose un fait historique qui en est le sujet ou le prétexte: voilà le premier élément essentiel du genre. Ce fait historique est orné ou défiguré par l’imagination populaire: voilà le second. Les deux éléments peuvent être combinés à doses très inégales, et selon que la préponderance se trouve du côté de la réalité ou de la fiction, un même récit pourra être classé dans l’histoire ou dans la légende.“ Ebd., S. 11: „Il y a ce créateur anonyme que l’on appelle le peuple […]. Son œuvre est celle d’un agent mystérieux et collectif, libre dans ses allures, rapide et désordonné comme l’imagination, sans cesse en travail de nouvelles inventions, mais incapable de les fixer par l’écriture.“ Vgl. ebd.: „A côté de lui [dem Volk], il y a le lettré, le rédacteur, qui nous apparaît comme assujetti à une tâche pénible, astreint à suivre une voie tracée, et imprimant à tout ce qu’il produit un caractère réfléchi et durable. Tous les deux ont collaboré à cette œuvre vaste entre toutes qui s’appele ‚La Vie des Saintsǥ […].“ Ebd., S. 16f.: „En effet, l’intelligence de la multitude se manifeste partout comme extrêmement bornée, et ce serait une erreur de croire qu’elle subisse, en général, l’influence de l’élite. C’est au contraire l’élite qui subit l’attraction de l’élément inférieur et il serait

76 zuvor hatte sich Carl Albrecht Bernoulli (1868–1937), angezogen von der Rätselhaftigkeit des Phänomens und angeregt von psychologischen Erklärungsmustern, der Heiligendevotion zugewandt. Diese schien ihm ein für das „Studium des Volksglaubens“ besonders geeigneter Gegenstand zu sein, da sich in ihm „die Religion der Masse sozusagen als Reinkultur“ artikuliert habe. Positiv belegt war dieser Gegenstand für ihn insofern, als er den Ausweg aus einer dogmengeschichtlich beherrschten Kirchengeschichte in Aussicht stellte. 113 Als sich Heinrich Fichtenau (1912–2000) 1952 dem Reliquienwesen zuwandte, da dieses insbesondere Einblicke in das Denken der „Mittel- und Unterschichten“ ermöglichte, 114 war die Heiligendevotion also schon länger, wenn auch auf anderen Grundlagen, als eine der Sache nach problematische Gegenwelt zur Sphäre der Intelligenz und des Rationalen etabliert. 115 –––––––—

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peu logique d’attribuer une valeur spéciale à une tradition populaire parce qu’elle se serait formée dans un milieu où l’on signale quelques bons esprits. Dans la foule, toute supériorité s’efface et la moyenne de l’intelligence descend bien au-dessous de la médiocrité. Le meilleur point de comparaison pour en déterminer le niveau est l’intelligence de l’enfant. || En effet, tout d’abord, le nombre des idées dont le cerveau populaire peut recevoir l’empreinte est très limité, et ces ideés sont très simples. Simples aussi sont les déductions qu’il opère au moyen d’un petit nombre de principes intuitifs et qui se réduisent souvent à de simples associations de concepts ou d’images. || La nature simpliste du génie populaire se manifeste avec évidence dans les légendes qu’il crée. Ainsi le nombre des personnages et des événements dont il garde le souvenir est ordinairement fort restreint […].“ Vgl. dazu auch Joassart, Delehaye, Teil 1 (2000), S. 336. Carl Albrecht Bernoulli, Die Heiligen der Merowinger, Tübingen/Freiburg i. Br./ Leipzig 1900 (Neudruck Hildesheim/New York 1981), S. VII. Heuristisch griff Bernoulli auf Phänomene wie Traum, Halluzination oder Autosuggestion zurück, die ihm eine Annäherung an die als strukturell divergent empfundenen Bewusstseinslagen des Mittelalters zu ermöglichen schienen. Letztlich sei jedoch in all diesen Zusammenhängen mit einem Rest des nicht Aufklärbaren zu rechnen: „Weit davon entfernt also, an der Wunderbarkeit der Heiligen von vornherein zu zweifeln, da sich ihre eigentliche Wirksamkeit ja doch meistens in diesen noch wenig aufgehellten Sphären bewegt, wird indessen die Forschung sich nicht einbilden, anders als nur sehr ungefähr dahinter zu kommen.“ Vgl. ebd., S. 3ff., Zitat S. 6. Auch in der Germanistik begannen sich in dieser Zeit volkspsychologisierende und darauf zugeschnittene, motivgeschichtliche Deutungen zu etablieren. Anders als die Frage nach Faktizität sahen sich diese offenbar nie mit dem Vorwurf des Anachronistischen konfrontiert. Vgl. Edith Feistner, Historische Typologie der deutschen Heiligenlegende des Mittelalters von der Mitte des 12. Jahrhunderts bis zur Reformation (Wissensliteratur im Mittelalter 20), Wiesbaden 1995, S. 2–6. Vgl. Heinrich Fichtenau, Zum Reliquienwesen im frühen Mittelalter [1952], in: ders., Beiträge zur Mediävistik. Ausgewählte Aufsätze, Bd. 1: Allgemeine Geschichte, Stuttgart 1975, S. 108–144, hier S. 108. Der Problematik des daraus abgeleiteten Modells der Volks- und Elitekultur widmen sich Klaus Schreiner, Laienfrömmigkeit  Frömmigkeit von Eliten oder Frömmigkeit des Volkes? Zur sozialen Verfaßtheit laikaler Frömmigkeitspraxis im späten Mittelalter, in: Laienfrömmigkeit im späten Mittelalter. Formen, Funktionen, politisch-soziale Zusammenhänge (Schriften des Historischen Kollegs. Kolloquien 20), München

77 Heiligenkult und Hagiographie sind, unbenommen aller faktischen oder vermeintlichen Epochenbrüche, geistes- und sozialgeschichtlicher Veränderungen, keine spezifisch mittelalterlichen Erscheinungen. Sie sind Kontinuen in der Geschichte des Katholizismus, auch wenn sie im Laufe der Jahrhunderte, wenigstens in Westeuropa, erheblich an Akzeptanz und gesellschaftlicher Durchdringungskraft eingebüßt haben dürften. Die systematische Auseinandersetzung mit diesen Gebieten ist aus frühneuzeitlicher Perspektive allerdings, zumal in Deutschland, ein Produkt neueren Datums. Ausgehend von dem Fallbeispiel Neapel vertrat etwa Jean-Michel Sallmann im Jahr 1994 die Ansicht, dass, unterstützt durch die neuen typographischen Techniken, der Zeitraum zwischen 1570 und 1650 als eigentliche Hochzeit der hagiographischen Produktion im Katholizismus zu bewerten sei. 116 Gegenüber der älteren Ansicht, dass die Heiligendevotion durch den Humanismus als solchen diskreditiert worden sei – „[d]ie Humanisten […] sahen nur Aberglauben und gossen Hohn und Spott darüber“117 – dürfte es inzwischen unbestritten sein, dass die sich in humanistischen Kreisen verändernden Bildungs-, Frömmigkeits- und Stilideale auch in hagiographischem Schrifttum niedergeschlagen haben. Peter G. Bietenholz etwa untersuchte, wie sich der hl. Hieronymus in Literatur und Ikonographie zu dem Gelehrtenheiligen schlechthin entwickelte. Überkommene legendarische Elemente –––––––—

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1992, S. 1–78, hier S. 1–13; ders., Frömmigkeit in politisch-sozialen Wirkungszusammenhängen des Mittelalters. Theorie- und Sachprobleme, Tendenzen und Perspektiven der Forschung, in: Mittelalterforschung nach der Wende 1989, hrsg. v. Michael Borgolte (HZ-Beih. N. F. 20), München 1995, S. 177–226; Hans-Werner Goetz, Volkskultur und Elitekultur im frühen Mittelalter. Eine Forschungsaufgabe und ihre Problematik, in: Volkskultur und Elitekultur im frühen Mittelalter. Das Beispiel der Heiligenviten, hrsg. v. dems./Friederike Sauerwein (Medium aevum quotidianum 36), Krems 1997, S. 9–19. Vgl. Jean-Michel Sallmann, L’édition hagiographique au lendemain du Concile de Trente, in: Hagiographica 1 (1994), S. 315–326, hier S. 326; ders., Naples et ses saints à l’âge baroque (1540–1750) (Collection Ethnologies), Paris 1994. Angenendt, Heilige (21997), S. 233. Illustriert wird diese Einschätzung mit Erasmus’ parodistischem Lob der Torheit und seinem Handbüchlein eines christlichen Streiters. Erasmus konnte sich jedoch auch anders äußern. Im Angesicht eines Lobgedichts, in dem er die von den Reliquien der hl. Genovefa gewirkten Wunder pries, die zu seiner Genesung beigetragen hätten, sah sich dessen Herausgeber Cornelis Reedijk zu Spekulationen über die Aufrichtigkeit des Humanisten veranlasst. Vgl. Des. Erasmi Roterodami Diuae Genouefae praesidio a quartana febre liberati carmen votiuum (Before 1531–1532?), in: The Poems of Desiderius Erasmus. Introduced and ed. by Cornelis Reedijk, Leiden 1956, Nr. 131, S. 350–355, hier den herausgeberischen Kommentar S. 350: „[…] this composition confronts the reader with an intriguing problem: was Erasmus completely sincere when he wrote this tribute to the Saint and her miraculous powers? Does not such an eulogy seem to be in contradiction with the attitude taken by Erasmus elsewhere […]?“ Auf dieses und weitere Beispiele hat Gabriela Signori, Humanisten, heilige Gebeine, Kirchenbücher und Legenden erzählende Bauern. Zur Geschichte der vorreformatorischen Heiligen- und Reliquienverehrung, in: ZHF 26 (1999), S. 203–244, hier S. 206 Anm. 10, hingewiesen.

78 seien dabei keineswegs in dieser Qualität erkannt oder umstandslos verworfen worden: „Insoweit die italienischen Humanisten kirchen- und profangeschichtlichen Legenden kritisch gegenüberstanden, hat ihre Skepsis im Falle des Hieronymus anscheinend keine Anwendung gefunden.“118 Angelika Dörfler-Dierken wies 1992 auf die seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert expandierende Verehrung der hl. Anna hin, die an der Spitze der sich popularisierenden Vorbildhaftigkeit der heiligen Familie stand. Maßgebliche Impulse verdankte sich dieser Kult Autoren wie Johannes Trithemius (1462–1516) und Rudolf Agricola (1442/44–1485). 119 Gabriela Signori demonstrierte anhand eines Beispiels aus dem badischen Eichsel, wie drei, heute als „Papierheilige“ geltende Gefährtinnen der hl. Ursula, die heiligen Kunegundis, Mechtundis, Wibrandis, Anfang des 16. Jahrhunderts in die kultische Realität überführt wurden. Signori kam zu dem Schluss: „Vieles, was uns die Forschung bislang […] als authentische spätmittelalterliche ‚Volksfrömmigkeitǥ angepriesen hat, erweis[t] sich bei genauerem Hinsehen nicht selten als fromme Kreation aus Humanistenfeder.“ 120 Der anlässlich der Erhebung und Translation 1504 gedruckte Bericht über den Prozess ihrer Approbation sollte später in den Junibänden der Acta Sanctorum wiedergegeben werden, in der Form einer Reproduktion, die Papebroch aus der 1647 publizierten Sammlung Vita et Martyrum S. Ursulae des Kölner Jesuiten Hermann Crombach (1598–1680) übernahm. 121 –––––––— 118

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Peter G. Bietenholz, Erasmus von Rotterdam und der Kult des Heiligen Hieronymus, in: Poesis et Pictura. Studien zum Verhältnis von Text und Bild in Handschriften und alten Drucken. Festschrift für Dieter Wuttke zum 60. Geburtstag, hrsg. v. Stephan Füssel/Joachim Knape (Saecvla spiritalia, Sonderbd.), Baden-Baden 1989, S. 191– 221, hier S. 205; vgl. dazu auch Eugene F. Rice, Jr., Saint Jerome in the Renaissance, Baltimore/London 1985, S. 49–83. Vgl. Angelika Dörfler-Dierken, Die Verehrung der heiligen Anna in Spätmittelalter und früher Neuzeit (Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte 50), Göttingen 1992, S. 165–170. Vgl. Signori, Humanisten (1999), S. 233. Vgl. ebd., S. 213 Anm. 44, S. 216; D[aniel] P[apebrochius], De Sanctis Virginibus peregrinis, Cunigunde, Mechtunde, Wibrande, et Chrischona seu Christiana, in Constantiensi Alemanniæ dioecesi, in: AASS Iunii, Bd. 3, 1701, 16. Juni, S. 114–142. Processus, Habitus & factus occasione translationum, & elevationum Sanctarum Virginum, Kunegundis, Mechtundis, & Wibrandis; in Ecclesia Eichsel, Constantiensis Diœcesis; nec non Christianæ, in Ecclesia montis sanctæ Christianæ, dictæ Diœcesis requiescentium. Ex editione Coloniensi Hermanni Crombachii S. I., ebd., S. 117–142. Vgl. zur Provenienz den Commentarius prævius, ebd., S. 114–116, hier S. 116a–b. Vgl. zu Crombach Benz, Tradition (2003), S. 195–201; zur humanistischen Hagiographie ferner Diana Webb, Eloquence and Education. A Humanist Approach to Hagiography, in: JEH 31 (1980), S. 19–39; Weiss, Hagiography (1985); Brenda DunnLardeau, „De bene beateque vivendi institutione per exempla Sanctorum“ (1498) de Marko Maruliü ou l’hagiographie médiévale revue par l’humanisme chrétien prétridentin, in: Boesch Gajano/Michetti (Hrsg.), Europa (2002), S. 243–257; Klaus Herbers, Hagiographie und Heiligenverehrung im 15. Jahrhundert. Zu einigen Forschungen und Forschungsvorhaben in Deutschland, in: ebd., S. 259–279, hier S. 267–

79 Im Zentrum der sich formierenden Forschung stehen bislang aber weniger die lateinischen Erzeugnisse des frühneuzeitlichen Katholizismus, 122 sondern die volkssprachlichen Märtyrerbücher des Protestantismus. Diese begannen sich seit den 1550er Jahren in nicht geringer Zahl zu verbreiten. Sie entstanden, von der Literatur mit einer Tendenz zur Inversion von Ursachen und Effekten als Kampf um die konfessionelle Vorherrschaft über bestimmte Modelle der Heiligkeit („guerre des martyrs“) interpretiert, 123 überall dort, wo es aus Gründen des Glaubens zu Toten gekommen war, deren Sterben es zu memorieren und mit historischer Tiefendimension auszustatten galt. 124 Im Jahr 1554 publizierte der Genfer Drucker Jean Crespin (1500–1572) seinen Livre des Martyrs. Dieser begann mit der Hinrichtung Johannes Hus († 1415) und entwickelte sich unter den Händen seines späteren Bearbeiters Simon Goulart (1543–1628) zur Folie für die Deutung der Verfolgung der Hugenotten unter Karl IX. (reg. 1560–1574). 125 Zwischen –––––––—

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273; Paul Gerhard Schmidt, Humanistische Hagiographie. Die „Wilhelmis“ des Antwerpener Humanisten Cornelius De Schrijver (Cyprianus Cornelius Grapheus) aus dem Jahre 1518, in: Renard/Trigalet/Hermand [u. a.] (Hrsg.), „Gesta“ (2005), S. 125– 133. Vgl. Ditchfield, Liturgy (1995); Alison Knowles Frazier, Possible Lives. Authors and Saints in Renaissance Italy, New York 2005. Vgl. Frank Lestringant, Témoignage et martyre. Donner à voir, donner à croire (XVIe–XVIIIe siècle), in: Revue des Sciences Humaines 269 (Themenheft: Martyrs et martyrologes) (2003), S. 111–134, hier S. 112f.; Marc Venard, Les martyrs catholiques des affrontements religieux du XVIe siècle, d’après l’„Histoire catholique“ du Père Hilarion de Coste (1625), in: Beyer/Burkardt/van Lieburg [u. a.] (Hrsg.), Sanctity (2003), S. 81–91, hier S. 82. Vgl. grundlegend Robert Kolb, For All the Saints. Changing Perceptions of Martyrdom and Sainthood in the Lutheran Reformation, Macon, GA 1987; der Forschungsstand erschließt sich mit den Studien von Brad S. Gregory, Salvation at Stake. Christian Martyrdom in Early Modern Europe (Harvard Historical Studies 134), Cambridge, Mass./London 1999; Peter Burschel, Sterben und Unsterblichkeit. Zur Kultur des Martyriums in der frühen Neuzeit (Ancien Régime, Aufklärung und Revolution 35), München 2004; Matthias Pohlig, Zwischen Gelehrsamkeit und konfessioneller Identitätsstiftung. Lutherische Kirchen- und Universalgeschichtsschreibung 1546–1617 (Spätmittelalter und Reformation. N. R. 37), Tübingen 2007, S. 341–370. Vgl. Jean-François Gilmont, Jean Crespin. Un éditeur réformé du XVIe siècle (Travaux d’Humanisme et Renaissance 186), Genève 1981, S. 165–190; Catharine Randall Coats, Reconstructing the Textual Body in Jean Crespin’s „Histoire des martyrs“ (1564), in: RQ 44 (1991), S. 62–85; wiederholt dies., (Em)bodying the World. Textual Resurrections in the Martyrological Narratives of Foxe, Crespin, de Bèze and d’Aubigne (Renaissance and Baroque. Studies and Texts 4), New York/San Francisco/Bern 1992, S. 57–83; David Watson, Jean Crespin and the Writing of History in the French Reformation, in: Protestant History and Identity in Sixteenth-Century Europe, Bd. 2: The Later Reformation, hrsg. v. Bruce Gordon (St Andrews Studies in Reformation History), Aldershot/Brookfield, USA/Singapore [u. a.] 1996, S. 39–59; Gregory, Salvation (1999), S. 165–187, 190f.; Amy C. Graves, Martyrs manqués. Simon Goulart, continuateur du martyrologe de Jean Crespin, in: Revue des Sciences Humaines 269 (Themenheft: Martyrs et martyrologes) (2003), S. 53–86; vgl. zum französischen Kontext David Nicholls, The Theatre of Martyrdom in the French Re-

80 1590 und 1617 erschienen wenigstens zehn – nicht immer vollständige – Ausgaben in deutscher Übersetzung.126 Die mit dem Jahr 1000 einsetzenden Actes and Monuments of these latter and perillous dayes des John Foxe (1516–1587) entwickelten sich zu einer Ikone des elisabethanischen England. Nach zwei lateinischen, zur Zeit Marias I., „der Katholischen“ (reg. 1553–1558), in Foxes Frankfurter und Baseler Exil angefertigten Versionen von 1554 und 1559 waren die Actes and Monuments 1563 in englischer Sprache gedruckt worden. 127 Zwischen 1552 und 1558 publizierte der ehemalige Pastor an der Straßburger Kathedralkirche und Ulmer Superintendent Ludwig Rabus (1524–1592) seine acht Bände Historien Von den Heyligen, ausserw hlten Gottes Zeügen, Bekennern vnnd Martyrern. Anders als die Märtyrerbücher Foxes oder Crespins war Rabus von Beginn an auf eine paritätische Darstellung biblischer, frühchristlicher und zeitgenössischer „Märtyrer“ sowie anderer frommer Personen der Kirchengeschichte –––––––—

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formation, in: Past & Present (1988), H. 121, S. 49–73, bes. S. 65ff.; Penny Roberts, Martyrologies and Martyrs in the French Reformation. Heretics to Subversives in Troyes, in: Martyrs and Martyrologs. Papers Read at the 1992 Summer Meeting and the 1993 Winter Meeting of the Ecclesiastical History Society, hrsg. v. Diana Wood (Studies in Church History 30), Oxford 1993, S. 221–229; David El Kenz, Les bûchers du roi. La culture protestante des martyrs (1523–1572) (Époques), Seyssel 1997; Frank Lestringant, Lumière des martyrs. Essai sur le martyre au siècle des Réformes (Études et essais sur la Renaissance 53), Paris 2004; Nikki Shepardson, Gender and the Rhetoric of Martyrdom in Jean Crespin’s „Histoire des vrays tesmoins“, in: Sixteenth Century Journal 35 (2004), S. 155–174. Kürzere Überblicke bieten Léon-E. Halkin, Hagiographie protestante, in: Anal. Boll. 68 (1950), S. 453–463; Annemarie Brückner/Wolfgang Brückner, II. Gott und die Welt. 3. Zeugen des Glaubens und ihre Literatur. Altväterbeispiele, Kalenderheilige, protestantische Märtyrer und evangelische Lebenszeugnisse, in: Volkserzählung und Reformation. Ein Handbuch zur Tradierung und Funktion von Erzählstoffen und Erzählliteratur im Protestantismus, hrsg. v. Wolfgang Brückner, Berlin 1974, S. 520–578; Jean-François Gilmont, Les martyrologes du XVIe siècle, in: Ketzerverfolgung im 16. und frühen 17. Jahrhundert, hrsg. v. Silvana Seidel Menchi (Wolfenbütteler Forschungen 51), Wiesbaden 1992, S. 175–192. Vgl. VD16, C5784–5788, VD17, 3:308218B; VD17, 23:271756E; VD17, 39: 143904Q; VD17, 23:231242C; VD17, 12:116872T; danach folgte eine Lücke bis 1682: VD17, 1:075155C; VD17, 3:313655H; VD17, 3:321505Q. Die erste vollständige Übersetzung scheint 1606 erschienen zu sein. Vgl. Burschel, Sterben (2004), S. 59. Vgl. zu Person und Werk in jüngerer Zeit David Loades, John Foxe and the Traitors. The Politics of the Marian Persecution, in: Wood (Hrsg.), Martyrs (1993), S. 231– 244; Thomas Freeman, Text, Lies, and Microfilm. Reading and Misreading Foxe’s „Book of Martyrs“, in: Sixteenth Century Journal 30 (1999), S. 23–46; David Loades (Hrsg.), John Foxe and the English Reformation (St Andrews Studies in Reformation History), Aldershot 1997; ders. (Hrsg.), John Foxe. A Historical Perspective, Aldershot/Brookfield, USA /Singapore [u. a.] 1999; Christopher Highley/John N. King (Hrsg.), John Foxe and His World, Aldershot/Burlington, USA/Singapore [u. a.] 2002; Isabelle Fernandes, Les représentations du martyr dans „The Acts and Monuments“ de John Foxe, ou la tentation théâtrale, in: Revue des Sciences Humaines 269 (Themenheft: Martyrs et martyrologes) (2003), S. 53–86.

81 bedacht. 128 Auf die Desintegration der kryptocalvinistischen Gemeinde Antwerpens folgte 1559 im ostfriesischen Exil die Veröffentlichung der Sammlung De gheschiedenisse ende den doodt der vromer Martelaren des Predigers Adriaan Cornelisz Van Haemstede (um 1520–1562). Wie Foxe oder Crespin war auch Van Haemstede bemüht, für die zeitgenössischen Sektionen, die das Hauptgewicht der Arbeit bildeten, 129 offizielle Dokumente aber auch mündliche und sonstige schriftliche Zeugnisse zu verarbeiten. 130 Van Haemstede hatte in den Jahren 1558 und 1559 die Hinrichtung von fünf seiner calvinistischen Glaubensbrüder miterlebt, die unter anderem durch Van Haemstedes Entschluss, öffentlich zu predigen, provoziert worden sein dürfte. Nachdem 300 Gulden für seine Festnahme ausgesetzt worden waren, mussten er und andere führende Mitglieder der calvinistischen Gemeinde, die sein Tun keineswegs begrüßt zu haben scheinen, die Stadt aus Sicherheitsgründen verlassen. 131 –––––––— 128

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Vgl. Kolb, Saints (1987), S. 41–83. Rabus’ Historien stellen meiner Kenntnis nach den einzigen ernsthaften – und nach Darstellung Kolbs nicht besonders wirkungsmächtigen – Versuch eines Lutheraners dar, ein umfangreicheres Werk in der Tradition der Prosalegendare zu kompilieren. Es greift zu kurz, sie mit Burschel, Sterben (2004), S. 11, allein als Märtyrerbuch zu qualifizieren. Burschel selbst bevorzugt für die Werke Rabus’, Foxes und Crespins den Ausdruck „Martyrolog“. Auch Pohlig, Gelehrsamkeit (2007), S. 349ff., 360f., spricht von einem „Märtyrerbuch“. Er sucht diese Wortverwendung an die zeitgenössische Rezeption der Historien und an die lutherische Konzeption des „Martyriums“ zurückzubinden. Vgl. dazu auch unten S. 344 Anm. 46. Hier benutzt in der Ausgabe: Historien oft gheschiede= || nissen der vromer Martelaren/ die om het || ghetuyghenisse des Euangelij haer bloet vergoten hebben/ van || den tijde Christi af/ tot den Jare M. D. LXXIX. toe/ op her || cortste by een vergadert. || Wederum van nieus ouersien, verbetert ende veel vermeerdert. || Ghedruckt in de Vermaerde Coopstadt || Dordrecht. M. D. LXXIX. Von den 626 Quartseiten der Darstellung galt nur etwas über ein Zehntel der Zeit von Christi Geburt bis ins 15. Jahrhundert, das mit der Hinrichtung des Dominikaners Girolamo Savonarola († 1498) schloss. Vgl. ebd., S. 1–64. Der Rest der Historien galt dem 16. Jahrhundert. Vgl. ebd., S. 64–626. Vgl. Jean-François Gilmont, La genèse du martyrologe d’Adrien van Haemstede (1559), in: RHE 63 (1968), S. 379–414; Andrew Pettegree, Adriaan van Haemstede. The Heretic as Historian, in: Gordon (Hrsg.), History, Bd. 2 (1996), S. 59–76, hier S. 62ff.; ders., Haemstede and Foxe, in: Loades (Hrsg.), Foxe (1997), S. 278–294; Gregory, Salvation (1999), S. 165ff.; zur Praxis der Sammlung auch David Watson, Jean Crespin and the First English Martyrology of the Reformation, in: Loades (Hrsg.), Foxe (1997), S. 192–209; Gregory, Salvation (1999), S. 170; Sarah E. Wall, Editing Anne Askew’s „Examinations“. John Bale, John Foxe, and Early Modern Textual Practices, in: Highley/King (Hrsg.), Foxe (2002), S. 249–262; Burschel, Sterben (2004), S. 58, 159–164; vgl. zu den niederländischen Territorien den Überblick von Jean Meyhoffer, Le Martyrologe protestant des Pays-Bas. 1523–1597. Étude critique, Nessonvaux 1907, S. 71–94. Vgl. Guido Marnef, Antwerp in the Age of Reformation. Underground Protestantism in a Commercial Metropolis. 1550–1577 (Johns Hopkins University Studies in Historical and Political Science. 114th series 1), Baltimore/London 1996, S. 62f., 67f., 87, 118, 236 Anm. 148; Pettegree, Van Haemstede (1996), S. 61. In der Literatur, die

82 Die protestantischen Märtyrerbücher befinden sich in einem Grenzbereich des als hagiographisch qualifizierbaren Schrifttums. Als Heilige wurden die hier mit ihrem Sterben die Wahrheit der Lehren ihrer konfessionellen Gruppen bezeugenden Personen offenbar kaum je bezeichnet.132 Dies –––––––—

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zumal in den kleineren Beiträgen zu textimmanenten Verfahrensweisen tendiert, wird die Tatsache, dass die Entscheidung über das „Martyrium“ im Regelfall nicht oder nur mit Abstrichen in den Händen derer lag, die es erlitten, bisweilen sehr vernachlässigt. Vgl. Shepardson, Gender (2004), S. 155–174, hier S. 157: „Martyrdom is a physical act of social disobedience and subversion: justified by her direct mandate from God, the martyr can challenge and invert any authority or established order.“ Shepardson geht davon aus: „Martyrdom is the ultimate social disobedience.“ Zumindest für andere Bereiche des Martyriums, etwa für die in der überseeischen Mission zu Tode gekommenen katholischen Geistlichen, trifft diese Vorstellung, mit ihrem Ermordetwerden einen Akt sozialen Ungehorsams vollzogen zu haben, grundsätzlich nicht zu. Ob eine bekannte frühneuzeitliche Gesellschaft oder Obrigkeit im Effekt in ihren Werten und herrschaftlichen Strukturen dadurch unterwandert wurde, dass sie bestimmte konfessionelle Gruppen vertrieb, die Ausübung der Konfession verunmöglichte oder deren Vertreterinnen und Vertreter zum Tode verurteilte, bliebe zu untersuchen. Der Gedanke an vergangene und mögliche Martyrien scheint sich, anders als im späteren Luthertum, nicht zufällig in den kontinuierlich gefährdeten Gemeinschaften des französischen Calvinismus und in den täuferischen Traditionen verfestigt zu haben. Letztere sind bisher vor allem in geschlechtergeschichtlicher Hinsicht untersucht worden. Vgl. Jenifer Hiett Umble, Women and Choice. An Examination of the „Martyrs’ Mirror“, in: Mennonite Quarterly Review 64 (1990), S. 135–145; Brad S. Gregory, Weisen die Todesvorbereitungen von Täufermärtyrern geschlechtsspezifische Merkmale auf?, in: Mennonitische Geschichtsblätter 54 (1997), S. 52–60; Nicole Grochowina, Zwischen Gleichheit im Martyrium und Unterordnung in der Ehe. Aktionsräume von Frauen in der täuferischen Bewegung, in: „In Christo ist weder Man noch Weyb“, hrsg. v. Anne Conrad (Katholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung 59), Münster 1999, S. 95–113, hier S. 96f., 109f.; dies., Von Opfern zu Heiligen. Martyrien von Täuferinnen und Täufern im 16. Jahrhundert, in: Vorbild Inbild Abbild. Religiöse Lebensmodelle in geschlechtergeschichtlicher Perspektive, hrsg. v. Peter Burschel/Anne Conrad, Freiburg i. Br. 2003, S. 121–150; dies., „Het Offer des Herren“. Das Martyrium als Heiligenideal deutscher Täufer, in: Beyer/Burkardt/van Lieburg [u. a.] (Hrsg.), Sanctity (2003), S. 65–80, hier S. 73f.; zu diesen Traditionen grundsätzlich Ethelbert Stauffer, Märtyrertheologie und Täuferbewegung, in: ZKG 52 (1933), S. 545–599; Gregory, Salvation (1999), S. 215–248; Peter Burschel, „Marterlieder“. Eine erfahrungsgeschichtliche Annäherung an die Martyrienkultur der Täufer im 16. Jahrhundert, in: Mennonitische Geschichtsblätter 58 (2001), S. 7–36. Vgl. Grochowina, „Het Offer des Herren“ (2003), S. 70. Anders verhält es sich mit Rabus’ allgemeinerem legendarischen Werk, in dem die historischen Personen vielfach als Heilige bezeichnet wurden. Vgl. Historien der || Martyrer/ || Erste Theil. || Darinn das Erste vnd An= || der B)ch/ von den Heyligen/ Ausser= || wlten Gottes Zeügen/ Bekennern vnnd || Martyrern (vnnd nemlich deren/ so von anfang der || Welt/ biß auff die z)kunfft vnsers Heylands Jesu Chri= || sti/ vnd dann von der selbigen/ biß inn die nechst nach= || folgende 500 Jar hernacher/ inn der Streittenden || Kirchen/ des Alten vnd Newen Testaments gewesen) || nach ordnung begriffen/ Auch etwas fließiger/ wie || auch weitleüffiger vnnd außf(rlicher (dann || in den vorigen außgangnen Tomis be= || schehen) mit angehenckter/ ordent= || licher Jars Rechnung/ be= || schriben worden || seind. || Durch || Ludouicum Rabus/ der H. Schrifft || Doctor/ vnnd der Kirchen z) || Vlm Superintendenten. || Mir Rm. Kei. Mt. || Freiheit auff vj Jar. || Ge-

83 gilt auch für das 1587 gedruckte Theatrum crudelitatum des britischen Katholiken Richard Verstegan (um 1550–um 1640). Verstegan schrieb vor dem Hintergrund der Verfolgungen, die sich nun, unter Elisabeth I. (reg. 1558–1603), gegen den katholischen Klerus gewandt hatten, sowie auf der Folie der in Folge der spanisch-niederländischen Auseinandersetzungen seit den 1560er Jahren umgekommenen katholischen Geistlichen. 133 Verstegan hatte zwischen 1581 und 1582 in London eine illegale Druckerei unterhalten. Zum Exil gezwungen fand er Aufnahme in Paris, wurde dort zwischen Ende 1583 und Anfang 1584 auf Drängen des englischen Botschafters inhaftiert und gelangte, nach einem Aufenthalt in Rom, schließlich nach Antwerpen. Dort veröffentlichte er 1605 mit der Restitution of Decayed Intelligence in Antiquities sein historiographiegeschichtlich bekanntestes Werk. Konkreter Anlass für das Theatrum crudelitatum von 1587 war vermutlich die Hinrichtung Maria Stuarts (1542–1587) am 8. Februar dieses Jahres. 134 Anders als die protestantischen Märtyrerbücher war das Theatrum, das als eine bessere Flugschrift zu charakterisieren ist, kein geschichtlich argumentierendes Werk. Im Zentrum der überschaubaren 95 Quartseiten standen insgesamt 30 halbseitige Abbildungen, die mit einem Motto und Sinngedicht ausgestattet waren und die Aufmerksamkeit auf die Grausamkeit der Ermordung katholischer Zeitgenossinnen und Zeitgenossen lenken sollten. Informationen zu den dargestellten Personen und Geschehnissen enthielt das Theatrum nur in geringem Umfang. Der Abschnitt zu den „Entsetzli-

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druckt z) Straßburg durch || Josiam Rihel/ den 22 Martij/ im jar || M. D. LXXI., Bl. 186v: „Diese wort haben die Heiligen V tter (vnd sonderlich Origines vnd Hieronymus an disem ort) vom Heiligen Luca verstanden […].“ Ebd., Bl. 250v: „Nach dem die Gottlosen Heyden z) Alexandria/ den Heyligen Priester Metram/ j merlich versteiniget […].“ Ebd., Bl. 3[30]r [nach Bl. 329; fehlerhaft paginiert]: „Von solcher Wahl schreibet der Heylige Basilius inn einem besonderen Sendbrieff/ den er an den Heyligen Ambrosium geschriben/ […].“ Vgl. Anne Dillon, The Construction of Martyrdom in the English Catholic Community, 1535–1603 (St Andrews Studies in Reformation History), Aldershot 2002, S. 243–279; mit Zahlen ebd., S. 3f. mit Anm. 9.; ferner Christopher Highley, Richard Verstegan’s Book of Martyrs, in: ders./King (Hrsg.), Foxe (2002), S. 183–197; Lestringant, Lumière (2004), S. 137–176. Vgl. Graham Parry, The Trophies of Time. English Antiquarians of the Seventeenth Century, Oxford/New York 1995, S. 49–69. Vgl. zur Entstehung Frank Lestringant, Préface, in: Richard Verstegan, Théâtre des cruautés des hérétiques de notre temps. Texte établi, présenté et annoté par Frank Lestringant. En Annexe: Le martyre des trente-neuf allant au Brésil de Louis Richeome (Collection Magellane), Paris 1995, S. 7–44, hier S. 14f., 24f. Lestringant geht davon aus, dass Verstegan in Paris besagte Druckerei unterhielt. Er selbst reproduziert und kommentiert den französischen Text der Ausgabe Antwerpen 1588.

84 chen Verbrechen, die von den Hugenotten in Gallien verübt worden sind“ 135 beispielsweise, war mit Erläuterungen versehen, die wenig mehr als ein grobes Verständnis der Bilder gewährleisten sollten. Als „Sancti“ wurden die hier aufgeführten „Magistri“, „Presbyteri“ oder „Vicarii“ jedoch nicht bezeichnet. Die Abbildungen enthielten auch keine Aureolen oder sonstige Zeichen der Heiligkeit. 136 Im Katholizismus sollte die Revitalisierung des Typus des Märtyrers, seit etwa den 1580er Jahren, ihre maßgeblichen Impulse letztlich durch die zahlreicher werdenden Toten erfahren, welche die Missionsbestrebungen in Übersee und namentlich in Asien zu zeitigen begannen. Hier waren es vor allem die Jesuiten, die an der Wende zum 17. Jahrhundert noch keine Heiligen aus ihren eigenen Reihen verehren konnten, die durch die Verherrlichung historischer Märtyererinnen und Märtyrer in Kunst und Drama ihre potentiellen Missionare auf den möglichen Tod vorzubereiten hatten und späterhin deren heroisches Tun zu propagieren und zu zelebrieren gewillt waren. 137 Darauf wird noch einzugehen sein. Die intensive Behandlung dieses Komplexes und dessen Provenienz aus der Protestantismusforschung haben bislang den weit weniger spektakulären devotionalen Alltag des Katholizismus in den Hintergrund treten lassen. Einen Eindruck von der häufig nicht gedruckten Masse der seit dem späten Mittelalter ungebrochen fortgeführten Traditionen liefert etwa Eef A. Overgaauws Studie zur Überlieferung des Martyrologs des Usuard († um 875) in den Diözesen Utrecht und Lüttich. 138 Analoge Arbeiten zur kalendarischen Überlieferung weiterer Bistümer, Orden oder Klöster in der frühen Neuzeit liegen, sieht man von Anselm Rosenthals Studie zur Bursfelder Kongregation ab, 139 nicht vor. Selbst Aussagen zu Cesare Baronios (1538–1607) Mar–––––––— 135

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Vgl. THEATRVM || Crudelitatum Hæreticorum || Nostri Temporis. || ANTVERPIÆ, || Apud Adrianum Huberti, || Anno M. D. LXXXVII. || Cum Priuilegio, S. 41: „Horribilia scelera ab Huguenotis in Gallijs perpetrata.“ Vgl. ebd., S. 40: „[…] || B. Magister Guilielmus de Bricailles & alter quidam presbyter ab inhumanis istis capti, in penuario vno tantùm pede suspensi sunt, & vt maiori cruciatu vitam traherent, datus est cibus quousque alter eorum vitam cum morte commutaret, deinde & alter obtruncatus est. || C. Apprehenderant & alium quendam presbyterum ex parœcia Beauliuiensi, magistrum Petrum, quem viuum capite tenus defoderunt. || D. Magister Arnoldus Durandeau, vicarius Fleacensis, octogenarius, ab ijsdem iugulatus, in fluuium proiectus est.“ Mit den Majuskeln wurden die auf den Abbildungen analog markierten Personen identifiziert. Vgl. auch die französische Ausgabe Verstegan, Théâtre [1588], ed. Lestringant (1995), S. 96f. Vgl. Burschel, Sterben (2004), S. 197–283. Vgl. Eef A. Overgaauw, Martyrologes manuscrits des anciens diocèses d’Utrecht et de Liège. Étude sur le développement et la diffusion du Martyrologe d’Usuard, [2 Teile] (Middeleeuwse Studies en Bronnen 30,[1–2]), Hilversum 1993. Vgl. Anselm Rosenthal, Martyrologium und Festkalender der Bursfelder Kongregation. Von den Anfängen der Kongregation (1446) bis zum nachtridentinischen Martyrologium Romanum (1584) (Beiträge zur Geschichte des alten Mönchtums und des Benediktinertums 35), Münster i. Westf. 1984.

85 tyrologium Romanum, das in einer vollständigen Fassung erstmals 1583 gedruckt worden war, ehe ein Jahr darauf die offizielle Ausgabe promulgiert werden sollte, sind sporadischer Natur. 140 Gleiches gilt, sofern von –––––––— 140

Vgl. ebd., S. 152ff.; Ditchfield, Liturgy (1995), S. 44. 1586 publizierte Baronio die bekannte, mit seinen Anmerkungen ausgestattete Fassung. Vgl. Robert Godding, Martyrologe romain. De 1584 à 2004, in: Anal. Boll. 123 (2005), S. 368. Hier wurde die zweite Ausgabe dieser letzten Fassung benutzt: MARTYROLOGIVM || ROMANVM, || AD NOVAM KALENDARII RATIO- || NEM, ET ECCLESIASTICAE HISTORIAE || VERITATEM RESTITVTVM. || GREGORII XIII. PONT. MAX. || IVSSV EDITVM. || ACCESSERVNT NOTATIONES || atque Tractatio de Martyrologio Romano: || AVCTORE CÆSARE BARONIO SORANO, || CONGREGATIONIS ORATORII PRESBYTERO. || Secunda editio ab ipso auctore emendata & compluribus aucta. || ANTVERPIÆ, || Ex officina Christophori Plantini, || Architypographi Regij. || M. D. LXXXIX. Die Prominenz des Typus des Märtyrers und der protestantischen Märtyrerbücher in der Literatur hat einige Linien gezeitigt, deren Stichhaltigkeit erst zu erweisen wäre. Burschel, Sterben (2004), S. 218f., integriert Surius’ allgemeine Vitensammlung in die Aufzählung einiger mit der Revitalisierung des Typus des Märtyrers einhergehender Phänomene, zu denen sie aber kaum sinnvoll gerechnet werden kann: „Ob auf den Bühnen des Welttheaters der Jesuiten, ob in den Liedern und Predigten oder in den katholischen Viten- bzw. Historiensammlungen, die seit der Jahrhundertmitte wieder in großer Zahl entstanden, in jenem zwischen 1570 und 1575 in sechs Bänden erschienenen vielübersetzten Legendar ‚De probatis Sanctorum historiisǥ des Kartäusers Laurentius Surius (1522–1578) etwa – die alten Märtyrerinnen und Märtyrer konnten sich wie in den römischen Kollegienkirchen nicht über mangelnde Aufmerksamkeit beklagen.“ Im Folgenden schlägt er den Bogen zu Baronios „Großprojekt des römischen Martyrologiums, das 1584 einen vorläufigen Abschluß fand und das bereits die Editionsgrundsätze der ‚Acta Sanctorumǥ der ‚Bollandistenǥ erahnen ließ.“ Ebd., S. 219. Das Martyrologium Romanum ist allerdings ein allgemeiner und historischer Heiligenkalender, in dem, auf konventionelle Weise, Festtage und Namen der Heiligen – der Gattung entsprechend bei weitem nicht nur Märtyrerinnen und Märtyrer – versammelt worden waren. Seine frühneuzeitliche Charakteristik erhielt es durch die historische Kommentierung. Als ein formal und inhaltlich ganz anders angelegtes Werk kann das Martyrologium Romanum mit den Acta Sanctorum nicht ohne weiteres in Beziehung gesetzt werden. Auch an anderer Stelle werden von Burschel die bekannteren Werke – nicht nur des Katholizismus – mit dem eigenen Gegenstand verknüpft. So apostrophiert er Flacius’ Catalogus testium veritatis als „ein Märtyrerbuch“, das überdies „die Konzeption der ‚Magdeburger Centurienǥ bereits erkennen“ ließ. Ebd., S. 54 Anm. 24. Möglicherweise ist diese Zuordnung der Rezeption des Beitrags von Thomas Fuchs, Protestantische Heiligen-„memoria“ im 16. Jahrhundert, in: HZ 267 (1998), S. 587–614, hier S. 593, verpflichtet, der unter anderem Flacius’ Catalogus mit der „Konzeption einer martyrologischen Gegengeschichte“ des Protestantismus und der Gattung der „eigenständige[n] reformatorische[n] Märtyrerkataloge“ in Verbindung gebracht hat. Nachdem die vermeintliche Verwerfung des hagiographischen Schrifttums durch den Protestantismus als solchen lange Zeit den Blick bestimmte, beginnt sich nun die gegenläufige Tendenz durchzusetzen, den protestantischen Märtyrerbüchern in jeder Hinsicht stilbildende Qualität zuzuschreiben. Als Absatzfolie firmiert dabei die Chiffre der Legenda aurea, als, so Kolb, Saints (1987), S. 4, „[t]he most important medieval literary work that had embodied and conveyed the myths regarding these intermediary sources of power“. Kolb konstatiert, ebd., S. 6: „Roman Catholic authors in the later sixteenth century followed the examples of Rabus, Crespin, and Foxe in developing new martyrological traditions, especially where Roman Catholicism came under at-

86 gedruckten Werken die Rede ist, die ebenso wie im Fall der Historiographie nur einen Ausschnitt der Schriftproduktion repräsentieren, für die Publikation von Heiligenviten, die neben der Studie Sallmans zu Neapel allein von Ursula Rautenberg am Beispiel Kölns eingehender analysiert worden ist. 141 Neben dem Typus des Märtyrers wurden natürlich auch heilige Bischöfe, Bekenner, Kirchenväter oder die mit der neuen Frömmigkeit besonders populär werdenden frühchristlichen Einsiedler verehrt. Die bislang detaillierteste Studie zu den verschiedenen Modellen und Typen der Heiligkeit legte Éric Suire 2001 zum katholischen Frankreich der frühen Neuzeit vor. 142 Die Frage, in welchem Umfang aus den in den Viten anzutreffenden Gemengelagen auf gesellschaftliche Rollenentwürfe zu schließen ist, hat die Forschung lange Zeit geprägt. In der in dieser Hinsicht weiter fortgeschrit-

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tack from Protestant or from non-Christian cultures into which it was advancing.“ In Ermangelung einschlägiger Beispiele jenseits Verstegans greift auch Kolb, ebd., Anm. 11, auf das Beispiel Surius’ zurück. In Form, Inhalt und Genese sehr unterschiedliche Werke stellt ferner Paul Scott, Les crucifixions féminines. Une iconographie de la Contre-Réforme, in: Revue des Sciences Humaines 269 (Themenheft: Martyrs et martyrologes) (2003), S. 153–174, hier S. 155, in eine Abfolge. Demnach sei vom „style hagiographique de Crespin et de Foxe“ eine vorbildhafte Wirkung auf Baronios zwölf Bände der Annales ecclesiastici (1588–1607) ausgegangen, wodurch sich „ouvrit la voie à l’esprit du programme bollandiste.“ Andere Arbeiten suchen die protestantischen Märtyrerbücher von den katholischen Traditionen eher fernzuhalten. Vgl. Randall Coats, (Em)bodying (1992), S. 2, 49. Letztlich können die Vorwürfe der mangelnden Verlässlichkeit oder der in erster Linie erbaulichen Darstellungsintentionen, die in der älteren Literatur gegen die hagiographischen Traditionen des Mittelalters erhoben wurden, inzwischen als positiv bewertete Kennzeichen insbesondere der protestantischen Märtyrerbücher in Erscheinung treten. Vgl. Grochowina, „Het Offer des Herren“ (2003), S. 67, 70f. Vgl. Ursula Rautenberg, Überlieferung und Druck. Heiligenlegenden aus frühen Kölner Offizinen (Frühe Neuzeit 30), Tübingen 1996. Hagiographiegeschichtliche Überblicke, die sich bis ins 16. Jahrhundert erstrecken, bieten etwa Werner WilliamsKrapp, Deutschsprachige Hagiographie von ca. 1350 bis ca. 1550, in: Philippart (Hrsg.), Hagiographies, Bd. 1 (1994), S. 267–288; Sonia Bledniak, L’hagiographie imprimée. Œuvres en français, 1476–1550, in: ebd., S. 359–405; Manfred Görlach, Middle English Legends, 1220–1530, in: ebd., S. 429–485; Serena Spanó Martinelli, Italia fra il 1450 et il 1550, in: Philippart, Hagiographies, Bd. 2 (1996), S. 61–82; José Mattoso, Le Portugal de 950 à 1550, in: ebd., S. 83–102; Gábor Klaniczay/Edit Madas, La Hongrie, in: ebd., S. 103–160; Teresa Dunin-Wasowicz, Hagiographie polonaise entre XIe et XVIe siècle, in: Philippart (Hrsg.), Hagiographies, Bd. 3 (2001), S. 179–202; Michael Lapidge/Rosalind Love, The Latin Hagiography of England and Wales (600–1550), in: ebd., S. 203–325; Maíre Herbert, Latin Vernacular Hagiography of Ireland from the Origins to the Sixteenth Century, in: ebd., S. 327–360; David J. Collins, Latin Hagiography in Germania, 1450–1550, in: Philippart, Hagiographies, Bd. 4 (2006), S. 523–583. Vgl. Éric Suire, La sainteté française de la Réforme catholique (XVIe–XVIIIe siècles) d’après les textes hagiographiques et les procès de canonisation (Identités religieuses), Bordeaux 2001.

87 tenen Debatte der Mediävistik wird sie allerdings schon seit geraumer Zeit mit Zurückhaltung beantwortet. 143 Mirakulöses ereignete sich, in unterschiedlichen Formen, auch in der frühen Neuzeit in großem Umfang. 144 Aus der Wallfahrt zu den Gebeinen des hl. Rasso († 953?) im oberbayerischen Kloster Grafrath sind drei Mirakelbücher hervorgegangen, in denen man die zwischen 1444 und 1728 geleisteten Votivgaben und insgesamt 12131 Wunder verzeichnet hat. 145 In den Junibänden der Acta Sanctorum reproduzierte Papebroch eine Auswahl von 140 Wundern aus dieser bis 1692 wohl 8298 Mirakel zählenden Sammlung. 146 Ebenfalls in den Junibänden erschien 1731 das von dem Bollandisten Jean Pien (1678–1749) redigierte Dossier des – nach vorangegange–––––––— 143

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Vgl. Patrick J. Geary, Living with the Dead in the Middle Ages, Cornell 1994, S. 9– 23; Michel Lauwers, Récits hagiographiques, pouvoir et institutions dans l’occident médiéval. Note bibliographique, in: RHE 95 (2000), S. 71–96, hier S. 72ff. Vgl. Jean Pommier, Tricentenaire d’un miracle. Port-Royal et la Sainte Épine, in: Mercure de France 326 (1956), S. 437–457; Jean Orcibal, Port-Royal entre le miracle et l’obéissance. Flavie Passart et Angélique de St.-Jean Arnauld d’Andilly, Brügge 1957; Jean Willem Frijhoff, La fonction du miracle dans une minorité catholique. Les Provinces-Unies au 17e siècle, in: Revue d’histoire de la spiritualité 48 (1972), S. 151–178; Robert Sauzet, Miracles et Contre-Réforme en Bas-Languedoc sous Louis XIV, in: ebd., S. 179–192; Jean de Viguerie, Le miracle dans la France du XVIIe siècle, in: XVIIe siècle 35 (1983), S. 313–331; Giulio Sodano, Miracolo e canonizzazione. Processi napoletani tra XVI e XVIII secolo, in: Boesch Gajano/Modica (Hrsg.), Miracoli (2000), S. 171–196; Anne Carion, Miracles de Saint Martial, in: Les miracles, miroirs du corps, hrsg. v. Jacques Gélis/Odile Redon, Paris 1983, S. 87– 124, hier S. 93–106; Irena Backus, Le miracle de Laon. Le déraisonnable, le raisonnable, l’apocalyptique et le politique dans les récits du miracle de Laon (1566–1578) (De Pétrarque à Descartes 58), Paris 1994; Suire, Sainteté (2001), S. 194–208; Peter Marshall, Forgery and Miracles in the Reign of Henry VIII, in: Past & Present (2003), H. 178, S. 39–73; Jane Shaw, Miracles in Enlightenment England, New Haven/London 2006; vgl. zum Reich insbesondere Werner Freitag, Volks- und Elitenfrömmigkeit in der Frühen Neuzeit. Marienwallfahrten im Fürstbistum Münster (Veröffentlichungen des Provinzialinstituts für Westfälische Landes- und Volksforschung des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe 29), Paderborn 1991, S. 218–230, 275– 295; Rebekka Habermas, Wallfahrt und Aufruhr. Zur Geschichte des Wunderglaubens in der frühen Neuzeit (Historische Studien 5), Frankfurt a. M./New York 1991, S. 16f., 45–75. Vgl. Karl-S. Kramer, Die Mirakelbücher der Wallfahrt Grafrath, in: Bayerisches Jb. f. Volkskunde 1951, S. 80–102. Ein vierter Band, der die Zeit zwischen 1728 und 1778 abdeckt, ist verloren. Vgl. D[aniel] P[apebrochius], De S. Rathone seu Rassone Comite Andecensi in Bavaria, in: AASS Iunii, Bd. 3, 19. Juni, S. 892–907. Nucleus prodigiosus. A R. D. Carolo Erath Can. Reg. Diessensi. Exceptus ex 8298 miraculi descriptis ab anno MCCCCXLIV ad MDCXCII, ebd., S. 899–907. Nach Papebrochs Einschätzung sollte dies den Leserinnen und Lesern der Acta Sanctorum genügen, denn wer würde ein so „umfangreiche[s] Mancherlei“ an dieser Stelle lesen wollen? Vgl. Commentarius prævius, ebd., S. 892–894, hier S. 894b: „[…] Nucleus miraculosus […] decerptus à R. D. Carolo Erath Diessensi: quorum miraculorum pars potior continetur duobus voluminibus […]. Nucleus autem iste, uti confido, satis erit lectori. Cui enim liberet tam vastam farraginem, verbotenus hic transcriptam legere?“

88 nen ordensinternen Flügelkämpfen 147 – 1609 beatifizierten und 1622 kanonisierten hl. Ignatius von Loyola (1491–1556). 148 Im Rahmen der üblichen kultgeschichtlichen Sektionen (Gloria posthuma) bereitete Pien weniger die Frage des Wunderbaren an sich Probleme, sondern die Anordnung der Mirakel nach Zeiten, Räumen und publizistischen Quellen. 149 Aus zahlreichen Vorlagen griff Pien, um hier nur diese eine zu nennen, auf das Mirakelbuch der Cento miracoli operati da S. Ignatio Loiola, zurück, das der wichtigste Ordenshistoriograph des 17. Jahrhunderts, Daniello Bartoli (1608–1685), zuerst 1653 in Italienisch publiziert hatte. Pien konsultierte es in der lateinischen Übersetzung Louis Janins (1590–1672) von 1668, die zugleich eine Übersetzung von Bartolis Della vita e dell’istituto di S. Ignatio, fondatore della Compagnia di Gesù libri cinque von 1650 enthielt. 150 Der heute am besten – nahezu idealtypisch – aufgearbeitete Komplex frühneuzeitlicher Wunder entstammt dem 18. Jahrhundert. Es handelt sich um jene Erscheinungen, die sich seit den 1730er Jahren am Grab des Jansenisten François de Pâris (1690–1727) auf dem Friedhof von St. Médard ereignet haben sollen. Der Diakon François hatte zu jenen Klerikern gezählt, die 1717 im sogenannten Appel zu einem allgemeinen Konzil aufgerufen hatten, das die Rechtmäßigkeit der auf Drängen Ludwigs XIV. zustande gekommenen päpstlichen Verwerfung jansenistischer Lehren in der Bulle Unigenitus von 1713 klären sollte. Die sogenannten Appellanten –––––––— 147

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Vgl. Ursula König-Nordhoff, Ignatius von Loyola. Studien zur Entwicklung einer neuen Heiligen-Ikonographie im Rahmen einer Kanonisationskampagne um 1600, Berlin 1982, S. 36ff., 42–55. Vgl. J[oannes] P[ienius], De S. Ignatio Loyola confess. fundatore Ordinis clericorum regularium Societatis Jesu. Romae, in: AASS Iulii, Bd. 7, 1731, 31. Juli, S. 409–853. Vgl. Gloria posthuma, ex variis qua scriptis, qua impressis documentis, ebd., S. 777– 852, hier c. 3. Gloria Sancti posthuma ex miraculis, S. 792–840. Vgl. §. 5. Miraculorum ab anno MDLXVI usque ad prædictum annum MDCXVI supplementum, & continuatio usque ad MDCXXVIII, ex centum miraculis à P Daniele Bartolo excusis Vitæ S. Ignatii lib. V, ebd., S. 804–822; zur Frage der Anordnung ebd., S. 804b: „E centum itaque miraculis magnam quidem libabo partem; at prætermittam tamen ea, quæ vel aliunde jam dedi superiùs, vel dabo inferiùs ex instrumentis, antè concinnatis, quam Bartolus sua scripta conderet. De his te, lector, monitum volui. Nunc ex P Ludovici Janini interpretatione ea subdo, anno 1668 libello singulari Pragæ recusa, & à me hîc nova partium divisione ac titulis distincta.“ Vgl. Pars prima. Puella mirè ex aquis exempta; obtrectatores puniti; sanationes; apparitio, ebd., S. 804–807, hier S. 804b: „Iverat Maria Nateria anno MDCXVIII, die altero Pentecostes, Loano Arassium, veneratura B. Virginem à Carmelo: distant a se […].“ Vgl. DE VITA ET INSTITVTO || S. IGNATII || SOCIETATIS IESV || FVNDATORIS. || LIBRI QVINQVE. || Ex Italico R. P DANIELIS BARTOLI || Societatis IESV, Romæ editio. || Latinè redditi, à LVDOVICO IANINO ex eadem Societate. || LVGDVNI, || Sumptibus LAVRENTII ANISSON. || M. DC. LXV. || CVM PRIVILEGIO. Liber Qvintvs. Libri Synopsis. Centum miracula ab Sancto Ignatio, adhuc superstite; post in cœlis Beato, edita, ebd., S. 393–450, hier S. 393: „Iuerat Maria Nateri, anno 1618. die alter Pentecostes Loano Arassium veneratura B. Virgine[m] à Carmelo: distant ab se […].“

89 wurden 1718 exkommuniziert. Die am Grab des Diakons beobachteten mirakulösen Erscheinungen wurden von Teilen der jansenistischen Geistlichkeit als göttliche Approbation der Rechtmäßigkeit des Appel gelesen, während deren gallikanische Widersacher bestenfalls dämonische Kräfte am Wirken sahen. 151 Solche nahezu klassischen Konflikte um die hoheitliche Deutung des Numinosen 152 stellen, sofern von synchronischen Phänomenen des Heiligen die Rede ist, inzwischen eines der wichtigsten, vor allem geschlechtergeschichtlich untersuchten Forschungsgebiete dar. 153 –––––––— 151

152 153

Vgl. B. Robert Kreiser, Miracles, Convulsions, and Ecclesiastical Politics in Early Eighteenth-Century Paris, Princeton, N. J. 1978, bes. S. 70ff., 140–180; Eliane Gabert-Boche, Les Miraculés du Cimetière Saint-Médard à Paris, in: Gélis/Redon (Hrsg.), Miracles (1983), S. 125–157; Daniel Vidal, Miracles et convulsions jansénistes au XVIIIe siècle. Le Mal et sa conaissance (Sociologie d’aujourd’hui), Paris 1987, bes S. 33–45; die kommentierte Quellenanthologie von Catherine-Laurence Maire, Les convulsionnaires de Saint-Médard. Miracles, convulsions et prophéties à Paris au XVIIIe siècle (Archives 95), Paris 1985; zusammenfassend Monique Cottret, Teil 1: Religion und Politik. Die geteilte Christenheit, Kap 2: Der Jansenistenstreit. IV. Das Wiederaufleben des Jansenistenstreits, in: Venard (Hrsg.), Die Geschichte des Christentums, Bd. 9 (1998), S. 376–397, hier S. 392ff. Ansätze zu einer modernisierungstheoretisch orientierten Deutung bieten Jean-Robert Armogathe, A propos des miracles de Saint-Médard. Les preuves de Carré de Montgeron et le positivisme des Lumières, in: Revue de l’Histoire des Religions 90 (1971), H. 180, S. 135–160, hier S. 135, 138, 141ff., und Jens Ivo Engels, Wunder im Dienste profanierter Weltsicht? Zur Gemengelage der Weltbilder im achtzehnten Jahrhundert anhand der Debatten über jansenistische Wunder, in: HJb 117 (1997), S. 84–110. Vgl. Peter Dinzelbacher, Heilige oder Hexen? Schicksale auffälliger Frauen in Mittelalter und Frühneuzeit, München/Zürich/London 1995, S. 109–119. Vgl. Jean-Michel Sallmann, La sainteté mystique féminine à Naples au tournant des XVIe et XVIIe siècles, in: Culto dei santi, istituzioni e classi sociali in età preindustriale, hrsg. v. Sofia Boesch Gajano/Lucia Sebastiani (Collana di studi storici 1), Rom 1984, S. 681–702, hier S. 683; Gabriella Zarri, „Vera“ santità, „simulata“ santità. Ipotesi e riscontri, in: Finzione e santità tra medioevo ed età moderna, hrsg. v. ders. (sacro/santo), Turin 1991, S. 9–36; Moshe Sluhovsky, A Divine Apparition or Demonic Possession? Female Agency and Church Authority in Demonic Possession in Sixteenth-Century France, in: The Sixteenth Century Journal 27 (1996), S. 1039–1055; Peter Burschel, Männliche Tode – weibliche Tode. Zur Anthropologie des Martyriums in der frühen Neuzeit, in: Saeculum 50 (1999), S. 75–97, hier S. 77ff.; wiederholt als ders., Male Death – Female Death. On the Anthropology of Martyrdom in the Early Modern Period, in: Beyer/Burkardt/van Lieburg [u. a.] (Hrsg.), Sanctity (2003), S. 93–112, hier S. 97ff.; Jean-Michel Sallmann, Der Heilige – ein gesellschaftlicher Außenseiter?, in: Im Zeichen der Krise. Religiosität im Europa des 17. Jahrhunderts, hrsg. v. Hartmut Lehmann/ Anne-Charlott Trepp (Veröff. d. MPI f. Geschichte 152), Göttingen 1999, S. 559–573, hier S. 566; Peter Burschel, Einleitung,

in: Burschel/Conrad (Hrsg.), Vorbild (2003), S. 9–21, hier S. 14f.; neue Materialien erschließt vor allem die Ethnologin Waltraud Pulz, Imitatio – Aemulatio – Simulatio? Leibhaftige Heiligkeit und scheinheilige Leiber, in: ebd., S. 23–51; dies., Einfalt der Heiligen? Von heiligen SimulantInnen und der Simulation von Heiligkeit, in: Komplexe Welt. Kulturelle Ordnungssysteme als Orientierung. 33. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde in Jena 2001, Münster/New York/München [u. a.] 2003, S. 311–320.

90 Das mit dem Heiligenkult im engeren Sinn verbundene hagiographische Schrifttum – Lebensbeschreibungen zeitgenössischer oder der Vergangenheit angehörender Heiliger, Legendare und Vitensammlungen in verschiedenen Formaten, die das Kirchenjahr nach wie vor gliedernden Martyrologien oder die dasselbe institutionell tragenden liturgischen Gattungen, Berichte von der Auffindung, Erhebung oder Translation von Reliquien, Mirakelberichte oder Akten der Kultapprobation – entstammt dem Katholizismus. In seiner Breite ist es weithin unerschlossen. Es gilt daher einerseits, soweit als möglich, die Position der Acta Sanctorum und ihrer Vertreter innerhalb des Spektrums der katholischen Schriftproduktion präziser zu bestimmen und andererseits sehr wohl nach möglichen konfessionellen Konturen zu fragen. Das Hauptgewicht wird im Fortgang der Arbeit allerdings, mit den von den Bollandisten selbst gesetzten Akzenten, auf den historiographiegeschichtlichen und gelehrten Seiten der Acta Sanctorum liegen. Wie wurde mit geschichtlichen Überlieferungsträgern umgegangen? Auf welche Weise wurden sie typographisch aufbereitet? Welche Ideen lagen dem zugrunde? In welchem Verhältnis standen editorische Praxis und editorische Programmatik? Wie wurde mit historischen Informationen, die in großem Umfang natürlich auch in Heiligenviten und anderen hagiographischen Schriften enthalten waren und die es zunächst zu verstehen galt, umgegangen? Auf welche Weise veränderten sich zeitgenössisch disponible historische Kenntnisse durch das Tun der Bollandisten? Versteht man unter szientistischem Wissen jenes Spektrum von Kenntnissen, mit dem sich implizit oder explizit der Zwang zur Begründung oder Erläuterung des je Gesagten verband und verbindet, 154 dann wird insbeson–––––––— 154

Vgl. Alexander Becker, Kann man Wissen konstruieren?, in: Wissen und soziale Konstruktion, hrsg. v. Claus Zittel (Wissenskultur und gesellschaftlicher Wandel 3), Berlin 2002, S. 13–25, hier S. 20ff. Diese Bestimmung orientiert sich konventionell an der antiken, der Erkenntnistheorie verpflichteten Definition von „Wissen“ als „wahre[r] und gerechtfertigte[r] Meinung“. Vgl. Claus Zittel, Einleitung. Wissen und soziale Konstruktion in Kultur, Wissenschaft und Geschichte, in: ebd., S. 7–11, hier S. 7. Mit dem Zwang zur Begründung oder Rechtfertigung grenzt sich demnach „Wissen“ von anderen Arten des „Fürwahrhaltens“ ab, von der bloßen „Meinung“, die das Moment der Rechtfertigung nicht oder nur in abgeschwächter Form beinhaltet, und vom „Glauben“, der höchste Autorität beansprucht, obwohl oder gerade weil er ein Moment des letztlich Nicht-Begründbaren impliziert. Vgl. Josef Simon, Meinen, Glauben und Wissen als Arten des Fürwahrhaltens, in: Hegel-Jahrbuch 2003 (Themenheft: Glaube und Wissen, Teil 1), S. 67–74; Carsten Kretschmann/Henning Pahl/Peter Scholz, Institutionen des Wissens in gesellschaftlichen Krisen – Ein Problemaufriß, in: Wissen in der Krise. Institutionen des Wissens im gesellschaftlichen Wandel, hrsg. v. dens. (Wissenskultur und gesellschaftlicher Wandel 7), Berlin 2004, S. 7–16, hier S. 8. Vgl. zu „Glauben“ konzise Jan Assmann, Die Mosaische Unterscheidung oder der Preis des Monotheismus (Edition Akzente), München 2003, S. 27; hilfreich sind nach wie vor Gottlieb Söhngen, Art. Wissen und Glaube, in: LThK, Bd. 10, 21965, Sp 1194–1196; ferner Donato Valentin/Max Seckler, Art. Glauben und Wissen/ Denken, in: LThK, Bd. 4, 31995, Sp 693–696, sowie die je von

91 dere zu untersuchen sein, welche Sachverhalte überhaupt, unter den Bedingungen der frühen Neuzeit, auf welche Weise begründet oder erläutert wurden. Ausgerichtet auf den Gegenstand der vorliegenden Studie und ihre Erkenntnisinteressen soll damit, aus historisierter Perspektive, ein vergleichsweise konventioneller Typus der kognitiven Ressource „Wissen“ in den Blick genommen werden. Wie in der aktuellen geschichtswissenschaftlichen Debatte wiederholt bemerkt wurde, ist dieser Typus zwar keineswegs mit der Gesamtheit dessen zu identifizieren, was unter dem Dach der sich formierenden Geschichte des „Wissens“ analysiert werden kann und soll. Inspiriert von der Wissenssoziologie und dem von Peter L. Berger und Thomas Luckmann entwickelten sozialkonstruktivistischen Ansatz firmiert „Wissen“ momentan als Metakategorie, die es ermöglichen soll, all jene Fertigkeiten und Fähigkeiten, Kenntnisse und Erfahrungsschätze zu untersuchen, welche die Lebenswirklichkeit historischer Individuen oder sozialer Gruppen als solche erst konstituieren. 155 Allerdings muss diese Ausweitung des Konzepts „Wissens“ keineswegs bedeuten, dass von jeder terminologischen Schärfe abzusehen ist. Dies gilt umso mehr, als die von der Wissenssoziologie und neueren Erkenntnistheorie systematisierte Trennung beispielsweise zwischen wissenschaftlichem und Alltagswissen, zwischen implizitem und explizitem, thematischem und unthematischem Wissen bislang kaum Eingang in die geschichtswissenschaftliche Theoriebildung gefunden hat. 156 Andere Scheidelinien wie jene zwischen „Wissen“, „Glau–––––––— 155

156

verschiedenen VerfasserInnen stammenden: Art. Glaube, Glauben, in: ebd., Sp 666– 692; Art. Glaube, in: TRE, Bd. 13, 1984, S. 275–365. Vgl. Achim Landwehr, Das Sichtbare sichtbar machen. Annäherungen an „Wissen“ als Kategorie historischer Forschung, in: Geschichte(n) der Wirklichkeit. Beiträge zu einer Sozial- und Kulturgeschichte des Wissens, hrsg. v. dems. (Documenta Augustana 11), Augsburg 2002, S. 61–89, bes. S. 61–70; Ralf-Peter Fuchs/Winfried Schulze, Zeugenverhöre als historische Quellen – einige Vorüberlegungen, in: Wahrheit, Wissen, Erinnerung. Zeugenverhörprotokolle als Quellen für soziale Wissensbestände in der Frühen Neuzeit, hrsg. v. dens. (Wirklichkeit und Wahrnehmung in der Frühen Neuzeit 1), Münster 2002, S. 7–40, hier S. 32–37; Johannes Fried/Thomas Kailer, Einleitung. Wissenskultur(en) und gesellschaftlicher Wandel, in: Wissenskulturen. Beiträge zu einem forschungsstrategischen Konzept, hrsg. v. dens. (Wissenskultur und gesellschaftlicher Wandel 1), Berlin 2003, S. 5–19, hier S. 10ff. Vgl. zur Entwicklung der Wissenssoziologie zusammenfassend Hubert Knoblauch/Jürgen Raab/ Bernt Schnettler, Wissen und Gesellschaft der sozialkonstruktivistischen Wissenssoziologie Thomas Luckmanns, in: Thomas Luckmann, Wissen und Gesellschaft. Ausgewählte Aufsätze 1981–2002, hrsg., teilweise übers. u. eingel. v. dens. (Erfahrung – Wissen – Imagination. Schriften zur Wissenssoziologie 1), Konstanz 2002, S. 9–39. Im Hintergrund steht der seit den 1960er Jahren von der angelsächsischen Soziologie diagnostizierte Übergang von der industriellen zur „postindustriellen“ oder „Wissensgesellschaft“ der Gegenwart. Vgl. Uwe H. Bittlingmayer, „Wissensgesellschaft“ als Wille und Vorstellung, Konstanz 2005, S. 15–26. Vgl. Joachim Renn, Wissen und Explikation – Zum kognitiven Geltungsanspruch der „Kulturen“, in: Handbuch der Kulturwissenschaften, Bd. 1: Grundlagen und Schlüs-

92 ben“ und „Meinung“ – als den traditionell reflektierten Arten des Fürwahrhaltens – sind insofern nicht ohne Weiteres zu suspendieren, als sie in der Gelehrtenkultur der frühen Neuzeit selbst eine wichtige Rolle spielen konnten. In analytischer Hinsicht können sie folglich für einige der sich im Laufe der Zeit verschiebenden gelehrten Konfigurationen sensibilisieren. 157 –––––––— 157

selbegriffe, hrsg. v. Friedrich Jaeger/Burkhard Liebsch, Stuttgart/Weimar 2004, S. 232–250. Vgl. Jens Ivo Engels/Hillard von Thiessen, Glauben. Begriffliche Annäherungen anhand von Beispielen aus der Frühen Neuzeit, in: ZHF 28 (2001), S. 333–357, hier S. 333ff. Die Autoren begründen die Forderung, dass von einer Definition der besagten Kategorien prinzipiell Abstand zu nehmen sei, mit einer ihrer Auffassung nach allgemeinen und im 16. Jahrhundert einsetzenden Abwertung des Begriffs des „Glaubens“. Diese Abwertung werde mit neuerlichen Versuchen der Definition nur fortgeführt: „Von Anfang an […] existierte Glaube als ein Gegenbegriff zu ‚Denkenǥ, ‚Vernunftǥ und ‚Wissenǥ. Und von Beginn an war das Verhältnis zwischen Glauben und Wissen durch ein Ungleichgewicht gekennzeichnet: das Wissen lag in der Nähe der Sicherheit, Glauben aber der Unsicherheit.“ Frühneuzeitlich gesehen übertraf die Wertigkeit der in Gott gründenden Glaubenswahrheiten allerdings – wenigstens in den hier interessierenden Milieus der katholischen Gelehrsamkeit – ganz im Gegenteil die von den Beschränkungen des menschlichen Urteilsvermögens gezeichneten Versuche der Welterkenntnis. Symptomatisch ist dies anhand der frühneuzeitlichen Debatten um die curiositas zu studieren, die als Vorwurf, sich nicht der Erkenntnis Gottes, sondern der Erkenntnis des Weltlichen hinzugeben, der katholischen Intelligenz durchaus zu schaffen machen konnte. Vgl. Hans Blumenberg, Der Prozeß der theoretischen Neugierde, erw. u. überarb. Neuausg. v. „Die Legitimität der Neuzeit“, Teil 3, Frankfurt a. M. 1973; Lorraine Daston, Neugierde als Empfindung und Epistemologie in der frühmodernen Wissenschaft, in: Macrocosmos in Microcosmo. Die Welt in der Stube. Zur Geschichte des Sammelns, hrsg. v. Andreas Grote (Berliner Schriften zur Museumskunde 10), Opladen 1994, S. 35–59, hier S. 37ff.; Barbara M. Benedict, Curiosity. A Cultural History of Early Modern Inquiry, Chicago/London 2001, S. 3ff. Problematisch ist die Vorstellung, nicht nur diachronisch, sondern auch synchronisch die Differenzierung zwischen Glauben und Wissen suspendieren zu müssen. Gegenüber der vermeintlich überholten Annahme, dass „der Glaube im Gegensatz zum Wissen ein Fürwahrhalten ohne methodische Begründung sei“, sehen Engels/von Thiessen, Glauben (2001), S. 336, „heute die Methode kaum noch als Sicherheitsgarantie“ akzeptiert: „Vielmehr wird davon ausgegangen, daß das Fürwahrhalten der Methode sich nicht grundsätzlich vom Glauben unterscheidet.“ In der hier konsultierten Literatur lässt sich eine solche Tendenz bestenfalls in Teilen der katholischen Theologie der Gegenwart nachweisen. Der Anspruch des „katholische[n] Glaube[ns]“, nun auch „die Zusammenfassung und Vollendung der Vernunft“ zu sein, so der damalige Kardinal Joseph Ratzinger, und mit den göttlich geoffenbarten Schriften über den – oder zumindest einen essentiellen – Schlüssel zu Fragen der Wahrhaftigkeit zu verfügen, wird von der philosophischen Erkenntnistheorie, aus guten Gründen, gerade im Verweis auf die Trennung von Wissen und Glauben problematisiert. In dieser Hinsicht instruktiv ist das Gespräch zwischen Joseph Ratzinger/Paolo Flores d’Arcais, Gibt es Gott? Wahrheit, Glaube, Atheismus. Aus dem Ital. v. Friederike Hausmann, Berlin 2006 [ital. 2000], Zitat S. 22. Vor diesem Hintergrund bedeutet der Versuch, die analytische Differenzierung zwischen Wissen und Glauben zu umgehen, nicht den Weg aus dem Diskurs, sondern den Verzicht der Wissenschaften, innerhalb desselben eigene und im Idealfall sorgsam begründete Positionen zu beziehen. Wissenschaftstheoretisch können Studien wie die vorliegende

93 Wenn das Augenmerk im Weiteren also der Beziehung zu gelten hat, die innerhalb eines bestimmten sozialen Segments zwischen „Wissen“ und „Begründung“ bestand, dann heißt dies nicht, einer dekontextualisierten Geistes- oder Wissenschaftsgeschichte das Wort zu reden. Da nicht davon auszugehen ist, dass irgendetwas begründet oder erläutert werden müsste, das ausschließlich personalen Charakters ist, treten auf dieser Basis vielmehr die kommunikativen Implikationen szientistischen Wissens ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Dieser Typus des Wissens setzt, mit Niklas Luhmann, die Existenz eines „Beobachter[s] zweiter Ordnung“ oder zumindest die Existenz der Beobachtung der eigenen Beobachtungen auf einer zweiten Ebene voraus. Erst auf dieser Ebene entsteht ein Wissen vom Wissen und mit ihm ein Standpunkt, der geeignet ist, auf der einen Seite systematisch die auf der ersten Ebene angestellten Beobachtungen nach wahren und falschen Sätzen zu unterscheiden und sich damit auf der anderen Seite „zu den Erfordernissen des Wissenserwerbs und der Wissenskontrolle […] kognitiv zu verhalten.“158 In der Alltagssprache der Geschichtswissenschaft wird dieser Sachverhalt vielfach als Entwicklung der „Kritik“ oder einer „kritischen Öffentlichkeit“ beschrieben. Mit dem Ausdruck der „Kritik“ hat sich allerdings die wenig vorteilhafte Vorstellung verbunden, dass Veränderungen des wissenschaftlichen Systems im Wesentlichen auf eine historisch neu entstehende oder eine dem System gleichsam externe Position, also in erster Linie auf sich modifizierende Bedingungen der „Umwelt“, zurückzuführen sind: die bürgerliche Öffentlichkeit verändert durch ihre (externe) Beobachtung die durch religiöse oder andere herrschaftliche Zwänge geprägte Wissenschaft der Vormoderne. Sie nötigt diese zur Revision eigener Positionen, lässt ihre Methoden und Resultate als obsolet erscheinen und besetzt schließlich in intellektueller und institutioneller Hinsicht nach und nach die Schlüsselstellen innherhalb des sich derart erneuernden Systems. Das Zentrum dieses Systems bildeten die neuen Naturwissenschaften, die im Wechsel der Leittechnik – vom Lesen zum Beobachten – zum Ausgangspunkt für jede als modern qualifizierbare Wissenschaft wurden. Der Zugriff Luhmanns hingegen zielt auf eine gleichermaßen breiter wie tiefer angelegte Staffelung der analytischen Apparatur. Er beinhaltet die Aufforderung, zunächst die innerhalb eines – komplex gedachten – Systems ablaufenden Prozesse in den Vordergrund zu rücken und diese von ihren kommunikativen und medialen Eigenarten her zu denken. Erst auf diese –––––––—

158

oder auch Engels’ und von Thiessens eigener Beitrag, in denen die Resultate einer intensiven Auseinandersetzung mit vergleichsweise überschaubaren Themenfeldern zur Darstellung gebracht werden, ohnehin kaum sinnvoll als Artikulation von „Meinung“ oder „Glaube“ beschrieben werden. Vgl. Niklas Luhmann, Die Wissenschaft der Gesellschaft (stw 1001), Frankfurt a. M. 1992, S. 167–172.

94 Weise entstehe die „Möglichkeit, vorwissenschaftliches und spezifisch wissenschaftliches Wissen durch unterschiedliche Konditionierungen der Kommunikation (statt nur durch Rollen, Professionalisierung, Organisation) zu unterscheiden.“ 159 Es liegt auf der Hand, dass diese Verschiebung der Akzente aus frühneuzeitlicher Perspektive einige Vorteile mit sich bringt. In einer Zeit, in der das disziplinäre Spektrum fließend war und in der die Universitäten keineswegs als das Zentrum szientistischen Tuns schlechthin betrachtet werden können, lenkt sie die Aufmerksamkeit einerseits auf die je zeitgenössischen Arten, Probleme zu isolieren, zu beschreiben und zu kommunizieren. Der Kurzschluss von den Mustern der Naturbeobachtung, aus denen nahezu jede Art innovativen Denkens und Handelns im 17. Jahrhundert – auch im Fall der Bollandisten 160 – deduziert worden sei, auf andere Bereiche des szientistischen Tuns wird auf diese Weise zugunsten der detaillierten Analyse unterschiedlicher Segmente des wissenschaftlichen Systems suspendiert. Andererseits schärft der Zugriff Luhmanns die Sensibilität für die Frage, wer sich auf welche Weise der Beobachtung solcher Personen oder Gruppen verschrieb, die sich an den Beständen des Wissens zu schaffen machten und die sich dabei selbst beobachtet wussten – mithin zuvor schon andere beobachtet hatten. „Kritik“ wäre auf dieser Basis weder implizit noch explizit mit einer Semantik des „Tadelns“ oder reiner „Negativität“ zu identifizieren. Allenfalls wäre zu fragen, in welchem Ausmaß entsprechende Bedeutungsräume, die in den Debatten um das Konzept der critica in den Jahrzehnten um 1700 nachzuweisen sind, 161 als Symptome einer Gesellschaft begriffen werden können, die sich im Zuge der sich schnell verändernden medialen Landschaft und der fortlaufenden publizistischen Beobachtung aller durch alle neu zu arrangieren hatte. Unabhängig davon, ob man bereit ist, mit diesen Überlegungen einen Gewinn für die Geschichte des Wissens und der Wissenschaften zu verbinden, sollte das folgende Kapitel zeigen, dass bereits die Analyse kleinerer Problemkomplexe, die in den Acta Sanctorum verhandelt wurden, schnell in kompliziertere Zusammenhänge führt. Sollte die Historiographiegeschichte den Anspruch erheben, valide Aussagen über die Werke frühneuzeitlicher Gelehrter zu erarbeiten, dann ist es als Herausforderung zu begreifen, das Niveau des Analysierten zumindest zu erreichen und einen adäquaten Begriff auch von den medialen Möglichkeiten des 17. Jahrhunderts zu entwickeln. –––––––— 159 160 161

Ebd., S. 133. Hausberger, Werk (1980), S. 213. Vgl. Steffen Martus, Negativität im literarischen Diskurs um 1700. System- und medientheoretische Überlegungen zur Geschichte der Kritik, in: Kulturelle Orientierung um 1700. Traditionen, Programme, konzeptionelle Vielfalt, hrsg. v. Sylvia Heudecker/Dirk Niefanger/Jörg Wesche (Frühe Neuzeit 93), Tübingen 2004, S. 47–66.

3 Was sind die Acta Sanctorum? 3.1 Buch, Intertext und Referenz In der beginnenden Medienreflexion der Geschichtswissenschaft hat es sich schnell etabliert, mit Norbert Bolz Ferdinand de Saussures (1857–1913) Prinzip vom „lineare[n] Charakter des Zeichens“ 1 mit den rezeptiven Wesensmerkmalen der medialen Form Buch zu identifizieren. Angestrebt ist eine griffige Unterscheidung des Buchzeitalters von dem jetzt angebrochenen Zeitalter der digitalen Medien: Ein Buch wird durch die sukzessive Folge seiner Seiten (fast) immer linear gelesen. Damit hat das zuerst Genannte immer eine besondere Position. Die Neuen Medien dagegen haben eine Hyperstruktur. Von einem Satz kann man nicht nur zu jenem gelangen, der wie in einem Buch diesem folgt, sondern es ergeben sich mehrere Möglichkeiten. Je mehr Verknüpfungen existieren, umso mehr potentielle Lektüren sind realisierbar. 2

Aus dieser Perspektive scheint das Buch des Potentials zur intertextuellen Verknüpfung zu ermangeln. Die typographische Buchkultur tritt als die Summe mehr oder minder unverbundener und sich je von Anfang bis Ende anzueignender Einzelwerke in Erscheinung – in gewisser Weise als die Summe von Romanen, die in ihrer klassischen Form in der Tat auf der ersten Seite begonnen und auf der letzten beendet werden sollten. Genauer formuliert repräsentiert der diesem Gedanken zugrunde liegende Begriff des Buchs die „ideale Form des genetischen Schemas, das […] aus sich heraus

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Ferdinand de Saussure, Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft, hrsg. v. Charles Bally/Albert Sechehaye. Unter Mitwirkung v. Albert Riedlinger übers. v. Herman Lommel, Berlin 21967 [franz. 1916], S. 82. Stefan Haas, „Designing Knowledge“. Theoretische und pragmatische Perspektiven der medialen Bedingungen der Erkenntnisformulierung und -vermittlung in den Kultur- und Sozialwissenschaften, in: Crivellari/Kirchmann/Sandl [u. a.] (Hrsg.), Medien (2004), S. 211–236, hier S. 212; dem liegt zugrunde Norbert Bolz, Neue Medien, in: Vom Menschen. Handbuch Historische Anthropologie, hrsg. v. Christoph Wulf, Weinheim/Basel 1997, S. 661–678, hier S. 664: „An die Stelle der linearen Rationalität der Buchkultur tritt heute ein Denken in Konfigurationen.“ Bedauerlich ist es, dass von einem Artikel „Alte Medien“ oder „Buch“ in diesem Handbuch abgesehen wurde.

96 das Telos einer Vollendung generiert und darstellt.“ 3 Für Moritz Baßler eröffnete erst die digitale Erfassung „aller Texte einer gegebenen Zeit“ die Möglichkeit, mit Hilfe der Verlinkung des dann „nebeneinander Gezeigten“ zu einer Kontextualisierung einzelner Texte und Textbausteine im eigentlichen Sinn des Worts zu gelangen. 4 Während Baßler, nach dem Vorbild von Walter Kempowskis Echolot, dazu neigt, die derart ermöglichte Bestimmung der relativen Position eines historischen Texts im Gesamtzusammenhang der Tradition („Archiv“) als den Endpunkt einer zeitgemäßen Kulturgeschichte zu betrachten – realisiert in der idealen Darstellung eines „nicht linearen Texts“ 5 –, tendierte die Geistesgeschichte der frühen Neuzeit lange dazu, die der gelehrten oder wissenschaftlichen Buchkultur immanenten Momente der Intertextualität und Referentialität sowie Gattungen, welche mehr in sich beherbergen, als einen sich in linearer Lektüre anzueignenden auktorialen Text, zu vernachlässigen. Dies gilt selbst für ein Werk wie Pierre Bayles (1647–1706) Dictionaire historique et critique, dessen augenfälliges Schriftbild zwar das Augenmerk der Forschung auf sich zog, ihr aber lange Zeit eher Schwierigkeiten als Freude bereitete. In einer jetzt von Günter Gawlick und Lothar Kreimendahl publizierten Anthologie diverser Teilübersetzungen einiger Artikel des Dictionaire begründen diese ihre weiträumigen und alle Texteinheiten betreffenden Auslassungen damit, dass „das Dictionnaire […] ein mit häufig ausschweifenden Digressionen und wissenschaftsgeschichtlich längst überholten Detaildebatten so überladenes Werk“ sei, „daß die heute noch interessierenden Goldkörner von einer Menge historischen und philologischen Ballasts über–––––––— 3

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5

Marianne Schuller, Zeichendämmerung – Fragezeichen. Zu Nietzsche, in: dies., Moderne. Verluste. Literarischer Prozeß und Wissen (nexus 29), Basel 1997, S. 115– 142, hier S. 123; zu möglichen Definitionen Krzystof Migon, Das Buch als Gegenstand wissenschaftlicher Forschung. Buchwissenschaft und ihre Problematik. Mit einem Geleitwort v. Alfred G. Swierk. Übers. v. Andreas Fleischer (Buchwissenschaftliche Beiträge aus dem Deutschen Bucharchiv München 32), Wiesbaden 1990, S. 15– 20. Vgl. Moritz Baßler, Zwischen den Texten der Geschichte. Vorschläge zur methodischen Beerbung des New Historicism, in: Literatur und Geschichte. Ein Kompendium zu ihrem Verhältnis von der Aufklärung bis zur Gegenwart, hrsg. v. Daniel Fulda/Silvia Serena Tschopp, Berlin/New York 2002, S. 87–100, hier S. 90–98, Zitat S. 90, 96. Ebd., S. 94. Die historisch arbeitende Kulturwissenschaft hätte insgesamt von dem Anspruch abzurücken, „statt sich mit kultureller Kontextualisierung zu begnügen, Geschichte im Sinn diachroner Narrationen verfassen“ zu wollen. Ebd., S. 98. Andere Akzente setzen aus medienwissenschaftlicher Perspektive Eva Hohenberger/Judith Keilbach, Vorwort, in: Die Gegenwart der Vergangenheit. Dokumentarfilm, Fernsehen und Geschichte (Texte zum Dokumentarfilm 9), Berlin 2003, S. 7. Hohenberger und Keilbach begrüßen es keineswegs, dass insbesondere die Geschichtswissenschaft mit dem „Diktum der Unhintergehbarkeit des Medialen […] ihre ehemals originäre Aufgabe der Rekonstruktion von Vergangenheit zunehmend an die Medien selbst, aber auch an die Medienwissenschaft“ abgegeben habe.

97 deckt sind.“ 6 Von diesem Selektionsprozess sind in besonderem Maß Passagen betroffen, in denen Bayle aus historischen und zeitgenössischen Werken zitierte, in denen er divergente Positionen miteinander konfrontierte und gegeneinander abwog. Die damit verbundene Struktur der Referenzen wur–––––––— 6

Günter Gawlick/Lothar Kreimendahl, Zur vorliegenden Ausgabe, in: Pierre Bayle, Historisches und kritisches Wörterbuch. Eine Auswahl. Übers. u. hrsg. v. Günter Gawlick/Lothar Kreimendahl, Darmstadt 2003, S. LVII–LXVIII, hier S. LXVIII. Gawlick und Kreimendahl orientierten sich in ihrer Auswahl vermutlich an der bequem verfügbaren Anthologie, die Elisabeth Labrousse für die Oeuvres diverses zusammengestellt hat. Vgl. Pierre Bayle, Œuvres diverses. Volumes supplementaires, Bd. 1,1–2: Choix d’articles tirés du Dictionnaire Historique et Critique, hrsg. v. Elisabeth Labrousse, Hildesheim/New York 1982. Zur Auswahl der hier im Nachdruck präsentierten Artikel Elisabeth Labrousse, Introduction, in: ebd., Bd. 1,1, [unpaginiert]: „Nous avons retenus sans exception tous les célèbres articles philosophiques et théologiques qui fondent l’intérêt que présente la pensée de Bayle pour l’historien des idées, tout en introduisant un certain nombre d’articles secondaires choisis d’une manière aléatoire, afin de fournir au lecteur une image de la variété du Dictionnaire.“ Die Anthologie Bayle, Wörterbuch, hrsg. v. Gawlick/Kreimendahl (2003), weist insgesamt 33 Artikel auf. Nur 3 davon sind nicht in der Auswahl von Labrousse enthalten, die Art. Catius, ebd., S. 21–23, Hipparchia, ebd., S. 108–119, Mammillarier, ebd., S. 152–156. Nicht übernommen aus der Anthologie Labrousses wurden von Gawlick und Kreimendahl beispielsweise Artikel zu Aristoteles, Augustin, Bodin, Jansenius, Luther, Melanchthon, Arnauld, Hobbes sowie diejenigen zu den Vertretern der Kirchengeschichte, etwa Leo X. Dies entspricht neben dem formalen Zwang zur Beschränkung dem Programm, „eine Auswahl aus den philosophisch relevanten Artikeln des Dictionnaire“ zu bieten, so Gawlick/Kreimendahl, Zur Ausgabe (2003), S. LXIV. In vorliegender Arbeit wurde die Ausgabe benutzt: DICTIONAIRE || HISTORIQUE || ET || CRITIQUE, || PAR MR.BAYLE. || TOME TROISIEME, || TROISIEME EDITION, || REVUE, CORRIGÉE, ET AUGMENTÉE || PAR L’AUTEUR. || M–S. || A ROTTERDAM, || CHEZ MICHEL BOHM, || MDCCXX. || AVEC PRIVILEGE [= DHC]. Es handelt sich um die offizielle dritte Ausgabe. Vgl. Christiane Berkvens-Stevelinck, Les éditions du „Dictionaire historique et critique“ de Pierre Bayle jusqu’en 1740, avec ses éditions pirates, in: Critique, savoir et érudition à la veille des Lumières. Le „Dictionnaire historique et critique“ de Pierre Bayle (1647–1706), hrsg. v. Hans Bots, Amsterdam/Maarssen 1998, S. 17–25, hier S. 24f. Neben den in den Vereinigten Niederlanden mit Privileg produzierten Ausgaben – 1702 (2. ed., Rotterdam), 1720 (3. ed., Rotterdam), 1730 (4. ed., Amsterdam), 1740 (5. ed. Amsterdam) – erschienen einige Raubdrucke: 1715 in Genf (auf dem Titelblatt: 3. ed., Rotterdam), 1734 in Trévoux (auf dem Titelblatt: 5. ed., Amsterdam), 1738 in Basel (auf dem Titelblatt: 5. ed.), 1740 in Amsterdam, Leyden, Den Haag, Utrecht (auf dem Titelblatt: 5. ed.). Vgl. ebd., S. 17f. Sofern die Aufstellung von Berkvens-Stevelinck korrekt ist, existierten bis 1740 insgesamt 9 Ausgaben, 5 mit Privileg, 4 ohne Privileg, nicht 8 Ausgaben, wie die – die fingierten Druckorte nicht auflösende – Liste von Gawlick/Kreimendahl, Bibliographie, in: Bayle, Wörterbuch, hrsg. v. Gawlick/Kreimendahl (2003), S. LIX–LXXXII, hier S. LXXI, nahelegt. Vergessen wurde die mit Privileg erschienene, offizielle 5. Ausgabe, Amsterdam 1740. Der Übersetzung von Gawlick und Kreimendahl liegt die ohne Privileg 1740 gedruckte Ausgabe Amsterdam, Leyden, Den Haag, Utrecht zugrunde, die auch Labrousse für ihre Anthologie verwandt hat. Vgl. dies., Zur Ausgabe (2003), S. LVII. Zentrale Problempunkte der Anthologie Gawlicks und Kreimendahls thematisiert bereits Herbert Jaumann, Rezension: Bayle, Wörterbuch, hrsg. v. Gawlick/Kreimendahl (2003), in: Das Achtzehnte Jahrhundert 28 (2004), S. 304–306.

98 de ihrerseits nur selektiv reproduziert. Neben einer bestimmten philosophiegeschichtlichen Interessenlage artikuliert sich in dieser Anthologie daher auch eine implizite Hierarchie der Texttypen. 7 Zitate und Referenzen, –––––––— 7

Eine Passage wie jene im Art. Spinoza, in: Bayle, Wörterbuch, hrsg. v. Gawlick/ Kreimendahl (2003), S. 367–439, hier Rem. (A), S. 377: „Man kann lediglich folgern, daß seine [Stratons] Auffassung dem Spinozismus unendlich viel näher kommt als das System der Atome. (…). Man hat auch Anlass zu glauben, daß er nicht wie die Atomisten lehrte, die Welt sei ein neues und vom Zufall hervorgebrachtes Werk, […]“, besitzt im Original folgende Form: „On peut seulement conclure que son [Stratons] opinion s’approche infiniment plus du Spinozisme, que le Systême des atômes. La voici plus amplement exposée: Negas sine Deo posse quicquam, ecce tibi è transverso Lampsacenus Strato, qui det isti Deo immunitatem magni quidem muneris. Sed quum Sacerdotes Deorum vacationem habeant, quanto est æquius habere ipsos Deos? Negat opera Deorum se uti ad fabricandum mundum. Quæcunque sint docet omnia effecta esse natura, nec ut ille qui asperis, & levibus, & hamatis, uncinatisque corpusculis concreta hæc esse dicat interjecto inani, somnia censet hæc esse Democriti non docentis, sed optantis. Ipse autem singulas mundi partes persequens, quicquid aut sit, aut fiat, naturalibus fieri, aut factum esse docet ponderibus & motibus: sic ille & Deum opere magno liberat, & me timore (11). On a même lieu de croire qu’il n’enseignoit pas, comme faisoient les Atomistes, que le monde fut un Ouvrage nouveau, & produit par le hazard […].“ Art. Spinoza (Benoît de), in: DHC, Bd. 3, Rotterdam 31720, S. 2631–2649, hier Rem. (A), S. 2631a. Mit der Aussonderung des Zitats ist in der Ausgabe von Gawlick und Kreimendahl auch die Marginalnote (11) verschwunden, Bayles Verweis auf Ciceros Academica. Vgl. ebd., Anm. 11: „Idem [Cicero], Academ. Quæst. Libr. II, folio 211. C.“ Vgl. das Zitat bei M. Tulli Ciceronis Academica. The Text Revised and Explained by James S. Reid, London 1885 (Neudruck Hildesheim 1966), lib. II, c. XXXVIII.121: „Negas sine deo […].“ Da die numerische Abfolge der Marginalnoten des Dictionaire trotz dieser und ähnlicher Eingriffe von Gawlick und Kreimendahl beibehalten wurde, gestaltet sich die Reproduktion des Bayleschen Anmerkungsapparats diskontinuierlich. Auf Bayles Marginalnote (8) folgen in Gawlicks und Kreimendahls Anthologie die Noten (10), (15), (22), (23), (24) usf. Art. Spinoza, in: Bayle, Wörterbuch, hrsg. v. Gawlick/ Kreimendahl (2003), Rem. (A), S. 376ff. Die fehlenden Noten, in diesem Fall (9), (11) bis (14) und (16) bis (21), repräsentieren nicht durchweg das Produkt einer systematischen Kürzung in dem Sinn, dass jedes ausgelassene Zitat auch die Auslassung seiner Referenz nach sich gezogen hätte. Die der (11) vorangegangene Marginalnote (10) wurde übernommen, obschon es sich um ein gleichartiges Beispiel handelt, um die Referenz auf eine nicht wiedergegebene Passage aus der Feder Ciceros, hier aus De natura deorum. Vgl. ebd., Rem. (A), S. 377 mit Anm. 10. Diese Vorgehensweise mag sich dadurch erklären, dass Gawlick und Kreimendahl mit den Referenzen keinen herausgeberischen Anspruch oder inhaltliche Relevanz verbinden konnten. Demnach sollten die übernommenen Referenzen primär „dem Leser angesichts des nur wenig durch Absätze strukturierten Textes die Auffindung einer Stelle im Original“ des Dictionaire „erleichtern.“ Gawlick/Kreimendahl, Zur Ausgabe (2003), S. LXI f. Vgl. auch ebd., S. LXVIII, mit etwas anderer Begründung: „So ist das thematisch Relevante in den allermeisten Fällen auf wenige Anmerkungen [= Remarques] konzentriert, und noch innerhalb der Anmerkungen erwiesen sich Streichungen sowohl im Text als auch bei den zugehörigen Fußnoten als geboten; letzteres insbesondere dann, wenn sie lediglich den fremdsprachigen Originalwortlaut eines Zitats bringen, das Bayle in Paraphrase zuvor bereits in den Text eingebaut hat.“ Dieser Fall allerdings betrifft die wenigsten der ausgesonderten Referenzen. Der unübersichtliche Komplex der Marginalien hat auch bei den Rezensenten nur bedingt Beachtung gefunden. Jau-

99 die ohne Zweifel zur Substanz des Dictionaire zu rechnen sind, 8 rangieren auf dieser Skala ebenso im unteren Bereich wie der Prozess der kommunikativen Einlassung an sich. Die programmatische Forderung, Referenzen und Zitate zu verfolgen, um damit Einblicke in Bayles Verfahrensweisen zu

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mann, Rezension (2004), S. 305, bewertet die Referenzen als herausgeberische Zugaben. Vgl. auch Stefan Jordan, Rezension: Bayle, Wörterbuch, hrsg. v. Gawlick/Kreimendahl (2003), in: ZfG 52 (2004), S. 564f., hier S. 565: „Das ausgefeilte Verweissystem mit verschiedenen Anmerkungskürzeln und grafischen Gliederungselementen wurde leider bei vorliegender Übersetzung nicht übernommen.“ Wie angedeutet, trifft dies so nicht zu, da das Verweissystem eben selektiv reproduziert und im Regelfall ungeprüft mit übersetzt wurde; vgl. etwa Art. Spinoza (Benoît de), in: DHC, Bd. 3, 3 1720, Rem (A), S. 2631a: „je sçai seulement qu’il [Straton] la [die Natur] faisoit inanimée, & qu’il ne reconoissoit d’autre Dieu que la Nature: Nec audiendus ejus (Theophrasti) auditor Strato is qui Physicus appellatur, qui omnem vim divinam in natura sitam esse censet, quæ causas gignendi, augiendi, minuendi habeat, sed careat omni sensu ac figura (10). Comme il se moquoit des atômes & du vuide d’Epicure […].“ Die Anm. 10 lautete auf: „Cicero de Nat. Deorum, Libr. I, pag. m. 56.“ Der von Gawlick und Kreimendahl benutzten Ausgabe des Dictionaire lag eine andere Ausgabe von De natura deorum zugrunde; vgl. Art. Spinoza, in: Bayle, Œuvres. Vol. suppl., Bd. 1,2: Choix, hrsg. v. Labrousse, Rem (A), S. [1069a]/253a Anm. 10: „Cicero de Nat. Deorum, Libr. I, Cap. LI.“ Vgl. die Übersetzung im Art. Spinoza, in: Bayle, Wörterbuch, hrsg. v. Gawlick/Kreimendahl (2003), Rem (A), S. 377: „ich weiß nur, daß er [Straton] sie [die Natur] unbeseelt sein ließ und daß er nur die Natur als Gott anerkannte. (…) (10). Da er sich über die Atome und das Vakuum Epikurs lustig machte […].“ Ebd., Anm. 10: „Cicero, De natura deorum, Buch I, Kap 51.“ Diese Kapitelzählung entspricht nicht mehr der heutigen. Vgl. M. Tulli Ciceronis De natura deorum. Liber primus, hrsg. v. Arthur Stanley Pease, Bimilennial Edition, Cambridge, Mass. 1955, lib. I, c. 35, S. 249: „Nec audiendus eius auditor Strato […].“ Dass man, nach Jordan, Rezension (2004), S. 564, mit „zum Teil gekürzte[n]“ Artikeln zu rechnen habe, weckt falsche Erwartungen. Am Umfang der Eingriffe lassen Gawlick und Kreimendahl keinen Zweifel. Wenn dies., Zur Ausgabe (2003), S. LXVIII, bemerken: „Das Korpus des Artikels erscheint jedoch fast immer ungekürzt“, beziehen sie sich allein auf den Bayleschen Kopftext. Die Remarques und Referenzen sind hiervon ausdrücklich ausgenommen. Das Ausmaß der Kürzungen erschließt sich von Beginn an. Der erste von Gawlick und Kreimendahl aufgenommene Art. Acindynus, in: Bayle, Wörterbuch, hrsg. v. Gawlick/Kreimendahl (2003), S. 1–4, enthält neben dem Kopftext, ebd., S. 1f., allein Rem. (C), ebd., S. 2–4; der Art. Bonifadius, in: ebd., S. 5–11, neben dem Kopftext, ebd., S. 5f., allein Rem. (E), ebd., S. 6– 11; Art. Bunel, in: ebd., S. 12–20, neben dem Kopftext, ebd., S. 12f., allein Rem. (C), ebd., S. 13–18, und Rem. (E), ebd., S. 19f.; Art. Catius, in: ebd., S. 21–23, neben dem Kopftext, ebd., S. 21, allein Rem. (I), ebd., S. 21–23; Art. Chrysipp, in: ebd., S. 24– 35, neben dem Kopftext, ebd., S. 24–28, allein Rem. (G), ebd., S. 28–39, usf. Vgl. Helena Henrica Maria van Lieshout, The Making of Pierre Bayle’s „Dictionnaire Historique et Critique“. With a CD-Rom Containing the „Dictionnaire“’s Library and References between Articles (Studies of the Pierre Bayle Institute, Nijmegen 30), Amsterdam/Utrecht 2001, S. 68ff.; ferner Anthony Grafton, Die tragischen Ursprünge der deutschen Fußnote. Aus dem Amerik. übers. v. H. Jochen Bußmann, Berlin 1995 [amerik. 1995], S. 189–200.

100 erlangen, ist ein Produkt erst neuesten Datums. 9 Markus Völkel studierte in diesem Sinn die Referenzen in den Artikeln zu Karl V. (Ks. 1519–1558) und dem Wittenberger Medizinprofessor Daniel Sennert (1572–1637). Neben der Einsicht, dass dieses Vorgehen, einst wie heute, Zeit und eine umfangreiche Bibliothek erforderte, gewann Völkel Einblicke in die Art der „Zurichtung von Informationen für die skeptische Rede“. Er konnte zeigen, auf welche Weise Bayle den Weg studierte, den einzelne Sachinformationen im Lauf der frühen Neuzeit zurückgelegt hatten. Bayle sei es „um die möglichst genaue Kenntnis aller Versionen, Auflagen, Variationen, Übersetzungsfehler, Auslassungen und Umstellungen“ gegangen. Sein Ziel sei es weniger gewesen, wie in der Literatur zumeist angenommen, diesen Prozess in einem faktographischen Sinn zu korrigieren, sondern die „Dynamik der Überlieferung“ selbst zur Darstellung zu bringen. 10 Knut Hickethier hat auf das „mehrheitliche Nichtbehandeln des Buchs in der Medienwissenschaft“ hingewiesen. Dies erkläre sich aus ihrer Entwicklung einer „Wissenschaft von den technisch-apparativen Medien“. 11 Um zu einem angemessenen Begriff nicht nur der frühneuzeitlichen Buch- und Printkultur zu gelangen, bleiben wesentliche Forschungs- und Differenzierungsleistungen also erst noch zu erbringen. 12 In diesem Sinn wären etwa Sach-, Orts- oder Personenregister sowie die heute für zahlreiche historische Autoren und Werke existierenden Wortverzeichnisse prinzipiell mit wortgestützten Suchfunktionen im digitalen Text vergleichbar. 13 Historische Wörterbücher und deren Stellennachweise gestatten es, die Verwendung eines Worts in unterschiedlichen Konstellationen nachzuvollziehen. An der Geschwindigkeit und Totalität, mit der digitale Bestände im Volltext, sofern verfügbar, durchsucht werden können, sind diese Gattungen zwar nicht zu messen. Die gelehrte und wissenschaftliche Buchkultur allerdings, und –––––––— 9

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Vgl. Antony McKenna/Gianni Paganini, Introduction. L’actualité des études bayliennes, in: Pierre Bayle dans la république des lettres. Philosophie, Religion, Critique, hrsg. v. dens. (Vie des huguenots 35), Paris 2004, S. 7–15, hier S. 11. Vgl. Markus Völkel, Bayles Umgang mit seinen Quellen, in: Aufklärung 16 (Themenheft: Die Philosophie in Pierre Bayles „Dictionnaire historique et critique“) (2004), S. 37–48, hier S. 41ff., 47, Zitat S. 43. Vgl. Knut Hickethier, Ist das Buch überhaupt ein Medium? Das Buch in der Medienwissenschaft, in: Buchwissenschaft – Medienwissenschaft. Ein Symposion, hrsg. v. Dietrich Kerlen (Buchwissenschaftliche Forschungen H. 4, 2004), Wiesbaden 2004, S. 39–55, hier S. 39. Vgl. Susanne Wehde, Typographische Kultur. Eine zeichentheoretische und kulturgeschichtliche Studie zur Typographie und ihrer Entwicklung (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 69), Tübingen 2000, S. 9. Vgl. Wolfgang Ernst, Im Namen von Geschichte. Sammeln – Speichern – Er/Zählen. Infrastrukturelle Konfigurationen des deutschen Gedächtnisses, München 2003, S. 1137; aus frühneuzeitlicher Sicht Helmut Zedelmaier, „Facilitas inveniendi“. Zur Pragmatik alphabetischer Buchregister, in: Stammen/Weber (Hrsg.), Wissenssicherung (2004), S. 191–203.

101 darauf kommt es hier an, hat eine Vielzahl von Textsorten hervorgebracht, die aspektbezogene und diskontinuierliche Lektüren ausdrücklich ermöglichen sollten. Innerhalb eines gelehrten Einzeltexts verknüpften, schon lange vor Bayle, Referenzsysteme unterschiedlicher Art ebenso wie konventionelle Verfahren der Texterzeugung wie Zitieren, Kompilieren oder Paraphrasieren einzelne Aussagen des jeweiligen Texts mit außerhalb seiner selbst existierenden Beständen. Die Lektüre der derart mehrdimensional angelegten, gelehrten oder wissenschaftlichen Einzeltexte verfuhr und verfährt daher nicht zwangsläufig linear. Sie kann sich auf partikulare Interessen beschränken, in Sprüngen verlaufen, indem etwa Fußnoten- oder Endnotentexte oder Literaturverweise mitgelesen werden, oder dazu übergegangen wird, die auf diese Weise ermittelten Referenztexte selbst zu konsultieren. Immer vorausgesetzt, dass, jenseits medientheoretisch exponierten Springens von einem Lexem zu demselben Lexem in einer potentiell beliebigen Zahl anderer Texte, eine Lektüre mit Kontinuitäten überhaupt angestrebt ist, und sei sie wenigstens kleinteiliger Natur. 14 Die Entwicklung der gelehrten Buchkultur implizierte also sowohl auf der Ebene der Rezeption als auch auf jener der Produktion zahlreiche Momente der Intertextualität, die im Hinblick auf die sich im Laufe der frühen Neuzeit verdichtenden interaktiven und kommunikativen Strukturen zu reflektieren sind. Das gelehrte Buch wiederum war im Regelfall eine komplexe Form, eine Gesamtkomposition verschiedener Typen von Textlichkeit. Damit sind nicht nur Paratexte in Gérard Genettes Verständnis des „Beiwerk[s] des Buchs“ – wie Vorreden oder Titelblätter – gemeint, 15 sondern Typen von Textlichkeit, die sich nicht sinnvoll an der Linie von sekundärem oder komplementärem „Beiwerk“ auf der einen Seite und einem (homologen) primären oder eigentlichen Text auf der anderen unterscheiden lassen. Eine Edition etwa ist, nach modernem Verständnis, keine Edition, wenn sie neben einem zu edierenden Text nicht auch herausgeberische Anteile unterschiedlicher Art enthält, ohne dass letztere als Beiwerk beschrieben werden könnten. Für solche Phänomene ermangelt es gegenwärtig einer angemessenen Nomenklatur. 16 –––––––— 14

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Vgl. Jürgen Daiber, Literatur und Nicht-Linearität. Ein Widerspruch in sich? URL: !http://computerphilologie.uni-muenchen.de/jahrbuch/jb1/daiber.html (01.03.2008) (= Jahrbuch für Computerphilologie-online 1, 1999); kurz Volker Titel, Buchwissenschaft im Grenzgang. Electronic Publishing und E-Commerce, in: Kerlen (Hrsg.), Buchwissenschaft (2004), S. 127–148, hier S. 142f. Vgl. Gérard Genette, Paratexte. Das Buch vom Beiwerk des Buches. Aus dem Franz. v. Dieter Hornig, Frankfurt a. M./New York 1989 >franz. 1987@; vgl. dazu aus historiographiegeschichtlicher Sicht jetzt den Beitrag von Markus Völkel, Historiographische Paratexte. Anmerkungen zu den Editionen antiker Geschichtsschreiber im 16. und 17. Jahrhundert, in: AKG 85 (2003), S. 243–275, hier S. 245. Intertextualität ist eine Domäne der Literaturwissenschaft. Die dort entwickelte Nomenklatur ist nicht ohne weiteres auf die gelehrte Buchkultur der frühen Neuzeit zu

102 Die Acta Sanctorum waren nicht darauf angelegt, von Anfang bis Ende gelesen zu werden. Sie bestehen aus einer Fülle mehr oder minder autonom konsultierbarer Einheiten (Dossiers), die mit den Namen der betreffenden Heiligen überschrieben sind. Diese Struktur mag die modernen Interpretinnen und Interpreten dazu veranlasst haben, davon auszugehen, dass die Protagonisten der Acta Sanctorum selbst historische Biographien verfasst hätten und daher „the miracle-laden narrative“ eines Jacobus de Voragine († 1297) mit „Bollandist philological rigour and hagiography as historical biography“ zu kontrastieren sei. 17 Selbst wenn man aber die Vorstellung von den mithin selbst verfassten Biographien zugunsten der Tatsache der Edition historischer Heiligenviten verschieben würde, wäre damit nur ein Teil dessen angesprochen, was in den Acta Sanctorum zu erwarten ist. Sofia Boesch Gajano kennzeichnete die Acta Sanctorum 1991 trefflich als ein „corpus generale“, das nicht als Vitensammlung im engeren Sinn verstanden werden könne, sondern in dem die zu den verschiedenen Heiligen verfügbaren Dokumente präsentiert werden sollten. 18 Diese Einschätzung gilt es nun zu vertiefen. Damit soll ein erster Eindruck von dem vermittelt werden, was in den Acta Sanctorum praktisch geschah, ehe in den späteren –––––––—

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übertragen, da sie entweder auf einen allgemeineren, kultursemiotischen Begriff des „Texts“ referiert oder für andere Textsorten – vor allem fiktionale – konzipiert worden ist. Genette beispielsweise demonstriert seinen Begriff des „Palimpsests“ an der Beziehung von Joyces’ Ulysses zu Homers Odysse. Vgl. Graham Allen, Intertextuality (The New Critical Idiom), London 2000, S. 107f.; Ulrich Ernst, Text und Intext. Textile Metaphorik und Poetik der Intextualität am Beispiel visueller Dichtungen der Spätantike und des Frühmittelalters, in: „Textus“ im Mittelalter. Komponenten und Situationen des Wortgebrauchs im schriftsemantischen Feld, hrsg. v. Ludolf Kuchenbuch/Uta Kleine (Veröff. d. MPI f. Geschichte 216), Göttingen 2006, S. 43–75, hier S. 48. Die hier analysierten, ungleich konkreteren Momente der Intertextualität sind damit nur schwer zu beschreiben. Ditchfield, Liturgy (1995), S. 123; vgl. auch Peter Burke, Wie wird man ein Heiliger der Gegenreformation? [engl. 1984], in: ders., Städtische Kultur in Italien zwischen Hochrenaissance und Barock. Eine historische Anthropologie. Aus dem Engl. v. Wolfgang Kaiser, Berlin 1986, S. 54–66, hier S. 56, für den „Erasmus […] mit seiner Biographie des Hieronymus“ den Bollandisten „den Weg gezeigt“ habe. Vgl. zu dieser Vita, einem Symbol für biographische Modernität, präziser Rice, Jerome (1985), S. 124ff. Demnach handele es sich um die erste Biographie des hl. Hieronymus, die „largely free of chronological confusion“ gewesen sei. Für die realiter in der frühen Neuzeit entstandenen Heiligenviten war diese Lebensbeschreibung allein schon deswegen von nur relativer Vorbildhaftigkeit, weil die Überlieferungslage, was andere historische Personen oder Heilige anbelangte, im Regelfall ungleich ungünstiger war. Vgl. Weiss, Hagiography (1985), S. 299ff. Auch wäre die von Erasmus stammende Lebensbeschreibung eingehender mit älteren zu vergleichen. Vgl. Tobias Leuker, Eine „kritische“ Hieronymus-Vita des Quattrocento. Giannozzo Manetti als Vorläufer des Erasmus von Rotterdam, in: QFIAB 83 (2003), S. 102–140. Bolland brachte Erasmus und seinesgleichen übrigens nur wenig Sympathie entgegen. Vgl. unten S. 412. Vgl. Sofia Boesch Gajano, Premessa, in: dies. (Hrsg.), Raccolte (1990), S. 7–14, hier S. 13.

103 Kapiteln auf programmatische Äußerungen und Absichtserklärungen der ersten Bollandisten und historiographie- und hagiographiegeschichtliche Kontexte einzugehen sein wird.

3.2 Heilige, Festtage und sehr alte Handschriften Neben dem Diktum von der apologetischen Zielsetzung der Acta Sanctorum hat Fueter die einleitenden Kommentare (Commentarii praevii) der Bollandisten in ihrer historiographiegeschichtlichen Bedeutung hervorgehoben: „Aber auch so darf gesagt werden, daß die Prolegomena, die die Bollandisten den Biographien der einzelnen Heiligen vorsetzen, die ersten Beispiele methodischer Quellenkritik sind. Zum ersten Male wurde dort in großem Umfange der Versuch gemacht, die Quellenautoren systematisch nach Alter und Glaubwürdigkeit zu ordnen.“ 19 Dieser Gedanke ist dahingehend zu modifizieren, dass weniger die – in den meisten Fällen unbekannten Urheber der Quellen – im Mittelpunkt der Kommentare und Erläuterungen standen, sondern der Versuch, die in den zu publizierenden historischen Texten genannten Heiligen zu identifizieren und sie, soweit als möglich, in Zeit und Raum zu lokalisieren. Dies wiederum setzte voraus, dass man in einem ersten Schritt die in Frage kommenden Heiligen überhaupt ermittelt und ihren Festtag bestimmt hatte. Woher diese Informationen stammten, beschrieb Bolland im Rahmen der – nach zeitgenössischen Maßstäben – außergewöhnlich ausführlichen Einleitung, mit der er den ersten Band der Acta Sanctorum eröffnete: Ich habe die Kenntnis der meisten Heiligen insbesondere aus Kalendarien und Festkalendern verschiedener Kirchen geschöpft, und diese nehmen sie für die Breviarien der festlichen Fürbitten in Anspruch, in denen angezeigt wird, welche der heiligen Menschen Verehrung in den unterschiedlichen Städten, Klöstern, Konventen genießen sollen, und die Möglichkeit eröffnet wird, in den Tatenberichten nachzuforschen. Fürwahr, die mir ermangelnden Breviarien dieser Art, wenn ich doch alle erlangen könnte! Aber auch im Vergleich mit diesen sind mir die Martyrologien eine große Hilfe gewesen. Ich erwäge sie, ich besitze nicht wenige, zumindest diejenigen, die in höchstem Grad geprüft worden sein werden, nachdem sie vor Zeiten, um sie herauszugeben, sorgfältig begutachtet und mit jenen verglichen worden waren, die Freunde in der Zwischenzeit besorgten. Weil ich hier dennoch einige zitiere, die bislang nicht zum öffentlichen Recht gehören, damit nicht irgendjemand aus diesem Grund heftig ins Schwanken geriete, habe ich gemeint, dass es sich gehörte, dass von mir an dieser Stelle in ein paar Worten über sie gehandelt wird. 20

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Fueter, Geschichte (31936), S. 325. Vgl. De actis sanctorvm eorvmqve dilvcidatione et editione. Ad adm. reverendvm Dominvm ac Patrem Thomam Lvytens, monasterii Lætiensis Ordinis S. Benedicti Abbatem et religiosissimvm eivs conventvm, Ioannis Bollandi præfatio [= Bolland, Praefatio], in: AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, S. IX–LXII, hier S. XLIIIa–b: „Hausi

104 Kalendarische und liturgische Gattungen waren das Rückgrat der Acta Sanctorum. Ohne Kenntnis des Festtags konnte (im Großen und Ganzen) kein Dossier publiziert werden. Während für die Dossiers der im devotionalen Leben etwas tiefer verwurzelten Heiligen eine ideale Form von einleitendem Kommentar, mehr oder minder ausführlich annotierter Vita sowie gegebenenfalls Mirakelberichten und anderen Zeugnissen, die auf den Kult bezogen waren, angenommen werden kann, war es für einen großen Teil der in den Acta Sanctorum verzeichneten Heiligen nicht möglich, Informationen oder Texte beizubringen, die über die in den Martyrologien enthaltenen Daten hinausgingen.

3.2.1 „Ex Martyrologio manuscripto“ Bereits 1900 hat der Archäologe und Kirchenhistoriker Hans Achelis (1865–1937) die Vermutung geäußert, dass, „wenn man“ in den Acta Sanctorum einerseits „die Namen zählte, die aus den Martyrologien stammen, und die andererseits, welche durch Akten bezeugt sind, […] vermutlich die ersteren bei weitem überwiegen“ würden. 21 Dies entspricht einer Tendenz der Acta Sanctorum. Von den 1170 namentlich bekannten Heiligen des Monats Januar 22 wurden in den sie erschließenden Inhaltsverzeichnissen (Indices Sanctorum) 533 Heilige ausgewiesen, deren Provenienz mit nichts anderem als mit den Zusätzen „Ex Martyrologio (ms.)“ oder „Ex Martyrologiis (mss.)“ präzisiert wurde, nach ihrem griechischen Pendant: „Ex Menæis Graecorum“. Ergänzt wurde diese Angabe bisweilen um den Hinweis auf das je benutzte Martyrolog. Ein typischer Eintrag in den alphabetisch organisierten und auf Dedikationsepisteln, Praefationes, Dissertationes und Approbationes folgenden Indices Sanctorum enthält neben diesen Angaben den Festtag, den Namen des oder der Heiligen, den Typus der –––––––—

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præcipuè notitiam Sanctorum plurimorum ex Kalendariis ac Fastis variarum Ecclesiarum, quasq[ue] illæ vsurpant solennium precum Breuiariis, in quibus qui venerationem in variis vrbibus, cœnobiis, conuentibus sacrorum hominum obtineant, indicatur, præbeturque occasio in Acta inquirendi. Verùm quæ mihi desunt istiusmodi Breuiaria, vtinam consequi omnia possim! Sed præ his quoque, magno mihi subsidio Martyrologia fuêre. Cogito quæ habeo non pauca, saltem quæ maximè probata erunt, illa olim edere accuratè recensita, collataque cum iis quæ intereà suggerent amici. Quia tamen hîc nonnulla cito, quæ adhuc publici iuris non sunt, ne quis eam ob caussam fortè hæsitet, paucula hîc de iis à me pertractari censui oportere.“ Hans Achelis, Die Martyrologien, ihre Geschichte und ihr Wert (Abhandlungen der Königl. Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen. Philolog.-hist. Kl. N. F. 3, Nr. 3), Berlin 1900, S. 240. Vgl. AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, Kupfertitel: „[…] IANVARIVS, || In quo MCLXX nominatorum Sanctorum || & aliorum innumerabilium memoria, || vel res gestæ illustrantur.“

105 Heiligkeit und abschließend die Seitenangabe des Dossiers innerhalb des jeweiligen Bands: […] 28 Maccares. M[artyr]. Ex MS. Mrol. S. Hieron. 724 18 Macrobius M[artyr]. Ex eodem MS. Mrol. 66 […]. 23

Von den auf dem Kupfertitel des Februar angekündigten 1310 Heiligen, 24 weitere Monate wurden hier nicht ausgezählt, fallen 669 in diese Kategorie. Es handelt sich um zumeist frühchristliche Heilige und Märtyrerinnen und Märtyrer, über die aus anderen Schriften weniges oder nichts in Erfahrung zu bringen gewesen war. Deren Dossiers waren folglich nicht sehr umfangreich. Einer der wichtigsten einzelnen Überlieferungsträger, aus dem zahlreiche dieser kleinsten Dossiers erwuchsen, war das von „viele[n] gelehrte[n] Männer[n]“ 25 verloren geglaubte und lange Zeit nur dem Namen nach bekannte Martyrologium Hieronymianum. Die Umgehensweise mit diesem Martyrolog und der Gruppe der Martyrologia Hieronymiana gilt es im Folgenden genauer darzustellen, da sie geeignet ist, sich über die Acta Sanctorum hinaus über einige grundlegende Aspekte der Arbeit mit handschriftlichen Traditionen in der frühen Neuzeit zu verständigen. Ausführlicher als in anderen Kapiteln wird hierbei auf die Entwicklungen auch in der Moderne einzugehen sein, da die Martyrologien, als einer der vielleicht kompliziertesten Bereiche mittelalterlicher Schriftlichkeit, zahlreiche Probleme aufwerfen, die streng genommen nicht gelöst, sondern nur untersucht und offengelegt werden können. Die Zahl der Heiligen würde sich wahrscheinlich stark reduzieren lassen, bemerkte 1875 der Bollandist Victor De Buck (1817–1876), wenn die Entstellungen, die sich in die martyrologischen Traditionen eingeschlichen hätten, konsequent verfolgt würden. Für De Buck schien es denkbar, dass „im gesamten Altertum vielleicht kein entsetzlicheres Buch“ als das Martyrologium Hieronymianum existierte. 26 Seinen Vorgängern konzedierte er –––––––— 23 24

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AASS Februarii, Bd. 3, 1658, Index Sanctorum [unpaginiert], [S. 7]. Vgl. AASS Februarii, Bd. 1, 1658, Kupfertitel: „FEBRVARIVS, || In quo MCCCX nominatorum Sanctorum || & aliorum innumerabilium memoria || vel res gestæ illustrantur.“ Vgl. Bolland, Praefatio, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, S. XLVb: „Verùm periisse id [Martyrologium] multi viri eruditi existimarunt.“ Vgl. Victor De Buck, Proœmium, in: AD ACTA SANCTORVM || SVPPLEMENTVM || VOLVMEN COMPLECTENS || AVCTARIA OCTOBRIS || et || TABVLAS GENERALES || cura et opere || L. M. Rigollot || Parisiis & Romæ, Apud Victorem Palmé. M. DCCCLXXV. Eigenständig paginierter [Teil 2]: INDEX || HAGIOLOGICUS || ACTORUM SANCTORUM || QUÆ IN OPERE BOLLANDIANO || DECEM PRIORIBUS MENSIBUS ILLUSTRATA SUNT, || CONSTANS || ex Ephemeridibus universalibus, || Indice alphabetico Sanctorum et Syllabo nominum rerumque notabilium, || quæ in Præfationibus, Tractatibus, Diatribis et Exegesibus ||

106 ein Übermaß an Ehrerbietung, das dazu geführt habe, die ihnen vor Augen gekommenen Unregelmäßigkeiten eher zu rationalisieren als die Folgerungen aus einem Befund zu ziehen, der auf eine außer Kontrolle geratene Reduplikation und Vervielfältigung der Heiligen schließen lasse.27 Es sei kaum übersehbar, dass der Schreiber des Martyrologium Hieronymianum, den De Buck im Gallien der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts beheimatet sah: nicht nur die Namen verstümmelt, sondern auch in zwei Teile zerschlagen hat; dass er die Namen der Städte und Männer miteinander verwechselt hat; dass er Gruppen von Märtyrern durcheinander gebracht oder anderes dazwischen geschoben hat; und vor allem, dass er sehr häufig zweimal, bisweilen dreimal, gelegentlich viermal oder sogar öfter die selben Namen wiederholt hat, bald an dem selben Tag, bald an den benachbarten Tagen. In diese Fehler ist er teils aus Nachlässigkeit gefallen, teils weil er es liebte, bei Gelegenheit die Namen der Gefährten eines Heiligen oder derer, die er für Gefährten hielt (denn auch in dieser Sache irrte er bisweilen), erneut in Erscheinung treten zu lassen, nachdem dieselben meistenteils aus einzelnen Martyrologien, gelegentlich aus Heiligenviten und Märtyrerpassionen geschöpft worden waren […]. 28

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præliminaribus, reperiuntur. || PRÆFIGITUR BREVIS TOTIUS OPERIS NOTITIA SIVE DESCRIPTIO || Curante L. M. Rigollot, presbytero Lingonensi, S. II–IV: „[…] nullus forte in universa antiquitate horribilior liber […].“ Vgl. Pádraig Ó Riain, A Northumbrian Phase in the Formation of the Hieronymian Martyrology. The Evidence of the Martyrology of Tallaght, in: Anal. Boll. 120 (2002), S. 311–363, hier S. 312 mit Anm. 4. Vgl. De Buck, Prooemium, in: AASS Auctaria, 1875, S. III: „[…]; tantaque eum veneratione tractabant ut neque nominum mira forma, neque eorundem nominum iisdem aut vicinis diebus repetitio hanc eorum observantiam interturbaret, æstimantium rationem habendam esse: barbariei temporum, apocope aliisque modis nomina facile perverti; nomina inter Latinos et Græcos non ita fuisse varia ut in una martyrum turma plures eodem appellari nequiverint; tot fuisse martyres, Romæ præsertim, ut mirandum non sit quod una aut vicinis diebus plures colantur manipuli, quorum singuli diversis nominibus non designarentur; aliaque id genus, quibus illæ difficultates tollerentur, suggerentium. Verumtamen excusari non poterant omnia; unde passim in Actis querelæ fiunt de luxatis turbatisque laterculis Hieronymianis. Sed luxationes turbationesque laterculorum non unica erant vitia; adeoque Bollandiani, imprimis Stiltingus, viderunt non numquam eadem martyrum nomina diversis diebus certissime repeti: quod aliquando propter Reliquiarum translationem, aliquando quod non omnes una die cæsi essent, seu etiam quod diversis locis colerentur diebus factum esse dixerunt, aliquando etiam quod de libri illius bonitate inceperint dubitare.“ Vgl. ebd.: „[…] ita ut nomina non tantum detorserit, sed aliqando in duas partes dissecuerit; ut civitatum et virorum nomina vicissim mutaverit; ut turmas martyrum miscuerit aliave interposuerit; et potissimum, ut frequentissime bis, interdum ter, aliquando quater aut etiam sæpius eadem nomina repetierit, jam eadem die, jam diebus vicinis. In quæ vitia aliquando per negligentiam incidit, aliquando quod amabat occasione alicujus Sancti nomina sociorum aut quos putabat socios (nam et in hoc aliquando errat) denuo producere in medium, ea plerumque ex solis hausta Martyrologiis, aliquando ex Vitis Sanctorum et Passionibus Martyrum: nam et hoc librorum genere usus est: Unde fit ut nullus forte in universa antiquitate horribilior liber sit.“

107 Achelis erblickte darin eine „grosse Erkenntnis“ und „unendlich folgenreiche Entdeckung“ am Ende eines langen Gelehrtenlebens.29 In der Tat intensivierte sich mit den Monographien Achelis’ und des Benediktiners Henri Quentin (1872–1935) die Analyse der Schreibungen und Identifikationen, der Namen, Orte und Attribute der Heiligen auf bis heute nicht wiederholte Weise. 30 Die Struktur des Problems selbst war allerdings auch den frühneuzeitlichen Bollandisten nicht verborgen geblieben. Du Sollier hatte 1717 in seiner Ausgabe einiger kürzerer Martyrologia Hieronymiana die „Verwirrungen“ (turbationes) und „Widersprüchlichkeiten“ (contradictiones) zu bedenken gegeben, die sich in der Überlieferung eingefunden hätten. Wie De Buck verwies er auf die häufig abenteuerlichen Wege der Tradition. Bisweilen sei „Al. für Alibi eingesetzt, von ungefähr in Ab verwandelt worden, der Codex St.-Guilhelm-le-Désert hat dies auf lächerliche Weise in Abbatis oder Abbae verkehrt. […] Auf dieselbe Art ist Nic. von den einen als Nicomedia, von den anderen als Nicea aufgenommen worden, Alex. bald als Ort oder Ortsangabe Alexandria, bald als Name eines Märtyrers Alexander […].“ 31 Wie war Bolland mit diesen Fragen umgegangen? Das Martyrologium Hieronymianum lag ihm in der ältesten überlieferten Version vor, in jener, die zu Beginn des 8. Jahrhunderts auf Veranlassung des angelsächsischen –––––––— 29 30

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Vgl. dazu Achelis, Martyrologien (1900), S. 239–244; Delehaye, Leçons (1934), S. 54–59. Achelis, Martyrologien (1900), S. 242. Vgl. Henri Quentin, Les martyrologes historiques du moyen âge. Étude sur la formation du Martyrologe Romain (Études d’histoire des dogmes et d’ancienne littérature ecclésiastique), Paris 1908. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatte die Entdeckung und Publikation des in einer Handschrift des frühen 5. Jahrhunderts erhaltenen Martyrologium Syriacum im Jahr 1866 die Beschäftigung mit den sich innerhalb der Martyrologia Hieronymiana reduplizierenden und modifizierenden Heiligen insgesamt auf neue Grundlagen gestellt. Vgl. Achelis, Martyrologien (1900), S. 30ff. Vgl. Martyrologia Hieronymiana contracta. Ex Mss. Codicibus recensuit Idem, qui Usuardum illustravit, Joannes Baptista Sollerius, in: AASS Iunii, Bd. 7, 1717 [Teil 2, eigenständig paginiert]: Supplementi addendorum, mutandorum, corrigendorum in primis V Tomis de Actis Sanctorum ejusdem Mensis. Item pars altera Martyrologii Usuardi Monachi ab Additamentis expurgati, castigati & quotidianis observationibus illustrati. Opera studio Joannis Baptistæ Sollerii; auf den unpaginierten Index in tomum VII de Actis Sanctorum Junii (nach S. 188) folgten die ihrerseits eigenständig paginierten und mit eigener Præfatio (S. I–VIII) versehenen Martyrologia Hieronymiana contracta (S. 1–51). Vgl. Du Sollier, Praefatio, ebd., S. II: „Turbationibus illis causam aut occasionem dederunt tum repetitæ toties transcriptiones, tum maxime abbreviationes pro variorum arbitrio, dicam, an inscitia, efformatæ, subinde ab aliis perperam correctæ, tum transpositæ, postéa amplificatæ, demum rursus contractæ, unde ex eodem nomine diversa promanarunt. Exemplo sint Al. quod pro Alibi positum, forte in Ab mutatum, codex Gellonensis sæpenumero in Abbatis vel Abbæ ridicule vertit […]. Ad eundem modum Nic. ab aliis pro Nicomedia, ab aliis pro Nicea acceptum, Alex. vel Alexand. modo locum seu positionem Alexandriæ, modo Martyris nomen Alexandri, […].“

108 Missionars Willibrord († 739) in dem von ihm gegründeten Kloster Echternach angefertigt worden war (Paris, B. N. F., lat. 10837). 32 Aus den dortigen Einträgen zum 1. Januar bildete Bolland beispielsweise ein Dossier für eine vermeintlich in Bologna zu Tode gekommene Gruppe Ca(i)us, Iactus, Heraclus, die nach seinem Dafürhalten nicht mit einer ähnliche Namen aufweisenden Gruppe Bologneser Heiliger des 4. Januar identisch sein dürfte. 33 Ein analoges Dossier erhielten einige am selben Tag genannte – vier namentlich bekannte und vier unbekannte – Märtyrer in Afrika 34 sowie sieben Märtyrer mit Namen Primianus, Saturninus, einem weiteren Saturninus, Victor, Honoratus, Leucius und Hermes, die möglicherweise, so Bolland, in Pavia umgekommen sein konnten. Letzteres schloss er aus dem die Liste eröffnenden Wort „Papa“, das vielleicht als „Papia“, vielleicht aber auch als Personenname gelesen werden könne. 35 Auch für ihn stand außer –––––––— 32

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Vgl. zur Überlieferung: Martyrologium Hieronymianum ad fidem codicum adiectis prolegomenis ediderunt Ioh. Bapt. de Rossi et Ludov. Duchesne, in: AASS Novembris, Bd. 2,1: Qua dies tertius partim et quartus continentur. Praemissum est Martyrologium Hieronymianum, edentibus Iohanne Baptista de Rossi et Ludovico Duchesne, Brüssel 1894, Prolegomena, S. [III–LXXXII] [eigenständig paginierter Teil], hier Nr. 1, S. [VIII f.]; Quentin/Duchesne, Commentarius in Martyrologium Hieronymianum. Prolegomena, in: AASS Novembris, Bd. 2,2: Qua continetur Hippolyti Delehaye commentarius perpetuus in Martyrologium Hieronymianum ad Recensionem Henrici Quentin O. S. B., Brüssel 1931, S. IX–XXIII, hier S. X f.; Jacques Dubois, Les martyrologes du moyen âge latin (Typologie des sources du moyen âge occidental 26), Turnhout 1978, S. 30f.; Ó Riain, Phase (2002), S. 313; vgl. zur Literatur das Repertorium fontium historiae Medii Aevi primum ab Augusto Potthast digestum, nunc cura collegi historicorum e pluribus nationibus emendatum et auctum [= Rep font.], Bd. 7: Fontes. L–M, Rom 1997, S. 498f.; zuletzt Felice Lifshitz, The Name of the Saint. The Martyrology of Jerome and Access to the Sacred in Francia, 627–827 (Publications in Medieval Studies), Notre Dame, Ind. 2006, S. 3f. Vgl. De Sanctis Martyribvs Bononiensibvs Caio, Iacto, Heraclo, in: AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, 1. Jan., S. 19: „Haud vulgò hi noti Martyres: memorantur in MS. Martyrologio S. Hieronymi his verbis: In Bononiâ Cai, Iacti, Heracli. Nec suspicetur quis eos esse qui IV. Ianuarij coluntur, Hermetem, Aggæum, Caium; nam & hi in eodem MS. Martyrologio pridie Non. referuntur.“ Vgl. Martyrologium Hieronymianum, ed. Rossi/Duchesne, AASS Novembris, Bd. 2,1, 1894, 1. Jan., S. [4], Cod. Eptern., etc.: „Kl iañ […] | in bononia gai iacti heracli.“ Zu der anderen Gruppe aus Bologna vgl. unten S. 177ff. Vgl. De Sanctis Martyribvs Afris Victore, Felice, Narcisso, Argyro, et sociis, in: AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, 1. Jan., S. 19: „Hos exhibuit idem S. Hieronymi MS. Martyrologium his verbis: In Africâ, Victoris, Felicis, Narcissi, & Argyri, & aliorum IV.“ Vgl. Martyrologium Hieronymianum, ed. Rossi/Duchesne, AASS Novembris, Bd. 2,1, 1894, 1. Jan., S. [4], Cod. Eptern., etc.: „Kl iañ […] In affrƭ victoris felicis narcissi | argiri et aliornj IIII.“ Vgl. De Sanctis Martyribvs Primiano, Satvrnino, alio Satvrnino, Victore, Honorato, Levcio, Hermete, in: AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, 1. Jan., S. 19: „Hos quoque, haud alibi obseruatos, accepimus ex eodem MS. Martyrologio S. Hieronymi, in quo isthæc habentur: Papa, Primiani, Saturnini, Item Saturnini, Victoris, Honorati, Leuci, Hermetis. Illud Papa pro Papiâ positum sit, ab eo qui Martyrologium illud amplificauit, an viri nomen significet, haud statuimus.“ Der Eintrag in der Handschrift selbst

109 Frage, dass aus identischen Namen an verschiedenen Festtagen in keiner Weise zwangsläufig auf verschiedene Heilige gleichen Namens geschlossen werden könne. 36 Die Echternacher Version des Martyrologium Hieronymianum hatte Bolland in den Hinterlassenschaften Rosweydes vorgefunden. An Rosweyde war sie, auf ungeklärte Weise, aus den Beständen der Trierer Kartause St. Alban gelangt. Rosweyde selbst scheint 1626 einen Druck initiiert zu haben, der allerdings nur bis zu den Einträgen des 20. Juni vorangeschritten zu sein scheint und dann, auf Betreiben der Echternacher Mönche, die ihre Handschrift zurückforderten, abgebrochen wurde. 37 Bolland mag dies insofern von Nutzen gewesen sein, als er mit den verbliebenen Bögen operieren konnte und nicht in jedem Fall mit der Ersttranskription beschäftigt war. Ob Bolland auch analytisch von Diagnosen Rosweydes profitierte, ist hier nicht zu entscheiden. Als die älteste und umfangreichste der ihm vorliegenden Versionen identifizierte Bolland die Echternacher Handschrift mit dem Namen des Marty–––––––—

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scheint etwas länger zu sein und eine nicht lesbare Sequenz zu beinhalten. Vgl. Martyrologium Hieronymianum, ed. Rossi/Duchesne, AASS Novembris, Bd. 2,1, 1894, 1. Jan., S. [4], Cod. Eptern., etc.: „Kl iañ […] papa primiani saturnini It̘ saturnini victoris | honorati leusi hermetis (…) et milit̘ XXX.“ Vgl. Bolland, Praefatio, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, S. XLVIIa: „Vehementer […] dubito, num qui diuersis diebus referuntur, semper diuersi sint Sancti; an non qui cognomines vide[n]tur, præsertim simul plures, iidem fortasse sint, vel oscitante Librario, vel variantibus in dierum serie codicibus, bis descripti; nisi quando aliis iuncti sociis sunt.“ Vgl. Rossi/Duchesne, Prolegomena, AASS Novembris, Bd. 2,1, 1894, Nr. 1, S. [IX]. Mit Hilfe der noch existierenden Platten erfolgte 1660 ein Teildruck in neun Exemplaren. Eines davon scheint von Henschen an den Mauriner d’Achery geschickt worden zu sein. Es hat sich auf diese Weise in Paris erhalten: „Inventus est a Rosweydo liber pretiosissimus, qui latebat in Carthusia Treverensi, nescio quo casu a monasterio S. Willibrordi extorris. Antverpiam delatus, ibi tanto loco apud Bollandistas habitus est ut Balthasari Moreto persuaderent eum in laminis aereis excudere. Non tamen ultra XII kal. iulias labor ille processit, contra nitentibus Epternaci monachis et suum codicem repetentibus. Neque ex laminis excusis editio umquam facta est; attamen laminae exstant Antverpiae in musaeo Plantiniano; inde a. 1660 novem exemplaria expressa sunt, quorum unum, Dacherio missum, possidet nunc bibliotheca Parisiensis; alterum certe habuit Florentinius dono datum ab Henschenio, qui etiam ei communicavit quod reliquum erat codicis; demum, in Propylaeo ad tomum II Aprilis, socii Bollandiani specimen scripturae satis amplum exhibuerunt.“ Der letzte Hinweis bezieht sich auf Daniel Papebroch, Propylæum antiquarium circa veri ac falsi discrimen in vetustis membranis. Pars prima. De veterum fundationum, donationum, privilegiorum instrumentis discernendis, in: AASS Aprilis, Bd. 2, 1675 (Ausgabe 1866), S. I– XXXIII, hier Tafel 2 nach S. XII. Papebroch bot eine Schriftprobe aus der Handschrift mit dem Titel: „Martyrologium S. Hieronymi quale in membranis Epternacensibus ante annos nongentos scriptum servatur, et anno 1626 æri incisum usq[ue] ad Iulium habetur in officina Plantiniana, cura R. P Heriberti Rosweidi S. J. sumptu CL. V. Balthasaris Moreti.“ Vgl. zu dieser Episode auch Bolland, Praefatio, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, S. XLVb–XLVIa; ein zweites Exemplar des Drucks von 1660 befindet sich in der Bibliothèque royale. Vgl. unten S. 115f. Anm. 53.

110 rologium Hieronymianum. Eine Verfasserschaft des hl. Hieronymus galt ihm, trotz der Erwähnungen eines auf Hieronymus zurückgehenden Martyrologs bei Cassiodor († nach 580) sowie in den Martyrologien Bedas († 735) und Usuards († um 875), als unwahrscheinlich. 38 Zumindest aber müsse in Erwägung gezogen werden, dass mit zahlreichen, nach dem Tod des hl. Hieronymus ergänzten Heiligen zu kalkulieren sei. Er nannte die hl. Genovefa von Paris († um 502), den hl. Symeon Stylites d. J. († 459), den er vermutlich mit dem hl. Symeon Stylites d. Ä. († 389/90?) verwechselte, sowie den hl. Melanius von Rennes († um 530), den hl. Honoratus von Arles († 429/30) und die hl. Brigida von Kildare († um 525). Mit Ausnahme Brigidas besaßen diese Heiligen ihre Festtage im Januar, so dass von einer stichprobenartigen Untersuchung Bollands auszugehen ist. 39 Konsequent verfolgt hätte er mit diesem Verfahren einen terminus ante quem für die Entstehung des Texts bestimmen können. Die jüngsten der in der Echternacher Handschrift genannten Personen sind der hl. Columbanus († 615),

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Vgl. Bolland, Praefatio, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, S. XLVb: „[…] fuitque etiam post Cassiodori ætatem in manibus Martyrologium, S. Hieronymi nomine attitulatum, vt ex citatis Bedæ testimoniis manifestum est, atque ex Vsuardi Præfat. in Martyrologium suum ad Carolum Regem. […] || Reperit illud tandem in Carthusiâ Treuirensi Heribertus Rosweydus noster, vetustissimo charactere exaratum, statuitque in lucem emittere […].“ Hinsichtlich der Verfasserschaft hielt er fest: „[…] nullum tamen certum argumentum suppetit, quo id [Martyrologium] ab S. Hieronymo esse compositum confirmem, præter eam, quam antè retuli, libri inscriptionem, & quòd in illud aptè quadrare videantur, quæ sunt ab Vsuardo in sui Martyrologij præfatione scripta: Prætereà & venerabilium Hieronymi scilicet ac Bedæ Presbyterorum piis, quamuis succinctis, super hoc prouocabar descriptis: quorum prior breuitati studens, alter verò quamplures dies intactos reliquens, multa inueniuntur huius operis præterisse necessaria. Quos tamen secutus censui, &c.“ Vgl. das Zitat aus der Dedikationsepistel des 863/869 verfassten Martyrologiums des Usuard: Le martyrologe d’Usuard. Texte et commentaire par Jacques Dubois (Subsidia hagiographica 40), Brüssel 1965, S. 144; zu den Erwähnungen des Martyrologium Hieronymianum bei Cassiodor und Beda Baudouin de Gaiffier, De l’usage et de la lecture du martyrologe. Témoignages antérieurs au XIe siècle, in: Anal. Boll. 79 (1961), S. 40–59, hier S. 43, 55ff.; Lifshitz, Name (2006), S. 133ff. Bolland, Praefatio, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, S. XLVIa–b: „Si verè auctor est illius libelli Hieronymus, multa posteà adiecta licebit passim obseruare. Nam III. Ianuarij S. Genouefæ Virginis nomen inscriptum, quæ centum ferè post S. Hieronymum annis est mortua; V. S. Simeonis monachi Antiocheni, siue Stylitæ, qui sex & quadraginta; VI. S. Melanij Episcopi, qui centum; XVI. S. Honorati Episcopi Arelatensis, qui 15. I. Februarij S. Brigidæ Virginis, qui supra 100.“ Vgl. Martyrologium Hieronymianum, ed. Rossi/Duchesne, AASS Novembris, Bd. 2,1, 1894, 3. Jan., S. [5], Cod. Eptern., etc.: „III Nõ [Ian.] […] parisƭ genefevae virgiñ […].“ Ebd., 5. Jan.: „Noñ [Ian.] […] in antioc̘ simeonis monã.“ Ebd., 6. Jan., S. [6]: „VIII idus [Ian.] […] In civƭ redoñ nat̘ sc̏i melani ep̏i […].“ Ebd., 16. Jan., S. [9]: „XVII ká [Feb.] […] arilat̘ depos̘ sc̘i honorati ep̘i“. Ebd., 1. Feb., S. [16]: „Kl feb […] in scotia sc̘̘ae brigidae virginis […].“

111 Abt Eustasius von Luxeuil († 629?) und Bischof Arnulf von Metz († um 640) mit Einträgen am 23. November, 2. April und 18. August. 40 Einen Sonderfall der im Spektrum der von den ersten Bollandisten verarbeiteten Schriften stellt die Echternacher Handschrift insofern dar, als es aufgrund expliziter Hinweise möglich war, das Material zu datieren. Zum einen wurde ein Mönch Laurentius als Schreiber erwähnt. Zum anderen war in dem auf die Folien des Martyrologs folgenden Kalendarium eine inzwischen berühmt gewordene und auf 728 datierte Glosse vorzufinden. In ihr war von Willibrords Ankunft in der Gallia im Jahr 690 und seiner Weihe zum Bischof – „obschon ein unwürdiger“ – durch Papst Sergius I. (reg. 687–701) im Jahr 695 die Rede. Bolland konnte aus diesen Informationen ableiten, dass Laurentius ein von Willibrord beigebrachtes Martyrolog abgeschrieben habe, dass dieser Willibrord mit dem gleichnamigen Friesenmissionar und Gründer des Klosters Echternach identisch sein dürfte und die Glosse wohl von diesem selbst stammte. Denn wer außer Willibrord hätte es wagen können, ihn mit dem Attribut des „unwürdigen“ auszustatten? 41 –––––––— 40

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Vgl. ebd., 2. April, S. [38]: „IIII N. ã […] depos̘ austasi abb.“ Ebd., 18. Aug., S. [107]: „XV k sep̘ […] et beati arnuulfi.“ Ebd., 23. Nov., S. [146]: „VIIII k decҔ […] In italia monas̘ bobio colummani | abb.“ Vgl. Bruno Krusch, Zum Martyrologium Hieronymianum, in: Neues Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde 20 (1895), S. 437–440, hier S. 438; Ó Riain, Phase (2002), S. 314; Lifshitz, Name (2006), S. 15. Lifshitz weist darauf hin, dass noch Mitte des 20. Jahrhunderts diese Einträge übersehen und das Martyrolog auf das späte 6. Jahrhundert datiert werden konnte. Vgl. Bolland, Praefatio, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, S. XLVIa: „Eius Martyrologij hic titulus est: Christo faue votis. Codex S. Willibrordi, continet Martyrologium Hieronymi. Descripsit illud Laurentius quidam, monachus (vt opinor) Epternacensis, siue S. Willebrordi, ita in fine habetur: O Lector, viue, lege, & pro me ora. Tuorum Domine, quorum nomina scribsi [!], Sanctorum; eorum, quæso, suffragiis miserum leua Laurentium: tu[que] idem Lector ora. Ast à quo is descripsit: Nisi vehementer fallor, ab ipso S. Willebrordo, qui Bedæ æqualis ex Angliâ in Belgium venit, & Frisones aliosque populos vel fidei doctrinâ imbuît, vel pietate erudit, ac nobile in Mosellanâ ditione cœnobium Epternaci constituit […]. || Cur illud existimem S. Willebrordi fuisse Martyrologium, hæ sunt rationes: Martyrologio subiungitur vetustissimum Kalendarium, cui hæc in margine adscripta: In nomine Domini, Clemens Willibrordus anno sexce[n]tesimo nonagesimo ab Incarnatione Christi veniebat vltra mare in Franciâ; & in Dei nomine, anno sexcentesimo nonagesimo quinto ab Incarnatione Domini, quamuis indignus fuit ordinatus in Româ Episcopus ab Apostolico viro Domno Sergio Papa. Nunc verò in Dei nomine agens annum septigentesimum vigesimum octauum ab Incarnatione Domini nostri Iesu Christi in Dei nomine feliciter. Quis illud quamuis indignus de alio, etiam vulgaris notæ homine, dixerit, præterquàm de se? Deinde nunc verò, indicat ipso viuente id scriptum: quis esset ita impudens & effrons, qui de viro tanto, & viuente, scribere illud auderet, quamuis indignus? Planè suspicor, ipsimet esse Willebrordi manum.“ Vgl. zu diesen Marginalien Rossi/Duchesne, Prolegomena, AASS Novembris, Bd. 2,1, 1894, Nr. 1, S. [VIII]; H. A. Wilson, Introduction, in: The Calendar of St. Willibrord. From MS. Paris. Lat. 10837. A Facsimile. With Transcription, Introduction, and Notes. Edited by H.

112 Lagen solche ausdrücklichen Hinweise nicht vor, entsprach es weder den Möglichkeiten noch den Interessen der frühneuzeitlichen Gelehrten, einschließlich der sogenannten Textkritik der Humanisten, in dieser Hinsicht analytisch tätig zu werden. Die Annahme, dass man spätestens seit dem ersten Drittel des 16. Jahrhunderts die Handschriften – also das Material und nicht die Inhalte – auf regelhafte Weise „chronologisch klassifiziert“ oder gar „Stemmata erstellt“ habe, 42 entbehrt des Fundaments. Die Zahl der –––––––—

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A. Wilson (Henry Bradshaw Society 55), London 1918 (Neudruck Woodbridge/Rochester, N. Y. 1998), S. V–XXIV, hier S. X; zur Diskussion um Willibrords Glosse Arno Borst, Die karolingische Kalenderreform (MGH Schriften 46), Hannover 1998, S. 445; Hartmut Hoffmann, Autographa des früheren Mittelalters, in: DA 57 (2001), S. 1–62, hier S. 11f.; Lifshitz, Name (2006), S. 40, 167 Anm. 41. Muhlack, Geschichtswissenschaft (1991), S. 352. Bislang ist kein Stemma aus dieser Zeit bekannt, das in einem näherungsweise technischen Sinn als solches qualifiziert werden könnte. In der eher auf die zeitgenössische Theorie als auf die Praxis der Umgehensweise mit den Manuskripten konzentrierten Humanismusforschung, bei insgesamt randständiger Position des Themas, wird man zwar bisweilen Bemerkungen zu „stemmatologischen“ Verfahren oder „Stemmata“ finden. Vgl. etwa Widu-Wolfgang Ehlers, Antike und klassisch-philologische Editionsverfahren, in: Geschichte der Editionsverfahren vom Altertum bis zur Gegenwart im Überblick. Ringvorlesung, hrsg. v. Hans-Gert Roloff (Berliner Beiträge zur Editionswissenschaft 5), Berlin 2003, S. 9–35, hier S. 24. In der Literatur wird damit allerdings jede auch theoretische Forderung beschrieben, vorhandene Handschriften zu vergleichen und gegebenenfalls „den Wert älterer und damit weniger fehlerhafter Handschriften“ zu exponieren. Es scheint mir jedoch bereits fraglich, ob die Humanisten in der Tat „ältere“ Handschriften – sofern sie in dieser Eigenschaft erkannt wurden – bevorzugten. Denn die sie vor allem interessierenden Texte der klassischen Antike sind häufig nur in ausnehmend späten Handschriften tradiert und standen den Gelehrten in zumeist nur wenigen Manuskripten zur Verfügung. Mit im Idealfall zwei oder drei Manuskripten war und ist kein „Stemma“ zu errichten. Es würde auch wenig Aussagekraft besitzen. Auf diese Fragen wird noch genauer einzugehen sein. In jedem Fall wird in der engeren wissenschaftshistorischen Literatur das erste Stemma in einem technischen Sinn nicht zufällig mit der Ausgabe der M. Tullii Ciceronis Verrinarum libri septem des Berliner Philologen Carl Gottlob Zumpt (1792–1849) von 1831 verbunden. Noch Carl Lachmann (1793–1851), als dessen Errungenschaft eine editorische Methode betrachtet wird, die auf der Basis einer idealiter vollständigen Kenntnis der Überlieferung die Rekonstruktion eines „Archetyps“ ins Auge fasste, der nach dem Leitprinzip der Kollationierung – und nicht mehr nach dem der Emendation – erstellt werden sollte, lehnte die Verwendung der stemmata codicum in seinen Ausgaben ab. Vgl. Sebastiano Timpanaro, Die Entstehung der Lachmannschen Methode, Hamburg 21971 [ital. 1963], S. 44f., 50; vgl. zu diesem selbst Harald Weigel, „Nur was du nie gesehn wird ewig dauern“. Carl Lachmann und die Entstehung der wissenschaftlichen Edition (Rombach Wissenschaft. Reihe Litterae), Freiburg i. Br. 1989, bes. S. 160f., 178f.; Winfried Ziegler, Die „wahre strenghistorische Kritik“. Leben und Werk Carl Lachmanns und sein Beitrag zur neutestamentlichen Wissenschaft (Theos 41), Hamburg 2000, bes. S. 53–59. Stemmata wurden in der geschichtswissenschaftlichen Editorik noch des 19. und frühen 20. Jahrhunderts keineswegs als unabdingbar betrachtet, zumal die Struktur der Überlieferung bei weitem nicht aller historischen Texte sie angelegen sein ließ und lässt. Die Herausgeber der früheren Monumenta Germaniae Historica orientierten sich, wenn ich richtig sehe, nicht notwendig am Ziel, einen Archetyp zu rekonstruieren oder zu kreieren, sondern verfuhren zumeist nach dem Prinzip der

113 zugleich an einem Ort versammelbaren Handschriften eines identischen Texts war im Regelfall allzu gering. Eine paläographische Nomenklatur von systematischem Wert existierte in dieser Zeit nicht. Bolland bediente sich einer gängigen Terminologie, als er konstatierte, dass das Echternacher Manuskript „in einer sehr alten Schrift geschrieben“ sei („vetustissimo charactere exaratum“). 43 Er verblieb damit im Rahmen dessen, was die humanistischen Philologen zum Alter der ihnen greifbaren Codices zu sagen wussten: „alt“ („vetustus“), „sehr alt“ („vetustissimus“), „nicht besonders alt“ („non vetus admodum“) und so fort. 44 –––––––—

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Leithandschrift. In den Einleitungen der hier häufiger konsultierten Vitenausgaben Kruschs und Wilhelm Levisons (1876–1947) wurden im Regelfall Überlieferungsgruppen erstellt, Datierungen vorgenommen und Abhängigkeiten erwogen. Letztere wurden jedoch nicht derart genau evaluiert, dass sie graphisch oder gedanklich notwendig in ein Stemma mündeten. Die detaillierte Beschäftigung mit Fragen der Überlieferung blieb vielfach der späteren Forschung vorbehalten, und diese sind bis heute keineswegs für alle Überlieferungsträger bearbeitet. Der humanistischen Editorik umfassende Kompetenzen und große Souveränität auf diesem Gebiet zuzuschreiben, unterschätzt letztlich die Komplexität der Prozedur als solcher. Vgl. Bolland, Praefatio, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, S. XLVb. Ohne an dieser Stelle auf die Inhalte einzugehen, sei verwiesen auf Angelo Poliziano, Miscellaneorum centuria secunda, hrsg. v. Vittore Branca/Manlio Pastore Stocchi. Editio minor, Florenz 1978, S. 24: „Vetustus est in bibliotheca Ferdinandi regis plinianus codex […].“ Ebd., S. 27: „Sed cum domesticum codicem cum duobus quibusdam quandoque conferrem, quorum scilicet alter mediae fere antiquitatis Andreae Magnanimi bononiensis opera, viri elegantissimi, fuerat mihi commodatus, alterum vero longe antiquiorem ex Medica bibliotheca deprompseram, reperiebam in antiquiore scriptum pro ‚Stratocleǥ ‚Stercoclesǥ; […].“ Ebd., S. 30: „Sed enim codices novi veteresque omnes adhuc equidem vidi priorem illam quam posuimus lectionem praeferunt, […].“ Ebd., S. 36: „[…] in vetustis duobus ex eadem divi Marci bibliotheca exemplaribus […].“ Ebd., S. 38: „Verum in codice Marciae bibliothecae vetustissimo […].“ Ebd., S. 40: „Ceterum in codicibus vetustis duobus Marciae bibliothecae sic invenio […].“ Ebd., S. 46: „Sed ego veterem nactus vitruvianum codicem Nicolai Tegrimi lucensis equiter et humanissimi viri […].“ Ebd., S. 47: „Cum enim graecos evolverem codices quos advehendos sibi e Graecia Laurentius Medices curaverat, incidi in librum quendam veterem admodum […].“ Ebd., S. 52: „Isque error ita diu iam coepit inolescere ut Ferdinandi regis vetus ille codex, […].“ Ebd., S. 54: „Vulgati enim codices sed et veteres aliquot inque his antiquissimis in Marcia bibliotheca sic habent […].“ Ebd., S. 55: „Nos in vetusto codice qui Sassetti fuit rursumque in alio quem Vaticana bibliotheca habet […].“ Ebd., S. 56: „Consului autem veteres codices […].“ Ebd., S. 73: „Ego vero in codicibus ferme antiquis omnibus non ‚symbolumǥ per .u. litteram reperio sed ‚symbolamǥ per .a. Sic venetus ille vetustissimus habet Bernardi Bembi codex, sic ille item (si recolo) qui in Vaticana bibliotheca est Romae, sic antiquissimus etiam quem bibliotheca Medicae gentis habet, […].“ Wie Poliziano im Einzelfall zu der Auffassung gelangte, dass der eine oder andere Codex älter als ein anderer war, wurde von ihm nicht erläutert. Die Auseinandersetzung mit einleitenden Bemerkungen in Klassikerausgaben zeitigten ähnliche Resultate. Vgl. VITAE CAESARVM || QVARUM SCRIPTORES HI || C. Suetonius Tranquillus – Dion Cassius || Aelius Spartianus – Iulius Capitolinus || Aelius Lampridius – Vulcatius Gallicanus || Trebellius Pollio – Flauius Vopiscus || Herodianus – Sex. Aurelius Victor || Pomponius Lætus – Io. Baptista Egnatius || Eutropij libri X. in-

114 Die Beschäftigung mit den Abhängigkeiten, die einen als solchen erkannten Überlieferungskomplex regierten, gewann nur langsam an Substanz. Zur Zeit der Fertigstellung der Januarbände verfügte Bolland neben der Echternacher Handschrift allein über zwei (!) weitere Zeugen aus der Gruppe der Martyrologia Hieronymiana. Präziser gesagt hatte es seine – oder Rosweydes – Identifikation der Echternacher Handschrift als eine Version des Martyrologium Hieronymianum überhaupt erst ermöglicht, weitere Textzeugen dieser sich als solcher erst konstituierenden Gruppe zuzuweisen. Die drei Bolland bekannten Martyrologia Hieronymiana traten gesamtheitlich im Dossier der am 16. Januar gefeierten heiligen Saturninus, Faustinus und Naffanianus in Erscheinung: Von den heiligen afrikanischen Märtyrern. Saturninus, Faustinus, Naffanianus, und sieben anderen. Martyrologium des hl. Hieronymus: In Afrika [Martyrium] des Saturninus, Faustinus, Naffanianus und sieben anderer. Irische Handschrift aus dem Kloster Donegal: [Martyrium] des Saturninus, Faustinus, und sieben anderer. Handschrift aus dem Kloster Rheinau: In Afrika [Martyrium] des Faustus. Eines anderen Saturninus, der in Afrika den Märtyrertod erlitten hat, wird, mit neun Kameraden, am 22. März gedacht; am 4. Juli Namphanion mit Kameraden. 45

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tegritati pristinæ redditi. || Ammianus Marcellinus longe alius quàm antehac unquam. || Annotationes D. Erasmi Rot. & Baptistæ Egnatij in uitas Cæs. || Accesserunt in hac editione Velleij Paterculi libri II. ab innumeris || denuo uendicati erroribus, addito Indice copiosissimo. || FROBEN || A. || BASILEAE MD XLVI, Dedikationsepistel: Illustrissimis Saxoniae Dvcibvs, Federico Sacri Imperii Electori etc. eiusq[ue] patrueli Georgio, Des. Erasmus Roterodamus S. D. [unpaginiert], fol. a2v: „[…] mihi ad hoc negocij peruetusto quodam codice, quem è bibliotheca monasterij, apud Neruios olim, nu[n]c Tornacenses, uulgato cognomine diui Martini, nobis exhibuit nobilissimus ille Gulielmus Montioius […].“ Ebd., fol. a4v: „[…] nisi codicum antiquorum auxilio adiutus.“ Ebd.: „In Caligula pro nec dicendi finem factum, restitueramus ex exemplari peruetusto […].“ Ebd.: „[…] quandam ea nullius uetusti codicis præfatur autoritatem.“ Ebd.: „[…] ex qualibuscunq[ue] uestigijs antiquissimi codicis.“ Vgl. mit weiteren Beispielen John F. d’Amico, Theory and Practice in Renaissance Textual Criticism. Beatus Rhenanus between Conjecture and History, Berkeley/Los Angeles/London 1988, S. 24f., 74, 77. De SS. Martyribvs Africanis. Satvrnino, Favstino, Naffaniano, et aliis VII., in: AASS Ianuarii, Bd. 2, 1643, 16. Jan., S. 3: „Martyrologium S. Hieronymi: In Africâ Saturnini, Faustini, Naffaniani & aliorum VII. MS. Hibernicum conuentus Dungalensis: Saturnini, Faustini, & aliorum VII. MS. Rhinavviense: In Africâ Fausti. Alius XXII. Martij Saturninus in Africâ passus commemoratur cum IX. sociis, IV Iulij Namphanion cum sociis.“ Vgl. die Querverweise auf die Dossiers: De SS. Satvrnino et IX sociis Martyribus in Africa, in: AASS Martii, Bd. 3, 1668, 22. März, S. 378; J[oannes] B[aptista] S[ollerius], De S. Namphanione et sociis Martyribus Madavræ in Africa. Ex Martyrologio Romano, in: AASS Iulii, Bd. 2, 1719, 4. Juli, S. 6.

115 Neben der Echternacher Handschrift als dem Repräsentanten des „Martyrologium des hl. Hieronymus“ 46 war mit der „[i]rische[n] Handschrift aus dem Kloster Donegal“ das, mit Vorläufern in der Northumbria des früheren 8. Jahrhunderts, um 830 entstandene und in einer Sammelhandschrift aus der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts überlieferte Martyrologium von Tallaght gemeint. 47 Bolland lag es in Form einiger abschriftlicher Auszüge vor, die er von den irischen Franziskanern in Löwen vorübergehend zur Verfügung gestellt bekommen hatte. 48 Bei der besagten „Handschrift aus dem Kloster Rheinau“ handelt es sich um das vor 871 verfasste Breviarium Hieronymianum Rhinoviense oder Rhenaugiense. 49 Bolland hatte es seinerseits „in den Papieren Rosweydes“ vorgefunden. 50 An diesen war es durch den an den Universitäten Dillingen und Ingolstadt lehrenden irischen Jesuiten Stephen White (1574–1646) gelangt. 51 White, der sich mit seinen Studien wahrscheinlich mehr seinen franziskanischen Landsleuten in Löwen als seinen Ordensbrüdern in Antwerpen verbunden wusste, korrespondierte spätestens seit 1615 mit Rosweyde. 52 Am 9. Januar 1623 schrieb er aus dem Kloster Pont-à-Mousson im Departement Nancy, dass er Rosweyde „die Fragmente eines alten Martyrologs“ übersende: –––––––— 46

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Vgl. Martyrologium Hieronymianum, ed. Rossi/Duchesne, AASS Novembris, Bd. 2,1, 1894, 16. Jan., S. [9], Cod. Eptern., etc.: „XVII ká [Ian.] […] in aff˾ saturnini | faustini naffaviani et alior̘ VII.“ Vgl. The Martyrology of Tallaght. From the Book of Leinster and Ms. 5001–4 in the Royal Library, Brussels, ed. with Introduction, Translations, Notes and Indices by Richard Irvine Best/Hugh Jackson Lawlor (Henry Bradshaw Society 68), London 1931, 16. Jan., S. 8: „Saturnini […]. Faustini et aliorum .uii.“ Vgl. Ó Riain, Phase (2002); Lifshitz, Name (2006), S. 144, 149. Vgl. unten Kap 6.2.4. Vgl. [Albert Poncelet], De breviario Rhenaugiensi martyrologii hieronymiani, in: Anal. Boll. 15 (1896), S. 271–274, hier S. 271; Martyrologium Hieronymianum, ed. Rossi/Duchesne, AASS Novembris, Bd. 2,1, 1894, Nr. 33, S. [XXXV]; Wolfgang Haubrichs, Neue Zeugnisse zur Reichenauer Kultgeschichte des neunten Jahrhunderts, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 126 (N. F. 87) (1978), S. 1–43, hier S. 4f. mit Anm. 18; vgl. den Nachweis in der Ausgabe von Du Sollier, Martyrologia Hieronymiana contracta, AASS Iunii, Bd. 7 [Teil 2], 1717. Martyrologivm Rhinoviense, ebd., S. 1–5, hier S. 1a: „XVII Kal. Feb. […] In Africa, Fausti.“ Bolland, Praefatio, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, S. XLVIIa: „Aliud quoque Martyrologium perbreue & mutilum, sed cum illo Treuirensi, siue Epternacensi, consentiens, quod olim Rhinowiensis iuxta Basileam cœnobij fuit, reperi in Rosweydi schedis.“ Vgl. Du Sollier, Praefatio, AASS Iunii, Bd. 7 [Teil 2], 1717, S. III. Vgl. Sharpe, Saints’ Lives (1991), S. 44, 49 Anm. 40; vgl. dazu auch unten S. 521, 542. Der terminus post quem leitet sich aus einem auf den 3. März 1615 datierten und in den Julibänden der Acta Sanctorum in Auszügen zitierten Schreiben Whites an Rosweyde ab. Vgl. J[oannes] B[aptista] S[ollerius], De S. Willibaldo Episcopo Eystadii in Germania, in: AASS Iulii, Bd. 2, 1721, 7. Juli, S. 485–519. Commentarius prævius, S. 485–500, hier S. 487a.

116 Dasselbe habe ich jüngst aufgefunden (beim Fortgang meiner Reise aus der Germania), als ich die alte Bibliothek des Klosters Rheinau […] durchmusterte, das sich auf einer Rheininsel oberhalb Basels und unterhalb der Stadt der Helvetier Schaffhausen befindet. Der Abt desselben Klosters […] ist mein Schüler, der mir nichts verweigert, so dass er es auch nicht ausgeschlagen hat, mir zwei andere, äußerst vortreffliche, große alte handschriftliche Martyrologien aus seiner Bibliothek zu geben. 53

Das Breviarium Hieronymianum Rhinoviense weist keine expliziten Hinweise auf seine Entstehung auf, und Bolland unternahm auch keinen Versuch, es zu datieren oder der Echternacher Handschrift vor- oder nachzuordnen. Dort, wo er es benutzte, qualifizierte er es bisweilen als ein „äußerst altes“ Manuskript, als ein „vetustißimum“ oder „antiquißimum MS.“ 54 –––––––— 53

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White an Rosweyde, Pont-à-Mousson, 9. Januar 1623, zitiert nach [Albert Poncelet], De breviario Rhenaugiensi martyrologii hieronymiani, in: Anal. Boll. 15 (1896), S. 271–274, hier S. 272 Anm. 5: „[Mittam] […] fragmenta veteris martyrologii […]. Ipsum inveni nuper (in progressu mei ex Germania itineris), cum lustrarem veterem bibliothecam coenobii Rhinoviensis […], quod est in insula Rheni supra Basileam et infra Schaffuhium [!] urbem Helvetiorum. Abbas eiusdem coenobii […] est meus discipulus, qui mihi nihil denegat, uti neque negasset dare mihi praestantissima duo magna alia antiqua manuscripta martyrologia suae bibliothecae.“ Es handelt sich wahrscheinlich um ein Schreiben, das in einer Handschrift jenseits der Collectanea bollandiana in Brüssel erhalten ist. Vgl. Van den Gheyn, Catalogue, Bd. 1: Écriture sainte et Liturgie, Brüssel 1901, S. 298, Ms. II. 760 (478), Nr. 5: „Lettre d’Étienne Vitus, aux bollandistes, au sujet du martyrologe hiéronymien de Rheinau.“ Diese offensichtlich von Papebroch angelegte Handschrift – „Table des matières, de la main de Papebroch“, ebd., Nr. 1 – wurde hier nicht eingesehen. Sie enthält, ebd., Nr. 6, die Blätter des Rheinauer Martyrologs selbst, das Rossi und Duchesne noch als verloren galt, sowie zahlreiche der kleineren der Martyrologia Hieronymiana. Ferner ist in ihr ebd., Nr. 2, eine „Lettre de l’abbé d’Epternach, Philippe de la Neuverforge, Malines, 3 novembre 1668“ überliefert, die vielleicht Auskunft über die besagte Auseinandersetzung mit den Echternacher Mönchen um ihre ehemalige Handschrift des Martyrologium Hieronymianum geben könnte. Ebd., Nr. 6, sind erhalten: „Planches de la reproduction chalcographique du manuscrit d’Epternach du martyrologe hiéronymien, avec nombreuses notes de la main du P Papebroch.“ Vgl. Pierre Cockshaw, A propos de plus ancien fac-similé, in: Miscellanea codicologica F. Masai dicata MCMLXXIX, hrsg. v. dems./Monique-Cécile Garand/Pierre Jodogne, Teil 2 (Les publications de Scriptorium 8[,2]), Gand 1979, S. 535–540, hier S. 537f.; Walter Berschin, Biographie und Epochenstil im lateinischen Mittelalter, Bd. 1: Von der Passio Perpetuae zu den Dialogi Gregors des Großen (Quellen und Untersuchungen zur lateinischen Philologie des Mittelalters 8), Stuttgart 1986, S. 10f. Vgl. De Sanctis Martyribus Stratonico, Macario, Abbano, Satvro, Possessore, in: AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, 2. Jan., S. 82a–b: „Certè antiquißimum MS. monasterij Rhinouvviensis ita habet: Antiochiæ Isidori […].“ De Sanctis Martyribus Rvtila, Clavdia, Avriga in Æthiopia, itemqve Vitale et Stephano Hierosolymis, in: ebd., 2. Jan., S. 82b: „Idem [Stephanus] hic est fortaßis qui 1. Ianuar. refertur in eodem S. Hieronymi Martyrologio his verbis: In Oriente Stephani. Idem habet MS. item vetustißimum Rhinouvviense, eodem die.“ Vgl. Du Sollier, Martyrologia Hieronymiana contracta, AASS Iunii, Bd. 7 [Teil 2], 1717. Martyrologium Rhinoviense, ebd., S. 1a: „IV Non. Ian. Antiochiæ, Isidori episcopi, […].“ Ebd., „Kal. Ian. […] In Oriente, Stephani.“ Vgl. Martyrologium Hieronymianum, ed. Rossi/Duchesne, AASS Novembris, Bd. 2,1, 1894, 1. Jan., S. [4], Cod. Eptern., etc.: „Kl iañ […]. In oriente stefani | […].“

117 Ebenso beschränkte sich die zeitliche Einordnung des Martyrologiums von Tallaght auf die Aussage, dass es sich um einen „sehr alten“ („perantiquum“) Text handelte. 55 Wenigstens im Hinblick auf den Text des Rheinauer Martyrologs hätte Bolland allerdings auf einen nicht ohne Subtilität durchgeführten Versuch der Datierung durch White rekurrieren können, der später von Du Sollier aufgegriffen werden sollte. Du Sollier druckte das Breviarium Hieronymianum Rhinoviense oder Rhenaugiense als Martyrologium Rhenaugiense. Bezüglich der Entstehung teilte er die Ansicht Whites, der es, in besagtem Schreiben an Rosweyde aus dem Jahr 1623, aufgrund seiner liturgiegeschichtlichen Charakteristik und wahrscheinlich in Verwendung der Kommentare, mit denen Baronio das Martyrologium Romanum ausgestattet hatte, in den Zeiten nach Gregor dem Großen († 604) und nach Karl dem Großen († 814) entstanden wusste. Entscheidende Aussagekraft wurde von White dem in diesem Martyrolog für den 8. September verzeichneten Festtag Mariä Geburt und der Kreuzerhöhung am 14. September beigemessen. 56 Baronio hatte erwähnt, dass Mariä Geburt zwar schon unter Sergius I., also Ende des 7. Jahrhunderts, fest in den römischen Ritus aufgenommen worden sei. Allerdings habe die gallische Kirche noch zur Zeit Karls des Großen und Ludwigs des Frommen († 840) die Feier nicht gekannt. 57 White hatte sich also in seiner auf den –––––––— 55 56

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Vgl. Bolland, Praefatio, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, S. XLVIIa. Vgl. Du Sollier, Martyrologia Hieronymiana contracta, AASS Iunii, Bd. 7 [Teil 2], 1717. Praefatio, S. IV f.; ders., Ad novam Martyrologii Usuardini editionem præfatio, in: AASS Iunii, Bd. 6 [Teil 2, eigenständig paginiert], 1715, S. I–LXVI, hier S. VIII: „Non male censuit Vitus, fragmentum hoc suum exaratum fuisse post dies sancti Gregorii Magni, & post Caroli Magni: nam in illo, inquit, suis recte locis lego festa nativitatis beatæ Virginis & Exaltationis sanctæ Crucis.“ Diese Passage stammte aus dem erwähnten Schreiben Whites an Rosweyde, Pont-à-Mousson, 9. Januar 1623, zitiert nach [Poncelet], De breviario (1896), S. 272 Anm. 5: „Fragmentum hoc meum fuit exaratum post dies S. Gregorii Magni […].“ Vgl. Du Sollier, Martyrologia Hieronymiana contracta, AASS Iunii, Bd. 7 [Teil 2], 1717. Martyrologium Rhinoviense, ebd., S. 4b: „VI Id. Sept. Nativitas sanctæ Mariæ matris Domini.“ Ebd.: „XVIII Kal. Octobris […]. Et Exaltatio sanctæ crucis.“ Vgl. Baronio, Martyrologium Romanum, sec. ed., 1589, 8. Sept., S. 399: „Nativitas (a) beatissimæ semper virginis genitricis Dei“. Ebd., S. 399f. Anm. a. Demnach könne nach Sergius I. keineswegs von einer raschen Verbreitung dieses Fests in der römischen Christenheit ausgegangen werden, „cùm co[n]stet, Gallicanam ecclesiam etiam temporibus Caroli Magni, & Ludovici Pij eam ignorasse, vt apparet ex Concilio Moguntino sub eodem Imp. celebrato, anno Domini 813 […].“ Ebd., S. 400a Anm. a. Weniger deutlich tritt die Aussagekraft der „Exaltatio (a) sanctĊ Crucis“, ebd., 14. Sept., S. 406, hervor. Hier konstatierte Baronio ebd., S. 407a Anm. a, dass Ostund Westkirche diesen Tag schon vor der vermeintlichen Wiedergewinnung des Kreuzes am 3. Mai 628 durch Kaiser Herakleios († 641) zu begehen pflegten. Für die lateinische Christenheit sei dies durch das Sacramentarium Gregorianum verbürgt: „Græci […] longè ante Heraclij tempora, hac ipsa die eiusmodi celebritatem agebant; […]. Latini etiam ante Heraclij te[m]pora hanc diem Exaltationi S. Crucis dicatam coluisse videntur; nam in Sacramentario S. Gregorij de eadem, hac die agitur.“

118 ersten Blick eigentümlichen Datierung auf zwei markante Persönlichkeiten festgelegt, Gregor den Großen und Karl den Großen, zu deren Zeit und in deren jeweiligem Wirkungsraum der Festtag noch nicht regelhaft begangen worden war. Mit diesen termini post quem gelangte White immerhin ins richtige Jahrhundert. In Bezug auf die potentiellen Abhängigkeiten wird man Bolland oder Du Sollier nicht vorwerfen können, sich auf keine weiteren Debatten eingelassen zu haben. So zeigten sich Giovanni Battista de Rossi (1822–1894) und Louis Duchesne (1843–1922) 1894 in ihrer Ausgabe der Martyrologia Hieronymiana verwundert, dass Du Sollier nicht erkannt habe, dass die Rheinauer Version monolinear und allein aufgrund des geringeren Umfangs auf in dieser Qualität unschwer zu erkennende Weise aus einem ihres Erachtens älteren Reichenauer Martyrolog hervorgegangen sei.58 Letzterer Zeuge war im Jahr 1651 an die Bollandisten gelangt. Du Sollier sollte ihn 1717 als Martyrologium Richenoviense publizieren. 59 Nach den Studien Wolfgang Haubrichs’ ist es jedoch um 896/899 entstanden. Damit gilt es inzwischen, gegen Rossi und Duchesne, sogar als etwas jünger als die vor 871 angefertigte Version des Breviarium Hieronymianum Rhinoviense. 60 Du Sollier sah zwar die Nähe der Bestände der beiden Martyrologien, welche er mit der institutionellen Verbundenheit der Klöster Rheinau und Reichenau zu erklären suchte. Sie einander vor- oder nachzuordnen, hatte er sich aber in der Tat enthalten. Evident schien ihm allein zu sein, dass das Martyrologium Rhenaugiense nicht nach dem Martyrologium Gellonense entstanden sein könne – aus dem Kloster Gellone/ St.-Guilhelm-du-Désert (Paris, B. N. F., lat. 12048). 61 Dieses hatte der Mauriner Jean Luc d’Achery (1609–1685) 1677 gedruckt und, auf die inzwischen vertraute Weise, mit dem Attribut –––––––— 58

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Vgl. Rossi/Duchesne, Prolegomena, AASS Novembris, Bd. 2,1, 1894, Nr. 31, S. [XXXIV]; Nr. 33, S. [XXXV]: „Sed miror eum [Sollerius] non vidisse id esse manifeste contractum e breviario Richenoviensi, a quo totus pendet neque valde variat, excepta brevitate. Richenoviense enim duplo fere amplius est Rhinoviensi (R).“ Vgl. Du Sollier, Martyrologium Usuardinum, AASS Iunii, Bd. 6 [Teil 2], 1715. Praefatio, S. IX: „Jam ad alios codices nostros […] descendamus. || Eos inter in Actis nostris nominatissimus est Richenoviensis sive Augiæ divitis prope Constantiam in Germania, cujus ecgraphum habemus nitide descriptum in forma quarta minore, illudque invenio, nos primùm accepisse anno MDCLI.“ Vgl. dazu Haubrichs, Zeugnisse (1978), S. 4ff.; Borst, Kalenderreform (1998), S. 376. Vgl. die Ausgabe Du Sollier, Martyrologia Hieronymiana contracta, AASS Iunii, Bd. 7 [Teil 2], 1717. Martyrologium Richenoviense, ebd., S. 5–15. Vgl. Haubrichs, Zeugnisse (1978), S. 12; nach Haubrichs hängen beide Textzeugen auch nicht unmittelbar voneinander ab, sondern sind aus einem gemeinsamen und verlorenen Archetyp hervorgegangen. Vgl. Liber sacramentorum Gellonensis. Textus, hrsg. v. A. Dumas (CCSL 159), Turnhout 1981, S. 490–513.

119 eines „sehr alten“ Martyrologs versehen. 62 Das Martyrologium Gellonense weise nämlich, so Du Sollier, eine Reihe von Heiligen auf, die aus dem Reichenauer Martyrolog abgeschrieben und ihrerseits um weitere Namen vor allem germanischer Provenienz ergänzt worden seien. 63 D’Acherys Datierung auf das frühe 9. Jahrhundert, die sich an der Gründung des Klosters Gellone/ St.-Guilhelm-du-Désert orientierte, schien Du Sollier aufgrund der Fehler, die dieses Martyrolog vom Formular der Martyrologia Hieronymiana entfernten, zwar fraglich zu sein. Mit Intensität widmete er sich dem jedoch nicht. Prinzipiell würde ohnehin niemand bestreiten können, dass es sich um einen „alten“ Codex handelte. 64 –––––––— 62

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Vgl. Martyrologium Gellonense, sive S. Guillelmi de Deserto, pervetustum, in: VETERUM ALIQUOT SCRIPTORUM || Qui in Galliæ Bibliothecis, maximè Benedictinorum latuerant, || SPICILEGIUM. || Tomus Decimus-tertius. || Prodeunt nunc primùm in lucem || Operâ & studio DOMNI LUCÆ ACHERII è Congregatione || S. Mauri Monachi Benedictini || PARISIIS, || Apud Viduam EDMUNDI MARTINI, viâ Jacobæa, || sub aureo Sole, & Sacrificio Abelis. || MDCLXXVII. || Cum Privilegio Regis & Superiorum Permissu, S. 388–431. Vgl. Du Sollier, Martyrologia Hieronymiana contracta, AASS Iunii, Bd. 7 [Teil 2], 1717. Praefatio, S. IV: „Quemadmodum cognata sunt monasteria Rhinoviense & Richenoviense, sic affinitatem contraxerunt utriusque loci Martyrologia. De hoc codice [Richenoviense] pauca notavimus sæpe dictæ præfationis num. 29., diximusque […] antiquum esse & notæ optimæ, neque Gellonensi posthabendum, quamvis hinc inde recentiora Sanctorum, præsertim Germanicorum, nomina adscripta habeat.“ Vgl. ders., Martyrologium Usuardinum, AASS Iunii, Bd. 6 [Teil 2], 1715. Praefatio, S. IX: „Educamus hîc utriusque textum 1 Julii cum majori Hieronymiano jam descripto, conferendum. Sic habet Richenoviense: Kalend. In Nicomedia, Zoëli. Romæ, Gagi Papæ, Luciæ virginis, Processi, Marini. In Antiochia, Severiani. In monte Hor, depositio Aaron sacerdotis. Augustiduno, Leontii episcopi. Ad oculum rursus patet, Hieronymiana esse omnia, atque ex majori codice excerpta, cui Aaronis depositio […] immixta jam erat. Audi modo Gellonense ex editione Acherii. Kalendis Julii. Roma, Gaii, Luciæ, Isici. Alibi Orionis, Crilisi confessoris, Zoëlis, Severiani. In monte Or, depositio Aaron sacerdotis. In Persida, Simonis & Judæ Apostoli. Augustoduno, Leonti. Ingolisma, Eparci episcopi. Vides hîc Caium Papam confuse positum, Carilesum vero aliis, iisque martyribus, inepte immixtum; additumque in fine Eparchum, de quo & Carilefo codex Richenoviensis non meminit, ut proinde hic, altero luce dignior sit, quod pluribus & continuatis exemplis forte alias demonstrabitur.“ Vgl. die Nachweise: Liber sacramentorum Gellonensis, ed. Dumas (1981), Martyrologium, [1. Juli], S. 502 [E]: „Kl. iul. Rom¢ae², gaie, luci…, isici; ali¢bi² urione, arilife conf., zeli, seueriani. In monte or, depositio aaron sacerdotis. In persida, simonis, iude ap¢osto²li. Aus¢to²dun¢i², leonti. Ingolisma, eparci epi.“ Vgl. Du Sollier, Martyrologia Hieronymiana contracta, AASS Iunii, Bd. 7 [Teil 2], 1717. Martyrologium Richenoviense, S. 10b: „Kalend. Julii. In Nicomedia, Zoëli. Romæ, Gagi Papæ, Luciæ virginis, Processi, Marini. In Antiochia, Severiani. In monte Hor, depositio Aaron Sacerdotis. Augustiduno, Leontii episcopi.“ Vgl. Du Sollier, Martyrologia Hieronymiana contracta, AASS Iunii, Bd. 7 [Teil 2], 1717. Praefatio, S. I: „Plura siquidem eo loco contractoria Hieronymiana enumeravi, suis characteribus eò saltem usque distincta, ut modo exempla, quæ jam edimus, præ oculis sint, ac cum Gellonensi, quod Spicilegii tomo XIII vulgavit Acherius, & cum Variantibus Additionibusque aliorum ibi subjunctorum, conferantur, idea satis genuina & propria haberi possit, ad ferendum judicium de quibuscumque aliis id genus

120 Während Bolland für die Arbeit an den Januarbänden auf drei Vertreter der Martyrologia Hieronymiana hatte zurückgreifen können, verfügte Du Sollier 1717, einschließlich der Echternacher Handschrift, über acht als solche identifizierte Textzeugen. Aus noch zu erläuternden Gründen zählte Du Sollier das Martyrologium von Tallaght nicht mehr zu dieser Gruppe. 65 Für die Ausgabe Rossis und Duchesnes von 1894 wurden insgesamt 38 Textzeugen zusammengetragen. Unter anderem konnten Rossi und Duchesne auf eine Version aus dem Metzer Kloster St.-Avold aus den frühen 790er Jahren (Bern, 289) zurückgreifen, die heute als eine der Leithandschriften gilt. Sie war 1875 von Wilhelm Ferdinand Arndt (1838–1895) den Bollandisten in einer Abschrift zur Verfügung gestellt und 1883 in den Oktoberbänden der Acta Sanctorum publiziert worden. 66 Diese in Bern aufbewahrte Version wurde von ihnen neben dem Textbestand der Echternacher Handschrift und der 772 entstandenen Weißenburger Version des Martyrologium Hieronymianum gesamtheitlich herausgegeben. Letztere hatte Rossi 1879 in Wolfenbüttel aufgetan. 67 Mit zunehmender Kenntnis dieser älteren und –––––––—

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Martyrologiis, quæ ad Hieronymianorum classem reducuntur.“ Ebd., S. III: „Signatam supra ab editione [d’Acherys] codicis ætatem nec improbo nec impugno; qualescumque sint adductæ ab eo notæ, equidem pro indubitato habeo, non posse non esse antiquum, quod Hieronymiana methodo & ratione dispositum est.“ Die Diskussion der Entstellungen resümierte er ebd.: „Utrum hæc omnia prædictæ epochæ ab Acherio adscriptæ nihil officiant, quærere supersedeo; mihi satis antiquum est, ut iterum dicam, ut Hieronymianum est, aut Hieronymianorum codicum stylum sapit, qui in hoc & in nostris exemplaribus se prodit manifestissimè.“ Anders als von Du Sollier angenommen gilt das Martyrolog heute als den Rheinauer und Reichenauer Versionen deutlich vorgeordnet. Der Codex Paris, B. N. F., lat. 12048 ist wahrscheinlich im letzten Jahrzehnt des 8. Jahrhunderts entstanden. Vgl. Liber sacramentorum Gellonensis. Introductio, tabulae et indices, hrsg. v. A. Dumas (CCSL 159a), Turnhout 1981, S. XVIII f. Das Martyrolog selbst könnte in der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts verfasst worden sein. Seine genaue Provenienz ist allerdings nicht geklärt. Vgl. ebd., S. XXII, XXXII f.; ferner Rossi/Duchesne, Prolegomena, AASS Novembris, Bd. 2,1, 1894, Nr. 23, S. [XXX]; Borst, Kalenderreform (1998), S. 224f.; Lifshitz, Name (2006), S. 70f. Vgl. unten S. 553f. Vgl. Martyrologium ex codice Bernensi 289, in: AASS Octobris, Bd. 13, 1883, S. I– XLIV, hier S. I, die der Edition vorangestellte, auf den 20. Juni 1875 datierte Erklärung Arndts: „Exscripsi ex codice hoc martyrologium manu mea, qua fieri potuit diligentia, ita ut servarem et orthographiam et distinctiones verborum, nihil addens, nihil omittens. Copiam relegi iterato studio, eamque dono bibliothecæ virorum spectabilium Bollandistarum … Spero autem fore ut patres reverendissimi quam citius edant hoc martyrologium, quo non solum Acta Sanctorum, sed tota iam longe devoluti temporis historia lucem accipere possit.“ Zur Handschrift Rossi/Duchesne, Prolegomena, AASS Novembris, Bd. 2,1, 1894, Nr. 2, S. [IX f.]; zur Datierung J. P. Kirsch, Die Berner Handschrift des Martyrologium Hieronymianum, in: RömQ 31 (1923), S. 113–124, hier S. 119; Borst, Kalenderreform (1998), S. 204; Lifshitz, Name (2006), S. 91f. Vgl. Rossi/Duchesne, Prolegomena, AASS Novembris, Bd. 2,1, 1894, Nr. 6, S. [XV f.]; Borst, Kalenderreform (1998), S. 204; Lifshitz, Name (2006), S. 44ff.

121 umfangreicheren Zeugen nahm die Aufmerksamkeit für die kleineren „martyrologes abrégés“ ab. 68 In der Ausgabe Rossis und Duchesnes wurde das Rheinauer Martyrolog aufgrund seiner mangelnden Originalität nicht einmal im Variantenapparat zitiert. Es entspricht daher eher den Wertigkeiten der Moderne, und weniger jenen Bollands oder Du Solliers, zu konstatieren: „Die Bollandisten beachteten mittelalterliche Kalender in den ersten Bänden der ‚Acta Sanctorumǥ seit 1643 nur nebenbei und druckten sie nicht ungekürzt ab, weil sie ihnen bloß als Kurzfassungen (breviaria) der viel wichtigeren Plenarmartyrologien erschienen.“ 69 Die Acta Sanctorum waren nicht als ein Ort der Publikation von Martyrologien jeder Art gedacht. Die Struktur der Dossiers diente dazu, die Nachweise für die einzelnen Heiligen, einschließlich ihrer Festtage, zu bündeln. Dies bedeutete, dass Bolland die ihm vorliegenden Martyrologien gleichsam zerlegte und auf die jeweiligen Heiligen bezogen verteilt publizierte. Daraus resultierte eine keineswegs hierarchische, sondern, ganz im Gegenteil, eine eher summarisch zu nennende Umgehensweise mit Belegen. Jedes Martyrolog, das dazu beitrug, den Festtag eines Heiligen zu verbürgen – einschließlich der noch anzusprechenden frühneuzeitlichen Martyrologien –, war grundsätzlich willkommen. Aus der Zusammenschau der Daten gewann die Problematik der Verschreibungen, der Doubletten und variierenden Feste für Heilige desselben oder etwas abgewandelten Namens überhaupt erst an Kontur. Im Fall der Martyrologia Hieronymiana zeigte Bolland Reduplikationen dann an, wenn sie als solche unmissverständlich erkennbar waren. Dies betrifft den Fall der Wiederholung ganzer Gruppen an zeitlich nahe aneinander liegenden Festtagen. 70 An anderer Stelle konnten mit Hilfe von Quer–––––––— 68 69

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Vgl. Dubois, Martyrologes (1978), S. 60f. Haubrichs, Zeugnisse (1978), hat die Reichenauer und Rheinauer Textzeugen erstmals überhaupt eingehender studiert. Borst, Kalenderreform (1998), S. 113. Es scheint sich erst mit der Ausgabe Rossis und Duchesnes durchgesetzt zu haben, die kleineren Martyrologien als „breviaria“ zu klassifizieren. In ihrer Einleitung des Martyrologium Hieronymianum, ed. Rossi/Duchesne, AASS Novembris, Bd. 2,1, 1894, hatten sie die Diskussion der „Codices pleniores“, ebd., S. [VIII–XXI], von jener der „Codices contracti martyrologii hieronymiani vel mixti e contractis et historicis omne genus“, ebd., S. [XXI– XXXVIII], unterschieden. Dies mag von Du Solliers Bezeichnung der kürzeren Versionen als „Martyrologia Hieronymiana contracta“ inspiriert gewesen sein. Dass Du Sollier diese von ihm ja durchaus und in weithin bis heute nicht ersetzten Drucken vorgelegten „Kurzmartyrologien“ geringer geachtet hätte, wird man jedoch schon allein aufgrund des Mangels an „Plenarmartyrologien“ in dieser Zeit nicht sagen können. Richtig ist, dass [Poncelet], De breviario (1896), S. 273f., gegenüber Du Solliers Ausgabe des Rheinauer Martyrologs einige Korrekturen und Nachträge zu verzeichnen hatte. Vgl. De Sanctis Martyribvs Africanis Telesphoro, Floro, Iocvndo, Petro, Marco, Acvtio, Ianvaria, in: AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, 6. Jan., S. 323f., hier S. 323a: „De his antiquissimu[m] S. Hieronymi MS. Martyrologium VI. Ianuarij: In Africâ Telesphori, Flori, Iocundi, Petri, Marci, Acuti, Ianuariæ.“ Einige dieser Namen seien,

122 verweisen vermeintlich genuine und reduplizierte Namen voneinander getrennt werden, ohne dass dies eine leichte Lektüre nach sich gezogen hätte. Im Fall einer am 16. Januar zu feiernden Gruppe frühchristlicher Märtyrer – aus Gründen der Übersichtlichkeit wurden Bollands Querverweise bereits in das Zitat eingefügt – liest sich dies wie folgt: Von heiligen römischen Märtyrern. Ananus, und Marius, Via Appia. Neun Soldaten. Via Cornelia. Honorius und dreizehn anderen. Verworren sind die Namen dieser Märtyrer, die von nur zwei alten handschriftlichen Martyrologien mitgeteilt worden sind, von denen das, das mit dem Namen des hl. Hieronymus gekennzeichnet worden ist, Folgendes enthält: Am 17. Tag vor den Kalenden des Februar, Rom, Via Salaria, auf dem Friedhof der Priscella Beerdigung des hl. Bischofs Marcellus. Und auf der Via Appia auf dem Friedhof des Calestus Martyrium des hl. Ananus, Marus. An der Via Cornelia von neun Soldaten. Auf dem Friedhof weiterer dreizehn, deren Namen Gott kennt. 71 Dunkler daneben die irische Handschrift aus dem Kloster Donegal: [Martyrium] des Calestus, der Priscilla. Des Ememrianus und sechzehn anderer. Des Fabianus, Honoratus und neunundzwanzig anderer Märtyrer. Des Honorius und vierzehn anderer Märtyrer. 72 || Die erstgenannte Handschrift ist, wenn auch verstümmelt, von besserer Schreibung. Dieser werden wir folgen. Über den hl. Marcellus, der auf dem Friedhof der Priscilla bestattet worden ist, werden wir gesondert handeln. 73 Ememrianus und Fabianus, ob sie [deckungsgleich mit] Ananus und Marius sein könnten, und welche von beiden die ursprünglichere Lesart ist, ist schwer zu entscheiden. Des auf der Via Cornelia getöteten Marius wird unten, am 19. Januar, gedacht. 74 Hier war keine Interpunktion, und daher hatte gelesen werden können: Martyrium des hl. Ananus. Des Marus auf der Via Cornelia. Aber dieser Codex hat den Brauch gepflegt, die Ortsangabe voranzustellen. Ob Ananus nicht vielleicht derselbe ist, der, unten als Papst Fabian, auf dem

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so Bolland, in dieser Handschrift auch am 5. Januar und ferner im Reichenauer Martyrolog verzeichnet. Vgl. ebd., S. 323a–b: „Quidam his cognomines V. Ianuarij habentur in eodem Martyrologio, & fortè iidem, vt suprà monuimus MS. Rhinovviense perantiquum: In Africâ, Acuti, Ianuariæ.“ Vgl. Martyrologium Hieronymianum, ed. Rossi/Duchesne, AASS Novembris, Bd. 2,1, 1894, 6. Jan., S. [6], Cod. Eptern., etc.: „VIII idus [Ian.] […] in aff˾ talesfori flori iocundi petri marci | acuti ianuariae.“ Ebd., 5. Jan., S. [5], Cod. Eptern., etc.: „Noñ [Ian.] in aff˾ […] Iocundi acuti petri marci […].“ Du Sollier, Martyrologia Hieronymiana contracta, AASS Iunii, Bd. 7 [Teil 2], 1717. Martyrologium Rhinoviense, ebd., S. 1a: „VIII Idus Ian. […] In Africa, Telespori, Acuti, Januariæ.“ Am 5. Januar wurden ebd., genannt: „Non. Ian. In Africa […] Jocundi, Petri, Marci, […].“ Vgl. Martyrologium Hieronymianum, ed. Rossi/Duchesne, AASS Novembris, Bd. 2,1, 1894, 16. Jan., S. [9], Cod. Eptern., etc.: „XVII ká rom̘ via salar̘ in cym̏ priscellae depos̘ sc̘i marcelli ep̘i | et via appia in cym̘ calesti pas̘ sc̘i anani mari via cornelia | VIIII miá in cym̘ aliorum XIII quorum nom̘ ds̏ scit […].“ Vgl. Martyrology of Tallaght, ed. Best/Jackson Lawlor (1931), 16. Jan., S. 8: „[…] Calesti. Priscillae. Ememriani et aliorum .xui. Fabiani. Honorati et aliorum martirum .xxix. Honorii et aliorum martirum .xiiii.“ Vgl. De S. Marcello Papa, Martyre, in: AASS Ianuarii, Bd. 2, 1643, 16. Jan., S. 3–14. Vgl. De Sanctis Martyribus Mario, Martha, Avdivfax, Abachvm, in: AASS Ianuarii, Bd. 2, 1643, 19. Jan., S. 214–219.

123 Friedhof des Callistus beerdigt worden ist? 75 Aber in der anderen Handschrift wird Fabian ein zweites Mal am 20. Januar behandelt. 76 || Berühmt ist der Friedhof des hl. Callistus an der Via Appia außerhalb der porta Capena, die man nun die des hl. Sebastian nennt. Hier also sind Ananus, Marius begraben worden; möglicherweise auch weitere sechzehn, unter ihnen Ememrianus und Fabianus. Honoratus, der an dieser Stelle im irischen Codex erwähnt wird, scheint überhaupt der hl. Honoratus von Arles zu sein. 77 Die, die mit den neunundzwanzig Märtyrern verbunden werden, sind vielleicht jene Soldaten, von denen das Manuskript des hl. Hieronymus bezeugt, dass sie auf der Via Cornelia ermordet worden sind, freilich kennt es nur neun; mit in einem von beiden Fällen verfälschter Zahl. In demselben Codex des hl. Hieronymus ermangelt es des Namens des Friedhofs, auf dem die dreizehn oder vierzehn begraben worden sind, jene, denen das irische Manuskript Honorius beigesellt hat. 78

Es entbehrte nicht der Problematik, den Bogen von einem der schriftlichen Tradition entwachsenen Problemzusammenhang zu den geographischen Gegebenheiten des frühchristlichen Rom zu schlagen. Die Katakombe, die der spätere Papst Calixtus I. (reg. 217–222) als Diakon unter Papst Zephyrinus (reg. 198–217) im frühen dritten Jahrhundert an der Via Appia angelegt hatte, ist der wahrscheinlich älteste christliche Gemeinschaftsfriedhof –––––––— 75 76 77

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Vgl. De S. Fabiano Papa Martyre, Romæ, in: AASS Ianuarii, Bd. 2, 1643, 20. Jan., S. 252–256. Vgl. The Martyrology of Tallaght, ed. Best/Jackson Lawlor (1931), 20. Jan., S. 10: „Fabiani.“ Vgl. De S. Honorato Episcopo Arelatensi, in: AASS Ianuarii, Bd. 2, 1643, 16. Jan., S. 15–26. Der Schluss ergab sich aus der Amtsbezeichnung im Martyrologium Hieronymianum, ed. Rossi/Duchesne, AASS Novembris, Bd. 2,1, 1894, 16. Jan, S. [9]: „[…] arilat̘ depos̏ sc̘i honorati ep̏i.“ De SS. Martyribvs Romanis. Anano, et Mario, viâ Appiâ. Militibvs IX. viâ Corneliâ. Honorio et aliis XIII., in: AASS Ianuarii, Bd. 2, 1643, 16. Jan., S. 3: „Intricata horum Martyrum nomina, à duobus solùm prodita veteribus MSS. Martyrologiis, quorum quod S. Hieronymi nomine insignitum est, ita habet: XVII. KAL. Romæ viâ Salariâ in cœmiterio Priscellæ depositio S. Marcelli Episcopi. Et viâ Appiâ in cœmiterio Calesti, passio S. Anani, Mari. Viâ Corneliâ IX. Militum. In cœmiterio aliorum XIII. quorum nomina Deus scit. Obscuriùs adhuc MS. Hibernicum Conuentus Dugalensis: Calesti, Priscillæ. Ememriani & aliorum XVI. Fabiani, Honorati, & aliorum Martyrum XXIX. Honorij & aliorum Martyrum XIV. || Prius MS. melioris est notæ, etsi mutilum. Id sequemur. De S. Marcello qui in cœmiterio Priscillæ sepultus, separatim agemus. Ememrianus & Fabianus, an sint Ananus & Marius, & vtra genuina lectio, haud facile est statuere. Marius infrà memoratur 19. Ianuarij viâ Corneliâ interfectus. Hîc nulla interpunctio erat, adeoq[ue] legi poterat: passio S. Anani. Mari viâ Corneliâ. Sed locum præponere hic codex consueuit. An non fortaßis Ananus idem, qui infrà Fabianus Papa in cœmiterio Callisti sepultus? Ast in vtroque MS. rursus 20. Ianuarij refertur Fabianus. || Celebre est S. Callisti cœmiterium viâ Appiâ extra portam Capenam, quæ nunc S. Sebastiani dicitur. Hîc ergo conditi Ananus, Marius; fortaßis & alij XVI. inter quos Ememrianus, & Fabianus. Honoratus qui hic in Hibernico codice nominatur, omnino videtur esse S. Honoratus Arelatensis. Qui subiunguntur Martyres XXIX. sunt fortaßis milites illi, quos viâ Corneliâ passos testatur MS. S. Hieronymi, licet solùm nouem agnoscat; alterutro vitiato numero. In eodem S. Hieronymi codice, cœmiterij nomen desideratur, in quo conditi XIII. aut XIV., illi quibus Honorium adiungit MS. Hibernicum.“

124 Roms. 79 Er befindet sich knapp 2,5 Kilometer jenseits der Porta S. Sebastiano – der früheren Porta Appia des aurelianischen Verteidigungswalls, an der die Via Appia die Stadt verlässt, nicht, wie Bolland bemerkte, der Porta Capena an der südlichen Seite des Circus Maximus in der Nähe der Kirche S. Gregorio al Celio, an der die Via Appia innerstädtisch ihren Ausgang nimmt. 80 In Mittelalter und früher Neuzeit wurde der Name des „Friedhofs des Calixtus“ teilweise für die Katakomben unter der Basilika S. Sebastiano verwandt, die sich im Vergleich mit der heute als Calixtuskatakombe betrachteten Anlage einige hundert Meter weiter stadtauswärts befinden, so etwa in den im 15. Jahrhundert entstandenen vernakulärsprachlichen Handschriften der Mirabilia Romae. 81 Bei dieser („Calixtus“-)Katakombe unter S. Sebastiano handelt es sich um eines jener wenigen Areale, deren Existenz im Mittelalter bekannt und die in kleinen Teilen zugänglich geblieben waren. 82 Wie der Malteser Antonio Bosio (1575–1629) in seiner – posthum veröffentlichten und von Bolland hier nicht benutzten – Roma sotterranea von 1634 bemerkte, konnte der Name des „Friedhofs des Calixtus“ aber auch als Sammelbezeichnung für Friedhöfe der Via Appia und der von dieser abzweigenden Via Ardeatina dienen. 83 Noch Luther hatte in den –––––––— 79

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Vgl. Vincenzo Fiocchi Nicolai/Fabrizio Bisconti/Danilo Mazzoleni, Roms christliche Katakomben. Geschichte – Bilderwelt – Inschriften. Aus dem Ital. übers. v. Franziska Dörr, Regensburg 22000, S. 13f.; Lucrezia Spera, The Christianization of Space along the Via Appia. Changing Landscape in the Suburbs of Rome, in: American Journal of Archaeology 107 (2003), S. 22–44, hier S. 24, 28ff.; dies., Il complesso di Pretestato sulla via Appia. Storia topografica e monumentale di un indediamento funerario paleocristiano nel suburbio di Roma (Roma sotterranea cristiana 12), Città del Vaticano 2004, S. 3f. mit Anm. 29. Vgl. Hülsen, Art. Capena porta, in: RE III,2 (1899), Sp. 1506; vgl. auch die Fiocchini Niccolai/Bisconti/Mazzoleni, Katakomben (22000), beigelegte Tafel: Frühchristliche Denkmäler in Rom und Umgebung (3.–6. Jh.). Vgl. Mirabilia Romae. Edition der deutschen Langfassung und ihrer Vorlage (LAT 14B), in: Nine Robijntje Miedema, Die „Mirabilia Romae“. Untersuchungen zu ihrer Überlieferung mit Edition der deutschen und niederländischen Texte (Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters 108), Tübingen 1996, S. 334–356, hier S. 346a: „der freithof des hailigen papbs Calixti zw sant Sebastian“. Vgl. Fiocchi Nicolai/Bisconti/Mazzoleni, Katakomben (22000), S. 9f. Diese waren besagte „S. Sebastiano“ sowie „S. Lorenzo, S. Pancrazio, S. Agnese, S. Valentino“. Ebd., S. 9. Die Einschätzungen von Wolfgang Wischmeyer, Die Entstehung der christlichen Archäologie im Rom der Gegenreformation, in: ZKG 89 (1978), S. 136– 149, hier S. 139f., der von „S. Pancrazio, S. Callisto, S. Agnese und […] S. Sebastiano“ spricht, sowie im Anschluss von Andrea Polonyi, Römische Katakombenheilige – Signa authentischer Tradition. Zur Wirkungsgeschichte einer Idee in Mittelalter und Neuzeit, in: RömQ 89 (1994), S. 245–259, hier S. 251: „S. Pancratio, S. Callisto, S. Agnese und S. Sebastiano“, reduplizieren das bekannte Areal S. Sebastiano, das zeitgenössisch eben auch S. Callisto genannt werden konnte. Vgl. ROMA || SOTTERRANEA || OPERA POSTVMA || DI ANTONIO BOSIO ROMANO || ANTIQVARIO ECCLESIASTICO || SINGOLARE DE’ SVOI

125 Tischgesprächen auf ein „Coemeterium S. Calixti“ Bezug genommen, das vermeintlich „ein halbe meile […] von Rom“ 84 gelegen sei und das in diesem Sinn kaum mehr zu identifizieren ist. Was ist von diesen insgesamt 25 Heiligen, 3 mit und 22 ohne Namen, zu halten? Nach Delehayes Kommentaren von 1931 ist von den in der Echternacher Handschrift der Calixtuskatakombe zugeordneten Ananus und Marus, die dort das Martyrium erlitten hätten, allein letzterer als eigenständiger Name zu verstehen. Dieser Marus, den Bolland bevorzugt „Marius“ schrieb, dürfte mit einem in der Echternacher Handschrift am 20. Januar verzeichne–––––––—

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TEMPI. || Compita, disposta, & accresciuta || DAL M. R. P. GIOVANNI SEVERANI DA S. SEVERINO || SACERDOTE DELLA CONGREGATIONE DELL’ORATORIO DI ROMA. || Nella quale si tratta || DE’ SACRI CIMITERII DI ROMA. || DEL SITO, FORMA, ET VSO ANTICO DI ESSI. || DE’ CVBICOLI, ORATORII, IMAGINI, IEROGLIFICI, || ISCRITTIONI, ET EPITAFFI, CHE VI SONO. || Nuouamente visitati, e riconosciuti dal Sig. OTTAVIO PICO dal Borgo S. Sepolcro, Dottore dell’vna, e l’altra Legge. || DEL SIGNIFICATO DELLE DETTE IMAGINI, E IOROGLIFICI. || DE’ RITI FVNERALI IN SEPELLIRVI I DEFONTI. || DE’ MARTIRI IN ESSI RIPOSTI, O MARTIRIZATI || NELLE VIE CIRCONVICINE. || DELLE COSE MEMORABILI, SACRE, E PROFANE, || ch’erano nelle medesime Vie: e d’altre notabili, che rappresentano || L’IMAGINE DELLA PRIMITIVA CHIESA. || L’ANGVSTIA, CHE PATI NEL TEMPO DELLE PERSECVTIONI. || IL FERVORE DE’ PRIMI CHRISTIANI. || E LI VERI, ET INESTIMABILI TESORI, CHE ROMA TIENE RINCHIVSI || SOTTE LE SVE CAMPAGNE. || Publicata dal Commendatore || FR. CARLO ALDOBRANDINO AMBASCIATORE RESIDENTE || NELLA CORTE DI ROMA PER LA SACRA RELIGIONE, ET ILL.MA MILITIA || DI S. GIOVANNI GIEROSOLIMITANO, HEREDE DELL’AVTORE. [Rom 1634], S. 195: „Da quanto habbiamo discorso nelli precedenti Capitoli, appare, che se bene nelle Vie Appia, & Ardeatina vi erano molti Cimiterij, chiamati con diuersi nomi; contuttociò veniuano à riunirsi tutti insieme, e fare vn sol corpo; il quale con nome generale era detto il Cimiterio di Calisto.“ Nach vereinzelter Begehung zugänglicher Katakomben durch die humanistischen Antiquare Roms begann sich ihre Erschließung zu intensivieren, nachdem am 31. Mai 1578 bei den Arbeiten in einem Weinberg der Eingang zu einer Katakombe auf der Via Salaria freigelegt worden war. Vgl. zur Entwicklung bis ins 18. Jahrhundert Giovanni Battista de Rossi, La Roma sotterranea cristiana. Pubblicata per Ordine della santità di N. S. Papa Pio Nono, Bd. 1, Rom 1864 (Neudruck Frankfurt a. M. 1966), S. 1–82; zur Wortgeschichte der „Calixtus“-Katakomben ebd., S. 225–235, 259–267. Die bisher letzte stadtrömische Katakombe wurde 1994 bei Bauarbeiten freigelegt. Vgl. Albrecht Weiland, Zum Stand der römischen Katakombenforschung, in: RömQ 89 (1994), S. 173–198, hier S. 175. Vgl. D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe (Weimarer Ausgabe). Tischreden [1531–1546], Bd. 2, Weimar 1913 (Neudruck Weimar 1967), Nr. 2709b, S. 609: „[…] caverno, quod vocaretur Coemeterium S. Calixti, ubi 76.000 martyres et 40 papae essent sepulti, das lieget ein halbe meile itzt von Rom, das vorhin mitten inne gelegen ist.“ Vgl. auch ders., Tischreden, Bd. 5, Weimar 1919 (Neudruck Weimar 1967), Nr. 6447, S. 667: „Romae apud S. Calixtum sepulta sunt cadavera sanctorum martyrum 176.000 et 45 pontifices martyres.“ Ebd., Nr. 6463, S. 675: „Ad Sanctum Calixtum, ubi in crypta plus quam 80.000 martyres sepulti sunt, tanta sanctitas, attamen tantum duo minoritae ibi sunt, qui omnia bona compilata papae offerunt, lassen ihnen an 6 ducaten genugen.“ Vgl. Wischmeyer, Entstehung (1978), S. 139.

126 ten Heiligen zu identifizieren sein, der dort zusammen mit – seinem Sohn – Abachus als Märtyrer am zwölften Meilenstein der Via Cornelia ausgewiesen worden war. 85 Marus ist ein in der martyrologischen Tradition breit überlieferter Perser, der mit seiner Frau Martha sowie ihren Söhnen Audifax und Abachus nach Rom gekommen und dort unter Claudius II. (reg. 268– 270) hingerichtet worden sei. Ihr Fest wurde bisweilen mit dem 19. Januar verbunden, einem Termin, den Baronio im Martyrologium Romanum präferiert hatte und dem Bolland in dieser Hinsicht folgte. 86 Bolland selbst hatte zwar erwogen, dass dieser „Marus“ von der Via Cornelia mit dem Fest des 19./20. Januar mit jenem vermeintlich am 16. Januar gefeierten „Marus“ der Via Appia und Calixtuskatakombe identisch sein könne, diesen Gedanken aber mit dem Hinweis auf das Formular der Echternacher Handschrift ausdrücklich verworfen: „Hier war keine Interpunktion, und daher hatte gelesen werden können: Martyrium des hl. Ananus. Des Marus auf der Via Cornelia. Aber dieser Codex hat den Brauch gepflegt, die Ortsangabe voranzustellen.“ Damit bezog er sich auf die Gestalt des Eintrags in der Echternacher Handschrift zum 16. Januar – „[…] et via appia in cym[eterio] calesti pas[sio] s[an]c[t]i anani mari via cornelia | VIIII mil[itum] […]“ –, die es ihm zu gestatten schien, die zuerst genannte Via Appia als Beleg für die Eigenständigkeit dieses „Marus“ und des ihm assoziierten „Ananus“ zu bewerten. Beide Namen sollten für ihn mit der Calixtuskatakombe assoziiert –––––––— 85

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Vgl. Martyrologium Hieronymianum, ed. Rossi/Duchesne, AASS Novembris, Bd. 2,1, 1894, 20. Jan., S. [11], Cod. Eptern., etc.: „XIII ká [Feb.] […] via corneá miliã | ab urbe XII mari et ambacu […].“ Vgl. Baronio, Martyrologium Romanum, sec. ed., 1589, 19. Jan, S. 36: „Romæ via Cornelia sanctorum martyrum Marij (a) & Marthæ coniugum, & filiorum Audifacis & Abachum nobilium Persarum, qui Romam temporibus Claudij principis ad orationem venerat: è quibus post toleratos fustes, equuleum, ignes, vngues ferreos, manuumque præcisionem, Martha in Nympha necata est, cæteri sunt decollati, & corpora eorum incensa.“ Ebd., S. 37 Anm a: „Agit de his item hac die Beda, Vsvardus die seque[n]ti […].“ Vgl. Martyrologe d’Usuard, ed. Dubois (1965), S. 164f., 20. Jan.: „Via Cornelia, sanctorum martyrum Marii et Marthae, cum filiis suis Audifax et Abacuc, nobilium de Persida, qui ad orationem venerant Romam, tempore Claudii principis. E quibus, post toleratos fustes, equuleum, ignes, ungues, manuum praecisionem, Martha in nimpha necata, ceteri sunt decollati, et corpora eorum incensa.“ Bedæ Venerabilis presbyteri opera historica, sect. 2: Martyrologia, juxta exemplaria Coloniense et Bollandianum, in: Venerabilis Bedæ presbyteri opera omnia ex tribus præcipuis editionibus inter se collatis, nempe Coloniensi, duabusque in Anglia studio doctissimorum virorum Smith et Giles, non sine ingenti litteratorum plausu in lucem vulgatis, novissime ad prælum revocata, meliori ordine digesta, variis monumentis aucta, et, quod maximum est, innumeris, quibus scatebant, mendis diligenter expurgata, accurante J.-P. Migne, Bd. 5 (MPL 94), Paris 1850, Sp. 797–1148, hier Sp. 816 (Ed. Colon. 1616), 19. Jan.: „Ipso die natale sanctorum Marii et Marthae, cum filiis suis, Audiface et Abacuc, nobilium de Persida, qui ad orationem venerunt Romam tempore Claudii principis; e quibus post toleratos fustes, equuleum, ignes, ungues, manuum praecisionem, Martha in puteum projecta necata est, cæteri sunt decollati, […].“ Vgl. dazu unten Anm. 87, und Quentin, Martyrologes (1908), S. 86f.

127 bleiben: „Hier also sind Ananus, Marius begraben worden“. Sie gingen ebenso wie die derart in ihrer Eigenständigkeit bekräftigten neun Soldaten der Via Cornelia in den Titel des Dossiers ein. Laut Delehaye sind diese und andere Namen, die in der Echternacher Handschrift an den Tagen des 15., 16. und 20. Januar genannt wurden, zumeist als variante Reduplikationen der persischen Familie Mar(i)us, Martha, Audifax und Abachus von der Via Cornelia zu begreifen. Bolland hatte überdies die im Titel des Dossiers geführten ortlosen dreizehn Soldaten der Echternacher Handschrift zwar gegenüber den vierzehn Soldaten des Martyrologium von Tallaght präferiert. Allerdings verband er sie mit dem im Martyrologium von Tallaght erwähnten hl. „Honorius“, den er eigentlich, mit der Echternacher Handschrift, als variante Reduplikation des – im Martyrologium von Tallaght ebenfalls genannten – „Honoratus“ (von Arles) identifiziert hatte. Die von De Buck beobachtete Tendenz, die Zahl der vermeintlichen Heiligen nicht ohne Not zu reduzieren, tritt in dieser etwas künstlichen Konstruktion Bollands deutlich in Erscheinung. Besagte 13 Soldaten (milites) wiederum verdankten, so Delehaye, ihre Existenz einem kreativen Zahlensprung. Nach dem Wortlaut des Eintrags zum 20. Januar hatten „Marus“ und „Ambacus“ ihr Martyrium am dreizehnten Meilenstein (miliarium) der Via Cornelia erlitten. Eine ursprünglichere Schreibung habe zunächst den neunten Meilenstein genannt. Diese Zahl sei auf dreizehn korrigiert und marginal vermerkt worden. Bei der Gestaltung des 16. Januar sei diese Angabe aufgegriffen und nicht als Korrektur, sondern als Ergänzung verstanden worden. Die nun überdies als milites begriffene Zahl der miliaria sei sodann in den Zweischritt von neun Soldaten an der Via Cornelia und dreizehn Soldaten vermeintlich unklarer Provenienz – „deren Namen Gott kennt“ – überführt worden. 87 Auf ähnlichen Wegen sei wohl der Name des vermeintlich in Afrika umgekommenen „Naffavianus“ entstanden, der von Bolland, wie bereits erwähnt, als „Naffanianus“ in einem eigenen Dossier behandelt wurde. 88 Dieser „Naffavianus“ des 16. Januar, so Delehaye, sei aus der Agglomeration einiger Buchstaben aus der gekürzten –––––––— 87

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Vgl. Martyrologium Hieronymianum, ed. Quentin/Delehaye, AASS Novembris, Bd. 2,2, 1931, S. 43a–b, Com. ad 16. Jan.: „Martyrum turma quae mox sequitur hisce constat nominibus: M a r i u s , M a r t h a , A u d i f a x et A b a c u c , quae, collatis codicibus, diebus ian. 15, 16, 20 facile agnoscimus. A b a c u c praemissus est heri. A n n a n u s […] est pro A u d i f a x . Locus venerationis est via Cornelia miliario XIII. Nota numeralis primum scripta erat VIIII, emendatiorem XIII corrector margini apposuit. At librarius, qui iam pro miliaribus milites VIIII intellexerat, hos XIII etiam martyres esse, casu praetermissos existimavit, addiditque a l i o r u m t r e d e c i m , quorum se nomina ignorare usitata formula testatus est: q u o r u m n o m i n a D e u s s c i t […].“ Die Schreibung „Ememrianus“ im Martyrologium von Tallaght betrachtete Delehaye als Vermischung von „Annanus“ und „Marus“. Vgl. ebd., S. 43b: „Cod. Taml: […] E m e m r i a n i vocabulum semimixtum videtur ex M a r i , A n n a n i , […].“ Vgl. oben S. 114.

128 Ortsangabe „(i)n af(rica)“ und dem am 20. Januar verzeichneten Namen „Fabianus“ hervorgegangen. Delehaye vermutete, dass „Fabianus“ im Zuge des Sprungs, den er in Form der Bildung „Naffavianus“ unter die Heiligen des 16. Januar vollziehen sollte, sowohl die Via Cornelia als auch die Märtyrer Marus und Abachus in Form der Namen „Marus“ und „Annanus“ mit sich gezogen haben könnte. 89 Sämtliche 25 Heilige, die in den Acta Sanctorum am 16. Januar mit einem eigenen Dossier bedacht wurden, dürften nach heutiger Kenntnis also jenseits der martyrologischen Überlieferung kein realhistorisches Gegenstück besessen haben. Sie scheinen ohne Ausnahme das Produkt eines irritierenden Verschriftlichungsprozesses zu sein, der in seiner Charakteristik weniger auf traditionale Missverständnisse schließen lässt, sondern die Züge einer willentlichen Vervielfältigung der Namen der Heiligen trägt. Eine qualitative Interpretation dessen steht noch aus, zumal die Mediävistik nach Delehaye ihr Augenmerk nicht unbedingt auf diese für das Formular der Martyrologien strukturtragenden Bestände „spätantiker“ Namen gerichtet hat. Felice Lifshitz dürfte unlängst einen wichtigen Schritt in diese Richtung getan haben, indem sie die frühen Martyrologien als liturgisches Schrifttum begriff und es mit den sich frühestens seit der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts in der Kirche verbreitenden Heiligenlitaneien in Verbindung brachte. 90 –––––––— 89

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Vgl. Martyrologium Hieronymianum, ed. Rossi/Duchesne, AASS Novembris, Bd. 2,1, 1894, 20. Jan., S. [11], Cod. Eptern., etc.: „XIII ká rom̘ pas̘ sc̘i sebastiani fabiani ep̏i via corneá miliã | ab urbe XII mari et ambacu […].“ Martyrologium Hieronymianum, ed. Quentin/Delehaye, AASS Novembris, Bd. 2,2, 1931, S. 43a, Com. ad 16. Jan.: „Principium sumatur ab Africano laterculo, et quidem a nomine N a f f a v i a n i , quod procul dubio corruptum est, et, ni fallor, ex mutilo i ] n a f [ r i c a ] f a v i a n i seu Fabiani. Quisquis ille fuit Fabianus, de romano pontifice cognomine cogitavit interpolator, qui a die 20. ian., quo Fabianus pontifex cum Sebastiano colitur, loci indicium advexit v i a A p p i a i n c i m i t e r i o C a l l i s t i ; hoc autem secum traxit sanctos qui via Cornelia iacebant, et quorum natalis eodem die agebatur.“ Vgl. Lifshitz, Name (2006), S. 3ff., 23–29. Dies würde die Frage aufwerfen, ob die Reduplikation der Namen nicht auch klangliche oder rhythmische Implikationen aufweist. Grundsätzlich scheint man keineswegs nur von einem unbedachten Fortschreiben, Wiederholen oder Verunstalten der Bestände ausgehen zu können. Die kürzeren der Martyrologia Hieronymiana weisen nicht notwendig die exuberante Vervielfältigung der sogenannten Vollmartyrologien auf. Gegenüber den einfacher zu identifizierenden Heiligen wie Honoratus von Arles oder Papst Marcellus haben etwa das Agglomerat „Naffavianus“ und das variante Reduplikat „Ananus“ nicht Eingang in die Rheinauer und Reichenauer Versionen gefunden. Ob es sich um Zufall oder, auf welcher Stufe auch immer anzusetzende, frühe Versuche handelte, plausiblere von unklar anmutenden – oder als unbedeutend eingestuften – Heiligen zu sondern, um ein Basisformular für nach lokalen Interessen zu modifizierende Martyrologien zu gewinnen, bliebe zu untersuchen. Vgl. Du Sollier, Martyrologia Hieronymiana contracta, AASS Iunii, Bd. 7 [Teil 2], 1717. Martyrologium Rhinoviense, ebd., S. 1a: „XVII Kal. Feb. Romæ, Marcelli Papæ. Passio Marthæ. In Africa, Fausti.“ Martyrologium

129 In den Studien Duchesnes, Achelis’, Quentins und Delehayes verkörpert sich gegenüber Bolland ein schleichender, im Ergebnis aber substantieller Wandel der Heuristik. Sie gingen nicht mehr davon aus, dass die Bestände der Martyrologia Hieronymiana als Zeugnisse für das Martyrium einzelner Heiliger von Bedeutung waren, sondern konzentrierten sich auf deren interne und, in Ansätzen, traditionale Strukturen. Ohne Frage dürfte sich aber auch den Leserinnen und Lesern von Dossiers wie dem zitierten erschlossen haben, das in der martyrologischen Überlieferung mit essentiellen Schwierigkeiten zu kalkulieren ist. Ungeachtet der harten Worte De Bucks sollte überdies nicht davon ausgegangen werden, dass Bollands Umgang mit den Martyrologien im 19. Jahrhundert obsolet geworden sei. Der Bollandist Joseph Van den Gheyn (1854–1913) verfuhr in einem 1894 veröffentlichten Dossier zu insgesamt zwölf Märtyrerinnen und Märtyrern mit Namen Primus, Caesarius, Gregorius, Porphyrius, Saturus, Amantus, Publius, Secunda, Victorina, Perpetua, Victor, Quartus, die an einem 4. November in Afrika ihr Leben gelassen hätten, im Grundsatz genauso wie Bolland. Van den Gheyn bemerkte, dass die Namen dieser Heiligen durch keinerlei Zeugnisse jenseits der martyrologischen Tradition verbürgt seien, so dass er sich auf die Diskussion der Namen selbst zu beschränken habe. 91 Gesamtheitlich würden diese in der Berner Handschrift sowie in der – bereits von d’Achery publizierten und vor 1100 entstandenen – Version aus Corbie aufgelistet. Die Echternacher Handschrift, in der Diktion Van den Gheyns als Codex Antverpiensis bezeichnet, weise hingegen dreizehn Namen auf, da „Caesarius“ redupliziert worden sei. 92 In der Reichenauer Version des –––––––—

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Richenoviense, ebd., S. 5b: „XVII Kal. Febr. Romæ, Marcelli Papæ. Passio Marthæ. Affrica, Fausti. Arelato, depositio Honorati episcopi.“ Demgegenüber verzeichneten die umfangreicheren Versionen an diesem Tag durchgängig Bildungen der Formen „Ananus“ und „Naffavianus“. In der Berner Handschrift lauteten sie: „audeini“ und „frauiani“, in der Weißenburger Handschrift „audĊini“ und „frauiani“. Vgl. Martyrologium Hieronymianum, ed. Rossi/Duchesne, AASS Novembris, Bd. 2,1, 1894, 16. Jan., S. [9], Cod. Bern; Cod. Wissenb. Haubrichs, Zeugnisse (1978), hat die Frage nach punktuellen Erweiterungen des Heiligenbestands in den kleineren Martyrologien mit kultgeschichtlichen Entwicklungen im Kloster Reichenau und im südwestdeutschen Raum in Beziehung setzen können. Die umgekehrte Blickrichtung, weshalb bestimmte Heilige aus Teilen der martyrologischen Überlieferung verschwanden, scheint demgegenüber weniger beachtet worden zu sein. Vgl. J[oseph] V[an] d[en] G[heyn], De SS. Primo, Caesario, Gregorio, Porphyrio, Saturo, Amanto, Publio, Secunda, Victorina, Perpetua, Victore, Quarto, Martyribus in Africa, in: AASS Novembris, Bd. 2,1, 1894, 4. Nov., S. 232f., hier S. 232a: „[…] hucusque nec in Passionibus ullis, nec in monumentis archaeologicis bene multis, quæ praesertim hisce ultimis temporibus ad illustrandum martyrologium Africanum reperta sunt, quicquam prodiit quod ad notitiam istorum martyrum sive de rebus gestis, sive de tempore, conferret. Proin, illas, quas sola nominum enuntiatio suggerit animadversiones, heic inseruisse contenti simus oportet.“ Vgl. ebd.: „Codices Bernensis et Corbeiensis maior seriem integram referunt, cuius hic est tenor: In Africa, Primi, Cesarii, Gregorii, Porfiri, Amanti, Publii, Saturi,

130 Martyrologium Hieronymianum würden – wie Van den Gheyn nicht ganz genau bemerkte – sechs dieser Namen genannt, in einem von ihm als Codex Blumianus apostrophierten Martyrolog hingegen drei sowie ein weiterer, nämlich ein gewisser „Beatus“. Dieser sei entweder als Verschreibung von „Quartus“ oder als dessen ansonsten nicht belegtes Epitheton zu bewerten.93 –––––––—

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SecundĊ, VictorinĊ, PerpetuĊ, Victoris, Quarti; scilicet duodecim. Antverpiensis habet tredecim, quia bis repetit Caesarium.“ Vgl. Martyrologium Hieronymianum, ed. Rossi/Duchesne, AASS Novembris, Bd. 2,1, 1894, 4. Nov., S. [139], Cod. Bern.: „PRID. NON. NO. IN AFRICA. Primi. Cesarii. Gregorii. ‚porfiriǥ Amanti. Publii. ‚saturiǥ SecundĊ. UictorinĊ PerpetuĊ. Uictoris Quarti.“ Ebd., 4. Nov., Cod. Eptern., etc.: „II N nõ in aff˾ nt̘ primi cessari grigori porfyri amanti saturi cessari victurinae et perpetuĊ | subli [!] secundae victoris quarti […].“ Martyrologivm vetvstissimvm S. Hieronymi presbyteri nomine insignitvm, in: D’Achery, Spicilegivm, Bd. 4, 1661, S. 617–688, hier S. 681: „PRIDIE. NON. NOVEMB. In Africa, natalis sanctorum Primi, Cæsarij, Gregorij, Porphyrij, Saturi, Amanti, Publij, Secundæ, Victorinæ, Perpetuæ, Victoris, Quarti.“ Vgl. zur Handschrift (Paris, B. N. F., lat. 12410) Borst, Kalenderreform (1998), S. 204. Vgl. Van den Gheyn, De SS. Primo, Caesario, Gregorio, Porphyrio, Saturo, Amanto, Publio, Secunda, Victorina, Perpetua, Victore, Quarto, Martyribus in Africa, AASS Novembris, Bd. 2,1, 1894, 4. Nov., S. 232b: „[…] in Blumiano Amantius, Secundus, Victorinus et Beatus, qui ubique deest in aliis, et vel Quarti, per errorem librarii, locum tenet vel epitheton extat omissi nominis proprii; in Richenoviensi Primus, Gregorius, Amantius, Saturus, Victurina, Perpetua; […].“ Nicht angesprochen hatte Van den Gheyn, dass die beiden zuletzt genannten Heiligen in der Reichenauer Version von der afrikanischen Gruppe abgesetzt verzeichnet waren. Vgl. Du Sollier, Martyrologia Hieronymiana contracta, AASS Iunii, Bd. 7 [Teil 2], 1717. Martyrologium Richenoviense, ebd., S. 14a: „Prid. Non. Nov. In Affrica, Primi, Gregorii, Amantii, Saturi […]. Et in Nicea, Domnini. Alibi, Victurinæ & Perpetuæ.“ Mit dem Codex Blumianus wird normalerweise, nach seinem ehemaligen Besitzer Baron Heinrich Julius von Blum(e) (1622–1688), die Weißenburger Handschrift bezeichnet. Deren Edition durch Rossi und Duchesne weist allerdings einen in Van den Gheyns Sinne „vollständigen“ Bestand der zwölf Märtyrerinnen und Märtyrer auf und nennt keinen „Beatus“. Vgl. Martyrologium Hieronymianum, ed. Rossi/Duchesne, AASS Novembris, Bd. 2,1, 1894, S. [139], Cod. Wissenb.: „PRID. NO. NOU. In afreca [!] nat̏ sc̏orNJ primi caesari gregori porfiri saturi amanti publi secundae uictorinae perpetuae uictoris quarti […].“ Da Van den Gheyn insgesamt nicht auf diese – im selben Band der Acta Sanctorum publizierte – Ausgabe zu sprechen kam, ist davon auszugehen, dass die Arbeit an diesem Dossier ohne Rücksprache mit Rossi und Duchesne vonstatten ging. Grundsätzlich besaß man in Antwerpen seit dem 17. Jahrhundert Kenntnis von dieser Handschrift. Henschen scheint Blum nach der Fertigstellung der Märzbände – oder kurz vor Vollendung derselben – um die Abgleichung mit den Einträgen des Weißenburger Manuskripts gebeten zu haben. Vgl. Blum an Henschen, Wien, 7. Mai 1665, in: Une lettre du Baron Henri-Jules de Blum au P Henschenius sur le Martyrologe hiéronymien, in: Anal. Boll. 16 (1897), S. 177–180, hier S. 177: „Martium mensem, quem vestra Reverenda Paternitas prioribus suis literis ad me misit, cum manuscripto meo martyrologii contuli, neque admodum ab illo differe cognovi; […].“ Im Anhang sandte Blum(e) das – in der Bibliothèque royale erhaltene – Ergebnis seiner Arbeit. Vgl. ebd. Anm. 5. Die ersten Verweise auf den Codex Blumianus sind, wenn ich recht sehe, in den Märzbänden anzutreffen. Vgl. etwa De Sanctis nongentis et decem Martyribvs Romanis, in: AASS Martii, Bd. 1, 1665, 4. März, S. 308f., hier S. 308a; De Sanctis Martyribvs Romanis Ivlio Episc. Roto &

131 Genauer betrachtet sei „Amantius“ wohl mit dem am selben Tag gefeierten Amantius von Rodez – dem vielleicht ersten Bischof dieser Stadt im 5. Jahrhundert – identisch, zumal „dieser Name Amantius in Afrika durchaus ungewöhnlich klingt.“ 94 Analoges könne für „Porphyrius“ angenommen werden, der am selben Tag als kappadokischer Märtyrer gefeiert wurde und „vollständig von den afrikanischen“ Märtyrern zu unterscheiden sei. 95 Besagter „Gregorius“ wiederum mochte mit dem heiligen Abt Gregor von Cerchiara († 999) zusammenfallen, dessen seinerseits am 4. November gedacht wurde, und „Perpetua“ könne die gleichnamige Gattin des Apostels Petrus sein, die nach patristischen Autoren in Rom das Martyrium erlitten hatte und deren Fest in einigen usuardinischen Martyrologien am 4. November vermerkt worden sei. 96 Die übrigen Namen dieser Gruppe seien jedoch –––––––—

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aliis XXVII., in: ebd., 4. März, S. 309a. Möglicherweise gelangten die Bollandisten später in den Besitz umfangreicherer Abschriften, welche noch Van den Gheyn als Vorlage dienten. Den Konvertiten Blum(e) scheinen Henschen und Papebroch am 18. August 1660 auf ihrem Weg nach Rom anlässlich eines Abendessens beim Mainzer Erzbischof und Kurfürsten Johann Philipp von Schönborn (1605–1673), bei dem auch Gamans zugegen war, kennengelernt zu haben. Vgl. Papebroch, Tagebuch/Diarium, ed. Kindermann (2002), S. 76/318; vgl. zu Blum(e) selbst Friedhelm Jürgensmeier, Johann Philipp von Schönborn (1605–1673) und die römische Kurie (Quellen und Abhandlungen zur mittelrheinischen Kirchengeschichte 28), Mainz 1977, S. 235 mit Anm. 168a, S. 281f. Vgl. zur möglichen Korrespondenz zwischen Blum(e) und Papebroch Thomas Cerbu, Conversion, Learning, and Professional Choices. The Case of Heinrich Julius Blume, in: Zedelmaier/Mulsow (Hrsg.), Praktiken (2001), S. 179–218, hier S. 213 mit Anm. 128. Die Annahme der Existenz von Briefen geht auf die Aussage von Heinrich Julius von Blum an Leibniz, Prag, 27. März 1688, in: Leibniz, Schriften, Reihe 1: Briefwechsel, Bd. 5 (1954), Nr. 29, S. 80, zurück: „Il y a pres de trente ans, que j’ay correspondance avec le Pere Daniel Papenbroek de la Compagnie de Jesus, […].“ Vgl. Van den Gheyn, De SS. Primo, Caesario, Gregorio, Porphyrio, Saturo, Amanto, Publio, Secunda, Victorina, Perpetua, Victore, Quarto, Martyribus in Africa, AASS Novembris, Bd. 2,1, 1894, 4. Nov., S. 232b: „[…] Amantius qui apparet in ista societate martyrum Africanorum, non alius esse videtur ac S. Amantius, episcopus Ruthenensis in Gallia, cuius hodie etiam memoria agitur.“ Ebd., S. 233a: „[…] illud nomen Amantii in Africa prorsus insolitum sonat.“ Vgl. dazu C[orneille] D[e] S[medt], De Sancto Amantio Episcopo Ruthenensi in Gallia, in: ebd., 4. Nov., S. 270–286. Vgl. Van den Gheyn, De SS. Primo, Caesario, Gregorio, Porphyrio, Saturo, Amanto, Publio, Secunda, Victorina, Perpetua, Victore, Quarto, Martyribus in Africa, AASS Novembris, Bd. 2,1, 1894, 4. Nov., S. 233a: „[…] eodem die celebratur Porphyrius Ephesinus martyr, omnino ab Africanis diversus.“ Vgl. J[oseph] V[an] d[en] G[heyn], De S. Porphyrio Martyre in Caesareae in Cappadocia, in: ebd., 4. Nov., S. 227–232. Vgl. Van den Gheyn, De SS. Primo, Caesario, Gregorio, Porphyrio, Saturo, Amanto, Publio, Secunda, Victorina, Perpetua, Victore, Quarto, Martyribus in Africa, AASS Novembris, Bd. 2,1, 1894, 4. Nov., S. 233a: „Et Perpetua, quæ occurrit ibidem, nonne ea est S. Perpetua, uxor S. Petri, quam colunt hodie fasti Usuardini? Idem forsan de Gregorio dicendum qui unus esse potest cum Gregorio, abbate Porcetano, quem celebrant hac die aliqui fasti hagiologici, unde eius nomen intrusum est in quosdam codices hieronymianos.“ Vgl. A[lbert] P[oncelet], De S. Gregorio fundatore et primo Abbate monasterii Porcetensis, in: ebd., 4. Nov., S. 458–477; J[oseph] V[an]

132 als stabil tradiert zu bezeichnen, sähe man davon ab, dass gelegentlich „Sublus“ für „Publus“ geschrieben worden sei, im Codex Blumianus „Victorina“ für „Victorinus“ stünde und häufiger auch „Secunda“ und „Secundus“ vertauscht worden seien. 97 Über den Zeitpunkt des Todes dieser Märtyrer, deren historische Existenz für Van den Gheyn trotz allem nicht grundsätzlich in Frage gestanden zu haben scheint, sei indes nichts Sicheres zu sagen, außer, dass er sich nicht zur Zeit der Verfolgung der Christen durch die Vandalen zugetragen haben dürfte, da die Opfer aus dieser Epoche nicht in den hieronymianischen Martyrologien verzeichnet worden seien. 98 Wie Bolland so verband Van den Gheyn mit der Reihung zahlreicher Belegstellen die Vorstellung verdichteter Evidenz. Die Frage nach dem Verhältnis von korrekten und unkorrekten Schreibungen wurde hier wie dort durch mehrheitliche Voten und die Bildung größerer Schnittmengen, nicht durch textgenetische und textinterne Analysen entschieden: „Secunda“ oder „Publ(i)us“ waren die korrekten Schreibungen, weil sie in den meisten Zeugnissen an diesem Tag und in dieser Form in Erscheinung traten. Die Datierung der Textzeugen oder ihre möglichen Beziehungen untereinander spielten hingegen noch in Van den Gheyns Erörterungen keine argumentative Rolle. Da das Prinzip des mehrheitlichen Votums auch über die Fixierung des Festtags entschied, mochte es Van den Gheyn überdies als entbehrlich empfunden haben, anzumerken, dass einige der Namen dieser in Afrika umgekommenen Märtyrer, in ganz anderen räumlichen Konstellationen, auch am folgenden Tag des 5. November anzutreffen waren. 99 Gegenüber –––––––—

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d[en] G[heyn], De S. Perpetua uxore S. Petri Apostoli, Martyre Romæ, in: ebd., 4. Nov., S. 219–221; vgl. zu dieser hl. Perpetua die Nachweise im Rahmen der Ausgabe von Du Sollier, Martyrologii Usuardini. Pars secvnda. A Mense Julio, in: AASS Iunii, Bd. 7 [Teil 2], 1717, S. 372–779, hier die Avctaria ad Prid. Non., ebd., S. 651a. Vgl. Van den Gheyn, De SS. Primo, Caesario, Gregorio, Porphyrio, Saturo, Amanto, Publio, Secunda, Victorina, Perpetua, Victore, Quarto, Martyribus in Africa, AASS Novembris, Bd. 2,1, 1894, 4. Nov., S. 233a: „Ad cetera nomina quod spectat, satis inter se conveniunt codices, cum hoc tantum discrimine quod alicubi pro Publi scribatur mendose Subli, in Blumiano Victorina fiat Victorinus, et interdum alii misceant Secundam et Secundum.“ Vgl. ebd., S. 233b: „De tempore quo nostri martyres sunt passi, certi quicquam asserere non datur. Id unum fas est affirmare eos minime pertinere ad persecutionem Vandalorum, quoniam in martyrologio hieronymiano nullus commemoratur martyr hoc aevo peremptus.“ Dies betraf die Namen „Gregor(i)us“, „Publ(i)us“, „Amantus“, „Secunda“, „Quartus“ und neben der Ortsbezeichnung „C(a)es(s)ari(e)a“ auch den Personennamen „C(a)esar(i)us“. Vgl. Martyrologium Hieronymianum, ed. Rossi/Duchesne, AASS Novembris, Bd. 2,1, 1894, 5. Nov., S. [139], Cod. Wissenb.: „NON. NOU. In caesaria cappaÿ nat̏ sc̘orum domini caesari antonini epefani gregori appini saturnini amanti publi In campania cinjit nat̏ sc̘orum marciae et secundae capua ciuit̏ nat̏ sc̏ornj euras et quarti“. Ebd., 5. Nov., Cod. Bern.: „NON. NOU. IN CESAREA. cappadocie. Domini. Cesarii. Antonini. et alibi. Epefani Gregorii. Appini. Saturnini. Amanti. Publii. IN CAMPANIA Ciuit̘ Marci ep̏i et Secunde. CAPPUA CIUIT. […] Quarti conf̏ […].“ Ebd., 5. Nov., Cod. Eptern., etc.: „No nõ cessar̘ cappõ domini in capua

133 dem Vorgehen Bollands artikulierte sich daher in Van den Gheyns Dossier keine qualitative Veränderung. Angesichts der Eigenarten der martyrologischen Traditionen hat, aus editorischer Sicht, der sich seit dieser Zeit etablierende Primat des Textgenetischen auf dieses Schrifttum eine nur relative Wirksamkeit ausgeübt. Du Solliers breit kompilierende Ausgabe der usuardinischen Martyrologien aus den Jahren 1709 und 1717 war in diesem Sinn das frühe Prunkstück eines Verfahrens, das, systematisiert, genuine Schreibungen zwar kaum mit Sicherheit bestimmen, allerdings die Breite des Traditionsprozesses abzubilden vermochte. Im Fall der ihm in weit geringerer Zahl zur Verfügung stehenden und weniger dicht überlieferten Martyrologia Hieronymiana schien es ihm hingegen sinnvoller zu sein, nachdem sie bereits seit Jahrzehnten in den Acta Sanctorum zitiert worden waren, zumindest die kürzeren eigenständig abzudrucken. Weshalb er nicht auch den Bestand der Echternacher Handschrift druckte, ist schwer zu sagen. Möglicherweise standen dem nach wie vor die früheren Besitzer entgegen, möglicherweise scheute er aber auch den Aufwand, da diese Ausgaben nur Supplemente zu den eigentlichen Arbeiten an den Acta Sanctorum waren. Nach Rossi und Duchesne, denen es noch ratsam erschien, die ältesten und umfangreichsten Textzeugen simultan zu edieren, versuchte sich erst der Benediktiner Quentin an einer kollationierenden Ausgabe, die auf einen zu rekonstruierenden Primärtext ausgerichtet war. Dieser Anspruch korrespondierte mit den seit der Jahrhundertwende einsetzenden Debatten um die Entstehung eines möglichen „Urtexts“ des Martyrologium Hieronymianum: in Auxerre zwischen 592 und 599, wie Duchesne vermutete, oder in Luxeuil 627/28, wie von Bruno Krusch (1857–1940) angenommen. 100 Aus kultgeschichtlicher Sicht –––––––— 100

quarti confes̏ in ecas marci | ep̏i cessari antonini et alibi epifani gregori appimi saturnini | amanti pupli camp̏ civƭ capua marci et secundae quarti“. Vgl. Krusch, Martyrologium (1895), S. 439f.; ders., Zur Afralegende und zum Martyrologium Hieronymianum. Eine Entgegnung, in: Neues Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde 24 (1899), S. 287–337; ders., Nochmals das Martyrologium Hieronymianum, in: Neues Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde 26 (1901), S. 349–389; Louis Duchesne, À propos du martyrologe hiéronymien, in: Anal. Boll. 17 (1898), S. 421–447; ders., Un dernier mot sur le martyrologe hiéronymien, in: Anal. Boll. 20 (1901), S. 241–245. Die Parteinahme für die eine oder andere Hypothese fixierte sich lange Zeit an der Grenze zwischen Kirchengeschichte und säkularer Geschichtswissenschaft. Vgl. Ó Riain, Phase (2002), S. 314f. mit Anm. 16. Durchgesetzt hat sich die Ansicht Duchesnes. Vgl. zusammenfassend Borst, Kalenderreform (1998), S. 202: Das in die Echternacher Version mündende „Martyrologium hieronymianum […] war in Norditalien, wahrscheinlich in oder bei Aquileia, nach mehreren griechischen, nordafrikanischen und römischen Mustern um 450 angelegt, im burgundischen Auxerre um 592 im Blick auf gallische Traditionen überarbeitet und danach mehrfach verändert worden. || Erhalten blieben nur eine Handvoll Handschriften aus dem 8. Jahrhundert und später; […].“ Da aus dem frühmittelalterlichen Italien keine nennenswerte Überlieferung der Martyrologia Hieronymiana nachzuweisen ist („The Phantom Recensio Italica“), plädiert

134 sind in diesem Fall sicherlich kompilierende Ausgaben zu begrüßen, wie sie unlängst Overgaauw in seiner bereits genannten Arbeit zu den usuardinischen Martyrologien vorgelegt hat. Beide Ansätze, die Suche nach dem originalen Textbestand und die Frage nach der kult- und überlieferungsgeschichtlichen Realität, die sich in späteren Modifikationen verkörperte oder verkörpern konnte, haben analytisch und editorisch ihre Berechtigung. Die Struktur der Dossiers der Acta Sanctorum tendierte dazu, vor allem letzterem Rechnung zu tragen. Die Ausrichtung an einem idealen Heiligenkalender setzte jedoch die Möglichkeit einer stabilen Zuordnung von Heiligen zu einzelnen Festtagen voraus. Mit dem Entschluss, aus den Martyrologia Hieronymiana eigene Dossiers abzuleiten, war dieser Gedanke jedoch, wie sich wahrscheinlich erst im Laufe der Zeit herausgestellt haben dürfte, schwer zu vereinbaren. Zwar konnten in den Kommentaren, bis zu einem gewissen Umfang, abweichende und heterogene Befunde präsentiert werden. Hatte man allerdings mit besagten Doubletten und varianten Reduplikationen zu tun, ließ es sich kaum entscheiden, welcher Festtag oder Name der „eigentliche“ war („Marius“ oder „Marus“). In der Auseinandersetzung mit diesen Problemen verfügte noch Van den Gheyn über keine konsistente Strategie. Überdies war es nicht so, dass die Martyrologia Hieronymiana im Besonderen und handschriftliche Überlieferungsträger im Allgemeinen die einzigen der von den frühen Bollandisten benutzten Martyrologien darstellten. Von Tag zu Tag und von Dossier zu Dossier ging es Bolland und Henschen zunächst darum, Belege für die Festtage der jeweiligen Heiligen zusammenzutragen, so dass ein insgesamt summierendes Vorgehen dominierte. Frühmittelalterliche Martyrologien beanspruchten hier nicht größere Autorität als Drucke des 16. Jahrhunderts. An dieser Stelle sei nur exemplarisch auf drei Martyrologien verwiesen, die häufiger genannt wurden. Unter dem Namen eines Martyrologium Coloniense firmierte in den Acta Sanctorum ein unter den Liturgica der Bibliothèque royale erhaltener und vermutlich von Rosweyde umfangreich glossierter Kölner Druck des Martyrologiums des Usuard von 1521. Der Druck trägt auf der Versoseite des Vorsatzblatts den Vermerk: „Usuardi martyrologium cum add. mss. Colon. 1521.“ 101 Nach Aussagen Bollands war er von den Kölner Kartäusern erarbeitet und erstmals 1515 publiziert worden. 102 Es handelte sich um die Er–––––––— 101

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jetzt Lifshitz, Name (2006), S. 14f., 18f., 133–138, entschieden für Kruschs Hypothese. Vgl. Martyrologium vsuardi mona || chi quod ad karolum magnum scripsit. Cum addi- || tionibus olim ex diuersis martyrologijs collectis, et adiectis atq[ue] in non paucis locis auctis [Köln 1521] [unpaginiert], BRB, Ms. 14649 (499), fol. 1r–143r, Vorsatzblatt verso. Vgl. Bolland, Praefatio, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, S. LIa: „Editum idem fuit, sed auctum, Coloniæ anno 1490. cum Aureâ Legendâ; […]. Idem Vsuardi Martyrologium à Venerabilibus Patribus Carthusiæ Coloniensis auctum, editum anno 1515. & 1521.“

135 weiterung einer bereits 1490 gedruckten, ihrerseits um Heilige der Kölner Tradition ergänzte Ausgabe dieses Martyrologs, das auf die Studien des Kartäusers Hermann Greven († 1477/80) zurückzuführen ist. 103 Zitiert wurde es beispielsweise in einem Dossier des 5. Januar, da es einige Namen frühchristlicher Märtyrerinnen und Märtyrer enthielt, die, in einer umfangreicheren Serie, den Echternacher und Rheinauer Handschriften des Martyrologium Hieronymianum entnommen werden konnten, 104 sowie in einem analogen Dossier des 9. Januar. 105 Den selben Tag betreffende Einträge wurden ferner in den Dossiers des Abts Hadrian von Canterbury († 709/10), des Erzbischofs Brithwald von Canterbury († 731) und des vielleicht an der Wende zum 8. Jahrhundert lebenden Abts Filanus aus der schottischen Grafschaft Fife wiedergegeben, um hier nur einige zu nennen. 106 –––––––— 103

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Vgl. Baudouin de Gaiffier, Le martyrologe et le légendier d’Hermann Greven, in: Anal. Boll. 54 (1936), S. 316–358, hier S. 318–329. Bolland zitierte den Druck von 1521 bisweilen unter Grevens Namen. Vgl. unten S. 137 Anm. 111. Vgl. De Sanctis Martyribvs Africanis Felice, Secvndo, Honorio, Lvciano, Candido, Ianvaria, Cælifloria, Ivcvndo, Acvto, Petro, Marco, Severo, Anastasia, Telesphoro, in: AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, 5. Jan., S. 240a: „Horum nomina extant in Martyrologio S. Hieronymi: In Africâ, Felicis, Secundi, Honorij, Luciani, Candidi, Ianuariæ […]. MS. Rhinovv. In Africâ Felicis, Secundi, Luciani, Iocundi, […].“ Ebd., S. 240b: „Vsuardi editio Coloniensis anni 1521. In Africâ, Felicis, Secundi, Honoris, Luciani, Candidi, Ianuarij.“ Vgl. Martyrologium Hieronymianum, ed. Rossi/Duchesne, AASS Novembris, Bd. 2,1, 1894, 5. Jan., S. [5], Cod. Eptern., etc.: „Non̘ [Ian.] in aff˾ felicis secundi honori luciani candidi ianuariae […].“ Du Sollier, Martyrologia Hieronymiana contracta, AASS Iunii, Bd. 7 [Teil 2], 1717. Martyrologium Rhinoviense, ebd., S. 1a: „Non. Ian. In Africa, Felicis, Secundi, Luciani, Iocundi […].“ Martyrologium vsuardi monachi [Köln 1521], BRB, Ms. 14649 (499), fol. 10v: „Nonis ianuarij. dies quintus. || […] Jn affrica felicis. secundi. honoris. luciani. candidi. ianuarij.“ Vgl. De Sanctis Martyribvs Africanis Epicteto, Qvincto, Secvndo, Ivcvndo, Satvrnino, Vitale, Qvincto, Vincentio, Felicitate, item Qvincto, Felice, Artaxe, Fortvnato, Rvstico, Sillo, Qvieto, Picto, & aliis quinque, in: AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, 9. Jan., S. 567a: „Horvm Sanctorum Martyrum Acta interciderunt, nomina in martyrologiis extant. Vetustißimum MS. S. Hieronymi: In Africâ Epicteti, Quincti, Secundi, […].“ Ebd., S. 567b: „Carthus. Colon. in Addit. ad Vsuard. In Africâ, Iocundi, Quinti, Saturi (fortè Saturnini) Martyrum.“ Vgl. Martyrologium Hieronymianum, ed. Rossi/Duchesne, AASS Novembris, Bd. 2,1, 1894, 9. Jan., S. [6], Cod. Eptern., etc.: „V idus [Ian.] in aff˾ epicteti quinti secundi […].“ Martyrologium vsuardi monachi [Köln 1521], BRB, Ms. 14649 (499), fol. 11v–12r: „Quinto idus ianuarij. dies. ix. || […] In aphrica: iocundi. q[ui]nti. saturi. martyr[um].“ Vgl. ebd., fol. 12r: „[…] Bertwaldi archiep[iscop]i cantuariens[is] [con]fes[soris]. Jn cancia. adriani abbatis [con]f[essoris]. Jpso die. felani abbat[is] [con]fessoris.“ Vgl. De S. Filano, sive Felano, Abbate in Scotia, in: AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, 9. Jan., S. 594f., hier S. 594a: „Fillanus quoque, Felanus, & Philanus appellatur. Carthusiani Colonienses in Additionibus ad Vsuard. excusis an. Ch. 1515. & 1521. Ipso die Felani Abbatis Confessoris.“ De S. Adriano Abbate, in Anglia, in: ebd., 9. Jan., S. 595–597, hier S. 595a: „[…] & Carthusiani Colon. in Addit. ad Vsuardum: In Cantiâ Adriani Abbatis & Confessoris.“ De S. Brithvvaldo, sive Berthvvaldo Archiepiscopo Cantvariensi, in: ebd., 9. Jan., S. 597f., hier S. 597a: „Sancti Berthvvaldi, vel Brithvvaldi, aut Berechtvvaldi natalem IX. Ianuarij celebrant Carthusiani Coloniens. in Addit. ad Vsuard. Bertvvaldi Archiepiscopi Cantuariensis Confessoris, […].“

136 Nicht alle der in den Acta Sanctorum namentlich genannten Martyrologien lagen Bolland und Henschen in ganzheitlicher Form vor, sei es im Original, sei es in Abschrift. In den handschriftlichen Glossen, mit denen der Kölner Druck ausgestattet worden war, verkörpert sich ein weiteres in den Acta Sanctorum regelhaft zitiertes Martyrolog. Die Glossen gingen auf die Abgleichung des Kölner Drucks mit einem usuardinischen Martyrolog der Brüsseler Kartause zurück, dessen abweichende Bestände marginal als additiones vermerkt worden waren. Bolland zählte diese additiones – pars pro toto – zu den „nicht wenige[n] andere[n] Vertreter[n]“ usuardinischer Martyrologien, über die man verfüge. 107 Er zitierte sie beispielsweise im Dossier des Erzbischofs Sulpicius (II.) von Bourges († 646/47), dessen aktuelle Grablege sie für einen Ort mit Namen „Abresouse“ verzeichneten, der allerdings nicht zu identifizieren sei. 108 Im Dossier des hl. Ignatios von Antiocheia († spätestens 117?) erwähnte Henschen, dass nach diesen Glossen das Fest seiner Translation am 17. Oktober gefeiert werde. 109 In den –––––––— 107

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Vgl. zu der in ihrer Existenz fraglichen Person des Heiligen Ferdinand Rupert Prostmeier, Art. Ignatios, in: LThK, Bd. 5, 31996, Sp. 407–409, hier Sp. 408. Vgl. Bolland, Praefatio, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, S. LIa: „Alia habemus complura Vsuardi exemplaria, sed in quibus & amplificata Sanctorum elogia, & plurium nomina adscripta, qualia Ecclesiarum Pragensis, & Bruxellensis, multorumque monasteriorum, quæ non attinet hîc percensere: […].“ Eine Notiz auf der Rektoseite des Vorsatzblatts des Martyrologium vsuardi monachi [Köln 1521], BRB, Ms. 14649 (499), stammt nach Van den Gheyn, Catalogue, Bd. 1 (1901), S. 313f., Ms. 14649 (499), von Du Sollier: „Habemus in libello MS. omnes additiones quæ huic exemplari adjectæ sunt. Citatur in Actis sub nomine Additionum Cartusiæ Bruxellensis.“ Vgl. De S. Svlpitio Pio Episcopo Bitvricensi in Gallia, in: AASS Ianuarii, Bd. 2, 1643, 17. Jan., S. 165–176, hier S. 167b: „In Martyrologio quodam Carthusiæ Bruxellensis ad marginem hæc recenti manu adscripta de S. Sulpitio sunt: Nunc quiescit in Abresouse. Quis ille sit locus, nos latet.“ Vgl. Martyrologium vsuardi monachi [Köln 1521], BRB, Ms. 14649 (499), fol. 14r: „xvi. kalendas februarij. [dies] xvij. || […] Bituricas ciuitate: depositio s[an]c[t]i sulpicij e[pisco]pi: […].“ Ebd., marginal = Martyrologium Carthusiæ Bruxellensis: „nunc quiescit In abresose [?]“. Die im folgenden genannten Lesungen dieser schwer identifizierbaren Glossen durch die Bollandisten sind bisweilen problematisch. Sie konnten hier allerdings nicht durch andere, sinnvollere Lesungen ersetzt werden. In diesem Fall befindet sich zwischen beiden Schaft„s“ von „abresose“ nur ein Buchstabe, der mit einem etwas unklaren, darüber liegenden Quer- oder Schaftstrich bestenfalls als n-Kürzung zu begreifen ist. Dies würde zu Lesungen wie „abreso[n]se“ oder „abrese[n]se“ führen, kaum zu „abresouse“. Der Kult dieses Heiligen konzentrierte sich neben Paris auf den Ort St-Sulpice-deFavières im Departement Essonne. Vgl. Joseph-Claude Poulin, Art. Sulpicius, in: LexMA, Bd. 8, 1996, Sp. 302f. G[odefridus] H[enschenius], De S. Ignatio Theophoro Episcopo Antiocheno, Martyre, Romæ, in: AASS Februarii, Bd. 1, 1658, 1. Feb., S. 13–37. Commentarius Præuius, ebd., S. 13–24, hier S. 14b: „[…] quædam annotationes MSS. excipiantur Carthusianorum Bruxellensium, in quibus XVII Octobris traditur B. Ignatij Martyris translatio.“ Vgl. Martyrologium vsuardi monachi [Köln 1521], BRB, Ms. 14649 (499), fol. 112r: „Sextodecimo k[a]l[e]ndas noue[m]bris. [dies] xvij. || […].“ Ebd., marginal = Martyrologium Carthusiæ Bruxellensis: „B[ea]ti ignatij m[a]r[t]y[ris] tra[n]sla[ti]o“.

137 Praetermissi des 13. Februar wurde angemerkt, dass sich die dort ebenfalls genannte depositio eines Heiligen mit Namen „Hermaculus“ auf eine Person beziehe, die den Bollandisten unbekannt sei. 110 Im Dossier des hl. Ludanus († 1202), eines schottischen Rompilgers, der nach seinen legendarischen Viten auf der Rückreise im Elsass verstorben war, sei neben dem insgesamt nur in dem Kölner Druck belegten Festtag glossiert worden, dass er „andernorts als Bischof“ in Erscheinung treten würde. 111 Eine ihrerseits –––––––— 110

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Vgl. AASS Februarii, Bd. 2, 1658, 13. Feb., Prætermissi, S. 642–644, hier S. 644b: „S. Hermaculi depositio adnotatur in citatis annotationibus MSS. Carthusiæ Bruxellensis, qui ignotus est nobis.“ Vgl. Martyrologium vsuardi monachi [Köln 1521], BRB, Ms. 14649 (499), fol. 22v: „Jdibus februarij. [dies] xiij. || […].“ Ebd., marginal = Martyrologium Carthusiæ Bruxellensis: „depo[sitio] s[an]c[t]i Heraculi“. Das von Bolland oder Henschen transkribierte „m“ ist nicht zu erkennen, auch nicht als Kürzung. Eine gewisse Nähe zu dem in den Martyrologia Hieronymiana am 12. Februar gefeierten hl. Herad(i)us oder Heracl(i)us scheint nicht ausgeschlossen. Vgl. Martyrologium Hieronymianum, ed. Rossi/Duchesne, AASS Novembris, Bd. 2,1, 1894, 12. Feb., S. [19], Cod. Bern.: „PRID. ID. FEBROS. […] IN italia […] heracli […].“ Ebd., 12. Feb., Cod. Eptern., etc.: „Prid idus fb […] in itaҔ […] heradi […].“ Ebd., 12. Feb., Cod. Wissemb.: „PRID. IDUS FEBRO. […] in italia […] heracli […].“ Vgl. dazu auch I[oannes] B[ollandus], De Sanctis Martyribvs Italis Donato, Heradio vel Heraclio, Vincentio, Svsanna, Orbana, Donata, in: AASS Februarii, Bd. 2, 1658, 12. Feb., S. 581. Auch diese Lesung ist nicht eindeutig. Vgl. I[oannes] B[ollandus], De S. Lvdano Peregrino in dioecesi Argentinensi, in: AASS Februarii, Bd. 2, 1658, 12. Feb., S. 638f., hier S. 638a: „Nvsquam adhuc, quod quidem meminerim, S. Ludani inscriptum Martyrologiis nomen legi, præterquàm in Hermanni Greuen auctario ad Vsuardum ante CLX annos edito; in quo pridie Id. Februarij ista habentur: Ludani Confessoris. In exemplari Carthusiæ Bruxellensis adscriptum in margine: alibi ponitur Episcopus.“ Vgl. Martyrologium vsuardi monachi [Köln 1521], BRB, Ms. 14649 (499), fol. 22r–v: „Pridie idus februarij. [dies] xij. || […].“ Ebd., fol. 22v: „Jte[m] ibidem. iuliani. donati. eraclij. zotici[.] Ludani [con]fessor[is]. ¢X² Jn alexandria. quiricai […].“ Marginal X = Martyrologium Carthusiæ Bruxellensis: „alibi ¢…² po[n]it[ur] ep[i]s[copus].“ Diese Marginalie könnte sich allerdings auch auf einen Heiligen ähnlichen Namens, der innerhalb des Martyrologs an einem anderen Festtag („alibi“) verzeichnet und als Bischof verehrt wurde, bezogen haben. Nicht lesbare Worte werden hier und im Folgenden durch Auslassungen in Spitzklammern gekennzeichnet. Gleiches gilt für graphische Zeichen, durch die marginale Notizen mit ihrer Position zum Primärtext in Beziehung gesetzt wurden. Unterstreichungen sind im Regelfall ebenso übernommen worden wie durchgestrichene Worte. Vgl. dazu auch unten S. 421 Anm. 253. Der 12. Februar entsprach dem in der spätmittelalterlichen Vita genannten Todestag. Die erste Anlage einer Grabstelle ist 1492 in der Scheerkirche bei Hipsheim nachzuweisen. Sichere Zeugnisse für eine Verehrung des Heiligen und die Benennung der Scheerkirche als St. Ludan sind allerdings erst seit dem endenden 16. Jahrhundert erhalten. Vgl. Joseph Brauner/Xavier Ohresser, Der Kult des hl. Ludanus im Elsass, in: Archives de l’Eglise d’Alsace nouv. sér. 2 (1947/48), S. 13–61, hier S. 14, 19–28. Ob sich die frühe Ergänzung des Kölner Martyrologs also auf diesen Ludanus bezog, scheint fraglich. Liturgisch ist in dieser Region ein am 12. Februar begangenes Fest „Sancti Ludani Confessoris“ erstmals in dem 1627 für das Kloster der Reuerinnen an St. Magdalena zu Straßburg gedruckten Proprium nachzuweisen. Ob daraus „unzweideutig“ abgeleitet werden kann, „dass mindestens seit dem Jahre 1627 ein Strassburger Diözesanproprium in Gebrauch gewesen sein muss, das von

138 von Rosweyde organisierte, allerdings vollständige Abschrift aus einem wahrscheinlich kurz nach 1138 entstandenen, im Kern usuardinischen und in Teilen auf die Traditionen des Martyrologs des Ado von Vienne († 875) zurückgehenden Martyrolog aus dem Kollegiatstift St. Maria in Utrecht („MS. S. Mariæ Vltraiecti“) wurde neben den Martyrologia Hieronymiana, dem Kölner Druck von 1521 und anderen usuardinischen Martyrologien in einem kurzen Dossier zu insgesamt fünf in der Provinz Aethiopia umgekommenen frühchristlichen Heiligen am 2. Januar zitiert.112 Nur wenige der den Bollandisten vorliegenden Materialien haben in den Acta Sanctorum überhaupt keine Spuren hinterlassen. Die Tendenz, möglichst viel von den versammelten Schriften auf die eine oder andere Weise zu verwenden, tritt besonders deutlich am Beispiel der besagten Glossen des –––––––—

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den Schwestern von St. Magdalena vollständig übernommen worden ist“, so ebd., S. 36f., Zitat S. 37, wäre seinerseits zu prüfen. Denkbar ist auch, dass sich die Nonnen auf das Formular der erweiterten usuardinischen Martyrologien stützten, zumal dieser Eintrag in den Liturgica der Diözese Straßburg im 17. Jahrhundert singulär ist. In diesem Sinn ist es nicht überraschend, dass Bolland Schwierigkeiten hatte, einen Festtag zu ermitteln. Das Officium „S. Ludani Confessoris“ als am 12. Februar in der Diözese verbindlich zu begehendes Fest ist unmissverständlich erst aus dem Ordo divini Officii recitandi Diocesi Argentinensi von 1729 und dem Rituale Argentinense von 1742 zu erschließen. Ein von dem Kirchenhistoriker Philipp-André Grandidier (1752– 1787) kompiliertes Calendarium Diocesis Argentinensis enthält zum 12. Februar das Fest „S. Ludani Scoti ac peregrini in Diœcesi Argentinensi“, das in dieser Titelgebung mit dem Dossier der Acta Sanctorum zu konvergieren scheint. Vgl. ebd., S. 37 mit Anm. 2, 3. In den Liturgica der Diözese des 19. und 20. Jahrhunderts – der Festtag wurde 1846 auf den 16. Februar verlegt – bevorzugte man allerdings weiterhin den Beinamen „Confessor“. Vgl. ebd., S. 38f. Es handelte sich also um einen wahrscheinlich älteren und lokal bedeutsamen Kult, der seinen entscheidenden, bis in die Moderne nicht unterbrochenen Aufschwung allerdings erst im Zeitalter der Aufklärung nahm, in diesem Fall gefördert durch den Auf- und Ausbau der Grabeskirche im Jahr 1723. Seit dem Dreißigjährigen Krieg ermangelte die Kirche zwar des Leibs des Heiligen. Erhalten geblieben war und ist allerdings das Grabmal von 1492. Vgl. ebd., S. 25–36. Vgl. De Sanctis Martyribvs Rvtila, Clavdia, Avriga in Æthiopia, itemqve Vitale et Stephano Hierosolymis, in: AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, 2. Jan., S. 82a–b: „Martyrologivm S. Hieronymi: Et in Æthiopia Rutilæ, Claudiæ, Auriga, Vitalis de Hierosolymis, Stephani. Vsuardi editio Coloniensis ann. 1521. Ierosolymis Stephani & Vitalis. Item Tubiæ, Rutiliæ, Vitalis: […]. MS. S. Mariæ Vltraiecti: Hierosolymis SS. Stephani & Vitalis.“ Vgl. Martyrologium Hieronymianum, ed. Rossi/Duchesne, AASS Novembris, Bd. 2,1, 1894, 2. Jan., S. [4], Cod. Eptern., etc.: „IIII Non̘ [Ian.] […] et in ethiop̏ rutilae | claudiae aurigae vitalis de hirosoá̏ stefani“. Martyrologium vsuardi monachi [Köln 1521], BRB, Ms. 14649 (499), fol. 9v: „Quarto nonas ianuarij. dies secu[n]dus. || […] s[an]cti stephani Jerusolimis: stephani et vitalis. Ite[m] tubie. rutilie. vitalis.“ Martyrologium MStum Ecclesiæ S. Mariæ Vltraiecti canonicorum, BRB, Ms. 7762 (497), fol. 1r: „Quarto nonas [Ian.] […] Jherosolimis sanctorum Stephani et Vitalis.“ Vgl. zu diesem zuletzt genannten Martyrolog Overgaauw, Martyrologes, [Teil 1] (1993), S. 499–523; zum Original – heute Den Haag, Rijksmuseum Meermanno-Westreenianum 10 B 17 – vgl. ebd., S. 516ff., zur Abschrift der Bollandisten ebd., S. 519. Die Einträge vom 1. Januar bis 6. Februar entstammen der Tradition Ados. Vgl. ebd., S. 499.

139 Kölner Drucks als Martyrologium Carthusiæ Bruxellensis in Erscheinung, die zitiert wurden, obwohl Bolland und Henschen sie ebensowenig souverän zu entziffern vermochten wie der Verfasser der vorliegenden Arbeit. Bei den besagten Praetermissi et in alios dies reiecti handelte es sich um eine Sektion der Acta Sanctorum, die einerseits geschaffen worden war, um jene Heiligen aufzunehmen, deren Kult nicht mit Sicherheit zu belegen war – auf einige Heilige, die zwar über keinen Festtag verfügten, die aber dennoch ein Dossier in den Acta Sanctorum erhielten, wird noch einzugehen sein. Andererseits wollte Bolland mit den Praetermissi den kultgeschichtlich „regulären“ Wiederholungsphänomenen begegnen. Einzelne Heilige konnten in den kalendarischen und martyrologischen Traditionen prinzipiell an mehreren Tagen verzeichnet worden sein, sofern sie unterschiedliche Feste auf sich vereinigten, neben dem Tag des Ablebens etwa die depositio oder inventio ihrer Reliquien. Gleiches gilt für nicht nur traditional, sondern häufig auch regional und institutionell divergierende Festtage für identische Heilige. Da es, wie Bolland sagte, lächerlich wäre, die Zeugnisse eines Heiligen in ein und demselben Werk auf verschiedene Tage zu verteilen, würden in den Praetermissi diese als komplementäre Festtage verzeichnet. 113 Im Aufbau der Acta Sanctorum ging die Aufstellung der Praetermissi den Dossiers zu den einzelnen Festtagen jeweils voran – vor den Dossiers zum 1. Januar standen also die diesen Tag betreffenden Praetermissi, vor jenen zum 2. Januar die Praetermissi des 2. Januar usf.

3.2.2 „Ex Breviario“, „ex Necrologio“, „ex Officio“, … Eine vergleichsweise überschaubare Zahl kleinerer Dossiers in den Acta Sanctorum bezog sich auf Heilige, die den Bollandisten vordringlich oder ausschließlich aus liturgischen oder legendarischen Gattungen unterschiedlicher Art bekannt waren. Liturgica zählten seit der Etablierung des Buchdrucks zu den wichtigsten Auftragswerken für Drucker. 114 Da sie jedoch zumeist in kleineren Auflagen publiziert wurden und in ihrer Distribution –––––––— 113

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Vgl. Bolland, Praefatio, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, S. XXVa: „Sequuntur Prætermißi & in alios dies reiecti. Sæpè namque Sancti vnius plura sunt festa, in vnâ etiam atque eadem Ecclesiâ: nam quorumdam obitus siue natalis celebratur, Translatio, nec vna; ordinatio, miraculum quodpiam: aliorum à diuersis populis diuerso die agitur, etiam eadem celebritas. Esset verò illud ridiculum, si quis vnius Sancti pluribus diebus edi vno in opere Acta vellet. Semel igitur illa dedi; quibus verò diebus alibi agitari eorum festiuitatem vel recoli in Diuinis officiis memoriam coperi, indicaui isthic, vbi Acta eorum queant inueniri: […].“ Vgl. Uwe Neddermeyer, Lateinische und volkssprachliche Bücher im Zeitalter Gutenbergs. Überlegungen zu den Auswirkungen von medientechnischen Umstellungen auf den Buchmarkt – nicht nur im Mittelalter, in: Bibliothek und Wissenschaft 32 (1999), S. 84–111, hier S. 87, 96.

140 lokal oder institutionell gebunden waren, sind sie im Regelfall disparat erhalten. Es wurde an dieser Stelle davon abgesehen, sie systematisch zu konsultieren, um die Angaben der Bollandisten mit ihnen abzugleichen. 115 Diese Angaben dürfen aber ihrerseits nicht derart verstanden werden, dass die Bollandisten alle Werke, die sie zitierten, selber in ihrer Bibliothek besaßen. Viele einschlägige Einträge sind auf Korrespondenzen oder auf nach Antwerpen kommunizierte Exzerpte unterschiedlicher Art zurückzuführen. Ein Officium des Gründers des Wilhelmitenordens, des hl. Wilhelm von Malavalle († 1157), das von Henschen nach einem 1508 in Paris gedruckten, zisterziensischen Brevier zitiert wurde, 116 lag ihm in Form einer genau dieses Segment beinhaltenden Kopie vor, die er 1653 von dem Nettesheimer Pfarrer Johannes Polch aus Köln erhalten hatte. 117 Einzelne liturgische Drucke oder Blätter finden sich bisweilen den Konvoluten der Collectanea bollandiana beigebunden. Die Brüsseler Handschrift 8004–17 der Collectanea bollandiana etwa wird mit den Teilen eines Druckes benedikti–––––––— 115

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Mithin war es nicht immer möglich, den Angaben der Bollandisten auch nur auf bibliographischen Wegen nachzugehen. Der italienische EDIT16 beispielsweise, das Pendant des VD16, liegt in bislang vier Bänden bis zum Buchstaben „C“ vor. Vgl. Le edizioni italiane del XVI secolo. Censimento nazionale, hrsg. v. Istituto centrale per il catalogo unico delle biblioteche italiane e per le informazioni bibliografiche, Rom 1985–1996. Das 17. Jahrhundert ist noch nicht in Angriff genommen. Selektiv ist das Verzeichnis der Autori italiani del’600. Catalogo bibliografico, hrsg. v. Sandro Piantanida/Lamberto Diotallevi/Giancarlo Livraghi. Indici analitici di Roberto L. Bruni/D. Wyn Evans, Bd. 4, Mailand 1950 (Neudruck 1986), zur „Agiografia“ ebd., S. 181– 225; zu den „Teologia e liturgia“ ebd., S. 226–267. Vgl. G[odefridus] H[enschenius], De S. Gvilielmo Magno, Eremita in Stabvlo-Rodis in Etrvria, in: AASS Februarii, Bd. 2, 1658, 10. Feb., S. 433–491. Commentarius præuius, ebd., S. 433–449, hier S. 445a: „[…] Officium Ecclesiasticum, & sub finem Breuiarij Cisterciensis anno 1508 Parisijs excusi editum est: in quo S. Guilielmo traditur conuersus à S. Bernardo tenente corpus Christi sanctissimum patenæ superpositum, idq[ue] ad cœnam Agni prouidi.“ Vgl. In festo Beati Guillermi Heremitæ et Confessoris, BRB, Coll. boll. Ms. 7763 (3443), fol. 212r–216v. Die Provenienz war ebd., fol. 216v, vermerkt worden: „Hoc retropositum Officium et Missa de S. Guillermo ego Joannes Polch Pastor pro tempore in Nettesheim Archidiœcæsis Coloniensis de verbo ad verbum fideliter exscripsi ex Breviario quodam Ordinis Cisterciensis Parisijs impresso Anno MCCCCCVIII. in cujus fine idem illud Officium et Missa separatim excusum erat, sed eodem penitus typo quo ipsum Breviarium: et spectabat hoc Breviarium ad RR. PP. Religiosos Cistercienses de Monasterio oppidi Grevenbroich dicti sub Ducatu Principis Iuliæ: quod ipsum Monasterium S. Guillermo est dedicatum. […] Jta frater ego Pfolch [!] qui supra, Anno 1653. die 12. Januarij.“ Vgl. die von Henschen zitierte Stelle ebd., fol. 212v: „Ad Compl. Hymnus. Ad cænam agni providi Bernardus venit […]. || Cujus corpus sanctissimum patenæ superpositum Guillermi vires Comitis permutat sacris monitis.“ Polch ist als Beiträger zu Jakob Merlo-Horstius Paradisus Animae Christianae in der Ausgabe von 1649 belegt (VD17, 23:309674M); vgl. zur Person Gottfried Amberg, Der Kölner Pfarrer Johannes Polch, St. Kunibert 1658–1679, in: Jb. d. kölnischen Geschichtsvereins 49 (1978), S. 229–258.

141 nischer Missae propriae von 1627 beschlossen. 118 Aus ihnen war zu entnehmen, dass der – vielleicht im 6. Jahrhundert lebende – hl. Maurus mit einem Duplexfest gefeiert werde. 119 Die allein aus liturgischen Schriften zu erschließenden Heiligen weisen eine andere Charakteristik auf als die der martyrologischen Tradition. Während letztere als das Produkt eines im Kern der schriftlichen Überlieferung verpflichteten Prozesses der Aktualisierung und Modifizierung zu betrachten sind, entstammen erstere häufig einer lokal gebundenen devotionalen Praxis, die nicht zwangsläufig zur Produktion von Viten oder Mirakelberichten geführt hatte. Teilweise ist in diesen Zusammenhängen von älteren Kulten auszugehen, die, in sich wandelnden Formen, von einzelnen Kirchen gepflegt wurden, teilweise aber auch von spätmittelalterlich oder frühneuzeitlich neu gestifteten, die sich auf faktisch oder vermeintlich überkommene Reliquien stützen konnten. Die Kenntnis der am 27. Februar gefeierten heiligen Pontiana und Chrysogonus schöpfte Bolland „[e]x Kalendario Genuensi“ 120 aus den 1640 publizierten Officia propria der Diözese Genua. Außer dem Festtag und der Tatsache, dass man in San Nicolai zu Tolentino, der Pilgerkirche des 1446 kanonisierten hl. Nikolaus von Tolentino († 1305), das Haupt der als Märtyrerin gestorbenen hl. Pontiana verwahre, sei, so Bolland, nichts über den Zeitpunkt des Todes dieser Heiligen, über seinen Ort und seine Umstände in Erfahrung zu bringen gewesen. 121 Der –––––––— 118

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Vgl. BRB, Coll. boll. Ms. 8004–17 (3452), fol. 373r–380v: MISSÆ PROPRIÆ || SANCTORVM || ORDINIS || S. BENEDICTI || CVM ALIIS QVIBVSDAM QVÆ || in Romano Missali non habentur. || EX MISSALI MONASTICO PAVLI V. || Pontificis Max. auctoritate recognito. || PRO OMNIBVS SVB REGVLA EIVSDEM || Sanctissimi Patris BENEDICTI militantibus, || quod Anno M. DCXV impressum est, || desumptæ. || ADDITÆ SVNT ALIÆ QVÆDAM MISSÆ IN || quibusdam Congregationibus eiusdem Ordinis dici solitæ. || MONACHII, || Ex Typograghia [!] Hertsroyana, || Apud Cornelium Leysserium, Electoralem Typographum. || M. D. C. XXVII. Dieser Druck ist bis einschließlich Seite 16 der Handschrift beigebunden. Vgl. ebd., S. 2 = fol. 373v: „Festa particvlaria ordinis S. Benedicti iuxta Missale monasticum recognitum, celebranda. || S. Mauri Abbatis, duplex die 15. Ianuarij.“ Vgl. De S. Mavro Abbate Glannafoliensi, in Gallia, in: AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, 15. Jan., S. 1038–1062, hier S. 1038a: „Eum Benedictini officio duplici venerantur XV. Ianuarij; […].“ AASS Februarii, Bd. 3, 1658, Index Sanctorum [unpaginiert], [S. 3]: „27 Chrysogonus Conf. Genuæ. Ex Kalendario Genuensi. Reliquiæ in eccl. S. Francisci“; ebd., [S. 9]: „27 Pontiana M. Genuæ in Liguriâ. Ex Kalendario Genuensi, Caput in eccl. S. Nicolai de Tolentino“. Vgl. I[oannes] B[ollandus], De S. Pontiana Martyre Genvæ in Ligvria, in: AASS Februarii, Bd. 3, 1658, 27. Feb., S. 680: „Edita sunt anno MDCXL Officia propria sanctæ Genuensis Ecclesiæ ex Apostolicâ concessione, Eminentiss. & Reuerendiss. Domini D. Stephani Cardinalis Duratij, Archiepiscopi Genuensis, iussis recognita. Quibus pag. 53 subnectitur Kalendarium Sanctorum, qui in particularibus Genuæ Ecclesiis celebrantur. In hoc ad XXVII Februarij annotatur S. Pontiana Martyr, quæ celebrari dicitur in Ecclesiâ S. Nicolai de Tolentino; eiusq[ue] illic Caput asseruari. Ceterùm quâ tempestate mortem oppetierit, quoue loco ac modo, non comperimus, ac

142 demselben Druck entnommene Bekenner Chrysogonus sei der einzige Heilige dieses Namens, der ihm bislang begegnet sei, abgesehen von einem Märtyrer, der im Breviarium Romanum am 24. November geehrt werde. 122 Der nach einer lokalen Tradition im 5. Jahrhundert in kindlichem Alter verstorbene hl. Gelasius von Piacenza fand zum 4. Februar mit einer kurzen Vita in der Form einer Tageslesung: „Ex offic[io] Ecclesi[astico] & ex M[a]r[tyr]ol[ogiis]“, 123 Eingang in die Acta Sanctorum. Bolland reproduzierte sie nach den 1635 gedruckten Officia propria der Diözese Piacenza, die auf eine zuletzt unter Bischof Fabrizio Marliani (reg. 1467–1508) vorgenommene Umbettung der Reliquien innerhalb der Kirche San Savino referieren konnten. Die Geschichte dieser Reliquien ist verwickelt. Sie stützte sich auf eine spätestens im 11. Jahrhundert nachweisbare Erzählung von der Bestattung des ersten mit Sicherheit belegbaren Bischofs von Piacenza, des hl. Sabinus (reg. um 376/381–um 393), durch dessen möglichen, vielleicht aber auch legendarischen Nachfolger Maurus in einer Basilika außerhalb der Stadt. In dieser habe Maurus auch die Überreste des hl. Gelasius zur letzten Ruhe gebettet, ehe sie zur Zeit des Bischofs Everardus (reg. 892–903) in eine neu errichtete Kirche überführt worden seien und im späten 15. Jahrhundert ihre bislang letzte Ruhestatt erhalten hätten. 124 –––––––—

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ne nomen quidem hactenùs alibi legimus.“ Der zitierte Druck ist in Rom entstanden. Vgl. Robert Amiet, Missels et bréviaires imprimés (supplement aux catalogues de Weale et Bohatta). Propres des saints (édition princeps) (Documents, études et répertoires), Paris 1990, Nr. P 1001, S. 360. Vgl. I[oannes] B[ollandus], De S. Chrysogono Confess. Genvæ in Ligvria, in: AASS Februarii, Bd. 3, 1658, 27. Feb., S. 680: „Kalendario iam citato Sanctorum, qui in particularibus Genuæ Ecclesiis celebrantur, Cardinalis Duratij, Archiepiscopi Genuensis, auctoritate edito, ad eumdem XXVII Februarij diem inscriptus S. Chrysogonus Confessor, qui in Ecclesiâ Ordinis S. Francisci celebrari dicitur, eiusq[ue] illic Reliquiæ asseruari. Nullum vspiam Chrysogonum Confessorem legi, omnioque illius nominis Sanctorum vnicum, qui Aquileiæ martyrio perfunctus colitur in Breuiario Romano die XXIV Nouembris.“ Vgl. dazu das BREVIARIVM || ROMANVM || EX DECRETO SACROSANCTI || Concilij Tridentini restitutum, || PII V. PONT. MAX. || iussu editum, || ET CLEMENTIS VIII. || auctoritate recognitum. || De licentia Superiorum. || VENETIIS APVD GVERILIVM [1630], 24. Nov., S. 783b: „Chrysogon[us], Diocletiano Imperatore Romæ i[n]clusus in carcere, […].“ AASS Februarii, Bd. 1, 1658, Index Sanctorum [unpaginiert], [S. 7]. Vgl. I[oannes] B[ollandus], De S. Gelasio Pvero, Placentiæ in Italia, in: ebd., 4. Feb., S. 465f., hier S. 465a: „Actorum eius epitomen continent Officia Ecclesiæ Placentinæ, à sacrâ Rituu[m] Congregatione Romæ approbata XXIII Martij MDCII, & XV Aprilis MDCIII, & Claudij Rangoni eiusdem Ecclesiæ Episcopi iussu excusa an. MDCXXXV. In iis Lectio IV. diei quartæ Februarij, quæ S. Gelasio sacra est, ita habet: Gelasius Placentiæ nobilibus & Christianis parentibus natus, […]. Sacrum eius corpus primùm à S. Mauro Placentiæ Episcopo in æde B. Sauini extra vrbis mœnia conditum, & deinde in nouam ipsius S. Sauini basilicam, Euerardo Episcopo, allatum; Fabricius eiusdem ciuitatis Antistes anno salutis MCCCCLXXXI in honestiorem prædictæ Ecclesiæ locum solenni cærimoniâ transtulit, vnà cum corporibus SS. Peregrini, Victoris & Domnini, quæ in eadem ecclesiâ quiescebant.“ Der Druck der Officia propria von 1635 wird von Amiet, Missels (1990), Nr. P 1753, S. 399,

143 Diese die Literatur bis heute beschäftigenden Fragen und die einschlägigen Quellen waren spätestens seit Pietro Maria Campis (1569–1649) erstem Band der posthum 1651 erschienenen Darstellung Dell’historia ecclesiastica di Piacenza bekannt. 125 Diese Arbeit lag Bolland allerdings nicht vor. Er –––––––—

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nachgewiesen. Nach heutiger Kenntnis trug die auf Maurus zurückgehende Basilika außerhalb der Stadt seit gegen Ende des 8. Jahrhunderts den Namen San Savino. Nachdem sie von den Ungarn zerstört worden war, ließ Everardus zu Beginn des 10. Jahrhunderts ein gleichnamiges Kloster innerhalb der Stadtmauern errichten, ohne dass eine Translation der Reliquien des hl. Gelasius und einiger anderer Heiliger, die in diesem Zusammenhang genannt wurden, stattgefunden zu haben scheint. Vgl. Jean-Charles Picard, Le souvenir des évêques. Sépultures, listes épiscopales et culte des évêques en Italie du Nord des origines au Xe siècle (Bibliothèque des Écoles françaises d’Athènes et de Rome 268), Rom 1988, S. 275f. mit Anm. 14. Die Beziehungen zwischen dieser Gründung, der nach Picard keine Dauerhaftigkeit beschieden war, und einer sich etwa zeitgleich oder später konstituierenden monastischen Gemeinschaft San Savino sind umstritten. Vgl. Franz Neiske, Das älteste Necrolog des Klosters S. Savino in Piacenza. Edition und Untersuchung der Anlage (MMS 36), München 1979, S. 36f. mit Anm. 9, 10, S. 110. Der Besitz der Überreste des hl. Gelasius wurde jedenfalls in einem Reliquienverzeichnis dieses Klosters des frühen 12. Jahrhunderts angezeigt. Die Erzählung der von Bischof Maurus errichteten Kirche und einer um den hl. Sabinus gestalteten frühchristlichen Grablege wird erstmals in den Notitiae fundationis des zwischen 1046 und 1048 angelegten Nekrologs des Klosters San Savino erwähnt, einschließlich des Datums der depositio des hl. Gelasius am 4. Februar. Vgl. ebd., S. 17, 35, 118. Die fundatio wurde geschrieben, um die Kontinuität des Orts und der Grablege seit frühchristlicher Zeit zu betonen. Eine darüber hinaus reichende Verehrung des hl. Gelasius und der übrigen Heiligen, die in den Officia propria erwähnt wurden, ist nicht nachzuweisen. Das Fest der bis 1955 in der Diözese Piacenza gefeierten Translation wird in der Literatur auf diese hochmittelalterlichen Vorgänge bezogen. Vgl. ebd., S. 35. Nicht auszuschließen ist allerdings, dass dieses Fest mit der – von Bolland zitierten – Umbettung innerhalb der Klosterkirche unter Bischof Fabrizio Marliani entstand. Das Alter dieses Festes bliebe also zu untersuchen. Vgl. zur Amtszeit Fabrizio Marlianis Maria Cristina Cademartiri Ferrari, Il medioevo, in: Piacenza nella storia. Dalle origini al XX secolo, hrsg. v. Stefano Pronti, Piacenza 1990, S. 117–188, hier S. 182; Stefano Pronti, Il primo cinquecento, in: ebd., S. 189–214, hier S. 209; zur Geschichte von San Savino kurz Ersilio Fausto Fiorentini, Le chiese di Piacenza, Piacenza 1985, S. 116ff. DELL’HISTORIA || ECCLESIASTICA || DI PIACENZA || Di Pietro Maria Campi Canonico Piacentino; || Nella quale si spiegano le attioni de’ Santi, de’ Beati, e de’ Vescoui della Città di Pia- || cenza, e l’antichissima immunità, e giurisditione di quella Chiesa, con le || fondationi di molti luoghi sacri, || Et insieme le varie donationi, e gratie riportate da’ Sommi Pontefici, Imperadori, || Rè, e Principi; || E si fà anche mentione di molte Famiglie, Huomini Illustri, e maggiori successi d’Italia; || Con l’origine de’ nomi de’ Villaggi, Terre, e Castella del Piacentino, || E nel fine l’Historia antichissima, nè mai più vscita in luce della fondatione della Città || stessa di Tito Omusio Piacentino, || Con vn Registro de’Priuilegi, Bolle, & altre Scritture latine citate in quest’ Opera, || Con più Tauole copiosissime. || PARTE PRIMA. || ALL’ ALTEZZA SERENISSIMA || DI RANVCCIO FARNESE || DUCA DI PIACENZA, PARMA, &c. || IN PIACENZA || Per Giouanni Bazachi Stampatore Camerale. MDCLI. || CON LICENZA DE’ SVPERIORI, ad an.429, S. 132b–133b: „Recò altresì da qusti dì, od iui intorno, gaudio infinito à Mauro, & alla Città nostra grandissimo splendore, e decoro la santità de’ costumi, e la gloriosa morte, indi à non molto successa, del B. Gelasio, fratel minore di S. Opilio. Del quale si legge, che nella sua ten-

144 bezog sich statt dessen auf den zweiten Band der Italia sacra des Zisterziensers Ferdinando Ughelli (1597–1670). 126 Im Verbund mit aus anderen Schriften gewonnenen Daten konnte das aus der Liturgie Ersichtliche bisweilen zum Ausgangspunkt für eigene Versuche der Rekonstruktion werden. Zum 10. Februar wurde „Ex Officio Eccles[iastico]“ 127 ein heiliger Abt mit Namen Paschasius präsentiert. Bolland druckte nach den 1619 von dem Neapolitaner Erzbischof Decio Carafa (reg. 1613–1626) promulgierten „nova Officia“ oder nach einem mit diesen –––––––—

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era età hebbe questo felice presagio della sua eterna saluezza; […].“ Ebd., ad an. 908, S. 242a–b: „Furono successiuamente dal Vescouo Eurardo nella nuoua Basilica Sauiniana con publica, e solenne processione traslatate tutte le santissime Reliquie, […]: cioè i corpi de’ gloriosi Santi Vescoui Sauino, e Mauro; de’ Santi Diaconi Vittore, e Donnino; di San Gelasio Confessore, fratello di Sant’ Opilio; […].“ In seinem dokumentarischen Anhang („Registro“) druckte Campi die Dokumente aus dem Kontext der Neubauten und Translationen. Vgl. ebd., Nr. 40, ad an. 903, S. 478–480: Fondatione della nuoua Chiesa, e Monasterio di S. Sauino di Piacenza; ebd. Nr. 63, ad an. 1000, S. 496f.: Donatione di Sigifredo Vescouo di Piacenza al Monasterio, e Chiesa di San Sauino; ebd., Nr. 65 ad an. 1005, S. 497f.: Priuilegio di Santo Enrico Rè per l’Abbatìa, e Chiesa di S. Sauino di Piacenza. Vgl. Picard, Souvenir (1988), S. 276f. Anm. 14. Vgl. De S. Gelasio, AASS Februarii, Bd. 1, 1658, 9. Feb., S. 465b. Bolland zitierte hier einige Sequenzen aus Ughellis Darstellung, etwa die Episode, welche die Zerstörung der älteren Kirche durch die Ungarn betraf: „Ab Hungaris deinde Langobardiam an. DCCCCII […] combustum est illud S. Sabini templum, cùm Placentinam Ecclesiam Euerardus administraret, XXIX Antistes, qui Heuerardus aliis, & Enuardus apellatur diciturque anno DCCCXCIII electus, CMIV obiisse. De eo ia[m] citatus Ruffinus monachus apud Vghellu[m] ita scribit: Tempore quo currebant CMII, irruerunt Pagani & inimici Crucis Christi, & destruxerunt & combusserunt quiquid repererunt extra Placentinæ mœnia ciuitatis, […].“ Vgl. ITALIA SACRA || SIVE || DE EPISCOPIS ITALIÆ, || Et Insularum adiacentium, || REBVSQVE AB IIS PRÆCLARE GESTIS, || deducta serie ad nostram vsque ætatem. || OPVS SINGVLARE || In quo Ecclesiarum origines, Vrbium conditiones, Principum || donationes, recondita monumenta in lucem proferuntur. || Tomus Secundus. || Complectens Metropolitanas, earumq[ue] suffraganeas Ecclesias, || quæ in Aemiliæ, Flaminiæ, Piceni, Vmbræque || Senonum Inclytis Italiæ Prouincijs recensentur. || AVTHORE D. FERDINANDO VGHELLO FLORENTINO || Abbate SS. Vincentij, & Anastasij ad Aquas Saluias Ordinis Cisterciensis. || Et Sacræ Indicis Congregationis Consultore. || ROMÆ, APVD BERNARDINVM TANVM. M. DC. XLVII. || SVPERIORVM PERMISSV, ET PRIVILIGIO, zu den Bischöfen von Piacenza Sp. 252: „29 EVERARDVS, seu HEVRARDVS, siue ENVARDVS an. 893. […].“ Es folgte das von Bolland reproduzierte Segement aus den Aufzeichnungen des besagten Rufinus. Ebd., Sp. 253: „Tempore igitur quo currebant 402. irruerunt Pagani & inimici […].“ Der Camerarius Rufinus hatte 1253 die älteren Dokumente zusammengestellt. Vgl. Picard, Souvenir (1988), S. 276 Anm. 14. Vgl. zu Ughelli Denys Hay, Scholars and Ecclesiastical History in the Early Modern Period. The Influence of Ferdinando Ughelli, in: Politics and Culture in Early Modern Europe. Essays in Honor of H. G. Koenigsberger, hrsg. v. Phyllis Mack/Margaret C. Jacob, Cambridge/London/New York [u. a.] 1987, S. 215–229. AASS Februarii, Bd. 2, 1658, Index Sanctorum [unpaginiert], [S. 11]: „10 Paschasius Ab. Lesinæ & Neapoli. Ex Officio Eccles. An mortuus in Gargano monte? An Abbas Montis-Virginis?“

145 assoziierten „Catalogus sanctorum“ einen kurzen Text. Er handelte von der Translation der Reliquien des hl. Paschasius von Lesina nach Neapel, von den durch „die Ungerechtigkeit der Zeiten“ verlorengegangenen Tatenberichten sowie von der einstigen Lebendigkeit des Kults, die sich aus einigen Spuren am Fundort der Reliquien erschlossen habe. 128 Die Auffindung der Reliquien lag in der Tat noch nicht lange zurück. Sie waren, neben den Überresten der zeitgleich in das Gedenken der Diözese Neapel aufgenommenen „Bischöfe“ von Lesina Sabinus und Eunomius, im Winter 1598 von dem Neapolitaner Kleriker Aurelius Marra in der Kathedralkirche von Lesina entdeckt worden. Die einschlägigen Materialien scheint Bolland von dem Neapolitaner Jesuiten und Hagiographen Antonio Beatillo (1570–1642) erhalten zu haben. 129 Marras ursprünglich auf Italienisch verfassten Bericht –––––––— 128

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Vgl. I[oannes] B[ollandus], De S. Paschasio Abbate Lesinæ et Neapoli, in: AASS Februarii, Bd. 2, 1658, 10. Feb., S. 491a: „Eiusdem festum X Februarij Neapoli, & per totam diœcesim Officio semiduplici celebrandum sanxit Decius Carafa Cardinalis ac Neapolitanus Archiepiscopus anno MDCXIX. Quo anno editus de nouis officiis, quæ pius ille Præsul instituerat, libellus typis Constantini Vitalis, de S. Paschasio ista habet: Huius etiam Reliquiæ ab eadem Ecclesiâ Lesiensi translatæ sunt ad ecclesiam Sanctissimæ Annuntiatæ. Acta eiusdem sancti Abbatis iniuriâ temporum perierunt. Cultum tamen eius viguisse olim apud Lesinam ciuitatem, testabatur Inscriptio, & honorifica tumulatio in Confessione iam dictæ Cathedralis ædis Lesiensis, vbi sacra ossa S. Paschasij reperta sunt, vnà cum aliorum Sanctorum Reliquiis Neapolim translatis.“ Vgl. zu Decio Carafa Lucienne van Meerbeeck, Introduction, in: Correspondance du nonce Decio Carafa. Archevêque de Damas (1606–1607), hrsg. v. ders. (Analecta Vaticano-Belgica. Série 2, Section A: Nonciature de Flandre 13), Brüssel/ Rom 1979, S. V–XII, hier S. V f. Der Druck der besagten „nova Officia“ von 1619 war hier nicht nachzuweisen. Vgl. in diese Richtung allein den Eintrag bei Marco Santoro (Hrsg.), Le secentine Napoletane della Biblioteca Nazionale di Napoli (I quaderni della Biblioteca Nazionale di Napoli. Ser. 6, Bd. 2) Rom 1986, Nr. 1922, S. 229: „Officium defunctorum. Neapoli, apud Franciscum Savium, typographum Curiae archiepiscopalis, 1646.“ Die gängigen Verzeichnisse frühneuzeitlich gedruckter Breviaria, Missalia und Officia propria sind nicht weiterführend. Amiet, Missels (1990), Nr. P 1569 und P 1570, S. 389, weist für die Diözese Neapel für diesen Zeitraum nur zwei gedruckte Officia propria aus den Jahren 1568 und 1727 nach. Bolland griff hier wahrscheinlich auf vermittelte Informationen zurück. Dies bedingte bisweilen eine – an anderer Stelle noch genauer zu beobachtende – Unschärfe in der Terminologie. Gelegentlich bezeichnete Bolland diese Quelle auch als einen „Catalogus sanctorum“, der, soweit ersichtlich, eher das Spektrum der in der Diözese zu verehrenden Heiligen zu erfassen schien und weniger die Texte der Officien selbst beinhaltete. Vgl. dazu die folgende Anm. Vgl. Bolland, De S. Paschasio Abbate, AASS Februarii, Bd. 2, 1658, 10. Feb., S. 491a: „Cvm corporibus SS. Sabini & Eunomij Episcoporum, de quibus IX Februarij egimus, translatæ quoque sunt Lesinâ Neapolim anno MDXCVIII ab Aurelio Marrâ, inq[ue] Sanctißimæ Annuntiatæ basilicâ collocatæ S. Paschasij Abbatis Reliquiæ.“ Ders., De Sanctis Episcopis Sabino et Evnomio, Neapoli, et Lesinæ in Apvlia, in: AASS Februarii, Bd. 2, 1658, 9. Feb., S. 335–339. Commentarius historicus, ebd., S. 335–337, hier S. 335a–b: „[…] in Catalogo Sanctorum aliquot, quos Cardinalis Decius Carafa Archiepiscopus Neapolitanus, in eâ vrbe & per diœcesim Officio Ecclesiastico deinceps coli anno MDCXIX mandauit, ad IX diem Februarij ista habetur: Horum sacræ Reliquiæ translatĊ sunt Neapolim ab Ecclesiâ Lesinensi, permittente

146 reproduzierte Bolland in lateinischer Übersetzung als Historia Inventionis SS. Sabini et Evnomii Epp. Demnach sei Marra von den Oberen der Kirche S. Maria Annuntiata in Neapel damit beauftragt worden, die ihrer Jurisdiktion unterstehenden kirchlichen Verhältnisse in Lesina zu überprüfen:130 Am 18. Tag des November im Jahr 1597 habe ich mich auf den Weg gemacht, ich bin, während eines sehr unangenehmen Unwetters, am 22. dieses Monats zur 19. Stunde in Lesina angekommen. Zuerst besuche ich mit einigen Bürgern die Kir-

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Clemente VIII Pont. Max. & in æde sanctissima Annuntiatæ digno honore reconditæ. Dies natalis S. Eunomij Episcopi ignoratur: ideò eum iunximus cum S. Sabino, cuius dies natalis est IX Februarij […].“ Vgl. zu Beatillo den Hinweis ebd., S. 336a: „[…] Antonius Beatillus noster, qui diligentißimè S. Sabini Episcopi Canusini res gestæ, miracula, translationes litteris mandauit, nos admonuit, alium omnino à Canusino esse Lesinensem hunc Sabinum.“ Beatillo hat hier also darauf aufmerksam gemacht, dass dieser Sabinus, anders, als es in den seit Carafa verbreiteten „Officien“ postuliert wurde, nicht mit dem am gleichen Tag gefeierten hl. Sabinus von Canosa († um 566) identisch sei. Nach freundlicher Auskunft Joassarts vom 12. Sept. 2005 sind diese Schriften nicht in der Bibliothek der Bollandisten erhalten. Vgl. zur Person Art. Beatillo, Antoine, in: Sommervogel, Bd. 1 (1890), Sp. 1071–1073; Paolo Delogu, Art. Antonio Beatillo, in: DBI, Bd. 7 (1965), S. 340–342; Sallmann, Naples (1994), S. 54. Ein Episkopat der heiligen Sabinus und Eunomius ist in Lesina nicht belegbar. Vgl. die bis heute gültigen Bischofslisten in der zweiten Ausgabe der ITALIA SACRA || SIVE || DE EPISCOPIS ITALIÆ, || ET INSULARUM ADJACENTIUM. || TOMUS OCTAVUS, || Continens Metropolim Beneventanam, ejusdemque suffraganeas || Ecclesias, quæ in Samnio, Regni Neapolitani || vetusta Provincia, sunt positæ. || AUCTORE || FERDINANDO UGHELLO || Florentino Abbate SS. Vincentii, & Anastasii ad Aquas Salvias, Ordinis || Cisterciensis, & Sacræ Congregationis Indicis Consultore. || Editio secunda aucta, & emendata, || CURA ET STUDIO || Nicolai Coleti, Ecclesiæ S. Moysis Venetiarum Sacerdotis Alumni. || VENETIIS, Apud Sebastianum Coleti. MDCCXXI. || SUPERIORUM PERMISSU, ET PRIVILEGIO, Sp. 309–313. Dieses randständige – und offenkundig wenig wohlhabende – Bistum war seit 1014 Suffragan des Erzbistums Benevent. Seit 1411 stand es unter der Jurisdiktion der Chiesa dell’Annunziata in Neapel. Insgesamt wurden von Ughelli und seinem Nachfolger bis ins 16. Jahrhundert 23 namentlich bekannte Bischöfe verzeichnet. Der früheste ist allerdings erst Nicolaus I. mit dem Amtsantritt im Jahr 1254, der zweite der ab 1265 regierende Bischof Perenus oder Peronus. Danach klafft eine weitere Lücke, die sich bis ins Jahr 1343 und zum Amtsantritt des Bischofs Laurentius erstreckt. Vgl. auch kurz Franz Buliþ, Art. Lesina (2), in: LThK, Bd. 6, 2 1961, Sp. 979. Es kann also nicht einmal ausgeschlossen werden, dass Marra in der Tat auf die Gräber von Bischöfen dieser Stadt gestoßen war, zu denen keine schriftliche Überlieferung existiert. Vgl. Bolland, De Sanctis Episcopis Sabino et Evnomio, AASS Februarii, Bd. 2, 1658, 9. Feb. Historia inventionis SS. Sabini et Evnomii Epp. Italicè scripta ab Aurelio Marra, ebd., S. 337–339, hier S. 337a–b: „Lesina Capitanatæ provincia in Apuliâ vrbs peruetusta, sed nunc magnam partem prostrata ac diruta, dominio sacræ Domus Annuntiatæ Neapolitanæ regitur. Cùm ergo superiore anno eiusdem Domus Moderatoribus relatum esset, binas Lesinæ Ecclesias, Annuntiatæ nimirùm ac Cathedralem, ita malè materiatas esse ac ruinosas, vt in iis sacra, ritibus Ecclesiasticis consentaneo decore, peragi minimè possent, ij tantis incommodis omni diligentiâ adhibere remedium statuerunt. Lectus ego Aurelius Marra ad eam rem, etsi minùs, quàm alij, idoneus, iussusque Lesinam provinciam, & tum ecclesiarum illarum sarta tecta, quà liceret, præstare, tum aliis vrbis necessitudinibus prouidere.“

147 che der Verkündigung, und diese finde ich zu einem großen Teil des Dachs entkleidet vor, so dass es kaum möglich war, in dieser den Abendmahlsgottesdienst zu feiern. Sodann sehe ich mit dem Kaplan und anderen die Hauptkirche an, die nicht weit davon entfernt ist. Diese fürwahr ermangelte so sehr jedes Dachs, dass es schien, dass sie es seit weit zurückliegenden Zeiten entbehrt hat. Die marmornen Mauern immerhin bezeugten die frühere Großartigkeit der Herstellung: mit den herausgerissenen und vollständig hinfort getragenen Fenstern und Türen jedoch zeigte das Übrige keine Spur einer Kirche […]. Der ganze Boden starrte von Kräutern und Früchten […] || Nachdem alles sorgfältig gemustert worden war, habe ich entdeckt, dass unter derselben Kirche eine Krypta war, zu der zwei Pforten und zwei Treppen hinabführten. Nachdem ich darauf erfahren hatte, dass dies das heilige Gemach des hl. Primianus gewesen ist, habe ich einen marmornen Bindebalken genau untersucht, der, zehn Handflächen lang und zweieinhalb hoch, wie sie sagten, die Oberschwelle der größeren Pforte gewesen ist. Auf diesem waren in kaum halb hervortretenden Reliefs unterschiedliche, gemeißelte Abbilder zu erkennen: im Zentrum war [das Abbild] Christi des Erlösers; auf der rechten Seite [das] des hl. Primianus, des hl. Firmianus, des hl. Bischofs Sabinus, des hl. Bischofs Eunonius; auf der linken des hl. Abts Paschasius, der hl. Ursula, des hl. Alexander, des hl. Tellurius: deren Namen, die seitlich der einzelnen Abbildungen, mit in Kurzform zusammengezogenen Buchstaben, angebracht worden sind, sind schließlich, nachdem emsige Anstrengungen unternommen worden waren, verlesen worden. Aber die sehr alten langobardischen Buchstaben rings um den Bindebalken sind schlecht zu lesen gewesen, weil der Marmorblock dermaßen auf den Boden geworfen, schimpflich beschädigt worden und durch langes Liegen in Mitleidenschaft gezogen war. 131

Ein angenehmer Duft, der der Suche Ziel und Richtung gab, 132 lenkte den Weg der Visitierenden in die Krypta selbst. 133 Nach Messe, Litaneien, Ge–––––––— 131

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Ebd., S. 337b: „Die Nouembris XVIII anno MDXCVII iter ingressus, perquàm incommoda tempestate, Lesinam XXII eiusdem mensis, hora XIX perueni. Primùm ad Annuntiatæ templum adeo cum ciuibus nonnullis, idque magnam partem tecto nudatum reperio, vix vt in eo celebrari Missæ sacrificium posset. Inde cum Sacellano & aliis principem basilicam, haud longè distantem, viso. Ea verò ita tecto omni carebat, vt multis retro temporibus caruisse videretur. Muri quidem marmorei, pristinam fabricæ magnificentiam testabantur: ceterùm fenestris ac ianuis reuulsis planeque ablatis, reliquum nullum erat ecclesiæ vestigium […]. Solum omne herbis ac fructibus horrebat. […] || Omnibus diligenter lustratis, animaduerti sub ipsâ ecclesiâ cryptam esse, ad quam binæ ianuæ binique gradus ducerent. Dein cùm didicissem S. Primiano sacram eam ædem fuisse, accuraté inspexi humi stratum marmoreum epistylium, decem palmos longum, altum duos & semis, quod maioris ianuæ superliminare fuisse aiebant. In eo vix dimidiatim prominentibus anaglyphis variæ sculptæ effigies visebantur: media Christi Saluatoris erat; ad dexteram partem S. Primiani, S. Firmiani, S. Sabini Episcopi, S. Eunonij Episcopi; ad læuam S. Paschasij Abbatis, S. Vrsulæ, S. Alexandri, S. Tellurij: quorum nomina ad singularum imaginum latera, contractis in compendium litteris, efformata, sedulâ adhibitâ operâ perlecta tandem sunt. At circúm epistylium antiquissimi Longobardici characteres difficulter legi potuerunt, quòd marmor ita humi abiectum, fœdè labefactatum, ipsoque situ corrosum erat.“ Vgl. grundsätzlich Jean-Pierre Albert, Odeurs de sainteté. La mythologie chrétienne des aromates, Paris 1990, S. 169f.; Angenendt, Heilige (21997), S. 121f. Ein Forschungsstand zu inventiones jenseits des hohen Mittelalters existiert nicht. Vgl. Signori, Humanisten (1999), S. 221 mit Anm. 75. Vgl. Bolland, De Sanctis Episcopis Sabino et Evnomio, AASS Februarii, Bd. 2, 1658, 9. Feb. Marra, Historia inventionis, S. 337b: „Multa isthic terræ ruderumque congeries. Vnum ex hisce ostiis ingressus, quod humore aliquo circumfuso madere videba-

148 beten und Grabungen wurde am folgenden Tag ein Kästchen mit Knochen freigelegt, dessen Inschriften sie als die Reliquien des hl. Confessors Paschasius auswiesen. 134 Diese und die in den anschließenden Tagen und Wochen geborgenen capsae, die einige lokale Potentaten an sich zu bringen suchten, 135 wurden am 4. März 1598 nach Neapel transferiert, nachdem die Chiesa dell’Annunziata auf Drängen Marras einen in Begleitung eines päpstlichen Nuntius erscheinenden Vertreter nach Lesina entsandt hatte. 136 Carafas „Officien“ wurden für Bolland zum Ausgangspunkt, um einige Worte zur Identität dieses Heiligen zu verlieren, denn: „Wer […] dieser Paschasius gewesen sein mag, welches Klosters Abt, auf welche Weise seine Reliquien nach Lesina gebracht worden sind, erläutert kein Autor […].“ 137 Es schien Bolland möglich, das Attribut des „Abbas“, das bei Marra einem zerrütteten Architrav zu verdanken war, durch einige Indizien zu stützen. Aus einem vage umschriebenen Martyrolog italienischer Her–––––––— 134

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tur, sensi, præter omnem expectationem, quippe è subterraneo loco, suauissimum odorem afflari. Ergo, quod vulgò nemo faciebat, in cryptam descendi […].“ Vgl. ebd.: „Die Lunæ, XXIV mensis, Missâ ibidem peractâ, recitatisque Litaniis & aliis precibus, fodere cœpi, cum Sacellano ac Diacono, & his quid molirer celatis, donec quod quærebam adipiscerer. Erat verò fabrica durissimo marmore coagmentata, saxis adeò vastis, vix vt seni homines singula attollere humo valuissent. Cumque ad palmos quatuor sub altari terram effodisssem, incidi in marmoream capsam palmos quatuor longam, latam vnum aut aliquantò ampliùs, operculo marmoreo tectam. In eâ ossa complura, supra quæ lamina plumbea tres lata digitos, longa quatuor, in quâ erat scriptum, S. PASCHASIVS; in imâ verò marmorei operculi parte hæ sculptæ voces: S. PASCHASIVS CONFESSOR.“ Vgl. ebd., S. 338b: „[…] plures viri nobiles per Sacellanum ac Syndicum mihi millenos aureos pro singulis capsis offeri curassent, si eas ipsis tradere vellem. Quod absit.“ Vgl. ebd., S. 338b–339a: „[…] Diuino auxilio ad tanti thesauri custodiam mihi opus esse sentiebam, multorum piorum hominum preces per litteras efflagitaui, vt cum mihi liceret saluum Neapolim deportare. Ita demum (quo nomine Deo Opt. Max. & sanctissimæ Annuntiatæ singulares debeo gratias) absque vllo incommodo aut damno, non meo merito, sed ipsorum præsidio Sanctorum, euenit. || Die secundo Martij MDXCVIII sub horam XVI appulit Lesinam vnus è Gubernatoribus dictæ Neapolitanæ domus, cum Nuntij Apostolici, quæ eum meque exequi oporteret, mandatis. Cùm ei reliquias suprà scriptas, eodem planè, quo inuentæ fuerant, modo reconditas, coram multis testibus, atque iis ipsis qui primæ inuentioni interfuerant, ostendissem […]. || Die IV Martij, exemptæ reliquiæ omnes, relictâ tamen in eadem Confessione, seu cryptâ, parte singularum aliquâ: & multis è Capucinorum familiâ, aliisque concinentibus, cereosque accensos manu gestantibus, quantâ eo in loco fieri potuit solennitate, impositæ tribus thecis operculo arcuato insignibus, bysso candidâ intus munitis, ad eam rem Neapoli allatis; & Neapolim deuectæ, in ecclesiâ Pietatis ad gradus S. Ioannis de Carbenariâ depositæ sunt, donec maiori apparatu supplicatio institueretur, vt ad ecclesiam Annuntiatæ Romano Pontifice annuente, transferrentur. Sunt quoque, in publicum narratæ iam rei testimonium, Neapolim aduectæ ipsæ marmoreæ capsæ, in quibus repertæ Reliquiæ fuerant.“ Bolland, De S. Paschasio, AASS Februarii, Bd. 2, 1658, 10. Feb., S. 491a–b: „Quis […] hic fuerit Paschasius, cuius monasterij Abbas, quo pacto eius Reliquiæ Lesinam delatæ, nemo […] explanat scriptor.“

149 kunft, „das in unserem Besitz ist“ und das wahrscheinlich seinerseits aus einer von Beatillo kommunizierten Information bestand, ging zum 10. Februar die depositio eines seligen Abts Paschasius im Kloster Monte Sant’Angelo hervor. 138 Eine analoge Quelle hatte freilich auch den Verfassern des „Officium“ vorliegen müssen, da die Zuordnung des hl. Paschasius zu diesem Festtag sonst nicht möglich gewesen wäre. Die räumliche Nähe von Monte Sant’Angelo zu Lesina ließ in den Augen Bollands dieses Kloster als möglichen Ursprungsort der Reliquien in Erscheinung treten. 139 Die entscheidende Identifikationsleistung war für ihn mit der 1581 in Neapel von dem Prior des Klosters Santa Maria di Monte Vergine Felix Renda publizierten Kompilation Vita et obitus Sanctissimi confessoris Guilielmi Vercellensis, sacri monasterii Montis Virginis de Monte fundatoris erbracht, in der ein hl. Paschasius als siebter Abt der zwischen 1118 und 1120 durch Wilhelm von Vercelli († 1142) gegründeten Benediktinerabtei Montevergine bei Avellino ausgewiesen wurde. Da dort von Reliquien dieses Heiligen sowohl in Montevergine als auch in einer Kapelle des Klosters Goleto bei Sant’Angelo dei Lombardi die Rede war, könnte, so Bolland, der Tod Paschasius auf einer Pilgerfahrt zum Michaelsheiligtum in Monte Sant’Angelo auf dem Gargano, mithin in dem in diesem Gebirgszug beheimateten und der Kongregation von Montevergine zugehörigen Kloster Santa Maria di Pulsano ereilt haben. Das Todesjahr setzte Bolland auf etwa 1200 an. 140 Nicht ersichtlich ist dabei, ob Bolland Rendas Vita Guilielmi vollständig oder nur in Exzerpten Beatillos zur Verfügung stand. Denn in der Vita war –––––––— 138

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Vgl. ebd., S. 491b: „In veteri Martyrologio antè secula aliquot, in Italiâ (vt ex variis indiciis colligere licet) exarato, quod penes nos est, Kalendis Februarij ista leguntur: In monte Gargano depositio B. Paschasij Abbatis.“ Vgl. ebd.: „Cùm autem non longè à monte Gargano absit Lesina, nihil dubitem afferere, huc illius esse exuuias deportatas.“ Vgl. ebd.: „Quid si autem is [Paschasius] fuit septimus Abbas Montis Virginis? De eo Felix Renda in Vitâ S. Guilielmi fundatoris, editâ Neapoli anno MDLXXXI: D. Gabriele Abbate VI mortuo, septimus fuit electus, diuino spirante Numine, Pascasius Sanctus: cuius corpus sanctissimum, inter Sanctorum corpora in sanctuario prædicto reperitur ad præsens: suæ enim sanctitatis merito, sicut cum Christi dilectis obdormiuit in terrâ, ita cum electis gaudet in cælis. Idem alibi inter Reliquias sacrarij Guletensis prope Miscum vrbem Hirpinorum, recenset Corpus S. Paschasij VII Abbatis Montis Virginis. Is forsan S. Michaëlis venerandi caußâ profectus ad montem Garganum, illic, vel in Pulsanensi cœnobio eiusdem Ordinis, deceßit: Reliquiæ quapiam caußâ Lesinam delatæ, pars reddita Guletensibus. Sic hic est, quem (vt in re obscurâs fas est) diuinamus, circa annum MCC videtur obiisse.“ Diese Passage aus der Vita Guilielmi Rendas zitiert Giovanni Mongelli, Storia di Montevergine e della congregazione verginiana, Bd. 2 [= Bd. 1, 2. Teilbd.]: Dalle origini alla fine della dominazione angiovina (sec. XII–1430), Neapel 1965, S. 707, Anm. 71: „D. Gabriele Abbate VI mortuo, septimus fuit electus divino spirante numine Pascasius Sanctus […].“ Vgl. zu Rendas Vita Guilielmi Giovanni Mongelli, Introduzione, in: Legenda S. Guilielmi. Edizione critica a cura di Giovanni Mongelli, Montevergine 1962, S. 1–14, hier S. 3.

150 das Jahr des Ablebens des Abts präzise auf 1201 datiert worden, dem, wie es hieß, sechundsechzigsten des Lebensjahrs des Paschasius. 141 Mit diesen Erwägungen befanden sich Bolland oder sein Informant Beatillo nicht ganz auf der Höhe der Historiographie der Kongregation selbst. Die 1585 gedruckte Vera istoria dell’origine e delle cose notabili di Montevergine Vincenzo Veraces und Tomasso Costos hatte Eustasius (reg. 1196– 1197) als den siebten Abt von Montevergine benannt und keinen Abt Paschasius verzeichnet. 142 In der von dem Kongregationsgeneral von Montevergine Giovanni Giacomo Giordano im Jahr 1643 publizierten Vita sanctissimi Patris Guilielmi Vercellensis Abbatis Fundatoris Congregationis Montis Verginis wurde erstmals die Annahme geäußert, dass es sich bei Paschasius, wie es sich in der Vita des Abts Donatus (reg. 1206–1219) angedeutet fand, um einen etwa zeitgleich lebenden Abt des Klosters S. Onofrio di Massa Picentina handeln könnte. 143 Giovanni Mongelli vermutete, dass der – jenseits Rendas Vita Wilhelms von Vercelli von 1581 – in keiner schriftlichen Quelle des Mittelalters nachzuweisende Abt „Paschasius“ bei Renda als Verlesung von „Eustasius“ Gestalt gewonnen haben könnte. In der von Mongelli ausgewerteten handschriftlichen Chronologia virorum illustrium et rerum eximiarum Congregationis Montis Virginis von 1656 wurde Rendas Darstellung ausdrücklich diskutiert und zurückgewiesen. Trotz allem enthielt das in die Chronologia inkorporierte Inventar der Reliquien von Montevergine den Passus: „Il Corpo di S. Pascasio, Abbate di Monte Vergine“. 144 Nach einer Tafel in der Sakristei von Montevergine war es der 13. November, an dem dort seiner gedacht wurde. 145 Noch rund 50 Jahre nach Bolland galt Papebroch 1709 im Dossier zu Wilhelm von Vercelli Paschasius mit Renda als siebter Abt von Montevergine. Er vermutete, dass dieser Abt keine besondere Verehrung auf sich vereinigt hatte („non tamen videtur cultum specialem habere“), ohne dass er Bollands

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Vgl. die Vita Guilielmi, zitiert nach dems., Storia, Bd. 2 [= Bd. 1, 2. Teilbd.] (1965), S. 707, Anm. 71: „Post obitum huius [des sechsten Abts] tribus annis elapsis S. Pascasius VII Abbas praedictus interiit. Cuius Sancti viri Corpus inter Sanctorum Corpora collocatum in Virginis Monte colitur. Interiit anno Domini 1201, aetatis vero suae 66.“ Ob Bolland diese Vita besaß, scheint nicht entscheidbar. Er verfügte nachweislich über einige von Beatillo übersandte Informationen, die sich im Ms. 123 der Bibliothek der Bollandisten erhalten haben. Freundliche Auskunft von Joassart vom 12. Sept. 2005. Vgl. ebd., S. 707f. mit Anm. 73; zu Eustasius ders., Storia, Bd. 1 [= Bd. 1, 1. Teilbd.] (1965), S. 141–145. Vgl. ders., Storia, Bd. 2 [= Bd. 1, 2. Teilbd.] (1965), S. 708f.; zu Donatus ders., Storia, Bd. 1 [= Bd. 1, 1. Teilbd.] (1965), S. 168–182. Zitiert nach ders., Storia, Bd. 2 [= Bd. 1, 2. Teilbd.] (1965), S. 708 Anm. 73; zu seinen Reliquien in Montevergine ebd., S. 709 mit Anm. 78. Vgl. ebd., S. 709.

151 älteren Versuch des Brückenschlags zu dem in Neapel verehrten hl. Paschasius noch vor Augen hatte. 146 Eigene Recherchen, die den Möglichkeiten der vor Ort wirkenden Historiographen der Kongregation vergleichbar gewesen wären, standen weder Bolland noch Beatillo zu Gebote. Der vermittelte Status der Daten und Exzerpte näherte sich in diesen Dossiers im Idealfall der bereits existierenden publizistischen Lage, ohne sie immer zu erreichen. Dies lässt sich an einem weiteren Beispiel verdeutlichen. Durch den Konstanzer Jesuiten Daniel Feldner (um 1589–1641) hatte Bolland, wie er sagte, „ex Necrologio“ 147 den St. Galler Mönch und irischen Inklusen Eusebius für die Acta Sanctorum gewonnen. Feldner hatte Bolland am 24. Mai 1640 eine kalendarisch gegliederte Aufstellung zukommen lassen, die insgesamt vierzehn St. Galler Heilige oder Selige und ihre vernakulärsprachlichen Kurzbiographien enthielt. Feldner selbst hatte den – von einer anderen Hand geschriebenen – Text mit den Worten überschrieben: „Beati quidam Monasterij S. Galli, ex Necrologio eius Monasterij.“ 148 Der Eintrag zu Eusebius berichtete von dessen Martyrium im Jahr 884. Nachdem Eusebius von aufgebrachten Anwohnern mit einer Sichel enthauptet worden sei, habe er das entfernte Körperteil gegriffen und in seine Zelle auf dem Viktorsberg getragen: 31. Januarij || Heüt würdt lobwürdtige gedächtnus gehalten vnßers Seeligen Münches vndt Martirers Eusebij, welcher auß Schottlanden geborn, in dem Gotts Hauß St. Gallen Klösterliches Leben angenomen, hernach auß liebe deß beschwerlichen lebens in die Eimöde auff St. Victors berg sich begeben. alda er biß in die 50. iahr lang Gott embisig gedienet, vnd zur solchen hochheit der tugenten komen, daß er auch auß prophetischem gaist vil ding vorgesagt. vnnd endtlich ihne, weil er die Inwohner selbiger gegne wegen Vbertrettung aines feürabendts gestrafft, sein Haupt von ainem Gottlosen mit ainer segißin abgehauwen. Im iahr Christi 884. Er aber name sein abgeschlagnes haupt in seine Händt, vnd trug es auf den berg zur seiner Cell, alda sein Leib ruohet, vnd würdt von den gläubigen andächtig besuochet. 149

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Vgl. D[aniel] P[apebrochius], De S. Guilielmo Abbate Fvndatore Eremitarvm Montis Virginis sub Regula S. P. Benedicti, Gvleti apvd Nvscvm in Apvlia, in: AASS Iunii, Bd. 5, 1709, 25. Jun., S. 112–139. Appendix. De duobus præcipuis Conventibus, ebd., S. 134–139, hier S. 137b. AASS Ianuarii, Bd. 2, 1643, Index Sanctorum [unpaginiert], [S. 5]: „31 Eusebius mon. S. Galli in Heluetiâ, M. ex Necrologio Monast.“ BRB, Coll. boll. Ms. 8004–17 (3452), fol. 264r–265v, hier fol. 264r. Ebd.

152 Bolland reproduzierte diesen Text in lateinischer Übersetzung. 150 Nicht verfolgt hatte er Feldners Hinweis, dass sich in Melchior Goldasts Rerum Alamannicarum Scriptores von 1606 weitere Materialien zu den in Rede stehenden Heiligen finden lassen würden. 151 Goldast, der in der von einigen Konflikten geprägten Auseinandersetzung um den Zugriff auf die St. Galler Überlieferung eine prominente Rolle spielte, 152 hatte die Casus Sancti Galli Ratperts († vor 911) und Ekkeharts IV. († nach 1056) von St. Gallen publiziert. Diese hätten in der Tat dazu beitragen können, Bollands kurzes Dossier mit etwas mehr Evidenz auszustatten. Bei Ratpert wurde – eine auch urkundlich bezeugte – Episode geschildert, wonach Karl der Dicke († 888) auf Drängen des Inklusen Eusebius dem Kloster St. Gallen den Viktorsberg übertragen habe. 153 Bei Ekkehart fand sich berichtet, wie Eusebius der Mut–––––––— 150

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Vgl. De B. Evsebio Monacho S. Galli, Martyre, in: AASS Ianuarii, Bd. 2, 1643, 31. Jan., S. 1130f.: „Nobile S. Galli in Heluetiâ monasterium est, & oppidum […]. Hîc memoria agitur pridie Kalend. Februarij B. Eusebij monachi & Martyris. De quo ista in Necrologio eiusdem monasterij, à Daniele Feldnero nostro Constantiâ accepimus. || Hodie honorifica recolitur memoria beati monachi nostri & Martyris Eusebij: qui è Scotiâ oriundus, in cœnobio S. Galli religiosum institutum amplexus. Deinde solitariæ vitæ desiderio inflammatus, in montem S. Victoris secessit, ibique ad annum quinquagesimum sanctissimè vixit, atque eò sanctimoniæ processit, vt prophetiæ spiritu multa prædixerit. Demum cùm accolatum scelera verbis castigaret, eorum quidam caput illi falce præcidit, sub annum Christi 884. Verùm ipse præsectum caput, manibus sublatum ad cellam suam in montem deportauit; vbi nunc eius reliquiæ asseruantur, & religioso piorum hominum concursu visitantur.“ Vgl. zur Person Art. Feldner, Daniel, in: Sommervogel, Bd. 3, 1892, Sp. 589. Vgl. Feldner an Bolland, Konstanz, 24. Mai 1640, BRB, Coll. boll. Ms. 8004–17 (3452), fol. 265v: „Rde Pater. De his Beatis reperiet R.a V.a aliqua in Scriptoribus Santgallensibus apud Goldastum in Tomis Rerum Allemannicarum, quæ forte [?] ad Institutum Ræ V.æ magis facient.“ Vgl. Benz, Tradition (2003), S. 90f. Vgl. Ratperti Monachi S. Galli liber de origine et diversis casibvs monasterii S. Galli in Alamannia, in: RERUM || ALAMANNI- || CARUM || SCRIPTORES ALIQVOT VETVSTI, || à quibus || ALAMANNORUM QUI || NUNC PARTIM SUEVIS, PARTIM || HELVETIIS CESSERE, HISTORIÆ TAM SÆCU- || LARES QUAM ECCLESIASTICÆ TRA- || DITÆ SUNT. || Tribus Tomis divisi, || CVM GLOSSIS RERVM ET VERBORVM DIFFICILIORVM, || Ex Bibliotheca || MELCHIORIS HAIMINSFELDII GOLDASTI. || Cum INDICE rerum & verborum accuratissimo. || FRANCOFVRTI, || Impensis JOHANN-MARTINI PORSSII, || Bibliopolæ. || Typis JOHANNIS GEORGII SPÖRLIN. || ANNO M. DC. LXI., S. 1–11, hier S. 10: „Quendam etiam montem situm in Rhetia Curiensi, in quo constructa est basilica S. Victoris martyris, cuius & nomine vocatur idem locus Mons Victoris, ipso tempore ad monasterium S. Galli contradidit [Carolus], firmitatisque cartam regia auctoritate exinde fieri iussit, rogante Eusebio Scotigena, qui ibidem per XXX. annos spontane è clausus Domino serviebat: anno vero incarnationis Dominicæ DCCCLXXXIIII. pridie Kalend. Februarias de hac luce migravit ad lucem perennem.“ Vgl. St. Galler Klostergeschichten (Casus sancti Galli), hrsg. u. übers. v. Hannes Steiner (MGH SS rer. Germ in us. schol. 75), Hannover 2002, c. 31, S. 230: „Quendam etiam montem situm in Hretia […].“ Vgl. dazu Viktor Wratzfeld, Eusebius vom Viktorsberg. Geschichte – Legende – Kult. Ein Beitrag zur Geschichte der Heiligen Vorarlbergs (Schriften zur Vorarlberger Landeskunde 11), Dornbirn 1975, S. 15f., 20ff., 27ff.,

153 ter Isos von St. Gallen († 871), nach unrechtmäßigem Beischlaf während der Fastenzeit und folgender Schwangerschaft, aus einem Traum prophezeite, der zu erwartende Sohn werde als St. Galler Mönch ein berühmter Lehrer werden. 154 Ähnlich wie im Fall des hl. Paschasius handelte es sich um einen vergleichsweise jungen Kult. Nach den Studien Viktor Wratzfelds ist die Erzählung der Enthauptung erstmals 1598 in einer Flugschrift des Kartographen Johann Georg Tibianus (um 1541–1611/12) nachzuweisen.155 Die Legende, welcher das bei Ekkehart entfaltete Motiv der Feiertagsheiligung zugrunde lag, ist aber wahrscheinlich deutlich älter. Sie könnte ihren Ausgang von dem 1383 gegründeten Minoritenkloster auf dem Viktorsberg –––––––—

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31ff.; Johannes Duft, Der Pilger Eusebius († 884). Irische Pilger und ihr Hospiz [1956], in: Die Abtei St. Gallen, Bd. 2: Beiträge zur Kenntnis ihrer Persönlichkeiten. Ausgewählte Aufsätze in überarbeiteter Fassung von Johannes Duft, Sigmaringen 1991, S. 119–126, hier S. 122f. Vgl. Ekkehardi ivnioris coenobitæ S. Galli liber de casibvs monasterii S. Galli in Alamannia, in: Goldast, Scriptores, 21661, S. 12–61, hier S. 22: „Sed mulier illa concubitu illo cum esset gravida, & tempore labente propinqua jam partui ericium perperisse somniaverat, puerulosque plures, ut stimulos ei eruerent, accurrisse, & parietes ejus caraxasse viderat: Evigilans nimis stupida somnium viro narrat. Qui in Deo confisus somnium illud nihil mali portendere, ad inclusum in monte Victoris Eusebium pergens conjectorem fore ejus rogavit. Filium, inquit, uxor tua pariet, quem S. Gallo vocabis: apud illum enim educatus Doctor erit magnificus, & multos pueros ipse, asper disciplinis, stilis armaturus. Factum est: ut vir ille spiritu Dei plenus Sanctique Galli compatrianus prædixerat […].“ Vgl. Ekkehard IV. St. Galler Klostergeschichten, hrsg. u. übers. v. Hans F. Haefele (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters. Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe 10), Darmstadt 1980, c. 31, S. 74: „Sed mulier illa concobitu […].“ Vgl. Wratzfeld, Eusebius (1975), S. 16ff., 29ff. Vgl. ebd., S. 63ff. Der Text der Flugschrift ist abgedruckt als: Historia von dem H. Eusebio, in: Alemannia 10 (1882), S. 113–116, hier S. 114: „Zu solchem Bildt [der hl. Anna] kam offt dieser heilig Mann, seine Andacht vor gemeldtem Bilde zu vollbringen, insonderheit aber, wann es umb den Feyerabend war, und er gar hinauf auf S. Vicktors Berg gehen wollt. Der gemein Pöfel aber, so sich an der ersten ungern zum Gottesdienst ergibt, war diesem Eusebio sehr auffsetzig, dann er hat sie oftermalen nach dem Feyerabend gütiglichen von der Handarbeit abzustehn ermanet, daher dan etliche ein heimlichen und offentlichen Neid auff in warffen […]. […] derwegen als etliche grobe Bauern […] im Hewmonat Graß abmäheten, und dieser Eusebius seiner gewohnheit nach auff den S. Vicktors Berg auff den Feyrabent vorhabends zu gehn, allda zu betten knewet er vor gemeldtem S. Annen Bildt nieder, verricht sein Gebett, […] sie zu, kompt einer auß den vermeldten Mädern auß gefaßten zorn gegen ihn, mit auffgehobener Sägiß gegen ihme geloffen, deß vorhabens ihn von dem Bildt hinweg zu treibe: weil aber Eusebius wol sahe, was aber die Natur und Eigenschaft dieses bösen Menschen währe, und er zuvor im Geist Gottes gewißt, daß er der Martyrer Kron solt erlangen, gab er diesem Gottlosen Menschen […] kein Antwort […]. Darauff gemeldter Mäder auß Teuflischem Zorn und eingeben gegen ihm ergrimmet, zuckt seine Sägiß […], schlug und säget ihm damit sein heiliges Haupt ab […]. Hierauff dieser H. Mann sein abgesägtes Haupt in die Handt genommen, hatt dasselbig, gleich wie der H. Dionysius vorzeiten und der H. Placidus, noch einen weiten Weg, auff S. Vicktors Berg, in den Händen getragen.“

154 genommen haben. Seit dem ersten Drittel des 17. Jahrhunderts verbreitete sie sich in der St. Galler Historiographie. 156 In den St. Galler Nekrologien – im heutigen Wortsinn – des 10. bis 16. Jahrhunderts ist sie allerdings nicht nachzuweisen. Diese verzeichnen allein den Namen des „reclusus“ Eusebius. 157 Bolland scheint Feldner noch im Vorfeld der Publikation darum gebeten zu haben, sich genauer nach der Herkunft dieses „Nekrologs“ zu erkundigen. Einem Brief, der am 4. August 1640 von Modestus Spiess, vielleicht einem St. Galler Conversus, an Feldner adressiert und von diesem an Bolland weitergeleitet worden war, konnten allerdings wenig mehr als eben jene Informationen entnommen werden: Die an Feldner ausgehändigten „elogia“ würden in St. Gallen zu den Mahlzeiten verlesen. Sie seien der Ordenschronistik zu verdanken und die Namen der besagten Seligen, wie es nun hieß, im „Menolog“ des Klosters verzeichnet. 158 Zusammen mit diesem Schreiben hatte Feldner ein Blatt mit Kurzviten weiterer sechs St. Galler „Seliger“ erhalten, das von ihm mit den Worten gekennzeichnet worden –––––––— 156 157

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Vgl. Wratzfeld, Eusebius (1975), S. 66–78, 80ff. Vgl. ebd., S. 25f.; 67: „So gibt Johannes Bollandus […] völlig unkritisch eine ihm vom Konstanzer Jesuiten Daniel Feldner […] übermittelte, kurze Eusebius-Vita wieder, die angeblich einem St. Galler Nekrolog entstammen soll; dieses Nekrolog scheint jedoch unter den Bibliotheks- und Archivbeständen des ehemaligen Klosters nicht auf.“ Grundlegend für die nekrologische Tradition im heutigen Verständnis war das um 956 angelegte Nekrolog im Codex Sangallensis 915: Libri anniversarium et necrologium monasterii Sancti Galli, in: MGH Necrologia Germaniae, Bd. 1: Dioeceses Augustensis, Constantiensis, Curiensis, hrsg. v. Franciscus Ludovicus Baumann, Berlin 1888, S. 462–487, hier S. 464, Ian. 31. „II. kal. Ob. Eusebii reclusi“. Dieser knappe Wortlaut blieb auch in späteren Versionen erhalten. Zur Datierung Eckhard Freise, Kalendarische und annalistische Grundformen der Memoria, in: Memoria. Der geschichtliche Zeugniswert des liturgischen Gedenkens im Mittelalter, hrsg. v. Karl Schmid/Joachim Wollasch (MMS 48), München 1984, S. 440–577, hier S. 482f. Eine Sammlung lateinischer Kurzviten, die unter anderem eine Vita des hl. Eusebius beinhaltet, bietet der zwischen um 1600 und 1628 entstandene Codex 1980 der St. Galler Stiftsbibliothek mit „Viten und Verzeichnisse[n] berühmter Äbte und Mönche des Stifts St. Gallen“. Vgl. Beat Matthias von Scarpatetti, Die Handschriften der Stiftsbibliothek St. Gallen. Beschreibendes Verzeichnis. Codices 1726–1984 (14.– 19. Jahrhundert). Mit einer Einleitung zur Geschichte der Katalogisierung von Johannes Duft, St. Gallen 1983, S. 244, Ms. 1980, Nr. 73–84. Sofern die direkte Vorlage für Feldners Viten noch erhalten ist, wäre sie wahrscheinlich unter den vernakulärsprachlichen Liturgica zu suchen. Da diese in den meisten Fällen nicht im Detail katalogisiert sind, wäre diese Frage allerdings nur vor Ort zu klären. Grundsätzlich ist zu reflektieren, dass die Gattungsbezeichnungen der frühen Neuzeit nicht notwendig mit den heutigen zusammenfallen. Wie im Folgenden zu thematisieren ist, variierten sie im vorliegenden Fall bereits in der Kommunikation der Bollandisten. Vgl. Modestus Spiess an Feldner, St. Gallen, 4. Aug. 1640, BRB, Coll. boll. Ms. 8004–17 (3452), fol. 267r: „Beatorum nostrorum elogia, de quibus R. V.a me consulit, legimus suis temporibus sub cæna […]. sunt autem desumta ex Chronicis Cænobij n[os]tri, […]. Jn Menilogio nostro nomina istos BB. vi[dentu]r Eusebium, Victorem […].“

155 war: „Beati aliquot ex menologio monasterij S. Galli, qui in aliâ chartâ omißi fuerant.“ 159 Das Bedürfnis, das in Antwerpen entstehende Sammelwerk mit gehaltvolleren Materialien aus der Bibliothek des Klosters auszustatten, scheint sich in St. Gallen also in Grenzen gehalten zu haben, auch wenn der hl. Eusebius für die Bemühungen des Klosters steht, Teile des historischen Personenspektrums aus dem allgemeineren Toten- ins speziellere Heiligengedenken zu überführen. Mit dem Festtag des 31. Januar verlieh das im Jahr 1646 gedruckte Proprium Curiense der liturgischen Memoria an den heiligen oder seligen Eusebius in der Diözese Chur Verbindlichkeit. 160 Auf Initiative des Klosters wurde sein Kult 1730 päpstlich approbiert. Anschließend an die feierlich begangene Translation einer Eusebiusreliquie in das Kloster St. Gallen im Jahr 1731, gesteigert durch den Erwerb der verbleibenden Reliquien im Jahr 1786, die durch die Säkularisation des Minoritenkonvents vom Viktorsberg ermöglicht worden war, und begleitet von einer sich ausfaltenden Propagierung des Kults in Schrift, Bild und Skulptur entwickelte sich Eusebius zu einem der populärsten Heiligen der Region. 161 Das kleine Dossier in den Januarbänden der Acta Sanctorum ließ von dieser späteren Entwicklung noch nichts erahnen. Die meisten der von Feldner kommunizierten Kurzviten wurden in den Acta Sanctorum nicht gesamtheitlich zitiert. Gleichwohl gerieten die St. Galler Abschriften nicht völlig in Vergessenheit. Den Eremiten und vormaligen St. Galler Mönch Victor beispielsweise registrierten die Bollandisten unter den Praetermissi des 28. Februar. 162 Der als selig qualifizierte –––––––— 159

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Ebd., fol. 266r–v, hier fol. 266r. Modestus Spiess scheint bei den Jesuiten in Dillingen studiert zu haben. Erhalten ist die Disputation aus dem Jahr 1621: POENITENTIAE || SACRAMENTVM. || De Quo || MENSE IVNIO DIE XXI. || IN INCLITA CATHOLICA || VNIVERSITATE DILINGANA. || PRAESIDE || IACOBO BIDERMANO || SOCIETATIS IESV SS. THEOLOGIAE || PROFESSORE ORDINARIO, || PVBLICE || Disputarunt disceptarunt. || Religiosi Candidati. || FF. || MODESTVS SPIESS. || PIVS REHER. || VTERQVE ORDINIS S. BENEDICTI AD || S. GALLI PROFESSI. || Pro vtroque Baccalaureatu Theologico || consequendo. || DILINGAE, || Formis Academicis. || Cum Facultate Maiorum. || APVD VDALRICVM REM. || M. D. C. XXI. (VD17, 12:153575Z). Die Vermutung, dass es sich um einen St. Galler Conversus gehandelt haben könnte, stützt sich auf die von „P. Modestus Spiess Conv. S. Gall.“ stammende „Introductio ad partitiones astronomiae et geometriae“, die sich im Ms. 1615 der Stiftsbibliothek St. Gallen erhalten hat. Vgl. Gustav Scherrer, Verzeichniss der Handschriften der Stiftsbibliothek von St. Gallen, Halle 1875 (Neudruck Hildesheim/New York 1975), S. 498, Ms. 1615. Vgl. Wratzfeld, Eusebius (1975), S. 111f. Vgl. ebd., S. 117–124. Vgl. BRB, Coll. boll. Ms. 8004–17 (3452), fol. 264r: „28. Februarij. || An disem tag starb der seelige Victor, vnßer Münch, welcher von hoch adenlichen Eltern geboren alhie den Klösterlichen Orden angenomen. war erstlich in seiner Jugent frech vnd stoltz, wie wol er mit seinem ingenis vnd geschickligkeit vil andere 5bertroffen […].“ Vgl. AASS Februarii, Bd. 3, 1658, 28 Feb., Prætermissi, S. 717–719, hier S. 717b: „Victor eremita & monachus S. Galli in Heluetiâ, è nobili familiâ exortus, […] in-

156 Iso, der jedoch sehr wohl eine lokale Verehrung genoss, trat zum 14. Mai seinerseits in den Praetermissi in Erscheinung. 163 Gänzlich übergangen wurde hingegen zunächst der Conversus Hermann, der mit dem Festtag des 13. Oktober theoretisch in den 1794 erscheinenden sechsten Band des Oktober hätte aufgenommen werden können. 164 Hermann wurde erst 1875 in den Nachträgen zu den Oktoberbänden unter den Praetermissi des 12. Oktober verzeichnet, in diesem Fall im Rekurs auf Heinrich Murers (1558– 1638) erstmals 1648 gedruckte Helvetia sancta und ohne die alten Abschriften aus St. Gallen zu verwenden. 165 Im Dossier zu Notker dem Stammler († 912), das in den Aprilbänden erschien und auf insgesamt breitere Traditionen zurückgreifen konnte, rekurrierte Papebroch auf die – nun als „Hagio–––––––— 163

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signi ingenio præditus erat […].“ In „Necrologio monasterij MS. cuius ecgraphum habemus, aßignatur diei XXVIII Februarij […].“ Vgl. BRB, Coll. boll. Ms. 8004–17 (3452), fol. 264v: „14. Maij. || An disem tag vorschidt vnßer Gott seliger Vatter Json, der von Edlen teütschen geschlecht geboren, […].“ Vgl. AASS Maij, Bd. 3, 1680, 14. Mai, Prætermissi, S. 262–264, hier S. 262b: „Yso monachus S. Galli refertur in hoc die in Necrologio monasterii S. Galli […].“ Er wurde nicht aufgenommen, weil „nulla ejus mentio in Officiis propriis dictæ Abbatiæ anno MDCXII excusis.“ Vgl. zu Iso Johannes Duft, Literatur und Quellen zu Iso [1984], in: ders., Abtei, Bd. 2 (1991), S. 73–90; ders., Isos Geburt, Wirksamkeit und Tod [1984], in: ebd., S. 91–108; ders., Isos Schrifttum [1984], in: ebd., S. 109–117; Werner Vogler, Art. Iso v. St. Gallen, in: LThK, Bd. 5, 31996, Sp. 634f. Vgl. BRB, Coll. boll. Ms. 8004–17 (3452), fol. 265r: „13. Octobris. || Heüt würt gedächtnuß gehalten vnsere Sälig Conuers Bruaders Herman[n]i, der war vom edlen geschlecht geborn, […].“ Vgl. Ad AASS Supplementum, ed. Rigollot, 1875. Eigenständig paginierter [Teil 1]: AUCTARIA || SEU NOTÆ || AD ACTA SANCTORUM || TOMORUM I, V & VI OCTOBRIS || CONSCRIPTA || A JOSEPHO VAN HECKE, BENJAMINO BOSSUE, VICTORE DE BUCK, || ANTONIO TINNEBROECK, || SOCIETATIS JESU PRESBYTERIS THEOLOGIS, || Seorsim pridem edita, nunc in unum conflata et juxta normam totius Operis Bollandiani || disposita indicubusque locupletata, || Curante L. M. Rigollot, presbytero Lingonensi. Auctarium ad Acta Sanctorum Tomi VI Oct. Addenda ad diem XII Octobris. Prætermissi et in alios dies relati, S. 105f., hier S. 106b: „B. Hermannus Martyr, frater laïcus Sangallensis in Helvetia […].“ HELVETIA SANCTA, || SEV || PARADISVS SANCTORVM || HELVETIÆ FLORVM; || Das ist || Ein Heyliger lustiger Blumen=Garten vnnd Paradeiß || der Heyligen; || Oder || Beschreibung aller Heyligen/ so von || anfang der Christenheit/ biß auff vnsere Zeit in Heyligkeit || deß Lebens/ vnd mancherley Wunderwercken/ nicht allein in Schwei= || tzerland/ sondern auch angr ntzenden Or= || then geleuchtet. || Zusammen gezogen vnnd beschrieben || Durch weyland den Ehrw(rdigen vnd Wolgelehrten Herren || P. F. Henricum Murer/ der Carthauß Jttingen Profeß || vnd Procurator/ etc. || Mit schnen Abbildungen vnnd Kupfferst(cken geziehret/ || sampt außf(hrlichen Register aller Heyligen. || Jn Truck verfertiget/ vnd verlegt || Durch David Hautten/ Buchtruckern zu Lucern/ vnd Buchh ndlern || in Wien/ Jm Jahr nach Christi Jesu Geburt || M. DC. XLVIII. || Cum Licentia & Permissu Superiorum., S. 200: „B. Hermannvs, Martyr. || Vom Seligen Martyrer Hermanno. || Der Selige Hermannus von adelichem Geschlecht/ war ein Leyenbruder in mehrgesagtem Gottshaus S. Gallen/ […].“

157 logium“ qualifizierten – Blätter Feldners nur, um seine Verwunderung über den nicht korrekt verzeichneten Festtag zum Ausdruck zu bringen. 166 Feldner zeichnete noch für zwei weitere Dossiers im Rahmen der Acta Sanctorum verantwortlich. Zum einen lieferte er die Materialien für das Dossier der in einigen Ortschaften in Oberschwaben und im Kanton Zug seit dem späten Mittelalter verehrten hl. Notburga und ihrer Tochter Hixta, die „vor ungefähr 800 Jahren“ gelebt hätten. 167 Zum anderen widmete er sich der hl. Haberilla, einer vermeintlichen Zeitgenossin des hl. Gallus († um 650), deren Kult im Benediktinerkloster Mehrerau bei Bregenz gepflegt werde, und zwar weniger, wie es hieß, in liturgischem Rahmen als vielmehr in „öffentlicher Ehrerbietung“. 168 Das Dossier der hl. Haberilla enthielt einen kurzen Nachruf auf den 1641 verstorbenen Feldner. 169 Feldners Schreiben vom Mai 1640, die diesen Dossiers zugrunde lagen, enthielten primär Informationen, die auf Erkundungen des devotionalen Lebens vor Ort zurückzuführen waren. Die Vita der hl. Haberilla verkörperte sich im Kern in einer Inschrift, die Feldner in der Klosterkirche vorgefunden habe. Leider sei sie nicht mehr zu entziffern gewesen. Daher habe er sie nach den Aussagen derer, die sie „einst häufig gelesen haben“, aufgeschrie–––––––— 166

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Vgl. BRB, Coll. boll. Ms. 8004–17 (3452), fol. 264r: „8. Aprilis || Heüt ist der tag deß abscheidens Vnßers H. Vatters Notkere so Balbalus genant war […].“ Vgl. D[aniel] P[apebrochius], De B. Notkero Balbvlo. Monacho Sangallensi in Helvetia, in: AASS Aprilis, Bd. 1, 1675, 6. April, S. 576–604, hier S. 578b: „[…] non possumus satis mirari errorem illum de VI Idus Aprilis, […] inveniri in eo Hagiologio, quod Sangallensis Germanice privatim legunt (ubi notatur VIII Aprilis), hodie dies est obitus Sancti Patris Notkeri […].“ Vgl. De S. Notbvrga Vidva, S. Hixta Virgine, et aliis VII. eivs liberis NovemGeminis, in: AASS Ianuarii, Bd. 2, 1643, 26. Jan., S. 750f., hier S. 750a: „Vixit S. Notburga ante annos circiter octingentos […].“ Hixta war eines von insgesamt neun Kindern, die diese vermeintlich dem schottischen Königshaus entstammende Heilige auf einen Satz geboren habe. Ihr Kult ist seit dem 15. Jahrhundert belegt. Eine Vita existiert nicht. Vgl. Wolfgang Müller, Art. Notburga, in: LThK, Bd. 7, 21962, Sp. 1049; Helmut Maurer, Art. Notburga, in: LThK, Bd. 7, 31998, Sp. 922; nicht zu verwechseln ist sie mit der hl. Notburga von Rottenburg († 1313?), deren Kult sich seit dem 17. Jahrhundert in Bayern popularisierte. Vgl. Robert Böck, Die SanktNotburga-Wallfahrt in Weißling und ihr Mirakelbuch (1749–1796) im Rahmen der Gesamtentwicklung des Notburga-Kultes, in: Bayerisches Jb. f. Volkskunde 2003, S. 65–88. Vgl. De B. Haberilla, siue Habrilia, Virgine, ad lacvm Brigantinvm, in: AASS Ianuarii, Bd. 2, 1643, 30. Jan., S. 1033f., hier S. 1033b–1034a: „Venerantur […] S. Haberillam, siue Habriliam, non quidem sacrorum solennitate, officioúe Ecclesiastico, sed publicâ tamen pietate; recoluntq[ue] eius natalem XXX. Ianuarij.“ Vgl. ebd., S. 1034a: „[…] Quæ de eà hic subnectemus, communicauit ea nobiscum, & de aliis Sanctis complura, Daniel Feldnerus noster, qui cùm Theologiam Friburgensi Brisgoiæ & Ingolstadij aliquot annis docuisset, Constantiæ 21. Februarij anni 1641. decessit, annos cùm vixisset duos & quinquaginta, hecticâ febri exhaustus, relictis præclare pietatis, modestiæ, patientiæ exemplis.“

158 ben. 170 Die Abhandlung über die hl. Notburga wiederum, die nicht von Feldners Hand stammte, 171 sei eine Wiedergabe dessen, was ihm von „gelehrte[n] und vertrauenswürdige[n] Männer[n]“ des Klettgau kommuniziert worden sei. 172 Ihr Dossier wurde im Inhaltsverzeichnis der Acta Sanctorum mit den außergewöhnlichen Worten: „Ex relatione Danielis Feldneri“, angekündigt. 173

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Vgl. Vita et miracula B. Haberillæ Abbatissæ Ordin. S. Benedicti, in Episcopatu Constantiensi. Die 30. Januarij, BRB, Coll. boll. Ms. 7569 (3440), fol. [266r–267v] [fehlerhafte, doppelt vergebene Paginierung], hier fol. [266v–267r]: „Sepulta hodie iacet in Monasterio Augiæ Brigantinæ Ordinis S. Benedicti […], in Templo maiori diuis Apostolis Petro et Paulo, dedicato, iuxta Altare S. Catharinæ V. et Mart. […]. Sepulchro B. Haberillæ impositus ad lapis sex parvis innixus columnis. Ad hoc ex vicinia multi sæpe homines confluxerunt […]: factaque per Beatæ huius intercessiones innumera prope miracula […]. Ad parietem Templi Augiæ Brigantinæ prope sepulchrum B. Haberillæ, legebantur olim verba, quæ iam vetustate oblita et abolita, amplius legi no[n] possunt. Eorum summa, vt referunt, qui ista olim sæpius legerunt, hæc erat. Beata Haberilla Eremita, de post Ordinis S. Benedicti Abbatissa Cellæ suæ, cum multis sacris virginibus Deo seruiuit. Habitum è Sancti Galli manibus, qui tunc temporis cum aliis discipulis et sociis Brigantij morabatur, suscepit; et hîc sepulta, multis claret miraculis.“ Dass die Mönche „de ea nec Mißam celebrent, nec Officium Proprium recitent, ipsam tamen cum tota vicinia pro Beatâ […] religiosè venerari solent“, erläuterte Feldner ebd., fol. [267v]. Diesen Bericht über Leben und Kult der Heiligen hatte Feldner aus Konstanz am 29. Mai 1640 an Bolland adressiert. Vgl. ebd. Das Detail, dass der Wortlaut der Inschrift nur dem Hörensagen nach bekannt war, wurde von Bolland dezent übergangen. Allerdings wies er darauf hin, dass sie aufgrund des Alters kaum mehr lesbar sei. Vgl. De B. Haberilla, AASS Ianuarii, Bd. 2, 1643, 30. Jan., S. 1034b: „Visitur nunc Haberillæ sepulchrum in maiori basilicâ Augiæ Brigantinæ sanctis Apostolis Petro & Paulo dicatâ, ad dextram altaris S. Catharinæ Virginis & Martyris. Coopertum in lapide sex nixo columellis. In vicino pariete descriptam paucis illius vitam fuisse memorant: vetustate ita oblitterata est scriptura, vt legi modò non possit: B. Haberilla eremita, de pòst ordinis S. Benedicti Abbatissa Cellæ suæ cum multis sacris Virginibus Deo seruiuit. Habitum è S. Galli manibus, qui tunc temporis cum aliis discipulis & sociis Brigantij morabatur, suscepit; hîc sepulta multis claret miraculis.“ Vgl. Vita S. Notburgæ Matris novem liberoru[m], Patronæ pagi Büell in Episcopatu Constantiensi. Die vigesimo sexto Januarij, BRB, Coll. boll. Ms. 7569 (3440), fol. 343r–v. Inc.: „Sancta Notburga regio Scotoru[m] Sanguine procreata, vixit ante annos circiter octingentos.“ Vgl. Feldner an Bolland, Konstanz, 24. Mai 1640, ebd., fol. 343v: „Conscripsi hanc vitam ex ijs, quæ Parochi Kleggouienses viri Eruditi et fide digni mihi suppeditarunt […].“ Vgl. De S. Notbvrga Vidva, S. Hixta Virgine, et aliis VII., AASS Ianuarii, Bd. 2, 1643, 26. Jan., S. 750a: „Huius res gestas Daniel Feldnerus noster, à Parochis Kleggouiensis vicina ditionis, viris grauibus & eruditis, acceptas, nobis communicauit: quas hîc damus.“ AASS Ianuarii, Bd. 2, 1643, Index Sanctorum [unpaginiert], [S. 10]: „26 Notburga vidua cum liberis VIII. in Germaniâ. Ex relatione Danielis Feldneri è Soc. IESV“.

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3.3 Heilige und Festtage jenseits der Handschrift Die Acta Sanctorum waren nicht das Produkt eines Agierens auf unbekanntem Terrain. Ihr universaler Anspruch entfaltete sich vor dem Hintergrund dessen, dass wichtige Teile des hagiographischen Felds bereits erschlossen, geordnet und systematisiert worden waren. Den Prototyp des kommentierten historischen Martyrologs, mit dem sich die Sonderung von textus und annotatio im Schriftbild etablierte, bildeten Johannes Molanus’ (Van der Meulens) (1533–1585) Ausgaben des Martyrologs des Usuard (Abb. 1). 174 Boten Molanus’ Erläuterungen zumeist nur knappe Hinweise auf die Erwähnung der betreffenden Heiligen in verschiedenen geschichtlichen, theologischen oder hagiographischen Werken, so wurden in Baronios Martyrologium Romanum diese Strukturen ausgebaut. Mit jenen Werken stand Bolland und Henschen ein Grundstock primärer kalendarischer Einträge und auf sie bezogener sekundärer Daten zur Verfügung, die nicht mehr selbstständig erarbeitet werden mussten. Gleiches gilt für einige heute weithin vergessene und stärker rekonstruierende Züge tragende Werke wie etwa den Catalogus Sanctorum Italiae und den Catalogus generalis Sanctorum des Serviten Filippo Ferrari (1551–1626) aus den Jahren 1613 und 1625. 175 –––––––— 174

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Hier wurde konsultiert: VSVARDI || MARTYRO- || LOGIVM, QVO ROMANA || ECCLESIA, AC PERMVLTÆ || aliæ vtuntur: iussu Caroli Magni || conscriptum. || Cum additionibus ex Martyrologijs Romanæ Ecclesiæ, || & aliarum, potißimum Belgij. || Et Annotatione Auctorum, qui de Sanctorum vita, confes- || sione, vel martyrio, fusè, aut aliquando obiter, nonnulla || scripserunt. Opera IOANNIS MOLANI Louaniensis, Louanij || sacræ Theologiæ Regij Professoris. || Eodem Auctore, DE MARTYROLOGIIS, || & INDICVLVS SANCTO- || RVM BELGII. || ANTVERPIÆ, || Apud Philippum Nutium. || 1583. Vgl. dazu Paul Grosjean, Sur les éditions de l’Usuard de Jean Molanus, in: Anal. Boll. 70 (1952), S. 327–333; zu Person und Werk unten Kap 5.1.4. Abbildung 1 wurde mit freundlicher Genehmigung der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel reproduziert. Vgl. CATALOGVS || SANCTORVM || ITALIÆ || In Menses duodecim distributus. || IN QVO VITAE ILLORVM EX PARTICVLARIVM || Ecclesiarum monumentis compendio describuntur, adiectis vbique || scholijs, notisq[ue] perbreuibus: in quibus sæpenumerò ambi- || guitates, & errores circa tempus prĊsertim, ac histo-|| riæ veritatem contingentes deteguntur. || AVTHORE F. PHILIPPO FERRARIO ALEXANDRINO || Ord. Seruorum B. Mariæ, Sacræ Theologiæ Magistro, & Mathema-|| ticarum in Gymnasio Ticinensi publico interprete. || AD SANCTISS. PATREM, ET DOMINVM IN CHRISTO || D. PAVLVM V. PONT. MAX. || Accessit Index geminus alphabeticus, vnus nominum Sanctorum, in quo, vbi corpora ipsorum condi- || ta sint, indicatur: alter locorum, in quo Sanctorum qui in illis sunt, adnotantur. || CVM PRIVILEGIIS. || MEDIOLANI, Apud Hieronymum Bordonium. M. DC. XIII. || Svperiorvm permissv; CATALOGVS || GENERALIS || SANCTORVM, || Qui in Martyrologio Rom. non sunt, || EX VARIIS MARTYROLGIIS, || KALENDARIIS, TABVLIS, || MONVMENTISQVE ECCLESIARVM, || necnon Vitis eorundem impressis; seu manu scriptis || & quamplurimis Historijs collectus, || AC IN DVODECIM MENSES INSTAR MARTYROLOGII || distributus suis vbique notis appositis. || AVCTORE F. FILIPPO FERRARIO ALEXANDRINO || Ord. Seru. B. M., Sacræ Theologiæ professore, ac Mathe-|| maticarum in Ticinensi Gymnasio in-

160 In diesem Kontext waren die Acta Sanctorum keineswegs das einzige Werk, das das Pathos des Massenhaften für sich in Anspruch nehmen konnte. Das auf mehr als 1200 Seiten in folio ausgebreitete und nach dem Titelblatt über 8000 Selige und Heilige verzettelnde Martyrologium Gallicanum, das der Bischof von Toul André Du Saussay (1589–1675) im Jahr 1637 publizierte, zielte seinerseits auf die vollständige Erfassung des von ihm bearbeiteten Felds: Siehe, ich mache […] die gesammelten Namen nicht des einen oder anderen, oder auch nur weniger oder einiger, sondern fast aller Heiliger bekannt, so viel nur die Gallia einst an ihrem Busen genährt hat, die wahrhaft sehr vortrefflichen Taten, die weitbekannten Siege und niemals zerstörten Siegeszeichen: damit wir, durch sie beschämt, nachdem die blanken Spiegel der Wohlgefälligkeiten versammelt worden sind, ja sogar von starken Speeren vollendeter Tugendhaftigkeit durchbohrt, die ganze Trägheit und Lässigkeit, in der wir verharren, abschütteln: und eingedenk der Jahre und Zeitalter mögen wir diesen Geist empfangen, diesen Sinn aufnehmen, durch den die Alten sich, nach vielen Bezeugungen des Ehrerbietens, mit den Zierden göttlicher Ähnlichkeit und göttlichen Ruhms umgeben und die Obliegenheiten sehr günstig ins Werk gesetzt haben. 176

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terprete. || SANCTISS. DOMINO IN CHRISTO PATRI || D. VRBANO PAPÆ VIII. || DICATVS. || VENETIIS, Apud Io. Guerilium. M. DC. XXV. || De licentia Superiorum, & Priuilegio. Vgl. dazu jetzt Serena Spanò Martinelli, Il „Catalogus Sanctorum Italiae“ di Filippo Ferrari, in: Boesch Gajano/Michetti (Hrsg.), Europa (2002), S. 135–145. Vgl. MARTYROLOGIVM || GALLICANVM, || IN QVO || SANCTORVM, BEATORVMQVE || AC PIORVM || PLVSQVAM OCTOGINTA MILLIVM, || ORTV, VITA, FACTIS, DOCTRINA; || agonibus, trophæis, opitulationúmque gloriâ: ac cæteris quibusque || sacræ venerationis titulis, in Gallia illustrium: || CERTI NATALES INDICANTVR, TRIVMPHI || suspiciendi exhibentur, nitidáque ac vindicata eorumdem || Elogia describuntur. || QVÆ COMMENTARIORVM APODICTICORVM || Tomi quatuor subsequentes, vberiùs recensita, insignitáque multiplici || antiquitatis Ecclesiasticæ indagine, cumulabunt. || OPVS, || In cuius penu constat || ABSOLVTA CHRISTIANISSIMÆ ECCLESIÆ HISTORIA, || pridem antè desiderata: iámque, vt ex rebus conserta per Sanctos diuinè gestis; || sic ex probatissimis quisque monimentis, ac priscis Codd. MSS. || summa fide, collecta. || Studio ac labore ANDREÆ DV SAVSSAY Parisini, S. R. E. Protonotarij, || Concionatoris Regij, necnon Ecclesiæ SS. Lupi & Ægidij in vrbe Pastoris. || LVTETIÆ PARISIORVM, || Sumptibus SEBASTIANI CRAMOISY, Typographi Regij, via || Iacobæa, sub Ciconiis. || M. DC. XXXVII. || Cum Privilegio Regis, & Theologorum approbatione. Apparatvs ad Martyrologivm Gallicanvm, ebd., S. I–XCVIII, hier S. IV: „Ecce […] non vnius aut alterius, seu certè paucorum vel nonnullorum etiam, sed omnium pene, quotquot suo pridem Gallia sinu aluit, Sanctorum profero congesta nomina, præstantissima quæque facinora, inclytas victorias, & nunquam excisura trophæa: vt his suppudefacti, conglobatis gratiarum splendidis speculis, imò spiculis validis totius virtutis confixi, omnem soporem ignauiámque qua torpemus excutiamus: memorésque annorum æternorum ¢marginal: Ps 76,6.² eum concipiamus spiritum, eam induamus mentem, qua Maiores tot titulis prædicandi, diuinæ similitudinis & gloriæ decora ambierunt, ac munera feliciter compararunt.“ Vgl. dazu Ps. 76,6: „cogitavi dies antiquos || et annos aeternos in mente habui“, nach der Biblia sacra iuxta Vulgatam versionem, recensuit et brevi apparatu instruxit Robertus Weber. Ed. tertia emendata,

161 Diese und zahlreiche andere Werke, die in diesem Kapitel zu thematisieren sein werden, wurden in die Acta Sanctorum inkorporiert. Die Abstimmung der auf diese Weise gewonnenen Daten und Texte mit genuin historiographischen Arbeiten, etwa Baronios Annales ecclesiastici oder Claude Roberts Gallia christiana von 1626, in der, wie später in Ughellis Italia sacra, die episkopalen Strukturen Frankreichs zusammenfassend behandelt wurden, 177 stellte vielfach die eigentliche Aufgabe der Bollandisten dar. Auf der Suche nach potentiell zu berücksichtigenden Heiligen überlagerte sich der Zugriff auf diese Arbeiten mit der Durchsicht chronikalischer Gattungen der frühen Neuzeit und der Auswertung der Historiographie der Spätantike und des Mittelalters. Wie diese Prozesse vonstatten gingen, erschließt sich, auch hier, zunächst aus solchen Dossiers, für die die Bollandisten keine weiteren hagiographischen Materialien – oder in nur geringem Umfang – hatten beschaffen können. Die meisten der im Folgenden zu besprechenden Dossiers beanspruchten also eher das publizistische Geschick der frühen Bollandisten und weniger ihr investigatives Vermögen, ohne dass daraus zu schließen ist, dass man in jedem Fall darauf verzichtet hätte, eigene Standpunkte zu entwickeln.

3.3.1 „Ex Ferrario“, „ex Saussaio“, „ex Brovvero“, … Das Dossier des hl. Bischofs Egemonius oder Igomonus von Autun († um 314), des Nachfolgers des hl. Cassianus (reg. um 337) auf dem Bischofsstuhl von Autun, wurde aus Informationen „ex Saussaio, & ex M[a]r[tyr]ol[ogiis]“ 178 kompiliert. Erstere bestanden aus einer knappen und stereotypen Vita. 179 Über Du Saussay hinaus hatte Bolland weitere Nach–––––––— 177

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quam paravit Bonifatius Fischer/H. I. Frede/Iohannes Gribomont [et. al.]. Ed. minor, Stuttgart 1984. Vgl. GALLIA || CHRISTIANA, || IN QVA REGNI FRANCIÆ || DITIONVMQVE VICINARVM DIOECESES, || ET IN IIS PRÆSVLES DESCRIBVNTVR. || Cura & labore CLAVDII ROBERTI Lingonensis Presbyteri. || Fœlicibus auspicijs Illustrissimi & Reuerendissimi D. D. ANDREÆ || FREMYOT, Archiepiscopi Patriarchæ Bituricensis || Aquitaniarum Primatis. || LVTETIÆ PARISIORVM, || Sumptibus SEBASTIANI CRAMOISY, viâ Iacobæâ, sub Ciconijs. || M. DC. XXVI. || CVM PRIVILEGIO REGIS CHRISTIANISSIMI. AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, Index Sanctorum [unpaginiert], [S. 4]: „8 Egemonius, vel Igomonus, Ep. Augustoduni, ex Saussaio, & Mroll.“ Vgl. De S. Egemonio vel Igomono, Episcopo Avgvstodvnensi, in: ebd., 8. Jan., S. 473b: „[…] Andreas Saussaius in Martyrologio Gallicano: Augustoduni Æduorum depositio S. Egemonij Episcopi & Confessoris, qui religione & doctrinâ florentissimus, S. Cassiano hac in cathedrâ succedens, omni Episcopali virtute, & Pastoralis officij exemplis, gregi sibi credito præfuit. Demumque spectatâ in multis sanctimoniâ clarus, diuinâ vt visione frueretur, quam vehementer ardebat, migrauit ad cælum.“ Vgl. Du Saussay, Martyrologium Gallicanum, 1637, 8. Jan., S. 21f.: „Augustoduni Æduorum depositio sancti EGEMONII Episcopi & Confessoris, qui religione & doc-

162 weise für den Festtag des Heiligen versammelt. Seine depositio werde unter anderem in Molanus’ Ausgabe des Martyrologs des Usuard von 1583, im Martyrolog des Augustiners Belinus von Padua († 1513), im Kölner Druck des Martyrologiums des Usuard von 1521 und im Martyrolog des Hrabanus Maurus († 856), das der Ingolstädter Rechtsgelehrte Heinrich Canisius (1550/60–1610) 1604 im vierten Band seiner Lectiones antiquae nach einer St. Galler Handschrift publiziert hatte, verzeichnet. 180 Ferner werde er, mit unterschiedlichen Schreibungen, in Ferraris Catalogus generalis Sanctorum und in dem „sehr alten handschriftlichen Martyrolog des hl. Hieronymus“ genannt. 181 Mit Roberts Gallia christiana konnte der hl. Egemonius als siebter Bischof von Autun gekennzeichnet werden. Desgleichen war aus der Gallia christiana zu erfahren, dass Gregor von Tours († 593/94) in den Kapiteln 75 und 76 seines Liber de gloria confessorum die ersten Bischöfe von Autun behandelt hatte. Roberts Bemerkung jedoch, dass die Bischofsfolge bei Gregor eine etwas andere war, scheint für Bolland nicht derart von Bedeutung gewesen zu sein, dass er es für notwendig erachtet hätte, auch seine Leserinnen und Leser darauf aufmerksam zu machen. 182 –––––––—

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trina florentissimus, S. Cassiano hac in cathedra succedens […]. […] spectata in multis sanctimonia clarus, diuina vt visione frueretur, quam vehemenrer [!] ardebat, migrauit ad cælum.“ Vgl. De S. Egemonio, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, 8. Jan., S. 473a: „Egemonius: quem VIII. Ianuarij Sanctorum catalogo adscriptum exhibet Molanus in Additionibus ad Vsvardum, Bellini editio Parisiensis anni 1521, Rabanus, […], Martyrologium Coloniense, in quo perperàm Egenio vocatur […].“ Vgl. Usuardi Martyrologium, ed. Molanus, 21583, 8. Jan., S. 11r, Additiones: „Augustoduni, depositio sancti Egemonij, episcopi & confessoris.“ Martyrologium vsuardi monachi [Köln 1521], BRB, Ms. 14649 (499), fol. 11v: „Sexto idus ianuarij. dies viij. || […] Eode[m] die: s[an]c[t]i eugeniani mar. Ægmonij. alias egenonis augustudunen[sis] ep[iscop]i et co[n]fessor[is]. al[ia]s martyris“. [Belinus ¢von Padua²], Martyrologium s[ecundu]m mo= || rem Roma= || ne curie. || Cum priuilegio [o. O.; o. J.] [1504] [Exemplar HAB WoBü M: Tn 206], 8. Jan., fol. aiijr: „[…] sancti eugeniani martyris.“ Rabani Mauri Martyrologium, hrsg. v. John McCulloh (CCCM 44), Turnhout 1979, 8. Jan., S. 8: „Augustiduno depositio Egemoni episcopi.“ Zu Canisius’ Druck vgl. McCulloh, Introduction, in: ebd., S. XI–LXXXIV, hier S. LXXVIII; vgl. zu diesem selbst Engelbert M. Buxbaum, Art. Canisius, Heinrich, in: Biographisches Lexikon der LudwigMaximilians-Universität München, hrsg. v. Laetitia Boehm/Winfried Müller/Wolfgang J. Smolka [u. a.], Teil 1: Ingolstadt – Landshut 1472–1826 (Münchner Universitätsschriften. Universitätsarchiv Ludovico Maximilianae 18), Berlin 1998, S. 59f.; Benz, Tradition (2003), S. 90–94. Vgl. De S. Egemonio, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, 8. Jan., S. 473a–b: „Ferrarius Egmonem vocat. […] antiquißimum MS. Martyrologium S. Hieronymi: Augustoduni depositio Egemoni Episcopi.“ Vgl. Ferrari, Catalogus generalis Sanctorum, 1625, 8. Jan., S. 15: „In Burgundia S. Egmonis episcopi Augustodunensis.“ Martyrologium Hieronymianum, ed. Rossi/Duchesne, AASS Novembris, Bd. 2,1, 1894, 8. Jan., S. [9], Cod. Eptern., etc.: „VI idus [Ian.] […] augustod˾ depos̘ egemoni ep̏i.“ Vgl. De S. Egemonio, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, 8. Jan., S. 473a: „Septimus Aeduensis, siue Augustodunensis, Episcopus, memoratur à Claudio Roberto Igonomus, siue Igomonus, aut Ægemonius, vel Egemonius […].“ Ebd., S. 473b: „Meminit eius &

163 Etwas genauer sind die Arbeiten Ferraris zu betrachten. Sein Catalogus Sanctorum Italiae war aus der Simultaneität von pastoraler Visitation und altertumskundlichem Interesse erwachsen. 183 Die Lektüre der reichen städtischen Chronistik des italienischen Späthumanismus traf sich bei ihm mit dem Studium der hagiographischen Texte auf der einen Seite und einigen realienkundlichen Beobachtungen auf der anderen. 184 In dieser Konstellation bot der Catalogus, im Rahmen der von zahlreichen Bewegungen geprägten kultischen Landschaften Westeuropas, eine selektive Momentaufnahme, auch wenn er nicht die Vollständigkeit erlangte oder auch nur erstrebte, die sich in den Visitationsberichten der frühen Neuzeit abbilden konnte. 185 In der Rezeption durch die Bollandisten verloren diese Zusammenhänge etwas an Kontur. Im Fall des am 3. Januar „ex Ferrario“ präsentierten hl. Salvator, 186 dem vielleicht um 193 n. Chr. regierenden, vermutlich aber legendarischen zweiten Bischof der oberitalienischen Stadt Belluno, 187 gestaltete sich ihre Adaptation wie folgt:

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S. Gregorius Turon. De gloriâ Confessorum cap. 75. & 76.“ Vgl. Robert, Gallia christiana, 1626. Æduenses Episcopi, ebd., S. 195–216, hier S. 198b: „7. Igonomus, vel Igomonus, vel Ægemonius, apud Molanum in Additionibus Vsuardi, […] 8. Ianuarij, Gregor. Turonens. c. 75. & 76. de Glor. Confessorum, vbi paulò aliter series Episcoporum recensetur.“ Vgl. Gregorii episcopi Turonensis liber in gloria confessorum, in: MGH SS rer. Merov., Bd. 1,2: Gregorii episcopi Turonensis miracula et opera minora, hrsg. v. Bruno Krusch, Hannover 1885 (Revidierter Nachdruck Hannover 1969), S. 294–370, hier c. 74, S. 342: „Huic [dem Bischof Riticius] Cassianus, qui supra meminimus, successit. Post hunc Egemonius cathedram pontificatus adsumpsit.“ Mit Gregor gilt Cassianus heute als der fünfte, Egemonius als der sechste Bischof von Autun. Vgl. V. Terret, Art. Autun, in: DHGE, Bd. 5, 1931, Sp. 896–925, hier Sp. 907. Ferrari, Catalogus Sanctorum Italiae, 1613, Pio lectoris [unpaginiert], [S. 1]: „[…] operæ pretium me facturum duxi, si quas [vitas Sanctorum Italiæ] superioribus annis Generalis officio fungens inter visitandum Ordinis nostri loca ex diuersarum Ecclesiarum monumentis in plerisque Italiæ vrbibus collegi, in compendium redactas, in lucem æderem.“ Vgl. Spanò Martinelli, „Catalogus“ (2002), S. 143. Größere Kirchen beschäftigten die einschlägigen Kommissionen bisweilen mehrere Tage. Vgl. etwa Il „Liber visitationis“ di Francesco Carafa nella diocesi di Napoli (1542–1543), hrsg. v. Antonio Illibato (Thesaurus ecclesiarum Italiae 12: Campania 1), Rom 1983. Allein die Zahl der zu verzettelnden Altäre in S. Giovanni Maggiore zu Neapel belief sich auf 43. Vgl. ebd., S. 553f. AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, Index Sanctorum [unpaginiert], [S. 11]: „3 Saluator Ep Beluni in Italià. ex Ferrario“. Vgl. F. Bonnard, Art. Belluno, in: DHGE, Bd. 7, 1934, Sp. 938–942, hier Sp. 941. Von den ersten vier namentlich bekannten Bischöfen ist die Existenz der ersten beiden ungewiss: „Théodore, 170 (?). – Saint Sauveur, 193 (?). – Théodore II, 300. – Félix, 347 […].“

164 Von dem hl. Bischof Salvator zu Belluno in Italien Dass der hl. Bischof Salvator von Belluno am Fluss Stella oder Piave in der Mark Treviso bis heute verehrt wird, hat Ferrarius im Catalogus generalis Sanctorum und im Catalogus Sanctorum Italiae berichtet. Derselbe schreibt über ihn zum Tag des 3. Februar [!] folgende Dinge: Der hl. Bischof Salvator ist, nach alter Überlieferung, der Vorsteher der Bürger von Belluno gewesen: diese Kirche hat er mehrere Jahre äußerst fromm gelenkt, und zu Lebzeiten und nach dem Tod sind viele Wunder hervorgebracht worden, für jene, die seinen Beistand erflehten. Daher sind ihm viele Altäre errichtet und Kirchen in diversen Ortschaften geweiht worden. Von denen auch jetzt noch eine in der Ortschaft Maresio nicht weit von Belluno unter seiner Anrufung und eine andere bei den Kartäusern besichtigt werden kann, die wegen des Alters zum größten Teil eingestürzt ist. Die Erinnerung an ihn wird in der Kirchenprovinz Belluno in alljährlicher Feier gepflegt; an einem anderen Tag freilich wegen gegenläufiger Festlichkeiten. In den Anmerkungen fügt er sodann diese Dinge hinzu: Man meint, dass der Leib dieses heiligen Bischofs in einem steinernen Grab der als zerstört gedachten Kirche bei den Kartäusern ruht, wo derart auf einer Wand bis heute die Inschrift zu lesen ist: S. SALVATOR EPISCOPUS BELVNI. Zu welcher Zeit dieser unter uns gelebt hat, ist nicht bekannt. Sein Fest wird auf Tafeln für den Tag des 3. Januar vermerkt. 188

Gegenüber diesem Zitat aus dem Catalogus Sanctorum Italiae, in dem Ferrari dem zeitgenössischen Festtag des 3. Februar den Vorrang eingeräumt hatte, sollte er später im Catalogus generalis Sanctorum den faktisch oder vermeintlich historischen Termin des 3. Januar bevorzugen. Hier hatte er zugleich, in wenigen Worten, die von den Bollandisten ihrerseits aufgegriffen wurden, auf die Lage der Stadt Bezug genommen. 189 Verzichtet hatten die Bollandisten hingegen darauf, Ferraris Quellenvermerk wiederzugeben: „Ex Tab. Eccles. Belunen. & Chron. eiusdem vrbis à Io. Pillonio conscrip–––––––— 188

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De S. Salvatore Episcopo Belvni in Italia, in: AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, 3. Jan., S. 137a–b: „BELVNI ad Anassum siue Plauem fluuium in Machiâ Taruisinâ, hodie S. Saluatorem Episcopum coli tradit Ferrarius in generali Catalogo Sanctorum, atque in Catalogo Sanctorum Italiæ. Idem ad III. diem Februarij hæc de eo scribit: S. Saluator Episcopus, ex antiquâ traditione, Beluensis fuit Antistes: eamque Ecclesiam plures annos sanctissimè rexit, multis in vitâ editis miraculis, ac post mortem, circa eos qui opem ipsius implorabant. Quapropter aræ illi erectæ, templaque diuersis in locis dicata fuêre. Ex quibus etiam nunc in pago Maretio haud procul à Beluno vnum sub eius inuocatione conspicitur, & alterum apud Carthusianos, quod præ vetustate maximâ ex parte collapsum est. Eius memoria ab Ecclesiâ Beluensi anniuersariâ celebritate colitur; aliâ tamen die propter intercurrentes solemnitates. In Annotatione deinde hæc subdit: Corpus huius sancti Episcopi in lapideo sepulchro ecclesiæ dirutæ memoratæ apud Carthusianos quiescere putatur, vbi in pariete huiuscemodi adhuc legitur inscriptio: S. SALVATOR EPISCOPUS BELVNI. Qui quo tempore apud nos vixerit, ignoratur. Eius festum in tabulis ad diem III. Ianuarij adnotatur.“ Vgl. Ferrari, Catalogus generalis Sanctorum, 1625, 3. Jan., S. 5: „Beluni S. Saluatoris Episcopi.“ Ebd., S. 6a–b: „Beluni.] C. E. est Venetiæ in Marchia Taruisina intra Montes ad Anassum flu. Cenetæ, Feltriæque finitima.“

165 tis.“ 190 Ferrari selbst hatte seine Ausführungen mehr oder minder wörtlich aus dieser zuerst 1607 veröffentlichten Historia della città di Belluno des städtischen Chronisten Giorgio Piloni (1539–1611) übernommen. 191 Leicht verändert hatte Ferrari Pilonis Ausführungen dahingehend, dass er dessen Referenz auf ein „altes Bildnis“ („pittura antica“) in einer verfallenen Kirche der Kartäuser sowohl als Quellenbeleg („tabula ecclesiastica“) zitierte, als auch, im Fließtext, in der Form des Abstraktums einer „alten Überlieferung“ („antiqua traditio“) verwendet hatte. Abgesehen hatte Ferrari von einem Rekurs Pilonis auf das „afrikanische Konzil“, auf dem es verboten worden sei, Altäre ohne Reliquien zu weihen. Die von Piloni ausdrücklich als Produkt des Hörensagens präsentierte Annahme, dass die alte Kartäuserkirche möglicherweise als die Grabeskirche des hl. Salvator betrachtet werden könne, sollte auf diese Weise plausibilisiert werden: Wenn eine Kirche und ein Altar existierten, mussten und müssten auch (Körper-)Reliquien vorhanden sein, auch wenn sie gegenwärtig nicht mehr greifbar schienen.192

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Vgl. Ferrari, Catalogus Sanctorum Italiæ, 1613, 3. Feb., S. 72: „De S. Salvatore Episcopo Belvnensi. || Sanctus Saluator Episcopus ex antiqua traditione Belunensis fuit Antistes: Eamq[ue] Ecclesiam plures annos sanctissimè rexit, multis in vita editis miraculis, ac post mortem […]. […] Eius memoria ab Ecclesia Belunensi anniuersaria celebritate colitur; alia tamen die propter intercurrentes solemnitates. Ex Tab. Eccles. Belunen. & Chron. eiusdem vrbis à Io. Pillonio conscriptis. || Annotatio. || Corpus huius S. Episcopi in Lapideo sepulchro Ecclesiæ dirutæ memoratæ, apud Carthusianos quiescere putatur, vbi in pariete huiuscemodi adhuc legitur inscriptio S. SALVATOR BELVNI. Qui quo tempore apud nos vixerit, ignoratur. Eius Festum in Tab. ad diem 3. Ianuarij adnotatur.“ Giorgio Piloni, Historia della città di Belluno [Venedig 21618], hrsg. v. Luigi AlpagoNovello/Alessandro da Borso/Rodolfo Protti (Historiae urbium et regionum Italiae rariores 65), Sala Bolognese 1974, S. 57: „Fu Episcopo Bellunese Salvatore, che resse molti anni la Chiesa di Belluno: e per la sua santa vita mostrò nostro Signore molti miracoli in quelli che invochavano il suo suffraggio. Onde li furono in diverse parti del Belluno poscia eretti tempij et altari delli quali sin el di d’hoggi si vede un tempio nel Vico Maresio vicino alla cittade: et un’ altro appresso li frati Certosini con una pittura antica, scoperta per la rovina della chiesa, qual era stata molti anni ascosa, che dice (S. Salvatore Episcopus Belluni.) Dove si crede esser ancora il suo corpo in loco secreto riposto: poi che non si può erigere altari in honor de santi senza qualche reliquia di esso santo, per dispositione del sacro Concilio Africano. Si celebra in Cividale la festa di questo glorioso Santo el dì terzo del mese di Febbraio con gran divotione.“ Aus dieser Passage stammen die folgenden Zitate. Es handelt sich genau genommen um eine Bestimmung aus den Kanones des II. Konzils von Nikaia 787, die der sich spätestens seit Ambrosius verfestigenden Assoziation von Reliquiengrab und Altar Verbindlichkeit verliehen hatten. Vgl. Bernhard Kötting, Art. Reliquien, in: LThK, Bd. 8, 21963, Sp. 1216–1221, hier Sp. 1219; Josef Engemann, Art. Reliquiengrab, in: LexMA, Bd. 7, 1994, Sp. 704f. Nicht in Erwägung gezogen hatte Piloni, dass vielfach auch Kontaktreliquien in die Altarsteine eingelassen wurden.

166 Bei der besagten Kirche handelt es sich mit großer Sicherheit um San Gottardo al Mas. 193 Diese war 1158 durch Bischof Otto II. (reg. 1152–1185) mit den Patrozinien des hl. Salvator, des hl. Markus und Allerheiligen geweiht worden. Zwischen 1458 und 1768 unterstanden diese Kirche und das sie im Zentrum beherbergende Hospiz der in unmittelbarer Nachbarschaft zwischen 1455 und 1467 eingerichteten Kartause von Vedana. 194 Im 17. Jahrhundert war die Kirche durch die Kartäuser grundlegend renoviert – oder wieder aufgebaut – worden und hatte einen Wechsel der Patrozinien erfahren. Die von Piloni erwähnte bildliche Darstellung des hl. Salvator und die sie identifizierende Inschrift sind heute nicht mehr nachweisbar. Die pastoralen Visitationsberichte des 16. und 17. Jahrhunderts verzeichneten allein zwei Orte in der Region, an denen sich der Kult dieses Heiligen gehalten hatte. Neben einem Altar in San Gottardo al Mas betraf er die Kirche San Salvatore di Mares, nordwestlich Bellunos, bei der es sich um die von Piloni, Ferrari und dann den Bollandisten erwähnte Kirche „in vico Maresio“ bzw. „nel Vico Maresio“ handeln dürfte. In den Festkalendern der Diözese Belluno des ausgehenden 17. Jahrhunderts wurden für die Feier des hl. Salvator die Tage des 3. oder 23. Januar sowie der 3. Februar genannt. 195 Dass Ferrari sich vor Ort aufgehalten hatte, ist, sofern ihm Glauben geschenkt werden darf, aus seiner Annotatio zu schließen. In ihr erwähnte er den 3. Januar als den traditionellen Festtag. Dieser war von Piloni nicht genannt worden. Er habe ihn der besagten Bild- und/oder Altartafel entnehmen können. Nach den Acta Sanctorum sollte Ughelli in der Italia sacra –––––––— 193

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Freundliche Auskunft des Archivars Mons. Ausilio Da Rif der Diözese BellunoFeltre an den Verf. vom 5. November 2004. Sofern nicht anders ausgewiesen, stammen sämtliche der im Folgenden erwähnten Daten aus diesem Schreiben. Vgl. Donato Gallo, Dalla Certosa del Montello alla Certosa di Vedana. La fortuna dei certosini nell’ambiente veneto del Tre-Quattrocento, in: La Certosa di Vedana. Storia, cultura e arte in un ambiente delle Prealpi bellunesi. Atti del Colloquio Sospirolo (Belluno), 21 ottobre 1995, hrsg. v. Lucilla Sandra Magoga/Francesco Marin, Florenz 1998, S. 7–21, hier S. 12, 20; Flavio Cariali, L’impianto monastico di San Marco di Vedana. Dal „modello“ del sec. XV al sec. XIX, in: ebd., S. 101–116, hier S. 102, 105f., 108f. Im 19. Jahrhundert von Bischof Salvatore Bolognesi (reg. 1872–1899) initiierte Nachforschungen, die die Historiziät dieses Heiligen erweisen sollten, gelangten zu keinem Resultat, das über die frühneuzeitlichen Kenntnisse nennenswert hinausgegangen wäre. Schreiben von Mons. Ausilio Da Rif (wie oben Anm. 193). In seiner Auskunft heißt es zu dem Festtag: „Fino al sec. XVII si celebrava la festa annuale del Santo, iscritta nel Calendario proprio diocesano di Belluno il 3 gennaio o il 23 gennaio o il 3 febbraio.“ Es bliebe zu prüfen, wie sich dies zu der – hier nicht einsehbaren – Ephemeris ecclesiastica, Ad Divinum Officium Missamq[ue] rite, et recte celebranda accomodata. Pro Ecclesia, et Diocesi Bellunen. Anno à Christo nato, MDCXXXIV, Jussu et Decreto Illustriss. et Reverendiss. D. D. Ioannis Delphini eiusdem Civitatis Episc. et Comitis. Belluni, Apud Franciscum Viecerum, 1633, verhielte. Nachweis bei Sante Rossetto, Due secoli di stampa a Belluno e Feltre (XVII– XVIII) (Biblioteca di bibliografia italiana 133), Florenz 1994, Nr. 12, S. 47.

167 auf den hl. Salvator zu sprechen kommen. Von Ughelli wurde allein der 3. Januar als Festtag genannt. Ferner wich die von Piloni über Ferrari bis zu den Acta Sanctorum artikulierte Unsicherheit über die Existenz möglicher Reliquien der Einsicht, dass „sein Körper in höchster Verehrung bei den Kartäusern außerhalb der Stadt aufbewahrt wird.“ Letztlich hatte Ughelli, anders als Ferrari, der die Frage der Lebenszeit ausdrücklich problematisiert hatte, offenbar seinerseits zu Pilonis Chronik gegriffen. Der dort im Kontext genannte Kaiser P. Helvius Pertinax (reg. 192–193) schien Ughelli unstreitig („constat“) geeignet zu sein, um die Regentschaft des hl. Salvator zeitlich zu markieren. 196 Die Verbindung zwischen der städtischen Chronistik des späteren Humanismus und den im weiteren Sinne hagiographisch und kirchengeschichtlich interessierten Gelehrten ergab sich nahezu organisch. Deutlich von jenem „Anti-medievalism“ entfernt, der die städtische Historiographie im Italien des 16. Jahrhunderts bestimmt haben soll, 197 konnte die frühe Geschichte einer italienischen Stadt nicht ohne die Geschichte ihrer fast durchgängig als Heilige in den Kirchen verehrten Bischöfe und ihrer Viten geschrieben werden. Der Akt der Christianisierung scheint als Wendepunkt in der Entwicklung der jeweiligen Städte kaum je negative Assoziationen hervorgerufen zu haben. In seiner Geschichte Pavias von 1570 berichtete Stefano Breventano († 1577) von dem – wahrscheinlich legendarischen – ersten Bischof der Stadt, dem seines Erachtens im Jahr 99 n. Chr. verstorbenen hl. Syrus oder Sirus, welcher: das Banner JESU CHRISTI in der Stadt Pavia eingerammt hat, und mit der Lehre und Wundern und anderen Werken der Heiligkeit unterwies und bestärkte er nicht nur die

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Vgl. Ughelli, Italia sacra, ed. sec., cur. et stud. Coleti, Bd. 5, 1720, S. 145a: „2. S. Salvator (a), vivens, moriensque pluribus miraculis claruit, multisque annis Bellunen. rexit Ecclesiam. Ejus festum celebratur die 3. Men. Januarii; cujus corpus summa veneratione asservatur apud Carthusianos extra Civitatem. Illius meminit Ferrarius in Catalogo Italorum Sanctorum, constatque vixisse temporibus Pertinacis Imp.“ Vgl. ebd., Marginalnote a: „De eo Bollandus tom. 1. Jan. p. 137.“ Vgl. dazu Piloni, Historia [21618], ed. Alpago-Novello/da Borso/Protti (1974), S. 57: „P. Helvjo Pertinace dottor di legge e soldato valoroso fu doppo Commodo eletto Imperatore, il qual si puote con grand difficoltà indurre ad accettar l’Imperio, e perciò fu detto Pertinace. Ma doppo pochi mesi fu dalle cohorte pretorie fatto morire de anni settanta uno, a cui successe Didio Iuliano Milanese Iurisconsulto ricchissimo che era stato buon capitano et Consolo di Roma, il qual imperò doi mesi soli, perche fu occiso nel suo palaggio l’anno della sua età cinquantasette. Et in loco suo fu gridato Imperatore Settimio Severo […]. Fu molto bellicoso e superò Albino e Pescenio chi li contrastavano l’Imperio. Governorno in questi tempi la Chiesa d’Aquileia con la Veneta provincia Grisogono Patriarca, e doppo lui Teodoro huomini Santissimi. Fu Episcopo Salvatore, che resse […].“ Vgl. Eric Cochrane, Historians and Historiography in the Italian Renaissance, Chicago/London 1981, S. 221–225.

168 Bevölkerung Pavias, sondern auch die anderer Städte und Orte im heiligen christlichen Glauben […]. 198

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ISTORIA || DELLA ANTICHITA || NOBILTA, ET DELLE COSE NOTA- || BILI DELLA CITTA DI PAVIA, || RACCOLTA DA M. STEFANO || BREVENTANO CITTADINO PAVESE. || Con licentia delli Signori Superiori. || In Pauia Approsseo Hieronimo Bartholi, nelle Case || di S. Pietro in Ciel’Aureo 1570 (Neudruck Bologna 1972 = Historiae urbium et regionum Italiae rariores 20), Bl. 16v: „Il primiero Vescouo, di venti e vno, de quali la Chiesa di Pauia sa memoria ne i diuini Vffitij fù il Santissimo Siro, il qual piantò lo standardo di GIESV CHRISTO nella Città di Pauia, e co[n] la dottrina, e miracoli & altre opere di Santità instrusse & confermò nella Santa Christiana fede non solamente il popolo di Pauia, ma etiandio quelli di altre Città e luoghi […].“ Vgl. zum Todesdatum und zu der Annahme, dass der Leib des Heiligen 600 Jahre später aus der von ihm geweihten Kirche San Gervasio e Protasio in die Kathedralkirche transferiert worden sei ebd., Bl. 19v: „[…] p[er] cioche s’andaua tutta via accresce[n]do la p[er]secutione contra [christ]iani sotto il crudelissimo Domitiano che fù negli a[n]ni otta[n]tacinque da [Christ]o nato e durò q[ue]lla p[er]secutione fin ch’egli fu vcciso da suoi che fu negli a[n]ni della nostra salute 99. & sestodecimo del suo imperio, nel cui te[m]po Siro ottimo Pastore d’a[n]ni graue, & di cure molto più graue passò da q[ue]sta vita à megliore […] stando nelle case della chiesa da lui fabricata alli santi martiri Geruasio & Protasio fratelli, nel borgo della Città alli noue di decembre, nel qual giorno la Chiesa di Pauia co[n] gra[n] solennità celebra la sua festa […]. il cui corpo iui fù sepelito co[n] po[n]tifical honore & co[n] lagrime di tutto il popolo, come priuato del p[ro]prio padre, Nella qual chiesa riposò il suo corpo p[er] spatio di seicento a[n]ni. che poi fu trasportato e[n]tro la città nella chiesa cathedrale, co[n] molta sole[n]nità […].“ Breventano schloss an die – sich seit einer Vita des frühen 8. Jahrhunderts verfestigende – Vorstellung an, dass der hl. Syrus als Zögling des als Apostelschüler und Gründungsbischof von Aquileia bewerteten Hermagoras von Aquileia zu betrachten sei. Er wies allein die Legende zurück, die Syrus mit jenem Jungen identifiziert hatte, der für die fünf Brote und zwei Fische gesorgt hatte, welche der Speisung der Fünftausend nach Joh. 6,9 zugrunde lagen. Denn sein Name werde in den Evangelien definitiv nicht genannt. Vgl. ebd., Bl. 18r: „Alcuni ha[n]no detto […] che fu q[ue]llo giouanetto da cui s’hebbero q[ue]lli duo pesci & que ci[n]que pani, co[n] qual Giesu [Christ]o satio ci[n]que mila huomini nel deserto, ma p[er]che no[n] truouo alcuno delli Va[n]gelisti che’l dica. no[n] ardiro affermarlo, ma co[n] la maggior parte de scrittori credero più tosto ch’egli fusse della Città di aq[ui]leia. Questo è be[n] chiaro, ch’egli fu al te[m]po de gli Apostoli nella primitiua Chiesa, fu adu[n]que q[ue]sto S. Padre vno di q[ue]lli (come appare p[er] la sua sacra istoria) che riusci dal chiarissimo fonte della diuina Maestà, cio è da Christò in Pietro, da Pietro i[n] Marco, & da Marco i[n] Hermagora, il quale p[er] ordine di Pietro fu fatto Vescouo di Aquileia. Da questo Hermagora Siro suo special discepolo futuro Padre Ticinese fu ma[n]dato à Pauia […] l’a[n]no ci[n]qua[n]tesimo, dal nascime[n]to d’esso nostro Signore […].“ Vgl. dazu Nicholas Everett, The Earliest Recension of the Life of S. Sirus of Pavia (Vat. lat. 5771). (With Diplomatic Edition and Translation of the Text), in: Studi medievali, ser. 3, 43 (2002), S. 857–957, hier S. 858, 900. Seit dem fortgeschrittenen 10. Jahrhundert begann der hl. Syrus in den Status eines Stadtpatrons einzurücken. Sein Tod wird seit der Studie von Maria Pia Billanovich, San Siro. Falsificazioni, mito, storia, in: Italia medioevale e umanistica 29 (1986), S. 1–54, hier S. 32, 38, auf das Jahr 413 festgesetzt. Noch im späten 19. Jahrhundert postulierte Cesare Prelini nach Grabungen in S. Gervasio e Protasio, einen Sarkophag mit der Inschrift „SURUS || EPC“ entdeckt zu haben. Es wurde jedoch bald festgestellt, dass es sich um eine Erfindung handelte. Mit Billanovich gilt ein Episkopat des hl. Syrus in Pavia heute insgesamt als unwahr-

169 Humanistisch kann diese Chronik insofern genannt werden, als Breventano souverän über die Autoren der klassischen Antike verfügte und das Humanum das Leitprinzip seiner Geschichtsbetrachung war. Am Beispiel der Ursprungsmythen Roms könne einerseits die Problematik studiert werden, so eröffnete Breventano mit Isidor von Sevilla († 636) seine Darstellung, Genaueres über die städtischen Gründerväter und die Anfänge der Besiedlung sagen zu können. 199 Andererseits sei es: eine klare Sache, dass die Städte oder Ländereien nicht dadurch vornehmer und vorzüglicher sind, dass sie älter sind, und die Menschen, die in den berühmten Städten geboren sind, folglich nicht vornehmer sind, da es eine gewisse Sache ist, dass die Städte und Ortschaften von den Menschen um ihrer Annehmlichkeit willen erbaut worden sind, und aber die Würde den Menschen zugeschrieben werden muss und nicht den Orten, auch wenn die Orte von den würdigen und vornehmen Menschen geadelt worden sind, und dafür besitzen wir viele klare Beispiele[.] [D]er so berühmte

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scheinlich. Vgl. ebd., S. 1, 46f.; Everett, Recension (2002), S. 859 mit Anm. 2; zur komplizierten Geschichte möglicher Translationen und der in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts entstandenen Translatio Syri ebd., S. 873ff.; Billanovich, San Siro (1986), S. 40ff.; Lucia Tammaro, Le fonti della „Translatio s. Syri“, in: Italia medioevale e umanistica 39 (1996), S. 27–45. Breventano, Istoria, 1570, Bl. 1r: „CHE la nostra Città di Pauia […] sia tra l’altre città d’Italia antichissima non è dubbio alcuno, il che si proua si per l’autorità de scrittori, che n’hanno fatta mentione, come ancora per le reliquie delle antiche fabriche, che fino al di d’hoggi si veggono in essa. Ma qua[n]do, e da cui ella sia stata edificata, per la sua molta antichità pare che non se ne possa hauere certa notitia, conciosia, che questa per lo più delle volte suol cagionare dimenticanza, & ancor tal’hora errore, come dice Isidoro nel primo capo del 15. lib. delle Etimologie, cosi scriuendo, truouasi ben spesso disparere tra scrittori de fondatori delle Città, di maniera che etiando della origine della Città di Roma no[n] se ne può hauere chiara, & certa notitia. Perche Salustio vuole ch’ella fusse primierame[n]te fondata, & habitata da Troiani. Altri dicono, che Eua[n]dro greco fu il primo fondator di essa, come Virg. il quale cosi canta. Della Romana Rocca fondatore fu’l buono Euandro. Altri vogliono, che Romolo desse principio alla sua fondatione, comme Ennio il qual parlando di esso Romolo dice, che dalli suoi auspicij hebe principio Roma, cosi dal suo nome chiamata. Se adunque d’vna tanta Città non si puo sapere la certa origine, che marauiglia è, se c’e dubbio dell’altre, & di Pauia specialmente?“ Vgl. San Isidoro de Sevilla, Etimologías. Edicion bilingüe, Bd. 2: Libros XI–XX. Texto latino, version española, notas e indices por José Oroz Reta/Manuel A. Marcos Casquero [lat. Text nach der Ausgabe von Wallace M. Lindsay, Oxford 1911] (Biblioteca de Autores Cristianos 434), Madrid 21994, lib. XV, c. 1,1–2, S. 212: „De civitatibus“: „De auctoribus conditarum urbium plerumque dissensio invenitur, adeo ut nec urbis quidem Romae origo possit diligenter agnosci. Nam Sallustius dicit (Cat. 6): ‚Vrbem Romam, sicuti ego accepi, condere atque habitare initio Troiani, et cum his Aborigines.ǥ Alii dicunt ab Evandro, secundum quod Virgilius (Aen. 8,313): || ‚Tunc rex Evandrus Romanae conditor arcis.ǥ || Alii a Romulo, ut (Virg. Aen. 6,781): || ‚En huius, nate, auspiciis illa inclita Romaǥ || Si igitur tantae civitatis certa ratio non apparet, non mirum si in aliarum opinione dubitatur.“

170 Hebräer Mose hat Ruhm nicht bereits vom Vaterland oder von irgendeiner Ortschaft empfangen, sondern sehr wohl aus dem Dienst, für den Gott ihn erwählte […]. 200

In den hier interessierenden Zusammenhängen wurde auf Breventano in Ferraris Eintrag zu einem in Pavia verehrten Eremiten mit Namen Aldus Bezug genommen, einem ehemaligen Mönch des Klosters Bobbio. In einigen Kapiteln, die auf den historischen Darstellungsteil folgten, hatte Breventano jene Sakralbauten und städtischen Reliquienbestände inventarisiert, die in den vorangegangenen Abschnitten noch nicht erwähnt worden waren. Hier, in dem Abschnitt: „Von einigen anderen Körpern der Heiligen, die sich in anderen Kirchen Pavias befinden“, 201 wurde der hl. Aldus mit den Worten bedacht: „Der Leib des heiligen Eremiten Aldus war in der Kirche des hl. Columban, ist dann aber in den Dom überführt worden.“ 202 Im Catalogus Sanctorum Italiae konnte Ferrari allerdings gegen Breventano und das von diesem wahrscheinlich benutzte Papie Sanctuarium von 1505 verdeutlichen, dass der Leib des hl. Aldus nicht in der Kathedralkirche, sondern in der – zwischen 1100 und 1130 errichteten 203 – Kirche San Michele Maggiore aufbewahrt werde. 204 Solche Diskrepanzen zwischen der Seite der schriftlichen Tradition und den Entwicklungen der materiellen Kultur dürften wahrscheinlich häufiger anzutreffen sein. Irritiert zeigte sich Ferrari von einem auch hier existierenden Bildnis und den liturgischen Gepflogenhei–––––––— 200

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Breventano, Istoria, 1570, Bl. 3v–4r: „Ma lasciamo andare l’antica origine di Pauia con le sue Torri & antiche mura accioche non paia ch’io habbi voluto accreserle nobilità & dignità co’l ricordare le sudette cose, impercioche è cosa chiara che le città o terre non sono piu nobili & eccelenti per essere piu antiche, ne gli huomini che sono nati nelle Città famose sono per ciò piu nobili, perche è cosa certa che le Città & luoghi suono edificati da gli huomini per commodita loro, & però la degnitá si dee attribuire à gli homini, & no[n] à luoghi a[n]zi ch’i luoghi sono da gli huomini degni & nobili nobilitati, e di ciò n’habbiamo molti chiari esempi, Mose hebreo cosi famoso no[n] riceuè giá nome dalla patria, o da luogo veru[n]o, ma si bene dall’vffitio à cui Iddio le elesse […].“ Vgl. ebd., Bl. 95v: „D’alcuni altri corpi de santi che sono in altre chiese di Pauia“. Vgl. ebd., Bl. 96r: „Il corpo di santo Aldo heremita era nella chiesa di san Columbano, ma fù poi trasportato nel Duomo.“ Vgl. Bettina Schmidt-Asbach, Die Bauplastik von S. Michele Maggiore in Pavia. Zur Skulptur und Architektur in Pavia aus der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts. Eine Untersuchung zur Stellung der Bauplastik von Pavia in der oberitalienischen Romanik sowie zur Werkstattorganisation, Dortmund 2001. URL: !http://wwwbrs.ub.ruhr-uni-bochum.de/netahtml/HSS/Diss/SchmidtAsbachBettina/diss.pdf (04. 04. 2008), S. 25–33. Vgl. Ferrari, Catalogus Sanctorum Italiæ, 1613, 10. Jan., S. 17: „De S. Aldo Eremita Papiæ. || S. Aldus quando, & vbi vixerit, adhuc scire minimè potui: eius corpus Papiæ primùm in Sacello S. Columbani conditum fuit, indè in Basilicam S. Michaelis translatum est, ibiq[ue] Natalis eius celebrari solet. Meminere illius Iacobus Gualla lib. 6. c. 8. Sanctuarij. Stephanus Breuentanus lib. 3. hist. Ticinensis. (Qui tamen corpus in Cathedrali Ecclesia quiescere, scribunt.) & Arnoldus Vuion lib. 3. ligni vitæ in additionibus, ex quo loco S. Aldum Monacum Bobiensem vitam Eremiticam in finitimis locis egisse, conijci potest.“

171 ten, von denen ihm berichtet worden sei: „Ich kann mich nur wundern“, so Ferrari, „dass in besagter Basilika des hl. Michael anstelle des hl. Aldus eine hl. Alda weiblichen Geschlechts dargestellt worden ist, und dies vermehrt das Staunen, dass, wie ich höre, das Officium bloß der Frau anstelle des Bekenners allein verlesen worden ist.“ 205 In den Acta Sanctorum wurde – „Ex Ferrario“ 206 – Ferraris Text einschließlich aller Referenzen reproduziert. Die von Ferrari geschilderte kultische Praxis der Gegenwart hingegen wurde übergangen. 207 Die Arbeit für die Bollandisten veränderte sich dann, wenn mehrere und zumal gegenläufige Informationen zu berücksichtigen waren. Dies betraf beispielsweise die in den Acta Sanctorum am 17. Februar verzeichneten frühchristlichen Heiligen Saturninus, Castulus, Magnus und Lucius. Im Inhaltsverzeichnis wurde ein Dossier mit den Provenienzen: „Ex M[a]r[tyro]l[ogiis] [,] Ferrario & Iacobillo“ sowie „Ex M[a]r[tyro]l[ogiis] [,] Ferra–––––––— 205

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Vgl. ebd.: „Annotatio. || Non possum non mirari in Basilica dicta S. Michaelis, pro S. Aldo Sanctam Aldam muliebri specie depictam, & quod admirationem auget, officium vnius mulieris, loco vnius confessoris, vt audio recitatum fuisse.“ AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, Index Sanctorum [unpaginiert], [S. 2]: „10 Aldus Erem. Papiæ. Ex Ferrario“. Die Bollandisten hatten Ferraris Text allein um den Hinweis erweitert, dass man über Bobbio anlässlich des Dossiers des hl. Columban am 21. November zu handeln beabsichtigte. Vgl. De S. Aldo Eremita, Papiæ in Italia, in: ebd., 10. Jan., S. 627a–b: „FERRARIVS in catalogo generali Sanctorum isthæc scribit, IV. Id. Ianu. Papiæ S. Aldi eremitæ. Ast in catalogo Sanctorum Italiæ: S. Aldus quando & vbi vixerit, adhuc scire minimè potui: eius corpus Papiæ primùm in sacello S. Columbani conditum fuit, inde in basilicam S. Michaëlis translatum est, ibique natalis eius celebrari solet. Meminêre illius Iacobus Gualla lib. 6. cap. 8. Sanctuarij, Stephanus Breuentanus lib. 3. histor. Ticinensis; qui tamen corpus in cathedrali ecclesiâ quiescere scribunt; & Arnoldus VVion lib. 3. ligni vitæ in additionibus: ex quo loco, S. Aldum monachum Bobiensem vitam eremiticam in finitimis locis egisse, coniici potest. Hæc Ferrarius. De Bobio illustri monasterio agemus XXI. Nouemb. ad vitam S. Columbani.“ Ferrari selbst hatte im Catalogus generalis Sanctorum die Annotatio aus seinem älteren Werk bereits etwas entschärft, indem er allgemeiner auf eine in San Michele Maggiore existierende „Tabula“ und das liturgische Gedenken an diesen Heiligen verwies. Vgl. Ferrari, Catalogus generalis Sanctorum, 1625, 10. Jan., S. 20: „Papiæ S. Aldi Eremitæ.“ Vgl. die Anmerkung ebd., S. 22a: „Aldi Erem.] Ex Tab. Eccl. S. Michaelis, in qua colitur, & corpus eius asservatur. De eo Gualla in Sanct. & Breuen. in Hist.“ Das Papie Sanctuarium Guallas wurde hier nicht eingesehen. Die Referenz auf Arnold Wion (1581–1663) bezog sich auf dessen – hier in der deutschen Version konsultierte – devotionale: LIGNVM VITÆ. || Baum des Lebens. || Historij des gantzen Or= || dens S. Benedicti. || Der Ander Theil. || Erstlich || Von D. Arnoldo Wion || Jn Latein beschriben || Nun aber durch F. Ca= || rolum Stengelium || Jn die Teutsche sprach || gebracht. || A.o M DC VII. || Gedruckt tzue Augspurg || in Verlegung Dominici Custodis, lib. III. Zusatz an das Clsterlich Benedictiner Martyrologium, ebd., S. 140–161, hier S. 140: „S. Ado [!] ein Bruder deß heiligen Audoëni Bischoffs zu Roan/ Mnch zu Luxouien in Burgund/ vnnd deß heiligen Columbani Abts J(nger/ nach weissagung seines Meisters/ hat er mit grossen tugenden in dem Orden geleucht im Jar deß Herrn 690.“

172 rio & Vghello“ und „Ex MS. Mrol. S. Hieron.“ angekündigt. 208 Henschen konnte zunächst mit dem ersten Band der Italia sacra von 1644 bemerken, dass das Fest dieser Heiligen in Terni am 17. Februar begangen werde. In Baronios Martyrologium Romanum sei es allerdings am 15. Januar verzeichnet worden. 209 Mit dem ersten Band der Vite de’Santi e Beati dell’Umbria des umbrischen Hagiographen Jacobilli von 1647 vermochte Henschen genauer zu sagen, dass diese Heiligen in Terni am 17. Februar mit einem Duplexfest gefeiert würden und am 15. Februar im Jahr 273 n. Chr. unter einem Präfekten mit Namen Leontius das Martyrium erlitten hätten. 210 Jacobilli hatte unter anderem am Collegium Romanum der Jesui–––––––— 208

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AASS Februarii, Bd. 3, 1658, Index Sanctorum [unpaginiert], [S. 11]: „17 Saturninus Mart. Interamnæ in Vmbriâ. Ex Mroll. Ferrario & Iacobillo.“ Ebd., [S. 3]: „17 Castulus, vel Castula Mart. Interamnæ in Vmbriâ. Ex Mroll. Ferrario & Vghello.“ Ebd., [S. 7]: „17 Lucius M. Interamnæ in Vmbriâ. Ex Mroll. Ferrario & Vghello.“ Ebd.: „17 Magnus M. Interamnæ in Vmbriâ. Ex Mroll. Ferrario & Vghello.“ Ebd., [S. 6]: „Ioannes Mar. Interamnæ in Vmbriâ. Ex MS. Mrol. S. Hieron.“ Ebd., [S. 10]: „17 Rogatus Mar. Interamnæ in Vmbriâ. Ex MS. Mrol. S. Hieron.“ Vgl. G[odefridus] H[enschenius], De Sanctis Martyribvs Satvrnino, Castvlo, vel Castvla, Magno, Lvcio, Rogato, Ioanne, et variis sociis, Interamnæ in Vmbria, in: ebd., 17. Feb., S. 6f., hier S. 6a: „Ferdinandus Vghellus tomo I Italiæ sacræ in S. Valentino Episcopo Interamnensi, cuius Vitam dedimus XIV Februarij, hæc scribit: Erudiuit prætereà in fide Saturninum, Castulum, Magnum atque Lucium: qui posteà illustres Martyres euasêre, quorumque meminit Martyrologium Romanum die XV mensis Februarij. Ecclesiaque Interamnensis concelebrat die XVII eiusdem mensis.“ Vgl. Ughelli, Italia sacra, Bd. 1, 1644, Sp. 810, zu dem als dritten Bischof von Terni gezählten Valentin: „Erudiuit præterea in fide Saturnium [!], Castulum, Magnum, atq[ue] Lucium, qui postea illustres Martyres euasere, quorumque meminit Martyrologium Romanum die 15. mensis Februarij, Ecclesiaque Interamnensis, concelebrat festum die 17. eiusdem mensis: Valentinus deinde Romam professus est […].“ Vgl. auch die Nachweise unten Anm. 216. Vgl. Henschen, De Sanctis Martyribvs Satvrnino, Castvlo, vel Castvla, Magno, Lvcio, Rogato, Ioanne, et variis sociis, AASS Februarii, Bd. 3, 1658, 17. Feb., S. 6a: „Addit Iacobillus in Sanctis Vmbriæ ad hunc diem, festum illud solemniter peragi ritu duplici.“ Ferner erwähne „Iacobillus, sub Leontio Præfecto Aureliani Imperatoris Martyres occubuisse anno Christi CCLXXIII die XV Februarij.“ Vgl. Vita de’Santi Satvrnino, Castvlo, Magno, e Lvcio. Martiri di Terni, in: VITE DE’SANTI || E BEATI DELL’VMBRIA, || E DI QVELLI, I CORPI DE’QVALI || RIPOSANO IN ESSA PROVINCIA. || TOMO PRIMO || DESCRITTE DAL’SIG. LODOVICO IACOBILLI || DA FOLIGNO PROTONOT. APOSTOLICO. || CON VN DISCORSO DELL’VMBRIA. || IN FOLIGNO. || Appresso Agostino Alterij. 1647. Con licenza de’Sig. Superiori (Neudruck Bologna 1971), 17. Feb., S. 259f., hier S. 260: „[…] Leontio gli fece dare in sua presenza molti tormenti, e pene: ma vedendo, che con allegrezza il tutto riceueuano, e ne rendeuano laudi, e ringratiamenti a Dio, gli fece tutti quattro decapitare alli 15. die Febraro l’Ann. 273 impera[n]do Aureliano. Seguì il loro Martirio nell’istesso giorno, & anno die S. Agape di sopro nominata: ma la loro festa si trasferisce, nella Città, e Diocesi di Terni co[n] rito doppio alli 17. di questo istesso mese per esser impediti gli giorni auanti con altre festiuità. Li loro corpi furono da’fedeli sepolti appresso il Torrente Passaro, oue al presente è la Chiesa di S. Zenone Martire nella Diocesi di Terni.“ Marginal hatte Jacobilli ebd. ein „Ca-

173 ten studiert. 211 Er selbst scheint nach der Publikation der Januarbände mit Bolland in Kontakt getreten zu sein. Am 20. Februar 1646 hatte er Bolland eine Aufstellung umbrischer Heiliger zukommen lassen, die, in kalendarischer Abfolge, ihre Namen, den Ort ihres Kults und einige Nachweise aus der bisher vorliegenden Literatur – zumeist wurden Baronio, Ughelli, Ferrari und Jacobillis eigene Arbeiten genannt – versammelte. 212 Henschen und Papebroch machten später, im Dezember 1660, Halt in Foligno, um sich persönlich mit Jacobilli auszutauschen. 213 Mit Jacobilli und Ferraris Catalogus Sanctorum Italiae vertrat Henschen die Annahme, dass ein direkter Zusammenhang zwischen dem Martyrium dieser Gruppe und dem des ungleich bekannteren heiligen Bischofs von Terni Valentin unter Kaiser Aurelianus (reg. 270–275) bestanden haben dürfte. 214 In Ferraris Catalogus generalis Sanctorum fand Henschen einen Hinweis, der es ihm zu ermöglichen schien, sich an einigen eigenen Lesarten zu versuchen. Ferrari hatte, auch hier, mit einer Bild- oder Altartafel als Quelle auf das Martyrium weiterer Personen („[…] & Sociorum“) aufmerksam gemacht, derer am 17. Februar gedacht werde. 215 Henschen sah sich daher mit dem Problem konfrontiert, dass in der martyrologischen Tradition –––––––— 211

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lend[arium] Interamn[ense]“ und ein „Martirol[ogium] ant[iquum] Inter[amnense]“ als Quellen ausgewiesen. Vgl. Gabriele Metelli, Verso una biografia critica dell’erudito folignate, in: Ludovico Jacobilli, erudito umbro del ‘600, hrsg. v. Maria Duranti, Foligno 2004, S. 41–57, hier S. 43. Vgl. Jacobilli an Bolland, Foligno, 20. Februar 1646, BRB, Coll. boll. Ms. 8182–90, fol. 105r–108v. Es folgte eine zweite, analog angelegte, undatierte und ihrerseits von Jacobilli gezeichnete Liste der „Santi, e Beati, degli si celebra la festa nella Prouincia dell’Vmbria“, ebd., fol. 109r–115v. Sie weist am oberen linken Rand eine eigene, in geraden Zahlen durchlaufende Paginierung auf (S. 2 = fol. 109v; S. 14 = fol. 115v), die sie als selbstständig ausweist. Sie könnte also auch erst später angefertigt und nach Antwerpen gesandt worden sein. Vgl. Godding, Jacobilli (2004), S. 131, 133f. Vgl. Henschen, De Sanctis Martyribvs Satvrnino, Castvlo, vel Castvla, Magno, Lvcio, Rogato, Ioanne, et variis sociis, AASS Februarii, Bd. 3, 1658, 17. Feb., S. 6a: „De illis hoc edidit elogium Ferrarius in Catal. SS. Italiæ: Saturninus, Castulus, Magnus, & Lucius Interamnæ Christianam Religionem sub S. Valentino Episcopo amplexati, cùm in eâ proficerent, post S. Episcopi martyrium, & ipsi in eadem persecutione comprehensi, martyrio ob fidei constantiam coronati sunt.“ Vgl. Ferrari, Catalogus Sanctorum Italiae, 1613, 17. Feb., S. 106: „De SS. Martyribvs Satvrnino, Castvlo, Magno, et Lvcio Interamnae. || Saturninus, Castulus, Magnus, & Lucius Interamnæ Christianam Religionem sub S. Valentino Episcopo amplexati, cum in ea proficerent, post S. Episcopi martyrium, & ipsi in eadem persecutione Compræhensi, martyrio ob fidei Constantiam coronati sunt. Ex Monum. Eccl. Interamnen. || Annotatio. || Horum Vsuard. & Martyrol. Rom. die 15. huius mentionem faciunt, qua die S. Agapes Virg. martyrium subijt. Sed Interamna hac die illorum memoria recolitur.“ Vgl. ders., Catalogus generalis Sanctorum, 1625, 17. Feb., S. 80: „Interamnæ SS. martyrum Saturnini, Castuli, Magni, Lucij, & Sociorum.“ Vgl. die Anm. ebd., S. 81a: „Saturnini, & Soc.] Ex Tab. illius Eccles. hac die; at in Martyrol. Rom. die 15. huius.“

174 nahezu einhellig der 15. Februar als Festtag vermerkt worden war, dort von besagten socii aber zumeist keine Rede war und vor allem die gesamte Gruppe aus Terni – von varianten Schreibungen wie „Castula“ für „Castulus“ abgesehen – mit der dies natalis einer Jungfrau mit Namen Agapa assoziiert worden war. 216 Letzteres scheint Henschen als Fehler betrachtet zu haben. Er trennte folglich die hl. Agapa und ihre dies natalis von der Gruppe aus Terni und beschränkte sich darauf, sie mit der Reduplikation ihres Namens innerhalb der Echternacher Handschrift neben 37 weiteren Märtyrerinnen und Märtyrern in einem anderen Dossier des 17. Februar zu verzeichnen.217 Übergangen wurde von ihm hingegen, dass die hl. Agapa von Terni zusammen mit der Gruppe um Saturninus auch in der Echternacher Handschrift am 15. Februar verzeichnet worden war. Mit Ferraris „Tabula“, Jacobillis Dar–––––––— 216

217

Vgl. Baronio, Martyrologium Romanum, sec. ed., 1589, 15. Feb., S. 83: „Interamnæ sanctæ Agapis (c) virginis & martyris. Item natalis sanctoru[m] martyru[m] Saturnini (d), Castuli, Magni, & Lucij.“ Ebd., S. 83b Anm. c: „De qua hac item die Beda, Vsuard. Vuandelbertus, & alij recentiores agunt.“ Ebd. Anm. d: „Beda hîc agit de Saturnino & Castulo: cæteri autem redditi sunt ex prædicto Martyrologio manuscripto.“ Vgl. Henschen, De Sanctis Martyribvs Satvrnino, Castvlo, vel Castvla, Magno, Lvcio, Rogato, Ioanne, et variis sociis, AASS Februarii, Bd. 3, 1658, 17. Feb., S. 6a: „Numerus horum Martyrum varius ab auctoribus exprimitur. Ferrarius in Catalogo generali hoc XVII Februarij, Interamnæ, inquit, sanctorum Martyrum Saturnini […] & sociorum. At Martyrol. Romanum absque sociorum mentione alios refert XV Februarij.“ Ebd., S. 6b: „Rabanus etia[m] in vtraque editione, Interamnæ S. Agapæ Virginis, Saturnini, Castulæ.“ Vgl. Rabanus Maurus, Martyrologium, ed. McCulloh (1979), 15. Feb., S. 22: „Interamnæ natale sanctae Agapae uirginis, Saturnini, Castulae.“ Wandalberti Prumiensis carmina, in: MGH Poetae Latini aevi Carolini, Bd. 2, hrsg. v. Ernst Dümmler, Berlin 1884, S. 569–622, hier S. 580: „Februarius || […] Hinc decimo et quinto meritum clarescit Agapes.“ Das Martyrolog des Usuard vermerkte allerdings nur die hl. „Agapes“: Martyrologium vsuardi monachi [Köln 1521], BRB, Ms. 14649 (499), fol. 23r–v: „xv. kalendas martij. [dies] xv. || […] Ciuitate interamnis: s[an]c[t]e agapes virginis.“ Vgl. auch die heutige Ausgabe: Usuardus, Martyrologium, ed. Dubois (1965), 15. Feb., S. 181: „Civitate Interamnis, sanctae Agapes virginis.“ Nach Dubois’ Kommentar zu Agapa ebd., hat Usuard diesen Eintrag aus der Berner Handschrift des Martyrologium Hieronymianum übernommen. Vgl. Martyrologium Hieronymianum, ed. Rossi/Duchesne, AASS Novembris, Bd. 2,1, 1894, 15. Feb., S. [21], Cod. Bern.: „XU. KL. MAR. […] INteramnes . Natá Scͅ Agape uirg̘ ET saturnini Castule […].“ Beda, Opera historica, sect. 2: Martyrologia (MPL 94) (1850), Sp. 842 (Ed. Colon. 1616), 15. Feb.: „Interamnæ, natale sanctæ Agapæ virginis, Saturnini et Castulæ [!].“ Vgl. G[odefridus] H[enschenius], De Sanctis Martyribvs Ianvario, Feliciano, Donato, Casto, item Donato, Victore, Agapa, Donata, Codene, Dativo, Fortvnione, Marcella, Qvintiano, Ivlia, item Ianvario, Cascento, Cælestino, Satvrnino, Cyptone, Felicitate, Donationo, Victvaria, Æmilia, Bassilla, Satvro, Ebaso, Secvndo, Felice, Octaviano, Favstinia, Albina, Venvstina, Mereo, Cetvla, Rvtilo, Silvano, Covilio, in: AASS Februarii, Bd. 3, 17. Feb., S. 10. Die meisten dieser Namen, unter anderem „Agapa“, fanden sich im Martyrologium Hieronymianum, ed. Rossi/Duchesne, AASS Novembris, Bd. 2,1, 1894, 17. Feb., S. [22], Cod. Eptern., etc.: „XIII ká mr̘ […] donati victoris agapae donatae codenis dativi […].“

175 stellung und dem dort genannten 17. Februar schichtete Henschen noch weitere Heilige auf diesen letzteren Festtag um. Die von Ferrari erwähnten „Socii“ identifizierte er mit der in der Echternacher Handschrift am 15. Januar auftauchenden Formel: „[…] et aliorum XII.“ Sodann fügte er der Gruppe aus Terni zwei weitere Namen hinzu, die ebendort, am 15. Januar, genannt worden waren: Rogatus und Ioannes. 218 Dieses wenig transparente Vorgehen sollte später Jacobilli zu dem Trugschluss verleiten, dass das Martyrologium Hieronymianum diese Heiligen in der Tat am 17. Februar verzeichnete. 219 Die Geschichte dieses Dossiers ist damit noch nicht beendet. Gegenüber seinem eigenen Zugriff schien Henschen das spanische Gegenstück zu Du Saussays Martyrologium Gallicanum, das 1651 als erster Band der Anamnesis sive commemoratio omnium sanctorum hispanicorum publizierte Martyrologium Hispanicum Juan Tamayo de Salazars († 1662), der Korrektur zu bedürfen. Tamayo de Salazar hatte die Gruppe Saturninus, Catulus, Magnus, Lucius, die, wie er sagte, nach seinen Unterlagen in Rom unter Hadrian (reg. 117–138) zu Tode gekommen sei, um den Namen „Camillus“ ergänzt. Diesen habe er „in einem handschriftlichen Kalendarium“ aufgefunden, mit dem ihn der Chronist von Segovia Diego Colmenares (1586– –––––––— 218

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Vgl. ebd., 15. Feb., S. [21]: „XV ká mr̘ […] inter amne nat̘ sc̘i agapis virginis saturnini | castolae magni luci [!] rogati iohannis et aliorNJ XII […].“ Henschen zitierte diesen Eintrag, aber ohne auf den gegenüber seinem Dossier abweichenden Festtag zu verweisen. Vgl. Henschen, De Sanctis Martyribvs Satvrnino, Castvlo, vel Castvla, Magno, Lvcio, Rogato, Ioanne, et variis sociis, AASS Februarii, Bd. 3, 1658, 17. Feb., S. 6b: „Denique adiunctis pluribus sociis, Martyrologium antiquum Romanum MS. quod S. Hieronymi esse dicitur: Interamnæ, Natalis S. Agapis Virginis, Saturnini, Castulæ, Magni, Lucij, Rogati, Ioannis & aliorum XII.“ Jacobilli hatte Agapa zusammen mit ihren anonymen Begleiterinnen und Begleitern seinerseits von der Gruppe um Saturninus getrennt, allerdings den Festtag des 15. Februar beibehalten und diesen Tag als die Feier ihres Martyriums bezeichnet, das sie um 273 unter identischen Umständen erlitten hätten. Vgl. Vita di S. Agape Vergine, e martire di Terni, in: Jacobilli, Vite, Bd. 1, 1647, 15. Feb., S. 254–256, hier S. 255, mit Blick auf Agapa und den vermeintlichen Präfekten Leontius: „[…] la fece in sua presenza decapitare: & in tal modo aggiunse alla sua corona della Verginità la palma del santo martirio, che seguì adi 15 di Febraro, circa l’Anno 273. di N. S. nella persecutione di detto Aureliano Imperatore.“ Vgl. zur Verehrung ebd., S. 256: „Il Popolo della Città, e Diocesi di Terni tiene questa Santa per sua Protetrice, & il Clero ne celebra la sua festiuità co[n] rito doppio alli 15. di Febraro.“ Vgl. den Abschnitt: „Altri santi, e beati, e servi di Dio dell’Vmbria, Che per non trouarsi le loro intiere vite, ò per non potersi reggistrari i loro miracoli, e visioni, non ancora approuati, si registrano solamente quel poco si troua, ò si può di essi dire, cominciando da i più Ansiani“, in: Jacobilli, Vite, Bd. 3, 1661, S. 260–278, hier S. 261: „Altri 21. santi Ternani martirizzati in Terni per la santa sede a dicisette Febraro l’an. 273 sotto Leontio Prefetto […] in compagnia di s. Agape Vergine nobile Ternana […].“ Marginal notierte Jacobilli: „Martirol. ant. Rom. s. Hiero. 17. Febr.“ Es folgte im Fließtext der Hinweis auf die zwölf „alii“: „Nell’antico Martirologio Romano, detto di san Girolamo, si fa mentione di dodici senza nomi in questo giorno“, und marginal die Referenz auf die Acta Sanctorum als Quelle: „Io. Bolland.“

176 1651) ausgestattet habe. Ebenso wie aus dem Martyrologium Romanum zu ersehen sei, dass Rhabanus Maurus die Namen Magnus und Lucius in die Tagestradition eingeführt hatte, wollte er die Gruppe „aus meinem Martyrolog“ nun um den Namen „Camillus“ arrondieren. 220 Neben der zeitlichen und räumlichen Verwirrung betrachtete Henschen diese Addition, da sie aus einer einzigen und ihm zumal unbekannten Quelle hergeleitet worden sei, als wenig überzeugend. 221 Mit dem Mantel des Stillschweigens bedeckte er einige weitere Aspekte in Salazars Dossier. Der Name des hl. Camillus scheint aus der zeitgenössischen Translation der sterblichen Überreste eines so benannten Römers aus der „Calixtus“-Katakombe nach Spanien erwachsen zu sein – ein Geschenk an Emanuel de Moura y Cortereal, Marqués da Castel Rodrigo († 1661), der unter anderem zwischen 1644 und 1647 Statthalter der Spanischen Niederlande gewesen war. 222 Da keine Tatenberichte des hl. Camillus aufzufinden waren, hatte Tamayo de Salazar selbst eine kurze Vita in der Form einer stereotypen Passio mit dem – woher auch immer stammenden – Todesjahr 122 n. Chr. komponiert. Dass dieser Heilige dem vornehmen Geschlecht der Camillus’ entstammte, schien ihm mit

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Vgl. ANAMNESIS || Sive || COMMEMORATIO || Omnium Sanctorum Hispan. || Per Dies Anni digesta, et concinnata || ac Notis Apodicticis illustrata, || Ad metodum Martyrologij Rom. || OPERA ET STUDIO || IOANNIS TAMAYO SALAZAR || I. V. C. Presbyteri. || VI. TOM. Divisa. || [Bd. 1] || LVGDVNI SVMPT. PHILIPPI BORDE, LAVRENT. ARNAVD, ET CLAVDII RIGAVD. MDCLI. Febrvarivs [als Monat eigenständig paginiert], 15. Feb., S. 132: „A Romæ S. CAMILLI Martyris, qui sub Adriano Jmperatore cum Saturnino, Castulo, Magno, & Lucio, post multa pro Christi fide suscepta certamina, coronam agonis suscepit æternam.“ Vgl. dazu die Notæ ebd.: „SANCTVS CAMILLVS Martyr. In editis Martyrologis nullam de isto sanctissimo pugile memoriam inuenies, in Kalendario MS. quod apud me est, beneficio Didaci de Colmenares, in S. Ioannis parœchia Segobiensi Plebani, ipsiusque vrbis Historiographi, hoc die, ista recensentur. Romæ natalis Sanctorum Martyrum Saturnini, Castuli, CAMILLI, Magni, & Lucij, qui ab Hadriano Imperatore pro fide cruciati sunt. Beda tantum de Saturnino agit, & Castulo, Castula, est apud Rabanum. Martyrolog. Roman. addidit Magnum, & Lucium; Ego Camillum ex meo Martyrologio MS.“ Vgl. Henschen, De Sanctis Martyribvs Satvrnino, Castvlo, vel Castvla, Magno, Lvcio, Rogato, Ioanne, et variis sociis, AASS Februarii, Bd. 3, 1658, 17. Feb., S. 6a: „Ioan. Tamayus Salazarius in Martyrologio Hispanico ex Kalendario MS. quod beneficio Didaci de Colmenares dicit se habere, quemdam Camillum adiungit his verbis, ex eo Kalendario descriptis: Romæ natalis sanctorum Martyrum, Saturnini […] cruciati sunt. Hæc ibi; in quibus consensus aliorum quatuor Martyrum est, sed Roma, non Interamna victoriæ palæstra aßignatur, & Hadrianus Imperator, non Aurelianus sub quo decertarunt. Quare vni nobis incognito Kalendario MS. non audemus fidere, eiusque solius auctoritate Camillum reliquis Martyribus iungere socium.“ Vgl. Tamayo de Salazar, Anamnesis, [Bd. 1], Febrvarivs [eigenständig paginiert], 15. Feb., S. 132: „S. CAMILLI Martyris […]. Cuius sacra pignora, à cœmeterio B. Calixti extracta, & Excellentiss. D. D. Emanueli de Moura, Marchioni CastriRoderici donata, & in Hispaniam aduecta in eius Oratorio honorifice seruantur.“

177 der Bemerkung, dass Vergil, Plutarch und Livius über diese Gens berichteten, hinreichend verdeutlicht. 223 Neben den bisher diskutierten Beispielen, in denen die städtische Chronistik implizit, vermittelt durch Ferrari, in die Dossiers der Acta Sanctorum eingeflossen war, existierten natürlich auch solche Fälle, in denen sich die Bollandisten selbst der historiographischen Lektüre befleißigten. Die Kenntnisse, über die man damals bezüglich der vielleicht zu Beginn des 4. Jahrhunderts in Bologna an einem 4. Januar zu Tode gekommenen Märtyrer Hermes, Aggaeus und Caius verfügte, erschlossen sich aus den Referenzen in Baronios Annales ecclesiastici, im Martyrologium Romanum und Ferraris Catalogus Sanctorum Italiae. 224 Das Dossier „ex Mart[y]ro–––––––— 223

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Vgl. ebd., S. 132f. Notæ: „Eius nec aliorum Acta nullus perscripsit, Nos breui periodo describemus. || Acta S. Camilli Martyris Romani qui cum aliis martyrio coronatus occubuit, ex Kal. MS. || CAMILLVS, vt eius indicat nomen, ex nobilissima Camillorum familia Romæ oriundus, temporibus Adriani Imperatoris vitam agebat. Christi fidem accepit, vt ad æternæ beatitudinis præmium accederet, sibi persuadens, nulliter posse coronari, nisi qui legitimè in Catholica Religione certaret. Isto sanè axiomate inescatus, omnes quæ ad triumphi gloriam perducerent actiones, intrepida confessione quærebat; donec Adriani Imperatoris iussu captus, ad ergastuli fœdam custodiam perductus, ibidem Socios Saturnum, Castulum, Magnum, Lucium, & alios Christicolas adinuenit. Inter omnes de fidei confessionis constantia conuentio disponitur, breui ex executionem promissionis deuentum; quilibet cruciatur, nullus respicit, omnes satellitum crudelitas torquet, quousque illi quos vna fides iunxerat, diuersis ictibus separati, ad tropæi gloriam, parili fortuna cucurrere. XV. Kal. Martij Anno Domini C. XXII. || De Familia CAMILLA, quæ auctorem, & patronum cognoscit Fur. Camillum, de quo T. Liu. lib. 5. & alibi, Plutarch. in eius vita, & fere omnes Romani Scriptores, nulli dubium est; quanto honore illustretur. Virgil. lib. 2. Georg. vers. 165. familias quas Romæ virtus euexerat enumerans, ait.“ Vgl. zur Person Geoffrey Parker, The Army of Flanders and the Spanish Road. 1567–1659. The Logistics of Spanish Victory and Defeat in the Low Countries’ Wars (Cambridge Studies in Early Modern History), Cambridge 1972, S. 282. Hier benutzt in der zwölfbändigen Kölner Ausgabe von 1624: ANNALES || ECCLESIASTICI || AVCTORE || CÆSARE BARONIO || SORANO, || EX CONGREGAT. ORATORII || S. R. E. PRESBYTERO CARD. TIT. SS. || Nerei & Achillei, & S. Apost. Sedis || Bibliothecario, || TOMI DVODECIM. || Nouissima Editio, postremum ab Auctore aucta, & iam || denuo recognita. || COLONIÆ AGRIPPINÆ || Sumptibus Ioannis Gymnici, sub Monocerote. || ANNO M. DC. XXIV. || Cum Gratia & Priuileg. S. Cæsar. Maiest. ad decennium. Vgl. Baronio, Annales ecclesiastici, Bd. 2: Jncipiens ab exordio Traiani Jmperatoris, perducitur vsque ad Imperium Constantini: complectitur annos CCV. sextum ex parte tantum attingit, ed. nov. 1624, Sp. 820, Nr. CXXII, ad an. 303: „Sed Bononiensis nobilis ciuitas præclaros habuit martyres Vitalem & Agricolam, Hermetem, Aggæum, & Caium: sed & Proculus quoque tunc ibi insignitus est corona martyrii […].“ Vgl. Baronio, Martyrologium Romanum, sec. ed., 1589, 4. Jan., S. 12: „Bononiæ sanctorum Hermetis (e), Aggæi, & Caij martyrium, qui sub Maximiano Imperatore passi sunt.“ Ebd., S. 12b Anm. e: „Vsuardus etiam de his hæc die, astipulanturque vet. manusc. Hos autem sub Maximiano Imperatore passos esse, testantur etiam tabulæ Bononiensis ecclesiæ.“ De SS. Martyribvs Hermete, Aggæo, & Caio Bononiensibus, in: Ferrari, Catalogus Sanctorum Italiae, 1613, 4. Jan., S. 6: „Hermes, Aggæus, & Caius Bononiensibus initio persecutionis à Diocl. & Maxim. Imper. excitatæ passi sunt, cum Christum abnegare,

178 l[ogiis] [,] Sigonio, Ghirardaccio“ 225 stützte sich zunächst auf die dort je genannte Historia de rebus Bononiensibus libri VI des Humanisten Carlo Sigonio (1522/23–1584) von 1571. Der Ort ihres Martyriums, nachdem ihre Leichen „von unkundigen Christen unter den Grabstätten der Juden abgeworfen worden“ seien, so Sigonio, werde „noch immer von steinernen Kreuzen“ („crucibus lapideis“) angezeigt. 226 Über die Referenzen Ferraris –––––––—

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Deosq[ue] colere constantissimè renuissent. Post quos Proculus, Vitalis, & Agricola martyrio coronati sunt, an. Sal. circiter ccc. i. quo tempore sedes Episcopalis Bononiæ ob Persecutionis acerbitatem vacabat. Acta tamen ipsorum martyrij non extant. Ex Beda, Vsu. & Antiquis Martyrologijs ac ex Carlo Sigonio lib. de Episcopis Bononiensibus, Acta ipsorum desiderantur.“ Vgl. Martyrologe d’Usuard, ed. Dubois (1965), 4. Jan., S. 154: „Civitate Bononia, Hermetis, Aggei et Gai.“ Die Ausgabe Beda, Opera historica, sect. 2: Martyrologia (MPL 94) (1850), Sp. 802f. (Ed. Colon. 1616), 4. Jan., weist diesen Eintrag gegenüber der von Baronio wahrscheinlich benutzten Ausgabe Köln 1566 nicht mehr auf. AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, Index Sanctorum [unpaginiert], [S. 2]: „4 Aggæus M. Bononiæ. Ex Martroll. Sigonio, Ghirardaccio“. Ebd., [S. 3]: „4 Caius M. Bononiæ. Ex Mroll. Sigonio & Ghirardaccio“. Ebd., [S. 7]: „4 Hermes M. ex Mroll. Sigonio, Ghirardaccio“. Hier benutzt in der Ausgabe: CAROLI SIGONII || HISTORIA || DE REBVS BONO- || NIENSIBVS LIBRI VIII. || Eiusdem || De vita ANDREÆ DORIÆ, Libri duo. || Quibus accesserunt eiusdem Orationes aliquot || et Emendationes aduersus FRANCISCVM ROBORTELLVM: Item || Disputationes Patauinæ aduersus eundem. || DENIQVE || NICOLAI GRVCHII de Comitiis Romanis, Libri tres & || aduersus hos SIGONII sententiæ. || Quæ opuscula omnia, tàm Philosophiæ quàm historiarum studiosis apprime vtilia, antea || nunquam in Germania impressa fuerunt. || Horum seriem sequens pagina ordine monstrat: & in fine copiosissimus verborum & || rerum notabilium INDEX adiectus est. || FRANCOFVRTI, || Apud Claudium Marnium, & hæ- || redes Ioannis Aubrii. || MDCIIII, S. 135: „Hermes, Agæus, & Caius, pridie Nonas Ianuarii passi sunt, Proculus Kal. Iuniis, Vitalis, & Agricola pridie Nonas Noue[m]bris. atque ita dies eoru[m] ecclesia celebrat. Corpora eorum insciis Christianis inter sepulcra Iudæorum fuere proiecta. Monstrantur adhuc loca crucibus lapideis ad perennem rei memoriam insignita, vbi singuli sacro martyrio esse dicuntur affecti.“ Vgl. De Sanctis Martyribvs Bononiensibvs Hermete, Aggæo, Caio, in: AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, 4. Jan., S. 165a–b: „De his (nam Acta interciderunt) breviter Carolus Sigonius lib. 1. de Episcopis Bononiensibus: Hermes, Agæus & Caius Nonas Ianuarij passi sunt […].“ Die Verbreitung von Sigonios Geschichte Bolognas wurde von Rom zwischenzeitlich aufgrund seiner Interpretation der herrschaftlichen Gewalten im mittelalterlichen Italien untersagt. Vgl. William McCuaig, Carlo Sigonio. The Changing World of the Late Renaissance, Princeton, N. J. 1989, S. 251–258. Die Geschichte der besagten Heiligen in der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Historiographie Bolognas und die Konstruktion ihres Kults sind hier nicht im Detail aufzuarbeiten. Die von Sigonio berichtete Geschichte der Kreuze erinnert mittelbar an jene vier Marmorkreuze, die der hl. Ambrosius von Mailand zu Ehren der Protomärtyrer Bolognas, der heiligen Vitalis und Agricola, an den Stadtmauern errichten ließ, als er 392/94 in Bologna weilte und der Auffindung ihrer Reliquien beiwohnte. Vgl. Gina Fasoli, Art. Bologna. I. Stadt und Bistum, in: LexMA, Bd. 2, 1983, Sp. 370–373, hier Sp. 370. Inhaltlich war sie insofern unmittelbar Ambrosius’ Darstellung der Grabstätten der heiligen Vitalis und Agricola verpflichtet, als auch diese bis zu ihrer inventio unerkannt auf dem Friedhof der Juden begraben gewesen seien. Vgl. Sancti Ambrosii mediolanensis episcopi exhortatio virginitatis liber unus, in:

179 und Baronios hinaus wurde von den Bollandisten allerdings auch das, hinsichtlich des kultischen Lebens wohl genauer informierte, annalistische Geschichtswerk des Augustinereremiten Cherubino Ghirardacci (1519– 1598) angeführt. Ghirardacci berichtete von der depositio der Reliquien „in æde sanctæ Crucis“ durch Bischof Eusebius (reg. um 378/81) von Bologna. Dieses „Gebäude“ sei, wie auf einer Inschrift zu lesen sei, 1303 von einem Vertreter des welfischen Stadtadels der Sabbadini gestiftet und nach seinem Verfall durch Marcantonio Sabbadini – zugleich ein wesentlicher Geldgeber für den Druck von Ghirardaccis annalistischem Werk 227 – im Jahr 1580 wieder aufgebaut und der Kult restituiert worden. 228 –––––––—

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Sancti Ambrosii mediolanensis episcopi opera omnia. Editio præ aliis omnibus completa, quarum instar haberi potest; Ad manuscriptos codices vaticanos, gallicos, belgicos, etc., necnon ad veteres editiones, maxime vero ad benedictinam recensita et emendata; vari insuper opusculis quæ vel omisere vel ne memoravere quidem eruditi benedictini, locupleta. Accurante et denuo recognoscente J.-P. Migne, Bd. 2,1 (MPL 16), Paris 1880, Sp. 351–379, hier lib. I, c. 5–7, Sp. 354. Vgl. Albano Sorbelli, Prefazione, in: Della historia di Bologna, Parte terza del R. P. M. Cherubino Ghirardacci bolognese dell’ Ordine Eremitano di S. Agostino, hrsg. v. Albano Sorbelli (RIS2 33,1), Città di Castello 1932, S. I–CXLIV, hier S. XXXVII, LV. Vgl. De Sanctis Martyribvs Bononiensibvs Hermete, Aggæo, Caio, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, 4. Jan., S. 165b: „Meminit quoque horum trium sanctorum Martyrum Cherubinus Ghirardaccius lib. 1. hist. Bononien. vbi tradit eorum reliquias ab Eusebio Episcopo in æde sanctæ Crucis collocatas, vbi gemina hæc legitur inscriptio: MCCCIII. Hoc opus fieri fecit D. Munsus de Sabbatinis, ad honorem Dei & beatorum Martyrum Hermetis, Aggei, & Caij, hîc sepultorum, & pro salute animæ suæ, & omnium suorum propinquorum, altera: Memoriæ æternæ sanctorum Martyrum Hermetis, Aggei, & Caij, gens Sabbatinorum fecit, dicauit. M. Antonius Sabbatinus de Pratis, gentilicij iuris patronatus pietatis memor, ædem vetustate corruptam, cum omni cultu restituit, anno Salutis MDLXXX.“ Nach Ghirardaccis Schilderung hatte sich Bischof Eusebius ausdrücklich am Beispiel der von Ambrosius gestifteten Verehrung der hl. Vitalis und Agricola orientiert. Vgl. DELLA || HISTORIA || DI BOLOGNA || PARTE PRIMA || De R. P. M. CHERVBINO GHIRARDACCI BOLOGNESE || dell’Ordine Eremitano di S. Agostino. || Nella quale con diligente fedeltà, & autorità così d’autori graui, & antichi, || come per confronto di scritture publiche, & priuate, si esplicano || le grandezze, li consigli, le guerre, le paci, || & i fatti egregi de’ suoi Cittadini. || Con vn Catalogo de’ sommi Pontefici, Imperatori Romani, & Regi di Toscana, || per dilucidatione di detta Historia, & vna copiosissima Tauola || d’infiniti particolari importanti. || IN BOLOGNA, || Per Giouanni Rossi. MDXCVI. || Con licenza de’ Signori Superiori, S. 18: „Ora Eusebio Vescouo di Bologna, seguitando l’essempio di S. Ambrogio, fece fabricare nella Via dell’Arena il Monasterio de’ Santi Vitale, & Agricola, & anco il Monasterio di S. Procolo, & collocò le Sante Reliquie de’ Martiri Hermete, Aggeo, & Caio alla Croce, che hoggidì si vede di rincontro il Monasterio di S. Vitale, Iuspatronato dell’ antica, & nobile famiglia de Sabbadini da Monso fabricata, & dal Signore Marco Antonio Sabbadini de’ Prati […] abbellita, & ristorata, come in due Tauole di pietra nelle pariete di detta Croce affiste, distintamente si legge, cioè.“ Es folgten ebd., S. 19 die beiden von Bolland zitierten Inschriften: „MCCCIII. || HOC OPVS FIERI FECIT D. MVNSVS DE SABBATINIS || AD HONOREM DEI, […].“ Ebd.: „MEMORIÆ ÆTERNÆ. || SANCTORVM MARTYRVM HERMETIS, AGGEI, ET CAII, […].“ Vgl. zu Ghirardacci Sorbelli,

180 Selbst hinter diesen kleineren Dossiers verbargen und verbergen sich demnach häufig umfangreiche historiographische, bau- und kultgeschichtliche Entwicklungen, die von den Bollandisten nur in Ansätzen ausgelotet werden konnten. Von der Amtszeit des Bischofs Eusebius stand in diesem Dossier nichts zu lesen. Die Italia sacra wurde erst seit 1644 publiziert, so dass die von Ughelli rekonstruierten episkopalen Amtsfolgen für die in den Januarbänden zu leistenden Kommentare noch nicht zur Verfügung standen. Ghirardacci wiederum hatte zwar die Amtszeit Eusebius’ verzeichnet und sie auf 370 bis 398 datiert. 229 Da aus den Formulierungen der Bollandisten allerdings nicht mit Eindeutigkeit hervorgeht, ob sie sich der frühchristlichen Regentschaft jenes Eusebius bewusst waren oder ob ihn als den zur Zeit der Stiftung im 14. Jahrhundert herrschenden Bischof betrachteten, scheint es fraglich, ob sie Ghirardaccis Stadtgeschichte selbst konsultiert hatte. Vermutlich handelte es sich um auf anderen Wegen ihnen übereignete Informationen. Verzichtet hatten sie ferner darauf, das zwischen Ferrari und Baronio leicht variierende Todesjahr der Heiligen – um 301 oder 303 n. Chr. – zu diskutieren. Neben der Kompilation der Daten und chronikalischen Partikel bestand der Beitrag der Vertreter der Acta Sanctorum in Dossiers wie diesem vor allem darin, die Serie der Nachweise des Festtags zu erweitern. Im vorliegenden Fall versammelte man Einträge etwa aus dem Martyrolog des Belinus von Padua, aus der populären hagiographischen Sammlung des Bischofs von Iésolo (Equilium) Petrus de Natalibus († um 1400) und aus dem – von den Bollandisten aufgrund der Volkssprachlichkeit so bezeichneten – Martyrologium Germanicum des Jesuiten Petrus Canisius (1521–1597). 230 –––––––—

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Prefazione (1932), S. I–XIX. Vgl. zu Eusebius, dem nach der Tradition fünften Bischof von Bologna, F. Bonnard, Art. Bologne, in: DHGE, Bd. 9, 1937, Sp. 645–660, hier Sp. 659; Picard, Souvenir (1988), S. 738. Andere Akzente hatte der Dominikaner Girolamo Borselli (1432–1497) in seinem etwas älteren Annalenwerk zur Geschichte Bolognas gesetzt. Vgl. Cronica gestorum ac factorum memorabilium civitatis Bononie, edita a Fratre Hyronimo de Bursellis (Ab urbe condita ad a. 1497) con la continuazione di Vincenzo Spargiati (aa. 1498–1584), hrsg. v. Albano Sorbelli (RIS2 23,3), Città di Castello 1929, S. 35 ad an. 1303: „Hoc etiam anno pyramidis crucis sancti Vitalis reparata est per dominum Musum de Sabatinis. In eo loco requiescunt et sepulta sunt corpora beatorum martirum Hermetis, Aggei et Gaii.“ Damit könnte sich die Sache so darstellen, dass sich die kreuzförmige Grenzsäule (pyramis) des hl. Vitalis an der alten Stadtbefestigung und deren Erneuerung im frühen 14. Jahrhundert mit einer Gedenk- oder Weihestätte für die besagten Märtyrer Hermes, Aggaeus und Caius verband oder bereits verbunden gewesen war. Ghirardacci, Dell historia, Bd. 1, 1596. Epitomi o tavola de’ vascovi della citta di Bologna [unpaginiert], fol. †††r. Vgl. De Sanctis Martyribvs Bononiensibvs Hermete, Aggæo, Caio, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, 4. Jan., S. 165a: „Passi Bononiæ sunt pridie Nonas Ianuarij Hermes, Aggæus & Caius: de quibus Martyrologium Romanum: Bononiæ Sanctorum Hermetis, Aggæi, & Caij Martyrum; qui sub Maximiano Imperatore passi sunt. Eorumdem meminit Vsuardus, Bellinus, […], Martyrologium Germanicum, […], Ferrarius in

181 Aus ihren handschriftlichen Martyrologien fügten sie diesen Nachweisen drei weitere hinzu. Mit ihnen waren zugleich einige variante Schreibungen für den Ort des Martyriums zu verzeichnen: einen aus der Echternacher Handschrift des Martyrologium Hieronymianum mit dem Ortsnamen „Bonania“ und dem Zusatz: „In Oriente“, einen aus einem mittelniederländischen usuardinischen Martyrolog, das in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts im Konvent der Augustinerchordamen Marienpoël bei Leyden angefertigt worden war, mit dem Ortsnamen „Balon(i)a“ sowie einen letzten aus einem wohl in der Mitte des 13 Jahrhunderts entstandenen Martyrolog des Klosters St. Martin in Tournai, das Bolland als „sehr alt“ („perantiquum“) klassifizierte. 231 –––––––—

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Catalogo SS. Italiæ, Petrus de Natalibus lib. 11. cap. vltimo num. 27. Baronius tom. 2. an. 303. num. 122. varia MSS. Martyrologia.“ Vgl. die Nachweise: Martyrologium vsuardi monachi [Köln 1521], BRB, Ms. 14649 (499), fol. 10r: „Pridie nonas ianuarij. dies quart[us] || […] Ciuitate bononia: hermetis. aggei. et gaij.“ [Belinus ], Martyrologium s[ecundu]m morem Romane curie, 1504, 4. Jan., [unpaginiert] fol. aijr: „Ciuitate bononia hermetis: aggei & gay martyrum.“ MARTYROLOGIVM. || Der Kirchenkalender/ || darinnen die Christlichen Feste vnnd || Hayligen Gottes bayder Testament begriffen/ || wie dieselbige[n] durch das gantz Jar in der Christenheit/ von || tag z) tag begangen werden. Auch mit verzaichnuß vnzal= || barer Hayligen/ wie sie gelebt vnd gelidten/ was sie ge= || than vnd gelassen haben/ z) jhrem ewigen hayl/ || vnd jhren Mitschriften z) einem leben= || digen Exempel. || Alles auffs newest fleißig Corrigirt vnd gebessert/ || z) sterckung aller recht Christglaubigen. || Mit des Ehrw*rdigen vnd Hochgelerten Herrn || D. Petri Canisij Vorred vnd notwendiger Erkl rung/ || wie Gottes Heyligen mgen vnd sollen Christ= || lich gehret werden. || Sampt einem gemainen Christlichen Kalender/ vnd z) end ange= || hencktem nutzlichem Register/ an welchem blat ein || jeder Hailig zufinden sey. || Mit Rm. Kay. May. Freyheit. || Getruckt z) Dillingen/ durch || Sebaldum Mayer. || 1573, 4. Jan., S. 5v: „Jtem in der statt Bononia der H. marterer Hermetis/ Aggei/ vnd Caij […].“ De sanctis pluribus quorum sola nomina et dies festiui inueniuntur, in: Catalogus || sanctorum & ge || storum eorum ex diuersis volumi= || nibus collectus: Editus a Re || uere[n]issimo in christo patre || d[omi]no Petro de Natali= || bus de Venetijs || dei gratia ep[iscop]o || Equilino. [Argentine, Martin Flach d. J. 1513], lib. XI, c. CXXX, Bl. CCXXXVIr, Nr. 27: „Hermes/ aggeus/ et caius martyres in ciuitate bononia passi sunt pridie nonas ianuarij.“ Der Catalogus entstand um 1369/72. Er wurde erstmals 1493 in Vicenza gedruckt. Vgl. Paolo Golinelli, Art. Petrus de Natalibus, in: LexMA, Bd. 6 (1993), Sp. 1978f. Vgl. zum Kirchenkalender Burschel, Sterben (2004), S. 219 mit Anm. 75. Vgl. De Sanctis Martyribvs Bononiensibvs Hermete, Aggæo, Caio, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, 4. Jan., S. 165a: „At Martyrologium S. Hieronymi: In Oriente, ciuitate Bonaniâ, Hermetis, Aggæi, Caij. MS. itidem perantiquum monasterij S. Martini Tornaci […]: In Oriente, Bononiâ ciuitate, Hermetis, AggĊi, Gagij. In Banoniâ habent quoque nonnulli excusi codices. MS. Martyrologium Vsuardi Sororum regularium Lacus S. Mariæ iuxta Leidam, vernaculâ linguâ: In ciuitate Balonâ, in Thraciâ, SS. Hermetis, Caij, Aggæi.“ Vgl. Martyrologium Hieronymianum, ed. Rossi/Duchesne, AASS Novembris, Bd. 2,1, 1894, 4. Jan., S. [5], Cod. Eptern., etc.: „Prid. noñ [Ian.] […]. In orieñ civƭ bonania hermetis aggei gai […].“ Vgl. zu dem Martyrolog aus Marienpoël Overgaauw, Martyrologes, [Teil 1] (1993), S. 459 mit Anm. 53, der genau diesen Eintrag des 4. Januar diskutiert. Das Martyrolog gelangte durch Vermittlung des Löwener Jesuitenkollegs an Rosweyde und von dort in die alte Biblio-

182 Einige Versatzstücke zu ihrerseits spätantiken Heiligen städtischen Charakters bezogen die Bollandisten für einige Dossiers „ex Browero“ aus den voluminösen Antiquitatum et Annalivm Trevirensivm libri XXV des Trierer Jesuiten Christoph Brower (1559–1617). Es handelt sich um eines der wichtigsten Geschichtswerke des 17. Jahrhunderts. Browers in den letzten Jahren des 16. Jahrhunderts vollendete „Verknüpfung von Landes- und Reichsgeschichte“ (Benz) war nach kirchenpolitischen Verwicklungen erst in den Jahren 1670/71 von dem Jesuiten und Emblematiker Jacob Masen (1606– 1681) herausgegeben worden. Anschließend an die 1626 in Köln angelaufene und von dem Trierer Erzbischof und Kurfürsten Philipp Christoph von Sötern (reg. 1623–1652) unterbrochene Publikation waren allerdings einige der schon – in zwei Bänden – gedruckten Exemplare in Umlauf geraten. 232 Den Bollandisten musste ein solches Exemplar bereits für die Arbeit an den Januarbänden vorgelegen haben. Die Antiquitates waren das für die Reichsgeschichte grundlegende historiographische Bezugswerk in den frühen Bänden der Acta Sanctorum. 233 Wann genau Bolland in ihren Besitz gekommen war und ob auch hier mit einer Hinterlassenschaft Rosweydes gerechnet werden kann, ist nicht zu sagen. Der Zugriff auf die Antiquitates scheint für Bolland allerdings vergleichsweise problemlos möglich gewesen zu sein. Am 17. November 1642 reagierte der Jesuit Alexander Wiltheim

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thek der Bollandisten. Es ist in der Bibliothèque royale erhalten. Vgl. Van den Gheyn, Catalogue, Bd. 1 (1901), S. 312, Ms. 14938–39 (495). Vgl. zu dem Martyrolog aus Tournai Baudouin de Gaiffier, Deux martyrologes utilisés par le Bollandiste Du Sollier retrouvés aux archives de Tournai, in: Anal. Boll. 92 (1974), S. 13–17, hier S. 16f.; Overgaauw, Martyrologes, [Teil 1] (1993), S. 124 mit Anm. 90. Vgl. Duhr, Geschichte, Bd. 2,2 (1913), S. 425ff., 427 mit Anm. 3, 4; Benz, Tradition (2003), S. 205ff., Zitat S. 205. Laut Benz existieren zwei Versionen, eine von 1670 und eine von 1671. Vgl. zur Person ferner Michael Embach, Christoph Brower (1559–1617), in: Für Gott und die Menschen. Die Gesellschaft Jesu und ihr Wirken im Erzbistum Trier. Katalog-Handbuch zur Ausstellung im Bischöflichen Dom- und Diözesanmuseum Trier, 11. Sept.–21. Okt. 1991, hrsg. v. Bischöflichen Dom- und Diözesanmuseum Trier und der Bibliothek des Bischöflichen Priesterseminars Trier (Quellen und Abhandlungen zur mittelrheinischen Kirchengeschichte 66), Trier 1991, S. 303–307; vgl. zu Masen unten S. 647ff., 654f. In den Januarbänden wurde auf Brower zumeist in der Schreibung „Bravverus“ Bezug genommen. Vgl. in Auswahl: De S. Patiente, vel Patientio Episcopo Metensi IV., in: AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, 8. Jan., S. 468–470. Vita. Ex veteri MS. Ecclesiæ Metensis, ebd., S. 469f., hier S. 470b Anm. k: „[…] vt docet Bravverus noster Annal. Treuir. lib. 4. […].“ De Sanctis Episcopis Erardo et Alberto, in: ebd., 8. Jan., S. 533–546, hier S. 534a: „Hunc Bravverus lib. 7. Annal. […].“ De S. Agricio, sive Agrocio, Episcopo Trevirensi, in: ebd., 13. Jan., S. 772–781, hier S. 773a: „Agit de eo fusè Christoforus Bravverus noster lib. 4. Annalium Treuirensium […].“ Die Suche in den: Acta Sanctorum. The Full Text Database. URL: !http://acta.chadwyck.co.uk/ (01. 07. 2007), führt mit den Wortstämmen „Brower*“, „Brovver*“, „Brouwer*“, „Brouvver*“, „Bravver*“, „Brawer*“ zu um die 1000 Nachweisen.

183 auf eine Anfrage Bollands, die letzteren als Vermittlungsfigur für weitere Interessenten an den Antiquitates in Erscheinung treten lässt. 234 In Bezug auf den, wie es in den Acta Sanctorum in einem Eintrag zum 13. Januar hieß, laut Gallia christiana und den Listen Kölner und Trierer Erzbischöfe des Franziskaners Petrus Cratepoil († 1605) von 1578, zwölften Trierer Bischof Andreas habe „[u]nser Ordensbruder Christoph Brower […] in den Annal. Treuiren. lib. 3“ folgendes vermeldet: In diesem Rahmen ist, nachdem Anastasius (zu ihm am 20. Dezember) durch die Bitternis des Todes von der trierischen Herde getrennt worden war, Andreas vor dem Jahr 227 unseres Erlösers Christus in dasselbe Amt der Wachsamkeiten zum Bischof gewählt worden. Und wenig weiter unten zum Jahr 235: Sein Tod oder das Schwert eines Verfolgers hat den Bischof der Trierer Andreas hinfort gerissen: an seine Stelle ist Rusticus, der erste dieses Namens, bei den Trierern als 13. Bischof eingerückt. 235

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Vgl. Alexandre Wiltheim à Jean Bollandus, Luxembourg, le 17 novembre 1642, in: Muller, Correspondance (1984), Nr. 13, S. 177 [Regest]: „Peut facilement avoir 6 exemplaires, hélas défectueux de Brower. Les achètera peu chers pour les amis de Bollandus.“ De Sancto Andrea Trevirensi Episcopo, in: AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, 13. Jan., S. 766a–b: „ANDREÆ Treuirorum sanctißimi Præsulis gesta aut prodita non sunt litteris, aut deinceps, vt pleraque eius æui, interciderunt. Duodecimum eam cathedram insedit, vt Demochares [= Antoine Mouchy], Claudius Robertus, Petrus Cratepolius narrant. De eo isthæc scribit Christophorus Bravverus noster Annal. Treuiren. lib. 3. Inter hæc Anastasio (de quo 20. Dece[m]b.) mortis acerbitate à grege Treuerico abstracto Christi liberatoris nostri anno supra ducentesimum vigesimo septimo, Andreas in eodem vigilarum munere suffectus Episcopus. Et paullò inferiùs ad annum 235. Andream Episcopum Treuerorum posthæc seu sua mors seu gladius persecutoris abstulit; pro illo Treuiris Antistes XIII. obtigit Rusticus ejus nominis primus.“ Vgl. ANTIQUITATUM || ET || ANNALIVM || TREVIRENSIVM || LIBRI XXV || DVOBVS TOMIS COMPREHENSI, || AUCTORIBUS RR. PP. SOC. JESU, || P. CHRISTOPHORO BROWERO || Geldro-Arnheimiensi, || ET || P. JACOBO MASENIO || Juliaco-Dalensi. || Quorum Ille Proparasceven, cum Libris XXII Annalium scripsit: || Hic, præter Additamenta Proparasceves & Historiæ, III reliquos || Annalium libros, cum luculentis Indicibus, adjecit. || TOMUS PRIMUS. || Opus variis Antiquitatum monumentis æri & ligno incisis adornatum. || LEODII, || EX OFFICINA TYPOGRAPHICA JO. MATHIÆ HOVII, || Ad insigne Paradisi Terrestris. M. DC. LXXI. || SVPERIORVM PERMISSV, S. 180a: „Inter hæc Anastasio mortis acerbitate, à grege Treverico abstracto, […].“ Ebd., S. 181a: „Andream Episcopum Trevirorum post hæc, seu sua mors, […].“ Vgl. die Nachweise von Robert, Gallia christiana, 1626, S. 159a: „[…] || 11. Anastasius. || 12. Andreas. || 13. S. Rusticus. || […].“ Vgl. ferner den OMNIVM AR= || CHIEPISCOPORVM CO- || LONIENSIVM AC TREVERENSI- || VM A PRIMIS VSQVE AD MODER- || nos, Catalogus, breuisq[ue] de- || scriptio. || SVFFRAGANEORVM ITEM || Coepiscoporum Coloniensis Metro- || polis, id est, Leodien. Vltraiecten. Mona- || sterien. Osnaburgen. [!] Minden|| sium enarra- || tio. || SVMMORVM QVOQVE PONTI- || ficum, qui ex Germania fuêre, || series. || COLLECTORE F. PETRO KRATE- || polio Minorita, sacræ Theologiæ || Baccalaureo. || COLONIAE AGRIPPINAE || Apud Godefridum Kempensem. || Anno M. D. LXXVIII., S. 63f.: „[…] || 11 Anastasius ad gubernaculum creatus, an. 226. || 12 Andreas non malus sui ouilis pastor. || 13 Rusticus primus, vigil in vinea domini diligentißimus. || […].“

184 Diese Bischöfe vor dem und jenseits des hl. Eucharius (reg. um 275), die auf die Gesta Treverorum vom Beginn des 12. Jahrhunderts und ihre Vorlagen zurückzuführen sind, gelten heute als fiktiv. 236 In dem etwas umfangreicheren und „Ex Browero & M[a]r[tyr]ol[ogiis]“ 237 angekündigten Dossier des hl. Le(g)ontius (reg. um 419–445/46), dem nach der damaligen Zählung vierunddreißigsten und nach der heutigen Zählung zehnten Bischof von Trier, 238 hatte Henschen an den Identifikationsversuchen Browers das eine oder andere auszusetzen. Dessen Brückenschlag von diesem Heiligen zu dem von Sidonius Apollinaris († um 479/86) und – wie von Henschen nicht erwähnt wurde – in den Carmina des Venantius Fortunatus († um 600) in verschiedenen Konstellationen genannten Namen Leontius und der Familie der Pontii Paulini aus Bordeaux vermochte ihn nicht zu überzeugen.239 –––––––— 236

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Vgl. Thomas Bauer, Trierer Bischofsliste und apostolische Bistumslegende. Zur Herkunft und Bedeutung der 22 (23) von den Gesta Treverorum zwischen Maternus und Agricius inserierten Namen, in: Liber amicorum necnon et amicarum für Alfred Heit. Beiträge zur mittelalterlichen Geschichte und geschichtlichen Landeskunde, hrsg. v. Friedhelm Burgard/Christoph Cluse/Alfred Haverkamp (Trierer historische Forschungen 28), Trier 1996, S. 3–15. Der Bischof Andreas war einer jener „Füllbischöfe“, mittels derer der Chronist „die Spanne zwischen der zweiten Hälfte des 1. Jahrhunderts und dem Beginn des 4. Jahrhunderts“, zu denen sich keine namentlich bekannten Trierer Bischöfe hatten auffinden lassen, zu überbrücken suchte. Ziel war es, die ungebrochene Sukzession der Bischöfe seit dem vermeintlich 128 verstorbenen Bischof Maternus darzustellen. Ebd., S. 5. Vgl. zu Andreas und Rusticus, die nach Bauer wahrscheinlich aus der Genfer Bischofsliste abgeschrieben worden sind, ebd., S. 8, 10. Andreas’ angeblicher Vorgänger Anastasius stammte mit einigen anderen Namen „gemeinsam aus Kölner, Tongerner und Trierer Listen.“ Ebd., S. 7f.; vgl. zur Entwicklung solcher „apostolischer Gründungslegenden“ im frühen Mittelalter ders., Lotharingien als historischer Raum. Raumbildung und Raumbewußtsein im Mittelalter (Rheinisches Archiv 136), Köln/Weimar/Wien 1997, S. 342–465. Vgl. AASS Februarii, Bd. 3, 1658, Index Sanctorum [unpaginiert], [S. 7]: „19 Legontius Ep. Treuirensis. Ex Browero & Mroll. Ætas, veneratio“. Vgl. Heinz Heinen, Das Bistum Trier in der Zeit der Völkerwanderung. Vom Ende des Theodosius I. bis zum Ende der Römerzeit (395–Ende des 5. Jahrhunderts), in: Geschichte des Bistums Trier, Bd. 1: Im Umbruch der Kulturen. Spätantike und Frühmittelalter, hrsg. v. dems./Hans Hubert Anton/Winfried Weber (Veröff. d. Bistumsarchivs Trier 38), Trier 2003, S. 91–115, hier S. 95; Thomas Bauer, Die Verehrung heiliger Trierer Bischöfe aus Spätantike und Frühmittelalter (Anfänge bis ca. 930), in: ebd., S. 341–404, hier S. 371. Vgl. G[odefridus] H[enschenius], De S. Legontio Episcopo Trevirensi in Belgica I, in: AASS Februarii, Bd. 3, 1658, 19. Feb., S. 130f., hier S. 130a–131a: „Treuirorum Episcopus XXXIV fuit S. Legontius […]. Browerus lib. 5. Annal. Treuiren. Leontium vocat, coniicitq[ue] ex Aquitaniâ oriundum, vbi celebres Leontij, Fortunato Sidonioq[ue] laudati: neque aliam affert rationem cur ita sentiat. Eodem tempore, inquit ad an. 407, Mauritius Treuirorum diem suum functus, Leontium nactus est successorem, quem posteri Leguntium appellant. In margine ita adnotat: Leguntius vulgò, sed Leontium præfero. Quæ addidit de patriâ, & stirpe Pontiâ, vt incerta omitto.“ Vgl. Brower, Antiquitates Trevirenses, Bd. 1, 1671, S. 280a, ad an. 407: „Eodem etiam tempore Mauritius Trevirorum diem suum functus, LEONTIUM (*) nactus est successorem, quem posteri Leguntium appellant. Neque absonè hunc Leontium, ex Pontiorum gente Aquitanica superstitem adhuc, Treverico insertum clero conjicimus,

185 Bestehen blieb hingegen die bei Brower nachzulesende – und von dem Kölner Historiographen Aegidius Gelen(s)ius (1595–1656) auf den Tod des Heiligen „zu den Zeiten der vandalischen Fluten“ gewandte – Parallelisierung der Regentschaft des als „Confessor“ ausgewiesenen Legontius mit der von Gregor von Tours erwähnten Zerstörung und Plünderung Triers durch die Franken. 240 Brower hatte sie überdies, Gregor ausführlicher zitierend,

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à B. Paulini felici grataque memoria, meruisse sacri magistratus apicem. Habuêre namque Leontii Burdigali & alibi senatoriam familiam. Unde sicut de Pontii Leontii burgo Sidonius dixit: || Plus celsos habiturus heros, vernamq[ue] senatum. ¢marginal: Carm 22.² ita Venantius noster, in ejusdem stirpis Leontio: || Nobilitas altum ducens ab origine nomen, || Quale genus Romæ forte sentus habet. ¢marginal: Lib. 4. c. 10² || Sed horum testatior memoria, communibus provinciarum involuta cladibus exolevit.“ Vgl. ebd., Marginalnote *: „Leguntius vulgò, sed Leontium præfero.“ Der in den Venanti Honori Clementiani Fortunati presbyteri Italici Opera poetica, hrsg. v. Friedrich Leo (MGH AA 4,1), Berlin 1881 (Neudruck München 1981), Carminvm lib. IV, c. 10, S. 86f., mit einem „Epitaphium Leonti episcopi sequentis civitatis Burdegalensis“ – aus dem Browers Zitat stammte (ebd., S. 86, Z. 7–8) – bedachte Leontius war Bischof Leontius von Bordeaux (reg. 541/49–um 570) aus der Familie der Pontii Paulini. Vgl. Martin Heinzelmann, Art. Leontius, in: LexMA, Bd. 5, 1991, Sp. 1898f. Mit Sidonius’ Gedicht: „Burgus Pontii Leontii“, und dem in der einleitenden Dedikationsepistel („Sidonius Pontio Leontio suo salutem“) genannten Pontius Leontius aus Bordeaux besteht wohl kein Zusammenhang. Vgl. Sidonius, Poems. Letters I–II. With an English Translation by W. B. Anderson (Sidonius 1. LCL 296), Cambridge, Mass./London 1936 (Neudruck 1996), Carm. XXII, S. 258/259–282/283 mit S. 258 Anm. 2. Vgl. Henschen, De S. Legontio, AASS Februarii, Bd. 3, 1658, 19. Feb., S. 131a: „Ad annum 409, quando contigisse Browerus existimat, quod ex Renato Profuturo Frigerido, antiquiore scriptore, narrat lib. 2. histor. Franc. cap. 9. Gregorius Turonensis, vt Treuirorum ciuitas à Francis direpta incensaque sit, secunda[m] irruptione; ita subnectit idem Browerus: Leontius per ea tempora ad XIX Februarij diem, terris relictis, Confessorum auxerat numerum in cælis. Browerum secutus Gelenius ita scribit in Fastis Agrippinensibus ad hunc diem: S. Leontij Ep. Treuerensis, genere nobilis, coloni Romani, ex eductâ antiquâ Senatoria stirpe: qui anno Christi 409. hoc die, temporibus Vandalicæ inundationis cœlitum numerum auxit.“ Vgl. DE ADMIRANDA, SACRA, || ET CIVILI MAGNITVDINE || COLONIÆ || CLAVDIÆ || AGRIPPINENSIS AUGUSTÆ || Vbiorum Vrbis. || LIBRI IV. || I. Vbiorum originem, HISTORIAM, vetustatem, & venustatem, ex- || plicat. || II. INSIGNIA & ORTVM Vbiæ & Rhenanæ NOBILITATIS, ex Romanis Tribubus & militiæ incunabulis deducti. III. Vrbis est SACRARIVM, proferens ecclesiarum fundationes, incre- || menta, Sacrum Thesaurum, Monumenta, & quandoque claros Viros. || IV. Sacros & pios FASTOS ad Martyrologij formam digestos; & diem sacrum almæ Ciuitatis exhibet. || AUTHORE || ÆGIDIO GELENSIO SS. Th. L. ad S. Andreæ Canonico, Consiliario || Ecclesiastico & Historiographo Archiepiscopali. || COLONIÆ AGRIPPINÆ, || Apud IODOCVM KALCOVIVM Bibliopolam. || ANNO M. DC. XLV. || Cum Licentiâ Vtriusque Magistratus, S. 671: „Vndecimo Kal. Martij. […] || S. Leontij Episcopi Treuerensis genere nobilis Coloni Romani ex educta antiqua Senatoria stirpe, qui Anno Christi 409. hoc die, temporibus Vandalicæ inundationis cœlitum numerum auxit.“ Vgl. zur Person Rau, Geschichte (2002), S. 324ff., 391f.; Benz, Tradition (2003), S. 188ff.

186 mit der Zeit des Usurpatoren Iovinus in Verbindung gebracht. 241 Letztlich galt Henschen, eher assoziativ als investigativ, der Eintrag in Du Saussays Martyrologium Gallicanum, in dem von einer Bestattung des hl. Le(g)ontius in der Kirche St. Maria ad martyres die Rede war, 242 als ein Produkt stilistischer und inhaltlicher Amplifikation. 243 Die Trierer (Erz–––––––— 241

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Vgl. Brower, Antiquitates Trevirenses, 1671, S. 280b–281a, ad an. 409: „Atque hæc altera clades Trevirorum exitialis fuit; qua de Renatus Frigeridus, quem ævo se multo majorem Gregorius Turonensis laudat testem, ita scripsit: Iisdem diebus Præfectus tyrannorum Decimus Rusticus Agræcius, ex primicerio Notariorum Iovini, multiq[ue] nobiles apud Arvernos capti à ducibus Honorianis, & crudeliter interempti sunt. Trevirorum civitas à Francis direpta, incensaq[ue] est, secundâ irruptione. ¢marginal: Treviroru(m) Augusta secunda irruptione à Francis spoliata, & incensa. Hist. Franc. lib. 2. c. 9. & Zosim. l. 6.² Leontius per ea tempora ad 19. Februarii diem, terris relictis, Confessorum auxerat numerum in cœlis, […].“ Vgl. Gregorii episcopi Turonensis libri historiarum X, hrsg. v. Bruno Krusch/Wilhelm Levison (MGH SS rer. Merov. 1,1), Hannover 1951 (Neudruck Hannover 1965), lib. II, c. 9, S. 57, aus seiner heute verlorenen Quelle des Renatus Profuturus Frigiredus zitierend: „‚Hisdem diebus praefectus tyrannorum Decimius Rusticus, Agroetius ex primicirio notariorum Iovini multique nobiles apud Arvernus capti a ducibus Honorianis et crudeliter interempti sunt. Treverorum civitas a Francis direpta incensaque est secunda inruptione.ǥ Cum autem […].“ Vgl. Du Saussay, Martyrologium Gallicanum, 1637, 19. Feb., S. 115f.: „Treviris Galliæ I. Belgicæ Metropoli sancti LEGVNTI Episcopi eiusdem Sedis & Confessoris, qui post extinctos in Gallia Ethnicæ persecutionis ignes, pace Ecclesiæ restituta, Christianam pietatem mirificè eo in solo excoluit: tandémque spectata sanctitate insignis, benè multiplicatis Domini talentis in cælum euocatus, abiit ad præmium: sepulturam in Ecclesia sanctæ Mariæ ad Martyres ideo consecutus, quod ingenti in Martyres zelo semper exæstuârit, & Martyrum memoriam, hoc quod ipse erexit tropæo, illustrauerit.“ Vgl. Henschen, De S. Legontio, AASS Februarii, Bd. 3, 1658, 19. Feb., S. 131a–b: „Saussaius in Martyrol. Gallicano quædam liberaliori stylo amplificat, quàm vt fidem in certam habeam: Treuiris Galliæ, inquit, I Belgicæ I Metropoli, S. Legunti Episcopi […]. […] & Martyrum memoriam, hoc, quod ipse erexit tropæo, illustrauerit. Alij quoque in æde S. Mariæ ad Martyres conditum tradunt: caussam reticent. Erátne autem pax Ecclesiæ in Galliâ, quam tot simul barbaræ nationes inundabant, à quibus multi paßim pij homines trucidati? Quibus alioquin non amplius Romani Magistratus negotium, caußâ religionis, facessebant.“ Ein Kult ist seit Ende des 10. Jahrhunderts nachweisbar. Seine Reliquien wurden 1107/24 nach Schaffhausen transferiert. In Trierer Kalendarien wurde seiner seit dem späten Mittelalter am 19. Februar in der Eigenschaft als Märtyrer gedacht. Anders als von Henschen angenommen dürfte Du Saussay also eine in diese Richtung weisende Quelle oder Darstellung vor Augen gehabt und nicht selbstständig interpoliert haben. Zu untersuchen bliebe, woher Du Saussay die Informationen über die vermeintliche Grablege bezogen hatte. Die Translation nach Schaffhausen erfolgte aus der Kirche St. Paulin. Diese Ende des 4. Jahrhunderts geweihte Kirche wurde rund ein Jahrhundert später umgebaut und firmierte unter dem Hauptpatrozinium Marias. Ob der Körper des hl. Leontius dort bestattet worden war, ist nicht mehr zu klären. Das Marienpatrozinium beider Kirchen mag im Laufe der frühen Neuzeit eine Verwechslung der Grablegen nahegelegt haben, die später von Du Saussay artikuliert wurde. Die ältere Forschung führte diese Verwechslung, bei peripherer Lektüre des Dossiers, irrtümlich auf Henschen selbst zurück. Vgl. dazu Ernst Gierlich, Die Grabstätten der rheinischen Bischöfe vor 1200

187 )Bischöfe wurden von Autoren wie Du Saussay und Robert deswegen behandelt, weil sich beide in ihrem territorialen Ordnungsdenken an der ehemaligen römischen Provinzialstruktur mit Trier als Hauptort der Provinz Belgica I orientierten. 244

3.3.2 „Ex Gregor Turonensi“, „ex Adamo Bremensi“, „ex Eusebio“, … Der kritische Geist der Bollandisten artikulierte sich in diesen Dossiers also bestenfalls in der Tendenz, die ihnen vorliegenden Daten nicht in allen Fällen unkommentiert oder affirmativ zu übernehmen. Wenn sie auch vielfach ein Gefühl des Unbehagens empfunden zu haben scheinen, so waren sie doch in den thematisierten Fällen keineswegs in der Lage, vorhandene Interpretationen mit Sicherheit zu korrigieren, diese in ihren materiellen Grundlagen und historischen Genesen zu verfolgen oder gar die zu adaptierenden Informationen substantiell zu erweitern. Sie begaben sich nicht nach Trier, um die Kultgeschichte des hl. Le(g)ontius zu studieren oder um sich mit den Fundamenten der, allenthalben als verlässlich eingestuften, Gesta Treverorum zu befassen. Mehr noch als für die in lokalhistorischen Zusammenhängen tätigen Historiographen der Zeit war es für sie sehr schwierig, systematisch zwischen dem möglichen Ableben eines Heiligen und der häufig genug ungleich später einsetzenden Entfaltung – oder erstmaligen Schöpfung – der Kulte zu differenzieren. Unbestritten „alte“ Dokumente wie die Gesta Treverorum oder einzelne martyrologische Nennungen schienen aus ihrer, in dieser Hinsicht beschränkten, Perspektive Schlaglichter auf historische Entwicklungen zu werfen, deren prinzipielle Historizität kaum in Frage stand. Selbst sehr junge Kulte wie der des hl. Eusebius von St. Gallen oder der im Übergang zum späten Mittelalter entstandene des hl. Salvator von Belluno blieben, da sie in Antwerpen nur mit einigen, zumeist sekundär vermittelten Partikeln zur Kenntnis gelangten, in ihren geschichtlichen Konturen vergleichsweise diffus. Kaum vereinfacht wurde die Lage dadurch, dass sich einige genuin frühneuzeitliche Stiftungen mit historischen Versatzstücken verbanden, die nur in offenkundigen Fällen, wie dem des hl. „Camillus“, in dieser Qualität erkannt oder thematisiert wurden. Im Grundsatz ähnlich verhielt es sich mit jenen Versatzstücken, die die Bollandisten aus den zu ihrer Zeit bereits gedruckten historiographischen –––––––—

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(Quellen und Abhandlungen zur mittelrheinischen Kirchengeschichte 65), Mainz 1990, S. 34ff. mit Anm. 110 u. 116; Bauer, Verehrung (2003), S. 271ff.; Hans Hubert Anton, Raumbestimmende politische, verfassungsmäßige und geistige Voraussetzungen und Strukturen im fränkischen Reich der merowingischen und karolingischen Zeit, in: Heinen/Anton/Weber (Hrsg.), Geschichte, Bd. 1 (2003), S. 127–194, hier S. 197 mit Anm. 12. Vgl. Robert, Gallia christiana, 1626, S. 2.

188 und hagiographischen Werken des Mittelalters und der Spätantike exzerpierten. In den Januarbänden wiederholten sie – „ex S. Gregor Turon[ensi]“ 245 – ein Segment aus Gregors von Tours Liber de gloria confessorum, das von der wunderbaren Auffindung der Reliquien der heiligen Jungfrauen Maura und Britta auf einem Hügel an der Grenze der Stadt Tours berichtete. Abgespielt habe sich das Ganze zur Zeit von Gregors Amtsvorgänger Bischof Euphronius († 573). 246 Bolland diskutierte die beiden Jungfrauen als ein Beispiel für solche Heilige, deren „Taten entweder nicht aufgeschrieben worden sind, weil sie ein allein Gott und den Himmlischen bekannt gewordenes Leben geführt haben, abseits vom Getümmel und Licht der Menschen; oder weil sie im Zuge der Verwüstung der Gallia durch Franken, Vandalen, Hunnen und andere Unmenschen erschlagen worden sind.“ 247 Die Geschichte ihres vermeintlich bei Beauvais erlittenen Martyriums könne dennoch ausführlich in Pierre Louvets († 1646) Histoire de la ville et cite de Beauvais nachgelesen werden, wie Bolland nicht ohne Süffisanz ergänzte. 248 Der in den Acta Sanctorum angegebene Festtag des –––––––— 245

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AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, Index Sanctorum [unpaginiert], [S. 3]: „15 Britta V. apud Turones. […] Inuentio ex S. Greg. Turon.“ Ebd., [S. 9]: „15 Maura V. apud Turones. […] Historia inuentionis. ex S. Greg. Turon.“ Vgl. De Sanctis Virginibvs Mavra et Britta apvd Tvrones in Gallia, in: ebd., 15. Jan. Inventio historia ex S. Gregorio Ep. Turonensi, ebd., S. 1018a–b: „Infra ipsum terminum Turonicum erat mons paruulus, sentibus, rubis, vitibusque repletus agrestibus, & tantâ densitate labruscæ contextus, vt vix aliquis intrò posset inrumpere: ferebat enim fama, duas Deo sacratas Virgines in illo loco quiescere, […]. […] quarum vnam Mauram, Brittam alteram vocitabat, dicens se ab earum ore hæc nomina cognouisse.“ Vgl. Gregorii episcopi Turonensis liber in gloria confessorum, ed. Krusch (MGH SS rer. Merov. 1,2) (1885), c. 18, S. 307f.: „Infra ipsum autem terminum Turonicum […]. […] Quarum unam Mauram, Brittam alteram vocitabat, dicens se ab earum ore hæc nomina cognovisse.“ Vgl. zu den frühneuzeitlichen Drucken Krusch, [Einleitung], in: ebd., S. 1–34, hier S. 30–34. Vgl. De Sanctis Virginibus Mavra et Britta, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, 15. Jan., S. 1018a: „Acta vel conscripta non sunt, quòd vni Deo ac Cælitibus notam vitam egêre, procul hominum turbis ac luce; vel intercidêre in illâ Galliarum per Francos, Wandalos, Hunnos aliosq[ue] barbaros vastitate.“ Vgl. ebd.: „Aliæ affini nomenclatione celebrantur sanctæ sorores, Maura & Brigida, quæ in Bellouacis martyrium pro virginitate tuendâ fecêre, vt fusè narrat Petrus Louetus V. CL. lib. 2. Antiquit. Bellouac. cap. 13. & tribus sequentibus.“ Vgl. L’HISTOIRE || DE LA VILLE ET CITE || DE BEAVVAIS, ET || DES ANTIQVITEZ || du pays de Beauuaisis. || Auec vne Chronologie des Euesques, || Abbez, & Abbayes d’iceluy. || Par M. Pierre Louuet Aduocat en Parlement || Conseiller & Maistre des Requestes || de la Royne Marguerite. || A ROVEN, || Chez MANASSEZ DE PREAVLX, || deuant le portail des Libraires. || M. DC. XIIII. || Auec Priuilege du Roy (Neudruck Marseille 1977), lib. II, c. 13, S. 208–217. In der Darstellung Louvets waren die beiden Jungfrauen irische Königstöchter: „Dv temps de S. Gilles Abbé en Prouence, de S. Cesar, ou Cesarius Euesque d’Arles, & du temps du Roy Clouis l’an cinq cens; deux vierges se trouuerent en France, lesquelles estoient filles de Ella Roy d’Escosse, & de Pantilemona sa femme, […].“ Ebd., S. 208. Sie seien über Rom und Jerusalem – „ou elles visiterent tous les lieux de nostre redemption“ – nach Marseille und Angers gelangt, wo sie bereits mancherlei Wunder wirkten. Ebd., S. 212f. Auf

189 15. Januar stammte aus den Ergänzungen zu Du Saussays Martyrologium Gallicanum. Ihm wurde gegenüber dem von Canisius, Ferrari und Molanus genannten 14. Januar Priorität eingeräumt. 249 Der Nachweis eines historischen Festtags war für diese Heiligen, die eher in der Literatur als im kultischen Leben verankert waren, nicht immer zu erbringen. Aus der Kirchengeschichte des Eusebius von Kaisareia († um 339/40) zitierte Bolland am 5. Januar den Bericht von der Ermordung einiger Christen in der ehemaligen römischen Provinz Thebais „ex M[arty]rol[ogio] Rom[ano] & Eusebio“, 250 denen, wie Bolland bemerkte, später auch der griechische Chronist Nikephoros Kallistos Xanthopulos († um 1335) ein eigenes Kapitel widmen sollte. In der lateinischen Übertragung des Rufinus von Aquileia († 410/11) reproduzierte Bolland Eusebius’ Schilderungen vom Leiden und Sterben der ägyptischen Christenheit zur Zeit des Diokletian: In der Thebais aber überschreitet die ausgeübte Grausamkeit jede Erzählung. Die Peiniger benutzten die Scherben irdener Gefäße wie Fingernägel, mit denen sie jeden Körper solange ohne Unterlass zerfleischten, bis sie die ganze Haut vom Fleisch ab-

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dem Weg nach Beauvais seien sie von Räubern ermordet worden. Vgl. ebd., S. 214ff. Die folgenden c. 14, 15, 16, ebd., S. 217–219, 219–221, 221–224, widmeten sich dem Kult, der sich mit den Reliquien in Nogent etablierte, und den von beiden posthum gewirkten Wundern. Von Tours war bei Louvet keine Rede. Vgl. zur möglichen Identität beider Luce Pietri, La ville de Tours du IVe au VIe siècle. Naissance d’une cité chrétienne (Collection de l’École française de Rome 69), Rom 1983, S. 514 mit Anm. 352; Heike Grieser, Art. Maura u. Britta, in: LThK, Bd. 6, 31997, Sp. 1493. Vgl. De Sanctis Virginibus Mavra et Britta, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, 15. Jan., S. 1018a: „[…] Saussaius XV. Ianuarij retulit, in Supplemento Martyrologij Gallicani: pridie Canisius, Ferrarius, Molanus in priori editione Vsuardi.“ Vgl. Ferrari, Catalogus generalis Sanctorum, 1625, 14. Jan., S. 27: „In Territorio Turonensi Sa[n]ctarum Virginum Mauræ & Brittæ.“ Ebd., S. 28b: „Mauræ & Brittæ] Ex Mol. in Addit. ad Vsuar. De eis apud Turonen. lib. de Glor. Confess. c. 8.“ Vgl. Canisius, Martyrologium, 1573, 14. Jan., Bl. 15r: „Jtem in Turoner landschafft der heiligen junckfrawen Maure vnd Britte/ von welchen Gregorius Thuronensis schreibt.“ Usuardi Martyrologium, ed. Molanus, 21583. Appendix ad Vsvardi Martyrologivm, Complectens aliquot Sanctos ordine literarum, qui in eius aucto Martyrologio absunt: cum annotatione auctorum qui de eis meminerunt, ebd., Bl. 187r–195v, hier Bl. 192r: „Maura & Britta sacratæ virgines, intra terminum Turonicum quiescunt. de quibus Gregorius Turonicus in laudem confessorum cap. 18.“ Du Saussay, Martyrologium Gallicanum, 1637. Svpplementvm anni circvlvm itervm excvrrens, in qvo sancti et pii pleriqve, minime hoc in Martyrologio adscripti, suo cuique proprio die consignantur: nonnullique iam signati accuratiùs recensentur, ebd., S. 1074–1206, hier 15. Jan., S. 1079: „Decimo octauo Kalend. Februarij. || […]. Hoc ipso die in territorio Turonensi Sanctuarum Virginum MAVRÆ & BRITTÆ, quæ luminis filiæ, niue candidores, vt refert sanctus Gregorius Turonensis cuidam pio viro apparentes, […].“ In der Ausgabe des Martyrologe d’Usuard, ed. Dubois (1965), wird dieser Festtag nicht genannt. Er scheint folglich nicht zum Kernbestand dieses Martyrologs gezählt zu haben. AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, Index Sanctorum [unpaginiert], [S. 9]: „5 Martyres plurimi sub Diocletiano in Thebaide. ex Mrol. Rom. & Eusebio.“

190 gekratzt hatten. Auch duldeten sie es, dass unbekleidete Frauen, nachdem sie, damit die Schamteile sicher nicht bedeckt würden, gewissermaßen kunstvoll von eigens angefertigten Gerätschaften an einem Fuss in die Höhe gehoben, am Kopf in der Erde versenkt, auf einer äußerst unwürdigen Bühne zur Schau gestellt worden waren, den ganzen Tag herabhingen. 251

Der Festtag stammte aus Baronios Martyrologium Romanum. Bolland konstatierte mit Baronio, dass sowohl die Namen als auch die Tatenberichte dieser Heiligen verloren seien. Die Kirche würde ihrer insgesamt am 5. Januar gedenken. 252 Baronio selbst nannte in seinen Anmerkungen keine martyrologischen Schriften historischen Charakters. Statt dessen erinnerte er seine Leserinnen und Leser an das pervertierte Wesen der Ägypter, das bereits Cicero erkannt habe: „Wer kennt nicht die Sitte der Ägypter? Ihr Geist ist von den absurdesten Irrtümern durchtränkt, und sie würden lieber jede Tortur über sich ergehen lassen als einen Ibis, einen Skorpion, eine Katze, einen Hund oder ein Krokodil zu verletzen; selbst wenn sie so etwas auch nur aus Versehen getan haben, so schrecken sie vor keiner Strafe zurück.“ 253 Auf die nach Baronios Meinung allgemein empfundene Hoch–––––––— 251

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Vgl. De Sanctis Martyribvs in Thebaide passis svb Diocletiano, in: ebd., 5. Jan., S. 241a: „[…] Nicephorus lib. 7. cap. 8. Ruffinus lib. 8. cap. 8. ita Eusebium interpretans: […]. Apud Thebaida verò omnem narrationem superat agitata crudelitas. Pro vngulis testas fictilium vasorum adhiberant tortores, quibus omne corpus eò vsque lacerabant, donec totam carnis eraderent cutem. Mulieres quoque nudas, ita vt ne pudenda quidem contegerentur, arte quadam compositis machinis vno pede in excelsum suspensas, & capite in terram demersas, indignissimo spectaculo expositas, pendere per diem continuum sinebant.“ Vgl. Eusebius ¢Caesariensis², Werke, Bd. 2: Die Kirchengeschichte, hrsg. v. Eduard Schwartz/Theodor Mommsen. Zweite, unveränd. Aufl. v. Friedhelm Winkelmann, Teil 2 (Die griechischen christlichen Schriftsteller der ersten Jahrhunderte N. F. 6,2), Berlin 1999, c. 9,1, S. 757: „Apud Thebaida vero omnem narrationem superat agitata crudelitas. pro ungulis […]. […] spectaculo expositas pendere per diem continuum sinebant.“ Nicephori Callisti Xanthopuli ecclesiasticae historiae libri XVIII, in: Nicephori Callisti Xanthopuli ecclesiasticae historiae libri XVIII. Præmittuntur syntagmatis Matthæi Blastaris continuatio, et Theoduli monachi, alias Thomæ magistri, orationes et epistolæ, Bd. 1 (MPG 145), Paris 1904, Sp. 548–1332, hier lib. VII, c. 8, Sp. 1219/20, 1221/22, in der lateinischen Übersetzung mit dem Titel: „De martyriis in Thebaide toleratis, et variis variorum suppliciorum modis“: „Qui vero in patria sua martyrium obiere, quis vel eorum numerum inire, vel tot et tam varia tormentorum genere explicare queat? Quandoquidem quamplurimi […].“ Vgl. De Sanctis Martyribvs in Thebaide, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, 5. Jan., S. 241a: „Cvm plurimi sint in Thebaide AEgypti prouinciâ grauißima pro Christi nomine perpeßi, quorum non Acta modò, sed & nomina intercidêre, omnium simul memoriam consecrauit Ecclesia hoc die, quo in Martyrologio ista leguntur: In Ægypto commemoratio plurimorum Sanctorum Martyrum, qui in Thebaide sub persecutione Diocletiani diuerso tormentorum genere cæsi sunt.“ Vgl. Baronio, Martyrologium Romanum, sec. ed., 1589, 5. Jan., S. 13: „In Ægypto commemoratio plurimorum (d) sanctorum Martyrum, qui in Thebaide sub persecutione Diocletiani diuerso tormentorum genere cæsi sunt.“ Ebd., S. 14a–b Anm. d: „Horum singulorum certamina Eusebius digessit in libro quem scripsit de Martyribus, qui non extat. Omnium autem simul agonem summatim complexus est hist. lib. 8.

191 achtung vor den Märtyrerinnen und Märtyrern, die „in fast unendlicher Zahl“ zu Tode gekommen seien, machte er auch in den Annales ecclesiastici aufmerksam. 254 Den „Festtag“ des 5. Januar hatte Baronio allerdings mit großer Sicherheit frei erfunden. Ein identisches, kirchenhistorisch aber komplizierteres Beispiel sind jene anonymen Märtyrerinnen und Märtyrer, die in den Acta Sanctorum „ex Eusebio, Baronio, M[arty]rol[ogio] Rom[ano]“ 255 am 2. Januar verzeichnet werden sollten. Sie seien hingerichtet worden, so Eusebius, weil sie sich weigerten, der mit dem ersten diokletianischen Edikt vom 23. Februar 303 unter anderem verfügten Auslieferung der christlichen oder heiligen Schriften nachzukommen. 256 Diejenigen, so zitierte Bolland aus den Annales ecclesiastici, welche die „heiligen Bände“ ausgehändigt hätten (tradere), seien als traditores bekannt geworden. Die anderen hingegen, die sich geweigert –––––––—

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c. 9. Cùm autem innumera ferè Ægyptiorum martyrum multitudo passa habeatur tam ex monumentis Græcorum, quàm Latinorum scriptorum; de ea gente illud ad memoriam reuocaui, quod scribit Cicero li. 5. Tuscul. his verbis: Ægyptiorum morem quis ignorat? quoru[m] imbutæ mentes prauitatis erroribus, quamuis carnificinam priùs subierint, quàm Ibim, aut Aspidem, aut Felem, aut Crocodilum violent; quorum si imprudenter quippiam fecerint, nullam pœnam recusent. hæc Cicero. Porrò si olim Ægyptij tanti vitrum, quanti illos margaritum (vt habet parœmia) fecisse putandum est, corroborante eos præsertim diuina gratia?“ Übersetzung nach Marcus Tullius Cicero, Gespräche in Tusculum. Lateinisch – deutsch mit ausführlichen Anmerkungen neu hrsg. v. Olof Gigon, München 31976 [zuerst 1951], lib. V, c. 78, S. 377. Vgl. Baronio, Annales ecclesiastici, Bd. 2, ed. nov. 1624, Sp. 776f., Nr. LXXV, ad an. 302: „Illos (g) aute[m], qui sunt in ipsa Ægypto patria sua martyrio defuncti, nemo est, qui non magnopere admiretur: vbi viri cu[m] vxoribus & liberis numero prope infiniti pro Saluatoris nostri doctrina, vita fragili & breui temporis momento duratura penitus neglecta, varia mortis genera subierunt.“ Ebd., Sp. 776 Marginalnote g: „Eus. li. 8. ca. 8. & 9.“ AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, Index Sanctorum [unpaginiert], [S. 9]: „2 Martyres plurimi passi sub Diocletiano & Maximiano. ex Eusebio, Baronio, Mrol. Rom.“ Vgl. De plvrimis Martyribvs Romæ passis svb Diocletiano et Maximiano, in: ebd., 2. Jan., S. 81f., hier S. 81a: „Anno decimonono imperij Diocletiani (inquit Eusebius lib. 8. cap. 3.) mense Dysto, qui à Romanis Martius nominatur, cùm salutaris Passionis Dominicæ festum iam pro foribus esset; omnibus in locis per Imperatoris litteras palàm indictum fuit, vt detrubarentur ecclesiæ, soloque æquarentur: scripturæ Christianorum absumerentur igni: qui honorem fuissent adepti, de gradu turpiter deponerentur: priuati, si modò in professione perstarent, libertate penitùs priuarentur. Ac primum quidem Edictum contra eos tale fuit. Non longo pòst tempore, alijs litteris exeuntibus, mandatum est, vt omnes Ecclesiarum Præsides vbique gentium coniicerentur in vincula; deinde omnibus machinis adhibitis, idolis victimas immolare cogerentur. Hæc Eusebius.“ Die heutige Ausgabe weicht im Wortbestand davon etwas ab. Vgl. Eusebius ¢Caesariensis², Werke, Bd. 2,2, ed. Schwartz/Mommsen (21999), lib. VIII, c. 3, S. 743, nach der lateinischen Version: „Nonus decimus agebatur annus imperii Diocletiani, mensis Martius, et dies sollemnis paschae imminebat, cum edicta principis per omnem terram proponebantur, ut cunctae quæ usquam sunt ecclesiae ad solum usque destruerentur, scripturae sacrae igni exurerentur, […]. […] iubetur, ut omnes, qui per loca singula ecclesiis praesunt, primo quidem coniciantur in vincula, tum deinde omnibus suppliciis simulacris immolare cogantur.“

192 hätten, würden am 2. Januar gefeiert. Baronio habe sie „aus alten Denkmälern“ den Beständen des Martyrologium Romanum wieder zugeführt. Aus seinen Anmerkungen sei zu ersehen, dass die Problematik der traditores, mit Augustin († 430), auf einem „Konzil“ in Cirta behandelt worden sei. 257 –––––––— 257

Vgl. De plvrimis Martyribvs Romæ, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, 2. Jan., S. 81a–82a: „Eiusmodi igitur, inquit Baronius ad ann. 302. n. 12. de libris comburendis promulgato Imperatoris Edicto, in omni prouinciâ Præsides, & in singulis ciuitatibus, oppidis, atque vicis Officia inuigilabant, vt à Christianis codices traderentur; ad hocque iidem vrgebantur, additisque tormentis crudeliter cogebantur. Qui ergo atrocitate pœnarum perterriti, quos apud se haberent codices traderent, Traditores vocabantur. Horum ingens numerus fuit; sed propè infinitus illorum, quorum constantia nullâ est concussa formidine, qui, ne codices sacros traderent, lubentissimo animo mortem oppetiuerunt. Horum omnium coronas, quòd impossibile visum sit singulorum memoriam prosequi, vnà die, nempe II. Ianuarij, Romana Ecclesia celebrat hoc præconio: Romæ commemoratio plurimorum Sanctorum Martyrum, qui spreto Diocletiani Imperatoris edicto, quo tradi sacri codices iubebantur, potiùs corpora carnificibus, quàm sancta dare canibus maluerunt. || Hos ex veteribus monumentis in Martyrologij tabulas restituit Baronius, qui sæpius in suis Annalibus eorum meminit […], vti & in Notis ad Martyrolog. ex Augustino, refert habitum eo tempore Cirtense in Numidiâ Concilium, in causâ eorum, qui sacros codices tradidissent.“ Vgl. Baronio, Annales ecclesiastici, Bd. 2, ed. nov. 1624, Sp. 765, Nr. XXII, ad an. 302: „Eiusmodi igitur de libris comburendis promulgato Imperatoris Edicto, […]. […] oppetiuerunt. horum omnium coronas, quod impossibile visum sit singuloru[m] memoriam prosequi, vna die, nempe secunda Ianuarij (e), Romana Ecclesia celebrat hoc præconio: Romæ commemoratio plurimorum sanctorum martyrum, qui spreto Diocletiani Imperatoris edicto, quo tradi sacri codices iubebantur, potius corpora carnificibus, quam sancta dare canibus maluerunt. ita ibi.“ Die Marginalnote (e) referierte auf das Martyrologium Romanum, aus dem der kursivierte letzte Satz übernommen worden war. Aus Bollands Reproduktion, in der er auf die typographische Exposition verzichtete, ist dieses Selbstzitat als solches nicht zu erkennen. Vgl. Baronio, Martyrologium Romanum, sec. ed., 1589, 2. Jan., S. 7: „Romæ commemoratio plurimorum (b) sanctorum Martyrum, qui spreto Diocletiani Imperatoris edicto, quo tradi sacri codices iubebantur, potiùs corpora carnificibus, quàm sancta dare canibus maluerunt.“ Im Zuge der Diskussion der Provenienzen hatte Bolland Baronios Formulierungen übernommen. Vgl. ebd., S. 8a Anm. b: „Sunt hi ex veteribus monumentis restituti. Quod spectat ad edictum Diocletiani Imperatoris de tradendis cremandisque religiosis Christianorum codicibus, scribit S. August. lib. 7. de baptist. c. 2. promulgatum illud fuisse post passione[m] beati Cypriani annis quadraginta, & quod excurrit, coss. (vt apparet) Constantio quartùm & Galerio. Concordant his ea quæ idem Augustin. scribit lib. 3. contra Crescon. cap. 27. vbi agit de Cirtensi Synodo habita, vt ait, anno sequenti à prædicto edicto de libris comburendis, Diocletiano octauùm, & Maximiano septimu[m] coss.“ Vgl. Aurelius Augustinus, Contra Cresconium grammaticum et Donatistam libri IIII, in: Sancti Aurelii Augustini scripta contra Donatistas, Teil 2: Contra litteras Petiliani libri tres, Epistula ad catholicos de secta Donatistarum, Contra Cresconium libri quattuor, hrsg. v. M. Petschenig (CSEL 52), Wien/Leipzig 1909, S. 322–583, hier lib. III, c. 26–27, S. 435: „[…] de uestris autem maioribus extat Secundi Tigistani concilium cum paucissimis quidem factum apud Cirtam post persecutionem codicum tradendorum, […]. || Ibi quae gesta sint accipe; nam quae necessaria fuerunt infra scribere curaui: ‚Diocletiano VIII et Maximiano VII C[on]s[ule]s […]ǥ.“ Das hier von Augustin zitierte Dokument ist das sogenannte „Protokoll von Cirta“. Auf der Zusammenkunft der numidischen Bischöfe unter deren Primas Bischof Secundus von Tigisi in Cirta waren einige Bischöfe, die sich als tradi-

193 Ein historisches Martyrolog, das diesen Festtag verzeichnet hätte, konnte Baronio allerdings nicht beibringen. Dass aus seiner „Restitution“ dieses Festtags liturgische Konsequenzen erwuchsen, ist unwahrscheinlich. Im posttridentinischen Breviarium Romanum war dieser Feiertag nicht vorgesehen. 258 Es war kein Zufall, dass die römische Kirche gerade dieser Märtyrerinnen und Märtyrer bis Baronio nicht gedacht hatte. 259 Auf besagtem Konzil von Cirta wurde die Auffassung der Donatisten behandelt, dass die in häretischen Gemeinschaften getauften und später zum römischen Katholizismus konvertierten Gläubigen einer neuerlichen – im Verständnis der Donatisten einer ersten wahren – Taufe bedurften. Der, nach dem Bischof von Karthago Donatus († 316), sogenannte Donatismus berief sich wesentlich auf Cyprian von Karthago († 258). Unter ihm waren diese Lehre und Praxis auf drei Synoden in Karthago in den Jahren 255 und 256 erörtert und gegen den Willen Roms bestätigt worden. Den Vertretern des papsttreuen Katholizismus hingegen galt ekklesiologisch und sakramental die Handauflegung des Bischofs, im Empfang der Buße der Konvertitinnen und Konvertiten, als hinreichend, um, im Verbund mit der Heiligkeit des Spenders, den Übertritt zum wahren Christentum als vollzogen zu betrachten. 260 Augustin setzte sich später ausführlich mit den, den römischen Katholizismus diskreditierenden, Vorwürfen auseinander, die Heiligkeit der Kirche nicht nur durch diese Position, sondern auch durch die in ihren Reihen befindlichen bischöflichen traditores, welche im Akt der Übergabe der heiligen Schriften vom Glauben abgefallen seien, befleckt zu haben. Ein pseudocyprianischer Brief, der kurz nach Ende der Verfolgungen entstanden sein dürfte und der die Problematik der traditores mit der Stimme Cyprians zu behandeln beanspruchte, wurde von Augustin bereits aufgrund seines offensichtlich anachronistischen Inhalts als kaum der Diskussion für wert befunden. Auf Augustins Reflexionen 261 sollte sich Baronio beziehen, als er den –––––––—

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tores betätigt hatten, auf ihre Motive hin befragt worden. Das erste Edikt Diokletians war im Lauf der Monate Mai und Juni 303 in den afrikanischen Provinzen eingetroffen und direkt umgesetzt worden. Der letzte bekannte Christenprozess in diesen Provinzen datiert auf Dezember 304. Augustins frühe Datierung der Synode von Cirta auf 303 – und an anderer Stelle auf 305 – beruht nach heutiger Kenntnis auf einer fehlerhaften Konsulatsliste. Die Synode fand mit Sicherheit kurz nach dem Toleranzedikt des Kaisers Maxentius statt, das in Afrika vermutlich Ende April oder Anfang Mai 308 promulgiert worden war. Vgl. Bernhard Kriegbaum, Kirche der Traditoren oder Kirche der Märtyrer? Die Vorgeschichte des Donatismus (Innsbrucker theologische Studien 16), Innsbruck/Wien 1986, S. 59ff., 131ff. Vgl. Breviarium Romanum, [1630], die Aufstellung des Ianvarius, ebd., fol. ††2v nach der Tabula Paschalis antiqua. Vgl. Kriegbaum, Kirche (1986), S. 72f. mit Anm. 75. Vgl. ebd., S. 50ff., 108. Vgl. Aurelius Augustinus, De baptismo libri VII, in: Sancti Aurelii Augustini scripta contra Donatistas, Teil 1: Psalmus contra partem Donati, Contra epistulam Parmenia-

194 Versuch unternahm, die Abläufe zu datieren. Hätte man in Rom der traditores von Anfang an gedacht, wäre dies einem Gedenken an die Vorwürfe gleichgekommen, die gegen Rom selbst erhoben worden waren und das afrikanische Schisma hervorgebracht hatten. Die Ansicht, dass der seit um 309 regierende Bischof von Karthago Caecilius von einem traditor konsekriert worden sei, hatte auf einer Synode von um 309/10 zu dessen Exkommunikation und zur Wahl des Donatus zum Bischof von Karthago geführt. 262 Ob Baronio diese Zusammenhänge in ganzer Schärfe sah, als er die traditores ins Martyrologium Romanum integrierte, bliebe zu untersuchen. Es waren allerdings nicht nur diese spätantiken Märtyrerinnen und Märtyrer, die bisweilen eines historischen Festtags ermangelten. Unter anderem auf den erstmals 1579 gedruckten Gesta Hammaburgensis ecclesiae Adams von Bremen († vor 1085) basierend, erschien in den Februarbänden der Acta Sanctorum – „Ex Adamo Bremensi et aliis“ 263 – das Dossier des hl. Liafdagus. Es handelte sich um den ersten Bischof des 948 auf der Synode von Ingelheim gegründeten Missionsbistums Ripen. 264 In seinem Dossier reproduzierte Henschen den zweiten Abschnitt jener Kurzbiographie, die Johannes Vastovius († 1642) für seine 1623 gedruckte Sammlung der Vitis Aquilonia angefertigt hatte. In einem ersten Abschnitt hatte Vastovius von der Investitur des hl. Liafdagus durch den Erzbischof von HamburgBremen Adaldag († 988) berichtet. An die diskontinuierliche und chronologisch problematischen Erzählfolge der Gesta Hammaburgensis ecclesiae angelehnt, hatte Vastovius die Investitur mit der Christianisierung Skandinaviens zur Zeit des dänischen Königs Harald Blauzahn (reg. 958?–987?) in Verbindung gebracht. Teils inspiriert von dem Feldzug, den Otto II. –––––––—

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ni libri tres, De baptismo libri septem, hrsg. v. M. Petschenig (CSEL 51), Wien/Leipzig 1908 (Neudruck New York/London 1963), S. 143–375, hier lib. V, c. 1,1, S. 262: „[…] quoniam plus quadraginta anni sunt inter Cypriani passionem et diuinorum codicum exustionem, unde isti calumniarum suarum fumos iactantes occasionem faciendi schismatis inuenerunt, […] restat ut fateantur nulla malorum etiam cognitorum tali communione contaminari unitatem Christi.“ Ebd., lib. VII, c. 2,3, S. 344: „[…] si enim nos quamuis falso propterea dicimur traditores, quia traditoribus nos in eadem communione successisse criminantur, praeuaricatoribus illis omnes successimus, quia nondum se ab unitate diuiserat pars Donati beati Cypriani temporibus. post passionem quippe eius quadraginta et quod excurrit annis peractis traditio codicum facta est, unde coeperunt appellari traditores.“ Vgl. dazu Kriegbaum, Kirche (1986), S. 66ff. Vgl. ebd., S. 62f., 77–95, 99–129. AASS Februarii, Bd. 1, 1658, Index Sanctorum [unpaginiert], [S. 8]: „3 Liafdagus Ep. M. Ripæ in Daniâ, miraculis clarus. Ex Adamo Bremensi et aliis.“ Vgl. Thomas Riis, Art. Ribe, in: LexMA, Bd. 7, 1994, Sp. 804f. Vgl. zu den Quellen die herausgeberischen Anmerkungen in der Ausgabe: Adam von Bremen, Gesta Hammaburgensis ecclesiae pontificum, dritte Aufl., hrsg. v. Bernhard Schmeidler (MGH SS rer. Germ. in us. schol. [2]), Hannover/Leipzig 1917, lib. II, c. 4, S. 64 Anm. 4. Vgl. zur Erstausgabe durch den Ribener Kanoniker Andreas Severinus Vedel Bernhard Schmeidler, Einleitung, in: ebd., S. VII–LXVII, hier S. XX, XLV.

195 (reg. 973–983) im Jahr 974 gegen die Dänen unternommen hatte und teils um fiktive Elemente angereichert, hatte Adam die Investitur als das Ergebnis der vermeintlichen Unterwerfung des dänischen Königs bereits durch Otto I. (reg. 936–973) gedeutet. Dieser Sieg habe die Gründung der skandinavischen Bistümer, die Ordination ihrer Bischöfe und ihre Unterstellung unter das Erzbistum Hamburg-Bremen allererst ermöglicht. In Vastovius’ zweitem Abschnitt, den allein Henschen in den Acta Sanctorum zitierte, war, seinerseits mit Adam, auf die Instabilität dieser Bistümer und die daraus erwachsende Missionstätigkeit der Bischöfe Bezug genommen worden. Das Martyrium habe Liafdagus, so Vastovius, im Jahr 950 in Ripen erlitten. Seine Amtszeit sei auf um 946 anzusetzen. Als Quellen hatte Vastovius neben den Gesta Hammaburgensis ecclesiae zum einen die – 1587 durch Reiner Reineck (Reineccius) (1542–1595) publizierten – Annales Alberts von Stade († wohl nach 1265) genannt, in denen das Ableben des Missionsbischofs jedoch auf 984 festgesetzt worden sei, und zum anderen die zuerst 1548 publizierte Ecclesiastica historia siue Metropolis des hansischen Diplomaten und Historiographen Albert Krantz (um 1448–1517). 265 –––––––— 265

Vgl. Aquilonia. Lifdagvs episcopvs et martyr florvit an. Christi 946, in: VITIS AQVILONIA || SEU || VITÆ SANCTORVM || QVI SCANDINAVIAM MAGNAM || ARCTOI ORBIS PENINSVLAM AC || praesertim Regna Gothorum Sueo= || numq[ue] olim rebus gestis illustrarunt. || Opera et studio || IOANNIS VASTOVII GOTHI || Protonotarij Apáici Canonici Var= || miensis Ser.mo SIGISMVNDO III. Polo= || niæ ac Sueciæ Regi à Sacris || et Bibliotheca. || COLONIÆ AGRIPPINÆ || Ex Officina ANTONII HIERATI || Anno M. DC. XXIII., S. 19: „POSTQVAM ad superos euolasset B. Vnno voluntate Ottonis Regis, suffectus est Adaldagus in Archiepiscopum Brem. genere illustris, ætate iuuenis, verumtamen per omnia industrius. Hic primam sibi religionis conseruandæ propagandĊq[ue] curam suscipiendam putauit. Qua in re Ottonis Regis familiaritate fretus quascu[m]que emerge[n]tes facile superauit difficultates. Amundus quoq[ue] Gottorum Sueonumq[ue] Rex Erici filius, Haraldo DaniĊ Regi Christiano confæderatus [!] Christianis eo venientib. placabilis fuit. Itaq[ue] ex legatione sua Lifdagus quæ progentium salute primo à prædecessoribus suis suscepta fuerat hoc emolume[n]ti habuit, vt quod alii in lachrimis seminauerant ipse messuerit in gaudio; plurimum interim sollicitus totoq[ue] animi desiderio incensus æstuabat, id ad effectum deducendi quod religioso conceperat affectu. || Quocirca Lifdagum orindu[m] Frisia inter alios Apostolicæ dignitatis viros Adaldagus in Præsulem Ordinatum Sueonibus, Danis, Normannis præfecit, prædicandiq[ue] illi commisit prouincia[m]. Et vero cum nullæ adhuc certæ Episcopis constitutĊ essent sedes ob persecutiones passim ingrue[n]tes vel ad habitandu[m] securæ, quisq[ue] plantandi studio Christianismi in vlteriora progressus verbum Dei tam suis qua[m] alienis prĊdicare certabat. Sic sane vir sanctus zelo Diuino feruens prouincias sibi creditas solerter obiuit, verbumq[ue] salutiferum Dei in agro cordis humani sere[n]s multos Christi Ecclesiæ aggregauit. Dumq[ue] in dies populum cĊlestis doctrinĊ adminiculo multiplicaret, & ipse vitæ sanctimonia iter cælestis Regni co[m]monstraret; Spiritum tandem profuso sanguine pro Christi religione reddidit, ab infidelibus in Ciuitate Ripensi trucidatus, Anno salutis humanæ Nongentesimo quinquagesimo, multis post mortem clarescens miraculis. || De eo Adam. Brem. lib. 2. c. 16. Abbas Stad. pag. 110. qui mortem eius refert in annum 984. Albert. Crantz. in sua Metrop. lib. 3. c. 17. 26. & 40.“ Vgl. G[odefridus] H[enschenius], De S. Liafdago Episc.

196 Mit der Bündelung der Nachweise trug Vastovius indirekt dazu bei, die Quellen auch der Krantzschen Metropolis zu erläutern. Krantz hatte zahlreiche Passagen aus seinen mittelalterlichen Vorlagen im Wortlaut oder in –––––––— Mart. Ripæ in Dania, in: AASS Februarii, Bd. 1, 1658, 3. Feb., S. 445f., hier S. 446a– b: „[…] Ioannes Vastouius in Vite Aquiloniâ […]: Lifdagum oriundum Frisiâ; inter alios Apostolicæ dignitatis viros Adaldagus in Præsulem ordinatum Sueonibus, Danis, […]. […] ab infidelibus in ciuitate Ripensi trucidatus anno salutis humanæ nongentesimo quinquagesimo, multis post mortem clarescens miraculis.“ Vgl. Adam von Bremen, Gesta, ed. Schmeidler (MGH SS rer. Germ. in us. schol. [2]) (31917), lib. II, c. 3–4, S. 63–65: „[…] Saxones victoria potiti sunt, Dani victi ad naves cesserunt. Tandemque condicionibus ad pacem inclinatis Haroldus Ottoni subicitur, et ab eo regnum suscipiens christianitatem in Dania recipere spondit. […] Eo tempore Dania cismarina, quam Iudland incolae appellant, in tres divisa episcopatus Hammaburgensi episcopatui subiecta est. Servantur in Bremensi ecclesia precepta regis, quae signant Ottonem regem in sua ditione regnum Danicum tenuisse, adeo ut etiam episcopatus ille donaverit. In privilegiis autem Romanae sedis videri potest, quod Agapitus papa Hammaburgensi ecclesiae de salute gentium congratulatus omnia, quae a decessoribus suis Gregorio, Nicolao, Sergio et ceteris Bremensi archiepiscopatui concessa sunt, et ipse concessit Adaldago. Cui etiam sua vice ius ordinandi episcopos tam in Daniam quam in ceteros septentrionis populos apostolica auctoritate concessit. || Igitur beatissimus pater noster primus ordinavit episcopos in Daniam, Horitum (Haredum) ad Sliaswig, Liafdagum ad Ripam, Reginbrondum ad Harusam. Quibus etiam commendavit illas ecclesias, quae trans mare sunt, in Fune, Seland et Scone ac in Sueonia. Anno archiepiscopi factum est hoc XII. Et haec quidem initia celestia misericordiae secutum est tale incrementum, Deo cooperante, ut ab illo tempore usque in hodiernum diem ecclesiae Danorum multiplici borealium gentium fructu redundare videantur.“ Ebd., lib. II, c. 25, S. 83f.: „Haroldus rex Danorum, religione ac fortitudine insignis, christianitatem in regno suo iam dudum benigne suscepit et constanter retinuit usque in finem. […] Emund filius Herici tunc in Suedia regnavit. Is Haroldo confederatus christianis eo venientibus placabilis fuit.“ Ebd., lib. II, c. 26, S. 84–86: „Adaldagus igitur archiepiscopus ordinavit in Daniam plures episcopos, quorum nomina quidem repperimus; ad quam (vero) sedem (specialiter) intronizati sint, haud facile potuimus invenire. Aestimo faciente ea causa, quod in rudi christianitate nulli episcoporum adhuc certa sedes designata est, verum studio plantandae christianitatis quisque in ulteriora progressus verbum Dei tam suis quam alienis communiter predicare certabant. Hoc hodieque trans Daniam per Nortmanniam et Suediam facere videntur. Igitur episcopi in Daniam ordinati sunt hii: Hored, Liafdag, Raginbrond, et post eos Harig, Stercolf, Folgbract, (Adelbrect,) Merka et alii. Odinkarum seniorem ferunt ab Adaldago in Sueoniam ordinatum strennue [!] in gentibus legationem suam perfecisse. Erat enim, sicut nos fama tetigit, vir sanctissimus et doctus in his, quae ad Deum sunt, preterea quantum ad seculum nobilis et oriundus ex Danis. Unde et facile barbaris quaelibet de nostra potuit religione persuadere. Ceterorum vero episcoporum vix aliquem sic clarum antiquitas prodit preter Liafdagum Ripensem, quem dicunt etiam miraculis celebrem transmarina predicasse (hoc est in Sueonia vel Nordwegia).“ Vgl. zur Chronologie die Kommentare der Herausgeber ebd., S. 63 Anm. 1; Magistri Adam Bremensis Gesta Hammaburgensis ecclesiae Pontificum/Adam von Bremen, Bischofsgeschichte der Hamburger Kirche. Neu übertr. v. Werner Trillmich, in: Quellen des 9. und 11. Jahrhunderts zur Geschichte der hamburgischen Kirche und des Reichs, bearb. v. Werner Trillmich/Rudolf Buchner (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters. Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe 11), Berlin 1961, S. 135–503, hier S. 236f. Anm. 14.

197 wortnaher Paraphrase übernommen, ohne ausdrücklich auf ihre Herkunft hinzuweisen oder sie als Zitat zu kennzeichnen. 266 Auf diese für die Zeit –––––––— 266

Vgl. ALBERTI || KRANTZII || RERVM GERMANICA- || RVM HISTORICI CLARISSIMI, || ECCLESIASTICA HISTORIA, SIVE || Metropolis. || De primis Christianæ religionis in Saxonia initijs, deq[ue] eius epi- || scopis, & horum vita, moribus, studijs & factis. Jtem de aliarum || nationum, regum & principum rebus gestis, ad quas paßim in alijs || suis operibus lectorem author remittit. || Denuò, & quidem multò accuratius & emendatius, quàm || antè, edita. || Cum præfatione ad Reuerendißimum principem ac Dominum, Dominum || IVLIVM Episcopum Herbipolitanum, Franconiæ ducem &c. || Ioan. Wolfij I. C. || Additio Indice locupletissimo. || FRANCOFVRTI || Apud heredes Andreæ Wecheli, || Claudium Marnium & Ioann. Aubrium. || MDLXXX. Die drei oben Anm. 265 zitierten Passagen Adams von Bremen wurden von Krantz wiederholt, ohne von der von Adam vorgegebenen Handlungsfolge abzuweichen. Vgl. ebd., lib. III, c. 16, S. 69: „Saxones victoria potiti, Danos in naues refugere coëgerunt. Tandem conditionibus ad pacem inclinatis, Haroldus Ottoni subiicitur: regnumq[ue] ab illo recognoscens, Christianismum in Dania publicè permittere est pollicitus.“ Ebd., lib. III, c. 17, S. 69: „Eo tempore Dania cismarina, quæ Iutia est, in tres diuisa episcopatus, Hamburgensi archiepiscopatui opera metropolitani subiicitur. Seruantur in ecclesia Bremensi […]. […] apostolica authoritate concessit. Igitur archiepiscopus noster omnium primus in Daniam ordinauit episcopos, Haroldum in Sliaswicum, Liafdagum in Ripam, Reinbrandum in Arusiam. || Quibus etiam illas commendauit ecclesias, quæ in insulis erectæ fuere, in Fionia, & Selandia, & Scania, atque in Sueonia: quod factum reperimus anno pontificatus sui duodecimo. Et hæc quidem initia redeuntis misericordiæ Dei, sequuntum est tale incrementum, operante Deo, vt ab illo tempore in hodiernum diem, ecclesiæ Danorum multiplici borealium gentium fructu redundare videantur.“ Ebd., lib. III, c. 26, S. 75: „Adaldagvs, quum iam rex Otto Danorum regem Christianismo adegisset, tres episcopatus (vt diximus) in Iutia constituit. Sleswico Haraldum præfecit, Ripæ Liafdagum fecit episcopum, Reinbrandum in Arusiam: quibus (quod diximus) commendauit ecclesias, quæ erant in Fionia, Selandia, Scania, & in Sueonia: nam ibi necdum fuere episcopales ecclesiæ.“ Ebd., lib. III, c. 38, S. 81: „Interea Haraldus rex Danorum, religione ac fortitudine insignis, Christianitatem in regno suo iam dudum benignè susceptam, vsque in finem constanter retinuit: […] Emundus filius Erici tunc in Sueonia regnauit, & Haraldo confœderatus, Christianis eò venientibus placabilis fuit.“ Ebd., lib. III, c. 40, S. 81f.: „Ordinauit [Adaldagus] in Daniam plures episcopos, quorum nomina quidem reperimus: ad quas verò sedes inthronizati sint, non legimus. Existimari debet, quòd pro rei nouitate nulli adhuc episcoporum certa fuerit sedes designata. Vnde plantandæ studio Christianitatis quisque in vlteriora progressus, verbum Dei tam suis quàm alienis prædicare certabant: quod hodie trans Daniam in Norwagia (ait Annalium scriptor) & Sueonia facere videntur. Igitur episcopi, qui in Daniam ordinati sunt, hi fuere, Haraldus, Liafdagus, Reinbrandus: & post eos Harig, Stercolphus, Folchbertus, Adalbertus, Merha, & alij nonnulli. Odincarum seniorem ferunt, ab Adaldago in Sueoniam ordinatum, […]. Cæterorum verò episcoporum vix aliquem tam clarum prodit antiquitas, præter Liafdagum Ripensem, qui & miraculis celebris fuit, & transmarinis prædicauit Sueonibus & Normannis.“ Der Versuch, Krantz’ Quellen systematisch zu erschließen, ist vor allem der älteren Forschung zu verdanken. Vgl. Ernst Schäfer, Zur Geschichtsschreibung des Albert Krantz, in: ZVHG 10 (1899), S. 385–484; vgl. dazu den forschungsgeschichtlichen Überblick von Ulrich Andermann, Albert Krantz. Wissenschaft und Historiographie um 1500 (Forschungen zur mittelalterlichen Geschichte 38), Weimar 1999, S. 26f. Krantz besaß wahrscheinlich eine eigene Handschrift der Gesta Adams; vgl. ebd., S. 151 mit Anm. 70; vgl. zu seiner Methode Harald Bollbuck, Geschichts- und Raummodelle bei Albert Krantz

198 durchaus typische Weise waren die älteren Chroniken und Annalen eher aktualisierend und kompilierend fortgeschrieben und weniger nach Maßgabe eines historisierten Textbegriffs ausgewertet oder historische Abläufe im engeren Wortsinn rekonstruiert worden. Dass sich diese Unterscheidung gegen Ende des 16. Jahrhunderts zu etablieren begann, ist in diesem Fall an Reinecks Ausgabe der Annales Alberts von Stade abzulesen. Reineck kündigte auf dem Titelblatt an, dass mit dieser Ausgabe zugleich die „Grundlagen“ („fundamenta“) der Saxonia und Metropolis offengelegt würden. 267 Henschen war es nun möglich, ohne großen Aufwand die in Vastovius’ erstem Abschnitt nur paraphrasierten Passagen aus den Gesta Adams im originalen Wortlaut zu zitieren. Dabei bezweifelte auch er in keiner Weise, dass der vermeintliche Sieg Ottos I. über König Harald die Voraussetzung für die Gründung der skandinavischen Bistümer gewesen sei. Genauer als Vastovius datierte er hingegen, wie vor ihm schon Baronio, 268 die Gründung des Bistums Ripen auf 948. Nach Adam war sie im zwölften Jahr des Erzbischofs Adaldag vollzogen worden, welcher, wie Henschen wusste, seit 936 und dem Tod des Erzbischofs Unni (reg. 918–936) amtierte. Dieses Jahr könne zudem der – Adams Darstellung folgenden – Chronik Alberts von Stade entnommen werden. 269 Die aus der Vitis Aquilonia bekannten Zeug–––––––—

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(um 1448–1517) und David Chytraeus (1530–1600). Transformationen des historischen Diskurses im 16. Jahrhundert (Imaginatio borealis 8), Frankfurt a. M./Berlin/ Bern [u. a.] 2006, S. 54. Vgl. CHRONICON || ALBERTI, ABBATIS || STADENSIS, A CONDITO OR- || BE VSQVE AD AVCTORIS AETATEM, || id est, annum Iesu Christi M. CC. LVI. || deductum, & nunc primùm || euulgatum. || QVO OPERE CVM ALIIS || IN PARTIBVS VETVS HISTORIA, || INPRIMIS VERO RES GERMANICAE || illustrantur, tum Saxoniæ & Metropol. || Crancianæ fundamenta ape= || riuntur. || E bibliotheca || MAGNIFICI ET ILLVSTRIS || VIRI, HENRICI RANZOVII, EQVITIS || HOLSATI, PROREGIS DANICI || in Ducatu Schlesuic. Holsatia, || Ditmarsia &c. || HELMAESTADII || Excudebat Iacobus Lucius Anno || M. D. LXXXVII. Dies ist die bis heute einzige vollständige Ausgabe. Vgl. Gerda Maeck, Die Weltchronik des Albert von Stade. Ein Zeitzeuge des Mittelalters. Studien zur Geschichtsschreibung Alberts von Stade, Lehrte 2001, S. 42. Vgl. Baronio, Annales ecclesiastici, Bd. 10: Exordium sumens ab Anno Dom. DCCC. XLIII. perducitur ad Annum M. inclusiuè. Complectitur Annos. C. LVIII., ed. nov. 1624, Sp. 755f., Nr. III, ad an. 948, der seinerseits die Gesta Adams (wie oben Anm. 265) zitierte: „Eo tempore Dania Cismarina, quam Iutland incolæ appellant, in tres diuisa Episcopatus Hamburgensi Episcopatui subiecta est […].“ Vgl. Henschen, De S. Liafdago, AASS Februarii, Bd. 1, 1658, 3. Feb., S. 446a: „Noua deinde fidei Christianæ plantandæ acceßit occasio, quando seculo sequenti [dem auf das Episkopat Ansgars folgenden] ab Ottone primo Imperatore Haroldus Rex Daniæ deuictus, fidem Christi admisit: quo tempore, inquit Adamus lib. 2 cap. 2, Dania Cismarina, quam Iutlant incolæ appellant, […]. […] illas commendauit ecclesias, quae trans mare in Finne, Seland, ac Scone, ac in Sueonia. Hoc factum est anno Archiepiscopatus XII, Christi CMXLVIII. Nam Vnnoni Archiepiscopo anno CMXXXVI sub medium Septembris defuncto succeßit Adaldagus. Ad illum annum eadem ex Adamo describit in Chronico Albertus Stadensis.“ Nach heutiger Zählung stammt die von Henschen zitierte Passage aus dem oben Anm. 265 zitierten lib. II,

199 nisse ergänzte Henschen um die Chronica Slavorum Helmolds von Bosau († nach 1177), die von Reineck 1581 publiziert worden war. Seinerseits von Adam abhängig hatte sich Helmold an dieser Stelle über das seit der Bistumsgründung zu beobachtende Gedeihen des Christentums in Dänemark geäußert. All dies habe, wie Henschen bemerkte, später „Albert Krantz aus Adam in denselben Worten aufgeschrieben“. 270 Dies war die einzige deutliche Aussage Henschens zu möglichen Abhängigkeiten der Texte untereinander. Letztlich wandte sich Henschen der Frage nach dem – bis heute nicht mit Sicherheit zu bestimmenden – Todesdatum des hl. Liafdagus zu. Es sei nämlich nicht erkennbar, woher Vastovius vom Martyrium des hl. Liafdagus erfahren und auf welcher Basis er das Datum desselben fixiert habe. 271 Auch könne keineswegs bestätigt werden, dass Albert von Stade Liafdagus’ Ableben für das Jahr 984 berichtet habe. 272 Henschen selbst tendierte dazu, –––––––—

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c. 4 der Gesta Adams. Übersehen hatte Henschen, dass Otto I. zu dieser Zeit noch nicht als „Kaiser“ hätte qualifiziert werden können. Vgl. den Eintrag im Chronicon Alberti Abbatis Stadensis, ed. Reineccius, 1587, S. 105f.: „Anno Domini DCCCC. XLVIII. […] Igitur Adaldagus omnium primus ordinauit in Dania Episcopos, Haroldum ad Sliasvvig, Liafdagum ad Ripam, Reinbardum ad Arhusan.“ Vgl. zu den Amtsdaten der Erzbischöfe Karl Jordan, Art. Adaldag, in: LexMA, Bd. 1, 1980, Sp. 104; Wolfgang Seegrün, Art. Unni, in: LexMA, Bd. 8, 1997, Sp. 1257. Vgl. Henschen, De S. Liafdago, AASS Februarii, Bd. 1, 1658, 3. Feb., S. 446a: „Meminit eorumdem Episcopatum [der von Adaldag eingesetzten Bischöfe] Helmoldus lib. 1. Chronici Slauorum cap. 9. Pergit Adamus: Et hæc quidem initia cælestis misericordiæ secutum est tale incrementum, […]. […] multiplici Borealium Gentium fructu, redundare videantur. Quæ omnia ex Adamo eisdem verbis descripsit Albertus Krantzius lib. 3. Metropolis cap. 17.“ Vgl. die Nachweise aus dem heutigen lib. II, c. 4 der Gesta Adams oben Anm. 265; den Nachweis aus dem lib. III, c. 17 der Metropolis oben Anm. 266; ferner Helmoldi presbyteri Bozoviensis Cronica Slavorum. Editio tertia. Post Johannem M. Lappenberg iterum recognovit Bernhardus Schmeidler. Accedunt Versus de Vita Vicelini et Sidonis epistola (MGH SS rer. Germ. in us. schol. [32]), Hannover 1937, lib. I, c. 9, S. 21: „Eo tempore Dania plenarie recepit fidem et divisa in tres episcopatus Hammemburgensis ecclesia cepit habere suffraganeos. Et haec quidem inicia celestis misericordiae secutum est tale incrementum, ut ab illo tempore usque in hodiernum diem ecclesiæ Danorum multiplici borealium gentium fructu redundare videantur.“ Henschen, De S. Liafdago, AASS Februarii, Bd. 1, 1658, 3. Feb., S. 446b: „Vnde martyrium eiusq[ue] annum habuerit Vastouius, nobis incertùm.“ Vgl. ebd., S. 446a: „[…] Albert. Stadensi ad an. 984 quo eius mortem non refert, licet id afferat Ioannes Vastouium in Vite Aquiloniâ, […].“ Albert hatte allein auf den Ruhm des hl. Liafdagus und die ihn begleitenden Wunder hingewiesen. Vgl. Chronicon Alberti Abbatis Stadensis, ed. Reineccius, 1587, S. 109f.: „Anno Domini DCCCC. LXXXIIII. […] Igitur Episcopi in Dania ordinati sunt Hored, Liafdag, Reinbrand, & post eos Harig, Stercolph, Folbrecht, Adelbrecht, Merha, & alii Odinakaru[m] seniore[m] ferunt ab Adaldago in Sueonia ordinatu[m], […]. Vnde & barbaris quælibet potuit de Christiana religione persuadere. Cæteroru[m] verò Episcoporu[m] vix aliaque[m] sic claru[m] prodit antiquitas, præter Liafdagu[m] Ripe[n]sem, q[ui] & miraculis celebris fuit, & transmarinis p[re]dicauit Sueonib[us] & Nordmannis.“ Die Erwähnung der Wunder könnte von Vastovius willentlich oder

200 seinen Tod „circa annum 980.“ 273 zu lokalisieren, im Vor- oder Umfeld des von Henschen mit diesem Jahr verbundenen und von Adam als Martyrium bewerteten Todes, den Harald Blauzahn im Zuge der kriegerischen Ausei–––––––—

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versehentlich auf das Ableben des Heiligen bezogen worden sein. In Adams Gesta lib. II, c. 26, war allerdings etwas deutlicher und retrospektiv von den während der Missionstätigkeit des Liafdagus zu beobachtenden Wundern die Rede. Diese sagen also nichts über den Zeitpunkt des Todes dieses Bischofs aus. Vgl. den Nachweis oben Anm. 265. Auch Krantz, Metropolis, ed. Wolfius, 1580, lib. III, c. 40, S. 82, berichtete mit Adams Darstellung von den Wundern, die Liafdagus’ Wirken begleitet hatten: „[…] qui & miraculis celebris fuit, & transmarinis prædicauit Sueonibus & Normannis.“ Nach Maßgabe des symbolischen Werts, der in der deutschen Historiographiegeschichte der faktischen oder vermeintlichen Eliminierung der Mirakel für den Fortschritt der „Quellenkritik“ zugebilligt wird, sah sich die Literatur zu Krantz veranlasst, Widersprüche und Inkohärenzen zwischen Theorie und Praxis in dessen eigenen Schriften zu diagnostizieren, da Krantz die in seinen Vorlagen verzeichneten Wunder keineswegs umstandslos verworfen hat. Vgl. Andermann, Wissenschaft (1999), S. 211ff. Das von Andermann ebd., S. 212, mit der Seite der „historische[n] Kritikfähigkeit“ Krantz’ verknüpfte Beispiel der Problematisierung der sich seit dem späten 14. Jahrhundert popularisierenden Wallfahrt zu den Bluthostien von Wilsnack indiziert allerdings nichts, was in einem methodischen Sinn als historische Kritik beschrieben werden könnte. In ihr artikulierte sich wenig anderes, als der sich – spätestens mit Nikolaus von Kues (1401–1464) – in reformkatholischen Kreisen verfestigende Konsens über die Fragwürdigkeit dieser insgesamt umstrittenen Wallfahrt. Vgl. Hartmut Boockmann, Der Streit um das Wilsnacker Blut. Zur Situation des deutschen Klerus in der Mitte des 15. Jahrhunderts, in: ZHF 9 (1982), S. 385–408, hier S. 396–401, 403f.; vgl. in jüngerer Zeit Morimichi Watanabe, The German Church Shortly before the Reformation. Nicolaus Cusanus and the Veneration of the Bleeding Hosts at Wilsnack, in: Reform and Renewal in the Middle Ages and the Renaissance. Studies in Honour of Louis Pascoe, S. J., hrsg. v. Thomas M. Izbicki/Christopher M. Bellitto (Studies in the History of Christian Thought 96), Leiden/Boston/Köln 2000, S. 210–223; Hartmut Kühne/Anne-Katrin Ziesak (Hrsg.), Wunder, Wallfahrt, Widersacher. Die Wilsnackfahrt, Regensburg 2005. Gleiches gilt für die wenig überraschende und von Krantz in verschiedenen Formen vorgetragene Versicherung, sich der Wahrheit verpflichtet zu wissen und keinerlei fabulae wiedergeben zu wollen. Andermann neigt dazu, den Begriff der fabula in den der „Legende“ zu übersetzen. Dieser wiederum scheint ihm mit dem Begriff der Heiligenvita weithin deckungsgleich zu sein: „Während der Hamburger einerseits davor warnt, fabulas pro veritate edere, scheut er sich nicht, in den drei vorangegangenen Kapiteln [der Wandalia] bedenkenlos die Legende des hl. Stanislaw, des im Jahr 1079 erschlagenen und 1253 heiliggesprochenen Bischofs von Krakau, zu verwenden.“ Andermann, Wissenschaft (1999), S. 212. Insofern resultieren zumindest Teile der angenommenen Widersprüche aus dem modernen Assoziationsfeld des Gattungsbegriffs „Legende“. Gleichwohl geht aus Andermanns Darstellung hervor, dass Krantz heterogenes Material verarbeitete und die Aussagen seiner Vorlagen keineswegs durchgängig adaptierte. Die Frage allerdings, in welchem Umfang er gewillt oder in der Lage war, die erlesenen Daten in einem näherungsweise systematischen Sinn zu verifizieren oder zu falsifizieren, ist beim Stand der Dinge kaum zu beantworten. Vgl. dazu auch Bollbuck, Geschichtsund Raummodelle (2006), S. 53–64; mit dem Beispiel des Sachsenspiegels ebd., S. 62 mit Anm. 209; vgl. dazu Brigitte Funke, Crocken der sassen. Entwurf und Erfolg einer sächsischen Geschichtskonzeption am Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit (Braunschweiger Werkstücke. Reihe A), Braunschweig 2001, S. 171ff. Henschen, De S. Liafdago, AASS Februarii, Bd. 1, 1658, 3. Feb., S. 446b, marginal.

201 nandersetzung mit seinem heidnischen Sohn Sven Gabelbart (reg. 987?– 1014) nach gegenwärtiger Kenntnis wahrscheinlich 987 erlitten hatte. Mit der Vita Anskarii konnte er zumindest auf die Tatsache verweisen, dass es bereits Ansgar ermöglicht worden sei, in Ripen eine Kirche zu errichten. Da der Todestag des hl. Liafdagus nicht zu ermitteln gewesen sei – und ein kultisch begangener Festtag offenbar ebensowenig bekannt war –, habe er das Dossier des hl. Liafdagus dem des hl. Ansgar († 865) und seinem Fest des 3. Februar beigesellt. 274 Auf der Ebene der kleineren Dossiers bildeten solche „ex variis“ die allgemeinste Kategorie. Eines der ersten Dossiers in den Acta Sanctorum überhaupt ist das der vermeintlich frühchristlichen und in Glastonbury begrabenen heiligen Briten Elvanus und Medvinus. Im Index Sanctorum wurde sein Inhalt mit: „Vita ex variis collecta“, angekündigt. 275 Den Festtag des 1. Januar und das angebliche Todesjahr 198 n. Chr. hatte Bolland aus Thomas Wilsons (um 1575–um 1645) English Martyrologe von 1608 und aus dem – davon abhängigen – Catalogus generalis Sanctorum Ferraris übernommen. Wilsons kurzer Lebensbeschreibung wiederum lagen die Annales ecclesiastici zugrunde. 276 Für die Acta Sanctorum reproduzierte Bolland –––––––— 274

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Vgl. ebd.: „[…] quocirca eum [den hl. Liafdagus] hoc III Februarij subiungimus Actis S. Anscharij, in quibus num. 50 agitur de Ecclesiâ Ripæ conceßâ, de quâ & in Prolegomenis actum § 10. Annus martyrii potiùs idem esset, quo Haroldus Rex, qui inter Martyres censetur, occisus est, nouissimis temporibus Adaldagi Archiepiscopi, quando Christianitas in Daniâ turbata est, pulchrisque diuinæ religionis initiis inimicus inuidens homo superseminare zizania conatus est: quando subito factâ conspiratione, Dani Christianitatem abdicantes, Suein Regem constituerunt, bellumque Haroldo indixerunt: vt tradit cap. 18 lib. 2 Adamus, & alij post eu[m]: quæ accuratiùs excutiendæ erunt 1. Nouemb. quo obiit Haroldum Rex anno 980, […].“ Vgl. Adam von Bremen, Gesta, ed. Schmeidler (MGH SS rer. Germ. in us. schol. [2]) (31917), lib. II, c. 27, S. 87: „Novissimis archiepiscopi temporibus res nostrae inter barbaros fractae, christianitatis in Dania turbata est, […]. […] Haroldo bellum indicunt.“ Vgl. zur Aura des Heiligen ebd., lib. II, c. 28, S. 87f.; vgl. zu der Ansgar einst von König Horich II. (reg. 854–vor 873) eingeräumten Möglichkeit, in Ripen eine Kirche zu bauen, Vita Anskarii auctore Rimberto, in: Vita Anskarii auctore Rimberto. Accedit Vita Rimberti, hrsg. v. Georg Waitz (MGH SS rer. Germ. in us. schol. [55]), Hannover 1884 (Neudruck Hannover 1988), S. 13–79, hier c. 32, S. 63f. AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, Index Sanctorum [unpaginiert], [S. 4]: „1 Eluanus Episc. Britannus. Vita ex variis collecta“. Ebd., [S. 9]: „1 Meduinus in Angliâ. Vita ex variis collecta“. Vgl. De Sanctis Elvano Episcopo et Medvino in Anglia, in: ebd., 1. Jan., S. 10a: „Apostolicorum horum virorum natalem hoc die celebrat Ecclesia Anglicana: de quibus Philippus Ferrarius in generalis catalogo Sanctorum: In Angliâ Sanctorum Episcoporu[m] Mydvvyni & Eluanij. Eadem habet Martyrologium Anglicanum, additq[ue] nobili apud Britannos genere ortos, plurimis pro Christianæ religionis propagatione susceptis laboribus, vita sanctitate & venerabili senio conspicuos exceßisse è vitâ circiter annum Christi 198. & Glasconia siue Aualonæ sepultos.“ Vgl. [John Wilson], THE ENGLISH || MARTYROLOGE || CONTEYNING || A SVMMARY OF THE LIVES || of the glorious and renowned Saintes || of the three Kingdomes, || ENGLAND, SCOTLAND, AND || IRELAND. || COLLECTED AND DISTRI-

202 zunächst diese Sequenz aus den Annales ecclesiastici. Demnach habe der britische König Lucius um 183 n. Chr., da er der christlichen Religion stets wohl gesonnen gewesen sei und nachdem er von der unter den römischen Eliten um sich greifenden Verbreitung des Christentums erfahren habe, die beiden Briten Elvanus und Medvinus zu Papst Eleutherus (reg. um 174– 189) entsandt. In seinem Namen ließ er sie darum bitten, die christliche Lehre nun auch in Britannien bekannt zu machen. Diesem Ersuchen habe der Papst mit Entsendung der beiden Kleriker Fugatius und Donatianus entsprochen. 277 –––––––—

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BVTED || into Moneths, after the forme of a Calendar, || according to euery Saintes festiuity. || WHERVNTO || Is annexed in the end a Catalogue of those, who haue suffered || death in England for defence of the Catholicke Cause, since King || Henry the 8. his breach with the Sea Apostolicke, vnto this day. || By a Catholicke Priest. || Permissu Superiorum. Anno 1608, 1. Jan., S. 1f.: „At Glastenbury-Abbey in Somersetshire the Commemoration of the Sayntes Midwyne and Eluane Confessors, who being two noble auncient Britans by byrth, were sent by King Lucius or Britany to Rome to Pope Elutherius, to treat of his Conuersion to Christian faith, and being there both baptized by the said Pope, & S. Eluane made a Bishop, they were sent backe againe into Britany, togeather with Fugatius and Damianus, who baptized the King and the greatest part of his Nation, in the yeare of our Lord 183. And after they had much laboured in teaching and instructing the new flocke of Christ in our Iland for many yeares, full of sanctity of life, and venerable old age, they both ended their happy dayes, about the yeare of Christ, an hundred nynty and eight, & were buried at Glastenbury, as the ancient Records of that Abbey do witnesse.“ Ebd., S. 1 Marginalkolumne: „Baron. in Annal. Eccl. an. 183. ex antiquis monum. […].“ Ferrari, Catalogus generalis Sanctorum, 1625, 1. Jan., S. 1: „In Angliâ SS. Episcoporum Myduuyni, & Eluanij.“ Vgl. die Anmerkung ebd., S. 2b: „Myduuyni, & Eluanij] ex Martyrol. Angl. De eis Baron. in Annal. Ecclesiast. ad ann. 183. (Nam circa id tempus floruerunt) […].“ Vgl. De Sanctis Elvano Episcopo et Medvino, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, 1. Jan., S. 10a: „De his Baronius tomo 2. annal. ad an. 183. ex antiquis monumentis ita scribit: Lucius Britannorum Rex numquàm se Christianæ religioni insensum exhibuit, hostémve: sed quòd Christianorum miracula simul & vitæ integritatem admiraretur, in eosdem propensior videbatur: amplexusque fuisset iam antè Christianam religionem, nisi auitâ, velut nexibus, obligatus esset superstitione; nisi etiam conspexisset Christianos ab Ethnicis ipsis vt infames vilesque haberi; à Romanis ipsis, penes quos summa rerum esse videbatur; & gladio & iniuriis assiduè lacerari. || Comperit tamen posteâ nouitque ex Legatis Cæsaris, Senatores etiam aliquos Christianos factos esse, & inter alios Pertinacem quemdam, atque Trebellium; Imperatoremque ipsum M. Aurelium, victoriâ ipsorum precibus obtentâ, benignè habuisse Christianos. Quibus his aliisque perceptis Lucius legationem misit ad Eleutherum Romanum Pontificem per Eluanum & Medvvinum Britannos: rogans per eos Eleutherum, vt per se suosque ministros ad Christianam Religionem suscipiendam aditum patefaceret: quod & obtinuit. Nam idem Pontifex Fugatium & Donatianum (aliter Damnianum) in Britanniam misit, qui Regem & alios Christianâ religione imbutos, sacris initiarent mysteriis: quod & nauiter impleuerunt.“ Vgl. Baronio, Annales ecclesiastici, Bd. 2, ed. nov. 1624, Sp. 256, Nr. III–IV, ad an. 183. Baronio selbst hatte diese Passage als Zitat ausgewiesen: „[…] sed quod præstat his omnibus, eius [Lucius] rei memoria antiquis tabulis Ecclesiasticis, ipsis, inquam, antiquis Martyrologijs, in Ecclesia legi solitis, habetur adscripta: cuius rei gestæ narrationem paulo fusius in hunc modum

203 Mögliche Einwände in Bezug auf die Existenz eines britischen Königtums zu dieser frühen Zeit suchte Bolland durch den Hinweis zu entkräften, dass auch in Galiläa das Phänomen indigener und den Römern tributpflichtiger Könige bekannt gewesen sei. Zudem sei aus Tertullians († nach 220) Schrift Adversus Iudaeos zu erfahren, dass durch göttliche Fügung einige Landstriche Britanniens frei von römischer Besatzung geblieben seien.278 Das erste Argument hatte Bolland mit Sicherheit, ohne dies ausdrücklich zu diskutieren, aus den Anmerkungen übernommen, mit denen Baronio im Martyrologium Romanum den Eintrag zu Eleutherus ausgestattet hatte. 279 Das zweite ging wahrscheinlich auf William Camdens (1551–1623) erstmals 1586 gedruckte Britannia zurück. 280 In den Annales ecclesiastici be–––––––—

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inuenimus explicatam: || Lucius nunquam se Christianæ religioni insensum exhibuit, hostemue: sed quod […]. […] qui Regem & alios Christiana religione imbutos sacris initiarent mysteriis: quod & nauiter impleuerunt.“ Vgl. De Sanctis Elvano Episcopo et Medvino, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, 1. Jan., S. 10a: „Quærunt hîc quidam quî potuerit Britannia, iam in Prouinciam redacta, proprium habere Regem. Vt Galilæa scilicet tempore Christi, aliæq[ue] complures prouinciæ tributarios Reges habebant. Sed nec vniuersa tum Britannia in Romanorum venerat potestatem, vt illis temporibus proximus Tertullianus testatur lib. aduersus Iudæos c. 7. Britannorum inaccessa Romanis loca, Christo verò subdita.“ Vgl. zu Tertullian den Nachweis unten Anm. 280. Vgl. Baronio, Martyrologium Romanum, sec. ed., 1589, 26. Mai, S. 233: „Romæ sancti Eleutherij Papæ (a) et martyris, […].“ Ebd., S. 233a Anm a: „De legatione missa ad Britannos, de qua hîc agitur, scribit Beda de gest. Angl. lib. 1. c. 4. […]. Nec mireris, si redacta iam Britannia in prouinciam, regibus extinctis […] iterum in Britannia Lucium regnare audias. Nam & alijs sæpè prouincijs id fuisse concessum inuenies. Iudæa enim postquam redacta est in prouinciam, habuit reges ac tetrarchas, Armenia etiam concessione Hadriani Imp. regem habuit, […].“ Vgl. BRITANNIA, || SIVE || FLORENTISSIMORVM || REGNORVM ANGLIÆ, || SCOTIÆ, HIBERNIÆ, ET || Insularum adiacentium ex intima antiquitate || Chorographica descriptio: || Nunc postremò recognita, plurimis locis magna acceßione || adaucta, & Tabulis Chorographicis || illustrata. || GVILIELMO CAMDENO Authore. || LONDINI, || Jmpensis GEORGII BISHOP & || IOANNIS NORTON. || M. DC. VII. (Neudruck Hildesheim/New York 1970 [Anglistica & Americana 57]), S. 47: „Qui hæc de Lucio Rege in quæstionem vocant (vt hodie plures) quasi nullus tunc temporis Rex in Britannia, quam opinantur iam anteà plenè in prouinciam cessisse, in memoriam reuocent velim, Romanos in prouincijs reges vt seruitutis instrumenta veteri instituto habuisse, Britannos tunc temporis recusâsse parere Commodo, ipsosq[ue] insulæ partes vltra murum liberè tenuisse, ibidem suos reges habuisse, […]. Vt nihil prohibeat quin Lucius hac in parte quà Romana arma nunquam pertigerant, Rex esse potuisset. Illa certè Tertulliani, qui sub hoc tempus scripsit, ad hanc Britannorum ad Christum conuersionem, appositè, si verba et tempus perpendamus, referantur. Britannorum inaccessa Romanis loca Christo sunt subdita. Et inferiùs. Britanniæ intra Oceani ambitum conclusæ sunt, […].“ Vgl. Quinti Septimi Florentis Tertulliani Adversus Iudaeos, hrsg. v. Aem. Kroymann, in: ders., Opera, Teil 2: Opera montanistica (CCSL 2,2), Turnhout 1954, S. 1337–1396, hier lib. VII, c. 4, S. 1354: „[…] et Britannorum inaccessa Romanis loca, Christo uero subdita, […].“ Ebd., lib. VII, c. 8, S. 1356f.: „[…] et Germani adhuc usque limites suos transgredi non sinuntur, Britanniae intra oceani sui ambitum inclusae sunt gentes, […].“

204 zog sich Baronio überdies, neben den noch anzusprechenden Passagen aus Bedas Kirchengeschichte, auf die Aussagen der in der ersten Hälfte des sechsten Jahrhunderts entstandenen Schrift De excidio et conquestu Britanniae des Chronisten Gildas. Gildas ging davon aus, dass das Christentum schon deutlich vor diesen Prozessen, zur Zeit des Kaisers Tiberius (reg. 14– 37 n. Chr.), in Britannien verbreitet gewesen sei. 281 Wann und wie hatte sich die Geschichte des Königs Lucius und seiner Gesandten entwickelt? Baronios wichtigste rekonstruierende Leistung bestand darin, jenes historische Versatzstück isoliert zu haben, das sich mit Bedas Rezeption zur Keimzelle der Erzählung von der frühen Mission und Konversion der Briten entwickeln sollte. Es handelt sich um einen im Liber pontificalis erwähnten Brief, den Papst Eleutherus von dem „rex britannius“ Lucius mit Bitte um päpstliche Weisung empfangen habe. 282 Die Darstel–––––––— 281

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Vgl. Baronio, Annales ecclesiastici, Bd. 2, ed. nov. 1624, Sp. 256, Nr. IV, ad an. 183: „Cum alioqui diu ante (quod testatur Gilda [k] Sapiens) Christi Euangelium illuc perlatum fuisset.“ Vgl. ebd., Marginalnote k: „Gild. de excid. Britan.“ Vgl. Gildas, De excidio Britonum, in: ders., The Ruin of Britain and other Works, hrsg. u. übers. v. Michael Winterbottom (History from the Sources. Arthurian Period Sources 7), London/Chichester 1978, S. 87–142, hier c. 8, S. 91. Die Verbreitung des Christentums erfolgte demnach „tempore, ut scimus, summo Tiberii Caesaris, quo absque ullo impedimento eius propagatur religio, […].“ Erste Spuren des Christentums lassen sich in England archäologisch seit dem 4. Jahrhundert nachweisen. Vgl. J. Michael Wallace-Hadrill, Bede’s „Ecclesiastical History of the English People“. A Historical Commentary (Oxford Medieval Texts), Oxford 1988, S. 11. Vgl. Liber pontificalis. Texte, introduction et commentaire par l’Abbé Louis Duchesne, Bd. 1, Paris 21955, S. 136: „Eleuther, natione Grecus, […] sedit ann. XV m. III d. II. […] Hic accepit epistula a Lucio, Britannio rege, ut christianus efficeretur per eius mandatum.“ Vgl. zu dieser Quelle Bedas Wallace-Hadrill, „Ecclesiastical History“ (1988), S. 11. Nach heutiger Kenntnis dürfte sich dieser Brief auf einen mesopotamischen Herrscher mit Namen Lucius und dessen Festung Birtha (Birthama/Birthanus) bezogen haben. Vgl. Bede, Historical Works. With an English Translation by J. E. King, Bd. 1: Ecclesiastical History of the English Nation. Based on the Version of Thomas Stapleton, 1565, Books I–III. (LCL 246, Bede. Historical Works 1), Cambridge, Mass./London 1999 [zuerst 1930], lib. I, c. 4, S. 29, herausgeberische Anm. 4. King verweist hier allerdings nur auf ein vermutetes Schreiben dieses mesopotamischen Herrschers an Eleutherus. King geht davon aus, dass dieser Brief, analog zu anderen Papstbriefen, die von Beda verarbeitet wurden, von Erzbischof Nothelm von Canterbury (reg. 735–739) in den römischen Archiven entdeckt und Beda zur Verfügung gestellt worden sei. Insofern trifft King den Sachverhalt nicht völlig: „Bede is the earliest authority for the name of Lucius and the story of his conversion.“ Sofern eine Wortverwechslung von „Birthama/Birthanus“ vorliegen sollte, dürfte sie also nicht, wie von King vermutet, in Nothelms Abschriften, sondern im Umfeld des Liber pontificalis zu suchen sein. Vgl. Hans Rall, Zeitgeschichtliche Züge im Vergangenheitsbild mittelalterlicher, namentlich mittellateinischer Schriftsteller (Historische Studien 322), Berlin 1937, S. 41f. Die vorliegenden Ausgaben sprechen ohne einschlägige Varianten von Lucius als einem „rex britannius“. Vgl. den Nachweis der Varianten in der älteren Ausgabe des Liber pontificalis, Teil 1, hrsg. v. Theodor Mommsen (MGH GPR 1,1), Berlin 1898 (Neudruck München 1982), S. 17 zu Z. 4: „[…] Britannio rege […].“ Aus Mommsens Varianten lässt sich

205 lungen in Bedas Historia ecclesiastica gentis Anglorum und in der – davon abhängigen – Weltchronik Ados von Vienne würden, so Baronio, auf diesem Zeugnis beruhen. 283 Nicht interessiert hatte sich Baronio hingegen für die Tatsache, dass bei beiden Autoren von Gesandtschaften noch keine Rede war und ihre Chronologien nicht ganz zur Deckung kamen. 284 Er beschränkte sich darauf, seine Leserinnen und Leser auf die „ziemlich alten Denkmäler“ zu hinzuweisen, die unter anderem im Scriptorum illustrium maioris Britanniae catalogus des englischen Humanisten, Dramatikers, zwischenzeitlichen Karmeliten und späteren Konvertiten John Bale (1495– 1563) von 1557 genannt worden seien. 285 Bale scheint die Namen „Elvanus“ und „Medvinus“ – und nicht nur sie – in die historiographische Debatte eingeführt zu haben. In seiner Sammlung britischer Viri illustres zählten sie ebenso wie König Lucius zu den mit eigener Kurzbiographie ausgestatteten Schriftgelehrten Britanniens. Demnach habe sich Lucius zunächst von zwei Gesandten des römischen Kaisers mit Namen Trebellius und Pertinax von der Dignität der christlichen Religion überzeugen lassen. Die beiden von Lucius zum Papst entsandten gelehr–––––––—

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ersehen, dass teilweise mit Rückwirkungen aus Bedas Rezeption auf die spätere Tradition des Liber pontificalis zu rechnen ist. Vgl. zu Nothelms Zuarbeit kurz C. Patrick Wormald, Art. Nothelm, in: LexMA, Bd. 6, 1993, Sp. 1285. Vgl. Baronio, Annales ecclesiastici, Bd. 2, ed. nov. 1624, Sp. 256, Nr. III, ad an. 183: „Sed quid de his in libro de Romanis Pontificibus in Eleuthero scriptum habeatur, hunc inferamus: Hic accepit epistolam à Lucio Britannico Rege, vt Christianus efficeretur per eius mandatum. Eadem Beda, Ado, & alij recentiores: […].“ Vgl. Beda, Works, Bd. 1: Ecclesiastical History I–III, based on Stapleton (1999), lib. I, c. 4, S. 28/29–30/31: „Anno ab incarnatione Domini centesimo quinquagesimo sexto Marcus Antonius Verus, decimus quartus ab Augusto regnum cum Aurelio Commodo fratre suscepit: quorum temporibus cum Eleutherus vir sanctus pontificatui Romanae ecclesiae praeesset, misit ad eum Lucius Brittaniarum rex epistolam, obsecrans ut per eius mandatum Christianus efficeretur: et mox effectum piae postulationis consecutus est, susceptamque fidem Brittani usque in tempora Diocletiani principis inviolatam integramque quieta in pace servabat.“ Vgl. dazu die herausgeberischen Anmerkungen ebd., S. 28f. Anm. 2–4; vgl. auch ders., Works, Bd. 2, Ecclesiastical History IV–V, based on Stapleton (1999), lib. V, c. 24, S. 374: „Anno incarnationis Dominicae 167 Eleuther Romae praesul factus, quindecim annos ecclesiam gloriosissime rexit: cui literas rex Brittaniae [!] Lucius mittens, ut Christianus efficeretur petiit, et impetravit.“ S. Adonis Viennensis chronicon in ætates sex divisum, in: Sæculum IX. Usuardi martyrologium ex recensione R. P. Sollerii, et ad editionem Benedictinam collatum, præmittuntur Sancti Adonis opera, ad fidem editionum Rosweidi, Mabillonii, etc., recognita et expressa, accurante J.-P. Migne, Bd. 1 (MPL 123), Paris 1879, Sp. 23–138, hier Sp. 83, ad an. 161: „Lucius Britannorum rex, missa ad Eleutherium Romæ episcopum epistola, ut Christianus efficeretur petiit.“ Vgl. Baronio, Annales ecclesiastici, Bd. 2, ed. nov. 1624, Sp. 256, Nr. IV, ad an. 183: „Hæc ex vetustioribus monumentis de Lucio prodita habentur (l).“ Vgl. ebd., Marginalnote l: „Edita etiam apud Baleum in catal. & alios“. Vgl. zur Person Peter Happé, John Bale (Twayne’s English Authors Series 520), London/Mexico City/New Delhi [u. a.] 1996.

206 ten Briten Elvanus und Medvinus seien nicht nur mit den beiden päpstlichen Legaten Fugatius und Damianus, sondern auch mit zwei päpstlichen Briefen „Pro induendo Christianismo“ und „Pro catholicis doctoribus“ zurückgekehrt. Dass sich dieses im Jahr 179 zugetragen habe, sei aus „sehr zuverlässige[n] Annalen“ zu ersehen. 286 Ferner berichtete Bale, dass erzählt würde, dass Elvanus, der „von den Schülern der Apostel selbst [in] die Mysterien des christlichen Glaubens, als sie jenem Volk das Evangelium predigten,“ eingeführt worden sei, nach seiner Rückkehr aus Rom ein Werk „De origine Ecclesiæ Brytannorum“ verfasst habe. In diesem habe er von seiner Gesandtschaft mit Medvinus Zeugnis abgelegt. 287 Medvinus wiederum habe in –––––––— 286

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Vgl. Lvcivs Pivs, in: SCRIPTORVM IL || lustriu[m] maioris BrytanniĊ, quam || nunc Angliam & Scotiam uocant: Ca- || talogus: à Iaphetho per 3618 annos, usq[ue] ad annu[m] Domini 1557. || ex Beroso, Gennadio, Beda, Honorio, Bostono Buriensi, Frumenta- || rio, Capgrauo, Bostio, Burello, Triassa, Tritemio, Gesnero, || Ioanne Lelando, atq[ue] alijs authoribus collectus, || & IX Centurias continens: || In quo antiquitates, origines, annales, loca, successus, celebrioraq[ue] cuiusq[ue] scripto- || ris facta, dicta, consilia, scripta, obitus, & alia scitu non indigna recensentur, re- || cta ubiq[ue] annoru[m] supputatione seruata: ut inde tam reproborum, quàm electo- || rum Ecclesiæ ministroru[m] facta, mysterijs in S. Ioannis Apocalypsi descriptis, in || stellis, angelis, equis, tubis, tonitruis, capitibus, coronis, montibus, phia- || lis ac plagis, per ætates eiusdem Ecclesiæ singulas, || historicè & aptè respondeant: || Autore IOANNE BALEO Sudouolgio Anglo, Ossoriensi apud Hy- || bernos iam pridem Episcopo, nunc apud Germanos || pro Christi professione peregrino. || Accedunt his, Appendices, unà cum actis Romanorum Pontificum, quæ eorum adulatores, Carsulanus, || Platina, Stella, & similes omiserunt. Accedunt & filiorum, monachorum suorum facta: præcipuè fra= || terculoru[m] Mendicantium, quos in quarta tertiæ Claßis sectione locustæ adumbrant. Atq[ue] hæ Appendices || adiunctam habent tam piorum patrum, quàm Antichristoru[m] in Ecclesijs quasi perpetuam succeßionem, cum || rarißimis diuersarum terrarum ac gentium historijs & exemplis: ex quibus apparebunt eorum adulteria, || stupra, contentiones, seditiones, sectæ, inuidiæ, fallaciæ, ueneficia, homicidia, ac Principum || proditiones, cum innumerabilibus imposturis. || Basileae apvd Ioan- || nem Oporinum [1557], Nr. 29, S. 23: „Lvcivs Pius, Coilli filius unicus, Romanoru[m] fautor, Cæsaris Marci Antonini Veri tum beneuolentia, tum authoritate, Bryta[n]nis post patrem imperabat. […] Erat tamen aliquantulum (ut apparet) in Christo paupere cum Iudæis scandalizatus. Nam licet à centum & amplius annis propagata fuisset per Brytannia[m] Christiana religio, ei nihilominus debito uidebatur carere splendore, quòd illucusq[ue] administrata fuisset per solos pauperes, abiectos & simplices homines, saltem non fulcita Romana authoritate. Quum audisset igitur per Cæsaris legatos Trebellium & Pertinacem, Romanoru[m] illustres aliquot, acquiescente persecutione, illam admisisse, cogitabat aliquanto rem esse digniorem. Vnde statim, ut præfatum est, per eruditos Brytannos, Eluanum & Meduinum, ad Eleutherium Romanum pontificem misit, ac eleganter scripsit || Pro induendo Christianismo, Epist. 1. || Pro catholicis doctoribus, Epist. 1. || Cum quibus ille suos remisit legatos, Fugatiu[m] & Damianum, qui nouis ritibus ac solenni episcoporum dispositione eam formarent ecclesiam. HĊc contigerunt anno à Christi aduentu in carnem 179, ut ueriores annales commemorant.“ Vgl. Elvanvs Avalonivs, in: ebd., Nr. 27, S. 22: „Eluanus Aualonius, Brytannorum magister & doctor, uir grauis atq[ue] eruditus, ab ipsis Apostoloru[m] discipulis Christianæ fidei mysteria per Euangelium illi populo prædicanda suscepit. […] Lucius […] ad Eleutheriu[m] pontificem, Eluanum istum cum socio Meduino, Ro-

207 seinen „Acta per legatos“ von der nur zögerlichen Ausbreitung des Christentums, von dem Wirken der apostolischen Prediger und der päpstlichen Gesandten berichtet. Medvinus’ Buch, so Bale, sei später vergessen und vom hl. Patrick († 463/93) in einem „von Fäulnis“ fast zerstörten Zustand entdeckt worden, als sich dieser anschickte, das Christentum mit neuem Leben zu erfüllen. 288 In der Verbindung von realen Zeugnissen – genannt wurde etwa die damals noch nicht gedruckte Chronica universalis des Radulfus Niger († vor 1199) 289 – mit solchen, die frei erfunden oder in vagen Begriffen umschrieben worden waren, handelte es sich um typische humanistische Fälschung. 290 Die psychologische Raffinesse dieser und ähnlicher Konstruktionen beruhte, in einer gelehrten Atmosphäre, in der die Entdeckung „vergessener“ Altertümer zum Tagesgeschäft zu zählen begann, auf einer Umkehr der Beweislast. Überdies war es, pragmatisch gesehen, aus kontinentaleuropäischer Sicht in keiner Weise zu beurteilen, was aus dem –––––––—

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mam misit: & eo celerius, quòd audisset Christianum nomen ubiq[ue] terrarum creuisse, pluresq[ue] de nobilitate potissimum Romana, cum co[n]iugibus & liberis, in Christi fidem iurasse. Hæc, à longo itinere in Brytanniam denuò reuersus Eluanus, chartis commisisse dicitur, & ita scripsisse, || De origine Ecclesiæ Brytannorum, Lib. 1. || Post Apostolorum tempora, Deus sic excitauit doctores pios, & per illos exhibuit testimonia puræ doctrinæ. […] Claruit Eluanus anno 170. post incarnatum Virginis filium.“ Vgl. Medvinvs Belgivs, in: ebd., Nr. 28, S. 22: „Meduinus Belgius, apud Brytannos natus (nam & Vuellensium patria, Belga dicebatur olim) imbibitis primùm bonarum literarum disciplinis, scientiam habebat cum eloquentia no[n] infœliciter coniuncta[m]. Per Apostolicos uiros, cum Eluano socio, in Christo renatus […]. Per eum […] ac socium rex Lucius […] apud Eleutherium pontificem egit, […] ut Romanorum more per baptismum Christianorum consortio adiungeretur: quum in fine, spretis Druydarum disciplinis, omnia essent ordinatione quadam per legatos, Fugatium & Damianum, in rem Christianam permutata. Non enim poterant plenè abolere in tam paruo temporis momento, quæ cæca gens à tam longa consuetudine in suam perniciem corraserat. Vt clariora posteris manerent, quĊ ab illis tractata tunc erat, Meduinus membranis dedit, || Acta per legatos, Lib. 1. || Inde ad nos hoc medio peruenerunt. Dum Aualoniæ oratorium antiquum Patricius reficeret, inter neglectas reliquias librum carie penè deletu[m] reperit, in quo descripti era[n]t Apostolorum actus, unà cum rebus à Fugatio & Damiano in Brytannia gestis. Claruit cu[m] socio Meduinus 170. anno post Seruatorem natum.“ Vgl. Elvanvs Avalonivs, in: ebd., Nr. 27, S. 22: „Erat illis diebus (ut Radulphus Niger in Chronicis habet) uates quidam paganus in Brytannia, […].“ Radulphus hatte jedoch nichts anderes zu diesem Sachverhalt geäußert, als das, was aus Liber pontificalis und der Darstellung Bedas zu entnehmen gewesen war. Vgl. Hanna Krause, Radulphus Niger – Chronica. Eine englische Weltchronik des 12. Jahrhunderts (Europäische Hochschulschriften. Reihe 3: Geschichte und ihre Hilfswissenschaften 265), Frankfurt a. M. 1985, [Teil 2:] Edition, lib. I, c. 4, S. 81f.: „Lucius rex Britannie misit ad Eleutherium papam, rogans, ut fieret Christianus, et obtinuit.“ Vgl. zu den Ausgaben ebd., S. X; zu Person und Werk die Darstellung von Krause, [Teil 1], ebd., S. 5*–15*, 23*f. Vgl. Anthony Grafton, Fälscher und Kritiker. Der Betrug in der Wissenschaft. Aus dem Amerik. v. Ebba B. Drolshagen, Frankfurt a. M. 1995 [amerik. 1990], S. 41–65, 98–117.

208 von Bale propagierten Gewirr der Daten und vermeintlich existierenden historischen Texte Evidenz beanspruchen konnte und was nicht. Theoretisch wäre es Baronio oder Bolland durchaus möglich gewesen, zu zeigen, dass in der englischen Historiographie noch des hohen und späten Mittelalters keine Spur von Elvanus und Medvinus zu finden war. Wichtige ihrer Vertreter hatte der Heidelberger Drucker Hieronymus Commelin (1550–1597) in einer 1587 publizierten Anthologie versammelt. Neben Beda und Geoffreys of Monmouth († 1155) um 1138 entstandener Historia regum Britanniae fanden sich hier etwa William of Newburghs († 1198) Historia rerum Anglicarum und die Britannicae historiae libri IV des Humanisten Ludovicus Ponticus („Virunnius“) (1467–1520).291 Geoffrey hatte, auf eine für Bale wahrscheinlich stilbildende Weise, die beiden vermeintlich namentlich bekannten päpstlichen Legaten und „Lehrmeister“ („doctores“) der Briten Faganus und Duv(i)anus in die Tradition eingeführt. Auf briefliche Anfrage des König Lucius seien sie von Papst Eleutherus nach Britannien geschickt worden, hätten Land und Leute bekehrt und eine episkopale Struktur implantiert. 292 Verstorben sei Lucius im Jahr 166 n. Chr. 293 Diese –––––––— 291

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Vgl. RERVM || BRITANN- || ICARVM, || ID EST || ANGLIAE, SCOTIAE, || VICINARVMQVE INSVLA- || RVM AC REGIONVM, || SCRIPTORES VETVSTIO- || RES AC PRAECIPVI: || GALFREDI MONVMETENSIS, cognomento: Arturi de origine & gestis Re- || gum Britanniæ libri XII. || PONTICI VIRVNNII Britannicæ historiæ libri VI. quibus G. Monumetensis || libros sex priores in Epitomen redegit. || GILDAE SAPIENTIS, de excidio & conquestu Britanniæ Epistola. || BEDÆ ANGLOSAXONIS Historiæ Ecclesiasticæ gentis Anglorum libri V. || CONTINVATIO eiusdem Historiæ, incerto auctore, libris III. comprehensa, || ac iam primum publicata. || GVLIELMVS NEVERICENSIS de rebus Anglicis libri V. || IOANNIS FROSSARDI Historiarum Epitome, in qua de Bellis inter Anglos & || Gallos gestis, præcipue agitur. || Quid a nobis in hac edictione [!] præstitum sit, ad Lectorem || Epistola docebit. || LVGDVNI, || Apud Renatum Potelerium. || M. D. LXXXVII. Der Sitz von Commelins Druckerei war Genf. Die auf Lyon lautenden Titelblätter waren wahrscheinlich nur für eine dort lokalisierte Verkaufsstelle angefertigt worden. Vgl. Wilhelm Port, Hieronymus Commelinus. 1550–1597. Leben und Werk eines Heidelberger Drucker-Verlegers (Sammlung bibliothekswissenschaftlicher Arbeiten 47), Leipzig 1938, S. 5; vgl. zu den Rerum Britannicarum scriptores ebd., Nr. 47, S. 55. Vgl. Geoffrey of Monmouth, Historia regum Britannie. Bern, Burgerbibliothek, Ms. 568, hrsg. v. Neil Wright, Cambridge 1984, c. 72, S. 46: „Natus est ei [König Coilus] unicus filius nomine Lucius. Qui cum defuncto patre regni diademate insignitus fuisset, omnes actus bonitatis illius imitabatur ita ut ipse Coilus ab omnibus censeretur. Exitum quoque suum preferre uolens principio epistulas suas Eleutero pape direxit petens ut ab eo christianitatem reciperet. Serenauerunt enim mentem eius miracula quae tyrones Christi per diuersas nationes faciebant. […] Siquidem beatus pontifex comperta eius deuotione duos religiosos doctores Faganum et Duuianum misit ad illum; qui uerbum Dei incarnatum predicantes abluerunt ipsum baptismate sacro et ad Christum conuerterunt. Nec mora, concurrentes undique nationum populi exemplum regis insequuntur eodemque lauacro mundati celesti regno restituuntur. Beati igitur doctores cum per totam fere insulam paganismum deleuissent, templa que in honore plurimorum deorum fundata fuerant uni Deo eiusque sanctis dedicauerunt

209 Darstellung wurde von den meisten Chronisten und Annalisten adaptiert. Matthew Paris († 1259) folgte ihr in seiner Chronica maiora von um 1250 – diese war erstmals 1570 unter dem Namen Matthew of Westminster gedruckt worden 294 – ebenso wie „Virunnius“ in seiner an der Grenze zur frühen Neuzeit verfassten Geschichte Britanniens. Matthew hatte allein den Brief an „Eleutherius“ auf um 185, die Ankunft der päpstlichen Gesandten „Fagaunus et Duvianus“ auf 186 datiert und Gildas’ – heute nicht mehr nachweisbares Schreiben – De victoria Aurelii Ambrosii in die Debatte eingeführt. 295 Auch Teile der – hier nur kursorisch durchgesehenen – engli–––––––—

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diuersisque cetibus ordinatorum repleuerunt. Fuerunt tunc in Britannia .xxviii. flamines sed et tres archiflamines quorum potestati ceteri iudices morum atque phanatici submittebantur. Hos etiam ex precepto apostolici ydolatriam eripuerunt et ubi erant flamines episcopos, ubi archiflamines archiepiscopos posuerunt. Sedes autem archiflaminum in nobilibus tribus ciuitatibus fuerant, Lundoniis uidelicet atque Eboraci et in Urbe Legionum, […]. His igitur euacuata supersticione .xxviii. episcopi suduntur. Diuisis quoque parrochiis subiacuit metropolitano Eboracensi Deira et Albania […].“ Vgl. ebd., c. 73, S. 47: „[…] in urbe Claudiocestrie ab […] uita migrauit et […] sepultus est anno ab incarnatione Domini .clvi.“ Dies entspricht dem Text der älteren Ausgabe: Galfredi Monumetensis Historia Britonum. Nunc primum in Anglia novem codd msstis collatis edidit J. A. Gilles (Publications of the Caxton Society 1), New York 1844 (Neudruck New York 1967), lib. V, c. 1, S. 76. Unter dem Namen Matthew of Westminster firmiert eine der Handschriftengruppen der Chronica maiora. Vgl. Henry Richards Luard, Preface, in: Matthæi Parisiensis monachi Sancti Albani, Chronica majora, hrsg. v. Henry Richards Luard, Bd. 1: The Creation–A. D. 1066 (Rerum Britannicarum Medii Ævi Scriptores, or Chronicles and Memorials of Great Britain and Ireland during the Middle Ages [57,1]), London 1872, S. IX–LXXXV, hier S. XV mit Anm. 1. In der Moderne ist dieser Komplex ediert worden als: Flores historiarum, Bd. 1: The Creation to A. D. 1066, hrsg. v. Henry Richards Luard (Rerum Britannicarum Medii Ævi Scriptores, or Chronicles and Memorials of Great Britain and Ireland during the Middle Ages [95,1]), London 1890. Vgl. Matthæi Parisiensis Chronica majora, ed. Luard, Bd. 1 (1872), S. 129f.: „Britannia primo fidem Christi suscepti. Papa xvus. || Anno gratiæ CLXXXV. Eleutherius Papa sedit ín cathedra Romana annis XV., mensibus sex, et diebus quinque, et ¢cessavit² sedes diebus sex. Eodem tempore Lucius, Britannorum rex, ad eundem Papam epistolas direxit, petens ab eo ut Christianus efficeretur. Beatus vero pontifex, comperta regis devotione, misit ad illum doctores religiosos, Fagaunum et Duvianum, qui regem ad Christum converterent et lavacro abluerent salutari. Quod cum factum fuisset, concurrerunt ab baptismum nationes diversæ, exemplum regis sequentes, ita ut in brevi nullus inveniretur infidelis. Beati igitur doctores, cum per totam Britanniam paganismum delevissent, templa, quæ in honore plurimorum deorum fundata fuerant, uni Deo ejusdemque sanctis dedicaverunt, diversisque ordinatorum cœtibus expleverunt. Constituerunt etiam in diversis civitatibus regni XX. et VIII. episcopos, qui tribus archiepiscopis et sedibus metropolitanis submittebantur. Prima sedes Londoniis erat […]. Anno gratiæ CLXXXVI. Beati antistites Fagaunus et Duvianus Romam reversi, cuncta quæ fecerant, impetraverunt a Papa beatissimo confirmari. Quibus peractis, redierunt in Britanniam præfati doctores, cum aliis quampluribus, quorum doctrina gens Britonum […] nomina et actus in libro reperiuntur, quem Gildas historicus de victoria Aurelii Ambrosii conscriptus.“ Die mittelbar erhal-

210 schen Annalenwerke blieben Geoffreys Darstellung verpflichtet. 296 Nur William of Newburgh hatte sich bereits im späten 12. Jahrhundert von –––––––—

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tenen und Gildas zugeschriebenen Briefe geben – wie auch De excidio Britonum – über Lucius insgesamt keine Auskunft. Vgl. Epistolarum Gildae deperditarum fragmenta, in: Gildas, Ruin, ed. Winterbottom (1978), S. 143–145. Ambrosius Aurelianus war jener Feldherr, dem Gildas den ersten Sieg der Briten über die Engländer zuschrieb. Vgl. Wallace-Hadrill, „Ecclesiastical History“ (1988), S. 25. Gegenüber Matthew Paris hatte Virunnius seine Darstellung fast im Wortlaut von Geoffrey übernommen. Vgl. Pontici Virvnnii Britannicæ historiæ libri IV, in: Rerum Britannicarum scriptores, [ed. Commelin], 1587, S. 93–112, hier lib. IV, S. 106: „[…] cui [König Coilus] filius fuit vnicus nomine Lucius. Hic sane vir bonus, & laudabilis erga populos fuit, viros doctos summa prosequebatur beneuolentia, & honoribus: virtutis cultor semper fuit, de quo Gildas multa tradit multis in locis. Exitum quoque suum præferre volens principio, epistolas suas Eleutherio Papæ direxit, petens vt ab eo Christianitatem acciperet. Serenauerant enim eius mentem sanctorum miracula. Pontifex igitur Faganu[m], & Doëvanum doctores ad illum misit, qui incarnationem Dei, & mysteria fidei docuere: sic Lucium baptizarunt, & omnes gentes Britanniæ […]. Ebd., lib. V, S. 107: […] Lucius vitam finiuit in vrbe ClaudiocestriĊ supultus [!] anno ab incarnatione Domini, CLIIX. [!] caruerat ipse sobole.“ Vgl. etwa die vom Beginn des 14. Jahrhunderts stammenden Annales prioratus de Wigornia. A. D. 1–1377. From MS. Cotton. Caligula A. x., in: Annales monastici, Bd. 4: Annales monasterii de Oseneia (A. D. 1016–1347). Chronicon vulgo dictum Chronicon Thomæ Wykes (A. D. 1066–1289). Annales prioratus de Wigornia (A. D. 1–1377), hrsg. v. Henry Richards Luard (Rerum Britannicarum Medii Ævi Scriptores, or Chronicles and Memorials of Great Britain and Ireland during the Middle Ages [36,4]), London 1869, S. 353–564, hier S. 359: „Anno CLXXVII. Lucius rex Britonum a Fagano et Dimiano [!] ab Eleutherio Papa missis cum gente sua ad Christum conversus est. Tunc xxviii. pontifices fanorum, qui dicebantur flamines, episcopi facti sunt, et tres archiflamines facti sunt Christianorum archiepiscopi; Londoniensi subjacuit Loegria et Cornubia […].“ Die im 12. Jahrhundert angelegten Annales monasterii de Waverleia, 1–1291. From MS. Cotton. Vespasian A. xvi., in: Annales monastici, Bd. 2: Annales monasterii de Wintonia. (A. D. 519–1277). Annales monasterii de Waverleia (A. D. 1–1291), hrsg. v. Henry Richards Luard (Rerum Britannicarum Medii Ævi Scriptores, or Chronicles and Memorials of Great Britain and Ireland during the Middle Ages [36,2]), London 1865, S. 127–411, hier S. 136, hatten von diesen ersten Dilatationen noch nichts erkennen lassen: „CLXXVII. Romanæ ecclesiæ episcopatum duodecimus suscepit Eleutherus, annis XV. Lucius rex Britanniæ ad Papam Eleuterium misit epistolam dicens se Christianum fiere; quod et factum est.“ Die uneinheitlichen Schreibungen für „Eleut(h)er(i)us“ entstammen der Quelle. Die Keimzelle für die Konkretisierung der „Gesandten“ dürften einige Versionen des vernakulärsprachlichen Anglo-Saxon Chronicle gewesen sein. In der Version D, deren älteste Handschrift im späten 11. Jahrhundert entstanden ist, hatte sich der Hinweis auf Gesandte („Männer“) eingefunden, die hier den von Lucius an Eleutherus geschriebenen Brief ersetzten. Vgl. in der modernen englischen Übersetzung: The Anglo-Saxon Chronicle. A Revised Translation by Dorothy Whitelock with David C. Douglas/Susie I. Tucker. Introduction by Dorothy Whitelock, London 1961, S. 18, Ms. D ad an. 167: „In this year Eleutherius received the bishopric of Rome and held it with honour for 15 years. To him Lucius, king of the Britons, sent men and asked for baptism, and he at once sent it to him. And they afterwards remained in the true faith until Diocletian’s reign.“ Manuskript C hingegen spricht allein von „Briefen“. Vgl. ebd., Ms. C ad an. 167: „In this year Eleutherius received the bishopric of Rome and held it gloriously for 15 years. To him Lucius, king of the Britain, sent letters ask-

211 Geoffreys Ansichten distanziert. Die Abstraktion von einer allzu weit in die römische Frühneuzeit hinein verlängerten Geschichte Britanniens schien ihm (auch) mit der historischen Unplausibilität der kursierenden Darstellungen begründbar zu sein. 297 Die Vervielfältigung der Gesandten, der Briefe und Schriften, die in Bales Scriptorum illustrium maioris Britanniae catalogus zu konstatieren war, hätte unter den Bedingungen des 17. Jahrhunderts also durchaus auffällig werden können. Bolland allerdings scheinen diese Chroniken nicht zur Verfügung gestanden zu haben. Neben dem bereits oben erwähnten Versatzstück aus den Annales ecclesiastici reproduzierte er in seinem Dossier daher allein, ohne weitere Kommentierung, eine zweite und umfangreichere Passage aus den 1619 gedruckten Relationes historicae de rebus Anglicis des Exilkatholiken John Pits (1560 –1616). Pits hatte Bales Darstellungen, wahrscheinlich nach der Lektüre von Camdens Britannia, weiter pointiert. Elvanus war für ihn, wie für Camden, ein Schüler des Joseph von Arimathäa, also jenes Ratsherrn, der Christi Leichnam vom Kreuz entfernt und in einem Felsengrab bei Golgatha beigesetzt hatte (Mk 15,42–46). Erwachsen geworden habe Elvanus, unterstützt von Medvinus, bei König Lucius gepredigt und dessen Taufe sowie die seines Geschlechts veranlasst. Manche Historiker würden berichten, so Pits, dass Elvanus nach Rom gesandt, dort von Papst Eleutherus zum Bischof geweiht und später zweiter Erzbischof von London geworden sei. In dieser Qualität des Bischofs wurde Elvanus in die Acta Sanctorum („De Sanctis Elvano Episcopo et Medvi–––––––—

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ing that he might be made Christian, and he carried out what he asked.“ Vgl. zu den Handschriften Whitelock, Introduction, in: ebd., S. XI–XXIX, hier S. XIII ff.; Janet Bately, The Anglo-Saxon Chronicle. Texts and Textual Relationships (Reading Medieval Studies. Monograph 3), Reading 1991, S. 2. Die Simultaneität von herrschaftlichem Brief und Boten dürfte sich für die mittelalterlichen Historiographen vergleichsweise organisch ergeben haben. Gemessen an der eigenen Realität war beides nicht zu trennen. Vgl. Volker Scior, „Veritas“ und „certitudo“ oder: Warten auf Wissen. Boten in frühmittelalterlichen Informationsprozessen, in: Das Mittelalter 11 (H. 1. Themenheft: Engel und Boten) (2006), S. 110–131. Vgl. William of Newburgh, Historia rerum Anglicarum, lib. I–IV, hrsg. v. Richard Howlett = Chronicles of the Reigns of Stephen, Henry II., and Richard I., Bd. 1 (Rerum Britannicarum Medii Ævi Scriptores, or Chronicles and Memorials of Great Britain and Ireland during the Middle Ages [82,1]), London 1884, lib. I, S. 13: „Omitto quæcunque in laudibus Britonum contra fidem historicæ veritatis deliravit, a tempore Julii Cæsaris sub quo Britones ditionis Romanæ esse cœperunt, usque ad tempus Honorii imperatoris, sub quo Romani a Britannia, propter urgentiora Reipublicæ negotia, sponte recesserunt.“ Allerdings setzte die Chronik selbst mit dem Herrschaftsantritt Wilhelms des Eroberers († 1087) im Jahr 1066 ein und behandelte die vorangegangene Zeit insgesamt kursorisch. Sie wurde im Rahmen eines Proœmium thematisiert. Vgl. ebd., S. 11–19. Williams Historia war vor der Aufnahme in die Sammlung der Rerum Britannicarum scriptores, [ed. Commelin], 1587, S. 353–496, erstmals 1567 in Antwerpen gedruckt worden. Vgl. Howlett, Preface, in: William of Newburgh, Historia, ed. Howlett (1884), S. IX–LVII, hier S. LV.

212 no […]“) aufgenommen. Auch hatte Pits nicht versäumt, auf den Gesandtschaftsbericht des „wegen seiner einzigartigen Beredsamkeit“ berühmten Medvinus hinzuweisen, dessen Aufzeichnungen in einem „von Motten und Schaben zernagten Codex“ später dem hl. Patrick in die Hände gefallen seien. Anders als bei Bale wurde allerdings beider Wirkungszeit auf 180 und nicht auf 170 n. Chr. datiert. 298 –––––––— 298

Vgl. De Sanctis Elvano Episcopo et Medvino, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, 1. Jan., S. 10b: „De singulis […] in ipso Scriptorum catalogo hæc habet idem Pitseus: Eluanus Aualonius, natione Britannus, & primus atque præcipuus suæ gentis in Christianâ religione Doctor, vir pius, grauis, & eruditus: in scholâ S. Iosephi Arimathensis educatus, ab ipsis Apostolorum discipulis fidei Christianæ mysteria didicit iunior: & vir factus Lucio Regi diligenter prædicauit, eumque tandem cum totâ gente baptizari fecit. In quibus omnibus Meduinum habuit socium & cooperatorem. Apud quosdam historicos inuenio, hunc Eluanum, quo tempore Romam missus erat Orator de Rege Lucio baptizando, & Britanniâ conuertendâ, consecratum ab ipso Eleuthero Papâ Britannorum Episcopum, vnde & posteà Londonensis Archiepiscopus secundus fuisse dicitur. De his legi potest Gildas historicus in libro de victoriâ Aurelij Ambrosij, & Matthæus Westmonasteriensis ad annum 186. || Meduinus Belgius, id est, in eâ circa Welliam Britanniæ parte natus, quæ olim Belgia dicebatur, Eluano tempore coæuus, pietate & doctrinâ Ċqualis, educatione similis, omnium laborum particeps & comes semper indiuiduus. Hunc ferunt cùm missus esset Romam à Rege Lucio, propter eloquentiam singularem ab Eleuthero Papâ gentis Britannicæ Doctorem solemniter fuisse creatum. Dum S. Patricius antiquum oratorium Aualonæ repararet, codicem veterem à tineis & blattis corrosum inter rudera reperit, in quo Apostolorum actus, & ea quæ Fugatius & Damianus (alij Phaganum & Deruianum vocant) in Britanniâ gesserant, à Meduino scripta fuerant.“ Vgl. De Eluano Aualonio, in: IOANNIS || PITSEI || ANGLI, S. THEOLOGIAE || DOCTORIS, LIVERDVNI || IN LOTHARINGIA, DECANI, || RELATIONVM HISTORICARVM || de Rebus Anglicis || TOMVS PRIMVS || Quatuor Partes complectens, quorum Elenchum || pagina sequens indicat. || PARISIIS, || Apud ROLINVM THIERRY, & SEBASTIANVM || CRAMOISY, via Iacobæa. || M. DC. XIX. || Cum Priuilegio Regis Christianißimi. (Neudruck Westmead 1969), Nr. 20, S. 79, ad an. 180: „ELVANUS Aualonius, natione Britannus, & primus atque præcipuus suæ gentis in Christiana religione Doctor […].“ De Meduino Belgio, in: ebd., Nr. 21, S. 79, ad an. 180: „MEDVINUS Belgius, id est, in ea circa VVelliam Britanniæ parte natus, quæ olim Belgia dicebatur […].“ Dass die von Pits genannten Quellen Matthew Paris (Matthew of Westminster) und Gildas den Namen Elvanus insgesamt nicht kannten, mochte für Pits von untergeordneter Bedeutung gewesen sein. Bolland hatte offenbar keinen Anlass gesehen, diesen Nachweis zu überprüfen. Den Bezug auf Joseph von Arimathäa hatte Pits nicht selbst in die Debatte eingeführt. Er war bereits Camden, Britannia, 21607, S. 47, bekannt. Camden hatte zunächst die Episode um Lucius referiert: „Hoc tempore densa superstitionum caligine discussa […] diuinus Christianæ lucis fulgor huic insulæ Lucij Regis operâ illuxit. Qui, vt in antiquis Martyrologijs in ecclesia legi solitis habetur, Christianorum integritatem & sanctitatem admiratus petijt ab Eleuthero PP. per Eluanum & Meduanu[m] [!] Britannos, vt ipse & subditi Christiana religione imbuerentur. Statimq[ue] ille huc misit viros sanctos Fugatium & Donatianum cum literis quæ adhuc extant fide quàm plurimis minimè suspecta, […].“ Sodann verwies er, nicht ohne die Glaubwürdigkeit der älteren Autoren, die davon berichtet hatten, zu betonen, auf die apostolische Missionierung der Briten: „Sed ante hæc tempora Britanniam in ipso primo Ecclesiæ diluculo Christianam religionem imbibisse, ex antiquæ fidei authoribus Ecclesiastici nostri scriptores, qui ad hanc rem considerandam

213 Angesichts der Aufnahme des Bischofs Elvanus und seines Freundes Medvinus in ein Werk mit dem Titel Acta Sanctorum ist es nicht ganz ohne Bedeutung, dass beide weder von Baronio noch von Bale oder Pits als Heilige apostrophiert worden waren. Dieses Attribut dürfte sich ausschließlich Wilsons English Martyrologe von 1608 verdanken, der sich auf eine Verehrung dieser humanistischen Papierheiligen in Glastonbury Abbey berief. 299 Die konfessionell gefärbten Kreise allerdings, welche die Geschichte von der Missionierung der Briten unter König Lucius in der frühen Neuzeit zog, sollten sich lange Zeit nicht an der Grenze zwischen den Konfessionen fixieren. Der von Bale auf den Weg gebrachte und von Camden, einem Protestanten, aufgegriffene Versuch, die Missionierung der Briten von der dominanten Bindung an Papst Eleutherus zu lösen und auf apostolische Grundlagen zu stellen, scheint für die meisten Beteiligten zunächst akzeptabel gewesen zu sein. Dieser Gedanke wurde, mit Bale, bereits in den Magdeburger Centurien wiedergegeben. 300 Dem Katholiken Pits scheint er in der Folgezeit ebensowenig Unbehagen bereitet zu haben wie Bolland. –––––––— 299 300

et tempus et diligentiam adhibuerunt, docere satagunt: scilicet Iosephum ab Arimathæa nobilem Decurionem è Gallia in Britanniam nauigâsse […].“ Vgl. oben Anm. 276. Vgl. ECCLESIASTICA || HISTORIA, INTEGRAM ECCLESIÆ || CHRISTI IDEAM, QVANTVM AD LOCVM, || Propagationem, Persecutionem, Tranquillitatem, Doctri || nam, Hæreses, Ceremonias, Gubernationem, Schismata, || Synodos, Personas, Miracula, Martyria, Religiones extra || Ecclesiam, & statum Imperij politicum attinet, secu[n]dum || singulas Centurias, perspicuo ordine complectens: singu- || lari diligentia & fide ex uetustissimis & optimis || historicis, partibus, & alijs scripto- || ribus congesta: || Per aliquot studiosos & pios uiros in urbe || Magdeburgica. || Quo opere nullum aliud ab Orbe condito, eiusdem quidem argumenti, Rei- || pub. Christianæ & utilius & magis necessariu[m], in lucem esse editum, æquus || atq[ue] sinceri iudicij Lector uel ex Præfatione, qua etiam contexendi huius || causæ exponuntur, adiectaq[ue] in primis historici operis Methodo || ac singulorum capitum metis generalibus, || facile deprehendet. || Accessit etiam cùm Rerum uerborumq[ue] in singulis Centurijs præcipuè || memorabilium, tum Locorum ScripturĊ explicato- || rum copiosus ac geminus INDEX. || BASILEÆ, PER IOANNEM || Oporinum. 1559. [Teil 2] [eigenständig paginiert]: Secunda centuria historiae ecclesiasticae, Sp. 8: „[…] Balæus in suo Catalogo alijq[ue] ista commemorant.“ Adaptiert wurde hier die gesamte Erzählung von Joseph von Arimathäa bis zu Lucius und den zahlreichen Gesandten (Trebellus und Pertinax, Fugatius und Donatianus, Elvanus und Medvinus). Was man ebd., Sp. 8f., allein als „fabula“ verwarf, war eine Filiation der Erzählung von der Christianisierung der Briten unter König Lucius. Diese Filiation bezog sich, nach heutiger Kenntnis, auf die Figur eines vielleicht im 5./6. Jahrhundert im nördlichen Churrätien wirkenden Confessors mit dem Namen Lucius. Dessen Kult popularisierte sich seit dem späten 8. Jahrhundert. Wahrscheinlich seinerseits von Beda ausgehend wurde dieser Lucius in seiner in dieser Zeit entstandenen Vita Lucii mit dem britischen König gleichgesetzt. Vermittelt durch den Eintrag in Petrus de Natalibus Catalogus Sanctorum sollte dieser im Bistum Chur verehrte hl. Lucius, König der Briten, am 3. Dezember im Martyrologium Romanum verzeichnet werden. Vgl. Baronio, Martyrologium Romanum, sec. ed., 1589, 3. Dez., S. 530: „Curiæ in Germania sancti Lucij (i) Britannorum Regis, qui primus ex iis Regibus Christi fidem suscepit, tempore Eleutherij Papæ.“ Ebd., S. 531a–b Anm. i: „De quo liber de Roman.

214 Bollands Dossier der heiligen Elvanus und Medvinus dürfte dabei deutlich vor der Drucklegung der Januarbände vollendet gewesen sein. Nur in den Addenda der Januarbände konnte er darauf verweisen, dass all diese Konstruktionen in den Werken des Jesuiten Michael Alford (1587–1652) und in den 1639 publizierten Britannicarum ecclesiarum antiquitates des Erzbischofs von Armagh James Ussher (1580–1656) mit großer Professionalität und erschöpfender Quellenkenntnis in die englische Geschichte eingearbeitet worden waren. 301 Ussher affirmierte zwar nicht alles, was in den zurückliegenden Jahrzehnten zur Leistung des Joseph von Arimathäa und seiner Schüler gesagt worden war. Grundsätzlich bestätigte er allerdings deren missionarisches Tun. Das entsprechende Kapitel beschloss er mit einer Inschrift, die er an der vermeintlichen Grabstelle der frühen Missionare in Glastonbury in Augenschein genommen habe. 302 Alford folgte in fast allen Punkten Usshers Deutungen. Mit Ussher datierte er das Ableben des König Lucius auf 201 n. Chr. Wie Ussher ging Alford davon aus, dass, wie –––––––—

301

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Po[n]tificibus in Eleutherio, Beda de gest. Angl. lib. 1. c. 4. & de sex ætat. in Marco Aurelio & Lucio Vero. Ado Vien. […] Petr. in catal. lib. I. c. 24. & alij.“ Vgl. Petrus de Natalibus, Catalogus Sanctorum, [1513], lib. I, c. 24, Bl. IIIIr: „De s[an]c[t]o Lucio rege et co[n]fessore. || Lucius beatus co[n]fessor fuit rex britannie baptizat[us] a timotheo discipulo s[an]cti pauli. Qui in regno co[m]posito et b[e]n[e] ordinato relictis olim secularibus pop[ul]is multisq[ue] ad deu[m] [con]uersis: venie[n]s p[er] augusta[m] in ciuitate[m] curie multis ad vite p[er]secutio[n]e[m] exemplo et doctrinis i[n]ductis die. iij. dece[m]br[is] i[n] pace qu[i]euit. vt dic[it] frater Bartho.“ Vgl. dazu kurz Ernst Tremp, Art. Lucius, in: LThK, Bd. 6, 31997, Sp. 1085. Vgl. AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, Appendix. Addenda ad I. Ianvarii, S. 1083f., hier S. 1083a: „De SS. Elvano et Medvino. || […] Disputat de eâ fusè Iacobus Vsserius in Britannicarum rerum antiquitatibus cap. 3. & 4. & Michael Alfordus noster in Britanniâ illustratâ.“ Vgl. Britannicarum || ECCLESIARVM || ANTIQVITATES: || Quibus inserta est pestiferæ adversùs || DEI gratiam à Pelagio Britanno in || Ecclesiam inductæ Hæreseos || HISTORIA. || Collectore || JACOBO VSSERIO || Archiepiscopo ARMACHANO, || totius Hiberniæ Primate. || DUBLINII, || Ex Officinâ Typographicâ Societatis Bibliopolarum. || Anno M. DC. XXXIX. De Britannicarvm ecclesiarvm primordiis, c. 2. De duodecim Philippi discipulis, & Iosephô Arimathæensi, Glastoniensium monachorum traditiones; veterum nominibus fucata, & in Europæorum generalibus Concilijs venditatæ, ebd., S. 12–30, hier S. 29: „Eundem cum socijs ibi fuisse sepultum, in magnâ Glastoniensium Tabulâ ita traditum invenio. Ibi requiescunt XII. discipuli: quorum primas & custos fuit Ioseph ab Arimathiâ, qui Dominum sepelivit. Multi ex paganis per eos ad fidem Christi conversi ac baptizati ibidem requiescunt, quorum, propter eorum multitudinem, non est numerus.“ Den Missionsauftrag datierte Ussher auf 63 n. Chr. Vgl. den chronologischen Index ebd., S. 1072 ad an. 63: „Philippus Apostolus duodecim suos discipulos, cum Iosephô Arimathæensi, è Galliâ in Britanniam misisse; […].“ Vgl. zu Ussher Parry, Trophies (1995), S. 130–156; Amanda L. Capern, The Caroline Church. James Ussher and the Irish Dimension, in: Historical Journal 39 (1996), S. 57–85; Ute Lotz-Heumann, The Protestant Interpretation of History in Ireland. The Case of James Ussher’s „Discourse“, in: Gordon (Hrsg.), History, Bd. 2 (1996), S. 107–120; Ronald L. Numbers, „The Most Important Biblical Discovery of Our Time“. William Henry Green and the Demise of Ussher’s Chronology, in: Church History 69 (2000), S. 257–276.

215 bereits von Baronio angenommen, dieser Lucius mit einem vielleicht im frühen Mittelalter im Churrätischen wirkenden Missionar gleichen Namens identisch sein dürfte. 303 Wie Ussher räumte er den Gesandten Elvanus und Medvinus, die 183 nach Rom geschickt worden seien, und Fugatius und Damianus, welche drei Jahre später in Britannien eingetroffen seien, viel Platz ein, auch wenn er weit entschiedener als Ussher das Geschehen um Lucius als den Ausbau und die Vollendung einer klerikalen Struktur im Sinne des römischen Ritus zu präsentieren gewillt war. 304 Wann diese keineswegs hagiographischen, sondern historiographischen Konstruktionen ernsthaft hinterfragt zu werden begannen, bliebe zu untersuchen.

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Vgl. FIDES REGIA || BRITANNICA || SIVE || ANNALES || ECCLESIÆ BRITANNICÆ. || UBI POTISSIMUM || BRITANNORVM || CATHOLICA, ROMANA, ET ORTHODOXA || FIDES || PER QUINQUE PRIMA SÆCULA: || E REGVM, ET AVGVSTORVM FACTIS: || Et aliorum Sanctorum rebus è virtute gestis, asseritur. || TOMUS PRIMUS. || AUCTORE || R. P. MICHAELE ALFORDO ALIÀS GRIFFITH, || Anglo Societatis IESV Theologo. || LEODII, || EX OFFICINA TYPOGRAPHICA JO. MATHIÆ HOVII, || Ad insigne Paradisi Terrestris. M.DC. LXIII. || SVPERIORVM PERMISSV., S. 199a: „Sequitur Christi annus ducentesimus primus, Anullino, & Frontone Consulibus: quem Lucius, olim Britannorum Rex, sua morte, sanctissmè obita, illustravit, amore Christi pauper factus, & apud Helvetios peregrinus.“ Ebd., S. 199b: „Quod ad annum spectat mortis ejus, multum inter se variant Authores: quorum sententias cum Jacobus Usserus recensuisset, ita tandem nec malè conclusit: Nos in tanta Scriptorum dissensione, eò potißimum inclinamus, ut tertii in Christo sæculi, anno primo, Lucium vita exceßisse, dicendum existimemus.“ Vgl. Ussher, Antiquitates, 1639, S. 139: „Nos in tantâ scriptorum dissensione eò postissimum inclinamus, quod […].“ Ussher war insgesamt etwas zurückhaltender in seiner Urteilsbildung, auch, was die vermeintlichen kontinentaleuropäischen Aktivitäten Lucius’ anging. Vgl. ebd., S. 30f.: „Rhetis & Bavaris Euangelium Lucius quidam primus annuntiâsse dicitur: quem alij Britannicum regem fuisse asserunt, alij negant.“ Letztlich schienen sie ihm aber prinzipiell einzuleuchten. Unklar war für ihn vor allem der Ort des Begräbnisses in England. Vgl. ebd., S. 140: „Ad sepulturæ locum quod attinet: ex Rhætiâ ejus corpus in Britanniam reportatum, Claudiocestriæ honorificè sepultum esse fertur; si Richardo Vito credimus. nam Britannici historici Claudiocestriæ, sive Glocestriæ, & mortuum & sepultu[m] esse ferunt. Secundùm quæda[m] Chronica Lo[n]dini sepultus est; secundùm alia Glocestriæ, eô in locô ubi nunc Ordo S. Francisci consistit: ait Londinensis Cornhillanæ Tabulæ exarator. quod tamen de Londinensi Lucij sepulturâ in unicô Sarisburiensis ecclesiæ Chronicô reperire me memini.“ Alford, Fides regia, Bd. 1, 1663, S. 200a, hingegen sah die Reliquien, trotz aller Schwierigkeiten, gesicherte Aussagen zu treffen, in der Germania verblieben: „Cum denique Scriptores nostri, aut omnino taceant, aut, leviter tantùm contrà nitantur; dicamus, quod res est, Germanos longissimi temporis præscriptione tutos, Lucii Britannorum Regis corpus omni jure possidere.“ Vgl. dazu oben Anm. 300. Vgl. Ussher, Antiquitates, 1639, S. 34ff., 44–56; Alford, Fides regia, Bd. 1, 1663, S. 143–158, 166.

216

3.4 Zwischen Anspruch und Realität – Eine Bestandsaufnahme Die ersten Bollandisten konnten sich berits aus Gründen der Ökonomie nicht mit allen der von ihnen behandelten Schriften und Sachverhalten substantiell beschäftigen. Die publizistische Landschaft der frühen Neuzeit wurde nicht immer bis an ihre Grenzen ausgeschöpft. Zumal im Zusammenhang mit den bislang vor allem untersuchten kleineren und kleinsten Dossiers standen lokale oder literarische Traditionen zur Debatte, deren Gehalt und Charakteristik aus der Ferne schwer zu beurteilen war. Insofern blieben die Protagonisten der Acta Sanctorum auf dieser Ebene auf vermittelte Informationen angewiesen, die dem Anspruch nach Ursprünglichkeit („Acta Sanctorum […] Seruâta primigeniâ Scriptorum phrasi“) einerseits nicht ganz entsprachen. Andererseits waren Bolland und Henschen keineswegs gewillt, alle Versatzstücke unkommentiert oder unhinterfragt zu adaptieren. Gerade die Problematik des Vermittelten trug allerdings dazu bei, zu verdeutlichen, dass man nicht schiere Tatsachen und historische Abläufe referierte, sondern Sachverhalte, die in dieser oder jener Schrift nachzulesen waren oder zu denen sich diese oder jene Autorinnen und Autoren auf gegebenenfalls unterschiedliche Weise geäußert hatten. Die daraus resultierende Intensivierung referentieller Strukturen war Teil einer sich in ihren interaktiven Momenten insgesamt verdichtenden Respublica litteraria. In historiographiegeschichtlicher Hinsicht waren ihre Protagonisten in wachsendem Maß damit beschäftigt, in Abwägung unterschiedlicher Dokumente und zeitgenössischer Stellungnahmen, historische Sachverhalte in Zeit und Raum zu lokalisieren. Dieser Prozess wurde auf der einen Seite durch die seit den Jahrzehnten um 1600 stark zunehmende Verfügbarkeit gedruckter mittelalterlicher Schriften evoziert. Auf der anderen Seite besaß er in den Annales ecclesiastici einen in seiner historiographiegeschichtlichen Bedeutsamkeit kaum zu überschätzenden Bezugspunkt, da das Oratorium, in einem heute schwer zu ermessenden Kraftakt, ausgehend von dem Anspruch, die ungebrochene Sukzession der Päpste aus den gedruckten wie ungedruckten historischen Schriften zu erarbeiten, die westeuropäische Geschichte bis ins hohe Mittelalter in ihrer Chronologie auf eine in dieser Präzision bis dahin nicht gekannte Weise rekonstruiert und in einem kompakten Werk gebündelt dargestellt hatte. Auf diese Sachverhalte aufmerksam zu machen, bedeutet nicht, zu behaupten, dass die Annales ecclesiastici, Browers Antiquitates et Annales Trevirenses oder Usshers Britannicarum ecclesiarum antiquitates frei von Ungenauigkeiten gewesen wären. Wie die Bollandisten, so waren auch ihre Urheber nicht in Lage, jeden Aspekt mit gleicher Intensität zu bearbeiten. Die historisch interessierten Gelehrten besaßen nun allerdings detaillierte, die westeuropäische Geschichte nachvollziehbar organisierende Referenzwerke, an deren Aussagen sie sich mit den eigenen Materialien abarbeiten

217 konnten. Die Korrektur dieses oder jenes auch kleineren Datums wurde nahezu zu einem Ausweis der eigenen Kompetenz. Im Dossier des hl. König Ethelbert (Aedilberct) von Kent († 616/18) datierte Henschen, wie vor ihm bereits Wilson, den er allerdings nicht zitierte, 305 den Tod dieses Herrschers mit Bedas Kirchengeschichte und ihrem chronologischen Anhang auf 616. Der Tod habe den König im 21. Jahr, nachdem Augustin von Canterbury († um 604/09) zur Bekehrung der Angelsachsen nach England geschickt worden war und im 56. Jahr seiner Regentschaft ereilt. Entscheidende Sicherheit verlieh Henschens Argumentation das Anglo-Saxon Chronicle, das 1643/44 in einer lateinisch-angelsächsischen Version durch den Cambridger Bibliothekar Abraham Wheelocke (1593–1653) seine Erstausgabe erfahren hatte. Nach dieser Leistung verabsäumte Henschen es nicht, sich erstaunt zu zeigen, dass Baronio an dieser Stelle den Tod Ethelberts für 613 angezeigt hatte. Allerdings hatte Henschen selbst die Ursache für diese Datierung offengelegt, die entweder auf einem Druckfehler in den Ausgaben von Bedas Kirchengeschichte oder, wie Henschen vermutete, auf einem Fehler der mittelalterlichen Kopisten beruhte. 306 Die in den Acta Sanctorum –––––––— 305

306

Vgl. [Wilson], The English Martyrologe, 1608, 24. Feb., S. 52: „At Canterbury deposition of S. Ethelbert King of Kent and Confessour, […]. He departed his life in the yeare of Christ, six hundred and sixteene, and was buryed at Canterbury.“ Ebd. Marginalkolumne: „Bed. in Epit. & in hist. cap. 25. […].“ Vgl. G[odefridus] H[enschenius], De S. Ethelberto Rege Cantianorvm et AngloSaxonvm, Cantvriæ in Anglia, in: AASS Februarii, Bd. 3, 1658, 24. Feb., S. 470–479. Commentarius præuius, ebd., S. 470–473, hier S. 473a: „Anno DCXVI Edilbertus Rex Cantuariorum defunctus est. Ita Bedæ Epitome, & infrà Vita, vbi tamen vitio librariorum legitur annus DCXIII. Saxonicè meliùs is expressus, & ab omnibus posteâ Chronologiis accuratè descriptus, annus regni LVI, & post missum Româ S. Augustinum, XXI: vt mirum sit apud Baronium in Annalibus ad annum DCXIII eius obitum referri. In Chronologiâ Saxonicâ hæc epocha ad eius mortem solenni quasi formulâ indicatur: Anno DCXVI Ethelberhtus Rex Cantuariorum obiit, regnumque filius Eadbaldus suscepit: eodemque anno ab initio mundi quinque millia annorum cum sexcentis & sedecim annis effluxerunt.“ Vgl. Beda, Works, Bd. 2, Ecclesiastical History IV–V, based on Stapleton (1999), lib. V, c. 24, S. 378: „Anno 616 Aedilberct rex Cantuariorum defunctus est.“ Ders., Works, Bd. 1: Ecclesiastical History I–III, based on Stapleton (1999), lib. II, c. 5, S. 224: „Anno ab incarnatione Dominica sexcentesimo decimo sexto, qui est annus vicesimus primus, ex quo Augustinus cum sociis ad praedicandum genti Anglorum missus est, Aedilberct rex Cantuariorum, post regnum temporale, quod quinquaginta et sex annis gloriosissime tenuerat, aeterna caelestis regni gaudia subiit: […].“ Vgl. Baronio, Annales ecclesiastici, Bd. 8: Incipiens ab Anno Domini D. XC. perueniens vsque ad DCC.XIV. nempe à Gregorio Magno Romano Pontifice, vsque ad Gregorium secundum, ed. nov. 1624, Sp. 255, Nr. X, ad an. 613: „Accidit præterea, vt hoc anno primus Rex Anglorum Christianus ex hac vita transiret, de quo ista Beda: Anno ab Incarnatione Dominica sexcentesimo decimo tertio (qui est annus vigesimus primus, ex quo Augustinus Episcopus cum sociis ad prædicandum genti Anglorum missus est) Edilbertus […].“ Ob die von Henschen den „Kopisten“ („librarii“) zugeschriebene Fehldatierung des Ablebens Ethelberts auf 613 nicht eher ein Druckfehler war, bliebe zu prüfen. Vgl. Ecclesiasticae historiae gentis Anglorvm libri qvinqve, Beda Anglosaxone avc-

218 publizierte Vita S. Ethelberti repräsentierte letztlich eine in vier Kapitel untergliederte Kompilation aus den verschiedenen Passagen, in denen Beda auf diesen König Bezug genommen hatte. 307 Ein Bewusstsein davon, dass auf schwierigem Terrain an verschiedenen Orten an im Grundsatz ähnlichen Problemen gearbeitet wurde, artikulierte sich in den meisten dieser Werke allerdings kaum. Stieß man in den Arbeiten anderer Gelehrter an der einen Stelle auf Aspekte, die nach eigener Kenntnis der Korrektur bedurften, wurde dies in der Regel sehr deutlich thematisiert, während man die Ergebnisse der anderen dort, wo sie einem brauchbar zu sein schienen oder man selbst nichts Genaueres zu sagen wusste, stillschweigend adaptierte. Ein methodisches Defizit ist aus dieser sich zur Routine entwickelnden Adaptation der Resultate anderer Gelehrter oder aus der Unmöglichkeit, zu jedem historischen Sachverhalt Neues beitragen zu können, jedoch kaum abzuleiten. Es ist ein der modernen Geschichtswissenschaft zweifellos vertrautes Vorgehen, die je verfügbaren Daten zu verwenden und diese bestenfalls in Aspekten zu erweitern oder zu modifizieren. Davon unabhängig wird man auch nicht sagen können, dass es in den späteren Epochen ganz außer Gebrauch gekommen wäre, die Grenzen der eigenen Kenntnisse da und dort professionell zu überspielen. –––––––—

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tore, in: Rerum Britannicarum scriptores, [ed. Commelin], 1587, S. 147–280, hier lib. II, c. 4, S. 179: „Anno ab incarnatione dominica sexcentesimo decimo tertio […] Edilbertus rex Cantuariorum […] subiit.“ Vgl. dagegen mit korrekter Angabe ebd., lib. V, Epitome sive breviarivm totivs praecedentis historiae Anglorum, S. 278: „Anno DCXVI. Edilbertus rex Cantuariorum defunctus est.“ Die alte Ausgabe Wheelockes wurde hier nicht konsultiert. Vgl. The Anglo-Saxon Chronicle, transl. by Whitelock (1961), S. 16, Ms. C ad an. 616: „In this year Ethelbert, king of the people of Kent, died, and his son Eadbald succeeded to the Kingdom. And that same year 5,800 years had passed from the beginning of the world.“ Die Handschrift G verzeichnet statt dessen die von Henschen genannten 5616 Jahre. Vgl. ebd., Anm. 4, und das Original: The Anglo-Saxon Chronicle. A Collaborative Edition, Bd. 5: MS. C. A Semi-Diplomatic Edition with Introduction and Indices, hrsg. v. Katherine O’Brien O’Keeffe, Cambridge 2001, S. 36, ad an. 616: „Her Æþelbriht Cantwara king forferÿe, Eadbald his sunu feng to rice, þi ilcan wæs agan fram frimÿe middangeardes. v. ¢þusenda² wintra, dccc.“ Vgl. zur Geschichte der Edition dies., Introduction, in: ebd., S. XIII–CXXI, hier S. XIX. Chronologisch wird die Ankunft Augustinus’ von Canterbury heute mit dem Jahr 597 verbunden. Nach Addition der von Beda erwähnten 21 Jahre könnte Ethelbert folglich auch 618 gestorben sein. Vgl. Nicholas P. Brooks, Art. Æthelberht, in: LexMA, Bd. 1, 1980, Sp. 187; Jürgen Sarnowsky, Art. Ethelbert, in: LThK, Bd. 3, 31995, Sp. 899; die Datierung auf nur 616 hatte allerdings lange Bestand. Vgl. Suso Brechter, Art. Ethelbert, in: LThK, Bd. 3, 21959, Sp. 1120. Vgl. Henschen, De S. Ethelberto, AASS Februarii, Bd. 3, 1658, 24. Feb. Vita. Ex S. Bedæ hist. Ecclesiast. gentis Angl., ebd., S. 474–477, hier S. 474a–b: „Capvt I || S. Ethelberti maiores in Britanniam euocati. Eorum & S. Ethelberti regnum. Huius vxor Bertha. || Ex lib. 1, cap. 11, 12, 13, 14, 15, 25, 26, & lib. 2, cap. 5.“ Die übrigen Kapitel wurden analog eröffnet.

219 Was waren die Acta Sanctorum? Indem man ältere und neuere Martyrologien und andere hagiographische Sammelwerke unterschiedlichen Charakters in die Acta Sanctorum inkorporierte, entwickelten sich diese im Effekt zur größten hagiographischen Enzyklopädie der Zeit. Jenseits der umfangreicheren und im engeren Sinne editorischen Dossiers gewannen sie ihre eigentümliche Gestalt aus einer Blütenlese, die mit den Namen und Festtagen der Heiligen begann und, auf der bislang untersuchten Ebene, mit der Reproduktion und Kommentierung einiger Versatzstücke, die man unter anderem aus der historischen und zeitgenössischen Chronistik gewonnen hatte, fortgesetzt wurde. Diese Dossiers der Acta Sanctorum, die keine selbstständige historische Vita beinhalteten, sondern, jenseits der Dossiers „ex Martyrologio“, aus Exzerpten unterschiedlicher Art, nicht selten auch aus Viten anderer Heiliger, 308 zusammengefügt worden waren, belaufen sich in den Januarbänden auf ungefähr 370. Diese Zahl ist allerdings als Tendenzangabe zu verstehen. Die Übergänge zwischen unselbstständiger und selbstständiger, historischer und zeitgenössisch bearbeiteter (Kurz-)Vita sind fließend. Nicht berücksichtigt sind in dieser Zahl beispielsweise die nicht immer ausführlichen, im Kern jedoch eigenständigen Viten, die Bolland und Henschen aus einer historischen Sammlung wie den Vitae Patrum übernommen hatten. 309 Grob gesprochen lässt sich demnach festhalten, dass zusammen mit den 533 Heiligen „ex Martyrologio“ von den 1170 angekündigten Heiligen des Januar insgesamt rund 900 Heilige in kleineren und kleinsten Dossiers behandelt wurden. Dies dürfte verdeutlichen, dass der Anspruch Bollands kein ausschließlich editorischer war. Das Augenmerk auf diese kleineren und kleinsten Dossiers zu lenken, heißt also keineswegs, einen marginalen oder komplementären Teil der Acta Sanctorum über Gebühr zu strapazieren. Es ist daher angeraten, sich in den folgenden Kapiteln eingehender mit dem Zweck der Acta Sanctorum zu beschäftigen. Was sollten die Acta Sanctorum leisten? Weshalb hatte Bolland Rosweydes ursprüngliches Programm einer Vitensammlung im herkömmlichen Sinn derart erweitert, dass sich ein ohnehin ambitioniertes Projekt weiter verkomplizierte? Was genau war überhaupt Rosweydes Vorhaben gewesen, und welche Position hatte es –––––––— 308

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Vgl. De S. Garibaldo, vel Gauvaldo Episcopo Ratisbonensi, in: AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, 8. Jan., S. 546f. Dieses Dossier speiste sich aus Partikeln, die den Viten der heiligen Bonifatius und Emmeram entnommen worden waren. Auch dies wurde im Inhaltsverzeichnis angekündigt. Vgl. Index Sanctorum [unpaginiert], ebd., [S. 5]: „8 Garibaldus Ep. Ratisbonen. Ex Vitâ SS. Bonifacij & Emmerammi“. Vgl. De S. Talida, sive Amata, Abbatissa Antinoï in Thebaide, in: ebd., 5. Jan., S. 257; Index Sanctorum [unpaginiert], ebd., [S. 2]: „5 Amata, siue Talida, Antinoi in Thebaide. Ex Mroll. & Vitis PP.“ Vgl. De Vitis patrvm liber octavvs, avctore Palladio Helenopol. ep. Interprete Gentiano Herveto, in: Vitae patrum, ed. Rosweyde, 1615, S. 688–786, hier S. 776b: „Vita Ammæ Talida. || In ciuitate Antinoi sunt feminarum monasteria duodecim; […].“

220 in den historiographie- und hagiographiegeschichtlichen Zusammenhängen des frühen 17. Jahrhunderts eingenommen? Dabei wird zu zeigen sein, dass die ersten Bollandisten ihrem wirklichen programmatischen Gegenspieler, wenigstens auf der Ebene des Eigenbilds, ungleich größere Wirkungsmächtigkeit zuschrieben, als es die eine oder andere irdische Interessengruppe je für sich in Anspruch hätte nehmen können.

4 Antiquarianismus – Zum Eigenbild der Bollandisten Rufen wir auch jenes in Erinnerung, was ich zu Recht oder zu Unrecht für offenkundig halte. Wie immer wir auch zur Religion überhaupt und zu dieser oder jener bestimmten Religion stehen mögen – wir sind weder Priester, verbunden durch ein Amt, noch Theologen; wir sind weder geeinigte, ausgezeichnete, zuständige Vertreter der Religion noch Feinde der Religion als solcher, Feinde in dem Sinne, in dem, wie man glaubt, manche Philosophen der sogenannten Aufklärung es waren […]. 1

4.1 Worte und Sachen In den humanistisch geschulten Kreisen der frühen Neuzeit verfügte man über eine große Bandbreite je nach Schreibanlass einzusetzender sprachlicher Mittel und darstellender Formen. Ehe von den Grenzen des zu einer gegebenen Zeit Denk- und Sagbaren gesprochen werden kann oder von einzelnen Gliederungselementen auf die Ränder der faktisch oder vermeintlich vorherrschenden „Ordnungen des Wissens“ zu schließen ist, sind daher die strategischen Implikationen publizistischen Agierens zu berücksichtigen. Diese schlossen eine sich ihrer durchaus selbst bewusste Wahl der Mittel ein, die mit den jeweiligen Darstellungsintentionen und inaugurierten Wirkungsradien in Verbindung standen. Die Acta Sanctorum waren kein protestantisches Werk. Sie waren allerdings auch kein kontroverstheologisches Werk. In welcher Hinsicht sie als katholisch oder jesuitisch zu qualifizieren sind, bleibt also vor dem Hintergrund der historiographie- und hagiographiegeschichtlichen Entwicklungen der frühen Neuzeit auf der einen Seite und dem von den Bollandisten vertretenen Eigenbild auf der anderen zu untersuchen. Aufschluss darüber verspricht in einem ersten Schritt die Auseinandersetzung mit jenem Teil der Acta Sanctorum, der sich mit der Frage nach dem Eigenbild ihrer Protagonisten vorderhand verknüpfen lässt, mit ihrem Kupfertitel. 2 Die Konfrontation des Kupfertitels der Acta Sancto–––––––— 1

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Jacques Derrida, Glaube und Wissen. Die beiden Quellen der „Religion“ an den Grenzen der bloßen Vernunft. Aus dem Ital. v. Hella Beister, in: Jacques Derrida/Gianni Vattimo, Die Religion, Frankfurt a. M. 2001 [franz. 1996], S. 9–124, hier S. 18. Vgl. zur technischen Unterscheidung zwischen „Kupfertitel“, „Titelkupfer“ und „Frontispiz“ Volker Remmert, Widmung, Welterklärung und Wissenschaftslegitimie-

222 rum mit dem der Imago primi saeculi sollte dabei, auch gegen die Annahme, dass es den Bollandisten eines Gespürs für das Wesen der Hagiographie als solcher ermangelt habe, verdeutlichen können, dass die Antwerpener Jesuiten durchaus ein heilsgeschichtliches Feuerwerk abzubrennen in der Lage waren, sofern es die eigenen Heiligen für einen synchronischen Gebrauchszusammenhang zu zelebrieren galt. Entsprechendes ist zu dem aus der Theorie gewonnenen Eindruck zu sagen, dass es erst im 18. Jahrhundert möglich und üblich wurde, zwischen vergangenem Geschehen und dem darüber Auskunft gebenden Schrifttum systematisch zu unterscheiden. 3 Diese Unterscheidung, die im Wesentlichen der zwischen Wort und Sache entspricht, dürfte es wahrscheinlich schon immer gegeben haben. 4 Die präzisierte Frage hat daher zu lauten, wie sie im Einzelnen reflektiert und ausgestaltet wurde.

4.1.1 Imago primi saeculi – Fest Anlässlich des einhundertjährigen Bestehens des Jesuitenordens erschien 1640 in Antwerpen die von Bolland und Henschen im Namen der flandrobelgischen Provinz redigierte Imago primi saeculi. Der Kupfertitel war von Philip Fruytiers (1610–1666), einem ehemaligen Schüler des Antwerpener Jesuitenkollegs, entworfen worden. 5 Die Imago war niemand anderem als –––––––— 3

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rung. Titelbilder und ihre Funktionen in der Wissenschaftlichen Revolution (Wolfenbütteler Forschungen 110), Wiesbaden 2005, S. 15. Vgl. Ulrich Johannes Schneider, Die Vergangenheit des Geistes. Eine Archäologie der Philosophiegeschichte, Frankfurt a. M. 1990, S. 27: „In der Tat bedeutet die Durchsetzung des historischen Interesses, die Inauguration der damit verbundenen Wissenschaftspraxis einen radikalen Bruch mit der literarhistorischen Gelehrsamkeit. Für uns heute ist die Vorstellung von Vergangenheit und Geschichte als etwas von der Anerkennung der Zeugnisse und Nachrichten Verschiedenes selbstverständlich, und doch ist diese Verschiedenheit eine Entdeckung erst des 18. Jahrhunderts. Das Datum dieser Entdeckung ist eben der Bruch mit der traditionellen Gelehrsamkeit, und insofern nicht präzise bestimmbar; Bruch bedeutet hier nämlich nicht bloße Absage, unvermittelter Anfang eines Neuen, sondern radikaler: Umbau des Wissens, Umstrukturierung der Wissenschaftspraxis.“ Deutlich wird dies etwa anhand des unten S. 429 zitierten Beispiels, in dem klar zwischen Handlungen und deren Verschriftlichung unterschieden worden war. Vgl. Leon Voet, The Golden Compasses. A History and Evaluation of the Printing and Publishing Activities of the Officina Plantiniana at Antwerp, Bd. 2: The Management of a Printing and Publishing House in Renaissance and Baroque, Amsterdam/London/New York 1972, S. 235 mit Anm. 7; Marc Fumaroli, Baroque et classicisme. L’Imago Primi Saeculi Societatis Jesu (1640) et ses adversaires, in: Questionnement du baroque, hrsg. v. Alphonse Vermeylen (Université de Louvain. Recueil de travaux d’histoire et de philologie. 6e série 31), Louvain/Brüssel 1986, S. 75–111, hier S. 85f., Anm. 1; Louis Brouwers/Xavier Rousseaux, Imago „primi saeculi“, in: Deneef/Dusausoit/Evers [u. a.] (Hrsg.), Jésuites (1992), S. 29–42, hier S. 35; The Illustration of Books Published by the Moretuses (Publications of the Plantin-Moretus

223 Gott selbst gewidmet. 6 Sie bot weniger die Illustration zu den in jenem Jahr begangenen Feierlichkeiten, 7 sondern repräsentierte, mit Marc Fumaroli, der die Strukturen der Imago und ihres Titelbilds für die Geschichtswissenschaft erschlossen hat, einen Festplatz eigener Wertigkeit. Der Kupfertitel zeigt eine jugendliche Allegorie der Societas Jesu (Abb. 2). Sie thront erhöht im Hauptgeschoss eines Gebildes, das den Formen eines dreigeschossigen Altarretabel folgt. 8 Die rechte Hand hält eine Feder und ein aufge–––––––— 6

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Museum and the Stedelijk Prentenkabinet Antwerp 36), Antwerpen 1996, Nr. 40, S. 136f. (M. Jacobs), Nr. 51, S. 151f. (C. Van de Velde). Vgl. IMAGO || PRIMI SÆCVLI || SOCIETATIS || IESV || A || PROVINCIA || FLANDRO-BELGICA || EIVSDEM SOCIETATIS || REPRÆSENTATA. || ANTVERPIÆ || EX OFFICINA || PLANTINIANA || BALTHASARIS MORETI. || ANNO SOCIETATIS SÆCVLARI || M. DC. XL. Dedikationsblatt [unpaginiert], fol. *3r: REGI SÆCVLORVM || IMMORTALI || SOLI DEO || CVIVS PROVIDENTIÆ || DEFINITVM EST OMNE SÆCVLVM || CVIVS ÆTERNITATI || OBNOXIVM EST OMNE TEMPVS || CVIVS GLORIÆ || OMNIS SOLENNITAS CONSECRATA || ILLI SOLI || MINIMA IESV SOCIETAS || NON SVO || SED DILECTI FILII NOMINE TER AVGVSTO || AVSA SE SISTERE || PRIMVM HOC SÆCVLVM || ET VNA SVORVM FILIORVM || SVDORES ET SANGVINEM || VITAM ET MORTEM || TEMPVS ET ÆTERNITATEM || DEMVM OMNIA || VNIVS DEVOTA GLORIÆ || VNIVS SVBDITA MAIESTATI || CVLTV DEMISSISSIMO, VENERATIONE SEMPITERNA || D[EDICAVIT] C[URAVIT]Q[UE]. Vgl. Poncelet, Histoire, Bd. 2 (1928), S. 544–549; Theo G. M. van Oorschot, Die erste Jahrhundertfeier der Gesellschaft Jesu (1640) in Kölner Katechismusspielen, in: Theatrum Europaeum. Festschrift für Elida Maria Szarota, hrsg. v. Richard Brinkmann/Karl-Heinz Habersetzer/Paul Raabe [u. a.], München 1982, S. 127–151. In Köln erschienen 1640 zwei weitere Jubiläumswerke, zum einen das Iubilum Societatis Iesu ob theologiam mysticam a fundatore Ignatio […] excultam des Amsterdamer Jesuiten Maximilianus Sandaeus/van der Sandt (1578–1656), der zu dieser Zeit Studienpräfekt und Direktor der Kölner Marienkongregation war. Zum anderen wurde vom Kölner Dreikronengymnasium der Annus secularis Societatis Iesv herausgegeben, der das Jubeljahr mit einer allegorisierenden, sich an den vier Jahreszeiten orientierenden Betrachtung des Ordens begleitete. Vgl. zur Institution Bernhard Duhr, Geschichte der Jesuiten in den Ländern deutscher Zunge, Bd. 2: Geschichte der Jesuiten in den Ländern deutscher Zunge in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, Teil 1, Freiburg i. Br. 1913, S. 582; vgl. zum Annus secularis die Bemerkungen von Arndt Brendecke, Die Jahrhundertwenden. Eine Geschichte ihrer Wahrnehmung und Wirkung, Frankfurt a. M./New York 1999, S. 134f. Ebenso besaß die flandro-belgische Ordensprovinz einen zweiten Festbeitrag. 1641 publizierte der Jesuit Jacques d’Amiens (1599–1650) in Tournai seine nach den sechs Ordensgenerälen gegliederte Synopsis primi saeculi Societatis Iesu. Vgl. G. Richard Dimler, Jakob Masen’s Critique of the „Imago Primi Saeculi“, in: The Jesuits and the Emblem Tradition. Selected Papers of the Leuven International Emblem Conference. 18–23 August 1996, hrsg. v. John Manning/Marc van Vaeck (Imago figurata. Studies 1a), Turnhout 1999, S. 279–295, hier S. 293 Anm. 3. Ob in Europa weitere Schriften produziert wurden, ist gegenwärtig nicht zu sagen. Vgl. jetzt auch Ralph Schuller, Jubiläum, Fiktion oder zentenare Memoria? Zur retrospektiven Wahrnehmung der klösterlichen Jubiläumskultur, in: Das historische Jubiläum, hrsg. v. Winfried Müller (Geschichte. Forschung und Wissenschaft 3), Münster 2004, S. 139–156, hier S. 139. Vgl. Julius Held, Rubens and the Book, in: Harvard Library Bulletin 27 (1979), S. 114–153, hier S. 127, 130f.; vgl. zur Typologie der Formen zeitgenössischer Altar-

224 schlagenes Buch. Sie verweist, nach der Lesart Fumarolis, auf die gelehrte Tätigkeit der Societas im Dienst der Exegese der heiligen Schriften und der Unterweisung zur imitatio Christi. 9 Die linke Hand fixiert ein Kreuz auf glühendem Kohlebecken. Sie signalisiert, vielleicht, „sa vocation au martyre pour la cause du Christ“, 10 gewiss aber die das corpus Societatis durchdringende und bewegende mystische Glut. 11 Das Haupt der Societas überragt das Kerngeschoss. Es vermittelt in eine Attika, deren Giebel von drei über der Societas schwebenden und sie mit den Titeln virgini, docti, martyri bekränzenden Putti angedeutet wird. Sie schließen das Retabel zu einem Triumphportal. Die Säulen des Hauptgeschosses werden von einer Schar Putti mit sechs Medaillons geschmückt, Emblemen, deren Tituli mit den sechs Büchern im Inneren der Imago – Societas nascens, Societas crescens, Societas agens, Societas patiens, Societas triumphans, Societas FlandroBelgica – korrespondieren. 12 Auf einem Spruchband artikuliert die Societas ihr Selbstverständnis und das Leitmotiv der Imago: „Nicht für uns, sondern, Herr, für deinen Namen“ – „Non nobis, Domine, sed Nomini tuo“. Die Imago überschreitet die Zweidimensionalität der Schrift. Der Anthropologie des Ordens gemäß entspricht sie einem Appell an das visuelle und auditive Vorstellungsvermögen der Rezipierenden. 13 Die Lesenden sollen –––––––—

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baukunst und ihrer Genese Rainer Laun, Studien zur Altarbaukunst in Süddeutschland 1560–1650 (tuduv-Studien. Reihe Kunstgeschichte 3), München 1982, S. 14–24. Die Abbildungen 2 bis 4 wurden mit freundlicher Genehmigung der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg Carl von Ossietzky reproduziert. Vgl. Fumaroli, Baroque (1986), S. 84. Ebd. Vgl. grundsätzlich André Ravier, Ignatius von Loyola gründet die Gesellschaft Jesu. Deutsche Bearb. v. Josef Stierli, Würzburg 1982 [franz. 1974], S. 496ff.; Gottfried Maron, Ignatius von Loyola. Mystik – Theologie – Kirche, Darmstadt 2001, S. 56. Die Tituli der Embleme des Kupfertitels sind gegenüber den Titeln im Inneren vereindeutigt worden. Letztere lauten: I. Societas a IESV nata; II. Societas toto orbe diffusa; III. Societas Mundo benefaciens; IV. Societas à mundo mala patiens; V. Societas à persecutionibus illustrior; VI. Societas Belgio accepta. Vgl. Josef Sudbrack, Die „Anwendung der Sinne“ als Angelpunkt der Exerzitien, in: Ignatianisch. Eigenart und Methode der Gesellschaft Jesu, hrsg. v. Michael Sievernich/Günter Switek, Freiburg i. Br./Basel/Wien 1990, S. 96–119. Vgl. grundsätzlich auch Gauvin Alexander Bailey, „Le style jésuite n’existe pas.“ Jesuit Corporate Culture and the Visual Arts, in: The Jesuits. Cultures, Sciences, and the Arts. 1540–1773, hrsg. v. John W. O’Malley/Gauvin Alexander Bailey/Steven J. Harris [u. a.], Toronto/Buffalo/London 1999, S. 38–89, bes. S. 39–44; Jens Baumgarten, Sprache – macht – Bilder oder Bild – macht – Sprache? Die jesuitische Theologie der „visibilitas“ zwischen ästhetischer Individualisierung und politischer Disziplinierung, in: Zeitenwenden. Herrschaft, Selbstbehauptung und Integration zwischen Reformation und Liberalismus. Festgabe für Arno Herzig zum 65. Geburtstag, hrsg. v. Jörg Deventer/Susanne Rau/Anne Conrad (Geschichte 39), Münster 2002, S. 235–254; ders., Konfession, Bild und Macht. Visualisierung als katholisches Herrschafts- und Disziplinierungskonzept in Rom und im habsburgischen Schlesien (1560–1740) (Hamburger Veröffentlichungen zur Geschichte Mittel- und Osteuropas 11), Hamburg/München 2004, S. 13–18, 159–191.

225 nicht nur als Lesende, sondern auch als Hörende und Sehende in das Jubiläum der Jesuiten involviert werden. 14 Entrollte man demnach die Imago, deren oberes Ende, in der Darstellung des Kupfertitels, vom linken Fuß der Societas sowie von einem dort rechter Hand ruhenden Chronos fixiert und von zwei Putti, zur Ansicht des Titel- oder „Altar“-Blatts, bis auf die Höhe der Predella eröffnet worden war, dann kämen jene sechs libri zur Anschauung, die nach dem Willen ihrer Verfasser „ebenso auch Schauplätze oder Spiele genannt werden mochten […].“ 15 In ihnen und mit ihnen galt es, „[…] den glücklichen und heiteren Jubelgesang für das Jahr einhundert erklingen“ zu lassen, und weder sei für den feierlichen Anlass „die unfruchtbare noch die schmucklose Erzählung […] gefällig gewesen; weil ja auch bei den Römern die Ergötzlichkeit der Spiele nicht ohne unter das Volk verteilte Gaben (missilia) erwirkt worden ist.“ 16 Bei diesen missilia handelte es sich um Ensembles verschiedener Stile und Genres: orationes, carmina, emblemata, die nicht weniger als festliches Dekorum der einzelnen libri denn als Verkörperung der Vitalität und Fruchtbarkeit der sich seit einhundert Jahren verbreitenden Societas Jesu begriffen werden sollten. 17 Den augenscheinlich naheliegenden – und später in der Tat erhobenen – Einwand, nicht nur ein Monument der „self-representation“, sondern auch ein solches der „self-congratulation“ 18 in Szene gesetzt zu haben, parierte man in den Prolegomena im Rekurs auf die lange Tradition sakraler und weltlicher Jubiläumsfeierlichkeiten seit alttestamentarischer Zeit. 19 Zusätz–––––––— 14 15

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Vgl. Fumaroli, Baroque (1986) S. 81ff. Imago primi saeculi, 1640. Dissertationes prolegomenæ de anno sæcvlari et ivbileo [= Prolegomena], ebd., S. 1–24. Dissertatio septima. De Librorum serie, argumento, stylo; Operis varietate, ebd., S. 21–24, hier S. 21: „Sex in partes distributa sunt omnia: &, quoniam Imaginem primi sæculi damus, totidem aut spectacula aut ludi vocari possent […].“ Ebd., S. 23: „[…] Sæculari anno lætum canamus faustumque Pæana, neque sterilis placuit neque nuda narratio; quando nec ludorum apud Romanos amœnitas absque missilibus fuit exhibita.“ Vgl. Fumaroli, Baroque (1986), S. 94f., 100ff. John W. O’Malley, The Historiography of the Society of Jesus. Where Does It Stand Today?, in: ders./Bailey/Harris (Hrsg.), Jesuits (1999), S. 3–37, hier S. 8. Vgl. Imago primi saeculi, 1640. Prolegomena, Dissertatio secvnda. De Ludis Sæcularibus Romanorum, ebd., S. 4–10; Dissertatio tertia. De Iubileo Iudæorum, ebd., S. 10–13; Dissertatio qvarta. De Iubileo Christiano, ebd., S. 13–15; Dissertatio qvinta. De priuato Iubileo annorum quinquaginta, ebd., S. 16f. Bei der historischen Herleitung verließ man sich auf die heiligen Schriften und verband, nach LV. 25,8–55, den Anfang zyklischer Jubiläen mit dem auf sieben Sabbatzyklen folgenden Jobeljahr. Vgl. ebd., S. 11. Grundlegend für die Darstellung Bollands und Henschens waren die Ausführungen in Rutilio Benzonis (1542–1613) Annus sancti iubilaei von 1599. Spekulative oder typologisierende Herleitungen, die sich offenbar in Joannes B. Paulianus’ De iobileo et indulgentiis libri tres (1550) oder Angelo Pientinis De sacro iubileo libri quatuor (1575) finden ließen, wurden in diesem Fall von den Bollandisten als von rein symbolischem Wert nicht adaptiert: „Iubilei originem qui à septimi diei quiete petunt, Conditoris exemplo præceptoque imperatâ, vt Paulianus; aut à quietâ

226 liche Legitimität erhielt das Fest der Jesuiten im antitypischen Rekurs auf jene Jubelfeiern, mit denen am 31. Oktober 1617 in lutherischen Territorien des einhundertsten Jahrestags des „Thesenanschlags“ zu Wittenberg gedacht worden war: Natürlich wird es vergönnt sein, über verspottete Gottesfurcht, über die entweihten Heiligtümer der Alten, über die prostituierte Keuschheit, über die gebrochenen Verpflichtungen der Gelübde, über die zum Aufruhr angetriebenen Mengen, über so viele Bürgerkriege in großer Fröhlichkeit zu jauchzen. Sollte der Societas nicht zugestanden worden sein, über den behaupteten Glauben der Alten, die beschirmte Gottesfurcht, die für die Heiligtümer eingeforderte Ehrfurcht, die so häufig gewährleistete Eintracht der Menschen und Bürger, über ihre ruhmreichen Anstrengungen zu jauchzen? 20

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vbertate terræ, quæ nec rastro læsa nec vomere, sponte suâ fruges otiantibus dabat, vt Pientinus; […] symbola Iubilei potiùs ingeniosè conquirunt, quàm eius ortum ex fide narrant.“ Ebd., S. 10f. Vgl. Prolegomena. Dissertatio sexta. De ferali iubileo sectæ Lutheranæ, eiusque opposito Societatis Iubileo, ebd., S. 18–21, hier S. 18: „Nimirum de contemptâ Religione, de profanatis maiorum Sacris, de prostitutâ castitate, de ruptis Votorum nexibus, de concitatis ad seditionem populis, de tot ciuilibus bellis magnâ alacritate iubilare licebit. de assertâ maiorum Fide, de propugnatâ Religione, vindicatâ Sacrorum reuerentiâ, procuratâ toties populorum ciuiumque concordiâ, de gloriosis laboribus suis, iubilare non erit concessum Societati?“ Vgl. zu 1617 Hans-Jürgen Schönstädt, Antichrist, Weltheilsgeschehen und Gottes Werkzeug. Römische Kirche, Reformation und Luther im Spiegel des Reformationsjubiläums 1617 (Veröff. d. Instituts für Europäische Geschichte Mainz. Abt. f. abendländische Religionsgeschichte 88), Wiesbaden 1978; Ruth Kastner, Geistlicher Rauffhandel. Form und Funktion illustrierter Flugblätter zum Reformationsjubiläum 1617 in ihrem historischen und publizistischen Kontext (Mikrokosmos 11), Frankfurt a. M./Bern 1982; Thomas Kaufmann, Dreißigjähriger Krieg und Westfälischer Friede. Kirchengeschichtliche Studien zur lutherischen Konfessionskultur (Beiträge zur historischen Theologie 104), Tübingen 1998, S. 10–23, sowie den Überblick von Wolfgang Flügel, Zeitkonstrukte im Reformationsjubiläum, in: Müller (Hrsg.), Jubiläum (2004), S. 77–99, hier S. 79–88. Näher zu untersuchen wäre eine von Schuller, Jubiläum (2004), S. 139, 142, und Winfried Müller, Das historische Jubiläum. Zur Geschichtlichkeit einer Zeitkonstruktion, in: ders. (Hrsg.), Jubiläum (2004), S. 1–75, hier S. 29, vertretene Hypothese. Demnach seien institutionelle, „zentenare“ Jubiläen im Bereich des Katholizismus jenseits der päpstlichen Jubeljahre von diesem Fest der Jesuiten initiiert worden: „Erstmals erfolgte im Katholizismus dieser Übergang zur historischen Jubiläumskultur 1640 […]. Mit diesem ersten, noch dazu von der Societas Jesu als der Speerspitze der katholischen Reform veranstalteten historischen Jubiläum war offenkundig jene Legitimationsbasis geschaffen, von der aus auch andere Institutionen der alten Kirche den Zugriff auf den institutionellen Mechanismus des historischen Jubiläums wagten.“ Die Bollandisten waren sehr darum bemüht, ihrem Jahrhundertfest ein historisches Fundament zu verleihen. Im Anschluss an die Darlegungen zu den römischen Säkularspielen bemerkten sie zunächst: „Hæc origo centenariæ celebritatis. Nec superstitiosa numeri obseruatio est. Origenes, Hieronymus, Rupertus, Beda, multiplex in eo mysterium è sacris Litteris inueniunt […].“ Imago primi saeculi, 1640. Prolegomena. Dissertatio secvnda, S. 9.

227 Während in der neueren Literatur dem Jahrhundertfest der Jesuiten für den Bereich des Katholizismus ein durchaus innovativer Charakter zugesprochen wird, waren die Autoren der Imago sehr darum bemüht, ihr Fest in eine ältere Tradition christlicher und katholischer Jubiläumsfeierlichkeiten jenseits des Papsttums einzubetten. 21 Die von ihnen referierten Beispielen scheinen allerdings eher die Schwierigkeiten illustrieren, die sie damit hatten, diese vermeintliche Tradition auf unmissverständliche Weise zu belegen. 22 –––––––— 21

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Vgl. Schuller, Jubiläum (2004), S. 139, 142, und Winfried Müller, Das historische Jubiläum. Zur Geschichtlichkeit einer Zeitkonstruktion, in: ders. (Hrsg.), Jubiläum (2004), S. 1–75, hier S. 29. Demnach seien institutionelle, „zentenare“ Jubiläen im Bereich des Katholizismus jenseits der päpstlichen Jubeljahre von diesem Fest der Jesuiten initiiert worden: „Erstmals erfolgte im Katholizismus dieser Übergang zur historischen Jubiläumskultur 1640 […]. Mit diesem ersten, noch dazu von der Societas Jesu als der Speerspitze der katholischen Reform veranstalteten historischen Jubiläum war offenkundig jene Legitimationsbasis geschaffen, von der aus auch andere Institutionen der alten Kirche den Zugriff auf den institutionellen Mechanismus des historischen Jubiläums wagten.“ Die Bollandisten hingegen bemerkten im Anschluss an die Darlegungen zu den römischen Säkularspielen zunächst: „Hæc origo centenariæ celebritatis. Nec superstitiosa numeri obseruatio est. Origenes, Hieronymus, Rupertus, Beda, multiplex in eo mysterium è sacris Litteris inueniunt […].“ Imago primi saeculi, 1640. Prolegomena. Dissertatio secvnda, S. 9. Die in der Imago genannten Feste sind ohne eigene Forschung schwer zu verifizieren. Genannt wurde etwa eine Feier der Stadt Gent: „Millesimum ab obitu D. Bauonis Tutelaris sui in æde principe, quæ illi sacra est, admodum solennem egit Senatus Populusque Gandauensis […].“ Ebd. Dies mag sich auf das Jahr 1559 beziehen, in dem es zu St. Johannes in Gent zu Feierlichkeiten anlässlich des Neubaus der Kirche – oder anlässlich der Erhebung Gents zum Bistum – gekommen war. Die Reliquien des hl. Bavo, dessen Todesjahr heute auf vor 650/58 festgesetzt wird, waren dort seit 1540 aufbewahrt worden. Mit der Erhebung von St. Johannes zur Kathedralkirche 1559 ging eine Umwidmung des Hauptpatroziniums auf den hl. Bavo einher. Vgl. Roger van de Wielle, La Cathédrale Saint-Bavon à Gand, Gent 1967, S. 5f.; J. Art, Art. Gand. II. Le diocèse, in: DHGE, Bd. 19, 1981, Sp. 1014–1026, hier Sp. 1014; J. Decavele, Art. Gand. III. Abbayes et couvents, in: ebd., Sp. 1026–1058, hier Sp. 1026; Matthias Werner, Art. Bavo, in: LThK, Bd. 2, 31994, Sp. 98f. Ob in diesem Kontext zugleich des neunhundertsten (?) Todesjahrs des Heiligen gedacht wurde, bliebe zu prüfen. Entsprechendes gilt für die Feiern, die der Prämonstratenserorden zum fünfhundertsten Todestag des hl. Norbert von Xanten († 1134) im Jahr 1634 initiiert haben soll. Vgl. Imago primi saeculi, 1640. Prolegomena. Dissertatio secvnda, S. 10: „Et nuper annus huius sæculi XXXIV ab obitu D. Norberti Quingentesimus, à Candidissimo Præmonstratensium Ordine; plausu & gratulatione insigni, ad memoriam simul & exemplum posteritatis, peractus est.“ Über solche Vorgänge scheint heute nichts bekannt zu sein. Prominenz beansprucht hingegen die zeitgenössisch viel beachtete, 1626/27 vollzogene Translation der Reliquien Norberts aus dem protestantischen Magdeburg in das Prager Kloster Strahov. Vgl. Kapar Elm, Norbert von Xanten. Bedeutung – Persönlichkeit – Nachleben, in: Norbert von Xanten. Adliger – Ordensstifter – Kirchenfürst, hrsg. v. dems., Köln 1984, S. 267–318, hier S. 282f. Das spätere Dossier der Acta Sanctorum zu Norbert von Xanten enthält den umfangreichen Translationsbericht. Dieser schließt Festlichkeiten ein, die in Antwerpen stattgefunden hatten, nachdem sich Vertreter der Prämonstratenserabtei St. Michael, die 1124 von Norbert gegründet worden war, 1627 nach Prag begeben

228 In jedem Fall setzte die Imago, im Sinne einer sich fortwährend in den Gliedern der Societas erneuernden und ewig jungen Vita Christi, die Geschichte der Jesuiten als heilsgeschichtlich interpretierte Biographie eines heroischen Kollektivums in Szene. Sie zu feiern, bedeutete, das Werk Gottes zu feiern. 23 Der Orden war nicht Menschenwerk, sondern rührte von dem her, dessen Namen er trug. 24 Prophetien von Jesaia bis zur Apokalypse des Johannes, von Joachim von Fiore († 1202) bis zu Vinzenz Ferrer († 1419) hatten sein Kommen vorhergesagt. 25 Zu erläutern blieb allein, aus –––––––—

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und von dort Reliquien mitgebracht hatten. Vgl. De Sancto Antistite Norberto. Fundatore Ord. Can. Præmonst. in Gallia, Apostolo civium Antverpiensium in Belgio, Archiepiscopo Magdeburgensium in Germania, Ad Amplissimum & Reverendissimum Dominum Abbatem S. Michaelis Antverpiæ, in: AASS Iunii, Bd. 1, 1695, 6. Juni, S. 804–981. Historia Translationis. Ex impressis Pragæ atque Antverpiæ, ebd., S. 871–915, hier S. 896–913. Letztlich erwähnten die Autoren der Imago zwei Feiern zum einhundertsten und zweihundertsten Jahrestag des Bestehens der Universität Löwen: „Louaniensis Academia superiore sæculo primum ab origine suâ centesimum publicâ sæcularis Iubilei lætitiâ coluit: & nuper ducentesimum secundo sæculari Iubileo.“ Imago primi saeculi, 1640. Prolegomena. Dissertatio secvnda, S. 9. Laut Emiel Lamberts/Jan Roegiers, De Universiteit te Leuven. 1425–1985 (Fasti academici 1), Löwen 1986, S. 29, 114, scheinen im September 1526 und 1626 entsprechende Feierlichkeiten stattgefunden zu haben. Letztere waren am 18. Juli 1626 von Urban VIII. (reg. 1623–1644) genehmigt und zwischen dem 8. und 22. September begangen worden. Nach der persönlichen Auskunft von Stefan Benz, der die Löwener Quellen gesichtet hat, ist allerdings kein stichhaltiger Nachweis für die Feier von 1526 zu erbringen. Den Autoren der Imago dürfte die Problematik ihrer Konstruktionen zwar ingesamt bewusst gewesen sein. Sie beschlossen ihre Ausführungen mit der apodiktischen Bemerkung: „Nec dubium, quin aliæ subinde Religiosæ Familiæ centesimum annum solennem egerint, licet monumenta non exstent.“ Imago primi saeculi, 1640. Prolegomena. Dissertatio secvnda, ebd., S. 10. Allerdings zeigt das Beispiel Löwen immerhin, dass im Katholizismus entsprechende Jubiläen wenigstens einige Jahrzehnte vor den Jesuiten in Gebrauch gekommen zu sein scheinen. Dissertatio prima. De instituto Operis, ebd., S. 1–4, hier S. 3: „Non est igitur, quòd labori nostro timeat aliquis suspicionem vanitatis; quasi id egerimus, vt nos nostraque laudando extolleremus. Dei vnius opus Societas est, non hominum labor: Dei opus celebramus.“ Liber primvs. Societas nascens. Capvt tertivm. Iesvs primus ac præcipuus auctor Societatis, ebd., S. 64–66, hier S. 64: „Societas IESV, vt à S. Ignatio de Loiolâ non ducit nomen, ita neque originem primam. & aliud sentire aut loqui, nefas. Neque hæc filiorum in Parentem est iniuria, honorem illi suum abrogantium, sed sinceritas iudicio illius & veritati subscribentium. Quippe Societas IESV humanum inuentum non est, sed ab illo ipso profectum, cuius nomen gerit. Ipse enim IESVS illam viuendi normam, ad quam se dirigit Societas, suo primùm exemplo, deinde etiam verbis expressit.“ Vgl. Capvt secvndvm. Societas vaticiniis prædicta, ebd., S. 57–64, hier S. 60ff. Die Bollandisten konnten sich auch hier auf Autoren des späten 16. und frühen 17. Jahrhunderts stützen. Die endzeitlichen Deutungen der Jesuiten – einer ihrer verbreitetsten war seit Jerónimo Osório (1508–1580) die Auslegung des Engels in Apc 9,1: „Der fünfte Engel blies seine Posaune. Da sah ich einen Stern, der vom Himmel auf die Erde gefallen war […]“, auf Ignatius von Loyola und des Sterns auf Martin Luther – behandelt Marjorie Reeves, The Influence of Prophecy in the Later Middle Ages. A Study in Joachimism, Oxford 1969 (Erweiterter Neudruck Notre Dame/London

229 welchen Gründen er im fortgeschrittenen 16. Jahrhundert in die Zeit geschickt worden war, denn „weshalb die Anfänge und gleichsam Geburtsstunden der einzelnen [Orden] auf so unterschiedliche Zeiten verteilt werden mögen, ist nicht allen in gleichem Maß bekannt.“26 Neue Orden seien von der Vorsehung demnach, erstens, für jene historischen Lagen bestimmt worden, in denen „nicht wenige der Gott heiligen Männer, denen die Sorge oblag, die Seelen zu stützen […], Gott und sich selbst vergessend, sich eher der Muße und Faulenzerei als der Frömmigkeit und ihrem Amt hingegeben haben […].“ 27 Die Vitalisierung alter Lebenskraft traf sich angesichts der Unterschiedlichkeit menschlicher Empfindungen, zweitens, mit der Notwendigkeit zur Diversität, so dass die Providenz auch sicherstellte, „die Kirche mit einer gewissermaßen sichtbaren Unterscheidung zwischen den Orden zu schmücken, und, nachdem sie von sehr schöner Mannigfaltigkeit rings umhüllt worden war, sie gleichsam in [ihrem] geschmackvollen Äußeren zu verfeinern […].“ 28 Der letzte und dritte Grund werde, so Bolland und Henschen, von vielen als der wichtigste angesehen. Er besagte, „dass Gott neue Kunstgriffe des Widersachers mit neuen Posten entkräfte, und passende Hilfstruppen für sein bedrängtes Staatswesen in die Zeit entsende […].“ 29

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1993), S. 274–290. Über einschlägige Deutungen im frühneuzeitlichen Katholizismus ist heute weniger bekannt als über jene im Protestantismus. Vgl. die Hinweise von Thomas Kaufmann, Römisches und evangelisches Jubeljahr 1600. Konfessionskulturelle Deutungsalternativen der Zeit im Jahrhundert der Reformation, in: Millennium. Deutungen zum christlichen Mythos der Jahrtausendwende, Gütersloh 1999, S. 73– 136, hier S. 88ff.; Sabine Schmolinsky, Im Angesicht der Endzeit. Positionen in den „Lectiones memorabiles“ des Johannes Wolff (1600), in: Endzeiten […], hrsg. v. Wolfram Brandes/Felicitas Schmieder (im Druck). Imago primi saeculi, 1640. Liber primvs. Societas nascens. Capvt primvm. Cur diuersis temporibus diuersi Religiosorum Ordines nascantur, ebd., S. 53–57, hier S. 53: „[…] cur in tempora tam diuersa singulorum ortus ac veluti natales digerantur, non perinde notum est omnibus.“ Ebd., S. 53: „Accepimus, quo tempore nata est Societas, non paucos sacrorum Deo hominum, quibus animarum iuuandarum incumbebat cura […] Dei suique negligentes, otio magis ac desidiæ quàm pietati ac muneri suo deditos […].“ Ebd., S. 54: „Alij, vt quisque pro animi sui iudicio fert sententiam, qui diligebant decorem domus Domini, in eumque penitus erant intenti, suauem Dei prouidentiam hîc admirabantur; quâ Ecclesiam spectabili quodam Ordinum discrimine adornare, & pulcherrimâ circumamictam varietate, velut ad elegantiam pergeret expolire: non vt animos piorum tantùm oblectaret, sed vt oblectatione delinitis cumulatiùs prodesset: & quem in modum alimenta, quæ ad victum mortalium necessaria erant, varia fecit, singulisque voluptatem suam permiscuit, ne deesset quod tam vario hominum palato allubesceret […].“ Ebd., S. 55: „Plures tamen principem caussam crediderunt, vt nouas satanæ machinationes nouis præsidiis Deus infringat, & opportuna auxilia laboranti Reipublicæ suæ in tempore submittat […].“

230 Wurde in diesen Passagen die dem Orden prädestinierte Rolle erläutert, zeugten die unvergleichliche geographische Ausdehnung 30 und die Tragfähigkeit seiner Institutionen und Methoden von dem Gleichklang mit dem Willen Gottes. 31 Dies galt nicht weniger für die Societas patiens, in der sich nichts anderes als eine Station der konsequenten imitatio Christi manifestierte, mit der sich weniger das metaphorische Konzept der „Nachfolge“, sondern ein zur Identifikation oder „Verlebendigung“ (Maron) tendierendes Konzept des „Nachbildens“ 32 verknüpfte: „Welch wütender, tobender Sturm donnert grundlos auf die heiligen || Bruderschaften Iesu mit Schmähungen herab? || Welch Qualen, welch Schwerter drohen unschuldigen –––––––— 30

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Vgl. Liber secvndvs. Societas crescens. Sive De incremento & progressu Societatis vsque ad hunc annum sæcularem. Capvt tertivm. Societatis incrementum sub sancto Ignatio, ebd., S. 207–208: „Sed id Ignatio indultum Marcellus II. Papa iudicauit, vt inter omnes, quorum operâ in instituendis Ordinibus diuina Sapientia vsa est, nemo, dum viueret, tantam familiæ suæ, quantam ille, dilatationem viderit. Fuerunt aliæ fecundæ quidem, & sub ortum suum, instar fontium recèns prorumpentium è terrâ, quà patuit via, se diffudêre: sed Fundatorum auspiciis pleræque vix aliquot Regnorum fines, paucæ vnam orbis partem excessere. Quid Societas? extremas terras, extrema peruagata maria. vbique gentium non sedes modò, sed & Prouincias habuit. in Europâ nouem; vnam in Asiâ (sed quàm vastam?) Indiam, vltimos hominum Iapones complexam: vnam item in Africâ (ita tum censebatur) Æthiopiam: Brasiliam in Americâ postremam.“ Vgl. Liber tertivs. Societas agens. Sive De incremento & progressu Societatis vsque ad hunc annum sæcularem. Besprochen wurden hier unter anderem die Rolle verschiedener Vermittlungstätigkeiten, deren Entwicklung und Funktion. Vgl. etwa zum Privileg der contio: Capvt secvndvm. De sacris Concionibus, ebd., S. 333–337, hier S. 333: „Concionandi munus, Episcoporum proprium, cum Ordinibus Mendicantium, vt vocamus, Summi Pontificis auctoritate communicatum est. Societas illud gessit ab exortu suo, imò cum hoc munere nata est.“ Vgl. zum Lehramt: Capvt tertivm. De lectionibus Theologiæ sacræ ac Philosophiæ, ebd., S. 337–342, hier S. 337: „Alterum, in quo studiosè versata fuit Societatis opera, est munus docendi, ab eo quod iam memoraui, hoc diuersum, quòd concionatori maximè est propositum accendere audientium voluntates, doctori potiùs illuminare mentes.“ Einen Überblick über die Ordensstrukturen liefern Günter Switek, Die Eigenart der Gesellschaft Jesu im Vergleich zu den anderen Orden in der Sicht des Ignatius und seiner ersten Gefährten, in: Sievernich/ Switek (Hrsg.), Ignatianisch (1990), S. 204–232; Adrien Demoustier, La distinction des fonctions et l’exercice du pouvoir selon les règles de la Compagnie de Jésus, in: Les jésuites à la Renaissance. Système éducatif et production du savoir, hrsg. v. Luce Giard (Bibliothèque d’histoire des sciences), Paris 1995, S. 3–33. Maron, Ignatius (2001), S. 173; Rogelio García-Mateo, Das Pädagogische in den Geistlichen Übungen, in: Ignatius von Loyola und die Pädagogik der Jesuiten. Ein Modell für Schule und Persönlichkeitsbildung, hrsg. v. Rüdiger Funiok/Harald Schöndorf (Geschichte und Reflexion), Donauwörth 2000, S. 44–53, hier S. 36f., spricht von einem „Prozess der Angleichung an Christus“. Vgl. dazu auch Sudbrack, „Anwendung“ (1990), S. 100; Stefan Kiechle, Kreuzesnachfolge. Eine theologischanthropologische Studie zur ignatianischen Spiritualität (Studien zur systematischen und spirituellen Theologie 17), Würzburg 1994, bes. S. 75–81, 155–165, 313–316; Karlheinz Ruhstorfer, Das Prinzip ignatianischen Denkens. Zum geschichtlichen Ort der „Geistlichen Übungen“ des Ignatius von Loyola (Freiburger theologische Studien 161), Freiburg i. Br./Basel/Wien 1998, S. 202ff.

231 Kehlen? || Die erhabene Tugend verharrt, und das rötliche Haupt || ragt aus den Wolken der Verleumdungen hervor […].“ 33 Innereuropäische Konflikte, „Ränkespiele, Ächtungen, Verbannungen“, 34 entsprachen dem Leidensweg in europäischen und überseeischen Regionen. Die Neue Welt im Westen war ebenso Schauplatz der blutigen Standfestigkeit jesuitischer Geistlicher wie die Missionsgebiete im Osten: „Japan ist der Societas zugehörig, aus dem Grund, weil Franz Xavier als erster den Glauben an Christus dorthin getragen hat […]; und das Blut der Märtyrer ist dort fürwahr der Samen des Christentums.“ 35 Im westeuropäischen Maßstab hätten „Ketzerei und Unfrömmigkeit“ in England, dem gleichsam „europäischen Japan“, eine „blutige Szene“ 36 des Kampfs um den wahren Glauben nach sich gezogen. Auf die dem Heil notwendig vorangehenden Stationen des Leidens folgten die Zeichen des Ruhms: Societas honorata. Mit zahlreichen Mirakeln oder mirakelähnlichen Erscheinungen („miraculis affinia“) habe Gott die Heilsmäßigkeit des Ordens bezeugt. 37 Anerkennende Äußerungen irdischer Würdenträger wurden ausführlich referiert. 38 Ziel- und Fluchtpunkt der individuellen wie kollektiven Biographik der Imago blieben jedoch die –––––––— 33

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Imago primi saeculi, 1640. Liber qvartvs. Societas patiens. Sive De adversis qvæ societati contigervnt, hier das zu dem Motto Persecutionis meritum zugehörige Epigramm Dant pretium plagæ, ebd., S. 576: „Qvid sæua frustrà detonat in sacros || I E S V Sodales opprobriis grauis || Procella? quid cruces, quid enses || Innocuis iugulis minantur? || Stat celsa virtus, & rutilum caput || Calumniarum nubibus exserit, || Nec sumit aut ponit nitorem || Arbitrio variantis auræ. || […].“ Capvt decimvm. De calumniis in Societatem primo sæculo iactatis, ebd., S. 521–524, hier S. 521: „Tvrbas, proscriptiones, exsilia (pauca de multis) primi sæculi hactenus qui legerit […].“ Capvt dvodecimvm. In Iaponiâ in Socios gladio, flammis aliisque tormentis barbarè sæuitum, ebd., S. 528–531, hier S. 528: „Propria Societati Iaponia est, ex quo primus in eam Xauerius CHRISTI intulit Fidem. […] & verè sanguis Martyrum hîc semen est Christianorum.“ Capvt decimvmqvartvm. Sociorum aliqui in Europâ crudeliter interfecti; præsertim in Angliâ, ebd., S. 535–537, hier S. 535: „In nostrorum orbem aliquando reuertamur. Hîc quoque scenam cruentam hæresis atque impietas dabunt: in Angliâ præsertim, si fas dicere, Iaponiâ Europæâ.“ Liber qvintvs. Societas honorata. Capvt qvintvm. De honore quem Societati contulerunt miracula, aut miraculis affinia, per Socios patrata, ebd., S. 621–638, hier S. 621: „Vtcumque tandem eluctatus ex innumerabili serie tot virorum sanctitate præstantium, ecce tibi, cùm se miracula offerunt, ex infinito velut Oceano iterum reuocor in immensum.“ Vgl. etwa Capvt primvm. Gloria Societati parta per illustrem sanctitatem Ignatij Loiolæ & reliquorum in Italiâ Sociorum, ebd., S. 581–599; Capvt nonvm. Societatis præclara fama, quam de illâ sparsit honor varius eidem delatus à Pontificibus, Regibus, Principibus, & aliis, ebd., S. 651–660; Capvt decimvm. Aucta & amplificata Societatis IESV existimatio à virorum Principum testimoniis, qui de illâ, vt meruere benè, sic magnificè censuerunt, ebd., S. 661–673. Etwas knapper fiel der Abschnitt mit Zeugnissen nichtkatholischer Zeitgenossen aus: Capvt dvodecimvm. Commendatio Societatis IESV etiam ab infidelibus & hæreticis vi veritatis expressa, ebd., S. 680–682.

232 Gedanken an die Überwindung des Todes und den universalen Triumph in der Vita Christi. „Guter Tod! nicht Tod, sondern Trugbild des Todes […]“, klang eine Elegie auf den Tod des hl. Ignatius aus.39 Vierzehn Embleme illustrierten Episoden aus dem Wirken und Sterben jesuitischer Geistlicher. Sie erinnerten an exponierte Persönlichkeiten aus den ersten Jahrzehnten der Gesellschaft Jesu wie Louis de Gonzaga (1568–1591), 40 der 1605 seliggesprochen worden war, an den im selben Jahr beatifizierten Stanislaus Koska (1550–1568) 41 und Francisco de Borja (1510–1572), 42 der 1624 seliggesprochen worden war und 1671 in den allgemeinen Heiligenkanon der katholischen Kirche aufgenommen werden sollte. Sie gedachten der Märtyrer der Jesuiten, 43 des 1622 zusammen mit Ignatius von Loyola kanonisierten Franz Xavier (1506–1552) 44 und Carlo Spinolas (1564–1622), des prominentesten Opfers des sogenannten Großen Martyriums von Nagasaki im Jahr 1622: „Es lodert auf, und in rötlichen Flammen erblüht Spinola, || Und die teure Rose verjüngt sich wie von heilbringendem Regen. || […] Und blutrot ist den Rosen die Farbe; und daher ein Schmuck inmitten der Feuer zu leben, süß zu sterben.“45 (Abb. 3) Auf lokalpatriotischem Hinter–––––––— 39

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Liber qvintvs. Societas honorata. Exercitatio poetica, ebd., S. 706–727. Mors S. Ignatii. Elegia secvnda, ebd., S. 712f., hier S. 713: „Bona mors! non mors, sed mortis imago; || […].“ Vgl. ebd., S. 723, das Motto In imaginem B. Aloysij, cuius pedibus adiacet corona Marchionatus euersa, mit dem Epigramm Rectè de gloriâ iudicat, qui eam ex alto despicit. Vgl. ebd., S. 724, das Motto B. Stanislaus pridie Virginis Assumptæ moritur, mit dem Epigramm Vt assumar. Vgl. ebd., S. 722, das Motto B. Franciscus Borgia stemma suum virtute nobilitat, mit dem Epigramm O, nihil: at numeros sic facit innumeros. Vgl. ebd., S. 725, das Motto Martyres Societatis IESV, mit dem Epigramm Cæsa triumphat; ebd., S. 726, das Motto Martyres vasa Dei electa, quibus Iaponia triumphat, mit dem Epigramm Hæc signa triumphi. Ebd., S. 720, das Motto Somnium Xauerij de subsidio Indis ferendo, mit dem Epigramm Credimus? an qui amant ipsi sibi somnia fingunt?; ebd., S. 721, das Motto Xauerius, orbe peragrato, moritur in littore Chinarum, mit dem Epigramm Tum te terra teget, cùm totum impleueris orbem. Vgl. zu Anfängen der Mission in Japan Léon Bourdon, La Compagnie de Jésus et le Japon. La fondation de la mission japonaise par François Xavier (1547–1551) et les premiers résultats de la prédication chrétienne sous le supériorat de Cosme de Torres (1551–1570), Lissabon/Paris 1993. Imago primi saeculi, 1640. Liber quintvs, S. 727, das Motto Carolus Spinola lento igne comburitur mit dem Epigramm Dulce & decorum est: „[…] Ardet, & in rutilis florescit Spinola flammis, || Multaque ceu dulci vernat ab imbre rosa. || […] Sanguineusque rosis color est; atque inde decorum || Ignibus in mediis viuere, dulce mori.“ Die Übersetzung erhebt keinen Anspruch auf poetische Qualitäten. Vgl. zu den Vorgängen in Nagasaki, bei denen 55 katholische Christen, überwiegend konvertierte Japanerinnen und Japaner, enthauptet und verbrannt worden waren, Andrew C. Ross, A Vision Betrayed. The Jesuits in Japan and China 1542–1742, Edinburgh 1994, S. 98. Schon 1597 war es in Nagasaki zu einem ähnlichen Vorfall gekommen. Vgl. Gregory, Salvation (1999), S. 252, 307, 468 Anm. 7; Marie-Christine GomezGéraud, Le théâtre des premiers martyrs japonais. La leçon de théologie, in: Revue

233 grund bestätigte das abschließende sechste Buch, Societas Flandro-Belgica, die universale Gültigkeit der dargelegten Strukturen anhand eines Territoriums, das, von 1640 aus betrachtet, auf eine tatsächlich wechselhafte – christologisch lesbare – Geschichte zurückblicken konnte, denn: „[H]ier ist die Societas, kaum geboren, auf der Stelle bekannt geworden, alsbald ist sie herangereift, hat sich vorzüglich geschlagen, hat Wunden empfangen, Blut vergossen: und es scheint, dass die Belgica allein beinahe all das, was die gesamte Societas erkennen lassen sollte, mit ihren engen Grenzen umschlossen hat.“ 46

4.1.2 Acta Sanctorum – Der Zahn der Zeit Diese heilsgeschichtliche Emphase, die die Interpretation der Heiligen im Kosmos der Imago primi saeculi begleitete, kam in den Acta Sanctorum nur in Ansätzen zum Ausdruck. Mit Worten, die denen glichen, die Du Saussay in der Einleitung des Martyrologium Gallicanum zur Beschreibung der Heiligen verwandt hatte, repräsentierten die Heiligen für Bolland die „von Gott gegen seine Feinde errichtete>n@ Siegeszeichen, Denkmäler seiner Güte, Insignien seiner Majestät, die durch keine Stürme zum Einsturz gebracht werden, die die Feinde nicht zerstören können, die das Alter nicht verschleißen kann, zur ewigen Erinnerung für alle Zeitalter festgefügt […].“ 47 In der – heute würde man sagen: topisch gedachten und verschriftlichten – Form ihres Lebens artikulierte sich die natürliche Ordnung der Dinge, die einst vom Schöpfer festgelegt und von den Menschen verwirrt worden sei. 48 Die Schriften, die ihre Taten verzeichneten, verwiesen grundsätzlich auf den der Zeitlichkeit enthobenen Bereich der historia sacra, die  wie in Abwandlung des Ciceronischen Topos der historia als –––––––— 46

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des Sciences Humaines 269 (Themenheft: Martyrs et martyrologes) (2003), S. 175– 187, hier S. 176f. Vgl. zu den Beatifikationen unten S. 453f. Anm. 359. Imago primi saeculi, 1640. Prolegomena. Dissertatio septima, S. 23: „[H]îc Societas vix nata è vestigio innotuit, mox adoleuit, dimicauit egregiè, vulnera accepit, sanguinem misit: & quod Societas vniuersa præbere possit, id pænè omne Belgica vna exiguis terminis suis videtur esse complexa.“ Vgl. Bolland, Praefatio, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, S. XIIIa: „>…@ tropæa >…@ de Dei hostibus erecta, monumenta bonitatis illius, insignia maiestatis, quae non venti subruant, demoliantur hostes, consumat vetustas, ad seculorum omnium sempiternam memoriam statuta, >...@.“ Vgl. zu Du Saussay oben S. 160. Vgl. Bolland, Praefatio, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, S. XXVa: „Rerum omnium quæ existunt, ordo quidam est ac modus, à naturâ, aut potiùs ab auctore naturæ, sapientissimè constitutus. Cernitur is quoque (licet sæpius hominum improbitate perturbatus) >…@ alibi nusquam illustriùs, quàm in Sanctorum vitâ elucet, à quibus est tum in Numinis veneratione publicâ ac priuatâ, tum in ceterarum functionibus ac muniis virtutum, omnique vitæ ratione, ordo quidam, idemque ferè Diuinâ haustus institutione, studiosissimè conservatus >…].“

234 „testis temporum, lux veritatis, vita memoriae, magistra vitae, nuntia vetustatis >…@„ (De Oratore, lib. II, c. 9,36) bemerkt wurde  ihre Wirksamkeit als die wahre „Fürstin der Lebensläufe, Leuchte der Ratschlüsse, Meisterin der Sitten“ 49 entfaltete. Da der Gegenstand der Acta Sanctorum allerdings nicht die Verherrlichung der Heiligen selbst, sondern das über sie Auskunft gebende historische Schrifttum war, galt es, die Leserinnen und Leser darauf vorzubereiten, dass die weltlichen Zeugnisse ihres Wirkens, im metaphorischen Sinne: „[…] halbverfallene Statuen, von Fäulnis und Moder zerfressene Bilder, zerbrochene Schwerter und Panzer“, 50 den heilsgeschichtlichen Glanz nicht immer bewahrt hatten. Diese Unterscheidung kam in den unterschiedlichen Rollen zum Tragen, die Chronos auf den Kupfertiteln der Acta Sanctorum und der Imago primi saeculi zugeschrieben wurden. Während der Chronos auf dem Kupfertitel der Imago von der Allegorie der Societas Jesu beherrscht wird und sein Stundenglas gekippt ist (Abb. 4), 51 ist seine Wirkungsmächtigkeit auf dem Kupfertitel der Acta Sanctorum (Abb. 5) intakt. Dieser stammte von Abraham Van Diepenbeeck (1596–1675), der 1628 bereits das Titelbild für eine neue Ausgabe der Vitae Patrum entworfen hatte. 52 Im Kern einer grob bearbeiteten Predella, die die Zeichen unkultivierten Pflanzenwuchses trägt, bekleidet Chronos eine Position, die in der hochbarocken, dem Altarbau entlehnten Grabmalarchitektur regelhaft von Sarkophagen ausgefüllt wird. 53 –––––––— 49

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Vgl. ebd., S. XIIIa: „Si quid historia, id est publica rerum gestarum consignata litteris memoria, hominum generi vtilitatis affert aut voluptatis, præclaris exemplis animos ad officii partes omnes ritè exequendas instituens, & variâ admirabilium euentorum repræsentatione >…@; id omne multò luculentiùs in sacrâ inest historiâ, vt verè dux vitæ, lux consiliorum, morum magistra debeat existimari.“ Ebd., S. XXVIIIa: „>...@ semitruncas statuas, carie situque exesas imagines, fractos enses ac loricas >...@.“ In verschiedenen Formen ziert der „gezähmte“ Chronos die Titelbilder zahlreicher historiographischer Werke des 17. Jahrhunderts. Vgl. Marion Kintzinger, Chronos und Historia. Studien zur Titelblattikonographie historiographischer Werke vom 16. bis zum 18. Jahrhundert (Wolfenbütteler Forschungen 60), Wiesbaden 1995, S. 26, 151 mit Anm. 249, 157. Kintzinger spricht von einem „bekannten Bildtopos ‚Historia schreibt auf dem Rücken der Zeitǥ.“ Ihre Beispiele stammen aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Vgl. ebd., S. 248f. Abb. 7–9, S. 321 Abb. 137. Vgl. David W. Steadman, Abraham van Diepenbeeck. Seventeenth-Century Flemish Painter (Studies in Baroque Art History 5), Ann Arbor, Mich. 1982, S. 6f. Den Hinweis auf Van Diepenbeeck verdanke ich Frau Dr. Huberta Weigl, Wien. Ursprünglich hatte Rosweyde gehofft, Rubens für die Gestaltung des neuen Titelbilds gewinnen zu können. Vgl. ebd., S. 169 Anm. 6. Van Diepenbeecks Entwurf für den Kupfertitel der Acta Sanctorum reproduziert Steadman ebd., Abb. 51. Die Abbildungen 5 und 6 wurden mit freundlicher Genehmigung der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen reproduziert. Vgl. Angelika Seifert, Westfälische Altarretabel (1650–1720). Ein Beitrag zur Interpretationsmethodik barocker Altarbaukunst (Habelts Dissertationsdrucke. Reihe Kunstgeschichte 7), Bonn 1983, S. 330f.; Peter Hawel, Der spätbarocke Kirchenbau

235 Er assoziiert sich seinem ikonographischen und geistesgeschichtlichen Vater, dem Tod. 54 Seine Stellung ist die des Antipoden zu der im Auszug thronenden Allegorie der Acta Sanctorum. Im Sinne einer Verschränkung semantischer Räume wird ihre Identität durch die angespielte „subscriptio“ in Gestalt des Titelblattes („ACTA SANCTORVM || […]“) angezeigt. Chronos’ Herrschaft gilt einem Stapel Bücher, auf dem das Gewicht seines Oberkörpers ruht. Deren Vergänglichkeit wird von einem ablaufenden Stundenglas bedeutet. Thematisiert sind die Zeit im Innerweltlichen und der Objektbereich, der von ihrer Wirkungsmächtigkeit betroffen ist. Mit der Linken spielt Chronos keineswegs auf der Syrinx, wie ein erster Blick vermuten lassen könnte. Vielmehr verzehrt er die Reste eines Buchs. Ein Putto ist bestrebt, ihm dessen verbliebene Teile aus der Rechten zu entwinden (Abb. 6). 55 Das spiegelbildliche Pendant dieses Stapels befindet sich in der rechten Giebelnische der – auch in diesem Fall durch die Linienführung der Figuren angedeuteten – Attika. Die sich dort aufhäufenden Volumina tragen die Aufschriften „IANVARIVS“, „APRILIS“, „MARTIVS“. Drei weitere auf „…IVS“ endende Bände werden vom herabgerutschten „MARTIVS“ verdeckt. Der marginale Stapel ist, im Sinne einer Stufung der Handlungschronologie, der Endpunkt des dargestellten Geschehens, das im Hauptgeschoss seinen Ausgang nimmt. Links des Titelblattes oder Velums, hinter dem sich, jenseits von „Schleier und Schwelle“,56 eine Gruppe Bücher in Händen haltender, altertümlich gekleideter Gestalten abzeichnet, schickt sich ein Fackel tragender Putto an, in das sie umschließende Arkanum einzudringen. Getreu der in die linke Basiskonsole gravierten Inschrift lautet das sich in ihm manifestierende Motto: „OBSCVRA REVELO“, „Ich helle die Dinge auf, die im Dunkeln liegen.“ Begleitet wird er von einem Lichtstrahl, den –––––––— 54

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und seine theologische Bedeutung. Ein Beitrag zur Ikonologie der christlichen Sakralarchitektur, Würzburg 1987, S. 320. Vgl. Samuel L. Macey, Patriarchs of Time. Dualism in Saturn – Cronus, Father Time, the Watchmaker God, and Father Christmas, Athen/London 1988, S. 45ff.; Thomas Macho, Die Sichel des Kronos. Mythische Bilder der Zeit, in: Vorträge aus dem Warburg-Haus 7 (2003), S. 97–135, bes. S. 101–111. Zwischenzeitlich änderte sich der Kupfertitel. Vgl. AASS Iunii, Bd. 1, 1695. Der Kupfertitel, der auf einen Wechsel des Druckers folgte und nur in den Bänden dieses Monats benutzt wurde, zeigt einen Putto, der Chronos einen Fetzen Beschriebenes direkt aus dem Mund zerrt. Vgl. die Abbildung bei Godding/Joassart/Lequeux [u. a.], Bollandistes (2007), S. 103 Abb. 64. Die Autoren deuten die in der vorliegenden Studie als Allegorie der Acta Sanctorum begriffene Figur als „figure anonyme“ und näherhin als eine Art Präfiguration der damals noch namenlosen wissenschaftlichen Hagiographie: „En 1643, Bolland ne dispose pas encore d’un nom pour désigner cette figure. Aujorud’hui, nous l’appellerions Hagiologia ou Hagiographie critique […].“ Ebd., S 101. Vgl. Aleida Assmann/Jan Assmann, Geheimnis und Offenbarung, in: Schleier und Schwelle, Bd. 2: Geheimnis und Offenbarung (Archäologie der literarischen Kommunikation 5,2), München 1998, S. 7–14.

236 der Spiegel der ihm zugeordneten „VERITAS“ reflektiert und der sich mit den Flammen seiner Fackel trifft. 57 Die Figurengruppe rechter Hand indiziert das Fortschreiten der Handlung. Zwischen zwei Putti, deren einer sich anschickt, den Raum jenseits des Velums zu verlassen und deren anderer den Weg in die Höhe bereits eingeschlagen hat, sucht ein dritter den Blick der „ERVDITIO“. Ihr Fingerzeig bedeutet ihm die – aufwärts – im Auszug präsidierenden Acta Sanctorum als den Zielpunkt seines Wirkens. In ihm verkörpert sich das Motto der personifizierten Gelehrsamkeit „ANTIQVA REDVCO“: „Ich bringe die alten Dinge zurück“. In der für alle Geschosse konstitutiven Bewegung von links nach rechts befördern weitere Helfer die von der „Acta Sanctorum“ verfertigten Bücher, um die Erhebung herum, auf der sie Platz genommen hat, auf den im Wachstum begriffenen Stapel zu ihrer Rechten. 58 Die Personifikation der Acta Sanctorum signalisiert einen Prozess der Umschichtung. Das Alte wird geborgen und aus Chronos’ Einflussbereich entfernt, indem es unter der Ägide des göttlichen Lichts und der christlichen sapientia in Gestalt zweier biblischer, die Heiligen betreffender Motti Eingang in neue Schriften und Bücher findet. 59 Die Darstel–––––––— 57

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Möglicherweise wurde damit auf die potentiellen Helfer für die Arbeit an den Acta Sanctorum angespielt, die Bolland unter seinen Leserinnen und Lesern vermutete. Diese sollten „die Fackel ihrer Gelehrsamkeit, eintretend in die dunklen Grabmäler des Altertums“, vorausleuchten lassen, um die bislang obskuren, verborgenen oder verunklarten Wahrheiten zu erläutern. Vgl. Bolland, Praefatio, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, S. LVIIIb: „[…]: qui vltro obtester Lectores omnes, vt facem suæ eruditionis præluceant incedenti per obscura antiquitatis sepulcra. Quî enim possum non cupere verum videre? aut quî id possum semper videre, si quandoque defossum, occultatum, mendaci oblitum tectorio sit?“ Der Weg der sich linker Hand von den Acta Sanctorum entfernenden Putti wurde auf den Kupfertiteln seit den Julibänden vereindeutigt. Vgl. AASS Iulii, Bd. 1, 1719. Die von diesen Putti getragenen Bücher wurden hier mit den Aufschriften „IULIUS“ und „IUNIUS“ versehen. Ihr Ziel ist also der Stapel in der rechten Giebelnische. Auf dem Titelbild der AASS Augusti, Bd. 1, 1733, trägt der Band, den der Putto unmittelbar rechts der Acta Sanctorum dieser darbietet, die Aufschrift „AUGUSTUS“. In den AASS Septembris, Bd. 1, 1746, heißt dieser Band „SEPTEMBER“, in den AASS Octobris, Bd. 1, 1765, dann „OCTOBER“. Wenigstens in der späteren Wahrnehmung bedeutete der von der Personifikation der Acta Sanctorum betrachtete Band das Erzeugnis des jeweils in Rede stehenden Monats. Der Text der beiden Schriftrollen, die von den aus der Sphäre des Himmlischen herabschauenden Putti präsentiert wird, lautet: „Dedit illi scientiam Sanctorum. Sap. 10.“, und: „In plenitudine Sanctorum detentio mea. Eccli. 24.“ Beide Stellen beziehen sich auf die sapientia. Der erste, nach der Biblia sacra, ed. Weber (31984), Sap 10,9–10, lautet im Kontext: „sapientia autem hos qui se observant a doloribus liberavit || haec profugum irae fratris iustum deduxit per vias rectas || et ostendit illi regnum Dei || et dedit illi scientiam sanctorum || honestavit illum in laboribus || et conplevit labores illius || […].“ Vgl. Die Bibel. Altes und Neues Testament. Einheitsübersetzung, Freiburg i. Br./Basel/Wien 1980, Sap 10,9–10: „Die Weisheit aber rettete ihre Diener aus jeglicher Mühsal. Einen Gerechten, der vor dem Zorn des Bruders floh, geleitete sie auf geraden Wegen, zeigte ihm das Reich Gottes und enthüllte ihm heilige Geheimnisse. Sie machte ihn reich bei seiner harten Arbeit und vermehrte den

237 lung der Bergung und Sicherung geschichtlicher Artefakte – Schriftrollen, Bücher, Briefe, Tafeln, Münzen – konnte Marion Kintzinger auf den Titelbildern historiographischer Werke vor allem des späteren 17. Jahrhunderts beobachten. 60 Aufgrund der Gestaltung des Kupfertitels scheint es demnach möglich zu sein, die Acta Sanctorum jenen historiographiegeschichtlichen Strömungen zuzuweisen, die bereits zeitgenössisch unter dem Begriff des Antiquarianismus diskutiert wurden.

4.1.3 Antiquarianismus Antiquarianismus ist eine heterogene Kategorie. Sie entspricht im Deutschen dem Lexem der „Altertumskunde“, das sich mit dem Fremdwortpurismus des 19. Jahrhunderts durchgesetzt hat. 61 Wortgeschichtlich gesehen –––––––—

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Ertrag seiner Mühen.“ Der sich auf die „scientia sanctorum“, das „Wissen von den Heiligen“, beziehende Vers ist mit „heiligen Geheimnissen“ sicher nicht glücklich übersetzt. Der zweite Spruch bezieht sich auf Sir 24, die „sapientiae laus“, und genauer auf Sir 24,15–17: „et in Hierusalem potestas mea || et radicavi in populo honorificato || et in parte Dei mei hereditas illius || et in plenitudine sanctorum detentio mea || quasi cedrus exaltata sum in Libano […].“ Vgl. diese Worte, welche die sapientia in Ich-Rede artikuliert, nach der Einheitsübersetzung Sir 24,11–13: „Jerusalem wurde mein Machtbereich. || Ich faßte Wurzel bei einem ruhmreichen Volk,/im Eigentum des Herrn, in seinem Erbbesitz. || Wie eine Zeder auf dem Libanon wuchs ich empor, […].“ Der Vers der Vulgata: „et in plenitudine sanctorum detentio mea“/„und meinen Aufenthalt in der Fülle der Heiligen“, scheint nicht mehr zum heute kanonischen Text zu zählen. Die zeitgenössische Exegese dieser Verse wurde hier nicht näher studiert. Der zuletzt genannte scheint sich nahezu als Motto unter den hagiographisch tätigen Gelehrten verbreitet zu haben. Vgl. bereits die Würdigung der Tätigkeit des Vaters und der anderen Hagiographen der Zeit in einem Schreiben von Zacharias Rader an Matthäus Rader, Dillingen, 20. Nov. 1611, in: P. Matthäus Rader SJ, Bd. 1: 1595–1612, bearb. v. Helmut Zäh/Silvia Strodel, eingel. u. hrsg. v. Alois Schmid (Bayerische Gelehrtenkorrespondenz [1]), München 1995, Nr. 290, S. 574– 579, hier S. 576: „Ex voto mei meliùs laborare, Pater optime, non potuisses ipse, non Surius, Canisius, Baronius, Molanus, et iam Rosweidius, quàm in Sanctis. In plenitudine enim Sanctorum detentio mea.“ Vgl. ähnlich anlässlich der Arbeit am dritten Band seines Viridarium Sanctorum Zacharias Rader an Matthäus Rader, (Ingolstadt), 16. Juni 1611, in: ebd., Nr. 276, S. 555–558, hier S. 557: „Nunc autem et tertiam Viridarij partem sub manibus esse audio: gratulor ingentem in modum laborem pretiosissimum, opuscula toti mundo exosculanda. Laboremus modò in talibus, et in plenitudine Sanctorum detentio nostra.“ Die hier als Personifikation der Acta Sanctorum begriffene Figur deutet Steadman, Van Diepenbeeck (1982), S. 35, in kursorischer Lektüre des Kupfertitels als als religio. Vgl. Kintzinger, Chronos (1995), S. 162f., 198ff. Die Artikel im Grimmschen Wörterbuch bestehen aus einer lateinischen Umschreibung ohne weitere Belegstellen. Vgl. Art. Alterthumsforscher, in: Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm, Bd. 1, Leipzig 1854 (Neudruck München 1984), Sp. 271: „antiquitatis scrutator.“ Art. Alterthumsforschung, in: ebd.: „antiquitatis studium.“ Art. Alterthumskenner, in: ebd.: „antiquitatis peritus.“ Art. Alterthumskunde, in: ebd.: „scientia antiquitatis eruditae.“ Art. Alterthumswissenschaft,

238 konnten sich die mit den Hinterlassenschaften eines – wie auch immer definierten – „Altertums“ („antiquitas“) beschäftigenden Gelehrten spätestens seit dem späten 15. Jahrhundert wechselseitig als antiquarii bezeichnen. 62 Ein antiquarius war allerdings auch eine Person, die mit historischen Objekten handelte. 63 Das Wort selbst könnte eine Entdeckung der altertumskundlichen Forschung gewesen sein. Guido Panciroli (1523–1599) erläuterte in seinem Traktat De magistratibus municipalibus von 1593 im Rekurs auf die rechtlichen Korpora der Spätantike, auf patristische Texte sowie auf den unter „Suidas“ firmierenden byzantinischen Lexikographen des 10. Jahrhunderts, dass es sich ursprünglich um eine antike Amtsbezeichnung gehandelt habe. Das tabularium als der Ort, „an dem die öffentlichen Schriften“ abgelegt worden seien, sei neben anderen Ausdrücken wie chartophylacium und grammatophilacium im Griechischen bevorzugt als archeion bezeichnet worden. Im Lateinischen habe man von archivum oder antiquarium gesprochen. Der oströmische Kaiser Leo (reg. 457–474) wollte nach einem im Codex Iustinianus verzeichneten Erlass wenigstens vier antiquarii mit der Verwahrung seines Schrifttums betraut wissen. „Diese“, so Panciroli, „hielten die Codices der Stadt instand und schrieben die durch Alter verdorbenen ab.“ Im Sinne eines librarius standen sie nach Ansicht Pancirolis unter den – diese Einrichtung leitenden – magistri archivi oder städtischen cancellarii. 64 Joseph Justus Scaliger (1540–1609) hatte 1588 in –––––––—

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in: ebd.: „antiquarum literarum studia.“ Lemmata zu „Antiquarianismus“ oder „Antiquität“ befinden sich nicht im Grimm. Vgl. zu diesen Problemen grundsätzlich Alan Kirkness, Zur Sprachreinigung des Deutschen 1789–1871. Eine historische Dokumentation, Bd. 1 (Forschungsberichte des Instituts für deutsche Sprache 26,1), Tübingen 1975, S. 129–170; Sibylle Orgeldinger, Standardisierung und Purismus bei Joachim Heinrich Campe (Studia linguistica Germanica 51), Berlin/New York 1999, S. 314–365. Vgl. Momigliano, Geschichte (1991), S. 223 Anm. 15; Alain Schnapp, The Discovery of the Past. Transl. from the French by Ian Kinnes/Gillian Varndell, New York 1996 [franz. 1993], S. 126; Herklotz, Dal Pozzo (1999), S. 22f., 246. Vgl. William Stenhouse, Reading Inscriptions and Writing Ancient History. Historical Scholarship in the Late Renaissance (Bulletin of the Institute of Classical Studies. Supplement 86), London 2005, S. 17. Vgl. DE || MAGISTRATIBVS || MVNICIPALIBVS, || Et corporibus artificum || LIBELLVS. || EODEM PRAESTANTISSIMO || IVRECONSVLTO. || GVIDO PANCIROLO AVCTORE. || AD SERENISSIMVM PARMAE, || & PLACENTIÆ PRINCIPEM || RAINVCIVM FARNESIVM. || VENETIIS, || Apud Franciscum de Franciscis Senensem. 1593, in: NOTITIA || VTRAQVE || DIGNITATVM || CVM ORIENTIS, || TVM OCCIDENTIS VLTRA || Arcadij, Honorijque Tempora. || Et in eam || GVIDI PANCIROLLI I. V. C. Præstantiss. ac in Celeberrimo || Patauino Gymnasio Interpretis Legum Primarij, || COMMENTARIVM. || In quo Ciuiles Militaresque Magistratus, ac Palatinæ dignitates, cum omnium officijs || explicantur: pluriumq[ue] iurium sensus, atq[ue] aliorum Auctorum loca illustrantur. || AD SERENISS. CAROLVM EMANVELEM || SABAVDIÆ DVCEM. || Item de MAGISTRATIBVS MVNICIPALIBVS || eiusdem Auctoris Liber, || AD SEREN. RAINVTIVM FARNESIVM Parmæ &c. Ducem. || Cum duplice Indice, vno capitum, altero insignium rerum co-

239 seinen Kommentaren zu den Briefen des Rhetorikers und Dichters Decimus Magnus Ausonius († nach 393) antiquarius als Synonym für kalligraphos ausgemacht. 65 Es ist bemerkenswert, dass die – im Folgenden anzusprechende – antike historiographische Strömung des Antiquarianismus auf der –––––––—

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piosissimo. || CVM PRIVILEGIO. || VENETIIS, M. D. XCIII. || Apud Franciscum de Franciscis Senensem, S. 183–198, hier S. 195a [fehlerhaft als S. 295 paginiert]: „TABVLARIVM locus erat, in quo scripturas publicas reponebant, Græce D҆UFHLҔRQ dictum, vt ait Suidas. Id est antiquarium in quo vetustæ memoriæ res conseruabantur, aliqui chartophylacium seu grammatophilacium, uel archium vocant. Qui vero huic loco, & scripturis præficiebatur, archeonta ab ipsos archiuo nuncupabatur. Latini antiquarium appellant. Leo A. antiquarios, inquit, qui habentur in scrinio memoriæ nunquam minus esse, quàm quatuor volumus. Hi codices ciuitatis conseruabant, & vetustate corruptos describebant. Valentinianus Antiquarios, ait, ad bibliothecĊ codices componendos, & pro vetustate reparandos quatuor Græcos, & tres Latinos scribendi peritos legi iubemus. Diuus Gregorius. Antiquarios, ait, librarios reperij. His successere qui magistri archiui, alibi cancellarij ciuitatum appellantur.“ Aus Gründen der Übersichtlichkeit wurden Pancirolis Stellennachweise – es handelt sich um alphabetisierte Marginalnoten – hier nicht wiedergegeben. Vgl. Corpus iuris civilis. Editio stereotypa tertia, Bd. 2: Codex Iustinianus, hrsg. v. Paul Krüger, Berlin 1884, XII, 19,10, S. 459b: „Idem [Imp. Leo] A. Hilariano comiti et magistro officiorum ac patricio. Statutos memoriales praecipimus esse in scrinio quidem memoriae sexaginta duos, epistularum vero triginta quattuor, libellorum quoque triginta quattuor: antiquarios vero, qui habentur in scrinio memoriae, numquam minus esse quam quattuor.“ Theodosiani libri XVI cum constitutionibus Sirmondianis et leges novellae ad Theodosianum pertinentes, Bd. 1,2: Textus cum apparatu, hrsg. v. Theodor Mommsen, Berlin 1935, XIV, 9,2, S. 787 (8. Mai 372): „IDEM [Imp. Valentinianus] AAA. CLEARCHO P(RAEFECTO) V(RBI). Antiquarios ad bibliothecae codices componendos vel pro vetustate reparandos quattuor Graecos et tres Latinos scribendi peritos legi iubemus.“ Lemma DZȡȤİîĮ, in: Suidae lexicon, hrsg. v. Ada Adler, Bd. 1 (Lexicographi graeci 1,[1]), Leipzig 1928, S. 372f., Nr. 4089. Ein Amt der klassischen Antike im engeren Sinn war der antiquarius offenbar nicht. Vgl. unten Anm. 66. Die Nachweise im Art. antiquarius, in: TLL, Bd. 2, 1900–1906, Sp. 173f., entstammen vor allem der spätantiken und frühchristlichen Literatur. Als lateinisches Äquivalent für D҆UFHLҔRQ wird heute neben der Lehnübersetzung archiv(i)um ausschließlich tabularium geführt. Vgl. Karl Dziatzko, Art. Archive, in: RE, Bd. I,3, 1895, Sp. 553–564; Konrad Vössing, Art. Archiv, in: Der neue Pauly, Bd. 1, 1996, Sp. 1021–1025. Vgl. IOSEPHI || SCALIGERI || IVL. CÆS. F. || AVSONIANARVM || LECTIONVM || LIBRI DUO. || Adiectis præterea, Doctissimorum id genus || authorum: vtpote Adriani Turnebi, Ha- || driani Iunij, Guilelmi Canteri, Iusti Lypsij, || & Eliæ Vineti notis. || EXCVDEBAT, IACOBVS STOER. || [Genf] M. D. LXXXVIII., S. 116: „In seque[n]ti Epistola ad Probum, Antiquarij sunt Ƞì țĮȜȜȚȖȡȐijȠȚ.“ Dies bezieht sich auf den: Avsonii Bvrdigalensis epistolarvm liber, in: D. MAGNI || AVSONII || BVRDIG. VIRI || CONSVLA- || RIS || OPERA. || A Iosepho Scaligero, & Elia || Vineto denuò recognita, di- || sposita, & variorum notis il- || lustrata: Cetera Epistola ad || lectorem docebit. || Adiectis variis & locupletißi- || mis Indicibus. || TYPIS, || IACOBI STOER. || [Genf] M. D. XIIC., S. 201–247. Antonius Probo Præfecto prætorio S. Epist. XVI., ebd., S. 221–226, hier S. 221f.: „Oblata per antiquarios mora, scio promissi mei gratiam, expectatione consumptam, Probe vir optime.“ Vgl. The Works of Ausonius. Edited with Introduction and Commentary by R. P. H. Green, Oxford 1991, Epistulae, Nr. 9, S. 201–204, hier S. 201: „Oblata per antiquarios mora […].“ Vgl. den Kommentar von Green ad Nr. 9, ebd., S. 619: „antiquarios: copyists of old texts.“

240 Ebene der Lexika, einschließlich Paulys Realenzyklopädie, bis vor kurzem dennoch nicht mit dem Lexem des „Antiquars“ verbunden worden ist. 66 Die vordringlich der Spätantike verpflichtete und von den frühneuzeitlichen Lexikographen auf leicht antikisierende Weise mit einer technischen Amtsbezeichnung verknüpfte Wortbedeutung bestimmte die Erklärung der Lemmata „Antiquarium“ und „Antiquarius“ im Zedler. 67 Mit der Verfestigung vernakulärer Gelehrtensprachen etablierten sich hingegen das französische antiquaire und das englische antiquary primär als eine Bezeichnung für die synchronisch existierende, gelehrte Richtung des Antiquarianismus. Deutlich getrennt wurde die vermeintliche „antike“ Amtsbezeichnung von der aktuellen historiographischen Richtung in der Encyclopédie. 68 In der zuerst 1768 publizierten Encylopaedia Britannica verbanden sich beide Bedeutungspotentiale zu einer antikisierenden Projektion. Der Antiquar sei demnach „eine Person, die nach Denkmälern und Überresten des Altertums sucht und diese studiert.“ Eine ähnliche Funktion meinte der Verfasser dieses Artikels jedoch bereits in der Antike ausmachen zu können, denn: „Es gab früher in den wichtigen Städten Griechenlands und Italiens Personen von Rang, die es sich zu ihrer Aufgabe machten, die alten Inschriften zu –––––––— 66

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In der RE, Bd. I,2, 1894, Sp. 2534, wird unter dem Lemma „Antiquarius“ vermerkt: „s. Schreiber“. Aus dem entsprechenden Beitrag von Ernst Kornemann, Art. Scriba, in: RE, Bd. II A,3, 1921, Sp. 848–857, geht zumindest hervor, dass antiquarius auf diesem Feld in der Antike kaum gebräuchlich gewesen zu sein scheint. Vgl. vor allem die Abschnitte III. Staatsschreiber, ebd., Sp. 850–855; IV. Stadtschreiber, ebd., Sp. 855f. Vgl. zu der historiographischen Strömung der Antike jetzt erst Kyriakos Savvidis, Art. Antiquare, in: Der neue Pauly, Bd. 1, 1996, ebd., Sp. 789f. Hier wiederum wird nicht mehr auf das (mögliche) Bedeutungspotential von antiquarius als scriptor oder librarius verwiesen. Vgl. Art. Antiquarium, in: Grosses || UNIVERSAL || LEXICON || Aller || Wissenschafften und K(nste, || Welche bißhero durch menschlichen Verstand und Witz || erfunden worden, || Anderer Band. || Halle und Leipzig, || Verlegts Johann Heinrich Zedler, || Anno 1732, Sp. 652: „Griechisch, D҆UFHLҔRQ, war der Ort wo rare und alte Sachen auffgehoben wurden. Pancirollus, de Magistr. municip. c. 10.“ Art. Antiquarius, in: ebd.: „[…] war derjenige, welcher (ber das Antiquarium und geschriebenen Uhrkunden gesetzt war. Jngleichen derjenige, welcher alte B(cher abschrieb. Dazu wurden bey einer Bibliothec meisten Theils 4. der Griechischen und 3. der Lateinischen alten Schreib=Art erfahrene bestellet. Pancirollus de Magistr. municip. 20. Lomejus de Biblioth. c. 13. Gutherius de Offic. Dom. Aug. III. 7.“ Vgl. Mallet (G.), Art. Antiquaire, in: ENC, Bd. 1, 1751, S. 515a–b: „est une personne qui s’occupe de la recherche & de l’étude des monumens de l’antiquité, comme les anciennes médailles, les livres, les statues, les sculptures, les inscriptions, en un mot ce qui peut lui donner des lumieres à ce sujet. […] || Autrefois il y avoit différentes autres especes d’antiquaires: les libraires ou les copistes, c’est-à-dire ceux qui transcrivoient en caracteres beaux & liables ce qui avoit auparavant été seulement écrit en notes, s’appelloient antiquaires.“ Vgl. auch die Nachweise von Christian Zwink, Imagination und Repräsentation. Die theoretische Formierung der Historiographie im späten 17. und frühen 18. Jahrhundert in Frankreich (Hallesche Beiträge zur Europäischen Aufklärung 31), Tübingen 2006, S. 86 Anm. 6.

241 erläutern und Neulingen, die Liebhaber dieser Art der Gelehrsamkeit waren, jede andere in ihrer Macht liegende Unterstützung zukommen zu lassen.“ 69

4.1.3.1 Rom und jenseits von Rom In der modernen Historiographiegeschichte ist Antiquarianismus zunächst eine thematisch definierte Größe. Momigliano führte sie im Sinne einer stabilen Idealtypik in die Debatte ein, die sich an der antiken Historiographie und ihrer frühneuzeitlichen Rezeption orientierte. 70 Als antiquarisch waren folglich jene Gelehrten zu kennzeichnen, die sich, nach dem Vorbild von Marcus Terentius Varros († 27 v. Chr.) Antiquitates rerum humanarum [et] divinarum, mit den privaten wie öffentlichen, den religiösen wie profanen Institutionen und Brauchtümern namentlich des antiken Rom beschäftigten. Als in diesem Sinne protoantiquarisches Werk sind Flavio Biondos (1392–1463) um 1459 vollendete De Roma triumphante libri X. zu deuten, in denen sich Biondo der Bandbreite der die römische Gesellschaft tragenden Strukturen widmete. Biondo behandelte die „Augurum potestas“ und die „Pontificum & Flaminum cooptatio“ ebenso wie die „Castrorum forma & dispositio“, die „Signa militaria“ und „Consuetudines in nuptijs“. 71 Auf –––––––— 69

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71

Art. Antiquary, in: ENCYCLOPÆDIA BRITANNICA; || OR, A || DICTIONARY || OF || ARTS AND SCIENCES, || COMPILED UPON A NEW PLAN. || IN WHICH || The different SCIENCES and ARTS are digested into || distinct Treatises or Systems; || AND || The various TECHNICAL TERMS &c. are explained as they occur || in the order of the Alphabet. || ILLUSTRATED WITH ONE HUNDRED AND SIXTY COPPERPLATES. || By a SOCIETY of GENTLEMEN in SCOTLAND. || IN THREE VOLUMES. || VOL. I. || EDINBURGH: || Printed for A. BELL and C. MACFARQUHAR; || And sold by COLIN MACFARQUHAR, at his Printingoffice, Nicolson-street. || M. DCC. LXXI., S. 328b: „a person who studies and searches after monuments and remains of antiquity. || There were formerly in the chief cities of Greece and Italy, persons of distinction called antiquaries, who made it their business to explain the ancient inscriptions, and give every other assistance in their power to strangers who were lovers of that kind of learning.“ Vgl. Cornell, History (1995), S. 2f.; Eckhard Meyer-Zwiffelhoffer, Alte Geschichte in der Universalgeschichtsschreibung der Frühen Neuzeit, in: Saeculum 46 (1995), S. 249–273, hier S. 251 mit Anm. 7. Vgl. Flavio Biondo, De Roma triumphante libri X, in: BLONDI FLAVII || FORLIVIENSIS, || DE ROMA TRIVMPHANTE || LIB. X. PRISCORVM SCRIPTORVM LECTORI- || bus utilissimi, ad totiusq[ue] Romanæ antiquitatis || cognitionem pernecessarij. || ROMAE instauratæ LIBRI III. || DE ORIGINE ac gestis Venetorum liber. || ITALIA illustrata, siue Lustrata (nam uterq[ue] titulus doctis || placet) in regiones seu prouincias diuisa XVIII. || HISTORIARVM ab inclinato Ro. imperio, Decades III. || Additis tribus pro argumentorum ratione Indicibus nouis. || FROBEN || BASILEAE M. D. LIX., S. 1–217, hier S. 25, 31, 132, 135, 160, je marginal. Vgl. dazu Philip Jacks, The Antiquarian and the Myth of Antiquity. The Origins of Rome in Renaissance Thought, Cambridge 1993, S. 113–121; Schnapp, Discovery (1996), S. 122f.; die Bedeutsamkeit des Themas der instituta et mores hat jetzt vor allem Herklotz, Dal Pozzo (1999), S. 206ff., 215ff.; 242ff., deutlich herausgestellt. Vgl. im Anschluss

242 dieser Grundlage stellte Momigliano, gemessen am normativen Zentrum der politischen Ereignisgeschichte, „Historiker“ und „Antiquare“ einander gegenüber. Der Antiquar trat als Negativ des eigentlichen und politischen Historiographen in Erscheinung, indem er sich all dem gewidmet habe, was letzteren nicht interessierte. 72 Die Vorstellung von der relativen politischen Bedeutungslosigkeit des antiquarischen Themenspektrums hat dem Bild des Antiquars nachhaltig geprägt. Sie stützte den Eindruck, dass altertumskundliches Tun im Großen und Ganzen zur Selbstzweckhaftigkeit tendierte, 73 auch wenn dies keineswegs den Wertigkeiten der frühen Neuzeit entsprochen haben dürfte. Der Blick auf die Institutionen der Alten konnte zur Folie für weitreichende Reformdebatten werden. In einer in dieser Hinsicht typischen antiquarischen Abhandlung verknüpfte Justus Lipsius (1547–1606) in seinen erstmals 1595 publizierten De militia Romana libri V die Rekonstruktion, Erläuterung und Illustration des römischen Heerwesens mit der Propagation einer idealen Heeresverfassung, denn, so wusste bereits Lipsius, der Kriegsdienst allein „bändigt den Erdkreis, und er verleiht oder entzieht nicht nur Königreiche, sondern das Leben selbst. Kein Staatswesen oder Stand ist –––––––—

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Markus Völkel, Das Altertum auf der Suche nach seiner Geschichte. Überlegungen zu einer Monographie über den römischen Antiquar Cassiano dal Pozzo (1588–1656), in: ZHF 28 (2001), S. 263–275, hier S. 270, 272. Vgl. zu Biondo grundlegend Ottavio Clavuot, Biondos „Italia Illustrata“ – Summa oder Neuschöpfung. Über die Arbeitsmethoden eines Humanisten (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 69), Tübingen 1990. Vgl. zur Rolle Roms auch Markus Völkel, Rhetoren und Pioniere. Italienische Humanisten als Geschichtsschreiber der europäischen Nationen. Eine Skizze, in: Historische Anstöße. Festschrift für Wolfgang Reinhard zum 65. Geburtstag am 10. April 2002, hrsg. v. Peter Burschel/Mark Häberlein/Volker Reinhardt [u. a.], Berlin 2002, S. 339–362, hier S. 357ff. Die wichtigsten Linien skizzieren Cochrane, Historians (1981), S. 423–444; Jacks, Antiquarian (1993), S. 74–259; Gerrit Walther, Niebuhrs Forschung (Frankfurter historische Abhandlungen 35), Stuttgart 1993, S. 308–314; Schnapp, Discovery (1996), S. 121–220; Herklotz, Dal Pozzo (1999), S. 22–29, 204–250; Gerrit Walther, Art. Altertumskunde, in: Der neue Pauly. Rezeptions- und Wissenschaftsgeschichte, Bd. 13, Stuttgart/Weimar 1999, Sp. 86– 101; ders., Art. Altertumskunde, in: EnzNZ, Bd. 1, 2005, Sp. 282–287; Manfred Landfester, Art. Antikenrezeption, in: ebd., Sp. 447–463; vgl. zur Forschung Thomas DaCosta Kaufmann, Antiquarianism, the History of Objects, and the History of Art before Winckelmann, in: JHI 62 (2001), S. 523–541, hier S. 525ff.; Martin Ott, Die Entdeckung des Altertums. Der Umgang mit der römischen Vergangenheit Süddeutschlands im 16. Jahrhundert (Münchener Historische Studien. Abt. Bayerische Geschichte 17), Kallmünz/Opf. 2002, S. 14–29. Vgl. Momigliano, Geschichte (1991), S. 104: „Bis zum Ende des 17. Jahrhunderts hatte man die Antiquare ungestört bei zwei Tätigkeiten gelassen. Sie kümmerten sich um den Beweistypus, den der gewöhnliche politische Historiker gern beiseite ließ, und sie hatten die Gegenstände erforscht – Sitten, Institutionen, Kunst und Religion –, die außerhalb des Bereichs des politischen Historikers lagen […].“ Vgl. Art. Antiquarianism, in: Harry Ritter, Dictionary of Concepts in History (Reference Sources for the Social Sciences and Humanities 3), New York/Westport, Conn./ London 1986, S. 13–16.

243 ohne ihn gediehen, keines hat lange gewährt: […].“ 74 Die zwischen 1586 und 1607 in London bestehende Society of Antiquaries wurde im Laufe der Zeit zu einem Forum von Juristen und Parlamentariern. Seit etwa 1598 rückten mit den Fragen nach den historischen Grundlagen der königlichen Gerichtsbarkeit, der Entstehung der politischen Verfassung und der Entwicklung der englischen Rechtssysteme solche Bereiche ins Zentrum der Erörterung, die in den letzten Regierungsjahren Elisabeths I. (reg. 1553– 1603) die tagespolitischen Debatten bestimmten. Die Anstrengungen der Society, eine Academye for the studye of Antiquity and History ins Leben zu rufen, wurden von der Königin abschlägig beantwortet. Ein Versuch aus dem Jahr 1614, die Society wiederzubeleben, scheiterte am Einspruch Jakobs I. (reg. 1603–1625). 75 Die im weiteren Sinne politisch bedeutsamen Implikationen des sich mit den altertumskundlichen Strömungen assoziierenden Sammlungswesens sind gerade in den letzten Jahren deutlich her–––––––— 74

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IVSTI LIPSI || DE || MILITIA ROMANA || LIBRI QVINQVE, || COMMENTARIVS AD POLYBIVM.|| Editio tertia, aucta variè & castigata. || ANTVERPIÆ, || EX OFFICINA PLANTINIANA, || Apud Ioannes Moretum. || M. DCII. || Cum Priuilegijs Cæsareo & Regio (Neudruck Hildesheim/Zürich/New York 2002. Mit einer Einleitung hrsg. v. Wolfgang Weber [Historia scientiarum]). Dedikationsepistel: Philippo III. Hispaniarvm et Indiarvm Principi, S. 6: „Quid enim maius Militiâ? quæ sola orbem temperat, nec regna solùm dat aut adimit, sed ipsam vitam. Nulla respublica aut status sine eâ floruit, nulla perennauit: […].“ Vgl. Gerhard Oestreich, Der römische Stoizismus und die oranische Heeresreform [1953], in: ders., Geist und Gestalt des frühmodernen Staates. Ausgewählte Aufsätze, Berlin 1969, S. 11–34; Wolfgang Weber, Zur Bedeutung des Antiquarianismus für die Entwicklung der modernen Geschichtswissenschaft, in: Küttler/Rüsen/Schulin (Hrsg.), Geschichtsdiskurs, Bd. 2 (1994), S. 120–135, hier S. 122; Jan Papy, An Antiquarian Scholar between Text and Image? Justus Lipsius, Humanist Education, and the Visualization of Ancient Rome, in: Sixteenth Century Journal 35 (2004), S. 97–131, hier S. 101, 124f. Vgl. Christiane Kunst, Römische Tradition und englische Politik. Studien zur Geschichte der Britannienrezeption zwischen William Camden und John Speed (Spudasmata 55), Hildesheim/Zürich/New York 1994, S. 129–136; vgl. zu analogen Aspekten der französischen Altertumskunde Miller, Europe (2000), S. 76–81. Wenn es richtig ist, dass sich das frühneuzeitliche Geschichtsdenken an exemplarischen Mustern orientierte, dann ist in Rechnung zu stellen, dass die intensive Beschäftigung auch mit dem tradierten Rechts- oder dem politischen Versammlungswesen von größerer Bedeutung war, als es heute ermessen werden kann. In diesem Sinne suchte der Rechtsgelehrte und Bischof von Tarragona Antonio Agustín (1517–1586), unter anderem in Auseinandersetzung mit Nicolas de Grouchys (1520–1572) De comitiis Romanorum libri III von 1555, Paolo Manuzios (1512–1574) Liber de Comitiis von 1555 und Sigonios Kommentaren zu Livius aus demselben Jahr, in seinem 1583 gedruckten De legibus et senatus consultis liber die Kenntnisse der sozialen Hierarchien des antiken Rom und seines politischen Versammlungswesens zu verfeinern. Vgl. William McCuaig, Antonio Agustín and the Reform of the Centuriate Assembly, in: Antonio Agustin between Renaissance and Counter-Reform, hrsg. v. Michael H. Crawford (Warburg Institute Surveys and Texts 24), London 1993, S. 61–80; JeanLouis Ferrary, La Genèse du „De legibus et senatus consultis“, in: ebd., S. 31–60; vgl. zu der Beschäftigung mit den rechtlichen Grundlagen der römischen Republik seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert ebd., S. 48f.

244 ausgestellt worden, insbesondere, was die repräsentativen und monetären Seiten desselben anbelangt. 76 Die Society of Antiquaries ist nur ein Beispiel dafür, dass Antiquarianismus, epochal gesehen, weder gleichbedeutend mit der Erschließung der vorchristlichen Antike noch ein Synonym für Antikenrezeption ist. Dieser Aspekt verdient besondere Beachtung, da die Renaissanceforschung implizit oder explizit dazu tendiert, Antiquarianismus epochal zu definieren. 77 –––––––— 76

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Vgl. Paula Findlen, Possessing the Past. The Material World of the Italian Renaissance, in: AHR 103 (1998), S. 83–114; Lisa Jardine, Der Glanz der Renaissance. Ein Zeitalter wird entdeckt. Aus dem Engl. v. Anne Spielmann, München 1999 [engl. 1996]; Laurie Fusco/Gino Corti, Lorenzo de’ Medici. Collector and Antiquarian, Cambridge 2006. Um den Verfall der antiken Überreste zu stoppen und um den zunehmenden Handel mit Realien und aus den antiken Anlagen entnommenen Materialien wie Marmor unter päpstliche Kontrolle zu bringen, richtete Paul III. (reg. 1534–1549) unmittelbar nach seinem Amtsantritt das Amt eines Commissario delle Antichità ein. Bei Verstößen drohten Geldstrafen oder Exkommunikation. Vgl. Ronald T. Ridley, To Protect the Monuments. The Papal Antiquarian (1534–1870), in: Xenia antiqua 1 (1992), S. 117–154, hier S. 117f. In Ansätzen existierte ein Handel mit „auf Grund ihres Alters und ihrer Ästhetik bewußt wiederzuverwendenden Architekturteilen“ übrigens auch im Mittelalter. Vgl. Lukas Clemens, Tempore Romanorum constructa. Zur Nutzung und Wahrnehmung antiker Überreste nördlich der Alpen während des Mittelalters (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 50), Stuttgart 2003, S. 240–245, Zitat S. 240. Vgl. Stenhouse, Inscriptions (2005), S. 17: „When I use the term ‚antiquarianǥ in this book it is to refer to people involved with the material remains of Classical antiquity […].“ Die stark kunstgeschichtlich geprägte Literatur zu einzelnen Autoren und Sachbereichen ist inzwischen umfangreich und hier nicht im Detail zu diskutieren. Vgl. in Auswahl Alexandra Herz, Lelio Pasqualini. A Late Sixteenth-Century Antiquarian, in: IL 60. Essays Honoring Irving Lavin on His Sixtieth Birthday, hrsg. v. Marilyn Aronberg Lavin, New York 1990, S. 191–206; Marc Laureys, Bartolomeo Marliano (1488–1566). Ein Antiquar des 16. Jahrhunderts, in: Antiquarische Gelehrsamkeit und Bildende Kunst. Die Gegenwart der Antike in der Renaissance, hrsg. v. Gunter Schweikart (Atlas. Bonner Beiträge zur Renaissanceforschung 1), Köln 1996, S. 151–167; John Cunnally, Images of the Illustrious. The Numismatic Presence in the Renaissance, Princeton, N. J. 1999; Anna Schreurs, Antikenbild und Kunstanschauungen des neapolitanischen Malers, Architekten und Antiquars Pirro Ligorio (1513–1583) (Atlas. Bonner Beiträge zur Renaissanceforschung 3), Köln 2000; Ann E. Moyer, Historians and Antiquarians in Sixteenth-Century Florence, in: JHI 64 (2003), S. 177–193; David R. Coffin, Pirro Ligorio. The Renaissance Artist, Architect, and Antiquarian. With a Checklist of Drawings, University Park, Pa. 2004; zu späteren Zeiten Michael Vickers, Greek and Roman Antiquities in the Seventeenth Century, in: The Origins of Museums. The Cabinet of Curiosities in Sixteenth- and Seventeenth-Century Europe, hrsg. v. Oliver Impey/Arthur Macgregor, Oxford 1985, S. 223–231; Elizabeth Cropper/Giovanna Perini/Francesco Solinas (Hrsg.), Documentary Culture. Florence and Rome from Grand-Duke Ferdinand I to Pope Alexander VII. Papers from a Colloquium Held at the Villa Spelman, Florence, 1990. With an Introduction by Elizabeth Cropper (Villa Spelman Colloquia 3), Bologna 1992; Margaret Daly Davis (Hrsg.), Archäologie der Antike. Aus den Beständen der Herzog August Bibliothek. 1500–1700 [Ausstellung im Zeughaus der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel vom 16. Juli bis 2. Oktober 1994] (Ausstellungskataloge der Herzog August Bibliothek 71), Wiesbaden 1994. Phänomene wie die jetzt von Ott, Ent-

245 Der Antiquarianismus allerdings verschwisterte sich von Anfang an mit stadt- und territorialpatriotischen Tendenzen, so dass in den Landstrichen jenseits Italiens die Herrschaftszeit Roms zum Angelpunkt wurde, um sich, je nach historischem Hintergrund, auch dem vor-, nach- oder außerrömischen Altertum zu nähern. 78 Das jeweilige „Altertum“ war zunächst nichts –––––––—

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deckung (2002), für den süddeutschen Raum eingehend untersuchte Aufbereitung antiker Inschriften werden in der auf Italien konzentrierten Literatur bisher nicht unbedingt mit den eigenen Ergebnissen abgeglichen. Herklotz, Dal Pozzo (1999), S. 215, konstatiert allein, dass der „Rückgriff auf die materiellen Hinterlassenschaften der Antike […] den Gelehrten des Nordens nicht ohne weiteres möglich gewesen sei.“ Damit ist gemeint, dass sich die insbesondere in Frankreich firmierenden antikenbegeisterten Zirkel mit kommunikativen Strukturen auszustatten hatten, die es ihnen ermöglichten, über Reise- und Studienaufenthalte hinaus einen Zugriff auf die in Italien reich erhaltenen antiken Überreste zu entwickeln. Vgl. dazu etwa David Jaffé, The Barberini Circle. Some Exchanges between Peiresc, Rubens and Their Contemporaries, in: Journal of the History of Collections 1 (1989), S. 119–147; ders., Aspects of Gem Collecting in the Early Seventeenth Century, Nicolas-Claude Peiresc and Lelio Pasqualini, in: The Burlington Magazine 135 (1993), S. 103–120; Miller, Europe (2000), S. 10ff. Modellhaft ließe sich dies an den MARCI. VELSERI || MATTHAEI. F. ANT. N. || PATRICII. AVG. VIND || RERVM. AVGVSTA || NAR. VINDELICAR || LIBRI. OCTO. || VENETIIS M. D. XCIV., zeigen. Diese Arbeit begann mit der Geschichte des Territoriums seit germanischer Zeit. Das letzte und achte Buch beinhaltete die Geschichte Augsburgs „ad annum Christi DLII.“ Vgl. Argvmenta octo librorvm rervm Avgvstanarvm Vindelicarvm [unpaginiert], ebd., [S. 4]. Naturgemäß haben die von Welser reproduzierten und kommentierten römischen Inschriften das Hauptaugenmerk auf sich gezogen. Vgl. Ott, Entdeckung (2002), S. 223–229; Stenhouse, Reading (2005), S. 140–148. Die die Breite des Antiquarianismus des 17. Jahrhunderts bedingende Tatsache, dass man sich auch den jenseits dieser Epochenschwelle in einer Stadt oder einem Territorium vorhandenen Altertümern zuwenden konnte, tritt durch diese Fokussierung bisweilen in den Hintergrund. Dieser Zusammenhang wird vor allem in der englischen Literatur thematisiert, im Wissen darum, dass die Konzentration gerade auf das christliche „Altertum“ ebenso ein strukturtragendes Element des britischen Antiquarianismus war wie seine – nicht mehr nur auf die römische Besatzung bezogene – patriotische Emphase. Vgl. Parry, Trophies (1995), S. 2: „The antiquarian movement in England developed out of the convergence of Renaissance historical scholarship with Reformation concerns about national identity and religious ancestry.“ Vgl. auch Hicks, History (1996), S. 31–40. Sofern also nicht zwischen einem eigentlichen Antiquarianismus, der der Antike galt, und einem uneigentlichen oder epigonalen Antiquarianismus unterschieden werden soll, der sich den materiellen Überresten und den Brauchtümern des frühen Christentums oder frühen Mittelalters widmete, ist es nicht sinnvoll, „Antiquarianismus“ auf Aspekte der Antikenrezeption zu reduzieren. Systematisch spricht nichts dagegen, ein Werk wie Duchesnes Antiquitez et recherches de la grandeur et maiesté des Roys de France von 1609, das sich in der Tradition des thematischen Interesses an den instituta et mores befand und als eine Art Fürstenspiegel seine Bedeutsamkeit erlangte, als antiquarisch zu qualifizieren. Vgl. LES || ANTIQVITEZ || ET RECHERCHES DE || LA GRANDEVR ET MAIESTÉ || DES ROYS DE FRANCE. || DIVISEES EN TROIS LIVRES, || LE PREMIER, || DE LA RELIGION, FOY, VAILLANCE, || Autorité, Pieté, Iustice, Clemence, & Preseance des Roys || de France sur tous les Roys de la Terre. || LE SECOND, || DES HABILLEMENS ROYAVX, ET || Ceremonies gardees

246 anderes als eine weit zurückliegende Zeit. 79 Camden schlug in der Britannia den Bogen von der historischen Landesbeschreibung zur Geschichte der – nach regna und comitatus gegliederten – Verfasstheit der territorialen Strukturen Britanniens. Vergleichsweise kurz hatte er auf die Ureinwohnerschaft der britischen Inseln Bezug genommen, über die sich kaum etwas Gewisses sagen ließe, 80 auf die Herkunft des Namens „Britannien“, die Bräuche der alten Briten und die Ereignisse, die zwischen der römischen Herrschaft 81 und der mühsamen Rekonstituierung des Landes nach Abzug der Römer vergangen waren: „Nachdem Britannien soeben von den römischen Posten verlassen worden war, waren alle Dinge ganz und gar ohne Ordnung und, wegen der Niederlagen gegen die sodann eindringenden Barbaren, äußerst beklagenswert […].“ 82 Das Hauptgewicht seiner Darstellung lag dann auf den Jahrhunderten, die der römischen Besatzung folgten. 83 –––––––—

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de tout temps, tant aux Sacres, Couron- || nemens, Entrees, & Lits de Iustice, qu’autres Solemnitez || publiques, & Funerailles de leurs Maiestez. || LE TROISIESME, || DE LA COVR ET SVITE ROYALLE, || Excellences & Gra[n]deurs des Roynes, Prerogatiues des Enfans de || France, & Ceremonies pratiquées de tout ancienneté à || leurs Naissances & Baptesmes: Priuileges des Princes || du Sang, Institution des Cheualiers des Ordres, || & premiere Origine des grands Officiers || de la Maison de France. || A MONSEIGNEVR LE DAVPHIN. || A PARIS, || Chez IEAN PETIT-PAS, ruë sainct Iean de || Latran, au College de Cambray. || M. D. C. IX. || Auec Priuilege du Roy. Vgl. Art. Antiquity, in: Encyclopaedia Britannica, Bd. 1, 1771, S. 328b–329a, hier S. 328b: „signifies times or ages past long ago.“ Die „Antiquitates“ konnten auch als „alte geschiecht“, also als „alte Begebenheiten“ übersetzt werden. Vgl. das Glossar in der Chronica || der Altenn Christ = || lichen kirchen auß Euse || bio/ Ruffino/ Sozomeno/ Theodo || reto/ Tertulliano/ Justino/ || Cypriano/ vnd Plinio/ || durch D. Caspar || Hedio ver= || teutscht. || Getruckt zu Straßburg/ durch || Georgium Vlricher von || Andla/ im Jenner/ || M. D. XXX. Kurtze verstand etlicher wort dieser Chronick/ für den einualtigen leser [unpaginiert, nach der Vorred und nach der kurzen Blütenlese Von Eusebio Cesariensi], [S. 1a]. Vgl. Camden, Britannia, 21607. Britannia. Primi incolæ, ebd., S. 1–17, hier S. 3: „Qui verò vetustissimi, adeóque primæui insulæ huius incolæ fuerint, quæ item Britanniæ nominis originatio, variæ subinde enatæ sunt opiniones, & multos […] incertos certare hanc rem vidimus.“ Vgl. Britanniæ nomen, ebd., S. 17–21. Britannorvm mores, ebd., S. 21–25. Romani in Britannia, ebd., S. 25–61. Es folgten ein abbildender Teil mit Münzen und ihre Erläuterung, ebd., S. 62–76. Vgl. Britanniæ excidivm, ebd., S. 77–112, Zitat S. 77: „Cum iam derelicta esset a Romanis præsidijs Britannia, confusissima erant omnia, & calamitatibus miserrima, hinc barbaris incursantibus, […].“ Vgl. ebd., S. 110–860. Dass in der Britannia sich keineswegs ein die römische Zeit allein verherrlichender Versuch der Darstellung historischer Gegebenheiten und Traditionen verkörpert, hat, gegen ältere Ansichten, erst William Rockett, The Structural Plan of Camden’s „Britannia“, in: Sixteenth Century Journal 26 (1995), S. 829–841, deutlich artikuliert; vgl. zu Camden in Auswahl W. H. Herendeen, William Camden. Historian, Herald, Antiquary, in: Studies in Philology 85 (1988), S. 192–210; Kunst, Tradition (1994), S. 19–31; Parry, Trophies (1995), S. 22–48; Philip Hicks, Neoclas-

247 Ähnlich wie Camden bemühte sich der in Danzig geborene Gelehrte Philipp Klüver (1580–1622) in seinen Germaniae antiquae libri III von 1616 um das zusammenführende „Verständnis der alten Geographie und Geschichte“ („HISTORIÆ & GEOGRAPHIÆ VETERIS cognitio“). 84 Seinen Widmungsträgern, den Holländischen Ständen, konnte er die Darstellung eines alten Verbands in Aussicht stellen, dessen Name, wie der der Holländer in der Gegenwart, „schon in ältesten Zeiten, wegen des ungemeinen Strebens nach angestammter Freiheit und der äußerst kraftvollen Verteidigung, in römischen ebenso wie griechischen Denkmälern“, gerühmt worden sei. 85 Für Klüver ließen sich humanistische Emphase und pragmatische Zwecke problemlos vereinigen. Es sei nämlich sicher, „dass kein Volk, keine Könige oder Fürsten der Völker die Sorge um die gute Bildung so eng mit dem Studium der Waffen verbunden haben, wie ihr es bis dahin getan habt; […].“ 86 Neben den darstellenden Teilen, die sich, wie in der Britannia, der Lage der historischen Germania, den Sitten und dem Ursprung der Germanen sowie den germanischen Stämmen diesseits und jenseits des Rheins widmeten, 87 lieferte Klüver einen diplomatischen Druck der Germania des Tacitus. Parallel neben die Reproduktion des Texts der 1574 von –––––––—

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sical History and English Culture. From Clarendon to Hume (Studies in Modern History), Basingstoke 1996, S. 32ff.; Leslie W. Hepple, William Camden and Early Collections of Roman Antiquities in Britain, in: Journal of the History of Collections 15 (2003), S. 159–174. PHILIPPI CLÜVERI || GERMANIÆ || ANTIQVÆ || LIBRI TRES. || Opus post omnium curas elaboratissimum, || tabulis geographicis, et imaginibus, || priscum Germanorum cultum || moresque Germanorum referentibus, || exornatum. || Adjectæ sunt || VINDELICIA ET NORICUM, || ejusdem auctoris. || LUGDUNI BATAVORUM || Apud Ludovicum Elzevirium || Anno M D XVI. Præfatio ad lectorem. De geographiâ, è tenebris, in quibus penitus obvoluta latet, eruendâ [unpaginiert], [S. 1]. Vgl. Dedikationsepistel: Illvst. atqve potent. Hollandiae ordinibvs Philippvs Clvverivs [unpaginiert], ebd., fol. *3r: „[…] quod nominis Germanici, jam antiquißimis temporibus, ob libertatis avitæ immensum studium ac fortißimam defensionem, Romanis juxtà Græcisque monimentis celebratissimi, claritudinem vos nunc uni, cum vicinis atque fœderatis vestris, iisdem rebus, quibus olim majores vestri, per universum terræ orbem, apud omnes gentes, populos, atque reges, sedulò summâ cum laude ac gloriâ tuemini.“ Ebd.: „[…] constat, nullam gentem, nullos gentium reges vel principeis, bonarum literarum curam tam arcte cum armorum studio conjunxisse, ac vos hactenus fecistis; […].“ Vgl. zur Person H. A. M. van der Heijden, Philippus Cluverius and Dutch Cartography. An Introduction, in: Quaerendo 32 (2002), S. 222–244, hier S. 223–228; ferner Peter G. Bietenholz, Historia and Fabula. Myths and Legends in Historical Thought from Antiquity to the Modern Age (Brill’s Studies in Intellectual History 59), Leiden/New York/Köln 1994, S. 291ff. Vgl. je eigenständig paginiert: Klüver, Germaniae antiquae libri tres, 1616. Liber primvs. Quo situs universæ Germaniæ, & origo moresque priscûm Germanorum describuntur; Liber secvndvs. Quo Germania Cisrhenana describitur; Liber tertivs. Quo Germania Transrhenana describitur.

248 Lipsius vorgelegten Ausgabe setzte er eine eigene „verbesserte“ sowie in Interpunktion und Orthographie modifizierte Version. 88

4.1.3.2 Sprechende und schweigende Artefakte Das Studium der Dedikationsepisteln der Werke, die sich in der einen oder anderen Form mit der antiquitas und den antiquitates beschäftigten, würde den Gedanken an Selbstzweckhaftigkeit wahrscheinlich schnell in den Hintergrund treten lassen. Ähnliches gilt für Momiglianos weiterhin formale Bestimmung des Antiquarianismus: „(1) Historiker schreiben in chronologischer Anordnung, Antiquare in systematischer; (2) Historiker zeigen die Tatsachen auf, die eine bestimmte Situation veranschaulichen oder erklären sollen; Antiquare sammeln alles, was mit einem bestimmten Gegenstand verbunden ist, gleichgültig ob es hilft oder nicht, ein Problem zu lösen.“ 89 Die meisten altertumskundlichen Arbeiten zeichneten sich, etwas vereinfacht gesagt, durch eine Verbindung aus reproduzierenden Anteilen und Historisches darstellenden Passagen aus (Abb. 7, 8), die sowohl chronologisch als auch aspektbezogen organisiert sein konnten. Die von Brower 1612 publizierten Fuldensium antiquitatum libri IIII von 1612 folgten eher diesem letzteren, chronologisch-chronikalischen Formular. Sie sind ein Beispiel für die altertumskundliche Aufarbeitung eines Raums, der auf keine Spuren römischer Besiedlung verweisen konnte. Im Verbund mit dem sich ohnehin intensivierenden Interesse an den nachrömischen Monumenten –––––––— 88

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Vgl. C. Cornelii Taciti, equitis Romani, scriptoris gravissimi, liber de Germania: à mendis quampluris purgatus, & locis aliquot transpositus, novisq[ue] interpunctionibus in verum sensum distinctus; per Philippum Cluverium. Adjecta est ex adverso ejusdem libri editio Lipsiana [unpaginiert], ebd., fol. *r. Die Germania war zuerst 1470 gedruckt worden. Vgl. in jüngerer Zeit Donald R. Kelley, Tacitus noster. The „Germania“ in the Renaissance and Reformation, in: Tacitus and Tacitean Tradition, hrsg. v. T. J. Luce/A. J. Woodman, Princeton 1993, S. 152–167; Ronald Mellor, Tacitus, New York/London 1993, S. 137–162; Ulrich Muhlack, Die humanistische Historiographie. Umfang, Bedeutung, Probleme, in: Deutsche Landesgeschichtsschreibung im Zeichen des Humanismus, hrsg. v. Franz Brendle/Dieter Mertens/Anton Schindling [u. a.] (Contubernium. Tübinger Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte 56), Stuttgart 2001, S. 3–18, hier S. 16f. mit Anm. 47; Ott, Entdeckung (2002), S. 231f.; Christopher B. Krebs, Negotiatio Germaniae. Tacitus’ Germania und Enea Silvio Piccolomini, Giannantonio Campano, Conrad Celtis und Heinrich Bebel (Hypomnemata 158), Göttingen 2005. Momigliano, Geschichte (1991), S. 81; die Tragfähigkeit von Momiglianos Scheidelinien ist inzwischen mehrfach problematisiert worden. Vgl. Cornell, History (1995), pass.; ferner Kaufmann DaCosta, Antiquarianism (2001), S. 525, 528; Zwink, Imagination (2006), S. 84, 97f. Das in der Zeitschrift: Das Achtzehnte Jahrhundert 31 (2007), erschienene Themenheft zum historischen Skeptizismus enthält einen Beitrag Markus Völkels zu Momiglianos Konzept des Antiquarianismus, der leider nicht mehr eingearbeitet werden konnte.

249 verschob sich bei ihm die – für die klerikalen Autoren sowieso fragile – Grenze zwischen einer verloschenen und Zivilisiertheit allein indizierenden Latinität auf der einen Seite und einer davon abzugrenzenden barbaritas früherer oder späterer Zeiten auf der anderen. Brower umriss einleitend das Bild eines providentiell gelenkten Prozesses der Akkulturation der barbarischen Völker. In wenigen Worten schlug er den Bogen vom Aufstieg der Franken über die Unterwerfung Thüringens durch Theuderich I. († 533) und Chlothar I. († 561) bis zur Gründung des Klosters Fulda in der Silva Buchonia zur Zeit des Hausmeiers Karlmann († 754), ehe er mit der eigentlichen Darstellung der Geschichte Fuldas begann: Wir haben vor Augen, dass sich dasselbe, was sich einst, auf göttlichen Ratschluss, in den Provinzen römischen Namens, nachdem die Barbaren eingelassen und aufgeboten worden waren, zugetragen hat, damit sie, der Wildheit entkleidet, die Fertigkeiten und Sitten eines schon längst gebändigten Volks erlernten, auch in späterer Zeit ereignet hat, so dass die Reiche der Barbaren bei den Barbaren emporwuchsen, wodurch Christi Namen, nachdem die Bestialität besiegt worden war, und die Gottesfurcht weiter voranschritt[en] und in unvermuteter Gedeihlichkeit bald zur Reife gelangte[n]. Derart ist es den Fränkischen verstattet gewesen, in Thüringen Herren über die Dinge zu sein, an welchem Ort dies für die Völker rechtmäßiger war, da das Heil auf höhere Weise verliehen worden war, vollends den fränkischen Siegern, als es unter den barbarischen Königen der Fall gewesen wär. || Ein dunkles und grausiges Gehölz lag an der Grenze zwischen Thüringen und der Francia, das den Völkern der Franken, die von sehr hohem Alter waren, fürwahr kaum unbekannt, dennoch spät, zur Zeit der Herrschaft der Kinder Karl Martells, in der allgemeinen Rede bis zu einem gewissen Grad aufgeschimmert ist […]. 90

Browers Fuldaer Antiquitäten waren auf Drängen des Fürstabts Balthasar von Dernbach (reg. 1570–1576; 1602–1606) entstanden. 91 Mit ihren gut –––––––— 90

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Vgl. FVLDENSIVM || ANTIQVITATVM || LIBRI IIII. || AUCTORE || R. P. CHRISTOPHORO BROVVERO || Societatis IESV Presbytero. || ANTVERPIÆ || EX OFFICINA PLATINIANA, Apud Viduam & Filios Ioannis Moreti. || M. DC. XII. || Cum Priuilegiis Cæsareo & Principum Belgarum, S. 1: „Qvod olim, diuino consilio, in Romani nominis prouincias immissis concitatísque Barbaris euênit, vt feritate exutâ mansuefactæ iam pridem gentis disciplinam moresq[ue] condiscerent; idem quoque posterâ ætate accidisse cernimus, vt Barbarorum in Barbaros imperia surgerent, quò Christi nomen, immanitate victâ, religioque longiùs iret, & subitis mox incrementis adolesceret. Sic Francis ¢marginal: Gregor Turon. histor. Francorum, lib. 3. c. 7.² rerum in Thuringiâ dominis esse licuit, quò id loci populis salute supernè datâ, rectius esset, iam Francis victoribus, quàm sub Barbaris regibus extitisset. || Obscurum in Thuringiæ Franciæque confinio, & horridum iacebat nemus, quod longissimæ ætatis Francorum populis, licet haud ignotum, serò tamen regnantibus Caroli Martelli liberis, aliquatenus ad famam enituit […].“ Vgl. Gregorii episcopi Turonensis libri historiarum X, ed. Krusch/Levison (MGH SS rer. Merov. 1,1) (1951), lib. III, c. 7, S. 103: „Post Theudoricus non inmemor periurias Hermenefrede regis Thoringorum Chlothacharium fratrem suum in solatio suo vocat et adversum eum ire disponit, […].“ Die Abbildungen 7 und 8 wurden mit freundlicher Genehmigung der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel reproduziert. Vgl. Gerrit Walther, Abt Balthasars Mission. Politische Mentalitäten, Gegenreformation und eine Adelsverschwörung im Hochstift Fulda (Schriftenreihe der Historischen

250 370 Seiten in-quarto repräsentierten sie ein vergleichsweise handliches Werk. Brower begriff es weniger als erschöpfende Darstellung der Historie des Klosters oder des späteren Hochstifts, sondern beabsichtigte, „einige vermischte Gewürze der Geschichte der alten Zeiten“ darzubieten. 92 Dem Widmungsträger, Balthasars Nachfolger Johann Friedrich von Schwalbach (reg. 1606–1622), erläuterte er die Hoffnungen, die er in einer als geschichtslos beklagten Zeit und vor allem in einem der Rekatholisierung unterworfenen und zu unterwerfenden Territorium mit seinen Antiquitäten verband: Ich wenigstens, indem ich unlängst in mich gehend ernsthaft über das Ansehen der alten Fuldaer Kirche und die Frömmigkeit der Alten nachsann, weil ich bemerkte, dass viele Dinge von den meisten Leuten vielfach nicht gewusst oder sogar aus freiem Willen den Wogen des Vergessens anheimgestellt werden, werde wagen, es auszusprechen; ich bin von einer bestimmten, sehr tiefen Empfindung des Herzens berührt worden: und daraufhin habe ich es auf mich genommen, durch Vergegenwärtigung der vergangenen Zeit aufzuwühlen und mit einer für diesen Boden und das Vaterland sozusagen verborgenen Glut Erregung zu stiften; wenn auf diese Weise nur kraftvoll der Funke emporflackerte und er dieses Feuer, das in den Herzen der Ahnen eingeschlossen auf wunderbare Weise gebrannt hat, mit Hilfe der gnädigen Gottheit wieder entfachte. 93

Jenseits dieser der Mystik entlehnten Metaphorik, aber ebenso im Verweis auf die Bedeutung nicht nur genealogischer, sondern auch gentiler Traditionen, eröffnete Duchesne 1636 seine Ludwig XIII. (reg. 1610–1643) gewidmeten Historiae Francorum scriptores coaetanei: Vor nicht allzu langer Zeit sind fast jedem einzelnen Volk in Europa die speziellen Berichterstatter seiner Angelegenheiten wieder zugeeignet worden […]. Es verfügen

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Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 67), Göttingen 2002, S. 41f.; Benz, Tradition (2003), S. 139. Vgl. Brower, Fuldensium antiquitatum libri IIII, 1612. Dedikationsepistel: Reverendomo et Illvstrmo Principi ac Domino D. Iohanni Friderico primati per Germaniam Galliamqve Principi Imperi Imperatricis Archicancellario Abbati inclitæ Fvldensis ecclesiæ Domino ac Patrono Clem. D. D., [unpaginiert], [S. 4]: „[…] vt qui historiam diffusam haud possem, antiquitatum quædam condimenta historiæ permista darem.“ Vgl. ebd., fol. *3vf.: „Ego certè de veteris Ecclesiæ Fuldensis splendore, ac pietate maiorum, nuper apud me seriò cogitans, cùm tam multa ignorari à plurimis, aut etiam obliuionis vndis spontè dari cernerem; audebo dicere, intimo quodam animi sensu permotus sum: méque exinde recordatione præteriti temporis excitare, & huius soli patriæque calore quodam abdito accendere sustinui; si qua fortè scintilla erumperet, & ignem hunc, qui in parentum pectoribus implicatus mirabiliter exarsit, propitio numine resuscitaret.“ Im späteren Streit mit den Würzburger Bischöfen um die geistliche Herrschaft im Hochstift Fulda lieferten Brouwers Antiquitäten in dem seit 1688 geführten Prozess entscheidende Argumente für das 1717 zugunsten der Fuldaer Seite gefällte Urteil. Vgl. Hubert Hack, Der Rechtsstreit zwischen dem Fürstbischof von Würzburg und dem Fürstabt von Fulda an der Römischen Kurie um die geistliche Hoheit im Gebiet des Stifts Fulda (1688–1717) (Quellen und Abhandlungen zur Geschichte der Abtei und der Diözese Fulda 18), Fulda 1956, S. 62, 79, 97, 104, 108, 115, 162; Walther, Abt (2002), S. 43.

251 nämlich schon seit einigen Jahren die Germanen, die Engländer, Spanier, Polen, Ungarn, Niederländer über sehr viele Bände mit den denkwürdigen Handlungen ihrer Fürsten. Allein das Volk der Franken, obgleich nach Ruhm der Taten nicht weniger als dem Namen nach berühmter als die anderen, hat bislang dennoch der besonderen Autoren [seiner] Geschichte ermangelt, die, weil sie sich an verschiedenen Orten ganz und gar verbargen oder auch im Staub außer Acht gelassen worden sind, sehr lange Zeit mit Würmern und Motten gerungen haben. 94

Mit Gregor von Tours, dessen Libri historiarum in diesem Band die für die Barockzeit maßgebliche Ausgabe erhielten, gab Duchesne Ludwig XIII. zu bedenken: „Du hast in der Nachahmung den großen Chlodwig, den überaus kriegerischen Fürsten, übertroffen, der, wie von Bischof Gregor von Tours berichtet wird, nachdem er sich zum katholischen Glauben bekannt hatte, die Häretiker mit dessen Beistand unterworfen und seine Herrschaft auf ganz Gallien ausgedehnt hat.“ 95 Gregor hatte diese Passage auf Chlodwigs Kampf gegen die arianischen Westgoten bezogen. 96 Mit einigen Zitaten aus den Viten des hl. Wandregisilus († 668) und des hl. Audoenus/Ouen von Rouen († 684) erinnerte Duchesne Ludwig XIII. an den illustren Merowinger Dagobert I.: „Als Verehrer Gottes und Beschützer und Stifter von Kirchen der Heiligen und Klöstern und äußerst beherzter Verteidiger und Erweiterer des eigenen Herrschaftsgebiets hat er die Königtümer so entschlossen gelenkt, dass er mächtiger als alle seine Feinde gewesen sein –––––––— 94

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HISTORIÆ || FRANCORVM || SCRIPTORES || COÆTANEI, || AB IPSIVS GENTIS ORIGINE, || AD PIPINVM VSQVE REGEM. || Quorum plurimi nunc primùm ex variis Codicibus MSS. in lucem || prodeunt: alij verò auctiores & emendatiores. || CVM EPISTOLIS REGVM, REGINARVM, PONTIFICVM, || Ducum, Comitum, Abbatum, & aliis veteribus Rerum Francicarum Monumentis. || OPERA AC STVDIO ANDREÆ DV CHESNE GEOGRAPHI REGII. || TOMVS I. || LVTETIÆ PARISIORVM. || Sumptibus SEBASTIANI CRAMOISY Typographi Regij, viâ Iacobæâ. || M. DC. XXXVI. || CVM PRIVILEGIO REGIS CHRISTIANISSIMI. In editionem historicorvm Franciæ præfatio [unpaginiert], fol. er: „Redditi sunt non ita pridem singulis penè Europæ Populis peculiares Rerum suarum Scriptores […]. Habent enim iam aliquot ab annis Germani, habent Angli, Hispani, Poloni, Hungari, Bataui, plurima de Principum suorum memorabilibus factis Volumina. Sola Francorvm Gens, etsi gestorum gloriâ, non minùs quàm nomine, ceteris illustrior, præcipuis tamen Historiæ Avctoribvs hactenus caruit, qui variis in locis omninò delitescentes, aut in puluere neglecti, cum tineis & blattis diutissimè colluctati sunt.“ Vgl. Dedikationsepistel: Lvdovico XIII. Regi Christianissimo [unpaginiert], ebd., fol. á iiijv: „Tu Chlodovevm Magnvm Principem bellicosißimum imitando superasti, qui Gregorio Turonensi Episcopo referente, ¢marginal: Greg. Turon. Lib. III. Hist. Francoru[m] in Præfatione², Catholicam Fidem confessus, hæreticos adiutorio eius oppressit, Regnúmque suum per totas Gallias dilatavit.“ Vgl. Gregorii Florentii Gregorii Tvronensis Episcopi, Historiæ Francorvm libri decem. Nvnc tandem post editiones omnes ope quinque vetustiss. Codd. Mss. diligenter ac seriò emendati, in: ebd., S. 251–459, hier S. 294: „Hanc [individuam Trinitatem] Chlodoueus Rex confessus, ipsos hæreticos adiutorio eius oppressit, Regnúmque suum per totas Gallias dilatavit.“ Vgl. Gregorii episcopi Turonensis libri historiarum X, ed. Krusch/Levison (MGH SS rer. Merov. 1,1) (1951), lib. III, Praef., S. 97: „Hanc Chlodovechus rex confessus […].“

252 dürfte, erfolgreicher als alle Könige, die vor ihm geherrscht hatten.“ 97 Für die Scriptores hatte Duchesne insgesamt zahlreiche Exzerpte (fragmenta) aus den mittelalterlichen Heiligenviten zusammengestellt, die sich, vielfach aus Surius’ De probatis Sanctorum historiis speisend, an solchen Passagen orientierten, in denen frühmittelalterliche Herrscher genannt worden waren. 98 Man wird also nicht sagen können, dass sich der Antiquarianismus der frühen Neuzeit, mit den Reflexionen des Medienwissenschaftlers Wolfgang –––––––— 97

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Vgl. Duchesne, Historiæ Francorum scriptores, Bd. 1, 1636. Dedikationsepistel [unpaginiert], [S. 5]: „Siue vt alibi de illo [Dagobert I.] dicitur, ¢marginal: Auctor Vitæ S. VVandregisili, Tom I.² Amator Dei ac Sanctorum Ecclesiarum & Monasteriorum fautor ac fundator, popriique Regni fortissimus defensor atque progagator, Sceptra Francorum tam strenuè moderatus est: vt cunctis hostibus suis fuerit potentior ¢marginal: Scriptor Vitæ S. Audoeni², cunctis Regibus, qui ante ipsum regnauerant, felicior.“ Vgl. Fragmenta de rebvs pie gestis Dagoberti Regis, filiorvm eivs, ac nepotvm. Ex Historiis siue Vitis sanctorum Pontificum, Abbatum, & aliorum, qui tunc præcipuè in Palatio, sed & in aliis Regni partibus floruerunt, in: ebd., S. 627–687. Ex Vita sancti VVandregisili Abbatis, à quodam eius prope æquali conscripta, ebd., S. 638–642, hier S. 639: „His temporibus Rex inclytus Dagobertvs, amator videlicet Dei ac Sanctorum, Ecclesiarum atque Monasteriorum venerabilium strenuus fautor pariter & fundator, ac proprij Regni fortissimus defensor & propagator inuictus, sceptra Francorum præclarè moderabatur, hostibus vndique suæ ditioni subactis.“ Ex Vita sancti Audoëni Episcopi Rothomagensis, auctore, vt putat Surius, Fridegodo S. Odonis Diacono, ebd., S. 635–638, hier S. 636: „Rex vero Dagobertvs aurem viro Dei libenter in omnibus, quæ hortabatur, accommodabat. atque eam ob rem & cunctis hostibus fuit fortior, & omnibus Francorum Regibus, qui ante ipsum regnauerant, felicior.“ Vgl. Vita S. VVandregisili Abbatis, a qvodam eivs, vt eqvidem sentio, prope æquali conscripta, in: DE PROBATIS || SANCTORVM || VITIS || Quas tam ex MSS. Codicibus, quam ex editis || Authoribus || R. P. Fr. LAVRENTIVS SVRIVS || CARTHVSIÆ COLONIENSIS PROFESSVS || Primum edidit, & in duodecim menses || distribuit. || IVLIVS [= Bd. 4,1] || Hac postrema editione multis Sanctorum vitis auctus, & notis mar- || ginalibus illustratus. || COLONIÆ AGRIPPINÆ, || Sumptibus Ioannis Kreps & Hermanni Mylii. || Anno M DC XVIII., 22. Juli, S. 270–275, hier S. 271: „His temporibus Rex inclytus Dagobertus, amator videlicet Dei ac Sanctorum, […].“ Vita S. Avdoeni Episcopi Rothomagens. Cvivs etsi ms. idemqve pervetvstvs codex avthorem non exprimit, puto tamen eam esse, quam scripsit Anno salutis 956. Fridegodus S. Odonis Diaconus. Stylum ingratiam Lectoris passim nonnihil correxit F. Laurentius Surius, in: ebd., Augustus [= Bd. 4,2], 1618, 24. Aug., S. 256–262, hier S. 257: „Rex vero Dagobertus aurem viro Dei libenter in omnibus, quæ hortabatur, accommodabat: […].“ Diese Passagen existieren in den historischen Versionen nicht in dieser Form. Vgl. Vita Wandregiseli abbatis Fontanellensis, hrsg. v. Bruno Krusch, in: MGH SS rer. Merov., Bd. 5: Passiones vitaeque sanctorum aevi Merovingici (III), hrsg. v. dems./Wilhelm Levison, Hannover/Leipzig 1910 (Neudruck Hannover 1979), S. 13–24, hier S. 16: „Dagobertus rex, qui tunc illis temporebus aderat, pro eo quod ipsum hominem Dei in iuventute in suo ministerio habuisset, […].“ Vita Audoini episcopi Rotomagensis, ed. Levison, in: ebd., S. 553–567, hier S. 555: „Immoque post discessum Chlotharii filius suus Dagobertus in loco genitoris institutus est princeps, homo versutus admodum et ingenio callidus seu tremebundus in regno. Qui licet sceptra regalia tenens, […].“

253 Ernst, jenseits der Virulenz großer oder kleiner Narrative entfaltete: „Antiquarianismus verfällt nicht dem Historikerphantasma, Vergangenheit zum Sprechen bringen zu wollen“. 99 Das Gegenteil ist der Fall. Die frühneuzeitliche Altertumskunde zielte auf wenig anderes, als eben darauf, alte Texte und historische Artefakte für die Gegenwart „zum Sprechen“ zu bringen, sei es, dass man, wie der Dominikaner Alfonso Chacón (1540–1599) in seiner Historia utriusque belli Dacici a Traiano Caesare gesti von 1576, das Bildprogramm der Trajanssäule zu entschlüsseln suchte, 100 oder dass man, wie Sigonio und der Augustinereremit Onofrio Panvinio (1530–1568) in ihren Studien zu den römischen fasti, die literarische Tradition mit den 1546 und –––––––— 99

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Wolfgang Ernst, Antiquarianismus und Modernität. Eine historische Verlustbilanz, in: Küttler/Rüsen/Schulin (Hrsg.), Geschichtsdiskurs, Bd. 2 (1994), S. 136–147, hier S. 141. Ernst versucht sich seit einigen Jahren an der Umwertung des durch Momigliano bekannt gewordenen „Antiquarianismus“ der frühen Neuzeit. Er hat letzteren zur Projektionsfläche für eine historiographische Utopie erhoben, in der „[d]er kalte Blick einer positivistischen Archäologie als Mangel an warmer historischer Imagination“ den Ausweg aus den impliziten Logiken narrativer Formen und geschichtsphilosophischer Sinnbildungen verspräche. In der „antiquarischen Distanzierung von der Narration“ und in der „Rückverwandlung der gesprächigen Dokumente in stumme Monumente“ läge die bedenkenswerte „Perspektive eines Zeitalters, dessen Aufschreibsystem Informatik heißt“. Vgl. ebd., S. 138f., 142; ders., Bausteine zu einer Ästhetik der Absenz, in: Wahrnehmung und Geschichte. Markierungen zur Aisthesis materialis, hrsg. v. Bernhard J. Dotzler/Ernst Müller (LiteraturForschung), Berlin 1995, S. 211– 236, hier S. 211ff. Diese Dichotomien bestimmen etwa als „Spannung von antiquarisch-archivischem versus rhetorisch-imaginativem Diskurs“, als Konfrontation von „Gedächtnisinstitution (Archiv) und Interpretation (Historiographie)“, als Tendenz, mehr oder minder jedes herausgeberische Projekt eher „auf Seiten der Informatik und des Hypertext[s], der diskreten Präsentation von Evidenz und der Archäologie denn auf Seiten der Narration, der Hermeneutik und der Geschichte“ zu lokalisieren, auch die jüngere Essayistik. Ders., Das Rumoren der Archive. Ordnung aus Unordnung (Internationaler Merve-Diskurs 243), Berlin 2002, S. 55, 72; ders., Im Namen (2003), S. 132. Dies modifizierend spricht Zwink, Imagination (2006), S. 101, von einer „kalte[n] Imagination des Quellenkults“. Im Hintergrund der Ausführungen Ernsts stehen vermutlich einige programmatische Passagen von Michel Foucault, Archäologie des Wissens. Übers. v. Ulrich Köppen (stw 356), Frankfurt a. M. 71995 [franz. 1969], S. 15. Gegen eine hermeneutisch operierende Geistesgeschichte gewandt, die darauf beruht habe, „die Monumente der Vergangenheit […] in Dokumente zu transformieren und diese Spuren sprechen zu lassen“, wollte Foucault die Wirksamkeit der Dinge selbst erneut zur Geltung zu bringen: „Es gab eine Zeit, in der die Archäologie als Disziplin der stummen Monumente, der bewegungslosen Spuren, der kontextlosen Gegenstände und der von der Vergangenheit hinterlassenen Dinge nur durch die Wiederherstellung eines historischen Diskurses zur Geschichte tendierte und Sinn erhielt; man könnte, wenn man etwas mit den Worten spielt, sagen, daß die Geschichte heutzutage zur Archäologie tendiert – zur immanenten Beschreibung des Monuments.“ Eine luzide Einordnung der sich von verschiedenen Seiten der Problematik der „Materialität der Kommunikation“ nähernden Strömungen bietet Hans-Ulrich Gumbrecht, Diesseits der Hermeneutik. Die Produktion von Präsenz. Übers. v. Joachim Schulte (edition suhrkamp 2364), Frankfurt a. M. 2004 [amerik. 2004], S. 20– 45. Vgl. Herklotz, Dal Pozzo (1999), S. 215f., 222ff.

254 1547 ergrabenen Listen der Konsuln und Triumphatoren vom Partherbogen des Augustus abzugleichen bestrebt war. 101 Strukturell gesehen dürfte kein essentieller Unterschied darin liegen, ob sich dieser Zugriff auf römische Artefakte bezog, ob er, wie im Falle Browers, mitunter christlichen Inschriften galt, oder ob es historische Heiligenviten waren, die in ihren Inhalten allererst zu begreifen und zu erläutern waren. Die Tätigkeit der Antiquare bedeutete demnach in keiner Weise, einen Weg zu beschreiten, der in die schiere „Computation“ 102 reiner Daten und deren Aneinanderreihung führte, 103 sondern, umgekehrt, die Integration neuer Themen und Überlieferungsträger in den sich auf diese Weise stark erweiternden und verkomplizierenden Traditionszusammenhang der Historia. Sir Robert Cotton (1571–1631), eines der Gründungsmitglieder der Society of Antiquairies, begab sich seit 1599, teilweise in Begleitung Camdens, auf die Suche nach Steinen unterschiedlicher Art, die mit römerzeitlichen Inschriften versehen waren. Er erwarb sie zumeist um wenig Geld von Bauern oder Hufnern, die in ihnen wenig mehr als eben Steine (mit Schriftzeichen) und in funktionaler Hinsicht bestenfalls Baumaterial erblickten, und ließ sie in ein eigens dafür errichtetes Sommerhaus auf seinem Landsitz bei Conington transportieren. Mit Cottons Aktivitäten wuchs das in der Britannia verarbeitete und reproduzierte Inschriftenkorpus von den ursprünglich zwölf Steinen der ersten Ausgabe von 1586 auf über 110 in der Ausgabe von 1610. 104 Diese Artefakte wurden unter den Händen ihrer Interpreten also erstmals überhaupt in den Status eines historischen Zeugnisses überführt. Eine anspruchsvolle und didaktisch unterlegte Art der Aufbereitung – in seinem Fall – literarischer Überlieferungsträger ist in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts im Kontext der herausgeberischen Tätigkeiten Mabillons –––––––— 101

102 103 104

Vgl. McCuaig, Sigonio (1989), S. 9f., 26, 28ff., 171f.; Jean-Louis Ferrary, Onofrio Panvinio et les antiquités romaines (Collection de l’École française de Rome 214), Rom 1996, S. 116f.; Herklotz, Dal Pozzo (1999), S. 219; Stenhouse, Reading (2006), S. 1, 103–111, 116f. Ernst, Antiquarianismus (1994), S. 137. Vgl. Süssmann, Geschichtsschreibung (2000), S. 54. Vgl. Hepple, Camden (2003), S. 160, 163f. Nach Cottons Ableben verfiel das Sommerhaus und mit ihm seine Inschriftensammlung. Erst im fortgeschrittenen 18. Jahrhundert wurden sie geborgen und die fünfzehn verbliebenen Steine 1750 dem Trinity College in Cambridge übereignet. Vgl. ebd., S. 164f.; David McKitterick, From Camden to Cambridge. Sir Robert Cotton’s Roman Inscriptions, and Their Subsequent Treatment, in: Sir Robert Cotton as Collector. Essays on an Early Stuart Courtier and His Legacy, hrsg. v. C. J. Wright, London 1997, S. 105–128, hier S. 118ff.; vgl. zum Bestand Glenys Davies, Sir Robert Cotton’s Collections of Roman Stones. A Catalogue with Commentary, in: ebd., S. 129–167. Der Name Cottons ist heute vor allem aufgrund seiner Handschriftensammlungen bekannt. Vgl. Kevin Sharpe, Introduction. Rewriting Sir Robert Cotton, in: ebd., S. 1–39; Parry, Trophies (1995), S. 70–94.

255 zu beobachten. Die Vorstellung, dass man in diesem Jahrhundert vor allem „sammelte“ und „klassifizierte“, während sich erst die Historiographen der Aufklärung synthetischen darstellenden Formen widmeten, ist die problematischste, die sich mit dem Attribut des Antiquarischen verbunden hat. 105 Auch sie beruht allerdings darauf, dass diese Prozesse bislang nicht ernsthaft untersucht worden sind. Faktisch wird man mit einem schnellen Einbezug der jeweils neu entdeckten oder neu publizierten Schriften und Materialien in einen Vergangenheit deutenden Rahmen zu rechnen haben. Mabillon leitete die einzelnen Bände der Acta Sanctorum Ordinis Sancti Benedicti, in welchen die Viten der Heiligen des Benediktinerordens nach den Jahrhunderten der Existenz des Ordens gegliedert wiedergegeben wurden, mit handbuchartigen Überblicksdarstellungen ein. Hier wurden im Umfang von jeweils rund 50 oder 60 Folioseiten, die heute einer Monographie entsprechen würden, teilweise bereits in Verwendung der in dem jeweiligen Band präsentierten Viten, die strukturell wichtigsten Ereignisse des in Rede stehenden Jahrhunderts dargelegt. Bevor sie sich den Lebensbeschreibungen selbst zuwandten, konnten sich die Leserinnen und Leser beispielsweise des fünften Bands der Acta Sanctorum Ordinis Sancti Benedicti, der dem zehnten Jahrhundert der christlichen Zeitrechnung galt, über die allgemeine Lage der Kirche, über theologische Kontroversen, über das Verhältnis von Sacerdotium und Imperium oder die Cluniazensische Reform informieren. 106 Dies korrespondierte mit den didaktischen Vorstellungen Mabillons. In seinem Traité des études monastiques von 1691, in dem er das Spektrum monastischer Studien auf der Höhe der zeitgenössischen Gelehrsamkeit zu skizzieren suchte, hatte Mabillon im Abschnitt zum Studium der heiligen und profanen Geschichte („De l’étude de l’histoire sacrée & profane“107 ) –––––––— 105 106

107

Vgl. Blanke, Historiographiegeschichte (1991), S. 158; Ernst, Antiquarianismus (1994), S. 137; Rüsen, Methode (1994), S. 356; Grafton, Ursprünge (1995), S. 168. Hier benutzt in der Ausgabe: ACTA || SANCTORUM || ORDINIS || S. BENEDICTI || IN SÆCULORUM CLASSES || DISTRIBUTA. || SÆCULUM QUINTUM, || QUOD EST AB ANNO CHRISTI CM. AD M. || Colligere cœpit Domnus LUCAS D’ACHERY, Congregationis Sancti Mauri Monachus, || D. JOANNES MABILLON, ejusdem Congregationis absolvit, illustravit, ediditque, || cum Indicibus necessariis. || Venetiis, || Apud SEBASTIANUM COLETI, & JOSEPHUM BETTINELLI. [1733] || SUPERIORUM PERMISSV, AC EXCELLENTISS. SENATUS PRIV. Præfatio in sæculum quintum, ebd., S. III–LXVII, c. 1. Ecclesiæ status, qualis sæculo 10. fuerit, exponitur, & primo in Italia, ebd., S. IV–X; c. 2. Status Ecclesiæ in aliis Europæ partibus, ebd., S. X–XVI; c. 3. Quædam sæculi 10. de Fide controversiæ, & disciplinæ ecclesiasticæ quis status: & unde utriusque traditio, ebd., S. XVI–XXII; c. 4. Rei monasticæ status sæculo 10. maxime in Gallia: ubi de Cluniacensium Congregatione, ritibus, habitu, & propagatione, ebd., S. XXII–XXXVI. TRAITÉ || DES ÉTUDES || MONASTIQUES, || DIVISÉ EN TROIS PARTIES; || AVEC UNE LISTE DES PRINCIPALES || Difficultez qui se rencontrent en chaque siècle dans la || lecture des Originaux, & un Catalogue de livres choisis || pour composer une Bibliotéque ecclesiastique. || Par Dom JEAN MABILLON Religieux Benedictin de la || Congregation de S. Maur. || A PARIS, || Chez CHARLES ROBUSTEL,

256 aus Gründen der Memorierbarkeit, die alternierende Lektüre zwischen historiographischen Überblickswerken („abregés“) und den historischen Schriften selbst, den „Originalen“ („originaux“), empfohlen. Idealiter habe sich diese Lektüre am Rhythmus der Jahrhunderte auszurichten. 108 Verweilt man noch einen Moment bei dem thematischen Schwerpunkt der instituta et mores, wird man bemerken, dass sich bereits im Zeitalter der konfessionellen Spaltung die Frage nach der Genese der Brauchtümer des frühen Christentums zum Gegenstand historischer Rekonstruktion und Schauplatz divergierender Deutungen entwickelte. Angesichts des hohen Anteils klerikaler Gelehrter, die sich in Italien den altertumskundlichen Studien verschrieben hatten, ist es nicht überraschend, dass es mithin ein und dieselben Gelehrten waren, die sich gleichermaßen dem alten Rom und dem alten Christentum zuwenden konnten. Ein Ordensgeistlicher wie Panvinio arbeitete spätestens seit 1565 nicht nur an der Synthese einer Epitome antiquitatum Romanarum, 109 sondern verband seine – posthum publizierte – Abhandlung De ritu sepeliendi mortuos apud veteres Christianos et eorundem coemeteriis von 1568 mit einem ersten systematischen Versuch, die Namen und Lagen der stadtrömischen Friedhöfe aus der historischen Literatur zu erschließen. 110 Ein wichtiger Beweggrund für diese Tätigkeit, mit der die analogen Abschnitte der Epitome historisch fortgeführt werden sollten, 111 war der Anspruch, die Begräbnisstätten insbesondere der frühen –––––––— 108

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rue S. Jacques, || au Palmier. || M. DC. XCI. || Avec Privilege du Roy, & Permission des Superieurs (Neudruck Westmead 1967), S. 224–242. Vgl. ebd., S. 241: „Je finis ce chapitre en donnant pour dernier avis celuy qui doit estre le premier, sçavoir que ceux qui veulent étudier l’histoire, doivent d’abord faire choix de quelque bon abregé, pour le lire avec exactitude avant que de s’engager dans la lecture des originaux. Mais comme ces abregez, si on les lisoit tout de suite, se confondroient dans la memoire, il est à propos de lire seulement un siécle, ou mesme un demi-siécle à la fois, pour continuer ensuite aprés avoir lû les originaux de ce siécle: aprés quoy il est avantageux de relire l’abregé dont on s’est servi, ou celui qu’on aura fait soy-mesme de ce siécle en le lisant, afin de s’en rafraîchir la mémoire.“ Vgl. Ferrary, Panvinio (1996), S. 1–5, 133–170; Herklotz, Dal Pozzo (1999), S. 246f. Vgl. Rossi, Roma (1864), S. 9ff.; Ferrary, Panvinio (1996), S. 13, 211; Vincenzo Fiocchi Nicolai, San Filippo Neri, le catacombe di S. Sebastiano e le origini dell’archeologia cristiana, in: San Filippo Neri nella realtà romana del XVI secolo. Atti del convegno di studio in occasione del IV centenario della morte di san Filippo Neri (1595–1995). Roma – 11–13 Maggio 1995, hrsg. v. Maria Teresa Bonadonna Russo/Niccolò Del Re (Miscellanea della Società romana di storia patria 39), Rom 2000, S. 105–130, hier S. 108. Vgl. Onuphrius Panvinius de ritu sepeliendi mortuos apud veteres Christianos et eorundem coemeteriis [1572], in: Thesaurus commentationum selectarum et antiquiorum et recentiorum illustrandis antiquitatibus Christianis inservientium. Recudi curavit, praefatus est et indices adjecit M. J. E. Volbeding, Bd. 2,2, Leipzig 1849, S. 330–356, hier S. 330: „Praefatio. Apud omnes gentes Romanas, Graecas, Hebraeas, Aegyptias, et alias barbaras nationes statos sollemnesque sepeliendorum mortuorum ritus et cerimonias fuisse, in libris, quos 60 antiquitatum Romanarum scripsi, diffuse ostendi singulasque commentariis et tabellis aeneis, res ipsas expri-

257 Päpste zu bestimmen. 112 Anders als in Panvinios ausdrücklich gegen die Magdeburger Centurien gerichteten De primatu Petri et apostolicae sedis potestate libri III, von denen allerdings, nach jahrelanger Auseinandersetzung mit der Kurie, nur das erste Buch 1589 in den Druck gelangte, 113 artikulierte sich in De ritu sepeliendi kein erkennbarer kontroverser Anspruch. –––––––—

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mentibus, illustravi. Quod si profanos sepulcrorum ritus memoriae commendavi, sacras veterum Christianorum in eadem re pulcherrimasque observationes, quas passim adnotavi, silentio praeterire nefas esse duxi. De quibus jam justum commentarium feci, quem in epitome hic redactum communi studiosorum utilitati publicare constitui, in quo brevissime, quae sancti patres nostri, antiqui religionis christianae propagatores, de sepeliendi ritu scripserint, aperiam.“ Die Epitome war zunächst auf vier Bände und 60 Bücher, später auf fünf Bände und 100 Bücher angelegt worden. Über Panvinios Planungen informieren verschiedene Entwürfe aus seinem Nachlass. Vgl. Ferrary, Panvinio (1996), Appendix 1–3, S. 171–202. Vgl. Panvinio, De ritu sepeliendi [1572], ed. Volbeding (1849), hier c. 12, S. 345– 351: De coemeteriis urbis Romae. Hier war etwa ebd., S. 345, zu erfahren: „C[oemeterium] Vaticanum juxta templum Apollinis, Caijque et Neronis circum, via triumphali situm, in hortis Neronianis, ubi nunc est basilica S. Petri apostoli, in quo jacuere corpora sanctorum Romanorum pontificum, Petri, Lini, Cleti, Anacleti, Evaristi, Xysti, […].“ Andere Abschnitte waren beispielsweise das c. 2. De expositione corporis mortui, ebd., S. 333f.; c. 3. De planctu et atra veste, ebd., S. 334; c. 5. De ritu efferendi mortuum, ebd., S. 334–336; c. 6. De modo sepeliendi Christianos, ebd., S. 336f., aber auch: c. 14. De festivitatibus, sacrificiis et oblationibus memoriae sanctorum, ebd., S. 351–353; c. 15. De translationibus Sanctorum mortuorum, ebd., S. 353–355; c. 16. De peregrinationibus ad sepulcra Sanctorum, ebd., S. 355f. Vgl. José L. de Orella y Unzue, Respuestas católicas a las Canturias de Magdeburgo (1559–1588), Madrid 1976, S. 284–296; Karl A. Gersbach, Onofrio Panvinio’s Brother, Paolo, and His Role in the Posthumous Edition of the „De Primatu Petri et Apostolicae Sedis Potestate“ and the Purchase of Onofrio’s Manuscripts for the Vatican Library, in: Analecta Augustiniana 56 (1993), S. 243–263, hier S. 250f., 252f.; Ferrary, Panvinio (1996), S. 14f., 16f., 213f. Auf welche Weise und mit welchen Argumenten sein Chronicon ecclesiasticum a C. Iulii Caesaris dictatoris imperio usque ad imp. Caesarem Maximilianum II von 1568 oder die an Johann Jakob Fugger (1516–1575) übersandten – heute in München erhaltenen – De uaria Romani pontificis creatione libri X und seine wohl vierzehn Volumina umfassenden Libri rituales qui et caerimoniales uulgo appellantur einem kontroverstheologischen Impuls folgten, bliebe zu untersuchen. Vgl. ebd., S. 8, 14 mit Anm. 35, S. 211. Inhaltlich sind Panvinios Schriften, die gedruckten wie die ungedruckten, trotz der inzwischen vorliegenden Monographie Ferrarys, in großen Teilen unerschlossen. Zwei Leitgedanken beschreibt Ferrary, ebd., S. 8, in Begriffen der „idée d’une continuité fondamentale allant de la Rome antique jusqu’aux deux puissances qui en sont, de son temps, les héritières, à savoir l’Empire et la Papauté.“ Während der zweite Aspekt insbesondere das Chronicon ecclesiasticum ausgezeichnet habe, könne ersterer vor allem mit den Fastorum libri quinque a Romulo rege usque ad Imp. Caes. Carolum V Austrium von 1558 in Verbindung gebracht werden. Wie sich allerdings Panvinio das Verhältnis von Sacerdotium und Imperium genau vorstellte und wie er den Übergang von der heidnischen Antike zum christlichen Kaisertum interpretierte, um hier nur zwei Schlüsselprobleme zu nennen, bleibt zu untersuchen. Von einer Affirmation reiner Kontinuität wird man vermutlich nicht unbedingt ausgehen können. Ähnliche Fragen wären auch an andere, ungedruckt gebliebene Werke wie die fünfzehn Bücher De antiqua Romanorum religione siue superstitione zu stellen. Vgl. ebd., S. 15, 25ff.

258 Dies wäre durchaus denkbar gewesen. Der wahrscheinlich erste Versuch, sich zusammenhängend über die Geschichte des christlichen Brauchtums Klarheit zu verschaffen, erfolgte in den Magdeburger Centurien. In dem einschlägigen Abschnitt („locus“) De ritibus et caerimoniis wurde das Traktathafte von Beginn an überschritten und in eine strukturgeschichtliche Erzählung in diesem Fall von der Degeneration und Überfremdung des urchristlichen Ritus eingepasst. In der vierten Centurie von 1560 beispielsweise sollten die Leserinnen und Leser dazu angehalten werden, dass sie oder er die heiligen Handlungen: […] aufmerksam mit den vorherigen Jahrhunderten vergliche und vermerke, wie sehr dieses Jahrhundert gegenüber dem schlichteren Zustand der ursprünglichen Kirche entartet sein dürfte: nachdem bald Riten der Heiden, bald jüdische in die Kirche eingeführt und dort angehäuft worden waren, und sodann immer andere weltliche (humanae) Traditionen aus Unwissenheit, Aberglauben, Nachmacherei, Mimikry ersonnen, gebilligt und in das Brauchtum aufgenommen worden waren. 114

Es entspricht der disparaten Lage der Historiographiegeschichte, dass es den Centuriatoren mitunter als Defizit angerechnet werden kann, dass sie die von ihnen ermittelten historischen Texte direkt für eine zusammenhängende Darstellung nutzten und mit ihrem Werk, ähnlich wie Baronio, keine editorischen Ansprüche im Sinne Duchesnes, der Bollandisten oder Mauriner verbunden zu haben. 115

4.2 Auf dem Weg zum Material Was ist vom frühneuzeitlichen Antiquarianismus und seinen Charakteristika zu halten? Sind die vergleichsweise späten Werke der Bollandisten und Mauriner, die in der Literatur zum 17. Jahrhundert mehr oder minder –––––––— 114

115

Vgl. Quarta centuria ecclesiasticae historiae, 1560, Sp. 406: „De Ceremonijs hoc primu[m] in genere lectore[m] monemus, ut atte[n]tè conferat cum superiorib[us] seculis, & obseruet quantu[m] hoc seculum à primitiuæ Ecclesiæ simpliciori statu degenerarit: cumulatis, & in Ecclesiam inuectis, tum gentiliu[m], tum Iudaicis ritib[us] & subinde alijs atq[ue] alijs ex inscitia, superstitione, țĮțȠȗ[Ș]ȜȓĮ, hypocrisi, traditionib[us] humanis excogitatis, approbatis, & usu receptis.“ Vgl. zur Struktur der loci zuletzt Martina Hartmann, Humanismus und Kirchenkritik. Matthias Flacius Illyricus als Erforscher des Mittelalters (Beiträge zur Geschichte und Quellenkunde des Mittelalters 19), Stuttgart 2001, S. 199f. Vgl. ebd., S. 200. Ein Effekt der thematischen Untergliederung der Centurien sei es, „daß ein und dieselbe Quelle, die zum Beleg für verschiedene historische Tatbestände der mittelalterlichen Kirchenverfassung dienen sollte, in kleineren und größeren Zitaten innerhalb der einzelnen Kapitel über den gesamten Band verteilt zu finden ist. […] Kennt man den Wortlaut eines in den Centurien gedruckten Textes […] nicht aus anderer Quelle, kann man nie sicher sein, daß alles zitiert wurde.“ Diese Beobachtung ist natürlich zutreffend. Sie gilt allerdings für jedes geschichtsdarstellende Werk bis heute.

259 selbstverständlich als „antiquarisch“ bezeichnet werden – herkömmlich hätte man die nicht weniger schillernde und vor allem im Französischen dominierende Größe der „eruditio/érudition“ benutzt 116 –, überhaupt mit diesem Attribut zu beschreiben? Die Problematik, dass der Begriff, bei genauerer Betrachtung, eher an Schärfe verliert als gewinnt, ist, mit Völkel, auch einer implikationsreichen frühneuzeitlichen Scheidelinie geschuldet, die in dieser Deutlichkeit nicht mehr besteht, nämlich jener zwischen einer „eigentlichen“ Historiographie, die nicht unbedingt politische Ereignisgeschichte, sondern Zeitgeschichte war, und der Tendenz, die Beschäftigung mit den weiter zurück liegenden Sachverhalten („Vergangenheitsgeschichte“) insgesamt dem Studium der antiquitates zuzuschlagen. 117 Mit Blick auf den hier interessierenden Bereich historischer Artefakte, die handschriftlichen Traditionen, gilt es im Folgenden, einige der damit einhergehenden Aspekte zu vertiefen.

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Vgl. Grell, Histoire (1993), S. 14; Zwink, Imagination (2006), S. 84ff. Wenig hilfreich sind in dieser Hinsicht allerdings die von Zwink ebd., S. 88–97, angebotenen „Entwicklungslinien des Antiquarianismus“. Zwink diskutiert keine Werke des 16. oder aus den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts, einschließlich der italienischen Humanisten oder der für Frankreich modellbildenden Arbeiten Duchesnes sowie der Mauriner vor Mabillon, so dass letzterem eine disproportionale Bedeutung zugesprochen wird. Diese Perspektive ist einerseits Zwinks überschaubarer Quellenbasis geschuldet, die ihn aber andererseits nicht von dem Anspruch abstrahieren ließ, einen substantiellen Wechsel der historiographischen Paradigmen um 1680 diagnostizieren zu wollen. So sollte das von Zwink entworfene „Paradigma Mabillon“ in einem ersten Schritt veranschaulichen, dass mit und seit Mabillon „die Konzepte von Authentizität, Wahrheit, Repräsentation und Visualisierung ein neues Bündnis“ eingegangen seien. Ebd., S. 89, 338. Zwink geht von der Annahme aus: „Der antiquaire ist aufgrund seiner Sammeltätigkeit der ‚Archäologeǥ des siebzehnten Jahrhunderts und arbeitet im Unterschied zur reinen Textwissenschaft stärker mit den an den Dingen haftenden Bildevidenzen.“ Ebd., S. 86. Aus welchem Grund gerade Mabillon ausgewählt wurde, um die sich mit dieser Hypothese verknüpfenden, von Zwink angenommenen Entwicklungen zu illustrieren, ist schwer zu sagen. Anders als die in Mabillons Zeit schon längst und intensiv mit Bildmaterialien operierenden Gelehrten ist Mabillon selbst unzweideutig auf der Seite der „Textwissenschaft“ zu lokalisieren. Mangels diachronischen Vergleichsmaterials sind Zwinks Hypothesen daher nur von relativem Wert, zumal er insgesamt keinerlei Bildmaterial ausgewertet und ferner die kunstgeschichtliche Literatur zur Altertumskunde des 16. und 17. Jahrhunderts nicht zur Kenntnis genommen hat. Da er seine Ausführungen zu Mabillon allein auf Teile der beiden französischen und theoretischen Traktate Mabillons stützt, die Brièves reflections von 1677 und den Traité von 1691, basiert bereits das „Paradigma Mabillon“ auf einem Bruchteil der Schriftproduktion dieses Gelehrten. Vgl. dazu auch unten Anm. 134, 154. Vgl. Völkel, Geschichtsschreibung (2006), S. 204f.

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4.2.1 Jenseits der Augenzeugenschaft Die Theoretiker der ars historica unterschieden ebensowenig wie Jean Bodin (1530–1596) in seinem Methodus ad facilem historiarum cognitionem von 1566 systematisch zwischen Handschrift und Druck oder zwischen einem historiographischen Text der Antike und einem aus der frühen Neuzeit. Die historiographischen Schriften insgesamt wurden auf ein und derselben logischen Ebene verhandelt. 118 Überlieferungen jenseits der historiographischen Traditionen spielten keine Rolle. Für Bodin, dessen Methodus dem zielgerichteten Lesen der Historie galt, 119 erstreckten sich die Vertreter der Militärgeschichte („in militari disciplina“) von Julius Caesar († 44 v. Chr.) bis Guillaume Du Bellay (1491–1543), jene, die sich religiösen Fragen gewidmet hatten, von Philon von Alexandrien († 45/50 n. Chr.) bis zu den Magdeburger Centurien. 120 Die unterschiedliche Geltungskraft des stilistischen Ideals der puritas könne kontrastiv anhand der Werke Prokops von Caesarea († nach 562) und Pietro Bembos (1470–1547) studiert werden. 121 Bewusst ausgeschlossen hatte Bodin die ihm durchaus bekannten antiquarischen Bestrebungen des 16. Jahrhunderts. Deren Vertreter würden sich, wie er es formulierte, „im Bereinigen der Entstellungen der alten Bücher“ ergehen. 122 Auf sie kam er anlässlich der Glaubwürdigkeit der Universalgeschichte des Diodorus († nach 36/21 v. Chr.) kurz zu sprechen. –––––––— 118 119

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Vgl. Seifert, Cognitio (1976), S. 23f. Vgl. ebd., S. 14, 52f., 84ff.; Julien Freund, Quelques aperçus sur la conception de l’histoire de Jean Bodin, in: Jean Bodin. Verhandlungen der internationalen Bodin Tagung in München, hrsg. v. Horst Denzer (Münchener Studien zur Politik 18), München 1973, S. 105–122, hier S. 106; Zedelmaier, Bibliotheca (1992), S. 245ff.; MarieDominique Couzinet, Histoire et méthode à la Renaissance. Une lecture de la „Methodus ad facilem historiarum cognitionem“ de Jean Bodin. Préface de Cesare Vasoli (Philologie et mercure), Paris 1996, S. 40ff. Vgl. Jo. Bodini andeg. in parisiorum senatu advocati methodus, ad facilem historiarum cognitionem; ab ipso recognita, et multo quam antea locupletior. Cum indice rerum memorabilium copiosissimo, Paris 1572 = Corpus général des philosophes français. Auteurs modernes, Bd. 5,3: Œuvres philosophiques de Jean Bodin. Texte établi, traduit et publié par Pierre Mesnard, Paris 1951, S. 105–269, hier S. 129a: „in religione [disciplina laudatur], Philo, Josippus, Eusebius, Theodoritus, Socrates, Sozomenus, Nicephorus Calistus, Orosius, Sidonius, Gregorius Turonensis, Abbas Uspergensis, Gulielmus Episcopus Tyri, Antonius Florentinus, tum etiam historiæ Magdeburgicæ scriptores.“ Vgl. ebd., S. 137b: „At Bembi omnino dissimilis est Procopius, qui ornamenta historiarum & Græci sermonis puritatem aut nescisse, aut neglexisse videtur […].“ Es handelte sich um das letzte der insgesamt drei von Bodin konstatierten genera scribendi: „unum in rebus inveniendis, & materia suppeditanda: alterum in rebus ordine tradendis & forma perpoliendis: postremum in maculis veterum librorum eluendis.“ Ebd., S. 107a. Bodins Methodus behandelte das zweite genus. Mit dem ersten waren die seines Erachtens unkontrolliert wuchernden Kommentierungswerke insbesondere zum römischen Zivilrecht angesprochen. Vgl. ebd.

261 Diodorus’ lexikalisch vielfach unpräzise Wiedergabe der in den fasti verzeichneten Namen römischer Amtsträger führte Bodin auf dessen „Schwäche in der lateinischen Sprache“, wahrscheinlicher aber auf die Fehler späterer Schreiber („librarii“) zurück. Emendiert worden seien diese Fehler von Sigonio und Panvinio, und „jeder von beiden hat wahrhaftig im Erläutern der Altertümer der Römer höchstes Lob für [seinen] Scharfsinn erlangt.“ 123 Dass die Tätigkeiten Sigonios oder Panvinios auf diese Weise nicht näherungsweise zu beschreiben waren, mochte für Bodin, der selbst kein Historiker war, von untergeordneter Bedeutsamkeit gewesen sein. Stabilität entwickelte die von ihm auf den Weg gebrachte Assoziation jedoch insofern, als sich der Komplex des derart verstandenen Antiquarianismus mit einem weiteren Attribut verschwisterte, das ihn strukturell von echter Historiographie zu entfernen schien, dem des „Philologischen“. Dieses Attribut leitete noch Benedetto Croce (1866–1952), als er sich mit Fueter über den Gegenstand der Historiographiegeschichte stritt. 124 Für Croce war, in idealistischer Manier, die „Geschichte der Historiographie […] die Geschichte des historischen Gedankens“ oder „die Geschichte […] des historiographischen Denkens.“ Sie hätte ebenso die erzählende Historiographie wie die Geschichtstheorie und Geschichtsphilosophie zu analysieren. Einig war er sich mit Fueter, der unter anderem die beiden zuletzt genannten Sektoren programmatisch auszublenden suchte, allein darin, dass die Geschichte der „G e l e h r s a m k e i t “ nicht zur Historiographiegeschichte gerechnet werden dürfe. Diese identifizierte Croce, in der Tradition Bodins, mit „Philologie“, und sie verkörpere als „Sammlung, Anordnung, Sichten von Material“ eben nicht „Geschichte“. Sie sei ebensowenig historiographiegeschichtlich relevant wie die „Geschichte der Bibliotheken, der Archive, der Museen, Universitäten, der Seminare“ und „anderer Einrichtungen und Verfahren von hervorstechend praktischem Charakter“. 125 –––––––— 123

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Vgl. ebd., S. 134a: „nam si quis Livium ac Dionysium cum Diodoro comparet, ubique fere in Romanorum antiquitate discreptantes judicabit: maximè in ratione Fastorum & Olympiadum, in quibus sæpissimè labitur. idque fortassis imperitia linguæ Latinæ contigisse puto, quo minùs scripta Romanorum diligentiùs inquireret, argumento est quod ubique ijȡȠȪȡȚȠȞ pro Furio scribit, quasi Græca vox esset. idem Ancum Horatium pro Marco: S P. Manium pro Melio: Lactucam pro Luctatio: Trigeminum pro Tricosto. quod ut librariorum vitio tribuatur (sic enim opinor) non tamen potest in Consulibus, Decemviris, ac Tribunis militum Consulari potestate eadem excusatio habere locum, in quibus enumerandis modo tres modo quatuor omittit, totamque Fastorum Consularium rationem confundit. sed hæc Caroli Sigonii & Onuphrii Panvinii studiis ac labore facilè possunt emendari. uterque profecto in Romanorum antiquitatibus explicandis summam ingenii laudem est adeptus.“ Vgl. Dufays, Théories (1990), S. 9f. Vgl. Benedetto Croce, Zur Theorie und Geschichte der Historiographie. Aus dem Ital. übers. v. Enrico Pizzo, Tübingen 1915 [ital. 1912/13], S. 126f., 131f. Fueter hatte die Geschichte der neueren Historiographie mit dem Ziel verfasst, „die Veränderungen, die sich während der Neuzeit in der Geschichtsauffassung der europäischen

262 Mit anderen Akzenten als Bodin entwarfen die Theoretiker der ars historica ihre Anleitungen zum Schreiben der Geschichte auf der Grundlage eines Verständnisses des „Historikers“, der im Idealfall nichts anderes tat, als die Begebenheiten, die er aus eigener Anschauung kannte, schriftlich niederzulegen. Mit Aulus Gellius und seinen vor 165 n. Chr. verfassten Noctes Atticae war der „Historiker“, dem griechischen Wortsinn entsprechend, keineswegs ein mit längst vergangenen Sachverhalten beschäftigter Gelehrter, sondern ein Augenzeuge oder Zeitgenosse. 126 Dieser beschrieb das in seiner unmittelbaren Gegenwart Vorgefallene für die Nachwelt, unterzog es, im Unterschied zu den nicht als historia zu qualifizierenden Annalen oder Ephemeriden, einer an Ursachen ausgerichteten Deutung und brachte es in eine erzählende Form. 127 Nahezu wörtlich wurden Gellius’ –––––––—

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Menschheit vollzogen“ hätten, insoweit zu erfassen, als sie sich „in den darstellenden Werken der Historiker“ niedergeschlagen hätten. Konkret bedeutete dies, jenseits des normativen Zentrums der politischen Geschichte, die „Rechts-, Literar-, Kirchenusw. -Historiker“ soweit als möglich auszublenden, da diese „nicht zur Geschichtsschreibung im eigentlichen Sinne des Wortes gehören.“ Bestenfalls seien einzelne Vertreter zu berücksichtigen, um „alle wichtigeren R i c h t u n g e n “ zumindest erwähnt zu haben. Gleiches gelte für die „Geschichte der Geschichtsphilosophie“ und die „der gelehrten historischen Forschung und Kritik“ sowie für die Geschichtstheorie, denn: „Eine Geschichte der Historik ist so wenig eine Geschichte der Historiographie als eine Geschichte der dramatischen Theorien eine des Dramas.“ Fueter, Geschichte (31936), S. XVIIf. Croce sollte Fueter nicht zu Unrecht entgegnen, dieses Programm keineswegs konsequent umgesetzt zu haben. In der Tat war es Fueter nicht möglich gewesen, die konfessionelle Historiographie der frühen Neuzeit oder die Geschichtsphilosophie Georg Wilhelm Friedrich Hegels (1770–1831) zu übergehen. Vgl. ebd., S. 246–291; 431–439. Fueters Programm ist dennoch mehr als nur in Spuren in der Geschichte der neueren Historiographie enthalten. Die Monumenta Germaniae Historica als Teil der „gelehrten Forschung“ wurden von ihm nur gestreift. Vgl. ebd., S. 330. Dies wurde posthum leicht korrigiert; vgl. ebd., S. 416 Marginalnote 1, S. 635. Insgesamt nicht behandelt wurden von Fueter die Theoretiker der ars historica. Bereits einleitend hatte Fueter zudem angekündigt, dass er „selbst einen so originellen Denker wie Bodin beiseite lassen“ musste: „der Methodus ad facilem historiarum cognitionem ist ein sehr bedeutendes Buch, aber für die Geschichtsschreibung hat er sich nicht als fruchtbar erwiesen.“ Ebd., S. XVII. Selbst Johann Gustav Droysen (1808–1884) interessierte Fueter nicht aufgrund seiner Historik, sondern aufgrund seiner Geschichte Alexanders des Großen, der Geschichte der preußischen Politik und als Begründer der „preussischen Schule“. Vgl. ebd., S. 492–496. Vgl. Seifert, Cognitio (1976), S. 23. Vgl. A. Gellii noctes Atticae, hrsg. v. P. K. Marshall, Bd. 1: Libri I–X (Scriptorvm classicorvm bibliotheca Oxoniensis), Oxford 1968 (Neudruck Oxford 2004), lib. V, c. 18, S. 211f.: „‚Historiamǥ ab ‚annalibusǥ quidam differe eo putant, quod, cum utrumque sit rerum gestarum narratio, earum tamen proprie rerum sit ‚historiaǥ, quibus rebus gerendis interfuerit is, qui narraret; eamque esse opinionem quorumdam Verrius Flaccus refert in libro de significatu uerborum quarto. Ac se quidem dubitare super ea re dicit, posse autem uideri putat nonnihil esse rationis in ea opinione, quod Ț̉ıIJȠȡȓĮ Graece significet rerum cognitionem praesentium. Sed nos audire soliti sumus annales omnino id esse, quod historiae sint, historias non omnino esse id, quod annales sint: sicuti, quod est homo, id necessario animal est; quod est animal, non id necesse est hominem esse. || Ita ‚historiasǥ quidem esse aiunt rerum gestarum uel ex-

263 Ausführungen in Dionigi Atanagis (um 1510–1573) Ragionamento della istoria von 1559 wiederholt. 128 Ethische Qualitäten wie Überparteilichkeit oder Klugheit waren für den in diesem Sinn verstandenen Historiographen, der Gegenwärtiges für die zukünftigen Generationen verschriftlichte, deswegen von überragender Bedeutung, weil er sich idealiter auf nichts anderes stützte, als auf seine Partizipation und Anschauung, in ungünstigeren Fällen auf das, was ihm von anderen berichtet worden war. Einerseits konnten sich für die Theoretiker der ars historica nun am Kriterium der Augenzeugenschaft, das in der Historiographie des Mittelalters kontinuierlich präsent geblieben war, 129 substantielle Zweifel an der Möglichkeit, eine in jeder –––––––—

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positionem uel demonstrationem uel quo alio nomine id dicendum est, ‚annalesǥ uero esse, cum res gestae plurium annorum obseruato cuiusque anni ordine deinceps componuntur. Cum uero non per annos, sed per dies singulos res gestae scribuntur, ea historia Graeco uocabulo İ̉ijȘȝİȡȓįĮ dicitur, cuius Latinum interpretamentum scriptum est in libro Semproni Asellionis primo, ex quo libro plura uerba ascripsimus, ut simul, ibidem quid ipse inter res gestas et annales esse dixerit, ostenderemus. || ‚Verum inter eosǥ, inquit, ‚qui annales relinquere uoluissent, et eos, qui res gestas a Romanis perscribere conati essent, omnium rerum hoc interfuit. Annales libri tantummodo, quod factum quoque anno gestum sit, ea demonstrabant, id est quasi qui diarium scribunt, quam Graeci İ̉ijȘȝİȡȓįĮ uocant. Nobis non modo satis esse uideo, quod factum esset, id pronuntiare, sed etiam, quo consilio quaque ratione gesta essent, demonstrare.ǥ “ Vgl. Dionigi Atanagi, Ragionamento della istoria (1559), in: Kessler (Hrsg.), Theoretiker (1971), Nr. 2, S. 66: „Aulo Gellio, huomo ne’ suoi tempi di gran dottrina, scriue, la istoria secondo alcuni in questo esser differente da gli annali, cioè che quantunque ambedue sieno narrationi di cose fatte, nondimeno la istoria è propriamente di quelle cose, nelle quali, mentre che si faceuano, è interuenuto colui, che le racconta, laquale opinione egli dice, che par che habbia vn non so che di ragione per lo significato della parola, percioche istoria in Greco importa cognition di cose presenti. Ma poi soggiugne, che essi erano usati d’vdire, che gli annali sono ben del tutto quel che sono le istorie, ma le istorie non sono già del tutto quel che sono gli annali; sì come quel ch’è huomo, ciò neceßariamente è anco animale, ma non allo’ncontro quel ch’è animale, ciò necessariamente è anco huomo. Gli annali, come appresso segue, dimostrano solamente le cose fatte di più anni, osseruando l’ordine di ciascun’anno, senza render conto de’ consigli, & delle ragioni, perche fur fatte; sì come l’efemeridi, ò i diarij, che noi possiamo chiamar giornali, dimostrano quelle di ciascun giorno. Ma la istoria alla narration delle cose fatte aggiugne i consigli, & la cagione, perche fur fatte, percioche senza queste particolarità, che altro sarebbono le istoriche narrationi, che fauole, & nouelle da raccontar dalle vecchiarelle à fanciulli appresso il focolare.“ Sodann bestünde „ancora vn’altra differenza, laqual si trae dalle parole di Cicerone nel già allegato libro dell’Oratore; cioè, che gli annali senza alcun’ornamento di lingua fanno semplice mentione de’ tempi, de gli huomini, de’ luoghi, & delle cose fatte tanto solamente, quanto è bastante à conseruar la publica memoria.“ Ebd., S. 66f. Vgl. Marie Schulz, Die Lehre von der historischen Methode bei den Geschichtsschreibern des Mittelalters (VI.–XIII. Jahrhundert) (Abhandlungen zur Mittleren und Neueren Geschichte 13), Berlin/Leipzig 1909, S. 16–23; Goetz, Geschichtsschreibung (1999), S. 151f.; mit späteren Beispielen Eckhard Kessler, Petrarca und die Geschichte. Geschichtsschreibung, Rhetorik, Philosophie im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit (Humanistische Bibliothek. Reihe 1: Abhandlungen 25), München 22004 [zuerst 1978], S. 83; Sabine Schmolinsky, Prophetia in der Bibliothek – die „Lectiones

264 Hinsicht wahre Historie niederzulegen, fixieren. Francesco Patrizi (1529– 1597) bemerkte in seinen Della historia diece dialoghi von 1560, dass zwei Augenzeugen, die ein und dieselbe Begebenheit gesehen hätten, diese auf unterschiedliche Weise und mit verschiedenen Gewichtungen erzählen konnten. Zudem mussten sie sich über das Gesehene durchaus nicht einig sein. 130 Auf die Rezeption vorhandener historiographischer Darstellungen gewendet entwickelte sich aber andererseits aus dem alten Begriff des Augenzeugen als dem Historiographen schlechthin – auf der Ebene der Theorie – eines der prominentesten Kriterien zur Evaluation der Gewissheit historiographischer Traditionen. Den Theoretikern der ars historica stand solches nur in Ansätzen zu Gebote. Sie hatten im Kern einen idealen, universal gebildeten antiken Historiographen vor Augen und weniger einen solchen, der beabsichtigte, sich mit den Hinterlassenschaften von gut anderthalb Jahrtausenden europäischer Geschichte zu beschäftigen. In der Einleitung des Januarbands diskutierte Bolland ein Modell, das es ermöglichen sollte, die verschiedenen Stufen („gradus“) historischer Wahrscheinlichkeit für die in den Acta Sanctorum zu veröffentlichenden Schriften („Editorum hoc opere probabilitas“ 131 ) festzustellen. Ausgenommen von dieser Betrachtung seien göttlich inspirierte Werke. Die höchste Stufe, sofern also diejenigen zu bewerten seien, die „nach gewöhnlichem Brauch der Sterblichen irgendetwas“ aufgezeichnet hätten, bekleideten demnach solche „gelehrten Männer“, die etwas verschriftlicht hätten, bei dem sie selbst zugegen gewesen waren. Als Beispiel nannte er die Vita Augustini des hl. Possidius († nach 437). 132 Es folgten auf der zweiten Stufe jene Autoren, welche die Begebenheiten zwar nicht selbst gesehen, ihre Kenntnisse aber –––––––—

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memorabiles“ des Johannes Wolff, in: Zukunftsvoraussagen in der Renaissance, hrsg. v. Klaus Bergdolt/Walther Ludwig (Wolfenbütteler Abhandlungen zur Renaissanceforschung 23), Wiesbaden 2005, S. 89–130, hier S. 101 mit Anm. 40. Systematisch hat sich der Problematik jetzt Sabine Schmolinsky angenommen: Das Gedächtnis des Historiographen. Zum Verhältnis von Zeitzeugenschaft und historischer Glaubwürdigkeit in der Chronistik des Mittelalters. Vortrag im Rahmen des Habilitationskolloquiums der Fakultät für Geistes- und Sozialwissenschaften an der HelmutSchmidt-Universität/Universität der Bundeswehr Hamburg am 15. Jan. 2007. Vgl. Francesco Patrizi, Della historia diece dialoghi (1560), in: Kessler (Hrsg.), Theoretiker (1971), Nr. 3, S. 25v: „Et cio è, che se due huomini un fatto ui raccontano, il quale eßi habbiano con gli occhi pro priueduto, il ui racconteranno diuersamente, & molte cose dirà l’uno, che l’altro negherà di hauer ueduto; & molte cose l’altro, che l’uno non saprà.“ Vgl. Kessler, Geschichte (1971), S. 23f. Bolland, Praefatio, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, S. XXXII. Vgl. ebd., S. XXXIIIa: „Primum ac summum gradum historiæ scribendæ (de iis mihi sermo non est, qui quæ scribunt cælitus hauserunt, Deo vel mentes eorum collustrante, vel per Angelum aliúmve cælestem administrum dictante vel edocente quæ scribant: de iis loquor, qui communi mortalium more quidpiam commentantur) eum igitur principem historiæ gradum statuunt viri eruditi, cùm quis ea quibus interfuit, quæque geri vidit, tradit litteris, quâ ferè ratione Possidius Episcopus S. Augustini facta didicit & scripsit.“

265 von anderen Augenzeugen bezogen hatten. Dies beträfe etwa Hieronymus’ Vita des hl. Hilarion von Gaza († 371), die von Bonaventura († 1274) stammenden Lebensbeschreibungen des hl. Franz von Assisi († 1226) oder die anonyme Vita der – 1255 von Alexander IV. (reg. 1254–1261) kanonisierten – hl. Clara von Assisi († 1253). Aus der Einleitung der letzteren zitierte Bolland einige Passagen. Der Autor, nach heutiger Kenntnis wahrscheinlich Thomas von Celano († um 1260), 133 sei aufgrund der bisweilen wenig zufriedenstellenden Materialbasis „zu den Genossen des seligen Franziskus und dem Kolleg der Jungfrauen Christi selbst aufgebrochen, im Herzen dies mehrfach von neuem überdenkend, dass es von alters her nicht erlaubt gewesen ist, eine Historie zu verfertigen, es sei denn für jene, die gesehen oder von Sehenden entgegengenommen haben.“ 134 Auch dieses –––––––— 133 134

Vgl. Kaspar Elm, Art. Clara v. Assisi, in: LexMA, Bd. 2, 1983, Sp. 2122–2124, hier Sp. 2122. Vgl. Bolland, Praefatio, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, S. XXXIIIa: „Alterum gradum ij tenent, qui non spectarunt ipsi quidem quæ narrant; ab iis tamen accepêre, qui suis ea oculis sunt contemplati. Eâ ferè ratione S. Francisci vitam composuit S. Bonauentura, S. Hilarionis S. Hieronymus, S. Claræ auctor anonymus, vt ipse in Præfatione ad Alexandrum IV. testatur: Sanè placuit, inquit, Dominationi Vestræ, meæ paruitati iniungere, vt recentibus actibus S. Claræ Legendam eius formarem: opus certè quod mea ruditas multùm formidabat, nisi pontificalis auctoritas verbum coram posito iterum atque iterum repetisset. Igitur me colligens ad mandatum, nec tutum ratus per ea procedere quæ defectiua legebam, ad socios B. Francisci, atque ad ipsum collegium Virginum Christi perrexi, frequenter illud corde reuoluens, non licuisse antiquitus historiam texere, nisi iis qui vidissent aut à videntibus accepissent.“ Vgl. Legenda Sanctae Clarae Virginis. Tratta dal MS. 338 della Bibl. Communale di Assisi, hrsg. v. Francesco Pennacchi (Società internazionale di Studi francescani in Assisi), Assisi 1910, S. 2f.: „Sane placuit dominationi vestrae, meae parvitati iniungere, […]. […] ad socios beati Francisci, atque ad ipsum collegium virginum Christi perrexi, frequenter illud corde revolvens, non licuisse antiquitus historiam texere, nisi his, qui vidissent, aut a videntibus accepissent.“ Anders formulierte Mabillon, Brièves reflections [1677], ed. Barret-Kriegel (1990), S. 112f.: „Nous ne pouvons connoistre les choses passées que pour les avoir veuës, ou par les avoir entendues des tesmoins digne de foy, ou per les avoir leuës. Or quand il est question des choses anciennes, il n y a proprement que l’autorité des Ecrivains qui nous ont devancez qui nous en puissent rendre un temoignage assuré.“ Hierbei handelt es sich um die systematische Trennung von Gegenwarts- und Vergangenheitsgeschichte mit Akzentuierung dessen, worauf sich diese jeweils stützen. Man wird diese Bemerkung also nicht mit Zwink, Imagination (2006), S. 103f., als eine zumal von Mabillon entworfene „Matrix abgestufter Zuverlässigkeit“ begreifen können, die mit einem neuartigen „Vorrang“ des „direkte[n] Sehen[s] […] vor dem imaginären Sehen bzw. dem vermittelten Nachvollzug des zeugnishaften Sehens“ assoziierbar wäre: „Alle Erkenntnisprobleme bleiben auf diese Hierarchie bezogen, auch dann, wenn die direkte Beobachtung in der Regel ausscheidet.“ Ebd., S. 101f. Zwink folgert aus der zitierten Passage Mabillons: „Die autoptische Erfahrung scheidet bei der Beschäftigung mit vergangenen Begebenheiten zumindest als ceterus [!] paribus wiederholbare Erfahrung aus. Nur die Vertextungen, gelegentlich auch die Bildverarbeitungen vergangener Zeugenschaft bleiben als Erkenntnisquelle erhalten.“ Ebd., S. 103. Von „Bildverarbeitungen“ ist bei Mabillon allerdings keine Rede, weder in einem abstrakten noch in einem materiellen Verständnis. Derart interpolierende Aussagen im Sinne der eigenen Hypothesenbil-

266 Beispiel mag verdeutlichen, dass sich die Verfasser von Heiligenviten in einem nahezu klassischen Sinn als Historiographen verstehen konnten. Mit vergleichbaren Argumenten, aber etwas gröber in der Artikulation, hatte bereits der Dominikaner Melchior Cano (1509–1560) diese Art der Abstufung historischer Plausibilitäten auf die Autoren der Patristik bezogen. 135 Auf der dritten Stufe Bollands befanden sich solche Autoren, die ihre Kenntnisse „nicht von Augenzeugen selbst, sondern von jenen, denen Augenzeugen Bericht erstattet hatten“, empfangen hätten. Von dieser Art seien, so meinte Bolland, zahlreiche Schilderungen in Johannes Moschos’ († 621/34) Pratum spirituale, in den Dialogen Gregors des Großen und in Bedas Kirchengeschichte. 136 Mit der vierten Stufe begab er sich auf die Ebene der rein schriftlichen Tradition. Hier standen solche Erzeugnisse in Rede, die aus der stilistischen Überarbeitung jener Historien hervorgegangen waren, die mit den drei ersten Stufen zur Deckung kamen, oder die von der Integration „der zuverlässigen Hinterlassenschaften (monumenta) der Schenkungen, Testamente, Übergabehandlungen und Denkbücher“ lebten, und zwar solcher, die ihrerseits mit den ersten drei Stufen konvergierten. 137 –––––––—

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dung sind in dieser Arbeit leider häufiger anzutreffen. Die „Acta sanctorum ordini [!] Sancti Benedicti“ und die Gallia christiana, die Zwink allein in ihrer späteren Überarbeitung durch den Mauriner Denis de Sainte-Marthe (1650–1725) und ihrer Fortsetzung (10 Bde., 1716–1751) zur Kenntnis genommen hat, gelten ihm als „die bis dahin wohl gründlichsten Studien zur Kirchengeschichte, die mit beharrlicher Ausdauer über Generationen hinweg betrieben wurden. Es handelt sich dabei um umfangreiche Materialsammlungen, die auf langen Reisen in die diversen Kloster- und Kirchenarchive, aber auch aus anderen Sammlungen und Kabinetten – häufig als Zeichnungen – zusammengetragen wurden.“ Ebd., S. 89. Die Gallia christiana ist jedoch keine „Materialsammlung“, die Acta Sanctorum Ordinis Sancti Benedicti wurden nicht über „Generationen hinweg“ zusammengetragen, sondern zwischen 1668 und 1701 vollendet, und dass es für die Vertreter beider Werke von großer Bedeutung war, „Zeichnungen“ von historischen Artefakten anfertigen zu lassen, ist bislang nicht bekannt. Vgl. REVERENDISSIMI || D. DOMINI MEL- || CHIORIS CANI EPI- || SCOPI CANARIENSIS, ORDINIS || PRÆDICATORVM, ET SACRÆ THEO- || logiæ professoriis, ac primariæ cathedræ || in academia Salmanticensi || olim præfecti, || De locis Theologicis Libri duodecim. || Cum Indice copiosissimo atq[ue] locupletissimo. || LOVANII, || Excudebat Seruatius Sassenus, sumptibus || hæredum Arnoldi Birckmanni. || Anno 1569. || Cum Gratia & Priuilegio R. M. ad Sexennium, S. 649: „Quæ omnino res locum habet, cùm quæ narrant historici, ea vel ipsi se vidisse testantur, vel ab his, qui viderunt accepisse. Qualia sunt plæraq[ue] in epistolis Ambrosij, Cypriani, Hieronymi, Augustini, in libris quoque huius de Ciuitate Dei, in dialogis Grogorij [!], breuiter in omnibus ferè doctorum ecclesiæ probatissimorum scriptis: […].“ Vgl. Bernhard Körner, Melchior Cano. De locis theologicis. Ein Beitrag zur Theologischen Erkenntnislehre, Graz 1994, S. 265–274. Vgl. Bolland, Praefatio, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, S. XXXIIIa: „Tertius gradus est eorum, qui ea commemorant, quæ non à spectatoribus ipsis accepêre, sed ab iis quibus spectatores narrauerant. Ad hoc genus multa pertinent ex iis quæ refert Ioannes Moschus in Prato spirituali, S. Gregorius in Dialogis, S. Beda in historiâ Anglicanâ.“ Vgl. ebd.: „Quarto in gradu ij locandi, qui quæ stylo prosequuntur, ex historicis qui in gradibus iam enumeratis consistant, collegêre, aut ex certis monume[n]tis donatio-

267 Grundsätzlich verdienten aber alle Lebensbeschreibungen Vertrauen – und dies ist, wie gleich deutlich werden wird, die für die Konzeption der Acta Sanctorum entscheidende Aussage –, sofern sie von guten oder weisen Männern auf möglichst unverfälschte Weise aufgezeichnet worden seien. 138 Auf eine im Kontext der Acta Sanctorum einmalige Art listete Bolland im Anschluss daran eine größere Zahl der Viten auf, die in den Januarbänden veröffentlicht werden sollten und die seines Erachtens mit dieser oder jener Stufe zur Deckung kamen. Die Aufstellung der die Augenzeugen betreffenden ersten Stufe, um hier nur diese zu nennen, beschloss er mit den Worten, dass es sich um eine Auswahl der „vorzüglichen“ handelte oder derer, die ihm selbst, „diese Dinge entwerfend“, als erstes in den Sinn gekommen seien. Er betonte, dass diese Tatenberichte: […] nicht nach vielen Jahrhunderten auf sorglose Weise zusammengefügt, sondern von weisen Männern, die ihrer unter den schriftlichen Denkmälern ansichtig geworden sind, ausgezeichnet und äußerst verlässlich bis in unsere Zeit verwahrt worden sind. Überdies verhält es sich nicht so, dass verwöhnte Leute die Mönche als blöde und untätig verunglimpfen dürften, durch deren Fleiß, wenn wir die Wahrheit bekennen wollen, nicht nur diese heiligen Denkmäler der alten Frömmigkeit, sondern überhaupt alle aus der langen Geschichte der Gelehrsamkeit auf uns gebracht worden sind: was sogar viele Häretiker nicht in Abrede stellen.139

Wichtiger als die konventionelle Exposition der Augenzeugenschaft ist die Wendung gegen eine stereotypisierende Verurteilung der mittelalterlichen librarii. Deren Inkompetenz oder mangelnde Sorgfalt war in antikenbegeisterten Milieus das lange Zeit wichtigste – wenn nicht das einzige – Argument, um den Prozess der Tradition, vorgestellt als ein Prozess der fortlaufenden Korrumpierung der Texte, zu erklären. 140 Darauf wird zurückzu–––––––— 138 139

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num, testamentorum, transactionum, aut commentariis, sed eorum dumtaxat qui aliquem ex antedictis obtinuerunt gradum.“ Vgl. ebd.: „Et hi quidem omnes fidem merentur, si sunt viri boni, si prudentes, si pura eorum minimeque adulterata scripta sunt.“ Vgl. ebd., S. XXXVIa–b: „Ab oculatis testibus conscriptæ sunt I. Ianuar. Vitæ SS. Fulgentij Episcopi Ruspensis & Eugendi Abbatis à discipulis; S. Gregorij Ep. Nazianzeni à S. Gregorio Theologo filio; S. Guilielmi Abb. Diuionensis à Rodulpho Glabro; S. Odilonis à Lethaldo. II. S. Macarij Alexandrini à Palladio; S. Adelardi Abb. Vita à S. Paschasio Ratberto, miracula à S. Geraldo, vel Gerardo Abb. Siluæmaioris. III. S. Genouefæ, quæ tamen fortassis interpolata. IV. B. Angelæ Fulginatis ab Arnaldo […]. […] & aliæ complures: nec enim omnes hîc enumeraui, sed præcipuas, aut quarum hæc commentans in memoriam primùm rediit. Non sunt hæc otiosè multis pòst seculis conficta, sed à viris sapientibus qui ea spectarant litterarum monumentis signata, ac fidelissimè ad nostram ætatem conseruata. Neque est quòd fastidiosi homines monachos hebetes & inertes criminentur, quorum industriâ, si verum fateri volumus, non modò sacra hæc antiquæ pietatis, sed omnia omnino vetustæ eruditionis ad nos peruenêre monumenta: quod etiam Hæreticorum multi non diffitentur.“ Vgl. Klara Vanek, Überlieferung und Textverderbnis. Konrad Rittershausens „Monitio de varietate lectionum“ von 1597, in: Übertragungen. Formen und Konzepte von

268 kommen sein. Angesichts der Bandbreite der ihm bekannten Phänomene konnte sich Bolland mit dieser Sicht nicht bescheiden. Insofern interessiert sein Stufenmodell vor allem in seinen dem Fortschreiten der Zeit geöffneten Teilen. In den Acta Sanctorum sollten natürlich nicht nur die mit diesen vier Stufen zu vereinbarenden Texte berücksichtigt werden – auf der vierten und letzten befanden sich Sammlungen wie jene des Surius oder Petrus de Natalibus –, 141 sondern auch jene, die in Folge widriger historischer Umstände eine geringere Qualität aufwiesen. So sei, mit Blick auf die Historien der Heiligen insgesamt, in vielen Fällen mit erst später einsetzenden Vorgängen der Verschriftlichung zu kalkulieren, sei es, dass ungünstige Umstände der Abfassung einer Vita entgegen gestanden hätten, sei es, dass der Kult einzelner Heiliger nicht von Beginn an und kontinuierlich gepflegt worden, sei es, dass die Kirche selbst restriktiv auf die Verschriftlichung einzuwirken gesucht oder es einfach eines geeigneten Autors ermangelt habe. 142 In Bezug auf die Heiligen der Gallia hatte sich DuSaussay 1637 diesen Fragen eingehend gewidmet. 143 Wie bereits Baronio verwies Bolland insbesondere auf die Problematik der Märtyrerakten und Passiones. Diese seien zur Zeit der Christenverfolgung gezielt vernichtet worden, teils aber auch in den Wirren der germanischen Herrschaft verloren gegangen:144 –––––––—

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Reproduktion in Mittelalter und Früher Neuzeit, hrsg. v. Britta Bußmann/Albrecht Hausmann/Annelie Kreft [u. a.] (Trends in Medieval Philology 5), Berlin/New York 2005, S. 9–27, hier S. 18f. Vgl. Bolland, Praefatio, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, S. XXXVIIa. Vgl. ebd., S. XXXIIIb: „Neque id solùm in actis Martyrum, sed in ceterorum rebus gestis Sanctorum locum habet. Nam plurimorum non sunt statim atque è vitâ excesserunt mandata litteris gesta, vel inuidiâ obstrepente, vel quia non continuò vocari cœpti in vota & miraculis clarescere, vel quia hæc Ecclesiæ Præsides scribi ac præproperè vulgari vetuerunt, vel quia idoneus scriptor defuit.“ Vgl. Du Saussay, Martyrologium Gallicanum, 1637. Apparatus, c. 13, S. XLIV– XLVI: De priscorum sacræ Galliarum Historiæ monimentorum tenuitate, si conferantur cum Sanctorum multitudine inenarrabili, qui ab ortu fidei in Gallia claruerunt; ebd., c. 14, S. XLVII–LII: Alteram afferens causam præsentis monimentorum Ecclesiasticorum penuriæ, videlicet multiplicem sacrorum Codd. iacturam, & frequentem religiosæ supellectilis direptionem. Vgl. Bolland, Praefatio, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, S. XXXIIIb–XXXIVa: „At quæ olim fideliter conscripta, præsertim Martyrum acta […] verisimile est Diocletiani feralibus edictis dissipata, absumptaq[ue] esse. […] Quæ tamen superfuêre, eorum multa tum Romæ tum alibi vel barbarorum incursione ac populatione, vel fortuito ædium oppidorumque incendio, periêre: quâ ratione multæ aliorum quoque Sanctorum Vitæ, quas olim accuratè conscriptas esse constat, interierunt.“ Vgl. Baronio, De Martyrologio Romano. Præcapitulatio dicendorum [= Præcapitulatio], in: ders., Martyrologium Romanum, sec. ed., 1589, S. IX–XXVI, hier c. III. De immensa iactura quam passa sunt acta sanctorum Martyrum, ebd., S. XI–XIII. Vgl. dazu François Dolbeau, Art. Märtyrerakten, in: LexMA, Bd. 6, 1992, Sp. 351f. Den technischen Ausdruck der Acta martyrum sieht Dolbeau, etwas zu spät, erst mit Ruinarts Anthologie der Acta primorum Martyrum von 1689 etabliert. Francesco Scorza Barcellona, Agli inizi dell’agiografia occidentale, in: Philippart (Hrsg.), Hagiographies, Bd. 3 (2001),

269 Dies also ist der Grund, weshalb die Verlässlichkeit vieler Viten gegenwärtig ungewiss sein könnte. In erster Line nämlich, weil jene ursprünglichen Tatenberichte der Heiligen auf diese Art verstreut worden sind, der Name der Heiligen gleichwohl überlebte und in Wundern hervorblitzte, hat es sich gebührt, ihre Tatenberichte einige Jahrhunderte, nachdem sie aus dem Leben getreten waren, entweder nach alten Historien oder, weil solche vielfach nicht vorhanden waren, nach der, freilich von den Vorfahren empfangenen, Rede (fama) des Volkes allein aufzuschreiben. In der Tat, wie zu Recht der hl. Augustin tract. 90. in Joh. sagt, bisweilen fabuliert sowohl die historia als auch, viel häufiger, die fama. Notwendigerweise muss dieser Posten dennoch besetzt werden, […]. Aber Urteilskraft ist von Nöten. Wo diese als rechtschaffene und geschliffene eingeschaltet wird, tritt sowohl die für die Heiligen selbst ehrenvolle als auch für die Sterblichen einträgliche Sachlage ans Tageslicht.145

Auf diese Weise sprach Bolland kaum einer Vita das Potential ab, in den Acta Sanctorum publiziert werden zu können. Die einzige Bedingung war, dass es sich um leidlich historische Materialien oder um Schriften handelte, die auf solchen beruhten. Dabei sollte nicht erwartet werden, dass näherungsweise alle zu veröffentlichenden Texte und Textpartikel mit Bollands Stufenmodell abgeglichen wurden. Die meisten Beispiele für die erste Stufe hatte er im Rückgriff auf die literalen Selbstaussagen der jeweiligen Viten ermitteln können; 146 daraus sollten sich später einige Debatten um die Au–––––––— 145

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S. 17–97, hier S. 32f., führt die Konventionalisierung des Ausdrucks auf die Bollandisten zurück. Bolland, Praefatio, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, S. XXXIVa: „Hæc igitur est caussa, quare multaru[m] Vitarum nunc incerta sit fides. Primò namque, cùm ita primigenia illa Diuorum acta essent dissipata, superesset tamen nomen Sanctorum, & miraculis coruscaret, oportuit acta eorum, aliquot, postquàm è vitâ migrârant, seculis, vel ex veteribus historiis, vel, cùm eæ vt plurimùm non exstarent, ex solâ populi, sed acceptâ à maioribus, famâ describere. Verùm, vt rectè S. Augustin. tract. 90. in Ioan. Nonnumquàm & historia, & multò magis fama mentitur. Necessariò tamen illud occupandu[m] præsidium est, cùm aliud suppetit nihil. Sed iudicio est opus. Quod vbi sincerum limatumque interponitur, res existit & ipsis honorifica Cælitibus, & mortalibus fructuosa.“ Vgl. Aurelii Augustini Opera, Bd. 8: In Iohannis evangelium tractatus CXXIV, post Maurinos textum edendem curavit D. Radbodus Willems (CCSL 36), Turnhout 1954, tract. XC,2, S. 551: „[…]; quia nonnumquam et historia, et multo magis fama mentitur.“ Vgl. aus den oben Anm. 139 genannten Beispielen etwa den Prolog der Vita S. Fvlgentii a qvodam eivs discipvlo conscripta ad Felicianvm Episcopvm, in: AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, 1. Jan., S. 32–45, hier S. 32b: „Sed indignus ego, de tantâ plenitudine vix exiguam capere valui portionem. Tuæ tamen paternitatis orationibus fretus, libelli præsentis laborem suscipere cogitaui: in quo omnia, quæ memoriter nobis audientibus ipse referebat, & illa insuper, quæ oculis nostris adspeximus, vt iam positi in doctrinâ illius, quemadmodum sint gesta, non ignoramus, breuiter explicabo: […].“ Präziser wird die zwischen 527 und 536 verfasste Vita des Fulgentius von Ruspe († 527) seit den Studien Chifflets bis heute dem in Karthago wirkenden Diakon Ferrandus zugeschrieben, dessen Briefwechsel mit Fulgentius in beachtlichen Teilen erhalten ist. Vgl. J. Fraipont, Introduction, in: Sancti Fulgentii episcopi Ruspensis opera, hrsg. v. dems., Bd. 1 (CCSL 91), Turnhout 1968, S. V–XI, hier S. V; Victor Saxer, Afrique latine, in: Philippart (Hrsg.), Hagiographies, Bd. 1 (1994), S. 25–95, hier S. 71f. Komplizierter ist das Beispiel des hl. Eugendus († 512/14), des wahrscheinlich vierten Abts des Klosters Condat. Vgl. De S. Evgendo Abbate, in:

270 thentizität entwickeln, die solchen Aussagen zugebilligt werden könne. 147 Die verbleibenden Stufen jedoch unterlagen der bereits oben angedeuteten –––––––—

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AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, 1. Jan., S. 49–54. hier S. 49b: „S. Eugendi vitam ab eius discipulo anonymo conscripta[m] […].“ Eine Datierung der Lebenszeit des hl. Eugendus nahm Bolland in seinen einleitenden Bemerkungen nicht vor. Die Passagen, in denen der Autor der Vita seine Schüler- und Zeitgenossenschaft zu erkennen gab, versammelte später in einem detailreicheren Dossier G[odefridus] H[enschenius], De S. Romano Abbate Ivrensis Monasterii in Bvrgvndia, in: AASS Februarii, Bd. 3, 1658, 28. Feb., S. 737–748. Commentarius præuius, ebd., S. 737–740, hier S. 738a. Jenseits der literalen Lektüre Bollands und Henschens vertrat kurz darauf Quesnel im Rahmen seiner 1675 publizierten Opera omnia Leos I. die Auffassung, dass die in der vorigen Anmerkung diskutierte Zeitgenossenschaft, aufgrund einiger anachronistischer Wortprägungen und Sachverhalte, als fingiert zu bewerten sei. Während sich Papebroch in den Maibänden der Acta Sanctorum der Sichtweise Quesnels im Wesentlichen anschloss, sprachen sich Autoren wie Adrien Baillet oder Louis Sébastien LeNain de Tillemont (1637–1698) gegen diese Annahme einer bestenfalls flächendeckend interpolierten Vita aus. Vgl. François Martine, Introduction, in: Vie des pères du Jura, hrsg. v. dems. (Sources chrétiennes 142), Paris 1968, S. 11–234, hier S. 15–20. Bruno Krusch, [Einleitung], Vita patrum Iurensium Romani, Lupicini, Eugendi, in: MGH SS rer. Merov., Bd. 3: Passiones vitaeque sanctorum aevi Merovingici (I), hrsg. v. dems., Hannover 1896 (Neudruck Hannover 1977), S. 125–130, hier S. 127ff., tendierte wiederum zu der Auffassung Quesnels, vertiefte die älteren Einwände, datierte die Vita auf das 9. Jahrhundert und motivierte damit Duchesne und andere Autoren zu teilweise umfangreichen Gegenreden. Mit Martine, Introduction (1968), S. 21–44, scheint man sämtliche Argumente Kruschs als widerlegt betrachten zu müssen. Der Forschungsstand ist damit, auf einigen Umwegen, zu Bollands einigermaßen unbedarfter Haltung zurückgekehrt. Vgl. François Masai, La „Vita patrum iurensium“ et les débuts du monachisme à Saint-Maurice d’Augaune, in: Festschrift Bernhard Bischoff zu seinem 65. Geburtstag dargebracht von Freunden, Kollegen und Schülern, hrsg. v. Johanne Autenrieth/Franz Brunhölzl, Stuttgart 1971, S. 43–69, hier S. 49: „C’est à chaque page que ce document démontre sa criante vérité historique.“ Die Vita wird inzwischen auf um 520 datiert. Die älteste materialiter erhaltene Version der Vita patrum Iurensium stammt aus einem heute in Paris aufbewahrten Legendar des 10. Jahrhunderts. Vgl. Martine, Introduction (1968), S. 57, 130f. Martine sucht allerdings den Nachweis zu führen, dass die in Brüssel vorhandenen Abschriften, die Chifflet aus einem – von Martine so genannten – Codex Iurensis und einem Codex Bisontinus Henschen für seine Arbeit an den Dossiers der heiligen Romanus und Lupicinus zur Verfügung gestellt hatte, im letzteren Fall auf einem deutlich älteren Überlieferungsträger beruhen. Vgl. Van den Gheyn, Catalogue, Bd. 5 (1905), S. 483, Ms. 8601–6 (3478), Nr. 2–5; Martine, Introduction (1968), S. 139–159. Es handelt sich um eine vollständige Kopie („Ex MS. veteri S. Claudii“) des Texts aus dem Codex Iurensis, die Chifflet um zahlreiche Lesarten aus der aus Besançon stammenden Abschrift ergänzt hatte. Im Vergleich mit anderen in Brüssel erhaltenen Abschriften Chifflets, die mit der Provenienz Besançon versehen worden sind, sowie aus Chifflets Charakterisierung seiner Vorlage als „Gothico charactere maiusculo exaratus“ folgert Martine, dass die Chifflet vorliegende und heute verlorene Handschrift aus Besançon im zweiten Viertel des 7. Jahrhunderts entstanden sein dürfte. Vgl. ebd., S. 141–147. Die im Fall der Vita patrum Iurensium also nur als Varianten erhaltenen Partikel aus Codex Bisontinus und Chifflets wohl vollständige Abschrift aus dem – seinerseits verlorenen und von Martine auf ungefähr das 11. Jahrhundert datierten – Codex Iurensis dienen zusammen mit der historischen Handschrift Paris als Grundlage für Martines revidierte Edition. Vgl. ebd., S. 154, 210f. Schon Krusch,

271 Problematik, dass die frühen Bollandisten nur mit Abstrichen in der Lage waren, die Entstehungszeit eines Texts oder des sie tradierenden Materials dann systematisch zu bestimmen, wenn keine expliziten Hinweise vorlagen. Knapp fünfzig Jahre nach Bolland brachte Mabillon im Traité des études monastiques einige Worte zu Papier, in denen neben der Vorstellung, dass mit wachsender historischer Distanz zum beschriebenen Ereignis die Verlässlichkeit der historiographischen Darstellung linear abnähme, die Dynamik der Tradition selbst berücksichtigt werden sollte. Aus Bonaventure d’Argonnes (1634–1704) Traite de la lecture des Peres von 1688 zitierend bemerkte er: Man darf auch weder die abschreibenden Historiker, die Verfertiger von Auszügen noch die Kompilatoren gering schätzen: es kann ebenso vorkommen, wie ganz richtig ein moderner Autor angemerkt hat, dass entweder ein Abschreiber sein Original verbessert oder erläutert haben wird; oder dass ein Kompilator hinsichtlich bestimmter Begebenheiten die Autoren in Einklang gebracht haben wird, aus denen er geschöpft hat; oder dass ein Auszug besser verstanden werden wird, als das Original; oder dass er endlich die Stelle des Originals selbst einnehmen wird, das vollständig verloren oder wenigstens in einigen seiner Teile verstümmelt und verändert worden ist.148

Grundsätzlich sei damit zu rechnen, so Mabillon, dass auf verschiedenen Wegen zu einem Ereignis zeitnahe Informationen in spätere Darstellungen eingegangen sein konnten, ohne dass dies auf den ersten Blick erkennbar –––––––—

148

dem Chifflets Abschriften noch nicht zugänglich waren, hatte auf Textpartikel aus Henschens Drucken zurückgegriffen, die auf Chifflets Kopien beruhen. Vgl. ebd., S. 129, 205f. Aus all dem folgt, dass von den Gelehrten des 16. oder 17. Jahrhunderts nicht erwartet werden kann, in editorischer und analytischer Hinsicht souverän Probleme gelöst zu haben, die die Forschung bis in die Gegenwart beschäftigen. Falls Martines Hypothesen zutreffen sollten, bleibt allein die Auffälligkeit zu konstatieren, dass Chifflet die mit großem Abstand älteste Handschrift in dieser Qualität entweder nicht erkannte oder sie für eine vollständige Abschrift nicht für würdig erachtete. Vgl. dazu auch das Beispiel unten S. 276. Mabillon, Traité, 1691, S. 235f.: „On ne doit pas aussi mépriser les historiens copistes, les abbreviateurs, ni les compilateurs: dautant qu’il se peut faire, comme a fort bien remarqué un auteur moderne ¢marginal: Lecture des Peres, pag. 99.² ou qu’un copiste aura corrigé ou éclairci son original; ou qu’un compilateur aura accordé sur de certains faits les auteurs qu’il a compilez, ou qu’un abregé sera mieux entendu que l’original; ou qu’enfin il tiendra lieu de l’original mesme, qui est entierement perdu, ou au moins tronqué & mutilé en quelquesunes de ses parties.“ Vgl. [Bonaventure d’Argonne], TRAITE || DE LA LECTURE || DES PERES || DE L’EGLISE, || OV || METHODE || POUR LES LIRE || utilement. || DIVISÉ EN DEUX PARTIES. || A PARIS, || Chez JEAN COUTEROT & LOUIS GUERIN, || rue S. Jacques, à l’image S. Pierre. || M. DC. LXXXVIII. || Avec Approbation & Privilege du Roy, S. 99: „On ne doit pas pareillement mépriser les Historiens copistes, les Abbreviateurs, ny les compilateurs: car il se peut faire, ou qu’un Copiste aura corrigé, ou éclaircy son Original; ou qu’un Compilateur aura accordé sur de certains faits les Auteurs qu’il a compilez; ou qu’un abregé sera mieux entendu que l’Original; ou qu’il tiendra lieu de l’Original mesme qui est ou entierement perdu, ou au moins corrompu & mutilé en quelques-unes des ses parties.“

272 sei. 149 Dies bedeutete zwar nicht, dass die älteren Kriterien der Augenzeugenschaft oder der ethischen Qualitäten eines Historiographen obsolet geworden wären; mit einiger Sorgfalt hatte er letztere in seinen unveröffentlichten Brièves reflections sur quelques Regles de l’histoire von 1677 ausgearbeitet, insbesondere auf diejenigen gewendet, die sich, wie er selbst, synchronisch dem Studium oder der Erkundung der Geschichte („recherche de l’histoire“, „estudier l’histoire“; „traiter de l’histoire“) widmeten. 150 Allerdings folgte aus den sich differenzierenden Einblicken in die Prozesse der Tradition eine Position, die es sich gerade verbot, analog zur überkommenen Exposition der Augenzeugenschaft, die Bedeutsamkeit der „Originale“ („originaux“) zu überzeichnen. Ohne Zweifel habe man, wie Mabillon im Traité bemerkte: –––––––— 149

150

Vgl. Mabillon, Traité, 1691, S. 234: „[…]: d’autant qu’il peut aisément arriver, qu’un auteur plus éloigné du temps aura vû de bons memoires, que l’on aura tenus secrets dans le temps que les choses se sont passées: ou qu’il aura vû des auteurs contemporains ou presque contemporains, dont les ouvrages seront perdus.“ Vgl. ders., Brièves reflections [1677], ed. Barret-Kriegel (1990), S. 109, 112f. Der erste Abschnitt galt der „Amour de la vérite“, ebd., S. 104–107, der zweite der „Sincerité“, ebd., S. 107–112. Im Traité schenkte Mabillon dieser Frage weniger Aufmerksamkeit. Mit Canos 1569 gedruckten De locis theologicis libri XII und dessen umfangreichem elften Buch: De humanae historiae auctoritate, bezog er die Frage der Ethik wieder stärker auf die Beurteilung historischer Schriften. Als höherrangig seien demnach die Darstellungen von „Ehrenleuten“ zu bewerten, die im Regelfall davon abgesehen hätten, Augen- oder Ohrenzeugenschaften zu fingieren, ferner solche, in denen sich ein erkennbares Maß an Urteilskraft artikulierte oder die – über die Frage der Ethik hinaus – insgesamt von der Kirche approbiert würden. Vgl. ders., Traité, 1691, S. 237f.: „On peut rapporter à ce sujet trois regles, que Melchior Canus propose pour distinguer les bons historiens des autres. La premiere est une certaine probité qui les rende incapable de vouloir imposer au public, en assurant qu’ils auroient vû ou entendu un fait, qu’ils n’auront ni vû, ni entendu. […]. || La seconde regle qu’apporte Melchior Canus, est de preferer les auteurs judicieux & qui ont du discernement, à ceux qui en ont peu. […]. || La troisiéme regle est, de donner créance aux auteurs que l’Eglise aura jugé dignes de son approbation, & de rejetter par consequent ceux qu’elle aura desapprouvez: […].“ Mabillon fügte allerdings hinzu, dass man bisweilen wegen einiger kleinerer Passagen mit dem römischen Index in Kontakt kommen konnte, ohne dass deswegen die betreffenden Werke insgesamt zu verwerfen seien: „Quant à ceux qui sont mis aujourd’huy dans les Indices de Rome, comme il arrive assez souvent que ce n’est que pour quelques petits endroits que des auteurs s’attirent cette censure, il ne faut pas toujours croire que dans le reste ils n’ayent aucune autorité.“ Cano hatte sich diesen Fragen weit ausführlicher gewidmet. Eine eingehende Untersuchung seiner für die katholische Geschichtsreflexion grundlegenden Überlegungen ist hier nicht zu leisten. Vgl. Cano, De locis theologicis, 1569, S. 649: „Prima lex ex hominum probitate integritateque sumetur […].“ Ebd., S. 656: „Lex verò secunda in historiæ iudicio sanciatur, vt eos historicos reliquis anteferamus, qui ingenij seueritati quandam prudentiam adiunxerunt, & ad eligendum & ad iudicandum. Quæ lex in iis rebus locum habet […].“ Ebd., S. 659: „Tertia regula sit. Si cui historico auctoritatem ecclesia tribuit, hic dubio procul dignus est, cui nos etiam auctoritatem adiungimus. Contrà verò cui ecclesia derogauit fidem, ei quoque nos fidem iure ac meritò derogabimus. Gelasius porrò […].“

273 […] zu berücksichtigen, ob der Autor, den man liest, Zeitgenosse ist, ob er ein Kopist ist, oder ob es sich um einen originalen handelt; ob er gescheit ist, oder ob er sich nicht zu sehr Mutmaßungen hingibt. Denn wenn alle anderen Dinge ähnlich liegen, ist die Einschätzung eines zeitgenössischen Autors gegenüber der eines späteren Autors zu bevorzugen. Ich sage: wenn alle anderen Dinge ähnlich liegen. Denn es kann geschehen, und es passiert gelegentlich sogar, dass ein Autor, der nicht Zeitgenosse sein wird, nach guten und vertrauenswürdigen Zeugnissen geschrieben haben wird, dass er achtsam, gewichtig und klug sein wird; und dass im Gegenteil derjenige, der Zeitgenosse sein wird, nachlässig gewesen sein wird, schlecht über die Dinge informiert, oder dass er sich aus Schmeichelei oder aus Parteilichkeit verführen lassen haben wird. || 3. Aus diesem Grund darf man das Schweigen der zeitgenössischen Autoren nicht zu hoch bewerten, auch nicht das der beinahe zeitgenössischen: es kann gleichermaßen leicht geschehen, dass ein von einer bestimmten Zeit weiter entfernter Autor gute Zeugnisse eingesehen haben wird, die man zu der Zeit, als sich die Dinge zugetragen haben, unter Verschluss gehalten haben wird: oder dass er zeitgenössische oder fast zeitgenössische Autoren eingesehen haben wird, deren Werke verloren sein werden. Aber wenn es geschieht, dass sowohl die zeitgenössischen Autoren als auch die, die ihnen nach einem oder zwei Jahrhunderten gefolgt sind, überhaupt nicht von einem Ereignis gesprochen haben, und dass ein späterer Autor es ohne jede Evidenz verbürgt, dann darf dem keine große Achtung entgegengebracht werden: ansonsten würde dies allen Arten von Irrtümern und Fehlern das Tor öffnen. 151

Hintergrund dieser letzten Bemerkung waren jene Debatten in der Kongregation, die Mabillon bereits zur Abfassung der Brièves reflections motiviert hatten. Sie drehten sich darum, dass er davon abzusehen plante – oder intern eine solche Absicht artikuliert hatte –, in den Acta Sanctorum Ordinis Sancti Benedicti Viten solcher Heiliger zu veröffentlichen, die von seinen Ordensbrüdern und -schwestern zwar als Benediktiner betrachtet würden, nach allen historischen Zeugnissen aber nicht als Angehörige des Ordens bewertet werden dürften. In diesem Sinn, so Mabillon, würde er keineswegs gegen die tradition verstoßen haben, wenn er darauf verzichtete hätte, die Vita des hl. Columbanus († 615) in die Acta Sanctorum Ordinis Sancti Benedicti aufzunehmen. Denn es sei schwerlich als eine Tradition der Benediktiner zu –––––––— 151

Vgl. Mabillon, Traité, 1691, S. 234: „2. Il faut voir si l’auteur qu’on lit est contemporain, s’il copiste ou original; s’il est judicieux, ou s’il ne donne pas trop aux conjectures. Car toutes les autres choses étant pareilles, il faut préferer le sentiment d’un auteur contemporain à celuy d’un auteur qui seroit plus recent. Je dis toutes les autres choses étant pareilles. Car il se peut faire, & il arrive mesme quelquefois, qu’un auteur qui ne sera pas contemporain, aura écrit sur de bons & fideles memoires, qu’il sera diligent, grave & judicieux: & qu’au contraire celuy qui sera contemporain aura été négligent, peu informé des choses, ou qu’il se sera laissé corrompre par la flatterie ou par l’interêt. 3. || C’est pour cette raison qu’il ne faut pas pousser trop loin le silence des auteurs contemporains, ni mesme des presque contemporains: d’autant qu’il peut aisément arriver, qu’un auteur plus éloigné du tems aura vû de bons memoires, que l’on aura tenus secrets dans le tems que les choses se sont passées: ou qu’il aura vû des auteurs contemporains ou presque contemporains, dont les ouvrages seront perdus. Mais quand il arrive que ni les auteurs contemporains, ni ceux qui les ont suivis aprés un ou deux siecles, n’ont point parlé d’un fait, & qu’un auteur plus recent l’assure sans aucune autorité, alors il n’y faut pas avoir grand égard: autrement ce seroit ouvrir la porte à toutes sortes d’erreurs & de faussetez.“

274 bezeichnen, wenn in den Schriften, die älter seien als die des Hirsauer Reformabts Johannes Trithemius, eine solche Zuordnung nicht nachzuweisen sei. 152 Der hl. Columban erhielt dennoch seine Viten und Mirakelberichte im zweiten Band der Acta Sanctorum Ordinis Sancti Benedicti von 1669. 153 –––––––— 152

153

Vgl. Mabillon, Brièves reflections [1677], ed. Barret-Kriegel (1990), S. 124: „Appelera t’on […] une tradition de l’ordre de dire que St. Colomban a esté de l’ordre de St. Benoist puisqu’au contraire les Auteurs plus anciens que Tritheme disent qu’il n’en a pas esté. Et il ne sert de rien de dire que ces Auteurs se sont trompez, je l’avoüe. Mais il est question de scavoir ce qu’ils ont cru de St. Colomban: et je defie qui que ce soit de me montrer pas un Auteur avant trois cent ans qui dise que St. Colomban ayt esté de notre ordre: et au contraire j’en montre qui le nient positivement et des Auteurs de l’ordre. Ce n’est donc pas une Tradition de le croire.“ Im weiteren grenzte diese Debatte an die Frage, ob es vor der Regel des Benedikt von Nursia († um 560?) einen als benediktinisch zu qualifizierenden Orden gegeben habe. Vgl. Leclercq, Mabillon, Teil 1 (1953), S. 132–153; Barret-Kriegel, Mabillon (1990), S. 19–36. Ausführlich behandelte Mabillon die Frage in der: Ad pios eruditosque lectores præfatio, in: AASS OSB, Bd. 2, 21733, S. I–XXXIV. §. 1. De S. Columbani Regula & Instituto, an a S. P. Benedicti Instituto diversum, an cum illo aliquando coierit?, ebd., S. IV–XIII. Vgl. auch das Schreiben D. Jean Mabillon à D. Philippe Bastide, Paris, 26. Dez. 1668, in: Ruinart (Hrsg.), Ouvrages, 1724, S. 433–436. Mabillon erläuterte hier sein primäres Anliegen „du discernement pour distinguer & reconnoître les Saints qui nous appartiennent […].“ Ebd., S. 435. Von Trithemius selbst scheint Columban allerdings nicht zum Benediktiner erklärt worden zu sein. CATALOGVS || SCRIPTORVM ECCLESIASTICORVM, || siue illustrium virorum, cum appendice eorum qui no- || stro etiam seculo doctissimi claruere. Per vene- || rabilem virum, Dominum Ioha[n]nem à Trit- || tenhem Abbate[m] Spanhemensem, di- || sertissimè conscritpus. || [Köln] ANNO M. D. XXXI., Bl. XL[V]IIv [fehlerhaft als Bl. XLIIIIv paginiert]: „Columbanus primus fundator & abbas Luxouie[n]sis cœnobij, natione scotus, vir eximiæ sanctitatis, meriti & doctrinæ, pater multorum milium monachorum, & monasteriorum pluriu[m] fundator, diuini verbi seminator egregius, […].“ Ders., Compendivm sive breviarivm primi volvminis chronicorvm sive annalivm, Ioannis Trithemii Abbatis Sancti Iacobi Maioris Apostoli in svbvrbio civitatis Wircipvrg. de origine gentis & Regnum Francorum, ad reuerendissimum in Christo patrem & principem, dominum Laurentium Episcopum Wirtzpurgensem orientalisque Franciæ Ducem, in: JOHANNIS || TRITHEMII || SPANHEIMENSIS PRIMO, || DEINDE D. IACOBI MAIORIS APVD || HERBIPOLIN ABBATIS, VIRI SUO ÆUO DOCTISS. || PRIMÆ PARTIS || OPERA HISTORICA, QVOTQVOT || hactenus reperiri potuerunt, omnia: || PARTIM E VETVSTIS FVGIENTI- || busque editionibus reuocata, & ad fidem Archetyporum castigata; || partim ex manuscriptis nun primùm edita. || QVORUM CATALOGVM AVER- || sa pagina exhibet. || EX BIBLIOTHECA MARQVARDI FREHERI, || Consiliarii Palatini. || Cum INDICE copiosissimo. || FRANCOFVRTI, || Typis Wechelianis apud Claudium || Marnium & heredes Ioannis Aubrij. || M. DCI., S. 1–63, hier S. 48: „Eodem anno, vicesima prima die mensis Nouembris, obiit sanctus Columbanus abbas, presbyter, & doctor Scotorum & Pictorum, […].“ Vgl. Vita Sancti Columbani Abbatis. Auctore Jona Monacho Bobiensi fere æquali. Collata cum diversis Codicibus Mss., in: AASS OSB, Bd. 2, 21733, S. 2–26; Alia Vita. Auctore Frodoardo Canonico Remensi postea Monacho in lib. 14. Carm. cap. 18. Ex Ms. cod. RR. PP. Carmelitarum Excalceat. Conventus Paris., in: ebd., S. 26–36; Miracula S. Columbani scripta a Monacho Bobiensi anonymo, qui sæculo 10. vixit, ut constat ex capp. 7. 9. & seqq. Ex Mss. codd. Cisterc. & Autissiod., in: ebd., S. 37–51.

275 Die ältere historiographiegeschichtliche Auffassung, dass Mauriner und Bollandisten die Viten der in ihrer Historizität fragwürdigen Heiligen beseitigt hätten, findet gerade keinen Rückhalt in diesen insgesamt anders gelagerten Debatten. 154 Desgleichen wird man, in einem weiteren Sinne, die inaugurierte Zeitspanne der ein- bis maximal zweihundert Jahre, die nach einer Begebenheit vergangen sein durften, ehe eine auf sie bezogene Darstellung nach Ansicht Mabillons unbrauchbar wurde, nicht apodiktisch auf die herausgeberische Praxis in den Acta Sanctorum Ordinis Sancti Benedicti beziehen dürfen. Hinsichtlich der Datierung herrschten hier ähnliche Unsi–––––––— 154

Vgl. zuletzt Zwink, Imagination (2006), S. 103 Anm. 6. Demnach verdankten sich die Brièves reflections Mabillons dem „Verteidigungswunsch gegen die Angriffe, die im Anschluß an die Veröffentlichung der Acta Sanctorum O. S. B., aus der er einige Ordensheilige aufgrund der Unüberprüfbarkeit ihrer historischen Evidenz herausgestrichen hatte, gegen ihn lanciert wurden.“ Ausgehend von dieser Annahme verfehlen Zwinks folgende Assoziationen allerdings die – von ihm auch nicht untersuchte – editorische Praxis der Mauriner. Vgl. ebd., S. 106f.: „Die Erkenntnisqualität des als wahr ermittelten Wissens tritt als ‚Überschußǥ den Erkenntnisdefiziten entgegen. Stabilität gewinnt der repräsentative Bezug auf die Vergangenheit hier durch das hohe Maß an ‚certitudeǥ zurück, die erst nach abgeschlossener kritischer Operation ‚verliehenǥ wird und die in der empirischen Unbezweifelbarkeit die ordnende Perspektive ermöglicht, die das historische Wissen beherrschbar macht. In der konkreten Arbeit Mabillons macht sich dies z. B. in der kritischen Prüfung der überlieferten Hagiographien bemerkbar. Diejenigen Heiligen, die seiner Kritik zum Opfer fallen und als Legenden ‚geoutetǥ werden, markieren den Bereich des ‚Unwahrenǥ, während die übriggebliebenen Heiligen durch den erfolgten Exklusionsprozeß gestärkt und neu autorisiert aus der Prüfung hervortreten. Der Verdacht der Unwahrheit im Einzelfall kann nun nicht mehr auf die Gesamtheit aller Heiligenviten übertragen werden. || Der Preis dieser Erkenntnisarbeit ist aber nicht der Ausschluß dessen, was als falsch erwiesen wurde, sondern das Ausblenden ganzer Bereiche von Lebenswirklichkeit, die nach und nach als geschichtsfähig anerkannt werden sollten, aus der Wahrnehmung des historisch Bedeutsamen. Die Verkürzung dieser Art, sich meist nur mit institutioneller, struktureller oder personeller Geschichte zu beschäftigen, erhält ihr kompensatorisches Pendant in der Akribie und Fülle, mit der die äußerlich beschreibbaren Tatsachen der Geschichte eruiert und gesichert werden. Diese Art der peniblen Kritik, die eine komplexe Operation ist, da verschiedene Bewertungskriterien nacheinander an die zu untersuchenden Dokumente angelegt werden müssen, ist der technisch-wissenschaftliche Gegenentwurf zu der mit dem Ruch des Spekulativen behafteten Entdeckungsfahrt durch die Psyche handelnder historischer Akteure […].“ Ein konkretes Beispiel für diesen vermeintlichen „Exklusionsprozess“ oder die „Akribie“ der angeblich allein auf Tatsachenermittlung abzielenden Editorik Mabillons wird nicht genannt. Entsprechendes gilt für die ebd., S. 104, geäußerte Annahme, dass die Plausibilitätsstufen jenseits der Augenzeugenschaft rein peiorativ belegt gewesen seien, „als ungeheurer Zerrspiegel der historischen Realität. Dies führt auf gerader Linie zu einem regelrechten Kult der Originaldokumente, die mit aufwendigem Spürsinn ans Tageslicht gebracht, kritisch geprüft und ediert werden. Es handelt sich um eine Erforschung der Geschichte(n), die sich wie Sedimente über einem authentischen Dokument abgelagert haben und von Überlieferungs- und Kopistenfehlern, von den interpolations, Mißbräuchen, Fälschungen und Imaginationen gereinigt werden müssen.“ Es mag sich bereits abzeichnen und wird noch zu vertiefen sein, dass es der Charakterisitik der Editorik des 17. Jahrhunderts entsprach, von letzterem gerade absehen zu wollen.

276 cherheiten wie in den Acta Sanctorum der Bollandisten. In welchem zeitlichen Verhältnis sich Ereignis, Vita und Überlieferung zueinander verhielten, war häufig nicht zu klären. Zahlreiche der von Mabillon veröffentlichten Viten weisen daher, wie Mabillon selbst klar gewesen sein dürfte, eine größere zeitliche Differenz zwischen dem Leben der Heiligen und ihrer Lebensbeschreibung auf, etwa, um auch hier nur ein Beispiel zu nennen, die Vita des Abts Humbert von Maroilles (reg. um 674). Deren älteste, materialiter vollständig erhaltene Version ist zwischen 1030 und 1035 entstanden. Während Henschen für die Acta Sanctorum unter anderem eine Abschrift dieser Lebensbeschreibung vorgelegen hatte, publizierte Mabillon in den Acta Sanctorum Ordinis Sancti Benedicti eine kürzere und heute als „deutlich später“ eingestufte Überarbeitung. 155 Die komplizierte Frage der Entstehungszeit der Vita und der Handschriften wurde von beiden nicht diskutiert. 156 Nach den Studien von Anne-Marie Helvétius scheint dabei Henschen über die Abschrift aus einer wahrscheinlich älteren Version verfügt zu haben, die er in dieser Eigenschaft jedoch nicht erkannte und allein im Variantenapparat benutzte. Helvétius edierte diese Vita prima, die in der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts entstanden sein könnte, nach der einzig heute bekannten Version. Sie hat sich im Rahmen einer mehrbändigen Chartularchronik der Abtei Maroilles, die im 18. Jahrhundert angelegt worden ist, erhalten. 157 Die Mediävistik der Moderne zeichnet sich dadurch aus, nicht selten auf Zeugnisse zurückgreifen zu müssen, die bisweilen Jahrhunderte nach den je beschriebenen Ereignissen verschriftlicht worden sind, und, im ungünstigeren Fall, nur in wiederum deutlich später entstandenen Überlieferungsträgern erhalten sind. Für diese Problematik galt es, eine differenzierte Umgehensweise zu entwickeln. Wenn von der Modernität Bollands oder Mabillons gesprochen werden soll, dann derart, dass sie dieser differenzierenden Sicht, jenseits eines –––––––— 155

156

157

Vgl. Anne-Marie Helvétius, Réécriture hagiographique et réforme monastique. Les premières „Vitae“ de saint Humbert de Maroilles (Xe–XIe siècles). Avec l’édition de la „Vita Humberti prima“, in: La réécriture hagiographique dans l’occident médiéval. Transformations formelles et idéologiques, hrsg. v. Monique Goullet/Martin Heinzelmann (Beih. d. Francia 58), Ostfildern 2003, S. 195–230, hier S. 196f. Vgl. Vita S. Humberti Confessoris. Ex Monasterio Maricolensi in Hannonia. Ex variis libris Mss. & editis, in: AASS OSB, Bd. 2, 21733, S. 767–772. Observationes præviæ, ebd., S. 767: „Plures legimus S. Humberti Vitas, unam a Surio, aliam ab Henschenio editas ad 25. Martii, tertiam nancti sumus ex codicibus MSS. breviorem quidem, sed non pauciora complectentem quam alias, superfluis amplificationibus auctas: […].“ G[odefridus] H[enschenius], De Sancto Hvmberto Fvndatore Monasterii Maricolensis in Hannonia, in: AASS Martii, Bd. 3, 1668, 25. März, S. 559–567. Commentarius præuius, ebd., S. 559–561, hier S. 559a: „Vitam S. Humberti damus ex illustri codice MS. domus nostræ Professæ Antuerpiensis, & tribus apographis […].“ Vgl. Helvétius, Réécriture (2003), S. 197ff., 204, 217. Vgl. die Ausgabe dieser Vita Humberti prima, ebd., S. 220–230.

277 Sets vereinfachender Faustregeln, zugearbeitet haben. Es wäre ohnehin ein Missverständnis, wenn man Bollands oder Mabillons Überlegungen zur Bestimmung historiographischer Plausibilität nicht als Hilfe für ihre Leserinnen und Leser bei der eigenen Lektüre und Auswertung der publizierten oder zu publizierenden Schriften verstehen würde, sondern als etwas, was sie gerade nicht waren, nämlich autoritativ applizierte Ausschlusskriterien, die ihren editorischen Zugriffen angeblich zugrunde lagen. Das Spiel mit solchen Kriterien und einigen vergleichsweise stabilen theoretischen Versatzstücken blieb in der Folgezeit weniger jenen Gelehrten vorbehalten, deren methodische Reflexionen aus dem praktischen Umgang mit der Überlieferung hervorgegangen waren, sondern jenen, die sich theoretisierend zu profilieren suchten. Diese Linien noch ein Stück weit zu verfolgen, ist deswegen von Interesse, weil gerade auf diesem Feld keineswegs mit einer im westeuropäischen Maßstab homogenen und progredierend sich verfeinernden Diskussion methodischer Probleme zu kalkulieren ist.

4.2.2 Fortschritte der Aufklärer In der Folgezeit waren es nicht notwendig die differenzierenden Überlegungen Bollands oder Mabillons, die in den theoretischen Debatten fortgeschrieben wurden. Eher dominierte die – da und dort modifizierte – Insistenz auf der Präponderanz der Augenzeugenschaft oder ihres literarischen Gegenstücks, des Originals. Mit Blick auf die Evaluation historiographischer Werke betonte etwa Siegmund Jacob Baumgarten (1706–1757) in seinen Bemerkungen Über die Beschaffenheit und Nutzbarkeit der Historie von 1744, dass angesichts der möglichen Parteilichkeit und perspektivischer Beschränkungen, sofern ein Historiograph direkt in die beschriebenen Ereignisse involviert gewesen sei, bevorzugt demjenigen, der vor Ort auf mittelbaren Wegen Erkundigungen eingezogen hatte, Glauben geschenkt werden dürfe. 158 In Bollands Modell hätte dies der zweiten Stufe histori–––––––— 158

Vgl. Siegmund Jacob Baumgarten, Über die eigentliche Beschaffenheit und Nutzbarkeit der Historie (1744), in: Blanke/Fleischer (Hrsg.), Theoretiker, Teil 1 (1990), Nr. 4, S. 174–205, hier S. 181: „Die Fähigkeit eines Geschichtschreibers bestehet in dem begreiflichen Verhältnis desselben gegen die von ihm erzälte Begebenheiten und die nötige Kentnis derselben. Wobey die Entfernung der Zeit und des Orts von den Begebenheiten selbst […] in Erwegung kommen mus. || In Absicht des ersten Umstandes sind nicht nur unmittelbare Augenzeugen erzälter Begebenheiten, die sie belebt und denen sie selbst beigewont, viel glaubhafter als diejenigen, so nur mittelbare Nachricht davon haben können: sondern, da solcher Augenschein und die ganz unmittelbare Nachrichten bey sehr wenigen Geschichten von einigem Umfange möglich und zur volständigen Einsicht derselben allein hinlänglich ist, wo es nicht blos jemandes eigene Begebenheit sind, deren Beschreibung doch dem anderweitigen Verdacht der Parteilichkeit unterworfen ist; so müssen diejenigen weit glaubwürdiger seyn, die zu den Zeiten und an den Orten gelebt, wo sie theils ihre mittelbare Nach-

278 scher Plausibilität entsprochen. Johann Martin Chladenius (1710–1759) hingegen schloss in seiner Allgemeinen Geschichtswissenschaft von 1752, welche aus einer – nicht zufällig so benannten – „Ars Historica-Vorlesung“ hervorgegangen war, 159 an das antike Konzept des Historikers als Zeit- und Augenzeugen an. Er selbst bevorzugte allerdings den Ausdruck des „Zuschauers“. 160 Mit seiner Theorie der „Sehepuncte“ systematisierte er, auf der Höhe der zeitgenössischen Erkenntnistheorie, die bei den Theoretikern der ars historica angelegten Betrachtungen zu den Bedingungen der Inaugenscheinnahme, der Beurteilung und „Erzehlung“ von „Geschichte(n)“, letzteres im Sinne eines deutschen Äquivalents für das lateinische Pluraliatantum der synchronischen „res gestae“. 161 Tradition („Fortpflantzung“) war –––––––—

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richt von unmittelbaren Augenzeugen, wenigstens ohne gar zu grosse Vervielfältigung mündlicher Ueberlieferungen und eines alten Hörensagens, bekommen können, theils im Stande gewesen, unter mehreren Aussagen und Erzälungen die zuverlässigsten auszusuchen und eine volständige Nachricht zu samlen.“ Vgl. Christoph Friederich, Einleitung, in: Johann Martin Chladenii, || der heiligen Schrift Doctors, ordentlichen Professors || der Gottesgelahrtheit, der Beredsamkeit und der Poesie, wie auch || Pastors an der Universit tskirche || zu Erlangen, || Allgemeine || Geschichtswissenschaft, || worinnen || der || Grund zu einer neuen Einsicht || in allen Arten der Gelahrtheit || geleget wird. || Leipzig, bey Friedrich Lanckischens Erben, 1752 (Neudruck Wien/Köln/Graz 1985. Mit einer Einl. v. Christoph Friederich u. einem Vorw. v. Reinhart Koselleck = Klassische Studien zur sozialwissenschaftlichen Theorie, Weltanschauungslehre und Wissenschaftsforschung 3), S. XI–LII, hier S. XIII. Chladenius, Geschichtswissenschaft, 1752, S. 157f.: „Jn so ferne ein gegenw rtig Gewesener das Vorgegangene erzehlet oder aussaget, so heisset er Autor, U r h e b e r , nehmlich der Erzehlung und der Nachricht. Das Wort A u g e n z e u g e gef llt uns so wenig, als das lateinische testis oculatus, weil wir gerne den wahren Begriff des Zeugens bekannter machen wollten, der mit diesen jetzo gegebenen best ndig vermenget wird. […] Nun braucht jede Erzehlung einen U r h e b e r , aber nicht einen Z e u g e n , folglich auch keinen Augenzeugen: sondern Zeugen sind nur denn nthig, wenn der Geschichte widersprochen wird. Zur Noth knten wir uns auch mit dem Worte Z u s c h a u e r behelffen.“ Vgl. ebd., S. 2: „Wenn wir die Wircklichkeit einer Sache, welche fortdauret, anzeigen wollen, so sprechen wir: sie ist. Z. E. die Sonne ist: Es ist Friede: auf dem Felde sind Steine. Wenn wir aber Sachen anzeigen wollen, welche entweder gantz, oder in ihren Theilen augenblicklich vergehen: so sprechen wir: sie g e s c h e h e n . Z. E. es g e s c h i e h e t eine Schlacht: es g e s c h i e h e t ein Donnerschlag. Die Erkentniß der Dinge, welche sind oder geschehen, wird zusammen genommen die H i s t o r i s c h e E r k e n t n i ß genennet.“ Von diesem Punkt aus gestaltete Chladenius seine Theorie von den „Begebenheiten“ als den den „Geschichten“ untergeordneten Einheiten und ihres Begriffs: „Eine Reyhe von Begebenheiten wird eine G e s c h i c h t e genennet.“ Ebd., S. 7, „Die Geschichte werden zu Erzehlungen und Nachrichten, wenn man sich dieselbe vorstellt, und durch Worte ausdruckt […]: und die Historie begreift alles dieses in sich […]. Eine Historie erfordert daher eben sowohl, als jede Erzehlung, einen Zuschauer der Begebenheiten, welcher sich dieselbe vorgestellt, und sie in eine Erzehlung und Historie gebracht hat.“ Ebd., S. 14. In diesem Sinn war das Vergangene nicht als zeitlich weit entferntes, sondern als unmittelbar zurückliegendes Geschehen, dessen Reflexion ein gewisses Maß an Zeit erfordert, zusammen mit dem Zukünftigen der Gegenstand der „historischen Erkenntniß“: „Die Dinge, welche geschehen,

279 für Chladenius das von jeder Generation an die nächste weiterzugebende Spektrum von Erzählungen, die über das jeweils Vorgefallene Auskunft gaben, über das etwas weiter Zurückliegende ebenso wie über das eben Passierte. Da dieser Prozess von der Nachkommenschaft nicht immer mit der gleichen Aufmerksamkeit verfolgt wurde, bedurfte es eines konkreten Anlasses („Denkmahl“), der den generationellen Austausch in Gang setzte. Bei solchen „Denkmahle(n)“ konnte es sich um Gegenstände („Crper“), insbesondere aber um soziale Ereignisse wie eine „Ceremonie“ oder ein „Fest“ handeln. 162 Vom Vergessen bedrohte Kenntnisse bedurften einer regelhaften Aktualisierung („Erneuerung der Geschichte“), die sich namentlich mit der gemeinschaftlichen Erinnerung an historische Ereignisse ver–––––––—

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haben unter sich eine große Abtheilung: t h e i l s s i n d s i e g e s c h e h e n ; theils w e r d e n s i e g e s c h e h e n : jenes heissen v e r g a n g e n e , dieses z u k ( n f t i g e Dinge. Man knte nun zwar bey der historischen Erkenntniß, die d r i t t e A r t , nehmlich die g e g e n w r t i g e n Dinge, als die wichtigsten und betr chtlichsten ansehen: allein weil dasjenige, was g e s c h i e h e t , augenblicklich geschiehet, und mithin indem und so lange es geschiehet, keine besondere Betrachtung und Ueberlegung leidet, als worzu Zeit erfordert wird: so wird die historische Erkentniß gemeiniglich davor angesehen, als ob sie bloß auf v e r g a n g e n e und z u k ( n f t i g e Dinge gerichtet w re.“ Ebd., S. 14. Ebenso wie die Erkenntnis des Zukünftigen ist die Erkenntnis des länger Vergangenen weniger eine empirische, sondern eine im wesentlichen logische Operation. Diese beruht auf Analogieschlüssen, die das begriffene „Gegenw rtige“ ihren Interpret/innen gestattet. Vgl. ebd., S. 315–317, 381–400. Ein genauerer Vergleich mit den Traktaten der ars historica liegt nicht vor. Augenfällig ist die Simultaneität etwa in Chladenius’ Elaboration der Problematik gegenläufiger Aussagen oder der durch Zeugen vermittelten Kenntnisse (ebd., S. 306–311, 321–329), insbesondere aber in der charakteristischen Integration des Zukünftigen in den Bereich der historischen Erkenntnis. Vgl. Patrizi, Della historia diece dialoghi (1560), ed. Kessler (1971), S. 13v; Viperano, De scribenda histora liber (1569), ed. Kessler (1971), S. 20. Vgl. Chladenius, Geschichtswissenschaft, 1752, S. 194f.: „Ohngeachtet jede Ausbreitung einer Erzehlung, durch eine Metapher eine F o r t p f l a n t z u n g kan genennet werden, so scheint doch solches Wort besonders bequem zu seyn, die Ausbreitung einer Geschichte auf die N a c h k o m m e n anzuzeigen. Diese Art der Ausbreitung aber hat ihre grosse Schwierigkeit; weil die Menschen immer mit gegenw rtigen Gesch fften und Geschichten so viel zu thun haben, daß sie sich um das Vergangene nicht groß bek(mmern. Es muß also eine Veranlassung da seyn, die Erzehlung auf die Kinder zu bringen; welche Veranlassung sich auch w(rcklich bey denen befindet, die bey der Geschichte gegenw rtig gewesen sind, oder auf eine andere Art daran Theil genommen haben: Aber die Kinder, Enckel und Urenckel haben nicht gleichen Trieb, und ffters auch nicht gleiche Ursach auf die Fortpflantzung der Geschichte bedacht zu seyn. Der einzige Weg, (ausser wo Gelehrte besonders zu Fortpflantzung der Geschichte bestellt sind, dergleichen schon ehedem die Deutschen gehabt […]); ist wohl dieser, wenn etwas vorhanden ist, welches die Kinder veranlasset ihre Eltern nach der Ursach und Bedeutung zu fragen. Dergleichen Ding pfleget man ein D e n c k m a h l zu nennen. Dieses kan ein Crper, der wegen seiner besonderen Beschaffenheit, die Aufmercksamkeit an sich ziehet, und wenn man seine Bedeutung nicht weiß, uns gleichsam im Wege ist. Es kann aber auch eine Ceremonie, oder Fest seyn, welches wegen des damit verkn(pften Vergn(gens, von denen die das Andencken davon haben, gerne wieder gefeyert wird: Bey welcher Gelegenheit, die zarteste Jugend von der alten Geschichte unterrichtet […] wird.“

280 band, wie sie sich in Jubiläumsfeiern artikulierte. 163 Das insgesamt stabilste Element der – providentiell gelenkten – Tradition war für Chladenius das Lied. 164 Schriftliche Zeugnisse hingegen deckten nur einen Teil dieses Vorgangs der „Fortpflantzung“ ab. Nach Ansicht von Chladenius unterlagen sie zwei wesentlichen Einschränkungen, indem sie dazu tendierten, spätestens nach drei- bis vierhundert Jahren verloren zu gehen und daher auf die bewahrende Hand von „Gelehrten“ angewiesen waren. 165 Der ideale Historiker war für Chladenius nicht notwendig ein Historiograph, sondern ein mit allen erkenntnistheoretischen Tücken vertrauter Erzähler, mithin ein Sänger, der im sozialen und familiaren Rahmen den Traditionszusammenhang des Geschehenen perpetuierte, um Aktuelles erweiterte und auf die folgende Generation übertrug. Chladenius’ Allgemeine Geschichtswissenschaft stellt mit ihrer Akzentuierung der gleichzeitigen Begebenheiten in seinen originelleren Teilen ein –––––––— 163

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Vgl. ebd., S. 195f.: „Wenn die Nachkommen nun aufhren sich einer altwerdenden Geschichte anzunehmen, so gehen immer mehr und mehr Menschen ab, die davon Nachricht haben; bis zuletzt auch nicht einer mehr (brig bleibt. Wie Z. E. die Egyptische oder Coptische Sprache noch bis ins vorige Jahrhundert gedauert hat; da der letzte gestorben ist, der sie verstanden hat. […] Zur sicheren Verhinderung solches Untergangs ist dienlich, daß die Geschichte, wenn sie fortgepflantzt werden sollen, von Zeit zu Zeit erneuert werden: So daß mit dieser n e u e n G e s c h i c h t e , als durch ein Vehiculum, jene alte aufs neue mit ausgebreitet wird. Dergleichen Neuigkeiten, die den verleschen wollenden Geschichten wieder aufhelffen, sind die h u n d e r t j h r i g e n F e y e r n , welche nach Art aller, besonders aber seltener Feste, jedermann aufmercksam machen, […].“ Vgl. ebd., S. 176: „Hier aber hat doch die gttliche Vorsehung ein Mittel gefunden, wie die Menschen fr(hzeitig Geschichte mit u n v e r n d e r t e n Worten fortzupflantzen gelernet haben, nehmlich durch L i e d e r ; welche auswendig zu lernen sich die Kinder, und auch Erwachsene, gerne ein Gesch ffte machen, und es hernach vor einem Fehler halten, dieses oder jenes Wort des Liedes nicht recht zu wissen.“ Vgl. ebd., S. 195: „Selbst s c h r i f f t l i c h e Urkunden, und Brieffe knnen eine Geschichte nicht lange fortpflantzen, wo nicht Gelehrte sind, die daf(r besondere Sorge tragen. Sie bestehen nicht lange, weil sie bey den vielen Ver nderungen der Menschen, und ihren Wanderungen, nebst Kriegen, Feuerflammen, und Wasserfluthen gar leicht verlohren und verzehrt werden. Drey bis vier hundert Jahr, ist eine gar zu lange Zeit, darinnen sich die Personen, und ihre Umst nden gar zu offte ver ndern, als daß sich auch Brieffe erhalten sollten, woferne nicht Gelehrte, als Beh(ter und Besch(tzer derselben, sie vor solchen Unf llen mit besonderm Fleisse und Eyfer bewahren. Auch hierbey aber hat die gttliche Vorsorge ihre besondere Wege und Obhuth, daß gewisse Nachrichten nicht untergegangen sind.“ Unter „Urkunde“ verstand Chladenius kein Diplom, sondern die ursprüngliche Erzählung einer Reihe von Begebenheiten, aus der die folgenden sich ableiten würden. Vgl. ebd., S. 167: „Unterdessen ist die erste E r z e h l u n g , oder die von dem Zuschauer selbst herkommt, der Grund aller (brigen Erkentniß, die sich von der Geschichte [= Begebenheit] in der Welt ausbreiten kann. Dies ist die Urkunde, auf welche sich nicht allein die vlligen und unver nderten N a c h s a g e n und A b s c h r i f f t e n derselben, sondern auch alle daraus entstehende v e r n d e r t e Erzehlungen, als auf ihre gemeinschafftliche Quelle beziehen m(ssen.“ Der „Brief“ war für Chladenius ein „Brief“ im heutigen Wortsinn einer Korrespondenz. Vgl. ebd., S. 90.

281 Bindeglied zwischen dem Fortleben des antiken Begriffs des Historikers und seiner späteren Elaboration in der Legenden- und Volkstumsforschung der Romantik dar. Während sich die histoire in der französischen Theorie zu einer im wesentlichen textgestützten und mit Vergangenheit beschäftigten Wissenschaft entwickelte, die in Nicolas Lenglet Dufresnoys (1674– 1755) erstmals 1713 publizierter und vielfach übersetzter Méthode pour étudier l’Histoire eine im westeuropäischen Raum intensiv rezipierte Synthese der historischen Forschung des vorangegangenen Jahrhunderts erfahren hatte, 166 wurde diese Seite von Chladenius vergleichsweise kurz behandelt. Er widmete ihr einen Abschnitt: „Von alten und ausl ndischen Geschichten“. 167 Hinsichtlich des hier interessierenden Aspekts der Tradition fixierten sich Chladenius’ Überlegungen nach wie vor an der Korrelation von Augenzeugenschaft und Wahrhaftigkeit. 168 Insofern würde das Ver–––––––— 166

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Vgl. Heinz Sproll, Nicolas Lenglet-Dufresnoy. Méthode pour étudier l’histoire (1713). Eine historische Methodologie zwischen Dogmatik und aufgeklärtem Individualitätsdenken, in: Francia 9 (1981), S. 556–583; Geraldine Sheridan, Nicolas Lenglet Dufresnoy and the Literary Underworld of the „ancien régime“ (SVEC 262), Oxford 1989; Zwink, Imagination (2006), S. 276, 278–293, 297ff. Im Reich ließ zunächst Johann Burkhardt Mencke im Jahr 1714 eine französische Version der Méthode verlegen. 1718 publizierte er eine deutsche Übersetzung. Die Méthode wuchs kontinuierlich an. Zeitgleich mit Chladenius erschien 1752 Philipp Ernst Bertrams (1726–1777) erster Teil der Übersetzung der grundlegend überarbeiteten, vierbändigen Ausgabe der Méthode von 1728, die Bertram im Druck von 1735 konsultiert hatte. Bertram, der damals Pagenhofmeister am Hof von Sachsen-Weimar war und 1764 ordentlicher Professor der Rechte in Halle werden sollte, zeigte sich dabei entnervt von den Mühen des Übersetzens: „Ich will auf Zeitlebens allen Uebersetzungen entsagen. Ich halte das Uebersetzen f(r die verdrießlichste, und f(r eine in der That schwere Arbeit, so bald als man verstehet, was dazu erfordert wird.“ Des Herrn Abts || Lenglet d( Fresnoy || Anweisung || zur || Erlernung der Historie. || Nebst einem || anietzo vermehrten vollst ndigen Verzeichniß || der vornehmsten Geschichtschreiber, || worinnen || ihre Werke beurtheilet, und die beste Ausgaben || davon bemerket werden. || Aus dem Franzsischen (bersetzt || von || P[hilipp] E[rnst] B[ertram]. || Dritter Theil. || Mit knigl. Pohln. und Churf(rstl. S chsis. allergn digstem Privilegio. || Gotha, verlegts Joh. Paul Mevius. 1753, Vorrede des Uebersetzers [unpaginiert], fol. [3r]. Vgl. zu den Ausgaben und Versionen der Méthode Sheridan, Lenglet Dufresnoy (1989), Nr. 11.01-11.20, S. 293–309. Populär wurde die Méthode vor allem aufgrund ihrer Verbindung aus Methodenlehre und kommentierenden bibliographischen Anteilen, die aus ihr ein leicht zu handhabendes, für den Lehrbetrieb geeignetes Studienbuch machten. Vgl. Chladenius, Geschichtswissenschaft, 1752, S. 353–381. Vgl. ebd., S. 362: „Wenn der Geschichtschreiber Begebenheiten erzehlt, bey welchen er gegenw rtig gewesen ist, und einen Zuschauer abgegeben hat; (er braucht aber eben nicht ein blosser Zuschauer gewesen zu seyn, sondern kann gar wohl selbst die Hauptperson dabey abgegeben haben, wie Caesar in seinem bello Gallico und civili) so ist sein Ansehen in diesem St(cke vollkommen.“ Ebd., S. 363: „Selten aber kan ein Geschichtschreiber, wenn er gleich von Sachen handelt, bey denen er einen Zuschauer abgegeben, bloß aus seiner eigenen Wissenschaft erzehlen, sondern muß vielmehr die Aussagen anderer und die erhaltenen Nachrichten zu H(lfe nehmen […].“ Vgl. dazu Zwink, Imagination (2006), S. 214 Anm. 31.

282 ständnis der „alten“ prinzipiell der „Erkentniß von neuen Geschichten“ entsprechen. 169 Das Wirkungsfeld der „alten Geschichte“ erstreckte sich dabei vor allem auf all jene Handlungen, die allein durch schriftliche Dokumente überliefert waren, 170 und da „man nun schon seit sehr langer Zeit nicht mehr sehr darauf h lt, daß einer dem andern, und zwar Alte denen J(ngern, dasjenige beybr chten, was sie von ihren Eltern gehret haben, sondern sich aufs schreiben verl sset, so werden die Geschichte bald sehr alt.“ 171 Dort, wo er auf die möglichen Unterschiede in der Behandlung neuer und alter Begebenheiten zu sprechen kam, referierte er in verknappter Form die Ausführungen etwa Lenglet Dufresnoys zur Chronologie 172 oder –––––––— 169

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Vgl. Chladenius, Geschichtswissenschaft, 1752, S. 356f.: „Es ist klar, daß, wo dergleichen Schrifften vorhanden sind, wi[r] in Ansehung der W a h r h e i t der Geschichte, eben so gut daran sind, als wie bey n e u e n Begebenheiten. Denn wenn wir in einer solchen Schrifft und Buche lesen, so ist es nicht anders, als wenn wir in jenes altes Seculum versetzt w(rden, und die aufgezeichneten Nachrichten aus des Verfassers eigenem Munde vern hmen. Denn in Ansehung des V e r s t a n d e s ist es ja einerley, ob ich eine Erzehlung hre, oder ob ich sie lese: und der V e r l a u f f d e r J a h r e kan den Sinn und Bedeutung der Worte, die sie bey dem Verfasser gehabt, nicht ndern, wenn wir anders nur die Sprache verstehen, darinnen das Buch abgefasset ist. Der Grund unserer Erkentniß von alten Geschichten aus B(chern, ist eben so feste, als der Grund unserer Erkentniß von neuen Geschichten, in so ferne wir diese auch aus Nachrichten erlernen m(ssen.“ Ebd., S. 353: „Wenn man nun die Geschichte alsdenn a l t nennet, wenn keine Zuschauer mehr am Leben sind, so wird sie noch lter seyn, wenn auch keiner von den ersten Nachsagern am Leben ist. Und haupts chlich wird eine Geschichte a l t zu nennen seyn, wenn niemand mehr da ist, der durchs H  r e n von seinen Vorfahren von der Sache w re belehret worden: so daß man sich nunmehro bloß an die Denckmale halten muß.“ Ebd., S. 353f. Vgl. ebd., S. 355, das Kapitel: „Der Grund der Erkenntniß alter Geschichte ist die Chronologie“: „Die Nahmen eines S c a l i g e r s , eines C a l v i s i u s , und anderer, sind so bekannt, daß wir von ihren chronologischen Arbeiten vieles zu gedencken nicht nthig haben. Vermge dieser Gelehrten ihrer Arbeit aber kan man Personen und Geschichte bestimmen, wie viel Zeit zwischen ihnen und unsern Zeiten verlauffen ist.“ Vgl. das Kapitel „De la Chronologie“ in der METHODE || POUR ETUDIER || L’HISTOIRE, || Où || Aprés avoir établi les principes & l’ordre qu’on || doit tenir pour la lire utilement, on fait les || remarques necessaires pour ne se pas laisser || tromper dans la lecture: || AVEC || Un Catalogue des principaux Historiens, & des || remarques critiques sur la bonté de leurs Ouvra- || ges, & sur le choix des meilleures Editions; consi- || derablement augmenté || par || J. B. MENCKE, || Conseiller & Historiographe || de Sa Maj. Pol. || DERNIERE EDITION, || Revuë selon les copies de Paris & de Bruxelles || & exactement corrigée. || A LIPSIC, || CHEZ JEAN FREDERIC GLEDITSCH & FILS. || M DCC XIV, S. 14–26, hier S. 20f.: „Pour la Chronologie des temps, qui suivent JESUS-CHRIST, il faut se servir du Rationarium Temporum; des Annales du Pere Briet; de la Chronologie du Pere Labbe; ou de la Chronologie de Calvisius. Je ne dis rien ici d’un grand nombre de mauvais Chronologistes, comme Genebrard, Gautier, & beaucoup d’autres […]. || Les discussions Chronologiques ne sont propres qu’aux personnes qui veulent faire une étude particuliere de cette science. Ceux qui sont dans ce dessein, sçavent beaucoup mieux que moy que ces matieres si épineuses ont été examinées par les plus habiles Chronologistes; comme pour-

283 einige Aspekte der Debatten, die sich im 16. und 17. Jahrhundert um die Unterscheidung von wahren und „nachgemachte[n]“ oder „untergeschobene[n]“ Traditionen entwickelt hatten. 173 –––––––—

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roient être Joseph Scaliger, dans son bel Ouvrage de la Correction des Temps; par le Pere Peteau, dans son Rationarium Temporum, […].“ Die beiden anderen grundlegenden „sciences qui doivent préceder l’Étude de l’Histoire“ (ebd., S. 5), nämlich die „Etude de la Geographie“ (ebd., S. 6–10) und die „Etude des Coûtumes, des Mœurs & des Religions“, wurden von Chladenius nicht thematisiert. Auch die quellenkundlichen Ausführungen Lenglet-Dufresnoys, ebd., S. 307–347, wurden von Chladenius, Geschichtswissenschaft, 1752, S. 359–361, 374–378, nur in einzelnen Elementen aufgegriffen. Ein genauerer Vergleich stünde auch noch aus. Die von Lenglet Dufresnoy exponierte Grundlagenfunktion der Geographie und der Chronologie wurde in dieser Form auch in den universalhistorischen Zusammenhängen des 17. Jahrhunderts betont. Vgl. [François La Mothe Le Vayer], LA SCIENCE || DE || L’HISTOIRE || AVEC LE IVGEMENT || des Principaux Historiens tant || Anciens que Modernes. || A PARIS, || Chez Thomas Iolly, Libraire Iuré, || au Palais, en la Salle des Merciers, || aux Armes de Hollande. || M. DC. LXV., S. 4: „Ces connoissances donc de la Geographie & de la Chronologie, estans comme le terrain & le fondement sur lesquels il doit bastir, & comme éleuer en son esprit le dessein de l’Histoire vniverselle, […].“ Vgl. zur Zuschreibung dieses kleineren universalhistorischen Werks an La Mothe Le Vayer Salazar, „Sceptique“ (2000), S. 25. Als historiographische Grundwissenschaften fanden sie Eingang in die seit dem ausgehenden 17. Jahrhundert zahlreicher werdenden vernakulärsprachlichen Lehrbücher. Vgl. Zwink, Imagination (2006), S. 317– 327. Vgl. Chladenius, Geschichtswissenschaft, 1752, S. 357: „[…] in einigen St(cken ussert sich manchmahl ein Unterscheid, daß uns nehmlich s c h w e h r e r und m ( h s a m e r wird, die alten Geschichte aus ihren Quellen zu erlernen, als die neuen. Nehmlich I. ist manchmahl auch n a c h g e m a c h t e und u n t e r g e s c h o b e n e giebt.“ Chladenius erwähnte allein das bis heute in diesem Kontext topische Beispiel, die „so genannte Donatio Constantini M.“ Die älteren Diskussionen bewegten sich nicht nur in dieser Hinsicht auf einem anderen Niveau. Vgl. Mabillon, Traité, 1691, S. 235: „On doit bien prendre garde de ne se pas laisser tromper par certains auteurs supposez dans ce derniers tems, tels que sont les chroniques du faux Maxime, de Lucius Dexter, & du faux Luitprand: telles que sont encore les histoires de Manethon, de Berose, & autres fabriquées par Anne de Viterbe, & par de semblables imposteurs, quoy qu’elles portent les noms d’autres contemporains. Il faut mesme sçavoir douter prudemment de l’autorité de quelques autres piéces, dont la supposition n’est pas tout-à-fait certaine: comme des actes de S. André apôtre qui portent le nom des Prêtres d’Achaï, desquels nous ne voyons pas qu’aucun auteur ait fait mention avant le huitéme siécle.“ Lenglet-Dufresnoy, Methode, ed. Mencke, 1714, S. 435–453, hatte den „Regles pour le discernement des Ouvrages supposez“ ein eigenes Kapitel gewidmet. Versierter als Chladenius war in diesen Punkten bereits die zuerst 1715 in Latein veröffentlichte Vorlesung: Herrn Joh. Burckhardt Menckens || Zwey Reden || von der || Charlatanerie || oder || Marcktschreyerey || der Gelehrten, || Nebst verschiedener Autoren Anmerckungen. || Mit Genehmhaltung des Hrn. Verfassers nach || der letzten vollst ndigsten Auflage (bersetzt, || Und mit des Franzsischen Ubersetzers, auch einigen || andern Anmerckungen aufs neue vermehrt. || Leipzig, || Bey Joh. Friedrich Gleditschens seel. Sohn. [1728] (Neudruck München 1981 = Quellen zur Geschichte des Buchwesens 2. Die Schriftsteller im 18. Jahrhundert. Satiren und Pasquille 1), S. 179–183: „Aber noch (bler hat […] Joh. Palatius gehandelt, der, damit er sich in die damahlige Zeit richten mchte, in welcher man die M(ntzen sehr hoch hielt, seine elende und magere Historie mit einem Hauffen erdichteter und selbst ge-

284 Mit Mabillon den Prozess der schriftlichen Tradition derart mit der Frage der Informationsgewinnung in Beziehung zu setzen, dass verdeutlicht wurde, dass der jeweils älteste Überlieferungsträger – sofern er in dieser Eigenschaft überhaupt bestimmbar war – nicht zwangsläufig oder gesamtheitlich die älteste Version eines Texts repräsentieren musste, zählte nicht zu den Stärken der deutschen Theoretiker. Neben Chladenius aktualisierte der Hallenser Theologe Johann Salomo Semler (1725–1791) in seinem Versuch den Gebrauch der Quellen in der Staats= und Kirchengeschichte der mitleren Zeiten zu erleichtern von 1761 ein weiteres als dominant empfundenes Element der humanistischen Gelehrsamkeit des 16. Jahrhunderts. Semler bedauerte es, dass sich die „wahre Ausbesserung einer abgeschmackten Abfassung“ der überlieferten Texte nur auf die „alten griechischen und lateinischen Schriftsteller“ erstreckt habe, während die „historischen Verfasser der mitlern Zeit an dieser Ehre und an diesem Gl(ck bisher“ nicht –––––––— machter M(ntzen angef(llet hat. Wieder andere reden von nichts als Archiven, fremden B(chern und geheimen geschriebenen Nachrichten, damit sie unter diesem Vorwande ihren Wohlth tern desto wahrscheinlicher schmeicheln […] knnen. Jn welcher Kunst gewiß unter unsern Landsleuten George R(xner, und unter den Frantzosen Varillas allen (brigen den Preiß abgewonnen haben. Denn damit jener nur den Adel etlicher Familien hoch erheben knnte, so beruft er sich best ndig auf ein wichtiges Magdeburgisches MSct, welches aber sonst niemals jemand als er auf der Welt gesehen hat. […] Jch (bergehe die Betr(ger und boßhaften L(gner, die uns gantze falsche B(cher hinterlassen haben, wie z. E. Annius von Viterbo, des Chald ers Berosius Antiquitates, Inghiramus ein Florentiner, die Antiquitates Hetruscas, Antonius Dominicus Flaccus, des Fenestella Buch von dem Rath und Priester=Amt bey den Rmern, Hieronymus Romanus de la Higuera, des Marcus Maximus, Braulions und Helecas; Anton. Lupianus Zapata des Hauberts und endlich Gregorius von Argaetz des Liberatus verlohrne Chronicken nachgemacht haben: […].“ Die genannten Werke sind hier nicht im Detail zu kommentieren. Dem heute bekanntesten der besagten Fälscher, Giovanni Annio von Viterbo († 1502), und seiner Rezeption widmen sich Grafton, Fälscher (1995), S. 56–65, 98–117; Walter Stephens, When Pope Noah Ruled the Etruscans. Annius of Viterbo and His Forged „Antiquities“, in: MLN 119 (2004) (Heft 1: Italian Issue. Supplement), S. S201–S223; Wilhelm Schmidt-Biggemann, Heilsgeschichtliche Interventionen. Annius von Viterbos „Berosus“ und die Geschichte der Sintflut, in: Sintflut und Gedächtnis. Erinnerung und Vergessen des Ursprungs, hrsg. v. Martin Mulsow/Jan Assmann (Reihe Kulte/Kulturen), Berlin 2006, S. 85–111. Andere Autoren wie Antoine Varillas (1624–1696) würde man heute wohl nicht mehr als Fälscher apostrophieren, sondern der romanesken Historiographie zurechnen. Vgl. Michel Bouvier, L’histoire anecdotique. Varillas et Saint-Réal, in: Dalhousie French Studies 65 (Themenheft: Littérature et histoire au XVIIe siècle) (2003), S. 68–83. Ebenso wie Varillas’ ist Menckes eigenes historiographisches Werk noch weithin zu erschließen. Vgl. Agnes-Hermine Hermes, Johann Burkhard Mencke in seiner Zeit, Wiesbaden 1934; Günther Mühlpfordt, Gelehrtenrepublik Leipzig. Wegweiser- und Mittlerrolle der Leipziger Aufklärung in der Wissenschaft, in: Zentren der Aufklärung, Bd. 3: Leipzig. Aufklärung und Bürgerlichkeit, hrsg. v. Wolfgang Martens (Wolfenbütteler Studien zur Aufklärung 17) Heidelberg 1990, S. 39–101, hier S. 59f., 62–69; István Gombocz, „De Charlataneria Eruditorum“. Johann Burkhard Mencke as a Forerunner of the Enlightened Satire, in: Daphnis 28 (1999), S. 187–200.

285 „sonderlichen theil gehabt“ hätten. 174 In seinem Versuch ging es folglich darum, „viel Feler“ und „seltsame Jrt(mer“ 175 formaler und inhaltlicher Art, von denen ihm die Schriften des Mittelalters beherrscht zu sein schienen, zu „korrigieren“. Konsultiert hatte er diese in den bis dahin vorliegenden Drucken etwa Duchesnes oder d’Acherys. Ein Vergleich mit der handschriftlichen Überlieferung schien Semler entbehrlich zu sein. In jedem Fall fand er in seinem Versuch nicht statt. 176 Die Tatsache, dass bisweilen Passagen des einen mittelalterlichen Texts in der Form eines Inserts in Werke anderer mittelalterlicher Autoren Eingang gefunden hatten – „elende Kopeien“ – und diese in den bisherigen Ausgaben auch reproduziert worden waren, erforderte nach Meinung Semlers einen grundlegenden Umschwung in der editorischen Praxis. Denn solche kopierten oder kompilierten Elemente „würden fast gar keinen Gebrauch verstatten, als die Unf higkeit oder die Schranken zu entdecken, die ihren Urhebern eigen sind, welche blosse Abschreiber gewesen, und zuweilen einige richtigere Lesarten daraus anzunemen.“ 177 Ähnlich wie im Fall von Chladenius ist Semlers Wortgebrauch kompliziert und über weite Strecken nicht mit dem heutigen identisch. Mit dem Begriff des „Originals“ verband er nicht den Gedanken an materielle Authentizität – diese Frage konnte er mit den ihm allein vorliegenden Drucken nicht behandeln –, sondern den an inhaltliche Urheberschaft und Originalität. 178 Auf der Basis seines peiorativen Verständnisses des bloß Abgeschriebenen als der Ursache für die Entwicklung der meisten „groben Jdiotismi –––––––— 174

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Versuch || den || Gebrauch || der Quellen || in der || Staats= und Kirchengeschichte || der mitlern Zeiten || zu erleichtern. || Bey Gelegenheit der angefangenen Fortsetzung || der baumgartenschen Kirchengeschichte || aufgesetzt || von || D. Joh. Salom. Semler. || HALLE, bey Joh. Justinus Gebauer, 1761 (Neudruck Waltrop 1996, hrsg. u. eingel. v. Dirk Fleischer = Wissen und Kritik. Texte und Beiträge zur Methodologie des historischen und theologischen Denkens seit der Aufklärung 5), S. 4f., 7. Ebd., S. 22, 24. Vgl. Andreas Kraus, Vernunft und Geschichte. Die Bedeutung der deutschen Akademien für die Entwicklung der Geschichtswissenschaft im späten 18. Jahrhundert, Freiburg i. Br./Basel/Wien 1963, S. 124f. Semler, Versuch, 1761, S. 2. Vgl. ebd., S. 17: „Ob wir gleich keine genaue Anzeige und Nachricht von den Geschichtschreibern, die im 8ten, 9ten und 10ten Jahrhundert geschrieben haben, brauchen knnen: so knnen wir doch ziemlich diejenigen unterscheiden, welche in Ansehung anderer, die blos abgeschrieben und was einger(ckt haben, O r i g i n a l e heissen knnen: Jch will so gleich von der eben beigebrachten Anzeige des Regino einigen Gebrauch machen. Jn seinem 2ten Buche (von dem ersten Rede ich nicht, da er eben so wenig Original ist,) ist er nicht vornemlich Original […].“ Gegenüber den inhaltlichen Aspekten interessierte Semler also nicht, in welchen und wann entstandenen Handschriften das Chronicon Reginos von Prüm († 915) selbst überliefert ist und welche Versionen existierten. Vgl. Kraus, Vernunft (1963), S. 124f. Vgl. zu dem besagten ersten Buch Karl Ferdinand Werner, Zur Arbeitsweise des Regino von Prüm, in: Die Welt als Geschichte 19 (1959), S. 96–116, hier S. 98.

286 des christlichen lateinischen Vortrags“ 179 assoziierten sich Semlers philologische Reflexionen mit der Vorstellung, dass durch die Beseitigung der „kopierten“ Elemente innerhalb der jeweiligen Texte nicht nur wesentliche Fehlerquellen oder stilistisch „ekelhafte“ 180 Passagen beseitigt, sondern die bisherigen Ausgaben auch um mehr als ein Drittel ihres Gesamtumfangs reduziert werden könnten (!). 181 Mit weniger Emphase und etwas größerer Vertrautheit mit Phänomenen der handschriftlichen Überlieferung plädierte indes auch Gatterer 1768 für die von Semler angedachte Art der Edition: „Man darf nur die Originale drucken lassen: die Copien fallen ganz weg.“ 182 Die „Kopie“ war auch für Gatterer ein in verschiedenen Werken wiederholtes inhaltliches Element größeren oder kleineren Umfangs: Wenn ich den Eginhard habe, so wie er ursprünglich war, […] so brauche ich den Eginhard nicht, der in den Annalen von Fulda, in dem Abt Conrad von Auersperg, in dem Annalista Saxo u. s. w. steht. Der Eginhard der Fuldischen Annalen, des Conrads von Auersperg, des Annalista Saxo etc. geht darum nicht verlohren. Man hat diese Copien schon zur kritischen Verbesserung des originellen Eginhards angewandt. Man sieht leicht, daß auf diese Art die ungeheure Menge von Folianten, die jetzt unsere Sammlungen ausmachen, auf eine mäßige Anzahl von Bänden zusammen geschmolzen werden könne […]. 183

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Vgl. Semler, Versuch, 1761, S. 15. Vgl. ebd., S. 16. Vgl. ebd., S. 3 Anm. 1: „Jch behaupte nicht zu viel, wenn ich sage, daß man mehr als ein Drittheil gedruckter historischer B(cher ganz entberen knte, folglich nicht so sehr durch die Menge der historischen Folianten abgeschreckt werden d(rfte, wenn dieser Fleis der Geschichtskundigen im eigenen Gebrauch der Geschichte so gros wirklich stets gewesen w re, als man voraussetzt den Herausgebern historischer Sammlungen aus den alten Zeiten.“ Semler meinte, dass die Herausgeber unterschiedlicher historischer Texte die „innerhalb derselben befindlichen Copeien“ bislang allein noch „nicht gemerkt“ hätten. Ebd. Die oben diskutierten Umgangsweisen der Bollandisten mit den Martyrologia hieronymiana oder die von Henschen zusammengetragenen Nachweise für das Wirken des hl. Liafdagus in den Chroniken Adams von Bremen, Alberts von Stade, Helmolds von Bosau und Albert Krantz’ mögen verdeutlichen, dass dies nicht unbedingt der Realität entsprach. Johann Christoph Gatterer, Nähere Nachricht von der neuen Ausgabe der gleichzeitigen Schriftsteller über die Teutsche Geschichte (1768), in: Blanke/Fleischer (Hrsg.), Theoretiker, Teil 2 (1990), Nr. 33, S. 568–578, hier S. 577. Gatterer, Nachricht (1768), ed. Blanke/Fleischer, Teil 2 (1990), S. 577. Fleischer/ Blanke, Kommentierende Anmerkungen zu den Texten, in: dies. (Hrsg.), Theoretiker, Teil 2 (1990), S. 725–770, hier S. 761 ad Nr. 33, Anm. n, beziehen Gatterers Referenz auf Einhart auf die damals ihm zugeschriebene Version der Reichsannalen. Gatterer hatte allerdings die Vita Karoli im Sinn. Das Beispiel hatte Gatterer von Semler, Versuch, 1761, S. 54f., übernommen: „Eginharts Lebensbeschreibung Caroli M. will ich auch nur kurz ber(ren, und die ausnemend vielen Abschreiber derselben, die ihn gleichwol nicht nennen, bekanter machen. Der Anfang von der grossen Gewalt des Maior domus, wobey die Knige blos den Namen behalten, ist auszugsweise, doch sehr kentlich, in annal. fuldens. unter dem Jahr 751 beigebracht; nach allen Worten aber, den Anfang ausgenommen, vom Abt Conrad von Auersberg, in seiner Chronik

287 Daraus folgte unter anderem, dass all das, was in genuin mittelalterlichen Werken auf deutlich ältere Zeiten referierte, von der Ausgabe ausgeschlossen werden konnte: Originale von Copien unterscheiden heist also hier so viel als entdecken, wie weit ein jeder Schriftsteller andere blos abgeschrieben, und wo er anfängt, selbst Verfasser zu seyn. Auf diese Art ist in unseren Sammlungen alles Copie, was die Zeiten vor Christi Geburt und die ersten Jahrhunderte der christlichen Zeitrechnung betrifft. Dieses unnütze Zeug hätte gar nicht gedruckt werden sollen. Wer wird aus dem Buche eines Mönchs lernen wollen, was ihm die Biblischen, die Griechischen, die Römischen Schriftsteller besser sagen können? 184

In die Verlegenheit, ihr Raisonnement in die Praxis umzusetzen, brachten sich die beiden deutschen Theoretiker nicht. Was von der mittelalterlichen (oder frühneuzeitlichen) Annalistik, Chronistik oder Biographik insgesamt übrig geblieben wäre, wenn neben der von Gatterer und Semler bedachten Historiographie auch andere Materialien wie Briefe oder Urkunden nach Maßgabe des Verdikts des bloß kompilierten oder kopierten aus den herauszugebenden Schriften hätten entfernt werden sollen, wurde von ihnen nicht erörtert. Irritierend ist, auch nach zeitgenössischen Maßstäben, die vor allem aus Gatterers Einlassungen zu erschließende Absicht, die von ihm angedachte Sammlung als eine verknappende Revision der aufgrund ihres enormen Umfangs bei ihm nur „Schrecken und Entsetzen“ hervorrufenden Scriptores rerum Germanicarum zu konzipieren, die Johann Burkhardt Mencke (1674–1732) zwischen 1728 und 1730 in immerhin drei Bänden publiziert hatte. 185 Sofern Handschriften konsultiert werden sollten, die Gatterer in einzelnen Vertretern bekannt geworden zu sein scheinen, organisierte er sie relational zu den bereits existierenden und zu überarbeitenden Drucken. 186 Er untergliederte sie in drei Klassen. In die erste Klasse fielen –––––––— 184

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p. 123, und eben so, wie dieser hat, in annalista Saxone, unter dem Jahr 749 und im chronico S. Pantaleonis […] zu finden.“ Gatterer, Nachricht (1768), ed. Blanke/Fleischer, Teil 2 (1990), S. 575. Vgl. auch Semler, Versuch, 1761, S. 110f.: „[…], (berhaupt aber kan man fast alles, was vor dem achten Jahrhundert und noch weiter, in diesen elenden chronicis vorkomt, zu gar nichts brauchen; und h tte solch unn(tz Zeug gar nicht sollen gedruckt werden.“ Vgl. Gatterer, Nachricht (1768), ed. Blanke/Fleischer, Teil 2 (1990), S. 577: „[…] an statt daß bisher auch diejenigen, deren Beruf es doch mit sich brachte, die Quellen selbst aufzusuchen, die fürchterliche Reihe der Scriptorum rerum Germanicarum mit Schrecken und Entsetzen angesehen, und sich diesem unermeßlichen Meere nur im höchsten Nothfalle anvertrauet haben.“ Vgl. ebd., S. 573: „Aber wie erfährt man, aus welchen Codicibus die gedruckten Ausgaben geflossen sind? Dies kan man aus den Vorreden und vorläufigen Nachrichten der Herausgeber lernen; […]. Daß in Wien, Paris, Rom, Hannover, Wolfenbüttel, Helmstädt, Cassel, Frankfurt, Berlin, Dresden, Nürnberg, Maynz, Augspurg etc. eine Menge Codices zu unserer Deutschen Geschichte, und darunter auch einige noch nicht gedruckte aufbewahrt werden, wird man, wenn man die Bibliothecken dieser Städte nur etwas kennt, von selbst leicht vermuthen. Auf meine Bitte hin […] sind mir von verschiedenen Orten her Codices angeboten worden, die man mir, so bald ich

288 solche Handschriften, auf denen ein schon verfügbarer Druck beruhte und die zur Korrektur desselben zu verwenden seien. Die zweite Klasse bestand aus Handschriften, die im Großen und Ganzen mit der ersteren übereinstimmten, aus denen aber Varianten „zur Entdeckung der wahren Leseart“ bezogen werden könnten. 187 Unter der „dritte[n] Klasse“ verstand Gatterer letztlich einzelne Handschriften, „die noch nirgends gedruckt worden sind. Sie dienen als Supplemente, zur Vermehrung des Stoffs unserer vaterländischen Geschichte.“ 188 Ein Zugriff, der vorderhand mehrere Überlieferungsträger ein und desselben Texts ausfindig gemacht und in sich nach Überlieferungsgruppen anzuordnen unternommen – oder diese Möglichkeit auch nur erwogen – hätte, ist bei Gatterer ebensowenig wie bei Semler zu erkennen. 189 Die beiden Theoretiker zählten zu einer Generation, für die es zur Selbstverständlichkeit geworden war, mit gedruckten Texten zu arbeiten. Auf ihrem verspäteten Weg zu den Handschriften, der im Reich von Autoren wie Leibniz, Mencke oder dem von Semler gerne inkriminierten Johann Georg von Eckhart (1674–1730) längst beschritten worden war, 190 kamen –––––––—

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sie nöthig haben werde, zusenden will. […] Ja ich habe schon einige Codices in Händen, und mit dreyen derselben, die mir aus der Königlichen Bibliotheck zu Hannover mitgetheilt worden sind, ist die Vergleichung [mit den gedruckten Ausgaben] bereits geschehen.“ Vgl. ebd., S. 577f.: „Die erste Klasse machen die Handschriften aus, aus welchen die gedruckten Ausgaben geflossen sind. Was nach Anleitung derselben in dem gedruckten Texte geändert werden muß, gibt wahre und eigentliche Correcturen. Zur zwoten Klasse rechne ich Handschriften, die zwar einerley Hauptinhalt mit den Handschriften, welche man beym Drucke zum Grunde gelegt hat, haben, die aber beym Drucke selbst nicht gebraucht worden sind. Diese Klasse gibt dem Kritiker Varianten zur Entdeckung der wahren Leseart.“ Vgl. ebd., S. 578. Gatterer konstatierte: „Ich bin im Stande, Codices von jeder dieser Klasse vorzuzeigen.“ Es folgten einige Beispiele. Eines galt der dritten Klasse: „Endlich zur dritten Klasse, oder zu denen noch ungedruckten historischen Schriften gehört der Chronographus Halberstadensis, der in der erstgedachten Hannoverschen Handschrift gleich vorn an gebunden und von Einer Hand geschrieben worden ist.“ Ebd. Es bliebe zu prüfen, welche bis dato noch nicht gedruckte Schrift damit bezeichnet war. Johannes Winnigstedts († 1569) Chronicon Halberstadiense, das in wenigstens 19 Textzeugen überliefert ist, war bereits 1732 in Caspar Abels (1676– 1763) Sammlung etlicher noch nicht gedruckten alten Chronicken veröffentlicht worden. Vgl. Klaus Nass, Die Reichschronik des Annalista Saxo und die sächsische Geschichtsschreibung im 12. Jahrhundert (MGH Schriften 41), Hannover 1996, S. 313 Anm. 1194. Die Gesta episcoporum Halberstadensium waren in Leibniz’ Scriptores rerum Brunsvicensium publiziert worden. Vgl. Ludwig Weiland, [Einleitung], Gesta episcoporum Halberstadensium, hrsg. v. dems., in: MGH SS, Bd. 23, hrsg. v. Georg Heinrich Pertz, Hannover 1874, S. 73–78, hier S. 77, waren in Leibniz’ Scriptores rerum Brunsvicensium publiziert worden. Vgl. Kraus, Vernunft (1963), S. 125f. Vgl. Semler, Versuch, 1761, S. 95f.: „Die Eccardische Samlung, corpus historicum medii aeui, ist […] von grossem Nutzen; sie ist aber mit ganz unverzeihlicher Nachl ssigkeit, ohne alle Auffsicht gedruckt worden. Wir werden unwillig (ber dumme oder leichtsinnige Copisten der vorigen Zeiten; und wir bekommen in diesen unsern Zeiten Abdr(cke, die alle Arten von l ppischen Felern haben, ohne daß sie nur

289 sie, was die empirischen und sachlichen Kenntnisse anbelangte, über wenig durchdachte Ansätze und vor allem über ihre eigenen Ressentiments kaum hinaus. Gatterers Bestreben, möglichst nicht in den „Fehler der Citationssucht“ 191 zu verfallen, mag dafür verantwortlich sein, dass er nicht ausdrücklich auf die Ausführungen des Mauriners Martin Bouquet (1685– 1754) verwies. Es war, wie Andreas Kraus gezeigt hat, Bouquet, der bereits Semler zu seinem Versuch motiviert hatte. 192 Bouquet hatte in der Einlei–––––––—

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einigermassen w ren verbessert worden. Jst es begreiflich, ist es zu (bersehen, daß Eccard, ein Mann von so grossen Kentnissen in der Geschichte, ein corpus historicum medii aeui so ausnehmend schlecht geliefert hat? Von wem sol man denn Licht und Richtigkeit f(r die Quellen der Geschichte dieser Zeit erwarten, wenn ein Eccard so gleichg(ltig ist?“ Bevorzugter Gegenstand der Monita war Eckarts Ausgabe des Annalista Saxo. Vgl. ebd., S. 96. Semler kritisierte dabei nicht Eckharts Leistung in der Umsetzung seiner Vorlage, die Semler auch nicht kannte, sondern die Tatsache, dass Eckhart die historischen und stilistischen „Fehler“ im Textbestand des Annalista Saxo, der für Semler der Prototyp einer aus verschiedenen Vorlagen „kopierten“ Chronik war, nicht „korrigiert“ habe. Auch hinsichtlich dieses Aspekts wird noch deutlicher hervortreten, dass diese Art, diagnostische und editorische Aspekte zu verschmelzen und letztlich den Herausgeber für die Inhalte und Formen eines historischen Dokuments unmittelbar verantwortlich zu machen, einer Haltung entsprach, die von den altertumskundlichen Bestrebungen des 17. Jahrhunderts überwunden werden sollte. Ähnlich urteilte noch ders., Vorschläge von einer neuen Sammlung, Ausgabe oder auch besondern teutschen Uebersetzung der vornehmsten Quellen der alten und mittlern teutschen Geschichte (1782), in: Blanke/Fleischer (Hrsg.), Theoretiker, Teil 2 (1990), Nr. 34, S. 579–589, hier S. 581. Aus heutiger Sicht sind die im eigentlichen Sinne editorischen Probleme der Ausgabe des Annalista Saxo durch Eckhart dadurch bedingt, dass dieser aus einer kopierten Abschrift schöpfte, die Leibniz von Mabillon – nach der im Original erhaltenen Chronik Paris, B. N. F., Lat. 11851 – aus Paris besorgt hatte. Bei dieser heute in der Niedersächsischen Landesbibliothek Hannover (Ms XIII 750, Bd. 1) verwahrten Abschrift (H1) der von den Maurinern geleisteten – und inzwischen verlorenen – Kopie (X) handelte es sich nach Nass, Reichschronik (1996), S. 49, um einen sehr „fehler- und lückenhaften Textzeugen“. Teile der historischen Unrichtigkeiten in der Ausgabe Eckharts sind daher nicht, wie Semler meinte, auf das kompilatorische Verfahren des mittelalterlichen Chronisten zurückzuführen, sondern resultierten aus der mangelnden Sorgfalt der Kopisten des 17. Jahrhunderts. Vgl. zur Überlieferung ebd., S. 44–50. Vgl. Johann Christoph Gatterer, Von der Evidenz in der Geschichtkunde (1767), in: Blanke/Fleischer (Hrsg.), Theoretiker, Teil 2 (1990), Nr. 21, S. 466–478, hier S. 476. Vgl. Kraus, Vernunft (1963), S. 124 mit Anm. 43. Entgegen der ansonsten präzisen Beschreibung der Vorstellungen Semlers und Gatterers wiederholt Kraus an dieser Stelle den alten historiographiegeschichtlichen Gemeinplatz von der vermeintlichen Exklusion der in ihrer Faktizität als fragwürdig betrachteten Dokumente: „M. Bouquet […] hatte bereits versucht, eine Idealquelle zu konstruieren, indem er für jede Epoche Auszüge aus allen Quellen aneinanderfügte und alles, was fabelhaft schien oder schon einmal berichtet worden war, ausschied, […].“ Dirk Fleischer, Johann Salomo Semler und die Verwissenschaftlichung des historischen Denkens, in: Semler, Versuch, 1761 (Neudruck 1996), S. III–XLIII, hier S. XI Anm. 18, plädiert grundsätzlich für die Originalität der deutschen Theoretiker: „Semler ist an dieser Stelle nicht von Bouquet abhängig, wie Kraus […] behauptet. Sondern: Die Suche nach dem Urtext ist die logische Konsequenz von Semlers Geschichtsbegriff; sie ist auch

290 tung des ersten Bands der Rerum Gallicarum et Francicarum scriptores von 1738 auf wenigstens zwei vom französischen Königtum einberufene, gelehrte Versammlungen referiert, auf denen die Konzeption einer Duchesnes Historiae Francorum scriptores coaetanei ersetzenden und ergänzenden Sammlung besprochen worden war. In der letzten Runde unter Kanzler Henri François d’Aguesseau (1668–1751) sei das Für und Wider der Reproduktion der besagten repetierenden Teile erwogen worden. Mit dem später auch von Semler aufgegriffenen Beispiel der Annales qui dicuntur Einhardi schloss sich Bouquet der Ansicht der Partei an, die Einträge aus späteren Annalenwerken nur als Varianten der gesamtheitlich wiederzugebenden älteren Annalen zu reproduzieren beabsichtigte. Denn selbst der erste Teil der Einhard († 840) zugeschriebenen Version der französischen Reichsannalen wiederholte ebenso wie die Annales Bertiniani die Einträge aus den Annales Loiselliani, so dass es hinreichen mochte, allein letztere in vollständiger Form und mit den einschlägigen Varianten zu publizieren.193 –––––––—

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schon Johann Martin Chladenius […] und anderen Theologen vor Semler praktiziert worden.“ Semlers Anliegen, die gedruckten historischen Texte nach seinem eigenen Sprachempfinden zu überarbeiten, kann, wie dargelegt, schwerlich als die Suche nach einem „Urtext“ beschrieben werden. Bouquets Ausführungen sind von Fleischer nicht konsultiert worden. Vgl. Martin Bouquet, Praefatio in novam historicorum Franciæ collectionem, in: Rerum Gallicarum et Francicarum scriptores/Recueil des historiens des Gaules et de la France, Bd. 1: Contenant tout ce qui été fait par les Gaulois. Et qui s’est passé dans les Gaules avant l’arrivée des François: et plusieurs autres choses qui regardent les François. Depuis leur origine jusqu’a Clovis. Par Dom Martin Bouquet, Prêtre et religieux Bénédictin de la Congrégation de Saint-Maur. Nouvelle édition. Publiée sous la direction de M. Léopold Delisle. Membre de l’Institut, Paris 1869, S. I–LXXIX. Bouquet sprach etwas vage von Versammlungen der „eruditi“, die ebenso unter der Ägide Jean-Baptiste Colberts (1619–1683) wie unter jener d’Aguesseaus stattgefunden hätten. Vgl. ebd., S. IVa: „In Conventibus tam apud Colbertum quàm apud Cancellarium Daguesseau habitis, […].“ Etwas genauer ging Bouquet auf letztere ein. Vgl. ebd., S. VIIb: „Ut nostra fiducia animo par esset, opus erat ut quis nobis lucem præferret, viamque monstraret quàm sequeremur. Verùm quàm præclarè nobiscum actum est! Franciæ Cancellarius et Operi et nobis patrocinium dignatur impertire: atque hac in re plus accessit auxilii quàm sperare licitum erat. Primarius regni Magistratus nos ad se vocavit, Viros doctrina conspicuos congregavit, qui totius Operis formam à nobis adumbratam recognoscerent. In his doctis Congressibus variæ sunt coram eo propositæ et expensæ rationes: ac tandem eo vel suggerente vel indicante, monstrata via est quam insisteremus, regula præscripta, ad quam gressus nostri dirigerentur. || De Chronicis se planè convenientibus, aut certè parum discrepantibus, quid facto opus sit variè pronuntiant Eruditi. Placet aliis integra dari, aliis verò recentiora sic truncari, ut ea demùm edantur loca, in quibus ab vetustioribus discrepant. Videtur hæc quidem sententia longè potior, eamque sequimur. Hujusmodi enim fœtus quid aliud possunt quàm aut tædium affere studiosis, aut Volumini frustrà molem addere? Quid ex eis fructûs capi, quid extrudi novi potest? Annales, exempli causâ, qui Eginhardo tribuuntur, in initio nihil aliudquàm transcribunt Loisellianos Annales: item Annales S. Bertini Loisellianos et Eginhardianos ad verbum exscribunt. Loisellianos edi satis erit, et in imis paginis varias adnotari lectiones quæ in aliis occurrunt.“ Der Ausdruck der Annales Loiselliani bezog sich auf den Eigennamen einer – wahr-

291 Gleiches gelte für die Chronik Aimoins von Fleury († nach 1008), die im Wesentlichen auf der Fredegar-Chronik, auf Gregors von Tours Büchern zur fränkischen Geschichte und den Schriften anderer Chronisten beruhe.194 In diesen Worten artikulierte sich allerdings nicht die Absicht, eine insgesamt beschnittene Ausgabe vorlegen zu wollen. Die Rerum Gallicarum et Francicarum scriptores umfassten letztlich 24 Bände. Der letzte wurde 1904 gedruckt. Bouquet und seine gelehrten Ratgeber kalkulierten vielmehr damit, so hat es einerseits den Anschein, dass die besagten Chroniken und Annalen von Duchesne bereits publiziert worden waren. Nur ausnahmsweise sollten diese vollständig in die überarbeitete Sammlung Eingang finden, etwa im Falle Gregors und Fredegars, die aufgrund ihrer Seltenheit und ihrer außergewöhnlichen Aussagekraft, was die erste fränkische Dynastie anbelangte, nicht übergangen werden konnten. 195 Andererseits tragen Bouquets einleitende Worte auch die Züge einer verbalen Konzession, die sich an die beratenden Kollegen wandte. Zumindest die Gesta Aimoins von Fleury wurden durchaus in vollständiger Form in den dritten Band der Rerum Gallicarum et Francicarum scriptores von 1741 aufgenommen. 196 In einem knappen Kommentar nahm Bouquet an dieser Stelle auf die Schriften Bezug, aus denen der Chronist geschöpft habe. 197 Der Bezugspunkt der –––––––—

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scheinlich im Kloster Brantôme im 11. Jahrhundert – entstandenen Handschrift des älteren Teils der Annales regni Francorum. Vgl. Friedrich Kurze, Praefatio, in: Annales Regni Francorum inde ab a. 741. usque ad a. 829. Qui dicuntur Annales Laurissenses maiores et Einhardi. Post ed. G. H. Pertzii recognovit Fridericus Kurze (MGH SS rer. Germ. in us. schol. [6]), Hannover 1895, S. V–XX, hier S. IXf.: „B 4. codex Parisinus 5941 A […], olim Colbertinus, antea Loiselianus, saeculo IX. in monasterio Brantosmensi, ut videtur, exaratus.“ Die Annales regni Francorum werden seit Ranke unter diesem Namen diskutiert. Die früher mit dem Namen Einhard assoziierte Überarbeitung und deren Überlieferung werden seit der Ausgabe Friedrich Kurzes (1863– 1915) gemeinhin als Annales qui dicuntur Einhardi bezeichnet. Vgl. Ulrich Nonn, Art. Reichsannalen, in: LexMA, Bd. 7, 1994, Sp. 616f. Das Verhältnis der Annalen von St. Bertin zu den beiden anderen Annalenwerken besprach im Anschluss an Bouquet auch Semler, Versuch, 1761, S. 69–75. Die Frage, ob Semlers Versuch von weiteren Beispielen aus den Rerum Gallicarum et Francicarum scriptores inspiriert war, bliebe zu klären. Vgl. Bouquet, Praefatio (1738), Rerum Gallicarum et Francicarum scriptores, nouv. ed., Bd. 1, 1869, S. VIIb–VIIIa: „Idem […] de Aimoini Historia, ex Gregorii, Fredegarii, aliorumque Auctorum verbis confecta, factum voluissemus: […].“ Vgl. ebd., S. VIIIa: „[…] sed cùm plurimi sint qui parcitum velint Chronicis omnibus à Chesnio editis; cùmque pauca suppetant instrumenta ad primam nostrorum Regum stirpem spectantia, visum est, multis suadentibus atque hortantibus, utramque Historiam [Gregors und Fredegars] iterùm vulgare.“ Vgl. Aimoini Monachi Floriacensis de gestis regum Francorum libri IV, in: Rerum Gallicarum et Francicarum scriptores, nouv. ed., Bd. 3, 1869 [zuerst 1741], S. 21– 143. Vgl. Monitum in Aimoinum, ebd., S. 20: „Et certè septem primos libros Gregorianæ Historiæ, Fredegarii Chronicon, Gesta Regum Francorum, Gesta Dagoberti Regis, et Paulum Diaconum de Gestis Langobardorum, mutatis tantummodò verbis et ordine, transcribit, at Auctores non nominat.“

292 neuen Ausgabe war auch für Bouquet der bereits vorliegende Druck Duchesnes. Die Handschriften, ihre Struktur, ihre Beziehungen untereinander und auch der Rahmen ihrer Verschriftlichung und Tradition waren für Bouquet allerdings ein eigenwertiger Gegenstand der Erörterung: Wir haben die Ausgabe Duchesnes mit einem im 12. Jahrhundert geschriebenen Codex des Klosters Saint-Germain-des-Prés zusammengearbeitet, in den einige, das Kloster Saint-Germain angehende Dinge eingefügt worden sind. Ebenso haben wir sie mit zwei handschriftlichen, einst colbertinischen, nun königlichen Codices verglichen. Deren einer ist im 14. Jahrhundert von einem Mönch aus Saint-Denis geschrieben worden, der, nachdem ein Teil der Dinge fortgelassen worden war, die von dem Mönch aus Saint-Germain eingefügt worden waren, viele Dinge ergänzt hat, die das Kloster Saint-Denis betreffen. Im vierten Buch werden ganzheitlich die Gesta Dagoberti dargeboten, nachdem bestimmte Abschnitte Aimoins dazwischen geschoben worden waren. Außerdem sind in diesem Codex die von Suger, dem Abt von SaintDenis, verfasste Vita Ludwigs des Dicken enthalten: die von einem ungewissen Urheber stammende Vita des jüngeren Ludwig, des Sohnes Ludwigs des Dicken: die Vita Philipp Augustes, geschrieben von Rigord, einem Mönch von Saint-Denis: die Vita Ludwigs VIII. mit ungewissem Urheber: die Tatenberichte Ludwigs IX., die von Wilhelm von Nangis, einem Mönch von Saint-Denis, verfasst worden sind: die Tatenberichte Philipps des Kühnen, von demselben Autor Wilhelm von Nangis. Der andere handschriftliche Codex aus der königlichen Bibliothek, der, wie am Ende vermerkt wird, im Jahr 1470 abgefasst worden ist, stimmt überhaupt mit dem Codex aus Saint-Germain überein, so sehr, dass er aus demselben, wie aus einem Archetyp, wortgetreu abgeschrieben worden zu sein scheint. 198

Das Prinzip der Scriptores seit Duchesne beruhte darauf, neben den umfangreicheren historiographischen Darstellungen zahlreiche Exzerpte aus anderen, zumeist erzählenden „Monumenten“ zusammenzutragen, insofern in ihnen auf das Handeln der französischen Könige seit fränkischer Zeit Bezug genommen worden war. 199 Mit diesem anthologischen Aspekt ähnelten sie den vom französischen Hof seit dem letzten Drittel des 13. Jahrhunderts gepflegten Sammlungen der Grandes Chroniques de France. 200 Die –––––––— 198

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Ebd.: „Editionem Chesnianam contulimus cum Codice Monasterii S. Germani à Pratis, scripto sæculo XII. in quem nonnulla inserta sunt ad Monasterium Sangermanense spectantia. Eam quoque comparavimus cum duobus Codd. mss. olim Colbertinis, nunc Regiis. Quorum alter scriptus est sæculo XIV. à Monacho Sandionysiano, qui omissa eorum parte quæ à Monacho Sangermanensi inserta fuerant, multa addit quæ ad Monasterium S. Dionysii spectant. In Libro IV. integra dantur Gesta Dagoberti, quibusdam Aimoini capitibus intersertis. Continentur prætereà in eo Codice Vita Ludovici Grossi à Sugerio Abbate S. Dionysii conscripta: Vita Ludovici Junioris filii Ludovici Grossi, Auctore incerto: Vita Philippi Augusti scripta per Rigordum Monachum S. Dionysii: Vita Ludovici VIII. incerto Auctore: Gesta Ludovici IX. à Guillelmo de Nangis Monacho S. Dionysii composita: Gesta Philippi Audacis, Auctore eodem Guillelmo de Nangis. Alter Codex ms. Regius, qui, ut in fine notatur, manu exaratus est anno 1470. omninò consentit cum Codice Sangermanensi, adeò ut ex ipso, velut ex archetypo, ad verbum descriptus videatur.“ Vgl. oben S. 252 mit Anm. 98. Vgl. André Vernet, Art. Chroniques (Grandes) de France, in: LexMA, Bd. 2, 1983, Sp. 2034f.

293 Notwendigkeit, Duchesnes Scriptores zu überarbeiten, begründete Bouquet damit, dass dieser allein bis zu Philipp IV. († 1314) vorangeschritten war und seine Scriptores in vielerlei Hinsicht als unvollständig oder ungenügend zu bewerten seien. Insbesondere aber seien seither „unzählige Denkmäler des Altertums“ durch die Sammlungen der Mauriner d’Achery, Mabillon und Martène, der Bollandisten, des Jesuiten Labbé und des Kanonisten und Kirchenhistorikers Étienne Baluze (1630–1718) publik gemacht worden, aus denen Bouquet die für ihn einschlägigen Passagen „mit größter Sorgfalt“ exzerpiert habe. Natürlich seien auch neue Funde unterschiedlicher Art zu berücksichtigen gewesen. 201 Die von den deutschen Theoretikern der Spätaufklärung vertretene Hoffnung, der Aufbereitung der mittelalterlichen Überlieferung durch die Konzentration auf einige originelle Werke Herr werden zu können, wurde also von Assoziationen getragen, die eine bereits in sich als Anthologie konzipierte Sammlung angestoßen zu haben scheint. Die zukunftsweisende und implikationsreiche Frage nach der Geschichte der Überlieferungsträger spielte in den Erwägungen Semlers keine und in jenen Gatterers eine randständige Rolle. Für beide war die Vita Karoli insofern „Original“, als andere Autoren aus ihrem Textbestand geschöpft hatten. 202 Die Tatsache hingegen, dass im materiellen Sinn kein „Original“ der Vita Karoli erhalten ist, sofern darunter die Einheit von Verfasserschaft und materieller (autographer) Zeitgenossenschaft verstanden werden soll, und die Vita Karoli insgesamt nur in Kopien und Abschriften aus unterschiedlichen Zeiten zur Verfügung stand und steht, 203 wurde von ihnen nicht bedacht. Dieses Wissen begann in den eigentlichen editorischen Kreisen zumal des 17. Jahrhunderts zum Alltagswissen zu zählen. Daher empfand man es zunächst auch als zufrieden–––––––— 201

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Vgl. Bouquet, Praefatio (1738), Rerum Gallicarum et Francicarum scriptores, nouv. ed., Bd. 1, 1869, S. VIa: „[…] nunc de ipsa Collectione paucis agendum. Notum nobis erat Chesnii Collectionem, præterquàm quòd ultra Philippi Pulchri regnum non progrederetur, mancam esse in multis, atque ab ejus obitu innumera antiquitatis monumenta, quæ ejus oculos fugerant, è Bibliothecarum pulvere eruta fuisse. Nemo nescit quantùm Francorum Historiam locupletaverint Labbei, Acherii, Mabillonii, Martenii, Baluzii, et Bollandianorum haud pœnitendæ Collectiones. Ex variis voluminibus, quæ hi Auctores publicarunt, quidquid esset usui nostro, summa cura excerpsimus: et successus, quem ex suo labore perceperant, adeò nobis addidit animos, ut et alias Bibliothecas, quas intactas reliquerant, perlustraverimus. In iis permulta repertum iri, quæ eos præterierant, spes erat non modica, nec fuit irrita. Nam vel juvantibus amicis, vel faventibus Eruditis, quibus non multùm debere confitemur non inviti, modò Codices manu exaratos ab Editoribus non visos, modò Opera nondum typis edita deprehendimus.“ Vgl. Gatterer, Nachricht (1768), ed. Blanke/Fleischer, Teil 2 (1990), S. 574: „Es soll z. B. Eginhard critisch bearbeitet werden. Er ist ein Original. Eine Menge nachfolgender Schriftsteller haben ihn copirt. Diese Copien sämmtlich werden jetzt als kritische Hülfsmittel angesehen, die dazu dienen, um Varianten zu sammlen […].“ Vgl. Matthias M. Tischler, Einharts „Vita Karoli“. Studien zur Entstehung, Überlieferung und Rezeption, Teil 1 (MGH Schriften 48,1), Hannover 2001, S. 240–589.

294 stellend, wenn ein oder zwei „alte“ oder „ziemlich alte“ Manuskripte disponibel waren. Dies verhinderte eine letztlich naive Abwertung des bloß Abgeschriebenen auf der einen Seite und die statische Korrelierung von Augenzeugenschaft und Wahrhaftigkeit auf der anderen: „Was unbegeisterte Urheber (d. i. Geschichtschreiber ihrer eigenen Thaten) und Augenzeugen sagen, das ist wahr.“ 204

Exkurs zur „primären“ und „sekundären“ Quellen Die Ansichten der deutschen Theoretiker entbehren dennoch nicht der Repräsentativität. In der sich verfestigenden historiographischen Theorie fixierte sich in der Folgezeit der Begriff des „Originals“ weniger an der komplexeren Problematik der Geschichte des Materials, sondern an der leichter zu vermittelnden Parallelisierung von Augenzeugenschaft, ereignisnahem Text („Original“) und historischer Plausibilität. Als Differenzierung zwischen primären („ursprünglichen“) und sekundären („abgeleiteten“) Quellen fand sie, in kaum modifizierter Form, Eingang in die Methodenlehre der Moderne. Momigliano vertrat sogar die Auffassung, dass die „gesamte moderne Methode historischer Forschung“ auf dieser Unterscheidung, die von Autoren wie Bolland oder Mabillon allerdings gerade überschritten worden war, beruhe. 205 Richard J. Evans nahm Momigliano beim Wort und ging 1997 von einer Erschütterung der historisch-kritischen Methode insgesamt aus, da diese Unterscheidung von „postmodernen Kritiker[n]“ in Frage gestellt worden sei. 206 Neben dem Verweis auf Keith Jenkins, der in der Tat –––––––— 204 205

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Gatterer, Evidenz (1767), ed. Blanke/Fleischer, Theoretiker, Teil 2 (1990), S. 471. Vgl. Momigliano, Geschichte (1991), S. 80: „Die gesamte moderne Methode historischer Forschung gründet sich auf die Unterscheidung von originalen und abgeleiteten Quellen oder Zeugnissen. Originale Zeugnisse sind für uns entweder Aussagen von Augenzeugen oder Dokumente und andere Überreste, die zeitgenössisch sind mit den Ereignissen, die sie bezeugen. Unter abgeleiteten Quellen verstehen wir Geschichtsschreiber oder Chronisten, die Begebenheiten mitteilen und erörtern, deren Zeuge sie nicht waren, aber von denen sie gehört haben und die sie mittelbar oder unmittelbar aus originalen Zeugnissen erschlossen haben. Wir preisen originale Zeugnisse, […] weil sie glaubwürdig sind, aber wir preisen nicht-zeitgenössische Geschichtsschreiber, […] weil sie ein vernünftiges Urteil bei der Deutung und Bewertung der originalen Quellen bekunden. Diese Unterscheidung […] zwischen ursprünglichen Autoritäten und nicht-zeitgenössischen Geschichtsschreibern wurde erst im späten 17. Jahrhundert Gemeingut der historischen Forschung. Die Unterscheidung findet sich natürlich vor dieser Zeit, aber sie war nicht genau genug formuliert oder allgemein als notwendige Voraussetzung historischer Studien angesehen.“ Vgl. Richard J. Evans, Fakten und Fiktionen. Über die Grundlagen historischer Erkenntnis. Aus dem Engl. v. Ulrich Speck, Frankfurt a. M./New York 1998 [engl. 1997], S. 95f., mit Blick auf Momigliano, ohne jedoch dessen Epochendiagnose zu übernehmen: „Diese Unterscheidung zwischen ‚ursprünglichenǥ und ‚abgeleitetenǥ Quellen haben deutsche Wissenschaftler wie Ranke und Droysen im 19. Jahrhun-

295 bereits mit der terminologischen Sonderung von primären und sekundären Quellen die Vorherrschaft eines Tiefe, Wahrheit und Ursprünglichkeit insinuierenden kategoriellen Geflechts verknüpfte, das einem angemessenen Verständnis des historiographischen Prozesses insgesamt im Wege stünde, 207 hätte sich Evans allerdings auch auf den aus Wien stammenden und in Jena lehrenden Historiker Ottokar Lorenz (1832–1904) beziehen können. Lorenz bezeichnete 1895 die Exposition des ereignisnahen („gleichzeitigen“) Texts als schlicht banal – hierin wird man ihm kaum widersprechen können. Allerdings leitete Lorenz daraus die Haltlosigkeit der auch nach seiner Meinung ganz und gar auf ihr beruhenden historischen Methodik ab: Es muß wirklich ein großer Moment in der Geschichte der Kritik gewesen sein, als diese Idee von der ‚Gleichzeitigkeitǥ als Arcanum der neuen kritischen Wissenschaft entdeckt worden ist. Ich behaupte, daß niemals so zuversichtliche und zuweilen unverfrorene Behauptungen und kritische Ungeheuerlichkeiten in die Welt gesetzt worden wären, wenn dieses auch dem Dümmsten sich gleichsam im Schlaf darbietende Mittel, die Wahrheit von der Unwahrheit zu unterscheiden, nicht zur Massenproduktion einer kritischen Phraseologie angereizt und verführt hätte. Da man sich hierbei noch in den gegenseitigen Weihrauch hüllte, als ob mit der Anwendung dieses ebenso einfachen als sichern Mittels alle Historie künftig auf die Grundlage mathematisch erwiesener Formeln gesetzt werden könnte, […]. 208

Ernst Bernheim (1850–1942), in dessen erstmals 1889 publiziertem Lehrbuch der Historischen Methode sich die bis heute wahrscheinlich umfangreichste Anleitung zum Fortgang des investigativen Prozesses verkörpert, trat Lorenz seinerseits mit dem Vorwurf grober Vereinfachung entgegen: –––––––—

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dert eingeführt [!]. Der Kontrast zwischen ihrem Vorgehen, stets auf die ursprünglichen Quellen zurückzugreifen, und der Praxis der Historiker der Aufklärungszeit, sich meistens, wenn nicht sogar ausschließlich auf Chroniken und andere abgeleitete Quellen zu beziehen, hat dazu geführt, die Etablierung des Fachs auf einer professionellen, wissenschaftlichen Grundlage auf das 19. Jahrhundert zu datieren. Es ist nun diese Unterscheidung, die postmoderne Kritiker radikal in Frage stellen.“ Vgl. Keith Jenkins, Re-thinking History. With an New Preface and Conversation with the Author by Alun Munslow, London/New York 2003 [zuerst 1991], S. 57f.: „I have argued we can never really know the past; that there are no ‚deeperǥ sources (no subtext) to draw upon to get things right: all is on the surface. As we saw in chapter 1, in doing research historians do not go down but across, moving laterally in the construction of their accounts from one set of sources to another, effectively doing comparative work. If this is not seen; if you use the word ‚sourceǥ instead of ‚traceǥ; if you refer to some of these sources as primary and if you sometimes replace primary by original (original and thus underlying/fundamental sources), this suggests that if you go to the originals, then because originals seem genuine (as opposed to secondary/second-hand traces), genuine (true/deep) knowledge can be gained. This prioritises the original source, fetishises documents and distorts the whole working process of making history.“ Ottokar Lorenz, Die Geschichtswissenschaft in Hauptrichtungen und Aufgaben, Bd. 2: Leopold von Ranke. Die Generationenlehre und der Geschichtsunterricht, Berlin 1891, S. 312.

296 „Ich bezweifle sehr, ob es, wie Lorenz behauptet, so bornierte Köpfe unter den Geschichtsforschern giebt, welche eine Nachricht sichergestellt zu haben wähnen, wenn sie dieselbe als gleichzeitig erwiesen haben – jeder halbwegs vernünftige Historiker hält dieses Moment nur für eins der vielen Momente, die da in Betracht kommen.“ 209 Gerade in den kompakten Anleitungen zum historischen Studium, die sich seit dem späten 20. Jahrhundert zu popularisieren begannen, genießt der auf die Ebene der Texte gewandte Begriff des idealen Historiographen als Augenzeugen allerdings nach wie vor eine privilegierte Position. Hier tritt er in Kombination mit einer zumeist simultan erfolgenden Relativierung nach Maßgabe eines dynamischen, sich am Erkenntnisinteresse fixierenden Verständnisses von „Quelle“ in Erscheinung, 210 das von Autoren wie Droysen natürlich auch reflektiert –––––––— 209

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Ernst Bernheim, Lehrbuch der Historischen Methode und der Geschichtsphilosophie. Mit Nachweis der wichtigsten Quellen und Hilfsmittel zum Studium der Geschichte. 3. und 4., völlig neu bearb. und vermehrte Aufl., Leipzig 1903, S. 297. Vgl. John H. Arnold, Geschichte. Eine kurze Einführung. Aus dem Engl. übers. v. Karin Schuler, Stuttgart 2001 [engl. 2000], S. 77: „Historiker bezeichnen historische Dokumente, die zur Zeit des jeweiligen Ereignisses oder kurz danach entstanden sind, oft als ‚Primärquellenǥ. ‚Sekundärquellenǥ sind Arbeiten anderer, späterer Autoren. Allerdings sind dies nur praktische und nicht besonders durchdachte Sammelbegriffe, denn die Trennlinie zwischen beiden Quellenarten ist schwer zu ziehen, und ‚Sekundärquellenǥ sind ebenfalls ‚Primärquellenǥ ihrer eigenen Zeit.“ Chris Lorenz, Art. Heuristik, in: Jordan (Hrsg.), Lexikon (2002), S. 139–141, hier S. 140: „Später im 19. Jahrhundert verstand man unter H. meistens die verschiedenen Zugänge zu den Quellen, wie z. B. zu Archivverzeichnissen, Bibliographien […]. In der H. bildeten sich Unterscheidungsbegriffe für Quellen heraus, z. B. die Differenzierung zwischen ‚Überrestǥ und ‚Traditionǥ, schriftlichen und nichtschriftlichen Quellen, primären und sekundären, direkten und abgeleiteten Quellen […]. || Diese Unterscheidungen erwiesen sich im Lauf des 20. Jh. als problematisch. In dem Maße, in dem Quellen zunehmend als vielfältige Informationsträger verstanden wurden, wurde auch klarer, dass die Klassifizierung einer Quelle von der Fragestellung des Historikers abhängt: Ein Taufregister etwa kann als direkte Quelle für die Kirchengeschichte einer Gemeinde dienen, aber auch indirekte Quelle für die demographische Geschichte (z. B. zur Berechnung durchschnittlicher Familiengrößen). Eine Quelle liefert also nur mit Bezug auf eine bestimmte Fragestellung Informationen über Vergangenheit.“ Martina Hartmann, Mittelalterliche Geschichte studieren (UTB basics), Konstanz 2004, S. 118f.: „Eine weitere Unterscheidung ist die zwischen Primär- und Sekundärquellen. Was damit gemeint ist, lässt sich am besten an einem Beispiel verdeutlichen: Für die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem berühmten Ereignis von Canossa 1077 ist der Brief des Papstes an die deutschen Fürsten, in dem er die Vorgänge schildert, eine Primärquelle, da sie nicht nur von einem Augenzeugen, sondern sogar von einem Beteiligten verfasst wurde. Was dagegen Otto von Freising († 1158) in seiner Weltchronik darüber schreibt, ist hier Sekundärquelle, denn er handelt über die Vorgänge knapp 70 Jahre später in Kenntnis der weiteren Ereignisse und Auseinandersetzungen zwischen Heinrich und Gregor; seine Sichtweise ist jedoch als Enkel Heinrichs IV. und Reichsbischof für bestimmte Fragestellungen ebenfalls von Bedeutung.“ Insgesamt scheint sich diese Unterscheidung aber etwas abgeschliffen zu haben. Vgl. Stefan Jordan, Einführung in das Geschichtsstudium, Stuttgart 2005, S. 57: „Als sekundäre Quelle bezeichnet man die sinngemäße Wiedergabe des Inhalts einer Quelle in einer anderen Quelle. Die Philosophiegeschichte bietet hierfür das bekannteste

297 worden war und das der systematischen Unterscheidung zwischen „Überrest/Denkmal“ und „Quelle/Tradition“ zugrunde lag. 211

4.2.3 „Ad fontes“ und „ad silvam“ Die Beschäftigung mit der Geschichte des Materials ist bis heute auf die engeren editorischen und quellenkundlichen Fachdebatten beschränkt geblieben. Wissenschaftsgeschichtlich resultierte daraus eine relative Unvertrautheit mit den in diesen Zusammenhängen bedeutsamen Phänomenen und der sie beschreibenden zeitgenössischen Terminologie. Beim Stand der Dinge gibt es etwa keinen Hinweis darauf, dass, mit Thomas Rathmann und Nikolaus Wegmann, „‚Fonsǥ als Terminus der Rhetorik“ zu begreifen sei „und dort im weitesten Sinn [als] eine Bezeichnung für textgenetische Ab–––––––—

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Beispiel. Von Sokrates weiß man, dass er seine philosophischen Auffassungen im Gespräch, also nicht-schriftlich, mitgeteilt hat. Demgemäß verfügen wir über keine Originalquellen des Sokrates mehr. Dass wir trotzdem Aussagen über seine Philosophie machen können, liegt daran, dass Schüler des Sokrates, allen voran Platon, in ihren Schriften die Gedanken des Meisters festgehalten haben. Ähnliches gilt für veröffentlichte Vorlesungen, die auf der Grundlage von Mitschriften entstanden. Sekundäre Quellen sind bei weitem nicht so zuverlässig wie primäre Quellen. Schließlich ist es möglich, dass Platon Gespräche des Sokrates erfunden hat und damit von fiktiven Ansichten seines Lehrers berichtet. Ebenso ist es vorstellbar, dass der Hörer einer Vorlesung oder Rede Inhalte falsch verstanden oder bestimmte Themen nicht aufgezeichnet hat, so dass Entstellungen der Vorlage entstanden sind.“ In beiden Fälle hätte man im klassischen Verständnis von Primärquellen gesprochen, da Jordan Produkte von Augen- und Ohrenzeugen thematisiert. Vgl. Johann Gustav Droysen, Historik. Die Vorlesungen von 1857 (Rekonstruktion der ersten vollständigen Fassungen aus den Handschriften), in: ders., Historik, hrsg. v. Peter Leyh, Bd. 1: Rekonstruktion der ersten vollständigen Fassung der Vorlesungen (1857). Grundriß der Historik in der ersten handschriftlichen (1857/1858) und in der letzten gedruckten Fassung (1882), Stuttgart-Bad Cannstatt 1977, S. 1– 393, hier S. 70f.: „Wir haben […] die beiden möglichen Formen bezeichnet, in denen uns Materialien zu historischer Forschung vorliegen. Die einen sind Quellen und wollen es sein, […] die anderen werden nur durch die Art unserer Benutzung dazu, sie sind an sich und nach ihrer Bestimmung nicht Quellen. Die Materialien sind entweder noch gegenwärtig unmittelbar vorliegende Reste ehemaliger Gegenwarten oder deren schon früher, vielleicht gleichzeitig gemachte Auffassungen und Verinnerlichungen. || Wir werden gut tun, uns zu einem festen Sprachgebrauch für diese Dinge zu entschließen. Es ist der Ausdruck Quellen allerdings in Übung, aber man braucht ihn doch überwiegend nur von schriftlicher und mündlicher Überlieferung. Wir wollen uns gewöhnen, Ü b e r r e s t e für die erste Art von Materialien zu sagen, Q u e l l e n für die schriftlichen und mündlichen Nachrichten(,) für die Erinnerungen. || Es versteht sich dabei von selbst, daß diese Auffassungen selbst zugleich als unmittelbare Monumente der Gegenwart, in der sie gemacht wurden, angesehen werden können, daß also für uns Livius zugleich Quelle ist für die alte römische Zeit, zugleich Denkmal dieser Augusteischen Zeit und dafür sehr lehrreich.“

298 hängigkeitsverhältnisse“ gedient habe.212 Problematischer noch ist die Aussage, dass die Gelehrten der Renaissance auf ihrer „passionate pilgrimage to the springs of classical culture […] were learning to give precedence to primary sources over copied or rehashed material and to follow them critically and selectively rather than blindly.“ 213 Hier gilt es, einige Klärungen zu leisten, ohne die der Zugriff der Bollandisten nicht zu verstehen ist. Sofern es um die Autoren der klassischen Antike ging, war es ein häufig beklagtes Dilemma humanistischer Gelehrsamkeit, dass diese allein in Form von Kopien und Abschriften aus älteren Kopien und Abschriften – und nicht selten auf fragmentarische Weise und in mäßiger Überlieferungsdichte – erhalten sind. 214 Im Vergleich mit den unvermittelt überkommenen „Steine[n] oder Metalle[n], die die dauerhaftesten aller Dinge sind, die beide die Kraft der Menschen kaum zu zerbrechen vermag“, 215 so Panvinio, konnten die Handschriften in ihren materiellen und formalen Dimensionen eine im günstigsten Fall mäßige Autorität für sich beanspruchen. 216 Autorität beanspruchten zunächst das klassische Latein und Griechisch, deren vollendete Beherrschung die Basis für die Schlüsseltechnik humanistischer Philologie abgab, die Emendation, 217 die nicht nur im Hinblick auf Texte antiker Provenienz zur Anwendung kam. Mit Sabine Vogel könnte beispielsweise auf das Jahr 1520 und den Lyoner Humanisten Matheus Quadri–––––––— 212

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Thomas Rathmann/Nikolaus Wegmann, Ad fontes – bona fides, in: „Quelle“. Zwischen Ursprung und Konstrukt. Ein Leitbegriff in der Diskussion, hrsg. v. dens. (Zeitschrift für deutsche Philologie. Beih. 12), Berlin 2004, S. 12–39, hier S. 14 Anm. 1. Diese sehen „Quelle“ als Terminus technicus im Neuhochdeutschen, deutlich zu spät, seit etwa 1800 etabliert. Vgl. auch Hartmann, Geschichte (2004), S. 117: „Unser Wissen über die Vergangenheit stammt aus den QUELLEN, ein Begriff, der im 19. Jahrhundert von Ernst Bernheim […] geprägt und dann immer wieder unterschiedlich definiert wurde.“ Bietenholz, Historia (1994), S. 157. Vgl. D’Amico, Theory (1988), S. 11f.; Vanek, Überlieferung (2005), S. 13; grundsätzlich Michael von Albrecht, Geschichte der römischen Literatur von Andronicus bis Boëthius. Mit Berücksichtigung ihrer Bedeutung für die Neuzeit, Bd. 2, München 2 1997, S. 1383. Vgl. Onofrio Panvinio, De his qui romanas antiquitates scripto comprehenderunt [1568]. La lettre – préface. Édition critique, in: Ferrary, Panvinio (1996), S. 49–62, hier S. 51: „[…] lapides et metalla, quae omnium durissima sunt, quaeque uix hominum uis frangere potest […].“ Vgl. ebd., S. 49: „Multos tam nostra et auorum, quam prisca aetate fuisse constat, qui urbis Romae situm, aedificia, imaginem, populique Romani res domi forisque praeclare gestas, publica, priuata, sacra, profana instituta tam in urbe quam extra, celebrata litteris prodiderunt. Quorum scripta quum ego partim uetustate uel consumpta uel deformata, partim non omnino perfecta nec satis diligenter perfecta, partim multis et longis uoluminibus distracta animaduertissem […].“ Vgl. Christopher Ligota, Von der Autorität zur Quelle. Die humanistische Auffassung des Textes, in: Wolfenbütteler Beiträge 8 (1988), S. 1–20, hier S. 15; Michele C. Ferrari, „Mutare non lubuit“. Die mediävistische Philologie der Jesuiten im frühen 17. Jahrhundert, in: Filologia mediolatina 8 (2001), S. 225–248, hier S. 230ff.

299 garius (Pseud.) verwiesen werden. Diesem galten die spätmittelalterlichen Handschriften, in denen er Texte des am Hof Karls IV. von Frankreich († 1328) tätigen Rechtsgelehrten Jean Faure († 1340) nachzulesen hatte, als schwer erkrankt: Anfangs […] bin ich von der ungeheuren Seuche so erschreckt worden, dass ich beinahe den Schritt zurückgehalten hätte und fürwahr die Fehler heftig auszurotten begehrte: dennoch wurde ich von diesen Verlockungen abgehalten, von diesen Antrieben gehemmt und von diesen Anreizen ferngehalten[.] Die unzähligen Solözismen und Fehler sprudelten freilich überall: So viele verdrehte, ja sogar zur Gänze verkehrte Buchstaben, Redeweisen und Äußerungen zeigten sich als entstellte Larven: dass ich mir vorkam, von libyschen Schlangenhorden umschlungen und von den Engen an den Thermopylen eingeschlossen zu werden […]. 218

Es kann daher nicht überraschen, dass die Art von „wissenschaftliche[m] Standard“, wie ihn „für die Bearbeitung von Texten die humanistische Textkritik durchgesetzt hatte“, 219 bei Quadrigarius zwar dazu führte, sich einige Handschriften aus Angers zu besorgen, aber um sodann „nach Kräften […] Fehlendes hinzuzufügen, Falsches zu verbessern, Überflüssiges herauszustreichen und zu eliminieren.“ 220 Dem nicht unähnlich äußerte sich der spätere Papst Sixtus V. (reg. 1585–1590) Felice Peretti in seiner 1579 publizierten Ambrosiusausgabe erfreut darüber, mancherlei Obskuritäten und Fehler der Überlieferung beseitigt und den authentischen Stil des Mailänder Kirchenvaters restituiert zu haben. Die Mauriner sollten später bemerken, dass Peretti, so Pierre Petitmengin, nicht „les fautes de la transmission, mais Ambroise lui-même“ korrigiert habe.221 In der Inkunabelzeit, als noch keine Variantenapparate in Gebrauch waren und die ersten Herausgeber sich nicht dem Vorwurf aussetzen wollten, aus Mangel an eigener Latinität mögliche Fehler – oder das, was als Fehler empfunden wurde – übersehen zu haben, wurden Ausgaben erstellt, die vermutlich als eine neue, dem zeitgenössischen Sprachgebrauch angepasste –––––––— 218

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Zitiert nach Sabine Vogel, Kulturtransfer in der frühen Neuzeit. Die Vorworte der Lyoner Drucke des 16. Jahrhunderts (Spätmittelalter und Reformation 12), Tübingen 1999, S. 162: „Primo […] immensa lue ita sum absterritus ut pene gradum represserim ac licet vehementer errores exstirpare cuperem: ipsis tamen illecebris deterrebar/ stimulis refrenebar/ atque incitamentis cohibebar Soloecismi nempe defectusque innumeri ubique scatebant: tot literarum dictionum orationumque conversarum/ immo prorsus eversam larve deformes extabant: ut mihi serpentum lybicos greges versari viderer/ thermopylas angustiis claudi […].“ (Übersetzung geändert). Vgl. zu dieser Metaphorik auch Vanek, Überlieferung (2005), S. 10f. Vogel, Kulturtransfer (1999), S. 161. Zitiert nach ebd., S. 162: „[…] pro viribus insudavi que deerant suggerere/ eversa reformare/ superflua expungere atque eliminare […].“ Vgl. Pierre Petitmengin, De adulteratis Patrum editionibus. La critique des textes au service de l’orthodoxie, in: Les Pères de l’Eglise au XVIIe siècle. Actes du colloque de Lyon 2–5 octobre 1991, hrsg. v. Emmanuel Bury/Bernard Meunier, Paris 1993, S. 17–31, hier S. 25.

300 Stufe der Rezeption zu bewerten sein dürften. 222 Diese Problematik führte zu zahlreichen Kontroversen. In seiner 1468 gedruckten und Paul II. (reg. 1464–1471) gewidmeten Ausgabe einiger Schriften des hl. Hieronymus bemerkte der damalige Bischof von Aleria Giovanni Andrea Bussi (1417–1475), dass er von seinen Freunden aufgefordert worden sei, die zunächst aus sehr unterschiedlichen Codices zusammengetragenen „kleinen Schriften und zahlreichen, hinreichend fehlerhaft geschriebenen Briefe des heiligen Hieronymus“ 223 in einen Zustand zu versetzen, der eine eingängigere Lektüre ermöglichte. 224 In der Dedikationsepistel des zweiten Bandes von 1470 kam Bussi dann auf die für ihn schwer zu begreifende Kritik zu sprechen, die an seinen Eingriffen, nach Erscheinen des ersten Bandes, offenbar geübt worden war. Für Bussi stand es, trotz aller Bedenken, außer Frage, dass diejenigen, die seine Ausgaben mit den von ihnen für gewöhnlich verwandten Handschriften verglichen und gemeinhin selbst über das Niveau der mittelalterlichen Kopisten zu klagen pflegten, in den von ihm präsentierten Texten eine Verbesserung erblicken mussten. 225 Der Bischof von Spionto Niccolò Perotti (1429/30–1480) schlug Paul II. noch im selben Jahr vor, das Amt eines päpstlichen Kommissars einzurichten. Dieser sollte es mit einer Art Vorzensur verhindern, dass historische Texte dort „verbessert“ würden, wo nach Ansicht Perottis inkompetente Herausgeber den Sinn ihrer Vorlagen nicht recht begriffen hätten. Im Übrigen galten ihm die neu-

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Vgl. ebd., S. 21f.; Albrecht Hausmann, Übertragungen. Vorüberlegungen zu einer Kulturgeschichte des Reproduzierens, in: Bußmann/Hausmann/Kreft (Hrsg.), Übertragungen (2005), S. XI–XX, hier S. XVIf. Iohannis Andreae Episcopi Aleriensis ad Paulum II Venetum Pontificem Maximum in Epistolarum divi Hieronymi primi voluminis recognitionem epistola, in: Giovanni Andrea Bussi, Prefazioni alle edizioni di Sweynheym e Pannartz prototipografi romani, hrsg. v. Massimo Miglio (Documenti sulle arti del libro 12), Cremona 1978, Nr. 1A, S. 3–5, hier S. 3: „[…] divi Hieronymi libellos epistolasque perplures mendose satis scriptas et ex diversissimis codicibus prius collectas, […].“ Vgl. ebd., S. 4: „[…] amici quidam ad me delatas impendio poposcissent, ut mea diligentia emendatiusculae redderentur, quo minore difficultate legi possent.“ Vgl. Iohannis Andreae Episcopi Aleriensis ad Paulum II Venetum Pontificem Maximum in recognitionem secundi voluminis Epistolarum et tractatum divi Hieronymi Presbiteri epistola, in: ebd., Nr. 1B, S. 5–11, hier S. 6: „Qui si attente perlegerint duo iam nostra divi Hieronymi vigiliarum volumina praeclara contulerintque cum iis libris qui prius vulgo lectitabantur, secus, mea opinione, iudicabunt. Perspicientes enim ipsum iam tunc graviter queri de quorundam importunitate librariorum qui paene in ipsius oculis ac cellula codices suos corrumperant ut vix sensus ullus elici posset, forsitan nos aliquid egisse grata conscientia pronuntiabunt.“ Vgl. zu Bussi Massimo Miglio, Premesse, in: ebd., S. XI-LXXI; in jüngerer Zeit Anna Modigliani, Tipografi a Roma (1467–1477), in: Gutenberg e Roma. Le origini della stampa nella città dei papi (1467–1477), hrsg. v. Massimo Miglio/Orietta Rossini, Neapel 1997, S. 41–66, hier S. 42ff.

301 artigen herausgeberischen Vorworte als eine „Verunstaltung“ („deformitas“), die er aus den Ausgaben herauszureißen pflegte. 226 Die Zurückhaltung, die den humanistischen Philologen heute im Umgang mit der Tradition zugestanden wird, sich nur „als letzte Möglichkeit der Textheilung die durch historische Argumente fundierte Konjektur“ vorbehalten zu haben, 227 konzedierten sich diese in ihren Debatten wechselseitig nur bedingt. Ende des 16. Jahrhunderts bezeichnete der an der Universität Altdorf Institutiones lehrende Jurist und Philologe Konrad Rittershausen (1560–1613) in seiner kurzen Monitio de varietate lectionum von 1597 neben dem Wirken der mittelalterlichen Schreiber auch die Tätigkeit der zeitgenössischen „Kritiker“ („critici“) als Ursache für die seines Erachtens progredierende Verderbnis der Texte. 228 Gut anderthalb Jahrhunderte zuvor hatte Lorenzo Valla (1407–1457) im Grundsatz ähnlich argumentiert, als er mit dem Antidotum in Facium eine Polemik gegen Bartolomeo Facios (vor 1410–1457) und Antonio Beccadellis „il Panormita“ (1394–1471) Arbeiten an Livius’ Libri ab urbe condita verfasste. Diese hatten von dem 1444 durch Cosimo de’ Medici (1389–1464) an den Hof König Alfons’ V. von Neapel (reg. 1442–1458) gelangten Codex regius (Codex mediceus) ihren Ausgang genommen. 229 Valla demonstrierte angesichts Facios und Panormitas Emendationen die gleiche Fassungslosigkeit, mit der man in diesen Kreisen die vermeintliche Unbildung der mittelalterlichen librarii zu tadeln pflegte. 230 Bei einem großen Teil der von Valla selbst vorgeschlage–––––––— 226

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Vgl. John Monfasani, The First Call for Press Censorship. Niccolò Perotti, Giovanni Andrea Bussi, Antonio Moreto, and the Editing of Pliny’s „Natural History“, in: RQ 41 (1988), S. 1–31, hier S. 2–13. Vgl. auch Rice, Jerome (1985), S. 122f. Vgl. Muhlack, Geschichtswissenschaft (1991), S. 352; vgl. auch Kristof Nyíri, Introduction: Notes towards a Theory of Traditions, in: Tradition. Proceedings of an International Research Workshop at IFK. Vienna, 10–12 June 1994, hrsg. v. dems., Wien 1995, S. 7–32, hier S. 16: „With the age of print >…@ there arises >…@ the possibility of >…@ a hitherto unknown world of reliable and constant texts.“ In der Forschung wird insgesamt ein sehr harmonisches Bild, was das Verhältnis von Buchdruck und humanistischer Gelehrsamkeit anbelangt, vertreten. Vgl. Stephan Füssel, „Dem Drucker aber sage er Dank …“. Zur wechselseitigen Bereicherung von Buchdruck und Humanismus, in: Artibvs. Kulturwissenschaft und deutsche Philologie des Mittelalters und der frühen Neuzeit. Festschrift für Dieter Wuttke zum 65. Geburtstag, hrsg. v. dems./Gert Hübner/Joachim Knape, Wiesbaden 1994, S. 167–178; ders., Ein wohlverdientes Lob der Buchdruckerkunst, in: Humanismus und früher Buchdruck. Akten des interdisziplinären Symposions vom 5./6. Mai 1995 in Mainz, hrsg. v. dems./Volker Honemann (Pirckheimer-Jahrbuch 11, 1996), Nürnberg 1997, S. 7–14. Vgl. Vanek, Überlieferung (2005), S. 19f. Vgl. d’Amico, Theory (1988), S. 14f.; zur Handschrift Robert Maxwell Ogilvie, Praefatio editoris, in: Titi Livi ab urbe condita, Tomus I: Libri I–V, recognovit et adnotatione critica instruxit Robertus Maxwell Ogilvie (Scriptorum classicorum bibliotheca Oxoniensis), Oxford 1974, S. V–XXIV, hier S. VIII. Vgl. Laurentii Valle Antidotum in Facium, hrsg. v. Mariangela Regoliosi (Thesaurus mundi. Bibliotheca scriptorum latinorum mediæ et recentioris ætatis 20), Padua 1981. Valla zitierte zunächst Passagen aus der Handschrift (kursiv), ehe er seine Lesarten

302 nen Emendationen handelte es sich dabei um emendationes ope ingenii, die mit der Formel „credo“ eingeleitet wurden. 231 Diese Kontroversen resultierten aus dem Ringen mit einer Technik, deren Resultate von nur relativer Nachvollziehbarkeit waren. Denn in ihrer Substanz beruhte sie auf der Sprachkompetenz und Bildung derer, die sie benutzten. Ein Zeitgenosse wie Angelo Poliziano (1454–1494), dem außergewöhnliche Akribie zu eigen war, operierte für seine Studien zu Ciceros De officiis mit vier Manuskripten. Er schuf Emendationen, die bis heute als optimal betrachtet werden können und mit denen er manche verunklarte Wortkombination zu erläutern vermochte, für die sich in keiner der ihm vorliegenden Handschriften eine sinnvolle Lesung gefunden hatte.232 Beatus Rhenanus (1485–1547) hatte für seine 1526 gedruckten Annotationes zu Plinius’ Naturalis historia eine – heute verlorene – Handschrift aus der elsässischen Benediktinerabtei Murbach erhalten. Ähnlich wie im Falle Polizianos gestattete ihm das Studium der Schreibung einzelner Buchstaben, Mutmaßungen über die Entstehung unverständlicher Wort- und Satzgefüge anzustellen. Seine Emendationen waren das Resultat eines Vergleichs dieser Handschrift, die vermutlich auch die Grundlage für die 1525 publi–––––––—

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vorstellte und mit denen Facios und Panormitas verglich. Vgl. mit der Kritik an deren Fähigkeit, die Handschriften zu lesen, ebd., S. 334, Nr. (42): „Omnes igitur clausi undique commeatus erant, nisi quos Pado naves subvehere. Temporium prope Placentiam fuit et opere magno munitum et valido munitum presidio. Vos nihil aliud quam dempsistis illud T, ut ‚Emporiumǥ tantum esset, non intelligentes litteram illam ad precedentem pertinere dictionem et, quia figure maiuscule erat, fuisse apicem cum littera coniunctum scriptumque reliquisse auctorem ‚subveherentǥ. Preterea ‚munitumǥ, quia iteratum est, mutastis in ‚firmatumǥ, ego muto in ‚militumǥ.“ Die heutige Lesart entspricht weitgehend derjenigen Facios und Panormitas. Vgl. Titi Livi ab urbe condita, Tomus 3: Libri XXI–XXV, recognoverunt et adnotatione critica instruxervunt Carolus Flamstead Walters/Robertus Seymour Conway (Scriptorum classicorum bibliotheca Oxoniensis), Oxford 1929, lib. XXI, c. 57,5–6 [keine Paginierung]: „[…] Pado naues subueherent. Emporium prope Placentiam fuit et opere magno munitum et ualido firmatum praesidio.“ Ferner monierte Valla, neben orthographischen Unrichtigkeiten, die Tatsache, dass einige nur scheinbar fehlerhafte Schreibungen der Handschrift „korrigiert“ worden seien. Vgl. Valla, Antidotum, ed. Regoliosi (1983), S. 334, Nr. (43): „Deinde ut tandem agitando sese movere ac recipere animos et raris locis fieri ceptus est ignis ad alienam quisque opem tendere. Vos quasi mendosa scriptura sit, mutastis ‚recipereǥ in ‚accepereǥ, opinantes esse preteriti temporis ‚movereǥ, cum sit infinitivum aut referendum ad illud ‚ceptus estǥ, ut sit ‚sese movere ac recipere animos ceptum estǥ, aut accipiendum pro ‚movebatǥ. Ite nunc et me reprehendite tanquam nescientem tali infinitivo uti, qui vos hoc ipsum doceo. Taceo mille in locis vestrum in orthographia errorem.“ Dies entspricht der heutigen Lesart. Vgl. Livius, Ab urbe condita, ed. Walters/Conway (1929), lib. XXI, c. 58,10. Vgl. etwa ebd., S. 328, Nr. (2): „Deinde brevi effecit ut pater in se minimum monumentum ad favorem conciliandum esset. Credo ‚momentumǥ esse scribendum.“ Ebd., Nr. (6): „Partitis divendendisque reliquis prede. Credo ‚divenditisǥ.“ Beide Emendationen Vallas entsprechen den heutigen Lesungen. Vgl. Livius, Ab urbe condita, ed. Walters/Conway (1929), lib. XXI, c. 4,2; lib. XXI, c. 21,2. Vgl. d’Amico, Theory (1988), S. 25.

303 zierte Textausgabe des Erasmus von Rotterdam (1469–1536) gewesen war, mit der Textausgabe Nicolas Béraults (um 1470–1545) von 1516 auf der einen Seite und den Emendationen der italienischen und französischen Humanisten des späten 15. und früheren 16. Jahrhunderts. Der verderbte und korrekturbedürftige Zustand des Manuskripts stand für Beatus zwar außer Frage. Allerdings konstatierte auch er, dass die weithin übliche, nahezu ausschließlich nach Maßgabe des eigenen Sprachvermögens gestaltete Praxis des Emendierens und Konjizierens Gefahr laufe, in eine sich allein als Verbesserung verstehende Stufe der Korrumpierung der Texte zu münden. 233 Auf welche Weise genau sich diese humanistischen Vorgehensweisen von den auch im Mittelalter gepflegten Techniken unterschieden, mittels Vergleichs verschiedener Manuskripte purifizierte Texte zu gewinnen – mit dem bekanntesten Beispiel der Bibelreform unter Karl dem Großen –, ist gegenwärtig kaum zu sagen. 234 Ein Unterschied dürfte allerdings darin bestanden haben, dass aus diesen Fragen ein systematischer Diskussionszusammenhang erwuchs, der das Selbstverständnis der frühneuzeitlich dominierenden Bildungsschicht entscheidend prägte. Der Buchdruck wirkte insofern stabilisierend, als er nicht zwangsläufig großartige, in jedem Fall aber überindividuell verfügbare Versionen in Umlauf brachte, auf die man sich beziehen konnte. Dies bedeutete, dass im Laufe des 16. Jahrhunderts keineswegs fortlaufend neu erarbeitete Textausgaben auf den Markt gebracht wurden. Vielmehr konnte der eine oder andere handschriftliche Fund, und sei es auch nur in Gestalt früher humanistischer Manuskripte, zum Anlass genommen werden, um ältere Ausgaben zu reproduzieren, die allein mit neuen Vorschlägen der Emendation, mit variae lectiones oder mit weiteren inhaltlichen Erläuterungen ausgestattet wurden. 235 Lipsius standen für seine Anmerkungen zu Tacitus’ Historiae nach eigener Aussage drei Manuskripte zur Verfügung. Eines stammte aus der Bibliotheca Farnesiana und zwei kamen aus der Vaticana. Das eine der beiden letzteren, so meinte Lipsius, sei an Alter und Güte dem anderen unterlegen, während dieses als –––––––— 233 234

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Vgl. ebd., S. 72–81, 86–90; Vanek, Überlieferung (2005), S. 28. Vgl. Franz Ronig, Bemerkungen zur Bibelreform in der Zeit Karls des Großen. Funktion und Ikonologie, in: 799. Kunst und Kultur der Karolingerzeit. Karl der Große und Papst Leo III. in Paderborn. Beiträge zum Katalog der Ausstellung Paderborn 1999, hrsg. v. Christoph Stiegemann/Matthias Wemhoff, Mainz 1999, S. 711–717. Der Anspruch, die als sprachlich verunklart empfundenen älteren Geschichtswerke in ihrer Latinität verbessern zu müssen, lag etwa auch der Chronik Aimoins von Fleury zugrunde. Vgl. Aimoini monachi Floriacensis de gestis regum Francorum libri IV, Rerum Gallicarum et Francicarum scriptores, nouv. ed., Bd. 3, 1869, S. 21: „[…] res gestas gentis sive Regum Francorum, quæ et per diversos sparsæ Libros, et inculto erant sermone descriptæ, in unius redigerem corpus Opusculi, ac ad emendatiorem Latinitatis revocarem formam.“ Vgl. Ferrari, Philologie (2001), S. 231.

304 älter zu betrachtende aus der „inneren und geheimen Bibliothek“ herrührte. Aufgrund seines „bewundernswert[en]“ Zustands sei es vielfach zu bevorzugen gewesen. Diese Handschriften habe er mit dem – von ihm vollständig reproduzierten primären – Text der 1494 in Venedig gedruckten Ausgabe abgeglichen, die aufgrund des bekannten Mangels an Manuskripten die nach wie vor entscheidende sei. 236 Neben historischen Argumenten, die für oder gegen eine Lesart sprechen konnten, handelte es sich bei Lipsius’ Anmerkungen, immer gemessen am Textbestand des alten, von ihm reproduzierten Drucks, teils um Varianten im engeren Sinn, die in pauschaler Form auf alternative, in „variis codicibus“ vorzufindende Lesarten zurückgeführt wurden. 237 Teils – und keineswegs in Ausnahmefällen – schlug Lipsius aber auch Lesarten vor, die vordringlich oder ausschließlich seiner persönlichen –––––––— 236

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C. CORNELII TACITI || HISTORIARVM || ET ANNALIVM LIBRI || QVI EXSTANT, || IVSTI LIPSII || Studio emendati & illustrati: || Ad Imp. Maximilianum II. Aug. P. F. || EIVSDEM TACITI LIBER DE || MORIBVS GERMANORVM. || IVLII AGRICOLÆ VITA. || INCERTI SCRIPTORIS DIALOGVS DE || ORATORIBVS SVI TEMPORIS. || Ad C. V. Ioannem Sambucum. || ANTVERPIÆ, || Ex officina Christophori Plantini, Architypographi Regij. M. D. LXXIV. Ivsti Lipsi in Cornelii Tacit. Hist. lib. notæ, ebd., S. 643–692. Quibus lectionum varietas & emendationum ratio explicatur. Ad lectorem monitio, ebd., S. 643–646, hier S. 643f.: „Vsus sum Romæ tribus cod. mß. Bibliothecæ Farnesianæ primus fuit, quem beneficio C. V. & humanißimi Fuluij Vrsini sum aptus: duo alij promti ex illo thesauro Musarum, Vaticano. Sed alteri ex his duobus neque ætas neque bonitas eadem fuit: alter ex interiore & arcana bibliotheca, admirabile dictu est, quas notas boni & sinceri codicis sæpe prætulerit. […] His tribus acceßit editio Veneta vetus, anni ’. CCCC. XCIIII. quam adhibere vice libri scripti ideo non piguit, quòd inter studiosos harum rerum constet, Taciti manuscripta exemplaria spißò & vix in Europa inueniri.“ Neben dem ältesten Überlieferungsträger, dem Codex Mediceus II (Codex Laurentianus 68,2), der zwischen 1038 und 1058 entstand, besteht die Überlieferung ausschließlich aus seit dem 15. Jahrhundert angefertigten Abschriften und deren Kopien. Welche davon Lipsius benutzt hat, war mit den hier eingesehenen Ausgaben nicht zu klären. Heute scheinen vier solcher Abschriften in der Vaticana erhalten (V58, V63, V64, V65). Die erste (V58) befindet sich in einer von Bussi angelegten Sammelhandschrift (Vaticanus Latinus 1958) aus dem Jahr 1449, die der Textausgabe von 1467 zugrunde lag. Vgl. Heinrich Heubner, Praefatio, in: P. Cornelii Taciti libri qui supersunt, tom. II, fasc. 1: Historiarum libri, hrsg. v. dems. (Bibliotheca scriptorum Graecorum et Romanorum Teubneriana), Stuttgart 1978, S. III–IX, hier S. III–VII; Kenneth Wellesley, Praefatio, in: Cornelii Taciti libri qui supersunt, tom. II, pars prima: Historiarum libri, hrsg. v. dems. (Bibliotheca scriptorum Graecorum et Romanorum Teubneriana), Leipzig 1989, S. V–VIII, hier S. VII, zu Lipsius. Aufgrund dieser Situation repräsentieren die Variantenapparate noch der heutigen Ausgaben weniger Textvarianten im historischen Sinn, sondern Varianten humanistischer Versuche der Emendation und Transkription. Vgl. Ivsti Lipsi [!] ad lib. I. histor. notæ, in: Tacitus, Historiarum et Annalium libri, emend. et illustr. Lipsius, 1574, S. 647–659, hier S. 647: „pag. 15 […] || lin. 30. Aggredior plenum variis casibus. Var. cod. Aggredior opibus casibus. suprà adnotatum opimum casibus. quæ lectio aliquid monstri alit.“ Vgl. P. Corneli. [!] Taciti ab excessv Neronis historiar. lib. primvs, ebd., S. 15–59, hier S. 15: „Opus aggredior plenum variis casibus, atrox prœliis, discors seditionibus, ipsa etiam pace sæuum.“

305 Sprachkompetenz geschuldet waren. Ob er dabei ausnahmslos den Anspruch erhob, „genuine“ Lesarten zu restituieren – indem er etwa der Form averseris gegenüber dem adverseris der Ausgabe Venedig den Vorrang einzuräumen geneigt war 238 –, sei dahin gestellt. In jedem Fall konstituierte sich auf diesen und ähnlichen Wegen, neben den traditionellen theologischen oder rechtlichen Kommentaren, der genuin philologische und historiographische Kommentar, der sich in selbstständigen wie unselbstständigen Formen um den Bildungskanon des Humanismus herum entwickelte. 239 Von „Quelle“ („fons“) als einem die Überlieferung in ihrer materiellen Qualität bezeichnenden Abstraktum war in diesen Zusammenhängen allerdings keine Rede. In dem einzig vorliegenden Beitrag zum humanistischen Verständnis von fons skizzierte Christopher Ligota 1988 die Linien der Verwendung eines durchaus exklusiven Worts, das in einem kulturellen und übertragenen Sinn das Streben zu den Anfängen oder Ursprüngen der klas–––––––— 238

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Vgl. Ivsti Lipsi ad lib. I. histor. notæ, ebd., S. 647: „pag. 15 […] || lin. 19. Facilè aduerseris. Malim, Auerseris.“ Ebd., S. 657f.: „pag. 52 […] || lin. 23. Imagines Neronis proponerent. Lego, reponerent. || lin. 26. Cognoscendi pudore. Scribo, adgnoscendi. || p. 53. l. 15. Ibi sæuitia, hic miseria. Mutilus locus, & præsto legendum esse, Ibi sæuitia hiemis, hic miseria vulnerum.“ Vgl. P. Corneli. Taciti ab excessv Neronis historiar. lib. primvs, ebd., S. 15: „Ita neutris cura posteritatis inter infensos vel obnoxios. Sed ambitionem scriptoris facilè aduerseris.“ Ebd., S. 52: „Creditus est etiam de celebranda Neronis memoria agitauisse, spe vulgum alliciendi. Et fuere qui imagines Neronis proponerent: atq[ue] etiam Othoni quibusdam diebus populus & miles tanquam nobilitatem ac decus astruerent, NERONI OTHONI acclamauit. Ipse in suspenso tenuit, vetandi metu vel cognoscendi pudore.“ Ebd., S. 53: „Ibi sæuitia, hic miseria vulnerum absumti.“ Vgl. Völkel, Paratexte (2003); vgl. mit einem allgemeineren Überblick ders., Kommentar (2006). Ein Desiderat in der Auseinandersetzung mit diesem erst an Kontur gewinnenden Thema bleibt auch hier die Frage nach den Unterschieden und Gemeinsamkeiten, die zwischen den Gattungen der Renaissance und der reichen kommentierenden Literatur des Mittelalters bestanden haben könnten. Letztere widmete sich bekanntlich nicht nur der Bibel oder patristischen Texten. Vgl. etwa Ralph J. Hexter, Ovid and Medieval Schooling. Studies in Medieval School Commentaries on Ovid’s „Ars Amatoria“, „Epistulae ex Ponto“, and „Epistulae Heroidum“ (Münchener Beiträge zur Mediävistik und Renaissance-Forschung 38), München 1986. Zu scharf wird die Linie von Ann Blair, The Collective Commentary as Reference Genre, in: Häfner/Völkel (Hrsg.), Kommentar (2006), S. 115–131, hier S. 115, gezogen. Nach Blair sind die sich seit dem späten 15. Jahrhundert popularisierenden Sammlungen der Variae lectiones als genuines Produkt humanistischer Antikenrezeption zu bewerten: „The continuous commentary on a text is the most widespread and longlived model […] of classical and biblical text as well as more recent ones. Less wellstudied is an alternative type of commentary, with roots in antiquity but no medieval instantiation, in which selected passages from different authors are the object of discussion, […].“ Vgl. zu einschlägigen Formen des Mittelalters im Überblick die je von verschiedenen Autor/innen bestrittenen Art. Anthologie, in: LexMA, Bd. 1, 1980, Sp. 695–699; Florilegien, in: LexMA, Bd. 4, 1989, Sp. 566–572; Kommentar, in: LexMA, Bd. 5, 1991, Sp. 1279–1283; Jean Gribomont, Art. Bibel. B. Bibel in der christlichen Theologie. c. Bibelkommentare, d. Bibelkatenen, f. Bibelkorrektorien, in: LexMA, Bd. 2, 1983, Sp. 43–45.

306 sischen Gelehrsamkeit bedeutete – fons war eine kulturalistische Metapher. Francesco Petrarca († 1374) schloss demnach an eine bereits von Cicero benutzte Bildlichkeit an, als er diesen selbst und seine der Zeit enthobene Vorbildhaftigkeit – und nicht die seine Worte tradierenden mittelalterlichen Manuskripte – als Quellen formvollendeter Latinität bezeichnete: „Aus deinen [Ciceros] Quellen nämlich bewässern wir die Wiesen“. 240 Um das Verhältnis von Ursprünglichkeit und kulturellem Derivat zu beschreiben, hatte es Cicero in den Academica empfohlen, den Weg nach Griechenland einzuschlagen, um die Philosophie dort „a fontibus“ zu schöpfen. 241 Nach Ligota machte Erasmus in den Adagia die Vorlieben auch des hl. Hieronymus für das Bild der Quelle bekannt. Es bezog sich in seinem Fall auf die sprachlichen Vermittlungsstufen der unterschiedlichen Bibelübersetzungen. Das auf die „Quelle“ des Hebräischen zurückgehende „Alte Testament auf Latein, aus dem Griechischen […] übersetzt, bildet eine secunda a fonte lacuna, das Neue – wo das Griechische die Originalsprache ist – eine prima lacuna.“ 242 Die Wende von einem bildlichen Gebrauch zu einem Eigenwort in historiographischen Zusammenhängen ist wahrscheinlich nicht im Lateinischen zu suchen. Bolland wandte sich mit drei kleineren Allegorien, in denen die Acta Sanctorum als die Verkörperung einiger roher, noch nicht kultivierter Stoffe in Szene gesetzt wurden, an seine Leserinnen und Leser. Es sei nun an ihnen, die von Bolland präsentierten Stoffe für sich und andere zum Nutzen zu gestalten und zu formen: Ich mache also die Quelle des reinen und heilsamen Wassers kenntlich, die aber in einem dunklen Wald verborgen liegt, umsäumt von dichtem Strauchwerk, voll Moos, an abgelegener Stelle, mit beschwerlichem Zugang, durch keine Wannen oder Einfassungen oder andere Werke umfriedet, von der Art freilich, dass du wünschtest, in der Lage zu sein, ohne Umstände aus ihr zu schöpfen, dass du begehren wirst, Wasser abzuleiten, durch diese Rinnen, durch steinerne, hölzerne, bleierne, silberne; um daraus entweder auf der Suche nach Beispielen für die vorzüglichsten Tugenden oder im Griff nach der Feder diesen Stoff zum Nutzen anderer, zur Ehre der Himmlischen zuzurichten; unter dieser Bedingung allerdings, dass du niemals die Quelle selbst verbaust; aber wenn aus einem angrenzenden Pfuhl irgendein Wasserlauf mit Macht eingedrungen oder arglistig hineingeleitet worden ist, wenn der schädliche Schattenwurf

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Vgl. Francesco Petrarca, Le Familiari, Bd. 4: Libri XX–XXIV e indici, hrsg. v. Umberto Bosco (Edizione nazionale delle opere di Francesco Petrarca 13), Florenz 1942, S. 228, lib. XXIV, c. 4,4: „O romani eloquii summe parens, nec solus ego sed omnibus tibi gratias agimus, quicunque latine lingue floribus ornamur; tuis enim prata de f o n t i b u s i r r i g a m u s , tuo ducatu directos, tuis suffragiis adiutos, tuo nos lumine illustratos ingenue profitemur; […].“ Vgl. Ligota, Autorität (1988), S. 1. Cicero, Academica, ed. Reid (1885), lib. I, c. 2,7–8, S. 97f.: „Totum igitur illud philosophiae studium mihi quidem ipse sumo et ad vitae constantiam quantum possum et ad delectationem animi […]. Sed meos amicos in quibus est studium, in Graecam mitto, id est, ad Graecos ire iubeo, ut ea a fontibus potius hauriant quam rivulos consectentur.“ Vgl. Ligota, Autorität (1988), S. 2.

307 irgendeines Baumes sie verdeckt, wenn irgendetwas anderes ihren Geschmack verdorben oder ihren Nutzen unterbunden hat, sollst du dem Abhilfe schaffen, so, wie es sich schickt: wenn irgendetwas von Halbgebildeten oder unkundigen Kopisten ergänzt, verkürzt oder verändert worden ist, solltest du es bemerkt haben; sei es, dass du selbst es verbesserst, sei es, dass du es uns bedeutest.243

Die Acta Sanctorum waren aber nicht nur eine „Quelle“, sondern auch eine „Ader kostbaren Metalls“, das zu ergraben, aus dem Gestein zu kochen und zu läutern sei. Aus diesem Metall könnten, so Bolland, Münzen geschmiedet werden, um sie als Sühne für bisherige Verfehlungen zu verwenden oder gegen Erlangung des Heils einzutauschen. Aus ihm könnten Gefäße angefertigt werden, die bei „himmlische[n] Schmäuse[n]“ zu benutzen seien, aber auch Waffen geschmiedet, durch deren Glanz „die Augen der Gegner“ geblendet würden. 244 Letztlich waren die Acta Sanctorum auch ein „schattige[r] und dichte[r] Wald“. In ihn, der „für viele Jahre, ja Jahrhunderte unbeschlagen“ geblieben sei, könne man sich zurückziehen, um zur Ruhe zu kommen und den weltlichen Begierden zu entfliehen. Man könne jedoch auch, so Bolland, einige Bäume fällen, um an dieser Stelle ein Haus und eine Heimstatt zu errichten, um ein Feuer zu entzünden, das aus dem Herzen die das Seelenheil gefährdende „Kälte“ vertreiben würde, oder um ein Schiff zu bauen, mit dem man in den „Hafen der Erlösung“ gelangte. 245 Die Acta Sanctorum stellten also nicht die Restituierung einer höheren Stufe der Zivilisiertheit in Aussicht, sondern bedeuteten den Weg zu einem verwilder–––––––— 243

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Bolland, Praefatio, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, S. XXVa: „Fontem igitur demonstro, puræ quidem aquæ & salubris, sed in obscurâ latentem silua, densis septum frutetis, musco obsitum, auio loco, difficili aditu, nullis labris aut marginibus aliisve operibus conclusum, ita tamen vt haurire ex eo facilè queas, aquamque deducere, quibus voles canalibus, lapideis, ligneis, plumbeis, argenteis; inde aut virtutum præstantissimarum petendo exempla, aut materiam sumendo quam stylo exornes ad aliorum vtilitatem, Diuorum honorem; eâ lege tamen, ne ipsum vnquam obstruas fontem; sed si quæ fortè è vicinâ palude vena influxit, aut malitiosè inducta, si cuius arboris noxia eum vmbra texit, si quid aliud saporem eius vitiauit, vsumve interclusit, medelam afferas quà licet: si quid à sciolis aut imperitis librariis adiectum, recisum, mutatum deprehenderis; aut ipse emendes, aut nos moneas.“ Vgl. ebd., S. XXVb: „Venam diuitis metalli ostendo: refode eam tu, excoque, vtere. Si quid terrestris scoriæ admixtum, secerne: si quid minus à me depurgatum, (& sunt pluscula, fateor) excute tu diligenter: verte in quæ voles opera; siue nummos cudere animus est, quos trapezitæ illi Regi annumeres æternarum possessionum pretium, quibusve nomina multis iam noxis peccatisque facta dissoluas; siue vasa magnificé elaborare, quæ ad cĊlestes, etiam Numinis ipsius, epulationes adhibeantur, seu denique arma fabricari, iisve splendorem addere, quo aduersariorum præstringas oculos, & gloriosum triumphum reportes; quod voveo.“ Vgl. ebd.: „In siluam duco, opacam & densam, & multos per annos, imò secula, inciduam. Hîc si te vmbra delectat, amœnè conquiesces, æstumque curarum forensium & cupiditatum temperabis. Sin cædere arbores lubet, ius fasque est, & in quos voles vsus; seu nauim cupies fabricari, quâ ad destinatum salutis portum vehare; seu domum ædificare, in quâ tibi viuas, non semper hospes tuiipsius, & rerum tuarum ignarus; seu quod denique aliud moliri opus, siue solum ignem facere, quo frigus pellas, animi, inquam, maximè periculosum; affatim materiæ est.“

308 ten locus amœnus, dessen Kultivation und Nutzung den Gläubigen überlassen war. Die Metaphorik der Quelle konnte allerdings sehr wohl auch auf Prozesse der schriftlichen Tradition bezogen werden. An anderer Stelle erklärte Bolland, aus welchem Grund er sich der zeitgenössischen Kritik an der Legenda aurea nicht anschließen wollte. Anhand ihrer erläuterte er jenen Aspekt traditionaler Prozesse, der d’Argonne und Mabillon einige Jahrzehnte danach zu der Empfehlung veranlassen sollte, spätere Versionen älterer Texte nicht prinzipiell zu missachten, denn: dass dieser [Jacob] gleichwohl alten Denkmälern gefolgt sein dürfte, bezweifle ich nicht, und ich bemerke, dass sehr viele seiner Historien mit alten und ursprünglichen zur Deckung kommen: ich habe nicht alle geprüft, aber es ist auch nicht notwendig, die Bächlein zu verfolgen, wenn ich die Quelle gefunden habe: aber sobald ich in diese [Bächlein] hineingeraten bin, dürfte es nützen, darauf zu achten, ob sie sogar aus dieser [Quelle] abgeleitet worden sind, ob sie nicht als mit Kot versetzte dahin fließen, nicht in trägem Gleiten kriechen, nicht sumpfiges Wasser von anderswoher mit sich führen: dass daher dieses Vertrauen, sage ich, den Verfassern von gekürzten oder paraphrasierenden Fassungen entgegengebracht werden sollte, meine ich aufgrund der Zusammenschau der Schriften der Alten mit ihren eigenen. Ich denke also, dass die Legenda häufig zu Unrecht in den Urteilen der Neueren Schläge bezieht. 246

Auf ähnliche Weise hatte sich knapp ein halbes Jahrhundert vor Bolland der Augsburger Antiquar Marcus Welser (1558–1614) 1595 in seiner Ausgabe von Eugippius’ († nach 533) Vita des hl. Severinus († 482) geäußert: Nachdem wir durch die Gunst der Freunde ein altes handschriftliches Buch erlangt haben, aus der Bibliothek des Regensburger Klosters St. Emmeram, in dem, zusammen mit zahlreichen anderen Viten der Heiligen, auch die des Severinus aufgeschrieben worden war, haben wir darauf gehofft, Gnade bei den Einzuweihenden zu finden, zunächst bei denjenigen, die sich um die vormalige Frömmigkeit bemühen, ferner bei den die alte Geschichte liebenden Menschen, die, wie nicht zu bezweifeln ist, eher aus den Quellen als aus abgeleiteten Bächen geschöpft wird, wenn wir einen von vielen gelobten und von mehreren verlangten Autor, der öffentlich bisher nicht gesehen worden ist, erstmals vollständig bekannt machen wollen. 247

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Ebd., S. XXa: „quin tamen vetera secutus sit monumenta, non dubito, & plurimas eius historias reperio cum veteribus & genuinis congruere: non omnes euolui; nec necesse est, cùm fontem reperi, riuos consectari: sed si priùs in hos incidi, an etiam ex illo ducti sint, an non fluant lutulenti, an non pigro lapsu repant, an non aliunde palustrem vndam trahant, iuuat dispicere: quam, inquam, breuiatoribus aut paraphrastis adiungere fide[m] par sit, ex veterum statuo cum ipsorum scriptis collatione. Censeo igitur, iniuriâ, vt plurimum, neotericorum iudiciis vapulare eam Legendam.“ Historia ab Eugippio ante annos circiter MC. scripta. Qua Tempora, quæ Attilæ mortem consequuta sunt, occasione vitæ S. Severini, illustrantur. Ex Bibliotheca S. Emmerani [!] Reginoburg. nunc primùm edita, cum scholiis [zuerst 1595], in: MARCI VELSERI, || MATTHÆI F. ANT. N. || REIP. AUGUSTANÆ || QUONDAM DUUMVIRI, || OPERA || HISTORICA || ET PHILOLOGICA, || SACRA ET PROFANA. || In quibus || Historia Boica, Res Augustanæ, Conversio & || Passio SS. Martyrum, Afræ, Hilariæ, Dignæ, Eunomiæ, Eutropiæ, || Vitæ S. Udalrici, &

309 In historiographischen Zusammenhängen scheint die Verschiebung des metaphorischen Potentials von „Quelle“ in den Bereich des nur Konnotativen und die Entwicklung des Worts zu einem eigentlichen und technischen Ausdruck, mit dem jede Art historischen Schrifttums bezeichnet werden konnte, ein Produkt der Verfestigung vernakulärer Gelehrtensprachen im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts zu sein. Mabillon benutzte im Traité das Wort „sources“ in einem allgemeinen und absoluten Sinn zur Bezeichnung geschichtlicher Texte. 248 Wie Welser und Bolland verwandte er „source“ allerdings auch, um damit jene Texte zu bezeichnen, die er am Anfang des traditionalen Prozesses vermutete und denen man sich mit möglichst alten und im Idealfall von verlässlichen Kopisten erstellten Manuskripten anzunähern habe. 249 Ähnlich wie im Fall des Worts „Geschichte“ dürfte die Konventionalisierung des Worts „Quelle“, ehe es sich mit Autoren wie Chladenius, Semler oder Gatterer im entstehenden Neuhochdeutschen des fortschreitenden 18. Jahrhunderts verfestigte, 250 von der Präponderanz des Französischen in dieser Zeit ihren Ausgang genommen haben.251 –––––––—

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S. Severini, Narratio eorum, quæ contigerunt || Apollonio Tyro, Tabulæ Peutingerianæ integræ, Epistolæ ad Viros || Illustres Latinæ Italicæque, & Proteus satyra continentur. || Accessit || P. Optatiani Porphyrii Panegyricus, || Constantino M. missus, || ex optimo Codice à PAULLO VELSERO divulgatur, || unà cum Spicilegio Critico Christiani Daumii. || Præmissa his fuit || Præfatio ad Lectorem, de singulis scriptis nunc recusis, || juxta Virorum eruditissimorum sententias: || Nec non || VITA, GENUS, ET MORS || AUCTORIS NOBILISSIMI. || Auccurante || CHRISTOPHORO ARNOLDO. || NORIMBERGÆ, || Typis ac sumtibus WOLFGANGI MAURITII, & Filiorum || JOHANNIS ANDREÆ, ENDTERORUM. || ANNO M. DC. LXXXII., S. 629–676. Scholiastes lectoris, ebd., S. 632–634, hier S. 633f.: „Nos adepti amicorum beneficio librum chirographum veterem, ex bibliothecâ monasterii S. Emmerani Reginoburgensi, in quo cum plerisq[ue] aliis sanctorum vitis, Severini quoque perscripta erat, gratiam inituros speravimus, apud priscæ primùm pietatis studiosos, inde apud homines antiquæ historiæ amantes, quæ ex fontibus, non dubium est purius quam ex deductis rivulis hauritur, si auctorem multis laudatum, pluribus expetitum, publico hactenus non visum, primi integrum vulgaremus.“ Vgl. zu Welsers Ausgabe, die nach einer heute in Müncher aufbewahrten Handschrift des 11. Jahrhunderts erstellt worden ist, Philippe Régerat, Introduction, in: Eugippe, Vie de Saint Séverin. Introduction, texte latin, traduction, notes et index par Philippe Régerat (Sources chrétiennes 374), Paris 1991, S. 7–144, hier S. 52 mit Anm. 102. Welsers Ausgabe gilt als „souvent très défectueuse“. Vgl. Mabillon, Traité, 1691, S. 293: „Pour estre un sçavant theologien, on n’a pas tout etudié avec la derniere exactitude, & il y a bien des choses qui ont échappé à la diligence des plus exacts. Il faut donc, avant que de juger en dernier ressort d’une difficulté, l’avoir bien étudiée dans les sources, & dans les auteurs qui en ont traité.“ Vgl. ebd., S. 285: „Les plus anciens manuscrits sont d’ordinaire les meilleurs, sur tout lors qu’ils ont esté écrits par un bon copiste. Car comme ils sont plus prés de la source, ils sont aussi plus purs que ceux qui ont passé par les mains de plusieurs écrivains.“ Vgl. Michael Zimmermann, Quelle als Metapher. Überlegungen zur Historisierung einer historiographischen Selbstverständlichkeit, in: Historische Anthropologie 5 (1997), S. 268–287, hier S. 270f. Ludolf Kuchenbuch, Sind mediävistische Quellen mittelalterliche Texte? Zur Verzeitlichung fachlicher Selbstverständlichkeiten, in:

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4.2.4 Monument und Motte – Zur Handschrift als Antiquität Wenn man in der frühen Neuzeit von den materiellen Hinterlassenschaften der Vergangenheit sprach, sprach man in der Regel nicht von „Quellen“ („fontes“), sondern von „Denkmälern“ („monumenta“) und „Altertümern“ („antiquitates“). Die allgemeinste Bestimmung von Antiquarianismus könnte demnach lauten, dass diejenigen als Antiquare zu qualifizieren sind, die sich mit diesen Hinterlassenschaften beschäftigten. Um allerdings zu berücksichtigen, dass nicht alle historischen Gegenstände zeitgleich und von allen Zeitgenossinnen und -genossen in dieser Eigenschaft eines „Denkmals“ betrachtet und geschätzt wurden, ist der Antiquar präziser als ein Typus des frühneuzeitlichen Gelehrten zu begreifen, unter dessen Händen aus den einst für andere Funktionen geschaffenen Gütern wie Münzen, Inschriften oder Gemmen, Sarkophagen, Altarsteinen oder eben Handschriften und anderen Artefakten historische „Monumente“ wurden. 252 Neben der –––––––—

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Goetz (Hrsg.), Aktualität (2000), S. 317–354, hier S. 327, bemerkt mit Blick auf Chladenius: „Mit dem Terminus ‚Quellenǥ hat er hier das lateinische Wort fontes übersetzt, das seit langem als Ursprünglichkeit und Wissenserkenntnis verbürgendes Gedankenbild für die schriftliche materia vergangener Zeiten aus der herkömmlichen Rechts-, Reichs- und Kirchengeschichte geläufig war.“ Kuchenbuch thematisiert dabei zu Recht, dass eine verlässliche Wortgeschichte von fons in historiographiegeschichtlichen Zusammenhängen fehlt. Vgl. Verf., „Geschichte“: Ein Produkt der deutschen Aufklärung? Eine Kritik an Reinhart Kosellecks Begriff des „Kollektivsingulars Geschichte“, in: ZHF 31 (2004), S. 381–428, hier S. 428. Vgl. Verf., Art. Antiquar, in: EnzNZ, Bd. 1, 2005, Sp. 472–475, hier Sp. 472. Gegen Ende des 17. Jahrhunderts unterschied der Lyoner Altertumsforscher Jacob Spon (1647–1685) insgesamt acht Gegenstandsbereiche oder Wissensfelder (scientiae) einer von ihm propagierten Archaeologia oder Archæographia. Vgl. MISCELLANAE || ERVDITÆ ANTIQVITATIS; || IN QVIBVS || MARMORA, STATVÆ, MVSIVA, TOREVMATA, GEMMÆ, NVMISMATA, || GRVTERO, VRSINO, BOISSARDO, REINESIO, || aliísque Antiquorum Monumentorum Collectoribus ignota, || & hucusque inedita referuntur ac illustrantur: || Curâ & studio IACOBI SPONII, Lugdunensium Mediocorum Collegio, || Patavinæ Recuperatorum, & Regiæ Nemausensi || Academiæ Aggregati. || LVGDVNI, || Sumptibus Fratrum Huguetan & Soc. || ANNO M. DC. LXXXV. || Cum privilegio Regis. Præfatio [unpaginiert], fol. á3r: „De Antiquitatibus tractaturus, pauca præfari mens est de scientia quæ illis enodandis incumbit, quam Archæologiam sive Archæographiam Græca voce nominare placet: […]. || ARCHÆOGRAPHIA est declaratio sive notitia Antiquorum monumentorum, quibus Veteres, sui temporis Religionem, Historiam, Politicam, aliásque tum artes tum scientias propagare, posterísque tradere studuerunt. Pro variis ergo quibus imprimuntur subjectis in totidem scientias subdividenda videtur.“ Zu diesen rechnete Spon, der sich primär an den Gegenständen der Antikenrezeption orientierte, ebd., fol. á3r–v: „1. Prima est Numismatographia, sive cognitio numismatum, […]. || 2. Epigrammatographia est Inscriptionum antiquarum lapidi, marmori, æríque incisarum notitia: […]. || 3. Architectonographia est descriptio Templorum, Theatrorum, Arcuum triumphalium, Pyramidum, Balneorum, Portuum, Aquæductuum, milliariorum, Sepulchrorúmque. […]. || 4. Iconographia Statuas omnis generis, protomas, picturas, musiváque opera describit. […]. || 5. Glyptographia versatur circa gemmas

311 – oben besprochenen – anfänglichen Orientierung an dem der Antike entlehnten Themenspektrum der instituta et mores zeichnete sich der Antiquarianismus durch den Zug zur Realie aus. Dieser führte erstens dazu, dass die Immanenz des sich idealiter kontinuierlich ergänzenden Gattungs- und Traditionszusammenhangs der Historia deutlich überschritten wurde. Zweitens zeitigte er einen Wechsel des Status und der Funktion der in Rede stehenden Gegenstände insofern, als Münzen hier nicht (mehr) als Zahlungsmittel von Bedeutung waren, sondern als Objekte der Sammlung und Investigation, oder, wie im Fall der Acta Sanctorum, alte Messbücher nicht mehr deswegen von Interesse waren, weil sie über die alten Heiligen und ihre Feste Auskunft gaben und nicht, weil die Bollandisten mit ihnen einen Gottesdienst zu bestreiten suchten. Die Handschrift selbst, als das in dieser Hinsicht vielschichtigste Artefakt, scheint in seinen materiellen Seiten allerdings erst vergleichsweise spät in den Status eines „Denkmals“ eingetreten zu sein. Auf die Handschriften bezogen verbreitete sich dieser Wortgebrauch vermutlich nicht durch jene Kreise, die sich auf der Suche nach den Texten der Antike befanden. Poggio Bracciolini (1380–1459) sprach in aller Regel von „Bänden“ („volumina“) oder „Büchern“ („libri“), die er in den Bibliotheken eingesehen habe oder von deren Existenz ihm berichtet worden sei. Selbst noch Protagonist des Manuskriptzeitalters unterschied Poggio eher zwischen ungenügenden und guten Abschriften, die im letzteren Fall idealiter von ihm selbst oder den von ihm beschäftigten „Schreibern“ („scriptores“) zu leisten waren, als zwischen historischen und zeitgenössischen. Die Frage eines möglicherweise höheren Alters dieses oder jenes Bandes, sofern sie thematisiert wurde, fixierte sich vordringlich, wenn nicht ausschließlich, –––––––— cælatas veluti Iaspides, Sardonyches, Carneolas […]. || 6. Toreumatographia exponit tabulas marmoreas exsculptas, quæ toreumata vocabantur, quorum avidus collector Iulius Cæsar, teste Suetonio. || 7. Bibliographiam Manuscriptis dignoscendis & perlegendis addicta est, cui tot insignes Critici operam navarunt, Scaliger, Sirmondus, Salmasius, Casaubonus, l’Abbæus, Busbekius, & nuper Lambecius, qui bibliothecam Cæsaream descripsit, nec non Æmilius Portus Cretensis, cujus tractatum de Manuscriptorum Græcorum abbreviationibus ipsiusmet manu exaratum possideo. || 8. Angeiographia instrumenta omnis generis domestica, militaria, nautica, vasa, mensuras, pondera scrutatur: […].“ Spon benannte vier weitere scientiae, die quer zu diesen Feldern lagen. Vgl. ebd., fol. á3v: „Sunt & aliæ scientiæ hisce subordinatæ, aut per eas vagantes, veluti Dipnographia, quæ convivia; Imantographia quæ vestimenta; Doulographia quæ servos; Taphographia quæ funera explicant: quæque passim ex numismatis, inscriptionibus, statuis, cæterísque peti possunt; sícque ad prædictarum unam, aut ad omnes referri.“ Er selbst kündigte an, sich vor allem den Inschriften widmen zu wollen. Vgl. ebd.: „Quia autem major pars nostri qualiscunque operis Inscriptiones attingit, earum usum & dignitatem prosequi deberem, […].“ Vgl. zu Person und Werk die Beiträge in Roland Étienne/Jean-Claude Mossière (Hrsg.), Jacob Spon. Un humaniste lyonnais du XVIIème siècle (Publications de la Bibliothèque Salomon-Reinach 6), Paris 1993.

312 an der augenfälligen Form der „langobardischen“ Schrift. 253 Allein von volumina und libri sprach auch der päpstliche Schreiber und Bekannte Poggios Cencio de’ Rustici († 1445), als er zur Zeit des Konstanzer Konzils an seinen Lehrer Francesco da Fiano (um 1350–1421) über einen Besuch in einer St. Galler Bibliothek an der Seite Bartolomeo Aragazzis († 1429) Bericht erstattete: Aber als wir den angrenzenden Turm des Gotteshauses von St. Gallen sorgfältiger untersuchten, in dem nämlich eine fast unzählbare Menge Bücher wie Gefangene gehalten werden, und die Bibliothek, die durch Staub, Motten, Ruß und all die übrigen Dinge, die mit dem Vergessen der Bücher einhergehen, verunreinigt und entehrt worden war, brachen wir heftig in Tränen aus, glaubend, dass die lateinische Sprache auf diese Weise ihren edelsten Schmuck und ihre höchste Würde verloren hat. Diese Bibliothek fürwahr, wenn sie für sich selbst sprechen könnte, klagte mit lauter Stimme: ‚Lasst es nicht zu, ihr allerliebsten Männer der lateinischen Sprache, dass ich durch derartige Nachlässigkeit ganz und gar zugrunde gerichtet werde; entreißt mich diesem

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Vgl. in Auswahl Poggio an Niccolò Niccoli, Londra, 25 giugno 1422, in: Poggio Bracciolini, Lettere, Bd. 1: Lettere a Niccolò Niccoli, hrsg. v. Helene Harth, Florenz 1984, Nr. 19, S. 57–59, hier S. 59: „Libros Tullii De Oratore perfectos itemque Oratorem et Brutum integros esse repertos summe gaudeo […].“ Roma, 8 gennaio 1428, in: ebd., Nr. 26, S. 74f., hier S. 74: „Venit huc quidam doctus homo natione Gothus, qui peragravit magnam partem orbis. Homo quidem est ingenio acuto sed inconstans; idem retulit se vidisse X decades Livii, duobus voluminibus magnis et oblongis, scriptas litteris longobardis et in titulo esse unius voluminis, in eo contineri decem decades Titi Livii, seque legisse nonnulla in iis voluminibus.“ Roma, 26 febbraio 1429, in: ebd., Nr. 28, S. 78–80, hier S. 78: „Nicolaus ille Treverensis scripsit litteras cum inventario librorum, quos habet. In his sunt multa volumina, que longum esset referre; dicit se habere multa opera Ciceronis […]. Item aliud volumen, in quo sunt XX opera Cipriani Carthaginensis […].“ Roma, 21 ottobre 1427, in: ebd., Nr. 30, S. 83f., hier S. 83: „Misisti mihi librum Senece et Cornelium Tacitum, quod est mihi gratum; at is est litteris longobardis et maiori ex parte caducis; quod si scissem, liberassem te eo labore. Legi olim quendam apud vos manens litteris antiquis, nescio Colucii ne esset an alterius. Illum cupio habere, vel alium, qui legi possit, nam difficile erit reperire scriptorem, qui hunc codicem recte legat; […].“ Roma, 13 dicembre 1429, in: ebd., Nr. 34, S. 89f., hier S. 89: „[…] mitto ad te […] antiquum volumen illud orationum Tullii et item Nonium Marcellum, […].“ Besonders schlechte Exemplare weckten den Verdacht, von Nonnen geschrieben worden zu sein. Vgl. Roma, 6 gennaio 1431, in: ebd., Nr. 36, S. 96–98, hier S. 97: „Nullus, mihi crede, Plautum bene transcribet, nisi is sit doctissimus. Est eis litteris, quibus multi libri ex antiquis, quos a mulieribus transcriptos arbitror, nulla verborum distinctione, ut persepe divinandum sit.“ Roma, 27 maggio 1430, in: ebd., Nr. 38, S. 102–105, hier S. 104: „Nicolaus Treverensis huc venit afferens secum sexdecim Plauti comedias in uno volumine, in quibus quattuor sunt ex iis, quas habemus, scilicet Amphitrio, Asinaria, […]. Has nondum aliquis transcripsit, neque enim earum copiam nobis facit cardinalis; […]. Liber est illis litteris antiquis corruptis, quales sunt Quintiliani et multa in multis desunt. Non faciam transcribi nisi prius illas legero atque emendavero, nam nisi viri eruditi manu scribantur inanis erit labor.“ Roma, 3 settembre 1430, in: ebd., Nr. 39, S. 106–108, hier S. 107: „Facio per unum de meis scriptoribus scribi epistolas Hieronymi et iam habeo ad numerum C. Perquisivi varia volumina et ex eis collegi fere CXL. Audivi esse in monasterio Cassinensi volumen litteris longobardis, in quo sint epistole CCXXV.“

313 Kerker, in dessen Finsternis selbst der so große Glanz der Bücher nicht aufzuscheinen vermag.ǥ In diesem Kloster gab es einen Abt und Mönche, die frei von jeder literarischen Kenntnis waren. Oh der lateinischen Sprache feindliche Barbarei, oh überaus verdorbener, menschlicher Abschaum. 254

Es scheint erst im Lauf des 16. Jahrhunderts gebräuchlicher geworden zu sein, die derart bedauerten Bücher und die in ihnen aufgehobenen Texte, vielleicht orientiert an dem zu dieser Zeit schon länger etablierten Vorbild der Beschreibung der steinernen Überreste, 255 als Denkmäler zu bezeichnen. 256 Die entscheidende Popularisierung dieses Wortgebrauchs dürfte dann ein Resultat vor allem jener Spielarten des Antiquarianismus gewesen –––––––— 254

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Cencio de’ Rustici an Francesco da Fiano (1416), in: Ludwig Bertalot, Cincius Romanus und seine Briefe, in: QFIAB 21 (1929–1930), S. 209–255, Nr. 3, S. 222–225, hier S. 223f.: „Sed ubi turrim sacre edis S. Galli contiguam, in qua innumerabiles pene libri utpote captiui detinentur, diligentius uidimus bibliothecamque illam puluere tineis fuligine ceterisque rebus ad obliterationem librorum pertinentibus obsoletam pollutamque, uehementer collacrimauimus, per hunc modum putantes linguam latinam maximum ornatum maximamque dignitatem perdidisse. Hec profecto bibliotheca si pro se ipsa loqueretur, magna uoce clamaret: ne sinite, uiri lingue latine amantissimi, me per huiusmodi negligentiam funditus deleri; eripite me ab hoc carcere, in cuius tenebris tantum librorum lumen apparere non potest. Erant in monasterio illo abbas monachique ab omni litterarum cognitione alieni. O barbariem latine lingue inimicam, o perditissimam hominum colluuionem.“ Vgl. dazu auch die englische Übersetzung und Kommentierung: Cincius Romanus to His Most Learned Teacher Franciscus de Fiana, in: Two Renaissance Book Hunters. The Letters of Poggius Bracciolini to Nicolaus de Niccolis. Translated from the Latin and Annotated by Phyllis Walter Goodhart Gordan (Records of Civilization. Sources and Studies 91), New York/London 1974, Appendix, Nr. 1, S. 187–191. Vgl. Norbert Wibiral, Ausgewählte Beispiele des Wortgebrauchs von „Monumentum“ und „Denkmal“ bis Winckelmann, in: Österreichische Zeitschrift für Kunst- und Denkmalpflege 36 (1982), S. 93–98, hier S. 95. Vgl. Vitae Caesarum, ed. Erasmus, 1564, Dedikationsepistel [unpaginiert], fol. a2r: „Veru[m] nullis ex libris, mea sententia, plus utilitatis capi possit, q[uam] ex eoru[m] monumentis, qui res publice priuatimq[ue] gestas, bona fide posteris prodideru[n]t, prĊsertim si quis regalis philosophiĊ decretis imbutus huc accesserit.“ Der Ausdruck der monumenta scheint gegenüber libri oder codices noch in dieser Zeit vor allem für die Bereiche jenseits der literarischen Tradition in Gebrauch gewesen zu sein. Marcus Welser (1558–1614) bezog sich in seiner Aktualisierung der zuerst 1590 gedruckten Inscriptiones antiquae Augustae Vindelicorum mit diesem Terminus zunächst auf die römerzeitlichen Inschriften Augsburgs. Vgl. Welser, Rerum Augustanarum Vindelicarum libri octo, 1594. Antiqva qvae Avgvstae Vindelicorvm extant monvmenta, Et ad ea Marci Velseri Matthæi F. notæ, ebd., S. 199–[2]77 [fehlerhaft paginiert]. Der vorangegangene Abschnitt, der eine Auswahl schriftlicher Zeugnisse beinhaltete, lautete hingegen: Vetustorum aliquot scriptorum testimonia, quæ in his libris sequuti sumus, siue reiecimus; visum subiungere, vt eò lectori fides constaret certior, ebd., S. 181–198. Auf der zweiten Ebene konnten allerdings auch diese als monumenta bezeichnet werden. Vgl. Welsers einleitende Bemerkungen zu der Conversio Sanctae Afrae, et pvellarvm eivs, ebd., S. 191–195, hier S. 191: „Diximus libro septimo, extare historiam uetustam S. Afræ & sociarum martyrum, quam hîc daturi essemus; planè illustre ecclesiasticæ Augustanæ antiquitatis monumentum. Etsi eam ut tempora & mores sunt, non omnes eodem interpretaturos modo satis præuideo, nobis tamen rerum fides, præuanis opinionum sequenda.“

314 sein, die sich dezidiert den genuin mittelalterlichen Texten zuwandten. Heinrich Canisius exponierte bereits auf dem Titelblatt des ersten Bandes der Antiquae lectiones von 1601, dass er „alte Denkmäler zum Erläutern der Geschichte der mittleren Zeit“ aus bis dahin noch nicht gedruckten „Handschriften“ zu präsentieren beabsichtigte. 257 Während Erasmus oder Lipsius kaum mehr den Anspruch erheben konnten, grundsätzlich unbekannte Texte zu Tage gefördert zu haben, erlangte die alte Rhetorik von Verfall und Rettung, mit Blick auf die nun auch regelhaft so qualifizierten Altertümer und Denkmäler, in westeuropäischen Maßstäben neue Aktualität. Canisius verwies in seiner Widmungsvorrede auf Marcus und Anton Welser († 1618), auf Jacob Gretser (1562–1625) und den Münchener Propst Georg Lauther (um 1562–1610), die sich als „Bewunderer der Altertümer“ („admiratores antiquitatum“ 258 ) um die Bergung und Publikation der – teils durch die „Ungerechtigkeit der Zeiten“, teils „durch die Unachtsamkeit der Menschen“ – in „tiefer Finsternis versunkenen“ historischen Bestände besonders verdient gemacht hätten. 259 Dem Widmungsträger der Antiquae lectiones, dem Regensburger Dompropst Quirinus Van Leeuwen, wurde die Eigen–––––––— 257

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Vgl. ANTIQUÆ LECTIONIS || TOMUS I. || IN QVO XVI. AN- || TIQVA MONVMENTA || AD HISTORIAM MEDIÆ ÆTATIS ILLVSTRANDAM, || NVNQUAM EDITA. || Alcuini Epistolæ ad Carolum Magnum & alios. || Tironis Prosperi Chronicon auctius vulgato & Pithœano, quæ etiam hîc adiuncta. || VVeingartensis de Gvvelffis Principibus. || Eiusdem Chronicon ad an. 1197. || Heinricus Stero. auctior. || Eberhardi Altahensis, Ratisponensis Archidiaconi Annales à Rudolpho Habspurgio ad ann. 1305. || Sangallensis de gestis Caroli Magni libri duo. || Hermannus Comes Veringensis. auctior. || Concilia Salisburgensia tria & Viennense vnum || Carmina[:] || Sancti Columbani. || Salomonis Episc. Constantiensis. || VValdrammi. || Metelli Tegernseensis Quirinalia. || OMNIA NVNC PRIMVM E MANVSCRIPTIS || EDITA ET NOTIS ILLVSTRATA, || AB || HENRICO CANISIO NOVIOMAGO IC. ET SS. || Canonum Professore ordinario in Academia || INGOLSTADIENSI. || Cum Gratia & Priuilegio Cæsareæ Maiestatis. || INGOLSTADII, || Ex officina typographica EDERIANA, apud Andream || ANGERMARVIUM. Anno 1601. Vgl. Dedikationsepistel: Reverendissimo Domino, DN. Qvirino Leonio, SS. Theologiæ Doctori, Protonotario Apostolico, Cathedralis Ecclesiæ Ratisponensis Præposito, Archidiacono, & Vicario. & Serenissimis Bauariæ Ducibus à Consilijs, &c. Domino & cognato suo obseruandissimo [unpaginiert], ebd., fol. )( 2r. Vgl. ebd., fol. )( 2v: „Mihi quide[m] omnia huiusmodi, qua[n]tumuis pretiosæ antiquitatis, sorde[n]t præ monume[n]tis ingenioru[m], illisq[ue] libris, qui iniquitate temporu[m], an incuria hominu[m] dicam, sepulti iaceba[n]t, è latebris tande[m] eruuntur & in publicu[m] prodeu[n]t. Vnde gratiæ, q[uæ] habe[n]dæ sunt ipsis auctoribus, qui rerum memoria[m] scriptis suis consignarunt, eæde[m] meritò debe[n]tur ijs, qui eiuscemodi libros, altis tenebris immersos, in lucem vindicant & restituunt. Inter quos eminent hodie Marcus Velserus II. vir Augustanus, reconditæ eruditionis laude notißimus, eiusq[ue] germanus Antonius Velserus, vir sine ambitione doctißimus; &, quem honoris causâ nomino, Georgius Lautherius, Præpositus ad D. Virginem Monachij, in omni disciplinarum genere versatißimus. Addo Jacobum Gretserum Societatis IESV Theologu[m], virum magnæ eruditionis & memoriæ. Horu[m] enim beneficio & humanitate manu scriptos Codices è varijs bibliothecis nacti hos auctores in publicu[m] proferimus, nunq[uam] antehac editos, vel certè iam auctiores.“

315 schaft zugeschrieben, sich nicht nur an jüngeren Schriften, sondern auch an den „Denkmäler[n] der alten Autoren“ zu erfreuen, die „zu Unrecht so lange“ des Lichts hatten entbehren müssen. 260 Der Benediktiner Jacques Du Breul (1528–1614) wiederum berichtete in seinem posthum gedruckten Theatre des antiquitez de Paris, dass er nur mit Mühe Zugang zu „drei alten handschriftlichen Büchern“ erlangt habe, die „seit unvordenklichen Zeiten in den Archiven der Herren von Notre-Dame eingekerkert“ gewesen seien, „so sorgfältig von vier Schlüsseln und vier unterschiedlichen Personen behütet, dass es keine Gelegenheit gab, sie zu lesen“. Erst die Fürsprache des Zeithistorikers und Präsidenten des Pariser Senats Jacques-Auguste de Thou (1553–1617) habe es ermöglicht, den dreien vorübergehend Ausgang zu verschaffen. 261 Der Kanoniker zu Troyes Nicolas Camusat (1575–1665), der unter anderem 1615 für die Erstausgabe der Historia Albigensis des Pierre des Vaux-de-Cernay († um 1219) verantwortlich zeichnete, wusste in seinem Promptuarium sacrarum antiquitatum Tricasinae dioecesis von 1610 konkretere Gründe zu benennen, die es ratsam erscheinen ließen, handschriftliche Bestände in die typographische Form zu überführen: Nach Ablauf einiger Jahre, wodurch sich die stürmischen Wogen des kriegerischen Aufruhrs und der inneren Kämpfe, die das Königreich Gallien fast acht Jahrfünfte hindurch geplagt, umgetrieben, zu jeder Grausamkeit hingerissen und beinahe völlig umgestürzt, sich auf Wink der göttlichen Hoheit endlich einmal gelegt und wieder beruhigt haben: jene Menschen, die von etwas feinerer Bildung und gewählterer Gelehrsamkeit waren, mochten mit den hell auflodernden Bränden der Bürgerkriege begreifen, dass viele der Denkmäler des Altertums, die entweder in den Bibliotheken, Archiven oder Dokumentensammlungen der Kirchen und Klöster aufbewahrt wurden, zu einem großen Teil zerrissen, und elendiglich zerfetzt und zugrunde gerichtet worden sind: in wirklich nützlicher und für die Nachkommen überaus hilfreicher An-

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Vgl. ebd., fol. )( 3r:“Cæterùm Reuerendißime Domine, cùm sciam te delectari veterum auctorum monumentis, ita tamen vt recentiorum lectionem non reijcias, […] volui tibi potißimu[m] dedicare hos antiquos auctores, dignos luce, quâ tamdiu immeritò carueru[n]t.“ Vgl. zu dieser Gruppe Benz, Tradition (2003), S. 92f. Vgl. LE || THEATRE || DES || ANTIQVITEZ || DE PARIS. || Où est traicté de la fondation des Eglises & Chapelles de la || Cité, Vniuersité, Ville, & Diocese de Paris: comme aussi || de l’institution du Parlement, fondation de l’Vniuersité || & Colleges, & autres choses remarquables. || DIVISÉ EN QVATRE LIVRES; || Par le R. P. F. IACQVES DV BREVL || Religieux de sainct Germain des Prez. || Augmenté en cette Edition d’vn Supplement, contenant le nombre || des Monasteres, Eglises, l’agrandissement de la Ville & Faux- || bourgs qui s’est faict depuis l’Annee 1610. iusques à present. || SPE LABOR LEVIS. || A PARIS, || Par la Societé des Imprimeurs. || M. DC. XXXIX. Av lectevr [unpaginiert], [S. 2f.]: „Ie viens maintenant à ceux qui m’ont aydé de Manuscripts tres anciens. Le premier est Monsieur Loys Seguier […] Doyen de nostre Dame de Paris, lequel m’a presté trois anciens liures manuscripts, emprisonnez de temps immemorial aux Archiues de Messieurs de nostre Dame, & si soigneusement gardez sous quatre clefs, & par quatre personnes diuerses, qu’il n’y auoit moyen de les liurer, si ie nome fusse addressé à Monsieur le President de Thou […] lequel fut mon mediateur enuers ledict Doyen, & fut cause que trois sortirent de prison, […].“

316 strengung haben sie die kostbaren Brocken, die einen so großen Schiffbruch und Untergang der Bücher überlebt haben, äußerst zuverlässig und mit ungeheurer Mühe zusammengesucht und dafür Sorge getragen, sie der Presse und dem Druck zu übereignen, woher es gekommen ist, dass wir heute, mit kaum weniger Vergnügen als Gewinn, sehr viele Codices der Autoren von höchstem Rang, die zuvor ganz und gar unbekannt waren, mit geschäftiger Hand durchblättern und zahlloser sehr alter und bedeutender Dokumente teilhaftig sein können, die von ewigem Vergessen begraben dagelegen hätten, wenn sie nicht durch deren Eifer und Sorge aus ihrer Lage befreit worden und Ohnmächtigen vergleichbar wieder lebendig geworden wären. 262

Diese und ähnliche Aussagen mögen nicht sehr originell erscheinen. Dies änderte allerdings nichts an der Tatsache, dass sich die Strukturen der historiographisch interessierten Gelehrtenrepublik mit der Publizität einer rasch anwachsenden Zahl insbesondere historiographischer Texte des Mittelalters, die bis dahin nur einem limitierten Kreis von Nutzerinnen und Nutzern bekannt gewesen waren, erheblich zu verändern begannen. Wie anhand des schon diskutierten Beispiels von Reinecks Ausgabe der Annales Alberts von Stade zu beobachten war, erschlossen sich mit diesen Ausgaben die Grundlagen, auf denen viele der historiographischen Darstellungen der frühen Neuzeit beruhten und ließen Personen und Geschehnisse zu Tage treten, von denen dort nicht unbedingt die Rede war. Im Vergleich mit der humanistischen Editorik ist in diesen Zusammenhängen mit zwei substantiellen Veränderungen zu rechnen.

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PROMPTVARIVM || SACRARVM || ANTIQVITATVM || Tricasinæ diœcesis. || In quo præter Seriem historicam Tri- || cassinorum præsulum, origines præ- || cipuarum ecclesiarum, vitæ etiam || Sanctorum qui in eadem diœcesi || floruerunt, promiscue continentur. || Auctore seu collectore NICOLAO CA- || MVZAT Tricassino. || AVGVSTÆ TRECARVM. || Apud NATALEM MOREAV || qui dicitur le Coq, in vico diuæ || Mariæ, sub signo Galli. || 1610. Candido lectori [unpaginiert], fol. áijr–v: „Aliquot ab hinc annos, ex quo bellici tumultus, & turbulenti intestinorum preliorum fluctus, qui Galliæ regnum octo pæne lustris vexarunt, agitarunt, omni crudelitate raptarunt, & tantum non funditus euerterunt, diuino annuente numine tandem aliquando conquieuerunt resederuntque: politioris literaturæ & elegantioris dictrinæ [!] homines, cum ardentissimis ciuilium bellorum incendijs, quampluri a antiquitatis monumenta, quæ vel in bibliothecis, vel archiuis & chartophylacijs ecclesiarum & cœnobiorum asseruabantur, magna ex parte distracta, & misere discerpta ac disperdita fuisse intelligerent: vtili plane & posteris maximè profuturo studio, pretiosa analecta quæ ex tanto naufragio & librorum clade superfuerant, fidelissime & ingenti labore collegerunt, & prælo typisq[ue] mandanda curauerunt, vnde factum est, vt hodie non minore voluptate quam fructu, complures optimæ notæ authorum codices antea penitus ignotos, sedula manu peruoluamus, innumerisque vetustissimis & illustribus documentis potiamur, quæ æterna obliuione sepulta iacuissent, nisi vigili eorum cura è situ eruta fuissent, & velut intermortua reuixissent.“ Vgl. zur Person M. Prevost, Art. Camusat (Nicolas), in: DBF, Bd. 7, 1956, Sp. 1019f.

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4.2.5 „Opera nunc primum edita ex manuscriptis“ Mit den manuscripta selbst assoziierte sich die Vorstellung von formaler Authentizität, die die Gelehrten, die sich den Texten der klassischen Antike zugewandt hatten und zuwandten, in den von ihnen konsultierten Handschriften gerade nicht erkennen konnten. Im Verbund mit dem Hinweis auf den exklusiven Status des Produkts („nunc primum editum“) wurde das Attribut „ex manuscripto“ zu einem auf den Titelblättern der einschlägigen Werke kaum je übergangenen und affirmativ genutzten Markenzeichen. Camusats Ausgabe der Historia Albigensis beinhaltete eine Schrift: „Ex. M. SS. codicibus, in lucem nunc primùm edita“. 263 Kurz zuvor, im Jahr 1614, hatte der Prior von St. Martin-des-Champs Martin Marrier (1572–1644) zusammen mit Duchesne seine Bibliotheca Cluniacensis herausgegeben, mit zahlreichen Stücken, die „Nunc primum ex MS. Codd.“ zusammengetragen und mit Anmerkungen illustriert („notis illustra[ta]“) publiziert worden seien. 264 1616 erschien François d’Amboises (1550–1620) Ausgabe des kirchengeschichtlich nicht unproblematischen Briefwechsels zwischen Petrus Abaelard († 1142) und Heloïse († 1164): „OPERA, NVNC PRIMVM EDITA EX MMS. [!] CODD.“ Wie von d’Amboise vorhergesehen, 265 sollte sie von Rom schnell indiziert werden. 266 Die Aufwertung der –––––––— 263

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Vgl. HISTORIA || ALBIGENSIVM, || ET SACRI BELLI IN EOS || ANNO M. CC. IX. SVSCEPTI, || duce & principe Simone à Mon- || te-forti, dein Tolosano || comite, rebus strenuè || gestis clarissimo. || Auctore PETRO, cœnobij Vallis-Sarnensis ord. || Cisterciensis in Parisiensi diœcesi monacho, || cruceatæ huius militiæ teste oculato. || Ex. M. SS. codicibus, in lucem nunc primùm edita. || TRECIS. || Apud IOANNEM GRIFARD, ad || pontem Palatij. || ET || NATALEM MOREAV, qui dicitur le || Coq, in vico D. Mariæ, sub signo Galli. || M. VI. [!] C. XV. Cum priuilegio Regis. Vgl. BIBLIOTHECA || CLVNIACENSIS, || IN QVA || SS. PATRVM ABB. CLVN. VITÆ, || MIRACULA, SCRIPTA, STATUTA, PRIUILEGIA || CHRONOLOGIAQUE DUPLEX. || Item Catalogus Abbatiarum, Prioratuu[m], || Decanatuum, Cellarum, et Eccles. à Clun. || Cœnobio dependentium, vnà cum Chartis, || et Diplomat. donationum earumdem. || OMNIA || Nunc primum ex MS. Codd. collegerunt || Domnus MARTINVS MARRIER Monast. || S. Martini à Campis. Paris. Monachus || Professus, & || ANDREAS QVERCETANVS || Turo[n]. qui eadem disposuit, ac || Notis illustrauit. || LVTETIÆ PARISIORVM, || EX OFFICINA NIVELLIANA. || Sumptibus SEBASTIANI CRAMOISY, || Via Iacobæa, sub Ciconiis. || 1614. Vgl. PETRI || ABAELARDI, || FILOSOFI ET THEOLOGI, || ABBATIS RVYENSIS, || ET || HELOISAE CONIVGIS EIVS, || PRIMÆ PARACLETENSIS ABBATISSÆ, || OPERA, || NVNC PRIMVM EDITA EX MMS. CODD. V. ILLVS. || FRANCISCI AMBOESII, Equitis, Regis in sanctioro || Consistorio Consiliarij, Baronis Chartræ, &c. || Cum eiusdem Præfatione Apologetica, & Censura || Doctorum Parisiensium, || PARISIIS, || Sumptibus NICOLAI BVON, via Iacobæa, sub signis || sancti Claudij, & Hominis Siluestris. || M. DCXVI. || CVM PRIVILEGIO REGIS. Dedikationsepistel: Apologetica Præfatio pro Petro Abaelardo ad illvstriss. ac sapientiss. Dominvm D. Nicolavm Brvlartivm, Equitem, Sillerij Dominum, Marinarum Baronem, Franciæ & Nauarræ Cancellarium. Per Franciscvm Amboesivm Equitem, Regis in sanctiore Consistorio Consiliarium [unpaginiert], [vorletzte Seite]: „Quòd si aliquid ejus Operum in manus venisset eorum, qui Indicem Librorum suspectæ fidei

318 Handschriften zu den auch materiell geschätzten „Denkmälern“ einer vielfach institutionell gedachten Eigengeschichte führte zu einer insgesamt weniger aufgeregten, bisweilen auch positiv gestimmten Beurteilung der Rolle monastischer Skriptoren im Prozess der Tradition. 267 Mit der Aufwertung der skriptographischen Vorlage als solcher wuchs allerdings auch die Versuchung, diese zu fingieren. Gundula Caspary konnte zeigen, dass nicht alle Texte, die Goldast in seiner zwischen 1611 und 1614 in drei Bänden gedruckten Monarchia Sancti Romani Imperii mit dem Qualitätssiegel: „nunc primum ex vetustis Codicibus expressa“, ausgestattet hatte, auf handschriftlichen Fundamenten beruhten. Stattdessen scheint Goldast nicht selten ältere Drucke aus der Inkunabelzeit reproduziert zu haben. Bisweilen folgte er auch dort früheren Ausgaben, wo er nachweisbar über Handschriften oder Abschriften verfügte und offenbar die Mühen eigener Transkriptionen scheute. 268 Der spanische Hofhistoriograph Thomás Tamayo de Vargas (1589–1641) wiederum, der in den Acta Sanctorum als einer der Helfer („adiutores“) Bollands genannt wurde, 269 veröffentlichte 1635 „A multis hactenus desideratum, Nunquam editum, Ex Bibliothecâ“ das bald als Pseudo-Liutprand erkannte Chronicon ad tractemundum, 270 vor –––––––—

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sarcinarunt, certè aut in eo nomen Abaelardi delevissent, de quo nihil mali viderant, nihil comperti habuerant, aut permisissent ejus Opera per doctores expurgata in lucem prodire: sicut nunc ea damus Reip. Christianæ & Catholicæ, tersa sane & lævigata pumice Theologorum Parisiensium, qui vt sunt acris iudicij Senatores, nulla ex iis expungenda, sed si quæ duriscula videbantur, aut molliori interpretatione temperanda iudicarunt, aut sapienter cavenda monuerunt.“ Vgl. Peter von Moos, Mittelalterforschung und Ideologiekritik. Der Gelehrtenstreit um Héloise (Kritische Information 15), München 1974, S. 32. Vgl. Marrier/Duchesne, Bibliotheca Cluniacensis, 1614. Clvniacensibvs, et toto Ordine charissimis fratribvs svis, Domnus Martinvs Marrier Monasterij S. Martini à Campis Parisiensis, Ordinis eiusdem Monachus professus S. [unpaginiert], fol. áiiijv. Marrier berichtete von „[i]llis […] priscis & vetustis Monachis […], qui membranarum & MS. Codicum fidissimi & diligentissimi custodes fuere, suasque Mandras & Cœnobia iis asseruandis in Archiua & Chartophylacia conscrauere. Nam huiusmodi remotioris æui monumentorum partem vel maximam, ab illis vel conscriptam, vel conseruatam, illorumque studio & operâ ad nos vsque transmissam esse, quis nisi stolidus & mentis luxatæ, ibit inficias?“ Vgl. Caspary, Späthumanismus (2006), S. 211. Vgl. Bolland, Praefatio, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, S. XLIIIa: „Submisit quoque varia […] ex Hispaniâ Thomas Tamayus de Vargas Regis Catholici Historiographus […].“ LVITPRANDI, || SIVE || EVTRANDI || E Subdiacono Toletano, & Ticinensi Diacono || EPISCOPI CREMONENSIS, || Berengario II. Italiæ Regi à Secretis, || Pro Othone I. Germ. Imp. ad Pont. M. || & ad. Imp. CP. LEGATI || CHRONICON || AD TRACTEMVNDVM Illiberritanum || in Hispania Episcopum, || A multis hactenus desideratum, || Nunquam editum, || Ex Bibliothecâ || D. THOMÆ TAMAIO DE VARGAS || Abulæ-Carpetani, PHILIPPI IV. MAGNI Hispaniæ || Regis Historiographi, Indiarum PRIMARII, || & in sanctiori Ordinum Equestrium Consilio || ADMINISTRI. || Accessêre eiusdem Historiographi Regij || NOTÆ, & FRAGMENTA || Luitprando attributa. || Cum Privilegio. MANTVAE CARPETANORVM. || Ex Typo-

319 dessen Gebrauch später nicht nur Mabillon warnen sollte. 271 Der Oratorianer Jérôme Vignier (1606–1661) fingierte für sein 1654 gedrucktes Supplementum Augustinianum im Namen dieses Kirchenvaters einige Schriften, die er, nach dem Titelblatt, „ex optimae fidei et bonae Antiquitatis codicibus MSS.“ abgeschrieben habe. 272 In sein 1649 publiziertes Werk La véritable origine des très illustres maisons d’Alsace inserierte er eine angeblich als Fragment erhaltene, in Wirklichkeit aber von ihm selbst verfasste Vita der hl. Odilia († um 720), die eine Genealogie des Hauses Lothringen enthielt: „ex veteri codice ms omni fere ex parte mutilo et quam pessime habito“. Weitere Verwirrung stiftete Vignier dadurch, dass er als Abschriften aus handschriftlichen Funden ausgegebene Fälschungen an andere editorisch tätige Gelehrte – unter anderem an den Mauriner d’Achery – weiterreichte. 273 In ihrer Studie zur Sammlungskultur der Renaissance gelangte Lisa Jardine zu dem Ergebnis, dass neben exklusiven Drucken der Inkunabelzeit auch Prachthandschriften zu Bestandteilen einer repräsentativen Innenausstattung werden konnten. 274 Gegenüber Jardines Einschätzung eines abneh–––––––—

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graphia Francisci Martinez. || ANNO M DC XXXV. Vgl. auch die Dedikationsepistel: Illustriss. Heroï Adamo Centvrion et Cordoba Io. Bap. F. Marci N. Adami Pron. Marchioni d’Estepa, d’Armun[n]a, de Bula de Bivola, de Monte de Bai, &c. [unpaginiert], [S. 4]: „Cui debitum antiquu[m] HVNC SCRIPTOREM è tenebris à ME primùm erutum, & NOTATIONIBVS illustratum exiguum magnæ observantiæ monimentum D. THOMAS TAMAIO DE VARGAS […].“ Vgl. zu diesem Druck Paolo Chiesa, Introduzione, in: Liudprandi Cremonensis. Antapodosis. Homilia paschalis. Historia Ottonis. Relatio de legatione Constantinopolitana, hrsg. v. dems. (CCCM 156), Turnhout 1998, S. X–CIV, hier S. XLI mit Anm. 39. Vgl zur Person Art. de Vargas (Thomas Tomajus), in: Christian Gottlieb Jöcher, Allgemeines Gelehrten-Lexikon, Bd. 4, Leipzig 1751, Sp. 1453 (Neudruck Hildesheim 1961); José Antonio Alvarez de Baena, Art.: Tamayo de Vargas, Thomás, in: Hijos de Madrid, illustres santidad, dignidades, armas, ciencias y artes. Diccionario historico per el orden alfabetico de sus nombres, Bd. 4, Madrid 1791, zitiert nach: Archivo Biográfico de España, Portugal e Iberoamérica, München/New York/London [u. a.] 1986, Fiche 939, S. 135–144. Vgl. oben S. 283 Anm. 173; Mencke, Reden, [1728], S. 183, Anm. „Verlohrne Chronicken“: „Man bedencke, was […] Thomas Tamajus von Vargoes […] vor Betr(gereyen begangen, […].“ Vgl. Jean-Louis Quantin, Combat doctrinal et chasse à l’inédit au XVIIe siècle. Vignier, Quesnel et les sept livres contre Fauste de Fulgence de Ruspe, in: Revue des Études Augustiniennes 44 (1998), S. 269–297, Zitat S. 269 Anm. 4. Vgl. ders., Jérôme Vignier (1606–1661). Critique et faussaire janséniste?, in: Bibliothèque de l’École des chartes 156 (1998), S. 451–479, Zitat S. 452 Anm. 3. Vgl. Jardine, Glanz (1999), S. 141–185; vgl. auch Findlen, Possessing (1998), S. 84, 86f., 91f. Schon Bussi hatte sich abfällig über diese seines Erachtens nutzlose Art des Umgehens mit Büchern geäußert. Diese würden zwar regelhaft entstaubt, befänden sich aber ihrerseits in einer Art Grab. Vgl. Iohannis Andreae Episcopi Aleriensis ad Paulum II [1470], ed. Miglio (1978), Nr. 1B, S. 5–11, hier S. 6: „Quid enim prodest homini acervos librorum habere, purpura vestire, umbilicis ornare, minio illuminare, pulvere detergendo familiam occupare, ostentationi proferre, sepultis incubare, […]?“

320 menden Interesses an diesen Artefakten – „Es ist unmöglich, den genauen Zeitpunkt auszumachen, zu dem die Handschrift aufhörte, als Liebhaberund Sammelobjekt begehrenswert zu sein“ 275 – wäre aus der hier interessierenden Perspektive die gegenläufige Frage zu stellen, wann welcher Typus des mittelalterlichen Gebrauchsschrifttums, unabhängig von Form und Inhalt, allein aufgrund des Alters und des Status eines Unikats zu den Preziosen zu zählen begann. Als gerne besessenes Objekt, nicht unbedingt aber als Kostbarkeit von unschätzbarem Wert, trat noch ausgangs des 17. Jahrhunderts das Manuskript der Annales Magdeburgenses in einem Briefwechsel zwischen Leibniz und den Bollandisten in Erscheinung. Zu dieser Zeit befand sich die Handschrift im Besitz des Propsts des evangelischen Liebfrauenklosters und Theologieprofessors in Jena Philipp Müller (1640–1713). Es handelt sich um die originale und einzig erhaltene Handschrift dieses um 1188 entstandenen Annalenwerks. Müller bat in einem Schreiben vom 30. September 1698 um Leibniz’ Fürsprache. Er äußerte den Wunsch, das Manuskript zu behalten, obgleich es bereits von Leibniz – im ersten Band Accessiones historicae von 1698 – gedruckt worden war und er sich dessen bewusst sei, dass es keine Selbstverständlichkeit darstelle, dass Papebroch ihm die Handschrift, zumal „einem häretischen Mann“, anvertraut habe. 276 Knapp drei Monate später wandte sich Leibniz an Papebroch. Er suchte diesen davon zu überzeugen, dass „jenes vorzügliche Denkmal der Magdeburger Angelegenheiten“ nun in seinem Heimatland verbleiben solle, nachdem sein Inhalt („res ipsa“) durch den Druck gesichert worden sei. 277 Papebroch beschied Müllers Ansuchen schließlich nur deswegen abschlägig, weil „unsere pergamentene Sachsenchronik“ in „unserer gemeinsamen Bibliothek zu Hause sein sollte.“ Nach Maßgabe der Sortierung der Bibliothek der Bol–––––––— 275

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Jardine, Glanz (1999), S. 143. Allgemeiner noch geht Michael Giesecke, Der Buchdruck in der frühen Neuzeit. Eine historische Fallstudie über die Durchsetzung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien, Frankfurt a. M. 1991, S. 154, davon aus, dass es im Lauf „der frühen Neuzeit“ schlicht „zu einer Abwertung der mittelalterlichen Leistungen der skriptographischen Kultur“ gekommen sei. Vgl. Philipp Müller an Leibniz, (Magdeburg), 30. Sept. 1698, in: Leibniz, Schriften, Reihe 1: Briefwechsel, Bd. 16: Oktober 1698–April 1699, hrsg. v. der BerlinBrandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, Berlin 2000, Nr. 105, S. 170: „Repetit […] clarissimus Papebrochius a me creditum codicem, ceu nobis jam inutilem edito scripto. Tueri fidem datam sane meum est, cui tam facile fuit creditum, homini […] haeretico […]. Cum vicissim benigne meminerit Excellia Tua conventi invicem, non dubito quin Virum possit Ipsa conciliare ut relinquat lubens quod concessit.“ Vgl. Leibniz an Daniel Papebroch, Hannover, 27. Dez. 1698, in: ebd., Nr. 263, S. 408–413, hier S. 409: „D. Mullerus […] valde optat egregium illud Magdeburgicarum rerum monumentum, quod beneficio Tuo nactus est, licet a me sit editum, posse retinere; et conabitur referre hanc gratiam. Cumque illic velut in patrio solo repositum manere praestet, praesertim postquam res ipsa perire amplius non potest, fortasse non aegre annues petenti.“

321 landisten zeigte er sich jedoch gewillt, den Codex der Annales gegen die – zu dieser Zeit erwartete – Ausgabe der Baseler Konzilsakten einzutauschen. Die Handschrift, die die Bollandisten aus den Hinterlassenschaften Browers aus dem Trierer Jesuitenkolleg erhalten hatten, sollte letztlich bei Leibniz verbleiben. Sie wird heute in Hannover aufbewahrt. 278 An anderer Stelle hatte Leibniz allerdings auch einige Überlegungen zu Papier gebracht, in denen er Teilen der handschriftlichen Überlieferung eine derartige Bedeutung zugesprochen hatte, dass sie ihm, unabhängig von seinen eigenen publizistischen und historiographischen Interessen, einer neuen Sicherung zu bedürfen schienen. In einer etwa Mitte des Jahres 1680 verfassten Denkschrift unterbreitete er Herzog Ernst August von Braunschweig-Lüneburg (1629–1698) seine Vorstellungen Von nützlicher einrichtung eines Archivi. Das Archiv müsse ein „Orth […] versichert und wohl verwahret seyn, damit die briefschafften unversehret und un-verändert beybehalten werden. Mus demnach zu forderst niemand ohne überaus große gewalt in das Archivum kommen können, so nicht dazu gehöret […].“ 279 Die von Krieg und Feuer bedrohten „wichtige originalien“ sollten „in einer starcken festung(,) in einem soviel thunlich von anderen gebäuden zimblich abgesonderten orth mit starcken gewölben und eisern thüren umbschlossen(,) verwahret werden […].“ Unter großer Geheimhaltung und mit exklu–––––––— 278

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Vgl. Daniel Papebroch an Leibniz, Antwerpen, 26. Jan. 1699, in: ebd., Nr. 306, S. 497–500, hier S. 498: „Chronicum nostrum Saxonicum membraneum cuiquam donare cum sit Bibliothecae communis nostrae ego non possum: possem tamen ad utilitatem ipsius Bibliothecae illud cum aliis libris novis commutare, puta cum Actis concilii Basileensis quando fuerit absoluta impressio quod Rmo Mullero cum salute indicatum velim.“ Nach Anm. ad Z. 1, ist nicht genau geklärt, welche Ausgabe damit gemeint war. Die Herausgeber vermuten, dass Hermann von der Hardts (1660–1746) Magnum oecumenicum Constantiense Concilium (6 Bde., 1696–1700) angesprochen gewesen sein könnte. Zumindest an der Entstehung dieses zuletzt genannten Werks scheint Papebroch, auf Leibniz’ Bitten und in Zuarbeit für den offenbar auch involvierten sächsischen Polyhistor Wilhelm Ernst Tentzel (1659–1707), beteiligt gewesen zu sein. Vgl. Papebroch an Bacchini, Antwerpen, 5. Okt. 1696, in: Tassi, Corrispondenza (1952), Nr. 8, S. 135f., hier S. 136: „Electoris Hannoverani Historiographus Leibnitius scribit mihi, quod Tentzelius luce paret Acta Concilii Constantiensis integra ex Caesareis et aliis pluribus codicibus […]. Si Constantiense alicubi reperiatur, mihique accurate delineatum mittatur, curabo ut ei ad manus veniat.“ Vgl. zu den Annales Magdeburgenses Georg Heinrich Pertz, [Einleitung], Annales Magdeburgenses, in: MGH SS, Bd. 16, hrsg. v. dems., Hannover 1859, S. 105–107; Helmar Härtel (Hrsg.), Handschriften der Niedersächsischen Landesbibliothek Hannover, Bd. 2: Ms. I 176a–Ms. Noviss. 64. Beschreibungen von Helmar Härtel/Felix Ekowski (Mittelalterliche Handschriften in Niedersachsen 6), Wiesbaden 1982, S. 226, Ms. XIX 1105; Nass, Reichschronik (1996), S. 82. Leibniz, Von nützlicher einrichtung eines Archivi, in: ders., Schriften, Reihe 4: Politische Schriften, Bd. 3: 1677–1689, hrsg. v. Zentralinstitut für Philosophie an der Akademie der Wissenschaften der DDR, Berlin [Ost] 1986, Nr. 28, S. 333–340, hier S. 338. Vgl. Reese, Rolle (1967), S. 8; Hans-Peter Schneider, Leibniz und der moderne Staat, in: Breger/Niewöhner (Hrsg.), Leibniz (1999), S. 23–34, hier S. 27.

322 sivem Zutrittsrecht versehen sollten „die wichtigsten originalien, in gewölben unter der Erde, dazu ein kleiner zugang, in eisern kasten verschloßen […] aufgehoben werden […].“ 280 Leibniz, der 1676 unter der Regentschaft Herzog Johann Friedrichs (1625–1679) in die Position des Hofrats und Bibliothekars am Hannoverschen Hof eingetreten war, 281 definierte das Archiv funktional als einen „orth, da die schrifften, so zur Regirung dienlich, also verwahret werden, daß sie sowohl zu künfftiger nachrichtung unversehret und unverändert beybehalten, als auch in rechten zu einer völlig beglaubten beweisführung gebrauchet werden können.“ 282 In ihm hätten soviele „Sorten und Species“ Platz zu finden „als scripta sunt vel dispositiva et effectum juris habentia, vel narrativa tantum et informatoria […].“ 283 Dies beträfe nicht nur das fürstliche Rechts- und Verwaltungsschrifttum, etwa Aufzeichnungen über zurückliegende oder aktuelle besitzrechtliche Vorgänge, 284 sondern auch Stücke, welche „ad dignitatem et gloriam serenissimarum et alioqvi illustrium Familiarum“ dienten, „weilen zum öfftern aus denen alten darinn befindtlichen Monumentis der vorfahren rühmliche thaten, auch wahres hehrkommen und Stammes Ursprung erfahren, erläutert, auch bewiesen und bestärcket werden können.“ 285 Das Archiv konstituierte sich bei Leibniz demnach als eine Summe von Originalen. In seinen historiographischen Sektionen versammelte es den Beweisgrund auch der eigenen geschichtlichen Identität. Leibniz’ ideales Archiv war kein metaphorischer Kerker, in dem einige vorgeblich vernachlässigte, von aller Welt vergessene oder lange Zeit verheimlichte Manuskripte auf ihre Retter warteten, sondern ein Tresor, dessen historiographische Bestände auf den in den vorangegangenen Jahrzehnten durchlaufenen Prozess der konsensuellen Aufwertung der skriptographischen Erzeugnisse des Mittelalters zurückblicken konnten. In seinen Schattierungen bleibt dieser Prozess allerdings noch weithin zu untersuchen.

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Leibniz, Einrichtung, S. 339. Vgl. Reese, Leibniz (1967), S. 7. Leibniz, Einrichtung, S. 335. Ebd., S. 339. Vgl. ebd., S. 336. Ebd., S. 337. Vgl. zur Entwicklung des frühneuzeitlichen Archivwesens kurz Blandine Barret-Kriegel, Les historiens et la monarchie (Les chemins de l’histoire), Bd. 2: La défaite de l’érudition, Paris 1988, S. 177ff.; 182ff.; Eckhart G. Franz, Archive, in: Aufriß der Historischen Wissenschaften, Bd. 6: Institutionen, hrsg. v. Michael Maurer, Stuttgart 2002, S. 166–213, hier S. 179–186.

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4.2.6 Abbildhaftes in Raum und Zeit Eine weitere bedeutsame Veränderung gegenüber dem humanistischen Blick auf die mittelalterlichen Manuskripte betrifft die Entwicklung eines editorischen Ideals, das sich nicht länger am Leitprinzip der Emendation, sondern an dem einer Abbildrelation von skriptographischer Vorlage und ihrer typographischen Aufbereitung orientierte. Diese, unten noch genauer zu betrachtende, Entwicklung konvergierte weniger mit den philologischen Bestrebungen des 16. Jahrhunderts, als vielmehr mit den realienkundlichen Spielarten des Antiquarianismus, in dessen Umfeld es zu einer Monumentalisierung auch der literarischen Traditionen und ihrer Buchstabenbestände als solchen gekommen zu sein scheint. Nach der Nicolaus Claude Fabri de Peiresc (1580–1637) geltenden Lebensbeschreibung des Philosophen und Astrologen Pierre Gassendi (1592–1655) habe dieser im Jahr 1608 einen Bekannten vor einer anstehenden Reise nach Aachen darum ersucht, dass er alles, was von den Denkmälern Karls des Großen übrig sein sollte, auf das Aufmerksamste inspizierte, Inschriften abschriebe, sich darum kümmerte, dass die jeweiligen Bilder, sei es in kirchlichen Büchern, auf Fenstern, Kleidern oder Steinen wie auch die auf allen möglichen anderen Dingen angebrachten, genau wiedergegeben würden; dass er den Grundriss der Orte und Ornamente nicht vernachlässigte, Abschriften von Diplomen, Abdrücke von Siegeln erlangte, sei es gegen Bitte oder Bezahlung. 286

Die dem zugrunde liegenden Prozesse können als solche der flächendeckenden Objektivation von Lebenswirklichkeit beschrieben werden. Über die altertumskundlichen und historiographischen Bestrebungen hinaus können sie als eine Signatur der Jahrzehnte seit um 1600 betrachtet werden, nicht im Sinne eines epistemischen Bruchs, sondern im Sinne einer sich verdichtenden gelehrten Konfiguration, die im vorangegangenen Jahrhundert Raum zu greifen begonnen hatte. Falls diese Hypothese zutreffen sollte, –––––––— 286

Petrus Gassendi, Viri illvstris Nicolai Clavdii Fabricii de Peiresc Senatoris Aqvisextiensis Vita, in: PETRI || GASSENDI || DINIENSIS || ECCLESIÆ PRÆPOSITI, || ET IN ACADEMIA PARISIENSI || MATHESEOS || REGII PROFESSORIS || MISCELLANEA, || VIDELICET || I. Diogenis Laërtij Liber X. cum noua Interpretatione & Notis. || II. Vita Epicuri, Peireskij, Tychonis Brahei, Copernici, Peurbachij, || & Regiomontani. || III. Abacus Sestertialis, seu de valore Antiquæ Monetæ ad nostram || redactæ. || IV. Romanum Calendarium compendiosè expositum. || V. Manuductio ad Theoriam Musices. || VI. Notitia Ecclesiæ Diniensis. || TOMVS QUINTVS. || CVM INDICIBVS NECESSARIIS. || LVGDVNI, || Sumptibus LAVRENTII ANISSON, || & IOANNIS BAPTISTÆ DEVENET. || M. DC. LVIII. || CVM PRIVILEGIO REGIS (Neudruck Stuttgart-Bad Cannstatt 1964. Mit einer Einleitung v. Tullio Gregory), S. 243–350, hier S. 270b: „[…] vt quicquid […] monumentorum Caroli Magni superesset, attentissimè inspectaret, inscriptiones exscriberet, icones quasque in Ecclesiasticis seu libris, seu vitris, seu vestibus, seu lapidibus, seu quibusvis aliis rebus impressas exprimi curaret; locorum, ornamentorúmque ichnographiam non negligeret, diplomatum apographa, sigillorum ectypa, prece, pretióve obtineret.“

324 wäre die Frage zu stellen, ob die hier untersuchten Gattungen auf prinzipiell ähnlichen Konfigurationen beruhten wie die „neuen“ Naturwissenschaften. Diese wären damit nicht, wie häufig – und auf chronologisch problematischen Grundlagen – postuliert, das methodische Vorbild der sich entwickelnden Geisteswissenschaften, sondern repräsentierten die andere Seite derselben Medaille. Symptomatisch sind diese Vorgänge an der Intensivierung deskriptiver und der Standardisierung abbildender Verfahrensweisen abzulesen, die das lokal oder territorial in Augenschein Genommene in die Schrift- und Buchkultur überführten. Aufgrund ihrer Sprödigkeit und scheinbar geringen Aussagekraft sind die daraus erwachsenden Gattungen wie die „collective travel accounts“ 287 von der Geistesgeschichte weithin übergangen worden. Paradigmatisch verkörpern sich diese Prozesse etwa im Itinerarium per nonnullas Galliae Belgicae partes des Antwerpener Kartographen Abraham Ortelius (1527–1598) von 1584, 288 in altertumskundlicher Hinsicht etwa in François Des Rues (1554–1633) kleiner Description contenant les antiquitez, fondations & singularitez […] du Royaume de France von 1608. 289 Ihre historiographische Elaboration erfuhren diese Zugriffe in den territoriale Zugehörigkeiten markierenden und das Vorhandene durchaus nach Maßgabe gegenwärtiger Sachlagen interpretierenden Werken der frühneuzeitlichen Topographie und Chorographie. 290 Es könnte vermutet –––––––— 287 288

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Vgl. Robert Mayhew, Geography, Print Culture and the Renaissance: „The Road Less Travelled by“, in: History of European Ideas 27 (2001), S. 349–369, hier S. 357. Vgl. ebd., S. 354; Klaus Schmidt-Ott, Einleitung, in: Itinerarium per nonnullas Galliae Belgicae partes. Der Reiseweg durch einige Gebiete des belgischen Galliens von Abraham Ortelius und Johannes Vivianus, übers. u. komm. v. dems. (Europäische Hochschulschriften. Reihe 3: Geschichte und ihre Hilfswissenschaften 841), Frankfurt a. M./Berlin/Bern [u. a.] 2000, S. 1–27; Hepple, Camden (2003), S. 160; Papy, Antiquarian (2004), S. 105. Vgl. DESCRIPTION || CONTENANT || LES ANTIQVITEZ, || fondations & singularitez des || plus celebres Villes, Cha- || steaux, & places remar- || quables du Royau- || me de France, || Avec les choses plus memorables || aduenues en iceluy. || A CONSTANCES || M. DC. VIII. Vgl. zum 17. Jahrhundert vor allem Raingard Eßer, Schwierige Vergangenheit. Amsterdamer Stadtgeschichte(n) des 17. Jahrhunderts, in: ZHF 30 (2003), S. 53–74. Mögliche Entwicklungen und Veränderungen, die diese in der frühen Neuzeit prominenten, in ihrer vollen Breite bislang aber kaum begriffenen Gattungen durchliefen, bleiben zu untersuchen. Vgl. grundsätzlich etwa Hans-Bernd Harder (Hrsg.), Landesbeschreibungen Mitteleuropas vom 15. bis 17. Jahrhundert. Vorträge der 2. internationalen Tagung des „Slawenkomitees“ im Herder-Institut Marburg a. d. Lahn. 10.–13. November 1980 (Schriften des Komitees der Bundesrepublik Deutschland zur Förderung der Slawischen Studien 5), Köln/Wien 1983; die „1. Abteilung: Landesbeschreibung“, in: Hans-Bernd Harder/Hans Rothe (Hrsg.), Studien zum Humanismus in den böhmischen Ländern, Bd. 3: Die Bedeutung der humanistischen Topographien und Reisebeschreibungen in der Kultur der böhmischen Länder bis zur Zeit Balbíns (Schriften des Komitees der Bundesrepublik Deutschland zur Förderung der Slawischen Studien 17), Köln/Weimar/Wien 1993, S. 1–126; Klaus Arnold, Städtelob und Stadtbeschreibungen im späteren Mittelalter und in der frühen Neuzeit, in: Städtische Geschichtsschreibung im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit, hrsg. v. Peter Jo-

325 werden, dass das, was in den Annales ecclesiastici oder Browers Trierer Antiquitäten in zeitlicher Hinsicht mit dem Bedürfnis zur Stabilisierung chronologischer Abläufe zur Deckung kam, hier, mit zahlreichen Berührungspunkten, zu einem präzisierten Begriff des historischen Raums beitrug, im Kleinen wie im Großen. In den Acta Sanctorum wird man Momente all dieser Entwicklungen nachweisen können. Die Dossiers zu solchen Heiligen, deren Wirkungsraum weniger bekannt zu sein schien, wurden mit kleineren geographischen Erörterungen eröffnet: „Canosa di Puglia ist eine am Fluss Aufidum gelegene Stadt gewesen, der jetzt Ófanto oder Lófanto genannt wird; […].“ 291 „Die Stadt in Spanien Tarrasa, von den Sarazenen zerstört, einst als bischöflicher Sitz unter der, bei Barcelona gelegenen, Metropole Tarragona berühmt, ist davon überzeugt, dass die Einteilung der Grenzen der Diözesanund Pfarrbezirke Spaniens von König Wamba vorgenommen worden ist und namentlich […] im Jahr des Herrn 675.“ 292 „In der Grafschaft York ist der Fluss Rhius, der, wie Camden zu den Brigantes sagt, die Wasser vieler Wildbäche mit sich in die Derwent hat entströmen lassen. Daher wird ein bestimmtes blühendes, anmutiges, fruchtbares, mit 23 kirchlichen Pfarreien geschmücktes Tal Rhidal genannt, weil der Rhius es durchschneidet.“ 293 Zur Zeit Bollands war der Name Camdens ebenso wie jener Klüvers bereits zu –––––––—

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hanek (Städteforschung. Reihe A: Darstellungen 47), Köln/Weimar/Wien 2000, S. 17–32; Dieter Mertens, Landeschronistik im Zeitalter des Humanismus und ihre spätmittelalterlichen Wurzeln, in: Brendle/Mertens/Schindling [u. a.] (Hrsg.), Landesgeschichtsschreibung (2001), S. 19–31, hier S. 28f.; Ottavio Clavuot, Flavio Biondos „Italia illustrata“. Porträt und historisch-geographische Legitimation der humanistischen Eliten Italiens, in: Diffusion des Humanismus. Studien zur nationalen Geschichtsschreibung europäischer Humanisten, hrsg. v. Johannes Helmrath/Ulrich Muhlack/Gerrit Walther, Göttingen 2002, S. 55–76; Ulrich Muhlack, Das Projekt der „Germania illustrata“. Ein Paradigma der Diffusion des Humanismus?, in: ebd., S. 142–158; Ott, Entdeckung (2002), S. 247–259. I[oannes] B[ollandus], De Sanctis Episcopis Canvsinis Rvffino et Memore historica annotatio, in: AASS Februarii, Bd. 2, 1658, 9. Feb., S. 300–303, hier S. 300a: „Canusium Apuliæ vrbs fuit, ad Aufidum sita amnem, qui nunc Ofantus, siue Lofantus appellatur; […].“ G[odefridus] H[enschenius], De S. Nebridio Episcopo Egarensi in Hispania Tarraconensi, in: ebd., 9. Feb., S. 301f., hier S. 301a: „Egara vrbs Hispaniæ, à Saracenis diruta, Sede olim Episcopali sub metropoli Tarraconensi illustris, cuius situm prope Barcinonem fuisse, persuadet diuisio terminorum diœcesium & parochiarum Hispaniæ à Rege Wambâ facta, & quidem […] anno Christi DCLXXV.“ Vgl. De B. Aelredo, sive Ealredo, Abbate Rievallensi in Anglia, in: AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, 12. Jan., S. 748–751, hier S. 748a: „In Eboracensi prouinciâ fluuium est Rhius, qui, vt Cambdenum in Brigantibus ait, multorum torrentu[m] aquas secum in Dervventionem euoluit. Ab hoc vallis quædam læta, amœna, fecunda, XXIII. parochialibus ecclesiis ornata, Rhidal dicitur, quippe quam Rhius intersecat.“ Vgl. Camden, Britannia, 21607, S. 588: „Post hæc ad solem Occidentem Rhidall substernitur, vallis læta, amœna, fœcunda, viginti tribus parochialibus ecclesijs ornata, quam Rhie [!] fluuius intersecat: […].“ Es folgten die Aufzählung der Nebenflüsse und das Resümee: „Indè Rhius multorum torrentum aquas secum in Derwentionem euoluit, […].“

326 einer Chiffre für diejenigen geworden, die einem antiquarischen Zugriff huldigten. Obwohl man aus heutiger Sicht, was die Gesamtkomposition der Werke und deren Zuordnung zu verschiedenen Textsorten im analytischen Sinne anbelangt, die Britannia und die Acta Sanctorum in keiner Weise ein und derselben Gattung zuordnen könnte, führte Bolland, neben Duchesne, auch diese beiden „heterodoxen“ Autoren ins Feld, um den Acta Sanctorum Legitimität zu verschaffen. An ihren Werken sei der Gewinn abzulesen, den die Integration auch der Viten in die „Historien der Regionen und Städte“ bedeute: Daher vertraue ich darauf […], dass bei den Liebhabern des Altertums, vor allem bei den frommen und gemäßigten Menschen, diese meine Arbeit in nur sehr geringem Umfang dem Tadel anheimfallen dürfte. Christus, unser Erlöser, hat einst verkündet ¢marginal: Matth. 13.52², dass es sozusagen den Anblick des himmlischen Reichs bedeutet, wenn der gelehrte Schreiber aus seinem Vorrat Altes und Neues herhole. Ich hole hier sowohl die alten, lange verborgenen, als auch die neuen Vorräte hervor, wenn auch nicht auf gelehrte oder elegante Weise, gewiss aber sorgfältig und zuverlässig; […]. 294

Eine ähnliche Hoffnung, dass gewiss nicht „alle Heterodoxen“ die Acta Sanctorum verlachen würden und er stattdessen auf den Konsens der „Liebhaber des Altertums“ („amatores antiquitatis“) bauen könne, artikulierte Bolland an anderer Stelle, neben Klüver und Camden nun auch im Hinweis auf Ussher, Voss und Van Meurs. 295 Mit diesen Autoren verband sich, in dem publizistisch vertretenen Eigenbild Bollands, eine ideelle Gemeinschaft –––––––— 294

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Vgl. Bolland, Praefatio, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, S. XIVa: „Quid quòd ipsæ prouinciarum vrbiumque historiæ ex sacris illis lucem præcipuè mutuentur? Testor Andreæ Duchesnij præclara rerum Francicarum volumina in quibus plurima sunt ex Vitis Sanctorum, & monumentis monasteriorum excerpta. Guilielmum Cambdenu[m] in Britanniâ illustratâ, Philippum Cluuerium in Italiâ ac Germaniâ, atque alios heterodoxos non piget ab his & firmissima & permulta sumere testimonia. || Quamobrem confido […], vt apud antiquitatis amatores, pios præsertim & moderatos homines, meus hic labor minimè in reprehensionem incurrat. Speciem quamdam esse regni cĊlestis pronuntiauit olim Christus Saluator noster ¢marginal: Matth. 13.52², si de thesauro suo scriba doctus vetera proferat ac noua. Thesauros hîc & veteres diu abditos, & nouos, profero, etsi nec doctè nec eleganter, diligenter tamen certè ac fideliter; [...].“ Vgl. Biblia sacra, ed. Weber (31984), Mt 13,52: „[…] ideo omnis scriba doctus in regno caelorum similis est homini patri familias qui profert de thesauro suo nova et vetera […].“ Bibel. Einheitsübersetzung (1980), Mt 13,52: „Jeder Schriftgelehrte also, der ein Jünger des Himmelreichs geworden ist, gleicht einem Hausherrn[,] der aus seinem reichen Vorrat Neues und Altes hervorholt.“ Vgl. Bolland, Praefatio, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, S. XXXVIIIa: „Nec ridebunt […] heterodoxi omnes laborem hunc meum. Sunt inter eos quidam amatores antiquitatis, eoque propius distantes à regno Dei, qui gaudebunt in lucem proferri multa quocumque etiam squallore obsita, quibus ipsi ad eas quas moliuntur humanæ litteraturæ lucubrationes vtantur. Vsus est sanè in Italiâ illustrandâ Philippus Cluuerius, in Britanniâ Guilielmus Cambdemus: neque istiusmodi scripta omnia respuent Iacobus Vsserius, Gerardus Ioannes Vossius, Ioannes Meursius, aliique.“ Vgl. zum Aspekt der Komik unten Kap. 5.2.4.

327 derer, die mit dem „Altertum“ beschäftigt waren. Sie wurde als Gegengewicht zur möglichen Kritik an den Acta Sanctorum namhaft gemacht. Hätte es sich nicht um Autoren gehandelt, die über den Katholizismus hinaus Respekt genossen hätten, wären sie von Bolland wahrscheinlich nicht genannt worden. Über die konfessionellen und hagiographiegeschichtlichen Eigenarten der Acta Sanctorum ist mit diesem Hinweis allerdings nur wenig ausgesagt.

5 Konfessionalismus – Zum Kontext der Acta Sanctorum […] man glaubt gern, daß die Dinge in ihrem Anfang vollkommen waren; daß sie in vollem Glanz aus der Hand des Schöpfers hervorgingen, daß sie am ersten Morgen in schattenloses Licht getaucht waren. Der Ursprung liegt immer vor dem Fall, vor dem Körper, vor der Welt und vor der Zeit. Er liegt bei den Göttern und seine Erzählung ist immer eine Theogonie. Hingegen ist das historische Beginnen etwas Niedriges. 1

5.1 Konfessionen und Passionen Auf welche Weise Klüver, Camden oder Van Meurs über die Acta Sanctorum gedacht hätten, ist nicht mehr zu entscheiden. Sie waren zum Zeitpunkt der Publikation der ersten Bände längst verstorben. Auf Voss’ wohlwollende Rezeption wurde bereits ebenso eingegangen wie auf die kontrollierte Reaktion des Ordensgenerals der Jesuiten Vitelleschi.2 Zum unmittelbaren Umfeld Bollands zählte der Jesuit Pierre Halloix. Dieser hatte wie Rosweyde in Douai studiert. Seit 1613 durchstreifte er die Bibliotheken Belgiens und des nordöstlichen Frankreichs auf der Suche nach den Traditionen der Autoren des frühen Christentums: „Hier wie dort forsche ich nach ihren Fragmenten, wo auch immer sie sich verbergen mögen“, schrieb Halloix am 14. Januar 1632 an den Oratorianer Jean Morin (1591–1659). 3 Am 22. Oktober 1643 beglückwünschte Halloix Bolland zu den „glücklich und dicht gestaltete[n] Bände[n]“, die er nun in der Bibliothek des Kollegs von Lüttich habe einsehen können. 4 Anerkennend äußerten sich in den folgen–––––––— 1

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Michel Foucault, Nietzsche, die Genealogie, die Historie [franz. 1971], in: Ders., Von der Subversion des Wissens, hrsg. u. aus dem Franz. u. Ital. übertr. v. Walter Seitter. Mit einer Bibliographie der Schriften Foucaults, Frankfurt a. M. 1996, S. 69–90, hier S. 71. Vgl. oben S. 27. Mit Ussher hatte Bolland keinen Kontakt. Vgl. unten S. 521 Anm. 143. Vgl. Claire Falla, L’Apologie d’Origène par Pierre Halloix (1648) (Bibliothèque de la Faculté de Philosophie et Lettres de l’Université de Liège 238), Paris 1983, S. 21–27, Zitat S. 23 Anm. 1: „Hinc et ipsorum fragmenta si qua uspiam lateant aut alibi […] perquiro.“ Vgl. Pierre Halloix à Jean Bolland, Liège, le 22 octobre 1643, in: ebd., Piece Justificatives, Nr. 1, S. 175–177, hier S. 175: „Duos Reverentiae Vestrae tomos pulchre ac

329 den Jahrzehnten insbesondere solche Gelehrte, die darauf hofften, mit den Acta Sanctorum die Möglichkeit zu erhalten, lokale Traditionen vergleichsweise unproblematisch publizieren zu können. Der in Brescia wirkende Priester, Hagiograph und Historiograph Bernardino Faino (1597– 1673) eröffnete am 6. September 1668 einen an Henschen gerichteten Brief mit den Worten: Euer Schreiben ist mir sehr willkommen gewesen und auch das gern empfangene Bild des vortrefflichen Mannes Johannes Bollandus, das ich andächtig geküsst habe. Ich sage Euch Dank, und ich beglückwünsche Euch zu einer so großen Berufung, demselben Bollandus im Zutagefördern aus verborgenen Stätten und Zusammenstellen der Acta Sanctorum nachzufolgen. Ein gewiss hervorragendes Werk, beinahe unermesslich, und der Kirche Gottes sehr nützlich, […]. 5

Mancher lokalhistorisch interessierte Vertreter des Katholizismus ließ sich von der altertumskundlichen Emphase Bollands infizieren und teilte ihm mit, seinerseits Kenntnis von hagiographischen Schriften zu besitzen, die „sich mit Schaben und Motten in den Haaren liegen“. 6 Einer größeren Öffentlichkeit dürften die Acta Sanctorum allerdings erst mit den Besprechungen in den gelehrten Rezensionsorganen bekannt geworden sein, die seit den 1660er Jahren entstanden. Östlich des Rheins waren es die Acta Eruditorum, die der Leipziger Professor für Moral und Politik Otto Mencke (1644–1707) 1682 ins Leben gerufen hatte, 7 die 1683 anlässlich der Publi–––––––— 5

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solide compactos (quale et opus optimum est, pulchrum et aere perennius) ut primum in bibliotheca nostra vidi, statim oculis raptus sum, et sero ab iis avulsus.“ Vgl. Faino an Henschen, Brescia, 6. Sept. 1668, BRB, Coll. boll. Ms. 8194–99 (3456), fol. 68r–v, hier fol. 68r: „PergratissimĊ mihi fuerunt uestrĊ literĊ, et pergratam Jmmaginem insignissimi Viri Johannis Bolandi, quam piè deosculatus sum. Gratias maximas Vobis ago, et Vobis gratulor de tanta uocatione ad sequendu[m] ipsum Bolandum in eruendis ex imis latebris, et conscribendis Actis Sanctorum. Opus quidem egregium, penè immensu[m], et perutile EcclesiĊ Dei, […].“ Vgl. zur Person Enzo Abeni, Il frammento e l’insieme. La storia Bresciana, Bd. 4: 1630–1849: dalla grande peste alla „festa di guerra“ delle Dieci Giornate, Brescia 1987, S. 57f., 71; ferner den Nachweis im IBI, Bd. 3, 1997, S. 1004. Pierre Le-Venier an Bolland, Auxerre, 26. Juli 1658, BRB, Coll. boll. Ms. 8182–90 (3455), fol. 176r–177r, hier fol. 176v: „[…] et multa in Monasterijs nostris cum blattis et tineis rixantur, […].“ Vgl. zu Le-Venier und Faino unten S. 468ff. Vgl. Augustinus Hubertus Laeven, The „Acta Eruditorum“ under the Editorship of Otto Mencke (1644–1707). The History of an International Learned Journal between 1682 and 1707, Amsterdam/Maarsen 1990 [niederl. 1986], S. 21–28; ferner Otto Dann, Vom „Journal des Scavants“ zur wissenschaftlichen Zeitschrift, in: Gelehrte Bücher vom Humanismus bis zur Gegenwart. Referate des 5. Jahrestreffens des Wolfenbütteler Arbeitskreises für Geschichte des Buchwesens vom 6. bis 9. Mai 1981 in der Herzog August Bibliothek, hrsg. v. Bernhard Fabian/Paul Raabe (Wolfenbütteler Schriften zur Geschichte des Buchwesens 9), Wiesbaden 1983, S. 63–80, hier S. 66f.; Mühlpfordt, Gelehrtenrepublik (1990), S. 63, 66ff.; Elisabeth Lea/Gerald Wiemers, Planung und Entstehung der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig. 1704–1846. Zur Genesis einer gelehrten Gesellschaft (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. Philolog.-hist. Kl. Dritte Folge 217), Göttingen

330 kation der ersten Maibände der Acta Sanctorum von 1680 einige Worte zur Bedeutsamkeit der Vitenliteratur insgesamt verloren. Mencke hatte die Bollandisten im Jahr 1680 auf einer Reise in die Spanischen Niederlande in Antwerpen besucht. Der Artikel selbst stammte von dem Leipziger Universitätsprofessor, Archidiakon und lutherischen Pastor an der Thomaskirche Friedrich Benedikt (II.) Carpzov (1639–1699): 8 Die Tatenberichte derer, die in Gottgefälligkeit des Lebenswandels Hervorragende gewesen sind, zu preisen und zur Kenntnis vieler zu bringen, muss als besonders nützliche: und um deren Ruhm Sorge zu tragen, ihre Denkmäler zu bewahren, ihre Tugenden bekannt zu machen, ihre Heiligkeit des Lebens sowohl bei ihnen selbst zu bewundern als auch anderen zur Nachahmung anzuempfehlen als volle Pflicht der Frömmigkeit eingeschätzt werden: Daher ist das Streben derer zu billigen, die die Denkmäler der Heiligen Gottes in diesem Dienst verehrt haben, indem entweder sie selbst sie in Schriften niederlegten oder sie die von anderen in Schriften niedergelegten Denkmäler zusammentrugen und aufbewahrten. Dass, auch wenn nicht alle Dinge, die von jenen gerühmt werden, fürwahr ganz und gar einander entsprechend sein mögen, der ergriffene Geist dennoch von denselben Erzählungen zu Bewunderung aufgrund gewisser geheimnisvoller Stachel bewegt und entflammt wird, wegen der vor Augen geführten Exempla, welche lehren, den Geist zu beherrschen, schlechte Begierden im Zaum zu halten, Reichtümer, Ehren, Wünsche zu verachten, aus Kränkungen Ruhm zu schöpfen, aus Unheil Trost, aus Martern Vergnügen, schließlich aus dem Tod selbst das Leben. 9

Im Folgenden erläuterte Carpzov, wer die Träger der Acta Sanctorum waren und wie sie sich seit Rosweyde entwickelt hatten. 10 Einige Jahre zuvor hatte das 1665 gegründete Journal des Sçavans 11 im Jahr 1670 in Gestalt des –––––––—

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1996, S. 78; Rudolf Vierhaus, „Theoriam cum praxi zu vereinigen …“. Idee, Gestalt und Wirkung wissenschaftlicher Sozietäten im 18. Jahrhundert, in: Gelehrte Gesellschaften im mitteldeutschen Raum (1650–1820), Teil 1, hrsg. v. Detlef Döring/Kurt Nowak (Abhandlungen der Sächs. Akad. d. Wiss. zu Leipzig. Philolog.-hist. Kl. 76, H. 2), Stuttgart/Leipzig 2000, S. 7–18, hier S. 10f. Vgl. Laeven, „Acta Eruditorum“ (1990), S. 106f., 153f., 375. Acta Eruditorum Anno 1683, H. 1, Leipzig 1683: Art. Acta Sanctorum Maii collecta, digesta, illustrata a Godefrido Henschenio & Daniele Papebrochio e Societate Jesu, Tomis tribus. Antverpiæ, 1680. in fol., S. 4–13, hier S. 4f.: „Gesta eorum, qvi vitæ sanctimonia fuerunt conspicui, celebrare & in plurium ferre notitiam utile cumprimis censendum: ac tueri ipsorum gloriam, conservare memorias, deprædicare virtutes, sanctitatem vitæ & admirari secum & imitandam commendare aliis, plenum pietatis officium est. Qvocirca probandum eorum studium, qvi Sanctorum Dei memorias hoc cultu venerati sunt, ut eas literis vel ipsi consignarent, vel iisdem commendatas ab aliis colligerent & conservarent. Qvod si maxime omnia, qvæ prædicantur de iis, vero consentanea non sint, raptus tamen istis narrationibus in admirationem animus arcanis qvibusdam stimulis agitur atqve inflammatur, exemplis ob oculos positis, qvæ doceant regere animum, frænare cupiditates improbas, opes, honores, voluptates contemnere, capere de injuriis gloriam, ex calamitate solatium, ex cruciatibus voluptatem, ex ipsa deniqve morte vitam.“ Vgl. ebd., S. 7ff. Vgl. Betty Trebelle Morgan, Histoire du Journal des Sçavans depuis 1665 jusqu’en 1701, Paris 1929; Jean Ehrard/Jacques Roger, Deux périodiques français au 18e siècle. „Le Journal des Savants“ et „les Mémoires de Trevoux“. Essai d’une étude quanti-

331 Abbé Jean Gallois (1632–1707) die Publikation der Märzbände der Acta Sanctorum von 1668 seinerseits zum Anlass genommen, seine Leserinnen und Leser über die Entstehung, über Struktur und Nutzen dieses Unternehmens zu informieren: Früher betrachtete man die Lebensbeschreibungen der Heiligen nur als Bücher, die geeignet sind, die Frömmigkeit anhand der Exempla zu schulen, die dort berichtet werden: Aber die bestehende Erfahrung hat erkennen lassen, dass man aus ihnen auch großen Nutzen für die Kenntnis des Altertums ziehen kann, die Gelehrten haben es sich seit einem Jahrhundert angelegen sein lassen, sie zu lesen; und sie haben dort mehrere neue, für die Berichtigung der Chronologie und Erläuterung der Geschichte sehr nützliche Einzelheiten entdeckt. || In dem Maß, in dem man mehr Sorgfalt darauf verwandt hat, diese Lebensbeschreibungen zu lesen, hat man auch mehr Mühe auf sich genommen, sie aufzufinden. Zu Beginn dieses Jahrhunderts hat es Rosweidus von der Societas Jesu unternommen, mit ihnen bis zu achtzehn Bände zu füllen und dafür einige Vorbereitungen getroffen […]. 12

Im Juli 1684 stellte Bayle, mit kleineren chronologischen Fehlern, die aus der Lektüre der älteren Rezensionen hervorgegangen waren, in seinen seit März jenes Jahres erscheinenden Nouvelles de la République des Lettres das Projekt der Bollandisten („Des Actes de tous les Saints publiés par les Jesuites“) seiner Leserschaft vor: Man muss von Eisen sein und von einer unbegreiflichen Geduld, um sein ganzes Leben dazu zu weihen, die Tatenberichte aller Heiligen zu kompilieren. Es gibt eine unendliche Zahl Gelehrter, die es eher schätzten, in Bergwerken zu arbeiten als an dieser

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tative, in: Livre et société dans la France du 18e siècle, [Bd. 1], hrsg. v. François Furet (Civilisations et Sociétés 1), Paris/Den Haag 1965, S. 33–59; Roger Duchêne, Lettres et gazettes au XVIIe siècle, in: Revue d’histoire moderne et contemporaine 18 (1971), S. 489–502, hier S. 492; Hubert Bost, Un „intellectuel“ avant la lettre. Pierre Bayle (1647–1706). L’actualité religieuse dans les „Nouvelles de la Républiques des Lettres“ (1647–1687), Amsterdam/Maarssen 1994, S. 79–101; Thomas Broman, Periodical Literature, in: Books and Sciences in History, hrsg. v. Marina Frasca-Spada/Nick Jardine, Cambridge 2000, S. 225–238, hier S. 229; Jean-Pierre Vittu, La formation d’une institution scientifique. Le „Journal des Savants“ de 1665 à 1714. Premier article: D’une entreprise privée à une semi-institution, in: Journal des Savants année 2002, S. 179–203; ders., Le „Journal des Savants“ de 1665 à 1714. Second article: L’instrument central de la République des Lettres, in: ebd., S. 349–377. Le Journal des Sçavans, Bd. 2: Où sont contenuës les Années 1667. 1668. 1669. 1670. & 1671, Amsterdam 1685. De l’An 1670, H. 1: Du Lundy 10. Fevr. 1670: Art. Acta Sanctorum Martii, à Joan. Bollando S. J. colligi cœpta, & à Godefr. Henschenio & Dan. Papebrochio ejusdem Soc. aucta, digesta & illustrata. In fol. 3. Voll. Antverpiæ, S. 579–584, hier S. 579f.: „On ne consideroit autrefois les Vies des Saints, que comme des Livres propres à exciter la devotion par les exemples qui y sont rapportez: Mais l’experience ayant fait voir qu’on en peut aussi tirer de grands avantages pour la Connoissance de l’Antiquité, les Sçavans se sont appliquez depuis un siecle à les lire; & ils y ont découvert plusieurs nouvelles particularitez tres-utiles pour la rectification de la Chronologie & pour l’éclaircissement de l’Histoire. || Comme on a eu plus de soin de lire ces vies, on a aussi pris plus de peine à les rechercher. Au commencement de ce siecle Rosweidus de la Compagnie de Jesus entreprit d’en donner jusqu’à dixhuit volumes & fit pour cela quelques préparatifs […].“

332 Sache […]. Nichtsdestoweniger so wie die Geschmäcker ziemlich verschieden sind, hielt der Jesuit Rosweide diese Art der Kompilationen für eine so kleine Angelegenheit, dass er sich, als er im Alter von sechzig Jahren daran zu arbeiten begann, sehr bemühte, damit eher ans Ziel zu kommen, bevor er aus dieser Welt scheiden sollte, […]. 13

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Vgl. Nouvelles de la République des Lettres. Mois de Juillet, 1684, Article II.: Novus Ismael cujus manus contra omnes, & omnium manus contra eum, sive P. Daniel Papebrochius Jesuita omnes oppugnans, orbi expositus, per D. Justum Camum. C’est à dire, Le nouvel Ismael, ou le Jesuite Papebroch attaquant toute la terre, mené en montre, Augustæ Vindelicorum. 1683. in 8, in: Bayle, Œuvres, Bd. 1, 1727, S. 84–86, hier S. 85b: „Il faut être de fer & d’une patience inconcevable, pour consacrer toute sa vie à compiler les Actes de tous les Saints. Il y a une infinité de Sçavans qui aimeroient mieux travailler aux Mines qu’à cela […]. Néanmoins comme les goûts sont fort differens, le Jesuite Rosweide contoit pour une si petite affaire, cette sorte de Compilations, qu’ayant commencé d’y travailler à l’âge de soixante ans, […].“ Nach Darstellung Bayles gelangte Papebroch erst 1665 zu den Acta Sanctorum, nach Bollands Ableben und auf Initiative Henschens. Vgl. ebd.: „Après mille soins, & mille peines, ils [Bolland und Henschen] publierent enfin les Saints du mois de Janvier en deux gros volumes in folio, l’an 1643. Au bout de 15. ans ils publierent les Saints du mois de Février en trois volumes. Ils travailloient avec une application extrême à mettre en ordre les Saints du mois de Mars, lors qu’en 1665. la mort enleva du monde le Pere Bollandus âgé de près de soixante-dix années. Alors le P. Henschenius profitant de l’exemple du défunt, demanda un Adjoint qui partageât avec lui les fatigues de l’Ouvrage. On lui accorda un Sujet fort propre, qui fut le P. Papebroch.“ Dies entsprach den Ausführungen Carpzovs in den Acta Eruditorum. Vgl. Rez. Acta Sanctorum Maii collecta, in: Acta Eruditorum, 1683, H. 1, S. 9f.: „Qvindecim post annis Februarii Sanctorum Acta laboris hujus socii Bollandus & Henschenius tribus Tomis dederunt anno 1658 […]. Dum vero continuando huic studio intendunt, inqve ordinandis Martii Actis ambo desudant, & primus eorum Tomo prælo jam esset subjectus, Bollandum septuagenario proximum anno 1665 superveniens mors abstulit. Qvo extincto ad istius exemplum de idoneo ıȣȞ-ȑȡȖȦ Henschenius sibi prospiciens Danielem Papebrochium, industria & eruditione insignem virum, adscivit: qvo adjutore anno 1668 Acta Sanctorum Martii tribus inclusa Tomis prodierunt.“ Demgegenüber hatte sich Gallois vergleichsweise vage geäußert. Vgl. Rez. Acta Sanctorum Martii, in: Le Journal des Sçavans, 1670, H. 1, S. 580f.: „Il [Bolland] travailloit à la suite, lorsqu’il fut attaqué d’une espece d’Apoplexie dont il mourut l’an 1665. || Mais sa mort n’empecha pas la continuation de son Ouvrage. Car le P. Henschenius qui partageoit avec luy la gloire de ce travail, estant secondé du P. Papebrochius, a depuis publié trois gros volumes des vies des Saints du mois de Mars […].“ Bayles Meinung, dass sich Rosweyde erst im Alter von 60 Jahren an die Arbeit gemacht habe – realiter verstarb Rosweyde in diesem Alter –, geht ihrerseits auf Carpzov zurück. Vgl. Rez. Acta Sanctorum Maii collecta, in: Acta Eruditorum, 1683, H. 1, S. 7: „[…] Rosweydus tamen jam sexagenarius isti perficiendo se parem crediderat […].“ Es dürfte sich um einen Flüchtigkeitsfehler bei der Lektüre von Bollands Einleitung handeln. Bolland hatte hier geäußert, dass Rosweyde noch im Alter von 60, „nicht lange, bevor er aus dem Leben scheiden sollte“, darauf gehofft hatte, mit seinem Vorhaben, wenn auch weit von der Vollendung entfernt, etwas voranzuschreiten und wenigstens einen Band zu publizieren. Vgl. Bolland, Praefatio, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, S. XXIIIa–b: „Vt erat tamen magno animo Rosweydus, etsi tantum aberat ab abolutione operis, vt fundamenta, quæ cogitârat, vix omnino posuisse videatur; dixit tamen non diu antè quàm è vitâ decederet, iam LX. natus annos, posse se annis singu-

333 Keiner der Rezensenten setzte voraus, dass alle Leserinnen und Leser wussten, was die Acta Sanctorum waren. Ferner zeigen die Besprechungen deutlich, dass man die Acta Sanctorum als das rezipierte, was sie waren, als ein gelehrtes Werk. Dass er, als Lutheraner, nach dem Empfinden der modernen Geschichtswissenschaft die alten Heiligenviten in Bausch und Bogen hätte verwerfen müssen und der Katholizismus mit den Acta Sanctorum auf diesen Gestus reagierte, kam Carpzov nicht in den Sinn. In der Tat wirft die alte These von einem reaktiven und dirigistisch initiierten Werk mehr Fragen auf, als konsistent beantwortbar sind: Weshalb hatte man die Acta Sanctorum nicht früher auf den Weg gebracht? Aus welchem Grund waren sie nicht in Rom und in der Nähe seiner Bibliotheken installiert worden? Weshalb war nicht, vergleichbar den Annales ecclesiastici, dafür Sorge getragen worden, sie mit genügend personalen und materiellen Mitteln auszustatten, so dass sie in überschaubarer Zeit vollendet werden konnten? In welchem Umfang hätte man darauf hoffen können, faktische oder vermeintliche Kritik des Protestantismus an der Heiligendevotion oder der hagiographischen Überlieferung allein dadurch einzudämmen, dass man Heiligenviten nun eben „wissenschaftlich“ edierte – was auch immer damit bezeichnet sei? Wenn letztlich die Furcht vor protestantischen Monita den Acta Sanctorum zugrunde lag, eine konfessionsgeschichtlich ohnehin fragwürdige Annahme, weshalb beließ man die Traditionen nicht in den Bibliotheken, da das, was nicht allgemein bekannt war, auch nicht zum Gegenstand potentieller Angriffe werden konnte? Der Sache nach vollkommen zutreffend, wenn auch in polemischer Absicht, konnte der Rotterdamer Theologe Pierre Jurieu (1637–1713), welcher der Ideengeschichte durch seine Kontroversen mit Bayle ein Begriff geworden ist, in seinen Prejugez legitimes contre le Papisme von 1685 mit Blick auf die Acta Sanctorum feststellen: „[…] dieses Werk ist der Gesellschaft der Jesuiten würdig, die der Fürst der Finsternis hat entstehen lassen, um die Väter und Beschützer der Lüge zu sein.“14 Denn „[d]iese Jesuiten haben sich der Mühe hingegeben, ungehörige Legenden, die im Staub der Bibliotheken vergraben gewesen waren, zu bergen, und haben sie all das beseitigt, was sagenhaft erschien? In keiner Weise, diese beachtlichen Bände sind dazu bestimmt, all jene Historien vor dem Vergessen zu bewahren, für die man Scham zu empfinden begonnen hat–––––––— 14

lis mensem siue tomum vnum, recensere ac vulgare.“ Der Artikel im Journal des Sçavans hatte auf dieses Detail verzichtet. [Pierre Jurieu], PREJUGEZ LEGITIMES || CONTRE || LE PAPISME, || Ouvrage où l’on considere l’Eglise Romaine dans tous ses || dehors, & où l’on fait voir par l’Histoire de sa con- || duite qu’elle ne peut être la veritable Eglise, à l’ex- || clusion de toutes les autres Communions du Christianis- || me, comme elle prétend. || DIVISÉ EN DEUX PARTIES. || SECONDE PARTIE. || A Amsterdam. || Chez HENRY DESBORDES dans le || Kalverstraat prés le Dam || M. DC. LXXXV. || Avec Privilege, S. 291: „En verité cet ouvrage est digne de la Société des Jesuites, que le Prince des tenébres a fait naître pour être les Peres & protecteurs du mensonge.“

334 te.“ 15 Es ist schwer, das Programm der Acta Sanctorum konziser zu beschreiben. Sie waren ein Projekt, das, man darf wohl sagen, mit jesuitischer Hartnäckigkeit gegen die Stimmen derer durchgesetzt wurde, die innerhalb und außerhalb des Ordens sowie innerhalb und außerhalb des Katholizismus mit der Publikation der alten Lebensbeschreibungen der Heiligen keinen Gewinn verbinden mochten.

5.1.1 Kommentar und Konkurrenz Den Acta Sanctorum lag kein expliziter oder impliziter Beschluss des Tridentinums zugrunde. 16 Für den Katholizismus bestand auf diesem Gebiet kaum Klärungsbedarf. Das Tridentinum widmete sich auf der 25. und letzten Sitzung im Dezember 1563 den theologischen und praktischen – und nicht den literarischen oder historiographischen – Implikationen der Heiligen- und Reliquienfrömmigkeit. Die Interzession und Invokation der Heiligen, die Praxis der Reliquienverehrung, die Benutzung der Bilder und die Vorstellung einer mit Christus herrschenden himmlischen Gemeinschaft der Heiligen wurden bestätigt. 17 Alle gegenläufigen Ansichten, und dies ist der eine Kern des Dekrets, seien seit jeher von der Kirche verdammt worden und würden erneut verdammt. 18 Den Bildern dürfe dann Verehrung entge–––––––— 15

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Ebd., S. 290f.: „Ces Jesuites se sont donné la peine de déterrer des impertinentes legendes qui étoient ensévelies dans la poudre des Bibliotheques, en ont-ils ôte tout ce qui paroissoit fabuleux? Nullement, ces énormes volumes sont destinez à garantir de l’oubli toutes ces Histoires, dont on commençoit à avoir honte.“ Anders Gabriele Bickendorf, Die Historisierung der italienischen Kunstbetrachtung im 17. und 18. Jahrhundert (Berliner Schriften zur Kunst 11), Berlin 1998, S. 125: „Die Beschlüsse des Tridentiner Konzils zur Heiligenverehrung hatten aufgrund der anhaltenden protestantischen Kritik am katholischen ‚Mummenschanzǥ einer säkularisierten, wissenschaftlichen Untermauerung bedurft. Dies war der Hintergrund für die Gründung der Acta Sanctorum, der kritischen Edition der Heiligenlegenden durch den Jesuiten Jean Bolland.“ Vgl. Decretum de purgatorio publicatum die prima sessionis nonae et ultimae Tridentinae sub Smo D. N. Pio Papa quarto die 3. decembris 1563, in: Concilium Tridentinum. Diariorum, actorum, epistolarum, tractatuum. Nova collectio, Bd. 9, Teil 6: Complectens acta post sessionem sextam (XXII) usque ad finem concilii (17. sept. 1562–4. dec. 1563), collegit, edidit, illustravit Stephanus Ehses, Freiburg i. Br. 21965, S. 1077–1079, hier S. 1077f.: „Mandat sancta synodus omnibus episcopis et ceteris docendi munus curamque sustinentibus, ut iuxta catholicae et apostolicae ecclesiae usum, a primaevis religionis temporibus receptum, sanctorumque patrum consensionem et sacrorum conciliorum decreta: in primis de sanctorum intercessione, invocatione, reliquiarum honore, et legitimo imaginum usu fideles diligenter instruant, docentes eos, sanctos, una cum Christo regnantes, orationes suas pro hominibus Deo offere; […].“ Vgl. ebd., S. 1078: „[…]; illos vero, qui negant, sanctos, aeterna felicitate in coelo fruentes, invocandos esse; aut qui asserunt, vel illos pro hominibus non orare, vel eorum, ut pro nobis etiam singulis orent, invocationem esse idolatriam, vel pugnare

335 gengebracht werden, wenn nicht sie selbst angebetet, sondern sie als der Kontemplation dienliche „Grundformen“ („prototypa“) des Abgebildeten begriffen würden. 19 Die Beseitigung der Missbräuche, die sich in die devotionale Praxis eingeschlichen hätten, und die ist dies andere wichtige Aussage, stellten die Konzilsväter den Ortsbischöfen anheim. 20 Das Tridentinum verabschiedete damit zwar kaum Neues, stärkte aber reformkatholische Kreise, die schon seit längerer Zeit, etwa in Gestalt des Nikolaus von Kues (1401–1464), auf eine sorgfältigere Kontrolle insbesondere des Wallfahrtswesens gedrungen hatten. 21 Ein präziser Plan für die Acta Sanctorum, der zu der heute vorliegenden Gestalt führte, scheint lange nicht existiert zu haben. Noch in der Zeit, als von Bolland erste Ergebnisse längst erwartet wurden, wurde das Konzept der Acta Sanctorum grundlegend revidiert. Dies betraf vor allem die Frage der Kommentierung. Bolland selbst bezeichnete die Abordnung Henschens im Jahr 1635 zu den Acta Sanctorum, die durch eine von Antoine de Winghe (reg. 1610–1637), dem Abt der Benediktinerabtei St. Lambert in Liessies im Hennegau, südwestlich von Charleroi, gestiftete Pension ermöglicht

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cum verbo Dei, adversarique honori unius mediatoris Dei et hominum Iesu Christi; vel stultum esse, in coelo regnantibus voce vel mente supplicare: impie sentire. Sanctorum quoque martyrum et aliorum cum Christo viventium sancta corpora, quæ viva membra fuerunt Christi et templum Spiritus Sancti, ab ipso ad aeternam vitam suscitanda et glorificanda, a fidelibus veneranda esse, per quae multa beneficia a Deo hominibus praestantur: ita ut affirmantes, sanctorum reliquiis venerationem atque honorem non deberi, vel eas aliaque sacra monumenta a fidelibus inutiliter honorari, atque eorum opis impetrandae causa sanctorum memorias frustra frequentari: omnino ¢damnandos esse², prout iampridem eos damnavit et nunc etiam damnat ecclesia.“ Vgl. ebd.: „Imagines porro Christi, Deiparae Virginis et aliorum sanctorum, in templis præsertim habendas et retinendas, eisque debitum honorem et venerationem impertiendam, non quod creditur inesse aliqua in iis divinitatis vel virtus […]: sed quoniam honos, qui eis exhibetur, refertur ad prototypa, quae illae repraesentant: ita ut per imagines, quas osculatur et coram quibus caput aperimus et procumbimus, Christus adoremus, et sanctos, quorum illae similitudinem gerunt, veneremur.“ Vgl. ebd., S. 1078f.: „In has autem sanctas et salutares observationes si qui abusus irrepserint: eos prorsus aboleri sancta synodus vehementer cupit, […]. || Haec ut fidelius observentur, statuit sancta synodus, nimini licere, ullo in loco vel ecclesia, etiam quomodolibet exempta, ullam insolitam ponere vel ponendam curare imaginem, nisi episcopo approbata fuerit. Nulla etiam admittenda esse nova miracula, nec novas reliquias recipiendas, nisi eodem recognoscente et approbante episcopo.“ Vgl. dazu Angenendt, Heilige (21997), S. 242f.; Sallmann, Édition (1994), S. 315; Burschel, Sterben (2004), S. 212ff. Vgl. Nicolai de Cusa reformacio generalis/Nikolaus Cusanus, Allgemeine Reform, in: Quellen zur Kirchenreform im Zeitalter der grossen Konzilien des 15. Jahrhunderts, Teil 2: Die Konzilien von Pavia/Siena (1423/24), Basel (1431–1449) und Ferrara/Florenz (1438–1445). Ausgewählt u. übers. v. Jürgen Miethke/Lorenz Weinrich (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters. Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe 38b), Darmstadt 2002, Nr. 31, S. 468–499, hier S. 484/485, 486/487.

336 worden war, als einen Wendepunkt in der Geschichte des Unternehmens. 22 Zu diesem Zeitpunkt sei der Druck der Januarbände bereits angelaufen gewesen. Henschen allerdings habe vorgeschlagen, die Viten durchgängig in Kapitel zu untergliedern und vor allem die bis dahin hastig („raptim“) durchgeführte Kommentierung zu intensivieren. 23 Die zensorischen Approbationen der Januarbände, deren älteste auf den 7. Oktober 1634 datiert, bestätigen diese Chronologie. 24 Darüber, wie ausführlich die Kommentare gestaltet werden sollten, scheint es in der Folgezeit zu einigen Debatten gekommen zu sein: „Wer wird später die ungeheuren Bände kaufen, wenn sie nichts Neues mit sich bringen sollten außer lediglich irgendwelchen Anmerkungen“, so habe de Winghe angesichts der sich weiter und weiter verzögernden Drucklegung gefragt. De Winghe habe daher geraten, die Sammlung eher rasch zu publizieren, als sie den Leserinnen und Leser nur deswegen vorzuenthalten, weil –––––––— 22

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Vgl. Chrétien César Auguste Dehaisnes, Les origines des Acta sanctorum et les protecteurs des Bollandistes, in: Mémoires de la Société d’Agriculture, Sciences et Arts de Douai 9 (1866/67), S. 429–461, hier S. 448f.; Delehaye, Œuvre (21959), S. 25f.; Peeters, Œuvre (1942), S. 17f.; Hausberger, Werk (1980), S. 218f. Vgl. Bolland, Praefatio, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, S. XLIIa–b: „Cùm igitur mensis Ianuarius paratus esset prælo, & legitimè approbatus, cœptusque adeò iam cudi; datus est mihi, WINGHIO adnitente, adiutor, quem dixi, Godefridus Hensschenius sub annum MDXXXV. Hic cùm aliis in rebus strenuam mihi hactenùs operam nauauit, tum etiam, quod ad ipsum Ianuarium spectat, fideli consilio iuuit. Nam cùm videret Vitarum, quæ iam impressæ erant, quasdam in capita distributas, at non omnes; auctor fuit vt & reliquas ita partirer. Annotationes etiam […] vt singulis capitulis adderem persuasit. Cumque eâ causâ vniuersum mensem recognoscere cœpissem, operam quoque tam seriam & constantem contulit, vt Vitas etiam benè multas ipse & recenseret, & diuideret in capita, & variarum rerum explicatione ornaret; quas habebam ego quidem anteà, sed raptim quandoque congestas, saltem non ita perspicuè distinctas & explanatas.“ Die zensorischen Approbationen des ersten Januarbands von 1643, die unpaginiert der Widmungsvorrede an Urban VIII. folgen, umfassen unter anderem eine auf den 22. Februar 1635 datierte Approbation des damaligen flandro-belgischen Provinzials der Jesuiten Frédéric Tassis (reg. 1635–1638) und ihre Erneuerung durch dessen Nachfolger Jean de Tollenaere (reg. 1638–1641) vom 13. Mai 1641. Diese sei notwendig geworden, weil „Vitæ Sanctorum complures, & variæ Annotationes additæ essent, operam & studium vnà conferente Godefrido Henschenio, Societatis quoque nostræ Sacerdote; […].“ Die städtische Approbation ist die älteste. Sie datiert auf den 7. Oktober 1634. Im Anschluss an die von Henschen eingeführten Prinzipien können die in den Acta Sanctorum publizierten Viten also bisweilen dadurch überraschen, dass sie „eine vollkommen andere Kapitelgliederung“ bieten, als die bekannten Handschriften. Bernd Schütte, Einleitung, in: Die Lebensbeschreibungen der Königin Mathilde, hrsg. v. dems. (MGH SS rer. Germ. in us. schol. 66), Hannover 1994, S. 9– 106, hier S. 69. Dass die Kapitelüberschriften als Element der Steuerung der Rezeption ein insgesamt vernachlässigtes Element der Forschung darstellten, thematisiert Joseph-Claude Poulin, Un élément négligé de critique hagiographique. Les titres de chapitres, in: Renard/Trigalet/Hermand [u. a.] (Hrsg.), „Gesta“ (2005), S. 309–342. Mit den Ausgaben der Acta Sanctorum ist diese Frage allerdings kaum bearbeitbar.

337 nicht mehr alle Viten hatten gehaltvoll kommentiert werden können. 25 Wie ausführlich sollten diese neuen Kommentare überhaupt gestaltet werden? Es sei ihm einerseits von „sehr gebildeten Männern“ zu bedenken gegeben worden, so Bolland, dass „die gelehrten Leser ihrer nicht bedürfen“ und dass gewiss nicht diejenigen zum Maßstab genommen werden sollten, die mit der Materie völlig unvertraut waren, „es sei denn, dass wir gleich überall in Rücksicht auf die Ungebildeten die lateinische Ausdrucksweise selbst erläutern wollten“. 26 Als mögliches Vorbild für die Kommentare habe de Winghe aber andererseits die überaus intensiven Erläuterungen ins Spiel gebracht, mit denen Halloix den ersten Band seiner Sammlung von Viten und Dokumenten griechischer Kirchenlehrer aus dem Jahr 1633 ausgestattet hatte. 27 Halloix war allerdings kein geeigneter Maßstab. Er hatte auf 730 Folioseiten insgesamt sechs annotierte Viten publiziert, weitere Zeugnisse zu dem jeweils in Rede stehenden Heiligen zusammengetragen und die wichtigsten historischen Problempunkte („quaestiones“) in eigenen Sektionen diskutiert. 28 Mit diesem Niveau konnten sich die Vertreter der Acta Sanctorum schwerlich messen. Als Rationalisierung der pragmatischen Zwänge, –––––––— 25

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Vgl. Bolland, Praefatio, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, S. XI: „Quem posteà empturum ingentia volumina, quæ nihil afferant noui, præter Annotationes dumtaxat aliquas, […]?“ Ebd.: „[…]: monebat, cauerem etiam atque etiam ne lectionis fructu & multarum virtutum exemplis multos arguerer defraudasse.“ Ebd., S. XXVIb: „Non defuêre viri doctissimi, qui hasce Annotationes existimarent nullum esse vsum habituras, eôque vt vano labori parcerem hortarentur. Neque enim eruditos Lectores illis egere; neque qui egeant, eorum esse habendam rationem, nisi ipsam passim velimus Latinam phrasim in rudium gratiam explanare […].“ Vgl. ebd., S. XXVIIa: „Antonij Winghij […] longè vires meas, ac fortassis modum humanæ imbecillitatis, vota ac consilia excessêre. Optare enim se aiebat, vt non breuissima solùm scholia, sed luculentiores commentarios darem, quales ferè Petrus Halloix noster ad Vitas Sanctorum Scriptorum Orientis adiecisset, de quo auctore multus tunc nobis fuerat sermo, & cum summâ eius, ac meritâ, coniunctus laude.“ Vgl. ILLVSTRIVM || ECCLESIÆ ORIENTALIS || SCRIPTORVM, || QVI SANCTITATE IVXTA ET ERVDITIONE, || PRIMO CHRISTI SÆCVLO || FLORVERVNT, ET APOSTOLIS CONVIXERVNT, || VITÆ ET DOCVMENTA. || AUCTORE || R. P. PETRO HALLOIX || LEODIENSI, || SOCIETATIS IESV PRESBYTERO. || Adiuncta sunt è Græcorum Menæo de iisdem Sanctis viris ELOGIA || GRÆCOLATINA ex eiusdem versione. || Item NOTATIONES ET QVÆSTIONES quædam ad VITARVM || confirmationem & illustrationem pertinentes. || DVACI, || Ex Officina Typographica PETRI BOGARDI, sub Biblijs Aureis. || Anno M. DC. XXXIII. || Cum Gratia & Priuilegio. Zu Dionysios Areopagites, der Halloix noch als Apostelschüler galt, diskutierte er folgende vier quaestiones: „PRIMA: An vnus idémque sit DIONYSIUS AREOPAGITA Pauli discipulus, qui & Episcopus Parisiensis, Francorum Apostolus?“, ebd., S. 166–175; „Secunda: An opera, quæ nunc extant sub nomine Dionysij Areopagitæ, sint reverâ ipsius, an verò posterioris cuiuspiam?“, ebd., S. 175–205; „Tertia: An TIMOTHEVS, cui eiusdem Auctoris libri inscripti sunt, sit ille celebris S. Pauli discipulus, an aliquis alius, seu à Lucio Dextro, seu à Cæsare Baronio designatus?“, ebd., S. 206–216; „Quarta: Vtri hodie S. Dionysij corpus poßideant? Parisiensésne, an Ratisponenses?“, ebd., S. 217–222.

338 denen das Projekt unterlag, ist es zu bewerten, wenn Bolland an anderer Stelle behauptete, dass er sogar schon existierende Erläuterungen beseitigt habe. Die seinerzeit berühmten Jesuiten Jacques Sirmond (1559–1651) und Denis Peteau (1583–1652) hätten ihn nämlich davor gewarnt, mit überflüssigen Kommentaren das gesamte Werk in Misskredit zu bringen. Dies habe namentlich den Heiligen des 1. bis 4. Januar eine reduzierte Kommentierung eingetragen. 29 Mit Sicherheit waren dies genau jene Heiligen, deren Dossiers nach Henschens Eintreffen und vor der Publikation nicht mehr –––––––— 29

Vgl. Bolland, Praefatio, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, S. XXVIb–XXVIIa: „Iacobum Sirmondum, Dionysium Petauium, aliosque pari eruditione viros Annotationes hasce, aut etiam propter eas opus vniuersum contempturos. Perculit, fateor, me virorum tantorum allata ad labefactandum institutum meum auctoritas. Ergo ne Heroibus illis, qui mihi singuli instar essent plurimorum lectorum, aut etiam omnium, displiceret labor hic meus, quas iam paratas habebam Annotationes expunxi pleraque; ideoque rariores quatuor primis diebus adiectæ.“ Ein weiteres Argument zielte auf die Dynamik des Arbeitsgangs. Demnach hätten die später untersuchten Viten häufig die Beurteilung und das Verständnis der bereits untersuchten verändert. Bolland scheint noch längere Zeit gehofft zu haben, die Sammlung in einem Schub zu publizieren. Auf Druck der Ordensleitung und seines Umfelds habe er sich allerdings dazu durchgerungen, eine erste Lieferung zu veröffentlichen, auch wenn ihm dies angesichts der Notwendigkeit, die Viten zusammenhängend zu betrachten, wenig adäquat zu sein schien: „Schließlich scheint das nichts anderes zu sein, als ob ich den früheren Teil des Gebäudes an den Giebel herangeführt hätte, während kaum die Fundamente der übrigen gelegt worden wären.“ Vgl. ebd., S. X: „Sed cùm nec Præsidibus probare me diligentiam meam posse viderem, nec amicis fidem, nisi quamprimùm partem aliquam proferrem operis; statui mihi connitendum esse, ut mensis vnius Vitas darem. Non erat id quidem perinde aut facile mihi, aut operi vniuerso conveniens: nam cùm Vita vna alteri afferat lucem, longé illud suis omnibus partibus aptiùs fuisset expletum, si omnes anteà examinare Vitas licuisset. Quid quòd vnicâ sæpè animaduersione possint plurium illustrari Acta Sanctorum; quo verò loco ea debeat potissimùm collocari, id principiò commodè perspici nequeat? Futura etiam fortassis non pauca, quæ posteà, pleniorem vberioremque assecutus cognitionem ac lucem, nolim fuisse vulgata. Denique nihil hoc videri aliud, nisi attolli ad fastigium partem ædificij anteriorem, cùm ceterarum vix posita sint fundamenta.“ Größere Bedeutung sollte im Laufe der Zeit allerdings die Problematik erlangen, dass mit den sich erst allmählich ausweitenden persönlichen Kontakten Viten zu solchen Heiligen eintrafen, die ihr Dossier in bereits gedruckt vorliegenden Bänden der Acta Sanctorum erhalten hatten. Unter anderem solchen Viten verdanken die Collectanea bollandiana Teile ihrer Bestände. Vgl. zu Peteau und Sirmond etwa Pietro Di Rosa, Denis Peteau et la cronologia, in: Archivium historicum Societatis Iesu 29 (1960), S. 3–54; Luigi Mongo, L’„Hodoeporicon“ de Jacques Sirmond, S. J. Journal poétique d’un voyage de Paris à Rome en 1590, in: Humanistica Lovaniensia 42 (1993), S. 301–322; Kristine Louise Haugen, A French Jesuit’s Lecture on Vergil, 1582–1583. Jacques Sirmond between Literature, History, and Myth, in: The Sixteenth Century Journal 30 (1999), S. 967–986; Ludwig Falkenstein, Die Sirmondsche Sammlung der 56 Litterae Alexanders III., in: Hundert Jahre Papsturkundenforschung. Bilanz – Methoden – Perspektiven. Akten eines Kolloquiums zum hundertjährigen Bestehen der Regesta Pontificum Romanorum vom 9.–11. Oktober 1996 in Göttingen, hrsg. v. Rudolf Hiestand (Abh. d. Akad. d. Wiss. zu Göttingen. Philolog.-Hist. Kl., Folge 3, 261), Göttingen 2003, S. 267– 334; vgl. zum Kontakt mit Bolland und Sirmonds Gestaltung einiger Dossiers Joassart, Sirmond (2001), S. 347f.

339 substantiell überarbeitet werden konnten oder sollten. Der einleitende Kommentar des Dossiers des Fulgentius von Ruspe umfasste nur wenige Zeilen. In ihm wurden bisherige Drucke, verarbeitete Handschriften und die Tatsache, dass der Festtag des 1. Januar in „alle[n] Martyrologien der Lateiner“ („omnia celebrant Martyrologia Latinorum“) verzeichnet sei, erwähnt. 30 Gemessen an der Bedeutsamkeit der Heiligen und an den späteren Gepflogenheiten der Bollandisten fiel auch der einleitende Kommentar des Dossiers der hl. Genovefa mit etwas mehr als einer Kolumne vergleichsweise kurz aus. Da hier allerdings einige Ansichten aus Du Breuls erstmals 1612 gedrucktem Theatre des antiquitez de Paris diskutiert wurden, dürften Bolland und Henschen die alte Einleitung zumindest etwas ausgebaut haben. Anmerkungen zu den herausgegebenen hagiographischen Texten, in denen Personen, Orte oder Sachverhalte erläutert worden wären, gab es hier wie dort so gut wie keine. 31 Es kann nur vermutet werden, dass ein Dossier wie das des hl. Fulgentius von Ruspe in etwa dem entsprochen haben könnte, was bis 1634 oder 1635 als eine erste Version der Acta Sanctorum – oder wie auch immer ihr damaliger Name gewesen sein mag – beinahe gedruckt worden wäre. Da es in den Januarbänden nicht die Regel war, den Commentarius praevius ausdrücklich als solchen zu benennen, ist anzunehmen, dass die wenigen einleitenden Worte von Bolland lange Zeit nicht als eigenständiger Textteil betrachtet worden sind. Wie es zu besagtem Umschwung kam, ist seinerseits schwer zu erklären. In seinem Tractatus de vita Bollandi von 1668 sollte es Papebroch als Wink der Vorsehung interpretieren, dass weder Bolland noch der flandrobelgische Provinzial Jacques Van der Straeten (reg. 1627–1630) genau gewusst hätten, worauf sie sich einließen, als sie nach Rosweydes Ableben den Plan zu den Acta Sanctorum fassten. 32 Die seither akzentuierte Unbedarftheit beider sollte allerdings nicht überzeichnet werden. 33 Mit dem Mar–––––––— 30 31 32

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Vgl. Vita S. Fvlgentii a qvodam eivs discipvlo conscripta ad Felicianvm Episcopvm, in: AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, 1. Jan., S. 32–45. Præfatio, ebd., S. 32a. Vgl. De S. Genovefa Virgine Parisiis in Gallia, in: AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, 3. Jan., S. 137–153. Vgl. dazu auch unten S. 490f. Papebroch, Tractatus de vita Bollandi, AASS Martii, Bd. 1, 1668, S. VIIb: „Fvit diuinæ prouidentiæ opus, quòd non modò Prouincialis […] haud satis sciret, quid esset hoc quod Bollando imponeret: sed nec ipse, qui onus suscipiebat, illius molem, quanta erat, animo comprehe[n]deret.“ Papebroch wies darauf hin, dass sich Bolland selbst nach Abschluss der Januarbände in diese Richtung geäußert habe: „Fassus est enim posteà non semel de se, cùm videret excusum Ianuarium, quantoque molimine porrò opus foret vt vel proximus Februarius, nedum me[n]ses alij venirent ad prælum; id si præuidere cogitando potuisset, consternandum fuisse operis propemodùm immensi magnitudine, quodque orbis vniuersus miratur ab homine vno duobusue, non dico sperari efficiendum, sed vel cogitari optandum potuisse.“ Vgl. De Smedt, Fondateurs (1908), S. 300: „Heureusement il [Bolland] ne se faisait pas du tout, pas plus que le provincial lui-même, une juste idée de l’étendue de la tâche.“ Delehaye, Œuvre (21959), S. 21: „Ce n’est pas la première fois qu’une grande

340 tyrologium Romanum, den Werken Ferraris oder Du Saussays, den Hinterlassenschaften Rosweydes und den Informationen, die der im Burgundischen schon seit längerem hagiographisch tätige Jesuit Pierre-François Chifflet (1592–1682) bereits an Rosweyde kommuniziert hatte, konnten Bolland und Van der Straeten die Summe der Heiligen und möglicher Materialien sicherlich überreißen. 34 Die Existenz der ersten Version der Acta Sanctorum von 1634 oder 1635 legt eher nahe, dass sie ein anderes, weit weniger elaboriertes Werk vor Augen hatten. Unter Verwendung aller inzwischen auch gedruckten Ressourcen scheint Bolland es mit gebotenem Engagement und Pragmatismus zu einem ersten Resultat geführt zu haben. 35 Mit Bolland, der sich bis dahin mit keiner Veröffentlichung hervorgetan hatte, wählte die Ordensleitung einen noch wenig profilierten Gelehrten, der in den 1630er Jahren zahlreichen Jesuiten aus ganz Europa bei der Veröffentlichung ihrer Werke in Antwerpen zur Hand gehen und sich damit vor allem als geschickter Publizist erweisen sollte. 36 Die durchaus vorhandenen Aspirationen Chifflets auf die Nachfolge Rosweydes, der, wie dieser selbst, ein ausgewiesener Kenner der handschriftlichen Traditionen in einem Kernland der hagiographischen Überlieferung war, wurden hingegen abschlägig beschieden. 37 Daraus mag gefolgert werden, dass die Ordenslei–––––––—

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illusion se trouva à l’origine d’une grande œuvre.“ Peeters, Œuvre (1942), S. 15: „Le P. Van der Straeten passa le Rubicon sans le savoir.“ Vgl. im Anschluss Hausberger, Werk (1980), S. 217; Saxer, Ricerca (1984), S. 335; Joassart, Accueil (1993), S. 8 mit Anm. 11. Vgl. zu Chifflet ders., Introduction, in: ders. (Hrsg.), Chifflet (2005), S. 7–48, hier S. 12ff. Hausberger, Werk (1980), S. 218, verweist zwar auf diese Version der Januarbände von 1634 oder 1635. Zugleich hält er allerdings, damit nicht ganz vereinbar, fest: „Mit der Umgestaltung des Rosweydeschen Planes wuchs das Werk, aber auch die Last der Anforderungen. Nach fünf Jahren unermüdlichen Sammelns hatte Bolland zwar wesentlich mehr Material zusammengetragen als sein Vorgänger; in der redaktionellen Arbeit war auch er kaum vorangekommen.“ Da aus dieser Zeit zwischen 1630 und 1635 kaum Briefe erhalten sind, ist nicht davon auszugehen, dass Bolland in dieser Zeit in großem Stil neue handschriftliche Materialien erschloss. Wahrscheinlicher ist, dass er im Kern mit dem Vorhandenen operierte und dieses nur derart arrondierte und vervollständigte, dass daraus ein homogenes Werk geformt werden konnte. Vgl. Papebroch, Tractatus de vita Bollandi, AASS Martii, Bd. 1, 1668, S. VIIIa–b. Vgl. Joassart, Introduction (2005), S. 13f. In einem Schreiben an den ehemaligen Nuntius in Brüssel Jean-François Guidi di Bagno (1578–1641) hatte sich der Bruder von Pierre-François, der Mediziner und Diplomat Jean-Jacques Chifflet (1588–1660), dafür eingesetzt, dass Pierre-François die Fortsetzung der Arbeiten Rosweydes übertragen bekäme, offensichtlich ohne Erfolg. Vgl. die Paraphrase des Schreibens: JeanJacques Chifflet à Bagno, Bruxelles, 2 (1) novembre 1629, in: Lettres de Philippe et de Jean-Jacques Chifflet sur les affaires des Pays-Bas (1627–1639), hrsg. v. Bernard de Meester de Ravestein (Académie Royale de Belgique. Commission Royale d’histoire), Brüssel 1943, Nr. 138, S. 110f.

341 tung einen im engeren Sinne investigativen Zugriff nach den Erfahrungen mit Rosweyde nicht unbedingt bevorzugte. Die durch die Größe des Projekts bedingte Trägheit erschwerte es Bolland, mit den Entwicklungen der katholischen Gelehrsamkeit des 17. Jahrhunderts, die sich auf höchstem Niveau in Halloix Illustrium ecclesiæ orientalis scriptorum vitae et documenta 1633 verkörperte, Schritt zu halten. Die Erwartungen innerhalb des Ordens scheinen dennoch hoch gewesen zu sein. Der Rektor des irischen Kollegs der Jesuiten in Salamanca Paul Sherlock (1595–1646) verband die Acta Sanctorum in einem Schreiben vom 16. Juni 1634 mit einer von den Jesuiten erlangten Dominanz auf dem Feld der Kirchengeschichte, deren Qualität allein von den noch nicht erreichten Annales ecclesiastici und Surius’ De probatis Sanctorum historiis übertroffen worden sei. 38 Solche hegemonialen Phantasien dürften weit mehr dem Prinzip des „toto orbe“ eingeschrieben gewesen sein als Bollands oder Van der Straetens Naivität. Unter Zugzwang kam Bolland nicht nur durch Halloix, sondern auch durch die von den irischen Franziskanern in Löwen zeitgleich erarbeiteten Acta Sanctorum Scotiae seu Hiberniae. Ward hatte Bolland am 7. Oktober 1634 angekündigt, den einzelnen Viten seiner Acta Sanctorum allgemeinere einleitende Abschnitte voranstellen zu wollen. 39 Die konzeptionellen Veränderungen des Jahres 1635 dürften also nicht auf Henschens Eingebungen allein, sondern auch auf diese äußeren Bedrängnisse zurückzuführen sein. Umgekehrt könnte Henschens Mitarbeit als solche durch diese Entwicklungen bedingt gewesen sein. Sollte ein akzeptables Stück jesuitischer Gelehrsamkeit vorgelegt werden, war der Standard anzuheben und Bolland mit einem Helfer auszustatten. Bolland selbst nutzte die Praefatio als eine Plattform, um wiederholt die Unerlässlichkeit eines solchen zu –––––––— 38

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Vgl. Sherlock an Bolland, Madrid, 16. Juni 1634, in: Paul Grosjean, Un soldat de fortune irlandais au service des „Acta Sanctorum“. Philippe O’Sullivan Beare et Jean Bolland (1634), in: Anal. Boll. 81 (1963), S. 418–436, hier S. 420–422, Zitat S. 420: „Pax Christi etc. Reverende in Christo Pater. Maximopere laetatus sum ex datis ad me Vestrae Reverentiae litteris: sic enim ego rebar, nullum hoc prodiisse saeculo opus, quod iure inviderent homines Societatis aliarum sacrarum familiarum viris, nisi vel Ecclesiasticos Annales illustrissimi Baronii cardinalis, vel Sanctorum Acta a Laurentio Carthusiensi conscripta. Caeterum ex Vestrae Reverentiae relatione mihi spes optima affulget, modo Aeterno rerum Gubernatori placeat vitae tuae felicissima stamina producere, futurum tempus in quo vestra mira eruditione utremque abunde compensetur.“ Vgl. Ward an Bolland, Löwen, 7. Okt. 1634, in: Grosjean, Soldat (1963), S. 424–427, hier S. 425: „[…] postquam generalia quaedam prolegomena absolvero, quae singulis Vitis praecognoscenda sunt.“ Grosjean bezog diese Bemerkung ebd., Anm. 5, auf eine vermeintlich intendierte Einleitung des Gesamtwerks, die aber nicht mehr realisiert worden sei: „Hugh Ward projetait donc une introduction générale aux Acta Sanctorum Hiberniae, semblable à celle que Bolland placerait en tête de sa collection, au premier tome de Janvier. Cette intention n’a pas été réalisée par Colgan, hériter de l’enterprise.“ In Wards Schreiben ist allerdings ausdrücklich von „Prolegomena“ die Rede, die den einzelnen Viten gelten sollten.

342 betonen. So hätte Rosweyde seine Pläne wohl weithin realisieren können, „wenn ihm irgendein fähiger Helfer zugesprochen worden wäre.“ 40 Da die Phase der Überarbeitung von 1635 bis 1643 mit zwei Gelehrten deutlich mehr Zeit in Anspruch nahm, als Bolland zuvor allein dem Werk gewidmet hatte, dürfte von diesen ersten Acta Sanctorum nicht mehr viel übrig geblieben sein. Wie erhielten die Acta Sanctorum letztendlich ihr Format? Auch diese Frage ist nicht mit Sicherheit zu beantworten. Augenfällig sind allein die formalen Übereinstimmungen zwischen den Acta Sanctorum der Bollandisten und den Acta Sanctorum Scotiae seu Hiberniae der Löwener Franziskaner. Dies betrifft insbesondere die im zeitgenössischen Kontext exzentrische und hier wie dort umgesetzte Idee, Exzerpte aus sekundären Materialien systematisch zu berücksichtigen. 41 Colgan, der nach Wards Ableben 1635 das Projekt übernommen hatte, erklärte in seiner Praefatio von 1645, dass er die von Ward versammelten Denkmäler, von Arrondierungen abgesehen, nur noch mit einer Kapitelgliederung, mit Marginalnoten und Erläuterungen, mit Anmerkungen, Appendices und solcherlei kleinen Viten und Exzerpten hatte ausstatten müssen. 42 Beide Acta Sanctorum hatten sich demnach seit 1635 parallel entwickelt. Wer zuerst das Programm für ein derart umfassendes und ausführlich kommentiertes hagiographisches Sammelwerk entworfen hatte, durch das eine Wende von der Vitensammlung in der Tradition der Prosalegendare zu einem hagiographischen Corpus generale mit enzyklopädischen Zügen vollzogen wurde, ist nicht mehr zu entscheiden. Auf die Beziehungen zwischen beiden Unternehmen, die nach Wards Tod keineswegs von Harmonie geprägt gewesen zu sein scheinen, wird noch einzugehen sein. Dass sich diese aber allein schon deswegen –––––––— 40

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Vgl. Bolland, Praefatio, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, S. XXIIIb: „Ego quidem certè existimo, […] Rosweydus […] meditatum opus perficere, aut partem saltem eius maximam, præsertim si adiutor ei aliquis idoneus obtigisset.“ Vgl. aus den Acta Sanctorum Scotiae seu Hiberniae in Auswahl De S. VVasnvlphi Ep. translat. Ex diuersis, in: AASS Scotiae seu Hiberniae, Bd. 1, 1645, 10. Jan., S. 50f.; De S. Diermitio Abb. Deinis-Clotran ex diuersis, in: ebd., 10. Jan., S. 51f.; De S. Thomiano Archiep. Ardm. Ex varijs, in: ebd., 10. Jan., S. 53f.; De S. Beandano Abbate, et Conf. Ex Martyrologio Gallicano, in: ebd., 11. Jan., S. 56f.; SS. VV. et MM. Mavræ et Brigidæ. Inventio. Ex Gregorio Turonensi, De gloria Confessorum. c. 18., in: ebd., 14. Jan., S. 63. Vgl. ebd., Præfatio ad lectorem [unpaginiert], fol. b4r: „Neque, si vellem, possem mihi prætereà multum in his vendicare: nam (vt ante monui) omnes ferè integræ & completæ Sanctorum vitæ, quæ in præsenti & sequentibus Tomis exhibentur, præter paucas, ex Hibernicâ, aliisque linguis translatas, & nonnullas alia aliunde acceptas, collectæ & comparatæ sunt opera R. P. Hugonis Vardæi; cui & alij iam laudati pleraque monumenta suppeditarunt, quæ his augendis & promouendis visa sunt accommodari posse: & ego his præter numeros capitum, marginalia, elucidationes siue Notas quæ singulis; & Appendices, quæ quibusdam subiiciuntur; solùm adieci vitas alias breuiores ex iisdem & aliis monumentis collectas; […].“ Vgl. Bieler, Colgan (1948), S. 2f.

343 nicht im Gleichklang entwickeln konnten, weil die Acta Sanctorum der Jesuiten mit ihrem universalen Anspruch auch das Gebiet der irischen Hagiographie abzudecken beanspruchten, mag selbst ohne genauere Prüfung einleuchten. Gegenüber den Franziskanern, die mit dem Iren Lucas Wadding (1588–1657) den in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts profiliertesten – von der säkularen Historiographiegeschichte seit Fueter übrigens kontinuierlich ausgeblendeten – klerikalen Historiographen in ihren Reihen wussten, 43 mussten sich die auf dieses Feld begebenden Vertreter der Jesuiten erst einmal beweisen. In welchem Umfang es insgesamt begrüßt wurde, dass sich mit den Jesuiten ausgerechnet ein junger Orden mit wachsender Selbstverständlichkeit für die „Altertümer“ der katholischen Kirche, einschließlich der Hinterlassenschaften anderer Orden, verantwortlich zu fühlen begann, bliebe zu untersuchen. Als Ward am 9. August 1630 an Wadding schrieb, um ihm mitzuteilen, dass er sich, inspiriert von den jüngst empfangenen Schriften des spiritus rector der vernakulärsprachlichen irischen Hagiographie Michael O’Clery (1575–1643), zu weiteren Studien angeregt fühlte, 44 spielten die Antwerpener Jesuiten keine Rolle. Auch in Waddings späterer Korrespondenz, soweit sie ediert ist, scheinen die Bollandisten nicht aufzutauchen. Die Tatsache, dass Bolland heute eine größere Bekanntheit für sich in Anspruch nehmen kann als Ward und sogar Wadding, sollte nicht übersehen lassen, dass er in den 1630er Jahren kein prominenter Gelehrter war und im Kosmos der Intelligenz der Franziskaner und Minoriten eine randständige Figur darstellte.

5.1.2 Heilige, Heiligenviten und lutherische Historiographen Ihre wesentlichen Konturen erhielten die Acta Sanctorum in der Auseinandersetzung mit den Erzeugnissen der katholischen und näherhin jesuitischen Gelehrsamkeit des fortgeschrittenen 17. Jahrhunderts. Angesichts des nach wie vor dominierenden Empfindens, dass sich das Luthertum entschieden gegen die überkommenen hagiographischen Traditionen ausgesprochen habe, ist, wenigstens kursorisch, die Frage zu stellen, welche Rolle Heilige und historische Heiligenviten in den Geschichtswerken des Luthertums gespielt haben könnten und in welchem Ausmaß deren Deutungen im einzelnen Fall, mit Thomas Fuchs, in eine Dichotomie von lutherischer „‚Eigengeschichteǥ“ und antirömischer „‚Gegengeschichteǥ“ 45 zu übersetzen –––––––— 43 44

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Vgl. Herman H. Schwedt, Art. Wadding, Luke, in: BBKL, Bd. 13, 1998, Sp. 139– 146; Justin Lang, Art. Wadding, Lucas, in: LThK, Bd. 10, 32001, Sp. 918. Vgl. Ward an Wadding, Brüssel, 9. Aug. 1630, in: Wadding Papers. 1614–38, hrsg. v. Brendan Jennings (Irish Manuscripts Commission), Dublin 1953, Nr. 221, S. 386– 388, hier S. 387f.; vgl. dazu Breatnach, Irish Bollandus (1999), S. 25f. Vgl. Fuchs, Heiligen-„memoria“ (1998), Zitate S. 591f.

344 sind. Robert Kolb hat 1987 darauf aufmerksam gemacht, dass in Rabus’ Historien der 1550er Jahre das kompilatorische Moment dominierte, während den Leserinnen und Lesern nur zu Teilen mit eindeutigen konfessionellen Lesarten zur Hand gegangen wurde. 46 Diese Beobachtung lässt sich anhand des Diarium historicum des Marburger Advokaten Abraham Saur (1545–1593) von 1582 47 und insbesondere des posthum 1575 erschienenen –––––––— 46

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Vgl. Kolb, Saints (1987), S. 53: „Rabus must have believed that his understanding of the function of church history would be easily caught from the reading of his prefaces or from the varied presentations of the sources which he reprinted, for he did very little to accompany his readers into the stories which he passed on to them or to assist in their assimilation of the message he believed obvious there. Unlike Foxe, he had no master plan or organization through which he could teach by association. In his first edition, he did not organize the material in a framework which would make his lessons clearer or easier to remember. His brief introductions to individual chapters, each on a different martyr, dropped only occasional hints to reinforce his perceptions of what could be learned there. He must simply have hoped that the repetition of the situations in which the martyrs confessed and the reiteration of their public witness would impress his intended message on his readers.“ Gegen Kolb geht jetzt Burschel, Sterben (2004), S. 76f., mit Blick auf die verschiedenen Vorreden der Historien, von dem „Versuch eines bewußten Kurswechsels“ aus, den Rabus im Laufe der Zeit gegen Luther mit einer sehr wohl schlüssigen Umsetzung des „Gedanken[s] einer kontinuierlichen evangelischen Sukzession in Form glaubensstarker Bekennerinnen und Bekenner“ vollzogen habe: „Indem Rabus den Sukzessionsgedanken aufnimmt und damit eine verbindliche evangelische bzw. lutherische Tradition kontinuierlicher Verfolgung begründet, eine Tradition zwischen Gnade und Zorn, in der die Geschichte der Papstkirche und ihrer vermeintlichen theologischen Repräsentanten nur noch als Gegengeschichte einen Platz finden kann, signalisiert er, wie brüchig jenes kollektive mentale Terrain geworden war, das Heinz Schilling als ‚vorkonfessionalistischǥ bezeichnet hat.“ Auf analoger Quellengrundlage spricht Pohlig, Gelehrsamkeit (2007), S. 360, von einem klar erkennbaren Degenerationsmodell und der deutlichen Tendenz zu einer „inversen Ketzergeschichte“. Verglichen mit der theologisch bedingten Selektivität, die Flacius’ Catalogus testium veritatis ausgezeichnet habe, sei in den Historien weit „konsequenter“ an der Realisierung einer breit angelegten, „lutherische[n] ‚Gegengeschichteǥ“ gearbeitet worden. Vgl. DIARIVM HISTORICVM, || Das ist: || Ein besondere tag= || liche Hauß vnd Kirchen= || Chronica/ darinn Summarischer weise auff ein jeden Tag/ Monat/ || vnd Jar/ etlich besondere Nam vnd warhafftige Geschichte/ schreckliche Mirackel/ lusti= || ge Exempel/ merckliche Beyspiel/ mancherley Ankunfft/ seltzame Verenderung/ Gl(ck vnd Vngl(ck/ da= || neben auch etlicher Leut/ ehrlicher oder vnehrlicher Standt/ Handel/ Wandel/ Leben vnd Todt/ etc. beyd in || Geistlichen vnd Weltlichen Sachen/ so vor vnd nach der Geburt vnsers HERRN vnd || Heylands Jesu Christi sich zugetragen haben/ k(rtzlich vnd eigent= || lich annotirt vnd verzeichnet werden. || Allen vnd jeden/ so weitleufftige Geschichtsb(cher/ Kirchen vnd || Hauß Chronicken nicht erzeugen/ noch wegen anderer Geschefften durch= || lesen knnen/ etc. fast lustig vnd n(tzlich. Mit anzeige/ wo || man weiter nachsuchen sol. || Sampt angehengten vollkommenen Registern. Alles mit sonderm fleiß auß vie= || len bewehrten Chronicken/ alten vnd neuwen Monumenten/ glaubwirdigen Brieffen || vnd Vrkunden/ etc. hin vnd wider zusammen gebracht/ vnd also auff diese weiß || zum ersten mahl in Truck verfertigt/ Durch || Den Ehrnhafften vnd Wolgelehrten Herrn/ M. Abraham Saurn/ Notarium pub. vnd F(rstlichen Hessischen Hoffgerichts || zu Marpurg verordneten Procuratoren/ etc. || Mit Rm. Keys. May. Freyheit/ auff zehen jar || nicht nach

345 Calendarium Sanctorum et historiarum des Droyßiger Pfarrherrn Andreas Hondorff (um 1530–1572) bestätigen. 48 Gerade diese im Grunde einfach gebauten Erzeugnisse blieben in hohem Umfang ihren Vorlagen verpflichtet. Sie wurden keineswegs mit der deutenden Konsistenz ausgestattet, die von den materiell und intellektuell anspruchsvolleren Werken der lutherischen Historiographie wie Johannes Sleidanus’ (um 1506–1556) Darstellung De quatuor summis imperiis von 1556, Matthias Flacius’ Illyricus (1520–1575) Catalogus testium veritatis ausdem selben Jahr oder den Magdeburger Centurien erwartet werden kann. Im Falle Hondorffs sind die konfessionellen Färbungen zunächst nicht zu übersehen. Die Elternschaft Joachims und Annas für die Gottesmutter Maria und mancher legendarische Überbau wurden von ihm zurückgewiesen, da sie mit dem Neuen Testament nicht vereinbar seien. 49 Saur hingegen hatte bereits auf diese Art der Problematisierung verzichtet. Zum 8. September verzeichnete er den Festtag „Marien Geburt“ und bemerkte: „Diese Maria ist gewest ein Tochter Eli/ sonst Joachim genan[n]t/ Anna ist ir Mutter gewest/ […].“ 50 Den Eintrag zum hl. Ulrich von Augsburg († 973) am 4. Juli bestritt Hondorff mit der in der lutherischen Historiographie gern zitierten Epistola Sancti Udalrici. Ulrich hatte sich in diesem Schreiben an –––––––—

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zu drucken begnadet. || Gedruckt zu Franckfurt am Mayn/ durch Nicolaum Basseum. || M. D. LXXXII. Diese Ausgabe von 1582 (VD16, S1900–1901) wurde 1594 unter dem Titel eines Calendarium historicum neu aufgelegt (VD16, S1902). Hier benutzt in der Ausgabe: CALENDARIVM SANCTORVM || & Historiarum.|| Das ist: || Ein besondere ta= || gliche Hauß vnd Kirchen= || Historia/ darinn nach Ordnung gemeiner Calender/ durchs gan= || tze Jar/ aller heiligen Lehrer vnd M rterer Leben/ Bek ndtnis vnnd Leiden be= || schrieben. Auch viel auß heiliger Schrifft vnd andern Scribenten glaub= || wirdige Historien vnd Geschicht dar= || zu gesetzet. || Angefangen durch Andream Hondorff seligen/ Pfarrherr zu || Droyssig: Nun aber vollbracht vnd zum andern mal biß auff die jetzige || Zeit gebessert durch Weyland Vincentium Sturmium, || Schulmeister zu Bitterfeldt. || Es sind auch viel merckliche Historien auß D. Nicolai Selnecceri || Calendario abgeschrieben/ vnd mit eynge= || bracht. Gedruckt zu Franckfurt am Mayn/ durch || Nicolaum Basseum/ || M. D. LXXXVII. Im 16. Jahrhundert erschienen in den Jahren 1575, 1579, 1587 und 1599 wenigstens vier Ausgaben mit diesem Titel, (VD16, H4724–4727). Vgl. ebd., 8. Sept., S. 513: „NATIVITAS SANCTAE MARIAE || Marie Geburt. || […] Daß man aber im Nicephoro vnnd vielen andern lieset/ sie [Maria] sey Anne vnd Joachims Tochter gewesen […] hat man in heyliger Schrifft keinen Grund […]. Jtem/ daß sie Gott geheyliget/ vnd durch ein gel(bd zugesaget sey/ daß/ da sie sechs Monat alt gewesen/ habe gehen vnd stehen knnen/ daß sie im dritten Jar in die Kirchen gef(hret/ vnd daselbest ernehret vn[d] aufferzogen […]. Dieses vnd dergleichen mehr/ so man in den Papistischen Legenden lieset/ stimmet mit dem neuwen Testament nit vberein […].“ Vgl. das Kapitel „De sanctis Joachimo et Anna, et de nativitate atque educatione sanctissimæ Dei Genitricis in templo, et ut desponsata Josepho fuerit“, in: Nicephori Callisti Xanthopuli ecclesiasticae historiae libri XVIII, Bd. 1 (MPG 145) (1904), lib. I, c. 7, Sp. 651/652–653/654. Vgl. Saur, Diarium, 1582, 8. Sept., S. 383 Marginalkolumne. An anderer Stelle konnte sich Saur durchaus scharf gegen „papistische“ Arten der Heiligendevotion äußern. Vgl. Fuchs, Heiligen-„memoria“ (1998), S. 604f.

346 Papst Nikolaus I. (reg. 858–867) gegen das Verbot der Priesterehe ausgesprochen. Es handelt sich um eine vermutlich im Jahr 1075 im Zuge der Reformbestrebungen Gregors VII. (reg. 1073–1085) im Konstanzer Milieu entstandene Fälschung, die in vollständiger Form erstmals 1520 von Luther herausgegeben worden war. Da man sie in ihrer Eigenschaft als Fälschung nicht erkannte, wurde die Amtszeit Ulrichs von den lutherischen Historiographen ins 9. Jahrhundert zurückverlegt. 51 In Flacius’ Catalogus bildete der „ziemlich gewichtige und fromme Brief“ Ulrichs den Auftakt zu einer Serie von Aussagen klerikaler Autoren, die sich in historischer Zeit zur –––––––— 51

Vgl. Hondorff, Calendarium, 1582, S. 372, 4. Juli: „S. HVLDERICVS || […] Er war aber auß Adelichem stam[m] der Graffen von Dillingen/ ein sehr gelehrter/ heyliger/ vnnd frommer Mann/ Von diesem Bischoffe hat man eine Christliche Epistel/ in einer Bibliothecen gefunden/ in Holland in einer Stadt/ genandt Veteris aquæ, zu Teutsch/ Altwatter/ solche Epistel hat gar einen Apostolischen Geist/ wer die nach der Ordenung vollkm[m]lich lesen wil/ der lese sie in Historia Ecclesiastica Casparis Hedionis lib. 8. cap. 12. Denn er solche wider den Bapst Nicolaum/ den 1. deß Namens/ der in der zahl der B pste/ der 108. vnd Anno Christi 863. erwehlet/ geschrieben hat/ darin[n]en er ernstlich den Bapst straffet/ daß man durch sein Decret/ den Priestern/ M(nchen vn[d] Nonnen/ die Ehe verbotten/ vnd zeyget darinnen an/ daß die Ehen im alten vnnd neuwen Testament zugelassen/ verthediget solches auch mit vielen Spr(chen der heyligen Schrifft/ lobet darinnen den heyligen Bischoff Paphnutium/ der im Concilio zu Nicea/ da man auch solche Decreta wollte ordenen/ daß die Geistlichen den Ehestandt meyden sollten. Da hat solchem der Paphnutius gantz ernstlich widerstanden […].“ Vgl. den Abdruck der: Epistel sanct Vlrich wider des vnkeüsch Paffen leben, in: CHRONICA || der Alten Christ= || lichen Kirchen. || j. Historia Ecclesiastica Euse- || bij Pamphili C sariensis xj. B(cher. || ij. Historia Ecclesiastica Tri|| partita/ Sozomeni/ Socratis/ vnd Theo= || doreti xij. B(cher. || iij. Historia Ecclesiastica/ || sampt andern treffenlichen geschichten/ die z)uor in Teüt= || scher sprach wenig gelesen sind/ auch xij B(cher. Von der zeit an/ || da die Historia Ecclesiastica Tripartita auffhret/ das ist/ || von der jarzal an CCCC. nach Christi ge= || burt/ biß auff das jar M. D. xlv. || Durch Caspar Hedion Doctor im Münster || z) Straßburg/ verteütschet/ z)samen || getragen/ vnd geordnet. || [Basel] M. D. Lviij., lib. VIII, c. 12, Bl. CCCCXVv–CCCCXVIIIv. Vgl. zur Epistola grundsätzlich Erwin Frauenknecht, Die Verteidigung der Priesterehe in der Reformzeit (MGH Studien und Texte 16), Hannover 1997, zur Datierung ebd., S. 70. Die Diskrepanz zwischen der Amtszeit Ulrichs und jener des vermeintlichen Adressaten Nikolaus I. hatte man bereits im 11. Jahrhundert erkannt. Vgl. ebd., S. 7. Vgl. zur sogenannten „Paphnutius-Erzählung“ ebd., S. 12–32, und zu dem nicht mehr exakt bestimmbaren Fundort „Altwatter“ oder „Aluuater“, den Luther genannt hatte, ebd., S. 194, Nr. 1; vgl. zu den Abdrucken im 16. Jahrhundert ebd., S. 195–201, Nr. 2–14; zur Epistola selbst zuletzt Martina Giese, Pseudo-Udalrichs Brief über die Klerikerehe in der Handschrift Prag, Národní Knihovna, XI. E. 9, in: DA 59 (2003), S. 153–163, hier S. 153ff.; zu Luthers Adaptation Stephen E. Buckwalter, Die Priesterehe in Flugschriften der frühen Reformation (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte 68), Gütersloh 1998, S. 71–78. Vgl. auch Saur, Diarium, 1582, 4. Juli, S. 292 Marginalkolumne: „Vdalricus. || Sanct Vdalricus ist auß dem edlen Geschlecht von Dillingen geboren/ […]. Dieser from[m]e Bischoff hat auff das hchste gerahten/ daß man den Priestern vnd den Nonnen die Ehe nit verbieten/ sondern/ wie Paphnutius auch gerahte[n]/ frey sol lassen/ […].“

347 Frage der Priesterehe und des Zölibats ähnlich wie die Konstanzer Fälscher geäußert hatten. 52 Hondorff hatte für das Calendarium nicht nur auf Werke der lutherischen Historiographie zurückgegriffen. Zahlreiche Versatzstücke hatte er sich aus den Geschichtswerken des vorreformatorischen Humanismus angeeignet, ohne sie konfessionell zu revidieren. Die Einträge zu den als heilig verehrten Päpsten, die insgesamt nicht mit der Dualität von antirömischer Gegen- und protestantischer Eigengeschichte zur Deckung zu bringen sind, gingen zumeist auf den 1475 entstandenen Liber de vita Christi ac omnium pontificum des Bartolomeo Sacchi „Platina“ (1421–1481) zurück. Mit Platina und dem von ihm adaptierten Liber pontificalis galt Hondorff beispielsweise Papst Johannes I. (reg. 523–526) aufgrund des – legendarischen – Tods in Kerkerhaft unter Theoderich dem Großen († 526) ohne weitere Kommentare als „fromme[r] heylige[r] Mann“. 53 Nahezu wortwörtlich und –––––––— 52

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Vgl. S. Vdalricus August. episcopus, in: Catalogus testi- || VM VERITATIS, QVI || ante nostram ætatem recla- || marunt Papæ. || Opus uaria rerum, hoc præsertim tempore || scitu dignißimarum, cognitione refertum, || ac lectu cum primis utile atq[ue] || necessarium. || Cum Præfatione MATHIÆ FLA- || CII ILLYRICI, qua Operis huius & || ratio & usus exponitur. || BASILEÆ, PER IOAN- || nem Oporinum [1556], S. 99–109, hier S. 99: „Sanctus Vlricus Augustanus episcopus, qui uixit ante annos fermè 700, acerrimè repugnauit Papæ, qui in Germania uoluit interdicere sacerdotibus co[n]iugio. Extat eius epistola admodu[m] grauis & pia, in qua no[n] tantum impurißimu[m] cœlibatum spiritualium Papæ tetris uerbis depingit, & durißimè insectatur, coniugiumq[ue] sacerdotum firmiter defendit: […].“ Der Brief wurde ebd., S. 101– 109, reproduziert. Es folgte eine Sammlung von Äußerungen der „Historici, de coniugio sacerdotu[m].“ Vgl. Hondorff, Calendarium, 1587, 28. März, S. 297: „IOHANNES BAPST || Johannes I. der 56. Babst/ Anno Christi 521. || […] Als der Bischoff oder Bapst Johannes gen Rauenna zu dem Theodorico kommen/ hat er jhn ins Gefengnuß werffen lassen/ fehlet auch wenig/ er hette jhn alsbald tdten lassen/ denn er Grawsam gegen jhm ergrimmet. Es ist aber gleichwol der fromme heylige Mann/ der es mit dem frommen Christlichen Keyser Justino hielte/ im Kercker/ vom Gestanck/ Hunger vnd Feuchte gestorben. Es hat aber der ewige Gott solche Tyranney hinwider gerochen/ denn jhn bald hernach der Schlag ger(hret/ daß er gestorben. Man hat den Leib deß heyligen Mannes Johannis gen Rom gebracht/ vnd in S. Peters Kirchen begraben/ den 2. Julij […]. Chronicon Platinæ.“ Vgl. Platynae historici Liber de vita Christi ac omnium pontificum (AA. 1–1474), hrsg. v. Giacinto Gaida (RIS2 3,1), Città di Castello 1913– 1932, Nr. 55, S. 86: „IOANNES I (523–526) || IOANNES, natione Thuscus, […] a consulatum Olibrii pervenit, […]. Ioannes autem Ravennam ad Theodoricum rediens, in carcerem propere coniicitur, ac parum abfuit quin eum statim occideret; adeo in hominem exarserat, et fide et moribus cum Iustino sentientem. Periit tamen sanctissimus homo in carcere pedore, situ et inedia; quam quidem scaevitiam ira divina non ita multo post graviore poena compescuit. Apoplexia enim Theodoricus moritur, eiusque anima, ut quidam eremita vir sanctissimus retulit, in ignem Lipareum immersa est. […] Feruntur corpus viri sanctissimi Ravenna ad Urbem delatum, sepultumque in basilica Petri .VI. kalendas iunii, Olibrio consule.“ Platinas Liber de vita Christi ac omnium pontificum war erstmals 1546 durch Kaspar Hedio (1494–1552) ins Deutsche übersetzt worden. Vgl. Giacinto Gaida, Prefazione, in: ebd., S. I–C, hier S. XCVIII; Hartwig Keute, Reformation und Geschichte. Kaspar Hedio als Historio-

348 ihrerseits ohne kommentierenden Zusatz referierte Hondorff aus Hartmann Schedels (1440–1514) Weltchronik von 1493 die Schilderung des Martyriums der hl. Ursula und der 11.000 Jungfrauen: „[…] Also ward Vrsula/ als die f(rnembste vnter jhnen/ im ersten ankommen/ mit einem Pfeil geschossen/ vnd mit 11.000 Jungfrauwen von den Hunen/ vnter dem Knig Attila/ mit der Marter bekrnet. Schedelius in Chronico.“ 54 Der hl. Thomas von Aquin († 1274) wiederum sei „auß leytung Gttlicher Gnaden/ mit der er von Kindheit auff begabet was“, den Dominikanern beigetreten. Er habe ein frommes und gelehrtes Leben geführt und sei aufgrund der Wunder, die sich nach seinem Tod ereignet hätten, von Papst Johannes XXIV. im Jahr 1303 „in die Zahl der heyligen Lehrer […] geschrieben“ worden. 55 –––––––—

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graph (Göttinger theologische Arbeiten 19), Göttingen 1980, S. 35, 152. Vgl. Liber pontificalis, Teil 1, ed. Mommsen (MGH GPR 1,1) (1898), Nr. 55, S. 133: „Iohannes natione Tuscus, […] sedit ann. II. m. VIIII d. XVI. Fuit autem a consulato Maximi usque ad consulatum Olybrii temporibus Theodorici et Iustini Augusti Christiani. || Hic vocitus est a rege Theodorico Ravenna, […].“ Ebd., S. 136f.: „Eodem tempore revertentes Iohannes venerabilis papa et senatores cum gloria, dum omnia obtinuissent a Iustino Augusto, rex Theodoricus hereticus cum grande dolo et odio suscepit eos, id est papam Iohannem et senatores, quos etiam gladio voluit interficere, sed metuens indignationem Iustini Augusti. Quos tamen in custodia omnes adflictos cremavit, itaque ut beatissimus Iohannes episcopus primae sedis papa in custodia adflictus deficiens moreretur. Qui tamen defunctus est Ravennae in custodia XV kal. Iun. martyr. Post hoc factum nutu dei omnipotentis XCVIII die, postquam defunctus est beatissimus Iohannes in custodia, Theodoricus rex hereticus subito interiit et mortus est. […] Cuius [Johannes’ I.] corpus translatum est de Ravenna et sepultus est in basilica beati Petri sub die VI kal. Iun. Olybrio consule.“ Hondorff, Calendarium, 1587, 21. Okt., S. 594. Vgl. Die Schedelsche Weltchronik. Nachwort v. Rudolf Pörtner (Neudruck der Ausgabe Nürnberg 1493) (Die bibliophilen Taschenbücher), Dortmund 1978, Blat CXXXVIIIr: „[…] Also wardt sant vrsula mit eim pfeyl durchschossen vnd mit aylfftawsent iunckfrawe[n] vo[n] de[n] hunis vnder dem konig athila mit erwidriger marter zu clne bekrnet auff gein himel fare[n]de.“ Die hl. Ursula verzeichnet auch Saur, Diarium, 1582, 21. Okt., S. 443 Marginalkolumne: „Vrsula. || Dise ist ein Christliche Jungfrauw vnd eines Knigs Tochter auß Engella[n]d gewest/ welche eilfftausent andere Jungfrauwe[n] von hohen Geschlechten an sich gezogen/ […].“ Vgl. Hondorff, Calendarium, 1587, 7. März, S. 14[3] [fehlerhaft paginiert]: „Thomas de Aquino || Thomas von Aquin/ Prediger Ordens/ ein Doctor/ ein J(nger deß grossen Albert/ eines Graffen Geschlechts/ in der gegend Auplie vnd Sicilie b(rtig […]. […] allda hat er sich auffs Studiren vnd Geistligkeit zubegeben angefangen/ vnnd darnach auß leytung Gttlicher Gnaden/ mit der er von Kindheit auff begabet was/ S. Dominici Orden angenommen/ vnnd ein fast Geistlich Leben biß an sein Ende gef(hret/ vnd darin[n] zu solcher vbertreffligkeit schrifftlicher Kunst vn[nd] Weißheit gelanget/ daß ihm keiner fast gleich gewesen. […] vnd ist gestorben/ Jm Jahr nach der Geburt Christi 1247. am 7. Tage deß Monats Martij/ Den hernachmals Bapst Johannes der 24. von wegen seiner Wunderzeichen in die Zahl der heyligen Lehrer hat geschrieben/ Anno 1303.“ Realiter wurde Thomas 1323 durch Johannes XXII. (reg. 1316– 1334) kanonisiert. Vgl. Leo J. Elders, Art. Thomas von Aquin, in: LexMA, Bd. 8, 1996, Sp. 706–711, hier Sp. 709. Die Lesarten von Fuchs, Heiligen-„memoria“ (1998), S. 592f. mit Anm. 21, scheinen in diesem Fall zu weit zu gehen. Demnach sei Thomas von Aquin für eine protestantische „Eigengeschichte“ vereinnahmt worden,

349 Auf dieser Basis sollten also weder Hondorffs vermeintliche „attacks on medieval superstitions“ 56 zu hoch veranschlagt noch der investigative Aufwand, den die Verfasser dieser Kalendarien betrieben, überschätzt werden: „Nutzten die Verfasser der Heiligenkalender zwar eine traditionelle Erinnerungsgattung, so suchten sie doch ad fontes zu gelangen. Bis auf wenige Ausnahmen griffen sie nicht auf die mittelalterlichen Heiligenlegenden zurück, sondern suchten die älteste Überlieferung.“ 57 Welche fontes damit bezeichnet sein könnten, die jenseits der mittelalterlichen Hagiographie über mittelalterliche Heilige unterrichtet hätten, ist schwer zu sagen. Hondorff schimpfte in seiner Einleitung zwar über die vor allem dem Mönchtum zu verdankenden, papistischen Legenden im Allgemeinen und die Legenda aurea im Besonderen. Er selbst erhob allerdings allein den Anspruch, –––––––—

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indem er und andere prominente Theologen des hohen Mittelalters „in den protestantischen Heiligenkalendern als Schriftgelehrte und evangelische Prediger geehrt“ worden seien. Vgl. auch ebd., S. 608, zum Gründer der Dominikaner: „Der hl. Dominikus wurde von den Autoren der Heiligenkalender zu einem antiklerikalen Prediger gemacht, seine Ordensgemeinschaft zu einer Versammlung evangelischer Geistlicher.“ Vgl. auch ebd., S. 592 mit Anm. 21. Fuchs bezieht sich neben Hondorff auf Saur, Diarium, 1582, 24. Mai, S. 223 Marginalkolumne: „Dominicus. || Dieser ist ein Hispanier von Clararoga b(rtig gewest/ in seiner jugendt hat er sich zu Valentia, in gottseligen K(nsten vnd heiliger Schrifft/ ge(bet. Dieweil er aber sahe/ daß sich die grossen Canonici vnd andere deß Predigampts gar nit annamen/ hat er/ auß Christlichem Eiffer jm ein Gesellschafft versammlet/ durch welche die Lehr des Euangelij solt außgebreit werden. Daher kompt der Prediger Orden/ welcher ist best tiget worden vnter Honorio III. 1220. jar Christi.“ Möglicherweise beruhen Fuchs’ Lesarten auf einem wortgeschichtlichen Missverständnis in dem Sinne, dass der Ausdruck „Prediger Orden“ nicht in seiner Qualität als Eigenname für den Ordo fratrum Praedicatorum erkannt und statt dessen als Versuch einer verbalen Umwertung im Hinblick auf den bei Fuchs offenbar allein lutherisch denotierten Akt des Predigens interpretiert wurde. Dass der Dominikaner Thomas prinzipiell zur Geschichte des römischen Katholizismus zu zählen war, stand für Zeitgenossen der frühen Neuzeit außer Frage. In der kohärent konfessionalisierten Deutung des Flacius taucht Thomas zwar unter den testes veritatis auf, aber ohne als Person insgesamt vereinnahmt zu werden. Er habe eben, so Flacius, „nicht alle Irrtümer des Papsts ganz und gar gebilligt“ und sich insbesondere verständig zur Priesterehe geäußert. Vgl. Thomas de Aquino, in: Flacius, Catalogus, 1556, S. 701f., hier S. 701: „Thomam Aquinatem, qui circa annum Domini 1260 uixit, cum primis Papistæ, ob sua[m] quanda[m] sanctitatem & eruditione[m], uenerantur & prædica[n]t. Atque ne hic quidem omnes Papæ errores penitus approbauit. Longè enim de sacerdotum coniugio molius ac melius reliquis hypocritis sensit […].“ Hier wie dort ging es also nicht um die Zuweisung der einen oder anderen Person zu einer Eigen- oder Gegengeschichte als solcher, sondern um einzelne Aspekte des Handelns und Denkens von Vertretern des römischen Katholizismus, die gerade in dieser Qualität für Flacius von Interesse waren. Kolb, Saints (1987), S. 32. Fuchs, Heiligen-„memoria“ (1998), S. 603. In Bezug auf Kaspar Goltwurms (um 1524–1559) Kirchen Calender von 1559 konstatierte hingegen schon Bernward Deneke, I. Alte „Lügen“ und neue Wirklichkeit. 1. Kaspar Goltwurm. Ein lutherischer Kompilator zwischen Überlieferung und Glaube, in: Brückner (Hrsg.), Volkserzählung (1974), S. 124–177, hier S. 168: „Die Tradierung mittelalterlicher Erzählstoffe erfuhr […] im Bereich der evangelischen Erbauungsliteratur keine Unterbrechung.“

350 aus seines Erachtens soliden kirchengeschichtlichen Darstellungen geschöpft zu haben. 58 Auf diese Weise gelangten die Erzählungen von Papst Johannes I., dem Martyrium der hl. Ursula und der 11000 Jungfrauen sowie jene von der angeblichen Wendung des hl. Ulrich an Papst Nikolaus I. durch die späteren Geschichtswerke des Humanismus und des Luthertums in Hondorffs Calendarium. Dass es sich auch für Protestanten lohnte, dieser keineswegs durchgängig neu interpretierten Figuren zu gedenken, scheint durch Hondorffs Calendarium nahegelegt zu sein. In welchem Umfang dabei pragmatische Aspekte eine Rolle spielten, wäre zu untersuchen. Schließlich hatten diese Autoren ein ganzes Kalendarium zu füllen. Vielleicht war es eher von Bedeutung, dieser Aufgabe mit überschaubarem Aufwand nachzukommen, als ein konsistent lutherisches Geschichtswerk vorzulegen, was auch immer dies im Detail hätte bedeuten können. Welcher Seite das Produkt zuzurechnen war, war jedenfalls durch den einen oder anderen Seitenhieb auf die papistische Seite und durch die Einleitung hinreichend verdeutlicht. In dem Augenblick, in dem das Gebiet der Geschichtsschreibung betreten wird, verwischt sich notwendig die eine oder andere Scheidelinie. Jedes historiographische Werk bis heute impliziert Momente des Kompilatorischen und Reproduzierenden. Auch die Magdeburger Centuriatoren revidierten keineswegs all das, was sie in ihren Vorlagen, etwa in Eusebius’ Kirchengeschichte, in Sigeberts von Gembloux († 1112) Chronica universalis oder auch in zeitnahen Werken wie jenen Platinas, Trithemius’, Krantz’ oder Petrus’ de Natalibus, vorfinden konnten. 59 Auch wenn die Grundlagen der Magdeburger Centurien inzwischen besser bekannt zu werden beginnen, 60 ist die Frage, welcher Richtung die Rezeption dieser oder jener Vorlage im Einzelfall folgte, schwer zu beantworten. Die Band–––––––— 58

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Vgl. Hondorff, Calendarium, 1587. Vorrede an den Christlichen Leser [unpaginiert], [S. 1f.]: „Wiewol aber viel Legenden der Heyligen im Bapstthumb noch zu finden/ dareyn viel vngl ubliches/ sonderlich von den M(nchen mit vntergemischet/ also/ daß viel Legenden mehr einem Mehrlein/ denn einer warhafftigen Historien gleich sind/ wie sonderlich in der Lombardica Historia zu finden/ So hab ich mich doch in diesem Calendario f(rnemlich befliessen/ von den lieben heyligen Bekennern vnd Martyrern Christi zu schreiben vnd zu setzen/ daß man bey den glaubw(rdigsten vnd f(rnembsten Kirchen Scribenten hat vnd findet.“ Der Name der Historia Lombardica ist ein zeitgenössisches Synonym für die Legenda aurea. Vgl. Barbara Fleith, Studien zur Überlieferungsgeschichte der lateinischen Legenda Aurea (Subsidia hagiographica 72), Brüssel 1991, S. 28f. Vgl. Robert Kolb, From Hymn to History of Dogma. Lutheran Martyrology in the Reformation Era, in: More than a Memory. The Discourse of Martyrdom and the Construction of Christian Identity in the History of Christianity, hrsg. v. Johan Leemans (Annua nuntia Lovaniensia 51), Löwen/Paris/Dudley, Ma. 2005, S. 295–313, hier S. 305ff. Herrn Prof. Dr. Kolb danke ich für die freundliche Überlassung seines Manuskripts bereits vor Fertigstellung dieses Bands. Vgl. Hartmann, Humanismus (2001), S. 198–208; Pohlig, Gelehrsamkeit (2007), S. 372ff.

351 breite der Sichtweisen, die sich im personengeschichtlichen locus: „De episcopis et doctoribus ecclesiae“, artikulierte, in dem die meisten der im Katholizismus als Heilige verehrten Persönlichkeiten abgehandelt wurden, ist beachtlich. Hinkmars von Reims († 882) Schilderung der wunderbaren Umstände, welche die Empfängnis Remigius’ von Reims († um 533) begleitet hätten, die Visionen und Prophetien des Mönchs Montanus und die Überwindung der altersbedingten Unfruchtbarkeit der Mutter Cilinia durch Beistand des Heiligen Geists wurden von den Centuriatoren umstandslos akzeptiert. 61 Als Produkt der „abergläubische[n] Arglosigkeit jener Zeit“ bezeichneten sie allerdings den Zusatz, dass Remigius bereits im Mutterleib durch den Heiligen Geist von seinen Sünden losgesprochen worden sei. 62 Ohne weiteren Kommentar wurde hingegen, mit den Dialogen Gregors des Großen, der Abschnitt zu Bischof Datius von Mailand († vor 553) im Verweis auf die Wunder, die von diesem gewirkt worden seien, eröffnet und mit einer Episode, in der Datius den Satan vertrieb, beschlossen. 63 Keine –––––––— 61

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Vgl. Quinta centuria ecclesiasticae historiae, 1560, Sp. 1399: „Cæterùm Remigij conceptionem fuisse miraculosam, prolixè narrat Hincmarus. Primùm enim matrem fuisse anum iam effœtam, & per ætatem sterilem. deinde, natiuitatem eius ante conceptionem à Deo reuelatam, & cuidam monacho, qui Montanus dicebatur, etiam nomen indicatum: idque hac occasione Grauissimè quatiebatur & affligebatur uniuersa Gallia tyrannide & uastationibus Gotthorum & Vandalorum, quorum aliqui Paganismo, aliqui uerò Arianismo infecti erant. ibi ad Montanum anxiè ora[n]tem pro salute Ecclesiæ Christi, uoce ex cœlo sonante, patefactum esse ait, nasciturum quendam Remigium, qui ab istis calamitatibus liberaturus esset gentem Gallicam.“ Vgl. ebd., Sp. 1399f.: „Immò idem Hincmarus, pro istius temporis superstitiosa credulitate addere non erubescit: In peccatis quidem Remigium conceptum, natum uerò minimè, eo quòd in utero materno, ueluti olim Iohannes Baptista, sit sanctificatus: uerùm sine euidenti probatione.“ Vgl. Vita Remigii episcopi Remensis auctore Hincmaro, in: MGH SS rer. Merov., Bd. 3, ed. Krusch (1896), S. 250–341, hier S. 261: „Neque […] dubitandum est, quia Spiritus sanctus, qui eum talem futurum predixit, et cuius munere conceptus fuit, etiam a peccatis absolvit.“ Sexta centuria ecclesiasticae historiae, 1562, Sp. 702f.: „Datius episcopus Mediolanensis fuit, qui miraculis claruit. Hic cu[m] propter fidei confessionem eiectus Constantinopolim te[n]deret, […] || De noctu cum Datius quiesceret, Satan edidit leonum rugitus, & pecorum balatus adeò magnos, ut Datius expergisceretur. Qui iratus surrexit, & SatanĊ dixit: Bene tibi contigit miser. Tu enim dixisti: Ponam sedem meam ad Aquilonem, & ero similis altissimo. Ecce propter superbia[m], porcis & alijs bestijs similis factus es, cùm Deo obedire noluisti. His uocibus diabolus confusus, domum deseruit, in qua exhibenda monstra diu moratus fuerat. Et ita effecta est in posterum fidelium habitatio. Gregor. lib. 3. Dialog. cap. 4.“ Vgl. Grégoire le Grand, Dialogues, Tome 2: Livres I–III. Texte critique et notes par Adalbert de Vogüé. Traduction par Paul Antin (Sources chrétiennes 260), Paris 1979, lib. III, c. 4,1–3, S. 270/271–271/272: „Eiusdem quoque principis tempore, cum Datius Mediolanensis urbis episcopus, causa fidei exactus, ad Constantinopolitanam urbem pergeret, […]. || Itaque intempestae noctis silentio, cum uir Dei quiesceret, antiquus hostis inmensis uocibus magnisque clamoribus coepit imitari rugitus leonum, balatus pecorum, ruditus asinorum, sibilos serpentium, porcorum stridores et soricum. Cum repente Datius, tot bestiarum uocibus excitatus, surrexit uehementer iratus et contra antiquum hostem magnis coepit uocibus clamare, dicens: ‚Bene tibi contigit, miser.

352 Modifikationen nahmen die Centuriatoren an den Erzählungen vor, die den – nach heutiger Einschätzung vielleicht im 5. oder 6. Jahrhundert – im Rheinischen wirkenden Missionar Goar begleiteten. Nach Regino von Prüm und Vincenz von Beauvais († 1264) habe er im Pagus Trigorius eine Maria geweihte Kirche errichtet und auf wunderbare Weise eine sündhafte Vaterschaft des vermeintlichen Trierer Bischofs Rusticus aufgedeckt. Dafür und „wegen ähnlicher Wunder“ sei er von dem fränkischen König Sigebert selbst zum Trierer Bischof erhoben worden. 64 Bischof Theodorich I. von –––––––—

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Tu ille qui dixisti: Ponam sedem meam ad aquilonem et ero similis altissimo, ecce per superbiam tuam porcis et soricibus similis factus es, et qui imitari Deum indigne uoluisti, ecce, ut dignus es, bestias imitaris.ǥ || Ad quam eius uocem, ut ita dicam, deiectionem suam malignus spiritus erubit. An non erubit, qui eandem domum ad exhibenda monstra quae consueuerat ulterius non intrauit? Sicque postmodum fidelium habitaculum facta est, quia, dum eam unus ueraciter fidelis ingressus est, ab ea protinus mendax spiritus atque infidelis abscessit.“ Vgl. Bernhard Kriegbaum, Art. Datius, in: LThK, Bd. 3, 31995, Sp. 35. Vgl. Sexta centuria ecclesiasticae historiae, 1562, Sp. 706: „Goar presbyter ex Aquitania uenit, ac in diœcesi Treuerensi, in pago Trigorio, super riuulum qui Vuochara dicitur, templum in honorem Mariæ ædificauit, in quo dies & noctes cultui diuino operam dedit. Multos paganos conuertit, & ægrotos oratione sanauit. Regino libro primo, & Vincentius libro 22. cap. 13. || Cum autem infans, cuius parentes ignorabantur, clàm expositus fuisset, episcopus nomine Rusticus de donis Goaris periculum facturus, ipsum quasi coegit, ut infantis parentes uaticinando indicaret. Goar in nomine Trinitatis puerum coniurauit, ut parentes denominaret. Puer respondit: Rusticus episcopus pater meus est, & Afflagra mater. quibus auditis, expauerunt & episcopus & Goar: qui tamen episcopo suasor fuit, ut ob commissum peccatum pœnitentiam ageret. || Hoc & similibus miraculis celebris factus, uocatur à Sigeberto Francorum rege ad episcopatum Treuirensem.“ Vgl. BIBLIOTHECA MVNDI. || SEV || SPECVLI MAIORIS || VINCENTII BVRGVNDI || PRÆSVLIS BELLOVACENSIS, || ORDINIS PRÆDICATORVM, || THEOLOGI AC DOCTORIS EXIMII, || TOMVS QVARTVS, || QVI SPECVLVM HISTORIALE INSCRIBITVR: || In quo vniuersa totius orbis, omniumque populorum ab orbe condito || vsque ad Auctoris tempus HISTORIA continetur, pulcherrimum || actionum ciuilium & ecclesiasticarum THEATRVM. || Omnia nunc accuratè recognita, distinctè ordinata, suis vnicuique autori redditis || exactè sententijs; summarijs prætereà & obseruationibus, quibus || anteà carebant, illustrata. || Operâ & studio Theologorum BENEDICTINORVM Collegij VEDASTINI || in Alma Academica DVACENSI. || DVACI, || Ex Officina Typographica BALTAZARIS BELLERI, || sub Circino aureo. || ANNO M. DC. XXIV. (Neudruck Graz 1965), lib. XXII, c. 13, S. 865a: „Sigibertus in Chronicis. Anno Mauricij 17. sa[n]ctus Goar veniens ex Aquitania, claret in Gallia. Ex gestis eius. Hic in suburbano Treuerico iuxta fluuium Vuochara ecclesiolam fecit, multorumque ibide[m] reliquias sanctorum collocauit. Ibi, die nocteque Deo seruiebat in ieiunijs, vigilijs, prædicatione, & oratione, multosque paganos verbo conuertit, & ægrotos multos oratione sanauit.“ Vgl. zu der Episode um Rusticus ebd., lib. XXII, c. 15, S. 865b–866a. Den aufgrund des Rufs der Heiligkeit von Sigebert angebotene Episkopat lehnte Goar bei Vincenz allerdings ab. Vgl. ebd., lib. XXII, c. 16, S. 866a–b. Bei Regino hingegen war zu Goar selbst nichts zu erfahren. Regino erwähnte nur eine herrscherliche Zusammenkunft an dem nach Goar benannten Ort Ende des 9. Jahrhunderts. Vgl. Reginonis abbatis Prumiensis Chronicon cum continuatione Treverensi, hrsg. v. Friedrich Kurze (MGH SS rer. Germ. in us. schol. [50]), Hannover 1890, S. 146f.: „Anno dominicæ incarnationis DCCCXCVIIII. Zuendibolch colloquium

353 Metz († 984) wiederum habe sich höchste Verdienste um die Künste und den Ausbau der kirchlichen Strukturen erworben, sähe man von seiner Leidenschaft für Reliquien ab. 65 Brun von Köln († 965) galt den Centuriatoren aufgrund des Ausbaus und der Restituierung der Klosterlandschaft als überaus frommer Mann. In seinem Fall wurde die Brun gleichfalls auszeichnende Sorge um Reliquien, nach Ruotgers um 968/69 verfasster Vita Brunonis und der Chronik Sigeberts von Gembloux, von den lutherischen Historiographen allerdings nicht moniert. 66 –––––––— 65

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habuit cum optimatibus Arnulfi et Caroli et suis apud sanctum Goarem; […].“ Vgl. Marc van Uytfanghe, Art. Goar, in: LexMA, Bd. 4, 1989, Sp. 1527f. Vgl. Decima centuria ecclesiasticæ historiæ, 1567, Sp. 572: „Quibus uerò artibus tantam laudem sibi acquisiuerit, nusquam reperire est, nisi fortè reliquiarum cultu. Multa enim plaustra putridorum ossium ex Italica expeditione, cum Otthonis Magni castra integrum triennium secutus fuisset, in suam ecclesiam secum aduexit: ut Sigebertus refert. Aut templorum & monasteriorum extructione, cui labori sedulus incubuit. Cœnobium enim sancti Vincentij, pro felici suĊ gubernationis auspicio, in urbe Metensi fundauit. Aliud quoque in Caluomontensi pago, […].“ Vgl. Sigeberti Gemblacensis Chronographia, hrsg. v. Ludwig Konrad Bethmann, in: MGH SS, Bd. 6, hrsg. v. Georg Heinrich Pertz, Hannover 1844, S. 300–374, hier S. 351: „Deodericus Mettensium episcopus, imperatori sanguine, dilectione ac familiaritate caeteris devinctior, dum in Italica expeditione per triennium sub eo militaret, multa corpora et pignora sanctorum de diversis Italiae locis quocumque potuit modo collegit.“ Vgl. auch die Vita Deoderici episcopi Mettensis auctore Sigeberto Gemblacensi, hrsg. v. Georg Heinrich Pertz, in: MGH SS, Bd. 4, hrsg. v. dems., Hannover 1841, S. 463–483, hier c. 16, S. 472–476: „De aviditate eius in perquirendis reliquiis Sanctorum.“ Vgl. Decima centuria ecclesiasticæ historiæ, 1567, Sp. 608: „Monasteriorum præterea & reliquiarum cura non postrema ipsi fuit. Morum enim in cœnobijs degentium censor extitit acris, ac ignauum fucos pecus à præsepibus (ut loqui solebat) abigi præcepit. Ipsa etiam ædificia uetustate ruinam minitantia, reparauit: nouaq[ue] templa & monasteria extruxit, inter quĊ Pantaleonis maximè insigne fuit: eaque amplissimis donis ac putridis sanctorum ossibus, suo studio Roma Colonia[m] usq[ue] translatis, ornauit: ut Sigebertus & Rogerius in uita eius scribunt. O præclara in tanto uiro pietatis testimonia.“ Ruotgeri Vita Brunonis archiepiscopi Coloniensis, hrsg. v. Irene Ott (MGH SS rer. Germ. nov. ser. 10), Weimar 1951, S. 22: „Tantum enim superiorum insignia huius cotidiana opera precedebant, ut totum, quod in ecclesiis sive ampliandis sive restaurandis, quod in reliquiis et corporibus sanctorum in suam parochiam transferendis, quod in privatis vel publicis edificiis componendis, quod in ordinandis domibus familiĊque sanctĊ Dei ecclesiĊ rebus fecerat, ad aliorum opera pene incomparabile videretur.“ Ebd., S. 27: „Legatus ergo […] Roma rediens bonum nuntium Coloniam ferre acceleravit portans sacrum habitum ab universali pontifice missum […], ferens simul reliquias de proprio corpore sancti Pantaleonis martyris […].“ Ebd., S. 31: „Sanctorum corpora atque reliquias et quelibet monimenta, ut suis patrocinia cumularet et per multos populos ultra citraque hac celebritate gloriam Domini propagaret, undecumque collegit.“ Ebd., S. 32: „Inclitos et preculis fame martires Patroclum, Elifium, Privatum et Gregorium, quorum gesta sunt permagnifica, merita gloriosa, patrocinia tuta, Christofori sanctique Pantaleonis, ut iam dictum est, preciosas reliquias, quibus se patronis specialius delegavit, utputa gemmas gratissimas et dulcissima pignora ad sanctissimam sue ecclesie sedem miro ambitu variis de locis adtraxit.“ Bei Sigeberti Gemblacensis Chronographia,

354 Der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich die Modifikationen durch die Verfasser der Magdeburger Centurien bringen lassen, besteht darin, dass sie diese Personen nicht als Heilige apostrophierten. Eine durchgängige oder gar aus methodischen Erwägungen 67 erwachsende Kritik an Heiligenviten als solchen oder an den „Legenden“ der Alten Kirche gab es in den Magdeburger Centurien offenbar nicht. Die kurzbiographische Struktur in der Tradition der viri illustres und die Tatsache, dass man eher aus chronikalischen Vorlagen geschöpft zu haben scheint, während ein umfassender Zugriff auf früh- oder hochmittelalterliche Heiligenviten kaum erkennbar ist, trug, was die Masse der kürzeren Einträge anbelangt, zu einer in konfessioneller Hinsicht häufig unspezifischen Darstellung der Kirchenlehrer und Bischöfe bei. Über die Zuordnung zu den einzelnen Jahrhunderten hinaus herrschte kein Anspruch, die Wirkungszeit der in Rede stehenden Personen auf Jahr und Tag zu bestimmen. In der sechsten Centurie eröffnete man den Abschnitt zu den „Germaniæ doctores“ 68 mit einem kurzen Eintrag zu Columban. Dieser sei, „wie Aventinus schreibt, im Jahr 575 zu den Bojern und ins Veneto aufgebrochen, um sie zum christlichen Glauben zu bekehren.“ 69 Es folgte, ohne genauere chronologische Angaben, ein Abschnitt zu den – wahrscheinlich legendarischen und bestenfalls Ende des 8. Jahrhunderts zu Tode gekommenen – „Bischöfen“ Anianus und Marinus, die ebenfalls mit Johanes Aventinus’ (1477–1534) zwischen 1519 und 1521 entstandenen und 1554 gedruckten Annales ducum Baioariae mit der Wirkungszeit des –––––––— 67 68 69

ed. Bethmann (MGH SS 6) (1844), S. 349–351, finden sich nur kleinere Bemerkungen zum politischen Wirken Bruns. Vgl. zur Frage der „Quellenkritik“ jetzt auch die Überlegungen von Pohlig, Gelehrsamkeit (2007), S. 374f. Sexta centuria ecclesiasticae historiae, 1562, Sp.745. Ebd.: „Colvmbanus. || Columbanus, ut scribit Auentinus, anno Christi 575 ad Boios & Venedos profectus est, ut eos ad Christianam fidem conuerteret. Auentinus lib. 3.“ Vgl. Johannes Turmair’s genannt Aventinus Bayerische Chronik, hrsg. v. Matthias Lexer. Das dritt puech. Das viert puech der baierischen chroniken. Das fünft puech der baierischen chroniken. Das sechst puech der baierischen chroniken. Das siebend puech der baierischen chroniken, München 1888 (Neudruck Neustadt a. d. Aisch 1996), lib. III, c. 39, S. 57: „Dieser Zeit kam in Baiern sant Columban zu herzog Thessel, wolt weiter zogen sein und den Winden Haunen, so an die Baiern vom aufgang überal stiessen, gepredigt haben; aber er dorft’s nit wagen, es warn lauter grob kriegsleut, rauber und mörder, warn aller christen, voraus münich und pfaffen abgesagt totfeind. || Herzog Thessel stiftet etlichen brüedern ain closter, do man zelet von Christi gepurt fünfhundert und fünfundsibenzig jar, […].“ Vgl. die etwas ausführlichere lateinische Fassung: Johannes Turmair’s genannt Aventinus Sämmtliche Werke, Bd. 2: Annales ducum Boiariae, hrsg. v. Sigmund Riezler, Bd. 1: Buch I–IV, München 1882, lib. III, c. 4, S. 363: „Sub idem tempus divus Columbanus ad Boios, Venedos petiturus, perrexit. decreverat aperire Venedis religionis christianae mysteria. Thessalonus anno a nato Christo quingentesimo septuagesimo quinto in ripa Danubii […] contubernium monachis condidit; […].“

355 „Königs“ Theodo von Bayern (Herzog vor 696–ca. 717/718) und dessen angeblichem Sieg über die Römer bei Augsburg im 6. Jahrhundert verknüpft wurden. 70 Ein weiterer Abschnitt galt Rupert von Salzburg († nach 716). Letzterer habe Theodo lange vergeblich davon überzeugen wollen, zum Christentum überzutreten. Die Ratgeber am Hof hätten das Christentum nämlich als eine den Fürsten und Männern des Krieges wenig hilfreiche Religion betrachtet. Erst später, nachdem der fränkische König Theodoretus dem bojerischen Herrscher seine Tochter Reginodruda überlassen habe, sei Rupert zurückgekehrt, habe in mehreren Versammlungen zur Konversion aufgerufen, die Reste des alten Aberglaubens beseitigt und Theodo zusammen mit seinem Sohn Theodebertus in Regensburg getauft. Ferner habe er das Christentum zu Herzog Otto von Ötting und dessen Bruder Theowald von Bozen getragen. Dass Rupert etwas mit Salzburg zu tun gehabt haben könnte, ging aus den Magdeburger Centurien nicht hervor. 71 –––––––— 70

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Vgl. Sexta centuria ecclesiasticae historiae, 1562, Sp. 745f.: „Anianvs & Marinvs. || In eo bello quod Theodo Boioru[m] rex aduersus Romanos gerebat, & uictoria[m] aduersus eosdem obtinebat, Augusta Vindelicorum funditùs deleta est: & inter cæteros Anianus & Marinus episcopi interfecti sunt. Ille ante aram sacra peragens trucidatur, hic de arbore suspensus fuit: quorum ossa postea Rhodam superiorem translata sunt, ubi custodiuntur. Auentinus lib. 3.“ Vgl. Aventinus, Bayerische Chronik, ed. Lexer (1888), lib. III, c. 17, S. 25f.: „Die viert schlacht herzog Diethen des andern auf Perlacher haid zwischen Münichen und Wolfratshausen. || […] Dise stat Augusta was noch besetzt, hetten sich die Römer alda versamelt, wolten mit den Baiern noch ain schlacht tuen, […]. || Da solchs vernam herzog Dieth, war’s im auch nit ungelegen, […]: die Baiern gewannen aber, ward das ganz römisch her, all haufen erschlagen. […]. || Es ward auch die stat gar verprent und nidergerissen dermassen, das man nit wol mêr wais, wo si gelegen ist. Wurden die priester auch mitsambt anderm volk jämerlich erwürgt, nämlich sant Anian und Marein der bischof, die warden auf dem altar erwürgt, an aichen gehenkt und nach inen die kirchen verprent; ir leib sein lang hernach erst gên Rod in das closter gefüert worden. Es haist noch ‚zu sant Mareinǥ, da in die Baiern an ain aich gehenkt haben.“ Dieser angebliche Herzog Dieth II. von Bayern war nach Aventins Darstellung der Sohn des im Jahr 511 verstorbenen Herzogs Dieth I. Vgl. ebd., lib. III, c. 11, S. 19; in der lateinischen Fassung ders., Annales, ed. Riezler (1882), lib. III, c. 2, S. 340, 344f. Bei Anianus und Marinus könnte es sich, nach deren dem 12. Jahrhundert entstammender Vita, um einen Diakon und einen Bischof romanischer Herkunft gehandelt haben. Vgl. Heinrich Berg, Christentum im bayerischen Raum um 700, in: Der hl. Willibald – Klosterbischof oder Bistumsgründer?, hrsg. v. Harald Dickerhof/Ernst Reiter/Stefan Weinfurter (Eichstätter Studien N. F. 30), Regensburg 1990, S. 69–113, hier S. 80ff.; Wilhelm Störmer, Art. Anianus u. Marinus, in: LThK, Bd. 1, 31993, Sp. 678. Vgl. Sexta centuria ecclesiasticae historiae, 1562, Sp. 746: „Rvpertvs. || Rupertus regio Francorum genere procreatus, & doctrinĊ à Christo traditĊ præco, ad Theodone[m] Boiorum regem adhuc gentili superstitioni deditu[m] uenit, ut eum ad ueram pietate[m] adduceret. Sed aulici illius suadebant, auitas ceremonias nequaqua[m] deferendas, quĊ ipsis tot uictorias ac triumphos peperissent: Christianam religione[m] esse nouam, & uiris rei bellicæ studiosis aduersam. & ut uera sit, utilem tamen rei publicæ principem, siquidem rectè suum officium administrare uelit, no[n] posse esse Christianum. Romanos enim ob id bello inferiores esse, […]. Rupertus uidens se frustra inuitos seruandi sumere laborem, domum redit. Postea cum Theo-

356 Aventins Geschichten der Bojer zählen zu den wirkungsmächtigsten Konstrukten des patrimonialen Humanismus. 72 Theodo und Rupert wies man noch in der späteren Regensburger Chronistik mit Aventin dem frühen 6. oder 7. Jahrhundert zu. 73 Verglichen mit den verschiedenen Versionen der Vita Hrodberti, deren älteste Handschrift aus dem 10. Jahrhundert

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doretus Franciæ rex pientissimus, Reginodrudam filiam suam Theodoni tertio Boiorum duci elocasset, iussit Rupertum denuò ad Boios iter facere. Rupertus à Thedone Rheginoburgij honorificè exceptus, priuatim & publicè in concionib. Boios ad ueram religione[m] inuitabat: ac tandem effecit, ut relicta auita superstitione, & gentili numinum cultu, fidem Christianam amplecterentur. Theodon enim unà cum filio Theodeberto baptisatus est Rheginoburgij. Deinde & in alijs Bauariæ locis uerbum Dei seminare ac diuulgare cœpit ac Vtinum ueniens, Vtone[m] ducem ibi baptisauit: Theoualdam uerò Vtonis fratrem, Pisonij. Auentinus lib. 3. annalium Boiorum.“ Theodo gilt heute als der erste bayerische Herzog, der sich nach Rom begab. Sein Sohn Theodpert beherrschte vielleicht seit 702 oder früher in Salzburg ein Teilherzogtum. Regintrud wird teils als Theodperts Gattin, teils als Äbtissin des Klosters Nonnenberg, einer Gründung Theodperts, betrachtet. Über ihre mögliche Verwandtschaft mit dem fränkischen Königshaus wurde in der Forschung ausführlich diskutiert. Theodoald war neben Theodpert ein zweiter Sohn Theodos, dem nach dessen Tod ein Teil der Landesherrschaft zufiel. Vgl. Berg, Christentum (1990), S. 92 Anm. 105, S. 94 mit Anm. 120; Joachim Jahn, Ducatus Baiuvariorum. Das bairische Herzogtum der Agilolfinger (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 35), Stuttgart 1991, S. 26f., 77, 91ff. Die Ortsangaben wurden hier aus der deutschen Fassung Aventins übernommen. Vgl. Aventinus, Bayerische Chronik, ed. Lexer (1888), lib. III, c. 25, S. 34. Demnach sei der seit 511 herrschende Herzog Dieth II. im Jahr 537 verstorben: „Lies under im drei sün: herzog Diethen den dritten, herzog Otten und herzog Diethwalden.“ Diese hätten das Herzogtum unter sich aufgeteilt. Vgl. ebd., lib. III, c. 26, S. 34: „Herzog Dieth dem dritten […] dem gefiel für seinen tail das ganz Norkau die stat Regenspurg, das niderland zwischen der Iser, Rod und Thonau. Herzog Diethwald besas Potzen, das Etschland, das pirg umb den Inn und was an Wälschland hinan stöst und ietzo die grafschaft Tyrol haist. Herzog Otten ward Larch, die gegent enhalb des Inns, das land ob der Enns bis an den Inn und pirg hinan, daraus der Inn lauft; dergleichen das oberland zwischen dem Inn und Lech. Pontes Oeni, weiland die römisch reichstat, hat er wider aufpaut, nach im Ötting genent, hat alda hof gehalten; […].“ Nach Aventin erhielt dieser Herzog Dieth III. von dem „in Teutschland“ als König regierenden fränkischen „künig Dietprecht“ dessen „tochter, so ain christin war, frau Regendraut“, zur Frau. Vgl. ebd., lib. III, c. 27, S. 35. Dieser König „hies auch sant Ruprecht sein vetter, dem sein vater, obg’nanter künig Dietrich, Wormbs, damals das erzbistumb […] gelihen het, in Baiern ziehen, das er daselbst christlichen glauben prediget.“ Ebd. Zu dessen Missions- und Predigttätigkeit vgl. ebd., S. 35f.; lib. III, c. 28, S. 36–41. Vgl. Andreas Kraus, Bayerns Frühzeit im Spiegel der Geschichtsschreibung von Aventin bis Westenrieder, in: Regensburg, Bayern und Europa. Festschrift für Kurt Reindel zum 70. Geburtstag, hrsg. v. Lothar Kolmer/Peter Segl, Regensburg 1995, S. 435–452, hier S. 436ff.; vgl. zur Forschung und Edition der Werke Alois Schmid, Die Kleinen Annalen des Johannes Aventinus aus dem Jahre 1511, in: Brendle/Mertens/Schindling [u. a.] (Hrsg.), Landesgeschichtsschreibung (2001), S. 69–95, hier S. 69f. Vgl. Wolf, Bilder (1999), S. 195, 201f., 209f., 376.

357 stammt, 74 bedeuteten Aventins Darstellung und jene der Magdeburger Centuriatoren sicher keinen Zugewinn an Präzision. Empirisch gesehen scheinen die Centuriatoren ebensowenig wie Flacius systematisch Heiligenviten gesammelt zu haben, beispielsweise, um zeitgenössische Erzählungen – wie die vom Kampf des Königs Theodo gegen die Römer – mit Hilfe älterer Materialien zu überprüfen, oder, um sich einen Fundus solcher „Legenden“ zu verschaffen, die sie ostentativ zu verwerfen beabsichtigten. Die Suche nach Ungedrucktem besaß hingegen, mit Martina Hartmann, zwei Schwerpunkte im Interesse an „früh- und hochmittelalterliche[n] Briefen“ sowie an „Konzilstexte[n]“, in welchen sie „die besten Belege für ihre Sicht der mittelalterlichen Kirchenverfassung“ 75 erblickt zu haben scheinen. Von ganz anderer Qualität waren in konfessioneller Hinsicht die Erörterungen im kultgeschichtlichen locus: „De ritibus et ceremoniis“. In ihm waren die Ausführungen zu den an dieser Stelle unmissverständlich inkriminierten Phänomenen des Reliquienkults („De reliquiis sanctorum, earumque translatione“) und Wallfahrtswesens („De peregrinatione ad loca sancta“) aufgehoben. Die eigentliche Verbreitung dieser Bräuche im Christentum bewerteten sie, völlig zu Recht, als ein Phänomen des 4. Jahrhunderts: In den vorangegangenen Jahrhunderten finden wir bei bewährten Autoren nichts über die Translation der Reliquien der Heiligen und die Verehrung derselben. Aber in diesem Jahrhundert ist diese Sache, teils aus übermäßigem Lobpreis der Heiligen, teils aus dem Schwindelhafer der Interzession der Heiligen, teils aus heidnischem Aberglauben, zunächst erwachsen, und sie hat an Umfang, nachdem sie durch erlogene Er-

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Vgl. Vita Hrodberti episcopi Salisburgensis, hrsg. v. Wilhelm Levison, in: MGH SS rer. Merov., Bd. 6: Passiones vitaeque sanctorum aevi Merovingici (IV), hrsg. v. Bruno Krusch/Wilhelm Levison, Hannover/Leipzig 1913 (Neudruck Hannover 1979), S. 157–162, hier S. 157: „Tempore Hiltiperhti regis Francorum, anno scilicet regni illius secundo, sanctus itaque et religiosus confessor Christi Hrodbertus in Wormacia civitate habebatur episcopus, qui ex nobili regali progenie Francorum ortus, sed tamen fide nobilior et pietate fuit.“ Ebd., S. 158: „Cumque fama sanctae conversationis illius longe lateque crebresceret, pervenit ad notitiam quondam ducis Bagoariae regionis nomine Theoto, qui supradictum virum Dei enixis precibus, prout potuit, libentissime rogare studuit per missos suos, ut illam provinciam cum sacratissima sua doctrina visitare dignaretur. Unde praedicator veritatis, divino conpunctus amore, adsensum praebuit, primo suos dirigens legatos, postea vero ad Christi gregem lucrandum per semet ipsum venire dignatus est. || Hoc audiens praefatus dux, magno perfusus est gaudio […] et sanctum virum euangelicumque doctorem cum omni honore et dignitate, sicut decentissimum erat, in Radesbona suscepit civitate. Quem vir Domini mox coepit de christiana conversatione ammonere et de fide catholica inbuere ipsumque vero et multos alios illius gentis nobiles viros ad veram Christi fidem convertit et in sacra corroboravit religione.“ Ebd., S. 161: „Tunc sanctus Domini sacerdos Hrodbertus, cupiens aliquos adipisci socios ad doctrinam euangelicae veritatis, propriam repetivit patriam. Imitatus summi opificis exemplum, iterum cum duodecim veniens discipulis secumque virginem Christi nomine Erindrudam adducens, quam in superiori castro Iuvavensium statuens ibidemque colligens congregationem sanctarum monialium, […].“ Hartmann, Humanismus (2001), S. 208.

358 scheinungen und Wunderzeichen bekräftigt worden war, immer weiter und weiter zugenommen. 76

Den Beginn der Translationsfeierlichkeiten verbanden die Centuriatoren mit der von Kaiser Julian „Apostata“ (reg. 361–363) verfügten Umbettung des Leichnams des als Märtyrer gestorbenen Bischofs von Antiocheia Babylas († 250), nachdem die Priester am Heiligtum des Apollo die Nachbarschaft der ursprünglichen Grabstätte des Babylas für das Stillschweigen verantwortlich gemacht hätten, in das ihr Gott verfallen sei. In der Tat gilt dieses Ereignis bis heute als die erste verbürgte Translation. 77 Für die westliche –––––––— 76

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Vgl. Quarta centuria ecclesiasticae historiae, 1560, Sp. 456: „In seculis superiorib. de translatione reliquiarum Sanctorum, & ueneratione earundem, nihil apud probatos autores reperimus. At hoc seculo ea res, tum ex nimia sanctoru[m] prĊdicatio[n]e, tum ex zizanijs de sanctorum intercessione, tum ex Ethnica superstitione, primùm cœpit, & mirum in modum mendacibus prodigijs & signis confirmata magis magisq[ue] creuit.“ Vgl. ebd., Sp. 456f.: „Ritus propemodum similes illis qui in funeribus defunctoru[m] obseruati sint, in translationibus etiam, seu leuetionibus corporu[m] sanctorum, hæc ætas habuit. Cum enim sacerdotes Apollinis Iuliano Antiochiæ iuxta fontem Castalium litanti dixissent, sepulchrum Babylæ martyris, quod in uicinia erat, in causa esse, quòd Apollo non daret responsa: mandauit, ut Galilæi (sic appellans Christianos) uenirent, & sepulchrum Babylæ auferrent. Igitur uniuersa Ecclesia conueniens, matres & uiri, uirgines iuuenesque, immensa exultatione succincti trahebant longo agmine arcam martyris, psallentes summis clamorib. & cum exultatione dice[n]tes. Co[n]fundantur omnes qui adora[n]t sculptilia, & qui confidunt in simulachris suis. Ruffinus libro primo, capite trigesimoquinto: & Socrates li. 3. cap. decimooctauo.“ Rufinus, Historiae ecclesiasticae, lib. X–XI, in: Eusebius ¢Caesariensis², Werke, Bd. 2,2, ed. Schwartz/Mommsen (21999), S. 957–1040, hier lib. X, c. 36, S. 996: „Dedit et aliud Iulianus vecordiae suae ac levitatis indicium. nam cum in Dafnis suburbano Antiochiae iuxta fontem Castalium litaret Apollini et nulla ex his, quae quaerebat, responsa susciperet causasque silentii percontaretur a sacerdotibus daemonis, aiunt: ‚Babylae martyris sepulchrum propter adsistere et ideo responsa non reddiǥ. tum ille venire Galilaeos, hoc enim nomine nostros appellare solitus erat, et auferre sepulchrum martyris iubet. igitur ecclesia universa conveniens, matres et viri, virgines iuvenesque inmensa exultatione succincti trahebant longo agmine arcam martyris, psallentes summis clamoribus et cum exultatione dicentes: c o n f u n d a n t u r omnes, qui adorant sculptilibus, et qui confidunt in simulacris s u i s . haec in auribus profani principis per sex milia passuum tanta exultatione psallebat omnis ecclesia, ut caelum clamoribus resultaret. unde ille in tantam iracundiae rabiem deductus est, ut altera die conprehendi Christianos passim et trudi iuberet in carcerem ac poenis et cruciatibus adfici.“ Socrate de Constantinople, Histoire ecclésiastique, Livres II–III. Texte grec de l’édition G. C. Hansen (GCS). Traduction par Pierre Périchon/Pierre Maraval. Notes par Pierre Maraval (Sources chrétiennes 493), Paris 2005, lib. III, c. 18, S. 312 in der französischen Übersetzung: „Ayant fait ouvrir les temples à Antioche, il [Kaiser Gallus] cherchait à obtenir un oracle de l’Apollon de Daphné. Mais comme le démon qui résidait dans le temple eut peur de son voisin (je veux dire du martyr Babylas), il ne répondit pas (le cercueil qui contenait le corps du martyr était en effet à proximité). Lorsqu’il en connut la cause, l’empereur ordonne bien vite de déplacer le cercueil. En apprenant cela, les chrétiens d’Antioche, avec femmes et enfants, transféraient le cercueil de Daphné à la ville, tout joyeux et chantant des psaumes.“ Es handelte sich wahrscheinlich um zwei ver-

359 Hemisphäre zitierten die Centuriatoren den inzwischen berühmt gewordenen Brief, in dem Ambrosius im Juni 386 seiner Schwester von der wunderbaren Auffindung, Erhebung und Translation der heiligen Gervasius und Protasius in Mailand berichtet hatte. Als unplausibel bezeichneten es die lutherischen Historiographen allerdings, dass, wie dort berichtet, allein die Berührung der Kleider der Heiligen eine Heilung bewirkt oder von Besessenheit habe befreien können. Überdies zeige der Konflikt zwischen Hieronymus und Vigilantius (* um 370), welcher die Heiligenfrömmigkeit als ein Relikt des Heidentums betrachtet habe, dass nicht alle frommen Zeitgenossen die Verehrung der Heiligen gebilligt hätten. 78 Den Ursprung der Wallfahrten wiederum verbanden die Centuriatoren, nach Eusebius und Rufinus, mit jenen Kirchen, welche die Kaiserin Helena († 330), eine „abergläubische Frau“, zu Ehren des von ihr in Jerusalem aufgefundenen Kreuzes Christi hatte errichten lassen. 79 Eusebius und Rufinus allerdings hatten die –––––––—

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schiedene Vorgänge. Man geht heute davon aus, dass die Reliquien im 4. Jahrhundert „mehrmals an andere Orte überführt“ worden seien. „Von seinem Grab außerhalb des Daphni-Tores ließ sie der Caesar Gallus gg. 351–354 in eine in der Nähe erbaute neue Kirche bringen, um dort den Apollon-Kult zu beenden“, so Victor Saxer, Art. Babylas, in: LThK, Bd. 1, 31993, Sp. 1334. Von dort ließ sie allerdings, so Amato Pietro Frutaz, Art. Babylas, in: LThK, Bd. 1, 21957, Sp. 1169, „Julian Apostata […] auf den Friedhof zurückbringen (362), v. wo Bisch. Meletios († 381) ihn in die B.-Basilika übertragen ließ, […].“ Vgl. Quarta centuria ecclesiasticae historiae, 1560, Sp. 457: „Ritum denique in leuandis et transferendis Martyrum inuentis corporibus, eum obseruatum in occidentalibus ecclesijs, Ambrosius indicauit epistola octuagesimaquinta ad sororem, ad hunc modum: Primùm inuentæ seu studio seu casu sancti alicuius reliquiĊ, populo monstrabantur, & cuius essent Martyris significabatur. Deinde ordine componebantur, & transferebantur ad aliquod templum, ubi uigiliæ sequebantur tota nocte, habebatur co[n]cio de uita istius Martyris: fiebant & miracula, si Ambrosio credimus. Aegri enim qui uestes saltem sanctorum manu contigissent, sanabantur, obsessi liberabantur, &c. Non omnibus pijs doctoribus illas sanctorum uenerationes placuisse, apparet ex contentione Vigilantij cum Hieronymo, quam suprà in loco de Schismatibus retulimus. Vigilantius enim, apertè ex Ethnicismo in Ecclesiam, eam inuectam esse, affirmat.“ Vgl. Dominae sorori vitae atque oculis praeferendae frater, in: Sancti Ambrosi opera, Teil 10: Epistulae et acta, Bd. 3: Epistularum liber decimus. Epistulae extra collectionem. Gesta Concilii Aquileiensis, hrsg. v. Michaela Zelzer (CSEL 82), Wien 1982, Nr. 77 (22), S. 126–140, hier c. 9, S. 131f.: „Non immerito autem plerique hanc martyrum resurrectionem appellant, videro tamen utrum ibi nobis certi martyres resurrexerint. Cognovistis immo vidistis ipsi multos a daemoniis purgatos, plurimos etiam ubi vestem sanctorum manibus contigerunt his quibus laborabant debilitatibus absolutos, reparata vetusti temporis miracula, […].“ Vgl. zum Konflikt zwischen Hieronymus und Vigilantius David G. Hunter, Vigilantius of Calagurris and Victricius of Rouen. Ascetics, Relics and Clerics in Late Antique Gaul, in: Journal of Early Christian Studies 7 (1999), S. 401–430; Mario Spinelli, Art. Vigilantius, in: LThK, Bd. 10, 32001, Sp. 787; Susan Weingarten, The Saint’s Saints. Hagiography and Geography in Jerome (Ancient Judaism and Early Christianity 58), Leiden/Boston 2005, S. 150f. Vgl. Quarta centuria ecclesiasticae historiae, 1560, Sp. 457f.: „Caeperunt [peregrinationes] hoc seculo primùm sub Co[n]stantino loca terræ sanctæ ab ethnicis idolatrijs

360 Kaiserin als überaus fromme Frau („femina inconparabilis fide et religione animi ac magnificentia singulari“) und die Auffindung des richtigen Kreuzes als von Gott gelenkt apostrophiert. 80 In den späteren Bänden der Magdeburger Centurien blieb dieses Schema konstant. Die Centuriatoren bezeichneten Reliquienkult und Wallfahrtswesen als Ausdruck eines abergläubischen, dümmlichen und unfrommen Gebarens, als ein dem Heidentum entstammendes Brauchtum, das mithin durch den Antichrist Eingang in die Kirche gefunden habe. Sodann konstatierte man, dass beides in dem jeweils in Rede stehenden Jahrhundert gepflegt worden sei und referierte einige Beispiele. 81 In der zehnten Centurie traten die Klöster insgesamt als Brutstätten der Unfrömmigkeit und Werkzeuge des Teufels in Erscheinung, deren Zahl der Widersacher folglich zu vermehren und mit neuen Orden zu potenzieren suchte. 82 Wie diese Ein–––––––—

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expurgari, et excoli, et in precio haberi, propter memoria[m] rerum ibi gestaru[m]. Nam Constantinus Magnus in locum sepulchri Christi, fœdatum idolo Veneris, oratorium constitui præcepit. Et Helena mater Imperatoris, mulier superstitiosa, illuc profecta adora[n]di causa, reperta Domini cruce, duo templa ædificari curauit: unum prope Dominicæ natiuitatis antrum, alterum in monte unde Dominus in cœlos assumptus est. Eusebius lib. 3. de uita Constantini. & Ruffin. lib. 1. cap. 7.“ Vgl. Rufinus, Historiae, in: Eusebius ¢Caesariensis², Werke, Bd. 2,2, ed. Schwartz/ Mommsen (21999), lib. X, c. 7–8, S. 969f. Auch die Darstellung Helenas in der Vita Konstantins war adoratorisch. Vgl. Eusebius, Life of Constantine. Introduction, Translation, and Commentary by Averil Cameron/Stuart G. Hall (Clarendon Ancient History Series), Oxford 1999, lib. III, c. 43,4–47,3, S. 138f. Die Bogen zwischen der Kaiserin Helena und der Auffindung des wahren Kreuzes war allerdings in Eusebius’ Version der Vita nicht angelegt und ist ein Zusatz späterer Zeiten. Vgl. Cameron/ Hall, Introduction, in: ebd., S. 1–53, hier S. 49f. Vgl. Sexta centuria ecclesiasticae historiae, 1562, Sp. 347: „De translationibvs & reliquijs sanctorum. || Deploranda sanè est cæcæ mortalitatis stulticia, & planè impia fingendi sibi cultus temeritas & audacia, q[uae] honorem uni uiue[n]ti Deo debitu[m] emortuis creaturis tribuere Ethnicorum more non uereatur. Varijs enim cùm ritibus tum superstitionibus, sanctorum reliquias reseruarunt, exhibuerunt, & uenerati sunt.“ Decima centuria ecclesiasticae historiae, 1567, Sp. 332f.: „De reliqviis sanctorum, earumque translatione. || Ethnica superstitio, sanctorum reliquias & ossa colligendi, effodiendi, transferendi, & religiosè colendi, Antichristi arte in Ecclesiam olim inuecta, hoc etiam seculo in frequenti usu fuit.“ Ebd., Sp. 337: „De peregrinatione ad loca sancta. || Amissa iusto Dei in homines superstitionum amantes iudicio, cœlesti Dei ueritate, diabolus efficaciter sua deliria hominum pectoribus instillauit. Ac non postremus sui regni stabilie[n]di is fuit neruus, quòd hominibus persuasum fuit, alium locum ad facie[n]das preces accommodatiorem, & Dei sanctorumque inuocandorum præsentia alio feliciorem. Hinc miseri homines, Pontificorum somnijs fascinati, modò in hunc, modò in alium, preces faciendi gratia, magnis cum molestijs & sumptibus oberrarunt locum. Sic uterque Ottho secundus & tertius, Roma, post acceptum imperij diadema, ex superstitione in Apuliam ad Garganum montem, qui hodie sancti Angeli dicitur, precum ibidem facie[n]darum gratia abierunt, ut suo loco dictum est.“ Vgl. ebd., Sp. 337f.: „De Monachatv, eiusq[ue] ritibus. || Fuit sanè diabolus in omnes occasiones, quĊ ad suum cultum usui esse poterant, maximè intentus. Monasteriorum itaque, quæ omnium impietatum officinæ extiterunt, non tantum rationem habuit diligentissimè, eorumque numerus ut augeretur laborauit […] sedulò: sed nouos insuper

361 schätzung mit dem oben referierten Lob des um den Ausbau der monastischen Strukturen bemühten Bischofs Brun von Köln zu vereinbaren war, ist schwer zu sagen. Möglicherweise stammten die loci „De episcopis et doctoribus ecclesiae“ und „De ritibus et ceremoniis“ von verschiedenen Verfassern. Luther selbst hatte sich in seinen frühen Äußerungen zum Heiligenkult durchaus bereit gezeigt, eine christologisch reformulierte Anrufung der Heiligen im Sinne der „eschatologischen Fortdauer des Opfers Christi in und für seinen Leib“ anzuerkennen. 83 Von etwa 1522 bis in die frühen 1530er Jahre hinein bewertete er, nicht ohne Schwankungen, die Verehrung der Heiligen als überflüssig, als aus der Schrift nicht ableitbar und letztlich als ein Bedürfnis derer, die ihre Schwäche im Glauben zu kompensieren suchten. 84 In den Jahren nach den Schmalkaldischen Artikeln scheint er sich allerdings wieder der Möglichkeit einer legitimen Anrufung der Heiligen zugewandt zu haben. Sofern diese nicht die Schwelle zur Anbetung und damit zur Abgötterei überschreite, die er in der katholischen Praxis verkörpert sah, die Heiligen als Nothelfer zur Bewältigung des Alltags („spezielle Fürbitte“) anzurufen, konzedierte er den Heiligen die Fähigkeit zu einer „allgemeinen Fürbitte“ in Christo. 85 Wirkungsmächtiger war allerdings die griffige und in den Centurien dominierende Assoziation von Reliquienkult und Götzendienst. Der „reformatorische Einspruch“ 86 besaß hier und nicht in der Hagiographie seine eigentliche Domäne. Er schloss, bei Andreas Karlstadt (um 1480–1541), Huldrych Zwingli (1484–1531) oder Johannes Calvin (1509–1564), an die älteren Auseinandersetzungen um die missbräuchliche Benutzung religiöser Bilder und fragwürdiger Reliquien im devotionalen Leben an,87 radikalisierte sie und versah sie vor allem mit Handlungsqualität. 88 Es steht außer Fra–––––––— 83 84 85 86 87

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ex qualicunque occasione inuenit ordines, prætextum quendam sanctitatis eximiæ & diuini cultus, per sua organa superstitionibus turgentia, hominibus offundendo.“ Vgl. Manns, Luther (1980), S. 536ff., Zitat S. 539. Vgl. auch Köpf, Protestantismus (1990), S. 322ff. Vgl. Manns, Luther (1980), S. 540–563. Vgl. ebd., S. 558–561, Zitat S. 560. Vgl. auch Pohlig, Gelehrsamkeit (2007), S. 343f. Vgl. Angenendt, Heilige (21997), S. 236. Vgl. zu den älteren Debatten Klaus Schreiner, „Discrimen veri ac falsi“. Ansätze und Formen der Kritik in der Heiligen- und Reliquienverehrung des Mittelalters, in: AKG 48 (1966), S. 1–53; ders., Zum Wahrheitsverständnis im Heiligen- und Reliquienwesen des Mittelalters, in: Saeculum 17 (1966), S. 131–169; Klaus Guth, Guibert von Nogent und die hochmittelalterliche Kritik an der Reliquienverehrung (Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktiner-Ordens und seiner Zweige, Ergänzungsbd. 21), Ottobeuren 1970, S. 9–35; Henri Patelle, Guibert de Nogent et le „De pignoribus sanctorum“. Richesses et limites d’une critique médiévale des reliques, in: Bozóky/Helvétius (Hrsg.), Reliques (1999), S. 109–121. Vgl. Alain Joblin, L’attitude des protestants face aux reliques, in: ebd., S. 123–141, hier S. 129.

362 ge, dass diese Impulse dazu führten, dass sich, mittelfristig gesehen, große Teile der kultischen Landschaften und devotionalen Mentalitäten in den Räumen Mittel- und Westeuropas veränderten. 89 In einem von vielen Zwischenschritten und lokalen Besonderheiten geprägten Prozess wurden die Reliquien im Einflussbereich des Protestantismus nach und nach verräumt, Gnadenbilder und andere wundertätige Kultobjekte beseitigt, die Bilder im Kirchenraum reduziert, verhängt, selektiert oder zerstört, kollektive Rituale, die sich um den Komplex der Heiligenverehrung herum entwickelt hatten, abgeschafft und als dem Heil nicht dienlich propagiert. 90

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Vgl. Paul Münch, Lebensformen in der frühen Neuzeit, Frankfurt a. M./Berlin 1992, S. 41. Vgl. Pamela Biel, Personal Conviction and Pastoral Care. Zwingli and the Cult of Saints 1522–1530, in: Zwingliana 16 (1983–85), S. 442–469; Heribert Smolinsky, Reformation und Bildersturm. Hieronymus Emsers Schrift gegen Karlstadt über die Bilderverehrung, in: Bäumer (Hrsg.), Reformatio (1980), S. 427–440; Hans Belting, Bild und Kult. Eine Geschichte des Bildes vor dem Zeitalter der Kunst, München 1990, S. 511–523; Helmut Feld, Der Ikonoklasmus des Westens (Studies in the History of Christian Thought 41), Leiden/New York/Kopenhagen [u. a.] 1990, S. 118–192; Peter Jezler, Die Desakralisierung der Züricher Stadtheiligen Felix, Regula und Exuperantius in der Reformation, in: Dinzelbacher/Bauer (Hrsg.), Heiligenverehrung (1990), S. 296–319; Sergiusz Michalski, Das Phänomen Bildersturm. Versuch einer Übersicht, in: Bilder und Bildersturm im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit, hrsg. v. Bob Scribner (Wolfenbütteler Forschungen 46), Wiesbaden 1990, S. 69–124; Lee Palmer Wandel, Voracious Idols and Violent Hands. Iconoclasm in Reformation Zurich, Strasbourg and Basel, New York/Melbourne 1995; Norbert Schnitzler, Ikonoklasmus – Bildersturm. Theologischer Bildersturm und ikonoklastisches Handeln während des 15. und 16. Jahrhunderts, München 1996, bes. S. 305–325; Freya Strecker, Augsburger Altäre zwischen Reformation (1537) und 1635. Bildkritik, Repräsentation und Konfessionalisierung (Kunstgeschichte 61), Münster 1998; Birgit Kümmel, Der Ikonoklast als Kunstliebhaber. Studien zu Landgraf Moritz von Hessen-Kassel (Materialien zur Kunst- und Kulturgeschichte in Nord- und Westdeutschland 23), Marburg 1999, bes. S. 20–68; Marcus Sandl, „Nicht Lehrer, sondern Erinnerer“. Zum Wandel des Verhältnisses von Historie und Diskurs am Beginn der Reformation, in: ZHF 27 (2000), S. 179–201, hier S. 191; Peter Blickle/André Holenstein/Heinrich Richard Schmidt (Hrsg.), Macht und Ohnmacht der Bilder. Reformatorischer Bildersturm im Kontext der europäischen Geschichte (HZ-Beih. N. F. 33), München 2002. Vgl. auch den Überblick von Stefan Ehrenpreis/Ute LotzHeumann, Reformation und konfessionelles Zeitalter (Kontroversen um die Geschichte), Darmstadt 2002, S. 84–89. Traditionell weniger beachtet ist die Theologie des Bilds im Katholizismus des 16. und 17. Jahrhunderts. Vgl. Belting, Bild (1990), S. 538–545; Feld, Ikonoklasmus (1990), S. 193–252; Giuseppe Scavizzi, The Controversy on Images. From Calvin to Baronius (Toronto Studies in Religion 14), New York/San Francisco/Bern [u. a.] 1992; Christian Hecht, Katholische Bildertheologie im Zeitalter von Gegenreformation und Barock. Studien zu Traktaten von Johannes Molanus, Gabriele Paleotti und anderen Autoren, Berlin 1997; Baumgarten, Konfession (2004); vgl. jetzt auch die wissenschaftshistorischen Überlegungen von Thomas Kaufmann, Die Bilderfrage im frühneuzeitlichen Luthertum, in: Blickle/Holenstein/ Schmidt (Hrsg.), Macht (2002), S. 407–454, hier S. 408f. mit Anm. 3, 4.

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Exkurs zur welt- und sozialgeschichtlichen Bedeutung des Heiligenkults Diese Vorgänge betrafen natürlich nicht nur eine degenerierte und das „Volk“ manipulierende Priesterkaste, sondern tangierten das devotionale Denken und Handeln ebenso städtischer wie kaufmännischer Milieus. 91 Die Verfestigung eines letztlich dekontextualisierten Blicks auf die mittelalterliche Heiligendevotion, die auf der Basis eines unartikulierten Begriffs normativer Religiosität zu einem der zentralen Symbole für die „Fehlentwicklungen in der kirchlichen Praxis“ wurde, welche die Reformation gleichsam herbeigezwungen hätten, dürfte in dieser Form das Ergebnis der säkularen Geschichtsbetrachtung der Moderne sein. Insbesondere die philosophisch unterlegte Kategorie der „Verdinglichung“ 92 gestattete es, im Verbund mit ästhetischen Vorbehalten an den visuellen und sinnlichen Dimensionen der devotionalen Praxis der Alten Kirche („Barockkatholizismus“), sich jenseits komplizierter theologie- und frömmigkeitsgeschichtlicher Erwägungen konsensuell über die Heiligendevotion als eine veruneigentlichte Form echter Religiosität zu verständigen. Der Weg zu diesem assoziativen Geflecht schlug allerdings noch im 19. Jahrhundert manche Volte. In seinen Vorlesungen Über die Philosophie der Weltgeschichte von 1822 und 1823 sprach Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770–1831), nach der neuen Edition von Karl Heinz Ilting, Karl Brehmer und Hoo Nam Seelmann, von den mittelalterlichen „Heilige[n], Selige[n]“ sehr wohl als „Erscheinungen, Wirkungen der göttlichen Tätigkeit“. Er bemerkte in einer – hier nicht im Einzelnen auszudeutenden – Passage: Wunder, die Reliquien, die auch sinnlich Gegenwärtiges erhalten, sind Erhaltungen von solchen, welche dem Himmel angehören, so wie die Wunder Erscheinungen Gottes ausdrücken. Nicht in allgemeiner Weise als Gesetz, sondern in besonderer Weise. Alles dies hängt mit dem Bedürfnis der Gegenwärtigkeit der Göttlichkeit zusammen. || Die Kirche ist in solchen Zeiten eine Welt voll Wunder, und die fromme Gemeinde findet in der Welt als solcher, an dem bloß äußerlichen Dasein, an dem verständigen, notwendigen Zusammenhang der Natur, keine Befriedigung, sondern am einzelnen derselben nur, als verkehrt in einer besonderen Erscheinung des Göttlichen, als eine Darstellung des Göttlichen als D i e s e s an diesem Ort, in der Zeit. Das Göttliche als Sinnliches ist ein Wunder, denn das Sinnliche ist ein Beschränktes, Einzel-

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Vgl. Matthias Zender, Heiligenverehrung im Hanseraum, in: Hansische Geschichtsblätter 92 (1974), S. 1–15; Wilfried Ehlbrecht, Die Stadt und ihre Heiligen. Aspekte und Probleme nach Beispielen west- und norddeutscher Städte, in: Vestigia Monasteriensia. Westfalen – Rheinland – Niederlande, hrsg. v. Ellen Widder/Mark Mersiowsky/Peter Johanek (Studien zur Regionalgeschichte 5), Bielefeld 1995, S. 197– 262; Uwe Heckert, Die Ratskapelle als religiöses und politisches Zentrum der Ratsherrschaft in deutschen Städten des späten Mittelalters, Bielefeld 1997, S. 60ff. Heinrich Lutz, Reformation und Gegenreformation (Oldenbourg Grundriß der Geschichte 10), 5. Aufl., durchges. u. erg. v. Alfred Kohler, München 2002, S. 13f. und Marginalglosse S. 14.

364 nes. Das Göttliche als solches einzelnes [ist] ein Wunder, und zugegeben ist damit, daß das Göttliche auf besondere Weise erschienen sei. 93

In der von Georg Lasson herausgegebenen und bis 1996 maßgeblichen Version der Vorträge findet sich diese Passage von epigonalen Zusätzen teils umgeben, teils ersetzt. Anders als es sich den jetzt neu edierten, ursprünglichen Vorlesungsmitschriften entnehmen lässt, wurde von den in Hegels Namen schreibenden Epigonen der Aspekt der sinnlichen Vergegenwärtigung des Heiligen in eine Polemik gegen den Katholizismus und die mittelalterliche Kirche gewendet. 94 Als Analogon der sakramentalen Vollmachten des Priestertums trat, in einem eher populär aufklärerischen Sinn, die interzessorische Gewalt der Heiligen zum einen als Entmündigung der Gläubigen in ihrer Beziehung zur Gottheit in Erscheinung. Zum anderen wurde sie mit der vermeintlich katastrophalen Qualität der Heiligenviten kurzgeschlossen: „So kam die Verehrung der Heiligen auf, und zugleich die Unmasse von Fabeln und Lügen, die Heiligen und ihre Geschichte betreffend“. 95 Die Heiligenfrömmigkeit als solche galt nun als Ausdruck einer –––––––— 93

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Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesungen. Ausgewählte Nachschriften und Manuskripte, Bd. 12: Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte. Berlin 1822/23. Nachschriften von Karl Gustav Julius von Griesheim, Heinrich Gustav Hotho und Friedrich Carl Hermann Victor von Kehler, hrsg. v. Karl Heinz Ilting/Karl Brehmer/Hoo Nam Seelmann, Hamburg 1996, S. 482f. Vgl. Georg Friedrich Wilhelm Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte, Zweite Hälfte, Bd. 4: Die germanische Welt, Auf Grund der Handschriften hrsg. v. Georg Lasson (Philosophische Bibliothek 171d), Hamburg 1976 [Unveränd. Nachdruck mit ergänzenden Literaturhinweisen d. 2. Aufl. v. 1923], S. 823: „In der katholischen Kirche ist so das Äußerliche das Bestimmende und bringt in das Gebiet der absoluten Freiheit all das Geistlose und Unfreie, dem wir im Katholizismus auf Schritt und Tritt begegnen.“ Diese wie auch die im Folgenden zitierten Passagen finden sich nicht mehr bei Hegel, Vorlesungen [1822/23], ed. Ilting/Brehmer/Seelmann (1996), S. 481ff. Vgl. zur Editionsproblematik das ungezeichnete Vorwort: Zur Edition, in: ebd., S. 526–536, hier S. 528ff.; Andreas Grossmann, Hegel oder „Hegel“? Zum Problem des philosophischen und editorischen Umgangs mit Hegels geschichtsphilosophischen Vorlesungen, in: Hegels Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte, hrsg. v. Elisabeth Weisser-Lohmann/Dietmar Köhler (Hegel-Studien. Beih. 38), Bonn 1998, S. 51–70. Auf der alten Ausgabe gründen die Lesarten zum Abschnitt „Heiligenverehrung oder die Religion in ihrer Verdinglichung (G. W. F. Hegel)“ bei Müller, Gemeinschaft (1986), S. 165f. Hegel, Vorlesungen [1822/23], ed. Lasson (1976), S. 825f. Vgl. ebd., S. 825: „Wie die Laien […] von der Wahrheit abgeschnitten sind, so sind sie es von allem Heiligen. Denn da der Klerus überhaupt das Vermittelnde zwischen den Menschen und zwischen Christus und Gott ist, so kann sich auch der Laie nicht unmittelbar zu demselben in seinen Gebeten wenden, sondern nur durch Mittelspersonen, durch versöhnende Menschen, Verstorbene, Vollendete, – die H e i l i g e n . Der Mensch ist zu niedrig, um in einer direkten Beziehung zu Gott zu stehen, und wenn er sich an diesen wendet, so bedarf er einer Mittelsperson, eines Heiligen. Insofern wird die an sich seiende Einheit des Göttlichen und des Menschlichen geleugnet, indem der Mensch als solcher für unfähig erklärt wird, das Göttliche zu erkennen und sich demselben zu nähern.“

365 gegenüber dem orientalischen Wesen „rohere[n] abendländischen Natur“, die „etwas Unmittelbares für die Anschauung“ verlangt habe, „und so entstand der Reliquiendienst.“ 96 Unbenommen der Beseitigung des Reliquienkults und Wallfahrtswesens in den Territorien und Kirchen der Reformation erhielt die Heiligenfrömmigkeit, in wissenschaftshistorischer Hinsicht, ihre entscheidende emotionale Besetzung wahrscheinlich erst in dieser Zeit, als auch die laikale Intelligenz den Heiligenkult als eine Frage des nationalen und sozialpolitischen Interesses für sich zu entdecken begann. Die heute bekanntesten Debatten erwuchsen aus der von dem Trierer Bischof Wilhelm Arnoldi (reg. 1842– 1864) für 1844 angesetzten Ausstellung der Tunika Christi, des sogenannten „heiligen Rocks“. Diese Reliquie, die anlässlich des Trierer Reichstags von 1512 ins Licht der Öffentlichkeit getreten war, hatte in den folgenden Jahrzehnten Luther zu mancher Kampfschrift angeregt. 97 Zwischen August und –––––––— 96 97

Ebd., S. 826. Vgl. Wolfgang Seibrich, Die Heilig-Rock-Ausstellungen und Heilig-RockWallfahrten von 1512 bis 1765, in: Der Heilige Rock zu Trier. Studien zur Geschichte und Verehrung der Tunika Christi. Anläßlich der Heilig-Rock-Wallfahrt 1996 im Auftrag des Bischöflichen Generalvikariates hrsg. v. Erich Aretz/Michael Embach/ Martin Persch [u. a.], Trier 21996 [zuerst 1995], S. 175–217, hier S. 181–190; Richard Laufner, Logistische und organisatorische, finanzielle und wirtschaftliche Aspekte bei den Hl.-Rock-Wallfahrten 1512 bis 1959, in: ebd., S. 457–481, hier S. 457ff.; Jun Shimoda, Volksreligiosität und Obrigkeit im neuzeitlichen Deutschland. Wallfahrten oder Deutschkatholizismus, Tokyo 2004, S. 117ff. Das rätselhafte Auffinden der Tunika in einer Kiste unter dem Hochaltar des Trierer Doms, ihre anschließende Zurschaustellung sowie die sich etablierende, von zahlreichen Heiltumsschriften und seit 1515 von einem Ablassprivileg Leos X. gestützte Wallfahrt galten Luther als Betrug und Teufelswerk. Vgl. Warnunge D. Martini Luther, An seine lieben Deudschen [1531], in: Luther, WA, Bd. 30, 3. Abt., Weimar 1910, S. 276–320, hier S. 315: „[…] Du must auff dich laden und helffen stercken das verserliche, l(genhafftige, schendliche narren spiel des Teufels, das sie mit dem heiligthum und walfarten getrieben haben, und noch keines weges gedencken zu b(ssen. Hilff Gott, wie hat es hie geschneiet und geregent, ja eitel wolckenburst gefallen mit l(gen und bescheisserey. Wie hat der Teufel hie todte knochen, kleider und gerete fur der heiligen beine und gerete auff gemutzt, wie sicher hat man allen l(gen meulern gegleubt! Wie ist man gelauffen zu den walfarten. Welchs alles der Bapst, Bisschove, Pfaffen, M(nche haben bestettigt odder jhe zum wenigsten geschwigen und die leute lassen jrren und das geld und gut genomen. Was thet allein die newe bescheisserey zu Trier mit Christus rock? Was hat hie der Teufel grossen jarmarckt gehalten jnn aller welt und so unzeliche falsche wunderzeichen verkaufft?“ An anderer Stelle wandte Luther den notorischen Vorwurf, einen „neuen“ Glauben stiften zu wollen, auf die nur vorgeblich alte Trierer Reliquie zurück, deren Neuartigkeit außer ihm, dem als Neuerer inkriminierten, niemand auffallen wollte. Vgl. An die gantze geistlickeit zu Augsburg versamlet auff den Reichstag Anno 1530. Vermanu[n]g Martini Luther, in: Luther, WA, Bd. 30, 2. Abt., Weimar 1909, S. 268–356, hier S. 297: „Vnd war das nicht ein sonderlicher meisterlicher beschiss mit vnsers herrn Rock zu Trier, wie hernach dieselbige schendliche lugen ist offenbar worden, Was haben alle lüterissche newigkeit gethan, gegen diesem einigen betrüg vnd schalckeit? Aber hie war niemand, der newigkeit beschrei-

366 Oktober jenen Jahres 1844 scheint die Wallfahrt zu dieser Reliquie als eines der augenfälligsten Massenphänomene des Vormärz große Zahlen von Pilgerinnen und Pilgern angezogen zu haben. Vor dem Hintergrund der sich unter Friedrich Wilhelm IV. (reg. 1840–1858) seit dem Kölner Dombaufest von 1842 deutlich relativierenden konfessionellen Spannungen zwischen Preußen und seiner Rheinprovinz fand das devotionale Geschehen ein breites Medienecho. 98 In protestantischen Blättern kursierten Spekulationen über eine von Rom gesteuerte, auf die Abspaltung der Rheinprovinz zielende und von Jesuiten mitgetragene Verschwörung romtreuer Milieus. 99 Für die Vertreter des sich formierenden „Deutschkatholizismus“ in Gestalt des westpreußischen Vikars Johann Czerski (1813–1893), vor allem aber des – zur Zeit der Wallfahrt bereits amtsenthobenen – schlesischen Kaplans Johannes Ronge (1813–1887), die beide 1844 exkommuniziert werden sollten, zeichnete sich die Unterwerfung patriotischer Interessen unter den Willen Roms ab. Ronge publizierte kurz nach dem Ende der Wallfahrt in den Sächsischen Vaterlandsblättern ein Offenes Sendschreiben an den Bischof Arnoldi. Der Trierer Bischof wurde dort als zweiter Tetzel apostrophiert und die Wallfahrt als eine aus klerikaler Habgier erwachsende Veranstaltung gedeutet. In der Folge scheint Ronge von einer Welle der Sympathie erfasst worden zu sein. Diese trug ihm neben einigen Insignien des Triumphes wie Lorbeerkränzen und Siegerpokalen das Epitheton eines zweiten Luther ein. 100 Die bekannteste Stellungnahme der von Arnoldi und seinem Umfeld verkörperten Seite des ultramontanen Katholizismus stammt von Joseph Görres (1776–1848). Sein Traktat Die Wallfahrt nach Trier von 1845 war aus zwei kleineren, in den Historisch-politischen Blättern gedruckten Ab–––––––— 98

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en odder auch anzeigen kund, Sondern der luther, der solche newigkeit anzeigt vnd strafft der bringet newes auff.“ Vgl. Wolfgang Schieder, Kirche und Revolution. Sozialgeschichtliche Aspekte der Trierer Wallfahrt von 1844, in: Archiv für Sozialgeschichte 14 (1974), S. 419–454; Bernhard Schneider, Wallfahrt, Ultramontanismus und Politik – Studien zu Vorgeschichte und Verlauf der Trierer Hl.-Rock-Wallfahrt von 1844, in: Aretz/Embach/ Persch [u. a.] (Hrsg.), Rock (21996), S. 237–280; Bernhard Schneider, Presse und Wallfahrt. Die publizistische Verarbeitung der Trierer Hl.-Rock-Wallfahrt von 1844, in: ebd., S. 281–324; Michael Embach, Die Trierer Heilig-Rock-Wallfahrt von 1844 im Spiegel ihrer literarischen Rezeption, in: ebd., S. 799–836. Über das zeitgenössische Schrifttum informiert die Dokumentation von Michael Embach (Hrsg.)/Helmut Krämer (Bearb.), Tunica Domini. Eine Literaturdokumentation zur Geschichte der Trierer Heilig-Rock-Verehrung (Mitteilungen und Verzeichnisse aus der Bibliothek des Bischöflichen Priesterseminars 6), Trier 1991, S. 33–54. Vgl. Irmgard Scheitler, Einleitung, in: Joseph Görres, Gesammelte Schriften, Bd. 17,4: Die Wallfahrt nach Trier [= Wallfahrt] [1845], bearb. v. Irmgard Scheitler, Paderborn/München/Wien [u. a.] 2000, S. IX–LVII, hier S. XVII f. Vgl. ebd., S. XVIII ff.; Josef Steinruck, Die Heilig-Rock-Wallfahrt von 1844 und die Entstehung des Deutschkatholizismus, in: Aretz/Embach/Persch [u. a.] (Hrsg.), Rock (21996), S. 307–324, hier S. 310ff.

367 handlungen von 1844 hervorgegangen. Er stellt eine furiose exegetische Schrift dar, in der die Rhythmen, nach denen sich historische Zeugnisse über die Tunika Christi nachweisen ließen, als ein Sich-Zeigen und SichEntziehen der Reliquie mit dem Wert eines Prodigiums für die politische Situation der jeweiligen Zeit gedeutet wurden. 101 Mit der materiellen, „nahtlosen“ Integrität der Tunika assoziierte sich für Görres das die Einheit der christlichen res publica verbürgende Ideal einer Wechselwirkung zwischen den Aufgaben des Staatswesens einerseits und den von der Kirche bekleideten Funktionen andererseits. Während dem Staat der Schutz der Kirche und die Sicherung der in ihr zu gewährleistenden Freiheiten obliege – es handelte sich für Görres um eine seit jeher von der deutschen Nation erfüllte Aufgabe –, sei es an der Kirche, als Universalität und „Einheit“ repräsentierende Form, die zur Partikularität strebenden Freiheiten einzudämmen und damit stabilisierend auf die politische Ordnung zurückzuwirken. 102 Seine –––––––— 101

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Vgl. Görres, Wallfahrt, 1845, S. 98f.: „Immernoch war das Symbol der Einheit verborgen geblieben; der Ort, der die Tunica beschlossen hielt, war dem Gedächtnisse der Menschen entrückt. Jetzt endlich, im Jahre 1196, demselben, wo Friedrich II. zweijährig zum Könige von Deutschland gewählt worden, trat das symbolische Gewand zum erstenmal in neuerer Zeit hervor. Damal hat der Erzbischof Johann I. in der Gruft der Domkirche im Nicolausaltare das Verborgene aufgefunden […].“ Ebd., S. 100: „Dreihundert und sechzehn Jahre blieben die Pforten des Mysteriums geschlossen; vor ihnen lärmte und tobte die Menge, und die Ereignisse hielten ihren Ablauf. Denn alle Weissagungen unterdessen hatten sich erfüllt, alle Dräuungen waren eingetroffen, und alle Verhängnisse hatten eingeschlagen. Die Mächte in der Einheit, wie die Gewalten in der Vielheit hatten ihre Stellung verkannt; die Folge war Verwirrung gewesen und die moralische Zerstreuung der Völker, wie damal beim Thurmbau eine physische. […] Als die Zahl der Tage sich erfüllt, da hatte Kaiser Maximilian in Trier einen Reichstag eröffnet; und er, nicht unkundig der Ueberlieferungen der Vorzeit, dem Erzbischof Richard den Antrag gemacht, daß er eine Ausstellung des heil. Rockes zur Belebung des Glaubens veranstalten möge […].“ Nachdem die Würdenträger im Chor ihre Aufwartung gemacht hatten, „[d]a öffneten sich die Pforten des Hochaltars, und zum andernmale ging der arme Rock des Herren daraus hervor; wieder Kaiser und Reich, wie sie vor ihm versammelt waren, anmahnend, strafend, bedrohend, und in Allem das Maaß verkündend, wie er den Vätern der Anwesenden im zehnten Geschlechte nach rückwärts hin gethan […].“ Vgl. zur mittelalterlichen Überlieferung Erwin Iserloh, Der Heilige Rock und die Wallfahrt nach Trier, in: Aretz/Embach/Persch [u. a.] (Hrsg.), Rock (21996), S. 163–172. Vgl. Görres, Wallfahrt, 1845, S. 94f.: „Von Anfang an waren die Deutschen […] zu Hütern und Vögten der Kirche bestellt. Ihr Naturell neigte aber keineswegs zur Einheit sich hin; es fand sich vielmehr immer zur Besonderung, Vereinzelung und persönlicher Abgeschlossenheit getrieben, das sie zu besseren Bewahrern der Freiheit als der geschlossenen Einheit machte. Sollten sie also ihrem geschichtlichen Berufe vollkommen entsprechen, dann mußten sie mit diesen ihnen verliehenen Naturkräften Schirmherren der F r e i h e i t in der Kirche seyn, von ihr aber wieder die E i n h e i t in sich aufnehmen, die die Freiheitskräfte zügelnd, ihnen erst dann innern Halt zu geben vermag; und also indem sie dadurch selber Bestand gewannen, dankbar auch den äusseren Bestand der Kirche zu sichern sie fähig machen. Um sie daran immer und immer wieder zu erinnern, wurde daher dies große Symbol der Einheit [d. h. die Tunika Christi] ihrer Hut anvertraut.“ Der Aspekt der „Einheit“ gilt heute als das zentrale

368 Konturen erhielt diese Spielart des Ultramontanismus in Abgrenzung von jeder Entwicklung, die dem so verstandenen Begriff der Komplementarität von Kirche, (Stände-)Staat und Christentum entgegengewirkt habe, sei es im Luthertum – „[d]ie Wittenberger Schule hatte dem Staat die Souverainität in kirchlichen Dingen eingeräumt […]“ 103 –, sei es in der Entfaltung des Absolutismus und in der damit zusammenhängenden Subordination und Parzellierung des Christentums in Nationalkirchentümern wie dem Gallikanismus oder Anglikanismus. Als Teil eines providentiellen Plans deutete Görres die Glorious Revolution und die Französische Revolution. Mit Gen 7,17–18 seien beide als eine neue Sintflut zu bewerten, mit Gott der auf die vorangegangenen Prozesse der Desintegration reagiert habe. 104 „Über“ diesen Wassern wiederum befand sich die Gemeinschaft der Arche, die aus Görres’ Perspektive vermutlich mit der auf ein Abfließen der Fluten wartenden, ultramontanen Fraktion besetzt gewesen sein dürfte: „Umsonst sucht das Ausland die Fluth zu dämmen, kommend und gehend breitet ihr Ungestüm sich weiter und weiter aus; breiter wird die Ueberschwemmung und bedeckt die ganze Oberfläche; die Arche aber schwebt über den Wässern.“ 105 Die Geschichte der zurückliegenden Jahrhunderte war für Görres die Geschichte einer willentlichen Zurückdrängung des Numinosen und Wunderbaren aus der Sphäre des Irdischen. Diese ließ er im Wesentlichen mit Luthers Zweifeln an der Authentizität der Trierer Tunika einsetzen. 106 Er verknüpfte sie aber auch mit einer „negativen Critik“, wie sie sich in Johann Gildemeisters (1812–1890) und Heinrich von Sybels (1817–1895) Der heilige Rock zu Trier und die zwanzig anderen Heiligen Ungenähten Röcke von 1844 geäußert zu haben –––––––—

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Thema dieses Texts. Vgl. Wolfgang Frühwald, Die Wallfahrt nach Trier. Zur historischen Einordnung einer Streitschrift von Joseph Görres, in: Verführung zur Geschichte. Festschrift zum 500. Jahrestag der Eröffnung einer Universität in Trier 1473–1973, hrsg. v. Georg Droege/Wolfgang Frühwald/Ferdinand Pauly, Trier 1973, S. 366–382, hier S. 377ff.; Schneider, Presse (21996), S. 286ff.; Scheitler, Einleitung (2000), S. XXXI ff. Görres, Wallfahrt, 1845, S. 109. Vgl. ebd., S. 116ff. Ebd., S. 121. Vgl. ebd., S. 87f. Demnach habe Luther „[d]iese Wunderwelt, […] wie sie damals wie jetzt den heil. Rock und alles Katholische umfängt, in dieser Stelle, wie anderwärts dem Teufel übergeben; […] Die Kinder dieser Zeit haben über sie untereinander Umfrage gehalten; glaubst du an die Wunder? ganz und gar nicht! Aber du? Larifari! und wieder du? dummer Aberglauben! so haben Hunderte und Tausende und Millionen gegenseitig sich befragt, und sich garantirt, daß es keine Wunder in der Reihe der Dinge geben könne. Jeder hat gezeugt: mein Vater hat auch keine geglaubt, mein Großvater und so von Geschlecht zu Geschlechte hin. […] Unterdessen lassen die Wunder durch diese einstimmigen Bannbriefe sich nicht todtschlagen; sie blicken den Bannfluchern ironisch durch die Fenster, und halten wie fliegende Sommer ihre Fahrt durch alle Lüfte. Das incommodirt denn nun die Leute, daß sie mürrisch werden und verdrüßlich, und die Andringenden mit Gewalt abhalten.“

369 schien, die für Görres eine letztlich dämonisch inspirierte Furcht vor dem Heiligen indizierte. 107 In den Historisch-politischen Blättern von 1845 veröffentlichte er, in hagiographischer Manier, ein Dossier, in dem er aus historischen und zeitgenössischen Berichten einige von der Tunika in Christo gewirkte Heilungswunder zusammengestellt hatte. 108 In sozialgeschichtlicher Hinsicht suchte Wolfgang Schieder 1974 die Trierer Wallfahrt als das manipulative Vorgehen einer „theologisch und philosophisch gebildeten Priesterkaste“ zu beschreiben, die, vom Adel unterstützt, ihr Handeln an den „laienhaften Kultgebräuchen breiter Massen“ 109 auszurichten bestrebt war. Gegenüber diesen nur zweckinstrumental agierenden alten Eliten galt Schieder die affirmative Teilnahme an dem –––––––— 107

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Vgl. ebd., S. 84f.: „Die negative Critik hat zu aller Zeit der Kirche sporadisch, dann auch massenhaft gegenübergestanden, und die Kirche hat sie dann von der Gemeinschaft ausgeschlossen. Das Gleiche ist auch in der Reformationszeit geschehen, wo sie neuerdings sich mit Macht erhoben, und das Positive theilweise zu läugnen angefangen. Als die Kirche auch hier glatt abgeschnitten; da haben unter den Führern des Protestantismus, zwei ungleiche Hälften sich abgelöst. Das kleinere Fragment hat auf das übergbeliebene positive Element fussend und der Kirche das Angesicht zuwendend, eine Wiederannäherung gesucht, wie neuerdings die Puseyiten in England. […] Der andere Theil aber ist unaufhaltsam von Stufe zu Stufe der völligen Negativität zugestürzt; und die am eiligsten gewesen, sind jetzt auch in diesem Gebiete die Ersten beim entschiedensten Radicalism angelangt. Dieser Zustand, der dem Heiligen gegenüber, wie der Wasserscheue in der Nähe des Flüssigen, in allen Kräften bis zur Raserei sich aufgeregt findet, ist ein Dämonischer, und die, welche sich damit behaftet finden, hat man ehmals Besessene genannt: ein Uebel, das wie es scheint, jetzt epidemisch sich verbreitet, und, aus anderen Bewegungssystemen in die geistigen übergewandert, in weniger auffallenden, aber dafür einflußreicheren Symptomen hervortritt. Das hat sich eben neuerdings an dem Gewand in Trier bei der negativen Presse bewährt, die sein unvorhergesehenes Erscheinen in einen solchen jammervollen Zustand versetzt; daß sie aller Besinnung baar und ledig, mit entstelltem Gesichte geifert, und in vielfältigen Thierstimmen heult und faucht und bellt; […] Das ist nämlich eine Eigenschaft des Heiligen, daß der verneinende Geist, und Alle, die mit ihm im Rapporte stehen, seine Nähe nicht vertragen.“ Vgl. zu Gildemeister und Sybel ebd., S. 81ff.; vgl. dazu Christoph Waldecker, „Natürlich hat man Ursache, die nähere Untersuchung zu scheuen.“ Johann Gustav Gildemeister und die Ausstellung des Heiligen Rocks zu Trier 1844, in: Archiv für Mittelrheinische Kirchengeschichte 48 (1996), S. 391–406; Scheitler, Einleitung (2000), S. XXIX f. Eine detaillierte Auseinandersetzung mit dem von Gildemeister und Sybel behandelten Thema der verschiedenen „hl. Röcke“ bietet Bernhard Schmitt, „Heilige Röcke“ anderswo. Die außerhalb der Trierer Domkirche vorkommenden sogenannten „Tuniken“ Christi, in: Aretz/Embach/Persch [u. a.] (Hrsg.), Rock (21996), S. 549–605. Vgl. Anhang. Die Heilwirkungen bei der Ausstellung in Trier. Historisch-politische Blätter für das katholische Deutschland, 16. Band, 1845, in: Görres, Schriften, Bd. 17,4 (2000), S. 182–218. Vgl. zur geistesgeschichtlichen Einordnung seines Begriffs des Wunders Bernd Wacker, Revolution und Offenbarung. Das Spätwerk (1824–1848) von Joseph Görres – Eine politische Theologie (Tübinger theologische Studien 34), Tübingen 1990, S. 148–170; zur Rezipientenschicht und Verbreitung der Historisch-politischen Blätter Bernhard Weber, Die „Historisch-politischen Blätter“ als Forum für Kirchen- und Konfessionsfragen, München 1983, S. 273–296. Schieder, Kirche (1974), S. 441.

370 Geschehen als reines Unterschichtenphänomen, das er mit Nachdruck von den bürgerlichen und gebildeten Schichten sowie von den neuen Funktionseliten fernzuhalten suchte. 110 Auf diese Weise reproduzierte er das schichtenspezifische Argument, das für die Kontroverse selbst konstitutiv gewesen war. Wallfahrtsgegner wie Ronge hatten von einer größtenteils „gedrückt[en], unwissend[en], stumpf[en], abergläubisch[en] und zum Theil entartet[en]“ 111 Menge gesprochen, während die Befürworter der Wallfahrt ein Stände und Schichten übergreifendes Geschehen meinten begrüßen zu können. 112 Analytisch gesehen scheinen aufgrund der Quellenlage quantifizierende Aussagen allerdings kaum möglich zu sein. Bernhard Schneider konnte einige Briefe und Pilgerberichte ausfindig machen, die sehr wohl die Partizipation und Anteilnahme des Bürgertums illustrieren. Entsprechend ihrer Anteile an der Gesamtbevölkerung sowie mit Blick auf die regionalen Strukturen dürften die „bäuerliche Bevölkerung (Winzer inbegriffen) und das städtische Handwerk“ überwogen haben. Möglicherweise könne auch den Frauen, so Schneider, ein hoher Anteil zugesprochen werden. 113 Schieders Anliegen, die „negative Signalwirkung“ der Trierer Wallfahrt „für die deutsche Revolution“ aufzuzeigen und die Wallfahrt insgesamt als ein Instrument zu begreifen, mit dessen Hilfe es „der katholischen Kirchenführung“ gelungen sei, „sich ihres konservativen Einflusses auf die Massen zu versichern“, 114 bedeutete letztlich weniger, die politischen – und ökonomi–––––––— 110

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Vgl. ebd., S. 428f. Demnach „fehlte so gut wie ganz das Bürgertum von Bildung und Besitz, also die Akademiker, Beamten und Angehörigen der rheinischen Bourgeoisie […]. Die Trierer Wallfahrt stellt sich somit in sozialgeschichtlicher Sicht als eine Massenbewegung der unteren Gesellschaftsschichten dar, die vom katholischen Klerus und Adel inszeniert und begleitet wurde. Entgegen der Einheitsideologie kirchlicher Wallfahrtspropaganda war das Bürgertum dagegen so gut wie überhaupt nicht daran beteiligt.“ Schieder insinuiert die Instrumentalisierung eines in diesem Sinn homogenen „Trierer Wallfahrtskollektivs“, ebd., S. 449, das aufgrund seines durchwegs niedrigen Bildungsniveaus von der allgemeineren und wissenschaftlichen Publizistik ausgeschlossen gewesen war und daher mit der in Trier verkauften devotionalen Literatur leicht zu steuern gewesen sei. Die inhaltliche Auswertung dieser Schriften führt ihn allerdings zu dem nicht sehr überraschenden Befund, dass die Andachtsbüchlein „den naiven Wunderglauben der Pilger“ genährt und den Wallfahrenden weiterhin „suggeriert“ hätten, „daß die Trierer Rockreliquie echt sei.“ Ebd., S. 450f. Zitiert nach Steinruck, Heilig-Rock-Wallfahrt (21996), S. 311. Vgl. Schneider, Presse (21996), S. 300ff. Vgl. ders., Wallfahrt (21996), S. 275ff. Schieders Ansichten sind heute die gängigen. Vgl. Andreas Holzem, Kirchenreform und Sinnstiftung. Deutschkatholiken, Reformkatholiken und Ultramontane am Oberrhein (1844–1866) (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte. Reihe B: Forschungen 65), Paderborn/München/ Wien [u. a.] 1994, S. 14f.; John Vanden Heuvel, A German Life in the Age of Revolution. Joseph Görres, 1776–1848, Washington, D. C. 2001, S. 336ff. Anders geht Karl-Egon Lönne, Katholizismus-Forschung, in: GG 26 (2000), S. 128–170, hier S. 140, mit der ultramontanen Publizistik davon aus, dass „Volksmassen, Bürgertum und Adel, wenn auch in unterschiedlichem Umfang, mobilisiert wurden […].“ Schieder, Kirche (1974), S. 419, 454.

371 schen – Implikationen der Wallfahrt herauszuarbeiten, sondern liefen auf eine Überzeichnung ihrer vermeintlich allein politischen und ökonomischen Zwecke hinaus. 115 Dass sich unbenommen der unübersehbaren Existenz von Phänomenen des Heiligenkults in der Moderne dieser dennoch als primär mittelalterlich im Bewusstsein der Geisteswissenschaften verankerte, mag damit zusammenhängen, dass „Katholizismus“ und „Mittelalter“ seit den geschichtsphilosophischen Kämpfen des 19. Jahrhunderts zur Synonymität zu tendieren begannen. Dabei konnte durchaus reflektiert werden, dass das „wirkliche“ Mittelalter nicht in jeder Hinsicht mit der geistesgeschichtlich und geschichtsphilosophisch bedeutsamen Chiffre „Mittelalter“ identifiziert werden musste oder sollte. 116 Die Überzeugung allerdings, „daß der konsequente Katholik“ aufgrund seiner bedingungslosen – allerdings selbst von Görres in dieser Form nicht vertretenen – Unterordnung unter das weltliche und geistliche Macht vereinigende Papsttum „unmöglich ein brauchbarer Staatsbürger“ sein könne, und zwar „überhaupt für jeden Staat“, schien Friedrich Engels (1820–1895) im pauschalen Hinweis auf die „ganze Geschichte des Mittelalters“ hinreichend bewiesen zu sein. 117 Eine Erscheinung wie die Trierer Wallfahrt konnte auf diesem wirkungsmächtigen Boden lange nur als Bestandteil eines unzeitgemäßen, wesenhaft mittelalterlichen und ewig retardierenden Weltbilds begriffen werden, dessen Protagonisten vor allem durch ihre Unbildung und Abhängigkeit von einem diese Unbildung instrumentalisierenden Priestertum daran gehindert wurden, in die Moderne einzutreten. Die Größen „Katholik“ und „Bürger“ begannen in dieser Zeit, in Anlehnung an Koselleck, als asymmetrische Gegenbegriffe ihre Kontur zu gewinnen. In dieser Qualität trugen sie, was das an dieser Stelle interessierende Themenfeld anbelangt, nicht nur dazu bei, Aspekte –––––––— 115 116

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Vgl. Rudolf Lill, Kirche und Revolution. Zu den Anfängen der katholischen Bewegung im Jahrzehnt vor 1848, in: Archiv für Sozialgeschichte 18 (1978), S. 565–575. Karl Marx/Friedrich Engels, Historisch-kritische Gesamtausgabe. Werke, Schriften, Briefe. Im Auftrag des Marx-Engels-Lenin-Instituts Moskau hrsg. v. V. Adoratskij, Abt. 1, Bd. 5: Die deutsche Ideologie. Kritik der neuesten deutschen Philosophie in ihren Repräsentanten, Feuerbach, B. Bauer und Stirner, und des deutschen Sozialismus in seinen verschiedenen Propheten. 1845–1846, Berlin 1932 (Neudruck Glashütten i. Taun. 1970), S. 151: „Was wir hier Katholizismus nennen, nennt ‚Stirnerǥ ‚das Mittelalterǥ; da er aber das heilige, religiöse Wesen des Mittelalters, die Religion des Mittelalters, mit dem wirklichen, profanen, leibhaftigen Mittelalter verwechselt (wie ‚in Allemǥ), geben wir der Sache lieber gleich ihren richtigen Namen.“ F. O[swald] [= Friedrich Engels], Friedrich Wilhelm IV., König von Preußen [1843], in: Karl Marx/Friedrich Engels, Gesamtausgabe, hrsg. v. Institut für MarxismusLeninismus beim Zentralkomitee der Kommunistischen Partei der Sowjetunion und vom Institut für Marxismus-Leninismus beim Zentralkomitee der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Abt. 1: Werke, Artikel, Entwürfe, Bd. 3: Friedrich Engels, Werke, Artikel, Entwürfe bis August 1844. Text, Berlin [Ost] 1985, S. 427–436, hier S. 432.

372 der Unmündigkeit oder Unbildung zu analysieren, sondern führten bisweilen auch zu einer retrospektiven Projektion von Unmündigkeit und Unbildung auf Gruppen, deren genaue Struktur einigermaßen unklar war und ist. Auf die Gegenwart bezogen geht man in der katholischen Literatur von rund einer Million Menschen aus, die jährlich nach Altötting pilgern. Sechs Millionen begeben sich nach Lourdes, drei Millionen nach Santiago de Compostella und fünf bis sieben Millionen nach Tschenstochau. Die Motivationen seien zwischen Buß- und Dankeswallfahrt, zwischen der Suche nach religiösem Gemeinschaftsempfinden und persönlichem Glaubenserlebnis anzusiedeln, mit teilweise fließenden Übergängen zu einem vordringlich touristisch begründeten Besuch der Orte. 118 Eine modernen Ansprüchen genügende Soziologie der Wallfahrt gibt es allerdings nicht.

5.1.3 Bonifatius Im frühneuzeitlichen Luthertum und Calvinismus ging wahrscheinlich niemand davon aus, dass Gott keine Wunder zu wirken in der Lage war oder dass man sich am Agieren frommer oder in ihrem Glauben standfester Personen kein Beispiel nehmen dürfe. Auf der Ebene des devotionalen Schrifttums erfuhren daher zahlreiche der alten Heiligen, vor allem durch die Chronistik vermittelt, eine in diesem Sinn die Konfessionen überschreitende Rezeption, sei es affirmativ, sei es abschlägig oder sei es mit wechselnden Akzenten selbst innerhalb des Protestantismus. Der (hl.) Bonifatius († 754) wurde in Hondorffs Calendarium, wohl mit Biondos Decades, auf konventionelle Weise als ein erfolgreich wirkender Missionar und Kirchengründer dargestellt. 119 Flacius hingegen galt er, inspiriert von Aventin, keineswegs als der „Apostel der Deutschen“, als der er häufig angesehen werde, sondern als ein „Übeltäter“, der repressiv und gegen den Widerstand des lokalen Klerus das in der Germania vermeintlich von den Schülern der Apostel –––––––— 118

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Vgl. Irmengard Jehle, Der Mensch unterwegs zu Gott. Die Wallfahrt als religiöses Bedürfnis des Menschen – aufgezeigt an der Marienwallfahrt nach Lourdes (Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge 52), Würzburg 2002, S. 17f., 482ff. Eine Mischung unterschiedlicher Zeugnisse, die einen Eindruck von der Wahrnehmung und Diskussion dieses Phänomens im heutigen Katholizismus vermittelt, bietet die volkskundliche Arbeit von Doris Groscurth, Das Wunder von Eisenberg. Europäische Wallfahrten zu modernen Marienerscheinungs- und Wunderorten, Zürich 1988. Vgl. Hondorff, Calendarium, 1587, 5. Juni, S. 313: „S. BONIFACIUS || Djeser Bonifacius/ wie Blondus schreibet/ ist ein Engell nder/ deß Richardi Knigs auß Engeland Bruder gewesen […]. Sonderlich aber hat er in seiner Predigt fleissig gebetten/ daß die Heyden/ vnnd so vom wahren Gott noch nichts wissen/ auch zum Christlichen Glauben mchten bekehret werden/ vnnd andere Ding viel mehr. Er hat auch viel Kirchen erbawet/ als die zu Aichstat/ vnnd die Kirchen S. Marien zu Erffurt/ vnnd ein schn M(nchen Kloster zu Fulda/ darinnen er Sturmium zu einem Apt gemachet. Jtem/ Er hat auch Bischoffe an etliche rter gesetzt vnd geweihet […].“

373 begründete Urchristentum dem römischen Ritus unterworfen habe. 120 Der Mansfelder Chronist Cyriacus Spangenberg (1528–1604) ging in seinem 1603 gedruckten Bonifacius von einer sich erst allmählich vollziehenden Wende dieses Missionars zu einem Anhänger Roms und einem Unterdrücker des sich im lokalen Klerus verkörpernden wahren Christentums aus: –––––––— 120

Vgl. Flacius, Catalogus, 1556, S. 115f. Flacius betonte ausdrücklich, Bonifacius nicht als Zeugen der Wahrheit aufgenommen zu haben, sondern um den damaligen Zustand der Religion zu erläutern: „Bonifacius Germanorum Apostolus. || Hvnc Bonifaciu[m] à multis Germanoru[m] Apostolum dictum, non eò meo catalogo insero, quòd ipse in ulla re Papisticis errorib. restiterit, […]: sed ut habeam occasionem dicendi de statu religionis, qui tunc in ecclesijs Germanicis fuerit.“ Vgl. zur Charakterisierung Bonifatius’ ebd., S. 117: „Sic ergo Malefacius docuit, ut præcipuè utilitatem Papæ & Romanæ ecclesiæ quæreret.“ Ebd., S. 118: „Auentinus libro Bauaricorum annalium quarto scribit, ualde multos sacerdotes sese huic Bonifacio ritus Romanos Germanicis ecclesijs obtrudenti opposuiße, eumq[ue] etiam in publicis concionibus accusasse, quòd sit mendaciorum author, Christianæq[ue] religionis ac pacis perturbator & corruptor: sed partim carceribus, partim Pontificis ac Regis authoritate repressos & oppressos esse.“ Auch mit Annahme der Existenz einer ersten Christianisierung der Germania, die auf die Mission durch Apostelschüler zurückgehen sollte, meinte sich Flacius auf Aventin berufen zu können. Vgl. ebd., S. 116: „Fuerat sanè iam olim circa Apostoloru[m] tempora religio Christiana in Germania sparsa, creueratq[ue] etia[m] postea magis. nam & patres quidam Germanicarum ecclesiarum meminerunt, & Auentinus testatur, discipulos Apostolorum in Germania docuisse.“ Vgl. Aventinus, Bayerische Chronik, ed. Lexer (1888), lib. III, c. 64, S. 85f.: „Der heilig vater, pabst Gregorius der ander, verordnet und schicket heraus in Teutschland sant Bonifacium, gab im ainen offen brief und bevelch an all fürsten und herren, an all christen, das si hilflich wärn sant Bonifacio oder Weinfried, […]. || Sant Bonifacius kam auch in Baiern zu herzog Haunprecht, wolt die geistlichen in ein recht ordnung bringen, zaiget dem fürsten seinen bevelch an. Aber es setzten sich etlich geistlich hart darwider, nämlich Dortwein, Berther, Anbrecht, Haunrid, Arnwolph, die tet sant Bonifacius in den schweren pan, setzt si aus der zal der geistlichen, lies in Baiern etlich geistlich man und weib, so er mit im bracht het, nämlichen sant Wilbold, sein brueder Wunhold, ir schwester Waldpurg, auch sant Lieba, die zu Monhaim im closter liegt. || Und zog also überal sant Bonifacius durch Teutschland, bracht alle ding wider in ain rechte ordnung, wiewol im die geistlichen grossen widerstand teten, […].“ Die Frage der Christianisierung Bayerns ist eine der kompliziertesten in Aventins Chronologie. Sie ist hier nicht im Detail zu untersuchen. Im Zentrum stand die Vorstellung, dass die Germanen und Franken noch Heiden waren, als im 5. Jahrhundert mit den Römern eine bereits christianisierte, aber degenerierte Aristokratie aus ihren Territorien vertrieben wurde. Vgl. ders., Bayerische Chronik. Das ander puech, ed. Lexer (1888), lib. II, c. 428, S. 1158: „Und das land und leut so liederlich vom grossen mechtigen geweltigen römischen reich und kaisern, so pêde christen warn, fielen, sich an die Franken und ander Teutschen, so noch nit christen sunder unglaubig warn, on not und schwertsleg ergaben, die unglaubigen (doch swecher an land und leuten) solchen sig wider die glaubigen (so reicher und sterker warn) hetten, war schuld der öberkait, […].“ Vgl. zu Bonifatius auch ders., Annales, ed. Riezler (1882), lib. III, c. 9, S. 396–400; zu Flacius’ Deutungen Christina Beatrice Melanie Frank, Untersuchungen zum Catalogus testium veritatis des Matthias Flacius Illyricus, Tübingen 1990, S. 68f. mit Anm. 163, S. 130f.; 207 mit Anm. 541; Hartmann, Humanismus (2001), S. 146f.

374 Denn ob wol Bonifacius selber/ in vielen st(cken/ anfenglich/ der Rmischen Kirchen gebreuche nicht alle f(r recht vnnd notwendig/ auch ein zeitlang selbst nicht mit gehalten/ Jst er doch darnach (als er sich bereden lassen/ man m(ste einem Rmischen Bapste in allen dingen gehorsam sein vnd folgen) so hart auff deren Satzungen gefallen/ das er auch vber geringen/ vnntigen vnnd nichtigen/ auch wol vnrechten dingen (weil sie nur zu Rom n(tzlich vnd f(r gut erkandt) so hart gehalten/ das er auch bißweilen zum Verfolger vnsch(ldiger Christen worden ist. 121

Komplizierter waren hingegen die Konstruktionen, mit denen der in den Diensten der Landgrafen von Hessen-Kassel stehende Historiograph Wiegand Lauze (um 1495–vor 1569) in seiner um 1560 entstandenen handschriftlichen Chronik Von den loblichen Herkomen, Geschlechten, Leben, Thaten und Absterben der Konige vnd Fursten zu Hessen Bonifatius für die territoriale Traditionsbildung zu erhalten suchte. In dieser von Fuchs erschlossenen Chronik scheint Lauze den Versuch unternommen zu haben, zwischen einer einerseits von den Lehren der römischen Kirche geprägten und andererseits für die territoriale Geschichte bedeutsamen sowie aufgrund ihrer Missions- und Predigttätigkeit prinzipiell positiv zu bewertenden Persönlichkeit zu vermitteln. 122 Wer genauer wissen wollte, was es mit diesen Deutungen auf sich hatte, konnte Otlohs von St. Emmeram († kurz nach 1079) Bonifatiusvita konsultieren, die 1549 in Johannes Cochlaeus’ (1479– 1552) Speculum antiquae devotionis circa missam ihre Erstausgabe erfahren hatte. Die in Mainz vor 778 entstandene Bonifatiusvita des angelsächsischen Priesters Willibald wiederum sollte erstmals 1603 im vierten Band von Heinrich Canisius’ Antiquæ lectiones gedruckt werden. Ob diese oder eine andere der überlieferten Viten von den frühneuzeitlichen Autoren konsultiert wurde, sieht man von Flacius und den Magdeburger Centuriatoren ab, die nachweislich eine handschriftliche Version der Vita Willibalds in Händen hielten, 123 ist nicht zu sagen. –––––––— 121

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BONIFACIVS. || Oder: KirchenHistoria. || Warhafftiger/ ordentlicher || Bericht/ wie es vmb die Religion in Th(- || ringen/ Hessen/ Francken vnd Beiern/ vom 714. || Jahr biß auffs 755. gestanden. || Darinnen das Leben vnd gantze Historia S. || BONIFACII mit eingef(hret || vnd begrieffen wird. || Durch || M. Cyriacum Spangenbergk. || Leipzig/ Schmalkalden/ 1603, S. 132. Vgl. zur Person in neuerer Zeit Helmut Neumaier, „Exules Christi“ in Franken – die Herren von Stetten und der Flacianismus, in: Blätter für württembergische Kirchengeschichte 101 (2001), S. 13–48, hier S. 13ff., 28ff.; Bernd Feicke, Chroniken des protestantischen Hochadels aus dem 16. Jahrhundert und ihr Autor Cyriakus Spangenberg. Ein Beitrag aus Anlaß des 475. Geburtstages von Cyriakus Spangenberg (7. Juni 1528) und des 400. Jahrestages der Fertigstellung der Holstein-Schaumburger Chronik (5. Dezember 1602), in: Beiträge zur Geschichte aus Stadt und Kreis Nordhausen 28 (2003), S. 16–26. Vgl. Fuchs, Traditionsstiftung (2002), S. 98–103; vgl. zu Person und Werk ebd., S. 76ff.; Lenz, Art. Lauze, Wiegand L., in: ADB, Bd. 18, 1883, S. 80f., hier S. 80; Hans Philippi, Art. Lauze, Wigand, in: NDB, Bd. 13, 1982, S. 743. Vgl. Wilhelm Levison, Praefatio, in: Vitae Sancti Bonifatii archiepiscopi Moguntini, hrsg. v. dems. (MGH SS rer. Germ. in us. schol. [57]), Hannover/Leipzig 1905, S. VII–LXXXV, hier S. XLIV mit Anm. 1, S. LXXVIII; Hartmann, Humanismus (2001), S. 73.

375 Für all diese durchaus unterschiedlichen Deutungen des Bonifatius in der protestantischen Historiographie interessierten sich die Bollandisten nicht. In ihrem 1695 publizierten Dossier des hl. Bonifatius waren Henschen und Papebroch, neben der Beschaffung und Aufbereitung der Materialien, hinreichend damit beschäftigt, Aspekte der Überlieferung und Kultgeschichte zu erörtern und die Verwechslung des Presbyters Willibald mit dem gleichnamigen Bischof Willibald von Eichstätt († 787) auszuräumen. 124 Aspekte des Konfessionellen fanden allein auf vermittelten Wegen Eingang in ihr Dossier. Aus den Hinterlassenschaften des Duderstädter Jesuiten Johannes Müller (1603–1676) referierten sie eine Auswahl der sich an der Kultstätte des hl. Bonifatius auf dem Hülfensberg im Eichsfeld ereignenden Wunder, welche sich bisweilen gegen spottende Calvinisten und die protestantische Obrigkeit zu wenden tendierten. 125 –––––––— 124

125

Vgl. G[odefridus] H[enschenius], De S. Bonifacio Martyre, Legato Apostol. et Archiep. Mogvntino. Sociisque Martyribus; Eobano, Coepiscopo; Adalario seu Adalhero, Wintrungo et Waltero, Presbb Hamundo, Scirbaldo, Bosa, Levitis; Waccaro, Gundecaro, Ellehero, Hatevulfo, Monachis; Hiltebrando et aliis XL. laicis. Doccomii in Frisia, in: AASS Iunii, Bd. 1, 1695, 5. Juni, S. 452–504. Commentarius prævius, ebd., S. 452–460. Der letzte Teil: §. IV. Effigies S. Bonifacii, ex vetusto lapide & sigillis, nec non Monastici tunc habitus formæ ex picturis seculi IX; Regum item Francorum eodem spectantium, ebd., S. 458–460, stammte von Papebroch und ging auf Browers Fuldaer Antiquitäten zurück. Zuvor hatte sich Henschen mit den bezeichneten Problemen befasst. Vgl. c. 1. Varii vitæ scriptores, quorum præcipuus Willibaldus Presbyter, ab Episcopo ejusdem nominis verosimiliter diversus, ebd., S. 452–454; c. 2. Patria. Tempus vitæ & martyrii, Archiepiscopus S. Bonifacii, ebd., S. 454–456; c. 3. Cultus sacer S. Bonifacii & Sociorum, ebd., S. 456–458. Vgl. Analecta Bonifaciana, c. 7. Miraculosæ gratiæ, cultui S. Bonifacii in Monte Adjutorii adscriptæ, ebd., S. 500–504, hier S. 504a–b: „Anno MDXCIX, juvenis quidam Lutheranus, immixtus Catholicis, quos identidem ridebat, sacrum hunc montem conscendit: cumque ad fontem à S. Bonifacio cognominatum & excitatum (ut ferunt) pervenissent; Catholici magna pietate de fonte hauriebant ac bibebant; cum & irrisor accedit, & aquam haurire vult. Mira res! Aqua, quæ per syphunculum continuo effluere solitabat, actutum hæret, ut nec guttam dimitteret. Quod dum Catholici viderent, & ob præsentem Dei vindictam irrisorem reprehenderent, quod & aqua ipsum fugeret; juvenis animo vehementer consternatus, nullum verbum ad defensionem sui proferens, instar bovis muti abscessit. Quo recedente, aqua iterum fluere cœpit, non sine admiratione Catholicorum, qui in devotione sua roborabantur. || Anno MDCXLIX, feria secunda Pentecostes, Minister Calvinianus ex vicino oppido, cum aliquot civibus hunc montem, non devotionis, sed curiositatis causa, quo Catholicorum Sacra observaret ac rideret, conscendit. Cum ergo […].“ Insgesamt präsentierte Henschen ebd., S. 498–504, eine Auswahl von rund 20 Mirakeln. Zumeist handelte es sich um Heilungswunder. Teilweise waren aber auch Konversionswunder zu verzeichnen gewesen. Ein Mirakel betraf die Entlassung eines inhaftierten Katholiken, nachdem dessen Freunde am Hülfensberg in seinem Namen um die Befreiung gebeten und damit den göttlich gelenkten Sinneswandel der protestantischen Obrigkeit hervorgerufen hatten. Vgl. ebd., S. 500b, 501a; zu den Materialien Müllers, der 1671 eine Mons adiutorii seu Salvatoris Christi, seu descriptio historica celebris in Eichsfeldia peregrinationis ad locum sacrum publiziert hatte, ebd., S. 498b, 503b– 504a; zu diesem selbst Art Mueller, Jean, in: Sommervogel, Bd. 5, 1894, Sp. 1385.

376

5.1.4 Van der Meulen Auf die protestantischen Deutungen reagierten die Gelehrten des Katholizismus, zumal im 17. Jahrhundert, nicht in dem Sinne, dass sie eine ernsthaft bedrohte oder flächendeckend attackierte Domäne zu verteidigen gehabt hätten. Ebensowenig wie es eine pauschale Aburteilung der hagiographischen Überlieferung des Mittelalters gab, brachte der frühneuzeitliche Protestantismus selbst überlieferungsnahe Legendare hervor, in denen die – zumeist noch unbekannten – hagiographischen Traditionen der Alten Kirche systematisch konsultiert oder umgeschrieben worden wären. Selbst in den Magdeburger Centurien konstituierte sich der locus „De episcopis et doctoribus ecclesiae“ über weite Strecken weder als lutherische Eigen-, noch als antipäpstliche Gegengeschichte, sondern als allgemeine Kirchengeschichte mit lutherischen Akzenten und Signalen. Die wirkliche Brisanz in Fragen der Theologie, der Riten- und Dogmengeschichte lag in der Tat auf anderen Gebieten, nicht auf dem der Gestalt und Inhalte der Vita Brunonis oder der Vita Columbani. Die drei Märtyrerbücher Foxes, Crespins und Van Haemstedes, die das zeitgenössische Sterben ihrer Glaubensgenossinnen und Glaubensgenossen historisch unterlegten, wurden in katholischen Kreisen immerhin als Ärgernis empfunden. Dieser Ärger erstreckte sich weniger auf die konkrete Tatsache, dass nun Hus oder Savonarola mit den protestantischen Märtyrerinnen und Märtyrern in eine Linie gestellt worden waren, sondern auf die als Okkupation empfundene Qualifikation der neuen Toten als „Märtyrerinnen“ und „Märtyrer“. Eine selbstständige kontroverse Traktatistik ging daraus, wenn ich richtig sehe, nicht hervor. Auch die katholischen Entgegnungen auf einschlägige Aspekte innerhalb der Magdeburger Centurien, etwa Conrad Brauns (1491–1563) Abhandlung Adversus novam historiam ecclesiasticam von 1565, scheinen dieser Frage nur wenig Raum gewidmet zu haben. 126 Ausführlicher wurde sie allein, mit primär katholischem Zielpublikum, in den Einleitungen der – nicht mit den Märtyrerbüchern zu verwechselnden – Ausgaben der historischen Martyrologien behandelt, in denen sie jeweils in eine Gesamtdarstellung der Geschichte der Martyrologien eingebettet wurde. Baronio wies im Martyrologium Romanum auf ekklesiologischer Basis die Möglichkeit eines so zu bezeichnenden Martyriums außerhalb der allein seligmachenden Kirche zurück. Das Epigramm auf der rechten Basiskonsole des Kupfertitels des Martyrologium Romanum, die eine Personifikation der „Ecclesia“ trug, verkündete: „Esse Martyr || non potest, || Qui in Ec-

–––––––— 126

Vgl. Kolb, Hymn (2005), S. 304 mit Anm. 27.

377 cle= || sia non est. || Cypr. de vnit. Eccl.“ 127 In einem Abschnitt: „De falsis hæreticorum martyribus, eorundemq[ue] pseudomartyrologiis“, 128 in dem Baronio allerdings kein einziges protestantisches Märtyrerbuch namentlich benannte, wurde von ihm theologisch und historisch mit einer Sonderung von wahren und falschen Märtyrerinnen und Märtyrern argumentiert, die Augustin im Kontext des afrikanischen Schismas etabliert hatte. Die „falschen“ Märtyrer seien daran zu erkennen, dass sie dem gottgefälligen Frieden und der Einheit der Gläubigen zuwider gehandelt hätten. Zumal dann, wenn ihr Tun, mit Hieronymus, aus dem eitlen Bestreben erwachsen sei, posthum verehrt zu werden und Anklang bei der Masse zu finden, sei ihr Tod als Strafe und gerechtfertigtes Leiden zu bewerten. 129 –––––––— 127

128 129

Vgl. Sancti Cypriani de Ecclesiae Catholicae Vnitate, hrsg. v. Maurice Bévenot, in: Sancti Cypriani Episcopi Opera, Pars I (CCSL 3), Turnhout 1972, S. 243–268, hier c. 14,2, S. 259: „Esse martyr non potest qui in ecclesia non est; ad regnum peruenire non poterit qui eam regnatura est derelinquit. Pacem nobis Christus dedit, concordes adque unianimes esse praecepit, dilectionis et caritatis foedera incorrupta adque inuiolata mandauit. Exhibere se non potest martyrem qui fraternam non tenuit caritatem.“ Zur frühchristlichen Begriffsgeschichte vgl. Anna Maria Schwemer, Prophet, Zeuge und Märtyrer. Zur Entstehung des Märtyrerbegriffs im frühesten Christentum, in: Zs. f. Theologie und Kirche 96 (1999), S. 320–350, bes. S. 320f., 343ff., 349f.; zu Cyprianus’ († 258) Interpretation Allen Brent, Cyprian’s Reconstruction of the Martyr Tradition, in: JEH 53 (2002), S. 241–268; Paolo Siniscalco/Paul Mattei, Introduction, in: Cyprien de Carthage, L’unité de l’Église (De ecclesiae catholicae unitate). Texte critique du CCL 3 (M. Bévenot). Introduction Paolo Siniscalco/Paul Mattei. Traduction Michel Poirier. Apparats, notes et index Paul Mattei (Sources chrétiennes 500), Paris 2006, S. 9–141. Vgl. Baronio, Martyrologium Romanum, 21589. De Martyrologio Romano. Præcapitulatio dicendorum, ebd., S. IX–XXVI, hier S. XXI[II] [fehlerhaft paginiert]–XXVI. Vgl. ebd., S. XXI[II]: „Si suprà memoratos videri Martyres vultis, probate illos amasse pacem; in qua prima sunt fundamenta martyrij, aut dilexisse Deo placitam vnitatem, aut habuisse cum fratribus vnitatem, sine qua nullum, vel nomine potest, vel re esse martyrium, &c. Hæc ipsa sanctus Augustinus agens contra Donatistas sexce[n]tis ferè locis inculcat, quos breuitatis causa enumerare prĊtermittimus. […] Sed quid amplius? Dei Ecclesia sicut omnes respuit hæreticos pseudomartyres; sic non omnes recipit communionis Catholicæ qui videntur Martyres, sed eos tantum, quos sicut fide, ita & charitate nouit esse probatos. Nam & in his multæ subesse possunt causæ subeundi martyrium, quæ Deo displicent; quales erant illi, quorum meminit sanctus Augustinus in Breuic. collat. diei 3. cap. 13. In eandem sententiam S. Hieronymus in comment. in epist. ad Galat. lib. 3. cap. 5. hæc ait: Vide quantum bonum sit charitatis: si ita martyrium fecerimus, vt nostras velimus ab hominibus reliquias venerari: si opinionem vulgi sectantes, intrepidi sanguinem fuderimus, & substantiam nostram vsq[ue] ad mendicitatem propriam dederimus; huic operi non tam præmium quàm pœna debetur, & perfidiĊ magis tormenta sunt, quàm corona victoriæ. Hæc ibi, […].“ Vgl. S. Eusebii Hieronymi Stridonensis Presbyteri Commentarium in Epistolam ad Galatas libri tres, in: Sancti Eusebii Hieronymi Stridonensis Presbyteri opera omnia, post monachorum Ordinis S. Benedicti e Congregatione S. Mauri, sed potissimum D. Joannis Martinæi, recensionem denuo ad manuscriptos Romanos, Ambrosianos, Veronenses, et multos alios, nec non ad omnes editiones Gallicas et exteras castigata, plurimis antea omnino ineditis monumentis aliisque S. Doctoris lucubrationibus seorsim tantum vulgatis aucta, notis et observationibus illustrata, studio et labore Vallarsii

378 Aus der Perspektive Baronios galt es dem Protestantismus nicht mehr Gewicht einzuräumen als jeder anderen „Häresie“ oder „schismatischen“ Bewegung, die man seit der Spätantike überdauert zu haben meinte. Ein gutes Jahrzehnt vor Baronio hatte sich der Löwener Theologe Van der Meulen (Molanus) 1573 in einer kurzen Abhandlung De martyrologiis unter anderem „De hæreticorum pseudomartyrologijs“ 130 geäußert. Diese, die auf „äußerst betrügerische Weise als Martyrologien bezeichnet“ worden seien, sagte er, wünsche er gar nicht erst zu sichten. Van der Meulen, der Baronio die wichtigsten patristischen Referenzen an die Hand gegeben haben dürfte, nannte aber immerhin die Namen Foxes, Crespins, Adrian (Van Haemstedes) und Heinrich Pantaleons (1522–1595). 131 Letzterer hatte 1559 in Basel an der Herausgabe der ersten Fassung von Foxes Märtyrerbuch mitgewirkt –––––––—

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131

et Maffæii Veronæ Presbyterorum, editio Parisiorum novissima, juxta secundam ab ipsis Veronensibus iteratis curis recensitam typis repetita, accurante et denuo recognoscente J.-P. Migne, Bd. 7 (MPL 26), Paris 1884, Sp. 331–468, hier lib. III, c. 5,14, Sp. 438: „Vide quantum bonum sit charitatis. Si ita martyrium fecerimus, […].“ In Augustins Breviculus collationis cum Donatistis, in: Œuvres de Saint Augustin, Bd. 32 (= Série 4: Traités anti-donatistes, Bd. 5). Traduction de G. Finaert. Introduction et notes par E. Lamirande (Bibliothèque Augustinienne), Brügge 1965, S. 94– 243, gelingt es kaum, eine solche Passage zu finden. Der Breviculus verzeichnete im Stil eines Protokolls jene Argumente, die auf einer 411 in Karthago stattfindenden Versammlung zwischen Vertretern des römischen Katholizismus und der Donatisten ausgetauscht worden waren. Auf die Frage, wer die wahren Verfolger und wahren Verfolgten waren, wurde hier wiederholt, aber anhand konkreter Fälle Bezug genommen. Vgl. ebd., ad tertiam diem, c. 11,23, S. 186/187; c. 13,25, S. 192/193– 196/197. Deutlicher im Sinne Baronios hatte sich Augustin etwa in der Schrift Contra Gaudentium Donatistarum Episcopum, in: ebd., S. 510–685, hier lib. I, c. 22,22, S. 552/553, geäußert. Der für das Martyrium erforderliche gerechte Grund könne demnach nicht jenseits oder gar gegen die Kirche Christi und der Apostel beansprucht werden: „ex qua [ecclesia] diuisi atque separati nihil aliud facitis quam contra uerba capitis et corporis rebellatis, et tamen propter filium hominis ac fidem quam reliquit apostolis uos persecutionem sustinere iactatis.“ Vgl. dazu den Kommentar von Lamirande, ebd., Nr. 52, S. 747. Dass Baronio gerade diesen aus seiner Sicht genuin „falschen“ Märtyrerinnen und Märtyrern der Donatisten einen eigenen Festtag gestiftet hatte, wurde bereits oben S. 191ff. thematisiert. Hier benutzt in der 1583 erschienenen zweiten Auflage der Version von 1573: De Martyrologiis, Auctore Ioanne Molano, Theologo Louaniensi, in: Usuardi Martyrologium, ed. Molanus, 21583, Bl. 6r– 218v, hier c. 10, Bl. 204r–205v. Vgl. ebd., Bl. 204r: „Et ad id faciendum magis nos incitare deberet hæreticorum nostræ ætatis diligentia: qui non tantùm habent pseudomartyrologia Latinè conscripta per Ioannem Crispinum & Ioannem Foxum & Pantaleonem, sed & Germanicè per Adrianum, Anglicè per Foxum, item Gallicè & Flandricè. Quæ scripta ego, nec vidi, nec videre cupio. Hoc verò dico, eos libros mendacißimè Martyrologia nominari: quoniam vt Cyprianus ait in lib. de Vnitate Ecclesiæ, siue de simplicitate Prælatorum. ¢marginal: Cap. 81² Esse martyr non potest qui in Ecclesia non est, ad regnu[m] peruenire non poterit, […].“ Vgl. zur Person François Bœspflug/Olivier Christin/Benoît Tassel, Introduction, in: Molanus, Traité des saintes images (Louvain 1570, Ingolstadt 1594). Texte latin, documentation iconographique établie par François Bœspflug/Olivier Christin/Benoît Tassel (Patrimoines christianisme), Paris 1996, S. 9–79, hier S. 17–27.

379 und dieses 1563 um einige das Reich, Frankreich und Italien betreffende Märtyrerinnen und Märtyrer ergänzt. 132 Kontroverstheologie, die ein Mindestmaß an inhaltlicher Auseinandersetzung erforderte, war dies natürlich nicht. Die summarische Aburteilung der Märtyrerbücher erfolgte bei Van der Meulen kursorisch neben der Beschäftigung beispielsweise mit den griechischen Martyrologien, 133 den vernakulärsprachlichen Martyrologien wie Canisius’ Kirchenkalender 134 oder einigen „neueren“, im 15. Jahrhundert kompilierten Martyrologien regionaler Provenienz. 135 Die Abhandlung De Martyrologiis hatte Van der Meulen anlässlich der zweiten Ausgabe seiner Edition des Martyrologs des Usuard verfasst. Diese Ausgabe war formal, einschließlich ihrer komputistischen Anteile, mit Sicherheit Vorbild für Baronios Martyrologium Romanum und für die von Rosweyde publizierten historischen Martyrologien. Formal gesehen dürfen sie, bis genauere Untersuchungen vorliegen, als die mithin frühesten bekannten Beispiele für die systematische Applikation einer Struktur nummerierter Fußnoten in im weiteren Sinne historiographischen Zusammenhängen betrachtet werden (Abb. 1). 136 Gewidmet waren die Ausgaben dem –––––––— 132 133 134 135

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Vgl. Kolb, Saints (1987), S. 5; Gregory, Salvation (1999), S. 168, 426 Anm. 168. Vgl. Molanus, De martyrologiis, 21583, c. 12. De Græcis martyrologijs, ebd., Bl. 207v–208r. Vgl. c. 9. De vernaculis Martyrologijs, ebd., Bl. 203v–204r. Vgl. c. 8. De recentiorum Martyrologijs, ebd., Bl. 203r: „Conscripserunt etiam aut collegerunt, aut locupletauerunt martyrologia, Egidius de Dammis, monachus Dunensis, ordinis Cisterciensis, Hugo de Tolius, Henricus de Iserelon, Petrus de Thimo, Godenbertus, & alij […].“ Petrus de Thimo (1393/94–1474) ist vor allem wegen seiner zwischen 1415 und 1427 vollendeten Brabantiae historia diplomatica der Regionalgeschichte ein Begriff. Das Martyrolog scheint verloren. Vgl. Robert Stein, Politiek en historiografie. Het ontstaansmilieu van Brabantse kronieken in de eerste helft van de vijftiende eeuw. Avec un résumé en français (Miscellanea neerlandica 10), Löwen 1994, S. 27, 120; vgl. zum Collectaneum martyrologii Sanctorum des Zisterziensers Gilles de Damme oder Gilles de Sabina (Aegidius de Dammis) († 1463) Véronique Souche-Hazebrouk, Le Brabant, terre de sainteté à travers l’œuvre de Jean Gilemans († 1487), in: Boesch Gajano/Michetti (Hrsg.), Europa (2002), S. 33–44, hier S. 34 mit Anm. 6. Grafton, Ursprünge (1995), S. 190f., neigt dazu, die „Ursprünge der Fußnote“ in ihrer modernen Form, wohl deutlich zu spät, in der Zeit „irgendwann um 1700“ und namentlich mit dem Dictionaire Bayles entstehen zu sehen. In der Tendenz zutreffender vermutet Carlo Ginzburg, Veranschaulichung und Zitat. Die Wahrheit der Geschichte [engl. 1988], in: Der Historiker als Menschenfresser. Über den Beruf des Geschichtsschreibers. Beitr. v. Fernand Braudel/Lucien Febvre/Arnaldo Momigliano [u. a.], Berlin 1990, S. 85–102, hier S. 97, mit Blick auf „den Gebrauch von Fußnoten“ in den Annales ecclesiastici: „Offenbar war Baronio einer der ersten Historiker, die sich dieses Verweissystems bedienten.“ In den Annales ecclesiastici arbeitete Baronio mit alphabetisierten Marginalnoten. Dies dürfte die damals konventionellere Variante gewesen sein. Vgl. dazu Abb. 9. Sie stammt aus Pancirolis Notitia utraque dignitatum […] von 1593. Reproduktion mit freundlicher Genehmigung der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel. Eine nach Textsorten und Annotationssystemen differenzierende Untersuchung steht insgesamt noch aus. Vgl. dazu mit einem ersten Versuch

380 ehemaligen Kanzler Karls V. (reg. 1519–1556), Erzbischof von Mechelen und Kardinal Antoine Perrenot de Granvelle (1517–1586). Van der Meulen nahm sie zum Anlass, um, im Kontext der liturgischen Reformen des posttridentinischen Katholizismus, etwas zu der – bis heute nicht ganz geklärten – liturgischen Funktion der Martyrologien in historischer Zeit zu sagen: Es kann gar nicht bezweifelt werden, dass die Lesung des Martyrologs am Ende der Prima des ältesten Gottesdiensts erfolgte. Und dass sie in diesem Gottesdienst vom Chor fortgeführt werden muss, ist bereits zuvor in jenem heiligen Brevier der Römischen Kirche festgesetzt worden, das wir kraft Autorität des hochheiligen Konzils von Trient empfangen haben. Aber jener der Große genannte Gregor zeigt auch an, im neunundzwanzigsten Brief des siebten Buchs, dass zu seiner Zeit beim täglichen Messopfer Gebrauch vom Martyrolog gemacht worden ist, weil täglich das besondere Gedenken an jene erfolgte, deren Fest- oder Passionstage, wie er selbst sagt, an diesen Tagen anlagen. Wir, sagt er, verfügen, geordnet nach den unterschiedlichen Passionstagen, über die in einem Band versammelten Namen fast aller Märtyrer, und wir feiern an den einzelnen Tagen zu ihrer Verehrung eine feierliche Messe. 137

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der Typologie Peter Rieß/Stefan Fisch/Peter Strohschneider, Prolegomena zu einer Theorie der Fußnote (Fußnote 1), Münster 1995. Usuardi Martyrologium, ed. Molanus, 21583. Illvstrissimo ac Reverendissimo Domino D. Antonio Perrenoto Granuellano, S. R. E. Cardinali, Archiepiscopo Mechliniensi, &c. [unpaginiert], fol. A2r–v: „Certe Martyrologij lectionem in fine Primæ antiquissimæ obseruationis esse indubitatu[m] est. In eáque obseruatione à Choro permanendum esse, decretum est iam pridem in eo Romanæ Ecclesiæ sacrosancto Breuiario, quod auctoritate sanctissimi Concilij Tridentini recepimus. Sed & magnus ille Gregorius, epistola vigesima nona libri septimi, indicat suo tempore Martyrologij vsum fuisse in quotidiano Missarum sacrificio, dum eorum quotidie specialis fieret commemoratio, quorum Natales, siue Passiones, vt ipse loquitur, in eos dies incidebant. Nos, ait, pæne omnium Martyrum distinctis per dies singulos Passionibus, collecta in vno codice nomina habemus, atque quotidianis diebus in eorum veneratione Missarum solennia agimus.“ Vgl. Epistolæ ex Registro sa[n]cti Gregorii pape, in: Sa[n]cti Gregorij magni: ecclesie do || ctoris precipui Opera: olim diuersis tomis dispersa: nunc vero bene= || ficio magistri Bertholdi Rembolt in vnum sunt volumen redacta. || in quoquidem subiecta comprehenduntur. || Liber Moralium in beatu[m] Job: cui adiecta sunt summaria perutilis || sima nusq[ue] antea typis excusa. || Liber Pastoralis cure. || Dialogus de vita et miraculis patru[m] italico[rum]: et de eternitate anima[rum]. || Expositio super Cantica canticorum. || Homelie. xxij. super Ezechielem prophetam. || Liber. xl. Homeliarum de diuersis lectionibus euangelij. || Expositio in septem psalmos penitentiales. || Liber Epistolarum ex Registro ipsius diui Gregorij. || Complectitur ite[m] vnu[m]q[uo]dq[ue] volumen suu[m] alphabeticu[m] Jnue[n]tariu[m]. || Venu[n]dant Parrhisijs [!] in edibus Joannis Par= || ui in via ad diuu[m] Jacobu[m] sub Lilio aureo sitis. [1518], Bl. CCCLVIr–CCCCXLVIIIv, hier lib. VII, c. 29, Bl. CCCCIIIra: „Nos aut[em] pene omniu[m] martyru[m] dictinctis per dies dies [!] singulos passionibus collecta in vno codice no[m]i[n]a habemus/ atq[ue] quotidianis diebus in eorum veneratione missaru[m] solennia egimus.“ Die heutige Zählung ist eine andere. Vgl. S. Gregorii Magni registrum epistularum, [Teil 2:] Libri VIII–XIV, Appendix, hrsg. v. Dag Norberg (CCSL 140A), Turnhout 1982, lib. VIII, c. 28, S. 549: „Nos autem paene […].“

381 Dem Widmungsträger Perrenot de Granvelle, der als umstrittene Symbolfigur des spanischen Zentralismus 1564 von Philipp II. (reg. 1556–1598) aus den Niederlanden hatte abberufen werden müssen, erläuterte Van der Meulen, dass er ihm diesen Vorzug eingeräumt habe, weil er sich „mehr als irgendein anderer“ insbesondere der belgischen Heiligen angenommen habe. 138 Mit seinen regionalen hagiographischen Studien und seinem Interesse an Martyrologien ist Van der Meulen mehr als nur ein Vorläufer Rosweydes. Neben der Ausgabe des Martyrologiums des Usuard und dem Traktat De martyrologiis enthielt der Druck von 1583 einen Indiculus Sanctorum Belgii, in dem Van der Meulen auf eine rund 150 Seiten umfassende, alphabetisierte Aufstellung der in der Belgica verehrten Heiligen ein kurzes Chronicon ihrer Geschichte und ein die Festtage der Heiligen verzeichnendes Calendarium Belgicum folgen ließ. 139 Aus diesen drei Teilen formte er die posthum 1595 gedruckten Natales Sanctorum Belgii. Es handelte sich um eine kalendarisch gegliederte Sammlung, in der die Heiligen der Belgica an ihrem jeweiligen Festtag verzeichnet und mit einer kürzeren Biographie ausgestattet worden waren. Für seine Fasti von 1607 konnte sich Rosweyde also darauf stützen, dass das Terrain schon einmal durchmessen worden war. Er selbst nahm auf Van der Meulen allerdings, aus welchem Grund auch immer, nicht ausdrücklich Bezug. Auf analoge Weise gaben die Herausgeber der erweiterten, 1626 in Douai publizierten Ausgabe der Natales Sanctorum Belgii, in denen knapp 400 Heilige versammelt worden waren, in ihren einleitenden Teilen nicht zu erkennen, dass sie mit Rosweydes Werken und Wirken vertraut waren. 140 –––––––— 138

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Vgl. Usuardi Martyrologium, ed. Molanus, 21583, Dedikationsepistel [unpaginiert], fol. A2v: „Porrò cum hac meâ operâ, peculiarius quàm quisquam alius, Belgij nostri Sanctos illustrauerim videbatur conueniens si Præfatione dedicatoria, & mihi, & labori meo, è Belgio aliquem patronum deligerem. Primo autem loco, occurrit Vestra Amplissima Reuerentia, etsi absens, cui diuina prouidentia donatum est reliquos ministerio, auctoritate & dignitate anteire.“ Vgl. zu Granvelle kurz Constant Van de Wiel, Archivalia over de aartsbisschoppen van Mechelen. Vanaf de oprichting van het aartsbisdom tot en met de Frase Tijd (1559–1815) (Annua nuntia Lovaniensia 30), Löwen 1990, S. 15ff.; über dessen mäzenatische Aktivitäten auf dem Gebiet der Kunst und Literatur und seine Büchersammlungen informieren einige Beiträge in Jacqueline Brunet/Gennaro Toscano (Hrsg.), Les Granvelle et l’Italie au XVIe siècle. Le mécénat d’une famille. Actes du Colloque international organisé par la Section d’Italien de l’Université de Franche-Comté, Besançon, 2–4 octobre 1992, Besançon 1996. Vgl. INDICVLVS || SANCTORVM || BELGII, || Auctore IOANNE MOLANO Loua- || niensi, Sacrarum literarum Louanij || Regio Professore. || ANTVERPIÆ, || Apud Philippum Nutium. || M. D. LXXXIII [eigenständig paginiert], in: Usuardi Martyrologium, ed. Molanus, 21583. Die Aufstellung der Heiligen erstreckte sich bis ebd., Bl. 79v. Vgl. dazu Bœspflug/Olivier Christin/Benoît Tassel, Introduction (1996), S. 25. Vgl. AD NATALES || SANCTORVM BELGII || IOANNIS MOLANI || AVCTARIVM, || IN QVO TAM MARTYRES, QVAM ALII || Sancti, Beati, aut Venerabiles

382 Es wäre konfessionsgeschichtlich nahezu naiv, wollte man ausgerechnet in diesem Territorium apologetische Tendenzen im Sinne einer Entschuldung der eigenen Lehren, Praktiken und Traditionen im Angesicht, so Van der Meulen, von „Lutheraner[n] und Zwinglianer[n]“ sowie „auch andere[n] Häretiker[n] und Übeltäter[n]“ 141 erwarten. Die Motivation zur Beschäftigung mit den hagiographischen Traditionen des Katholizismus erwuchs bei Van der Meulen ganz im Gegenteil aus einer Empfindung der existentiellen Bedrohung. Er eröffnete den – Abt Lambert Hanquart von Saint-Guibert in Gembloux gewidmeten – Indiculus mit einer Klage über die anhaltende Besetzung wichtiger Städte „durch die Feinde unseres Glaubens“. 142 Fortlaufende Präsenz in seinen Werken beanspruchten die für ihn traumatischen Bilderstürme, die sich im Sommer 1566, ausgehend von den Gegenden um St. Omer, durch Ypern, Antwerpen, Gent, Lille, Tournai, Valenciennes und andere Städte Belgiens und des nordöstlichen Frankreichs bewegt hatten. 143 In diesem Jahr, so Van der Meulen, seien „nicht nur Bilder und Kirchen, sondern auch unser Herr Jesus Christus, Heiliger der Heiligen, in Form des segenspendenden Sakraments der heiligen Hostie zertreten und bei den Belgiern besudelt“ worden. 144 In diesem Jahr sei mehr Schaden angerichtet worden, als in den früheren Kriegen mit Frankreich insgesamt. Umfang und Arten der Zerstörung entzögen sich der Beschreibbarkeit. 145 In seiner 1592 gedruckten Militia sacra ducum et principum Brabantiae zog er eine historische Linie der heiligen Kriege, die die brabantischen Obrigkeiten gegen –––––––—

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ac pietatis famâ || celebres homines recensentur, || AVCTORE || ARNOLDO DE RAISSE || DVACENSI, || Ibidemq[ue] apud ædem Archiapostoli Sti Petri Canonico. || DVACI, || Ex Typographiâ PETRI AVROY, sub Pelicano aureo. || M. DC. XXVI. || Cum gratiâ & priuilegio Regiæ Maiestatis. Vgl. Molanus, De martyrologiis, 21583, Bl. 205r: „[…] non modo Lutheranos & Zuinglianos, sed alios etiam hæreticos & maleficos, […].“ Vgl. Molanus, Indiculus, 21583. Reverendo in Christo Patri, ac Domino, Lamberto Hankart, Abbati Gemblacensis monasterij, Domino suo obseruando, Bl. 2r–v: „Occupati sunt […] à fidei nostræ hostibus præcipui portus, Brila, Vlißinga, Enchusia. Occupatæ sunt paucorum proditione & aliæ vrbes, in regione florentißime: vt, Montes Hannoniæ, Geldrorum Zutphania, & vicina nobis Mechlinia. Hinc & inde colluuies hostium inuolarunt.“ Vgl. zum Widmungsträger Bœspflug/Christin/Tassel, Introduction (1996), S. 21 mit Anm. 3. Vgl. Solange Deyon/Alain Lottin, Les „casseurs“ de l’été 1566. L’iconoclasme dans le nord (Le temps et les hommes), Paris 1981. Vgl. Molanus, De martyrologiis, 21583, Bl. 206v: „[…] annum 1566. in quo non tantum imagines & Ecclesiæ, sed etiam in almo sanctæ Eucharistiæ Sacramento Dominus noster Iesus Christus, sanctus sanctorum, conculcatus est apud Belgas & contaminatus.“ Vgl. ders., Indiculus, 21583. Dedikationsepistel [unpaginiert], fol. 2v: „Atque Belgium, quod est Catholici Regis patrimonium, vnico hoc anno magis attritum est, quàm per omnia illa bella, quæ Clementißimi nostri Principes, Carolus & Philippus, contra Francos, multis annis sustinuerunt. Quæ vero perfidi homines contra religionem egerint, enarrari non possent. Quot ecclesias, & monasteria, excusserint, confregerint, profanarint, à nullo, vt arbitror, scribetur.“

383 verschiedene „Häresien“ ausgefochten hatten und die er mit Chlodwigs Kampf gegen die Westgoten und den Arianismus einsetzen ließ. 146 In seinem bekanntesten Werk, der 1570 veröffentlichten Studie De picturis et imaginibus sacris, 147 widmete er sich der mit den Bilderstürmen virulent gewordenen Frage nach den historischen und theologischen Grundlagen sakraler Bilder und Artefakte. Reformkatholisch kann sie insofern genannt werden, als er, im Sinne der von ihm ausdrücklich zitierten Beschlüsse des Tridentinums, 148 die Grenzen zwischen rechtmäßiger und missbräuchlicher Verwendung der Bilder zu bestimmen suchte. Vom Geist der Gegenreformation diktiert war sie allerdings insoweit, als Van der Meulen zunächst darum bemüht war, die Frage des Missbrauchs auf den Protestantismus zurückzuwenden. Da Bücher und Bilder analog zu behandeln seien, verböte bereits das Recht der Natur („ius naturae“) gleichermaßen, dass „liederliche Bilder“ und Bücher, seien sie „liederlich oder häretisch“, in Umlauf gerieten. Er schlug daher vor, dass Abbildungen etwa Luthers oder Melanchthons als untersagt zu betrachten seien. 149 Im ersten seiner insgesamt vier Bücher behandelte er die Geschichte der Bilderfeindlichkeit und des Ikonoklasmus. Dieses erste Buch war aus einem Vortrag hervorgegangen, den er 1568 an der Artistenfakultät in Löwen gehalten hatte. Van der Meulen integrierte hier die Bilderstürme von 1566 in eine Geschichte des antirömischen Affekts, indem er die Ursprünge des Phänomens mit den Bestrebungen der Ostkirche um Autonomie und Suprematie assoziierte. 150 –––––––— 146

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Vgl. MILITIA SACRA || DVCVM ET PRINCIPVM || BRABANTIÆ, || Auctore IOANNE MOLANO, S. Theol. || in Academia Lovan: Doctore.|| Adiectæ sunt ad huius historiæ || Illustrationem Annotationes || M. Petri Louwij Syl= || væducensis. || ANTVERPIÆ || EX OFFICINA PLANTINIANA, || Apud Viduam, & Ioannem Moretum [1592], S. 1: „Sacram militiam Christianorum Principum Brabantiæ à Clodoueo Rege exordiri oportet. Eius auspiciis Christiani prima omnium pro religione signa Christo duce cum hostibus contulerunt, & contra Visigothos, Arriana hæresi infectos, feliciter primitias sacri belli confecerunt.“ Vgl. Bœspflug/Christin/Tassel, Introduction (1996), S. 31–38. Neben der von diesen Autorinnen und Autoren vorgelegten kommentierten französischen Übersetzung enthält ihre Ausgabe einen Neudruck der 1617 in Antwerpen publizierten lateinischen Version. Vgl. IOANNIS || MOLANI, || S. THEOLOGIÆ || LOVANII PROFESSORIS, || PONTIFICII ET REGII || LIBRORVM CENSORIS. || De Historia || SS. IMAGINVM || ET PICTVRARVM PRO || VERO EARVM VSV CON- || TRA ABVSVS. || LIBRI IIII. || ANTVERPIÆ, || Apud GASPAREM BELLERVM, || sub Aquila Aurea. Anno 1617 (Neudruck Paris 1996), S. 32f., 35. Vgl. ebd., S. 36: „Quis enim nesciat obscœnas imagines iure naturæ perinde prohibitas esse atque libros siue hæreticos siue obscœnos?“ Ebd., S. 37: „[…] adijcio, non mihi videri nimium fore disciplinæ Ecclesiæ rigorem, si etiam effigies hæresiarcharum, vt, Lutheri, Melanchthonis ac similium, haberi prohibeantur.“ Vgl. ebd., S. 4f.: „Iconomachia originem suam habet ab amplissimo & florentissimo Orientis imperio. Id enim, cùm ad supremum dignitatis fastigium deuenisset, non diu permansit in eo quem habebat fulgore, sed sensim inclinatum est diuturna illa ambitione, qua se contra Romanam Ecclesiam, aliarum omnium matrem, erexit. Voluit

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5.2 Devotionen und Traditionen In der Abfolge von militärischer Rückeroberung, politischer Konsolidierung und der auf sie folgenden und sie begleitenden Restauration einer monokonfessionellen Kultur stellen die Spanischen Niederlande einen Modellfall der Konfessionalisierung dar. 151 Nach der Übergabe Antwerpens an die spanischen Truppen am 17. August 1585 eröffneten die Jesuiten am 27. September desselben Jahres ihr Kolleg, das sie 1578 hatten verlassen müssen. 152 Unter den Auspizien der sich verfestigenden politischen Situation bedeuteten für einen Gelehrten wie Rosweyde, der zur Zeit der Bilderstürme noch nicht geboren war, Restauration und Förderung des Katholizismus weniger die Partizipation an den nach wie vor kultivierten kontroverstheologischen Debatten der Zeit, sondern eher die selbstaffirmative Propagation dessen, was keiner Kontroverse oder Rechtfertigung zu bedürfen schien. Zumindest, was die Heiligen anging, schienen ihm die Fronten vollständig geklärt. Typologisch gesprochen „entsetzten“ sich die „Häretiker“ nämlich: bezüglich des Märtyrers vor der Verehrung der heiligen Reliquien, bezüglich der Jungfrau vor dem Gelübde der Keuschheit, bezüglich des Bekenners vor der Perpetuierung der kirchlichen Riten. So sticht die Rose der Märtyrer mit ihrem Dorn den frevelhaften Verräter, blenden die Lilien der Jungfrauen mit ihrem Weiß die Augen der Behexten, betäubt das Veilchen der Bekenner mit seinem Duft die giftigen Kröten. 153

Es wird im Folgenden zu verdeutlichen sein, dass sich Rosweydes altertumskundliche und hagiographische Aspirationen geradezu gegenläufig zu den an ihn herangetragenen Erwartungen, sich kontroverstheologisch zu betätigen, entwickelten. Anders als Rosweyde spielte Bolland später we–––––––—

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enim Patriarcham suum Constantinopolis (quæ tunc noua quoque Roma dicebatur) vniuersalis Patriarchæ titulo insigniri: voluit nouæ Romæ Patriarcham eiusdem omnino potestatis esse cum veteris Romæ Pontifice maximo. Quam ob rem cùm moneretur, & doceretur à Leone ter sancto, Gregorio Magno, alijsque plurimis clarissimis vrbis Romæ Pontificibus, nec manifestissimæ veritati cæcum suum superbumque iudicium, atque typhum submitteret, ex pertinacissimæ ambitionis malo natus est error Monothelitarum: quem sexta Synodus œcumenica refutauit. Atque ex hisce initijs mox prodijt Iconoclastarum furor in sacras imagines.“ Vgl. Bœspflug/Christin/ Tassel, Introduction (1996), S. 32. Vgl. im Überblick Wilhelm Ribhegge, Counter-Reformation Politics, Society and Culture in the Southern Netherlands, Rhineland and Westphalia in the First Half of the 17th Century, in: Humanistica Lovaniensia 49 (2000), S. 173–192. Vgl. Poncelet, Histoire, Bd. 1: Histoire générale (1927), S. 215–236, 286–306, 451– 486; Jos Andriessen, Katholische Erneuerung und Gegenreformation, in: Antwerpen. Zwölf Jahrhunderte Geschichte und Kultur, hrsg. v. Karel van Isacker/Raymond van Uytven, Antwerpen 1986, S. 183–192, hier S. 183, 187. Rosweyde, Fasti, 1607. Beneuole Lector, S. 6: „Nempe horrent [Hæretici] in Martyre sacrarum Reliquiarum cultum, in Virgine Castitatis votum, in Confessore tenorem Ecclesiasticorum rituum. Ita Martyrum rosa nefarium temeratorem spinâ suâ pungit, lilia Virginum candore suo fascinantium oculos præstingunt, Confessorum viola odore suo venenatas rubetas exanimat.“

385 nigstens kurz auf die Märtyrerbücher der Calvinisten an. Auch er nannte sie allerdings nicht beim Namen. Im Zuge der Darlegung einiger Faktoren, die nach seiner Auffassung der fortschreitenden Entstellung der Viten zugearbeitet hätten, kam er neben solchen katholischen Autoren, die ältere Lebensbeschreibungen um der Kultivation des Stiles willen überarbeitet hätten, in allgemeiner Form auf die durch „Häretiker“ bedingte Korrumpierung der Texte zu sprechen: Die Häretiker haben nicht nur wiederholt Tatenberichte verdorben, indem sie in ausgezeichnete Tatenberichte hervorragender Heiliger fremdartige Abschnitte hineingeflochten haben, durch die sie diese, gleichsam mit Zeichen markiert, für sich beanspruchen wollten; vielmehr erklären sie auch die schändlichsten Leute ihrer Rotte zu Heiligen und deren gerechte Tötungen zu Martyrien. Ich übergehe Tanchelm, Johannes Hus und andere desselben Schlages, die zusammen mit Märtyrern und Päpsten der alten Kirche gleichsam als Verzierungen ihrer Kirche darzubieten sich unlängst einige dümmliche und schwachsinnige Menschen aus der Herde Calvins nicht geschämt haben. Fortlaufende Gaunerei ist ein Merkmal der Sektierer. 154

Um diese Problematik zu veranschaulichen, diskutierte er allerdings kein zeitgenössisches, sondern ein historisches Beispiel. Genauer könnte man sagen: Er aktualisierte ein Beispiel aus dem in diesem Kontext notorisch gewordenen Themenkreis des Donatismus, indem er die – nach heutiger Kenntnis vor 347 oder um 366 entstandene – Passio Donati als fabulös apostrophierte. Diese Passio (BHL nov. supp. 2303b) wurde in der Tat nicht in den Acta Sanctorum gedruckt. 155 Dies wiederum wirft die Frage auf, von welcher Art und Qualität genau die „Heiligen“ sein mussten, um mit ihrer Überlieferung in den Acta Sanctorum der Bollandisten Aufnahme zu finden.

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Vgl. Bolland, Praefatio, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, S. XXXVa–b: „Denique Vitæ sunt quædam omnino confictæ, aliæ ab hæreticis hominum improborum, à Catholicis aliæ styli exercendi gratiâ. De his infrà. Hæretici non solùm acta subinde corruperunt, exotica assuentes segmenta præclaris illustrium Sanctorum actis, quibus eos veluti insignitis notis vindicarent sibi; sed & suæ factionis homines flagitiosissimos veluti Sanctos, & iustas eorum cædes martyria prædicarunt. Omitto Tanchelinum, Ioannem Hus, & alios eiusdem farinæ, quos nuper stolidi quidam ac dementes homines è Caluini grege, æque ac veteres Ecclesiæ Martyres & Pontifices, velut Ecclesiæ suæ ornamenta ostentare non erubuerunt. Vsitata fraus est sectariorum.“ Vgl. ebd., S. XXXVb: „Specimen proferam perantiquum. Extat in quibus MSS. inter reliquorum acta Sanctorum, historia quædam aut fabula titulo Passionis Donati Martyris, […].“ Vgl. Saxer, Afrique (1994), S. 65; Franceso Scorza Barcellona, L’agiografia donatista, in: Africa cristiana. Storia, religione, letterature, hrsg. v. Marcello Marin/Claudio Moreschini (Letteratura cristiana antica. Studi), Brescia 2002, S. 125– 151, hier S. 145ff.; vgl. auch unten S. 421 Anm. 253.

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5.2.1 Canisius, Welser und Rosweyde Die vielleicht früheste Spur, die über hagiographische Interessen der Antwerpener Jesuiten Auskunft geben könnte, stammt aus einem Schreiben von Petrus Canisius an Welser vom 2. November 1594. In diesem ermutigte Canisius Welser, mit der von ihm geplanten Ausgabe der Vita Ulrichs von Augsburg fortzufahren. Canisius begrüßte es ausdrücklich, dass, wie Welser „von den Antwerpenern“ berichtet habe, diese daran dächten, die „Heiligen Belgiens aufzuschreiben und ans Licht zu bringen“. 156 Auf Rosweyde kann sich dies nicht bezogen haben. Rosweyde wurde erst nach seiner Priesterweihe im Jahr 1599 und nach dem Abschluss der Promotion am Collège d’Anchin in Douai, über die ein Schreiben von Lipsius an Jacques Bonfrère (1573–1642) vom 11. August 1600 Auskunft gibt, 157 nach Antwerpen berufen. 158 Gut ein halbes Jahr später, am 13. Juni 1595, beglückwünschte Canisius Welser zu der inzwischen erschienenen Ulrichsvita. Er betonte ihren Nutzen, der sich über die Augsburgische Bevölkerung hinaus erstrecke, und bestätigte Welser in seinem Vorgehen, sich der alten Version der Vita bedient zu haben. Auf diese Weise freilich würden „eher die wahren als die gefälligen“ Dinge publik gemacht. Canisius äußerte zugleich den Wunsch, dass weitere derartige Werke, „die heiligen und alten Priester und Bischöfe unserer Germania“ betreffend, vielleicht in Antwerpen publiziert würden, wie es für das „Werk über die belgischen Heiligen“ in Aussicht gestellt worden sei. 159 Ob sich Canisius allerdings ausdrücklich auf die Jesuiten –––––––— 156

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Canisius Marco Velsero iuniori, Friburgo Helvetiorum 2. Novembris 1594, in: Beati Petri Canisii Societatis Iesu epistulae et acta. Collegit et adnotationibus illustravit Otto Braunsberger, Bd. 8: 1581–1597, Freiburg i. Br. 1923, Nr. 2322, S. 379f., hier S. 379: „Valde opto ut pergas diui Vdalrici uitam quae apud te latet, suis depingere coloribus, patriaeque tuae patronum excellentem illustrare. Libenter accepi quae mones de Antuerpiensibus, quod Belgij sanctos describere et in lucem edere cogitent.“ Vgl. Lipsius (Louvain) to Jacques Bonfrère (Douai), 11 August 1600, in: Lipsius, Epistolae, Bd. 13: 1600, hrsg. v. Jan Papy, Brüssel 2000, Nr. 2844, S. 200f. Lipsius dankte Bonfrère, dass einige der jüngst am Collège d’Anchin entstandenen Doktorarbeiten ihm gewidmet worden waren: „Felices qui faciunt, talibus doctoribus! Et scio D’Ausquium et Heribertum nostros monita operasque conferre.“ Ebd., S. 200. Nach Papys Kommentar ebd. zu Z. 3, sind diese Arbeiten nicht erhalten; vgl. zu dem neben Heribert (Rosweyde) erwähnten Jesuiten Claude d’Ausque (1566 –1644) den Kommentar ebd., zu Z. 14. Vgl. Albert Poncelet, Art. Rosweyde, Héribert, in: Biographie nationale, Bd. 20, 1908–1910, Sp. 170–178, hier Sp. 171. Poncelets Chronologie ist die insgesamt präziseste. Canisius Marco Velsero iuniori, Friburgo Helvetiorum 13. Iunii 1595, in: Canisius, Epistulae, ed. Braunsberger, Bd. 8 (1923), Nr. 2337, S. 396–398, hier S. 396: „De literis tuis ad me humaniter scriptis gratias ago, quibus et munus egregium adiunxisti uitam nouam uiri Sanctissimi Vdalrici […].“ Ebd., S. 397: „Nec dubito fructum ex hac hystoria proditurum, quae non Augustanos modo, sed exteros etiam uarijs de rebus utiliter moneat ac instruat. Suo palato seruiant homines delicati, tuum ego

387 bezog, ist ungewiss. Bereits 1575, nachdem er von Surius darum gebeten worden war, De probatis Sanctorum historiis an den Apostolischen Stuhl zu überstellen, hatte sich Canisius dafür ausgesprochen, ein analoges Werk, einschließlich der Suche nach Handschriften und ihres Vergleichs mit den bisherigen Ausgaben, aus den Beständen der Bibliotheken Italiens zu erarbeiten. 160 Die Idee, nach Surius’ Vorbild weitere hagiographische Sammelwerke größeren Zuschnitts zu erstellen, war in jesuitischen Kreisen also schon länger reflektiert worden, ohne dass man daraus ein im eigenen Orden zu installierendes Projekt abzuleiten beabsichtigte. Der Jesuit Johannes Rethius (1532–1574), Leiter des Gymnasium Tricoronatum in Köln, hatte vor seinem Ableben insbesondere in Italien, aber auch, mittels Korrespondenzen, in Spanien, Portugal und Österreich ebenso ausdauernd wie zumeist erfolglos dafür geworben, Surius mit hagiographischen Materialien zur Hand zu gehen. 161 Der Gedanke an den Nutzen einer solchen Sammlung scheint jedenfalls durch die Kooperation und engen persönlichen Beziehungen zwischen der Kölner Kartause und den Kölner Jesuiten Eingang in die Debatten der Jesuiten gefunden zu haben. Man wird Canisius als spiritus rector der hagiographischen Studien im Jesuitenorden bezeichnen dürfen. Für den altertumskundlichen Zug, der diese letztlich bestimmen sollte, gilt dies allerdings nur mit Abstrichen. In Anlehnung an die grobe Chronologie der älteren bio-bibliographischen Werkverzeichnisse vertrat der Bollandist Albert Poncelet (1861– 1912) die Ansicht, dass Rosweyde sich zur Zeit des Studiums der Philosophie in Douai zwischen 1590 und 1594 und dem der Theologie in Löwen zwischen 1595 und 1598 in Klosterbibliotheken der Region mit handschriftlichen Traditionen beschäftigt haben dürfte. 162 Der Benediktiner Pitra sah –––––––—

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iudicium probo, quod ueterem uitae huius editionem bona fide seruaris, nimirum ut uenerandae antiquitati suus locus honosque constaret, ac uera potius, quam diserta in lucem prodirent. Atque utinam plures id genus historiae de Sanctis et Antiquis Germaniae nostrae pastoribus ac Episcopis euulgarentur. Optamus Antuerpiae typis excudi, quod promissum fuit opus de Diuis Belgicis, […].“ Vgl. Schellhass, Gelehrte (1911), S. 292f. Vgl. Petrus Canisius an Kardinal Ludovico Madruzzo, Innsbruck, 13. Mai 1575, in: ebd., Nr. 6, S. 311–313, hier S. 312: „Hic fidenter adiungam quod viris doctis et catholicae religionis amantibus valde consultum videri animadverto, ut Romae nimirum unus atque alter pontificis maximi auctoritate commotus praeclarum patris Surii laborem in colligendis sanctorum historiis feliciter emuletur promoveaturque. id vero futurum putant, si huiusmodi sanctorum historiae iam editae cum aliis manuscriptis exemplaribus, quae passim in italicis bibliothecis dilitescunt, sedulo conferantur, et plures aliae quae nondum editae sunt in lucem quoque proferantur, ut laudatissimum et utilissimum hoc historiarum genus, quod pater Surius evulgare mirabiliter coepit ac multi hactenus expectarunt, feliciter aliquando absolvatur.“ Vgl. Holt, Surius (1925), S. 66–70. Vgl. Poncelet, Art. Rosweyde, Héribert, in: Biographie nationale, Bd. 20, 1908–1910, Sp. 171; vgl. Art. Heribertvs Rosweydvs, in: Valeri Andreae Desseli S. I. Bibliotheca Belgica, 1643, S. 375: „Philosophiam Duaci didicit & docuit. Sacras item litteras

388 Rosweyde in der Semesterpause des Jahrs 1599 in der Benediktinerabtei von Liessies auftauchen. Mit Kenntnisnahme dortiger Bestände verband Pitra den eigentlichen Impuls für Rosweydes hagiographische Studien.163 Dies entspricht weithin Bollands Darstellung in der Einleitung der Januarbände, die de Winghes Nachfolger als Abt von Liessies Thomas Lytens (reg. 1637–1644) gewidmet war. Rosweyde habe sich, als er in Douai Philosophie lehrte – also mit Sicherheit nicht vor 1599 –, sofern er etwas Zeit erübrigen konnte, in den Benediktinerabteien der Region aufgehalten, „alte Codices“ durchgesehen und bis dahin nicht publizierte Tatenberichte der Heiligen abgeschrieben. Damals sei die Hoffnung auf ein größeres Werk in ihm erwachsen, die in den Fasti eine erste Form erhalten habe. 164 Roswey–––––––—

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Duaci & Antverpiæ professus est: à quibus studiis missione impetratâ, rudeque donatus animum ad scribendum appulit, & plerasque Belgii Bibliothecas lustravit atque excussit, Sanctorum Vitas aliaque eruit.“ Hier wurde also aus Gründen der Ökonomie nicht sehr genau zwischen dem Studium und späteren Lehrtätigkeiten, einschließlich Rosweydes mit Sicherheit nach 1600 erfolgender Versetzung nach Antwerpen, unterschieden. Im Anschluss daran wird seine Lehrtätigkeit in Douai bisweilen auf die „letzten Jahre des 16. Jahrhunderts“ ausgedeht und mit seinen bibliophilen Neigungen parallelisiert. Vgl. De Smedt, Fondateurs (1908), S. 295: „[…] tandis qu’il professait la philosophie au collège de la Compagnie à Douai, pendant les dernières années du seizième siècle, consacré les loisirs de ses vacances et de ses jours de congé à explorer les bibliothèques des nombreux monastères qui couvraient le sol du Hainaut et de la Flandre française et copié quantité documents relatifs à l’histoire ecclésiastique et particulièrement à l’hagiographie.“ Peeters, Œuvre (1942), S. 4f., sieht Rosweyde „pendant son premier séjour à Douai“ hagiographische Handschriften kopieren. Dies würde nach Poncelets Chronologie bedeuten, dass Rosweyde schon zu der Zeit, als er noch nicht einmal Novize war und bis 1588 die höhere Schulbildung bei den Jesuiten in Douai absolvierte, Manuskripte untersucht hätte. Weiterhin vertritt Peeters ebd., S. 5, die Ansicht: „La florissante abbaye de Saint-Martin à Tournai dut recevoir souvent la visite du jeune explorateur. Sans autre guide, semble-t-il, que son instinct de fureteur, il feuilletait les vieux manuscrits et prenait copie des documents qui lui paraissaient dignes d’attention.“ Es kann nur vermutet werden, dass Peeters diesen Eindruck aus der Tatsache gewonnen hat, dass Rosweyde im Jesuitenkolleg von Tournai sein Noviziat absolvierte und dort bis 1590 verblieb. Joassart, Introduction (2005), S. 11, sieht Rosweydes hagiographische Pläne nach 1588 entstehen. Eine von Rosweyde nachweisbar im 16. Jahrhundert kopierte Vita oder andere Zeugnisse, die auf eine solche Tätigkeit schließen ließen, sind allerdings nicht bekannt. Delehaye, Œuvre (21959), S. 12, verweist, ohne sich chronologisch festzulegen, auf hagiographische Interessen, die Rosweyde in Douai und später in Antwerpen neben seiner Studienund Lehrtätigkeit verfolgt habe. Vgl. Pitra, Études (1850), S. 9f.; vgl. auch Dehaisnes, Origines (1866/67), S. 436f.; Rooney, Architect (2000), S. 108. Vgl. Bolland, Praefatio, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, S. IX: „Ergo quo tempore eum [Rosweyde] philosophiam profitentem Duaci audiebas, ADMODVM REVERENDE DOMINE, si quid erat à scholis vacui temporis, ad vicina Ordinis vestri, antiquissima illa sanctissimaque, monasteria itabat: ibi se in bibliothecam abdebat, veteres codices scrutabatur, si quæ acta Diuorum vulgò ignorata reperiret, describebat diligenter. Et iam tum in spem venerat posse à se opus illud elaborari, cuius specimen quoddam, quasiq[ue] leuiter informatam imaginem ostentauit, Fastos Sanctorum, quorum Vitæ in Belgicis bibliothecis manuscriptæ; […].“

389 des Interessen sollten demnach nicht zu weit ins 16. Jahrhundert hinein verlängert werden. Der erste gehaltvolle Hinweis auf den Plan zu einer hagiographischen Sammlung, die sich mit dem Namen Rosweydes verbinden lässt, stammt aus einer wahrscheinlich von diesem selbst und vermutlich 1611 angefertigten Denkschrift. In ihr bezog er sich rückblickend auf den 7. Februar 1603. Rosweyde war damals Studienpräfekt in Antwerpen. Anlässlich einer Visitation durch den vormaligen belgischen Provinzial Olivier Manare (1523– 1614; reg. 1589–1594) scheint es zu einem Gespräch über Projekte gekommen zu sein, die von den Antwerpener Jesuiten verfolgt würden. Unter anderem habe sich Rosweyde zu Wort gemeldet und dahingehend geäußert, dass er selbst wiederholt die „Historien der Heiligen“ gelesen und bemerkt habe, dass vieles in ihnen „apokryph“ und bisweilen auch dem „rechten Glauben“ nicht entsprechend sei. Er ergänzte, dass „zahlreiche handschriftliche Viten der Heiligen in den belgischen Bibliotheken“ aufbewahrt würden, die er, „auch aus anderen Provinzen“, besorgen könne. Diese seien es wert, publiziert zu werden, „zum Schmuck der Kirche und Ruhm der Heiligen.“ 165 In dieser Denkschrift resümierte Rosweyde mit wenig Begeisterung die Anstrengungen, die er zwischen 1603 und 1611 unternommen hatte, um mit dem Projekt voranzukommen. 166 Rosweyde habe demnach sein Vorhaben –––––––— 165

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Vgl. den anonym publizierten: Plan conçu par le Père Rosweyde, de la Compagnie de Jésus, pour la publication des „Acta Sanctorum“, in: Analectes pour servir à l’histoire ecclésiastique de la Belgique 5 (1868), S. 261–270, hier S. 263–270, den Abdruck: Memoriale de Patris Heriberti Rosweydi instituto quoad Sanctorum historias et vitas illustrandas. Vgl. ebd., S. 263: „Cum reverendus pater Oliverius Manaraeus Belgicae provinciae visitatorem ageret, et nonnulla requireret, quae studia spectarent, et quo potissimum studii genere quis Ecclesiae prodesse, et Societatem illustrare posset; proposuit inter cetera pater Heribertus, se, legendo subinde sanctorum historias, animadvertisse multa apocrypha, nonnulla etiam rectae fidei non valde conformia. || Addebat, multas in Belgicis bibliothecis latere vitas sanctorum manuscriptas, multa quoque ex aliis provinciis posse impetrari, quas operae pretium esset in lucem prodire, ad Ecclesiae decus et sanctorum gloriam.“ Das Memoriale ist ein Dokument aus dem Ms. 259 der Bibliothek der Bollandisten. Der Zeitpunkt der Visitation lässt sich durch Manares Visitationsbericht verifizieren. Vgl. Joassart, Introduction (2005), S. 11 mit Anm. 15. Vgl. zur Frage des „Apokryphen“ unten S. 429ff. Vgl. Poncelet, Art. Rosweyde, Héribert, in: Biographie nationale, Bd. 20, 1908–1910, Sp. 173; Poncelet, Histoire, Bd. 2 (1928), S. 477 Anm. 2. Die Datierung auf 1611 ergibt sich aus einem auf acht Jahre bezifferten Zeitraum, der seit Manares Besuch vergangen und mit anderen Tätigkeiten ausgefüllt gewesen sei. Vgl. Memoriale Patris Heriberti Rosweydi (1868), S. 267: „Nam etsi ab octo annis rem proposuerit, et condeperit, tres eorum controversias docendo insumpsit, tres Antwerpiae impressionum cura et aliis occupatus impendit, ut jam ante declaratum est; duos reliquos Cortraci tum ordinario confessarii munere, tum praefectura scholarum occupavit.“ Etwas ungenau ist die Darstellung von Joassart, Introduction (2005), S. 11, der diese Denkschrift als den Manare 1603 unterbreiteten Plan bezeichnet: „En 1603, il remet à Olivier Manare […] un mémoire dans lequel il expose son projet.“ Dies geht wohl auf

390 auf Anraten Manares den consultatores der Provinz und, in ausgearbeiteter Form, dem Ordensgeneral in Rom unterbreitet. 167 Er habe überdies vorgeschlagen, dass Rosweyde mit Rom Kontakt aufnehmen solle. Rosweyde habe nämlich in Erfahrung gebracht, dass ein Gelehrter des Oratoriums schon länger in großem Umfang Heiligenviten zusammengetragen hatte. Hier galt es, der Gefahr entgegenzutreten, „wie ein Kahn hinter einem Lastschiff“ herzufahren, das sich bereits dem „Hafen“ näherte, während man selbst unter „großer Anstrengung“ mit der Sammlung erst beginnen würde. Rosweyde scheint also zu diesem Zeitpunkt über keine besonders große Zahl von Abschriften verfügt zu haben. Die Antworten, die er aus Rom von General Aquaviva (reg. 1581–1615) erhielt, bestätigten ihn allerdings in seinem Tun, unabhängig davon, was von den Vertretern des Oratoriums gerade unternommen werde. 168 Mit diesen Passagen des Memoriale befindet man sich im weiteren Vorfeld der Fasti. Der belgische Provinzial Bernard Olivier (reg. 1599–1604) habe Rosweyde nach Lüttich eingeladen. Dort verweilte er fünfzehn Tage, erstellte ein die hagiographischen Materialien der wichtigsten Bibliotheken Lüttichs betreffendes Inventar („catalogus“), das ihm behilflich sein sollte, „wenn er ernsthaft dem Werk sich zuzuwenden“ beginnen würde. 169 Die Fasti von 1607 dürften das Resultat weiterer mehr oder minder umfangreicher Recherchen gewesen sein. Rosweyde allerdings sollte zwischen 1604 und 1606 in den Kollegien von St. Omer und Antwerpen Kontroverstheologie unterrichten. Daher sei es ihm bewusst gewesen, wie er in der Denk–––––––— 167

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Delehaye, Œuvre (21959), S. 11, zurück: „L’idée fut accueillie et le visiteur demanda un mémoire […].“ Vgl. Memoriale Patris Heriberti Rosweydi (1868), S. 263: „Hujus rei tunc schedulam reverendus pater Oliverius visitator, ne memoria excideret, a patre Heriberto petiit, ut cum consultoribus provinciae Bruxellis conferre posset; quod fecit. || […] || Ubi, re plene percepta, ipse in Urbem ad reverendum patrem nostrum scripsit.“ Vgl. ebd., S. 263f.: „Jussit quoque, ut et pater Heribertus de eadem re Romam perscriberet. Et responsum tulere, ut opus aggrederetur. || Interea intelligit pater Heribertus quemdam Romae fuisse ex congregatione Oratorii, qui auctoritate Baronii in simili opere multos annos consumpsisset, atque adeo eidem fuisset immortuus. Ratus igitur multum illum in opere suo promovisse, et reliquisse in eodem genere multa, quae alius ex eadem congregatione brevi esset perfecturus; ne frustra laboraret pater Heribertus, et velut lembus post onerariam succederet, vel certe eas merces magno labore inciperet colligere, quas jam alius multis annis collegisset, et in portum paene intulisset, iterum Romam scripsit ad reverendum patrem nostrum scilicet, intellexisse se, alium ex congregatione Oratorii in vitis sanctorum colligendis jam annis multis versari. Quare si ille vel alius jam pridem incepta pergat pertexere, se frustra post telam licia collecturum. Reverendus pater noster dissimulato quid Romae in eo genere fieret, vel non fieret, iterum scribit, ut in instituto suo pergat pater Heribertus.“ Vgl. ebd., S. 264: „[…] reverendus pater Bernardus […] patrem Heribertum Leodium evocavit ad bibliothecas praecipuas ibi lustrandas. Ubi tunc ad quindecim dies haesit, et excerpsit ex variis bibliothecis rerum praecipuarum catalogum, ut in tempore, cum serio se operi applicare inciperet, libros manuscriptos evocare posset.“ Vgl. zur Person Poncelet, Bd. 1 (1927), S. 387f. Anm. 8.

391 schrift rückblickend monierte, dass er für die Viten selbst kaum Zeit würde erübrigen können. Er habe Olivier sogar vorgeschlagen, das Projekt niederzulegen – ein Ansinnen, dem der Provinzial dadurch entgegentrat, dass er ihn sobald, als möglich, von dieser Verpflichtung zu entbinden versprochen habe. 170 Rosweydes Denkschrift ist das Zeugnis eines Ringens um investigativen Raum in einem Orden, der sich in erster Linie der Lehre verpflichtet wusste. Wiederholt hatte Rosweyde die Relevanz, die Realisierbarkeit und Form seines Vorhabens zu begründen. Würde das Werk nicht Surius’ Ruhm verdunkeln und die Kölner Kartäuser verletzen? Wäre nicht manches Fabulöse und Abschweifende „in den originalen Viten der Heiligen“ enthalten, das besser ungedruckt bliebe? Würde sich überhaupt ein Drucker finden lassen? Handelte es sich um einen Plan, der von einer einzigen Person umgesetzt werden könnte? 171 Daran, das Unternehmen von Beginn an auf breitere Füße zu stellen, dachte offensichtlich niemand. Wie ein kirchen- oder ordenspolitisch ernsthaft erwünschtes Werk größeren Umfangs konzipiert und zu Ende geführt wurde, könnte kontrastiv anhand der Annales ecclesiastici oder Mabillons Acta Sanctorum Ordinis Sancti Benedicti studiert werden. Dominique Bertrand konnte auf dem Gebiet der patristischen Editorik zwar eine große Zahl editorischer Erzeugnisse nachweisen, die von einzelnen jesuitischen Gelehrten vorgelegt worden sind. Er bemerkte aber „no systematic editing or study plan.“ 172 Die Abwendung vom Cönobitentum und dem Prinzip der stabilitas loci 173 bot im mehrfachen Wortsinn nur wenig Raum für langfristig angelegte und in größeren Gruppen an ein und demselben Ort zu verfolgende gelehrte Studien. In dem nach 1607 immerhin neu errichtete Antwerpener Professhaus der Jesuiten wirkten Bolland und Henschen, nach Papebrochs Darstel–––––––— 170

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Vgl. Memoriale Patris Heriberti Rosweydi (1868), S. 265f.: „Et, quia controversiarum professio tunc impraeparato et inopinato proposita totum hominem requirebat, nec interea tempus esset vacandi sanctorum vitis, rogavit reverendum patrem Bernardum provincialem, ut liceret sibi sanctorum plane deponere, et cura ea se plene exsolvere. […] Noluit tamen reverendus pater Bernardus provincialis, […] ut plane eam curam deponeret; sed jussit, ut tantum seponeret in commodius tempus, quo a controversariarum professione liberandus esset. || Liberatio ea post triennium a professione controversiarum contigit.“ Vgl. ebd., S. 268f., mit einigen Einwänden, die Rosweyde auszuräumen hatte: „I. Videtur opus, quod molitur pater Heribertus, offuscaturum gloriam Surii, et patres Carthusianos offendendos. || […] || II. Multa fabulosa et digressiones in vitis sanctorum originalibus occurrunt, quae non videntur ita edenda. || …]. || III. Non videtur futurus ullus typographus, qui tam vastum opus volet imprimere. || […] || IV. Pro tam vasto opere emoliendo requiritur aetas unius hominis et forte plurium.“ Vgl. Dominique Bertrand, The Society of Jesus and the Church Fathers in the Sixteenth and Seventeenth Century, in: The Reception of the Church Fathers in the West. From the Carolingians to the Maurists, hrsg. v. Irena Backus, Bd. 2, Leiden/New York/Köln 1997, S. 889–950, hier S. 933. Vgl. Switek, Eigenart (1990), S. 217ff., 229ff.

392 lung, bis 1647 in zwei schummerigen Dachkammern. Bücher und Manuskripte waren nicht in Regalen untergebracht gewesen, sondern hatten in Stapeln und Haufen beherrscht werden müssen. Nicht zuletzt wegen der schweren Krankheiten, die Bollands Beweglichkeit zunehmend beeinträchtigten und ihm das Ersteigen der Treppen erschwerten, hatte man dem Unternehmen dann einen wohl wenig genutzten Saal in einem Geschoss oberhalb des Speisesaals – „aulam (quæ, supra commune refectorium haud vltra primam contabulationem educta, toto pene anno manebat vacua)“ – konzediert. 174 Unbenommen der Tatsache, dass sich der Jesuitenorden, jenseits des Engagements im höheren Bildungswesen, 175 aufgrund der Summe gelehrter Werke, die von seinen Angehörigen im Laufe der Zeit vorgelegt wurden, den Ruf eines Wissenschaftsordens erarbeitete, 176 brachte seine –––––––— 174

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Vgl. Papebroch, Tractatus de vita Bollandi, AASS Martii, 1668, S. XVIa, XVIIIa–b, Zitat S. XVIIIb. Vgl. Delehaye, Œuvre (21959), S. 27; Hausberger, Werk (1980), S. 221. Vgl. im Überblick Horst Nising, „… in keiner Weise prächtig“. Die Jesuitenkollegien der süddeutschen Provinz des Ordens und ihre städtebauliche Lage im 16.– 18. Jahrhundert, Petersberg 2004, S. 28–35; ferner Karl Hengst, Jesuiten an Universitäten und Jesuitenuniversitäten. Zur Geschichte der Universitäten in der Oberdeutschen und Rheinischen Provinz der Gesellschaft Jesu im Zeitalter der konfessionellen Auseinandersetzung (Quellen und Forschungen aus dem Gebiet der Geschichte, N. F. 2), Paderborn/München/Wien/Zürich 1981; Laetitia Boehm, Universität in der Krise? Aus der Forschungsgeschichte zu katholischen Universitäten in der Aufklärung am Beispiel der Reformen in Ingolstadt und Dillingen, in: ZBLG 54 (1991), S. 107–157; Carsten Rabe, Alma Mater Leopoldina. Kolleg und Universität der Jesuiten in Breslau 1638–1811 (Neue Forschungen zur Schlesischen Geschichte 7), Köln/Weimar/Wien 1999; Michael Müller, Die Entwicklung des höheren Bildungswesens der französischen Jesuiten im 18. Jahrhundert bis zur Aufhebung 1762–1764. Mit besonderer Berücksichtigung der Kollegien von Paris und Moulins (Mainzer Studien zur Neueren Geschichte 4), Frankfurt a. M./Berlin/Bern [u. a.] 2000; Fidel Rädle, Gegenreformatorischer Humanismus. Die Schul- und Theaterkultur der Jesuiten, in: Späthumanismus. Studien über das Ende einer kulturhistorischen Epoche, hrsg. v. Notker Hammerstein/Gerrit Walther, Göttingen 2000, S. 128–147; Andreas Wendland, Jesuitenkolleg und Krisenerscheinungen im geistlichen Territorium – Frühneuzeitliche Fallbeispiele aus dem Fürstbistum Basel, in: Kretschmann/Pahl/Scholz (Hrsg.), Wissen (2003), S. 57–78. Teilweise wurde das Vordringen der Jesuiten im Bildungsbereich seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert als eine den Späthumanismus einleitende Epochenmarke betrachtet. Vgl. Markus Friedrich, Zwischen „Späthumanismus“ und „Standeskultur“. Neue Forschungen zur intellektuellen und sozialen Situation von Gelehrten um 1600, in: Wege in die Frühe Neuzeit. Werkstattberichte, hrsg. v. Arndt Brendecke/Wolfgang Burgdorf (Münchner Kontaktstudium Geschichte 4), Neuried 2001, S. 61–91, hier S. 71 mit Anm. 33. Eine Orientierung ermöglichen Günter Switek, Jesuiten, in: LThK, Bd. 5, 31996, Sp. 794–800, hier Sp. 796f.; Luce Giard, Art. Jésuites, in: La science classique. XVIe–XVIIIe siècle. Dictionnaire critique, hrsg. v. Michel Blay/Robert Halleux, Paris 1998, S. 69–74; Giard (Hrsg.), Jésuites (1995); Luce Giard/Louis de Vaucelles (Hrsg.), Les Jésuites à l’âge baroque (1540-1640) (Collection Histoire des jésuites de la Renaissance aux Lumières), Grenoble 1996; O’Malley/Bailey/Harris [u. a] (Hrsg.), Jesuits (1999); Mordechai Feingold (Hrsg.), Jesuit Science and the Republic of Letters (Transformations. Studies in the History of Science and Technology), Cam-

393 Verfassung keine Kultur des Skriptoriums hervor, welche die gelehrte Produktion der alten Buchorden nach wie vor bestimmte. Dies gilt nicht nur für die Benediktiner der Kongregation von St. Maur, sondern auch für die Kartäuser, die sich lange vor der Erfindung des Buchdrucks der Gewohnheit verschrieben hatten, das eigene Seelenheil mit der Herstellung und Verbreitung von Büchern in Beziehung zu setzen: „[…] vom Herrn den Lohn erhoffend für all diejenigen, die durch sie entweder in ihrem Irrtum korrigiert oder in der katholischen Wahrheit vorangekommen sein werden, für all diejenigen auch, die entweder über ihre Sünden und Laster Reue empfunden haben oder vom Wunsch nach der himmlischen Heimat entflammt sein werden.“ 177 –––––––—

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bridge, Mass./London 2003; ders. (Hrsg.), The New Science and Jesuit Science. Seventeenth Century Perspectives (Archimedes 6), Dordrecht/Boston/London 2003. Monographische Arbeiten zu einzelnen Autoren, Werken und Themen existieren in inzwischen erheblicher Zahl. Um einen Eindruck von der Bandbreite zu vermitteln, sei etwa verwiesen auf Barbara Bauer, Jesuitische „ars rhetorica“ im Zeitalter der Glaubenskämpfe (Mikrokosmos 18), Frankfurt a. M./Bern/New York 1986; Astrid Jahreiß, Grammatiken und Orthographielehren aus dem Jesuitenorden. Eine Untersuchung zur Normierung der deutschen Schriftsprache im Unterrichtswesen des 18. Jahrhunderts (Germanistische Bibliothek. Reihe 3: Untersuchungen [N. F. 16]), Heidelberg 1990; Roman Darowski, Studies in the Philosophy of the Jesuits in Poland in the 16th to 18th Centuries, Krakau 1999; Ugo Baldini, Saggi sulla cultura della Compagnia di Gesù (secoli XVI–XVIII), Padua 2000; Sven K. Knebel, Wille, Würfel und Wahrscheinlichkeit. Das System der moralischen Notwendigkeit in der Jesuitenscholastik 1550–1700 (Paradeigmata 21), Hamburg 2000; Augustín Udías, Searching the Heavens and the Earth. The History of Jesuit Observations (Astrophysics and Space Library 286), Dordrecht/Boston/London 2003; Maria Teresa Borgato (Hrsg.), Giambattista Riccioli e il merito scientifico dei gesuiti nell’età barocca (Biblioteca di „Nuncius“. Studi e testi 44), Florenz 2002; Volker R. Remmert, Im Zeichen des Konsenses. Bibelexegese und mathematische Wissenschaften in der Gesellschaft Jesu um 1600, in: ZHF 33 (2006), S. 33–66; Bianca Maria Rinaldi, The „Chinese Garden in Good Taste“. Jesuits and Europe’s Knowledge of Chinese Flora and Art of the Garden in the 17th and 18th Centuries (Schriftenreihe des Zentrums für Gartenkunst und Landschaftsarchitektur der Universität Hannover 2), München 2006. Guigues Ier Prieur de Chartreuse, Coutumes de Chartreuse. Introduction, texte critique, traduction et notes par un Chartreux (Sources Chrétiennes 313. Série des textes monastiques d’occident 52), Paris 1984, c. 28,4, S. 224: „Quot enim libros scribimus, tot nobis veritatis praecones facere videmur, sperantes a domino mercedem, pro omnibus qui per eos vel ab errore correcti fuerint, vel in catholica veritate profecerint, pro cunctis etiam qui vel de suis peccatis et viciis compuncti, vel ad desiderium fuerint patriae caelestis accensi.“ Aufgrund des restriktiven Schweigegebots erfüllten die Bücher für die Kartäuser eine mediale Ersatzfunktion. Vgl. ebd., c. 28,3: „Libros quippe tanquam sempiternum animarum nostrarum cibum cautissime custodiri et studiosissime volumus fieri, ut quia ore non possumus, dei verbum manibus predicemus.“ Die Consuetudines waren zwischen 1121 und 1128 entstanden. Vgl. Un Chartreux, Introduction, in: ebd., S. 7–143, hier S. 17; vgl. dazu grundsätzlich Ulrich Köpf, Zur Spiritualität der frühen Kartäuser und Zisterzienser, in: Bücher, Bibliotheken und Schriftkultur der Kartäuser. Festgabe zum 65. Geburtstag von Edward Potkowski, hrsg. v. Sönke Lorenz (Contubernium 59), Stuttgart 2002, S. 217–231, hier S. 224f., 227; zur Handschriften- und Buchproduktion der Kartäuser auch Uwe Ned-

394 Die Jesuiten hatten, als Mendikantenorden, ferner darauf zu achten, mit ihren Ressourcen vorausschauend und ökonomisch umzugehen. Auch dies mag dazu beigetragen haben, dass Rosweydes Vorhaben verschiedene Expertisen auf sich vereinigte, die das Konzept aber kaum beeinflusst zu haben scheinen. Welser, den die Ordensleitung bereits zur Zeit Oliviers als externen Ratgeber beigezogen zu haben scheint, habe etwa vorgeschlagen, nicht kalendarisch vorzugehen, sondern die Viten chronologisch zu ordnen. 178 Wäre es insgesamt nicht sinnvoller, die Viten der in Belgien verehrten Heiligen in einem Band herauszugeben, ergänzt um einige von Surius noch nicht erfasste Stücke, schrieb der Ordensgeneral am 5. September 1609 an den belgischen Provinzial? 179 Kardinal Robert Bellarmin (1542–1621) äußerte nach der Lektüre der Fasti nicht nur Zweifel an der Realisierbarkeit des von Rosweyde vorgelegten Plans, 180 sondern stellte seinen Gewinn ganz grundsätzlich in Frage. Denn „in den ursprünglichen Historien dürften zahlreiche unhaltbare, ungereimte, unwahrscheinliche Dinge enthalten sein, die eher Lachen als Erbauung hervorrufen dürften: dies nämlich ist der Grund gewesen, der Surius dazu gezwungen hat, vieles zu entfernen oder zu verändern.“ 181 Der namhafteste katholische Kontroverstheologe der Zeit vermochte mit Rosweydes Vitensammlung also keinen kontroverstheologischen Gewinn –––––––—

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dermeyer, Von der Handschrift zum gedruckten Buch. Schriftlichkeit und Leseinteresse im Mittelalter und in der frühen Neuzeit. Quantitative und qualitative Aspekte, Bd. 1: Text (Buchwissenschaftliche Beiträge aus dem deutschen Bucharchiv München 61), Wiesbaden 1998, S. 229ff., 332f. Vgl. Memoriale Patris Heriberti Rosweydi (1868), S. 265 Anm. 2; Poncelet, Art. Rosweyde, Héribert, in: Biographie nationale, Bd. 20, 1908–1910, Sp. 172 Anm. 1. Poncelet zitiert hier ein weiteres Memoriale von 1608, das in der Bibliothek der Bollandisten erhalten sei. Vgl. Poncelet, Histoire, Bd. 2 (1928), S. 477 Anm. 1. Vgl. Bellarmin an Rosweyde, Rom, 7. März 1608, in: De Smedt, Fondateurs (1908), S. 297f., hier S. 297: „Legi attente nec sine voluptate praefationem Fastorum, percurri caetera quae libello continentur. Probarem consilium tuum per omnia, nisi duo me terrerent, immensitas operis, quae tempus prope infinitum requirat, et magnitudo sumptuum, qui in tanto opere coemendo faciendi erunt.“ Bekannter ist die von Bolland geschilderte Anekdote, dass sich Bellarmin gefragt habe, ob Rosweyde 200 Jahre zu leben erwarte. Vgl. Bolland, Praefatio, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, S. XXIIIa: „[…] Cardinalis Bellarminus […] quæsivit quâ ætate is esset qui ista promitteret. Vbi didicit iam annos ferè 40. habere, sciscitatus est, an ei esset exploratum se ad 200. annos esse victurum? Neque enim, inquit, minori spatio temporis, ab homine vno res tanta perfici pro dignitate potest.“ Vgl. Delehaye, Œuvre (21959), S. 15; Peeters, Œuvre (1942), S. 10; Hausberger, Werk (1980), S. 215; Saxer, Ricerca (1984), S. 335; Gordini, Opera (1991), S. 58; Ditchfield, Liturgy (1995), S. 127; Rooney, Architect (2000), S. 109. Vgl. Bellarmin an Rosweyde, Rom, 7. März 1608, in: De Smedt, Fondateurs (1908), S. 297: „[…] in originalibus historiis multa sint inepta, levia, improbabilia, quæ risum potius quam aedificationem pariant: haec enim causa fuit, quae Surium coegit multa detrahere, vel mutare.“

395 zu verbinden. Dies dürfte einer der Gründe dafür gewesen sein, dass ihr keine Priorität eingeräumt wurde. Aquaviva tendierte eher dazu, in der deutschen und belgischen Provinz drei oder vier kirchengeschichtlich orientierte Akademien einzurichten, die der Ausbildung jesuitischer Gelehrter mit in der Tat kontroverstheologischer Zielsetzung dienen sollten. Es ist offensichtlich, dass die Ordensleitung Rosweyde für dieses Vorhaben zu gewinnen suchte. Mit der Unterstützung des Historiographen und Kontroverstheologen Charles Scribani (1561–1629), der zwischen 1598 und 1612 Rektor des Antwerpener Kollegs war, wurde eine solche Akademie 1612 in Antwerpen, allerdings gegen die Ratschläge des belgischen Provinzials, formal ins Leben gerufen. Da sie ihren Betrieb aufgrund einer nur mangelhaften Ausstattung kaum aufzunehmen in der Lage war, wurde sie Mitte des Jahres 1614 nach Löwen transferiert und unter die Aufsicht des neuen Provinzials Scribani gestellt. Ohne nennenswerte Spuren hinterlassen zu haben, scheint sie mit dem Ableben Aquavivas 1615 eingegangen zu sein. 182 Bellarmin wiederum protegierte die Etablierung eines unter dem Namen Museum Bellarminianum bekannt gewordenen Forums jesuitischer Gelehrter. Dieses sollte auf das kontroverse Tagesgeschehen reagieren und damit ein organisiertes Gegengewicht insbesondere zu der in die Spanischen Niederlande strömenden calvinistischen Publizistik bilden. Als ein lange Zeit personal definierter Zirkel bezog das Museum zu Beginn des 18. Jahrhunderts festen Sitz in Mechelen, nun mit dem primären Ziel, die Theologen des Jansenismus zu bekämpfen. 183

5.2.2 Eine Frage des Stils Der von Rosweyde in den Fasti vorgestellte Entwurf ist häufig beschrieben worden. Er sah zunächst 16 Bände „De vitis Sanctorvm“ vor. Auf die ersten drei Bände: „j. De vita Christi & festis eius“, „ii. De vita B. Mariæ & festis eius“, „iii. De SSorum Festis diebus publicè solemnibus“, folgten die zwölf Kalenderbände (Bd. iiij–xv) sowie „xvj. Martyrologia variorum.“ Von zwei komplementären Bänden diente der eine der inhaltlichen Kommentierung. Der andere sollte aus Indices bestehen und die Erschließbarkeit des Werkes –––––––— 182

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Vgl. Poncelet, Histoire, Bd. 2 (1928), S. 470ff.; den analogen Weg nahm der Versuch, ein solches Seminar in München einzurichten. Vgl. Benz, Tradition (2003), S. 515f.; zu Scribani Lodewijk Brouwers, Carolus Scribani (Archives et bibliothèques de Belgique. Numéro spécial 17), Brüssel 1977, S. 1–25; Falla, Apologie (1983), S. 48 mit Anm. 4; A. Meskens, The Jesuit Mathematics School in Antwerp in the Early Seventeenth Century, in: The Seventeenth Century 12 (1997), S. 11–22, hier S. 12f. Poncelet, Histoire, Bd. 2 (1928), S. 475ff.; Jos Andriessen, L’apostolat de la plume, in: Deneef/Dusausoit/Evers [u. a.] (Hrsg.), Jésuites (1992), S. 65–73, hier S. 71f.

396 sicherstellen. 184 Die vier Prinzipien, nach denen vorzugehen sei, erläuterte Rosweyde auf knapp anderthalb Seiten seines in-8o publizierten Büchleins. Erstens wären die „von anderen herausgegebenen Viten wie von Aloisius [Lipponano], Surius etc.“ vollständig zusammenzutragen. Zweitens seien „dieselben Viten mit Handschriften und alten Büchern zu vergleichen“, und dies aus einem doppelten Grund. 185 Zunächst sei zu bedenken, dass: der erste und ursprüngliche Stil, weil er ein ungeschliffener war, von den Herausgebern oft in einen verfeinerteren verwandelt worden ist. Hiermit ist bewirkt worden, dass die Autorität der Vita vermindert und die Wahrheit der Historie solange fortlaufend verringert worden ist, bis einige, nicht recht verstandene Dinge in einen anderen Sinn gewendet werden. Hierüber klagen gelehrte Männer und vor anderen der hervorragende Kardinal [Baronio] in den Annalen. […] Für jene nämlich, sagt Basileios der Große, da sie Bilder aus Bildern abzeichnen, ist es nötig, von der ersten Gestalt Gebrauch zu machen, sobald sie beginnen, davon abzuweichen. So ist es in der Tat: die Kunstfertigkeit hat die Wahrheit preisgegeben, und weil die Gefälligkeit des Stils erwünscht wird, wird die Gefälligkeit der Tugenden vernachlässigt. Aufgrund welcher [dafür] unempfänglichen Entscheidung, frage ich, sollte dir das versilberte Antlitz der Figuren als Materie vor Augen geführt werden, du selbst aber sollst in Unkenntnis dessen bleiben? Die Heiligen lieben, dass ihre Ehre in ihrer Gesichtsfarbe, nicht mit Schminke ausgedrückt wird: […]. 186

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Vgl. Rosweyde, Fasti, 1607. Beneuole Lector, S. 8–10. Der erste Band mit annotationes sollte acht Bücher umfassen: „j. De Auctoribus vitarum SS. || ij. De Tormentis SS. || iij. De Imaginibus SS. || iiij. De ritibus Ecclesiæ, quorum hîc mentio. || v. De ritibus Profanis, quorum hîc mentio. || vj. De Tempore, seu Chronologia. || vij. De locis, seu Chorographia. || viij. De verbis obscuris ordine alphabetico.“ Ebd., S. 9. Vgl. Delehaye, Œuvre (21959), S. 13f.; Peeters, Œuvre (1942), S. 8f.; Hausberger, Werk (1980), S. 215; Saxer, Ricerca (1984), S. 334f.; Gordini, Opera (1991), S. 51; Rooney, Architect (2000), S. 111. Vgl. Rosweyde, Fasti, 1607. Beneuole Lector, S. 11: „Modus tractandi hic iste. || i. Conquirere vndique vitas ab alijs editas, vt Aloysio, Surio, &c. || ij. Easdem vitas cum MS. & veteribus libris conferre, caussâ duplici: || […].“ Ebd.: „1a. Quod sæpè primus & germanus stylus, quia rudis, in politiore[m] ab editoribus mutatus: ex quo factum vt vitæ auctoritas sit imminuta, & historiæ veritas subinde labefactata, dum quædam non ritè intellecta in alium sensum vertuntur. Deplorant hoc viri docti, & præ cæteris Illust. Cardinalis in Annalibus. […] Illi enim, ait Magnus Basilius, cùm ex imaginibus imagines depingunt, à primâ, vti necesse est formâ, vt plurimu[m] recedunt. Ita est profectò, Ars veritate[m] perdidit, & quonia[m] styli gratia quæritur, negligitur virtutu[m]. quò quæso tibi argentea facies surdo figurarum discrimine, vt materia conspiciatur, ipse ignotus maneas? Sancti honorem suum colore suo, non fuco exprimi amant: […].“ Der Bezug auf Baronio erschließt sich durch die Ausgabe der Vitae patrum, ed. Rosweyde, 1615. Lectori [eine Seite unpaginiert, vor dem Index]: „BARONIVS tom. III. anno Christi CCCLVI. || Sicut effossum informe aurum & rude eò carius esse solet, quòd nihil videatur alterius metalli habere commixtum: ita egregia monumenta suâ ipsius vetustate atque simplicitate micantia, quibus res potiùs quàm verba in pretio esse solent, gratiora planê erunt atque iucundiora quouis scripto recentioris auctoris, quibuscumque eloquentiæ phaleris exornato. Quidquid enim obducitur fuco atque pigmentis, suspectum redditur; pulchriorque enitescit ipsâ suâ puritate simplicitas, quæ quòd mentiri nesciat, omne quamuis ad ornatum compositum velamentum abhorret.“ Vgl. Baronio, Annales ecclesiastici, Bd. 3: Jncipiens ab Imperio Constantini Magni, perducitur vsque ad Constantij

397 Zudem seien „die Viten häufig nicht vollständig herausgegeben worden“. Mal fehlte der Prolog, mal entbehrten sie der Mirakelberichte, mal habe man das Unverständliche entfernt. 187 Drittens müssten auch die noch nicht gedruckten Viten „von überall her“ besorgt und mit den anderen verglichen werden. Viertens und letztens sollten in den beiden kommentierenden Bänden die gedruckten wie ungedruckten Viten erläutert werden, um „die unverständlichen Dinge klarzustellen, die einander widerstreitenden zu versöhnen und andere darzulegen […].“ 188 Der universale Anspruch, der sich mit Rosweydes Vitensammlung assoziierte, mag, wie später Papebroch bemerkte, von einem in der Ausführung limitierten Zugriff geprägt gewesen sein. Rosweyde habe sich bei der Suche nach Gütern vor allem auf die Gebiete „innerhalb Belgiens“ und die „Belgien nahen Orte“ beschränkt: „Die äußersten Grenzen seines Bemühens sind Köln, Trier und Paris gewesen; und diese freilich sind sehr sparsam und auf bescheidene Weise von einigen Freunden untersucht worden. Was aber Bolland? Bolland hat es gewagt, ganz Europa in Augenschein zu nehmen, so weit, wie sich unsere Gesellschaft verbreitet hat […].“ 189 Rosweyde hatte allerdings sehr wohl Kontakte etwa mit der Bibliothek des Oratoriums in Rom. 190 Auf die Vermittlung des aus Douai stammenden und im portugiesischen Coimbra lehrenden Jesuiten Antoine Laubegeois (1572–1626) erhielt er 1608 eine Reihe zumeist aus liturgischen Schriften abgeschriebener Kurzviten in Portugal verehrter Heiliger. Sie rührten aus Laubegeois’ eigenen Beständen und jenen des Jesuiten Pedro Francisco (* 1569) her. 191 –––––––—

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eius filij obitum: complectitur annos LV. sextum ex parte tantum attingit, ed. nov. 1624, Sp. 780f., Nr. XCI, ad an. 356: „[…]: quæ quidem scripta licet (vt in alijs sæpe accidit) ex nimia antiquitate nonnihil videantur esse mendosa; tamen sicut effossum informe aurum & rude eo carius esse solet, quod nihil videatur alterius metalli habere commixtum; ita tanti confessoris egregia monumenta, […].“ Rosweyde, Fasti, 1607. Beneuole Lector, S. 11: „2a. Quia sæpè vitæ non integrè editæ, dum nunc Prologus, nunc Miracula, nunc obscuriora omittuntur.“ Vgl. ebd., S. 12: „3. Vitas nondum editas, vndequaq[ue] conquirere, & alijs ita, vti dixi, recognitas interferre. || 4. Vitas omnes tam editas quàm ineditas illustrare: obscura explicare, pugnantia conciliare, & alia præstare, quæ duobus libris præcedentibus Illustrationum promittuntur.“ Papebroch, Tractatus de vita Bollandi, AASS Martii, 1668, S. VIIb–VIIIa: „Etenim Rosweydus intra Belgium ferè & loca vicina Belgio propositæ sibi collectionis spem omnem concluserat: Coloniæ, Treuiri, Parisiique extremi conatuum eius limites fuerant; & hi quidem parcè admodum timideque tentati per amicos pauculos. Quid autem Bolland? Ausus est totam circumspicere Europam, quàm latè nostra se diffundit Societas […].“ Vgl. auch De Smedt, Fondateurs (1908), S. 301: „Rosweyde avait borné ses recherches de textes originaux aux bibliothèques de la Belgique et des régions voisines: il n’était pas allé au delà de Paris au Sud, et de Cologne et de Trèves à l’Est. Bolland fit appel à des correspondants, soit jésuites, soit étrangers à la Compagnie, résident dans les différents pays de l’Europe entière.“ Vgl. unten S. 610f. Laubegeois an Rosweyde, Coimbra, 28. Mai 1607, BRB, Coll. boll. Ms. 8590–98 (3477), fol. 125v. Es folgte ebd., fol. 126r–127r, ohne Titel eine an Rosweyde adres-

398 In den späteren Dossiers beispielsweise der hl. Irene von Santarém († 635), 192 der als spätantike Märtyrerin verehrten hl. Engratia von Zaragossa, 193 eines in Braga zu Tode gekommenen Märtyrers mit Namen Victor 194 und der heiligen Verissimus, Maxima und Julia 195 benutzten die Bollandisten jedoch nicht diese Viten und Passiones, sondern griffen zumeist auf die gedruckten Breviarien des 16. Jahrhunderts oder auf Tamayo de Salazars Martyrologium Hispanicum zurück. 196 Es ist offensichtlich, dass Ros–––––––—

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sierte Aufstellung der Laubegeois in Coimbra zugänglichen Viten („Habet A. Laubegeois […]“) und eine Liste: Vitæ SS. quas penes se habet P. Franciscus Petrus Societatis Jesu in Collegio Bracarensi, ebd., fol. 128r. Dem ging ebd., fol. 124v, eine Notiz Henschens voran: „Vitæ SS. Lusitaniæ quas P. Heriberto Rosweydo, procurante P. Antonio Laubegois [!], Bracarâ misit R. Petrus Franciscus.“ Daran schloss ebd. auf eine für die Collectanea bollandiana typische Weise in der Hand Papebrochs ein Namen und Festtage der Heiligen erfassendes Kurzinventar der anschließenden Viten an („Verissimus Maximus [!] Julia – 1o. Oct. || Irene V. M. Scalabi – 20 Oct. || […]).“ Vgl. zu den Personen Art. Francisco, Pierre, in: Sommervogel, Bd. 3 (1892), Sp. 928; Art. Antoine Laubegeois, in: Sommervogel, Bd. 4 (1893), Sp. 1554f. Vita S. Irenæ virginis & martyris 20. die Octobris. Ex Breuiario Bracharensi, BRB, Coll. boll. Ms. 8590–98 (3477), fol. 130r–132r. Inc.: „Tempore quo in Lusitania Dynasta inclytus, […].“ Expl.: „[…] ex sanctarum reliquiarum tactu curati sunt, ad laudem Chr[ist]i cui est honor et gloria in sæcula sæculorum amen.“ In Natali S. Engratiæ uirginis et martyris ex Breuiario monasterij S. crucis Conimbricensis. 2o. die Aprilis alibi 16. die eiusdem mensis, ebd., fol. 133r–134v. Inc.: „Temporibus diocletiani et maximiani imperatoru[m] fuit contra Dei ecclesiam […].“ Expl.: „[…] tene[n]tes candelabra cum cereis ac dentibus atq[ue] turribula [!] odorem fumigantia.“ In Natali S. Victoris martyris Bracarensis. ex Breuiario Bracarensi: 12. die Aprilis, ebd., fol. 132r–133r. Inc.: „Beatus uictor martyr in Chr[ist]i confessione passus est pridie idus aprilis in suburbio Bracaræ Augusta: […].“ Expl.: „[…] inter eos qui passi sunt sub diocletiano Jmperatore.“ Vita Sanctorvm Verrissimi, Maximæ, & Juliae martyr[um]. 1. die Octobris. Ex officio proprio Ulysiponensis Ecclesiæ, ebd., fol. 129r–130r. Inc.: „Verissimus, Maxima, & Julia Ulysiponenses in Lusitania, quos non solum caro, et sanguis, sed eadem fides, […].“ Expl.: „[…], qui eorum corpora ad Cœnóbium monialium S. Jacobi, ut augustiorem locum, transferenda curauit.“ Vgl. G[odefridus] H[enschenius], De Sancto Victore, Martyre Bracaræ in Portvgallia, in: AASS Aprilis, Bd. 2, 1675, 12. April, S. 78f.; ders., De S. Encratide, sive Engratia, Virgine et Martyre Cæsaravgvstæ in Hispania, in: ebd., 16. April, S. 411f.; J[oannis] S[tiltingus], De SS. Verissimo, Maxima et Julia MM. Vlyssipone in Lvsitania, AASS Octobris, Bd. 1, 1765, 1. Okt., S. 26–29. J[oseph] v[an] H[ecke], De S. Irene, Virgine sanctimoniali et Martyre, Scalabi, in Lusitania, in: AASS Octobris, Bd. 8, 1853, 20. Okt, S. 909–912. Der in diesem Dossier publizierte Text stützte sich auf Flórez’ España sagrada aus dem 18. Jahrhundert. Vgl. Commentarius prævius, ebd., S. 909–911, hier S. 909b: „Quod Acta S. Irenes attinet, non alia habemus, quam quæ ex veteri Breviario Eborensi excerpsit Henricus Florez in Hispania sacra: […].“ Der Text entsprach demjenigen, den bereits Rosweyde übermittelt bekommen hatte. Vgl. Passio S. Irenes Virginis et Martyris, Ex veteri Breviario Eborensi et Florezio España Sagrada, tom. XIV., S. 911f. Inc.: „Tempore, quo in Lusitania dynasta inclytus, […].“ Expl.: „[…], ex Sanctarum Reliquiarum tactu curati sunt, ad laudem Christi, cui est honor et gloria in sæcula sæculorum amen.“ Vgl. auch die folgende Anm. Die zwölf Texte umfassende Sammlung dieser in Portugal verehrten Heiliger

399 weydes Nachfolger den Wert dieser Viten und Passiones kaum einzuschätzen vermochten und es daher vorzogen, diese Drucke zu zitieren. Im Kontext der häufig späten hagiographischen Traditionen Portugals ist die Vita Irenae erstmals, trotz eines schon länger nachweisbaren Kults, innerhalb eines aus dem letzten Drittel des 15. Jahrhunderts stammenden Breviers aus Braga greifbar. Aus diesem oder aus direkt davon abhängigen Traditionen scheint die Vita Irenae („Ex Breuiario Bracharensi“) ebenso wie die Passio Victoris – und andere der von Laubegeois kommunizierten Stücke – aber nicht abgeschrieben worden sein. 197 Die Vita der hl. Engratia wiederum verweist mit ihrer Provenienz („ex Breuiario monasterij S. crucis Conimbricensis“) auf die Regularkanoniker zu Santa Cruz in Coimbra und damit auf eines der seit dem 12. Jahrhundert wichtigsten Zentren der hagiographischen Produktion in Portugal. 198 Als verloren gilt heute ein Brevier aus Evora vom Ende des 14. Jahrhunderts. Eine kürzere und im 18. Jahrhundert von Enrique Flórez (1702–1773) gedruckte Version der Passio Sanctorum –––––––—

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aus BRB, Coll. boll. Ms. 8590–98 (3477), fol. 129r–143v, spielte in den Acta Sanctorum keine Rolle. In der Literatur ist sie bisher nicht beachtet worden. Vgl. zu den gedruckten Materialien der frühen Bollandisten Baudouin de Gaiffier, Le bréviare d’Évora de 1548 et l’hagiographie ibérique, in: Anal. Boll. 60 (1942), S. 131–139. Vgl. Avelino de Jesus da Costa, Santa Iria e Santarém. Revisão de un problema hagiogréfico e toponímico, in: Revista Portuguesa de História 14 (1974), S. 1–63, hier S. 4. Da Costa reproduziert im Apêndice. Fontes litúrgicas do culto de Santa Iria, ebd., S. 39–63, hier Nr. 7, S. 58–60, als Version H eine Kompilation der lectiones aus gedruckten Breviarien Evoras (1548) und Bragas (1549), die dem Text der an Rosweyde gekommenen Abschriften entsprechen: „Lectio I – Tempore quo in Lusitania dynasta inclytus […].“ Expl.: „[…], ex sanctarum reliquiarum tactu curati sunt ad laudem Christi, cui est honor et gloria in secula seculorum amen.“ Pedro Romano Rocha, L’Office divin au Moyen Age dans l’Église de Braga. Originalité et dépendances d’une liturgie particulière au Moyen Age (Cultura medieval e moderna 15), Paris 1980, S. 70 Anm. 41, S. 84 Anm. 103. Vgl. in Rochas Ausgabe des – nach seinem späteren Besitzer so benannten – Bréviare de Soeiro vom Ende des 14. oder Beginn des 15. Jahrhunderts die Sektion C. Lectures du Sanctoral, ebd., S. 345–378, hier S. 352, Nr. 231a: „12 avr In nat. s. Victoris mart f. 211v || [lect.] 1–6: Sermo sancti Augustini episcopi. Sancti martyris Victoris, fratres carissimi, fortissimam gloriosam passionem (…) in doloribus minime frangebatur.“ Diese Passio ist nach Rocha nicht identifiziert. Eine lectio zum Festtag der hl. Irena am 20. Oktober findet sich in diesem Sanktorale nicht. Vgl. ebd., S. 368. Eindeutig nicht mit den Rosweyde vorliegenden Abschriften kommen die von Rocha aus diesem Sanktorale vollständig gedruckten lectiones anlässlich zweier Translationsfeste zur Deckung. Vgl. Appendix, Nr. 5: Translation des reliques de Saint Vincent, ebd., S. 515f.; Nr. 6: Translation des reliques de Saint Jacques l’Intercis, ebd., S. 517f.; ungleich kürzer sind die beiden Versionen: In translatione S. Iacobi intercisi ut recitatur in Breuiario Bracarensi 22 die maij officio duplici, BRB, Coll. boll. Ms. 8590–98 (3477), fol. 137v–138v; In translatione Reliquiarum Sancti Vincentij martyris in ecclesiam Bracarensem 4. die Maij, ebd., fol. 138v–139v. Vgl. Mattoso, Portugal (1996), S. 85ff. In der Ausgabe der Chartularchronik von Leontina Ventura/Ana Santiago Faria (Hrsg.), Livro Santo de Santa Cruz. Cartulário do Sec. XII (História Medieval 3), Coimbra 1990, in der einige der ältesten hagiographischen Stücke enthalten sind, befindet sich allerdings keine Version dieser Vita.

400 Verissimi, Maximae et Iuliae beruhte noch auf dieser Quelle. Die von Laubegeois an Rosweyde übermittelte Version könnte mit ihrer Provenienz („Ex officio proprio Ulysiponensis Ecclesiæ“) vielleicht sogar mit dem heute angenommenen, ursprünglichen Entstehungszusammenhang dieser Passio in Verbindung gebracht werden, mit dem Frauenkloster des Ritterordens San José oder dem Kloster der Augustinerchordamen in Lissabon.199 Die Arbeit mit abschriftlichen Dokumenten, deren genuine Form und Charakteristik man in Antwerpen oft nur in Umrissen nachvollziehen konnte, führte gerade dort, wo sich mit dem Anspruch des Universalen einer der wesentlichen Aspekte des nach außen getragenen Eigenbilds verknüpfte, zu essentiellen Unsicherheiten in der Diagnostik. Der altertumskundliche Anspruch, sich auf „handschriftliche“ oder „vergessene“ Traditionen zu stützen, konnte in der Praxis dann in den Hintergrund treten, wenn Drucke zur Verfügung standen, die, im Vergleich mit einer Sammlung hagiographischer Kopien unklarer Identität, wenigstens mit den Namen und Daten ihres Erscheinens zitiert werden konnten. Die sich heute nur schwer erschließende Brisanz der Prinzipien Rosweydes lag in ihrer Simplizität. Er beabsichtigte, die Materialien im Großen und Ganzen so herauszugeben, wie sie ihm in den Handschriften entgegentraten. Gerade dies gab Bellarmin Anlass zu schlimmen Befürchtungen. Sofern einzelne Aspekte dem Herausgeber oder den Leserinnen und Lesern Schwierigkeiten bereiteten, war der in seiner Historizität zu respektierende Text nicht mehr selbst zu verändern, sondern musste in einer davon streng zu trennenden Apparatur erläutert werden. Letzteres konnte ohne Frage an die besseren Seiten der humanistischen Klassikerausgaben anschließen. Für das Ideal eines Abbilds zwischen handschriftlicher Vorlage und typographischer Reproduktion galt dies allerdings nicht. Die nach dem Leitprinzip der Emendation erstellten Ausgaben antiker Klassiker beruhten, wie oben thematisiert, auf der Annahme, dass ihre Herausgeber über eine vollendete Latinität verfügten, die sie in die Lage versetzte, Texte zu erstellen, die sich, über die materielle Form der ausnahmslos mittelalterlichen Überlieferungsträger hinausgehend, mit dem Gedanken an eine Restituierung des Ursprünglichen, zumindest aber mit dem an eine „Verbesserung“ verknüpfen ließen. Rosweydes Überlegungen trugen der Tatsache Rechnung, dass in dem Augenblick, in dem dieses Verfahren auf genuin spätantike oder mittelalterliche Texte angewandt würde, weder ein faktischer noch ein imaginierter Zugewinn an Authentizität zu erzielen war. Ein mittelalterlicher Text konnte nicht sinnvoll an Ciceros Latein gemessen werden oder an dem, was man dafür hielt. –––––––— 199

Vgl. Mário Martins, A legenda dos santos mártires Veríssimo, Máxima e Júlia, do cód. CV/1–23 d., da biblioteca de Évora, in: Revista Portuguesa de História 6 (1955), S. 45–93, hier S. 47, 57f.; Mattoso, Portugal (1996), S. 94f.

401 Michele Camillo Ferrari hat diese durchaus wichtige Verschiebung der Prioritäten am Beispiel von Rosweydes Ergänzungen zum Martyrologium Romanum von 1613, seiner Ausgabe der Vitae patrum von 1615 und den Publikationen des Luxemburger Jesuiten Jean Roberti (1569–1651) untersucht. Roberti hatte in Löwen und Köln studiert. In den Kollegien von Douai, Trier, Würzburg und Mainz unterrichtete er Rhetorik und Philosophie. 1619 legte er die Erstausgabe der Flores epytaphii Sanctorum Thiofrids von Echternach († 1110) vor, in der er sich mit ähnlichen Bemerkungen, wie vor ihm Rosweyde, von der Modifikation des historischen Textbestands durch den Herausgeber distanziert zu haben scheint. In Bezug auf Brower und den Theologen und Historiker Georges Colvener (1564–1649), der etwa zeitgleich mit Rosweyde in Douai studiert hatte – allerdings im königlichen Kolleg und nicht in dem der Jesuiten –, schien es Ferrari möglich, „mit einer gewissen Berechtigung von einer philologischen Schule bei den Jesuiten des frühen 17. Jahrhunderts sprechen“ zu dürfen. 200 In seinen Sidera illustrium et sanctorum virorum von 1616, in denen Brower insgesamt 14 Viten publizierte, darunter die Erstausgaben der Viten etwa der Fuldaer Äbte Sturmi († 779) und Eigil († 822), argumentierte Brower allerdings nicht mit der programmatischen Intangibilität des Historischen, sondern mit dessen altertumskundlicher Kehrseite, mit der Dignität des Vergessenen und Vernichteten in einer – namentlich durch die Verbreitung der neuen Lehren – als korrumpiert bewerteten Zeit: Im Übrigen pflegt, neben anderen fahlen Trümmern unseres Erdkreises, während ich in Gedanken die Brandlager der großen Germania und die berüchtigten Klippen der

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Vgl. Ferrari, Philologie (2001), S. 226ff., Zitat S. 241. Colvener war allerdings kein Jesuit. Vgl. Aug. Vander Meersch, Art. Colvener (Georges), ou Alostanus, in: Biographie nationale, Bd. 4, 1873, Sp. 311–313. Die Ansichten Colveners, der von Ferrari nur im Vorübergehen erwähnt wird, blieben genauer zu studieren. Vgl. aus seinen Ausgaben etwa: THOMÆ || CANTIPRATANI, || S. TH. DOCTORIS, ORDINIS || S. DOMINICI, ET EPISCOPI || SVFFRAGANEI CAMERACENSIS || MIRACVLORVM, ET EXEMPLORVM ME- || morabilium sui temporis LIBRI DVO. || In quibus præterea, ex mirifica APVM Repub. vniuersa || vitæ bene & Christiane instituendæ ratio (quò vetus, || BONI VNIVERSALIS, alludit inscriptio) || traditur, & artificiosè pertractatur. || Ad exemplaria complura cùm mss. tum excusa, collati, ab in- || numeris mendis expurgati, aucti, & notis illustrati. || Opera & studio GEORGII COLVENERII Alostensis S. Th. Licent. || Professoris, ac librorum in Academia Duacensi Visitatoris. || DVACI, || Ex typographia BALTAZARIS BELLERI || sub Circino aureo, anno 1605. Permissu superiorum. Dedikationsepistel: Illvstrissimo ac reverendissimo in Christo Patri, ac Domino, D. Gvillielmo de Berges, Sacri Imperij Principi Comiti Cameracensij, &c. veram ac perpetuam felicitatem [unpaginiert], fol. †3v–†4r: „Sentit profectò vnusquisque, se magis exemplis impelli quàm verbis, vt elegantissimè dictum sit: Verbis monemur, exemplis mouemur: vel vt efferunt alij: Verba mouent, exempla trahunt. Nec est necessum, vt in huius rei co[n]firmationem plura veterum verba sistamus. Erunt itaque hi libri, veluti quidam Boni communis thesaurus, omnibus ad exhortandum & corripiendum vtiles, eru[n]t ad docendum omnem bene viue[n]di rationem magnopere efficaces.“

402 Schiffbrüche durchwandere und mich der Erinnerung an vergangene Zeiten zuwende, jene durchaus bittere Vergegenwärtigung die Bedrückung und Betrüblichkeit des Herzens zu erneuern, da mit dem Unheil der neuen und verderblichen Meinungen nicht nur große Verluste und Beraubungen an Menschen, sondern auch an frommen Männern einhergegangen sind, und diese haben sich um das christliche Gemeinwesen so hervorragend verdient gemacht, dass ich sie die beschädigten Trümmer derart preisgeben gesehen habe, dass niemand sie dort nicht nur nicht für würdig hielt, aufgehoben zu werden, sondern ich sogar alle um die Wette eifernd zum Zerstörten eilen und es unversehens unkenntlich machen sah. Durch jenes fürwahr so schändliche Streben der Sektierer suchten die Meister ihrer Lehre nichts anderes zu erlangen, als das, dass, nachdem die Taten der Heiligen und die ganz großartigen Schöpfungen ihres Lebens ausgelöscht worden waren, nicht nur diejenigen, die die Schändungen ins Auge gefasst hatten, unbestraft bleiben, sondern auch die Vorbilder der neuen Religion in die Kirchen eingeschleppt werden sollten. 201

Die Sidera dienten der Erinnerung an die Personen, die das Christentum und seine Tugenden in der Germania verbreitet hatten. 202 Dass in der Aufbereitung der schriftlichen Artefakte von herausgeberischen Eingriffen zu abstrahieren wäre, wurde von Brower jedoch nicht gefordert. Grundsätzlich scheinen die Viten in den Sidera einen überlieferungsnahen Textbestand zu repräsentieren. Marginal konnten sie mit Erläuterungen oder Vorschlägen zur Emendation einzelner Worte versehen werden. Mit Browers Drucken identische Handschriften, beispielsweise, was die Viten der Hildesheimer Bischöfe Bernward († 1022) und Godehard († 1038) betrifft, sind aber nicht immer bekannt. Die moderne Editorik tendierte lange eher dazu, von verlo–––––––— 201

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SIDERA || ILLVSTRIVM || ET SANCTORVM || VIRORVM || QVI GERMANIAM PRÆSERTIM || MAGNAM OLIM || GESTIS REBVS || ornarunt: || A NOCTE SVA RELVCENTES || VINDICAVIT || VETERVM MSS. BENEFICIO || CHRISTOPHORVS BROWERVS || Societatis IESV presbyter. || [Motto] ECCLES. XLIV. || Laudemus viros gloriosos & parentes nostros in generatione sua. || Cum Gratia & Priuilegio Sacr. Cæsar. Maiest. || MOGVNTIÆ, || Ex officina Typographica IOANNIS ALBINI. || M. DC. XVI. Lectori catholico et orthodoxo [unpaginiert], fol. )( 2v–)(3r: „Cæterum, inter alias orbis nostri ferales ruinas dum Magnæ Germaniæ busta, & infames naufragorum scopulos mente circumlustro, & temporum præteritorum memoriam replico, sane acerba illa recordatio animi ægritudinem, & molestiam renouare solet, cum nouarum opinionum & pestiferarum clade non casus tantum magnos, & orbitates hominum importatas, sed sanctorum Virorum, quique de repub. Christiana præclarè meruerunt ita iacere afflicta vidi vestigia, vt nemo istic ea non tollere solum dignaretur, sed omnes certatim obrutum ire, & confundere cernerem, impudenter[.] Quo quidem tam pernicioso sectæ studio, quid aliud huius disciplinæ Magistri adipisci concupierunt, quam, vt suppressis sanctorum virorum actionibus & vitæ præclarioris institutis, impunè non solum, quæ conceperant vitia, sed nouæ religionis exempla in Ecclesias infunderent.“ Vgl. ebd., fol. )(3r: „Quo lubentius certè opera à nobis data est, vt optimorum virorum, qui cum vitæ flore Germaniam olim à teneris adolescentem, & religionis Christianæ primis vix imbutam elementis, ad virtutis maturitatem perduxerunt, acta præclara, homines nostrates in manus sumerent, memoriaque repeterent, qua disciplina vitæque præceptis, nationem hanc imbuerint, qua morum luce, & religionis splendore collustrarint, vt vtriusque insigne quasi relinquere[n]t patrimonium dignitatis.“

403 renen Überlieferungsträgern auszugehen als Brower selbst mehr oder minder moderate Modifikationen an den ihm vorliegenden Texten zuzuschreiben oder – wie sich am Beispiel der Vita Sturmis zeigen lässt – veränderte Provenienzen in Rechung zu stellen. 203 Für die Brun (Candidus) von Fulda († 845) zugeschriebene Prosafassung der Vita Eigils ist Browers Version sogar der einzig überhaupt bekannte „Textzeuge“, so dass es insgesamt weiterer Forschung bedürfte, um zu ermitteln, welchen Prinzipien genau er folgte. 204 –––––––— 203

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Vgl. Georg Heinrich Pertz, [Einleitung], Vita Bernwardi episcopi Hildesheimensis auctore Thangmaro, in: MGH SS, Bd. 4, hrsg. v. dems., Hannover 1874, S. 754–757, hier S. 757. Mit Browers Selbstaussage verzeichnete Pertz unter den Handschriften: „3) C[odex] olim S. Michaelis […] a Browero in Sideribus Germaniae typis expressus.“ Martina Giese, Die Textfassungen der Lebensbeschreibung Bischof Bernwards von Hildesheim (MGH Studien und Texte 40), Hannover 2006, S. 106f., geht jetzt davon aus, dass Browers „Textgrundlage mit hoher Wahrscheinlichkeit Handschrift Hi8“ gewesen sei: „Der damalige Abt von St. Michael Johann Jacke (1614–1668) hatte den Codex zur Verfügung gestellt. Er tradiert eine von Henning Rose kontaminierte und interpolierte Textversion.“ Diese Handschrift datiert auf das Ende des 15. oder den Anfang des 16. Jahrhunderts. Rose († vor 1542?) war Konventuale im Benediktinerkloster St. Michael in Hildesheim. Vgl. ebd., S. 19, 82–96. Im Fall der Vita Godehardi bezeichnete Pertz die von Brower genannte „alte“ Handschrift aus Hildesheim als fehlend („latet“). Vgl. Georg Heinrich Pertz, [Einleitung], Vita Godehardi episcopi Hildesheimensis auctore Wolfherio, in: MGH SS, Bd. 11, hrsg. v. dems., Hannover 1854, S. 162–165, hier S. 164, zu B,1. Nicht ermitteln konnte er auch die von Brower aus einer Bamberger Handschrift bezogene Vita Sturmi. Vgl. Georg Heinrich Pertz, [Einleitung], Eigilis vita Sancti Sturmi, in: MGH SS, Bd. 2, hrsg. v. dems., Hannover 1829, S. 365: „Opus primum a Browero in Sideribus Germaniae […] ex codices Bambergensi a. 1417 exarato vulgatum, […]. Codicis ipsius in fata, rogantibus nobis, Vir Cl. Iaeck bibliothecaris Bambergensis, quo semper nobis adfuit studio, non eadem tamen fortuna inquisivit; […].“ Sie wurde einige Jahre später in der Universitätsbibliothek Würzburg gefunden. Vgl. Pius Engelbert, Die Vita Sturmi des Eigil von Fulda. Literarkritisch-historische Untersuchung und Edition (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen und Waldeck 29), Marburg 1968, S. 1ff. Vgl. Georg Waitz, [Einleitung], Vita Eigilis abbatis Fuldensis auctore Candido, hrsg. v. dems., in: MGH SS, Bd. 15,1, Hannover 1887, S. 221f., hier S. 222. Da kein Manuskript verfügbar war, beschloss Waitz, die Vita nach Browers Druck wiederzugeben in einer der Sprache des 9. Jahrhunderts leicht angeglichenen Form: „Cum codicem illum […] perditum lugeamus, neque alter unquam visus est, editionem principem etiam nos recudamus, necesse est, leviter in verbis scribendis ex more saec IX. emendatam.“ Bei aller Problematik scheint aus diesem Entschluss immerhin hervorzugehen, dass ein mit den Konventionen des Mittellateinischen gut vertrauter Herausgeber wie Waitz Browers Text nicht unbedingt als genuin frühmittelalterlich empfand. Inzwischen gilt diese Prosafassung als programmatisches Komplement zu einer ebenfalls nur durch Brower bekannten Fassung der Vita in Hexametern. Im Verbund mit drei von Brower in den Fuldaer Antiquitäten wiedergegebenen und als Reproduktionen aus der von ihm benutzten Handschrift apostrophierten Zeichnungen bewertet man dieses Corpus sogar als „die erste illustrierte Biographie, die uns (wenigstens in Kopie) erhalten ist.“ Theodor Klüppel, Die Germania (750–950), in: Philippart (Hrsg.), Hagiographies, Bd. 2, (1996), S. 161–209, hier S. 180. Der insgesamt einzige Hinweis auf die Existenz einer Vita dieses Fuldaer Abts stammt aus drei Fuldaer Bibliothekskatalogen, deren ältester im späten 15. Jahrhundert entstanden ist. In ihm oder

404 Die erste unmissverständliche Aufwertung des historischen Textbestands gegenüber dem synchronischen Stilempfinden findet sich, wenn ich richtig sehe, nicht in einem jesuitischen Werk, sondern in Welsers Ausgabe der Viten Ulrichs von Augsburg von 1595. Welser konnte seine Argumente darauf stützen, dass die Frage des Stils bereits zeitgenössisch von den Verfassern der beiden späteren Viten, von Bischof Gebehard von Augsburg († 1000) und Abt Bern von der Reichenau († 1048), aufgebracht worden war. Bern hatte die von ihm angefertigte Version damit begründet, dass in den vorangegangenen Viten die Taten Ulrichs zwar auf wahre, letztlich aber auf allzu schlichte Weise verschriftlicht worden seien. 205 Gebehard wieder–––––––—

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in den späteren Katalogen sind offenbar neben dem Titel das Incipit der Prosa- und das Explicit der Versfassung verzeichnet. Vgl. Gereon Becht-Jördens, Vita Aegil abbatis Fuldensis a Candido ad Modestum edita prosa et versibus. Einleitung und kritische Edition, Marburg 1994, S. XXX, XXXII, XXXVI. Für die von Becht-Jördens ebd., S. XXIX, vertretene Ansicht, dass Brower besagte Miniaturen ebenso wie beide Fassungen in einem von wahrscheinlich von Candius selbst stammenden Autograph des 9. Jahrhunderts vorlagen, scheint es allerdings keinen verlässlichen Anhaltspunkt zu geben. Ob aus den – überschaubaren und ausschließlich einzelne Worte betreffenden – Marginalien geschlossen werden kann, dass sich Brower „von dem Bestreben leiten“ ließ, „den Text der Handschrift buchstabengetreu“ wiederzugeben, ebd., S. XXXVI, wäre zwar wünschenswert, ist aber mehr als fraglich. Zurückhaltender, aber etwas allgemeiner äußert sich Engelbert, Vita (1968), S. 2, im Fall der Umgehensweise Browers mit der Vita Sturmi: „Das günstige Urteil, das sich die Geschichtswissenschaft über die Forschungstätigkeit des Jesuiten gebildet hat, wird durch diesen Textvergleich im allgemeinen bestätigt. Die Edition ist, abgesehen von einigen Irrtümern und Falschlesungen, brauchbar, und die Anmerkungen Brouwers zum Text sind auch heute noch von Wert. Leider macht sich stellenweise der Umstand, daß dem verdienten Gelehrten nur eine einzige Handschrift der Vita zur Verfügung stand, nachteilig bemerkbar.“ Weiter ausgeführt werden diese Einschätzungen allerdings nicht. Die Zusammenschau der heute bekannten oder wahrscheinlichen Vorlagen Browers mit seinen Drucken würde es gestatten, einige fundiertere Aussagen auch über seine mögliche Umgehensweise mit der Vita Eigils zu treffen. Festzuhalten ist, dass man für die hier diskutierten Viten im Laufe der Zeit mögliche Vorlagen gefunden hat, sofern sie nur intensiv gesucht wurden, dass diese eher aus dem späten Mittelalter zu stammen scheinen und von Brower zwar überlieferungsnah, nicht unbedingt aber identisch wiedergegeben wurden. Vgl. De Vita S. Udalrici Augustanorum Vindelicorvm Episcopi. Pleraque antehac nunquam edita [1595], in: Welser, Opera, 1682, S. 505–628. Vita S. Udalrici Episcopi Augustæ Vindelicorum, edita a Bernone Abbate Augiensi, ex F. Laurentii Surii tomo quarto, ebd., S. 596–617, hier S. 596: „Reverendissimo Patri Frideboldo, ac vero sanctæ Matris Afræ alumno, Berno Dei Matris mancipium, cum omni contubernio Augiensium fratrum, summum & indeficiens bonum: Miræ charitatis virtus, ex dulcifluo pectoris tui emanans fonte, id exiguitati meæ injunxit officii, ut libellum de vita ter quaterque beati Patroni nostri Udalrici, veraci quidem, sed simpliciori, quàm oportuit, sermone editum, cultiori stylo reddam luculentum.“ Eine textkritische Edition dieser Vita liegt nicht vor. Vgl. Walter Berschin/Angelika Häse, Gerhard von Augsburg, Vita Sancti Uodalrici. Einleitung, in: Gerhard von Augsburg, Vita Sancti Uodalrici. Die älteste Lebensbeschreibung des heiligen Ulrich lateinisch – deutsch. Mit der Kanonisationsurkunde von 993. Einleitung, kritische Edition und Übersetzung besorgt v. dens. (Editiones Heidelbergenses 24), Heidelberg 1993, S. 7–68, hier

405 um hatte eine gewisse Unbeholfenheit und inhaltliche Weitschweifigkeit konstatiert, welche die älteste – zwischen frühestens Ende 982 und spätestens Anfang 993 abgeschlossene – Vita des Dompropsts Gerhard ausgezeichnet habe. 206 Da bislang nur die überarbeitete Version Berns, aus Surius’ – von Welser nicht weiter kommentierter – Sammlung De probatis sanctorum historiis, bekannt sei, bestand für Welser Bedarf, die von Bern genutzte, älteste und „rohe“ und selbstverständlich „unter Würmern und Motten“ verborgene Fassung zu sichern. Es sei nämlich nicht so, wie gemeinhin angenommen werde, dass Bern seine Informationen durch Befragung derer, die einst mit Ulrich Umgang pflegten, gewonnen habe, sondern durch Lektüre einer älteren Fassung. 207 Diese ältere Fassung, so Welser, habe er in zwei Pergamenthandschriften und einer Papierhandschrift in St. Ulrich und Afra aufgetan. 208 Über den Namen des Autors habe er allerdings nichts in Erfahrung bringen können. Vielleicht sei er wegen der „Be–––––––—

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S. 8 mit Anm. 3; Karl-Ernst Geith, Einleitung, in: Albert von Augsburg. Das Leben des Heiligen Ulrich (Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker N. F. 39 [163]), Berlin/New York 1971, S. 1–18, hier S. 10. Geith selbst reproduziert Berns Vita, ohne Prolog, in Petit nach einer Baseler Handschrift unter dem von ihm edierten vernakulärsprachlichen Akrostichon Vita Sancti Vlrici des Priors von St. Ulrich und Afra Adilbertus († nach 1240). Vgl. De Vita S. Udalrici [1595], Welser, Opera, 1682. Vita S. Udalrici Episcopi et Confessoris, a Gebehardo, Augustano etiam Episcopo scriptam. Manuscriptis duobus codicibus collatis, ebd., S. 591–595, hier S. 591: „Amantissimi Patris nostri discendæ vitæ desiderio diu multumq[ue] suspirans, hanc tandem reperi à quoddam illustri viro non inconvenienter quidem compositam, sed ita nominum virorum ac mulierum, villarum etiam confusione fuscatam, ut non solum, si in pace dicere liceret, prudentioribus tædium, sed pæne videretur puerile ludibrium: Cujus insuper operis increvit adeo diffusa pluralitas, ut potius bellorum eventum, Regum Cæsarumq[ue] historiam, quam propositum videretur ordinare negotium. Quod nequaquam improbando, vel per hoc mea, quod absit, præferendo dixerim, sed vir sanctæ simplicitatis & meriti non aliter dictis suis æstimavit accomodari fidem, nisi tot nominum sibi conscisceret velut astipulationem, nec veritatem subsistentium rerum judicavit plus propriè quam facillimè ac simpliciter exprimi posse.“ Welser bietet die bis heute einzige Ausgabe dieses Texts. Die beiden von ihm genannten Handschriften gelten bislang als verschollen. Berschin/Häse, Gerhard (1993), S. 8 Anm. 2, weisen jetzt auf eine Handschrift in der Stiftsbibliothek St. Gallen hin, die diesen Text zu Teilen enthält. Vgl. De Vita S. Udalrici [1595], Welser, Opera, 1682. Dedikationsepistel: Venerabili clero Sanctæ Ecclesiæ Augustæ Vindelicorum, ebd., S. 507–513, hier S. 507f.: „Versatur omnium manibus vita à Bernone scripta, qui cum quinto & septuagesimo anno post Udalrici mortem diem suum obierit (obiit enim Berno anno MXLVIII.) ideoq[ue] credi potuerit, pleraq[ue] ab iis, qui Udalrico in terris agente familiariter usi sunt, accepisse; quoniam tamen ad hos testes non provocat, sed se vetustiori niti commentario, quæ ille impolitiùs tradiderit, in paullò concinniorem speciem mutasse profitetur, visum est rudem quantumvis veterem, à tineis & blattis, ubicumq[ue] lateret, vindicare: […].“ Vgl. ebd., S. 508: „Commodum itaq[ue] reperi in bibliotheca monasterii SS. Vdalrici & Afræ exempla chirographa veteris vitæ omninò tria, membranea duo, chartaceum unum; […].“

406 scheidenheit jener Zeiten“ verheimlicht worden. 209 Nach den Studien Walter Berschins und Angelika Häses handelt es sich bei besagter Papierhandschrift um die 1494 durch den Konventualen Wilhelm Wittwer († 1512) für St. Ulrich und Afra besorgte Abschrift aus einer heute in der Stiftsbibliothek Einsiedeln aufbewahrten Sammelhandschrift aus den ersten Jahrzehnten des 11. Jahrhunderts. Die beiden Pergamenthandschriften hingegen sind nicht mit Sicherheit zu bestimmen. Gemessen am Textbestand dürfte eine der Handschriften die originalgetreue Fassung der Vita Gerhards enthalten haben, wenn es sich auch, „wie die Kollation zeigt“, um „keines der ganz alten und zuverlässigen Manuskripte“ 210 gehandelt zu haben scheint. Als Tendenz kann durchaus festgehalten werden, dass die an historischen Textbeständen interessierten Antiquare dieser Generation vielfach und zunächst auf spätmittelalterliche Materialien stießen. Welser übte keine Kritik an den von ihm referierten Urteilen Gebehards und Berns. Insbesondere Berns Stilkritik schien ihm, ganz im Gegenteil, sehr gemäßigt ausgefallen zu sein. Nach Maßgabe ihrer Latinität stellte die älteste Vita Gerhards auch für Welser ein grammatikalisches, syntaktisches und lexikalisches Fiasko dar. 211 Aber „der kluge Leser“ begehrte ohnehin „anderswo nach Ergötzlichkeiten der Worte und Blütenspielen der Sätze“. Er sei sich dessen bewusst, dass „in Darstellungen dieser Art die Gewichtigkeiten der Dinge allein in Augenschein zu nehmen sind.“212 Welser rechtfertigte seinen Druck demnach mit dem Argument der größeren historischen Verlässlichkeit, die der ältesten Vita notwendig zuzuschreiben sei. Dies –––––––— 209

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Vgl. ebd.: „Cujus nomen & vitam ea occasione sedulò investiganti (ut gratiam hac saltem parte rependerem) de nomine nihildum mihi compertum est, sit verisimile studio celatum, pro illorum temporum modestia.“ Vgl. Berschin/Häse, Gerhard (1993), S. 36ff., 41ff., 51ff., Zitat S. 53. Vgl. De Vita S. Udalrici [1595], Welser, Opera, 1682. Dedikationsepistel, S. 509f.: „Gebhardus […], ejusdem sedis paullò post Episcopus, illustrem virum, sanctæ simplicitatis & meriti appellavit, in quo præter styli ruditatem & diffusam polixitatem, quod reprehenderet, invenerit nihil. Berno demum libellum veraci quidem, sed simpliciori quam oportuit sermone editum esse pronunciavit. || Quæ elogia mixtimque censuras, non abjudico; & quod primum erat, auctorem ob testatam fidem simplicemq[ue] veritatem enixius diligo: Quod alterum, sermonis sordes nemo excusat, ego ultrò accuso, imò quod Berno præterea de oratione humi jacente adjecit, mihi modestè moderateq[ue] dictum, & se illa sub terram potius condere, atque quodammodo illatebrare videtur, usque adeò nihil unquam isto charactere memini legere humilius, abjectius, inquinatius, & rara credo esse sermonis vitia, quorum hîc exempla non sint confertim obvia, sive casus & tempora perversa respicimus, quod creberrimum peccatum est, sive verba agendi patiendiq[ue] significatione promiscuè usurpata, sive genera nominum mutata, & inflexiones tum nominum tum verborum corruptas, sive pronomina & reliquas particulas præposterè positas, sive idiotismos, sive barbarismos alios, sive solœcismos, sive quodcumque denique, uti dicere cœperam, orationis vitium.“ Ebd., S. 510: „Verum enimverò prudens lector verborum delitias, & sententiarum flosculos quæret alibi, in hujus generis scriptionibus scit sola rerum pondera esse spectanda.“

407 schloss natürlich auch die von Gerhard ausführlich referierten Mirakel ein, deren Publikation Welser keiner gesonderten Begründung bedurfte. 213 Auf die personalen Verbindungen zwischen den Vertretern des katholischen Späthumanismus in Bayern und in den Spanischen Niederlanden hat bereits Benz hingewiesen. 214 Mit Welser rückte die tradierte Vitenliteratur als solche wahrscheinlich erstmals in den Fokus der altertumskundlichen Gelehrsamkeit. Die Andersartigkeit seines Zugriffs, der bei den Jesuiten schnell Autorität erlangt zu haben scheint, zeigt sich im Vergleich mit den kleineren hagiographischen Arbeiten, die Canisius selbst noch kurz zuvor, seit 1589, in Gestalt einiger grundlegend überarbeiteter historischer Viten mit primär erbaulichem Zweck vorgelegt hatte. 215 Welser scheint, bevor er später auch von den belgischen Jesuiten um Expertise gebeten wurde, maßgeblich dafür verantwortlich gewesen zu sein, dass die Jesuiten in Bayern den Münchener Studienpräfekten Matthäus Rader (1561–1634) mit vertiefenden hagiographischen Studien betrauten. Aus diesen ging zunächst das zwischen 1604 und 1614 in drei Bänden gedruckte Viridarium sanctorum und später die Bavaria sancta hervor. 216 Der Jesuit Andreas Schott (1553– 1629) schrieb am 13. Januar 1610 an Rader, dass dieser im Zuge seiner Sammeltätigkeit und den Arbeiten an der zweiten Auflage seiner zuerst 1602 erschienenen Martialis epigrammaton libri omnes mit Rosweyde Kontakt aufnehmen solle. 217 Wenn Canisius’ oben zitierte Andeutungen über hagiographische Aspirationen in Antwerpen vor der Zeit Rosweydes ernst genommen werden sollen und die Bekanntheit der Editionen Welsers in jesuitischen Kreisen in Rechnung gestellt wird, dann ist es nicht auszuschließen, dass sich Rosweyde seit etwa 1599, geleitet von den Studien Van der Meulens, inspiriert von Welsers neuem Zugriff und möglicherweise auf der Folie bereits vorhandener Überlegungen im Antwerpener Umfeld, den in den belgischen Bibliotheken lagernden Beständen zuzuwenden begann. Dass Rosweyde den Laien Welser nicht ausdrücklich erwähnte und es statt–––––––— 213

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Vgl. Miracula Sancti Udalrici, ebd., S. 573–586. Inc.: „Post commendationem pretiosi thesauri sacri corporis Udalrici, […].“ Die von Welser als eigenständiger Teil aufgeführten Mirakel entsprechen dem lib. II, der Vita S. Uodalrici, ed. Berschin/Häse (1993), S. 332/333–404/405. Inc., ebd., S. 336: „Post commendationem praeciosi thesauri sacri corporis uuodalrici […].“ Vgl. Benz, Tradition (2003), S. 68–75. Vgl. unten S. 472f. mit Anm. 1. Vgl. Benz, Tradition (2003), S. 69; Alois Schmid, Die „Bavaria sancta et pia“ des P. Matthäus Rader SJ, in: Grell/Paravicini/Voss (Hrsg.), Princes (1998), S. 499–522, hier S. 502. Vgl. Andreas Schott an Matthäus Rader, Tournai, 13. Jan. 1610, in: Schmid (Hrsg.), Gelehrtenkorrespondenz, Bd. 1 (1995), Nr. 235, S. 479–480, hier S. 479: „Scribe Antuerpiam P. Heriberto super Martiali tuo et Sanctis Boiorum: nae ille iuuabit, qui haec tractat quotidie: Nos alio mentes, alio diuisimus aures.“ Vgl. dazu ebd., S. 480 Anm. 3. Nach Aussage Schmids sind Briefwechsel zwischen Rader selbst und Rosweyde allerdings erst später nachweisbar.

408 dessen bevorzugte, sich auf eine in den Annales ecclesiastici verborgene Bemerkung Baronios zu berufen, muss dieser Vermutung nicht entgegenstehen. Rosweyde jedenfalls dürfte die Idee zu seiner Vitensammlung nicht aus sich selbst geschöpft haben, auch wenn die damaligen Debatten bislang nicht im Detail rekonstruiert sind. Die autoreferentielle Anlage der Traditionsbildung der Bollandisten ist gerade hier nicht weiterführend. Die Ausgaben Welsers sind insofern als die ersten hagiographischen „Ausgaben“ im technischen Sinn des Worts zu kennzeichnen, als in ihnen ein als solcher auch reflektierter historischer Textbestand reproduziert werden sollte, unabhängig davon, ob dies dem zeitgenössischen und persönlichen Sprachempfinden zuwider lief oder nicht. Dass man diesen Blick auf die Tradition als neuartig oder ungewöhnlich empfand, zeigt sich daran, dass die argumentative Arbeit an einem historisierenden Textbegriff, weit über die Hagiographie und die Editorik der Jesuiten hinausgehend, in den folgenden Jahrzehnten erst begann: Einerseits wurde eingeräumt, dass die zu edierenden Texte einigermaßen unerquicklich seien. Andererseits insistierte man darauf, dass dies in Kauf genommen werden müsse, wollte man sich nicht der Verfälschung der Traditionen oder der Verstellung historischer Daten schuldig machen. Der Neffe von Petrus Canisius Heinrich Canisius leitete 1601 den ersten Band seiner Antiquae lectiones mit den Bemerkungen ein, dass „[d]er Stil des gesamten Werks schwächlich und fade, auf nur sehr geringfügige Weise einer reineren Schreibart angeglichen worden ist, so wie jene Zeiten es hervorbrachten, aber die Sachen sind, beim Erläutern der Geschichte des mittleren Zeitalters, in sehr großem Umfang dienlich.“ 218 Der Benediktiner Marrier kalkulierte in seiner Einleitung der Bibliotheca Cluniacensis von 1614, in der er auf rund 1800 Folioseiten nach den Amtszeiten der Äbte von Cluny – von Berno von Baume († 927) bis Johannes III. von Bourbon († 1485) – angeordnete Dokumente aus der Geschichte des Klosters präsentierte, damit, dass denjenigen, „die vielleicht die Schäbigkeit der Redeweise und die ungefüge Plumpheit des Ausdrucks kränken wird“, seine Arbeiten unlieb sein könnten: Aber warum? Werden wir uns also nicht darum kümmern, das Leben, die Sitten, die fromm ausgeführten Taten und Wunder unserer Ahnen zu betrachten und nachzulesen, es sei denn, dass sie von Tullius in Anmut beschrieben worden sind? Dies bleibe fern von jenen, von denen wir die Richtschnur für unser in klösterlicher und regelkonformer Ordnung zu gestaltendes Leben erwarten, mögen wir auch nach sprachlicher Reinheit, Wohlgeruch und Kitzel verlangen. 219

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Vgl. Canisius, Antiquae lectiones, Bd. 1, 1601. Dedikationsepistel [unpaginiert], fol. )(3r–v: „Stilus quidem totius huius operis pertenius & ieiunus est, minimè accomodatus ad puriorem scribendi modum, prout illa tempora ferebant, sed res, ad illustrandam mediæ ætatis historia[m], quàm maximè pertinent.“ Vgl. Marrier/Duchesne, Bibliotheca Cluniacensis, 1614. Clvniacensibvs, et toto Ordine charissimis Fratribvs svis, Domnus Martinvs Marrier Monasterij S. Martini à

409 Noch gut ein halbes Jahrhundert später betonte Mabillon in der Einleitung zum ersten Band der Acta Sanctorum Ordinis Sancti Benedicti von 1668 wiederholt, dass man „möglichst alte und ursprüngliche Schreiber der Viten“ zusammengetragen habe und „unversehrt und durch keinen Aufputz verfälscht“ darbieten werde. Denn jenseits aller stilistischen Fragen sei „von der Frömmigkeit der Autoren“ keine geschliffene Rede, sondern „die wahre und ungetrübte Einsicht in die einstigen Dinge“ zu erwarten. 220 Der Verweis sowohl auf den Informationsgehalt der Überlieferungsträger als auch auf die sich in ihrer historischen Form verkörpernde Frömmigkeit früherer Zeiten entkräftete hier den humanistischen Vorwurf der barbaritas der mittelalterlichen Schreiber: Diesen ursprünglichen Stil, wie roh und ungelenk auch immer, haben wir unversehrt bewahrt, um den Schreibern nicht die Glaubwürdigkeit, nachdem Worte verändert worden waren, zu entziehen. Nicht nämlich ersinnen wir Ergötzlichkeiten für verwöhnte Kritiker, sondern verlangen danach, die Wahrheit fromm vollführter Handlungen wahrer Frömmigkeit und als bedachtsam in Stand gesetzte den Verehrern des Altertums zu überantworten. Ferner ist schlichte Plumpheit besser als gefärbte und verdächtige Beredsamkeit. Es sollte fürwahr danach verlangt werden, dass wir die Viten der Heiligen dort, wo es angemessen ist, aufgrund des Vergnügens an Worten und Sachen, aufgrund des Glanzes und der Erhabenheit in den Aufzeichnungen, als angenehm betrachteten: aber die Jahrhunderte haben alles Mögliche hervorgebracht, es einzufahren liegt an uns. 221

Analoge Aussagen sind in der Editorik des 17. Jahrhunderts allgegenwärtig. Sie finden sich ebenso in den herausgeberischen Sektionen von Du Breuls Theatre des Antiquitez de Paris 222 wie in Colgans Acta Sanctorum Scotiae –––––––—

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Campis Parisiensis, Ordinis eiusdem Monachus professus S. [unpaginiert], fol. áiiijv: „At defuturos non dubito, quos sermonis forsan scabricies & dictionis inconcinna rusticitas offendet […] ingrata erit. Quid? Maiorum igitur nostrorum vitam, mores, piè gesta atque miracula, nonnisi Tulliano condîta lepôre, contueri, & perlegere curabimus? Absit ab illis, à quibus vitæ nostræ Monastica regularíque disciplina informandæ, normam & exemplorum opperimur, latinitatem, redolentiam, & titillatum requiramus.“ Vgl. Fratris Joannis Mabillon præfatio ad universos S. P. Benedicti alumnos; et quoslibet pios eruditosque lectores, in: AASS OSB, Bd. 1, 21733, S. V–XLVII, hier S. V f .: „Huc veterrimos ac primarios, quoad licuit, conquisivimus Vitarum Scriptores, quos integros & nullo fuco adulteratos repræsentamus: nil morati dictionis ac stili barbariem; quandoquidem non a comptiori oratione, sed ab Auctorum religione petenda est vera ac genuina rerum anteactarum cognitio.“ Vgl. ebd., S. VII: „Hinc stilum primigenium, quantumvis rudem & impolitum, intactum servavimus, ne Scriptoribus fidem mutatis verbis detraheremus. Non enim paramus amœnitates delicatis Criticis, sed rerum pie gestarum veritatem veræ pietatis & antiquitatis cultoribus sartam tectam exhibere optamus. Porro melior est simplex rusticitas, quam fucata ac suspecta eloquentia. Optandum quidem esset, ut Vitas Sanctorum eo quo par est rerum ac verborum delectu, splendore, ac majestate litteris commendatas haberemus: sed quidquid tulerunt sæcula, ferendum est nobis.“ Vgl. Du Breul, Theatre, 1639, Au lecteur [unpaginiert], [S. 3]: „Monsieur Maistre Guillaume du Peyrat, Aumosnier ordinaire du Roy, m’a presté vn liure MS. composé par maistre † Iean Mortis, Conseiller du Roy en Parlement, Chantre & Chanoine de la

410 seu Hiberniae. 223 Dass sich in ihnen zwar ein an Gestalt gewinnender Konsens der altertumskundlich und historiographisch interessierten gelehrten Kreise artikulierte, ihre Autoren aber keineswegs der Zustimmung all derer sicher sein konnten, die diese Werke – mit mehr oder minder großer Intensität – zur Kenntnis nahmen, zeigen die oben zitierten Bemerkungen Jurieus zu den Acta Sanctorum der Bollandisten oder die retardierenden Äußerungen Semlers und Gatterers. Sie konnten in diesen Ausgaben allein „noch nicht“ hinreichend überarbeitete Texte erblicken. Bellarmins Befürchtungen, dass die systematische und möglichst originalgetreue Publikation auch der bis dahin noch nicht bekannten Heiligenviten den entsprechend gestimmten Zeitgenossen, in formaler und inhaltlicher Hinsicht, reichen Stoff für ihre Versuche bieten könnte, den Katholizismus als solchen zu diskreditieren, scheinen sich in den Polemiken Jurieus oder im Spott Voltaires über das Martyrium Theodoti erfüllt zu haben. Einen späten Nachhall der Meinungsbildung derer, die aus der Ferne dieses oder jenes Werk evaluierten, bilden die Werturteile der modernen Historiographiegeschichte seit Fueter, indem man meinte, dass die mittelalterlichen Lebensbeschreibungen der Heiligen nur dann hätten publiziert werden dürfen oder können, wenn sie zuvor grundlegend revidiert worden wären. Dass man glaubte, dies als „Leistung“ den Bollandisten und Maurinern zuschreiben zu können und damit die – nicht nur – ihren Werken zugrunde liegenden Impulse nahezu in ihr Gegenteil verkehrte, zeigt, dass insbesondere die Hagiographie mit einer doppelten Bürde belastet war. Sie konnte nicht nur, wie andere mittelalterliche Genres, in sprachlicher Hinsicht als unerquicklich, sondern auch, auf assoziativer Basis, als besonders unsinnig und unzuverlässig empfunden werden. Sofern von einem apologetischen Moment gesprochen werden kann, das die gelehrte hagiographische Editorik seit Welser prägte, dann –––––––—

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saincte Chapelle du Palais, & diuisé en neuf parties, contena[n]t en somme tout ce qui co[n]cerne ladicte saincte Chapelle, tant en temporel qu’en spirituel. Il finit en l’an 1457. Toutesfois ledict Iean Mortis viuoit encore en l’an 1471. comme appert par la fondation de son Obit. I’ay copié quasi les trois parts de ce liure, & inseré au traicté de la Cité, sans changer le styl, ny plusieurs dictions, qui sont auiourd’huy hors d’vsage.“ AASS Scotiae seu Hiberniae, Bd. 1, 1645. Præfatio ad lectorem [unpaginiert], fol. b4r: „Quod autem stylo politiore hæc omnia non prodeant, præter nostram tenuem in hac re facultatem, duæ potissimùm effecerunt causæ. Prima est, quod vbi acta Sanctorum à priscis Scriptoribus res miras & magnas stylo simplici, & sæpe parùm Latinè referentibus, sunt compilata, consultiùs duxerimus primigeniam ipsorum phrasim licet contra Grammaticæ leges sæpiùs impingentem, retinere, fidei conciliandæ causa; quàm eam indigno commercio in aliam paulò Latiniorem commutare: cum, qui rebus antiquis sunt tempore, ita & in earundem sincera relatione censendi sint veritati propinquiores: & hinc potiùs styli vetustas, quàm venustas, sit in rebus Hystoricis vænanda & veneranda: Altera est, quod vti veritatis indagandæ Christiano pectori in rebus Hystoricis, cæterisque a sensu abstractioribus potissimum debet esse propositum; ita & in eiusdem solidioribus fundamentis iaciendis, quàm in coloribus depingendis propensiùs studium.“

411 also in dem Sinne, dass man mit solchen Anwürfen kalkulierte und ihnen, zunächst in Richtung auf die Bedeutsamkeit, die diese Materialien für den Katholizismus selbst und die Historiographie als solche besaßen, argumentativ entgegenzutreten suchte. Repräsentativ für die Rezeption der Acta Sanctorum sind die Stimmen Jurieus oder Voltaires, gegen die Ahnungen Bellarmins, allerdings nicht. Das Ethos der sich formierenden Respublica litteraria, die sich, wenigstens im 17. Jahrhundert, von allzu plakativem Gedankengut zu emanzipieren suchte, verkörperte sich vorderhand in den Rezensionen Gallois’, Carpzovs oder Bayles. Hier sollte das, was in Antwerpen geschah, zunächst erläutert und in seinem Nutzen beschrieben werden. Aus der Perspektive Bollands, der sich dieser Entwicklungen nicht gewiss sein konnte, galt es klarzustellen, dass diejenigen, die sich, unbenommen ihrer konfessionellen Zugehörigkeit, abwertend über die Historien der Heiligen geäußert hatten oder zu äußern pflegten, nicht immer Sachkenntnis und guten Willen auf ihrer Seite hatten.

5.2.3 Spiritualität und Abschweifung Der Bezugspunkt der Debatten um die Formen und Inhalte der Lebensbeschreibungen der Heiligen war in der frühen Neuzeit nicht das hagiographische Œuvre des hl. Hieronymus, 224 Thangmars Vita Bernwardi oder Dietrichs von Apolda Vita der hl. Elisabeth von Thüringen, sondern die das Feld als solches personifizierende Legenda aurea. Sich über sie despektierlich zu äußern, war nahezu Pflicht für jeden, der sich als gebildet zu präsentieren beabsichtigte. Einschlägige Aussagen finden sich etwa, wie von Sherry L. Reames dargestellt, bei dem Dominikaner Cano, dem Erasmianer Juan Luis Vives’ (1492–1540) und dem mehrfachen Konvertiten Georg Witzel (1501– 1573). 225 In seiner katholischen Periode hatte Witzel mit dem Hagiologium von 1541 seinerseits ein hagiographisches Sammelwerk mit dem Attribut des toto orbe zusammengestellt. 226 Bolland wandte sich in seinem Abschnitt Legenda aurea defensa zunächst gegen die Urteile, die Vives’ in seiner –––––––— 224 225 226

Vgl. Weingarten, Saints (2005). Vgl. Sherry L. Reames, The Legenda Aurea. A Reexamination of Its Paradoxical History, Madison, Wisc./London 1985, S. 36ff., 53ff. Vgl. HAGIOLOGIVM, || SEV DE SANCTIS EC= || CLESIAE. || HISTORIAE || DIVORUM TOTO || TERRARVM ORBE CELE= || berrimorum, è sacris Scriptoribus, || summa fide ac studio conge= || stæ, & nunc primum, || iuuando pari= || ter atq[ue] || ornando Christianismo, in Presbytero= || rum piè doctorum manus || emissæ. PER GEORG. VI= || CELIVM. CVM PRIVILEGIO CAESAREO. || MOGVNTIAE || Ad diuum Victorem excudebat || Franciscus Behem. || M. D. XLI. Vgl. Barbara Henze, Aus Liebe zur Kirche. Reform. Die Bemühungen Georg Witzels (1501–1573) um die Kircheneinheit (Reformationsgeschichtliche Studien und Texte 133), Münster 1995, S. 103f.

412 Abhandlung De causis corruptarum artium von 1531 über Jacobus de Voragine gefällt hatte. Bolland vermutete, dass sie auf den seines Erachtens wenig gewinnbringenden Einfluss zurückgeführt werden könnten, den Erasmus von Rotterdam auf Vives ausgeübt hatte: Wie den Göttlichen und christlichen Menschen unwürdig ist jene Historie der Heiligen, die Legenda aurea genannt wird, die sie, ich weiß nicht aus welchem Grund, eine goldene heißen, obschon sie von einem Mann der eisernen Rede und des bleiernen Herzens geschrieben worden ist. Was kann Grässlicheres erwähnt werden als jenes Buch? Oh wie beschämend ist es für uns Christen, dass die äußerst vortrefflichen Taten unserer Göttlichen nicht wahrhafter und sorgfältiger der Tradition übereignet worden sind, sei es zur Kenntnis oder zur Nachahmung solch großer Tugend! Ich habe Ludovicus Vives immer als Mann besonderer Größe bezeichnet, von einzigartiger Gelehrsamkeit, Verständigkeit und Klugheit; und ich stimme ihm ausdrücklich zu, dass die äußerst vortrefflichen Taten der Göttlichen sorgfältiger den Schriften übereignet worden sein sollten, als es insgemein getan worden sein dürfte. Aber dass er den Autor jener Legende so geschmäht hat, dass er den heiligen und weisen Mann als von bleiernem Herzen, eiserner Rede nennt, dies fürwahr erstaunt mich, besonders bei einem verständigen und besonnenen Mann. Vielleicht hatte er dies aus Desiderius Erasmus, seinem Lehrer, geschöpft, dem hochgestrengen Kritiker, der nahezu keinen Autor unversehrt und nicht von der zensorischen Rute gezeichnet unerwähnt gelassen hat, dies obendrein als Possenreißer, da er oft jene Dinge benagte, die er nicht verstand oder begriffen hatte. Jacobus mag im Stil weniger gefällig gewesen sein, wie jene Zeiten [eben] waren, aber er war nicht nur gelehrt und fromm, sondern auch von einzigartiger Klugheit und Urteilsfähigkeit, so dass er besser als Vives oder Erasmus beurteilt haben konnte, wie sehr die Dinge, die er aufschrieb, glaubhaft wären. 227

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Bolland, Praefatio, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, S. XXb: „[…] de Legendâ Aureâ pronuntiat Ioannes Ludouicus Viues lib. 2. de caussis corruptarum artium in hæc verba: Quàm indigna est Diuis & hominibus Christianis illa Sanctorum historiaque Legenda Aurea nominatur, quam nescio cur auream appellent, cùm scripta sit ab homine ferrei oris, plumbei cordis. Quid fœdius dici potest illo libro? O quàm pudendum est nobis Christianis, non esse præstantißimos nostrorum Diuorum actus veriùs & accuratiùs memoria mandatos, siue ad cognitionem siue ad imitationem tantæ virtutis! Ludouicum Viuem semper maximi feci, singulari eruditione, grauitate, prudentiâ virum; planeque illi assentior, præstantissimos Diuorum actus accuratiùs debuisse, quàm vulgò factum sit, mandari litteris. Sed quòd Legendæ illius auctori ita maledicit, vt virum sanctum & sapientem plumbei cordis, oris ferrei appellet, id sanè miror, in homine præsertim graui & moderato. Hauserat id fortassis à Desiderio Erasmo præceptore suo, seuerissimo Aristarcho, qui nullum propè scriptorem intactum & non censoriâ virgâ notatum præteriit, hoc etiam ridiculus quòd ea arroserit sæpè quæ nec intelligebat nec didicerat. Fuerit Iacobus stylo minùs compto, vt illa erant tempora, at erat non modò doctus & pius, sed prudentiâ iudicioque singulari, vt quàm probabilia essent quæ scriberet, Viue Erasmoque melius potuerit iudicare.“ Vgl. dazu Baudouin de Gaiffier, Légende dorée ou Légende de plomb?, in: Anal. Boll. 83 (1965), S. 350; Reames, Legenda (1985), S. 13f.; 57f.; Bietenholz, Historia (1994), S. 63. Vgl. das Zitat: Juan Luis Vives, Über die Gründe des Verfalls der Künste. De causis corruptarum artium. Lateinisch-deutsche Ausgabe. Übers. v. Wilhelm Sendner unter Mitarb. v. Christian Wolf/Emilio Hidalgo-Serna, hrsg., kommentiert u. eingel. sowie mit Vives’ Leben, Bibliographie und Personenregister versehen v. Emilio Hidalgo-Serna (Humanistische Bibliothek. Texte und Abhandlungen. Reihe 2: Texte 28), München 1990, lib. II, c. 6, S. 108. (Übersetzung geändert).

413 Witzel wiederum galt Bolland eher als „härter“ denn „als besonders zuverlässig“ in seinen Urteilen („seueriùs quàm solidiùs“). 228 Den Spott über die Legenda aurea wandte Bolland auf Witzel selbst zurück, da sich dieser sehr in der Chronologie vertan hatte, als er Petrus Lombardus (um 1095–1160) als Fortsetzer der Legenda aurea bezeichnet hatte, die Petrus angeblich unter Verwendung älterer Schriften verbessert habe, 229 denn: „Wer […] ist jener Petrus Lombardus, der nach Voragine geschrieben hat? Ob es wohl der Lehrmeister der Sentenzen, Bischof von Paris ist? Aber wer hat nach Voragine geschrieben, der ihm um 140 Jahre vorangegangen ist?“ 230 Wahrscheinlich hatte Witzel die zeitgenössisch gängige Bezeichnung der Legenda aurea als Historia Lombardica missverstanden. 231 Nach Ansicht Bollands waren es vor allem die pseudoetymologischen Erwägungen in der Legenda aurea, die von ihm indes als Zusätze späterer Zeiten interpretiert und mit Witzels chronologischen Fehlern auf eine Stufe gestellt wurden, die als Produkte mangelhafter Bildung dazu beigetragen hätten, die Historien der Heiligen in Misskredit zu bringen. 232 Grundsätzlich war Bolland weit davon entfernt, den devotionalen Wert auch populärer hagiographischer Lektüren in Frage zu stellen. Immerhin waren es wahrscheinlich die Legenda aurea in einer spanischen Version und die Vita Christi des Ludolf von Sachsen († 1378), welche 1521 die Konversion des ans Krankenlager gefesselten damaligen Offiziers Ignatius evoziert hatten. 233 Dieser Strang ist für –––––––— 228 229

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Bolland, Præfatio, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, S. XXa. Witzel, Hagiologium, 1541. Dedikationsepistel: Reverendissimo in Christo Patri, illvstrissimoqve Principi ac Domino D. Alberto, S. R. E. Tituli S. Petri ad Vincula Presbytero, Cardinali, ac Legato nato, sanctæ sedis Moguntinæ & Magdeburgen. Ecclesiæ Archiepiscopo, Principi Electori sacri Romani Imperij, per Germania[m] Archicancellario & Primati, Administratori Halberstaten. Marchioni Brandenburgen. &c. Domino suo & Mecœnati clementißimo simul benigniß. S. P. D. [unpaginiert], fol. 3r: „Pòst […] extitit Iacobus Voraginis præsul Genuensis, qui uixit an. 1290. […] Longe meliùs Voragine de Ecclesiâ meritus est Petrus Lombardus, qui post Voragine[m] scriptitauit, multa mutuatus ad uerbum ex membranis [!] ueterum: […].“ Vgl. Bolland, Praefatio, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, S. XXa: „Quis […] ille est Petrus Lombardus, qui post Voraginem scriptitavit? An Magister sententiarum, Parisiorum Antistes? At qui post Voraginem scriptitavit, qui 140. annis eum antecessit?“ Vgl. oben S. 350 Anm. 58. Vgl. Bolland, Praefatio, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, S. XXa: „Aucta est deinde quibusdam aliis adiectis ad calcem historiis Sanctorum. Sed addidit alius (vt puto) quispiam vitis nonnullis ineptam & ridiculam nominum interpretationem, indignam sanè Iacobi eruditione; vt cùm dicitur Aegidius formari ab e quod es siue, & geos quod est terra, & dyan quod est clarum, siue diuinum;[…]. Omitto cetera non minùs absurda; quæ cùm indocti homines pro pulpitis identidem declamarent, nauseam & risum mouevant eruditis, séque ipsos & Sanctorum historias in summam adducebant contemptionem. Vnde illa sunt Georgij Wicelij in præfat. ad Hagiologium: Pòst extitit Iacobus Voraginis Præsul Genuensis, […].“ Vgl. ebd., S. XIIIb–XIVa: „Illud non possum non gratâ prosequi memoriá, quòd S. IGNATIO, Societatis Iesv parenti, contigisse nostri referunt Annales; cùm plagæ, quam in tibiâ acceperat, persuandæ causâ lecto esse diutius quàm militaris ejus indo-

414 die Entstehung der Acta Sanctorum nicht weniger bedeutsam als die altertumskundlichen Interessen des späten 16. Jahrhunderts. Rosweyde selbst hatte den unmittelbar im devotionalen Alltag verwendbaren hagiographischen Schriften weit mehr Raum eingeräumt, als es das heute dominierende Bild eines mit seinen gelehrten Studien nur unzureichend vorangekommenen Zeitgenossen nahelegt. Rosweyde hatte 1619 mit der zweibändigen Generale legende der Heylighen auf rund 1500 Seiten eine erweiterte und überarbeitete flämische Version von Ribadeneiras Flos sanctorum vorgelegt, die bis 1711 in sieben Auflagen gedruckt werden sollte. 1626 publizierte er auf 671 Seiten im Octavformat eine volkssprachliche Sammlung von Lebensbeschreibungen heiliger Jungfrauen, der 1620 ein seinerseits flämisches Marienleben Het leven van de Heylighe Maghet ende Moeder Godts Maria vorangegangen war. 234 Diese Schriften dürften einen ihrer Zielpunkte in den von den Jesuiten getragenen Mariensodalitäten der flandro-belgischen Provinz besessen haben. In Antwerpen hatte die Sodalität ihren Sitz im Professhaus der Jesuiten, das heißt genau dort, wo –––––––—

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les ferret, cogeretur, poposcisse profanum quempiam scriptorem, cuius lectione molestiam temporis levaret: sed nullo eiusmodi tunc domi reperto, duos ei oblatos, quorum alter Christi, alter Sanctorum gesta continerent: horum lectione præparatum, eos accepisse Diuinæ gratiæ satus, quorum fructu orbis perfruitur vniversus.“ Welche hagiographische Sammlung genau angesprochen war und ob Bolland die Legenda aurea vor Augen stand, ist allerdings nicht mit Sicherheit entscheidbar. In den Acta Sanctorum wurde später unter dem Titel Acta antiquissima die Erstausgabe der heute als Bericht des Pilgers bekannten Selbstbiographie Ignatius’ publiziert. Vgl. J[oannes] P[ienius], De S. Ignatio Loyola Confess. fundatore Ordinis clericorum regularium Societatis Jesu. Romae, in: AASS Iulii, Bd. 7, 1731, 31. Juli, S. 409–853. Acta Antiquissima, A P. Ludovico Consalvo S. I. ex ore Sancti excepta: & à P. Hannibale Codretto, ejusdem S. I., in Latinum conversa, ebd., S. 634–654, hier S. 636: „Et cum esset inanium librorum mendaciumque lectioni deditissimus, qui sunt de egregiis illustrium virorum gestis inscripti; ubi se incolumem sensit, nonnullos ex iis fallendi temporis gratiâ sibi dari poposcit. At in ea domo nullus ejus generis libet inventus est: quare illi is datus fuit, cui Vita Christi est titulus, & alter, qui Flos Sanctorum inscribitur, atque hi patriâ linguâ (*).“ Piens Marginalglosse verweist allein auf das spanische Original. Vgl. ebd., Anm. *: „Hispanicè: de la vida de los Santos en Romance.“ Die Diskussion, um welche Bücher es sich gehandelt habe, wurde schon zeitgenössisch geführt. Pien, Commentarius prævius, ebd., S. 409–633, hier S. 414a, erwähnt explizit nur Ludolfs Vita Christi. Dass das andere Werk eine spanische Version der Legenda aurea war, ist zumindest heute Konsens. Vgl. Ignatius von Loyola, Der Bericht des Pilgers, in: ders., Deutsche Werkausgabe, Bd. 2: Gründungstexte der Gesellschaft Jesu, übers. v. Peter Knauer, Würzburg 1998, S. 1–84, hier S. 16 Anm. 37; ferner Ruhstorfer, Prinzip (1998), S. 21 mit Anm. 34; Thomas Lentes, „Andacht“ und „Gebärde“. Das religiöse Ausdrucksverhalten, in: Kulturelle Reformation. Sinnformationen im Umbruch. 1400–1600, hrsg. v. Bernhard Jussen/Craig Koslofsky (Veröff. d. MPI f. Geschichte 145), Göttingen 1999, S. 29–65, hier S. 63; Maron, Ignatius (2001), S. 19. Nur Ludolfs Vita Christi diskutiert Andreas Falkner, Was las Iñigo de Loyola auf seinem Krankenlager? Zum Prooemium der „Vita Jesu Christi“, in: Geist und Leben 61 (1988), S. 258–264. Vgl. Art. Rosweyde, in: Sommervogel, Bd. 7, 1896, Sp. 202, 204, Nr. 14, 15, 21; Poncelet, Histoire, Bd. 2 (1928), S. 512.

415 Rosweyde seit 1612 beheimatet war. 235 Rosweyde erstellte ferner eine 1617 gedruckte flämische Version seiner Edition der Vitae patrum und legte im selben Jahr die lange maßgebliche Ausgabe des heute zumeist Thomas von Kempen († 1471) zugeschriebenen Grundlagentexts der Devotio moderna De imitatione Christi vor. Eine erbitterte Kontroverse lieferte er sich mit dem Benediktiner Constantin Caietan (1560–1650) um die Frage der historischen Urheberschaft dieses Werks – Caietan suchte den Nachweis zu führen, dass De imitatione Christi von einem Benediktiner namens Jean Gessen angefertigt worden sei. 236 Rosweyde übertrug letztlich auch, neben einer um die belgische Geschichte erweiterten Version der Annales ecclesiastici, die er 1623 auf 1360 Seiten in folio als Generale Kerckelycke Historie publizierte, 237 den ersten Band der Ejercicio de perfección y virtudes cristianas des Jesuiten Alonso Rodríguez (1537–1616) von 1609 ins Flämische und ließ sie 1626 in Antwerpen drucken. 238 Gemessen an dem einen Werk, das Rosweyde nicht zum Druck brachte, wurden und werden diese Arbeiten von den Bollandisten der Moderne als Abschweifung von Rosweydes eigentlicher Aufgabe interpretiert, das heißt den in den Fasti vorgestellten Plan stringent in die Realität umzusetzen. Ob dieser aber, mit Peeters, wirklich „le centre et le but constant de son activité“ darstellte, ist nicht gesagt. Peeters bewertete selbst die Vitae patrum nicht als eigenständige Edition eines der wichtigsten hagiographischen Sammelwerke des Mittelalters, 239 sondern als „monument provisoire“. 240 Auf dieser Basis war es in –––––––— 235

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Vgl. ebd., S. 321–345; Andriessen, Erneuerung (1986), S. 183, 186, 188f. Zugunsten seiner gelehrten Studien sollte Rosweyde erst gegen Ende des Jahres 1622 von seinen anderen Verpflichtungen entbunden werden. Dies geht aus der Korrepondenz des Ordensgenerals hervor. Vgl. Poncelet, Histoire, Bd. 2 (1928), S. 477 Anm. 2. Hausberger, Werk (1980), S. 216, datiert die Freistellung versehentlich auf 1612. Vgl. Art. Rosweyde, in: Sommervogel, Bd. 7, 1896, Sp. 195–201, Nr. 10, 11; Albert Ampe, L’Imitation de Jésus-Christ et son auteur (Sussidi eruditi 25), Rom 1973, bes. S. 33f. mit Anm. 3, S. 45 mit Anm. 2, S. 111. Die Debatte um die Urheberschaft riss im 17. Jahrhundert nicht ab. Vgl. Leclercq, Mabillon, Teil 1 (1953), S. 119–131; Benz, Tradition (2003), S. 540–545; zu den wichtigsten zeitgenössischen Textausgaben Henri-Jean Martin, Mise en page et mise en texte du livre français. La naissance du livre moderne (XIVe-XVIIe siècles), Tours 2000, S. 388–392; zur Entwicklung dieses Texts im Übergang zum Buchdruck Uwe Neddermeyer, „Radix Studii et Speculum Vitae“. Verbreitung und Rezeption der „Imitatio Christi“ in Handschriften und Drucken bis zur Reformation, in: Studien zum 15. Jahrhundert. Festschrift für Erich Meuthen, Bd. 1, hrsg. v. Johannes Helmrath/Heribert Müller, München 1994, S. 457– 481; zur Sache im Überblick Kaspar Elm, Die „Devotio moderna“ und die neue Frömmigkeit zwischen Spätmittelalter und früher Neuzeit, in: Die „Neue Frömmigkeit“ in Europa im Spätmittelalter, hrsg. v. Marek Derwich/Martial Staub (Veröff. d. MPI f. Geschichte 205), Göttingen 2004, S. 15–29. Vgl. Art. Rosweyde, in: Sommervogel, Bd. 7, 1896, Sp. 203f., Nr. 20. Vgl. ebd., Sp. 204f., Nr. 23. Vgl. Ulla Williams, Art. Vitas Patrum, in: LexMA, Bd. 8, 1997, Sp. 1765–1768. Vgl. Peeters, Œuvre (1942), S. 12; vgl. auch De Smedt, Fondateurs (1908), S. 298f.; Delehaye, Œuvre (21959), S. 16. Zumeist werden diese Arbeiten nicht oder nur kurso-

416 der Tat schwer möglich, zu erklären, was Rosweyde an der hagiographischen Tradition interessiert haben könnte.241 Rodriguez’ Ejercicio war eine populäre Version der sich seit dem 16. Jahrhundert verbreitenden Anleitungen zu einem gottgemäßen Lebenswandel, die auf introspektiver Gottesschau und der Verinnerlichung eines idealen Lebenslaufs beruhten. Dieser ideale Lebenslauf verkörperte sich, wie nicht eigens betont werden muss, in Christus und Maria, aber eben auch in den Viten der Heiligen. Rodriguez hatte zahlreiche seiner Beispiele den Vitae patrum entnommen. 242 Der moraltheologische Dreiklang der Lektüre von (a.) Heiligenviten, (b.) Christus- oder Marienviten und (c.) Anleitungen zu Gottesschau und idealem Lebenswandel bildet sich deutlich in Rosweydes Tätigkeitsspektrum ab. Rosweyde tritt also einerseits als Förderer der neuen Frömmigkeit in Erscheinung, deren laikale Seiten er durch seine Übersetzungen unterstützte und deren materielle Grundlagen er andererseits, inspiriert von den Bestrebungen des altertumskundlichen Katholizismus, historisch und gelehrt vertiefte. Die Acta Sanctorum erwuchsen aus einem spiritualitäts- und frömmigkeitsgeschichtlichen Zusammenhang, in dem die Bedeutung der Heiligenviten seit dem Mittelalter eher zu- als abgenommen hatte. Diese Seite der Konfessionalisierung in den Spanischen Niederlanden schloss beinahe bruchlos an Entwicklungen an, die in den benachbarten, katholisch gebliebenen Territorien durchgängig gepflegt worden waren. Deutlicher noch als im Falle Rosweydes treten die Überschneidungsflächen der spirituellen –––––––—

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risch erwähnt. Rooney, Architect (2000), S. 109, konstatiert: „It is admitted that many of Rosweyde’s writings, translations and editions were of value to the Church, but also many of the tasks could easily have been done by others. Certainly there was no need for him, for example, to translate the Vitae Patrum into Flemish.“ Vgl. Peeters, Œuvre (1942), S. 5: „Comment l’idée lui vint-elle un jour que ces pièces dépareillées, ramassées un peu partout, au hasard de ses trouvailles fortuites, pourraient, au prix de quelques recherches méthodiques, fournir la matière d’un vaste recueil documentaire qui remplacerait avec avantage toutes les collections alors existantes de vies des saints? Nous l’ignorons.“ Vgl. Bertrand, Society (1997), S. 932 mit Anm. 66; grundsätzlich John Patrick Donnelly, Alonso Rodríguez’ „Ejercicio“. A Neglected Classic, in: Sixteenth Century Journal 11 (1980), S. 16–24; John W. O’Malley, Frühe jesuitische Spiritualität. Spanien und Italien, in: Geschichte der christlichen Spiritualität, Bd. 3: Die Zeit nach der Reformation bis zur Gegenwart, hrsg. v. Louis Dupré/Don E. Saliers, Würzburg 1997, S. 29–52, hier S. 38, 40; Klára Erdei, Auf dem Weg zu sich selbst. Die Meditation im 16. Jahrhundert. Eine funktionsanalytische Gattungsbeschreibung (Wolfenbütteler Abhandlungen zur Renaissanceforschung 8), Wiesbaden 1990, S. 163ff.; Lance Lazar, The Formation of the Pious Soul. Transalpine Demand for Jesuit Devotional Texts, 1448–1615, in: Confessionalization in Europe, 1555–1700. Essays in Honor and Memory of Bodo Nischan, hrsg. v. John M. Headley/Hans J. Hillerbrand/ Anthony J. Papalas, Aldershot/Burlington, Vt. 2004, S. 289–318, hier S. 311–316; vgl. zu den erstmals 1548 gedruckten Exerzitien des Ignatius, dem heute bekanntesten Vertreter dieser Gattung, vor allem Ruhstorfer, Prinzip (1998).

417 Verankerung der Devotio moderna mit der heute als „niederländischflämische Mystik“, 243 als „rheinisch-flämische Mystik“ 244 oder, aus französischer Sicht, als „École du Nord“ 245 apostrophierten Strömungen anhand der Kölner Kartäuser hervor. Durch diese wurde nicht nur mit Surius’ De probatis Sanctorum historiis die Tradition des Prosalegendars in eine gedruckte Form überführt – darauf wird noch einzugehen sein –, sondern auch die spätmittelalterliche Mystik in Gestalt der Werke Johannes Taulers († um 1361), Heinrich Seuses († 1366) oder Jan Ruysbroeks († 1381) typographisch aufbereitet. 246 Für die Seite der Beschaffung der hagiographischen Materialien bedeutete dies, dass, trotz aller altertumskundlicher Emphase, die vergleichsweise jungen hagiographischen Sammlungen, die in diesen Kontexten entstanden waren, eine primäre Anlaufstelle auf der Suche nach der Überlieferung darstellten. Wie sich bereits aus Van den Gheyns Katalog erschließt, befinden sich in den Collectanea bollandiana zahlreiche Abschriften aus dem dreibändigen Passionale, das im frühen 15. Jahrhundert der Utrechter Kartäuser Zweder Van Boecholt (um 1350–1433) angelegt hatte. Wahrscheinlich entstammen sie der Tätigkeit Rosweydes. 247 Etwas anders verhält es –––––––— 243

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Marc Venard, Teil 3: Das Leben der Christen, Kap. 2: Persönliche Formen des religiösen Lebens. III. Die spirituellen Lehrer und die Andachtsliteratur, in: Die Geschichte des Christentums. Religion, Politik, Kultur, Bd. 8: Die Zeit der Konfessionen (1530– 1620/30), hrsg. v. dems. Deutsche Ausg. bearb. u. hrsg. v. Heribert Smolinsky, Freiburg i. Br./Basel/Wien 1992, S. 1043–1062, hier S. 1044f. Ders., Teil 1: Das Phänomen der Bekenntnisse, Kap. 5: Die katholische Kirche. I. Ansatzpunkte für eine katholische Reform, in: ebd., S. 239–254, hier S. 241. Martin, Naissance (2000), S. 389. Vgl. Chaix, Réforme, Teil 1 (1981), S. 305–314. Vgl. Johan Peter Gumbert, Die Utrechter Kartäuser und ihre Bücher im frühen fünfzehnten Jahrhundert, Leiden 1974, S. 80–90. Es handelt sich um das Ms. 391 der Bibliotheek der Rijksuniversiteit Utrecht. Vgl. ebd., S. 338f.; Handschriften en Oude Drukken van de Utrechtse Universiteitsbibliotheek. Samengesteld bij het 400-jarig bestaan van de bibliotheek der Rijksuniversiteit, 1584–1948, Utrecht 21984, S. 32f. Sein Inhalt ist leider nicht vollständig katalogisiert. Vgl. Catalogus codicum manu scriptorum Bibliothecae Universitatis Rheno-Trajectinae, Utrecht/Den Haag 1887, S. 134f., Ms. 391. Van den Gheyn hat die auf den Abschriften notierten Provenienzen zumeist mit verzeichnet. In den beiden die Monate Januar und Februar betreffenden Sammlungen, um hier und in den folgenden Anmerkungen nur diese zu nennen, finden sich insgesamt 25 abschriftliche Viten mit der Notiz „Ex MS.to Vltraiectino S. Saluatoris“ ausgestattet, die nicht in der Hand Henschens, Bollands oder Papebrochs geschrieben war. Sie könnten noch aus Rosweydes Zeit herrühren. Vgl. Van den Gheyn, Catalogue, Bd. 5 (1905), S. 411–416, Ms. 7569 (3440), Nr. 17 mit Anm. 2, Nr. 33 mit Anm. 2, Nr. 67 mit Anm. 3, Nr. 71 mit Anm. 6, Nr. 76 mit Anm. 9, Nr. 80 mit Anm. 12, Nr. 85 mit Anm. 3; ebd., S. 418–422, Ms. 7763 (3443), Nr. 2 mit Anm. 2, Nr. 8 mit Anm. 5, Nr. 13 mit Anm. 7, Nr. 15 mit Anm. 2, Nr. 20 mit Anm. 6, Nr. 26 mit Anm. 12, Nr. 27 mit Anm. 13, Nr. 34 mit Anm. 4, Nr. 40 mit Anm. 8, Nr. 45 mit Anm. 10, Nr. 46 mit Anm. 1, Nr. 58 mit Anm. 8, Nr. 59 mit Anm. 9, Nr. 64 mit Anm. 2, Nr. 69 mit Anm. 4, Nr. 70 mit Anm. 5, Nr. 71 mit Anm. 6, Nr. 72 mit Anm. 7. Diese Bestände schlossen beispielsweise eine Version

418 sich mit dem um 1459 entstandenen, zwölf Bände umfassenden Menologium des damaligen Augustinerchorherrenstifts Böddeken in Westfalen, dessen Bestände für Bolland von Gamans zu großen Teilen kopiert worden sind. 248 Bolland wies ferner darauf hin, jene Vitensammlungen genutzt zu –––––––—

248

der Vita Karoli ein. Vgl. Vita Caroli Francorum regis, BRB, Coll. boll. Ms. 7569 (3440), fol. 174r–179r. Inc.: „Carolus Pipini filius qui pro felicitatis magnitudine agnominatus est magnus […].“ Expl.: „[…] est sepultus et presente ibidem Leone papa cum principibus romanis, Archiepiscopis, Ducibus, Comitibus et ceteris prelatis infinitis.“ Vgl. ebd., fol. 174r, Notat am oberen linken Rand: „Ex MS.to Vltraiectino S. Saluatoris“. Die Zuordnung der Hände ist ein Problem. Die einzige allgemein verfügbare Schriftprobe galt bis vor kurzem der vergleichsweise einfach zu identifizierenden Handschrift Papebrochs. Vgl. Henri Stein (Hrsg.), Album d’autographes de savants et érudits français et étrangers des XVIe, XVIIe, XVIIIe siècles. Première série (Publication de la Société Française de Bibliographie), Paris 1907, Tafel 19, mit Faksimile eines Schreibens von Papebroch an d’Achery vom 12. Januar 1663. Daher galt es, mit Zuordnungen zurückhaltend zu verfahren. Für Bolland und Henschen dienten folgende Stücke als Bezugsgrößen: Bolland an Gamans, Antwerpen, 17. Juni 1644, BRB, Coll. boll. Ms. 8935 (3497), fol. 101r–v; Bolland an Gamans, Antwerpen, 1. Juli 1644, ebd., fol. 103r; Henschen an Turinetti, Antwerpen, 13. Feb. 1654, BRB, Coll. boll. Ms. 8182–90 (3455), fol. 95r–96v. Die hier eingesehenen Handschriften enthalten zwar zahlreiche Schreiben an Rosweyde, allerdings keines, das von ihm selbst stammte. Wahrscheinlich ist der Titel der Abschrift des: Martyrologium MStum Ecclesiæ S. Mariæ Vltraiecti canonicorum, BRB, Ms. 7762 (497), fol. 1r, von Rosweyde geschrieben worden. Van den Gheyn, Catalogue, Bd. 1 (1901), S. 313, Ms. 7762 (497), Nr. 1, bemerkte auf das vorangehende, unpaginierte Blatt bezogen: „Notes diverses de Rosweyde, Papebroch et Sollier sur la nature et la valeur de cette copie.“ Das Martyrologium MStum Ecclesiæ S. Mariæ Vltraiecti canonicorum, BRB, Ms. 7762 (497), [Blatt 1], weist Notizen in drei Händen auf: „Est descriptum ex MS. antiquo, Vltrajectino cui præponitur paruum Chronicon vsque ad annum 1138 et subiungitur Tabula Paschalis ab anno 1139.“ Diese Notiz stammte, gegen Van den Gheyn, mit Sicherheit von Henschen. Es folgte in der Hand Papebrochs: „Curauit P. Heribertus describi […] auctum est in Anglia et citatur Ult.“ Später scheint Du Sollier vermerkt zu haben: „Jn editione Usuardi ex ipso autographio, quod habemus in membrana X.c citatur semper sub nomine Rosweydini […].“ Dass zumindest besagter Titel von Rosweyde herrührte, legt der Vergleich mit den Notizen: „Ex MS.to Vltraiectino S. Saluatoris“, auf den Abschriften aus dem Utrechter Legendar nahe. Eine ähnlich anmutende Hand ist ferner in Teilen des Index SS. Hiberniæ, BRB, Coll. boll. Ms. 8530–34 (3473), fol. 1r–11r, anzutreffen, die nach Meinung von Paul Grosjean ebd., fol. 1r–4r, von Rosweyde verschriftlicht worden sein könnte. Vgl. unten S. 519. Dieser Befund lässt sich jetzt durch die Faksimilierung von Schriftproben Rosweydes bei Godding/Joassart/Lequeux [u. a.], Bollandistes (2007), S. 22 Abb. 14, S. 32 Abb. 19, bestätigen. Das Menologium ist im II. Weltkrieg größtenteils zerstört worden. Vgl. Henri Moretus, De magno legendario Bodecensi, in: Anal. Boll. 27 (1908), S. 257–358; François Halkin, Legendarii Bodecensis menses duo in codice Paderbornensi, in: Anal. Boll. 52 (1934), S. 321–333; Berschin, Biographie, Bd. 1 (1986), S. 8; Rener, Hagiographie (1994), S. 207; Thomas Kock, Die Buchkultur der Devotio moderna. Handschriftenproduktion, Literaturversorgung und Bibliotheksaufbau im Zeitalter des Medienwechsels (Tradition – Reform – Innovation. Studien zur Modernität des Mittelalters 2), Frankfurt a. M./Berlin/Bern [u. a.] 22002 [zuerst 1999], S. 184, 254. Die Mss. 7569 und 7763 der Collectanea bollandiana beinhalten sechs Abschriften aus dem Menologium. Vgl. Van den Gheyn, Catalogue, Bd. 5 (1905), S. 411–416, Ms. 7569

419 haben, die die Regularkanoniker Johannes Gielemans († 1487) und Antonius Gentius (Geens/Gheens) († 1534) in dem bei Brüssel gelegenen Kloster Rouge-Cloître (Rubeavallis) erstellt hatten. Diese waren bereits von Surius verwandt worden, nach Aussage Bollands vermittelt durch Van der Meulen. 249 Die mithin ältesten Überlieferungsträger dieser Art waren das damals –––––––—

249

(3440), Nr. 9 mit Anm. 11, Nr. 39 mit Anm. 6, Nr. 50 mit Anm. 2, Nr. 58 mit Anm. 6; ebd., S. 418–422, Ms. 7763 (3443), Nr. 14 mit Anm. 1, Nr. 63 mit Anm. 1. Sie zählen zu den wenigen, deren Provenienz von jenen detailliert verzeichnet wurde, die die Abschriften angefertigt hatten. Vgl. etwa: S. Geminiani Episcopi, BRB, Coll. boll. Ms. 7569 (3440), fol. 210r–211v. Inc.: „Post gloriosos Apostoloru[m] et Martyru[m] triumphos insuperabiles præcelsa refulgent Confessoru[m] merita; […].“ Expl.: „[…] semper habere valeamus per Dominu[m] nostrum Jesu[m] Christum filiu[m] tuu[m] cooperatore[m], tibiq[ue] consubstantiale[m] vna cu[m] Spiritu Sancto in sæcula sæculoru[m] Amen.“ Vgl. ebd., fol. 210r, zentriert unter dem Titel: „Ex Bodecensis Coenobij ord. Regular. S. Augustini, dioecesis Paderborn. Passionali pergameno MS. insigni mensis Februarij fol. VIII. p. A. || Vita Sancti Geminiani Episcopi Mutinensis, cuius festus colitur in Calendis Februarij“. Vgl. ebd., marginal rechts oberhalb des Titels wahrscheinlich von Bolland: „Accepimus à P. Jo[ann]e Gamans Soc.tis JESV 1641.“ Vgl. auch die Passio Sanctoru[m] Saturnini Presbyteri, Felicis, Datiui, ac socioru[m] eorundem quæ est XV Calend. Februar., BRB, Coll. boll. Ms. 7763 (3443), fol. 297r–v. Inc.: „Pugnas atq[ue] uictorias Sanctorum martyrum literis digere uolens […].“ Expl.: „[…] cesserunt et ad syderea regna cum palma martyrij migrarunt præstante domino nostro Jesu Christo qui cum patre et spiritu Sancto uiuit et regnat in sæcula sæculorum. Amen.“ Vgl. über dem Titel ebd., fol. 297r: „Ex Bodecensis Coenobij ord. Regular. S. August. dioecesis Paderborn. Passionali pergameno MS. insigni mensis Januarij fol. LXXXIX. pag. B.“ Vgl. ebd., marginal rechts die Notiz Bollands: „hæc acta longè perfectius extant in Surio XI Febru.“ Wie sich aus dieser Bemerkung bereits erahnen lässt, sind die Abschriften aus dem Menologium in den Collectanea bollandiana im Regelfall nur dann erhalten, wenn der jeweilige Text nicht in den Acta Sanctorum benutzt worden war. Die Dossiers zu den besagten Heiligen wurden also aus anderen Materialien bestritten. Vgl. G[odefridus] H[enschenius], De Sanctis Martyribvs Satvrnino Presbytero, Satvrnino et Felice lectoribvs, Maria et Hilarione, eivs liberis; Dativo lectore, Felice, alio Felice, Emerito, Ampelio, Rogatiano, Qvinto, Maximiano, Thelica, Rogatiano, Rogato, Ianvario, Cassiano, Victoriano, Vincentio, Cæciliano, Restitvta, Primeva, Rogatiano, Givalio, Rogato, Pomponia, Secvnda, Ianvaria, Satvrnina, Martino, Danto, Felice, Margarita, Maiore, Honorata, Regvla, Victorino, Pelvsio, Favsto, Daciano, Matrona, Cæcilia, Victoria, Berendina, Secvnda, Matrona, Ianvaria, Carthagine in Africa, in: AASS Februarii, Bd. 2, 1658, 11. Feb., S. 513–519. Acta Martyrii. Ex MS. Treuirensi S. Maximini & Surio, ebd., S. 515– 519. Etwas anders verhält es sich mit der Vita Geminiani. Die Version aus Böddeken kam im eigentlichen Dossier zwar nicht zum Einsatz. Vgl. De S. Geminiano Episcopo Mvtinensi in Italia, in: AASS Ianuarii, Bd. 2, 1643, 31. Jan., S. 1096–1100. Vita. Auctore anonymo, ex Mombritio, ebd., S. 1097–1100. Die Bollandisten druckten aber den zum Ende hin orientierten Teil in den: Addenda ad XXXI. Ianvarii, ebd., S. 1160. Expl.: „[…] semper habere valeamus per Dominum nostrum Iesum Christum Filium tuum cooperatorem tibique consubstantialem, vnà cum Spiritu sancto in sæcula sæculorum, Amen.“ Der hl. Geminianus tritt seit dem späten 8. Jahrhundert als frühchristlicher Bischof von Modena in Erscheinung. Möglicherweise herrschte er Ende des 4. Jahrhunderts. Vgl. Picard, Souvenir (1988), S. 344f., 633ff. Vgl. Bolland, Praefatio, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, S. XXIa–b: „[…] fuit Ioannes Gilemannus monasterij Canonicorum regularium in Rubeâ-valle iuxta Bruxellam in

420 vier Bände umfassende Legendar aus St. Omer aus dem 12. Jahrhundert und die in zahlreichen Abschriften vertretenen Legendare Trierer Provenienz, die zumeist gleichfalls auf Rosweyde zurückgehen dürften. 250 In den auf die Monate Januar und Februar bezogenen Mss. 7569 und 7763 der Collectanea bollandiana befinden sich sieben Abschriften mit der Provenienz St. Maximin. 251 Darin eingeschlossen sind beispielsweise eine Version der Passio Sancti Petri qui et Balsami 252 und die bereits erwähnte donatistische Passio –––––––—

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Brabantîa Supprior, qui summo labore atque industriâ Vitas Sanctorum plurimas collegit & manu suâ descripsit: quo in studio præclaram operam vnà posuit Antonius Gentius eiusdem cœnobij Prior. […] Decessit Gilemannus an. 1487. Gentius 1543. Præclaris Rubeæ-vallis MSS. voluminibus & Surium olim, procurante Ioanne Molano, & nos vsi sumus.“ Vgl. De Antonio Gentio in Rubea Valle. Canonico regulari hagiographo, in: Anal. Boll. 6 (1887), S. 31–34; Holt, Sammlung (1922), S. 353f.; Coens, Manuscrit (1960); Kock, Buchkultur (22002), S. 42 Anm. 132; S. 84 Anm. 31; S. 177, 243. Gentius’ Todesdatum wird heute auf 1534 angesetzt. Vgl. ebd., S. 236 Anm. 45. Von Gentius’ ursprünglich vier Bände umfassender Sammlung sind drei in Brüssel erhalten. Vgl. Van den Gheyn, Catalogue, Bd. 5 (1905), Ms. 11986, 982, 11987 (3234), S. 229–241. In den Mss. 7569 und 7763 der Collectanea bollandiana befinden sich daraus fünf Abschriften. Vgl. Van den Gheyn, Catalogue, Bd. 5 (1905), S. 411–416, Ms. 7569 (3440), Nr. 8 mit Anm. 10, Nr. 32 mit Anm. 1, Nr. 45 mit Anm. 11, Nr. 65 mit Anm. 2; ebd., S. 418–422, Ms. 7763 (3443), Nr. 12 mit Anm. 6. Sie umfassen beispielsweise die Vita B. Petri Thomæ Patriarchæ Constantinopolitani de ordine Carmelitarum, qui floruit a.o Domini M.o CCC.o et LXVI.o, BRB, Coll. boll. Ms. 7569 (3440), fol. 363r–366r. Inc.: „Venerandi patris domini Petri Thomæ ordinis Carmelitarum egregij ac sacræ Theologiæ doctoris […].“ Expl.: „[…] mendacium suspicari posset. Hæc ille et hic est finis. Explicit Vita.“ Vgl. ebd., fol. 363r, links hoch oberhalb des Titels: „Ex 1.a parte Noualis SS. Rubeæ-Vallis.“ Diese Vita wurde in den Acta Sanctorum nicht benutzt. Vgl. De S. Petro Thomasio Patriarcha Constantinop. Ord. Carmel. Famavgvstæ in Cypro, in: AASS Ianuarii, Bd. 2, 1643, 29. Jan., S. 990–1023. Vita avctore Philippo Mazzerio Cancellario Cypri, ex MSS., ebd., S. 995–1022. François Dolbeau, Le tome perdu du légendier de Saint-Omer, reconstitué grâce aux „Collectanea Bollandiana“, in: Anal. Boll. 93 (1975), S. 363–375, hier S. 365 mit Anm. 2. Vgl. dazu auch unten S. 494f. Anm. 59. Vgl. Van den Gheyn, Catalogue, Bd. 5 (1905), S. 411–416, Ms. 7569 (3440), Nr. 22 mit Anm. 5, Nr. 52 mit Anm. 3, Nr. 57 mit Anm. 5, Nr. 63 mit Anm. 9, Nr. 75 mit Anm. 8; ebd., S. 418–422, Ms. 7763 (3443), Nr. 25 mit Anm. 11, Nr. 35 mit Anm. 5. Vgl. Passio Sancti Petri qui et Balsami, BRB, Coll. boll. Ms. 7569 (3440), fol. 346r–v. Inc.: „In illo tempore Petrus qui et Balsamus, Cum comprehensus fuisset apud Aulanam ciuitatem tempore persecutionis […].“ Expl.: „[…] apud Aulanam ciuitatem iij. Nonas Januarij sub Maximiano Jmperatore. Regnante domino nostro Jesu Christo, cui est honor et gloria in sæcula sæculorum amen.“ Vgl. ebd., fol. 346r, oben marginal links: „Ex MS.to S.ti Maximini Treueris“, oben rechts von Papebroch: „sunt impressa“. Der Plural bezog sich auf eine zweite, damit fast identische Version: Incipit Passio ¢supralinear: Passio² Sancti Petri Qui et Balsami, ebd., fol. 348r–349r. Inc.: „In illo tempore Petrus, qui et Balsamus, cum comprehensus fuisset apud Aulanam ciuitatem, tempore persecutionis, […].“ Expl.: „[…] apud Aulanam ciuitatem iij.o Nonas Januar. sub Maximiano imperatore. Regnante domino nostro Jesu Christo cui est honor et gloria in sæcula sæculorum. Amen.“ Ebd., fol. 348r, oben links: „Ex MS.to Bertiniano vetustiss[im]o.“ Unter anderem auf diese beiden Texte wurde für den Druck der Passio in den Acta Sanctorum zurückgegriffen. Vgl. De S. Petro Bal-

421 Sancti Donati et Advocati, die nicht in den Acta Sanctorum publiziert wurde. 253 –––––––—

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samo sive Abselamo Martyre, in: AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, 3. Jan., S. 128f. Acta, ebd., S. 129. Inc.: „In illo tempore Petrus qui & Balsamus, cùm comprehensus fuisset […].“ Expl.: „[…] apud Aulanam ciuitate[m] III. Non. Ianuar. sub Maximiano Imperatore, regnante Domino nostro Iesu Christo, cui est gloria in sæcula sæculoru[m], Amen.“ In den Trierer Hagiographica ist diese Vita (BHL 6702) in zwei Sammelhandschriften überliefert, die beide nicht die primäre Provenienz St. Maximin aufweisen. Die eine stammt aus St. Matthias und aus dem 12. Jahrhundert. Vgl. Maurice Coens, Catalogus codicum hagiographicorum latinorum bibliothecae civitatis Treverensis, in: Anal. Boll. 52 (1934), S. 157–285, hier S. 209, Ms. 1152 (olim 971), Nr. 32. Die zweite ist eine in ihrer Herkunft nicht näher bezeichnete des 13. Jahrhunderts im Besitz des Priesterseminars. Vgl. ders., Catalogus codicum hagiographicorum latinorum seminarii et ecclesiae cathedralis Treverensis, in: Anal. Boll. 49 (1931), S. 214–275. I. Bibliotheca seminarii clericalis, ebd., S. 242–258, hier S. 242, Ms. 5 (olim R. II. 1), Nr. 4. Vgl. Passio S. Donatj, BRB, Coll. boll. Ms. 7763 (3443), fol. 141r–144v. Inc.: „Si manifesta persecutionum gesta non ¢…² ¢supralinear: ociosa con² scripta sunt [?] ¢supralinear: sunt², […].“ Expl.: „[…] maleficio consequi, puraque ¢supralinear: et² virgine conscienti ¢supralinear: conscientia² coronari, cui est gloria, in perpetuum et imperium in sæcula sæculorum amen.“ Vgl. ebd., fol. 141r, oben links marginal, wohl von Rosweydes Hand: „Ex MS.to Treuirensi S. Maximini“. Diese Passio (BHL nov. supp. 2303b) ist in der gleichen Handschrift aus St. Matthias wie die Passio Sancti Petri überliefert. Vgl. Coens, Catalogus (1934), S. 212, Ms. 1152 (olim 971), Nr. 77. Ferner existiert sie in zweifacher Ausfertigung in einer Handschrift des 13. Jahrhunderts aus St. Maximin. Vgl. ebd., S. 194f., Ms. 1151,I (olim 962), Nr. 21, 29. Vgl. zur Überlieferung François Dolbeau, La „Passio sancti Donati“ (BHL 2303b). Une tentative d’édition critique, in: Memoriam sanctorum venerantes. Miscellanea in onore di Monsignor Victor Saxer (Studi di antichità cristiana 48), Città del Vaticano 1992, S. 251–267, hier S. 252f. Die Passio wurde erstmals 1700 in DuPins Anthologie zum donatistischen Schisma gedruckt. Dolbeau bietet die erste kollationierende Edition überhaupt. Vgl. Passio sancti Donati aduocati kal. Martii, in: ebd., S. 256–267. Inc.: „Si manifesta persecutionum gesta non otiose conscripta sunt […].“ Expl.: „[…] maleficio consequi, pura et uirgine conscientia coronari, per Christum cui est gloria et imperium in saecula saeculorum. Amen.“ Um einen Eindruck von dem Status des Arbeitsmaterials zu vermitteln, den die Abschriften in den Collectanea bollandiana besaßen, wurden hier und im Folgenden Unterstreichungen im Regelfall ebenso übernommen wie durchgestrichene Wörter. Letzteres kann über den Prozess der Verschriftlichung Auskunft geben. Texte ohne oder mit nur kleineren Korrekturen sind wahrscheinlich aus bereits existierenden Transkriptionen angefertigt worden, da die direkte Transkription aus einer mittelalterlichen Handschrift kaum je ohne die eine oder andere Verschreibung vonstatten gegangen sein dürfte. Allerdings ist auch mit späteren Korrekturversuchen, etwa durch Bolland, zu rechnen. Die gegebenenfalls korrigierten Wörter oder Passagen werden durch Spitzklammern und Aussagen zu ihrer Position gekennzeichnet. Wörter, die der Verfasser nicht lesen konnte, werden durch Auslassungspunkte in Spitzklammern (¢…²) markiert, solche, die aufgrund einer Streichung unleserlich geworden sind, beinhalten einen graphischen Hinweis auf die Streichung (¢…²). Editorische Standards im Sinne einer vollständigen Wiedergabe aller auf diesen Blättern anzutreffenden graphischen Aktivitäten – Notizen, Marginalien, Querverweise – sind damit nicht angestrebt. Als Orientierung diente die neuere Briefeditorik. Vgl. beispielhaft Jürgen Herold/Michaela Küper/Christine Maillet [u. a.], Edition der Briefe, in: Zwischen Deutschland und Frankreich. Elisabeth von

422 Wie die Bollandisten, so scheinen auch die Kölner Kartäuser enge Beziehungen zur Benediktinerabtei St. Lambert in Liessies unterhalten zu haben. Zu seiner Zeit hatte Abt Ludwig von Blois (1506–1566) mit der Institutio spiritualis von 1553 selbst eine der wirkungsmächtigsten Anleitungen zur Gottesschau verfasst. Ludwig war, aus verschiedenen Gründen, eine der von der katholischen Intelligenz am meisten geachteten und gesuchten Figuren in der Kirchenlandschaft zwischen Rhein und Schelde. Surius widmete ihm die 1555 gedruckten Opera omnia Seuses. Mit dieser Geste machte er indes nicht nur die ideelle, sondern auch die materielle Unterstützung durch von Blois wahrscheinlich. 254 Die gelehrten Jesuiten Belgiens kooperierten in besonderer Weise mit der Abtei und ihren Äbten. Rosweydes Vitae patrum waren ebenso de Winghe gewidmet wie Halloix’ Illustrium ecclesiæ orientalis scriptorum vitae et documenta von 1633. 255 Der Jesuit Étienne Binet (1569–1639) publizierte 1634 eine kleinere illustrierte Sammlung mit Kurzbiographien jener Heiligen, deren Bildnisse im Chor der Klosterkirche vorzufinden waren und die auf die Reliquien im Besitz der Abtei verwiesen. „Drei Arten Heilige“, so Binet, seien ihm auf seinen Wegen in der Abtei begegnet, „tote, lebende und andere im Bild. Es ist also ein Boden der Heiligen, ein Gebiet der Himmelsfreude, und, um ehrlich zu sein, ein Boden der Verheißung und Segnung.“256 Durch de Winghes finanzielle Unterstützung war es in wesentlichen Teilen möglich –––––––—

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Lothringen, Gräfin von Nassau-Saarbrücken, hrsg. v. Wolfgang Haubrichs/HansWalter Herrmann (Veröff. d. Kommission f. Saarländ. Landesgeschichte und Volksforschung e. V. 34), St. Ingbert 2002, S. 254–366. Vgl. Chaix, Réforme, Teil 1 (1981), S. 274. Lambert (Henri) Vos, Louis de Blois. Abbé de Liessies (1506 –1566). Recherches bibliographiques sur son œuvre (Publications de l’Encyclopédie bénédictine 1), Turnhout 1992, S. 35; vgl. zu mäzenatischen Strukturen im Buchdruck die Fallstudie von Albert Schirrmeister, Triumph des Dichters. Gekrönte Intellektuelle im 16. Jahrhundert (Frühneuzeitstudien N. F. 4), Köln/ Weimar/Wien 2003, S. 149–169, 221–228. Vgl. Vitae patrum, ed. Rosweyde, 1615. Dedikationsepistel: De Vitis Patrvm earvmq[ue] recognitione ad Rdum admodum Dominum ac Patrem Antonivm de Winghe Abbatem Laetiensem Ordinis S. Benedicti et Religiosvm eivs coetvm Heriberti Rosvveydi prooemivm. [unpaginiert]; Halloix, Vitae et documenta, 1633. Dedikationsepistel: Admodvm reverendo Domino Antonio de VVinghe Lætiensis coenobii in Hannonia Ordinis S. Benedicti, Abbati dignissimo, ebd., S. III–V. Vgl. Dehaisnes, Origines (1866/67), S. 441, 443. Vgl. ABREGÉ || DES VIES || DES PRINCIPAVX || FONDATEVRS DES RELIGIONS DE L’EGLISE, || REPRESENTEZ DANS LE CHOEVR || DE L’ABBAIE DE S. LAMBERT || DE || LIESSIES || EN HAYNAVT: || Auec les Maximes spirituelles de chaque || Fondateur. || Par le R. P. ESTIENNE BINET, de la || Compagnie de JESVS. || A ANVERS || Chez MARTIN NVTIVS. || L’AN M. DC. XXXIV. Dedikationsepistel: A Messievrs les reverends Peres religievx de l’Abbaie de S. Lambert de Liessies, de l’Ordre de S. Benoit [unpaginiert], fol. A3r: „IE fus raui, passant par vostre Abbaie, tant celebre: & i’y vis trois sortes de Saints; à scauoir des morts, des viuants, & d’autres en peinture. C’est donc vne terre de Saints, vn païs de Liesse du ciel, & à vray dire, vne terre de promission & de benediction.“

423 geworden, ein Jesuitenkolleg in Maubeuge einzurichten, das 1619 den Lehrbetrieb aufnahm. 257 Bolland hatte nicht nur die Einleitung der Januarbände der Acta Sanctorum dem neuen Abt Thomas Lytens dediziert, sondern auch ein Dossier zu Ludwig von Blois verfasst. In diesem erklärte er, dass von Blois zwar noch keine öffentliche Verehrung genösse. Es sei ihm jedoch nicht in den Sinn gekommen, ihn zu übergehen, da er wegen seiner frommen Lebensführung gerühmt werde und die Jesuiten in ihrer Gründungszeit stets unterstützt habe. 258 In diesem Fall spiritueller, ideeller und mäzenatischer Verflechtung war Bolland bereit, ausnahmsweise die von den Vertretern der Abtei revidierte und stilistisch überarbeitete Vita Blosii, die erstmals im Rahmen seiner Opera von 1632 gedruckt worden war, in die Acta Sanctorum aufzunehmen. 259

5.2.4 Lachen Mit Rosweyde insistierte Bolland auf der Autorität der ursprünglichen Form. Die bis dahin herausgegebenen Tatenberichte, nachdem sie „durch einen neuen Stil verziert und poliert worden“ seien, würden sich leicht dem Verdacht aussetzen, dass ihr wahrer Gehalt absichtsvoll verfälscht oder „aus Unwissen“ beschädigt worden sei. 260 Wie allerdings bereits Rosweydes Konzept auf Widerstand gestoßen sei, so sei auch sein eigenes, sogar noch –––––––— 257 258

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Vgl. Poncelet, Histoire, Bd. 1 (1927), S. 516 Anm. 1; S. 537f. Vgl. De Ven. Patre Lvdovico Blosio Abbate Lætiensi, in Belgio, in: AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, 7. Jan., S. 430–456, hier S. 430a: „Etsi eorum tantùm Acta Sanctorum vulgare hîc constituerim, quorum sanctitas vel publica Ecclesiæ auctoritate confirmata, arisq[ue] consecrata, vel antiquâ populorum pietate celebrata sit; tamen viru[m] venerabilem D. Ludouicum Blosium, nullo quidem adhuc publico cultu, sed vitæ innocentißimæ laude, latè celebrem, præterire hoc loco nec potui nec debui, ne ingratitudinis accerserer: cùm & Societate[m] nostra[m] in ipsis suis incunabulis benigno patrocinio fouerit Blosius, & successorum per adhuc constiterit in nostrum Ordinem beneuolentia; […].“ Vgl. ebd.: „Ea vita edita primùm est cum Blosij operibus, quæ anno MDCXXXII. eruditis scholiis à se illustrata, nouoq[ue] ordine digesta, eleganter excudenda curarunt Lætienses, […].“ Die ursprüngliche Version sei einst „ex monasterij Lætiensis archiuis, & aliis documentis, ac testibus fide dignis“ von „quidam ex Ordine S. Benedicti sacræ Theologiæ Doctor“ verschriftlicht worden. Vgl. Vos, Louis de Blois (1992), S. 71ff. mit Anm. 24, S. 120. Vos bringt das etwa 1630 einsetzende Interesse an jener vorgeblich alten Vita, die etwa zeitgleich mit der Erhebung der Gebeine Ludwigs von Blois 1631 aufgetaucht zu sein scheint, mit Ansätzen zur Propagierung eines Kultes in Verbindung. Für ein Bemühen um eine förmliche Beatifikation oder Kanonisation lassen sich nach Vos allerdings keine Belege beibringen. Vgl. Bolland, Praefatio, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, S. IX: „Sed, vt adhuc edita essent [Acta Sanctorum], fidem haud magnam esse impetratura, cùm recenti ornata & limata stylo, facilè suspicionem afferrent, veri vel fallaciter adulterati, vel ignorantiâ vitiati.“

424 mehr, kritisiert worden. Manche würden nämlich glauben, dass es der Sache eher dienlich sei, wenn: die Dinge, die über die Heiligen in Erfahrung gebracht worden sind, in einem gewählten und anmutigen Stil erzählt werden, als dass unförmige Bröckchen oder besser noch Felsen einer ungeschlachten Rede hinausgeworfen werden: sie meinten, dass auch die Heiligen selbst in Verruf geraten, wenn ihre Taten auf diese Weise erzählt werden. In der Tat bringe ich jedesmal dann einige Brocken aus verschiedenen Autoren über die Heiligen vor, wenn für sie entweder keine eigene Vita oder eine weniger vollständige existiert; sie wollten lieber, dass eine durchlaufende Rede erzeugt wird, die ich einem Lumpenrock vergleichbar zusammengenäht habe, nachdem dieselben Worte der Autoren vergegenwärtigt worden sind. Sie wollten lieber, wenn die Autoren einander widersprechen, dass, nachdem alle Dinge gegeneinander abgewogen worden sind, der eine Satz, der als wahrscheinlicher erschiene, bekräftigt wird, während die übrigen Dinge ausgelassen worden sind; dass dieser Griff beim schwankenden Schlussfolgern, wie sie sagen, im Hinblick auf alle zweifelhaften Dinge angeboten wird. 261

Bolland stellte nicht in Abrede, dass gerade die Taten der Heiligen es verdienten, „von den verständigsten Autoren“ der schriftlichen Form überantwortet zu werden. 262 Dies allerdings sei in historischer Zeit nicht immer möglich gewesen, sei es, dass es „in vielen Zeiträumen“ hervorragender Autoren schlicht ermangelt hätte, sei es, dass diese, sofern vorhanden, ihre Kräfte eher darauf konzentriert hätten, Gott und den Heiligen dienstbar zu sein, als darauf, auf kunstvolle Weisen Heiligenviten zu verfassen, oder dass sie davon ausgegangen seien, dass die Heiligen selbst einen schlichteren Stil als ihrer bescheidenen Lebensführung angemessen bewertet hätten. Denn „so wie jene allgemein verachtet worden sind, verachteten sie selbst allen Zierrat der Welt, die Denkmäler des Ruhms, die Abzeichen des Lobs, befriedigt allein durch den inneren Glanz der Tugenden; […].“ 263 –––––––— 261

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Ebd., S. XXIVb: „Verùm sentio esse quosdam, quibus Rosweydi non probetur institutum, minùs etiam meum; proptereà quòd existiment, satius esse vrbano & venusto stylo, quæ de Sanctis comperta sunt, narrari; quàm rudera quædam incondita, aut saxa potiùs barbari sermonis proiici: quin & Sanctos ipsos venire in contemptum putant, cùm ita illorum res gestæ narrantur. Cùm verò ex variis auctoribus de Sanctis, quorum vel propria nulla, vel minùs integra extat Vita, quædam proferro analecta; mallent vnam concinnari continuam orationem, quàm quasi centonem consui, ipsis auctorum verbis repræsentatis. Mallent cùm inuicem discrepant auctores, omnibus expensis, sententiam vnam, quæ probabilior videatur, affirmari, ceteris prætermissis; quàm ambiguè coniectando ansam, vt aiunt, præberi de rebus omnibus dubitandi.“ Vgl. ebd.: „Merentur quidem Sancti vt à peritissimis scriptoribus res ab ipsis præclarè gestæ mandentur litteris, […].“ Vgl. ebd.: „At multis ætatibus vel rari extitêre præclari scriptores, vel qui extitêre, ij suorum studiorum inanem sectari mercedem, quàm Deo Diuisque suos consecrare labores maluerunt. Si autem benè docti Sanctorum gesta mandare litteris aggressi sunt, ij vel animis in alias plures curas distractis expolire sermonem non potuerunt, vel vltro neglexerunt, rati stylum eum optimum esse Sanctisque gratissimum, qui cùm ipsorum vitæ modestiâ consentiret; vt sicut illi vulgò contempti contemnebant ipsi omnia seculi ornamenta, monumenta gloriæ, laudis insignia, solo virtutum interno splendore contenti; […].“

425 Die Rhetorik als eine der Produktion von Wort und Schrift verpflichtete Systematik war grundsätzlich nur bedingt geeignet, um Aspekte des Editorischen und damit Aspekte der – wissenschaftssystematisch streng genommen gar nicht vorgesehenen – schieren Reproduktion von historischen Texten zu diskutieren. Allerdings wies auch sie, wie Bollands Argumente zeigen, Möglichkeiten auf, um der aus dem zeitgenössischen Stilempfinden erwachsenden Forderung nach Überarbeitung nicht nur mit der Assoziation von Wahrheit und Historizität entgegenzutreten, sondern auch mit der rhetorischen Lehre der Angemessenheit (aptum) von Wort und Sache: Wenn man wollte, war die einfachere Form sowohl Resultat der Umstände früherer Zeiten als auch adäquater Ausdruck einer vom Weltlichen abgewandten Existenz der Heiligen. Dies ändert allerdings nichts an der Tatsache, dass es erheblicher Spitzfindigkeit bedurfte, um die einfache Wiedergabe eines potentiell unansehnlichen historischen Texts zu rechtfertigen. In Begriffen des Schmucks (ornatus) konnte Bolland immerhin die Erläuterungen beschreiben, mit denen die alten Denkmäler von ihm umkleidet werden sollten. Auch in deren Fall wandte er sich allerdings mit dem Gedanken der Angemessenheit gegen die Erwartung, dass wenigstens sie – oder die Übersetzungen – sprachlich in großer Eleganz ausgeführt worden wären. 264 Bolland hatte noch andere Einwände zu berücksichtigen, die gegen seine Sammlung erhoben werden konnten oder schon erhoben worden waren. Er diskutierte sie in nummerierter Form. Der erste war, dass „die Häretiker diese Acta verlachen“ würden. 265 Dies schien für Bolland kein bedeutendes Argument zu sein, da die „Häretiker“ auch „die heiligsten Mysterien unseres Glaubens verlachen, sie verlachen selbst manche Bücher, von denen wir sicher wissen, dass sie dem Heiligen Geist entflossen sind, sie verlachen viele lobenswerte Handlungen der Frommen“, 266 um hier nur einige von Bollands Beispielen zu nennen. Ähnlich wie im Fall derer, die nach stilistischer Vollkommenheit verlangten, galt es ihm festzuhalten, dass sich die Acta Sanctorum nicht an diesem Zielpublikum orientierten, denn „[f]ür diese schreiben wir nicht“, 267 sondern „[f]ür die frommen und guten Men–––––––— 264

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Vgl. ebd., S. XXVIIIa: „Expectat nunc fortasse quispiam, vt quæ scriptorum profero monumenta, solâ commendata, ea extrinsecùs saltem styli elegantiâ condecorem; quæ, inquam, ad eorum explanationem profero, iis munditiam addam ornatumque ditionis.“ Ebd.: „Qui deliciis humanæ litteraturæ pascuntur, alibi eas quærant licebit: non sunt ad eorum genium meæ lucubrationes. Ea Sanctis acceptissima dictio, quæ eorum modestiâ, morumque simplicitate consentit. || Incompto igitur, sed facili vsus sum stylo, siue in Prolegomenis digerendis explicandisque, siue in Actis variorum Sanctorum ex Græcâ linguâ aliâve vertendis: […].“ Vgl. ebd., S. XXXVIIIa, Marginalglosse: „1. Hæretici hæc Acta ridebunt.“ Vgl. ebd., S. XXXVIIIa: „Ridebunt, inquis, ista hæretici. Quid deinde? Sacratissima nostræ fidei mysteria rident, rident etiam libros nonnullos, quos à Diuino Spiritu manasse certò scimus, rident multas piorum laudabiles actiones, […].“ Ebd.: „Illis non scribimus.“

426 schen schreiben wir“, welche durch die Acta Sanctorum zu tugendhaftem Handeln angeregt werden könnten. 268 Dass Bolland zudem davon ausging, dass nicht alle haeretici oder heterodoxes seine Arbeit verlachen würden, sondern die altertumskundliche Intelligenz des Protestantismus sie wohl zu würdigen wüsste, wurde bereits thematisiert. 269 Die Einwände zwei und drei waren von ähnlicher Qualität. Stand nicht zu befürchten, dass die alten Viten selbst „bei Katholiken Ekel hervorrufen“ oder insgesamt als „lächerlich“ bewertet werden würden? 270 Was ersteres anbelangte, ging Bolland davon aus, dass zwar mancher Gaumen durch unmäßigen Genuss von Honig verdorben worden zu sein schien, sehr viele Katholiken allerdings die Viten begierig konsumieren würden. 271 Auch der hl. Ignatius sei erst im Laufe der Zeit auf den Geschmack gekommen und habe „die Frucht hervorgebracht, die die gesamte Kirche spürt.“ 272 Was den zweiten Punkt anging, distanzierte sich Bolland zwar mit Nachdruck von dem Vorwurf der Humorlosigkeit. Er stellte aber zugleich klar, dass die Lebensbeschreibungen der Heiligen ihm in dieser Hinsicht von geringem Wert zu sein schienen: Ich bin nicht so hart, dass ich mir ein Lachen und alle Anzeichen der Heiterkeit versagen würde: dennoch erinnere ich mich nicht, und fürwahr beschäftige ich mich tagtäglich mit jenen Tatenberichten, von diesen je zum Lachen bewegt worden zu sein. Ich gestehe, dass die Dinge lächerlich sind, welche sich die mehr als tölpelhaften Dämonen ausgedacht haben, um die Beständigkeit der Heiligen beim Eifer des Betens und in anderen Tugenden ins Wanken zu bringen; du magst dir überlegen, ob mit größerem Wahnsinn oder größerer Schlauheit: dennoch bestreite ich, dass es lächerlich ist, diese Dinge zu erzählen. Aber wenn einem so die Milz hüpft, breche er meinetwegen in Lachen und schallende Fröhlichkeitsbekundungen aus, ganz so wie er will. Dabei soll er freilich nicht glauben, dass es möglich wäre, aus dieser Ausgelassenheit ein fundiertes Argument abzuleiten, mit dem diese Tatenberichte erschüttert werden könnten, […]. 273

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Vgl. ebd.: „Piis & probis hominibus scribimus, quibus hæc stimulum ad virtutes capessendas admouebunt.“ Vgl. oben S. 326. Vgl. Bolland, Praefatio, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, S. XXXVIIIa, Marginalglosse: „2. Catholicis fastidiu[m] mouebunt.“ Ebd., Marginalglosse: „3. Ridicula sunt.“ Vgl. ebd., S. XXXVIIIa: „Ipsi Catholici hæc fastidient. Nempe vt fauum quoque immodicè saturati. At plures auidé complectentur.“ Vgl. ebd.: „Fastidiebat olim Societatis nostræ parens Ignatius libros qui sacra tractarent; vanos poscebat, qui bella, etiam ficta, aliáve ludicro mundi genio accommodata, vt eorum lectione oblectaret animum, morbi tædium leuaret. Vbi tandem fastidium superauit, vix satiari eorumdem sacrorum librorum lectione poterat. Denique fructum tulit, quem vniuersa sentit Ecclesia.“ Ebd., S. XXXVIIIa–b: „Ego ita seuerus non sum, vt risu mihi, omnibusque hilaritatis indiciis interdicam: numquàm tamen, licet verser in hisce Actis quotidie, memini mihi risum ab iis moveri. Ridicula sunt fateor quæ stolidissimi dæmones ad Sanctorum labefactandam in precandi studio aliisque virtutibus constantiam machinati sunt, dubites maiori furore an vafritie: nego tamen ridiculum esse ea narrari. At si cui ita

427 Die Einwände vier und fünf bezogen sich auf die mögliche Unglaubwürdigkeit und Fehlerhaftigkeit des in den Viten Dargestellten. 274 Deutlich von dem ihm in der Moderne zugeschriebenen Kult des Faktischen entfernt, argumentierte Bolland damit, dass die Schilderungen wunderbarer Ereignisse nicht allein deswegen als unglaubhaft bezeichnet werden dürften, „weil sie das gewohnte Maß der menschlichen Dinge“ überschritten. 275 Da zumeist nicht allzu viele Zeugnisse verfügbar seien, die von übernatürlichen Ereignissen berichteten, seien diese Schilderungen, auch in einem faktographischen Sinn, zumeist weder zu beweisen noch zu widerlegen: Du fragst, woher es für mich feststeht, dass Gott irgendetwas, das berichtet wird, gemacht hat: woher steht es für dich fest, dass er es nicht gemacht hat? Ich nenne einen Autor, der es geltend macht: hast du einen, der es in Abrede stellen könnte? Wenn du einen hast, welchem von beiden ist eher Glauben zu schenken? Wenn du keinen hast und eingeräumt haben magst, dass es getan werden konnte; hab Acht darauf, dass es nicht blindlings sei, dass das Vorgefallene ohne jede Grundlage in Abrede gestellt wird. 276

Für eine gelassene Haltung plädierte Bolland angesichts der möglichen Aporien, die aus dem Verhältnis von devotionaler Konvention und gelehrter Investigation erwachsen konnten, denn: „Ob der hl. Georg einen echten oder metaphorischen Drachen erschlagen haben mag, was ist daran gelegen? Das Volk glaubt, dass er einen echten erschlagen hat, die Gebildeten empfinden anders: eine von beiden Seiten irrt, ohne Sünde.“ 277 Anhand eines weiteren, sich zu seiner Zeit bereits stereotypisierenden Beispiels illustrierte er, dass solche Spannungen, die auch unter den Gebildeten selbst entstehen konnten, der Kirche nicht ernsthaft schadeten: Gelehrte Männer glauben, dass der hl. Dionysius etwa im Jahr 250 nach Christi Geburt als Apostel der Bewohner von Paris in die gallischen Länder geschickt worden ist, und sie erklären, dass sie ihn öffentlich verehren. Andere wollen, dass er freilich nie existiert hat und dass statt seiner Dionysios Areopagites durch heilige Feierlichkeiten geehrt werden muss. Ob diese Auseinandersetzung unerheblich ist? Es ist notwendig, dass eine von beiden Seiten irrt. Die Vorsteher der Kirchen aber werden deswegen nicht in Aufruhr versetzt, und auch nicht der Lenker und Leiter und Vater

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splen salit, prorumpat is sanè in risum & cachinnos, vt volet. Ne existimet tamen, à petulantiâ illâ solidum duci argumentum, quo hæc valeant acti convelli, […].“ Vgl. ebd., S. XXXVIIIb, Marginalglosse: „4. Sunt incredibilia.“ Ebd., Marginalglosse: „5. Errores parient.“ Vgl. ebd., S. XXXVIIIb: „Esto: ridicula hæc non videatur, incredibilia certè sunt quàm plurima. Quid ita? Quia consuetum rerum humanarum modum excedunt. An asseruntur viribus facta humanis? an non à Deo, eiúsve auxilio?“ Vgl. ebd.: „Quæris vnde mihi constet, fecisse Deum quidquam quod memoratur: vnde tibi constat non fecisse? Auctorem profero qui asserat: habes qui neget? si habes, vtrius potior fides? si non habes, & fieri fateris posse; vide ne temerarium sit absque vllâ ratione negare esse factum.“ Vgl. ebd.: „Occiderit S. Georgius draconem verum, an metaphoricum, quid interest? Vulgus verum existimat occidisse, aliter docti sentiunt: errat pars alterutra, sine piaculo.“

428 aller, der römische Papst. Denn der Irrtum ist nicht von der Art, dass er die Frömmigkeit oder eine andere Tugend wankend macht. Ebenso empört sich jener heilige Fürst nicht darüber, dass die ihm zustehenden Ehren dem Areopagites zuteil werden, und auch der Areopagites hat sich nicht aufgemacht, dass sie jenem entzogen werden, weil jeder von beiden einsehen dürfte, seine Ehre auf den Ruhm Gottes zu beziehen. 278

Ein sechster und letzter Einwand galt der Annahme, dass die Kirche es, wo auch immer, geboten habe, die „Historien der Heiligen“ zu korrigieren. 279 Allein, so Bolland, es sei nicht ganz geklärt, was genau nach Maßgabe welcher Beschlüsse korrigiert, was „in die Finsternis verstoßen, im Schlamm versenkt, den Flammen überantwortet“ werden sollte. 280 Er selbst sei sich sicher, dass die Acta Sanctorum in der vorliegenden Form in der Kirche Anerkennung finden würden und diese mit ihren Dekreten auch nicht die Ressentiments Einzelner habe legitimieren wollen, bei denen die Viten nur Überdruss und Ablehnung hervorrufen würden. 281 Das Postulat, dass die Acta Sanctorum auf vermeintliche Beschlüsse des Tridentinums reagierten, ist eine späte Variante solcher Schattengefechte, die zu führen sich schon Bolland genötigt sah. Seine Lehren waren zwar, wie dargestellt, vergleichsweise schlicht. Sie bedeuteten aber gegenüber dem auch unter Gelehrten des Katholizismus herrschenden Zeitgeist den Versuch, den alten Viten aus historisierender Perspektive ihren Ort im Erinnerungsgefüge des Katholizismus zuzuweisen. In keinem der hier konsultierten Sammelwerke des 17. Jahrhunderts wurde dies mit gleicher Entschiedenheit verfolgt. Wer jedoch den Stil der alten Viten verachtete, wer sie eo ipso, ob in Kenntnis oder Unkenntnis derselben, ob Protestant oder Katholik, als lächerlich oder unglaubhaft bewertete, wer meinte, sie dürften nur in substantiell veränderter Gestalt publiziert werden, der würde einer–––––––— 278

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Ebd., S. XXXVIIIb–XXXIXa: „S. Dionysium Parisiorum Apostolum sub annum à Christi ortu CCL. missum in Gallias viri eruditi existimant, eumque se publicè venerari profitentur. Volunt alij ne extitisse quidem eum vnquam, proque eo Areopagitàm Dionysium sacris solennibus colendum. An ea leuis est controuersia? Errare alterutram partem necesse est. Non commouentur tamen proptereà Ecclesiarum Antistites, nec ipse Præses & Rector ac Pater omnium Romanus Pontifex. Non est enim is error eiusmodi, qui pietatem aliámve virtutem labefactet. Nec indignatur sanctus ille Antistes, sibi debitos honores Areopagitæ impendi, neque Areopagita eos illi it præreptum, cùm suum honorem vterque sentiat ad Dei gloriam spectare.“ Vgl. ebd., S. XXXIXa, Marginalglosse: „6. Ecclesia ea corrigi iubet.“ Vgl. ebd., S. XXXIXa: „Quid est hoc, inquies, aliud, quàm grauissimo sanctissimoque Ecclesiæ iudicio repugnare? Iubet ea quasdam Sanctorum historias corrigi: tu etiam in lucem profers, & iis concilias auctoritatem. Quid enim est corrigere quidpiam? in tenebras abdere, luto immergere, flammis abolere?“ Vgl. ebd.: „Neque enim arbitror, Ecclesiam suo decreto velle omnibus potestatem fieri, vt quæ singuli improbarint fastidioso aut aliis opinionibus præoccupato iudicio, ea ceu figmenta repudiare & abiicere valeant; […]. Ego contrà laborem meum vniuersæ Ecclesiæ, ac præsertim moderatrici ceterarum Romanæ Sedi, probaturum me confido.“

429 seits, so Bolland, wenig zum Verständnis dieser Traditionen beitragen können und brauchte andererseits die Acta Sanctorum auch gar nicht erst zu lesen. Von größerer Brisanz als diese Versuche, den Unwägbarkeiten der Rezeption der Acta Sanctorum zu begegnen, waren zwei kirchenrechtliche Aspekte, die Bolland ausführlicher behandelte. Der erste drehte sich um einen Gedanken, den „einige besonders harte und unduldsame Oligarchen“ wiederholt geäußert hätten, dass die Tatenberichte der Heiligen als apokryph zu qualifizieren seien, da sie sich aus den „Erfindungen, Träumen, Schwatzereien apokrypher Autoren“ speisten. 282 Diese Problematik konnte Bolland schwerlich übergehen, da sie auf einem im Decretum Gratiani verzeichneten Synodalbeschluss aus der Zeit Gelasius’ I. (reg. 492–496) beruhte, der schon von Baronio angeführt worden war. Demnach sollten Passiones nicht in der Kirche verlesen werden, da sie häufig von unbekannten Verfassern stammten und von fragwürdigen, mithin häretischen oder einfältigen Zusätzen geprägt seien: Aus diesem Grund, wie gesagt worden ist, damit sich nicht leichte Gelegenheit zum Spott ergebe, werden sie in der heiligen Römischen Kirche nicht gelesen. Wir verehren dennoch mit der besagten Kirche alle Märtyrer und ihre ruhmreichen Kämpfe, die eher von Gott als von den Menschen wahrgenommen worden sind, in voller Hingabe. 283

Als apokryph waren die Passiones hier in dem Sinne bezeichnet worden, dass die Namen ihrer Autoren zumeist nicht bekannt waren. Diese Proble–––––––— 282

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Vgl. ebd.: „Svnt alij quidam Aristarchi, seueri cumprimis & importuni, qui identidem illud occinunt, Apocrypha hæc esse, hausta ex Apocryphorum fabulis, somniis, deliramentis: […].“ Hinter dem Ausdruck „Aristarchus“ steht die sprichwörtliche Herrschsucht des Athener Oligarchen Aristarchos († 406 v. Chr.). Corpus juris canonici, Pars prior: Decretum Magistri Gratiani. Editio Lipsiensis secunda post Aemilii Ludouici Richteri curas ad librorum manu scriptorum et editionis Romanae fidem recognouit et adnotatione critica instruxit Aemilius Friedberg, Leipzig 1879 (Neudruck Union, N. J. 2000), Pars I., dist. XV, c. 3, §. 17, Sp. 37: „Item gesta sanctorum martirum, qui in multiplicibus tormentorum cruciatibus et mirabilibus confessionum triumphis irradiant. Quis ita esse catholicorum dubitet, et maiora eos in agonibus fuisse perpessos, nec suis uiribus, sed gratia Dei et adiutorio uniuersa tolerasse? Sed ideo secundum antiquam consuetudinem singulari cautela in sancta Romana ecclesia non leguntur, quia et eorum, qui conscripsere, nomina penitus ignorantur, et ab infidelibus aut idiotis superflua, aut minus apta, quam rei ordo fuerit, scripta esse putantur: sicut cuiusdam Quirici et Iulitae, sicut Gregorij aliorumq[ue] huiusmodi passiones, que ab hereticis perhibentur conscriptae. Propter quod, ut dictum est, ne uel leuis subsannandi orieretur occasio, in sancta Romana ecclesia non leguntur. Nos tamen cum prædicta ecclesia omnes Martyres et eorum gloriosos agones, qui Deo magis quam hominibus noti sunt, omni deuotione ueneramur.“ Vgl. Baronio, Martyrologium Romanum, 21589. Praecapitulatio, S. XI: „Vnde Gelasius in Rom. Concilio: Gesta, inquit, sanctorum martyrum, secundum antiquam consuetudinem, singulari cautela in S. R. Ecclesia non leguntur: qui eorum qui conscripsere, nomina penitus ignorantur, & ab infidelibus, aut idiotis superflua, […].“

430 matik konnte auch Bolland, der die gesamte Passage zitierte, nicht in Abrede stellen. 284 Er ließ dem einige die Verwendungsweise von „apokryph“ betreffende Erwägungen folgen, 285 um die technischen Seiten der Wortbedeutung gegenüber den kolloquialen und bloß abschätzig gemeinten zu vergegenwärtigen. Er wies darauf hin, dass das als „apokryph“ gelte, „was eines sicheren Autors entbehrt, wie das Buch der Richter, das Buch des Tobias, der Esther, der Makkabäer, Hiob und andere, die gleichwohl zu den kanonischen Bänden der Heiligen Schrift gezählt werden.“ 286 Auf ähnliche Weise seien die Urheber der Tatenberichte der Heiligen zwar häufig nicht bekannt. Die Rechtmäßigkeit der meisten sei allerdings ganz unbestritten, und diese würden auch von niemandem beargwöhnt wie etwa die allgemein akzeptierte Passio der heiligen Fructuosus, Augurius und Eulogius († 259). 287 Als „apokryph“ bezeichne man weiterhin die nicht zur Heiligen Schrift zählenden Werke als solche. Auch diese Wortverwendung ermangele jenes diffamierenden Potentials, so Bolland, das gegen die Acta Sanctorum gewandt werden solle, da auf diese Weise selbst die nicht göttlich inspirierten Werke der Patristik als apokryph zu qualifizieren seien. 288 „Apokryph“ hießen aber insbesondere die Bücher, die von einigen, gegen den Willen der Kirche, als kanonisch behandelt würden. 289 Dies träfe für Bolland und die Acta Sanctorum nun sicher nicht zu, wie er betonte, denn: ich bin nämlich nicht so einfältig, dass ich wollte, dass irgendwelche Tatenberichte der Heiligen kanonisch sind und die Autorität der Heiligen Schrift erlangen, ausge-

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Bolland, Praefatio, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, S. XXXIXa–b: „S. Gelasius Papa in concilio Romano LXX. Episcoporum, Asterio & Præsidio Coss. anno Christi 494. habito […] varia recensens sanctorum Patrum opuscula, quæ post Scripturæ libros suscipi permittit, & in Ecclesiâ legi, ita inter alia loquitur: Item gesta sanctorum Martyrum, qui […]. […], qui Deo magis quàm hominibus noti sunt, omni deuotione veneramur. Hæc ille. Neu dubitari possit, quin illa Sanctorum acta apocrypha iudicet, […].“ Vgl. ebd., S. XXXIXb: „[…] primùm explicandum, quid apocryphum sit, quoque modis dicatur: […].“ Ebd.: „Primò igitur apocryphum dicitur, […] quod certo auctore caret, vti liber Iudicum, liber Tobiæ, Esther, Machabæorum, Iob & alij, qui tamen inter Canonica Diuinæ Scripturæ volumina habentur.“ Vgl. ebd.: „[…]: certum esse inter Acta Sanctorum multa, quæ à quo tradita sint litteris ignoretur; sed & eiusmodi plurima sunt legitima, & nemini omnino suspecta, vt Acta SS. Fructuosi Episcopi, Augurij & Eulogij MM. […].“ Vgl. ebd.: „Alio modo apocryphum dicitur, quod inter Diuinæ Scripturæ libros non numeratur. […] Sed neque hac notione apocryphi vocem vsurpant, qui nostra esse apocrypha criminantur: nam etiam probatissimæ Patrum lucubrationes eâ ratione apocryphæ sunt, id est non eo numero ac loco quo diuinitus inspiratæ Scripturæ.“ Vgl. ebd.: „Potissimùm tamen apocryphi vocantur ij libros, quos aliqui vt Canonicos suscipiunt, Ecclesiâ refragante.“

431 nommen die, die der Bibel entnommen worden sind: daher konnten sie auch nicht unter dem Namen der apokryphen Schriften von der Kirche zurückgewiesen werden. 290

Wenn letztlich das als „apokryph“ bezeichnet würde, was, mit dem Synodalbeschluss unter Gelasius, nicht in den Kirchen öffentlich verlesen werden solle, 291 dann seien viele in den Acta Sanctorum verzeichnete Materialien in der Tat als apokryph zu qualifizieren – wie andere kirchengeschichtliche Werke auch. 292 Allerdings sei auch bekannt, dass es sich in der römischen Kirche nach und nach durchgesetzt habe, sehr wohl aus den Märtyrerakten, in gekürzter Form, vorzulesen. 293 Diesen Aspekt hatte bereits Baronio im Martyrologium Romanum stark gemacht und sich dabei auf Gregors von Tours Liber in gloria martyrum und ein Schreiben Hadrians I. (reg. 772–795) an Karl den Großen berufen. 294 Wenn also, so schloss Bolland, die Acta Sanctorum mit dem Attribut des Apokryphen in Verbindung gebracht würden, dann könne er in einem technischen Sinn nichts „Unehrenhaftes“ daran finden. Falls apokryph aber als Synonym für „erfundene und fabulöse Dinge“ gebraucht werden solle, hieße dies, auch den aner–––––––— 290

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Ebd., S. XLa: „>…@: nam non sum ita stolidus, vt ulla Sanctorum Acta, nisi si quæ sunt ex sacris Scripturis sumpta, Canonica esse velim & scripturæ Divinæ obtinere auctoritatem: non poterunt igitur apocrypharum scripturarum nomine ab Ecclesia repudiari.“ Vgl. ebd.: „[…] apokryphos libros, & propriè, appellat Gelasius, quos in Ecclesiâ sancit publicè legi non oportere, quasi ĮѴʌȠțȡȪʌWİıșĮȚ eos deceat, abscondi, & remoueri à luce Ecclesiæ, vbi nihil fas sit, nisi omnino probatum, legi.“ Vgl. ebd.: „Hac ergo posteriori notione apocrypha sunt ex iis quæ edo multa: nam & Eusebij historia apocrypha est, & opera Tertulliani, Lactantij, […].“ In den anderen Kirchen sei dies, nach Augustin, schon länger der Fall gewesen. Vgl. ebd.: „Sed tamen, quod pridem nonnulli præstantes Iuris Canonici interpretes obseruarunt, Acta Martyrum, imò & aliorum Sanctorum, quæ in variis quidem Ecclesiis, vt ex S. Augustino patet, legebantur, at non in Romanâ; ea in hac quoque leguntur nunc, & sunt à pluribus seculis lecta, sed in breuem ferè epitomen contracta.“ Vgl. Baronio, Martyrologium Romanum, 21589. Praecapitulatio, S. XI: „Apud Hadrianum Rom. Pont. in epistola ad Carolum Magnum hæc in eandem sententiam leguntur: Vitæ enim Patrum sine probabilibus auctoribus minimè in Ecclesia leguntur: nam ab orthodoxis titulatæ, suscipiuntur & leguntur. magis autem passiones sanctorum Martyrum sancti canones censuerunt vt liceat eas etiam in Ecclesia legi, cùm anniuersarij dies eorum celebrantur. Hæc ibi. In ecclesia Gallicana eandem viguisse de legendis actis sanctorum Martyrum in Ecclesia consuetudinem, satis significat ea quæ Gregorius Turonensis lib. de gloria Mart. cap. 86. testatur his verbis: Dies passionis erat Polycarpi martyris magni; & in Ricomagensi vico ciuitatis Aruernæ eius solennia celebrantur. Lecta igitur passione cu[m] reliquis lectionibus, quas canon sacerdotalis inuexit, &c.“ Vgl. Epistolae selectae pontificum Romanorum Carolo Magno et Ludowico Pio regnantibus scriptae, hrsg. v. Karl Hampe, in: MGH Epp 5,3: Epistolae Karolini aevi, Berlin 1898–1899 (Neudruck München 1978), S. 1–84. Epistolae Hadriani I. Papae, ebd., S. 3–57, hier c. 17, S. 49: „Vitas enim patrum sine probabilibus auctoribus minime in ecclesia leguntur […].“ Gregorii episcopi Turonensis liber in gloria martyrum, in: MGH SS rer. Merov., Bd. 1,2, ed. Krusch (1885), S. 34–111, hier c. 85, S. 95: „Dies passionis erat Policarpi martyris magni et in Ricomagensi vico […].“

432 kannten und auf technische Art als apokryph qualifizierbaren Autoren der Kirche Unrecht zu tun. 295 Kurz gesagt, Bolland suchte den Nachweis zu führen, dass der Vorwurf des Apokryphen an der Struktur der Acta Sanctorum vorbeilief und dass er keinen Anlass bot, historische Viten oder Passiones von der Publikation auszuschließen. Ein zweiter Gesichtspunkt von kirchenrechtlicher Bedeutung war das Verhältnis Bollands zu den von Rom ausgehenden Versuchen, die Schaffung neuer Heiliger streng zu reglementieren und die Kompetenz dafür ausschließlich den Instanzen Roms vorzubehalten. In Bollands Einleitung der Januarbände schlug sich dieser Vorgang in einem Abschnitt zu der Frage nieder: „Ob alle, deren Viten hier herausgegeben worden sind, als Heilige oder Selige“ zu betrachten seien. 296 Dies wird im Folgenden zu vertiefen sein. Eine weitere Annahme zu Sinn und Zweck der Acta Sanctorum besagt, dass es den Bollandisten und Maurinern „in erster Linie um die Überprüfbarkeit der Norm“ gegangen sei, „wie sie auch der Kanonisationsprozess verlangte, der nicht zufällig etwa zur gleichen Zeit seine letztgültige Ausprägung erfuhr.“ 297 Bolland versicherte, dass „ich lieber all meine Arbeiten mit eigener Hand ins Feuer werfen wollte, als dass ihnen irgendetwas innewohnte, was der Ehre oder dem Willen des Apostolischen Stuhls widerstrebte.“ 298 Dar–––––––— 295

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Vgl. Bolland, Praefatio, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, S. XLb: „Si eâ significatione apocrypha appellant, nihil ego in eâ appellatione turpe, nihil indignum, nihil quod infamiam aut dedecus habet, video. Sin ficta omnia & fabulosa volunt esse, quæ sic apocrypha censentur, videant ne sanctissimis & sapientissimis viris, Clementi Alexandrino, Ioanni Cassiano, & aliis, quorum libri apocryphi declarati sunt, iniuriam faciant.“ In diesem letzten und weniger technischen Sinn kann das Attribut „apokryph“ bis heute benutzt werden. Vgl. Volker Reinhardt, Vergangenheit als Wahrheitsnachweis – Rom und die Geschichte im Konfessionellen Zeitalter, in: Die Präsenz der Antike im Übergang vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit. Bericht über Kolloquien der Kommission zur Erforschung der Kultur des Spätmittelalters 1999 bis 2002, hrsg. v. Ludger Grenzmann/Klaus Grubmüller/Fidel Rädle [u. a.] (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen. Philolog.-Hist. Kl. Dritte Folge 263), Göttingen 2004, S. 143–160, hier S. 150: „Überlegenheit der Doktrin war nach gelehrten Zeitmaßstäben nur durch Untermauerung mit exakten Tatsachen zu belegen […]. Vor allem […] dient die neue faktenkritischere Methode dazu, dem Gegner Angriffsflächen und damit den Wind aus den Segeln zu nehmen. Speziell dieses Bemühen ist bei Baronius am ausgeprägtesten überhaupt, lässt er sich doch die ersatzlose Streichung apokrypher Heiliger und legendärer heilsgeschichtlicher Begebenheiten besonders angelegen sein – natürlich mit der leitenden Intention, die dieser harten historischen Prüfung standhaltenden Glaubenszeugen und Episoden dann mit ganz neuer Autorität und verstärktem Nachdruck für die historisch-theologische Kontroverse nutzbar zu machen.“ Bolland, Praefatio, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, c. 3,6. An Sancti omnes, aut Beati, quorum hîc vitæ editæ, ebd., S. XL f. Haarländer, Vitae (2000), S. 4. Vgl. Bolland, Praefatio, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, S. XLIa: „[…] ita affectus animo sim, vt malim omnes meas lucubrationes manu propriâ in ignem abiicere,

433 aus ist jedoch nicht zu schließen, dass sich Bolland oder seine Nachfolger als historische Sektion der 1588 durch Sixtus V. etablierten Ritenkongregation oder als Erfüllungsgehilfen jener Dekrete verstanden, die Urban VIII. (reg. 1623–1644), neben weiteren Direktiven, am 13. März und 2. Oktober 1625 sowie am 5. Juli 1634 erlassen hatte, 299 um, nicht unbedingt im Sinne des Tridentinums, die vermeintlich nicht endenden „Missbräuche“ auf dem Feld der Heiligendevotion durch zentralistische Maßnahmen einzudämmen. 300 Wie andere Instanzen und Institutionen des Katholizismus, die sich –––––––— 299

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quàm ut in iis insit quidquam quod Apostolicæ Sedis vel honori repugnet, vel voluntati […].“ Vgl. Fabijan Veraja, La beatificazione. Storia, problemi, prospettive (Sussidi per lo studio delle cause dei santi 2), Rom 1983, S. 69–79; Herman H. Schwedt, Die römischen Kongregationen der Inquisition und des Index und die Kirche im Reich (16. und 17. Jahrhundert), in: RömQ 90 (1995), S. 43–73; Marcus Sieger, Die Heiligsprechung. Geschichte und heutige Rechtslage (Forschungen zur Kirchenrechtswissenschaft 23), Würzburg 1995, S. 83–105. Unter Urban VIII. systematisierte sich letztlich auch die Dokumentation der Fälle. In den ersten Jahren nach der Etablierung der Kongregation tagte diese normalerweise im Haus des jeweiligen Kardinalpräfekten, dem zugleich die Archivierung des anfallenden Schriftguts anheim gestellt war. Erst unter Urban bezog die Kongregation ihren Sitz im apostolischen Palast. Vgl. Jaroslav Nemec, L’archivio della Congregazione per le Cause dei Santi (ex-Congregazione dei Riti), in: Miscellanea in occasione del IV centenario della Congregazione per le Cause dei Santi (1588–1988), hrsg. v. d. Congregazione per le Cause dei Santi, Città del Vaticano 1988, S. 339–352, hier S. 340f. Die ältere Literatur erschließt sich durch Burschel, Himmel (1999), S. 591f. mit Anm. 76. Vgl. zur Gestaltung des Verfahrens in Theorie und Praxis an Beispielen vor allem des 15. Jahrhunderts Thomas Wetzstein, Heilige vor Gericht. Das Kanonisationsverfahren im europäischen Spätmittelalter (Forschungen zur kirchlichen Rechtsgeschichte und zum Kirchenrecht 28), Köln/ Weimar/Wien 2004. Monographische Studien auf analogem Niveau zu den Verfahren des fortschreitenden 16. bis frühen 18. Jahrhunderts liegen nicht vor. Vgl. für die spätere Zeit Stefan Samerski, Wie im Himmel so auf Erden? Selig- und Heiligsprechungen in der Katholischen Kirche. 1740–1870 (Münchener kirchenhistorische Studien 10), Stuttgart 2002. Vgl. VRBANI VIII. || PONTIFICIS OPTIMI MAXIMI || DECRETA || Seruanda in Canonizatione, & Beatificatione || Sanctorum. || Accedunt Instructiones, & Declarationes || quas || EM.MI ET REV.MI S. R. E. CARDINALES || Præsulesque Romanæ Curiæ ad id muneris con- || gregati ex eiusdem Summi Pontificis || mandato condiderunt. || ROMÆ, || Ex Typographia Reu. Cam. Apost. MDCXLIII., S. 1: „Ad tollendos abusus, qui irrepserant, & in dies irrepere non cessabant in colendis quibusdam cum Sanctitatis, aut Martyrii fama, vel opinione defunctis, antequam ab Apostolica Sede Canonizationis, aut Beatificationis honore insigniti fuerint, Sanctissimus D. N. VRBANVS Diuina Prouidentia Papa VIII. de consilio Congregationis SanctissimĊ Inquisitionis sub diebus 13. Martij & 2. Octobris 1625. edidit Decreta pro quorum declaratione, & omnimoda obseruantia de simili eiusdem Congregationis consilio promulgauit alia Decreta, de quibus in Breui expedito sub Anulo Piscatoris die 5. Iulij 1634.“ Auch die Dekrete selbst wurden mit dem Verweis auf diese einzudämmenden „Missbräuche“ eröffnet. Vgl. Decreta S.mæ Inquisitionis edita sub diebus 13. Martij, & 2. Octobris 1625, in: ebd., S. 2–6, hier S. 2: „Sanctiss. D. N. sollicitè animaduertens abusus, qui irrepserunt, & quotidie irrepere non ceßant […].“ Alia Decreta expedita per Breue 5. Iulij 1634, in: ebd., S. 7–16, hier S. 7: „Alià siquidem Nos solicitè animaduertentes abusus qui irrepserant, & irrepere non cessabant […].“ Für die Über-

434 auf diesem Gebiet bewegten, hatte Bolland atmosphärisch und argumentativ zu verdeutlichen, dass die Acta Sanctorum nicht gegen diese Dekrete, die ihm im Laufe der Zeit ganz einfach über den Kopf gekommen waren, verstießen. Die Revision der ersten Fassung der Acta Sanctorum, die, wie dargestellt, 1635 begann, könnte also nicht nur dem zunehmenden Druck verpflichtet gewesen sein, der aus dem steigenden Niveau der hagiographischen Editorik seit den 1620/30er Jahren erwachsen war, sondern auch dieser kirchenrechtlichen Problematik.

5.2.5 Dogma In einer kurzen Widmungsvorrede an Urban VIII. parallelisierte Bolland die Neuorganisation des Kanonisationsverfahrens und, in bildlicher Anspielung auf die Katakombenheiligen, die Belebung des devotionalen Lebens mit dem nun von ihm selbst vorgelegten Werk: Darum ersuchen dich die HEILIGEN gewissermaßen selbst, so wie du ihre rechtmäßige Verehrung, nachdem die sakralen Angelegenheiten auf sehr kluge Weise geregelt worden waren, bestätigt hast; so wie du ihre Leiber, die nach lang anhaltendem Vergessen aus einer so tiefen Gruft geborgen, hervorgeholt, der öffentlichen Verehrung dargeboten hast, sollst du ihre aus der Finsternis und nach langem Hinwelken emporgebrachten Tatenberichte, auch wenn es aus diesem Grund in der Strahlkraft nicht von gleichem Rang war, in dieser deiner gnädigen […] Gewogenheit empfangen. 301

Bolland betonte, die päpstlichen Dekrete „mit höchster Ehrerbietung und größter Aufmerksamkeit […] häufig gelesen“ zu haben. 302 Diese besagten, dass von denjenigen, die im Ruf standen, unlängst als Heilige oder als Märtyrer gestorben zu sein, keinerlei Bilder aufgestellt werden dürften, zumal nicht solche, die sie mit Aureolen, Nimben oder sonstigen Lichterscheinun–––––––—

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sendung einer Kopie dieses Werks danke ich der Erzbischöflichen Akademischen Bibliothek Paderborn. Es handelt sich um das Ergebnis einer Überarbeitung der Dekrete und Präzisierung der Verfahrensschritte, mit denen Urban VIII. eine Kommission beauftragt hatte, die sich aus Kardinälen und Mitgliedern der Ritenkongregation zusammensetzte. Die Arbeit wurde im Dezember 1640 aufgenommen und das Resultat am 12. März 1642 vom Papst approbiert. Vgl. Veraja, Beatificazione (1983), S. 70. AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643. Dedikationsepistel: Sancto Sanctorvm Iesv Christo Pontifici æterno, eivsqve inter mortales vicario Vrbano VIII. Romano Pontifici [unpaginiert], [S. 2f.]: „Id Te SANCTI ipsi quodammodò rogant, vt quorum legitimum cultum, sacris sapientissimè ordinatis, firmasti; quorum corpora, diuturnâ obliuione, altiùs quàm tumulo, defossa, protulisti, ornasti, venerationi publicæ exposuisti; eorum res gestas, è tenebris longoque situ, etsi non quo par erat nitore, prolatas, propitiâ Tuâ illâ >...@ benignitate suscipias.“ Bolland, Praefatio, ebd., S. XLb: „Profiteor […] me summâ reuerentiâ & attentione binas VRBANI VIII. Pontif. Maxim. Apostolicas constitutiones sæpius legisse; […].“ Bolland zitierte hier nur die Dekrete vom 13. März 1625 und 5. Juli 1634. Daher sprach er von den „beiden“ Dekreten.

435 gen zeigten oder sie als Empfänger göttlicher Gnaden darstellten. Es dürften keine Exvotos oder andere devotionale Gaben zu ihren Gräbern getragen und keine Viten gedruckt werden, die vor einer Kanonisation oder Beatifikation durch den Apostolischen Stuhl von Wundern oder anderen Zeichen der Heiligung berichteten. Läge keine Approbation für diese neuen Heiligen vor, seien die devotionalen Apparaturen zu entfernen und ihre Schöpfer ebenso zu bestrafen wie die Urheber des einschlägigen Druckwerks. 303 Bestünde Anlass, von einer göttlichen Begnadung der Verschiedenen auszugehen, seien, unter Aufsicht des örtlichen Bischofs, die Zeichen, die auf solches hindeuteten, und die Taten der im Ruch der Heiligkeit Stehenden sorgsam aufzuzeichnen, zur Prüfung nach Rom zu übersenden und die Ergebnisse abzuwarten. Keine Anerkennung würden dabei ohne Autorisierung gedruckte Schriften finden. 304 –––––––— 303

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Vgl. Decreta S.mæ Inquisitionis edita sub diebus 13. Martij, & 2. Octobris 1625, in: Urban VIII., Decreta, 1642, S. 2f.: Man habe festgestellt, „& si neque Canonizationis, neque Beatificationis honore insigniti sint ab Apostolica Sede, eorum tamen Imagines in Oratorijs, atque Ecclesiis, alijsque locis publicis, ac etiam priuatis, cum laureolis, aut radijs, seu splendoribus proponuntur, miracula, & reuelationes, aliaque beneficia à Deo per eorum intercessione accepta, in libris rerum ab ipsis gestarum enarrantur, & ad illorum sepulchra, Tabellæ, Imagines, & res aliæ ad beneficia accepta testificanda, & lampades, & alia lumina apponuntur. Volensque proinde huiusmodi abusibus pro debito officij pastoralis occurrere, re etiam cum Illustriss. & Reuerendiß. DD. Cardinalibus contra hæreticam prauitatem in vniuersa Republica Christiana Generalibus Inquisitoribus, communicata, & maturè considerata, ac discußa, declarauit, statuit, & decreuit, ne quorumuis hominum, cum sanctitatis, seu martyrij fama (quantacunque illa sit) defunctorum Imagines, aliaque prædicta, & quodcunque aliud, venerationem, & cultum præseferens, & indicans, in Oratorijs, aut locis publicis, seu priuatis, uel Ecclesijs tàm secularibus, quàm regularibus cuiuscunque Religionis, Ordinis, Instituti, Congregationis, aut Societatis apponantur, antequam ab Apostolica Sede canonizentur, aut Beati declarentur, & (si quæ apposita sunt) amoueantur, prout eas statim amoueri mandauit.“ Ebd., S. 4f.: „Qui autem libros impresserint, aut Imagines pinxerint, sculpeserint seu quoquomodo effinxerint, vel formauerint, cæterique Artifices circa præmissa qualitercunq[ue] delinquentes, prædicta omnia amittant, & insuper pecuniarijs, alijsq[ue] etiam corporalibus pœnis, iuxta criminis grauitatem eorundem Ordinariorum, seu Inquisitorum arbitrio afficiantur. Contrarijs quibuscunque non obstantibus.“ Vgl. ebd., S. 3: „Ac pariter imprimi de cætero inhibuit libros, eorundem hominum, qui sanctitatis, siue martyrij fama, vel opinione (vt præfertur) celebres è vita migrauerint, gesta, miracula, vel reuelationes, seu quæcunque beneficia tanquam eorum intercessionibus à Deo accepta continentes, sine recognitione, atque approbatione Ordinarij, qui in ijs recognoscendis, Theologos, aliosque pios, ac doctos viros in consilium adhibeat, & ne deinde fraus, aut error, aut aliquid nouum, ac inordinatum in re tam graui committatur, negotium instructum ad Sedem Apostolicam transmittat, eiusque responsum expectet. Reuelationes verò, & miracula, aliaque beneficia supradicta, quæ in libris horum hominum vitam, & gesta continentibus, hactenus sine recognitione, atque approbatione huiusmodi impressa sunt, nullo modo approbata censeri vult, mandataque Sua Sanctitas.“ Vgl. Bolland, Praefatio, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, S. XLb: „[…] inhibetur ne de cetero imprimantur libri eorundem hominum, qui sanctitatis siue martyrii famâ vel opinione (vt præfertur) […].“

436 Für Bolland war es vor allem von Interesse, dass von diesen Verordnungen die etablierten Kulte ausgenommen waren, also jene, die „entweder in allgemeiner Übereinstimmung der Kirche oder seit unerdenklicher Zeit oder in Folge der Schriften der Kirchenväter und heiliger Männer oder in sehr lange währender Kenntnisnahme und Duldung durch den Apostolischen Stuhl oder den Ortsbischof gepflegt“ worden seien. 305 Nur sehr wenige der in den Acta Sanctorum verzeichneten historischen Personen, so Bolland, erfüllten keine dieser Bedingungen. Streng genommen gelte dies nur für Ludwig von Blois, in dessen Dossier daher kein Bericht über eines der inkriminierten Phänomene – Mirakel oder Wunderzeichen – aufgenommen worden sei. 306 In anderen Fällen, in denen er sich über die Rechtmäßigkeit des Status als Heilige nicht sicher gewesen sei, habe er, wie er sagte, auf den Titel des „Heiligen“ oder „Seligen“ verzichtet, beispielsweise in den Dossiers der „verehrungswürdigen“ („venerabilis“) Gertrud van Oosten († 1358), Gentilis von Ravenna († 1530), Margarita von Ravenna († 1505), Karl von Villers († um 1215) und Heinrich Seuse. 307 Seuse allerdings qualifizierte er an seinem Ort sehr wohl als „sanctus“ und, mit Surius, als „vir sanctissimus & planè Apostolicus“. 308 –––––––— 305

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Vgl. Decreta S.mæ Inquisitionis edita sub diebus 13. Martij, & 2. Octobris 1625, in: Urban VIII., Decreta, 1642, S. 4: „Declarans, quod per suprascripta præiudicare in aliquo non vult, neque intendit ijs, qui aut per communem Ecclesiæ consensum, vel immorabilem temporis cursum, aut per Patrum, virorumque Sanctorum scripta; vel longissimi temporis scientia, ac tolerantia Sedis Apostolicæ, vel Ordinarij, coluntur: […].“ Vgl. Bolland, Praefatio, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, S. XLb: „Infra tamen declarat, quod per suprascripta, præiudicare […].“ Vgl. ebd., S. XLIa: „Primùm igitur paucissimos scriptis meis celebro, qui non sint vel ipsius sanctissimæ Sedis auctoritate solenniter Sanctis adscripti, vel communi Ecclesiæ consensu iam olim cultum venerationem adepti. Imò vnicus est fortassis Ludouicus Blosius venerabilis Abbas, de quo mihi constet, nullum ei decretum esse eiusmodi honorem: neque tamen vllum eius miraculum, vaticinium, aliudve Apostolico decreto prohibitum narraui.“ Vgl. ebd.: „De quibus dubitaui, eorumne esset sanctitas legitimo Ecclesiæ iudicio confirmata; iis Sanctorum aut Beatorum titulum, cælestis indicem dignitatis, non tribui, vt Margaritæ & Gentili Rauennatibus, XXIII. & XXVIII. Ianuarij: etiam nonnullis non modò centum annorum, sed & seculorum aliquot celebritas suffragaretur, vt Gertrudi Beghinæ Delfensi VI. Ianuarij, Henrico Susoni Ord. Prædicatorum XXV. Ian. Carolo Abbati Villariensi XXIX. Ianuarij.“ Vgl. De Venerabili Virgine Gertrvde ab Oosten Beghina Delphensi in Belgio, in: ebd., 6. Jan., S. 348–353; De Margarita Virgine Ravennæ in Italia, in: AASS Ianuarii, Bd. 2, 1643, 23. Jan., S. 548–554; De Venerabili Vidva Gentile Ravennate, in: ebd., 28. Jan., S. 910–915; De Carolo VIII. Villariensi Abbate in Brabantia, in: ebd., 29. Jan., S. 976–980. Vgl. De Sancto et Theopnevsto Scriptore Henrico Svsone Ord. Prædicat. Vlmæ in Germania, in: ebd., 25. Jan., S. 652–689, hier S. 652a: „Henricus Suso, vir sanctissimus & planè Apostolicus, (vt eum Surius appellat) […].“ Die Problematik des Status und der Titulatur thematisierte Bolland durchaus: „Non est ille quidem solenniter ab Ecclesiâ catalogo Sanctorum adscriptus, paßim tamen eum Beatum appellant, […].“ Das Zitat stammte aus der von Surius vorgelegten, lateinischen Werkausgabe und der Widmungsvorrede an Ludwig von Blois. Vgl. D. HENRICI ||

437 Dass diese Strategie, da und dort auf das Attribut „Sancta“ oder „Sanctus“ und „Beata“ oder „Beatus“ in den Titeln der Dossiers zu verzichten, den neuen Richtlinien nur bedingt entsprach, dürfte Bolland bewusst gewesen sein. Schließlich befanden sich all diese Dossiers in einem Acta Sanctorum genannten Werk. Die veröffentlichten hagiographischen Schriften ließen an dem Status der beschriebenen Personen ohnehin keinen Zweifel. Die in der Vita Gertruds van Oosten geschilderten Stigmata 309 oder die in der Vita Margaritas von Ravenna verzeichneten Wunder 310 lassen es als vergleichsweise bedeutungslos erscheinen, ob diese Personen im Titel als „verehrenswürdig“ oder „heilig“ klassifiziert wurden. Solche Viten, ihre Inhalte und devotionalen Hintergründe korrespondierten sehr deutlich mit dem, was man in Rom seit dem ersten Drittel des 17. Jahrhunderts als „missbräuchliche“ Stiftung von Kulten zu unterbinden und als den lange dominierenden Weg zur Heiligkeit per viam cultus zu beseitigen beabsichtigte. 311 –––––––—

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SVSONIS || VIRI SANCTITA- || TE, ERVDITIONE ET MI- || RACVLIS CLARI, || OPERA. || NVNC DEMVM POST ANNOS DV- || centos & amplius, è Sueuico idiomate Latinè reddita || à Reuerend. Patr. LAVRENTIO SVRIO Carthusiano. || Cum indice locupletissimo. || Contenta, lector, vide pagina sequente. || COLONIAE AGRIPPINAE, || In officina Birckmannica sumptib. Arnoldi Mylij. || Anno M. D. LXXXVIII. Dedikationsepistel: Reverendo in Christo Patri ac Domino Lvdovico Blosio, Cœnobij Lætiensis Abbati dignissimo, Domino ac Patrono suo reuerenter obseruando, F. Laurentius Surius Carthusianus, S. P. D. [unpaginiert], fol. a5v: „[…] habes tandem, Reuerende Pater, quæ tu tantoperè desiderasti, D. He[n]rici Susonis viri sanctissi & planè Apostolici opera, […].“ Dass dies keine kirchenrechtlich oder kultpraktisch relevante Kategorisierung war, sondern Seuse auf diese Weise höchste Frömmigkeit und Gottbegabtheit zugeschrieben werden sollte, war Bolland sicherlich bewusst. Vgl. De Venerabili Virgine Gertrvde ab Oosten, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, 6. Jan. Vita. Ex MS. Vltraiectino, ebd., S. 349–353, hier S. 349a: „Ghertrvdis de Oesten, virgo venerabilis & Beghina deuota, sed solemniter, non sine summi Pontificis auctoritate, veneranda, stigmata Domini nostri Iesu Christi nocte Parasceues ann. MCCCXL. suscepit in corpore suo: de quibus sanguis effluxit per dies multos septies in die, supente populo pro grandi miraculo.“ Ob die Sentenz: „non sine summi Pontificis auctoritate“, nicht von Bolland selbst eingefügt worden ist, bliebe zu prüfen. Neben dieser Utrechter Vita verfügte Bolland noch über eine zweite und kürzere aus Rouge-Cloître, die von ihm allerdings nur dem Namen nach genannt wurde. Vgl. [Einleitung], ebd., S. 548f., hier S. 549a: „Aliam [vitam] breuiorem exhibebat MS. Codex Rubeæ vallis, à Ioanne Gilmanno aut Antonio Gentio conscriptam.“ Vgl. Vita Venerabilis Ghertrudis van der Oosten Virginis, quæ stigmata vulnerum Christi in suo corpore gestauit, et floruit anno Domini M.CCC.LVIII. ex MS. Rubeæ vallis, BRB, Coll. boll. Ms. 7569 (3440), fol. 242r–244v. Inc.: „Venerabilis ac Deo dilecta sponsa Gertrudis vander oosten vitam gestaque virtuosa […].“ Von einer päpstlichen Billigung war zumindest in dieser Version nichts zu lesen. Vgl. De Margarita Virgine Ravennæ, AASS Ianuarii, Bd. 2, 1643, 23. Jan. Vita. Jtalicè scripta à Seraphino Firmano, Latinè reddita à Philip. Zoutæo Soc. IESV, ebd., S. 548–551, hier c. 2. Vaticinia eius, ac miracula, ebd., S. 550f. Diese Debatte erschließt sich durch Wetzstein, Heilige (2004), S. 212f. mit Anm. 24.

438 Bolland, dem, wie auch an dieser Stelle deutlich wird, an der möglichst umfänglichen Publikation seiner Materialien gelegen war, sah sich dadurch zu einem nicht immer konsistenten Lavieren zwischen den Positionen genötigt. Einerseits zitierte er wiederholt und über die Januarbände hinaus aus dem Dekret Urbans VIII., um seine Übereinstimmung mit den Inhalten der Acta Sanctorum hervorzuheben. Andererseits erklärte er, dass die von ihm gedruckten Schriften eben zu wichtigen Teilen als von Menschen gemacht bewertet werden sollten und daher ohnehin nur das Gewicht der historia humana, einschließlich potentieller Mängel, beanspruchten. 312 In der Einleitung der Februarbände sollte Bolland diese Erklärung wiederholen. Dort erneuerte er die Bekundung der Loyalität gegenüber dem Apostolischen Stuhl, den er, der „Wahrheit“ und damit dem wichtigsten Prinzip des Historiographen vergleichbar, als Richtschnur seines Tuns verehrte. Seine Leserinnen und Leser forderte er auf, ihm mögliche Irrtümer zu kommunizieren, die ihm, die Dekrete Urbans VIII. aber auch die behandelten historischen Sachverhalte betreffend, unterlaufen sein könnten. 313 –––––––— 312

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Vgl. Bolland, Praefatio, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, c. 3,7. Protestatio avctoris, ebd., S. XLIb: „Etsi in hoc opere nulla cuiusquam, qui non videatur per communem Ecclesiæ consensum, vel immorabilem temporis cursum, aut per Patrum, virorumq[ue] sanctorum scripta, vel longißimi temporis scientiâ ac tolerantiâ Sedis Apostolicæ, vel Ordinarij, cultum venerationemq[ue] obtinuisse, miracula, vaticinia, arcanorum manifestationes, retulisse me existimem; quæ sunt iteratis S. D. N. V. VRBANI VIII. decretis prohibita; tamen ne quid me vel incautum fugerit, vel ne ceterorum actis Sanctorum ac Beatorum maiorem, quàm par est, videar auctoritatem arrogare; || Testificor, velle me vniuersa quæ scripti atque edidi humanæ dumtaxat historiæ pondus obtinere: cùm neque Diuinâ reuelatione, neque Catholicæ Romanæ Ecclesiæ aut sanctæ Sedis auctoritate nitantur; nisi quattenùs ex Diuinæ Scripturæ libris, aut litteris Pontificum, aut alioquin ab Ecclesiâ approbatis Patrum monumentis, aliqua desumpta sunt. Quæ verò ex aliorum accepi libris, iis tantum esse fidei volo, quantum illi merentur auctores. Quæ à me absque alio testimonio scripta, hæc spero eo habitum iri loco, quo quæ ab homine tradita erroribus pro ingenij iudiciique imbecillitate obnoxio, sed qui tamen in iis examinandis non mediocrem posuerit operam, & moti malit quàm vt sciens quemquam fallat.“ Vgl. In tomvm primvm de Actis Sanctorvm mensis Febrvarii præfatio. Ad amplissimvm et adm. reverendum dominvm ac patrem Gasparem Roger. Celebrissimi monasterii Lætiensis Ordinis S. Benedicti Abbatem, eivsque religiosissimvm conventum, in: AASS Februarii, Bd. 1, 1658, S. IX–XXVII, hier S. XXVII: „PROTESTATIO. || […] Cælites omnes, Deumque ipsum, sanctè testamur, nos eamdem sacrosanctam Sedem, vt Veritatis (quæ vnicè proposita esset scribentibus debet) Magistram reueri: neque ab eius scitis iussisque vel latum vnguem declinare velle. || Quare (quod alias VRBANI VIII Pont. Max. iteratis Constitutionibus vetitum) nulli, quantùm quidem per imbecillitatem humani iudicij prouideri à nobis potuit, SANCTI aut BEATI appellationem adscripsimus, cui non eam vel Sedis eiusdem sententia, vel maiorum religio, vel veterum Scriptorum auctoritas contulerit. Neque item cuiusquam, qui non videatur per communem Ecclesiæ consensum vel immorabilem temporis cursum, aut per Patrum virorumque sanctorum scripta, vel longissimi temporis scientiâ ac tolerantiâ Sedis Apostolicæ vel Ordinarij, venerationem obtinere, commemorauimus miracula, prædicationes, […]. Si tamen videamur vspiam hoc in genere hallucinati; admoneat nos quiúis amator Veritatis, atque illico corrigemus: &

439 Der päpstliche Kanonisationsreservat hatte sich erstmals in den Dekretalenkommentaren Innozenz’ IV. (reg. 1243–1254) mit Deutlichkeit artikuliert. 314 Unter den Auspizien der katholischen Mission und Gegenreformation zielten die Bemühungen, ihn konsequent zur Anwendung zu bringen, auf eine Entpolitisierung des Heiligenkults. 1642 wurde eine Frist von 50 Jahren festgelegt, die nach dem Ableben der möglichen Kandidatinnen und Kandidaten zu verstreichen hatten, ehe eine Kanonisation oder Beatifikation angestrengt werden konnte. Wiederum 50 Jahre hatten zu vergehen, ehe nach einem älteren Verfahren ein neues durchgeführt werden konnte. Ausnahmen seien nur mit ausdrücklicher Erlaubnis des Papstes möglich. 315 Damit sollten Spontanerhebungen sowohl populärer Klerikerinnen und Kleriker („Santo subito!“) als auch solche der in den Dekreten immer wieder ausdrücklich erwähnten neuen Märtyrerinnen und Märtyrer unterbunden werden. Die „Militarisierung des nachtridentinischen Himmels“ oder ein sich auf die aktuellen Martyrien stützender „Prozeß beschleunigten konfessionellen Wettrüstens“, 316 die nach den Studien Peter Burschels in den betroffenen Ortskirchen und Orden zu beobachten seien, entsprachen gerade nicht dem Willen Roms. Falsche Erwartungen zurückweisend hatte schon Baronio in der Praecapitulatio des Martyrologium Romanum klargestellt, dass die Leserinnen und Leser dieses historische Martyrolog nicht um „jene überaus glänzenden Märtyrer“ ergänzt vorfinden würden, die in unserem Jahrhundert, wegen des Behauptens und Verbreitens des katholischen Glaubens, die furchtbarsten Misshandlungen […] besonders in England und bei den Galliern durch die Häretiker haben über sich ergehen lassen müssen, und wir wissen sie […] unter den anderen Märtyrern mit ebenbürtigem Ruhm des Sieges kooptiert: und überdies fände er auch jene nicht hergezählt, die gleichwie die Söhne des Donners, in Ähnlichkeit des zuckenden Blitzes der neuen Welt mit evangelischem Licht geleuchtet und um des Glaubens willen das Martyrium erlitten haben. Nicht nämlich (wie es scheint) ist es im Vorhaben der Römischen Kirche gegenwärtig gewesen, ein

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multo quidem studiosiùs hæc, quàm si quæ errata, pertinentia ad Chronologiam, Topographiam, Actaque ipsa, imprudentibus exciderint: quæ tamen ipsa moniti continuò retractabimus. || Etenim hosce Commentarios nullum habere momentum volumus, nisi HISTORIÆ HVMANÆ, ab hominibus errori obnoxiis compositæ: nisi si qua ex Diuinæ Scripturæ libris descripta, aut Ecclesiæ Catholicæ Conciliis, Pontificiisq[ue] Bullis Canonizationum, quibus sua sacrosancta constare debet auctoritas.“ Vgl. Wetzstein, Heilige (2004), S. 250f. Gegen ältere Einschätzungen wird ein Schreiben aus der Zeit Alexanders III. (1159–1181), das einschlägige Bemerkungen enthält, inzwischen als die Regelung eines Einzelfalls begriffen. Vgl. ebd., S. 219f. mit Anm. 48. Vgl. Urban VIII., Decreta, 1642, S. 27: „Sanctitas Sua expresse prohibuit S. Rituum Congregationi, ne deinceps procedat in Causis Seruorum Dei ad effectum Canonizationis, seù Beatificationis, aut declarationis Martyrij, nisi lapsis quinquaginta annis ab obitu illius, quinimò etiam lapsis quinquaginta annis de similibus Processibus tàm factis, quàm faciendis agi vetuit, nisi habita priùs, & expressè obtenta licentia à Sanctitate Sua, vel eius Successoribus.“ Burschel, Sterben (2004), S. 221f.

440 neues Martyrologium zu verfertigen, sondern ein altes (wie wir gesagt haben) aus alten Exemplaren wiederherzustellen. 317

Trotz der sich verschärfenden Rechtsnorm besaß das Papsttum nicht die Mittel, alle sich per viam cultus etablierenden Kulte von Anfang an zu unterbinden. Einige dieser neuen Kulte, die zumeist aus der Zeit vor den Dekreten Urbans VIII. stammten, wurden im Laufe der Zeit beschnitten und – wenn überhaupt – mit großer Verzögerung approbiert. Am 24. März 1729 wurde der am 24. April 1622 von Prättigauer Bauern erschlagene Kapuziner Fidelis von Sigmaringen (1578–1622) beatifiziert und am 29. Juni 1746 kanonisiert. Als sich Ferdinand II. (Ks. 1619–1637) am 17. April 1624 in einer Denkschrift an die Bischöfe von Chur und Konstanz wandte, mit der Bitte, in ihren Diözesen Informativprozesse zu eröffnen, scheint sich insbesondere in Chur und Feldkirch, wohin die Überreste des erschlagenen Priesters transferiert worden waren, in Schrift, Bild und Liturgie bereits dessen Verehrung als Heiliger verfestigt gehabt zu haben. 318 In Feldkirch als dem Zentrum der Verehrung wurde jedoch, anscheinend etwa zeitgleich mit den Dekreten Urbans VIII. von 1631 und 1634, die dort üblich gewordene Feier einer Messe am 24. April eingestellt. Fidelis’ Reliquien wurden zum größten Teil aus dem Kirchenraum entfernt und der Brauch, Segnungen mit dem Kopf des Märtyrers in der Kirche der Kapuziner vorzunehmen, beendet. Trotz eines von den Erzbischöfen von Mainz, Trier und Köln sowie den Kapuzinern unterstützten Bittschreibens Ferdinands III. (Ks. 1637–1657) an Innozenz X. (reg. 1644–1655) aus dem Jahr 1645 und trotz der diplomati–––––––— 317

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Baronio, Martyrologium Romanum, 21589. Praecapitulatio, S. XXI: „Nec est præterea, quod quis miretur, si in eodem ipso de quo agimus Romano Martyrologio, clarissimos illos Martyres videat prætermissos, quos nostro seculo, ob tuendam propaga[n]damque Catholicam fidem, pœnas atrocissimas […] in Anglia potissimùm atque in Galliis ab hæreticis passos, & in cælum […] inter alios Martyres æquali scimus triumphi gloria cooptatos: nec insuper illos inueniat recensitos, qui velut tonitrui filij, in similitudiné fulguris coruscantis nouo Orbi Euangelio lumine illuxerunt, ac fidei causa martyrium subiere. Non enim (vt apparet) fuit in præsens Romanæ Ecclesiæ insitutum, nouum conscribere Martyrologium; sed vetus (vt diximus) ex veteribus exemplaribus restituere.“ Beide Informativprozesse waren 1628 abgeschlossen und auf zusammen genommen über 1.200 Seiten dokumentiert worden. Vgl. Otto H. Becker, Selig- und Heiligsprechung, in: St. Fidelis von Sigmaringen. Leben – Wirken – Verehrung. Begleitveröffentlichung zur Ausstellung im Staatsarchiv Sigmaringen, bearb. v. Otto H. Becker/ Gebhard Füßler/Volker Trugenberger = selbstständiger Sonderdruck aus der Zeitschrift für Hohenzollerische Geschichte 32 (1996), Sigmaringen 1996, S. 85–105, hier S. 86; Matthias Ilg, Der Kult des Kapuzinermärtyrers Fidelis von Sigmaringen als Ausdruck katholischer Kriegserfahrungen im Dreißigjährigen Krieg, in: Das Strafgericht Gottes. Kriegserfahrungen und Religion im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges. Beiträge aus dem Tübinger Sonderforschungsbereich „Kriegserfahrungen – Krieg und Gesellschaft in der Neuzeit“, hrsg. v. Matthias Asche/Anton Schindling, Münster 22002 [zuerst 2001], S. 291–439, hier S. 350–360, 420. Vgl. zum Informativ- oder Ordinarienprozess grundsätzlich Sieger, Heiligsprechung (1995), S. 80f., 90, 108, 117f., 120, 126ff.

441 schen Bemühungen des Luzerner Rats in den 1680er Jahren wurde das Verfahren erst 1691 eröffnet. 319 Fidelis von Sigmaringen war der einzige der Märtyrer des konfessionellen Zeitalters, der noch in der frühen Neuzeit in den allgemeinen Heiligenkanon aufgenommen werden sollte. Dass dies vergleichsweise spät geschah, lag wohl weniger an „dessen deutsche[r] Herkunft“, 320 sondern an der Tatsache, dass die Propagierung des Kults offenkundig genuin politischen Interessen geschuldet und, gegen alle Bestimmungen, voll ausgebildet war, bevor ein Verfahren in Rom auch nur angestrengt worden war. 321 Der Kult des Märtyrers Fidelis war das, was die Päpste als „Missbrauch“ der Heiligendevotion begriffen und abzustellen suchten. Die meisten causae, die der Ritenkongregation im 17. Jahrhundert unterbreitet wurden, scheinen ohnehin abschlägig beschieden worden zu sein. Die Gründe dafür sind bislang in nur wenigen Fällen untersucht. 322 Es waren diese Kulte, die sich aktuell im Blickfeld Roms befanden, bei denen die Spielräume, die Bolland und seine Nachfolger für sich in Anspruch nahmen, in aller Regel endeten. 323 Fidelis erhielt kein Dossier in den Acta Sanctorum. Mit dem Fest des 24. April wäre der dritte Aprilband von 1675 in Frage gekommen. Auf eine günstigere Konstellation trafen die insgesamt 19 am 9. Juli 1572 in Brielle erhängten Geistlichen, die bei der Besetzung der Stadt Gorkum gefangen genommen worden waren. Diese sollten am 24. November 1675 beatifiziert werden. Sie konnten folglich ohne Umstände in die Acta Sanctorum aufgenommen werden. 324 Auch –––––––— 319 320 321

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Vgl. Becker, Selig- und Heiligsprechung (1996), S. 86; Ilg, Kult (22002), S. 311f., 377, 419. Ebd., S. 420. Die Bedeutung dieser Aspekte wird auch von Ilg akzentuiert. Vgl. ebd., S. 310f., 403ff. Nicht deutlich wird aus Ilgs Beitrag allerdings, dass sich die Dekrete Urbans und seiner Nachfolger keineswegs gegen ein „Ausufern etwaiger […] unkontrollierter Heiligenkulte“ richteten, die „gerade im Mittelalter zuhauf“ entstanden seien, sondern sich dezidiert und im Detail auf diese zeitgenössischen Vorgänge bezogen. Vgl. Burke, Heiliger (1986), S. 58; Simon Ditchfield, How Not to Be a CounterReformation Saint. The Attempted Canonization of Pope Gregory X, 1622–45, in: Papers of the British School at Rome 60 (1992), S. 379–422; David Gentilcore, From Bishop to Witch. The System of the Sacred in Early Modern Terra d’Otranto, Manchester/New York 1992, S. 177ff.; Suire, Sainteté (2001), S. 372. Vgl. Bolland, Praefatio, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, S. XLIb: „Eadem decreti Apostolici obseruantia fecit, vt haud paucas piorum hominum Vitas, etiam typis anteà editas, quòd plurima continerent miracula aliaque inusitata portenta, planè omitterem, donec in Diuos ab Ecclesia referantur.“ Begrüßt wurde dies von Bolland jedoch nicht: „Insunt quidem in iis Vitis multa quæ Lectorem non mediocriter oblectarent, accederentque ad virtutem: sed potiorem duxi victimis quibúsve, & gratiorem Deo iisque qui cum illo æternâ beatitudine perfruuntur, obedientiam.“ Vgl. J[oannes] B[aptista] S[ollerius], De SS. Martyribvs Gorcomiensibvs Nicolao Pichio Gorcomiensi Guardiano, Hieronymo Werdano Vicario, Theodorico Emdeno Amersfortio, Nicasio Joannis Hezio, Willehado Dano, Godefrido Mervellano, Antonio Werdano, Antonio Hornariensi, Francisco Rodio Bruxellensi, Sacerdotibus, et Petro Ascano ac Cornelio Wicano, Laicis Ordinis S. Francisci de Observantia; et aliis

442 deren Kult war, nach längerem Vorlauf, im Nachhinein von Rom bestätigt worden. 1603 hatte der Propst der Domkirche von Douai und Kanzler der Universität Wilhelm Estius (1542–1613) seine Historiae beatorum Martyrum Gorcomensium publiziert. Nach der politischen Konsolidierung hatte man in Brielle und andernorts wohl seit 1615 nach den zerstreuten Reliquien der Toten graben lassen. Nachdem sie – oder genauer gesagt: einige – gefunden und, wie Du Sollier bemerkte, durch den Erzbischof von Mechelen in ihrer Authentizität bestätigt worden seien, 325 transferierte man – unter anderem – im Dezember 1618 die Überreste der wohl elf hingerichteten franziskanischen Geistlichen und Laienbrüder in die Brüsseler Kirche St. Goedele und ließ dem eine elftägige Feier folgen. Bei dieser Gelegenheit sei durch die Anrufung der Reliquien eine schon länger in Brüssel grassierende Seuche zum Erliegen gekommen. 326 Nach der Darstellung Du Solliers ließ der päpstliche Nuntius in Flandern, der Erzbischof von Salerno und spätere Kardinal Lucio Sanseverino (reg. 1612–1623) im Oktober 1619 einen Informativprozess unter Vorsitz des apostolischen Vikars in den Vereinigten Niederlanden Philippe Roveen (Rovenius) (1574–1651) einleiten. –––––––—

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octo, nempe Joanne Sacerdote Ordinis Prædicatorum, Adriano Becano ac Jacobo Lacopio Aldenardensi Ordinis Præmonstratensis, et Joanne Osterwicano Canonico Regulari Ordinis S. Augustini, necnon Leonardo Vecchélio Buscoducensi, Nicolao Poppelio Weldano, Godefrido Dunæo Gorcomiensi, et Andrea Walthero, Sacerdotibus et Parochis Secularibus, in: AASS Iulii, Bd. 2, 1721, 9. Juli, S. 736–847. Kaum zutreffend ist die Charakterisierung von Joassart, Delehaye, Teil 1 (2000), S. 121 Anm. 33: „Précisons que les dossiers des Acta Sanctorum ne concernent que des saints dont le culte est antérieur au Concile de Trente, terminus ad quem, traditionellement retenu par les Bollandistes; […].“ Diese Grenze ist gerade keine traditionelle. Sie entspricht vielmehr der Wahrnehmung der Bollandisten der Moderne, die den genuin frühneuzeitlichen Kulten keine besondere Aufmerksamkeit mehr schenkten. Ausdruck dessen ist unter anderem der Ausschluss frühneuzeitlicher Heiliger, ihrer Viten, Mirakel- und Translationsberichte von der BHL. Diese Beschränkung wird bereits auf dem Titelblatt angekündigt (Bibliotheca hagiographica latina antiquae et mediae aetatis). Vgl. Du Sollier, De SS. Martyribus Gorcomiensibus, AASS Iulii, Bd. 2, 1721, 9. Juli. Commentarius prævius, ebd., S. 736–754, hier S. 738b: „Deerant in Belgio Catholico sanctorum Martyrum exuviæ, quibus demum refossis anno 1615 & sequentibus, tum ab Archiepiscopo Mechliniensi recognitis & 1618 solemniter exaltatis, publicus reddi cœpit & Bruxellis & in variis aliis civitatibus cultus, […].“ Der Erzbischof von Mechelen bestätigte die Echtheit der Reliquien allerdings nicht vor der Etablierung eines öffentlichen Kults, sondern etwa zeitgleich oder kurz danach im Jahr 1619. Darauf wird im Folgenden einzugehen sein. Vgl. ebd., S. 744a: „Id postissimum in sanctorum Martyrum beneficiis numeratum est, quod gravissima lues epidemica, quæ Bruxellenses diu afflixerat, ab eo exaltationis reliquiarum diu grassari defierit. Reliquiæ aliæ per Brabantiam, Flandriam, Artesiam, Hannoniam, quin & in Germaniam atque Hispaniam distributæ, […].“ Die Märtyrer von Gorkum wurden dann 1867 in den allgemeinen Heiligenkanon aufgenommen. Vgl. Willibrord Lampen, Art. Gorkum, Mart. von G., in: LThK, Bd. 4 (21960), Sp. 1057f.; Gregory, Salvation (1999), S. 299, 301f., 303, 307; Burschel, Sterben (2004), S. 245f. Anm. 139, S. 248 Abb. 76.

443 Dieser Prozess habe – mit den vorhandenen Werken – nicht nur die unlängst von Gott in den Reliquien gewirkten Wunder belegen können, sondern auch gezeigt, dass diese schon vor ihrer Bergung erfolgreich angerufen worden seien und, trotz aller Gefahr, Pilger zum Ort des Martyriums gezogen hätten. Daher habe Rom, wie Du Sollier sagte, diese sich angeblich schon seit 1572 verbreitende Verehrung stets gebilligt, auch wenn der Kult erst später mit den neuen Bestimmungen Urbans VIII. in Einklang gebracht worden sei. 327 Die – bislang nur aus Regesten bekannten – Briefe zwischen dem Nuntius und dem päpstlichen Sekretariat zeichnen ein nicht ganz so harmonisches Bild. Sie würden, bei genauerem Studium, wahrscheinlich die sich gerade in dieser Zeit vertiefenden Bruchlinien zwischen den Ortsbischöfen und den –––––––— 327

Vgl. Du Sollier, De SS. Martyribus Gorcomiensibus, AASS Iulii, Bd. 2, 1721, 9. Juli. Commentarius praevius, S. 739a: „Vera esse, quæ de singulari, Belgarum præcipue, in sanctos Martyres veneratione, & hîc Saussayus & alii passim scriptores asserunt, plurimis argumentis demonstrari potest; idque non solum post reliquias in Brabantiam aliasque provincias deportatas, verum etiam priusquam de iis refodiensis cogitaretur. Id manifestè ostendunt Processus Harlemii, Ultrajecti, Gorcomii & alibi per Hollandiam, auctoritate Nuntii Apostolici Bruxellensis Lucii Sanseverini, anno 1619 confecti; in quibus identidem referuntur eorum testimonia, qui in angustiis & morbis suis ad SS. Martyrum sepulcra recurrerint, eorum meritis & intercessione promptam medelam consecuti, uti ostendet miraculorum elenchus, Actis ipsis infra subnectendus. Nec defuêre, qui longas peregrinationes ad prædictum martyrii locum susceperint, ibi Sanctos veneraturi, tametsi id sine gravi à Geusiis periculo fieri non posset. […] Ut verbo dicam, adeò pervulgata fuit cultûs, jam ab ipso passionis tempore, à pluribus exhibiti fama, ut Roma ipsa eum toleravit, quamquam postea, interveniente Urbani VIII decreto, Processus alii ad Canonizationem institui debuerint, […].“ Vgl. zu den Vorgängen von 1619 und der späteren Beatifizierung ebd., S. 745–751, zum Verlauf ebd., S. 745b: „[…] atque idcirco prima inquirendi cura commissa fuit illustrissimo D. Lucio Sanseverino Archiepiscopo Salernitano, cum potestate Legati à latere apud Serenissimo Belgii Principes Nuntio Apostolico, cujus auctoritate per litteras datas XIV Octobris anno 1619 & Processui insertas, rem suscepit Illustrissimus Dominus Philippus Rovenius, […].“ Der förmliche Prozess wurde in Rom am 4. Juli 1645 in die Wege geleitet. Vgl. Veraja, Beatificazione (1983), S. 83f., 118, 175. Sanseverino war Nuntius zwischen 1619 und 1621. Vgl. Lucienne van Meerbeeck, Avant-propos, in: Correspondance des nonces Gesualdo, Morra, Sanseverino avec le Secrétaire d’État pontificale (1615–1621), hrsg. v. ders. (Analecta VaticanoBelgica. 2e série: Nonciature de Flandre 4), Brüssel/Rom 1937, S. V–XX, hier S. V f. Roveen wiederum wurde 1614 apostolischer Vikar und 1620 durch Sanseverino zum Bischof geweiht. Der Restauration der Heiligenfrömmigkeit in den holländischen Regionen maß Roveen große Bedeutung bei. Namentlich förderte er die Verehrung der frühmittelalterlichen Missionare Bonifatius und Willibrord und eine ihnen geweihte Bruderschaft. In den frühen 1620er Jahren führte er die posttridentinische Liturgie im Erzbistum Utrecht ein, deren Officia propria er 1623 promulgierte und in der erweiterten Ausgabe von 1640 um die Officia propria der übrigen holländischen Bistümer ergänzte. Die spätere Bitte um eine förmliche Beatifizierung scheint auf den Beschluss einer Versammlung des Domkapitels von Haarlem und des Vikariats von Utrecht zurückzugehen. Vgl. Jan Visser, Rovenius und seine Werke. Beitrag zur Geschichte der nordniederländischen katholischen Frömmigkeit in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, Assen 1966, S. 13–18, 23, 76f.

444 durch die Nuntiatur vertretenen Aspirationen Roms verdeutlichen. Nach einem Schreiben Sanseverinos vom 27. Juli 1619 an den Protektor der Germania und Flanderns Kardinal Scipione Borghese Caffarelli (1576–1633) habe der Erzbischof von Mechelen Matthias Van den Hove (Hovius) (reg. 1595–1620), der sich in seinem Dekret vom 15. Juni 1619 ausdrücklich auf die Beschlüsse des Tridentinums berief, die Kompetenz für sich in Anspruch genommen, die öffentliche Verehrung der Märtyrer von Gorkum verfügen zu dürfen. Nachdem sich der Bischof von Ypern Antoine de Hénin (reg. 1613–1626) dieser Entscheidung aber nicht habe anschließen wollen, ohne sich der Zustimmung des Apostolischen Stuhls sicher zu sein, gelangte die Frage an die römischen Instanzen. 328 Knapp einen Monat später wurde Sanseverino mitgeteilt, dass diese Angelegenheit solange nicht entschieden werde, bis sie von der Ritenkongregation geprüft worden sei. 329 Am 29. August 1619 erhielt Sanseverino ein erstes Resultat der Verhandlungen der Kongregation. Demnach begehrte man erstens die genauen Umstände des Todes der Geistlichen in Erfahrung zu bringen. Zweitens empfand man die das Dekret begleitende Authentifikation der Reliquien als ungenügend und bat Sanseverino darum, sich um präzisere Zeugnisse zu bemühen.330 Am –––––––— 328

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Vgl. Sanseverino à Borghèse, Bruxelles, 27 juillet 1619, in: Van Meerbeeck (Hrsg.), Correspondance (1937), Nr. 1163, S. 393 [Regest]: „L’archevêque de Malines prétend avoir le pouvoir, en vertu du concile de Trente, de décréter les honneurs publics aux reliques des martyrs de Gorcum. || L’évêque d’Ypres n’a pas voulu adhérer à cette décision, sans l’assentiment du Saint-Siège, et sans connaître l’opinion du nonce en cette matière. Le nonce transmet le décret à Rome.“ Vgl. das nach Rom gesandte Dekret Van den Hoves: Attestation du père André de Soto, sur l’authenticité des reliques de certains martyrs de Gorcum, découvertes près de La Brielle, et décret de l’archevêque de Malines. Bruxelles, 15 juin 1619, in: ebd., Annexes, Nr. 18, S. 554–556, hier S. 554: „[…] easdem ut veras reliquias approbare et publicae venerationi fidelium exponendas decernere auctoritate nobis per S. Concilium attributa.“ Vgl. zu Van den Hove Enrico Josi, Art. Malines. I. L’arcidiocesi, in: EncCat, Bd. 7, 1951, Sp. 1914–1916, hier Sp. 1915; Van de Wiel, Archivalia (1990), S. 31f.; vgl. zu Borghese und dessen Protektorat Flandern Martin Faber, Scipione Borghese als Kardinalprotektor. Studien zur römischen Mikropolitik in der frühen Neuzeit (Veröffentlichungen des Instituts für europäische Geschichte Mainz. Abt. für abendländische Religionsgeschichte 204), Mainz 2005, S. 256–262. Vgl. Borghèse à Sanseverino, Rome, 17 août 1619, in: Van Meerbeeck (Hrsg.), Correspondance (1937), Nr. 1174, S. 397 [Regest]: „Aucune décision ne sera prise, en dépit des projets de l’archevêque de Malines, en vue du culte des religieux de Gorcum morts pour la foi, tant que l’affaire n’aura pas été examinée par la Congregation des Rites.“ Vgl. Borghèse à Sanseverino, Rome, 29 août 1619, in: ebd., Nr. 1186, S. 400f. [Regest]: „La Congrégation des Rites mettra à l’étude le décret de l’archevêque de Malines, relatif à la canonisation des religieux martyrs de Gorcum. || 1o Le martyre. Il faudra s’informer des circonstances précises de la mort des religieux; le nonce enverra à cet effet à Rome, une relation exacte des événements. || 2o L’identification des reliques. Elle est basée sur des preuves très fragiles; les événements datant de 1572, le nonce parviendra facilement à se procurer des témoignages plus précis que ceux dont on dispose.“

445 14. September 1619 schrieb Sanseverino, dem so bald als möglich nachkommen zu wollen. 331 Über den weiteren Gang der Dinge ist aus diesem Briefwechsel nichts zu erfahren. Du Sollier konnte seinen Unterlagen entnehmen, dass der abschließende Bericht des apostolischen Vikars Rooven am 8. Februar 1620 nach Rom gesandt worden war. Die Ritenkongregation ließ dann am 13. November 1621 den Erzbischof von Mechelen wissen, dass man zwar zu keinem abschließenden Urteil gelangt war. Der Kult dürfe allerdings solange fortgeführt werden, bis ein weiteres oder anderes Dekret verabschiedet werde. 332 Schwierigkeiten bereitete Du Sollier die mit dieser Handlungsfolge nicht leicht zu vereinbarende Darstellung in Estius’ Historiae beatorum Martyrum Gorcomensium. Estius hatte von einer sich kurz nach dem Martyrium spontan entwickelnden devotionalen Praxis gesprochen. Dies konnte sich Du Sollier nur dadurch erklären, dass es sich eher um private Aktivitäten gehandelt zu haben schien. Denn letztlich seien die Reliquien noch nicht geborgen und öffentliche Kulthandlungen aufgrund der politischen Situation nicht möglich gewesen. 333 In dem von Van den Hove approbierten Bericht über die Auffindung und Prüfung der Reliquien, den der Minorit und Beichtvater der Infantin Isabella Andrés de Soto (1552/53–1625) verfasst und der den Prozess ins Rollen gebracht hatte, wurde auch keineswegs von einer fortlaufenden Verehrung gesprochen. Erwähnt wurde allein, dass die Märtyrer von Gorkum, „die in unserer Erinnerung den katholischen Glauben in der Nähe der Stadt Brielle, trotz verschiedener Verspottungen und Demütigungen, die durch die Verfolger erlitten worden waren, in ihrem Tod auf ganz und gar unerschütterliche Weise behauptet haben.“ 334 Da die von zwei Ordensbrüdern de Sotos „mit eigenen Händen“ ergrabenen Knochen – es handelte sich um „einen Kopf fürwahr, mit Teilen und Stückchen anderer Köpfe und weitere teils kleinere, teils hinreichend große und längliche Knochen“ 335 – keine Hinweise auf die Sakralität ihrer einstigen Besitzer gege–––––––— 331

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Vgl. Sanseverino à Borghèse, Bruxelles, 14 septembre 1619, in: ebd., Nr. 1202, S. 406 [Regest]: „Il transmettra aussitôt que possible une relation exacte du martyre des frères observants de Gorcum et veillera à l’identification de leurs reliques.“ Du Sollier, De SS. Martyribus Gorcomiensibus, AASS Iulii, Bd. 2, 1721, 9. Juli. Commentarius praevius, S. 745b. Vgl. ebd., S. 738a. Vgl. Attestation, 15 juin 1619, in: Van Meerbeeck (Hrsg.), Correspondance (1937), Annexes, Nr. 18, S. 556: „[…] reliquias SS. Martyrum Gorcomiensium, qui nostra memoria catholicam fidem ad oppidum Brilense, post varias illusiones et afflicationes a persecutoribus toleratas, constantissime sua morte confirmarunt.“ Vgl. ebd., S. 554: „Hinc est quod Rmus in Christo pater frater Andreas a Soto ordinis Minorum de Observantia in Belgio et alibi commissarius generalis, necnon Sermæ Infanti Hispaniarum Elizabethae Clarae Eugeniæ Principi nostrae a sacris confessionibus, sub finem mensis Januarii, et rursus 15 mensis Aprilis anni praesentis 1619 ad nos ordinarit probos et pios viros ordinis Minorum de Observantia religiosos nempe patrem Jacobum Nesseum, et patrem Arnoldum de Witte, deferentes ad nos certa

446 ben zu haben scheinen, etwa durch Duft, Wunder, Lichterscheinungen, bestand die Authentifikation vor allem darin, zu belegen, dass die Fundstelle mit dem damaligen Ort des Begräbnisses zur Deckung kam. Die beiden befragten Zeugen, die Witwe Anna Centen, die dort seit mehr als 46 Jahren lebte, und ihr Sohn Leonard, hatten allein dies und einige technische Daten zu bestätigen. So sei an der Fundstelle der Reliquien nie jemand anderes begraben worden, weder vor noch nach der Hinrichtung der Katholiken. Die Stelle befände sich ferner einige Meter (!) von den benachbarten Friedhöfen der Pfarrei und des ehemaligen Klosters entfernt. Sie sei nie als Friedhof benutzt worden oder als der übliche Ort für die Bestattung von Verurteilten bekannt. Auch habe niemand die besagten Überreste je von dort entfernt oder sie mit anderen Knochen vermengt. 336 Ob es „völlig an den Wünschen und Bedürfnissen der Gläubigen“ 337 vorbeilief, wenn das Papsttum des 17. Jahrhunderts kein gesteigertes Inte–––––––—

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quaedam ossa: caput scilicet unum, cum partibus et frustulis aliorum capitum, aliaque tum parva, tum satis grandia et oblonga ossa, quae alter dictorum patrum Minorum Arnoldus, adiutore patre Joanne Tyras, propriis manibus e loco sepulturae effodit tanquam reliquias martyrum Gorcomiensium […].“ Vgl. zu de Soto jetzt Cordula van Wyhe, Court and Convent. The Infanta Isabella and Her Franciscan Confessor Andrés de Soto, in: Sixteenth Century Journal 35 (2004), S. 411–445. Vgl. Attestation, 15 juin 1619, in: Van Meerbeeck (Hrsg.), Correspondance (1937), Annexes, Nr. 18, S. 555: „[…] Anna Centen vidua quondam Leonardi Petri aetatis suae annorum 70 circiter et Leonardus Theodori dicti Couwenburgh, ejus filius, aetatis suae annorum 40 circiter, qui declaraverunt et testati sunt, prout harum serie declarant, atque testantur, quod locus ille in quo ossa in supradicto pago de Rugge extumulata sunt, est proprius locus horrei, in quo ecclesiasticae personae vigentibus in Hollandia tumultibus enecatae et mortuae sunt, nec est locus aliquorum aliorum mortuorum. Quod hic locus horrei distat a loco ubi fuit ecclesia monasterii, prout ille per me notarium deambulatus fuit, circiter 60 passus, aut 120 pedes, et a fossa parrochialis ecclesiae supradictae Rugge, aut cemeterii ipsius, per quam cemeterium supradictum a loco horrei segregatur, circiter 15 passus aut 30 pedes. Quod etiam ipse locus horrei supradictus non fuit, cemeterium, nec locus ordinarius condemnatorum, nec etiam ante vel post enecationem supradictarum personarum ecclesiasticarum, aliquis alius sepultus fuit. Item quod nulla alia ossa in supradictum locum horrei, neque ex supradicto monasterio, neque ex parrochiali ecclesia vel aliter ab aliquo delata sunt, multo minus ab ipso Leonardo teste utilitatis ergo. Quod dicti testes viderunt quando ossa supradictum personarum ecclesiasticarum ex duobus puteis, in quibus ipsa postmodum sepulta erant, remota sunt ad aequandum agrum, et quod illa ipsa ossa non fuerunt evecta neque elata extra locum horrei, aut nunquam alio ita ut mixta fuerint cum ossibus praedicti monasterii aut parochiae. Declarantes pro causa scientiae ipsa quidem Anna Centen quod ultra 46 annos continuo iuxta dictum monasterium Rugge domicilium habuit et ad praesens habet, et ipse Leonardus Theodori, quod penes matrem habitaverit et educatus fuerit, quae supradicta omnia asseruerunt ipsi testes esse vera, offerentes illa, si ita opus fuerit, juramento confirmare, […].“ Die Märtyrer von Gorkum wurden am 29. Juni 1867 in den allgemeinen Heiligenkanon aufgenommen. Vgl. Hans de Valk, History Canonized. The Martyrs of Gorcum between Dutch Nationalism and Roman Universalism (1864–1868), in: Leemans (Hrsg.), Memory (2005), S. 373–393, hier S. 388. Ilg, Kult (22002), S. 420.

447 resse daran zeigte, die der Tagespolitik verpflichteten Aktivitäten kirchenpolitischer Interessengruppen in jeder Hinsicht zu befördern, bliebe zu untersuchen. Sofern keine derartigen Initiativen existierten, scheint jedenfalls nicht notwendig eine spontane Verehrung im engeren Sinn, auf die sich die Propagatoren eines Kults gerne beriefen, eingesetzt zu haben. Des Lebens und Sterbens der meisten der in der frühen Neuzeit gewaltsam zu Tode gekommenen katholischen Geistlichen gedachte man ohnehin in allgemeineren memorialen und historiographischen Gattungen, bis man sie bisweilen in der Moderne, unter veränderten Vorzeichen, in ihrer Sakralität neu für sich entdeckte. Der 1538 unter Heinrich VIII. (reg. 1509–1547) wegen Häresie verbrannte Franziskaner John Forest (1470/74–1538) fand Eingang in Verstegans Theatrum crudelitatum und Thomas Bourchiers († 1586) Historia ecclesiastica de martyrio fratrum Ord. Minorum D. Francisci von 1582. Sogar in den Actes and Monuments wurde er verzeichnet, obgleich Foxe Forest aufgrund seines angeblich unwürdigen Verhaltens während der Hinrichtung mit dem Attribut des Märtyrers nur ungern ausgestattet wissen wollte. 338 Forest wurde am 9. Dezember 1886 beatifiziert. 339 Der Cambridger Theologieprofessor, Kardinal und Bischof von Rochester John Fisher (um 1469–1535), der am 22. Juni 1535 hingerichtet worden war, sollte erst 1935 kanonisiert werden. Ebensowenig wie Forest wurde Fisher in den Acta Sanctorum mit einem Dossier bedacht. Seine Vita erschien 1891 und 1893 in den – in dieser Hinsicht unverfänglichen – Analecta Bollandiana. 340 Der am 9. Dezember 1631, nach fünf Tagen Folter, von Schweden erstochene Pfarrer von Altenmünster Liborius Wagner (1593–1631) wurde 1975 beatifiziert. 341 Der Jesuit Johannes Arnoldi (1596–1631) und der bei den Jesuiten als Koadjutor tätige Blasius Schelling (1564–1632), die ebenfalls von schwedischen Truppen ermordet worden waren, gelangten zu keiner Zeit in den Ruch der Heiligkeit. Des Lebens und Sterbens des „gute[n] Pater[s]“ („bonus Pater“) Arnoldi und des „Gott und der Societas treuen“ („fidelis Deo & Societati“) Schelling wurde 1675, in wenig pretentiöser Form, in der Societas Iesu usque ad sanguinis et vitae profusionem militans des böhmischen Jesuiten Matthias Tanner (1630–1692) gedacht. 342 –––––––— 338

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Vgl. Peter Marshall, Papist as Heretic. The Burning of John Forest, in: The Historical Journal 41 (1998), S. 351–374, hier S. 351f.; Dillon, Construction (2002), S. 246, 250f. Abb. 5.2. Vgl. Alberto Ghinato, Art. Forest, John, in: EncCat, Bd. 5, 1950, Sp. 1514. Vgl. Vie du bienheureux martyr Jean Fisher, cardinal, évêque de Rochester († 1535), in: Anal. Boll. 10 (1891), S. 121–365; 12 (1893), S. 97–287; Antonio Piolanti, Art. Giovanni Fisher, in: EncCat, Bd. 6, 1951, Sp. 625–627; Michael Becht, Art. Fisher, John, in: LThK, Bd. 3, 31995, Sp. 1310f.; Burschel, Sterben (2004), S. 208 Abb. 57, S. 212. Vgl. ebd., S. 246 mit Anm. 147. Vgl. P. Joannes Arnoldi, in: SOCIETAS || JESU || USQUE || AD SANGUINIS || ET VITÆ PROFUSIONEM || MILITANS, || IN EUROPA, AFRICA, ASIA, || ET AME-

448 Tanners Märtyrerbuch ist neben Verstegans Theatrum crudelitatum eines der wenigen prominenten Märtyrerbücher, die der Katholizismus, an die protestantischen Vorbilder des 16. Jahrhunderts angelehnt, hervorgebracht hat. Es entbehrte allerdings des plakativen Impetus’ Verstegans, der vor allem die Grausamkeit der Mörder zu illustrieren suchte, oder der heilsgeschichtlichen Theatralik, mit der die als heilig oder selig approbierten Märtyrerinnen und Märtyrer der Jesuiten in der Imago primi saeculi beschrieben worden waren. Tanners Societas militans war ein in erster Linie memoriales Buch, in dem der gewaltsam erlittene Tod weder durchgängig verherrlicht noch den Opfern, von der geringen Zahl der päpstlich Approbierten abgesehen, ein Moment des Heiligen zugeschrieben wurde. Tanner verzeichnete allein in der das Werk eröffnenden Sektion „Societas Europæa“ 68 der Gesellschaft Jesu verbundene Personen, unter ihnen 55 jesuitische Patres, die im Lauf der frühen Neuzeit ermordet worden waren. 343 Es gibt keinen Hinweis darauf, dass die Jesuiten, „das Volk“ oder andere Institutionen die Auffassung vertraten, dass es sich ausnahmslos um Heilige handelte, denen ein Kult konzediert werden müsse. Der barocke Heiligenhimmel wurde nur punktuell um einige prominente der neuen Glaubenszeuginnen und -zeugen ergänzt. Der übrigen gedachte man als frommer und standfester Personen, die im Kampf um die Verbreitung des katholischen Glaubens oder konfrontiert mit den brutalen Seiten der „Häresie“ ihr Leben gelassen hatten. Die Hochzeit der Beatifikation auch zeitgenössischer Märtyrerinnen und Märtyrer war nicht die Gegenreformation oder die Epoche des Dreißigjährigen Krieges, sondern die Moderne nach um 1890. 344

5.2.6 Kanon Soweit es ihnen möglich war, versuchten die Bollandisten, historische und zeitgenössische Bewegungen auf dem Gebiet der devotionalen Praxis zu verfolgen. Auf die Indices Sanctorum folgten in den Acta Sanctorum die Indices chronologici. Nach Jahrhunderten geordnet wurden hier kursorisch –––––––—

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RICA, || CONTRA || GENTILES, MAHOMETANOS, || JUDÆOS, HÆRETICOS, || IMPIOS, || PRO || DEO, FIDE, || ECCLESIA, || PIETATE. || SIVE || VITA, ET MORS || EORUM, || QUI || Ex Societate JESU in causa FIDEI, & Vir- || tutis propugnatæ, violentâ morte toto Orbe || sublati sunt. || AUCTORE || R. PATRE MATHIA TANNER È SOCIETATE JESU, || SS. THEOLOGIÆ DOCTORE. || PRAGÆ, Typis Universitatis Carolo-Ferdinandeæ, in Collegio Societatis || JESU ad S. Clementem, per Joannem Nicolaum Hampel Factorem. || Anno M. DC. LXXV., S. 104f., Zitat S. 105b; Blasius Schelling, in: ebd., S. 105f., Zitat S. 106b; vgl. dazu Burschel, Sterben (2004), S. 246f. mit Anm. 145, 146. Vgl. Tanner, Societas, 1675, S. 1–150. Vgl. Giuseppe Löw, Art. Beatificazione, in: EncCat, Bd. 2, 1949, Sp. 1090–1100, hier Sp. 1099f.

449 kirchengeschichtlich allgemein bedeutsame Ereignisse erschlossen, die in den je publizierten Schriften genannt worden waren. Hier wies man auf Lebens- oder Todesdaten exponierter Persönlichkeiten hin. 345 Man verzeichnete die Auffindung oder Translation von Reliquien 346 sowie Kanonisationen und sonstige päpstliche, den Kult und die Liturgie betreffende, Konzessionen. 347 Bolland und Henschen mussten von Rom oder den betroffenen Einrichtungen mit einschlägigen Dokumenten ausgestattet worden sein, auch wenn sich in den Collectanea bollandiana eine systematische Sammlung prozessualer Akten im Umfang von knapp 1100 Folien erst aus der Zeit Benedikts XIV. (reg. 1740–1758) erhalten hat. 348 –––––––— 345

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Vgl. AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, Index chronologicus [unpaginiert], [S. 6]: „XIII. SECVLVM. || […] || An. 1221. S. Dominicus fundator ord. Prædicat. obit [!] 409. || […] || An. 1233. Inquisitio Ecclesiastica contra hæreticos instituitur in Hispaniâ 412. || An. 1235. Ordo B. Mariæ de Mercede Redemptionis captiuorum à Gregorio IX. approbatur 409. || […]“. Vgl. De S. Raimvndo de Pennaforti III. Generali Ordinis Prædicatorvm, in: ebd., 7. Jan., S. 404–429. Vita et canonizatio. Ex Bullâ Clementis VIII. Pont. Max., ebd., S. 407–418, hier S. 409a: „[…]: ac illâ ipsâ nocte eadem Virgo sanctissima B. Raimundo, & Iacobo I. Aragoniæ Regi apparuit, id ipsum de Religiosis admonens. Quare hi collatis inter se consiliis, & consentientibus animis Ordinem B. Mariæ de Misericordiâ, seu de Mercede redemptionis captiuorum fundauerunt: […].“ Ebd., S. 411b: „Quamobrem cla. me. Iacobo Regi Aragoniæ eius nominis primo in primis suasit (a), vt sacrum Inquisitionis officium suis in regnis institueret, […].“ Vgl. ebd., S. 412a Anm. a; vgl. zum in der Vita nicht ausdrücklich genannten Tod des hl. Dominikus ebd., S. 409 Anm. a. Vgl. ebd., Index chronologicus [unpaginiert], [S. 6f.]: „XV. SECVLVM. || […] || An. 1445. 21. Iunij eleuatur corpus S. Odilonis Abb. Cluniacensis 77.“ Ebd., [S. 7]: „XVI. SECVLVM. || […] || An. 1594. Reliquiæ SS. Fulgentij & Florentiæ sororis transferuntur Marciam 974.“ Vgl. De S. Odilone Abbate Clvniacensi, in: ebd., 1. Jan., S. 65–77. Elevatio S. Odilonis, ebd., S. 77; De S. Fvlgentio Episcopo Astigitano et Carthaginensi, in: ebd., 14. Jan., S. 971–975. Vita Hispanicè scripta ab Antonio Quintanaduennas Soc. IESV, ebd., S. 972–974, hier S. 974a–b. Vgl. ebd., Index chronologicus [unpaginiert], [S. 6f.]: „XV. SECVLVM. || […] || An. 1457. canonizatur S. Osmundus Ep. Sarisburiensis 1. Ianu. 77.“ Ebd., [S. 7]: „XVI. SECVLVM. || An. 1517. B. Veronica de Binasco beatificatur à Leone X. Papâ 889. || […]. || An. 1542. De S. Raimundo Pennaforti concessum à Paulo III. Papâ officium Ecclesiasticum Prædicatoribus 415.“ Ebd.: „XVII. SECVLVM. || Anno 1601. S. Raimundus de Pennaforti canonizatur à Clemente VIII. 417.“ Vgl. Canonizatio S. Osmvndi Sarisbvriensis Episcopi, in: ebd., 1. Jan., S. 77. De B. Veronica de Binasco, Virgine, Mediolani, in: ebd., 13. Jan., S. 887–929. Inexplicabilis mysterii gesta B. Veronicæ Virginis præclarissimi monasterii B. Marthæ vrbis Mediolani, svb observatione regulæ divi Avgvstini, ebd., S. 887–927, hier S. 889a–b: „Bvlla Leonis X. Permittentis coli festum B. Veronica.“ De S. Raimvndo de Pennaforti, ebd., 7. Jan. Vita, S. 415–418. Vgl. zu Veronica Negroni von Binasco († 1497) und Raimund von Peñafort († 1275) Veraja, Beatificazione (1983), S. 36f., 43. Veraja stützt sich hier auf die in den Acta Sanctorum gedruckten Dokumente. Vgl. zur Kanonisation Osmunds von Salisbury († 1099) Wetzstein, Kanonisationsverfahren (2004), S. 366– 370, 527f. Vgl. Van den Gheyn, Catalogue, Bd. 5 (1905), S. 459–463, Ms. 8240, 8241 (3461). Vgl. zur Datierung Van den Gheyns Vermerk ebd., S. 463.

450 Über die Ursachen für die letztlich gescheiterte Beatifikation des Gründers des Doppelklosters Fontevraud Robert von Arbrissel († 1116), die von der damaligen Äbtissin Jeanne Baptiste von Bourbon (reg. 1637–1670), einer unehelichen Tochter Heinrichs IV. (reg. 1589–1610), seit 1645 angestrebt worden war, informierte Bolland ein Schreiben und ein die Argumente des promotor fidei der Ritenkongregation zusammenfassendes Gutachten des Jesuiten Honoré Nicquet (1585–1667) aus La Flèche vom 28. April 1657. 349 Demnach sei in Rom gegen Robert geltend gemacht worden, dass er sich erstens während seiner Zeit als Erzpriester in Rennes der Simonie schuldig gemacht habe. Zweitens habe er Verdienste für sich in Anspruch genommen, die eher den Frauen des Klosters Fontevraud zuzurechnen seien. Aufgrund der Simonie sei keineswegs von einer herausragenden Lebensführung, die das Attribut des Heiligen erforderte, zu sprechen, sondern von Häresie. Die allein vorhandenen Mirakel post mortem würden ihrerseits nichts über den sakralen Status Roberts aussagen, da diese von Gott aufgrund des Glaubens der Bittenden und nicht um der Verdienste des in Rede stehenden Kandidaten willen gewirkt worden seien. Zu Lebzeiten zu verzeichnende Wunder wiederum seien nicht bekannt. Insgesamt handele es sich um keine der Sanktifikation würdige Figur. 350 Nicquet hatte 1642 eine –––––––— 349

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Vgl. Honoratus Nicquetus an Bolland, La Flèche, 28. April 1657, BRB, Coll. boll. Ms. 8228 (3459), fol. 60r–61r; vgl. in derselben Hand und von Nicquet gezeichnet: De B. Roberto fundatore ordinis fontis Ebraldensis, ebd., fol. 64r–71r. Es handelt sich nicht, wie von Van den Gheyn, Catalogue, Bd. 5 (1905), S. 455, Ms. 8228 (3459), Nr. 18, verzeichnet, um einen Bericht von „Honoratus Ricquetus [!] […] ad sacram congregationem Rituum“, sondern um die Darstellung der Argumente der Ritenkongregation. Vgl. Nicquet, De B. Roberto, BRB, Coll. boll. Ms. 8228 (3459), fol. 71r: „Ab Jllustrissimo Domino Promotore opponuntur duo ad impendiendam Canonizationem P. Roberti. Vnum est, quod dum esset Archipresbyter Rhedonensis incidit in peccatum simoniæ: Alteru[m] est quod ipse sibi appropriauerit laudem laboris, quem mulieres excellenter sustinebant in religione ab ipso instituta. Præterea, dum tractatur prima oppositio, dicitur ad Canonizationem requiri fidem, uitæ excellentiam, et miracula. Jll. D. Promotor fidem fuisse negat in seruo Dei Roberto, quia fuit Simoniacus; Simoniacus autem hæreticus est, et simonia hæresis: excellentia[m] uerò uitĊ oppugnat ex eode[m] capite simoniæ, quæ grauissimum peccatu[m] est, atque inter cætera ait Simoniacum planè indignum qui canonizetur, multisque inuehitur in peccatum simoniæ, causamque, cur tot sæculis nullus propemodùm ausus fuerit postulare P. Roberti Canonizationem ait esse quod Simoniacus fuerit. Cæterùm in miraculis quæ de V. Roberto narrantur, multa ait desiderari primò quod in genere narrantur, 2.o quod non excedant uires naturæ, 3.o quod Deus potest facere miracula etia[m] post mortem alicuius, quando inuocatur, non quide[m] propter ipsius meritum, sed propter fidem eius, qui inuocat: Quare miracula etia[m] post mortem non esse certa indicia sanctitatis. […].“ Ebd., fol. 70r: „De miraculis multa disputat Jll. D. Promotor, atque inter cætera ait miraculis quæ fiunt post mortem non esse signa sanctitatis, quia scilicet Deus sæpe audit supplicantem propter fidem et meritum supplicantis, et non propter meritum eius qui inuocatur; agit autem consulto de miraculis post morte[m] qui non habemus ulla miracula V. Roberti facta in uita: […].“ Der promotor fidei hatte unter anderem die Aufgabe, so Wetzstein, Heilige (2004), S. 308f., „als Gegenpartei

451 Jeanne Baptiste von Bourbon gewidmete Histoire de l’ordre de FontEvraud publiziert, in der er die Heiligkeit Roberts hervorgehoben hatte. Er selbst verteidigte den Fall, in dem die Konzession eines Officiums zur Debatte stand, persönlich für die Seite Fontevrauds vor der Ritenkongregation. 351 Das an Bolland kommunizierte Gutachten stammte also aus erster Hand. Als 1658, gegen die Meinung Roms, das Dossier des „seligen“ Robert von A(r)brissel in den Februarbänden der Acta Sanctorum erschien, 352 erfuhren die Leserinnen und Leser nichts von den eindeutigen Ansichten des promotor fidei. Bolland thematisierte zwar, dass keine Approbation aus Rom vorlag. Dies sei allerdings von untergeordneter Bedeutung. Es sei nämlich nachweisbar, dass der Kult „bereits seit einigen Jahren“ 353 öffentlich gepflegt und Robert schon seit über 500 Jahren als „beatus“ bezeichnet werde. 354 Die beiden von Bolland publizierten Viten stammten aus Michel Cosniers (1611/12–1644) Fontis Ebraldi exordium von 1641 und der Vie du bienheurex Robert d’Abrissel des Jesuiten Jean Chevalier (1607–1649) von 1647. Sie waren, wie Nicquets Histoire de l’ordre de Font-Evraud, im Auftrag und im Sinne der Äbtissin redigiert und, so Bolland, auf ihr Geheiß nach Antwerpen übersandt worden. Dies schloss zwei von Nicquet angefertigte libelli ein. Der eine versammelte die – wahrscheinlich Bollands Commentarius praevius zugrunde liegenden – Zeugnisse über die Heiligkeit Roberts. Der andere, den Nicquet bereits im Rahmen von Chevaliers Vie publiziert hatte, enthielt einen Abriss der Lebensbeschreibung und Lobreden auf den Gründer von Fontevraud. 355 Da mit der Aushändigung dieser –––––––—

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der Postulatoren einer Kanonisation aufzutreten und die Zeugen und ihre Aussagen durch die Erarbeitung von Interrogationen auf ihre Glaubwürdigkeit hin zu prüfen.“ Vgl. dazu auch Sieger, Heiligsprechung (1995), S. 122f. Die im Fall Roberts drastische Zurückweisung der Bitte um Sanktifikation wird durch diesen Aspekt allerdings kaum relativiert. Vgl. Jean-Marc Bienvenu, L’étonnant fondateur de Fontevraud Robert d’Arbrissel, Paris 1981, S. 171ff.; Jacques Dalarun, L’impossible sainteté. La vie retrouvée de Robert d’Arbrissel (v. 1045–1116) fondateur de Fontevraud. Préface de Pierre Toubert (Cerf-Histoire), Paris 1985, S. 18 mit Anm. 15, S. 75, 99 mit Anm. 58, 59. Vgl. zur Person Art. Nicquet, Honoré, in: Sommervogel, Bd. 5, 1894, Sp. 1712f., hier Sp. 1713. I[oannes] B[ollandus], B. Robert[us] de Arbrissello Fvndatoris Ordinis FontisEbraldi, in: AASS Februarii, Bd. 3, 1658, 25. Feb., S. 593–616. Vgl. Commentarius praevius, ebd., S. 593–603, hier S. 596a: „Non est adhuc quidem Robertus in Cælitum tabulas ita Pontificis Maximi sententiâ adscriptus, vt de eo Ecclesiasticum officium recitari Missæq[ue] offeri sacrificium poßit; verùm id impetrare eadem Ioanna Baptista Antistita omnibus neruis contendit. Vrsit quoque iam à pluribus annis, vt hic publicus in Ecclesiâ cultus B. Roberto haberetur, […].“ Vgl. ebd., S. 596a–b. Vgl. ebd., S. 596a: „Quæ nunc ordinem illum sanctißimum pari pietatis & prudentiæ laude, administrat, secunda & trigesima à Petronillâ B. Roberti discipulâ, est Ioanna Baptista de Borbonio, Henrici IV Galliarum Magni Regis filia. Ea cùm summo studio

452 Materialien „unsere[r] überaus geringe[n] Societas“ derart „größtes Wohlwollen“ entgegengebracht worden sei, schien es Bolland das Mindeste zu –––––––— ad conseruandum, qui adhuc in Ordine viguit, spiritum, religiosæq[ue] exercitationis dignitatem, incumbit; tum præsertim sanctißimi Fundatoris Roberti honorem nititur, quibus potest modis amplificare. Eâque caußâ geminas, quas dixi, Vitas, anno MDCXLI & MDCXLVII Flexiæ editas, ad nos mitti curauit, cum aliis libellis, operâ præcipuè nostri Honorati Nicqueti compositis: quorum vnus Summorum Pontificum, S. R. E. Cardinalium, Antistitum, Principum, clarorumque scriptorum de B. Roberti Arbressellensis sanctitate testimonia complectitur: alter inscribitur, Gloria B. Roberti de Arbrissello, Ordinis Fontis-Ebraldi fundatoris, siue vitæ epitome, virtutes, elogia.“ Vgl. zu Nicquets Gloria B. Roberti als selbstständiger Teil von Chevaliers Vie den Art. Chevalier, Jean, in: Sommervogel, Bd. 2, 1891, Sp. 1117f., hier Sp. 1117, Nr. 2. Dass Bolland sie als eigenständigen libellus zitierte, lässt darauf schließen, dass er Chevaliers Text der Vie nicht in seiner gedruckten Fassung vorliegen hatte. Vermutlich hatte er aus Fontevraud eine Sammlung von Abschriften übermittelt bekommen. Dafür spricht auch der im Rahmen der Acta Sanctorum unübliche Verzicht darauf, die Namen der Herausgeber – dies gilt sowohl für Cosnier als auch für Bollands Ordensbruder Chevalier – und den genauen Titel der Ausgaben zu nennen. In diesem Sinn präsentierte Bolland die erste Lebensbeschreibung unter dem eigentümlichen Titel: Vita B. Roberti auctore Baldrico Episc. Dolensi, ex veteribus MSS. Fontis-Ebraldi edita Flexiæ an. MDCXLI & MDCXLVII., AASS Februarii, Bd. 3, 1658, 25. Feb., S. 603–608. Aus der Exposition der handschriftlichen Vorlagen in den Titeln dieser und anderer Viten, die in den Acta Sanctorum aus zweiter Hand herausgegeben wurden, darf nicht geschlossen werden, dass Bolland selbst diese „Handschriften“ eingesehen hätte. In Fällen wie diesem wurde damit nur die Verlässlichkeit der reproduzierten Drucke oder Abschriften hervorgehoben. Bolland behauptete in diesem Dossier auch nicht, selbst mit Handschriften gearbeitet zu haben. Zurückhaltung ist daher auch bei der Bewertung der aus „anderen“ Handschriften verzeichneten Varianten geboten. Vgl. ebd., S. 603a: „[…] frequenter obnubilant. (d) Inaltauit igitur Deus […].“ Vgl. ebd., S. 603b Anm. d: „Aliud MS. vt nos olim monuit Cosnerius, exaltauit.“ Solche punktuellen Varianten wurden bisweilen bereits von denjenigen marginal notiert, die den Bollandisten Abschriften zukommen ließen. Dies wird am Beispiel der irischen Hagiographie noch zu vertiefen sein. Von Cosnier hatte Bolland eine undatierte Note erhalten: Michael Cosnier Fontebraldensis Parochius Reuerendo Patri Bolando Societatis JESU Sacerdoti digniss., BRB, Coll. boll. Ms. 8228 (3459), fol. 62r–v, in der Cosnier die Initiativen der Äbtissin von Fontevraud hervorhob, den Druck der Lebensbeschreibungen in La Flèche erwähnte und auf die Unzufriedenheit mit dem Text von 1641 verwies, „quia nobis in illa priori euulgatione multa ex iisdem MSS uel deprauata uel omissa“ worden sei. Daher „paramus aliam editionem perfectam […].“ Ebd., fol. 62r. Da Cosnier 1644 verstarb, muss dieses Schreiben zwischen 1641 und 1644 in Antwerpen eingetroffen sein. Vgl. zur Person A. Trin, Art. Cosnier (Michel), in: DBF, Bd. 9, 1961, Sp. 754. Die Geschichte der Viten, auch und gerade jene der sogenannten Vita altera, ist kompliziert und hat zu verschiedenen Kontroversen geführt. Der einzige inzwischen bekannte handschriftliche Überlieferungsträger stammt aus dem ausgehenden 15. oder frühen 16. Jahrhundert. Er enthält als Übersetzungen ausgewiesene französische Versionen beider Viten und ist, wie die späteren Adaptationen des 16. und 17. Jahrhunderts, im Kontext der kirchenpolitischen Kontroversen um Fontevraud zu lesen. Der Status der gedruckten Texte ist daher schwer zu klären. Einige unmissverständlich tendenziöse Eingriffe in die auf Initiative der Äbtissin Jeanne Baptiste von Bourbon publizierten Texte sind dennoch nachzuweisen. Vgl. Dalarun, Sainteté (1985), S. 30–54, 73–104, und pass.

453 sein, sie auch in den Acta Sanctorum zu veröffentlichen. 356 Die Tatsache, dass Nicquet Bolland erst kurz vor der Publikation der Februarbände über die Anhörung des Falles vor der Ritenkongregation informierte, könnte allerdings auch darauf schließen lassen, dass man Bolland über deren Ansichten bewusst lange im Unklaren gelassen hatte. Als er von ihnen erfuhr, war es also vielleicht schon zu spät, das Dossier zu revidieren. Die Differenzierung zwischen „sanctus“ und „beatus“ ist nicht als „Unterscheidung zwischen vollwertigen Heiligen und denen zweiter Klasse“ 357 zu begreifen. Da theologisch betrachtet „sancti“ und „beati“ gleichermaßen als Heilige zu bewerten waren und sind, entspricht die terminologische Trennung zwischen beiden der kirchenrechtlichen Differenzierung zwischen den liturgisch für die gesamte Kirche verbindlichen Kulten und den speziell in einzelnen Orden, Klöstern oder Ortskirchen gepflegten. Für das 16. Jahrhundert wurde wiederholt von einer „Krise der Kanonisierung“ gesprochen, da zwischen dem Abschluss der Prozesse Bennos von Meißen und des Dominikaners und Erzbischofs von Florenz Antonio Pierozzi († 1459) im Jahr 1523 auf der einen Seite und der Kanonisation des franziskanischen Missionars Diego de Alcalá († 1463) im Jahr 1588 auf der anderen keine Personen in den allgemeinen Heiligenkanon aufgenommen wurden. 358 Diese Diagnose relativiert sich etwas, wenn die Zahl der – gegenwärtig schwer zu überblickenden – päpstlichen Kultapprobationen und -konzessionen mit beschränkter Reichweite betrachtet wird, aus denen sich im 17. Jahrhundert die dann vor allem durch Alexander VII. verfahrensrechtlich systematisierte Beatifikation entwickelte. 359 Insbesondere im Rekurs auf die Indices chro–––––––— 356

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Vgl. Bolland, De B. Roberto de Arbrissello, AASS Februarii, Bd. 3, 1658, 25. Feb. Commentarius praevius, S. 596a: „Tandem, pro summâ minimam Societatem nostram prosequitur, beneuolentiâ, dignata est nobis per litteras commendare, vt in vasto nostro de Sanctorum Actis opere locum quoque Vitæ B. Roberti daremus.“ Burke, Heiliger (1986), S. 56. Vgl. ebd.; Burschel, Sterben (2004), S. 211f. Vgl. im Detail Lorenzo Polizzotto, The Making of a Saint. The Canonization of St. Antonio, 1516–1523, in: JMRS 22 (1992), S. 353–381; Klaus Pietschmann, Ablauf und Dimensionen der Heiligsprechung des Antonius von Florenz (1523). Kanonisationspraxis im politischen und religiösen Umbruch, in: QFIAB 78 (1998), S. 388–463; Giovanni Papa, La Sacra Congregazione dei Riti nel primo periodo di attività, in: Congregazione per le Cause dei Santi (Hrsg.), Miscellanea (1988), S. 13–52, hier S. 24; L. J. Andrew Villalon, San Diego de Alcalá and the Politics of Saint-Making in Counter-Reformation Europe, in: Catholic Historical Review 83 (1997), S. 691–715. Vgl. Sieger, Heiligsprechung (1995), S. 106–113; Suire, Sainteté (2001), S. 370; vgl. zu diesem Komplex auch Krafft, Papsturkunde (2005), S. 1009–1013. Ausgehend von den eigenen Valenzen wird die Seite der Seligen in der geschichtswissenschaftlichen Literatur unterschätzt. Burke, Heiliger (1986), S. 56f., verzichtet ausdrücklich auf die Behandlung der Beatifizierten. Die sich, soweit erkennbar, auf Burkes Aufsatz stützenden Statistiken von Ronnie Po-Chia Hsia, The World of Catholic Renewal 1540–1770 (New Approaches to European History 12), Cambridge 1998, S. 135f., sind folglich unvollständig: Tabelle 8. 1, „Canonizations and beatifications

454 nologici der Acta Sanctorum und die daraus zu erschließenden Texte und Textpartikel zählte Fabijan Veraja 1983 zehn einschlägige Vorgänge, die zwischen der Autorisation des Kults des ersten Patriarchen von Venedig Lorenzo Giustiniani († 1455) auf dem Gebiet des Veneto durch Clemens VII. (reg. 1523–1534) im Jahr 1524 und der Konzession Pius’ V. (reg. 1566–1572) vom 28. Februar 1566, den Todestag der Dominikanerin Margareta von Savoyen († 1464) in dem von ihr gegründeten Kloster S. Maria Magdalena in Alba alljährlich begehen zu dürfen, zu verzeichnen sind. 360 Ob damit alle päpstlichen Konzessionen und Approbationen erfasst sind, scheint fraglich. Grundsätzlich keine Aussagen sind beim Stand der Dinge über die in Rom Mitte des 16. Jahrhunderts möglicherweise noch anhängigen, aus welchen Gründen auch immer abgewiesenen oder aufgeschobenen causae zu treffen, über die Intensität, mit der verschiedene Institutionen mit welchen Motiven in Rom vorstellig wurden, um neue Kulte ins Leben zu rufen. Sicher ist allein, dass die Entwicklung des päpstlichen Kanonisationsreservats ohne die liturgischen Reformen des posttridentinischen Katholizismus ebensowenig zu verstehen ist 361 wie die Tendenz der Bollan–––––––—

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by decade 1600–1770“; Grafik 8. 2: „Sainthood in the Counter-Reformation“. Folgte man diesen Grafiken, dann hätte zwischen 1600 und 1720 keine einzige (!) Beatifizierung stattgefunden. Auf dieser Basis besitzen die bisherigen Versuche, ein Profil der Politik der Ritenkongregation zu zeichnen, wenig Aussagekraft, zumal Burke und PoChia Hsia nicht qualitativ vorgegangen sind und Kanonisations- und Beatifikationsakten oder zeitgenössische Lebensbeschreibungen ausgewertet hätten. Das Schlagwort von den „Heiligen der Gegenreformation“ suggeriert damit dort eine schlichte Funktionalisierung sämtlicher neu etablierter Heiligenkulte, wo diese im Einzelfall zu untersuchen wäre. Vgl. dazu auch die Überlegungen von Gregory, Salvation (1999), S. 252f., 467 Anm. 3. Die erste nach den Dekreten Alexanders VII. abgeschlossene Beatifikation war die Franz’ von Sales (1567–1622) im Jahr 1661. Vgl. Veraja, Beatificazione (1983), S. 97f.; Sieger, Heiligsprechung (1995), S. 111. Mit ihm beginnt die Auflistung der seither Beatifizierten in dem in dieser Hinsicht nach wie vor hilfreichen Artikel von Giuseppe Löw, Art. Beatificazione, in: EncCat, Bd. 2, 1949, Sp. 1098–1110. Auf Franz von Sales folgten demnach die Beatifikationen Pedros de Arbués (1441–1485) im Jahr 1664, Rosas von Lima (1586–1617) im Jahr 1668, Papst Pius’ V. (reg. 1566–1572) im Jahr 1672, Johannes’ vom Kreuz (1542–1591), Francisco Solanos (1549–1610) und der Märtyrer von Gorkum im Jahr 1675, Toribio Alfonso Mogrovejos (1538–1606) im Jahr 1679 usf. Vollständig ist allerdings auch Löws Aufstellung nicht. Zuvor waren zwischen 1601 und 1630 allein 18 Beatifikationen im Sinne eines casus exceptus vollzogen worden, das heißt einer Vergabe von Konzessionen für eine lokal beschränkte Verehrung, bevor ein Prozess durchgeführt worden oder zum Abschluss gekommen war. Unter ihnen befanden sich die bereits oben S. 232 erwähnten Jesuiten Francisco de Borja, Louis de Gonzaga, Stanislaus Koska und Carlo Spinola. Vgl. Veraja, Beatificazione (1983), S. 87. Insgesamt 22 Personen wurden im selben Zeitraum regulär beatifiziert. Vgl. ebd., S. 45–68. Teilweise ist in diesen Fällen mit Überschneidungen oder mit einer schrittweisen Ausdehnung der Verehrung zu rechnen wie im Falle Louis de Gonzagas. Vgl. ebd., S. 59f. mit Anm. 113. Vgl. ebd., S. 38–44; Krafft, Papsturkunde (2005), S. 1031. Vgl. Papa, Congregazione (1988), S. 17f.

455 disten, die Dekrete des Papsttums so weit, als es ihnen vertretbar zu sein schien, auszulegen. Die „Krise“ der Kanonisation war eine vorübergehende Atempause im Zuge der Revision des kultischen Lebens im Katholizismus. Nicht ohne Widerstände der Ortsbischöfe war auf der letzten Sitzung des Konzils von Trient im Dezember 1563 die Reform der Liturgie beschlossen und, einschließlich der Kalenderfrage, an das Papsttum delegiert worden. 362 Die 1564 von Pius IV. (reg. 1559–1565) eingesetzte Kommission zur Revision der liturgischen Bücher veröffentlichte unter Pius V. in den Jahren 1568 und 1570 die neuen Breviarium Romanum und Missale Romanum. Mit diesen sollte erstmals überhaupt eine allgemein verpflichtende Einheitsliturgie promulgiert werden. In einem Jahrzehnte und Jahrhunderte in Anspruch nehmenden Sickerprozess scheint sich diese, gemessen an den durchaus beschränkten Möglichkeiten des frühneuzeitlichen Papsttums, vergleichsweise unproblematisch durchgesetzt zu haben. Von den meisten Diözesen des Reichs wurde die neue Liturgie im Lauf der folgenden 100 Jahre übernommen. Kirchen, deren Ritus wenigstens zwei Jahrhunderte alt war oder die sich darauf berufen konnten, von Beginn an einen päpstlich approbierten Ritus gepflegt zu haben, waren jedoch von der Pflicht, die neue Liturgie zu adaptieren, entbunden. In den Diözesen Köln, Münster und Trier wurde diese folglich erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eingeführt. Ähnliches gilt für zahlreiche französische Diözesen. 363 Als komplizierter hingegen erwiesen sich die mit der Frage der Liturgie direkt verknüpften Bemühungen, dem Heiligenkalender eine universale Form zu verleihen. Breviarium und Messbuch waren von einem Calendarium Romanum begleitet worden, das auf der Basis eines stadtrömischen Kalenders des 11. Jahrhunderts erarbeitet worden war. Lokale und institutionelle Eigenkalender sollten idealiter durch diesen Normkalender ersetzt –––––––— 362

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Vgl. Philipp Harnoncourt, Gesamtkirchliche und teilkirchliche Liturgie. Studien zum liturgischen Heiligenkalender und zum Gesang im Gottesdienst unter besonderer Berücksichtigung des deutschen Sprachgebiets (Untersuchungen zur praktischen Theologie 3), Freiburg i. Br./Basel/Wien 1974, S. 74–82, 92ff.; Hansjörg Auf der Maur, Feste und Gedenktage der Heiligen, in: Feiern im Rhythmus der Zeit, Bd. 2,1 = Gottesdienst der Kirche. Handbuch der Liturgiewissenschaft, hrsg. v. Hans Bernhard Meyer/Hansjörg Auf der Maur/Balthasar Fischer [u. a.], Bd. 6,1, Regensburg 1994, S. 65–357, hier S. 151–159; Dominik Daschner, Die gedruckten Meßbücher Süddeutschlands bis zur Übernahme des Missale Romanum Pius V. (1570) (Regensburger Studien zur Theologie 47), Frankfurt a. M./Berlin/Bern [u. a.] 1995, S. 603–607. Vgl. Harnoncourt, Liturgie (1974), S. 74 Anm. 41; Emil Joseph Lengeling, Missale Monasteriense 1300–1900. Katalog, Texte und vergleichende Studien, hrsg. u. bearb. v. Benedikt Kranemann/Klemens Richter (Liturgiegeschichtliche Quellen und Forschungen 76), Münster 1995, S. 601ff. Die Übernahme des Breviarium Romanum und Missale Romanum wurde in Köln und Münster nie förmlich vollzogen. Vgl. ebd., S. 604 Anm. 1895; vgl. zu den anderen Diözesen die Liste ebd., S. 601f. Anm. 1890; zu Frankreich ebd., S. 601 Anm. 1892; vgl. zu den süddeutschen Diözesen Daschner, Meßbücher (1995), S. 614–655.

456 werden, der dann um die wichtigsten Feste, die der jeweiligen Eigentradition entsprachen, ergänzt werden konnte. Die von der päpstlichen Kommission angestrebte Relativierung der Heiligenfeste und die Aufwertung der Herrenfeste scheint allerdings nicht geglückt zu sein. Zum einen eignete sich der revidierte stadtrömische Kalender schwerlich zum Universalkalender, so dass dieser neben den realiter weiterhin benutzen Eigenkalendern in Kraft trat. 364 Rosenthal konnte am Beispiel des Normkalenders der Bursfelder Kongregation den Nachweis führen, dass, mit ihm verglichen, der neue römische Festkalender von Anfang an keine Reduzierung, sondern eine Vermehrung der Heiligenfeste bedeutete. Auch hatte man in der Bursfelder Kongregation das Verhältnis der Festtage untereinander bereits selbst ins Gleichgewicht gebracht, so dass die – auch in diesem Zusammenhang – von Seiten Roms exponierte Problematik des „Missbrauchs“ als ein (auch) kirchenpolitisches Argument zu reflektieren ist, um die angestrebte Einheitlichkeit durchzusetzen. 365 Zum anderen gelangte mit den seit 1588 neu kanonisierten Personen eine wachsende Zahl Heiliger in den Universalkalender, so dass dieser sich „rascher und vollständiger mit neuen Festen“ füllte, „als das je in den vortridentinischen Partikularkalendern der Fall gewesen war.“ 366 Die Rolle, die Baronios Martyrologium Romanum in diesem Rahmen bekleidete, dürfte wahrscheinlich jener vergleichbar gewesen sein, die Rosenthal als Wechselbeziehung von Martyrolog und Festkalender am Beispiel der Bursfelder Kongregation herausgearbeitet hat. Dies betrifft beispielsweise den Status des Martyrologs als dem allgemeineren Gedenkbuch, dessen Bestände über die im Festkalender verzeichneten, tatsächlich gefeierten Feste hinausging, das über die Heiligen selbst Auskunft gab und mit der Integration komputistischer Hilfsmittel die Übertragung des Festkalenders auf das jeweilige Jahr ermöglichte. 367 Da sich jedoch auch Baronios Martyrologium Romanum zunächst am Formular der in der Vaticana vorhandenen Versionen der Martyrologia Romana orientierte, 368 mochte Baronios Ansicht, dass es das Entscheidende sei, Gott und die Kirche in ein und –––––––— 364 365

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Vgl. Harnoncourt, Liturgie (1974), S. 74, 78; Auf der Maur, Feste (1994), S. 153f. Vgl. Rosenthal, Martyrologium (1984), S. 141–152. Dass die Frage des möglichen „Missbrauchs“ keine der liturgischen Bücher, sondern in erster Linie eine der Messpraxis war, die dann allerdings ihrerseits auf die Bücher zurückwirken konnte, betont Daschner, Meßbücher (1995), S. 604 mit Anm. 44. Für das Missale Romanum und die von ihm untersuchten süddeutschen Diözesen konnte Daschner aufzeigen, dass die Übernahme des posttridentinischen Missale dadurch erleichtert wurde, dass die Unterschiede zum älteren Missale Romanum von 1474, das bis dato als Prototyp und Formular für die in diesen Territorien gedruckten Meßbücher gedient hatte, eher gradueller Natur waren. Vgl. ebd., S. 607–613. Vgl. Harnoncourt, Liturgie (1974), S. 80. Vgl. Rosenthal, Martyrologium (1984), S. 152ff. Vgl. Ditchfield, Liturgy (1995), S. 44.

457 demselben Geist und Ritus in der Gemeinschaft der Heiligen als solchen zu preisen, 369 für zahlreiche Ortskirchen ebenso unbefriedigend gewesen sein wie die Anlage des Calendarium Romanum.

5.2.7 Memoria Die altertumskundlichen Gelehrten des Katholizismus reagierten nicht in einem unmittelbaren Sinn auf diese Entwicklungen. Ausgehend von ihrem Tätigkeitsfeld bezogen sie diese allerdings in ihre Reflexionen mit ein und brachten ihre Überlegungen in den Vorworten ihrer Arbeiten zum Ausdruck. Van der Meulen hatte, lange bevor das Martyrologium Romanum Baronios vollendet war, in seiner erweiterten Ausgabe des Martyrologiums des Usuard vermerkt, dass kein Martyrolog existiere – einschließlich der ihrerseits bereits ergänzten Kölner Version des Martyrologs des Usuard von 1521 und des Catalogus Sanctorum des Petrus de Natalibus –, das sämtliche Heiligen verzeichne, die in den verschiedenen Kirchen gefeiert würden. Dies erschlösse sich im Vergleich mit den Breviarien der Ortskirchen und Klöster. 370 Van der Meulen war sich bewusst, selbst nur eine Auswahl dieser Heiligen in seinen additiones zum Martyrologium des Usuard berücksichtigen zu können. Er selbst wollte allerdings keine Heiligen übergehen, deren „Zeit, Tag und Ort des Bekennertums oder des Martyriums“ er aus den martyrologischen Traditionen in Erfahrung gebracht habe: „Das Restliche, dessen gefährlichen Abgrund ich erkannte, habe ich anderen übrig gelassen. Wenn fürwahr die Festtage oder Verzeichnisse aller Kirchen für die einzelnen Provinzen existierten, […] hätte unser überaus reiches Martyrolog aus denselben erarbeitet werden können.“ 371 Das Breviarium Roma–––––––— 369

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Vgl. Baronio, Martyrologium Romanum, 21589. Praecapitulatio, S. XX: „Nam […] Ecclesia Principis Apostolorum in Vaticano, diuerso à cæteris Vrbis Ecclesiis […] vtebatur Martyrologio, quod manuscriptum in eiusdem Ecclesiæ bibliothecæ hactenus asseruatur. Verùm cùm non tantùm essent inter se diversa [die verschiedenen Versionen des Martyrologium Romanum], sed mirum in modum deprauata: optimè consultum est, vt sicut Catholicæ fidei vnitate omnes Ecclesiæ vnum corpus sunt in Christo sub vno visibili capite coagmentatæ; ita etiam vno eodemque emendato, ex aliisque aucto vtentes Martyrologio, eadem communione sanctorum, vnóve eodémque ritu, ac vno spiritu pariter omnes in sanctis suis Deum collaudarent.“ Vgl. Molanus, De martyrologiis, 21583, Bl. 211r: „In nullo enim Martyrologio habentur omnes Sancti per varias Ecclesias celebres: Neque […] etiam in catalogo Petri de natalibus, aut in Vsuardo Coloniæ aucto Anno 1521. Quod ex quarundam ecclesiarum Breuiariis facilè obseruari potest.“ Vgl. Usuardi Martyrologium, ed. Molanus, 21583. Candido lectori Ioan. Molanvs [unpaginiert], [S. 9]: „Sed satis mihi fuit pauca quædam è multis inde selegisse: neque voluisse vllum sanctum præterire cuius sciui tempus, diem, & locum confeßionis, vel martyrij. Reliquum, cuius difficilem abyssum videbam, aliis reliqui. Sane si omnium ecclesiarum per singulas prouincias proprij extarent Natales aut indices, […] locupletißimum ex ijsdem nostrum prodijsset Martyrologium.“

458 num war für ihn allein insofern von Bedeutung, als er sich, um Doubletten zu vermeiden, im Zweifelsfall an den dort gewählten Festtagen orientierte. 372 Das Bedürfnis, ältere und neue Festtage an einem publizistischen Ort zu bündeln, hatte im Rekurs auf das verbreitete Formular der usuardinischen Martyrologien mit dem Kölner Druck von 1521 ein erstes prominentes und von Van der Meulen in dieser Qualität auch reflektiertes Resultat gezeitigt. Neben den päpstlichen Bemühungen, den Heiligenkanon zu beschneiden, bestand also ein prinzipiell älteres und gelehrtes Interesse daran, die Festund Heiligenbestände mit wachsender Systematik zu erfassen. Einen wichtigen Impuls erhielt dieses Interesse im Fall Van der Meulens, wie bereits thematisiert, durch die aus seiner Sicht katastrophale politische Lage in den belgischen Provinzen, in denen katholische Traditionen, Institutionen und Personen verunglimpft und attackiert sowie katholischer Besitz, namentlich in den Bilderstürmen von 1566, allenorts beschädigt und zerstört worden sei. 373 Neben der publizistischen Demonstration des Katholischen sollte hier das diachronisch wie synchronisch Zerstreute oder von Zerstörung Bedrohte vereinigt, vergegenwärtigt und inhaltlich erschlossen werden. Seine kalendarisch gegliederte Sammlung mit Kurzbiographien englischer, schottischer und irischer Heiliger leitete Wilson mit den Worten ein, dass er nur das, was jetzt und in Zukunft sein Recht als Erbe der Väter einforderte, 374 präsentie–––––––— 372

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Vgl. ebd., [S. 4]: „Natales quorundam Sanctorum transposui iuxta Tridentini Concilij Breuiarium, aut iuxta propriæ ecclesiæ legitimam obseruationem. Quia geminatio ea, potißimum si altero loco erronea erat, parum gratia erat Lectoribus, suspendens eos quonam die festum obseruaretur.“ Vgl. Molanus, De martyrologiis, 21583, Bl. 206r–v: „Anno 66. cum peccatis nostris iratus Dominus Deus Germaniam nostram inferiorem per hæreticorum perfidiam castigans castigabat, (vt nihil dicam de adiacentibus, nationibus & regnis) nónne experiebamur qua[n]tum inueheretur calamitatis, nouelli dogmatis inductione? Siquidem non tantum paruæ res, sed & maximæ labefactabantur: nec tantum affinitates, cognationes, amicitiæ, domus, verùm etiam omnes propemodum vrbes, populi, prouinciæ, & nationes Belgarum, hoc nouellæ perfidiæ contagio, nedum maculabantur, sed etiam concutiebantur funditus, & emouebantur. Plena erant omnia seditionibus & intestinis bellis: & varijs locis in dies timebatur hæreticorum contra catholicos cruenta conflictatio. Quæ blasphemiæ tunc sunt auditæ contra Catholicam Regis nostri maiestatem? quarum nonnullas etiam editis libellis oppidatim spargebant. Quis nescire potuit eorum mendacia, contemptum dominationis: Satanicum odium erga Episcopos, sacerdotes Christi, & religiosos patres, atque sanctimoniales, & ad vnum vsq[ue] omnes qui se catholicos esse profitebantur? Quoties publicè in plateis à perditissimis nebulonibus clamabantur in sacerdotum & Monachorum sanguinem & internecionem. Quantæ blasphemiæ varijs locis audiebantur in beatißimam Dei matrem Mariam, aliósque sanctos: imo in sacrosanctam Eucharistiam. & tremendum Missæ sacrificium? Qua barbarie sæuiebatur per ter impios perditißimæ fæcis nebulones & fures, in Dei nostri Ecclesias, altaria, monasteria: eius & sanctorum ipsius imagines? idque non vno loco, sed per vicos, oppida, vrbes, & regiones.“ Vgl. [Wilson], The English Martyrologe, 1608. Dedikationsepistel: To the Catholicks of England, Scotland, and Ireland [unpaginiert], fol. *2v: „I do not heere offer vnto

459 re; das, was „die Ungerechtigkeit der Zeiten dir gewaltsam entwendet hat und an das sie alle Erinnerung auszulöschen suchte: […].“ 375 Sammeln ist eine Bewegung konservativen Charakters: „Es will das Dasein des Gesammelten: seine Anwesenheit und seine Dauer.“ 376 Jenseits der Beschäftigung mit der martyrologischen Überlieferung scheinen in dieser frühen Phase jene spröden und territorial definierten Inventare wie Van der Meulens Natales Sanctorum Belgii oder Rosweydes Fasti in der Tat gerade dort angelegt worden zu sein, wo die politische Situation für den Katholizismus prekär oder sogar aussichtslos geworden war. Der im 17. Jahrhundert gängig werdende Titel für derartige Inventare lautete auf Catalogus Sanctorum. In ihnen waren die Namen der Heiligen und ihre Festtage – sofern sie hatten ermittelt werden können – sowie einige bibliographische Nachweise zusammengetragen worden, die sich auf den Ort der Publikation oder der Aufbewahrung der Viten bezogen. Bisweilen erschlossen sie auch nur jene Passagen in sekundären historiographischen und hagiographischen Schriften, in denen die betreffenden Heiligen genannt worden waren. Ein in den hagiographischen Kreisen neben Rosweydes Fasti beliebtes Exemplar dieser Gattung war der Catalogus praecipuorum Sanctorum Hiberniae des exulierten irischen Jesuiten Henry Fitzsimon (1566–1643). Fitzsimon war nach dem Studium der Rhetorik und Philosophie in Paris im Jahr 1592 in Douai dem Jesuitenorden beigetreten, also zu jener Zeit, als Rosweyde dort studierte. Sein Catalogus war wahrscheinlich 1611 in Rom vollendet und dort in einer ersten Version gedruckt worden. Von diesem Druck scheint sich allerdings kein Exemplar erhalten zu haben. Der Catalogus kursierte im wesentlichen in zwei Redaktionen zumeist in handschriftlicher Form unter den Gelehrten. Gedruckt erschien die eine wahrscheinlich 1621 in Antwerpen und die andere im gleichen Jahr in Lissabon, herausgegeben von dem im spanischen Exil lebenden Iren Philip O’Sullivan Beare (um 1590–um 1660). 377 –––––––—

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yow any new thing […] but that which so many ages since, hath by a certaine inheritance, as it were, of your forfathers, descended still, by good right and title, vnto yow, and shall heerafter vnto your, and all posterity.“ Ebd.: „Only this, […] which the iniury of tymes had violently taken from yow, and sought to abolish all memory therof: […].“ Manfred Sommer, Sammeln. Ein philosophischer Versuch (stw 1606), Frankfurt a. M. 1999, S. 50. Vgl. Richard Sharpe, The Origin and Elaboration of the „Catalogus praecipuorum sanctorum Hiberniae“ Attributed to Fr Henry Fitzsimon, S. J., in: The Bodleian Library Record 13 (1988–1991), S. 202–230, hier S. 203f.; ders., Saints’ Lives (1991), S. 42f., 99ff. Weitere Versionen erschließt jetzt Pádraig Ó Riain, The „Catalogus praecipuorum sanctorum Hiberniae“, Sixty Years on, in: Seanchas. Studies in Early Medieval Irish Archaeology, History and Literature in Honour of Francis J. Byrne, hrsg. v. Alfred P. Smyth, Dublin/Portland, Oreg. 2000, S. 396–430. Eine erste Edition ist von Paul Grosjean, Édition du „Catalogus Praecipuorum Sanctorum Hiberniae“, in: Essays and Studies Presented to Professor Eoin MacNeil on the Occasion of His

460 Der Zug zur Inventarisierung der eigenen Bestände entwickelte seine eigentliche Wirksamkeit aber in Zusammenhängen, in denen gegenüber der unmittelbar aus dem Protestantismus erwachsenen – oder als solche empfundenen – Gefährdung der katholischen Traditionen anders begründete Empfindungen im Spannungsfeld von Vergessen, Vergehen und Bewahren in den Vordergrund zu treten begannen. Ferraris Catalogus generalis Sanctorum von 1625, der ein Jahr vor seinem Tod publiziert wurde, erschien mit dem Untertitel: „Qui in Martyrologio Rom. non sunt“. Der Catalogus war demnach ein programmatisches Komplement zu Baronios Martyrologium Romanum. Er wurde zwar mit nahezu identischem Format, mit der charakteristischen Trennung zwischen den summarisch aufgelisteten Namen der Heiligen auf der einen Seite und annotationes auf der anderen, publiziert. Wie Fitzsimons Catalogus oder Rosweydes Fasti stützte er sich aber nicht mehr auf das Formular des einen oder anderen historischen Martyrologs, sondern war aus verschiedenen Gattungen und Zeugnissen kompiliert worden. Nach Aussage Ferraris sei die Arbeit an ihm auf Initiativen Pauls V. zurückzuführen. Wenn sich die Publikation letztlich sehr verzögert habe, dann deswegen, weil es schwierig gewesen sei, die Informationen aus weit von einander entfernt liegenden Regionen zu vereinigen – und weil sich Ferrari seiner eigenen Fähigkeiten nicht sicher gewesen sei. 378 In seiner kurzen Einleitung, die nicht ganz eine Seite füllte, bat Ferrari unvermittelt um Verständnis dafür, „dass ich einige Heilige in diesem Catalogus unerwähnt gelassen haben könnte“. Dies aber sei nicht ihm anzulasten, „da ich, um alle zu erfassen, keinen Stein nicht umgedreht haben dürfte“. Es handele sich vielmehr um die „Schuld“ jener, „die es, obwohl sie darum gebeten worden waren, verschmäht haben, irgendetwas über ihre Heiligen zu schreiben.“ Der einzige, dem ausdrücklich gedankt wurde, war der General –––––––—

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Seventieth Birthday May 15th, 1938, hrsg. v. John Ryan, Dublin 1940, S. 335–393, hier S. 343–393, geleistet worden. Vgl. zum Clan der O’Sullivans Karin Schüller, Die Beziehungen zwischen Spanien und Irland im 16. und 17. Jahrhundert. Diplomatie, Handel und die soziale Integration katholischer Exulanten (Spanische Forschungen der Görresgesellschaft. 2. Reihe 34), Münster 1999, S. 52, 202. Nach seiner Ausbildung an dem 1605 ins Leben gerufenen Universitätskolleg von Santiago de Compostella – dieses sollte 1613 in ein von den Jesuiten geleitetes Priesterseminar umgewandelt werden – diente O’Sullivan Beare als Söldner in der Spanischen Armada. Vgl. ebd., S. 168, 210. Vgl. Ferrari, Catalogus generalis Sanctorum, 1625. Dedikationsepistel: Sanctiss.mo Domino in Christo Patri D. Vrbano Papæ VIII. F. Philippus Ferrarius Ord. Seru. B. M. V. humillimus seruus Į҆HíȞ İ҆ȣIJȣȤHȚҔȞ [unpaginiert], [S. 1]: „En Pater Sanctissime Catalogus Sanctorum, qui in Martyrologio non continentur: opus aliquot ab hinc annis sub fel. recor. Paulo V. inchoatum, multoq[ue] inter alias meas occupationes studio elaboratum. Qui quod in lucem hactenus, haud prodierit, non vna sunt causa: Primum enim difficillimum fuit illos ex tot, tamq[ue] inter se prouincijs dissitis in vnum colligere (Quod neque ad præsentem diem planè assequutus sum) deinde quia meĊ in scribendo imperitiæ, & imbecillitatis conscius illum in vulgus edere subuerebar.“

461 der Jesuiten Vitelleschi. Dieser habe dafür Sorge getragen, dass ihm einige die Heiligen betreffende Aufstellungen (tabulae) aus Frankreich übermittelt worden seien. 379 Du Saussay diskutierte rund zehn Jahre später diese älteren Martyrologien und Inventare. Er lobte die Gründlichkeit und Gelehrsamkeit, mit der Van der Meulen das Martyrolog des Usuard aufgearbeitet, erweitert und kommentiert habe, 380 und pries Baronios einzigartiges Martyrologium Romanum, weil er es geschafft hat, gleichsam den Himmel, der sich aus Gewitterwolken ergossen hat, hell und glänzend den Sterblichen zurückgegeben zu haben: so viele verdunkelte Namen der seligen Bürger des oberen Hofes nämlich, so viele dereinst außer Acht gelassene und unlängst wieder aufgefundene, so viele ihrer kraftvollen Taten, die dem Gedächtnis der Menschen entglitten gewesen waren, hat er in diese heiligen Tafeln mit gebührendem Lobpreis hineingeflochten: […]. 381

Du Saussay würdigte die Studien jenes aus Utrecht stammenden Jesuiten mit Namen Rosweyde, der einen großen Teil der „Bibliotheken Belgiens durchwandert und durchmustert“ und dabei allerlei „Altertümer der Kirche aufgespürt hat“. 382 Er äußerte sich anerkennend über Ferrari, welcher „keinen Stein nicht umgedreht“ und sogar die Namen zahlreicher dort, in Italien, ziemlich unbekannter Heiliger in Erfahrung gebracht habe, auch wenn er nicht alles, worum er andere gebeten, erlangt habe. 383 Und doch habe selbst Baronio eingeräumt, so Du Saussay, dass sogar dann, wenn die Namen aus allen Martyrologien im Martyrologium Romanum vereinigt worden wären, keine Vollständigkeit zu erlangen wäre. Denn in historischer Zeit sei das Formular des Martyrologium Romanum nicht von allen Kirchen mit gleicher Intensität um ihre eigenen Heiligen und Märtyrer ergänzt wor–––––––— 379

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Ebd.: „[Q]ua in re Reuerendissimo in Christo Patri Mutio Vitelesco Generali Soc. Iesu præposito, qui aliquot SS. tabulas mihi ex Gallia transmittendas curauit, plurimum debeo.“ Du Saussay, Martyrologium Gallicanum, 1637. Apparatus, S. LXIV: „[…] Martyrologium Vsuardi, quod ab eo [Molanus] admirabili labore & industria instauratum, auctum, annotationibúsque eruditissimis illustratum est.“ Ebd., S. LXVI: „[…]: id sanè fatendum est vnum Baronium, cùm id effecit, quasi offusum nubibus cœlum, clarum & nitidum mortalibus reddidisse: quoquot enim Beatorum supernæ aulæ ciuium obscurata nomina illustrauit, quotquot olim omissa recensque reperta addidit, quotquot fortia eorum facta, quæ exciderant a memoria hominum, sacris his tabulis debito cum præconio intexuit:[…].“ Vgl. ebd.: „HERIBERTVS ROSVVEYDVS Vltraiectensis Societatis IESV Theologus, sacras in ea literas & Philosophiam Duaci & Antuerpiæ professus est. Hinc animum ad scribendum appulit, & plerasque Belgij Bibliothecas lustrauit & excussit, Ecclesiæ antiquitates indagauit, […].“ Vgl. ebd., S. LXVII: „Nullum igitur lapidem non mouit [Ferrarius], vt ex Gallia, Germania, aliisque occidentalis orbis partibus vel remotissimis, sibi Sanctorum localium indices transcriberentur: & quamquam non vndique nactus sit, quæ instantissimè requirebat, tot nomina tamen Beatorum antea fermè in Italia incognitorum est assecutus, […].“

462 den. 384 Auf dieser Basis wandte sich Du Saussay gegen das Anliegen, Martyrologien mit universalem Anspruch zu kompilieren. Bedarf bestehe vielmehr an Martyrologien mit gentiler Ausrichtung, in denen die von einer Nation verehrten Heiligen gesamtheitlich vereinigt würden. 385 Nach Ansicht Du Saussays habe sich schon Van der Meulen in diese Richtung geäußert, als er forderte, breit kompilierte Martyrologien in den verschiedenen Volkssprachen anzufertigen, die sich nicht nur auf einzelne historische Martyrologien oder deren Ergänzungen stützten. 386 –––––––— 384

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Vgl. ebd., S. LXVII f.: „Vere & candidè Baronius Annalium Ecclesiasticorum celebris ille conditor, & felicissimus consummator instauratæ tandem sacrarum tabularum structuræ, agnoscit atque fatetur, quòd tametsi ex omnibus Christiani orbis prouinciis fuerint Martyres Romanum in Martyrologium collecti: non tamen omnes ex omni natione eidem sunt inscripti. Causamque defectus huius reddit idem perspicuam, nimitum ¢marginal: Cap. 8. Præf. in R[omano] M[artyrologio]² cùm diuersarum (ait) Ecclesiarum particulares Martyres, quorum annua celebritate aguntur natalitia, Martyrologio Romano coniungerentur non æquè omnes ab omnibus additos Ecclesiis. Nec id exactum à Romana omnium matre, cùm de omnibus omnium Ecclesiarum Martyribus simul agere, nimis ipsi prolixum & laboriosum videretur.“ Es handelt sich eher um eine wortnahe Paraphrase der Ausführungen Baronios und weniger um ein wörtliches Zitat. Vgl. Baronio, Martyrologium Romanum, 21589. Praecapitulatio, S. XX: „[A]uctumque insuper est sanctorum numero, aliis superadditis Martyribus & Confessoribus, cùm diuersaru[m] Ecclesiarum particulares Martyres, quorum annua celebritate natalitia agerentur, Martyrologio illi antiquo coniungerentur. Cùm autem non æquè omnes ab omnibus adderentur Ecclesiis (de omnibus enim omnium Ecclesiarum Martyribus simul agere, visum est nimis prolixum atque laboriosum) inde accidit, vt quot essent Ecclesiæ, totidem ferè haberentur Romani Martyrologij exemplaria, eademque inter se diuersa.“ Baronio hatte sich in diesem Fall enger, als von Du Saussay nahe gelegt, auf die Tradition der Martyrologia Romana bezogen. Es folgte die oben Anm. 369 zitierte Passage. Vgl. Du Saussay, Martyrologium Gallicanum, 1637. Apparatus, S. LXVII: „Capvt XX. || Generalis Martyrologij toties tentatam recognitionem, votis piorum ac cumulum non satisfecisse, qui specialem plenámque Sanctorum cuiusque gentis notitiam desiderabant. Vnde à plerisque pro sua patria hactenus desudatum est, vt suæ nationis Fastos proprios contexerent. At nemo hactenus visus est, qui Galliæ hoc subsidium præstiterit.“ Vgl. ebd., S. LXVIII: „Nec enim dubium quin magna hinc vtilitas vnamquamque in gentem dimanaret. Sanè (ait pius ille & sapientissimus scriptor) optârim quòd horum exemplo etiam aliquis nostratium Belgico, seu Germaniæ inferioris, siue Flandrico, siue Gallico idiomate conaretur populariter Martyrologium conscribere, ex Vsuardo, & ad eum additionibus, & aliquando paulò fusiùs, ex Martyrum atque Sanctorum probatißimis gestis. Quem laborem, Domino inspirante, aliquem suscepturum spero. Ita ille.“ Im Folgenden erläuterte Du Saussay, dass damit nicht die inzwischen existierenden, allerdings nach wie vor beschränkten Martyrologien in der Volkssprache wie Canisius’ Kirchenkalender gemeint seien: „Percupiebat [Molanus] enim vt non simplex Martyrologij textura patriam in linguam verteretur, cùm sic patriorum Sanctorum, qui passim in Romano Martyrologio deficiunt, nec gesta, nec nomina populo pateant: sed conscriberetur integrum Martyrologium cum iis quas apposuit ad Vsuardum additionibus: quin & fusiori narratione, quæ ex Martyrum probatissimis gestis desumeretur. Id qui præstiterit apus nos, hactenus nondum apparuit.“ Vgl. Molanus, De martyrologiis, 21583, Bl. 203v–204r: „Sane valde optarim quod horum exemplo etiam aliquis nostratium, Belgico seu Germaniæ inferioris, […].“ Als Desiderat be-

463 Bolland griff diese Fäden auf. Er konstatierte, in etwas überspitzter Form, dass Baronio die Selektivität des neuen Martyrologium Romanum und aller anderen vorhandenen Martyrologien eingeräumt habe. Van der Meulen wiederum habe vor dem „Abgrund“ gewarnt, mit dem in Zukunft derjenige konfrontiert werde, der „über sämtliche Heilige, und sei es auch nur kurz, zu sprechen“ beabsichtige. 387 In dem Maß, in dem die publizistische Erschließung der – von Bolland bisweilen personaliter angerufenen – „himmlischen Bürgerschaft“ („civitas caelestis“) voranschritt, nahm die Artikulation des Empfindens, beachtliche Teile dieser Bürgerschaft aus dem Blick verloren zu haben, eher zu als ab. Man könnte allerdings auch sagen, dass in dem Maß, in dem in den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts die Zahl der hagiographischen Veröffentlichungen größeren und kleineren Umfangs stark anzuwachsen begonnen hatte, auch die Lautstärke, in der die allgemeine Vernachlässigung der hagiographischen Überlieferung beklagt wurde, zunahm, um die Relevanz des eigenen Werks nur umso deutlicher herauszustellen: Seid gegrüßt Bürger des Himmels, überaus tapfere Krieger, gerühmte Triumphatoren; und hierauf Wohltäter, wendet, aus dem inneren Gepränge immer währender Festlichkeit, den Blick auf das schwache Geschöpf, das eure Kämpfe überall ausfindig macht und zusammenhäuft und, nachdem die Verunreinigung langen Liegens, insoweit es schicklich gewesen ist, abgerieben worden war, an die Öffentlichkeit führt und euch dediziert. 388

Die enzyklopädischen Züge, die die Charakteristik der Acta Sanctorum ausmachen, resultierten daraus, dass Bolland sie als ein universales memoriales Werk konzipierte. Es dürfe „nichts, von dem es schiene, dass es dazu beiträgt, die Ehre der Heiligen zu mehren und die Erinnerung an sie zu bewahren, […] vernachlässigt werden“. 389 Wenn die Taten einzelner Heiliger nicht verschriftlicht worden seien – und dies schien Bolland eher die Regel als die Ausnahme zu sein –, oder wenn sie verloren gegangen seien, wenn sie sich nur aus sekundären Quellen erschlössen oder in späteren Abrissen überliefert seien, mithin in einer stilistisch wenig ansprechenden –––––––— 387

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wertete Du Saussay also weniger das Volkssprachliche, sondern die gentil oder national definierte Vollständigkeit. Vgl. Bolland, Praefatio, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, S. LIXa: „Neque enim in moderno Romanæ Ecclesiæ Martyrologio, vt fatetur Baronius cap. 8. libelli de Martyrologiis, omnium inscripta Sanctorum nomina sunt, nec vspiam in vno aliquo. Rectè enim Molanus abyssum quamdam censet futuram, si quis de omnibus Sanctis vel breviter loqui voluerit.“ Vgl. die Nachweise oben Anm. 369, 371, 384. Vgl. Bolland, Praefatio, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, S. LVIa: „Avete Cæli Ciues, bellatores fortissimi, inclyti triumphatores; & benignos huc, mediâ è pompà æternæ solennitatis, vultus vertite, ad homuncionem vestra vndique vestigantem, & coaceruantem certamina, ac longi situs squallore, quà fas fuit, deterso, producentem in publicum, Vobisque dicantem.“ Ebd., S. XXIVa: „[…] nihil, quod ad Sanctorum honorem amplificandum, conseruandamque memoriam facere videatur, existimem esse negligendum.“

464 und keineswegs dem „Richtmaß der Historie“ entsprechenden Form, sollten sie dann übergangen und „dem begierigen und ausgehungerten Leser“ vorenthalten werden? 390 Wie sei vorzugehen, wenn nicht einmal ein derartiges „Denkmal oder das Zeugnis eines verlässlichen Autors“ aufzutreiben sei, sehr wohl aber die „Erinnerung an irgendeinen Heiligen lebenskräftig ist, und seine Wohltaten und Wunder gerühmt werden, sei es durch Volkes Stimme allein, sei es sogar nur in aufgestellten Bildern oder Weihegaben, wird es ein Unrecht gewesen sein, das, was durch Gespräche der Ahnen überliefert worden sein dürfte, und das insoweit glaubwürdig scheint, darzubieten?“ 391 Von all diesen Überlieferungssplittern und Überlieferungsformen, so Bolland, habe Rosweyde Abstand genommen, „nicht aber ich.“ 392 Wenn nun aber alles versagte, „weil sowohl keine Tatenberichte existieren als auch die Erinnerung an die Heiligen ganz und gar vertilgt worden ist“, verblieben noch die Namen der Heiligen in den alten Martyrologien, die es zu prüfen und zu reproduzieren galt. 393 Bolland brach mit dem Namen der Heiligen die Acta Sanctorum auf die kleinste Einheit des Totengedächtnisses überhaupt herab. 394 Während das Papsttum mit der Implantierung eines reduzierten und allgemein verbindlichen Heiligenkalenders die Identität des Katholischen mit dem universalen Anspruch Roms verband, der auch die Gefahr eines „kalendarische[n] Vergessen[s]“ 395 in Kauf zu nehmen hatte, arbeiteten die altertumskundlichen Gelehrten des Katholizismus an der Restituierung einer historischen Identität. Diese speiste sich aus dem Bemü–––––––— 390

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Vgl. ebd., S. XXIIIb–XXIVa: „Nam cùm maximoru[m] etiam Sanctorum, & quidem plurimorum, mandata litteris acta non sint, aliorum interciderint; extet tamen vtrorumque frequens apud Scriptores memoria; cur non licebit hîc gesta eorum, ex iisdem accepta Scriptoribus, commemorare? Quid si aliquorum nulla quidem Acta in manibus sunt, qualia principiò conscripta fuisse constet; reperiatur tamen eorum epitome, nec stylo polita, nec satis ad historiæ normam exacta, & quandoque fortassis ab eo quod eruditi homines animo præceperint aberrans; cur hoc auido & famelico lectori ferculum subtrahas, etsi minùs aptè conditum videatur, nec quo è macello allatum sit noris, & num quidpiam malignè præcerptum?“ Vgl. ebd., S. XXIVa: „Quid, cùm neque eiusmodi extat monumentum, nec probati scriptoris testimonium; viget tamen Sancti alicuius memoria, eiusque celebrantur benefacta & miracula, vel solâ populi famâ, vel positis etiam imaginibus & anathematis; nefas fuerit, quid maiorum sermonibus traditum sit, quamque id probabile videatur, exponere?“ Vgl. ebd.: „Abstinuisset his omnibus manum Rosweydus: non ego; […].“ Vgl. ebd.: „Sæpè etiam neque scripta veterum, neque recentiorum fama[m] sequi datur, quòd & acta nulla extant & penitùs abolita memoria Sanctoru[m] est: nomina tamen vetustis inscripta Martyrolog. sunt, quoru[m] verba reprĊsento, & si quod alibi vestigiu[m] apparet, scrutor & excutio dilige[n]ter.“ Vgl. Otto Gerhard Oexle, Memoria als Kultur, in: Memoria als Kultur, hrsg. v. dems. (Veröff. d. MPI f. Geschichte 121), Göttingen 1995, S. 9–78, hier S. 50. Thomas Schmidt, Kalender und Gedächtnis. Erinnern im Rhythmus der Zeit (Kleine Reihe Vandenhoeck und Ruprecht 4018), Göttingen 2000, S. 49.

465 hen, gerade die Breite des Traditionalen – auch in seinen skurril anmutenden Formen – zugänglich zu machen und in den Prozess der konfessionellen Selbstvergegenwärtigung einzubringen. Welchem Zweck genau damit gedient war, legte man ein rein utilitaristisches Weltbild zugrunde, war jeweils schwer zu sagen. Außer Frage stand für Bolland allein, dass alle Heiligen es verdienten, dass man sich ihrer erinnerte und dass nichts der Vergessenheit anheim gestellt werden oder in Verfall geraten dürfe. Bollands Begriff des „Vergessens“ war der einer gelehrten Generation, in der sich das gedruckte Buch als dominierendes Medium gelehrter Interaktion durchgesetzt hatte. Als „vergessen“ wurde das empfunden, was man selbst nicht kannte, weil es noch nicht gedruckt und damit allgemein verfügbar war, auch wenn die einzelnen Heiligen und ihre Überlieferung in den Kirchen, in denen sie beheimatet waren, durchaus präsent sein konnten und keineswegs vom Staub der Jahrhunderte bedeckt sein mussten. Aus diesem Blickwinkel geriet die Unwilligkeit, die eigenen Überlieferungsträger bereitwillig den Bollandisten zur Verfügung zu stellen, nahezu zu einem Beitrag zur Vernichtung katholischer Traditionen. Nachdrücklich forderte Bolland seine Leserinnen und Leser auf, die ihm möglicherweise entgangenen Denkmäler zukommen zu lassen. Er würde dies damit entgelten, dass er die Beiträgerinnen und Beiträger mit Namen und lobend in den Acta Sanctorum erwähnte. 396 Die einschlägigen Schriften könnten jedenfalls problemlos, so Bolland, bevor ihre jetzigen Besitzer es zuließen, dass sie vermoderten, im Krieg verbrannten oder zerstreut würden, sowohl nach Antwerpen gesandt als aber auch den je vor Ort oder in der Nähe ansässigen Jesuiten ausgehändigt werden. Diese wiederum würden sie dann an ihn weiterleiten, sei es über Rom, sei es auf direktem Weg. 397 Keinen Gewinn bedeutete es hingegen, die Materialien für sich behalten zu wollen: Welches kann der Nutzen eines verborgenen Schatzes sein? Der Staat pflegt gefundene Schätze für sich zu beanspruchen, auch wenn es naheliegend sein könnte, dass sie einst von Privatleuten vergraben worden sind: Ihr haltet ihn, der einst ein öffentlicher gewesen ist, zurück und lasst es eher geschehen, dass er von euren unverständigen Nachkommen vergeudet und verschleudert wird, als dass ihr wünscht, dass er mit Gewinn der öffentlichen Sache übereignet wird? Ich habe gewiss etliche erlebt, die es sich sogar nicht gestatteten, durch demütigste Bitten dazu bewegt zu werden, ihre handschriftlichen Codices für eine kurze Zeit herauszugeben, woraus einige Viten

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Vgl. Bolland, Praefatio, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, S. LVIIIb: „Deinde precor, vt quæ me fugerunt veterum scriptorum monumenta, Acta Sanctorum, Latina ac Græca, suppeditetis. Profitebor palàm vnde acceperim, vt vestræ vobis & beneuolentiæ in communicando, & in eruendo eruditionis laus constet.“ Vgl. ebd.: „Ne sinite, quæso, vestra situ & puluere consumi: ne seruate incendio aut hostili populatione dissipanda, cùm prodesse & vobis & aliis plurimis possint. Neque difficile erit litteras ad me in hanc vrbem mittere, ad quam ex omni ferè orbe terrarum assiduè veredarii appellunt. >...@; potest in vicinâ sibi vrbe aliquâ nostri Ordinis hominibus litteras tradere, & rogare, vt vel huc, vel saltem Romam ad nostros mittant, facilè dein huc perferendas.“

466 hätten abgeschrieben werden können; später mochten sie diese den Druckern und Buchhändlern zum Vertilgen und Zerpflücken verkaufen, für ein wertloses bisschen Profit den Ruhm der Heiligen und den geistigen Gewinn hintansetzend. Ich selbst habe schon gelegentlich zu Teilen zerpflückte Bände zurückgekauft.398

Neben der Übersendung historischer Materialien bat Bolland auch darum, ihm Viten zukommen zu lassen, die, möglicherweise an abseitigen Orten, schon gedruckt worden waren, 399 und ihn über Wunder und Translationen, den Heiligen gestiftete Kirchen, Klöster und Sodalitäten sowie über sonstige den Heiligen geschuldete Wohltätigkeiten auf dem Laufenden zu halten. 400 Das wichtigste Mittel, um neben den älteren und neuen Martyrologien, neben den gedruckten Inventaren wie Ferraris Catalogus generalis Sanctorum und den kurzbiographischen hagiographischen Sammlungen wie Wilsons English Martyrologe oder Vastovius’ Vitis Aquilonia den Bestand der west- und mitteleuropäischen Heiligen vertiefend zu erschließen, war der Kontakt zu jenen Gelehrten, die entweder selbst an hagiographischen Werken regionalen Zuschnitts arbeiteten oder die für die Bollandisten das Korpus lokal oder institutionell gebundener Heiliger verzettelten. Schon Rosweyde hatte sich von Chifflet eine Aufstellung der Heiligen erbeten, die diesem mit Festtagen und Überlieferungsträgern bekannt waren. Chifflet übersandte an Rosweyde am 29. März 1627 einen entsprechenden Catalogus. Er war nach den in den Klöstern St. Oyend/St. Claude, St. Maurice und Luxeuil sowie in den Diözesen Besançon, Lyon und Vienne verehrten Heiligen gegliedert. 401 Nach Aussage Chifflets sollte er zugleich als ein –––––––— 398

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Ebd.: „Thesauri absconditi quæ esse vtilitas potest? Solet Resp. inuentos thesauros sibi vindicare, etiamsi verisimile sit à priuatis eos olim fuisse defossos: vos eum qui publicus olim fuit supprimetis, & perdi ac dissipari ab rudibus posteris vestris sinetis potiùs, quàm vt publicæ rei emolumento edi velitis? Vidi certè nonnullos, qui etiam infimis precibus induci se non paterentur, vt ad breve tempus commodarent manu exaratos codices suos, vnde describi Vitæ aliquæ possent; eos posteâ typographis ac bibliopolis venderent discerpendos abolendosque, vili lucello Sanctorum gloriam, emolumentum spirituale ceterorum, posthabentes. Redemi ipse nonnumquam jam ex parte discerpta volumina.“ Vgl. ebd., S. LVIIIb: „Neque solùm vt ineditas adhuc Vitas subministretis rogo, sed & si quæ exteris in regionibus excusæ sunt à viris doctis; […].“ Vgl. ebd., S. LIXa: „Illud quoque Lectores rogo, vt si quo in loco Sanctorum intercessione miracula patrentur à Deo, ea si consignata sunt litteris, communicent qui nacti erunt: >...@. Si quæ ad locum quempiam translatæ Sanctorum reliquiæ, estque eiusmodi translationis descripta historia; si quæ ad eorum honorem instituta sodalitia, templa, monasteriáve condita; si qui fontes, fructúsve, aut res aliæ, eorum meritis, ceteris sunt mortalibus salutares; si quid est aliud denique, quod de Sanctis vllis extet, vel ipsis honorificum, vel hominibus vtile; ne sinite, obsecro, id à me ignorari, atque in hoc de Sanctis opere prætermitti.“ Vgl. Chifflet à Rosweyde, Besançon, 29 mars 1627, in: Joassart (Hrsg.), Correspondance (2005), Nr. 2, S. 54–89, hier S. 57–89: Catalogus vitarum Sanctorum quas adornat P. Petrus Franciscus Chiffletius in monasterio Iurensi S. Eugendi seu S. Claudii, Agaunensi, Luxoviensi, dioecesi Lugdunensi, Viennensi, Vesontina.

467 „Grundriss“ für die von Chifflet selbst inaugurierten editorischen Werke verstanden werden. 402 Ähnliche Catalogus, die sich die Bollandisten im Laufe der Zeit zusammenstellen ließen, finden sich in den Collectanea bollandiana in großer Zahl. Die Handschrift 8182–90 der Bibliothèque royale beinhaltet unter anderem zwei größere Segmente aus dem alten Manuskript 186 der Bibliothek der Bollandisten. In ihm waren entsprechende „Anfragen“ („Quaestiones“) und „Antworten“ („Responsa“) über Italien und Frankreich betreffende Heilige versammelt worden. 403 Hier findet sich etwa die von Jacobilli erbetene Liste der Santi, e Beati, degli si celebra la festa nella Prouincia dell’Vmbria, 404 ein wahrscheinlich am 21. November 1660 durch den Jesuiten Andrea Lazari (1605–1682) aus Ferrara nach Antwerpen übermittelter Katalog, der, in karger Form, die Namen einiger weniger Heiliger beispielsweise aus Triest verzeichnete, 405 oder eine Danksagung Henschens an den Turiner Jesuiten Giovanni Giacomo Turinetti (1599–1670) vom Februar 1654. 406 Turinetti hatte Henschen einige Monate zuvor eine umfangreiche Aufstellung der ihm im Kolleg von Turin vorliegenden, aus den Hinterlassenschaften des Historiographen und Domherrn Guglielmo Baldesano stammenden Viten zukommen lassen. 407 Ausdrücklich auf Bollands Leser–––––––— 402

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Vgl. ebd., S. 54: „[…]; mitto quinque opusculorum ichnographiam: 1m est de Sanctis monasteriorum Iurensis et Agaunensis; 2m de Sanctis Luxoviensibus; 3m de Sanctis Bisontinae dioecesis; 4m de Sanctis Lugdunensis dioecesis; 5m de Sanctis dioecesis Viennensis.“ BRB, Coll. boll. Ms. 8182–90 (3455), fol. 80r: „Quæsita varia et nonnulla Responsa de Sanctis Italis. || ?186b.“ Dieses Segment erstreckt sich bis ebd., fol. 137v. Es folgen ebd., fol. 138r: „Quæsita varia et nonnulla Responsa de Sanctis per Galliam. || ?186c.“ Dieses Segment erstreckt sich bis ebd., fol. 202v. Van den Gheyn, Catalogue, Bd. 5 (1905), S. 448f., Ms. 8182–90 (3455), hat darauf verzichtet, diese Gliederungselemente zu katalogisieren und die zitierten Folien als „blanc“ ausgewiesen. Vgl. oben S. 173 Anm. 212. Vgl. Lazari an Bolland, Ferrara, 21. Nov. 1660, BRB, Coll. boll. Ms. 8182–90 (3455), fol. 81r; diesem Schreiben zugehörig ist der Katalog ebd., fol. 94r–v, hier fol. 94v: „Santi di Trieste in Istria. || S. Giusto Martire. || S. Apollinare M. || […].“ Vgl. zur Person Art. Lazari, André, in: Sommervogel, Bd. 4, 1893, Sp. 1601. Vgl. Henschen an Turinetti, Antwerpen, 13. Feb. 1654, BRB, Coll. boll. Ms. 8182–90 (3455), fol. 95r–96v, hier fol. 95r: „Catalogum de Vitis Sanctorum benè longum et accuratum 12. septemb. scriptum ab aliquot diebus accepi: […].“ Vgl. Turinetti an Henschen, Turin, 12. September 1653, ebd., fol. 97r–98v, hier fol. 97v: „Habemus in Collegio Taurinensi Societatis nostræ nonnulla manuscripta R.di Domini Guglielmi Baldesani […].“ Die folgende Liste wurde teilweise von Henschen glossiert. Vgl. ebd., fol. 98r: „[…] || Vita S. Heldradi Abbatis Noualesij ¢Henschen: deest nomen Ferrario² || […] || Vita S. Valerij monachi in monasterio Noualesij ¢Henschen: ignotus² || Vita S. Æmilianus episcopi Vercellensis ¢Henschen: habemus Officia p[ro]pria² || […].“ Die Dossiers des Abts Eldrad/Heldrad von Novalese († um 840/45) und des in der Liste ebenfalls verzeichneten hl. Presbyters Ursus von Aosta, der angeblich zur Zeit Leos des Großen lebte, wurden ausdrücklich mit Turinettis Materialien bestritten. Vgl. De S. Vrso, in: AASS Februarii, Bd. 1, 1658, Appendix. Addenda ad I. Februarii, S. 936–939. Vita avctore anonymo, ex veteribus MSS. eruta

468 apostrophen in den Acta Sanctorum bezog sich der Poenitentiar der Kathedralkirche St.-Étienne von Auxerre Pierre Le-Venier in einem Schreiben vom 26. Juli 1658, in dem er Bolland unter anderem auf ein zwölfbändiges Legendar aufmerksam machte, das er ihm gern zur Verfügung stelle, um ihm seine immense Aufgabe zu erleichtern. 408 Aus Brescia erhielten die Bollandisten verschiedene hagiographische Schriften, die der bereits erwähnte Priester Bernardino Faino (Faynus) seit September 1668 nach Antwerpen kommunizierte. 409 Die Handschrift 8194– –––––––—

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à Ioanne Iacobo Turinetto Soc. IESV, ebd., S. 937–939; De B. Heldrado Abbate Novalitii in Italia, in: AASS Martii, Bd. 2, 1668, 13. März, S. 331–338. Vita à R. P. Ioanne Iacobo Turinetto ex MSS. eruta, ebd., S. 333–338. Vgl. zur Person Art. Turinetti, Jean Jacques, in: Sommervogel, Bd. 8, 1897, Sp. 276f.; Pier Giorgio Longo, La vita religiosa nel XVII secolo, in: Storia di Torino, Bd. 4: La città fra crisi e ripresa (1630–1730), hrsg. v. Giuseppe Ricuperati, Turin 2002, S. 679–713, hier S. 698 Anm. 37. Baldesano hatte sich durch eine zuerst 1589 gedruckte Sacra historia Thebea, die sich mit dem Martyrium des hl. Mauritius und der Thebaischen Legion beschäftigte, und einen 1592 publizierten Stimolo alle virtù del giovane Christiano hervorgetan. Lange Zeit betrachtete man „Baldesano“, mit den älteren bio-bibliographischen Werkverzeichnissen der Jesuiten, irrtümlich als ein Pseudonym für den Turiner Jesuiten Bernardino Rossignoli (1547–1613) oder bewertete letzteren als den Übersetzer dieser Schriften. Baldesano ist allerdings als eigenständige Person auch jenseits dieser Werke nachweisbar. Er unterhielt enge Beziehungen mit Rossignoli, der die Publikation dieser Schriften förderte. Vgl. Francesco Chiovaro, Bernardino Rossignoli S. I. (1547–1613). Orientamenti della Spiritualità posttridentina (Analecta Gregoriana 163. Series Facultatis Historiae Ecclesiasticae. Sectio B 26), Rom 1967, S. 108–125; Pier Giorgio Longo, Città e diocesi di Torino nella Controriforma, in: Storia di Torino, Bd. 3: Dalla dominazione francese alla ricomposizione dello Stato (1536–1630), hrsg. v. Giuseppe Ricuperati, Turin 1998, S. 449–520, hier S. 499–505; vgl. zu den Heiligen Art. S. Ursus, Conf., in: Stadler/Sinal, Heiligen=Lexikon, Bd. 5, 1882, S. 629; Karl-Heinrich Krüger, Art. Mauritius, in: LexMA, Bd. 6, 1992, Sp. 412; ders., Art. Thebaische Legion, in: LexMA, Bd. 8, 1996, Sp. 611; Michaela Puzicha, Art. Eldrad, in: LThK, Bd. 3, 31995, Sp. 580f. Vgl. Le-Venier an Bolland, Auxerre, 26. Juli 1658, BRB, Coll. boll. Ms. 8182–90 (3455), fol. 176r–177r, hier fol. 176r: „Ex Præfationibus in vitas sanctorum instantissim[um] consilium tuum, Doctiss. Bolland, quod vsui publico suscepisti: vt si quæ Acta sinceriora, si quæ non visa miracula, si quæ alia ad sanctorum honorem, resq[ue] ab eis gestas spectantia occurrerent, ea tibi communicare non dubitaremus. Provocati tam amico scripto schedas excussimus, Vitas sanctorum quas in XII. tomos MS. distributas nacti sumus, euoluimus, vt si opella aliqua rem tuam multæ sane operæ et laboris inexhausti leuari possemus, ad nos scriberes.“ Vgl. zu Le-Venier, der sich zwischen 1636 und 1669 in diesem Amt nachweisen lässt, Ulrich Knop, Histoire de la restauration du chœur de la cathédrale Saint-Étienne d’Auxerre, S. 87f. = Dissertation Universität Stuttgart, Fakultät Architektur und Stadtplanung, 2003. URN (NBN): urn:nbn:de:bsz:93-opus-18719. URL: !http://elib.uni-stuttgart.de/opus/volltexte/ 2004/1871/pdf/doc_03.pdf (10. 04. 2007). Vgl. Faino an Henschen, Brescia, 12. Sept. 1668, BRB, Coll. boll. Ms. 8194–99 (3456), fol. 70r: „Nunc redeo ad Vos […] et mitto multa prĊcipua, et delecta Monimenta, et delectas Jmpressiones ad Continuationem laborum, quibus continuo insudatis: ne et Vobis, et mihi, et huic nostrĊ Ecclesiæ Brixianæ amplissimæ deficiam. Alia pro mea diligentia parabo, quæ deinceps suo tempore habebitis ad manus. PrĊcor interim Deum Omnipotentem, ut me, Vosq[ue] illuminet in operibus nostris, et ad

469 99 der Collectanea bollandiana besteht zu einem großen Teil aus diesen Materialien. 410 Sie beinhaltet unter anderem eine in Segmente zerlegte und wahrscheinlich in verschiedenen Sendungen an die Bollandisten übermittelte handschriftliche Ausarbeitung von Fainos 1665 gedrucktem Martyrologium Sanctae Brixianae Ecclesiae. Diese, um Viten und Translationsberichte erweiterte, Fassung war formal nach dem Vorbild von Ferraris Catalogus Sanctorum Italiae gestaltet worden, den Faino für einige Heilige exzerpiert und um lokale Traditionen ergänzt hatte. 411 In den Aprilbänden setzte sich Papebroch in seinem berühmten Propylaeum antiquarium circa veri ac falsi discrimen in vetustis membranis neben den frühmittelalterlichen Diplomen und der Geschichtsschreibung der Karmeliten in einem dritten Teil mit diesen von Faino zusammengestellten Materialien auseinander. Faino habe –––––––— 410 411

laudabilem finem eo perducat, qui est honor suus, et gloria Sanctorum. Valete, et me in orationibus u[est]ris amicum suscipite.“ Vgl. oben S. 329. Vgl. BRB, Coll. boll. Ms. 8194–99 (3456), fol. 68r–286r. Vgl. ebd., fol. 72r: „¢marginal: 7. Februarij.² De S.to Paulo 2.o, Episcopo Brix. || Ex Catalogo SS. Italiæ Phylippi Ferrarij Seruitæ. || Paulus Epi[scop]us 2.o huius nominis (alter enim Paulus Epi[scop]us eiusdem Vrbis ad diem 29. Aprilis ibidem colitur) Eccl[es]iæ prædictæ, inter S. Dominatorem, qui illum præcessit, et S. Patherium successorem aliquamdiu præfuit. […]. || Annotatio. || Rampertus Epi[scop]us Brixiensis in libello de Translat[ion]e S. Philastrij illum inter SS. Episcopos illius sedis adnumerat. || ¢horizontale Trennlinie² || De eodem Sancto || Ex monumen[t]is MS. Epi[scop]orum Brixiæ Floriani Canalis. || Paulus Dominatori in Episcopatu succedit, qui 25. dicitur in ordine diuini Officij Eccl. Brixien. […]. || ¢horizontale Trennlinie² || Dell’Istesso Santo || Cauata dal Frag[men]to dell’Hist[or]ia dei Vescoui di Ottauio Rossi. || ¢marginal: Hist[ori]a ms. d’Ottauio Rossi. Morì S. Paolo nostro Vesc[ov]o lasciando il luogo à S. Paterio l’an. 604.² […].“ Vgl. Ferrari, Catalogus Sanctorum Italie, 1613, 7. Feb., S. 78f.: „De Sancto Pavlo Episcopo Brixiensi secundo huius nominis. || Paulus secundus huius nominis Episcopus Brixiensis, (alter enim Paulus Episcopus eiusdem vrbis ad diem 29. Aprilis ibidem colitur) Ecclesiæ prædictæ inter Sanctum Dominatorem, […]. […] || Annotatio. || Rampertus Epi[scop]us Brixiensis in libello de Translat[ion]e S. Philastrij illum inter Sanctos Episcopos illius Sedis adnumerat.“ Größere Einheiten dieser Ausarbeitung befinden sich in der Handschrift BRB, Coll. boll. Ms. 8194–99 (3456), etwa ebd., fol. 108r–130v, mit Heiligen, die ihren Festtag in den Monaten Januar bis März besitzen, ebd., fol. 207r–214v, zu Heiligen der Monate Juli und August, ebd., fol. 222r–267v, zu solchen der Monate August bis Dezember. Offensichtlich hatten die Bollandisten die Teile, die im unmittelbaren Zeitraum der Übersendung von ihnen bearbeitet wurden, also die Heiligen der Monate April und Mai, andernorts untergebracht. Der in den Bischofslisten Brescias zwischen den Bischöfen Dominator und Paterius geführte Paul wird heute als der dritte dieses Namens gezählt. Die genaue Amtszeit der Bischöfe zwischen dem um 451 regierenden Optatianus/Octavianus und dem um 680 herrschenden Deusdedit ist nicht bekannt. Vermutlich amtierte Paul (III.) in der ersten Hälfte des 7. Jahrhunderts. Vgl. Picard, Souvenir (1988), S. 228, 236f., 739. Der besagte Translationsbericht, der den Reliquien des Bischofs Filaster/Filastrius (reg. um 381–384/387) von Brescia galt, war von Bischof Rampertus (reg. um 824/826–843/844) angefertigt worden. Er enthielt eine erste Bischofsliste. Vgl. ebd., S. 433f., 739. Vgl. zu dem Historiographen Ottavio Rossi (1570–1630) Enzo Abeni, Il frammento, Bd. 3: I primi due secoli del dominio veneto, Brescia 1987, S. 134, 265f.; ders., Frammento, Bd. 4 (1987), S. 71.

470 sie im Zuge eines von ihm geplanten volkssprachlichen Sammelwerks vereinigt, das den Titel Brixia sacra tragen sollte. Aufgrund des Todes Fainos im Jahr 1673 sei es jedoch unvollendet geblieben. 412 Papebroch beschäftigte sich in seiner Untersuchung mit einem größeren Komplex vermeintlich frühchristlicher Heiliger, die sich im Laufe der Zeit den Protomärtyrern Brescias Faustinus und Jovita assoziiert hatten und die ihm als fiktiv galten. Er bezog sich dabei zum einen auf einige Namen in Fainos Martyrologium Sanctae Brixianae Ecclesiae, die er weder als alt noch als Märtyrer zu begreifen gewillt war, da er sie durch keine historischen Schriften verbürgt sah. 413 Gleiches gelte, zum anderen, für die Namen aus einem Einblattdruck wahrscheinlich des früheren 17. Jahrhunderts, den er, so Papebroch, erst auf wiederholte Anfrage von Faino erlangt habe. Auf ihm waren die Altäre und die in ihnen vermeintlich geborgenen Reliquien aufgelistet worden, die sich in der 1580 wieder aufgebauten Kirche der Regularkanoniker Santa Afra befänden. 414 Interessant wären für die Bollandisten jedoch ohne Zweifel die –––––––— 412

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Papebroch, Discrimen. Pars tertia. De Martyrologio Brixiensi, aucto ex Catalogis ecclesiæ S. Afræ, in: AASS Aprilis, Bd. 2, 1675 (Ausgabe 1866), S. XLI–LII, hier S. XLIa–b: „Bernardinus Faynus, Brixianæ ecclesiæ dignissimus Presbyter, et patriæ historiæ præsertim sacræ illustrandæ studiosissimus, a cujus erudito calamo urbs ista habet opuscula varia hanc materiam concernentia: et adhuc nisi mors intervenisset grandius volumen expectabat de Actis Vitisque Sanctorum Brixianorum Italica lingua, cui titulus fuisset Brixia sacra; ut primum ex trimestri hactenus a nobis vulgato æstimare potuit, quantam universali Ecclesiæ utilitatem et commodum allatura esset nostra hæc molitio, nihil potius sibi curandum statuit, quam ut nobis transcribendis transmittendaque curaret, quæ de patriæ Sanctis collecta habebat monumenta antiqua, quibus numquam uti poterimus absque debita animo tam benevolenti gratitudine. Addit etiam mittere Martyrologium Brixianum, jussu Marini Joannis Georgii Episcopi Brixiensis a se collectum editumque anno MDCLXV, cum Annotationibus, indicantibus fontes unde scaturiit, […].“ Vgl. ebd., S. XLIIIa: „[…]; et futurum putamus ut nobiscum judicet, in censum Martyrum antiquorum traducta esse plurimorum nomina, qui neque Martyres, nec antiqui sint habendi; atque adeo Brixiensia hæc egere discreto examine, ne quæ ex Actis SS. Faustini, Jovitæ, et aliorum veterum atque indubitatorum Martyrum certa sunt, aliis minus certis aut probabiliter erroneis permisceantur.“ Vgl. ebd., S. XLIIIa–b: „Dubius de veritate et auctoritate Catalogi, talia Sanctorum nomina et cognomina continentis, obrationes superiori paragrapho deductas, recurrere volui ad notam Bernardini Fayni benevolentiam: eumque rogavi ut Catalogi toties a se laudati exemplum mitteret, videretque quid posset ad causas circa eum dubitandi reponi. Causas probasse suo silentio visus est, nostroque judicio rem commisisse, quando Catalogum misit, in folio expanso Italice expressum sub hoc titulo; Catalogus Sanctorum, quorum corpora aut reliquiæ invenitur in devotissima ecclesia S. Afræ […].“ Der Druck ist erhalten: CATALOGO DE SANTI || I Corpi, ó Reliquie, de’quali si ritrouano nella deuotissima Chiesa di S. Affra detta giá || di S. Faustino ad Sanguinem, Chiesa antichissima della Cittá di Brescia. Al presente dalli RR. Canonici Regolati Lateranensi posseduta, & officiata, quale l’Anno 1580. fù gettata à terra & || nello spacio dieci ò poco più Anni riedificata, & ridotta alla perfettione, e sple[n]dore, in che hora si ritroua, BRB, Coll. boll. Ms. 8194–99 (3456), fol. 107. Der Hauptaltar barg die Reliquien der Protomärtyrer Faustinus und Jovita. Vgl. ebd.: „Riferra & nasconde in se l’Altar [!] Maggiore, i corpi intieri, come si hà per instromento autentico

471 von Faino organisierten Materialien – verschiedene Viten und Translationsberichte 415 – zu den heiligen Faustinus und Jovita gewesen, deren Historizität weder für Papebroch noch für Henschen in Frage stand. Diese Heiligen hatten ihr Dossier aber schon in den Februarbänden der Acta Sanctorum und damit vor dem Kontakt mit Faino erhalten. 416 Da wiederum Van den Gheyns Katalog der Collectanea bollandiana erst nach der bis heute maßgeblichen Edition der Legende durch Fidèle Savio im Jahr 1896 erschienen ist, ist der Status der von Faino übermittelten Texte, bei insgesamt dürftiger handschriftlicher Überlieferung, ungeklärt. 417 Faino ist ein Beispiel dafür, dass nicht alle, die ihre Materialien nach Antwerpen kommunizierten, auf Lob, Dankbarkeit und positive Publizität hoffen konnten.

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di SS. Faustino, & Giouita fratelli Martiri della Città Protettiori, & il corpo di S. Faustino Vescouo.“ Diese ehemalige Kirche San Faustino ad sanguinem – heute Santa Angela – im Süden Brescias war bereits im 13. Jahrhundert von den Dominikanern restauriert worden und hatte einen Wechsel des Hauptpatroziniums erfahren. Der frühneuzeitliche Wiederaufbau dauerte von 1580 bis 1603. Vgl. Picard, Souvenir (1988), S. 220. Vgl. Van den Gheyn, Catalogue, Bd. 5 (1905), S. 451, Ms. 8194–99 (3456), Nr. 14, 15, 24, 25, 26. Vgl. G[odefridus] H[enschenius], De Sanctis Fratribvs Favstino Presbytero, et Iovita Diacono, Martyribvs Brixiæ in Italia, in: AASS Februarii, Bd. 2, 1658, 15. Feb., S. 805–821. Vgl. Fidèle Savio, La légende des SS. Faustin et Jovite, in: Anal. Boll. 15 (1896), S. 5–72, 113–159, 377–399. Die Legende ist wahrscheinlich in der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts in Brescia entstanden. Vgl. Picard, Souvenir (1988), S. 590, 595.

6 Zwischen Selektion und Reproduktion – Zur editorischen Praxis der Bollandisten Neben den memorialen und den davon kaum zu trennenden publizistischen Antrieben, aus denen die Acta Sanctorum ursprünglich erwuchsen, neben den altertumskundlichen Impulsen, Vergessenes in unveränderter Form zu restituieren oder Vorhandenes vor dem Verfall zu retten, bleibt im Folgenden die editorische und im weiteren Sinne investigative Praxis der Bollandisten genauer zu studieren. Die Idee, den Textbestand historischer Heiligenviten möglichst unverändert nach den ältesten Versionen wiedergeben zu wollen, stieß, wie jede gute Idee, an Grenzen. Sei es, dass keine historischen, sondern nur genuin frühneuzeitliche Viten vorhanden waren, dass man in Antwerpen nur über spätere Redaktionen verfügte, während die älteren – oder als älter bewerteten – Versionen bereits gedruckt worden waren, oder dass man das, was man in Händen hielt, aus welchen Gründen auch immer, als unbefriedigend erachtete. Letztlich mochten auch diejenigen, auf deren Abschriften die Bollandisten angewiesen waren, nicht immer so gehandelt haben, dass es den Wünschen Bollands und seiner Nachfolger entsprach, auch wenn sie selbst zumeist nicht die Möglichkeit besaßen, das, was ihnen aus Brescia, Florenz, Besançon, Auxerre oder Köln zugesandt wurde, am Material selbst zu kontrollieren. Auch in dieser Hinsicht könnten Bollands Praefationes für Klarheit gesorgt haben. Sein Kölner Ordensbruder Crombach etwa dürfte in Antwerpen wenig Begeisterung hervorgerufen haben, als er am 7. Januar 1639 zu verdeutlichen suchte, weshalb er sich nicht in der Lage sah, die – wahrscheinlich von Bischof Balderich von Speyer († 986) stammende – Vita des hl. Fridolin von Säckingen, die bereits Canisius für eine eher launige frühneuzeitliche Überarbeitung benutzt hatte, einfach abzuschreiben und Bolland zu übergeben: Zu Beginn wünsche ich Euer Ehrwürden, dass dieses anbrechende Jahr 1639 möglichst günstig und glücklich ist: und dass die Vita des hl. Fridolin in diesem selben ¢...² Jahr in Angriff genommen werden kann, verspreche ich von Herzen: die ich vollständig von Anfang bis Ende habe überarbeiten müssen. 1. weil neben dem Prooemium vier ganze Abschnitte fehlen: die übrigen sind zu einem sehr großen Teil verändert worden, nachdem die Zeugnisse der Heiligen Schrift und der heiligen Kirchenväter meistenteils beseitigt und die Streitpunkte und ähnliche Geschichten entfernt worden waren, die P. Canisius an unterschiedlichen Orten auf angemessene Weise eingefügt hatte, damit er, wie er berichtet hat, den Häretikern selbst mit ähnlichen Dingen entgegenträte. 2. im Wortlaut hat er eher auf die übertragenen Worte als auf den Sinn

473 des Autors geachtet; deshalb ist sogar der Stil von sehr geringem Wert, voll unpassender Germanismen, der gleichwohl insgesamt verändert und verbessert werden musste, damit ich, so wie ich es am Anfang in den ersten fünf Kapiteln begonnen hatte, [auch] die übrigen im Sinne des P. Canisius verbessert hätte. 3. mir schien, dass durch eine genauere und elegantere Version die verbleibende Arbeit des Glättens des Stils und die Beschwerlichkeiten der Abschriften erleichtert werden können; weil für mich die beim Übersetzen zu unternehmende Anstrengung sogar geringer als beim Verbessern war. Daher habe ich übersetzt, sogleich in gefälligem und üblichem Stil, damit ich nicht, während ich elegant zu sein wünsche, unklar würde. Für Euer Ehrwürden wird die Ausarbeitung gleichwohl ohne Mühe verfeinert werden, sobald sie dem Sinn des Autors entsprechend feststeht. Ich werde dies zusammen mit der früheren Version senden, sobald sich die Gelegenheit zu weiteren Unternehmungen ergeben haben wird. 1

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Crombach an Bolland, Köln 7. Jan. 1639, BRB, Coll. boll. Ms. 8935 (3497), fol. 105r: „Principio R.æ V.æ annu[m] hunc ineunte[m] 1639 qua[m] auspiciatissimu[m] et felicissimu[m] precor: et ut S. Fridolini vita hoc ipso an[n]o ¢...² com[m]itti possit animitus voveo: qua[m] tota[m] à capite ad calce[m] vertere debui: 1o ¢supralinear: quia² præter prooemiu[m] quatuor capita tota desiderantur: reliqua verò maxima[m] parte[m] mutila erant, omissis pleru[m]q[ue] S. Scripturæ et sa[n]ctoru[m] Patru[m] testimonijs, et omissis controversijs ac similibus historijs, quas varijs locis aptè P. Canisius inseruit, ut quæ narravit ipsis hæreticis reddent¢eret² verosimilia: 2o verbo tra[n]smissa verba potius qua[m] sensu[m] authoris attendit; vnde stylus etia[m] vilior est ¢supralinear: plenus idiotismis germanicis², qui totus tamen muta[n]dus erat et poliendus, si ut initio cœpera[m] in 5 primis capitibus, reliqua ad mente[m] P. Canisij correxissem: 3 vna accuratiore et politiore versione videba[m] labore[m] reliquu[m] styli lima[n]di et sumptus descriptionu[m] posse sublevari; cum mihi etia[m] minor in vertendo, qua[m] in corrigendo molestia subeu[n]da esset. ideo verti, stylo statim obvio et com[m]uni, ne du[m] elegans esse volo, obscurus fia[m]. facilè tamen R.æ V.æ limâ polietur, cu[m] de mente authoris constet. transmitta[m] cu[m] priore versione ut primu[m] curruu[m] erit oportunitas.“ Diese Passagen wurden von den Bollandisten mit einigen diagonalen Linien durchgestrichen und damit als für sie nicht bedeutsam markiert. Dies hatte allerdings im Kontext weniger mit den Aussagen Crombachs zu tun, sondern damit, dass in der Handschrift 8935 Materialien zu Heiligen mit dem Festtag des 7. November versammelt worden waren. Crombachs Brief war in diesem Zusammenhang aufgrund einiger – hier nicht zitierter und von den Bollandisten nicht ausgestrichener – Bemerkungen zu Ernst von Zwiefalten für diesen später zu bearbeitenden Band der Acta Sanctorum von Belang. In dieser Handschrift sind zahlreiche Briefe der Bollandisten versammelt. Die Folienbezeichnung von Van den Gheyn, Catalogue, Bd. 5 (1905), S. 536, Ms. 8935 (3497), ist hier nicht immer zuverlässig. Dies betrifft auch das Schreiben Crombachs. Vgl. zu dem vielleicht Mitte des 7. Jahrhunderts lebenden hl. Fridolin Thomas Zotz, Art. Fridolin, in: LexMA, Bd. 4, 1989, Sp. 917; Peter Schiffer, Art. Fridolin, in: LThK, Bd. 4, 31995, Sp. 136. Canisius’ Bearbeitung war 1589 als Wahrhaffte Histori von dem ber)mbten Abbt S. Fridelino erschienen (VD16, C761). Ein Jahr später wurde sie zusammen mit Canisius’ Bearbeitung der Lebensbeschreibung des vermeintlich ersten Missionars der Schweiz, des hl. Beatus, der sich nach seiner legendarischen Vita an der Wende zum 2. Jahrhundert unter anderem als Drachentöter hervorgetan hatte, als Zwo warhaffte lustige recht Christliche Historien publiziert (VD16, C762). Vgl. Benz, Tradition (2003), S. 68. Die Beschäftigung mit den hagiographischen Interessen Canisius’ ist ein Desiderat. Vgl. Hans Pörnbacher, „Geistliches Kinder-Spill“ und „Geistliche Zinß-Früchten“. Petrus Canisius und die deutsche Barockliteratur, in: Petrus Canisi-

474 In den Märzbänden der Acta Sanctorum reproduzierten die Bollandisten weithin jenen Text der Vita Fridolini, den zuvor Colgan in den Acta Sanctorum Scotiae seu Hiberniae, nach einer heute unbekannten St. Galler Handschrift, publiziert hatte. 2 Nicht nur aus solchen Gründen sieht sich eine fundierte Geschichte der Editorik mit einigen Schwierigkeiten konfrontiert. Um Aussagen über die Art der Aufbereitung der historischen Texte treffen zu können, die den Rang des Spekulativen überschreiten, 3 sind idealiter die historischen Vorlagen und die Resultate ihrer typographischen Aufbereitung in der frühen Neuzeit miteinander zu vergleichen. Dies allerdings setzt voraus, dass die Vorlagen erhalten und identifiziert sind. Gerade letzteres bereitet nicht nur im Fall der Acta Sanctorum häufig Schwierigkeiten. Dies scheint zunächst damit zusammenzuhängen, dass die Herkunft der herausgegebenen Materialien mit einzelnen lokal („ex Ms. Ultraiectino“), institutionell („ex Ms. Trevirensi S. Maximini“) oder personal („ex Ms. Chiffletio“) definierten Attributen gekennzeichnet zu werden pflegte, die heute als viel zu grob empfunden werden – von Angaben wie „Vita ex veteribus Mss.“ ganz abgesehen. Nach bibliothekarischen Signaturen zu zitieren, war in dieser Zeit allerdings, in der es allgemein verbindliche Systematiken oder Inventare der handschriftlichen Bestände vielfach gar nicht gab, weder üblich noch möglich. 4 Die seit den späten 1640er Jahren unternommenen Versuche, die historischen Sektionen der Bibliothek von St-Germain-desPrés zu erschließen und zu ordnen, überdauerten mehr als einen der damit beauftragten Benediktiner. 5 Die durchaus außergewöhnliche Konsequenz, –––––––— 2

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us SJ (1521–1597). Humanist und Europäer, hrsg. v. Rainer Berndt (Erudiri sapientia 1), Berlin 2000, S. 365–383, hier S. 380ff. mit Anm. 47. Vgl. Bruno Krusch, [Einleitung], Vita Fridolini confessoris Seckingensis auctore Balthero, in: MGH SS rer. Merov., Bd. 3, ed. Krusch (1896), S. 351–353, hier S. 353; Margrit Koch, Sankt Fridolin und sein Biograph Balther. Irische Heilige in der literarischen Darstellung des Mittelalters, Zürich 1959, S. 36. Teile der von Colgan versammelten Unterlagen gelangten noch im 17. Jahrhundert in die Bibliothek des damaligen irischen Kollegs der Franziskaner San Isidoro in Rom. Vgl. unten S. 552 Anm. 239, S. 574. Möglicherweise wäre dort eine Abschrift aufzufinden. Vgl. Koch, Fridolin (1959), S. 36, zur Ausgabe Colgans: „Krusch zweifelte jedoch sehr daran, ob es sich hier um Balthers Autograph handelte, wegen der schlechten Qualität des Colganschen Textes, namentlich wegen vieler Wortauslassungen. Ich möchte hier aber die Frage stellen, ob nicht manches davon dem Herausgeber [Colgan] zur Last gelegt werden könnte, denn abgesehen von Inkorrektheiten beim Kopieren und beim Druck muß auch damit gerechnet werden, daß die Herausgeber dieser frühen Zeit die Texte nach ihrem Gutdünken emendierten.“ Sofern keine handschriftlichen Grundlagen bekannt sind, kontrastieren Einschätzungen wie diese mit solchen, in denen den Herausgebern des 17. Jahrhunderts größte Zuverlässigkeit zugeschrieben wird. Vgl. oben S. 403 Anm. 204. Vgl. zum Beginn dieser Entwicklung im 17. Jahrhundert Paul Lehmann, Quellen zur Feststellung und Geschichte mittelalterlicher Bibliotheken, Handschriften und Schriftsteller [1920], in: ders., Erforschung des Mittelalters, Bd. 1, Leipzig 1941, S. 306–358, hier S. 307ff. Vgl. Chaussy, Bénédictins, Bd. 1 (1989), S. 69f.

475 mit der die Bollandisten, im Vergleich mit anderen zeitgenössischen Werken, die besagte Nomenklatur in den Acta Sanctorum zur Anwendung brachten, resultierte einerseits aus der Verpflichtung gegenüber denen, die ihnen diese Schriften, zumeist als Kopie, besorgt hatten. Andererseits entsprachen die je gemachten Angaben ihrem eigenen Kenntnishorizont. Wenn etwa Turinetti oder Chifflet ihnen nicht gesagt hatten, woher genau diese oder jene übersandte Abschrift stammte, blieb es im Regelfall auch in Antwerpen bei einem vagen Begriff der jeweiligen Provenienz. Im Bemühen, die Bestände zu ordnen, notierte Papebroch bisweilen ausdrücklich einschlägige Unklarheiten. 6 Den ersten Arbeitsschritten vergleichbar, mit denen heute der Versuch der Identifikation der in den Acta Sanctorum veröffentlichten Texte einzusetzen hat, begann er mit seinen Bemühungen bei der Lektüre der einleitenden Kommentare, die Bolland oder Henschen für die älteren Bände geschrieben hatten. 7 Die hagiographische Editorik in den Jahrzehnten um 1900, deren Augenmerk nicht auf der Struktur der älteren Ausgaben lag, hat diese Problematik, die aus der ursprünglichen kommunikativen Situation der Bollandisten entstand, keineswegs gelöst. Die Neigung der Herausgeber, die von ihnen – nach nicht selten veränderten Orten der Aufbewahrung – versammelten Handschriften eher locker mit den Ausgaben der Bollandisten zu vergleichen und, in unklaren Fällen, die Selbstaussagen der frühen Bollandisten zu wiederholen, hat vielerlei Leerstellen hinterlassen. Für seine Ausgabe der Vita des Bischofs Rigobert von Reims († vor 743/44) hatten Bol–––––––— 6

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Vgl. Vita Sancti Mauri Abbatis, BRB, Coll. boll. Ms. 7569 (3440), fol. 335r–342r. Inc.: „S. Maur[us], patre Eutychio, siue Euicio (secundum S. Gregoriu[m] papam) principe Senatorij ordinis uiro, […].“ Expl.: „[…], quâ subnixi tanta uestigia uirtutis imitemur sicq[ue] ei[us]dem præmio petiemur.“ Papebroch hatte ebd., fol. 335r, unter den Titel geschrieben: „Vita hæc recentius composita, nescio à quo vel vnde missa est […].“ Vgl. Vita S. Gvdilæ Virginis. Avctore anonymo, ebd., fol. 256r–264v. Inc. Prol.: „Vniuersis sub leui Christi iugo militantibus crebro […].“ Inc. Vita: „Igitur sanctissimæ Virginis Christi Gertrudis temporibus, vir quidam […].“ Expl.: „[…] omissis proculdubio plurimis quæ nos præterierunt sed hic nostra de Virgine claudatur oratio eiusdemq[ue] pro nobis aperiatur intercessio quæ me scribentem ac omnes audientes respiciat et legentes Amen. || Bruxellæ 26 feb 1634.“ Papebroch hatte ebd., fol. 256r, rechts neben dem Titel notiert: „Videtur hæc esse 3æ ex MS. Rubeæ Vallis et Corsendoncano de qua num. 3 Comm.“ Dies bezog sich auf: De S. Gvdila Virgine, Brvxellis in Belgio, in: AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, 8. Jan., S. 513–530. [Einleitung], ebd., S. 513f., hier S. 513a, dritter Abschnitt: „Surium qui eam [Vitam] se ex peruetusto codice descripsisse tradit, phrasim quoque fatetur paßim emendasse, sed modicè, vt nos quoque cum Breuiario Bruxellensi diu ante Surium excuso eam conferentes obseruauimus. Extat alia breuior aliquantò in MS. Rubea vallis & Corsendoncano, quæ ex harum alterutrâ videtur ab Antonio Gentio aut Ioanne Gillemanno contracta.“ Die besagte Vita hat im Dossier der Acta Sanctorum keine weiteren Spuren hinterlassen. Sie ist nicht mit Van den Gheyn, Catalogue, Bd. 5 (1905), S. 414, Ms. 7569 (3440), Nr. 49, als BHL 3686 zu klassifizieren, sondern besitzt keine BHL-Nummer.

476 land nach eigener Aussage zwei Handschriften vorgelegen. Zum einen handelte es sich um eine Handschrift mit der Provenienz St. Maria zu Bonnefontaine und zum anderen um eine gekürzte Fassung aus der Kirche St. Martin zu Utrecht. 8 Wilhelm Levison konnte die zweite Fassung vergleichsweise problemlos auf Van Boecholts Passionale aus der Bibliothek der Rijksuniversiteit Utrecht (Ms. 391) zurückführen – Levisons Codex 2b*. Überdies ist sie in einer Abschrift in den Collectanea bollandiana erhalten. Ungeklärt war und ist hingegen die Provenienz Bonnefontaine. Levison konnte allein bemerken, dass sie dem Textbestand einer Handschrift des 12. Jahrhunderts aus Laon – seinem Codex 2c – nahe stehe. Sie sei aber von besserer Qualität. 9 Da Bolland die kurze Utrechter Fassung jedoch weder in ihrer Gesamtheit reproduziert noch auf andere klar erkennbare Weise, etwa im Variantenapparat, benutzt hatte, ist die heute identifizierte Fassung Utrecht gerade die, welche nicht in den Acta Sanctorum wiedergegeben wurde. Ein später Effekt dieser Entscheidung Bollands war es, dass die Bollandisten der Moderne dieser kürzeren Fassung keine BHL-Nummer zuwiesen. –––––––— 8

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Vgl. De S. Rigoberto Remensi Archiepiscopo, in: AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, 4. Jan., S. 174–180. [Einleitung], ebd., S. 174a: „Vitam eius edidit Surius, sed contractam & stylo mutato: quam ex MS. S. Mariæ Bonifontis, integram primigeniâ phrasi damus. Eam exhibebat & codex MS. Ecclesiæ S. Martini Vltraiecti, sed paßim contractam.“ Vgl. Wilhelm Levison, [Einleitung], Vita Rigoberti episcopi Remensis, hrsg. v. dems., in: MGH SS rer. Merov., Bd. 7: Passiones vitaeque sanctorum aevi Merovingici (V), hrsg. v. Bruno Krusch/Wilhelm Levison, Hannover 1920 (Neudruck Hannover 1979), S. 54–58, hier S. 58: „Iacobus [!] BOLLANDUS, Acta Sanctorum Ianuarii I, Antverpiae 1643, p. 174–180, textum una cum Translatione a. 894 edidit, codicibus usus et S. Mariae Bonifontis 2c affini, sed meliore, et contracto S. Martini Ultraiectini fortasse 2b* simili.“ Vgl. zu den Codices ebd., S. 56f. Hier wurden die Abhängigkeiten allerdings etwas klarer formuliert. Unter den beiden Handschriften, die keine Nummer erhielten („Praeterea commemorantur […]“), befanden sich eine Version aus Gentius’ Vitensammlung und eine abschriftliche aus dem Ms. 7569 der Collectanea bollandiana, die als „e codice S. Salvatoris Ultraiectino descriptum“ einzustufen sei und damit „sine dubio“ aus Cod. 2b* stamme. Ebd., S. 57. Vgl. dazu ebd., S. 56f., Cod. 2b*: „Codex U l t r a i e c t i n u s n. 391, […] epitomen Vitae continet, quae incipit: Quarta die Ianuarii Rigoberti Remorum archiepiscopi et confessoris. Sanctus Rigobertus in regione Ribuariorum, et desinit: sepius sunt audite […]. Postmodum autem sepius per Remorum episcopos translatus, tandem in ecclesia beate Marie venerabiliter conservatur.“ Vgl. Vita sancti Rigoberti Remensis Archiepiscopi Et Confessoris, BRB, Coll. boll. Ms. 7569 (3440), fol. 393r–396r. Inc.: „Beatus Rigobertus in regione Ribuariorum […].“ Expl.: „Postmodum autem sepius, per Remorum episcopos translatus tandem in ecclesia beatæ Mariæ Venerabiliter conseruatur.“ Ebd., fol. 393r, trug die Vita links den Vermerk: „Ex MS.to Vltraiectino S. Saluatoris“. Bolland hatte oben rechts angemerkt: „hæc vita est passim contracta, habeo magis integrius ex MS. S. Mariæ Bonifontis.“ Vgl. zur Person des Heiligen Guntram Freiherr Schenk zu Schweinsberg, Reims in merowingischer Zeit. Stadt, Civitas, Bistum. Anhang: Die Geschichte der Reimser Bischöfe in karolingischer Zeit bis zur Bischofserhebung Hinkmars (845), Bonn 1971, S. 150–158.

477 Sie war in den Acta Sanctorum nicht gedruckt worden und stellte damit für sie keine identifizierbare Größe dar. Darauf wird noch einzugehen sein. Für die vorliegende Fragestellung bedeutet die Tatsache, dass die Provenienz Bonnefontaine nach wie vor unklar ist, zwar ein methodisches Problem. Solche und ähnliche Leerstellen, die auch an dieser Stelle nicht im Vorübergehen beseitigt werden können, verunmöglichen es allerdings nicht, auf der Basis der vorliegenden Ausgaben und Informationen einen durchaus akzeptablen Eindruck davon zu vermitteln, dass Bolland gewillt war, mit dem Programm einer einfachen Reproduktion der Viten in aller Regel ernst zu machen. Die Vita Rigoberti in den Acta Sanctorum begann mit den Worten: Fvit in diebus Childeberti, Dagoberti, Chilperici Regum Franciæ vir Dei Rigobertus, vrbis Remensium mirificæ sanctitatis Archiepiscopus. Qui in regione Ribuariorum, spectabili de prosapiâ exortus; patre siquidem ex eodem pago, nomine Constantino, matre autem Francigenâ, vt ex Porcensi territorio. 10

Woher Bollands Version auch immer stammte, sie kommt in Syntax und Wortbestand weithin mit jener textkritischen Fassung zur Deckung, die Levison aus seinen Leithandschriften des 10. und 11. Jahrhunderts erarbeitete: Fuit in diebus Childeberti, Dagoberti, Chilperici regum Frantiæ vir Dei Rigobertus urbis Remensium mirificae sanctitatis archiepiscopus. Qui in regione Ribuariorum spectabili de prosapia exortus, patre siquidem ex eodem pago nomine Constantino, matre autem Francigena ex Portensi territorio. 11

Die varianten Schreibungen bei Bolland: „Franciae“ für „Frantiae“ und „vt ex Porcensi“ für „ex Portensi“, entsprechen dem Textbestand des Codex 2c aus Laon. 12 Mit großer Wahrscheinlichkeit entstammten die intensivere Interpunktion in dem von Bolland präsentierten Text und die Großschreibung – nicht nur – der Amtstitel („Regum“ für „regum“ und „Archiepiscopus“ für „archiepiscopus“) den Konventionen der frühen Neuzeit. Die Reproduktion mittelalterlicher Kürzungen war weder bei Bolland noch bei Levison Gegenstand des editorischen Verfahrens. 13 In der Austauschbarkeit –––––––— 10 11 12 13

De S. Rigoberto, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, 4. Jan. Vita ex veteribvs Mss., ebd., S. 174–178, hier S. 174a. Vita Rigoberti, ed. Levison, in: MGH SS rer. Merov. 7, ed. Krusch/Levison (1920), S. 58–80, hier S. 61. Vgl. ebd., Varianten ad c. 1, Anm. f, g, h. In einer genuin mittelalterlichen Handschrift, der in einem Lütticher Legendar des 11. oder 12. Jahrhunderts überlieferten Vita Rigoberti der Bibliothèque royale, Levisons Codex 2b, liest sich die zitierte Passage wie folgt. Vgl. [Vita Rigoberti], BRB, Ms. 9636–37 (3228), fol. 123v–129v, hier fol. 123v: „Fvit in dieb[us] childeberti dagoberti chilperici regu[m] franciĊ uir d[e]i rigo [!] remensiu[m] mirificæ s[an]c[t]itatis archiep[isco]p[u]s. qui in regione ribuarioru[m] spectabili p[ro]sapia exort[us]. patre siquide[m] ex eode[m] pago nomine constantino. matre aute[m] francogena ex porcensi territorio.“ Diese Passage mag am Rande verdeutlichen, dass das

478 von „c“ und „t“ („Porcensi“ für „Portensi“) wiederum als einem typisch mittellateinischen Phänomen könnte Bolland seiner Vorlage gefolgt sein. Epochal unspezifisch scheint die Verwendung von „v“ mit Lautwert „u“ („vt“ für „ut“) zu sein. All diese Fragen sind auf der Basis der hier verfügbaren Materialien nicht mit Sicherheit zu klären: Rühren Interpunktion und Majuskeln nicht doch aus einer historischen Vorlage her, stammen sie von demjenigen, der Bolland eine Abschrift davon anfertigte, oder von Bolland selbst? Es wird in den anschließenden Abschnitten nicht darum gehen, weitere derartige Beispiele zusammenzutragen, um zu illustrieren, dass die frühen Bollandisten, von moderaten Normalisierungen abgesehen, die zu publizierenden Schriften in der Tat nicht mehr aus stilistischen oder inhaltlichen Gründen substantiell überarbeiteten. Dieser Sachverhalt stellt ohnehin implizites Forschungswissen dar. Würde man davon ausgehen, dass es sich anders verhielte, wären die Acta Sanctorum als Quellenedition nicht mehr zu gebrauchen. Wichtiger ist es daher, zu verdeutlichen, was genau die Acta Sanctorum von Surius’ De probatis Sanctorum historiis unterscheidet, auch im Hinblick auf die Gestaltung der Werke in ihrer Gesamtheit, und welche Erwartungen an Surius’ Sammlung sinnvollerweise herangetragen werden können. Levison meinte, dass der Kölner Kartäuser für seine Version der Vita Rigoberti Handschriften aus den beiden Überlieferungsgruppen konsultiert haben müsse. Einerseits weise Surius’ Text eine der Leitvarianten der ersten Gruppe auf, da Surius mit deren Textbestand in einer Passage „ad orandum“ anstelle der die zweite Gruppe auszeichnenden Kombination „ad adorandum“ geschrieben habe. Andererseits sei in seiner Vita Rigoberti eine der zweiten Gruppe zuzuweisende Sequenz „illo in loco“ anzutreffen, während dort in der ersten Gruppe „in hoc loco“ zu lesen sei. 14 Surius selbst hatte seine Vita Rigoberti ausdrücklich als eine gegenüber den von ihm benutzten Handschriften stilistisch veränderte und paraphrasierende Fassung angekündigt. 15 Levisons Argumente könnten sich demnach als zu –––––––—

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Ideal einer Abbildrelation in editorischen Zusammenhängen immer ein relatives war und ist. Die Notwendigkeit zur Normierung erwuchs und erwächst nicht zuletzt aus der Notwendigkeit, heterogene Schriftbilder aus verschiedenen Jahrhunderten zu integrieren. Die in dem zitierten Legendar unvollständige Prägung „rigo remensium“ für „rigobertus urbis remensium“ könnte auf einen Abschreibefehler zurückzuführen sein. Mit diesen kleineren Problemen befindet man sich an den Grenzen auch der textkritischen Dokumentation der Moderne. In der Ausgabe der Vita Rigoberti, ed. Levison (MGH SS rer. Merov. 7) (1920), S. 61, wurde sie nicht verzeichnet. Vgl. zur Handschrift Levison, [Einleitung], ebd., S. 56. Van den Gheyn, Catalogue, Bd. 5 (1905), S. 319, Ms. 9636–37 (3228), datiert sie auf das 12. Jahrhundert. Vgl. Levison, [Einleitung], Vita Rigoberti, ed. Levison (1920), S. 57f. Anm. 1. Vita S. Rigoberti, Rhemorvm Archiepiscopi, per F. Lavrentivm Svrivm ex manuscriptis codicibus, mutato stylo, paraphrasticYs descripta, in: DE PROBATIS || SANCTORVM || HISTORIIS, PARTIM || EX TOMIS ALOYSII LIPOM= || ANI, DOCTISSIMI EPISCOPI, PARTIM || ETIAM EX EGREGIIS MANVSCRIPTIS

479 subtil erweisen, um Surius’ bewusst neu angelegten Text zu beschreiben. Überdies hatte Surius nicht gesagt, aus „alten“ Manuskripten geschöpft zu haben, sondern „aus Manuskripten“. Eine der wenigen mit Sicherheit bekannten Vorlagen, auf die er sich stützte, war Gentius’ und Gielemans frühneuzeitliche Sammlung aus Rouge-Cloître. 16 Gerade sie hatte Levison nicht im Detail studiert und der einen oder anderen Handschriftengruppe zugewiesen. 17 Unter den Bedingungen der frühen Neuzeit bildet die Frage nach Leitfehlern oder Leitvarianten eine Technik von relativer Aussagekraft, wenn potentielle Textgrundlagen bestimmt werden sollen, zumal mit der Verwendung verschiedener Versatzstücke aus bereits gedruckten Werken, etwa aus den zahlreichen Viri illustres-Sammlungen, zu kalkulieren ist. Was genau bedeutete es, wenn Surius sagte, den Stil verändert zu haben und sich damit, aus heutiger Sicht, die der altertumskundlich argumentierenden Editorik des 17. Jahrhunderts entwachsen ist, nahezu selbst diskreditierte? 18 Welches Ziel verfolgte er mit De probatis Sanctorum historiis? Wollte er nur ein „Erbauungsbuch schaffen für die katholischen Gläubigen“ 19 oder räumte er dem „Bestreben“ den Vorrang ein, „alles geschichtlich zu beglaubigen“ und die „Wahrheit der Erzählungen durch andere Quellen zu erhärten“? 20 Beabsichtigte Surius, eine „Dokumentensammlung“ zu erstellen, um damit allerdings zu scheitern? 21 Verkörpert sich in den De probatis Sanctorum historiis, mit Edith Feistner, ein „Paradigmenwechsel“ in der Geschichte der Hagiographie, da seit Surius das „Kriterium der historischen Authentizität als solches“ als primär „ausschlaggebend betrachtet“ worden sei? 22 Sind Surius Modifikationen in der Tat überschaubar, und –––––––—

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CODI= || cibus, quarum permultæ antehàc nunquàm in lucem pro= || diêre, nunc recèns optima fide collectis per F. LAV= || RENTIVM SVRIVM CARTHVSIANVM. || TOMVS PRIMVS. || COMPLECTENS SANCTOS MENSIVM || IANVARII ET FEBRVARII. || COLONIAE AGRIPPINAE. || Apud Geruinum Calenium & hæredes Quentelios Anno M. D. LXX. || Cum priuilegio PII V. Pontificis Maximi, & CAESAREAE || Maiestatis in decennium, S. 111–115. Vgl. Holt, Sammlung (1922), S. 353f. Vgl. oben Anm. 9. Vgl. Berschin, Biographie, Bd. 1 (1986), S. 9f. Holt, Surius (1925), S. 60. Ders., Sammlung (1922), S. 358f. Hebenstreit-Wilfert, Wunder (1975), S. 56: „Die von Surius vorgelegte Heiligenlebensammlung trat mit dem Wahrheitsanspruch einer Dokumentensammlung auf, wurde aber aufgrund der Arbeitsweise des Kartäusers diesem Anspruch nicht gerecht.“ Feistner, Typologie (1995), S. 363. Ähnlich wie es in den – von Feistner jedoch nicht untersuchten – protestantischen Legendaren der Fall gewesen sei, sei „auch hier die materia in einem neuen Sinn hinterfragt“ worden. Durch „die Fixierung auf historische Authentizität [verlor] […] die diskursive Vermittlung ihre publikums- und gebrauchsspezifische Flexibilität […], falls eine bestimmte materia überhaupt noch ‚Approbationǥ erhielt. Der Corpusbestand der Legendensammlungen tendierte zur Normierung, die Legendentradition insgesamt zur Petrifizierung […].“ Feistner stützt

480 galten sie vor allem den Barbarismen, die einem humanistischen Umfeld nicht mehr zuzumuten gewesen waren? 23 Und in welcher Hinsicht sind diese Fragen für das Verständnis der Acta Sanctorum von Belang? Als Henschen und Papebroch auf ihrer Reise nach Rom in Köln Station machten, wurde ihnen jedenfalls am Nachmittag des 4. August 1660 und in Begleitung Bollands ein Memorialort besonderer Art vorgeführt: „Bei den Kartäusern sahen wir dann den unvollendeten Bau eines ansehnlichen und aufwendigen Kreuzgangs, dann die Zellen des Surius und des (…), dann die Bibliothek mit ihren vielen handgeschriebenen Büchern.“ 24

6.1 Surius Surius’ Vitensammlung war zwischen 1570 und 1575 erstmals in sechs Bänden erschienen. Neben zahlreichen Übersetzungen, Teilausgaben und dem Druck einzelner Viten, die aus De probatis Sanctorum historiis im Laufe der Zeit extrahiert wurden, sollte die Sammlung zwischen 1576 und 1581 eine erweiterte zweite Ausgabe erleben. Diese war noch von Surius selbst initiiert und nach seinem Ableben 1578 durch den Kartäuser Jacob Mosander († 1589) fertiggestellt worden. Der Kartäuser Georg Garnefeld († 1637) publizierte 1617 und 1618 eine neuerlich ergänzte, dritte Ausgabe. Sie bestand aus zwölf Teilen, die, wie ihre Vorgängerinnen, der Ordnung des Heiligenkalenders folgten, und sie wurde wie diese in sechs Bänden gedruckt. 25 Es ist bekannt, dass sich bei dem namhaftesten Publizisten der Kölner Kartause Reformkatholizismus und antiprotestantische Emphase verbanden. Neben der Übersetzung der Schriften katholischer Kontrovers- und Reform–––––––—

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diese Diagnosen auf den Titel von De probatis Sanctorum historiis. Die angebliche „Petrifizierung“ konnte hier gerade nicht beobachtet werden. Mit den altertumskundlichen und frömmigkeitsgeschichtlichen Entwicklungen seit den letzten Jahren des 16. Jahrhunderts wurden hagiographische Stoffe und Schriften publik gemacht, die bis dahin nur in lokalen oder institutionellen Kontexten bekannt gewesen waren und die ihrerseits neue, auch populärere Vermittlungsstufen nach sich zogen, auch wenn diese Prozesse bislang wenig untersucht sind. Spanò Martinelli, Cultura (1990), S. 139: „Gli interventi sono infatti, per quanto ho potuto saggiare, abbastanza limitati: coinvolgono cioè meno di un terzo delle biografie; talora poi semplicemente normalizzano quei barbarismi che paiono improponibili in un contesto di cultura umanistica.“ Papebroch, Tagebuch/Diarium, ed. Kindermann (2002), S. 51f. Die Übersetzung ist die Kindermanns. Vgl. die lateinische Version ebd., S. 305: „Apud Carthusianos deinde vidimus ambitum speciose et sumptuose inchoatum; tum cellas Surij et (…). deinde bibliothecam: in qua manuscripti multi; […].“ Vgl. Chaix, Réforme, Teil 1 (1981), S. 376f., 382f.; ders., Réforme, Teil 2: Sources – Bibliographie – Appendices (1981), S. 682ff., Nr. 160.1/1; Nr. 160.1/2; Nr. 160.1/5; vgl. zu den Übersetzungen, gekürzten Ausgaben und den Einzelviten ebd., S. 684ff., Nr. 160.2/1–160.15/1; Benz, Tradition (2003), S. 67f.

481 theologen ins Lateinische, genannt seien Martin Eisengrein (1535–1578), Johann Gropper (1503–1559) und Friedrich Stapelage (Staphylus) (1512– 1564), 26 betrat Surius mit einer das 16. Jahrhundert abdeckenden Fortsetzung der Chronik Johannes Nauclers (1430–1510), die erstmals 1516 gedruckt worden war, das polarisierte Gebiet der Zeitgeschichtsschreibung. 27 Sein 1564 veröffentlichter, sogenannter Appendix zu Naucler, der sich vor allem gegen Sleidans De statu religionis von 1555 richtete, trug ihm in Caspar Peucers (1525–1602) Vollendung der Chronica Carionis von 1566 ein wenig schmeichelhaftes Wortspiel ein: Unlängst hat ein gewisser Kölner Mönch, der sich Surrianus nennt, die Chronologia Nauclers um chronikalische Bücher ergänzt, treffender hätte er Possenreißer (Scurram) heißen sollen. Denn ob er die Sache ernsthaft behandelt oder Späße treibt, scheint nicht hinreichend deutlich: So sehr verdreht und entstellt er auf unverschämte Weise offensichtlich wahre Dinge. Aber was anderes können wir von einem Mönch erwarten? 28

Wie in einem der zahlreich veröffentlichten Separatdrucke und Übersetzungen von Surius’ Appendix nachzulesen war, der eigenständig zuerst 1566 unter dem Titel eines Commentarius brevis gedruckt worden war, bedauerte Surius ausdrücklich die vermeintliche Passivität des Katholizismus: „Wolt Gott/ es weren etliche Catholischen so hefftig in verthedigung des Catholischen glaubens/ wie diese Euangelische lermprediger in außpreitung jrer

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Chaix, Réforme, Teil 1 (1981), S. 315–323; ders., Réfome, Teil 2 (1981), Nr. 149/1, S. 659; Nr. 151/1, S. 664; Nr. 153–155, S. 667ff. Vgl. ders., Réforme, Teil 1 (1981), S. 365–373; ders., Réforme, Teil 2 (1981), Nr. 159.1, S. 675; Benz, Tradition (2003), S. 57–64. Hier wurde benutzt: CHRONICON || CARIONIS || EXPOSITVM || ET AVCTVM MVL- || TIS ET VETERIBVS ET || RECENTIBVS HISTORIIS, IN || descriptionibus regnorum & gentium antiquarum, || & narrationibus rerum Ecclesiasticarum, & Politica- || rum, Græcarum, Romanarum, Germani- || carum, & aliarum, ab exordio Mundi || vsque ad CAROLVM V. || Imperatorem. || A PHILIPPO MELANTHONE || & Casparo Peucero. || Recens vero svmmo stvdio || adornatum, pristinæq[ue] integritati, exemplorum || veterum ac recentium collatione ex- || quisita, restitutum. || QVID PRAETEREA HVIC EDITIONE || accesserit, versa ostendet pagella. || FRANCOFVRTI AD MOENVM, || apud Ioannem Feyrabendt. || M. D. XCIIII., Dedikationsepistel des Liber Qvintvs [richtig: Liber quartus]: Illustrissimo Principi ac Domino, Domino Avgvsto Dvci Saxoniæ, Sacri Romani Imperij Electori & Archimarschallo, Landgrauio Thuringiæ, Marchioni Misniæ, & Burggrauio Magdeburgensi, Domino suo clementissimo S. D., S. 929–937, hier S. 934: „Adiecit nuper ad Naucleri Chronologiam Paralipomena Monachus quidam Coloniensis, qui Surrianum se nominat, Scurram se vocauerit rectius. Nam vtrum rem seriam agat, an scurretur, non satis apparet: Tam impudenter res manifeste veras calumniatur ac deprauat. Sed à Monacho quid expectemus aliud?“ Vgl. zur Chronica Carionis vor allem Irena Backus, Historical Method and Confessional Identity in the Era of the Reformation (1378–1615) (Studies in Medieval and Reformation Thought 94), Leiden/Boston 2003, S. 326–338, zur Entstehung ebd., S. 326 mit Anm. 1.

482 gottlosigkeit […].“ 29 Da sich aber, so Surius, auch die Seiten des Luthertums und ihre Parteiungen keineswegs einig seien und Peucer „nit anders von seinem Luter vnd Melanchthone gelernet/ dann die Mnchen lesteren vnd verl(mbden […],“ müssten „die verr ther vnd verderber vnsers edlen Teutschlands“ auch mit Entschiedenheit attackiert werden: „Welche die seynd/ so vnderm schein des Euangelions vnd reiner lehr/ scha[n]dliche irrthumb vnd nu vorlangst verdampte ketzereye[n] in die welt gefurth.“ 30 In der an Pius V. gerichteten Dedikationsepistel des ersten Bands von De probatis Sanctorum historiis hob Surius auf konventionelle Art die Beispielhaftigkeit der Heiligen hervor. Er betonte ihren Gehorsam und ihre Duldsamkeit im Dienst für die einzig „wahre“ Kirche, welche die Kirche der Heiligen sei. Ihre Lebensbeschreibungen bestärkten diejenigen in ihrer Standfestigkeit, die sich der Versuchung ausgesetzt sähen, den Weg zum Heil ohne die Sakramente, ohne Anstrengung und im Vertrauen auf den vermeintlich einfacheren Weg sola fide begehen zu wollen. Die Heiligen hingegen seien diejenigen, die in einer „echten“ Nachfolge Christi stünden, denn: in heiligen Bußübungen haben sie die ganze Zeit verbracht, keinen Umgang haben sie mit den Nichtigkeiten und Vergnügungen dieser Welt pflegen wollen, in beständigen nächtlichen Gebeten, in fast ununterbrochenen Fastenübungen, unablässigen Gebeten und anderen harten und bitteren, um der Liebe zu Christus willen gerne auf sich genommenen Anstrengungen haben sie sich das ganze Leben gedemütigt: Wir sehen, wie sehr sich jene dem rechten Glauben ergeben haben, der unerschütterlichen Hoffnung, der unzertrennlichen Nächstenliebe, der höchsten Demut und der unter den fortdauernden und gegen alles gerichteten Qualen unbesiegten Duldsamkeit, als Vorsteher der Gott zum Gefallen eingerichteten und echten Kirche, und dem Gehorsam gegenüber ihren Oberen. Dies also ist der Weg, der zum Leben führt: diese Art zu leben vereinigt uns mit der Kirche der Heiligen, die zum Leben führt: diese Art zu leben vereinigt uns mit der Kirche der Heiligen, die der Leib Christi ist, im Leben dieses Christus geben, wie in einem sehr klaren Spiegel, die vollendetsten Beispiele aller Tugenden einen Widerschein, nicht nur deswegen, damit wir sie ansehen, sondern auch, damit wir sie als unseren Maßstab [nehmend] nachahmen mögen. So nämlich sagt er selbst: Wenn einer mir dienen will, folge er mir nach ¢marginal: Joh 12[,26]²: und sein erster Apostel: Christus, sagt er, hat für uns gelitten, euch ein Beispiel hin-

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Kurtze || Chronick || oder Beschreibung || der vornembsten h ndeln vnd geschichten/ so sich beide in || Religions vnd weltlichen sachen/ fast in der gantzen Welt zugetra= || gen/ vom jar vnsers liebe[n] Herre[n] M. D. biß auff das jar || M. D. LXVIII. || Newlich durch den W. Herrn LAVRENTIVM SVRIVM Car= || theuser Ordens zu Cln/ mit fleiß zusam[m]en getragen vnd beschrieben/ Vnd jetzo trew= || lich verteutscht durch HENRICVM FABRICIVM AQVENSEM, P. || Getruckt zu Cln/ durch Gerwinum Calenium/ vnd die Erben etwan || Johan Quentels/ im jar M. D. LXVIII. || Mit R. Keis. Maiest. Gnad vnd freiheit/ in zehen jar nit nach zu trucken, S. 208r. Vgl. zu dieser Ausgabe, der ersten der insgesamt vier Übersetzungen ins Deutsche, die nach der lateinischen Separatpublikation von 1566 erschienen, Chaix, Réforme, Teil 2 (1981), S. 679, Nr. 159.3/1. Surius, Kurtze Chronick, 1568, Dedikationsepistel: Dem Durchlechtigen vnd Hochgebornen Fursten vnd Herrn/ Herrn Albrechten Pfaltzgraffen bey Rhein/ Hertzoge[n] in Obern vn[d] Nidern B iern/ meinem Gnedigen Fursten vnd Herrn [unpaginiert], Rektoseite nach fol. A iiiiv.

483 terlassend, damit ihr seinen Spuren folgt ¢marginal: 1 Petr 2[,21]². Dies haben alle Heiligen, deren Viten wir hier darbieten, in glühendster Liebe getan: und mit ebenso lebendigen wie sehr eindringlichen Beispielen verkünden sie uns: Wenn ihr zu uns gerechnet werden wollt, lebt so, wie ihr seht, dass wir gelebt haben. Ihr sollt unsere Nachahmer sein so wie wir auch die [Nachahmer] Christi [waren]. Und hierin werden wir in der Tat sehr wirksam gegen die todbringenden Gesänge der Sirenen gerüstet, gegen die verderblichen Stimmen der Häretiker, mit denen sie sprechen: Wenn du fest glauben kannst, dass dir durch Christus alle Sünden vergeben worden sind, wirst du ein Erlöster sein: auch wenn du mit allen Schandtaten überhäuft worden sein magst, wirst du bald geradewegs in den Himmel emporsteigen, ohne papistische Buße, ohne Beichte etc. Durch diese ganz und gar vergifteten Reden haben sie Unzählige in ihr Netz geholt, und wie sehr wahrscheinlich ist es, dass sehr viele in diesem, sogar volles Bewusstsein beanspruchend, verbleiben, obwohl die ganze heilige Schrift völlig anders lehrt, und auch der natürliche Verstand selbst etwas anderes gemahnt. 31

6.1.1 Der, der den Stil verändert hat, … Jenseits des kontroversen Tagesgeschehens ging Surius in die gelehrten und frommen Debatten allerdings nicht als der ein, der, konfessionell verblendet, die Heiligenviten für die Sache des Katholizismus instrumentalisiert habe, sondern als derjenige, der den Stil der Viten verändert hatte. Spätestens Ende des 17. Jahrhunderts war er auf diese Rolle festgelegt. Die Bol–––––––— 31

Vgl. Surius, De probatis Sanctorum historiis, Bd. 1, 1570. Dedikationsepistel: S. D. N. Pio V. Pontifici Maximo aeternam a Deo salvtem et felicitatem [unpaginiert], fol. a3vf.: „[…] sanctis exercitijs tempus omne transmiserint, nihil cum huius mundi vanitatibus & voluptatibus commercij habere voluërint, prolixis vigilijs, perpetuis ferè ieiunijs, assiduis precibus, alijsque duris & aspersis laboribus causa amoris Christi libenter susceptis, per omnem vitam se afflixerint: videmus, quàm illi rectæ fidei, firmæ spei, indiuiduæ charitatis, summæ humilitatis, inuictæ inter tormenta & dura atque aduersa omnia patie[n]tiæ, promptæ ac synceræ erga Deum & Ecclesiæ præfectos, suosque superiores obedientiæ studiosi fuerint. Hæc igitur est via, quæ ducit ad vitam: hæc viuendi ratio coniungit nos cum Ecclesia sanctorum, quæ ducit ad vitam: hæc viuendi ratio coniungit nos cum Ecclesia sanctorum, quæ est corpus Christi, in cuius Christi vita tanquàm in speculo lucidissimo, virtutum omnium perfectissima exempla relucent: non ob id tantùm, vt ea nos asspectemus, sed vt etiam pro modulo nostro imitemur. Sic enim ipse ait: Si quis mihi ministrat, me sequatur ¢marginal: Iohan. 12.²: & eius primarius apostolus: Christus, inquit, passus est pro nobis, vobis relinquens exemplum, vt sequamini vestigia eius ¢marginal: 1. Pet. 2.². Fecerunt hoc sancti omnes, quorum Vitas hîc proponimus, ardentissimo amore: simulque vivis & efficacissimis exemplis clamant nobis: Si vultis numerari inter nos, sic viuite, vt nos vixisse videtis. Imitatores nostrî estote, sicut & nos Christi. Atque hîc sanè validissimè communimur aduersùs mortiferos Sirenarum cantus, aduersùs exitiosas hæreticoru[m] voces, quibus aiunt: Si potes firmiter statuere, per Christum tibi omnia remissa esse peccata, saluus eris: etiamsi omnibus flagitijs coopertus sis, mox recta euolabis in cælum, sine Papistica pœnitentia, sine confessione &c. Quibus illi pestilentissimis vocibus infinitos in suam nassam pertraxerunt, & vt valdè verisimile est, permultos in ea retinent etiam planè reclamante conscientia, cùm diunia scriptura omnis longè secùs doceat, & ipsa quoquè ratio naturalis aliud hortetur.“

484 landisten hingegen erhielten mehr und mehr die Rolle derjenigen, die „kritisch“ mit der Tradition umzugehen pflegten. Soll die Frage nach Konfession und Heiligkeit ernsthaft analysiert werden, ist zu bedenken, dass Katholiken nicht nur Erzeugnisse des Katholizismus und Protestanten nicht nur solche des Protestantismus mit Gewinn lesen zu können meinten. Manche Vertreter des 17. und 18. Jahrhunderts sahen in Surius folglich weniger den kontroverstheologisch bewegten Autor, sondern einen, der in einem bestimmten spiritualitätsgeschichtlichen Kontext einer mystisch inspirierten und asketischen Lebensführung zugearbeitet hatte. In der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg befindet sich heute allein die dritte, von Garnefeld besorgte Ausgabe von De probatis Sanctorum historiis. Wer könnte sich in der Hansestadt für die Vita des hl. Rigobert von Reims und anderer im Katholizismus als Heilige verehrter Personen interessiert haben? Das Vorsatzblatt des ersten Bands dieser Ausgabe trägt einen handschriftlichen und mit Matthäus 22,14 einsetzenden Vermerk: Auch wenn viele zu diesen Werken gerufen worden sind, sind doch nur wenige auserwählt und würdig, auserwählt worden zu sein, gewiss aber der Sammler Surius und diejenigen, die diese dritte Ausgabe gerüstet haben, so dass die Erinnerung an die Hingeschiedenen der Auserwählten und Frommen, dieser wie jener, gesegnet werde, ungeachtet des Lärmens der Kritiker, die die fremden Dinge leichter als die eigenen beurteilen […].

Es handelt sich um eine auf den 15. Mai 1721 datierte Anmerkung des Pietisten und Gichtelianers Johann Otto Glüsing (1675/76–1727). 32 Surius’ Vitensammlung hatte Glüsing 1721 auf einer Auktion erworben oder erwerben lassen, auf der die Bestände des unlängst verstorbenen protestantischen Theologen und Generalsuperintendenten der Herzogtümer Bremen und Verden Johann Diecmann (1647–1720) veräußert worden waren. 33 –––––––— 32

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Surius, Vitae Sanctorum, 3. Ausg. [ed. Garnefeld], Bd. 1,1, 1617. Exemplar SUB Hamburg C1951/6, Vorsatzblattr: „Etiamsi multi in his operibus vocati, pauci vero electi et elegendi dignus tamen collector Surius, et qui tertiam hanc Editionem adorna[ve]runt, ut Precibus Electorum Piorumq[ue] pro defunctis memoria illius et horum benedicetur, non obstante Criticorum Turba, qui facilius aliena quam propria dijudicant. […]. || Joh. Otto Glüsing. Hamb. 1721. d. 15 May“. Vgl. zur Person Hans Haupt, Der Altonaer Sektierer Johann Otto Glüsing und sein Prozeß von 1725/26, in: Schriften des Vereins für Schleswig-Holsteinische Kirchengeschichte. 2. Reihe (Beiträge und Mitteilungen) 11 (1952), S. 136–163; Hermann Patsch, Arnoldiana in der Biblia Pentapla. Ein Beitrag zur Rezeption von Gottfried Arnolds Weisheits- und Väter-Übersetzung im radikalen Pietismus, in: PuN 26 (2000), S. 94–116. Vgl. Surius, Vitae Sanctorum, 3. Ausg. [ed. Garnefeld], Bd. 1,1, 1617. Exemplar SUB Hamburg C 1951/6, Vorsatzblattr, hss. Vermerk Glüsings: „è Diecmanniano Catalogo Bremæ […].“ Der von Glüsing konsultierte Auktionskatalog ist erhalten: CATALOGUS || BIBLIOTHECÆ || JOHANNIS DIECMANNI, || SS. Th. D. || per Ducat. Bremens. & || Verdens. Superintendentis || Generalis b. m. || Bremæ die V. Maji [!] & sequent. || Anno 1721. || Publica venditione distrahendæ. || BREMÆ, || Typis Hermanni Christophori Jani, Illustr. || Gymnasii Typogr. 1721. Exemplar SUB Hamburg A 228749. Er trägt marginale Anstreichungen und Unterstreichungen, die

485 Auch Rosweydes Vitae patrum in der Ausgabe von 1615, Baronios Annales ecclesiastici in der Kölner Ausgabe von 1624 und DuPins Nouvelle bibliotheque des auteurs ecclesiastiques in der lateinischen Version von 1692 dürften auf solchen oder ähnlichen Wegen in Glüsings Besitz gelangt sein.34 Sie restituierten Glüsings Hausbibliothek, die er am 8. Januar 1713 mit der Einäscherung Altonas durch schwedische Truppen verloren hatte. 35 Auf der Versoseite des besagten Vorsatzblattes von De probatis Sanctorum historiis befindet sich ein umfangreiches, wahrscheinlich von Diecmann stammendes Exzerpt, auf das von Glüsing verwiesen wurde. 36 Es umfasst jene Passage, in der Bolland auf das – von ihm indes durchaus gelobte – „præclarum Laurentij Surij opus“ Bezug genommen hatte. 37 Im Stile einer Enthüllungsschrift hatte Diecmann festgehalten, dass Bolland selbst Viten von Surius, trotz des Wissens um deren Modifikation, übernommen habe. Dies sei anhand des Beispiels der Lebensbeschreibung des Zisterziensers und Bischofs von Bourges Wilhelm von Donjeon († 1209) zu –––––––— 34

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wahrscheinlich eine Kaufoption signalisierten. Vgl. zu Garnefelds Suriusausgabe die Anstreichungen ebd., S. 25, Nr. 651–656. Vgl. Vitae patrum, ed. Rosweyde, 1615. Exemplar SUB Hamburg C 2813, Titelvorsatzblatt, hss. Notiz: „Joh. Otto Glüsing. 1719 d. 25 Jul.“ Baronio, Annales ecclesiastici, Bd. 1, ed. nov. 1624. Exemplar SUB Hamburg C 1525:1, Titelvorsatzblatt, hss. Notiz: „Joh. Otto Glüsing. A[nn]o 1716 d. 22 Sept.“ NOVA || BIBLIOTHECA || AUCTORUM || ECCLESIASTICORUM, || EORUM VITÆ HISTORIAM, || OPERUM CATALOGUM, CRITICEN, ET || CHRONOLOGIAM, COMPLECTENS, || AC EORVM QVÆ CONTINENT COMPENDIVM || SUPER EORUM CUM STYLO, || TUM DOCTRINA JUDICIUM || NEC NON VARIARUM OPERUM EDITIONUM || ENUMERATIONEM. || Auctore DD. L. ELLIES DUPIN, || Sacræ Facultatis Parisiensis Doctore Sorbonico, & Philosophiæ Professore Regio. || TOMUS PRIMUS. || COLONIÆ AGRIPPINÆ, || Sumptibus HUGUETAN. || M. DC. LXXXXII. Exemplar SUB Hamburg A 301624: 1–3, Titelblatt, hss. Notiz: „Joh. Otto Glüsing. || Hamb. 1716. d. 23 Fbr.“ Vgl. Haupt, Sektierer (1952), S. 146. Später vermachte Glüsing seine Hausbibliothek der neuen, 1725 gegründeten Altonaer Lateinschule, dem späteren Christianeum. Vgl. ebd., S. 136. Vgl. Surius, Vitae Sanctorum, 3. Ausg. [ed. Garnefeld], Bd. 1,1, 1617. Exemplar SUB Hamburg C 1951/6, Vorsatzblattr, hss. Notiz Glüsings: „[…] de Surio nostro […] plura vide pagina versa manu D. Joh. Diecmanni […] Superintend. Gener. Brem. et Verdens. annotata.“ Vgl. ebd., Vorsatzblattv, hss. Exzerpt Diecmanns: „Johannes Bollandus Præfat. general. in Acta [!] Sanctorum ad Abbatem Lætiensem, quæ extat Tom. 1. Januar. Antwerp. A. 1684. fol. ed. pag. XXII.“ Inc.: „Nemo hactenus Laurentii Surii Carthusiani studium et industriam æquavit.“ Expl.: „Ex Surio hauserunt Franciscus Haræus, Zacharias Lippelous, Cornelius Grasius, aliiq[ue] innumeri, qui Latine, Italice, Hispanice, Teutonice vitas Sanctorum deinceps edidere; quos recensere operæ pretium non est.“ Vgl. Bolland, Præfatio, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, S. XXIIa–b, Inc.: „At nemo hactenus Laurentij Surij Carthusiani studium […].“ Expl.: „Ex Surio hauserunt Franciscus Haræus […].“ Der einschlägige Abschnitt in der Einleitung lautete: c. 5. Acta SS. recentius collecta. præclarum Laurentij Surij opus, ebd., S. XXIa–XXIIb.

486 erkennen. 38 Ferner verwies Diecmann, der die Debatten der internationalen Gelehrsamkeit sehr wohl zur Kenntnis genommen zu haben scheint, auf einen Artikel im Journal des Sçavans von 1701. Dort sei eine von einem „anonyme[n] Gallier“ verfasste Abhandlung mit dem Titel Discours sur l’histoire de la vie des Saints besprochen worden, die ihm, in ihren Surius betreffenden Auslassungen, von Bolland abhängig zu sein schien. 39 Der Discours stammte von dem Priester und Bibliothekar des Pariser Advokaten Lamoignon Adrien Baillet (1649–1709). Es handelte sich um die separate Publikation des Eröffnungsteils von Baillets erstmals 1701 gedruckten Les Vies des Saints, composées sur ce qui nous est resté de plus authentique, & de plus assuré dans leur Histoire. 40 Baillets Bemerkung, Surius habe „den Stil fast aller Viten verändert, die etwas allzu Ungeschliffenes, allzu Niedriges oder allzu Geschwollenes besaßen; und hat versucht, sie für die empfindsamen Ohren mit mehr sprachlicher Reinheit und Ge–––––––— 38

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Vgl. Surius, Vitae Sanctorum, 3. Ausg. [ed. Garnefeld], Bd. 1,1, 1617. Exemplar SUB Hamburg C 1951/6, Vorsatzblattv, hss. Notiz Diecmanns: „Ipsum Bollandum vitas a Surio, mutato stylo, contractas inclusum pertinuisse (?) exemplo est vita S. Guilielmi Eremitæ, ab ejus æquali scripta, de qua Bollandus Tom. I. ad 10. Januar. p. 628. a. ita: Est hæc vita a Surio, ut ipse fatetur, in compendium contracta; neq[ue] ullum reperire MS. Codicem potuimus, unde primigeniam phrasim restitueremus: eam igitur e Surio damus.“ Vgl. De S. Gvilielmo Eremita, Archiepiscopo Bitvricensi, in: AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, 10. Jan., S. 627–639. [Einleitung], ebd., 627f., hier S. 628a: „Est porrò hæc vita à Surio, vt ipse fatetur, in compendium contracta; neque vllum reperire MS. codicem potuimus, vnde primigeniam phrasim restitueremus: eam igitur è Surio damus.“ Vgl. Surius, Vitae Sanctorum, 3. Ausg. [ed. Garnefeld], Bd. 1,1, 1617. Exemplar SUB Hamburg C 1951/6, Vorsatzblattv, hss. Anmerkung Diecmanns: „Bollando, ut arbitror, sua de hoc Suriano Opere debet Anonymus Gallus, cujus Discours sur l’Histoire de la vie des Saints, Paris. A. 1701 s[ic] prodiit: Excerpta hac pertinentia lege in Journal des Sçav. A. 1701. p. 330. 331.“ Hier benutzt in der zweiten Ausgabe: [Adrien Baillet], LES VIES || DES || SAINTS, || COMPOSÉES SUR CE QUI NOUS EST RESTÉ || de plus authentique, & de plus assuré dans leur Histoire, || DISPOSÉES SELON L’ORDRE DES CALENDRIERS || & des Martyrologes, || AVEC || L’HISTOIRE DE LEUR CULTE, SELON QU’IL EST ÉTABLI || dans l’Église Catholique. || ET L’HISTOIRE DES AUTRES FESTES DE L’ANNÉE. || TOME PREMIER. || Contenant les mois de Janvier, Février, Mars, & Avril. || NOUVELLE EDITION. || A PARIS; || Chez ROULLAND, ruë saint Jacques, vis-à-vis saint Yves. || M. DCCXV. || AVEC APPROBATION, ET PRIVILEGE DU ROY. Discours sur l’histoire de la vie des Saints, ebd., Sp. 1–118. Vgl. Bruno Neveu, La vie érudite à Paris à la fin du XVIIe siècle d’après les papiers du P. Léonard de Sainte-Catherine (1695–1706) [1966], in: ders., Érudition (1994), S. 25–92, hier S. 65ff.; Leonard J. Wang, Une compilation controversée. „Les Vies des saints“ de Baillet, in: XVIIe siècle 1966, H. 73, S. 59–67; Pietro Stella, Le „Vies des Saints“ di Adrien Baillet. Diffusione e recezione in area italiana, in: Boesch Gajano (Hrsg.), Raccolte (1990), S. 215–234; Suire, Sainteté (2001), S. 36f.; Paolo Fontanna, „Manière d’écrire“. Agiografia e retorica in Adrien Baillet (1649–1706), in: Boesch Gajano/Michetti (Hrsg.), Europa (2002), S. 377–389.

487 wandtheit auszustatten,“ 41 fluchtete, wie Diecmann richtig erkannt hatte, ebenso wie die Besprechung durch das Journal des Sçavans in Bollands Praefatio. Bolland allerdings hatte in den Surius betreffenden Teilen nichts anderes getan, als Surius selbst zu zitieren: „[…] um mich dem gelehrten Leser gefällig zu erweisen, habe ich einige Viten, die in ungeschliffenem Stil verfasst worden sind, mit ungleich größerer sprachlicher Reinheit ausgestattet […].“ 42 Es sei dahin gestellt, ob Glüsings Bemerkung vom „Lärmen der Kritiker“ diese Debatten adäquat beschrieb. In ihnen war zunächst wenig anderes geschehen, als De probatis Sanctorum historiis nach einem als dominant empfundenen Merkmal zu charakterisieren. Lärmend hingegen –––––––— 41

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[Baillet], Vies des Saints, 21715. Discours, Sp. 43: „[…] il changea le stile de presque toutes les vies qui avoient quelque chose de trop rude, de trop bas, & de trop grossier; & tâcha de le rendre plus latin, & plus coulant pour les oreilles délicates.“ Vgl. Le Journal des Savans pour l’année M. DCCI., Paris 1721, H. 17: Du lundi 2. mai 1701: Art. Discours sur l’histoire de la vie des Saints. In 8. à Paris chez Louis Roulland, & Jean Nully, ruë S. Jaq. 1700, S. 200–204; ebd., H. 18: Du lundi 9. mai 1701: Art. Discours sur l’histoire de la vie des Saints. In 8. à Paris chez Louis Roulland, & Jean Nully, ruë S. Jaq. 1701, S. 205–210; vgl. zu Surius ebd., S. 205: „[…] l’ouvrage de Surius de Chartreux de Cologne. C’est un Cors [!] composé de toutes les Pieces qui se trouvoient en son tems. Il en changea le stile qui étoit trop rude, & n’étoit qu’au Mois de Juin lors qu’il mourut. On mit en sa place un autre Chartreux nomé Jean Mosander, qui y ajouta un septiéme Tome.“ Die Annahme, Surius sei bereits im Lauf der Arbeit an der ersten Ausgabe verstorben, dürfte auf einer ungenauen Lektüre des Discours beruhen. Vgl. [Baillet], Vies des Saints, 21715. Discours, Sp. 43: „L’ouvrage ainsi disposé se trouva au goût de beaucoup personnes de pieté, & sur tout des papes Pie V. & Gregoire XIII. De sorte que l’édition s’étant debitée à mesure que les tomes sortoient de la presse, Surius qui dans l’intervalle avoit reçu beaucoup d’actes & de nouvelles vies de divers endroits, revit son ouvrage, l’augmenta, & le remit sous la presse. Il n’en étoit qu’au mois de juin, lorsque Dieu le retira du monde. || On mit en sa place un autre chartreux du même lieu nommé Jacques Mosander […].“ Auch dies ging auf Bolland zurück. Vgl. Bolland, Praefatio, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, S. XXIIa: „Probauit laborem suum Surius piis omnibus, etiam summis Ecclesiæ Pontificibus Pio V. & Gregorio XIII. Cùm celeriter essent exemplaria diuendita, & multæ intereà vitæ è variis suppeditatæ locis, cœpit eosdem tomos recognoscere ac locupletare, & denuò edere in lucem. Cumque ad finem propè Iunij mensis peruenisset, anno 1578. Christi, ætatis suæ 56. die 23. Maij ad Beatorum (vt confidere fas est) contubernium euocatus est, eorum fruiturus præmiis quorum certamina scriptis mandârat. Iacobus Mosander, & ipse Coloniensis Carthusiæ alumnus in opus successit […].“ Vgl. Surius, De probatis Sanctorum historiis, Bd. 1, 1570, Dedikationsepistel [unpaginiert], [nach fol. a3v]: „Equidem vt etiam erudito lectori gratificarer, Vitas aliquot, rudi stylo conscriptas, aliquanto latiniores reddidi: maximè quarum authores nondùm comperi: nunquàm verò etiam illas nonnihìl elimaui, quæ habent suos quidem authores, sed sic scriptæ erant, vt delicatas aures eorum, qui sermonis elegantia delectantur, facilè offenderent.“ Vgl. Bolland, Præfatio, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, S. XXIIa: De stylo ipse [Surius] profitetur: Equidem vt etiam erudito lectori gratificarer, vitas aliquot rudi stylo conscriptas, aliquantò Latiniores reddidi; maximè quarum autores nondum comperi: nonnumquàm verò etiam illas nonnihìl elimaui, quæ habent suos quidem autores, sed sic scriptæ erant, vt delicatas aures eorum qui sermonis elegantiâ delectantur, facilè offenderent.“

488 waren die parodistischen Verse gewesen, mit denen Johann Fischart (1546– ca. 1590) kurz nach der Publikation des ersten Bands Surius und den Mönchen als solchen entgegenhielt, dass man sich nicht über die Gestalt der alten Heiligenviten beklagen solle, da man sie ja letztlich selbst hervorgebracht habe: Du klagst wie lecherlich man schreibt/ || Von deim Francisco was er treibt/ || Ey liebe M(nch klagt vber euch/ || Das jr seyd also bossen [= Possen] reich/ || Das jr so lecherliche sachen/ || Beschreiben/ leren/ dichten/ machen/ || Wie solt mans auch erzehlen dann/ || Denn wie jrs selbst beschrieben han? || Schempt jr euch aber solcher bossen/ || Wie kompts das jrs nicht vnterlossen? || Vnd jetzt zusamen wider haspelt/ || Ein new Legendenbuch erst raspelt/ || Wie Frater Laur/ der Saur sich nent/ […]. 43

Diecmann hätte den seine Äußerungen prägenden Eindruck einer Diskrepanz zwischen dem vordringlich propagierten Eigenbild der Bollandisten, handschriftliche Traditionen geborgen und in genuiner Form restituiert zu haben, und der herausgeberischen Praxis Bollands und Henschens, in nicht wenigen Fällen ältere Ausgaben einfach reproduziert zu haben, nicht nur anhand des Beispiels Wilhelms von Donjeon illustrieren können. Die Lebensbeschreibungen und den Translationsbericht des vielleicht in der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts als Bischof von Rätien wirkenden hl. Valentin hatte Bolland aus Raders zuerst 1615 erschienener Bavaria sancta und Surius’ De probatis Sanctorum historiis übernommen. 44 In seinen Kom–––––––— 43

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Johann Fischart, Von S. Dominici/ des Predigerm(nchs/ vnd S. Francisci Barf(ssers/ artlichem Leben vnd grossen Greweln/ Dem grawen Bettelm(nch/ F. J. Nasen zu Jngelstat dedicirt/ Das er sich darinnen seiner vnuerschempten lesterungen vnd beywonung der Teufeln bey den M(nchen (welches die Nas D. Luthern Seligen auff zutrehen begeret) zu erinnern vnd zu ersehen hab. Gestelt aus liebe der warheit von J. F. Mentzern. Psalm. 115. Sie haben Nasen vnd riechen nichts. Anno 1571, in: ders., Sämtliche Werke, hrsg. v. Hans-Gert Roloff/Ulrich Seelbach/W. Eckehart Spengler, Bd. 1, bearb. v. Ulrich Seelbach (Berliner Ausgaben. Sektion Philologische Wissenschaften), Bern/Berlin/Frankfurt a. M. [u. a.] 1993, S. 137–269, hier S. 147. Vgl. De Sancto Valentino Episcopo Passaviensi, in: AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, 7. Jan., S. 368–371. Vita. Auctore Matthæo Radero S. I., ebd., S. 369. Inc.: „Divvs Valentinus ante Seuerinum vixit; ad Oceanum (Germanicum, opinor) natus, venit Bataua Noricorum […].“ Vita et translatio. Ex Laur. Surio IV. Aug., ebd., S. 369– 372. Inc.: „Nostro æuo temporibus Calixti Pontificis Maximi, anno Dominicæ incarnationis (c) … Patauij inuentum est corpus sanctissimum venerandi Confessoris Christi & Episcopi Valentini […].“ Vgl. ebd., S. 370b Anm. c: „Duo MSS. vt habet Surius, annum MXC. emprimebant. Sed vel in Pontificis nomine, inquit, mendum est, vel in numero annorum, legendumque MCXX. aut circiter.“ Vgl. De S. Valentino Pataviensi Episcopo scripta qvaedam ante annos amplivs qvadrigentos, sed nomen authoris MS. Codices non habent. Stylum F. Laurent. Surius hincindè nonnihil expoliuit, in: Surius, De probatis Sanctorum historiis, Bd. 4,2, 1573, 4. Aug., S. 474– 477. Inc.: „Nostro æuo, temporibus Calixti Pontificis Maximi, anno Dominicæ incarnationis 1090. (sic habent duo MS. libri, sed vel in pontificis nomine mendum est, vel in numero annorum, legendum[que] 1120. aut circiter) Patauij inuentum est corpus sanctissimum venerandi confessoris Christi & Episcopi Valentini, […].“ Vgl. De S. Valentino Episc. Bataviensi. S. Valentinus ex Abbate Episcopus Bataviensis, in:

489 mentaren konnte Bolland den Zeitraum der Translation mit dem ersten Teil der 1626 gedruckten Annales Boicarae des Jesuiten Andreas Brunner (1589–1650) und gegen Raders Darstellung auf den Zeitraum nach dem Tod des hl. Korbinian († um 728/30) und die Herrschaft Herzog Tassilos III. (reg. 748–nach 794) datieren. 45 Mit der bald nach Bolland als zeitgenössische Fälschung erkannten Chronik des vermeintlichen spätantiken Historiographen Flavius Lucius Dexter wiederum, die von ihrem „Herausgeber“, dem spanischen Zisterzienser Francisco de Bivar (1584–um 1636) mit sachkundigen Kommentaren versehen worden war, vermochte Bolland von einem Aufenthalt des hl. Valentin um 424 im portugiesischen Viana do Caltello bei Tuy in Galizien zu berichten. Dass dieser Confessor Valentin, dessen Name aus dem Martyrologium Romanum und einem Eintrag zum –––––––—

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BAVARIA || SANCTA || MAXIMILIANI || SERENISS. PRINCIPIS IMPERII, || COMITIS PALATINI RHENI || UTRIUSQ. BAV. DUCIS || AUSPICIIS || coepta, descripta eidémq[ue] || nuncupata || à || MATTHÆO RADERO || DE SOCIETAT. IESU. || 1615/ Cum Facultate Superiorum || MONACHII || OLIM PER RAPHAELEM SADELER, SER.MI MAXIMILIANI CALCOGRAPHUM VENUM EXPOSITA, || ET NUNC RECUSA SUMPTIBUS IOANNIS CASPARI BENCARD BIBLIOP. DILING. AUGUST. || A[NN]O MDCCIV., S. 32–35. Inc.: „D. Valentinus ante S. Severinum vixit, ad Oceanum (Germ. opinor) natus, venit Batava Noricorum, […].“ Vgl. De Sancto Valentino, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, 7. Jan. [Einleitung], S. 369a: „De S. Valentini translatione idem Braunerus [!] eodem lib. 5. Eiusdem Thassilonis studio, Valentinus Passauie[n]sium, Corbinianus Frisingensium Episcopi, sedibus suis redditi, ingenti populoru[m] plausu, & pietatis incremento. Nam Valentini corpore, Tridento, quò illud Longobardi Maiis exhumatum deportarant, Passauium relato, &c.“ Vgl. Vita. Auctore Radero, ebd., S. 369a–b: „[…], in quâ post ingentes labores conditus, post duo triáve sæcula à (e) S. Corbiniano Bataua est transuectus.“ Ebd., S. 369b Anm. e: „De S. Corbiniano agemus VIII Septembr. Sed fallitur hîc Raderus: non S. Corbinianus, sed post eius mortem Thassilo Dux S. Valentini transtulit corpus.“ Brunners Annales wurden hier in Neuausgabe benutzt: ANDREÆ BRUNNERI, || E SOCIETATE JESU, || ANNALIUM || BOICARUM, || A || Primis rerum Boicarum initiis || ad Annum MCCCXI. || PARTES III. || Editio nova, ad Monachicam accurate recusa, || novoque Indice locupletissimo || instructa. || FRANCOFURTI AD MOENUM, || Impensis JO. FRIDERICI GLEDITSCH, ET FILII, || Anno M DCC X, hier Teil 1 [eigenständig paginiert], lib. V., S. 179a: „Ejusdem Thassilonis studio Valentinus Passaviensium, Corbinianus Frisingensium Episcopi, sedibus suis redditi, ingenti populorum plausu, & pietatis incremento. Nam Valentini corpore, Tridento, quo illud Longobardi Majis exhumatum deportarant, Passavium relato, nihil jam causæ superesse Aribo Episcopus censuit, cur desideria patriæ optimum parentem jam diu suspirio reperentis longius protraheret; Corbinianum patria excesisse mortuum, ut cum Valentino contumularetur; […].“ Das Passauer Episkopat dieses Heiligen gilt heute als unwahrscheinlich. Seine Vita und Translation wurden wohl um 1200 verschriftlicht, seine Reliquien vermutlich um 764 aus Mais bei Meran nach Passau überführt. Möglicherweise handelte es sich aber um die Reliquien eines anderen Heiligen gleichen Namens. Vgl. Egon Boshof, Art. Valentinus, in: LThK, Bd. 10, 32001, Sp. 520. Brunner hatte die von Rader begonnenen Annales boicarae fortgeführt und vollendet. Vgl. Benz, Tradition (2003), S. 481.

490 29. Oktober stammte, mit dem Bischof von Rätien identisch sei, hatte jedoch nicht einmal Bivar postuliert. 46 Im Fall der Vita des Fulgentius von Ruspe erläuterte Bolland einleitend, dass Surius’ Ausgabe auf Gentius’ Legendar beruhe. Er verwies auf die handschriftlichen Fundamente, die den patristischen Studien und Editionen Van der Meulens und Sirmonds zugrunde lagen und listete die ihm selbst vorliegenden (abschriftlichen) Manuskripte auf. 47 Auch wenn auf diese Weise viel von Handschriften die Rede war, reproduzierte Bolland doch einen Text, der mit von Surius vorgelegten fast vollständig zur Deckung kam. 48 Bolland hatte ihn sporadisch, man könnte fast sagen symbolisch, um –––––––— 46

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Vgl. De Sancto Valentino, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, 7. Jan. [Einleitung], S. 368a: „In Dextri Chronico ad annum CDXXIX. num. 5. isthæc habentur: Prope Tudem, in Gallæciâ, in oppido Vianensi, sancti Pontifices Maximianus & Valentinus Confessores clarent, […].“ Vgl. FL. LVCII || DEXTRI || BARCINONENSIS, || Viri Clarissimi, Orientalis Imperij Præfecti Prætorio, || & D. Hieronymo amicissimi, || CHRONICON OMNIMODÆ HISTORIÆ. || Primùm quidem eidem Hieronymo dicatum, sed eo ad Superos translato, || multis locis locupletatum, Paulo Orosio Tarraconensi || iterum nuncupatum. || NVNC DEMVM OPERA ET STVDIO || FR. FRANCISCI BIVARII MANTVÆ-CARPETANI, || ex Obseruantia S. Bernardi Cisterciensis Monachi, eiúsque in Romana Curia || Procuratoris Generalis, ac S. Theologiæ & Philosophiæ Magistri, || COMMENTARIIS APODICTICIS ILLVSTRATVM, QVIBVS VNIVERSA || Ecclesiastica Historia, à Christo nato, per annos 430 rerum tam ad Italiam, Galliam, || Germaniam, aliáve Orbis Christiani prouincias spectantium, quàm ad || Hispaniam, de qua bona ex parte disserit Author, || ad amussim expenditur. || VBI VVLGARE NIHIL, INNVMERA VERO QVÆ SCRIPTORVM || penè omnium notitiam aufugerant, seu aliter quàm fuerint à Recentioribus referantur, || eáque admiratione dignissima, reperire licet. || LVGDVNI, || Sumptibus CLAVDII LANDRY. || M. DCXXVII. || CVM PRIVILEGIO CHRISTIANISSIMÆ MAIESTATIS, S. 435: „Anno 424 || […] Prope Tudem in Gallæcia, in oppido Vianensi, Sancti Pontifices Maximianus & Valentinus Confeßores clarent.“ Ebd., S. 444, Commentarius: „Prope Tudem, &c.] Vianam vocat oppidum Vianense, inter Durium & Minium situm, quæ regio olim ad Gallæciam spectabat, nunc Portugalliæ est. Porrò Sanctorum Maximiliani, & Valentiniani festa dies agitur in Romano Martyrologio ad 29. Octobris, cui vetera M. S. consentiunt, ex quibus Molanus in Additionibus ad Vsuardum eorumdem meminit.“ Vgl. Baronio, Martyrologium Romanum, sec. ed., 1589, 29. Okt., S. 479: „Eodem die sanctorum episcoporum Maximiliani (c) martyris, & Valentini confessoris.“ Vgl. ebd., S. 479a Anm. c: „Vetera manuscripta, ex quibus Molanus in additionibus ad Vsuardum hac die.“ Vgl. zu Dexter oben S. 283 mit Anm. 173. Vgl. Vita S. Fulgentii, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, 1. Jan. Praefatio, S. 32a: „Edita ea est à Laurentio Surio ex MS. Monasterij S. Pauli in Soniâ siluâ, siue Rubea vallis: ac deinde à Ioanne Molano anno 1574. ipsius Fulgentij præfixa operibus, ex MS. Monasterij Vallis S. Martini Canonicorum Regularium Louanij, cum MS. Monasterij Fontis B. Mariæ iuxta Arnhemium à Ioanne Vlimerio collata. Tandem Parisiis à Iacobo Sirmondo nostro cum eiusdem Fulgentij operibus recognitis. Has omnes editiones cum MSS. Monasterij S. Maximini, & Monasterij S. Mariæ Bonifonti, & S. Mariæ de Ripatorio contuli.“ Vgl. ebd., Vita S. Fulgentii. Inc.: „Omnis noui Testame[n]ti fidelissimus dispensator, in quo loquitur Christus, ‚sancte Pater Felicianeǥ, vt exemplo suo credendum sibi facilè persuadeat, operum bonorum curam maximam gerit, & quicquid aliis faciendum dicit, ipse primitus facit. Sine causâ quippè […].“ Vgl. Vita S. Fvlgentii Rvspen.

491 einige variante Lesungen ergänzt. Da es sich um eines der ersten Dossiers insgesamt handelte, die nach 1634 oder 1635 nicht mehr grundlegend revidiert worden sein dürften, war die Struktur der Annotationen wenig elaboriert. Anstelle der Minuskeln, die noch innerhalb des ersten Januarbands die Erläuterungen zu organisieren begannen – sie wurden jeweils am Ende der einzelnen Kapitel einer Vita platziert –, finden sich in der Vita Fulgentii nur einige marginal angebrachte Noten. Sie wurden durch Sternchen mit dem Referenztext in Beziehung gesetzt. 49 Durchaus typisch für diese frühen Bände der Acta Sanctorum war es, wenn, wie im Fall der Lebensbeschreibungen der hl. Gudila oder Gudula von Brüssel († Anfang 8. Jahrhundert), die Bollandisten aus den ihnen vorderhand zugänglichen Legendaren oder Sanctoralia kürzere oder alternative Fassungen hatten erlangen können. Sofern sie Bolland oder Henschen von hinreichender Originalität zu sein schienen, wurden sie vollständig wiedergegeben und neben den ihrerseits reproduzierten Viten Surius’ publiziert. 50 Eine Vita des heiligen Abts Clarus von St. Marcel zu Vienne († 660) hatte Bolland, um hier ein letztes Beispiel anzuführen, orientiert an Surius’ – aus „alten handschriftlichen Codices“ – erarbeiteter Ausgabe publiziert. Diese Vita sei in einigen Lesungen von Chifflet korrigiert worden. 51 Die gesamte Vita, deren Besitz Chifflet bereits –––––––—

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Episcopi, per qvendam eivs discipvlvm conscripta graviter & eruditè, in: Surius, De probatis Sanctorum historiis, Bd. 1, 1570, 1. Jan., S. 23–43. Inc.: „Omnis noui testamenti dispensator fidelissimus, in quo loquitur Christus, sancte pater Feliciane, vt exe[m]plo suo credendum sibi facilè persuadeat, operum bonorum curam maximam gerit, & quicquid alijs faciendu[m] dicit, ipse primitùs facit. Sine causa quippè […].“ Vgl. Vita S. Fulgentii, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, 1. Jan., S. 32b: „Beatus igitur & verè Fulgentius, nobili secundùm carne[m] genere procreatus, parentes habuit ex numero Carthaginensium Senatorum. Auus denique eius nomine Gordianus, dum Rex (*) Gensericus memoratam Carthaginem victor inuadens, […].“ Ebd., marginal Anm.*: „MS. Rip. & Sur. Hunericus.“ Vgl. Vita S. Fulgentii, ed. Surius, De probatis Sanctorum historiis, Bd. 1, 1570, 1. Jan., S. 25: „Beatus ergò & verè Fulgentius, nobili secundùm carnem genere procreatus, parentes habuit ex numero Carthaginensium senatorum. Auus deniquè eius nomine Gordianus, dum rex Hunericus memoratam Carthaginem victor inuadens, […].“ Vgl. De S. Gudila, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, 8. Jan. Vita auctore Huberto, Ex MS. Societatis Iesu Brugis, ebd., S. 514–524. Alia Vita avctore anonymo. Ex Laurentio Surio, ebd., S. 524–530. Inc.: „Igitvr Sigiberti Regis temporibus, qui fuit Dagoberti Regis filius, extitit quidam Comes Witgerus nomine in pago Braba[n]tensi, probabilis moribus; cuius thalamis inhærebat coniunx dignissima, cuius fuerat nomen Amelberga, Maioris Domus inclytâ Pipini sorore progenita: […].“ Vgl. Vita S. Gvdvlae Virginis, apvd Brabantos celeberrimae, ex pervetvsto Manuscripto codice transscripta, nihil mutato stylo, in: Surius, De probatis Sanctorum historiis, Bd. 1, 1570, 8. Jan., S. 162–171. Inc.: „Igitvr Sigiberti regis temporibus, qui fuit Dagoberti regis filius, extitit quidam comes Vuitgerus [!] nomine in pago Bracba[n]tensi [!], probabilis moribus, cuius thalamis inhærebat coniunx dignissima, cuius fuerat nomen Aumulberga [!], maioris domûs inclyta Pipini sorore progenita: […].“ Vgl. zur Heiligen Ulrich Nonn, Art. Gudula, in: LThK, Bd. 4, 31995, Sp. 1091. Vgl. De S. Claro Abbate Viennensi, in: AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, 1. Jan., S. 55f. [Einleitung], ebd., S. 55a: „Eius vitam edidit […] Latinè ex antiquis MSS. codicibus

492 Rosweyde angezeigt hatte, 52 hatte er Bolland aber offensichtlich nicht aushändigen wollen. Am 15. Oktober 1633 hatte sich Bolland damit zu bescheiden, Chifflet für die „durchaus nützlichen“ alternativen Lesungen zu danken. 53

6.1.2 Abbreviatur und Homogenität Von diesen Reibungen zwischen den altertumskundlich interessierten Jesuiten ahnte Diecmann wahrscheinlich nichts, als er die Vita des hl. Wilhelm von Donjeon als ein Beispiel dafür anführte, dass Bolland gegenüber Surius nicht immer neue historische Texte hatte ermitteln können. Der im Folgenden zu vertiefende Fall Wilhelms von Donjeon ist nun aber nicht nur geeignet, Surius’ Vorgehen konkreter zu beschreiben, sondern verdeutlicht auch, dass Diecmanns Beobachtungen nicht der Vordergründigkeit entbehrten – letztlich handelte es sich auch nur um einige Notizen. Die Vita Guilielmi in ihrer mittelalterlichen Gestalt wurde erstmals 1884 in den Analecta Bollandiana nach einer 15 Pergamentblätter umfassenden Handschrift des –––––––—

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Laurentius Surius, quam non paucis locis emendauimus ex variis lectionibus à Petro Francisco Chiffletio nostro submißit.“ Vita, ebd., S. 55f. Inc.: „Vitam vel actus Beati Clari Presbyteri & Abbatis scripturus, Dei gratiam imploro, vt qui illi dedit benè & sanctè viuere, mihi quoque tribuat ostiu[m] sermonis, & illius laudabilia gesta inculpabiliter scribere. || Hic à puero indicis munerum clarus, in Dei omnipotentis gratiâ profecit adeò, vt precibus suis à Domino obtineret, quæ Spiritus sancti donum petenda esse persuaderet. Accidit quippe vt puer matrem orbatam marito haberet, quæ deuotè ad memorias sanctorum Martyrum apud Viennam subinde orandi gratiâ occurrebat: […].“ Vgl. Vita Sancti Clari Abbatis Viennensis, cvivs qvidem avthor nomen svvm svppressit, sed magnam præ se fert grauitatem & integritatem: habeturque in vetustis manuscriptis codicibus, in: Surius, De probatis Sanctorum historiis, Bd. 1, 1570, 1. Jan., S. 64–66. Inc.: „Vitam vel actus beati Clari presbyteri & abbatis scripturus, Dei gratiam imploro: vt qui illi dedit benè & sanctè viuere, mihi quoq[ue] tribuat ostium sermonis, & illius laudabilia gesta inculpabiliter scribere. Hic à puero indicijs nimirùm clarus, in Dei omnipotentis gratiam profecit, adeò vt precibus suis à Domino obtineret, quæ spiritûs sancti donum petenda esse persuaderet. Accidit vt puer matrem orbatam marito haberet, quæ deuotè ad memorias sanctorum martyrum apud Viennam subindè orandi gratia occurrebat: […].“ Chifflets Korrekturen hatten demnach einzelne Worte oder Wortkombinationen betroffen wie die Schreibung: „indicis munerum clarus“, für Surius’: „indicijs nimirùm clarus“, wie: „in Dei omnipotentis gratiâ“, für: „in Dei omnipotentis gratiam“, oder: „Accidit quippe vt“, für: „Accidit vt puer“. Solche varianten Lesungen besorgten sich die Bollandisten im Regelfall dadurch, dass sie das Konzept für die potentiell zu druckende Vorlage – in diesem Fall Surius’ Text – versandten und die angesprochenen Gelehrten aus ihren Handschriften einige Varianten marginal notierten. Vgl. dazu unten S. 536ff.; vgl. zum Heiligen Winfried Böhne, Art. Clarus, in: LThK, Bd. 2, 21958, Sp. 1216. Vgl. Chifflet à Rosweyde, Besançon, 29 mars 1627, in: Joassart (Hrsg.), Correspondance (2005), Nr. 2, S. 88: „Clarus abbas, 1 januari] Habeo Vitam ex manuscriptis.“ Vgl. Bolland à Chifflet, Anvers, 15 octobre 1633, in: ebd., Nr. 5, S. 97–99, hier S. 98: „Gratias habeo pro variis lectionibus ad Vitam S. Clari sane utilibus.“

493 13. Jahrhunderts ediert. Sie beinhaltet neben der Vita (BHL 8900) ein Mirakelbuch (BHL 8901) sowie eine Schilderung der Abläufe, die zur Kanonisation Wilhelms von Donjeon am 17. Mai 1218 durch Honorius III. (reg. 1216–1227) führen sollten (BHL 8902). 54 Die Provenienz dieser das Ms. 293 der Bibliothek der Bollandisten verkörpernden Blätter ist nicht geklärt. Sie scheinen allerdings den Vermerk zu tragen, dass sie aus Chifflets Beständen an die Bollandisten gelangten. 55 Eine ihrerseits in der Bibliothek der Bollandisten erhaltene Abschrift des 17. Jahrhunderts aus dem Codex Reginae Sueciae 721 (?) umfasst das Mirakelbuch ohne den Kanonisationsbericht. Eine weitere vollständige Version der Vita existiert in Gentius’ und Gielemans Sammlung aus Rouge-Cloître. Sie enthält überdies das erste Wunder des Mirakelbuchs und endet mit dessen Schlussformeln vor dem Kanonisationsbericht. Die Struktur dieser Version lässt darauf schließen, dass Surius’ Text der Vita Guilielmi auf ihr beruhte. 56 –––––––— 54

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Vgl. Sancti Gulielmi, archiepiscopi Bituricensis vita, miracula post mortem et canonizatio, ex codice Musei Bollandiani nunc primum integre edita, in: Anal. Boll. 3 (1884), S. 271–361. I. Vita S. Gulielmi ep. Bituricensis, ebd., S. 274–325. II. Miracula post mortem, ebd., S. 326–350. III. Canonizatio Sancti Gulielmi, ebd., S. 350– 361. Vgl. [Einleitung], in: ebd., S. 271–273, hier S. 271; Henri Moretus, Catalogus codicum hagiographicorum latinorum bibliothecae Bollandianae, in: Anal. Boll. 24 (1905), S. 425–472, hier S. 447, Ms. 293. Zur Provenienz wird konstatiert, dass die Handschrift „dono dedit P. Petrus Franciscus Chifflet, S. I.“ Moretus hat im Zuge seiner Kurzkatalogisierung vergessen, neben BHL 8900 und 8901 auch die Nummer BHL 8902 für diesen Bestand zu vergeben. Dies ist kaum eine Marginalie wert. Allerdings ist es nicht der einzige Fall, der Zweifel an der Gründlichkeit weckt, mit der diese ohnehin heikle Systematik durch die Bollandisten selbst appliziert wurde. Vgl. zur Kanonisation Wilhelms André Vauchez, La sainteté en occident aux derniers siècles du moyen age. D’après les procès de canonisation et les documents hagiographiques (Bibliothèque des Écoles françaises d’Athènes et de Rome 241), Rom 2 1988, S. 79 Anm. 22, S. 144f., 295; Krafft, Papsturkunde (2005), S. 267–275. Vgl. [Einleitung], Vita Sancti Gulielmi, Anal. Boll. 3 (1884), S. 273 mit Anm. 1; zu Gentius Van den Gheyn, Catalogue, Bd. 5 (1905), S. 230, Ms. 11986 (3234), Nr. 11. Aus welcher Handschrift die Abschrift des Mirakelberichts angefertigt wurde, ist fraglich. Die Bestände Reg. lat. der Vaticana scheinen unter der Ziffer 721 kein hagiographisches Werk auszuweisen, weder nach den alten Signaturen Montfaucons noch nach den neuen. Vgl. Les manuscrits de la Reine de Suède au Vatican. Réédition du catalogue de Montfaucon et cotes actuelles (Studi e testi 238), Città del Vaticano 1964, Nr. 721 (Reg. lat. 953), S. 42; Nr. 682 (Reg. lat. 721), S. 40. Im ersten Fall handelt es sich um: „Jean L’Huillier et Jean Grollier, Traité des Monnoys d’or“, im zweiten um den dritten Band einer Abschrift von einem historiographischen Werk des Livius. Im Rahmen der von Albert Poncelet, Catalogus hagiographicorum latinorum bibliothecae Vaticanae (Subsidia hagiographica 11), Brüssel 1910, katalogisierten hagiographischen Manuskripte der Bibliotheca Vaticana wird das Mirakelbuch (BHL 8901) in einem Codex ausgewiesen, der nach Poncelet Schriften des 10. bis 12. Jahrhunderts beinhaltet. Vgl. ebd., S. 381, Reg. lat. Ms. 585, Nr. 13. Dieses Segment datiert Poncelet auf das 12. oder 13. Jahrhundert. Da sich der Textzeuge auf einen im 13. Jahrhundert verstorbenen Heiligen bezieht, kann ersteres allerdings ausgeschlossen werden.

494 Die Edition in den Analecta Bollandiana basierte auf diesen drei, ausschließlich Brüsseler Textzeugen. Die Beschaffenheit des alten Dossiers der Acta Sanctorum wurde von den Bollandisten der Moderne nicht eruiert, sieht man davon ab, dass sie darauf verwiesen, dass Bolland gesagt habe, über keine handschriftliche Version dieser umfangreicheren Vita zu verfügen, und dass er einen Teil der Einleitung des Mirakelbuchs herausgegeben habe. 57 Neben der längeren Vita, die Bolland nach Surius’ Version gedruckt hatte, 58 umfasste sein Dossier, wie das der hl. Gudila, jedoch zwei oder drei weitere hagiographische Stücke. Eine von ihm als fragmentarisch bezeichnete kürzere Vita habe er einem Legendar aus St. Omer entnommen (BHL 8905). 59 Eine zweite kürzere Lebensbeschreibung stammte, wie Bol–––––––— 57

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Vgl. [Einleitung], Vita Sancti Gulielmi, Anal. Boll. 3 (1884), S. 272: „Sed ex præfatione quæ huic libro miraculorum præfixa est (quam solam edere potuit Bollandus, eamque non integram, ceteris in suo codice mutilo deficientibus) […].“ Ebd., S. 271, zu Surius: „Eamdem hanc compendiosam Vitam inter Acta Sanctorum tomo I Januarij, ubi ad diem 10. de S. Gulielmo agendum erat, inseruit Joannes Bollandus, ex Surio acceptam, eo quod nullum, ut ipse testatur, reperire ms. codicem potuit, unde primigenia phrasim restitueret.“ Vgl. dazu den Nachweis oben Anm. 38. Nichts Neues zur Tradition bietet die Darstellung von Stephan Steffen, Der hl. Wilhelm, Erzbischof von Bourges, in: Cistercienser-Chronik 19 (1907), S. 1–13, 38–48, 71–82, hier S. 1: „Der Herausgeber der Act. SS. konnte nach eigenem Geständnis keinen Kodex ausfindig machen, in welchem sich die ursprüngliche Fassung der Vita vorgefunden hätte […]. Erst Petrus Chifflet stieß nach langem Suchen auf den Kodex und sandte ihn an das ‚Museum Bollandianumǥ, wo derselbe noch heute aufbewahrt wird.“ Vgl. De S. Guilielmo, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, 10. Jan. Vita. Auctore coætaneo anonymo, à Laur. Surio, stylo mutato, contracta, ebd., S. 628–636. Inc.: „Cvm ex hac luce migrasset felicis memoriæ Henricus Bituricensis Archiepiscopus qui inter nos degens erga Clerum & populum summâ semper vsus est mansuetudine & humanitate; […].“ Vita S. Gvilhelmi, Archiepiscopi Bitvricen. Ordinis Cistertiensis, praecipve qvam geßit toto illo tempore, quo fuit pontifex: scripta ab eius quodam contemporaneo, & qui satìs indicet, se res compertas & sui temporis conscribere: qui tamen quòd in plerisque verbosior esse videatur, per F. Laur. Surium, mutato stylo, in compendium redactus est, in: Surius, De probatis Sanctorum historiis, Bd. 1, 1570, 10. Jan., S. 223–234. Inc.: „Cvm ex hac luce migrâsset felicis memoriæ Henricus Bituricensis Archiepiscopus, qui inter nos dege[n]s, erga clerum & populum summa semper vsus est mansuetudine & humanitate: […].“ Vgl. De S. Guilielmo, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, 10. Jan. Alivd vitæ compendivm, Auctore anonymo coætaneo. Ex MS. Ecclesiæ S. Audomari, ebd., S. 639. Inc.: „Beatvs Guillermus nobilis genere, longe fuit nobilior vitæ laudabilis sanctitate.“ Vgl. [Einleitung], ebd., S. 628a: „Alterius vitæ (ab vtraque priore diuersa, vt ex stylo licet coniicere) fragmentum ex MS. Legendario Ecclesiæ S. Audomari subiungemus.“ Inhaltlich betrachtet war diese Kurzvita kein Fragment. Sie begann mit Wilhelms Jugend und endete mit Tod und posthumer Verehrung. In den hagiographischen Beständen St. Omers findet sich in einer Handschrift des 14. Jahrhunderts eine mit dieser Version wohl zu Teilen koinzidierende Tageslesung. Vgl. [R. Lechat], Catalogus codicum hagiographicorum latinorum bibliothecae publicae Audomaropolitanae, in: Anal. Boll. 47 (1929), S. 241–306, hier S. 252, Ms. 699, Nr. 8: „(Fol. 99v–100v) In nathale S. Guillermi. || Lectiones ad verbum excerptae ex initio Vitae BHL. 8905.“ Das ehemals vier Bände umfassende und heute in drei Bänden erhaltene Legendar von St. Omer, ebd., S. 258–265, Ms. 715, tom. II–IV, auf das die Bollandisten seit

495 land sagte, „aus einer alten Handschrift“, die er im Antwerpener Professhaus entdeckt habe (BHL 8904). 60 Diese Vita schloss mit einem langen Abschnitt zur Kanonisation Wilhelms. 61 Sie ging in die besagte Reproduktion der Einleitung des Mirakelbuchs über. Diese wiederum endete mit Auslassungspunkten und Bollands Kommentar, dass die Handschrift an dieser Stelle abbräche. 62 Der Wortbestand des von Bolland wiedergegebenen Teils des Mirakelbuchs kommt fast vollständig mit dem 1884 edierten und auf Chifflet zurückgehenden Text des 13. Jahrhunderts zur Deckung. 63 Das Kapitel zur Kanonisation Wilhelms im Rahmen der Vita wiederum, die Bolland im Professhaus entdeckt habe, ist eine Paraphrase des Kanonisationsberichts des 13. Jahrhunderts. 64 Da der Kanonisationsbericht ausschließlich in den –––––––—

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Rosweydes Wirken im Kolleg von St. Omer zwischen 1604 und 1606 hatten zugreifen können, weist keine Vita Wilhelms auf. Dies gilt auch für den von Dolbeau, Tome (1975), aus den Inventaren der Bollandisten rekonstruierten ersten Band. Ein solcher Befund vermag allerdings nicht zu überraschen, da dieses Legendar im 12. Jahrhundert und damit vor dem Ableben Wilhelms von Donjeon verfasst worden ist. Es muss sich demnach um eine jüngere Quelle handeln, die von den Bollandisten mit denselben Worten beschrieben wurde. Vgl. De S. Guilielmo, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, 10. Jan. Alia vita. Auctore anonymo coætaneo. Ex. MS. Domus professæ Societ. IESV Antuerpiæ, ebd., S. 636–638. Inc.: „Beatvs Willelmus Bituricensis Archiepiscopus, quia veritatem dilexit intantùm, […].“ Vgl. [Einleitung], ebd., S. 628a: „Aliam nacti sumus è veteri MS. Domus professæ Societatis Iesu Antuerpiæ à Coætaneo quoque scriptam, sed post canonizationem.“ Vgl. Alia vita. Ex Ms. Dom. prof. Ant., c. 4. Canonizatio, ebd., S. 637f. Vgl. Præfatio in lib. miracvlorvm, ebd., S. 638b–639a, hier S. 639b: „[…] propter temporis lapsum labilisque memoriæ vitium in ea nobis veritatis specie non……codex MS. hîc laceratus erat, sicq[ue] reliqua desideramus.“ Vgl. ebd., S. 638b. Inc.: „Qvoniam superabundante malitiâ, multorum caritas refrigescit quotidie, necesse est vt Deus omnipotens ordinaret rerum ac temporum […].“ Vita Gulielmi. II. Miracula, Anal. Boll. 3 (1884), S. 326. Inc.: „Quoniam superabundante malitia, multorum caritas refrigescit, quotidie necesse est ut Deus omnipotens, ordinaret rerum et temporum […].“ Dieser Befund kann dadurch befestigt werden, dass die Varianten, die die Bollandisten der Moderne aus der abschriftlichen Version des Ms. Reg. lat. 721 (?) – oder Reg. lat. 585 (?) – bieten, nicht mit Bollands Text zur Deckung kommen, der deutlich der Handschrift des 13. Jahrhunderts folgt. Vgl. De S. Guilielmo, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, 10. Jan. Præfatio in lib. mirac., S. 638b: „Nonnunquàm enim fiunt miracula diuinâ operante clementiâ […].“ Vita Gulielmi. II. Miracula, Anal. Boll. 3 (1884), S. 326: „Nonnunquam enim fiunt miracula, divina operante (1) clementia […].“ Vgl. ebd., Anm. 1, mit Bezug auf den Codex Reginae Sueciae 721: „operante divina“. Der Befund scheint zwar vergleichsweise vage zu sein. Er ließe sich allerdings mit den folgenden Varianten, ebd., Anm. 2–4, auf analoge Weise wiederholen, in denen Bollands Text dem der Handschrift des 13. Jahrhunderts entsprach. Vgl. Vita Gulielmi. III. Canonizatio, Anal. Boll. 3 (1884), S. 350f.: „Fuerat quippe prænominatis patribus utpote his, qui magni nominis viri et summæ opinionis in Gallicis partibus habebantur, a beatissimo papa nostro Honorio, qui tunc apostolicæ sedis gubernacula (Deo) dante susceperat, eorumdem miraculorum nec non vitæ et conversationis beati patris Willermi examinatio commissa. || Igitur examinatione de

496 von den Bollandisten der Moderne aufgefundenen Blättern überliefert ist und das vorgebliche Fragment des Mirakelbuchs in den Acta Sanctorum nach genau diesem Text reproduziert wurde, ist es offensichtlich, dass Bolland zum Zeitpunkt der Publikation der Januarbände sehr wohl über diese Blätter verfügte. Er kompilierte aus ihnen eine Vita, die exakt jene Teile des Wirkens und Fortlebens des Heiligen abdeckte, die sich in Surius’ Version der Vita nicht beschrieben fanden. Inhaltlich betraf dies neben der Kanonisation, die die Legitimität des Heiligen Wilhelm, der, wie von Bolland ausdrücklich thematisiert wurde, weder im Martyrologium Romanum noch in anderen offiziellen Heiligenkalendern Roms verzeichnet worden sei, 65 auch das Agieren Wilhelms vor seiner Wahl zum Bischof von Bourges. 66 BHL 8904 wäre demnach als Schöpfung Bollands zu betrachten. Sie könnte daraus resultiert haben, dass Bolland den Besitz der Blätter aus dem 13. Jahrhundert nicht anzuzeigen wünschte, auf ihre Verwendung aber nicht ganz und gar verzichten wollte. Chifflets Korrespondenz gibt keinerlei Auskunft über diese Handschrift, sei es, dass Bolland ihm gedankt hätte, sei es, dass Chifflet ihre Übersendung angezeigt hätte. Außergewöhnlich im Zuge dieser Kooperation wäre es gewesen, wenn Chifflet ein Original aus den Händen gegeben hätte. Es lässt sich also nur darüber spekulieren, ob Chifflet selbst keine Verwendung für diese Blätter hatte und sie in der Tat den Bollandisten überließ – er allerdings den Einspruch derer fürchtete, aus deren Codex diese Blätter extrahiert worden waren –, oder ob Bolland sie sich, bei welcher Gelegenheit auch immer, aus Chifflets Beständen angeeignet hat. Denkbar ist allerdings auch, dass Bolland auf Wegen, die ihrerseits nicht offengelegt werden durften oder die ihm inzwischen unbekannt –––––––—

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mandato summi pontificis super vita, conversatione ac miraculis beatissimi patris Willermi, Bituricensis archiepiscopi, tam solerter quam fideliter facta, per venerabilem patrem Willermum, Autissiodorensem episcopum, et religiosos viros, Willermum Boni Radii et Petrum Calloniensem, abbates Cisterciensis ordinis, solemnes nuntii Bituricensis ecclesiæ, quæ circa exaltationem pii patris et patroni sui infatigato spiritu semper erat intenta, […].“ Ebd., S. 351: „Venerat in illis diebus ad sacrosanctam apostolorum principis sedem quidam vir venerabilis, decanus de Boemia, missus a suo archiepiscopo […].“ Vgl. De S. Guilielmo, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, 10. Jan. Alia vita. Ex Ms. Dom. prof. Ant., S. 638a: „Impetrato verò rescripto à Præsule Sedis Apostolicæ Honorio Papâ III. super inquisitione de vitâ eius, meritis, ac miraculis faciendâ; venerabilis vir VVillelmus Autisiodorensis Episcopus, & duo religiosi Abbates Cistercie[n]sis ordinis, qui hoc suscepêre mandatum, […].“ Ebd.: „Eo tempore præsens erat ibidem venerabilis vir Decanus de Boëmia, […].“ Vgl. De S. Guilielmo, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, 10. Jan. [Einleitung], S. 627a– 628a: „Non omnium, qui in album relati sunt Sanctorum, inscripta Martyrologio Romano nomina sunt, Guilielmui certè Bituricensis Archiepiscopi ab Honorio III anno Christi 1218. consecrata canonicè memoria est, necdum tamen in publicis Romanæ Ecclesiæ tabulis consignata, […].“ Vgl. Vita a Surio, c. 1. S. Guilielmi ad Episcopatum promotio, ebd., S. 428b. Die Alia vita. Ex Ms. Dom. prof. Ant., begann mit: c. 1. S. Guilielmi vita ante Episcopatum, ebd., S. 636a.

497 geworden waren, bereits zu diesem Zeitpunkt auf einzelne Viten aus der Bibliotheca Vaticana zurückgreifen konnte. Im Zuge der Katalogisierung ihrer hagiographischen Bestände verzeichnete Poncelet 1910 den heute einzig bekannten Textzeugen für Bollands BHL 8904. Er entstammt dem Ms. Reg. lat. 585, in dem er zusammen mit dem Mirakelbericht enthalten zu sein scheint. 67 Falls Poncelets Identifikation zutreffen sollte, und dies wäre am Material zu prüfen, hätte Bolland, neben Chifflets Blättern aus dem 13. Jahrhundert, über ausgezeichnete textliche Grundlagen verfügt, ohne sie unbefangen oder im souveränen Wissen über ihre Herkunft nutzen zu können. Da ihm letztlich, trotz der nicht wenigen Abschriften aus RougeCloître, die in den Collectanea bollandiana erhalten sind, im Fall des hl. Wilhelm von Donjeon die dort erhaltene Version – und damit die wohl von Surius benutzte längere Vita – unbekannt war, scheint er auf dieses Legendar zu seiner Zeit keinen Zugriff mehr gehabt oder gesucht zu haben. Die Texte aus Gentius’ und Gielemans Sammlung dürften demnach von Rosweyde besorgt und später nicht unbedingt vermehrt worden sein. Die zeitgenössischen Debatten um die Rolle von Stil und Ornatus könnten den Eindruck erwecken, dass sich Surius, auf dessen Werk sie sich konkret bezogen, vor allem an der manieristischen Dilatation seiner Stoffs versuchte. Das Gegenteil aber war der Fall. Surius’ Adaptation der Vita Guilielmi war vor allem durch einen Zug zur Abbreviatur bestimmt, auch wenn das daraus hervorgehende Produkt noch immer deutlich länger war, als sämtliche Bolland bekannten Viten. In kleinerem Umfang galten Surius’ Kürzungen rhetorischen Wiederholungsfiguren, die von ihm beschnitten wurden. Aus der hochmittelalterlichen Sentenz: „Aber da der Tag sich schon neigte und der Abend immer dunkler heraufzog, […]“, 68 wurde bei Surius: „Aber da die Stunde schon sehr fortgeschritten war, […].“ 69 Größere Einheiten betreffend führte dieses Vorgehen zu einem paraphrasierenden Zugriff, der von Elementen, die für das Verständnis der Handlungsfolge nicht unbedingt von Nöten schienen, abstrahierte. Die Rede, die der Erzbischof von Paris an die in Teilen herbei eilende Wahlkongregation richtete, nachdem ihm die Bestimmung des damaligen Abts von Châlis Wilhelm zum Erzbischof von Bourges wunderbar enthüllt worden sei, fiel in der Vita des 13. Jahrhunderts vergleichsweise wortreich aus: ‚Bekräftige dies, Gott, was du in uns bereitet hast. Vom Herrn ist dies gemacht worden, und es ist wunderbar in unseren Augen. Fürwahr was die Wahrheit sagt, überall, wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen, sogleich erkennen wir, nachdem der Glaube in der Klarheit des Bewirkten augenfäl-

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Vgl. Poncelet, Catalogus (1910), S. 381, Reg. lat. Ms. 585, Nr. 12. Vita Gulielmi. I. Vita, Anal. Boll. 3 (1884), S. 277: „Sed declinante jam die et advesperascente profundius, […].“ Vita S. Guilhelmi, in: Surius, De probatis Sanctorum historiis, Bd. 1, 1570, 10. Jan., S. 223: „Sed quia iam hora tardior erat, […].“

498 lig geworden ist, das Bekräftigte. Lasset uns also aufbrechen, hochwerte Brüder, aus unerschöpflicher Dankbarkeit zu dem sich geoffenbart habenden Herrn, der die Dinge nennt, die nicht sind, wie auch die, die sind: lasset uns eilen, seinen Willen, den er beliebt hat, in uns Gestalt annehmen zu lassen, an seiner Gnade teilhaftig zu vollenden.ǥ 70

Bei Surius wurden weniger Worte verloren: „Vom Herrn ist dies gemacht worden: darauf begibt er sich eilig, zugleich Gott lobend, mit jenen zu den wenigen Verbliebenen, die am Ort der Wahl ausgedauert hatten.“ 71 Es liegt auf der Hand, dass auf diese Weise nicht alle Sinnebenen erhalten werden konnten. Wilhelm, der auf Seiten der papsttreuen Truppen in den Feldzug gegen die Albigenser involviert war, hatte an der Eroberung von Béziers am 22. Juli 1209 nicht mehr teilnehmen können. Er hatte zwar ein Heer entsandt, war jedoch unmittelbar danach verstorben. Der Autor der Vita zweifelte nicht daran, dass er den Seinigen das Schwert führte und unter jener himmlischen Streitmacht weilte, die sich im Moment des Kampfes den „Kreuzfahrern“ offenbarte: 72 Fürwahr im Augenblick ist jene bevölkerungsreiche Stadt Béziers eingenommen worden, fürwahr eine Stadt Babylons, bereitet als Behausung des Götzendiensts und Wohnstatt der Dämonen, die nun nicht länger über schlimme Freveltaten nachsann, sondern, sich zu ärgeren Untaten aufmachend, sich zu so großem Vergehen verstiegen hat, dass es schien, dass sie große Gottesfurcht für sich beansprucht hat, weil sie keine Unwahrheit verworfen hat. Verwirrt worden sind die Fürsten Edons, Zittern hat die Starken Moabs befallen, alle Bewohner Kanaans sind erstarrt. An den Brüsten der Mütter werden die kleinen Kinder getötet, mit denen die Unfrömmigkeit zu befrieden, die Frömmigkeit zugrunde zu richten war. Und weder Klöster noch Kirchen beschirmten die, die die Einheit der Kirche angegriffen haben, weil Gott die Erinne-

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Vita Gulielmi. I. Vita, Anal. Boll. 3 (1884), S. 279 mit Variante 5–7: „Et conversus ad socios, gratias agens et benedicens Deum clamabat, dicens: ‚Confirma hoc, Deus, quod operatus es in nobis. A Domino factum est istud, et est mirabile in oculis nostris. Vere quod Veritas ait, Ubicumque duo vel tres congregati sunt in nomine meo, ibi sum in medio eorum, modo oculata fide cernimus per evidentiam facti confirmatum. Eamus ergo, fratres Carissimi, de immensa Domini pietate confisi, qui vocat ea quæ non sunt, tanquam ea quæ sunt: voluntatem ejus quam in nobis manifestare dignatus est, ipsius cooperante gratia perficere festinemus.ǥ “ Das Prädestinationswunder bezog sich auf versiegelte Zettel, auf die der Pariser Erzbischof die Namen der Kandidaten geschrieben hatte. Vor der Morgenandacht in einer Marienkirche, wahrscheinlich Notre-Dame de Montermoyen, und dem Eintreffen seiner Sekretäre habe er diese Zettel hinter dem Altartuch verborgen. Nachdem er um eine göttliche Entscheidung gebeten hatte, zog der Bischof einen Zettel, erbrach die Versiegelung und fand darauf Wilhelms Namen geschrieben. Mit seinen Sekretären vereinbarte er zunächst Stillschweigen. Als ihm ein Teil der in St. Stephan verhandelnden Wahlkongregation entgegenkam und Wilhelms Namen als Resultat präsentierte, sahen sich alle in der göttlichen Fügung der Wahl bestätigt. Vgl. ebd., S. 277ff. Vita S. Guilhelmi, in: Surius, De probatis Sanctorum historiis, Bd. 1, 1570, 10. Jan., S. 224: „[…] exclamauitq[ue]: A Domino factum est istud: simul Deum benedicens, mox properat cum illis ad reliquos paucos, qui in electio[n]is loco perma[n]serant: […].“ Vita Gulielmi. I. Vita, Anal. Boll. 3 (1884), S. 308f.

499 rung an jene hat von der Erde vertilgen wollen, die ihren Gott und Schöpfer verlassen und ihren Herrn und Schöpfer vergessen haben. Und so sind sie in eine andere Stadt weitergezogen, die Carcassonne genannt wird, […]. 73

Die alttestamentarischen Analogien sind ausnehmend typisch für die zisterziensische Schriftproduktion der Zeit. 74 Sie fielen Surius’ Abbreviaturen nahezu durchgängig zum Opfer. Damit wurde die Vita ihrer heilsgeschichtlichen Grundierung entkleidet: Eingenommen worden ist gleichsam im Augenblick die bevölkerungsreiche Stadt, die sie Béziers nennen, die damals nicht geringe Freveltaten im Sinn trug, sondern darin einem solchen Zustand des Unverstands verfallen war, dass das große Gottesfurcht für sich beansprucht zu haben schien, was keine Unwahrheit verworfen hätte. || An den Brüsten der Mütter sind auch die kleinen Kinder erschlagen worden, und weder Kirchen noch Klöster konnten diejenigen beschirmen, die die Einheit der Kirche geschändet hatten. Von dort ist man zur stark befestigten Stadt Carcassonne aufgebrochen […]. 75

Surius’ Sammlung De probatis Sanctorum historiis war kein herausgeberisches Werk im engeren Sinne. Sie präsentierte heilsmäßige historische Lebensläufe in mehr oder minder überlieferungsnaher, sprachlich homogenisierter und aktualisierter Form. Verfehlt wäre es, die Lebensbeschreibung Wilhelms von Donjeon zum Anlass zu nehmen, um über säkularisierende Effekte dieser Art der Heiligenbiographik zu spekulieren. In Falle Surius’ ist in erster Linie ein auf das Werkganze bezogener Gestaltungswillen in Rechtung zu stellen. Durch eine vereinheitlichte Form sollte aus mitunter disparaten Materialien eine Sammlung angefertigt werden, die in sich eine gewisse Konsistenz besaß. Aufgrund seiner ganz anderen Konzeption hatte sich Bolland gerade in dieser Hinsicht zu erklären. In der Einleitung des –––––––— 73

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Ebd., S. 309: „Nam capta est in momento illa populosa civitas Bitterensis, immo civitas Babylonis, sedes idolatriæ effecta et habitatio dæmonum, quæ non jam de pravis sceleribus cogitabat, sed ad ulteriora se extendens facinora, in tantum prorupit excessum quod magnam videbatur sibi suscepisse religionem, quia nullam respuit falsitatem. Conturbati sunt principes Edon, robustos Moab obtinuit tremor, obriguerunt omnes habitatores Canaan. Inter ubera matrum necantur parvuli, quibus parcere erat impietas, pietas erat trucidare. Nec ecclesiæ nec monasteria tuebantur eos qui ecclesiæ impugnaverunt unitatem, quoniam voluit Dominus perdere memoriam eorum de terra, qui reliquerunt Deum factorem suum et obliti sunt Domini creatoris sui. Itaque profecti sunt in aliam civitatem, quæ Carcassona vocatur […].“ Vgl. Beverly Mayne Kienzle, Cistercians, Heresy and Crusade in Occitania, 1145– 1229. Preaching in the Lord’s Vineyard (York Medieval Press), York 2001, S. 9, 54, 56, 142. Vgl. Vita S. Guilhelmi, in: Surius, De probatis Sanctorum historiis, Bd. 1, 1570, 10. Jan., S. 224: „Capta est velut momento temporis populosa vrbs, quam Biteres vocant, quæ iam non exigua scelera meditabatur, sed in id vsque amentiæ prorupit, vt magnam sibi videretur assumpsisse religionem, quòd nullam respuisset falsitatem. || Inter vbera matrum paruuli quoquè cĊsi sunt, & neque ecclesiĊ, neque monasteriæ tueri eos poterant, qui EcclesiĊ sciderant vnitatem. Indè itum est Carcassonem munitissimam vrbem, […].“

500 dritten Februarbands räumte er ein, dass die Acta Sanctorum den Leserinnen und Lesern als ein „auf den ersten Blick fürwahr zottige[r] Wald“ entgegen treten könnten. Aber auch wenn „das Mancherlei der […] auf diese Weise versammelten Viten, die einst in unterschiedlichem Stil niedergeschrieben worden sind, in einem häufig kunstlosen und ungeschmückten, es manch einem angelegen sein lassen mag, es als wahrhaftes Chaos und ungeordneten Haufen zu beurteilen“, so sollte eine genauere Lektüre doch dazu befähigen, diesen Eindruck zu beseitigen: „Wir haben das Werk nämlich so überantwortet, dass alle Dinge auf kundige und angemessene Weise angeordnet waren, und zahlreiche Dinge haben wir zur Stützung des Lesers beigebracht, damit ihn nichts besonders zu hindern oder ihm Widerwillen zu bereiten vermag.“ 76 Brenda Dunn-Lardeau äußerte vor einigen Jahren die Annahme, dass die neu gestalteten Prosalegendare des 16. Jahrhunderts dazu beigetragen haben dürften, die Legenda aurea aus klerikalen Funktionszusammenhängen zu verdrängen und in den Bereich der populären Lektüren zu verschieben.77 De probatis Sanctorum historiis bildete ein gewichtiges Zentrum für einen offensichtlich vielseitigen Bedarf an hagiographischen Lektüren, und dies in einer Zeit, in der Hagiographie angeblich weithin in Verruf gekommen sei. Dieser Bedarf scheint eine erneuerte Kurzbiographik eingeschlossen zu haben. Durch sie wurde auch der alte Catalogus Sanctorum des Petrus de Natalibus nach und nach ersetzt. Aus De probatis Sanctorum historiis extrahierte der Utrechter Theologe und Löwener Kanoniker Franciscus Haraeus († 1632) ein Compendium, das zuerst 1591 publiziert werden sollte. In ihm wurden die geschilderten Leben, naturgemäß, weiter kondensiert. Für den Komplex des Albigenserfeldzugs benötigte Haraeus nur wenige Zeilen. 78 In der zweiten Ausgabe von 1605 kündigte Haraeus bereits auf dem –––––––— 76

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In tomvm tertivm de Actis Sanctorvm mensis Febrvarii præfatio ad amplissimvm et admodvm reverendvm Dominvm ac Patrem Norbertvm Van Covwerven celeberrimæ Ecclesiæ S. Michaelis Canonicorvm Ordinis Præmonstratensis Antverpiæ Abbatem, eivsque religiosissimvm conventvm, in: AASS Februarii, Bd. 3, 1658, S. IX–XIX, hier S. XVIIa: „Qvamquàm, farrago hæc ita collectarum […] Vitarum, quæ vario olim stylo conscriptæ fuerunt, sæpe incompto ac rudi, chaos quoddam ac moles indigesta existimari cuipiam queat; non ita tamen se rem habere deprehendet, qui legendo sese profundiùs in hanc siluam, primo licet aspectu horridam, immiserit. Dedimus enim operam, vt omnia scitè & accomodatè collocarentur, tamque multa adhibuimus ad subleuandum lectorem, nihil vt eum magnoperè morari, aut tædium ei asserrere possit.“ Brenda Dunn-Lardeau, Le conseguenze dell’Umanesimo e del Concilio di Trento sulla scrittura agiografica, in: Luongo (Hrsg.), Erudizione (2000), S. 19–35. Hier wurde die zweite Ausgabe benutzt: Vita B. Gvilielmi, Archiepiscopi Bitvricensis, Ordinis Cistertiensis. X. Ianvarii, in: DE VITIS || SANCTORVM || OMNIVM NATIONVM, || ORDINVM ET TEMPORVM, EX || VII. Tomis R. P. F. Laurentij Surij || Carthusiani, || COMPENDIVM, || SVMMA FIDE DIGESTVM, PHRASI AVCTORVM || seruata, imitatione BEDÆ, VSVARDI, ADONIS, & ex recen- || tioribus Dn. IOANNIS MOLANI; Additis etiam alijs || plurimis fide dignis Sanctorum

501 Titelblatt an, die Biographien nun mit Erläuterungen, vor allem zur Chronologie, versehen zu haben. Diese sollten sich, neben den Schriften Van der Meulens, auf die inzwischen erschienenen Annales ecclesiastici Baronios stützen. Die historiographische Welt begann sich mit und seit den Annales ecclesiastici in der Tat zu verändern. Einige der oben zitierten Auffassungen zum historiographischen Impetus von Surius dürften daraus erwachsen sein, dass diejenigen, die sie vorbrachten, nur die dritte, von Garnefeld besorgte Ausgabe von De probatis Sanctorum historiis konsultiert haben. Die Frage nach Modifikationen im zeitgenössischen Verständnis des Historischen und Historiographischen kann, wie nun zu zeigen sein wird, unter anderem im Studium von Marginalien vertieft werden. Dabei ist nicht zu erwarten, dass Baronio immer mit besonderer Gründlichkeit gelesen wurde und alle, die sich an Datierungen versuchten, diese mit eigenen empirischen Untersuchungen verbanden.

6.1.3 Geschichte – „Wilhelm“ oder „Wilhelm“? Ein genuin historisches Interesse kommt in der von Surius geleisteten Ausgabe von De probatis Sanctorum historiis nicht zum Ausdruck. Die Vita Guilielmi enthält keine Angaben zur Lebenszeit Wilhelms von Donjeon. Dies ist in De probatis Sanctorum historiis die Regel. Wer nicht wusste, wann genau die beschriebenen Heiligen gelebt hatten, erfuhr es auch in De probatis Sanctorum historiis nicht. Surius verwandte seine Marginalien, um auf biblische Anleihen hinzuweisen. Er exponierte markante Punkte des –––––––— historijs: || OPERA ET STVDIO FRANCISCI || HARÆI Vltraiectini, S. Theologiæ Licentiati. || Opus nouum, duplo auctum, illustratumque Chrono- || logia vbique aperta, & Notationibus varijs ex || scriptis Illustriss. Dn. CAESARIS BARONII || Cardin. Onuphrij, Molani, || & aliorum. || Adiecti sunt & Indices locupletißimi. || COLONIÆ || Ex officina Typographica Arnoldi Quentelij || Anno Domini M. DCV. || Cum gratia & priuilegio S. Cæsareæ Maiestatis, S. 27–28: „Assuit [Guilielmus] crucem vesti, cruce signantur & alij. Tandem egregiè hostes Catholicorum debellantur: occupant nostri eorum impietati subditas ciuitates Biteres & Carcassone[m]; tametsi sanctus Episcopus finem belli corporaliter non viderit, iam enim ipsius belli tempore è viuis excessit; cuius quidem talis fuit transitus.“ Ebd., S. 28. Vgl. auch die Schilderung der Wahl Wilhelms zum Erzbischof von Bourges ebd., S. 27: „Varij se offerunt Po[n]tificatum digni, inter cæteros verò & Guilielmus ex Ordine Cistertie[n]sium, Caroli loci Abbas. Adhibetur arbitrium Episcopi Parisiensis. Post variam animi fluctuationem, reponit iam dictus Episcopus sub palla altaris Abbatum nominatorum nomina; absoluit deuotè sacrificium; apprehendit schedulam, inuenit nomen iam dicti Domini Guilielmi. Nec hoc solùm. Non minima etiam pars eoru[m] qui conuenerant, eius quod egerat Episcopus planè ignari, & ipsi Episcopo procedunt obuiam; vna voce clamitant, Guilielmu[m] Abbatem, vtpote virum religiosum, iustum, sanctis moribus conspicuum, sacris institutum literis, illustri ortum prosapia reliquis omnibus debere anteferri. Ita scilicet ille compulsus, accedente simul Abbatis Cistertiensis mandato, licet valde reniteretur, velle cogitur quod nolebat.“

502 Lebenswegs der dargestellten Personen, ihre Tugenden und Handlungen. 79 Haraeus hatte für die zweite Ausgabe des Compendium einen Versuch der Datierung des Lebens des hl. Wilhelm von Donjeon unternommen. Er glossierte: „Er ist etwa im Jahr 1136 verstorben.“ 80 Damit verfehlte Haraeus den Tod und mit ihm ein keineswegs randständiges Ereignis wie den Albigenserfeldzug um 73 Jahre. In korrekteren Zeiträumen hatte sich hingegen schon Petrus de Natalibus bewegt, als er Wilhelms Episkopat im Jahr 1189 – nach heutiger Kenntnis allerdings 1200 – beginnen ließ. Insgesamt sah Petrus den hl. Wilhelm „zur Zeit des Kaisers [!] Philipp“ am Wirken. 81 Stellt man in Rechnung, dass Petrus ein Protagonist des 14. Jahrhunderts war, dann hatte sich genauere Kunde anscheinend schnell verloren. Der allein personalen Datierung folgte noch Ferrari im Catalogus generalis Sanctorum, als er, mit Surius und Petrus de Natalibus, Wilhelm „unter König Philipp“ als Bischof von Bourges agieren sah. Er sei durch Honorius III. kanonisiert worden. 82 Die Nennung von Zahlen war auch im Catalogus generalis Sanctorum nicht die Regel. Die Tatsache, dass viele Heilige der Zuordnung in das allgemeiner Geflecht von Zeit und Raum bedurften, veranschaulicht sich anhand der Abschrift des Martyrologs aus dem Kollegiatstift St. Maria zu Utrecht, das den Bollandisten vorlag. Diese Abschrift wurde mit einem alphabetischen Inventar seiner Bestände beschlossen. Es war tabellarisch nach Festtag („Dies“), Name („Nomen“), Status („Conditio“), Ort („Locus“) und Zeit („Tempus“) gegliedert. In dieser Reihenfolge indizierte die Nomenklatur zugleich eine abnehmende Dichte der zu den Heiligen je vorliegenden Informationen. Die Kategorie „Tempus“ war kaum je gefüllt, 83 und wenn,

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Vita S. Guilhelmi, in: Surius, De probatis Sanctorum historiis, Bd. 1, 1570, 10. Jan., S. 224 marginal: „Petitur in episcopum Guilhelm[us] abbas.“ Ebd., S. 225 marginal: „Humilitati p[rae]cipuè studet.“ Ebd., S. 226 marginal: „Luc. 10.“ Vita B. Gvilielmi, Archiepiscopi Bitvricensis, Ordinis Cistertiensis, in: Haraeus, Compendium, 21605, S. 27 marginal: „Obijt circiter Anno 1136.“ Vgl. De s[an]cto Guilielmo archiepiscopo, in: Petrus de Natalibus, Catalogus Sanctorum, [1513], lib. II, c. LXIII, Bl. XXVr–v, hier Bl. XXVr: „Wilielmus ep[iscop]us Bituricen. floruit t[em]p[or]e Philippi imp[er]atoris: qui anno d[omi]ni. M.clxxxix. in episcopatu[m] p[ro]motus est.“ Vgl. Ferrari, Catalogus generalis Sanctorum, 1625, 10. Jan., S. 20: „Bituricis in Gallia S. Gulielmi episcopi“, mit der Anmerkung ebd., S. 21a: „Is Episcopus […] Bituricen. fuit sub Philippo Rege, de eo Pet. in Cat. lib. 2. c. 63. Vita apud Sur. tomo I. Illum Honor. III. Pont. Max. in SS. numerum retulit.“ Vgl. zu Wilhelms Amtsdaten Gerhard Lubich, Art. Wilhelm v. Donj(e)on, in: LThK, Bd. 10 (32001), Sp. 1175. Vgl. Martyrologium MStum Ecclesiæ S. Mariæ Vltraiecti canonicorum, BRB, Ms. 7762 (497), fol. 96r: „[…] || ¢Dies² 18 Jun ¢Nomen² Siriacus ¢Conditio² [latet] ¢Locus² in Hispan. ¢Tempus² [latet] || ¢Dies² 12 Sep ¢Nomen² Syrus ¢Conditio² Ep[iscop]us et C[onfessor] ¢Locus² apud vrbem Ticinum ¢Tempus² [latet] || […]“.

503 dann bestenfalls im Rekurs auf ein Martyrium „sub Traiano“ und Ähnliches. 84 Haraeus’ Datierung wurde von Bolland mit wenig Wohlwollen bedacht. 85 Sie ist vermutlich dadurch zu erklären, dass Haraeus diesen Wilhelm mit dem – nach heutiger Kenntnis – 1137 verstorbenen Herzog Wilhelm X. von Aquitanien (reg. 1127–1137) verwechselte. Wilhelm X. wurde im Regelfall jedoch weniger mit Wilhelm von Donjeon, sondern mit dem 1157 verschiedenen hl. Wilhelm von Malavalle in eins gesetzt. In der Überlieferung der Wilhelmiten tendierte dieser ferner zur Identität mit dem ehemaligen Grafen von Toulouse, dem hl. Wilhelm von Gellone († 812), und assoziierte sich insgesamt mit Elementen aus den Leben verschiedener hochmittelalterlicher Herzöge von Aquitanien mit Namen Wilhelm. Henschen widmete sich den daraus resultierenden, „zahlreichen […] Irrtümern und Fabeln“ in einem umfangreichen Commentarius praevius innerhalb des Dossiers des hl. Wilhelm von Malavalle. 86 Dass Haraeus nicht besser in–––––––— 84

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Vgl. ebd.: „[…] || ¢Dies² 18 feb. ¢Nomen² Simeon ¢Conditio² Ep[iscop]us et M[artyr] ¢Locus² Jerosolymis ¢Tempus² sub Traiano || […]“. Vgl. zu diesem Martyrolog oben S. 138 mit Anm. 112. De S. Guilielmo, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, 10. Jan. [Einleitung], S. 628b: „[…] Franciscus Haræus, qui […] fœdè hallucinatur dum mortuum tradit circiter annum 1136.“ Vgl. Henschen, De S. Guilielmo Magno, AASS Februarii, Bd. 2, 1658, 10. Feb. Commentarius præuius, S. 433a: „[…] multis […] erroribus fabulisq[ue] […].“ Vgl. insbesondere c. 1. Antiquiores Duces Aquitaniæ. Ex his S. Guilielmus sub Carolo Magno constitutus ante annum DCCC, dein monachus Gellonensis, qui & S. Guilielmus Magnus & eremita illo, CCCL annis iunior, pro vno eodemque à variis habiti, ebd., S. 433–435; c. 2. Sex Guilielmi Duces Aquitaniæ: ab anno DCCCLX ad annum MLX: nonnullorum & S. Guilielmi eremita res gestæ confusæ, ebd., S. 435– 437; c. 3. Alij duo Guilielmi Duces Aquitaniæ ab anno MLVIII ad annum MCXXVI, pro eodem S. Guilielmo perperàm sumpti, neque ab inuicem satis distinctis, ebd., S. 437f.; c. 4. Guilielmus vltimus Dux Aquitaniæ & S. Guilielmus Magnus pro vno eodemque passim habiti: illius apud Compostellam obitus anno MCXXXVII, humiliter in Stablo-Rodis anno MCLVII, ebd., S. 438–441. Vgl. dazu Kaspar Elm, Art. Wilhelm v. Malavalle, in: LThK, Bd. 10, 21965, Sp. 1137. Elm weist hier allein auf die Identifizierung Wilhelms von Malavalle mit Herzog Wilhelm X. von Aquitanien hin. An anderer Stelle akzentuiert ders., Art. Wilhelmiten, in: LexMA, Bd. 9, 1998, Sp. 197f., hier Sp. 198, ausschließlich die Gleichsetzung Wilhelms von Malavalle mit Herzog Wilhelm IX. von Aquitanien (reg. 1086–1126). Vgl. auch Ursula VonesLiebenstein, Art. Wilhelm X., in: ebd., Sp. 142f., hier Sp. 143. Vones-Liebenstein erwähnt die zur Zeit des Schismas durch Bernhard von Clairvaux bewirkte Anerkennung des Papsttums Innozenz’ II. (reg. 1130–1143) durch Wilhelm X. Diese Episode habe „zu einer späteren Legendenbildung und im 17. Jahrhundert sogar zu seiner Heiligsprechung“ geführt. Ohne Hinweis auf die Vermischung mit der Tradition der Wilhelmiten ist diese Information allerdings schwer zu verstehen. Alexander III. hatte für Wilhelm von Malavalle eine auf die Diözese Grosseto beschränkte Kulterlaubnis ausgesprochen. Sie wurde durch Innozenz III. (reg. 1198–1216) bestätigt und scheint schon zeitgenössisch als allgemeine Kultapprobation verstanden worden zu sein. Vgl. Veraja, Beatificazione (1983), S. 20; Krafft, Papsturkunde (2005), S. 153 Anm. 270, S. 262f. mit Anm. 288, 289. Weitere Konzessionen oder Aufnahmen in

504 formiert war, hatte auch damit zu tun, dass die Annales ecclesiastici mit dem Jahr 1198 endeten und das Wirken Wilhelms von Donjeon nicht mehr erfasst war. 87 Haraeus scheint folglich zu einer anderen der dort genannten Personen mit Namen Wilhelm gegriffen zu haben, dem nach Baronio in der Tat 1136 verschiedenen Herzog von Aquitanien, wiewohl bereits Baronio die Möglichkeit der Vermengung dieses Wilhelm mit Wilhelm von Malavalle zu bedenken gegeben hatte. 88 Man mag den frühen Bollandisten entgegenhalten, dass es nicht besonders originell war, unter anderem Surius’ Text der Vita Wilhelms von Donjeon zu reproduzieren. Anders als Surius interessierten sie sich aber sehr wohl dafür, wer jene Leute waren, von denen in diesem Dokument die Rede war, und von welchen Handlungen berichtet wurde. Während die Marginalien in den Acta Sanctorum, ähnlich wie bei Surius oder Haraeus, zumeist dazu dienten, Bibelstellen zu markieren und die Lektüre zu strukturieren, 89 wurde die inhaltliche Kommentierung in alphabetisierten Endnoten organisiert geleistet. Der Pariser Erzbischof, der Wilhelms Wahl geleitet hatte, wurde von Bolland mit Jean Chenus (1559–1627) zuerst 1603 publizierter Chronologia historica patriarcharum, archiepiscoporum Bituricensium, Roberts Gallia christiana und der erstmals 1608 durch Camusat veröffentlichten Chronik Roberts von St. Marianus zu Auxerre († 1212) als Odo von Sully († 1208), Bruder des eben verstorbenen Erzbischofs von Bourges Heinrich von Sully († 1199), identifiziert. 90 Der in der Vita seinerseits na–––––––—

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den allgemeinen Heiligenkanon des Katholizismus sind aus der hier konsultierten Literatur mit Blick auf das 17. Jahrhundert für keinen der besagten Wilhelme nachweisbar. Vgl. zu den französischen Heiligen, deren Fälle im 17. Jahrhundert in Rom verhandelt wurden, Suire, Sainteté (2001), S. 368, 371–376; vgl. ferner die Listen von Löw, Art. Beatificazione, in: EncCat, Bd. 2, 1949, Sp. 1098; ders., Art. Canonizzazione, in: EncCat, Bd. 3, 1949, Sp. 569–607, hier S. 599f.; Veraja, Beatificazione (1983), S. 87. Baronio, Annales ecclesiastici, Bd. 12: Incipiens ab Anno Domini M. C. perducitur vsq[ue] ad Annum M. C. XCVIII. nempè ab Anno primo Paschalis Papæ II. ad vltimum Cælestini III. continet annos XCVIII., ed. nov. 1624, Sp. 913, Nr. I–III, ad an. 1198. Vgl. ebd., Sp. 259–261, Nr. XXIII–XXV, ad an. 1136. Vgl. De S. Guilielmo, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, 10. Jan. Vita a Surio, S. 628b marginal: „Episcopo Parisiensi electio Episcopi Bituricensis defertur.“ Ebd., S. 629b marginal: „Habitus austeritas.“ Vgl. ebd., S. 628b: „Cvm ex hac luce migrasset felicis memoriæ (a) Henricus Bituricensis Archiepiscopus […].“ Ebd., S. 629b Anm. a: „Henricus de Soliaco, obiit III. Id. Septembr. 1200. vt habet Claudius Robertus, & Ioannes Chenu.“ Ebd., S. 628b: „Sed cùm primùm inter se non concordarent, tandem ex instinctu Spiritus sancti in eam pariter iêre sententiam, vt Ecclesiæ Parisiensis, (c) Antistitem, qui ex illorum collegio ad id erat dignitatis assumptus, accersirent, eius in Episcopo eligendo consilio & prudentiâ vsuri.“ Ebd., S. 629b Anm. c: „Is fuit Odo de Soliaco, frater Henrici Bituricensis.“ Ebd., S. 633b: „Sed […] cùm B. Guilhelmus audiuisset, migrasse ex hoc seculo venerabiles Antistes, (a) Turonensem & Parisiensem, […].“ Ebd., S. 634a Anm. a: „Odonis Episcopi Parisiensis mortem an. 1208. refert Chroni-

505 menlose französische König, gegen dessen Übergriffe Wilhelm die kirchlichen Rechte verteidigt habe, wurde als Philippe (II.) Auguste ausgemacht, der nach dem Tod seines Vaters Ludwig VII. am 18. September 1180 zu herrschen begonnen habe und am 14. Juli 1223 verstorben sei. 91 Ferner wies Bolland seine Leserinnen und Leser auf die Herrschaftsdaten jenes Papstes Innozenz hin, 1198 bis zum 16. Juli 1216, der sich zunächst mit zisterziensischen Legaten und später mit dem Schwert gegen die Albigenser gewandt habe. 92 Das Kapitel zum Albigenserfeldzug eröffnete er mit einer erklärenden Endnote zur Herkunft des Namens, zu theologischen Grundsätzen der Albigenser und listete summarisch die darüber berichtenden historiographischen Werke auf. 93 Diese Informationen hatte er ohne Ausnahme aus der Einleitung der von Camusat 1615 gedruckten Ausgabe der Historia Albigensis des Zisterziensers Pierre des Vaux-de-Cernay adaptiert. Camusat hatte an dieser Stelle Exzerpte aus den Schriften jener Historiographen –––––––—

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con Autisiod. cum eximiâ illius commendatione. […].“ Vgl. Roberti Canonici S. Mariani Autissiodorensis Chronicon, hrsg. v. Oswald Holder-Egger, in: MGH SS, Bd. 26, Hannover 1882, S. 226–276, hier S. 272, ad an. 1208: „Odo Parisiensis episcopus obit, vir emulator virtutis et viciorum egregius insectator […].“ Vgl. zur Erstausgabe Holder-Egger, [Einleitung], in: ebd., S. 219–226, hier S. 226. Vgl. CHRONOLOGIA || HISTORICA PATRIARCHARVM, || ARCHIEPISCOPORVM BITVRICENSIVM || & Aquitaniarum Primatum. || ANNO M. DC. III. PRIMO EDITA: || Nunc verò editioni secundæ acceßit Catalogus || Decanorum Ecclesiæ Bituricensis. || CVM NOTITIA ARCHIEPISCOPATVVM, || Episcopatuum Prouinciæ Bituricensis, simul & Abbatiarum, || aliorúmque Beneficiorum Diœcesis Bituricensis. || Auctore IOANNE CHENV Biturico, in Parisiensi || Senatu Patrono. || PARISIIS, || Apud ROBERTVM FOÜET, via Iacobæa, sub signo || Temporis & Occasionis. || M. DC. XXI. || CVM PRIVILEGIO REGIS, S. 55–57. Chenu hatte Wilhelm hier als den 68. und zwischen 1200 und 1209 regierenden Bischof von Bourges ausgewiesen. Der Hinweis auf die Chronik Roberts von Auxerre findet sich bereits bei ihm ebd., S. 56. Vgl. zu Heinrich von Sully ebd., S. 54f., und Robert, Gallia christiana, 1626, S. 41f., Zitat S. 41a: „[…] obiit 3. Idus Septembris 1200. […].“ Vgl. De S. Guilielmo, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, 10. Jan. Vita a Surio, S. 632a: „(a) Regem Francorum, alioqui Christianissimu[m], ob caussas quasdam, quæ in Ecclesiastici iuris detrime[n]tum cederent, diu iratum patienter sustinuit.“ Ebd., S. 632b Anm. a: „Is fuit Philippus Augustus, qui mortuo an. 1180. 18. Septemb. feriâ 5. Ludouico VII. patre, solus cœpit regnare, annum agens ætatis 16. obiit 14. Iulij. 1223.“ Vgl. ebd., S. 632b: „Ad horum indoctam doctrinam confutandam, sanandamque insaniam, missi sunt à sanctissimo Pontifice (b) Innocentio (c) viri religiosi Cisterciensis Ordinis, multâ sanctitate conspicui: […].“ Ebd., S. 633a Anm. b: „Is sedit ab initio an. 1198. vsque ad 16. Iulij 1216.“ Ebd., Anm. c: „Primi fuêre Petrus de Castronouo, […] & Radulphus, monachi Cistercienses: dein alij.“ Vgl. ebd., S. 632b: „Eo namque tempore in Aquitaniâ, in extremi Regis finibus, (a) hæretici Ecclesiam Dei adeò exagitarunt, vt penè mergi videretur.“ Ebd., S. 633a Anm. a: „Ii Albigenses dicti ab Albigâ Cadurcorum oppido, docebant templa dirui, cruces deiici oportere, in Eucharistiâ verum Christi corpus non esse, preces ad Deum pro mortuis fieri, &c. Belli aduersus eos suscepti historia[m] descripsit Petrus monachus Vallis-Sarnensis, ordinis Cisterciensis, qui tum vivebat. De iis agunt Papirius Massonus in Philippo Augusto, Nauclerus tom. 2 ad an. 1212. Mathæus Paris in Ioanne Rege, Cæsarius, aliiq[ue].“

506 zusammengestellt, die auf den Albigenserfeldzug zu sprechen gekommen waren. 94 Hier hatte er jene Bemerkungen aus den Annalium libri IIII. des Humanisten Jean Papire Masson (1544–1611) zitiert, die Bolland für seinen kleinen Sachkommentar benutzte. 95 Auf analoge Weise hatte Camusat die anderen Werke präsentiert, die von Bolland genannt worden waren, Nauclers Memorabilium omnis aetatis et omnium gentium chronici commentarii, 96 Matthew Paris’ Chronica majora 97 und den von Bolland nur als „Cae–––––––— 94

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Vgl. Pierre des Vaux-de-Cernay, Historia Albigensium, ed. Camusat, 1615. Benevolo lectori [unpaginiert]. Excerpta ex avthoribvs qvi de Albigensibus obiter scripserunt, ebd., [S. 9–22]. Vgl. Ex Pap. Massono lib. 3. hist. Franc. in Philip. Aug., ebd., [S. 19–22], hier [S. 19], mit Zitat aus: PAPIRII MAS- || SONI ANNALIVM || LIBRI QVATVOR: || Quibus res gestæ Francorum explicantur. || AD HENRICVM TERTIVM || Regem Franciæ & Poloniæ. || LVTETIÆ, || Apud Nicolaum Chesneau, via Iacobæa, || sub Quercu viridi. || M. D. LXXVII. || CVM PRIVILEGIO REGIS, S. 286: „Albiga est ciuitas Cadurcorum ad auriferum Tarnem posita, à qua Albigenses dicebantur, qui sectam Catholicæ contrariam laudabant. Philippus respondit se quidem id munus minimè suscepturum, neque Ludouicum filium, propter Othonis Cæsaris ac Ioannis Regis aduersus eos coniurationem: permissurum tamen proceribus subditisque suis ad id bellum, si vellent, proficisci. Sectæ aute[m] illius originem paulò altiùs repetam. Ludouico septimo Rege, Petrus cognomine Brusius, in Septimania & finitimis Volcarum populis, docebat templa dirui, cruces deiici oportere: in Eucharistia verum Christi corpus non esse: preces ad Deum pro mortuis frustra fieri. hæc & alias cùm docuisset, comprehensus atque igni crematus est apud Ægidij oppidum Volcarum.“ Masson hatte die Herrschaft Philippe Augustes ebd., S. 267–312, dargestellt. Vgl. zu Autor und Werk Pierre Ronzy, Un humaniste italianisant. Papire Masson (1544–1611) (Bibliothèque de l’Institut Français de Naples. Première Série: Études d’histoire et de critique 1), Paris 1924, S. 228–255. Vgl. Pierre des Vaux-de-Cernay, Historia Albigensis, ed. Camusat, 1615. Benevolo lectori [unpaginiert]. Excerpta. Ex Navclero tom. 2. Chronolog. gener. 41. ad an. 1212., ebd., [S. 16–19], hier [S. 16]: „Per hos dies in Narbonensi prouincia, quam vulgo Linguam Occitanam appellitant, […].“ Vgl. D. IOHANNIS || NAVCLERI PRAEPOSITI TVBINGEN. || CHRONICA, || succinctim co[m]præhendentia res memorabiles || seculoru[m] omnium ac gentium, ab initio || mundi vsq[ue] ad annum Christi nati || M. CCCCC. || Cum Auctario Nicolai Baselij ab anno Domini || M.D. I. in annum M. D. XIIII. || Et Appendice noua, cursim memorante res interim ge= || stas, ab anno videlicet M. D. XV. vsq[ue] in annu[m] || prĊsentem, qui est post Christum natum || M. D. XLIIII. || Rhapsodis partim D. Cunrado Tigemanno, || partim Bartholomæo Laurente. || Quod editioni huic tribuendum sit, facile iudicabit is qui vel pri || mam huius ChronographiĊ editionem probe norit, vel || hanc cum illa seu quauis alia conferre non grauetur. || Coloniæ ex officina Petri Quentel, anno Christi na= || ti M. D. XLIII. mense Martio, S. 807: „Per hos etia[m] dies in Narbonen. prouincia, quam vulgo Lingua[m] Occitana[m] appellita[n]t, […].“ Vgl. Pierre des Vaux-de-Cernay, Historia Albigensis, ed. Camusat, 1615. Benevolo lectori [unpaginiert]. Excerpta. Ex Mathaeo Paris in hist. Angl. sub an. 1213 in Ioan. rege, ebd., [S. 15f.], hier [S. 15]: „Circa dies istos, hæreticorum prauitas, qui Albigenses appellantur, in Wasconia […].“ Vgl. Matthæi Parisiensis monachi Sancti Albani, Chronica majora, hrsg. v. Henry Richards Luard, Bd. 2: A. D. 1067 to A. D. 1216 (Rerum Britannicarum Medii Ævi Scriptores, or Chronicles and Memorials of Great Britain and Ireland during the Middle Ages [57,2]), London 1874, S. 554: „Circa dies istos hæreticorum pravitas, qui Albigenses appellantur, in Wasconia […].“

507 sarius“ apostrophierten Dialogus miraculorum des Caesarius von Heisterbach († nach 1240). 98 Auf diesen Wegen setzten die Bollandisten, mit wachsender Systematik, die ihnen vorliegenden Einzelstücke mit anderen historiographischen Debatten und Dokumenten in Beziehung. Man wird kaum sagen können, dass es eine unangemessene Unterwerfung der Viten unter das Votum des Historiographen bedeutete, wenn man sich bemühte, zu verstehen, um was es in diesen Viten überhaupt ging. Die devotionalen Zwecke hagiographischer Lektüren wurden dadurch nicht ersetzt, sondern um die Frage nach den zeiträumlichen und literarischen Beziehungsgeflechten ergänzt, in denen die in den Viten erwähnten Personen, Orte und Sachverhalte gestanden haben mochten. Selbst die von Garnefeld besorgte dritte Ausgabe von De probatis Sanctorum historiis lässt einen solchen Anspruch kaum erkennen, obschon sich Garnefeld bemühte, einige komplementäre Daten beizubringen und die Wirkungszeit der Heiligen chronologisch einzuordnen. Letzteres geschah mit Hilfe von marginal angebrachten Jahreszahlen. Zumeist handelte es sich um Dezimalien. Im Fall des hl. Wilhelm von Donjeon glossierte er: „An. 1200“, 99 in dem der hl. Genovefa: „An. 460“. 100 Garnefelds Modifikationen –––––––— 98

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Vgl. Pierre des Vaux-de-Cernay, Historia Albigensis, ed. Camusat, 1615. Benevolo lectori [unpaginiert]. Excerpta. Ex Caesario Heisterbacensi in opere dialogistico, ebd., [S. 12–15], hier [S. 12]: „Temporibus Innocentij Papæ prædecessoris huius, qui nu[n]c papatum tenet Honorij […].“ Vgl. ILLVSTRIVM || MIRACVLORVM || ET || HISTORIA- || RVM MEMORABI- || LIVM LIB. XII. || Ante annos ferè CCCC. à CAESARIO HEISTER- || BACHCENSI, ordinis Cisterciensis, Coloniensis diœce- || sis, vero venerandæ pietatis & reconditæ doctrinæ, || de ijs, quæ sua ætate memoratu digna conti- || gerunt, accuratè conscripti: || Ab omnibus quidem Orthodoxæ religionis & veræ || pietatis amantibus, propter euidentem vtilita- || tem & iucunditatem, diu desiderati: || Nunc ab innumeris mendis, quibus incuria veterum scri- || ptorum & Chalcographorum scateba[n]t, diligenter || repurgati, & recens in lucem editi. || ANTVERPIÆ || Ex Officina Typographica Martini Nutij, || ad intersigne duarum Ciconiarum, || Anno M. DC. V. || Cum gratia & Priuilegio, lib. V, c. 21, S. 287: „Temporibus Innocentij Papæ prædecessoris huius, qui nunc papatum tenet Honorij, […].“ Die Literatur zu diesen Werken ist umfangreich. Vgl. in Auswahl Jacques Berlioz, „Tuez-les tous, Dieu reconnaîtra les siens.“ Le massacre de Béziers (22 juillet 1209) et la croisade contre les Albigeois vus par Césaire de Heisterbach, Portet-sur-Garonne 1994; Elaine Graham-Leigh, Justifying Deaths. The Chronicler Pierre des Vaux-deCernay and the Massacre of Béziers, in: Mediaeval Studies 63 (2001), S. 283–303; Jörg Oberste, Der „Kreuzzug“ gegen die Albigenser. Ketzerei und Machtpolitik im Mittelalter, Darmstadt 2003, S. 65–71; Christopher M. Kurpiewski, Writing beneath the Shadow of Heresy. The „Historia Albigensis“ of Brother Pierre des Vaux-deCernay, in: Journal of Medieval History 31 (2005), S. 1–27. Vita Sancti Gvilhelmi, Archiepiscopi Bitvricen. Ordinis Cisterciensis, praecipve qvam gessit toto illo tempore, quo fuit Pontifex; scripta ab eius quodam contemporaneo, & qui satis indicet, se res compertas, & sui temporis conscribere; qui tamen quod in plerisq[ue] verbosior esse videatur, per F. Lauren. Surium, mutato stylo, in compendium redactus est, in: Surius, Vitae Sanctorum, 3. Ausg. [ed. Garnefeld], Bd. 1,1, 1617, 10. Jan., S. 156–162, hier S. 156 marginal.

508 waren zunächst formaler Natur. Gegenüber Surius führte er in die Lebensbeschreibungen eine Absatzgliederung mit marginaler Zählung in römischen Ziffern ein (I., II., III., …). Diese dürften sich an der analogen Anlage der Annales ecclesiastici orientiert haben. Sie sollten wahrscheinlich die Zitierbarkeit erleichtern. Ferner implantierte Garnefeld eine alphabetisierte (a, b, c, …), auf jeder Seite neu ansetzende Struktur von Marginalnoten. Diese gaben den alten Marginalien gewissermaßen Halt, durch die nun präziser auf Passagen des Primärtexts verwiesen werden konnte. Teilweise änderte sich im Vergleich mit den von Surius implantierten marginalen Lektürehilfen inhaltlich so gut wie nichts. 101 Teilweise wurden sie aber auch zur punktuellen historischen Kommentierung genutzt. Die ansonsten kaum modifizierte Marginalstruktur zur Vita Genovefas beispielsweise erhielt von Garnefeld einen Querverweis auf die Vita Sancti Germani, 102 der von Baronios Darstellung inspiriert gewesen sein dürfte. 103 –––––––— 100 101

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Vita Genovefæ sanctissimæ Virginis, ex vetvstis mss. codicibvs descripta, mutato stylo, per F. Laurent. Surium, in: ebd., 3. Jan., S. 55–59, hier S. 55 marginal. Vgl. Vita Sancti Guilhelmi, in: ebd., S. 156 Marginalnote a: „Henricus Archiepisc. Bituricensis.“ Ebd., Marginalnote b: „Ordinis Cisterciensis sanctitas.“ Ebd., Marginalnote c: „Petitur in Episcopum Guilhelm[us] Abbas.“ Ebd., Marginalnote d: „Eligitur ab omnib.“ Ebd., Marginalnote e: „In vita S. Paulæ.“ Marginalnote f: „Compellitur electioni assentire.“ Ebd., Marginalnote g: „No[n] deponit habitu[m] monasticu[m].“ Ebd., S. 157 Marginalnote a: „Nunquam vescitur carnibus.“ Ebd., Marginalnote b: „Humilitati præcipue studet.“ Ebd., Marginalnote c: „Cur erga lapsos fuerit lenior.“ Ebd., Marginalnote d: „Erga peccantes vt se gesserit.“ Ebd., Marginalnote e: „Benignitas in pauperes.“ Ebd., Marginalnote f: „Hinc potest colligi, authore[m] huius historiæ res compertas scribere.“ Ebd., Marginalnote g: „Miracula eius.“ Ebd., Marginalnote h: „Non temerè ad faciendam confessionem hortatur.“ Mit der einen Ausnahme der Note e: „Benignitas in pauperes“, die Garnefeld eingefügt hatte, entsprach dies vollständig Surius’ ursprünglicher Glossierung: Vita S. Guilhelmi, in: Surius, De probatis Sanctorum historiis, Bd. 1, 1570, 10. Jan., S. 223 je marginal: „Henric[us] Archiepiscop[us] Beturicen[sis].“; „Ordinis Cistercie[n]sis sanctitas.“ Ebd., S. 224 je marginal: „Petitur in episcopum Guilhelm[us] abbas.“; „Eligitur ab omnibus.“; „In vita S. Paulæ.“; „Compellitur electio[n]i assentire.“ Ebd., S. 225 je marginal: „Non deponit habitum monasticu[m].“; „Nunq[uam] vescit[ur] carnib[us].“; „Humilitati p[ræ]cipuè studet.“; „Cur erga lapsos fuerit lenior.“; „Erga pecca[n]tes vt se gesserit.“ Ebd., S. 226 je marginal: „Hinc potest colligi, authore[m] huius historiæ res compertas scribere.“; „Miracula eius.“; „No[n] temerè ad facienda[m] confessione[m] hortatur.“ Auch Surius’ Hinweise auf biblische Anleihen wurden von Garnefeld reproduziert. Sie wurden allerdings nicht in die neue Alphabetisierung einbezogen. Vgl. Vita Genovefae sanctissimae Virginis, ex vetvstis manvscriptis codicibvs descripta, sed mutato stylo, per F. Laurentium Surium, in: Surius, De probatis Sanctorum historiis, Bd. 1, 1570, 3. Jan., S. 102–108, hier S. 108: „Occurit autem illis vtriusq[ue] sexûs ingens turba vici illius, benedictionem petens, & inter alios Genouefa quoquè adolescentula, pare[n]tum vestigijs insistens, illis obuiàm processit: quam cùm sanctus Germanus procùl esset intuitus, […].“ Vgl. Vita Genovefæ, in: Surius, Vitae Sanctorum, 3. Ausg. [ed. Garnefeld], Bd. 1,1, 1617, 3. Jan., S. 55: „[…] illis obuiam processit: quam (d) cum sanctus Germanus procul esset intuitus, […].“ Ebd., Marginalnote (d): „Vide vita[m] S. Germanii Antesiodorens. 31. Iulij lib. 1. c. 20. & 21.“

509 Mit größerer Intensität hatte sich Garnefeld um die Lebensbeschreibung des Reimser Bischofs Remigius (reg. 459/60–um 530) bemüht. Surius hatte sie in der Version Hinkmars von Reims (reg. 845–882) publiziert. Seinem üblichen Vorgehen entsprechend hatte Surius die Leserinnen und Leser ohne Hinweise auf beider Lebenszeit zurückgelassen. 104 Garnefeld hingegen glossierte: „An. 470“. In der Titelzeile informierte er darüber, dass Remigius der 15. Erzbischof von Reims gewesen sei und dass der Autor der Lebensbeschreibung „circa annum Domini 850“ gelebt habe. 105 In einer Marginalnote gab er die in den Annales ecclesiastici anlässlich der Ordination Flavius’ von Reims (reg. spätestens 535–vor 549) aufgeworfene Frage nach der Plausibilität des von Hinkmar gelieferten Datenmaterials wieder, Remigius’ lange Amtsdauer und hohes Lebensalter betreffend. 106 In anderen Noten präsentierte Garnefeld, seinerseits im Rekurs auf die Annales ecclesiastici, das eine oder andere ereignisgeschichtliche Datum. 107 Weitere Noten –––––––—

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Vgl. Vita Sancti Germani Episcopi Antisiodorensis, avthore Constantino presbytero, in: Surius, Vitae Sanctorum, 3. Ausg. [ed. Garnefeld], Bd. 4,1, 1618, 31. Juli, S. 358– 369, hier S. 363f., Nr. 20, 21. Vgl. Baronio, Annales ecclesiastici, Bd. 5: Incipiens ab exordio Imperij Arcadij & Honorij Augustorum, Anno Domini CCC. XCV. perueniens vsque ad CCCC. XL. continet annos XLV. ita dispositus, vt commodè sextus tomus à S. Leone Magno Pontifice Maximo inchoetur, ed. nov. 1624, ad an. 429, Nr. XI, Sp. 589 mit Marginalnote e, in der auf diese Stelle referiert wurde. Vgl. Vita S. Remigii, Rhemorvm Archiepiscopi, scripta ab Hincmaro, aeqve Rhemensi Archiepiscopi, in: Surius, De probatis Sanctorum historiis, Bd. 1, 1570, 13. Jan., S. 271–304. Vgl. Vita S. Remigii XV. Remorvm Archiepiscopi, scripta ab Hincmaro, æqve Rhemensi Archiepiscopo, Claruit is circa annum Domini 850, in: Surius, Vitae Sanctorum, 3. Ausg. [ed. Garnefeld], Bd. 1,1, 1617, 13. Jan., S. 185–205, hier S. 185. Vgl. ebd., S. 199: „[…] in Episcopatu verò 74. continentissimè ac religiosissimè fidelis seruus & prudens Domino ministrauit, nonagesimo sexto (h) ætatis suæ anno, Idibus Ianuarij […].“ Ebd., Marginalnote h: „Moritur: quo autem an. & quanto tempore sederit, vide Bar. an. 541 vbi erroris arguit Hincmarum, quod annos 74 Episcopatus S. Remigij constituat, […].“ Vgl. Baronio, Annales ecclesiastici, Bd. 7: Incipiens ab Anno Domini D.XVIII. perducitur vsque ad Annum D. XC. nempe ab Anno primo Iustini Senioris, vsque ad quintum Mauritij Augusti. Complectitur annos LXXIII., ed. nov. 1624, Sp. 388, Nr. XXXVI, ad an. 541. Das hohe Lebensalter des Remigius gilt heute nicht mehr als Problem. Vgl. zur Sache Schenk zu Schweinsberg, Reims (1971), S. 70 mit Anm. 1, S. 96f. Vita S. Remigii, in: Surius, Vitae Sanctorum, 3. Ausg. [ed. Garnefeld], Bd. 1,1, 1617, 13. Jan., S. 198, zum Tod Chlodwigs I.: „Post hæc omnia mortuus est (o) Ludouicus rex in pace, & sepultus est in basilica S. Petri Apostoli, […].“ Ebd., Marginalnote o: „Ludouici regis mors anno 514. ex supputatione Baronij.“ Vgl. Baronio, Annales ecclesiastici, Bd. 6, ed. nov. 1624, Sp. 713f., Nr. XXI, ad an. 514, zum Tod Chlodwigs, sowie ebd., Sp. 716, ad an. 514, Nr. XXVIII: „Sepultus est Clodoueus Parisijs in basilica S. Petri Apostoli […].“ Baronio wies ebd., ad an. 499, Nr. XVII, Sp. 594, darauf hin, dass der Name „Chlodwig“ auch „Ludwig“ geschrieben werden könne. Vgl. zum Tod Alarichs II. († 507) Vita S. Remigii, in: Surius, Vitae Sanctorum, 3. Ausg. [ed. Garnefeld], Bd. 1,1, 1617, 13. Jan., S. 198: „Ludouicus, sicut solebat, victor extitit. || Cvmq[ue] (f) Alaricum interficeret, duo Gotthi cum co[m]tis eum ex

510 boten literarische Querverweise vor allem zur Historia Remensis ecclesiae Flodoards von Reims († 966). 108 Diese war in ihrer lateinischen Gestalt erstmals 1611 von Sirmond herausgegeben worden. In den davor liegenden Jahrzehnten hatten jedoch bereits die maßgeblichen Handschriften und einige Abschriften unter den antiquarisch interessierten Gelehrten zu kursieren begonnen. Die Brüder Pierre (1539–1596) und François Pithou (1543– 1621) besaßen zwischenzeitlich zwei der ältesten der heute noch bekannten Manuskripte. Baronio hingegen hatte die Historia Remensis noch in einer lateinischen Rückübertragung aus einer 1580 publizierten französischen Übersetzung benutzt, ehe er 1601 oder kurz danach in den Besitz einer Abschrift aus einem Reimser Manuskript von vor 1175 gelangte. 109 Die Anlage der Acta Sanctorum vor 1635 dürfte sich an diesen intensiveren Seiten der Kommentierung Garnefelds, die jedoch keineswegs systematisch und flächendeckend in den De probatis Sanctorum historiis zur Anwendung gekommen war, ausgerichtet haben. Sie scheint mit Henschens Amtsantritt allerdings schnell an Raum gewonnen zu haben, auch wenn die Dossiers der ersten Bände der Acta Sanctorum weit von jener Ausführlichkeit entfernt blieben, die sich im Laufe der Zeit etablieren sollte. In den Oktoberbänden von 1765 sollten beispielsweise allein für den Commentarius praevius im Dossier des hl. Remigius knapp 70 Folioseiten aufgewendet werden. 110 Dennoch ist selbst in einem vergleichsweise rudimentären Dossier wie dem der hl. Genovefa im ersten Januarband die bereits oben beschriebene Tendenz der Bollandisten zu erkennen, sich selbst und die eigenen Materialien aktiv in die historiographischen Debatten einzubringen. In ihrem einleitenden Kommentar sprachen sich Bolland und Henschen gegen die sich damals verfestigende Spätdatierung des Ablebens der – nach heutiger Auffassung um 502 verstorbenen111 – hl. Genovefa aus. Im Verbund mit der von Surius publizierten Vita Genovefae, in der von einer Lebensspanne

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aduerso in latere feriunt: […].“ Ebd., Marginalnote f: „Alarici cĊdes an 507. teste Baron.“ Vgl. Baronio, Annales ecclesiastici, Bd. 6, ed. nov. 1624, Sp. 647, Nr. I, ad an. 507. Vgl. Vita S. Remigii, in: Surius, Vitae Sanctorum, 3. Ausg. [ed. Garnefeld], Bd. 1,1, 1617, 13. Jan., S. 187 Marginalnote a, b, d; ebd., S. 189 Marginalglosse zu Nr. XIV; ebd., S. 190 Marginalglosse (*) zu Nr. XVI; ebd., S. 192, Marginalnote b; ebd., Marginalnote zu Nr. XXIV. Vgl. Martina Stratmann, Einleitung, in: Flodoard von Reims. Die Geschichte der Reimser Kirche/ Flodoardus Remensis Historia Remensis Ecclesiae, hrsg. v. ders. (MGH SS 36), Hannover 1998, S. 1–54, hier S. 31ff., 35, 47. Vgl. C[onstantinus] S[uyskenus], De S. Remigio Episcopo Remensi Francorum Apostolo, Remis in Campania Gallica, in: AASS Octobris, Bd. 1, 1765, 1. Okt., S. 59–187. Commentarius prævius, ebd., S. 59–128. Vgl. Martin Heinzelmann/Joseph-Claude Poulin, Art. Genovefa, in: LexMA, Bd. 4, 1989, Sp. 1237.

511 von „über 80 Jahre[n]“ die Rede gewesen war, 112 wäre mit DuBreuls Datierung der Geburt Heiligen auf 433 davon auszugehen gewesen, dass sie etwa im Jahr 514 verschieden sei. In diese Richtung schienen auch die – 1612 von DuBreul edierten – Gesta regum Francorum Aimoins von Fleury zu weisen. Zusammen mit den Ergänzungen des Florus von Lyon († um 860) zu Bedas Martyrolog, hatten sie, wie in den Acta Sanctorum referiert wurde, einigen zeitgenössischen Historiographen Anlass gegeben, die Heilige noch zur Zeit der Regentschaft Childeberts I. (reg. 511–558) am Leben zu sehen. 113 Baronio wiederum war in seinen Ausführungen zum Jahr 499, auf –––––––— 112

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Vgl. Vita Genovefae, in: Surius, De probatis Sanctorum historiis, Bd. 1, 1570, 3. Jan., S. 108: „Tandèm felici cursu longa vitæ spatia emensa, laudabiliter diem clausit extremu[m] tertio Nonas Ianuarias. Vixit annos ampliùs octoginta, peregrina mundo, venerabilis populo, deuota Christo.“ Vgl. De S. Genovefa, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, 3. Jan. [Einleitung], S. 137b: „De anno mortis sanctißimæ huius Virginis variæ sunt auctorum sententiæ. […] Breulius in Antiquit. Paris. [existimat obiisse] […] anno DXIV. MS. Florarium DXII. consentit ferè Aiomonus lib. 1. cap. 24. scribens vsque ad Clotharij & Childeberti tempora vixisse.“ Vgl. DuBreul, Theatre, 21639, S. 197: „Enuiron l’an 433. lors que Clodion, dit le Cheuelu, taschoit de poursuiure le mesme dessein de son pere Pharamond, de s’establir en Gaule, la vierge saincte Geneuiefue [!] nasquit à Nanterre, […].“ Ebd., S. 199: „En l’annee 514. premier du regne de Childebert, le 3. iour de Ianuier, la vierge saincte Geneuiefue trespassa à Paris, & ordonna que son corps fust enterré en la Chappelle sousterraine de l’Eglise sainct Pierre & sainct Paul, maintenant dite de son nom.“ Beda, Opera historica, sect. 2: Martyrologia (MPL 94) (1850), Sp. 802 (Ed. Colon. 1616), 3. Jan.: „In civitate Parisiensi sanctæ Genovefæ virginis, quæ a beato Germano Altissidorensi episcopo Christo dicata, admirandis virtutibus late claruit, et usque ad octoginta annos in Christi servitute consenuit.“ Ebd., Sp. 801 (Ed. Boll. 1665), 3. Jan.: „Eodem die Parisius Genovefæ virginis.“ Ebd., Florus in add.: „Quæ in corpore posita tantum in virtute prævaluit, ut mortuum suscitaret.“ Vgl. Aimoini Monachi Floriacensis de gestis regum Francorum libri IV, in: Rerum Gallicarum et Francicarum scriptores, nouv. ed., Bd. 3, 1869 [zuerst 1741], S. 21– 143, hier lib. II, c. 25, S. 59: „Interea bonæ memoriæ Regina Chrothildis […] apud urbem posita Turonicam migravit ad Dominum plena dierum: cujus corpus à filiis ipsis Childeberto ac Chlothario Regibus […] in sacro Basilicæ sancti Petri juxta latus viri sui est sepultum. In eodem etiam orationis domo beata Genovefa humata quiescit.“ Die Zählung der Bücher in der Ausgabe DuBreuls war eine andere. Vgl. Libri V de Gestis Francorvm, in: AIMOINI MONACHI || INCLYTI COENOBII || D. GERMANI À PRATIS,|| LIBRI QVINQVE, DE GESTIS || FRANCORVM. || EIVSDEM AIMOINI libri duo, de Inuentione & translatione corporis S. Vincentij Leuitæ || & Martyris, nunquam antea impreßi. || Abbonis, Discipuli Aimoini libri duo, de obsessa à Nortmannis Lutecia. || CHRONICON CASINENSE || LEONIS MARSICANI, CARDINALIS, || & Sanctæ Apostolicæ sedis Bibliothecarij. || Inuentio SS. corporum Placidi Abbatis, ac sociorum eius martyrum. || Liber miraculorum B. Mauri Leuitæ & Abbatis, hactenus prælo typographico ignotus. || BENEDICTINA, à Benedicto PAPA XII. nomen sortita. Et alia plura, quæ post indicem || capitum Aimoini recensita offendes. || OMNIA AVTEM STVDIO ET OPERA FRATRIS || IACOBI DV BREVL, Monachi S. Germani à Pratis. || Ad calcem est rerum ac verborum index locupletißimus. || PARISIIS, || Apud AMBROSIVM & HIERONYMVM DROVART, || sub scuto Solari via Iacobæa. || M. DCII. || CVM PRIVILEGIO REGIS, S. 1–381, hier lib. I, c. 24, S. 34.

512 ähnlichen Grundlagen, zu dem Ergebnis gelangt, dass die hl. Genovefa über dieses Jahr hinaus gewirkt habe. 114 Baronio hatte auf diesen Sachverhalt im Kontext seiner Ausführungen zu jenen Wohltätigkeiten Bezug genommen, die Chlodwig im Umfeld seiner Taufe Kirche und Volk habe angedeihen lassen. Gestützt auf die Vita Genovefae aus De probatis Sanctorum historiis hatte hier er auf den von Chlodwig begonnenen und seiner Frau Chlothilde († 544) vollendeten Bau einer Kirche über Genovefas Grab verwiesen. 115 Diese und andere Daten zusammen genommen fügten sich nach Ansicht Bollands und Henschens allerdings zu einem nur wenig stimmigen Bild: Aber wenn der hl. Germanus im Jahr 429 nach Britannien aufgebrochen ist, wie derselbe Baronio schreibt, und er die heilige Genovefa, immerhin als schon ziemlich jugendliche, angeredet und ermutigt hat, Jungfräulichkeit zu bewahren; [dann] kann sie das Jahr 500 wahrhaft nicht lange überlebt haben. Denn sie ist damals erst acht oder neun Jahre alt gewesen, also dürfte sie im Jahr 500 oder 501 80 Jahre alt gewesen sein. Jünger kann sie nicht gewesen sein, die, wie in der Vita S. Germani l. 1. cap. 21. gesagt wird, bekannt habe, schon länger durch das Verlangen nach religiösem Bekenntnis gebunden zu sein, und dafür seinen Segen erbeten habe. Wie aber verhält sich dies dazu, dass in der älteren Vita gesagt wird, dass Chlodwig eine große Kirche über ihrem Grab zu bauen begonnen hat, die später Clothilde vollendet habe? 116

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Vgl. De S. Genovefa, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, 3. Jan. [Einleitung], S. 137b: „Baronius anno 499. num. 31. ita scribit: Superstes fuit hæc admiranda virgo diutius, vtpote quam idem auctor propagasse vitam dicat vltra octoginta annos.“ Vgl. Baronio, Annales ecclesiastici, Bd. 6: Jncipiens ab Anno Domini CCCC. XL. perueniens vsque ad D. XVIII. inchoatur ab Imperio Justini senioris: complectitur Annos LXXVIII., ed. nov. 1624, Sp. 598, Nr. XXXI, ad an. 499: „Superstes fuit hæc admiranda virgo diutiùs, vtpotè quam idem auctor propagâsse vitam dicat vltrà octoginta annos.“ Vgl. ebd., Sp. 598, Nr. XXX–XXXI, ad an. 499: „Sèd cùm primùm mentionem habeat de bonis donatis Ecclesiæ in gratiam sanctæ Genouefæ sanctissimæ virginis Parisiensis, de qua plura sunt dicta superiùs; hîc recenseamus, quæ auctor Vitæ eius, qui hoc ipso vixit tempore, de eodem Clodoueo Ecclesiam erigente ait his verbis. || Gloriosæ memoriæ Clodoueus Rex, qui ob eius amorem, in carcerem retrusis sæpè veniam dedit, & ob diuersa crimina animaduersione dignißima capite plectendos, in ipso propè carnificis ictu, supplicante pro eis Genouefa, absoluerat, basilicam mirabili opere exstruendam susceperat sanctæ virginis adhortationibus permotus: quæ posteà, illo è rebus humanis excedente, studio illustrißimæ Clotildis Reginæ coniugis eius mirificè ædificata & exornatâ in sublime creuit fastigium triplici porticu insignita.“ Vgl. Vita Genovefae, in: Surius, De probatis Sanctorum historiis, Bd. 1, 1570, 3. Jan., S. 108: „[…] verum gloriosæ memoriæ Clodoueus rex, qui ob eius amorem, in carcerem retrusis sæpè veniam dederat, & ob diuersa crimina animaduersione dignissima capite plectendos, in ipso p[ro]pè carnificis ictu, supplicante pro eis Genouefa, absoluerat, basilicam mirabili opere extruendam susceperat […].“ De S. Genovefa, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, 3. Jan. [Einleitung], S. 137b: „At si anno 429. profectus in Britanniam S. Germanus, vt idem scribit Baronius, Sanctamque Genouefam, licet admodùm adolescentem, est allocutus, atque ad seruandam virginitatem hortatus; non potest profectò illa diu vltra annum D. superuixisse. Nam demus tum octo aut nouem fuisse annorum, ergo anno D. aut DI. fuerit LXXX. Iunior non potest fuisse, quæ, vt dicitur in vitâ S. Germani l. 1. cap. 21. se religiosæ professionis adstringi iam dudum desiderio sit professa, eiusq[ue] ad id benedictionem petierit. Quid quòd in priore vitâ dicatur Clodouæus magnificam basilicam ad eius sepul-

513 In der Konstellation der Quellen entspricht dies den Grundlagen, auf denen das Ableben der hl. Genovefa bis heute auf um 502 datiert wird. 117 Sofern die genaue Lebenszeit historischer Personen bis dahin überhaupt von besonderem Interesse gewesen war, diskutierte man hier nicht mehr über mehrere Jahrzehnte, sondern mit Intensität über einzelne Jahre. 118 Wichtiger als die Evaluation nach aus gegenwärtiger Perspektive „richtigen“ oder „unrichtigen“ Resultaten ist dabei die Tatsache, dass in diesen Zusammenhängen ein Geschichte rekonstruierender Zugriff die Oberhand gewann, in dem die zeitgenössischen Stellungnahmen und historische Schriften gegeneinander abgewogen wurden – und dass dieser Prozess auch dargestellt wurde. Passagen wie die zitierte sind weder als „rhetorisch“ noch in dem Sinne als „narrativ“ zu qualifizieren, dass eine real existierende Instanz Trägerin einer Rede wäre, die Veränderungen im Zeitablauf erzählte und vermittelte. 119 Vielmehr handelt es sich um eine analysierende Redeweise, deren Trägerin ein erkennendes und seine Standpunkte begründendes Subjekt ist. Wenn nach der Entstehung einer modernen oder wissenschaftlichen Form der Darstellung von Geschichte gefragt werden soll, dann ist sie nicht weniger von Interesse als die sich mit der Kategorie der „Erzählung“ assoziierenden Strömungen. Dass zu dieser Zeit nicht alle möglichen Aspekte in gleichem Umfang derartigen Analysen unterworfen wurden, liegt auf der Hand. Im Hinblick auf die schon mehrfach angesprochene Problematik der Datierung der Überlieferungsträger konstituierte sich lange Zeit kein systematischer Diskussions- und Begründungszusammenhang. Bolland und Henschen –––––––—

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chrum extruere cœpisse, quam deinde perfecerit Clotildis?“ Vgl. Vita Sancti Germani, in: Surius, Vitae Sanctorum, 3. Ausg. [ed. Garnefeld], Bd. 4,1, 1618, 31. Juli, S. 364, Nr. 21: „Illa tanti sponsi nomine delectata, titulum virginitatis amplectitur, seque huius professionis iam dudum adstringi desiderio profitetur.“ Vgl. Martin Heinzelmann, Vitae sanctae Genovefae. Recherches sur les critères de datation d’un texte hagiographique, in: ders./Joseph-Claude Poulin, Les Vies anciennes de sainte Geneviève de Paris. Études critiques. Préface de Michel Fleury (Bibliothèque de l’École des Hautes Études. IVe section: Sciences historiques et philologiques 329), Paris/Genf 1986, S. 1–111, hier S. 86–91, 103ff. In der Schedelschen Weltchronik beispielsweise war Chlodwig zugleich als Sohn Childerichs und erster christlicher Herrscher Frankreichs apostrophiert worden. Schedel hatte ihn zu den Protagonisten des 6. Jahrhunderts gezählt und insgesamt ohne Datierung belassen. Vgl. Schedel, Weltchronik, 1493, Bl. CXLIIIr: „Clodoueus der erst cristenlich konig in franckreich ist nach absterben childerici seins vaters an das konigreich getretten vnd hat xxx. iar geherrscht […].“ Er sei „im xxv. iar seins reichs von sancto remigio dem bischoff mit aller menig der frantzosen getawft“ worden. Dieser Eintrag stand unverbunden neben dem des ins 5. Jahrhundert verwiesenen Remigius von Reims, dessen Tod Schedel auf 468 datiert hatte. Vgl. ebd., Bl. CXLv: „[…] vnd starb nach cristi gepurt. iiijc.lxviij. iar am ersten tag des monats octobris.“ Dass Remigius nach Schedels eigener Darstellung Chlodwig demnach nicht mehr hätte taufen können, stellte für ihn offensichtlich kein Problem dar: „Der dann […] Clodoueu[m] den Konig zu franckreich mit vnzallichen frantzosen getawft hat.“ Vgl. Schönert, Status (2004), S. 134f.

514 meinten allein bemerken zu können, dass es kaum zu entscheiden sei, ob jene Lebensbeschreibung der hl. Genovefa, die in Massons 1618 posthum gedruckter Descriptio Fluminum Galliæ erwähnt worden und „in den Zeiten Childerichs von irgendeinem sehr gelehrten Mann“ unbekannter Identität rund achtzehn Jahre nach ihrem Tod verfasst worden sei, mit einer der ihnen vorliegenden Viten identisch sein könne. 120

6.2 Colgan – Gelehrte Netze in der frühen Neuzeit? Die gelehrten Korrespondenzen der frühen Neuzeit ziehen seit einigen Jahren verstärkt die Aufmerksamkeit der Geschichtswissenschaft auf sich. –––––––— 120

Vgl. De S. Genovefa, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, 3. Jan. [Einleitung], S. 137a: „S. Genouefæ Virginis vita (inquit Papirius Massonus in libro de fluminibus Galliæ) temporibus Childeberti Regis à doctissimo quodam viro, cuius nomen periisse doleo, scripta. Imò ter senis, vt ipse auctor testatur, ab obitu eius annis. Eadémne tamen sit, quæ est in manibus, ingenuè fateor mihi non liquere.“ Vgl. DESCRIPTIO || FLVMINVM || GALLIÆ, QVA || FRANCIA EST. || PAPIRII MASSONI OPERA. || Nunc primùm in lucem edita, Christianißimoque || Regi dicata. || PARISIIS, || Apud IACOBVM QVESNEL, via || Iacobea, sub intersignio || Columbarum. || MDCXVIII. || Cum Priuilegio Regis, S. 258: „[…] vita Genouefæ virginis temporibus Childeberti Regis à doctissimo quodam viro, cuius nomen […].“ Masson hatte die Descriptio 1608 vollendet. Vgl. Ronzy, Humaniste (1924), S. 592. Die Datierung der Viten der hl. Genovefa, deren älteste in der Tat um 520 entstanden sein dürfte, war lange sehr umstritten. Vgl. Heinzelmann, Vitae (1986), S. 3–9; Joseph-Claude Poulin, Les cinq premières vitae de sainte Geneviève. Analyse formelle, comparaison, essai de datation, in: Heinzelmann/Poulin, Vies (1986), S. 113–182, hier S. 115ff., 175– 182. Die von den Bollandisten De S. Genovefa, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, 3. Jan. Vita ex veteribvs MSS., ebd., S. 138–143, gedruckte Vita gilt, ohne im Detail aufgeschlüsselt zu sein, als eine Kompilation aus Handschriften dieser ältesten Redaktion A und der um 840/50 angefertigten Redaktion B. Der Druck der Bollandisten beinhaltet unter anderem jene Passage aus der Redaktion A, die maßgeblich deren Datierung auf die Zeit um 520 trägt. Insofern besaßen sie in der Tat die älteste Version. Vgl. ebd., S. 143a: „Nam & gloriosæ memoriæ Chlodouæus Rex bellorum iure tremendus, crebrò pro dilectione sanctæ Virginis in ergastulum retrusis indulgentiam tribuit, & pro criminum animaduersione sæpè etiam culpabiles incolumes Genouefâ supplicante dimisit. Quin etiam honoris eius gratiâ basilicam ædificare cœperat, quæ post discessum eius studio præcellentissimæ Crothildis Reginæ suæ celsum extulit ædificata fastigium.“ Vgl. dazu Heinzelmann, Vita (1986), S. 36, 104, und die Passage in der Ausgabe der Vita Genovefae virginis Parisiensis, in: MGH SS rer. Merov., Bd. 3, ed. Krusch (1896), S. 215–238, hier S. 237f.; vgl. zur Ausgabe der Bollandisten Krusch, [Einleitung], in: ebd., S. 204–215, hier S. 214. Surius könnte ein Text der Redaktion C vorgelegen haben. Dies scheint auch für eine zweite von Bolland und Henschen als Alia Vita publizierte Version zu gelten. Vgl. ebd. mit Anm. 6. Stellt man in Rechnung, dass Masson die älteste Vita rund 18 Jahre nach dem Tod der Heiligen angefertigt sah, gelangt man zu einer ähnlichen zeitlichen Konstellation wie die moderne Forschung. Es scheint also naheliegend, dass sich bereits Massons Überlegungen in denselben Bahnen bewegt hatten.

515 Franz Mauelshagen formulierte unlängst, mit Blick auf die Interaktion in naturkundlichen Zusammenhängen, die Hypothese: Gelehrtenkorrespondenzen zeichnen […] sich durch den Austausch von Informationen, Wissen und materiellen Gaben aus, die unmittelbar auf die wissenschaftlichen und sozialen Interessen einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe bezogen waren. Meine These lautet, dass Vertrauen eine entscheidende Rolle für Aufbau, Bestand und Erweiterung solcher Beziehungen und für die Bildung von Korrespondenzen spielte. Das Vertrauen, das einem Netzwerkakteur entgegengebracht wurde, und seine Vertrauenswürdigkeit waren wesentliche Elemente seines sozialen und symbolischen Kapitals und beeinflußten seine Handlungschancen. 121

Im Folgenden wird zu berücksichtigen sein, welche Faktoren in den hier interessierenden Milieus der katholischen Altertumskunde von Bedeutung gewesen sein konnten und welche Konsequenzen sich daraus für die praktische Arbeit an den Acta Sanctorum ergaben. Mauelshagen hat zu Recht betont, dass nicht immer mit einem symmetrischen „do ut des“ kalkuliert werden muss, obschon die gelehrte Interaktion im Regelfall Momente wechselseitiger Vorteilsnahmen implizierte. 122 Die Beziehungen zwischen den Bollandisten und denen, die ihnen Materialien zukommen ließen, waren dort, wo sie funktionstüchtig waren, von asymmetrischer Natur. Das Kapital, das die Bollandisten einbringen konnten, war im Wesentlichen ein im Laufe der Zeit an Prominenz gewinnender publizistischer Ort, der es jenen – wenigstens mittelbar – in Aussicht stellte, ihre Traditionen zu veröffentlichen, die dieses selbst nicht leisten konnten, dies nicht wollten oder die in einem allgemeineren Sinn zum Gelingen eines katholischen Großprojekts beizutragen wünschten. Komplizierter war hingegen der Umgang mit denjenigen, die in eigener Regie genau solche Materialien typographisch aufzubereiten beabsichtigten, die für das Werk der Bollandisten von Interesse hätten sein können. Der überschaubar anmutende Briefverkehr zwischen den Bollandisten und Maurinern erklärt sich weniger durch große Verluste, sondern dadurch, dass sich letztere, im Fall der Acta Sanctorum Ordinis Sancti Benedicti, in ihren Recherchen auf Heilige der Benediktiner konzentrierten und ihre Fundstücke im Regelfall in ihrem eigenen Werk zu publizieren wünschten. Als sich Mabillon 1672 nach Belgien begab, um Bestände dortiger Bibliotheken zu sichten, kam es mit großer Wahrscheinlichkeit zu keinem Treffen mit den Bollandisten. Dies kann nur dann überraschen, 123 wenn aus den moderaten und respektvollen Tonlagen der Korrespondenzen auf eine vorbehaltlose –––––––— 121 122 123

Mauelshagen, Netzwerke (2003), S. 120. Vgl. ebd., S. 141f. Vgl. Berlière, Mabillon (1908/09), S. 18: „[…] il est difficile d’admettre qu’il n’ait pas profité d’une occasion aussi favorable pour rencontrer ses correspondants, d’autant plus qu’il se trouvait dans leur voisinage. Je ne trouve cependant pas de trace d’une visite à Anvers.“ Vgl. zu dieser Reise Leclercq, Mabillon, Teil 1 (1953), S. 91– 113.

516 Kooperation zwischen den katholischen Gelehrten insgesamt geschlossen werden soll. Ob Henschen und Papebroch aber besonders erfreut darüber waren, dass nun auch Mabillon in den Sammlungen von Rouge-Cloître stöberte, 124 ist zumindest nicht gesagt. Vertiefen lassen sich die damit einhergehenden Aspekte anhand eines Themenkomplexes, der die Protagonisten der Acta Sanctorum an die Grenzen dessen führte, was von ihnen kompetent geleistet werden konnte, die Beschäftigung mit der irischen Hagiographie. In der Einleitung des ersten Januarbands hatte sich Bolland 1643 zu dieser Frage, auf die bisher vor allem zur Kenntnis genommene Weise, zurückhaltend geäußert. Auch wenn die Viten aus dem nordwestlichen Europa vor allem aus der Schilderung von bisweilen fast unglaublichen Mirakeln bestünden, könne an ihnen nicht nur die Schlichtheit der Schriftgelehrten dieser Völker, sondern auch ihre große Frömmigkeit abgelesen werden. 125 Grundsätzlich sei es dem Menschen nicht gestattet, jene Dinge, die ihm unverständlich seien und in denen sich die unergründliche Güte Gottes artikulieren könnte, blindlings zu verwerfen: „Sieh dich also vor, dass du nicht deswegen Geschehnisse verleugnest, weil sie nicht hätten gewirkt werden können oder dürfen.“126 Der Problematik der irischen Viten sollte Bolland 1658 in der Einleitung der Februarbände ein eigenes Kapitel widmen. 127 Hier formulierte er mit Entschiedenheit, dass in den Acta Sanctorum solche Viten zu vermeiden seien, die aufgrund ihrer Inhalte weniger zu tugendhaftem Handeln, zur Nachahmung und Verehrung der Heiligen als vielmehr zum Lachen anregten. 128 Ähnlich äußerten sich die Bollandisten in den Märzbänden anlässlich des Dossiers des hl. Patrick. Fabulöse Tatenberichte würden in den Acta Sanctorum nicht veröffentlicht. Die „wahrscheinlichen“ („probabilia“) hingegen könnten, sofern für eine problembewusste Rezeption Sorge getragen worden sei, im Interesse derer, denen an den Altertümern gelegen war, auch –––––––— 124 125

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Vgl. Berlière, Mabillon (1908/09), S. 11 mit Anm. 1, S. 18. Vgl. Bolland, Praefatio, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, S. XXXIVb: „[…] Hibernorum, Scotorum, Britannorum tam qui Albionem, quàm qui Armoricam Galliæ oram incolunt, planè portentosæ sunt Sanctorum Vitæ, atque ex miraculis, ferè incredibilibus, contextæ; quia apud eas gentes & constantia fidei egregia, & vitæ simplicitas ac candor olim rarus extitit; vel certè quia simpliciores Scriptores.“ Vgl. ebd., S. XXXIVa–b: „Sed quia admirabilis eius [Gottes] bonitas est, neque ea capere intelligentiâ possumus, vel quæ castis sibique dilectis animabus parauit in cælis bona, vel quantum iis velit gratificari in terris, non sunt temere damnanda quæ eiusmodi narrantur, etsi nobis paradoxa videantur; sed potiùs reuerenter accipienda, quantenus ex eo manâsse fonte Diuinæ bonitatis dicuntur, vnde omnis nostra petenda est felicitas. Esto, ea facta non sint fortassis: at fieri maiora potuêre à Deo, & facta aliàs. Caue igitur ideò neges facta, quia fieri non potuerint aut debuerint.“ Vgl. Bolland, Praefatio, AASS Februarii, Bd. 1, 1658, S. XVI f. Ebd., S. XVIIa: „[…]; tamen ita imperitè no[n]numquam congesta sunt, omissis iis quæ ad virtutum officia spectabant, vt risum potiùs mouere lectoribus queant, quàm Sanctos illos venerandi imitandique affectum.“

517 dann in ihrer Gesamtheit gedruckt werden, wenn sie „einige weniger glaubhafte Dinge enthielten.“ 129 Da sich Bolland noch in der Einleitung der Januarbände von jeder humoristischen Anwandlung distanziert hatte, was die Heiligenviten anging, 130 ist zu fragen, was geschehen war, das einen derartigen Stimmungswandel hatte herbeiführen können. Handelte es sich um einen Umschwung in der editorischen Politik? Hatte sich – letztlich doch – die Sonderung von wahr und falsch, von seriös und unseriös zu einem wichtigen herausgeberischen Prinzip der Acta Sanctorum entwickelt? Weshalb hatten die Minoriten des irischen Priesterseminars St. Antonius von Padua in Löwen, deren Beziehungen zu den Bollandisten nach gegenwärtiger Ansicht als „good“, „intense and cordial“ 131 einzustufen seien und die von einer „thoroughgoing cooperation“ 132 gekennzeichnet gewesen seien, nicht dahingehend Einfluss genommen, dass das Verdikt über das von ihnen gepflegte Schrifttum milder ausgefallen wäre? Das Ereignis, das Bolland und Henschen in Aufruhr versetzt hatte, war die Publikation der Acta Sanctorum Scotiae seu Hiberniae im Jahr 1645. Seit dem Ableben Wards Ende 1635 war Colgan mit ihrer Publikation beschäftigt gewesen. 1645 präsentierte er auf gut 800 Seiten in folio die von ihm ausführlich kommentierten Materialien zu den irischen Heiligen der Monate Januar bis März. 133 Der damit augenfällig gewordene Reichtum an Texten auf der einen Seite und die unübersehbare Sachkompetenz Colgans auf der anderen zwang die Antwerpener Jesuiten zu einer Reaktion. Sie hatten zu erklären, aus welchem Grund ihr universales Werk, was diese Traditionen anging, vergleichsweise mäßig ausgestattet war. Die unlängst von Godding bestätigte Argumentation Bollands, nicht auf die Masse, sondern auf die Klasse der Überlieferung gesetzt zu haben, 134 war nichts anderes als die Rationalisierung zahlreicher praktischer Probleme. Die Iren Ward und Colgan hatten sowohl die Breite der Überlieferung als auch die sprachliche und historiographische Kompetenz auf ihrer Seite. Anders als die Bollandisten verfügten sie über funktionstüchtige Beziehungen zum irischen und britischen Klerus. Neben den lateinischen Viten besaß Colgan –––––––— 129

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Vgl. De S. Patricio Episcopo Apostolo et primate Hiberniæ, in: AASS Martii, Bd. 2, 1668, 17. März, S. 517–592. Appendix, ebd., S. 580–592, hier S. 584a: „Quæ fabulosa iudicabamus Acta nulla dedimus; quæ probabilia videbantur, si quidem certiora deficerent, non subterfugimus dare integra etsi quædam minus probanda continerent: dandum hoc antiquitati existimantes, vt contenti lectorem admonuisse de vitio, manum ceteroqui abstineremus ab eiusmodi monumentis vlla, quamuis iusta ex causa truncandis.“ Vgl. Godding, Hagiography (2001), S. 300. Vgl. oben S. 426. Godding, Hagiography (2001), S. 292. Breatnach, Irish Bollandus (1999), S. 22. Vgl. oben S. 28 mit Anm. 85. Vgl. Godding, Hagiography (2001), S. 299: „[…] if a text seemed seriously laden with errors, than a decision not to publish it was to be taken. This was not the position adopted by Colgan, who proposed to publish all the texts at his disposal.“

518 zahlreiche vernakulärsprachliche Lebensbeschreibungen, die er jedoch nur in einzelnen Fällen in lateinischer Übersetzung veröffentlichte. 135 Zu diesem Aspekt äußerte sich Bolland in der Einleitung der Februarbände dahingehend, dass man auch auf diese Viten bewusst verzichtet habe. 136 Damit wurde ein Korpus hagiographischer Schriften demonstrativ verworfen, über das die Bollandisten faktisch nicht verfügten und das sie, da sie nicht des Irischen mächtig waren, schwerlich hätten lesen oder übersetzen können. Diese zweite Problematik betraf nicht nur die volkssprachlichen irischen Viten, sondern auch die korrekte Schreibung irischer Orts- und Personennamen in der lateinischen Hagiographie. Sie blieb, über das 17. Jahrhundert hinaus, ein Kontinuum in der Geschichte der Bollandisten. Sie und ein Mangel an Kooperation zeichneten mit dafür verantwortlich, dass die textkritische Edition der irischen Heiligenviten, trotz überschaubarer Überlieferungsdichte, bis heute nicht den Standard erreicht hat, der sich im Laufe des 19. Jahrhunderts zu etablieren begann. Diese Zusammenhänge gilt es nun darzustellen.

6.2.1 Fabel Bolland und Henschen konnten sich für die Arbeit an den Januarbänden auf eine für ihre Verhältnisse außergewöhnlich günstige Materiallage stützen. Die lateinischen Viten irischer Heiliger sind im Kern in drei großen Sammlungen überliefert, dem Codex Kilkenniensis, dem Codex Insulensis und dem Codex Salmanticensis. Letzteren besaßen die Bollandisten in der einzig erhaltenen Version aus dem späten 14. Jahrhundert (BRB Ms. 7672–74). Damit verfügten sie über ein geschlossenes Korpus von insgesamt 48 Lebensbeschreibungen. Dieser Codex ist zu Beginn des 17. Jahrhunderts im Kolleg der irischen Jesuiten in Salamanca nachzuweisen. Auf heute unbekannten Wegen war er in die Spanischen Niederlande und wahrscheinlich Ende der 1620er Jahre, durch die Vermittlung des Jesuiten Gilles de Smidt (1584–1670), an Rosweyde gelangt. 137 In welchem Umfang Rosweyde die –––––––— 135

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Einige dieser Viten haben sich in der Bibliothèque royale erhalten. Vgl. Bieler, Colgan (1948), S. 8ff. Ein Katalog der auf die Aktivitäten der Löwener Minoriten zurückgehenden Hibernica in der Bibliothèque royale scheint in Arbeit zu sein. Vgl. Breatnach, Irish Bollandus (1999), S. 15 mit Anm. 77. Vgl. Bolland, Praefatio, AASS Februarii, Bd. 1, 1658, S. XVIIa: „[…] ea quĊ de ipsis in solis gentis illius extare monumentis dicuntur, atque eorum non pauca Scotticâ aliâue barbarâ linguâ conscripta, operi nostro non inseramus.“ Vgl. Grosjean, Soldat (1963), S. 434; William W. Heist, Introduction, in: Vitae Sanctorum Hiberniae. Ex Codice olim Salmanticensi nunc Bruxellensi, hrsg. v. dems. (Subsidia hagiographica 28), Brüssel 1965, S. IX–LII, hier S. XXXI ff.; Sharpe, Saints’ Lives (1991), S. 69, 228ff. Das irische Kolleg von Salamanca war 1592 aus dem Umzug des vor 1589 in Valladolid gegründeten englischen Priesterseminars her-

519 Absicht besaß, sich selbst den irischen Viten zu widmen, ist ungewiss. Er extrahierte aus dem Codex Salmanticensis die – seither verlorenen – Folien einer Vita des hl. Comgall mac Sétnai († 601/02), um sie an den Minoriten Fleming auszuhändigen. In Flemings posthum gedruckten Collectanea sacra von 1667 sollte Rosweyde hierfür ausdrücklich gedankt werden. 138 In den Collectanea bollandiana befindet sich ein nach Ansicht des Bollandisten Paul Grosjean (1900–1964) von Rosweyde begonnener und von einer unbekannten Hand fortgesetzter „Index SS. Hiberniæ“. Bei diesem „Index“ handelt es sich um eine der Versionen von Fitzsimons Catalogus praecipuorum Sanctorum Hiberniae. 139 Er ist Teil des alten Manuskripts ?167 der Bollandisten, das unlängst von Godding zu den – von Bollandisten der Moderne traditionell hoch veranschlagten – Überlieferungsverlusten gezählt wurde. Später wurde dieser „Index SS. Hiberniæ“ in eine Handschrift mit der Signatur ?131 überführt. Wahrscheinlich auf der Basis einer spekulativen Äußerung Van de Veldes meinte Grosjean vermuten zu können, dass die nicht von Rosweyde stammenden Teile des Index oder Catalogus Sanctorum von Fitzsimon selbst aufgezeichnet worden sind. 140 –––––––— 138

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vorgegangen. Auf Weisung Philipps II. war es mit dem Umzug den Jesuiten unterstellt worden. Vgl. Schüller, Beziehungen (1999), S. 158f. Vgl. Heist, Introduction (1965), S. XXXV; Sharpe, Saints’ Lives (1991), S. 228 mit Anm. 5. Die Todesdaten der irischen Heiligen wurden hier zumeist aus der Darstellung von Charles Plummer, Introduction, in: Vitae Sanctorum Hiberniae. Partim hactenvs ineditae ad fidem codicvm manvscriptorvm recognovit prolegomenis notis indicibvs instrvxit Carolus Plummer A. M. Collegii Corporis Christi apud Oxonienses socius et capellanus, Bd. 1, Oxford 1910, S. IX–CXCII, übernommen. Vgl. Index SS. Hiberniæ, BRB, Coll. boll. Ms. 8530–34 (3473), fol. 1r–11r. Grosjean, Édition (1940), S. 337, verarbeitete dieses Manuskript als Redaktion C des Catalogus. Ob diese und andere von Grosjean Rosweyde zugeschriebene Segmente wirklich von dessen Hand stammten, wäre zu prüfen. Dies betrifft etwa auch ebd., fol. 12r, ein Blatt mit: „Nota || Jn Catalogum || De Sanctis Jbernis“. Inhaltlich verweisen diese eher auf einen mit den irischen Verhältnissen vertrauten Gelehrten: „N. jo nstam Legendam Hibernicam, qui obiter citatur, esse Latinum codicem perantiquum et amplum, qui lour darg appellatur, et reperitur apud Wuluerstonum Stalorgani Anglum iuxta Dublinia[m], in quo de solis sanctis Jbernis agitur. || N. 2. Florarium esse MS.tum Martyrologium in Collegio in Societatis Jesu Louanij. || […].“ Die zweite Information hätte ein Jesuit wahrscheinlich eher mit: „in Collegio nostro“, beschrieben. Vgl. zu den Inhalten Grosjean, Édition (1940), S. 341. Dass der Catalogus Teil der Handschrift mit der alten Signatur ?167 war, ergibt sich zum einen aus der besagten Bemerkung von J[oannes] V[eldius], De Sancto Macniscio Episcopo in Ultonia Hiberniæ provincia, in: AASS Septembris, Bd. 1, 1746, 3. Sept., S. 662–666. Commentarius prævius, ebd., S. 662–664, hier S. 662b. Van de Velde bemerkte hinsichtlich des Festtags dieses Heiligen: „Ad eundem diem [den 3. Sept.] adscribitur catalogis quibusdam Mss. Sanctorum Hiberniæ, quos habemus sub involucro ?167. Miror autem illum à nostro Henrico Fitz-Simon Hiberno, alios minùs celebres recensente, præteritum fuisse, uti etiam à P. Hugone Vardeo Ordinis Minorum in suo Sanctorum Hiberniæ catalogo, quem anno 1627 Rosweydum misit.“ Zum anderen trägt die Handschrift BRB, Coll. boll. Ms. 8530–34 (3473), [Blatt 2r (unfoliiert)], am oberen linken Rand die alte Signatur der Bollandisten. „131–a“, und

520 Unter dem Eindruck des Besitzes des Codex Salmanticensis gehen die Bollandisten, im Anschluss an Grosjeans Hypothesen, davon aus, dass sich bereits Rosweyde intensiv um irische Viten bemüht habe. 141 Das einzig sichere Beispiel bezieht sich allerdings auf den Jesuiten White. Von White stammte eine Vita des Abts Coemgen von Glenn da Loch († 618/22). Sie ist als Abschrift in der Bibliothek der Bollandisten erhalten und geht auf Bestände des ehemaligen Benediktinerklosters Biburg zurück, das 1589 den –––––––—

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darüber die durchgestrichene Signatur: „?MS. 167–a“. Vielleicht hatte man die Handschrift mit der alten Signatur ?167 in der Zeit nach Van der Velde in verschiedene Teile zerlegt und die einzelnen Elemente mit Minuskeln ausgestattet, die diese frühere Zusammengehörigkeit indizierten. Wahrscheinlicher scheint allerdings zu sein, dass sie von Anfang an mit einer Binnengliederung versehen worden war, die man in den Acta Sanctorum selbst nicht zitierte. Analog wurden in dieser Handschrift einige Auszüge aus Hector Boetius’ Chronik unter dem Titel: „Sancti Scotiæ || Ex Hectore Boetio“, ebd., fol. 42r, mit dem Vermerk „?MS. 167–a || 131–a“ versehen. In der daraus zusammengestellten Handschrift ?131 scheinen sich zwischenzeitlich unter anderem Materialien zu weiteren insularen Heiligen eingefunden zu haben, die sich zuvor in der Handschrift ?168 befunden hatten. Vgl. BRB, Coll. boll. Ms. 8590– 98 (3477), fol. 165r–185v. Hier befanden sich Abschriften aus liturgischen Texten, die beispielsweise an den Festtagen der heiligen Patrick, Columba und Brigida zur Anwendung gekommen waren. Von Papebroch stammte das Deckblatt ebd., fol. 165r: „Officia SS. Hibernorum || Patricij S. Patricij – 17. Martij || S. Columbæ Ab. 9. Junij || SS. Patricij, Columbæ, Brigidæ transl. || […].“ Oben links stand: „?MS. 168 || 131.b“ Die später durchgestrichene Signatur stammte, wenn ich richtig sehe, von Papebroch. Analoge Notate befinden sich ebd., fol. 191r, vor einer Sektion von Schriftstücken, die Papebroch überschrieben hatte: „Ex breuiario Anglo-saxonico“. Vgl. oben rechts die Notiz: „?MS. 168 || 131.b“. Aus der Veränderung der Signaturen, die sich aus Van den Gheyns Katalog nicht erschließt, ist also nicht auf Verluste zu schließen. Im Fall der zuletzt genannten Handschrift hat Van den Gheyn allein verzeichnet, dass sie Bestände aus der alten Handschrift ?131b enthalte. Vgl. Van den Gheyn, Catalogue, Bd. 5 (1905), S. 483, Ms. 8590–98 (3477). Godding, Hagiography (2001), S. 296f., bezieht sich auf analoge Signaturen 167b, 167e und 167f, die sich aus dem alten Bibliothekskatalog der Bollandisten erschlössen. Er geht jedoch nicht davon aus, dass es sich um Hinweise auf eine zerlegte, neu gruppierte und aus den Beständen der Collectanea bollandiana oder Bibliothèque royale gegebenenfalls noch rekonstruierbare Handschrift handelt, sondern um Komplemente der von ihm als gesamtheitlich verloren betrachteten Handschrift ?167. Was es mit dem zweiten von Van der Velde erwähnten Catalogus Sanctorum Hiberniae, der nach seiner Aussage 1627 von Ward an Rosweyde überstellt worden sei, auf sich haben könnte, bliebe zu untersuchen. Breatnach, Irish Bollandus (1999), S. 22ff., nennt einige von Ward angefertigte kalendarische Verzeichnisse. Das einzig erhaltene beinhaltet jedoch nur Heilige des Monats Januar, so dass es kaum als Vorlage für den von Van der Velde genannten Catalogus hätte dienen können. Aus sekundären Quellen erschließt sich ein Martyrologium Latino-Hibernicum, das Ward geplant oder verfasst zu haben scheint. Seine Identität ist allerdings unklar. Vielleicht referierte Van de Velde aber auch einfach auf eine der älteren Fassungen des Catalogus, die Ward an Rosweyde ausgehändigt habe. Vgl. Godding, Hagiography (2001), S. 291: „In their search for texts, first Rosweyde, then Bolland and, to a lesser extent, Henschenius and Papebroch, corresponded with Irishmen, soliciting texts from them. Most texts came from the Franciscans of St. Anthony’s College, Louvain, whose enthusiasm for the study of Irish hagiographical texts is well attested.“

521 Jesuiten übergeben worden war. 142 White war 1629 nach Irland zurückgekehrt. Diese Kopie musste demnach in der Tat vor Rosweydes Tod nach Antwerpen gelangt sein. 143 Schwieriger ist es hingegen, die lange als gegeben betrachtete Kooperation zwischen Rosweyde und dem Jesuiten Fitzsimon nachzuweisen. Gegen Grosjeans Annahme, dass Teile des in den Collectanea bollandiana erhaltenen Catalogus praecipuorum Sanctorum Hiberniae von Fitzsimon geschrieben worden sein könnten, machte Sharpe geltend, dass der Catalogus Informationen beinhaltet, die nicht aus kontinentaleuropäischen Manuskripten hätten erarbeitet werden können. Da Fitzsimon 1630 nach Irland zurückkehrte und daher nicht mehr mit dem zu diesem Zeitpunkt bereits verstorbenen Rosweyde hätte kommunizieren können, betrachtet Sharpe Grosjeans Vermutung als hinfällig. 144 Nach der Zählung Goddings, der die in den Acta Sanctorum publizierten Viten irischer Heiliger zusammengestellt hat, sind 17 Viten irischer Heiliger durch Fitzsimon nach Antwerpen gelangt. Realiter kann von wenigstens 19 –––––––— 142 143

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Vgl. Paul Grosjean, Notes d’hagiographie celtique, in: Anal. Boll. 70 (1952), S. 312– 326, hier Nr. 20, S. 313ff. Vgl. Sharpe, Saints’ Lives (1991), S. 45. Godding, Hagiography (2001), S. 294 mit Anm. 28, bezeichnet sie irrtümlich als das Resultat der Tätigkeit Fitzsimons. Gleiches gilt ebd., S. 294 mit Anm. 29, für einige von White stammende und von Grosjean, Soldat (1963), Appendice. Sur quelques pièces imprimées et manuscrites, de la controverse entre Écossais et Irlandais au début du XVIIe siècle, S. 436–446, diskutierte Kontroversschriften Whites, die sich in Brüssel erhalten haben. Die damit angedeuteten Probleme resultieren aus einer Tendenz der modernen Bollandisten, punktuelle oder zeitlich beschränkte Kontakte nicht in dieser Qualität zu analysieren, sondern sie auf die sich kumulativ konstituierende Vorstellung eines von „den Bollandisten“ getragenen kommunikativen Systems zu beziehen. Anschließend an Grosjean vertrat Godding, Hagiography (2001), S. 294f., die Ansicht, dass Ussher im Austausch mit den Bollandisten gestanden habe: „The great scholar James Ussher, Anglican archbishop of Armagh, was also in communication with the Bollandists. Not directly, of course, in view of the politico-religious situation, but Grosjean has shown that, through the good offices of the Catholic bishop of Ossory, David Rothe, […] Ussher obtained a copy made by Roswedye of a pseudoepitaphical poem addressed by S. Livinus to S. Florbert from a manuscript kept at Cordendonch.“ Dies ist der einzige Fall einer nachweisbaren Interaktion zwischen Ussher und Rosweyde. Im Detail wird er von Sharpe, Saints’ Lives (1991), S. 65f., behandelt. Sharpe, der von Godding durchaus konsultiert wurde, hielt dabei unzweideutig fest: „I have not discovered further evidence for direct or indirect contact between Ussher and Rosweyde, and there is no sign of exchanges between Ussher and Bollandus in the years following Rosweyde’s death.“ Ussher kommunizierte also keineswegs mit „den“ Bollandisten. Vgl. Sharpe, Origin (1988–1991), S. 207–215; ders., Saints’ Lives (1991), S. 97f. Dagegen hat wiederum Ó Riain, „Catalogus“ (2000), S. 401, eingewandt, dass Fitzsimon die einschlägigen Handschriften vor Beginn seines kontinentaleuropäischen Exils 1604 in Irland eingesehen habe. Die Debatte gewinnt dadurch nicht an Übersichtlichkeit, dass Ó Riain die oben Anm. 139 zitierte Information zu dem Legendar von Wolverstone „iuxta Dublinia[m]“ auf Fitzsimon bezieht, die nach Meinung Grosjeans aber von Rosweyde geschrieben worden ist.

522 ausgegangen werden. 145 Sie sind wahrscheinlich nicht vor 1630, wie von Grosjean postuliert wurde, 146 sondern nach Fitzsimons Rückkehr nach Irland an Bolland gesandt worden. Bei fast durchgängig unklaren Provenienzen ist zumindest in einzelnen Fällen mit Sicherheit zu sagen, dass sie nicht aus kontinentalen Schriften hätten kopiert werden können. 147 Die Abschriften, die in den Collectanea bollandiana erhalten sind, tragen in der Hand Papebrochs den Vermerk: „ex MS. P. Fitzsimon.“ 148 Da die meisten der an Rosweyde gekommenen Kopien in aller Regel von ihm selbst in ihrer Herkunft markiert worden sind, 149 spricht auch dieses Indiz dafür, dass Fitzsimon mit Rosweydes Nachfolger kommunizierte. Der möglichen Interaktion zwischen Rosweyde und den Löwener Minoriten waren ihrerseits enge Grenzen gesetzt. Das irische Seminar der Minoriten war eine Gründung des Jahres 1607. 150 Historische Materialien waren hier lange Zeit nicht vorhanden. Den Grundstock für die späteren Acta Sanctorum Scotiae seu Hiberniae bildete zum einen ein Korpus von Abschriften, das aus der etwas jüngeren der beiden erhaltenen – dem späten 14. Jahrhundert entstammenden – Sammlungen des Codex Insulensis (Ox–––––––— 145

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Vgl. Godding, Hagiography (2001), S. 294. Vgl. im Detail Appendix I, ebd., S. 304– 313. An insgesamt 14 Stellen wurde innerhalb der Acta Sanctorum eine den Bollandisten vorliegende Vita Fitzsimons erwähnt. Godding nennt drei weitere Viten, die in den Collectanea bollandiana erhalten und im Laufe der Zeit in den Analecta Bollandiana publiziert worden sind. Vgl. ebd., S. 296. Dazu kommen eine von Godding nicht bedachte Kurzvita aus den Collectanea bollandiana, das Officium des hl. Cíanán von Duleek, das ihrerseits seit längerem bekannt ist, sowie die Vita des hl. Ibar von Beggery Island, die bereits von Grosjean publiziert worden ist. Diese fünf Lebensbeschreibungen eingerechnet ist also von insgesamt 19 an die Bollandisten übermittelten Viten Fitzsimons auszugehen. Vgl. Sharpe, Saints’ Lives (1991), S. 375, und die Nachweise unten Anm. 148. Eine Godding vergleichbare Aufstellung für Colgans Acta Sanctorum Scotiae seu Hiberniae bietet Bieler, Colgan (1948), Appendix, S. 17–24. Bieler hat sich hier, soweit als möglich, um die Identifikation der von Colgan zitierten Schriften bemüht. Von Vollständigkeit ist er jedoch weit entfernt geblieben. Eine Liste mit den gültigen Ausgaben der Viten der irischen Heiligen und ihrer Identifikation bietet Sharpe, Saints’ Lives (1991), S. 391–412. Vgl. Grosjean, Soldat (1963), S. 437. Vgl. Sharpe, Saints’ Lives (1991), S. 41ff., 378f. Obwohl die Hand dessen, der für die Transkription der Viten verantwortlich zeichnete, bis heute unbekannt ist – und von Grosjean auch nicht vergleichend eruiert wurde –, bezeichnete er die Viten als Produkte eines Schreibers, „qui a beaucoup travaillé pour Rosweyde, dans le premier quart du XVIIe siècle.“ Vgl. Grosjean, Notes (1959), S. 172 mit Anm. 2, Zitat S. 178; ders., Une Vie de S. Secundinus, disciple de S. Patrice, in: Anal. Boll. 60 (1942), S. 26–34, hier S. 26; ders., Les Vies de S. Finnbarr de Cork, de S. Finnbarr d’Écosse et de S. Mac Cuilinn de Lusk, in: Anal. Boll. 69 (1951), S. 327–347, hier S. 327f.; ders., Deux textes inédits sur S. Ibar, in: Anal. Boll. 77 (1959), S. 426–450, hier S. 426f.; Kathleen Hughes, The Offices of S. Finnian of Clonard and S. Cíanán of Duleek, in: Anal. Boll. 73 (1955), S. 342–372. Vgl. oben S. 421 mit Anm. 253. Vgl. Terence O Donnell, Father Donagh Mooney, O. F. M.: „The Franciscan Convent of Donegal“, in: ders. (Hrsg.), Father (1959), S. 130–154, hier S. 132.

523 ford, Bodleian Library, Ms. Rawlinson B. 485 und B. 505) auf Veranlassung des damaligen Ordensprovinzials in Irland Francis Matthews († 1644) im Jahr 1627 im Minoritenkonvent von Cashel erarbeitet worden ist. Analoge Transkriptionen hatte Matthews 1626 vom Codex Kilkenniensis anfertigen lassen. Matthews wurde 1629 Guardian des Löwener Priesterseminars. Das Korpus dieser Transkriptionen gelangte vermutlich mit seinem Amtsantritt nach Löwen. Godding zählte insgesamt 22 Viten die, mit dem Namen des 1635 verstorbenen Hugh Ward verknüpft, in den Acta Sanctorum Erwähnung fanden. 151 Sie alle sind auf diese Sammlungen zurückzuführen.152 Daraus folgt zunächst, dass es Bolland war, der sich, sowohl, was Fitzsimon anbelangte, als auch mit Blick auf die Löwener Minoriten, darum bemühte, den Bestand des Codex Salmanticensis zu arrondieren. Selbst wenn Rosweyde Ähnliches beabsichtigt hätte, und dafür spricht beim Stand der Dinge nicht sehr viel, wäre er in Löwen bis zu seinem Ableben kaum fündig geworden. Das von Bolland in der Einleitung der Februarbände 1658 exponierte Kriterium der Selektion der Viten nach inhaltlicher Plausibilität gestattet es nicht, zu erklären, weshalb einige Viten irischer Heiliger in den Acta Sanctorum veröffentlicht wurden und andere nicht. In den Januarbänden hingegen hatte er noch mit großer Offenheit von einem Ratschlag Fitzsimons berichtet. Anlass war die Publikation der Lebensbeschreibung des Abts Mochua von Tech Mochua, die „aus vertrauenswürdigen irischen Codices abgeschrieben“ und ihm von Ward übermittelt worden sei. 153 Da die Viten des „einfachen und heiligen Volks“ der Iren, so Bolland, von „erstaunlichen“, jedoch in aller Regel theologisch unbedenklichen „Wunderzeichen“ geprägt seien und manches an ihnen „durch die Schuld unkundiger Kopisten“ verdorben oder später amplifiziert worden sei, habe Fitzsimon ihm empfohlen, sie mit der irischen Historiographie abzugleichen. 154 Bolland hatte allerdings einzuräumen, mit dieser nicht hinreichend vertraut zu sein. –––––––— 151 152

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Vgl. Godding, Hagiography (2001), S. 292. Vgl. Plummer, Introduction (1910), S. XVIII f. mit Anm. 3, S. LXV; Bieler, Colgan (1948), S. 8f.; Sharpe, Saints’ Lives (1991), S. 53f., 99ff., 258f.; Breatnach, Irish Bollandus (1999), S. 12. Die von Matthews veranlassten Transkriptionen des Codex Insulensis sind bis heute erhalten. Sie befinden sich im Studienhaus der Franziskaner in Killiney (Ms F 1). Vgl. ebd. Vgl. De S. Mochva sive Cvano Abbate in Hibernia, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, 1. Jan., S. 45–49. [Einleitung], ebd., S. 45a: „[…] eius Vitam damus, nobis ab R. P. Hugone Vardæo Monasterij S. Antonij de Paduâ Ordinis S. Francisci Louanij Guardiano communicatam, ex fide dignis Hibernicensibus codicibus descriptam.“ Vgl. ebd.: „Multa continet admiranda portenta, sed vsitata apud gentem illam simplicem & sanctam, vt ex aliorum actis Sanctorum patet; neque sacris dogmatis aut Dei erga electos suos suauißimæ providentiæ repugnantia. Sunt tamen fortaßis nonnulla imperitorum librariorum culpâ vitiata, aut amplificata. Quod in gentilium suorum rebus gestis animaduerti oportere nos docuit Henricus Fitzimon [!] Societatis nostræ Theologus, egregio rerum vsu præditus.“

524 Daher habe er beschlossen, dass es ausreichen sollte, an die Urteilskraft seiner Rezipientinnen und Rezipienten zu appellieren: Es genügt, den Leser zu ermahnen, dass er die Dinge mit Zurückhaltung lese, die ungeheuerliche und ohne Unterbrechung einander ähnliche Mirakel vergegenwärtigen, sofern sie nicht von klugen Autoren aufgeschrieben worden sind. Uns gleichwohl ist es bestimmt, nichts auszustreichen, es sei denn, dass es dem rechten Glauben oder den guten Sitten widerstrebt, oder, dass es von der Art ist, dass wir es eindeutig zurückzuweisen vermögen. 155

Wie waren diese Viten beschaffen, dass man sich derart vor ihnen in Acht zu nehmen hatte? Der Name Fitzsimons trat in den Januarbänden nur im Zusammenhang mit einer Vita in Erscheinung. Im Dossier des Gründers und ersten Abts des Klosters Fore in der Grafschaft Westmeath, des hl. Fechin († 665/68), referierte Bolland auf ihm von Fitzsimon („MS. FitzSimonis“) und Ward („MS. Wardæi“) übereignete Abschriften. Es handele sich offenbar, so Bolland, um zwei kontrahierte Versionen derselben Vita, die beide der Schilderung des Todes dieses Heiligen ermangelten. 156 Die Vita Fechins ist sehr selten. Sie ist nur in den beiden erhaltenen Versionen des Codex Insulensis und in den von Matthews daraus veranlassten Abschriften der Löwener Minoriten erhalten. Bolland druckte Wards Kopie als Primärtext. Fitzsimons Abschrift hingegen, deren Herkunft bis heute ungeklärt ist, fand Eingang in den Variantenapparat. Ein kursorischer Blick auf die irischen Orts- und Personennamen zeigt, dass Bollands Lektüre seiner Vorlagen in dieser Hinsicht nicht immer ohne Modifikationen vor sich

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Vgl. ebd.: „Quæ tamen sic adiecta censeri debeant, nobis profanæ Hibernorum historiæ ignaris non facile est statuere. Satis est Lectorem monuisse vt cum discretione ea legat quæ prodigiosa, & crebrò similia miracula commemorant, nisi ab sapientibus scripta auctoribus sint. Nobis tamen nihil expungere constitutum est nisi rectæ fidei aut bonis moribus repugnet, aut sit eiusmodi vt clarè id poßimus refutare.“ Vgl. De S. Fechino Abbate Fovrii in Hibernia, in: AASS Ianuarii, Bd. 2, 1643, 20. Jan., S. 329–333. [Einleitung], ebd., S. 329a: „Geminum nacti exemplar sumus, alterum Hugonis Wardæi è S. Francisci familiâ, alterum Henrici Fitz-Simonis nostri, beneficio: hoc contractu[m] plerumque, vt indicabimus. [N]eutrum obitum Fechini memorat, quam ex MS. vitâ S. Geraldi Abbatis, ad XIII. Martij edendâ, narrabimus.“ Auf den Druck der Vita folgte ein kurzer, durch Kursivierung typographisch abgesetzter Abschnitt. Dieser behandelte in Paraphrase die „Mors S. Fechini, Ex Vitâ S. Geraldi.“ Ebd., S. 332f. Im Dossier De S. Geraldo Abbate et Episcopo Mageonensi in Hibernia, in: AASS Martii, Bd. 2, 1668, 13. März, S. 288–293, wurde dessen Vita zwar nicht vollständig wiedergegeben, sondern in Auszügen zitiert. Diese Auszüge schlossen allerdings die Reproduktion jenes Teils der Vita Geraldi ein, der in dem älteren Dossier als „Mors S. Fechini“ paraphrasiert wiedergegeben worden war. Vgl. ebd., S. 291a–b. In der modernen Ausgabe der Vita sancti Geraldi abbatis de Magh Eo, in: Vitae Sanctorum Hiberniae, ed. Plummer, Bd. 2, Oxford 1910, S. 107– 115, hier S. 112f., entspricht dies dem c. 12. Inc.: „Eodem tempore duo reges Hibernie, […].“

525 gegangen sein dürfte. 157 Zudem hatte sich Bolland dort, wo er nicht in der Lage war, die handschriftlichen Grundlagen der ihm vorliegenden Abschriften zu überprüfen, damit zu bescheiden, Unterschiede im Wortbestand der jeweiligen Abschriften so zu diskutieren, als handele es sich um historische Varianten. Das Attribut des „MS.“ bezeichnete, nicht nur in diesem Fall, den Fluchtpunkt einer den Bollandisten jeweils vorliegenden Kopie. In der Anmerkung (a) zur Überschrift des ersten Kapitels der Vita Fechini bemerkte Bolland: Die Handschrift Wards hat an dieser Stelle einige Wunder eingestreut, die im Codex Fitzsimons nicht vorhanden sind, sei es, dass der Kopist Bedenken trug, ob sie Glauben fänden, sei es, dass sie anderswoher einer zweiten Abschrift hinzugefügt worden sind. Und es sind durchaus seltsame, immerhin aber von der bewundernswerten Wohltätigkeit der gegenüber den reinen, ihr ergebenen Herzen überaus gnädigen Gottheit in keiner Weise entfernt liegende Dinge. 158

An dieser Stelle war es die kürzere Version Fitzsimons, die Bolland dazu veranlasste, im Primärtext von der Wiedergabe dieser Wunder, die sich in der Kindheit Fechins zugetragen hatten, abzusehen. 159 Für die Leserinnen und Leser der Acta Sanctorum war dies kaum zu erkennen. Bolland hatte –––––––— 157

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Vgl. Vita S. Fechini, AASS Ianuarii, Bd. 2, 1643, 20. Jan., S. 330–332, hier S. 330a: „Sanctus ac venerabilis Abbas Fechinus, nobili parentum schemate illustris, patre (b) Kelcharuano, matre verò Lasreâ editus.“ Ebd., S. 330b Anm. b: „Idem MS. Celcarua.“ An der Stelle des „u“ in den Schreibungen „Kelcharuano“ und „Celcarua“ transkribierten die irischen Gelehrten ein „n“. Vgl. Vita S. Fechini Abb. Fovarensis. Authore Augustino Gradino ex Codice Inisensi, in: AASS Scotiae seu Hiberniae, Bd. 1, 1645, 20. Jan., S. 130–133, hier S. 130a: „[…] patre Koelcharnano, matre verò Lasreâ editus.“ Alia Vita sev svpplementvm Vitæ S. Fechini ex MSS. Hibernicis, in: ebd., S. 133–139, hier S. 133a: „Patri nomen erat Coelcarna, […].“ Die erste der von Colgan gedruckten Viten ging aus jener Transkription des Codex Insulensis hervor, die auch Bollands Ausgabe unter dem Namen des „MS. Wardæi“ zugrunde lag. Vgl. Plummer, Introduction (1910), S. LXV. Bei der zweiten Vita Colgans handelte es sich um eine lateinische Kompilation, die auf drei volkssprachlichen irischen Fassungen beruhte. Vgl. ebd., S. LXV ff.; Bieler, Colgan (1948), S. 19. Dass die Transkription des „n“ für das „u“ in den Acta Sanctorum der Jesuiten auf einen Verständnisfehler Bollands zurückzuführen ist, wird auch durch die moderne Edition der Vita nahe gelegt. Vgl. Vita sancti Fechini abbatis de Fauoria, in: Vitae Sanctorum Hiberniae, ed. Plummer, Bd. 2 (1910), S. 76–86, hier S. 76: „Sanctus ac uenerabilis abbas Fechinus nobili parentum scemate illustris, patre Kelcharnano, matre vero Lasrea editus.“ Der irische Name für Kelcharnanum lautet nach Plummers Erläuterungen auf Cailcarn. Ebd., Anm. 2. Vgl. Vita S. Fechini, AASS Ianuarii, Bd. 2, 1643, 20. Jan., S. 330b: „Capvt. II. (a) Monachi aggregati, infideles conuersi.“ Ebd., S. 331a, Anm. a: „Interiicit hîc miracula aliquot MS. Wardæi, quæ absunt à codice Fitz-Simon, siue veritus est librarius vt fidem reperirent, siue alteri exemplari aliunde adiecta. Et sunt sanè paradoxa, licet à benignissimi Numinis erga innocentes sibi deuotas animas admirabili caritate neutiquam aliena.“ In der Vita sancti Fechini, in: Vitae Sanctorum Hiberniae, ed. Plummer, Bd. 2 (1910), S. 78f., entspricht dies dem Text der c. 7–9; vgl. zu den Auslassungen Fitzsimons Plummer, Introduction (1910), S. LXVII.

526 die Kürzung des Primärtexts des „MS. Wardæi“ nicht ausdrücklich als solche angekündigt und die Vita verblieb mit der Schilderung der göttlich gelenkten Gründung der Abtei Fore durch den – inzwischen zum Priester geweihten – Fechin ohnehin im Duktus des Mirakulösen. 160 Die übrigen varianten Lesungen wurden allerdings zugunsten des „MS. Wardæi“ entschieden. In einem Zustand der Verzückung sei Fechin, so berichtete es die Vita, der „Engel des Herrn“ erschienen. Von ihm habe er den Auftrag empfangen, eine von Heiden besiedelte Insel zu missionieren. Diese zeigten sich allerdings dem neuen Glauben gegenüber wenig aufgeschlossen. Die von den Mönchen zur Kultivierung des Landes besorgten Geräte hätten sie, „angestachelt von einem bösen Geist“, ins Meer geworfen: „Aber der, der den Propheten Ionas als Lebenden in den Bauch eines Seeungeheuers geschleudert hat, der hat die Geräte der Seinen in den gewünschten Hafen zurückgeführt.“ 161 In Fitzsimons Text, der von Bolland in den Varianten wiedergegeben wurde, war auf die alttestamentarische Analogie verzichtet worden. Nach seinem Wortlaut seien die Geräte „durch göttliche Kraft Tag für Tag ans Land “ verbracht worden. 162 Eine andere Episode handelte von dem Begehren eines an Fechin herangetretenen Leprosen, nicht nur mit Speise, sondern auch mit einer „vorneh–––––––— 160

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Vgl. Vita S. Fechini, AASS Ianuarii, Bd. 2, 1643, 20. Jan., S. 331a: „Sanctus igitur Fechinus, non solùm ætatis maturitate crescens, verùm etiam virtutibus ac bonis moribus proficiens, ad sacerdotij dignitatem promotus est. Postquàm verò ad culmen tantæ sanctitatis peruenit, tamquàm verus mundi contemptor patriam suam relinquens, & locum vbi soli Deo vacare possit cupiens, Angelo reuelante inuenit. Videntes verò possessores proprij illius agri tantum virum ad se venisse, voluntariè locum ad inhabitandum ei concesserunt. Inibi quoque monasterium secundùm voluntatem Dei construxit, […].“ Es folgte der Bericht über die wundersame Speisung einiger bedürftiger Gäste in der Abtei Fore. Vgl. ebd., S. 330b: „Cùm ad pium Patrem quodam tempore hospites venissent, & penuriâ cogente quod eis apponeret non haberet, Deum suppliciter orauit vt qui pullis coruorum eum inuocantibus prouidit, necessitatibus illorum prouideret. Cuius preces misericors & miserator Dominus mox exaudiuit, & abundantiam frumenti, butyri, & lactis largiter propinauit. His ergo donis à largo datore munerum datis gratias Deo referens, hospitibus suis secundùm indigentiam eorum largiter ministrauit.“ Vgl. ebd., S. 330b–331a: „Alio quoque tempore, cùm in quamdam mentis extasim vir Dei raperetur, venit ad eum Angelus Domini, & ostendit insulam quamdam à gentilibus possessam, in quâ ipse verbum Dei prædicare deberet, ac homines illius insulæ à culturâ dæmonum ad fidem Christi co[n]uerteret. Qui visionem Fratribus suis narrans, & qualiter figuram & dispositionem insulæ ab Angelo comperisset indicans, ac deliberatione aliquantulùm cum Fratribus habitâ, ad eamdem cĊlitus inspiratus cum suis perrexit. Qui cùm ibidem cellam construeret, pagani qui erant à maligno spiritu instigati, & inuidiæ facibus succensi, (c) monachorum sarculos, & cætera instrumenta ac vtensilia, in mare proiecerunt. Sed qui Ionam Prophetam in ventre belluæ marinæ viuum proiecit, is instrumenta suorum ad portum optatum reduxit.“ Zu (c) die folgende Anm. Vgl. ebd., S. 331a, Anm. c: „Distinctius MS. Fitz-Sim. monachorum sarculos & cetera vtensilia, quibus terram colebant, in mare mittebant, sed ea Diuinâ virtute quotidie ad terram reducebat.“

527 me[n] und schöne[n] Frau […], die ihm dienstbar sein sollte“, versorgt zu werden. 163 Die Deutung dieser Passage bereitete noch der modernen Forschung Kopfzerbrechen. Ward selbst oder diejenigen, die die Abschriften für die Löwener Minoriten aus dem Codex Insulensis angefertigt hatten, hatten den an dieser Stelle im Codex Insulensis vorhandenen Infinitiv „nubere“ ausgespart. Dieser hatte das Begehren des Leprosen, in dessen ärmlicher und von Krankheit entstellter Gestalt der fromme Abt Fechin bald eine Inkarnation Christi zu vermuten begann, als einen Wunsch zur Vermählung gekennzeichnet, 164 dem Fechin gerne nachzukommen bereit war. Als eine dem hohen Gast angemesse Wahl betrachtete Fechin die Königin des Landes. Diese sollte sich, nach anfänglichem Zögern, dem Leprosen insofern als dienstbar erweisen, als sie einer Prüfung ihrer Nächstenliebe standhielt und seiner Aufforderung nachkam, ihm – „mannhaft handelnd “ – den Schleim aus den Nasenlöchern zu saugen. Sodann verwandelte sich die in einem Leintuch abgelegte Flüssigkeit zu Gold. Angesichts eines sich himmelwärts ausdehnenden Feuerballs und aufgrund der Tatsache, dass er die Königin ohne Begleitung im Hospiz vorfand, konnte Fechin sicher sein, dass sie in der Tat die Zeugen einer Inkarnation Christi geworden waren. 165 –––––––— 163

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Vgl. ebd., S. 331a: „Cvm verò vir Dei multis miraculis ac virtutibus coruscaret, contigit quòd quidam leprosus viceribus plenus ad eum in portâ monasterij commorantem veniret, atque cibum ab eo, quo famis inopiam satiaret, exposceret, & (c) quamdam nobilem feminam & pulchram, quĊ ei ministrare deberet, à sancto viro inquiri iussit.“ Vgl. Vita sancti Fechini, in: Vitae Sanctorum Hiberniae, ed. Plummer, Bd. 2 (1910), S. 80: „[…] et quandam nobilem feminam, que ei ministrare nubere deberet, a sancto uiro iussit.“ Das in den Handschriften des Codex Insulensis verzeichnete „nubere“ fehlt nicht nur in den Acta Sanctorum der Bollandisten, sondern auch in den Acta Sanctorum Scotiae seu Hiberniae. Es könnte also sein, dass die von Matthews veranlassten Transkriptionen, auf die sich beide stützten, in diesem Punkt unvollständig waren. Vgl. Plummers Erläuterungen ebd., Anm. 8. Vgl. Vita S. Fechini, AASS Ianuarii, Bd. 2, 1643, 20. Jan., S. 331a–b: „Sanctus verò Fechinus humeris propriis leprosum imponens, ad hospitium ipsum adduxit, & cùm Christum in paupere suscipi non dubitaret, in nullo eum offendere volens, ad castrum Regis Dermitij, quod propè erat, accedens, vxori Regis præcepit dicens: Veni, vt leprosi mei desiderium compleas, & eius ministerium humiliter compleas. Quæ respondit se numquàm hoc facturam, nisi pro certo haberet à Deo perpetuĊ hereditatis præmium. S. Fechinus nihil hĊsitans, regna perpetua ei promisit, si sibi consentiret. Quod credens fideliter mulier, cum viro Dei ad hospitium, vbi vir leprosus morabatur, aduenit. Sancto verò foras egresso, leprosus ad Reginam dixit: Nares meas in ore tuo suge & phlegma inde extrahere. At illa propter primu[m] promissum viriliter agens, sicut imperauit fecit, & phlegma in linteum posuit: iterum quoque ei mandauit, vt similiter faceret, & id quod extraheret, S. Fechino reseruaret. […] Sancto verò Fechino domum redeunte, ac circumquaque respiciente, globum igneum de culmine domus vsque ad cælum extendi vidit: in quo globo à Domino se visitari intelligens, gratias sibi retulit, & hospitium ingressus solam Reginam inibi inuenit: quĊ sicut leprosus iusserat, id quod in linteo suo recondidit, S. Fechino dare cupiens, aurum probatissimum reperit, […].“

528 In Bollands „MS. Fitz-Simonis“ hingegen war der heikle Infinitiv „nubere“ nicht übergangen worden. Fitzsimon selbst oder seine unbekannte – möglicherweise volkssprachliche – Vorlage hatte das Ansinnen des Leprosen derart rationalisiert, dass es mit dem Verhalten von Kindern verglichen wurde. Auch Kinder pflegten nämlich von ihren fürsorglichen Eltern mancherlei „Tändeleien“ und „Widersinnigkeiten“ zu verlangen. Dennoch forderte Fechin in dieser Version die Königin ausdrücklich zum Eheschluss mit dem Leprosen auf. Bolland kommentierte diese Variante mit den Worten, dass der Ausdruck des Heiratens in diesem Zusammenhang insgesamt keinen Sinn zu ergeben schien. Wahrscheinlich sei er auf die Anwandlungen desjenigen zurückzuführen, der die Vita, so Bolland, zuerst aus dem Irischen ins Lateinische übersetzt habe. 166 Die Möglichkeit zu einer solchen Lesung wollte er dennoch nicht ganz und gar verwerfen, denn: uns sind in der Tat mystische Vermählungen der frommen Geister nicht unbekannt, mit Christus, mit der göttlichen Weisheit, mit der Gottesgebärerin; durch die weder die jungfräuliche Keuschheit verletzt werden dürfte noch das weltliche Ehegelübde. Und dies hat möglicherweise die sehr weise Königin empfunden, nachdem Fechin einen Wink gegeben haben könnte, dass Christus in der Gestalt eines Leprosen anwesend sei; […]. 167

Fitzsimons Abschriften erfüllten in den Acta Sanctorum eine ausnahmslos komplementäre Funktion. 168 Neben ihnen, dem Codex Salmanticensis und –––––––— 166

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Vgl. ebd., S. 331b Anm. c: „Aliter hoc leprosi, Christi nimirum sub eâ specie postulatum, refertur in MS. Fitz-Sim. Et more puerorum qui tenerrimè à parentibus diliguntur, quædam ludicra & contraria quærens, quamdam feminam pulcram [!] & nobilem à sancto viro, quæ ei nubere deberet, inquiri iussit. Sanctus verò Fechinus in humero suo leprosum imponens, ad hospitium eum aduexit, & Christum in paupere suscipiens, in nullo eum offendere voluit, sed vti postulauit, Regem nomine Diarmicium adiit, & vxori eius prĊcipiens ait: Veni vt leprosi mei desiderium expleas, & eius connubium sufferre non spernas. Quæ respondit, nequaquam se ad eius amplexus posse venire, nisi pro certo haberet perpetuum præmium pro hoc opere à Deo recipere &c. Non placet nubendi verbum, & amplexuum. obsequium impendi leproso Sanctus voluit, amore & curâ; non coniugium suasit; nec verò potuit adeò impar, & marito superstite. At videtur qui ex Hibernico primùm hæc vertit, hallucinatus.“ Vgl. ebd.: „Nec ignoramus tamen piarum mentium mystica connubia, cum Christo, Diuinâ Sapientiâ, Deipara; quibus neque virgineus pudor violetur, neque fides matrimonij mortalis. Idq[ue] sensit fortassis sapientissima Regina cùm Christum hic leprosi habitu adesse Fechinus innuisset; […].“ Vgl. G[odefridus] H[enschenius], De Sancto Tigernaco, in: AASS Aprilis, Bd. 1, 1675, 5. April, S. 401–404. [Einleitung], ebd., S. 401f., hier S. 401a. Die Vita dieses Heiligen publizierte Henschen demnach „ex codice pergameno nostro, qui olim pertinuit ad collegium Salmanticense, & contulimus cum altero codice MS. Hugonis Wardæi Minoritæ Hiberni. Alium etiam codicem nacti sumus curante Henrico Fitzimon, in quo nomina propria admodum varia proponuntur, ut lector ex notis poterit colligere.“ In der Vita. Ex tribus codicibus MSS., ebd., S. 402–404, wurde das „MS. Fitzimon.“ zunächst nur im Variantenapparat benutzt. Vgl. ebd., S. 403a, Anm. a–e, h, i. Der von Henschen als: „Caput II. Varia Monasteria constructa. Miracula. Obitus“, klassifizierte Teil der Vita musste aufgrund einer fehlenden Seite im Codex

529 den Kopien Wards entwickelten sich ab 1645 Colgans Acta Sanctorum Scotiae seu Hiberniae zu dem für die Bollandisten wichtigsten Reservoir an Texten und Daten. Dieser – die Monate Januar bis März umfassende – Band gestattete es ihnen, die Dossiers zu den irischen Heiligen so zu gestalten, dass der Eindruck editorischer Eigenständigkeit gewahrt werden konnte. Anders, als es die harten Worte in der Einleitung der Februarbände erwarten lassen könnten, führte diese Erweiterung des empirischen Fundus durchaus nicht zu einem herausgeberischen Zugriff, der als eine systematische Selektion von wahr und falsch zu beschreiben ist. Man wird vielmehr von einer diskontinuierlichen editorischen Praxis sprechen müssen, die, verglichen mit den Januarbänden, prinzipiell mehr Texte und Daten in die Acta Sanctorum einmünden ließ. Ein konsistentes Konzept ist aus dieser Praxis kaum zu erschließen. In den Aprilbänden veröffentlichte Henschen ein kurzes Dossier zum hl. Ibar von Beggery Island, einem vermeintlichen Zeitgenossen des hl. Patrick († 463/93). Auf die Reproduktion der einzigen ihm in abschriftlicher Form vorliegenden – und unvollständigen – Vita hatte Henschen jedoch ostentativ verzichtet. Sie war den Bollandisten von Fitzsimon kommuniziert worden. Aufgrund ihres fabulösen Charakters sei sie, so Henschen, mit den Prinzipien der Acta Sanctorum nicht zu vereinbaren. 169 Das Dossier, –––––––—

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Salmanticensis aus den anderen Viten bestritten werden. Henschen publizierte ebd., S. 403a, c. 6, eine Passage, die nur in Fitzsimons Abschrift vorhanden war. Die verbleibenden c. 7–13, ebd., S. 403f., sowie zwei Hymnen wurden nach der Abschrift Wards gedruckt und mit Varianten aus Fitzsimons Abschrift ergänzt. Vgl. ebd., S. 404b, Anm. a–h. Vgl. zur unvollständigen Version der Vita im Codex Salmanticensis die Vita S. Tigernachi episcopi in Cluain Eois, in: Vitae Sanctorum Hiberniae. Ex Codice olim Salmanticensi, ed. Heist (1965), S. 107–111, hier S. 111 Anm. 2; vgl. zu den weiteren Grundlagen des Dossiers Plummer, Introduction (1910), S. LXXXVIII f., und die herausgeberischen Anmerkungen in der Vita sancti Tigernaci episcopi de Cluain Eois, in: Vitae Sanctorum Hiberniae, ed. Plummer, Bd. 2 (1910), S. 263–269, hier S. 264 Anm. 12; Sharpe, Saints’ Lives (1991), S. 372f. Ein ähnliches Beispiel ist das Dossier: G[odefridus] H[enschenius], De S. Carthaco sev Mochvdda Episcopo et Abbate Lismoriensi in Hibernia, in: AASS Maii, Bd. 3, 1680, 14. Mai, S. 375–388. [Einleitung], ebd., S. 375a: „Hujus duplicem Vitam damus: priorem ex MS. Salmanticensi & alio nobis olim ab Henrico Fitzsimon concessam, […].“ Für die: Vita. Ex duplici MS. Legendario, ebd., S. 375–378, blieb es der Version Fitzsimons vorbehalten, den Variantenapparat zu füllen. Vgl. ebd., S. 378a, Anm. d, f–h. Nur eine von Fitzsimons Schreibungen wurde gegenüber denen des Codex Salmanticensis präferiert. Vgl. ebd., Anm. c. Vgl. zu den Grundlagen des Dossiers Plummer, Introduction (1910), S. XLVI; D. J. Thornton, „Vita Sancti Carthagi“ in the Seventeenth Century, in: Carey/Herbert/Ó Riain (Hrsg.), Studies (2001), S. 317–336, hier S. 318 mit Anm. 4, S. 329ff.; vgl. im Vergleich die Vita S. Carthachi seu Mochuda episcopi Lismorensis, in: Vitae Sanctorum Hiberniae. Ex Codice olim Salmanticensi, ed. Heist (1965), S. 334–340. Vgl. G[odefridus] H[enschenius], De Sancto Ibaro, Episcopo Hiberno, in: AASS Aprilis, Bd. 3, 1675, 23. April, S. 173f., hier S. 174b: „Habemus etiam aliqua Acta S. Ibari, sed nostro judicio multis fabulis confecta, ideoque quæ huic nostro operi inserantur, non satis congrua.“ Die in den Collectanea bollandiana erhaltene – hier

530 das einer kurzen Abhandlung über den Heiligen entsprach, bestritt er in weiten Teilen mit Exzerpten aus der Vita Abbani, eines vermeintlichen Schülers und Neffen des hl. Ibar. 170 Nach eigener Aussage habe er sie Usshers Britannicarum ecclesiarum antiquitates von 1639 entnommen. Diese Zitate überschritten allerdings durchaus den Wortbestand, der in den Antiquitates hätte nachgelesen werden können. Henschen hatte sie also mit großer Wahrscheinlichkeit aus Colgans Druck der Vita Abbani nach dem Codex Kilkenniensis gewonnen, dessen Erwähnung er offensichtlich zu vermeiden suchte. 171 Auffällig ist überdies, dass Henschen davon absah, die –––––––—

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nicht eingesehene – Vita trägt in Papebrochs Hand die Notiz: „Ex MS. P. Fitzsimon.“ Vgl. Grosjean, Textes (1959), S. 426; Van den Gheyn, Catalogue, Bd. 5 (1905), S. 430, Ms. 7773 (3444), Nr. 135 mit Anm. 8. Vgl. Sharpe, Saints’ Lives (1991), S. 115. Vgl. De Sancto Ibaro, AASS Aprilis, Bd. 3, 1675, 23. April, S. 173a–b, bezüglich seines Festtags und seines Ablebens auf Beggery Island: „Eadem in Vltoniensibus Annalibus indicari tradit Vsserius, de Britannicarum Ecclesiarum Primordiis pag. 1062. Illustre testimonium de ipso S. Ibaro habetur in S. Abbani ejus discipuli Actis, & est hujusmodi. Innumerabiles sancti monachi, Clerici & sanctimoniales in diversis locis per totam Hiberniam tempore illo sub magisterio S. Ibari erant: Sed beatus Episcopus Ibarus in famosissimo & optimo suo monasterio, quod vocatur BegErein plus habitabat quam in aliis locis, quia multum locum illum diligebat. Illud vero monasterium in Australi parte Hua-Kensalach est positum, in insula mari vallata, & insula & monasterium uno nomine dicuntur, id est Beg-Erin, quod […].“ Das Zitat endete ebd., S. 174a: „[…] quos elegit Deus, ut Hibernienses de gentilitate ad Christi fidem converterent.“ Es folgte auf die Angabe der Provenienz ein zweites Zitat aus der Vita Abbani nach Ussher, ebd.: „Hæc ex dicta Vita S. Abbani Vsserius pag. 794, qui in Addendis pag. 1062 ex eadem Vita ita tradit: Abbanus duodennis, ipso volente & parente utroque consentiente, traditus est educandus in litteris secularibus […]. […] & situm est ad Australem partem regionis Hua-Kensellach in provincia Laginiæ, in littorali modica insula. Hæc ibi ex dicta S. Abbani Vita Vsserius […].“ Ussher hatte nur einige Auszüge aus der Vita Abbani reproduziert. Die von Henschen zuerst zitierte Passage setzt bei Ussher, und dies ist wichtig, etwas später ein. Zudem weist sie eine andere Schreibung insbesondere der Ortsnamen sowie eine etwas andere Syntax auf. Die Abweichungen werden im Folgenden durch Ausrufezeichen markiert. Vgl. nach der hier konsultierten zweiten Ausgabe mit anderer Paginierung: BRITANNICARUM || Ecclesiarum || ANTIQUITATES: || Quibus inserta est || Pestiferæ adversùs Dei Gratiam à PELAGIO || Britanno in Ecclesiam inductæ Hæreseos || HISTORIA. || ACCEDIT || GRAVISSIMÆ QUÆSTIONIS || De Christianarum Ecclesiarum || SUCCESSIONE & STATU || HISTORICA EXPLICATIO. || A || JACOBO USSERIO Archiepiscopo || Armachano, totius Hiberniæ Primate. || Editio Secunda, in utraque parte ipsius Reverendissimi Autoris manu || passim aucta & nusquam non emendata. || LONDINI, || Impensis Benj. Tooke. MDCLXXXVII (Neudruck Westmead 1970), S. 414f.: „[…] ex Vitâ Albani: Beatus Episcopus Ibarus in famosissimo & in [!] optimo suo monasterio, quod vocatur Beckerin [!] plus habitabat quàm in aliis locis, quia multùm illum locum !] diligebat. Illud verò monasterium in australi parte Huachensealay [!] est positum, in insulâ vallatâ mari [!]: & insula & monasterium uno nomine dicuntur, id est, Beckherind [!]; quod […].“ Das Exzerpt aus der Vita Abbani endete, wie bei Henschen, ebd., S. 415: „[…] quos elegit Deus ut Hibernienses de gentilitate ad Christi fidem converterent.“ Die diesem Zitat bei Henschen vorangehende Sentenz: „Innumerabiles sancti monachi, Clerici & sanctimonia-

531 dem sehr ähnliche Version der Vita Abbani aus dem Codex Salmanticensis, die den Bollandisten sogar in originaler Form vorlag, 172 zu verwenden. Grundsätzlich hatten sich die Bollandisten im Vorfeld des Dossiers an der Lebensbeschreibung des hl. Ibar keineswegs uninteressiert gezeigt. Aus einem Schreiben Thomas Sheerans († 1673), der nach Colgans Tod für die Löwener Hagiographie verantwortlich war, vom 10. April 1671 geht hervor, dass sich Papebroch bei ihm nach jener Vita Ibari erkundigt hatte, die in Usshers Antiquitates erwähnt worden war. Papebroch scheint Sheeran mit dieser Anfrage eine Abschrift der unvollständigen Version Fitzsimons zugesandt zu haben. Sheeran gab sie ihm mit den Worten zurück, dass man diese Version als ausgezeichnet qualifizieren könnte, wenn sie nur von den Fehlern der Kopisten bereinigt worden wäre. 173 Eine Vita des hl. Ibar jenseits der Passagen aus Usshers Antiquitates sei ihm allerdings nicht vor Augen gekommen. 174 Die in den Antiquitates zitierten Passagen der Vita Ibari befinden sich allerdings derart dicht an der Abschrift Fitzsimons, dass die aktuelle Forschung davon ausgeht, dass Ussher und Fitzsimon aus derselben –––––––—

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les […]“, findet sich bei Ussher nicht. Im Verbund mit den von Ussher abweichenden Schreibungen zeigt sich deutlich, dass Henschen seine Zitate aus der Vita Abbani nicht aus Usshers Antiquitates, sondern aus der unten angeführten Ausgabe Colgans übernommen hatte, wiewohl auch in diesem Fall Henschens Schreibung der Orte nicht völlig mit jener Colgans identisch ist. Henschens zweites Segment aus der Vita Abbani nach Ussher ist demgegenüber vergleichsweise unauffällig. Vgl. die Addenda quædam omissa, ebd., S. 505–509, hier S. 509: „Ne verò Ibari videamur esse obliti: ex Vitæ Abbani scriptore ista libet hîc repetere: Abbanus duodennis, ipso volente & parente utroque consentiente traditus est educandus in literis secularibus […]. […] & situm est ad australem partem regionis Hua-Kensellach in provinciâ Laginiæ, in litorali modicâ insulâ. Inter Longævos autem numeratur, tum ipse Ibarus, quem circa annum Domini quingentesimum, IX. Calend. Maij, mortem obiisse Ultonienses Annales subindicant […].“ Vgl. Vita S. Abbani Abbatis. De Magharnvidhe. Ex MS. Membraneo Codice Kilkenniensi, in: AASS Scotiae seu Hiberniae, Bd. 1, 1645, 14. März, S. 610–627, hier S. 612a: „Innumerabiles enim sancti monachi clerici & Sanctimoniales in diuersis locis per totam Hiberniam tempore, illo sub magisterio S. Ibari erant. Sed B. Episcopus Ibarus in famosissimo & optimo suo monasterio, quod vocatur Beg-ereinn, plus habitabat quam in aliis locis: quia multum locum illum diligebat. Illud vero monasterium in australi parte Hua Kenselaig est positum, in insula mari vallata: & insula & monasterium vno nomine dicuntur, id est Beg-erynn, quod […].“ Das Zitat endet ebd., S. 174a: „[…] quos elegit Deus vt Hibernienses ad Christi fidem conuerteret [!]: ibiq[ue] clara miracula […].“ Vgl. dazu Plummer, Introduction (1910), S. XXIII. Vita S. Abbani abbatis de Mag Arnaide et Cell Abbain, in: Vitae Sanctorum Hiberniae. Ex Codice olim Salmanticensi, ed. Heist (1965), S. 256–274, hier S. 258: „Licet autem innumerabiles sancti monachi, clerici et sanctimoniales sub cura et doctrina sancti Ibar in diversis monasteriis et aliis locis degerent, tamen dictus pater precipue morabatur in insula que Bec Erin […] appellatur […].“ Vgl. Sheeran an Papebroch, Löwen, 10. April 1671, in: Grosjean, Textes (1959), S. 427–429, hier S. 427f.: „[…] remitto S. Ibari incompletam Vitam, sed egregiam si esset a librariis mendis expurgata, […].“ Vgl. ebd., S. 428: „Ego sane nec istam mutilam nec aliam S. Ibari Vitam ante vidi, sed solum quae pauca ex illa Usserius suo operi de Britanicis Ecclesiis inseruit, […].“

532 Vorlage geschöpft haben. 175 Diese Ähnlichkeit konnte auch Henschen und Papebroch nicht entgangen sein. Sie hatten demnach keineswegs von Anfang an geplant, die „fabulöse“ Vita Fitzsimons aufgrund dieser Eigenschaft in den Acta Sanctorum auszulassen, sondern sich ganz im Gegenteil darum bemüht, eine vollständige Fassung zu erlangen. Einige insulare Heilige, deren Kult sich auf das Festland ausgedehnt hatte, erlaubten es den Bollandisten, mit Materialien aufzuwarten, die nicht bereits in den Acta Sanctorum Scotiae seu Hiberniae veröffentlicht worden waren. Diese Gelegenheiten konnten genutzt werden, um die Überlegenheit der eigenen Quellen zu betonen. Der hl. David von St. Davids (Mynyw) in Wales († 588/601) war von Colgan aufgrund gentiler, biographischer und kultgeschichtlicher Aspekte dem weiteren Raum der irischen Hagiographie zugewiesen worden. 176 Die Lebensbeschreibungen dieses Heiligen wurden von Henschen und Papebroch insgesamt sehr negativ bewertet. Vieles in ihnen sei „aus dem Gerede des Volks, läppische Anhängsel erdichtend, zusammengescharrt, auf fehlerhafte Weise von anderen zurechtgestutzt worden, und daher haben wir sie an anderer Stelle als nicht hinreichend vertrauenswürdig bewertet.“ 177 Ihnen selbst lagen eine abschriftliche Version aus Van Boecholts Passionale vom Beginn des 15. Jahrhunderts sowie eine von Ward kommunizierte Abschrift aus dem Codex Insulensis vor. Letztere war bereits von Colgan veröffentlicht worden. An ihr orientiert publizierten die Bollandisten aus der Vita des Codex Insulensis ein Segment. 178 Unbenommen ihrer Kritik an Form und Inhalt der Viten druckten sie die – realiter jüngere – Kurzvita aus Van Boecholts Passionale vollstän–––––––— 175 176

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Vgl. Sharpe, Saints’ Lives (1991), S. 115f., 375ff. Vgl. Vita S. Davidis Episcopi Menevensis. Ex membranis Reverendissimi Domini D. Davidis Rovth Episcopi Ossoriensis, in: AASS Scotiae seu Hiberniae, Bd. 1, 1645, 1. März, S. 425–432, hier S. 430a, die erste Anmerkung [nicht nummeriert]: „Dauidem Meneuensem inter Hiberniæ Sanctos connumerandum duximus, triplici moti argumento. Primò, quia mater eius fuit domo & origine Hiberna […]. Secundò, quia per multos Sanctos nostræ gentis singulari coluit amicitia […]. Tertiò quia à domesticos Martyrologiis inter Sanctos Hiberniæ numeratur.“ Vgl. De S. Davide Archiepiscopo Menevensi in Wallia, in: AASS Martii, Bd. 1, 1668, 1. März, S. 38–47. Commentarius præuius, ebd., S. 38–41, hier S. 38b: „Acta S. Dauidis plura extant, nulla à coætaneis concinnata scriptoribus: multa in iis ex famâ vulgi, friuolas affingente lacinias, corrasa, & mendosè ab aliis interpolata, ideoque non satis fide digna aliàs censuimus: […].“ Vgl. Appendix I. Ex Vitâ eiusdem à Colgano ex MS. editâ. Regula viuendi à S. Dauide monachis præscripta, in: ebd., S. 46. Inc.: „Expulsâ igitur Dei auxilio inimicorum malitiâ […].“ Vgl. Vita S. Davidis, AASS Scotiae seu Hiberniae, Bd. 1, 1645, 1. März, S. 426b: „[…] per omnia benedictus Deus ipsos destruxit. || Expulsâ igitur Dei auxilio inimicorum malitiâ […].“ Die von Ward übermittelte Kopie ist in den Collectanea bollandiana erhalten. Vgl. Van den Gheyn, Catalogue, Bd. 5 (1905), S. 407, Ms. 3196–203 (3439), Nr. 19 mit Anm. 10; vgl. zur Version des Codex Insulensis Sharpe, Saints’ Lives (1991), S. 251, 265.

533 dig ab. 179 Diese, so sagten sie allerdings, sei bisher nicht nur unbekannt gewesen, sondern auch, im Vergleich mit der Version des Codex Insulensis, als die ältere und sorgsamer verschriftlichte Vita zu bewerten. Die von Colgan gedruckte Version hingegen apostrophierten sie als fehlerhaft und sprachlich aufgebläht. 180 Ob diese Diagnosen dem Wunsch entsprungen waren, die Gelegenheiten zu nutzen, um die Überlegenheit der eigenen Quellen zu betonen, oder ob die Bollandisten davon überzeugt gewesen waren, auf diese Weise einen seriösen Beitrag zur Frage der Textgenese geleistet zu haben, sei dahingestellt. In den Märzbänden veröffentlichten Henschen und Papebroch erstmals überhaupt in den Acta Sanctorum eine Vita aus dem Codex Salmanticensis als Primärtext. Diesen Überlieferungsträger sahen sie – rund ein Jahrhundert zu früh – Mitte des 13. Jahrhunderts („vor 400 Jahren“) entstanden. Im Dossier des hl. Ciarán von Clonmacnoise († 549) kündigten sie an, diese „besseren“ Tatenberichte aus ihrem Codex zu publizieren. Hierbei handelte es sich zwar um eine kontrahierte Fassung. Allerdings sei es ihnen nicht gelungen, in den Besitz anderer Lebensbeschreibungen zu gelangen. Colgan hingegen habe eine Vita aus dem Codex Kilkenniensis veröffentlicht, die als –––––––— 179 180

Vgl. De S. Davide Archiepiscopo Menevensi in Wallia, AASS Martii, Bd. 1, 1668, 1. März. Vita ex MS. Vltraiectino, ebd., S. 41–46. Vgl. Commentarius præuius, ebd., S. 38b: „[…] ex his antiquißima [acta] ea opinamur, quæ olim in Belgium ex Britanniâ delata, reperimus in codice MS. Vltraiectino Ecclesiæ S. Saluatoris, & hîc damus, quia alia accuratiùs scripta non suppetunt, & hæc adhuc inedita sunt, nec ab Vsserio, Colgano aliisque citata. Secunda Acta videri possunt, quæ ex membranis Episcopi Ossoriensis edidit Colganus in Actis Sanctorum Hiberniæ ad hasce Martij Kale[n]das, nobis olim ab Hugone Vardæo communicata. Sunt hæc ex prioribus desumpta, phrasi subinde nitidiore exculta, subinde glossematis mendosis aucta. Quæ de regulâ monasteriis S. Dauidis præscripta inseruntur, serosum damus, nonnulla in Notationibus obseruamus, reliqua apud Colganum edita curiosus lector reperiet.“ Der erwähnte Bischof von Ossory ist David Rothe (1573–1650), der sich bereits zu Beginn des 17. Jahrhunderts auf der Suche nach irischen Heiligenviten nachweisen lässt. Vgl. Sharpe, Saints’ Lives (1991), S. 42, 46, 66 mit Anm. 107, S. 228; zur Tradition Elissa R. Henken, Welsh Hagiography and the Nationalist Impulse, in: Celtic Hagiography and Saints’ Cults, hrsg. v. Jane Cartwright, Cardiff 2003, S. 26–44, hier S. 32–44; zum Todesdatum des Heiligen J. Wyn Evans, St David of St Davids. Some Observations on the Cult, Site and Buildings, in: ebd., S. 10–25, hier S. 12 mit Anm. 15. Die von Colgan und den Bollandisten gedruckten Versionen sind Ableitungen einer Vita, die der Sohn des Bischofs Sulien von St. David Rhigyfarch († 1099) um 1095 verfasst hat. Unter diesem Namen wurde die Vita Davidis erstmals 1691 in Henry Whartons (1664–1695) Anglia sacra gedruckt. Vgl. J. W. James, Introduction, in: Rhigyfarch’s Life of St. David. The Basic Mid TwelfthCentury Latin Text with Introduction, Critical Apparatus and Translation, hrsg. v. dems., Cardiff 1967, S. XI–XLIII, hier S. XII, XXIII, XXIX; vgl. zur Vita auch C. Patrick Wormald, Art. David, hl. (Dewi Sant), in: LexMA, Bd. 3, 1986, Sp. 602; Lapidge/Love, Hagiography (2001), S. 273f. Die Urheberschaft Rhigyfarchs war den Bollandisten unbekannt. Colgan scheint von ihr aus Usshers Antiquitates gewusst zu haben. Vgl. Vita S. Davidis, AASS Scotiae seu Hiberniae, Bd. 1, 1645, 1. März, S. 430 Anm. 1.

534 „weitläufiger“ und als das Resultat rhetorischer Amplifikation zu bewerten sei. Ihr sei daher geringere Autorität zuzubilligen. 181 Aus diesem Druck („MS. Kilkenniense“) speisten sich die Varianten der Vita Kierani in den Acta Sanctorum 182 und ein umfangreicher Anhang mit Mirakeln, deren Abfolge die Bollandisten neu arrangiert hatten. 183 Colgan hatte jedoch auch über die Vita aus dem Codex Salmanticensis verfügt, deren Erstedition er, wie von den Bollandisten nicht diskutiert wurde, geleistet hatte. 184 In diesem Fall hatten sie also insgesamt kein neues Material zu bieten. Analoges gilt für das Dossier des vielleicht um 540 wirkenden hl. Senán aus demselben Band. In diesem Dossier wurde der Codex Salmanticensis, der eine unvollständige Fassung der Vita Senani enthält, auf das späte 12. oder frühe 13. Jahrhundert datiert. Eine vollständige Fassung der Vita liege ihnen, so Henschen und Papebroch, in Gestalt einer Abschrift Wards aus dem Codex Kilkenniensis vor. Colgan, dem auch hier beide Fassungen be–––––––— 181

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Vgl. De S. Kierano et S. Cartacho eivs discipulo, Episcopis et Abbatibvs Sagiriensibvs in Ossoria Hiberniæ provincia, in: AASS Martii, Bd. 1, 1668, 5. März, S. 389– 399. Commentarius præuius, ebd., S. 389–394, hier S. 392b: „Acta autem cùm nequeamus, qualia vellemus, habere; dedimus quæ iudicavimus meliora ex Salmanticensi nostro Codice, quæ ex numero deficientium & alibi repertorum miraculorum contracta quidem esse apparet, ante annos tamen quadringentos composita, ex ipsâ codicis vetustate liquet: alia prolixiora Colganus ex MS. Kill-kenniensi edidit […]; sed ornatu & amplificatione quâdam rhetoricâ, & antiquariarum glossarum interpositione multùm immutata: propter quæ minoris auctoritatis nobis visa sunt esse.“ Vgl. Vita S. Kierani Episcopi et Confessoris. Ex Codice Kill-Kenniensi, in: AASS Scotiae seu Hiberniae, Bd. 1, 1645, 5. März, S. 458–467; vgl. dazu Plummer, Introduction (1910), S. LI ff.; Sharpe, Saints’ Lives (1991), S. 391f. Vgl. De S. Kierano, AASS Martii, Bd. 1, 1668, 5. März. Vita. Ex MS. Codice nostro olim Collegij Hibernici Societatis IESV Salmanticæ, ebd., S. 394–397, hier S. 395a Anm. c, d, h, i, k, l, und öfter. Vgl. Appendix. Alia miracula ex MS. Kill-kenniensi apud Colganum, in: ebd., S. 397–399. Die ebd., S. 397b–398a, als c. 19–21 des Dossiers publizierten mirakulösen Episoden entsprachen bei Colgan den c. 13, 14, 15, 24; die c. 24–27, ebd., S. 398a–b, Colgans c. 36, 28, 29, 30, 17, usf. Vgl. Vita S. Kierani Episcopi et Confessoris, AASS Scotiae seu Hiberniae, Bd. 1, 1645, 5. März, S. 459b–460a, 461a–b, 463a. Welchen Zweck diese Umordnung erfüllen sollte, ist kaum zu entscheiden, sieht man von der Vermutung ab, dass die Bollandisten auch hier bestrebt gewesen sein könnten, die Abhängigkeit von den Acta Sanctorum Scotiae seu Hiberniae etwas zu verunklaren. Vgl. Vita S. Kiernani. Alia Vita eivsdem seu Lectiones officii eivs. Ex MS. Salmanticensi, in: AASS Scotiae seu Hiberniae, Bd. 1, 1645, 5. März, S. 467–469. Inc.: „Beatus Pontifex Kieranus Hibernorum prmogenitus [!], […].“ Expl.: „[…] quatenus ea [!] duce ingredi mereamur aulam æternæ hæreditatis. Amen.“ Vgl. die Ausgabe der Bollandisten De S. Kierano, AASS Martii, Bd. 1, 1668, 5. März. Vita. Ex MS. Codice nostro, S. 394a, 397a. Inc.: „Beatus Pontifex Keranus Hybernorum primogenitus, […].“ Expl.: „[…] quatenus eo Duce ingredi mereamur aulam æternæ hæreditatis. Amen.“ Vgl. dazu die moderne Ausgabe der Vita S. Ciarani episcopi Saigirensis, in: Vitae Sanctorum Hiberniae. Ex Codice olim Salmanticensi, ed. Heist (1965), S. 346–353, Inc.: „Beatus pontifex Keranus Hibernorum primogenitus, […].“ Expl.: „[…] quatenus eo duce, ingredi mereamur aulam eterne hereditatis. Amen.“

535 kannt gewesen waren, hatte aus ihnen einen kollationierenden Druck erstellt. 185 Die von Henschen und Papebroch veröffentlichte Vita entsprach weithin dem auf identischen Grundlagen erstellten Primärtext Colgans nach dem Codex Kilkenniensis, der um Varianten aus dem Codex Salmanticensis ergänzt worden war. 186 Bei einer zweiten von den Bollandisten präsentierten „Vita Ex MSS. Hibernicis“ handelte es sich um den Nachdruck einer von Colgan aus verschiedenen vernakulärsprachlichen Viten kompilierten und ins Latein übersetzten Lebenschreibung. 187 Auch wenn Henschen und Papebroch demnach in einzelnen Fällen dazu neigten, die Viten aus dem Codex Salmanticensis ausdrücklich als älter und besser zu qualifizieren, folgte daraus keineswegs, dass man die in Antwerpen allein im Original vorhandenen Viten aus dem Codex Salmanticensis editorisch bevorzugt hätte.

6.2.2 Kollation In den früheren Bänden der Acta Sanctorum wurde der Codex Salmanticensis nur sporadisch genutzt. Grosjean vermutete, dass Bolland es vermeiden wollte, seinen Besitz publik zu machen. 188 Der einzige ausdrückliche Bezug auf den Codex Salmanticensis innerhalb der Januarbände befindet sich im Dossier des Bischofs Edanus oder Moedóc von Ferns († 626). 189 In diesem Dossier wurde eine von Ward besorgte Vita mit der Provenienz: „ex vetustis codicibus Kilkenniensibus“, als Primärtext publiziert. Sie sei, so Bolland, von ihm „mit einem alten Codex“ abgeglichen worden, „den wir aus dem irischen Kolleg der Gesellschaft Jesu in Salamanca empfangen haben.“ 190 Die Vita des Codex Salmanticensis wurde hier ausschließlich ge–––––––— 185

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De Sancto Senano Episcopo et Abbate in Hibernia, in: AASS Martii, Bd. 1, 1668, 8. März, S. 760–779. [Einleitung], ebd., S. 760f., hier S. 761a: „Extat ea [Vita] imperfecta in nostro MS. Salmantino codice, circa seculi XII finem aut initium XIII conscripto; plena autem in quodam alio P. Hugonis Vardæi MS. ex quibus ad inuicem collatis primam vitam Colganus edidit.“ Vgl. Vita. Ex MSS. Salmanticensi & Killkenniensi, ebd., S. 761–768; Vita S. Senani Episcopi et Confessoris: Ex vetusto Codice Kilkenniensi collato cum alio Salmanticensi, in: AASS Scotiae seu Hiberniae, Bd. 1, 1645, 8. März, [fehlerhaft paginiert] S. 602–610, 525–528, 611 [= S. 512–525 bei durchgehender Zählung]. Vgl. De Sancto Senano, AASS Martii, Bd. 1, 1668, 8. März. Secvnda Vita. Ex MSS. Hibernicis, ebd., S. 769–779. Vgl. dazu Sharpe, Saints’ Lives (1991), S. 71, 94 Anm. 7, S. 282, 397f. Vgl. Grosjean, Soldat (1963), S. 419f. Anm. 8, S. 434. Vgl. Godding, Hagiography (2001), S. 290 mit Anm. 6. Vgl. De S. Aidano, siue Mædoco, Episcopo Fernensi in Hibernia, in: AASS Ianuarii, Bd. 2, 1643, 31. Jan., S. 1111–1120. [Einleitung], ebd., S. 1111f., hier S. 1111a: „Vitam S. Aidani, siue Mædoci, ex vetustis codicibus Kilkenniensibus in eadem Lageniâ descriptam, nobiscum communicauit Hugo Wardeum […]. Hanc contulimus cum vetusto codice, quem ex collegio Hiberniensi Societatis Iesu Salmanticâ accepimus.“

536 nutzt, um einige variante Schreibungen anzuzeigen. 191 Das einzige Beispiel einer Verwendung des Codex Salmanticensis in den Februarbänden, sieht man von dem aufgrund der Breite der Überlieferung anders gelagerten Fall der hl. Brigida von Kildare ab, ist Henschens Dossier des hl. Fintán von Clonenagh († 603). 192 Da dieses Dossier geeignet ist, sich darüber zu verständigen, was gemeint war, wenn in den Acta Sanctorum von einem Prozess der Abgleichung der Viten („collata cum…“) gesprochen wurde, sei dieses Beispiel etwas eingehender studiert. In den Collectanea bollandiana existieren zahlreiche Abschriften aus dem Codex Salmanticensis. Da es sich nicht unmittelbar erschließt, aus welchem Grund die Bollandisten Kopien von solchen Viten hätten anfertigen sollen, in deren Besitz sie selber waren, ist es nicht einfach, ihren Zweck zu bestimmen. Dies gilt umso mehr, als diese Abschriften nicht von der Hand eines Bollandisten stammen. Godding ging unlängst davon aus, dass sie „for purposes of collation with other manuscripts or for printing“ erstellt worden seien. 193 Die zweite Hypothese scheint wenig für sich zu haben. Denn vielfach handelte es sich um Viten, die gerade nicht in den Acta Sanctorum gedruckt worden sind. Die erste Annahme allerdings lässt sich mit gebotenem Aufwand bestätigen. Unter den Abschriften aus dem Codex Salmanticensis befindet sich unter anderem besagte Vita des hl. Fintán von Clonenagh. 194 In seinem Dossier kündigte Henschen eine Ausgabe an, die aus eben jenem Codex Salmanticensis und dem Codex Kilkenniensis hervorgegangen sei. Zudem existiere ein Druck in den Acta Sanctorum Scotiae seu Hiberniae, der auf einem anderen „kilkenniensischen“ Manuskript sowie auf einer Version des Codex Insulensis beruhe, welche Colgan am 15. November, einem weiteren Festtag dieses Heiligen, zu publizieren beabsichtigte. 195 Keines Hinweises schien es Henschen zu –––––––— 191

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Vgl. Vita S. Aidani, siue Mædoci Ep. Fern. ex duobus veteribus MSS., ebd., S. 1112– 1120, hier S. 1113a, Anm. d, g, i, o. Vgl. zur Überlieferung Plummer, Introduction (1910), S. LXXV ff.; Sharpe, Saint’ Lives (1991), S. 223ff.; 235, 295f. Vgl. Godding, Hagiography (2001), S. 306. Eine dritte und vierte Erwähnung des Codex Salmanticensis in den drei Februarbänden betrafen die Praetermissi. Darauf wird noch einzugehen sein. Vgl. Godding, Hagiography (2001), S. 296. Vgl. Vita Beati Fintani Cluana Ednách, BRB, Coll. boll. Ms. 7763 (3443), fol. 190r– 199r. Inc.: „Fintanus sanctus filius Crumthinj Crumthini genere Maccu Edach […].“ Vgl. Vita S. Fintani abbatis de Cluain Edhnech, in: Vitae Sanctorum Hiberniae. Ex Codice olim Salmanticensi, ed. Heist (1965), S. 145–153. Inc.: „Fintanus sanctus, filius Crumthini, genere Maccu Edagh […].“ Vgl. G[odefridus] H[enschenius], De S. Fintano Presbytero, Abbate de ClvainEdnech in Hibernia, in: AASS Februarii, Bd. 3, 1658, 17 Feb., S. 16–21. Commentarius præuius, ebd., S. 16a: „Vitam huius sancti Abbatis damus ex MSS. Salmanticensi & Kilkenniensi, ex alio Kilkenniensi eam edidit Colganus atque ex MS. Insulæ omniu[m] SS. daturus ad XV Nouemb. quo aliud eius festum celebrari monet.“

537 bedürfen, dass Colgan auch in diesem Fall schon vor ihm mit einer Kopie aus dem Codex Salmanticensis operiert hatte. 196 Die kollationierte Einheit aus dem Codex Salmanticensis und Codex Kilkenniensis, die Henschen als die Basis für die Ausgabe in den Acta Sanctorum präsentierte („damus ex“), verkörpert sich in toto in der Abschrift aus dem Codex Salmanticensis auf der einen Seite und in ihren Marginalien auf der anderen. Bolland hatte auf den entsprechenden Blättern notiert, dass der primäre Text aus dem Codex Salmanticensis bis zu einem bestimmten Punkt („vsq[ue] ad hoc signum †“) mit einer anderen Handschrift abgeglichen worden sei, die er als Codex Kilkenniensis bezeichnete und die vermutlich („vt puto“) zu Wards Beständen zu zählen sei. 197 Über die Strecke von knapp einem Viertel der Vita hatte Bolland selbst marginal einige variante Schreibungen aus dieser alternativen Handschrift verzeichnet, ehe das Zeichen † das Ende des Vergleichsvorgangs markierte. 198 Soweit erkennbar sind diese Lesungen allerdings nicht, wie Bolland meinte, aus dem Codex Kilkenniensis, sondern aus den Löwener Transkriptionen des Codex Insulensis hervorgegangen. 199 Auf welche Weise sich Bolland die Gelegenheit eröffnet hatte, diese Transkription – offenbar jenseits der Kenntnis oder Unterstützung Wards und ohne präzise Informationen über ihre Identität zu besitzen – insoweit einzusehen, dass wenigstens einige Varianten aus ihr –––––––— 196

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Vgl. Vita S. Fintani Abbatis. De Clvain-Ednech. (1) Ex Codice Kill.kenniensi, in: AASS Scotiae seu Hiberniae, Bd. 1, 1645, 17. Feb., S. 349–357, hier S. 353b Anm. 1: „Ex sæpiùs laudato Codice Kill Kenniensi hanc damus: eadem iisdem pænè verbis habetur in Codice Salmanticensi, nisi quod caput vltimum & penultimum in eo desiderantur. Extat etiam alia vita huius Sancti in Codice Insulensi, quam damus ad 15. Nou. quo aliud eius celebratur festum, hac paulò latinior, & stylo recentior […].“ Vgl. Vita Beati Fintani, BRB, Coll. boll. Ms. 7763 (3443), fol. 190r–199r, oben links: „ex. MS. Hibernico Seminarij Salmanticen. Hibernor. Soc. JESV. Collatum vsq[ue] ad hoc signum † cum MS. Kilkeniensi, vt puto R. P. Hugonis Vardei.“ Vgl. ebd., fol. 192r. Dort befindet sich auf der Höhe der Zeile: „[…] benedixit Fintanus linguam eius […]“, besagtes Zeichen † am linken Rand. Dies entspricht dem c. 5 der Vita S. Fintani, in: Vitae Sanctorum Hiberniae. Ex Codice olim Salmanticensi, ed. Heist (1965), S. 147. Insgesamt hat Heist die Vita in 23 Abschnitte aufgeteilt. Dies geht aus einigen charakteristischen Schreibungen hervor. Vgl. Vita Beati Fintani, BRB, Coll. boll. Ms. 7763 (3443), fol. 190v: „[…] scilicet Kemanus, Enig-truim, et Fintanus Maccu Echthach,[…].“ Bolland notierte marginal die Varianten aus dem vermeintlichen Codex Kilkenniensis: „Caymanus Enaich Tricim || Mac Eathach“. Die Vita sancti Fintani abbatis de Cluain Ednech, in: Vitae Sanctorum Hiberniae, ed. Plummer, Bd. 2 (1910), S. 96–106, hier S. 97, aus dem Codex Kilkenniensis lautet an dieser Stelle: „[…] Coemhanus, qui est pater sanctus monasterii Enaidh Cruym (4); sanctus Fintanus, cuius vitam scribo (5); […].“ Plummer liefert leider keine einschlägigen Varianten für „Coemhanus“. Die Varianten aus dem Codex Insulensis für die übrigen Namen lauten ebd., Anm. 4: „Enaich Truym“; ebd., Anm. 5: „mach Echach“. Die erste Schreibung (Anm. 4) ist im Vergleich mit Bollands Marginalien wenig aussagekräftig. Vergleichsweise eindeutig ist hingegen der folgende Ortsname (Anm. 5), da er im Text des Codex Kilkenniensis nicht vorkommt. Bolland konnte ihn also nur aus einer Version des Codex Insulensis erlesen haben. Vgl. dazu auch unten Anm. 204.

538 hatten gewonnen werden konnten, ist nicht mehr festzustellen. Mit Sicherheit aber besaßen die Bollandisten weder eine vollständige Abschrift aus dem Codex Kilkenniensis noch eine aus dem Codex Insulensis. Neben Bollands Marginalien befindet sich auf der Vita aus den Collectanea bollandiana ein späterer, von Henschen stammender Vermerk: „Diese Vita ist zitiert und abgeglichen worden mit der Edition Colgans, aus der sie herausgegeben worden ist.“ 200 Für den internen Gebrauch vorgesehen hatte er auf diese Weise die Basis der Ausgabe der Vita Fintani in den Acta Sanctorum durchaus treffend beschrieben. In seinem für die Öffentlichkeit bestimmten Dossier allerdings hatte er andere Akzente gesetzt. Seine Ausgabe der „Vita. Ex II Codicibus MSS. & Colgano“ beinhaltete im Wesentlichen eine Reproduktion des von Colgan gedruckten vollständigen Texts aus dem Codex Kilkenniensis. 201 Die Vita des Codex Salmanticensis ging, wie im Fall der Vita Edani, in den Variantenapparat ein. Hier vereinigten sie diese Varianten mit jenen, die bereits Colgan sowohl aus dem Codex Salmanticensis als auch aus dem Codex Insulensis dargeboten hatte. 202 Es dürfte –––––––— 200 201

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Vita Beati Fintani, BRB, Coll. boll. Ms. 7763 (3443), fol. 190r. Notiz am oberen rechten Rand: „citata hæc Vita et collata cum editione Colgani ex quâ edita.“ Vgl. Henschen, De S. Fintano, AASS Februarii, Bd. 3, 1658, 17. Feb. Vita. Ex II Codicibus MSS. & Colgano, ebd., S. 17–21, hier S. 17a. Inc.: „Sanctus Abbas Fintanus, vir vitâ venerabilis, de prouinciâ Lageniensium […].“ Vita S. Fintani, AASS Scotiae seu Hiberniae, Bd. 1, 1645, 17. Feb., S. 349a. Inc.: „Sanctus Abbas Fintanus, vir vitæ venerabilis, de prouincia Lageniensium […].“ Vgl. Plummer, Introduction (1910), S. LXX. In einzelnen Buchstaben konnten Henschens Lesungen des Codex Salmanticensis von jenen Colgans abweichen. Die übrigen Angaben repräsentierten – nicht nur in diesem Beispiel – eine Abbreviatur der Anmerkungen Colgans. Vgl. Henschen, De S. Fintano, AASS Februarii, Bd. 3, 1658, 17. Feb. Vita, ebd., S. 17a: „[…] in loco qui dicitur Cluain (c) […].“ Ebd., S. 18a Anm. c: „MS. Salm. Cluain-mac [!] trein. MS. Insul. Cluain mhic-treoin. Dubitat Colganus, num oppidum Lageniæ Rosmhic treoin intelligatur, an verò monasterium Cluian-chaoin, satis propinquum monasterio de Cluain-eidnech.“ Vgl. Vita S. Fintani, AASS Scotiae seu Hiberniae, Bd. 1, 1645, 17. Feb., S. 349b: „[…] in loco qui dicitur Cluain (4) […].“ Ebd., S. 353b Anm. 4: „In codice Salmant. vocatur hic locus Cluain-mhic [!] trein: in codice verò Insulensi Cluain-mhic treoin. Nescio an hic locus sit Ros-mhic treoin, oppidum Lageniæ celebre, de quo in vita S. Abbani c. 23. & Moluani c. 13. an verò sit Cluain-chaoin Monasterium olim non ignobile, satis propinquum in Monasterio de Cluaineidhnech.“ Einigkeit ist über diese Lesung bis heute nicht erzielt. Vgl. den von Plummer edierten Text des Codex Kilkenniensis der Vita sancti Fintani, in: Vitae Sanctorum Hiberniae, ed. Plummer, Bd. 2 (1910), S. 96: „[…] loco qui dicitur Cluain (7) […].“ Ebd., Anm. 7, verzeichnete Plummer die Variante aus dem Codex Salmanticensis als: „Cluaind mac Trein“, jene aus dem Codex Insulensis als „mac Treoyn“. Nach Heist lautet die Passage aus dem Codex Salmanticensis etwas anders. Vgl. Vita S. Fintani, in: Vitae Sanctorum Hiberniae. Ex Codice olim Salmanticensi, ed. Heist (1965), S. 146: „[…] loco qui dicitur Cluain mac Trein […].“ Die Transkription des Schreibers der Vita Beati Fintani, BRB, Coll. boll. Ms. 7763 (3443), fol. 190r, scheint in dieser Hinsicht unvollständig: „[…] loco qui dicitur Mac-treim […].“ Die von Bolland – faktisch aus den Abschriften der Löwener Transkriptionen des Codex Insulensis – beigebrachte Variante hieß ebd. marginal links: „MS. Kilk. Cluain mic Treoin“.

539 nicht zu weit gehen, anzunehmen, dass der Eindruck der Unübersichtlichkeit, der bei Lektüre dieses Dossiers entsteht, beabsichtigt war. Indem Henschen auf zahlreiche „MSS.“ verwies, die er gesichtet und verarbeitet habe, ging es unter, dass Colgan sämtliche der ziterten Materialien systematisch genutzt hatte, während die Bollandisten selbst nur über eine einzige handschriftliche Vita – jene aus dem Codex Salmanticensis – und ein Dutzend rudimentärer Varianten aus einer anderen Vita verfügten. Der Wortbestand der Vita aus dem Codex Salmanticensis wurde von Henschen allein an zwei Stellen etwas intensiver genutzt. Zum einen reproduzierte er ihr Incipit im Anmerkungsapparat. Zum anderen inserierte er eine kürzere, von dieser Version inspirierte Passage zu Beginn der Vita, ohne gesonderte Markierung, in den von Colgan übernommenen Text aus dem Codex Kilkenniensis. 203 Bollands marginale Notizen aus dem vermeintlichen „Codex Kilkenniensis“ wurden von Henschen in zwei Fällen und ihrerseits am augenfälligen Anfang der Ausgabe als Varianten vermerkt. 204 –––––––— 203

204

Vgl. Henschen, De S. Fintano, AASS Februarii, Bd. 3, 1658, 17. Feb. Vita., ebd., S. 17a: „(a) Sanctus Abbas Fintanus […].“ Ebd., S. 17b Anm. a: „MS. Salmanticense incipit: Fintanus sanctus filius Crimthini, genere Maccu-Edaeh [!] […].“ Das Incipit der Vita Beati Fintani, BRB, Coll. boll. Ms. 7763 (3443), fol. 190r, lautete: „Maccu Edach“. Das vom Codex Salmanticensis angeregte Insert lautete ebd., S. 17a: „Quodam die, cùm creuisset sanctus puer Fintanus, dixit sancto seniori suo: Pater para hospitium, quia hospites sancti ad te venient hodie. Turbatus est senior, quòd non sibi hoc ostensum est, cum asperis verbis dixit puero: Vnde hoc tu scis?“ Vgl. Vita Beati Fintani, BRB, Coll. boll. Ms. 7763 (3443), fol. 190r: „Quadam autem die cùm creuisset puer, dixit seniori suo: Para hospitium quia hospites sancti ad te veniunt. Turbatus est senior quod non sibi hoc ostensum est, cum asperis verbis dixit puero. Vnde hoc scisti et quis tibi hoc ostendit?“ Vgl. die moderne Edition der Vita S. Fintani, in: Vitae Sanctorum Hiberniae. Ex Codice olim Salmanticensi, ed. Heist (1965), S. 146: „Quadam autem die, cum crevisset puer, dixit seniori suo: ‚Para hospicium, quia hospites sancti ad te veniunt.ǥ Turbatus est senior, quod non sibi hoc ostensum est; cum asperis verbis dixit puero: ‚Vnde hoc scisti et quis tibi hoc ostendit?ǥ.“ Vgl. dagegen Colgans Primärtext des Codex Kilkenniensis: Vita S. Fintani, AASS Scotiae seu Hiberniae, Bd. 1, 1645, 17. Feb., S. 349b–350a: „Quodam die, cùm creuisset S. puer Fintanus, dixit sancto senior suo; Pater para hospitium, quia hospites sancti ad te venient hodiè. Increpauit autem senex illum, cum ira dicens; vnde hoc tu scis?“ Plummer hatte wenig Freude an Henschens Dossier. Vgl. ders., Introduction (1910), S. LXX: „The text in the A. S. […] is taken from Colgan, and repeats his most obvious blunders. The editor has, moreover, interpolated passages from S[almanticense]. The result is a conflate text which is critically worthless.“ Vgl. Henschen, De S. Fintano, AASS Februarii, Bd. 3, 1658, 17. Feb. Vita, ebd., S. 17a. Hinsichtlich der Herkunft Fintáns: „(a) […] mater verò Findath […].“ Ebd., S. 17b Anm. a: „MS. Salmanticense […]: […] cuius mater vocabatur Findnait. Hæc in MS. Kilkinn. Finnathea dicitur.“ Die Varianten rekurrierten auf die Vita Beati Fintani, BRB, Coll. boll. Ms. 7763 (3443), fol. 190r: „[…] cuius p ¢supralinear: m² ater vocabatur *Findnait, […].“ Bolland hatte marginal notiert: „*MS. Kilk. Fin[n]athea“. Bei reflektierter Lektüre der Ausgabe Colgans hätte Henschen feststellen können, dass Colgan eine Variante aus dem Codex Insulensis geliefert hatte – einschließlich eines kurzen philologischen Kommentars –, die jener aus Bollands vermeintlichem Codex Kilkenniensis entsprach. Vgl. Vita S. Fintani, AASS Scotiae seu Hiberniae,

540

6.2.3 Transkription Wenn von einer editorischen Linie im Umgang mit der irischen Hagiographie gesprochen werden kann, dann derart, dass die Bollandisten dazu tendierten, die Heiligen zu übergehen, deren Viten eine geringere Traditionsdichte aufweisen und die man von Grund auf selbst hätte erschließen müssen. Die von Henschen in den Aprilbänden nicht gedruckte Vita des hl. Ibar von Beggery Island war in den Beständen der Bollandisten ebenso singulär wie andere von Fitzsimon transferierte und erst von Grosjean veröffentlichte Kurzviten. Was den Codex Salmanticensis und seine Verwendung in den Januar- und Februarbänden anbelangt, so waren drei von vier Heiligen, deren Viten ausschließlich in diesem Codex überliefert sind, mehr oder minder vollständig ausgeblendet worden. In den Januarbänden betraf dies den hl. Fintán von Dún Bléisci, einen vermeintlichen Schüler des hl. Comgall († 601/02), mit dem Festtag des 3. Januar und den hl. Fursa (Furseus) († 649) mit dem Festtag des 16. Januar. 205 In den Februarbänden wurde davon abgesehen, die – in unvollständiger Form erhaltenen – Lebensbeschreibungen des hl. Cuanna († um 650) mit dem Festtag des 4. Februar und die des hl. Finnian mit dem Festtag des 23. Februar aus dem Codex Salmanticensis zu veröffentlichen. 206 Nur für den zuletzt genannten Heiligen hätte sich aus dem Codex Insulensis eine zweite lateinische Lebensbeschreibung organisieren lassen. Sie scheint den Bollandisten jedoch nicht zugänglich –––––––—

205

206

Bd. 1, 1645, 17. Feb., S. 349b: „[…] mater verò Findath (3) […].“ Ebd., S. 353 Anm. 3: „In codice Insulensi habetur Finnathea: rectiùs tamen Finndath vel Findathea: quia vox Hibernica Finndath deriuatur finn. I. albus seu candidus, & dath. I. color.“ Die Schreibung der von Colgan als Primärtext gedruckten – und von Henschen reproduzierten – Vita aus dem Codex Kilkenniensis wird auch durch die Ausgabe von Plummer bestätigt. Vgl. Vita sancti Fintani, in: Vitae Sanctorum Hiberniae, ed. Plummer, Bd. 2 (1910), S. 96: „[…] mater uero Findnat (4).“ Ebd., Anm. 4, hat Plummer die Schreibung aus dem Codex Insulensis als „Fynnathea“ vermerkt. Der deutlichste Beleg für die Verwechslung des Codex Insulensis mit dem Codex Kilkenniensis durch die Bollandisten ist die zweite der von Henschen aus Bollands Marginalien publizierten Varianten. Vgl. Henschen, De S. Fintano, AASS Februarii, Bd. 3, 1658, 17. Feb. Vita, ebd., S. 17a: „[…] ibique sub quadam arbore septem diebus mansit (b) victum de cælo quotidie comedens […].“ Ebd., S. 18a Anm. b: „MS. Kilken. panem Angelorum.“ Vgl. Vita Beati Fintani, BRB, Coll. boll. Ms. 7763 (3443), fol. 190r: „[…] septem diebus*, victum […].“ Bolland notierte marginal: „*Kilk. panem Angelicum.“ Letztere Sentenz ist ausschließlich in den Handschriften des Codex Insulensis tradiert. Vgl. Vita sancti Fintani, in: Vitae Sanctorum Hiberniae, ed. Plummer, Bd. 2 (1910), S. 96 Anm. 5. Vgl. Vita et miracula S. Fursei, in: Vitae Sanctorum Hiberniae. Ex Codice olim Salmanticensi, ed. Heist (1965), S. 37–55; Vita S. Fintani abbatis de Dún Blésci, in: ebd., S. 113–117; vgl. zu den Festtagen Sharpe, Saints’ Lives (1991), S. 394. Vgl. Vita S. Cuannathei seu Cuannae abbatis Lismorensis, in: Vitae Sanctorum Hiberniae. Ex Codice olim Salmanticensi, ed. Heist (1965), S. 407–410; Vita S. Finniani abbatis de Cluain Iraird, in: ebd., S. 96–107; vgl. zu den Festtagen Sharpe, Saints’ Lives (1991), S. 393f.

541 gewesen zu sein. 207 Auf diese Vita verwies Colgan, als er die Vita Finniani in den Acta Sanctorum Scotiae seu Hiberniae nach einer Abschrift aus dem Codex Salmanticensis publizierte. 208 Colgan veröffentlichte auch das von den Bollandisten ausgesparte Fragment einer Lebensbeschreibung des hl. Cuanna. 209 Wie ist dieser eigentümliche Befund zu deuten? Während in den Januarbänden der Acta Sanctorum jede Spur von den beiden besagten Viten fehlt, traten jene beiden, deren Druck in den Februarbänden angestanden hätte, unter den Praetermissi in Erscheinung. Die Nennung der heiligen Cuanna und Finnan wurde dort von der Bemerkung begleitet, dass sie Colgan in den Acta Sanctorum Scotiae seu Hiberniae aus dem Codex Salmanticensis veröffentlicht und Bolland diese Versionen einst an Ward ausgehändigt habe. 210 Diese Bemerkung ist deswegen von Interesse, weil die Forschung bisher davon ausgegangen ist, dass Colgan nach Wards Ableben den gesamten Codex Salmanticensis abdeckende Abschriften empfangen haben müs–––––––— 207 208

209 210

Vgl. ebd., S. 251, 284ff. Vgl. Vita S. Finniani seu Finneni Abbatis de Clvain-Eraird (1). Ex Codice MS. Salmaticensi [!], in: AASS Scotiae seu Hiberniae, Bd. 1, 1645, 23. Feb., S. 393–399, hier S. 397a Anm. 1: „Nunc vitam damus ex MS. Salmantic. (quod doleo) mutilam; […].“ Zudem sei er im Besitz zweier weiterer Viten, „vnam Latinam ex codice Insulæ Sanctorum, dandam ad 12. Decembr. alia in Hibernicam, […].“ Vgl. Fragmentvm Vitæ S. Cvannæ, siue Cvannachei. Ex Codice Salmanticensi, in: ebd., 3. Feb., S. 250–252. AASS Februarii, Bd. 3, 1658, 23. Feb., Prætermissi, S. 358–361, hier S. 360b–361a: „S. Finianus Confessor Episcopus Medensis dicitur Oscio Ecclesiastico ab Hibernis coli XXIII Februarij […]. Habemus aliquam Vitam eius, sed mutilam in codice MS. Salmanticâ pridem huc allato. Eam Vitam à nobis acceptam edidit Colganus ad hunc diem […].“ Vgl. dazu auch Godding, Hagiography (2001), S. 292 mit Anm. 15, der eine ähnliche Bemerkung Colgans aus der Trias thaumaturga von 1665 referiert. Vgl. AASS Februarii, Bd. 1, 1658, 4. Feb., Praetermissi, S. 447–449, hier S. 447b: „S. Cuannæ, siue Conæ, aut Cuannachæi, Abbatis Vitam habemus, sed mutilam, è MS. Seminarij Hibernorum Salmanticensis: quam à nobis olim Hugoni Wardæo Ord. Minorum communicatam, ex eius schedis vulgauit Ioannes Colganus to. 1 de SS. maioris Scotiæ.“ Eine Abschrift dieser Vita enthält BRB, Coll. boll. Ms. 7763 (3443), fol. 134r–137v. Am oberen Rand ist ebd., fol. 134r, zentriert von Papebroch angemerkt worden: „Omissa 4 Febr. ob causas ibi indicatas.“ Dies bezog sich auf den Eintrag in den Prætermissi. Der Titel in der Hand dessen, der die Vita transkribiert hatte, ist durchgestrichen: „Vita S. Cuana seu Cuanotheo“. Ersetzt wurde er durch einen von der Bollands geschriebenen Titel: „VITA ex MS. Seminarij Hibernici Salmanti.“ Unter dem durchgestrichenen Titel und vor dem Beginn des Texts hatte er notiert: „multa desunt“. Die fehlenden Anfangsteile der Vita wurden durch eine Reihe von Sternchen im Umfang von etwas mehr als einer Zeile markiert: „ * * * * * * * * * * * || * * * Sero [?]¢supralinear von Bolland: verò² fratris ¢…² sermonibus, dicunt ad eum […].“ Der Codex Salmanticensis entbehrt an dieser Stelle eines Foliums. Der eigentliche Beginn der Vita ist mit ihm verloren und scheint es damals schon gewesen zu sein. Vgl. Heist, Introduction (1910), S. XXXII, XLIX; vgl. Vita S. Cuannathei seu Cuannae, in: Vitae Sanctorum Hiberniae. Ex Codice olim Salmanticensi, ed. Heist (1965), S. 407. Inc.: „… vero fratris sermonibus dicunt ad eum […].“

542 se. 211 Dies jedoch scheint keineswegs der Fall gewesen zu sein. Einige weitere Indizien sprechen dafür, dass beide Seiten nicht unbedingt voll Sympathie auf einander blickten. So findet sich in den Acta Sanctorum Scotiae seu Hiberniae kein Hinweis auf diese früheren Transaktionen oder darauf, dass sich der Codex Salmanticensis im Besitz der Antwerpener Jesuiten befand. Colgan benutzte die Texte „Ex Codice MS. Salmanticensi“ so, als zählte diese Handschrift zu den Beständen der Löwener Minoriten. In Colgans Danksagungen wurde, aus der Reihe der Jesuiten, allein der Unterstützung gedacht, die er durch seinen Landsmann White erfahren hatte, keineswegs aber der Hilfe Bollands oder Henschens. 212 In Bollands Einleitung wiederum wurden die Jesuiten White und Fitzsimon insgesamt übergangen, und die Löwener Minoriten traten nur anonymisiert, am Ende einer Aufzählung hilfreicher Ordensgemeinschaften, in Erscheinung. 213 Colgan selbst scheint nur eine einzige Vita für die Acta Sanctorum der Jesuiten beigesteuert zu haben. Im Dossier der heiligen Äbtissin Ita von Clúaincredal († 570 oder 577) zum 15. Januar bezog Bolland zum einen auf eine von Colgan besorgte Vita aus den Löwener Transkriptionen des Codex Kilkenniensis. Zum anderen erwähnte er eine von ihm, aus heutiger Sicht zu Unrecht, als jünger bewertete Version, die an ihn durch die Vermittlung Wards „ex Ms. Insulæ Sanctorum in lacu Rivensi“, einem zeitgenössischen Synonym für den Codex Insulensis, 214 gekommen sei. 215 Im Ms. 7569 der –––––––— 211

212

213

214

Vgl. Sharpe, Saints’ Lives (1991), S. 229: „Although as late as October 1634 Ward seems not to have been apprised of the full contents of this volume, Colgan must have had a copy of the manuscript as a whole […]. From it, he published several Lives […] and he refers to it repeatedly in other contexts, though not as often as one might have expected.“ Colgan wollte allerdings umfangreiche Danksagungen vermieden wissen. Vgl. Acta Sanctorum Scotiae seu Hiberniae, Bd. 1, 1645. Præfatio ad lectorem [unpaginiert], fol. b3v: „Alios diuersos, qui diuersorum Sanctorum acta subministrando auxilio etiam extitêre, missos facio, tum quia id ipsis magis placere arbitror, tum quia studium breuitatis non permittit tam multos simul recensêre, suis locis seorsim posteà recensendos. Non præteribo tamen, quod exciere minimè debuit, deuotissimum in conciuium Sanctorum honore & cultu promouendo studium R. P. Stephani Viti Societatis Iesu, Viri de Patriâ benè meriti, & omnis generis antiquitatum sciéntia laudati, sed sacrarum, præsertim suæ gentis & Patriæ siti laudabilioris, qui nobis S. Columbæ Abbatis Authore S. Adamnano, S. Brigidæ Virginis Authore S. Vltano, & multa alia Sanctorum gesta, alibi, eâ fide & integritate, haud facilè reperienda, communicauit ex suo promptuario, sacræ & reconditæ antiquitatis fæcundo; […].“ Vgl. Bolland, Praefatio, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, S. XLIIIa: „[…] plurimum mihi subsidij attulisse Venerabiles Patres Benedictinos Belgas, Anglos, Germanos; Carthusianos Germanos ac Belgas; Cistercienses Belgas ac Gallos; Præmonstratenses Germanos ac Belgas; Canonicos Regulares instituti Augustiniani Germanos ac Belgas; Carmelitas Belgas; Prædicatores Germanos ac Belgas; Franciscanos, præcipuè Hibernos, atque alios quamplurimos.“ Zuvor hatte Bolland vielen Gelehrten namentlich gedankt. Vgl. Sharpe, Saints’ Lives (1991), S. 247.

543 Collectanea bollandiana ist nur die von Ward ermöglichte Abschrift erhalten, 216 nicht aber jene, die von Colgan bereitgestellt worden war. Es ist nicht auszuschließen, dass dieser die Abschrift nach Gebrauch zurückerstattet haben wollte. Die bislang versammelten Phänomene lassen sich kaum anders deuten, als dass die irischen Minoriten wahrscheinlich zur Zeit Wards für Bolland die Transkriptionen aus dem Codex Salmanticensis geleistet hatten und es ihnen dafür – vielleicht – gestattet worden war, die eine oder andere Vita zu benutzen. Unstreitig ist in jedem Fall, dass die in den Collectanea bollandiana erhaltenen Transkriptionen aus dem Codex Salmanticensis von einer Person geleistet worden sind, die mit dem Irischen vertraut war. Sie weisen keine der üblichen Hinweise darauf auf, dass Rosweyde mit diesen –––––––— 215

216

Vgl. De S. Ida, sive Ita, Virgine in Hibernia, in: AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, 15. Jan., S. 1062–1068. [Einleitung], ebd., S. 1062f., hier S. 1062b: „Vitam S. Idæ accepimus à R. P. Ioanne Colgan […], qui ex Kilkenniensi codice peruetusto descripserat. […] Aliam paullò elegantiorem & breuiorem ex MS. Insulæ Sanctorum in lacu Riuensi nobiscum olim communicârat Hugo Vardæus […], cum quâ vetustiorem illam contulimus.“ Die Vita avctore incerto ex veteri MS. Hibernico, ebd., S. 1063–1068, gab als Primärtext die Vita aus dem Codex Kilkenniensis wieder. Inc.: „De vitâ & miraculis beatissimæ Virginæ Ythæ aliquam commentationem breuiter enarrare cupimus: […].“ Die Version des Codex Kilkenniensis, aus denen die Löwener Minoriten schöpften, gilt als ein Produkt des 15. Jahrhunderts und damit etwas jünger als die Handschriften des Codex Insulensis oder Lochriuensis. Vgl. Sharpe, Saints’ Lives (1991), S. 94f. Vgl. Vita [S. Itae], BRB, Coll. boll. Ms. 7569 (3440), fol. 269r–276r. Inc.: „Sanctissima siquidem Virgo Yta de nobilj genere orta est […].“ Bollands linksbündiger Vermerk am oberen Rand, ebd., fol. 269r, ist teilweise beschädigt. „Vitam eius ex Hiber¢…² descriptam mihi tradidit R. P. Hugo ¢…² S. Francisci, et monuit ad xu Januarij ¢…²“. Die Transkription ist insgesamt von drei Händen geleistet worden. Bolland selbst hatte eine Episode im mittleren Teil der Vita transkribiert, in der die Rede eines der Heiligen im Schlaf erschienenen Engels geschildert wurde. Vgl. ebd.: „[…] Angelus Dominj adest tibi, dicens: tres lapides pretiosos, quos vidistj, ¢in der Hand Bollands:² tibi dari, significant […].“ Seine Transkription erstreckte sich bis ebd., fol. 270r: „[…] elegit in perpetuam patronam, sicut Angelus ei prædixit.“ Der verbleibende und damit größte Teil wurde von einer wiederum anderen Hand transkribiert. Die erste Hand hatte offensichtlich Schwierigkeiten mit dem Irischen. Vgl. ebd., fol. 269r: „[…] Yta de nobilj genere orta est Feldiminj Regis cognomento Rectmar, qui multis annis totam rexit Hiberniam.“ In der Ausgabe der Acta Sanctorum wurden diese Schreibungen aus dem Codex Insulensis als Varianten zu Colgans Schreibungen aus dem Codex Kilkenniensis vermerkt. Vgl. De S. Ida, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, 15. Jan. Vita, ebd., S. 1063a: „[…] Ytha de nobilissimo genere Hiberniæ orta est, id est, de semine (a) Feighlim Reachtmhuir, à quo tota Hibernia multis annis […].“ Vgl. ebd., S. 1063b Anm. a: „MS. Riuense: Feldimini Regis, cognomento Rectmar.“ Die Schreibung des „l“ in „Feldimini“ scheint keine historische Variante, sondern ein verlesenes „i“ zu sein. Die Schreibung „Rectmar“ wiederum ist eine unvollständige Lesung. Vgl. Vita sancte Ite Virginis, in: Vitae Sanctorum Hiberniae, ed. Plummer, Bd. 2 (1910), S. 116–130, hier S. 116: „[…] Yta de nobilissimo genere Hybernie orta est, id est de semine Feidhlimdh Reachtmair, a quo tota Hybernia multis annis […].“ Es kann nur vermutet werden, dass sich aufgrund der Schwierigkeiten mit der Transkription mehrere Hände im Auftrag der Bollandisten an ihr versuchten.

544 Transkriptionen zu tun hatte, und zu der Zeit, als der Codex Salmanticensis für Bolland von Interesse zu werden begann, weilten die Jesuiten Fitzsimon und White, die man mit ihnen hätte betrauen können, nicht mehr auf dem Kontinent. Aus diesen Gründen dürfen solange, bis bessere Hypothesen erarbeitet worden sind, die Löwener Minoriten als die Urheber dieser Transkriptionen gelten. Dort hingegen, wo die Bollandisten auf sich allein gestellt waren, dominieren zahlreiche Unsicherheiten das Schriftbild. Die in den Januarbänden übergangene Vita des Vita des hl. Fintán von Dún Bléisci aus dem Codex Salmanticensis ist mit einer Abschrift im Ms. 7569 der Collectanea bollandiana vertreten. Die dort vorzufindenden Lesungen der irischen Orts- und Personennamen stimmen weithin mit jenen aus den Acta Sanctorum Scotiae seu Hiberniae überein. 217 Demgegenüber –––––––— 217

Vgl. Vita S. Fintani ABB. ex MS. Salmant., in: AASS Scotiae seu Hiberniae, Bd. 1, 1645, 3. Jan., S. 11–14, hier S. 11a: „Multi verò sunt sancti & amici eius, per quos apertè facit mirabilia sua: de quorum numero est ille, de quo loquuturi sumus, scilicet Fintanus nobili prosapia ortus, filius Pipani qui fuit filius Tule de australibus partibus terræ quæ dicitur Cliach: Mater verò eius nobilis fuit, nomine Alinne, filia Artghail, qui fuit de nobilioribus terræ, quam Hibernienses lingua suâ solarem appellant: soror verò matris eius virgo sa[n]ctissima fuit nomine Finne apud cuius tumulum multa miracula adhuc fiunt.“ Vgl. De sancto Fintano de Dulesfig., BRB, Coll. boll. Ms. 7569 (3440), fol. 204r–209v, hier fol. 204r: „Multi verò sunt sancti, et amici eius; per quos apertè facit mirabilia sua. De quorum numero est ille, de quo loquuturj sumus, Sanctus ¢supralinear: scilicet² Fintanus, nobili prosapiâ ortus, filius Pipani, qui fuit filius Tule, de Australibus partibus terræ, quæ dicitur Pl¢…² ¢supralinear: Cliach². Mater verò eius nobilis fuit, nomine Alinne, filia Artgail, qui fuit de nobilioribus terræ, quam Hiybernienses suâ lingua solarem appellant. Soror verò matris eius Virgo ¢supralinear: virgo² sanctissima fuit, nomine F¢…²e ¢marginal: Firne² apud cuius tumulum multa miracula adhuc fiunt.“ Von den Orts- und Personennamen, wie sie in den Acta Sanctorum Scotiae seu Hiberniae wiedergegeben wurden, weicht diese Transkription nur durch die Schreibung von „Artgail“ im Vergleich zu „Artghail“ ab. Die zuletzt verzeichnete, marginale Ersetzung zu „Firne“ stammt von der Hand Bollands. Sie dürfte den Versuch einer eigenständigen Korrektur darstellen. Vgl. auch ebd., fol. 204v: „Fuit quidam Rex irreligiosus qui ¢supralinear: &, links daneben: et² incredulus in terrâ quæ tunc dicebatur Calathmag, š ¢marginal: š nunc verò Eoganacht dicitur,² ad quem cum sanctus ¢supralinear: S.² Fintanus causâ predicandi verbum dei accedere conaretur, prohibitus fuit.“ Die mit „š“ markierte Ergänzung stammt von demjenigen, der die Vita transkribierte, die Ersetzung von „qui“ für „et“ von Bolland. Vgl. Vita S. Fintani, in: AASS Scotiae seu Hiberniae, Bd. 1, 1645, 3. Jan., S. 11a: „Fuit quida[m] Rex irreligiosus & incredulus in terra, quæ tunc dicebatur Calathmagh, nunc verò Eoghanacht dicitur: ad quem cum Sanctus Finanus [!] causa prædicandi verbum Dei accedere conaretur, prohibitus fuit.“ Colgan widmete sämtlichen der genannten Orte und Personen einen erläuternden Kommentar. Vgl. ebd., S. 12b–13a Anm. 3–6, S. 13b Anm. 9. Seine Schreibungen entsprechen weithin den heutigen. Vgl. Vita S. Fintani, in: Vitae Sanctorum Hiberniae. Ex Codice olim Salmanticensi, ed. Heist (1965), S. 113f.: „[…]; multi vero sunt sancti et amici eius per quos aperte facit mirabilia sua. || De quorum numero est ille, de quo locuturi sumus, scilicet Fintanus, nobili prosapia ortus, filius Pipani, qui fuit filius Tule, de australibus partibus terræ quæ dicitur Cliach, Mater vero eius nobilis fuit, nomine Alinne, filia Artgail, qui fuit de nobilioribus terre quam Hybernienses sua lingua Solarem appellant. Soror vero matris eius virgo sanctissima fuit, nomine Finne, apud

545 kommen in den Notizen, die von den Bollandisten stammen, einige sprachliche Schwierigkeiten zum Ausdruck. Kräftig getilgt wurde der von Bolland geschriebene Titel einer „S. FINTANI COGNOMENTO DE DUNBLESGE VITA“. Darunter befindet sich der seinerseits durchgestrichene Titel in der Hand dessen, der die Vita transkribiert hatte: „De sancto Fintano de Dulesfig.“ Rechts darüber hatte Bolland vermerkt: „Hic est alius a Fintano Rhenowiensi.“ Dies könnte vielleicht bedeuten, dass Bolland den hl. Fintanus nicht mit einem Heiligen gleichen Namens im Breviarium Hieronymianum Rhinoviense identifizieren wollte. Allerdings wird, wenigstens in der späteren Ausgabe Du Solliers, insgesamt kein hl. Fintanus in diesem Martyrolog genannt, 218 so dass der Sinn dieser Bemerkung einigermaßen unklar ist. Darunter stand: „3. Janu. edita à Colgano.“ Durch diesen Vermerk wurden einige Schreibungen am linken Rand ersetzt. Sie zeigen, dass in Antwerpen hinsichtlich des Festtags solange keine Gewissheit bestand, bis er mit Colgans Publikation der Acta Sanctorum Scotiae seu Hiberniae auf den 3. Januar hatte fixiert werden können: „Januarij“, und leicht nach rechts unten versetzt: „Janu.“ 219 Die Vita dieses Heiligen konnte in den Januarbänden wahrscheinlich deswegen nicht einmal unter den Praetermissi verzeichnet werden, weil sein Festtag und seine Identität zu diesem Zeitpunkt in Antwerpen unbekannt, zumindest aber unklar gewesen sein dürften. Die Schwierigkeiten mit den irischen Heiligen artikulieren sich noch in der Verzettelung der Collectenae bollandiana. Diese frühneuzeitlichen Sammelhandschriften sind keineswegs, so Godding, zu Beginn des 19. Jahrhunderts in die heute vorliegende Form überführt worden. Sie beinhalten auch nicht, so Sharpe, solche Viten, die im Regelfall von den Bollandisten selbst kopiert worden sind. 220 Die Collectanea bollandiana sind ein Sammelbecken für sehr unterschiedliche Stücke, die sich im Zuge der Arbeit an den Acta Sanctorum in Antwerpen eingefunden hatten. Sie zeichnen sich folglich durch eine große Heterogenität der Hände aus verschiedenen Regionen und Perioden aus. Das Ms. 7569, das besagte Vita Fintani enthält, besteht aus solchen und ähnlichen, den Januar betreffenden Materialien. Es wurde von Papebroch, der sich nach Bollands Tod um eine Systematisierung der Güter bemüht zu haben scheint, mit einem Bestandsregister aus–––––––—

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cuius tumulum multa miracula adhuc fiunt. || […] || Fuit quidam rex irreligiosus et incredulus in terra que tunc dicebatur Calathmag, nunc vero Eoganacht dicitur. Ad quem cum sanctus Fintanus causa predicandi verbum Dei accedere conaretur, prohibitus fuit.“ Vgl. Du Sollier, Martyrologia Hieronymiana contracta, AASS Junii, Bd. 7 [Teil 2], 1717. Martyrologivm Rhinoviense, ebd., S. 3–5. Vgl. De sancto Fintano, BRB, Coll. boll. Ms. 7569 (3440), fol. 204r. Vgl. Godding, Hagiography (2001), S. 295: „We know that these, like all other texts, were grouped together in the order of the calendar in bound volumes at the beginning of the last century.“ Sharpe, Saints’ Lives (1991), S. 70: „All were copied out by Rosweyde or Bolland, or, in most cases, one of their assistants.“

546 gestattet. Dieses griff auf eine bereits vorhandene Folienzählung zurück und verzeichnete die Heiligen in alphabetischer Reihenfolge mit dem Attribut ihrer Heiligkeit, bisweilen mit der Provenienz der Vita, der Folienangabe innerhalb der Handschrift und dem Festtag: „[…] || S. Aidani qui et Medoc Ep. et Conf. Vita de Ms. Salmantic – – – 17 – 31. Jan. || […].“ Überschrieben ist das Register mit den Worten: „EX ACTIS SANCTORVM || IANVARII || reiecta aut reservata || INDEX“. 221 In dieser Handschrift waren also vor allem solche Güter gebündelt worden, die entweder nicht publiziert worden waren („reiecta“) oder die nach Fertigstellung der Januarbände in Antwerpen eingegangen und für eine spätere Überarbeitung der Acta Sanctorum aufgespart worden waren („reservata“). 222 Im Fall der Vita Fintani orientierte sich Papebroch an deren ursprünglichem Titel. Er verzettelte sie als Vita: „S. Fintani de Duloffiga 3o Jan. edita à Colgano […].“ 223 Das enklitische „a“ in Papebrochs Schreibung „Duloffiga“ beruhte allerdings auf einem Missverständnis. Es rührte von der Präposition „à“ aus Henschens marginalem Vermerk „[…] edita à Colgano“ her, das direkt über dem Schluss-„g“ des ursprünglichen Titels „[…] de Dulesfig“ zu stehen gekommen und von Papebroch als Hochstellung gelesen worden war. Nicht eigens konsultiert hatte Papebroch vermutlich die Ausgabe Colgans, in der die möglichen – und anders angelegten – varianten Schreibungen dieses Ortsnamens diskutiert worden waren. 224 –––––––— 221

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BRB, Coll. boll. Ms. 7569 (3440), [Blatt 1r (unfoliiert)]. Später wurde die Handschrift in Teilen neu foliiert, ohne dass sich die Systematik und der Bestand geändert hätten. Van den Gheyn, Catalogue, Bd. 5 (1905), S. 411, Ms. 7569 (3440), verzeichnete die Handschrift als „Acta Sanctorum Ianuarii“. Papebrochs Register wurde von ihm allein mit dem Wort „Index“ katalogisiert und im Anmerkungsapparat als von der Hand Papebrochs stammend ausgewiesen. Vgl. ebd., Nr. 1 mit Anm. 3. Es ist zu bedauern, dass Van den Gheyn darauf verzichtet hat, hier und in anderen Fällen den ganzen Titel von Papebrochs Register wiederzugeben, da dieser immerhin grob über die Natur der Handschrift informiert. Diese Problematik betrifft auch die meisten anderen der analog katalogisierten Handschriften der Collectanea bollandiana. Vgl. etwa BRB, Coll. boll. Ms. 7763 (3443), [Blatt 1r (unfoliiert)]: „ACTA SANCTORVM || FEBRVARII || rejecta et reseruata || INDEX.“ Van den Gheyn, Catalogue, Bd. 5 (1905), S. 418, Ms. 7763 (3443) mit Anm. 1, katalogisierte auch hier einen „Index“ in der Hand Papebrochs. Nur für einen Teil der Collectanea bollandiana, nicht für die beiden hier genannten Ms. 7569 und 7763, gilt die Einschätzung von Sharpe, Saints’ Lives (1991), S. 71: „These collectanea provided the foundation of later work, but editors were not bound by the original collections.“ Diese beiden Handschriften waren nach Abschluss der wesentlichen Arbeitsgänge angelegt worden. Auf andere Sammlungen, die in der Tat den von Sharpe erwähnten prospektiven Charakter tragen, wird noch einzugehen sein. Ex Actis Sanctorum Ianuarii reiecta aut reservata index, BRB, Coll. boll. Ms. 7569 (3440), [Blatt 1r (unfoliiert)]. Vgl. Vita S. Fintani, in: AASS Scotiae seu Hiberniae, Bd. 1, 1645, 3. Jan., S. 12b: „Postea vero S. Fintanus ad locum quem ei Dominus Deus destinauerat nomine Dunbleisque (19) venit; […].“ Vgl. ebd., S. 13b Anm. 19, mit dem Hinweis darauf, dass dieser Ort auch „Dunbleische“, „Dunflesche“ oder „Dunblesche“ genannt werde. Aus

547 Eine strukturell nicht minder bedeutsame Problematik als die der Transkription der irischen Orts- und Personennamen war die Frage nach der kalendarischen Zuordnung der irischen Heiligen. Mit der anfangs noch vorhandenen Offenheit hatte Bolland in dem bereits erwähnten Dossier des hl. Abts Mochua von Tech Mochua am 1. Januar ohne Umschweife eingeräumt, Vita und Festtag von Ward erfragt zu haben. 225 Auf ähnliche Weise dürfte er erfahren haben, dass der Festtag der hl. Ita von Clúaincredal der 15. Januar war. 226 In ihrem Dossier bemerkte er, dass diese Heilige in „Hibernorum Fastis“ erwähnt und ihr Fest in der Diözese Limerick am 15. Januar begangen werde. Das English Martyrologue in der erweiterten Ausgabe von 1640 hingegen verzeichnete die Heilige am 25. Januar, Fitzsimons Catalogus praecipuorum Sanctorum Hiberniae wiederum am 14. Januar. 227 Letzteres lässt sich allerdings nicht verifizieren. Wenigstens in der Version des Catalogus, die in den Collectanea bollandiana erhalten ist, wird durchaus der 15. Januar als Festtag der Heiligen genannt. 228 Wie es Bolland gelungen ist, die Vita des hl. Fechin dem 20. Januar zuzuweisen, ist ebenfalls kaum zu klären. Er selbst sagte, dass dessen Fest an jenem Tag in Fore begangen werde und dass der Name dieses Heiligen in Fitzsimons Catalogus verzeichnet sei. 229 Der Catalogus nennt jedoch nur den Namen des in Fore und andernorts verehrten hl. Fechin, keineswegs aber einen Festtag.230 –––––––—

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der Schreibung im Codex Salmanticensis selbst scheint sich dieser Ortsname nicht unmittelbar zu erschließen. Vgl. Vita S. Fintani, in: Vitae Sanctorum Hiberniae. Ex Codice olim Salmanticensi, ed. Heist (1965), S. 116: „Postea vero sanctus Fintanus ad locum quem ei Deus destinaverat, nomine Dun ¢B²lescy, venit.“ Vgl. De S. Mochva, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, 1. Jan. [Einleitung], ebd., S. 45a: „[…]: quo die & nos eius Vitam damus, nobis ab R. P. Hugone Vardæo […] communicatam, […].“ Vgl. oben Anm. 215. Vgl. De S. Ida, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, 15. Jan. [Einleitung], ebd., S. 1062a: „Celebratur in Hibernorum Fastis S. Ida Virgo, […]. || Colitur S. Ida XV. Ianuarij festo solemni in regione Huaconail diœcesis Limricensis […]. In Catalogo tamen præcipuorum Sanctorum Hiberniæ ad XIV. Ianuarij adscriptum est illius nomen; in nouo Martyrologio Anglicano ad XXV. Ianuarij.“ Vgl. Catalogvs praecipvorum Sanctorum Hiberniae recognitus & auctus. Per R. P. Henr. Fitz-Simon, Soc. Iesv, in: Grosjean, Édition (1940), S. 343–393, hier S. 369, Nr. 401, Redaktion C: „Ita V. 15 Ian.“ Auch die Grosjeans Ausgabe zugrunde liegende Handschrift: Index SS. Hiberniæ, BRB, Coll. boll. Ms. 8530–34 (3473), fol. 6v, nennt unzweideutig den 15. Januar. Die übrigen Redaktionen des Catalogus verzeichnen keinen Festtag für diese Heilige. Vgl. ebd., S. 368, Nr. 384; die aus irischen Bibliotheken edierten, komplementär zur Ausgabe Grosjeans zu benutzenden: Fragmenta Antiquitatis. Index Sanctorum Hiberniae, in: Ó Riain, „Catalogus“ (2000), S. 407–417, verzeichneten die hl. Ita insgesamt nicht. Vgl. De S. Fechino, AASS Ianuarii, Bd. 2, 1643, 20. Jan. [Einleitung], S. 329a: „[…] Faboria, vulgò Fower, oppidum; in quo S. Fechinus Abbas XX Ianuarij colitur. De eo Henricus Fitz-Simon noster in catalogo præcipuorum SS. Hiberniæ: Fechinus Fourij aliisque celebris multis Hiberniæ locis.“ Vgl. Fitzsimon, Catalogus, ed. Grosjean (1940), S. 363, Nr. 298: „Fechinus Fourii, aliisque celebris multis Hiberniae locis.“ Die Fragmenta, ed. Ó Riain (2000), S. 411,

548 Es kann daher nur vermutet werden, dass auch dieser Festtag von Ward erfragt worden war.

6.2.4 Kalendarium Das Martyrologium von Tallaght, das bereits in Verbindung den Dossiers „ex Martyrologio“ diskutiert worden ist, verzeichnet die Feste der heiligen Ita und Fechin an den besagten Tagen des 15. und 20. Januar.231 Wie oben dargestellt, hatte Bolland in den Januarbänden häufiger auf dieses Martyrolog zurückgegriffen, um Festtage der Heiligen der römischen Tradition zu belegen. Aus welchem Grund jedoch trat es nicht in Erscheinung, als es darum ging, genuin irische Heilige ihrem Festtag zuzuweisen? Das Martyrologium von Tallaght ist in chronologisch lückenhafter Form in einer Sammelhandschrift aus der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts, dem Book of Leinster, überliefert. 232 Die das Martyrologium von Tallaght betreffenden Folien sind wahrscheinlich um 1630 nach Löwen gelangt, nachdem sie Michael O’Clery (1575–1643) im Zuge seiner etwa zu dieser Zeit im Minoritenkonvent von Donegal vollendeten Arbeit an einem volkssprachlichen Martyrologium Dungallense dem Book of Leinster entnommen hatte. 233 Diese Folien tragen, offenbar von Colgans Hand, den Vermerk: –––––––—

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Nr. 119, verzeichnen in der Version der Handschrift Maynooth den 14. Juni: „Fechinus, celeberrimus Fourij, et aliisque multis Iberniae locis. 14. Junij.“ Dieser Eintrag ist zu vernachlässigen, da er Bolland mit Sicherheit nicht bekannt war. Vgl. The Martyrology of Tallaght, ed. Best/Lawlor (1931), 15. Jan., S. 8: „Dormitatio Itae et filiarum Cairpre“. Ebd., 20. Jan., S. 10: „Fechini Fobair.“ Vgl. Richard Irvine Best/Hugh Jackson Lawlor, Introduction, in: ebd., S. IX–XXVIII, hier S. IX, XII ff.; Paul Grosjean, Le martyrologe de Tallaght, in: Anal. Boll. 51 (1933), S. 117–130, hier S. 118ff.; Ó Riain, Phase (2002), S. 319ff.; vgl. zu dem von Áed Mac Crimthainn, dem Abt von Terryglass in der Grafschaft Tipperary, verfassten Book of Leinster oder Book of Glendalough jüngst Edel Bhreathnach, The Genealogies of Leinster as a Source for Local Cults, in: Carey/Herbert/Ó Riain (Hrsg.), Studies (2001), S. 250–267, hier S. 252. Vgl. [Michael O’Clery], The Martyrology of Donegal. A Calendar of the Saints of Ireland. Transl. from the Original Irish by the Late John O’Donovan, ed. with the Irish Text by James Henthorn Todd/William Reeves (The Irish Archaeological and Celtic Society 6), Dublin 1864. Das Martyrologium Dungallense war ein aus martyrologischen, legendarischen und poetologischen Traditionen kompiliertes, irisches Prosalegendar, das nur irische Heilige berücksichtigte. O’Clery selbst hatte eine erste kürzere und in Douai verfertigte Version von 1629 mit dem Titel des Martyrologium Sanctorum Hiberniae versehen. Die ausführlichere zweite, wohl zum Druck bestimmte Version von 1630 trägt keinen eigenen Titel. Der Name des Martyrologium Dungallense scheint sich mit dem Sprachgebrauch verbreitet zu haben, mit dem Colgan später auf diese Arbeit Bezug nehmen sollte. Vgl. De S. Fanchea Virgine ex Vita S. Endei, Quæ habetur infra ad 21. Martij, & alijs, in: Acta Sanctorum Scotiae seu Hiberniae, Bd. 1, 1645, 1. Jan., S. 1–6, hier S. 5a: „Martyrologium, quod Dungallense, vocamus, nostris diebus ex diuersis tum Martyrologijs, tum annalibus patrijs

549 „Ex Libris Conuentus Dungallensis“. 234 Sie entbehren unter anderem der Tage vom 30. Januar bis zum 11. März. Aus diesem Grund hatte sich O’Clery darum bemüht, eine aus späteren Abschriften des Book of Leinster kompilierte, chronologisch vervollständigte, jedoch von den Heiligen des römischen Kalenders absehende Fassung zu erstellen, die ihrerseits nach Löwen gelangte (BRB Ms. 5100–04). 235 Der dritte Überlieferungsträger für das Martyrologium von Tallaght wird heute in Dublin aufbewahrt (Trin. Coll. Ms. 1140). Er besteht, nach Best und Lawlor, aus einem 46 Blätter umfassenden Papiermanuskript, das unter dem Titel „Martyrologium Hibernicum“ firmiert. Diese Handschrift ist in Stufen zwischen vor 1635 und 1658 angefertigt worden. Vor einzelnen ihrer Teile trägt sie den Vermerk: „Pro R. P. Bolando“. Der erste Teil umfasst in der Hand Wards die Tage vom 1. bis 28. Januar aus dem Book of Leinster in latinisierter Form (T1). Von Colgans Hand stammen, so die Herausgeber: „(2) the Irish entries of January and February, from Br[ussels], in Colgan’s hand (T2); (3) Irish entries, Jan. 1–9, also in Colgan’s hand (T3); (4) the Irish entries for March, from Br[ussels]; (5) March 11–31, Roman and Irish lists from Book of Leinster, ‚Ex Martyrol. antiquo Tamlachtensi in pergamenoǥ.“ 236 –––––––—

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collectum est […].“ Vgl. James Henthorn Todd, Introduction, in: ebd., S. IX–XXIII, hier S. XI ff.; zu den Quellen ebd., S. XIII–XX; Breatnach, Irish Bollandus (1999), S. 13, 15, 26ff. O’Clery hatte Ende 1623 oder Anfang 1624 Kontakt mit dem Konvent der irischen Minoriten in Löwen aufgenommen, dem er offenbar beizutreten wünschte. Vgl. Sharpe, Saints’ Lives (1991), S. 49f. Die Intensivierung der hagiographischen Studien der exulierten irischen Minoriten wird heute wesentlich auf O’Clerys Einfluss zurückgeführt. Vgl. Best/Lawlor, Introduction (1931), S. XIV; die kontinentaleuropäische Forschung zeigte sich im Angesicht dieser Martyrologien traditionell wenig angetan: Vgl. Rossi/ Duchesne, Prolegomena, AASS Novembris, Bd. 2,1, 1894, Nr. 18, S. [XXVI]: „Liber qui dicitur Leinsterianus sive Glendalughensis, saeculo XII inclinato in Hibernia descriptus, immensam continet farraginem scripturarum ad fabulas historiamve illius regionis spectantium. Ibi locum tenuisse videtur martyrologium quoddam mixtum, ex breviatis hieronymiani laterculis conflatum et supplementis ad sanctos Hibernicos spectantibus, quod aliquando allegatur sub nomine Martyrologii Tamlactensis vel Dungallensis. || Scilicet Colganus, dum Lovanii circa annum 1630 rei hagiographicae Hibernorum curas adhiberet, in manibus habuit codicem sive fragmentum codicis undecim foliorum, quae nunc patet scriptura, forma, magnitudine mire quadrare cum reliquio libro Leinsteriano.“ Vgl. Best/Lawlor, Introduction (1931), S. XI f., XVIII, XV ff. Vgl. ebd., S. XIX f. Sie bemerken ferner: „[…] two of the Sections being inscribed ‚Accepi Lovanio à PP. Minor. Hibernis, 1658ǥ, presumably by Bollandus, who has added notes here and there.“ Welche der Sektionen diesen Vermerk trugen, erwähnen Best und Lawlor leider nicht. Dies ist wichtig, weil es möglich ist, dass die Bollandisten zu verschiedenen Zeiten jeweils Teile dieser Abschriften erhalten haben könnten. Wenn man ihnen erst 1658 das gesamte Paket überlassen hätte, wäre es kaum brauchbar gewesen, da in diesem Jahr die Februarbände publiziert worden waren und damit der größte Teil der in dieser Handschrift verzeichneten Heiligen abgearbeitet gewesen wäre. Nicht weiterführend ist in dieser Hinsicht auch das alte – von Best und Lawlor abweichende – Katalogisat von Thomas Kingsmill Abbott, Catalogue of the

550 In der Einleitung der Januarbände erläuterte Bolland, von Colgan eine Abschrift jenes „Hibernicum Martyrologium“ erhalten zu haben. Er habe es jedoch nur „für die späteren Tage des Januar“ verwenden können, da die Abschrift allzu spät für ihn angefertigt worden sei. 237 Die genaue Identität des Martyrologs, das in den Januarbänden als „Hibernicum Martyrologium“ oder als „Ms. Dungalense“ bezeichnet wurde, war ihm zu diesem Zeitpunkt mit Sicherheit noch nicht bekannt, sieht man von der in den Dossiers benutzten Provenienz „aus dem Kloster Donegal“ ab. Bolland zitierte es nur dann, wenn es um die Nachweise minder belegter Heiliger der römischen Tradition ging, gelegentlich auch solcher, deren Festtage sehr wohl im früheren Januar gelegen waren. 238 Im Zuge der vergleichenden Arbeit an die–––––––—

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Manuscripts in the Library of Trinity College. To which Is Added a List of the Fagel Collection of Maps in the Same Library, Dublin/London 1900 (Neudruck Hildesheim/New York 1980), S. 201, Ms. 1140: „Martyrologium Hibernicum; ex vetustissimis membranis charactere Hib. (…) especially the Martyrologium Tamlachtense, dated 1658. The several parts are endorsed ‚Pro R. P. Bollandoǥ, and have at the top of the first page ‚Accepi Lovanio a P. P. Minor. Hibernis, 1685 [!].ǥ Incomplete.“ Immerhin kann aus der Literatur entnommen werden, dass sich für T2 in der Bibliothek der Bollandisten eine latinisierte Transkription erhalten hat (Ms. 213, fol. 105r– 107v), von einer Hand „evidently […] unfamiliar with Irish names to judge by the errors committed“, so Best/Lawlor, Introduction (1931), S. XIX Anm. 1. Grosjean, Martyrologe (1933), S. 119, nennt eine andere Signatur und eine leicht abweichende Folienzählung: Ms. 215, fol. 105r–107r. Breatnach, Irish Bollandus (1999), S. 22f., diskutiert den Teil T1 der Handschrift aus dem Trinity College als genuines Werk Wards – vergleichbar Fitzsimons Catalogus – und versucht, ihn mit anderen, bislang nur aus sekundären Aussagen bekannten Schriften Wards in Verbindung zu bringen. Seinen Ausführungen lässt sich allerdings entnehmen, dass Best und Lawlors Teil T1, sofern er mit dem identisch ist, den Breatnach ebd., als „first part“ bezeichnet, zehn Folien umfasst: „MS 1140 (ff 1r–10v).“ Vgl. Bolland, Praefatio, AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, S. XLVIIa: „Simile [wie die Echternacher Handschrift] propè exemplar, & ipsum perantiquum, habet Ioannes Colganus Ord. S. Francisci Louanij in cœnobio S. Antonij de Padua Theologiæ Professor, ex Hiberniâ allatum […]. Illud […] Hibernicum Martyrologium solùm posterioribus Ianuarij diebus citaui, quia seriùs eius mihi facta copia.“ Vgl. auch Du Sollier, Ad novam Martyrologii Usuardini editionem præfatio, AASS Iunii, Bd. 6 [Teil 2], 1715, S. VIII: „Sub finem citati nuper §. 4 capitis 4 præfationis generalis, agit Bollandus de exemplari aliquo Hieronymiano Hibernico, cujus lacinias aliquot seu extracta à celebri P. Colgano submissa, posterioribus Januarii nostri de Actis Sanctorum diebus inseruerat, sub nomine Martyrologii Hieronymiani Tamlactensis.“ Vgl. De Sanctis Martyribvs Afris Satvro, Vitaliano, Felicitate, Qvinto, Artate, in: AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, 10. Jan., S. 602a–b: „Hos exhibet MS. Martyrologium S. Hieronymi, his verbis: In Africâ Saturi, Vitaliani, Felicitatis, Quinti, Artatis. Quatuor priores in peruetusto Hibernico Martyrologio conuentus Dungalensis referuntur, omisso Artate […].“ The Martyrology of Tallaght, ed. Best/Lawlor (1931), 10. Jan., S. 6: „Saturi. Uitaliani. Felicitatis. Quinti.“ Martyrologium Hieronymianum, ed. Rossi/Duchesne, AASS Novembris, Bd. 2,1, 1894, 10. Jan., S. [7], Cod. Eptern., etc.: „IIII Idus […] in aff˾. saturi | vitaliani felicitatis (……) quinti, artatis.“ Vgl. De Sanctis Martyribvs Possessore et II. sociis, in: AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, 10. Jan., S. 602a–b: „MS. Hibernicum antè citatum: Possessoris & aliorum duorum.“ The Martyrology of Tallaght, ed. Best/Lawlor (1931), 10. Jan., S. 6: „Possessoris (et)

551 sen Dossiers mussten Bolland die Überschneidungen mit der Echternacher Version des Martyrologium Hieronymianum aufgefallen sein, so dass es ihm gelang, die ersten Konturen für den Traditionskomplex der Martyrologia Hieronymiana zu legen. Diesen Sachverhalt hatte er allerdings deutlich vor der Veröffentlichung der Januarbände erkannt. –––––––— aliorum .u.“ Eine höhere Frequenz der Benutzung des Martyrologiums von Tallaght wird man aber in der Tat gegen Ende der Januarbände beobachten können. Vgl. etwa De Sanctis Martyribvs Asterio, Fortvnato, Zenone, Zosimo, Menelapo, Dædalo, Valente, in: AASS Ianuarii, Bd. 2, 1643, 18. Jan., S. 190: „Vetus MS. S. Hieronymi Martyrologium horum Martyrum nobis nomina suggeßit: In Micea, Asteri, Fortunati, Zenonis, Zosomi, Menelapi, Didali, Valentis. MS. Dungalense: Fortunati, Asteri, Priscillæ, Moysei, Ammoni, Micætæ, Senonis, Zerseni, Menelamperi Martyris, Dedali, Valentis.“ The Martyrology of Tallaght, ed. Best/Lawlor (1931), 18. Jan., S. 9: „Fortunati. Astéri. Priscillæ. Moysei. Ammoni. Micetæ. Senonis. Zerseni. Menelampi. Dedali. Ualentis martiris.“ Martyrologium Hieronymianum, ed. Rossi/Duchesne, AASS Novembris, Bd. 2/1, 1894, 18. Jan., S. [10], Cod. Eptern., etc.: „XV ká feb. […] In micea asteri fortunati | Zenonis Zosomi menelapi didali valentis […].“ Vgl. auch De Sanctis Martyribvs Africanis Missvriano, Pvblia, Victore, Qvinctillo, Pvbliano, Festo, Felice, Bonoso, Processo, Veneria, Marina, Fortvnata, Tecvssa, Goddite, Secvnda, Epictvlo, Vincentino, Rogato, Primo, Avrelio, Hilario, Perpetva, Ivliana, et aliis XXIV, in: AASS Ianuarii, Bd. 2, 1643, 27. Jan., S. 769a–b: „Altera hæc turma est Africanorum pugilum, in duobus vetustißimis MSS: S. Hieronymi & Dungalensi recensita, sed variantibus paullulùm subinde nominibus. Dungalensis codex ita habet: VI. Kal. Fortunati, Agnetis Virginis, Veneriæ, Marinæ, Fortunatæ, Tecussæ, Secdi [!], Perpetuæ, Iulianæ, Vincentiæ, Victuriæ, Donati, Viti, Saturnini, Messuriani, Paulij, Festi, Victoris, Quintilli, Rogati, Felicis, Publicani, Bonosij, Processi, Egotis, Pictuli, Vincentij, Primi, Aurilij, Sedci [!], Hilarij, Victoris, Leoci, Dati, Iuliani, Saturi, Calleniti, Lucij, Honorati, Marosij, Casti, Gaij, Gagi. Distinctiùs aliquantò Martyrologium S. Hieronymi: VI. Kal. Pas. S. Agnitis. Donati. Viti. In Africâ, Missuriani, Pupliæ, Victoris, Quintilli, Pupliani, Festi, Felicis, Bonosi, Processi, Veneriæ, Marinæ, Fortunatæ, Tecussæ, Godditis, Secundæ, Epictuli, Vincenti, Rogati, Primi, Aureli, Hilari, Perpetuæ, lulianæ & aliorum XXIV.“ The Martyrology of Tallaght, ed. Best/Lawlor (1931), 27. Jan., S. 12: „Furtunati [!]. Agnetis uirginis. Ueneriae. Marinae. Fortunatae. Tecussae. Secundae. Perpetuae. Iulianae. Uincentiae. Uicturiae. Donati. Uiti. Saturnini. Messuriani. Puplii [!]. Festi. Uictoris. Quintilli. Rogati. Felicis. Publicani. Bonosii. Processi. Egotis. Pictuli. Uincentij. Primi. Aurilii. Secundi. Hilarii. Uictoris. Leoci. Dati. Iuliani. Saturi. Calleniti. Lucii. Honorati. Marosi. Casti. Gaii. Gagi.“ Martyrologium Hieronymianum, ed. Rossi/Duchesne, AASS Novembris, Bd. 2,1, 1894, 27. Jan., S. [14], Cod. Eptern., etc.: „VI kl pas̏ sc̏ae agnitis donati viti in aff˾ missuriani pupliae vic | toris quintilli pupliani festi felicis bonosi processi veneriae | marinae fortunatae tecussae godditis secundae epictuli | vincenti rogati primi aureli hilari perpetuae iulianae et alioȑ XXIIII […].“ Einige weitere, mit dem Martyrologium von Tallaght korrespondierende Einträge zu demselben Tag lauteten ebd.: „[…] et alibi luci hono | rati matrosi dati iuliani caeliani saturi vincentiae victoriae | et aliorum XXXII.“ Da es sich um eine neue Gruppe handelte, erhielten sie ein eigenes Dossier. Vgl. De Sanctis Martyribus Africanis Lvcio, Honorato, Matroso, Datio, Ivliano, Cæliano, Satvro, Vincentia, Victoria, et aliis XXXII., in: ebd., 27. Jan., S. 769f., hier S. 769a: „MS. S. Hieronymi: Et alibi Luci, Honorati, Matrosi, Dati, Iuliani, Cæliani, Saturi, Vincentiæ, Victoriæ, & aliorum XXXII. Iidem ex Dungalensi codice suprà relati sunt.“

552 Das einzig erhaltene Zeugnis einer direkten Interaktion zwischen den Bollandisten und Wards Nachfolger Colgan ist ein Brief Henschens vom 28. August 1638. Henschen reagierte mit diesem Schreiben auf eine Anfrage Colgans, in der sich dieser nach dem Verbleib eines Martyrologs aus den Beständen der Löwener Minoriten erkundigt zu haben scheint. Henschen erklärte, dass man in der Tat im Besitz einer Abschrift eines solchen Martyrologiums sei. Es decke aber nur die Tage des Januar ab und weise den Umfang eines Quaternio auf. Es dürfte sich um den von Best und Lawlor als T1 gekennzeichneten Teil des Dubliner Manuskripts, die Abschrift aus den Folien des Book of Leinster, gehandelt haben, das später wieder nach Löwen und von dort nach Irland gelangte. Er und Bolland hätten sich allerdings entschieden, so Henschen, das Dokument eingehender zu studieren, bevor es zurückgegeben werden sollte. Es habe sich herausgestellt, dass es zahlreiche Übereinstimmungen mit ihrem Martyrolog des hl. Hieronymus aufweise. 239 Die limitierte Verwendung des „Hibernicum Martyrologium“ in den Januarbänden lässt darauf schließen, dass die Bollandisten dieses Dokument – wenn überhaupt – wahrscheinlich nur unter der Auflage hatten benutzen dürfen, es ausschließlich in solchen Dossiers zu zitieren, nämlich in jenen der römischen Tradition, die für Colgans eigenes Sammelwerk nicht von Interesse waren. In seiner Praefatio propagierte Bolland allerdings eine etwas andere Sicht. Er sprach von einem seines Erachtens ganz und gar ungenügenden Zustand dieses Martyrologs, das er im Großen und Ganzen auch gar nicht habe nutzen wollen: Ich habe sie [die irischen Heiligen] mit Absicht fortgelassen, weil es von mir kaum in Erfahrung gebracht worden war, ob sie einst Verehrung genossen hatten, oder ob sie nur, da sie bei diesem Volk den verbreiteten Titel der Heiligen erhalten hatten, aus diesem Grund aufgeschrieben worden waren: und ich präsentiere nicht blindlings fremdländische Heilige, es sei denn, dass ich Tatenberichte erlangt habe oder gewisse Zeugnisse von einer öffentlichen, ihnen rechtmäßig zugekommenen Verehrung. 240

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Vgl. Godefridus Henschenius to Fr John Colgan, Antwerp, 1638, August 28, in: Louvain Papers. 1606–1827, hrsg. v. Brendan Jennings (Irish Manuscripts Commission), Dublin 1968, Nr. 173, S. 127: „Martyrologium MS. vestrum penes nos adhuc servamus, cujus a fratre quodam descriptum exemplar ante optaremus videre quam remitteremus. Saltem de solo Januario aut priorem quaternionem. Multa in eo sunt quae in solo martyrologio MS. S. Hieronymi nostro reperiuntur nomina; non parvum inde juvabo descriptum si in aliquibus (uti fere divinandum est) non plene assequutus fuisset rei veritatem.“ Mit herzlichem Dank an Prof. Dr. Walter Senner OP, der diese in Deutschland nicht zugängliche Ausgabe im Kolleg der Dominikaner S. Isidoro in Rom ausfindig gemacht und eine Kopie dieser Seite nach Hamburg kommuniziert hat. Nach seiner freunlichen Auskunft hat sich das Original Henschens in der dortigen Bibliothek erhalten. Vgl. Bolland, Praefatio, in: AASS Ianuarii, Bd. 1, 1643, S. XLVIIa. Demnach sei das Martyrologium „aliquantò confusiùs descriptum, omissis locorum nominibus, & subiunctis vnicuique diei Sanctis Hibernicis. Hos ego consultò omisi, quia exploratum

553 Anders als die vermeintlichen Märtyrerinnen und Märtyrer der kontinentalen Tradition wie der hl. „Naffanianus“ und die zahllosen anderen, ihrerseits nur aus der martyrologischen Überlieferung bekannten Namen erhielten die irischen Heiligen, die ausschließlich dem Namen nach aus dem Martyrologium von Tallaght bekannt waren, in der Tat keine Dossiers „ex Martyrologio“. Davon abgesehen wäre es angesichts der rudimentären Beleglage für die Festtage der irischen Heiligen für Bolland natürlich von Bedeutung gewesen wäre, dieses historische Martyrolog überall dort zitieren zu dürfen, wo er es benötigte. Gut 70 Jahre nach Bolland scheint es Du Sollier für seine Studien an den Martyrologia Hieronymiana gestattet worden zu sein, die das Martyrologium von Tallaght enthaltenden Folien des Book of Leinster einzusehen. Was er vorfand, schien ihm gegenüber dem, was er von seinen Vorgängern gehört hatte, deutlich überschätzt: „Denn abgesehen von einigen rein irischen Beimischungen ist es nicht frei von mehreren jüngeren Zusätzen. Von dieser Art sind das Fest des hl. Joseph, der Erscheinung des Erzengels Michael, Allerheiligen und solcherlei mehr. Ferner enthält es von den zwölf Monaten des Jahres in der Tat nur den April in vollständiger Form.“ 241 Aufgrund der zahlreichen Lücken sprach er von einem „ganz und gar unvollkommenen Manuskript“, das er nicht ernsthaft zu den „hieronymianischen Codices“ zählen mochte. 242 Er zweifelte, ob Bolland es je im Original zu Gesicht bekommen hatte, da er die Übereinstimmungen mit der Echternacher Handschrift betont habe. Diese Korrespondenzen jedoch kennzeichneten das Martyrologium von Tallaght allenfalls versatzstückhaft als Martyrologium Hieronymianum. 243 Nicht mehr klärbar ist auch hier, ob es die Minoriten Du Sollier gestattet hätten, eine vollständige Kopie dieser Handschrift anzufertigen. Die Abwertung des Martyrologs, das die Minoriten nach seiner Aussage als „ungeheuren –––––––—

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mihi haud erat, an olim venerationem habuissent, an solùm, quia celebre sanctitatis apud eam gentem obtinuissent nomen, ideò essent adscripti: & non temerè peregrinos Sanctos profero, nisi vel Acta sim nactus, vel de publicâ illis impensâ legitimè veneratione testimonia certa.“ Vgl. Du Sollier, Ad novam Martyrologii Usuardini editionem præfatio, AASS Iunii, Bd. 6 [Teil 2], 1715, S. VIII: „Ego […], post accuratum examen, facile animadverti, codicem illum longe supra meritum à Majoribus nostris, quibus sola extracta, ut mihi sæpe testatus est Papebrochius, à PP. illis Minoritis Hibernis, seu à Colgano missa fuerant, elatum & commendatum esse. Etenim præter admixta Hibernica propria, pluribus recentioribus additamentis non caret, qualia sunt festum sancti Joseph, Revelationis Michaëlis archangeli, Omnium Sanctorum, & plura hujusmodi. Aliunde vero ex duodecim anni mensibus solum Aprilem habet integrum.“ Vgl. ebd.: „Patet igitur, manuscriptum plane imperfectum esse, neque adeo dignum, quod inter Hieronymianos codices connumeretur.“ Vgl. ebd.: „An autographum ipsum membraneum umquam viderit Bollandus, dubium facit, quod Tamlactense istud simile Epternacensi existimet, cum vere solum Martyrologii alicujus Hieronymiani fragmentum dici possit.“

554 Schatz“ („thesaurum ingentem“) bewerteten, 244 könnte mit einem nach wie vor bestehenden Verbot, das Martyrologium von Tallaght publizistisch zu nutzen, in Verbindung gestanden haben. Colgan wiederum war darauf bedacht, in den Acta Sanctorum Scotiae seu Hiberniae die Korrespondenzen zwischen seinem Martyrologium und einem Martyrolog aus dem Kloster Echternach zu betonen, das ein gewisser „Pater Heribertus Roswedius“ mit dem Namen des hl. Hieronymus habe in Verbindung bringen können. 245 Die Namen Bollands und Henschens wurden in diesem Zusammenhang ebenso wenig genannt wie die Januarbände der Acta Sanctorum, aus denen er diese Information ohne Zweifel erlesen hatte. Noch Best und Lawlor vertraten die Ansicht, dass es Colgans Leistung war, das Martyrologium von Tallaght als Teil der Tradition der Martyrologia Hieronymiana erkannt zu haben. 246 Über die Tatsache, dass man in Löwen zahlreiche irische Martyrogien besaß, war Bolland sehr früh informiert. In dem einzig bekannten Brief von Ward an Bolland vom 7. Oktober 1634 beantwortete Ward einige Anfragen Bollands, die unter anderem die Viten und den Festtag des hl. Ailbe oder Albeus/Alueus von Emly († um 527/541) betrafen. 247 Ein knappes Jahr zuvor, am 23. Dezember 1633, hatte Bolland von O’Sullivan Beare aus Madrid ein Schreiben empfangen. Darin hatte O’Sullivan vorgeschlagen, die Acta Sanctorum als solche mit einer von ihm aus dem Irischen übertragenen Vita dieses Heiligen zu eröffnen, da der Name des Heiligen mit „A“ begänne und sein Fest am 1. Januar begangen werde. 248 Diese Vita dürfe –––––––— 244 245

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Vgl. ebd.: „[…] thesaurum ingentem Lovanii latere sibi plane persuaserat.“ Vgl. De S. Æengvsso Hagiographo, Episcopo et Confessore. Ex variis, in: AASS Scotiae seu Hiberniae, Bd. 1, 1645, 10. März, S. 579–583, hier S. 582b Anm. 10: „Pater Heribertus Roswedius [!], vir de Ecclesiastica antiquitate bene meritus, accepit ex Carthusia Treuerensi quendam peruetustum codicem pertinentem ad Monasterium Epternacense S. Willebrodi, qui continebat vetussimum [!] & locupletissimum Martyrologium, multo plures continens sanctos ad singulos dies, quam Martyrologium Romanum, vel aliud ex iam editis: quod censuit Martyrologium S. Hyeronymi [!] vocandum ob titulum hunc isti Martyrologio præfixu[m]; […]. Illud autem Martyrologium siue Hieronymo, siue Eusebio, siue S. Wilebrordo sit attribuendum […] in Plerisque conuenit cum hoc nostro S. Ængussio siue Tamlactensi Martyrologio, […]. Duo me inclinant motiua vt censeam illud Martyrologiu[m], quod in Codice S. Wilebrordi siue Epternacensi habetur, S. Wilebrordum secum ex Hibernia Epternacum apportasse […].“ Vgl. Best/Lawlor, Introduction (1931), S. XI: „Further on […] Colgan refers again […] to the Martyrology of Tallaght, which he endeavours to show was a copy of an older Irish Martyrology, that associated with St. Willibrord, to which the Irish commemorations were added for each day. This is the well-known Codex Epternacensis […].“ Vgl. Grosjean, Soldat (1963), S. 419, 427ff. Vgl. O’Sullivan Beare an Bolland, Madrid, 23. Dez. 1633, in: Paul Grosjean, Hibernica e schedis bollandianis, in: Anal. Boll. 50 (1932), S. 139–146, hier S. 144f.: „[…] ut opus suum totum a Vita nostri mirabilissimi Archiepiscopi divi Albij auspicetur: quoniam ipsius divi et nomen a littera A. incipit, et festum primo die Januarii mensis agitur, […].“

555 Bolland, so O’Sullivan Beare, ebenso unter seinem – O’Sullivan Beares – Namen publizieren wie eine den Raum der irischen Kirchengeschichte in ihren Heiligen verklärende Animadversio in Vitas universorum Iberniae divorum – „Fruchtbare Insel aus Ackerland, vom Himmel bereitet und vor der Anfeindung durch kriechende und giftige Tiere durch das Fegefeuer des göttlichen Patrick gefeit […]“ –, die er selbst verfasst habe. 249 Bolland scheint diese Vita Ward zur Prüfung überstellt zu haben. Vielleicht war sie ihm auch nur wilkommener Anlass, um Ward nach den Beständen der Löwener Minoriten zu befragen. Ward zeigte sich erstaunt, dass O’Sullivan Beare diese seines Erachtens sehr fehlerhafte Vita, die ihm seit acht Jahren bekannt sei, unter seinem Namen publiziert wissen wollte. 250 Er selbst sei im Besitz von insgesamt zwei lateinischen und zwei vernakulärsprachlichen Versionen der Vita. 251 Ward korrigierte den von O’Sullivan Beare behaupteten Festtag des 1. Januar auf den 12. September und bezog sich damit auf das ihm vorliegende liturgische und kalendarische Schrifttum. Unter anderem erwähnte er das um 828/833 in Tallaght entstandene Martyrolog des Óengus und das um 1168/70 verfasste Martyrologium von Gorman. 252 Bei –––––––— 249

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Vgl. ebd., S. 145: „Animadversionem veró in Vitas universorum Iberniae divorum suae Paternitatis, sed divi Albii vitam meo nomine in lucem edat, quemadmodum in his foliis ipse manu mea scripsi.“ Die Animadversio ist von Grosjean vollständig publiziert worden. Vgl. Reverendi Patris Joannis Bolandi e Societate Jesu Animadversio in Vitas universorum Iberniae divorum, in: ebd., S. 145f., Zitat S. 146: „Insula gleba fertilis, caelo temperata et serpentum venenosorumque animalium infestatione immunis Purgatorio divi Patricii […].“ Vgl. Ward an Bolland, Löwen, 7. Okt. 1634, in: Grosjean, Soldat (1963), S. 424–427, hier S. 425: „Magis offendi deberet dominus Philippus quod ita mendose ederetur Vita haec sub ipsius nomine […]. Ipsa Vita quam fecit latinam dominus Sulleuanus ex codice domini comitis de Birhaven etiam est penes me inde extracta ante annos octo, […].“ Vgl. ebd.: „[…] eius Vita, quam habeo ex duobus diversis codicibus Hibernicis et aliis duobus latinis.“ Die Identität dieser beiden irischen Viten ist nicht geklärt. Vgl. Plummer, Introduction (1910), S. XXIX mit Anm. 2, S. XXX; Sharpe, Saints’ Lives (1991), S. 229 Anm. 10. Vgl. Ward an Bolland, Löwen, 7. Okt. 1634, in: Grosjean, Soldat (1963), S. 424f.: „Alueum nusquam locorum aut librorum video extra 12 Septembris, ut ex Martyrologio metrico Sancti Aenaeae Unifabri constat, et altero metrico Beati Mariani Gormani, abbatis Collis Apostolorum, quorum primus ante octingentos annos floruit, alter ante quadringentos. Item ex Martyrologio metrico O Bresleani, et alio antiquissimo in prosa, et libro quem Psalterium Carminum vocant, a S. Aenaea eodem conscripto, et Psalterio Casselensi, ac libro per Possidium Archipoetam et historicum inde et ex aliis collecto.“ Bei den ersten beiden Nennungen handelt es sich um das Martyrolog des Óengus (Aengus/Aenaeas) und das um Martyrolog von Gorman. Letzteres hielt Ward für deutlich jünger als es heute der Fall ist. Vgl. die Nachweise: Félire Óengusso Céli Dé. The Martyrology of Oengus the Culdee. Critically Edited from Ten Manuscripts, with a Preface, Translation, Notes, and Indices by Whitley Stokes (Henry Bradshaw Society 29), London 1905, 12. Sept., S. 194: „Pridie idus Septembris. Celebair féil nAilbi […].“ The Martyrology of Gorman. Edited from a Manuscript in the Royal Library, Brussels, with a Preface, Translation, Notes and In-

556 einem von ihm als „Psalterium Casselense“ bezeichneten Stück handelte es sich um das heute verlorene Martyrologium von Cashel von um 1170. Teile seines Bestands lassen sich allein aus der Verwendung in Colgans Acta Sanctorum Scotiae seu Hiberniae und der Trias thaumaturga rekonstruieren. Colgan verzeichnete dieses von ihm als Calendarium Casselense etablierte Martyrolog mit der Provenienz „ex Psalterio Casselensi“.253 Die irischen Martyrologien erhielten ihre bis heute gebräuchlichen Bezeichnungen durch Colgans Acta Sanctorum Scotiae seu Hiberniae. Er präsentierte die von ihm häufiger zitierten Schriften im Anschluss an die –––––––—

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dices by Whitley Stokes (Henry Bradshaw Society 9), London 1895, S. 174, 12. Sept.: „[…] Ailbe Imlig Ibair.“ Vgl. zu Datierung und Entstehung David N. Dumville, „Félire Óengusso“. Problems of Dating a Monument of Old Irish, in: Éigse 33 (2002), S. 19–48; Ó Riain, Phase (2002), S. 324f. Auf diese beiden einzig problemlos zu identifizierenden Schriften aus Wards Aufzählung hat schon Grosjean, Soldat (1963), S. 424 Anm. 5, hingewiesen. Die Identifizierung der verbleibenden fünf war auch hier nicht in jeder Hinsicht zu leisten. Vgl. dazu das Folgende. Vgl. Pádraig Ó Riain (Hrsg.), Four Irish Martyrologies. Drummond, Turin, Cashel, York (Henry Bradshaw Society 115), Woodbridge 2002, S. 162ff. Ó Riains Ausgabe des Martyrologium seu Calendarium Casselense, in: ebd., S. 169–184, speist sich also insgesamt aus sekundären Quellen. Wards Hinweis auf den hl. Ailbe wäre daher den von Ó Riain zusammengetragenen Belegen hinzuzufügen. Das zweite von Ward Óengus zugeschriebene Stück aus dem „libro quem Psalterium Carminum vocant“, war mit der hier konsultierten Literatur nicht aufzulösen. In Löwen existierte eine aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts stammende, umfangreich glossierte und im Bestand etwas erweiterte Version des metrischen Martyrologs von Óengus. Von Colgan wurde sie als „Aengusius auctus“ bezeichnet. Vgl. Stokes, Preface, in: The Martyrology of Oengus, hrsg. v. dems. (1905), S. VII–LII, hier S. XII f. Ferner weist Plummer, Introduction (1910), S. XXVII Anm. 4, einige kleinere Texte nach, in denen der hl. Ailbe Erwähnung fand. Sie sind zumeist in der einen oder anderen Version auch in den Manuskripten der Bibliothèque royale erhalten, die auf die Löwener Minoriten zurückgehen. Die hier konsultierten enthalten jedoch keine Hinweise auf den Festtag des hl. Ailbe. Vgl. etwa Whitley Stokes, Cuimmín’s Poem on the Saints of Ireland, in: Zeitschrift für celtische Philologie 1 (1897), S. 59–73, hier S. 65, Nr. 61, nach der Übersetzung Stokes’: „Ailbe loved hospitality – the devotion was not untruthful. Never entered a body of clay (one) that was better as to food and raiment.“ Erhalten ist ferner eine metrische Regel des hl. Ailbe. Auch sie kennt aber keinen Fest- oder Todestag. Vgl. Joseph O Neill, The Rule of Ailbe of Emly, in: Ériu 3 (1907), S. 92–115. Diese Regel ist unter anderem in der Handschrift überliefert, in der die Löwener Minoriten ihre wichtigsten Martyrologien versammelten. Vgl. BRB, Ms. 5100–04 (507), fol. 17v–20r. Neben O’Clerys auf die irischen Heiligen konzentrierter Abschrift aus dem Martyrologium von Tallaght, ebd., fol. 182r–197v, beinhaltet sie beispielsweise die einzig überhaupt erhaltene Version des Martyrologs von Gorman in Form einer Abschrift O’Clerys, ebd., fol. 100r–170v, und eine Version von Óengus’ Martyrolog, ebd., fol. 66r–91v. Eine kursorische Durchsicht dieser Handschrift konnte allerdings keine weiteren Hinweise auf die von Ward an Bolland übermittelten Daten gewinnen – etwa in Form von Marginalien im Kontext der jeweiligen Einträge zum hl. Ailbe am 12. September. Diese Handschrift gilt als zwischen 1626 und 1636 entstanden. Vgl. Stokes, Preface, in: The Martyrology of Gorman, hrsg. v. dems. (1895), S. VII–LII, hier S. VII–XVIII; ders. Preface (1905), S. VIII; Breatnach, Irish Bollandus (1999), S. 15.

557 Anmerkungen des ersten Dossiers seines Sammelwerks. 254 Anders als für Bolland und Henschen war es für ihn kein Problem, einen Festtag wie den der hl. Ita breit zu belegen. 255 Mit der Publikation der Acta Sanctorum Scotiae seu Hiberniae wurde es nun auch für die Bollandisten möglich, die irischen Martyrologien mehr oder minder präzise zu identifizieren. Für die Arbeit an den Februarbänden habe ihm Colgan, so Bolland, erneut Abschriften zur Verfügung gestellt, und zwar solche aus dem Martyrolog von Gorman sowie aus dem, wie er sagte, Martyrolog des Óengus, das sich im Kloster Tallaght erhalten habe. 256 Falls es sich um die heute im Trinity College in Dublin aufbewahrten Blätter handelte, dann dürfte Bolland allerdings den Unterschied zwischen dem Martyrolog des Óengus aus Tallaght –––––––— 254

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Vgl. De S. Fanchea, in: AASS Scotiae seu Hiberniae, Bd. 1, 1645, 1. Jan., S. 4–6, hier S. 4b–5a: „Quia in his notis citaui aliquos authores sæpissime postea in sequentibus citandos, placuit hic aliquid de eorum scriptis, & tempore quo floruerunt breuiter adnotare. || S. Ængussius obhlenij filius prius cluain-edhnaechensis, postea Tamhlachten [!] in Lagenia sub S. Molruano monachus, inter alia multa Scripsit metro Hibernico Martyrologium […]. || Martyrol., quod Tamlachtense vocamus, author, vel interpolator scripsit circa ann. 900. […]. || Author Calendarij, quod Casselense vocamus, videtur floruisse circa annum 1030; […]. || B. Marianus (alijs Malmurius) O Gorman, Abbas Lughmaghdensis in vltonia composuit metro Hibernico, perraro quidem & eleganti stylo, Martyrologium tempore Gelasii Archiepiscopi Aromachani circa annum 1167 […].“ Es folgte die Diskussion weiterer Schriften martyrologischen Charakters wie etwa O’Clerys Martyrologium Dungallense. Ausführlich kam er auf diesen Komplex im Dossier De S. Æengvsso, ebd., 10. März, S. 581a–582b, zu sprechen. Vgl. Vita S. Itæ aliis Midæ Virginis et Abbat. ex Codice Kilkenniensi, in: AASS Scotiae seu Hiberniae, Bd. 1, 1645, 15. Jan., S. 66–74. Appendix, ebd., S. 72–74, hier S. 73b: „Natalem huius Virginis ponunt Marianus Gormanus, S. Ængußius & alia domestica & externa festilogia hac 15. Ianuarij […]. Martyrologium Tamlactense; Dormitatio S. Itæ & filiarum Carbrei. Calendarium Casselense; S. Ita siue Mida […]. S. Ængußius in suo Festilogio; Passa multas [!] continuo cruciatus, vsa multis abstinentijs, lucerna ardens fæminarum Mamoniæ, S. Ita de Cluani-Credhuil.“ Vgl. The Martyrology of Tallaght, ed. Best/Lawlor (1931), 15. Jan., S. 8: „Dormitatio Itae et filiarum Cairpre.“ The Martyrology of Gorman, ed. Stokes (1895), 15. Jan., S. 16: „Michias, Ita, Diarmait […].“ The Martyrology of Oengus, ed. Stokes (1905), 15. Jan., S. 36, in der englischen Übersetzung Stokes’: „She succoured many grievous diseases: she loved many severe fastings, the white sun of Munsters’s women, Íte the devout of Cluain.“ Colgan hatte eine lateinische Übersetzung dieses wie Gorman vernakulärsprachlichen Martyrologs geboten. Auf die Nachweise aus Ó Riains Ausgabe des Martyrologs von Cashel wurde im Folgenden verzichtet, da sich diese ausschließlich aus solchen sekundären Erwähnungen wie bei Colgan speist. Vgl. die vorangegangene Anm. Nicht nachzuweisen sind ferner die von Colgan häufig zitierten scholiae aus einer im 15. Jahrhundert für den Kanoniker Cathal Maguire († 1470) angefertigten Version des Martyrologs des Óengus, da diese nicht ediert sind. Vgl. unten Anm. 262. Vgl. Bolland, Praefatio, AASS Februarii, Bd. 1, 1658, S. XVIb–XVIIa: „[…] & nobis pro suâ [Colgans] humanitate duorum eiusmodi Martyrologiorum ecgrapha ad Februarium spectantia communicauit: vnum compositum aiebat à B. Mariano Gormano Abbate Lugmudensi circa annum MLXXI, alterum à S. Engusso Episcopo, qui seculo octauo vixerit, asseruatumque in Tamlachtensi monasterio: iis nos haud raro usi sumus.“

558 und dem ihm realiter in Auszügen vorliegenden Martyrologium von Tallaght übersehen haben. In den Dossiers der Februarbände wurde Colgan jedenfalls gelegentlich für seine Freundlichkeit („humanitas“) gedankt. Von Nutzen im Sinne eines Gewinns an Information gegenüber dem, was nun ohnehin in den Acta Sanctorum Scotiae seu Hiberniae nachgelesen werden konnte, waren diese Abschriften für die Bollandisten jedoch kaum, sieht man davon ab, dass sie auf ihren Besitz verweisen konnten. 257 Wenn es sich um die Sektion T2 der Handschrift aus dem Trinity College gehandelt haben sollte, dann umfasste sie nur irische Heilige. Das vernakulärsprachliche Martyrolog von Gorman verzeichnete zwar Heilige der römischen Tradition. In den Februarbänden der Acta Sanctorum wurde es jedoch in dieser Hinsicht kaum genutzt. 258 Der Nachweis, dass Bolland in der Tat im Besitz –––––––— 257

258

Vgl. I[oannes] B[ollandus], De S. Comgano Abbate Glinnvssensi in Hibernia, in: AASS Februarii, Bd. 3, 1658, 27. Feb., S. 682a: „Hiberniensia duo Martyrologia, quorum ecgrapha, R. P. Ioannis Colgani humanitate, adepti sumus, alterum Mariani Gormani Abbatis Lugmudensis, Tamlactense alterum, XXVII Februarij memoriam exhibent S. Comgani de Geann-ussen, siue Glinnussen […].“ Vgl. The Martyrology of Tallaght, ed. Best/Lawlor (1931), 27. Feb., S. 19: „Comgain Glinni Usin.“ The Martyrology of Gorman, ed. Stokes (1895), 27. Feb., S. 44: „[…], Comgan.“ Vgl. dazu Colgans Dossier De S. Comgano Abbate de Gleann-vssen, in: AASS Scotiae seu Hiberniae, Bd. 1, 1645, 27. Feb., S. 417f., hier S. 417b: „[…] quod eius festum secundum domesticos passim hagiologos celebretur in Monasterio de Gleannvssen 27. Feb. (15).“ Ebd., S. 418b Anm. 15: „[…] ita ad eundem Ængussius dicens festum S. Comgani de Ceann-innis. Mar. Taml. Comgani de Gleann-vssen. Marian. Gorm. & Mart. Dungall. iisdem loquuntur verbis.“ Vgl. The Martyrology of Oengus, ed. Stokes (1905), 27. Feb., S. 63: „[…] féil Chomgain cen dinnis, airec cinn Iohannis.“ In der Übersetzung Stokes’: „[…] the feast of Comgan without reproach (and) the finding of John’s head.“ Nicht erwähnt wurde es beispielsweise in dem Dossier: I[oannes] B[ollandus], De Sanctis Martyribus Celerina, Ignatio, Lavrentino, et Celerino Diacono Confessore, in: AASS Februarii, Bd. 1, 1658, 3. Feb., S. 321–328. Hier hätte eine serielle Übereinstimmung mit den anderen von Bolland zitierten Martyrologien kontinentaleuropäischer Provenienz konstatiert werden können. Vgl. The Martyrology of Gorman, ed. Stokes (1895), 3. Feb., S. 28: „Celerin […], Ignait, […] Laurentín […].“ Das Martyrologium von Gorman scheint, wenn ich richtig sehe, im Zusammenhang mit Heiligen der römischen Tradition nur im dritten Februarband, in insgesamt drei Fällen und ausschließlich in von Henschen verfassten Dossiers, aufzutauchen. Vgl. G[odefridus] H[enschenius], De Sanctis Martyribvs Afris Pvblio, Ivliano, Marcello, Marvbio, item Ivliano, Baraceo, Tvllio, Lampasio, Maivlo, Ivlio, Pavlo, Maximilla, Sylloge historica, in: AASS Februarii, Bd. 3, 1658, 19. Feb., S. 130b: „In Festilogio Hibernico MS. Mariani Gormani referu[n]tur Publius, Gabinus, Iulianus, Iulius.“ Vgl. The Martyrology of Gorman, ed. Stokes (1895), 19. Feb., S. 38: „Publius, Gabín […], Iulianus, Iulius, […].“ Vgl. G[odefridus] H[enschenius], De Sanctis Martyribvs Ægiptiis Victorino, Victore, Nicephoro, Clavdiano, Dioscoro, Serapione, Papia, Sylloge historica, AASS Februarii, Bd. 3, 1658, 25. Feb., S. 488–490, hier S. 488a–b: „Nomina indicantur in Martyrol. MS. Mariani Gormani in Hiberniâ, sed loco omisso, & alio ferè ordine, quàm apud reliquos: Victor, Victorianus, Claudianus, Papias, Serapion, Dioscorus, Nicophorus.“ The Martyrology of Gorman, ed. Stokes (1895), 25. Feb., S. 42: „Uictorin is Uictor, Papias, Seraip […], Dioscoir […], Nicofoir […].“ G[odefridus] H[enschenius], De Sanctis Martyribvs Nicophoro, Diodoro,

559 einer näherungsweise vollständigen Kopie des Martyrologiums von Gorman war, ist daher kaum zu erbringen, zumal im Fall der irischen Heiligen die in den Februar- und Märzbänden der Acta Sanctorum versammelten Belege aus beiden Martyrologien in keiner Weise das überschritten, was nicht auch Colgans Dossiers hatte entnommen werden können. Bolland und Henschen tendierten folglich dazu, Colgans zumeist ausführlichere Hinweise, teilweise in verschlankter Reproduktion des gesamten Dossiers, 259 aus den Acta –––––––—

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Papia, Maccare, Tella, Felice, Caio, Envcvlo, Ianvario, Qvinqviano, Mansveto, Hermete, Zetha, Donato, Servilia, Veneria, Bassilia, Ianvaria, Stercola, Silvana, Manintia, Rvfvnia, in: AASS Februarii, Bd. 3, 1658, 28. Feb., S. 724b: „In Martyrol. Gormani Abbatis Lugdunensis in Hiberniâ celebratur Mansueti Confessoris memoria; qui nobis ignotus est, nisi sit inter hos Martyres indicatus Mansuetus.“ Vgl. The Martyrology of Gorman, ed. Stokes (1895), 28. Feb., S. 44: „Mansuetus […].“ Wenn es richtig ist, dass die Papierhandschrift Trin. Coll. Ms. 1140 und namentlich die Sektion T2 nur irische Heilige aus dem Martyrologium von Tallaght verzeichnete, dann ist die Grundlage für diese Einträge unklar. Es wäre also zunächst zu prüfen, ob diese Handschrift, die nach dem oben Anm. 236 erwähnten Katalogisat von Kingsmill Abbott „especially“ Teile des Martyrologiums von Tallaght enthielt, von Colgan nicht auch mit einigen Einträgen aus dem Martyrologium von Gorman ausgestattet worden ist. Vgl. G[odefridus] H[enschenius], De S. Cronano Episcopo in Hibernia, in: AASS Februarii, Bd. 2, 1658, 9. Feb., S. 339a: „Eumdem referri in Martyrologiis Hibernicis, Tamlactensi, Dungallensi, S. Ængußi, Maguiri, & Mariani Gormani tradit Ioannes Colganus in Actis SS. Hiberniæ: apud quem de eo S. Ængußius hæc prædicat: Machuarocus sapiens, quem facti numquàm pœnituit. […] A Gormano dicitur: Cuaranus sapiens in Desiis Momoniæ, qui & Cronanus filius Nethsemonis.“ Das von Colgan auch zitierte Martyrologium von Tallaght hatte Henschen in diesem Fall ausgespart. Vgl. De S. Cronano qui & Cvaranvs, in: AASS Scotiae seu Hiberniae, Bd. 1, 1645, 9. Feb., S. 302f., hier S. 302b: „Nonum, quòd natalis eius in regione Desiorum nono Februarij (12) consueuit celebrari.“ Ebd., S. 303b Anm. 12: „Ita […] nostri passim domestici Hagiographi ad eumdem diem, vt sanctus Ængussius. Mochuarocus, inquit, sapiens quem facti numquam puduit [!]. Martyr. Tamlactense: Carnani sapientis, qui & Cronanus filius Nathsemonis dicitur, vel filius Nethi. Vbi loco Caurnani videtur Cuarani legendum. Cuaranus enim vocatur a Mariano Gormano ita dicente: Cuaranus sapiens in Desiis Momoniæ: est qui & Cronanus filius Nethsemonis vocabatur.“ Insgesamt stellte Henschens Dossier eine gestraffte Variante des kurzen Dossiers aus den Acta Sanctorum Scotiae seu Hiberniae dar, das auf keine eigene Vita dieses Heiligen, sondern nur auf eine Passage aus einer Vita des hl. Columba († 597) hatte rekurrieren können. Vgl. ebd., S. 302a–b: „[…] & pro dignitate honoratus fuit, vt testatur S. Adamnanus in actis S. Columbæ (*). Alio, inquit, in tempore quidam de Momoniensium Prouincia Episcopus nomine Cronanus […].“ Ebd., S. 302b Marginalnote *: „lib. 1. cap. 42.“ Vgl. das diese Passage zitierende Dossier von Henschen, De S. Cronano, AASS Februarii, Bd. 2, 1658, 9. Feb., S. 339b: „S. Adamnanus Abbas Huensis in Vitâ S. Columbæ Abbatis, quam dabimus ad IX. Iunij, huius peregrinationem describit lib. 1 cap. 42 hoc titulo: De Cronano Episcopo, ac deinde, Alio, inquit, in tempore quidam de Momonensium prouinciâ Episcopus, nomine Cronanus […].“ In der später in den Acta Sanctorum verwandten Version der Vita des hl. Columba des Adamnanus von Hy († 704) lauteten Kapitel und Text letztlich etwas anders. Vgl. F[ranciscus] B[aertius], De Sancto Columba, Presbytero Abbate, In Iona Scotiæ Insvla, in: AASS Iunii, Bd. 2, 1698, 9. Juni, S. 180–236. Vita prolixior. Auctore S. Adamnano Abbate. Ex membranis Augiæ divitis in Germania, ebd., S. 197– 236, hier S. 210b: „Alio in tempore, quidam de Mumunensium provincia proselytus

560 Sanctorum Scotiae seu Hiberniae zu übernehmen. 260 Gelegentlich wurde pauschal auf Colgans Belege verwiesen. 261 Wenn aus diesem Vorgehen der Anschein erwuchs, die Bollandisten hätten all diese Martyrologien selbst besessen und verantwortlich ausgewertet, einschließlich der volkssprachlichen Martyrologien des Óengus und des Martyrologs von Gorman, 262 dann hat dies auch mit der Tatsache zu tun, –––––––—

260

261

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ad Sanctum venit, qui se in quantum potuit occultabat humiliter, ut nullus sciret quod esset Episcopus […].“ Marginal wurde dies ebd., als Kapitel „XLIV“ gezählt. Diese Ausgabe ging auf eine von White aus dem Kloster Reichenau besorgte Abschrift der ältesten Version der Vita aus dem frühen 8. Jahrhundert zurück. Diese Version hatte Colgan auf gleicher Basis 1647 in der Trias thaumaturga veröffentlicht. Vgl. Allan Orr Anderson/Marjorie Ogilvie Anderson, Introduction, in: Adomnan’s Life of Columba, with Translation and Notes hrsg. v. dens., Toronto/New York 1961, S. 1– 175, hier S. 3. Vgl. G[odefridus] H[enschenius], De S. Odrano Martyre Avriga S. Patricii in Hibernia, in: AASS Februarii, Bd. 3, 1658, 19. Feb., S. 131f., hier S. 131a: „[…] asseritq[ue] [Colgan] inscriptum esse Martyrologiis Hibernicis Tamlachtensi, Dungallensi, & Mariani Germani [!], appellarique S. Odranum de Tit-oenach [!]: […].“ Vgl. De S. Odrano Martyre. Ex variis, in: AASS Scotiae seu Hiberniae, Bd. 1, 1645, 19. Feb., S. 370–372, hier S. 372b Anm. 18: „Hac die 19 Februarij S. Odhrain de Tiroenaich, & iisdem verbis Marian. Gorm. & Mart. Dungallensi.“ Colgan hatte das Martyrologium von Tallaght nicht zuletzt angeführt, um die insgesamt breite Streuung der Festtage über den 19. Februar hinaus zu belegen. Vgl. ebd., Anm. 17: „Marianus Gormanus, & Maguir, & Martyrologium Dungallensi. & Martyrologium Tam. ponunt Natale[m] S. Odrani ad 6. Martij; […].“ Vgl. The Martyrology of Tallaght, ed. Best/Lawlor (1931), 19. Feb., S. 18: „Odrán Tire Óenaigh“; ebd., 6. März, S. 21: „Odrani sancti.“ The Martyrology of Gorman, ed. Stokes (1895), 19. Feb., S. 38/39: „[…] Odran oebhda“/„[…] beautiful Odrán“; ebd., 6. März, S. 48: „[…] Odran, […].“ Vgl. G[odefridus] H[enschenius], De S. Eciano, siue Echeno, Episcopo Clvainfodiensi in Hibernia. Commentarius historicus, in: AASS Februarii, Bd. 2, 1658, 11. Feb., S. 551a: „Eumdem celebrant varij Martyrologi Hiberni, relati à Colgano in Actis Sanctorum Hiberniæ ad hunc diem.“ Vgl. Godding, Hagiography (2001), S. 297: „[…] Colgan arranged for him [Bolland] to have copies of the contents of Gorman and Tallaght relating to February, which are extensively quoted in the volume. To these two may be added Calendarium Casselense, the Martyrology of Donegal and the copy of the Martyrology of Óengus made for Cathaldus Maguire, of which the Bollandists possessed either full or fragmentary copies.“ Der Besitz eines vollständigen Exemplars ist für keinen der genannten Textzeugen nachweisbar. Godding belegt seine Diagnose ebd., Anm. 45, im pauschalen Verweis auf drei Dossiers der Bollandisten. Diese sind bei genauerer Prüfung allerdings zweifelsfrei auf die Acta Sanctorum Scotiae seu Hiberniae zurückzuführen. Hier sei nur verwiesen auf das Dossier: De S. Endeo Abbate Araniensi in Hibernia, in: AASS Martii, Bd. 3, 1668, 21. März, S. 267–274. Commentarius præuius, ebd., S. 267–269, hier S. 268a. Auf die Aufzählung einiger kontinentaleuropäischer Martyrologien folgend hieß es dort: „His accedit vetustißimum Tamlactense: sed in eo manifestè ceteris contradicit omnibus, quod eum faciat filium Anmirei, quem omnes alij scribunt fuisse S. Endei auum maternum: expreßißimè autem Cathaldus Maguir in suis ad Festilogium Ængussianum scholiis: Endeus de Araniâ filius Conalli Rubei, filij Dameni de Orgiellijs: & filia Anmirij Principis Ferardorum fuit eius mater; quam Brigam siue Ailfinniam nominatam scribit auctor Kalendarij Casselensis. Marianus

561 dass mit dem Abbruch der Acta Sanctorum Scotiae seu Hiberniae nach dem Monat März keineswegs die Möglichkeit erloschen war, das dort zitierte Datenmaterial zu nutzen. Für Bollandisten blieb dieser Band der Acta Sanctorum Scotiae seu Hiberniae, auch über den März, hinaus unentbehrlich. Colgan hatte in den Anmerkungsapparaten und in zahlreichen Appendices, in denen unter anderem die gentilen Linien nachgezeichnet worden waren, denen die einzelnen Heiligen zugehörig waren, eine Fülle von Informationen aus den ihm vorliegenden Martyrologien genannt. Auf diese Reservoirs –––––––— Gormanus de Endeo agens, Conallo Rubeo patriam Clochar, ipsi Endeo epitheton Virginei facit: & hoc fortaßis ex summâ illâ animi puritate, quam par est credere eum non minus seuerè in seipso coluisse, quàm exigere à discipulis consueuerat. || Quantam autem à suis exigeret innocentiam, narrant Martyrologij Dungallensis collectores his verbis: S. Endeus Abbas Araniensis: Conallus Rubeus filius Dameni: filij Corprei […].“ Dies war die Adaptation eines Segments aus Colgans Appendix, einschließlich des sehr umfangreichen Zitats aus O’Clerys Martyrologium Dungallense, auch wenn die Bollandisten, gelinde gesagt, wenig getan hatten, um dem Eindruck entgegenzuwirken, dass sie an dieser Stelle nichts anderes als die Ergebnisse ihrer eigenen Recherchen präsentierten. Vgl. Vita S. Endei Abbatis Araniensis. Ex Codice MS. Insulæ omnium Sanctorum authore Augustino Magradin, in: AASS Scotiae seu Hiberniae, Bd. 1, 1645, 21. März, S. 704–711. Appendix, ebd., S. 711–715, hier c 1. De Natali S. Endei ex diuersis Martyrologijs, S. 711a–b: „Natalem S. Endei celebrari die 12. [!] Martij tradunt domestici, & externi Martyrologi [!]: Ad quem diem […] Martyrol. Tamlact. Endeus Araniensis filius Anmirij, filij Ronani de Crimthannis, vbi mendose legitur filius Anmirij pro filius Brigæ filiæ Anmirij: nam vt vitæ propria [!], & alij infra c. 3. citandi tradunt, fuit filius Conalli filij Damenij. eiusque mater fuit Briga filia prædicti Anmirij. Marianus Gorm. Endeus virgineus de Arania, filius Conalli Rubei de Clochar: quiescit in Arania. Calend. Cassel. Endeus de Arania, filius Conalli Deirg. 1. Rubei, filij Damenij, filij Carprei Daimhairgid Regis Orgielliæ: Briga siue Aibfinna, filiæ Anmirij, filij Ronani Principis Ferardorum fuit eius mater. Maguir in scholijs ad Festilogium Engußij. Endeus de Arania, filius Conalli Rubei, filij Dameni de Orgielliis; & filia Anmirij Principis Ferardorum fuit eius mater. Martyrol. Dungall: S. Endeus Abbas Araniensis: Conallus Rubeus filius Dameni; filii Corprei […].“ Die Nennung des 12. März zu Beginn dieses Abschnitts ist ein Setzfehler. Das gesamte Dossier war dem korrekten Datum des 21. März zugeordnet. Vgl. The Martyrology of Tallaght, ed. Best/Lawlor (1931), 21. März, S. 25: „Ennae Áirni“; The Martyrology of Gorman, ed. Stokes (1895), 21. März, S. 58/59: „[…] is Enda og Arand.“/„[…] and virginal Enna of Aran.“ Die von Colgan zitierte und einst für Cathal Maguire angefertigte Version des Martyrologs des Óengus ist nicht selbstständig ediert. The Martyrology of Oengus, ed. Stokes (1905), 21. März, S. 83, enthält nach der heute primär edierten Version einen deutlich kürzeren Text: „[…] for óenlíth, ler sluágdae,(11) Éndae airdirc(12) Árne.“/„on the same festival, a hostful sea, conspicuous Endae of Arran.“ Die von Stokes ebd., Anm. 11, 12, gebotenen Varianten aus der Handschrift F, die mit Maguires Version identifiziert wird, verzeichnen allein Varianten im Wort- und nicht im allgemeineren Textbestand. Stokes, Preface (1905), S. XIII, konstatierte: „F is heavily glossed, and contains numerous scholia, most of which agree in substance with those in the other MSS., while others […] give names of certain saints omitted by Oengus. Hence the copy is called by Colgan Aengusius auctus […].“ Colgan könnte sich auf diese nicht edierten scholae bezogen haben.

562 griffen die Bollandisten kontinuierlich zurück, 263 und sei es nur, um die Praetermissi zu bereichern. 264

6.2.5 Schein und Sein Die Originalität der Acta Sanctorum war hinsichtlich der irischen Heiligen limitiert. Selbst dort, wo Bolland und Henschen in den Januarbänden vor Colgan Ersteditionen aus dem Codex Salmanticensis hätten liefern können, wurde dieses unterlassen, da sie in erster Linie Schwierigkeiten mit den Festtagen und im zweiter Linie mit der Identität der Heiligen und der Transkription der Viten hatten. Die Acta Sanctorum Scotiae seu Hiberniae von 1645 bedeuteten für die Antwerpener Jesuiten zugleich ein Ärgernis und eine Hilfe. Ein Ärgernis waren sie insofern, als sie die Grenzen ihrer Materialien und Kompetenzen deutlich vor Augen geführt bekamen. Dies –––––––— 263

264

Vgl. P[etrus] B[oschius], De S. Lugido sive Luano Abbate Cluainfertensi in Hibernia, in: AASS Augusti, Bd. 1, 1733, 4. Aug., S. 339–352. Commentarius prævius, ebd., S. 339–342, hier S. 341a, zum Festtag: „[…] quem solum diem sæpius ei proprium facit Colganus, idque ex Menologiis Hibernicis, ut significat in Actis Sanctorum Hiberniæ tom. 1 pag. 58. not. 8: Commemorant enim, inquit, nostra Menologia, multos ibi (in cœnobio Cluainfertensi) Sanctos requiescere, & coli; ut S. Luanum IV Augusti, S. Lactanum, ejus successorem &c. Hactenus loco superiùs citato, cum de regula S. Luani egisset, de ipso, subjicit, IV Augusti agunt S. Euchusius (seu Ængussius) S. Marianus in suis Martyrologiis, Martyrologium Tamlactense; […].“ Die Zitate hatte er aus den Anmerkungen des Dossiers De S. Laidgenno Confessore. Ex diuersis, in: Acta Sanctorum Scotiae seu Hiberniae, Bd. 1, 1645, 11. Jan., S. 57f., hier S. 58 Anm. 1, 2, 3, 8, kompiliert. Colgan hatte hier unter anderem auf den Ort des noch zu schreibenden Dossiers für den hl. Lugidus oder Molua († 609) Bezug genommen. Vgl. ebd., S. 58a Anm. 2: „Vide vitam Sancti Molua seu Luani ad 4. Aug. in qua plura de hoc monasterio.“ Vgl. The Martyrology of Gorman, ed. Stokes (1895), 4. Aug., S. 150: „[…] Lua […].“ The Martyrology of Tallaght, ed. Best/Lawlor (1931), 4. Aug., S. 60: „Moluae meic Ochae Clúana Ferta. […].“ The Martyrology of Oengus, ed. Stokes (1905), 4. Aug., S. 174, in der englischen Übersetzung Stokes’: „Blithe will he after arriving (in heaven), great is my confidence in him, the holy royal champion, Molua Mac ochae.“ Vgl. AASS Maii, Bd. 5, 1685, 24. Mai. Prætermissi, ebd., S. 270–272, hier S. 270a– b: „Berachanus de Cluain-caoi memoratur in dicto Ms. Tamlactensi & aliis apud Colganum ad 15 Ianuarii, in Appendice ad Vitam S. Itæ cap. 2, ubi ejus familiam per novem generationes deducit, asseritque coli in Cluainchai 24 Maii.“ Vgl. Vita S. Itæ, in: AASS Scotiae seu Hiberniae, Bd. 1, 1645, Appendix, c. 2. De Sanctis ex familia S. Midæ siue Domo Desiorum oriundis, ebd., S. 72–74, hier S. 73a. Wie die entsprechenden Abschnitte in analogen Appendices eröffnete Colgan die Liste mit einem allgemeineren Verweis auf seine Quellen für die Festtage: „[…] ex Mart. Tamlacensi, Mariano Gormano, Carolo Maguir & Calendario Caßelensi subnectemus.“ Es folgten die Heiligen in alphabetischer Folge, in diesem Fall zwölf an der Zahl und unter anderem: „S. Berchanus filius Ædi, filij Eochodij, filij Fidcharij filij Cathchuonis […] & colitur in Cluainchai 24. Maij.“ Vgl. The Martyrology of Tallaght, ed. Best/Lawlor (1931), 24. Mai, S. 45: „[…] Berchain Clúana Caí.“ The Martyrology of Gorman, ed. Stokes (1895), 24. Mai, S. 102: „[…] Berchán, […].“

563 wurde durch die Neigung kompensiert, sich die Schriften und Kommentare Colgans, auf nicht immer transparente Weise, anzueignen. Für jene Leserinnen und Leser, die sich nicht die Mühe machten, selbst Colgans – insgesamt nicht sehr verbreitetes – Sammelwerk zu konsultieren, entstand daraus der bis in die Gegenwart wirkende Eindruck, dass die Antwerpener Jesuiten Träger einer beinahe grenzenlosen Gelehrsamkeit waren. Dieser Eindruck schien sich nicht zuletzt durch das von ihnen verbal exponierte Moment höchsten Problembewusstseins zu bestätigen. Eine unverzichtbare Hilfe waren die Acta Sanctorum Scotiae seu Hiberniae insofern, als sich mit ihnen der Wortbestand der Viten irischer Heiliger gerade in den Sektionen weithin vollständig erschloss, die von kontinentaleuropäischen Gelehrten kaum sachadäquat verstanden werden konnten. Für Bolland, Henschen und später Papebroch war Colgan das, was für den Verfasser der vorliegenden Arbeit die Textausgaben Charles Plummers (1851–1927), William W. Heists und die Analysen Richard Sharpes waren – ohne sie wäre dieses Kapitel nicht zu schreiben gewesen. Die relative Sicherheit, welche Colgans Ausgaben für die Bollandisten bedeuteten, und die durch sie eröffnete Möglichkeit, im Verbund mit den ihnen in Antwerpen vorliegenden Materialien Variantenapparate zu erstellen, die auf diverse „MSS.“ referieren konnten, mündete jedoch in die Tendenz, gerade seltenere Viten zu übergehen. Der antiquarische Impuls, Vergessenes zu restituieren, rückte hier angesichts pragmatischer Zwänge in den Hintergrund. Wenn ich richtig sehe, wurde in den Acta Sanctorum der Monate Januar bis März nur eine einzige singulär tradierte Vita publiziert. In den Märzbänden erschien eine Vita des hl. Endeus († um 542), des Gründers und Abts des Klosters Killeaney auf den Aran Islands, die ausschließlich im Codex Insulensis überliefert ist. Im Commentarius praevius wurde Ward in warmen Tönen dafür gedankt, diese Kopie einst nach Antwerpen gesandt zu haben. 265 Colgan hingegen hatte zwar ein Dossier mit einer Vita Endei aus demselben Codex Insulensis publiziert. Diese entbehrte allerdings des Anfangs. Nach Aussage Colgans sei die vollständige Vita in seinen Unterlagen nicht aufzufinden gewesen. Er habe sich damit bescheiden müssen, ein Exzerpt zu verwenden, das für das Dossier der hl. Fanchea, der Schwester des hl. Endeus, angefertigt worden war. 266 –––––––— 265

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Vgl. De S. Endeo, AASS Martii, Bd. 3, 1668, 21. März. Commentarius præuius, ebd., S. 268a–b: „[…] illius Acta […] nobis ex Insulensi codice MS. subministrauit singulari vir humanitate atque eruditione P. Hugo Waræus; […].“ Vgl. Vita S. Endei, in: AASS Scotiae seu Hiberniae, Bd. 1, 1645, 21. März, S. 710a Anm. 1: „[…] eam [vitam] damus acephalam; capvt vnum, vel alterum, quod inter schedas nostras est casu perditum; ex vita S. Francheæ sororis eius (quam ad 1. Ianuarij dedimus) supplentes.“ Diese reduzierte Vita begann ebd., S. 705a, mit der Passage: „Post hæc […] mortuus est Conallus pater eius: decedente vero patre, Endeus filius eius in Ducem populi illius creatus est: & licet […].“ Für das Dossier seiner Schwester war offenbar eine leicht geglättete Abschrift erstellt worden, die an ent-

564 Da Wards ältere Abschriften aus den Transkriptionen des Codex Kilkenniensis und des Codex Insulensis nicht näherungsweise den Bedarf der Bollandisten abdeckten, wuchs mit dem Ende der Acta Sanctorum Scotiae seu Hiberniae nach den Heiligen des Monats März, in Ermangelung alternativer Evidenz, das Gewicht des Codex Salmanticensis. Begleitet wurde dieser Vorgang durch eine vor allem bei Henschen und Papebroch zu beobachtende, verbale Aufwertung dieses Codex auf der einen Seite und die Abwertung der ihnen nicht mehr zugänglichen Löwener Reservoirs auf der anderen. Im Fall der unvollständigen Vita des hl. Crónán von Ros Cree, eines vermeintlichen Zeitgenossen des Königs von Munster Finghin († 619), war es Papebroch immerhin gelungen, den im Codex Salmanticensis fehlenden Schluss aus den Löwener Transkriptionen des Codex Kilkenniensis von Sheeran zu erlangen. Sheeran scheint allerdings nicht gewillt gewesen zu sein, ihm eine Kopie der gesamten Vita zu überlassen. 267 Auf –––––––—

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sprechender Stelle ihrerseits gedruckt worden war. Vgl. De S. Fanchea, in: ebd., 1. Jan., S. 1a: „Post hæc est mortuus Conallus pater eius: decedente vero patre, Endeus filius eius in Ducem populi illius creatus est: & licet […].“ Die Passage entspricht dem c. 2 der modernen Edition. Vgl. Vita sancti Endei abbatis de Arann, in: Vitae Sanctorum Hiberniae, ed. Plummer, Bd. 2 (1910), S. 60–75, hier S. 60: „Post hæc mortuus est pater eius Conallus cognomento Derc, id est rubeus. Decedente vero patre, Endeus filius eius in ducem populi illius creatus est. Et licet […].“ Das Incipit (c. 1) lautet: „Mirabilis Deus omnipotens in sanctis suis […].“ Die Bollandisten konnten aus Wards Abschrift die weithin vollständige Vita drucken, einschließlich des in Colgans Text übergangenen Beinamens des Vaters des hl. Endeus. Vgl. Vita. Ex MS. Insulæ Omnium Sanctorum, in: AASS Martii, Bd. 3, 1665, 21. März, S. 269–273, hier S. 269a. Inc.: „Mirabilis Deus in Sanctis suis […].“ Ebd. (c. 2): „Post hæc, mortuus est Conallus, cognomento Derc, id est rubeus, pater eius: decedente verò patre, Endeus filius eius in Ducem populi illius creatus est: & licet […].“ Die von Plummer diskutierten Varianten legen nahe, dass den Bollandisten die übliche Abschrift aus den Löwener Transkriptionen des Codex Insulensis – bei Plummer Ms. F – vorlag. Vgl. ebd. (c. 1): „[…] tamquam stellam præfulgidam […].“ Vgl. dagegen den auf den Handschriften der Bodleian Library beruhenden Text der Vita sancti Endei, Vitae Sanctorum Hiberniae, ed. Plummer, Bd. 2 (1910), S. 60: „[…] tanquam stellam perfulgidam (2) […].“ Ebd., Anm. 2, vermerkt für das Ms. F das Präfix: „pre-“. Plummer stellte ferner fest, dass Colgans Text seinerseits auf das Löwener Transkript zurückzuführen sei. Vgl. ders., Introduction (1910), S. XIX mit Anm. 1. Im Korpus der Transkripte aus dem Codex Insulensis ist sie allerdings bis heute erhalten, so dass es rätselhaft scheint, wie sie Colgan zwischenzeitlich hatte abhanden kommen können. Möglicherweise hatte er sie – an wen auch immer – verliehen und erst später zurückerhalten. Ausnahmsweise nicht zutreffend ist es also in diesem Fall, zu bemerken: „From F it [die Vita] was printed by Colgan […]; and from Colgan by the Bollandists.“ Ebd., S. LXIII. Auch diese Abschrift Wards ist in den Collectanea bollandiana erhalten. Vgl. Van den Gheyn, Catalogue, Bd. 5 (1905), S. 407, Ms. 3196–203 (3439), Nr. 21. Vgl. D[aniel] P[apebrochius], De Sancto Cronano, Abbate Roscreensi in Hibernia, in: AASS Aprilis, Bd. 3, 1675, 28. April, S. 579–583. [Einleitung], ebd., S. 579f., hier S. 580a: „Hanc […] Vitam tum nobis Codex noster Salmantinus fine mutilam exhiberet, R. P. Thomas Sirinus, Colgani successor diligentißimus, duos ultimos numeros ex

565 sich selbst zurückgeworfen, gewannen nun allerdings die Schwierigkeiten mit der Transkription der irischen Eigennamen erneut an Virulenz. 268 Diese prägten noch deutlich später die von De Smedt und Joseph De Backer (1842–1918) erstellte Gesamtausgabe der Viten aus dem Codex Salmanticensis von 1887. Da die bollandistischen Herausgeber auf irische Expertisen verzichtet hatten, galt diese Edition bereits bei Erscheinen als der Revision bedürftig. 269 Die von Heist geleistete Ausgabe des Codex Salmanticensis von 1965 stellte den Versuch dar, dieses Defizit der älteren Edition mit soliden Transkriptionen zu beheben sowie die in ihrer Latinität problematischen Viten des Codex Salmanticensis in einer emendierten Form zu präsentieren. Den Anspruch, eine im eigentlichen Sinne textkritische Ausgabe zu erstellen, verband aber noch Heist mit seiner Edition nicht. 270 In der Kommunikation mit den Löwener Minoriten war die Unkenntnis des Irischen auf Seiten der Bollandisten wahrscheinlich mehr als ein nur methodisches Problem. Dieser Sprache eignete ein hoher symbolischer Wert mit politischen Implikationen. Neben einigen Auseinandersetzungen über die als Übervorteilung empfundene Bevorzugung der Jesuiten bei der Leitung irischer Priesterseminare war es bereits zu Beginn des 17. Jahrhunderts in Spanien zu auf die Rolle der Sprache bezogenen Streitigkeiten zwischen den Orden gekommen. Während die Franziskaner und ihre Filiationen insgesamt der gälischen Kultur zuneigten, wurde den Jesuiten entge–––––––— 268

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suo Ms. supplevit: quod hic cum grata beneficii accepti commemoratione agnoscimus.“ Vgl. Vita ex nostro MS. Salmanticensi, ebd., S. 580–583, hier S. 580b: „Quodam tempore (erant) S. Cronanus & S. Mobay in cœnobio S. Kierani apud Cluoin-micnois […].“ Vgl. Vita S. Cronani abbatis de Ros Cré, in: Vitae Sanctorum Hiberniae. Ex Codice olim Salmanticensi, ed. Heist (1965), S. 274–279, hier S. 275: „Quodam tempore, sanctus Cronanus et sanctus Molan erant in cenobio sancti Kerani, apud Cluoin Mec Nois.“ Die c. 22, 23, mit denen die Vita des Codex Salmanticensis in der Ausgabe Heists endet, entsprechen dem c. 16 in Papebrochs Ausgabe. Vgl. Papebroch, De Sancto Cronano, AASS Aprilis, Bd. 3, 1675, 28. April. Vita, ebd., S. 582b. Expl.: „[…] in nulla littera violatum.“ Die ergänzten und von Sheeran besorgten c. 17, 18, ebd., S. 582b–583a, beschließen Papebrochs Edition. Sie entsprechen den c. 27–29 der aus den Handschriften des Codex Kilkenniensis gearbeiteten Edition der Vita sancti Cronani abbatis de Ros Cree, in: Vitae Sanctorum Hiberniae, ed. Plummer, Bd. 2 (1910), S. 22–31, hier S. 30f. Vgl. Sharpe, Saints’ Lives (1991), S. 230; Plummer, Introduction (1910), S. IX mit Anm. 3. Plummer selbst galten die Probleme als leicht zu beheben: „Still, it is not difficult for an Irish Scholar to correct the mistakes of the editors, and with all its shortcomings the edition does make the MS. available for students of Irish matters in a convenient form.“ Aufgrund dieser Einschätzung wandte sich Plummer auch nicht dem Codex Salmanticensis zu, sondern jenen Viten des Codex Kilkenniensis und des Codex Insulensis, die bis dahin noch nicht oder nur in den frühneuzeitlichen Ausgaben publiziert vorlagen. Vgl. Heist, Introduction (1965), S. LI: „The result then, is of course not a critical edition; it may be regarded as a transcription in which the suggested emendations have been incorporated into the texts.“

566 gengehalten, in ihren irischen Seminaren Zöglinge auszubilden, die vor allem den wohlhabenderen kaufmännischen und angloirisch geprägten städtischen Milieus des südlichen Irlands entstammten. Diese seien nicht nur der englischen Krone zugewandt, sondern auch der irischen Sprache kaum mächtig. Hingegen würden die Angehörigen der keltirischen Bevölkerung aus den besonders umkämpften nördlichen Provinzen, die nach Ansicht der Franziskaner im Zuge der Priesterausbildung für die zukünftige Missionierung Irlands die grundsätzlich größere Bedeutung besaßen, bewusst benachteiligt. Für die in Irland zu verbreitenden irischen Schriften scheint das Priesterseminar der Löwener Minoriten überhaupt eines der wichtigsten Zentren auf dem kontinentaleuropäischen Festland gewesen zu sein. 271 Bolland und Henschen drängten folglich auf ein Feld, das aus der Perspektive der irischen Minoriten bereits durch sie, die ein genuines und patrimoniales Interesse an diesen Traditionen hatten, kompetent besetzt war. Aus dieser für die Bollandisten komplizierten Situation ging, zumal in der Zeit nach den Märzbänden, eine diskontinuierliche herausgeberische Praxis hervor. Die ihnen allein vorliegenden Viten aus dem Codex Salmanticensis wurden teilweise mit symbolischen Kürzungen gedruckt, die die Vorbehalte der Herausgeber zum Ausdruck brachten. 272 Teils ging man dazu über, Dossiers in der Gestalt eines kurzbiographischen Abrisses zu erstellen, in denen die betreffenden Viten nur in Auszügen zitiert wurden. 273 Dieses Verfahren besaß den Vorteil, dass man nicht dem Zwang unterlag, eine Vita von Anfang bis Ende transkribieren zu müssen. Teils entschloss man sich aber auch zu vollständigen Drucken, „damit der wissbegierige Leser nicht irgendetwas entbehre.“ 274 Unabhängig von den Inhalten der –––––––— 271 272

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Vgl. Schüller, Beziehungen (1999), S. 135, 170–178, 197. Vgl. D[aniel] P[apebrochius], De S. Rodano sive Rvdano Abbate Lothrensi in Hibernia, in: AASS Aprilis, Bd. 2, 1675, 15. April, S. 382–386. Papebroch ließ eine kleinere Episode beiseite, in der der Kampf der heiligen Columban und Ruadán um die Seele eines Verbrechers und ihre Entführung in den Himmel geschildert worden war, „ne scandalum gignat.“ Ebd., S. 382a. Die Leserinnen und Leser hatten damit zwar auf den Wortlaut der Episode, nicht aber auf den Inhalt zu verzichten, den Papebroch im Anmerkungsapparat detailliert paraphrasierte. Vgl. Vita. Ex nostro MS. Salmanticensi, ebd., S. 382–386, hier S. 386b Anm. c. Vgl. dazu Plummer, Introduction (1910), S. LXXXVI. Grundsätzlich hätten sich Viten dieses Heiligen sowohl im Codex Insulensis als auch im Codex Kilkenniensis gefunden. Vgl. Sharpe, Saints’ Lives (1991), S. 397. Vgl. J[oannes] P[inius], De S. Flannano Ep. et Conf. Laoniæ in Momonia Hiberniæ, in: AASS Augusti, Bd. 6, 1743, 28. Aug., S. 488–491. Pien referierte ebd., S. 489a, auf den Besitz der Vita aus dem Codex Salmanticensis, „sed tam malè cohærens, rebusque tam multis mirabilibus ac incredibilibus infarta, ut planè non videamus, quidnam & quantum ex eisdem credi possit.“ Er beschied sich damit, passagenweise aus ihr zu zitieren. Auch dieser Heilige ist mit Viten im Codex Insulensis und Codex Kilkenniensis vertreten. Vgl. Sharpe, Saints’ Lives (1991), S. 394. Vgl. J[oannes] V[eldius], De Sancto Macniscio Episcopo in Ultonia Hiberniæ provincia, in: AASS Septembris, Bd. 1, 1746, 3. Sept., S. 662–666. Commentarius prævius,

567 Viten wurde diese Praxis obsolet, sobald mehr als nur die Vita aus dem – nun bisweilen auf das 12. Jahrhundert datierten – Codex Salmanticensis zur Verfügung stand. Für das 1733 in den Augustbänden veröffentlichte Dossier des hl. Lugidus oder Molua lag in Antwerpen eine Version aus dem Codex Salmanticensis vor, ein „Ms. Fitzsimonii“ sowie die Vita aus dem Codex Kilkenniensis, die 1667 in Flemings posthum von Sheeran herausgegebenen Collectanea sacra publiziert worden war. Jenseits der herausgeberischen Distanzierung von den fragwürdig erscheinenden Inhalten der Viten, die „freilich voll von Wundern und widersinnigen Dingen“ seien, stand es in diesem Fall nicht zur Debatte, die als Primärtext veröffentlichte Vita aus dem Codex Salmanticensis zu beschneiden. 275 Aus all dem geht hervor, dass die Interaktion zwischen den Löwener Minoriten und den Bollandisten vergleichsweise einseitig verlief. Letztere waren lange Zeit fast in jeder Hinsicht auf die Unterstützung aus Löwen angewiesen. Dies dürfte selbst die Transkriptionen aus dem Codex Salmanticensis betroffen haben, den die Bollandisten nur mit Mühe zu einem Gewinn für ihre Acta Sanctorum entwickeln konnten. Zeitlich betrachtet scheint sich der Austausch zwischen beiden Einrichtungen, von späteren punktuellen Kontakten abgesehen, im Wesentlichen auf den Zeitraum vor Wards Ableben am 8. November 1635 konzentriert zu haben. 276 Dies gilt zumindest dann, wenn es zum einen richtig ist, dass die in Antwerpen eintreffenden Abschriften aus Matthews Transkriptionen des Codex Kilkenniensis und Codex Insulensis größtenteils von Ward geleistet oder ermöglicht worden waren und zum anderen den Aussagen Colgans Glauben ge–––––––—

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ebd., S. 662–664. Die Vita galt Van der Velde zwar als problematisch, aber: „cùm certiora non inveniantur, ex memorato Codice edere visum est, ne quid curiosus lector desiderat.“ Ebd., S. 664a–b. Sie wurde gesamtheitlich als Vita auctore incerto. Ex Codice nostro Salmanticensi Ms., ebd., S. 664–666, reproduziert. Eine andere lateinische Vita dieses Heiligen existiert nicht. Vgl. Sharpe, Saints’ Lives (1991), S. 395. Vgl. Van den Bossche, De S. Lugido, AASS Augusti, Bd. 1, 1733, 4. Aug. Commentarius praevius, ebd., S. 341b–342a. Neben zwei Lebensbeschreibungen aus dem „codice membraneo […], qui seculo XII vel sequente scriptus videtur; quemque Salmanticensem vocamus“, referierte Van den Bossche auf ein „Ms. non admodum antiquo P. Fitz-Simonii nostri“ sowie auf den Druck in den Collectanea sacra. Diese „Acta“ seien freilich „plena scilicet miraculis, rebusque paradoxis, quæ vix cuiquam gravissima persuadere possit auctoritas, […].“ Es folgte die Vita. Ex antiquo codice nostro Ms. membraneo Salmanticensi P. Ms. XI, cum aliis collato, ebd., S. 342–352. Der Codex Salmanticensis enthält zwei Viten dieses Heiligen, eine kürzere im Stil eines Officiums und eine längere, die in den Acta Sanctorum als Primärtext reproduziert wurde. Die Vita aus Flemings Collectanea sacra ist eine Version aus dem Codex Kilkenniensis. Die Mirakel dieser Viten gelten als stark von Anleihen an den keltischen Sonnenkult und insbesondere an den Gott des Feuers Lug geprägt. Vgl. Plummer, Introduction (1910), S. LXXXIII, CXXXVI ff.; Sharpe, Saints’ Lives (1991), S. 337f., 395. Vgl. Bernadette Cunningham, Art. Ward, Hugh, in: ODNB, Bd. 57, 2004, S. 301f., hier S. 302.

568 schenkt werden soll, dass er die Transkriptionen aus dem Codex Salmanticensis in den Hinterlassenschaften Wards entdeckt habe. Angesichts der sich abrupt ändernden Töne in den Acta Sanctorum, von einer zurückhaltenden Bewertung der irischen Hagiographie in den Januarbänden zu den unwirschen Äußerungen, die erstmals in der Einleitung der Februarbände anzutreffen sind, ist es nicht ausgeschlossen, dass Colgan gegen ältere Absprachen verstoßen hatte, als er eine ganze Reihe von Ersteditionen aus dem Codex Salmanticensis der Bollandisten vorgelegt hatte. Vertrauen war, mit Mauelshagen, ohne Zweifel ein wichtiger Faktor für eine reibungslose gelehrte Interaktion. Im Falle gegenläufiger Interessen waren allerdings auch Weitsicht und taktisches Geschick erforderlich. Seit etwa 1633 scheint sich Bolland, mit mäßigem Erfolg, darum bemüht zu haben, sich einen von den Löwener Minoriten unabhängigen Zugriff auf Viten irischer Heiliger zu erarbeiten. In diese Richtung weist das Schreiben O’Sullivan Beares vom 23. Dezember 1633 und ein vorangegangenes, das Bolland am 16. Juni 1633 vom Rektor des Kollegs der irischen Jesuiten in Salamanca Paul Sherlock erhielt. Dieses Schreiben zeigt, dass sich Bolland an dem Ort, an dem der Codex Salmanticensis einst aufbewahrt worden war, „nach fremdländischen Tatenberichte der Heiligen“ („de peregrinis Sanctorum Actis“) erkundigt hatte. Sherlock gab sich allerdings als mit hagiographischen Traditionen nur bedingt vertraut zu erkennen. 277 Die einzigen alternativen – und in Antwerpen ungeliebten – Viten insularer Provenienz besorgte zunächst, wahrscheinlich seinerseits in den 1630er Jahren, Fitzsimon. Der Brief Wards vom 7. Oktober 1634, in dem er Bolland über den Festtag des hl. Ailbe informiert hatte, wirft, was die Chronologie der Dinge anbelangt, einige Fragen auf. In diesem Schreiben findet sich keine Andeutung darauf, dass Ward gewillt gewesen wäre, Bolland eine der ihm vorliegenden Versionen dieser Vita zu überlassen. Eine solche Abschrift, die aus den Löwener Transkriptionen des Codex Kilkenniensis hervorgegangen ist, hat sich allerdings in der Bibliothek der Bollandisten erhalten. 278 Wards Erläuterungen zeigen zudem, dass er zu diesem Zeitpunkt nichts von der Bolland vorliegenden Version der Vita Ailbes aus dem Codex Salmanticensis wusste. Daraus leitete Grosjean die Vermutung ab, dass Bolland die Inhalte des Codex Salmanticensis zu diesem Zeitpunkt selbst noch nicht –––––––— 277

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Vgl. Sherlock an Bolland, Madrid, 16. Juni 1634, in: Grosjean, Soldat (1963), S. 421: „[…] ad gesta singularia particularium sanctorum raro descendam: idciro hactenus non tam mihi curae fuit ut de Vitis Sanctorum inquirerem, quam ut persecutionum generatim, heresum, conciliorum, pontificum et omnium memorabilium eventuum lucem acciperem: ob hoc, non possum Vestrae Reverentiae desideriis satisfacere sciscitanti de peregrinis Sanctorum Actis.“ Vgl. Grosjean, Hibernica (1932), S. 138.

569 ganz überblickt haben mochte. 279 Wahrscheinlicher ist es jedoch, dass Bolland keinen Wert darauf legte, mehr Informationen aus den Händen zu geben, als nötig waren, um sich einen Eindruck von den Beständen der anderen Seite zu verschaffen. Wie die Antwerpener Jesuiten letztlich in den Besitz der besagten Abschrift der Vita Albei/Ailbei gelangt sind, dürfte kaum mehr zu klären sein. Entweder gelang es Bolland, im Laufe des folgenden Jahres, also kurz vor Wards Tod, diesen doch noch zu einer solchen Transaktion zu bewegen, oder er fand Wege, sich danach Zugang zu der einen oder anderen Vita aus Wards Hinterlassenschaften zu verschaffen, welche dann, neben den realiter von Ward kommunizierten Schriften, ihrerseits unter dessen Namen in den Acta Sanctorum zitiert wurde. Dass mit solchen Vorgängen zu rechnen ist, legen die in ihrer Genese unklare Kollation der Lebensbeschreibung des hl. Fintán von Clonenagh und die heterogene Kopie der Vita der hl. Ita aus den Transkriptionen des Codex Insulensis nahe. Publizistische Äußerungen darüber, wer wann und wem welches Material überlassen habe, müssen nicht immer mit der Realität zur Deckung kommen. Als Bestandteile des strategischen Agierens im öffentlichen Raum werfen sie, wenigstens in dem hier untersuchten Fall, mehr Fragen auf als konsistente Antworten zu bieten. Zumal für die Bollandisten war die Berufung auf ihre (natürlich) ausnahmslos hervorragenden Kontakte und auf ein im Regelfall harmonisches Miteinander ein wichtiges Argument, das auch in Verhandlungen mit Dritten eingesetzt werden konnte, um die eigenen Interessen zu wahren. In diesem Sinn illustriert der Briefwechsel zwischen Bolland und Chifflet, dass Ward personaliter zwar außerordentlich abweisend reagieren konnte, wenn die Rede auf unpublizierte Schriften kam. Dies verhinderte allerdings nicht, dass Bolland den Namens Wards in Spiel brachte, wenn es darum ging, die Beziehungen zu dem für ihn seinerseits wichtigen gelehrten Jesuiten aus Besançon Chifflet zu kultivieren. In der Korrespondenz zwischen Chifflet und Bolland wurde von letzterem in insgesamt vier Schreiben zwischen Oktober 1633 und März 1635 auf Ward Bezug genommen. Die irischen Traditionen waren für Chifflet deswegen von Relevanz, weil er sich intensiv mit der Geschichte des Klosters Luxeuil und seines Gründers Columban beschäftigte. 280 Im ersten der besagten Schreiben vom 15. Oktober 1633 versprach Bolland Chifflet, sich bei Ward nach Schriften des hl. Columban zu erkundigen, falls Ward „irgend–––––––— 279

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Vgl. ders., Soldat (1963), S. 427: „N’en faut-il pas conclure qu’en 1634 Bolland luimême n’avait pris qu’une connaissance partielle des trésors laissés par Rosweyde et que, sans ignorer l’existence d’un recueil aussi important que le Salmanticensis, il n’en avait pas encore enrôlé et contrôlé toutes les richesses?“ Vgl. entsprechend Godding, Hagiography (2001), S. 290 Anm. 4. Vgl. oben S. 466f.

570 wann“ nach Antwerpen kommen sollte. 281 Konkreter wurde Bolland in den späteren Briefen. Am 22. Juli teilte er Chifflet mit, hinsichtlich der Rolle, die der hl. Columban im Osterstreit des frühen Mittelalters gespielt hatte, aus Irland unlängst ein von einem „Pseudobischof“ herausgegebenes Buch empfangen zu haben, das eine Sylloge epistolarum Hibernicarum beinhalte. Dieses Buch sei augenblicklich im Besitz des Jesuiten Gilles Bouchier (1576–1665). Er würde jedoch dafür sorgen, dass es, falls gewünscht, an Chifflet übermittelt werde. 282 Es handelte sich wahrscheinlich um Usshers 1632 gedruckte Veterum epistolarum hibernicarum sylloge, in der unter anderem Cummianus’ um 632 an Abt Ségéne von Iona gerichteter Brief De controversia Paschali publiziert worden war. 283 Gut zwei Monate später, am 26. September 1634, erfuhr Chifflet, dass sich Bolland sehr darum bemühte, die Sylloge von Bouchier zurückzuerlangen. Für deren Inhalte würde sich nun allerdings auch Ward interessieren. 284 In demselben Schreiben stellte Bolland Chifflet weitere, Columban betreffende Materialien in Aussicht. Bolland musste in Erfahrung gebracht haben, dass in Antwerpen Vorbereitungen für die Publikation von Flemings Collectanea sacra getroffen wurden. In den Collectanea sacra sollte nicht nur ein Brief – Bolland benutzte den Singular – Columbans veröffentlicht werden, der der Frage des Osterzyklus gegolten hatte, sondern auch die Problematik, ob Columban als Benediktiner qualifiziert werden könne, erörtert werden. Bolland kündigte an, sich entweder selbst nach Löwen zu begeben, um Abschriften aus Flemings Manuskripten zu besorgen, oder sich an Ward zu wenden, welcher

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Vgl. Bolland à Chifflet, Anvers, 15 octobre 1633, in: Joassart (Hrsg.), Chifflet (2005), Nr. 5, S. 97–99, hier S. 98: „Pater Hugo Vardaeus Hibernus Minorita, Lovanii olim guardianus, alia de rebus Hibernicis molitur, si quando huc veniat consulam eum de scriptis S. Columbani.“ Vgl. Bolland à Chifflet, Anvers, 22 juillet 1634, in: ebd., Nr. 7, S. 101f., hier S. 102: „Quod ad controversiam Paschalem attinet, nuper librum ex Hibernia accepi editum a quodam pseudoepiscopo continet syllogen epistolarum Hibernicarum, sed Pater Bucherius eum habet; si recepero et voluerit videre Ra Va, transmittam, […].“ Bouchier hatte sich seit dem zweiten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts mit Fragen der Chronologie beschäftigt. Im Jahr 1633 hatte er den 457 verfassten Cursus paschalis des Victorius von Aquitanien herausgegeben. Vgl. Art. Bouchier, Gilles, in: Sommervogel, Bd. 1, 1890, Sp. 1866–1868; Maura Walsh/Dáibhí Ó Cróinín, Cummians’s Letter „De controversia paschali“ and the „De ratione conputandi“, in: Cummians’s Letter „De controversia paschali“, together with a Related Irish Computistical Tract „De ratione conputandi“, hrsg. v. dens. (Studies and Texts 86), Toronto 1988, S. 1–54, hier S. 18 mit Anm. 65. Vgl. ebd., S. 53. Vgl. Bolland à Chifflet, Anvers, 26 septembre 1634, in: Joassart (Hrsg.), Chifflet (2005), Nr. 8, S. 102–107, hier S. 102: „Syllogen epistolarum Hibernicarum necdum accepi a Patre Bucherio: repetam hac hebdomada, nam ex ea quadem sibi postulat communicari Pater Hugo Vardaeus Minorita.“

571 häufiger in Antwerpen zu weilen pflegte. 285 Bolland selbst hatte Ward bereits am 26. Juli von Chifflets Interesse an besagtem Brief Columbans in Kenntnis gesetzt. 286 Bolland sollte es letztlich nicht gelingen, auf das Manuskript der Collectanea sacra zuzugreifen. Das Schreiben Wards vom 7. Oktober 1634 scheint auf Bollands Ansage reagiert zu haben, den Weg nach Löwen auf sich nehmen zu wollen. 287 Was die Briefe Columbans zum Osterstreit an–––––––— 285

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Vgl. ebd., S. 103, über die „disputationem an S. Columbanus benedictinus fuerit“. Darüber könne Chifflet wahrscheinlich etwas „in libro Patris Patricii Flemingi Minoritae“ lesen, „quem diu habuit Dominus Moretus, sed cum nimium differret editionem, repetierunt Minoritae Lovanienses. Ego ab iis oblata occasione inquiram, si aut ipse brevi Lovanium eam, aut huc veniat Pater Hugo Vardaeus qui huc saepe excurrit: describi tunc eum curabo aut ipse describam locum epistolae S. Columbani de cyclo 84 annorum.“ Fleming hatte die Briefe Columbans 1623 bei einem Aufenthalt in Bobbio kopiert. Vgl. G. S. M. Walker, Introduction, in: Sancti Columbani opera, hrsg. v. dems. (Scriptores latini hiberniae 2), Dublin 1957, S. IX–XCIV, hier S. XXXV. Es sind die Briefe Nr. I–III, ebd., S. 1/2–24/25, in denen der Osterstreit thematisiert wurde. Vgl. zu den komputistischen Schriften Columbans grundsätzlich Dáibhí Ó Cróinín, The Computistical Works of Columbanus, in: Columbanus. Studies on the Latin Writings, hrsg. v. Michel Lapidge (Studies in Celtic History 17), Woodbridge 1997, S. 264–271. In den Collectanea sacra war eine rund 50 Seiten umfassende Abhandlung zur Problematik des Bekenntnisses des hl. Columban enthalten. Vgl. Grosjean, Soldat (1963), S. 424 Anm. 3. Vgl. Bolland an Ward, Antwerpen, 26. Juli 1634, in: ebd., S. 423f., hier S. 423: „R. P. Franciscus Chiffletius desideraret sibi ex epistola quadam eius describi quae de cyclo paschali 84 annorum habet.“ Dies ist das einzig bekannte Schreiben Bollands an Ward. Es wurde von Grosjean nach einem älteren Druck in The Irish Ecclesiastical Record von 1870/71 reproduziert. Seine Provenienz ist unbekannt. Grosjean vermutet ebd., S. 423 mit Anm. 1, dass es aus den Beständen des Kollegs S. Isidoro in Rom stammte. Nach weiteren Korrespondenzen wurde bislang nicht gesucht. Ob es sie, mit Godding, Hagiography (2001), S. 291, in größerem Umfang gab und sie als verloren zu qualifizieren sind, darf bezweifelt werden. Bolland und seine Nachfolger zitierten in den Acta Sanctorum regelmäßig Informationen, die sie aus den bei ihnen eingegangenen Briefen gewonnen hatten. Dies gilt allerdings nicht für die Dossiers der irischen Heiligen. Die, wenn ich richtig sehe, einzige Ausnahme bildet C[onstantinus] S[uyskenus], De S. Albeo seu Ailbeo Episcopo Imelacensi in Momonia, Hiberniæ Provincia, Sylloge historico-critica, in: AASS Septembris, 1753, Bd. 4, 12. Sept., S. 26–31, hier S. 26b, 27a. In diesem Dossier wurden einige Daten aus dem einzig bekannten Brief von Ward an Bolland vom Oktober 1634 im Wortlaut zitiert. Es wäre ein beachtlicher Zufall, wenn gerade dieses eine Schreiben durchgängig erhalten geblieben wäre und zahlreiche Briefe von gleichem Wert bereits in der frühen Neuzeit sowohl auf Seiten der irischen Minoriten als auch auf der der Bollandisten verworfen worden wären. Aus der Tatsache allein, dass die Bollandisten Abschriften aus Löwen empfangen oder solche in ihren Besitz gebracht hatten, ist nicht auf eine gehaltvolle Korrespondenz zu schließen. Der einzige mit Sicherheit verlorene oder, genauer gesagt, noch nicht gesuchte Brief, dessen Existenz feststehen dürfte, ist einer, den Bolland nach Löwen sandte und der Wards Schreiben vom 7. Oktober direkt vorausgegangen war. Vgl. Grosjean, Soldat (1963), S. 424, und das Folgende. Vgl. Ward an Bolland, Löwen, 7. Okt. 1634, in: Grosjean, Soldat (1963), S. 424: „Ex litteris vestris heri mihi traditis et gratissimis intelligens optatum vestrum adventum in hanc urbem, in eum plura quae scribenda offerebantur remitto.“

572 ging, so wurden diese in Wards Schreiben nicht erwähnt. Mit Blick auf das umstrittene Bekenntnis des hl. Columban wiederum habe er das, so Ward, was ihm bekannt sei, einst an Fleming weitergegeben. Seit Flemings Tod 1631 habe er die Collectanea sacra nicht mehr eingesehen, da mit ihrer Publikation andere beschäftigt seien. Wenn Bolland noch Fragen haben sollte, nachdem er diesen bevorstehenden Druck eingesehen haben werde, könne er sich erneut, so Ward, an ihn wenden. Er würde dann Materialien zusammenstellen, die klar belegten, dass Columban kein Benediktiner gewesen sei. 288 Chifflet erfuhr von dieser deutlichen Absage nichts. Stattdessen suchte Bolland nach Möglichkeiten, um die vermeintlich ausbleibenden Antworten Wards zu erklären. Am 5. November 1634 sprach er von zwei Briefen, die er nach Löwen gesandt und in denen er seine Anfragen wiederholt habe. Der zweite dieser Briefe sei kurz vor einer Reise nach Löwen entstanden, die er damals geplant habe. Angesichts seiner baldigen Anwesenheit vor Ort sei die Beantwortung der Fragen aufgeschoben worden. 289 Im selben Schreiben teilte er Chifflet mit, dass Bouchier noch keine Gelegenheit gehabt habe, die Sylloge epistolarum an ihn zu übermitteln. 290 Vier Tage später, am 9. November, setzte Bolland Chifflet jedoch davon in Kenntnis, dass er nun im Besitz von Cummians Brief De controversia Paschali sei. Er habe ihn am Vortag aus Löwen in einer Fassung erhalten, die mit der gedruckten Version abgeglichen worden sei. 291 Chifflet konnte sich wohl selbst ein Bild davon machen, dass nicht er, sondern die Minoriten die begehrte Sylloge zuerst erhalten hatten. Was Columban anging, so musste Bolland am 1. März 1635 seine Ratlosigkeit eingestehen. Auch jetzt erfuhr –––––––— 288

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Vgl. ebd.: „Verum est quod P. Chiffletius viderit eam quaestionem de monachatu S. Columbani apud P. Flemingum, cuius opus nunc ibi manet in manibus domini Muretti impressionem. Quae ego cumque reppereram in id argumentum, Patri Flemingo suppeditabam, intactum relinquens quod ab illo propediem elaboratum expectabam. Sed ab eius discessu librum eius non videram, aliis commissum ut ederetur: alioquin iam fuisset excusus. Quod si eum ibi non inveniretis, colligam aliquid in eum finem, quo satis constare possit monachatum eius Benedictinianum non fuisse.“ Vgl. Bolland à Chifflet, Anvers, 5 novembre 1634, in: Joassart (Hrsg.), Chifflet (2005), Nr. 9, S. 108–113, hier S. 108: „De rationibus Patricii Flemingi contra eos qui S. Columbanum Benedictinis adscribunt, scripsi 2o Lovanium; sed quia prima vice spem faciebam me brevi eo esse venturum, nihil aliud tuli responsi quam ostensuros se mihi quae peterem. Secundo rogavi Reverendum Patrem Hugonem Vardaeum exguardianum ut mihi argumenta praecipua vel describi curet, vel describat ipse suis verbis, itemque ea quae in operibus S. Columbani habentur de cyclo 84 annorum.“ Bei den beiden Briefen dürfte es sich um die ältere Depesche vom 26. Juli 1634 sowie um das besagte, bislang noch nicht gefundene Schreiben Bollands handeln. Vgl. ebd.: „De Sylloge epistolarum Hibernicarum rescripsit Pater Bucherius defuisse sibi hactenus remittendi opportunitatem; ubi recepero, mittam Rae Vae, […].“ Vgl. Bolland à Chifflet, Anvers, 9 novembre 1634, in: Joassart (Hrsg.), Chifflet (2005), Nr. 10, S. 114f., hier S. 114: „En Cummiani epistolam diligenter cum impresso exemplari collatam: accepi heri eam Lovanio.“

573 Chifflet nicht, dass Ward es abgelehnt hatte, den Jesuiten Zugriff auf Flemings Manuskript zu gewähren. Hingegen sprach Bolland von einem ihm ganz und gar unerklärlichen Schweigen Wards: „Ob Pater Hugh Ward, an den ich geschrieben habe, abwesend ist, ob er jene Passage nicht ausfindig zu machen vermag, ob er in Kürze hierher gekommen sein wird und deshalb die Antwort aufzuschieben wünscht, ob jene Werke des hl. Columban anderswohin geschickt worden sind, kann ich nicht ermessen.“ Er habe sich wiederholt an den Rektor des Löwener Jesuitenkollegs – André Judoci (1588–1652) – gewandt, damit sich dieser um die Angelegenheit kümmerte. 292 Indizien dafür, dass Bolland die erwähnte Fahrt nach Löwen bis zu diesem Zeitpunkt, das heißt rund acht Monate vor Wards Tod, unternommen hätte, gibt es in diesen Briefen nicht. In den Schreiben Bollands an Chifflet wurde in den folgenden Jahren und Jahrzehnten nicht mehr auf Ward oder gar Colgan Bezug genommen. Das Bemühen, sich das Wohlwollen dieser oder jener Partei zu sichern, um die für die Acta Sanctorum notwendigen Abschriften zusammenzutragen, konnte eine mühsame Angelegenheit sein, die allerlei Lavieren und Taktieren erforderte. Die strukturelle Abhängigkeit der Bollandisten von der Hilfe und der Sachkenntnis anderer Gelehrter tritt am Beispiel der Löwener Minoriten besonders deutlich in Erscheinung. Für Außenstehende war sie allerdings kaum zu erkennen. Im Fall der irischen Hagiographie, zweifellos einem Grenzbereich des universalen oder hegemonialen Zugriffs der Bollandisten, war es ihnen sogar gelungen, diese Abhängigkeiten in den Ausweis besonderer qualitativer Standards zu wenden. Die eigene defizitäre Materiallage wurde mit dem Argument der vorgeblich defizitären Qualität der irischen Viten, die zur Selektion zwänge, durchaus plausibel überspielt. Das Eigenbild der frühen Bollandisten – und vor allem jenes der zusehends selbstbewusster werdenden Nachfolger Bollands – litt daran keinen Schaden. Unbenommen der Tatsache, dass einige Viten aus dem Codex Salmanticensis auf eine wahrscheinlich von den Bollandisten schwerlich gewünschte Weise ihre Erstausgabe in den Acta Sanctorum Scotiae seu Hiberniae erfahren hatten und in dieser Eigenschaft von ihnen notorisch ignoriert wurden, 293 konnte man sich bei Gelegenheit doch darauf berufen, einen bedeutenden Beitrag zu Colgans Sammelwerk geleistet zu haben. –––––––— 292

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Vgl. Bolland à Chifflet, Anvers, 1er mars 1635, in: ebd., Nr. 11, S. 115–117, hier S. 115f.: „De cyclo Paschali 84 ex libro Patris Patricii Flemingi Minoritae petii saepius quae desiderabat Ra Va neque post illam ad me Hibernicam epistolam missam quidquam litterarum accepi. An absit Pater Hugo Vardaeus ad quem scripsi, an reperire locum illum non possit, an brevi forte huc venturus sit, ideoque differat responsum, an illa S. Columbani opera alio missa sint, non possum divinare; scribam iterum Patri Rectori collegii nostri ut per aliquem curet inquiri.“ Vgl. zu Judoci den Kommentar Joassarts, ebd., S. 116 Anm. 634. Vgl. oben S. 534f.

574 In einem Brief, den Papebroch am 18. Juni 1666 an Francis Harold, den Bibliothekar des irischen Kollegs der Minoriten S. Isidoro in Rom adressierte, bezog sich Papebroch auf Matthews alte Transkriptionen aus dem Codex Insulensis. Diese befanden sich mittlerweile in Rom. Aus ihnen und aus einer weiteren Sammelhandschrift, die Papebroch anlässlich seines und Henschens Aufenthalt in Rom bekannt geworden sein dürfte, erbat er sich zahlreiche, detailliert aufgelistete Abschriften. 294 Um dieser Bitte Nachdruck zu verleihen, der Harold jedoch nicht unbedingt nachgekommen zu sein scheint, sprach Papebroch von den Verdiensten, die sich Bolland mit seiner Freigebigkeit um die Acta Sanctorum Scotiae seu Hiberniae erworben habe. Die Löwener Minoriten hätten daher anlässlich seines Ablebens Bolland zu Ehren Messe und Officium zelebriert. 295 In seinem Tractatus de –––––––— 294

295

Vgl. Papebroch an Harold, Antwerpen, 18. Juni 1666, in: Grannell, Letters (1966), Nr. 4, S. 404–409, hier S. 407f.: „Aliquantis mensibus post ista descripta et annotata, rursum RVa eosdem nobis codices exhibuit ad quos descripta per amanuensem relegeremus. Et tunc rursum sumpsimus notitiam variarum vitarum Hibernicarum seu sanctorum Hibernorum, idque quantum memoria recolo ex iisdem ex quibus priora describi curaveramus codicibus. Cumque interrogarem quomodo codicum illorum esset signanda notitia, casu quo aliquid vellemus post haec ex iisdem describi, sicut describi reipsa fecimus, iussit RVa ut primum codicem ex quo notaveramus vitas pag. 185 ad 191 S. Floriani et militum 60, pag. 209 ad 217 S. Andreae de Scotia, pag. 221 ad 227 S. Frigidiani episcopi Lucensis, pag. 227 S. Peregrini Confessoris, pag. 231 S. Silai, pag. 238 ad 246 S. Donati episcopi Fesulani – hunc inquam codicem notari iussit Rev. Vra hoc signo ARMAR. 4 num. 32. Alium vero codicem e quo notavimus plures vitas videlicet SS. Brendani, Kierani, Kerani, Ythae, Fintani, Molingi, Finani, Ruadhani, Carthagi, Declani, Canici, sic ut ultima haec S. Canici vita reperienda sit pag. 137 ad 142, et aliae aliis paginis quarum numerum hic supersedeo referre – hunc inquam codicem RVa iussit signari ARMARII 4 num. 31.“ Bei der zuletzt genannten Handschrift (Armarii 4 num. 31) handelte es sich um die zuvor in Löwen genutzten und heute in Killiney aufbewahrten Abschriften aus dem Codex Insulensis. Die andere Sammlung (Armarii 4 num. 32) ist seit Ende des 18. Jahrhunderts verschollen. Vgl. die Erläuterungen Grannells ebd., S. 407 Anm. 2, S. 408 Anm. 1 und 5. Vgl. ebd., S. 409: „Animabit nos etiam RVa hoc beneficio ut prosequamur quanto possumus studio sublevare inopiam conventus Hibernici vestri Lovaniensis, qui accepta per P. Bollandum piae liberalitatis subsidia, gratus agnovit faciendo pro mortuo decantari officium et missam, et sacerdotes singulos privatim pro eodem celebrare.“ Ob einige der angeforderten Viten nach Antwerpen gelangten, bliebe zu überprüfen. Was die bis dahin noch nicht erstellten Dossiers betrifft, die mit neuen Lebensbeschreibungen aus den Transkriptionen des Codex Insulensis hätten ausgestattet werden können, so legen diese nahe, dass auch Harold seine Materialien nicht umstandslos aus den Händen gab. Die in Frage kommenden Dossiers hatten jedenfalls ohne solche neuen Kopien auszukommen. Vgl. etwa die Diskussion der jeweiligen Viten durch Henschen, De S. Carthaco seu Mochudda, AASS Maii, Bd. 3, 1680, 14. Mai. [Einleitung], ebd., S. 375a–b; F[ranciscus] B[aertius], De S. Molingo sive Dayrgello Episcopo Fernensi in Hibernia, in: AASS Iunii, Bd. 3, 1701, 17. Juni, S. 406–410. Commentarius historicus, ebd., S. 406–408, hier S. 406f.; C[onstantinus] S[uyskenus], De S. Barro vel Finbarro Ep. Corcagiensi in Hibernia, et forte alio Episcopo Cathenensi in Scotia, Commentarius historico-criticus, in: AASS Septembris, Bd. 7, 1760, 25. Sept., S. 142–151, hier S. 144a–b. In letzterem Dossier war insgesamt keine

575 Vita Bollandi von 1668 informierte Papebroch auch die Öffentlichkeit über diese Geste. Er erklärte sie dadurch, dass Bolland „aus seinen Handschriften nicht wenige“ an Ward und Colgan „übersandt hat, mit denen sie die von ihnen ausfindig gemachten [und] versammelten Denkmäler zusammenbrachten.“ 296 Es muss nicht mehr betont werden, dass dies eine sehr verkürzende Darstellung der Beziehungen beider Unternehmen war. Aufgrund der sich etablierenden memorialen Dominanz der Bollandisten sollte sie sich jedoch, langfristig gesehen, verfestigen und zu einer regelrecht umgewendeten Betrachtung der Verhältnisse beitragen. 297 –––––––—

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Vita publiziert worden. Suyskens hatte auch hier die Unglaubwürdigkeit der Lebensbeschreibungen als Grund für diesen Verzicht angeführt: „Quod de Sanctis Hiberniæ sæpenumero dicere cogimur, id hîc quoque locum habet, gesta nempe ipsius tam ineptis fabulis involuta esse, ut, quæ in iis vera sint, discerni ac certam fidem facere nequeant.“ Ebd., S. 144a. Er besaß zwei Kurzviten aus liturgischen Quellen – eine davon stammte von Fitzsimon –, sowie eine Vita Wards: „Vitam alteram habemus ex Ms. R. P. Hugonis Varæi [!], Minoritæ Hiberni, cujus exordium est: Sanctissimi Dei & electus atque dignissimus pontifex Barreus, de gente Connacteorum, de plebe scilicet, quæ Ybrium Ratha dicitur, ortus est.“ Ebd., S. 114a–b. Dieses Incipit ist mit der Ausgabe der Vita sancti Barri episcopi Corcagie, in: Acta Sanctorum Hiberniae, ed. Plummer, Bd. 1 (1910), S. 65–74, nach dem Primärtext der Version aus dem Codex Kilkenniensis nicht aufzulösen: „Sanctus Dei electus atque dignus pontifex Barrus de gente Connacthorum scilicet de nepotibus Briun (4) ortus est.“ Die Viten des Codex Insulensis weisen an dieser Stelle, ebd., Anm. 4, die Schreibung „Y Bruyn Ratha“ auf, die wohl dem von Suysken zitierten Incipit entspricht. Das „Ms. R. P. Hugonis Varæi“ ist in der Bibliothek der Bollandisten erhalten (Ms. 150). Vgl. Godding, Hagiography (2001), S. 313. Vgl. Papebroch, Tractatus de Vita Bollandi, AASS Martii, Bd. 1, 1668, S. X: „Hugoni Wardæo & Ioanni Colgano, Sanctorum Hibernorum Acta simili studio illustrare aggressis, submisit è suis MSS. non pauca, ad quæ illi conferrent reperta collecta à se monumenta: ob quæ aliaque Minoritarum Hibernensium Louaniensi conuentui præstita beneficia, ijdem rescribentes quòd solenni sacro parentassent defuncto: Quid minus, inquiunt, facere poteramus pro eo quem nouimus de Catholicâ Ecclesiâ ac nominatim de Insulâ nostrâ benè meritum scribendo, optimè autem de domo hac benè etiam faciendo, & sustinendæ paupertati subsidia opportuna haud rarò procurando?“ Diese Passage wird teilweise mit der Annahme verbunden, dass Bolland den Löwener Minoriten finanziell unter die Arme gegriffen habe, als diese nach Colgans Tod 1658 Schwierigkeiten mit der Finanzierung der posthum zu veröffentlichenden Werke Flemings, Wards und Colgans hatten. Hinweise auf einen solchen Vorgang gibt es jenseits der hier und in Papebrochs Schreiben an Harold erwähnten „subsidia“ allerdings nicht. Vgl. Mooney, Father (1959), S. 26f.; Grannell, Letters (1966), S. 409 Anm. 2. Etwas anders deutet Godding, Hagiography (2001), S. 292, diese „subsidia“: „Bolland, whose generous nature is well known, would doubtless have offered books to the Franciscan college whose beginnings were marked by great poverty.“ Dass im Sinne Papebrochs diese „subsidia“ jedoch nichts anderes als Handschriften aus dem Fundus der Bollandisten waren, geht aus dem Tractatus deutlich hervor. Vgl. Mooney, Father (1959), S. 19f.: „The far-reaching investigations of the Bollandists were of great benefit to the Franciscans, while the Franciscans were able on occasion to provide the Bollandists with Latin translations of Irish texts which otherwise might have remained a closed book to them.“

576 Mauelshagens Hypothese lässt sich an dieser Stelle also zugleich bestätigen und differenzieren. Vertrauenswürdigkeit, Kooperationsbereitschaft und intakte Beziehungen zu signalisieren, war ein bedeutender Faktor dieser Art der gelehrten Interaktion. Im Zweifelsfall schrieb man sich diese Qualitäten sowohl publizistisch als auch in der Kommunikation mit Dritten selber zu, mithin unabhängig davon, ob dies in jeder Hinsicht der Realität entsprach oder entsprochen hatte. Wenn allerdings zwei Parteien Interesse an der Veröffentlichung ähnlicher oder identischer Bestände hatten, waren dem materiellen Austausch von Beginn an Grenzen gesetzt. Hier kamen Faktoren zum Tragen, die sich jenseits dessen befanden, was explizit kommuniziert wurde. Unterbliebene Danksagungen, sachlich kaum erklärbare Wandlungen in der Bewertung prinzipiell ähnlicher Materialien, die Adaptation publizierter Daten und Texte, die bisweilen die Grenze zum Plagiat berührte, die nicht selten disproportionale Akzentuierung vorgeblich zahlreich verarbeiteter „MSS.“, das taktische Verschweigen von Kenntnissen in der epistolaren Kommunikation oder manche strategische Einseitigkeit, was die private und öffentliche Selbstdarstellung anbelangte, repräsentieren die im Schatten verbliebenen Seiten der Acta Sanctorum. Sie sollten nicht vergessen lassen, dass auf diesen Feldern, auf denen man „Neues“ zu Tage zu fördern beabsichtigte, neben der Sache als solcher soziales Prestige, gelehrte Eitelkeiten, aber auch das Ringen um Sachkompetenz und Werkkohärenz eine wichtige Rolle spielten. Dies allerdings heißt nicht, dass sich die Verhältnisse in jedem Fall so kompliziert gestalteten, wie die Beziehungen zwischen den Löwener Minoriten und den Bollandisten. Gerade weil die irische Hagiographie aufgrund der vergleichsweise sparsamen Überlieferung ein rares Gut darstellte und überdies formal und inhaltlich schwer zu erschließen war, konnten Spannungen zwischen den Institutionen kaum ausbleiben. Große Teile der kontinentalen, der mittel- und westeuropäischen Traditionen hingegen mussten nicht erst mit der Lupe gesucht werden. Hier ist eher die umgekehrte Frage zu stellen, wie man mit mehreren Versionen ähnlicher Viten verfuhr, was man zu ihnen zu sagen wusste und welche Funktion nicht zuletzt die Collectanea bollandiana in diesem Zusammenhang erfüllten.

6.3 Bibliothek und Überschuss – Collectanea bollandiana Die Collectanea bollandiana bestehen, nach Van den Gheyns Katalog, aus insgesamt 122 Sammelhandschriften. Im Umfang schwanken sie zwischen weniger als 30 und mehr als 600 Folien. Ohne an dieser Stelle eine Gesamtcharakterisierung dieses hier nicht annähernd vollständig gesichteten Korpus leisten zu können, lassen sich doch einige repräsentative Phänomene beschreiben. Die Collectanea bollandiana enthalten, soweit erkennbar, aus-

577 nahmslos Schriften, die mit den Inhalten der Acta Sanctorum in Verbindung stehen. Ordensinterne Korrespondenzen, administratives oder organisatorisches Schriftgut, zu denken wäre etwa an Verhandlungen mit Druckern oder Mäzenen, mit zensorischen Instanzen oder die Verwaltung des Antwerpener Kollegs betreffende Stücke finden sich hier, erwartungsgemäß, nicht. Die Sammelhandschriften der Collectanea bollandiana waren Bestandteile einer Arbeitsbibliothek und gelehrten Werkstätte. Mit Abstrichen tragen sie archivierende Züge. Handschriften wie die schon oben diskutierten Mss. 7569 und 7763 zu den Monaten Januar und Februar, in denen solche Materialien, alphabetisch sortiert nach Heiligennamen, gebündelt worden waren, die in den Acta Sanctorum nicht primär benutzt worden waren, befinden sich neben analogen Sammlungen zu den Monaten März und April. 298 Mitunter überschnitten sich verschiedene Monate. Dies gilt für das Ms. 8228, das Papebroch als: „ACTA SANCTORVM || IANVARII, FEBRVARII, MARTII, || post impressionem Reservata aut rejecta et reliqua || num. 3o.“, 299 inventarisiert hatte. Die von Papebroch stammenden Register zeigen, dass diese Sammlungen im Großen und Ganzen unverändert aus der frühen Neuzeit überkommen sind. Was die ersten Bollandisten hingegen mit jenen Lebensbeschreibungen unternommen haben, zu deren Druck sie sich hatten entschließen können, ist kaum zu sagen. Es scheint nicht ausgeschlossen, dass sie, nachdem sie durch den Druck in den Acta Sanctorum gleichsam gesichert waren, verworfen worden sind. Andere Sammlungen, die solchen Heiligen galten, deren Dossiers noch ausstanden, dürften wahrscheinlich aus den im Laufe der Zeit kontinuierlich anwachsenden Konvoluten ausgegliedert worden sein. So befinden sich die Materialien, die man zu der 1694 in ihrem Kult approbierten hl. Delphina von Signe († 1360) zusammengetragen hatte, in einer eigenständigen Sammlung. Aufgrund ihres späten Festtags, dem 9. Dezember, sollte sie kein eigenes Dossier mehr in den Acta Sanctorum erhalten. 300 Eine umfangreiche Sammlung war der hl. Ursula gewidmet. Ihr Dossier erschien im Jahr 1858. 301 Eine weitere Sammlung galt den am 19. November gefeierten –––––––— 298

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Vgl. Van den Gheyn, Catalogue, Bd. 5 (1905), S. 411–416, Ms. 7569 (3440); ebd., S. 418–422, Ms. 7763 (3443); ebd., S. 422–431, Ms. 7773 (3444); ebd., S. 434–440, Ms. 7812 (3448). BRB, Coll. boll. Ms. 8228 (3459), fol. 1r. Vgl. Van den Gheyn, Catalogue, Bd. 5 (1905), S. 666, Ms. 20639 (3553). Thematisiert wurde sie in den Acta Sanctorum im Zusammenhang mit ihrem Ehemann, dem 1369 kanonisierten hl. Eleazar von Sabran († 1323). Vgl. C[onstantinus] S[uyskenus], De S. Elzeario de Sabrano, Barone Ausoysii et Comite Ariani Confessore, Parisiis in Francia, in: AASS Septembris, Bd. 7, 1760, 27. Sept., S. 528–594. Vgl. Ottokar Bonmann, Art. Delphina v. Signe, in: LThK, Bd. 3, 21959, Sp. 212; Peter Dinzelbacher, Art. Delphina v. Signe, in: LexMA, Bd. 3, 1986, Sp. 685; ders., Art. Eleazar, in: ebd., Sp. 1789. Vgl. Van den Gheyn, Catalogue, Bd. 5 (1905), S. 496–499, Ms. 8917 (3483). Vgl. V[ictor] D[e] B[uck], D B De S. Ursula et undecim millibus sociarum virginum

578 Heiligen. Sie wurden in den Acta Sanctorum insgesamt nicht mehr behandelt. Hier hatten die Bollandisten unter anderem die Materialien zur hl. Elisabeth von Thüringen gebündelt. 302 Die Handschriften, die sich auf bestimmte Festtage bezogen, deckten diese jedoch nicht in ihrer Gesamtheit ab. Vielmehr beinhalteten sie im Regelfall die Materialien nur einiger der an diesen Tagen je gefeierten Heiligen. Das Ms. 8935 beispielsweise galt dem 7. November. Hier hatten die Bollandisten unter anderem einige Mirakelberichte versammelt, die das Nachleben des Kölner Erzbischofs Engelbert von Berg († 1225) thematisierten. 303 Ein größeres Segment dieser Handschrift konnte der wahrscheinlich gegen Ende des 6. Jahrhunderts regierende Bischof von Straßburg Florentius für sich beanspruchen. Es schloss unter anderem einen von Bolland offenbar sehr früh vorbereiteten Commentarius praevius 304 und eine von Gamans organisierten Abschrift aus dem Legendar Böddeken ein. 305 Poncelet scheint diese im 17. Jahrhundert versammelten Schriften für sein 1910 publiziertes Dossier des hl. Florentius noch intensiv genutzt zu haben. 306 –––––––— 302 303

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et martyrum, in: AASS Octobris, Bd. 9, ed. nov., Paris/Rom 1869 [zuerst 1858], 21. Okt., S. 73–303. Vgl. Van den Gheyn, Catalogue, Bd. 5 (1905), S. 565–567, Ms. 8949 (3508), Nr. 1– 13, 16–37, 61. Vgl. BRB, Coll. boll. Ms. 8935 (3497), fol. 2r: „Miracula S. Engelberti Archiepiscopi Coloniensis et M., ex MS. insigni pergameno Bibliothecæ et Ecclesiæ Collegiatæ Monasterij Eifliæ desumpta; […].“ Zentriert oben: „A J. Gamans 1638“. Vgl. Jncipiunt miracula B.ti Engelberti col[oniensis] Archiep[iscop]i & martyris, ebd., fol. 3r– 12v; [Einblattdruck:] VITA || SANCTI ENGELBERTI || COMPENDIO COMPREHENSA || IN HONOREM || ILLVSTRISSIMI ET REVERENDISSIMI CAPITVLI || METROPOLITANI COLONIENSIS. || PER Æ. G. L., ebd., nach fol. 14r; Liber tertius De Miraculis eius, ebd., fol. 16r–46v. Ebd., fol. 16r oben links wohl von Rosweyde, der auch den Text transkribiert haben dürfte: „Ex MS.to Vltraiectino S. Saluatoris“. Vgl. A[lbert] P[oncelet], De Sancto Engelberto Archiepiscopo Coloniensi et Martyre, in: AASS Novembris, Bd. 3, 1910, 7. Nov., S. 623–684. Vgl. BRB, Coll. boll. Ms. 8935 (3497), fol. 49r–57r, hier fol. 49r: „DE S. FLORENTINO EPISCOPO ARGENTORATENSI IN GERMANIA PRIMA. || Commentarius præuius. || §. I Dignitas episcopalis. patria. cultus sacer. || Argentoratum antiqua Tribocorum vrbs Germaniæ primæ […].“ Vgl. S. FLORENTINI Episcopi et conf., ebd., fol. 61r–62r. Inc.: „Temporibus illustris Francoru[m] Regis Dagoberti præclarus Pater Florenti[us] ineffabili tam odore quam decore […].“ Expl.: „[…], et redit ad propria gratias agens. Deo Patri et Filio et Spiritui sancto, qui est benedictus in sæcula sæculoru[m], Amen.“ Vgl. ebd., fol. 61r marginal rechts in der Hand dessen, der die Vita transkribiert hatte: „ex MS. Passionali Bodecensi mensis Nouemb.“ Von Bolland ebd.: „Accepimus à P. Jo[ann]e Gamans Soc.tis JESV 1641.“ Der Text des gesamten fol. 61r ist mit einer vertikalen Linie durchgestrichen worden. Vgl. A[lbert] P[oncelet], De S. Florentio Episcopo Argentinensi, in: AASS Novembris, Bd. 3, 1910, 7. Nov., S. 395–403. Poncelet konnte als Primärtext allerdings die Version aus einem Straßburger Lektionar (Codex Bernensis 114) verwenden, die sich von der Fassung Böddeken durch die Existenz eines kurzen Prologs unterscheidet. Vgl. I. Vita S. Florentii Episcopi, ebd., S. 400–402. Inc. Prolog.: „Gloriosi ac beatissimi confessoris […].“ Ebd., c. 2: „Temporibus namque illustris Francorum regis

579 Über einen längeren Zeitraum hinweg waren noch in der frühen Neuzeit zahlreiche Briefe, Texte und Textpartikel in Antwerpen eingetroffen, die sich auf den – in seinem Kult nie approbierten – Abt Ernst von Zwiefalten bezogen. Nach den Annales Zwifaltenses war Ernst 1141 als Nachfolger Bertholds Abt von Zwiefalten geworden. Im Jahr 1146 hatte er sein Amt zugunsten seines Vorgängers niedergelegt. 1147 – oder 1148 – sei er auf dem zweiten Kreuzzug unter Konrad III. (reg. 1138–1151) ums Leben gekommen. 307 Zwischen Ende 1638 und 1753 gingen zahlreiche Briefe und –––––––—

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Dagoberti præclarus […].“ Expl.: „[…] et redit ad propria, gratias agens Deo Patri et Filio et Spiritu sancto, qui est benedictus in saecula. Amen.“ Diese Version entspricht einer Fassung, die, allerdings in unvollständiger Form, ihrerseits in den Collectanea bollandiana vorhanden ist. Vgl. Vita Ex MS. Bodecensi et Breuiario antiquo Argentinensi, BRB, Coll. boll. Ms. 8935 (3497), fol. 65r–66r. Inc.: „Gloriosi ac beatissimi confessoris […].“ Expl.: „Sciens ergo quia omnia possibilia sunt credenti, chlamydem exutam eidem lineæ sustinendam commisit.“ Diese Fassung ist von Bolland geschrieben worden. Sie dürfte eine Reinschrift für das inaugurierte Dossier dargestellt haben. Die marginal angebrachte Gliederung in Paragraphen läuft bis zur Ziffer 4. Da ebd., fol. 66r, am unteren Rand auf den folgenden Paragraphen 5 verwiesen wurde, dieser allerdings in der Handschrift nicht mehr aufscheint, mögen die verbleibenden Teile verloren gegangen sein. Poncelet publizierte noch eine zweite kürzere Version. Vgl. ders., De S. Florentio, AASS Novembris, Bd. 3, 1910, 7. Nov. II. Vita brevior S. Florentii Episcopi, ebd., S. 402f. Inc.: „Temporis Dagoberti regis sanctus Florentius, comitantibus secum sancto Arbogasto, […].“ Expl.: „[…] multisque miraculis Dominus virtutum postmodum beatum Florentium fidelem suum famulum mirificavit.“ Sie resultierte, so Poncelet, „ex apographo codicis olim Coloniensis […], cum variis lectionibus codicis olim Carthusiae Coloniensis […].“ Auch diese Version ist in den Collectanea bollandiana enthalten. Sie wird von der eben genannten Vita, ebd., fol. 62v, durch ein von Bolland stammendes Deckblatt getrennt: „ALIA ACTA Ex MSS. Coloniensi“. Vgl. De Sancto Florentio Episcopo Argentinensi 7mo Jdus Novemb., ebd., fol. 62r–v. Inc.: „Temporis Dagoberti regis sanctus Florentius, comitantibus secum sancto Arbogasto, […].“ Expl.: „[…] multisq[ue] miraculis Dominus virtutum postmodum B. Florentium fidelem suum famulum mirificauit. Amen.“ Diese kürzere Version ist seit Poncelet nicht mehr untersucht worden. Die Version der Berner Handschrift scheint um 1160 entstanden zu sein. Vgl. Médard Barth, Der heilige Florentius. Bischof von Strassburg. Sein Weiterleben in Volk und Kirche, Straßburg/ Paris 1952 = Archives de l’Eglise d’Alsace nouv. sér. 4 (1951/52), S. 53. Barth bietet eine um einige variante Lesarten erweiterte Reproduktion des Drucks der Vita I. der Acta Sanctorum als: Vita s. Florentii episcopi, ebd., S. 65–70. Die Bestände der Collectanea bollandiana sind von ihm nicht eingesehen worden, so dass das Legendar Böddeken ebd., S. 342, nur als ingesamt verschollen ausgewiesen wird. Barth hat ferner eine damals in Privatbesitz befindliche und den Bollandisten nicht bekannte Vita ediert, die deutlich umfangreicher ist als jene aus der Berner Handschrift. Barth datiert sie auf um 1170. Überliefert ist sie in einer Abschrift aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Vgl. ebd., S. 73f., und die: Vita et opera s. Florentii episcopi Argentinensis, ebd., S. 74–82. Inc.: „Cum ad laudem et gloriam Redemptoris nostri […].“ Expl.: „[…] ut ad patriæ cælestis felicitatem sine fine mansuram pervenire mereamur, ipso præstante, cui est honor et gloria per infinita sæculorum sæcula. Amen.“ Vgl. Annales Zwifaltenses, hrsg. v. Otto Abel, in: MGH SS, Bd. 10, hrsg. v. Georg Heinrich Pertz, Hannover 1852, S. 53–64, hier S. 55 ad an. 1141: „Bertholdus abbas loco cessit. Huic Ernest successit.“ Ebd., S. 56, Annales maiores, ad an. 1146: „Ernest abbas onus suum deposuit. Quod Bertoldus iterum assumpsit.“ Ebd., ad

580 Schriften in Antwerpen ein. Einschließlich mancher Redundanzen und kleinerer Unklarheiten, was das Todesdatum des Abts betraf, ermöglichen sie es, den sich in Antwerpen schrittweise ausdehnenden Kenntnisstand zu diesem Heiligen nachzuzeichnen, der, wie Bolland 1644 bemerkte, in kaum einem der gängigen kalendarischen und biographischen Werke erwähnt worden sei. 308 Begonnen hatte die Text- und Datensammlung mit einigen von Crombach übermittelten Hinweisen auf dessen Identität. 309 Fortgesetzt –––––––—

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an. 1147: „Counradus rex cum multis Hierosolimam abiit. In hoc itinere Ernest abbas pro Christo passus est.“ Ebd., ad an. 1147: „Regnum gentium in quatuor mundi partibus a christianis est vastatum. Et Ernest quintus huius loci abbas doctor gentium est factus et Bertholdus restitutus.“ Ebd., Annales minores, ad an. 1148: „Counradus rex cum multis Hierosolimam abiit. In hoc itinere Ernest abbas pro Christo passus est.“ Vgl. zur Person Karl Suso Frank, Art. Ernst v. Zwiefalten, in: LThK, Bd. 3, 3 1995, Sp. 820. Vgl. Bolland an Gamans, Antwerpen, 1. Juli 1644, BRB, Coll. boll. Ms. 8935 (3497), fol. 103r: „Ferrarius, Wion, Gesnerus, Menardus, S. Ernesti non meminerunt. Bruschius in Zuifalto ista habet: S. Ernestus sacræ paginæ doctor præfuit annis quinq[ue] et anno D[omi]ni 1158 à Romano Pontifice ad seminandum Dei verbum ad Hierosolymam, et ad alia Palæstinæ loca missus, ob constantiam in asserenda et docendâ Christi doctrina martyrio ¢…² illic coronatus et Antiochiæ sepultus est.“ Vgl. hier nur die Liste Zwiefaltener Äbte bei Kaspar Bruschius (1518–1557): MONASTERIORVM || Germaniæ Præcipuorum ac ma= || xime illustrium: Centu= || ria Prima. || In qua Origines, Annales ac celebriora cuiusqu[ue] || Monumenta, bona fide recensentur. || Authore Gaspare Bruschio Egrano, Poëta Lau= || reato ac Comite Palatino. || Cum Gratia & Priuilegio Cæsareæ ac || Regiæ Rom. Maiestatis. || INGOLSTADII APVD ALEXAND= || drum & Samuelem Vueyssenhornios fratres. || M. D. LI., Bl. 184v: „[…] || 5 Ernestus sacræ paginæ Doctor, præfuit annis quinq[ue] & anno Domini 1158 à Romano Pontifice ad seminandum Dei verbum Hierosolimam, & ad alia Palæstinæ loca missus, ob constantiam in asserenda & docenda Christi doctrina, martyrio illic coronatus, & Antiochiæ sepultus est.“ Vgl. Crombach an Bolland, Köln, 14. Dez. 1638, BRB, Coll. boll. Ms. 8935 (3497), fol. 94r: „[…] quod ad S. Ernestu[m] attinet, is Benedictus Abbas fuit floruit circa A 1148 missus à Sede Apostolica in Palæstina[m] vbi martyrio est coronatus […].“ Die obere Hälfte dieses Schreibens fehlt. Das Blatt ist in der Mitte horizontal zerteilt und in dieser Form in die Sammlung eingebunden worden. Bald darauf ersetzte Crombach diese Datierung durch eine spätere, die er aus Martin Crusius’ (1526–1607) zweitem Band der Annales Suevici von 1595 übernommen hatte. Vgl. Crombach an Bolland, Köln, 7. Jan. 1639, ebd., fol. 105r: „De S. Ernesto hæc in Martini Crusij lib 8 Annaliu[m] Suevicoru[m] c. vndecimo inveni. Quintus (Abbas) Ernestus sacræ paginæ Doctor annis quinq[ue] (ab an[n]o scilicet 1153 ad 1158) Hic A. 1158 à Papa Hierosolyma[m] et in alia Palæstinæ loca, prædicandi verbi Dei causa missus Martyrio coronatus est, et Antiochiæ sepultus. hæc Crusius, qui latè describit Zwifalte[n]sis coenobij ortu[m], opes, Abbates [et]c.“ Vgl. MARTINI CRVSII, GRÆ= || CÆ ET LATINÆ LINGVÆ, || CVM ORATORIA IN ACADEMIA || TYBING. PROFESSORIS, || ANNALIVM SVEVICORVM || Dodecas sedunda, || AB ANNO CHRISTI DCCCI. vsq[ue] ad MCCXII. || annum deducta. || Cum gratia & priuilegio Cæsareæ Maiestatis speciali ad decennium. || FRANCOFORTI, || Ex Officina Typographica Nicolai Bassæi. || M. D. XCV., lib. VIII, c. 11, S. 279: „5. Ernestus, Sacræ paginæ Doctor, An. 5. Hic 1158. à Papa Hierosolymam, & in alia Palæstinæ loca, prædicandi verbi Dei causa missus: martyrio coronatus est, & Antiochiæ sepultus.“ Seine Informationen über die Zwiefaltener Äbte hatte Crusius, wie er ebd. sagte, „partim à Bru-

581 wurde sie, um hier nur ihn zu nennen, durch Gamans, der mit den Vertretern der Abtei selbst in Kontakt getreten war. Er leitete sowohl seine Korrespondenzen mit dem Subprior Stephan Bochenthaler († 1663) als auch die von diesem geleisteten Abschriften aus den Annales Zwifaltenses („Chronicon Zwifaltense“), Einträge aus einem klostereigenen Martyrolog, eine Litanei und, wahrscheinlich später, die Kopie einer „sehr alten“ Vita an Bolland weiter. 310 Ähnliche Materialien, wie man sie von Bochenthaler empfangen –––––––— 310

schio, partim ab humanißimo viro Matthia VVisenstaigero, eius Cœnobij Oeconomo, partim aliunde“ bezogen. Vgl. Historia Vitæ et Passionis, S. ERNESTI, Quinti Abbatis Zwifaltensis, Gentium Doctoris et Martyris. Authore Anonymo sive Synchrono, BRB, Coll. boll. Ms. 8935 (3497), fol. 83r–85r. Inc.: „Anno Dominicæ incarnationis MCXLVIII. Venerabilis Abbas ERNEST in Persidis Regione, glorioso coronatus est martyrio. Cuius Passionem, ob Christi honorem et ipsius Sancti Martyris amorem, prout ab his, qui interfuêre, didicimus, simplici quidem, sed ueraci, stylo litteris commendare decrevimus, […].“ Ebd., fol. 83r marginal rechts neben dem Titel notierte später Papebroch: „7 Novembr. || Gamans“. Es folgten auf die Vita Kopien aus einem Martyrolog, aus den beiden Versionen der Zwiefaltener Annalen und die Litanei. Vgl. ebd., fol. 85r: „MARTYROLOGIVM Zwifaltense MS. || Septimo Idus Novembris, in Persia Ciuitate Meka Passio S. ERNESTI Martyris, cum aliis nonem, […]. || CHRONICON Zwifaltense. || Anno 1147. Regnum Gentium in quatuor mundi partibus a Christianis est vastatum et ERNEST quintus huius loci Abbas Doctor Gentium est factus et Bertholdus restitutus. || Anno 1148. Cunradus Rex cum multis Hierosolimam abiit. In hoc itinere, ERNEST Abbas pro Christo passus est. || Item aliud CHRONICON MS. || Vdalricus Abbas obijt, […] et huic Bertholdus successit. || Anno 1141. Bertholdus Abbas loco cessit. Huic ERNEST successit. || […] || Anno 1146. ERNEST Abbas, onus suum deposuit. Quod Bertholdus iterum assumpsit. || Anno 1147 Cunradus Rex cum multis Hierosolimam abiit. In hoc itinere ERNEST Abbas pro CHRISTO PASSVS EST. || LITHANIÆ Chori Zwifaltensis. || Sancte ERNESTE, ora pro Nobis.“ Ein identisches Segment mit etwas ausführlicheren Provenienzen von derselben Hand, es ist die Bochenthalers, findet sich ebd., fol. 93r: „Chronicon Zwifaltense antiquu[m] MS. || Anno Christi 1147. Regnum Gentium in quatuor mundi […]. || Chronicon alteru[m] Zwifaltense MS. eiusdem antiquitatis. || Anno Christi 1141. Bertholdus Abbas […] || Martyrologiu[m] Zwifaltense MS. quod est Vsuardi. || VII Idus Novembris: […]. || Lithaniæ publicæ diuersoru[m] MSSoru[m] Lectionarioru[m] Chori Zwifaltensis antiquitus, inter alios SS. Martyres || Sancte Erneste, ora pro nobis“. Ein damit erneut fast vollständig zur Deckung kommendes Stück, teilweise in der Hand Bochenthalers, ist ebd., fol. 100r, erhalten: „Chronicon Zwifaltense antiquum MS. || Anno Christi 1147. Regnum Gentium in quatuor mundi […]. || Chronicon Alterum Zwifaltense MS. eiusdem antiquitatis. || Anno Christi 1141. Bertholdus Abbas […]. || Martyrologiu[m] Zwifaltense MS. quod est Vsuardi. || VII Idus Novembris: […]. || Lithaniæ publicæ diversoru[m] MSSoru[m] Lectionarioru[m] Chori Zwifaltensis antiquitus, inter alios SS. Martyres || Sancte Erneste, ora pro nobis“. Dieses zuletzt genannte Blatt ist wahrscheinlich das älteste. Es trägt ebd., marginal oben links Bollands Vermerk: „1a Junij 1644 || Gamans“. Bochenthaler an Gamans, Zwiefalten, 1. Mai 1644, ebd., fol. 98r, hatte in der Tat bemerkt, Gamans zunächst nur: „Testimonia nonnulla, ex uetustis monumentis s[a]cris collecta, hisce inclusa, ueluti Epitome quoddam Martyrij Sancti D[OMI]NI“, übereignen zu wollen. Auf die Übersendung einer alten, von einem anonymen Mönch aus eigener Anschauung aufgezeichneten Vita habe er verzichtet, da er sie aufgrund der schlechten Materiallage noch nicht habe erläutern können. Vgl. ebd.: „Primo igitur, ad S. ERNESTVM, […] Abbate[m] et Mar-

582 hatte, gelangten 1753 durch die Prager Jesuiten an die Bollandisten. Sie waren ursprünglich durch den Propst der Propstei Mochental Franz Sales Zechetner (reg. 1750–1779), in sorgsam verschriftlichter und ausführlich kommentierter Form, an einen Wiesensteiger Canonicus mit Namen Johannes Klee versandt worden. 311 Zechetner präsentierte diese Vita S. Ernesti als das mögliche Produkt von Ernsts Vorgänger und Nachfolger im Amt Berthold. In jedem Fall aber habe der Autor seine Kenntnisse, wie er versicherte, von denjenigen empfangen, „die dabei gewesen sind“ und die Ereignisse „gesehen haben“. 312 –––––––—

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tyre[m] quod attinet, Passio eius gloriosa, à Spectione Anonymo quodam Monacho, in antiquissimis membranis descripta erat, illam tamen sine notis et elucidationib[us] (quae ob defectus librorum et documentorum quae ad manus hactenus habere n[on] potuimus, expedire nondum licuit.) non libenter emittimus […].“ Die Historia Vitæ et Passionis und die ihr anhängenden Notate, in denen etwas ausführlicher aus den Annales Zwifaltenses zitiert werden sollte, dürften also später nach Antwerpen gelangt sein. In den Briefen Bochenthaler an Gamans, Zwiefalten, 8. Okt. 1645, ebd., fol. 108r; Bochenthaler an Gamans, Zwiefalten, 21. Feb. 1646, ebd., fol. 109r; Bochenthaler an Gamans, Zwiefalten, 18. März 1651, ebd., fol. 110r–v, bat Bochenthaler um die Unterstützung der Jesuiten, da man in Zwiefalten eine Approbation des Kults anstrebte. Vgl. zur Person Karl Brehm, Abt Ernst von Zwiefalten, in: Schwäbisches Archiv 29 (1911), S. 97–100, 113–119, 129–135, 191, hier S. 97; Wilfried Setzler, Zwiefalten, in: Die Benediktinerklöster in Baden-Württemberg, bearb. v. Franz Quarthal, in Zusammenarbeit mit Hansmartin Decker-Hauff, Klaus Schreiner und dem Institut für geschichtliche Landeskunde und historische Hilfswissenschaften an der Universität Tübingen (Germania Benedictina 5), Augsburg 1975, S. 680–709, hier S. 699; Joseph de Ghellinck, Le mouvement théologique du XIIe siècle. Sa préparation lointaine avant et autour de Pierre Lombard ses rapports avec les initiatives des canonistes. Études, recherches et documents (Museum Lessianum. Section historique 10), Brügge/Brüssel/Paris 21948, Appendice II: Le „De paenitentia“ de Gratien et l’attribution de ce traité à Saint Ernest de Zwiefalten, S. 512f.; Roland Deigendesch, Jahrtagsbücher, in: Serielle Quellen in südwestdeutschen Archiven, hrsg. v. Christian Keitel/Regina Keyler, Stuttgart 2005, S. 29–34, hier S. 31. Vgl. VITA S. ERNESTI, Ex Monacho & Abbate Zwifaltensi Ord. S. Benedicti, Gentium Doctoris & Martyris, BRB, Coll. boll. Ms. 8935 (3497), fol. 73r–82r. Ebd., fol. 73r oben rechts marginal: „Accepimus Pragæ Anno 1753 à R. P. Ernesto Peischmann S. J.“ Zwischen diesem als Deckblatt gestalteten Folium und dem Beginn der Vita ebd., fol. 76r, ist das Schreiben an den ursprünglichen Besitzer eingebunden worden: Franz Sales Zechetner an Johannes Klee, Mochental, 26. Juli 1752, ebd., fol. 74r–v. Das Adressblatt befindet sich ebd., fol. 75r: „[…] Rdo Nobili et Eximio D[omi]no Joanni Klee, SS. Th[eo]l[o]giæ ac J. U. Candidato, Jnsigniæ Ecclesiæ Collegiatæ ad S. Cyriacum Canonico Wisensteigæ Canonico […].“ In seinem Dossier stützte sich F[rançois] V[an] O[rtroy], De Sancto Ernesto Abbate Zwifaltensi, in: AASS Novembris, Bd. 3, 1910, 7. Nov., S. 608–617. Commentarius praevius, ebd., S. 608–614, in wesentlichen Teilen noch auf jene älteren Korrespondenzen. Dies ist hier nicht im Detail zu verfolgen. Die Legitimität des Titels des Heiligen beispielsweise erläuterter er vor allem im Rückgriff auf die von Bochenthaler kommunizierten Daten. Vgl. ebd., S. 613f. Vgl. zu Zechetner Wilfried Setzler, Mochental, in: Quarthal (Bearb.), Benediktinerklöster (1975), S. 388–393, hier S. 392. Vgl. Vita S. Ernesti, BRB, Coll. boll. Ms. 8935 (3497), fol. 73r, zur Urheberschaft der Vita: „Ex Auctore Anonymo Eius [Ernst] Synchrono, quem credimus esse Berthol-

583 Der Propstei scheint die Propagierung des Kults besonders am Herzen gelegen zu haben. Das Leben des Heiligen war erstmals 1594 in der Wunderschönen Histori vom Leben, Lehr und Leiden S. Ernesten des Mochentaler Propsts Georg Eisele (reg. 1581–1598) ausführlicher beschrieben worden. Der seinerseits involvierte Feldner teilte Bolland am 13. April 1640 mit, ihm dieses „dicke Buch“ nicht übersenden zu wollen. Zwar werde der Kreuzzug dort breit behandelt. Auf Leben und Sterben des seligen Ernst jedoch werde erst ab Seite 304 eingegangen. Er wolle sich darum bemühen, diese Passagen abschreiben zu lassen. 313 Die einschlägigen Teile scheinen allerdings erst 1652, vielleicht durch Crombach vermittelt, in lateinischer Übersetzung nach Antwerpen gelangt zu sein. 314

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dum, Ernesti in Abbatiali Regimine Ante. & Successorem, […] quem aliarum rerum gestarum Sui Monasterij Scriptorem […] fuisse scimus. Quisquis veri sit, scribere se ea, quæ ab iis, qui interfuerunt, & viderunt, audivit, affirmat.“ Zechetners eigene Abgleichung mit den Dingen, „quæ ex monimentis, chronicis, Martyrologijs, Elogijs, & Testimonijs, tum Monasterij Zwifaltensis, tum aliorum eruere potui“, so ebd., gestaltete er im Wechsel zwischen der Wiedergabe eines Teils der Vita und erläuternden Anteilen. Die Vita selbst ist mit jener identisch, die bereits Bochenthaler, wie oben Anm. 310 zitiert, nach Antwerpen kommuniziert hatte. Vgl. ebd., fol. 76r: „Præfatio Auctoris Synchroni Anonymi || Anno Dominicæ Jncarnationis MCXLVIII. Venerabilis Abbas Ernest in Persidis Regione […].“ Unter den „Notanda“ wurde dieses Datum ebd., bestätigt, denn „Capitulare Chronicon sic habet: MCXLVIII. Cunradus Rex cum multis Hierosolymam abiit; in hoc itinere, Ernest Abbas pro Christo passus est. Chronicon minus prorsus eadem habet, sed annum 47.“ Vgl. Feldner an Bolland, Konstanz, 13. April 1640, ebd., fol. 95r–96r, hier fol. 95r: „Historiam tamen B. Ernesti Martyris Abbatis Zwifaltensis Germanicè Ingolstadij Anno 1594 in 4.o editam Auctore Georgio Eiselin no[n] censui mittendam. Est enim liber magnus, in quo fusè agitur de […] Expeditione Cruciale cui interfuit B. Ernestus, et primùm pagina 304. refertur ipsius vita et passio, quam inde curaui describi.“ Vgl. zu Eisele Setzler, Mochental (1975), S. 391. Vgl. Vita, et martyrium B. Ernesti Abbatis Zwifaltensis, ordinis S. Benedicti, quod cum 9 Socijs subijt die 7 Nouembris A.o 1158. Ex Historia B. Ernesti Germanice edita Jngolstadij A.o 1594. authore Georgio Eiselin, Monacho Zwifaltensi, ex præposito Mochentauensi [!], BRB, Coll. boll. Ms. 8935 (3497), fol. 88r–91v. Ebd., fol. 91v, war am unteren Rand vermerkt worden: „1652. mense Junio vertit ex Germanico N. Hermannus Witwach Sigen¢…² 2 Grammaticus.“ Die angemerkte Stelle ist aufgrund der Bindung nicht mehr lesbar. Ebd., fol. 92v, findet sich ein in der Hand Crombachs geschriebenes Fragment eines Briefs aufgeklebt, in dem es heißt: „[…] Vitam S. Ernesti antehac vertit M. ¢…² Hermannus Witwach Sigenensis Mgr 2æ Grammaticus satis commodè, […].“ Eiseles Lebensbeschreibung entspricht VD16, E 758. Vgl. zu ihr Brehm, Abt (1911), S. 113f.

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6.3.1 Liturgisches – Kurze und lange Viten Zahlreiche Handschriften der Collectanea bollandiana folgen einer Ordnung, die sich erst auf den zweiten Blick erschließt. Zu ihnen zählt die bereits thematisierte Handschrift 8194–99. Ihr Bestand ist nicht durch einen bestimmten Monat, Festtag oder Heiligen definiert, sondern durch die Person dessen, Bernardino Faino, die mit ihren Zusendungen einen bestimmten devotionalen Zusammenhang, in diesem Fall Brescia, für die Bollandisten erschlossen hatte. 315 Die Neigung, das kleinere oder größere Korpora, die zu einem bestimmten Zeitpunkt eigens für die Bollandisten zusammengestellt worden war, in geschlossener Form zu archivieren, kann exemplarisch anhand der Handschrift 8004–17 studiert werden. Bei dieser Handschrift handelt es sich um das MS. ?160 der alten Bibliothek der Bollandisten. 316 Sie beinhaltet unter anderem die von Feldner aus dem St. Galler „Nekrolog“ oder „Menolog“ kommunizierten Blätter 317 und eine acht Stücke umfassende Sammlung zu Heiligen, die Litauen und Livland verehrt wurden. Letztere scheint, nach Henschens Aussage, zu einem Zeitpunkt, der heute kaum mehr zu rekonstruieren ist, durch die Vermittlung des seinerzeit berühmten polnischen Jesuiten Mathias Casimir Sarbiewski (1595–1640), dem Bolland später bei der Publikation seiner poetischen und epigrammatischen Werke zur Hand gehen sollte, 318 nach Antwerpen gelangt zu sein. Sie ist von Bolland unter dem Titel: „SS. Liuoniæ et Lithuaniæ“ gebündelt und mit einem als Deckblatt dienenden Kurzinventar ausgestattet worden. 319 Die Sammlung wurde zum einen mit einer auf den 6. Mai 1621 datierten Bestätigung beschlossen, dass die Viten „aus vertrauenswürdigen Archiven“ und „sehr alten moskovitischen, ruthenischen, livländischen Manuskripten“ getreulich abgeschrieben wor–––––––— 315 316

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Vgl. oben S. 468ff. Mit dieser Signatur ist die Handschrift eröffnet worden. Wenn im weiteren Verlauf vor den verschiedenen Teilsammlungen eine Signatur anzutreffen ist, dann ist es diese. Vgl. BRB, Coll. boll. Ms. 8004–17 (3452), fol. 1r, 77r, 177r, 184r, 188r, 192r, 219r, 239r, 264r, 270r, 303r, 364r, 365r. Auch diese Handschrift dürfte also frühneuzeitlich eine Einheit dargestellt haben, unabhängig davon, ob sie in dieser Form und Abfolge aufbewahrt worden ist. Vgl. oben S. 151ff. Vgl. Papebroch, Tractatus de vita Bollandi, AASS Martii, Bd. 1, 1668, S. VIIIa: „Et primùm Poëseos studiorumque humaniorum amans perinde ac peritus erat, intima ei familiaritas coaluit cum externarum Prouinciarum Poëtis, præcipuè autem P. Ioanne Casimiro Sarbieuio; cuius carmina non tantùm Antuerpianis typis cudi recudique curauit; sed etiam exornanda epictharismatis aliorum in eadem arte illustrium virorum: […].“ Vgl. zur Person Andrée Thill, Matthias Casimir Sarbiewski. Eine Würdigung zur vierhundertjährigen Wiederkehr seines Geburtstags, in: Wolfenbütteler Barock-Nachrichten 22 (1995), S. 1–9; Charles S. Kraszewski, Maciej Kazimierz Sarbiewski. The Christian Horace in England, in: The Polish Review 51 (2006), S. 15– 40. Vgl. BRB, Coll. boll. Ms. 8004–17 (3452), fol. 192r–208v, hier fol. 192r.

585 den seien und zum anderen mit einer Art Imprimatur des damaligen Titularbischofs von Methoni, späteren Bischofs von Samogitien (reg. 1633 –1649) und Wilna (reg. 1649–1656) Georgius (IV.) Tiškeviþius (Tyszkiewicz). 320 Aus dieser Sammlung wurde unter anderem eine kürzere Vita des 1448 in der russischen Kirche kanonisierten Metropoliten von Kiev Aleksej († 1378) in den Acta Sanctorum gedruckt. 321 Henschen verwies in seinem Commentarius historicus auf die Herkunft der Vita und auf die – in der Handschrift der Collectanea bollandiana selbst nicht erwähnte – Vermittlung Sarbiewskis. Er zitierte die besagte Approbation, die von einem – nun nicht mehr erhaltenen – Siegel begleitet worden sei. Er diskutierte die seines Erachtens geringe historiographische Verlässlichkeit der Vita und sprach von der Existenz einer weiteren kürzeren Vita mit dem Charakter einer Tageslesung, die in den Miscellanea rerum ad statum ecclesiasticum in magno Lithuaniae ducatu pertinentium des Jesuiten Vijukas Kojalaviþius (Kojaáowicz) (1609–1677) von 1650 gedruckt worden sei. 322 –––––––— 320

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Vgl. ebd., fol. 208v: „Hæc ex Archiuiis fide dignis et manuscriptis antiquissimis Moschouiticis, Ruthenicis, Liuonicis fideliter transsumpta. Et typo ac cognitione fidelium digna Typis excudi permitto Vilnae 6 Maij A[nn]o 1621. Georgius Epi[scopus] Mett. Adm[ini]str[ator] et Suffr[aganeus] Epi[scopi] Viln[ensis]“. Vgl. zur Amtszeit die Series episcoporum Mednicensium seu Samogitiensiusm seu (ab. a. 1848) Telšensium, in: Codex Mednicensis seu Samogitiae dioecesis, Bd. 2: 1609. VI. 26–1926. V. 13, hrsg. v. Paulus Jatulis (Fontes historiae Lituaniae 4), Rom 1989, S. XXVII f., hier S. XXVII, und im unpaginierten Abbildungsteil Abb. 20. Vgl. zur Kirchenlandschaft Paulus Rabikauskas, Introductio, in: Relationes status dioecesium in magno ducatu Lituaniae, Bd. 2, hrsg. v. dems. (Fontes historiae Lituaniae 2), Rom 1978, S. XI– XXVI, hier S. XXIII; zu Tiškeviþius selbst den Abschnitt: Dioeceses Livoniae et Piltensis. Notitia historica, in: ebd., S. 545–556, hier S. 549f. Der Titel eines „Suffraganeus“ bedeutete nicht ein Suffraganat im engeren Sinn, sondern die Funktion eines „episcop[us] auxiliar[is]“, die ebenso wie das Titularbistum Methoni und das anschließende Episkopat Samogitien Stationen eines typischen kirchenpolitischen Karrierewegs waren. Vgl. den Abschnitt: Episcopi Luceorienses. Notitia historica, in: ebd., S. 13–19, hier S. 17, und das Schreiben: Capitulum Mednicense Paulo V P. M., 1609. VI. 26, Medininkai, in: Jatulis (Hrsg.), Codex, Bd. 2 (1989), Nr. 1, S. 1f. Vgl. zur Publizistik der Jesuiten Zenonas Ivinskis, Die Druckerei der Jesuiten in Vilnius und die ersten litauischen katholischen Bücher, in: Commentationes Balticae 1 (1953), S. 27–67. Vgl. Vita B. Patris Alexii Metropolitæ Kiiouiensis et Totius Russiæ, ebd., fol. 204v– 205r. Inc.: „Sanctus P[ate]r N[oste]r Alexius oriundus est in Russia Christianis & Catholicis natalib[us], […].“ Expl.: „[…], in qua plurimis miraculis clarus quiescit in Domino. Cui Honor et Gloria in secula seculo[rum]. Amen.“ G[odefridus] H[enschenius], De S. Alexio Metropolita Kiioviensi in Rvssia, in: AASS Februarii, Bd. 2, 1658, 12. Feb., S. 639–641. Vita ex MS. Liuanico, ebd., S. 640f. Inc.: „Sanctus Pater noster Alexius oriundus est in Russiâ Christianis & Catholicis natalibus, […].“ Expl.: „[…], in quâ plurimis miraculis clarus quiescit in Domino; cui honor & gloria in secula seculorum. Amen.“ Vgl. Edgar Hösch, Art. Aleksij, in: LThK, Bd. 1, 31993, Sp. 355f. Vgl. Commentarius historicus, ebd., S. 639f., hier S. 640a: „Vitas variorum Sanctorum Liuoniæ & Lituaniæ MSS. submisit nobis Matthias Casimirus Sarbienius noster, Vilnæ olim Philosophiæ ac Theologiæ professor, dein Vladislao IV Poloniæ Regi à

586 Als Bolland den Anspruch formulierte, dass nichts, was die Erinnerung an die Heiligen bewahrte, übergangen werden dürfe, war damit nicht gemeint, dass jener Komplex in die Acta Sanctorum integriert werden sollte, der in institutioneller Hinsicht die Kontinuität des Heiligengedenkens in der katholischen Kirche sicherstellte, der der Liturgie. Die diesen Bereich prägenden kleineren Formen wurden nicht systematisch publiziert, auch wenn die Sammeltätigkeit der Bollandisten gerade sie in beachtlichem Umfang zu Tage fördern sollte. Der damals namhafte französische Karmelit Louis Jacob de Saint Charles (Ludovicus Jacob a Sancto Carolo) (1608–1670), Begründer der Bibliotheca Carmelitana, hatte es gestattet, dass aus mindestens zwei „Breviarien“ der Benediktinerabtei Flavigny-sur-Ozerain im Bistum Autun sowie aus einem als Breviarium Eduense bezeichneten liturgischen Werk insgesamt 16 Viten, zahlreiche ihnen zugehörige orationes und hymnes sowie einige komplementäre Stücke aus chronikalischem Schrifttum kopiert und nach Antwerpen übermittelt wurden. Bolland hatte auch diese, von einer einzigen Hand geschriebene, Sammlung mit einem Deckblatt versehen, auf dem Papebroch später die betreffenden Heiligen registrierte. Um den Bestand der, nach Einschätzung Bollands, zumeist „kurzen und veränderten“ Viten hätten sich der Jesuit Guillaume Thiersault (1588– 1666) und der Augustinerchorherr François Boulart (1605–1667) in Paris bemüht. 323 Boulart und Thiersault traten zusammen genommen in rund –––––––—

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concionibus, ob elegantes Lyricos versus sæpius recusos orbi vniuerso notus. Vitas has ex archiuiis fide dignis & manu scriptis antiquissimis fideliter transcriptas, apposito sigillo, approbauit, & typo ac cognitione dignas typis excudi permisit Georgius Tyskeuicius, ex peruetustâ Moduidorum familiâ, quæ Serenißimam Iagellonicam per Russiæ Duces attingit. Episcopus is tunc erat Methonensis ac Suffraganeus atque Administrator Eustachij Vollouicij Episcopi Vilnensis, dein ad Episcopatum Samogitiæ, ac tandem ad Vilnensem promotus: cui Koialouicius Miscellanea Liuaniæ inscripsit. In hoc de Vitis Sanctorum thesauro, est etiam Vita S. Alexij, quasi ad vsum officij Ecclesiastici contracta: vti elogia Sanctorum ferè leguntur in Menæis Græcorum, aut Breuiariis Latinorum.“ Vgl. zu den historischen Problemen zusammenfassend ebd., S. 640b: „Hinc liquet ab auctore haud satis perito, neque coæuo, Acta illa esse conscripta, quæ præuia hac admonitione damus intacta, vt aliis detur occasio ea examinandi, & conferendi si quas nacti fuerint Rußicæ gentis fide dignas historias.“ Eustachius Valaviþius (Woááowicz) war zwischen 1616 und 1630 Bischof von Wilna. Vgl. zu Kojalaviþius’ Miscellanea Rabikauskas, Introductio (1978), S. XXIII Anm. 5, 7. Vgl. BRB, Coll. boll. Ms. 8004–17 (3452), fol. 14r–76v, hier fol. 14r: „Hæ vitæ pleræq[ue] breves et mutilæ, desumptæ sunt ex MS. vel Breviario Æduensi apud R. P. Ludovicum Jacob a S. Carolo Carmelitam Parisijs, curante R. P. Guilmo Thiersault So. Jus et R. P. Francco Boulart ad S. Genouefam.“ Papebroch verzettelte in seinem anschließenden Register die Namen der Heiligen und die Folienangaben innerhalb der Sammlung: „Benigni M. f. 1 || Christinæ V. M. f. 3 || […].“ Der Bezug auf Flavigny ergibt sich aus den Überschriften der Viten, die jeweils aufeinander referieren („ex eodem Breviario“). Vgl. Vita S. Benigni martyris 8. lectionib[us] distincta ex Breuiario Flauiniacensi, ebd., fol. 15r–16r; Vita sanctæ christi[n]æ virginis. Ex Breuiario Flauiniacensi. 3[bus] lectionibus distincta, ebd., fol. 16r–v. Diese Systematik wurde

587 einem halben Dutzend der Dossiers der Acta Sanctorum in Erscheinung, allerdings nur in solchen, die mit der hier interessierenden Sammlung aus Ms. 8004–17 nicht in Verbindung standen. 324 Louis Jacob hatte sich zwischen 1639 und 1642 in Italien aufgehalten. Die Sammlung dürfte danach, in jedem Fall aber nicht vor 1640 an Bolland gelangt sein. Neben den beiden liturgischen Sektionen findet sich hier eine Art Dossier zu Abt Bertharius von Montecassino († 883), das Louis Jacob aus Beständen des Benediktiners Caietan gearbeitet hatte. Es umfasst die Vita Bertharii, welche von einem Prior von Montecassino mit Namen Ignatius Pragensis aufgezeichnet worden sei, einige Animadversiones Caietans zur Vita selbst sowie ein damals bereits gedruckt verfügbares Elogium. Diese drei Teile hatte Louis Jacob je gesondert mit 1640 als dem Datum der Abschriften und Hinweisen auf ihre Provenienz gekennzeichnet. 325 Caietan –––––––—

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bis zur Vita sancti Germani Antisiodorensis. Ex Eodem Breuiario desumpta, ebd., fol. 24v–29r, durchgehalten. Danach schloss sich ein noch zu thematisierender Abschnitt zum hl. Bertharius von Montecassino an, ehe mit der Vita sancti Germani episcopi parisiensis. Ex Breuiario Eduensi, ebd., fol. 64r–v, Viten folgten, die bis zum Ende der Sammlung aus einem Brevier aus Autun abgeschrieben worden sind. Vgl. zu den Personen Art. Ludovicus Jacob a S. Carolo, in: BIBLIOTHECA || CARMELITANA, || NOTIS CRITICIS || ET || DISSERTATIONIBUS || ILLUSTRATA: || Curâ & labore || UNIUS È CARMELITIS PROVINCIÆ TURONIÆ || COLLECTA. || TOMUS SECUNDUS. || AURELIANIS, || Excudebant J. ROUZEAUMONTAUT, & M. COURET DE VILLENEUVE, Regis, Serenissimi || Aurelianensium Ducis, Regiique Aurelianensis Collegii Typographi & Bibliopolæ. || M. DCCLII. || CUM APPROBATIONE ET PRIVILEGIO REGIS (Neudruck Rom 1927), Sp. 272–288; Art. Thiersaut [!], Guillaume, in: Sommervogel, Bd. 7, 1896, Sp. 1971; M. Prevost, Art. Boulart (Le P. François), in: DBF, Bd. 6, 1954, Sp. 1350. Vgl. in Auswahl die Dossiers: De S. Regvlo Episcopo Silvanectis in Gallia, in: AASS Martii, Bd. 3, 30. März, S. 816–827. Commentarius præuius, ebd., S. 816–818, hier S. 816b: „Misit ad nos anno MDCLIV Franciscus Boulartius, tunc Aßistens Reuerendißimi Generalis Canonicorum Regularium, nunc illorum Generalis, misit inquam libellum […].“ G[odefridus] H[enschenius], De S. Caravno, Martyre in Dioecesi Carnotensi, AASS Maii, Bd. 6, 1688, 28. Mai, S. 748–754. Commentarius præuius, ebd., S. 748f., hier S. 748b: „[…] quæ nobis submisit Parisiis D. Boulart, ibidem ad S. Genovefam Canonicus Regularis, postmodum Ordinis Generalis […].“ G[odefridus] H[enschenius], De Sancto Baboleno Abbate Fossatensi in Gallia, in: AASS Iunii, Bd. 5, 1709, 26. Juni, S. 179–184. Commentarius præuius, ebd., S. 179–181, hier S. 179b: „Andreas du Chêne, tomo primo Scriptorum historiæ Francorum pag. 658 & sex sequentibus, plurima delibat ex Vita Ms. Baboleni Abbatis, additque exemplar extare in Bibliotheca monasterij S. Germani de Pratis, quod nos olim opera Guilielmi Thiersault, Societas nostræ Sacerdotis, curavimus describi; […].“ Ebd., S. 181a: „Porro invenio Epistolam, à P. Guilielmo Thiersault anno MDCLIV scriptam Bollando. Petierat hic certior fieri de præsentia corporis, & nominatim capitis S. Baboleni in suo Fossatensi monasterio, […].“ Vgl. Vita et passio S. Bertharij martyris et Abbatis XIX. sacri monasterij cassinensis. A. P. D. Jgnatio pragensi Eiusdem monasterij Cassinensis ven. priore composita, BRB, Coll. boll. Ms. 8004–17 (3452), fol. 29v–54r; ebd., fol. 54r, war nach der Abschrift zentriert vermerkt worden: „Hæc vita principis Bertharij extat ms. Romæ Jn Bibliotheca Aniciana Reuerendissimi patris domini Constantini Caietani abbatis

588 selbst hatte in seinen Animadversiones zunächst zu erkennen gegeben, dass er die Vita als Abschrift aus Montecassino empfangen habe und über ihren Autor nichts habe in Erfahrung bringen können. Er vermutete, dass er „circa annum milesimum ducentesimum vixisse […]“ und benannte einige der über ihn Auskunft gebenen Quellen. 326 Aufgrund des späten Festtags er–––––––—

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S. Baronti, et abbatis præsidentis I. ac fundatoris Romani collegij Gregoriani, cuius Beneficio anno do[min]i millesimo sexcentesimo quadragesimo Romæ descripsimus. 1640 Ludovicus Jacob a Sto Carolo Carmelita Cabilone[n]sis Burgu[n]dus.“ Die Animaduersiones Jn vitam sancti Bertharij à prædicto Reuerendissimo patre Domino Constantino Caietano abbate, et diligenter et erudita ¢supralinear von Bolland: è² concinnatæ, ebd., fol. 54v–58r, schlossen ebd., fol. 58r: „Ludouicus Jacob a Sto Carolo Carmelita Cabilonensis Burgundus. Roma die vndecima febru. 1640.“ Vgl. auch das Elogium sancti Bertharij 14 [!] Abbatis cassinensis, à R. P. D. Marco Antonio Scipione. Eiusdem congregatione monacho. Jn suis elogijs cass. pagina 51. 52. 53. 54. et 55. Jmpressum, ebd., fol. 59r–64r, hier fol. 64r: „Ludouicus Jacob A Sto Carolo Carmelita Cabilonensis Burgundus. Roma 1640.“ Marcus Antonius Scipio Placentinus’ 1630 in Neapel gedruckte Elogia abbatum sacri monasterii Casinensis wurden hier nicht eingesehen. Ebd., fol. 54v. Konkret erwähnte er die Sammlung der Viri illustres des Bibliothekars von Montecassino Petrus Diaconus († nach 1159) und dessen Ortus et Vita Iustorum Cenobii Casinensis: „Doctissimus autem vir Petrus Diaconus Cassinensis monachus Bertharij sanctitatem Jn eo libello, quem Jnscripsit de sanctis montis cassini c. 27 commendat. Jn alio vero suo libello de viris Jllustrib. Eiusdem coenobij, qui MS. apud nos diligentissimè asseruatur, cum sanctitate doctrina[m] etiam hoc Jnsigni elogio cap. 12. vel secundum alios 14. satis manifestè prodit. Bertharius supra dicti Bassatii discipulus, ad post Eum […].“ Ebd., fol. 56r. Dieses Zitat und den verbleibenden Teil der Animadversiones hatte Jacob ebd., fol. 56r–v, ausgestrichen. Sie seien aus einer fehlerhaften Kopie der Animadversiones angefertigt worden: „hic multá mendosè miserat scriptor“, wie er ebd., fol. 56r marginal links, bemerkte. Er ergänzte, dass er eine neue Abschrift nach Caietans Original („ex autographo“) erstellt habe, die sich auf den folgenden Seiten anschlösse. Die revidierte Kopie beinhaltete nun auch eine vollständige Abschrift des Bertharius betreffenden Abschnitts aus Petrus’ Diaconus Viri illustres. Vgl. ebd., fol. 57r–v. Inc.: „Bertharius supradicti Bassatij discipulus, ac post eum Cassinensis abbas effectus, vir genere et litteris nobilis, honestatis, religionis, ac martyrii corona perspicuus, scripsit […].“ Vgl. den Nachdruck von Muratoris älterer Ausgabe: Petri Diaconi ac bibliothecarii sacri Casinensis archisterii, De viris illustribus Casinensibus opusculum, in: Sæculum XII Leonis Marsicani et Petri Diaconi monachorum Casinensium chronicon monasterii Casinensis et opuscula accedunt Rodulfi Abbatis S. Trudonis gesta abbatum Trudonensium necnon Falconis Beneventani, Landulphi junioris chronica intermiscentur Sancti Ottonis Bambergensis episcop., Matthæi Cardinalis, Gilonis Tusculani, Gaufridi Catalaunensis, Stephani Parisiensis, episcoporum, Gualteri Cluniacensis monach. opuscula, diplomata, epistolæ accurante J.-P. Migne (MPL 173), Paris 1895, Sp. 1004–1050, hier Sp. 1020f.: „Caput XII. || De S. Bertario. || Bertarius, supradicti Bassatii discipulus, ac post eum abbas Casinensis effectus; vir genere et litteris nobilis, honestatis, religionis ac martyrii corona perspicuus. Scripsit […].“ Teilweise wurde Bertharius nicht, wie hier, als zwölfter, sondern als neunzehnter Abt gezählt. Vgl. Die Chronik von Montecassino/Chronica Monasterii Casinensis, hrsg. v. Hartmut Hoffmann (MGH SS 34), Hannover 1980, S. 89 (Red. A): „Bertharius nonus decimus abbas, sedit annis XX et VII m, et mensibus VII m. || Hic prĊdecessoris sui Bassacii abbatis fuit discipulus, cuius etiam in omnibus, et prĊcipue in ecclesiasticis studiis industriam est imitatus.

589 schien das Dossier zum hl. Bertharius allerdings erst im 19. Jahrhundert. Benjamin Bossue (1804–1882) hatte die alten Materialien zwar „unter unseren hagiographischen Handschriften“ („inter mss. nostra hagiographica“) gefunden. 327 Er hielt es jedoch für ratsam, erneut Kontakt mit Montecassino aufzunehmen und druckte die Lebensbeschreibung nach einer von ihm neuerlich erbetenen Abschrift. Bossues Ausgabe zeigt, dass die ältere Kopie der Vita, trotz ihrer mehrfachen Vermittlungsstufen, vergleichsweise zuverlässig gewesen war und dass sich die Verfahren der Bollandisten bis dahin nicht unbedingt geändert hatten. 328 In den Acta Sanctorum findet sich insgesamt kein Hinweis auf Zuarbeit des Karmeliten Louis Jacob. Die Abschriften aus dem Breviarium Eduense, die zehn Heilige betreffende Viten in Gestalt von Tageslesungen und einige Orationes umfassten, könnten aufgrund der Gesamtkonstellation aus einem im 15. Jahrhundert verfassten Sanktorale aus Autun oder einem ähnlichen liturgischen Buch abgeschrieben worden sein. 329 In den in Frage kommen–––––––—

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Códicem nanque evangeliorum […].“ Woher Caietan die alternative Zählung eines 14. Abts bekannt war, bliebe zu klären. Das von ihm erwähnte Werk, in dessen 27. Kapitel auf Bertharius Bezug genommen werde, war jedenfalls Petri Diaconi Ortus et Vita Iustorum Cenobii Casinensis, hrsg. v. R. H. Rodgers, Berkeley/Los Angeles/London 1972, S. 51: „XXVII. Bertharius abbas nobilis carne, nobilis spiritu […].“ Vgl. dazu Hartmut Hoffmann, Art. Bertharius, in: LexMA, Bd. 1, 1980, Sp. 2024; Mariano-Antimo Dell’Omo, Art. Petrus Diaconus, in: LexMA, Bd. 6, 1993, Sp. 1972f.; Oronzo Limone, Italia meridionale (950–1200), in: Philippart (Hrsg.), Hagiographies, Bd. 2 (1996), S. 11–60, hier S. 29ff. Vgl. B[enjaminus] B[ossue], De S. Berthario Abbate et Mart. in monasterio Cassinensi, in: AASS Octobris, Bd. 9, 1858, S. 663–682. Commentarius prævius, S. 663– 669, hier S. 663a. Vgl. Passio S. Bertharii Mart. et Abbatis sacri monasterii Casinensis. Ex collectione cardinalis S. Severinæ apud D. Josephum Corta manuscripta ex cod. Cass. 34, ebd., S. 670–682. Inc.: „Tempore quo sacrum imperium ad tuendas res ecclesiae Romanæ in manus Francorum devenit, quæ gens cæterarum nationum gentes nobilitate, generositate […].“ Vita et passio S. Bertharij, BRB, Coll. boll. Ms. 8004–17 (3452), fol. 29v. Inc.: „Tempore quo sacrum Jmperium ad tuendas Romanæ res Ecclesiæ in manus Francorum deuenit (quæ gens cæterarum nationum gentes nobilitate, generositate […].“ Vgl. Vita sancti germani Episcopi parisiensis. Ex Breuiario Eduensi, ebd., fol. 64r–v; Vita S. Claudij Epis. parisiensis et confess. Ex Breuiario Eduensi, ebd., fol. 65r–66r; Vita sancti Maximi Epis. et confessoris. Ex Breuiario Eduensi die 8o. Junij lect. 3a., ebd., fol. 66r–v; Vita sancti Simplicij Episcopi et confessoris Eduensis. Ex Eodem Breuiario die 25. Junij lectione 9., ebd., fol. 66v–68r; Vita sancti Theobaldi confess. Ex Eodem Breuiario. Die 8o. Junij lectione 9a., ebd., fol. 68r–69v; Oratio, ebd., fol. 69v; De Jnuentione Corporis B. Quintini ¢marginal: ex eodem die 13o Julij Lect. 9a.², ebd., fol. 69v–70v; Antiphonæ ad Magnificat., ebd., fol. 70v; Oratio, ebd., fol. 70v; Vita sancti Rethicij Episcopi Eduensis et confessoris. Ex Eodem Die 19 Jul. lect. 6a., fol. 71r–72r; Vita Sancti Cassiani Episcopi et Confessoris ¢marginal: ex eodem die 5o. Julij Lect. 9a.², ebd., fol. 72r–73v; Oratio, ebd., fol. 73v; Vita Sancti Mammetis Martyris. Ex Eodem die 23. Augusti lectione 6., ebd., fol. 74r–75r; Oratio, ebd., fol. 75v; Vita Sancti Syagrij Episcopi Eduensis et confessoris. Ex Eodem, fol. 75v– 76v; Oratio, ebd., fol. 76v. Eine analoge Konstellation findet sich in besagtem Sankto-

590 den Dossiers der Acta Sanctorum berief man sich stattdessen, was den Nachweis der Existenz einer liturgischen Verehrung anging, auf ein 1534 gedrucktes Breviarium Eduense, das mit den Kopien Louis Jacobs nicht ganz zur Deckung zu kommen scheint. 330 Die Viten selbst wurden in den –––––––—

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rale. Vgl. Victor Leroquais, Les bréviaires manuscrits des bibliothèques publiques de France, Bd. 1, Paris 1934, Nr. 50, Autun, Bib. municipale Ms. 157 S. (Libri 136), S. 75–78, hier S. 76f.: „[fol.] 427. (6 juin) ‚S. Claudi ep. et conf.ǥ […] – 427vo. (10 juin) ‚Maximini ep. et conf.ǥ – […] (25 juin) […] 440vo. ‚Com. s. Simplicii.ǥ – […] || […] 456. (8 juill.) ‚Com. s. Theobaldi.ǥ – […] 459. (13 juill.) ‚In vig. invencionis corporis b. Quintini.ǥ – 460. […] (19 juill.) ‚Sequenti die, fit Rethicii ep. Eduensis.ǥ – […] 480vo. (31 juill.) ‚Com. s. Germani ep.ǥ || […] 488. (5 août) ‚S. Cassiani ep. et conf.ǥ – […] 514. (23 août) ‚S. Mammetis mart.ǥ – […] 519. […] (27 août) ‚S. Syagrii ep. et conf.ǥ“ Eine direkte Abhängigkeit ist damit natürlich nicht belegt. Allerdings sind die am 13. Juli gefeierte Inventio S. Quintini und die am 23. August zu verlesende Vita S. Mammetis in den erhaltenen Liturgica Autuns sehr selten, so dass sich das Feld auf diese Weise eingrenzen lässt. Vgl. die Tabelle: „Sanctoral d’Autun au XVe siècle, selon quelques manuscrits“, im Rahmen des ungezeichneten Abschnitts: Le diocèse d’Autun, in: Catalogue des manuscrits d’Autun. Bibliothèque municipale et Société Éduenne, hrsg. v. Claire Maître (Institut de recherche et d’histoire des textes), Turnhout 2004, S. XLI–LX, hier S. LIV f.; die Katalogisierung des Ms. S 157 (136), ebd., S. 325f., durch Éric Palazzo geht nicht über die ältere durch Victor Leroquais hinaus. Vgl. beispielsweise Vita sancti Maximi, ebd., fol. 66r–v. Inc.: „Rexit Aquensem Ecclesiam Beatus maximus confessor et pontifex diebus multis […].“ Marginal hatte Bolland notiert: „7 vel 8 Junij.“ Vita sancti Simplicij, ebd., fol. 66v–68r. Inc.: „Dum iniquissimus Cæsar Aurelianus apud Senonas urbem commoraretur: rabido furore corpora sanctorum propter christi confessionem diuersis laniatibus cruxiabat.“ Marginal Bolland: „24 vel 25 Junij.“ Vita sancti Theobaldi, ebd., fol. 68r–69v. Inc.: „Beatus Theobaldus bonæ Jndolis vir, ex gente francorum […].“ Oratio, ebd., fol. 69v. Inc.: „Deus qui nobis egregij confessoris tui Theobaldi […].“ Marginal Bolland: „30. Junij || 8. Jul.“ Vgl. G[odefridus] H[enschenius], De Sancto Simplicio Episcopo Avgvstodvni in Gallia, in: AASS Iunii, Bd. 4, 1707, 24. Juni, S. 812–814. Commentarius prævius de cultu, ætate, actis vitæ, ebd., S. 812a: „[…] in Breviario ad ritum diœcesis Æduensis, auctoritate Jacobi Huralti sub annum MDXXXIV excuso, Festum B. Simplicii Episcopi Æduensis & Confessoris in crastinum B. Joannis celebratur […].“ Diese Information konnte aus der Abschrift Jacobs nicht entnommen werden. Vgl. auch G[odefridus] H[enschenius], De S. Theobaldo Presb. Eremita Dioecesis Vicentinæ in Italia, in: AASS Iunii, Bd. 5, 1709, 30. Juni, S. 588–606. Commentarius prævius, ebd., S. 588–592, hier S. 589a: „[…] item in Breviario Æduensi sive Augustodunensi in Gallia, sub annum MDXXXIV excuso […].“ G[odefridus] H[enschenius], De S. Maximo vel Maximino, Episcopo Aqvis-Sextiis in Gallia. Commentarius problematicus, in: AASS Iunii, Bd. 2, 1698, 8. Juni, S. 53f. Die zweite Hälfte der Ausführungen ab ebd., S. 54a, stammte von D[aniel] P[apebrochius]. Dieser vermerkte: „Hactenus Henschenius: post cujus mortem accepi Officia propria Æquensis Ecclesiæ, excusa anno MDCLXVIII, ubi ad diem VIII Aprilis, præscribitur festum Translationis S. Maximini […].“ Diese Drucke waren hier nicht zugänglich. Das von Henschen zitierte Brevier entspricht wohl einer in Paris 1534 gedruckten Pars estivalis Breviarii insignis ecclesie Eduensis. Vgl. Hans Bohatta, Bibliographie der Breviere 1501–1850, Leipzig 1937, Nr. 1776, S. 157. Papebrochs Officia propria von 1568 waren mit den hier konsultierten Hilfsmitteln nicht zu erschließen. Vgl. die Nachweise der liturgischen Drucke der Diözese Autun von William Henry James Weale, Catalogus missalium ritus latini. Ab anno M.CCCC.LXXV. impressorum (Bibliographia

591 Acta Sanctorum nicht genutzt. Die Gründe dafür liegen keineswegs auf der Hand. In einem von Henschen begonnenen und von Papebroch vollendeten und wohl leicht revidierten Dossier widmeten sich die Bollandisten im ersten Juniband dem hl. Claudius. Dieser Heilige ist seit der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts als Abt des Klosters St. Oyend (St. Claude) belegt und wurde in seinen Viten zugleich als Erzbischof von Besançon bezeichnet. 331 Mit einer für die Bollandisten typischen Nomenklatur publizierte Henschen eine seiner Meinung nach im 13. oder 14. Jahrhundert entstandene Vita longior und eine von ihm als älter eingestufte Vita brevior. Die längere Vita war bereits 1618 von dem Arzt, Diplomaten und Altertumsforscher JeanJacques Chifflet (1588–1660), dem Bruder des Jesuiten Pierre-François Chifflet, im zweiten Band seiner Vesontio civitatis imperialis libera und ebenso im zweiten Band der Acta Sanctorum Ordinis Sancti Benedicti von 1669 veröffentlicht worden. 332 Henschen wiederholte diese Ausgabe. 333 Da sie nach seinem Dafürhalten allerdings des Prologs ermangelte, habe er diesen aus den Unterlagen von Pierre-François Chifflet erbeten. Die auf diesen „Prolog“ in den bisherigen Ausgaben der längeren Vita folgenden Passagen allerdings kämen mit dem „Prolog“ der kürzeren Vita zur Dekkung, so dass es genügen sollte, so Henschen, ihn mit dem Textbestand der letzteren zu präsentieren. Die Vita brevior wiederum habe er „aus einer Handschrift des Klosters und aus gedruckten und handschriftlichen Breviarien“ kompiliert. 334 Mit der Handschrift war eine Kopie gemeint, die Hen–––––––—

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liturgica), London 1886, S. 67–69; Amiet, Missels (1990), Nr. 375–382, S. 28f.; Nr. 1173–1782 B, S. 213f. Vermutlich handelte es sich um den Nachdruck einer älteren Ausgabe. Vgl. Bernard de Vregille, Une histoire très obscure. Les „Vies de Saint Claude“ et la vie de Saint Claude, in: Saint Claude. Vie et présence. Mit Beitr. v. Gustave Duhem/ Georges Gros/Simon Ligier [u. a.]. Préface de Monseigneur l’Évêque de SaintClaude, Paris 1960, S. 23–70, hier S. 23, 67. Vgl. ebd., S. 24, 26. Vgl. G[odefridus] H[enschenius], De Sancto Claudio Episcopo Vesontionensi et Abbate Ivrensi, in: AASS Iunii, Bd. 1, 1695, 6. Juni, S. 644–708. Vita longior, Seculo XIII aut XIV composita. Ex editionibus Jo. Jac. Chiffletii & Mabilionis, ebd., S. 649– 651. Vgl. ebd., S. 651b Anm. a: „Prologus hic deest in editis tam à Mabilione quam à Ioanne Iacobo Chiffletio: sed ab hujus fratre Petro Francisco Chiffletio, communicatus nobis fuit ex Mss. Post hunc Prologum autem in utraque editione sequitur idem ille qui Breviori Vita præmittitur, quemque propterea nihil opus fuit hic repetere.“ Dieser vor die längere Vita gestellte „Prolog“ entspricht c. 1. ebd., S. 649a–b. Inc.: „Si rationabiliter facta & dicta quorundam hominum […].“ Er wurde später selbstständig als BHL 1843 gezählt. Die Vita selbst beginnt mit c. 2, ebd., S. 649b. Inc.: „Beatus igitur Claudius fuit ex nobili Salinensium Principum […].“ Sie wurde als BHL 1841 verzettelt. Vgl. Vita brevior. Ex Ms. Monasterii, & Breviariis excusis ac Mss., ebd., S. 648b–649a. Inc.: „In nomine sanctæ & individuæ Trinitatis. Laudabili Fratrum Jurensium […].“ Diese Vita ist BHL 1840. Der „Prolog“ der kürzeren Vita findet sich in den älteren Ausgaben in der Tat vor der längeren Vita. Vermutlich hatte

592 schen, wie er sagte, ihrerseits von Pierre-François Chifflet erhalten habe. Nach den Studien von Bernard de Vregille stammte sie aus einem Lektionar und Antiphonar, das unter Abt Humbert III. de Buenc (reg. 1234–1262) angelegt worden ist. 335 Henschen datierte diese Vita indes auf das 12. Jahrhundert. Er arrondierte sie um einige Lesarten, die er aus einem „sehr alten“ Breviarium der Diözese Besançon und weiteren gedruckten Breviarien des 16. Jahrhunderts, einschließlich des bereits erwähnten Breviarium Eduense von 1534, gewonnen hatte. 336 Da sich in der Diözese Besançon das Fest dieses Heiligen allerdings erst seit 1440 etabliert hatte, 337 operierte Henschen für seine variae lectiones mit im Grundsatz homogenen Materialien, in die sich die Abschrift Louis Jacobs aus dem Breviarium Eduense sehr gut eingefügt hätte. Deren Vita Claudii kommt in weiten Teilen mit der Vita brevior zur Deckung. Sie trifft sich mit dem von Henschen als Variante dargebotenen Schluss des Drucks von 1534 und hätte als das mit großer Sicherheit ältere Stück statt seiner zitiert werden können. 338 Hier scheint –––––––—

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ihn Jean-Jacques Chifflet in Kenntnis beider Texte vor der längeren Vita platziert. Vgl. Vita S. Claudii Episcopi Vesontionensis, Ex Historia Vesontionensi Jo: Jacobi Chiffletii, in: AASS OSB, Bd. 2, 21733, 6. Juni, S. 1018–1022. Inc.: „In nomine sanctæ & individuæ Trinitatis. Laudabili Fratrum Jurensium […].“ Eine moderne Ausgabe dieser Viten fehlt. Vgl. de Vregille, Histoire (1960), S. 29f., 34f.; de Vregille bietet ebd., nach S. 24, eine faksimilierte Abbildung des größten Teils der kürzeren Vita (Ms. Arch. Jura no. 11). Vgl. Henschen, De Sancto Claudio, AASS Iunii, Bd. 1, 1695, 6. Juni. Commentarius prævius, ebd., S. 644–646, hier S. 645a: „Damus […] primo loco Vitam breviorem ex Ms. codice monasterii S. Claudii, à Petro Francisco Chiffletio nobis submissam, scriptam […] seculo Christi duodecimo. Ex ista autem Vita desumptæ sunt Lectiones pervetusti Breviarii Ecclesiæ Vesontionensis, in membranis descriptæ, uti etiam Breviarii Maurianensis anni 1512, Æduensis 1534, Lingonensis & aliorum.“ Vgl. Romain Jurot, L’ordinaire liturgique du Diocèse de Besançon (Besançon, Bibl. mun. ms. 101). Texte et sources (Spicilegium Friburgense 38), Fribourg 1999, S. 135. Vgl. Vita S. Claudij, BRB, Coll. boll. Ms. 8004–17 (3452), fol. 65r–66r: „Beatus Claudius Salinensium principum conspicua generositate clarissimus, a parentibus literarum studijs addictus, cum ætate, et sapientia proficeret, Dei nutu Bisuntinæ sedis cathedram pontificalem obtinuit. vbi Justitiam cum pietate tum prudenter administrauit, vt in eo benignitatis affectus, et disciplinæ seueritas vicem mutuam obseruarent. post modum ciuium turmas fugiens ad Jurense beati Agendi cœnobium locum videlicet horroris et vastæ solitudinis domino ducente se transtulit. Et quia legerat: os quod mentitur occidit animum non minus mendacium quam homicidium abhorrebat. Jn orationibus assiduus, Jn vigilijs strenuus, in refectione sobrius: vtpote cui perpetuus fuerit ornatus. pallor et macies sic voluptate postposita omni virtute parcimoniæ carnis aream deficcauit [!]. Attendentes igitur fratres loci Jllius viri sancti discretam humilitatem virum omni virtute probatum, pastorem et patrem spiritualem. diuina præueniente gratia sibi præfecerunt Anno sexcentesimo vicesimo sexto ab Jncarnatione domini, Joanne quarto Apostolicam sedem tenenti, qui præfati viri religione, et sanctitate permotus, Eiusdem Ecclesiæ possessiones suo muniuit priuilegio. Quo Jn loco vir dei Claudius multo virtutum, Et miraculorum clarescens fidere, sic oleum misericordiæ vino districtionis Jmmiscuit, vt Jn sanandis vitiorum vulneri-

593 einerseits die präzisere Zitierbarkeit des Drucks den Ausschlag vor einem Dokument gegeben zu haben, dessen genaue Charakteristik Henschen letztlich unbekannt war. Dass die Vita brevior überhaupt gedruckt wurde, hing mit der Tatsache zusammen, dass er sie, nach de Vregille durchaus zu Unrecht, für älter hielt als die Vita longior, als deren zu liturgischen Zwecken angefertigte Abbreviatur sie heute gilt. 339 Andererseits konnte sich Henschen – oder Papebroch – auf ein bereits bestehendes Korpus von Texten zum hl. Claudius stützen, das vielleicht dazu geführt hatte, dass Louis Jacobs Abschrift in den Hintergrund getreten war. Die Korrespondenzen zwischen Chifflet und den Bollandisten zeigen, dass man in Antwerpen seit Rosweyde wusste, dass Chifflet im Besitz einer kürzeren Vita und zweier den hl. Claudius betreffender Mirakelsammlungen war. Chifflet hatte Rosweyde darum gebeten, es ihm mitzuteilen, falls ihm entsprechende Schriften bekannt geworden seien. 340 In den späteren Briefwechseln zwischen Bolland, Henschen, Papebroch und Chifflet findet sich bis zu dessen Tod im Jahr 1682 kein Beleg dafür, dass Chifflet Viten oder Mirakelberichte des hl. Claudius aus den Händen gegeben hätte. Hingegen hat de Vregille darauf aufmerksam gemacht, dass die Bollandisten zum –––––––—

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bus samaritani nostri diligentiam reformaret. denique peracto vitæ præsentis curriculo, præsentibus, et posteris totius religionis, et sanctæ conuersatio[n]is Exemplar ab hac valle miseriæ 8. idus Junii feliciter migrauit ad christum. Cuius corpus, g[e]n[e]ris, et sanctitatis prærogatiua pretiosis conditu[m] aromatibus Jn Ecclesia Beati Agendi, Jn hodiernam vsque diem requieuit. At vbi redemptor noster christus Jn sancto suo maximas quotidie virtutes p edere dignatus est, Jdeo christiana pietate factum est, vt locus Jlle a sancto viro nomen acceperit.“ Vgl. Henschen, De Sancto Claudio, AASS Iunii, Bd. 1, 1695, 6. Juni. Vita brevior, ebd., c. 2, S. 648b: „Beatus igitur Claudius, Salinensium Principum conspicuâ generositate clarissimus, à parentibus litterarum studiis addictus, ætate & sapientiâ proficiens, tandem nutu divino Bisuntinæ Sedis Cathedram Pontificalem obtinuit. Ibi tam suavem & delectabilem pietatis & justitiæ mixturam contemperavit, […].“ Ebd., c. 3: „Attendentes igitur Fratres illius loci, viri sanctissimi discretam humilitatem; virum omni virtute probatum, Pastorem & Patrem spiritualem, divinâ præeunte gratiâ, sibi præfecerunt anno sexcentesimo vicesimo sexto ab incarnatione Domini, Sancto Johanne Apostolicam sedem tenenti: […].“ An ihrem Ende markierte Henschen die Variante aus dem gedruckten Brevier, ebd.: „[…] in ecclesiâ B. Eugendi (i) quingentis quinquaginta quatuor annis, miraculis assidùe crebrescentibus requievit.“ Ebd., S. 649a Anm. i: „In Breviario Æduensi anni 1534 ista sub finem habitur: Conditum aromatibus in ecclesia B. Agendi (imo Augendi) in hodiernum usque diem requiescit. Et quoniam ibi Redemptor noster Christus in Sancto suo maximas quotidie virtutes edere dignatus est, ideo Christiana pietate factum est, ut locus ille à sancto viro nomen acceperit.“ Vgl. de Vregille, Histoire (1960), S. 29–37. Vgl. Chifflet à Rosweyde, Besançon, 29 mars 1627, in: Joassart (Hrsg.), Chifflet (2005), Nr. 2, S. 58: „Claudius archiepiscopus Bisontinus et abbas S. Eugendi, 6 iunij] Vitam habeo paulo copiosiorem ea quam descripsit frater meus in sua Vesontione, sed quibusdam locis mendosam. Ideo, si quam nacta est Va Ra ex manuscriptis, libenter videro. Habeo praeterea librum unum miraculorum S. Claudii, scriptum a quadringentis circiter annis, cui apponam librum 2m, meo stylo ex aliis monumentis concinnatum.“

594 Zeitpunkt der Veröffentlichung des Dossiers Chifflets unpubliziertes Manuskript eines Sacrarium monasterii Jurensis Condatescensis in ihrem Besitz hatten, dessen dritter Teil den Vitae, Miracula et Illustrationes Claudianae galt. De Vregille verstand das Dossier der Bollandisten als eine Art Publikation dieses Teils. 341 Papebroch scheint den Verdacht, dass die Vertreter der Acta Sanctorum hier unter ihrem Namen unter anderem fremde Ergebnisse veröffentlicht haben könnten, antizipiert zu haben. Er betonte, dass er das Manuskript erst acht Jahre nach Henschens Ableben, also 1689, durch Vermittlung Jean Hardouins (1646–1729) von den Pariser Jesuiten erhalten habe. 342 Er selbst veröffentlichte, neben dem Inhaltsverzeichnis des Sacrarium, 343 den besagten dritten Teil zur Gänze, der eine detailliert aus den lokalen Traditionen gearbeitete Darstellung der Chronologie der Bischöfe von Besançon und der Äbte von St. Oyend beinhaltete. 344 Von den beiden Mirakelbüchern, welche die Bollandisten in den Acta Sanctorum druckten, wurde aber nur das zweite ausdrücklich als von Chifflet stammend gekennzeichnet. 345 Von dem ersten sagten sie allein, dass es zusammen mit der Vita brevior verschriftlicht worden sei. 346 Die Anmerkungen zu der kürze–––––––— 341

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Vgl. de Vregille, Histoire (1960), S. 24f. mit Anm. 2. De Vregille bezeichnet an dort das gesamte Dossier in den Acta Sanctorum als eine Publikation jenes Manuskripts: „[…] la 3e partie, consacrée à S. Claude: Vitae, Miracula et Illustrationes Claudianae (dissertations éclairant les questions connexes) a été publiée par les Bollandistes, héritiers du manuscrit, dans Acta sanctorum, Jun. I, p. 644–708 (1695).“ Ein Teil des Manuskripts ist in der Bibliothèque royale erhalten (BRB Ms. 8287–90). Vgl. ebd., S. 25 Anm. 2; Van den Gheyn, Catalogue des manuscrits de la Bibliothèque royale de Belgique, Bd. 6: Histoire des ordres religieux et des églises particulières, Brüssel 1906, S. 110, Ms. 8287–90 (3760). Vgl. Henschen, De Sancto Claudio, AASS Iunii, Bd. 1, 1695, 6. Juni. D[aniel] P[apebrochius], Appendix. Designatio Operis, à Petro Franc. Chiffletio relicti, ebd., S. 646–648, hier S. 646a: „Hactenus Henschenius; post cujus obitum annis octo elapsis, accepi Parisiis, beneficio P. Joannis Harduini, quidquid undique ex vetustis monumentis collectum, vel proprio marte [!] elaboratum de Sanctis dimiserat Chiffletius, in Collegio Claromontano nostro Vita functus; atque in his ingens opus, cui, ante annos circiter sexaginta cœpto, Titulum denique hunc factum invenio: Sacrarium monasterii Jurensis Condatescensis […].“ Vgl. ebd., S. 646f. Vgl. Illustrationes Claudianæ. Petri Francisci Chiffletii S. I. opusculum postumum, ebd., S. 671–708. Vgl. Miraculorum liber II. A Petro Franc. Chiffletio ex monumentis MSS. collecta, ebd., S. 658–670. Vgl. Miraculorum liber I. Cum Vita breviore scriptus, ebd., S. 652–658. Diese erste Mirakelsammlung ist in der Tat mit der Vita brevior in dem Lektionar und Antiphonar des 13. Jahrhunderts enthalten. Vgl. de Vregille, Histoire (1960), S. 34. Vgl. dazu auch André Rodot, Une prestigieuse gerbe de miracles, in: Duhem/Gros/Ligier [u. a.] (Beitr.), Saint Claude (1960), S. 71–118, hier S. 71–74. Dieser Beitrag bietet eine französische Übersetzung der von Chifflet aufgezeichneten und in einem weiteren Exemplar in der Bibliothèque nationale in Paris erhaltenen Mirakelberichte, insoweit sie nicht oder in anderem Wortlaut in den Acta Sanctorum gedruckt worden waren. Vgl. ebd., S. 74–118.

595 ren Vita wiederum wurden mit „Annotata G. H. et D. P.“ 347 markiert, so dass eine teilweise Überarbeitung des Dossiers durch Papebroch in diesem Fall immerhin angedeutet wurde. Weshalb Papebroch diese Spiegelfechterei vonnöten zu sein schien, ist kaum zu sagen. Im Endeffekt stammten alle benutzten Materialien, einschließlich der damals schon gedruckten längeren Vita und ohne Zweifel auch das handschriftliche Breviarium der Diözese Besançon, aus dem Hause Chifflet. Vielleicht hatte man das Sacrarium unter der Bedingung erhalten, es selbstständig zu veröffentlichen und nicht für die Acta Sanctorum auszuschlachten. Vielleicht meinte Papebroch auch, dass es einen Eindruck größerer Eigenständigkeit hinterließe, wenn man darauf insistierte, Teile der herausgegebenen Schriften noch persönlich von Chifflet in Empfang genommen zu haben. Papebroch jedenfalls, so viel mag gewiss sein, konnte oder wollte Henschens Dossier weder vollständig revidieren noch es ganz und gar unverändert oder unkommentiert belassen. Bedarf zu einer substantielleren Modifikation von Henschens Diagnosen bestand durchaus, wie sich aus Chifflets Illustrationes Claudianae ersehen ließ. Henschen war, mit direkten Folgen für seine Datierung der Vita brevior, davon ausgegangen, dass der hl. Claudius in den Jahrzehnten um 500 gelebt habe. Zu dieser Einschätzung war er dadurch gelangt, dass der einzig bekannte Bischof von Besançon mit Namen Claudius unter den Subskribenten der – in ihrem Wortlaut 1629 von Sirmond herausgegebenen – Akten der Synoden von Yenne 517 und Lyon auftauchte. Henschen folgerte daraus, dass Claudius seit etwa 516 dieses Amt bekleidet habe. 348 Mit Hilfe dieses –––––––— 347 348

Vgl. Henschen, De Sancto Claudio, AASS Iunii, Bd. 1, 1695, 6. Juni. Vita brevior, ebd., S. 649a. Vgl. Commentarius praevius, ebd., S. 644a: „Huius calculi probatio habetur ex Concilio, Epaone sub S. Avito Episcopo Viennensi anno DXVII celebrato XV Septembris, cui subscripsit Claudius, in Christi nomine, Episcopus Ecclesiæ Vesontionensis. Eodem aut sequenti anno habitum est Concilium Lugdunense, cui etiam consensit, Claudius, in Christi nomine, Claudius Episcopus; […].“ Vgl. Concilivm Epaonense. Sigismvndi Bvrgvndionvm in Gallia Regis tempore celebratum XVII. Kalendas Octobris, Agapito V. C. Consule, id est anno Christi DXVII. Hormisdæ Papæ IV. Childeberti Regis VI., in: CONCILIA || ANTIQVA || GALLIAE || TRES IN TOMOS ORDINE DIGESTA. || Cum epistolis Pontificum, Principum constitutionibus, & aliis || Gallicanæ rei Ecclesiasticæ monimentis. || Quorum plurima vel integra, vel magna ex parte, nunc primùm in lucem exeunt. || Opera & studio IACOBI SIRMONDI Societatis IESV presbyteri. || TOMVS I. || LVTETIAE PARISIORUM. || Sumptibus SEBASTIANI CRAMOISY, via Iacobæa, sub Ciconiis. || M. DC. XXIX. || CVM PRIVILEGIO REGIS (Neudruck Aalen 1970), S. 194–201, hier S. 201: „SVBSCRIPTIONES EPISCOPORVM. || […] Claudius in Christi nomine Episcopus Ecclesiæ Vesontionensis relegi & subscribi, die & Consule suprascripto.“ Concilivm Lvgdvnense I. Synodvs, vel Constitvtio Sanctorvm Patrum, contra Stephanum, qui oblitus diuinas & humanas leges cognatæ suæ ausu nefario se sociauit, tempore Sigismundi eiusdem Regis, & Viuentioli Episcopi Lugdunensis, eodem, vt videtur, anno Christi DXVII., in: ebd., S. 202–204, hier S. 204: „SVBSCRIPTIONES EPISCOPO-

596 Bezugspunkts errechnete er aus den lebensgeschichtlichen Daten der Vita longior retrospektiv das Geburtsjahr des Heiligen. Im Alter von 20 Jahren habe er das Kanonikat erlangt. Nach weiteren 12 Jahren sei er zum Bischof gewählt worden. Folglich musste er etwa 484 geboren worden sein. 349 Prospektiv leitete Henschen aus dem angenommenen Jahr des Amtsantritts sowohl das Todesdatum als auch die Abfassungszeit der Vita brevior ab. Im siebten Jahr des Episkopats, also 523, sei er, nach dem Zeugnis der Vita longior, Mönch von St. Oyend und zur Zeit des Papstes Johannes, der von Henschen als Johannes I. (reg. 523–526) gedeutet wurde, wohl im Jahr 526 Abt desselben Klosters geworden. Nach weiteren 55 Jahren in diesem Amt, also 581, sei er verstorben. Da in der Vita brevior vermerkt worden war, dass seit dem Ableben des hl. Claudius 554 Jahre vergangen seien, datierte Henschen sie auf um 1135. Problematisch war an dieser Rechnung, dass in der Vita brevior der Beginn des Abbatiats, mit der einzigen ausdrücklich genannten Jahreszahl, für 626 angezeigt worden war, so dass Henschen diese Zahl als Irrtum bezeichnen musste, sollte seine Chronologie Bestand haben. Ferner war in der Vita longior dasselbe Jahr 626 als das Datum der Bestätigung der Wahl zum Bischof von Besançon präsentiert worden. Auch dies hatte Henschen als Fehler zu apostrophieren. 350 Dem schloss sich seine –––––––—

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RVM. || […] Claudius Episcopus in Christi nomine consensi.“ Vgl. die Nachweise: Concilium Epaonense. 517. Sept. 15., in: Concilia aevi Merovingici, hrsg. v. Friedrich Maassen (MGH LL sec. 3: Concilia 1), Hannover 1893 (Neudruck Hannover 1956), S. 17–30, hier S. 29; Concilium Lugdunense. 516–523, in: ebd., S. 31–34, hier S. 34. Vgl. Henschen, De Sancto Claudio, AASS Iunii, Bd. 1, 1695, 6. Juni. Commentarius praevius, ebd., S. 644b: „Floruit S. Claudius seculo potißimum sexto, natus circa annum CCCCLXXXIV: qui cum esset annorum ætatis viginti, in Canonicum Cathedralis Ecclesiæ Bisuntinæ receptus, circa annum DIV. Completis deinde annis duodecim, electus est in Episcopum circa annum DXVI.“ Vgl. Vita longior, ebd., S. 650a: „Factus autem ætatis (b) viginti annorum, & jam in divinis eruditus, ac in bonis operibus assuetus, militiam elegit Clericalem; petiitque humiliter, ac pro suis meritis obtinuit, se recipi in Canonicum Cathedralis Ecclesiæ Bisuntinensis.“ Ebd.: „Completis autem in hujusmodi sanctis operibus duodecim annis, […] electus est in Archiepiscopum Bisuntiensis Ecclesiæ […].“ Henschens Erläuterungen wiederholten im Kern die von ihm eingangs entwickelte Chronologie. Vgl. ebd., S. 651 Anm. b: „Circa annum 504.“ Vgl. Commentarius praevius, ebd., S. 645a: „Anno autem septimo sui Episcopatus, Christi DXXIII, in monasterium S. Eugendi fecessit, ubi creatus est Abbas, anno vicesimo sexto & quingentesimo (non sexcentesimo, uti per errorem exaratum est) S. Joanne Apostolicam Sedem tenente & approbatus est. Est is S. Ioannes, primus istius nominis Papa, dicto annum DXXVI Ravennæ vita functus […]. Expleto autem anno quinquagesimo quinto, à quo tempore Abbas electus est, migravit ad Dominum (ergo circa annum DLXXXI) & quingentis quinquaginta quatuor annis, miraculis assidue crebrescentibus, in ecclesia B. Eugendi requievit: ad annum scilicet MCXXXV, quo Vita brevior scripta videri potest […].“ Vgl. Vita longior, ebd., S. 650b: „Celebratis autem gratiarum actionibus, Canonici miserunt ad Romam Pontificem, pro obtinendo ipsius electionis canonicam confirmationem […]. […] ipsam approbavit, anno (c) sexcentesimo vicesimo-sexto Incarnationis Dominicæ.“ Dies war mit Hen-

597 Deutung der Nennung des Merowingers Chlodwig (II.) († 657) in der Vita longior an. Dieser war im Sinne von Henschens Chronologie nur als Verschreibung für Chlothar I. († 561) zu begreifen. In einer verzweiflungsvollen Fußnote haderte Henschen weniger mit dem mittelalterlichen Verfasser der Vita, als vielmehr mit der Tatsache, auf Abschriften und Drucke angewiesen zu sein: „Wenn doch nur das Blatt in alten Schreibungen beigebracht werden könnte! dann dürfte sich die Wahrheit der Sache zeigen.“ 351 Chifflets empirisch ungleich breiter fundierte Argumentation ist hier nicht im Detail wiederzugeben. Es genügt, darauf hinzuweisen, dass er den im früheren 6. Jahrhundert auf den Synoden von Yenne und Lyon anwesenden Bischof Claudius von Besançon 352 von dem gleichnamigen Abt von St. Oyend trennte, dessen Wirkungszeit er ausgehend von der Regentschaft Papst Johannes’ IV. (640–643) errechnete. 353 Daraus ergab sich für Chifflet, dass der hl. Claudius 603 geboren und 703 verstorben war. 354 Papebroch –––––––—

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schens Chronologie insgesamt kaum mehr zu vereinbaren. Ebd., S. 651 Anm. c: „Circa annum 516. Intrusi anni 626 supra referuntur ad electionem in Abbatem, & ostendimus reponendum annum 526.“ In dieser Vita folgte jedoch erst jetzt der Entschluss, das Amt des Bischofs niederzulegen. Ebd., S. 650b: „Anno autem septimo sui Episcopatus, divino amore totus accensus, totis præcordiis delicias pompasque hujus seculi funditus volens relinquere, & Domino fonti vivo plenius vacare; cunctis strenue depositis, civitatem suam cum dignitate reliquit, & in monasterio S. Eugendi […] devenit; […].“ Ebd., S. 651a: „Sanctus vero (g) Joannes, sanctæ Sedis Apostolicæ apicem tenens, qui prædictum Sanctum optime noverat, eisdem Fratribus ac monasterio beatissimum virum concessit in Pastorem […].“ Ebd., S. 651b Anm. g: „Hunc esse S. Ioannem I Papam, anno 524 [!] Ravennæ mortuum, supra diximus.“ Dies war wohl, wie aus der vorangegangenen Anmerkung deutlich wird, ein Setzfehler oder eine Verschreibung. Vgl. Vita brevior, ebd., S. 648b: „[…] virum omni virtute probatum, Pastorem & Patrem spiritualem, […] sibi præfecerunt anno (e) sexcentesimo vicesimo sexto ab incarnatione Domini, Sancto Johanne Apostolicam sedem tenenti: […]. […] in ecclesiâ B. Eugendi quingentis quinquaginta quatuor annis, miraculis assiduè crebrescentibus requievit.“ Vgl. ebd., S. 649 Anm. e: „Imo quingentesimo vicesimo sexto. Nam anno 626, non fuit S. Joannes Papa, sed Honorius I, cui succeßit Severinus, & huic Ioannes IV creatus anno 640 exeunte, ad quem aliqui confugiunt.“ Vgl. Vita longior, ebd., S. 651a: „[…] sic incipientem (h): Chlodoveus Francorum Rex, omnibus præsentem paginam […].“ Ebd., S. 651 Anm. h: „Imo Chlotharium fuisse, Chlodovei primi filium, temporis ratio postulat. Vtinam exhiberetur charta antiquis characteribus! tum veritas rei appareret.“ Vgl. Chifflet, Illustrationes Claudianæ, ebd., S. 684b: „Claudius subscribit Concilio Epaonensi, Agapito Consule, anno DXVII: & alteri Lugdunensi, […].“ Vgl. ebd., S. 691b: „Claudius II, prius Iurensis Abbas quam Episcopus: […]. […] mortuo injurioso Abbati successorem electum, & Joannis Papæ IV auctoritate confirmatum.“ Vgl. ebd.: „Natus est anno Christi DCIII. Factus est Canonicus in Metropolitanâ Ecclesiâ Bisontinâ anno DCXXIII, […].“ Ebd., S. 692a marginal: „& obierit an. 703.“ Im Fließtext befindet sich an dieser Stelle wahrscheinlich ein Druckfehler: „[…] adeoque obierit anno DCCC: […].“ Vgl. zu Chifflets und Henschens Datierung de Vregille, Histoire (1960), S. 24f. Chifflets Bruder Jean-Jacques hatte in der Vesontio von 1618 eine ähnliche Zeitfolge vorgeschlagen. Sie stützte sich auf das explizit genannte

598 fasste in seinen Einlassungen die Lesarten Henschens und Chifflets zusammen. Er stellte sie, von ihm unverändert, wie er sagte, dem Urteil der Leserinnen und Leser anheim. 355 Für die Problematik, durch die sich die chronologischen Überlegungen der frühneuzeitlichen Gelehrten entscheidend verkomplizierte, dass kein Bischof von Besançon mit Namen Claudius im 7. Jahrhundert nachzuweisen ist, fand erst de Vregille 1960 eine befriedigende Lösung. Er vermutete, dass der hl. Claudius von St. Oyend nicht als Diözesan-, sondern als Abtbischof zu bewerten sei, der wohl zwischen 648/57 und 703/13 das Abbatiat von St. Oyend innehatte. 356 Neben diesen von Louis Jacob kommunizierten Viten aus dem „Brevier“ von Autun zählen auch die von ihm stammenden Stücke aus den beiden „Breviarien“ der Abtei Flavigny-sur-Ozerain zur Geschichte der in den Acta Sanctorum ungedruckten Schriften. In ihnen sind beispielsweise zwei dem heiligen Bischof von Clermont Praeiectus († 676) gewidmete Hymnen „ad vesperas“ und „ad matutinum“ enthalten, zwei kürzere Viten, einschließlich einer oratio, sowie eine Gründungsgeschichte der Abtei. 357 Neben dem –––––––—

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Jahr 626 als den Beginn des Episkopats des hl. Claudius. Jean-Jacques war damit zu dem Ergebnis gelangt, dass Claudius 594 geboren und 695/96 verstorben sei. Vgl. ebd., S. 24. Henschen, De Sancto Claudio, AASS Iunii, Bd. 1, 1695, 6. Juni. Papebroch, Appendix, ebd., S. 648a: „De quibus ut porro per se judicet Lector, nihil vel in Henschenio vel in Chiffletio muto; sed utriusque propono, ut accepi, sententiam vel verba.“ Vgl. de Vregille, Histoire (1960), S. 67. Vgl. Hymnj de sancto præiecto. Ex alio Breuiario ms. Flauiniacensi, BRB, Coll. boll. Ms. 8004–17 (3452), fol. 16v–17r: „Ad vesperas || Ave martyr o præiecte || tuorum pater pie || […] || […] per omnia sit sæcula || sæculorum gloria Amen. || Ad matutinum || 1. || Triumphalis laus emicat || […].“ Vita sancti præiecti. Ex Breuiario Flauiniacensi desumpta, ebd., fol. 17r–18v. Inc.: „Superna charitas christi cuius alternantur nutu sidera die pariter atque nocte, non desistit suæ sanctæ Ecclesiæ, per suorum famulorum merita, virtutum incrementa monstrare […].“ Expl.: „[…], quod cum fuisset Jmpletum Jnuenerunt hominem Jta sanum, ac si nullius fuisset casus ruinâ præuentus, Et quia præiecti opera placerent Altissimo, testabatur ostensa virtus in homine liberato. Finis.“ Oratio ad sanctum præiectum, ebd., fol. 18v–19r: „Martyris tui præiecti nos quæsumus domine, Jnteruentio gloriosa commendet: vt quod nostris artibus non meremur. Eius præcibus consequamur per d[omi]num & Chr[istum] Amen.“ Alia vita eiusdem. Ex eodem Breuiario, ebd., fol. 19r–20v. Inc.: „Jgitur sanctus præiectus Aruernensium prouincia ortus Romani generis stemate fulsit. Jllius pater Gundolenus, mater veró Elisia vocitata est qui originem duxére ex longinqua prosapia, […].“ Expl.: „[…] orat dominum qui cunctorum dator est vt Ei foenus quod cæteris tribuat largiatur. Gundobertum vocat paucos nummos defferi iubet at ubi nummorum paucitatem mirum in modum miraculum factum ¢…² tantum inibi Dominus fudit pecuniam, quanta pro foribus pauperum stabat caterva. Finis.“ Fundatio monasterii Flauiniacensis. Ex Eodem Breuiario, ebd., fol. 20v–22v. Inc.: „Egregiam sanctorum memoriam pro christo agenisantium […].“ Expl.: „[…] locatur Reuerenter vnde Jnde petentibus celsis eius meritis multimoda Effluxerunt signorum beneficia. Finis.“ Die Alia vita entspricht einem Segment aus der etwas rarer überlieferten, von Krusch als Redaktion A klassifizierten Version der Vita. Vgl. Passio Praeiecti episcopi et martyris Arverni, hrsg. v. Bruno Krusch, in: MGH SS rer. Merov., Bd. 5, ed. Krusch/Levison (1910), S. 225–248, hier c. 1, S. 226: „Igitur sanctus Preiectus

599 Schattendasein, das Louis Jacobs Sammlung in den Beständen der Bollandisten insgesamt fristete, mag in diesem Fall eine Rolle gespielt haben, dass diese Schriften zu spät nach Antwerpen gelangt waren, um im Dossier des hl. Praeiectus im zweiten Januarband berücksichtigt werden zu können. Bolland oder Henschen erwähnten dort summarisch einige andere „Breviarien“, um die Verehrung des Heiligen in der liturgischen Praxis zu illustrieren. 358 In der Ökonomie der Dossiers leisteten Teile der Liturgica also Ähnliches wie die neben ihnen beigebrachten Einträge aus historischen oder zeitgenössischen Martyrologien. Selbst, wenn sie in den einleitenden Kommentaren genannt oder als verwendet qualifiziert wurden, bedeutete dies nicht notwendig, dass die zu erstellenden Ausgaben durch sie in nennenswerter Weise beeinflusst worden wären. Während es bestreitbar ist, dass Bolland zu Beginn seiner Arbeit keine genaue Vorstellung von der Masse der Heiligen und der Breite der hagiographischen Tradition besessen haben soll, beginnt sich hingegen aus dem Umgang mit den der liturgischen Schriftlichkeit entstammenden Texten abzuzeichnen, dass man eher die relative Homogenität und Stabilität großer Teile der in unterschiedlichen Zusammenhängen bedeutsamen Vitenliteratur unterschätzt hatte. In Antwerpen fanden sich im Laufe der Zeit weit mehr Texte und Textpartikel ähnlicher Art ein, die sich auf ein und denselben Heiligen bezogen, als es Bolland und Henschen wahrscheinlich lieb gewesen war. Nicht alles davon konnte oder sollte verwendet werden. Außergewöhnlich innerhalb des von Abschriften dominierten Spektrums der Collectanea bollandiana ist ein 23 Folien umfassendes Fragment eines zweispaltigen Breviers, das vielleicht im 15. Jahrhundert entstanden sein könnte. An zwei Stellen trägt es den Vermerk, dass es sich um den Besitz eines Kanonikers des Kollegiatstifts St. Vulfram in Abbeville mit Namen Jean de Boulenois, handelte. 359 Wann und wie das unbequem zu lesende –––––––—

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Arvernensium provincia ortus est Romane generis stemate praefulsit. Huius pater Gundolenus, […].“ Ebd., c. 6, S. 229: „[…] orat Dominum, qui cunctorum dator est, ut ei, quod ceteris fenore tribuat, largiatur. Gundobertum vocat, paucos nummos defferi iubet. At ubi ipse nummorum requirit paucitatem, mirum in modum miraculi factum: tantum inibi Dominus fudit pecuniam, quanta pauperum pro foribus stabat caterva. || Quod in advenientum […].“ Die zweite Vita aus Flavigny (Vita sancti præiecti) hingegen zeichnet sich durch den – von Krusch gesondert abgedruckten – für die Redaktion B charakteristischen Prolog aus. Vgl. ebd., S. 223: „Superna caritas Christi, cuius alternantur nutu sydera die pariter atque nocte, […].“ Vgl. De Sanctis Martyribvs Præiecto Episcopo, Amarino, sive Marino Abbate, et Elicio, Clarmonte Arvernorvm in Gallia, in: AASS Ianuarii, Bd. 2, 1643, 25. Jan., S. 628–636. [Einleitung], ebd., S. 628–630, hier S. 629a: „Magnâ iam olim in veneratione fuit S. Præiectus, vt in plurimis Gallicanis Breuiariis, etiam Belgicis veteribus, Bruxellensi, Cameracensi, Brugensi, aliisq[ue], Herbipolensi in Germaniâ, Sarisburiensi in Angliâ, illius fiat hoc die in diuino officio commemoratio: […].“ Vgl. BRB, Coll. boll. Ms. 8004–17 (3452), fol. 137v–159r, hier fol. 138r: „A Em[inentissim]e Jean de Boulenois. Principal du College de la ville d’Abbeuille. Au

600 Fragment, dessen Textbestand von zahlreichen Kürzungszeichen geprägt ist, nach Antwerpen gelangt ist, ist ungeklärt. Auf den Rand des zweiten Blattes hatte Papebroch ein grobes Inventar geschrieben. 360 Die Bollandisten registrierten in erster Linie die Einträge zum heiligen Bischof von Sens Vulframnus († um 696/97?, vor 704), dessen Leib seit 1027 in der Kollegiatkirche von Abbeville ruhte. 361 Im Sinne eines Lesezeichens exponierte Papebroch marginal die Sequenzen, die diesem Heiligen galten, nach seiner Lesart ein Officium, die Texte zur Feier seiner Reliquien und ihrer Translation sowie einige Mirakelberichte. 362 In dem 1668 publizierten Dossier dieses Heiligen wurde die Handschrift aus Abbeville zusammen mit sechs anderen Viten im Commentarius praevius allein namentlich genannt. All diese Viten seien, wie angezeigt wurde, zwar durchaus „vor einigen hundert Jahren“ geschrieben worden. Sie seien allerdings mit der bereits von Surius veröffentlichten und durchaus von Irrtümern geprägten Vita mehr oder minder deckungsgleich. 363 Gedruckt wurde in den Acta Sancto–––––––—

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conté de Pontieu en Picardie.“ Von derselben Hand, die nicht von den Bollandisten stammt, trägt das Manuskript ebd., fol. 156vb, den Vermerk: „Ex bibliotheca Joannis de Boulenois Abbauilla[n]i, ecclesiæ Collegiatæ D[o]m[in]o VVlfranno Sacræ Canonici, et apud Abbauilla[n]os Gymnasiarchæ.“ Der Bestand ist nicht erfasst. Van den Gheyn, Catalogue, Bd. 5 (1905), S. 442, Ms. 8004–17 (3452), Nr. 31, katalogisierte die Handschrift pauschal als: „Fragment d’un bréviaire, à l’usage de la collégiale de S. Vulfran à Abbeville“. Jean de Boulenois scheint, nach hier nicht eingehender geprüften (touristischen) Informationen, am 14. August 1643 die Bibliothek von Abbeville ins Leben gerufen zu haben. Vgl. URL: !http://www.ville-abbeville.fr/TOURISME/histo3.html (30. 06. 2008). Vgl. BRB, Coll. boll. Ms. 8004–17 (3452), fol. 137rb marginal rechts: „1 De natali D[omi]ni || 2 Jo[a]n[nis] Ep[iscop]i Sabinensis quondam Decani Amlian. [!] expositio Cantici Canticorum approbat. a.o 1230. || […].“ Vgl. ebd., fol. 139va: „Sequit[ur] expo[sitio] Joh[ann]is ep[iscop]i sabinensis quo[n]dam decani ambia[n]is sup[er] cantica cantico[rum] a sacrosancta romana Eccl[es]ia app[ro]bata Anno do[mi]ni millesimo ducentesimo tricesimo Cantica ca[n]tico[rum].“ Die Expositio in Cantica Canticorum war von Johannes Halgrin von Abbeville († 1237), der seit 1216 Dekan von Amiens, 1225 Erzbischof von Besançon und 1227 Kardinalbischof von Sabina war, verfasst worden. Die Handschrift enthält unter anderem Texte zum Fest des hl. Willibrord, BRB, Coll. boll. Ms. 8004–17 (3452), fol. 151vb–152rb, und des hl. Maximus von Reji († vor 462), ebd., fol. 152rb–va, um hier nur sie zu nennen. Vgl. zur Person Rainer Berndt, Art. Johannes von Abbeville, in: LThK, Bd. 5, 31996, Sp. 877. Vgl. Guy Devailly, Art. Wulframnus, in: LexMA, Bd. 9, 1998, Sp. 347; zur Überlieferung John Howe, The Hagiography of Saint-Wandrille (Fontenelle) (Province of Haute-Normandie) (SHG VIII), in: L’hagiographie du haut moyen âge en Gaule du Nord. Manuscrits, textes et centres de production, hrsg. v. Martin Heinzelmann (Beih. d. Francia 52), Stuttgart 2001, S. 127–192, hier S. 154–161. Vgl. BRB, Coll. boll. Ms. 8004–17 (3452), fol. 144va–vb, 148ra–rb, 149ra–150va (?), 151ra–vb, 153ra–156vb. Der Beginn der jeweiligen Abschnitte wurde von Papebroch marginal mit dem Lexem: „Wulfranni“, oder ähnlichen Bemerkungen markiert. Vgl. De S. Vvlfranno Ep. Senonensi Fontanellæ et Abbavillæ in Gallia, in: AASS Martii, Bd. 3, 1668, 20. März, S. 143–165. Commentarius præuius, ebd., S. 143–145, hier S. 143b: „Proinde diligenter inquisiuimus aliquam Vitam hisce fœdis erroribus

601 rum dagegen eine kürzere Vita, die man – „Ex antiquo MS. Antuerpiensi“ – wohl jenem Legendar des 12. Jahrhunderts entnommen hatte, das der gelehrte Den Haager Jurist Cornelius Duyn bereits an Rosweyde ausgehändigt hatte. 364 Auf aus heutiger Sicht nicht zutreffende Weise betrachteten die Bollandisten sie, ähnlich wie im Fall der Vita brevior des hl. Claudius, im Vergleich mit den umfangreicheren und von ihnen mit Surius’ Ausgabe assoziierten Fassungen als älter, ohne dass sie sich jedoch auf ein Datum festlegen wollten. 365 Den Wortbestand des Fragments aus Abbeville hatte man dabei nur peripher zur Kenntnis genommen. Dies zeigt sich einerseits daran, dass die in ihm aufgehobene Vita Vulframni eine Version genau dieser kürzeren Fassung darzustellen scheint, ohne dass es von Henschen oder Papebroch erkannt und diskutiert worden wäre. 366 Andererseits wurde die vermeintliche Verwendung unter anderem der Handschrift aus Abbeville in einem als „Appendix“ apostrophierten Auszug aus der „längeren“ Vita angezeigt, der sich inhaltlich mit der Missionierung der Friesen durch den –––––––—

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non infartam: & quam Surius edidit, paßim extare in codicibus MSS. etiam ante aliquot centenos annos conscriptis, deprehendimus, habemusque illam eamdem ex MSS. Bertiniano, Thosano, Abbatisuillano, alias duas in membranis nostris, item alias ex MSS. Acincti monasterij, & Vallis-Lucensis è Burgundiâ transmissas.“ Vgl. Vita. Auctore Ionâ monacho Fontanellensi. Ex antiquo MS. Antuerpiensi, ebd., S. 145f.; vgl. dazu Wilhelm Levison, [Einleitung], Vita Vulframni episcopi Senonici, hrsg. v. dems., in: MGH SS rer. Merov., Bd. 5, ed. Krusch/Levison (1910), S. 657– 661. Dieses Legendar enthält neben der kürzeren, in acht lectiones untergliederten Vita auch eine längere. Von Levison wurden beide Viten unter Codex 2d geführt. Vgl. ebd., S. 660. Howe, Hagiography (2001), S. 156, spricht von dieser – heute unter den allgemeinen Hagiographica und Liturgica der Bibliothèque royale katalogisierten – Handschrift BRB 8690–8702 als „proximate source“ für die kürzere Vita „Ex antiquo MS. Antuerpiensi“. Duyn war im März 1607 mit Rosweyde in Kontakt getreten. Vgl. Maurice Coens, Les manuscrits de Corneille Duyn donnés jadis à Héribert Rosweyde et conservés actuellement à Bruxelles, in: Anal. Boll. 77 (1959), S. 108–134, hier S. 110f. Vgl. De S. Vvlfranno, AASS Martii, Bd. 3, 1668, 20. März. Commentarius praevius, ebd., S. 144a: „[…] Vitæ breviori, quam arbitramur maioris esse in antiquitate valoris.“ Vgl. Vita. Auctore Ionâ, ebd., S. 145. Inc.: „Beatus igitur Vulfrannus Senonum Pontifex, exordium Natiuitatis territorio Vastinensi habuit, patrimonio nuncupato Mauriliaco: fuit carnis origine nobilis, sed culmine mentis nobilior: Genitor quoque eius Vulbertus nomine, in aulâ Regis Dagoberti & filij eius Lodouei militari operi eum impendit. Prædictus verò Dei famulus in puerili ætate, constitutus, ab ipso Magistris Catholicis traditus est […].“ Vgl. BRB, Coll. boll. Ms. 8004–17 (3452), fol. 149rb, anlässlich des Fests der Translation: „[…] lectio prima || BEatus igit[ur] vulfra[m]n[us] senonu[m] pontifex, exordiu[m] natiuitatis territorio Vastine[n]so habuit, patri[m]onio nu[n]cupato mauriliaco fuit eius carnis origine nobilis: sed culmi[n]e me[n]tis nobilior. Genitor q[u]oq[ue] eius VVilbertus no[m]i[n]e, i[n] aula regis dagoberti et filij ei[us] ludouici militari op[er]i eum i[m]pendit. || R[esponsoriu]m […]. […] lectio ija || Predictus vero dei famulus i[n] puerili etate, c[on]stitutus, ab ip[s]o m[a]g[ist]ris catholicis traditus est […].“ Diese Vita erstreckt sich mindestens bis zur „l[e]c[tio] 8ua“, ebd., fol. 149rb, und scheint mit einer „Oratio“ zu schließen, ebd., fol. 150ra.

602 hl. Vulframnus und mit der Weigerung des Herzogs Radbod († 719), sich taufen zu lassen, beschäftigte. Dieses Segment sei aus den besagten sieben Handschriften – „Ex VII MSS.“ – hervorgegangen. Man habe es, wie in einer von insgesamt zwei Anmerkungen postuliert wurde, aus der „längeren“ Lebensbeschreibung extrahiert, da in ihr „alle Altertümer Belgiens“ übereinstimmten. 367 Insbesondere aber handele es sich um eine Episode, die von der „kürzeren“ Vita nicht abgedeckt werde.368 Realiter boten die Bollandisten allerdings eine leicht modifizierte Reproduktion eines Ausschnitts aus der von Surius gedruckten Vita Vulframni, die von Surius gewählte Gliederung der Absätze eingeschlossen. 369 Auf Varianten hatten die Bollandisten verzichtet. Die kürzere Vita aus der Handschrift Abbeville hätte al–––––––— 367

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Vgl. De S. Vvlfranno, AASS Martii, Bd. 3, 1668, 20. März. Appendix (a). De obitu Radbodi Ducis Frisiorum. Ex VII MSS., ebd., S. 14[6] [fehlerhafte Paginierung]–148, hier S. 148a Anm. a: „Hanc damus ex Vitâ longiore, & huic historia consentiunt antiquitates omnes Belgicæ.“ Vgl. Commentarius præuius, ebd., S. 144a: „In qua tamen [der Vita brevior] veremur, ne aliqua in Frisiâ gesta, ibi octo Lectiones in Matutino recitandæ aptarentur, sint omissa, quæ seorsim ex longioribus Actis adiungimus.“ Vgl. Appendix. De obitu Radbodi, ebd., S. 14[6]b–147a. Inc.: „Præfatus autem Princeps Rathbodus cùm ad percipiendum baptisma imbueretur, percunctabatur à sancto Episcopo Vulfranno, iuramentis eum per nomen Domini adstringens, vbi maior esset numerus Regum & Principum seu nobilium Gentis Fresionum, in illâ videlicet cælesti regione, quam si crederet & baptizaretur percepturum se promittebat: an in eâ, quam […].“ Ebd., S. 147b. Expl.: „Percrebuitque hoc stupendum & anteà inauditum miraculum apud incolas gentis Fresionum, atq[ue] ex hoc facto plurima ex eis multitudo conuersa est ad Dominum, Mortuus est autem infeliciter præfatus dux Radbodus anno Domini Dei nostri Iesu Christi, in quem ipse credere contempsit, septingentesimo nono decimo, qui erat annus sextus inclyti Principis Caroli.“ Vgl. Vita S. Vvlfranni Senonensis Archiepiscopi, avthore Iona monacho Fontanellensi, in: Surius, Vitae Sanctorum, 3. Ausg. [ed. Garnefeld], Bd. 2,1, 1618, 20. März, S. 210– 214, hier S. 212f.: „Præfatvs autem princeps Radbodus, cum ad percipiendum baptisma imbueretur, percontabatur à sancto episcopo Vulfranno, iuramentis eum per nomen Domini adstringens, vbi esset maior numerus regum & principum seu nobilium gentis Frisonum, in illa videlicet cælesti regione, quam, si crederet & baptizaretur, percepturum se promittebat: an in ea, quam […].“ Ebd., S. 213: „Percrebuitque hoc stupendum miraculum apud incolas gentis Frisonum, atque ex hoc facto plurima gentis multitudo conuersa est ad Dominum. Mortuus est autem infeliciter præfatus dux Radbodus, anno Domini Dei nostri Iesu Christi, in quem ipse credere contempsit, 719. qui erat annus septimus inclyti principis Caroli.“ Vgl. die moderne Ausgabe der Vita Vulframni episcopi Senonici, hrsg. v. Wilhelm Levison, in: MGH SS rer. Merov., Bd. 5, ed. Krusch/Levison (1910), S. 661–673, hier S. 668: „Praefatus autem princeps Rathbodus, cum ad percipiendum baptisma imbueretur, percunctabatur a sancto episcopo Vulframno, iuramentis eum per nomen Domini astringens, ubi maior esset numerus regum et principum seu nobilium gentis Fresionum, in illa videlicet caelesti regione, quam, si crederet et baptizaretur, percepturum se promittebat, an in ea, quam […].“ Ebd., S. 670: „Percrebuitque hoc stupendum et antea inauditum miraculum apud incolas gentis Fresionum, atque ex hoc facto plurima ex eis multitudo conversa est ad Dominum. Mortuus est autem infeliciter praefatus dux Rathbodus anno domini Dei nostri Iesu Christi, in quem ipse credere contempsit, DCCXVIIII, qui erat annus VI. incliti principis Karoli.“

603 lein deswegen nicht als Vorlage für den „Appendix“ dienen können, weil in ihr diese Episode nicht geschildert worden war. 370 John Howe vermutete vor kurzem, dass es die außergewöhnlichen Anachronismen der Vita gewesen seien, die die Bollandisten davon abgehalten hätten, die längere Vita gesamtheitlich zu publizieren. 371 Auf den ersten Blick scheint diese These nur relative Plausibilität zu besitzen. In der Literatur der Moderne verkörpert die Episode um Radbod, im Verbund mit seinem in der Vita ausdrücklich genannten Todesjahr 719, exemplarisch die chronologischen Unwägbarkeiten der „längeren“ Vita. 372 Weshalb hätten die Bollandisten gerade diese Episode auswählen sollen, wenn sie bestrebt waren, problematische Sequenzen zu vermeiden? Gemessen am zeitgenössischen Kenntnishorizont allerdings ist Howes These wahrscheinlich zutreffend. Die Bollandisten gingen davon aus, dass der Tod den hl. Vulframnus nicht an der Wende zum 8. Jahrhundert, sondern erst im Jahr 741 ereilt habe. 373 Daher mochte ihnen diese Episode als vergleichsweise verlässlich und das Datum als ein wichtiger Bezugspunkt erschienen sein, um die Lebenszeit des Heiligen zu bestimmen. Eine weitere in den Collectanea bollandiana erhaltene Abschrift der Vita Vulframni kommt nun in der Tat mit der von Surius veröffentlichten längeren Vita zur Deckung. Mit der Provenienz „Ex MSS. Accincti monasterij, & Vallis Lucensis è Burgundiâ“ 374 war sie ihrerseits in jenen sieben Handschriften aufgegangen. Wie das Fragment aus Abbeville trug auch sie eher zur nominellen als zur investigativen Stärkung der Autorität dieses Dossiers bei. Sie war am 1. April 1659 in Antwerpen eingetroffen und ging auf die Bestände Chifflets zurück. Chifflet hatte Henschen gegenüber kurz zuvor, am 29. Januar 1659, auf zahlreiche den März betreffende Viten in seinem Besitz verwiesen. Sie weilten gegenwärtig, so Chifflet, bei Labbé in Paris, wo dieser sie für die Arbeit an seiner Nova bibliotheca manuscriptorum –––––––— 370

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Ihr Wortbestand befindet sich folglich näher an der kürzeren Version aus Duyns Legendar, in der die Mission der Friesen in allgemeinerer Form behandelt wird. Vgl. BRB, Coll. boll. Ms. 8004–17 (3452), fol. 149va: „Predicante e[ni]m beato Vulfran[n]o et docente p[o]p[u]l[u]m fresionu[m] co[n]tigit quada[m] die pueru[m] […].“ De S. Vvlfranno, AASS Martii, Bd. 3, 1668, 20. März. Vita. Auctore Ionâ, ebd., S. 14[6]a: „Prædicante autem sancto Pontifice in populo, contigit die quadam puerum […].“ Für diese Version der Vita also und nicht für jene, die von Surius publiziert worden war, hätten die Bollandisten die Handschrift aus Abbeville als Variante bemühen können. Vgl. Howe, Hagiography (2001), S. 157. Vgl. A. Legris, Les Vies interpolées des saints de Fontenelle, in: Anal. Boll. 17 (1898), S. 264–306, hier S. 287; Howe, Hagiography (2001), S. 158. Vgl. De S. Vvlfranno, AASS Martii, Bd. 3, 1668, 20. März. Commentarius præuius, ebd., S. 145a: „[…] ad annum vsque DCCXLI vixit, ferè nonagenarius vitam hanc mortalem reliquit, […].“ Vgl. ebd., S. 143b.

604 librorum benutzte. 375 Henschen scheint sich unmittelbar danach an Labbé gewandt zu haben, der die Vita Vulframni und andere Viten hierauf nicht Chifflet zurückerstattete, sondern sie direkt an die Bollandisten weiterreichte. Sie trafen am 1. April 1659 in Antwerpen ein. 376 In der Nova bibliotheca wurde sie nicht genannt. 377 Die Vita Vulframni stammte aus einer von Chifflet sehr häufig genutzten Quelle, aus einem heute offenbar verlorenen Legendar des 12. Jahrhunderts aus der Zisterzienserabtei Notre-Dame d’Acey. Auf dieses Legendar pflegte er mit Hilfe eines „Religiosus“ mit Namen Jean Jacquelin zurückzugreifen. 378 Die Abschrift der Vita Vulframni in den Collectanea bollandiana rührte zu rund zwei Dritteln aus dieser Handschrift her. Das letzte Drittel war – in einer anderen Hand – aus hagiographischen Beständen des Zisterzienserklosters Vauluisant ergänzt worden. Gemessen an der Ausgabe Levisons ist diese zweiteilige Kopie zwar nicht ganz vollständig. Sie repräsentiert jedoch eine mit Levisons Leithandschriften weithin deckungsgleiche –––––––— 375

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Vgl. Chifflet à Henschen, Dijon, 26 janvier 1659, in: Joassart (Hrsg.), Chifflet (2005), Nr. 34, S. 168–170, hier S. 169: „[…] S. Ermenlandi abbatis 25. || Sae Gertrudis 17. || S. VVlfranni episcopi Senonensis 20. || Sed hae, inter alias fere nonaginta, iampridem a me transmissae sunt ad Reverendum Patrem Philippum Labbeum, inserendae tomis aliquibus Bibliothecae Manuscriptorum, […].“ Vgl. Vita Sancti Vulfranni Archiepiscopi, BRB, Coll. boll. Ms. 8228 (3459), fol. 329r–333v, hier fol. 329v, am oberen rechten Rand in der Hand desjenigen, der die Vita transkribiert hatte: „Ex ms. Accincti monast. et Vallis Lucensis. V. L.“ Direkt darunter hatte Henschen notiert: „Accepimus 1 April. 1659 à P. Pet. Franc. Chiffletio per P. Phil. Labbé“. Identische Notizen trägt die Abschrift der Vita Sancti Albini Episcopi Andegauensis cuius transitus celebratur Cal. Martij, ebd., fol. 72r–81v, hier fol. 72r. Unterhalb des Vermerks: „Ex MS. Vallis Lucentis ord. Cist. dist. Senon. Et ex alio MS. Accincti monasterij“, hatte Henschen notiert: „Accepimus 1 April. 1659 à P. Pet. Franc. Chiffletio per P. Phil. Labbé.“ Der Name Chifflets wurde von Labbé, Nova bibliotheca, 1653, S. 6, nur an einer Stelle und in einem anderen Zusammenhang genannt: „Chronicon Bezuense IOANNIS Monachi extat in codice 696. Bibliothecæ Regiæ hactenus ineditum: sed quia accepimus R. P. Petrum Franciscum Chiffletium Societatis nostræ Theologum de eo post Benigniamum Diuionense Chronicon publicando cogitare, ab vtroque supersedebimus.“ Vgl. Maurice Coens, Analyse du légendier perdu de l’abbaye d’Acey, près de Besançon, d’après les archives bollandiennes, in: Anal. Boll. 79 (1961), S. 361–388, hier S. 362, 376. Der „Religiosus“ Jacquelin hat ein am 4. März 1622 vollendetes und bis heute erhaltenes Inventar dieses Legendars angefertigt. Vgl. ebd., S. 365. Vgl. zur Person auch Joassart, Introduction, in: ders. (Hrsg.), Chifflet (2005), S. 7–47, hier S. 12. Auf den Viten, die zuvor im Besitz Chifflets gewesen waren, findet sich der Name Jacquelins bisweilen ausdrücklich erwähnt. Vgl. Vita Sanctorum confessorum et episcoporum Eucharij Valerij atq[ue] Materni, BRB, Coll. boll. Ms. 8228 (3459), fol. 9r–13v, hier fol. 13v: „Ex originali membraneo codice manuscripto colligebat Fr. Joannes Jaquelinus Accincti coenobij Religiosus ordine Cisterciensis Octauo idus Decembris anno 1647.“ Die Abschrift dieser Vita stammte von derselben Hand wie der in Acey kopierte Teil der Vita Vulframni.

605 Version. 379 Von Levsion wurde sie summarisch unter den „sonstigen“ Überlieferungsträgern verzeichnet, die er für die von ihm erstellte Edition der Vita nicht benutzt hatte. Der Name Abbeville wiederum fiel nur im Zuge der Reproduktion der Namen jener Handschriften, die von den Bollandisten –––––––— 379

Vgl. Vita Sancti Vulfranni, BRB, Coll. boll. Ms. 8228 (3459), fol. 329v. Inc. Prolog.: „Incipit praefatio in vita Sancti Vulfranni Archiepiscopi || Reverentissimo atq[ue] sanctissimo Præsuli vrbis Taruennae, Abbatiq[ue] coenobij Fontanellae a Baino, vltimus seruorum ¢…² ¢supralinear: Christi² seruus Jonas. || Jubet Apostolatus vestri celsitudo, vt almi Patris Vulfranni, Senonum Archiepiscopi, meo studeam stylo condere Vitam: qui tempore […].“ Expl. Prolog./Inc. Vita: „[…], eum effuderit, vacuari. Explicit praefatio || Jncipit Vita Sancti Vulfranni Archiepiscopi – cuius transitus colitur XIII Kalendas Aprilis || Beatus igitur Vulfrannus Senonum Pontifex exordium […].“ Weshalb diese Passage ausgestrichen worden ist, ist kaum zu sagen. Möglicherweise betrachteten die Bollandisten sie irrtümlich als Ergänzung des Transkribenten. Vgl. Vita Vulframni, ed. Levison (MGH SS rer. Merov. 5) (1910), S. 661. Inc. Prolog.: „Sacerdotis domini Vulframni in hoc codice continetur vita […]. || Incipit praefatio. || Reverentissimo atque sanctissimo praesuli urbis Tarvennae abbatique coenobii Fontanellae Baino ultimus servorum Christi servus Ionas. || Iubet Apostolatus vestri celsitudo, ut almi patris Vulframni Senonum archiepiscopi meo studeam stilo condere Vitam. Qui tempore […].“ Ebd., S. 662, Expl. Prolog./Inc. Vita: „[…] eum effuderit, vacuari. || Explicit praefatio. || Incipit vita sancti Vulframni pontificis senonicae urbis. || Beatus igitur Vulframnus Senonum pontifex exordium […].“ Der Verweis auf den Festtag des Heiligen, seine Bezeichnung als Erzbischof und die Abstraktion von dem Attribut „Senonum“ im Rahmen der von den Bollandisten gestrichenen Sentenz entspricht dem Textbestand von Levisons Codices 1b (Montpellier) und 1c (Auxerre) aus dem späteren 12. und 13. Jahrhundert. Vgl. ebd., ad c. 1, Anm. b. Die Vita Sancti Vulfranni, BRB, Coll. boll. Ms. 8228 (3459), in der Abschrift aus Notre-Dame d’Acey erstreckte sich zunächst bis ebd., fol. 332v: „[…] qui sibi apparebat nuntius: Jsq[ue] multimoda artis nocendi sevissime inquit draco ad eum; – […].“ Auf der Höhe dieser Passage war marginal notiert worden: „Haec adiecta sunt ex codice MS. Vallis Lucentis.“ Im Fließtext setzte sich die Vita in einer anderen Hand fast bruchlos fort: „[…] draco ad eum; – || Dic quaeso fortissime virorum quis te ita seduxit, vt a cultura deorum […].“ Ebd., fol. 333v. Expl.: „[…] internus arbiter edocuit. cuius etiam doctrina id maximè commendabat omnibus, quia non aliter viuebat, quàm docebat.“ Vgl. Vita Vulframni, ed. Levison (MGH SS rer. Merov. 5) (1910), S. 669: „[…] qui sibi apparebat nuntius. Isque multimoda arte nocendi sevissimus draco inquit ad eum: ‚Dic, queso, fortissime virorum, quis te ita seduxit, ut a cultura deorum […]ǥ.“ Ebd., S. 672: „[…] internus arbiter edocuit. Cuius etiam doctrinam id maxime commendabat omnibus, quia non aliter vivebat quam docebat. Nil enim […].“ Nach den Worten: „[…] vivebat quam docebat“, begann eine Art Epilog der Vita, der in der Abschrift aus Notre-Dame d’Acey/Vauluisant fehlt und in Levisons Codices 1b und 1c ausdrücklich als solcher gekennzeichnet worden ist. Vgl. ebd., S. 672, ad c. 12, Anm. b: „Explicit vita sancti Vulfranni […].“ Anhand der in der Bibliothek der Bollandisten erhaltenen Abschriften konnte Joassart zeigen, dass mit dieser Konstellation der in Acey für Chifflet transkribierten und mit Segmenten aus Vauluisant vervollständigten oder abgeglichenen Abschriften häufiger zu rechnen ist. Vgl. seine Erläuterungen zu den Schreiben Chifflet à Rosweyde, Besançon, 29 mars 1627, in: Joassart, Correspondance (2005), Nr. 2, S. 62 Anm. 249, S. 63 Anm. 264, S. 65 Anm. 276, S. 72 Anm. 314, S. 80 Anm. 386; Chifflet à Henschen, Dijon, 26 janvier 1659, in: ebd., Nr. 34, S. 169 Anm. 948.

606 genannt worden waren. 380 Allein in der Anmerkung zu der Version aus Duyns Legendar verzettelte Levison eine weitere Abschrift der Vita Vulframni aus den Collectanea bollandiana, die mit Rosweydes Provenienz „ex manuscripto Ultraiectino S. Salvatoris“ wahrscheinlich aus dem – von Levison noch nicht identifizierten – Passionale Zweder Van Boecholts aus der Bibliotheek der Rijksuniversiteit Utrecht stammte. 381 In der neuesten Bestandsaufnahme hat Howe auf die Nennung all dieser Handschriften verzichtet. 382 Damit wurden Materialien aus dem Überlieferungszusammenhang entfernt, an deren Identifikation bislang noch nicht systematisch gearbeitet worden ist. Ferner hat Howe davon abgesehen, Levisons an Versionen, Redaktionen und textgenetischen Aspekten ausgerichtete Klassifikation der Handschriften (1a, 1a1, 1a2, 1b–e, 2a, 2a*, 2b–d) zu übernehmen. Die von Howe stattdessen genutzte Klassifikation nach der BHL, die in ihrer Anlage die Struktur der alten Dossiers widerspiegelt, bedeutet insofern nicht unbedingt einen Zugewinn an Präzision, da sie nichts anderes als eine kürzere (BHL 8739) und eine längere Vita (BHL 8738) zu unterscheiden gestattet. Da natürlich nicht alle „kürzeren“ Viten aus ihrerseits „kürzeren“ Viten und nicht alle „längeren“ aus „längeren“ Viten hervorgegangen sind, liegt die vergleichsweise grobe und sich an einigen Oberflächenphänomenen fixierende BHL-Systematik in weiten Teilen quer zu den erst in der Moderne an Substanz gewinnenden Fragen der Textgenese. Darauf wird noch einzugehen sein. Trotz der bisweilen unübersichtlichen Vorgehensweise der ersten Bollandisten lassen sich einige Kennzeichen ihrer editorischen Praxis beschreiben. Spätestens seit dem Ableben Bollands scheint sich in Antwerpen erstens eine Tendenz durchgesetzt zu haben, längere Viten als das Ergebnis der Dilatation vermeintlich älterer und kürzerer Viten zu betrachten. Dies führte immerhin dazu, dass einige kürzere Stücke, die in der Moderne aufgrund ihres realiter späteren und abgeleiteten Status nicht mehr eigenständig ediert worden sind, heute wenigstens durch Drucke in den Acta Sanctorum vertreten sind. Zweitens war es den Bollandisten ihrerseits nicht fremd, kürzere oder segmentierte Viten in Form von Tageslesungen weithin zu übergehen. Dies geschah vielfach dann, wenn ihnen zur Kenntnis gelangt war, wie im Fall der von Louis Jacob besorgten Kopien, dass sie aus liturgischen Zusammenhängen stammten. Sie konnten dann auch ohne eingehendes Studi–––––––— 380

381 382

Vgl. Levison, [Einleitung], Vita Vulframni, ed. Levison (MGH SS rer. Merov. 5) (1910), S. 660: „Praeterea hi libri mihi noti sunt: || […] || Bruxellensis […] n. 3459 (8228), saec. XVII (collectanea Bollandiana) ‚ex manuscripto Accincti monasteriiǥ exscriptus.“ Vgl. zu den Bollandisten ebd., S. 661: „[…] Acta sanctorum Martii III, […] Abbatisvillano, Accincti monasterii, […] Vallis Lucentis, […].“ Vgl. ebd., S. 660 Anm. 2, mit Bezug auf Van den Gheyn, Catalogue, Bd. 5 (1905), S. 411 mit Anm. 1, Ms. 3196–203 (3439), Nr. 68. Vgl. Howe, Hagiography (2001), S. 154ff.

607 um als „spät“ und „verändert“ qualifiziert werden. Hatte man den Bollandisten diese Information allerdings nicht ausdrücklich mitgeteilt, war es möglich, dass eine im Grundsatz strukturanaloge Lebensbeschreibung wie die Vita brevior des hl. Claudius von St. Oyend als origineller und selbstständiger Textzeuge begriffen wurde, mit dem man den Beginn des Überlieferungsprozesses insgesamt verbinden konnte. Drittens wurde die konkrete Ausgestaltung der Textausgaben von pragmatischen Gesichtspunkten dominiert. Bei weitem nicht alle nominell genannten Abschriften („Mss.“) dienten dazu, variante Lesarten zu ermitteln oder nahmen Einfluss auf die Gestalt der je herauszugebenden Texte. Aufgrund der komfortableren Handhabe, was Lesbarkeit und Zitierbarkeit anbelangt, spielten vorhandene Drucke eine deutlich größere Rolle, als es sich aus einer nur kursorischen Lektüre der Dossiers erschließt. Diese Tendenz führte bisweilen dazu, dass ein nicht einfach zu lesendes historisches Manuskript wie jenes aus Abbeville, in dem sich, gegenüber der vorherrschenden Arbeit mit zeitgenössischen Kopien, ohnehin nicht der Regelfall der von den Bollandisten benutzten Schriften verkörperte, auf assoziativer Basis der einen oder anderen Vita zugeordnet werden konnte. Auch in Verbindung mit den hier nicht genauer untersuchten Mirakelberichten aus Abbeville, einem der zentralen Kultorte des hl. Vulframnus, bevorzugten es Henschen oder Papebroch, unter anderem aus einem 1663 gedruckten Officium S. Vulfranni pro Ecclesiâ Abbauillanâ zu zitieren, anstatt die damit wenigstens zu Teilen zur Deckung kommende Handschrift aus Abbeville zu konsultieren. 383 Viertens und letztens kontrastierte dieser deutliche Zug zur Pragmatik mit dem in der Tat großen Aufwand, den man betrieb, um Abschriften von möglichst allen Handschriften zu erhalten, die im Umfeld der Bollandisten bekannt geworden waren. Diese Beziehung zwischen den unter großem Zeitdruck erstellten Dossiers auf der einen Seite und den Anstrengungen auf der anderen, die es für diejenigen bedeutet hatte, Kopien zu erstellen, die, auf welchen Wegen auch immer, nach Antwerpen gelangt waren, ist durchaus als Missverhältnis zu begreifen. Trotz eines ausgezeichneten hagiographischen Korpus reproduzierte man im Dossier des hl. Vulframnus im Wesentlichen ein Segment aus –––––––— 383

Vgl. De S. Vvlfranno, AASS Martii, Bd. 3, 1668, 20. März. Commentarius praevius, ebd., S. 144a: „[…] nonnulla [miracula] sunt excusa anno MDLXIII in Officio S. Vulfranni pro Ecclesiâ Abbauillanâ in Lectionibus, quæ infra Octauam mense Octobri […] recitantur, […] cùm de corpore S. Vulfranni Abbauillanam translato agemus […].“ Miracvla patrata Abbavillæ, ebd., S. 163–165, hier S. 164a: „Mirandis plùs miranda cognouimus succedere. Abbatisuillæ mendicabat quædam paupercula, quæ transuerso collo faciem suam in humero suo reflexam tenebat, et […].“ Vgl. BRB, Coll. boll. Ms. 8004–17 (3452), fol. 156va: „Mirandis plus miranda cognouim[us] succede[re] abbatisuille mendicabat quæda[m] paupercula. que tra[n]suerso collo faciem sua[m] i[n] humero suo reflexa[m] tenebat. et […].“ Der von den Bollandisten benutzte Druck von 1663 wird von Poncelet in den Literaturangaben zu BHL 8741 nachgewiesen.

608 De probatis Sanctorum historiis und eine Vita, die man bereits seit Rosweydes Zeiten besaß. Kleinere textuelle Einheiten wie Hymnen und orationes wurden ihrerseits keineswegs regelhaft gedruckt oder in den einleitenden Kommentaren auch nur erwähnt. Während also die Acta Sanctorum selbst das Ergebnis einer durchaus ökonomischen publizistischen Linie darstellen, scheint sich in den Collectanea bollandiana ein beachtlicher materieller Überschuss zu artikulieren, der keineswegs auf eine besonders wirtschaftliche Umgangsweise mit eigenen und fremden Ressourcen schließen lässt. Wie sind diese Befunde zu deuten? Es entsprach nicht dem Programm Bollands, in den Acta Sanctorum liturgische Textsorten systematisch zu veröffentlichen. Bolland hatte auch an keiner Stelle den Anspruch erhoben, ein editorisches Formular zu entwickeln, das geeignet gewesen wäre, verschiedene Lesarten abzubilden oder unterschiedliche Versionen identischer oder ähnlicher Lebensbeschreibungen ein und desselben Heiligen aufzunehmen. Sein ursprünglicher Plan einer einfachen Wiedergabe historischer Heiligenviten nach dem Wortlaut der ältesten Überlieferungsträger setzte die – schnell überholte, aber programmatisch nie revidierte – Annahme voraus, dass letztere überhaupt ermittelt und mit einiger Sicherheit isoliert werden konnten. Angesichts der in Antwerpen in wachsendem Umfang bekannt werdenden Materialien sahen sich Bolland, Henschen und ihre Nachfolger allerdings bald mit einer Tatsache konfrontiert, die im Vergleich zu dem humanistischen Topos von der Inkompetenz mittelalterlicher Schreiber deutlich zu wenig beachtet ist, nämlich mit der bemerkenswerten Stabilität, mit der einmal etablierte Texte über Jahrhunderte hinweg tradiert werden konnten. Die Unterschiede waren hier, auch über die Schwelle zur Typographie hinweg, teils nur gradueller Natur. Sie waren vielfach weniger durch stilistische Überarbeitung, als vielmehr durch divergierende Funktionszusammenhänge bedingt. Spätmittelalterliche Liturgica mussten sich im hagiographischen Bestand keineswegs substantiell von solchen des 16. oder 17. Jahrhunderts unterscheiden. Tageslesungen, die im Verlauf des Mittelalters entweder aus der Sektionierung umfangreicherer Viten hervorgegangen waren oder als eine eigene Form der Kurzbiographik hatten Gestalt gewinnen können, befanden sich nicht selten derart nahe an der legendarischen Überlieferung, dass die Frage, welche Version die ursprünglichste sei, zumal anhand der den Bollandisten zumeist vorliegenden Abschriften, kaum zu entscheiden war. Die für die weitere Entwicklung der Editorik grundlegende Problematik, mit verschiedenen Versionen, Fassungen und Redaktionen ähnlicher oder identischer Texte konfrontiert zu sein, die in überschaubaren Zeiträumen entstanden waren, gewann gerade in der Auseinandersetzung mit der breit tradierten und auktorial vielfach ungebundenen Vitenliteratur an Kontur. Diese Einsicht war im Fall der Bollandisten einerseits der Effekt einer zunächst auf Breite angelegten Sammlung. Niemandem, der mit Antwerpen

609 kommunizierte, wurde mitgeteilt, darauf zu verzichten, kürzere oder segmentierte Viten aus spätmittelalterlichen Liturgica abzuschreiben, da man sie in den Acta Sanctorum wahrscheinlich ohnehin nicht berücksichtigen würde. Andererseits suchten die Bollandisten sehr wohl Wege, um mit der Menge der Materialien umzugehen, auch wenn dies nicht in eine in sich konsistente herausgeberische Praxis mündete. Teils wurden in den Anmerkungsapparaten neben den inhaltlichen Erläuterungen variae lectiones präsentiert, und dies bevorzugt dann, wenn die Eigenständigkeit der eigenen Ausgabe demonstriert werden musste. Teils verzichtete man auf variante Lesarten und exponierte stattdessen allein die Tatsache, zahlreiche Handschriften konsultiert zu haben. Teils griff man auf existierende Drucke zurück, arrondierte sie um einige Lesarten oder, sofern ein Unterschied zu den verfügbaren Handschriften kaum zu erkennen war, wiederholte im Kern den älteren Druck. Teils wiederum gaben die Bollandisten in der Tat mehrere Viten wieder, sofern sich in ihnen je für sich genommen Historizität und Selbstständigkeit zu verkörpern schienen. Teils benutzte man die verschiedenen Handschriften und Drucke, um auf kompilatorischer Basis zu biographisch oder materiell vervollständigten Lebensbeschreibungen zu gelangen. Die editorische Praxis der frühen Bollandisten bewegte sich in dieser Gemengelage, in der sich der Bedarf für ein systematisch kollationierendes Verfahren erst allmählich abzuzeichnen begann.

6.3.2 Oratorium – Von einer Bibliothek zur anderen Das letzte hier anzusprechende Korpus aus der Handschrift 8004–17 der Collectanea bollandiana war für die Bollandisten von größerer Bedeutung. Im Jahr 1648 erhielten sie aus der Bibliothek des Oratoriums, der Biblioteca Vallicelliana, eine Sammlung von insgesamt 22 Lebensbeschreibungen frühchristlicher Heiliger. Bolland hatte diese Sammlung mit einem Deckblatt ausgestattet. Nach seiner Aussage hatte ein Jesuit mit Namen Laurentius Koler für die Abschriften der Viten Sorge getragen. Sie seien durch die Protektion des Kardinals Pierluigi Caraffa (1581–1655) ermöglicht und unter Mithilfe Odorico Rinaldis (1595–1671), der im Oratorium für die Fortsetzung der Annales ecclesiastici verantwortlich war, geleistet worden. 384 Das von Bolland geschriebene und später von Henschen in einigen Punkten korrigierte Inhaltsverzeichnis legt nahe, dass die Sammlung spe–––––––— 384

Vgl. BRB, Coll. boll. Ms. 8004–17 (3452), fol. 77r–135v, hier fol. 77r: „Vitæ SS. || Quas ex MSS. PP. Oratorij Romæ describi curauit P. Laurentius Koler an. 1648, obtenta par Card.lem Carafam facultate, adiuuante P. Oderico Rinaldo.“ Über Koler konnte ich nichts in Erfahrung bringen. Dass er Jesuit war, ergibt sich aus der Qualifikation: „Laurentius Koler noster“, in einigen Dossiers der Acta Sanctorum. Vgl. die folgende Anmerkung.

610 ziell für die Arbeit an den Februarbänden angefertigt worden ist. Insgesamt 15 der verzettelten Heiligen besitzen ihren Festtag im Februar. 385 Die Anfänge der Biblioteca Vallicelliana assoziieren sich heute mit dem Testament des portugiesischen Humanisten Achille Estaço/Achille Stazio. Dieser hatte am 25. Mai 1581 seine rund 2000 Bücher und Handschriften umfassende Bibliothek dem Gründer des Oratoriums, dem 1615 beatifizierten und 1622 kanonisierten hl. Filippo Neri (1515–1595) übereignet. Neri sollte mit seinem Ableben, ebenso wie nach ihm Baronio im Jahr 1606, seine persönlichen Bestände der Bibliothek der Kongregation vermachen. Baronio selbst war 1584 der erste Bibliothekar der Vallicelliana geworden. 386 Die Kooperation zwischen der Bibliothek des Oratoriums und den Antwerpener Jesuiten geht auf die Zeit Rosweydes zurück. Sie konnte sich ohne größere Spannungen etablieren, weil die Historiographen des Oratoriums im Zuge der Arbeit am Martyrologium Romanum und an den Annales ecclesiastici nicht zuletzt zahlreiche hagiographische Schriften kopiert und –––––––— 385

386

Vgl. BRB, Coll. boll. Ms. 8004–17 (3452), fol. 77r: „Februarij 1 S. Seueri Archiep[iscop]i Rauennatis –– 1 || […] || Febr. 6 ¢supralinear: Octob. 12² S. Opilij Conf. –– 14 || Febr. 10 S. Scholasticæ Virg. –– 14 || Febr. 11 S. Castrensis Ep. Capua –– 16 || Febr. 11 S. Secundini Ep. –– 29 || Febr. 11 S. Caloceri Archiep[iscop]i Rauen. –– 31 || […].“ Es wurde an dieser Stelle davon abgesehen, die Liste vollständig wiederzugeben. Die jeweils letzte Zahl in der Aufstellung bezieht sich auf die eigenständige Binnenpaginierung dieser ansonsten über weite Strecken unfoliierten Sammlung. Die Viten der beiden, wenn ich richtig sehe, von Bolland selbst ausgestrichenen Heiligen fehlen in der Sammlung. Dies ist ebd., fol. [93r], angemerkt worden: „16 à 30 manquants“. Die Vita des ersteren wurde in den Acta Sanctorum als „MS. Romanum“ benutzt. Vgl. G[odefridus] H[enschenius], De S. Castrense Episcopo Afro Confessore, Vvltvrni in Campania, in: AASS Februarii, Bd. 2, 1658, 11. Feb., S. 523–529. Commentarius præuius, ebd., S. 523–525, hier S. 525a: „Extat Vita S. Castrensis MS. in codice Montis-Regalis in Siciliâ, & in MS. Longobardico […], ex quibus eam typis vulgauit Michael Monachum in Sa[n]ctuario Capuano, ac Notis illustrauit. Eamdem Vitam, aliquantò etiam vberiorem, cum nonnullis aliorum Sanctorum Vitis ex MSS. Reuerendorum Patrum Oratorij Romæ describi nobis curauit Laurentius Koler noster, obtentâ per Eminentißimum Cardinalem Petrum Aloysium Carafam facultate.“ In der Vita. Ex MSS. Romano, Capuano & Siculo, ebd., S. 525–529, wurde sie vor allem im Variantenapparat zitiert. Im Dossier: G[odefridus] H[enschenius], De S. Secvndino Episcopo Troiæ in Apvlia, in: ebd., 11. Feb., S. 529–537. Commentarius præuius, ebd., S. 529f., hier S. 529b, reproduzierte Henschen zwei Translationsberichte. Der eine davon stammte „è codice MS. Patrum Oratorij, quem Cardinalis Baronius habuit è Constantino Caietano […].“ Vgl. Alia Historia inventionis corporis S. Secvndini auctore Guaiferio monacho Casinate. Ex MS. Cardin. Baronij, ebd., S. 531–537. Die Sammlung aus dem Oratorium weist noch eine zweite Lücke auf. Vgl. unten Anm. 404. Vgl. Elena Pinto, La biblioteca Vallicelliana in Roma (Miscellanea della R. Società Romana di Storia Patria 8), Rom 1932, S. 15–26, 44; Emerenziana Vaccaro, Prefazione, in: Anna Maria Giorgetti Vichi/Sergio Mottironi, Catalogo dei manoscritti della Biblioteca Vallicelliana, Bd. 1 (Indici e cataloghi n. s. 7), Rom 1961, S. VII–XII, hier S. VII f.; Barbara Tellini Santoni, La Libreria di Achille Stazio, in: I libri di Achille Stazio alle origini della Biblioteca Vallicelliana, hrsg. v. Maria Teresa Rosa Corsina, Rom 1995, S. 7–11.

611 ausgewertet hatten, an deren Edition sie selbst jedoch kein besonderes Interesse hatten. Ein früher Beleg für die Interaktion zwischen beiden Parteien ist ein Schreiben, das der Jesuit Jacques Van Quaille (*1564) am 21. August 1627 aus Rom an Rosweyde richtete. Es handelt von der Übersendung einer Vita des ersten namentlich bekannten Bischofs von Perugia, des hl. Constantius, der nach der Überlieferung unter Marc Aurel (reg. 161–180) das Martyrium erlitten hatte. Eine erste Kopie der Vita, so Van Quaille, sei aufgrund der mangelhaften Qualität der Abschrift, weil „nicht emendierte Dinge aus nicht emendierten entnommen worden sind“, auf Veranlassung des damaligen Präfekten der Biblioteca Vallicelliana Cesare Spada durch eine neue ersetzt worden. Diese habe man zudem zum Vergleich mit der historischen Vorlage nach Perugia geschickt. In Perugia allerdings habe man sich außer Stande gesehen, eine vollständige Fassung der Vita aufzufinden, so dass die Abschrift nur zu Teilen mit der in Perugia vorhandenen Vita abgeglichen worden sei. In letzterer seien indes einige weitere Passagen vorzufinden gewesen, die im Exemplar des Oratoriums nicht vorhanden gewesen seien und die er, so Van Quaille, seinerseits an Rosweyde kommuniziere. 387 Es konnte demnach schon zeitgenössisch Mühe bereiten, die Provenienzen einmal in Umlauf geratener Kopien abzuklären. In den Acta Sanctorum publizierte Bolland die mit der unvollständigen Vita aus Perugia abgestimmte und vollständige Abschrift aus dem Oratorium, die überdies mit einer St. Galler Handschrift verglichen worden sei, als Alia Vita –––––––— 387

Vgl. Jacques Van Quaille an Heribert Rosweyde, Rom, 21. Aug. 1627, BRB, Coll. boll. Ms. 8228, fol. 7r: „Mitto cum his vitam S. Constantij, (in qua etiam aliqua mentio fit Sti Concordij) quam curaui describi ex bibliotheca Baronij: sed quia in fine Dns Cæsar Spada Præfectus illius bibliothecæ sua manu adscripsit, Inemendata ex inemendatis desumpta, et ¢supralinear: licet eam² per suum Scriptorem describi, et simul secum relegi, seu conferri curauit; misi ¢supralinear: tamen² eam vitam Perusium, ut cum exemplari istic asseruato conferretur. Quod et factum est; sed quia non inuenitur ibi integra, notatur finis illius in adiuncta hisce descriptione Cruce ad verba illa, spiritu putauerunt. Cæterùm verba quæ sunt circumducta linea, non p reperiuntur in exemplari Perusino: at verò desunt in ex eo suppleta sunt ea, quæ in schedula separata de ¢supralinear: habentur², hoc signo ǻ. Et his dictis, &c. […].“ Bei diesem Brief befindet sich eine unvollständige und in acht lectiones untergliederte Vita mit dem Titel: Alia Vita S. Constantij Episcopi et Martyris ex MS. Perusino, ebd., fol. 6r–v, 8r. Inc.: „Beatissimi Constantij fratres, cuius hodie natalitia celebramus audiat dilectio uestra memora[n]da opera […].“ Expl.: „Confestim prosternentes matta fluminis usque adeo fustibus, et sudibus dilaniantes affligunt; quo exanime corpus exhalante spiritu putarent.“ Diese Vita entbehrt der von Van Quaille erwähnten Zeichen. Sie dürfte also nicht diejenige sein, die er aus der Bibliothek des Oratoriums nach Antwerpen überstellte. Da sie allerdings mit den Worten zu enden scheint, die nach Van Quailles Aussage das Ende der Vita aus Perugia kennzeichneten: „spiritu putarent“ oder „spiritu putauerunt“, könnte es sich um eine gesamtheitliche – von den Bollandisten vielleicht später organisierte – Abschrift genau dieser unvollständigen Vita aus Perugia handeln. Über den aus Brüssel stammenden Jesuiten Van Quaille ist wenig bekannt. Vgl. Art. Quaille, Jacques van, in: Sommervogel, Bd. 6, 1895, Sp. 1330.

612 (BHL 1939). 388 Aldo Brunacci inventarisierte 1966 den Bestand eines in der Domkirche von Perugia erhaltenen und bis dahin, wie man meinte, in hagiographischen Kontexten unbekannten Passionars aus der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts. Unter anderem enthält es einen Text, den er als BHL 1939 katalogisierte. 389 Mehr als 300 Jahre nach der Veröffentlichung dieser Version der Vita in den Acta Sanctorum begann es damit in den Bereich des Möglichen zu rücken, die Kopie des Oratoriums und die daraus für Rosweyde angefertigte Abschrift im engeren Sinn des Worts zu identifizieren. Diesen Bogen schlug Brunacci allerdings nicht. Da die Karteikarten der virtuellen Bibliothek der Bibliotheca hagiographica latina inzwischen ein hohes Maß an Autonomie für sich in Anspruch nehmen und mit ihren komputistische Präzision insinuierenden Zahlenfolgen die „Identifikation“ –––––––— 388

389

Vgl. De Sancto Constantio Episcopo et Martyre Pervsiæ in Etrvria, in: AASS Ianuarii, Bd. 2, 1643, 29. Jan., S. 924–937. Alia Vita ex MSS. S. Galli, Perusino, Baronij, ebd., S. 928–932. Inc.: „Beatissimi Constantij, Fratres, cuius hodie natalitia celebramus, audiat dilectio vestra memoranda opera, […].“ Expl.: „Actum est quarto Kalendas Februarij, regnante Domino nostro Iesu Christo, qui cum Patre & Spiritu sancto viuit & regnat in secula seculorum, Amen.“ Die Version aus Perugia deckte nach den – in der vorherigen Anmerkung genannten – Signalworten „spiritu putarent“ oder „spiritu putauerunt“ rund ein Drittel dieser Vita ab. Vgl. ebd., S. 929b: „Confestim prosternentes mattâ fluminis, vsque adeò fustibus & sudibus dilaniantes affligunt, quò exanime corpus exhalante spiritu, putarent. Sic positus B. Constantius […].“ Dieser Druck wurde als BHL 1939 gezählt. Später verzettelte Poncelet diese Version in der Biblioteca Vallicelliana. Vgl. Albert Poncelet, Catalogus hagiographicorum latinorum bibliothecarum romanarum praeter quam vaticanae. Prodiit in appendice ad Analecta Bollandiana tom. XXIV–XXVIII (Subsidia hagiographica 9), Brüssel 1909, S. 402, Bib. Vall. Ms. H. 2 (Gallonii. A), Nr. 13: „(Fol. 262–271v) Passio S. Constantii ep. et mart. = BHL. 1939.“ Bolland hatte in seinem Dossier insgesamt drei Viten des hl. Constantius gedruckt, eine bereits von Surius veröffentlichte und eine weitere Version aus der Biblioteca Vallicelliana. Vgl. De Sancto Constantio, AASS Ianuarii, Bd. 2, 1643, 29. Jan. [Einleitung], ebd., S. 924f., hier S. 925a: „[…] priores duas [vitas] ab Ecclesiâ Perusinâ acceperat Cardinalis Baronius, ex huius bibliothecâ eas cum Heriberto Rosvveydo communicârat Cæsar Spada […]. Prima in Lectiones distributa, quarum numerum ad marginem expressimus. Secundam cum alio codice Perusino collatam, cum MS. monasterij S. Galli, multò correctiore, contulimus.“ Die erste Vita ex MS. Cæsaris Baronij Card., ebd., S. 925– 928, wurde als BHL 1938 gezählt. Diese Version existiert in zwei Handschriften der Biblioteca Vallicelliana. Vgl. Poncelet, Catalogus (1909), S. 402, Bib. Vall. Ms. H. 2 (Gallonii. A), Nr. 14: „(Fol. 272–281) Passio S. Constantii ep. et mart. = BHL. 1938.“ Ebd., S. 423, Bib. Vall. Ms. H. 8.3 (Gallonii. K), Nr. 7: „(Fol. 84–94) Passio S. Constantii ep. Perusini et mart. = BHL. 1938.“ Vgl. Aldo Brunacci, Santi Umbri nell’„Passionario“ di Perugia, in: Aspetti dell’ Umbria dall’inizio del secolo VIII alla fine del secolo XI. Atti del III Convegno di Studi Umbri. Gubbio 23–27 maggio 1965, Perugia 1966, S. 255–271, hier S. 259: „I) S. Costanzo di Perugia (29 gennaio) […]. || Inc. ‚Beatissimi Costantii [!] fratres cujus hodie natalicia celebramus audiat dilectio vestra memoranda opera (…) sed ne ab incepti operis tramite longius discedamus quid beatus Constantius fecerit audiamus (…) Des. Actum est hoc IV kalendarum februariarum regnante etc. (…)ǥ. Cfr. B. H. L. 1939“.

613 von Viten auch dort zu gewährleisten scheinen, wo die Identität der Texte, gemessen an ihrer materiellen Herkunft, häufig genug ungeklärt ist, ist es nicht ohne Bedeutung, sich am Beispiel der 1648 von Bolland aus der Biblioteca Vallicelliana erhaltenen Sammlung über die Charakteristika und Eigenarten dieser Systematik zu verständigen. Dies ist nicht nur von mediävistischem Interesse. Solange die Fundamente frühneuzeitlicher Textausgaben – nicht nur der Acta Sanctorum – entweder kaum bekannt sind oder nicht systematisch berücksichtigt werden, wird es zum einen schwierig sein, die Entwicklung editorischer Praktiken seit der frühen Neuzeit adäquat zu beschreiben. Zum anderen ist die Nutzung der Biblioteca Vallicelliana, der Henschen und Papebroch, als sie in den ersten Monaten des Jahres 1661 in Rom weilten, einen Besuch abstatteten, um weitere Abschriften in Auftrag zu geben, 390 durch die Bollandisten bislang kaum bekannt geworden. 391

6.3.2.1 Überlegungen zur Funktionsweise der BHL – Das Beispiel der Passio Valentini Die BHL wurde maßgeblich von Poncelet entwickelt. 392 Nachdem sie ursprünglich in Gestalt einiger komplementär zu den Analecta Bollandiana publizierter Faszikel erschienen war, wurde sie wurde 1889/90 und 1900/01 in zwei Bänden zusammengefasst veröffentlicht. 393 Mit Blick auf die Incipits und Explicits jüngerer oder älterer Drucke, und insbesondere an den Acta Sanctorum orientiert, hatte Poncelet verschiedene Fassungen einzelner hagiographischer Texte isoliert und in eine durchlaufende Zahlenfolge übersetzt. Als primäres Gliederungselement dienten die in alphabetischer Reihenfolge präsentierten Namen der Heiligen. Der Zweck dieser Systematik dürfte es unter anderem gewesen sein, die von den Bollandisten kurz danach intensivierte Inventarisierung hagiographischer Handschriften in verschiedenen Bibliotheken Westeuropas zu erleichtern. Bekannte Beispiele für diese Inventare, die im Regelfall in knappen Katalogisaten neben dem Titel eines hagiographischen Schriftstücks und seinem Ort in der betreffenden Handschrift seine Klassifikation nach BHL darboten, sind die von Poncelet 1909 und 1910 vorgelegten Kataloge hagiographischer Handschriften –––––––— 390 391 392 393

Vgl. Papebroch, Tractatus de Vita Bollandi, AASS Martii, Bd. 1, 1668, S. XXVIII f.; Battistini, Padri (1930–1932), S. 12f. Die Aufmerksamkeit galt bislang eher den Gelehrten des späteren 17. und 18. Jahrhunderts. Vgl. Pinto, Biblioteca (1932), S. 6f. Vgl. Peeters, Figures (1948), S. 34. Vgl. Bibliotheca hagiographica latina antiquae et mediae aetatis, ediderunt Socii Bollandiani, [Bd. 1]: A–I (Subsidia hagiographica 6[,1]), Brüssel 1889/90; Bibliotheca hagiographica latina antiquae et mediae aetatis, ediderunt Socii Bollandiani, [Bd. 2]: K–Z (Subsidia hagiographica 6[,2]), Brüssel 1900/01. Vgl. dazu Joassart, Delehaye, Teil 1 (2000), S. 133 mit Anm. 86.

614 Roms. 394 Gemessen an ihrer Pragmatik sind die Nummern der BHL als ein Modus des Kurzzitats zu verstehen, das die Transkription und Wiedergabe der Incipits und Explicits im Wortlaut der jeweiligen Handschriften ersetzt. Eine der Aufgaben des von Henryk Fros 1986 vorgelegten Novum supplementum der BHL sollte es später sein, diese Inventare der Bollandisten, zumindest zu Teilen, in das Referenzsystem der Systematik zu integrieren. Unbenommen des Nutzens, den die BHL für die Orientierung auf dem Feld des Hagiographischen bedeutete und bedeutet, repräsentiert sie insofern das Produkt einer unorthodoxen Arbeitsfolge, als ein Verzeichnis, das im Kern auf gedruckten hagiographischen Schriften beruhte, die Identifikation späterer handschriftlicher Funde gewährleisten oder erleichtern sollte – und nicht umgekehrt der Wortbestand der Manuskripte zum Ausgangspunkt der Systematik wurde. Dies hatte unter anderem zur Folge, dass die Bollandisten der Moderne nun vor Ort Manuskripte inventarisierten, aus denen, wie im Fall der Biblioteca Vallicelliana, bisweilen die Ausgaben der frühneuzeitlichen Acta Sanctorum hervorgegangen waren, ohne dass dieser Zirkel als solcher reflektiert und gezielt geschlossen worden wäre. Andere Probleme betreffen, sofern keine neuen Editionen vorliegen, die implizite Abhängigkeit von in der frühen Neuzeit getroffenen Entscheidungen über die Publikation oder nicht Publikation dieses oder jenes Texts, die Schwierigkeit, aus den zumeist kompilatorischen Dossiers der Acta Sanctorum eine stringente Systematik zu erarbeiten oder die Zuweisung von BHLNummern an in den Acta Sanctorum bisweilen nur versatzstückhaft zitierte Schriften. Aus der Version der Vita des heiligen Bischofs Terentianus von Todi († 158), die ihm in der Sammlung aus der Bibliothek Oratoriums vorlag, reproduzierte Stilting in den Septemberbänden der Acta Sanctorum nur deren exklusiven Beginn im Rahmen seines Commentarius praevius. 395 Aus –––––––— 394

395

Vgl. Poncelet, Catalogus (1909); ders., Catalogus (1910). Diese Inventare sind einer Bibliographie der Catalogues de manuscrits hagiographiques latins publiés par les Bollandistes zu entnehmen. URL: !http://bhlms.fltr.ucl.ac.be/Nallcatalogue.cfm (30. 06. 2008). Neben den von Bollandisten selbst erarbeiteten Inventaren findet sich in dieser Bibliographie eine Reihe weiterer kodikologisch oder katalogisierend orientierter Arbeiten unterschiedlicher Provenienz verzeichnet. Vgl. J[oannes] S[tiltingus], De S. Terentiano Episcopo Mart., et Flacco Marty. Tvderti in Vmbria, in: AASS Septembris, Bd. 1, 1746, 1. Sept., S. 108–116. Commentarius prævius, ebd., S. 108–112, hier S. 111b: „Quartum apographum accepimus ex Ms. RR. PP. Oratorii Romæ. Huic etiam initio aliquid adjectum est, quod non habetur in reliquis. Accipe breve istud auctarium: Adhuc gravis erat persecutio Christianorum per totam provinciam, ut si quis non prostratus idolis immolaret, pœnis […].“ Vgl. Vita S. TERENTIANI Episcop. Tudertini, BRB, Coll. boll. Ms. 8004–17 (3452), fol. [97v–101v]. Inc.: „Adhuc grauis erat persecutio Christianorum per totam prouinciam, ut si quis non postratus Jdolis im[m]olaret pœnis cruciaretur.“ Expl.: „[…] in loco petroso qui appellatur Colonia, ubi florent quotidie beneficia et orationes eorum usque in præsentem diem. Regnante Domino Nostro JESV Christi, cui est honor et gloria cum Patre et Spiritu sancto in sĊcula sĊculorum. Amen.“

615 diesem Segment ging BHL 8002 hervor, 396 ehe Van den Gheyn in den Collectanea bollandiana und Poncelet im Codex H. 2 der Biblioteca Vallicelliana eine greifbare Fassung der Vita Terentiani verzetteln konnten, die dieser Karteikarte entsprach. 397 Da Fros allerdings darauf verzichtete, Van den Gheyns und Poncelets Katalogisate im Novum supplementum zu berücksichtigen, 398 erschließt sich aus den Bänden der BHL bis heute nichts anderes als das in Stiltings Commentarius praevius zitierte Segment. Im Dossier des hl. Valentin von Terni, eines Märtyrers und Bischofs, der wahrscheinlich mit einem Presbyter gleichen Namens identisch ist, der, seiner Passio zufolge, unter Claudius Gothicus (reg. 268–270) an der Via Flaminia das Martyrium erlitten habe, 399 wurde der „Codex“ des Oratoriums in Henschens Commentarius praevius als Beispiel für eine vergleichsweise wenig kontrahierte liturgische Fassung dieser Vita angeführt. 400 Im Martyrologium Romanum hatte Baronio in seinen Anmerkungen nicht nur auf eine bereits in Bonino Mombrizios (1424–um 1480) Sanctuarium von um 1477 und Surius’ De probatis Sanctorum historiis gedruckte Vita dieses Heiligen hingewiesen, sondern auch den Besitz einer älteren handschriftli-

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Vgl. Bibliotheca hagiographica latina, ed. Socii Bollandiani (1900/01), S. 1159, ad BHL 8002: „Passio. Inc. Adhuc gravis erat persecutio christianorum […]. || Exc. Act. SS. t. c. [= Sept., Bd. 1] 111, n. 13.“ Vgl. Van den Gheyn, Catalogue, Bd. 5 (1905), S. 441, Ms. 8004–17 (3452), Nr. 18; Poncelet, Catalogus (1909), S. 402, Bib. Vall. Ms. H. 2 (Gallonii. A), Nr. 17. Vgl. dazu auch unten S. 623. Vgl. Bibliotheca hagiographica latina. Nov. supp., ed. Fros (1986), S. 811. Vgl. Vincenzo Fiocchi Nicolai, Il culto di S. Valentino tra Terni e Roma: una messa a punto, in: L’Umbria meridionale fra tardo-antico ed altomedioevo. Atti del convegno di studio. Acquasparta 6–7 maggio 1989, hrsg. v. Gianfranco Binazzi, Assisi 1991, S. 165–178; Francesco Scorza-Barcellona, Art. Valentin, in: LexMA, Bd. 8, 1997, Sp. 1386f.; Hans Reinhard Seeliger, Art. Valentin, in: LThK, Bd. 10, 32001, Sp. 520– 522. Vgl. G[odefridus] H[enschenius], De S. Valentino I Episcopo Interamnæ in Vmbria, Martyre, in: AASS Februarii, Bd. 2, 1658, 14. Feb., S. 754–762. Commentarius præuius, ebd., S. 754–756, hier S. 755a: „In codice Patrum Oratorij Romæ Vita S. Valentini Presbyteri in sex Lectiones distributa est, quibus adduntur septima, octaua, nona de Vitâ S. Valentini Episcopi Interamnensis, quæ illic minùs quàm in aliis Breuiariis contracta est.“ Die Abschriften aus dem Oratorium beinhalteten Viten zu beiden Heiligen mit Namen Valentin. Die Vita S. Valentini Episcopi, BRB, Coll. boll. Ms. 8004–17 (3452), fol. [119v–120v], war in drei Abschnitte untergliedert. Sie begann mit dem marginalen Vermerk: „lectio VII.“ Inc.: „Athenienses nobiles Proculus, Ephitus et Apollonius viri Scholastici, cùm post græcorum latina studia desiderassent apud Cratonem Conciuem suum […].“ Es folgte ebd., [fol. 120r], allein die Kennzeichnung der „lectio VIII.“ Die neunte Lesung, die von Henschen diskutiert wurde, konnte ich nicht erkennen. Vermutlich zählte er den dritten Abschnitt dieser Vita als weitere Lesung, auch wenn derjenige, der sie transkribiert hatte, ihn nicht eigens als solche markiert hatte. Ebd., [fol. 120r], Expl.: „Qui non longe sunt à corpore Sancti Valentini sepulti.“

616 chen Version in seiner Bibliothek angezeigt. 401 Henschen vermutete wahrscheinlich zu Recht, dass es sich bei der ihm vorliegenden Abschrift aus dem Oratorium um genau dieses Exemplar handeln könnte. 402 In den Acta Sanctorum wurde dennoch nicht diese, sondern die bereits von Mombritius und Surius publizierte, um einige Lesungen aus „MSS. variis“ ergänzte Fassung gedruckt (BHL 8460). 403 Im Fall der Passio des Presbyters Valentin von der Via Flaminia repräsentiert die Abschrift aus dem Oratorium („MS. Romanum“), im Verbund mit Rosweydes Kopie aus Zweder van Boecholts Passionale, die handschriftliche Grundlage für Henschens bis heute nicht ersetzte Ausgabe der Passio Valentini. 404 Es ist kompliziert, die Geschichte der Klassifikation dieses Stücks nach BHL nachzuzeichnen. –––––––— 401

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Vgl. Baronio, Martyrologium romanum, sec. ed., 1589, 14. Feb., S. 81: „Interamnæ sancti Valentini (c) episcopi & martyris, qui post diutinam cædem custodiæ mancipatus, cùm superari non posset, mediĊ noctis silentio eiectus de carcere, decollatus est iussu Placidi vrbis prĊfecti.“ Ebd., S. 82a Anm. c: „Habentur eius acta, quæ retulit Mombrit. in tom. 2. vit. Sanct. & Sur. tom. 1. Habemus eorumdem vetustiora exemplaria manuscrip. in nostra biblioth.“ Vgl. zu Mombrizio Spanò Martinelli, Italia (1996), S. 79 mit Anm. 60; Frazier, Lives (2005), S. 101–167. Vgl. Henschen, De S. Valentino, AASS Februarii, Bd. 2, 1658, 14. Feb. Commentarius praevius, ebd., S. 755b: „Baronius hæc forsan Acta intellexit dum in Notis ait, haberi eorumdem vetustiora exemplaria MSS. in suâ Bibliotheca.“ Vgl. ebd., S. 755a; vgl. dazu die Vita auctore anonymo antiquo, ex V MSS. & Mombritio, ebd., S. 756f. Inc.: „Propheta loquitur ad Deum: Secundùm altitudinem tuam […].“ Vgl. Passio Beati Valentini Episcopi et Martyris, in: Bononius Mombritius, Sanctuarium seu Vitae Sanctorum. Novam hanc editionem curaverunt duo Monachi Solesmenses, Bd. 2, Paris 1910 (Neudruck Hildesheim/New York 1978), S. 623–625. Inc. (c. 1): „Propheta loquitur ad deum: secundum altitudinem tuam […].“ Inc. (c. 2): „Igitur cùm Athenienses quidam, nobiles nati, Proculus, Ephebus & Apollonius, scholastici viri apud Græcos; Latina studia desiderassent, apud Cratonem ciuem suum […].“ Surius reproduzierte im Wesentlichen diesen Druck, auch wenn er betonte, „aus sehr alten Manuskripten“ geschöpft zu haben. Vgl. De S. Valentino Episcopo et Martyre. Passio S. Valentini Episcopi Interamnensis, Ex pervetvstis mss. codicibvs, qvibvs etiam antiquissima Martyrologia adstipulantur. Aliquot locis stylum modicè mutauimus, in: Surius, Vitae Sanctorum, 3. Ausg. [ed. Garnefeld], Bd. 1,2, 1617, 14. Feb., S. 145f. Inc.: „Propheta loquitur ad Deum: Secundùm altitudinem tuam […].“ Vgl. G[odefridus] H[enschenius], De S. Valentino Presbytero Martyre Romæ Via Flaminia, in: AASS Februarii, Bd. 2, 1658, 14. Feb., S. 751–754. Commentarius præuius, ebd., S. 751–753, hier S. 752a: „Gesta solius S. Valentini exhibent MSS. Vltraiectinum S. Saluatoris, & Romanum Patrum Oratorij. Sunt ea in sex Lectiones […] distributa […].“ Vgl. Acta. Ex MSS. Vltraiectino & Romano, Breuiario Romano anni MDCXII aliisque, collata cum Vitâ SS. Marij & Marthæ, XIX Ianuarij, ebd., S. 753f. Inc.: „Tempore quo persequebatur Claudius Christianos, tenuit quemdam Presbyterum, venerabilem virum Valentinum nomine, & clausit in carcere […].“ Vgl. Passio S. Valentini Ptri., BRB, Coll. boll. Ms. 8004–17 (3452), fol. [120v–121r]. Inc.: „Tempore quo persequebatur Claudius Christianos tenuit quendam presbyterum venerabilem virum Valentinum nomine, et clausit in carcere […].“ Diese Passio ist unvollständig in den Collectanea bollandiana erhalten. Auf einem nach [fol. 120v] vertikal eingebundenen Papierstreifen trägt sie den Vermerk: „59 et 60 manquants“. Die beiden erhaltenen Teile, der Anfang und das Ende der Passio, waren marginal mit „lectio

617 Bei der in den Acta Sanctorum publizierten Passio Valentini handelt es sich um einen stabil tradierten und bisweilen eigenständig überlieferten Ausschnitt aus der zuerst von Mombritius veröffentlichten Passio der heiligen Martha und Marius. Die Passio Marii et Marthae firmiert unter BHL 5543, die aus ihr entwachsene Passio Valentini unter BHL 8466. Poncelet sah davon ab, für BHL 8466 ein Incipit oder Explicit zu nennen. Er konstatierte nur, dass „in manchen Codices“ das Incipit: „Tunc tenuit Claudius quendam ven. virum“, zu erwarten sei. In anderen hingegen sei mit einer vollständigen oder nahezu vollständigen Fassung der Passio Valentini innerhalb der Passio Marii et Marthae zu rechnen. 405 Dieser Eintrag beruhte auf den Ausgaben der Passio Marii et Marthae aus Mombritius’ Sanctuarium und den Acta Sanctorum. 406 BHL 8466 sollte also eine Art Kernbestand der Passio Valentini markieren. Mit BHL 8463 wiederum kennzeichnete Poncelet eine Version, die mit den Worten: „Tempore quo persequebatur Claudius christianos, tenuit quendam presbyterum“, eröffnet werde und die mit den Worten: „in eodem loco, ubi decollatus est.“, endete. Als BHL 8464 verzettelte Poncelet eine Version, der ein seines Erachtens identisches Incipit und alternatives Explicit eignete: „ubi decollatus est, accipiens coronam vitae quam repromisit Deus diligentibus se.“ Letztlich zählte er als BHL 8465 einen Text mit erneut identischem Incipit und einem weiteren alternativen Explicit: „diligentibus se. Ibi postea a Iulio papa fabricata est ecclesia (…) usque in hodiernum diem.“ 407 Mit den Nummern BHL 8464 und 8465 hatte Poncelet die Varianten aus Henschens Kompilation der Passio Valentini in eine Zahlenfolge übersetzt. –––––––— 405

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prima I. [!]“ und „lectio VI.“ gekennzeichnet worden. Expl. [fol. 121r]: „in qua deuotè petentibus beneficia Domini præstantur usque in hodiernum diem.“ Vgl. Bibliotheca hagiographica latina, ed. Socii Bollandiani [Bd. 2] (1900/01), S. 1224, ad BHL 8466: „In quibusdam codicibus, servatis etiam primis verbis cap. 6 Passionis SS. Marii etc., Passio Valentini inc. ‚Tunc tenuit Claudius quendam ven. virum (…).ǥ (BHL 8466) || In aliis codicibus tamquam Passio S. Valentini profertur vel integra, vel paene integra Passio SS. Marii etc.“ Vgl. De Sanctis Martyribus Mario, Martha, Avdifax, Abachvm, in: AASS Ianuarii, Bd. 2, 1643, 19. Jan., S. 214–219. Acta. Ex pluribus veteribus MSS., ebd., S. 216– 219, hier S. 217a: „Tvnc tenuit Claudius quemdam venerabilem virum, Valentinum nomine, […].“ Es schloss mit den Worten, ebd., S. 218b: „Qui decollatus est viâ Flaminiâ sub die sexto decimo Cale[n]darum Martiarum. Cuius corpus collegit quædam matrona Sauinilla & sepeliuit in eodem loco, vbi decollatus est, vbi multa miracula operatur Dominus ad laudem & gloriam nominis sui.“ Vgl. Passio Sanctorvm Marii et Marthae Avdifacis et Abbacci Martyrvm, in: Mombritius, Sanctuarium, Bd. 2, nov. ed. 1910, S. 241–244, hier S. 241: „Tunc tenuit Claudius quendam uenerabilem uirum Valentinum nomine presbyterum: […].“ Anders als der Text der Acta Sanctorum endete Mombritius’ Fassung vergleichsweise abrupt: „[…] qui decollatus est uia flaminea decimosexto calendas martias: Cuius corpus collegit quædam matrona Sauinilla: et sepeliuit in eodem loco: ubi decollatus est.“ Vgl. Bibliotheca hagiographica latina, ed. Socii Bollandiani [Bd. 2] (1900/01), S. 1224, ad BHL 8463–8465.

618 Das nach Henschens Aussage exklusive Explicit: „Ibi posteâ […] vsque in hodiernum diem.“, entstammte dem „MS. Romanum“, der Sammlung aus dem Oratorium, das damit als materielle Basis für BHL 8465 zu identifizieren ist. 408 BHL 8464 entspricht dem Explicit der Kopie aus Zweder van Boecholts Utrechter Passionale. 409 Henschen hatte allerdings darauf hingewiesen, dass die Utrechter Fassung ein anderes Incipit besaß, nämlich das, das mit den Versionen der Passio Valentini korrespondiert, die aus der Passio Marii et Marthae hervorgegangen sind: „Claudius Imperator tenuit quemdam virum […].“ 410 Dies wurde von Poncelet übersehen. Die Karteikarte BHL 8464 wurde demnach ungenau angelegt. An die Stelle des Incipit: „Tempore quo persequebatur Claudius christianos“, hätte das Incipit: „Claudius Imperator tenuit quemdam virum“, zu treten. Poncelet wiederum waren die Bestände der erst kurz darauf von Van den Gheyn erschlossenen Collectanea bollandiana und damit die Grundlagen von Henschens Dossier noch nicht bekannt, als er die BHL erarbeitete. Van den Gheyn jedoch trug wenig dazu bei, diese erkennbar zu machen. Er kennzeichnete sowohl die Abschrift aus dem Oratorium als auch jene aus dem Utrechter Passionale unrichtig als BHL 8463 411 – letztere Version weist weder das BHL 8463 auszeichnende Incipit: „Tempore quo persequebatur Claudius christianos“, noch deren Explicit: „in eodem loco, ubi decollatus est.“, auf. Die Version –––––––— 408

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Vgl. Henschen, De S. Valentino, AASS Februarii, Bd. 2, 1658, 14. Feb. Acta, ebd., S. 754b: „Qui decollatus est viâ Flaminiâ sub die sexto decimo Kalendarum Martiarum. Cuius corpus collegit quædam matrona (m) Sauinella, & sepeliuit in eodem loco, vbi decollatus est, accipiens coronam vitæ, quam repromisit Deus diligentibus se. (n) Ibi posteâ à Iulio Papa fabricata est ecclesia in honorem S. Valentini Presbyteri & Martyris & mirificè decorata, in quâ deuotè petentibus beneficia Domini præstantur vsque in hodiernum diem.“ Ebd., Anm. n: „Reliqua solum habentur in MS. Romano.“ Vgl. Passio S. Valentini Ptri., BRB, Coll. boll. Ms. 8004–17 (3452), fol. [121r]. Expl.: „Jbi postea à Julio Papa fabricata est Ecclesia in honorem Sancti Valentini Presbyteri et Martyris, et mirificè decorata, in qua deuotè petentibus beneficia Domini præstantur usque in hodiernum diem.“ Vgl. zu Henschens Anm. (m) die folgende Fußnote. Vgl. Passio Valentini presbyteri, BRB, Coll. boll. Ms. 7763 (3443), fol. 310r. Expl.: „[…] qui decollatus est Via Flaminea sub dies xvi. Kalendarum Martiarum. Cuius corpus collegit quĊdam Matrona Sabbilina et sepeliuit in eodem loco vbi decollatus est accipiens corona[m] VitĊ quam repromisit deus diligentibus se.“ Henschen, De S. Valentino, AASS Februarii, Bd. 2, 1658, 14. Feb. Acta, ebd., S. 754b Anm. m, vermerkte hier eine gegenüber seinem Primärtext alternative Schreibung für „Savinella“, die zeigt, dass er diese Abschrift in Händen gehalten haben dürfte, auch wenn er das einfache „l“ der Vorlage nicht übernahm: „MS. Vltr. Sabbillina.“ Vgl. ebd., Anm. a: „MS. Vltraiect. incipit: Claudius Imperator tenuit quemdam.“ Vgl. Passio Valentini presbyteri, BRB, Coll. boll. Ms. 7763 (3443), fol. 309r–310r. Inc.: „Claudius Imperator tenuit quemdam virum tenuit quemdam virum venerabilem Valentinum nomine presbiterum et clausit in carcere in compedibus et cathenis: quem […].“ Vgl. Van den Gheyn, Catalogue, Bd. 5 (1905), S. 422 mit Anm. 5, Ms. 7763 (3443), Nr. 70; ebd., S. 442, Ms. 8004–17 (3452), Nr. 25.

619 aus dem Oratorium wiederum endet, wie dargestellt, auf: „usque in hodiernum diem.“ In welchem Ausmaß solche Ungenauigkeiten in die BHL eingegangen sind und ihre spätere Handhabe prägten, ist hier nicht zu untersuchen. Es dürfte allerdings außer Frage stehen, dass die Verwendung reiner Zahlenfolgen bei der Katalogisierung von Handschriften der Nachvollziehbarkeit der Entscheidung, was die Identifikation dieses oder jenes Texts angeht, enge Grenzen setzt. Eine größere Transparenz weisen daher gerade jene Katalogisate der Bollandisten auf, mittels derer solche Texte verzettelt wurden, die mit der BHL nicht oder nur zu Teilen zur Deckung zu bringen waren. In diesen Fällen griff man auf die prinzipiell nicht zu ersetzende Katalogisierung nach Worten zurück. Die einzigen bis heute mit BHL 8464 und 8465 verknüpften Manuskripte entstammen den Bibliotheken Roms. Mit BHL 8464 klassifizierte Poncelet die Passio Valentini in einem Legendar des 14. Jahrhunderts aus der Sammlung Borghese der Bibliotheca Vaticana. Er vermerkte ein gegenüber seiner – wie dargestellt unrichtig angelegten – Karteikarte „alternatives“ Incipit, das auf: „Tempore illo tenuit Claudius“, 412 lautete. Nach Incipit und Explicit könnte es sich also um einen Vorläufer der Version aus dem kurz danach entstandenen Utrechter Passionale handeln. Wichtiger für den vorliegenden Zusammenhang ist allerdings, dass Poncelet eine Passio Valentini im Codex VII. der Biblioteca Vallicelliana als BHL 8465 klassifizierte. 413 Im Zuge einer ausführlicheren Katalogisierung des Codex VII., es handelt sich um das Proprium sanctorum eines vielleicht im 13. oder 14. Jahrhundert verfassten Legendars, durch Anna Maria Giorgetti Vichi wurde Poncelets Klassifikation bestätigt. Giorgetti Vichis Katalogisat beinhaltet ferner den Hinweis, dass diese Fassung mit einem als „lectio prima“ gekennzeichneten Teil beginnt. 414 Die sich im Codex VII. unmittelbar anschließende Vita ist die des hl. Valentin von Terni. Ihr Beginn wurde mit „lectio VII.“ markiert. Nach Incipit und Explicit sowie dieser Notierung entsprechen die beiden Viten des hl. Valentin von Terni und des hl. Presbyters Valentin den beiden Texten, die die Bollandisten 1648 aus der –––––––— 412

413 414

Vgl. Poncelet, Catalogus (1910), S. 444, Cod. Burgh. lat. Ms. 297, Nr. 12: „Passio S. Valentini mart. = BHL 8464. || Inc. Tempore illo tenuit Claudius (…).“ Da diese Handschrift von Poncelet bereits inventarisiert worden war, verzichtete Anneliese Maier, Codices Burghesiani Bibliothecae Vaticanae (Studi e testi 170), Città del Vaticano 1952, auf eine eigene Katalogisierung; vgl. zur Datierung ebd., S. 338. Vgl. Poncelet, Catalogus (1909), S. 318, Bib. Vall. Ms. VII, Nr. 67: „(Fol. 104v–105v) Passio S. Valentini presb. (BHL. 8465).“ Vgl. Giorgetti Vichi/Mottironi, Catalogo, Bd. 1 (1961), S. 103, Ms. VII, Nr. 123 (Giorgetti Vichi): „(cc. 105v–106r) Passio S. Valentini Romani. (c. 105vb) passio sancti ualentini presbyteri. lectio prima. Inc. tempore quo persequebatur claudius christianos tenuit quendam presbyterum. Expl. (c. 106vb) in qua deuote petentibus, beneficia domini prestantur usque in hodiernum diem. || (Cfr. B. H. L., 8465; Act. SS. Febr., II, 753–754).“ Vgl. zur Handschrift selbst ebd., S. 86.

620 Biblioteca Vallicelliana erhalten hatten. 415 Diese beiden nach Antwerpen kommunizierten Texte könnten demnach aus dem Codex VII. abgeschrieben worden sein. Nicht alle Kopien der innerhalb der Handschrift 8004–17 der Collectanea bollandiana aus dem Oratorium stammenden Sammlung gehen allerdings auf genuin spätmittelalterliche Handschriften zurück.

6.3.2.2 Neuere Abschriften aus älteren Abschriften Das aus dem Oratorium übermittelte Korpus ist nicht aus einem einzigen Codex abgeschrieben worden. Ohne größeren Aufwand lässt sich etwa das in den Collectanea bollandiana erhaltene Fragmentum uitæ Sancti Attonis, 416 eines ehemaligen Mönchs oder Abts der Kongregation von Vallombrosa und Bischofs von Pistóia (reg. 1134–1153), 417 mit einem Schriftstück analogen Titels im Codex H. 3 der Biblioteca Vallicelliana in Verbindung bringen. Dieser Codex H. 3 versammelt laut Poncelet auf mehr als 400 Folien zahlreiche im 16. und 17. Jahrhundert geschriebene Texte. Papebroch hatte in den Maibänden der Acta Sanctorum nur in Auszügen aus den ihm vorliegenden Materialien zum hl. Atto zitiert und dieses Fragment einer Vita nicht benutzt. Daraus folgte einerseits, dass man in der Moderne zunächst keine BHL-Nummer für den hl. Atto vergab, da das alte Dossier keine selbstständige hagiographische Schrift mittelalterlicher Provenienz enthielt. Andererseits katalogisierte Poncelet aus genau diesem Grund das

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Vgl. Giorgetti Vichi/Mottironi, Catalogo (1961), S. 103f., Ms. VII, Nr. 124 (Giorgetti Vichi): „(cc. 106v–107r) Vita S. Valentini Interamnensis. (c. 106vb) eodem die passio sancti ualentini episcopi: (episcopi è aggiunto in nero di mano post.) lectio VII. Inc. athenienses nobiles proculus, ephibus et appollonius uiri scolastici. Expl. (c. 107rb) qui non longe sunt a corpore sancti ualentini sepulti. || (Cfr. B. H. L., 8460; […] Act. SS. Febr., II, 756–757).“ Vgl. die Nachweise oben Anm. 400, 404. Vgl. Fragmentum uitæ Sancti Attonis Gen[era]lis Vall[umbro]sæ et Pistonensis Episcopi ex antiquis eiusdemet Ecclesiæ monumentis, BRB, Coll. boll. Ms. 8004–17 (3452), fol. [87v–91r]. Inc.: „Postquam illud totius huiuscé religionis nostræ micant[a]e speculum (tànquam Aarò uocatum) ad Cardinalatus apicem est evectum thiaraq[ue] episcopali redimitum, Monachi pastore orbati, […].“ Expl.: „Stola ergo iucunditatis inclutus & corona pulchritudinis ordinatus, seruus fidelis et prudens intrauit in gaudium Domini sui. Amen.“ Eine gewisse Präsenz erlangte Atto als Autor einer Vita des Mitbegründers der Kongregation und Abts von Vallombrosa Johannes Gualberti († 1073). Vgl. A. Pratesi, Art. Attone, in: DBI, Bd. 4, 1962, S. 566f.; Sofia Boesch, Giovanni Gualberto e la vita comune del clero nelle biografie di Andrea da Strumi e di Atto da Vallombrosa, in: La vita comune del clero nei secoli XI e XII. Atti della Settimana di studio: Mendola, settembre 1959, Bd. 2: Comunicazioni e indici (Pubblicazioni dell’Università cattolica del s. Cuore. Serie terza: Scienze storiche 3 = Miscellanea del Centro di studi medioevali 3), Mailand 1962, S. 228–235, hier S. 233 mit Anm. 27.

621 Fragmentum außergewöhnlich detailliert und ermöglichte damit den Brükkenschlag zu der Abschrift in den Collectanea bollandiana. 418 Aus einer dritten Sammlung der Biblioteca Vallicelliana, dem Codex H. 7, stammte mit großer Wahrscheinlichkeit die vergleichsweise seltene Vita eines in Assisi verehrten, vermeintlich frühchristlichen Bischofs aus der Marscia, des hl. Rufinus. 419 Der Codex H. 7 vereinigt nach Poncelet –––––––— 418

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Vgl. Poncelet, Catalogus (1909), S. 407, Bib. Vall. Ms. H. 3 (Gallonii. B), Nr. 33: „(Fol. 295–298v) Fragmentum vitae S. Attonis generalis Vallisumbrosae et Pistoriensis episcop. Ex antiquis eiusdem ecclesiae monumentis. Inc. Postquam illud totius huiusce religionis nostrae micans speculum, tamquam Aaron vocatum, ad cardinalatus apicem est erectum thiaraque episcopali redimitum, monachi pastore orbati – Des. servus fidelis et prudens intravit in gaudium Domini sui. Amen.“ Vgl. zur Handschrift ebd., S. 403. D[aniel] P[apebrochius], De S. Atthone Ex Abbate Generali Vallumbrosano, Episcopo Pistoriensi in Hetrvria. Commentarius historicus, in: AASS Maii, Bd. 5, 1685, 22. Mai, S. 194–203, diskutierte im Wesentlichen die Geschichte des Kults dieses Heiligen, dessen päpstliche Approbation von Seiten der Benediktinerkongregation von Vallombrosa seit der Mitte des 16. Jahrhunderts angestrebt worden war. Er zitierte ebd., S. 201a, aus einem Breve Clemens’ VIII. (reg. 1592–1605) vom 24. Januar 1605, das die Prüfung des Falls durch die Ritenkongregation, in der unter anderem Baronio mitgewirkt habe, abschloss und eine lokale und institutionell beschränkte Verehrung gestattete. Dieses insgesamt materialreiche Dossier basierte offensichtlich auf Recherchen, die die Bollandisten bei einer ihrer Romreisen vor Ort angestellt hatten. Die ältere Abschrift aus der Sammlung des Oratoriums mochte darüber in Vergessenheit geraten sein. So benutzte Papebroch beispielsweise einen Mirakelbericht, ebd., S. 200a, „cujus ecgraphum invenimus Romæ in Bibliotheca Vallicellana, inter Antonii Gallonii Collectanea, sub hoc titulo: Hæc miracula infrascripta inventa sunt […].“ Dass dieser Mirakelbericht dem Ms. H. 2 der Bibliotheca Vallicelliana entspricht, wurde bereits von Poncelet, Catalogus (1909), S. 402, Bib. Vall. Ms. H. 2 (Gallonii. A), Nr. 10, vermerkt. Nach dem ausführlichen Katalogisat Poncelets trägt er einen zur Depeche erweiterten Titel, der nahelegt, dass er auf eine Anfrage Baronios in der Kathedralkirche von Pistóia zurückging: „Miracula quaedam de S. Acto [!] episcopo Pistoriensi ordinis Vallis Umbrosae. Sed de vita eius nihil apud nos est. Et haec miracula infrascripta inventa sunt in opera Sancti Iacobi in civitate Pistorii, et ego Presbyter Franciscus olim ser Bastiani de Vergellesiis Pistoriensis iam in nostra cathedrali in quodam ibi existente tabella ad perpetuam rei memoriam notavi. || Inc. Primum miraculum est […].“ Erst Fros nahm die in Papebrochs Dossier erwähnten Schriften in die BHL auf (BHL nov. supp. 745f, 745h, 745k). Die von Papebroch übergangene oder übersehene Vita klassifizierte Fros nach Sabatino Ferralis – in Deutschland nicht zugänglicher – Ausgabe der Vita di S. Atto von 1953 als BHL nov. supp. 745d. Die alte Abschrift aus den Collectanea bollandiana ist auch in diesem Fall Fros entgangen. Die von Veraja, Beatificazione (1983), versammelten Nachweise der päpstlichen Approbationen lokaler oder institutioneller Kulte in der frühen Neuzeit enthalten keinen Hinweis auf den von Papebroch referierten Vorgang. Vgl. De Sancto Rufino Episcopo cuius Corpus in Cathedrali Ciuitatis Pistoriensis requiescit. Ex antiquis eiusdem Ecclesiæ monumentis, BRB, Coll. boll. Ms. 8004–17 (3452), fol. [93v–96v]. Inc.: „Erat in Regione Marsorum Maximiani Jmperatoris tempore Episcopus quidam, nomine Rufinus.“ Expl.: „Cuius postquàm societate potitus est, cœpit cum uocis strepitu psalmorum hymnis et orationibus iubilare.“ Vgl. Poncelet, Catalogus (1909), S. 416, Bib. Vall. Ms. H. 7 (Gallonii. G), Nr. 5: „(Fol. 81–83) De S. Rufino ep., cuius corpus in cathedrali civitatis Pistoriensis requiescit = BHL 7360. || Ex antiquis eiusdem ecclesiae monumentis.“ Eine zweite Ab-

622 gedruckte und handschriftliche Texte des 16. und 17. Jahrhunderts. 420 Es dürfte sich, wie im Fall des Codex H. 3, um ein Korpus funktionaler Texte handeln, das Baronio und seine Helfer im Zuge der Arbeit am Martyrologium Romanum angelegt hatten. In den Anmerkungen des Martyrologium Romanum hatte man auf den Besitz einer in Pistóia aufgefundenen Vita Rufini verwiesen. 421 In den Abschriften, die den Bollandisten vorlagen, folgte auf die Vita Rufini aus Pistóia ein mit derselben Provenienz versehenes Versatzstück zu dem – möglicherweise im frühen Mittelalter regierenden – Bischof Gaudentius von Verona. 422 Es befindet sich seinerseits im Codex H. 7 der Biblioteca Vallicelliana, wiewohl es in Poncelets Katalog nicht aufscheint. 423 –––––––—

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schrift findet sich im Codex H. 2. Vgl. ebd., S. 401, Bib. Vall. Ms. H. 2 (Gallonii. A), Nr. 4: „(Fol. 166–172) Quaedam de S. Rufino ep., cuius corpus habetur in cathedrali civitatis Pistoriensis = BHL 7360. || Ex antiquis eiusdem ecclesiae monumentis.“ BHL 7360 bezeichnet nach der Bibliotheca hagiographica latina, ed. Socii Bollandiani, [Bd. 2] (1900/01), S. 1068, die „Passio (SS. Rufini, Caesidii et soc.). Inc. Erat in regione Marsorum Maximiani imp. tempore ep. quidam – Des. (imperfecta) psalmorum hymnis et orationibus iubilare.“ Diese BHL-Nummer beruht auf dem Druck der Vita im Dossier von J[oannes] S[tiltingus], De S. Cæsidio Presbytero Martyre ejusque sociis, Transaqvis in Marsis, in: AASS Augusti, Bd. 6, 1743, 31. Aug., S. 652–662. Acta altera imperfecta auctore anonymo. Ex duobus Mss. apographis Pistoriensis ecclesiæ, ebd., S. 662–664. Inc.: „Erat in regione Marsorum, Maximiani imperatoris tempore episcopus quidam, nomine Rufinus.“ Expl.: „Cujus postquam societate potitus est, cœpit cum vocis strepitu psalmorum hymnis & orationibus jubilare.“ Dies gilt für mehrere Codices. Vgl. Poncelet, Catalogus (1909), S. 416, Bib. Vall. Ms. H. 7 (Gallonii. G); ebd., S. 401, Bibl. Vall. Ms. H. 2 (Gallonii. A), mit dem Hinweis: „Hic et in sequentibus solos recensemus manu scriptos.“ Vgl. Baronio, Martyrologium Romanum, sec. ed., 1589, 11. Aug., S. 354: „Eodem die passio sanctorum Ruffini (e) Marsorum episcopi, & sociorum sub Maximino Imperatore.“ Ebd., S. 355a–b Anm. e: „Agitur de eodem hac die in Ecclesia Marsicana. Legi tam eius quàm S. Cæsidij eius filij martyrij acta ab eadem ecclesia accepta; quæ tamen non leui indigent emendatione. Sed reperimus alia illis fideliora, sed imperfecta, nobis impartita ab ecclesia Pistoriensi, producta tantummodo vsque ad Rufini carcerem, in quem Romæ detrusus fuit. cætera autem quæ desiderabantur in primo exemplari, ab alio aliquando fuit superaddita, qui maluit ea suo ingenio ad finem perducere, quàm reliquere imperfecta; quibus tradit Rufinum solutum vinculis quieuisse in pace tertio idus Februarij, […].“ Vgl. De Sancto Gaudentio Veronæ Episcopo. Ex Sanctorum eiusdem Ecclesia indicata, BRB, Coll. boll. Ms. 8004–17 (3452), fol. [96v]: „Gaudentius Episcopus Veronæ uerbo et exemplo animas sibi à Domino creditas pascebat mirabiliter cum uitæ sanctitate eius consentiebant sermones, in quibus cum ingens ardor charitate appareret, magna etiam ad persuadendum inerat efficacia. innumerabiles animas lucratus est Christo. obiit pridie Jdus Februarij. eius corpus conditum est in Basilica Sancti Stephani.“ Für diese Information und einige Korrekturen danke ich herzlich Frau Elisabetta Caldelli von der Biblioteca Vallicelliana. Schreiben an den Verf. vom 3. Oktober 2006. Das besagte Versatzstück entspricht einer Sequenz aus Agostino Valerios (1531–1606) Sanctorum Episcoporum Veronensium antiqua monumenta von 1576, nach denen es später von Bolland zitiert wurde. Vgl. I[oannes] B[ollandus], De S. Gavdentio Episcopo Veronensi in Italia, in: AASS Februarii, Bd. 2, 1658, 12. Feb.,

623 In der Chronologie der Stücke innerhalb der den Bollandisten vorliegenden Abschriften folgte eine Reihe von Viten, die aus dem analog angelegten Codex H. 2 kopiert worden sein dürften. Dies betraf, neben der bereits erwähnten Vita Terentiani, die Lebensbeschreibungen der heiligen Cassianus († 304) 424 und Fortunatus († 565?), 425 der heiligen Jungfrauen Illuminata 426 und Romana 427 sowie eine kurze Vita des in Todi geborenen Papsts Martin I. (reg. 649–653). 428 Diese Viten sind sämtlich und fast genau in dieser Abfolge im Codex H. 2 der Biblioteca Vallicelliana überliefert. 429 Im Mar–––––––—

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S. 602a: „Avgustinus Valerius Episcopus Veronensis […] in libro de Sanctis Episcopis Veronensibus S. Gaudentium hoc encomio condecorat: S. Gaudentius, Episcopus Veronæ, verbo & exemplo animas sibi à Domino creditas pascebat. Mirabiliter cum vitæ sanctitate […]. […] obijt pridie Id. Februarij: eius corpus conditum est in ecclesiâ S. Stephani.“ Eine Vita dieses Heiligen ist nicht bekannt. Vgl. VITA S. Cassiani Episcopi Tudertini, BRB, Coll. boll. Ms. 8004–17 (3452), fol. [102r–107r]: „Hortaris me, Venerabilis Pater Basiane, ut sicut beati viri Anastasius Episcopus […].“ Expl.: „[…] Diem si quæris, quando de corpore cessit ad Christum tertio decimo die Augusti raptus est ad sydera poli, Propitiante in Domino Nostro Jesu Christo, qui uiuit et regnat in sĊcula sĊculorum Amen.“ Vgl. De S. FORTVNATO Episcopo Tudertino ex Dialog. S. Gregorij, ebd., fol. [107r–110v]. Inc.: „FORTVNATVS Episcopus uir uitæ uenerabilis in ijsdem partibus fuit Tudertinæ Ecclesiæ Antistes, qui […].“ Expl.: „[…] ut uiuens consueuerat hoc indesinenter facere, et apud mortem sua ossa perseuerant.“ Die hl. Terentianus, Cassianus und Fortunatus gelten als erster, sechster und fünfzehnter Bischof von Todi. Vgl. Lorenzo Leônij, Cronaca dei vescovi di Todi, Todi 1889, S. 9f., 12f., 19–29; vgl. zu Kult und Lebenszeit genauer Enrico Menestò, Un esempio di storiografia e cultura letteraria tra Medioevo e Umanesimo, in: Le cronache di Todi (secoli XIII– XVI), hrsg. v. Giuliana Italiani/Claudio Leonardi/Franco Mancini [u. a.] (Quaderni del ‚Centro per il collegamento degli studi medievali e umanistici nell’Università di Perugiaǥ 4), Florenz 1979, S. 329–629, hier S. 402f., 405ff. Es handelt sich um Stellenkommentare zu der im selben Band als Seconda cronaca latina edierten Historia Tudertine civitati aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Vgl. Giuliana Italiani/Claudio Leonardi, Le cronache latine. Introduzione, in: ebd., S. 1–39, hier S. 5. Vgl. VITA S. JLLUMINATÆ Virginis, BRB, Coll. boll. Ms. 8004–17 (3452), fol. [110v–115v]. Inc.: „Jgitur beatissima sancta Jlluminata virgo, Domini JESV CHRJSTJ in partibus prouinciæ Rauennæ nata et nutrita fuit.“ Expl.: „[…] atque cum hanc præsentem uitam finiunt ad uitam æternam peruenire mereantur. Præstante Domino JESV Christo, qui cum Patre et Spiritu sancto uiuit et regnat in sĊcula sĊculorum, Amen.“ Vgl. VITA S. ROMANÆ VIRGINIS, ebd., fol. [115v–117v]. Inc.: „Factum est autem in illis temporibus uerbum sermone diuulgatum, ut […].“ Expl.: „[…] ego sum DNS, qui pater sum orphanorum et iudex omnium iudicorum. Jn nomine Domini nostri Jesv Christi, cui est honor et gloria. AMEN.“ Vgl. zu Identität und Kult der hl. Illuminata und Romana Menestò, Esempio (1979), S. 402, 491. Vgl. Vita S. MARTJNJ Papæ et Martyris, ebd., fol. [117v–119v]. Inc.: „MARTJNVS de Ciuitate Tudertina Prouinciæ Tusciæ sedit annos sex, mensem unum et dies uiginti sex.“ Expl.: „Depositus die decima septima mensis septembris.“ Vgl. Poncelet, Catalogus (1909), S. 402f., Bib. Vall. Ms. H. 2 (Gallonii. A), Nr. 17: „(Fol. 310–313v) Vita S. Terentiani ep. Tudertini = BHL 8002.“ Ebd., Nr. 18: „(Fol. 314–319) Vita S. Cassiani ep. Tudertini = BHL 1637.“ Ebd., Nr. 20: „(Fol. 323v–329) Vita S. Illuminatae virg. Inc. Igitur beatissima sancta Illuminata, virgo domini Iesu Christi, in partibus provinciae Ravennae nata atque nutrita

624 tyrologium Romanum hatte Baronio auf ihren Erhalt aus Todi rekurriert. Auch sie dienten ihm in der Anmerkungsstruktur zur Authentifikation oder historischen Kommentierung der von ihm verzeichneten Heiligen. 430 Es dürften Nachweise wie diese gewesen sein, die bereits Rosweyde auf die hagiographischen Sammlungen des Oratoriums hatten aufmerksam werden lassen. Für seine Nachfolger boten sie Anknüpfungspunkte, um sich zielgerichtet an das Oratorium zu wenden. Zu klären, wie die Aufnahme solcher Kontakte genau vonstatten ging, erforderte weitere Studien. Manches scheint jedoch dafür zu sprechen, dass die Bollandisten häufig mit den jeweils vor Ort ansässigen Jesuiten kommunizierten, die sich dann in ihrem Sinn darum bemühten, bei den die Bollandisten interessierenden Institutionen oder Personen vorstellig zu werden. Falls diese Annahme zutreffen sollte, würde daraus folgen, dass man in den Hinterlassenschaften der Jesuiten Roms vielleicht mehr über die Kommunikation zwischen den Antwerpener Jesuiten und dem Oratorium erfahren könnte als aus den Beständen der Biblioteca Vallicelliana. Geschlossene Korpora wie jenes aus der Biblioteca Vallicelliana illustrieren, dass es keineswegs eines direkten, langjährigen und kontinuierlichen Austauschs bedurfte, um in den Besitz einer beachtlichen Zahl hagiographischer Texte zu gelangen. Theoretisch hatten Bolland oder Henschen nie persönlich mit Rinaldi oder anderen Protagonisten des Oratoriums in Kon–––––––—

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fuit. […] – Des. atque, cum hanc praesentem vitam finiunt, ad vitam aeternam pervenire mereantur, praestante Domino (…) Amen. Cf. BHL 4267.“ Ebd., Nr. 21: „(Fol. 328–331) Vita S. Romanae virg. = BHL 7296.“ Ebd., Nr. 22: „(Fol. 331v–335v) De S. Fortunato ep. Tudertino ex Dialogis S. Gregorii = BHL 3088.“ Ebd., Nr. 23: „(Fol. 336–338) Vita S. Martini I papae et mart. = BHL 5595.“ In den für die Bollandisten angefertigten Abschriften ist also nur die Vita Fortunati etwas nach vorne – vor die Vita der hl. Illuminata – verlagert worden. Vgl. zur hl. Romana Baronio, Martyrologium Romanum, sec. ed., 1589, 23. Feb., S. 94: „Tuderti sanctæ Romanæ (i) virginis, quæ à sancto Siluestro Papa baptizata, in antris & speluncis cælestem vitam duxit, & miraculorum gloria claruit.“ Ebd., S. 95b Anm. i: „De ea tabulæ ecclesiæ Tudertinæ, vnde etiam eius acta accepimus: claruit temporibus Constantini, cùm sanctus Siluester præesset Romanæ ecclesiæ.“ Vgl. zu Cassianus ebd., 13. Aug., S. 357: „Tuderti sancti Cassiani (d) episcopi & martyris sub Diocletiano Imperatore.“ Ebd., S. 358a–b Anm. d: „Accepimus eius acta ab ecclesia Tudertina, quorum est exordium proœmij: Hortaris me venerande Pater Bassiane, &c.“ Zu diesem Incipit oben Anm. 424. Vgl. zum hl. Terentianus Baronio, Martyrologium Romanum, sec. ed., 1589, 1. Sept., S. 389: „Tuderti in Vmbria sancti Terentiani (h) episcopi & martyris, qui sub Hadriano Imperatore, Lætiani proconsulis iussu, equuleo & scorpionibus cruciatus, demu[m] abscissa lingua, capitis damnatus, martyriu[m] compleuit.“ S. 390a Anm. h: „De quo etiam tabulĊ ecclesiæ Tudertinæ, vnde eius acta manuscripta accepimus […].“ Vgl. zur hl. Illuminata ebd., 29. Nov., S. 524: „Tuderti sanctæ Illuminatæ (h) virginis.“ Ebd., S. 525b Anm. h: „Claruit temporibus Maximiani Imperatoris, vt constat ex rebus gestis ipsius, quas manuscriptas ab ecclesia Tudertina missas accepimus.“ Nur im Fall der beiden prominenteren Heiligen findet sich keine Bemerkung zu den Abschriften aus Todi. Vgl. zu Fortunatus ebd., 14. Okt., S. 455 mit Anm. g; zu Martin I. ebd., 12. Nov., S. 500f. mit Anm. a.

625 takt treten müssen, um sich in den Acta Sanctorum verschiedentlich auf „MSS. Reuerendorum Patrum Oratorii Romae“ stützen zu können. Aus der Addition solcher Bezüge kann jedenfalls nicht ohne weiteres auf einzelne Interaktionen und verlorene Briefe geschlossen werden. Eine gewisse Unverbindlichkeit dürfte den Bollandisten in diesen Zusammenhängen nicht ganz unrecht gewesen sein. Sie konnte es erleichtern, mit den erhaltenen Kopien so zu verfahren, wie sie es für richtig hielten, ohne dem Zwang zur persönlichen Rechtfertigung ausgesetzt zu sein. Was die Gestalt der übermittelten Abschriften betrifft, ist die Nähe der Bestände des Oratoriums zu bereits von Mombritius gedruckten Viten und Passiones augenfällig. In den Acta Sanctorum führte dies zu einigen teilweise bis heute maßgeblichen Editionen, die als Korrektur und Ergänzung des alten Sanctuarium zu bewerten sind. Dies gilt nicht nur für die Passio des hl. Valentin von Terni, sondern etwa auch für Henschens Dossier der heiligen Victor und Corona, in dem er Mombritius’ Druck wiederholte und um einige Erläuterungen und variante Lesarten erweiterte, 431 und für jenes des zwölften Bischofs von –––––––— 431

Vgl. G[odefridus] H[enschenius], De SS. Victore Milite et Corona Martyribvs in Ægypto, in: AASS Maii, Bd. 3, 1680, 14. Mai, S. 265–271. Acta Martyrii à Mombritio edita & cum pluribus MSS. collata, ebd., S. 266–268. Inc.: „In diebus illis, facta in Christianos persecutione ab Imperatore Antonio, temporibus Sebastiani Ducis Ægypti, Alexandriæ fuit quidam vir Christianus à Cilicia, nomine Victor, miles, […].“ Expl.: „[…] in Thebaide Ægypti, contra civitatem quæ dicitur Lycos, benedicentes Deum & Dominum nostrum Jesum Christum, qui cum Patre & Spiritu sancto vivit & regnat in secula seculorum. Amen.“ Vgl. Passio Sanctorvm Victoris et Coronae Martyrum, in: Mombritius, Sanctuarium, Bd. 2, nov. ed. 1910, S. 641–644. Inc.: „In diebus illis facta in christianos persecutione ab imperatore Antonio temporibus Sebastiani ducis Aegipti Alexandriæ fuit quidam uir christianus a Cilitia nomine Victor miles […].“ Expl.: „[…] in thebaide Egypti contra ciuitatem: quæ dicitur Lycos: benedicentes deum et dominum nostrum Iesum Christum: qui cum patre et spiritu sancto uiuit et regnat in sæcula sæculorum Amen.“ Vgl. Passio SS. Victoris & Coronæ, BRB, Coll. boll. Ms. 8004–17 (3452), fol. [127r–129v]. Inc.: „In diebus Antonini à Paganis facta est persecutio Christi ab his sub Sebastiano Comite Ægypta Alexandriæ. Erat quidam miles à Cilicia nomine uictor […].“ Expl.: „Multi autem uidentes crediderunt in nomine Domini nostri Jesu Christi, cui est honor et gloria in sæcula sæculorum. Amen.“ Die Abschrift aus dem Oratorium galt Henschen durchaus als die beste und älteste der ihm vorliegenden, ohne dass ihn dies veranlasste, sie als Primärtext zu verwenden. Vgl. Henschen, De SS. Victore Milite et Corona, AASS Maii, Bd. 3, 1680, 14. Mai. [Einleitung], ebd., S. 265f., hier S. 265a: „Ex variis quæ conquisivimus martyrii Actis, arbitramur certiora, primo quæ nacti fuimus ex MSS. Romanis, asservatis in bibliotheca Vallicellana Patrum Congregationis Oratorii S. Philippi Nerii, & à Cardinale Caraffa ad nos mißi […].“ Mombritius’ Version hatte er mit insgesamt sieben Anmerkungen ausgestattet. Die erste bezog sich auf eine aus dem Griechischen stammende und in den lateinischen Versionen der Passio unterschiedlich wiedergegebene Passage. Vgl. Acta Martyrii, ebd., S. 266b: „Tunc jussit Sebastianus confringi digitos ejus (a) quo usque exirent à cute sua. Tunc S. Victor dixit: Gratias ago Deo meo […].“ Ebd., S. 267a Anm. a: „[…] MS. Rom. Adcroeria [!] plicitas: […].“ Es folgte eine kurze Erörterung Henschens, in der er sich mit der Bedeutung dieser Passage und möglichen Missverständnissen in der lateinischen Adaptation beschäftigte. Vgl. die Stelle in der Passio SS. Victoris & Coronæ, BRB,

626 Ravenna, des hl. Severus (reg. um 310–350). In letzterem Fall wurde die Kopie aus dem Oratorium gegenüber Mombritius’ Sanctuarium bevorzugt und zum Primärtext der bis heute gültigen Ausgabe der Vita Severi. Arrondiert hatte Bolland sie um einige variante Lesungen, die er dem 1518 in Mainz für das Kollegiatstift St. Severi hergestellten Druck eines Breviarium dicendarum canonicarum horarum ad morem Severiani Collegii hatte entnehmen können, welches er, unbenommen seiner typographischen Form, als „vetus Breviarium“ zu qualifizieren gewillt war. 432 Vertiefend wäre zu –––––––—

432

Coll. boll. Ms. 8004–17 (3452), fol. [127v]: „Tunc comes iussit confringi ei digitos et adcroceria plicitas contorqueri articulos quo usq[ue] exirent de pelle ipsius. Victor dixit. Gratias ago Deo, quoniam […].“ Henschen beschloss sein Dossier mit Ausführungen zum populären Kult dieser Heiligen vor allem mit Blick auf Italien. Vgl. Henschen, De SS. Victore Milite et Corona, AASS Maii, Bd. 3, 1680, 14. Mai. Analecta De cultu & Reliquiis horum Martyrum plurimis in locis, ebd., S. 268–271. Vgl. dazu auch Bartholomäus Spirkner, Zum Corona-Kult. Bauernheilige und Patronin der Schatzgräber, in: Volk und Volkstum. Jb. f. Volkskunde 3 (1938), S. 300–313; Leopold Schmidt, Zur Verehrung der hl. Corona in Bayern und Österreich, in: Bayerisches Jb. f. Volkskunde 1951, S. 69–79; Anton Bauer, Zur Verehrung der hl. Corona in Oberbayern, in: Bayerisches Jb. f. Volkskunde 1956, S. 64–70; Bernhard Kötting, Art. Corona, in: LexMA, Bd. 3, 1986, Sp. 259f.; Maria-Barbara v. Stritzky, Art. Corona. I. Passio, in: LThK, Bd. 2, 31994, Sp. 1315f.; Leopold Schmidt/Klaus Beitl, II. Verehrung, in: ebd., Sp. 1316. Vgl. I[oannes] B[ollandus], De S. Severo Ep. Ravenn. S. Vincentia eivs conivge, S. Innocentia Virg. eorvm filia, in: AASS Februarii, Bd. 1, 1658, 1. Feb., S. 79–91. Vita avctore anonymo ex MS. Co[n]gregationis Oratorij Romæ, collata cum vet. Breuiar. Erfurt. & Mombr., ebd., S. 82–87. Inc.: „Qvotiescumque virorum gesta fortium, ac laudabilium prouectus patrum in Ecclesiis recitantur; qui […].“ Expl. „[…] in Episcopatum elegit, in pace assumpsit, & in æterna Ierusalem pascua perpetuò gratulantem introduxit.“ Vgl. Vita S. Severi Archiepiscopi, BRB, Coll. boll. Ms. 8004–17 (3452), fol. [78r–87r]. Inc.: „Quotiescumq[ue] Virorum gesta fortium, ac laudabilium prouectus patrum in Ecclesiis recitantur, Qui […].“ Expl.: „[…] in Episcopatum elegit, in pace assumpsit, et in æterna ¢…² pascua perpetuo gratulandum introduxit.“ Von der Hand des Kopisten trägt sie ebd., fol. [78r], den Vermerk: „Ex Manuscriptis quæ habent[ur] Romæ apud PP. Oratorij S. Phil. Nerij“. Diese Abschrift dürfte einem Legendar des 12. Jahrhunderts aus der Biblioteca Vallicelliana entstammen. Vgl. Giorgetti Vichi/Mottironi, Catalogo, Bd. 1 (1961), S. 26, Ms. II, Nr. 56 (Mottironi): „(cc. 127r–129v) Sermo de vita S. Severi. (c. 127ra) incipit vita sancti severi archiaepiscopi. Inc. quotiescumque virorum gesta. Expl. (c. 129va) perpetuo gratulandum introduxit || (B. H. L., 7683: Act. SS. Febr., II, 82–87).“ Eine zweite Version in der Biblioteca Vallicelliana scheint unvollständig zu sein und damit nicht als Vorlage für die Abschrift in Frage zu kommen. Vgl. Poncelet, Catalogus (1909), S. 408, Bib. Vall. Ms. H. 3 (Gallonii. B), Nr. 38: „(Fol. 353–355) Vita S. Severi archiep. et conf. = BHL. 7683. || Reliquis omissis, des. asserentes non oportere fieri episcopum nisi aut natalibus insignitum aut statura procerum (Act. SS., num. 8 extr.).“ Dieser Text entspricht dem von Mombritius gedruckten. Vgl. Vita Sancti Severi Archiepiscopi et Confessoris, in: Mombritius, Sanctuarium, Bd. 2, nov. ed., Paris 1910, S. 504–506. Inc.: „Quotiens uirorum gesta fortium eorumque laudabiles […].“ Expl.: „[…] asserentes non oportere fieri episcopum: nisi aut natalibus insignitum aut statura procerum.“ Die ravennatische Hagiographie und die Aktualisierung der städtischen Liturgie gehen in weiten Teilen auf die Initiativen des Erzbischofs Guiberto (reg. 1072–1100) zurück. Vgl. Giampaolo Ropa, Agiografia e liturgia

627 untersuchen, ob die Vertreter des Oratoriums Handschriften nutzten, die bereits Mombritius für sein Sanctuarium, das eine insgesamt größere Nähe zu historischen Wortbeständen aufzuweisen scheint als Surius’ De probatis Sanctorum historiis, verwendet hatte.

–––––––— a Ravenna tra alto e basso Medioevo, in: Storia di Ravenna, Bd. 3: Dal mille alla fine della Signoria Polentana, hrsg. v. Augusto Vasina, Venedig 1993, S. 341–393, hier S. 351ff.; Paolo Tomea, L’agiografia dell’ Italia Settentrionale (950–1130), in: Philippart (Hrsg.), Hagiographies, Bd. 3 (2001), S. 99–178, hier S. 135f. Vgl. zu dem Erfurter Brevier die Nachweise: Bohatta, Bibliographie (1937), Nr. 2223, S. 200; Amiet, Missels (1990), Nr. 2223, S. 248. Dieser Druck entspricht VD16, B 8139. Die Verehrung, die der hl. Severus in Erfurt genoss, hatte vom Raub einiger Reliquien des Heiligen im Kloster San Apollinare und ihrem Verkauf an Bischof Otgar von Mainz im Jahr 836 ihren Ausgang genommen. Vgl. Donatella Frioli, Art. Severus v. Ravenna, in: LexMA, Bd. 7, 1995, Sp. 1807f.; Röckelein, Reliquientranslationen (2002), S. 28, 148 mit Anm. 104.

7 Konflikt und „Skepsis“ oder: Ist neues historisches Wissen möglich? Cartes konnte die Kunst, er vergaß und leugnete alles und hielt nichts für die Wahrheit – – außer dem schlauen Kunstgriff einen Catechismum und Sein eigen Selbst als 2 wichtige Wahrheiten zu Grunde zu legen. Cartes hat die Wahrheit nicht gefunden, niemals geliebt, auch niemals erkennen können. Diese M e t h o d e , wie er sie nennt, ist gut zu einem Projekt und Würbelsystem […]. 1

Die zeitgenössische Figur, der die mithin entscheidene Vermittlungsleistung zwischen den Prinzipien der neuen Naturwissenschaften und denen der Geisteswissenschaften zugeschrieben wird, René Descartes (1596–1650), scheint der Historiographie als solcher eine tiefe Kränkung zugefügt zu haben: „Descartes hatte in seinem Discours de la méthode der Geschichte den Charakter einer Wissenschaft grundsätzlich abgesprochen, da sie nicht in der Lage sei, deduktiv demonstrierbare Wahrheiten zu finden.“ 2 Die engere ideen- und historiographiegeschichtliche Fachdebatte, sofern sie nicht bestrebt war, ein epochales Negativ zu gewinnen, das mit den faktischen oder vermeintlichen Innovationen der Aufklärunghistorie kontrastierte, stand dieser Einschätzung seit jeher zurückhaltender gegenüber. 3 Nicht –––––––— 1

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Johann Georg Hamann an Johann Gotthelf Lindner, Königsberg, 21. März 1759, in: Johann Georg Hamann, Briefwechsel, Bd. 1: 1751–1759, hrsg. v. Walther Ziesemer/ Arthur Henkel, Wiesbaden 1955, S. 302–309, hier S. 306. Vgl. Oswald Bayer, Wahrheit oder Methode? [1989], in: ders., Autorität und Kritik. Zu Hermeneutik und Wissenschaftstheorie, Tübingen 1991, S. 83–107, hier S. 83. Blanke, Historiographiegeschichte (1991), S. 94. Vgl. Löwith, Weltgeschichte (71979), S. 112; Kraus, Vernunft (1963), S. 105 mit Anm. 1; Horst Günther, Art. Geschichte, Historie. V. Historisches Denken (1975), S. 635; Johannes Rohbeck, Die Fortschrittstheorie der Aufklärung. Französische und englische Geschichtsphilosophie in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, Frankfurt a. M./New York 1987, S. 42; Ursula Goldenbaum, Die philosophische Methodendiskussion des 17. Jahrhunderts in ihrer Bedeutung für den Modernisierungsschub in der Historiographie, in: Küttler/Rüsen/Schulin (Hrsg.), Geschichtsdiskurs, Bd. 2 (1994), S. 148–161, hier S. 149; Donald R. Kelley, Faces of History. Historical Inquiry from Herodotus to Herder, New Haven/London 1998, S. 204; Süssmann, Geschichtsschreibung (2000), S. 51. Vgl. Luis Noussan-Lettry, Die Anerkennung des Historischen in der Lebenserfahrung und der Weg des Denkens bei Descartes, in: Philosophisches Jahrbuch 80 (1973),

629 zu übersehen ist allein, dass sich Descartes, gemessen an der historiographischen Produktion des 17. Jahrhunderts, für die zeitgenössische Geschichtsschreibung in Theorie und Praxis nicht besonders interessiert zu haben scheint. Anders als die Theologie oder Rhetorik hatte er die Historie, im zeitgenössischen Verständnis einer ars, im Discours de la methode von 1637 als eigene Disziplin nicht thematisiert. Im Zuge der Erörterung des Nutzens, den der Erwerb insbesondere der alten Sprachen bedeutete, war sie nur in Form ihrer Ergebnisse, der Historiographie, in Erscheinung getreten. Diese könne zwar, dem Reisenden vergleichbar, der fremde Völker und Landstriche erkunde, die Sensibilität für das Eigene schärfen. Bei unmäßigem Genuss allerdings würde sie den Blick auf die Gegenwart verstellen. Selbst dann, wenn ihr ein gewisses Maß an Zuverlässigkeit konzediert werden könne, schien sie Descartes aufgrund ihrer Tendenz zu illustren Gegenständen und deren Überhöhung ein wenig repräsentatives Bild von vergangenen Sachverhalten zu vermitteln. 4 Von größerem systematischen Wert, was die Historie anbelangt, scheinen allein zwei Äußerungen Descartes’ zu sein. Sie waren der Gelehrtenrepublik allerdings nicht uneingeschränkt bekannt. In seinem erstmals 1701 gedruckten Dialog Recherche de la verité ließ Descartes den Lehrer Eudoxe die Historie zusammen mit den Sprachen und der Geographie als Erfahrungswissen qualifizieren. Jenseits der Notwendigkeit zum Gebrauch einer der Vernunft bedürftigen Rede angesiedelt wurde sie dem Feld der „simples –––––––— 4

S. 15–37, hier S. 15ff.; Völkel, „Pyrrhonismus“ (1987), S. 105ff.; Dufays, Théories (1990), S. 11ff. Vgl. René Descartes, Discours de la methode. Pour bien conduire sa raison, & chercher la verité dans les sciences, in: ders., Oeuvres, hrsg. v. Charles Adam/Paul Tannery, Bd. 6: Discours de la méthode & essais, Paris 1902, S. 1–78, hier S. 6f.: „Mais ie croyois auoir desia donné assez de tems aux langues, & mesme aussy a la lecture des liures anciens, & a leurs histoires, & a leurs fables. Car c’est quasi le mesme de conuerser auec ceux des autres siecles, que de voyasger [!]. Il est bon de sçauoir quelque chose des meurs de diuers peuples, affin de iuger des nostres plus sainement, & que nous ne pensions pas que tout ce qui est contre nos modes soit ridicule, & contre raison, ainsi qu’ont coustume de faire ceux qui n’ont rien vû. Mais lorsqu’on employe trop de tems a voyasger, on deuient enfin estranger en son païs; & lorsqu’on est trop curieux des choses qui se pratiquoient aux siecles passez, on demeure ordinairement fort ignorant de celles qui se pratiquent en cetuycy [!]. Outre que les fables font imaginer plusieurs euenemens comme possibles qui ne le sont point; et que mesme les histoires les plus fideles, si elles ne changent ny n’augmentent la valeur des choses, pour les rendre plus dignes d’estre leuës, au moins en omettent elles presque tousiours les plus basses & moins illustres circonstances: d’où vient que le reste ne paroist pas tel qu’il est, & que ceux qui reglent leurs meurs par les exemples qu’ils en tirent, sont suiets a tomber dans les extrauagances des Paladins de nos romans, & a conceuoir des desseins qui passent leurs forces.“ Vgl. Stephen Toulmin, Kosmopolis. Die unerkannten Aufgaben der Moderne. Übers. v. Hermann Vetter (stw 1126), Frankfurt a. M. 1994 [engl. 1990], S. 63f. Die Paraphrase dieses Gedankens wurde von Toulmin im Sachregister unter dem Lemma: „Geschichte, Abwertung der, im 17. Jahrhundert“, verzeichnet. Ebd., S. 353.

630 connoissances“ zugewiesen und von den „sciences“ als den auf rational herbeigeführten Kenntnissen beruhenden „jugemens certains“ abgegrenzt. 5 In einem Brief an den Leidener Medizinprofessor Cornelius Hogelande aus dem Jahr 1640 differenzierte Descartes zwischen zwei Arten, sich mit der Mathematik zu befassen, einer historischen und einer erkenntnisorientierten: In demselben Sinn pflege ich […] in der Mathematik für gewöhnlich zwei Dinge zu unterscheiden. Unter historia verstehe ich all das, was schon aufgefunden und in Büchern enthalten ist. Unter scientia aber die Kenntnis, alle Fragen zu lösen, und so mit eigenem Fleiß das alles zu erfinden, was vom menschlichen Geist in derselben Wissenschaft (scientia) erfunden werden kann […]. 6

Dieser häufig zitierte Brief richtet sich also nicht einseitig gegen die Historie als Disziplin oder die Historiographie selbst. Beide sind nicht thematisiert. Ohne Aussicht auf einen rational begründbaren Zuwachs an Wissen, Erkenntnis im technischen Sinn des Worts, waren das Historische als solches, einschließlich der historischen Mathematik, und die sich mit Büchern befassenden Disziplinen für Descartes die Repräsentanten des bloß Vorhandenen schlechthin. 7 Die Bibliothek trat bei ihm nicht als der Inbegriff des Wissens in Erscheinung, der sie in den wissenschaftssystematischen Debatten vor Descartes gewesen war und der sie natürlich auch nach Descartes noch sein konnte. 8 Die Bibliothek war vielmehr ein Ort, der der Suche nach Wahrheit und Sicherheit kaum dienlich war. Die eigene Lebenszeit sollte –––––––— 5

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Vgl. René Descartes, La recherche de la verité par la lumiere naturelle, in: ders., Oeuvres, ed. Adam/Tannery, Bd. 10: Physico – Mathematica. Compendium Musicæ. Regulæ ad directionem ingenii. Recherche de la verité. Supplément à la correspondance, Paris 1908, S. 495–527, hier S. 502: „Mais, affin que vous conceviés plus distinctement de quelle qualité sera la doctrine que je vous promets, je desire que vous remarquiés la difference qu’il y a entre les sciences & les simples connoissances qui s’acquerent sans aucun discours de raison, comme les langues, l’histoire, la geographie, & generalement tout ce qui ne depend que de l’experience seule.“ Ebd., S. 503: „[…] les sciences, qui ne sont autre chose que les jugemens certains que nous appuions sur quelque connoissance qui precede, […].“ Vgl. Descartes à Hogelande, 8. Februar 1640, in: ders., Oeuvres, ed. Adam/Tannery, Index général, Paris 1913, Nr. 1 (= Nr. CLXXXIV bis), S. 1–6, hier S. 2: „In eundem […] fere sensum duo soleo in Mathesi distinguere. Per Historiam intelligo illud omne quod jam inventum est, atque in libris continetur. Per Scientiam vero, peritiam quaestiones omnes resolvendi, atque adeo inveniendi propria industria illud omne quod ab humano ingenio in ea scientia potest inveniri […].“ Leicht geänderte Übersetzung nach Michael Gerten, Wahrheit und Methode bei Descartes. Eine systematische Einführung in die cartesische Philosophie, Hamburg 2001, S. 81. Vgl. Hans Blumenberg, Die Lesbarkeit der Welt, Frankfurt a. M. 52000 [zuerst 1981], S. 91–95; Völkel, „Pyrrhonismus“ (1987), S. 106f.; Louis Dupré, Passage to Modernity. An Essay in the Hermeneutics of Nature and Culture, New Haven/London 1993, S. 158; Richard Davies, Descartes. Belief, Scepticism and Virtue (Routledge Studies in Seventeenth-Century Philosophy 3), London/New York 2001, S. 162. Vgl. Schneider, Vergangenheit (1990), S. 27–33; Zedelmaier, Bibliotheca (1992), S. 9–21, 147–173, 225–249; Werner Arnold, Bibliotheken im 17. Jahrhundert, in: Wolfenbütteler Beiträge 12 (1999), S. 87–98, hier S. 88f.

631 nicht damit zugebracht werden, sich die Inhalte einer potentiell unerschöpflichen Menge an Büchern anzueignen, um doch nur begreifen zu müssen, „dass die büchernen Kenntnisse […], die sich aus den Meinungen mehrerer verschiedener Personen gebildet haben und allmählich angeschwollen sind, einen der Wahrheit nicht so nahe bringen wie die einfachen Überlegungen, die ein Mann von gesundem Verstand auf natürliche Weise anstellen kann, die Dinge betreffend, die sich zeigen.“9 Aus diesem Grund sei es auch angeraten, die gelehrte Welt ihren „Disputen“ zu überlassen, da es wenig weiterführend sei, den „unter den Gelehrten akzeptierten Meinungen“ entweder zu folgen oder sie zu widerlegen. 10 Das Wort „Buch“ scheint für Descartes insgesamt einen negativen Beiklang besessen zu haben. Er selbst bevorzugte für seine Produkte offenbar den Ausdruck „Schriften“ („écrits“) oder „Abhandlungen“ („traités“). 11 Sein mediales Selbstverständnis in der Kultur der ihn umgebenden Folianten und Opera wäre ein eigener Untersuchungsgegenstand. Der von Descartes inaugurierte Rückzug aus der Bibliothek und der Entwurf eines Erkenntnisse zunächst für sich selbst und aus sich selbst gewinnenden Subjekts mögen einer Atmosphäre des Aufbruchs Ausdruck verliehen haben. Zukunftsweisend waren sie, sieht man von der Entwicklung des philosophischen, literarischen oder künstlerischen Geniegedankens ab, für die Wissenschaften allerdings nicht. Seine Überlegungen indizieren das Bedürfnis nach einer Reduktion von intellektueller, sozialer und historisch gewachsener Komplexität. Dieses Bedürfnis kontrastierte mit den korporativen Mechanismen der entstehenden Akademien und den sich verdichtenden publizistischen Strukturen der Respublica litteraria. Im Übrigen ist bekannt, dass sich Descartes weit weniger konsequent aus der Bibliothek zurückgezogen hat, als es sich den zumeist referenzlosen Oberflächen seiner Schriften entnehmen lässt. Aus dem Discours de la methode erschließt sich –––––––— 9

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Descartes, Discours, in: ders., Oeuvres, Bd. 6, ed. Adam/Tannery (1902), S. 12f.: „Et ainsi ie pensay que les sciences des liures, […] s’estant composées & grossies peu a peu des opinions de plusieurs diuerses personnes, ne sont point si approchantes de la verité, que les simples raisonnemens que peut faire naturellement vn homme de bons sens touchant les choses qui se presentent.“ Vgl. ebd., S. 42: „[…] sans estre obligé de suiure ny de refuter les opinions qui sont receuës entre les doctes, ie me resolu de laisser tout ce Monde icy a leurs disputes, […].“ Vgl. ebd., S. 60, in Erläuterung der Gründe, weshalb er mit der Publikation des Discours gezögert habe: „Car, encore que les raisons, pour lesquelles ie l’auois prise auparauant, fussent tres fortes, mon inclination, qui m’a tousiours fait haïr le mestier de faire des liures, m’en fit incontinent trouuer assez d’autres, pour m’en excuser.“ Descartes’ Wortgebrauch bliebe eingehender zu untersuchen. Vgl. die Bezeichnung der eigenen Produkte etwa etwa ebd., S. 4: „[…] proposant cet escrit […].“ Ebd., S. 66: „[…] si mes escrits valent quelque chose […]. Ebd., S. 65: „[…] par le traité que i’auois escrit […].“

632 ein bestimmtes gelehrtes Ideal, kein gelehrtes Tun. 12 Gemessen am Profil seiner publizistischen Tätigkeiten ist man versucht, Pierre Bayle in mancherlei Hinsicht als intellektuellen Antipoden Descartes’ zu begreifen. Mit den Nouvelles de la République des Lettres rief er ein gelehrtes Rezensionsorgan ins Leben, das die zeitgenössische Welt der Bücher zu erschließen und zu qualifizieren half. Organe wie die Nouvelles reagierten nicht zuletzt auf die Notwendigkeit, Umgehensweisen mit der anwachsenden Menge szientistischer Erzeugnisse zu entwickeln. Er schuf mit dem Dictionaire historique et critique ein dezidiert historisches Nachschlagewerk, in dem er sich mit Wonne den kursierenden Deutungen, Meinungen und Zwistigkeiten widmete, ohne den Anspruch zu erheben, diese selbst durch unumstößliches Wissen ersetzen zu müssen.

7.1 Hagiographie und Diplomatik Die komplizierte Frage, wie, auf die Geschichte der frühneuzeitlichen Historiographie gewendet, neues historisches Wissen in die Welt kam und was überhaupt als neues Wissen zu qualifizieren ist, steht damit allerdings nach wie vor im Raum. Aus der bloßen Tatsache, dass Descartes diese Frage nicht reflektierte oder mehr oder minder abschlägig beantwortet habe, ist nicht zu folgern, dass solche Prozesse nicht nachzuweisen sind oder insgesamt kein Bewusstsein über sie bestand. Antworten versprechen jene der investigativen Praxis verpflichteten Bereiche, die mit dem traditionellen ideengeschichtlichen Primat des Theoretischen nicht hinreichend zu begreifen sind. Sie sind dort zu anzutreffen, wo sich ein Gespür für die lokale Bindung von Information entwickelte, ein Gespür dafür, dass das, was irgendwo in einer historischen Schrift oder einem historischen Dokument stand, deswegen noch lange nicht aufgefunden war. Wurde etwas bis dahin Unbekanntes aufgefunden, dann musste es in seinen Aussagen noch lange nicht verstanden oder mit existierenden geschichtlichen Kenntnissen verglichen. Diese wiederum konnten sich spätestens dann nicht mehr als Summe des Erlesbaren fortpflanzen oder tradieren, wenn gegenläufige, lückenhafte oder einfach der Interpretation bedürftige Aussagen die Historiographen dazu zwangen, sich auf einen Prozess der Rekonstruktion geschichtlicher Abläufe und der Abwägung historischer Evidenzen einzulassen. Diese Prozesse sind an dieser Stelle exemplarisch anhand jener Ausführungen Henschens und Papebrochs zur Genealogie der Merowinger und zur Diplomatik zu studieren, die von einigen besitzrechtlichen Debatten im südwestlichen –––––––— 12

Vgl. Michel Authier, Die Geschichte der Brechung und Descartes’ „vergessene“ Quellen, in: Elemente einer Geschichte der Wissenschaften, hrsg. v. Michel Serres, Frankfurt a. M. 21995, S. 445–485, bes. S. 472–477.

633 Reich ihren Ausgang nehmen und auf verwickelten Wegen Mabillon zur Abfassung von De re diplomatica libri VI von 1681 bewegen sollten.

7.1.1 Sigibert und Dagobert – Neue Einblicke in alte Zusammenhänge In seiner 1668 dem dritten Band des Monats März vorangestellten Abhandlung De genealogico stemmate Regum Francorum primae stirpis per tres Dagobertos deducendo fasste Henschen einige, wie er meinte, wichtige Entdeckungen und gründlich erarbeitete Einsichten der zurückliegenden Zeit zusammen: Der hl. Sigibert, König der austrasischen Franken, ist unter den ersten Königen und ebenso Herrschern der Franken der Sohn des ersten Dagobert mit diesem Namen gewesen, Vater des anderen Dagobert, den wir, nachdem er den Historikern seit fast tausend Jahren unbekannt gewesen war, den zweiten genannt haben. Wir haben im Zusammenhang mit seinen am 1. Februar dargebotenen Tatenberichten die gesamte Abfolge der Könige der Franken erläutert und sie bei Dagoberts I. Ahn Chilperich und dessen Brüdern befestigt […]. Mit dem gleichen Gewicht weit gerühmter Verlässlichkeit haben wir dort erklärt, und, wenn uns unsere langjährige Erfahrung im Prüfen der Schriften vergangener Zeiten nicht täuscht, nachweisend glaubhaft gemacht, dass der hl. Gunthram (der einer von Chilperichs Brüdern und König der Burgunder und im orléanensischen Herrschaftsgebiet der Franken gewesen ist) im Jahr 593 von den Lebenden geschieden ist: und dennoch haben wir, was uns erstaunt, nicht alle gleichermaßen als Beipflichtende erfahren. 13

Anlass für Henschens Abhandlung war das in diesem Band der Acta Sanctorum anstehende Dossier zum hl. Gunthram († 592/93). Dieses habe ihn dazu motiviert, so Henschen, die Autorität seiner früheren Ausführungen zu bekräftigen und die genealogischen Studien bis zu Dagobert I. auszudehnen. 14 Henschen bezog sich damit auf die 1655 eigenständig gedruckten –––––––— 13

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Vgl. [Henschen], Exegesis præliminaris II de genealogico stemmate Regvm Francorvm primæ stirpis per tres Dagobertos dedvcendo, in: AASS Martii, Bd. 3, 1668, S. XII–XXIV, hier S. XIVa: „Dagoberti hoc nomine inter Francorum Reges primi simulque monarchæ filius fuit S. Sigebertus, Francorum Austrasiorum Rex, pater alterius Dagoberti, quem nos, ab annis ferè mille ignoratum Historicis, Secundum diximus. Ad illius Acta I Februarii data totam Francorum Regum chronologiam explicuimus, eamque in Dagoberti I auo Chilperico eiusque fratribus confirmauimus […]. Pari auctoritatis clarissimæ soliditate ibidem docuimus, & nisi nos nostra in examinandis temporum characteribus diuturna fallat experientia, demonstratiuè probauimus, S. Gunthramnu[m] (qui vnus ex Chilperici fratribus & Burgundionu[m] atque Francorum Aurelianensi in regno Rex fuit) anno DXCIII è viuis abijsse: nec tamen, quod miramur, æquè omnes habuimus assentientes.“ Vgl. ebd.: „Igitur quæ ad chronotaxeos huius nostræ expositionem confirmationemque dicenda fuerant ad diem eius natalem XXVII Martij, huc transferimus: vt scrupulo, quem contrasentientium auctoritas ingerere posset, de medio facto, ad Dagobertos progrediamur securiùs, eorumdem & Regum ex ijs descendentium ætatem atque successiones ob oculos posituri.“ Vgl. De Sancto Gvnthramno Rege Francorvm Cabillone in Bvrgvndia, in: ebd., 28. März, S. 718–731.

634 Diatriba de tribus Dagobertis Francorum regibus und den 1658 publizierten Commentarius praevius im Dossier des hl. Sigibert III. († 656/57).15 Mit diesen Abhandlungen gilt Henschen als der erste frühneuzeitliche Gelehrte, der realisiert habe, dass nicht mit zwei, sondern mit drei Merowingerkönigen mit Namen Dagobert zu kalkulieren sei. 16 Die Tatsache allein, dass Sigibert III. einen Dagobert genannten Sohn besessen hat, war allerdings auch den genealogischen Tafeln zu entnehmen, die Sirmond 1629 dem ersten Band seiner Concilia antiqua Galliae beigefügt hatte. Nach Sirmonds Notaten hatte er 654 in Austrasien zu herrschen begonnen, war aber durch den Sohn Grimoalds Childebert gewaltsam vertrieben worden. 17 Die sich heute zunächst auf den Liber historiae Francorum von 726/27 stützende Kenntnis dessen, dass dieser kindliche Dagobert im Zuge des sogenannten Staatsstreichs des Hausmeiers Grimoald († um 662) im Jahr 656 und der Inthronisation von Grimoalds Sohn als Childebert (adoptivus) (III.) († um 662) zum Mönch geschoren und durch Bischof Dido (Desiderius) von Poitiers nach Irland verbracht worden war, 18 zählte in der einen oder anderen Form durchaus zum Nachschlagewissen der Zeit. –––––––— 15

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Vgl. G[odefridus] H[enschenius], De S. Sigeberto Rege Francorvm Avstrasiorvm Metis in Belgica I, in: AASS Februarii, Bd. 1, 1658, 1. Feb., S. 206–242. Commentarius præuius, ebd., S. 206–228. Vgl. Art. Bollandus, Jean, in: Sommervogel, Bd. 1, 1890. Extraits scientifiques et historiques, Sp. 1652, Nr. 2. Vgl. zu den Lebensdaten Margarete Weidemann, Zur Chronologie der Merowinger im 7. und 8. Jahrhundert, in: Francia 25 (1998) H. 1, S. 177–230, hier S. 195, 299. Die Herrscherdaten folgen in den anschließenden Passagen, sofern nicht anders bezeichnet, Weidemanns Darstellung. Vgl. Theo Kölzer, Studien zu den Urkundenfälschungen des Klosters St. Maximin vor Trier (10.–12. Jahrhundert) (VuF Sonderbd. 36), Sigmaringen 1989, S. 139 Anm. 124. Vgl. Sirmond, Concilia, Bd. 1, 1629. Tafel: Francorvm Reges Merovingi, quorum notitia ad primum Tomum conducit, ebd., S. XIII: „638. Sigebertus in Austria – 654. Dagobertus“, rechts versetzt: „Childebertus Grimoaldi F[ilius] Dagoberto per vim pulso.“ Vgl. Liber historiae Francorum, in: MGH SS rer. Merov., Bd. 2: Fredegarii et aliorum Chronica. Vitae sanctorum, hrsg. v. Bruno Krusch, Hannover 1888 (Neudruck Hannover 1984), S. 238–328, hier S. 316: „Decedente vero tempore, defuncto Sighiberto rege, Grimoaldus filium eius parvolum nomine Daygobertum totundit Didonemque Pectavensem urbis episcopum in Scocia peregrinandum eum direxit, filium suum in regno constituens.“ Vgl. Ulrich Nonn, Art. Dagobert II., in: LexMA, Bd. 3, 1986, Sp. 430; Jan Prelog, Art. Liber historiae Francorum, in: LexMA, Bd. 5, 1991, Sp. 1944f.; Weidemann, Chronologie (1998), S. 195; vgl. zum Vorgang insgesamt Matthias Becher, Der sogenannte Staatsstreich Grimoalds. Versuch einer Neubewertung, in: Karl Martell in seiner Zeit, hrsg. v. Jörg Jarnut/Ulrich Nonn/Michael Richter (Beih. d. Francia 37), Sigmaringen 1994, S. 119–147. Gegen die traditionelle Sicht sucht Becher in dieser Deutung den Nachweis zu führen, dass Childebert (III.) ein von Grimoald adoptierter leiblicher Sohn Sigiberts III. gewesen sein dürfte. Vgl. dazu auch Hans-Werner Goetz, Europa im frühen Mittelalter, 500–1050 (Handbuch der Geschichte Europas 2. UTB 2427), Stuttgart 2003, S. 56.

635 Auf der Basis von Sigeberts von Gembloux Chronographia datierte Baronio besagte Vorgänge in den Annales ecclesiastici auf 657 und 658. 19 Der Antwerpener Domdechant und Hofkaplan des Bischofs von Brüssel Aubert LeMire (Miraeus) (1573–1640) hatte in seinen Stemmata principum Belgii von 1626 eine im Sinne der belgischen Traditionsbildung allein auf die austrasischen Könige bezogene Herrscherfolge errichtet. In ihr zählte er diesen Dagobert ausdrücklich als Dagobert II. und sah ihn im Jahr 654 nach Irland – oder Schottland – verbracht. 20 Mit Duchesnes erstem Band der Historiae Francorum scriptores von 1636 und dem im Register verzeichneten: „DAGOBERTVS Sigeberti III. Austrasiorum Regis F[ilius]“, erschlossen sich komfortabel einige Quellen, einschließlich des Liber historiae Francorum und der Vita Sigiberti, die über Dagobert Auskunft gaben. 21 –––––––— 19

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Sigeberti Gemblacensis Chronographia, ed. Bethmann (MGH SS 6) (1844), S. 325, ad an. 657: „Sigibertus rex Hildebertum filium Grimoaldi maioris domus adoptat in filium et in regnum.“ Ebd., ad an. 658: „Franci dolentes super infidelitate Grimoaldi contra filium Sigiberti, captum eum presentant Parisius iudicio Chlodovei; quem Chlodoveus vinculatum amara in carcere fecit morte consumi; filiumque suum iuniorem Hildricum regem fecit Austrasiorum.“ Mit Sigebert wurden bei Baronio die Okkupation der Herrschaft und die Hinrichtung Grimoalds durch die neustrische Dynastie in einem Atemzug genannt. Vgl. Baronio, Annales ecclesiastici, Bd. 8, ed. nov. 1624, Sp. 529, Nr. XLVI, ad an. 657: „Hoc anno, qui vndecimus numeratur Sigeberti Francorum Regis, ipse ex hac vita migrauit; […].“ Ebd., Sp. 530, Nr. IV, ad an. 658: „Cum vero (vti anno superiori dictum est) Sigebertus ad annum vndecimum propagasset regnum, & ex hac vita recessisset, vno relicto puero filio Dagoberto; adoptatoque iam antea, cum prole careret, Ildeberto filio Grimoaldi Maioris domus, cuius arte foras in Scotiam Dagobertus puer fuerat amandatus, in bello perempto, & eius parente carceri mancipato; potitus est regno frater ipsius Sigeberti Clodoueus, monarchiam obtinens Galliarum; qui Childerico secundo loco nato filio regnum à Sigeberto relictum tradidit, […].“ Vgl. STEMMATA || PRINCIPVM || BELGII, || Ex diplomatibus ac tabulis publi- || cis potissimùm concinnata, || studio || AVBERTI MIRÆI Bruxel. || BRVXELLÆ, || Typis IOANNIS MEERBECII, || vico de Puttierie, || anno 1626. || Cum gratia & priuilegio, S. 7: „[…] || 11. SIGIBERTVS II. à patre suo Dagoberto anno 639. Austrasijs præfectus, cùm prole careret, Hildebertum, Grimoaldi filium, in spem regni adoptauit: sed filium postea genuit Dagobertum. || 12. DAGOBERTVS II. à Grimoaldo Duce attonsus, & in Scotiam est ablegatus anno 654. || 13. HILDEBERTVS à patre Grimoaldo Rex Austrasiæ creatus, postea reiectus est ab Austrasijs; qui Grimoaldum Parisios captiuum ad Clodouæum Regem miserunt.“ Die Frage, ob „Scotia“ nicht die historische Bezeichnung für Irland war, führte zeitgenössisch zu zahlreichen Kontroversen. Vgl. Grosjean, Soldat (1963), S. 419. Ob LeMire Dagobert im schottischen oder irischen Exil sah, ist daher kaum zu beantworten. Vgl. Gesta Regvm Francorvm, partim e Gregorii Tvron. Episcopi Historia, cuius & nomen in vetustissimis Codicibus præferunt, partim aliundè desumpta, & vsque ad Regem Theodoricvm II. perducta. Avctore incerto, sed qvi eivsdem Theodorici tempore vixit. Editio Marquardi Freheri Consiliarij Palatini collata cum diuersis codicibus Mss. qui sunt in Bibliotheca V. Cl. Alexandri Petauij Senatoris Paris. & Appendice etiam ad Pipinvm vsque Regem nunc primùm aucta, in: Duchesne, Scriptores, Bd. 1, 1636, S. 690–721, hier S. 717: „Decedente verò tempore, defuncto Sighiberto Rege, Grimoaldus Maior domus filium eius paruulum nomine DAGOBERTVM totondit, & per Didonem Pictavensis vrbis Episcopum in Scotia ad peregri-

636 Wird berücksichtigt, dass die Franzosen Duchesne und Sirmond diesem Dagobert, ebenso wie allen anderen austrasischen Königen, nur deswegen keine Zählung verliehen hatten, weil sie, ihrerseits dem monarchischen Prinzip folgend, eine solche nur den in Neustrien herrschenden Ahnen der französischen Könige hatten zuteil werden lassen, stellt sich die Frage, worin genau Henschens Leistung bestanden hat. Anders als in seinem Traktat von 1668 hatte Henschen in den Februarbänden von 1658 noch wenig Aufhebens um diesen Dagobert gemacht. Im Rahmen seiner Ausführungen zur Herrschaftszeit Theuderichs III. († 691) hatte er, eher im Vorübergehen, darauf aufmerksam gemacht, dass in Williams von Malmesbury († kurz nach 1142) Gesta pontificum Anglorum geschildert werde, dass Bischof Wilfrid von York († 709) im Winter 680 zu Dagobert, „dem rechtsrheinischen König der Franken“, gekommen sei. Da Wilfrid ihm, nachdem Dagobert einst „durch das Treiben der Großen“ verjagt worden sei, bei seiner Rückkehr ins Frankenreich Gastrecht gewährt und ihn „mit Pferden und Gefährten“ ausgestattet habe, habe der fränkische Herrscher Wilfrid gnadenreich empfangen und ihm das – von Wilfrid allerdings ausgeschlagene – Bistum Straßburg angeboten. 22 Henschen kommen–––––––—

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nandum eum dirigens, filium suum in Regno constituit.“ Vita Sigeberti III. Avstriæ filii Dagoberti I. Cuius Auctor etsi coætaneus non fuit, eam tamen ex veteribus Historiis & Sanctorum Vitis se collegisse testatur. Ex Cod. Ms. Bibliothecæ Alexandri Petauij Senatoris Parisiensis, in: ebd., S. 591–593, hier S. 593: „Quia verò Sigibertus Rex Grimoaldum Maiorem Domus sibi in omnibus fidelem, morigerum, & cooperatorem eatenus erat expertus, filium eius CHILDEBERTVM Regni Austrasiorum heredem delegerat, hoc tamen proposito conditionis tenore si ipsum contigeret sine liberis obire. Rex quidem, vt pote futurorum nescius, quod tunc sibi videbatur ex temporis conuenientia fecit: postea verò filium genuit, quem nomine patris sui DAGOBERTVM vocauit.“ Ebd.: „Mortuo Sigiberto Rege, Grimoaldus Maior Domus DAGOBERTVM filium eius suæ fidei commendatum, vt Austrasiorum potiretur Regno, tonsorauit in Clericum, consilio Didonis Pictauiensis Episcopi, qui fuit auunculus sancti Martyris Leodegarij, & per manum ipsius Didonis insontem puerulum in Scotiam direxit exilio inreuocabili. Filium verò suum Childebertum Austrasiorum Regno constituit Regem. Franci ægrè ferentes perfidiam Grimoaldi, captum eum destinant Parisius ad iudicium Regis CLODOVEI, qui fuit frater Sigiberti. Quem Clodoueus vinculatum carceri mancipauit, […].“ Vgl. Henschen, De S. Sigeberto, AASS Februarii, Bd. 1, 1658, 1. Feb. Commentarius praevius, ebd., S. 224a, mit dem Zitat aus Williams Gesta: „Hieme ibidem exactâ anno DCLXXX Wilfridus ad Dagobertum, filium S. Sigeberti, Regem Transrhenanorum Francorum venit. Is non immemor, quòd eum quondam factione Magnatum pulsum, & de Hiberniâ ad se venientem hospitio receperit, & equis sociisque adiutum patriæ remiserit, benignè excepit, multisque precibus fatigauit, vt prouinciam remanentiâ suâ dignaretur, Episcopatum Strateburgensem accipiens. Verùm in Romam profectus est, […].“ Vgl. Willelmi Malmesbiriensis monachi de gestis pontificum Anglorum libri quinque, hrsg. v. N. E. S. A. Hamilton (Rerum Britannicarum Medii Ævi Scriptores, or Chronicles and Memorials of Great Britain and Ireland during the Middle Ages [52]), London 1870 (Neudruck Wiesbaden 1964), S. 221: „Jamque se verna temperies aperiebat in flores, cum Wilfridus, itinere reincepto, ad Dagobertum regem Transrenanorum Francorum venit. Is non immemor, quod eum […].“

637 tierte diesen Dagobert nicht näher, abgesehen davon, dass er ihn als Sigiberts Sohn kennzeichnete. Ihn interessierte in diesem Zusammenhang vor allem das Wirken Wilfrids. Denn mit Williams Schilderung der Flucht Wilfrids vor Theuderich III. und Ebroin († 680/81) und der anschließenden Mission bei den Friesen im Jahr 679 konnte bekräftigt werden, dass Theuderich III. nach dem Tod Childerichs II. († 675) an die Herrschaft gelangt war. 23 Der Kontrast zwischen der vergleichsweise marginalen Behandlung dieses Dagobert, eines Königs und Sohns Sigiberts III., im Commentarius praevius von 1658 und dem Pathos der Entdeckung in Henschens späterer Abhandlung De genealogico stemmate regum Francorum erklärt sich zunächst dadurch, dass zeitgleich mit dem alten Commentarius praevius der französische Historiograph Adrien Valois (1607–1692) deutlich zu machen suchte, dass er selbst der erste sei, der diesen Dagobert hinreichend begriffen habe. Mit den von Bischof Notker von Lüttich († 1008) angeregten Gesta pontificum Tungrensium et Leodiensium des Abts Heriger von Lobbes († 1007) und der Chronik von Moissac wusste Valois im Darstellungsteil des dritten Bands seiner Bücher Rerum Francicarum von 1658 zwar wenig mehr zu sagen, als das, was zeitgenössisch über die Affaire um Grimoald ohnehin bekannt gewesen war. 24 In der umfangreichen Leserapostro–––––––— 23

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Vgl. Henschen, De S. Sigeberto, AASS Februarii, Bd. 1, 1658, 1. Feb. Commentarius praevius, ebd., S. 223a: „Is [Wilfrid] Gallico littori fortè appulsus, in Theodoricum Regem & Ebroinum Ducem Francorum incidit: quibus à Britanniâ mandatum erat, vt Wilfridum Episcopum caperent & spoliarent. Quem ille errore nominis acti, sociis occisis & rebus ablatis, abire siuerunt. At Wilfridus, ne in manus Theoderici Regis & Ebroini incideret, eodem anno DCLXXIX in Frisiam ad Adalgisum Regem nauigauit.“ Ebd., S. 224a: „Theoderico igitur post Childerici fratris cædem Rege constituto, […].“ Vgl. David W. Rollason, Art. Wilfrid, in: LexMA, Bd. 9, 1998, Sp. 123– 125, hier Sp. 124. Vgl. HADRIANI || VALESII || RERVM || FRANCICARVM || A CHLOTHARII MINORIS MONARCHIA || ad Childerici destitutionem || TOMVS III. || LVTECIÆ PARISIORVM, || Sumptibus SEBASTIANI CRAMOISY, Regis Archity- || pographi, viâ Iacobæâ, sub Ciconiis. || M. DC. LVIII. || CVM PRIVILEGIO REGIS, S. 199: „Vetus Auctor Chronici Moisacensis & Notegarius Leodicensis Episcopus in libro de vita B. Remacli Grimoaldum tantummodò dicunt filium suum Regem constituere voluisse. Sic tamen mediæ ætatis scriptoribus nonnullis credere volumus, & Dagobertus Sigiberti filius post patris sui mortem, & Childebertus Grimoaldi Maioris domus Regiæ filius, eo pulso relegatóque, alter post alterum aliquamdiu in Austria regnauere. Certè Sigebertus anno Christi DCLVI. Sigibertum Austrasiorum Regem mortuum esse scribit, Dagoberto filio suo admodùm paruulo Grimoaldi fidei commendato, vt ad Regnum eius operâ promoueretur: ac in sequenti anno Grimoaldum Maiorem domus Domino suo Dagoberto tonso & per Didonem Pictauensem Episcopum in Scotiam misso, Hildebertum filium suum Austrasiorum Regem fecisse: […].“ Vgl. Chronicon Moissacense, in: MGH SS, Bd. 1, hrsg. v. Georg Heinrich Pertz, Hannover 1826, S. 283–313, hier S. 287: „Decedente vero tempore, defuncto Sigoberto, Grimaldus maiordomus filium Sigoberti nomine Dagobertum totondit, volensque filium suum constituere in regnum; Franci vero valde indignantes, Grimaldo insidias praeparant, eumque eximentes ad condemnandum regi Francorum Clodoveo

638 phe des im gleichen Jahr publizierten zweiten Bands hatte er allerdings vermerkt, sich nach 1647 – dem Jahr der Veröffentlichung des ersten Teils seiner Darstellung der Geschichte der Merowinger 25 – dieser Problematik erneut gewidmet zu haben. Er sei dabei nicht nur auf die Gesta Williams von Malmesbury, sondern in der Lebensbeschreibung der hl. Sadalberga (Salaberga) († 665/70) auch auf den Bericht einer kriegerischen Auseinandersetzung „zwischen den fränkischen Königen Theuderich und Dagobert“ gestoßen. 26 Anders als Henschen in seinem Commentarius praevius zu Sigibert III. schlug Valois ausdrücklich den Bogen vom Agieren Grimoalds zu diesem Dagobert. Er zog den Schluss, dass der einst exulierte Dagobert „später (was niemand bisher gewusst, niemand bisher geschrieben hatte) ins väterliche Herrschaftsgebiet zurückgerufen und von dem Hausmeier Wulfoald wieder eingesetzt worden ist […].“ 27 –––––––—

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deferunt; in Parisius civitate in carcere retruditur, ibique moritur.“ Herigeri et Anselmi gesta episcoporum Tungrensium Traiectensium et Leodiensium. I. Herigerus usque ad a. 667, hrsg. v. Rudolph Koepke, in: MGH SS, Bd. 7, hrsg. v. Georg Heinrich Pertz, Hannover 1845, S.161–189, hier S. 187: „Grimoaldus maior domus sub optentu munerandi a Clodoveo fratre eius Parisius evocatus, regredi non est permissus; filium namque domini sui Sigeberti, quem in fide susceperat, ut eum substitueret in regno patris, clericum fecerat, filiumque suum regnare instituerat.“ Vgl. HADRIANI || VALESII || RERVM || FRANCICARVM || VSQVE AD CHLOTHARII SENIORIS MORTEM || LIBRI VIII. || LVTECIÆ PARISIORVM, || Sumptibus SEBASTIANI CRAMOISY, Architypographi || Regis, & Reginæ Regentis: || ET || GABRIELIS CRAMOISY. || viâ Iacobæâ, sub Ciconiis. || M. DC. XLVI. || CVM PRIVILEGIO REGIS. Dieser Band entspricht dem ersten der ingesamt drei. Vgl. Valois, Rerum Francicarum tomus II, 1658. Hadriani Valesii Præfatio ad stvdiosos candidosqve lectores [unpaginiert], [S. 34f.; S. 35 = fol. aar]: „Anno M. DC. XLVII. post editos Rerum Francicarum libros octo, cùm exteros auctores euoluerem, si quid ibi antiquitatum nostrarum possem reperire: in VVillielmi Malmesburiensis Monachi de Episcopis Anglorum libro III. inueni, Dagobertum Regem Francorum Transrhenanorum, factione Magnatum quodam pulsum, & cùm ex Hibernia veniret, hospitio receptum à VVilfrido Eboracensi Episcopo, & equis virísque adiutum, ac in patriam remissum esse, atque ætate Theodorici Regis & Ebroini Ducis Francorum circa Rhenum regnauisse. Quibus lectis, admodùm gauisus sum, statímque mihi venit in mentem, ab scriptore suppare in libello de vita B. Salabergæ mentionem fieri belli ciuilis inter Reges Francorum Theodericum ac Dagobertum, prœliíque circa Lingonum vrbem commissi: […].“ Vita Sadalbergae abbatissae Laudunensis, hrsg. v. Bruno Krusch, in: MGH SS rer. Merov., Bd. 5, ed. Krusch/Levison (1910), S. 49–66, hier S. 57: „Denique nuper civile bellum inter reges Francorum Theodericum et Dagobertum circa illos fines est actum […].“ Vgl. Gisela Muschiol, Art. Sadalberga, in: LThK, Bd. 8, 31999, Sp. 1422f.; vgl. zu William oben Anm. 22. Vgl. Valois, Rerum Francicarum tomus II, 1658. Praefatio [unpaginiert], [S. 35 = fol. aar]: „Quibus ex duorum Auctorum locis inter se collatis collegi, Dagobertum Sigiberti iunioris Austrasiorum Regis filium tonsum quidem à Grimoaldo Maiore domus Regiæ post patris sui mortem, & paruulum in Hibernam seu Scotiam maiorem per Didonem Pictauorum Episcopum deportatum fuisse: sed postea (quod hactenus scierat, hactenus scripserat nemo) in Regnum patrium reuocatum restitutúmque esse à Vulfoaldo Præfecto Palatij domum […].“

639 Aus diesen Bemerkungen muss nicht gefolgert werden, dass es nicht Henschen, sondern Valois gewesen sei, der diesen Zusammenhang als erster der Öffentlichkeit bekannt gemacht habe. Valois brachte im Wesentlichen das vor, was Henschen in der Dedikationsepistel der 1655 selbstständig publizierten Diatriba seinerseits unter anderem im Rekurs auf William und die Vita Sadalbergae formuliert und sodann auf 90 Quartseiten vertiefend untersucht hatte. 28 Valois jedoch äußerte seine Verwunderung darüber, dass er seinen Beobachtungen vergleichbare Ausführungen bei Henschen habe nachlesen müssen, während mehrere Zeugen es bestätigen könnten, dass er sie nach 1647 selbst erarbeitet habe. 29 Was Henschen gegenüber Valois in der Tat ermangelt zu haben scheint, war das Gespür dafür, dass die sich schrittweise erhellende Rückkehr Dagoberts II. aus dem Exil und seine Regentschaft in Austrasien als veritable historiographische Entdeckung gefeiert werden konnten. Die Publikation der Diatriba von 1655 und Valois’ Ausführungen innerhalb der Leserapostrophe legen es nahe, dass der Drucklegung dieser jeweils umfangreicheren Werke eine Statik eignete, die –––––––— 28

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Vgl. DE TRIBVS || DAGOBERTIS || FRANCORVM REGIBVS || DIATRIBA || GODEFRIDI HENSCHENII || E SOCIETATE IESV. || In quâ horum Regum ac successorum genus, tempus, acta indicantur: DAGOBERTO II, S. || Sigeberti filio, regnum Austrasiorum vindi- || catur, & Chronologia ex Conciliis & Epi- || scoporum gestis illustratur. || ANTVERPIÆ, Typis IACOBI MEVRSII, Anno M. D. CLV. Dedikationsepistel: Serenissimo Leopoldo Gvilielmo, Avstriæ Archidvci, Belgii Bvrgvndiæqve pro Rege Catholico Gvbernatori [unpaginiert], fol. á3v: „De Hiberniâ DAGOBERTVS, vti VVillelmus Malmesburiensis lib. 3 de gestis Pontif. Angl. auctor est, ad S. VVilfridum Archiepiscopum Eboracensem venit, qui eum hospitio recepit, & equis sociisque adiutum, patriæ remisit. Ibi ille in paterni regi est portionem à Childerico patrueli suo, Chlodouei II filio, admissus.“ Ebd., fol. ér–v: „Rediuiuus itidem adest DAGOBERTVS, nullius egens ad splendorem sepulchralis apparatus, cuius sumptu constructa tot olim ampla & operosa templorum ac monasteriorum extant etiamnum, ad gloriam eius sempiternam, ædificia. Huius à me nomen, & (si fas ita loqui) regnum refossum est: non, vt CHILDERICI, ex ruinosæ domus disiectis fundamentis, sed ex Sanctorum Actis, VVilfridi præsertim ac Salabergæ Abbatissæ. Illi nempe anno DCLXXX, Episcopatum Strateburgensem, quem Tu nunc, SERENISSIME PRINCEPS, feliciter administras obtulit DAGOBERTVS Rex Transrhenanorum Francoru[m]. Idemq[ue], vt in S. Salabergæ Actis narratur, aduersùs Theodericum Regem in Austrasiæ Burgundiæq[ue] finibus bellum geßit.“ Vgl. dazu Liber II. Dagobertvs II Rex Avstrasiorvm, ebd., S. 61–151. Vgl. Valois, Rerum Francicarum tomus II, 1658. Praefatio [unpaginiert], [S. 36]: „Huius obseruationis meæ, non vnius è multis, more meo participes mox feci Henricum Valesium fratrem meum, & pauculos quosdam ex amicis, videlicet Antonium Vionem Herouallium, V. C. Luteciæ in suprema Rationum publicarum Curia Auditorem, & tres alios, ex quibus vnus interiit: qui quatuor testari possunt vera me dicere, & se superiora de Dagoberto in Regnum paternum restituto anno M. DC. XLVII. ex me cognouisse. Nihilominùs tamen nescio qua ratione factum est, vti hanc meam obseruationem in Godefridi Henschenij Diatriba de tribus Dagobertis Francorum Regibus anno M. DC. LV. editâ reperirem, vel potiùs vt ea de re Henschenius libellum componeret, atque ex actis VVilfridi Episcopi & Salabergæ Abbatissæ nomen regnúmque Dagoberti se eruisse ac refodisse, in Præfatione ad Leopoldum Guilielmum Austriæ Archiducem gloriam.“

640 es erschwerte, flexibel auf aktuelle Entwicklungen zu reagieren. Vermutlich war Henschens Commentarius praevius für den in Arbeit befindlichen ersten Februarband von 1658 längst vollendet und in diesen eingepasst gewesen, als er mit der nominell drei Jahre vorher publizierten Diatriba eine erste Ergänzung dessen veröffentlichte. Henschen wie Valois hatten es in jedem Fall auffällig eilig, mit diesen komplementären Schriften Positionen zu besetzen, die lange Zeit außerhalb ihres Kenntnishorizonts gelegen hatten. In den Märzbänden erweiterte Henschen die Abhandlung De genealogico stemmate regum Francorum um die Appendix apologetica pro Diatribâ de tribus Dagobertis Francorum Regibus. Hier beschäftigte er sich ausführlich mit Valois’ Aspirationen. 30 Im Zuge der eigentlichen historiographischen Ausführungen habe er, so Henschen, Valois’ Namen ausgespart, um sich nicht gleich über dessen Postulat, den zweiten Dagobert entdeckt zu haben, unbescheiden äußern zu müssen. 31 Henschen erläuterte, dass er sich lange Zeit damit zurückgehalten habe, seine Entdeckung als solche publik zu machen, weil er zuerst weiteren Rat einzuholen beabsichtigt habe. Auch habe er befürchtet, dass sie, wenn er unvorsichtig vorginge, plagiiert werde. 32 Der Vorwurf des Plagiats wurde von Henschen mehr oder minder deutlich artikuliert. Er wollte Valois zwar nicht die Möglichkeit absprechen, selbst zu diesen Einsichten gelangt zu sein. 33 Allerdings sei klar, dass er Dokumente wie die Vita Sadalbergae und die – über Dagoberts Rückkehr explizit berichtende – Lebensbeschreibung Wilfrids von York aus seiner Diatriba kenne, ohne letztere genannt zu haben. 34 Henschen sprach den Verdacht aus, dass Valois von der Angelegenheit durch Louis Chantereau –––––––— 30 31

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Vgl. Henschen, De genealogico stemmate regum Francorum, AASS Martii, Bd. 3, 1668, S. XXII–XXIV. Vgl. ebd., S. XXIIb: „Hactenus Genealogiæ Regiæ ordinem ac chronotaxim paraueram prælo, tacito fermè vbique Hadriani Valesij nomine, ne immodestæ illius ad tomum 2 Rerum Francicarum præfationi cogerer respondere.“ Ebd.: „[…]: sed rursus legi prioribus similia sic iactantem: Primo ego anno MDCXLVII ex Malmeburiensi & S. Salabergæ Vitâ didici & obseruaui Dagobertum, regno ac domo expulsum factione Procerum, ex Hiberniâ […].“ Vgl. ebd., S. XXIIIb: „Ita porrò, vt dixi, repertam conquisitamque maximo labore scientiam, non statim protrusi in lucem publicam, nouæ inuentionis laudem appetens; neque veritus ne alicui plagiario innotesceret, abditam prorsus sub modio habui: sed proprio non omnia fidens iudicio, & gnarus tempore maturescere cuncta, moram indulsi ipsimihi quorum sententias exquirebam amicis.“ Vgl. ebd.: „[…]; libenter Valesio permissurus, vt quod suo se acquisiuisse dicit studio, totu[m] sibi vindicet; […].“ Vgl. ebd.: „[…] atque ita inueni vera esse quĊ anteà legeram de Dagoberti reditu ex Hiberniâ in S. Wilfridi Actis deq[ue] bellis gestis cum Theodorico patruele in Vitâ S. Salabergæ: quæ duo postrema testimonia, vt sola notantur in dedicatoriâ Epistolâ, ita sola mihi fuisse argumento ad asserendum vitæ & regno Dagobertum II, non dixisset Valesius; […].“ Vgl. zur Aussagekraft der Vita Wilfridi Becher, Staatsstreich (1994), S. 137f.; Weidemann, Chronologie (1998), S. 196 mit Anm. 107.

641 LeFebvre (1588–1658), den Autor der Considerations historiques sur la genealogie de la maison de Lorraine von 1642, erfahren haben könne. Er selbst habe zwar LeFebvre gegenüber Zurückhaltung walten lassen. Aus seinen Considerations werde nämlich deutlich, dass LeFebvre selbst von dieser großen Neuigkeit („talis novitas“) noch nichts ahnte. Bolland jedoch sei sehr unbefangen mit der Kommunikation auch heikler Daten umgegangen – ein Postulat, das sich realiter allerdings kaum bestätigen lässt. Daher sei es denkbar, dass Bolland die Neuigkeit an LeFebvre und dieser wiederum, ohne Böses zu ahnen, an Valois weitergereicht habe. 35 Im Übrigen genösse Valois unter den französischen Gelehrten kein großes Ansehen, und das, was er geschrieben habe, würde sowieso nicht geglaubt werden. 36 Gerade das Bewusstsein, neue historische Kenntnisse zu erarbeiten, konnte zum Streit um die eine oder andere auch als solche apostrophierte „Entdeckung“ führen. Unabhängig davon, wer dem zweiten Dagobert seinen letzten Schliff verliehen haben mochte, änderte sich in der Folgezeit das historiographische Handbuch- und Nachschlagewissen. Was Dagobert II. anging, galt dies weniger für die monarchisch angelegten und nicht auf die Dynastie der Merowinger als solche zielenden Abrisse zur französischen Geschichte. In François Eudes de Mézerays (1610–1683) Abbregé chronologique von 1676 firmierte als Dagobert II. allein der im Gesamtreich herrschende und heute als Dagobert III. († 715) gezählte Sohn Childeberts III.

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Vgl. Henschen, De genealogico stemmate regum Francorum, AASS Martii, Bd. 3, 1668, S. XXIIIb–XXIVa: „Quin & ad Cantarellum fidenter dedissem litteras, si in Considerationibus illius historicis super Genealogiâ domus Lotharingicæ, ab illo vulgatis anno 1642, vllum talis nouitatis, etiam sub dubio animaduersæ, vestigium reperissem. Etenim Bollandum inter & Cantarellum nonnulla extabat officiorum epistolarumque communio, & harum vna superest adhuc, quæ possit omnibus manifestum facere, quantùm vir ille de se humiliter, de studijs nostris sentiret sublimiter; vt parùm verosimile videatur conqueri illum Valesio voluisse de me; longè autem verosimiliùs, Bollandum, qui suorum studiorum subsidia & arcana, magis quàm fortè expediebat liberaliter, communicabat cum amicis, inuenti mei conatusque notitiam ipsi Cantarello, & hunc Valesio impertinuisse; […].“ LeFebvre hatte von Dagoberts Exil in der Tat nicht mehr gewusst als seine Zeitgenossen. Vgl. CONSIDERATIONS || HISTORIQVES || SVR || LA GENEALOGIE || DE LA MAISON || DE LORRAINE. || PREMIERE PARTIE DES MEMOIRES || REDIGEZ PAR LOVIS CHANTEREAV || LE FEBVRE. || A PARIS, || DE L’IMPRIMERIE DE NICOLAS BESSIN, || ruë des Carmes, à l’Image S. Iean. || M. DC. XLII. || AVEC PRIVILEGE DV ROI, S. 93: „Sigebert II. Roy d’Austrasie, lequel n’ayant point d’enfans, adopta pour son fils & successeur Hildebert, fils de Grimoald Maire du Palais: mais depuis ayant eu Dagobert II. il le laissa Roy aprés luy. Il est vray que Grimoald chassa Dagobert, & le contraignit de prendre l’habit de Moine, & en suitte fit couronner son fils Hildebert Roy d’Austrasie, qui fut bien tost expulsé par Clouis II.“ Vgl. Henschen, De genealogico stemmate regum Francorum, AASS Martii, Bd. 3, 1668, S. XXIIb: „Videbam […] neque magnam eius apud eruditos Francos auctoritatem esse, neque ab vllo credita fuisse quĊ scripserat; […].“

642 († 711). 37 Dieser wiederum wurde in Claude Fleurys (1640–1723) Histoire ecclésiastique, einem der wichtigsten Handbücher des 18. Jahrhunderts, zugunsten des austrasischen Dagobert II. übergangen. 38 Im biographischen Lexikon Moréris traten, in der hier genutzten zweiten Ausgabe von 1681, in diesem Sinn zwei Lemmata „Dagobert II.“ in Erscheinung. Das eine verzeichnete den durch Henschen und Valois in seiner Regentschaft bekannt gewordenen Sohn Sigiberts III., 39 das andere den späteren Herrscher im –––––––— 37

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Das Titelblatt der hier konsultierten Ausgabe (Exemplar HAB WoBü Gk 1359) ist beschädigt. Vgl. ABBREGÉ || CHRONOLOGIQUE || OU || EXTRAICT || DE || L’HISTOIRE || DE FRANCE. || Par le Sr De MEZERAY Historiographe || de France. || Commençant à Faramond, & finissant à la fin || du Regne de Charlemagne. || TOME PREMIER. || A PARIS, || Chez CLAUDE BARBIN, au Palais ¢…² || le second Perron de la sainte Chap¢…². || M DC. LXXVI. || AVEC PRIVILEGE DU ROI. Dagobert II. dit le Jeune Roy XVIII., ebd., S. 378–387, hier S. 386: „Sur la fin de la mesme année [715] mourut Dagobert roy de Neustrie, aprés avoir esté l’esclave des maires quatre à cinq ans. Il laissa un fils nommé Thierry, […].“ Vgl. zu Mézeray Wilfred Hugo Evans, L’historien Mézeray et la Conception de l’Histoire en France au XVIIe siècle, Paris 1930; Grell, Monarchie (1998), S. 545f. HISTOIRE || ECCLESIASTIQUE || Par Mr. FLEVRY, prêtre prieur d’Argenteüil, cydevant || sous-precepteur du Roy d’Espagne, de Monseigneur le || Duc de Bourgogne & de Monseigneur le Duc de Berry. || TOME NEUVIÉME. || Depuis l’an 679. jusques à l’an 794. || A PARIS, || Chez JEAN MARIETTE, ruë Saint Jacques, aux || Colomnes d’Hercule. || M. DCCIII. || Auec Privilege du Roy & Approbation des Docteurs., S. 9: „Saint Vilfrid ayant passé l’hiver en Frise en partit au commencement du printems l’an 679. pour continuer son voyage de Rome. Il passa chez Dagobert roi des François en Austrasie, qui le reçut avec grande amitié: se souvenant des obligations qu’il lui avoit. Car ce roi aprés la mort de Sigebert III. son pere fut envoyé en Irlande par Grimoald maire du Palais, & ne n’en fut rappellé que vingt-ans aprés en 674. Les seigneurs d’Austrasie s’adresserent pour cet effet à saint Vilfrid, qui le renvoya avec une escorte, & toutes les choses necessaires pour le conduire en son royaume. Le roi Dagobert vouloit lui donner l’évêché de Strasbourg le plus grand qu’il y eut dans ses états: & comme il le refusa, […].“ Im Sinne der austrasischen Zählung wurde dabei Sigibert als Sigibert II. qualifiziert. Vgl. Art. Dagobert II., in: Moréri, Grand dictionaire historique, Bd. 1, 21681, S. 1053a–b: „[…] Roy d’Austrasie, […] étoit fils de Sigebert II. Ce saint Roy le laissa à l’âge de trois ou quatre ans sous la conduite de Grimoald Maire du Palais; & ce perfide mit sur le trône Childebert son fils; & enferma dans un Monastere Dagobert sous la garde de Didon Evêque de Poitiers; & ensuite il l’envoya en Hibernie. Mais les Austrasiens desapprouvant un procedé si barbare, firent rechercher le Prince qui fut depuis rappellé par les grands du Royaume & par Wlfoald [!]; & il fut mis sur le trône vers l’an 676. C’est ce que nous apprenons de l’Auteur de la vie de S. Menge Evêque de Châlons. Guillaume de Malmesbury qui a écrit celles des Prelats d’Angleterre, dit dans le Livre troisiéme que Dagobert reçût tres-bien en 679. […] Les Curieux pourront consulter tous ces Auteurs, le Sr Adrien Valois en son Berengarius Augustus, & au premier Tome des Gestes des anciens François; & la dissertation du P. Henschenius des trois Dagoberts.“ Das zweite von Moréri genannte Werk Valois’, in dessen Rahmen er sich zu dieser Frage geäußert hatte, war das CARMEN || PANEGYRICVM || DE LAVDIBVS || BERENGARII AVG. || ET || ADALBERONIS || EPISCOPI LAVDVNENSIS || AD ROTBERTVM REGEM FRANCORVM || CARMEN. || Ab HADRIANO VALESIO Historiographo || Regio è veteribus codicibus eruta || ac Notis illustrata. || PARISIIS, || Sumtibus IOHANNIS DV PVIS, in vico ||

643 Gesamtreich und Sohn Childeberts III.40 Wann sich die von Henschen applizierte dynastische Zählung durchsetzte, bliebe zu untersuchen. Möglicherweise war dies eine Innovation, die er noch gar nicht ermessen konnte. Eine Diskussion darüber scheint jedenfalls nicht stattgefunden zu haben. Die dynastische Zählung sollte etwa, anders als bei Buddeus, im Zedler zur Anwendung kommen. 41 Insgesamt kann mit den Lexika und Handbüchern ein vergleichsweise kurzer Weg von der historiographischen Investigation in die darstellenden Formen und das Nachschlagewissen der Zeit beobachtet werden. Angesichts der nach wie vor dominierenden Vorstellung von einer strikten Trennung der verschiedenen Sphären ist diese Beobachtung durchaus nicht ohne Interesse. Das, was Henschen, Valois oder andere auf diesem Feld nahezu zeitgleich tätige Gelehrte zur Darstellung brachten, beschränkte sich nicht auf die isolierte Präsentation einzelner spektakulärer Funde. Sobald in der einen oder anderen Richtung Korrekturen an bisherigen Sichtweisen anzubringen waren, musste das chronologische Geflecht insgesamt in Bewegung gesetzt werden, um neue Hypothesen und Ergebnisse in den Gesamtzusammenhang der Tradition einzupassen. Dabei ist es nicht verwunderlich, dass im Bemühen, das Gewebe der Dagoberte, Chilperiche, Sigiberte und Theuderiche und das ihnen assoziierte Spektrum von Personen und Ereignissen unter –––––––— 40

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Iacobeo ad Coronam auream. || M. DC. LXIII. || CVM PRIVILEGIO REGIS., S. 329ff. Vgl. Art. Dagobert II., in: Moréri, Grand dictionaire historique, Bd. 1, 21681, S. 1053a: „[…], dit le Ieune, Roy de France, étoit fils de Childebert surnommé le Iuste, & il succeda au nom de Roy, l’an 711. Et en effet il n’avoit que le nom de Souverain, & les Maires du Palais l’étoient en effet. Pepin le Gros, qui dans cét employ avoit gouverné la France durant vingt-sept ans, mourut en 714. & par sa mort jetta le Royaume dans d’horribles confusions. Thibaud petit fils de Pepin, […].“ Vgl. Art. Dagobertus II., in: Zedler, Universal Lexicon, Bd. 7, 1734, Sp. 49f.: „Knig in Austrasien, Knigs Sigeberti III. Sohn. Als sein Vater starb, war er kaum 3 oder 4 Jahr alt, und bekam nach v terlicher Verordnung Grimoaldum den Maioremdomus zum Vormunde, welcher aber sein Amt dazu gebrauchte, daß er seinen eignen Sohn Childebertum auf den Thron setzte, und Dagobertum zum Geistlichen machen ließ, worauf er ihn durch Didonem, Bischoff von Poitiers, nach Jrrland [!] schickte. Sigebertus Gemblac. ad A. 657. Gesta Francorum 43. ab Eckhart Rer. Franc. XIV. 21. […]. Er must in diesem Exsilio 18 Jahr Gedult haben, ehe man in Franckreich einige Nachricht von seinem Zustande haben konte, […].“ Art. Dagobertus III., in: ebd., Sp. 50: „[…], der j(ngere zugenannt, Childeberti des Gerechten Sohn, ward an. 711 Knig in Franckreich. Er hatte zwar den Namen, aber nicht die Auctorit t und Gewalt eines Knigs, […]. Dagobertus starb den 19. Jan. an. 716, und hinterließ Theodoricum III, Knig von Neustrien, Burgund und Austrasien. Aimon. IV. 49. 50. 51. Gregor. Turon. app. 193. Valesius T. III. Mezeray hist. de France. […].“ In Buddeus’ Lexikon wurde der heute als Dagobert III. gezählte Sohn Childeberts III. als Dagobert II. verzeichnet. Der heute als Dagobert II. firmierende Sohn Sigiberts III. wurde hingegen in seinem Artikel ohne Zählung präsentiert. Vgl. Art. Dagobertus II., in: Allgemeines historisches Lexikon, Bd. 2, 1730, S. 5a; Art. Dagobertus, in: ebd., S. 5a–b.

644 Kontrolle zu bringen, einige Fehlschlüsse und Ungenauigkeiten nachzuweisen sind. Dagobert II., der nach heutiger Einschätzung nur kurz zwischen 676 und 679 in Austrasien regierte, kehrte nach Henschens Kalkulationen 670 aus dem Exil zurück, regierte von da an bis 680 und verstarb 687. Während Dagobert II. nach gegenwärtiger Kenntnis keinen Thronfolger hinterließ, betrachtete Henschen ihn als Vater Theuderichs IV. († 737), der, so Henschen, zwischen 720 und 737 regiert habe, Chlothars IV. († 719), der nur für kurze Zeit 718 geherrscht habe, und eines Sigibert IV., der nach Henschens Auffassung mit dem Vater regiert und zeitgleich oder kurz nach ihm verstorben sei. 42 Der Wunsch, dem neu entdeckten Herrscher möglichst große Bedeutung zuzuschreiben, mag, neben den sachlichen Gesichtspunkte, in Henschens Analysen eine gewisse Rolle gespielt haben. Historiographiegeschichtlich artikuliert sich in diesen Studien und Debatten dennoch eine substantielle Verschiebung der Gewichte auf dem Gebiet der gelehrten Historiographie. Die historiographische Schlüsselzeit des frühen Mittelalters, die gerade aufgrund ihrer undurchsichtigen Strukturen die Möglichkeit geboten hatte, Zeit und Raum konsensuell mit fiktiven Personen, Genealogien und Ursprungsmythen anzureichern, begann sich derart zu verdichten, dass die Karriere zahlreicher erst im späten 15. oder frühen 16. Jahrhundert gestifteter „Merowinger“ – oder ihnen assoziierter Vorläufer – bereits nach verhältnismäßig kurzer Zeit auszuklingen begann. Der von Trithemius den Chronisten Wastald und Hunibald zugeschriebene Sohn des Königs Clodius Walther, der zur Zeit des Diokletian regiert habe, 43 spielte in den Überblickswerken und Lexika des späteren 17. Jahrhunderts keine Rolle. Gleiches gilt für den Merowingersohn Otpert, der in Jakob Mennels (um 1460–1526) chronikalischen Werken, die bis ins 17. Jahrhundert als Vorbild insbesondere für oberdeutsche Adelschroniken dienten, die Anbindung des Hauses Habsburg an die fränkischen Könige gewährleisten sollte. 44 Auch in diesem Fall ist festzuhalten, dass mit den alter–––––––— 42

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Vgl. Henschen, De genealogico stemmate regum Francorum, AASS Martii, Bd. 3, 1668. Tafel: Stemma genealogicvm posteriorvm Regvm stirpis Merovingicæ, ebd., S. XIII. Vgl. Weidemann, Chronologie (1998), S. 230. Johannes Trithemius, De origine gentis Francorum. An Abridged History of the Franks. The Latin Text. With an English Translation, Introduction, and Notes by Martin Kuelbs † and Robert P. Sonkowsky (Bibliotheca Germanica 4), Dudweiler 1987, S. 110: „Waltherus Filius regis Clodii post patrem regnauit annis octo, cuius anno primo Diocletianus Romae cœpit & imperauit annis ferme viginti, […].“ Vgl. zu Trithemius’ Konstruktionen Klaus Arnold, Johannes Trithemius (1462–1516) (Quellen und Forschungen zur Geschichte des Bistums und Hochstifts Würzburg 23), Würzburg 21991, S. 167–179. Vgl. Dieter Mertens, Kommentar zu: Jakob Mennel, Cronica Habspurgensis nuper Rigmatice edita, in: Die Zähringer, Bd. 2: Anstoß und Wirkung = Veröffentlichungen zur Zähringer-Ausstellung II [Katalog zur Ausstellung der Stadt und der Universität Freiburg i. Br. vom 31. Mai bis 31. August 1986], hrsg. v. Hans Schadek/Karl Schmid, Sigmaringen 1986, Nr. 271, S. 309f.; ders., Kommentar zu: Jakob Mennel,

645 tumskundlichen Bestrebungen des 17. Jahrhunderts keineswegs die als Heilige verehrten Protagonistinnen und Protagonisten des frühen Mittelalters und ihre Viten aus dem historiographischen Zusammenhang verschwanden, sondern dass sie und ihre Lebensbeschreibungen ganz im Gegenteil in die einschlägigen Debatten eingebracht wurden. Henschen konstatierte nicht ohne Zufriedenheit, „wieviel Licht die sorgsam untersuchten Tatenberichte der Heiligen auf die Geschichte werfen“ würden, „sogar auf die politische“. 45 Verdrängt aus dem Zentrum der sich in überindividuellen Strukturen organisierenden Diskussionszusammenhänge der Zeit wurden hingegen, in einem bislang nur in Umrissen untersuchten Prozess, 46 eher die fiktiven Gestalten der politischen und dynastischen Geschichte, für die sich keinerlei historische Evidenz auffinden ließ.

7.1.2 Dagobert und Irmina – Neue Einblicke in alte Fälschungen Die Deutungen Henschens und Valois’ blieben nicht unwidersprochen. Die Anstöße für eine systematische Beschäftigung mit den mittelalterlichen Diplomen, die Papebroch einerseits den Ruhm eintragen sollte, zusammen mit Mabillon eine „neue Wissenschaft ins Leben gerufen zu haben“, 47 die der Diplomatik, und die ihn andererseits zum Vertreter eines geradezu „hemmungslosen […] Skeptizismus“ 48 oder einer „Hyperkritik“ werden ließ, 49 gingen im Wesentlichen von den chronologischen Implikationen der Existenz des zweiten Dagobert aus. Henschen hatte gegen die jesuitischen Historiographen des Reichs zu plausibilisieren versucht, dass die hl. Irmina –––––––—

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Fürstliche Chronik Kayser Maximilians Geburtspiegel genannt, in: ebd., Nr. 272, S. 311; ders., Geschichte und Dynastie – Zu Methode und Ziel der „Fürstlichen Chronik“ Jakob Mennels, in: Historiographie am Oberrhein im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit, hrsg. v. Kurt Andermann (Oberrheinische Studien 7), Sigmaringen 1988, S. 121–153; Arnold, Trithemius (21991), S. 167ff.; Dieter Mertens, Mittelalterbilder in der Frühen Neuzeit, in: Die Deutschen und ihr Mittelalter. Themen und Funktionen moderner Geschichtsbilder, hrsg. v. Gerd Althoff (Ausblicke), Darmstadt 1992, S. 29–54, hier S. 37ff. Vgl. Henschen, De genealogico stemmate regum Francorum, AASS Martii, Bd. 3, 1668, S. XIIa: „[…] quantam historiæ, etiam politicæ, lucem inferant Sanctorum Acta benè examinata […].“ Vgl. Bietenholz, Historia (1994). Carlrichard Brühl, Die Entwicklung der diplomatischen Methode im Zusammenhang mit dem Erkennen von Fälschungen, in: Fälschungen im Mittelalter. Internationaler Kongreß der MGH, München 16.–19. Sept. 1986, Bd. 3: Diplomatische Fälschungen (1) (Schriften der MGH 33,3/1), Hannover 1988, S. 11–27, hier S. 20. Friedrich Meinecke, Die Entstehung des Historismus, Bd. 1: Vorstufen der Aufklärungshistorie, München/Berlin 1936, S. 38. Vgl. Harry Bresslau, Handbuch der Urkundenlehre, Bd. 1, Berlin 31958, S. 25; Carlrichard Brühl, Studien zu den merowingischen Königsurkunden, hrsg. v. Theo Kölzer, Köln/Weimar/Wien 1998, S. 1; Helvétius, Saints (2000), S. 138 Anm. 6.

646 von Oeren († nach 706, vor 709), die – heute von Teilen der Forschung als Irminas Tochter betrachtete – hl. Adela von Pfalzel († um 735) und vielleicht auch deren Schwestern Regentrudis und Chrodelindis als die Töchter des neu entdeckten Dagobert II. gelten könnten und nicht als die Dagoberts I. († 639) oder Dagoberts III. Hingegen sei die hl. Modesta († nach 659) nicht als Schwester Irminas und Äbtissin von Oeren, sondern als Äbtissin von Remiremont zu bewerten. 50 Summarisch waren beispielsweise Irmina, Adela und Chrodelindis von dem Jesuiten Jodocus Coccius (1581– 1622) in dessen Dagobertus Rex Argentinensis episcopatus fundator von 1623 als Töchter Dagoberts I. und seiner zweiten Gattin Nanthildis († 642) apostrophiert worden. 51 Trithemius und Kaspar Bruschius (1518–1557) galt Irmina als Tochter Dagoberts und erste Äbtissin von Oeren, auf die die hl. Modesta, die Nichte des Trierer Bischof Modoald (reg. nach 614–vor 646/47), nachgefolgt sei. 52 –––––––— 50

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Vgl. Henschen, De genealogico stemmate regum Francorum, AASS Martii, Bd. 3, 1668. Tafel: Stemma genealogicvm, S. XIII; ebd., S. XXI: „Nunc ad Dagoberti nostri II filias transitus fiat. Rathildem siue Rotildim, & Regentrudem nominant aliqui, communi quidem errore ad Dagobertum I, vel etiam ad pueru[m] siue III delati, quia secundu[m] ignorabant: sed quas huius fuisse oportuit, si fuerunt alicuius Dagoberti.“ Mit Blick auf die Diatriba von 1655 bemerkte er: „[…] nominanda imprimis nobis est S. Irmina: quam tam illustribus argumentis probauimus esse ex II Dagoberto prognatam, […]. Interim fidenter asserimus Modestam, non Horreensem, sed Auendensem Abbatissam, maiori longè errore dici S. Irminæ sororem: […]. || Ibidem […] probauimus Dagoberti nostri filiam fuisse Adelam, […].“ Irmina gilt insgesamt nicht mehr als Königstochter. Mit ihren und den verwandtschaftlichen Beziehungen ihrer Töchter hat sich die Mediävistik intensiv befasst. Vgl. Matthias Werner, Adelsfamilien im Umkreis der frühen Karolinger. Die Verwandtschaft Irminas von Oeren und Adelas von Pfalzel. Personengeschichtliche Untersuchungen zur frühmittelalterlichen Führungsschicht im Maas-Mosel-Gebiet (VuF Sonderbd. 28), Sigmaringen 1982, S. 26f., 38, 171–175; Eduard Hlawitschka, Zu den Grundlagen des Aufstiegs der Karolinger. Beschäftigung mit zwei Büchern von Matthias Werner, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 49 (1985), S. 1–61, bes. S. 12–28; Dieter von der Nahmer, Art. Adela von Pfalzel, in: LexMA, Bd. 1, 1980, Sp. 143; Hans Hubert Anton, Art. Irmina, in: LexMA, Bd. 5, 1991, Sp. 662. Vgl. DAGOBERTVS || REX || ARGENTINENSIS || EPISCOPATVS || FVNDATOR, || PRÆVIVS. || Quem in ALSATIA rediuiuum, Notisque illustra- || tum publico donabat || IODOCVS COCCIVS SOCIETATIS || IESV Theologus. || In quo de VTRIVSQVE ALSATIÆ finitimisq[ue] rebus, ad Sacram || Ciuilemq[ue] notitiam non pauca, in loco memorantur. || MOLSHEIMII, || TYPIS IOANNIS HARTMANNI. || M. DC. XXIII., S. 112, zum Tod Dagoberts I.: „[…] qui Anno regni XIIX. [! = XXII] Christi DCXLIV. vitam turpissimam pari exitu terminauit. At secundioribus ferè astris tergeminam prolem, etsi minus legitima[m], Nanthildis alter enixa est. IRMINAM, ADELAM, & ROTHILDIM. IRMINA, maxima DAGOBERTI voluntate […].“ Vgl. Art. Coccius, Josse, in: Sommervogel, Bd. 2, 1891, Sp. 1253f. Vgl. Bruschius, Centuria prima, 1551, Bl. 75v: „Horrevm Treuerense […]. Eius loci Abbatissarum ac gubernatricium talis extat Treueri Catalogus.“ Ebd., Bl. 76r: „1. S. Irmina Dagoberti filia, fundatrix & gubernatrix prima Cœnobij sui, centumq[ue] Monialium laudabilis Abbatissa: […]. || 2. S. Modesta S. Vvillibrordi Archiepiscopi Vltraiectini soror [!], & S. Modovvaldi Treuirorum Episcopi è sorore neptis, alumna

647 Insbesondere aber hatte sich Henschen mit seinen Diagnosen von Browers Trierer Annalen abgegrenzt. Diese erschienen in der ersten offiziellen Version von 1670/71 direkt mit einer Erwiderung ihres Herausgebers Masen. Masen hatte Browers Text um einen Anhang mit Notae et additamenta ergänzt. 53 Er distanzierte sich zunächst von Valois, den er ausführlich zitierte. Valois hatte 1658 gegen Henschens Hypothesen von 1655 die Meinung vertreten, dass keine der besagten Frauen als Tochter irgendeines merowingischen Königs zu bewerten sei. Die Personen Adela und Chrodelindis hatten ihm sogar als insgesamt fiktiv gegolten. Ferner hatte Valois zu diesen seines Erachtens ärgerlichen Fabeln auch Browers Schilderung von der Stiftung des Klosters St. Marien in Oeren durch Dagobert I. unter Bischof Modoald von Trier gezählt und das mögliche Abbatiat Modestas und Irminas als erfunden qualifiziert. In jedem Fall hätten außer Sigibert III. und Chlodwig II. († 657) keine Kinder Dagoberts I. existiert. 54 Ebenfalls als –––––––—

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prius Montis Romarici Monialium antiquissimi Cœnobij: […].“ Trithemius, Compendium, in: Opera historica, Bd. 1, 1601, S. 53: „¢marginal: S. Irmina fit prima abbatissa in Horreo Treuerensi […].² Irmina virgo sanctissimæ conuersationis, vna ex filiabus regis Dagoberti fuit, […]. Huic pater adhuc viuens in vrbe Treuirorum, in palatio suo antiquissimo, quod Horreum vocabatur, monasterium puellarum sub regula sancti Benedicti, & ecclesiam in honorem beatæ Mariæ semper virginis construxit, […]. Huic Irminæ in regimine sanctimonialium cœnobij memorati successit Modesta, cœnobij Romarici alumna, & filia sororis beati Modoaldi, archiepiscopi Treuirorum […]: quæ inter sanctos omnes sunt relatæ.“ Vgl. Brower, Antiquitates Trevirenses, Bd. 1, 1671. Notæ et additamenta ad tomvm primvm Annal. Trevirensium Browerianum R. P. Jacobi Masenii Societ. Jesu, ebd., S. 573–626. Vgl. XIII. Annotatio ad Annum 643. De S. Irminæ & Adhela, fuerintne Dagoberti primi an secundi filiæ, & quorum uterque locorum fundator?, ebd., S. 606–615, hier S. 606b–607a: „Exorti nuper historici sunt, qui non perfunctorio labore excussis veterum monumentis plura eorum, quæ de Francorum ac Trevirorum rebus Browerus disseruit, aut subruere, aut in alienum sensum traducere conantur, quorum cum nonnulla Dagobertum Regem Francorum ejusque liberos ac posteritatem ita tangant; ut Trevericam historiam fidemque monumentorum nostrorum labefactare videantur, minimè nobis esse dissimulanda putamus. Ex his præcipuum ferè est, quod non ita pridem Hadrianus Valesius Francicarum rerum non ignobilis scriptor, in tertio historiarum suarum tomo, asserere non est veritus, adscribendum fabulis, quod de Irmina, Adela, aliisque Dagoberti Regis filiabus nonnulli commentantur. […]. Verba ipsius admetiar. Postquam enim facta atque infecta Dagoberti, velut ex diphthera minimè fallaci recitasset, censorio denique calamo adjicit. Frigidum sit his addere, quas Regi Dagoberto filias nonnulli recentes auctores impudenter affinxerint: Beatam IRMINAM, & MODESTAM, mendacium regiæ originis ipso nomine præferentem, ambas Deo devotas Virgines: ADELHEIDEM, vel ADELAM, & ROTHILDEM, ut commentitias, ita & commentitiis viris nuptas. E quibus Irminam, Adelam, & Rothildem quidam Dagoberto minori Sigeberti filio aßignare mavult. Piget referre quod affirmant; Modoaldum Trevericæ Ecclesiæ Episcopum Augustæ Trevirorum in palatio Dagoberti, Horreo dicto, Basilicam S. Mariæ ædificasse, ubi congregatis Virginibus Irmina Modestaq[ue] præfuerint, Monasteriumq[ue] loco cognomine à Dagoberto in filiarum gratiam liberaliter esse dotatum, atque Irminam Abbatissam Monasterii S. Mariae ad Horrea dimidiam partem vici Epternaci, Suræ flumini

648 Fehler Valois’ betrachtete Masen das Epitheton des Bischofs, mit dem Valois den in diesem Rahmen genannten Willibrord bedacht hatte – und das faktisch seinen Status als Erzbischof der Friesen bezeichnete. 55 Einigkeit bestand zwischen Henschen, Valois und Masen allein darüber, dass die hl. Modesta keine Tochter Dagoberts I. gewesen sei. 56 Gegen Va–––––––—

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ipositi, quam possederat, Willibrordo Epternacensi Episcopo, anno 12. regni Domini Childeberti, Regis Dagoberti pronepotis, hoc est post patris sui obitum, anno 68. dedisse. Quas fabulas referre, refellere est. Constat quippe Dagobertum duos tantummodo filios, Sigebertum ex pellice, Chlodoveum ex conjuge Nanthilde superstites reliquisse, ac nihil præterea liberorum sustulisse.“ Vgl. Valois, Rerum Francicarum tomus III, 1658, S. 131: „Frigidum sit his addere, […].“ Vgl. Brower, Antiquitates Trevirenses, Bd. 1, 1671. Masen, Notæ et additamenta. XIII. Annotatio, ebd., S. 607a: „[…] ut errorem alterum haud paulò leviorem, quo Willibrordum Epternacensem Episcopus vocat, […].“ In diese Debatte hatte das Attribut des Bischofs durch eine Urkunde der Irmina Eingang gefunden, die bereits von LeMire gedruckt worden war. Vgl. S. Irmina, Dagoberti I. Francorum Regis filia, dat S. VVillibrordo, Episcopo Vltraiectino, medietatem Epternaci oppidi, in Ducatu Lutzeburgensi nunc siti, item[que] basilicas à se ibidem ædificatas, cum varijs prædijs, anno 698. aut 699., in: DIPLOMATVM || BELGICORVM || LIBRI DVO, || In quibus Litteræ Fundationum ac Donationum piarum, || Testamenta, Codicilli, Contractus antenuptiales, || Fœdera Principum, & alia cùm sacræ tum po- || liticæ antiquitatis monumenta, ad Germa- || niam inferiorem vicinasque prouincias || spectantia, contenentur. || AVBERTVS MIRÆVS Bruxellensis, || Decanus Antuerpiensis, eruebat || & Notis illustrabat. || BRVXELLIS, || Apud Ioannem Pepermanvm, Bibliopolam iuratum, || Typographumque ciuitatis, sub Biblijs aureis. || M. DC. XXVIII., lib. II, c. 4, S. 246– 248. Inc.: „Domino sancto ac venerabili in Christo patri WILLIBRORDO Episcopo […].“ Die einzelnen capitula bei LeMire entsprechen jeweils einem reproduzierten Dokument. Vgl. D Merov. †55, in: Diplomata regum Francorum e stirpe Merowingica, hrsg. v. Karl August Friedrich Pertz (MGH DD 1), Hannover 1872 (Neudruck Stuttgart/Vaduz 1965), S. 173f. Inc.: „Domino sancto ac venerabili in Christo patri, Willibrordo episcopo, […].“ Diese von K. A. F. Pertz noch zu den Spuria gezählte Urkunde gilt heute als echt. Da Irmina nicht mehr als Königstochter betrachtet wird, wurde diese Privaturkunde in der neuen Ausgabe der Diplome der Merowinger allerdings nicht mehr berücksichtigt. Vgl. Brühl, Studien, ed. Kölzer (1998), S. 30; Theo Kölzer, Einleitung, in: Die Urkunden der Merowinger, nach Vorarbeiten v. Carlrichard Brühl (†) hrsg. v. Theo Kölzer, Teil 1 (MGH Diplomata regum Francorum e stirpe Merovingica), Hannover 2001, S. XI–XXXI, hier S. XI. Mit der durch diese Urkunde von 697/98 verbürgten Schenkung wird inzwischen in der Tat, gegen Valois, der entscheidende Impuls für die Gründung des Klosters Echternach verbunden. Vgl. Folker J. Bakker, Art. Echternach. I. Archäologie und Klostergründung, in: LexMA, Bd. 3, 1986, Sp. 1542f., hier Sp. 1542. Anders als Valois und Henschen nimmt man heute an, dass die hl. Modesta, nach einem Aufenthalt in Remiremont, sehr wohl die erste Äbtissin von Oeren gewesen sein könnte. Vgl. Matthias Werner, Art. Modesta, in: LThK, Bd. 7, 31998, Sp. 370. Die Analyse der damaligen Ansichten und Resultate verliert also dadurch an Übersichtlichkeit, dass Henschen, Valois und die Trierer Jesuiten je einzelne Elemente akzentuierten, die zu Teilen dem heutigen Kenntnisstand entsprechen – Henschen die spätere Lebenszeit der hl. Irmina, Valois die Tatsache, dass sie nicht als Tochter eines Merowingers zu betrachten sei und die Trierer Jesuiten jene, dass das Kloster Oeren zur Zeit Dagoberts I. gegründet wurde –, die von ihnen jedoch nicht zusammengeführt, sondern in Richtung auf unterschiedliche Konstellationen ausgedeutet wurden.

649 lois’ pauschale Verwerfung des gesamten Datenstands und gegen Henschens Qualifikation der Irmina als Tochter Dagoberts II. suchte Masen nun mit Schriften, die „in den Archiven der Stadt und in den bischöflichen“ erhalten seien, 57 Irminas Abkunft von Dagobert I. zu erweisen. Die hier aufzufindenden Dokumente der Gründung, so Masen: die, nachdem sie dem Archiv des Klosters entnommen worden waren, ich empfangen und abgeschrieben habe, sogar einschließlich des Abbilds und Zeichens des Königs Dagobert, von uns sorgfältig mit der Form und Schrift anderer gleichartiger authentischer Diplome verglichen worden sind, haben ein sehr gewichtiges Zeugnis in dieser Sache hinterlassen. Dies haben andere kundige Erforscher der Diplome dieses Jahrhunderts in dem Moment, als sie einzelne betrachteten, unvermittelt ausgesprochen, dass es sich, abgesehen von den Merkmalen der Buchstaben, weil die Schriftzüge nach gotischem Brauch gestaltet worden sind und mit Unzialen an Anfang und Ende ausgezeichnet, um ein dagobertinisches Diplom handelt.58

Im Anschluss reproduzierte Masen jene Fälschung aus dem ersten Viertel des 12. Jahrhunderts, mit der man König Dagobert, im zweiten Jahr seiner Herrschaft und im Jahr des Herrn 646, verschiedene Besitzungen dem von seiner Tochter Irmina gegründeten Kloster Oeren („ab Irmina filia nostra constructo“) hatte übereignen und ihr Dotalgut hatte bestätigten lassen. 59 Masen führte zudem eine diese Transaktionen bestätigende Urkunde Phi–––––––— 56

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Vgl. Brower, Antiquitates Trevirenses, Bd. 1, 1671. Masen, Notæ et additamenta. XIII. Annotatio, ebd., S. 607a: „Nullibi verò, seu ex traditione, seu literis observatum video, quod Modesta regiis filiabus annumeretur.“ Vgl. ebd.: „De Irmina porro, quamvis sola nobis traditio, non per Virgines tantùm cœnobii perpetuâ illic successione propagata: verùm etiam in ubris ac Diœcesanis Archivis, variísque scriptorum monumentis, conservata possit sufficere; […].“ Ebd.: „[…]; tamen ipsæ nobis fundationis literæ, quas ex Archivio Monasterii depromptas accepi transcripsique, icone etiam signóque Dagoberti Regis, probè ad aliorum similium authenticorum diplomatum formam scripturámque collatis, luculentissimum hac in re testimonium relinquunt. Quod alij ejusdem sæculi diplomatum exploratores gnari, statim, ut solos conspexêre, absque signis literarum, ductus, Gothico more formatos, uncialibúsque in principio & fine characteribus insignitum, repentè Dagobertinum esse diploma pronuntiârunt.“ Vgl. ebd., S. 607b: „Ita habet. || In nomine Sanctæ & Individuæ Trinitatis. DAGOBERTUS […]. || Sequitur deinde: Actum anno DC. XLVI. Incarnationis Dominicæ, Indictione IV. Sept. Kal. Sept. Anno regni Domini Dagoberti II. Treviris in Domini nomine feliciter. Amen.“ Vgl. D Merov. †65, in: MGH DD Merov., Teil 1, ed. Kölzer (2001), S. 165f. Inc.: „In nomine sanctĊ et individuĊ Trinitatis. Dagobertus […].“ Expl.: „Actum anno DCXLVI incarnationis dominicĊ, indictione quarta. Data VII Kalendis Septembris per manus Grimoaldi maioris domus regiĊ, anno regni domni Dagoberti secundo. Actum Treueris, in Dei nomine feliciter, amen.“ Kölzer [Einleitung], in: ebd., S. 163f., hier S. 163, zählt Masen irrtümlich und mit unrichtiger Wiedergabe des Datums zu jenen Zeitgenossen, die diese Urkunde Dagobert II. zugeschrieben hätten: „Brower – Masen, Antiquitatum 1 S. 607 (aus A’1, für Dagobert II. zu 675)“. Erstere Diagnose mag sich aus den römischen Ziffern aus Masens Transkription: „Anno regni Domini Dagoberti II.“, für „anno regni […] secundo“ ergeben haben.

650 lipps IV. (reg. 1285–1314) vom April 1307 an. 60 Er zitierte eine liturgische Lesung, in der Irmina als Tochter Dagoberts I. apostrophiert wurde, die in einer von Bischof Modoald versammelten Gemeinschaft gewirkt habe. 61 Demgegenüber, so Masen, existierten in Trier keine Dokumente über von Dagobert II. getätigte Transaktionen oder Stiftungen. 62 Masen schien also das Gewicht der Tradition auf seiner Seite zu haben. Die entscheidende Frage war allerdings, wie man die der mittelalterlichen Überlieferung entstammende Verknüpfung von Irmina und Dagobert I. mit der komplizierten Errechnung der Herrscherjahre in Beziehung setzte. Nur mit Mühe konnte Masen beispielsweise erklären, weshalb die Datierung der besagten Urkunde auf 646 nicht mit dem von ihm selbst vertretenen Datum des Ablebens Dagoberts I. im Jahr 645 zu vereinbaren war. 63 Datum und Aktum der Urkunde könnten allenfalls, so Masen, ein verderbter Zusatz späterer Zeiten sein. 64 Henschen hingegen hatte in seiner Diatriba von 1655 diese Inkonsistenzen als das Resultat jener gedeutet, „qui diploma DAGOBERTO primo affinxerunt; […].“ 65 Eine Abschrift des Diploms hatte ihm der Kölner Historiograph Gelen(s)ius mit Hilfe der Äbtissin von Oeren Anna Amalia Hattstein besorgt. 66 –––––––— 60

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Masen zitierte sie in Segmenten. Vgl. Brower, Antiquitates Trevirenses, Bd. 1, 1671. Masen, Notæ et additamenta. XIII. Annotatio, ebd., S. 608b: „[…] à Rege Philippo confirmatorium veteris illius privilegii diploma est impetratum, quod, cum regii sigilli à me inspecti imaginĊ, his suis verbis subjicio. || PHILIPPUS Dei gratia […].“ Ebd., S. 609b: „[…]. Actum Parisiis anno Domini millesimo trecentesimo septimo, Mense Aprilis.“ Vgl. dazu Kölzer, [Einleitung zu] D Merov. †65, MGH DD Merov., Teil 1, ed. Kölzer (2001), S. 163. Vgl. Brower, Antiquitates Trevirenses, Bd. 1, 1671. Masen, Notæ et additamenta. XIII. Annotatio, ebd., S. 611a: „[…], Breviarii lectiones, quæ in Horeensi Parthenone recitantur, tales sunt: Irmina Virgo filia Dagoberti primi Regis Francorum, post habiti sponsi Hermanni nobilißimi Comitis mortem, pudicitiæ constanter cultæ gloria excelluit, quæ aggregatis à Modoaldo in vitæ communionem Virginibus velu[m] monasticum ad Horrea sumpsit. Hanc igitur, […].“ Vgl. ebd., S. 610b: „Deinde Dagoberti II. nulla apud Treviros memoria, palatium & sedes ac possessiones nullæ in usum religiosorum hominum conversæ sunt, verùm quidquid Ecclesia istic beneficiorum censet primo tribuitur.“ Vgl. ebd., S. 612b: „[…] cum Browero ad annum salutis nostræ DCXLV. à cujus superius chronologiâ veterum historicorum ductu aliquantulum defleximus.“ Ebd., Marginalkolumne: „Moritur [Dagobert I.] anno Christi 645.“ Vgl. ebd., S. 607b: „Quæ subscriptio fortasse […] adjecta corruptè fuerit, […]. Factúmque illud à Majoribus nostris locis pluribus inconsultè, […].“ Henschen, Diatriba, 1655, S. 112. Vgl. ebd., S. 107: „Inter alia quàm maximè intricata, in regno huius DAGOBERTI constituendo, est recta liberoru[m] eius notitia. Inter hos præcipua est S. IRMINA Virgo monasterij Horrei apud Treuiros prima Abbatissa, […]. Huic filiæ suæ DAGOBERTVS Rex id monasterium extruxit, dotauitque: cuius fundationis diploma antiquum, Amplissimus Dominus Ægidius Gelenius, Serenissimi Electoris Coloniensis Historiographus, ac libris eruditis de antiquitate Ecclesiasticâ editis clarus, nobis pro suâ humanitate communicauit ex volumine XXX Farraginis diplomatum historiæ seruientium, attestans illud se Treuiris ex archiuo Horrei Dagobertini anno

651 Henschen teilte lange die zu seiner Zeit etablierte Ansicht, dass Dagobert I. im Jahr 644 verschieden sei. Dieses Datum hatte man aus den Zeugnissen der Chronik des sogenannten Fredegar von um 658/60, den wahrscheinlich kurz vor 800 entstandenen Gesta Dagoberti I. regis Francorum und den Gesta Aimoins von Fleury, die auf diesen Quellen beruhten, errechnet. Konkret gingen die Kalkulationen von dem auf ähnlichen Wegen ermittelten Herrschaftsantritt Chlothars II. (reg. 584–629) aus. Dieser wurde schon damals auf 584 datiert. 67 Aus Fredegars Hinweis, dass Chlothar – nach dem Wortlaut der Ausgabe Duchesnes – im 38. Jahr seiner Herrschaft Dagobert als König von Austrasien eingesetzt habe, 68 konnte geschlossen werden, dass dies im Jahr 621 oder 622 stattgefunden haben musste. 69 Da –––––––—

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MDCXXXVII, beneficio Annæ Ameliæ [!] ab Hattstein eiusdem monasterij Abbatissæ transcripsisse.“ Reproduziert ebd., S. 108–110. Vgl. zur Person Benz, Tradition (2003), S. 188–195. Vgl. Sirmond, Concilia, Bd. 1, 1629. Tafel: Francorum Reges Merovingi, ebd., S. XIII; ferner Philippe Labbés ELOGES|| HISTORIQVES || DES ROIS DE FRANCE || DEPVIS PHARAMOND || IVSQVES AV ROY TRES-CHRESTIEN || LOVIS XIV. || AVEC L’HISTOIRE TRES-EXACTE || DES CHANCELIERS, GARDES DES SEAVX, || ANCIENS NOTAIRES ET SECRETAIRES. || ET LE MESLANGE CVRIEVX DE PLVSIEVRS || PIECES RARES ET ANCIENNES. || Pour seruir à l’Histoire Ecclesiastique & Ciuile, tirées du Thresor des || Chartes & de la Bibliotheque du Roy, des Registres du Parlement, & || de la Chambre des Comptes, des Archiues des Eglises & || Monasteres, des Chroniques MSS. &c. || Par le R. P. PHILIPPE LABBE, Religieux de la Compagnie de || IESVS. || TOME II. DE L’ALLIANCE CHRONOLOGIQVE. || A PARIS, || Chez GASPAR METVRAS, ruë sainct Iacques, || à la Trinité, prés les Maturins. || M. DC. LIX. || AVEC PRIVILEGE DV ROY. Eloge VII. Dv Roy Chilperic. I., ebd., S. 36f., hier S. 36: „Le Septiéme Roy des François CHILPERIC […] succeda au Royaume de Soissons […] & en fust Roy durant prés de vingt-trois ans […] iusques enuiron le mois de Septembre de l’an cinq cens octante-quatre, […].“ Eloge VIII. Dv Roy Clotaire II., ebd., S. 39f., hier S. 39: „Le Huictiéme Roy des François CLOTAIRE […] paruint à la Couronne par la mort de son pere Chilperic, […].“ Duchesne wies diesen Teil der Continuatio Nibelung, dem Sohn des burgundischen Grafen Childebrand († nach 751), zu. Vgl. Fredegarii Scholastici Chronicon. Qvod ille ivbente Childebrando Comite, Pipini Regis patruo scripsit, & à fine Historiæ Gregorij Episcopi Turonensis vsque ad Pipini ipsius consecrationem perduxit: hactenúsque nomine Appendicis ad eundem Gregorium additæ vulgatum est. Subiungitur & Appendix altera, à Pipini Regis consecratione ad annum vsque DCCLXVIII. auctoritate viri illustris Nibelvngi Comitis, Childebrandi filij, scripta, in: Duchesne, Scriptores, Bd. 1, 1636, S. 740–780, hier c. 47, S. 754: „Anno XXXVIII. regni Chlotharij DAGOBERTVM filium suum consortem Regni fecit, eúmque super Austrasios Regem instituit: […].“ Vgl. zu den Personen Ulrich Nonn, Art. Fredegar (Fredegar-Chronik), in: LexMA, Bd. 4, 1989, Sp. 884; ders., Art. Nibelung, in: LexMA, Bd. 6, 1992, Sp. 1120. Vgl. Henschen, De S. Sigeberto, AASS Februarii, Bd. 1, 1658, 1. Feb. Commentarius praevius, ebd., S. 219b: „Interea Chlotharius Dagobertum filium super Austrasios Regem instituit […], ita Fredegarius cap. 47. Annus ille regni Chlotharij XXVIII fuisse dicitur apud Chesneum, alij cùm codice MS. Sirmondi annum sequentem tradunt.“ Vgl. Chronicarum quae dicuntur Fredegarii Scholastici libri IV., in: MGH SS rer. Merov., Bd. 2, ed. Krusch (1888), S. 18–168, hier lib. IV, c. 46, S. 144: „Anno 39. (a)

652 Chlothar im 45. Jahr seiner Regentschaft verstorben sei, habe Dagobert die Herrschaft im Gesamtreich 628 angetreten. 70 Den entscheidenden Schritt zur Bestimmung des Todesdatums ermöglichte Fredegars Aussage, dass Dagobert im 16. Jahr seiner Regentschaft verstorben sei. Die Spätdatierung seines Todes auf 644 resultierte daraus, dass man diese Aussage auf die Herrschaft im Gesamtreich bezog. 71 Diese Ergebnisse der älteren Historiographen, die Henschen allein zu referieren und anhand der durch sie be–––––––—

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regni Chlothariae Dagobertum, filium suum, consortem regni facit eumque super Austrasius regem instituit, […].“ Die Variante ebd., ad c. 46 Anm. a, lautet: „38.“ Vgl. Gesta Dagoberti I. regis Francorum, in: ebd., S. 329–427, hier S. 404: „Anno vero tricesimo nono regni sui Clotharius rex Dagobertum, filium suum, consortem regni facit eumque super Austrasios regem statuit, […].“ Aimoini Monachi Floriacensis de gestis regum Francorum libri IV, in: Rerum Gallicarum et Francicarum scriptores, nouv. ed., Bd. 3, 1869 [zuerst 1741], lib. IV, c. 8, S. 121: „Anno XXXIX. regni sui, Chlotarius Dagobertum filium suum, ex Bertetrude Regina susceptum, consortem regni fecit, […].“ Vgl. Henschen, De S. Sigeberto, AASS Februarii, Bd. 1, 1658, 1. Feb. Commentarius praevius, ebd., S. 219b: „Præcipuum verò regni exordium cœpit anno regni sui VII, Christi DCXXVIII, quo Chlothario patri, anno regni huius paterni XLV, Austrasiorum & Burgundionum XVI, mortuo succeßit, maximâ parte regnorum assumptâ, […].“ Chronicarum quae dicuntur Fredegarii Scholastici libri IV., ed. Krusch (MGH SS rer. Merov. 2) (1888), lib. IV, c. 56, S. 148: „Anno 46. (a) regni sui Chlotharius moritur […]. Dagobertus cernens genitorem suum fuisse defunctum, universis leudibus, quos regebat in Auster, iobet in exercito promovere. Missus in Burgundia et Neuster direxit, ut suum deberint regimen eligere.“ Die Variante ebd., ad c. 56 Anm. a, lautet: „45.“ Vgl. Gesta Dagoberti I., ed. Krusch (MGH SS rer. Merov. 2) (1888), S. 405: „Anno igitur quadragesimo quinto regni sui Clotharius magnus rex moritur […].“ Aimoini Monachi Floriacensis de gestis regum Francorum libri IV, in: Rerum Gallicarum et Francicarum scriptores, nouv. ed., Bd. 3, 1869 [zuerst 1741], lib. IV, c. 16, S. 124: „Anno XVI. susceptæ Monarchiæ, paterni autem regni XLIV. Chlotarius Rex moritur, […].“ Ebd., lib. IV, c. 17, S. 125: „Fama itaque defuncti Chlotarii ad Dagobertum pervenerat, […].“ Vgl. Henschen, De S. Sigeberto, AASS Februarii, Bd. 1, 1658, 1. Feb. Commentarius praevius, ebd., S. 220a: „Anno XIV Dagoberti, Christi DCXLI, bellum Wasconibus illatum, iisq[ue] anno XV clementia Dagoberti vitam indultam referunt Fredegarius cap. 78, Monachus S. Dionysii cap. 36 & 42, & Aimoinus lib. 6 cap. 38 & 41. Qui mox capitibus sequentibus addunt, Dagobertum profluuio ventris in Spinogelâ villâ super Sequanâ fluuio laborare cœpisse, exinde ad basilicam S. Dionysij à suis delatum anno regno sui XVI exeunte, sub finem anni Christi DCXLIII.“ Vgl. Chronicarum quae dicuntur Fredegarii Scholastici libri IV., ed. Krusch (MGH SS rer. Merov. 2) (1888), lib. IV, c. 79, S. 161: „Anno sexto decemo regni sui Dagobertus profluvium ventris Spinogelo villa super Secona fluvio nec procul a Parisius aegrotare cepit. Exinde ad baseleca sancti Dionensis a suis defertur.“ Gesta Dagoberti I., ed. Krusch (MGH SS rer. Merov. 2) (1888), c. 42, S. 419: „Post gloriosam regni administrationem, 16, postquam regnum sortitus fuerat, anno profluvio ventris Spinogilo villa super Sequana fluvium nec procul Parisius aegrotare coepit. Exinde vero ad basilicam Sancti Dyonisii martyris a suis defertur.“ Aimoini Monachi Floriacensis de gestis regum Francorum libri IV, in: Rerum Gallicarum et Francicarum scriptores, nouv. ed., Bd. 3, 1869 [zuerst 1741], lib. IV, c. 33, S. 134: „Porro inclytus Rex Francorum Dagobertus annis XVI. gloriosa functus regni administratione, Spinogilo villa […].“

653 kannten Quellen darzustellen brauchte, repräsentierten damals historiographisches Handbuchwissen. 72 Die letzte wesentliche Modifikation in Richtung auf die seither nur noch in kleinerem Umfang veränderte Datierung der Herrschaft Dagoberts I. leistete allerdings Valois. Seine Resultate wurden im dritten Band von Charles LeCointes Annales ecclesiastici Francorum von 1668 vertieft und 1669 im zweiten Band der Acta Sanctorum Ordinis Sancti Benedicti bestätigt. Valois hatte Dagoberts Ableben im 16. Jahr der Herrschaft auf den Beginn des Königtums in Austrasien bezogen und seinen Tod damit auf 638 fixieren können. 73 In einer neuerlichen Abhandlung zu den drei Dagoberten, die Henschen im dritten Aprilband von 1675 veröffentlichte, adaptierte er stillschweigend diese Revision. 74 –––––––— 72

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Vgl. LeMire, Stemmata, 1626, S. 7f.: „DAGOBERTVS à Clotario patre in regni consortium adscitus, anno 623. constitutus est Rex Austrasiæ Septemtrionalis, vt Aimonius lib. 4. cap. 8. narrat. Directores tunc in Austrasia habuit eumdem S. Arnulfum & Pipinum Landensem. Obijt demum Rex Franciæ anno 644. sepultus in S. Dionysii monasterio à se fundato.“ Henschen, Diatriba, 1655, S. 59: „Secundùm hunc calculum nostrum à XIX Ianuarij anni DCXLIV, quo demonstrauimus DAGOBERTVM decessisse, […].“ Labbé, Eloges, 1659. Eloge IX. Dv Roy Dagobert I., ebd., S. 4[2]f. [fehlerhaft paginiert]: „Le Neufiéme Roy des François DAGOBERT Premier du nom, fils de Clotaire Second & de Bertrude sa seconde femme, fust du viuant de son pere fait Roy d’Austrasie l’an six cens vingt-deux, […]. Il succeda aux autres Estats de son pere sur la fin de l’an six cens vingt-huict, & ayant appanagé son frere Charibert fils de Sichilde de quelque partie du Royaume d’Aquitaine qu’il accreut par sa valeur iusques aux Pirenées, & donné son fils Sigebert pour Roy des peuples de l’Austrasie, se trouua mal en son Chasteau d’Espinay sur la Seine, se fist porter à sainct Denys où il mourut le dix-neufiéme iour de Ianuier six cens quarante-quatre & y fust enterré dans l’Eglise qu’il auoit fait magnifiquement bastir.“ Baronio hatte die Herrschaft in Austrasien auf 626 datiert, jene im Gesamtreich auf 631 und das Ableben Dagoberts I. auf 644. Vgl. Baronio, Annales ecclesiastici, Bd. 8, ed. nov. 1624, Sp. 312, Nr. XXVI, ad an. 626; Sp. 339f. Nr. V–VII, ad an. 631; Sp. 411, Nr. VII, ad an. 644. Vgl. Valois, Rerum Francicarum tomus III, 1658, ad an. 638, S. 126: „Obiit Dagobertus XIV. Kalendas Februarias […] ipso anni initio, qui tamen ex more totus ei adnumeratur, & pro sextodecimo ac vltimo regni eius anno habetur.“ ANNALES || ECCLESIASTICI || FRANCORVM. || Auctore CAROLO LE COINTE Trecensi, Congreg. || Oratorij D. N. IESV CHRISTI Presbytero. || TOMVS TERTIVS. || PARISIIS, || E TYPOGRAPHIA REGIA. || M. DC. LXVIII., ad an. 638, Nr. I, S. 42: „DAGOBERTVS Rex Francorum […] decimo-quarto Kalendas Februarij diem extremum clausit ineunte anno Christi sexcentesimo duodequadragesimo, Regni sui decimo-sexto exeunte.“ LeCointe kannte zwar Henschens Diatriba von 1655. Er zitierte sie allerdings bevorzugt dann, wenn er an Henschens Deutungen etwas auszusetzen hatte. Vgl. ebd., ad an. 654, Nr. VI, S. 389; ad an. 675, Nr. XIX, S. 748f. Die Debatte erschließt sich durch Mabillon, Ad pios eruditosque lectores præfatio, in: AASS OSB, Bd. 2, 21733, S. I–XXXIV, hier S. XXX–XXXII. Mabillon zeigte sich von den Argumenten der französischen Historiographen überzeugt, „tametsi socii Bollandiani“ der älteren Datierung „hactenus inhærent.“ Ebd., S. XXX. Vgl. G[odefridus] H[enschenius], Ad tomvm III Aprilis exegesis præliminaris innovans et stabiliens diatribam olim editam de tribvs Dagobertis Francorvm Regibvs et eorum genealogico stemmate, in: AASS Aprilis, Bd. 3, 1675, S. I–XV, hier S. Vb: „Deniq[ue] anno regni sui XVI, Dagobertus profluvio ve[n]tris ægrotare cœpit, exindeq[ue] ad basilica[m] S. Dionysii delatus, post paucos dies emisit spiritu[m]. Hæc

654 Die folgenreichere Entgegnung auf Masens Bemühungen, Irmina nach wie vor von Dagobert I. abstammen zu lassen, war allerdings Papebrochs erster Teil des Propylæum antiquarium circa veri ac falsi discrimen in vetustis membranis, der im zweiten Aprilband des gleichen Jahrs erschien. Papebroch affirmierte zunächst die älteren Resultate Henschens. Aus dem Testament der Irmina, das er auf 702 datierte, und zwei anderen von ihr stammenden Urkunden gehe hervor, dass sie bis mindestens 708 aktiv gewesen sei. Aus der Lebensbeschreibung des Abts Gregor von Utrecht († 774?) wiederum sei ersichtlich, dass die hl. Adela den hl. Bonifatius bei sich empfangen und dessen Lehre ihrem Enkel Gregor weitergereicht habe. Henschen habe – mit Adelas Testament – verdeutlicht, dass sie bis wenigstens 731 und nicht nur, wie von Masen exponiert, bis 720 gelebt habe. Sofern die beiden Äbtissinnen als Töchter Dagoberts I. qualifiziert werden sollten, so weiter Papebroch, müsse davon ausgegangen werden, dass sie ihr Tun in außergewöhnlich hohem Alter entfaltet hätten. Im Dossier der hl. Irmina am 24. Dezember sollte dies genauer ausgeführt werden. 75 Weiterhin –––––––—

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Fredegarius cap. 79. Addunt Monachus S. Dionysii & Aimoinus cap. 43. humanis rebus exe[m]ptu[m] esse XIV Kal. Februarias, scilicet anni DCXXXVIII.“ Vgl. oben Anm. 71, und die Gesta Dagoberti I., ed. Krusch (MGH SS rer. Merov. 2) (1888), c. 42, S. 421: „His taliter expletis, post paucos dies 14. Kalendas Febroarias christianissimus rex Dagobertus humanis rebus exemptus est.“ Vgl. Papebroch, Discrimen. Pars prima, AASS Aprilis, Bd. 2, 1675 (Ausgabe 1866), S. IIa: „Trevirensem urbem ac territorium, seculo Christi VII exeunte et ineunte VIII, illustraverunt duæ egregiæ nobilitatis feminæ, Dagoberti Francorum Regis filiæ, Irmina et Adela; […]. Prior ut Sancta colitur XXIV Decembris, in quem diem servamus integre danda instrumenta illius duo, omni vitii suspicione carentia, quibus fundato a se Epternacensi S. Willibrordi monasterio possessiones quasdam suas donat, anno IV Domni Childeberti Regis, qui fuit annus Christi DCCII. Eadem, per aliud sequentis anni scriptum, donati prius possessionibus addidit Montis villam in pago Zulpiaco, […]: Eadem denique, Childeberti Regis prænominati anno X., Christi DCCVIII, signavit donationem alterius possessionis, sitæ in Villa Stankeim super fluvio Sura. Hæc constat fecisse Irminam: quid autem soror ejus Adela? Apostolicum virum S. Bonifacium excepit hospitio, ejusque disciplinæ commisit S. Gregorium nepotem suum, uti ex horum actis constat. Id Masenius putat anno DCCXX fieri potuisse; quod nolim, propter desennium forte adjiciendum, disputare.“ Ebd.: „Si velis ex Primo Dagoberto genitas, consequens est, ut Irmina minimum nonagenaria fuerit, anno DCCVIII […]. Adela vero, quam anno DCXXXVI natam vult Masenius, et saltem ultra DCCXX vixisse concedit, proxima fuisset centenariæ.“ Vgl. Brower, Antiquitates Trevirenses, Bd. 1, 1671. Masen, Notæ et additamenta. XIII. Annotatio, ebd., S. 612b–613a: „[…] statuamus, illa [Nanthildis] vixerit ab anno Christi DCXXV. usque ad DCCII., hæc [Adela] ab anno DCXXXVI. usque ad DCCXX., […].“ Henschen, De genealogico stemmate regum Francorum, AASS Martii, Bd. 3, 1668, S. XXIa: „[…] probauimus Dagoberti nostri [Dagoberts II.] filiam fuisse Adelam, monasterij, quod Palatiolum dicebatur, prope Treuiros fundatricem. Liquet hoc ex eius testamento, quod condidit anno XII Theoderici Regis, Christi DCCXXXI. Eam, tunc temporis viduam, anteà ex legitimo matrimonio genuisse Albericum, patrem S. Gregorij, ecclesiæ Vltraiectinæ ab anno DCCLIV ad DCCLXXVI Administratoris, […] ex ipsius Gregorij nepotis Vitâ patet: […].“ Vita Gregorii abbatis Traiectensis auctore Liudgero, hrsg. v. Oswald Holder-Egger, in: MGH SS,

655 gab Papebroch zu bedenken, dass das Testament der Adela Pfalzel als eine Erwerbung aus dem ehemaligen Besitz des Hausmeiers Pippin auswies. Sollte dieser Pippin mit Masen als Hausmeier Dagoberts I. – und also als Pippin I. († 639/40) – gedeutet werden, dann müsse, so Papebroch, angenommen werden, dass dieses geschah, als die laut Masen 636 geborene Adela höchstens vier oder fünf Jahre alt gewesen sei. Sollte Adela allerdings als Tochter Dagoberts II. begriffen werden, ließen sich diese Probleme leicht beheben. Dann wäre dieser Pippin als der zweite Hausmeier jenes Namens († 714) zu interpretieren und hätte der angejahrten Adela Pfalzel verkauft, wo diese ein Kloster gründete. 76 –––––––—

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Bd. 15,1, Hannover 1887, S. 66–79, hier S. 67: „Cumque ille sacer sanctus viator Bonifatius secundum solitum morem suum salubria missarum commercia peregisset, ut propemodum omni die agere consuevit, sederunt ad mensam, ipse scilicet et ancilla Dei Addula abbatissa cum familia sua.“ Hier wurde geschildert, wie Gregor zu jenen Schülern gestoßen war, die nach Bonifatius’ Ableben dessen Werk fortzusetzen sich anschickten. Vgl. zu den von Papebroch angesprochenen Urkunden D Merov. †56, in: MGH DD Merov., ed. K. A. F. Pertz (1872), S. 174f., hier S. 174: „Testamentum sanctae Irminae. || Anno quarto regni domini nostri Childeberti regis, sub Kalendas Decembris.“ D Merov. †57, in: ebd., S. 175. „De ornamentis et utensilibus ecclesiae et de villa Montis. || Domino sancto et in Christo patri Willibrordo episcopo […].“ Ebd.: „Facta est haec cartula donationis sub die Kalendas Iulias. Anno 5. regni domini nostri Childeberti regis.“ D Merov. †59, in: ebd., S. 176f.: „Carta Irminae de vinea Treveris ad Crucem. || […].“ Ebd., S. 177: „Actum Treberi [!] sub die 8. Idus Maias. Anno 10. regni domini nostri Childeberti regis.“ Mit der heutigen Datierung des Herrschaftsbeginns Childeberts III. († 711) auf das Jahr 694 verschiebt sich mit der Datierung von D Merov. †59 auf 704 der letzte der von Papebroch genannten Nachweise etwas nach vorne. Die teilweise noch im 20. Jahrhundert übliche Datierung des Ablebens Irminas auf 708 dürfte sich diesem älteren Fehlschluss der Bollandisten verdanken. Vgl. die Nachweise von Werner, Adelsfamilien (1982), S. 37, 38 Anm. 18. Auch diese Urkunden sind keine Fälschungen. Gleiches gilt für das sogenannte Testament Adelas. Vgl. Brühl, Studien, ed. Kölzer (1998), S. 30. Vgl. D Merov. †60, in: MGH DD Merov., K. A. F. Pertz (1872), S. 177f., hier S. 177: „Adela, in Christo domino sacrata abbatissa. Dagoberti regis quondam filia. Cum […].“ Ebd., S. 178: „Datum Kalendis Aprilis. Anno 12. Theoderici regis.“ Die Bezeichnung Adelas als Tochter Dagoberts dürfte ein Eingriff des späteren Kompilators des 11. oder 12. Jahrhunderts sein. Vgl. Werner, Adelsfamilien (1982), S. 215ff. Ob es sich bei besagtem König um Theuderich III. (reg. 675–691) oder Theuderich IV. handelte, war lange umstritten. Während Pertz noch die erste Variante bevorzugte und damit auch Henschens und Papebrochs Chronologie wesentlich verschoben hätte, tendiert Werner zu der zweiten Variante. Daraus folgt eine wahrscheinliche Datierung auf 732/33. Vgl. ebd., S. 189ff. Vgl. zu Gregor von Utrecht Rolf Große, Art. Utrecht. A. Bistum, in: LexMA, Bd. 8, 1997, Sp. 1349–1352, hier Sp. 1350. Vgl. Papebroch, Discrimen. Pars prima, AASS Aprilis, Bd. 2, 1675 (Ausgabe 1866), S. IIa–b: „Testamentum vero Adelæ, factum anno XII Theodorici Regis, in favorem Palatioli, quod ipsum, inquit illa, a Pippino Majore-domus Treviris permutatione quæsivimus, […]. Pippinum […], sub Dagoberti I imperio potentem, quem volunt illi, ostendimus XXI Februarii anno altero ab obitu dicti Regis e vivis excessisse. Cum autem jam constet Regem obiisse Christi anno, non DCXLIV, sed DCXXXVIII: dicendus erit mortuus esse Pippinus anno DCXL, quando Adela in Masenii sententia solum egisset ætatis annum IV aut V. At si ipsa fuerit filia Dagoberti II, potuit jam maturæ

656 „Unser Freund Jacob Masen“, so Papebroch, „hat all diese Dinge nicht erwogen oder verheimlicht; […].“ 77 Der Versuch, die in jeder Hinsicht anachronistische Datierung des von Masen zum Beleg seiner Thesen eingebrachten Pseudodiploms von 646 zu plausibilisieren, schien Papebroch wenig überzeugend. Diese Datierung war für ihn weniger auf spätere Verderbnis zurückzuführen, die man in der einen oder anderen Form anhand des Materials erkennen müsse, 78 sondern auf die Tatsache, dass es sich weder um ein autographes Dokument handelte noch um die Abschrift oder Aktualisierung des Diploms irgendeines Dagobert. Vielmehr sei es in späteren Zeiten gesamtheitlich „auf äußerst unkundige Weise zusammengeflickt“ worden. 79 Papebroch konnte mit diesen Reflexionen, neben Henschens Diatriba, an einige Argumente seines Ordensbruders Coccius anschließen. In dem Streit, der in den 1620er Jahren zwischen dem Trierer Erzbischof und der Abtei St. Maximin um die Besitzrechte an diesem Kloster entbrannt war, 80 hatte Coccius 1623 auf der Seite der Abtei den Versuch geführt, ihre althergebrachte Reichsunmittelbarkeit zu belegen. Im Zuge dessen hatte er einige der Diplome Dagoberts I. als Fälschungen gekennzeichnet, in denen der Status, die Privilegien und Besitzstände des Klosters als von Bischof Modoald verliehen oder bestätigt in Erscheinung traten. Mit Blick auf ein vermeintlich 643 ausgestelltes Diplom begründete Coccius seine Diagnosen in erster Linie mit den chronologischen Inkonsistenzen, die den Personenund Datenstand dieser Urkunde, auch im Vergleich mit anderen vermeintlich von Dagobert I. herrührenden Diplomen und gemessen an den Annales –––––––— 77 78

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ætatis vidua, a Pippino Herstallio, ante annum DCCXIV, quo hic obiit, acquisivisse Palatiolum, et fundato ibi a se monasterio novam […].“ Vgl. ebd., S. IIIa: „Hæc omnia vel non consideravit vel dissimulavit amicus noster Jacobus Masenius; […].“ Vgl. ebd.: „Quis enim sic corrupte adjecit? Idemne qui reliquum diploma scripsit? At concipi nequit quomodo Notario regio possit in mentem calamumque venisse, ut currentis anni characteres ipsiusque Regis annos corrupte notaret. Ejusmodi errores contingere solent, cum ab imperitis librariis aliquid post multos annos transcribitur, sive per scribendi præcipitantiam, sive perantiquorum characterum ignorantiam: non vero quando scribitur annus aliquis præsens. Adjecitne longo post tempore alius? Tam vero notabilis foret manus et atramenti diversitas qualis nulla percipitur in dicta charta; et necesse foret prius abrasam obolitamque fuisse subscriptionem antiquam et veram […] talis autem rasuræ aut abolitionis multo magis deberent vestigia deprehendi: […].“ Vgl. ebd.: „Ego libens cedam omnia, nisi pluribus evicero rationibus, diploma istua non tantum non esse autographum ullius omnino Dagoberti, sed nec ex autographo quidem, si unquam ullum extitit, transcriptum fideliter; ast pluribus post omnes Dagobertos seculis fuisse imperitissime consarcinatum.“ Ebd.: „Oportet igitur ut fateatur, vel non haberi scripturam originariam, vel ipsam quoque subscriptionem originariam esse, et paris ultramque fidei, id est certissimæ: quod tamen de subscriptione nec audet ipse [Masen] dicere.“ Vgl. Benz, Tradition (2003), S. 613f.

657 ecclesiastici, auszeichneten. 81 Im Ansatz argumentierte Coccius jedoch auch mit Aspekten des Formulars. So sei in der Zeit vor Karl dem Großen die in diesem Diplom vorzufindende Datierung nach dem „Jahr der Fleischwerdung des Herrn“ unter den Merowingern ebenso unüblich gewesen wie, nach Ansicht Coccius’, die Nennung des Titels eines „Dagobertus Rex“ anstelle des bloßen Namens und Monogramms. 82 Papebroch vertiefte in seiner Abhandlung vor allem diese formalen Gesichtspunkte, da die inhaltliche Problematik zahlreicher Diplome – im Sinne ihrer mangelnden chronologischen Plausibilität – selbst von einem Autor wie Masen nicht in Abrede gestellt werden konnte. Der zweite Aspekt gewann mit dem zusehends differenzierter rekonstruierten ereignisgeschichtlichen Gerüst an Halt. Der erste beruhte, auch hier, auf der wachsenden publizistischen Verfügbarkeit der früh- und hochmittelalterlichen Materialien. Diese allein gestatteten es bereits, Aufbau und Gestalt verschiedener Urkunden mehr oder minder systematisch zu vergleichen. Papebroch konnte sich neben Coccius und Masen unter anderem auf LeMires Diplomatum Belgicorum libri duo von 1628 stützen, auf die Defensio Abbatiæ Imperialis S. Maximini des Syndikus der Abtei St. Maximin Nikolaus Zyllesius von 1638, in der die Monogramme und Siegel mit abgebildet worden waren, 83 –––––––— 81

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Vgl. Coccius, Dagobertus, 1623. Pars secvnda. Capvt primvm. Sectio secvnda. Diploma Dagobertinum prætensum refutatur, ebd., S. 57–71. Coccius reproduzierte ebd., S. 57f., das: Diploma Dagoberti Regis Francorum de Anno DCLIII. Inc.: „DACOBERTVS [!] Rex Francorum, Viris illustribus, Ducibus, Comitibus, Domesticis, & omnibus agentibus, tam vltra, quàm citra Rhenum […].“ Expl.: „Datæ Anno Incarnationis Dominicæ DCXXXXIII. Regni XII. Dagobertus Rex Francorum. (L. S.) Cunibertus gratia Dei Coloniensis Archiepiscopus. Abbo Metensis Episcopus. Principius Spirensis Episcopus. Pipinus Maiordomus.“ Dies ist D Merov. †33, in: MGH DD Merov., Teil 1, ed. Kölzer (2001), S. 91f. Es handelt sich um eine Fälschung des ausgehenden 10. Jahrhunderts. Die Datierung 643 scheint nur in den frühneuzeitlichen Abschriften und Drucken dieser Urkunde (Ar) enthalten zu sein. Vgl. Kölzer [Einleitung], in: ebd., S. 89–91, hier S. 90. Zu kurz greift Kölzers Einschätzung: „D †33 wurde schon von Mabillon, De re diplomatica […], als Fälschung erkannt.“ Vgl. Coccius, Dagobertus, 1623, S. 61: „Plura alia indicia deprehenduntur in prætenso dicto Dagobertino, quæ planè demonstrant illud tale, quale exhibetur nunquam fuisse, & proinde omnem ille fidem denegandam. || Primò, quia ponitur in illo Annus Incarnationis Domini, sed manifestè constat ex historia, Dagoberti ætate & multo pòst, vsque ad Caroli M. tempora, expeditas non fuisse à Regibus Francorum litteras, adscriptis Incarnationis Domini annis. […] || Secundò, quia nomen Dagoberti in prætenso Diplomate habetur ad longum exscriptum, hoc modo, Dagobertus Rex, cum tamen certum sit ea ætate, & centenis etiam annis post, nullius Imperatoris vel Regis nomen ad longum vllo in Diplomate scribi solitum, sed tantum characterismo quodam, & nota eius Regis, qui rescribebat, insigniri, cùm huiusmodi epigraphe, signum Dagoberti, Pipini, Caroli &c. Regis.“ Vgl. DEFENSIO || ABBATIÆ IMPERIALIS || S. MAXIMINI || PER NICOLAVM ZYLLESIVM || eiusdem Abbatiæ Officiorum Præfectum || supremum || QVA RESPONDETVR LIBELLO CONTRA || præfatam Abbatiam ab Authore Anonymo, Anno || MDCXXXIII. Treuiris edito. || DOMINVS MIHI ADIVTOR, || non timebo, quod faciat mihi homo Ps. 117. || EDIDERVNT || Religiosi Fratres Imperialis Monas-

658 und nicht zuletzt auf von Wiltheim zusammengestellte Materialien und Expertisen. Neben der Referenz auf einzelne von Wiltheim besorgte Abschriften integrierte Papebroch einen eigenständigen Traktat Wiltheims in seine Abhandlung, die ihn am 24. November 1670 erreicht habe. 84 Papebrochs Vorgehen ist hier nur in Umrissen anzudeuten.85 Die Invocatio „In nomine sanctae et individuae Trinitatis“, beispielsweise, die das von Masen bemühte Pseudodiplom von 646 auszeichnete, erkannte Papebroch als Teil eines späteren Formelschatzes. Sie sei in einem von Zyllesius gedruckten Diplom Heinrichs III. (reg. 1039–1056) anzutreffen. Der Schlussteil dieses Dokuments – angesprochen war die Corroboratio – und der eines Diploms Heinrichs IV. (reg. 1056–1106) kämen ihrerseits mit dem des Oerener Diploms zur Deckung. Es sei demnach klar und könne beliebig vertieft werden, dass die Trierer Fälschung aus solchen Traditionen erstellt worden sei. 86 Noch die Urkunden aus der Zeit Karls des Großen würden, –––––––— 84

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terij SANCTI MAXIMINI || iuxta muros Treuirenses, Anno 1638. Vgl. Benz, Tradition (2003), S. 613. Vgl. Papebroch, Discrimen. Pars prima, AASS Aprilis, Bd. 2, 1675 (Ausgabe 1866), c. 5. Alexandri Wilthemii de hac materia judicium, ebd., S. XVI–XVIII. Papebroch verwies zunächst auf besagtes Schreiben. Vgl. ebd., S. XVIb: „Is igitur litteris Luxemburgo datis anno MDCLXX, VIII Kal. Decembris, sic pronuntiat.“ Typographisch wurden die Ausführungen Wiltheims nicht eigens abgesetzt. Ihr Ende wurde ebd., S. XVIIIa, mit den Worten markiert: „Hactenus Wilthemius, cui pene per omnia consentimus: […].“ Vgl. Muller, Correspondance (1984), Nr. 135, S. 214, konnte für diese Abhandlung keine handschriftliche Grundlage mehr ermitteln. Vgl. dazu auch Benz, Tradition (2003), S. 617. Die einzige dezidiert inhaltlich orientierte Darstellung bietet bislang Léon Levillain, Le „De re diplomatica“, in: Mélanges (1908), S. 195–252, hier S. 199–210. Vgl. Papebroch, Discrimen. Pars prima, AASS Aprilis, Bd. 2, 1675 (Ausgabe 1866), S. VIIa: „Nunc legat, qui volet, temporis Henriciani diplomata, donationesque sub hujus nominis Imperatoribus factas; comperietque tam exordium ubique simile huic Horreensi, […]. || Henriciani ævi diplomata, transcripta vel impressa, inveniuntur tam multa, ut iis vel alicui eorum integre transcribendo immorari operæ pretium non sit; unius tamen initium ac finem accipe ex Zyllesio, part. 3 pag. 41 quod est Henrici III Imperatoris de anno MLVI, In nomine sanctæ et individuæ Trinitatis Henrici, divina favente clementia, Romanorum Imperator Augustus. Si locis […]. Et ut hæc nostra Imperialis donatio stabilis permaneat, hanc paginam inde conscriptam manu propria corroborantes, sigillare precepimus. … Henricus autem IV sequentem mox ibidem Bullam sic finit: Et ut hoc auctoritatis nostræ præceptum firmum et stabile permaneat, manu propria corroborantes, sigilli nostri impressione insigniri jussimus. Data anno Dominicæ Incarnationis MLXV, Indictione III, anno autem Ordinationis Domini Henrici Quarti Regis XII, regni vero IX. Actum Treviris in Dei nomine feliciter. Amen. Similia sunt omnia ejus temporis diplomata, formulis eadem, verbis nonnihil variantia, quibus suum Dagobertinum adaptavit Horreensis chartæ fabricator.“ Vgl. Henrici III. Jmperatoris Datum in Botuelt, Anno MLVI, in: Zyllesius, Defensio, 1638, Nr. 25, S. 41f., hier S. 41: „In nomine sanctæ & indiuiduæ Trinitatis. Henricus diuinâ fauente Clementiâ Romanorum Imperator Augustus. Si locis […].“ Ebd., S. 42: „Et vt hæc nostra Imperialis donatio stabilis permaneat, hanc paginam […].“ Henrici IV. Jmperatoris Datum Treuiris, Anno MLXV, in: ebd., Nr. 26, S. 42f., hier S. 43: „Et vt hoc authoritatis nostræ præceptum firmum & stabile permaneat […].“ Dies

659 sofern sie echt seien oder solche aus seiner oder der vorangegangenen Epoche überhaupt existierten, keineswegs mit der Invocatio: „In nomine sanctae et individuae Trinitatis“, eröffnet, sondern mit: „In nomine Patris et Filii et Spiritus sancti“. 87 Auf den Gebrauch dieser zweiten Invocatio hatte Papebroch aus einem von Coccius als echt qualifizierten Diplom Dagoberts I. geschlossen, das dem Kloster St. Maximin unter anderem die von Konstantin dem Großen gestifteten Besitzungen bestätigte und erweiterte. Auch dieses Diplom ist allerdings, wie seit Mabillon begriffen wurde, eine Fälschung. 88 Kurz nach 1084 entstanden zählt es, nach Theo Kölzer, sachlich zu einer Gruppe von Spuria aus dem ersten Viertel des 11. Jahrhunderts, die „nachdrücklich den Status der Abtei als Königskloster in Abwehr erzbischöflicher Ambitionen auf das Kloster“ betonten. 89 Dieses Diplom traf sich demnach nicht nur mit Coccius’ zeitgenössischer Parteinahme für St. Maximin, sondern auch mit der Überzeugung, dass das Kloster auf Konstantin zurückzuführen sei. 90 Weiterführender war in diesem Zusammenhang hingegen Papebrochs Erkenntnis, dass sich die Anrufung der Trinität mit und seit den Urkunden Ludwigs des Deutschen (reg. 843–876) und Karls des Kahlen (reg. 843–877) derart tiefgreifend durchgesetzt habe, dass „sogar diejenigen, die es sich herausnahmen, Diplome zu verfassen, die als aus weit früheren Zeiten stammend untergeschoben werden sollten“, sich ihrer ohne Zögern bedienten, „nicht wissend, dass jemals irgendetwas anderes in Gebrauch gewesen ist.“ 91 –––––––—

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sind die D H.III. 378, in: Die Urkunden der deutschen Könige und Kaiser, Bd. 5: Die Urkunden Heinrichs III., hrsg. v. H. Bresslau (†)/Paul Kehr (MGH Diplomatum regum et imperatorum Germaniae 5), Berlin 21957, S. 520, und D H.IV. 158, in: Die Urkunden der deutschen Könige und Kaiser, Bd. 6: Die Urkunden Heinrichs IV., Teil 1, bearb. v. Dietrich von Gladiss (MGH Diplomatum regum et imperatorum Germaniae 6,1), Weimar 1953, S. 205f. Vgl. Papebroch, Discrimen. Pars prima, AASS Aprilis, Bd. 2, 1675 (Ausgabe 1866), S. VIIa: „Quod attinet ad formulam instrumentorum publicorum, In nomine sanctae et individuae Trinitatis scribendorum; ea non modo non obtinuit sub primæ stirpis Regibus, sed neque sub Carolo Magno cœpit. In nomine Patris et Filii et Spiritus sancti scripta sunt, quotquot uspiam extant ante Carolum indubitata diplomata et ipsius etiam Caroli.“ Vgl. Coccius, Dagobertus, 1623, S. 8: „Sed hæc omnia in dicti Dagoberti Diplomate quod subijcio continentur: In nomine Patris & Filij & Spiritus Sancti. Omnium Christianorum […].“ Ebd., S. 9: „[…] Henricus Cancellarius ad vicem Ricolui Archicapellani recognoui. || Antiquissimum illud Diplomata subscriptum ac sigillatum per mille prope modum Annos conseruatum integrum illæsumque habemus.“ Dies ist D Merov. †47, in: MGH DD Merov., Teil 1, ed. Kölzer (2001), S. 123f. Kölzer, [Einleitung zu] D Merov †47, in: ebd., S. 121–123, hier S. 122f.; ders., Studien (1989), S. 76ff. Vgl. Coccius, Dagobertus, 1623, S. 7: „Monasterivm præfatum à Constantino Magno Imperatore originem ducere constat.“ Vgl. Papebroch, Discrimen. Pars prima, AASS Aprilis, Bd. 2, 1675 (Ausgabe 1866), S. VIIb: „Ludovicus Pius, Caroli filius, primus mihi fuisse videtur, qui mutata formula scribere cœpit, In nomine Dei et Salvatoris nostri Jesu Christi; Ludovicum

660 Neben Untersuchungen zu anderen Bestandteilen des Formulars galten weitere Studien etwa dem Schriftbild und den Monogrammen. Den hier als Vergleichsmaterial dienenden Kernbestand konnte Papebroch neben Zyllesius’ Reproduktionen aus zahlreichen Abbildungen in Ughellis Italia sacra schöpfen. 92 Eine noch eher geringe Rolle spielten hingegen die Siegel. Sie galten den Bollandisten im Großen und Ganzen als Abbilder der dargestellten Herrscher. Ein in Ferdinand von Fürstenbergs Monumenta Paderbornensia von 1669 veröffentlichtes Diplom Karls des Großen bewertete Papebroch nicht zuletzt deswegen als Fälschung, weil es sich durch die anachronistische Invocatio: „In nomine sanctae et individuae Trinitatis“, auszeichnete und mit einem Siegel versehen war, „welches das Antlitz Karls ganz anders nachbildet, als es Einhart“ in der Vita Karls beschrieben zu haben schien. 93 Diese sich schrittweise stabilisierenden und verfeinernden Techniken, ob sie nun zukunftsträchtig waren wie der serielle Vergleich des diplomatischen Formelschatzes oder bald in Vergessenheit geraten sollten wie der Rückschluss von Siegelbildern auf das Aussehen ihrer Urheber, entwuchsen einem kontinuierlichen Diskussionszusammenhang, der deutlich älter war als das, was seit dem letzten Drittel des 17. Jahrhunderts als –––––––—

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patrem avumque Lotharius Imperator et Ludovicus Junior secuti, idem usurparunt, vel scripserunt, In nomine Domini nostri Jesu Christi Dei æterni, vel simile quid. Ast vero Ludovicus, Ludovici pii filius alter, Germaniæ Rex, ejusque frater Carolus Calvus postea Imperator, elegerunt, et quidem quantum censeo primi, scribere In nomine sanctæ et individuæ Trinitatis. Secutus exemplum est Carolus Crassus; exindeque ea formula obtinuit adeo universaliter, ut etiam qui pro temporibus multo anterioribus supponenda diplomata componere præsumebant, nihil se acturos plerumque crederent nisi sic inchoarent, nescientes aliud aliquid in usu unquam fuisse. Idem Horreensis diplomatis fabricatori contigit: […].“ Die Invocatio: „In nomine sanctae et individuae trinitatis“, gilt in der Tat als eine Neuerung Ludwigs des Deutschen. Vgl. Heinrich Fichtenau, Zur Geschichte der Invokationen und „Devotionsformeln“, in: ders., Beiträge zur Mediävistik. Ausgewählte Aufsätze, Bd. 2: Urkundenforschung, Stuttgart 1977, S. 37–61, hier S. 43f. Vgl. Papebroch, Discrimen. Pars prima, AASS Aprilis, Bd. 2, 1675 (Ausgabe 1866), c. 3. Horreensis membranæ impostura ex ipsa characterum forma dijudicanda proponitur, ebd., S. IX–XIII; c. 4. Monogramma chartæ Horreensis signam, quam sit a Dagoberti ævo remotum, ostenditur, ebd., S. XIII–XVI. Vgl. ebd., S. VIIa–b: „Sic ad calcem Monumentorum Paderbronensius […]. Ast aliud quod ibidem subjungitur, sub data anni sequentis [im vierten Jahr des Kaisertums] Aquisgrani palatio, præmissa sanctæ et individuæ Trinitatis invocatione, […]. An pro Aquis palatio Carolum unquam scripserit Aquisgrani palatio, disputent alii, et multa quæ circa contextum prætensi hujus diplomatis quæri possent: sola sigilli annualis forma, longe alium Caroli vultum exprimens, quam eum Eginhardus in Vita describat, sufficit fictioni convincendæ.“ Es handelt sich um ein Pseudodiplom aus der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts. Vgl. D Karol. †273, in: Die Urkunden der Karolinger, Bd. 1: Die Urkunden Pippins, Karlmanns und Karls des Grossen. Unter Mitwirkung v. Alfons Dopsch/Johann Lechner/Michael Tangl bearb. v. Engelbert Mühlbacher (MGH Diplomatum Karolinorum 1), Berlin 21956, S. 404f. Inc.: „In nomine sanctæ et individuae trinitatis. Karolus […].“ Das an dieser Fälschung befestigte Siegel allerdings ist echt. Vgl. dazu und zu Fürstenbergs Ausgabe [Einleitung], in: ebd., S. 403f.

661 historischer Skeptizismus bekannt werden sollte. Während François La Mothe Le Vayer (1588–1672) in seinem Essay Du peu de certitude qu’il y a dans l’histoire von 1668 zu bedenken gab, ob Troja von den Griechen wirklich erobert worden sei und bezweifelte, dass es Helena, mit Herodot, nach ihrem Raub durch Paris nach Ägypten verschlagen habe, 94 operierte man hier auf Feldern von ganz anderer Komplexität. La Mothe Le Vayers skeptischer Appell an das allgemeinere Plausibilitätsempfinden, was die Trennung von wahr und falsch anging, und die Exposition der einen oder anderen Widersprüchlichkeit in der älteren Historiographie ließen den Erkenntnisprozess dort in vermeintlichen Aporien und Unentscheidbarkeiten enden, wo er für empirisch tätige Gelehrte wie Baronio oder Ughelli, Valois, Henschen oder Papebroch erst begann. Die geistesgeschichtliche Zuordnung von Papebrochs Discrimen von 1675 zu einer von Descartes inspirierten Tendenz, die Glaubwürdigkeit der Überlieferung nahezu habituell „herausgefordert“ oder „in Frage gestellt“ zu haben, 95 seine Abhandlung, mit Sergio Bertelli, sogar als einen „akritischen, polemischen Exzess“ („eccesso polemico, acritico“) zu qualifizieren, 96 beruht auf der Kenntnis kaum einiger weniger Versatzstücke. Als wichtiger Anhänger des philosophischen Skeptizismus wäre in diesem Sinn zunächst Papst Alexander VII. zu kennzeichnen. Dieser habe ihn nämlich, –––––––— 94

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Vgl. François La Mothe Le Vayer, Dv pev de certitvde qv’il y a dans l’histoire, in: ŒUVRES || DE FRANÇOIS || DE || LA MOTHE LE VAYER, || CONSEILLER D’ESTAT || ORDINAIRE. || TOME XIII. || CONTENANT || I. La Promenade en neuf Dialogues. II. Problemes Sceptiques. || III. Doubte Sceptique. || IV. Du Peu de certitude qu’il y a dans l’Histoire. || V. De la Connoissance de soy-mesme. || A PARIS, || Chez LOUIS BILLAINE, au Palais, || au second Pilier de la grand’ Salle, || au grand Cesar. || M. DC. LXIX. || AVEC PRIVILEGE DV ROY., S. 409–448, hier S. 420f.: „[…] Dion Chrysostome, pour monstrer dans une de ses Oraisons qu’on ne sçait presque jamais le vrai des choses, soustient que la ville de Troie ne fut jamais prise par les Grecs; & ce que le pere de l’Histoire Grecque Herodote en dit, fait voir qu’il n’y a gueres de verité dans toute la narration de ce siege fabuleux. Il veut que le ravisseur d’Helene Paris, ait esté jetté avec sa proie, de la mer Egée sur la coste d’Egypte, à l’embouchure du Nil qui porte le nom de Canope, ou à present de Rosette. Il adjoûte que le Roi de cette contrée, qui se nommoit Protée, retint cette belle Greque [!], bannissant de tous ses Estats, sur pene d’estre traitté comme ennemi, ce fils de Priam qui l’avoit enlevée. Ce fut pourquoi quand les Grecs firent leur instance pour la ravoir, les Troiens répondirent qu’elle n’estoit pas, les Princes de l’Europe forment ce long siege de dix ans, […].“ Vgl. Peter Burke, Two Crises of Historical Consciousness, in: Storia della storiografia 33 (1998), S. 3–16, hier S. 5f., 8. Bertelli, Ribelli (1973), S. 332. Bertelli bewertet Papebrochs Untersuchungen deswegen als „akritisch“, weil sie angeblich rein polemisch motiviert gewesen sei. Sie sei aus der Unduldsamkeit hervorgegangen, die daraus entstanden sei, dass die Bollandisten bei ihrem Projekt der Revision der Hagiographie andauerndem Druck von Seiten der betroffenen Institutionen ausgesetzt gewesen seien: „[…] un gesto polemico, di insofferenza di fronte alle continue pressioni d’Ordini religiosi e di monasteri e confraternite contro l’azione di revisione degli atti dei santi che il gruppo bollandista veniva da anni conducendo.“

662 so Papebroch, wesentlich zu seinen Untersuchungen ermutigt. Alexander habe, im Wissen um Henschens Diatriba von 1655 und in Verwunderung darüber, dass die Bollandisten auch Abschriften von einigen fabulösen Heiligenviten aus der Vaticana begehrten, angesichts des diplomatischen Schriftguts die gleiche Vorsicht empfohlen, wie sie für die Bewertung alter Münzen oder eben Heiligenviten angemessen sei, denn „unter der Maske der Altertümlichkeit führen sie in die Täuschung […].“ 97 Die Passage, die die besagten historiographiegeschichtlichen Diagnosen zu rechtfertigen schien, war die am Ende seines Discrimen von Papebroch artikulierte Vermutung, dass „im gesamten Reich der Franken überhaupt keine unverfälschte und genuine Urkunde vor der Herrschaft des ersten Dagobert aufzufinden“ sei. Nur „sehr wenige“ könnten „sogar noch unter ihm und nach ihm als Autographe oder als getreulich aus einem Autograph übernommene“ betrachtet werden: Entschieden heiße ich die Warnung John Marshams gut, des, was die Religion angeht, zwar Heterodoxen, aber von den Mönchen und der klösterlichen Sache nur wenig Entfernten, geäußert in der Vorrede zum Monasticon Anglicanum: Mit Vorsicht ist auf diese Urkunden zu blicken: diese besitzen umso weniger Glaubwürdigkeit, je höheres Alter sie zur Schau tragen. Unser einst rohes und ungeschicktes Volk […] pflegte Schenkungen ohne schriftliches Zeugnis auszutauschen. Aus Beda geht durchaus nicht hervor, das noch zu seiner Zeit beim Übereignen von Besitztümern oder beim Erteilen von Privilegien die Schrift benutzt worden ist. 98

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Vgl. Papebroch, Discrimen. AASS Aprilis, Bd. 2, 1675 (Ausgabe 1866). Præfatio, ebd., S. Ia: „Alexandri VII Pontificis Maximi extremo dignati alloquio, priusquam Roma discederemus in Belgium anno MDCLXI, ad opus de Sanctorum Actis majori indies cum cura profectuque expoliendum, non tantum alacriores ex illius approbatione revertimus, sed etiam instructiores ex admonitione. Notaverat vir ille sapientissimus, lecta de tribus Dagobertis Francorum Regibus Diatriba, tam notis ac curiosis quæ istic tractantur quæstionibus definiendis præsidium magnum ex veterum ecclesiarum monasteriorumque archivis peti. Audiverat idem a Vaticanæ Bibliothecæ Custode Allatio, non tantum probatas Sanctorum Vitas, sed etiam fabulosas aliquas transcribendas per nos designari. Hoc cur faceremus, voluit caussam intelligere; istud mirifice commendavit; Si tamen, inquiebat, supposita a genuinis, interpolata a sinceris maturo secernantur, in vetustis enim diplomatis chartisque recipiendis ad historicam probationem, non minori versandum est cautela, quam in numis; quorum multi sub larva antiquitatis inducunt in fraudem, vix a paucis oculatoribus agnoscendam […].“ Ebd., S. XXXb: „Porro hactenus deducta considerans, et in tot Francorum regno nullam omnino chartam sinceram ac genuinam reperiens ante Regnum primi Dagoberti; paucissimas item sub illo atque post illum, usque ad secundæ stirpis Reges scriptas haberi, quæ vel autographæ dici possent, vel ex autographo fideliter desumptæ: vehementer laudo monitum Joannis Marshami, heterodoxi quidem circa religionem, sed a monachis reque monastica minime alieni, datum in propylæo ad Monasticum Anglicanum: Caute intuendæ sunt istiusmodi chartæ: quæ fidem habent eo minorem quo majorem præferunt antiquitatem. Rudis olim et iners gens nostra (de Anglo-Saxonibus et de communiori usu loquitur) absque scripto donationes conferre solebat. Ex Beda sane non constat, scripturam adhuc illius ætate in transferendis prædiis aut concedendis privilegiis usurpatam fuisse.“ Vgl. ȆȇȅȆȊȁǹǿȅȃ. Johan-

663 Nach gegenwärtiger Kenntnis existieren aus der Zeit vor Dagobert I. zwei ohne Vorbehalte als echt zu qualifizierende Diplome. 99 Die gleiche Zahl echter Diplome ist für Dagobert I. zu verzeichnen. 100 Dem stehen zwei „überarbeitete“ 101 und 37 allein im Mittelalter auf Dagobert (I.) gefälschte Stücke gegenüber. 102 Man wird also kaum sagen können, dass sich Papebrochs Prinzipien und Resultate, so Karl Hausberger, bald „weithin als unhaltbar“ erwiesen hätten oder er Marshams Einschätzung „unbesehen“ übernommen hätte. 103 Natürlich hatte Papebroch neben dem Oerener Diplom noch andere Urkunden der Merowinger analysiert. Sie alle galten ihm, aus heutiger Sicht völlig zu Recht, als Fälschungen. 104 Es ist bekannt, dass –––––––—

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nis Marshami, in: Monasticon Anglicanum, || SIVE || Pandectæ || COENOBIORUM || Benedictorum || Cluniacensium || Cisterciensium || Carthusianorum || A primordiis ad eorum usque dissolutionem || Ex MSS. Codd. || Ad Monasteria olim pertinentibus; || Archivis || Turrium Londinensis, Eboracensis; || Curiarum Scaccarii, Augmentationum; || Bibliothecis || Bodleianâ; Coll. Reg. Coll. Bened. || Arundellianâ, Cottonianâ, Seldenianâ, Hattonianâ || aliisque digesti || per || ROGERUM DODSWORTH, Eborac. || GULIELMI DUGDALE, Warwic. || Londini || Typis Richardi Hodgkinsonne, || M. DC. LV., [unpaginiert], fol. d2r: „Cautè itaque intuendæ sunt […].“ Vgl. zum Monasticon Anglicanum und seinen Urhebern Parry, Trophies (1995), S. 216, 220–238. Vgl. D Merov. 22 und 28, in: MGH DD Merov., Teil 1, ed. Kölzer (2001), S. 63f., 76f. Vgl. D Merov. 32 und 41, in: ebd., S. 88f., 108–110. Vgl. D Merov. 37 und 38, in: ebd., S. 100f., 102–104. Vgl. DD Merov. †29–31, †33–36, †39–40, †42– 45, †47–70, in: ebd., S. 78–87, 89– 99, 104–107, 110–119, 121–180. Vgl. zu den frühneuzeitlichen, auf Merowingerkönige bis einschließlich Dagobert I. gefälschten Diplomen: DD Merov. App. †I–IX, in: MGH DD Merov., Teil 2, ed. Kölzer (2001), S. 703–714. Die bekannteste Fälschung des 17. Jahrhunderts ist eine von Vignier dem Mauriner d’Achery untergeschobene, vermeintliche Urkunde Chlodwigs I., die mit der Ausgabe von K. A. F. Pertz bis 1885 als D Merov. 1 (jetzt D Merov. App †I) als die älteste merowingische Königsurkunde überhaupt galt. Vgl. Kölzer, [Einleitung zu] D Merov. App †I, in: ebd., S. 703; Brühl, Studien (1998), S. 31, 51ff. Drei auf Dagobert I. gefälschte und angeblich auf die Initiativen des Trierer Bischofs Modoald zurückgehende Urkunden wurden von dem Touler Archidiakon François de Rosières (1534–1607) in dessen Stemmata Lotharingiae von 1580 publiziert. Vgl. D Merov. App †VI–VIII, in: ebd., S. 709–713. Ob diese Fälschungen mit den besitzrechtlichen Auseinandersetzungen des frühen 17. Jahrhunderts in Verbindung stehen, bliebe zu untersuchen. Laut Benz „fälschte und erdichtete“ Rosières „gut 100 Urkunden des Trierer Raumes.“ Bereits Welser scheint Rosières aufgrund ungereimter Äußerungen zur bayerischen Geschichte als unglaubwürdig qualifiziert zu haben. Vgl. Benz, Tradition (2003), S. 478f. Hausberger, Werk (1980), S. 227. Vgl. Papebroch, Discrimen. AASS Aprilis, Bd. 2, 1675 (Ausgabe 1866), c. 9. Indicantur aliæ plures Chartæ, Regibus Merovingicis affictæ, ebd., S. XXVIII–XXX, hier S. XXXa: „Æque facile fuit falsitatis convincere privilegium, quod Chronico Besuensi insertum edidit Acherius tom. 1 Spicilegii sub nomine Chlotharii III […] tamquam datum mense Augusto, anno ab incarnatione Domini DCLVIII, indictione I anno VIII regni Clotarii, non tantum propter annum Christi male comparatum cum anno regni, qui II aut III nominandus erat, sed etiam propter stylum totius chartæ: […].“ Dies ist D Merov. †91, in: MGH DD Merov., Teil 1, ed. Kölzer (2001),

664 sogar einige der von ihm als echt bewerteten Stücke in Wirklichkeit als Fälschungen zu betrachten sind. 105 Papebroch war folglich nicht ein Skeptiker oder Pyrrhonist, 106 sondern der erste frühneuzeitliche Gelehrte, der das Ausmaß der Fälschungen begriff und, auf der Grundlage empirischer Stichproben, durchaus adäquat beschrieb. In gewisser Weise war es folgerichtig, dass man sich in dem Moment, in dem die Chronologie der Merowinger an Stabilität gewann, über die Natur ihrer vermeintlichen Diplome zu verständigen begann. Denn was war davon zu halten, wenn die hier angeblich urkundenden frühmittelalterlichen Könige in vielen Fällen keine präzisen Kenntnisse von ihrer eigenen Herrschaftszeit besessen zu haben schienen oder gar Töchter beschenkt hatten, die, nach Abwägung aller Evidenzen, schwerlich die ihren gewesen sein konnten? Papebrochs Einsichten riefen deswegen die Mauriner auf den Plan, weil er davon ausging, dass seine Resultate auch für die weltlichen und geistlichen Urkunden im Besitz von St. Denis Gültigkeit beanspruchen dürften: Das dicht bei Paris gelegene Kloster St. Denis besitzt sehr viele Diplome, ebenso der römischen Pontifices wie der fränkischen Könige; und natürlich, wie vorgegeben wird: Originale; sogar einige, die auf Baumrinde geschrieben worden sind: zu all diesen, was freilich die Zeiten der ersten königlichen Dynastie betrifft, muss überhaupt dieses festgehalten werden: dass ihnen umso weniger Vertrauen entgegengebracht werden darf, je größeres Alter sie vorschützen. 107

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S. 236f.; zu d’Acherys Ausgabe Kölzer, [Einleitung], in: ebd., S. 234–236, hier S. 234. Einige Beispiele hatte Papebroch aus Labbés Eloges übernommen. Vgl. etwa Papebroch, Discrimen. AASS Aprilis, Bd. 2, 1675 (Ausgabe 1866), S. XXVIII, zu auf Chlodwig I. gefälschten Stücken: „Secundum eidem Regi imputandum diploma continet monasterii S. Petri Vivi, apud Semones, […] Ego Chlodoveus in Dei nomine Rex Franciæ propria manu signum firmavi et subscripsi. Ego in Dei nomine Chlothildis Regina. Ego in Dei nomine Theodoricus filius ejus Rex: […]. […] Data mense Octobris, Indictione I. in Dei nomine. Parisius urbe Regia.“ Ebd.: „Tertium incipit, In nomine sanctæ et individuæ Trinitatis Chlodoveus, et de Myciacensi, Cambiacensi, ac Latiniacensi fundis, donatis S. Euspicio et S. Maximino, significat omnibus Episcopis, Abbatibus […].“ Dies sind DD Merov. †2 und †4, in: MGH DD Merov., Teil 1, ed. Kölzer (2001), S. 5f., 13–17. Vgl. Kölzer, Studien (1989), S. 13 mit Anm. 5. In welchem Umfang er sich neben den oben genannten D H.III. 378 und D H.IV. 158 noch auf weitere echte Diplome stützen konnte, ist beim Stand der Dinge nicht zu sagen. Beide Begriffe tendieren auch in Teilen der Philosophiegeschichte zur Synonymität. Vgl. dazu die Überlegungen von Dominik Perler, Was There a „Pyrrhonian Crisis“ in Early Modern Philosophy? A Critical Notice of Richard H. Popkin, in: Archiv für Geschichte der Philosophie 86 (2004), S. 209–220. Vgl. Papebroch, Discrimen. Pars prima, AASS Aprilis, Bd. 2, 1675 (Ausgabe 1866), S. XXXIa: „Habet San-Dionysianum juxta Parisios monasterium plurima, tam Romanorum Pontificum quam Francorum Regum, diplomata; et quidem, ut prætenditur, originalia; etiam in corticibus arborum scripta quædam: de quibus omnibus, quod quidem attinet tempora primæ stirpis regiæ, illud omnino tenendum est, tanto minus eis adhibendum fidei, quanto plus præseferunt antiquitatis.“

665 In diesem Fall veranschaulichte er seine Diagnose anhand einiger Reproduktionen, die er der Histoire de l’Abbaye de Sainct-Denys en France des Benediktiners Jacob Doublet (1560–1648) von 1625 entnommen hatte. 108 Damit wiederum hatte er keineswegs und „ohne nähere Begründung“ den „ganzen alten Privilegien- und Besitzstand des Klosters in Frage gestellt – ein Fehlgriff, der die Auseinandersetzung mit der französischen Benediktinerkongregation zum hl. Maurus geradezu herausforderte.“ 109 Zum einen gilt Doublet der Mediävistik als der „mit weitem Abstand wichtigste Editor aller Dagobert-Spuria“. 110 Keine der von ihm publizierten Urkunden, die den Namen dieses Herrschers tragen, ist authentisch. Im Übrigen bezeichnete der von Doublet benutzte Ausdruck „Baumrinde“ („escorce d’arbre“) realiter auf Papyrus geschriebene Urkunden. 111 In welchem Umfang diese alten Dokumente noch aktuelle Besitzungen und Privilegien verbrieften, bliebe zu untersuchen. Zum anderen trennte Papebroch die Frage der Rechtmäßigkeit des Eigentums ausdrücklich von der der Authentizität der in Rede stehenden Dokumente. Mit Marsham ging er davon aus, dass die meisten der im frühen Mittelalter getätigten Transaktionen erst weit später in eine schriftliche Form gegossen worden seien. Insbesondere „[i]m elften Jahrhundert christlicher Zeit und in den folgenden Jahrhunderten, als so viele Schismen und Zerwürfnisse den Frieden der ganzen Kirche allerorten störten“ und die weltlichen Potentaten nicht mehr – wie einst „im neuen Christentum der Franken“ – „vom Feuer für die Religion“ entflammt gewesen seien, seien auf Veranlassung der Oberen der Klöster selbst allerlei fingierte Rechtszeugnisse entstanden. Diese seien notwendig gewesen, um die kirchlichen Güter vor dem Zugriff der säkularen Potentaten zu schützen und folglich, so Papebroch, „ohne große Schuld“ erstellt worden. Schließlich habe es sich um kraft göttlichen Rechts beanspruchte und einst legitim erhaltene Besitztümer und Privilegien gehandelt. 112 Trotz allem könne, was –––––––— 108

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Vgl. abschließend ebd., S. XXXIb: „Quod si ex solo istius monasterii archivio tanta prodiit ferrago chartarum, Romanis Pontificibus ac Francorum Regibus fidenter æque ac ignoranter suppositarum, quantam Doubletii collectio indicat.“ Hausberger, Werk (1980), S. 227. In der Zuspitzung schwerlich zutreffend ist die Äußerung von Barret-Kriegel, Historiens, Bd. 2: Défaite (1988), S. 145: „Niant que les papyrus aient pu être utilisés après la mise en circulation des parchemins, il [Papebroch] déclara que les diplômes royaux mérovingiens déposés dans les archives de l’abbaye bénédictine de Saint-Denis sont des faux.“ Barret-Kriegel hat Papebrochs Discrimen nicht konsultiert. Ihre Zitierweise der Acta Sanctorum ist kaum diskutabel. Vgl. ebd., Anm. 1: „Acta Sanctorum Bollandistorum, Bruxelles [!], 1648–1658 [!], 56 vol. La critique de Papenbroch se trouve dans une préface au tome II [!] des Acta Sanctorum intitulée Propylaeum […].“ Vgl. Brühl, Studien (1998), S. 155. Vgl. ebd., S. 156 mit Anm. 165. Vgl. Papebroch, Discrimen. Pars prima, AASS Aprilis, Bd. 2, 1675 (Ausgabe 1866), S. XXVa: „Undecimo Christianæ Æræ seculo et sequentibus, dum Ecclesiæ universalis pacem tot undique schismata seditionesque turbarent, ea erat morum corruptela, ut

666 die folgenden Zeiträume anbelange, „unter all den ganzen Autoren des mittleren Zeitalters“ kein einziger benannt werden, „der selbst nur eines der so beschaffenen Diplome der Falschheit und Interpolation überführt hätte, auch wenn viele die Historiographie aufrichtig behandelten.“ 113 Im Versuch, seine damals ohne Frage überraschenden Befunde zu erklären, tendierte Papebroch zu einer prinzipiellen Absolution kirchlichen Eigentums. Auf diese Weise hätte er, ähnlich wie Baronio in seinen Studien zur Konstantinischen Schenkung, 114 der Debatte jede Brisanz genommen. –––––––—

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qui Dei famulatum erant professi, et videbant a potestatibus secularibus undique accidi immunitates et possessiones suas, non magno crimini sibi ducerent, pro ipsis tuendis fingere, quæ in nullius cessura præjudicium, solum videbantur conductura tenendæ æquitati. Quemadmodum autem monasteriorum Superiores innocens quædam, uti ipsi putabant vafrities permovebat, ad ejusmodi fictiones procurandas; […].“ Ebd., S. XXXb: „Quod de possessionibus dixi, quarum pars magna longe post obtigit locis piis, quam facta aut etiam scripta esset prima fundatio, cujus instrumento tamen eædem finguntur insertæ; id libenter etiam intellexerim de talium possessionum immunitatibus ac libertatibus (unde et privilegia vulgo nominantur testes earum chartæ) ita scrupulose soliciteque et determinate quandoque expressis, sicut post seculum nonum aut decimum exprimi cœpere; quando hominum, ecclesiasticis bonis et juribus carpendis inhiantium cupiditati reprimendæ, aut monasteria gravantium importunitati avertendæ, ejusmodi privilegia quæsita fuere. Cum enim donata ecclesiis bona jure divino immunia sint ab oneribus servitutis secularis, primis monasteriorum fundatoribus ac dotatoribus non incidit cavere ab eo malo, quod in nova Francorum Christianitate necdum cœperat pullulare, dum Reges ac Principes adhuc zelo religionis æstuarent.“ Vgl. ebd., S. XXVa: „[…] nemo unus inventus sit, inter tot medii ævi scriptores, qui vel unicum istiusmodi diplomata falsitatis et interpolationis arguerit, etsi multi historiam ex professo tractarent.“ Die kritische Prüfung von Urkunden scheint bis weit ins späte Mittelalter eher die Ausnahme dargestellt zu haben. Vgl. Reinhard Härtel, Fälschungen im Mittelalter. Geglaubt, verworfen, vertuscht, in: Fälschungen, Bd. 3,1 (1988), S. 29–51, hier S. 50f. Vgl. Papebroch, Discrimen. Pars prima, AASS Aprilis, Bd. 2, 1675 (Ausgabe 1866), S. Ia: „Ecclesiasticorum Annalium integerrimus atque eruditissimus scriptor Cæsar Cardinalis Baronius, ad annum CCCXXIV fraudes atque impostures retecturus Edicti ejus, quod sub Constantini Magni nomine profertur ab aliquibus, tamquam continens donationes a piissimio illo Imperatore factas Romanæ Ecclesiæ; non credidit se, id faciendo, juribus ejus detrahere quidpiam, quibus tuendis satis esset antiquæ ac justæ possessionis titulus. Antiquæ, quod Francorum Christianissimi Principes suis ipsorum diplomatis, ea, a Longobardis ablata, se Romanæ Ecclesiæ restituere professi sunt. Justæ, quia si Romana Ecclesia, ante illa a Francorum Regibus collata privilegia, jam potiebatur rerum dominio: unde illud nisi jure debitum sibi potuit vendicasse?“ Baronio, Annales ecclesiastici, Bd. 3, ed. nov. 1624, Sp. 293, Nr. CXVII– CXIIX, ad an. 324: „Magum plane est de collatis illis Romanæ Ecclesiæ à Constantino muneribus argumentum, q[uod] Francorum Christianissimi Principes suis ipsoru[m] diplomatibus, ea à Longobardis ablata, se Romanæ Ecclesiæ restituere, professi sunt. || Si enim Romana Ecclesia ante collata illa à Francoru[m] Regibus priuilegia (quod suo loco pluribus demonstrabitur) iam potiebatur rerum dominio: vnde illud sibi nisi iure debitum potuit vendicasse?“ Seit Otto III. (reg. 991–1002) wurde, mit unterschiedlichen Argumenten, verschiedentlich die Rechtsgültigkeit der Konstantinischen Schenkung bezweifelt. Ihre Authentizität wurde, mit einigen formalen Argumenten, von Nikolaus von Kues 1433, in stilistischer Hinsicht von Lorenzo Valla

667 Die entscheidende Schwäche seines Zugriffs bestand darin, dass er die merowingischen Urkunden nach Dagobert I. nicht mehr aufmerksam studierte. Diese allerdings waren publizistisch zu seiner Zeit auch weit weniger präsent. Bei Doublet hätte Papebroch zwar immerhin vier echte Urkunden zwischen Chlodwig II. (reg. 691–694) und Theuderich IV. (reg. 721–737) studieren können. 115 Der größte Teil dieser späteren und authentischen Stücke sollte seine Erstedition allerdings erst 1681 in Mabillons De re diplomatica libri VI erhalten. 116 In Papebrochs Diagnosen hatte sich also unter anderem die publizistische Lage gespiegelt. Während er den Nachweis geführt hatte, dass die Masse der bis dahin gedruckten merowingischen Urkunden bis einschließlich Dagobert I. mit guten Gründen als Fälschungen zu betrachten war, ging es Mabillon um die Frage, ob es Stücke gab, deren Authentizität erwiesen werden konnte. Seit Mai 1679 scheint sich Mabillon einschlägigen Studien gewidmet zu haben. 117 Sie führten zu der Einsicht, dass sich diese Frage im Wesentlichen für eine Reihe von Dokumenten der späteren Merowinger positiv beantworten ließ. Damit waren die Diagnosen Papebrochs, was einzelne Urkunden anbelangte, nicht widerlegt, sondern erweitert, differenziert und vor allem entscheidend systematisiert worden. Die Ergebnisse scheinen Mabillon allerdings nur zu wenig Enthusiasmus Anlass gegeben zu haben. –––––––—

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1440 und kurz danach von Reginald Peacock (1395–1459) um 1449 in Zweifel gezogen. Vgl. Hans Martin Klinkenberg, Art. Konstantinische Schenkung, in: LThK, Bd. 6, 21961, Sp. 483f.; Horst Fuhrmann, Art. Konstantinische Schenkung, in: LexMA, Bd. 5, 1991, Sp. 1385–1387; ders., Art. Konstantinische Schenkung, in: LThK, Bd. 6, 31997, Sp. 301–304; vgl. im Detail Fueter, Geschichte (31935), S. 112f.; Wolfram Setz, Lorenzo Vallas Schrift gegen die Konstantinische Schenkung. De falso credita et ementita Constantini donatione. Zur Interpretation und Wirkungsgeschichte (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 44), Tübingen 1975; Giovanni Antonazzi, Lorenzo Valla e la polemica sulla Donazione di Costantino. Con testi inediti dei secoli XV–XVII (Uomini e dottrine 28), Rom 1985; Kurt Zeillinger, Otto III. und die Konstantinische Schenkung. Ein Beitrag zur Interpretation des Diploms Kaiser Ottos III. für Papst Silvester II. (DO III. 389), in: Fälschungen im Mittelalter, Bd. 2: Gefälschte Rechtstexte. Der bestrafte Fälscher (MGH Schriften 33,2), Hannover 1988, S. 509–536; Jeannine Quillet, Autour de quelques usages politiques de la Donatio Constantini au Moyen Age. Marsile de Padoue, Guillaume d’Ockham, Nicolas de Cues, in: ebd., S. 537–544; Stefano Zen, Baronio Storico. Controriforma e crisi del metodo umanistico (Istituto Italiano per gli Studi Filosofici: „La Ricerca Umanistica“ 2), Neapel 1994, S. 228–236; Hartmann, Humanismus (2001), S. 35, 133, 180. Vgl. Brühl, Studien (1998), S. 155 Anm. 162. Es handelt sich um die DD Merov 19, 75, 87, 94 der alten Ausgabe von K. A. F. Pertz. Nach der neuen Ausgabe sind dies DD Merov. 85, 159, 173, 187, in: MGH DD Merov., Teil 1, ed. Kölzer (2001), S. 217–220, 397f., 431, 466f. Vgl. in Auswahl DD Merov 121–123, 126, 127, 131, 135–138, 141–143, 147, 153, 155–157, 166–168, 170, 173, in: ebd., S. 308–314, 319–324, 333f., 342–350, 355– 362, 370f., 383f., 386–393, 412–418, 423, 431. Vgl. Leclercq, Mabillon, Teil 1 (1953), S. 162f.

668 Mabillon wusste zwar um die Neuartigkeit seiner Methodik: „Einer neuen Art der altertumskundlichen Kunst nähere ich mich an, in der über die Gesetzmäßigkeit, die Formeln und Autorität der alten Urkunden gehandelt wird.“ 118 Sie sei konzipiert worden, um die „Ehrfurcht“ vor den „alten Denkmälern“ und deren „Ansehen“ wieder herzustellen. 119 Zugleich aber müsse sie als ein „Heilmittel“ begriffen werden, und zwar als „ein letztes, so eines, wie es bei hoffnungslosen Wunden Anwendung zu finden pflegt, durch das natürlich mit den üblen Dingen auch die guten abgeschnitten werden.“ 120 Anders als Marsham oder Papebroch konnte Mabillon aufzeigen, dass sich der Gebrauch von Schriftlichkeit im Zuge frühmittelalterlicher Transaktionen sowohl anhand ihrer Überreste als auch anhand der zeitgenössischen Historiographie, einschließlich Bedas und Gregors von Tours, belegen ließ. 121 Auf insgesamt gut 630 Seiten in folio prüfte er die Beschaffenheit des Beschreibstoffs und beschäftigte sich mit der Verwendung und Gestalt der Siegel. Er verglich die Schriftbilder und den Formelschatz, referierte über die Überlieferungszusammenhänge – etwa in Chartularchroniken –, beschäftigte sich mit Monogrammen und Recognitionszeichen und veröffentlichte letztlich, neben einigen quasi faksimilierten Diplomen, die von ihm als echt bewerteten Stücke. 122 –––––––— 118

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Vgl. DE || RE DIPLOMATICA || LIBRI VI. || IN QUIBUS QUIDQUID AD VETERUM || Instrumentorum antiquitatem, materiam, scripturam, & stilum; || quidquid ad sigilla, monogrammata, subscriptiones, ac notas || chronologicas; quidquid inde ad antiquariam, historicam, forensem- || que disciplinam pertinet, explicatur & illustratur. || ACCEDVNT || Commentarius de antiquis Regum Francorum Palatiis. || Veterum scripturarum varia specimina, tabulis LX comprehensa. || Nova ducentorum, & amplius, monumentorum collectio. || Operâ & studio Domni JOHANNIS MABILLON, Presbyteri ac Monachi || Ordinis S. Benedicti è Congregatione S. Mauri. || LUTETIÆ PARISIORUM, || Sumptibus LUDOVICI BILLAINE, in Palatio Regio. || M DC LXXXI. || CVM PRIVILEGIO REGIS, ET SVPERIORVM PERMISSV., S. 1: „NOVUM antiquariæ artis genus aggredior, in qua de veterum instrumentorum ratione, formulis & auctoritate agitur.“ Vgl. ebd., Dedikationsepistel: Illustrissimo viro Domino D. Johanni Baptistæ Colbert Regi ab intimis consiliis et secretioribus mandatis, generali ærarii moderatori, summo regiorum ædificiorum præfecto, regiorum ordinum quæstori, Marchioni de Seignelay, Baroni de Seaux, &c. [unpaginiert], fol. áijv: „[…] quâ sublatâ, vetustis monumentis sua religio & auctoritas […] restitueretur.“ Ebd.: „Tentatum est remedium: sed, quale in desperatis vulneribus adhiberi solet, extremum, quo nimirum cum malis etiam bona præciduntur.“ Vgl. Liber primus, In quo veterum Instrumentorum antiquitas, materia, & scripturæ explicantur, c. 3. I. De antiquitate diplomatum & chartarum pro ecclesiis & monasteriis. II. Papebrochii sententia opposita. III, IV, V, & VI. Refutatur. VII. Privilegia monasteriis à Gregorio Magno concessa. VIII. etiam Sanctimonialibus. IX. Turonense vindicatur. X. Exemplum apud Anglos. XI. In his agitur de spiritali exemtione. XII. Exempla apud Græcos, ebd., S. 10–15. Vgl. Levillain, Le „De re diplomatica“ (1908), S. 210–252; Leclercq, Mabillon, Teil 1 (1953), S. 164ff.; Barret-Kriegel, Historiens, Bd. 2: Défaite (1988), S. 158f. Mit Barret-Kriegel erschließt sich die grobe Struktur dieses Werks. Eine Studie zu De re diplomatica libri VI, die sich eingehender mit Mabillons Argumentationsweise be-

669 Mabillons De re diplomatica libri VI stehen für eine partiell abgeschlossene Entwicklung der Überlieferungsträger zu einem vom erkennenden Subjekt klar abgegrenzten Objekt der Erkenntnis oder „epistemischen Ding“. 123 Die Echtheit der Urkunden erschloss sich nicht mehr nur aus der Befragung des jeweiligen Wortlauts, sondern auch aus der vergleichend betrachteten Gestalt der Buchstaben, der Monogramme oder aus besagtem Formelschatz. Ein ähnlich kompletter Zugriff, der in diesem Fall seinen Rückhalt im überschaubaren Umfang der Diplome fand, konnte in der vorliegenden Studie auf keinem anderen Gebiet der zeitgenössischen Beschäftigung mit historischer Schriftlichkeit beobachtet werden. Insofern könnte die Diplomatik für eine Reihe objektivierender Techniken eine Vorläuferfunktion besessen haben. Es spricht beim Stand der Dinge wenig dafür, die Struktur dieses Zugriffs, der aus der Eigendynamik der investigativen Praxis hervorgegangen war, auf die entstehenden Naturwissenschaften zurückzuführen. 124 Der traditionelle ideengeschichtliche Primat des Theoretischen, was Erklärungshierarchien und die Chronologie der Dinge – Ursachen und Wirkungen – anbelangt, tendierte bislang dazu, die Frage nach den argumentativen Inhalten, nach den Fundamenten und Verläufen der historiographischen Forschung im 17. Jahrhundert zu verunklaren. Die Probleme, welche die vertiefende Auseinandersetzung mit den Erzeugnissen dieser Zeit für die moderne Historiographiegeschichte mit sich bringen, haben zu einer „Veruneigentlichung“ der Historie geführt, derart, dass ihre Anlage aus ver–––––––—

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schäftigte, fehlt. Ähnlich wie im Fall der Bollandisten indizieren die Äußerungen in der historiographiegeschichtlichen Literatur zunächst die Unvertrautheit mit diesem Werk. Bei Weber, Bedeutung (1994), S. 134 Anm. 8, tritt es als „Jean Maibillons [!] De re diplomatica Libri VI (1601–1603) [!]“, in Erscheinung. Die sechs Bücher werden bisweilen ausdrücklich als sechs Bände fehlverstanden. Vgl. Karl-Georg Faber, Theorie der Geschichtswissenschaft (Beck’sche Schwarze Reihe 78), München 51982 [zuerst 1971], S. 30: „Die Konfrontation mit der verbreiteten Skepsis an der Möglichkeit historischer Erkenntnis, mit dem Pyrrhonismus, zwang zur Suche nach einem methodisch einwandfreien, das heißt kontrollierbaren Standpunkt. Sie fand ihren Niederschlag in dem sechsbändigen Werk ‚De re diplomaticaǥ von Jean Mabillon (1681) und in den ‚Acta Sanctorumǥ der Bollandisten und läßt sich auf die Formel bringen: Distanzierung von der Überlieferung und methodisch-kritische Überprüfung der Überlieferung.“ Im Regelfall wird auf De re diplomatica libri VI allerdings allein in ihrer Eigenschaft als Gründungsschrift der Diplomatik verwiesen. Vgl. Muhlack, Geschichtswissenschaft (1991), S. 368: „Mabillon, einer der Herausgeber der ‚Actaǥ [Sanctorum Ordinis Sancti Benedicti], tut den Schritt von der Forschungspraxis zur Methodologie, indem er 1681 für eine bestimmte von ihm als wichtig erkannte Quellengattung ein Lehrbuch vorlegt: das Werk ‚De re diplomaticaǥ, mit dem die weitere Bearbeitung der Urkunden eine systematische Grundlage erhält.“ In Anlehnung an Hans-Jörg Rheinberger, Historialität, Spur, Dekonstruktion, in: ders., Experiment – Differenz – Schrift. Zur Geschichte epistemischer Dinge, Marburg 1992, S. 47–66; ders., Das „Epistemische Ding“ und seine technischen Bedingungen, in: ebd., S. 67–86. Vgl. Faber, Theorie (51982), S. 27ff.

670 schiedenen Strömungen abgeleitet wurde, aus der Philosophie, den Naturwissenschaften, aber auch aus rechtlichen und philologischen Erwägungen, während die Analyse der Historie selbst eine untergeordnete Rolle spielte. Auf diese Weise war und ist kaum eine der zu beobachtenden Entwicklungen im eigentlichen Sinne zu erklären. Die altertumskundlichen Bestrebungen des 17. Jahrhunderts können nicht als Reaktion auf den historischen Skeptizismus verstanden werden. Eher ist, mit Gerrit Walther, zu bemerken, dass letzterer an Boden zu gewinnen begann, nachdem mit den wachsenden empirischen Kenntnissen und mit einem simultan dazu verfeinerten analytischen Instrumentarium die Existenz mancher historischen Fälschung nicht mehr von der Hand zu weisen war. 125 Die sich in den letzten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts auch auf theoretischer Ebene verselbstständigende Beschäftigung mit der Problematik der fides historica dürfte ihr Gewicht und ihre Aktualität demnach aus den Erkenntnissen der gelehrten Praktiker bezogen haben und nicht umgekehrt zu deren vermeintlich uninspiriertem Treiben motiviert haben. Aus der Existenz der Debatten um die fides historica wiederum ist nicht ohne weiteres auf ein allgemeines Krisenbewusstsein zu schließen. Darauf hat bereits Völkel hingewiesen. 126 Sofern nicht jede Kontroverse oder jeder zeitgenössische Einblick in alte oder neue Fälschungen in Begriffen des Krisenhaften beschrieben werden soll, artikuliert sich, in den hier konsultierten Schriften, zunächst eine große Lebendigkeit historiographischen Tuns, eine schwer zu überblickende Vielfalt der Formen, eine weit über die Historie selbst hinausgreifende Bedeutsamkeit geschichtlicher Schriften und Sachverhalte und nicht zuletzt ein experimenteller Umgang mit den publizistisch verfügbar gewordenen Materialien. Die Historie war ein Feld, das sich für die Profilierung der eigenen Gelehrsamkeit eignete, gerade weil hier manche „Entdeckung“ möglich schien. Namentlich einige französische Jesuiten griffen in thesenfreudigen Werken die entwickelten Fäden auf und begannen an ihnen nicht ohne Enthusiasmus zu ziehen. Die Indexkongregation in Rom verbot aufgrund des dort systematisierten Zweifels am Alter des Neuen Testaments den im Umfang von mehr als 800 Seiten in folio posthum 1741 veröffentlichen Commentarius in Novum Testamentum des seinerzeit berühmten Pariser Jesuiten Jean Hardouin. Mulsow hat anhand der sich gegen Hardouin richtenden Angriffe des ehemaligen Benediktiners Mathurin Veyssière La Croze (1661–1739) verdeutlicht, auf welche Weise der kontroverse Einzelfall gegen die Jesuiten als solche gewandt werden –––––––— 125 126

Vgl. Walther, Art. Altertumskunde, in: Der neue Pauly, Bd. 13, 1999, Sp. 96. Vgl. Völkel, „Pyrrhonismus“ (1987), S. 339. In Auseinandersetzung mit den Studien Richard H. Popkins stellt jetzt auch Perler, „Crisis“ (2004), aus philosophiegeschichtlicher Perspektive zur Debatte, ob aus der Virulenz pyrrhonistischer und skeptischer Argumente auf eine Krise der frühneuzeitlichen Philosophie geschlossen werden kann.

671 konnte. Hardouins letztlich nicht durchsetzungsfähige These von einem im 13. Jahrhundert angezettelten Fälschungswerk, auf das der überwiegende Anteil der antiken wie frühchristlichen Überlieferung zurückzuführen sei, ließ La Croze von einer „Verschwörung des Jesuitenordens gegen die Zeugnisse der Vergangenheit“ sprechen. Selbst die ordensinterne Zensur der Jesuiten und Distanzierung von Hardouins Schriften waren für La Croze nichts anderes als eine auf Ablenkung bedachte Strategie der Jesuiten selbst. 127 Während Burke Hardouin einen „pathological scepticism“ meinte konzedieren zu müssen und ihn neben Papebroch als den Hyperkritiker par excellence qualifizierte, 128 trat er in Lenglet-Dufresnoys Methode ohne weitere Kommentierung unter den für die Chronologie relevanten Gelehrten in Erscheinung. In Fragen der Lektüre historiographischer Werke empfahl Lenglet-Dufresnoy eine insgesamt ausgewogene Haltung, die sich weder allzu leichtgläubig geben noch dem „Pirronisme“ verfallen solle. 129 Auf ähnliche Weise hatte bereits Mabillon im Traité für ein mäßiges Umgehen mit dem Instrumentarium der Kritik plädiert und dieses in Begriffen einer Trennung zwischen „gute[r]“ und „üble[r] Kritik“ („bonne & mauvaise critique“) beschrieben. 130 Es zählte durchaus nicht zur Mentaltität derer, die sich systematisch mit der Historie befassten, sich durch jede neue Hypothese oder durch die bisweilen lautstark geführten Auseinandersetzungen der Zeit substantiell verunsichern zu lassen. Eher neigte man dazu, in diese Debatten selbst einzutreten und die Implikationen dieser oder jener Hypothese durchzuspielen. Während Papebroch Mabillon am 20. Juli 1683 seine Anerkennung über De re diplomatica libri VI längst ausgesprochen hatte, 131 –––––––— 127

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Vgl. Mulsow, Fälschung (2001), S. 338f.; ders., Die drei Ringe. Toleranz und clandestine Gelehrsamkeit bei Mathurin Veyssière La Croze (1661–1739) (Hallesche Beiträge zur Europäischen Aufklärung 16), Tübingen 2001, S. 36–44; ein ähnliches Schicksal wie Hardouins Commentarius in Novum Testamentum erlitt die romaneske Histoire du peuple de Dieu des Jesuiten Isaac-Joseph Berruyer (1681–1758) aus dem Jahr 1728, eines Schülers Hardouins, die neben den Instanzen Roms von der ordensinternen Zensur und einigen weltlichen Instanzen mit dem Interdikt versehen werden sollte. Vgl. Franz Heinrich Reusch, Der Index der verbotenen Bücher. Ein Beitrag zur Kirchen- und Literaturgeschichte, Bd. 2,1, Bonn 1885 (Neudruck Aalen 1965), S. 804–819; Index librorum prohibitorum. 1600–1966, hrsg. v. Jesús Martínez Bujanda (Index des livres interdits 11), Montreal 2002, S. 127, 423. Vgl. Burke, Crises (1998), S. 8. Vgl. Lenglet-Dufresnoy, Methode, ed. Mencke, 1714, S. 346, 363. Vgl. Mabillon, Traité, 1691, S. 237, 290–302. Vgl. Papebroch an Mabillon, Antwerpen, 20. Juli 1683, in: Berlière, Mabillon (1908/09), S. 314f., hier S. 314: „Tandem Parisios pervenit sarcina, cui ante menses aliquot commiseram vitam S. Gerardi Broniensis petitam a Reverentia Vestra, quam licet audiam nunc peregrinari, postquam tamen utcumque evolvi opus vestrum de re diplomatica, non possum tamen celare fructum quem inde retuli. Fructus autem hic est, quod mihi in mea de eodem argumento octo foliorum lucubratiuncula nihil jam amplius placeat, nisi hoc unum quod tam praeclaro operi et omnibus numeris absoluto occasionem dederit.“ Vgl. Delehaye, Œuvre (21959), S. 30. Die von Peeters, Œuvre

672 suchte der Pariser Jesuit Barthélémy Germon (1663–1734), der noch nicht geboren war, als Henschen sich mit den Merowingern zu beschäftigen begonnen hatte, die Abwegigkeit von Mabillons Resultaten zu illustrieren. Charakteristisch für seine 1703, 1706 und 1707 publizierten Disceptationes diplomaticae war eine essayistische Form, in der der gesunde Menschenverstand eine wichtige Rolle spielte. Nach Ansicht Germons könne man es sich wohl kaum vorstellen, dass Schriften aus der Zeit des ersten Dagobert, Chlodwigs II., Theuderichs, Chilperichs, Karls des Großen, Ludwigs des Frommen und anderer unserer Könige der ersten oder zweiten Dynastie als unversehrte Autographen bis auf den heutigen Tag ausdauern. Und es wird wahrhaft leicht einzusehen sein, […] dass vor ein- oder zweitausend Jahren geschlagene Münzen, dass in Erz gegossene oder in Marmor gemeißelte Standbilder von entferntesten Zeiten bis auf die unsrigen überkommen sein könnten. Die ehernen oder marmornen Denkmäler nämlich, auch wenn sie unter den Trümmern der Häuser und der Städte begraben worden sind, wehren sich dennoch mit ihrer Härte und der ihnen eigenen Festigkeit sehr lange gegen die Unbilden der Zeiten. Deswegen ist es nötig, dass jene, als überaus kostbare, endlich irgendwann aus ihren Verstecken hervorgezogen werden und nach lange währender Umnachtung wieder ans Tageslicht kommen und dass sie selbst aufgrund ihres Alters verehrt werden. Aber die alten Urkunden in der Tat, weil sie auf ägyptischen Papyrus, auf Rinde, Pergament geschrieben worden sein dürften, die an sich wankende und hinfällige Stoffe sind, nach so langer Zeitspanne als von Feuchtigkeit, Moder, Salzlaken und anderen Übeln dieser Art unbeschädigte wieder instand gesetzt zu haben, ist unglaubhaft. 132

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(1942), S. 36, bemerkte Verzögerung nach der Veröffentlichung von De re diplomatica im Jahr 1681 – „Passé un court moment de surprise, il [Papebroch] reconnut loyalement qu’il avait trouvé son maître“ – erklärt sich dadurch, dass es Papebroch lange nicht gelungen war, in Antwerpen ein Exemplar von Mabillons Werk zu erstehen. Vgl. Dan. Papebrochii ep. ad Ottonem Menckenium, Antwerpen 6. August 1682, SUB Hamburg, Sup. ep. (4o) 41, Bl. 35r–v, hier Bl. 35r: „D. Mabillonii, viri mihi amicissimi, opus de re diplomatica nondum hic venale comparuit, etsi a nostratibus Bibliopolis saepe petitum, qvo factum ut illud nec dum legerim.“ De veteribus Regum Francorum diplomatibus et arte secernendi antiqua diplomata vera a falsis disceptatio I. [zuerst Paris 1703], in: BATHOLOMAEI GERMONII || E S. J. AURELIANENSIS || DISCEPTATIONES DIPLOMATICAE, || QUIBUS PRAEMITTITUR || EARUNDEM HISTORIA || E GALLICO AEG. BERN. RAGUETI RECENS || IN LATINUM VERSA. || OMNIA OLIM IN GALLIA SEORSUM SEMEL, || NUNC PRIMUM IN GERMANIA || CONJUNCTIM EDITA. || VIENNAE || TYPIS JOSEPHI NOBILIS DE KURZBECK, || CAIS. REG. AUL. TYPOGR. ET BIBLIOPOLAE || M. DCC. XC., S. 1–132, hier S. 9: „Creditu difficillimum esse dico scripta aetate Dagoberti primi, Clodovei secundi, Theodorici, Chilperici, Caroli Magni, Ludovici Pii, aliorumque primae vel secundae Regum nostrorum Dynastiae Autographa integra hactenus permanere. Et vero facile intelligitur,[…] ut cusa ante annos mille aut bis mille numismata, ut fusa in aere vel sculpta in marmore signa, a remotissimis temporibus ad nostra usque pervenerint. Quippe aerea et marmorea monumenta, etsi ruinis aedificiorum urbiumque sepulta, tamen sua se duritie atque innata soliditate adversus injurias temporum perdiu defendunt. Quare necesse est illa aliquando tandem e latebris erui, et post diuturnas tenebras rursum in lucem prodire pretiosiora, atque ipsa sus vetustate veneranda. At vero diplomata vetera, cum scripta fuerint in papyro Aegyptica, in cortice, in membranis, quae corpora per se

673 Die altertumskundliche Dualität von Verfall und Rettung war hier nur noch Folie, um zu veranschaulichen, dass mit authentisch frühmittelalterlicher Schriftlichkeit nicht kalkuliert werden könne. Auf welche Weise Vorstellungen von der Schrifterzeugung dieser Zeit und den Bedingungen der Tradition in den historiographischen Debatten der frühen Neuzeit gehandhabt wurden, um die eigenen Argumente zu stützen, bliebe eingehender zu untersuchen. In jedem Fall eignete ihnen bei Papebroch und Mabillon eine ebenso tragende Funktion wie bei einem Skeptiker wie Germon. Immerhin gelang es letzterem, mit seinen Disceptationes, einige Erwiderungen und weitere Streitschriften zu provozieren. Darauf ist in vorliegender Studie nicht mehr einzugehen. 133 Papebroch und die Bollandisten allerdings waren zu dieser Zeit längst mit anderen Dingen beschäftigt.

7.2 Karmeliten – Identifikationsangebote für die Gelehrtenrepublik Toutes les choses que nous voyons dans les histoires depuis trois mille ans, se sont perduës, & l’Ordre du Carmel s’est conservé. 134

Knapp drei Jahre, bevor er selbst mit den Bollandisten Kontakt aufnehmen sollte, schrieb Leibniz am 27. April 1683 an den Landgrafen Ernst von Hessen Rheinfels (1623–1693), dass er eine von ihm publizierte apologeti–––––––—

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fluxa sunt et caduca, incredibile est tanto temporum intervallo illaesa a mucore, situ, muribus, aliisque ejusdem generis pestibus restitisse.“ Vgl. grundsätzlich Jean-Louis Quantin, La philologie patristique et ses ennemis. Barthélémy Germon, S. J., et la tentation pyrrhoniste chez les anti-jansenistes, in: Häfner (Hrsg.), Philologie (2001), S. 305–331. Vgl. Barret-Kriegel, Historiens, Bd. 2: Défaite (1988), S. 157 Anm. 26, S. 261 Anm. 14. HISTOIRE || GENERALE || DES CARMES || DESCHAVSSEZ, || DES CARMELITES || DESCHAVSSEES: || CONTENANT LES MIRACLES QVE DIEV || a faits en la personne de la Seraphique Mere sainte || Therese de Iesvs, || povr la reforme de l’ancien Ordre de Nôtre Dame du Mont-Carmel. || OV IL EST PROVVÉ, || Que cete grande Sainte a été la Restauratrice du veritable esprit d’Elie, & qu’elle || a rétabli en son Ordre la Regle primitive de S. Albert, y ayant fait revivre ce || grand zele que les premiers Solitaires ont eu pour la penitence, pour || la retraite, pour l’oraison & pour la sainte pauvreté. || Composée en Espagnol par R. P. FRANÇOIS DE SAINTE MARIE, Carme Deschaussé, || & traduit en François par le R. P. GABRIEL DE LA CROIX, aussi Carme Deschaussé, || A PARIS, || Chez la vefve [!] de SEBASTIEN HVRÉ || ET SEBASTIEN HVRÉ, ruë saint Jacques || au Cœur Bon. || M. DC. XXXXXV. || AVEC PRIVILEGE ET APPROBATION DU ROY. Preface, contenant les etats differens de l’Ordre de nôtre Dame du Mont-Carmel, & les Reformes qui y ont été faites en divers temps, jusques à celle de nôtre sainte Mere Terese de Iesus [unpaginiert], [S. 2].

674 sche Schrift, in welcher „der P. Papebrock, Jesuit, gegen die Karmeliten“ verteidigt werde, mit Vergnügen gelesen habe: Denn das Vorhaben der Patres Bollandus, Henschenius und Papebrock ist mir immer als überaus gewinnbringend erschienen, sowohl für die Kirchengeschichte als auch für die profane. Denn die Lebensbeschreibungen der Heiligen aus guten Handschriften zu entnehmen, heißt, eine unermessliche Menge nützlicher, hier und dort zerstreuter Stücke für uns, im Dienst der Geschichte, zu erhalten. Die Mönche jener halb barbarischen Jahrhunderte haben fast nichts anderes geschrieben. Es gibt eine Unmenge an Fabeln, die darin erzählt werden; aber Leute von Urteil verstehen sie wohl zu sondern und behandeln diese Dinge recht nach den Gesetzen der guten Kritik, genauso wie die jesuitischen Patres, die Autoren jener Sammlung, zu erkennen geben, dass sie nicht gerade zu den besonders Leichtgläubigen gehören, und insbesondere der Pater Papebrock, der sich vor zwei Jahren bei dem Herrn Bischof von Paderborn und Münster [Ferdinand von Fürstenberg] aufhielt, hatte seinen Kummer damit zuzustimmen, als dieser Fürst ihm die in seinen Monumenta Paderbornensia angeführte Urkunde Karls des Großen als ein echtes Original zeigte. 135

Weit mehr als das altertumskundliche Eigenbild Bollands oder die genealogischen und diplomatischen Studien Henschens und Papebrochs hat die Kontroverse zwischen den Bollandisten und den Karmeliten die Wahrnehmung der Acta Sanctorum in den säkularen Wissenschaften der Moderne beeinflusst. Es war Delehaye, der die Aufmerksamkeit auf eine Episode in –––––––— 135

Leibniz, Briefe, Reihe 1, Bd. 3: 1680–1683, hrsg. v. der Preussischen Akademie der Wissenschaften, Leipzig 1938, Nr. 237, S. 282–289, hier S. 286: „I’ay leu avec plaisir la lettre imprimée, addressée à Monsr d’Heroual, fait pour defendre le P. Papebrock, Iesuite, contre les Carmes; Car le dessein des Peres Bollandus, Henschenius et Papebrock, m’a toûjours paru tresutile, et pour l’histoire Ecclesiastique et pour la profane. Car de tirer les vies des Saints de bons manuscrits, c’est nous conserver une infinité des pieces utiles, servant à l’histoire qui se trouvent dispersées cà et là. Les moines de ces siècles demy barbares n’ayant escrit presque autre chose. Il se trouve quantité de fables qui sont rapportées là dedans; mais des personnes de jugement sçavent bien les discerner et faire un bon usage de ces choses suivant les Loix de la bonne Critique, d’autant que les Peres Iesuites, auteurs de cette collection, font voir, qu’ils ne sont pas des plus credules, et particulierement le P. Papebrock, qui passa il y a deux ans chez Monsr l’Evesque de Paderborne et Munster, eust bien de la peine à se rendre, quand ce Prince luy monstra le diplome de Charles Magne, rapporté dans ses monumens de Paderborne, comme un vray original.“ Die angesprochene Lettre du Sr N., conseiller du Roy, etc. à son amy Monsieur Antoine Wion d’Herouval stammte wahrscheinlich von Charles Du Cange (1610–1688). Sie war 1682 zuerst in Französisch gedruckt worden. Ernst ließ sie ins Lateinische übersetzen und publizieren. Vgl. Coens, Du Cange (1955), S. 565; Joassart, Introduction (2005), S. 39f. Vgl. dazu auch Papebroch à Du Cange, Anvers, 19 février 1683, in: Joassart (Hrsg.), Chifflet (2005), Nr. 48, S. 198f.; zu Landgraf Ernst Papebroch à Du Cange, Anvers, 19 février 1683, in: ebd., Nr. 49, S. 199–201, hier S. 200f.; als Annexe hat Joassart ebd., S. 201f., ein Schreiben des Landgrafen an die Bollandisten vom 23. November 1682 publiziert. Im Namen des angesprochenen Pariser Beamten Antoine Wion d’Herouval (1606–1689), aber offenbar ohne dessen Wissen oder Einverständnis, veröffentlichten die Karmeliten noch 1683 eine Réponse. Vgl. Papebroch à Du Cange, Anvers, 22 juin 1683, in: ebd., Nr. 53, S. 236–241, hier S. 240 mit Joassarts Anm. 1385; Peeters, Œuvre (1942), S. 29 mit Anm. 1; Coens, Du Cange (1955), S. 565 mit Anm. 3.

675 der Geschichte der Acta Sanctorum lenkte, die den Bollandisten zwar einige Schwierigkeiten bereitete, ihr wissenschaftliches Prestige aber, gelenkt von der publizistischen Intelligenz der Bollandisten selbst, stark vermehren sollte. Die Abläufe der Kontroverse sind in Umrissen bekannt. 136 Sie nahm 1668 von Henschens Dossier zum „hl. Berthold von Kalabrien“, einem der vermeintlich ersten Prioren der Karmeliten, ihren Ausgang. 137 Henschen habe sich an dieser Stelle enthalten, so Delehaye, „de se prononcer sur l’immémoriale antiquité de l’Ordre, qui prétendait remonter au prophète Élie“. 138 Anschließend an Papebrochs Dossier zum hl. Albert von Vercelli († 1214) und die auf seine diplomatischen Erörterungen unmittelbar folgende Abhandlung De praetensa quorumdam Carmeliticorum Conventuum antiquitate von 1675 139 entwickelte sich eine Zwistigkeit, die die Ebene der –––––––— 136

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Vgl. Delehaye, Œuvre (21959), S. 90–114, 143–157; Peeters, Œuvre (1942), S. 28– 35; Knowles, Bollandists (1962), S. 15f.; De Gaiffier, Hagiographie (1967), S. 302ff.; Hausberger, Werk (1980), S. 227–234; Gordini, Opera (1991), S. 52f.; Joassart, De la Vierge (2000), S. 387ff.; Godding/Joassart/Lequeux [u. a.], Bollandistes (2007), S. 105–108; über die von den Bollandisten gebotenen Informationen hinaus gehen Reusch, Index, Bd. 2,1 (1885), S. 267–276; Benz, Tradition (2003), S. 549ff. Die beste Darstellung des Falls bietet Ludovico Saggi, Introduzione. Agiografia Carmelitana, in: Santi del Carmelo. Biografie da vari dizionari, a cura e con introduzione di Ludovico Saggi. Prefazione di Valentino Macca, Rom 1972, S. 23–108, hier S. 65– 79. Vgl. [Gottfried Henschen], De Sancto Bertholdo. Primo Priore Generali Ordinis S. Mariæ de Monte Carmelo, in: AASS Martii, Bd. 3, 1668, 29. März, S. 791f. Vgl. zu Berthold unten Anm. 294; zu Henschens Verfasserschaft dieses Dossiers unten Anm. 320. Von einem homogenen Forschungsstand zur Geschichte der Karmeliten kann kaum die Rede sein. Gesicherte Aussagen namentlich zur Frühzeit der Karmeliten und zur Entwicklung ihrer Traditionen sind häufig schwer zu treffen. Gegenüber den älteren, quellenkundlich außerordentlich versierten Studien Xibertas und Saggis sind die beiden Monographien von Andrew Jotischky, The Perfection of Solitude. Hermits and Monks in the Crusader States, University Park, PA 1995, S. 102; ders., The Carmelites and Antiquity. Mendicants and Their Pasts in the Middle Ages, Oxford/New York 2002, nicht immer zu bevorzugen. Über ihre jeweiligen Gegenstände hinaus informieren Bartholomaeus F. M. Xiberta, De scriptoribus scholasticis saeculi XIV ex ordine Carmelitarum (Bibliothèque de la Revue d’Histoire Écclesiastique 6), Louvain 1931; ders., De visione Sancti Simonis Stock (Bibliotheca sacri Scapularis 1), Rom 1950; Ludovico Saggi, S. Angelo di Sicilia. Studio sulla vita, devozione, folklore (Textus et studia historica carmelitana 6), Rom 1962, über den Prozess der karmelitischen Traditionsbildung. Vgl. zur Entwicklung der karmelitischen Historiographie im 20. Jahrhundert Saggi, Introduzione (1972), S. 85–91. Einen kurzen und ergebnisorientierten Überblick über die von Xiberta und Saggi auf den Weg gebrachte Neubewertung der karmelitischen Historiographie bietet Adalbert Deckert, Von den Anfängen des Karmelitenordens (13. Jahrhundert). Ein revidiertes Bild, Bamberg 1996. Von den Bollandisten des 20. Jahrhunderts bis einschließlich Joassart wurden und werden diese Studien nicht rezipiert. Vgl. Delehaye, Œuvre (21959), S. 90. D[aniel] P[apebrochius], De Beato Alberto ex canonico regvlari Episcopo primvm Vercellensi, dein Patriarcha Hierosolymitano, legato Apostolico, et legislatore Ordinis Carmelitici, in: AASS Aprilis, Bd. 1, 1675, 8. April, S. 769–802; ders., Propylæi

676 gelehrten Kontroverse in jeder Hinsicht überschritt. Sie mündete, nach einer förmlichen Denunziation der Bollandisten durch die Karmeliten im Jahr 1691, in ein am 14. November 1695 durch die spanische Provinzialinquisition zu Toledo verhängtes Verbot, insgesamt 14 Bände der Acta Sanctorum der Monate März bis Mai zu besitzen, zu kaufen oder zu lesen, sei es als Druck, als Handschrift oder in einer anderen Ausgabe. 140 Sie enthielten, in den standardisierten Formeln der Inquisition, „häretische, nach Häresie schmeckende, für den Glauben gefährliche; anstößige, für fromme Ohren verletzende, schismatische, aufrührerische, verwegene, tollkühne, vermessene, für zahlreiche Päpste, den heiligen apostolischen Stuhl, die heilige Ritenkongregation, das Brevier und das Martyrologium Romanum verletzende“ Ansichten. 141 Das Urteil war möglicherweise in der Interimsphase nach dem Tod des Generalinquisitors Diego Sarmiento de Valladares (reg. 1669–1695) und kurz vor der Ernennung seines Nachfolgers, des Dominikaners und Erzbischofs von Valencia, Juan Tomás de Rocaberti (reg. 1695–1699) gefällt worden. Bis zum 14. Januar 1696 schlossen sich die inquisitorischen Tribunale am Hof zu Madrid, in Saragossa und Valladolid mit ähnlichen Dekreten an. 142 Vorangegangen war eine publizistische Auseinandersetzung, die –––––––— 140

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antiquarii pars secunda. De prætensa quorumdam Carmeliticorum Conventuum antiquitate, in: AASS Aprilis, Bd. 2, 1675 (Ausgabe 1866), S. XXXIII–XLI. Abgedruckt ist es als: Decretum Sanctæ Inquisitionis Toletanæ, Ex Hispano Idiomate Latinè redditum, innerhalb des Art. Joannes Feyxoo de Vallalobos, in: Bibliotheca Carmelitana, Bd. 1, 1752, Sp. 843f., hier Sp. 844: „Idcircò præcipimus, ne quis qualiscumque statûs, dignitatis, aut conditionis ille sit, asservet, legat, aut dictos vendat libros seu impressos, seu manuscriptos, seu præfatæ sint, seu alterius Editionis […].“ Vgl. ebd., Sp. 843: „Cum in iis [den angezeigten Bänden der Acta Sanctorum] verò propositiones habeantur erroneæ, hæreticæ, sapientes hæresim, in fide periculosæ: scandalosæ, piarum offensivæ aurium, schismaticæ, seditiosæ, temerariæ, audaces, præsumptuosæ, summis pluribus injuriæ Pontificibus, Sanctæ Sedi Apostolicæ, Sacræ Rituum Congregationi, Breviario, Martyrologioque Romanis […].“ Ein Faksimile des Dekrets bieten Godding/Joassart/Lequeux [u. a.], Bollandistes (2007), S. 96 Abb. 61. Vgl. Reusch, Index, Bd. 2,1 (1885), S. 269. Quelle ist Papebrochs: ELUCIDATIO HISTORICA || ACTORUM || IN CONTROVERSIA || Super origine, antiquitate, & historiis || Sacri Ord. B. M. de Monte Carmeli || Inter quosdam illius & Societatis Jesu Scriptores, || Acta Sanctorum illustrare professos. || Quæ est Pars III & Ultima || RESPONSIONUM || DANIELIS PAPEBROCHII S. I. T. || AD EXHIBITIONEM ERRORUM, || ipsi perperam imputatorum || ab adm. R. P. Sebastiano à S. Paulo Carmelita. || Accedit || Synopsis quæstionum curiosarum, tractatarum in utraque || parte priorum Responsionum. || ANTVERPIÆ MDCXCVIII. || APUD VIDUAM ET HEREDES HENRICI THIEULLIER, S. 121f. Genaueres ist über die Inhalte dieser anschließenden Dekrete nicht bekannt. Papebroch spricht von „similia Decreta“. Ebd., S. 121. Der portugiesische Großinquisitor José de Lancastro, ein Karmelit und in Papebrochs Worten, ebd., S. 122, ein „bonus senex“, sah zwar von einem Verbot ab. Er ordnete aber an, die Acta Sanctorum bei den Vertretern des Tribunals abzuliefern. Die Tatsache, dass der Vorgang zunächst nicht vom Generalinquisitor oder der Indexkongregation ausging, wurde von Papebroch besonders akzentuiert. Vgl. ebd., S. 123. Inwieweit Reuschs Hinweis auf die Sedisvakanz korrekt ist, bliebe zu prüfen. Helen

677 von karmelitischer Seite mit zahlreichen, selbstständig veröffentlichten Kontroversschriften bestritten worden war. Deren bekannteste Repräsentanten waren das zweiteilige Historico-theologicum Carmeli armamentarium des Löwener Karmeliten François de Bonne-Espérance (1617–1677) von 1669 und 1677, der unter dem Pseudonym Justus Camus in Augsburg publizierte Novus Ismaël […] sive P. Daniel Papebrochius Jesuita, Omnes impugnans von 1683, der Libellus supplex Sanctissimo Domino Innocentio XI. pro origine et antiquitate Ordinis Carmelitarum des flandrobelgischen Provinzials der Karmeliten Sébastien de Saint-Paul (1630–1706) von 1683 sowie dessen Exhibitio errorum quos P. Daniel Papebrochius Soc. Jesu in suis notis ad Acta Sanctorum commisit von 1693. 143 Für Delehaye wurde die Darstellung der Ereignisse zum Spiegel der eigenen Situation. Im Anschluss an eine Artikelserie in dem integralistischen Organ La Critique du Libéralisme war Delehayes Les légends hagiographiques seit Oktober 1913 in den italienischen Priesterseminaren verboten. 144 Für die Analecta Bollandiana galten zwischen 1901 und 1920 besondere zensorische Auflagen. 145 Im Jahr 1917 verstarb François Van Ortroy (1854– 1917). Ein weiterer Bollandist, Charles Van de Vorst, der seit 1911 an den Acta Sanctorum mitarbeitete, wurde im selben Jahr nach Löwen delegiert. Im Zuge der Durchsuchung des Brüsseler Jesuitenkollegs durch die deutschen Truppen am 18. März 1916 wurden oppositionelle Traktate entdeckt, die Jesuiten vorübergehend festgenommen und Delehaye, als einer von zwei verbliebenen Bollandisten, am 15. Mai 1918 wegen „Verrats“ zu zehn Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Erst kurz vor der deutschen Kapitulation wurde –––––––—

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Rawlings, The Spanish Inquisition (Historical Association Studies), Malden, MA/Oxford/Carlton, Austr. 2006, S. 44, verzeichnet den Amtsantritt Rocabertis am 2. August 1695. Demnach wäre er, als das Dekret der Provinzialinquisition zu Toledo erging, bereits im Amt gewesen. Vgl. zur Person M.-M. Gorce, Art. Rocaberti, JeanThomas de, in: DTC, Bd. 13, 1936, Sp. 2756f.; Gundolf Gieraths, Art. Rocaberti, Juan Tomás, in: LThK, Bd. 8, 21963, Sp. 1345; vgl. zu Sarmiento de Valladares JeanPierre Dedieu, L’administration de la foi. L’inquisition de Tolède (XVIe–XVIIIe siècle) (Bibliothèque de la Casa de Velázquez 7), Madrid 21992, S. 357; Francisco Bethencourt, L’inquisition à l’époque moderne. Espagne, Italie, Portugal. XVe–XIXe siècle, Paris 1995, S. 114, 132, 140. Vgl. Art. Sebastianus a S. Paulo, in: Bibliotheca Carmelitana, Bd. 2, 1752, Sp. 719– 722, hier Sp. 719f.; Delehaye, Œuvre (21959), S. 91ff.; Peeters, Œuvre (1942), S. 28f.; Saggi, Introduzione (1972), S. 69, 71, 74f.; Hausberger, Werk (1980), S. 228f.; die Streitschriften verzeichnet der Art. Bollandus, Jean, in: Sommervogel, Bd. 1, 1890, Sp. 1655–1664. Vgl. Roger Aubert, Le Père H. Delehaye et le cardinal Mercier, in: Anal. Boll. 100 (1982), S. 743–780; Joassart, Delehaye (1999), S. 26–33; ders., Delehaye, Teil 1 (2000), S. 261–316. Vgl. ders., Delehaye (1999), S. 11–16; ders., Delehaye, Teil 1 (2000), S. 143–179, 247–258. Eine Dokumentation der Eingriffe bietet ders., Delehaye, Teil 2 (2000), S. 763–832.

678 er am 30. Oktober 1918 entlassen. 146 Im Jahr darauf erschien in der jesuitischen Zeitschrift Études. Revue de culture contemporaine die erste Version seines Epochenabrisses A travers trois siècles. L’œuvre des Bollandistes. 147 Das Kapitel: „L’épreuve“, das sich mit dem alten Zwist zwischen den Bollandisten und den Karmeliten beschäftigte, leitete Delehaye mit Erwägungen zu den Überraschungen ein, die die hagiographische Pionierarbeit mit sich bringen könnte. 148 Er verlor einige Worte zur Funktion der Vitenliteratur, die den Gläubigen vor allem eine „atmosphère d’idéal et de surnaturel“ vermitteln sollte. Diese Funktion habe jedoch dazu verleitet, in teils überzeichneten Bildern „les conditions normales de la perfection chrétienne“ zu erblicken. 149 Er monierte die Indifferenz und Nachlässigkeit des hohen Klerus, die wider die Zurückhaltung der „esprits réfléchis“ zu Auswüchsen im Heiligenkult insgesamt geführt hätten, 150 und er schilderte die Dilemmata, die es bedeutete, die Authentizität fragwürdiger, aber im kultischen Leben fest verwurzelter Reliquien zu problematisieren.151 Es sei daher nicht überraschend, wenn sich in den „milieux peu éclairés“ der Wi–––––––— 146

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Vgl. À nos lecteurs, in: Anal. Boll. 38 (1920), S. 377–379, hier S. 378. Offenbar hatte sich Bruno Krusch bei der Direktion der Monumenta Germaniae Historica dafür eingesetzt, auf politischer Ebene wenigstens auf eine Erleichterung der Haftbedingungen hinzuwirken. Wie die Interventionsversuche anderer Persönlichkeiten blieb dies ohne Erfolg. Peeters, Figures (1948), S. 62f., 90ff., spricht von 15 Jahren Zwangsarbeit, zu denen Delehaye verurteilt worden war. Vgl. oben S. 14 Anm. 45. Vgl. Delehaye, Œuvre (21959), S. 87: „L’exploration de la terre inconnue qu’était alors l’hagiographie devait amener bien des surprises. Nous ne parlons pas de celles qui attendent l’érudit engagé dans des voies nouvelles et le payent de son labeur par la joie de la découverte.“ Ebd. Vgl. ebd., S. 87f.: „Ce que l’on savait beaucoup moins encore, c’est la manière dont s’était développé le culte des saints et les nombreux facteurs qui avaient concouru à lui donner ses formes dernières, formes étranges quelquefois jusqu’à devenir choquantes, mais que l’on jugeait vénérables et couvertes par l’autorité de l’Église. Aux doutes et aux hésitations des esprits réfléchis, il était de règle d’opposer l’argument de la ‚vigilance des pasteursǥ, revenant à supposer que rien ne s’était jamais établi, en cet ordre de choses, à l’insu des autorités ecclésiastiques et sans leur sanction formelle. D’autre part, on se refusait à croire que les évêques eussent pu être mal informés sur des faits qui intéressaient à un si haut degré l’honneur de leurs églises. C’était oublier la part prépondérante de l’élément populaire dans l’évolution du culte des saints, l’indifférence affectée des théologiens du moyen âge et des gardiens de l’orthodoxie pour des matières qu’ils mettaient visiblement en dehors du domaine de la foi et reléguaient dans le champ voisin de la piété, où nulle contrainte ne règne.“ Vgl. ebd., S. 89: „Contester la légitimité du culte d’un saint, élever des doutes sérieux sur l’authenticité de ses reliques, c’était là des conclusions qui, la plupart du temps, ne pouvaient rester à l’état de théorie, mais réclamaient des mesures pratiques d’une application souvent délicate. Comment faire comprendre aux fidèles que certains errements n’engagent pas l’autorité de l’Église? Comment supprimer, sans causer de scandale, des dévotions qui sont entrées dans la vie du peuple? Et d’autre part, comment les maintenir lorsqu’on est convaincu qu’elles manquent de fondement?“

679 derstand gegen ein Unternehmen formiert habe, das sich die Möglichkeit „du contrôle de la science sur l’hagiographie“ von Beginn an zu eigen gemacht habe und das „allait déranger tant d’idées reçues, heurter de vieilles habitudes, réveiller des responsabilités endormies.“152 Es waren Prinzipientreue und Standfestigkeit in dem, was die Gültigkeit des von den Bollandisten vorderhand für sich selbst in Anschlag gebrachten wissenschaftlichen Zugriffs anbelangte, die Delehaye in der alten Kontroverse abgebildet fand. Für den Sachgehalt der Debatte interessierte er sich allerdings kaum. Er und die an ihn anschließenden Beiträge reduzierten sie auf die Problematik der Gründung der Karmeliten durch den Propheten Elias, die in den Acta Sanctorum zunächst, in Henschens Dossier von 1668, nicht thematisiert und 1675 von Papebroch als unhaltbar erwiesen worden sei. Dieser Aufweis wiederum habe die Kampfschriften der Karmeliten und besagtes Dekret der Provinzialinquisition nach sich gezogen. 153 Auf welche Weise dies allerdings mit dem von Delehaye betonten Aspekt der von den Bollandisten geleisteten, hagiographischen Grundlagenforschung und dem Anspruch, ein wissenschaftliches Korrektiv in Fragen der Heiligenfrömmigkeit zu sein, in Verbindung stand, wurde von ihm nicht erläutert. Auch entstand der unzulängliche Eindruck, dass die Kontroverse nachgerade aus der großen Zurückhaltung erwachsen sei, die sich die Bollandisten lange Zeit auferlegt hatten. Papebroch selbst hatte sich keineswegs an den Gründungsgeschichten der Karmeliten aus alttestamentarischer Zeit interessiert gezeigt. Er hatte erklärt, und dies entsprach durchaus der Realität, „dass ich nicht Hand an die vorgebliche Abstammung des Ordens vom Propheten Elias legen, geschweige denn diese anfechten will. Die Karmeliten mögen in diesem ihrem –––––––— 152 153

Ebd., S. 89. Vgl. ebd., S. 90f.; Peeters, Œuvre (1942), S. 28; Knowles, Bollandists (1962), S. 15; Hausberger, Werk (1980), S. 228; Gordini, Opera (1991), S. 52; Angenendt, Heilige (21997), S. 252: „Die Karmeliten fühlten sich verletzt, weil ihr ‚ursprungsmythischerǥ Anfang, aus der Prophetenschule des Elias am Berg Karmel hervorgegangen zu sein, nicht erwähnt war. Die sofort einsetzende Polemik beantwortete Papebroch mit dem klaren Aufweis der Ungeschichtlichkeit, woraufhin ihn die Spanische Inquisition mit dem Vorwurf der Häresie belegte.“ Vgl. zuletzt Joassart, Voyage (2005), S. 92 Anm. 10: „[…] lorsqu’il [Papebroch] rédigea le dossier de S. Albert († 1214), patriarche de Jérusalem et auteur de la règle des Carmes, Papebroch dut élucider la question des origines carmélitaines; il démontra l’inanité de la prétention des Carmes d’avoir été fondés par le prophète Élie.“ Ders., Daniel de la Vierge (2000), S. 388: „La question prendra une tournure particulièrement délicate lorsque les premiers Bollandistes durent aborder la question. Ils prirent le maximum de précautions pour éviter de blesser l’amour propre des Carmes, sans pour autant faire fi da la vérité. Que ce fût dans le cadre du dossier de S. Cyrille († 1224), troisième Général de l’Ordre, ou de celui de S. Berthold, les hagiographes d’Anvers s’employèrent à ne pas se prononcer sur la question, sans pour autant taire qu’il existait des zones d’ombre sur plusieurs points des traditions carmélitaines. Mais ce silence deplút aux Carmes.“ Vgl. entsprechend Godding/Joassart/Lequeux [u. a.], Bollandistes (2007), S. 105.

680 Empfinden untertauchen, wie sie wollen; solange sie nicht unter den späteren Erdichtungen leiden, die sie sich, nachdem sie mit dem Mantel des Altertums bedeckt worden sind, weismachen lassen, um es zu bekräftigen: […].“ 154 Es wird zu skizzieren sein, worüber genau gestritten wurde, welche Argumente ausgetauscht wurden, welche publizistischen Strategien zur Anwendung kamen und wo die Bruchlinien zwischen gelehrtem Konsens und Dissens innerhalb des Katholizismus selbst verliefen. Die Position des Außenseitertums, die bereits zeitgenössisch von den Bollandisten beansprucht wurde und zur Identifikation mit ihrer Haltung eingeladen hat, wird man ihnen in kirchenpolitischer wie in sachlicher Hinsicht schwer zuschreiben können. Dies hat einerseits damit zu tun, dass sich die Affaire, spätestens mit den Dekreten der Inquisition, zu einer Angelegenheit des Ordens entwickelte, der sein kirchenpolitisches Gewicht in die Debatte einbrachte. Andererseits genossen zahlreiche historiographische Konstruktionen der Karmeliten, jenseits des Ordens selbst, kaum mehr Akzeptanz, als die Bollandisten sich ihnen zu widmen begannen. In jedem Fall sind assoziative Kettenschlüsse zu vermeiden. Die Tatsache, dass ein Werk von einer zensorischen Instanz verboten worden war, kann nicht als Ausweis seiner besonderen wissenschaftlichen Qualität interpretiert werden. Ebenso trifft es keineswegs zu, dass innerhalb des Katholizismus Schriften von Niveau bevorzugt unterdrückt wurden. Wäre dies der Fall, dann müssten die historiographischen Werke der Karmeliten – und die der 1593 von dem Stammorden abgespaltenen Unbeschuhten Karmeliten – als außerordentlich gehaltvoll eingestuft werden. Denn es waren sie, die, wie zu verdeutlichen sein wird, weit mehr von der Gefahr der Indizierung bedroht waren, als es die Acta Sanctorum je hätten sein können. Diese Probleme sind zunächst vom Ende her aufzurollen, zu einer Zeit als die historischen Inhalte längst nicht mehr im Mittelpunkt der Debatte standen.

7.2.1 Zensorisches Die Anstrengungen des neuen Generalinquisitors Rocaberti, die Kontrolle über diesen, gemessen am Tätigkeitsspektrum der Inquisition, vergleichsweise harmlosen Kasus zu gewinnen, sollten letztlich vergeblich sein. Die Verhandlungsführung der Inquisition, die auf Verschwiegenheit und Ge–––––––— 154

Papebroch, Propylaeum. Pars secunda, AASS Aprilis, Bd. 2, 1675 (Ausgabe 1866), S. XXXIIIa: „[…] et iterum hic protestor, nolle me prætensam Ordinis ab Elia Propheta successionem attingere, nedum impugnare. Abundent ut volent in isto suo sensu Carmelitæ; tantum ne patiantur pro eo confirmando imponi sibi figmenta recentia, vetustatis pallio obtecta; […].“

681 heimhaltung ausgerichtet war, 155 wurde von Papebrochs Bedürfnis, sich selbst publizistisch zu erklären und den gesamten Fall, einschließlich der ihm bekannt werdenden Verfahrensschritte, öffentlich zu machen, überrollt. Unmittelbar nach den Dekreten vom November 1695 und Januar 1696 hatte sich Papebroch an seine Apologie gemacht. Er veröffentlichte 1696 und 1697 in zwei Teilen seine Responsio auf Sébastien de Saint-Pauls Exhibitio errorum. In einem dritten Teil, der Elucidatio historica von 1698, die im Folgenden im Mittelpunkt stehen wird, erläuterte und kommentierte er die Ereignisfolge jener Jahre. Die Elucidatio ist insofern ein bemerkenswertes Dokument, als sie die Auflagen zur Verschwiegenheit und die Urteile und Androhungen der Inquisition ausdrücklich zum Thema der Darstellung machte. Die Elucidatio war wenig anderes als eine Verhöhnung der Spanischen Inquisition, geschrieben aus einer Position, die keine schwerwiegenden Sanktionen meinte für sich befürchten zu müssen. Zum Zeitpunkt ihres Erscheinens war die Elucidatio, wie von Papebroch erläutert wurde, ebenso verboten wie die beiden ersten Teile der Responsio. Auf der Grundlage älterer Dekrete, die 1634 und 1694 den Orden Streit untereinander untersagt hatten, waren von Rocaberti am 19. Oktober 1696 und am 11. Juni 1697 sämtliche auf die Kontroverse bezogenen Schriften sowohl karmelitischer als auch jesuitischer Provenienz indiziert worden. 156 Neben einigen namentlich aufgezählten Schriften wurde in dem zuletzt genannten Dekret vermerkt, dass „alle Bände, Bücher und Schriften, die und welche sich auf die zwischen den Orden der Karmeliten und der Societas Jesu schwebenden Streitfragen beziehen, und aus welchem Motiv sie auch immer publiziert worden sind oder publiziert werden sollten“, auch ohne neues Verfahren und ohne ausdrückliche Nennung als verboten zu betrachten seien. Um ihnen die Darlegung ihres Falles zu ermöglichen, seien die Schriften der Bollandisten zwar ursprünglich von dieser Regelung ausgenommen worden. Da sie sich jedoch nicht an die damit verbundenen Auflagen gehalten hätten, nämlich in Abstraktion von gedruckten Schriften allein die Inquisition über ihre Sichtweise der Dinge zu informieren, gälte das Interdikt fortan auch für ihre Schriften. 157 –––––––— 155

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Vgl. Annie Molinié-Bertrand, Inquisition et secret en Espagne, in: Inquisition d’Espagne, hrsg. v. ders./Jean-Paul Duviols (Iberica collection 14), Paris 2003, S. 7– 19. Vgl. Papebroch, Elucidatio, 1698, S. 170–172; Reusch, Index, Bd. 2,1 (1885), S. 270. Reusch datiert das zweite Dekret versehentlich auf Juli 1697. Dekret des Generalinquisitors vom 11. Juni 1697, zitiert nach Papebroch, Elucidatio, 1698, S. 172: „Ac denique omnes tomi, libri & chartæ, qui & quæ pertinent ad controversias, pendentes inter Ordines Carmelitarum & Societatis Jesu, atque ex tali motivo publicati aut publicandi, quia contraveniunt mandato & edicto Excellentiss. Archiepiscopi Valentini Inquisitoris Generalis, edito 19 Octobris anni præteriti 1696: cui inseruntur alia duo decreta DD. Inquisitorum Generalium, D. Fr. Antonii de Soto-Mayor, & D. Didaci Samiento de Balladarez, decessorum illius, quibus pro-

682 In der Tat scheint Rocaberti mit einem Beschluss vom 3. August 1696 den Bollandisten gestattet zu haben, auf die erhobenen Vorwürfe zu antworten. Die Aushändigung einer Abschrift der Sentenzen der Inquisition an die Oberen der jesuitischen Ordensprovinz Toledo wurde unter Strafe der Exkommunikation an die Bedingung gebunden, keine weiteren Kopien anzufertigen und sie niemandem mitzuteilen, der nicht mit der Erwiderung beschäftigt war. Die Erwiderung wiederum sollte handschriftlich, einschließlich der ausgehändigten Abschrift der Sentenzen, an den Generalinquisitor gesandt werden. Nichts von der Schriftlichkeit, die in diesem Kontext produziert werden würde, dürfe bei den Jesuiten verbleiben. So war es für alle Welt bei Papebroch nachzulesen. 158 Papebroch hingegen beklagte, dass er –––––––—

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hibentur, sub pœnis & censuris ibidem contentis, similes libri & chartæ. Et quamquam relati libri & chartæ omnes, comprehensi (sicut apparet) in prædicto decreto prohibitorio, non deberent necessario hinc nominari denuo; & quando, propter aliquam vel aliquas speciales rationes, id necessarium foret, ad talem declarationem ex nunc procedi deberet; placuit tamen, propter justas causas eò moventes, ipsos per hanc declarationem dumtaxat suspendere, donec post morosam cognitionem causæ, ea sumatur resolutio, quæ maxime congrua erit & conformis justitiæ. || Et quia intellectum est, quod Delationes quædam operum Patrum Danielis Papebrochii, Godefridi Henschenii & Conradi Janningi, Societatis Jesu, oblatæ in sancto Officio, & ex hujus mandato impressæ (sub obligatione silentii, ad informationem dumtaxat Qualificatorum & Ministrorum, interventurorum censuræ & expeditioni illius materiæ, ad distinctionem ejus cognitionem, idque cum limitatione ad certum numerum exemplarium, necessariorum ad effectum prædictum) factæ sint publicæ, atque transierint ad alias manus casu aliquo vel incuria; jubemus ut prædicta Delationes, sicut aliæ omnes chartæ & libri hoc nostro Decreto comprehensi, recolligantur, ita ut nullus cujuscumque conditionis, qualitatis, dignitatis &c. […] Madriti die XI Junii 1697 de mandato S. Officii Inquisitionis. De Corte.“ Dekret des Generalinquisitors vom 3. August 1696, zitiert nach ebd., S. 124: „Excellentiss. Dominus Archiepiscopus Valentinus, Inquisitor Generalis, cum Dominis de Consilio Majestatis suæ sanctæ Inquisitionis generalis, visis petitionibus Patrum Antonii Beltran & Josephi de Aguirre, Procuratorum Generalium Societatis Jesu in Castellæ Provincia, quas exhibuerunt pro parte Patrum, Danielis Papebrochii, Francisci Baertii, & Conradi Janningi, ejusdem Societatis Religiosorum, petentium sibi dari copiam Propositionum delatarum & censuræ latæ super illas, ut contentas in libris intitulatis Acta Sanctorum &c; ut prædicti eorum Auctores Papebrochius, Baertius & Janningus possint respondere, & satisfacere censuræ super eas latæ, jusserunt, ut eis detur copia & transsumptum quod petunt, juxta stylum sancti Officii; atque ut P. Josepho de Aguirre, Procuratori Actuali ad id instituto, tradatur, accepto vicissim recepisse, & juramento pro se & partibus quas repræsentat præstito, quod dicta copia servabitur cum omni cautela & secreto convenienti, nec cuiquam omnino communicabitur præterquam Auctoribus dictorum librorum, aut aliis quos Societas designaverit ad responsionem & defensionem; sic ut inde non extrahatur alia copia vel copiæ: quod si ad hunc finem aliæ plures necessariæ sint, eas petent, sub pœna excommunicationis majoris ipso facto incurrendæ, & cum interminatione, qua contra secus facientes procedetur ad id, quod locum in jure habebit. || Item ut illis mandetur, sub eisdem censuris & pœnis, non imprimant Defensorium quod formabunt & mittent ad S. Officium, neque copiam inde sumant, publicent aut participent personæ cuicumque: opere autem finito ipsum præsentabunt suæ Excellentiæ & Dominis prædicti Consilii, simul cum adversariis primæ suæ, quantumvis maculosæ, scriptionis […]

683 nicht vor, sondern erst nach der Veröffentlichung des Urteils vom November 1695 über die gegen ihn erhobenen Anschuldigungen informiert worden sei. Auf die über 300 Sentenzen, mit denen er nun, neun Monate später, also in der Tat im August 1696, konfrontiert worden sei, habe er nicht unverzüglich antworten können, zumal seine Responsio zu dieser Zeit seine ganze Aufmerksamkeit verlangt habe. Diese sei „unter Hand und Druck“ vorangeschritten. Sie habe ihm einen größeren Nutzen versprochen, als er „aus privater und geheimer Rechtfertigung vor dem Tribunal allein“ hätte hervorgehen können. 159 In der Elucidatio beschrieb Papebroch auf mehreren Seiten die Gründe, die ihn dazu bewogen hatten, seine Anstrengungen in andere Bahnen zu lenken. Am 21. Dezember 1696 habe er ein Schreiben von dem jesuitischen Ordensgeneral Tirso González de Santalla (reg. 1687–1705) erhalten. In diesem sei ihm versichert worden, dass die Freunde der Jesuiten eine Entgegnung auf Sébastien de Saint-Paul erwarteten, dessen Arbeit das Urteil der Spanischen Inquisition maßgeblich beeinflusst habe. Es sei angeraten, möglichst zeitig eine detailliertere Erwiderung oder die gegebenenfalls in Vorbereitung befindliche Kontroversschrift nach Spanien zu senden.160 Pa–––––––—

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quibus usi fuerint; sic ut folium omnino nullum, mundum vel immundum, apud Auctores remaneat, remittendo easdem Propositiones & Censuras quæ ipsis concessæ fuerint.“ Vgl. Papebroch, Elucidatio, 1698, S. 159: „Si sanctæ Inquisitionis Ministris in promptu erant, ut esse oportebat, Propositiones tam fœde censuratæ, ante publicationem ipsius censuræ; nulla debuisset fuisse mora, quin exhiberentur statim eas postulanti, authentice transcriptæ. Sed sive eæ in promptu habebantur, sive non (quod divinare non convenit) longius multo effluxit tempus, quam requirebat simplex descriptio. Equidem nono dumtaxat post editum ferale Decretum mense, accepi elenchum propositionum plus quam trecentarum, cum sua cujusque censura: qui elenchus si restrictus fuisset ad solas, quas visum fuerat notare ut hæreticas, aut hæresim sapientes (de quibus ante omnia me intendebam purgare) nulla in me mora fuisset, quin statim remitterem Apologiam, qualis postulabatur, secretam, saltem Latine scriptam: nec enim multæ esse poterant, ut ex Elencho post ipso patuit. Ast tam multis non licuit satisfacere cito, præsertim quando Responsio publica ad librum Exhibitionis, jam eo usque sub manu ac prælo processerat, ut operis progressum morari non liceret; cum ex eo præsentior & major lateque patentior speraretur fructus, quam ex privata secretaque satisfactione Tribunalis unius […].“ Die Formulierung, dass er im „neunten Monat“ nach der Publikation des „verhängnisvollen Dekrets“ („ferale Decretum“) die Einwände der Inquisition erhalten habe, bezieht sich zweifellos auf das originäre Verbotsdekret der Acta Sanctorum vom November 1695. Die Darstellung von Reusch, Index, Bd. 2,1 (1885), S. 270, erweckt den Eindruck, dass nach der zitierten Konzession vom 3. August 1696 neun Monate bis zur Übermittlung der Sentenzen vergangen seien. Dies allerdings entspricht sicher nicht den Tatsachen, da Papebroch keinen Grund gehabt hätte, diese Konzession als „ferale Decretum“ zu bezeichnen. Er dürfte also sehr bald nach dem Beschluss der Inquisition, die Sentenzen an die Bollandisten zu übermitteln, diese auch erhalten haben. Tirso González de Santalla an Papebroch, 21. Dez. 1696, zitiert nach Papebroch, Elucidatio, 1698, S. 160: „Non dubitatur in Hispania, quin libro Fr. Sebastiani à S. Paulo, magna saltem ex parte effectem sit, ut Acta Sanctorum à S. Inquisitione

684 pebroch erklärte sich indes außerstande, diesem Anliegen derart kurzfristig nachzukommen. Zum einen würde die Apologie in der von ihm intendierten Form „den gelehrten und in den historiographischen Dingen in jeder Hinsicht kundigen Männern“ genügen, um sich ein adäquates Bild auch von Sébastien de Saint-Pauls Exhibitio errorum zu machen. „Für die unkundigen aber, die aus Glaubensgewohnheit für alle möglichen Arten von Märchen über die Heiligen, die mit dem Anschein von Alter und Herkommen bemäntelt worden sind, eingenommen sind“ – damit waren ohne Frage die Karmeliten und die Inquisitoren gemeint –, würde die Apologie eine vergebliche Anstrengung bedeuten. 161 Zum anderen seien seine Kenntnisse des Spanischen beschränkt. Da man wohl, wie er behauptete, eine Schrift in dieser Sprache erwarte, bestünde die Gefahr, gegen die Praxis des Tribunals zu verstoßen, zumal dann, wenn er „in lateinischer Sprache und belgischer Freiheit schreibend“ auf die Vermittlung eines Übersetzers zurückzugreifen hätte. Grundsätzlich stehe nicht in Aussicht, dass eine solche Erwiderung zur Wiederaufnahme des Falles oder zur Suspendierung des Verbots der Acta Sanctorum beitragen werde. Daher habe er beschlossen, sich an eine „tüchtigere und bei weitem angenehmere Autorität“ zu wenden, nämlich an die zensorischen Instanzen Roms, um dort mit seiner in Arbeit befindlichen, „ganzen und vollständigen“ Widerlegung Sébastien de Saint-Pauls aufzutreten. 162 Papebroch hatte demnach nie geplant, sich weiter mit der Spanischen Inquisition abzugeben. Sich in den Besitz ihrer als geheim bewerteten Urteilsbegründung gebracht zu haben, hieß für ihn allein, weiteres Material für –––––––—

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ibidem proscriberentur gravissimis illis censuris. Quapropter nostri juxta & externi, qui Societatis sunt amantes, vehementer desiderant copiosiorem aliquam & pleniorem responsionem adhiberi ad librum memoratum. Quorum æquo desiderio cum existimem sine mora faciendum esse satis, cupio talem, vel à Rev. vestra, vel ab ejus Socio quam primum apparari; aut, si quam in promptu jam habent, exemplaria non pauca mitti in Hispaniam, præsertim Madritum, idque sine dilatione.“ Vgl. zur Person Art. Gonzales de Santalla, Thyrse, in: Sommervogel, Bd. 3, 1892, Sp. 1591– 1602. Papebroch, Elucidatio, 1698, S. 160: „[…] Apologiam, abunde suffecturam hominibus eruditis, atque historicarum rerum utcumque peritis: iperitis autem, & præoccupatis assuetudine credendi quascumque de Sanctis fabellas, specie antiquitatis & traditionis velatas, […] nullam Apologiam satisfacturam.“ Vgl. ebd.: „Ad hæc intelligebam, libros meos, licet Latine scriptos, quia tamen Hispanice accusati fuerant, censuratas etiam eadem lingua fuisse, nec aliâ scriptam Apologiam qualemcumque in sacro Officio recipiendam. Ego autem, licet Castellanum idioma utcumque intelligam, nihilo eo tamen scribere scio, atque adeo per interpretem mihi agendum erat; quod si facerem, apparebat, nimis quam facile contingere posse, ut Latina lingua & libertate Belgica scribens, peccarem aliqui contra praxim illius Tribunalis. || Videns itaque in Hispania per meipsum nihil efficere posse me, quo sacra Inquisitio immediate moveretur, ad retractandum vel saltem suspendendum Decretum suum, donec aliunde fortior auctoritas magisque persuasiva adhiberetur; ad istum quidem finem nihil tunc magnopere laborandum credidi; censui tamen alibi, atque Romæ præsertim, profuturam refutationem Exhibitionis plenam & integram, qualem fieri mandabat Pater noster.“

685 seinen publizistischen und kirchenpolitischen Feldzug zur Verfügung zu haben. Die Entscheidung, sich der Jurisdiktion Roms und damit der prinzipiell höheren Instanz zu unterstellen, hatte wahrscheinlich kurz nach dem Verbotsdekret an Kontur gewonnen. Dies dürfte auch damit zu tun gehabt haben, dass in Rom selbst ein Verfahren anhängig war. Bereits 1683 hatten sich die Karmeliten anlässlich der – dann von Ernst von Hessen Rheinfels in lateinischer Form herausgegebenen – Lettre du Sr N., conseiller du Roy, etc. à son amy Monsieur Antoine Wion d’Herouval an das Papsttum gewandt, um den Bollandisten Stillschweigen auferlegen zu lassen. 163 Im Jahr 1691 scheinen die Karmeliten auch bei der Indexkongregation eine förmliche Denunziation eingereicht zu haben. Sie betraf Papebrochs Conatus chronico-historicus ad catalogum Romanorum Pontificum, der ohne Erlaubnis einer zensorischen Instanz gedruckt worden sei. 164 Der Conatus war Teil der 1685 separat gedruckten Propyläen des Monats Mai. 165 Ein Verfahren in Rom war für die Bollandisten also ohnehin nicht zu vermeiden. Den Fall so zu behandeln, als ob das entscheidende Urteil streng genommen noch gar nicht gefällt worden sei, war für die Bollandisten auch deswegen von Bedeutsamkeit, weil der mit dem Interdikt der Spanischen Inquisition formal suspendierte Verkauf der Acta Sanctorum in der katholischen Welt das Unternehmen in seiner Substanz bedrohte. Neben den Zuwendungen der jeweiligen Widmungsträger finanzierte sich das Projekt wohl im Wesentlichen aus den Verkaufserlösen. Gerade in dieser Zeit scheint die finanzielle Situation besonders angespannt gewesen zu sein. 166 Im Wissen darum, dass Zensur nicht gleichbedeutend mit dem Verbot von Büchern war, sondern, –––––––— 163 164

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Vgl. ebd., S. 100; oben S. 674 mit Anm. 135. Dies geht aus einer Passage einer von Papebroch vollständig reproduzierten Denkschrift hervor, die von dem Jesuiten Antonio Xaramilio gezeichnet und an Karl II. adressiert war. Vgl. Papebroch, Elucidatio, 1698, S. 191f.: „Prima reflexio fundatur in Delatione facta anno 1691; ubi folio 5 & 6 accusant Propylæum Papebrochii, quod impressum sit absque ulla licentia, sive Regis, sive Episcopi, sive ullius Prælati suæ Religionis; […].“ Darauf wird noch einzugehen sein. Reusch, Index, Bd. 2,1 (1885), S. 270, datiert die Denunziation, leider ohne Nachweis, auf 1690. Vgl. Danielis Papebrochii Conatus chronico-historicus ad catalogum Romanorum Pontificum, cum prævio ad eumdem apparatu Godefridi Henschenii atque Petri Possini, a S. Petro usque ad Paschalem II deductus ante tomum quartum de Actis Sanctorum Maii [eigenständig paginierter Teil C], in: PROPYLÆUM || AD ACTA SANCTORUM MAII || SUB FELICISSIMIS AUSPICIIS || INNOCENTII XI || ROMANI PONTIFICIS OPTIMI MAXIMI || ET || CAROLI II || HISPANIARVM INDIARVMQVE REGIS CATHOLICI || IN SEPTEM TOMOS DIGESTA || AUCTORIBUS || Godefrido Henschenio & Daniele Papebrochio, || operam & studium conferentibus || Francisco Baertio & Conrado Janningo, || Societatis IESV Flandro-belgicæ Presbyteris Theologis || ANTVERPIÆ, || Apud MICHAELEM KNOBBARUM, sub signo S. Petri, || cum Privilegio & facultate Superiorum [1685]. Vgl. Carnandet/Fèvre, S. 144ff.; A. Scheler, Zur Geschichte des Werks: Acta Sanctorum, in: Serapeum 7 (1846), S. 305–315, hier S. 307f.

686 nachdem sie erfolgreich durchlaufen worden war, als Unbedenklichkeitsexpertise zitiert werden konnte, mobilisierte man die früheren Instanzen. Der Erzbischof von Mechelen Humbertus Guilelmus de Precipiano (reg. 1689– 1711) und der Bischof von Antwerpen Jean Ferdinand de Beughem (reg. 1679–1699) ließen in Dekreten vom 3. und 13. September 1696 erklären, dass kein einziger Band der Acta Sanctorum in ihren Territorien oder in einer anderen belgischen Diözese verboten worden sei. Man wolle in dieser Hinsicht die Entscheidungen des Heiligen Stuhls abwarten. 167 Kaiser Leopold I. (Ks. 1658–1705) hatte bereits im Januar 1696 in einem seinerseits von Papebroch zitierten Schreiben an Karl II. von Spanien (reg. 1675–1700) darauf insistiert, dass der „ausländische General der Spanischen Inquisition“ („exoticus Generalis Inquisitoris Hispaniæ“) wohl seiner persönlichen Abneigung gegen die Jesuiten gefolgt sei. Denn auch in Belgien ermangele es nicht der Zensoren. Häretische Sequenzen in den Acta Sanctorum seien diesen bislang aber nicht aufgefallen. 168 Im April 1696 suchten die spanischen Jesuiten in einer Denkschrift an Karl II. den fortgesetzten Versuchen der Karmeliten entgegenzutreten, ein allgemeines Stillschweigen verhängen zu lassen. Unter Berufung auf frühere Fälle drang man zudem auf ein neues Verfahren.169 Hoffnung auf baldigen Erfolg dürfte sich damit allerdings nicht verbunden haben, zumal nach dem neuerlichen Interdikt der Inquisition im August jenes Jahrs. In einer weiteren öffentlichen Denkschrift („Memoriale“) oder Supplikation („Libellus supplex“) an Innozenz XII. (reg. 1691–1700), die am 28. November 1696 übergeben und wohl in den ersten Monaten des folgenden Jahrs im Umfang von 68 Quartseiten gedruckt wurde, wurde darauf hingewiesen, dass einige der von der Spanischen Inquisition verbotenen Bände die römische Zensur bereits passiert hätten. Da der den Jesuiten beigebrachte Schaden enorm, eine ihnen gemäße Rechtfertigung jedoch nicht gestattet worden sei, empfehle sich eine eigenständige Prüfung des gesamten Falles durch die Instanzen Roms. 170 Papebroch erklärte, dass er letzteren mit der Responsio eine passgenaue Urteilsfindung ermöglichen wollte. Dazu zählte er nicht nur die von Sébastien de Saint-Paul öffentlich erhobenen Vorwürfe, sondern –––––––— 167 168 169

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Vgl. Papebroch, Elucidatio, 1698, S. 145f. Vgl. ebd., S. 146. Vgl. Papebroch, Elucidatio, 1698, S. 181ff. Diese Denkschrift war offenbar schon im Dezember 1695 dem Ordensgeneral der Jesuiten in Italienisch übergeben worden. Im Februar 1696 war sie ins Lateinische übertragen und am besagten 6. April 1696 an Karl II. ausgehändigt worden. Zeitgleich erschien ein Druck in Spanisch. Vgl. ebd., S. 161, 162, 184; die Nachweise im Art. Bollandus, Jean, in: Sommervogel, Bd. 1, 1890, Sp. 1662, Nr. ff, kk; Art. Beltran, Antoine, in: ebd., Sp. 1277f.; dazu Reusch, Index, Bd. 2,1 (1885), S. 270. Vgl. ebd., S. 150ff.; den Nachweis im Art. Bollandus, Jean, in: Sommervogel, Bd. 1, 1890, Sp. 1661, Nr. ii.

687 auch die der Inquisition, die „mir bis dahin unbekannt waren“ („mihi hactenus ignota“). 171 Die ihm im August 1696 zugebilligte „geheime Apologie“ wurde von Papebroch nie geschrieben. In Spanien wurde er allein mit einer für frühneuzeitliche Verhältnisse atemberaubend schnell produzierten, frühen Version des ersten Teils seiner Responsio in spanischer Sprache vorstellig. Sie wurde auf Initiative der Ordensleitung von dem Madrider Jesuiten Antonio Xaramilio (1648–1707) herausgegeben. Xaramilio hatte bereits den Libellus supplex an Karl II. gezeichnet. 172 Während Papebroch noch an der Responsio schrieb, wurden die gedruckten Bögen der jeweils schon vollendeten Kapitel an Xaramilio übermittelt und von ihm prompt übersetzt. 173 Diese Apologia veritatis, wie sie heißen sollte, war der Spanischen Inquisition gewidmet. Papebroch suchte ihre Publikation mit einigen verwegenen Argumenten zu begründen. Seines Erachtens war die Erstellung einer „veröffentlichten, breit ausgearbeiteten und im Druck vervielfältigten Verteidigungsschrift“ geradezu die Voraussetzung, um die geheime Apologie adäquat leisten zu können. Nur eine solche würde es den Jesuiten in Spanien ermöglichen, eine dann reduzierte, sprachlich und formal auf die Anforderungen der Inquisition zugeschnittene und geheime Apologie zu verfassen, für die sich Papebroch selbst die Kompetenz absprach. Würde fernerhin die eingeforderte handschriftliche Apologie verloren gehen, mithin „von den Gegnern an der Grenze abgefangen werden“, wäre sie auf immer verloren, während dieses Risiko für eine gedruckte Version nicht bestand. 174 Das –––––––— 171 172 173

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Papebroch, Elucidatio, 1698, S. 163. Vgl. Art. Xaramilio, Antoine Mathias, in: Sommervogel, Bd. 8, 1898, Sp. 1321–1323, hier Sp. 1322, Nr. 5, 6. Vgl. Papebroch, Elucidatio, 1698, S. 165: „[…] veluti adm. Rev. P. N. Generalis, ut P. Antonius Xaramilius, qui hinc à me accipiebat successive impressas Responsiones, non exspectato harum fine, deproperaret aliquam Apologiam Hispanicam, quæ mox legi posset. Fecit hoc ille, & eodem ipso fere absolvit tempore, quo primus Responsionis meæ tomus in Hispaniam appulit, venum exponendus. Titulus erat, Apologia Veritatis […].“ Vgl. ebd., S. 164: „Evidens porro erat, quod absoluto Apologetico isto opere, cupide etiam in Hispania legendo, si reciperetur, plus quam dimidium facti habebatur, in ordine ad Apologiam secretam; quæ sic & brevior multo, & nervosior esse posset, & à Madritensibus nostris Patribus ad stylum sacri Tribunalis aptius formari, quam posset à me; idque idiomate Castellano, quod istic solum auditur, & ego non calleo. Conditiones quoque sub quibus Apologia secreta scribi permittebatur ejusmodi erant, ut in Belgio Latine scripta illa, & in Hispaniam missa, nullo ejus ecgrapho nequidem ideali hic servato, incommodis & periculis multis esset exposita, magis saltem quam ea quæ scriberetur Madriti; scribi autem non poterat nisi à plene instructis; plenæ vero instructioni servitura erat publica, & late deducta, typisque multiplicata defensio. Hujus autem si exempla alique vel perirent in via, vel ab Adversariis interciperentur in termino, uti aliquoties contigit, jactura videbatur facile reparabilis; irreparabilis futura in eo Defensorio, quod semel dumtaxat manuscriptum mitteretur, nulla ejus servata copia.“

688 entscheidende Argument war jedoch das publizistische. Angesichts der beschädigten Reputation der Jesuiten und der „von allen Provinzen Europas“ an ihn herangetragenen Aufforderung zu antworten, verspräche ein gedrucktes Werk schnelleren Erfolg. Denn wenn die Vertreter der Spanischen Inquisition „so langsam beim Verurteilen gewesen wären, wie sie es nun beim Lossprechen sind, warteten die Karmeliten bis heute auf den Sieg, für den sie sich nun so sehr allenthalben vor aller Augen Beifall spenden.“ 175 Der Generalinquisitor und sein Rat hatten für solche Empfindungen kein Verständnis. Die in Madrid gedruckten Prolegomena der Apologia veritatis wurden, wie es Papebroch schilderte, ebenso konfisziert wie die „jenseits der Augen der Gegner“ produzierten inhaltlichen Teile, die auf dem Transport nach Madrid beschlagnahmt worden seien. 176 Dieser Versuch, den ersten Teil der Responsio in Spanien und in Spanisch zu lancieren, war der Anlass für das oben erwähnte Dekret vom Oktober 1696, in dem jede neue Stellungnahme verboten wurde. Die konfiszierten Fragmente wurden unter dem Titel der Vox veritatis auf die Liste der dort verzeichneten, namentlich verbotenen Schriften aufgenommen. 177 Die Jesuiten konnten indes auf die Loyalität am Königshof setzen. Ebenso wie die zensorischen Instanzen der Jesuiten billigten der Inquisitor zu Madrid sowie einige Mitglieder des königlichen Rats, wahrscheinlich im Nachhinein, im Januar 1697, die Inhalte der Apologia oder Vox veritatis. 178 Papebroch verzichtete dennoch darauf, den zweiten Teil der Responsio in Spanien zu veröffentlichen, solange es nicht gewährleistet sei, wie er sagte, dass dieser dort besser als der erste Teil empfangen werde. 179 Jenseits Spaniens schien ihm die Lage übersichtlicher. –––––––— 175

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Vgl. ebd., S. 165: „[…] & quam merito non defuerim urgenti prementique per omnes Europæ provincias malo, accelerando remedium, quod non satis citum poterat ab Hispanis expectari: qui si tam lenti in damnando fuissent, quam nunc sunt in absolvendo, diu adhuc expectarent Carmelitæ victoriam, de qua nunc sibi tantopere plaudunt coram vulgo.“ Vgl. ebd., S. 165f.: „[…] non Madriti, ubi proditurus, ut dixi, liber erat; sed alibi, extra oculos adversariorum, impressus. Ast dum exempla Madritum transferuntur, augenda impressis his foliis quatuor præliminaribus, continentibus Titulum, Privilegium, Licentiam, aliaque requisita, & prolixiorem instruendo Lectori Præfationem; rem subodoratis qui observabant omnia, ne ulla libera vox oppressæ innocentiæ audiretur; intercepta à Ministris sacri Officii exemplaria illa sunt, sic ut erant, acephala; &, quasi præter jus fasque impressa, sequestrata omnia.“ Vgl. ebd., S. 170. Vgl. ebd., S. 165. Papebroch suchte diese „mense Januarii anni 1697“ ergangenen Approbationen in die Zeit vor der Beschlagnahmung der Vox veritatis zu verlegen. Letztere aber muss vor Oktober 1696 stattgefunden haben, da das Werk ansonsten nicht in das in diesem Monat dekretierte Verbot hätte aufgenommen werden können. Vgl. dazu auch ebd., S. 173f. Vgl. ebd., S. 170: „Partem secundam Responsionum mearum hactenus mittere in Hispaniam distuli, donec securus reddar, melius istic excipiendam quam accepta prima est.“ Die spanische Apologia veritatis erschien dann 1697 im Umfang von 468

689 Ohnehin seien die Dekrete der Spanischen Inquisition, wie er behauptete, außerhalb Spaniens für niemanden bindend. Dies bedeutete auch, dass er es für zulässig hielt, die anderen durch das Dekret vom Oktober 1696 explizit verbotenen Schriften der Karmeliten – dies betraf etwa auch die Exhibitio errorum Sébastien de Saint-Pauls – für seine Kontroversschriften weiterhin zu konsultieren. 180 Die chronologisch diskontinuierliche Erzählfolge Papebrochs, die es erschwerte und erschwert, die sich auf ein gutes Jahr erstreckenden Abläufe exakt zu rekonstruieren, war vermutlich nicht unbeabsichtigt. Seine fortlaufenden Verstöße gegen die Dekrete und Auflagen der Spanischen Inquisition wurden in der Elucidatio zwar einerseits in teilweise verblüffender Offenheit dokumentiert. Andererseits verloren sie im Geflecht der Gutachten und Gegengutachten, der Denkschriften, Briefe und Stellungnahmen hochgestellter Persönlichkeiten etwas an Schärfe. Der Übersicht halber sei daher noch einmal festgehalten, dass unmittelbar nach dem ersten Dekret aus Toledo vom 14. November 1695 und bevor sich andere spanische Tribunale diesem Dekret bis Mitte Januar 1696 angeschlossen hatten, der politische und publizistische Gegenschlag der Jesuiten ins Rollen gebracht worden war. Dies bedeutete konkret, darauf zu drängen, den Kasus allein in Rom weiter zu verhandeln, die geheime Urteilsbegründung der Inquisition in Erfahrung zu bringen, ferner sich darum zu bemühen, den Kaiser und den spanischen König für die Seite der Jesuiten einzunehmen, sowie die gelehrte Öffentlichkeit möglichst bald mit einer umfangreichen Responsio Papebrochs zu erfreuen. Im letzten Drittel des Jahrs 1696 wurde der Versuch unternommen, die Erwiderung Papebrochs in Spanien selbst zu veröffentlichen, nachdem man im August endlich die Urteile der Inquisition in Besitz gebracht hatte, so dass sich weitere Verhandlungen mit ihr aus Sicht der Bollandisten erübrigt hatten. In der Folgezeit organisierte man die exkulpierenden Gutachten von den in Belgien zuständigen zensorischen Behörden und setzte, neben der fortlaufenden Arbeit an den Höfen Karls II. und Leopolds I., Papst Innozenz XII. mit einer öffentlichen Denkschrift unter Druck. Außer der postwendend konterkarierten Konzession für eine „geheime Apologie“ vom August 1696 und dem neuerlichen Verbot aller die Kontroverse betreffenden Schriften vom 19. Oktober 1696 hatte die Spanische Inquisition all dem wenig entgegenzusetzen. Ihr wichtigstes Druckmittel, die Drohung mit der Exkommunikation Papebrochs, lief angesichts des politischen Aktionismus der Jesuiten ins Leere. Da es in dieser Auseinan–––––––— 180

Quartseiten in Madrid. 1698 wurde in Antwerpen eine lateinische Version gedruckt. Vgl. Art. Bollandus, Jean, in: Sommervogel, Bd. 1, 1890, Sp. 1661f., Nr. jj. Vgl. Papebroch, Elucidatio, 1698, S. 173: „[…] extra Hispaniam neminem obligant Hispanicæ Inquisitionis Decreta, sic ab hac mihi vitio vertendum non puto, quod in hac Apologiæ meæ publicæ parte, subinde libris utar ab ipsa suspensis.“ Vgl. zu Sébastien de Saint-Paul ebd., S. 171.

690 dersetzung gewiss nicht darum ging, ob sich die Sonne um die Erde oder die Erde um die Sonne drehte, sondern um die teilweise skurrilen historiographischen Traditionen der Karmeliten auf der einen Seite sowie ein gelehrtes Vorzeigeprojekt der Jesuiten auf der anderen, wäre eine solche Maßnahme vollkommen unverhältnismäßig gewesen. Die Tatsache, dass die Jesuiten mit ihrem Handeln den Takt vorgaben und nicht die Inquisition, führte in Piens Vita Papebrochii von 1715 zu einer bestenfalls als Versehen zu bezeichnenden Umkehrung der Chronologie. Papebrochs Verstöße gegen die Auflagen der Inquisition wurden von Pien nicht diskutiert. Seine Responsiones, deren genaues Erscheinungsdatum Pien nicht nannte, bewertete er als die älteste der nach dem Dekret vom November 1695 publizierten Kontroversschriften. In diesen habe Papebroch alle Anschuldigungen Sébastien de Saint-Pauls entkräften können, indem er keine „Sache ausgelassen, keine verschwiegen, sondern [alles] stichhaltig und gelehrt“ widerlegt und dafür selbstverständlich „aus ganz Europa Anerkennung“ geerntet habe. 181 Mit Blick auf das Verfahren habe dies allerdings zu nichts anderem geführt, als zur Aktualisierung des Verbots, Zwistigkeiten zwischen den Orden auszutragen. Für Pien war die von der Inquisition konzedierte geheime Apologie der nächstfolgende Schritt. Angeblich habe sich Papebroch im März 1697 (!) an die „secreta apologia, idiomate hispanico exarata“ gemacht, auf die in diesem Jahr jede Antwort ausgeblieben sei. Diese Ansicht Piens war wahrscheinlich aus der Lektüre eines fehlerhaften Kapitelregests innerhalb der Elucidatio erwachsen. Ferner habe sich Papebroch, nach der Darstellung Piens, mit zwei Büchlein („[b]inos libellos“) und zu „unterschiedlicher Zeit“ („diverso tempore“) an den Generalinquisitor gewandt, um die gegen die Acta Sanctorum erhobenen Anschuldigungen in Erfahrung zu bringen, aber auch darauf sei die Antwort aus-

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Vgl. Pien, Historia Papebrochii, AASS Iunii, Bd. 6, 1715, S. 11a: „[…] singulis accusationum capitibus, singulas Papebrochius opposuit responsiones, re nulla omissa, nulla dissimulata, sed solide & erudite objecta omnia refutavit, ea per universam Europam approbatione, ut in tantilla responsionum mole, vastissimæ scientiæ medullam contineri, doctorum passim omnium non minus sit consentiens & pervulgata, quam vera vox.“ Vgl. Papebroch, Elucidatio, 1698, S. 181: „Responsiones meas ad Exhibitionem errorum, quinto post Decretum Hispanicum mense, edi in publicum, & ab Eruditis legi atque probari cœptas in Belgio, Germania, Italia, Gallia, fama etiam in Hispania ut convincentes celebrabat […].“ Da Papebroch zu dem Zeitpunkt, als er im August 1696 die Möglichkeit zu der geheimen Apologie erhielt, nach eigener Aussage noch an der Responsio schrieb, konnte sich die Angabe: „im fünften Monat nach dem spanischen Dekret“, nur auf das Dekret vom Oktober 1696 beziehen, das durch die Publikation der Vox veritatis provoziert worden war. In diesem Sinn wäre der erste, nach dem Titelblatt auf 1696 datierte Teil von Papebrochs lateinischer Responsio also realiter im März 1697 – im fünften Monat nach dem Dekret vom Oktober 1696 – gedruckt worden.

691 geblieben. 182 Mit den beiden „libelli“ dürfte Pien die beiden jesuitischen Denkschriften gemeint haben, die jedoch nicht an die Spanische Inquisition, –––––––— 182

Vgl. Pien, Historia Papebrochii, AASS Iunii, Bd. 6, 1715, S. 11b: „Interim ut libros quatuordecim tam gravi vulnere notatos ab omni infamia liberaret, nihil officii prætermisit; verum tum Latine proprio marte, tum Hispanicè alieno, se suaque, prout par erat, strenue defendit. At neutra lingua audientiam sibi fecit in sacra inquisitione, causante decretum quoddam vetus, anno MDCXXXIV latum, adversus libros & scripta, quibus Religiosi quidam mutuo se insectabantur. Quod decretum in eum finem innovarunt. Ceterum censuras libris ac personæ suæ inustas purgare jussus secreta apologia, idiomate hispanico exarata, atque id facere exorsus anno MDCLXXXXVII mense Martio, nihil anno toto responsi tulit. Binos item diverso tempore libellos supplices dedit ad summum quæsitorem Hispaniæ, & quam potuit obnixissime instituit, ut ne gravaretur assignare propositiones hæreticas, quas censura asseverabat in libris suis contineri; quo publicè eas revocaret, publicè damnaret, si nullam explicationem sanam & Catholicam paterentur. Ecquid peti, ecquid concedi honestius & æquius poterat? Nihil Papebrochius promovit, nihil responsi obtinuit.“ Die so sicher nicht zutreffende Ansicht, Papebroch habe sich im März 1697 an die „secreta apologia“ gemacht und darauf keine Antwort erhalten, entspricht dem Kapitelregest des elften Abschnitts der Elucidatio: „CAPUT UNDECIMUM. || […]; jubetur Papebrochius Censuras, operi suo inflictas, purgare Apologia secreta Hispanice: quod facere exorsus an. 1697 mense Martio, nullum toto anno responsum refert.“ Papebroch, Elucidatio, 1698, S. 159. Der Fließtext der Elucidatio weist keine Passage auf, die mit dieser Sentenz kompatibel wäre. Entweder stammte dieses Regest nicht von Papebroch selbst, sondern von jemandem, der die dargestellte Ereignisund Themenfolge nicht im Einzelnen nachvollzogen hatte, oder sie sollte dazu beitragen, die in der Chronologie liegende Brisanz zu nivellieren. Der Bezug auf den Monat März 1697 ist vermutlich aus dem in der vorigen Anmerkung diskutierten Sachverhalt hervorgegangen. Wie dargestellt hatte Papebroch allerdings die Publikation seiner lateinischen Responsio auf etwa dieses Datum fixiert, das sich auf das „Decretum Hispanicum“ vom Oktober 1696 bezog. Der Auffassung, dass sich die Inquisition nicht mehr bei Papebroch gemeldet habe, liegt eine ähnliche Fehllektüre zugrunde. Vgl. ebd., S. 180, wo Papebroch zunächst betonte, dass Sébastien de Saint-Paul in seiner gesamten Exhibitio erroris nichts diskutierte, durch das der Nachweis häretischer oder auch nur näherungsweise häretischer Inhalte in den Acta Sanctorum erbracht worden sei. Entsprechend gälte für die Sentenzen der Inquisition, die er aber nicht offenbar machen dürfe („quas mihi propalare non licet“). Da die von ihm vorgelegte öffentliche Apologie (!) von den Beamten der Inquisition als Teil der Verhandlungsführung nicht akzeptiert worden sei und sie nur eine geheime hinzunehmen bereit waren („publicam Apologiam meam nolunt recipere ad audientiam suam, audire & expendere dignabuntur Apologiam secretam“), hätten diese sich in letzterer Hinsicht eben mit einem Text zu bescheiden, der ihnen bereits im Juni 1696 übereignet worden sei. In diesem Monat sei bereits eine knappe Apologie geliefert worden, die sich auf die ersten beiden Märzbände der Acta Sanctorum bezogen habe („jam inde à mense Junii anni superioris 1696 exhiberi cœptam, pro primo atque secundo Tomo Martii“). Auf diese ältere Apologie, die also vor der Überstellung der Sentenzen durch die Inquisition im August 1696 entstanden sein musste, verwies Papebroch auch an anderer Stelle. Vgl. ebd., S. 165. Sie würde die Frage aufwerfen, ob die Bollandisten nicht doch schon früher, auf welchen Wegen auch immer, Genaueres über die in den Acta Sanctorum monierten Passagen in Erfahrung gebracht hatten. In jedem Fall scheint derjenige, der das zitierte Regest zum elften Kapitel erstellte, Papebrochs Hinweise auf die „publica apologia“ durchgängig auf die realiter nie vorgelegte „secreta apologia“ bezogen zu haben. Die Weigerung der Inquisition, die ge-

692 sondern, wie dargestellt, Anfang 1696 an Karl II. und Ende 1696 an Innozenz XII. adressiert worden waren. Mit Piens Lebensbeschreibung und Delehayes Adaptation verfestigte sich im 20. Jahrhundert ein invertiertes Bild des Konflikts. Nun war es nicht mehr Papebroch, der in der Elucidatio selbst breit erörtert hatte, weshalb er auf die geheime Apologie zu verzichten gedacht hatte, sondern die Inquisition, die Papebroch, nach anfänglicher Ignoranz, eine geheime Apologie in spanischer Sprache (!) gestattet habe, diese aber nur mit neuer Ignoranz beantwortet habe. Es war nicht mehr Papebroch, der, nachdem er die Urteile der Inquisition in Erfahrung gebracht hatte, den Kontakt suspendiert hatte, sondern die Inquisition, die Papebroch nie mitgeteilt habe, welche Gründe zur Indizierung der Acta Sanctorum geführt hatten. Letztlich waren es auch nicht mehr die Jesuiten, die sich in Rom um ein neues Verfahren bemühten, sondern die Karmeliten, die in Rom den letzten Schlag gegen die Bollandisten zu führen beabsichtigten. 183 Schon Pien hatte sich keine Mühe gege–––––––—

183

druckten Responsiones als Teil der Verhandlung zu akzeptieren, wurde auf diese Weise zur Weigerung der Inquisition, auf Papebrochs Eingaben insgesamt zu antworten, und das Publikationsdatum der lateinischen Responsio zum Datum der – dann vermeintlich lange ignorierten – Aushändigung der geheimen Apologie. Vgl. Delehaye, Œuvre (21959), S. 96. Im Anschluss an das Dekret der Inquisition habe Papebroch beschlossen, „à écrire la Responsio Danielis Papebrochii ad Exhibitionem errorum, qui parut en trois parties, en 1697 et en 1698, […]. En même temps, il agissait auprès de l’Inquisition d’Espagne, à laquelle il fit remettre des mémoires en latin et en espagnol. || On trouva d’abord un prétexte pour ne pas les recevoir; puis, on lui permit de présenter une apologie secrète, en espagnol. Elle resta toute une année sans réponse. Dans une lettre au grand inquisiteur, Papebroch demandait qu’on lui indiquât les propositions hérétiques visées par le décret; il se déclarait prêt à les rétracter si elle n’étaient pas susceptible d’être interprétés dans le sens catholique. Cet important personnage ne daigna pas répondre. || Encouragés par leurs succès, le P. Sébastien et ses émules crurent que le moment était venu de tenter à Rome un effort décisif et d’achever leur adversaire.“ Hausberger, Werk (1980), S. 230. Demnach „schlugen alle Bemühungen, eine Revision der über ihn und den längst verstorbenen Mitarbeiter Henschen verhängten Sentenz zu erreichen, fehl. Mehrere Denkschriften, die Papebroch in lateinischer und spanischer Fassung nach Toledo geschickt hatte, blieben unter dem recht durchsichtigen Vorwand, man habe sie nicht erhalten, wirkungslos. Als ihm die Inquisition schließlich erlaubte, eine streng geheimgehaltene Verteidigungsschrift einzureichen, ließ die ausweichende Antwort über ein Jahr auf sich warten. Papebrochs eindringlicher Bitte an den Großinquisitor, man möge den Vorwurf der Häresie an Hand seiner Schriften präzisieren, wurde nie entsprochen.“ In diesen Passagen überlagern sich verschiedene Problempunkte. Sie sind hier nicht im Detail aufzulösen. Es sei nur zum einen darauf hingewiesen, dass Hausbergers Ansicht, die Inquisitoren hätten behauptet, die Denkschriften nicht empfangen zu haben, ein Übersetzungsfehler ist. Zum anderen handelte es sich bei besagten Denkschriften um gedruckte Arbeiten, die auch nicht der Inquisition selbst galten. Insofern hätte es für letztere keinen Grund gegeben, ihren Empfang zu verweigern oder in Abrede zu stellen. Der Hinweis auf in Lateinisch und Spanisch angefertigte Arbeiten bezog sich bei Pien auf Papebrochs Responsiones. Auch diese waren der Inquisition, wie im Fall der Vox veritatis, durchaus bekannt und wurden aus genau diesem Grund beschlagnahmt und verboten.

693 ben, seine Geringschätzung der Spanischen Inquisition zu verbergen. Das Verbot der Acta Sanctorum sei, wie er in einer Karikatur der von der Inquisition benutzten Formeln bemerkte, in einem „für katholische Ohren entsetzlichen Dekret“ („decretum Catholicis auribus horribile“) erfolgt: „Sie hat aus der Unwissenheit oder Missgunst der Anklagenden allein das äußerst scharfe Urteil gezimmert“ („ex sola accusantium vel ignorantia vel invidia, acerbissima censura confixit.“). 184 Unbenommen ihres sachlichen Gehalts hatte sich mit dieser Darstellung eine essentiell populistische Form über die Präsentation der Angelegenheit gelegt. Papebroch war nunmehr eine Figur, die, für Wahrheit und Gerechtigkeit einstehend, einem Unrecht entgegengetreten war, das sie durch den Spruch eines korrumpierten Gerichts erlitten hatte. Diese Figur appellierte nicht an Rechtsnormen, sondern an das Rechtsempfinden einer gegenüber der Spanischen Inquisition misstrauisch gewordenen Öffentlichkeit. In diesem Sinn sollte die Figur „Papebroch“ ähnliche Emotionen auf sich vereinigen wie die des „Outlaws“ im Western des 20. Jahrhunderts, in der sich das Spannungsverhältnis zwischen dem Konsens der Masse und dem politischen Willen einer als hegemonial empfundenen Minderheit innerhalb makropolitischer Einheiten artikulieren sollte. Der „Outlaw“, der in aller Regel durch einen „lost cause“ in Bewegung gesetzt wird, scheint sich vor allem in kulturellen Umbruchszeiten größerer Beliebtheit zu erfreuen. 185 Auf die gelehrte Kultur der frühen Neuzeit gewandt würde man wahrscheinlich eher von Freidenkertum (Libertinage) sprechen wollen. Dieses würde jedoch nicht unbedingt die von den Bollandisten für ihre Seite in Anspruch genommene breite Zustimmung voraussetzen, obschon sich Karl-Heinz Bohrer unlängst dafür ausgesprochen hat, unabhängiges und subversives – also ausdrücklich gegen den Konsens der Mehrheit gerichtetes – Denken deutlich zu unterscheiden. 186 Eine der Eigenarten des Vorgehens der Bollandisten war es jedenfalls, dass sie jenen Konsens, auf den sie sich beriefen, wenigstens zu Teilen selbst evoziert und in Szene gesetzt hatten – vergleichbar der späterhin betonten positiven Resonanz, die die Acta Sanctorum bei Erscheinen der Januarbände gefunden hätten, und für die man, zumindest in Rom, mit erheblichem Aufwand selbst Sorge getragen hatte.

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Vgl. Pien, Historia Papebrochii, AASS Iunii, Bd. 6, 1715, S. 11a–b; entsprechend Hausberger, Werk (1980), S. 229. Vgl. R. Philip Loy, Westerns in a Changing America, 1955–2000, Jefferson, N. C./ London 2004, S. 195–205. Vgl. Karl-Heinz Bohrer, Was heißt unabhängig denken? Ein freier Geist muß nicht immer subversiv sein, in: Merkur 61 (2007), S. 563–574.

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7.2.2 Schweigen Als Bayle im November 1685 in den Nouvelles de la République des Lettres den damals jüngsten Angriff auf Papebroch besprach, meinte er, frühere Einschätzungen zur „querelle des Carmes & du Jesuite Papebroch“ modifizieren zu müssen, denn: werden wir nicht mehr sagen, dass sie aus der Freiheit geboren worden ist, die er [Papebroch] sich genommen hat, um das, was sie [die Karmeliten] über das Altertum ihres Ordens sagen, ins Land der Fabeln zu schicken. Man weiß nicht recht, ob sie etwas mehr in Rage gebracht hat, als die Halsstarrigkeit, nichts auf die Bücher zu erwidern, die sie gegen ihn veröffentlichen. Im Grunde genommen ist es nicht angängig, auf Leute böse zu sein, die kein Wort sagen, denn selbst wenn sie nicht aus Geringschätzung schwiegen, dürften sie unserem Feuer einen Gutteil seiner Nahrung entziehen. Wie dem auch sei, nachdem die Karmeliten es nicht vermocht haben, mit einer unendlichen Menge von Büchern, die sie gegen ihn publiziert haben, mit dem Schweigen ihres Widersachers fertig zu werden, sind sie endlich darauf verfallen, sich mit diesem Schweigen zu brüsten, als sei es ein Beweis ihres Siegs. 187

Publizistisch befanden sich die Bollandisten zum Zeitpunkt des Dekrets vom November 1695 in einer unvorteilhaften Lage. Grundsätzlich gab es seit den Märzbänden keine Monatsserie der Acta Sanctorum, in der man sich nicht mit Aspekten der karmelitischen Historiographie beschäftigt hätte. Wiederholt hatte Papebroch gegen die „karmelitischen Eiferer nach Altertum“ („Carmelitanæ antiquitatis zelatores“ 188 ) polemisiert. In einem ersten umfangreichen apologetischen Traktat, der 1680 im Rahmen der Maibände erschienen war, hatte er dem Karmeliten François de BonneEspérance die Fähigkeit abgesprochen, sich kompetent zu historiographischen Fragen zu äußern. Er sei verwundert, wie „aus dem erprobten Theologen mit einem Mal der Stehgreifhistoriker hervorgegangen“ sei, welcher –––––––— 187

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Nouvelles de la République des Lettres. Mois de Novembre, 1684, Catalogue des Livres nouveaux accompagné de quelques Remarques IX: Jesuiticum Nihil, P. Papebrochio Jesuitæ super ipsius cum Carmelitis, quoad Ordinis illius historiam, controversiâ, Carmeliticis scriptis convicto & ad silentium redacto, demonstratum, Auctore Petro Fischero Francone. Salisburgi apud Gottefredum Junck. 1685. in 8, in: Bayle, Œuvres, Bd. 1, 1727, S. 425a–b: „[…] nous ne dirons plus qu’elle est née de la liberté qu’il a prise, de renvoïer au païs des fables ce qu’ils disent de l’antiquité de leur Ordre. On ne sait pas trop si cela les a plus mis en colere, qu l’obstination de ne rien répondre aux Livres qu’ils publient contre lui. Au fond il n’est pas commode de se fâcher contre des gens qui ne disent mot, car quand même ils ne se tairoient pas par mépris, ils ôteroient à notre feu une bonne partie de sa nourriture. Quoi qu’il soit, les Carmes n’ayant pû venir à bout du silence de leur Adversaire, par une infinité de Livres qu’ils ont publiez contre lui, se sont enfin avisez de se glorifier de ce silence, comme d’une preuve de leur victoire.“ Vgl. D[aniel] P[apebrochius], Tractatvs præliminaris de Episcopis et Patriarchis Sanctæ Hierosolymitanæ Ecclesiæ. Continens eorum Chronologiam & Acta cum Parergis nonnullis ad Orientalis historiæ notitiam, & solutionem quæstionum quarumdam nobis propositarum spectantibus, in: AASS Maii, Bd. 3, 1680, S. I–LXXII, hier S. IIb.

695 „die Mehrzahl der Seinigen auf seine Seite gezogen“ habe, um die Bollandisten dazu zu nötigen, öffentlich „Rechenschaft über das Schweigen der Vorgänger abzulegen.“ 189 Erinnert sei ferner an die Ende 1682 anonym veröffentlichte Lettre du Sr N., conseiller du Roy, etc. à son amy Monsieur Antoine Wion d’Herouval, zu der die Bollandisten Du Cange motiviert hatten. Es mag für Papebroch kein Widerspruch gewesen sein, dass er etwa zeitgleich am 29. November 1682 Mabillon erklärte, die Karmeliten, die sich durch ihre Schriften selbst der Dummheit überführten, keiner Antwort für würdig zu halten. 190 Es entsprach daher zwar nicht der Realität, wenn Janninck in seinen Opuscula apologetica, die sich innerhalb der Junibände der Acta Sanctorum von 1695 gegen die Einlassungen Sébastien de SaintPauls richteten, darauf verwies, dass man sich in den zurückliegenden 20 Jahren zu Fragen der karmelitischen Ordensgeschichte weithin ausgeschwiegen habe. 191 Dies gilt umso mehr, als Janninck selbst 1693 zwei kleinere selbstständige Kontroversschriften im Umfang von 22 und 43 Quartseiten veröffentlicht hatte. 192 Allerdings scheint man sowohl auf Seiten der Karmeliten als auch auf der der Gelehrtenrepublik die Abhandlungen innerhalb der Acta Sanctorum nicht als (vollwertige) Repliken zur Kenntnis genommen zu haben. Sie wurden als demonstrative Wortlosigkeit interpretiert, die wiederum von den Bollandisten als Nachweis für ihre kontrollierte Haltung ins Feld geführt wurde. Angesichts der Aktivitäten, die man in Antwerpen nach dem Dekret der Inquisition zu entfalten begann, wird man einer solchen Selbst- und Fremdeinschätzung nicht einmal vollständig widersprechen können. Mit dem Entschluss zu einer selbstständigen, umfangreichen und unter eigenem Namen zu veröffentlichenden Kontroversschrift begannen die –––––––— 189

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Ders., De Beato Aloysio Rabata Ordinis S. Mariæ de Monte Carmelo Randatii in Sicilia, in: AASS Maii, Bd. 2, 1680, 11. Mai, S. 709–722. Commentarius apologeticus prævius. Ad querelas quorumdam RR. PP. Carmelitarum de nostro Martio & Aprili, ebd., S. 709–718, hier S. 710a: „[…] subito prodiit extemporalis è veterano Theologo historicus, & suorum plerosque traxit in partes, ut judicarent publico nos scripto provocandos, atque cogendos ad reddendam silentii priorum rationem.“ Vgl. Papebroch an Mabillon, Antwerpen, 29. November 1682, in: Berlière, Mabillon (1908/09), Nr. 35, S. 310f., hier S. 311: „Carmelitis compatior, non irascor: et quoniam ipsis placet edendis identidem libellis publicum stultitiae testimonium querere, dignos non aestimo quibus posthac respondeam aliquid.“ Vgl. Conradi Janningi pro Actis Sanctorum hactenus editis opuscula apologetica, reposita antirrheticis Adm. R. P. Sebastiani à S. Paulo Provinciali Carmeli Flandrobelgici, in: AASS Iunii, Bd. 1, 1695, S. I–XLIII, hier S. Ia: „Tempus tacendi & tempus loquendi esse monet divinus Ecclesiastes. Importuna Amicorum loquendi licentia, dictis scriptisque P. Danielem Papebrochium imprimis, & illustrata ab ipso Sanctorum Acta dudum exagitavit: quam opportuno per annos propemodum viginti silentio ita toleravimus, ut priorem moniti divini partem, tacendo suo tempore, implevisse putemus; secuti tum sacræ Scripturæ & rationis ductum, suadentium ut locus iræ ac perturbatis animis quo se colligant detur.“ Vgl. Art. Bollandus, in: Sommervogel, Bd. 1, 1890, Sp. 1659f., Nr. x, z.

696 Bollandisten die Kontakte zu den Organen der Respublica litteraria zu intensivieren, um Papebrochs Stellungnahme deutlich vor der endgültigen Fertigstellung der einzelnen Teile publik zu machen. Der Benediktiner Benedetto Bacchini (1651–1721), der in Modena den Giornale dei Letterati herausgab, hatte bereits 1693 die, so Papebroch, „incredibilia“ der Karmeliten in einem ihm zuträglichen Sinn rezensiert. 193 Zwischen Juni und September 1696 erhielt Bacchini fortlaufend die fertiggestellten Folien des ersten Teils der Responsio. 194 Papebroch begann zu dieser Zeit bereits über die Notwendigkeit einer zweiten Auflage zu reflektieren. 195 Am 18. November 1696, dem „Jahrestag des gegen meine Bücher in Spanien promulgierten Dekrets“ („anniversario promulgati contra meos libros in Hispania decreti“) teilte er mit, dass Xaramillo aus Spanien anreise, um, von fast jeder anderen Verpflichtung freigestellt, die Sache der Bollandisten in Rom zu unterstützen. 196 In Menckes Acta eruditorum waren schon deutlich früher, in der Märzausgabe 1696, erste Besprechungen von Teilen der Responsio zu lesen. Der provisorische Status der Materialien, mit denen die Rezensenten zu arbeiten hatten, zeigt sich daran, dass die in gebundener Form deutlich später und im Quartformat publizierte Responsio als vermeintlich schon 1695 erschienen und als Werk im Oktavformat vorgestellt wurde. 197 Mit diesem –––––––— 193

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Vgl. Papebroch an Bacchini, Antwerpen 8. Mai 1693, in: Tassi, Corrispondenza (1952), Nr. 1, S. 132f. Vgl. dazu die Hinweise von Tassi, ebd., S. 126f. Die Publikation des Giornale wurde 1697 unterbrochen. Die Korrespondenz mit Papebroch intensivierte sich in den Jahren 1696 bis 1698 und klang Ende 1700 aus. Vgl. ebd., S. 127f. Vgl. Papebroch an Bacchini, Antwerpen 5. Oktober 1696, in: ebd., Nr. 8, S. 135f., hier S. 135. Vgl. Papebroch an Bacchini, Antwerpen 18. November 1696, in: ebd., Nr. 9, S. 136f., hier S. 137: „[…] proderit multum, si propter hiemem non differatur, adventus ex Hispania R. Antonii Xaranillii [!] […]. Est enim in opere nostro praesertim quoad controversiam Carmelitarum versatissimus, et Romae ab omni alio officio fere vacuus, nobis utilissimus. Auctor fuit supplicis libelli contra silentium ab Adversariis postulatum, itemque Apologiae Hispanicae a me laudatae […].“ Vgl. Acta Eruditorum Anno 1696, H. 3, Leipzig 1696: Art. Apologia pro Actis Sanctorum contra Adm. R. P. Sebastianum a S. Paulo, Provincialem Carmeli FlandroBelgici. Auctore Conrado Janningo, e Societate Jesu, Antuerpiæ, apud Henricum Thieullier, A. 1695. in 8. Constat plag. 1 ½, S. 131–139. In der nächsten Besprechung des noch immer nicht gebunden vorliegenden ersten Teils der Responsio wurde dann auf die Angabe des Publikationsdatums und des Formats verzichtet. Vgl. Acta Eruditorum Anno 1696, H. 11, Leipzig 1696: Art. Responsio Danielis Papebrochii, ex Soc. Jesu Theologi, ad Exhibitionem errorum per Adm. R. P. Sebastianum a S. Paulo Ord. Carmelitani in Belgio bis Provincialem &c. A. 1693. Coloniæ evulgatam, S. 500–508. Acta Eruditorum Anno 1698, H. 2, Leipzig 1698: Art. Responsio Danielis Papebrochii, ex Soc. Jesu Theologi, ad Exhibitionem errorum per Adm. R. P. Sebastianum a S. Paulo Coloniæ A. 1693. evulgatam. Antverpiæ, ex typographia H. Thieullier, 1696. 4. Alph. 1. pl. 20. || Responsionis ejusdem pars II. Antverpiæ apud viduam H. Thieullier, 1697. 4. Alph. 3. pl. 4., S. 81–86. Erst der zweite und dritte Teil der Responsio lagen den Rezensenten offenbar in gebundener Form vor.

697 Verfahren gelang es den Bollandisten, ihre Ansichten mit einem hohen Grad an Aktualität publik zu machen. In der Ausgabe vom Juni 1696 der Monatlichen Unterredungen des sächsischen Kirchenhistorikers und Polyhistors Wilhelm Ernst Tentzel (1659–1707) konnte das interessierte Publikum erfahren, dass entsprechende Folien aus Antwerpen auch nach Rom gesandt würden, um möglichst schnell das Imprimatur zu erlangen. Um die Leserschaft im Reich zufrieden zu stellen, würden diese Folien in Prag nachgedruckt. Sofern die Karmeliten und die Spanische Inquisition über das weitere Vorgehen der Bollandisten zu diesem Zeitpunkt nicht informiert gewesen sein sollten, hätten sie es aus den Monatlichen Unterredungen erfahren können: Papebroch bringet die gantze Sache f(r des Pabsts Tribunal, und schreiben vor ihn nicht nur der K yser/ der Knig in Franckreich/ der Knig in Polen/ und vier Chur=F(rsten/ sondern auch viel andere F(rsten und Bischffe an den Pabst/ und Knig in Spanien/ inst ndig bittende/ daß ein so ungerechtes Urtheil der Spanischen Inquisition reformiret werden mge/ welches auch der Knig in Spanien selbst w(ntschen soll. […] Jnzwischen refutiret er die obige ihm entgegen gesetzte Schrifft [Sébastien de Saint-Pauls] von Wort zu Wort/ weil er mercket/ daß dieselbe allenthalben ausgebreitet/ hingegen sein Werck [die Acta Sanctorum] schon aus vielen Tomis in folio bestehend von den wenigsten gelesen wird. Es ist schon (ber ein Alphabet an der Refutation gedruckt/ und schicket er sie wchentlich Bogen=weise nach Rom zur Approbation seiner Unschuld/ hernach wird sie auf Prage gesendet/ und daselbst nachgedruckt/ von dannen sie desto leichter durch Teutschland wird ausgebreitet werden knnen. Dieser Sommer wird wohl noch damit hingehen/ und wenn wir auf den Herbst ein Exemplar samt dem Ausspruche des Pabstes habhafft werden/ wollen wir ein mehres davon reden; […]. 198

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198

Vgl. Acta Eruditorum Anno 1698, H. 3, Leipzig 1698: Art. Responsio Danielis Papebrochii ad Exhibitionem Errorum per Adm. Rev. P. Sebastianum a S. Paulo Coloniæ A. 1693 evulgatam. Pars secunda. Antverpiæ, apud viduam H. Thieullier, 1697. 4. Alphab. 3. plag. 4., S. 129–136; Acta Eruditorum Anno 1698, H. 11, Leipzig 1698: Art. Elucidatio historica actorum in controversia super origine, antiquitate & historiis Sacri Ordinis B. M. de Monte Carmeli, inter quosdam illius & Societatis Jesu Scriptores Acta Sanctorum illustrare professos; quæ est Pars tertia & ultima Responsionum Danielis Papebrochii, S. J. Th. ad Exhibitionem Errorum ipsi imputatorum ab Adm. R. P. Sebastiano a S. Paulo, Carmelita. Antverpiæ, apud viduam & hæredes Henrici Thieullier, 1698, 4. Alph. 1. plag. 5., S. 529–533. Vgl. Monatliche || Unterredungen || Einiger || Guten Freunde || Von || Allerhand B(chern und andern || annehmlichen Geschichten. || Allen Liebhabern || Der Curiosit ten || Zur || Ergetzligkeit und Nachsinnen || heraus gegeben. || Verlegt von Thomas Fritsch [Leipzig] 1696 (Junius 1696), S. 562f.; ferner ebd., S. 943–945 (December 1696); Monatliche Unterredungen, 1698, S. 165–232 (Martivs 1698), S. 259–290 (Aprilis 1698), S. 535–537 (Iunius 1698). Auf diese Besprechungen hat erstmals Benz, Tradition (2003), S. 551, hingewiesen. Vgl. zu Tentzel ebd., S. 24; Franz Xaver Wegele, Art. Tentzel, Wilhelm Ernst, in: ADB, Bd. 37, 1894, S. 571f.; Rupert Schaab, Wilhelm Ernst Tentzel (1659–1707), in: Neu entdeckt. Thüringen – Land der Residenzen. 1485–1918. 2. Thüringer Landesausstellung Schloss Sondershausen 15. Mai–3. Oktober 2004, Katalog, Bd. 2, hrsg. v. Konrad Scheurmann/Jördis Frank, Mainz 2004, S. 204.

698 Angesichts des publizistischen Wirbels, den Papebroch entfaltete, scheint es fast rätselhaft, weshalb die Vertreter der Inquisition noch nach diesen Besprechungen meinten, Papebroch zu einer geheimen Apologie überreden zu können. Es steht zu befürchten, dass man sie in Spanien nicht zur Kenntnis genommen hatte. Die Mobilisierung der protestantischen Rezensionsorgane war für die Bollandisten ohne Risiko. Es war nicht damit zu rechnen, dass den „Spanischen Inquisitoribus, sonderlich denen abergl ubischen und kaum halbgelehrten Qualificatoribus“, oder den spätestens jetzt als solche erkannten karmelitischen „Fabel-Hansen“ 199 in irgendeiner Form Sympathie entgegengebracht worden wäre. Im August des Jahrs 1697 begab sich Janninck in Begleitung Baerts nach Rom, wo er bis Juni 1700 verblieb. 200 Die Verhandlungen liefen zunächst nicht nur in eine für die Bollandisten vorteilhafte Richtung. Papebroch hatte wahrscheinlich verfrüht, in besagtem Sommer 1696, gemeint, dass wenigstens das Urteil über den Conatus aus den Propyläen des Mai bereits in seinem Sinn gefällt worden war. 201 Es ging wohl auf Impulse der Karmeliten und ihres Generals Juan Feyxoo de Villalobos (reg. 1662–1706) zurück, dass Innozenz XII. am 20. November 1698 beiden Parteien fortwährendes Stillschweigen (silentium perpetuum) verordnete, nachdem die Konzilskongregation bereits am 8. März dieses Jahrs einen solchen Schritt empfohlen hatte. 202 Über den Stand der laufenden Verhandlungen, der ihm von den Bollandisten mitgeteilt worden sein dürfte, berichtete Tentzel in der Juniausgabe der Monatlichen Unterredungen: Daher endlich der Pabst auff stetiges Anhalten derer Carmeliten f(nff Cardin len die Sache committiret/ und befohlen/ durch ein Decret beyden Partheyen silentium zu imponiren/ ohne præiudiz beeder Meynunge[n] vom Ursprunge derer Carmeliten/ und mit der Vorrede/ daß es eine Sache von schlechter Wichtigkeit sey/ als welches ad fidem & mores nicht contribuirte. Weil aber diese clausulen dene[n] Carmeliten sehr beschwerlich fielen/ gleichwohl die Cardin le nicht das geringste daran ndern wolten/ so baten jene ja so sehr/ daß das Decret mchte suspendiret werden/ als sie zuvor die publication vrgiret hatten. Und also ist die Sache h ngen blieben; daher Papebroch Gelegenheit genommen/ ein kurtzes Scriptum von anderthalben Bogen in Lateinischer Sprache zu Rom aussprengen zu lassen/ unter dem Titul: Vera Origo & continuata Physice, nec vnquam interrupta Successione sacri ordinis Carmelitani […]. Dieses ist nicht nur in Rom mit grossem applausu auffgenommen worden/

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Monatliche Unterredungen, 1696 (Junius 1696), S. 561. Vgl. Van den Bosch, Elogium Janningi, AASS Iulii, Bd. 3, 1723, S. 6a, 7a. Vgl. Papebroch an Bacchini, Antwerpen 10. August 1696, in: Tassi, Corrispondenza (1952), Nr. 3, S. 133f.: „Jam intellexeris quid de Conatu meo Chronico historico (quem nolim vocari, quod vere non est, nisi primis, Propylaeum Maii) decreverit Congregatio Indicis, dilata tamen publicatione decreti; […].“ Vgl. Art. Joannes Feyxoo de Villalobos, in: Bibliotheca Carmelitana, Bd. 1, 1752, Sp. 845; Art. Sebastianus a S. Paulo, in: Bibliotheca Carmelitana, Bd. 2, 1752, Sp. 721; Reusch, Index, Bd. 2,1 (1885), S. 271f.; Hausberger, Werk (1980), S. 231 mit Anm. 55. Vgl. auch Pien, Historia Papebrochii, AASS Iunii, Bd. 6, 1715, S. 12a. Pien datierte das Dekret allerdings auf den 25. November.

699 sondern auch in Flandern/ wie es denn in die Niederl ndische/ und Hoch=Teutsche Sprache (bersetzt worden. 203

Das Schweigegebot Innozenz’ XII. vom November 1698 reagierte auf eine nach wie vor eskalierte Situation. Papebrochs kurz nach der Empfehlung der Konzilskongregation vom März dieses Jahrs auf den Markt geworfene Flugschrift Vera origo et continuata physicè nec unquam interrupta successio Sacri Ordinis Carmelitani scheint unmittelbar durch karmelitische Kontroversschriften beantwortet worden zu sein. Diesen wiederum trat Papebroch im September mit zwei weiteren, in Antwerpen approbierten, Arbeiten entgegen. In ihnen monierte er unter anderem, dass sich die Karmeliten nicht an die wiederholt verfügten und von ihnen selbst eingeforderten Schweigegebote gehalten hätten. 204 Man wird nicht unbedingt sagen können, dass die Auseinandersetzung nach dem Dekret vom November 1695 den „Status des – um einen Ausdruck der Aufklärung zu gebrauchen – Mönchsgezänks“ überwunden habe. 205 Sie scheint vielmehr mit dem Dekret endgültig in diesen Status eingetreten zu sein. Nun stritt man sich in der Tat über Aspekte, die im Zentrum der katholischen Intelligenz niemanden mehr polarisieren konnten – etwa darum, ob der hl. Georg den Drachen getötet habe oder nicht. 206 Auch trieb die Suche nach gelehrten Stimmen, die für die Bollandisten auf publizistisch verwertbare Weise Partei ergriffen hatten oder ergreifen sollten, manche Blüte. In Piens Vita Papebrochii wurde unter anderem aus Briefen Mabillons, Magliabechis und Bacchinis, aus Xaramillos Einleitung der Apologia veritatis und einem Schreiben des spanischen Gelehrten Nicolás Antonio (1617–1684) zitiert. Diese sollten den Konsens, den die Bollandisten im Kampf gegen die Karmeliten verkörperten, veranschaulichen und überhaupt ihr internationales Renomée belegen. Beide Bereiche wurden von Pien nicht klar getrennt. Anerkennende Stimmen aus früheren Zeiten und allgemeinerer Art wurden mit ausdrücklichen Parteinahmen für die Bollandisten in diesem Zwist in einem Atemzug genannt. 207 In pauschaler Form wies Pien –––––––— 203 204 205 206

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Monatliche Unterredungen, 1698 (Iunius 1698), S. 536f. Vgl. Pien, Historia Papebrochii, AASS Iunii, Bd. 6, 1715, S. 12a; Art. Bolland, Jean, in: Sommervogel, Bd. 1, 1890, Sp. 1663f., Nr. rr, ss, tt. Benz, Tradition (2003), S. 550. Vgl. RESPONSIO || DANIELIS PAPEBROCHII || Ex Societate Jesu Theologi || AD EXHIBITIONEM ERRORUM || Per Adm. R. P. SEBASTIANUM A S. PAULO, || Ordinis Carmelitani in Belgio bis Provincialem, olim sacræ Theologiæ || Professorem Lovani, evulgatam, in: Acta Sanctorum vindicata, 1765, S. 218–706, hier S. 358. Vgl. Pien, Historia Papebrochii, AASS Iunii, Bd. 6, 1715, S. 15b, 16a, 17a. Im Falle Mabillons etwa zitierte Pien ein Schreiben vom 21. Januar 1682, in dem Mabillon Papebroch geraten habe, die fruchtbarere Arbeit an den Acta Sanctorum fortzusetzen und diese nicht durch letztlich überflüssige Einlassungen gegen die Karmeliten zu stören: „In alia epistola scripta Lutetiæ Parisiorum XII Kal. Februarii anno LXXXII seculi proxime elapsi, idem Mabilio sic loquitur: Si me audis, eorum (accusatorum) querelas surda ante præteribis ... vigiliæ ac lucubrationes vestræ ita (mihi) sunt cor-

700 auf eine Gruppe italienischer Gelehrter hin, auf Francesco Maria Fiorentini (1603–1673), der 1668 ein aus älteren Traditionen kompiliertes Vetustis occidentalis Ecclesiae martyrologium vorgelegt hatte, 208 auf die Altertumsforscher Giovanni Giustino Ciampini (1633–1698) und Giusto Fontanini (1666–1735), auf den Zisterzienser Giulio Ambrogi Lucenti, der Ughellis Italia sacra fortgeführt hatte, und nicht zuletzt auf Muratori. Sie alle hätten ihre Sympathie und Bewunderung für die Bollandisten zum Ausdruck gebracht. Ihre Äußerungen könnten allerdings nicht, so Pien, vollständig zitiert werden. Denn aufgrund seiner großen Bescheidenheit hätten sich aus Papebrochs Zeiten nur die Briefe erhalten, „die ihm gewissermaßen die verstohlenen Hände der Kollegen weggenommen haben.“ 209 Überliefert sind in jedem Fall die Schreiben Muratoris. Janninck und Baert beabsichtigten, diesen damals aufstrebenden Gelehrten auf ihrem Weg nach Rom in der Bibliotheca Ambrosiana in Mailand zu besuchen. Sie trafen ihn zwar nicht an, wechselten aber während ihres Aufenthalts in Rom einige Briefe. 210 In einem ersten Schreiben vom 13. Januar 1698 sprach sich Muratori deutlich –––––––—

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di, ut nolim eas defensione non necessaria interturbari.“ Ebd., S. 16a. Der Brief scheint verloren. Erhalten sind hingegen einige Schreiben Mabillons, in denen dieser zwischen Januar 1696 und September 1698 beim General der Kongregation von St. Maur in Rom Dom Claude Estiennot de la Serrée (1639–1699) und bei Kardinal Colloredo dafür warb, die Sache der Bollandisten in Rom zu stützen. Vgl. Poncelet, Mabillon (1908), S. 173ff. Bezüglich Magliabechis zitierte Pien, Historia Papebrochii, AASS Iunii, Bd. 6, 1715, S. 15b, zum einen aus einem Schreiben vom 7. Juni 1682, das seinerseits nicht erhalten scheint, und zum anderen aus einem zweiten, undatierten Brief: „Alibi sic concludit: credat mihi, inter probos & eruditos omnes neminem unum reperiri apud quem Acta illa summo in pretio & veneratione non habeantur.“ Es handelt sich wohl um ein Schreiben, das Papebroch 1682 empfangen hatte und in dem die allgemein anerkannten Leistungen des 1681 verstorbenen Henschen gewürdigt wurden. Vgl. Magliabechi al P. Papebrochio, s. d. (1682), in: Battistini, Centenario (1942/43), Nr. 24, S. 208: „Sotto la medesima coperta del Sig. Segretario Bassetti la supplico di qualche ritratto dell’ ottimo e dottissimo Padre Enschenio, d’immortal memoria. È qua cosi grande la venerazione che hanno tutti i dotti e tutti i buoni ad esso, che non posso uscir fuori di casa, che non mi sia chiesto.“ Anders als Mabillon hatte Magliabechi Papebroch schon sehr früh in seinen Angriffen auf die Karmeliten bestärkt. Er könne auf die „Zuneigung der ganzen Respublica litteraria zusammen genommen“ rechnen, gegen „das falsche Altertum der Karmeliten anzufechten“. Magliabechi al P. Papebrochio, 24 agosto 1677, in: ebd., Nr. 7, S. 181– 185, hier S. 182: „[…] oppugnando la falsa antichità de’ Carmelitani […] si compra l’amore di tutta insieme la Repubblica letteraria […].“ Die meisten der aus der Korrespondenz mit Bacchini erhaltenen Schreiben sind die, die Papebroch an diesen gerichtet hat. Das von Pien, Historia Papebrochii, AASS Iunii, Bd. 6, 1715, S. 15b–16a, zitierte Schreiben Bacchinis an Papebroch vom 12. Juli 1696 findet sich daher auch nicht bei Tassi, Corrispondenza (1952). Vgl. Pien, Historia Papebrochii, AASS Iunii, Bd. 6, 1715, S. 15b. Vgl. ebd., S. 16a: „[…] alii plures annumerandi essent perdocti ex Italia viri, Ciampini, Muratorii, Lucentii, Fontanini, aliique; quorum verba referre non est integrum; eo quod vir modestissimus eas ad se datas litteras dumtaxat reliquerit, quas furtivæ quodammodo Sociorum manus ei eripuerunt.“ Vgl. de Gaiffier, Lettres (1950), S. 129f.

701 gegen die von „Verleumdungen“ und „Unwahrheiten“ geprägte Exhibitio errorum Sébastien de Saint-Pauls aus: Zweifellos betreiben eure Widersacher den Krieg gegen euch und sogar die heilige Societas nicht ohne große Blindheit, und es ist nicht leicht zu entscheiden, ob größere Unwissenheit oder größere Unredlichkeit an ihnen wahrgenommen werden soll. Ich gestehe, als ich ihre Anwürfe studierte, habe ich zunächst nicht dem Lachen, darauf dem Zorn Einhalt gebieten können […]. 211

Papebrochs Bitte, dieses Schreiben in der Kontroverse verwenden zu dürfen, beantwortete Muratori allerdings abschlägig. Denn „[w]o wir uns“, so Muratori, „privater Unterredungen oder Briefe bedienen, überlassen wir uns der ganzen Wahrheit: in öffentlichen fürwahr, damit es gefällig sei, verlangt die Wahrheit nach gelinder Tönung. Denn das Wahre wird nämlich, wenn es nackt daherkommt, nicht immer geliebt.“ 212

7.2.3 Die historische Wahrheit … Die Prüfungen der Indexkongregation führten zu Korrekturen von mehr als nur symbolischem Wert. Mit einem am 22. Dezember 1700, ein halbes Jahr nach Jannincks Abreise aus Rom, promulgierten Dekret, das am 13. Juni 1757 erneuert wurde und bis 1900 Bestand haben sollte, wurde Papebrochs Conatus chronico-historicus ad catalogum Romanorum Pontificum aus den Propyläen des Mai von 1685 der katholischen Welt verboten. Im zweiten Dekret von 1757 wurde präzisiert, dass das Interdikt solange bestehen bliebe, bis einige der die frühneuzeitlichen Conclavia betreffenden Passagen aus dem Conatus beseitigt wären. 213 Damit waren jene Segmente gemeint, die Papebroch aus der 1668 anonym gedruckten Sammlung der Conclavi de Pontefici Romani des zum Calvinismus konvertierten Katholiken, Dramatikers und Amsterdamer Stadthistoriographen Gregorio Leti (1630–1701) in übersetzter Form übernommen hatte. Dies galt beispielsweise für einen –––––––— 211

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Muratori a Corrado Janninck, Mediolani, Id. Ian. 1698, in: Muratori, Epistolario, Bd. 1 (1901), Nr. 262, S. 286f., hier S. 286: „Verum, quam mala causa est accusatorum vestrorum ad quam protegendum calumniae ac mendacia sunt accersenda. Certe non sine magna coecitate in vos atque adeo in SS.m Societatem bellum adversarii vestri agitant, atque in eis num ignorantia maior an maior perfidia deprehendatur, definiri haud facile potest. Fateor, ubi eorum delationes evolvebam, risui primum, dein irae temperare non potui […].“ Muratori a Corrado Janninck in Roma, Mediolani, VII Kalendas Aprilis 1698, in: ebd., Nr. 289, S. 316f., hier S. 317: „Ubi privatis colloquiis, aut epistolis utimur, veritati omnia cedunt: in publicis vero, ut magis placeat, modesto colore veritas indiget. Neque enim verum, si nudum incedat, semper amatur.“ Vgl. dazu de Gaiffier, Lettres (1950), S. 133f. Vgl. Reusch, Index, Bd. 2,1 (1885), S. 274f.; Index librorum prohibitorum, ed. Bujanda (2002), S. 682; Delehaye, Œuvre (21959), S. 97 mit Anm. 1.

702 Bericht über jenes chaotische Konklave, aus dem Giulio de’ Medici nach dem Tod Hadrians VI. (reg. 1522–1523) als Papst Clemens VII. (reg. 1523– 1534) hervorgegangen war. Papebroch hatte die Anonymisierung Letis wohlweislich beibehalten. 214 Aufgrund verschiedener seit März 1667 ergangener Dekrete unterlagen Letis Werke einer Art Totalverbot. 215 Der Augustinereremit, Kardinal und damalige Konsultor der Indexkongregation Enrico Noris (1631 –1704) hatte nicht lange nach dem Erscheinen des Propyläums am 5. Mai 1686 an Magliabechi geschrieben, dass dieser Band schon von zwei Zensoren der Indexkongregation verdammt worden sei. Er selbst würde sich darum bemühen, Papebrochs Interessen zu wahren. Am 10. September 1695 teilte er Magliabechi mit, dass er sich unter dem Vorwand der Befangenheit, da Papebroch in den Debatten um den möglichen Semipelagianismus des Hilarius von Arles († 449) und Vincentius von Lérins († nach 435/vor 456) im Rahmen der Maibände gegen seine Ansichten polemisiert habe, der Beschlussbildung habe entziehen können. Auf diese Weise müsse er sich wenigstens nicht vorwerfen lassen, dass er das seines Erachtens überzogene, aus Ärger über die Schilderungen der Conclavia aber kaum mehr abzuwendende Verbot des Conatus mitgetragen habe. 216 Schelstrate wiederum, dem die Bollandisten als Repräsentanten der Bibliotheca Vaticana die nach und nach publizierten Maibände hatten zu–––––––— 214

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Vgl. Papebroch, Conatus chronico-historicus [eigenständig paginierter Teil C], in: Propylæum ad Acta Sanctorum Maii [1685]. Im Stile von Dossiers waren die Ausführungen zu den Päpsten entlang ihrer chronologischen und numerischen Abfolge organisiert. Vgl. CCXII. Adrianus VI., ebd., S. *153–*156, hier den Abschnitt: Historia Conclavis ex impreßo Italico Auctoris synchroni, S. *154–*156. Inc.: „Cum anno MDXXIII, die V Augusti, Adrianus Papa VI ivisset ad S. Mariam Majorem, causa solennis ibi festi; ibidem eodem mane […].“ Expl.: „[…] & gubernare Ecclesiam universam, repertumque in ea gregem: ‚quod nobis Deum concedat.ǥ “ Vgl. [Gregorio Leti], CONCLAVI || DE || PONTEFICI || ROMANI. || Quali si sono potuti trovare fin à || questo giorno. || De’quali si vede la Tavola nel foglio || seguente. || [o. O.] M. DC. LXVIII. Conclave nel quale fù creato Pontefice, il Cardinal Giulio de Medici, detto, Clemente Settimo, ebd., S. 150–160. Inc.: „Essendo alli cinque di Agosto 1523 Papa Adriano Sesto, andato à santa Maria Maggiore, à solennizare la festa, dove in questa Mattina […].“ Expl.: „[…], e governare la sua Santa Chiesa, e tutto il gregge, che in essa si trova, quod nobis Deus concedat.“ Vgl. zur Person Emanuela Bufacchi, Art. Leti, Gregorio, in: DBI, Bd. 64, 2005, S. 717–723. Vgl. Index librorum prohibitorum, ed. Bujanda (2002), S. 536ff. Vgl. Reusch, Index, Bd. 2,1 (1885), S. 272f. Dies war in der Tat ein Vorwand, da Papebroch Noris’ Arbeiten sehr wohl geschätzt zu haben scheint. Vgl. D[aniel] P[apebrochius], De S. Isidoro Martyre in insvla Chia, in: AASS Maii, Bd. 3, 1680, 15. Mai, S. 446–452. [Einleitung], ebd., S. 445–449, hier S. 446a: „[…], nuper à P. Henrico Noris insigni Commentario illustratus, […].“ In einem dem Semipelagianismus geltenden Teil innerhalb des Dossiers zu Hilarius von Arles hingegen hatte Papebroch nicht auf Noris Bezug genommen. Vgl. D[aniel] P[apebrochius], De Sancto Hilario Episcopo Arelatensi in Gallia, in: AASS Maii, Bd. 2, 1680, 5. Mai, S. 24–43. Vindicæ pro S. Hilario, Semipelagianismi calumniose insimulato, ex Prodomo velitari Brunonis Neusser, ebd., S. 34–41.

703 kommen lassen, hatte seit Mitte der 1680er Jahre Papebroch wiederholt zur Zurückhaltung gemahnt. 217 Nach einer ersten Durchsicht des Conatus schrieb er an Papebroch, dass dieser zwar von stupender Gelehrsamkeit zeuge. Er hätte sich jedoch in mancher Hinsicht etwas mehr Vorsicht gewünscht: „Wir leben in solchen Zeiten, in denen, wenn sie es je einmal gewesen sind, die Ohren der Römer wählerisch geworden. Was Du über die Ablässe schreibst, hätten sie in anderen Worten ausgedrückt finden können, so dass sie Euren Feinden keinen Vorwand zum Angreifen bieten würden.“ 218 Weniger gefällig äußerte er sich am 30. August 1687 nach der Lektüre des vierten Maibands von 1685 anlässlich Papebrochs Dossier des hl. Venantius von Camerino. Papebroch hatte hier nicht nur die Legende dieses vermeintlich im 3. Jahrhundert zu Tode gekommenen Märtyrers aufgrund ihrer offensichtlichen „fabulositas“ inkriminiert, sondern in einer Annotatio critica auch die Entscheidung der Ritenkongregation angegriffen, diesen Heiligen und Teile seiner Vita ins Breviarium Romanum aufzunehmen. 219 Wenn er von solchen Einlassungen nicht absähe, wäre die Gefahr, von der Indexkongregation verdammt zu werden, sofern sie davon erführe, sehr groß. 220 Ähnlich äußerte er sich anderthalb Monate später. Beim Prüfen der „Tatenberichte der Heiligen“ sei „nicht nur Gelehrsamkeit, sondern zuweilen auch Klugheit“ vonnöten. Nach einer Unterredung mit dem flandro-belgischen Provinzial der Jesuiten sei man sich darüber einig gewe–––––––— 217

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Schelstrate an Papebroch, Rom, 15. Dez. 1685, in: Ceyssens (Hrsg.), Correspondance (1949), Nr. 106, S. 190f.: „Quod autem scribis, aemulos quosdam occasionem capturos contra scripta tua agendi, parum tibi officiet, si servata debita veritati, religioni et Sedi Apostolicae reverentia in refutandis dumtaxat anilibus fabulis operam impenderis. Et haec quidem scribo nullatenus dubitans de tua singulari circumspectione et iudicio, utpote quae in caeteris operibus tuis semper adhibere consuevisti.“ Schelstrate an Papebroch, Rom, 9. Mai 1686, in: ebd., Nr. 117, S. 198f.: „Propylaeum vestrum a Patre Ianningo mihi redditum fuit, illudque hinc inde pervolvi et quantum fugitivo oculo conicere licuit, magnis impensis, maiori cura, ingenti studio editum fuisse agnovi. Placent quam plurima et pauca dumtaxat reperi quae maiori cum cautela edi desiderassem. (Iis temporibus vivimus, quibus si unquam fuerunt, delicatae sunt Romanorum aures. Quae de indulgentiis scribis, aliis terminis concipi potuissent, ne ansam inimicis vestris insultandi praeberent).“ Vgl. D[aniel] P[apebrochius], De S. Venantio Martyre in Camerini in Italia, in: AASS Maii, Bd. 4, 1685, 18. Mai, S. 136–144. Commentarius prævius. Cultus Sancti antiquus. Translatio & relatio Corporis. Acta apocrypha, ebd., S. 136f. Annotatio critica, ebd., S. 143f., hier S. 143a. Der verbreitete Kult dieses Heiligen geht auf das 9. Jahrhundert zurück. Seine Vita entstammt dem 12. Jahrhundert. Vgl. Andreas Merkt, Art. Venantius v. Camerino, in: LThK, Bd. 10, 32001, Sp. 581f. Vgl. Schelstrate an Papebroch, Rom, 30. Aug. 1687, in: Ceyssens (Hrsg.), Correspondance (1949), Nr. 211, S. 274f., hier S. 274: „Non potui consulere tomum IV, ubi de Actis S. Venantii agitur, […].“ Ebd., S. 275: „Caeterum monendus es, longe consultius fore, ut ab illis actis criticandis abstineas, quae, Sacrarum Congregationum iudicio probata, ad usum lectionum in breviario Romano inserviunt; quando enim similia deferentur ad Sacrarum Congregationum tribunalia, magno damnationis periculo subiacerent.“

704 sen, dass die Acta Sanctorum Gefahr liefen, nicht vollendet zu werden, wenn Papebroch fortführe, bei jeder Gelegenheit verschiedene Personen, Gemeinschaften und Orden zu kränken. In jedem Fall solle er sich dessen enthalten, so riet Schelstrate, die von der römischen Kirche gebilligten Kulte anzugreifen und insgesamt die Publikation der Viten in den Mittelpunkt stellen. Deren Bewertung sei im Kern den Leserinnen und Lesern zu überlassen. Sofern er dies berücksichtige, dürften den Acta Sanctorum in Zukunft wenig Schwierigkeiten beschieden sein. 221 Einen konkreten Änderungsvorschlag hatte Schelstrate Papebroch in einem Brief vom 28. September 1684 im Auftrag einiger nicht näher bezeichneter „apostolici ministri“ mitzuteilen. Er bezog sich auf das Dossier einer in Sens verehrten Heiligen mit Namen Liceria oder Liciera. Papebroch hatte im zweiten Maiband von 1680 die Heilige als eine Schöpfung des 16. Jahrhunderts bewertet. Zu Beginn des Dossiers hatte er ausführlich geschildert, wie er und Henschen bei ihrem Aufenthalt in Sens 1661 von dem aufgrund seiner jansenistischen Überzeugungen den Jesuiten feindlich gesonnenen und daher wenig kooperativen Erzbischof von Sens Henri de Pardaillan de Gondrin (reg. 1646–1674) mit einer Aufstellung der in der Stadt verehrten Heiligen abgespeist worden seien. Hier sei unter anderem eine hl. Liceria mit dem Festtag des 2. Mai genannt worden, für die sich allerdings keine historischen Belege auffinden ließen. Schelstrate hatte Papebroch auszurichten, in Zukunft auf diese Passage zu verzichten. Dadurch würde nichts anderes erreicht, als auf eine abgeklungene kirchenpolitische Kontroverse aufmerksam zu machen, an deren Aktualisierung der Apostolische Stuhl kein Interesse habe. 222 –––––––— 221

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Vgl. Schelstrate an Papebroch, Rom, ca. 15. Okt. 1687, in: ebd., Nr. 217, S. 281f.: „[…] quid a vobis de Actis Sancti Venantii scriptum sit, diiudicare valeam. Caeterum, crede mihi, quod in discernendis Sanctorum actis non solum eruditione, sed prudentia quandoque opus sit. Cum nuper Rmus Pater Estrix, provincialis vester, me visitasset, mentioque de Actis Sanctorum incidisset, dixit ille, Societatem timere, ne nimium quandoque personas, communitates et religiosorum ordines offendatis, idque in causa esse posse, quod opus imperfectum relinqueretur. Egi apud ipsum causam vestram et respondi viam vos ingredi posse, qua offensionem ut plurimum evitetis, si nimirum observetis haec duo: ut abstineatis a censurandis iis quae Romanae Ecclesiae iudicio probata sunt, et dum communitatum ac religionum offensiones timentur, acta in medium adducatis et iudicium penes lectorem relinquatis. Placuit ipsi consilium, agamque si ita iubeatis cum vestro Generali, ut de Actis prosequendis nulla vobis difficultas moveatur.“ Vgl. D[aniel] P[apebrochius], De S. Liceria Virgine Martyre Senonibvs in Gallia, in: AASS Maii, Bd. 2, 1680, 11. Mai, S. 626f., hier S. 626a: „Senonensem urbem Archiepiscopalem transeuntibus nobis anno MDCLXI, non libuit licuitve Reliquiarum ibidem multarum & insignium thesauros scrutari accuratius, propterea quod eam tunc Sedem obtineret vir, in fide non satis Catholice sentiens, præ Iansenianæ factionis studio; nostræ autem Societati eo affectus animo, quo posset maximis ab ea affectus injuriis, cum tamen publice notum esset, quanto ea beneficio ipsum sibi haberet obligatum. Ne tamen nihil inde efferremus in rem nostram, datus ibidem nobis indiculus

705 Deutlich bevor die Karmeliten die Bollandisten in Rom und Toledo förmlich denunzierten, standen die Acta Sanctorum also unter besonderer Beobachtung der römischen Behörden. Dies dürfte mit der Kontroverse mit den Karmeliten zwar mittelbar zu tun gehabt haben. Allerdings ist es kaum angemessen, die Indizierung des Conatus im Dezember 1700 ausschließlich als eine kirchenpolitische Konzession an die spanische Seite zu interpretieren. 223 Über die Möglichkeit, dass eine solche Maßnahme ergriffen werden könnte, hatte man Papebroch über einen Zeitraum von mehr als anderthalb Jahrzehnten hinweg informiert. Das Verbot des Conatus resultierte in erster Linie daraus, dass sich Papebroch durch keinen Rat der über die Verhältnisse in Rom genau unterrichteten Kreise hatte zur Zurückhaltung bewegen lassen. Die Verwendung Letis in den Propyläen kam einer bewussten Provokation gleich. Grundsätzlich gesehen wurde die das eigentliche Tätigkeitsfeld der Bollandisten überschreitende Abhandlung zur Chronologie der Päpste von Papebroch sicher nicht zufällig gerade zu dieser Zeit publiziert. Sie demonstrierte, wo mittlerweile, in der Epoche nach Baronio, die eigentliche historiographische Kompetenz des Katholizismus beheimatet war, nämlich in Antwerpen. Die Indexkongregation hätte vermutlich an Glaubwürdigkeit verloren, wenn sie Papebrochs mithin furioses Agieren ungeahndet gelassen hätte. Einen Verlust an historischer Wahrheit hätte in den meisten der besprochenen Fälle ein etwas diskreteres Auftreten keineswegs –––––––—

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est, […] de præcipuis ea in urbe ac diœcesi Sanctis, quorum vel corpora vel partes corporum insignes habebantur: ubi inter alia sic notatur pro die XI Maij, S. Liciera Senonensis, Virgo & Martyr, […].“ Vgl. Schelstrate an Papebroch, Rom, 28. Sept. 1684, in: Ceyssens (Hrsg.), Correspondance (1949), Nr. 35, S. 124f., hier S. 125: „Hac tamen occasione renovata est antiqua querela de archiepiscopo Senonensi, quæ iam sopita erat, nemine enim amplius eius rei correctionem apud Sedem Apostolicam urgente. Iniunctumque itaque mihi est, ut significarem, quatenus velles in uno ex duobus tomis nunc in lucem emittendis hoc modo dictum locum corrigere: ‚cum inaudiam offensioni esse phrasim acerbiorem initio commentarii de S. Liceria, Virgine, tomo II Maii, pagina 626, mihi elapsam circa archiepiscopum Senonensem, vellem eamdem ab illis verbis: Senonensem archiepiscopum … usque ad illa: haberet obligatum praetermissam, posterisque delendam in ipso commentario praescribo.ǥ Hae sunt, quae ex parte ministri apostolici tibi significare debui.“ Anderthalb Monate zuvor hatte Schelstrate diesen Aspekt noch nicht als besonders bedeutend eingestuft. Vgl. Schelstrate an Papebroch, Rom, 1. Juli 1684, in: ebd., Nr. 25, S. 115f., hier S. 115: „Venit tamen ad me ante aliquot septimanas Pater Ianningus schedulam offerens, qua continebatur locus de archiepiscopo Senonensi, ex secundo tomo Maii […], ex quibus [foliis] constitit mihi rem non adeo gravem censendam esse, quam accusatores tui retulerunt.“ Vgl. Peeters, Œuvre (1942), S. 32: „Mais de là à déjuger l’Inquisition, au risque d’un conflit avec la couronne d’Espagne, il y avait une distance que la Cour pontificale estimait ne pouvoir franchir. Elle donna même au Grand Inquisiteur la menue satisfaction de réprouver les conclavium historiunculas relatées par Papebroch dans son essai chronologique sur le catalogue des Pontifes Romains. Pour ce délit, spécifié avec une assez transparente intention d’atténuer le coup, le Propylaeum Maii, fut mis à l’Index le 22 décembre 1700.“

706 bedeutet. Einen Kult wie den der hl. Liceria hätte man unter der Ägide Bollands wahrscheinlich umstandslos unter den Praetermissi verzeichnet und nicht zum Anlass genommen, um gegen die aus jesuitischer Sicht zweifelhafte Rechtgläubigkeit eines inzwischen verstorbenen Erzbischofs zu polemisieren. Trotz allem konnte Pierre Van den Bossche in seinem Elogium Conradi Janningi von 1723 auf den vorteilhaften Ausgang der Affaire verweisen. Denn „die römische Zensur scheint bis zu diesem Tag in einer so ausgedehnten Menge so zahlreicher Bände, nach so vielen Bestrebungen so mächtiger Ankläger, nach derart angestrengten Untersuchungen so vieler Jahre, nach der spanischen Vorverurteilung endlich nicht das Geringste vermerkt zu haben, das die Acta Sanctorum selbst beträfe.“ 224 Dies war insofern richtig, als der Conatus kein Bestandteil der Acta Sanctorum im engeren Sinne war. Die Spanische Inquisition hatte aus ihrem neuen Index von 1707 die Acta Sanctorum kommentarlos entfernt – anders als die dort nach wie vor aufgeführten Werke Sébastien de Saint-Pauls. In einem Edikt vom 20. Dezember 1715 wiederum wurde das alte Verbot vom November 1695 förmlich aufgehoben, unter der Auflage, die besagten Passagen aus dem Conatus zu entfernen und einige andere Formulierungen kleineren und kleinsten Umfangs zu korrigieren. 225 Wie man sich die Umsetzung derartiger Auflagen vorzustellen hat, die längst gedruckte und verkaufte Bände betrafen, und ob etwa die in katholischen Bibliotheken aufgestellten Exemplare der Acta Sanctorum passagenweise geschwärzt wurden, ist an dieser Stelle nicht entscheidbar. Die hier benutzten Bände scheinen ebenso wie die späteren Ausgaben der Acta Sanctorum von jenen Auflagen unberührt geblieben zu sein. Der ursprüngliche Gegenstand der Kontroverse ist ohne einige Grundkenntnisse der Geschichte der Karmeliten und der Genese ihrer historiographischen Traditionen nicht zu verstehen. Die Karmeliten sind kein alter Orden. Karmelitische Schriftstücke, die materialiter hinter das 14. Jahrhundert zurückreichen, sind nicht überliefert. 226 Die ersten der insgesamt raren und inhaltlich spröden historiographischen Aufzeichnungen des Ordens sind das Produkt jener Phase, in der er sich, im Vorfeld seiner endgültigen Vertreibung aus Palästina aufgrund der islamischen Rückeroberung Akkons im Jahr 1291, zu einer essentiell europäischen Einrichtung zu entwickeln be–––––––— 224

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Van den Bosch, Elogium Janningi, AASS Iulii, Bd. 3, 1723, S. 6a–b: „[…] quando ad hunc usque diem in tam vasta tot voluminum mole, post tot tamque potentium delatorum conamina, post tam assiduas tot annorum discussiones, post Hispanicum denique præjudicium, omnino nihil, quod Acta propriè Sanctorum spectet, Romana censura notaverit.“ Vgl. Reusch, Index, Bd. 2,1 (1885), S. 274f.; Delehaye, Œuvre (21959), S. 99f. mit Anm. 1. Delehaye datiert das Edikt auf Januar 1715. Vgl. Jotischky, Perfection (1995), S. 102.

707 gonnen hatte. Sie sind geprägt von den kirchenrechtlichen Schwierigkeiten, die seine Etablierung in Europa begleiteten. Die Karmeliten sind aus eremitischen Gemeinschaften hervorgegangen, die sich im Laufe des 12. Jahrhunderts vermutlich aus Palästinapilgern und Kreuzfahrern im Karmelgebirge konstituierten. Sie hatten sich seit den späten 1230er Jahren ausgehend von Niederlassungen auf Zypern und Sizilien in Europa verbreitet. Diese Entwicklungen trafen sich mit den kirchenpolitischen Bestrebungen unter Innozenz III. (reg. 1198–1216), die Zahl der Bettelorden zu beschränken. Die Gründung neuer Orden war auf dem IV. Laterankonzil von 1215 untersagt, der Beschluss 1274 auf dem Konzil von Lyon bestätigt und die Auflösung der nach 1215 entstandenen Bettelorden verfügt worden. Die Karmeliten scheinen von Beginn an darauf insistiert zu haben, dass sie zur Zeit des IV. Laterankonzils bereits als verfasste Gemeinschaft existiert hätten. Als terminus ante quem galt der Tod des Patriarchen von Jerusalem Albert von Vercelli (reg. 1204/05–1214), von dem die Karmeliten zwischen 1206 und 1214 ihre formula vitae empfangen haben dürften. 227 Innozenz IV. (reg. 1243–1254) gestattete ihnen am 27. Juli 1247 die Ansiedlung in Europa. Wenige Monate später, am 1. Oktober 1247, bestätigte er ihre formula vitae in einer von den Dominikanern unter der Leitung Hugos von St. Cher († 1263) überarbeiteten Fassung. Auf dem Konzil von Lyon 1274 wurden die Karmeliten unter Vorbehalten in ihrer Existenz belassen und 1286 unter Honorius IV. (reg. 1285–1287) der päpstlichen Protektion unterstellt. Ihre endgültige Gleichstellung gegenüber den Dominikanern und Franziskanern verfügte Johannes XXII. (reg. 1316– 1334) im Jahr 1326. 228 Das bekannteste Element der karmelitischen Historiographie ist der lange aufrecht erhaltene Anspruch, in einem literalen Sinn vom Propheten –––––––— 227

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Vgl. ebd., S. 123–151; vgl. zur Person Klaus-Peter Kirstein, Die lateinischen Patriarchen von Jerusalem. Von der Eroberung der Heiligen Stadt durch die Kreuzfahrer 1099 bis zum Ende der Kreuzfahrerstaaten 1291 (Berliner historische Studien 35. Ordensstudien 16), Berlin 2002, S. 411–447; vgl. zur Regel ebd., S. 439ff. Vgl. Joachim Smet/Ulrich Dobhan, Die Karmeliten. Eine Geschichte der Brüder U. L. Frau vom Berge Karmel. Von den Anfängen (ca. 1200) bis zum Konzil von Trient, Freiburg i. Br./Basel/Wien 1981 [engl. 1975], S. 28–35; Kaspar Elm, Elias, Paulus von Theben und Augustus als Ordensgründer. Ein Beitrag zur Geschichtsschreibung und Geschichtsdeutung der Eremiten- und Bettelorden des 13. Jahrhunderts, in: Geschichtsschreibung und Geschichtsbewußtsein im späten Mittelalter, hrsg. v. Hans Patze (VuF 31), Sigmaringen 1987, S. 371–397, hier S. 374f., 379f.; Adrianus Staring, Preface, in: Medieval Carmelite Heritage. Early Reflections on the Nature of the Order. Critical Edition with Introduction and Notes by Adrianus Staring (Textus et studia historica carmelitana 16), Rom 1989, S. 9–17, hier S. 10; Hans-Joachim Schmidt, Art. Karmeliter, in: LexMA, Bd. 5, 1991, Sp. 998–1000, hier Sp. 998f.; Jotischky, Perfection (1995), S. 105; ders., Carmelites (2002), S. 12ff.; Richard Copsey, Establishment, Identity and Papal Approval. The Carmelite Order’s Creation of Its Legendary History, in: Carmelus 47 (2000), S. 41–53, hier S. 41ff.

708 Elias ins Leben gerufen worden zu sein. Im aktuellen Geschichtsbild der Karmeliten spielt es in dieser Form keine Rolle mehr. 229 In der schriftlichen Überlieferung der Karmeliten wurde Elias erstmals in der Rubrica prima der Konstitutionen des Londoner Generalkapitels von 1281 dezidiert auf die Geschichte des Ordens bezogen. An die nach Ursprüngen fragenden „jüngeren Brüder“ („fratres iuniores“) adressiert gaben sich die Karmeliten als diejenigen zu erkennen, die an die seit Elias und Eliseus in ungebrochenen Sukzessionen gepflegte Tradition einer eremitischen Lebensweise auf dem Karmel anschlössen. Zur Zeit Innozenz’ III. hätten sie von dem Patriarchen der Jerusalemer Kirche Albert eine Regel empfangen, die durch Papst Honorius (III.) (reg. 1216–1227), „den Nachfolger desselben Innozenz, und viele ihrer Nachfolger“ approbiert worden sei. 230 Seit dem vermutlich 1337 –––––––— 229

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Vgl. URL !http://www.karmelitenorden.de/karmelcms/spiritualitaet/geschichte.html (30. 06. 2008): „Der Karmelitenorden ist der einzige Orden, der keinen Gründer hat. Am Beginn seiner Geschichte steht nicht das Charisma eines einzelnen, sondern die Lebensgemeinschaft einer Gruppe. Es waren Kreuzfahrer und Palästinapilger, die sich gegen Ende des 12. Jahrhunderts im Karmelgebirge zunächst als Einsiedler niederließen […].“ Elias ist hier als Figur der imitatio, nicht als eine der historischen fundatio von Bedeutsamkeit. Vgl. ebd.: „Im Propheten Elija, der nach alttestamentlicher Überlieferung fast zweitausend Jahre vor ihnen an denselben Ort gekommen war, fanden die Karmeliten ein Vorbild, nach dem sie ihr Leben gestalten konnten.“ Der vollständige Text lautet nach der Edition von Ludovicus Saggi, Constitutiones Capituli Londinensis Anni 1281, in: Analecta Ordinis Carmelitarum 15 (= n. s. 2) (1950), S. 203–245, hier S. 208: „Qualiter respondendum sit querentibus a quo et quomodo ordo noster sumpsit exordium. || Cum quidam fratres in ordine iuniores, querentibus a quo et quomodo ordo noster habuerit exordium, iuxta veritatem nesciant satisfacere, pro eis in scripto formulam talibus relinquentes volumus respondere. || Dicimus enim veritati testimonium perhibentes quod a tempore helye et helisei prophetarum montem carmeli devote inhabitancium, sancti patres tam veteris quam novi testamenti, eiusdem montis solitudinem pro contemplatione celestium tamquam veri amatores, ibidem iuxta fontem helie in sancta penitentia sanctis successibus incessanter continuata, sunt proculdubio laudabiliter conversati. || Quorum successores, tempore innocentii tercii, albertus ierosolimitane ecclesie patriarcha in unum congregavit collegium, scribens eis regulam, quam honorius papa, successor ipsius innocencii, et multi successorum suorum ordinem istum approbantes, sub bullarum suarum testimonio devotissime confirmaverunt. In cuius professione nos eorum sequaces usque in hodiernum diem in diversis mundi partibus domino famulamur.“ Der Text ist auch separat reproduziert als: The „Rubrica prima“ of the Constitutions, in: Staring (Hrsg.), Heritage (1989), Nr. 1, S. 40–43, hier S. 40f. Nach Auffassung Starings war die Rubrica prima der Londoner Konstitutionen an eine allgemeinere Öffentlichkeit gewandt: „Since the Order was completely unknown in the West, the Carmelites, on presenting themselves to the authorities and the faithful, were required to state to what Order they belonged.“ Staring, The „Rubrica prima“ of the Constitutions. Introduction, in: ebd., Nr. 1, S. 33–39, hier S. 34. Aufgrund des „exclusively eremitical character of the Rubrica prima“ wird sie hier als ein Produkt der Zeit vor der Revision der Regel unter Innozenz IV. betrachtet. Vgl. ebd., und ders., Preface (1989), S. 12f.: „We are the opinion that the first draft of this rubric, as it occurs in the Constitutions of 1281, was written before 1247.“ Aus dieser – recht spekulativen – Annahme bezieht Jotischky, Carmelites (2002), S. 104–150, den terminus post quem für das Kapitel: „The Development of Carmelite Historical Narrative c. 1240–

709 entstandenen und wahrscheinlich von dem Metzer Karmeliten Jean de Cheminot verfassten Speculum Fratrum Ordinis Beatae Mariae de Monte Carmeli traten Elias und Eliseus als Gründungsfiguren der Karmeliten im engeren Sinn des Wortes in Erscheinung. Kirchengeschichtliche Zeugnisse jeder Art, in denen von Elias und Eliseus als den Idealtypen eremitischer Lebensform die Rede war, dienten zum Nachweis der Kontinuität des Ordens selbst. 231 Nahezu zeitgleich entwickelte sich in den Klöstern der Karmeliten eine elaborierte Ikonographie, die über eine solcherart begriffene Geschichte von Ursprung, Fortdauer und Approbation Auskunft gab. 232 Wie von ihm angekündigt, setzte sich Papebroch in der Abhandlung De praetensa quorumdam Carmeliticorum Conventuum antiquitate von 1675 in der Tat nicht mit diesen alttestamentarischen Herleitungen auseinander, sondern mit solchen Konstruktionen, die der Gedanke an eine ungebrochene Existenz der Karmeliten bis in die damalige Gegenwart implizierte. Genauer gesagt suchte Papebroch den heute wenig brisant anmutenden Nachweis zu führen, dass die Karmeliten eine Gründung des 13. Jahrhunderts waren und keine Spuren in der Spätantike oder gar im kontinentaleuropäischen –––––––—

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1400“. Vgl. zur Rubrica prima als dem ersten einschlägigen Zeugnis ebd., S. 106– 111. Nach Ansicht von Copsey, Establishment (2000), S. 50, wurde sie allerdings „obviously developed and composed as a response to the difficulties experienced at the Council of Lyons“, also nach 1274. Überliefert sind die Londoner Konstitutionen von 1281 in einer einzigen Handschrift aus dem 14. Jahrhundert: München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 19114, fol. 199r–216v. Vgl. Catalogus codicum latinorum bibliothecae regiae monacensis. Secundum Andreae Schmelleri indices composuerunt Carolus Halm, Fridericus Keinz, Gulielmus Meyer, Georgius Thomas, Tomi II Pars III. Codices num. 15121–21313 complectens, München 1878, S. 233f., hier S. 234; vgl. dazu Saggi, Constitutiones (1950), S. 204; Staring, The „Rubrica prima“ of the Constitutions. Introduction, in: ders., Heritage (1989), Nr. 1, S. 37. Vgl. zu den päpstlichen Approbationen unten S. 722. Vgl. Jean de Cheminot, Speculum Fratrum Ordinis Beatae Mariae de Monte Carmeli, in: Staring (Hrsg.), Heritage (1989), Nr. 6, S. 115–146, hier S. 116f.: „Primo huius sanctae religionis fundatores ostendit beatus Hieronymus, in ‚epistola ad Paulinumǥ dicens: ‚Noster princeps est Elias, noster dux est Eliseus, nostri duces filii prophetarum, qui habitant in agro et solitudine, et faciebant sibi tabernacula prope fluenta Iordanisǥ. || Similiter et Ioannes Cassianus ‚Sic decetǥ, inquit, ‚religiosum incedere, sicut constat illos ambulasse, qui in Veteri Testamento professionis huius fundavere primordia, Eliam et Eliseum; quod scripturarum auctoritate monstratur.ǥ “ Vgl. dazu die Kommentare von Staring ebd., S. 116f.; zur Rolle des Elias auch Elm, Elias (1987), S. 382f.; Jotischky, Perfection (1995), S. 106f.; Copsey, Establishment (2000), S. 47; die zahlreichen Nennungen dieser Propheten in der frühchristlichen Literatur boten einen reichen Fundus für solche Konstruktionen. Vgl. grundsätzlich Éliane Poirot, Les prophètes Élie et Élisée dans la littérature chrétienne ancienne, Turnhout 1997. Vgl. Joanna Cannon, Pietro Lorenzetti and the History of the Carmelite Order, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 50 (1987), S. 18–28, bes. S. 19f. Megan Holmes, Fra Filippo Lippi. The Carmelite Painter, New Haven/London 1999, S. 30ff., diskutiert ein zwischen 1327 und 1329 für den Hochaltar von San Niccolò al Carmine zu Siena angefertigtes Polyptichon.

710 frühen Mittelalter hinterlassen haben konnten. Was diesen Nachweis strekkenweise einem Kampf gegen Windmühlenflügel gleichen ließ, war die Notwendigkeit, die Nicht-Existenz zahlreicher Phänomene plausibilisieren zu müssen, von deren Existenz die Karmeliten des 17. Jahrhunderts felsenfest überzeugt waren und die sie mit zahllosen historischen „Zeugnissen“ belegen zu können meinten. Externe Evidenz zur Entstehungsphase des Karmelitenordens im Heiligen Land existiert so gut wie keine. Desgleichen ist die ordensinterne Schriftlichkeit, die über diesen Zeitraum detaillierter zu berichten vorgibt, das Produkt einer erst in Europa einsetzenden Phase der historiographischen Traditionsbildung. Um etwa die Annahme zu erhärten, dass die Approbation der revidierten Regel unter Innozenz IV. im Jahr 1247 die Übersiedlung der Karmeliten nach Europa allererst vorbereitet hatte, berief sich Papebroch neben den erwähnten Bullen auf die Eremita montis Carmeli in chronica de multiplicatione religiosorum Carmelitarum Williams von Sandwich. 233 Seinem Ärger über die Karmeliten dürfte es zu verdanken sein, dass er ihre faktische Übersiedlung nach Europa erst im 14. Jahrhundert stattfinden sah. 234 Bei dieser Chronik, die Papebroch als den Bericht eines Zeitgenossen zu akzeptieren bereit war, handelte es sich um ein Erzeugnis des späten 14. Jahrhunderts. Als Person ist William von Sandwich in den Beschlüssen des Generalkapitels von Montpellier 1287 erwähnt, zu dessen Teilnehmern er in der Funktion eines „definitor provinciae Terrae Sanctae“ gezählt wurde. 235 Die Chronik selbst hingegen popularisierte sich als Bestandteil der um 1380/90 entstandenen zehn Bücher De institutione et peculiaribus gestis religiosorum Carmelitarum, die der katalonische Provinzial der Karmeliten Philipp Ribot († 1391) wohl weniger angelegt, als in weiten Teilen unter dem Namen anderweitig belegter Figuren selbst verfasst hatte. 236 Ribots Vorgehensweise, verschiedene Namen und Daten aufzugrei–––––––— 233

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Vgl. Papebroch, Propylaeum. Pars secunda, AASS Aprilis, Bd. 2, 1675 (Ausgabe 1866), S. XXXIIIa: „[…] circa tempus translati Ordinis ea nos sinant credere, quæ ex Innocentii IV Bulla […] et Sanwici chronica discimus, et ante centum annos a nemine fuerunt in dubium revocata.“ Vgl. ebd.: „[…] necdum enim cuiquam in mentem venerat, ante XIV seculum translatos in Europam Carmelitas, dicere.“ Vgl. The General Chapter of Montpellier, 1287, in: Staring (Hrsg.), Heritage (1989), Nr. 3, S. 54–70, hier S. 54, 66. Vgl. Staring, Preface (1989), S. 11; Jotischky, Carmelites (2002), S. 136f.; Keith J. Egan, An Essay toward a Historiography of the Origin of the Carmelite Province in England, in: Carmelus 19 (1972), S. 67–100, hier S. 80ff., bewertet diese Chronik „William von Sandwich“ als Fälschung; vgl. entsprechend Deckert, Von den Anfängen (1996), S. 50. Jotischky, Perfection (1995), S. 104 mit Anm. 4., ist zurückhaltender: „William of Sandwich was indeed prior-provincial of the Holy Land in the 1280s and may have written an account of the recent history of the Order, but no independent testimony to this survives.“ Als Bericht eines Zeitgenossen bewertete sie noch Xiberta, De visione (1950), S. 83. Eine moderne Edition von Ribots Sammlung exis-

711 fen und, angereichert um imaginierte Versatzstücke, zu einer kontinuierlich anwachsenden Eigengeschichte zu verdichten, hat der karmelitischen Historiographie ihre spezifische Undurchdringlichkeit verliehen. Mit ihrem Druck im Rahmen des Speculum Ordinis Fratrum Carmelitarum von 1507 wurde Ribots Sammlung zur zentralen „Quelle“ für Aspekte der früheren Ordensgeschichte. Humanistische Chronisten der Karmeliten an der Wende zum 16. Jahrhundert wie Arnoldus Bostius († 1499) im Speculum historiale und Johannes Palaeonydorus „de Oudewater“ († 1507) im Fasciculus tripartitus historiarum Prophetici et Eliani Ordinis Beatissimae Virginis Mariae, die erstmals kohärente Darstellungen dessen boten, was sie als Geschichte des Ordens betrachteten, folgten mit großer Selbstverständlichkeit dem dort präsentierten Datenstand. In Bezug auf William von Sandwich schilderte etwa Johannes Palaeonydorus, dass mit der Eroberung Akkons und anderer Städte durch die Sarazenen natürlich auch alle karmelitischen Klöster verwüstet worden seien. Sogar „der allererste Ort unseres gesamten Ordens auf dem Karmel“ sei niedergebrannt worden, nachdem er seit den Zeiten des „Elias und seiner Nachfolger 2221 Jahre“ von den Karmeliten bewohnt worden sei. 237 –––––––—

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tiert nicht. Die Frage, auf welche Vorlagen Ribot für seine Chronik Williams von Sandwich zurückgegriffen haben könnte, ist ungeklärt. Hinsichtlich der Überlieferung ist zu berücksichtigen, dass die älteste Version der Beschlüsse des Generalkapitels von Montpellier 1287 aus einem Kopialbuch aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts stammt. Fast sämtliche erhaltenen Manuskripte sind Kopien des 17. Jahrhunderts. Vgl. Staring, The General Chapter of Montpellier, 1287. Introduction, in: ebd., S. 48–53, hier S. 51ff. Dies bedeutete, dass eine genauere quellenkritische Prüfung in Rechnung zu stellen hätte, dass der Name „William von Sandwich“ auch erst nach Ribots Kreation eines Chronisten diesen Namens zu den Teilnehmern des Kapitels hinzugefügt worden sein könnte. Vgl. Fascicvlvs tripartitvs historiarvm Prophetici, & Eliani Ordinis Beatissimæ Virginis Mariæ de Monte Carmeli, Authore Joanne Palæonydoro. Ex impressis exemplaribus tertia editio, in: SPECULUM || CARMELITANVM, || SIVE || HISTORIA ELIANI ORDINIS || FRATRUM BEATISSIMÆ VIRGINIS MARIÆ || DE MONTE CARMELO, || IN QUA || A. S. PROPHETA ELIA ORIGO, || PER FILIOS PROPHETARUM PROPAGATIO, || PER ESSENOS, EREMITAS ET MONACHOS || DIFFVSIO ET CONTINVATA SVCCESSIO, || EX VETVSTIS, FIDEQVE DIGNIS AVCTORIBVS || EXPONUNTUR: FRATRVM B. V. MARIÆ TITVLVS, || Multiplex Persecutio, Mariana Protectio, à Pontificibus Confirmatio, Regulæ || Expositio, S. Scapularis Privilegia, Sanctorum Acta, Viri Illustres, aliaque || PROPONVNTUR. || Contra Impugnatores Defensoria, Informationes, Apologiæ, || Propugnacula & Armamentaria || OPPONVNTVR. || TOMVS I. || PER R. ADM. PATREM || F. DANIELEM A VIRGINE MARIA || Carmeli Flandro-Belgici Ex-Provincialem || & Historiographum. || ANTVERPIÆ, || Typis MICHAELIS KNOBBARI, sub signo S. Petri Anno MDCLXXX || Cum Gratia & Privilegio, S. 220–273, hier S. 261: „Captâ quasi insuperabili civitate Acconensi Saraceni anno Domini MCCXCI. (Wilhelmo de Samuco [!] teste […]) proh dolor demolitis, ac vastatis, tàm in Accon, quàm in Tripoli, & aliis Terræ sanctæ Oppidis, & locis omnibus Carmelitarum Ordinis monasteriis, etiam primordialem totius nostri Ordinis locum in Carmelo destruxerunt, cunc-

712 Diese und ähnliche Situationsberichte mochten ihre Plausibilität aus der allgemeineren Handlungslogik beziehen. Von Ribots Schöpfung des „William von Sandwich“ bis zu Palaeonydorus’ Fasciculus tripartitus entstammten sie der Vorstellungswelt von Historiographen, die Palästina nie gesehen hatten. Diese spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Traditionen wurden im 17. Jahrhundert in den Sammelwerken des Priors des Karmelitenkonvents von Mechelen und mehrmaligen flandro-belgischen Provinzials Daniel de la Vierge (1615–1678) gebündelt. Daniel de la Vierge hatte spätestens seit 1641 und wahrscheinlich von Beginn an im Kontakt mit Bolland an seinen kommentierten Sammelwerken gearbeitet. Sie wurden 1662 als Vinea Carmeli und posthum 1680 als Speculum carmelitanum gedruckt. 238 Historiographiegeschichtlich bedeutete das 17. Jahrhundert für die Karmeliten, wie für die meisten anderen Orden, eine Phase intensiver Tätigkeit. 239 Neben den Sammelwerken Daniel de la Vierges bildeten Juan Bautista de Lezanas (1586–1659) vier Bände der Annales sacri, prophetici et Eliani Ordinis Beatae Mariae Virginis de Monte Carmeli, die zwischen 1645 und 1665 veröffentlicht wurden, das Zentrum der karmelitischen Geschichtsschreibung des 17. Jahrhunderts. 240 Diese Werke wurden allerdings in eine gelehrte Landschaft hinein publiziert, in der historiographische Fragen von verschiedenen Seiten intensiv bearbeitet wurden. Im Verbund mit der Möglichkeit, sich auf dem viel beachteten Feld der Historie als gelehrt und überparteilich denkend zu profilieren, relativierte sich die Definitionshoheit über das, was einzelne Institutionen als „Eigengeschichte“ entwarfen, stark. Die Thesenfreudigkeit der Jesuiten dürfte sich unter anderem dadurch erklären, dass sie einerseits den Strömungen der christlichen Altertumskunde mit besonderer Begeisterung folgten und andererseits die Geschichte ihres eigenen Ordens im Regelfall nicht direkt zur Debatte stand. Die Annahme, dass die zensorischen Instanzen des Katholizismus dabei die Offenlegung der „historischen Wahrheit“ notorisch zu verhindern suchten, entspricht in dieser Form kaum der Wirklichkeit. Aus welchen Gemengelagen die Urteile der Indexkongregation im Einzelfall erwuchsen, erforderte weitere Studien. Peter Godman konnte zeigen, dass in den Prozessen gegen Montesquieus De l’Esprit des Lois oder die Encyclopédie neben den theologischen Erwägungen auch der Ärger über die als grausam und fanatisiert dargestellte Tätigkeit der Indexkongregation selbst eine bedeutende Rolle spielte. 241 –––––––— 238 239 240 241

tis rebus igne crematis post tempora habitationis Eliæ & suorum successorum bis mille ducentorum viginti unius annorum.“ Vgl. Saggi, Introduzione (1972), S. 66f. Vgl. Benz, Tradition (2003), S. 557–591. Vgl. Art. Joannes-Baptista de Lezana, in: Bibliotheca Carmelitana, Bd. 1, 1752, Sp. 772–779; Saggi, Introduzione (1972), S. 61f.; Bertelli, Ribelli (1973), S. 137ff. Vgl. Peter Godman, Die geheime Inquisition. Aus den verbotenen Archiven des Vatikans. Aus dem Engl. v. Monika Noll/Ulrich Enderwitz, Wiesbaden 2005, S. 258f. Beim Stand der Dinge ist nicht einmal die personale Zusammensetzung der Kongre-

713 Von der Zensur jahrzehntelang unbehelligt blieben die Schriften Jean de Launoys (1603–1678). Im Vergleich mit den Bollandisten handelte es sich um einen ungleich radikaleren Denker. Er machte sich als „dénicheur de saints“ einen Namen. 242 In Bayles Dictionaire wurde Launoy in einem Atemzug mit den Bollandisten genannt, um das Bild eines in seinen Traditionen versteinerten römischen Katholizismus zu illustrieren: Die Beschützer der falschen Frömmigkeit werden niemals zurückweichen wollen: sie ziehen allzu sehr Vorteil daraus, von nichts abzulassen, und sie sind hinreichend mächtig, um sich vor jeder Einschränkung zu schützen. Der Hof zu Rom wird ihnen beistehen und sie unterstützen. Es scheint, dass die römische Kirche die Religion des Gottes Termus der römischen Republik übernommen hat. Dieser Gott trat nichts ab, nicht einmal an Jupiter; dies war ein Zeichen, sagte man, dass das römische Volk niemals zurückweichen und niemals einen Fingerbreit Land an seine Feinde abtreten würde. Falls irgendein Papst der Wiedervereinigung mit den Schismatikern irgendeine Sache opfern wollte, irgendwelche nebensächlichen Andachtsübungen, irgendwelche überholten Traditionen, wäre zu befürchten, dass man nicht mehr und nicht weniger ebenso gegen ihn murrte wie die Heiden gegen den schändlichen Frieden des Kaisers Iovianus gemurrt haben. Die Jesuiten, mit ihrem ganzen großen Einfluss, haben es nicht zu verhindern gewusst, dass die Inquisition zu Toledo mehrere Bände der Acta Sanctorum verurteilt hat; und es steht fest, dass dieses Spektakel nur aus den Anstrengungen der Karmeliten hervorgegangen ist, und aus denen einiger anderer Mönche, die davon irritiert waren, dass der Pater Papebroch und seine Helfer mehrere Zeugnisse und mehrere alte Traditionen als apokryph zurückgewiesen haben. Sie sind lobenswert dafür, dass sie sich als dieses Donnerschlags würdig erwiesen haben, und sie werden wohl daran tun, andere zu verdienen. 243

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gation genau bekannt. Ein prosopographisches Projekt, das sämtliche in Italien in der Kongregation des Index und in der Inquisition tätigen Kleriker zu erfassen suchte, ist mit dem Ableben seines Bearbeiters Armado Saitta im Jahr 1991 im Zustand der handschriftlichen Verzettelung stecken geblieben. Vgl. Herman H. Schwedt, Die römischen Kongregationen der Inquisition und des Index. Die Personen (16.–20. Jh.), in: Inquisition, Index, Zensur. Wissenskulturen der Neuzeit im Widerstreit, hrsg. v. Hubert Wolf (Römische Inquisition und Indexkongregation 1), Paderborn/München/ Wien [u. a.] 2001, S. 89–101, hier S. 90f. mit Anm. 3. Vgl. Suire, Sainteté (2001), S. 36; Chaussy, Bénédictins, Bd. 1 (1989), S. 84. Art. Launoi (Jean de), in: DHC, Bd. 2, 31720, S. 1666–1671, hier S. 1671a, Rem. (Q): „Les protecteurs de la fausse dévotion ne voudront jamais reculer, ils trouvent trop bien leur compte à ne démordre de rien, & ils sont assez puissans pour se garantir de toute contrainte. La Cour de Rome les secondera, & les soutiendra. Il semble que l’Eglise Romaine ait adopté la Religion de Dieu Termus de la République Romaine. Ce Dieu ne cédoit à rien, non pas même à Jupiter; ce qui étoit un signe, disoit-on, que le peuple Romain ne reculeroit jamais, & ne céderoit jamais un pouce de terre à ses ennemis. Si quelque Pape vouloit sacrifier quelque chose à la réünion des Schismatiques, quelques menues dévotions, quelques traditions surannées, il seroit à craindre que l’on ne murmurât contre lui autant ou plus que les Païens ne murmurérent contre la honteuse paix de l’Empereur Jovien. Les Jésuites, avec tout leur grand crédit, n’ont pu empêcher que l’Inquisition de Tolede n’ait condomné plusieurs Volumes des Acta Sanctorum; & il est certain que cette tempête n’est venue que des sollicitations des Carmes, & de quelques autres Moines irritez de ce que le Pere Papebroch, & ses Adjoints, ont rejetté comme apocryphes plusieurs Actes, & plusieurs

714 Launoy hatte sich in der Dissertatio duplex, una de origine et confirmatione privilegiati Scapularis Carmelitarum, altera de visione Simonis Stochii von 1642 sowie in den Dissertationes quinque de Simonis Stochii viso, de sabbatinae bullae privilegio, et de scapularis Carmelitarum sodalitate von 1653 systematisch mit den die karmelitische Skapulierfrömmigkeit tragenden Traditionen beschäftigt. 244 Das sogenannte Skapulier war Teil der Ordenstracht. Nach einer Legende, die erstmals um 1423 nachzuweisen ist, war es dem vermeintlichen Generalprior der englischen Provinz, dem hl. Simon Stock, dessen Name seit den letzten Jahren des 14. Jahrhunderts verbürgt ist, im Jahr 1251 in einer Marienvision anempfohlen worden. Jeder, so habe Maria gesprochen, der das Skapulier zum Zeitpunkt seines Todes trage, dürfe damit rechnen, ewiges Heil zu finden. 245 Etwa zeitgleich, um 1430, entstand eine auf Johannes XXII. und das Jahr 1322 gefälschte Bulle, die sogenannte Bulla Sabbatina. In ihr wurde eine analoge Vision beschrieben. Maria selbst habe dem Papst versichert, dass sie am ersten Sabbat nach dem Tod jener, die das Skapulier trügen, ins Fegefeuer steigen und diese erlösen werde. Diese Legende, ihre vermeintliche Aktualisierung in der Person Johannes’ XXII. und die teils fingierten, teils authentischen Approbationen der Bulla Sabbatina durch spätere Päpste trugen unter anderem dazu bei, den seit dem späten Mittelalter theologisch umstrittenen und sich im Namen des Ordens manifestierenden Anspruch zu begründen, unter der besonderen Protektion Marias zu stehen. 246 In der Dedikationsepistel der Dissertationes quinque erklärte Launoy, den Nachweis führen zu wollen, dass die in Rede stehenden Bullen von teilweise bestreitbarer Authentizität seien: „Es wird im Ganzen über drei Bullen gehandelt, die einige Fälscher ebenso vielen Päpsten, Johannes XXII., Alexander V. und Clemens VII., zugeschrieben haben. Es wird über ein bestimmtes zuverlässiges Privileg des Sabbats und des Skapuliers der Karmeliten gehandelt, das sie auf den bekannten Bullen und Erscheinungen errichtet haben. Es wird über zwei echte Diplome gehandelt, das eine von Clemens VII., das andere von Paul V., deren Inhalt sie auf jämmerliche Weise in Richtung auf die untergeschobenen Bullen Johannes’ und Alexanders verdrehen.“ 247 Die Dissertationes quinque waren Francesco –––––––— 244 245 246 247

vielles Traditions. Ils sont loüables de s’être rendus dignes de ce coup de foudre, & ils feront bien d’en mériter d’autres.“ Vgl. Xiberta, De visione (1950), S. 32ff. Vgl. Richard Copsey, Simon Stock and the Scapular Vision, in: JEH 50 (1999), S. 652–683, hier S. 654f., 658ff., 663f. Vgl. J. P. H. Clark, A Defence of the Carmelite Order by John Hornby, O. Carm., A. D. 1374, in: Carmelus 32 (1985), S. 73–106, hier S. 83–87. Vgl. Jean de Launoy, De Simonis Stochii viso, de sabbatinæ bullæ privilegio, et de scapularis Carmelitarum sodalitate dissertationes V. Editio Tertia correctior, & multis partibus auctior. In qua posthabitis trium Carmelitarum, Joannis Cheronii, Thomæ Aquinatis, & Philiberti Fesaii criminationibus, omnis ad reliquas illorum tergiversa-

715 Barberini gewidmet. Ob Barberini die Dissertationes in der Tat protegiert oder ihren Druck finanziert hatte, ist nicht zu sagen. Launoy jedenfalls bezog sich ausdrücklich auf dessen Wirken in der Indexkongregation, die er mit „höchster Redlichkeit“ („summa probitate“) und „einzigartiger Bescheidenheit“ („singulari modestia“) gelenkt habe. 248 Es waren wohl vor allem Launoys zunehmend radikalere theologische Positionen etwa zur Frage der unbefleckten Empfängnis, zur Lehrautorität des Papsts und seine Parteinahme für den sich formierenden Gallikanismus, die dazu führten, dass zahlreiche seiner Schriften 1689 posthum den Index librorum prohibitorum zierten. 249 Die Dissertationes duplex von 1642 waren ursprünglich als Gutachten für die Pariser Theologen entstanden. In diesem Sinn stehen sie für eine Situation, die die katholische Intelligenz prägte. Einerseits hatten die Gelehrten des laikalen und klerikalen Katholizismus mit ihren eigenen Werken – und teilweise wechselhaftem Erfolg – die üblichen zensorischen Schritte zu durchlaufen. Andererseits wirkten sie selbst bei der Begutachtung anderer Autoren mit. Launoy befand sich mit seiner Behandlung des Themas ganz auf der Linie zentraler Instanzen des Katholizismus, die den karmelitischen Traditionen bestenfalls ambivalent gegenüberstanden. Nachdem der 1639 publizierte Paradisus Carmelitici decoris des Karmeliten Marco Antonio Alegre de Casanate (1590–1658) von der Indexkongregation im Oktober 1640 verboten worden war, 250 sollte Launoy prüfen, ob man sich in Paris dieser Maßnahme anschließen sollte. Ähnlich wie im Fall –––––––—

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tiones aditus intercluditur, & rerum veritas stabilitur., in: JOANNES || LAUNOII, || CONSTANTIENSIS, PARISIENSIS THEOLOGI, || SOCII NAVARRÆI, || OPERA OMNIA, || AD SELECTUM ORDINEM REVOCATA. || INEDITIS OPUSCULIS ALIQUOT, NOTIS NONNULLIS || DOGMATICIS, HISTORICIS ET CRITICIS, || AUCTORIS VITA, || VARIIS MONUMENTIS TUM AD LAUNOIUM || tum ad SCRIPTA ipsius pertinentibus, PRÆFATIONIBUS cuique || Volumini affixis, INDICIBUS locupletissimis, || AUCTA ET ILLUSTRATA. || ACCESSIT || TRACTATUS DE VARIA LAUNOII || LIBRORUM FORTUNA. || TOMI SECUNDI PARS SECUNDA. || COLONIÆ ALLOBROGUM, || SUMPTIBUS || FABRI & BARRILLOT, SOCIORUM, || ET || MARCI-MICHAELIS BOUSQUET & SOCIORUM. || MDCCXXXI., S. 379–423. Francisco Barberino Reverendissimo atque Eminentissimo S. E. R. Cardinali, S. 379f.: „Agitur de Bullis omnino tribus, quas totidem Romanis Pontificibus Joanni XXII. Alexandro V. & Clementi VII. quidam adscripserunt falsarii. Agitur de certo quodam Sabbati, & Carmelitarum Scapularis privilegio, quod memoratis inædificarunt Bullis & apparitionibus. Agitur de duobus veris diplomatibus Clementis VII. uno, & Pauli V. altero, quorum sensum ad subdititias Joannis, & Alexandri Bullas miserè detorquent.“ Launoy, De Simonis Stochii viso, in: ders., Opera omnia, Bd. 2,2, 1731, S. 379. Vgl. Reusch, Index, Bd. 2,1 (1885), S. 268; Index librorum prohibitorum, ed. Bujanda (2002), S. 514–517. Vgl. Index librorum prohibitorum, ed. Bujanda (2002), S. 59. Der Paradisus blieb bis ins Jahr 1900 indiziert. Reusch, Index, Bd. 2,1 (1885), S. 267, datiert das Verbot versehentlich auf 1646.

716 der Bollandisten reagierten die – Beschuhten wie Unbeschuhten – Karmeliten mit einigen Kontroversschriften, in denen die Skapulierfrömmigkeit und die ihr gewidmeten Bruderschaften vehement verteidigt wurden.251 Von der Spanischen Inquisition wurde der Paradisus Carmelitici decoris 1660 verboten. 252 Die Erwähnung der Bulla Sabbatina und der an sie anschließenden päpstlichen Approbationen war bereits 1603 von der portugiesischen Inquisition untersagt worden. Im Jahr 1609 hatte der portugiesische Großinquisitor sämtliche Bücher indiziert, die die Bulla Sabbatina erwähnten. Die Indexkongregation in Rom gestattete 1613 ausdrücklich den Rekurs auf die Gottesmutter und das Skapulier. Sie gebot allerdings, mit der Erwähnung der Bulla Sabbatina zurückhaltend zu verfahren. 253 Es waren demnach weniger Gelehrte wie Launoy, die einen schweren Stand hatten, sondern die Karmeliten, die um nahezu jedes Element ihrer umstrittenen Frömmigkeit ringen mussten. Das heißt nicht, dass sie keinerlei Fürsprecher besaßen. Der Jesuit und Vorsteher der Pariser Marienbruderschaft Jean Crasset (1618– 1692) setzte sich ausdrücklich für die Skapulierfrömmigkeit ein. 254 Die Bollandisten selbst waren über die nicht zu benutzenden Werke der Unbeschuhten Karmeliten durch die Abschrift eines Edikts der Spanischen Inquisition aus dem Jahr 1660 informiert. Neben Alegre de Casanates Paradisus Carmelitici decoris waren in diesem Jahr beispielsweise die Historia general profética de la Orden de Nuestra Señora de Carmen des Rektors der Kollegien von Salamanca und Baeza und Provinzials von Andalusien Francisco de Santa Maria (1567–1649) verboten worden. Diese gelangte 1630 nur mit dem ersten von insgesamt drei bereits fertiggestellten Teilen in den Druck. Indiziert waren ferner die 1653 veröffentlichten Disputationes theologicae des aus der Nähe von Avignon stammenden Missionars und späteren Generalpriors der Unbeschuhten Karmeliten Philippe de la Très Sainte Trinité (1603–1671). 255 Von Philippe stammte eine der frühesten Referenzen auf die Bollandisten, die solches mit großer Sensibilität registrierten. Papebroch zitierte Philippe mit seiner sehr seltenen – und daher hier nicht zugänglichen –, 1665 in Rom gedruckten Theologia carmelitana. Philippe hatte hier auf ein Gespräch Bezug genommen, das er und Henschen 1660 in Italien geführt hätten. Papebroch fühlte sich dazu gedrängt, –––––––— 251 252 253 254 255

Vgl. Xiberta, De visione (1950), S. 33, 35ff. Vgl. Reusch, Index, Bd. 2,1 (1885), S. 276. Vgl. Xiberta, De visione (1950), S. 141ff.; Saggi, Introduzione (1972), S. 132ff.; Copsey, Stock (1999), S. 680f. Vgl. Xiberta, De visione (1950), S. 44f. Vgl. Copia del Edicto del Tribunal supremo dela Sta. Inquisicion de España; von anderer Hand überschrieben als: Libri varij Carmelitarum præsertim de antiquitate ordinis tractantes, prohibiti ab Inquisitione Hispanica a[nn]o 1660. BRB, Coll. boll. Ms. 8590–98 (3477), fol. 60r–61r, hier fol. 60r–v. Vgl. Matthäus Hösler, Philippus a SS. Trinitate, in: LThK, Bd. 8, 31999, Sp. 240f.; Ulrich Dobhan, Art. Franciscus a S. Maria, in: LThK, Bd. 4, 31995, Sp. 50.

717 klarzustellen, dass sich Henschen keineswegs, wie von Philippe behauptet worden war, bei dieser Gelegenheit davon habe überzeugen lassen, dass die Karmeliten auf eine Existenz jenseits Alberts von Vercelli zurückblicken könnten. 256 Man musste, im Sinne Delehayes, keine Grundlagenforschung betreiben, um zu begreifen, dass die historische Wahrheit in den historiographischen Schriften der Karmeliten, durch die der Orden retrospektiv in Europa verwurzelt werden sollte, ein rares Gut darstellte. In besagtem Paradisus Carmelitici decoris hatte Alegre de Casanate ein altes Gedankenbild der Karmeliten zur Vollkommenheit geführt. In der Johannes von Hildesheim († 1375) zugeschriebenen Sammlung der Legendae abbreviatae SS. Patrum Ordinis Deiferae Virginis de Monte Carmeli waren historische Personen unterschiedlicher Herkunft zu einem ersten Kanon karmelitischer Heiliger verdichtet worden. Johannes bezeichnete beispielsweise den hl. Cyrillus von Alexandrien († 444), 257 den hl. „Bischof Basilius“ (!), der seinen Brüdern eine erste Regel, „die er ‚De institutione monachorumǥ genannt hat“, hatte zuteil werden lassen, 258 oder den Zisterzienser Papst Benedikt XII. (reg. 1334–1342) als Karmeliten. 259 Seine Tendenz, alttestamentarische Propheten wie Abdia, Jona und Micha in den Kanon karmelitischer Heiliger aufzunehmen, 260 sollte in Alegre de Casanates Paradisus Carmelitici decoris von 1639 insofern mit Konsequenz fortgeführt werden, als sich sämtliche Großen und Kleinen Propheten des Alten Testaments seit der Schöpfung der Welt in einer langen Traditionsreihe karmelitischer Ordensbrüder wiederfanden. 261 –––––––— 256 257

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Vgl. Papebroch, Propylaeum. Pars secunda, AASS Aprilis, Bd. 2, 1675 (Ausgabe 1866), S. XXXVa–b. Vgl. Legendae abbreviatae SS. Patrum Ordinis Deiferae Virginis de Monte Carmeli, in: Xiberta, De visione (1950), S. 307–313, hier S. 309: „Sanctus Cyrillus doctor magnus, patriarcha Alexandrinus. Hic fuit devotissimus heremita et frater montis Carmeli […].“ Vgl. ebd., S. 310: „Sanctus Basilius, episcopus, qui multis annis fuit monachus et heremita montis Carmeli, propter quod in episcopum assumptus, eisdem suis confratribus certam regulam non habentibus scripsit regulam in Ecclesia primam, quam appellavit ‚De institutione monachorumǥ […].“ Vgl. ebd., S. 308: „S. Benedictus papa XII, Carmelita, natione Tholosanus, qui ante vocabatur Iacobus, qui, cum esset doctor magnificus, tradita est sibi abbatia ordinis Cisterciensium in commendam, quam sancte ac devote rexit.“ Demnach sei diesem angeblichen Karmeliten aufgrund seiner Gelehrsamkeit ein zisterziensisches Abbatiat nur angetragen worden. Vgl. ebd., S. 308: „Sanctus Abdias propheta, Carmelita, princeps quinquagenarius tertius regis Israel […].“ „Sanctus Ionas propheta, Carmelita, qui secundum Hieronymum in Prologo fuit filius mulieris sareptanae, quem suscitavit Elias, et quem resuscitatum mater tradidit Eliae in discipulum […].“ „S. Michaeas propheta, Carmelita, filius Heymla, discipulus Eliae […].“ Vgl. Saggi, Introduzione (1972), S. 51f.

718 Zu einem Schlüsselelement der karmelitischen Geschichtsschreibung entwickelte sich seit ihren Anfängen im 14. Jahrhundert die Verknüpfung der Ordensregel mit einer in verschiedenen Konstellationen auftauchenden Figur mit Namen Johannes. Die wahrscheinlich wirkungsmächtigste Schrift aus Ribots De institutione Carmelitarum war der von Ribot dem 44. – realiter 42. – Bischof von Jerusalem Johannes († 417) zugeschriebene Liber de institutione primorum monachorum, den dieser zur Zeit der Kaiser Honorius (reg. 393–423) und Arcadius (reg. 383–408) in Griechisch verfasst habe. Ribot hatte den Liber vermutlich nach dem Vorbild von Johannes Cassianus’ Schrift († 430/35) De institutis coenobiorum konstruiert. Nach Ribots Darstellung hatten die Karmeliten von Johannes von Jerusalem eine seit Elias in oraler Form tradierte und nunmehr verschriftlichte Regel empfangen. 262 Dies war in chronologischer Hinsicht ein Quantensprung in der Historiographie der Karmeliten. Mit einem Satz hatte die schriftliche Fassung ihrer Regel, gegenüber Albert von Vercelli, rund 800 Jahre an Alter gewonnen. Die Annahme, schon immer als verfasste Gemeinschaft existiert zu haben, sollte sich bald zu einem grundlegenden Bestandteil ihres Selbstverständnisses entwickeln. Zur Schöpfung der Gestalt des „Johannes von Jerusalem“ als dem Autor des Liber de institutione primorum monachorum war Ribot vermutlich durch eine Passage inspiriert worden, die sich in einer zu Beginn des 14. Jahrhunderts entstandenen kurzen chronikalischen Schrift befand. Sie firmiert nach ihrem Incipit heute unter dem Titel Universis christifidelibus. Deren Urheber hatte in wenigen Worten geschildert, wie sich die seit Elias und Eliseus auf dem Karmel lebenden „filii prophetarum“ – ein aus Hieronymus’ berühmter Epistola ad Paulinum übernommener Ausdruck, der in der Geschichtsschreibung des Ordens bald als Synonym für „Karmeliten“ verwendet werden sollte – nach der Taufe Christi in die Heilige Stadt begeben hätten. Dort hätten sie sich zwischenzeitlich angesiedelt und nach der römischen Eroberung erneut den Weg in die Einsiedelei beschritten. 263 In der erzählten Chronologie von Universis christifidelibus folgten ein zeitlicher Sprung ins Jahr 1200 und die Erwähnung eines Jerusalemer Patriarchen Johannes. Dieser, ihr „Bruder“, habe zur Zeit eines Patriarchen von Antiocheia Petrus die in der Region ansässigen Eremiten mit einer auf Paulinus und Basilius zurückgehenden Regel ausgestattet, ehe sie vom Patriarchen Albert „in unum collegium“ zusammengefasst und auf Gehorsam gegenüber einem unter ihnen verpflichtet worden seien. 264 Der Prozess der –––––––— 262 263 264

Vgl. Jotischky, Carmelites (2002), S. 107, 113f., 145. Vgl. The Chronicle „Universis christifidelibus“, in: Staring (Hrsg.), Heritage (1989), Nr. 4, S. 81–90, hier S. 82f. Vgl. ebd., S. 83f.: „Quorum [der ‚filii prophetarumǥ] successores, exemplum sanctae conversationis posteris relinquentes […] usque ad annum Domini 1200 Deo devotissime famularunt. || Unde tempore beati Petri Antiochiae ecclesiae cathedrati ipsi in

719 Regelgebung war hier bereits gegenüber Albert von Vercelli um einige Jahrzehnte nach vorne verschoben. Er blieb allerdings noch essentiell ein Produkt des endenden hohen Mittelalters. Bezüglich des erwähnten „Petrus“ dürfte der Autor von Universis christifidelibus, aus welcher Quelle auch immer schöpfend, an die lateinischen Patriarchen von Antiocheia Petrus von Lydda (Angoulême) (reg. 1196?–1208) 265 oder dessen Nachfolger Petrus von Locedio (reg. 1209–1216/17) 266 geraten sein. Der laut Universis christifidelibus „nec multum post“ regierende Patriarch von Jerusalem Johannes und vermeintliche Vorgänger des Patriarchen Albert in diesem Amt ist hingegen kaum zu deuten. Es ist nicht einmal auszuschließen, dass eine Gestalt wie der bei Wilhelm von Tyrus († 1186) genannte orthodoxe Patriarch Johannes IV. (Oxeites) von Antiocheia (reg. 1091–1100), der im Jahr 1098 nach der Eroberung der Stadt durch die Kreuzfahrer in seinem Amt –––––––—

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circumquaque regione adiacenti locis diversis pro fide catholica insistebant. || Nec multum post quidam Ioannes, patriarcha Ierosolymitanus, frater de religione praedicta, statuit illis regulam, olim a beatis patribus Paulino successive et Basilio viris religiosis editam in posterum observandam. || Processu vero temporis Albertus, Ierosolymitanus patriarcha, dispersos fratres in unum collegium congregavit atque sub obedientia unius eorum omnibus vivere constituit tempore sempiterno.“ Vgl. Hieronymus ad Paulinum presbyterum, in: Sancti Eusebii Hieronymi epistulae, Teil 1: Epistulae I–LXX, hrsg. v. Isidor Hilberg, 2. erw. Aufl. (CSEL 54 = S. Eusebii Hieronymi opera sect. 1,1), Wien 1996, Nr. 58, S. 527–541, hier S. 533f. In dieser Passage ging es um die Nachahmung vorbildhafter Figuren: „Romani duces imitentur Camillos, Fabricios, Regulos, Scipiones […]; et ut ad scripturarum auctoritatem redeam, noster princeps Helias, noster Helisaeus, nostri duces filii prophetarum, qui habitabant in agris et solitudine et faciebant sibi tabernacula prope fluenta Iordanis.“ Diese Worte zählten bald zum Basisrepertoire der karmelitischen Historiographen. Vgl. Staring, The Chronicle „Universis christifidelibus“. Introduction, in: ders. (Hrsg.), Heritage (1989), Nr. 4, S. 71–80, hier S. 75. Staring bietet in seinem Kommentar zwei Lösungsvorschläge für besagten „Paulinus“ an, die allerdings beide keinen klaren Zusammenhang mit dem Personenspektrum der hier durchgesehenen Texte aufweisen. Er schlägt zum einen Paulinus von Nola († 431) vor, der aber keine Regel verfasst habe. Zum anderen könnte, und dies scheint Staring wahrscheinlicher, mit diesem Paulinus auch der gleichnamige Patriarch von Aquileia († 802) gemeint gewesen sein. Dessen Liber exhortationis ad Henrichum comitem enthalte zahlreiche Passagen, die aus der Admonitio ad filium spiritualem übernommen worden seien, einer frühmittelalterlichen und pseudobasileischen Schrift. Jotischky, Carmelites (2002), S. 113f., vermutet, ohne weitere Evidenz, dass es sich bei „Paulinus“ um einen Abschreibefehler gehandelt habe und eigentlich der Patriarch Rufinus von Aquileia († 410/11) gemeint gewesen sein dürfte. Vgl. Bernard Hamilton, The Latin Church in the Crusader States. The Secular Church, London 1980, S. 214–220; Wolfgang Antweiler, Das Bistum Tripolis im 12. und 13. Jahrhundert. Personengeschichtliche und strukturelle Probleme (Studia humaniora 20), Düsseldorf 1991, S. 86–100; Hans Eberhard Mayer, Die Kanzlei der lateinischen Könige von Jerusalem, Bd. 1 (MGH Schriften 40,1), Hannover 1996, S. 255–271. Vgl. Hamilton, Church (1980), S. 219–224; John C. Moore, Peter of Lucedio (Cistercian Patriarch of Antioch) and Pope Innocent III., in: Römische historische Mitteilungen 29 (1987), S. 221–249, hier S. 247.

720 restituiert wurde, oder ein anderer der zahlreichen Amtsträger mit Namen Johannes den Autor von Universis christifedilibus zu seiner Aussage angeregt haben könnte. 267 Die Verwirrung, die aus dem Bemühen erwuchs, diese unspezifischen Namen zu identifizieren, prägte in der Folgezeit die karmelitisch Historiographie. Die kurz nach Universis christifidelibus entstandene Chronik des Jean de Cheminot von 1337 deutete den besagten „Petrus“ ausdrücklich als die Figur des „beati Petri apostoli Antiochiae cathedrati“. In einer gegenüber Universis christifidelibus veränderten Position markierte Petrus hier den Beginn der Ausbreitung der „fratres de monte Carmeli“ in den Regionen um Jerusalem, die sich nach der römischen Eroberung der Stadt und sieben Jahre nach der Passion Christi abgespielt habe. 268 Es folgte auch in diesem Fall ein Sprung in der erzählten Chronologie. Er führte allerdings nicht ins Jahr 1200, sondern ins Jahr 800 und zur Applikation einer Regel unter der Ägide der (römischen) Kirche und der Patriarchen „dieser Zeit“, wie es hieß. 269 In der bei Jean de Cheminot in einem späteren Abschnitt eigens behandelten Geschichte der Regel fiel dann, ohne präzise zeitliche Zuordnung, der Name des Patriarchen Johannes von Jerusalem, ihres „Bruders“, der ihnen eine Regel, die „von den seligen Vätern Paulinus und Basi–––––––— 267

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Vgl. Guillaume de Tyr, Chronique, éd. critique par R. B. C. Huygens. Identification des sources historiques et détermination des dates par H. E. Meyer/G. Rösch, Bd. 1 (CCCM 63,1), Turnhout 1986, lib. VI, cap. 23, S. 340. Vgl. dazu Hamilton, Church (1980), S. 7ff. Einen lateinischen Patriarchen von Jerusalem mit Namen Johannes hat es im 12. und 13. Jahrhundert nicht gegeben. Es sind allein zwei orthodoxe Patriarchen von Jerusalem dieses Namens zu verzeichnen, der seit um 1106/07 regierende Johannes VIII. sowie der seit etwa 1157 regierende Johannes IX.; vgl. ebd., S. 373f. Unter dem Eindruck der späteren Kreationen Ribots geht Staring, The Chronicle „Universis christifidelibus“. Introduction, in: ders. (Hrsg.), Heritage (1989), Nr. 4, S. 74, allein von einer fehlgeleiteten Referenz auf den spätantiken Bischof von Jerusalem aus: „There have been many patriarchs of Jerusalem with the name John, but the one referred here is probably John, bishop of Jerusalem from 387 to 417. Jerusalem became a patriarchat only in 451.“ Eine alternative Identifikation für den erwähnten „Patriarchen Johannes“ wird von Staring nicht erwogen. Entsprechend Jotischky, Carmelites (2002), S. 113f. Die Tatsache, dass beide Patriarchen in Universis christifidelibus ihre Rolle in einem Zeitraum spielten, der sich ausdrücklich auf nach 1200 bezog, wird von beiden nicht diskutiert. Vgl. Jean de Cheminot, Speculum, in: Staring (Hrsg.), Heritage (1989), Nr. 6, S. 125. Vgl. ebd.: „Processu vero temporis, praecipue circa annos ab incarnatione Domini 800, secundum regulam et observationes ab Ecclesia et patriarchis illius temporis eis impositas, uniformiter magis solito convivere coeperunt.“ Die zeitliche Zuordnung der Verleihung einer ersten Regel durch normative kirchliche Instanzen im Jahr 800 vermochte nicht alle späteren Rezipienten und Redakteure des Speculum zu überzeugen. In manchen Handschriften wurde das Jahr 800 insgesamt entfernt, in anderen durch das Jahr 8 n. Chr. und in wiederum anderen durch 400 n. Chr. ersetzt. Vgl. die Varianten ebd., S. 125, zu Z. 137–138. Desgleichen wurde die Festlegung auf den Apostel in Jeans Formel des „beati Petri apostoli Antiochiae cathedrati“ nicht immer akzeptiert. Bisweilen fiel das Attribut des „apostolus“ oder die Kombination des „apostolus Petrus“ insgesamt fort. Vgl. die Varianten ebd., S. 125, zu Z. 135.

721 lius nacheinander ausgegeben“ worden sei, übereignet habe. 270 Die Stelle eines hochmittelalterlichen Patriarchen von Antiocheia, der an den Sammlungs- und Ordnungsbewegungen der Karmeliten maßgeblich beteiligt war, nahm nunmehr, und auf eine zukunftsweisende Art, der Patriarch Aimerich von Limoges (reg. um 1142–um 1196) ein, der Vorgänger Petrus’ von Angoulême in diesem Amt. Dieser habe auch beschlossen, die von ihm in wesentlichen Teilen institutionalisierte Gemeinschaft durch Alexander III. (reg. 1159–1181) bestätigen zu lassen. 271 Es ist bekannt, dass Aimerich von Limoges, vermittelt durch die chronikalische Abhandlung De inceptione ordinis von um 1324, durch die karmelitische Rezeption von Bernardo Guis († 1331) Überarbeitung von Stephan von Salagnacs († 1291) De quatuor in quibus deus Praedicatorum Ordinem insignivit Eingang in die Historiographie der Karmeliten gefunden hat. Der hier unter anderem genannte „Neffe“ Aimerichs von Limoges, ein „heiliger und berühmter Mann“, der dem Karmelitenorden angehörte, war eine der Keimzellen für die später Berthold von Kalabrien genannte Gestalt. 272 Wäh–––––––— 270

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Vgl. ebd., S. 130: „Verum de religione praedicta quidam frater, Ioannes nomine, Ierosolymitanus patriarcha, […] praedictis fratribus suis, certam regulam non habentibus, regulam a beatis patribus Paulino successive et Basilio viris religiosis editam […], dedit in posterum observandam.“ Vgl. ebd., S. 130f.: „Processu vero temporis fuit in Antiochia quidam patriarcha, Aymericus nomine, natione Lemovicensis, de villa Salaniaco; […]. Hic autem patriarcha venerabilis, praedictorum fratrum beatae Mariae virginis laudabilem conversationem attendens, tempore Alexandri papae III ipsos fratres multum specialiter in Domino nutriebat. Et in scriptis modum vitae ipsorum redigens, ipsos separatim in cellulis per totum montem Carmeli habitantes, sub cura unius adunavit et per professionis vinculum colligavit, et ut fratres eremitae beatae Mariae virginis de monte Carmeli ex tunc vocarentur ordinavit, ac in mente sua disposuit praedicta omnia per sedem apostolicam facere confirmari.“ Vgl. Stephanus de Salaniaco et Bernardus Guidonis, De quatuor in quibus deus Praedicatorum Ordinem insignivit, hrsg. v. Thomas Kaeppeli (Monumenta ordinis fratrum Praedicatorum historica 22), Rom 1949, S. 179ff.: „Fuerunt ab initio nascentis ecclesie in Terra sancta et maxime in Carmelo heremite multi, sicut patet ex cronicis et multis sanctorum vitis. Horum conversationem videns felicis recordationis Aymericus Malafayda, patriarcha Anthiochenus, multum ipsos spiritualiter in domino nutriebat et in scriptis modum vite ipsorum redigens, ipsos separatim in cellulis per totum montem Carmeli antea habitantes sub cura unius ipsos adunavit et per professionis vinculum colligavit et per sedem apostolicam confirmari curavit. Post multos vero annos ad Innocentium papam IV. venientes Lugdunum, pro eo quod regula gravis erat nec eis in civitatibus vel villis habitare licebat, optinuerunt quod negotium totum committeretur venerabilibus patribus domino fratri Hugoni de sancto Caro, presbytero cardinali, et fratri Guillelmo, episcopo Antacanensi, qui ambo erant de ordine Predicatorum. Qui eis specialem regulam scripserunt, quam ex tunc profitentur et tenent, prima per tantos viros sepulta et secunda per Innocentium papam IV bullata et confirmata circa annum domini MCCXLVII. || Predictus patriarcha Anthiochenus fuit de Salaniaco, Lemovicensis diocesis, et habuit in dicto ordine Carmelitarum nepotem suum, sanctum virum et famosum.“ Vgl. dazu Staring, The Chronicle „De inceptione ordinis“. Introduction, in: ders. (Hrsg.), Heritage (1989), Nr. 5, S. 91–97, hier S. 93. Vgl. zu Aimerich Bernard Hamilton, Aimery of Limoges. Patriarch of Antioch, Ecu-

722 rend bei Bernardo Gui jedoch ausdrücklich von der Approbation der Regel 1247 durch Innozenz IV. die Rede war, verlagerten die karmelitischen Historiographen diesen Prozess umstandslos in die Zeit Alexanders III. Da zugleich keineswegs davon abgerückt wurde, dass es Albert von Vercelli gewesen sei, der eine „ältere“ und dann von diesem Papst bestätigte Regel des Johannes von Jerusalem überarbeitet habe, hatte sich das gesamte Personenspektrum, einschließlich Alberts, weit ins letzte Drittel des 12. Jahrhunderts zurück verschoben. 273 Dies korrespondierte mit der Tendenz, die päpstlichen Approbationen in lückenloser Folge rückwärtig zu verlängern. In den verschiedenen Ergänzungen zu Universis christifidelibus setzten die Approbationen teilweise mit Innozenz III., 274 teilweise mit Alexander III. ein. 275 Die insgesamt unklare Gestalt des Johannes von Jerusalem blieb zunächst noch ein Protagonist dieser Epoche, wenn auch mit gleitender zeitlicher Verankerung. In den Legendae abbreviatae des Johannes von Hildesheim war der Patriarch Johannes von Jerusalem ein Heiliger und Karmelit. Er sei von dem französischen König Ludwig dem Heiligen –––––––—

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menist, Scholar and Patron of Hermits, in: The Joy of Learning and the Love of God. Studies in Honour of Jean Leclercq, hrsg. v. E. Rozanne Elder (Cistercian Studies Series 160), Kalamazoo, Mich. 1995, S. 269–290; Kirstein, Patriarchen (2002), S. 294. Vgl. Jean de Cheminot, Speculum, in: Staring (Hrsg.), Heritage (1989), Nr. 6, S. 132: „Quibus postmodum fratribus, sic in unum collegium congregatis, Albertus, patriarcha Ierosolymitanus, apostolicae sedis legatus, ante concilium Lateranense anno Domini 1160 de regula beati Basilii praedicta quaedam salubria, et specialiter illa quae erant de substantia voti, accipiens, et alias quasdam observationes quae pro statu praedictorum fratrum videbantur expedire, praedictis interserens, certam regulam scripsit et eisdem iniunxit observandam. || Hanc regulam Alexander papa III confirmavit post solemne concilium per ipsum Turonis in regno Franciae celebratum, anno Domini 1180.“ Vgl. The Chronicle „Universis christifidelibus“, in: Staring (Hrsg.), Heritage (1989), Nr. 4, Continuation of Ms. c, ebd., S. 84f., hier S. 84: „Anno igitur Domini 1200 Albertus praedictus congregatis fratribus in unum collegium regulam scripsit, quam idem regulam papa Innocentius III anno pontificatus sui decimo septimo confirmavit. || Anno Domini 1226 ab Honorio confirmata est. || Anno Domini 1241 ab Urbano confirmata.“ Vgl. The Continuation of Ms. N, in: ebd., S. 88–90, hier S. 88: „Quam regulam Alexander papa III natione Senensis qui coepit anno Domini 1160 confirmavit post solemne concilium per ipsum Turonis in regno Franciae celebratum anno Domini 1180. || Innocentius III natione Campanus qui coepit anno Domini 1197 […] eandem regulam confirmavit anno Domini 1198 […].“ Wie aus Starings Kommentaren hervorgeht, scheint von diesen Approbationen der Regel vor Innozenz IV. allein die Billigung der norma vivendi der Karmeliten durch Honorius III. in einer Bulle vom 30. Jan. 1226 belegbar zu sein. Vgl. ebd., S. 86 zu Z. 16, S. 87 zu Z. 1. Ediert wurde diese zuletzt im 18. Jahrhundert im Rahmen des Bullarium Carmelitanum. Vgl. ebd., S. 27. Diese Billigung wurde unter Gregor IX. (reg. 1227–1241) am 6. April 1229 erneuert und die Karmeliten mit einigen Rechten, etwa der Erlaubnis, ihren eigenen Prior zu wählen, ausgestattet. Vgl. Copsey, Establishment (2000), S. 42. Diese Bulle Gregors IX. ist allerdings in keinem Original bekannt und nur als Abdruck im Speculum Ordinis Fratrum Carmelitarum von 1507 erhalten. Vgl. Jotischky, Carmelites (2002), S. 12 mit Anm. 20.

723 († 1270), nachdem dieser im Heiligen Land geherrscht habe, nach Sizilien geführt worden. 276 Erst seit Ribot begann dieser Johannes am Ende des 14. Jahrhunderts, nun als spätantiker Verfasser des Liber de institutione primorum monachorum profiliert, nach und nach zur Ruhe zu kommen. Damit nähert man sich der Konstellation, mit der die Geschichtsforscher des 17. Jahrhunderts konfrontiert waren. Der spätere Generalprior der Karmeliten Jean Grossi († 1430) bemerkte in seinem um 1395 vollendeten Viridarium, dass der Patriarch Johannes von Jerusalem, der im Jahr 380 sein Amt von Papst Hadrian I. (!) (reg. 772–795) empfangen habe, die Brüder vom Berg Karmel mit einer von Basileus dem Großen verfassten Regel ausgestattet habe. Dieser sei seinerseits ein „heremita dicti montis Carmeli“ gewesen. Im Jahr 340 sei er von Papst Marcus I. (reg. 336) zum Bischof von Caesarea ernannt worden. 277 In späteren Versionen konnte indes letzteres Datum entfernt, auf 335 oder 1230 fixiert und das Wirken Johannes’ wiederum mit dem Jahr 1080 assoziiert werden. 278 Vergleichsweise konstant blieb hingegen der Rekurs auf Papst „Hadrian I.“ Als Zeitgenosse des Patriarchen Johannes findet sich dieser, ohne jede Datierung, in einem dem 15. Jahrhundert entstammenden Catalogus Sanctorum Ordinis Carmelitarum erwähnt. 279 In seinen 1492 vollendeten Ausführungen De origine, progressu et laudibus Ordinis fratrum Carmelitarum und De viris illustribus Ordinis fratrum Carmelitarum behielt Trithemius diesen Bezug auf Hadrian I. bei, seinerseits ohne ihn zu datieren. Trithemius hatte diese Arbeiten im Austausch mit –––––––— 276

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Vgl. Johannes von Hildesheim, Legendae abbreviatae, in: Xiberta, De visione (1950), S. 311: „S. Ioannes patriarcha Ierosolymitanus, Carmelita, quem sanctus Ludovicus rex Franciae, cum cepisset Terram Sanctam, duxit de monte Carmeli in Siciliam.“ Vgl. Viridarii auctore Ioanne Grossi Ordinis Carmelitarum Priore Generali recensio vaticana, hrsg. v. Graziano di S. Teresa, in: Ephemerides Carmeliticae 7 (1956), S. 240–284, hier S. 267f.: „[…] accidit quod Baxilius [!] Magnus, heremita dicti montis Carmelj, postmodum anno Domini cccxlpo per Marcum papam nacione Romanum facto episcopo Casarensi [!], quibusdam magnis sibi deuotis de dictis heremitis Regulam composuit, quam aliqui prefati montis tenuerunt heremite, juxta Elie et Elysei uestigia, qui primo dictum inhabitauerunt montem, quorum isti sequaces et imitatores fuerunt. || Anno uero ccc octuagesimo Adrianus primus nacione Romanus, pontificatus sui anno 8, assu¢m²psit in patriarcham Jerosolimitanum fratrem Johannem heremitam Ordinis dicti montis Carmelj propter ipsius sanctitatem; qui dictus frater Joannes patriarcha omnibus heremitis montis Carmelj dictam Regulam Basilij tradidit obseruandam […].“ Hier wurde also offensichtlich nicht Johannes von Jerusalem, sondern Papst Hadrian I. einer falschen Epoche zugeordnet. Vgl. die Varianten ebd., S. 267 zu Z. 7, S. 268 zu Z. 12. Vgl. Catalogus sanctorum ordinis Carmelitarum. Recensio longior iuxta textum communiorem, in: Xiberta, De visione (1950), S. 285–295, hier S. 287: „Quintus fuit sanctus Ioannes, heremita montis Carmeli, qui regulam Basilii recepit, quam fratribus tradidit observandam. Istum sanctum Ioannem propter ipsius maximam sanctitatem Adrianus papa I, natione Romanus, pontificatus sui anno VIII assumpsit eum in patriarcham Hierosolymitanae ecclesiae, quam devote, religiose et strenue rexit.“ Vgl. zur Überlieferung Xiberta, ebd., S. 84f.

724 Bostius und Palaeonydorus verfasst. Auf Bitten der Karmeliten der niederdeutschen Ordensprovinz entstanden, sollten sie dazu beitragen, der schon damals virulenten Kritik an der Herleitung des Ordens von Elias entgegenzutreten. Mit Trithemius’ Autorität wurde nun dem vermeintlich von Johannes von Jerusalem verfassten Liber de institutione primorum monachorum zu einem zwischenzeitlichen Durchbruch verholfen. 280 Ähnlich wie Trithemius bemühten sich Bostius und Palaeonydorus darum, die Identität dieses Patriarchen von Jerusalem, der für sie ohne Zweifel ein Karmelit gewesen war und seinen Brüdern eine erste schriftliche Version ihrer Regel vorgelegt hatte, genauer zu bestimmen. 281 –––––––— 280

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Vgl. D. IOANNIS || TRITHEMII || ABBATIS || ORDINIS S. BENEDICTI || De Laudibus CarmelitanĊ liber. || REVERENDISS. IN CHRISTO P. AC D. M. || Io. Stepha. Chizzola Cremonen. omnium Carmeli- || tarum Generalis Vicarij Apostolici || iussu ac nutu. || Centesimo pòst anno diligenter recognitus breuiq[ue] Apologia || defensus per R. P. PETRVM Lucium Belgam, Carmel. Bru- || xellensem Sacræ Theologiæ Professorem. || FLORENTIAE, Apud Georgium Marescottum. 1593, S. 5r: „Sanctissimo ille Patriarcha Hierosolymorum Ioannes, qui claruit temporibus Hadriani Papæ primi, quid aliud in libro suo de principio & profectu huius Ordinis exprimit, nisi quòd Elias fundator eius fuit?“ Es handelt sich um den eigenständigen Teil innerhalb der Ausgabe seiner Viri illustres unter dem Titel: CARMELITANA || BIBLIOTHECA, || SIVE ILLVSTRIVM ALIQVOT || CARMELITANAE RELIGIONIS || Scriptorum, & eorum Operum Cathalogus. || IAM PRIDEM A MAGNO, ET INCOMPARABILI VIRO || D. Ioanne Trithemio Ordinis Sancti Benedicti Abbate luculenter congestus: || tandem centesimo post anno magna ex parte auctus, recognitus, & Annota- || tionibus illustratus, ac optimo Ordine Alphabetico digestus. || AD AMPLISSIMVM P. M. || Basilium Angussolam, alma Prouinciæ Romanæ Ca- || rmelitarum Prouincialem digniss. || AVCTORE R. P. PETRO LVCIO BELGA || Carmelitano Bruxellensi, Sacræ Theologiæ Professore. || FLORENTIAE, Apud Georgium Marescottum. 1593. || Superiorum permissu, S. 48r: „Ioannes Hierosolymitanæ Ecclesiæ post beatum Iacobum Patriarcha quartus & quadragesimus, primus in ordine narrationis nostræ collocandus accedit. Erat enim vir conuersationis integrĊ atq[ue] sanctissimĊ, qui viuus & mortuus infinitis fertur claruisse miraculis. Hunc Hadrianus Papa primus propter eximiam doctrinam, & vitæ excellentiam de monasterio Montis Carmeli sustulit, & in Patriarcham præfatæ vrbis sublimauit. Qui cùm in Scripturis diuinis esset peritissimus, nonnulla præclara Syntagmata edidit, quibus ingenium suum posteris declarauit, de quibus extat volumen insigne, De principio & profectu Ordinis Carmelitici liber vnus […].“ Vgl. zu dieser Ausgabe Arnold, Trithemius (21991), S. 249. Vgl. Johannes Palaeonydorus, Fasciculus tripartitus, in: Daniel de la Vierge, Speculum Carmelitanum, 1680, lib. II, c. 6. Circa Honorij & Arcadij Imperatorum tempora Ioannes XLIV. Patriarcha Ierosolymorum, & alij utriusque sexûs Carmelitici Ordinis sanctißimè viventes claruerunt, ebd., S. 240f. Inc.: „Tempore Honorij & Arcadij Imperatorum circa annos Domini CCCC. fuit quidam nominatissimus montis Carmeli Eremita sanctæ religiosæque vitæ, nomine Joannes.“ Specvlvm historiale sectatorvm SS. Prophetarvm Eliæ & Elisei, De Institutione, & peculiaribus gestis, ac viris illustribus sacri Ordinis Beatissimæ Dei Genitricis Virginis Mariæ de monte Carmeli. Auctore Arnoldo Bostio Flandro, Gandavensi, in: ebd., S. 274–291, lib. V. De statu, & processu Religionis B. V. Mariæ de Monte Carmeli à principio temporis novæ Legis usque-ad annum Christi millesimum centesimum, ebd., S. 285–287, hier S. 286a.

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7.2.4 ... und die Historiographie des 17. Jahrhunderts Ohne sich auf jedes Detail dieser Konstruktionen einzulassen, zog Baronio in den Annales ecclesiastici einige klare Scheidelinien. Der Ursprung (origo) und die Anfänge (principia) des Ordens waren für ihn unmissverständlich das Ergebnis der päpstlichen Approbationen der Regel Alberts von Vercelli. Allem anderen schenkte er keinen Glauben. In frühchristlichen Schriften sei von karmelitischen Mönchen an keiner Stelle die Rede. Die Versuche der Karmeliten, Vertreter des frühen Christentums wie den hl. Cyrillus von Alexandrien oder den Jerusalemer Bischof Johannes zu Angehörigen der Karmeliten zu erklären, waren für ihn nur Ausdruck der „Begierde nach ererbtem Adel“, welche „die Menschen bisweilen dummes Zeug zu reden“ veranlasse. Er monierte auch die Leichtgläubigkeit, mit der Trithemius die Konstruktionen der Karmeliten aufgegriffen habe. 282 Baronio blieb letzteren allerdings insoweit verpflichtet, als er die Sammlung der zerstreut lebenden Einsiedler in Palästina mit Aimerich von Limoges verknüpfte und die päpstliche Approbation bereits mit Alexander III., also in der Zeit vor 1181, gegeben sah. 283 In seinem Dossier zu Berthold von Kalabrien enthielt sich Henschen nicht jeder Stellungnahme zur Frage der Herleitung des

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Vgl. Baronio, Annales ecclesiastici, Bd. 6, ed. nov. 1624, Sp. 24f., Nr. XVII, ad an. 444: „Sanè quidem respuimus atq[ue] exufflamus figmentum illud, incerto auctore proditum, Chronico nimiru[m], quod extâsse fingunt apud quemdam Franciæ Regem, quo tradunt, eumdem S. Cyrillum Alexandrinum Episcopum monachum fuisse montis Carmeli: cui quidem assertioni Trithemius leuiter nimis fidem præstitit. Vnde hæc, quæso, incerto auctori, si, qui certi atq[ue] probati sunt auctores eiusde[m] Cyrilli Ċquales, eiusdemq[ue] res gestas qua[m] diligenter prosecuti, hĊc nescientes, obruta silentio reliquerunt? Vel quæ apud huius temporis scriptores mentio de culto Carmelo à vitæ monasticæ professoribus? Etenim cu[m] apud S. Hieronymum, Palladium, Euagrium, Cassianum, Theodoretum, Cyrillum monachum, & alios sæculi huius scriptores frequens mentio sit de monachis in Palæstina degentibus, nusquam penitùs apud eos de monachis Carmelitis. Facessat igitur eiusmodi de monachismo Cyrilli in Carmelo fabella, sicut illa huic haud impar, quâ traditur & Ioannes Hierosolymorum Episcopus Origenista fuisse etiam monachus Carmelita: sicut enim hæc leuiter effinguntur, ita & facilè refelluntur. Flagrans quidam cupido nobilitatis auitæ cogit interdum homines delirare.“ Vgl. Baronio, Annales ecclesiastici, Bd. 12, ed. nov. 1624, Sp. 776, Nr. XIII, ad an. 1181: „[…] ordo religiosorum Carmelitanoru[m], qui in Palæstina in ipso Carmelo monte fixêre sedes, sub […] Alexandro Romano Pontifice sumpsit origine[m], quoto autem anno eius Pontificatus, habetur incertu[m]. Horum autem promotor, propagator, & custos fuit ille, qui fungebatur in Orie[n]te legatione Apostolicæ Sedis Haimeric[us] Patriarcha Antiochenus: qui co[n]siderans, co[m]plures ex Occidente, qui venerant vita[m] Eremiticam acturi in Terra sa[n]cta, hinc inde dispersos expositos barbarorum incursibus: collegit eos in vnum, duxit[que] in montem Carmelum, Eliæ habitatione egregiè olim nobilitatum. Fuêre ista principia, ex quibus vt ex parua scaturigine flumen, immensus est auctus cœtus religiosorum viroru[m].“

726 Ordens vom Propheten Elias, sondern zitierte bestätigend die Aussagen Baronios. 284 In den gelehrten Debatten des 17. Jahrhunderts verlor der Liber de institutione primorum monachorum schnell an Akzeptanz. Insbesondere die Jesuiten waren an diesem Prozess beteiligt. Bellarmin erklärte in seinem zuerst 1613 gedruckten Katalog De scriptoribus ecclesiasticis mit Baronio, dass der Liber, der noch Ende des 16. Jahrhunderts in die zweite Ausgabe der von Marguerin de LaBigne (1546–1590) begründeten Magna bibliotheca veterum patrum als patristische Schrift aufgenommen worden war, „von irgendjemandem weit später“ verfasst worden sei. Wie bereits Baronio bemerkt habe, handele es sich keineswegs um ein genuin griechisches, sondern um ein späteres und lateinisches Werk. 285 Die Kölner Theologen, die an der dritten Ausgabe der Magna bibliotheca arbeiteten, reagierten prompt. Sie versahen 1618 die Reproduktion des Liber mit einer Einleitung, in der auf den problematischen Status dieser Schrift verwiesen wurde.286 –––––––— 284

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Vgl. [Henschen], De Sancto Bertholdo, AASS Martii, Bd. 3, 1668, 29. März, S. 791b–792a, zu den Initiativen Aimerichs von Limoges: „Baronius in Annalibus ea transfert ad annum MCLXXXI, vbi num. XIII ista habet: Ordo Religiosorum Carmelitanorum, qui in Palæstinâ […].“ Vgl. DE || SCRIPTORIBVS || ECCLESIASTICIS || LIBER VNVS. || CVM ADIVNCTIS INDICIBVS || vndecim, & breui CHRONOLOGIA ab || Orbe condito vsque ad annum || M. DC. XIII. || ROBERTO CARDINALE || BELLARMINO E SOCIET. || IESV AVCTOR. || Cum Permissu Superiorum & Privilegio Cæs. M. special. || COLONIÆ AGRIPPINÆ, || Sumptibus Iodoci Kalcouii. || ANNO M. DC. XLV., S. 114f.: „De Ioanne Episcopo Hierosolymitano. 390. || Ioannes Episcopus Hierosolymitanus vixit tempore sancti Hieronymi, vt notum est ex contentionibus inter eos, non semel excitatis. Scripsit teste Gennadio, librum in obtrectatores studii sui, ostendens se non esse Origenistam. Tribuitur eidem Ioanni liber ad Caprasium de institutione Monachi, qui habetur in Bibliotheca sanctorum Patrum tomo 9. edit. 2. sed hic liber videtur scriptus ab aliquo longe posteriore: siquidem in eo libro dicit auctor se esse Ordinis Carmelitarum, & describit habitum Carmelitarum: at illis temporibus nomen Carmelitarum Religiosorum erat plane inauditum, vt etiam Car. Baronius affirmat, tomo 6. Annalium, ad annum 444. adde quod stylus est hominis Latini, & temporum posteriorum.“ Eine dem exakt entsprechende Passage konnte ich bei Baronio allerdings nicht finden. Vgl. S. Ioannis qvadragesimiqvarti Episcopi Hierosolymorum de institutione primorum Monachorum in Lege veteri exortorum, & in noua perseuerantium, ad Caprasium Monachum, liber, in: MAGNA || BIBLIOTHECA || VETERVM || PATRVM, || Et antiquorum SCRIPTORVM Ecclesiasticorum. || PRIMO QVIDEM A MARGARINO DE LA BIGNE || SORBONICO IN ACADEMIA PARISIENSI THEOLOGO || collecta, & tertiò in lucem edita. || Nunc verò plus quàm centum Authoribus, & opusculis plurimis locupletata, historica methodo || per singula sæcula, quibus Scriptores quique vixerunt, disposita, & in || XIV. Tomos distributa: || OPERA ET STVDIO DOCTISSIMORVM IN ALMA || VNIVERSITATE COLON. AGRIPP. THEOLOGO- || RVM AC PROFESS. || TOMVS QVARTVS, || Continens Scriptores sæculi IV. id est, ab Ann. Christi 300. vsq[ue] 400. || PERMISSV SVPERIORVM. || COLONIÆ AGRIPPINÆ, || Sumptibus Antonij Hierati, sub signo Gryphi. Anno M. DC. XVIII., S. 725–745. [Einleitung], ebd., S. 725f., hier S. 725b: „An vero istud opus, quod hic

727 Der Jesuit Théophile Raynaud (1587–1663) schloss sich 1653 Baronio und Bellarmin an. Stilistisch sei diese Schrift weder als eine originär griechische, noch als eine besonders alte zu betrachten. 287 In der Fortsetzung von Bellarmins Katalog berief sich Labbé 1665 neben Baronio, Bellarmin und Raynaud auch auf die 1637 erschienenen Cogitationes in Salomonis Canticorum Canticum des Jesuiten Sherlock. Dass die vermeintliche karmelitische Basisschrift „à posteriore aliquo scriptore“ stamme, kam inzwischen einer stehenden Formel gleich. 288 In seinem Dossier zu Albert von Vercelli konnte sich Papebroch auf diese Einschätzungen –––––––— 287

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subijcitur, sit Ioannis Hierosolymitani 44. Episcopi, qui tempore S. Hieronymi sedit, genuinum multa sunt argumenta, quæ rem in ambiguo ponant.“ Vgl. R. P. THEOPHILI || RAYNAVDI, || EX SOC. IESV. || EROTEMATA || DE MALIS AC BONIS LIBRIS, || DEQVE IVSTA AVT INIVSTA, || eorumdem confixione. || CVM INDICIBVS NECESSARIIS. || LVGDVNI, || Sumptibus IOAN. ANTONII HVGVETAN, || & MARCI ANTONII RAVAVD. || M. DC. LIII. || PERMISSV SVPERIORVM, S. 144: „Mihi neque hic Ioannes […], neque vllus Græcorum veterum, libri illius Autor videtur; stilus enim clamat, autorem esse Latinum, nec adeò antiquum, […]. Sed idem circa hunc librum de institutione Monachi, asserendum Ioanni Hierosolymitano Hieronymi æquali, apud scriptores Carmelitas obtigisse videtur, […].“ PHILIPPI LABBE, || BITVRICI, SOCIETATIS || IESV THEOLOGI, || DE SCRIPTORIBVS || ECCLESIASTICIS, || Quos attigit Eminentiss. S. R. E. Card. || ROBERTVS BELLARMINVS, || PHILOLOGICA ET HISTORICA || DISSERTA-TIO: || In quâ plurima, cùm ad Historiam, Chronolo- || giam, Criticénque Ecclesiasticam spectan- || tia explicantur; tum aliorum, præsertim Hæ- || reticorum, Riueti, Coci, Perkinsij, Tossani, || Gerhardi, Aubertini, Hottingeri, Maresij, || &c. errata castigantur. || DVOBVS TOMIS. || PARISIIS, || Apud SEBASTIANVM CRAMOISY, Regis & || Reginæ Architypographum, viâ || Iacobæa, sub Ciconijs. || M. DC. LX. || CVM PRIVILEGIO REGIS, S. 584: „Liber de Institutione primorum Monachorum in lege veteri exortorum […]. Hunc librum à posteriore aliquo scriptore, eóque Latino fuisse Ioanni Hierosolymitano suppositum eruditissimi & acutissimi viri censuerunt Baronius ad annum 444. num. 18. Sanè quidem respuimus & exsufflamus figmentu[m] illud &c. Bellarminus suprà relatus, Sherlogus in Cantica, & Theophilus Raynaudus in Erotematis […].“ Vgl. COGITATIONES || IN || SALOMONIS || CANTICORVM || CANTICVM || Ex triplici Vestigatione || Humana, Sacra, Didactica || VOLVMEN SECVNDVM || Auctore || R. P. PAVLO SHERLOGO || Societatis IESV Iberno, Manapiensi || S. Theologiæ Professore. || Indicibus obseruationum in varias Discipli- || nas, Regularum Sacræ Scripturæ Concionum || Aduentus, Quadra-gesimæ, multorum festo- || rum, Exhortationum, spiritalium, aliarum- || que materiarum locupletatum. || LVGDVNI, || Sumptib. IACOBI PROST. || M. DC. XXXVII., S. 589a: „At fuerit Hierosolymitanâ cathedrâ ob morum præstantiam dignissimus Ioannes Quadragesimus quartus Antistes: Verùm, quæ nam hunc Tractatus de institutione Monachorum elucubratorem extitisse suadeant? […] Bellarminus de Scriptoribus ad annum 390. stylum hominis Latini, & temporum posteriorum affirmat, […].“ Ebd., S. 589b: „Quod si quidem asseratur, tantam esse Scripturæ ipsiusmet profunditatem simul cum decore, vt à quocumque prodierit, talis censeri debeat, quæ fidem, auctoritatémque conciliet maximam, verùm grauissimis hominibus longè aliter visum est, nam fabulis & commentis scatêre putant; id quod Cæsar Baronius Cardinalis apertis docuit verbis tom. 6. anno 444. num. 18. […].“

728 berufen. 289 Als vorläufiger Endpunkt der kirchenhistorischen Konsensbildung kann die von dem Benediktiner Marian Brockie (1687–1755) überarbeitete, 1759 gedruckte Fassung von Lukas Holstenius’ (1596–1661) zuerst 1638 vorgelegtem Codex regularum betrachtet werden. In seinen Additamenta zur Regel Alberts von Vercelli konstatierte Brockie, im Rekurs auf Baronio und Bellarmin, dass die Herleitung der karmelitischen Regel von dem Jerusalemer „Patriarchen“ Johannes jenseits des Karmelitenordens von keinem Gelehrten mehr akzeptiert werde. 290 Alberts von Vercelli Regentschaft als Patriarch setzte Brockie mit nach 1255 jedoch deutlich zu spät an. Er habe den Karmeliten um 1260 eine Regel verliehen. Diese sei später (!) von dem – realiter zu Beginn des 13. Jahrhunderts – regierenden Innozenz III. approbiert worden. 291 Brockies chronologische Fehler zeigen, dass –––––––— 289

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Vgl. Papebroch, De Beato Alberto, AASS Aprilis, Bd. 1, 1675, 8. April, S. 780b.: „Bellarmin audiamus: Tribuitur, inquit, Joanni liber ad Caprasium de institutione monachi: sed hic liber videtur scriptus ab aliquo longe posteriori: […].“ Ebd.: „Inter hos, quia tempore ultimus, & post multam utrimque disputationem de totius quæstionis statu informatißimus, Philippus Labbe, merito primus nominabitur. Hic in opere de Scriptoribus ecclesiasticis […] ita loquitur de eo qui ad Caprasium scriptus dicitur à Ioanne XLIV. Hunc librum à posteriore aliquo scriptore, […].“ Ebd., S. 781a: „Theophilus Rainaudus, in tractatu de justa & injusta confixione librorum Parte 1 Erotemate 10, ista habet: Eidem Joanni Hierosolymitano Episcopo XLIV suppositus est liber de institutione monachi ad Caprasium […].“ Vgl. LUCÆ HOLSTENII || VATICANÆ BASILICÆ CANONICI || ET || BIBLIOTHECÆ PRÆFECTI || CODEX REGULARUM || MONASTICARUM ET CANONICARUM || Quas SS. Patres Monachis, Canonicis & Virginibus Sanctimonialibus || servandas præscripserunt. || Collectus olim à S. BENEDICTO Anianensi Abbate: || Nunc autem || Auctus, amplificatus & in sex Tomos divisus. || TOMUS TERTIUS || REGULAS AC STATUTA || Recentiorum Ordinum & Congregatio-num, || quibus S. Ecclesia, Christi Sponsa, exornatur, || ADDITAMENTIS XI. || (quorum Elenchus folio sequenti exhibetur) || comprehensa || exhibens; || Observationibus critico-historicis || A || P. R. P. MARIANO BROCKIE || S. T. D. Priore ac Seniore Monasterii S. Jacobi Scotorum Ratisbonæ || illustratus: || Eoque pie defuncto || Ab alio ejusdem Cœnobii, Nationis & Instituti Asceta || Indice necessario || instructus. || AUGUSTÆ VINDELICORUM || Sumptibus IGNATII ADAMI & FRANCISCI ANTONII VEITH Biblioplarum. || Anno MDCCLIX. (Neudruck Graz 1958). Additamentum XXIV. Regula Carmelitarum. Observatio critica, S. 18–20, hier S. 18: „Nam omnes eruditi extra Carmelitas, has Monachorum Institutiones in modum Regulæ Carmelitanæ concinnatas, celebri illo Patriarchæ abjudicant, præsertim Baronius in suis Annalibus Ecclesiasticis ad annum 444. atque Bellarminus de Scriptoribus Ecclesiasticis. Nec sane ratio, vel modus scribendi permittit has supposititias Institutiones posse ascribi huic Joanni Hierosolymitano, cùm Sæculo quarto & quinto apud sanctum Hieronymum, Palladium, Evagrium, Cassianum, Theodoretum, nulla mentio de Monachis Carmelitis reperiatur […].“ Vgl. ebd., S. 19: „Veram igitur & sinceram pro Monachis Carmelitanis Regulam scripsit Albertus ex Canonico Regulari electus Episcopus Vercellensis, ac postea circa annum MCCLV. missus Apostolicæ Sedis Legatus in Palestinam, creatus est Patriarcha Hierosolymitanus. Piissimus enim Patriarcha videns quosdam Eremitas, sine Regula vel norma; Carmelum Montem Jolitos inhabitare, eosdem ad vitam Cœnobiticam invitare voluit, quibus sequentem Regulam præscripsit, circa annum

729 es den meisten Zeitgenossen zwar einleuchtend zu sein schien, dass ein genuin hochmittelalterlicher Orden seine Verfassung schwerlich auf eine ihn angeblich seit der Spätantike tragende Regel stützen konnte. Die genauen Zusammenhänge waren aber nur von relativem Interesse. Gerade ihnen hatte sich Papebroch mit größerer Intensität zugewandt. In seinem Dossier zu Albert von Vercelli hatte er sich insbesondere der Frage gewidmet, weshalb sogar noch die diesem Patriarchen zugeschriebene Regel ein Provisorium gewesen zu sein schien. Die Vorstellung, dass die von Albert verliehene Regel von Basileus’ Asketikon inspiriert war, schien Papebroch noch annehmbar. Denn dieser habe im gesamten Christentum große Bekanntheit genossen. 292 Zeitgenössische Belege dafür, dass sie zum Zeitpunkt ihrer Implantierung im 13. Jahrhundert dem spätantiken Bischof Johannes zugerechnet worden wäre, existierten hingegen nicht. Diese Annahme speiste sich „aus der Beglaubigung Philipp Ribots allein“, dessen Sammlung eben „mehr als hundert Jahre, nachdem der Orden nach Europa hinübergeführt worden war“, entstanden sei. 293 Insgesamt werde von den lateinischen Chronisten des 13. und 14. Jahrhunderts weder Alberts Regel noch der karmelitische Prior Berthold erwähnt, unter dessen Leitung all dieses stattgefunden haben solle.294 Da in –––––––— 292

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MCCLX. quam postea summus Pontifex Innocentius III. approbavit, sacrumque Ordinem in Ecclesiam Occidentalem primus introduxit.“ Vgl. Papebroch, De Beato Alberto, AASS Aprilis, Bd. 1, 1675, 8. April, S. 780b: „Cum […] Basilium secutus Albertus dicitur, tolerabilius dicitur aliquid, quam cum Ioannem Hierosolymitanum. Toti enim ecclesiæ, non tantum Orientali sed & Occidentali, nota erat Regula S. Basilii, […].“ Vgl. ebd.: „Ast istum Ioanni Hierosolymitano imputatum librum fuisse in rerum natura, cum Regulam suam dictaret Albertus, necdum idoneo ullo auctore cognovimus. Primi Carmelitæ nobis eum offerunt, ex unius Philippi Ribote fide, ipsum inserentis operi suo de institutione & peculiaribus gestis Ordinis Carmelitarum, annis plus quam centum post Ordinem traductum in Europam.“ Eine Studie zu der „Berthold von Kalabrien“ genannten Figur fehlt. Die Informationen sind bis heute disparat. Mit dem Todesdatum von um 1195 wird Berthold von Gondulf Mesters, Art. Berthold v. Kalabrien, in: LThK, Bd. 2, 21958, Sp. 266, als erster Prior der Karmeliten im Heiligen Land geführt. Adrianus Staring, Art. Bertoldo. Santo, in: Saggi (Hrsg.), Santi (1972), S. 183f., hier S. 183, spricht von einer Wirkungszeit in der Funktion als zweiter Prior von um 1230. In der neuesten Ausgabe des Lexikons für Theologie und Kirche nennt Ulrich Dobhan, Art. Berthold v. Kalabrien, in: LThK, Bd. 2, 31994, Sp. 291, erneut um 1195 als Todesdatum und konstatiert: „nach um 1185 Oberer einer auf dem Berg Karmel lebenden Eremitengruppe, aus der sich der OCarm konstituiert haben soll. Als griech. Mönch hat B. mit den Ursprüngen des OCarm jedoch nichts zu tun. Doch gab es wohl einen sog. Berthold II., der ab 1231/34 Prior der Eremiten am Berg Karmel war.“ Adalbert Deckert, Von den Anfängen (1996), S. 19f., geht nicht mehr von einer historischen Figur aus, sondern zählt ihn, wahrscheinlich zu Recht, aber jenseits eines validen Forschungsstandes, zu den „vermeintlichen Prioren“ der Karmeliten. Den karmelitischen Historiographen aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts war der Name Bertholds, zumal im Kontext der hochmittelalterlichen Regelgebung, noch unbekannt. Vgl. Jean de Cheminot, Speculum, in: Staring (Hrsg.), Heritage (1989), Nr. 6, S. 130, der sich hier auf Aime-

730 der Historiographie, so Papebroch, bevorzugt Taten von öffentlicher Relevanz verzeichnet würden, sei bestenfalls davon auszugehen, dass sich die „Vereinigung einiger weniger Eremiten“ nach Maßgabe einer rudimentären formula vivendi in einem informellen Akt vollzogen habe. Jenseits des Hofstaats Alberts von Vercelli sei dieser Akt offenbar von niemandem zur Kenntnis genommen und daher auch nicht schriftlich festgehalten wor–––––––— rich von Limoges bezog: „Processu vero temporis fuit in Antiochia quidam patriarcha, Aymericus nomine, […].“ Ebd., S. 131: „Hic autem patriarcha venerabilis, praedictorum fratrum beatae Mariae virginis laudabilem conversationem attendens, tempore Alexandri III ipsos fratres multum specialiter in Domino nutriebat. Et in scriptis modum vitae ipsorum redigens, ipsos separatim in cellulis per totum montem Carmeli habitantes, sub cura unius adunavit […].“ In spätere Kopien des Speculum wurde hier bisweilen der Name Bertholds inseriert. Vgl. die Variante aus Ms. G von 1470, ebd., zu Z. 213: „[…] unius + scilicet fratris Bertholdi, sui nepotis, primi generalis“. Berthold taucht in den Schriften seit dem letzten Viertel des 14. Jahrhunderts als karmelitische Konkretisation des bei Bernardo Gui ohne Namen erwähnten Neffen Aimerichs von Limoges auf. In Grossis Viridarium wurde Berthold, mit verzeichneter Chronologie, der erste Prior der Karmeliten. Vgl. Grossi, Viridarium, ed. Graziano di S. Teresa (1956), S. 268f.: „Anno uero Domini Mo nonagesimo nono, tempore Urbanj 2j, capta ciuitate Jerusalem a Christianis et remanente ibidem duce Gaudofrido, […] dominus Aymericus Mala Fide, nacione Lemouicensis, patriarcha Antiochenus, qui cum multis alijs venerat legatus sedis apostolice in succursu Terre Sancte, fratrum de Carmelo uidens sanctitatem, omnes in vnum congregauit, et fratrem Bertoldum nepotem suum, qui causa deuocionis Ordinem iam intrauerat, eis per omnium elecionem assignauit in priorem, […]; addens in Regula Baxilij [!], […].“ Johannes von Hildesheim, Legendae abbreviatae, in: Xiberta, De visione (1950), S. 311: „S. Ioannes patriarcha Ierosolymitanus, Carmelita, quem sanctus Ludovicus rex Franciae, cum cepisset Terram Sanctam, duxit de monte Carmeli in Siciliam.“ Johannes von Hildesheim verzeichnete Berthold als den zweiten Prior. Ihm sei ein erster Prior und Heiliger mit Namen Brocardus vorangegangen, der von Albert von Vercelli die Regel der Karmeliten empfangen habe. Vgl. Johannes von Hildesheim, Legendae abbreviatae, in: Xiberta, De visione (1950), S. 311: „S. Brocardus, primus prior generalis per electionem fratrum institutus, qui regulam beati Basilii ab Alberto patriarcha et legato apostolico mitigatam recepit.“ Ebd., S. 312: „S. Bertoldus, secundus prior generalis, vir multorum miraculorum. Tempore istius sancti viri multi fratres in monte Carmeli et in aliis locis Terrae Sanctae propter constantiam fidei christianae a paganis interfecti sunt, […].“ Aus der Tatsache, dass die zeiträumlich ausnehmend desorientierten karmelitischen Historiographen den „hl. Berthold“ teils vor und teils nach Albert von Vercelli am Wirken sahen, leitet Xiberta, ebd., S. 91, die Annahme ab, dass zwei Gestalten mit Namen Berthold in dieser Epoche für die Karmeliten eine Rolle spielten. Dies ist die Grundlage für den oben zitierten Artikel Dobhans im LThK. Die Todesdaten des „hl. Berthold“ leiten sich nicht aus einer bekannten zeitgenössischen Quelle ab, sondern beruhen auf der Wirkungszeit jener realhistorischen Amtsträger, mit denen diese Figur von den frühen Historiographen der Karmeliten kurzgeschlossen wurde. In jedem Fall sollte es genügen, diese in ihrer Existenz mehr als fragliche Gestalt in erster Linie auf ihre Bedeutung für das zeitgenössische Geschichtsbild der Karmeliten zu befragen und nicht durch die Bildung neuer Serien mit Vitalität auszustatten. Vgl. Jotischky, Perfection (1995), S. 9: „In short, figures like Bernard of Blois, Elias of Narbonne, William of Maraval, […] and the putative early Carmelite hermits like ‚Bertholdǥ and ‚Cyrilǥ are consummately medieval characters and fascinating individuals in their own right.“

731 den. 295 Der provisorische Status der Regel und der Gemeinschaft zeige sich daran, dass in ihr „nichts über das Studium der Schriften, nichts über die Unterordnung mehrerer Oberer untereinander, nichts über die Seelsorge und Leitung der Nonnen, nichts über Gesang oder Chor“ 296 gesagt werde. In chronologischer Hinsicht konzentrierte sich Papebroch darauf, die Amtsdaten Alberts von Vercelli seinen Leserinnen und Lesern klar vor Augen zu führen. Diese hatte der seit 1599 als Bischof von Vercelli regierende Giovanni Stefano Ferreri (1568–1611) in den 1602 gedruckten Sancti Eusebii Vercellensis episcopi et martyris ejusque in episcopatu successorum vitae et res gestae aus den Beständen der Vaticana auf bis heute in weiten Teilen gültige Weise erarbeitet oder erarbeiten lassen. 297 Dass Albert im Jahr 1204 Patriarch von Jerusalem geworden sei, wurde von Papebroch, im Rückgriff auf Ferreri, wiederholt exponiert. 298 Im Folgenden zitierte er einige Briefe aus den 1635 erschienenen Innocentii III. Pontificis Maximi epistolarum libri IV des Bischofs von Lodève und Montpellier François Bosquet (1605–1676), um zu zeigen, dass der – kurz danach verstorbene – Albert in den Jahren 1211 bis 1213 mit Innozenz III. in Kontakt gestanden hatte. 299 Allerdings fände sich in ihnen kein Hinweis darauf, dass Albert mit –––––––— 295

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Vgl. Papebroch, De Beato Alberto, AASS Aprilis, Bd. 1, 1675, 8. April, S. 777a: „Apud Orientalium rerum scriptores Latinos nulla invenitur mentio Bertholdi & Carmelitici instituti, sub ejus ductu cœpti aut (uti loqui Ordo iste mavult) reformati: nulla etiam Regulæ, ejusdem instituti Professoribus ab Alberto præscriptæ […]. Nempe ea fere sola curant historici mandare litteris, quæ tunc cum gerebantur publica populorum excipiens approbatio vituperatiove, faciebant in ore hominum versari eos, per quos ipsa fiebant. Pauculorum igitur eremitarum adunatio, & certa quædam vivendi formula brevi instructione iisdem explicata, ultra privatas ac veluti domesticas Patriarchæ curas eminere nemini tunc visa est, ideoque nec scripto commendanda.“ Papebroch, De Beato Alberto, AASS Aprilis, Bd. 1, 1675, 8. April, S. 779a: „[…] nihil de studiis litterarum, nihil de Superiorum plurium inter se subordinatione, nihil de cura aut regimine sanctimonialium, nihil de cantu aut choro […].“ Diese frühneuzeitlichen Studien verzeichnet Kirstein, Patriarchen (2002), S. 411 Anm. 1701. Vgl. Papebroch, De Beato Alberto, AASS Aprilis, Bd. 1, 1675, 8. April, S. 772–774. Vgl. ebd., S. 774a: „Plures postea ad eumdem Albertum litteras dedit jam sæpe memoratus Pontifex [Innozenz III.]. Videre eas licet editas à Bosqueto: nobis satis hic erit earum argumenta indicasse, quomodo ea Epistolis Bosquetus præfixit. Est ergo lib. 2 Epistola 104 data VIII kalend. Octobris anno Pontificatus XIV Christi MCCXI, qua mandat ut Hugonem, Regem Cypri, moneat, ut suum Comestabulum in gratiam recipiat. Idem Epistola 134 data III kalendas Ianuarij jubet, ut cognoscat de Archiepiscopi Nicosiensis in Cypro electione, […].“ Vgl. INNOCENTII || TERTII || PONTIFICIS MAXIMI || EPISTOLARVM || LIBRI QVATVOR, || Regestorum XIII. XIV. XV. XVI. || Ex MS. Bibliothecæ Collegij Fuxensis Tolosæ. || Nunc primùm edunt SODALES eiusdem Collegij, & Notis illustrat || FRANCISCVS BOSQVETVS Narbonensis ICtus. || Cum duplici Indice, priore Epistolarum cum earum argumentis; posteriore || Rerum, & Verborum alphabetico, qui ad calcem || Notarum consultò reiectus est. || TOLOSÆ TECTOSAGVM, || Apud Societatem Tolosanam, M. DC. XXXV. || CVM PRIVILEGIO., lib. II, Nr. 104, S. 249: „Ieorosolimitan. Patriarchæ Apostolicæ Sedis Legato. || Regem Cypri moneat vt suum Comestabulum in gratiam

732 diesem Papst über die Karmeliten und eine derart bedeutsame Angelegenheit wie die Approbation einer Ordensregel kommuniziert habe. 300 Papebroch schloss daraus, dass die Regel zu Lebzeiten Alberts und vor dem IV. Laterankonzil von 1215 in Europa unbekannt gewesen und, wie er wohl richtig erkannte, erstmals von Honorius III. 1226 approbiert worden sei. 301 Mit dem letzten Drittel des 12. Jahrhunderts, das noch von Baronio mit der vermeintlichen Approbation der Regel durch Alexander III. assoziiert worden war, konnte Papebroch allein die Entstehung einer ersten kleineren eremitischen Gemeinschaft auf dem Karmel verknüpfen. Johannes Phokas’ damals auf 1185 datierter Reisebericht einer Descriptio Terrae Sanctae sei das erste Zeugnis, das über diesen Vorgang verlässlich Auskunft gäbe. 302 –––––––—

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recipiat. || Gravi nobis dilectus filius nobilis vir. G. Montis Beliardi Regni Ierosolimitani Comestabulus conquestione monstrauit; quòd cùm ipse charissimum in Christo filium nostrum Hug. Cipri regem illustrem, & Regnum eius sicut Baiulus fideliter custodierit. […] Datum Lateran. viij. Kal. Octob.“ Ebd., lib. II, Nr. 134, S. 275f.: „Ieorosolimitan. Patriarchæ Apostolicæ Sedis Legato. || Vt cognoscat de Nicosiensis Archiepiscopi electione, cuius palleum ei mittit. || Præsentata nobis electione […]. […] Datum Lateran. iij. Kal. Ianuarij. Pont. N. Anno xiiij.“ In seinen Inhaltsangaben stützte sich Papebroch also auf die Regesten Bosquets. Papebroch zitierte drei weitere Briefe aus dieser Sammlung, ebd., lib. III, Nr. 179, S. 445f., lib. III, Nr. 208, S. 482, lib. IV, Nr. 7, S. 527f. In einem eigenständigen Kommentarband hatte Bosquet unter anderem einige Erläuterungen zu Albert von Vercelli präsentiert, den er 1203 Patriarch von Jerusalem werden sah. Vgl. FRANCISCI || BOSQVETI || NARBONENSIS ICTI. || IN EPISTOLAS INNOCENTII III. || PONTIFICIS MAXIMI || NOTÆ. || Quibus præfixa sunt eiusdem Innocentij PP. || GESTA, || AVCTORE ANONYMO, || Nunc recèns è vet. Cod. MS. Bibliothecæ Fuxensis edita, quùm etiam || vice Commentarij ad complures ipsius Innocentij || Epistolas esse possint. || Accessit ad calcem in easdem Epistolas, & Notas Jndex Rerum, || & Verborum copiosissimus. || TOLOSÆ TECTOSAGVM, || Apud Societatem Tolosanam. M. DC. XXXV. || CVM PRIVILEGIO., Notae ad lib. II, ep. Nr. 103 (!), S. 135–138, hier S. 135: „IEROSOLIMITANO PATRIARCHÆ. Hic ex Vercellensi Episcopo, in Patriarcham Hierosolymitanum fuerat potulatus, circa annum 1203. […].“ Vgl. ebd., S. 791a: „Ex iis Innocentii III Papæ litteris, quas ad Albertum, Sedis Apostolicæ in Terra sancta Legatum, idem Apostolicus dedit, satis apparet, ipsum Legatum nihil magnæ alicujus rei [die Regel der Karmeliten] egisse, de quo pro Legatorum more, ad ipsam sanctam Sedem non retulerit.“ Vgl. ebd., S. 791b. Vgl. dazu oben Anm. 275. Vgl. ebd., S. 779a–b. Vgl. zu diesem Zeugnis Jotischky, Perfection (1995), S. 120. Johannes’ Reisebericht wird heute auf 1177 datiert. Gedruckt wurde er erstmals 1620. Vgl. Andreas Külzer, Konstantinos Manasses und Johannes Phokas – zwei byzantinische Orientreisende des 12. Jahrhunderts, in: Erkundung und Beschreibung der Welt. Zur Poetik der Reise- und Länderberichte. Vorträge eines interdisziplinären Symposiums vom 19. bis 24. Juni 2000 an der Justius-Liebig-Universität Gießen, hrsg. v. Xenia von Ertzdorff/Gerhard Giesemann (Chloe 34), Amsterdam/New York 2003, S. 185–209, hier S. 198 mit Anm. 35. Eine zweite von Jotischky, Perfection (1995), S. 119, diskutierte Passage aus dem Itinerarium des Juden Benjamin von Tuleda, der zwischen 1159 und 1172/73 den Mittelmeerraum bereiste, gab über eine vermeintlich seit Ahabs Zeiten bestehende Kultstätte auf dem Karmel Auskunft. Diese sei an der Grabstätte des Elias errichtet und von den Christen mit einer baulichen Einfassung ausgestattet worden. Jotischky betrachtet dies als das früheste Zeugnis für eine eremi-

733 Nachdem auf diese Weise auf der einen Seite eine gewisse Standfestigkeit gewonnen worden war, begann sich auf der anderen das über einen Zeitraum von rund 350 Jahren schrittweise erweiterte traditionale Gebäude der Karmeliten nahezu durch bloßes Zitieren der einschlägigen Stellen selbst zu diskreditieren. Spätestens seit Palaeonydorus’ Fasciculus tripartitus war man davon überzeugt, auf eine Vielzahl päpstlicher Indulgentien seit Leo IV. (reg. 847–855) zurückblicken zu können, durch die verschiedene – und nicht immer genau gezählte – Päpste die kontinuierlich bedrängten Karmeliten im Heiligen Land zu unterstützen gesucht hätten. „Darauf“, so Papebroch, „werden genannt der im Jahr 867 gewählte Adrian II.; der im Jahr 885 geweihte Stephan V.; der allen Verzeichnissen der Päpste unbekannte Sirgilius III.; der im Jahr 913 hinzugekommene Johannes X.; der im Jahr 931 eingesetzte Johannes XI.; Sergius V., auf dessen Ankunft zu hoffen sich bis heute für uns schickt, denn der, welcher als letzter dieses Namens im Jahr 1009 ins Amt gehoben worden ist, wird als der vierte gezählt; und Innozenz IV.; […].“ 303 Auf diesen Wegen brachte Papebroch gezielt die einzelnen Elemente der von Beginn an zur Instabilität neigenden devotionalen Praktiken, verfassungsmäßigen Gewissheiten und traditionalen Überzeugungen, mit denen sich die Karmeliten im Laufe der Zeit ausgekleidet hatten, ins Rutschen. Dies betraf sowohl das Alter der Regel als auch das der liturgischen Bü–––––––— 303

tische Gemeinschaft auf dem Karmel, auch wenn eine solche von Benjamin nicht ausdrücklich erwähnt worden zu sein scheint. Vgl. Papebroch, De Beato Alberto, AASS Aprilis, Bd. 1, 1675, 8. April, S. 791b: „Asserenti primam hanc Bullam [Honorius’ III.] esse, opponentur Indulgentiæ, ab Leone IV (ut fertur) concessæ (sedere autem Leo cœpit anno DCCCXLVIII) & quidem sub hac formula: Leo Papa Quartus […].“ Ebd., S. 792a: „Deinde nominantur Adrianus II anno DCCCLXVII creatus; Stephanus V, anno DCCCLXXXV consecratus; Sirgilius III, omnibus Pontificum catalogis ignotus; Joannes X, anno DCCCCXIII assumptus; Joannes XI, suffectus DCCCCXXXI; Sergius V, quem oportet adhuc venturum speremus, nam hujus nominis ultimus, anno MIX promotus, Quartus numeratur; & Innocentius IV; […].“ Palaeonydorus, Fasciculus tripartitus, in: Daniel de la Vierge, Speculum Carmelitanum, 1680, S. 247b–248a, hatte noch einige weitere Indulgentien erwähnt: „Rursùs Terra sancta post pauca tempora devastata fuit. Et dum Carmelitæ cum cæteris Christianis essent vehementèr afflicti & attenuati annis non paucis, plures ex eis martyrio coronati sunt. Audiens igitur eorum penuriam & persecutionem Papa Leo IV. an. Domini DCCCXLVIII. electus, ipsis compatiendo, dedit certas Indulgentias omnibus Christi fidelibus, eisdem in tanta necessitate subvenientibus, manusque adjutrices porrigentibus, teste Sixto IV. in confirmatione Indulgentiarum Ordinis nostri. Similiter Adrianus II. anno Domini DCCCLXX. Stephanus V. anno Domini DCCCXCIX. Gregorius III. [!] anno Domini DCCCCIX. Plures etiam alij dederunt in simili causa Indulgentias. Joannes X. anno Domini DCCCCXX. Joannes XI anno Domini DCCCCXL. Gregorius V. anno Domini DCCCCXCIIII. Sergius IV. anno Domini MXX. Alexander II. anno Domini MLXX. Gregorius VII. anno Domini MLXXIV.“ Die Abweichungen von Papebrochs Aufstellung erklären sich dadurch, dass sich Papebroch wahrscheinlich auf die hier nicht eingesehenen Annales sacri Lezanas bezog.

734 cher 304 und die sich um den Habit der Karmeliten rankenden Geschichten. Letzterer war wahrscheinlich auf dem Generalkapitel von Montpellier 1287 zur verbindlichen Ordenstracht erhoben worden. Seine weiße Farbe hatte einige Kontroversen gezeitigt, die mit den Dominikanern um die Legitimität der karmelitischen Tracht geführt worden waren. 305 Die bis dahin vermeintlich gebräuchliche Ordenstracht, das pallium barratum, ein aus hellen und dunklen Anteilen bestehender Überwurf, entwickelte sich seit dem frühen 14. Jahrhundert zur Repräsentation der „älteren“ Karmeliten schlechthin. Nach einem fiktiven und seinerseits von Ribot entworfenen Cyrillus eremita montis Carmeli in epistola ad Eusebium, einem Schreiben, das der (legendarische) Priester Cyrillus – aus dem sich bald ein weiterer Prior der Karmeliten entwickeln sollte – an den (legendarischen) Eremiten Eusebius, den „Prior“ vom Berg Neroi, gerichtet habe, sei der „alte“ gestreifte Überhang auf Anweisung des Kalifen Omar II. († 720) eingeführt worden. Dieser habe sich nach der Eroberung Syriens und Palästinas gegen den bis dato vermeintlich bereits gebräuchlichen weißen Habit gewandt. 306 Für Papebroch war diese Geschichte nur Ausdruck der „beinahe unglaubliche[n] Dummheit dessen, der unter dem Namen des dritten Priors Cyrillus den Brief erfunden hat.“ 307 Er selbst reproduzierte in seinem Kommentar zu Albert von Vercelli zwei einschlägige frühneuzeitliche Darstellungen aus den Karmelitenklöstern in Köln und Antwerpen, die er auf um 1522 und 1609 datierte (Abb. 10). 308 Eine etwas andere Version, in der von der Konstanz der „älteren“ zweifarbigen Ordenstracht von Elias bis ins 13. Jahrhundert und von dem materiellen Erhalt des alttestamentarischen Prototyps ausgegangen worden war, hatte Johannes von Hildesheim in seinem Dialogus inter directorem et detractorem von 1374 referiert. Papebroch setzte sie von der Darstellung des Liber de institutione primorum monachorum ab, der von ihm konsequent als „Pseudo-Johannes“ bezeichnet wurde: Als aber einige nach Pseudo-Johannes sagten, dass das Pallium des Elias ein auf unvermischte Weise weißes gewesen ist, hat Johannes von Hildesheim im Defensori-

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Vgl. Papebroch, De Beato Alberto, AASS Aprilis, Bd. 1, 1675, 8. April, S. 788–791. Vgl. Clark, Defence (1985), S. 87f. Vgl. Staring, The General Chapter of Montpellier, 1287. Introduction, in: ders. (Hrsg.), Heritage (1989), Nr. III, S. 49–53, hier S. 49f.; Jotischky, Carmelites (2002), S. 45–64. Nur am Rande wird von diesen Autoren die Frage thematisiert, ob und in welchem Umfang das pallium barratum, zumal in der vergleichsweise kurzen Zeit in Palästina, je den Status einer normativen Tracht besessen haben konnte. Vgl. Papebroch, De Beato Alberto, AASS Aprilis, Bd. 1, 1675, S. 798–801, Zitat S. 798b: „[…] ita ferre non possumus nec debemus stuporem pene incredibilem illius, qui sub nomine Cyrilli Prioris III confinxit epistolam […].“ Vgl. auch ders., Propylaeum. Pars secunda, AASS Aprilis, Bd. 2, 1675 (Ausgabe 1866), S. XXXIVb, XL f., mit weiteren Abbildungen aus Löwen und Salamanca. Ebd., S. 799. Die Abbildungen 10 und 11 wurden mit freundlicher Genehmigung der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg Carl von Ossietzky reproduziert.

735 um […] erwidert, dass, nachdem dasselbe aus einem flammenden Wagen geworfen worden war, es von Feuer berührt an den äußeren Teilen mäßig geschwärzt oder entfärbt worden ist, seine frühere Farbe allerdings an den eingeschlagenen Teilen bewahrt hat: die Nachfolger des Elias, dieses als Mysterium verehrend und dasselbe Pallium bis zum letzten Entschwinden des karmelitischen Eremitentums verwahrend, hätten dieselbe Varianz der Farben zur fortwährenden Erinnerung an die Sache auf ihre Gewänder übertragen und bis in die Zeit Honorius’ IV. beibehalten. Wenn die übrige Historiographie der Karmeliten so zuverlässig ist, wie sie von diesen behandelt wird, ist es ebenso wunderbar, dass jenes Pallium des Elias auf dem Karmel bis zum Jahr 1291 aufbewahrt worden ist, und freilich das auf diese Weise halb eingeäscherte; selbstverständlich gibt es nichts, was wir von diesen Dingen mehr in Zweifel ziehen würden. 309

Immerhin konnte Papebroch mit dem Adjektiv barratus Du Cange von einem Lexem in Kenntnis setzen, das dieser bis dahin in seinem Glossarium noch nicht erfasst hatte. 310 In seiner zeitgleich gedruckten Abhandlung De praetensa quorumdam Carmeliticorum Conventuum antiquitate besprach Papebroch weitere ikonographische Zeugnisse. Wiltheim hatte für die Bollandisten ein Epitaph im Karmelitenkloster Boppart inspiziert und abgezeichnet (Abb. 11). 311 Es war auf das Jahr 1113 datiert und wurde von den karmelitischen Historiographen des 17. Jahrhunderts als Beleg für die Ausbreitung des Ordens im Europa dieser Zeit zitiert. Papebroch schien es nach Stil und Inhalt allerdings eher ein Produkt des 17. Jahrhunderts zu sein. 312 –––––––— 309

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Ebd., S. 800a: „Cum autem dicerent aliqui ex Pseudo-Ioanne Eliæ pallium pure candidum fuisse; respondit Ioannes Hildeshemiensis in Defensorio […] quod ipsum de curru igneo dimissum, tactum ab igne fuit modicum denigratum seu discoloratum in partibus extrinsecis, sed retinuit colorem pristinu[m] in partibus involutis: quod mysterium venerantes Eliæ successores, & usque ad extremum Carmeliticæ eremi excidium ipsum illud pallium conservantes, eamdem colorum varietatem ad perpetuam rei memoriam in suas chlamydes transtulerint, & usque ad Honorii IV ætatem retinuerint. Si tam certa est reliqua Historia Carmelitarum, prout ab ipsis tractatur, quam certum est miraculosum illud Eliæ pallium conservatum in Carmelo fuisse usque ad annum MCCXCI, & quidem ita semiustum; nihil scilicet est quod de ea dubitemus amplius.“ Vgl. Johannes von Hildesheim, Dialogus inter directorem et detractorem de Ordine Carmelitarum, in: Staring (Hrsg.), Heritage (1989), Nr. 15,1, S. 336–388, hier S. 361: „Dicunt quidam quod pallium de curru igneo dimissum […].“ Vgl. Papebroch à Du Cange, Anvers, 20 février 1680, in: Joassart (Hrsg.), Chifflet (2005), Nr. 47, S. 197f., hier S. 197: „Dictionarium me emisse credebam latinobarbarum, quando Glossarium vestrum emi; et habere me video totius antiquitatis promptuarium; nescio an ulli magis utile quam nobis, inter semibarbara scripta quotidie versantibus. In hoc cur omiseris voces barratus et circulatus aliam non possum divinare causam, quam quod nolueris saepius suscitare crabrones, a quibus quotidie pungor et laedor.“ Vgl. dazu Coens, Du Cange (1955), S. 564. Vgl. Wiltheim à Daniel Papebroch (veille de Pentecôte, avant 1672), in: Muller, Correspondance (1984), Nr. 144, S. 218 [Regest]. Vgl. Papebroch, Propylaeum. Pars secunda, AASS Aprilis, Bd. 2, 1675 (Ausgabe 1866), S. XXXVIIIb. Vgl. ebd., S. XXXVIII–XLI. Boppart ist eine Gründung von 1265. Vgl. Adalbert Deckert, Die oberdeutsche Provinz der Karmeliten. Nach den Akten ihrer Kapitel von 1421 bis 1529 (AHCarm 1), Rom 1961, S. 14 Anm. 9. Vgl. dazu Saggi, S. Angelo (1962), S. 79.

736 Eine „vor vielleicht dreißig oder auch vierzig Jahren“ im Karmelitenkloster zu Florenz angebrachte Inschrift wiederum berichtete von der Weihe einer karmelitischen Kirche am 1. Mai 743 durch den vermeintlichen Florentiner Bischof Thomas. 313 Nach seiner Aussage hatten er und Henschen diese Inschrift anlässlich ihres Aufenthalts in Florenz 1661 inspiziert und einige, vor allem diplomatische, Dokumente vorgelegt bekommen, die dieses Datum bestätigen sollten. Papebroch indes betrachtete sie als dreiste Fälschungen. „Ich gestehe“, so bemerkte er, „dass wir vor dem karmelitischen Alter zurückgeschreckt sind, dessen betrügerische Beweisstücke wir nach mehreren Proben als verkümmerte betrachteten, als dringe man sozusagen in widerborstiges, mit Stacheln versehenes Dorngesträuch ein.“ 314 Spätestens seit Oktober 1677 war eine Kapazität wie Magliabechi damit beschäftigt, das wahre Alter der auch nach seiner Auffassung „ganz und gar fingierten Inschrift“ („fintissima Inscrizzione“ 315 ) zu ermitteln. In zwei Briefen aus dem Jahr 1679 konnte er Papebroch schließlich mitteilen, dass sie wohl nicht vor 1595 entstanden sei. Denn in diesem Jahr sei das ihm nun zugänglich gemachte, in Florenz gedruckte Compendio istorico Carmelitano des belgischen Karmeliten Petrus Lucius († 1603) erschienen, das nichts von einem Bischof Thomas gewusst und die Gründung der Kirche Santa Maria del Carmine noch umstandslos auf 1268 datiert habe. 316 Die karmelitischen Historiographen des 17. Jahrhunderts scheinen durchaus die eine oder andere Inkonsistenz in den Darstellungen ihrer Vorgänger bemerkt zu haben. Sie verfuhren damit allerdings nicht so, wie Papebroch es sich wünschte. Fünf Jahre nach den Studien von 1675 publizierte –––––––— 313

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Vgl. Papebroch, Propylaeum. Pars secunda, AASS Aprilis, Bd. 2, 1675 (Ausgabe 1866), S. XXXIVa: „Ante annos non admodum multos, triginta forsitan aut quadraginta, in Florentini Conventus claustro posita est inscriptio, his verbis concepta: A Christi nativitate anno DCCXLIII Kalendis Maij, ad honorem Dei et B. Mariæ Virginis de monte Carmelo, erecta fuit parva quædam ecclesia, cujus primum lapidem posuit Rev. DD. Thomas Episcopus Florentinus, in recessu prope civitatem, juxta viam Pisam et flumen Arni, pro Eremitis quibusdam montis Carmeli […].“ Vgl. ebd., S. XXXVb: „Horrebamus fateor in Carmeliticam antiquitatem, cujus fallaces probationes pluribus experimentis habebamus delibatas, tamquam in asperum aculeis senticetum ingredi.“ Magliabechi al P. Papebroch, 5 ottobre 1677, in: Battistini, Centenario (1942/43), Nr. 9, S. 187f., hier S. 188. Vgl. Magliabechi al P. Papebroch, 8 maggio 1679, in: ebd., Nr. 19, S. 200f.; Magliabechi al P. Papebroch, 24 ottobre 1679, in: ebd., Nr. 20, S. 201–204, hier S. 202. Hintergrund der Inschrift könnte die von Magliabechi mehrfach angedeutete Konkurrenz zwischen den Karmelitenklöstern Siena und Florenz gewesen sein. Vgl. zu der seit Oktober 1677 geführten Diskussion ebd., Nr. 8, S. 185–187, hier S. 186; Nr. 9, S. 187f., hier S. 188; Nr. 10, S. 189f., hier S. 189; Nr. 11, S. 190–192, hier S. 190; Nr. 12, S. 193f.; Nr. 13, S. 194f., hier S. 195. Das Jahr 1268 gilt heute noch als Gründungsdatum von Santa Maria del Carmine in Florenz. Vgl. Holmes, Fra Filippo Lippi (1999), S. 24 mit Anm. 2; vgl. zu Petrus Lucius, der lange Zeit in Florenz gelebt hatte, den Art. Petrus Lucius, in: Bibliotheca Carmelitana, Bd. 2, 1752, S. 579f.

737 er 1680 im dritten Maiband eine Untersuchung im Umfang von 72 Folioseiten, in der er sich mit der Abfolge der Jerusalemer Bischöfe und Patriarchen auseinandersetzte. Ihr Kernstück – oder wenigstens ihre Keimzelle – war zum einen der Abschnitt zu dem von Papebroch als 42. Bischof von Jerusalem gezählten Johannes. Er fixierte dessen Regentschaft auf die Jahre 389 bis 415 und zählte ihn als den ersten Patriarchen von Jerusalem. 317 Zum anderen präsentierte er einen Exkurs, in dem er nicht nur, wie die gelehrten Jesuiten seit Bellarmin, Johannes’ Verfasserschaft des Liber de institutione primorum monachorum in Abrede stellte, sondern die frühneuzeitlichen Editoren der Karmeliten der absichtsvollen Verschleierung der in Grossis Viridarium von um 1395 enthaltenen chronologischen Probleme bezichtigte. Dies betraf unter anderem den bereits oben besprochenen Sachverhalt, dass nach Grossis Text Johannes von Jerusalem sein Amt von Papst Hadrian I. erhalten habe. Gerade diese Information sei in der ersten gedruckten Ausgabe des Viridarium von 1507 unterschlagen und ebenso in der neuen Anthologie von Daniel de la Vierge überspielt worden. Die Bollandisten seien darauf aufmerksam geworden, weil ihnen eine Handschrift Frankfurter Provenienz des Viridarium vorläge, die Daniel de la Vierge, gegen Bollands und Henschens Ratschläge, allerdings gerade nicht benutzt habe. Papebrochs Ausführungen beinhalten eine der wenigen ausdrücklichen Stellungnahmen zum Sinn und Nutzen von Varianten für historiographische Studien: Aus welchem Grund P. Daniel es lieber gewesen sein dürfte, eher diese so beschaffene Ausgabe als den ganzen und genuinen Text zu verwenden, wird in Erwägung der Auslassungen und Veränderungen offenbar werden: er handelte dennoch nicht so, wie es der Rat der PP. Bolland und Henschen gewesen ist, der in der Einleitung zum zweiten Band des Speculum geltend gemacht worden ist. Jene waren guten Mutes, dass die einzelnen Dinge in originaler und ursprünglicher Wahrhaftigkeit herausgegeben werden sollten, und, wo auch immer sie voneinander, entweder die Handschriften untereinander oder diese von den gedruckten Texten, abwichen, dies mit der Aufrichtigkeit in beigeordneten Anmerkungen angezeigt werden sollte, mit der wir ein Beispiel gebend in unserem Werk vorangingen. Wenn solches ausgeführt worden wäre, wären wir davon überzeugt gewesen, über einen großen Fundus und ein sehr zuverlässiges Werkzeug zu verfügen, um zu verfolgen, in welchen Schritten die Traditionen des Ordens, die uns so oft entgegengehalten worden sind und entgegengehalten werden sollen, entstanden sein könnten. Nachdem diese Hoffnung enttäuscht worden war, sind wir, aufgrund der Unmöglichkeit, zu erkunden, was in einem einzelnen Werk echt, was verfälscht sein könnte, auf die alte Unkenntnis zurückgeworfen wor-

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Vgl. Papebroch, Tractatus praeliminaris, AASS Maii, Bd. 3, 1680, S. XIX f. Nach heutiger Kenntnis herrschte Johannes 387 bis 417. Patriarchat war Jerusalem erst seit dem Konzil von Chalkedon 451. Vgl. Georg Röwekamp, Art. Johannes II., Bf. v. Jerusalem, in: LThK, Bd. 5, 31996, Sp. 918f.; Kirstein, Patriarchen (2002), S. 63.

738 den und auf die Notwendigkeit, fast alle Dinge gleichermaßen in Frage zu stellen: […]. 318

Den Vorwurf, auf leicht mutwillige Weise selektiv vorgegangen zu sein, hätte man Papebroch allerdings auch selber machen können. In seinen Zitaten aus Grossis Viridarium hatte er es sorgfältig vermieden, zu erwähnen, dass nach Grossi Johannes von Jerusalem seit dem Jahr 380 n. Chr. als Patriarch von Jerusalem fungiert habe. Grossis Fehler hatte darin bestanden, Hadrian I. mit dieser Zeit zu parallelisieren und weniger darin, wie von Papebroch nahegelegt, den Jerusalemer Bischof ins frühe Mittelalter zu verpflanzen. 319 Auf diese Weise hatte sich Papebroch den ohnehin verworrenen Datenstand so zurechtgelegt, dass Grossis Ausführungen in jedem einzelnen Punkt der Plausibilität ermangelten. In seinen hiermit keineswegs erschöpfend behandelten Abhandlungen und Dossiers hatte Papebroch also aus der Tatsache, dass die Karmeliten frühestens seit dem ausgehenden 12. Jahrhundert existiert haben dürften, die Konsequenzen gezogen. Wie neben Launoy kein anderer nicht karmelitischer Historiograph im 17. Jahrhundert hatte er sich in die Traditionen dieses Ordens eingearbeitet, die sich auf die Zeiträume nach Christi Geburt bezogen, um sie Teil für Teil auf ihre Plausibiltität zu prüfen. Teleologisch betrachtet war dieses Verfahren insofern fruchtbar, als Papebroch insbesondere die unklaren Ereignisfolgen der hochmittelalterlichen Gründungsphase des Ordens so präzise zu rekonstruieren vermochte, wie kein anderer vor ihm und nur wenige nach ihm. Eine Antwort auf Papebrochs Frage, weshalb in der keineswegs schriftarmen Epoche der Kreuzzüge weder in der Chronistik noch im Schriftgut der päpstlichen Bürokratie Hinweise auf die Existenz einer von Albert von Vercelli an die Karmeliten verliehenen Regel zu existieren scheinen, wäre nach wie vor von Interesse – vorausgesetzt, dass –––––––— 318

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Vgl. Papebroch, Tractatus praeliminaris, AASS Maii, Bd. 3, 1680, S. XXb: „Cur tali editione uti maluerit P. Daniel quam integro genuinoque contextu, apparebit omissa & mutata consideranti: non tamen ut sic ageret fuit consilium PP. Bollandi & Henschenii, in Præfatione ad 2 partem Speculi allegatum. Sperabant illi originali & primigenia veritate edenda singula, & sicubi ab invicem vel manuscripta inter se vel hæc ab editis discreparent, ea indicandum sinceritate per Annotationes appositas, qua nos præibamus exemplum dantes in opere nostro. Hoc si factum fuisset, magnum nos habere thesaurum credidissemus, instrumentumque certissimum ad discernendum quibus gradibus creverint toties nobis objectæ objiciendæque traditiones Ordinis. Hac spe frustrati ex impossibilitate discernendi, quid in unoquoque opusculo sincerum, quid adulteratum sit, revolvimur in antiquam caliginem necessitatemque de omnibus fere æqualiter dubitandi: […].“ Vgl. ebd., im Zitat aus dem Viridarium: „Tum laudatis S. Elia, S. Elisæo, S. Iona, S. Abdia Prophetis, Quintus, inquit, fuit S. Ioannes Eremita montis Carmeli, qui Regulam Basilii recepit, quam Fratribus tradidit observandam (istum S. Ioannem propter ipsius sanctitatem maximam Adrianus Papa primus, natione Romanus, Pontificatus sui anno octavo, assumpsit in Patriarcham Hierosolymitanæ Ecclesiæ, quam devote, generose & strenue rexit), […].“ Vgl. oben S. 723 mit Anm. 277.

739 diese Diagnose zutrifft. Ähnlich wie im Fall der Diplome der Merowinger ist auch hier der Versuch der Bollandisten zu erkennen, beunruhigende Befunde nicht nur zu konstatieren, sondern auch zu erklären. Auch sich Papebroch zu keinem Zeitpunkt als Meister der leisen Töne zu profilieren suchte, tendierten diese eher unspektakulären und investigativen Seiten der Kontroverse dazu, von den schrillen und plakativen Äußerungen der folgenden Phase überdeckt zu werden. Es kann damit zum einen festgehalten werden, dass die Bollandisten den Unwillen der Karmeliten deswegen besonders erregten, weil sie die Traditionen dieses Ordens systematisch ins Licht einer allgemeineren historiographisch interessierten Öffentlichkeit rückten und größte Teile dieser Traditionen, bei Licht besehen, schnell an Stichhaltigkeit verloren. Die Frage lautete dann nicht mehr, ob es Karmeliten im Europa des 8. oder 12. Jahrhunderts gegeben hatte, sondern wie solcherlei Ansichten sich hatten verfestigen können und welche Zeugnisse über sie Auskunft gaben. Zum anderen, und dies ist der strukturell entscheidende Aspekt, resultierte die Kontroverse aus einem Dilemma, in dem sich die Bollandisten aufgrund ihrer publizistischen Situation befanden. Die Tatsache, dass ihr Projekt im Kern auf vermittelten Materialien beruhte und Abschriften aus allerlei hagiographischen Zeugnissen erbeten und zunächst gerne in Empfang genommen wurden, scheint bei den Karmeliten auf besonders fruchtbaren Boden gefallen zu sein. Daraus ergab sich eine in den ersten Jahrzehnten des Unternehmens durchaus harmonische Zusammenarbeit. Das damals schon „seit längerer Zeit begehrte“ Viridarium Grossis in der besagten Frankfurter Version, das Papebroch dann 1675 anführen sollte, um die Fragwürdigkeit der karmelitischen Editionen zu thematisieren, hatte Bolland am 4. Oktober 1652 von dem jüngst ins Amt gekommenen Prior der Kölner Karmeliten Jacob Emans (1604–um 1680) erhalten. Vermittelt war dieser Kontakt durch den Jesuiten Jacob Kritzraedt (1602–1672). Emans habe ihn beauftragt, Bolland weitere Unterstützung anzubieten: Er hat, neben liebenswürdigstem Gruß und allen Dienstbeflissenheiten, gefragt, ob er irgend etwas Eurer Ehrwürden Dienliches besäße, damit, wenn es schiene, dass das betreffende Exemplar nach Antwerpen gesandt werden solle, er es hier zunächst von irgend jemandem abschreiben ließe und die Abschrift hier verbliebe, womit er selbst zufrieden gestellt sei, sofern Euer Ehrwürden das Autograph behalten wolle. 320

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Vgl. Kritzraedt an Bolland, Köln, 4. Okt. 1652, BRB, Coll. boll. Ms. 8590–98 (3477), fol. 59r: „Rdus adm[irabilis] et Eximius P. Ehmans Doctor et modernus Prior Carmelitarum Colonia oriundus heri mihi tradidit in manus Chronicon Grossij diu desideratum. rogauit præter salutem amantissima[m] et obsequia omnia, si quid habeat R.æ V. seruiens, ut si exemplar illud Antwerpiam mittendum videatur, prius describat hic per aliquem, et Copia hic maneat, qua et ipse contentus sit, si R. V. autographum retinere velit.“ Van den Gheyn, Catalogue, Bd. 5 (1905), Ms. 8590–98 (3477), Nr. 19, S. 481, datierte das Schreiben versehentlich auf 1632. Vgl. zu Emans Art. Jacobus Emans, in:

740 Die Bollandisten hatten von den Karmeliten im Laufe der Zeit zahlreiche Viten oder aus verschiedenen Zeugnissen kompilierte Lebensbeschreibungen der von den Karmeliten als Heilige verehrten Personen erhalten. Diese Dokumente wurden häufig weder publiziert noch in ihrer Existenz erwähnt. Henschens knappes Dossier zum „hl. Berthold“ war für die Karmeliten bereits insofern ein Ärgernis, als er konstatierte, dass leider keine zeitgenössischen oder auch nur alten oder verlässlichen Lebensbeschreibungen vorhanden zu sein schienen. Er zitierte daher allein den Abschnitt („Elogium“) aus Grossis Viridarium. 321 Die ihm von Daniel de la Vierge und dem Kölner Karmeliten Segerus Pauli († 1651) kommunizierten Lebensbeschreibungen sowie eine jüngere französische – möglicherweise ihrerseits von Daniel de la Vierge kompilierte – Fassung wurden von Henschen ebensowenig erwähnt wie die Namen derjenigen, die sich darum bemüht hatten, sie den Bollandisten zukommen zu lassen. 322 Man mag dieses Vorgehen als unsym–––––––—

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Bibliotheca Carmelitana, Bd. 1, 1752, Sp. 681–688; Joseph-Pierre Mesters, Die Rheinische Karmeliterprovinz während der Gegenreformation (1600–1660), Speyer 1958, S. 79f.; zu Kritzraedt Benz, Tradition (2003), S. 76, 190, 201f. Diese Version des Viridarium wurde von den Bollandisten als „vetustißimo codice manuscript[um] Bibliothecæ Carmeli Francofurtensis“ zitiert. Papebroch, Tractatus praeliminaris, AASS Maii, Bd. 3, 1680, S. XXb. Die Bollandisten waren noch im Besitz einer weiteren Abschrift. Sie stammte aus Mechelen und dürfte ihnen von Daniel de la Vierge zugänglich gemacht worden sein. Vgl. [Gottfried Henschen], De S. Cyrillo III Priore Generali Ordinis B. Mariæ de Monte Carmelo in Terra Sancta, in: AASS Martii, Bd. 1, 1668, 6. März, S. 498–502. Commentarius historicus, ebd., S. 498–500, hier S. 499b: „Hactenus Grossus in secundâ parte Viridarij de Sanctis Ordinis sui. Huius duplex nacti sumus apographum, vtrumque ex vetusto codice MS. descriptum, alterum Conuentus Francofordiensis, alterum Mechliniensis anno MCCCCLXXXIV exaratum.“ Vgl. zur Überlieferung Graziano di S. Teresa [Einleitung], in: Grossi, Viridarium, hrsg. v. dems. (1956), S. 246–251. Vgl. zu der einst Frankfurter Handschrift Xiberta, De visione (1950), S. 85; vgl. zu Henschens Verfasserschaft der Dossiers zu Berthold und Cyrillus Papebroch, De Beato Aloysio Rabata, AASS Maii, Bd. 2, 1680, 11. Mai. Commentarius apologeticus praevius, S. 709b: „Nam (ut alia taceam) de Primo & Tertio Carmelitarum Prioribus, Sanctis Bertholdo atque Cyrillo, acturus in Martio magister meus Henschenius, […].“ Vgl. [Henschen], De Sancto Bertholdo, AASS Martii, Bd. 3, 1668, S. 791a: „Quod summè dolendum est, nulla extant eius Acta ab auctoribus coæuis aut antiquis conscripta, aut certè, […].“ Ebd., S. 792a: „[…]: vti testatur Ioannes Grossus, Ordinis Carmelitani circa annum MCCCC Prior Generalis, in Viridario Sanctorum Ordinis, in hoc de illo conscripto elogio: Fuit Bertholdus primus Prior Generalis Ordinis, quem Dominus Aymericus Patriarcha Antiochenus, […].“ Dieser Anfang entspricht einer heute in Lunel aufbewahrten Fassung. Vgl. Grossi, Viridarium, ed. Graziano di S. Teresa (1956), S. 268, Variante zu Z. 21–35. Vgl. zur Handschrift die [Einleitung], ebd., S. 247, 259. Vgl. Van den Gheyn, Catalogue, Bd. 5 (1905), Ms. 7812 (3488), Nr. 5 und 5b, S. 434. Möglicherweise handelt es sich bei den von Van den Gheyn als Nr. 5a katalogisierten „Elogia in S. Bertholdum“ im Umfang von zweieinhalb Folien um das in der vorangegangenen Anmerkung zitierte „Elogium“, das von Henschen benutzt wurde. Diese Lebensbeschreibungen sind laut Van den Gheyn ebd., Anm. 5, am 31. Januar 1659 durch Daniel de la Vierge nach Antwerpen gelangt. Die Vita Nr. 5b stammte von

741 pathisch empfinden. Es entsprach allerdings dem Programm der Acta Sanctorum, in aller Regel ausschließlich historische Heiligenviten zu veröffentlichen. Dies war bei keiner der karmelitischen Viten der Fall, die über vermeintlich hoch- oder spätmittelalterliche Personen Auskunft zu geben behaupteten. Die Bollandisten taten sich schwer, eine befriedigende Umgangsweise mit dieser Problematik zu entwickeln, zumal sie nicht gewillt waren, die Viten und die in ihnen geschilderten Sachverhalte völlig unkommentiert zu adaptieren. Noch in den Februarbänden publizierte Henschen das Dossier eines angeblich im späten 14. Jahrhundert verstorbenen Konvertiten und karmelitischen Heiligen mit dem sprechenden Namen Avertanus (Albertanus). Henschen rang sich in diesem Fall zwar dazu durch, eine von Pauli aus dem Italienischen ins Lateinische übersetzte, gestraffte und von ihm kommentierte Lebensbeschreibung zu drucken, nicht jedoch ohne deren vormaliges sprachliches Ungenügen zu betonen. Die für die Acta Sanctorum angefertigte Version sei nun „unverstellter und weit genauer“ als es die Viten der Karmeliten zu sein pflegten. 323 Vor allem betonte er die Tatsache, dass das Viridarium des vermeintlichen Zeitgenossen Grossi das früheste Zeugnis war, das diese Person erwähnte. Erstaunlich sei es trotzdem, dass Grossi von Avertanus so berichtete, als sei dieser zu seiner Zeit schon längst verstorben gewesen und von „Wundern“ und „alten Bildern“ dieses Heiligen –––––––—

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Pauli. Diese Handschrift wurde hier nicht eingesehen. Vgl. zu Pauli Mesters, Karmeliterprovinz (1958), S. 82. Vgl. die französische Version: La vie de S. Berthold ¢supralinear: Confesseur et² premier General latin de l’Ordre des Carmes, BRB, Coll. boll. Ms. 8590–98 (3477), fol. 95r–100r. Diese Handschrift beinhaltet insgesamt acht französische Viten karmelitischer Heiliger oder solcher, die sie für ihre Tradition beanspruchten. Vgl. La vie de Sainct Simon Stock Confesseur sixiesme General de l’Ordre des Carmes tirée de diuers Autheurs, ebd., fol. 83r–90v; La vie de S. Auertain Confesseur Conuerse Religieux de l’Ordre de nostre Dame du mont Carmel, ebd., fol. 91r–93v; La vie du bienheureux Pere François de Siene Martir de l’Ordre des Carmes, ebd., fol. 101r–103v; La vie du bien-heureux Ange des Augustins vulgairement dit le bien-heureux Angelus Religieux de l’Ordre des Carmes, ebd., fol. 105r– 109v; La vie de S. Brocard, ebd., fol. 111r–116v; La vie du Bienheureux Pere Alain cinquiesme General de l’Ordre, ebd., fol. 117r; La vie du Bienheureux Pierre Cernouique ¢supralinear: Confesseur.² Religieux de l’Ordre de la Vierge Marie du mont Carmel, ebd., fol. 118r–122r. G[odefridus] H[enschenius], De S. Avertano Converso Ordinis Carmelitarvm et B. Romæo Lvcæ in Etrvria, in: AASS Februarii, Bd. 3, 1658, 25. Feb., S. 616–623. Vita S. Avertani, auctore Carmelitâ Italo, interpr. Segero Paulo eiusde[m] Ordinis, ebd., S. 620–625. Commentarius præuius, ebd., S. 616–620, hier S. 619b: „[…] per quemdam Lucensis Carmeli Patrem Italicè scripta, atque ab alio in Latinum sermonem translata, sed stylo conciso nimiùm & vitioso. Quare eamdem methodo commodiori styloq[ue] concinniori digestam nobis communicauit Segerus Paulus ex eodem Carmelitarum Ordine vir eruditus: ratus ex eadem Vitâ Italicâ Saracenum res gestas S. Auertani contractas edidisse, sed solitò hîc sinceriorem & magis accuratam, quàm in aliis Sanctorum sui Ordinis Actis conscribendis.“

742 erzählte. 324 Dessen Todesdatum sei insgesamt unklar. Mal werde 1361, mal 1380 genannt. 325 In den Märzbänden erschien Henschens Dossier zu dem vermeintlich dritten Prior der Karmeliten im Heiligen Land Cyrillus. Henschen leitete seinen Commentarius historicus mit den bemerkenswerten Worten ein, dass sich die Bollandisten „überaus bereitwillig“ („libentissimè“) dem Heiligenkanon der Karmeliten und „mit größter Sorgfalt“ („diligentissimè“) der Erläuterung ihrer Viten zuwenden würden. Leider aber sei es ihnen nicht gelungen, ältere Lebensbeschreibungen für sämtliche dieser Heiligen in ihren Besitz zu bringen, um sie verlässlich beurteilen zu können.326 Henschen reproduzierte innerhalb seines Commentarius historicus eine kürzere Vita aus der späteren und dilatierten Version des Viridarium und eine weitere Biographie aus Palaeonydorus’ zuerst 1497 gedrucktem Fasciculus tripartitus. 327 Für diejenigen, denen der Sinn nach noch „neueren Erzählun–––––––— 324

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Vgl. ebd., S. 621a: „Ioannes Großius, qui eo tempore vixit, […] ac primus omnium meminit S. Auertani, maximè auctor nos mouet, vt diu antè opinemur obiisse, cuius ipse miracula ex antiquis picturis confirmet, non hominum tunc viuentiu[m] certiore relatione. Hic ergo in Viridario Carmelitico, quod MS. extat in bibliothecâ Carmelitarum Fra[n]cofurti, ita scribit: Sanctus Albertanus Conuersus in Ordine, ex partibus Galliæ in diœcesi Lemouicensi oriundus: […].“ Henschens Text entspricht der etwas späteren Adaptation des Viridarium als: Catalogus sanctorum. Recensio longior iuxta textum communiorem, in: Xiberta, De visione (1950), S. 294: „Quartusdecimus fuit sanctus Albertanus, conversus in Ordine, ex partibus Galliae in dioecesi Lemovicensi oriundus. […] Et demum venit ad civitatem Lucanam, ubi diem extremam multis clarens miraculis tam in vita quam post mortem clausit. Cuius gloriosum corpus est sepultum in ecclesia sancti Petri extra muros civitatis Lucanae, ubi quamplurima sua miracula picturis antiquitus sunt depicta, […].“ Vgl. Ludovico Saggi, Art. Avertano e Romeo, santo e beato, in: ders. (Hrsg.), Santi (1972), S. 181f. Vgl. Henschen, De S. Avertano, AASS Februarii, Bd. 3, 1658, 25. Feb. Commentarius praevius, ebd., S. 620b: „Quo tempore hæc S. Auertani in Italiam peregrinatio, & felix ad æternam salutem apud Lucenses transitus euenerit, nequaquàm inter auctores constat. Silentio annum prætereunt antiquiores scriptores; hodierni varium aßignant, alij LXVI, alij LXXX supra millesimum & trecentesimum.“ Vgl. [Henschen], De S. Cyrillo, AASS Martii, Bd. 1, 1668, 6. März. Commentarius historicus, S. 498a: „Mvlti Ordinis B. Mariæ de Monte Carmelo occurrunt viri illustres Sanctis adscripti, quibus studium nostrum libentissimè addicimus, optamusq[ue] Acta illorum quàm diligentissimè illustrare. Vnum intereà dolemus, nos non posse omnium Acta olim conscripta nancisci, neque industriam nostram satis securè impendere: […].“ Vgl. ebd., S. 499a: „In hæc secundâ parte inter Sanctos Ordinis est elogium eiusmodi: Fuit S. Cyrillus Presbyter Montis-Carmeli, natione Græcus, Prior Generalis Ordinis tertius. Hic dum […].“ Es folgte die: Vitæ epitome. Auctore Ioanne Palæonydoro, ebd., S. 500–502. Inc.: „Cyrillus Constantinopoli claris ortus parentibus, omnibus diuinarum humanarumque litteris eruditus, dum audisset Soldanum Iconij […].“ Vgl. Catalogus sanctorum. Recensio longior iuxta textum communiorem, in: Xiberta, De visione (1950), S. 288: „Octavus fuit sanctus Cyrillus natione graecus, prior generalis ordinis tertius. Qui vero dum […].“ Palaeonydorus, Fasciculus tripartitus, in: Daniel de la Vierge, Speculum Carmelitanum, 1680, lib. X, c. 4. S. Cyrillus, Doctor Græcus monitu B. V. Mariæ proficiscitur in Carmelum: Armeniæ Apostolum:

743 gen“ stehe, verwies er auf die Annales sacri Lezanas und Daniels de la Vierge Vinea Carmeli. 328 Mit dieser Lösung waren die Karmeliten nicht einmal schlecht bedient, da mit dem Segment aus dem Fasciculus tripartitus jene Epoche des karmelitischen Humanismus abgedeckt war, in der die Gestalten der Ordengeschichte elaborierte biographische Profile zu erhalten begonnen hatten. Als Priester auf dem Karmel ist ein Cyrillus in dem im 13. Jahrhundert wohl in Unteritalien entstandenen Oraculum angelicum Cyrilli erwähnt, einem joachitischen Schreiben, in dem ein „Cirillus presbyter, heremita Montis Carmeli“ 329 dem Joachim von Fiore davon berichtete, wie ihm ein Engel zwei silberne, in griechischer Sprache geschriebene Orakeltafeln übergeben habe. In der karmelitischen Historiographie war er erstmals im Dialogus inter Directorum et Detractorem des Johannes von Hildesheim in Erscheinung getreten. Im Rekurs auf das Oraculum hatte letzterer ihn allein als einen „Presbyter in monte Carmelo“ bezeichnet. 330 In Johannes’ Legendae abbreviatae war ebenfalls von nichts anderem als von einem „Sanctus Cyrillus natione graecum, presbyter, frater et heremita montis Carmeli“ die Rede gewesen. 331 Zum Prior wurde Cyrillus erst in den etwa zeitgleich entstandenen Schriften Ribots. 332 Seine Verehrung als Heiliger scheint im Jahr 1399 auf einem Generalkapitel der Karmeliten in Italien offiziell verfügt worden zu sein, also rund ein Viertel Jahrhundert nach dem Erhalt des Attributs „Sanctus“ in den Legendae abbreviatae. Ein Officium sowie Einträge in Breviarien und Kalendarien des 15. und 16. Jahrhunderts bezeugen seine Gegenwart im liturgischen und devotionalen Leben der Karmeliten. 333 Seinen dezidiert byzantinischen Hintergrund und das Attribut „von Konstantinopel“ erhielt Cyrillus wahrscheinlich von den niederländischen Karmeliten. Von ihren Viri illustres-Sammlungen ausgehend gelangte eine in –––––––—

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prophetico spiritu clarus: successor S. Brocardi: moritur in Carmelo, ebd., S. 253f. Inc.: „Prædictus Cyrillus Constantinopoli claris ortus parentibus, omnibus Divinarum, humanarumque litteris eruditus: dum audisset Soldanum Iconij […].“ Vgl. [Henschen], De S. Cyrillo, AASS Martii, Bd. 1, 1668, 6. März. Commentarius historicus, S. 499b: „Eamdem [Vitam] inseruit Annalibus Carmelitarum Ioannes de Lezanâ, varia allegat in Vineâ Carmeli Daniel à Virgine Mariâ, ad quos nouarum narrationum curiosum lectorem remittimus.“ Oraculum angelicum Cyrilli. Nebst dem Kommentar des Pseudo-Joachim, hrsg. v. Paul Piur, in: Briefwechsel des Cola di Rienzo, hrsg. v. Konrad Burdach/Paul Piur, Teil 4. Anhang: Urkundliche Quellen zur Geschichte Rienzos. Oraculum angelicum Cyrilli und Kommentar des Pseudojoachim (Vom Mittelalter zur Reformation. Forschungen zur Geschichte der deutschen Bildung 2,4), Berlin 1912, S. 221–343, hier S. 243. Johannes von Hildesheim, Dialogus, in: Staring (Hrsg.), Heritage (1989), Nr. 15,1, S. 346. Ders., Legendae abbreviatae, in: Xiberta, De visione (1950), S. 310. Vgl. Jotischky, Carmelites (2002), S. 137, 202, 252, 298. Vgl. Adriano Staring/Maria Chiara Celletti, Art. Cirillo di Constantinopoli, in: Saggi (Hrsg.), Santi (1972), S. 189f.; Jotischky, Carmelites (2002), S. 215.

744 diesem Kontext entworfene Vita Cyrilli auch dem englischen Humanisten und zwischenzeitlichen Karmeliten Bale zur Kenntnis, der 1522 oder 1523 den niederländischen Karmeliten einen Besuch abgestattet hatte. 334 Mit diesen Schriften war Cyrillus seit der Wende zum 16. Jahrhundert zu jener humanistisch geschulten Person von ordensgeschichtlichem und sogar weltpolitischem Rang geworden, als der er auch in dem von Henschen reproduzierten Segment aus Palaeonydorus’ Fasciculus tripartitus konzipiert worden war. Dieser Cyrillus hatte eine Ausbildung in Theologie und den artes liberales durchlaufen. Die humanistischen Kurzviten berichten von seinem frühen Antrieb, den seldschukischen Sultan von Konyo zum Christentum zu bekehren. Sie schildern eine Gesandtschaft, die er im Auftrag des byzantinischen Kaisers Manuel Komnenos (reg. 1143–1180) zu Hadrian IV. (reg. 1154–1159) und Alexander III. unternommen habe, um eine Allianz gegen den Staufer Friedrich I. (reg. 1152–1190) zu schmieden. Sein Ziel sei es gewesen, einen Beitrag zur Überwindung der Spaltung von Ost- und Westkirche zu leisten. Die Viten erzählen von Cyrillus’ Rückkehr nach Konstantinopel. Sie berichten von einem nun erhaltenen Lehramt in Theologie und Philosophie, von seiner Exilierung infolge theologischer Differenzen mit dem Patriarchen von Konstantinopel, einer marianischen Vision, die ihn zu den Karmeliten im Heiligen Land gewiesen habe, der erfolgreichen Mission bei den Armeniern, der Übersetzung seiner eigenen exegetischen und historiographischen Werke vom Griechischen ins Lateinische, seiner Wahl zum Prior im Jahr 1200, dem Schreiben an seinen Schüler Eusebius und natürlich von der Vision, in der ihm ein Engel zwei silberne Tafeln übergeben habe. 335 Henschen äußerte sich zu diesen Sachverhalten –––––––— 334 335

Vgl. ebd., S. 202f., 215; Happé, Bale (1996), S. 3, 60. Vgl. Jotischky, Carmelites (2002), S. 202ff. Staring/Celletti, Art. Cirillo di Constantinopoli, in: Saggi (Hrsg.), Santi (1972), S. 188, bezeichnen ihn als: „Figura dall’esistenza puramente letteraria, […].“ Auch Deckert, Von den Anfängen (1996), S. 30f., zählt ihn sicher zurecht zu den „vermeintlichen“ Prioren des Ordens. Der an sich wenig komplizierte Sachverhalt, dass sich aus der schieren Nennung eines Presbyters Cyrillus auf dem Karmel in dem joachitischen Oraculum Cyrilli zunächst ein karmelitischer Visionär, Prior und Heiliger entwickelte, der in der frühen Neuzeit mit einem elaborierten biographischen Profil ausgestattet worden war, wird nicht immer mit Deutlichkeit ausgesprochen. Bis heute finden sich zahlreiche disparate Versuche, historisch valide Elemente aus diesem progredierenden Prozess der Traditionsstiftung zu extrahieren. In der älteren Literatur führte dies dazu, das Oraculum und die von Ribot entworfene Schrift Cyrillus eremita montis Carmeli in epistola ad Eusebium, Epistola ad Eusebium von der Gestalt des karmelitischen Priors und Heiligen „Cyrillus von Konstantinopel“ zu lösen. Vgl. Gondulf Mesters, Art. Kyrillos v. Konstantinopel, in: LThK, Bd. 6, 21961, Sp. 710: „Zu Unrecht gehen unter seinem Namen 2 kleinere Schr[iften]: ‚Oraculum angelicum S. Cyrilliǥ u. ‚Epistola S. Cyrilli ad Eusebium Abb.ǥ“ Demgegenüber blieb die Vorstellung des Priorats weithin intakt, ohne dass vermerkt worden wäre, dass gerade diese Attribution das Resultat der späteren Assoziationen Ribots und Grossis war, die aus der Keimzelle des von den Karmeliten für ihre Zwecke dilatierten Oraculum hervorgegangen waren. Ähnlich wie Mesters

745 nicht, vermutlich weniger aus Diskretion, sondern weil er, ähnlich wie im Falle Bertholds, die Grossi vorangehenden historiographischen Texte der Karmeliten in der Tat nicht kannte und die chronologischen Probleme noch nicht derart deutlich zu Tage getreten waren, wie sie sich aus Papebrochs Abhandlungen von 1675 mit Blick auf die bis ins 12. Jahrhundert rückwärtig erweiterte Gründungsphase des Ordens ergeben sollten. 336 In dem von Papebroch im dritten Maiband von 1680 gedruckten Dossier zum „seligen“ Simon Stock, das etwas über eine Folioseite umfasste, wurde wiederum nur ein Segment aus der erweiterten Version von Grossis Viridarium gedruckt. 337 Von den frühneuzeitlichen Viten, die inzwischen in der –––––––—

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akzentuiert Matthäus Hösler, Art. Kyrillos v. Konstantinopel, in: LThK, Bd. 6, 31997, Sp. 554, den vermeintlich autonomen Wert der Generalskataloge. Anders als Mesters verzichtet er allerdings auf die Angabe von Lebensdaten – Mesters hatte sie auf um 1138 bis 1234 angesetzt. Die Epistola ad Eusebium wird von Hösler insgesamt nicht mehr erwähnt, hingegen das Oraculum erneut mit dem humanistischen Namen „Cyrillus von Konstantinopel“ assoziiert: „Seine angebl. Prophezeiungen wurden im ‚Oraculum angelicumǥ verbreitet […].“ Vgl. jetzt auch den Eintrag „Heiliger Cyrillus von Konstantinopel“ bei Helga-Maria M. Jaeger, Gott lebt! Sie sind seine Zeugen, Bd. 1: Heilige und Selige des Karmel, Straubing 2005, S. 72–74, hier S. 72. Auch Jaeger konzediert zwar: „Vieles an seinem Leben ist legendenhaft; es gibt wenig Gesichertes über ihn zu berichten.“ Zu letzterem zählt sie allerdings wieder joachitische Oraculum: „In einer Vision während der hl. Messe auf dem Berg Karmel soll ihm ein Engel auf zwei silbernen Tafeln prophetische Aussagen in griechischer Sprache über ‚den Zustand der künftigen Jahrhunderteǥ bezüglich der Karmeliten offenbart haben. […] Die Weissagung übersetzte Cyrillus ins Lateinische und berichtete sie Abt Joachim von Fiore […].“ Gleiches gilt für die Epistola ad Eusebium: „Ein Brief von Cyrillus an Eusebius, den Prior von Monte Neroi bei Antiochien, wurde nach 1378 verbreitet und gelangte zu Felipe Ribot.“ Die recht unübersichtliche Debatte leidet also vor allem daran, dass die jeweiligen Entwicklungsstufen auf dem Weg zu der späten Identität „Cyrillus von Konstantinopel“, die selbst ein Bestandteil der späteren Legendenbildung ist, nicht als solche thematisiert werden. In den Personenregistern der engeren Forschungsliteratur hat sich dieses Problem in der Koexistenz verschiedener Namen niedergeschlagen. Xiberta, De visione (1950), S. 321, verzeichnet Cyrillus mit Johannes von Hildesheim als „Cyrillus graecus“. Staring (Hrsg.), Heritage (1989), S. 433, spricht mit dem Oraculum von „Cyril, legendary priest of Mount Carmel“. Jotischky, Carmelites (2002), S. 364, bleibt konsequent bei „Cyril of Constantinople“. Vgl. Papebroch, De Beato Alberto, AASS Aprilis, Bd. 1, 1675, 8. April, S. 783b: „Qvia Cardinales Baronius & Bellarminus initia Bertholdi, ex communiori inter ipsomet Carmelitas sensu (nam præter ipsos habemus neminem ex antiquis qui nominatim Bertholdi meminerit:) qui, inquam, Cardinales illi Bertholdi initia referebant: ad Pontificatum Alexandri III, elegimus eos sequi ad XXIX Martii, quamvis tunc necdum certa nobis fundandæ istiusmodi chronologiæ argumenta suppeterent; […].“ Vgl. D[aniel] P[apebrochius], De B. Simone Stok [!] Ordinis Carmelitarvm Priore Generali Burdegalæ in Aquitania, in: AASS Maii, Bd. 3, 1680, 16. Mai, S. 653f., hier S. 654a: „Sufficiat […] pars elogii ex præcitato Ioanne Grosso Clave 3 Viridarii, quæ est de Sanctis quibusdam Ordinis. Undecimus fuit S. Simon Stok natione Anglicus, sextus Generalis Ordinis. Qui […].“ Vgl. Catalogus sanctorum. Recensio longior iuxta textum communiorem, in: Xiberta, De visione (1950), S. 289: „Undecimus fuit sanctus Simon Stock natione anglicus, sextus generalis ordinis. Qui […].“

746 karmelitischen Historiographie benutzt und zitiert wurden, sei ihm nur die 1513 in Französisch geschriebene Fassung des Priors des Karmelitenklosters von Valenciennes Roland Bouch(i)er bekannt gemacht worden. Diese sollten die Bollandisten, nach Aussage Papebrochs, auf Bitten des Karmeliten Philippe Visquin oder Vifquin (Philippus a Visitatione) († nach 1676) in den Acta Sanctorum in einer von diesem angefertigten lateinischen Übersetzung veröffentlichen. Aufgrund dieser ungenügenden literarischen Basis sei es den Bollandisten aber nicht möglich gewesen, diesem Anliegen nachzukommen und eine „nach unserem Brauch“ mit Anmerkungen versehene Vita zu erstellen, „in denen die Irrtümer angezeigt und mit denen die Zweifel getilgt werden“ würden. 338 Zu dieser Zeit kursierten längst Behauptungen von der Existenz einer weiteren und nun angeblich historischen Vita, die ein Sekretär Simon Stocks mit Namen Peter Swanyngton geschrieben habe. Der mehrmalige Vorsteher der karmelitischen Provinz Gascogne Jean Cheron († nach 1672) hatte sie 1642 in seinen Privilegiati scapularis et visionis S. Simonis Stockii vindiciae als Teil seiner Erwiderung auf Launoys Dissertatio duplex in die Debatte eingeführt. Cheron zitierte zwei von ihm angeblich entdeckte „Fragmente“ aus dieser Vita, die man in der wissenschaftlichen Historiographie der Karmeliten erst seit Beginn des 20. Jahrhunderts als Schöpfung Cherons zu akzeptieren begann. 339 Papebroch fragte sich, weshalb man diese Vita angesichts des umstrittenen Status der devotionalen Traditionen, die auf die Person Simon Stocks zurückgeführt wurden, bis in seine Gegenwart unterdrücken und der öffentlichen Prüfung vorenthalten würde. 340 Im Appendix des siebten Bands des Monats Mai von 1688 wartete Papebroch mit der überraschenden Aussage auf, dass Philippe Visquin inzwischen eingeräumt habe, dass die von Peter Swanyngton geschriebene Vita –––––––— 338

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Vgl. Papebroch, De B. Simone Stok [!], AASS Maii, Bd. 3, 1680, 16. Mai, S. 653b: „Ex his [vitis] solus Rolandus ad manus nostras venit, in Carmelo Valencenensi, ubi is anno MDXIII prædictam Vitam scripsit loci Prior, Latine redditam per R. P. Philippum à Visitatione, ejusdem Carmeli anti hos decem annos Suppriorem, qui & petitit ut eamdem his nostris Sanctorum Actis insererem. Facerem id equidem libentißime, si, quod per ipsum fortaßis, mihi licet, per alios ejusdem Ordinis æque liceret, addere Annotationes aliquas more nostro, quibus indicentur errata & dubia secernantur.“ Vgl. Art. Philippus a Visitatione, in: Bibliotheca Carmelitana, Bd. 2, 1752, Sp. 653–655; Art. Rolandus Bouchier, in: ebd., Sp. 699; Xiberta, De visione (1950), S. 46f., 118f.; Copsey, Stock (1999), S. 677, 679. Vgl. Art. Joannes Cheron, in: Bibliotheca Carmelitana, Bd. 1, 1752, Sp. 810–812; Xiberta, De visione (1950), S. 37. Vgl. zu dieser innerkarmelitischen Kontroverse in der Moderne ebd., S. 52–62, 65–69; die beiden „Fragmente“ reproduziert Xiberta ebd., S. 125–127; vgl. dazu auch Copsey, Stock (1999), S. 681. Vgl. Papebroch, De B. Simone Stok [!], AASS Maii, Bd. 3, 1680, 16. Mai, S. 653b– 654a: „Ea enim Acta in tablino Burdegalensis monasterii asservari asserit Ioannes Cheronius […], ex eisque producit Visionem B. Simonis, Ioanni Launoyo suspectam. Cur enim post tantas circa visionis istius veritatem contentiones, adhuc supprimitur Vita illa, subtrahiturque judicio & examini publico, […].“

747 gar nicht existiere. 341 Ob dies der Realität entsprach, ist schwer zu sagen. Philippe dürfte zu diesem Zeitpunkt bereits verstorben gewesen sein, so dass er selbst keinen Einspruch mehr hätte erheben können. Auf ähnliche Weise hatte es Papebroch unternommen, den 1678 verschiedenen Daniel de la Vierge für die Seite der Bollandisten zu vereinnahmen. Daniel habe, so Papebroch 1680, um weitere Komplikationen zu vermeiden, die Publikationen der Bollandisten zu den heiligen Berthold und Cyrillus und ebenso Papebrochs in den Aprilbänden zu druckende Studien begleitet und gebilligt. 342 Gegen gleichartige Aussagen, die bereits in den vorausgegangenen Bänden der Acta Sanctorum geäußert worden waren, hatte sich Daniel de la Vierge allerdings in einem Schreiben an Henschen vom 8. August 1675 mit Entschiedenheit zur Wehr gesetzt und sie als schlechterdings unwahr qualifiziert. 343 Verständnis brachte der damals Siebzigjährige weder für die terminologische Schärfe Papebrochs auf noch für die Respektlosigkeit, mit der dieser gegen die Karmeliten vorgegangen war. Was würden die Bollandisten sagen, wenn auf ähnliche Weise gegen die Traditionen der Jesuiten argumentiert würde? 344 Wie würden sie darüber denken, wenn Ignatius die Autorschaft an den Exerzitien abgesprochen würde, so, wie es Papebroch getan hatte, als er im Dossier zu Albert von Vercelli bezweifelte, dass –––––––— 341

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Vgl. De S. Simone Stok Carm., in: AASS Maii, Bd. 7, 1688, Appendix. Addenda ad 16 Maii, S. 790a: „[…] R. P. Philippi à Visitatione, qui Vitam à Rolando Bucherio scriptam, Latine reddiderat, fatebaturque nullam esse aut extitisse unquam Vitam à Petro Swaningtono Sancti Socio relictam, […].“ Papebroch, De Beato Aloysio Rabata, AASS Maii, Bd. 2, 1680, 11. Mai. Commentarius apologeticus praevius, S. 709b–710a: „Placuit aliquamdiu moderatio ista tum prælaudato P. Danieli, qui & imprimenda & impressa bis terve legerat probaveratque, tum aliis moderatioris zeli Patribus; eodemque pede procedebamus ad Aprilem, intactam relicturi controversiam, nec necessariam nobis, nec ipsis placituram.“ Vgl. im Anschluss Saggi, S. Angelo (1962), S. 77: „Dieci anni più tardi [1668] apparvero i volumi di marzo con le notizie relative a S. Cirillo e a S. Bertoldo […]: anche in esse, alto silenzio circa l’antiquità dell’Ordine, e, salvo qualche piccola cosa nella vita di S. Bertoldo, anche queste vite, dovute alla penna di Enschenio, furono approvate dai carmelitani.“ Vgl. Daniel de la Vierge à Godefroid Henschenius, Anvers, 8 août 1675, in: Joassart, Daniel de la Vierge (2000), Nr. 2, S. 393–396, hier S. 395: „Quoad me, sicut veritati parceret qui diceret me ista in Vita S. Alberti ante impressionem vidisse et probasse (quod quidem aliquos sparsisse intellexi), ita hisce declaro haud verum esse in Vita S. Cyrilli aut S. Bertholdi, non esse literulam quam non approbaverim; sic nec verum est quod examinandae mihi creditae sunt extra vestrum musaeum. Existenti autem in musaeo vestro, et de variis colloquenti utraque exhibita fuit, et obiter aliqua legi: legisse autem, examinasse, approbasse omnia in illis contenta longe a vero alienum est.“ Vgl. ebd., S. 393: „Gratias ago pro praesentatione exemplarium (pro sacris) operis istius. Quod nonnulli nequidem in bibliotheca poni sinunt, in quo Carmelitani historici traducuntur tamquam ignorantes, imperiti, fabulatores, pseudi, et tradita ab illis veluti commenta, et fabulae, etc. || […] Si quis historias Societatis Iesu et eius scriptores sic censuraret? Si in dubium revocaret an liber exercitiorum S. Ignatii ver ab ipso sit compositus? An S. Franciscus Xavier verius fuerit Societatis Iesu?“

748 Trithemius’ Schriften zur Geschichte der Karmeliten wirklich von diesem selbst verfasst worden seien. 345 An Papebroch selbst gewandt hatte er einige Wochen darauf erklärt, dass er, als er von der Entstehung seiner Abhandlungen gehört habe, alles versucht habe, um deren Erscheinen zu verhindern. Insbesondere im Namen der beiderseits verehrten heiligen Ignatius und Franz Xavier sei ihm an dem nun unvermeidbar gewordenen Zwist zwischen beiden Orden nichts gelegen gewesen, zumal er die Acta Sanctorum zuvor überall gelobt und nicht wenig Zeit aufgewandt habe, um zu ihrem Gelingen beizutragen. 346 Nach der Hochschätzung, welche die älteren Gelehrten Bolland und Daniel de la Vierge offenbar in der Tat füreinander empfunden hatten, kann von einer wechselseitigen Freundschaft zwischen letzterem und Papebroch sicher nicht die Rede sein. 347 Sich später auf Da–––––––— 345

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Vgl. ebd., S. 394: „Si qui eos, qui laudabiliter de Societate Iesu scribunt, ideo contumeliosis sarcasmis […] impeteret, sicut impetitur Trithemius, ob librum de Ordine Carmelitano, et tamen dicitur (in Vita S. Alberti) ab alio compositus, quod tam falsum est, quam quod liber exercitiorum ab alio sit compositus, nec minus verum, quod liber ille sit a Trithemio […] quam liber exercitiorum a S. Ignatio, id qui negaret, ecquid non auderet? Similis est causa vestra, librum illum (in opprobrium Carmelitani Ordinis) ab aliquo Carmelita compositus. Similia non pauca sunt in illa Vita S. Alberti.“ Vgl. Papebroch, De Beato Alberto, AASS Aprilis, Bd. 1, 1675, 8. April, S. 799a, in Bezug auf die Rezeption der Cyrillus eremita montis Carmeli in epistola ad Eusebium und des dort zur Entwicklung der Ordenstracht Gesagten: „Interim mysteria illa sic placuerunt Trithemio, aut potius ei qui Trithemio obtulit sub ejus nomine vulgandum libellum, ab aliquo Carmelita compositum […].“ Vgl. Daniel de la Vierge à Daniel Papebroch, Anvers, 30 août 1675, in: Joassart, Daniel de la Vierge (2000), Nr. 3, S. 396–398: „Anno praecedenti, cum intellexissem apparentiam aliquam esse quod Actis Sanctorum mensis Aprilis verosimiliter inserenda essent aliqua adversus Carmelitanam historiam, impedire studui, quantum potui. Et in peculiares Patronos elegi SS. Ignatium et Franciscum Xaverium ne inter Societatem Iesu et Ordinem Carmeli contentionum et animositatum seminaria in opere illo inserentur, in illo, inquam, opere quod, verbo et scripto, tanto affectu Romae in Provincia nostra et aliis depraedicavi et commendavi. Huic studio non paucas bonas horas insumpsi. Quod insuper ex singulari in opus istud ac Societatem affectu praestiterim, testantur Vita Ven. P. Joannis Bollandi, cap. 23. n. 148 […].“ Vgl. Papebroch, Tractatus de vita Bollandi, AASS Martii, Bd. 1, 1668, S. XLIIIb: „Patres vero Carmelitæ maiorum esse suam erga demortuum obligationem rati, quàm quæ posset vnius Conuentus expleri obsequio, ad Prouincialem suum, tum Bruxellis agentem, R. P. Danielem à Virgine Mariâ, intimum Bollandi amicum, regulêre viri de Ordine sic meriti mortem, requirentes quid fieri iuberet. Iussit autem vt per Prouinciam vniuersam, in quâ Conuentus quindecim numerantur, Officium defunctorum cantaretur cum Missâ: quæ continuò XVI Septembris Acta sunt Bruxellis, coram Collegij nostri Rectore, Ex-rectoribus eiusdem collegij duobus, aliisque totidem grauissimis Patribus quondam P. Bollandi discipulis. […]: cui vt aliquam gratitudinis vicem rependerent Socij, ex variarum Reliquiarum thesauro, occasione scriptarum scribendarumque Vitarum è pluribus locis ad Bollandum tra[n]smisso, selecta quædam & singulis aptiora obtulerunt: quæ ipsis & Bollandi memoriam conseruarent, & promoue[n]dæ inseruirent pietati.“ Vgl. Saggi, S. Angelo (1962), S. 76: „Sull’amicizia tra il Papenbroeck ed il P. Daniele della Vergine Maria molte sono le testimonianze da parte di ambedue: […].“

749 niels vermeintliche Affirmation zu berufen, war für Papebroch nichts anderes als ein die eigene Position stärkendes Instrumentarium. Nachdem Daniel noch einige Jahre zuvor an Henschen geschrieben hatte, dass die neuen Träger der Acta Sanctorum den Konsens, auf den sie sich beriefen, durch Ausblendung jener Gelehrten konstruiert hätten, die nicht ihrer Meinung waren, 348 hatte man auch ihn selbst – posthum – in jenen Konsens inkorporiert. Dabei ging es nicht nur um ideelle Zwecke. Papebroch scheint es bei den Antwerpener Bischöfen Ambroise Capello (reg. 1652–1676) und dessen Nachfolger und vormaligem Generalvikar und Antwerpener Archidiakon Aubert Van den Eede (reg. 1677–1678) erwirkt zu haben, dass der anstehende Druck von Daniels Speculum Carmelitanum lange Zeit unterblieb. Darauf habe er deswegen gedrungen, weil die Karmeliten, im Bemühen, die Approbation für den – durch Papebrochs Intervention möglicherweise seinerseits im Druck verzögerten – zweiten Teil des Armamentarium des François de Bonne-Espérance zu erlangen, auch das Speculum mit einer apologetischen Einleitung versehen zu publizieren wünschten. Dieses allerdings wäre nach Papebrochs Dafürhalten ganz und gar nicht im Sinne ihres verstorbenen Verfassers gewesen. Dass dieser prinzipiell die Positionen der Bollandisten teilte, sei aus der Einleitung seiner Vinea Carmeli von 1662 zu ersehen. 349 Diese ältere Aussage wurde dem–––––––— 348

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Vgl. Daniel de la Vierge à Godefroid Henschenius, Anvers, 8 août 1675, in: Joassart, Daniel de la Vierge (2000), Nr. 2, S. 395: „Quod R. P. V. scribit viros etiam illustrissimos non tantum approbare omnia in Vita S. Alberti, sed censere quod nimis modeste actum sit in Carmeli Ordinem. An forte isti non sunt de numero eorum quales non paucos habet Soc. Jesu, nec caret similibus Ordo Carmelit. (aversi ab eo animi) aut, an non iudicent, inaudita parte altera, haud licet mihi iudicare, ne pariter inauditos condemnem.“ Vgl. Papebroch, De Beato Aloysio Rabata, AASS Maii, Bd. 2, 1680, 11. Mai. Commentarius apologeticus praevius, ebd., S. 711b: Nach der Lektüre von Papebrochs Dossier zu Albert von Vercelli auf der einen Seite und dem zweiten Teil des Armamentarium auf der anderen habe sich bei Van den Eede („Pro me interim iudicavit, prius quam pars illa 2 componeretur, communis utrimque amicus & censor […]“) und Capello ein grundlegender Wandel in der Haltung gegenüber den Schriften der Karmeliten eingestellt. Vgl. ebd., S. 711b–712a: „Sed forte visâ & lectâ parte secunda Armamentarii aliter censuisset. Vidit & legit; atque non modo non aliter censuit; sed jam Episcopus & ætatis plus quam septuagenaria senex, ultro ad nostrum acceßit Musæum, testaturus animi sui sensum gravem, propter pædanticum, ut aiebat, ac minime liberalem scriptionis, nihil solide concludentis, stylum. Vnde colligas, minime permissurum fuisse, si vixisset, ut illa hic Antverpiæ recuderetur, attexeretur Speculo Carmelitano R. P. Danielis à Virgine Maria, sicut nunc factum, contra expressam mentem auctoris defuncti, communi Typographo Cnobbaro sæpe dum viveret protestati, suo in opere appariturum nihil, quo nobis videretur esse insensus.“ Ebd., S. 712a: „Quid autem secundum illam partem recudi permisi sapientißimus Præsul? qui prius quam tale quid esset decretum, aut forte etiam cogitatum; admittere noluit oblatam sibi Dedicatione[m] Speculi prænominati, quamvis hoc apud eum laudaremus, nostroque consilio diceremus ab Auctore compilatum, sicut ex Præfatione, ante plures annos impressa, nobisque ab ipsomet auctore ostensa, appariturum affirmabamus.“ Vgl. zur Einleitung der Vinea Carmeli Saggi, S. Angelo (1962), S. 76. Der 1677 ver-

750 nach ins Feld geführt, um die posthume Veröffentlichung von Daniels eigenem Werk zu behindern – oder diese Behinderung im Sinne Papebrochs der Öffentlichkeit zu erklären. Papebroch erläuterte ferner, dass sich Van den Eede am 17. Dezember 1677 an die Ritenkongregation gewandt habe, um gegen das Officium der Beata Maria Virginis de Monte Carmeli zu intervenieren, das 1675 von Clemens X. (reg. 1670–1676) für die spanischen Gebiete vorgeschrieben worden war. 350 Auf Seiten der Karmeliten scheint es das für den 5. Mai anstehende Dossier des 1584 in seinem Kult bestätigten hl. Angelo von Licata († um 1220) gewesen zu sein, 351 das sie dazu motivierte, an die höchste zensorische Instanz des Katholizismus zu appellieren. Daniel de la Vierge hatte 1665 eine Arbeit mit dem Titel Vaticinia de christianae reipublicae afflictione ac dein consolatione exarata in Vita S. Angeli veröffentlicht, die unter anderem die Ausgabe einer kürzeren Vita enthielt. In mehreren Briefen, die er zwischen dem 17. Februar 1673 und dem 19. Juli 1675 an die Ordensleitung der Karmeliten in Rom adressierte, berichtete er davon, dass er sich intensiv damit beschäftige, die Bollandisten für ihr Dossier mit der Vita, mit Mirakelberichten und mit diese betreffenden Untersuchungen auszustatten. Papebroch richtete 1674 seinerseits zwei Schreiben an die Oberen Karmeliten, um ihnen für diese Unterstützung zu danken. Die Veröffentlichung der Aprilbände bedeutete hier vermutlich den entscheidenden Bruch. Am 12. März 1677 teilte Daniel der Ordensleitung mit, ihr den ersten Teil eines apologetischen Traktats zu übereignen, in dem die historiographischen Fehler Papebrochs behandelt würden. Am 5. April 1677 forderte er diese –––––––—

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öffentlichte zweite Teil des Armamentarium war, wie aus einem Brief Daniels hervorgeht, bereits 1675 vollendet und approbiert gewesen. Vgl. ebd., S. 79. Die Abläufe bedürften eines genaueren Studiums. Daniels Speculum scheint spätestens Anfang des Jahrs 1672 vollendet gewesen zu sein. Vgl. ebd., S. 82. Ähnlich wie auf Daniel de la Vierge nahm Papebroch, De Beato Aloysio Rabata, AASS Maii, Bd. 2, 1680, 11. Mai. Commentarius apologeticus praevius, S. 712b, auf Louis Jacob de Saint Charles Bezug. Dieser habe in einer Passage seiner leider noch nicht gedruckten Bibliotheca Carmelitana eingeräumt, dass die auf die Zeit vor Berthold und die Regel Alberts von Vercelli datierten Abläufe der Ordensgeschichte „non sunt nisi somnia nostrorum.“ Vgl. dazu Saggi, S. Angelo (1962), S. 75f. Aus Saggis Darstellung geht hervor, dass Louis Jacob ebenso wie Daniel de la Vierge den Annales sacri Lezanas und Alegre de Casanates Paradisus Carmelitici decoris durchaus mit Vorbehalten gegenüberstanden. Während im Falle Daniels allerdings mit Papebrochs Eintritt in die Debatte im Jahr 1675 eine Abwendung von den Antwerpener Jesuiten nachzuweisen ist, lässt sich solches für Louis Jacob nicht mehr untersuchen. Er war bereits 1670 verstorben. Auch hier bezog sich Papebroch also auf eine länger zurückliegende Äusserung, die zu einer Zeit getätigt worden war, als in den Acta Sanctorum die Demontage der karmelitischen Historiographie noch nicht ins Werk gesetzt worden war. Vgl. Papebroch, De Beato Aloysio Rabata, AASS Maii, Bd. 2, 1680, 11. Mai. Commentarius apologeticus praevius, ebd., S. 715b–716a; vgl. Reusch, Index, Bd. 2,1 (1885), S. 275f. Vgl. Adalbert Deckert, Art. Angelus der Karmelit, in: LThK, Bd. 1, 31993, Sp. 655f.

751 auf, bei der Ritenkongregation oder beim Papst zu supplizieren. Die Sache eilte, da sich Papebroch anlässlich der Maibände die Gelegenheit bieten würde, weitere Traditionen der Karmeliten anzugreifen. 352 Diese Befürchtung war nicht unberechtigt. In seinem Dossier zerpflückte Papebroch mit großem Gestus („Tacere possum, mentiri non volo“) die in der Tat späten, legendarisch überformten und chronologisch problematischen Traditionen dieses populären Heiligen, indem er zwischen herausgeberischen und kommentierenden Anteilen im Umfang kleinerer Exkurse wechselte. 353 Nach der zunächst gerne aufgenommenen Zusammenarbeit mit Bolland hatte man inzwischen auch in Köln realisiert, dass von dessen Nachfolgern kaum etwas anderes zu erwarten war, als die Demontage der Überlieferung der Karmeliten. Emans forderte spätestens seit der Publikation der Maibände der Acta Sanctorum seine Ordensbrüder auf, sich mit Papebrochs Thesen zu befassen. 354 Es entsprach dabei der publizistischen Struktur der Acta Sanctorum, dass die von den Vertretern der Karmeliten im Laufe der Zeit nach Antwerpen kommunizierten Materialien, die noch in einigen Exemplaren in den Collectanea bollandiana erhalten sind, 355 überhaupt erst die Ba–––––––— 352 353

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Vgl. Saggi, S. Angelo (1962), S. 74, 82ff. Vgl. D[aniel] P[apebrochius], De S. Angelo Martyre Presbytero ex Ordine Carmelitarvm Leocatæ in Sicilia, in: AASS Maii, Bd. 2, 1680, 5. Mai, S. 56–95. Dieser Teil stützte sich auf die Prozessakten, die aus einem zwischen 1625 und 1627 in Licata geführten Prozess der Approbation hervorgegangen waren. Es folgte ein umfangreicher Appendix der nach Papebrochs Aussage nun, nachdem das Speculum erschienen war, möglich geworden sei. Vgl. D[aniel] P[apebrochius], Ad vitam S. Angeli Martyris Ordinis S. Mariæ de Monte Carmelo, in: AASS Maii, Bd. 2, 1680, Appendix ad diem IV Maii, S. 798–842, Zitat S. 799a. Dieser Teil beinhaltete zunächst eine: Protestatio prævia, ebd., S. 798–800. Es folgte die: Vita S. Angeli Martyris ex Ordine Fratrvm B. Mariæ de Monte Carmeli. Auctore (ut præfertur) Enoch Patriarcho Hierosolymitano, ebd., S. 801–832. Diese Ausgabe wurde durch eine: Reflexio historica. Circa prædictam Synodum, & Alexandrinum Patriarcham Athanasium, primo loco nominatum, ebd., S. 804–807, eingeleitet. Die Präsentation der Vita wurde durch mehrere Exkurse („Annotata“) unterbrochen. Vgl. ebd., S. 810–812, 814–816, 818–820, 822f., 826–828, 831f. Es folgten eine: Tertia Vita Brevior, forsitan etiam antiquior, & sincerior. Ex Ms. Vltrajectino S. Salvatoris, ebd., S. 835–839, sowie Appendix I. De tempore vitæ ac mortis S. Angeli, per verisimiliorem conjecturam quærendo, ebd., S. 839–841; Appendix II. De quibusdam in Sicilia Conventibus, qui ante solennem migrationem Ordinis ibidem extitisse dicuntur, ebd., S. 841–842. Ausführlich analysiert wird Papebrochs Dossier von Saggi, S. Angelo (1962), S. 88–93. Vgl. Art. Jacobus Emans, in: Bibliotheca Carmelitana, Bd. 1, 1752, Sp. 683–688. Von Pauli stammten beispielsweise eine sorgsam verschriftlichte Chronologia Vitæ S. Simonis Stock, BRB, Coll. boll. Ms. 8590–98 (3477), fol. 62r–82r. Pauli hatte sie aus den ihm bekannten Quellen kompiliert. Ein zweites und etwas ausführlicheres Titelblatt der Chronologia trägt ebd., fol. 63r, den Vermerk: „Per P. Fr. Segerum Pauli Carmelitam Coloniensem disposita Anno Christi 1651.“ Vgl. auch die Vita S. Andreæ Corsini/Episcopi Fesvlani/Ordinis Fratrvm B. Mariæ Virginis Carmelitarvm. Ex Processu Canonizationis eius, Relatione Ioannis Cardinalis et Episcopi Protuensis, Oratione Comitis Antonij Montecatini Consistorialis Aulæ Aduocati, atq[ue] ex Laurentio Surio Cartusiano, Petro Thomâ de Saracenis Carmelitâ, et insigni M. S. Codice an-

752 sis dafür geschaffen hatten, dass Papebroch auf die beschriebene Weise aktiv werden konnte. Es mochte im Kampf für die historische Wahrheit unerlässlich gewesen sein, Daniel de la Vierge bis zu den Aprilbänden im Unklaren darüber zu lassen, dass die von ihm für Papebroch zusammengestellten hagiographischen Texte durchaus nicht mehr dazu dienen sollten, im Sinne Bollands, den Ruhm der katholischen Kirche zu mehren, das Gedenken an die Heiligen zu befördern und die Leserinnen und Leser der Acta Sanctorum zu tugendhaftem Handeln anzustacheln. Zwischenmenschlich wertvoll, sofern eine solche Kategorie gestattet ist, war Papebrochs Vorgehen allerdings sicher nicht. Immerhin ist nicht in Abrede zu stellen, dass der Karmelit François de Bonne-Espérance mit dem ersten Teil des Armamentarium von 1669 den Zwist eröffnet hatte, auch wenn seine Schriften bis heute ebenso unerschlossen sind wie die Linien, denen die kontroversen Stellungnahmen der Karmeliten folgten. Es könnte sich also in der Tat um die Erzeugnisse von „Halbgebildeten“ („demilettrés“) gehandelt haben, die sich, mit Blick auf Papebroch, aus „verstümmelte[n] Zitate[n], in ihrem Sinn verdrehte[n] Aussagen, überzeichnete[n] Details, übelwollende[n] Unterstellungen“ und ähnlichen Dingen zusammensetzten. 356 Bayle jedenfalls war bereit, die Belesenheit und Gelehrsamkeit der Karmeliten anzuerkennen. Passagen, die diese Eigenschaften zu Tage treten ließen, stünden eben nur neben solchen, die von mancherlei „Hirngespinste[n] und Trugbilder[n]“ geprägt seien. 357

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tiquo Cartusiæ Coloniensis, potissimum et fideliter collecta, BRB, Coll. boll. Ms. 7569 (3440), fol. 82r–114v, hier fol. 82r marginal rechts: „a R. P. ZEGERO PAVLLO eiusdem ordinis Theologo.“ Vgl. Delehaye, Œuvre (21959), S. 92: „Les procédés sont ceux de la passion: citations tronquées, propositions détournées de leur sens, nuances forcées, insinuations malveillantes, […].“ Vgl. Nouvelles de la République des Lettres. Mois de Juillet, 1684, Article I.: Illustrissimo Ecclesiæ Principi, Armando Joanni de Rotondi de Biscaras, Episcopo & Domino Biterrensi, Abbati beatæ Mariæ Cendracensis, Regi à consiliis, &c. Historia Carmelitana Theologicè propugnata. Quæstio Theologica. Quis Prophetas facit Successores post se? Ecclesiastici Cap. 48, in: Bayle, Œuvres, Bd. 1, 1727, S. 82–84, hier S. 84a.: „[…] rempli d’érudition, de lecture, & de recherches curieuses; mais on y trouve beaucoup de visions & de chimeres […].“

8 Resümee und Ausblick La grande bataille d’idées a eu avant 1715, et même avant 1700. 1

8.1 Neugierde Der Königsberger Professor für Zoologie und Anatomie Karl Ernst von Baer (1792–1876) monierte 1835, dass die „freilich etwas alt gewordenen Statuten“ der Universität Königsberg den Dekanen vorschrieben, dafür zu sorgen, dass in den Dissertationen „nichts Neues enthalten sei“ („ne quid novi insit“). 2 Mabillon gab seinem dem Nachwuchs der Kongregation von St. Maur gewidmeten Traité die etwas aufregendere Empfehlung mit auf den Weg, sich von allen Vorannahmen freizumachen und nichts zu bestätigen, „von dem man nicht einen klaren und bestimmten Begriff“ besäße. Dass diese Haltung „einem ehrbaren Mann“ gut zu Gesicht stünde, habe bereits Cicero in De natura deorum geäußert. 3 Mabillon hatte den Traité –––––––— 1 2

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Hazard, Crise (1935), S. 470. Vgl. Karl Ernst von Baer, Blicke auf die Entwickelung der Wissenschaft. Vortrag in der öffentlichen Sitzung der Akademie der Wissenschaften zu St. Petersburg am 29. Dec. 1835, in: ders., Reden gehalten in wissenschaftlichen Versammlungen und kleinere Aufsätze vermischten Inhalts, Teil 1: Reden, St. Petersburg 1864, S. 75–161, hier S. 151 Anm.**. Vgl. Wolf Lepenies, Das Ende der Naturgeschichte. Wandel kultureller Selbstverständlichkeiten in den Wissenschaften des 18. und 19. Jahrhunderts, München/Wien 1976, S. 9 Anm.*. Vgl. Mabillon, Traité, 1691, S. 243: „Pour ne pas tomber dans la surprise, aprés avoir tâché de se dépoüiller de toutes sortes de préjugez, de la naissance, de l’éducation, des sens, des passions, & des communes opinions des hommes, il faut faire en sorte que l’on n’assûre rien dont on n’ait une idée claire & distincte. Car c’est une chose insupportable dans un honneste homme, comme dit Ciceron ¢marginal: Cic. lib. 1. de nat. Deor. n. 1², d’avoir de faux sentimens, ou de soutenir sans hesiter ce que l’on ne connoist pas distinctement. Quid tam temerarium, tamque indignum sapientis gravitate atque constantia, quam aut falsum sentire, aut quod NON SATIS EXPLORATE PERCEPTUM SIT ET COGNITUM, sine ulla dubitatione defendere?“ Vgl. Cicero, De natura deorum. Academica. With an English Translation by H. Rackham (LCL 268. Cicero 19), Cambridge, Mass./London 1994 [zuerst 1933], lib. I, cap. 1, S. 2: „[…] aut quid tam temerarium tamque indignum sapientis gravitate atque constantia quam aut falsum sentire aut quod non satis explorate perceptum sit et cognitum sine ulla dubitatione defendere?“ Vgl. auch Descartes, Discours, in: ders., Oeuvres, Bd. 6, ed. Adam/Tannery (1902), S. 18: „Le premier estoit de ne receuoir iamais aucune chose pour vraye, que ie ne la connusse euidemment estre telle: c’est a dire, d’euiter

754 unter anderem als Erwiderung auf die anachoretisch-aszetisch orientierten Kontroversschriften des Abbé Armand Jean Le Bouthilier de Rancé (1626– 1700) geschrieben. Im Zentrum der monastischen Lebensform, so Rancé, hätten nicht Studium und Lektüre, sondern Bußübung und Gebet zu stehen. Eine über die heiligen Schriften und die zu ihrem Verständnis notwendigen Texte hinausgreifende gelehrte Tätigkeit bewege sich hingegen in den Bahnen der dem Mönchtum inadäquaten curiositas, die einen Geist der Anfechtung und Zerstreuung befördere. 4 Mabillon hingegen hatte im Traité den Nachweis angestrebt, dass die études insofern nicht dem Geist des Klosterlebens („esprit monastique“) entgegenstünden, als sie seit jeher ohne großen Widerspruch praktiziert worden seien. Kirchenväter, Päpste und Konzilien hätten sie nicht nur nicht verboten, sondern den Mönchen geradezu auferlegt. 5 Die Handarbeit sei zwar die den Mönchen genuin ziemende Tätigkeit. Allerdings sei „Gott […] nicht weniger der Herr des Leibs als der des Geists, und er wünscht, dass ihm der eine und der andere dieser beiden Teile, die den Menschen bilden, dienstbar ist.“ 6 Von der Wissbegierde als dem alleinigen Movens der historiographischen Lektüre hatte sich Mabillon natürlich entschieden distanziert. Erwachsen teils aus dem „Vergnügen, welches man daran empfindet, von Dingen zu lesen, die uns gefällig sind, und neue Entdeckungen im Land –––––––—

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soigneusement la Precipitation, & la Preuention; & de ne comprendre rien de plus en mes iugemens, que ce qui se presenteroit si clairement & si distinctement a mon esprit, que ie n’eusse aucune occasion de le mettre en doute.“ Vgl. Leclercq, Mabillon, Teil 2 (1957), S. 503–530; Blandine Barret-Kriegel, Les historiens et la monarchie (Les chemins de l’histoire), Bd. 1: Jean Mabillon, Paris 1988, S. 89–145; Chaussy, Bénédictins, Bd. 1 (1989), S. 59, 63–67, 95ff. Eine Zusammenfassung der Debatte aus Sicht der Mauriner bietet Vincent Thuillier, Histoire de la Contestation Sur les Etudes Monastiques, entre le R. Pere Armand Jean Bouthillier de Rancé Abbé de la Trappe, & D. Jean Mabillon Religieux de la Congrégation de S. Maur, in: OUVRAGES || POSTHUMES || DE || D. JEAN MABILLON || ET DE || D. THIERRI RUINART, || BENEDICTINS DE LA CONGREGATION || de Saint Maur. || TOME PREMIER, || CONTENANT || Un Recueil des petits Ecrits de Dom Jean Mabillon avec des additions. || Ses Lettres & celles des personnes illustres par leurs dignitez, ou || par leur savoir, qui lui ont écrit. Et l’Histoire de quelques || contestations Littéraires, où ce savant homme est entré. || Par D. VINCENT THVILLIER, Benedictin de la || même Congrégation. || A PARIS, || Chez FRANÇOIS BABUTY, à Saint Chrysostome, || JEAN-FRANÇOIS JOSSE, à la Fleur de Lys d’or, rue S. Jacques, || JOMBERT le jeune, rue neuve de Richelieu Place de Sorbonne. || MDCCXXIV. || AVEC APPROBATION ET PRIVILEGE DU ROY (Reprint Westmead 1967), S. 365–391. Vgl. Mabillon, Traité, 1691, S. 69: „Si les études avoient esté si contraires à l’esprit monastique, il ne pourroit faire que l’on ne se fût récrié contre un usage qui a esté pratiqué dans tous les siecles depuis l’établissement de la vie solitaire. Mais bien loin qu’on y ait trouvé à redire, j’ay déja montré que les Peres avoient approuvé cet exercice: & nous allons voir que les Conciles & les Papes y ont obligé les moines […].“ Vgl. ebd., S. 88: „Dieu n’est pas moins le Seigneur du corps que de l’esprit, & il veut estre servi de l’un & de l’autre de ces deux parties qui composent l’homme.“

755 der Schriftlichkeit zu machen“, teils aus der Freude an der Mannigfaltigkeit der Dinge selbst, erfülle sie den noch ungeformten „Geist und das Gedächtnis der jungen Leute“ mit einer „unendlichen Menge von Vorstellungen und Trugbildern“, während „das Herz leer und ganz und gar vertrocknet bleibt […].“ 7 Dies hatte ihn allerdings nicht davon absehen lassen, den Traité, neben einer Aufstellung der Bücher und Editionen, die in einer idealen klerikalen Bibliothek vorhanden sein sollten, 8 mit einer Liste des principales difficultez qui se rencontrent dans la lecture des Conciles, des Peres, & de l’histoire ecclesiastique, par ordre de siecle zu beschließen. 9 Diese Liste bestand aus einer nach Jahrhunderten gegliederten Aneinanderreihung von Fragen, die Mabillon nicht hinreichend geklärt schienen. Sie indiziert, unbenommen der verbalen Zurückweisung der sich selbst genügenden curiositas, einen Zug zum Wissenwollen, der aus der Einsicht in die Grenzen des bis dahin verfügbaren Wissens erwuchs. Teilweise wurden einfache Kenntnisdefizite thematisiert: „Der Brauch, die Gläubigen in den Kirchen zu beerdigen; ist er wesentlich älter als das 5. Jahrhundert? Bestattete man hier unterschiedslos all jene, die es wünschten?“ 10 Teilweise zielten die Fragen auf die Interpretation von Sachverhalten, welche die Historiographen wahrscheinlich aller christlichen Jahrhunderte beschäftigt hatten, beispielsweise, was das Verhältnis zwischen klerikaler und laikaler Gewalt anbelangte: „Steht es fest, dass die Franzosen sich an Papst Zacharias gewandt haben, um Pippin auf den Thron zu heben, zum Nachteil des Königs Childerich? Geschah dies nicht nur deswegen, um diesen Wechsel zu bemänteln und ihn auf die Autorität des Papsts zu stützen?“ 11 Und: „Hat Gregor VII. unrecht getan in der Art und Weise, auf die er die Kaiser mit Namen Heinrich behandelt hat? Ist er der erste Papst, der sich die Macht zugeschrieben hat, die Könige abzusetzen?“12 –––––––— 7

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Vgl. ebd., S. 390: „Cette curiosité peut venir des differens principes. Le plaisir, que l’on ressent à lire des choses qui nous sont agréables, & à faire de nouvelles découvertes dans le païs des lettres, y a souvent beaucoup de part. […] La diversité ne plaist pas moins; & comme l’esprit & la memoire des jeunes gens sont encore vuides, on se haste de les remplir d’une infinité d’idées & de phantômes. Cependant le cœur demeure vuide & sec tout ensemble […].“ Vgl. Catalogue des meilleurs livres avec les meilleures editions, Pour composer une Bibliotéque ecclesiastique, ebd., S. 405–424. Vgl. ebd., S. 425–476. Ebd., S. 415: „La coûtume d’enterrer les fideles dans les eglises, est-elle plus ancienne que le cinquiéme siecle? Y enterroit-on indifferemment tous ceux qui le souhaitoient?“ Ebd., S. 420: „Est-il certain que les François eurent recours au Pape Zacharie pour élever Pepin sur le thrône, au prejudice du Roy Childeric? N’étoit-ce pas seulement pour colorer ce changement, & l’appuyer de l’autorité du Pape?“ Ebd., S. 422: „Gregoire VII. a-t-il eu tort dans la maniere dont il a traité les Empereurs Henris? Est-il le premier Pape qui s’est attribué le pouvoir de déposer les Rois?“

756 Das 17. Jahrhundert war in historiographiegeschichtlicher Hinsicht weder quantitativ noch qualitativ eine dunkle Krisenzeit. Beim Stand der Dinge repräsentiert die Krisendiagnose wenig anderes, als den Versuch, mit einer Zeit, deren historiographische Produktion kaum zu überblicken ist und deren Erschließung die moderne Forschung vor zahlreiche handwerkliche und methodische Probleme stellt, möglichst unaufwendig umzugehen. Aufgrund der epochalen Vorlieben namentlich der deutschen Historiographiegeschichte dürfte sich auf absehbare Zeit ohnehin wenig daran ändern, dass wahlweise mit den volkssprachlichen Traktaten Gatterers oder Schlözers oder mit den historiographischen Werken Schillers der Durchbruch der modernen Geschichtswissenschaft und ihrer darstellenden Form schlechthin assoziiert wird. Wenn sich die Historiographiegeschichte allerdings aufmachen sollte, ähnlich wie die Verfassungsgeschichte oder Wirtschaftsgeschichte, einen eigenständigen Teilbereich frühneuzeitlicher Geschichtswissenschaft zu konstituieren, 13 ist der traditionelle geisteswissenschaftliche Anspruch, auf der Basis auch kleinerer Korpora geschichtliche Entwicklungen in ihrer Totalität erklären zu wollen, aufzugeben. Die durch die Anthologien Kesslers, Blankes und Fleischers bekannt gewordenen Traktate der ars historica und der deutschsprachigen Aufklärung dürften zusammen genommen nicht einmal den Umfang eines einzigen Bands der Annales ecclesiastici oder der Acta Sanctorum erreichen. Der organisatorische und intellektuelle Aufwand, der sich in diesen wirkungsmächtigen Werken und ihren anspruchsvollen Formen verkörperte, ist mit der Abfassung des einen oder anderen theoretischen oder theoretisierenden Traktats schwerlich zu vergleichen. Als Paul Hazard (1878–1944) in seiner Crise de la conscience européenne von 1935 auf Leibniz, Muratori, Mabillon und die Bollandisten zu sprechen kam, deren gelehrte Werke er – vermutlich als erster – als Antwort auf das von ihm angenommene Krisenszenario des späteren 17. Jahrhunderts interpretierte, war er zwar bereit, ihren Anstrengungen einen gewissen Respekt entgegenzubringen. Grundsätzlich aber sprach er doch von einer Tätigkeit von „Sklaven“ („esclaves“), deren Produkte er von den darstellenden Historiographen als gar nicht erst zur Kenntnis genommen wähnte: So saßen auf der einen Seite die Arbeitstiere, schrieben einen miserablen Stil, überluden die Ränder ihrer schwerfälligen und unklaren Bücher mit Notizen – nach eigenem Willen zur Arbeit ohne Ruhm verurteilt. Auf der anderen Seite standen die Historiker, verschmähten es als erhabene Geister, sich mit Kleinigkeiten abzugeben, überließen die spitzfindigen Unterscheidungen mittelmäßigen Leuten, und gingen allen Diskussionen, welche das Feuer, das sie belebte, nur hätten ersticken können, aus dem We-

–––––––— 13

Vgl. Völkel, Geschichtsschreibung (2006), S. 11f.

757 ge. Die Sklaven häuften Material an, und die großen Herren ließen es verächtlich beiseite liegen. 14

Die seither zum Basisrepertoire historiographiegeschichtlichen Epochendenkens zählende Trennung von forschendem Gelehrten und darstellendem Historiographen ist empirisch zu keinem Zeitpunkt ernsthaft untersucht worden. Dass sich bereits Mabillon, um hier nur ihn zu nennen, neben seiner herausgeberischen Tätigkeit mit den Annales Ordinis Sancti Benedicti auch als Historiograph im engeren Sinn betätigte und der Weg von der Publikation historischer Dokumente zu deren Verarbeitung in verschiedenen Gattungen zumeist sehr kurz gewesen sein dürfte, war der Forschung bislang kaum eine Bemerkung wert. Wissenschaftsgeschichtlich wird man dabei schwer übersehen können, dass jene „erhabenen Geister“, die wenig Anlass sahen, sich mit diesen in der Tat komplexen und zumeist voluminösen Werken zu beschäftigen, weniger in der frühen Neuzeit anzusiedeln sind, sondern in der lange Zeit geistesgeschichtlich dominierten Historiographiegeschichte des 20. Jahrhunderts. In der vorliegenden Arbeit waren nun in der Tat Aspekte von Interesse, die unterhalb der Ebene der großen Ideen und epochalen Würfe angesiedelt sind. Es galt, Fuß-, End- oder Marginalnoten zu studieren, Referenzen zu verfolgen, sich mit den nicht immer erhabenen Inhalten gelehrter Briefe zu beschäftigen, Dedikationsepisteln und Leserapostrophen zu studieren, sich mit editorischen Vorgehensweisen in Theorie und Praxis zu befassen sowie exemplarisch einige Bewegungen zu verfolgen, die sich auf dem Feld des historischen Wissens des 17. Jahrhunderts vollzogen. Im Mittelpunkt stand mit den Acta Sanctorum ein Werk, das der Historiographiegeschichte wahlweise als ein Beitrag zur Säkularisierung der Historie – als einer der angeblichen Bedingungen für ihre „Verwissenschaftlichung“ – von Interesse war, das als vermeintliche Entschuldung des Katholizismus für dessen hagiographische Traditionen in der Auseinandersetzung mit dem Protestantismus interpretiert wurde oder eben als Reaktion auf den andrängenden Zweifel des historischen Skeptizismus. Diese Assoziationen haben jedoch wenig dazu beigetragen, die Acta Sanctorum in ihrer Entstehung zu erklären, in ihren Eigenarten zu verstehen oder auch nur ein angemesses Ver–––––––— 14

Vgl. Paul Hazard, Die Krise des europäischen Geistes. La Crise de la Conscience Européene. 1680–1715. Aus dem Franz. übertr. v. Harriet Wegener, Hamburg 1939, S. 78. Vgl. ders., Crise (1935), S. 51: „D’une part, les tâcherons, qui écrivaient mal, qui chargeaient de références les marges de leurs livres, qui étaient lourds, qui étaient obscurs, condamnés volontaires aux travaux sans gloire. De l’autre les historiens, génies élevés, dédaignant de s’abaissaer aux minuties, laissant aux esprits médiocres les recherches pointilleuses, évitant des discussions qui auraient étouffé le feu qui les animait. Les esclaves amassaient des matériaux que les grands seigneurs des lettres méprisaient.“

758 ständnis von der Verteilung der Gewichte auf den Feldern der Historiographie und Hagiographie im 17. Jahrhundert zu entwickeln.

8.2 Anliegen Nach den Vorstellungen Bollands waren die Acta Sanctorum ein Werk mit konservatorischem und memorialem Anspruch. Um drohendem Vergessen und Verfall entgegenzuwirken, sollten alle historischen Materialien, die über die Heiligen Auskunft zu geben in der Lage waren, an einem Ort gebündelt werden. Keine Heilige und kein Heiliger sollten übersehen werden. Das zentrale Anliegen, das sich in Bollands Praefatio der Januarbände artikulierte, war es, den geschichtlichen Heiligenviten einen Ort im gelehrten Erinnerungsgefüge des Katholizismus zu verschaffen. Dies bedeutete auf der einen Seite, dass genuin frühneuzeitliche Viten dann nicht berücksichtigt werden sollten, wenn sie das Leben frühchristlicher oder mittelalterlicher Heiliger darzustellen beanspruchten. Auf der anderen Seite waren die Acta Sanctorum jedoch durchaus als ein Ort entworfen worden, an dem auch die neuen Heiligen des 16. und 17. Jahrhunderts und die über sie Auskunft gebenden Schriften versammelt und veröffentlicht werden sollten. Die Grenze zwischen historischen und zeitgenössischen Erzeugnissen gestaltete sich insbesondere dann fließend, wenn Schriftlichkeiten zur Debatte standen, die das Nachleben der Heiligen betrafen wie Kanonisationsakten, Mirakel- oder Translationsberichte. Auf dieser Grundlage entstand ein Werk, das sowohl editorische als auch enzyklopädische Merkmale in sich vereinigt. Streckenweise besitzt es Züge eines Florilegiums. In den konzeptionellen Überlegungen Bollands allerdings standen die herausgeberischen Anteile im Vordergrund. Die Bereitschaft der jesuitischen Ordensleitung, langfristig Ressourcen in einem gelehrten Großprojekt zu binden, dessen Nutzen für den Katholizismus von verschiedenen Seiten bezweifelt und dessen Ausgang als unwägbar empfunden wurde, scheint dabei lange Zeit außerordentlich gering gewesen zu sein. Zwischen 1603, als Rosweyde erstmals den Gedanken formulierte, eine umfassende Vitensammlung erstellen zu wollen, und der Publikation der ersten Bände im Jahr 1643 vergingen 40 Jahre. Die auf einer damit kaum zu vergleichenden korporativen Basis ins Leben gerufenen und im Rahmen einer über Jahrhunderte erprobten Kultur des Skriptoriums erarbeiteten Acta Sanctorum Ordinis Sancti Benedicti sollten unter der Leitung Mabillons weniger Zeit benötigen, 33 Jahre, um vollständig vollendet zu werden. Dieser Unterschied ist nur mit Abstrichen dadurch zu erklären, dass sich die Mauriner auf die Heiligen der Benediktiner beschränkten. Schließlich publizierten sie im Laufe der Zeit noch zahlreiche andere editorische Werke. Mit abstrakten Grenzen der „barocken Wissensordnung“ hat die

759 sich kontinuierlich verlängernde Beschäftigung mit den Acta Sanctorum nichts zu tun. Die Arbeit an den Acta Sanctorum der Jesuiten war von Beginn an durch ein Missverhältnis zwischen globalen Ansprüchen und pragmatischen Zwängen geprägt. Da das Ausmaß der hagiographischen Traditionen zu der Zeit, als Bolland sein Programm formulierte, durchaus überrissen werden konnte – selbst Surius hatte den Abschluss von De probatis Sanctorum historiis nicht mehr erlebt –, kann nur vermutet werden, dass Bolland darauf hoffte, seinem allzu ambitionierten Konzept dadurch gerecht zu werden, dass er neben Rosweydes Hinterlassenschaften die inzwischen in beachtlichen Zahlen existierenden Drucke hagiographischer Texte in seine Sammlung integrierte. Die Ordensleitung beschäftigte bis 1635 eine einzige Person mit den Acta Sanctorum. Bis 1660 und der Abstellung einer dritten Person, Papebroch, wurde das inaugurierte hagiographische „Corpus generale“ (Boesch Gajano) von zwei Gelehrten, Bolland und Henschen, vorangetrieben. Die Acta Sanctorum standen ganz offensichtlich nicht auf der kirchenpolitischen Agenda des posttridentinischen Katholizismus im Allgemeinen oder auf jener der jesuitischen Ordensleitung im Besonderen. Auch erwiesen sich die seit Alexander VII. an Nachdrücklichkeit gewinnenden Versuche, den päpstlichen Kanonisationsreservat praktisch durchzusetzen, für Bollands Projekt als einigermaßen hinderlich. Während die Attribute „Sancta“ oder „Sanctus“ bis dahin einer Gemengelage aus lokalen und institutionellen Initiativen, aus devotionalen Praktiken, literarischen Konventionen und bischöflichen oder päpstlichen Approbationen entwachsen waren, wurde ihre Verwendung nun an die erfolgreiche Absolvierung einiger juristischer Verfahrensschritte gebunden. Bolland hatte folglich zu begründen, weshalb er keineswegs gewillt war, davon abzusehen, auch einige nicht anerkannte „Heilige“ wie Gertrud van Oosten, Heinrich Seuse oder den von der Ritenkongregation ausdrücklich nicht als heilig qualifizierten Robert von Arbrissel mit eigenen Dossiers in einem Acta Sanctorum genannten Werk auszustatten. Papebroch hingegen sollte später, in den konfliktreichen Jahrzehnten gegen Ende des Jahrhunderts, mit wachsendem Selbstbewusstsein die eine oder andere Entscheidung der Ritenkongregation kritisieren, seines Erachtens fabulöse Heilige ins liturgische Gedenken des Katholizismus aufzunehmen. All dies spricht keineswegs dafür, dass sich die bisweilen überzeichnete Funktion der Jesuiten als „eigentliche[m] Stoßtrupp der Gegenreformation und der katholischen Reform“15 in den Acta Sanctorum ungebrochen abgebildet hätte oder gar ursächlich für ihre Entstehung verantwortlich gewesen wäre. –––––––— 15

Vgl. Heinrich Richard Schmidt, Konfessionalisierung im 16. Jahrhundert (EDG 12), München 1992, S. 28.

760 Die geschichtswissenschaftliche Forschung hat erst allmählich begonnen, die Rolle anderer Orden in der frühen Neuzeit systematisch zu untersuchen. Die Integration neuerer Studien und deren differenzierende Ergebnisse in das geschichtswissenschaftliche Handbuchwissen bleibt allerdings in großen Teilen noch zu leisten. In diesem sind die Jesuiten nach wie vor einer der wenigen Orden, die – unter den Schlagworten der Bildung, der Gegenreformation und (innereuropäischen) Mission – überhaupt eine nennenswerte Präsenz entfalten. 16 Auch steht die mittlerweile umfangreiche –––––––— 16

Vgl. Ehrenpreis/Lotz-Heumann, Reformation (2002), S. 72, 108, 110, 117. Schmidt, Konfessionalisierung (1992), S. 43, erwähnt neben Jesuiten allein die Bildungsbestrebungen der Kapuziner und Observanten in Westfalen. Maximilian Lanzinner, Das konfessionelle Zeitalter 1555–1618, in: Gebhardt, Handbuch der deutschen Geschichte, Bd. 10, zehnte, völlig neu bearb. Aufl., hrsg. v. Wolfgang Reinhard, Stuttgart 2001, S. 3–203, hier S. 102, nimmt seinerseits auf „Franziskaner und Kapuziner“ Bezug, welche gegenüber den Jesuiten die „Seelsorge“ zu ihrer „eigentlichen Domäne“ gemacht hätten. Mit Hilfe der inzwischen ausgezeichneten Literatur zu einzelnen Städten und Regionen ließe sich ein repräsentativeres Bild der konfessionellen Kultur des Katholizismus – und auch der katholischen Reform und Gegenreformation – zeichnen. In Antwerpen beispielsweise befanden sich um 1700 Niederlassungen von 15 Männer- und 18 Frauenorden. Das Episkopat wurde seit der spanischen Rückeroberung 1585 bis Mitte des 18. Jahrhunderts in einigen Fällen von Ordensgeistlichen bekleidet, allerdings von keinem Jesuiten, sondern von zwei Dominikanern, einem Kapuziner und einem Augustiner. Vgl. Andriessen, Erneuerung (1986), S. 185ff. Vgl. zur Rolle der alten wie neuen Orden in Auswahl Jürgen Stillig, Jesuiten, Ketzer und Konvertiten in Niedersachsen. Untersuchungen zum Religions- und Bildungswesen im Hochstift Hildesheim in der Frühen Neuzeit (Schriftenreihe des Stadtarchivs und der Stadtbibliothek Hildesheim 22), Hildesheim 1993, S. 167–184; Wolfgang Zimmermann, Rekatholisierung, Konfessionalisierung und Ratsregiment. Der Prozeß des politischen und religiösen Wandels in der österreichischen Stadt Konstanz. 1548– 1637 (Konstanzer Geschichts- und Rechtsquellen 34), Sigmaringen 1994, S. 133– 154; Alexander Jendorff, Reformatio Catholica. Gesellschaftliche Handlungsspielräume kirchlichen Wandels im Erzstift Mainz. 1514–1630 (Reformationsgeschichtliche Studien und Texte 142), Münster 2000, S. 368–443; Arno Herzig, Konfession und Heilsgewissheit. Schlesien und die Grafschaft Glatz in der Frühen Neuzeit, Bielefeld 2002, S. 120–136; Hillard von Thiessen, Die Kapuziner zwischen Konfessionalisierung und Alltagskultur. Vergleichende Fallstudie am Beispiel Freiburgs und Hildesheims. 1599–1750 (Rombach Wissenschaften. Reihe Historiae 13), Freiburg i. Br. 2002; Rebekka von Mallinckrodt, Struktur und kollektiver Eigensinn. Kölner Laienbruderschaften im Zeitalter der Konfessionalisierung (Veröff. d. MPI f. Geschichte 209), Göttingen 2005, S. 137–296; Dietmar Schiersner, Politik, Konfession und Kommunikation. Studien zur katholischen Konfessionalisierung der Markgrafschaft Burgau 1550–1650 (Colloquia Augustana 19), Berlin 2005, S. 311ff., 344–352. Wenn mit diesen Arbeiten die Rolle der Jesuiten im konfessionellen Zeitalter gewiss nicht nivelliert wird, so ermöglichen sie doch deren angemessene Einordnung. Natürlich war von den Jesuiten allein das katholische Leben seit der Reformation weder essentiell zu befördern noch zu (re-)implantieren oder zu perpetuieren. Vgl. mit Konzentration auf die wichtige Ebene der Pfarreien etwa Günter Dippold, Konfessionalisierung am Obermain (Einzelarbeiten aus der Kirchengeschichte Bayerns 71), Staffelstein 1996. Sofern eine griffige Formel mit Allgemeinheitswert gewünscht werden sollte, bieten sich die Worte von Wolfgang Wallenta, Katholische Konfessionalisierung in Augsburg. 1548–1648 (Studien zur Geschichtsforschung der Neuzeit 28), Hamburg

761 ideen- und wissenschaftsgeschichtliche Literatur zu den gelehrten Erzeugnissen der Jesuiten nahezu unverbunden neben den institutionengeschichtlich orientierten Ansätzen der Konfessionalisierungsforschung. Jenseits einer auch inhaltlich angelegten Auseinandersetzung mit dem szientistischen Tun jesuitischer Gelehrter, erwähnt seien etwa die mathematischen und astronomischen Studien Christoph Scheiners (1575–1651) 17 oder die seit gut einem Jahrzehnt als Modell barocker Gelehrsamkeit par excellence begriffenen Schriften Athanasius Kirchers, 18 scheint es daher noch einigermaßen schwer erklärbar zu sein, auf welche Weise das Wirken dieser „‚erzreaktionäre[n]ǥ Gruppe“ – dieses Attribut bedarf keiner Begründung – trotz allem einige „höchst moderne Wirkungen“ hervorgebracht habe. Bislang tendiert die deutsche Geschichtswissenschaft dazu, im Sinne der Emergenztheorie, von „nicht-intendierte[n] Nebenwirkungen“ und nachgerade „gegen“ die „Absicht“ der Jesuiten erzielten Innovationen zu sprechen. 19 Aus Perspektive der vorliegenden Studie scheint es allerdings angemessener, die szientistischen und publizistischen Bestrebungen des Ordens zu den verschiedenen Schattierungen seines insgesamt aktivistischen Selbstverständnisses zu zählen, 20 das keineswegs, zumal im west- und mitteleuropäischen Maßstab, in jedem Fall und an jedem Ort in die Begriffe einer direkten und scharfen Konfrontation von Protestantismus und Katholizismus zu –––––––—

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2003, S. 225, an: „Zweifelsohne bildeten die Jesuiten und die anderen ‚neuenǥ Orden, die sich in Augsburg niedergelassen hatten, die Spitze der Konfessionalisierungskräfte unter den Geistlichen. Von entscheidender Bedeutung für den Fortgang der inneren Festigung der katholischen Kirche war jedoch vor allem das Engagement der Bischöfe von Augsburg seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts.“ Vgl. zu den Orden ebd., S. 181–224. Vgl. Franz Daxecker, Einleitung, in: Briefe des Naturwissenschaftlers Christoph Scheiner SJ an Erzherzog Leopold V. von Österreich-Tirol. 1620–1632, Innsbruck 1995, S. 3–18. Vgl. in Auswahl Thomas Leinkauf, Mundus combinatus. Studien zur Struktur der barocken Universalwissenschaft am Beispiel Athanasius Kirchers SJ (1602–1680), Berlin 1993; Paula Findlen, Scientific Spectacle in Baroque Rome. Athanasius Kircher and the Roman College Museum, in: Roma moderna e contemporanea 3 (1995), S. 625–665; Eugenio Lo Sardo, The Courtly Machines, in: Iconismi & mirabilia da Athanasius Kircher. Introduzione di Umberto Eco, hrsg. v. dems. (Tecnica curiosa 2), Rom 1999, S. 233–274; Ingrid D. Rowland, Athanasius Kircher, Missionary Scientist, in: The Ecstatic Journey. Athanasius Kircher in Baroque Rome. With an Introduction by F. Sherwood Rowland, hrsg. v. Ingrid D. Rowland, Chicago 2000, S. 1–29; Paula Findlen, Science, History, and Erudition. Athanasius Kircher’s Museum at the Collegio Romano, in: The Great Art of Knowing. The Baroque Encyclopedia of Athanasius Kircher, hrsg. v. Daniel Stolzenberg, Stanford 2001, S. 17–26. Wolfgang Reinhard, Rezension: Schmidt, Konfessionalisierung (1992), in: ZHF 22 (1995), S. 267–269, hier S. 269. Vgl. zu dieser Debatte Peter Hersche, Muße und Verschwendung. Europäische Gesellschaft und Kultur im Barockzeitalter, Teil 1, Freiburg i. Br./Basel/Wien 2006, S. 203–211. Vgl. dazu auch die Überlegungen von Mordechai Feingold, Jesuits: Savants, in: ders. (Hrsg.), Jesuit Science (2003), S. 1–45, hier S. 2ff.

762 übersetzen ist. Nach Maßgabe der im Vergleich mit dem Reich anders verlaufenden konfessionellen Entwicklungen trüge daher die intensivere Rezeption der französischen oder italienischen ideen- und wissenschaftsgeschichtlichen Literatur dazu bei, die Sensibilität für die innerkatholischen Verhältnisse und die möglichen Funktionen gelehrter Schriftproduktion im Rahmen des Katholizismus und seiner Traditionen zu schärfen. Eine Figur wie Rosweyde agierte zwar innerhalb eines von der Gegenreformation geprägten Territoriums. Die im eigentlichen Sinne kontroverstheologischen Tätigkeiten, zu denen ihn die Ordensleitung zu drängen suchte, trafen sich allerdings durchaus nicht mit den von ihm bevorzugten altertumskundlichen Aspirationen.

8.3 Altertum Rosweydes Plan zu einer Vitensammlung größeren Umfangs dürfte zu wichtigen Teilen aus dem Faszinosum erwachsen sein, das die Anschauung historischer – „sehr alter“ – Handschriften in den Klöstern der Benediktiner namentlich von Liessies für die junge Intelligenz der Jesuiten bedeutete. Soweit erkennbar, widmete sich Rosweyde seit um 1599/1600 diesen bibliophilen Tätigkeiten. Das entscheidende Merkmal seines 1607 auf einigen Seiten der Öffentlichkeit präsentierten Konzepts bestand in dem Anspruch, die historischen Texte möglichst unverändert reproduzieren zu wollen. Die Historisierung des geschichtlichen Wortbestands, die sich in diesem Programm artikulierte, bliebe in ihren Implikationen genauer zu studieren. In der damaligen Situation zog Rosweydes Konzept zahlreiche – noch Bolland beschäftigende – Einwände seitens derer auf sich, die mit der weithin originalgetreuen Wiedergabe der historischen Heiligenviten dem Ansehen des Katholizismus eher geschadet als genützt sahen. In einer vollständig isolierten Situation befand sich Rosweyde allerdings nicht. Der Plan, den geschichtlichen Wortbestand im Zuge der typographischen Aufbereitung nicht mehr wesentlich zu überarbeiten, wurde, in den hier konsultierten Quellen, erstmals 1595 in Welsers Ausgabe der Viten Ulrichs von Augsburg mit Deutlichkeit zum Ausdruck gebracht. Welser hatte sich dabei von einigen Äußerungen inspirieren lassen, mit denen Gebehard von Augsburg und Bern von der Reichenau ihre Revision der ältesten Fassung der Vita begründet hatten. Aufgrund der bereits von Benz beschriebenen Verbindungen, die zwischen den Vertretern des bayerischen Späthumanismus und der katholischen Intelligenz in den Spanischen Niederlanden bestanden, dürfte es nahezu ausgeschlossen sein, dass Rosweyde Welsers Arbeiten nicht bekannt gewesen sind. Zudem könnte das Vorhaben, eine auf die in Belgien verehrten Heiligen bezogene Sammlung zu erstellen, bereits von den Antwerpener Jesuiten vor Rosweyde, seit spätestens Ende 1594, ventiliert wor-

763 den zu sein. Die Linien verweisen hier auf die hagiographischen Interessen des Petrus Canisius und seine Beziehungen zu den Kölner Kartäusern und namentlich Laurentius Surius. In Welser verkörpert sich idealtypisch die simultane Existenz einer lokalpatriotisch motivierten Beschäftigung mit den steinernen Hinterlassenschaften des städtischen „Altertums“ auf der einen Seite und dem seit etwa 1580 zunehmenden Interesse an den literarischen „Altertümern“ insbesondere der nachklassischen Zeiten auf der anderen. In ihrem zeitgenössischen Begriff sind gerade letztere schwer zu beschreiben. Erst in dieser besonderen gelehrten Konstellation scheinen jene zuvor mit eigentlichen Ausdrücken beschriebenen Artefakte („libri“, „volumina“, „manuscripta“) schrittweise in den Status eines historischen Denkmals („monumentum“) eingetreten zu sein. Es ist davon auszugehen, dass in diesem Kontext ein Mentalitätswandel unter den Gebildeten am Wirken war, derart, dass das gedruckte Buch inzwischen als Regelfall empfunden wurde, während die Erzeugnisse selbst der spätmittelalterlichen Manuskriptkultur dazu tendierten, als Produkte einer abgeschlossenen historischen Epoche – als „alt“ oder „sehr alt“ – wahrgenommen zu werden. Der Status eines Denkmals ließ, mithin gegen das eigene, humanistisch geschulte Sprach- und Stilempfinden gerichtet und im Angesicht der zahlreichen Dispute, die sich um das humanistische Leitprinzip der Emendation entwickelt hatten, die Bewahrung eines genuin historischen Textbestands zu einem möglichen Programmpunkt editorischer Tätigkeit werden. Der Blick auf die Handschriften dürfte sich damit jenem Blick angeglichen haben, der auf Inschriften, Münzen oder andere Artefakte geworfen wurde, die es zunächst einmal zu erfassen und im Sinne eines Abbilds zu reproduzieren galt. Ganz und gar identisch waren beide Blickrichtungen allerdings nicht. Im Spannungsfeld von Text und Wortmaterial, dokumentarischen und funktionalen Aspirationen repräsentierte und repräsentiert die historische Handschrift das wahrscheinlich komplizierteste Artefakt. Welser scheint zwar von einer syntaktischen Überarbeitung der mittelalterlichen Viten abgesehen zu haben. Von orthographischen Modernisierungen nahm allerdings auch er nicht Abstand. Insbesondere das mittellateinische „c“ an der Stelle des klassischen „t“ („preciosus“ für „pretiosus“) scheint für humanistisch geprägte Augen kaum erträglich gewesen zu sein. An solcher Varianz der Buchstaben wiederum fixierten und fixieren sich größere – und das Gefühlsleben wahrscheinlich bis heute prägende – diskursive Formationen, die das Verhältnis von Norm und Abweichung, von Zivilisiertheit und Barbarei in einem synchronischen wie diachronischen Sinn betrafen. Diese Weiterungen allerdings blieben eingehender zu studieren. Bei der antiquarisch inspirierten Umgangsweise mit historischen Texten handelte es sich um eine Bewegung, die gerade nicht aus der Philologie hervorgegangen war. Geschult am Interesse an den Texten der klassischen

764 Antike und, trotz aller Auseinandersetzungen, in weithin einmütiger Verachtung der mittelalterlichen Formen, in denen diese tradiert worden waren, orientierte sich diese am Leitprinzip der Emendation. Ziel war es, die Texte so aufzubereiten, dass sich in ihnen das klassische Latein wieder fand, das man als genuin voraussetzte, oder einfach dafür zu sorgen, dass klassische Texte ohne Störung des eigenen Sprachempfindens rezipiert werden konnten. Auf der Ebene dessen, was ausdrücklich diskutiert wurde, scheint es auch kaum Berührungspunkte zwischen diesen Strömungen gegeben zu haben. Die Absicht, historische Texte nicht mehr substantiell verändert oder sprachlich und stilistisch aktualisiert wiedergeben zu wollen, artikulierte sich in den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts bei Herausgebern wie H. Canisius, Rosweyde oder Marrier und Duchesne ohne Bezug auf die Latinisten oder Graezisten. Als Bolland 1643 diesen Zugriff zu rechtfertigen hatte, berief er sich auf andere „Liebhaber des Altertums“ („amatores antiquitatis“) wie Camden oder Klüver, auch wenn deren Werke, aus heutiger Sicht, strukturell mit den Acta Sanctorum wenig gemein zu haben scheinen. Einzelne Philologen wie Voss oder Du Cange griffen dann aus historisierter Perspektive auf die derart aufbereiteten Textbestände zurück und formten aus dem nachklassischen Latein einen Untersuchungsgegenstand eigener Wertigkeit. Man mag also, was die handschriftliche Überlieferung angeht, mit Michele C. Ferrari in den Jahrzehnten um 1600 Aspekte eines neuartigen Primats der Intangibilität des Historischen diagnostizieren können. Programmatisch beheimatete er sich mit Hilfe der damals schon konventionell gewordenen Dichotomien von Verfall und Rettung, von Vergessen und Entbergung in der historiographischen Konstellation des zeitgenössischen Antiquarianismus. In den einleitenden Worten der Januarbände und nicht zuletzt mit der Gestaltung des Kupfertitels wurden die Acta Sanctorum von ihren Urhebern selbst diesen Strömungen zugewiesen. Der Antipode zur Personifikation der Acta Sanctorum war Chronos, der die alte Überlieferung und mit ihr das historische Heer der Heiligen buchstäblich zu verschlingen drohte. Bemerkenswert dabei ist, dass die Heiligen selbst auf dem Kupfertitel der Acta Sanctorum keinerlei Raum für sich beanspruchten. 21 Dort, wo auf dem Titelbild von Baronios Martyrologium Romanum die Personifikationen der Ecclesia und Religio das Christus darstellende Altarbild flankierten, befanden sich auf dem Kupfertitel der Acta Sanctorum die Eruditio und die Veritas. Dort, wo Baronio auf deren Basiskonsolen patristische Maximen mit konfessionspolitischem Hintergrund hatte anbringen lassen, bevorzugten die Antwerpener Jesuiten die altertumskundlichen Motti Antiqua reduco und Obscura revelo. Die Acta Sanctorum sollten nicht als ein devotionales, als ein kontroverstheologisch oder kirchenpolitisch überformtes –––––––— 21

Vgl. Godding/Joassart/Lequeux [u. a.], Bollandistes (2007), S. 101.

765 Werk präsentiert werden, sondern als ein Erzeugnis, das aus der Tradition des gelehrten Katholizismus hervorgegangen war.

8.4 Edition Gemessen an der publizistischen Lage des fortgeschrittenen 17. Jahrhunderts und an der herausgeberischen Praxis der frühen Bollandisten entsprach dieses antiquarische Eigenbild nur mit Abstrichen der Realität. Anders als Rosweyde oder Chifflet waren die Vertreter der Acta Sanctorum mit und seit Bolland keine Pioniere, die mit großem zeitlichen Aufwand selbstständig durch die Bibliotheken streiften, um sich dort um Traditionen zu bemühen, die auch vor Ort kaum jemand mehr kannte. Ohnehin tendierte das Attribut des „Vergessens“ zur Synonymität mit „ungedruckt“. Die seit 1662 unternommenen Reisen bedeuteten, sieht man von den etwas längeren Aufenthalten in der Vaticana ab, in erster Linie die Möglichkeit, Kontakte zu knüpfen, sich Materialien zeigen zu lassen, um deren Abschrift und Übersendung an die Bollandisten zu bitten und zu weiterer Suche zu motivieren. Die Erschließung vor Ort und vermutlich auch die meisten Transkriptionen leisteten im Regelfall andere. Dies war einer der Gründe dafür, dass man sich intensiv um die Nachlässe von Jesuiten wie Gamans und Chifflet bemühte, die keineswegs alles, was sie in den Bibliotheken der von ihnen bereisten Regionen aufgetan hatten, an die Bollandisten kommuniziert hatten. Die Vertreter der Acta Sanctorum agierten aus einer mittelbaren Position heraus. Sie waren keine Spezialisten für die Handschriften selbst. Dass sie daher ebensowenig wie die Humanisten eine Nomenklatur zur Beschreibung der Handschriften oder analytische Sicherheit, was die Datierung derselben anbelangte, entwickelten, ist nicht überraschend. Das Werk der Bollandisten beruhte in seiner Substanz auf einer intelligenten Umgehensweise mit einer großen Zahl der ihnen übermittelten Abschriften und komplementären Informationen. Zu klären, in welchem Umfang man in Antwerpen materialiter über mittelalterliche Handschriften welcher Qualität verfügte und wie man in ihren Besitz gekommen war, bedürfte allerdings weiterer Studien. Der erste Eindruck scheint dahin zu weisen, dass solche Handschriften zumeist aus der Wirkungszeit Rosweydes stammten. Die Acta Sanctorum sind in den hier untersuchten Segmenten nicht unbedingt von zahlreichen Ersteditionen geprägt. Was die Ausgabe der Viten anbelangte, integrierte man auf sehr pragmatische Weise die nicht selten schon vorhandenen Drucke, arrondierte sie um in erster Linie inhaltliche Erläuterungen und – mit relativem Nachdruck – um die eine oder andere variante Lesart. Letztere bezogen sich vielfach auf alternative Schreibungen von Orts- und Personennamen, nicht selten auch auf variierende Incipits oder Explicits. Zu betonen, dass man über zahlreiche „Mss.“ verfüge, ver-

766 absäumte man kaum, obgleich diese „Mss.“ nicht immer derart intensiv genutzt wurden, wie es eine periphere Lektüre der Dossiers nahe legt. Dieser, als Tendenz zu begreifende, Befund konvergiert mit der globalen Anlage der Acta Sanctorum. Angesichts des Anspruchs auf Totalität konnte nicht jedes Dossier mit unbekannten Viten bestritten werden. Ebenso war es nicht möglich, für jede bereits andernorts gedruckte Vita handschriftliche Vorlagen, respektive Abschriften, zu organisieren, zumal solche, die man im Vergleich mit vorhandenen Drucken als „besser“ hätte bewerten wollen. Trotz des antiquarischen Anspruchs, drohendem Vergessen zu begegnen, waren es gerade die damals weniger erschlossenen Felder, auf denen sich die Protagonisten der Acta Sanctorum in Zurückhaltung üben konnten. Eine Linie im Umgang mit den kaum bekannten Viten irischer Heiliger zu finden, bereitete den Bollandisten große Schwierigkeiten. Dies gilt sowohl, was die Transkription der Texte aus dem Codex Salmanticensis anbelangt, als auch hinsichtlich der geschichtlichen Zuordnung der in diesen Viten genannten Personen, Orte und Sachverhalte. Diese und andere pragmatische Probleme, die mit der Publikation der Acta Sanctorum Scotiae seu Hiberniae durch die Minoriten des irischen Priesterseminars St. Antonius von Padua in Löwen im Jahr 1645 offenkundig wurden, rationalisierten die Bollandisten in der Folgezeit mit konzeptionellen Argumenten, die vor allem auf die vermeintlich unzulängliche Qualität der irischen Hagiographie selbst abzielten, die mit den hohen Standards der Acta Sanctorum angeblich nicht zu vereinbaren sei. Wollte man solche und ähnliche Äußerungen isolieren und nur sie als Beleg für das sich in den Acta Sanctorum repräsentierende Niveau anführen, würde dies bedeuten, ein auf genau diese Wirkung ausgerichtetes Eigenbild mit der Summe der historischen Gegebenheiten zu identifizieren. Die Hintergründe und Fundamente konzeptioneller oder vom Einzelfall abstrahierender Aussagen zu untersuchen und die Konturen des – notwendig komplexen – Strukturwissens zu bestimmen, das sie determinierte, einschließlich des Wissens um publizistische Effekte, stellt eine der anspruchsvolleren Aufgaben der Historiographiegeschichte dar. Möglicherweise ist es auf die sich abzeichnende Konkurrenz mit den nahezu zeitgleich entstandenen Acta Sanctorum Scotiae seu Hiberniae zurückzuführen, dass Bolland eine erste Fassung der Januarbände, die nach ihrem ältesten zensorischen Vermerk am 7. Oktober 1634 approbiert worden war, nicht publizierte. Stattdessen wurde er mit dem Helfer Henschen ausgestattet und machte sich an eine grundlegende Überarbeitung dieser älteren Fassung. Deren Reste dürften sich, nach Bollands eigenen Aussagen, in einigen Dossiers des 1. bis 4. Januar erhalten haben. Sie scheinen wenig mehr umfasst zu haben, als, wie das Dossier des hl. Fulgentius von Ruspe, einige einleitende Bemerkungen und den Druck einer Vita, die keine Erläuterungen oder Varianten aufwies. Als ausdrückliches Vorbild für die sich dann intensivierenden Kommentare präsentierte Bolland allerdings die – zu

767 dieser Zeit auf ungleich höherem Niveau angesiedelten – Illustrium ecclesiæ orientalis scriptorum vitae et documenta des Jesuiten Halloix von 1633. Soweit erkennbar begann sich erst danach die Suche nach neuen Texten zu intensivieren. Dies wiederum führte dazu, dass sich im Laufe der Zeit eine beachtliche Zahl von verschiedenen Versionen oder Redaktionen einzelner Viten in Antwerpen ansammelte. Dadurch trat, etwas vereinfacht gesagt, die relative Homogenität und die, durch unterschiedliche Funktionszusammenhänge bedingte, formale Varianz prinzipiell ähnlicher Texte zu Tage. Eine konsistente editorische Umgehensweise mit diesem Aspekt, der sich den Gelehrten des 17. Jahrhunderts als Effekt ihrer Sammeltätigkeit darbot, dürfte im historiographischen Kontext nicht vor den fortgeschrittenen Ausgaben der Monumenta Germaniae Historia zu erwarten sein. Mit dem Anspruch, dass der Edition eines Texts im Idealfall die vollständige Sichtung der erhaltenen Überlieferungsträger vorausgegangen sein sollte, wurde er in den Bereich der editorischen Prinzipien eingeholt. 22 Der Plan, möglichst alte Tatenberichte weithin unverändert darbieten zu wollen, war damit bald von der Komplexität der Wirklichkeit eingeholt worden. Häufig war es kaum mit Sicherheit zu entscheiden, welche von zwei Fassungen einer Vita die ältere darstellte. Die bis in die Konstruktion der BHL hinein wirkende Differenzierung zwischen „kürzeren“ und „längeren“ Viten kristallisierte sich im Laufe der Zeit als eine pragmatische Art heraus, mit diesen Problemen umzugehen, auch wenn bereits die Vor- oder Nachordnung dieses oder jenes Texts unter den Bedingungen der frühen Neuzeit nicht immer mit Souveränität zu bewältigen war.

8.5 Praxis Die Frage der historischen Wahrheit steht in herausgeberischen Zusammenhängen nicht an erster Stelle. Das Modell abgestufter Plausibilität, das Bolland in seiner Einleitung der Januarbände präsentiert hatte, ist nicht in ein editorisches Programm zu übersetzen. Vielmehr gab Bolland seinen Leserinnen und Lesern ein Hilfsmittel an die Hand, um die von ihm herausgegebenen Schriften selbstständig und grob kategorisieren zu können. Die historiographiegeschichtlich interessantere Einsicht Bollands lag ohnehin darin, dass ein großer und von ihm sehr wohl zu edierender Teil der Überlieferung mit diesem Modell nicht zu erfassen war. Zahlreiche Texte waren bisweilen Jahrhunderte nach den beschriebenen Ereignissen entstanden oder nur in –––––––— 22

Vgl. Hartmut Hoffmann, Die Edition in den Anfängen der Monumenta Germaniae Historica, in: Mittelalterliche Texte. Überlieferung – Befunde – Deutungen. Kolloquium der Zentraldirektion der Monumenta Germaniae Historica am 28.–29. Juni 1996, hrsg. v. Rudolf Schieffer (MGH Schriften 42), Hannover 1996, S. 189–232; Ferrari, Philologie (2001), S. 231f.

768 späteren Formen erhalten. Dies war insbesondere am Beispiel der über das Leben frühchristlicher Heiliger berichtenden Viten und Passiones nicht zu übersehen. Obwohl diese vielfach dem Gebiet der fama zugewiesen werden mussten, durften auch sie, so Bolland, nicht vorschnell verworfen werden. Schließlich waren die Bedingungen der Tradition wie absichtsvolle Zerstörung oder durch die Wirren der Zeiten bedingte Verluste berücksichtigt werden. In jedem Fall hielten diese und ähnliche Überlegungen, die aus den Komplikationen der editorischen Praxis erwachsen waren, Bolland und später auch Mabillon davon ab, ihr Heil in einfachen Maximen zu suchen oder einseitig die Größe des „Originals“ zu exponieren. Diesen Gelehrten war klar, dass mit einem „Original“ im Sinne einer literarischen Einheit von Verfasserschaft und materieller (autographer) Zeitgenossenschaft häufig genug gar nicht gerechnet werden konnte. Den um Anschluss an die zu ihrer Zeit längst etablierten investigativen und analytischen Standards ringenden Theoretikern der deutschen Spätaufklärung blieben solche Einsichten durchaus fremd. Die Frage nach der Verwendung historischen Belegmaterials, nach den Techniken seiner Evaluation und nach den Strukturen und Verläufen historiographischer Debatten im fortschreitenden 17. Jahrhundert führt an die Grenzen dessen, was monographisch abgebildet werden kann. Mit der sich standardisierenden Konsultation einer wachsenden Zahl zeitgenössischer Werke und historischer Schriften auf der einen Seite sowie der Thesenfreudigkeit ihrer Protagonisten auf der anderen entwickelten sich die Acta Sanctorum zu einem gewichtigen Zentrum der historiographisch interessierten Gelehrtenrepublik. Die Vielzahl der in den Acta Sanctorum behandelten Themen zog das Augenmerk jener auf sich, die die von Antwerpen ausgehenden Bewegungen, und seien sie kontroverser Natur, zu schätzen wussten. Dies gilt nicht nur für die bekanntere Auseinandersetzung mit den Karmeliten oder für Henschens Streit mit Valois um die „Entdeckung“ des zweiten Dagobert, sondern auch für eine Reihe kleinerer – hier nicht mehr behandelter – Debatten. Bayle etwa besprach 1686 in den Nouvelles de la République des Lettres die 1685 gedruckte Ogygia seu rerum Hibernicarum chronologia des irischen Historiographen Roderick O’Flaherty (1627/30– 1716/18). Wie von Bayle seiner Leserschaft mitgeteilt wurde, hatte sich O’Flaherty unter anderem abschlägig mit Henschens Ansichten zur Ankunft der lateinischen Schrift in Irland beschäftigt und dabei einige interessante Details „sur la mobilité des Langues“ beobachtet. 23 –––––––— 23

Vgl. OGYGIA: || SEU, || RERUM HIBERNICARUM || CHRONOLOGIA. || Ex Pervetustis Monumentis fideliter inter se collatis eruta, at- || que è Sacris ac Prophanis Literis primarum Orbis Gentium || tam Genealogicis, quam Chronologicis sufflaminata præsidiis. || LIBER PRIMUS. || Ab universali Diluvio, ad annum Virginei partus 428. || In tres Partes distinctus. || Authore Roderico O Flaherty Armigero. || Londini, Typis R. Everingham, Sumptibus Ben. Tooke, || ad insigne Navis in Cœmeterio D.

769 Natürlich waren die Acta Sanctorum nicht der einzige Ort, an dem mit großem investigativem Aufwand geschichtliche Abläufe rekonstruiert wurden, an dem um Deutungen gerungen und über die Aussagekraft dieses oder jenes Dokuments gestritten wurde. Die Erschließung und Aufbereitung unterschiedlicher geschichtlicher Güter, ihre Verortung in Zeit und Raum sowie ihre Integration in den Kontext des Historiographischen waren, mit unterschiedlichen Schattierungen, das eigentliche Betätigungsfeld des frühneuzeitlichen Antiquarianismus. Durch ihn wurde die Geschichtsschreibung gewissermaßen vom Kopf auf die Füße gestellt. Hier stabilisierte sich eine analytische Weise der Rede über historische Sachverhalte, in der die Aussagen der jeweils verwandten historischen Dokumente und zeitgenössischen Schriften referiert sowie die daraus zu ziehenden Schlüsse selbst zum Gegenstand der Darstellung werden konnten. Die Trennung zwischen „forschendem Antiquar“ des 17. Jahrhunderts und einem „erzählenden“ oder „deutenden“ Historiographen des 18. Jahrhunderts ist nicht geeignet, um diese Verhältnisse oder auch nur die Heterogenität der Texttypen, die sich in einem komplexen Werk wie den Acta Sanctorum zusammenfanden, zu beschreiben. Dort, wo bis dahin nicht publizierte Materialien bekannt wurden, erfuhren sie eine baldige Rezeption. Sie wurden mit bestehenden Kenntnissen abgeglichen und auch in nicht-editorischen historiographischen Gattungen benutzt wie in LeCointes Annales ecclesiastici Francorum. Historische Kenntnisse veränderten sich in dieser Zeit auf durchaus rekonstruierbare Art und Weise. In der vorliegenden Arbeit konnten solche Vorgänge anhand des vergleichsweise einfachen Beispiels der Chronologie und Genealogie der Merowinger untersucht werden: Welche Herrschaftsdaten verbanden sich zu Beginn des 17. Jahrhunderts mit Dagobert I. oder Dagobert II.? Wann hatten sie nach Ansicht Valois’, Henschens und LeCointes regiert? Auf welche Quellen stützten sich deren Ausführungen und wie war ihre Argumentation? Was konnte den Nachschlagewerken seit Moréri entnommen werden? Papebrochs Verschiebung der päpstlichen Approbation der Regel der Karmeliten von dem noch Baronio plausibel anmutenden Alexander III. ins 13. Jahrhundert zu Honorius III. wiederum zeitigte derart grundlegende Wirbel im personalen Spektrum der vermeintlich ersten Priore der Karmeliten im Heiligen Land – Brocardus, Berthold und Cyrillus –, dass die daraus resultierenden Fragen bis heute nicht befriedigend geklärt sind. –––––––— Pauli. A. D. 1685, S. 214–217, 242–245. Der Bezugspunkt war Henschens Dossier des hl. Patrick in den Märzbänden. Wie O’Flaherty sprach allerdings auch Bayle konsequent von Ansichten Bollands. Vgl. Nouvelles de la République des Lettres. Mois d’Août, 1686, Article III.: Ogygia: seu rerum Hibernicarum Chronologia, &c. C’està-dire, Chronologie d’Irlande, Authore Roderico O Flaherty, Armigero. Londini sumptibus Ben. Tooke in Cœmeterio D. Pauli. 1685. in 12, in: Bayle, Œuvres, Bd. 1, 1727, S. 617–619, hier S. 619a.

770 Die Gepflogenheiten der gelehrten Kommunikation scheinen insgesamt robust gewesen zu sein. Die frühen Bollandisten waren geschickte Spieler auf einem Feld, dessen Mechanismen sie mit beachtlicher strategischer Intelligenz für sich zu nutzen wussten. Wurde lange genug betont, dass alle seriösen Gelehrten bereitwillig ihren Beitrag zu den allseits geachteten Acta Sanctorum zu leisten gewillt waren, war es schwer, sich ihren quaestiones zu widersetzen. Im Wissen um manche Vordergründigkeit rezeptiver Prozesse konnte es ebenso hinreichend sein, fortlaufend auf der eigenen Diskretion in kontroversen Fragen zu insistieren, um übersehen zu lassen, dass das, was realiter ausgeführt wurde, nicht notwendig mit diesem Attribut beschrieben werden musste. Der Habitus des Spezialistentums wiederum konnte gerade dort gepflegt werden, wo sich die eigene Sachkompetenz in Grenzen hielt, wie etwa im Fall der irischen Hagiographie. Insgesamt war der Grat zwischen Adaptation und Okkupation der Ergebnisse anderer schmal – auch dies war das Resultat eines Programms mit hegemonialen Zügen. Trotz der gelehrten Kontakte und allem investigativen Aktionismus war es mit dem Standort Antwerpen schwierig, sich zu allem und jedem mit eigenständig erarbeiteten Diagnosen zu äußern, auch wenn dieser Anspruch selbst in den kleineren und kleinsten Dossiers zum Ausdruck kommt. Eine intensivere Kooperation etablierte sich vor allem dort, wo die Beziehungen asymmetrischer Natur waren. Die Acta Sanctorum waren ein ideales Forum für jene, die ihre Bestände nicht selbst zu drucken beabsichtigten, dies nicht konnten oder ihre Traditionen und eigenen Namen in einem wichtigen publizistischen Organ des Katholizismus wieder zu finden hofften. Die Collectanea bollandiana allerdings sind ein Zeugnis dafür, dass solche Hoffnungen nicht immer erfüllt wurden. Viele zumal der kleineren Viten fanden im günstigeren Fall Eingang in den Variantenapparat oder in die Aufzählung der den Bollandisten je bekannten „Mss.“ Auch wurden nicht alle, die einen kleineren oder größeren Beitrag geleistet hatten, in den entsprechenden Dossiers erwähnt. Zu denken ist beispielsweise an Jean de Boulenois aus Abbeville oder an Johannes Polch aus Nettesheim. Andere Personen wie der Subprior des Klosters Zwiefalten Stephan Bochenthaler waren längst nicht mehr am Leben, als die Dossiers, zu denen sie beigetragen hatten, in den Acta Sanctorum publiziert wurden. Im Fall der Karmeliten oder Bernardino Fainos aus Brescia hatte die Bereitwilligkeit, eigene Materialien den Bollandisten zu überlassen, erst die Grundlage dafür geschaffen, die in Rede stehenden Traditionen in den Acta Sanctorum zu demontieren. Mit dem Wirken Papebrochs ging zweifellos ein zwischenzeitlicher Wandel im Selbstverständnis der ersten Bollandisten einher. Es verschob sich von den konservatorischen und memorialen Ansprüchen Bollands und den auf einen Ausbau der Kommentierung bedachten Zugriffen Henschens zu einer in einzelnen Fällen ausnehmend rigide formulierten Aburteilung

771 der historiographischen Verlässlichkeit dieser oder jener Lebensbeschreibung. Es griffe allerdings zu kurz, allein letzteren Aspekt zu betonen oder mit ihm gar den primären Zweck der Acta Sanctorum verbinden zu wollen. Er gewann nur über einige Jahrzehnte hinweg und, soweit erkennbar, in einem bestimmten Spektrum an Dossiers die Oberhand. Die exuberante Kommentierung, die Papebroch 1680 der Vita des von den Karmeliten verehrten hl. Angelo von Licata hatte angedeihen lassen, stand neben Henschens 1701 gedrucktem Dossier des hl. Benno von Meißen, in dem mit Emsers Vita Bennonis seinerseits nicht unbedingt ein Prunkstück historiographischer Verlässlichkeit reproduziert werden sollte. Zu der gelasseneren Haltung Bollands, die zunächst auf eine möglichst umfangreiche Veröffentlichung einigermaßen akzeptabler Materialien gesetzt hatte, kehrte man in Antwerpen offenbar nach Papebrochs Ableben zurück. Jean Van de Velde wies in den Septemberbänden in seinem Dossier des hl. Brocardus nur kurz darauf hin, dass die von ihm im Anschluss gedruckte Vita nicht besonders alt („[…] antiquam non esse“) und eher homiletischen als historiographischen Charakters sei („stylus oratorius est magìs quàm historicus“). 24 Mit der hohen Tonlage, die Papebroch bisweilen anzuschlagen in der Lage gewesen war, hatte dies nichts mehr zu tun. Dabei waren es sogar in den in mancherlei Hinsicht außergewöhnlichen Dossiers karmelitischer Heiliger nicht die Bollandisten, die die Hagiographie einem neuartigen Primat des Historiographischen unterworfen hatten. Der Konflikt mit den Karmeliten erwuchs gerade daraus, dass die Vertreter dieses Ordens noch für die eigentümlichsten ihrer Traditionen den Tatsächlichkeitsanspruch des Historiographischen einzufordern gewillt waren. War dieser Tatsächlichkeitsanspruch erschüttert, verloren auch die auf ihm gründenden devotionalen Konventionen an Halt.

8.6 Konfession Rosweydes Projekt schloss mehr oder minder nahtlos an die Verankerung der hagiographischen Traditionen in den Territorien des westlichen Mitteleuropa an. Dessen vor allem spätmittelalterliche Legendare bildeten eine der primären Anlaufstellen auf der Suche nach Heiligenviten. Der Übergang von diesen vielfach zeitnah entstandenen Sammlungen in den Druck war, wie sich am Beispiel Surius’ illustrieren lässt, gleitend. Die Gefahr, dass große Segmente der hagiographischen Überlieferung, im emphatischen Sinn –––––––— 24

Vgl. J[oannis Vande] V[elde], De B. Brocardo secundo Priore Generali Ordinis S. Mariæ de Monte Carmelo in Palæstina, in: AASS Septembris, Bd. 1, 1746, 2. Sept., S. 577–582. Commentarius prævius, ebd., S. 576–578, hier S. 577b, 578a. Es folgte die: Vita auctore anonymo. Ex Ms. Conventûs Claromontani PP. Carmelitarum discalceatorum, ebd., S. 578–582.

772 des Worts, von Untergang, Vergessen oder Missachtung bedroht waren, scheint also vergleichsweise gering gewesen zu sein. Ganz im Gegenteil dürfte der Erfolg von De probatis Sanctorum historiis mit einem sich im Kontext der Devotio moderna und späterhin im Pietismus wahrscheinlich auch auf laikale Schichten ausweitenden Bedürfnis nach hagiographischen Lektüren zusammengehangen haben. Systematische rezeptionsgeschichtliche Studien zu diesen Fragen stehen allerdings noch aus. In der vorliegenden Arbeit konnte allein am Beispiel des Gichtelianers Johann Otto Glüsing veranschaulicht werden, dass De probatis Sanctorum historiis oder Rosweydes Ausgabe der Vitae patrum auch längerfristig und über den Katholizismus hinaus von Interesse sein konnten. Im Fall Rosweydes machen es die zahlreichen von ihm geleisteten Übersetzungen ins Volkssprachliche wenigstens wahrscheinlich, dass ihm im Zuge der Revitalisierung des katholischen Lebens in den Spanischen Niederlanden ebenso an den devotionalen wie an den gelehrten Seiten der Beschäftigung mit den überkommenen hagiographischen Schriften gelegen war. Sofern im Hinblick auf die Acta Sanctorum von einem Impuls gesprochen werden kann, der dem Protestantismus entstammte, dann derart, dass die altertumskundlichen Interessen in den katholischen Kreisen der belgischen Territorien durch die Bilderstürme von 1566 wesentlich befördert worden sein dürften. Hier hatte die abstrakte Drohung von Untergang und Vergessen eine handgreifliche Dimension erhalten. Sie war für einen Zeitgenossen wie Molanus einer der Beweggründe gewesen, um mit der Inventarisierung der hagiographischen und kultischen Traditionen dieser Gegenden voranzuschreiten. Ob überdies der aus England und Irland exulierte Klerus dem katholischen Antiquarianismus eine neue Art von Dringlichkeit verlieh, bliebe genauer zu untersuchen. Die Acta Sanctorum repräsentierten keinen Endpunkt, mit dem die Epoche der gelebten Heiligenfrömmigkeit und der sich aktualisierenden hagiographischen Traditionen auszuklingen begann. Die Bandbreite des hagiographischen Schrifttums, das aus dem institutionellen Heiligengedenken in Klöstern, Ortskirchen und Diözesen hervorging, das Kulte propagieren, von Mirakeln berichten und fromme Lebensweisen befördern sollte, war nach wie vor beachtlich. Unter den hagiographischen Sammelwerken unterschiedlichen Zuschnitts, die in den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts allein in den Spanischen Niederlanden entstanden waren, 25 ist das gelehrte Projekt Rosweydes sogar als leicht exzentrisch zu bewerten. Einmal vorhanden entwickelten sich die Acta Sanctorum jedoch selbst zu einer Art hagiographischem Archiv, aus dem sich neue Sammlungen devotionalen Zuschnitts speisen konnten. Manche Schwierigkeiten, die die Bollandisten –––––––— 25

Einige wichtige Sammlungen erschließen sich durch Paul Grosjean, Vie de Baudouin de Boucle, Anal. Boll. 70 (1952), S. 182–203.

773 bei der Kommentierung einzelner Viten zu überwinden hatten, konnten hier mit größerer Leichtigkeit behandelt werden. Angesichts der multiplen Persönlichkeit, die sich in der Vita des hl. Wilhelm von Malavalle und/oder Herzogs von Aquitanien abgebildet hatte, überließ es der Minorit und vormalige französische Ordensprovinzial François Giry (1638–1683) den Leserinnen und Lesern seiner erstmals 1683 gedruckten Sammlung der Vies des Saints, dont on fait l’office selbst, die beiden in der Vita ineinander geschobenen Persönlichkeiten voneinander zu sondern. 26 Insgesamt scheinen auf der Ebene der Heiligenbiographik die konfessionellen Bruchlinien diffuser Natur gewesen zu sein. Unmissverständlich inkriminiert wurden in den Magdeburger Centurien die Heiligen- und Reliquienfrömmigkeit, nicht aber, sieht man von punktuellen Monita ab, die Viten des Mittelalters als solche, die den Centuriatoren zudem nur in überschaubarer Zahl bekannt gewesen zu sein scheinen. Einfach gebaute Werke wie Hondorffs Calendarium Sanctorum et historiarum wiederum griffen zwar Versatzstücke aus der kommunen Rede über die „papistischen Legenden“ auf oder stellten klar, dass die Geschichten um die Heilige Familie in keiner Weise durch das Neue Testament abgesichert waren. Da es sich aber um bunte Kompilationen handelte, die häufig ohne Revision ihrer Vorlagen auch des hl. Papsts Johannes I. oder der hl. Ursula gedenken ließen, wird man aus diesen Zusammenhängen schwerlich das Bedürfnis nach einem „apologetischen“ Werk erwachsen sehen können, mit dem sich „der“ Katholizismus gegen protestantische Anwürfe zu wappnen hoffte. Die chronologischen Irritationen, die noch weite Teile des 16. Jahrhunderts bestimmt hatten, begannen mit den Annales ecclesiastici an ihr Ende zu gelangen. Die Annales ecclesiastici waren das erste detaillierte und vergleichsweise verlässliche historiographische Handbuch der frühen Neuzeit. –––––––— 26

Vgl. De S. Gvillavme, Dvc d’Aqvitaine et Hermite, in: LES VIES || DES SAINTS, || DONT ON FAIT L’OFFICE || dans le cours de l’année, || AVEC DES DISCOURS SUR LES MYSTERES || de Nostre Seigneur & de la Sainte Vierge. || LE MARTYROLOGE ROMAIN TRADUIT || en François à la teste de chaque jour, & un Martyrologe des Saints de || France, dont le Romain ne fait point mention. || Par le Reverend Pere FRANCOIS GIRY, ancien Provincial || de l’Ordre des Minimes. || NOUVELLE EDITION, || Reveuë & corrigée par l’Auteur. || TOME PREMIER. || A PARIS, || Chez PIERRE HERISSANT, ruë Neuve Nostre-Dame, à l’Esperance, || & aux trois Vertus. || M. DCCIII. || AVEC APPROBATION ET PRIVILEGE DV ROY, S. 428– 438, hier S. 438b, im Resümee der Annahme, „qu’il y a eû deux Saints de ce même nom: l’un Duc de Guienne converti par saint Bernard; & l’autre surnommé le Grand, insigne Pénitent, Restaurateur de la vie Erémitique & Institueur des Guillelmites; & qu’il se pouroit faire, comme il est arrivé de plusieurs autres Saints, que les Auteurs plus recens ne les auroient pris que pour un seul. J’avouë que les raisons des deux opinions sont fortes, & qu’il est extrêmement difficile de développer parfaitement cet endroit de l’Histoire; il paroist pourtant plus vrai-semblable que ce sont deux personnes differentes. La vie de l’un & de l’autre est tellement renfermée dans ce Recueil, qu’il est aisé au Lecteur d’appliquer à chacun en particulier ce qui lui est propre.“

774 Dies erklärt ihre große Präsenz in den historiographischen Kreisen des 17. Jahrhunderts. 27 Sie ermöglichten es denjenigen, die mit der materiellen und inhaltlichen Erschließung neuer Dokumente beschäftigt waren, die Personen und Sachverhalte, die in den zu Tage geförderten Texten beschrieben worden waren, in einem ersten Schritt chronologisch zu verankern. Analoge Arbeiten wie Browers Trierer Antiquitäten oder episkopale Ämterfolgen rekonstruierende Werke wie die Gallia christiana und Italia sacra setzten einen Rahmen, über dessen punktuelle historische Validität dann im Einzelnen gestritten werden konnte. Im Verbund mit den in wachsender Zahl im Druck vorliegenden Schriften des Mittelalters und ihrer zusehends selbstverständlicher werdenden Konsultation blieb die zeitgenössische Dilatation historischer Stoffe, zumindest in den hier untersuchten Milieus, in der Folgezeit nicht mehr notwendig unbemerkt. Zahlreiche dieser imaginären Dilatationen frühneuzeitlicher Provenienz blieben allerdings lange Zeit intakt, zumal dann, wenn sie durch intelligent gefälschte Schriften abgesichert oder in ein größeres Geflecht sich wechselseitig stützender Vorannahmen eingepasst worden waren. Auf diesen Feldern scheinen insbesondere die sich in den Sammlungen der Viri illustres verkörpernden biographischen Vorlieben des Humanismus dazu geführt zu haben, dass viele – sowohl historische als auch legendarische – Personen aus der mittelalterlichen Geschichtsschreibung mit neuer Vitalität erfüllt wurden. Die Annahme der Existenz einer elaborierten klerikalen Struktur im Britannien des zweiten nachchristlichen Jahrhunderts, an deren Aufbau, nach der Darstellung aus Bales Scriptorum illustrium maioris Britanniae catalogus von 1557, die Legaten des Königs Lucius Elvanus und Medvinus entscheidend mitgewirkt hätten, blieb bis einschließlich Usshers und Alfords Werken vollkommen unbestritten. Die Karriere anderer prominenter Schöpfungen des Humanismus wie Trithemius’ Hunibald, den Papebroch als „PseudoHunibald[us]“ in eine Reihe mit den von dem Karmeliten Ribot ersonnenen Dokumenten und weiteren sich allmählich als solchen offenbarenden Fälschern stellte, 28 oder das Nachleben von Aventins frühen bayerischen Herzögen bleibt allerdings noch in vielen Details zu klären. Wenn es richtig ist, dass sich das „Geschichtsbild“ einer gegebenen Zeit „nicht so sehr auf die Einzelereignisse“ bezieht, sondern „auf die großen Linien des Geschichtsverlaufs und auf die diese bewirkenden Kräfte“,29 dann sollte sich die frühneuzeitliche Historiographiegeschichte von epochenassoziativ determinierten Geschichtsbildern lösen. Gelehrte wie die –––––––— 27 28

29

Vgl. Hartmann, Humanismus (2001), S. 199; Benz, Tradition (2003), S. 674. Vgl. Papebroch, De Beato Alberto, AASS Aprilis, Bd. 1, 1675, 8. April, S. 801: „[…] Annio & Pseudo-Hunibaldo simillimi impostores illi, qui Dextri Chronicon, Luitprandis Fragmenta, […].“ Hunibald war eine von Beginn an beargwöhnte Figur. Vgl. Arnold, Trithemius (21991), S. 172ff. Goetz, Geschichtsschreibung (1999), S. 18.

775 Bollandisten hatten wahrscheinlich weniger Probleme mit der mittelalterlichen Hagiographie und Historiographie als mit der angemessenen Bewertung genuin frühneuzeitlicher Schöpfungen. Geschimpft wurde im Regelfall über als inkompetent bewertete Zeitgenossen, weniger über Gregor von Tours, Thangmar oder Jacobus de Voragine. Die Entdeckung des Ausmaßes der diplomatischen Fälschungen des Mittelalters verursachte keinen Spott, sondern zog erste Versuche nach sich, sie aus den Bedingungen der Schriftproduktion jener Zeit zu erklären. Mit Aspekten der Überlieferung oder Chronologie konnte man sich ohnehin über lange Jahre hinweg beschäftigen – und nicht zuletzt mit einem protestantischen Gelehrten wie Leibniz austauschen –, ohne dass Fragen der konfessionellen oder theologischen Determination fortlaufend tangiert gewesen wären. Während das in der Imago primi saeculi zelebrierte Fest an der Identifikation Bollands und Henschens mit der Sache des Katholizismus im Allgemeinen und der des Jesuitenordens im Besonderen keine Zweifel aufkommen ließ, verkörperte sich in den Acta Sanctorum eine Demonstration jesuitischer Gelehrsamkeit, zu deren Selbstverständnis es gezählt zu haben scheint, sich ein eigenes Bild von den Dingen zu erarbeiten. Sie waren Beobachter zweiter Ordnung im technischen Sinn des Worts. Sie beobachteten, soweit es ihnen möglich war, das, was ihre historiographisch tätigen Zeitgenossinnen und Zeitgenossen zu den ihnen bekannten Materialien zu sagen wussten, nahmen dazu Stellung, sorgten, im Fall des Konflikts, für die Positionierung ihrer Diagnosen nicht nur in den Acta Sanctorum, sondern auch in Zeitschriften oder selbständig gedruckten Traktaten und suchten mithin den Weg in die Abstraktion. Wenn der Gedanke, seinerseits beobachtet zu werden, ihr Agieren beeinflusste, dann derart, dass man um den Konsens der sich in diesen Strukturen bewegenden Gelehrten rang oder sich an der Konstruktion dieses Konsenses, im Sinne einer affirmativen „Fremd“-Beobachtung ihres Tuns, aktiv beteiligte. Daher lässt es der teilweise verblüffende Grad der Eigenreflexion, der sich ihrem Handeln artikulierte, fraglich erscheinen, ob die Bollandisten mit ihren Deutungen mehr oder weniger in ihrem Welt- und Geschichtsbild befangen waren als die nach ihnen kommenden Generationen der Historiographinnen und Historiographen.

Abkürzungen AASS AASS OSB ADB AHCarm AHR AKG Anal. Boll. BBKL BHL BHL nov. supp. BRB CCCM CCSL Coll. boll. CSEL DA DBF DBI DHC DHGE DTC EDG ENC EncCat EnzNZ GG HAB WoBü HJb HZ IASL IBI JEH JHI JMRS LCI LCL LexMA LThK MGH AA DD Epp GPR LL

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778 SS SS rer. Merov. SS rer. Germ. in us. schol. MIÖG MLN MMS MPG MPI MPL NDB NPL ODNB PuN QFIAB RDE RE Rep. font. RHE RIS RömQ RQ SHG Sommervogel stw SUB Hamburg SVEC TLL TRE UTB VD16 VD17 VuF WA ZBLG ZfG ZHF ZKG ZRGG ZVHG

Scriptores Scriptores rerum Merovingicarum Scriptores rerum Germanicarum in usum scholarum separatim editi Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung Modern Language Notes Münstersche Mittelalter-Schriften Migne Patrologia. Series graeca Max-Planck-Institut Migne Patrologia. Series latina Neue deutsche Biographie Neue politische Literatur Oxford Dictionary of National Biography Pietismus und Neuzeit Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken Recherches sur Diderot et sur l’Encyclopédie Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft Repertorium fontium historiae Medii Aevi Revue d’histoire ecclésiastique Rerum italicarum Scriptores Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte Renaissance Quarterly Sources hagiographiques de la Gaule Bibliothèque de la Compagnie de Jésus Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg Carl von Ossietzky Studies on Voltaire and the Eighteenth Century Thesaurus linguae latinae Theologische Realenzyklopädie Uni-Taschenbücher Verzeichnis der im deutschen Sprachbereich erschienenen Drucke des 16. Jahrhunderts Das Verzeichnis der im deutschen Sprachraum erschienenen Drucke des 17. Jahrhunderts Vorträge und Forschungen D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe (Weimarer Ausgabe) Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte Zeitschrift für Geschichtswissenschaft Zeitschrift für Historische Forschung Zeitschrift für Kirchengeschichte Zeitschrift für Religions und Geistesgeschichte Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte

Quellen- und Literaturverzeichnis Einzelne Dossiers und sonstige Texte aus den Acta Sanctorum und anderen frühneuzeitlichen Sammelwerken sowie Artikel aus frühneuzeitlichen und modernen Nachschlagewerken werden nicht gesondert im Quellen- und Literaturverzeichnis ausgewiesen. Gleiches gilt für die Materialien aus den Handschriften der Bibliothèque royale. Die Ausgaben frühneuzeitlicher Briefe befinden sich im Regelfall im Quellenverzeichnis, solche Briefe allerdings, die in Beiträgen mit dem Charakter eines Aufsatzes abgedruckt worden sind, im Literaturverzeichnis. Einleitungen aus modernen Editionen konnten im Literaturverzeichnis nur dann berücksichtigt werden, wenn die betreffenden Quellen in der Arbeit nicht selbst zitiert worden sind.

1 Quellen 1.1 Handschriften Brüssel, Bibliothèque royale de Belgique Ms. 5100–4 Ms. 7569 Ms. 7762 Ms. 7763 Ms. 8004–17 Ms. 8182–90 Ms. 8194–99 Ms. 8228 Ms. 8530–34 Ms. 8590–98 Ms. 8935 Ms. 9636–37 Ms. 14649 Hamburg, Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg Carl von Ossietzky Dan. Papebrochii ep. ad Ottonem Menckenium, Antwerpen 6. August 1682, Sup. ep. (4o) 41, Bl. 35r–v.

780

1.2

Briefe

1.2.1 Historische Ausgaben V. CL. || GULIELMI CAMDENI, || ET || ILLUSTRIUM VIRORUM || AD G. CAMDENUM || CUM || APPENDICE VARII ARGUMENTI. || Accesserunt || Annalium Regni Regis Jacobi I. Apparatus, || ET || Commentarius de Antiquitate, Dignitate, & Officio || COMITIS MARESCALLI ANGLIÆ. || Præmittitur || G. CAMDENI VITA. || Scriptore THOMA SMITHO S. T. D. || Ecclesiæ Anglicanæ Presbytero. || LONDINI, || Impensis RICHARDI CHISWELL ad Insigne || Rosæ Coronatæ in Cœmeterio D. Pauli. MDCXCI. MARQUARDI GUDII || ET DOCTORUM VIRORUM AD EUM || EPISTOLÆ. || Quibus accedunt ex Bibliotheca Gudiana CLARISSIMORUM ET || DOCTISSIMORUM VIRORUM, qui superiore & nostro || sæculo floruerunt; || ET || CLAUDII SARRAVII || Senatoris Parisiensis || EPISTOLÆ || Ex eadem Bibliotheca auctiores. || Curante || PETRO BURMANNO. || ULTRAJECTI, || Apud FRANCISCUM HALMAM./ GULIELMUM vande WATER. Bibliopol. || M. DC. XCVII. DIONYSII || PETAVII || AVRELIANENSIS || E SOCIET. IESV || EPISTOLARVM || LIBRI TRES. || PARISIIS, || Apud SEBASTIANVM CRAMOISY, Regis ac Reginae || Architypographum, viâ Iacobæâ, sub Ciconiis. || Et GABRIELEM CRAMOISY. || M. DC. LII. || CVM PRIVILEGIO REGIS. GERARDI JOAN. VOSSII || ET || CLARORUM VIRORUM || AD EUM || EPISTOLÆ, || Collectore || PAULO COLOMESIO || Ecclesiæ Anglicanæ Presbytero || Londini nuper editæ, || Nunc accuratius recusæ; || Argumentis & || INDICIBUS NECESSARIIS || Auctæ. || Opus omnibus Philologiæ & Ecclesiasticæ || Antiquitatis Studiosis utilissimum. || Quibus accessit || DODECAS EPISTOLARUM || CLARISSIMI VIRI || GEORGII HIERONYMI VELSCHII, || AUGUSTÆ VINDELICORUM, || Sumptibus LAURENTII KRONIGERI, & Hæred. || GOEBELIANORUM. || Typis Schönigianis. M. DC. XCI.

1.2.2 Moderne Ausgaben [Anonym:] Une lettre du Baron Henri-Jules de Blum au P. Henschenius sur le Martyrologe hiéronymien, in: Anal. Boll. 16 (1897), S. 177–180. Battistini, Mario: Nel terzo centenario degli Acta Sanctorum. Antonio Magliabechi e la sua collaborazione all’ Opera Bollandiana, in: Bulletin de l’Institut historique belge de Rome 22 (1942/43), S. 113–258. Berlière, Ursmer: Mabillon et la Belgique. Le voyage de Flandre (1672). Correspondance, in: Revue Mabillon 4 (1908/09), S. 4–38, 231–242, 289–323. Bertalot, Ludwig: Cincius Romanus und seine Briefe, in: QFIAB 21 (1929–1930), S. 209–255. Braunsberger Otto (Hrsg.): Beati Petri Canisii Societatis Iesu epistulae et acta, Bd. 8: 1581–1597, Freiburg i. Br. 1923. Càmpori, Matteo (Hrsg.): L. A. Muratori, Epistolario, Bd. 1: 1691–1698, Modena 1901. Ceyssens, Lucien (Hrsg.): La correspondance d’Emmanuel Schelstrate. Préfet de la Bibliothèque Vaticane (Bibliothèque de l’Institut historique belge de Rome 1), Brüssel/Rom 1949. Coens, Maurice: Une correspondance de Papebroch avec les moniales de La ChaiseDieu-du-Theil à propos de S. Juvence, martyr catacombaire, in: Anal. Boll. 64 (1946), S. 181–199.

781 – Du Cange et les „Acta Sanctorum“, in: Bulletin de la Classe des Lettres et des Sciences Morales et Politiques de l’Academie royale de Belgique 5e sér. 41 (1955), S. 551– 570. Dal Pino, Andrea-Maria: Il Padre Gerardo Capassi (1653–1737) e la sua corrispondenza con Schelstrate, i Bollandisti e i Maurini, in: Studi Storici dell’Ordine dei Servi di Maria 7 (1955/56), S. 75–126. – Agiografia servitana nell’opera dei Bollandisti dal 1660 al 1701, in: Studi Storici dell’Ordine dei Servi di Maria 12 (1962), S. 140–201. De Gaiffier, Baudouin: Lettres de Bollandistes à L. A. Muratori, in: Rivista di storia della Chiesa in Italia 4 (1950), S. 126–136. De Meester de Ravestein, Bernard (Hrsg.): Lettres de Philippe et de Jean-Jacques Chifflet sur les affaires des Pays-Bas (1627–1639) (Académie Royale de Belgique. Commission Royale d’histoire), Brüssel 1943. Goodhart Gordan, Phyllis Walter (Hrsg. u. Übers.): Two Renaissance Book Hunters. The Letters of Poggius Bracciolini to Nicolaus de Niccolis (Records of Civilization. Sources and Studies 91), New York/London 1974. Grannell, Fergal: Letters of Daniel Papebroch, S. J. to Francis Harold, O. F. M. (1665– 1690), in: Archivum Franciscanum Historicum 59 (1966), S. 385–455. Halkin, François: Lettres inédites du bollandiste Du Sollier à l’historien Schannat (1721– 1734), in: Anal. Boll. 62 (1944), S. 226–256. – Lettres inédites du bollandiste Du Sollier à l’historien Schannat (1721–1734) (suite), in: Anal. Boll. 63 (1945), S. 5–47. Harth, Helene (Hrsg.): Poggio Bracciolini, Lettere, Bd. 1: Lettere a Niccolò Niccoli, Florenz 1984. Jennings, Brendan (Hrsg.): Wadding Papers. 1614–38 (Irish Manuscripts Commission), Dublin 1953. – Louvain Papers. 1606–1827 (Irish Manuscripts Commission), Dublin 1968. Joassart, Bernard: L’accueil réservé aux Acta Sanctorum à Rome en 1643. En marge d’un anniversaire, in: Anal. Boll. 111 (1993), S. 5–18. – Une lettre inédite de Benedetto Bacchini à Daniel Papebroch, in: Anal. Boll. 116 (1998), S. 157–160. – Daniel Papebroch et Thierry Ruinart. Une lettre inédite du Bollandiste au Mauriste, in: Anal. Boll. 116 (1998), S. 161–165. – Emmanuel Schelstrate et les Bollandistes. Lettres inédites à Daniel Papebroch, in: Anal. Boll. 116 (1998), S. 361–383. – Pierre-François Chifflet, Héribert Rosweyde et Jean Bolland. Documents inédits à propos de l’hagiographie franc-comptoise, in: Anal. Boll. 117 (1999), S. 163–178. – Daniel Papebroch et Raymond Capizucchi. Maître du Sacré Palais. Un prélude à la querelle autour des origines carmélitaines, in: Anal. Boll. 117 (1999), S. 369–371. – François Combefis, Jacques Quétif et les Bollandistes. Huit lettres inédites des deux Dominicains, in: Anal. Boll. 118 (2000), S. 147–179. – Daniel de la Vierge, les Bollandistes et les origines carmélitaines, in: Anal. Boll. 118 (2000), S. 387–398. – Jacques Sirmond et les débuts du Bollandisme, in: Anal. Boll. 119 (2001), S. 345– 356. – Jean Bolland et la recherche des documents. Le „Memoriale pro R. P. Silvestro Pietrasancta“, in: Anal. Boll. 120 (2002), S. 141–150. – (Hrsg.): Monseigneur Duchesne et les Bollandistes. Correspondance (Tabularium hagiographicum 1), Brüssel 2002. – (Hrsg.): Friedrich von Hügel, Cuthbert Hamilton Turner et les Bollandistes. Correspondance (Tabularium hagiographicum 2), Brüssel 2002. – (Hrsg.): Érudition hagiographique au XVIIIe siècle. Jean Lebeuf et les Bollandistes (Tabularium hagiographicum 3), Brüssel 2003.

782 – Pierre-François Chifflet, Charles Du Cange et les Bollandistes. Correspondance (Tabularium hagiographicum 4), Brüssel 2005. – Pierre-François Chifflet, Charles du Cange et les Bollandistes. Un nouveau volume du „Tabularium hagiographicum“, suivi d’une lettre partiellement inédite de Papebroch à Du Cange, in: Anal. Boll. 123 (2005), S. 185–189. – Une lettre inédite d’Aubert Le Mire à Héribert Rosweyde, in: Anal. Boll. 124 (2006), S. 44. – Jean-Paul Oliva, Charles de Noyelle et les Bollandistes d’après les archives bollandiennes, in: Anal. Boll. 125 (2007), S. 139–197. Lefèvre, Pl.: Trois lettres du bollandiste Papebroch adressées à l’abbaye d’Averbode en 1694, in: Analecta Praemonstratensia 42 (1966), S. 117–131. Leibniz, Gottfried Wilhelm: Sämtliche Schriften und Briefe, Reihe 1: Allgemeiner politischer und historischer Briefwechsel, Bd. 3: 1680–1683, hrsg. v. der Preussischen Akademie der Wissenschaften, Leipzig 1938. – Sämtliche Schriften und Briefe, Reihe 1: Allgemeiner politischer und historischer Briefwechsel, Bd. 4: 1684–1687, hrsg. v. der deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Berlin [Ost] 1950. – Sämtliche Schriften und Briefe, Reihe 1: Allgemeiner politischer und historischer Briefwechsel, Bd. 5: 1687–1690, hrsg. v. der deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Berlin [Ost] 1954. – Sämtliche Schriften und Briefe, Reihe 1: Allgemeiner politischer und historischer Briefwechsel, Bd. 16: Oktober 1698–April 1699, hrsg. v. der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, Berlin 2000. Muller, Jean-Claude: La correspondance d’Alexandre Wiltheim S. J., in: Hemecht 36 (1984), S. 167–232. Papy, Jan (Hrsg.): Justus Lipsius, Epistolae, Bd. 13: 1600, Brüssel 2000. Schmid, Alois (Hrsg.)/Zäh, Helmut/Strodel, Silvia (Bearb.): P. Matthäus Rader SJ, Bd. 1: 1595–1612 (Bayerische Gelehrtenkorrespondenz [1]), München 1995. Sonntag, Otto (Hrsg.): The Correspondence between Albrecht von Haller and Charles Bonnet (Studia Halleriana 1), Bern/Stuttgart/Wien 1983. Tans, J. A. G. (Hrsg.): Pasquier Quesnel et les Pays-Bas. Correspondance (Publications de l’Institut Français d’Amsterdam. Maison Descartes 6), Groningen/Paris 1960. Tassi, Ildefonso: La corrispondenza letteraria di D. Benedetto Bacchini col P. Daniele van Papenbroeck bollandista, in: Benedictina 6 (1952), S. 123–149. Van Cutsem, Marcel: Une lettre inédite du P. Gazet sur la catacombe de Saint-Hermès, in: Anal. Boll. 52 (1934), S. 334–342. Van Meerbeeck, Lucienne (Hrsg.): Correspondance des nonces Gesualdo, Morra, Sanseverino avec le Secrétaire d’État pontificale (1615–1621) (Analecta VaticanoBelgica. 2e série: Nonciature de Flandre 4), Brüssel/Rom 1937. Ziesemer, Walther/Henkel,Arthur (Hrsg.): Johann Georg Hamann, Briefwechsel, Bd. 1: 1751–1759,Wiesbaden 1955.

1.3 Reiseberichte Battistini, Mario: I padri bollandisti Henschenio e Papebrochio in Toscana nel 1661, in: Rivista storica degli archivi toscani 2 (1930), S. 280–305. – I padri bollandisti Henschenio e Papebrochio a Roma nel 1660–61, in: Archivio della R. Società romana di Storia patria 53–55 (1930–32), S. 1–40. Halkin, François: Témoignages des premiers bollandistes sur leur passage en Bourgogne et à Paris (I. Lettres d’Henskens à Bolland; II. Extraits du „Diarium itineris romani“ de Papebroch), in: Anal. Boll. 65 (1947), S. 71–106.

783 Joassart, Bernard: Le voyage littéraire de Conrad Janning et François Baert en Allemagne, Bohême, Autriche et France (1688), in: Anal. Boll. 123 (2005), S. 90–132. – Henschen et Papebroch en France en 1662. Savoie – Dauphiné – Normandie – Flandres, in: Anal. Boll. 124 (2006), S. 93–150. – Henschen et Papebroch à Paris en 1662, in: Anal. Boll. 124 (2006), S. 359–400. Kindermann, Udo: Süd- und Welschtiroler Kunstdenkmäler im 17. Jahrhundert. Erstedition und Übersetzung eines lateinischen Reiseberichts des Bollandisten Daniel Papebroch, in: Der Schlern 66 (1992), S. 17–42. – (Hrsg.): Kunstdenkmäler zwischen Antwerpen und Trient. Beschreibungen und Bewertungen des Jesuiten Daniel Papebroch aus dem Jahre 1660. Erstedition, Übersetzung und Kommentar, Köln/Weimar/Wien 2002.

1.4 Historische Rezensionen und Rezensionsorgane Acta Eruditorum Anno 1683, H. 1, Leipzig 1683: Art. Acta Sanctorum Maii collecta, digesta, illustrata a Godefrido Henschenio & Daniele Papebrochio e Societate Jesu, Tomis tribus. Antverpiæ, 1680. in fol., S. 4–13. Acta Eruditorum Anno 1696, H. 3, Leipzig 1696: Art. Apologia pro Actis Sanctorum contra Adm. R. P. Sebastianum a S. Paulo, Provincialem Carmeli Flandro-Belgici. Auctore Conrado Janningo, e Societate Jesu, Antuerpiæ, apud Henricum Thieullier, A. 1695. in 8. Constat plag. 1 ½, S. 131–139. Acta Eruditorum Anno 1696, H. 11, Leipzig 1696: Art. Responsio Danielis Papebrochii, ex Soc. Jesu Theologi, ad Exhibitionem errorum per Adm. R. P. Sebastianum a S. Paulo Ord. Carmelitani in Belgio bis Provincialem &c. A. 1693. Coloniæ evulgatam, S. 500–508. Acta Eruditorum Anno 1698, H. 2, Leipzig 1698: Art. Responsio Danielis Papebrochii, ex Soc. Jesu Theologi, ad Exhibitionem errorum per Adm. R. P. Sebastianum a S. Paulo Coloniæ A. 1693. evulgatam. Antverpiæ, ex typographia H. Thieullier, 1696. 4. Alph. 1. pl. 20. || Responsionis ejusdem pars II. Antverpiæ apud viduam H. Thieullier, 1697. 4. Alph. 3. pl. 4., S. 81–86. Acta Eruditorum Anno 1698, H. 3, Leipzig 1698: Art. Responsio Danielis Papebrochii ad Exhibitionem Errorum per Adm. Rev. P. Sebastianum a S. Paulo Coloniæ A. 1693 evulgatam. Pars secunda. Antverpiæ, apud viduam H. Thieullier, 1697. 4. Alphab. 3. plag. 4., S. 129–136. Acta Eruditorum Anno 1698, H. 11, Leipzig 1698: Art. Elucidatio historica actorum in controversia super origine, antiquitate & historiis Sacri Ordinis B. M. de Monte Carmeli, inter quosdam illius & Societatis Jesu Scriptores Acta Sanctorum illustrare professos; quæ est Pars tertia & ultima Responsionum Danielis Papebrochii, S. J. Th. ad Exhibitionem Errorum ipsi imputatorum ab Adm. R. P. Sebastiano a S. Paulo, Carmelita. Antverpiæ, apud viduam & hæredes Henrici Thieullier, 1698, 4. Alph. 1. plag. 5., S. 529–533. Le Journal des Sçavans, Bd. 2: Où sont contenuës les Années 1667. 1668. 1669. 1670. & 1671, Amsterdam 1685. De l’An 1670, H. 1: Du Lundy 10. Fevr. 1670: Art. Acta Sanctorum Martii, à Joan. Bollando S. J. colligi cœpta, & à Godefr. Henschenio & Dan. Papebrochio ejusdem Soc. aucta, digesta & illustrata. In fol. 3. Voll. Antverpiæ, S. 579–584. Le Journal des Savans pour l’année M. DCCI., Paris 1721, H. 17: Du lundi 2. mai 1701: Art. Discours sur l’histoire de la vie des Saints. In 8. à Paris chez Louis Roulland, & Jean Nully, ruë S. Jaq. 1700, S. 200–204. Le Journal des Savans pour l’année M. DCCI., Paris 1721, H. 18: Du lundi 9. mai 1701: Art. Discours sur l’histoire de la vie des Saints. In 8. à Paris chez Louis Roulland, & Jean Nully, ruë S. Jaq. 1701, S. 205–210.

784 Monatliche || Unterredungen || Einiger || Guten Freunde || Von || Allerhand B(chern und andern || annehmlichen Geschichten. || Allen Liebhabern || Der Curiosit ten || Zur || Ergeztligkeit und Nachsinnen || heraus gegeben. || Verlegt von Thomas Fritsch [Leipzig] 1696. Monatliche || Unterredungen || Einiger || Guten Freunde || Von || Allerhand B(chern und andern || annehmlichen Geschichten. || Allen Liebhabern || Der Curiosit ten || Zur || Ergetzligkeit und Nachsinnen || heraus gegeben. || Verlegt von Thomas Fritsch [Leipzig] 1698. Nouvelles de la République des Lettres. Mois de Juillet, 1684, Article I.: Illustrissimo Ecclesiæ Principi, Armando Joanni de Rotondi de Biscaras, Episcopo & Domino Biterrensi, Abbati beatæ Mariæ Cendracensis, Regi à consiliis, &c. Historia Carmelitana Theologicè propugnata. Quæstio Theologica. Quis Prophetas facit Successores post se? Ecclesiastici Cap. 48, in: Bayle, Œuvres, Bd. 1, 1727, S. 82–84. Nouvelles de la République des Lettres. Mois de Juillet, 1684, Article II.: Novus Ismael cujus manus contra omnes, & omnium manus contra eum, sive P. Daniel Papebrochius Jesuita omnes oppugnans, orbi expositus, per D. Justum Camum. C’est à dire, Le nouvel Ismael, ou le Jesuite Papebroch attaquant toute la terre, mené en montre, Augustæ Vindelicorum. 1683. in 8, in: Pierre Bayle, Œuvres, Bd. 1, 1727, S. 84–86. Nouvelles de la République des Lettres. Mois de Novembre, 1684, Catalogue des Livres nouveaux accompagné de quelques Remarques IX: Jesuiticum Nihil, P. Papebrochio Jesuitæ super ipsius cum Carmelitis, quoad Ordinis illius historiam, controversiâ, Carmeliticis scriptis convicto & ad silentium redacto, demonstratum, Auctore Petro Fischero Francone. Salisburgi apud Gottefredum Junck. 1685. in 8, in: Bayle, Œuvres, Bd. 1, 1727, S. 425. Nouvelles de la République des Lettres. Mois d’Août, 1686, Article III.: Ogygia: seu rerum Hibernicarum Chronologia, &c. C’est-à-dire, Chronologie d’Irlande, Authore Roderico O Flaherty, Armigero. Londini sumptibus Ben. Tooke in Cœmeterio D. Pauli. 1685. in 12, in: Bayle, Œuvres, Bd. 1, 1727, S. 617–619.

1.5 Historische Nachschlagewerke [Bayle, Pierre:] DICTIONAIRE || HISTORIQUE || ET || CRITIQUE, || PAR MR.PIERRE BAYLE. || [4 Bde.] || TROISIEME EDITION, || REVUE, CORRIGÉE, ET AUGMENTÉE || PAR L’AUTEUR. || […] || A ROTTERDAM, || CHEZ MICHEL BOHM, || MDCCXX. || AVEC PRIVILEGE. BIBLIOTHECA || CARMELITANA, || NOTIS CRITICIS || ET || DISSERTATIONIBUS || ILLUSTRATA: || Curâ & labore || UNIUS È CARMELITIS PRO-VINCIÆ TURONIÆ || COLLECTA. || [2 Bde.] || AURELIANIS, || Excudebant J. ROUZEAUMONTAUT, & M. COURET DE VILLENEUVE, Regis, Serenissimi || Aurelianensium Ducis, Regiique Aurelianensis Collegii Typographi & Bibliopolæ. || M. DCCLII. || CUM APPROBATIONE ET PRIVILEGIO REGIS (Neudruck Rom 1927). [Buddeus, Johann Franz:] Allgemeines || Historisches || LEXICON, || in welchem || das Leben und die Thaten || derer Patriarchen, Propheten, Apostel, V ter der ersten || Kirchen, P bste, Cardin le, Bischffe, Pr laten, || vornehmer Gottes=Gelahrten, nebst denen Ketzern; || wie nicht weniger derer || Kayser, Knige, Chur= und F(rsten, || grosser Herren und Minister; || ingleichen || derer ber(hmten Gelahrten, Scribenten und K(nstler; || ferner || ausf(hrliche Nachrichten von den ansehnlichsten Gr ffen, Adelichen || und andern Familien, von Cociliis, M(nchs= und Ritter=Orden, || Heydnischen Gttern, etc. || und endlich || die Beschreibungen derer Kayserthümer, Knigreiche, F(rsten= || th(mer, freyer Staaten, Landschafften, Jnseln, St dte, Schlsser, || Klster, Geb(rge, Fl(sse und so fort, || in Alphabetischer Ordnung mit

785 bewehrten Zeugnissen vorgestellet werden. || Dritte um vieles vermehrte und verbesserte Auflage. || 4 Bde. || […] || Mit allergn digsten Freyheiten, Leipzig, verlegts Thomas Fritschens sel. Erben 1730–1732. [D’Alembert, Jean Le Rond/Diderot, Denis:] Encyclopédie, ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers, 17 Bde., Paris bzw. Neuchâtel 1751–1765 (Neudruck Stuttgart-Bad Cannstatt 1966). [„Dictionnaire de Trévoux“:] DICTIONNAIRE || UNIVERSEL || FRANÇOIS ET LATIN, || CONTENANT || LA SIGNIFICATION ET LA DÉFINITION || Tant des mots de l’une & de l’autre Langue, avec leurs différens usages, que || des termes propres de chaque Etat & de chaque Profession: La Description || de toutes les choses naturelles & artificielles; leurs figures, leurs espéces, || leurs usages & leurs propriétéz. L’Explication de tout ce que renferment || les Sciences & les Arts, soit Libéraux, soit Méchaniques. || AVEC DES REMARQUES D’ÉRUDITION ET DE CRITIQUE. || Le tout tiré des plus excellens Auteurs, des meilleurs Léxicographes, Etymologistes || & Glossaires, qui ont paru jusqu’icy en différentes Langues. || NOUVELLE ÉDITION CORRIGÉE; || Dans laquelle on a placé les Additions selon leur rang. || DÉDIÉ AU ROY DE POLOGNE, || DUC DE LORRAINE ET DE BAR. || TOME PREMIER || A NANCY, De l’Imprimerie de PIERRE ANTOINE. M. DCC. XL. AVEC APPROBATION ET PRIVILEGE. ENCYCLOPÆDIA BRITANNICA; || OR, A || DICTIONARY || OF || ARTS AND SCIENCES, || COMPILED UPON A NEW PLAN. || IN WHICH || The different SCIENCES and ARTS are digested into || distinct Treatises or Systems; || AND || The various TECHNICAL TERMS &c. are explained as they occur || in the order of the Alphabet. || ILLUSTRATED WITH ONE HUNDRED AND SIXTY COPPERPLATES. || By a SOCIETY of GENTLEMEN in SCOTLAND. || IN THREE VOLUMES. || […] || EDINBURGH: || Printed for A. BELL and C. MACFARQUHAR; || And sold by COLIN MACFARQUHAR, at his Printing-office, Nicolson-street. || M. DCC. LXXI. [Jöcher, Christian Gottlieb:] Allgemeines || Gelehrten= || LEXICON, || Darinne || die Gelehrten aller St nde || sowohl m nn= als weiblichen Geschlechts, || welche vom Anfange der Welt bis auf ietzige Zeit || gelebt, und sich der gelehrten Welt bekannt || gemacht, || Nach ihrer Geburt, Leben, merckw(rdigen Ge= || schichten, Absterben und Schrifften || aus den glaubw(rdigsten Scribenten || in alphabetischer Ordnung beschrieben werden. || [4 Bde.] || heraus gegeben von || Christian Gottlieb Jcher, || der H. Schrifft Doctore, und der Geschichte ffentlichem Lehrer auf der hohen || Schule zu Leipzig, Leipzig 1750–1751 (Neudruck Hildesheim 1960–1961). [Mencke, Johann Burkhard:] Compendises || Gelehrten= || LEXICON, || Darinnen || Die Gelehrten, als F(rsten und || Staats=Leute, die in der Literatur erfahren, Theologi, || Prediger, Juristen, Politici, Medici, Philologi, Philosophi, || Historici, Critici, Linguisten, Physici, Mechanici, Mathematici, Scholastici, || Oratores und Poëten, so wohl m nn= als weiblichen Geschlechts, welche || vom Anfang der Welt grsten theils in gantz Europa biß auf jetzige Zeit || gelebet, und sich durch Schrifften oder sonst der gelehrten Welt bekant || gemacht, an der Zahl (ber 20000. nach ihrer Geburth, Absterben, vornehm= || sten Schrifften, Leben und merckw(rdigsten Geschichten, aus denen || glaubw(rdigsten Scribenten, die man jedesmahl fleißig angemerckt, || kurtz und deutlich nach Alphabetischer Ordnung || beschrieben werden, || Denen Liebhabern der Historie der Gelehrten, und || andern curieusen Personen zu n(tzlichen Gebrauch || zum Druck befrdert. || Nebst einer Vorrede || Hn. D. Joh. Burchard Menckens, || Knigl. Polnischen und Chur=S chsischen Raths, || und Historiographi, wie auch Histor. Prof. Publici, der Knigl. || Engl. Societ t, des großen F(rsten=Collegii Collegiati und der || Universit t Leipzig z. Z. RECTORIS. || Bey Johann Friedrich Gleditsch und Sohn, || Buchh ndl. in Leipzig, im Jahr 1715. [Moréri, Louis:] LE GRAND DICTIONAIRE || HISTORIQVE, || OV LE MÉLANGE CVRIEVX || DE || L’HISTOIRE SACRÉE || ET PROFANE, || QVI CONTIENT EN

786 ABBREGÉ || LES VIES DES PATRIARCHES, DES IVGES ET DES ROIS || de l’Ancien Testament; des Souverains Pontifes de l’Eglise; des saints Peres & || Docteurs Orthodoxes, des Evêques des quatre Eglises Patriarchales, || des Cardinaux, des Prelats celebres; & des Heresiarques: || CELLES DES EMPEREVRS DE ROME, DE GRECE, D’ALEMAGNE, || Chrétiens, Payens & Ottomans: des Rois, des Princes Illustres, & des grands Capitaines; des Auteurs Grecs || & Latins anciens & modernes; des Philosophes, des Inventeurs des Arts, & des autres Personnes de toute || sorte de Profession, renommées par leur Erudition, par leurs Ouvrages, ou par quelque action éclatante. || […] || SECONDE EDITION, DIVISÉE EN DEVX TOMES, || Reveuë, corrigée, & augmentée de la moitié. || Par M. LOVYS MORERI, Prêtre, Docteur en Theologie. || TOME PREMIER. || A LYON, || Chez IEAN GIRIN, & BARTHELEMY RIVIERE, ruë Marciere, à la Prudence. || M. DC. LXXXI. || AVEC PRIVILEGE DV ROY. [Zedler, Johann Heinrich:] Grosses || UNIVERSAL || LEXICON || Aller || Wissenschafften und K(nste, || Welche bißhero durch menschlichen Verstand und Witz || erfunden worden, || [64 Bde.] || Halle und Leipzig, || Verlegts Johann Heinrich Zedler, 1732–1750.

1.6 Weitere Quellen PETRI || ABAELARDI, || FILOSOFI ET THEOLOGI, || ABBATIS RVYENSIS, || ET || HELOISAE CONIVGIS EIVS, || PRIMÆ PARACLETENSIS ABBATISSÆ, || OPERA, || NVNC PRIMVM EDITA EX MMS. CODD. V. ILLVS. || FRANCISCI AMBOESII, Equitis, Regis in sanctioro || Consistorio Consiliarij, Baronis Chartræ, &c. || Cum eiusdem Præfatione Apologetica, & Censura || Doctorum Parisiensium, || PARISIIS, || Sumptibus NICOLAI BVON, via Iacobæa, sub signis || sancti Claudij, & Hominis Siluestris. || M. DCXVI. || CVM PRIVILEGIO REGIS. Aconcio, Giacomo: Delle osservationi et avvertimenti che aver si debbono nel legger delle historie (um 1562), in: Kessler (Hrsg.), Theoretiker (1971), Nr. 4. Acta Sanctorum quotquot toto orbe coluntur, vel a catholicis scriptoribus celebrantur […], begr. v. Jean Bolland, 67 Bde., Antwerpen 1643–1940. Acta Sanctorum, The Full Text Database. URL: !http://acta.chadwyck.co.uk/. ACTA || SANCTORUM || BOLLANDIANA || Apologetis libris in unum volumen nunc primum contractis || VINDICATA. || SEU || SUPPLEMENTUM APOLOGETICUM || AD ACTA BOLLANDIANA || Sanctissimo Domino Nostro Papæ || BENEDICTO XIV. || D. D. D. || ANTUERPIÆ || Apud Bernardum Albertum Vander Plassche. || MDCCLV. AD ACTA SANCTORVM || SVPPLEMENTVM || VOLVMEN COMPLECTENS || AVCTARIA OCTOBRIS || et || TABVLAS GENERALES || cura et opere || L. M. Rigollot || Parisiis & Romæ, Apud Victorem Palmé. M. DCCCLXXV. PROPYLÆUM || AD ACTA SANCTORUM MAII || SUB FELICISSIMIS AUSPICIIS || INNOCENTII XI || ROMANI PONTIFICIS OPTIMI MAXIMI || ET || CAROLI II || HISPANIARVM INDIARVMQVE REGIS CATHOLICI || IN SEPTEM TOMOS DIGESTA || AUCTORIBUS || Godefrido Henschenio & Daniele Papebrochio, || operam & studium conferentibus || Francisco Baertio & Conrado Janningo, || Societatis IESV Flandro-belgicæ Presbyteris Theologis || ANTVERPIÆ, || Apud MICHAELEM KNOBBARUM, sub signo S. Petri, || cum Privilegio & facultate Superiorum [1685]. Adam von Bremen: Gesta Hammaburgensis ecclesiae pontificum, dritte Aufl., hrsg. v. Bernhard Schmeidler (MGH SS rer. Germ. in us. schol. [2]), Hannover/Leipzig 1917. Magistri Adam Bremensis Gesta Hammaburgensis ecclesiae Pontificum/Adam von Bremen: Bischofsgeschichte der Hamburger Kirche. Neu übertr. v. Werner Trillmich,

787 in: Quellen des 9. und 11. Jahrhunderts zur Geschichte der hamburgischen Kirche und des Reichs, bearb. v. Werner Trillmich/Rudolf Buchner (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters. Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe 11), Berlin 1961. S. Adonis Viennensis chronicon in ætates sex divisum, in: Sæculum IX. Usuardi martyrologium ex recensione R. P. Sollerii, et ad editionem Benedictinam collatum, præmittuntur Sancti Adonis opera, ad fidem editionum Rosweidi, Mabillonii, etc., recognita et expressa, accurante J.-P. Migne, Bd. 1 (MPL 123), Paris 1879, Sp. 23–138. AIMOINI MONACHI || INCLYTI COENOBII || D. GERMANI À PRATIS,|| LIBRI QVINQVE, DE GESTIS || FRANCORVM. || EIVSDEM AIMOINI libri duo, de Inuentione & translatione corporis S. Vincentij Leuitæ || & Martyris, nunquam antea impreßi. || Abbonis, Discipuli Aimoini libri duo, de obsessa à Nortmannis Lutecia. || CHRONICON CASINENSE || LEONIS MARSICANI, CARDINALIS, || & Sanctæ Apostolicæ sedis Bibliothecarij. || Inuentio SS. corporum Placidi Abbatis, ac sociorum eius martyrum. || Liber miraculorum B. Mauri Leuitæ & Abbatis, hactenus prælo typographico ignotus. || BENEDICTINA, à Benedicto PAPA XII. nomen sortita. Et alia plura, quæ post indicem || capitum Aimoini recensita offendes. || OMNIA AVTEM STVDIO ET OPERA FRATRIS || IACOBI DV BREVL, Monachi S. Germani à Pratis. || Ad calcem est rerum ac verborum index locupletißimus. || PARISIIS, || Apud AMBROSIVM & HIERONYMVM DROVART, || sub scuto Solari via Iacobæa. || M. DCII. || CVM PRIVILEGIO REGIS. Aimoini Monachi Floriacensis de gestis regum Francorum libri IV, in: Rerum Gallicarum et Francicarum scriptores, nouv. ed., Bd. 3, 1869 [zuerst 1741], S. 21–143. [Albert von Stade:] CHRONICON || ALBERTI, ABBATIS || STADENSIS, A CONDITO OR- || BE VSQVE AD AVCTORIS AETATEM, || id est, annum Iesu Christi M. CC. LVI. || deductum, & nunc primùm || euulgatum. || QVO OPERE CVM ALIIS || IN PARTIBVS VETVS HISTORIA, || INPRIMIS VERO RES GERMA-NICAE || illustrantur, tum Saxoniæ & Metropol. || Crancianæ fundamenta ape= || riuntur. || E bibliotheca || MAGNIFICI ET ILLVSTRIS || VIRI, HENRICI RANZOVII, EQVITIS || HOLSATI, PROREGIS DANICI || in Ducatu Schlesuic. Holsatia, || Ditmarsia &c. || HELMAESTADII || Excudebat Iacobus Lucius Anno || M. D. LXXXVII. [Alford, Michael:] FIDES REGIA || BRITANNICA || SIVE || ANNALES || ECCLESIÆ BRITANNICÆ. || UBI POTISSIMUM || BRITANNORVM || CATHOLICA, ROMANA, ET ORTHODOXA || FIDES || PER QUINQUE PRIMA SÆCULA: || E REGVM, ET AVGVSTORVM FACTIS: || Et aliorum Sanctorum rebus è virtute gestis, asseritur. || TOMUS PRIMUS. || AUCTORE || R. P. MICHAELE ALFORDO ALIÀS GRIFFITH, || Anglo Societatis IESV Theologo. || LEODII, || EX OFFICINA TYPOGRAPHICA JO. MATHIÆ HOVII, || Ad insigne Paradisi Terrestris. M.DC. LXIII. || SVPERIORVM PERMISSV. Sancti Ambrosii mediolanensis episcopi exhortatio virginitatis liber unus, in: Sancti Ambrosii mediolanensis episcopi opera omnia. Editio præ aliis omnibus completa, quarum instar haberi potest; Ad manuscriptos codices vaticanos, gallicos, belgicos, etc., necnon ad veteres editiones, maxime vero ad benedictinam recensita et emendata; vari insuper opusculis quæ vel omisere vel ne memoravere quidem eruditi benedictini, locupleta. Accurante et denuo recognoscente J.-P. Migne, Bd. 2,1 (MPL 16), Paris 1880, Sp. 351–379. Sancti Ambrosi opera, Teil 10: Epistulae et acta, Bd. 3: Epistularum liber decimus. Epistulae extra collectionem. Gesta Concilii Aquileiensis, hrsg. v. Michaela Zelzer (CSEL 82), Wien 1982. VALERI ANDREAE || DESSELI I. C. || BIBLIOTHECA || BELGICA: || DE BELGIS VITA SCRIPTISQ. CLARIS. || PRAEMISSA || TOPOGRAPHICA || BELGII TOTIVS SEV || GERMANIÆ INFERIORIS || DESCRIPTIONE. || Editio renovata, & tertiâ parte auctior. || LOVANII || Typis IACOBI ZEGERS, M. DC. XLIII.

788 The Anglo-Saxon Chronicle. A Revised Translation by Dorothy Whitelock with David C. Douglas/Susie I. Tucker. Introduction by Dorothy Whitelock, London 1961. The Anglo-Saxon Chronicle. A Collaborative Edition, Bd. 5: MS. C. A Semi-Diplomatic Edition with Introduction and Indices, hrsg. v. Katherine O’Brien O’Keeffe, Cambridge 2001. Annales monasterii de Waverleia, 1–1291. From MS. Cotton. Vespasian A. xvi., in: Annales monastici, Bd. 2: Annales monasterii de Wintonia. (A. D. 519–1277). Annales monasterii de Waverleia (A. D. 1–1291), hrsg. v. Henry Richards Luard (Rerum Britannicarum Medii Ævi Scriptores, or Chronicles and Memorials of Great Britain and Ireland during the Middle Ages [36,2]), London 1865, S. 127–411. Annales prioratus de Wigornia. A. D. 1–1377. From MS. Cotton. Caligula A. x., in: Annales monastici, Bd. 4: Annales monasterii de Oseneia (A. D. 1016–1347). Chronicon vulgo dictum Chronicon Thomæ Wykes (A. D. 1066–1289). Annales prioratus de Wigornia (A. D. 1–1377), hrsg. v. Henry Richards Luard (Rerum Britannicarum Medii Ævi Scriptores, or Chronicles and Memorials of Great Britain and Ireland during the Middle Ages [36,4]), London 1869, S. 353–564. Annales Zwifaltenses, hrsg. v. Otto Abel, in: MGH SS, Bd. 10, hrsg. v. Georg Heinrich Pertz, Hannover 1852. Atanagi, Dionigi: Ragionamento della istoria (1559), in: Kessler (Hrsg.), Theoretiker (1971), Nr. 2. Augustinus, Aurelius: De baptismo libri VII, in: Sancti Aurelii Augustini scripta contra Donatistas, Teil 1: Psalmus contra partem Donati, Contra epistulam Parmeniani libri tres, De baptismo libri septem, hrsg. v. M. Petschenig (CSEL 51), Wien/Leipzig 1908 (Neudruck New York/London 1963). – Breviculus collationis cum Donatistis, in: ders., Œuvres, Bd. 32, ed. Finaert/Lamirande (1965), S. 94–243. – Contra Cresconium grammaticum et Donatistam libri IIII, in: Sancti Aurelii Augustini scripta contra Donatistas, Teil 2: Contra litteras Petiliani libri tres, Epistula ad catholicos de secta Donatistarum, Contra Cresconium libri quattuor, hrsg. v. M. Petschenig (CSEL 52), Wien/Leipzig 1909. – Contra Gaudentium Donatistarum Episcopum, in: ders., Œuvres, Bd. 32, ed. Finaert/ Lamirande (1965), S. 510–685. – Opera, Bd. 8: In Iohannis evangelium tractatus CXXIV, post Maurinos textum edendem curavit D. Radbodus Willems (CCSL 36), Turnhout 1954. – Œuvres de Saint Augustin, Bd. 32 (= Série 4: Traités anti-donatistes, Bd. 5). Traduction de G. Finaert. Introduction et notes par E. Lamirande (Bibliothèque Augustinienne), Brügge 1965. Avsonii Bvrdigalensis epistolarvm liber, in: D. MAGNI || AVSONII || BVRDIG. VIRI || CONSVLA- || RIS || OPERA. || A Iosepho Scaligero, & Elia || Vineto denuò recognita, di- || sposita, & variorum notis il- || lustrata: Cetera Epistola ad || lectorem docebit. || Adiectis variis & locupletißi- || mis Indicibus. || TYPIS, || IACOBI STOER. || [Genf] M. D. XIIC., S. 201–247. Ausonius: Works, Edited with Introduction and Commentary by R. P. H. Green, Oxford 1991. [Baillet Adrien:] LES VIES || DES || SAINTS, || COMPOSÉES SUR CE QUI NOUS EST RESTÉ || de plus authentique, & de plus assuré dans leur Histoire, || DISPOSÉES SELON L’ORDRE DES CALENDRIERS || & des Martyrologes, || AVEC || L’HISTOIRE DE LEUR CULTE, SELON QU’IL EST ÉTABLI || dans l’Église Catholique. || ET L’HISTOIRE DES AUTRES FESTES DE L’ANNÉE. || TOME PREMIER. || Contenant les mois de Janvier, Février, Mars, & Avril. || NOUVELLE EDITION. || A PARIS; || Chez ROULLAND, ruë saint Jacques, vis-à-vis saint Yves. || M. DCCXV. || AVEC APPROBATION, ET PRIVILEGE DU ROY. [Bale, John:] SCRIPTORVM IL || lustriu[m] maioris BrytanniĊ, quam || nunc Angliam & Scotiam uocant: Ca- || talogus: à Iaphetho per 3618 annos, usq[ue] ad annu[m]

789 Domini 1557. || ex Beroso, Gennadio, Beda, Honorio, Bostono Buriensi, Frumenta- || rio, Capgrauo, Bostio, Burello, Triassa, Tritemio, Gesnero, || Ioanne Lelando, atq[ue] alijs authoribus collectus, || & IX Centurias continens: || In quo antiquitates, origines, annales, loca, successus, celebrioraq[ue] cuiusq[ue] scripto- || ris facta, dicta, consilia, scripta, obitus, & alia scitu non indigna recensentur, re- || cta ubiq[ue] annoru[m] supputatione seruata: ut inde tam reproborum, quàm electo- || rum Ecclesiæ ministroru[m] facta, mysterijs in S. Ioannis Apocalypsi descriptis, in || stellis, angelis, equis, tubis, tonitruis, capitibus, coronis, montibus, phia- || lis ac plagis, per ætates eiusdem Ecclesiæ singulas, || historicè & aptè respondeant: || Autore IOANNE BALEO Sudouolgio Anglo, Ossoriensi apud Hy- || bernos iam pridem Episcopo, nunc apud Germanos || pro Christi professione peregrino. || Accedunt his, Appendices, unà cum actis Romanorum Pontificum, quæ eorum adulatores, Carsulanus, || Platina, Stella, & similes omiserunt. Accedunt & filiorum, monachorum suorum facta: præcipuè fra= || terculoru[m] Mendicantium, quos in quarta tertiæ Claßis sectione locustæ adumbrant. Atq[ue] hæ Appendices || adiunctam habent tam piorum patrum, quàm Antichristoru[m] in Ecclesijs quasi perpetuam succeßionem, cum || rarißimis diuersarum terrarum ac gentium historijs & exemplis: ex quibus apparebunt eorum adulteria, || stupra, contentiones, seditiones, sectæ, inuidiæ, fallaciæ, ueneficia, homicidia, ac Principum || proditiones, cum innumerabilibus imposturis. || Basileae apvd Ioan- || nem Oporinum [1557]. [Baronio, Cesare:] MARTYROLOGIVM || ROMANVM, || AD NOVAM KALENDARII RATIO- || NEM, ET ECCLESIASTICAE HISTORIAE || VERITATEM RESTITVTVM. || GREGORII XIII. PONT. MAX. || IVSSV EDITVM. || ACCESSERVNT NOTATIONES || atque Tractatio de Martyrologio Romano: || AVCTORE CÆSARE BARONIO SORANO, || CONGREGATIONIS ORATORII PRESBYTERO. || Secunda editio ab ipso auctore emendata & compluribus aucta. || ANTVERPIÆ, || Ex officina Christophori Plantini, || Architypographi Regij. || M. D. LXXXIX. – ANNALES || ECCLESIASTICI || AVCTORE || CÆSARE BARONIO || SORANO, || EX CONGREGAT. ORATORII || S. R. E. PRESBYTERO CARD. TIT. SS. || Nerei & Achillei, & S. Apost. Sedis || Bibliothecario, || TOMI DVODECIM. || Nouissima Editio, postremum ab Auctore aucta, & iam || denuo recognita. || COLONIÆ AGRIPPINÆ || Sumptibus Ioannis Gymnici, sub Monocerote. || ANNO M. DC. XXIV. || Cum Gratia & Priuileg. S. Cæsar. Maiest. ad decennium. Baumgarten, Siegmund Jacob: Über die eigentliche Beschaffenheit und Nutzbarkeit der Historie (1744), in: Blanke/Fleischer (Hrsg.), Theoretiker, Teil 1 (1990), Nr. 4, S. 174–205. Bayle, Pierre: Œuvres diverses. Volumes supplementaires, Bd. 1,1–2: Choix d’articles tirés du Dictionnaire Historique et Critique, hrsg. v. Elisabeth Labrousse, Hildesheim/ New York 1982. – Historisches und kritisches Wörterbuch. Eine Auswahl. Übers. u. hrsg. v. Günter Gawlick/Lothar Kreimendahl, Darmstadt 2003. [Beda:] Ecclesiasticae historiae gentis Anglorvm libri qvinqve, Beda Anglosaxone avctore, in: Rerum Britannicarum scriptores, [ed. Commelin], 1587, S. 147–280. – Opera historica, sect. 2: Martyrologia, juxta exemplaria Coloniense et Bollandianum, in: Venerabilis Bedæ presbyteri opera omnia ex tribus præcipuis editionibus inter se collatis, nempe Coloniensi, duabusque in Anglia studio doctissimorum virorum Smith et Giles, non sine ingenti litteratorum plausu in lucem vulgatis, novissime ad prælum revocata, meliori ordine digesta, variis monumentis aucta, et, quod maximum est, innumeris, quibus scatebant, mendis diligenter expurgata, accurante J.-P. Migne, Bd. 5 (MPL 94), Paris 1850, Sp. 797–1148. – Historical Works. With an English Translation by J. E. King, 2 Bde.: Ecclesiastical History of the English Nation. Based on the Version of Thomas Stapleton, 1565, Books I–III/IV–V (LCL 246, Bede. Historical Works 1,[1–2]), Cambridge, Mass./London 1999 [zuerst 1930].

790 [Belinus ¢von Padua²:] Martyrologium s[ecundu]m mo= || rem Roma= || ne curie. || Cum priuilegio [o. O.; o. J.] [1504] [Exemplar HAB WoBü M: Tn 206]. [Bellarmin, Robert:] DE || SCRIPTORIBVS || ECCLESIASTICIS || LIBER VNVS. || CVM ADIVNCTIS INDICIBVS || vndecim, & breui CHRONOLOGIA ab || Orbe condito vsque ad annum || M. DC. XIII. || ROBERTO CARDINALE || BELLARMINO E SOCIET. || IESV AVCTOR. || Cum Permissu Superiorum & Privilegio Cæs. M. special. || COLONIÆ AGRIPPINÆ, || Sumptibus Iodoci Kalcouii. || ANNO M. DC. XLV. Die Bibel. Altes und Neues Testament. Einheitsübersetzung, Freiburg i. Br./Basel/Wien 1980. Biblia sacra iuxta Vulgatam versionem, recensuit et brevi apparatu instruxit Robertus Weber. Ed. tertia emendata, quam paravit Bonifatius Fischer/H. I. Frede/Iohannes Gribomont [et. al.]. Ed. minor, Stuttgart 1984. [Binet, Étienne:] ABREGÉ || DES VIES || DES PRINCIPAVX || FONDATEVRS DES RELIGIONS DE L’EGLISE, || REPRESENTEZ DANS LE CHOEVR || DE L’ABBAIE DE S. LAMBERT || DE || LIESSIES || EN HAYNAVT: || Auec les Maximes spirituelles de chaque || Fondateur. || Par le R. P. ESTIENNE BINET, de la || Compagnie de JESVS. || A ANVERS || Chez MARTIN NVTIVS. || L’AN M. DC. XXXIV. Biondo, Flavio: De Roma triumphante libri X, in: BLONDI FLAVII || FORLIVIENSIS, || DE ROMA TRIVMPHANTE || LIB. X. PRISCORVM SCRIPTORVM LECTORI- || bus utilissimi, ad totiusq[ue] Romanæ antiquitatis || cognitionem pernecessarij. || ROMAE instauratæ LIBRI III. || DE ORIGINE ac gestis Venetorum liber. || ITALIA illustrata, siue Lustrata (nam uterq[ue] titulus doctis || placet) in regiones seu prouincias diuisa XVIII. || HISTORIARVM ab inclinato Ro. imperio, Decades III. || Additis tribus pro argumentorum ratione Indicibus nouis. || FROBEN || BASILEAE M. D. LIX., S. 1–217. Blanke, Horst Walter/Fleischer, Dirk (Hrsg.): Theoretiker der deutschen Aufklärungshistorie, Bd. 1: Die theoretische Begründung der Geschichte als Fachwissenschaft (Fundamenta historica. Texte und Forschungen 1,1), Stuttgart-Bad Cannstatt 1990. – Theoretiker der deutschen Aufklärungshistorie, Bd. 2: Elemente der Aufklärungshistorik (Fundamenta historica. Texte und Forschungen 1,2), Stuttgart-Bad Cannstatt 1990. Jo. Bodini andeg. in parisiorum senatu advocati methodus, ad facilem historiarum cognitionem; ab ipso recognita, et multo quam antea locupletior. Cum indice rerum memorabilium copiosissimo, Paris 1572 = Corpus général des philosophes français. Auteurs modernes, Bd. 5,3: Œuvres philosophiques de Jean Bodin. Texte établi, traduit et publié par Pierre Mesnard, Paris 1951, S. 105–269. [Borselli, Girolamo:] Cronica gestorum ac factorum memorabilium civitatis Bononie, edita a Fratre Hyronimo de Bursellis (Ab urbe condita ad a. 1497) con la continuazione di Vincenzo Spargiati (aa. 1498–1584), hrsg. v. Albano Sorbelli (RIS2 23,3), Città di Castello 1929. [Bosio, Antonio:] ROMA || SOTTERRANEA || OPERA POSTVMA || DI ANTONIO BOSIO ROMANO || ANTIQVARIO ECCLESIASTICO || SINGOLARE DE’ SVOI TEMPI. || Compita, disposta, & accresciuta || DAL M. R. P. GIOVANNI SEVERANI DA S. SEVERINO || SACERDOTE DELLA CONGREGATIONE DELL’ORATORIO DI ROMA. || Nella quale si tratta || DE’ SACRI CIMITERII DI ROMA. || DEL SITO, FORMA, ET VSO ANTICO DI ESSI. || DE’ CVBICOLI, ORATORII, IMAGINI, IEROGLIFICI, || ISCRITTIONI, ET EPITAFFI, CHE VI SONO. || Nuouamente visitati, e riconosciuti dal Sig. OTTAVIO PICO dal Borgo S. Sepolcro, Dottore dell’vna, e l’altra Legge. || DEL SIGNIFICATO DELLE DETTE IMAGINI, E IOROGLIFICI. || DE’ RITI FVNERALI IN SEPELLIRVI I DEFONTI. || DE’ MARTIRI IN ESSI RIPOSTI, O MARTIRIZATI || NELLE VIE CIRCONVICINE. || DELLE COSE MEMORABILI, SACRE, E PROFANE, || ch’erano nelle medesime

791 Vie: e d’altre notabili, che rappresentano || L’IMAGINE DELLA PRIMITIVA CHIESA. || L’ANGVSTIA, CHE PATI NEL TEMPO DELLE PERSECVTIONI. || IL FERVORE DE’ PRIMI CHRISTIANI. || E LI VERI, ET INESTIMABILI TESORI, CHE ROMA TIENE RINCHIVSI || SOTTE LE SVE CAMPAGNE. || Publicata dal Commendatore || FR. CARLO ALDOBRANDINO AMBASCIATORE RESIDENTE || NELLA CORTE DI ROMA PER LA SACRA RELIGIONE, ET ILL.MA MILITIA || DI S. GIOVANNI GIEROSOLIMITANO, HEREDE DELL’AVTORE. [Rom 1634]. FRANCISCI || BOSQVETI || NARBONENSIS ICTI. || IN EPISTOLAS INNOCENTII III. || PONTIFICIS MAXIMI || NOTÆ. || Quibus præfixa sunt eiusdem Innocentij PP. || GESTA, || AVCTORE ANONYMO, || Nunc recèns è vet. Cod. MS. Bibliothecæ Fuxensis edita, quùm etiam || vice Commentarij ad complures ipsius Innocentij || Epistolas esse possint. || Accessit ad calcem in easdem Epistolas, & Notas Jndex Rerum, || & Verborum copiosissimus. || TOLOSÆ TECTOSAGVM, || Apud Societatem Tolosanam. M. DC. XXXV. || CVM PRIVILEGIO. [Bostius, Arnoldus:] Specvlvm historiale sectatorvm SS. Prophetarvm Eliæ & Elisei, De Institutione, & peculiaribus gestis, ac viris illustribus sacri Ordinis Beatissimæ Dei Genitricis Virginis Mariæ de monte Carmeli. Auctore Arnoldo Bostio Flandro, Gandavensi, in: Daniel de la Vierge, Speculum Carmelitanum, 1680, S. 274–291. [Bouquet, Martin:] Rerum Gallicarum et Francicarum scriptores/Recueil des historiens des Gaules et de la France, Bd. 1: Contenant tout ce qui été fait par les Gaulois. Et qui s’est passé dans les Gaules avant l’arrivée des François: et plusieurs autres choses qui regardent les François. Depuis leur origine jusqu’a Clovis. Par Dom Martin Bouquet, Prêtre et religieux Bénédictin de la Congrégation de Saint-Maur. Nouvelle édition. Publiée sous la direction de M. Léopold Delisle. Membre de l’Institut. Paris 1869 [zuerst 1738]. [Breventano, Stefano:] ISTORIA || DELLA ANTICHITA || NOBILTA, ET DELLE COSE NOTA- || BILI DELLA CITTA DI PAVIA, || RACCOLTA DA M. STEFANO || BREVENTANO CITTADINO PAVESE. || Con licentia delli Signori Superiori. || In Pauia Approsseo Hieronimo Bartholi, nelle Case || di S. Pietro in Ciel’Aureo 1570 (Neudruck Bologna 1972 = Historiae urbium et regionum Italiae rariores 20). BREVIARIVM || ROMANVM || EX DECRETO SACROSANCTI || Concilij Tridentini restitutum, || PII V. PONT. MAX. || iussu editum, || ET CLEMENTIS VIII. || auctoritate recognitum. || De licentia Superiorum. || VENETIIS APVD GVERILIVM [1630]. [Brower, Christoph:] FVLDENSIVM || ANTIQVITATVM || LIBRI IIII. || AUCTORE || R. P. CHRISTOPHORO BROVVERO || Societatis IESV Presbytero. || ANTVERPIÆ || EX OFFICINA PLATINIANA, Apud Viduam & Filios Ioannis Moreti. || M. DC. XII. || Cum Priuilegiis Cæsareo & Principum Belgarum. – SIDERA || ILLVSTRIVM || ET SANCTORVM || VIRORVM || QVI GERMANIAM PRÆSERTIM || MAGNAM OLIM || GESTIS REBVS || ornarunt: || A NOCTE SVA RELVCENTES || VINDICAVIT || VETERVM MSS. BENEFICIO || CHRISTOPHORVS BROWERVS || Societatis IESV presbyter. || [Motto] ECCLES. XLIV. || Laudemus viros gloriosos & parentes nostros in generatione sua. || Cum Gratia & Priuilegio Sacr. Cæsar. Maiest. || MOGVNTIÆ, || Ex officina Typographica IOANNIS ALBINI. || M. DC. XVI. [Brower, Christoph/Masen, Jacob:] ANTIQUITATUM || ET || ANNALIVM || TREVIRENSIVM || LIBRI XXV || DVOBVS TOMIS COMPREHENSI, || AUCTORIBUS RR. PP. SOC. JESU, || P. CHRISTOPHORO BROWERO || GeldroArnheimiensi, || ET || P. JACOBO MASENIO || Juliaco-Dalensi. || Quorum Ille Proparasceven, cum Libris XXII Annalium scripsit: || Hic, præter Additamenta Proparasceves & Historiæ, III reliquos || Annalium libros, cum luculentis Indicibus, adjecit. || TOMUS PRIMUS. || Opus variis Antiquitatum monumentis æri & ligno incisis adornatum. || LEODII, || EX OFFICINA TYPOGRAPHICA JO. MATHIÆ HOVII, || Ad insigne Paradisi Terrestris. M. DC. LXXI. || SVPERIORVM PERMISSV.

792 ANDREÆ BRUNNERI, || E SOCIETATE JESU, || ANNALIUM || BOICARUM, || A || Primis rerum Boicarum initiis || ad Annum MCCCXI. || PARTES III. || Editio nova, ad Monachicam accurate recusa, || novoque Indice locupletissimo || instructa. || FRANCOFURTI AD MOENUM, || Impensis JO. FRIDERICI GLEDITSCH, ET FILII, || Anno M DCC X. [Bruschius, Kaspar:] MONASTERIORVM || Germaniæ Præcipuorum ac ma= || xime illustrium: Centu= || ria Prima. || In qua Origines, Annales ac celebriora cuiusqu[ue] || Monumenta, bona fide recensentur. || Authore Gaspare Bruschio Egrano, Poëta Lau= || reato ac Comite Palatino. || Cum Gratia & Priuilegio Cæsareæ ac || Regiæ Rom. Maiestatis. || INGOLSTADII APVD ALEXAND= || drum & Samuelem Vueyssenhornios fratres. || M. D. LI. Bussi, Giovanni Andrea: Prefazioni alle edizioni di Sweynheym e Pannartz prototipografi romani, hrsg. v. Massimo Miglio (Documenti sulle arti del libro 12), Cremona 1978. [Caesarius von Heisterbach:] ILLVSTRIVM || MIRACVLORVM || ET || HISTORIA- || RVM MEMORABI- || LIVM LIB. XII. || Ante annos ferè CCCC. à CAESARIO HEISTER- || BACHCENSI, ordinis Cisterciensis, Coloniensis diœce- || sis, vero venerandæ pietatis & reconditæ doctrinæ, || de ijs, quæ sua ætate memoratu digna conti- || gerunt, accuratè conscripti: || Ab omnibus quidem Orthodoxæ religionis & veræ || pietatis amantibus, propter euidentem vtilita- || tem & iucunditatem, diu desiderati: || Nunc ab innumeris mendis, quibus incuria veterum scri- || ptorum & Chalcographorum scateba[n]t, diligenter || repurgati, & recens in lucem editi. || ANTVERPIÆ || Ex Officina Typographica Martini Nutij, || ad intersigne duarum Ciconiarum, || Anno M. DC. V. || Cum gratia & Priuilegio. [Camden, William:] BRITANNIA, || SIVE || FLORENTISSIMORVM || REGNORVM ANGLIÆ, || SCOTIÆ, HIBERNIÆ, ET || Insularum adiacentium ex intima antiquitate || Chorographica descriptio: || Nunc postremò recognita, plurimis locis magna acceßione || adaucta, & Tabulis Chorographicis || illustrata. || GVILIELMO CAMDENO Authore. || LONDINI, || Jmpensis GEORGII BISHOP & || IOANNIS NORTON. || M. DC. VII. (Neudruck Hildesheim/New York 1970 [Anglistica & Americana 57]). [Campi, Pietro Maria:] DELL’HISTORIA || ECCLESIASTICA || DI PIACENZA || Di Pietro Maria Campi Canonico Piacentino; || Nella quale si spiegano le attioni de’ Santi, de’ Beati, e de’ Vescoui della Città di Pia- || cenza, e l’antichissima immunità, e giurisditione di quella Chiesa, con le || fondationi di molti luoghi sacri, || Et insieme le varie donationi, e gratie riportate da’ Sommi Pontefici, Imperadori, || Rè, e Principi; || E si fà anche mentione di molte Famiglie, Huomini Illustri, e maggiori successi d’Italia; || Con l’origine de’ nomi de’ Villaggi, Terre, e Castella del Piacentino, || E nel fine l’Historia antichissima, nè mai più vscita in luce della fondatione della Città || stessa di Tito Omusio Piacentino, || Con vn Registro de’Priuilegi, Bolle, & altre Scritture latine citate in quest’ Opera, || Con più Tauole copiosissime. || PARTE PRIMA. || ALL’ ALTEZZA SERENISSIMA || DI RANVCCIO FARNESE || DUCA DI PIACENZA, PARMA, &c. || IN PIACENZA || Per Giouanni Bazachi Stampatore Camerale. MDCLI. || CON LICENZA DE’ SVPERIORI. [Camusat, Nicolas:] PROMPTVARIVM || SACRARVM || ANTIQVITATVM || Tricasinæ diœcesis. || In quo præter Seriem historicam Tri- || cassinorum præsulum, origines præ- || cipuarum ecclesiarum, vitæ etiam || Sanctorum qui in eadem diœcesi || floruerunt, promiscue continentur. || Auctore seu collectore NICOLAO CA- || MVZAT Tricassino. || AVGVSTÆ TRECARVM. || Apud NATALEM MOREAV || qui dicitur le Coq, in vico diuæ || Mariæ, sub signo Galli. || 1610. [Canisius, Heinrich:] ANTIQUÆ LECTIONIS || TOMUS I. || IN QVO XVI. AN- || TIQVA MONVMENTA || AD HISTORIAM MEDIÆ ÆTATIS ILLVSTRANDAM, || NVNQUAM EDITA. || Alcuini Epistolæ ad Carolum Magnum & alios. || Tironis Prosperi Chronicon auctius vulgato & Pithœano, quæ etiam hîc adiuncta. || VVeingartensis de Gvvelffis Principibus. || Eiusdem Chronicon ad an. 1197. || Heinricus Stero. auctior. || Eberhardi Altahensis, Ratisponensis Archidiaconi Annales à Ru-

793 dolpho Habspurgio ad ann. 1305. || Sangallensis de gestis Caroli Magni libri duo. || Hermannus Comes Veringensis. auctior. || Concilia Salisburgensia tria & Viennense vnum || Carmina[:] || Sancti Columbani. || Salomonis Episc. Constantiensis. || Vvaldrammi. || Metelli Tegernseensis Quirinalia. || OMNIA NVNC PRIMVM E MANVSCRIPTIS || EDITA ET NOTIS ILLVSTRATA, || AB || HENRICO CANISIO NOVIOMAGO IC. ET SS. || Canonum Professore ordinario in Academia || INGOLSTADIENSI. || Cum Gratia & Priuilegio Cæsareæ Maiestatis. || INGOLSTADII, || Ex officina typographica EDERIANA, apud Andream || ANGERMARVIUM. Anno 1601. [Canisius, Petrus:] MARTYROLOGIVM. || Der Kirchenkalender/ || darinnen die Christlichen Feste vnnd || Hayligen Gottes bayder Testament begriffen/ || wie dieselbige[n] durch das gantz Jar in der Christenheit/ von || tag z) tag begangen werden. Auch mit verzaichnuß vnzal= || barer Hayligen/ wie sie gelebt vnd gelidten/ was sie ge= || than vnd gelassen haben/ z) jhrem ewigen hayl/ || vnd jhren Mitschriften z) einem leben= || digen Exempel. || Alles auffs newest fleißig Corrigirt vnd gebessert/ || z) sterckung aller recht Christglaubigen. || Mit des Ehrw*rdigen vnd Hochgelerten Herrn || D. Petri Canisij Vorred vnd notwendiger Erkl rung/ || wie Gottes Heyligen mgen vnd sollen Christ= || lich gehret werden. || Sampt einem gemainen Christlichen Kalender/ vnd z) end ange= || hencktem nutzlichem Register/ an welchem blat ein || jeder Hailig zufinden sey. || Mit Rm. Kay. May. Freyheit. || Getruckt z) Dillingen/ durch || Sebaldum Mayer. || 1573. [Cano, Melchior:] REVERENDISSIMI || D. DOMINI MEL- || CHIORIS CANI EPI- || SCOPI CANARIENSIS, ORDINIS || PRÆDICATORVM, ET SACRÆ THEO- || logiæ professoriis, ac primariæ cathedræ || in academia Salmanticensi || olim præfecti, || De locis Theologicis Libri duodecim. || Cum Indice copiosissimo atq[ue] locupletissimo. || LOVANII, || Excudebat Seruatius Sassenus, sumptibus || hæredum Arnoldi Birckmanni. || Anno 1569. || Cum Gratia & Priuilegio R. M. ad Sexennium. Carafa, Francesco: Il „Liber visitationis“ nella diocesi di Napoli (1542–1543), hrsg. v. Antonio Illibato (Thesaurus ecclesiarum Italiae 12: Campania 1), Rom 1983. CATALOGUS || BIBLIOTHECÆ || JOHANNIS DIECMANNI, || SS. Th. D. || per Ducat. Bremens. & || Verdens. Superintendentis || Generalis b. m. || Bremæ die V. Maji [!] & sequent. || Anno 1721. || Publica venditione distrahendæ. || BREMÆ, || Typis Hermanni Christophori Jani, Illustr. || Gymnasii Typogr. 1721. Catalogus sanctorum ordinis Carmelitarum. Recensio longior iuxta textum communiorem, in: Xiberta, De visione (1950), S. 285–295. [Chenu, Jean:] CHRONOLOGIA || HISTORICA PATRIARCHARVM, || ARCHIEPISCOPORVM BITVRICENSIVM || & Aquitaniarum Primatum. || ANNO M. DC. III. PRIMO EDITA: || Nunc verò editioni secundæ acceßit Catalogus || Decanorum Ecclesiæ Bituricensis. || CVM NOTITIA ARCHIEPISCOPATVVM, || Episcopatuum Prouinciæ Bituricensis, simul & Abbatiarum, || aliorúmque Beneficiorum Diœcesis Bituricensis. || Auctore IOANNE CHENV Biturico, in Parisiensi || Senatu Patrono. || PARISIIS, || Apud ROBERTVM FOÜET, via Iacobæa, sub signo || Temporis & Occasionis. || M. DC. XXI. || CVM PRIVILEGIO REGIS. Johann Martin Chladenii, || der heiligen Schrift Doctors, ordentlichen Professors || der Gottesgelahrtheit, der Beredsamkeit und der Poesie, wie auch || Pastors an der Universit tskirche || zu Erlangen, || Allgemeine || Geschichtswissenschaft, || worinnen || der || Grund zu einer neuen Einsicht || in allen Arten der Gelahrtheit || geleget wird. || Leipzig, bey Friedrich Lanckischens Erben, 1752 (Neudruck Wien/Köln/Graz 1985. Mit einer Einl. v. Christoph Friederich u. einem Vorw. v. Reinhart Koselleck = Klassische Studien zur sozialwissenschaftlichen Theorie, Weltanschauungslehre und Wissenschaftsforschung 3). Chronicarum quae dicuntur Fredegarii Scholastici libri IV., in: MGH SS rer. Merov., Bd. 2, ed. Krusch (1888), S. 18–168.

794 The Chronicle „Universis christifidelibus“, in: Staring (Hrsg.), Heritage (1989), Nr. 4, S. 81–90. Chronicon Moissacense, in: MGH SS, Bd. 1, hrsg. v. Georg Heinrich Pertz, Hannover 1826, S. 283–313. Die Chronik von Montecassino/Chronica Monasterii Casinensis, hrsg. v. Hartmut Hoffmann (MGH SS 34), Hannover 1980. M. Tulli Ciceronis Academica. The Text Revised and Explained by James S. Reid, London 1885 (Neudruck Hildesheim 1966). – De natura deorum. Liber primus, hrsg. v. Arthur Stanley Pease. Bimilennial Edition, Cambridge, Mass. 1955. – De natura deorum. Academica. With an English Translation by H. Rackham (LCL 268. Cicero 19), Cambridge, Mass./London 1994 [zuerst 1933]. – Gespräche in Tusculum. Lateinisch – deutsch mit ausführlichen Anmerkungen neu hrsg. v. Olof Gigon, München 31976 [zuerst 1951]. [Coccius, Jodocus:] DAGOBERTVS || REX || ARGENTINENSIS || EPISCOPATVS || FVNDATOR, || PRÆVIVS. || Quem in ALSATIA rediuiuum, Notisque illustra- || tum publico donabat || IODOCVS COCCIVS SOCIETATIS || IESV Theologus. || In quo de VTRIVSQVE ALSATIÆ finitimisq[ue] rebus, ad Sacram || Ciuilemq[ue] notitiam non pauca, in loco memorantur. || MOLSHEIMII, || TYPIS IOANNIS HARTMANNI. || M. DC. XXIII. Codex Mednicensis seu Samogitiae dioecesis, Bd. 2: 1609. VI. 26–1926. V. 13, hrsg. v. Paulus Jatulis (Fontes historiae Lituaniae 4), Rom 1989. [Colgan, John:] ACTA || SANCTORVM || VETERIS ET MAIORIS || SCOTIÆ, || SEV || HIBERNIÆ, || SANCTORVM INSVLAE, || Partim ex variis per Europam MS. Codd. exscripta, || partim ex antiquis monumentis & probatis Au- || thoribus eruta & congesta; omnia Notis || & Appendicibus illustrata, || PER R. P. F. IOANNEM COLGANVM || In Conuentu FF. Minor. Hibern. strictior. obseru. Louanij || S. THEOLOGIÆ LECTOREM IVBILATVM. || Nunc primùm de eisdem Actis iuxtà ordinem mensium & dierum prodit || TOMVS PRIMVS, || Qui de sacris Hiberniæ Antiquitatibus est || TERTIVS || Ianuarium, Februarium, & Martium complectens. || LOVANII, || APUD EVERARDVM DE WITTE, M. DC. XLV. || Cum Priuilegio. [Colvener, Georges:] THOMÆ || CANTIPRATANI, || S. TH. DOCTORIS, ORDINIS || S. DOMINICI, ET EPISCOPI || SVFFRAGANEI CAMERACENSIS || MIRACVLORVM, ET EXEMPLORVM ME- || morabilium sui temporis LIBRI DVO. || In quibus præterea, ex mirifica APVM Repub. vniuersa || vitæ bene & Christiane instituendæ ratio (quò vetus, || BONI VNIVERSALIS, alludit inscriptio) || traditur, & artificiosè pertractatur. || Ad exemplaria complura cùm mss. tum excusa, collati, ab in- || numeris mendis expurgati, aucti, & notis illustrati. || Opera & studio GEORGII COLVENERII Alostensis S. Th. Licent. || Professoris, ac librorum in Academia Duacensi Visitatoris. || DVACI, || Ex typographia BALTAZARIS BELLERI || sub Circino aureo, anno 1605. Permissu superiorum. [Commelin, Hieronymus:] RERVM || BRITANN- || ICARVM, || ID EST || ANGLIAE, SCOTIAE, || VICINARVMQVE INSVLA- || RVM AC REGIONVM, || SCRIPTORES VETVSTIO- || RES AC PRAECIPVI: || GALFREDI MONVMETENSIS, cognomento: Arturi de origine & gestis Re- || gum Britanniæ libri XII. || PONTICI VIRVNNII Britannicæ historiæ libri VI. quibus G. Monumetensis || libros sex priores in Epitomen redegit. || GILDAE SAPIENTIS, de excidio & conquestu Britanniæ Epistola. || BEDÆ ANGLOSAXONIS Historiæ Ecclesiasticæ gentis Anglorum libri V. || CONTINVATIO eiusdem Historiæ, incerto auctore, libris III. comprehensa, || ac iam primum publicata. || GVLIELMVS NEVERICENSIS de rebus Anglicis libri V. || IOANNIS FROSSARDI Historiarum Epitome, in qua de Bellis inter Anglos & || Gallos gestis, præcipue agitur. || Quid a nobis in hac edictione [!] præstitum sit, ad Lectorem || Epistola docebit. || LVGDVNI, || Apud Renatum Potelerium. || M. D. LXXXVII.

795 Concilia aevi Merovingici, hrsg. v. Friedrich Maassen (MGH LL sec. 3: Concilia 1), Hannover 1893 (Neudruck Hannover 1956). Corpus iuris civilis. Editio stereotypa tertia, Bd. 2: Codex Iustinianus, hrsg. v. Paul Krüger, Berlin 1884. Corpus juris canonici, Pars prior: Decretum Magistri Gratiani. Editio Lipsiensis secunda post Aemilii Ludouici Richteri curas ad librorum manu scriptorum et editionis Romanae fidem recognouit et adnotatione critica instruxit Aemilius Friedberg, Leipzig 1879 (Neudruck Union, N. J. 2000). [Cratepoil, Petrus:] OMNIVM AR= || CHIEPISCOPORVM CO- || LONIENSIVM AC TREVERENSI- || VM A PRIMIS VSQVE AD MODER- || nos, Catalogus, breuisq[ue] de- || scriptio. || SVFFRAGANEORVM ITEM || Coepiscoporum Coloniensis Metro- || polis, id est, Leodien. Vltraiecten. Mona- || sterien. Osnaburgen. Minden- || sium enarra- || tio. || SVMMORVM QVOQVE PONTI- || ficum, qui ex Germania fuêre, || series. || COLLECTORE F. PETRO KRATE- || polio Minorita, sacræ Theologiæ || Baccalaureo. || COLONIAE AGRIPPINAE || Apud Godefridum Kempensem. || Anno M. D. LXXVIII. MARTINI CRVSII, GRÆ= || CÆ ET LATINÆ LINGVÆ, || CVM ORATORIA IN ACADEMIA || TYBING. PROFESSORIS, || ANNALIVM SVEVICORVM || Dodecas secunda, || AB ANNO CHRISTI DCCCI. vsq[ue] ad MCCXII. || annum deducta. || Cum gratia & priuilegio Cæsareæ Maiestatis speciali ad decennium. || FRANCOFORTI, || Ex Officina Typographica Nicolai Bassæi. || M. D. XCV. Sancti Cypriani de Ecclesiae Catholicae Vnitate, hrsg. v. Maurice Bévenot, in: Sancti Cypriani Episcopi Opera, Pars I (CCSL 3), Turnhout 1972, S. 243–268. Oraculum angelicum Cyrilli. Nebst dem Kommentar des Pseudo-Joachim, hrsg. v. Paul Piur, in: Briefwechsel des Cola di Rienzo, hrsg. v. Konrad Burdach/Paul Piur, Teil 4. Anhang: Urkundliche Quellen zur Geschichte Rienzos. Oraculum angelicum Cyrilli und Kommentar des Pseudojoachim (Vom Mittelalter zur Reformation. Forschungen zur Geschichte der deutschen Bildung 2,4), Berlin 1912, S. 221–343. [D’Achery, Jean Luc:] VETERUM ALIQUOT SCRIPTORUM || Qui in Galliæ Bibliothecis, maximè Benedictinorum latuerant, || SPICILEGIUM. || Tomus Decimustertius. || Prodeunt nunc primùm in lucem || Operâ & studio DOMNI LUCÆ ACHERII è Congregatione || S. Mauri Monachi Benedictini || PARISIIS, || Apud Viduam EDMUNDI MARTINI, viâ Jacobæa, || sub aureo Sole, & Sacrificio Abelis. || MDCLXXVII. || Cum Privilegio Regis & Superiorum Permissu. [Daniel de la Vierge:] SPECULUM || CARMELITANVM, || SIVE || HISTORIA ELIANI ORDINIS || FRATRUM BEATISSIMÆ VIRGINIS MARIÆ || DE MONTE CARMELO, || IN QUA || A. S. PROPHETA ELIA ORIGO, || PER FILIOS PROPHETARUM PROPAGATIO, || PER ESSENOS, EREMITAS ET MONACHOS || DIFFVSIO ET CONTINVATA SVCCESSIO, || EX VETVSTIS, FIDEQVE DIGNIS AVCTORIBVS || EXPONUNTUR: FRATRVM B. V. MARIÆ TITVLVS, || Multiplex Persecutio, Mariana Protectio, à Pontificibus Confirmatio, Regulæ || Expositio, S. Scapularis Privilegia, Sanctorum Acta, Viri Illustres, aliaque || PROPONVNTUR. || Contra Impugnatores Defensoria, Informationes, Apologiæ, || Propugnacula & Armamentaria || OPPONVNTVR. || TOMVS I. || PER R. ADM. PATREM || F. DANIELEM A VIRGINE MARIA || Carmeli Flandro-Belgici Ex-Provincialem || & Historiographum. || ANTVERPIÆ, || Typis MICHAELIS KNOBBARI, sub signo S. Petri Anno MDCLXXX || Cum Gratia & Privilegio. [D’Argonne, Bonaventure], TRAITE || DE LA LECTURE || DES PERES || DE L’EGLISE, || OV || METHODE || POUR LES LIRE || utilement. || DIVISÉ EN DEUX PARTIES. || A PARIS, || Chez JEAN COUTEROT & LOUIS GUERIN, || rue S. Jacques, à l’image S. Pierre. || M. DC. LXXXVIII. || Avec Approbation & Privilege du Roy. Decretum de purgatorio publicatum die prima sessionis nonae et ultimae Tridentinae sub Smo D. N. Pio Papa quarto die 3. decembris 1563, in: Concilium Tridentinum. Diari-

796 orum, actorum, epistolarum, tractatuum. Nova collectio, Bd. 9, Teil 6: Complectens acta post sessionem sextam (XXII) usque ad finem concilii (17. sept. 1562–4. dec. 1563), collegit, edidit, illustravit Stephanus Ehses, Freiburg i. Br. 21965, S. 1077– 1079. Descartes, René: Discours de la methode. Pour bien conduire sa raison, & chercher la verité dans les sciences, in: ders., Oeuvres, hrsg. v. Charles Adam/Paul Tannery, Bd. 6: Discours de la méthode & essais, Paris 1902, S. 1–78. – La recherche de la verité par la lumiere naturelle, in: ders., Oeuvres, hrsg. v. Charles Adam/Paul Tannery, Bd. 10: Physico–Mathematica. Compendium Musicæ. Regulæ ad directionem ingenii. Recherche de la verité. Supplément à la correspondance, Paris 1908, S. 495–527. – Oeuvres, hrsg. v. Charles Adam/Paul Tannery. Index général, Paris 1913. [Des Rues, François:] DESCRIPTION || CONTENANT || LES ANTIQVITEZ, || fondations & singularitez des || plus celebres Villes, Cha- || steaux, & places remar- || quables du Royau- || me de France, || Avec les choses plus memorables || aduenues en iceluy. || A CONSTANCES || M. DC. VIII. [Dexter, Flavius Lucius = Francisco de Bivar:] FL. LVCII || DEXTRI || BARCINONENSIS, || Viri Clarissimi, Orientalis Imperij Præfecti Prætorio, || & D. Hieronymo amicissimi, || CHRONICON OMNIMODÆ HISTORIÆ. || Primùm quidem eidem Hieronymo dicatum, sed eo ad Superos translato, || multis locis locupletatum, Paulo Orosio Tarraconensi || iterum nuncupatum. || NVNC DEMVM OPERA ET STVDIO || FR. FRANCISCI BIVARII MANTVÆ-CARPETANI, || ex Obseruantia S. Bernardi Cisterciensis Monachi, eiúsque in Romana Curia || Procuratoris Generalis, ac S. Theologiæ & Philosophiæ Magistri, || COMMENTARIIS APODICTICIS ILLVSTRATVM, QVIBVS VNIVERSA || Ecclesiastica Historia, à Christo nato, per annos 430 rerum tam ad Italiam, Galliam, || Germaniam, aliáve Orbis Christiani prouincias spectantium, quàm ad || Hispaniam, de qua bona ex parte disserit Author, || ad amussim expenditur. || VBI VVLGARE NIHIL, INNVMERA VERO QVÆ SCRIPTORVM || penè omnium notitiam aufugerant, seu aliter quàm fuerint à Recentioribus referantur, || eáque admiratione dignissima, reperire licet. || LVGDVNI, || Sumptibus CLAVDII LANDRY. || M. DCXXVII. || CVM PRIVILEGIO CHRISTIANISSIMÆ MAIESTATIS. [D’Holbach, Paul-Henri Thiry:] Tableau des Saints ou Examen de l’Esprit, de la Conduite, des Maximes & Mérite des Personnages que le Christianisme révère & propose pour Modèles [1770], in: ders., Oeuvres philosophiques, Bd. 3 Tableau des Saints. Le bon Sens. Politique naturelle. Ethnocratie. Textes établis, annotations & postface par Jean Pierre Jackson, Paris 2001, 8–220. Dietrich von Apolda: Die Vita der heiligen Elisabeth, hrsg. v. Monika Rener (Veröff. d. Hist. Komm. für Hessen 53), Marburg 1993. Diplomata regum Francorum e stirpe Merowingica, hrsg. v. Karl August Friedrich Pertz (MGH DD 1), Hannover 1872 (Neudruck Stuttgart/Vaduz 1965). [Du Breul, Jacques:] LE || THEATRE || DES || ANTIQVITEZ || DE PARIS. || Où est traicté de la fondation des Eglises & Chapelles de la || Cité, Vniuersité, Ville, & Diocese de Paris: comme aussi || de l’institution du Parlement, fondation de l’Vniuersité || & Colleges, & autres choses remarquables. || DIVISÉ EN QVATRE LIVRES; || Par le R. P. F. IACQVES DV BREVL || Religieux de sainct Germain des Prez. || Augmenté en cette Edition d’vn Supplement, contenant le nombre || des Monasteres, Eglises, l’agrandissement de la Ville & Faux- || bourgs qui s’est faict depuis l’Annee 1610. iusques à present. || SPE LABOR LEVIS. || A PARIS, || Par la Societé des Imprimeurs. || M. DC. XXXIX. [Duchesne, André:] LES || ANTIQVITEZ || ET RECHERCHES DE || LA GRANDEVR ET MAIESTÉ || DES ROYS DE FRANCE. || DIVISEES EN TROIS LIVRES, || LE PREMIER, || DE LA RELIGION, FOY, VAILLANCE, || Autorité, Pieté, Iustice, Clemence, & Preseance des Roys || de France sur tous les Roys de la Terre. || LE SE-

797 COND, || DES HABILLEMENS ROYAVX, ET || Ceremonies gardees de tout temps, tant aux Sacres, Couron- || nemens, Entrees, & Lits de Iustice, qu’autres Solemnitez || publiques, & Funerailles de leurs Maiestez. || LE TROISIESME, || DE LA COVR ET SVITE ROYALLE, || Excellences & Gra[n]deurs des Roynes, Prerogatiues des Enfans de || France, & Ceremonies pratiquées de tout ancienneté à || leurs Naissances & Baptesmes: Priuileges des Princes || du Sang, Institution des Cheualiers des Ordres, || & premiere Origine des grands Officiers || de la Maison de France. || A MONSEIGNEVR LE DAVPHIN. || A PARIS, || Chez IEAN PETIT-PAS, ruë sainct Iean de || Latran, au College de Cambray. || M. D. C. IX. || Auec Priuilege du Roy. – HISTORIÆ || FRANCORVM || SCRIPTORES || COÆTANEI, || AB IPSIVS GENTIS ORIGINE, || AD PIPINVM VSQVE REGEM. || Quorum plurimi nunc primùm ex variis Codicibus MSS. in lucem || prodeunt: alij verò auctiores & emendatiores. || CVM EPISTOLIS REGVM, REGINARVM, PONTIFICVM, || Ducum, Comitum, Abbatum, & aliis veteribus Rerum Francicarum Monumentis. || OPERA AC STVDIO ANDREÆ DV CHESNE GEOGRAPHI REGII. || TOMVS I. || LV-TETIÆ PARISIORVM. || Sumptibus SEBASTIANI CRAMOISY Typographi Regij, viâ Iacobæâ. || M. DC. XXXVI. || CVM PRIVILEGIO REGIS CHRISTIANISSIMI. [DuPin, Louis Ellies:] NOVA || BIBLIOTHECA || AUCTORUM || ECCLESIASTICORUM, || EORUM VITÆ HISTORIAM, || OPERUM CATALOGUM, CRITICEN, ET || CHRONOLOGIAM, COMPLECTENS, || AC EORVM QVÆ CONTINENT COMPENDIVM || SUPER EORUM CUM STYLO, || TUM DOCTRINA JUDICIUM || NEC NON VARIARUM OPERUM EDITIONUM || ENUMERATIONEM. || Auctore DD. L. ELLIES DUPIN, || Sacræ Facultatis Parisiensis Doctore Sorbonico, & Philosophiæ Professore Regio. || TOMUS PRIMUS. || COLONIÆ AGRIPPINÆ, || Sumptibus HUGUETAN. || M. DC. LXXXXII. – NOUVELLE || BIBLIOTHEQUE || DES AUTEURS || ECCLESIASTIQUES, || CONTENANT || L’HISTOIRE DE LEUR VIE, || LE CATALOGUE, LA CRITIQUE, ET LA || CHRONOLOGIE DE LEURS OUVRAGES. || LE SOMMAIRE DE CE QU’ILS CONTIENNENT, || UN JUGEMENT SUR LEUR STYLE, || ET SUR LEUR DOCTRINE; || ET LE DENOMBREMENT DES DIFFERENTES EDITIONS || DE LEURS OEUVRES. PAR MRE. L. ELLIES DU PIN, || Docteur en Theologie de la Faculté de Paris, & Professeur Royal. || Seconde Edition revuë, corrigée & augmentée. || TOME XVII. || Des Auteurs qui ont fleuri pendant les 50 premieres années du XVII. Siecle. || A AMSTERDAM, || CHEZ PIERRE HUMBERT. || M. DCCXI. [Du Saussay, André:] MARTYROLOGIVM || GALLICANVM, || IN QVO || SANCTORVM, BEATORVMQVE || AC PIORVM || PLVSQVAM OCTOGINTA MILLIVM, || ORTV, VITA, FACTIS, DOCTRINA; || agonibus, trophæis, opitulationúmque gloriâ: ac cæteris quibusque || sacræ venerationis titulis, in Gallia illustrium: || CERTI NATALES INDICANTVR, TRIVMPHI || suspiciendi exhibentur, nitidáque ac vindicata eorumdem || Elogia describuntur. || QVÆ COMMENTARIORVM APODICTICORVM || Tomi quatuor subsequentes, vberiùs recensita, insignitáque multiplici || antiquitatis Ecclesiasticæ indagine, cumulabunt. || OPVS, || In cuius penu constat || ABSOLVTA CHRISTIANISSIMÆ ECCLESIÆ HISTORIA, || pridem antè desiderata: iámque, vt ex rebus conserta per Sanctos diuinè gestis; || sic ex probatissimis quisque monimentis, ac priscis Codd. MSS. || summa fide, collecta. || Studio ac labore ANDREÆ DV SAVSSAY Parisini, S. R. E. Protonotarij, || Concionatoris Regij, necnon Ecclesiæ SS. Lupi & Ægidij in vrbe Pastoris. || LVTETIÆ PARISIORVM, || Sumptibus SEBASTIANI CRAMOISY, Typographi Regij, via || Iacobæa, sub Ciconiis. || M. DC. XXXVII. || Cum Privilegio Regis, & Theologorum approbatione. ECCLESIASTICA || HISTORIA, INTEGRAM ECCLESIÆ || CHRISTI IDEAM, QVANTVM AD LOCVM, || Propagationem, Persecutionem, Tranquillitatem, Doctri || nam, Hæreses, Ceremonias, Gubernationem, Schismata, || Synodos, Personas, Miracula, Martyria, Religiones extra || Ecclesiam, & statum Imperij politicum attinet,

798 secu[n]dum || singulas Centurias, perspicuo ordine complectens: singu- || lari diligentia & fide ex uetustissimis & optimis || historicis, partibus, & alijs scripto- || ribus congesta: || Per aliquot studiosos & pios uiros in urbe || Magdeburgica. || Quo opere nullum aliud ab Orbe condito, eiusdem quidem argumenti, Rei- || pub. Christianæ & utilius & magis necessariu[m], in lucem esse editum, æquus || atq[ue] sinceri iudicij Lector uel ex Præfatione, qua etiam contexendi huius || causæ exponuntur, adiectaq[ue] in primis historici operis Methodo || ac singulorum capitum metis generalibus, || facile deprehendet. || Accessit etiam cùm Rerum uerborumq[ue] in singulis Centurijs præcipuè || memorabilium, tum Locorum ScripturĊ explicato- || rum copiosus ac geminus INDEX. || BASILEÆ, PER IOANNEM || Oporinum, 13 Teile, 1559–1574. Ekkehard IV.: St. Galler Klostergeschichten, hrsg. u. übers. v. Hans F. Haefele (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters. Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe 10), Darmstadt 1980. Epistolae selectae pontificum Romanorum Carolo Magno et Ludowico Pio regnantibus scriptae, hrsg. v. Karl Hampe, in: MGH Epp 5,3: Epistolae Karolini aevi, Berlin 1898–1899 (Neudruck München 1978), S. 1–84. [Erasmus von Rotterdam:] VITAE CAESARVM || QVARUM SCRIPTORES HI || C. Suetonius Tranquillus – Dion Cassius || Aelius Spartianus – Iulius Capitolinus || Aelius Lampridius – Vulcatius Gallicanus || Trebellius Pollio – Flauius Vopiscus || Herodianus – Sex. Aurelius Victor || Pomponius Lætus – Io. Baptista Egnatius || Eutropij libri X. integritati pristinæ redditi. || Ammianus Marcellinus longe alius quàm antehac unquam. || Annotationes D. Erasmi Rot. & Baptistæ Egnatij in uitas Cæs. || Accesserunt in hac editione Velleij Paterculi libri II. ab innumeris || denuo uendicati erroribus, addito Indice copiosissimo. || FROBEN || A. || BASILEAE MD XLVI. – Diuae Genouefae praesidio a quartana febre liberati carmen votiuum (Before 1531– 1532?), in: The Poems of Desiderius Erasmus. Introduced and ed. by Cornelis Reedijk, Leiden 1956, Nr. 131, S. 350–355. Eusebius ¢Caesariensis²: Werke, Bd. 2: Die Kirchengeschichte, hrsg. v. Eduard Schwartz/Theodor Mommsen. Zweite, unveränd. Aufl. v. Friedhelm Winkelmann, Teil 2 (Die griechischen christlichen Schriftsteller der ersten Jahrhunderte N. F. 6,2), Berlin 1999. – Life of Constantine. Introduction, Translation, and Commentary by Averil Cameron/Stuart G. Hall (Clarendon Ancient History Series), Oxford 1999. JO. ALBERTI FABRICII, || SS. THEOL. D. ET PROF. PUBL. || BIBLIOTHECÆ || GRÆCÆ || VOLUMEN NONUM, || SIVE || LIBRI V. PARS V. ET ULTIMA, || IN QUA || PRÆTER MULTOS ALIOS, TRADUNTUR || SCRIPTORES, QUI VITAS SANCTORUM, MONACHO- || RUMQUE COMPOSUERE; ET DE THEODORIS, ANASTASIIS, || JOANNE PHILOPONO, PHOTIO, SCRIPTISQUE CENSURÆ EJUS || SUBJECTIS, AC DE SVIDA PLENIUS DISSERITUR. || ACCEDUNT NONNULLA HACTENUS INEDITA, UT || XENOCRATIS DE ALIMENTO EX AQUATILIBUS, LONGE QUAM || GESNERUS EUM OLIM VULGAVERAT, PLENIOR: HIMERII ORATIO QUA || ATHENIS JULIANUM IMP. EXCEPIT: SPECIMEN LEXICI PHOTII: NEC NON || MAXIMI SOPHISTÆ DE OBJECTIONIBUS INSOLUBILIBUS ELUDENDIS, || ET TROILI PROLEGOMENA RHETORICA. || HAMBURGI, || SUMPTU CHRISIANI LIEBEZEIT, ET THEODORI || CHRISTOPHORI FELGINER, A. M DCC XIX. [Ferrari, Filippo:] CATALOGVS || SANCTORVM || ITALIÆ || In Menses duodecim distributus. || IN QVO VITAE ILLORVM EX PARTICVLARIVM || Ecclesiarum monumentis compendio describuntur, adiectis vbique || scholijs, notisq[ue] perbreuibus: in quibus sæpenumerò ambi- || guitates, & errores circa tempus prĊsertim, ac histo-|| riæ veritatem contingentes deteguntur. || AVTHORE F. PHILIPPO FERRARIO ALEXANDRINO || Ord. Seruorum B. Mariæ, Sacræ Theologiæ Magistro, & Mathema-|| ticarum in Gymnasio Ticinensi publico interprete. || AD SANCTISS.

799 PATREM, ET DOMINVM IN CHRISTO || D. PAVLVM V. PONT. MAX. || Accessit Index geminus alphabeticus, vnus nominum Sanctorum, in quo, vbi corpora ipsorum condi- || ta sint, indicatur: alter locorum, in quo Sanctorum qui in illis sunt, adnotantur. || CVM PRIVILEGIIS. || MEDIOLANI, Apud Hieronymum Bordonium. M. DC. XIII. || Svperiorvm permissv. – CATALOGVS || GENERALIS || SANCTORVM, || Qui in Martyrologio Rom. non sunt, || EX VARIIS MARTYROLGIIS, || KALENDARIIS, TABVLIS, || MONVMENTISQVE ECCLESIARVM, || necnon Vitis eorundem impressis; seu manu scriptis || & quamplurimis Historijs collectus, || AC IN DVODECIM MENSES INSTAR MARTYROLOGII || distributus suis vbique notis appositis. || AVCTORE F. FILIPPO FERRARIO ALEXANDRINO || Ord. Seru. B. M., Sacræ Theologiæ professore, ac Mathe-|| maticarum in Ticinensi Gymnasio interprete. || SANCTISS. DOMINO IN CHRISTO PATRI || D. VRBANO PAPÆ VIII. || DICATVS. || VENETIIS, Apud Io. Guerilium. M. DC. XXV. || De licentia Superiorum, & Priuilegio. Fischart, Johann: Von S. Dominici/ des Predigerm(nchs/ vnd S. Francisci Barf(ssers/ artlichem Leben vnd grossen Greweln/ Dem grawen Bettelm(nch/ F. J. Nasen zu Jngelstat dedicirt/ Das er sich darinnen seiner vnuerschempten lesterungen vnd beywonung der Teufeln bey den M(nchen (welches die Nas D. Luthern Seligen auff zutrehen begeret) zu erinnern vnd zu ersehen hab. Gestelt aus liebe der warheit von J. F. Mentzern. Psalm. 115. Sie haben Nasen vnd riechen nichts. Anno 1571, in: ders., Sämtliche Werke, hrsg. v. Hans-Gert Roloff/ Ulrich Seelbach/ W. Eckehart Spengler, Bd. 1, bearb. v. Ulrich Seelbach (Berliner Ausgaben. Sektion Philologische Wissenschaften), Bern/ Berlin/ Frankfurt a. M. [u. a.] 1993, S. 137–269. [Flacius Illyricus, Matthias:] Catalogus testi- || VM VERITATIS, QVI || ante nostram ætatem recla- || marunt Papæ. || Opus uaria rerum, hoc præsertim tempore || scitu dignißimarum, cognitione refertum, || ac lectu cum primis utile atq[ue] || necessarium. || Cum Præfatione MATHIÆ FLA- || CII ILLYRICI, qua Operis huius & || ratio & usus exponitur. || BASILEÆ, PER IOAN- || nem Oporinum [1556]. [Fleury, Claude:] HISTOIRE || ECCLESIASTIQUE || Par Mr. FLEVRY, prêtre prieur d’Argenteüil, cy-devant || sous-precepteur du Roy d’Espagne, de Monseigneur le || Duc de Bourgogne & de Monseigneur le Duc de Berry. || TOME NEUVIÉME. || Depuis l’an 679. jusques à l’an 794. || A PARIS, || Chez JEAN MARIETTE, ruë Saint Jacques, aux || Colomnes d’Hercule. || M. DCCIII. || Auec Privilege du Roy & Approbation des Docteurs. Flores historiarum, Bd. 1: The Creation to A. D. 1066, hrsg. v. Henry Richards Luard (Rerum Britannicarum Medii Ævi Scriptores, or Chronicles and Memorials of Great Britain and Ireland during the Middle Ages [95,1]), London 1890. [Francisco de Santa Maria:] HISTOIRE || GENERALE || DES CARMES || DESCHAVSSEZ, || DES CARMELITES || DESCHAVSSEES: || CONTENANT LES MIRACLES QVE DIEV || a faits en la personne de la Seraphique Mere sainte || Therese de Iesvs, || povr la reforme de l’ancien Ordre de Nôtre Dame du Mont-Carmel. || OV IL EST PROVVÉ, || Que cete grande Sainte a été la Restauratrice du veritable esprit d’Elie, & qu’elle || a rétabli en son Ordre la Regle primitive de S. Albert, y ayant fait revivre ce || grand zele que les premiers Solitaires ont eu pour la penitence, pour || la retraite, pour l’oraison & pour la sainte pauvreté. || Composée en Espagnol par R. P. FRANÇOIS DE SAINTE MARIE, Carme Deschaussé, || & traduit en François par le R. P. GABRIEL DE LA CROIX, aussi Carme Deschaussé, || A PARIS, || Chez la vefve [!] de SEBASTIEN HVRÉ || ET SEBASTIEN HVRÉ, ruë saint Jacques || au Cœur Bon. || M. DC. XXXXXV. || AVEC PRIVILEGE ET APPROBATION DU ROY. Galfredi Monumetensis Historia Britonum. Nunc primum in Anglia novem codd msstis collatis edidit J. A. Gilles (Publications of the Caxton Society 1), New York 1844 (Neudruck New York 1967). Gassendi, Petrus: Viri illvstris Nicolai Clavdii Fabricii de Peiresc Senatoris Aqvisextiensis Vita, in: PETRI || GASSENDI || DINIENSIS || ECCLESIÆ PRÆPOSITI, || ET IN

800 ACADEMIA PARISIENSI || MATHESEOS || REGII PROFESSORIS || MISCELLANEA, || VIDELICET || I. Diogenis Laërtij Liber X. cum noua Interpretatione & Notis. || II. Vita Epicuri, Peireskij, Tychonis Brahei, Copernici, Peurbachij, || & Regiomontani. || III. Abacus Sestertialis, seu de valore Antiquæ Monetæ ad nostram || redactæ. || IV. Romanum Calendarium compendiosè expositum. || V. Manuductio ad Theoriam Musices. || VI. Notitia Ecclesiæ Diniensis. || TOMVS QUINTVS. || CVM INDICIBVS NECESSARIIS. || LVGDVNI, || Sumptibus LAVRENTII ANISSON, || & IOANNIS BAPTISTÆ DEVENET. || M. DC. LVIII. || CVM PRIVILEGIO REGIS (Neudruck Stuttgart-Bad Cannstatt 1964. Mit einer Einleitung v. Tullio Gregory), S. 243–350. Gatterer, Johann Christoph: Von der Evidenz in der Geschichtkunde (1767), in: Blanke/ Fleischer (Hrsg.), Theoretiker, Teil 2 (1990), Nr. 21, S. 466–478. – Nähere Nachricht von der neuen Ausgabe der gleichzeitigen Schriftsteller über die Teutsche Geschichte (1768), in: Blanke/Fleischer (Hrsg.), Theoretiker, Teil 2 (1990), Nr. 33, S. 568–578. [Gelensius, Aegidius:] DE ADMIRANDA, SACRA, || ET CIVILI MAGNITVDINE || COLONIÆ || CLAVDIÆ || AGRIPPINENSIS AUGUSTÆ || Vbiorum Vrbis. || LIBRI IV. || I. Vbiorum originem, HISTORIAM, vetustatem, & venustatem, ex- || plicat. || II. INSIGNIA & ORTVM Vbiæ & Rhenanæ NOBILITATIS, ex Romanis Tribubus & militiæ incunabulis deducti. III. Vrbis est SACRARIVM, proferens ecclesiarum fundationes, incre- || menta, Sacrum Thesaurum, Monumenta, & quandoque claros Viros. || IV. Sacros & pios FASTOS ad Martyrologij formam digestos; & diem sacrum almæ Ciuitatis exhibet. || AUTHORE || ÆGIDIO GELENSIO SS. Th. L. ad S. Andreæ Canonico, Consiliario || Ecclesiastico & Historiographo Archiepiscopali. || COLONIÆ AGRIPPINÆ, || Apud IODOCVM KALCOVIVM Bibliopolam. || ANNO M. DC. XLV. || Cum Licentiâ Vtriusque Magistratus. A. Gellii noctes Atticae, hrsg. v. P. K. Marshall, Bd. 1: Libri I–X (Scriptorvm classicorvm bibliotheca Oxoniensis), Oxford 1968 (Neudruck Oxford 2004). The General Chapter of Montpellier, 1287, in: Staring (Hrsg.), Heritage (1989), Nr. 3, S. 54–70. Geoffrey of Monmouth: Historia regum Britannie. Bern, Burgerbibliothek, Ms. 568, hrsg. v. Neil Wright, Cambridge 1984. Gerhard von Augsburg: Vita Sancti Uodalrici. Die älteste Lebensbeschreibung des heiligen Ulrich lateinisch – deutsch. Mit der Kanonisationsurkunde von 993. Einleitung, kritische Edition und Übersetzung besorgt v. Walter Berschin/Angelika Häse (Editiones Heidelbergenses 24), Heidelberg 1993. Germon, Barthélémy: De veteribus Regum Francorum diplomatibus et arte secernendi antiqua diplomata vera a falsis disceptatio I. [zuerst Paris 1703], in: BATHOLOMAEI GERMONII || E S. J. AURELIANENSIS || DISCEPTATIONES DIPLOMATICAE, || QUIBUS PRAEMITTITUR || EARUNDEM HISTORIA || E GALLICO AEG. BERN. RAGUETI RECENS || IN LATINUM VERSA. || OMNIA OLIM IN GALLIA SEORSUM SEMEL, || NUNC PRIMUM IN GERMANIA || CONJUNCTIM EDITA. || VIENNAE || TYPIS JOSEPHI NOBILIS DE KURZBECK, || CAIS. REG. AUL. TYPOGR. ET BIBLIOPOLAE || M. DCC. XC., S. 1– 132. Gesta Dagoberti I. regis Francorum, in: MGH SS rer. Merov., Bd. 2, ed. Krusch (1888), S. 329–427. [Ghirardacci, Cherubino:] DELLA || HISTORIA || DI BOLOGNA || PARTE PRIMA || De R. P. M. CHERVBINO GHIRARDACCI BOLOGNESE || dell’Ordine Eremitano di S. Agostino. || Nella quale con diligente fedeltà, & autorità così d’autori graui, & antichi, || come per confronto di scritture publiche, & priuate, si esplicano || le grandezze, li consigli, le guerre, le paci, || & i fatti egregi de’ suoi Cittadini. || Con vn Catalogo de’ sommi Pontefici, Imperatori Romani, & Regi di Toscana, || per dilucidatione di detta Historia, & vna copiosissima Tauola || d’infiniti particolari importanti. ||

801 IN BOLOGNA, || Per Giouanni Rossi. MDXCVI. || Con licenza de’ Signori Superiori. Epistolarum Gildae deperditarum fragmenta, in: Gildas, Ruin, ed. Winterbottom (1978), S. 143–145. Gildas: De excidio Britonum, in: ders., Ruin, ed. Winterbottom (1978), S. 87–142. – The Ruin of Britain and other Works, hrsg. u. übers. v. Michael Winterbottom (History from the Sources. Arthurian Period Sources 7), London/Chichester 1978. [Giry, François:] LES VIES || DES SAINTS, || DONT ON FAIT L’OFFICE || dans le cours de l’année, || AVEC DES DISCOURS SUR LES MYSTERES || de Nostre Seigneur & de la Sainte Vierge. || LE MARTYROLOGE ROMAIN TRADUIT || en François à la teste de chaque jour, & un Martyrologe des Saints de || France, dont le Romain ne fait point mention. || Par le Reverend Pere FRANCOIS GIRY, ancien Provincial || de l’Ordre des Minimes. || NOUVELLE EDITION, || Reveuë & corrigée par l’Auteur. || TOME PREMIER. || A PARIS, || Chez PIERRE HERISSANT, ruë Neuve Nostre-Dame, à l’Esperance, || & aux trois Vertus. || M. DCCIII. || AVEC APPROBATION ET PRIVILEGE DV ROY. [Goldast, Melchior:] RERUM || ALAMANNI- || CARUM || SCRIPTORES ALIQVOT VETVSTI, || à quibus || ALAMANNORUM QUI || NUNC PARTIM SUEVIS, PARTIM || HELVETIIS CESSERE, HISTORIÆ TAM SÆCU- || LARES QUAM ECCLESIASTICÆ TRA- || DITÆ SUNT. || Tribus Tomis divisi, || CVM GLOSSIS RERVM ET VERBORVM DIFFICILIORVM, || Ex Bibliotheca || MELCHIORIS HAIMINSFELDII GOLDASTI. || Cum INDICE rerum & verborum accuratissimo. || FRANCOFVRTI, || Impensis JOHANN-MARTINI PORSSII, || Bibliopolæ. || Typis JOHANNIS GEORGII SPÖRLIN. || ANNO M. DC. LXI. Grégoire le Grand: Dialogues, Tome 2: Livres I–III. Texte critique et notes par Adalbert de Vogüé. Traduction par Paul Antin (Sources chrétiennes 260), Paris 1979. – Sa[n]cti Gregorij magni: ecclesie do || ctoris precipui Opera: olim diuersis tomis dispersa: nunc vero bene= || ficio magistri Bertholdi Rembolt in vnum sunt volumen redacta. || in quoquidem subiecta comprehenduntur. || Liber Moralium in beatu[m] Job: cui adiecta sunt summaria perutilis || sima nusq[ue] antea typis excusa. || Liber Pastoralis cure. || Dialogus de vita et miraculis patru[m] italico[rum]: et de eternitate anima[rum]. || Expositio super Cantica canticorum. || Homelie. xxij. super Ezechielem prophetam. || Liber. xl. Homeliarum de diuersis lectionibus euangelij. || Expositio in septem psalmos penitentiales. || Liber Epistolarum ex Registro ipsius diui Gregorij. || Complectitur ite[m] vnu[m]q[uo]dq[ue] volumen suu[m] alphabeticu[m] Jnue[n]tariu[m]. || Venu[n]dant Parrhisijs [!] in edibus Joannis Par= || ui in via ad diuu[m] Jacobu[m] sub Lilio aureo sitis. [1518]. – Registrum epistularum, [Teil 2:] Libri VIII–XIV, Appendix, hrsg. v. Dag Norberg (CCSL 140A), Turnhout 1982. Gregorii episcopi Turonensis liber in gloria confessorum, in: MGH SS rer. Merov., Bd. 1,2, ed. Krusch (1885), S. 294–370. Liber in gloria martyrum, in: MGH SS rer. Merov., Bd. 1,2, ed. Krusch (1885), S. 34– 111. Libri historiarum X, hrsg. v. Bruno Krusch/Wilhelm Levison (MGH SS rer. Merov. 1,1), Hannover 1951 (Neudruck Hannover 1965). [Grossi, Jean:] Viridarii auctore Ioanne Grossi Ordinis Carmelitarum Priore Generali recensio vaticana, hrsg. v. Graziano di S. Teresa, in: Ephemerides Carmeliticae 7 (1956), S. 240–284. Gr(ndtliche Verzaichnus/ || Etlich: f)rnemmer Wun= || derzaichen/ so Gott der Allm chtig durch das || F(rbitt deß H. Bischoff Bennonis zu Endt deß 1601. vnd || im Anfang deß 1602. Jahrs/ in M(chen augenscheinlich/ mit- || meniglichs verwunderung vnd entsetzung/ || gewircket. || Getruckt zu M(nchen bey Adam Berg. || Jm Jahr/ 1602.

802 Guigues Ier Prieur de Chartreuse: Coutumes de Chartreuse. Introduction, texte critique, traduction et notes par un Chartreux (Sources Chrétiennes 313. Série des textes monastiques d’occident 52), Paris 1984. Guillaume de Tyr: Chronique, éd. critique par R. B. C. Huygens. Identification des sources historiques et détermination des dates par H. E. Meyer/G. Rösch, Bd. 1 (CCCM 63,1), Turnhout 1986. [Halloix, Pierre:] ILLVSTRIVM || ECCLESIÆ ORIENTALIS || SCRIPTORVM, || QVI SANCTITATE IVXTA ET ERVDITIONE, || PRIMO CHRISTI SÆCVLO || FLORVERVNT, ET APOSTOLIS CONVIXERVNT, || VITÆ ET DOCVMENTA. || AUCTORE || R. P. PETRO HALLOIX || LEODIENSI, || SOCIETATIS IESV PRESBYTERO. || Adiuncta sunt è Græcorum Menæo de iisdem Sanctis viris ELOGIA || GRÆCOLATINA ex eiusdem versione. || Item NOTATIONES ET QVÆSTIONES quædam ad VITARVM || confirmationem & illustrationem pertinentes. || DVACI, || Ex Officina Typographica PETRI BOGARDI, sub Biblijs Aureis. || Anno M. DC. XXXIII. || Cum Gratia & Priuilegio. [Haraeus, Franciscus:] DE VITIS || SANCTORVM || OMNIVM NATIONVM, || ORDINVM ET TEMPORVM, EX || VII. Tomis R. P. F. Laurentij Surij || Carthusiani, || COMPENDIVM, || SVMMA FIDE DIGESTVM, PHRASI AVCTORVM || seruata, imitatione BEDÆ, VSVARDI, ADONIS, & ex recen- || tioribus Dn. IOANNIS MOLANI; Additis etiam alijs || plurimis fide dignis Sanctorum historijs: || OPERA ET STVDIO FRANCISCI || HARÆI Vltraiectini, S. Theologiæ Licentiati. || Opus nouum, duplo auctum, illustratumque Chrono- || logia vbique aperta, & Notationibus varijs ex || scriptis Illustriss. Dn. CAESARIS BARONII || Cardin. Onuphrij, Molani, || & aliorum. || Adiecti sunt & Indices locupletißimi. || COLONIÆ || Ex officina Typographica Arnoldi Quentelij || Anno Domini M. DCV. || Cum gratia & priuilegio S. Cæsareæ Maiestatis. [Hedio, Kaspar:] Chronica || der Altenn Christ = || lichen kirchen auß Euse || bio/ Ruffino/ Sozomeno/ Theodo || reto/ Tertulliano/ Justino/ || Cypriano/ vnd Plinio/ || durch D. Caspar || Hedio ver= || teutscht. || Getruckt zu Straßburg/ durch || Georgium Vlricher von || Andla/ im Jenner/ || M. D. XXX. Helmoldi presbyteri Bozoviensis Cronica Slavorum. Editio tertia. Post Johannem M. Lappenberg iterum recognovit Bernhardus Schmeidler. Accedunt Versus de Vita Vicelini et Sidonis epistola (MGH SS rer. Germ. in us. schol. [32]), Hannover 1937. [Henschen, Gottfried:] DE TRIBVS || DAGOBERTIS || FRANCORVM REGIBVS || DIATRIBA || GODEFRIDI HENSCHENII || E SOCIETATE IESV. || In quâ horum Regum ac successorum genus, tempus, acta indicantur: DAGOBERTO II, S. || Sigeberti filio, regnum Austrasiorum vindi- || catur, & Chronologia ex Conciliis & Epi- || scoporum gestis illustratur. || ANTVERPIÆ, Typis IACOBI MEVRSII, Anno M. D. CLV. Herigeri et Anselmi gesta episcoporum Tungrensium Traiectensium et Leodiensium. I. Herigerus usque ad a. 667, hrsg. v. Rudolph Koepke, in: MGH SS, Bd. 7, hrsg. v. Georg Heinrich Pertz, Hannover 1845, S. 161–189. S. Eusebii Hieronymi Stridonensis Presbyteri Commentarium in Epistolam ad Galatas libri tres, in: Sancti Eusebii Hieronymi Stridonensis Presbyteri opera omnia, post monachorum Ordinis S. Benedicti e Congregatione S. Mauri, sed potissimum D. Joannis Martinæi, recensionem denuo ad manuscriptos Romanos, Ambrosianos, Veronenses, et multos alios, nec non ad omnes editiones Gallicas et exteras castigata, plurimis antea omnino ineditis monumentis aliisque S. Doctoris lucubrationibus seorsim tantum vulgatis aucta, notis et observationibus illustrata, studio et labore Vallarsii et Maffæii Veronæ Presbyterorum, editio Parisiorum novissima, juxta secundam ab ipsis Veronensibus iteratis curis recensitam typis repetita, accurante et denuo recognoscente J.-P. Migne, Bd. 7 (MPL 26), Paris 1884, Sp. 331–468. – Epistulae, Teil 1: Epistulae I–LXX, hrsg. v. Isidor Hilberg, 2. erw. Aufl. (CSEL 54 = S. Eusebii Hieronymi opera sect. 1,1), Wien 1996.

803 Hincmarus: Vita Remigii episcopi Remensis, in: MGH SS rer. Merov., Bd. 3, ed. Krusch (1896), S. 250–341. LUCÆ HOLSTENII || VATICANÆ BASILICÆ CANONICI || ET || BIBLIOTHECÆ PRÆFECTI || CODEX REGULARUM || MONASTICARUM ET CANONICARUM || Quas SS. Patres Monachis, Canonicis & Virginibus Sanctimonialibus || servandas præscripserunt. || Collectus olim à S. BENEDICTO Anianensi Abbate: || Nunc autem || Auctus, amplificatus & in sex Tomos divisus. || TOMUS TERTIUS || REGULAS AC STATUTA || Recentiorum Ordinum & Congregationum, || quibus S. Ecclesia, Christi Sponsa, exornatur, || ADDITAMENTIS XI. || (quorum Elenchus folio sequenti exhibetur) || comprehensa || exhibens; || Observationibus criticohistoricis || A || P. R. P. MARIANO BROCKIE || S. T. D. Priore ac Seniore Monasterii S. Jacobi Scotorum Ratisbonæ || illustratus: || Eoque pie defuncto || Ab alio ejusdem Cœnobii, Nationis & Instituti Asceta || Indice necessario || instructus. || AUGUSTÆ VINDELICORUM || Sumptibus IGNATII ADAMI & FRANCISCI ANTONII VEITH Bibliopolarum. || Anno MDCCLIX. (Neudruck Graz 1958). [Hondorff, Andreas:] CALENDARIVM SANCTORVM || & Historiarum.|| Das ist: || Ein besondere ta= || gliche Hauß vnd Kirchen= || Historia/ darinn nach Ordnung gemeiner Calender/ durchs gan= || tze Jar/ aller heiligen Lehrer vnd M rterer Leben/ Bek ndtnis vnnd Leiden be= || schrieben. Auch viel auß heiliger Schrifft vnd andern Scribenten glaub= || wirdige Historien vnd Geschicht dar= || zu gesetzet. || Angefangen durch Andream Hondorff seligen/ Pfarrherr zu || Droyssig: Nun aber vollbracht vnd zum andern mal biß auff die jetzige || Zeit gebessert durch Weyland Vincentium Sturmium, || Schulmeister zu Bitterfeldt. || Es sind auch viel merckliche Historien auß D. Nicolai Selnecceri || Calendario abgeschrieben/ vnd mit eynge= || bracht. Gedruckt zu Franckfurt am Mayn/ durch || Nicolaum Basseum/ || M. D. LXXXVII. Hume, David: The History of England. From the Invasion of Julius Caesar to the Revolution in 1688. A New Edition. With the Authors Last Corrections and Improvements, to which Is Prefixed a Short Account of His Life, Written by Himself, Bd. 1 [1754], New York 1948. Ignatius von Loyola: Der Bericht des Pilgers, in: ders., Deutsche Werkausgabe, Bd. 2: Gründungstexte der Gesellschaft Jesu, übers. v. Peter Knauer, Würzburg 1998, S. 1– 84. IMAGO || PRIMI SÆCVLI || SOCIETATIS || IESV || A || PROVINCIA || FLANDROBELGICA || EIVSDEM SOCIETATIS || REPRÆSENTATA. || ANTVERPIÆ || EX OFFICINA || PLANTINIANA || BALTHASARIS MORETI. || ANNO SOCIETATIS SÆCVLARI || M. DC. XL. Index librorum prohibitorum. 1600–1966, hrsg. v. Jesús Martínez Bujanda (Index des livres interdits 11), Montreal 2002. INNOCENTII || TERTII || PONTIFICIS MAXIMI || EPISTOLARVM || LIBRI QVATVOR, || Regestorum XIII. XIV. XV. XVI. || Ex MS. Bibliothecæ Collegij Fuxensis Tolosæ. || Nunc primùm edunt SODALES eiusdem Collegij, & Notis illustrat || FRANCISCVS BOSQVETVS Narbonensis ICtus. || Cum duplici Indice, priore Epistolarum cum earum argumentis; posteriore || Rerum, & Verborum alphabetico, qui ad calcem || Notarum consultò reiectus est. || TOLOSÆ TECTOSAGVM, || Apud Societatem Tolosanam, M. DC. XXXV. || CVM PRIVILEGIO. Jsaak Jselin || (ber die || Geschichte der Menschheit. || Erster Band. || F(nfte mit dem Leben des Verfassers vermehrte Auflage. || Basel, bey Johann Schweighauser, 1786 (Neudruck Hildesheim/New York 1976). San Isidoro de Sevilla: Etimologías. Edicion bilingüe, Bd. 2: Libros XI–XX. Texto latino, version española, notas e indices por José Oroz Reta/Manuel A. Marcos Casquero [lat. Text nach der Ausgabe von Wallace M. Lindsay, Oxford 1911] (Biblioteca de Autores Cristianos 434), Madrid 21994. [Jacobilli, Ludovico:] VITE DE’SANTI || E BEATI DELL’VMBRIA, || E DI QVELLI, I CORPI DE’QVALI || RIPOSANO IN ESSA PROVINCIA. || [3 Bde.] || DESCRITTE

804 DAL’SIG. LODOVICO IACOBILLI || DA FOLIGNO PROTONOT. APOSTOLICO. || CON VN DISCORSO DELL’VMBRIA. || IN FOLIGNO. || Appresso Agostino Alterij, 1647–1661 (Neudruck Bologna 1971). Jean de Cheminot: Speculum Fratrum Ordinis Beatae Mariae de Monte Carmeli, in: Staring (Hrsg.), Heritage (1989), Nr. 6, S. 115–146. S. Ioannis qvadragesimiqvarti Episcopi Hierosolymorum de institutione primorum Monachorum in Lege veteri exortorum, & in noua perseuerantium, ad Caprasium Monachum, liber, in: MAGNA || BIBLIOTHECA || VETERVM || PATRVM, || Et antiquorum SCRIPTORVM Ecclesiasticorum. || PRIMO QVIDEM A MARGARINO DE LA BIGNE || SORBONICO IN ACADEMIA PARISIENSI THEOLOGO || collecta, & tertiò in lucem edita. || Nunc verò plus quàm centum Authoribus, & opusculis plurimis locupletata, historica methodo || per singula sæcula, quibus Scriptores quique vixerunt, disposita, & in || XIV. Tomos distributa: || OPERA ET STVDIO DOCTISSIMORVM IN ALMA || VNIVERSITATE COLON. AGRIPP. THEOLOGO- || RVM AC PROFESS. || TOMVS QVARTVS, || Continens Scriptores sæculi IV. id est, ab Ann. Christi 300. vsq[ue] 400. || PERMISSV SVPERIORVM. || COLONIÆ AGRIPPINÆ, || Sumptibus Antonij Hierati, sub signo Gryphi. Anno M. DC. XVIII. Joannes von Hildesheim: Dialogus inter directorem et detractorem de Ordine Carmelitarum, in: Staring (Hrsg.), Heritage (1989), Nr. 15,1, S. 336–388. – Legendae abbreviatae SS. Patrum Ordinis Deiferae Virginis de Monte Carmeli, in: Xiberta, De visione (1950), S. 307–313. [Jurieu, Pierre:] PREJUGEZ LEGITIMES || CONTRE || LE PAPISME, || Ouvrage où l’on considere l’Eglise Romaine dans tous ses || dehors, & où l’on fait voir par l’Histoire de sa con- || duite qu’elle ne peut être la veritable Eglise, à l’ex- || clusion de toutes les autres Communions du Christianis- || me, comme elle prétend. || DIVISÉ EN DEUX PARTIES. || SECONDE PARTIE. || A Amsterdam. || Chez HENRY DESBORDES dans le || Kalverstraat prés le Dam || M. DC. LXXXV. || Avec Privilege. Kessler, Eckhard (Hrsg.): Theoretiker humanistischer Geschichtsschreibung. Nachdruck exemplarischer Texte aus dem 16. Jahrhundert. Francesco Robortello, Dionigi Atanagi, Francesco Patrizi, Giacomo Aconcio, Giovanni Antonio Viperano, Uberto Foglietta, Alessandro Sardi, Sperone Speroni. Mit einer Einleitung, analytischer Inhaltsübersicht, Bibliographie und Indices (Humanistische Bibliothek. Abhandlungen und Texte, Reihe 2: Texte 4), München 1971. Kestner, Johann Christian: Untersuchung der Frage: Ob sich der Nutzen der neuern Geschichte auch auf Privatpersonen erstrecke? (1767), in: Blanke/Fleischer (Hrsg.), Theoretiker, Bd. 2 (1990), Nr. 41, S. 699–705. [Klüver, Philipp:] PHILIPPI CLÜVERI || GERMANIÆ || ANTIQVÆ || LIBRI TRES. || Opus post omnium curas elaboratissimum, || tabulis geographicis, et imaginibus, || priscum Germanorum cultum || moresque Germanorum referentibus, || exornatum. || Adjectæ sunt || VINDELICIA ET NORICUM, || ejusdem auctoris. || LUGDUNI BATAVORUM || Apud Ludovicum Elzevirium || Anno M D XVI. ALBERTI || KRANTZII || RERVM GERMANICA- || RVM HISTORICI CLARISSIMI, || ECCLESIASTICA HISTORIA, SIVE || Metropolis. || De primis Christianæ religionis in Saxonia initijs, deq[ue] eius epi- || scopis, & horum vita, moribus, studijs & factis. Jtem de aliarum || nationum, regum & principum rebus gestis, ad quas paßim in alijs || suis operibus lectorem author remittit. || Denuò, & quidem multò accuratius & emendatius, quàm || antè, edita. || Cum præfatione ad Reuerendißimum principem ac Dominum, Dominum || IVLIVM Episcopum Herbipolitanum, Franconiæ ducem &c. || Ioan. Wolfij I. C. || Additio Indice locupletissimo. || FRANCOFVRTI || Apud heredes Andreæ Wecheli, || Claudium Marnium & Ioann. Aubrium. || MDLXXX. PHILIPPI LABBEI || BITVRICI, || SOCIETATIS IESV PRESBYTERI, || NOVA BIBLIOTHECA || MSS. LIBRORVM, || SIVE SPECIMEN || ANTIQVARVM LECTIONVM || LATINARVM ET GRÆCARVM || In quatuor partes tributarum, cum

805 Coronide Poëticâ. || Accedunt Supplementa decem. || I. Index Ant. Lect. Canisij. II. Catal. Tettij. III. Mss. Scoriaci in || Hispaniâ. IV. Mss. D. de Montchal Arch. Tolosani. V. Mss. || DD. Moræi & Naudæi. VI. Congr. de Fide propaganda, multi- || que Arabici, Persici, Hebræi, &c. cu[m] Cat. Grolii. VII. Mss. Bi- || bliothecæ Regis Christianissimi. VIII. Ex Xysto eiusde[m] Biblio- || thecæ. IX. Veteres editiones ante annum 1500. X. Spicilegiu[m]. || Sequitur Bibliotheca Bibliothecarum, Catalogorum, Indicum, &c. || cum duplici Indice copiosissimo. || PARISIIS, || Apud IOANNEM HENAVLT, viâ Iacobeâ, ad insigne || S. Raphaëlis Angeli, paullò infrà Templum S. Benedicti. || M. DC. LIII. || Cum Approbatione, & Priuilegio Regis. – ELOGES|| HISTORIQVES || DES ROIS DE FRANCE || DEPVIS PHARAMOND || IVSQVES AV ROY TRES-CHRESTIEN || LOVIS XIV. || AVEC L’HISTOIRE TRES-EXACTE || DES CHANCELIERS, GARDES DES SEAVX, || ANCIENS NOTAIRES ET SECRETAIRES. || ET LE MESLANGE CVRIEVX DE PLVSIEVRS || PIECES RARES ET ANCIENNES. || Pour seruir à l’Histoire Ecclesiastique & Ciuile, tirées du Thresor des || Chartes & de la Bibliotheque du Roy, des Registres du Parlement, & || de la Chambre des Comptes, des Archiues des Eglises & || Monasteres, des Chroniques MSS. &c. || Par le R. P. PHILIPPE LABBE, Religieux de la Compagnie de || IESVS. || TOME II. DE L’ALLIANCE CHRONOLOGIQVE. || A PARIS, || Chez GASPAR METVRAS, ruë sainct Iacques, || à la Trinité, prés les Maturins. || M. DC. LIX. || AVEC PRIVILEGE DV ROY. PHILIPPI LABBE, || BITVRICI, SOCIETATIS || IESV THEOLOGI, || DE SCRIPTORIBVS || ECCLESIASTICIS, || Quos attigit Eminentiss. S. R. E. Card. || ROBERTVS BELLARMINVS, || PHILOLOGICA ET HISTORICA || DISSERTATIO: || In quâ plurima, cùm ad Historiam, Chronolo- || giam, Criticénque Ecclesiasticam spectan- || tia explicantur; tum aliorum, præsertim Hæ- || reticorum, Riueti, Coci, Perkinsij, Tossani, || Gerhardi, Aubertini, Hottingeri, Maresij, || &c. errata castigantur. || DVOBVS TOMIS. || PARISIIS, || Apud SEBASTIANVM CRAMOISY, Regis & || Reginæ Architypographum, viâ || Iacobæa, sub Ciconijs. || M. DC. LX. || CVM PRIVILEGIO REGIS. [La Mothe Le Vayer, François:] LA SCIENCE || DE || L’HISTOIRE || AVEC LE IVGEMENT || des Principaux Historiens tant || Anciens que Modernes. || A PARIS, || Chez Thomas Iolly, Libraire Iuré, || au Palais, en la Salle des Merciers, || aux Armes de Hollande. || M. DC. LXV. – Dv pev de certitvde qv’il y a dans l’histoire, in: ŒUVRES || DE FRANÇOIS || DE || LA MOTHE LE VAYER, || CONSEILLER D’ESTAT || ORDINAIRE. || TOME XIII. || CONTENANT || I. La Promenade en neuf Dialogues. II. Problemes Sceptiques. || III. Doubte Sceptique. || IV. Du Peu de certitude qu’il y a dans l’Histoire. || V. De la Connoissance de soy-mesme. || A PARIS, || Chez LOUIS BILLAINE, au Palais, || au second Pilier de la grand’ Salle, || au grand Cesar. || M. DC. LXIX. || AVEC PRIVILEGE DV ROY., S. 409–448. Launoy, Jean de: De Simonis Stochii viso, de sabbatinæ bullæ privilegio, et de scapularis Carmelitarum sodalitate dissertationes V. Editio Tertia correctior, & multis partibus auctior. In qua posthabitis trium Carmelitarum, Joannis Cheronii, Thomæ Aquinatis, & Philiberti Fesaii criminationibus, omnis ad reliquas illorum tergiversationes aditus intercluditur, & rerum veritas stabilitur., in: JOANNES || LAUNOII, || CONSTANTIENSIS, PARISIENSIS THEOLOGI, || SOCII NAVARRÆI, || OPERA OMNIA, || AD SELECTUM ORDINEM REVOCATA. || INEDITIS OPUSCULIS ALIQUOT, NOTIS NONNULLIS || DOGMATICIS, HISTORICIS ET CRITICIS, || AUCTORIS VITA, || VARIIS MONUMENTIS TUM AD LAUNOIUM || tum ad SCRIPTA ipsius pertinentibus, PRÆFATIONIBUS cuique || Volumini affixis, INDICIBUS locupletissimis, || AUCTA ET ILLUSTRATA. || ACCESSIT || TRACTATUS DE VARIA LAUNOII || LIBRORUM FORTUNA. || TOMI SECUNDI PARS SECUNDA. || COLONIÆ ALLOBROGUM, || SUMPTIBUS || FABRI & BARRILLOT, SOCIO-

806 RUM, || ET || MARCI-MICHAELIS BOUSQUET & SOCIORUM. || MDCCXXXI., S. 379–423. [LeCointe, Charles:] ANNALES || ECCLESIASTICI || FRANCORVM. || Auctore CAROLO LE COINTE Trecensi, Congreg. || Oratorij D. N. IESV CHRISTI Presbytero. || TOMVS TERTIVS. || PARISIIS, || E TYPOGRAPHIA REGIA. || M. DC. LXVIII. [LeFebvre, Louis Chantereau:] CONSIDERATIONS || HISTORIQVES || SVR || LA GENEALOGIE || DE LA MAISON || DE LORRAINE. || PREMIERE PARTIE DES MEMOIRES || REDIGEZ PAR LOVIS CHANTEREAV || LE FEBVRE. || A PARIS, || DE L’IMPRIMERIE DE NICOLAS BESSIN, || ruë des Carmes, à l’Image S. Iean. || M. DC. XLII. || AVEC PRIVILEGE DV ROI. Legenda Sanctae Clarae Virginis. Tratta dal MS. 338 della Bibl. Communale di Assisi, hrsg. v. Francesco Pennacchi (Società internazionale di Studi francescani in Assisi), Assisi 1910. Leibniz, Gottfried Wilhelm: Von nützlicher einrichtung eines Archivi, in: ders., Sämtliche Schriften und Briefe, Reihe 4: Politische Schriften, Bd. 3: 1677–1689, hrsg. v. Zentralinstitut für Philosophie an der Akademie der Wissenschaften der DDR, Berlin [Ost] 1986, Nr. 28, S. 333–340. [LeMire, Aubert:] STEMMATA || PRINCIPVM || BELGII, || Ex diplomatibus ac tabulis publi- || cis potissimùm concinnata, || studio || AVBERTI MIRÆI Bruxel. || BRVXELLÆ, || Typis IOANNIS MEERBECII, || vico de Puttierie, || anno 1626. || Cum gratia & priuilegio. – DIPLOMATVM || BELGICORVM || LIBRI DVO, || In quibus Litteræ Fundationum ac Donationum piarum, || Testamenta, Codicilli, Contractus antenuptiales, || Fœdera Principum, & alia cùm sacræ tum po- || liticæ antiquitatis monumenta, ad Germa- || niam inferiorem vicinasque prouincias || spectantia, contenentur. || AVBERTVS MIRÆVS Bruxellensis, || Decanus Antuerpiensis, eruebat || & Notis illustrabat. || BRVXELLIS, || Apud Ioannem Pepermanvm, Bibliopolam iuratum, || Typographumque ciuitatis, sub Biblijs aureis. || M. DC. XXVIII. [Lenglet Dufresnoy, Nicolas:] METHODE || POUR ETUDIER || L’HISTOIRE, || Où || Aprés avoir établi les principes & l’ordre qu’on || doit tenir pour la lire utilement, on fait les || remarques necessaires pour ne se pas laisser || tromper dans la lecture: || AVEC || Un Catalogue des principaux Historiens, & des || remarques critiques sur la bonté de leurs Ouvra- || ges, & sur le choix des meilleures Editions; consi- || derablement augmenté || par || J. B. MENCKE, || Conseiller & Historiographe || de Sa Maj. Pol. || DERNIERE EDITION, || Revuë selon les copies de Paris & de Bruxelles || & exactement corrigée. || A LIPSIC, || CHEZ JEAN FREDERIC GLEDITSCH & FILS. || M DCC XIV. – Des Herrn Abts || Lenglet d( Fresnoy || Anweisung || zur || Erlernung der Historie. || Nebst einem || anietzo vermehrten vollst ndigen Verzeichniß || der vornehmsten Geschichtschreiber, || worinnen || ihre Werke beurtheilet, und die beste Ausgaben || davon bemerket werden. || Aus dem Franzsischen (bersetzt || von || P[hilipp] E[rnst] B[ertram]. || Dritter Theil. || Mit knigl. Pohln. und Churf(rstl. S chsis. allergn digstem Privilegio. || Gotha, verlegts Joh. Paul Mevius. 1753. [Leti, Gregorio:], CONCLAVI || DE || PONTEFICI || ROMANI. || Quali si sono potuti trovare fin à || questo giorno. || De’quali si vede la Tavola nel foglio || seguente. || [o. O.] M. DC. LXVIII. Liber historiae Francorum, in: MGH SS rer. Merov., Bd. 2, ed. Krusch (1888), S. 238– 328. Liber pontificalis. Texte, introduction et commentaire par l’Abbé Louis Duchesne, Bd. 1, Paris 21955. Liber pontificalis, Teil 1, hrsg. v. Theodor Mommsen (MGH GPR 1,1), Berlin 1898 (Neudruck München 1982).

807 Liber sacramentorum Gellonensis. Textus, hrsg. v. A. Dumas (CCSL 159), Turnhout 1981. Liber sacramentorvm Gellonensis. Introductio, tabulae et indices, hrsg. v. A. Dumas (CCSL 159a), Turnhout 1981. Libri anniversarium et necrologium monasterii Sancti Galli, in: MGH Necrologia Germaniae, Bd. 1: Dioeceses Augustensis, Constantiensis, Curiensis, hrsg. v. Franciscus Ludovicus Baumann, Berlin 1888, S. 462–487. IVSTI LIPSI || DE || MILITIA ROMANA || LIBRI QVINQVE, || COMMENTARIVS AD POLYBIVM.|| Editio tertia, aucta variè & castigata. || ANTVERPIÆ, || EX OFFICINA PLANTINIANA, || Apud Ioannes Moretum. || M. DCII. || Cum Priuilegijs Cæsareo & Regio (Neudruck Hildesheim/Zürich/New York 2002. Mit einer Einleitung hrsg. v. Wolfgang Weber [Historia scientiarum]). Liudgerus: Vita Gregorii abbatis Traiectensis, hrsg. v. Oswald Holder-Egger, in: MGH SS, Bd. 15,1, Hannover 1887, S. 66–79. Titi Livi ab urbe condita, Tomus 3: Libri XXI–XXV, recognoverunt et adnotatione critica instruxervunt Carolus Flamstead Walters/Robertus Seymour Conway (Scriptorum classicorum bibliotheca Oxoniensis), Oxford 1929. Livro Santo de Santa Cruz. Cartulário do Sec. XII, hrsg. v. Leontina Ventura/Ana Santiago Faria (História Medieval 3), Coimbra 1990. [Louvet, Pierre:] L’HISTOIRE || DE LA VILLE ET CITE || DE BEAVVAIS, ET || DES ANTIQVITEZ || du pays de Beauuaisis. || Auec vne Chronologie des Euesques, || Abbez, & Abbayes d’iceluy. || Par M. Pierre Louuet Aduocat en Parlement || Conseiller & Maistre des Requestes || de la Royne Marguerite. || A ROVEN, || Chez MANASSEZ DE PREAVLX, || deuant le portail des Libraires. || M. DC. XIIII. || Auec Priuilege du Roy (Neudruck Marseille 1977). LVITPRANDI, || SIVE || EVTRANDI || E Subdiacono Toletano, & Ticinensi Diacono || EPISCOPI CREMONENSIS, || Berengario II. Italiæ Regi à Secretis, || Pro Othone I. Germ. Imp. ad Pont. M. || & ad. Imp. CP. LEGATI || CHRONICON || AD TRACTEMVNDVM Illiberritanum || in Hispania Episcopum, || A multis hactenus desideratum, || Nunquam editum, || Ex Bibliothecâ || D. THOMÆ TAMAIO DE VARGAS || Abulæ-Carpetani, PHILIPPI IV. MAGNI Hispaniæ || Regis Historiographi, Indiarum PRIMARII, || & in sanctiori Ordinum Equestrium Consilio || ADMINISTRI. || Accessêre eiusdem Historiographi Regij || NOTÆ, & FRAGMENTA || Luitprando attributa. || Cum Privilegio. MANTVAE CARPETANORVM. || Ex Typographia Francisci Martinez. || ANNO M DC XXXV. Luther, Martin: Widder den newen Abgott, in: D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe (Weimarer Ausgabe), Bd. 15, Weimar 1899 (Neudruck Weimar 1966), S. 183–198. – An die gantze geistlickeit zu Augsburg versamlet auff den Reichstag Anno 1530. Vermanu[n]g Martini Luther, in: D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe (Weimarer Ausgabe), Bd. 30, 2. Abt., Weimar 1909, S. 268–356. – Warnunge D. Martini Luther, An seine lieben Deudschen [1531], in: D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe (Weimarer Ausgabe), Bd. 30, 3. Abt., Weimar 1910, S. 276–320. – Werke. Kritische Gesamtausgabe (Weimarer Ausgabe). Tischreden [1531–1546], Bd. 2, Weimar 1913 (Neudruck Weimar 1967). – Werke. Kritische Gesamtausgabe (Weimarer Ausgabe). Tischreden, Bd. 5, Weimar 1919 (Neudruck Weimar 1967). Mabillon, Jean: Brièves reflections sur quelques Regles de l’histoire [1677]. Préface et notes de Blandine Barret-Kriegel. Texte transcrit par M. N. Baudouin-Matuszek, Paris 1990. – DE || RE DIPLOMATICA || LIBRI VI. || IN QUIBUS QUIDQUID AD VETERUM || Instrumentorum antiquitatem, materiam, scripturam, & stilum; || quidquid ad sigilla, monogrammata, subscriptiones, ac notas || chronologicas; quidquid inde ad anti-

808 quariam, historicam, forensem- || que disciplinam pertinet, explicatur & illustratur. || ACCEDVNT || Commentarius de antiquis Regum Francorum Palatiis. || Veterum scripturarum varia specimina, tabulis LX comprehensa. || Nova ducentorum, & amplius, monumentorum collectio. || Operâ & studio Domni JOHANNIS MABILLON, Presbyteri ac Monachi || Ordinis S. Benedicti è Congregatione S. Mauri. || LUTETIÆ PARISIORUM, || Sumptibus LUDOVICI BILLAINE, in Palatio Regio. || M DC LXXXI. || CVM PRIVILEGIO REGIS, ET SVPERIORVM PERMISSV. – TRAITÉ || DES ÉTUDES || MONASTIQUES, || DIVISÉ EN TROIS PARTIES; || AVEC UNE LISTE DES PRINCIPALES || Difficultez qui se rencontrent en chaque siècle dans la || lecture des Originaux, & un Catalogue de livres choisis || pour composer une Bibliotéque ecclesiastique. || Par Dom JEAN MABILLON Religieux Benedictin de la || Congregation de S. Maur. || A PARIS, || Chez CHARLES ROBUSTEL, rue S. Jacques, || au Palmier. || M. DC. XCI. || Avec Privilege du Roy, & Permission des Superieurs (Neudruck Westmead 1967). [Mabillon, Jean/d’Achery, Jean Luc:] Acta Sanctorum Ordinis S. Benedicti in saeculorum classes distributa […], 9 Bde., Venedig 1733–[ca. 1738]. [Marrier, Martin/Duchesne, André:] BIBLIOTHECA || CLVNIACENSIS, || IN QVA || SS. PATRVM ABB. CLVN. VITÆ, || MIRACULA, SCRIPTA, STATUTA, PRIUILEGIA || CHRONOLOGIAQUE DUPLEX. || Item Catalogus Abbatiarum, Prioratuu[m], || Decanatuum, Cellarum, et Eccles. à Clun. || Cœnobio dependentium, vnà cum Chartis, || et Diplomat. donationum earumdem. || OMNIA || Nunc primum ex MS. Codd. collegerunt || Domnus MARTINVS MARRIER Monast. || S. Martini à Campis. Paris. Monachus || Professus, & || ANDREAS QVERCETANVS || Turo[n]. qui eadem disposuit, ac || Notis illustrauit. || LVTETIÆ PARISIORVM, || EX OFFICINA NIVELLIANA. || Sumptibus SEBASTIANI CRAMOISY, || Via Iacobæa, sub Ciconiis. || 1614. [Marsham, John:] Monasticon Anglicanum, || SIVE || Pandectæ || COENOBIORUM || Benedictorum || Cluniacensium || Cisterciensium || Carthusianorum || A primordiis ad eorum usque dissolutionem || Ex MSS. Codd. || Ad Monasteria olim pertinentibus; || Archivis || Turrium Londinensis, Eboracensis; || Curiarum Scaccarii, Augmentationum; || Bibliothecis || Bodleianâ; Coll. Reg. Coll. Bened. || Arundellianâ, Cottonianâ, Seldenianâ, Hattonianâ || aliisque digesti || per || ROGERUM DODSWORTH, Eborac. || GULIELMI DUGDALE, Warwic. || Londini || Typis Richardi Hodgkinsonne, || M. DC. LV. The Martyrology of Gorman. Edited from a Manuscript in the Royal Library, Brussels, with a Preface, Translation, Notes and Indices by Whitley Stokes (Henry Bradshaw Society 9), London 1895. Félire Óengusso Céli Dé. The Martyrology of Oengus the Culdee. Critically Edited from Ten Manuscripts, with a Preface, Translation, Notes, and Indices by Whitley Stokes (Henry Bradshaw Society 29), London 1905. The Martyrology of Tallaght. From the Book of Leinster and Ms. 5001–4 in the Royal Library, Brussels, ed. with Introduction, Translations, Notes and Indices by Richard Irvine Best/Hugh Jackson Lawlor (Henry Bradshaw Society 68), London 1931. PAPIRII MAS- || SONI ANNALIVM || LIBRI QVATVOR: || Quibus res gestæ Francorum explicantur. || AD HENRICVM TERTIVM || Regem Franciæ & Poloniæ. || LVTETIÆ, || Apud Nicolaum Chesneau, via Iacobæa, || sub Quercu viridi. || M. D. LXXVII. || CVM PRIVILEGIO REGIS. – DESCRIPTIO || FLVMINVM || GALLIÆ, QVA || FRANCIA EST. || PAPIRII MASSONI OPERA. || Nunc primùm in lucem edita, Christianißimoque || Regi dicata. || PARISIIS, || Apud IACOBVM QVESNEL, via || Iacobea, sub intersignio || Columbarum. || MDCXVIII. || Cum Priuilegio Regis. Matthæi Parisiensis monachi Sancti Albani, Chronica majora, hrsg. v. Henry Richards Luard, Bd. 1: The Creation–A. D. 1066 (Rerum Britannicarum Medii Ævi Scriptores,

809 or Chronicles and Memorials of Great Britain and Ireland during the Middle Ages [57,1]), London 1872. Matthæi Parisiensis monachi Sancti Albani: Chronica majora, hrsg. v. Henry Richards Luard, Bd. 2: A. D. 1067 to A. D. 1216 (Rerum Britannicarum Medii Ævi Scriptores, or Chronicles and Memorials of Great Britain and Ireland during the Middle Ages [57,2]), London 1874. [Meiners, Christoph:] Von den Variet ten und Abarten der Neger, in: Gttingisches || Historisches Magazin || von C. Meiners und L. T. Spittler. || Sechster Band. || Hannover || im Verlage der Gebrüder Helwing || 1790, S. 625–645. Herrn Joh. Burckhardt Menckens || Zwey Reden || von der || Charlatanerie || oder || Marcktschreyerey || der Gelehrten, || Nebst verschiedener Autoren Anmerckungen. || Mit Genehmhaltung des Hrn. Verfassers nach || der letzten vollst ndigsten Auflage (bersetzt, || Und mit des Franzsischen Ubersetzers, auch einigen || andern Anmerckungen aufs neue vermehrt. || Leipzig, || Bey Joh. Friedrich Gleditschens seel. Sohn. [1728] (Neudruck München 1981 = Quellen zur Geschichte des Buchwesens 2. Die Schriftsteller im 18. Jahrhundert. Satiren und Pasquille 1). [Menestrier, Claude François:] BIBLIOTHEQUE || CURIEUSE || ET || INSTRUCTIVE || De divers Ouvrages Anciens & Modernes, || de Litterature & des Arts. || Ouverte pour les Personnes qui aiment || les Lettres. || TOME SECOND || De l’Imprimerie de S. A. S. || A Trevoux. || Et se vend à Paris, || Chez Jean Boudot, 1704. [Mézeray, François Eudes de:] ABBREGÉ || CHRONOLOGIQUE || OU || EXTRAICT || DE || L’HISTOIRE || DE FRANCE. || Par le Sr De MEZERAY Historiographe || de France. || Commençant à Faramond, & finissant à la fin || du Regne de Charlemagne. || TOME PREMIER. || A PARIS, || Chez CLAUDE BARBIN, au Palais ¢…² || le second Perron de la sainte Chap¢…². || M DC. LXXVI. || AVEC PRIVILEGE DU ROI. [Titelblatt beschädigt]. Mirabilia Romae. Edition der deutschen Langfassung und ihrer Vorlage (LAT 14B), in: Nine Robijntje Miedema, Die „Mirabilia Romae“. Untersuchungen zu ihrer Überlieferung mit Edition der deutschen und niederländischen Texte (Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters 108), Tübingen 1996. MISSÆ PROPRIÆ || SANCTORVM || ORDINIS || S. BENEDICTI || CVM ALIIS QVIBVSDAM QVÆ || in Romano Missali non habentur. || EX MISSALI MONASTICO PAVLI V. || Pontificis Max. auctoritate recognito. || PRO OMNIBVS SVB REGVLA EIVSDEM || Sanctissimi Patris BENEDICTI militantibus, || quod Anno M. DCXV impressum est, || desumptæ. || ADDITÆ SVNT ALIÆ QVÆDAM MISSÆ IN || quibusdam Congregationibus eiusdem Ordinis dici solitæ. || MONACHII, || Ex Typograghia [!] Hertsroyana, || Apud Cornelium Leysserium, Electoralem Typographum. || M. D. C. XXVII. (Als Fragment enthalten in: BRB, Coll. boll. Ms. 8004– 17 (3452), fol. 373r–380v). [Molanus, Ioannes:] De Martyrologiis, Auctore Ioanne Molano, Theologo Louaniensi, in: Usuardi Martyrologium, ed. Molanus, 21583, Bl. 6r– 218v. – INDICVLVS || SANCTORVM || BELGII, || Auctore IOANNE MOLANO Loua- || niensi, Sacrarum literarum Louanij || Regio Professore. || ANTVERPIÆ, || Apud Philippum Nutium. || M. D. LXXXIII [eigenständig paginiert], in: Usuardi Martyrologium, ed. Molanus, 21583. – MILITIA SACRA || DVCVM ET PRINCIPVM || BRABANTIÆ, || Auctore IOANNE MOLANO, S. Theol. || in Academia Lovan: Doctore.|| Adiectæ sunt ad huius historiæ || Illustrationem Annotationes || M. Petri Louwij Syl= || væducensis. || ANTVERPIÆ || EX OFFICINA PLANTINIANA, || Apud Viduam, & Ioannem Moretum [1592]. – IOANNIS || MOLANI, || S. THEOLOGIÆ || LOVANII PROFESSORIS, || PONTIFICII ET REGII || LIBRORVM CENSORIS. || De Historia || SS. IMAGINVM || ET PICTVRARVM PRO || VERO EARVM VSV CON- || TRA ABVSVS. || LIBRI IIII. || ANTVERPIÆ, || Apud GASPAREM BELLERVM, || sub Aquila Aurea. Anno

810 1617 (Neudruck Paris 1996. Texte latin, documentation iconographique établie par François Bœspflug/Olivier Christin/Benoît Tassel = Patrimoines christianisme). [Molanus, Ioannes/De Raisse, Arnold:] AD NATALES || SANCTORVM BELGII || IOANNIS MOLANI || AVCTARIVM, || IN QVO TAM MARTYRES, QVAM ALII || Sancti, Beati, aut Venerabiles ac pietatis famâ || celebres homines recensentur, || AVCTORE || ARNOLDO DE RAISSE || DVACENSI, || Ibidemq[ue] apud ædem Archiapostoli Sti Petri Canonico. || DVACI, || Ex Typographiâ PETRI AVROY, sub Pelicano aureo. || M. DC. XXVI. || Cum gratiâ & priuilegio Regiæ Maiestatis. Mombritius, Bononius: Sanctuarium seu Vitae Sanctorum. Novam hanc editionem curaverunt duo Monachi Solesmenses, Bd. 2, Paris 1910 (Neudruck Hildesheim/New York 1978). Montesquieu: De l’esprit des lois ou du rapport que les lois doivent avoir avec la constitution de chaque gouvernement, les mœurs, le climat, la religion, le commerce, etc. A quoi l’auteur a ajouté des recherches nouvelles sur les lois romaines touchant les successions, sur les lois françoises et sur les lois féodales, in: ders., Oeuvres complètes, Bd. 2, hrsg. v. Roger Caillois, Paris 1951. Monumenta Germaniae Historica. Scriptores rerum Merovingicarum, Bd. 1,2: Gregorii episcopi Turonensis miracula et opera minora, hrsg. v. Bruno Krusch, Hannover 1885 (Revidierter Nachdruck Hannover 1969). – Scriptores rerum Merovingicarum, Bd. 2: Fredegarii et aliorum Chronica. Vitae sanctorum, hrsg. v. Bruno Krusch, Hannover 1888 (Neudruck Hannover 1984). – Scriptores rerum Merovingicarum, Bd. 3: Passiones vitaeque sanctorum aevi Merovingici (I), hrsg. v. Bruno Krusch, Hannover 1896 (Neudruck Hannover 1977). – Scriptores rerum Merovingicarum, Bd. 5: Passiones vitaeque sanctorum aevi Merovingici (III), hrsg. v. Bruno Krusch/Wilhelm Levison, Hannover/Leipzig 1910 (Neudruck Hannover 1979). – Scriptores rerum Merovingicarum, Bd. 6: Passiones vitaeque sanctorum aevi Merovingici (IV), hrsg. v. Bruno Krusch/Wilhelm Levison, Hannover/Leipzig 1913 (Neudruck Hannover 1979). – Scriptores rerum Merovingicarum, Bd. 7: Passiones vitaeque sanctorum aevi Merovingici (V), hrsg. v. Bruno Krusch/Wilhelm Levison, Hannover 1920 (Neudruck Hannover 1979). [Murer, Heinrich:] HELVETIA SANCTA, || SEV || PARADISVS SANCTORVM || HELVETIÆ FLORVM; || Das ist || Ein Heyliger lustiger Blumen=Garten vnnd Paradeiß || der Heyligen; || Oder || Beschreibung aller Heyligen/ so von || anfang der Christenheit/ biß auff vnsere Zeit in Heyligkeit || deß Lebens/ vnd mancherley Wunderwercken/ nicht allein in Schwei= || tzerland/ sondern auch angr ntzenden Or= || then geleuchtet. || Zusammen gezogen vnnd beschrieben || Durch weyland den Ehrw(rdigen vnd Wolgelehrten Herren || P. F. Henricum Murer/ der Carthauß Jttingen Profeß || vnd Procurator/ etc. || Mit schnen Abbildungen vnnd Kupfferst(cken geziehret/ || sampt außf(hrlichen Register aller Heyligen. || Jn Truck verfertiget/ vnd verlegt || Durch David Hautten/ Buchtruckern zu Lucern/ vnd Buchh ndlern || in Wien/ Jm Jahr nach Christi Jesu Geburt || M. DC. XLVIII. || Cum Licentia & Permissu Superiorum. D. IOHANNIS || NAVCLERI PRAEPOSITI TVBINGEN. || CHRONICA, || succinctim co[m]præhendentia res memorabiles || seculoru[m] omnium ac gentium, ab initio || mundi vsq[ue] ad annum Christi nati || M. CCCCC. || Cum Auctario Nicolai Baselij ab anno Domini || M.D. I. in annum M. D. XIIII. || Et Appendice noua, cursim memorante res interim ge= || stas, ab anno videlicet M. D. XV. vsq[ue] in annu[m] || prĊsentem, qui est post Christum natum || M. D. XLIIII. || Rhapsodis partim D. Cunrado Tigemanno, || partim Bartholomæo Laurente. || Quod editioni huic tribuendum sit, facile iudicabit is qui vel pri || mam huius ChronographiĊ editionem probe norit, vel || hanc cum illa seu quauis alia conferre non grauetur. || Coloniæ ex officina Petri Quentel, anno Christi na= || ti M. D. XLIII. mense Martio.

811 Nicephori Callisti Xanthopuli ecclesiasticae historiae libri XVIII, in: Nicephori Callisti Xanthopuli ecclesiasticae historiae libri XVIII. Præmittuntur syntagmatis Matthæi Blastaris continuatio, et Theoduli monachi, alias Thomæ magistri, orationes et epistolæ, Bd. 1 (MPG 145), Paris 1904, Sp. 548–1332. Nicolai de Cusa reformacio generalis/Nikolaus Cusanus: Allgemeine Reform, in: Quellen zur Kirchenreform im Zeitalter der grossen Konzilien des 15. Jahrhunderts, Teil 2: Die Konzilien von Pavia/Siena (1423/24), Basel (1431–1449) und Ferrara/Florenz (1438–1445). Ausgewählt u. übers. v. Jürgen Miethke/Lorenz Weinrich (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters. Freiherr vom SteinGedächtnisausgabe 38b), Darmstadt 2002, Nr. 31, S. 468–499. [O’Clery, Michael:] The Martyrology of Donegal. A Calendar of the Saints of Ireland. Transl. from the Original Irish by the Late John O’Donovan, ed. with the Irish Text by James Henthorn Todd/William Reeves (The Irish Archaeological and Celtic Society 6), Dublin 1864. [O’Flaherty, Roderick:] OGYGIA: || SEU, || RERUM HIBERNICARUM || CHRONOLOGIA. || Ex Pervetustis Monumentis fideliter inter se collatis eruta, at- || que è Sacris ac Prophanis Literis primarum Orbis Gentium || tam Genealogicis, quam Chronologicis sufflaminata præsidiis. || LIBER PRIMUS. || Ab universali Diluvio, ad annum Virginei partus 428. || In tres Partes distinctus. || Authore Roderico O Flaherty Armigero. || Londini, Typis R. Everingham, Sumptibus Ben. Tooke, || ad insigne Navis in Cœmeterio D. Pauli. A. D. 1685. Ó Riain, Pádraig (Hrsg.): Four Irish Martyrologies. Drummond, Turin, Cashel, York (Henry Bradshaw Society 115), Woodbridge 2002. [Palaeonydorus, Johannes:] Fascicvlvs tripartitvs historiarvm Prophetici, & Eliani Ordinis Beatissimæ Virginis Mariæ de Monte Carmeli, Authore Joanne Palæonydoro. Ex impressis exemplaribus tertia editio, in: Daniel de la Vierge, Speculum Carmelitanum (1680), S. 220–273. [Panciroli, Guido:] DE || MAGISTRATIBVS || MVNICIPALIBVS, || Et corporibus artificum || LIBELLVS. || EODEM PRAESTANTISSIMO || IVRECONSVLTO. || GVIDO PANCIROLO AVCTORE. || AD SERENISSIMVM PARMAE, || & PLACENTIÆ PRINCIPEM || RAINVCIVM FARNESIVM. || VENETIIS, || Apud Franciscum de Franciscis Senensem. 1593, in: NOTITIA || VTRAQVE || DIGNITATVM || CVM ORIENTIS, || TVM OCCIDENTIS VLTRA || Arcadij, Honorijque Tempora. || Et in eam || GVIDI PANCIROLLI I. V. C. Præstantiss. ac in Celeberrimo || Patauino Gymnasio Interpretis Legum Primarij, || COMMENTARIVM. || In quo Ciuiles Militaresque Magistratus, ac Palatinæ dignitates, cum omnium officijs || explicantur: pluriumq[ue] iurium sensus, atq[ue] aliorum Auctorum loca illustrantur. || AD SERENISS. CAROLVM EMANVELEM || SABAVDIÆ DVCEM. || Item de MAGISTRATIBVS MVNICIPALIBVS || eiusdem Auctoris Liber, || AD SEREN. RAINVTIVM FARNESIVM Parmæ &c. Ducem. || Cum duplice Indice, vno capitum, altero insignium rerum copiosissimo. || CVM PRIVILEGIO. || VENETIIS, M. D. XCIII. || Apud Franciscum de Franciscis Senensem, S. 183–198. Onuphrius Panvinius de ritu sepeliendi mortuos apud veteres Christianos et eorundem coemeteriis [1572], in: Thesaurus commentationum selectarum et antiquiorum et recentiorum illustrandis antiquitatibus Christianis inservientium. Recudi curavit, praefatus est et indices adjecit M. J. E. Volbeding, Bd. 2,2, Leipzig 1849, S. 330–356. – De his qui romanas antiquitates scripto comprehenderunt [1568]. La lettre – préface. Édition critique, in: Onofrio Panvinio et les antiquités romaines (Collection de l’École française de Rome 214), Rom 1996, S. 49–62. [Papebroch, Daniel:] ELUCIDATIO HISTORICA || ACTORUM || IN CONTROVERSIA || Super origine, antiquitate, & historiis || Sacri Ord. B. M. de Monte Carmeli || Inter quosdam illius & Societatis Jesu Scriptores, || Acta Sanctorum illustrare professos. || Quæ est Pars III & Ultima || RESPONSIONUM || DANIELIS PAPEBROCHII S. I. T. || AD EXHIBITIONEM ERRORUM, || ipsi perperam imputatorum || ab adm.

812 R. P. Sebastiano à S. Paulo Carmelita. || Accedit || Synopsis quæstionum curiosarum, tractatarum in utraque || parte priorum Responsionum. || ANTVERPIÆ MDCXCVIII. || APUD VIDUAM ET HEREDES HENRICI THIEULLIER. – Annales Antverpienses. Ab urbe condita ad annum M. DCC. Collecti ex ipsius civitatis monumentis. Publicis privatisque latinae ac patriae linguae usque fere manu exaratis auctore Daniele Papebrochio S. I. Ad cod. ms. ex. Bibl. Regia quae vulgo Burgundica vocatur ediderunt F. H. Mertens, et Ern. Buschmann, 4 Bde., Antwerpen 1845– 1847. Passio Praeiecti episcopi et martyris Arverni, hrsg. v. Bruno Krusch, in: MGH SS rer. Merov., Bd. 5, ed. Krusch/Levison (1910), S. 225–248. Patrizi, Francesco: Della historia diece dialoghi (1560), in: Kessler (Hrsg.), Theoretiker (1971), Nr. 3. Petrarca, Francesco: Le Familiari, Bd. 4: Libri XX–XXIV e indici, hrsg. v. Umberto Bosco (Edizione nazionale delle opere di Francesco Petrarca 13), Florenz 1942. [Petrus de Natalibus:] Catalogus || sanctorum & ge || storum eorum ex diuersis volumi= || nibus collectus: Editus a Re || uere[n]issimo in christo patre || d[omi]no Petro de Natali= || bus de Venetijs || dei gratia ep[iscop]o || Equilino. [Argentine, Martin Flach d. J. 1513]. Petri Diaconi Ortus et Vita Iustorum Cenobii Casinensis, hrsg. v. R. H. Rodgers, Berkeley/Los Angeles/London 1972. – De viris illustribus Casinensibus opusculum, in: Sæculum XII Leonis Marsicani et Petri Diaconi monachorum Casinensium chronicon monasterii Casinensis et opuscula accedunt Rodulfi Abbatis S. Trudonis gesta abbatum Trudonensium necnon Falconis Beneventani, Landulphi junioris chronica intermiscentur Sancti Ottonis Bambergensis episcop., Matthæi Cardinalis, Gilonis Tusculani, Gaufridi Catalaunensis, Stephani Parisiensis, episcoporum, Gualteri Cluniacensis monach. opuscula, diplomata, epistolæ accurante J.-P. Migne (MPL 173), Paris 1895, Sp. 1004–1050. [Peucer, Caspar:] CHRONICON || CARIONIS || EXPOSITVM || ET AVCTVM MVL- || TIS ET VETERIBVS ET || RECENTIBVS HISTORIIS, IN || descriptionibus regnorum & gentium antiquarum, || & narrationibus rerum Ecclesiasticarum, & Politica- || rum, Græcarum, Romanarum, Germani- || carum, & aliarum, ab exordio Mundi || vsque ad CAROLVM V. || Imperatorem. || A PHILIPPO MELANTHONE || & Casparo Peucero. || Recens vero svmmo stvdio || adornatum, pristinæq[ue] integritati, exemplorum || veterum ac recentium collatione ex- || quisita, restitutum. || QVID PRAETEREA HVIC EDITIONE || accesserit, versa ostendet pagella. || FRANCOFVRTI AD MOENVM, || apud Ioannem Feyrabendt. || M. D. XCIIII. [Pierre des Vaux-de-Cernay:] HISTORIA || ALBIGENSIVM, || ET SACRI BELLI IN EOS || ANNO M. CC. IX. SVSCEPTI, || duce & principe Simone à Mon- || te-forti, dein Tolosano || comite, rebus strenuè || gestis clarissimo. || Auctore PETRO, cœnobij Vallis-Sarnensis ord. || Cisterciensis in Parisiensi diœcesi monacho, || cruceatæ huius militiæ teste oculato. || Ex. M. SS. codicibus, in lucem nunc primùm edita. || TRECIS. || Apud IOANNEM GRIFARD, ad || pontem Palatij. || ET || NATALEM MOREAV, qui dicitur le || Coq, in vico D. Mariæ, sub signo Galli. || M. VI. [!] C. XV. Cum priuilegio Regis. Piloni, Giorgio: Historia della città di Belluno [Venedig 21618], hrsg. v. Luigi AlpagoNovello/Alessandro da Borso/Rodolfo Protti (Historiae urbium et regionum Italiae rariores 65), Sala Bolognese 1974. IOANNIS || PITSEI || ANGLI, S. THEOLOGIAE || DOCTORIS, LIVERDVNI || IN LOTHARINGIA, DECANI, || RELATIONVM HISTORICARVM || de Rebus Anglicis || TOMVS PRIMVS || Quatuor Partes complectens, quorum Elenchum || pagina sequens indicat. || PARISIIS, || Apud ROLINVM THIERRY, & SEBASTIANVM || CRAMOISY, via Iacobæa. || M. DC. XIX. || Cum Priuilegio Regis Christianißimi. (Neudruck Westmead 1969).

813 Poliziano, Angelo: Miscellaneorum centuria secunda, hrsg. v. Vittore Branca/Manlio Pastore Stocchi. Editio minor, Florenz 1978. Rabani Mauri Martyrologium, hrsg. v. John McCulloh (CCCM 44), Turnhout 1979. [Rabus, Ludwig:] Historien der || Martyrer/ || Erste Theil. || Darinn das Erste vnd An= || der B)ch/ von den Heyligen/ Ausser= || wlten Gottes Zeügen/ Bekennern vnnd || Martyrern (vnnd nemlich deren/ so von anfang der || Welt/ biß auff die z)kunfft vnsers Heylands Jesu Chri= || sti/ vnd dann von der selbigen/ biß inn die nechst nach= || folgende 500 Jar hernacher/ inn der Streittenden || Kirchen/ des Alten vnd Newen Testaments gewesen) || nach ordnung begriffen/ Auch etwas fließiger/ wie || auch weitleüffiger vnnd außf(rlicher (dann || in den vorigen außgangnen Tomis be= || schehen) mit angehenckter/ ordent= || licher Jars Rechnung/ be= || schriben worden || seind. || Durch || Ludouicum Rabus/ der H. Schrifft || Doctor/ vnnd der Kirchen z) || Vlm Superintendenten. || Mir Rm. Kei. Mt. || Freiheit auff vj Jar. || Gedruckt z) Straßburg durch || Josiam Rihel/ den 22 Martij/ im jar || M. D. LXXI. [Rader, Matthäus:] BAVARIA || SANCTA || MAXIMILIANI || SERENISS. PRINCIPIS IMPERII, || COMITIS PALATINI RHENI || UTRIUSQ. BAV. DUCIS || AUSPICIIS || coepta, descripta eidémq[ue] || nuncupata || à || MATTHÆO RADERO || DE SOCIETAT. IESU. || 1615/ Cum Facultate Superiorum || MONACHII || OLIM PER RAPHAELEM SADELER, SER.MI MAXIMILIANI CALCOGRAPHUM VENUM EXPOSITA, || ET NUNC RECUSA SUMPTIBUS IOANNIS CASPARI BENCARD BIBLIOP. DILING. AUGUST. || A[NN]O MDCCIV. Radulphus Niger: Chronica. Eine englische Weltchronik des 12. Jahrhunderts, hrsg. v. Hanna Krause (Europäische Hochschulschriften. Reihe 3: Geschichte und ihre Hilfswissenschaften 265), Frankfurt a. M. 1985 [Teil 2 = Edition]. [Rapin Thoyras, Paul de:] HISTOIRE || D’ANGLETERRE, || PAR || M. RAPIN DE THOYRAS, || NOUVELLE EDITION || AUGMENTÉE DES NOTES DE M. TINDAL, || & de quelques autres Remarques mises au bas des Pages; de l’ABREGÉ || HISTORIQUE fait par RAPIN THOYRAS; du Recueil des Actes || Publics d’Angleterre, de THOMAS RYMER, dispersé dans cette Edition || à la fin des Volumes auxquels chaque partie en peut appartenir; & de || MEMOIRES pour les vingt premiéres années du Régne de George II. || PAR LES SOINS DE M. DE S. M. || TOME SECOND. || A LA HAYE. || M. DCC. XLIX. Ratpert von St. Gallen: St. Galler Klostergeschichten (Casus sancti Galli), hrsg. u. übers. v. Hannes Steiner (MGH SS rer. Germ. in us. schol. 75), Hannover 2002. R. P. THEOPHILI || RAYNAVDI, || EX SOC. IESV. || EROTEMATA || DE MALIS AC BONIS LIBRIS, || DEQVE IVSTA AVT INIVSTA, || eorumdem confixione. || CVM INDICIBVS NECESSARIIS. || LVGDVNI, || Sumptibus IOAN. ANTONII HVGVETAN, || & MARCI ANTONII RAVAVD. || M. DC. LIII. || PERMISSV SVPERIORVM. Reginonis abbatis Prumiensis Chronicon cum continuatione Treverensi, hrsg. v. Friedrich Kurze (MGH SS rer. Germ. in us. schol. [50]), Hannover 1890. Rimbertus: Vita Anskarii, in: Vita Anskarii auctore Rimberto. Accedit Vita Rimberti, hrsg. v. Georg Waitz (MGH SS rer. Germ. in us. schol. [55]), Hannover 1884 (Neudruck Hannover 1988), S. 13–79. Roberti Canonici S. Mariani Autissiodorensis Chronicon, hrsg. v. Oswald Holder-Egger, in: MGH SS, Bd. 26, Hannover 1882, S. 226–276. [Robert, Claude:] GALLIA || CHRISTIANA, || IN QVA REGNI FRANCIÆ || DITIONVMQVE VICINARVM DIOECESES, || ET IN IIS PRÆSVLES DESCRIBVNTVR. || Cura & labore CLAVDII ROBERTI Lingonensis Presbyteri. || Fœlicibus auspicijs Illustrissimi & Reuerendissimi D. D. ANDREÆ || FREMYOT, Archiepiscopi Patriarchæ Bituricensis || Aquitaniarum Primatis. || LVTETIÆ PARISIORVM, || Sumptibus SEBASTIANI CRAMOISY, viâ Iacobæâ, sub Ciconijs. || M. DC. XXVI. || CVM PRIVILEGIO REGIS CHRISTIANISSIMI.

814 [Rosweyde, Heribert:] Memoriale de Patris Heriberti Rosweydi instituto quoad Sanctorum historias et vitas illustrandas = Plan conçu par le Père Rosweyde, de la Compagnie de Jésus, pour la publication des „Acta Sanctorum“, in: Analectes pour servir à l’histoire ecclésiastique de la Belgique 5 (1868), S. 261–270, hier S. 263–270. – FASTI || SANCTORVM || QVORVM VITÆ || IN BELGICIS BIBLIOTHECIS || MANVSCRIPTÆ. || Item || Acta Præsidalia SS. Martyrum || Tharaci, Probi, & Andronici: || Nunc primùm integrè edita. || Collectore || HERIBERTO ROSWEYDO || Vltraiectino, è Societate IESV. || ANTVERPIÆ, || EX OFFICINA PLANTINIANA, || Apud Ioannem Moretum. || M. DC. VII. – VITÆ || PATRVM || DE || VITA ET VERBIS || SENIORVM || LIBRI X. || HISTORIAM EREMITICAM || COMPLECTENTES: || AVCTORIBVS suis et NITORI pristino || restituti, ac NOTATIONIBVS illustrati, || Operâ et studio HERIBERTI ROSWEYDI || Vltraiectini, è Soc. Iesv Theologi. || Accedit ONOMASTICON Rerum et Verborum || difficiliorium, cum multiplici INDICE. || ANTVERPIÆ || EX OFFICINA PLATINIANA || Apud Viduam et Filios Io. Moreti || M. C. XV. The „Rubrica prima“ of the Constitutions, in: Staring (Hrsg.), Heritage (1989), Nr. 1, S. 40–43. Rufinus: Historiae ecclesiasticae, lib. X–XI, in: Eusebius ¢Caesariensis², Werke, Bd. 2,2, ed. Schwartz/Mommsen (21999), S. 957–1040. [Ruinart, Thierry:] ACTA || PRIMORUM || MARTYRUM || SINCERA & SELECTA. || Ex Libris cum EDITIS, tum MANUSCRIPTIS || collecta, eruta vel emendata, notisque & observationibus illustrata. || Opera & studio Domni THEODORICI RUINART, Presbyteri || & Monachi Benedictini è Congregatione sancti Mauri. || His præmittitur || PRÆFATIO GENERALIS, || in qua refellitur || DISSERTATIO undecima Cyprianica HENRICI DODWELLI || de paucitate Martyrum. || EDITIO SECUNDA || Ab ipso AUCTORE recognita, emendata & aucta. || AMSTELAEDAMI, || EX OFFICINA WETSTENIANA. || MDCCXIII. Ruotgeri Vita Brunonis archiepiscopi Coloniensis, hrsg. v. Irene Ott (MGH SS rer. Germ. nov. ser. 10), Weimar 1951. [Sacchi, Bartolomeo („Platina“):] Platynae historici Liber de vita Christi ac omnium pontificum (AA. 1–1474), hrsg. v. Giacinto Gaida (RIS2 3,1), Città di Castello 1913– 1932. Saggi, Ludovicus (Hrsg.): Constitutiones Capituli Londinensis Anni 1281, in: Analecta Ordinis Carmelitarum 15 (= n. s. 2) (1950), S. 203–245. Sancti Gulielmi, archiepiscopi Bituricensis vita, miracula post mortem et canonizatio, ex codice Musei Bollandiani nunc primum integre edita, in: Anal. Boll. 3 (1884), S. 271–361. [Saur, Abraham:] DIARIVM HISTORICVM, || Das ist: || Ein besondere tag= || liche Hauß vnd Kirchen= || Chronica/ darinn Summarischer weise auff ein jeden Tag/ Monat/ || vnd Jar/ etlich besondere Nam vnd warhafftige Geschichte/ schreckliche Mirackel/ lusti= || ge Exempel/ merckliche Beyspiel/ mancherley Ankunfft/ seltzame Verenderung/ Gl(ck vnd Vngl(ck/ da= || neben auch etlicher Leut/ ehrlicher oder vnehrlicher Standt/ Handel/ Wandel/ Leben vnd Todt/ etc. beyd in || Geistlichen vnd Weltlichen Sachen/ so vor vnd nach der Geburt vnsers HERRN vnd || Heylands Jesu Christi sich zugetragen haben/ k(rtzlich vnd eigent= || lich annotirt vnd verzeichnet werden. || Allen vnd jeden/ so weitleufftige Geschichtsb(cher/ Kirchen vnd || Hauß Chronicken nicht erzeugen/ noch wegen anderer Geschefften durch= || lesen knnen/ etc. fast lustig vnd n(tzlich. Mit anzeige/ wo || man weiter nachsuchen sol. || Sampt angehengten vollkommenen Registern. Alles mit sonderm fleiß auß vie= || len bewehrten Chronicken/ alten vnd neuwen Monumenten/ glaubwirdigen Brieffen || vnd Vrkunden/ etc. hin vnd wider zusammen gebracht/ vnd also auff diese weiß || zum ersten mahl in Truck verfertigt/ Durch || Den Ehrnhafften vnd Wolgelehrten Herrn/ M. Abraham Saurn/ Notarium pub. vnd F(rstlichen Hessischen Hoffgerichts || zu Marpurg verordneten Procuratoren/ etc. || Mit Rm. Keys. May. Freyheit/ auff zehen

815 jar || nicht nach zu drucken begnadet. || Gedruckt zu Franckfurt am Mayn/ durch Nicolaum Basseum. || M. D. LXXXII. IOSEPHI || SCALIGERI || IVL. CÆS. F. || AVSONIANARVM || LECTIONVM || LIBRI DUO. || Adiectis præterea, Doctissimorum id genus || authorum: vtpote Adriani Turnebi, Ha- || driani Iunij, Guilelmi Canteri, Iusti Lypsij, || & Eliæ Vineti notis. || EXCVDEBAT, IACOBVS STOER. || [Genf] M. D. LXXXVIII. Die Schedelsche Weltchronik. Nachwort v. Rudolf Pörtner (Neudruck der Ausgabe Nürnberg 1493) (Die bibliophilen Taschenbücher), Dortmund 1978. Schlözer, Ludwig August: Vorstellung seiner Universal-Historie (1772/73). Mit Beilagen. Hrsg., eingel. u. kommentiert von Horst Walter Blanke (Beiträge zur Geschichtskultur 4), Hagen 1990, [Teil 1, 1772]. [Semler, Johann Salomo:] Versuch || den || Gebrauch || der Quellen || in der || Staats= und Kirchengeschichte || der mitlern Zeiten || zu erleichtern. || Bey Gelegenheit der angefangenen Fortsetzung || der baumgartenschen Kirchengeschichte || aufgesetzt || von || D. Joh. Salom. Semler. || HALLE, bey Joh. Justinus Gebauer, 1761 (Neudruck Waltrop 1996, hrsg. u. eingel. v. Dirk Fleischer = Wissen und Kritik. Texte und Beiträge zur Methodologie des historischen und theologischen Denkens seit der Aufklärung 5). – Vorschläge von einer neuen Sammlung, Ausgabe oder auch besondern teutschen Uebersetzung der vornehmsten Quellen der alten und mittlern teutschen Geschichte (1782), in: Blanke/Fleischer (Hrsg.), Theoretiker, Teil 2 (1990), Nr. 34, S. 579–589. [Seuse, Heinrich:] D. HENRICI || SVSONIS || VIRI SANCTITA- || TE, ERVDITIONE ET MI- || RACVLIS CLARI, || OPERA. || NVNC DEMVM POST ANNOS DV- || centos & amplius, è Sueuico idiomate Latinè reddita || à Reuerend. Patr. LAVRENTIO SVRIO Carthusiano. || Cum indice locupletissimo. || Contenta, lector, vide pagina sequente. || COLONIAE AGRIPPINAE, || In officina Birckmannica sumptib. Arnoldi Mylij. || Anno M. D. LXXXVIII. [Sherlock, Paul:] COGITATIONES || IN || SALOMONIS || CANTICORVM || CANTICVM || Ex triplici Vestigatione || Humana, Sacra, Didactica || VOLVMEN SECVNDVM || Auctore || R. P. PAVLO SHERLOGO || Societatis IESV Iberno, Manapiensi || S. Theologiæ Professore. || Indicibus obseruationum in varias Discipli- || nas, Regularum Sacræ Scripturæ Concionum || Aduentus, Quadragesimæ, multorum festo- || rum, Exhortationum, spiritalium, aliarum- || que materiarum locupletatum. || LVGDVNI, || Sumptib. IACOBI PROST. || M. DC. XXXVII. Sidonius: Poems. Letters I–II. With an English Translation by W. B. Anderson (Sidonius 1. LCL 296), Cambridge, Mass./London 1936 (Neudruck 1996). Sigebertus Gemblacensis: Vita Deoderici episcopi Mettensis, hrsg. v. Georg Heinrich Pertz, in: MGH SS, Bd. 4, hrsg. v. dems., Hannover 1841, S. 463–483. – Chronographia, hrsg. v. Ludwig Konrad Bethmann, in: MGH SS, Bd. 6, hrsg. v. Georg Heinrich Pertz, Hannover 1844, S. 300–374. CAROLI SIGONII || HISTORIA || DE REBVS BONO- || NIENSIBVS LIBRI VIII. || Eiusdem || De vita ANDREÆ DORIÆ, Libri duo. || Quibus accesserunt eiusdem Orationes aliquot || et Emendationes aduersus FRANCISCVM ROBORTELLVM: Item || Disputationes Patauinæ aduersus eundem. || DENIQVE || NICOLAI GRVCHII de Comitiis Romanis, Libri tres & || aduersus hos SIGONII sententiæ. || Quæ opuscula omnia, tàm Philosophiæ quàm historiarum studiosis apprime vtilia, antea || nunquam in Germania impressa fuerunt. || Horum seriem sequens pagina ordine monstrat: & in fine copiosissimus verborum & || rerum notabilium INDEX adiectus est. || FRANCOFVRTI, || Apud Claudium Marnium, & hæ- || redes Ioannis Aubrii. || MDCIIII. [Sirmond, Jacques:] CONCILIA || ANTIQVA || GALLIAE || TRES IN TOMOS ORDINE DIGESTA. || Cum epistolis Pontificum, Principum constitutionibus, & aliis || Gallicanæ rei Ecclesiasticæ monimentis. || Quorum plurima vel integra, vel magna ex parte, nunc primùm in lucem exeunt. || Opera & studio IACOBI SIRMONDI Societatis IESV presbyteri. || TOMVS I. || LVTETIAE PARISIORUM. || Sumptibus

816 SEBASTIANI CRAMOISY, via Iacobæa, sub Ciconiis. || M. DC. XXIX. || CVM PRIVILEGIO REGIS (Neudruck Aalen 1970). Socrate de Constantinople: Histoire ecclésiastique, Livres II–III. Texte grec de l’édition G. C. Hansen (GCS). Traduction par Pierre Périchon/Pierre Maraval. Notes par Pierre Maraval (Sources chrétiennes 493), Paris 2005. [Southwell, Nathanael:] BIBLIOTHECA || SCRIPTORVM || SOCIETATIS IESV. || OPVS INCHOATVM || A R. P. PETRO RIBADENEIRA || Eiusdem Societatis Theologo, anno salutis 1602. || CONTINVATUM || A R. P. PHILIPPO ALEGAMBE || Ex eadem Societate, vsque ad annum 1642. || Recognitum, & productum ad annum Iubilæi || M. DC. LXXV. || A NATHANAELE SOTVELLO || Eiusdem Societatis Presbytero. || ROMÆ, Ex Typographia Iacobi Antonij de Lazzaris Varensij. || M. DC. LXXVI. || SVPERIORVM PERMISSV. [Spangenberg, Cyriacus:] BONIFACIVS. || Oder: KirchenHistoria. || Warhafftiger/ ordentlicher || Bericht/ wie es vmb die Religion in Th(- || ringen/ Hessen/ Francken vnd Beiern/ vom 714. || Jahr biß auffs 755. gestanden. || Darinnen das Leben vnd gantze Historia S. || BONIFACII mit eingef(hret || vnd begrieffen wird. || Durch || M. Cyriacum Spangenbergk. || Leipzig/ Schmalkalden/ 1603. [Spiess, Modestus:] POENITENTIAE || SACRAMENTVM. || De Quo || MENSE IVNIO DIE XXI. || IN INCLITA CATHOLICA || VNIVERSITATE DILINGANA. || PRAESIDE || IACOBO BIDERMANO || SOCIETATIS IESV SS. THEOLOGIAE || PROFESSORE ORDINARIO, || PVBLICE || Disputarunt disceptarunt. || Religiosi Candidati. || FF. || MODESTVS SPIESS. || PIVS REHER. || VTERQVE ORDINIS S. BENEDICTI AD || S. GALLI PROFESSI. || Pro vtroque Baccalaureatu Theologico || consequendo. || DILINGAE, || Formis Academicis. || Cum Facultate Maiorum. || APVD VDALRICVM REM. || M. D. C. XXI. [Spon, Jacob:] MISCELLANAE || ERVDITÆ ANTIQVITATIS; || IN QVIBVS || MARMORA, STATVÆ, MVSIVA, TOREVMATA, GEMMÆ, NVMISMATA, || GRVTERO, VRSINO, BOISSARDO, REINESIO, || aliísque Antiquorum Monumentorum Collectoribus ignota, || & hucusque inedita referuntur ac illustrantur: || Curâ & studio IACOBI SPONII, Lugdunensium Mediocorum Collegio, || Patavinæ Recuperatorum, & Regiæ Nemausensi || Academiæ Aggregati. || LVGDVNI, || Sumptibus Fratrum Huguetan & Soc. || ANNO M. DC. LXXXV. || Cum privilegio Regis. Staring, Adrianus (Hrsg.): Medieval Carmelite Heritage. Early Reflections on the Nature of the Order (Textus et studia historica carmelitana 16), Rom 1989. Stephanus de Salaniaco/Bernardus Guidonis: De quatuor in quibus deus Praedicatorum Ordinem insignivit, hrsg. v. Thomas Kaeppeli (Monumenta ordinis fratrum Praedicatorum historica 22), Rom 1949. Suidae lexicon, hrsg. v. Ada Adler, Bd. 1 (Lexicographi graeci 1,[1]), Leipzig 1928. [Surius, Laurentius:] Kurtze || Chronick || oder Beschreibung || der vornembsten h ndeln vnd geschichten/ so sich beide in || Religions vnd weltlichen sachen/ fast in der gantzen Welt zugetra= || gen/ vom jar vnsers liebe[n] Herre[n] M. D. biß auff das jar || M. D. LXVIII. || Newlich durch den W. Herrn LAVRENTIVM SVRIVM Car= || theuser Ordens zu Cln/ mit fleiß zusam[m]en getragen vnd beschrieben/ Vnd jetzo trew= || lich verteutscht durch HENRICVM FABRICIVM AQVENSEM, P. || Getruckt zu Cln/ durch Gerwinum Calenium/ vnd die Erben etwan || Johan Quentels/ im jar M. D. LXVIII. || Mit R. Keis. Maiest. Gnad vnd freiheit/ in zehen jar nit nach zu trucken. – De probatis Sanctorum historiis, partim ex tomis Aloysii Lipomani, doctissimi episcopi, partim etiam ex egregiis manuscriptis codicibus, quarum permultæ antehàc nunquàm in lucem prodiêre, nunc recèns optima fide collectis per F. Laurentium Surium […], 6 Bde., Köln 1570–1575. – De probatis Sanctorum vitis. Quas tam ex mss. codicibus, quam ex editis authoribus R. P. Fr. Laurentius Surius Carthusiæ Coloniensis professus primum edidit, & in duodecim menses distribuit […], [hrsg. v. Georg Garnefeld], 12 Teile, Köln 1617–1618.

817 C. CORNELII TACITI || HISTORIARVM || ET ANNALIVM LIBRI || QVI EXSTANT, || IVSTI LIPSII || Studio emendati & illustrati: || Ad Imp. Maximilianum II. Aug. P. F. || EIVSDEM TACITI LIBER DE || MORIBVS GERMANORVM. || IVLII AGRICOLÆ VITA. || INCERTI SCRIPTORIS DIALOGVS DE || ORATORIBVS SVI TEMPORIS. || Ad C. V. Ioannem Sambucum. || ANTVERPIÆ, || Ex officina Christophori Plantini, Architypographi Regij. M. D. LXXIV. [Tamayo de Salazar, Juan:] ANAMNESIS || Sive || COMMEMORATIO || Omnium Sanctorum Hispan. || Per Dies Anni digesta, et concinnata || ac Notis Apodicticis illustrata, || Ad metodum Martyrologij Rom. || OPERA ET STUDIO || IOANNIS TAMAYO SALAZAR || I. V. C. Presbyteri. || VI. TOM. Divisa. || [Bd. 1] || LVGDVNI SVMPT. PHILIPPI BORDE, LAVRENT. ARNAVD, ET CLAVDII RIGAVD. MDCLI. [Tanner, Matthias:] SOCIETAS || JESU || USQUE || AD SANGUINIS || ET VITÆ PROFUSIONEM || MILITANS, || IN EUROPA, AFRICA, ASIA, || ET AMERICA, || CONTRA || GENTILES, MAHOMETANOS, || JUDÆOS, HÆRETICOS, || IMPIOS, || PRO || DEO, FIDE, || ECCLESIA, || PIETATE. || SIVE || VITA, ET MORS || EORUM, || QUI || Ex Societate JESU in causa FIDEI, & Vir- || tutis propugnatæ, violentâ morte toto Orbe || sublati sunt. || AUCTORE || R. PATRE MATHIA TANNER È SOCIETATE JESU, || SS. THEOLOGIÆ DOCTORE. || PRAGÆ, Typis Universitatis Carolo-Ferdinandeæ, in Collegio Societatis || JESU ad S. Clementem, per Joannem Nicolaum Hampel Factorem. || Anno M. DC. LXXV. Quinti Septimi Florentis Tertulliani Adversus Iudaeos, hrsg. v. Aem. Kroymann, in: ders., Opera, Teil 2: Opera montanistica (CCSL 2,2), Turnhout 1954, S. 1337–1396. Theodosiani libri XVI cum constitutionibus Sirmondianis et leges novellae ad Theodosianum pertinentes, Bd. 1,2: Textus cum apparatu, hrsg. v. Theodor Mommsen, Berlin 1935. Thuillier, Vincent: Histoire de la Contestation Sur les Etudes Monastiques, entre le R. Pere Armand Jean Bouthillier de Rancé Abbé de la Trappe, & D. Jean Mabillon Religieux de la Congrégation de S. Maur, in: OUVRAGES || POSTHUMES || DE || D. JEAN MABILLON || ET DE || D. THIERRI RUINART, || BENEDICTINS DE LA CONGREGATION || de Saint Maur. || TOME PREMIER, || CONTENANT || Un Recueil des petits Ecrits de Dom Jean Mabillon avec des additions. || Ses Lettres & celles des personnes illustres par leurs dignitez, ou || par leur savoir, qui lui ont écrit. Et l’Histoire de quelques || contestations Littéraires, où ce savant homme est entré. || Par D. VINCENT THVILLIER, Benedictin de la || même Congrégation. || A PARIS, || Chez FRANÇOIS BABUTY, à Saint Chrysostome, || JEAN-FRANÇOIS JOSSE, à la Fleur de Lys d’or, rue S. Jacques, || JOMBERT le jeune, rue neuve de Richelieu Place de Sorbonne. || MDCCXXIV. || AVEC APPROBATION ET PRIVILEGE DU ROY (Reprint Westmead 1967), S. 365–391. [Tibianus, Johann Georg:] Historia von dem H. Eusebio, in: Alemannia 10 (1882), S. 113–116. [Trithemius, Johannes:] CATALOGVS || SCRIPTORVM ECCLESIASTICORVM, || siue illustrium virorum, cum appendice eorum qui no- || stro etiam seculo doctissimi claruere. Per vene- || rabilem virum, Dominum Ioha[n]nem à Trit- || tenhem Abbate[m] Spanhemensem, di- || sertissimè conscritpus. || [Köln] ANNO M. D. XXXI. – D. IOANNIS || TRITHEMII || ABBATIS || ORDINIS S. BENEDICTI || De Laudibus CarmelitanĊ liber. || REVERENDISS. IN CHRISTO P. AC D. M. || Io. Stepha. Chizzola Cremonen. omnium Carmeli- || tarum Generalis Vicarij Apostolici || iussu ac nutu. || Centesimo pòst anno diligenter recognitus breuiq[ue] Apologia || defensus per R. P. PETRVM Lucium Belgam, Carmel. Bru- || xellensem Sacræ Theologiæ Professorem. || FLORENTIAE, Apud Georgium Marescottum. 1593 [eigenständiger Teil], in: CARMELITANA || BIBLIOTHECA, || SIVE ILLVSTRIVM ALIQVOT || CARMELITANAE RELIGIONIS || Scriptorum, & eorum Operum Cathalogus. || IAM

818 PRIDEM A MAGNO, ET INCOMPARABILI VIRO || D. Ioanne Trithemio Ordinis Sancti Benedicti Abbate luculenter congestus: || tandem centesimo post anno magna ex parte auctus, recognitus, & Annota- || tionibus illustratus, ac optimo Ordine Alphabetico digestus. || AD AMPLISSIMVM P. M. || Basilium Angussolam, alma Prouinciæ Romanæ Ca- || rmelitarum Prouincialem digniss. || AVCTORE R. P. PETRO LVCIO BELGA || Carmelitano Bruxellensi, Sacræ Theologiæ Professore. || FLORENTIAE, Apud Georgium Marescottum. 1593. || Superiorum permissu. – Compendivm sive breviarivm primi volvminis chronicorvm sive annalivm, Ioannis Trithemii Abbatis Sancti Iacobi Maioris Apostoli in svbvrbio civitatis Wircipvrg. de origine gentis & Regnum Francorum, ad reuerendissimum in Christo patrem & principem, dominum Laurentium Episcopum Wirtzpurgensem orientalisque Franciæ Ducem, in: JOHANNIS || TRITHEMII || SPANHEIMENSIS PRIMO, || DEINDE D. IACOBI MAIORIS APVD || HERBIPOLIN ABBATIS, VIRI SUO ÆUO DOCTISS. || PRIMÆ PARTIS || OPERA HISTORICA, QVOTQVOT || hactenus reperiri potuerunt, omnia: || PARTIM E VETVSTIS FVGIENTI- || busque editionibus reuocata, & ad fidem Archetyporum castigata; || partim ex manuscriptis nun primùm edita. || QVORUM CATALOGVM AVER- || sa pagina exhibet. || EX BIBLIOTHECA MARQVARDI FREHERI, || Consiliarii Palatini. || Cum INDICE copiosissimo. || FRANCOFVRTI, || Typis Wechelianis apud Claudium || Marnium & heredes Ioannis Aubrij. || M. DCI., S. 1–63. – De origine gentis Francorum. An Abridged History of the Franks. The Latin Text. With an English Translation, Introduction, and Notes by Martin Kuelbs † and Robert P. Sonkowsky (Bibliotheca Germanica 4), Dudweiler 1987. Johannes Turmair’s genannt Aventinus Sämmtliche Werke, Bd. 2: Annales ducum Boiariae, hrsg. v. Sigmund Riezler, Bd. 1: Buch I–IV, München 1882. – Bayerische Chronik, hrsg. v. Matthias Lexer. Das dritt puech. Das viert puech der baierischen chroniken. Das fünft puech der baierischen chroniken. Das sechst puech der baierischen chroniken. Das siebend puech der baierischen chroniken, München 1888 (Neudruck Neustadt a. d. Aisch 1996). Ughelli, Ferdinando: Italia sacra sive de Episcopis Italiae, et insularum adiacentium, rebusque ab iis praeclare gestis, deducta serie ad nostram usque aetatem […], 9 Bde., Rom 1644–1662. – Italia sacra sive de episcopis Italiae, et insularum adjacentium, rebusque ab iis praeclare gestis, deducta serie ad nostram usque aetatem […], Cura et studio Nicolai Coleti […], 10 Bde., Venedig 1717–1722. VRBANI VIII. || PONTIFICIS OPTIMI MAXIMI || DECRETA || Seruanda in Canonizatione, & Beatificatione || Sanctorum. || Accedunt Instructiones, & Declarationes || quas || EM.MI ET REV.MI S. R. E. CARDINALES || Præsulesque Romanæ Curiæ ad id muneris con- || gregati ex eiusdem Summi Pontificis || mandato condiderunt. || ROMÆ, || Ex Typographia Reu. Cam. Apost. MDCXLIII. Die Urkunden der deutschen Könige und Kaiser, Bd. 5: Die Urkunden Heinrichs III., hrsg. v. H. Bresslau (†)/Paul Kehr (MGH Diplomatum regum et imperatorum Germaniae 5), Berlin 21957. Die Urkunden der deutschen Könige und Kaiser, Bd. 6: Die Urkunden Heinrichs IV., Teil 1, bearb. v. Dietrich von Gladiss (MGH Diplomatum regum et imperatorum Germaniae 6,1), Weimar 1953. Die Urkunden der Karolinger, Bd. 1: Die Urkunden Pippins, Karlmanns und Karls des Grossen. Unter Mitwirkung v. Alfons Dopsch/Johann Lechner/Michael Tangl bearb. v. Engelbert Mühlbacher (MGH Diplomatum Karolinorum 1), Berlin 21956. Die Urkunden der Merowinger, nach Vorarbeiten v. Carlrichard Brühl (†) hrsg. v. Theo Kölzer, Teil 1 (MGH Diplomata regum Francorum e stirpe Merovingica), Hannover 2001. [Ussher, James:] Britannicarum || ECCLESIARVM || ANTIQVITATES: || Quibus inserta est pestiferæ adversùs || DEI gratiam à Pelagio Britanno in || Ecclesiam inductæ

819 Hæreseos || HISTORIA. || Collectore || JACOBO VSSERIO || Archiepiscopo ARMACHANO, || totius Hiberniæ Primate. || DUBLINII, || Ex Officinâ Typographicâ Societatis Bibliopolarum. || Anno M. DC. XXXIX. – BRITANNICARUM || Ecclesiarum || ANTIQUITATES: || Quibus inserta est || Pestiferæ adversùs Dei Gratiam à PELAGIO || Britanno in Ecclesiam inductæ Hæreseos || HISTORIA. || ACCEDIT || GRAVISSIMÆ QUÆSTIONIS || De Christianarum Ecclesiarum || SUCCESSIONE & STATU || HISTORICA EXPLICATIO. || A || JACOBO USSERIO Archiepiscopo || Armachano, totius Hiberniæ Primate. || Editio Secunda, in utraque parte ipsius Reverendissimi Autoris manu || passim aucta & nusquam non emendata. || LONDINI, || Impensis Benj. Tooke. MDCLXXXVII (Neudruck Westmead 1970). [Usuardus:] Martyrologium vsuardi mona || chi quod ad karolum magnum scripsit. Cum addi- || tionibus olim ex diuersis martyrologijs collectis, et adiectis atq[ue] in non paucis locis auctis [Köln 1521] (Enthalten in: BRB, Ms. 14649 (499), fol. 1r–143r). – VSVARDI || MARTYRO- || LOGIVM, QVO ROMANA || ECCLESIA, AC PERMVLTÆ || aliæ vtuntur: iussu Caroli Magni || conscriptum. || Cum additionibus ex Martyrologijs Romanæ Ecclesiæ, || & aliarum, potißimum Belgij. || Et Annotatione Auctorum, qui de Sanctorum vita, confes- || sione, vel martyrio, fusè, aut aliquando obiter, nonnulla || scripserunt. Opera IOANNIS MOLANI Louaniensis, Louanij || sacræ Theologiæ Regij Professoris. || Eodem Auctore, DE MARTYROLOGIIS, || & INDICVLVS SANCTO- || RVM BELGII. || ANTVERPIÆ, || Apud Philippum Nutium. || 1583. – Martyrologe, Texte et commentaire par Jacques Dubois (Subsidia hagiographica 40), Brüssel 1965. Laurentii Valle Antidotum in Facium, hrsg. v. Mariangela Regoliosi (Thesaurus mundi. Bibliotheca scriptorum latinorum mediæ et recentioris ætatis 20), Padua 1981. [Valois, Adrien:] HADRIANI || VALESII || RERVM || FRANCICARVM || VSQVE AD CHLOTHARII SENIORIS MORTEM || LIBRI VIII. || LVTECIÆ PARISIORVM, || Sumptibus SEBASTIANI CRAMOISY, Architypographi || Regis, & Reginæ Regentis: || ET || GABRIELIS CRAMOISY. || viâ Iacobæâ, sub Ciconiis. || M. DC. XLVI. || CVM PRIVILEGIO REGIS. – HADRIANI || VALESII || RERVM || FRANCICARVM || A CHLOTHARII SENIORIS MORTE || ad Chlotharij iunioris Monarchiam || TOMVS II. || LVTECIÆ PARISIORVM, || Sumptibus SEBASTIANI CRAMOISY, Regis Archity- || pographi, viâ Iacobæâ, sub Ciconiis. || M. DC. LVIII. || CVM PRIVILEGIO REGIS. – HADRIANI || VALESII || RERVM || FRANCICARVM || A CHLOTHARII MINORIS MONARCHIA || ad Childerici destitutionem || TOMVS III. || LVTECIÆ PARISIORVM, || Sumptibus SEBASTIANI CRAMOISY, Regis Archity- || pographi, viâ Iacobæâ, sub Ciconiis. || M. DC. LVIII. || CVM PRIVILEGIO REGIS. – CARMEN || PANEGYRICVM || DE LAVDIBVS || BERENGARII AVG. || ET || ADALBERONIS || EPISCOPI LAVDVNENSIS || AD ROTBERTVM REGEM FRANCORVM || CARMEN. || Ab HADRIANO VALESIO Historiographo || Regio è veteribus codicibus eruta || ac Notis illustrata. || PARISIIS, || Sumtibus IOHANNIS DV PVIS, in vico || Iacobeo ad Coronam auream. || M. DC. LXIII. || CVM PRIVILEGIO REGIS. [Van Haemstede, Adriaan Cornelisz:] Historien oft gheschiede= || nissen der vromer Martelaren/ die om het || ghetuyghenisse des Euangelij haer bloet vergoten hebben/ van || den tijde Christi af/ tot den Jare M. D. LXXIX. toe/ op her || cortste by een vergadert. || Wederum van nieus ouersien, verbetert ende veel vermeerdert. || Ghedruckt in de Vermaerde Coopstadt || Dordrecht. M. D. LXXIX. [Vastovius, Johannes:] VITIS AQVILONIA || SEU || VITÆ SANCTORVM || QVI SCANDINAVIAM MAGNAM || ARCTOI ORBIS PENINSVLAM AC || praesertim Regna Gothorum Sueo= || numq[ue] olim rebus gestis illustrarunt. || Opera et studio || IOANNIS VASTOVII GOTHI || Protonotarij Apáici Canonici Var= || miensis Ser.mo

820 SIGISMVNDO III. Polo= || niæ ac Sueciæ Regi à Sacris || et Bibliotheca. || COLONIÆ AGRIPPINÆ || Ex Officina ANTONII HIERATI || Anno M. DC. XXIII. Venanti Honori Clementiani Fortunati presbyteri Italici Opera poetica, hrsg. v. Friedrich Leo (MGH AA 4,1), Berlin 1881. [Verstegan, Richard:] THEATRVM || Crudelitatum Hæreticorum || Nostri Temporis. || ANTVERPIÆ, || Apud Adrianum Huberti, || Anno M. D. LXXXVII. || Cum Priuilegio. – Théâtre des cruautés des hérétiques de notre temps. Texte établi, présenté et annoté par Frank Lestringant. En Annexe: Le martyre des trente-neuf allant au Brésil de Louis Richeome (Collection Magellane), Paris 1995. Vie du bienheureux martyr Jean Fisher, cardinal, évêque de Rochester († 1535), in: Anal. Boll. 10 (1891), S. 121–365; 12 (1893), S. 97–287. [Vincenz von Beauvais:] BIBLIOTHECA MVNDI. || SEV || SPECVLI MAIORIS || VINCENTII BVRGVNDI || PRÆSVLIS BELLOVACENSIS, || ORDINIS PRÆDICATORVM, || THEOLOGI AC DOCTORIS EXIMII, || TOMVS QVARTVS, || QVI SPECVLVM HISTORIALE INSCRIBITVR: || In quo vniuersa totius orbis, omniumque populorum ab orbe condito || vsque ad Auctoris tempus HISTORIA continetur, pulcherrimum || actionum ciuilium & ecclesiasticarum THEATRVM. || Omnia nunc accuratè recognita, distinctè ordinata, suis vnicuique autori redditis || exactè sententijs; summarijs prætereà & obseruationibus, quibus || anteà carebant, illustrata. || Operâ & studio Theologorum BENEDICTINORVM Collegij VEDASTINI || in Alma Academica DVACENSI. || DVACI, || Ex Officina Typographica BALTAZARIS BELLERI, || sub Circino aureo. || ANNO M. DC. XXIV. (Neudruck Graz 1965). Viperano, Giovanni Antonio: De scribenda historia liber, Antwerpen 1569, in: Kessler (Hrsg.), Theoretiker (1971), Nr. 5. Pontici Virvnnii Britannicæ historiæ libri IV, in: Rerum Britannicarum scriptores, [ed. Commelin], 1587, S. 93–112. Vita et miracula S. Fursei, in: Vitae Sanctorum Hiberniae. Ex Codice olim Salmanticensi, ed. Heist (1965), S. 37–55. Vita Genovefae virginis Parisiensis, in: MGH SS rer. Merov., Bd. 3, ed. Krusch (1896), S. 215–238. Vita Hrodberti episcopi Salisburgensis, hrsg. v. Wilhelm Levison, in: MGH SS rer. Merov., Bd. 6, ed. Krusch/Levison (1913), S. 157–162. Vita Rigoberti episcopi Remensis, hrsg. v. Wilhelm Levison, in: MGH SS rer. Merov., Bd. 7, ed. Krusch/Levison (1920), S. 58–80. Vita S. Abbani abbatis de Mag Arnaide et Cell Abbain, in: Vitae Sanctorum Hiberniae. Ex Codice olim Salmanticensi, ed. Heist (1965), S. 256–274. Vita S. Carthachi seu Mochuda episcopi Lismorensis, in: Vitae Sanctorum Hiberniae. Ex Codice olim Salmanticensi, ed. Heist (1965), S. 334–340. Vita S. Ciarani episcopi Saigirensis, in: Vitae Sanctorum Hiberniae. Ex Codice olim Salmanticensi, ed. Heist (1965), S. 346–353. Vita S. Cronani abbatis de Ros Cré, in: Vitae Sanctorum Hiberniae. Ex Codice olim Salmanticensi, ed. Heist (1965), S. 274–279. Vita S. Cuannathei seu Cuannae abbatis Lismorensis, in: Vitae Sanctorum Hiberniae. Ex Codice olim Salmanticensi, ed. Heist (1965), S. 407–410. Vita S. Finniani abbatis de Cluain Iraird, in: Vitae Sanctorum Hiberniae. Ex Codice olim Salmanticensi, ed. Heist (1965), S. 96–107. Vita S. Fintani abbatis de Cluain Edhnech, in: Vitae Sanctorum Hiberniae. Ex Codice olim Salmanticensi, ed. Heist (1965), S. 145–153. Vita S. Fintani abbatis de Dún Blésci, in: Vitae Sanctorum Hiberniae. Ex Codice olim Salmanticensi, ed. Heist (1965), S. 113–117. Vita S. Tigernachi episcopi in Cluain Eois, in: Vitae Sanctorum Hiberniae. Ex Codice olim Salmanticensi, ed. Heist (1965), S. 107–111.

821 Vita Sadalbergae abbatissae Laudunensis, hrsg. v. Bruno Krusch, in: MGH SS rer. Merov., Bd. 5, ed. Krusch/Levison (1910), S. 49–66. Vita sancte Ite Virginis, in: Vitae Sanctorum Hiberniae, ed. Plummer, Bd. 2 (1910), S. 116–130. Vita sancti Barri episcopi Corcagie, in: Acta Sanctorum Hiberniae, ed. Plummer, Bd. 1 (1910), S. 65–74. Vita sancti Cronani abbatis de Ros Cree, in: Vitae Sanctorum Hiberniae, ed. Plummer, Bd. 2 (1910), S. 22–31. Vita sancti Endei abbatis de Arann, in: Vitae Sanctorum Hiberniae, ed. Plummer, Bd. 2 (1910), S. 60–75. Vita sancti Fechini abbatis de Fauoria, in: Vitae Sanctorum Hiberniae, ed. Plummer, Bd. 2 (1910), S. 76–86. Vita sancti Fintani abbatis de Cluain Ednech, in: Vitae Sanctorum Hiberniae, ed. Plummer, Bd. 2 (1910), S. 96–106. Vita sancti Geraldi abbatis de Magh Eo, in: Vitae Sanctorum Hiberniae, ed. Plummer, Bd. 2 (1910), S. 107–115. Vita sancti Tigernaci episcopi de Cluain Eois, in: Vitae Sanctorum Hiberniae, ed. Plummer, Bd. 2 (1910), S. 263–269. Vita Vulframni episcopi Senonici, hrsg. v. Wilhelm Levison, in: MGH SS rer. Merov., Bd. 5, ed. Krusch/Levison (1910), S. 661–673. Vita Wandregiseli abbatis Fontanellensis, hrsg. v. Bruno Krusch, in: MGH SS rer. Merov., Bd. 5, ed. Krusch/Levison (1910), S. 13–24. Vitae Sanctorum Hiberniae. Partim hactenvs ineditae ad fidem codicvm manvscriptorvm recognovit prolegomenis notis indicibvs instrvxit Carolus Plummer A. M. Collegii Corporis Christi apud Oxonienses socius et capellanus, 2 Bde., Oxford 1910. Vitae Sanctorum Hiberniae. Ex Codice olim Salmanticensi nunc Bruxellensi, hrsg. v. William W. Heist (Subsidia hagiographica 28), Brüssel 1965. Vives, Juan Luis: Über die Gründe des Verfalls der Künste. De causis corruptarum artium. Lateinisch-deutsche Ausgabe. Übers. v. Wilhelm Sendner unter Mitarb. v. Christian Wolf/Emilio Hidalgo-Serna, hrsg., kommentiert u. eingel. sowie mit Vives’ Leben, Bibliographie und Personenregister versehen v. Emilio Hidalgo-Serna (Humanistische Bibliothek. Texte und Abhandlungen. Reihe 2: Texte 28), München 1990. Voltaire: Essai sur les mœurs et l’esprit des nations et sur les principaux faits de l’histoire depuis Charlemagne jusqu’à Louis XIII. Introduction, bibliographie, relevé de variantes, notes et index par René Pomeau, Bd. 1, Paris 1963. GERARDI IOANNIS VOSSII || DE || HISTORICIS GRÆCIS || LIBRI QVATVOR. || Lugduni Batavorum, || Apud IOANNEM MAIRE, || ANNO 1624. – GERARDI JOANNIS VOSSII || DE || VITIIS SERMONIS, || ET || GLOSSEMATIS || LATINO-BARBARIS, || LIBRI QUATUOR. || Partim utiles ad purè loquendum, partim ad meliùs intelligendos posteriorum seculorum scriptores. || AMSTELODAMI, || Apud LUDOVICUM ELZEVIRIUM, || MDCXLV. – GERARDI IOANNIS VOSSII || De || HISTORICIS GRÆCIS || LIBRI IV; || Editio altera, priori emendatior, & multis || partibus auctior. || LUGDUNI BATAVORUM, || Ex Officinâ IOANNIS MAIRE. || MDLI. Wandalberti Prumiensis carmina, in: MGH Poetae Latini aevi Carolini, Bd. 2, hrsg. v. Ernst Dümmler, Berlin 1884, S. 569–622. [Welser, Marcus:] MARCI. VELSERI || MATTHAEI. F. ANT. N. || PATRICII. AVG. VIND || RERVM. AVGVSTA || NAR. VINDELICAR || LIBRI. OCTO. || VENETIIS M. D. XCIV. – MARCI VELSERI, || MATTHÆI F. ANT. N. || REIP. AUGUSTANÆ || QUONDAM DUUMVIRI, || OPERA || HISTORICA || ET PHILOLOGICA, || SACRA ET PROFANA. || In quibus || Historia Boica, Res Augustanæ, Conversio & || Passio SS. Martyrum, Afræ, Hilariæ, Dignæ, Eunomiæ, Eutropiæ, || Vitæ S. Udalrici, & S. Severini, Narratio eorum, quæ contigerunt || Apollonio Tyro, Tabulæ Peutingeri-

822 anæ integræ, Epistolæ ad Viros || Illustres Latinæ Italicæque, & Proteus satyra continentur. || Accessit || P. Optatiani Porphyrii Panegyricus, || Constantino M. missus, || ex optimo Codice à PAULLO VELSERO divulgatur, || unà cum Spicilegio Critico Christiani Daumii. || Præmissa his fuit || Præfatio ad Lectorem, de singulis scriptis nunc recusis, || juxta Virorum eruditissimorum sententias: || Nec non || VITA, GENUS, ET MORS || AUCTORIS NOBILISSIMI. || Auccurante || CHRISTOPHORO ARNOLDO. || NORIMBERGÆ, || Typis ac sumtibus WOLFGANGI MAURITII, & Filiorum || JOHANNIS ANDREÆ, ENDTERORUM. || ANNO M. DC. LXXXII. Willelmi Malmesbiriensis monachi de gestis pontificum Anglorum libri quinque, hrsg. v. N. E. S. A. Hamilton (Rerum Britannicarum Medii Ævi Scriptores, or Chronicles and Memorials of Great Britain and Ireland during the Middle Ages [52]), London 1870 (Neudruck Wiesbaden 1964). William of Newburgh: Historia rerum Anglicarum, lib. I–IV, hrsg. v. Richard Howlett = Chronicles of the Reigns of Stephen, Henry II., and Richard I., Bd. 1 (Rerum Britannicarum Medii Ævi Scriptores, or Chronicles and Memorials of Great Britain and Ireland during the Middle Ages [82,1]), London 1884. [Wilson, John:] THE ENGLISH || MARTYROLOGE || CONTEYNING || A SVMMARY OF THE LIVES || of the glorious and renowned Saintes || of the three Kingdomes, || ENGLAND, SCOTLAND, AND || IRELAND. || COLLECTED AND DISTRIBVTED || into Moneths, after the forme of a Calendar, || according to euery Saintes festiuity. || WHERVNTO || Is annexed in the end a Catalogue of those, who haue suffered || death in England for defence of the Catholicke Cause, since King || Henry the 8. his breach with the Sea Apostolicke, vnto this day. || By a Catholicke Priest. || Permissu Superiorum. Anno 1608. [Wion, Arnold:] LIGNVM VITÆ. || Baum des Lebens. || Historij des gantzen Or= || dens S. Benedicti. || Der Ander Theil. || Erstlich || Von D. Arnoldo Wion || Jn Latein beschriben || Nun aber durch F. Ca= || rolum Stengelium || Jn die Teutsche sprach || gebracht. || A.o M DC VII. || Gedruckt tzue Augspurg || in Verlegung Dominici Custodis. [Witzel, Georg:] HAGIOLOGIVM, || SEV DE SANCTIS EC= || CLESIAE. || HISTORIAE || DIVORUM TOTO || TERRARVM ORBE CELE= || berrimorum, è sacris Scriptoribus, || summa fide ac studio conge= || stæ, & nunc primum, || iuuando pari= || ter atq[ue] || ornando Christianismo, in Presbytero= || rum piè doctorum manus || emissæ. PER GEORG. VI= || CELIVM. CVM PRIVILEGIO CAESAREO. || MOGVNTIAE || Ad diuum Victorem excudebat || Franciscus Behem. || M. D. XLI. Xiberta, Bartholomaeus F. M.: De visione Sancti Simonis Stock (Bibliotheca sacri Scapularis 1), Rom 1950. [Zyllesius, Nikolaus:] DEFENSIO || ABBATIÆ IMPERIALIS || S. MAXIMINI || PER NICOLAVM ZYLLESIVM || eiusdem Abbatiæ Officiorum Præfectum || supremum || QVA RESPONDETVR LIBELLO CONTRA || præfatam Abbatiam ab Authore Anonymo, Anno || MDCXXXIII. Treuiris edito. || DOMINVS MIHI ADIVTOR, || non timebo, quod faciat mihi homo Ps. 117. || EDIDERVNT || Religiosi Fratres Imperialis Monasterij SANCTI MAXIMINI || iuxta muros Treuirenses, Anno 1638.

2 Darstellungen und Hilfsmittel [Anonym:] SS. Cyrici et Julittæ Acta græca sincera. Nunc primum edita, in: Anal. Boll. 1 (1882), S. 192–207. [Anonym:] De Antonio Gentio in Rubea Valle. Canonico regulari hagiographo, in: Anal. Boll. 6 (1887), S. 31–34. [Anonym:] Le R. P. Charles De Smedt, in: Anal. Boll. 30 (1911), S. I–X. [Anonym:] Le R. P. Albert Poncelet, in: Anal. Boll. 31 (1912), S. 129–136. [Anonym:] À nos lecteurs, in: Anal. Boll. 38 (1920), S. 377–379. [Anonym:] Le Révérend Père François Van Ortroy, in: Anal. Boll. 39 (1921), S. 5–19. [Anonym:] Le R. P. Hippolyte Delehaye, in: Anal. Boll. 60 (1942), S. I–XXXVII. [Anonym:] La Société des Bollandistes et internet, in: Anal. Boll. 114 (1996), S. 135f. [Anonym:] BHLms, Bibliotheca hagiographica latina manuscripta, in: Anal. Boll. 116 (1998), S. 250–252. Abbott, Thomas Kingsmill: Catalogue of the Manuscripts in the Library of Trinity College. To which Is Added a List of the Fagel Collection of Maps in the Same Library, Dublin/London 1900 (Neudruck Hildesheim/New York 1980). Abeni, Enzo: Il frammento e l’insieme. La storia Bresciana, Bd. 3: I primi due secoli del dominio veneto, Brescia 1987. – Il frammento e l’insieme. La storia Bresciana, Bd. 4: 1630–1849: dalla grande peste alla „festa di guerra“ delle Dieci Giornate, Brescia 1987. Achelis, Hans: Die Martyrologien, ihre Geschichte und ihr Wert (Abhandlungen der Königl. Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen. Philolog.-hist. Kl. N. F. 3, Nr. 3), Berlin 1900. Aigrain, René: L’hagiographie. Ses sources, ses méthodes, son histoire, Paris 1953. Albert, Jean-Pierre: Odeurs de sainteté. La mythologie chrétienne des aromates, Paris 1990. Albert, Marcel: Nuntius Fabio Chigi und die Anfänge des Jansenismus. 1639–1651. Ein römischer Diplomat in theologischen Auseinandersetzungen (RömQ Supplementheft 44), Rom/Freiburg i. Br./Wien 1988. Albrecht, Michael von: Geschichte der römischen Literatur von Andronicus bis Boëthius. Mit Berücksichtigung ihrer Bedeutung für die Neuzeit, Bd. 2, München 21997. Allen, Graham: Intertextuality (The New Critical Idiom), London 2000. Allgemeine Deutsche Biographie, hrsg. durch die Historische Commission bei der Königl. Akademie der Wissenschaften, 45 Bde. und 11 Bde. Nachträge (Bd. 46–55), Berlin 1875–1910 (Neudruck Berlin 1971). Amberg, Gottfried: Der Kölner Pfarrer Johannes Polch, St. Kunibert 1658–1679, in: Jb. d. kölnischen Geschichtsvereins 49 (1978), S. 229–258. Amiet, Robert: Missels et bréviaires imprimés (supplement aux catalogues de Weale et Bohatta). Propres des saints (édition princeps) (Documents, études et répertoires), Paris 1990. Ampe, Albert: L’Imitation de Jésus-Christ et son auteur (Sussidi eruditi 25), Rom 1973. Andermann, Ulrich: Albert Krantz. Wissenschaft und Historiographie um 1500 (Forschungen zur mittelalterlichen Geschichte 38), Weimar 1999.

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Abbildungen

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Abbildungsnachweise Usuardi Martyrologium, hrsg. v. Johannes Molanus, 1583, Bl. 8r (HAB WoBü A:351 Hist. [1]). Abb. 2 Imago primi saeculi Societatis Iesu, 1640, Kupfertitel (SUB Hamburg C 2033). Abb. 3 Imago primi saeculi Societatis Iesu, 1640, S. 727. Abb. 4 Imago primi saeculi Societatis Iesu, 1640, Kupfertitel (Ausschnitt). Abb. 5 Acta Sanctorum Ianuarii, Bd. 1, 1643, Kupfertitel (Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen H E SANCT 30/53: JAN,1). Abb. 6 Acta Sanctorum Aprilis, Bd. 1, 1675 (Ausgabe 1865), Kupfertitel (Ausschnitt) (SUB Hamburg C 1955/6:10). Abb. 7 Christoph Brower, Fuldensium antiquitatum libri IIII,1612, S. 41 (HAB WoBü H:T771a 2o). Abb. 8 Christoph Brower, Fuldensium antiquitatum libri IIII,1612, S. 42. Abb. 9 Guido Panciroli, De magistratibus municipalibus, 1593, Bl. 295v (HAB WoBü M:Lh 4o 236) Abb. 10 Daniel Papebroch, De Beato Alberto, Acta Sanctorum Aprilis, Bd. 1, 1675 (Ausgabe 1895), S. 796 Abb. 11 Daniel Papebroch, Propylæi antiquarii pars secunda. De prætensa quorumdam Carmeliticorum Conventuum antiquitate, AASS Aprilis, Bd. 2, 1675 (Ausgabe 1866), S. XXXIX (SUB Hamburg C 1955/6:11) Abb. 1

Register Das Namensregister erschließt nur die im Fließtext genannten Namen. Die ausschließlich der martyrologischen Tradition verpflichteten Namen werden in einer eigenen Sektion ausgewiesen. Das Handschriftenregister erfasst nur die an dieser Stelle ausgewerteten Handschriften der Bibliothèque royale de Belgique, nicht die in der Arbeit insgesamt erwähnten Manuskripte.

Namen Abaelard, Petrus 317 Abbanus, hl. 530f. Abdia 717 Achelis, Hans 104, 106, 129 Aconcio, Giacomo 52 Adaldag von Hamburg-Bremen 194, 198 Adam von Bremen 194f., 198f., 200 Adela von Pfalzel, hl. 646f., 654f. Ado von Vienne 138, 205 Agapa von Terni, hl. 174 Agricola, Rudolf 78 Ailbe/Albeus/Alueus von Emly, hl. 554, 568f. Aimerich von Limoges 721, 725 Aimoin von Fleury 291f., 651 Albert von Stade 195, 198f. Albert von Vercelli, hl. 675, 707f.,717– 719, 722, 725, 727–732, 734, 738, 747 Albrecht V. von Bayern, Hzg. 48 Alcalá, Diego de, hl. 453 Alda, hl. s. Aldus Aldus, hl. 170f. Alegre de Casanate, Marco Antonio 715– 717 Aleksej von Kiev, hl. 585 Alexander, hl. 147 Alexander III., Papst 721f., 725, 732, 744, 769 Alexander IV., Papst 265 Alexander V., Papst 714

Alexander VII., Papst 23, 453, 661f. Alfons V. von Neapel, Kg. 301 Alford, Michael 214, 774 Alveldt, Augustin von 47 Amantius von Rodez 131 Ambrosius von Mailand, hl., 299, 359 Andreas, Bf. von Trier, hl. 183 Andreas, Valerius 17 Angelo von Licata, hl. 750 Anianus, legendar. Bf. 354 Anna, hl. 78 Ansgar von Hamburg-Bremen, hl. 201 Antonio, Nicolás 699 Antonius der Eremit, hl. 24f. Aquaviva, Claudio 390, 395 Aragazzi, Bartolomeo 312 Arcadius, Flavius, oström. Ks. 718 Arndt, Wilhelm Ferdinand 120 Arnoldi, Johannes 447 Arnoldi, Wilhelm 365f. Arnulf von Metz, hl. 110 Atanagi, Dionigi 263 Athanasios der Große, hl. 23, 25 Attila 348 Atto von Pistóia, hl. 620 Audoenus/Ouen, hl. 251 Augurius, hl. 430 Augustin von Canterbury 217 Augustinus, Aurelius, hl. 192f., 264, 269 Augustus, röm. Ks. 254

899 Aurelianus, L. Domitius, röm. Ks. 173 Ausonius, Decimus Magnus 239 Aventinus, Johanes 354, 356f., 372, 774 Avertanus (Albertanus), hl. 741 Babylas, hl. 358 Bacchini, Benedetto 696, 699 Bachmann, Paul 47 Bacon, Francis 68 Bacon, Nathanael s. Southwell, Nathanael Baer, Karl Ernst von 753 Baert, François 37, 698, 700 Baillet, Adrien 486 Balderich von Speyer 472 Baldesano, Guglielmo 467 Bale, John 205–208, 211–213, 744, 774 Balsamus, hl. 420 Baluze, Étienne 293 Barberini, Francesco 27, 714f. Baronio, Cesare 27, 84, 117, 125, 159, 161, 172f., 177, 179f., 190–194, 198, 203–205, 208, 213, 215, 217, 258, 268, 376–379, 396, 408, 429, 431, 439, 456f., 460f., 463, 485, 501, 504, 508, 510–512, 610, 615, 622, 624, 635, 661, 666, 705, 725–728, 732, 764, 769 Bartoli, Daniello 88 Basileus der Große, hl. 717f., 723, 729 Basnage de Bauval, Henri 22 Baßler, Moritz 96 Baumgarten, Siegmund Jacob 277 Bayle, Pierre 96f., 99–101, 331, 333, 411, 632, 694, 713, 752, 768 Beatillo, Antonio 145, 149–151 Beccadelli, Antonio („il Panormita“) 301 Becket, Thomas, hl. 1f. Beda Venerabilis 34, 109, 204f, 208, 217f., 266, 511, 662, 668, Belinus von Padua 162, 180 Bellarmin, Robert 394f., 400, 410f., 726– 728, 737 Bembo, Pietro 260 Benedikt XII., Papst 717 Benedikt XIV., Papst 449 Benno von Meißen, hl. 47–49, 453, 771 Benz, Stefan 66, 182, 407 Bérault, Nicolas 303 Berger, Peter L. 91 Bern von der Reichenau 404–406, 762 Bernardus Guidonis 721f. Bernheim, Ernst 70, 295 Berno von Baume 408

Bernoulli, Carl Albrecht 76 Bernward von Hildesheim 402, 411 Berschin, Walter 406 Bertelli, Sergio 661 Bertharius von Montecassino 587, 589 Berthold „von Kalabrien“, hl. 675, 721, 725, 729, 740, 745, 747, 769 Berthold von Zwiefalten 579, 582 Bertrand, Dominique 391 Best, Richard Irvine 549, 552, 554 Beughem, Jean Ferdinand de 686 Bietenholz, Peter G. 77 Biondo, Flavio 241, 372 Binet, Étienne 422 Bivar, Francisco de 489 Blanke, Horst Walter 54f., 58–60, 756 Blois, Ludwig von 422f., 436 Blum(e), Heinrich Julius von 130f. Bochenthaler, Stephan 581 Bodin, Jean 260 Boesch Gajano, Sofia 102, 759 Boineburg, Philipp Wilhelm von 29 Bolland, Jean 5, 11, 13, 16f., 23–27, 35f., 39, 41, 67, 72, 103, 107–111, 113–117, 120–127, 129, 132, 134, 136, 139, 141–146, 148–152, 154, 159, 161f., 173, 181–183, 188–191, 201, 203, 208, 211, 213f., 216, 219, 222, 229, 233, 264–269, 271, 276f., 294, 306–309, 318, 325–330, 335, 337–343, 384, 388, 391f., 397f., 411–413, 418f., 423–434, 436–438, 441, 447–453, 463–468, 472, 474–478, 480, 485–492, 494–497, 499, 503–506, 510, 512f., 516–518, 522– 526, 528, 535, 537, 539, 541–548, 550–555, 557–559, 561–563, 566, 568–575, 578, 580–581, 583–584, 586f., 593, 599, 606, 608f., 611, 613, 624, 626, 641, 660, 674, 712, 737, 739, 748, 751f., 758f., 762, 764–768, 770f., 775 Bolz, Norbert 95 Bonaventura, hl. 265 Bonfrère, Jacques 386 Bonifatius, hl. 372–375 Bonnet, Charles 5 Borghese Caffarelli, Scipione 444 Borja, Francisco de, hl. 232 Borler, Augustin 38 Bosio, Antonio 124 Bosquet, François 731 Bossue, Benjamin 589

900 Bostius, Arnoldus 711, 724 Bouch(i)er, Roland 746 Bouchier, Gilles 570, 572 Boulart, François 586 Boulenois, Jean de 599, 770 Bouquet, Martin 289–293 Bourbon, Jeanne Baptiste von 450f. Bourchier, Thomas 447 Braun, Conrad 376 Brehmer, Karl 363 Breventano, Stefano 167, 169f. Brigida von Kildare, hl. 110, 536 Brithwald von Canterbury, hl. 135 Britta, hl. 188 Brocardus, hl. 730, 769 Brockie, Marian 728 Brower, Christoph 182–185, 216, 401– 403, 647, 774 Brun (Candidus) von Fulda 403 Brun von Köln, hl. 353, 361, 376 Brunacci, Aldo 612 Brunner, Andreas 489 Bruschius, Kaspar 646 Buddeus, Johann Franz 20, 643 Burke, Peter 671 Burschel, Peter 439 Buschmann, Ernest 40 Bussi, Giovanni Andrea 300 Caecilius, Bf. von Karthago 194 Caesar, C. Julius 52, 260 Caesarius von Heisterbach 507 Caietan, Constantin 415, 587 Calixtus I., Papst, hl. 123–126, 176 Calvin, Johannes 361 Camden, William 34, 203, 211, 213, 325f., 329, 764 Campi, Pietro Maria 143 Camus, Justus (Pseud.) 677 Camusat, Nicolas 315, 317, 504–506 Canisius, Heinrich 162, 314, 374, 408, 764 Canisius, Petrus 180, 189, 379, 386f., 407f., 763 Cano, Melchior 266 Capassi, Gerardo 30 Capello, Ambroise 749 Carafa, Decio 144, 148 Caraffa, Pierluigi 609 Carnandet, Jean Baptiste 15 Carpzov, Friedrich Benedikt (II.) 330, 333, 411 Caspary, Gundula 318

Cassianus von Autun, hl. 161 Cassianus von Todi, hl. 623 Cassianus, Johannes 718 Cassiodorus, Flavius Magnus Aurelius 109 Centen, Anna 446 Centen, Leonard 446 Chacón, Alfonso 253 Chenu, Jean 504 Cheron, Jean 746 Chevalier, Jean 451 Chifflet, Jean-Jacques 591 Chifflet, Pierre-François 340, 466f., 474f., 491–493, 495–497, 569–573, 591–595, 597f., 603f., 765 Childebert I. 511 Childebert III. 477, 641, 643 Childebert (adoptivus) (III.) 634 Childerich II. 637 Chladenius, Johann Martin 278–281, 284f., 309 Chlodwig I. 7, 251, 383, 512 Chlodwig II. 597, 647, 667, 672 Chlodwig III. 8 Chlothar I. 249, 597 Chlothar II. 651f. Chlothar IV. 644 Chlothilde 512 Chrodelindis 646f. Chronos 225, 234–236, 764 Chrysogonus, hl. 141f. Ciampini, Giovanni Giustino 700 Ciarán von Clonmacnoise, hl. 533 Cicero, Marcus Tullius 190, 400, 408, 754 Cilinia 351 Clara von Assisi, hl. 265 Clarus von St. Marcel, hl. 491 Claudius, M. Aurelius C. Gothicus, röm. Ks. 126, 615 Claudius von Besançon 591, 595–598 Claudius von St. Oyend, hl. 591–598, 601, 607 Clemens VII., Papst 454, 702, 714 Clemens X., Papst 750 Clodius, Kg. bei Trithemius 644 Coccius, Jodocus 646, 656f., 659 Cochlaeus, Johannes 374 Coemgen von Glenn da Loch, hl. 520 Colgan, John 28, 342, 409, 474, 514, 517, 529–539, 541–543, 545f., 548–550, 552, 554, 556–563, 567f., 573, 575, 766 Colmenares, Diego 175

901 Columbanus, hl. 110, 170, 273f., 569–573 Colvener, Georges 401 Comgall mac Sétnai, hl. 519, 540 Commelin, Hieronymus 208 Conrad von Auersberg 286 Constantius von Perugia, hl. 611 Corona (und Victor), hl. 625 Cosnier, Michel 451 Costo, Tomasso 150 Cotton, Robert 254 Crasset, Jean 716 Cratepoil, Petrus 183 Crespin, Jean 79–81, 376, 378 Croce, Benedetto 261 Crombach, Hermann 78, 472f., 580, 583 Crónán von Ros Cree, hl. 564 Cuanna, hl. 540f. Cummianus 570, 572 Cyrillus, Priester 734, 743 Cyrillus „von Alexandrien“, hl. 717, 725, 734, 742–744, 747, 769 Czerski, Johann 366 D’Achery, Jean Luc 118f., 129, 285, 293, 319 Dagobert I. 215, 633f., 646–656, 659, 662f., 667, 672, 769 Dagobert II. 633–642, 644–646, 649–650, 655, 768f. Dagobert III. 477, 641, 646 D’Aguesseau, Henri François 290 D’Alembert, Jean Le Rond 21 D’Amboise, François 317 Damianus, legendar. Gesandter 206, 215 Daniel de la Vierge 712, 737, 740, 743, 747–750, 752 D’Argonne, Bonaventure 271, 308 Datius von Mailand, hl. 351 David von St. Davids, hl. 532 De Backer, Joseph 565 De Buck, Victor 105–107, 127, 129 De Certeau, Michel 70 De Gaiffier, Baudouin 15 Delehaye, Hippolyte 9f., 13, 16, 24, 29, 33, 37, 69, 73–75, 125–129, 674f., 677–679, 692, 717 Delphina von Signe, hl. 577 Dernbach, Balthasar von 249 Descartes, René 68, 628–632 De Smedt, Charles 16, 565 De Smidt, Gilles 518 Des Rues, François 324

De Winghe, Antoine 335–337, 388, 422 Dexter, Flavius Lucius, fingierter Chronist 489 D’Holbach, Paul-Henri Thiry 1–3 Diana, Gottheit 4 Diderot, Denis 21 Dido (Desiderius) von Poitiers 634 Diecmann, Johann 484–488, 492 Dietrich von Apolda 71, 411 Diocletianus, C. Aurelius Valerius, röm. Ks. 10, 189, 191, 644 Diodorus Siculus 260f. Dionysios Areopagites 337, 427f. Dionysius, hl. 427 Dörfler-Dierken, Angelika 78 Donatianus, legendar. Gesandter 202 Donatus, Bf. von Karthago 193f. Donatus von S. Onofrio di Massa Picentina 150 Doublet, Jacob 665, 667 Droysen, Johann Gustav 57, 262, 296 Du Bellay, Guillaume 260 Du Breul, Jacques 315, 339, 409, 511 Du Cange, Charles 695, 735 Duchesne, André 65, 250–252, 258, 285, 290–293, 317, 326, 635f., 651 Duchesne, Louis 118, 120, 129, 133 Dufresnoy, Nicolas Lenglet 281f., 671 Du Loroy, Guillaume 26 Dunn-Lardeau, Brenda 500 DuPin, Louis Ellies 18, 485 Du Saussay, André 160f., 175, 186f., 189, 233, 268, 340, 461f. Du Sollier, Jean Baptiste 31, 107, 117– 121, 133, 442f., 445, 545, 553 Duv(i)anus, legendar. Gesandter 208f. Duyn, Cornelius 601, 606 Ebroin 637 Eckhart, Johann Georg von 288 Edanus (Moedóc) von Ferns, hl. 535, 538 Egemonius von Autun, hl. 161f. Eigil von Fulda, hl. 401, 403 Einhard 286, 290 Eisele, Georg 583 Eisengrein, Martin 481 Ekkehart IV. von St. Gallen 152f. Eleutherus, Papst 202–204, 208f., 211, 213 Elias 679, 707–709, 711, 718, 724, 726, 734f. Eliseus 708f., 718 Elisabeth I. von England, Kgn. 243

902 Elisabeth von Thüringen, hl. 71, 411, 578 Elvanus, legendar. Gesandter, hl. 201f., 205f., 208, 211, 213–215, 774 Emans, Jacob 739, 751 Emser, Hieronymus 47–49, 771 Endeus, hl. 563 Engelbert von Berg 578 Engels, Friedrich 371 Engratia von Zaragossa, hl. 398f. Erasmus, Desiderius 77, 102, 303, 306, 314, 412 Ernst von Hessen Rheinfels 673, 685 Ernst von Zwiefalten 579, 582f. Ernst August von Braunschweig-Lüneburg 321 Ernst, Wolfgang 252f. Estaço, Achille s. Stazio, Achille 610 Estius, Wilhelm 442, 445 Ethelbert (Aedilberct) von Kent, hl. 217f. Eucharius, Bf. von Trier, hl. 184 Eugippius 308 Eulogius, hl. 430 Eunomius von Lesina, hl. 145f. Euphronius von Tours 188 Eusebius, legendar. „Prior“ vom Berg Neroi 734, 744 Eusebius vom Viktorsberg, hl. 151f., 154f., 187 Eusebius von Bologna 179f. Eusebius von Kaisareia 187, 189, 191, 350, 359 Eustasius von Luxeuil, hl. 111 Eustasius von Montevergine 150 Evans, Richard J. 294f. Everardus von Piacenza 142 Faber, Honoratus 29 Fabricius, Johann Albert 19 Facio, Bartolomeo 301 Faga(u)nus, legendar. Gesandter 208f. Faino, Bernardino 329, 468–471, 584, 770 Fanchea, hl. 563 Faure, Jean 299 Faustinus, hl. 470f. Fechin, hl. 524–528, 547f. Feldner, Daniel 151f., 154f., 157f., 583f. Ferdinand II., Ks. 440 Ferdinand III., Ks. 440 Ferrari, Filippo 159, 161–167, 170f., 173– 175, 177f., 180, 189, 201, 340, 460f., 466, 469, 502 Ferrari, Michele Camillo 401, 764

Ferreri, Giovanni Stefano 731 Fèvre, Justin 15 Fichtenau, Heinrich 76 Fidelis von Sigmaringen, hl. 440f. Filanus, hl. 135 Finghin, Kg. von Munster 564 Finnian, hl. 540f. Fintán von Clonenagh, hl. 536, 538, 569 Fintán von Dún Bléisci, hl. 540, 544–546 Fiorentini, Francesco Maria 700 Firmianus, hl. 147 Fischart, Johann 488 Fisher, John, hl. 447 Fitzsimon, Henry 459f., 519, 521–526, 528f., 531f., 540, 542, 544, 547, 567f. Flacius, Matthias 345f., 357, 372, 374 Flavius von Reims, hl. 509 Fleischer, Dirk 55–57, 756 Fleming, Patrick 28, 519, 567, 570, 572 Fleury, Claude 642 Flodoard von Reims 510 Florentius von Straßburg, hl. 578 Flórez, Enrique 399 Florus von Lyon 511 Fontanini, Giusto 700 Forest, John, sel. 447 Fortunatus von Todi, hl. 623 Foxe, John 80f., 447, 576, 578 Francesco da Fiano 312 Francisco de Santa Maria 716 Francisco, Pedro 397 François de Bonne-Espérance 677, 694, 749, 752 Franziskus von Assisi, hl. 265, 488 Fredegar 291, 651f. Fridolin von Säckingen, hl. 472, 474 Friedrich I., Ks. 744 Friedrich Wilhelm IV. von Preußen, Kg. 366 Fros, Henryk 614f. Frotonius 5 Fructuosus, hl. 430 Fruytiers, Philip 222 Fuchs, Thomas 343, 374 Fürstenberg, Ferdinand von 29, 660, 674 Fueter, Eduard 44–46, 51, 103, 261, 343, 410 Fugatius, legendar. Gesandter 202, 206, 215 Fulgentius von Ruspe, hl. 269, 339, 490f., 766 Fumaroli, Marc 223f.

903 Furetière, Antoine 22 Fursa, hl. 540 Galilei, Galileo 68 Gallois, Jean 331, 411 Gallus, hl. 157 Gamans, Johannes 36–38, 418f., 578, 581, 765 Garnefeld, Georg 480, 501, 507–510 Gassendi, Pierre 323 Gatterer, Johann Christoph 286–289, 293, 309, 410, 756 Gaudentius von Verona, hl. 622 Gawlick, Günter 96 Gebehard von Augsburg 404, 406, 762 Gelasius I., Papst 429, 431 Gelasius von Piacenza, hl. 142 Gelen(s)ius, Aegidius 185, 650 Gellius, Aulus 262 Genette, Gérard 101 Genovefa, hl. 110, 339, 507f., 510, 512– 514 Gentilis von Ravenna 436 Gentius (Geens/Gheens), Antonius 419, 479 Geoffrey of Monmouth 208, 210f. Georg, hl. 427 Georg von Sachsen, der Bärtige, Hzg. 48 Gerardesca, sel. 30 Germanus, hl. 512 Germier von Toulouse, hl. 6–8 Germon, Barthélémy 672f. Gertrud van Oosten 436f., 759 Gervasius, hl. 359 Gessen, Jean 415 Ghirardacci, Cherubino 178–180 Gielemans, Johannes 419 Gildas 204, 209 Gildemeister, Johann 368 Giordano, Giovanni Giacomo 150 Giorgetti Vichi, Anna Maria 619 Giry, François 773 Gissey, Odo de 8 Giustiniani, Lorenzo, sel. 454 Glüsing, Johann Otto 484f., 487, 772 Goar 352 Godding, Robert 28, 517, 519, 521, 523, 536, 545 Godehard von Hildesheim 402 Godman, Peter 712 Görres, Joseph 366–369, 371 Goldast, Melchior 65, 152, 318

Gonzaga, Louis de, sel. 232 Goulart, Simon 79 Graus, František 51 Gregor der Große, Papst, hl. 117f., 266, 351, 380 Gregor VII., Papst 346 Gregor von Cerchiara, hl. 131 Gregor von Tours, hl. 162, 185, 187f., 251, 291, 346, 431, 668 Gregor von Utrecht, hl. 654 Grell, Chantal 58 Gretser, Jacob 314 Greven, Hermann 135 Grimoald 634, 637f. Gropper, Johann 481 Grosjean, Paul 519–522, 535, 540, 568 Grossi, Jean 723, 737–741, 745 Gudila/Gudula von Brüssel, hl. 491, 494 Gunthram, hl. 633 Haberilla, hl. 157 Hadelinus, hl. 36 Hadrian I., Papst 431, 723, 738 Hadrian II., Papst 733 Hadrian IV., Papst 744 Hadrian VI., Papst 702 Hadrian von Canterbury, hl. 135 Hadrianus, P. Aelius, röm. Ks. 175 Häse, Angelika 406 Haller, Albrecht von 5 Halloix, Pierre 34, 328, 337, 341, 422, 767 Hanquart, Lambert 382 Haraeus, Franciscus 500, 502–504 Harald Blauzahn, dän. Kg. 194, 198, 200 Hardouin, Jean 594, 670f. Hardtwig, Wolfgang 56f. Harnack, Karl Gustav Adolf von 73 Harold, Francis 32, 574 Hartmann, Martina 357 Hattstein, Anna Amalia 650 Haubrichs, Wolfgang 118 Hazard, Paul 756 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 363f. Heinrich III., Ks. 658 Heinrich IV., Ks. 658, 755 Heinrich II. von England, Kg. 2 Heinrich VIII. von England, Kg. 447 Heinrich IV. von Frankreich, Kg. 450 Heinrich von Sachsen, der Fromme, Hzg. 48 Heinrich von Sully 504 Heist, William W. 563, 565

904 Helena, Tochter des Zeus 661 Helena, Flavia Iulia, hl. 359f. Helmold von Bosau 199 Heloïse 317 Helvétius, Anne-Marie 276 Hénin, Antoine de 444 Henschen, Gottfried 16f., 39, 41, 49, 51, 134, 136, 139f., 159, 172–176, 184, 186, 194f., 198–200, 216f., 219, 222, 229, 276, 329, 335f., 338f., 341, 375, 391, 449, 467, 471, 475, 480, 488, 491, 503, 510, 512f., 516–518, 529f., 532– 540, 542, 546, 552, 554, 557, 559, 562–564, 566, 574, 584f., 591–599, 601, 603f., 607–609, 613, 615–618, 624f., 632–634, 636–640, 642–645, 647, 649–654, 656, 662, 672, 674f., 679, 704, 716f., 725, 736f., 740–742, 744, 747, 749, 759, 766, 768–770, 775 Heriger von Lobbes 637 Hermaculus, hl. 137 Hermann von St. Gallen 156 Herodotus 661 Hickethier, Knut 100 Hieronymus, Sophronius Eusebius, hl. 1, 77f., 102, 110, 115, 122f., 162, 265, 300, 306, 359, 377, 411, 552, 554, 718 Hilarion von Gaza, hl. 265 Hilarius von Arles 702 Hinkmar von Reims 351, 509 Hixta, hl. 157 Hogelande, Cornelius 630 Holstenius, Lukas 728 Hondorff, Andreas 345, 347–350, 372, 773 Honoratus von Arles, hl. 110, 123, 127 Honorius, weström. Ks. 718 Honorius III., Papst 493, 502, 708, 732, 769 Honorius IV., Papst 707, 735 Howe, John 603, 606 Hrabanus Maurus 162 Hügel, Friedrich von 16 Hugo von St. Cher 707 Humbert III. de Buenc 592 Humbert von Maroilles, hl. 276 Hume, David 3 Hunibald, legendar. Chronist 644, 774 Hus, Johannes 79, 376, 385 Jacobilli, Ludovico 28, 172–175, 467 Jacobus de Voragine 102, 308, 412f., 775 Jacquelin, Jean 604

Jakob I. von England, Kg. 243 Janin, Louis 88 Janninck, Conrad 34, 37–39, 695, 698, 700f., 706 Jardine, Lisa 319 Ibar von Beggery Island, hl. 529–531, 540 Jean de Cheminot 709, 720 Jenkins, Keith 294 Jesus Christus 1, 167, 211, 224, 228, 230– 232, 287, 326, 334, 347, 359, 361, 365, 367, 369, 382, 395, 413, 416, 482f., 527f., 718, 720, 738, 764 Ignatios von Antiocheia, hl. 136 Ignatius von Loyola, hl. 88, 232, 413, 426, 747f. Ignatius Pragensis 587 Illuminata, hl. 623 Ilting, Karl Heinz 363 Ingelheim, Anselm-Franz von 38 Innozenz III., Papst 505, 707f., 722, 728, 731 Innozenz IV., Papst 439, 707, 710, 722, 733 Innozenz X., Papst 440 Innozenz XII., Papst 686, 689, 698f., 692 Joachim von Fiore 228, 743 Johann Friedrich von Braunschweig-Lüneburg 322 Johannes, Verfasser der Offenbarung 228 Johannes I., Papst 347, 350, 596, 773 Johannes IV., Papst 597 Johannes X., Papst 733 Johannes XI., Papst 733 Johannes XXII., Papst 707, 714 Johannes XXIV., Papst 348 Johannes, Patriarch von Jerusalem 718– 723 Johannes, Bf./„Patriarch“ von Jerusalem 718, 722–725, 728f., 737f. Johannes IV. (Oxeites), Patriarch von Antiocheia 719 Johannes III. von Bourbon 408 Johannes von Hildesheim 717, 722, 734, 743 Johannes Moschus 266 Jonas 526, 717 Joseph, hl. 553 Joseph von Arimathäa 211, 214 Iovianus, Flavius, röm. Ks. 713 Iovinus, röm. Ks. (Usurpator) 186 Jovita, hl. 470f. Irene von Santarém, hl. 398

905 Irmina von Oeren, hl. 645–650, 654 Ita von Clúaincredal, hl. 542, 547f., 557, 569 Isabella Clara Eugenia von Spanien 445 Iselin, Isaak 56 Isidor von Sevilla, hl. 169 Iso von St. Gallen, hl. 153, 156 Judoci, André 573 Julia, hl. 398 Julianus Apostata, röm. Ks. 358 Julitta (und Kyriakos), hl. 10 Jupiter, Gottheit 713 Jurieu, Pierre 333, 410f. Karl I., der Große, Ks., hl. 117f., 303, 323, 431, 657f., 660, 672, 674 Karl II., der Kahle, Ks. 659 Karl III, der Dicke, Ks. 152 Karl V., Ks. 380 Karl IV. von Frankreich, Kg. 299 Karl IX. von Frankreich, Kg. 79 Karl II. von Spanien, Kg. 686f., 689, 692 Karl Martell 249 Karl von Villers 436 Karlmann 249 Karlstadt, Andreas 361 Kempowski, Walter 96 Kepler, Johannes 68 Kestner, Johann Christian 61 Kintzinger, Marion 237 Kircher, Athanasius 29, 761 Klee, Johannes 582 Klempt, Adalbert 53 Klüver, Philipp 247, 325f., 329, 764 Kölzer, Theo 659 Kojalaviþius (Kojaáowicz), Vijukas 585 Kolb, Robert 344 Konrad III., Ks. 579 Konrad von Marburg 71 Korbinian, hl. 489 Koselleck, Reinhart 53, 55, 371 Koska, Stanislaus 232 Krantz, Albert 195f., 199, 350 Kreimendahl, Lothar 96 Kritzraedt, Jacob 739 Kunegundis, hl. 78 Kyriakos (und Julitta), hl. 10 Labbé, Philippe 72, 293, 603f., 727 LaBigne, Marguerin de 726 La Croze, Mathurin Veyssière 670f. La Mothe Le Vayer, François 661

Lasson, Georg 364 Laubegeois, Antoine 397, 399f. Launoy, Jean de 713–716, 738, 746 Laurentius 111 Lauther, Georg 314 Lauze, Wiegand 374 Lawlor, Hugh Jackson 549, 552, 554 Lazari, Andrea 467 Le Blant, Edmond-Frédéric 9 Le Clerc, Jean 30 Leclercq, Henri 9 LeCointe, Charles 653, 769 LeFebvre, Louis Chantereau 640f. Le(g)ontius von Trier, hl. 184–187 Leibniz, Gottfried Wilhelm 29, 34, 37, 288, 320–322, 673f., 756, 775 LeMire, Aubert 635, 657 Le Nain de Tillemont, Louis Sébastien 63 Leo I., oström. Ks. 238 Leo IV., Papst 733 Leonard 446 Leontius, röm. Präfekt 172 Leopold I., Ks. 29, 686, 689 Leti, Gregorio 701f., 705 Le-Venier, Pierre 329, 468 Levison, Wilhelm 476–479, 604, 606 Lezana, Juan Bautista de 712, 743 Liafdagus von Ripen, hl. 194f., 199, 201 Liceria/Liciera, hl. 704, 706 Lifshitz, Felice 128 Ligota, Christopher 305f. Lipponano, Luigi 396 Lipsius, Justus 242f., 248, 303f., 314, 386 Liutprand von Cremona 318 Livius, Titus 177, 301 Löwith, Karl 53 Lorenz, Ottokar 295f. Louis Jacob de Saint Charles 586f., 589f., 592f., 598f., 606, 750 Louvet, Pierre 188 Lucenti, Giulio Ambrogi 700 Lucius, legendar. britischer Kg. 202, 204f., 208, 211, 213–215, 774 Lucius, Paul Ernst 73 Lucius, Petrus 736 Luckmann, Thomas 91 Ludanus, hl. 137 Ludolf von Sachsen 413 Ludwig I., der Fromme, Ks. 117, 672 Ludwig II., der Deutsche, Kg. 659 Ludwig VI. von Frankreich, der Dicke, Kg. 292

906 Ludwig VII. von Frankreich, Kg. 292, 505 Ludwig VIII. von Frankreich, Kg. 292 Ludwig IX. von Frankreich, der Heilige, Kg. 292, 722 Ludwig XIII. von Frankreich, Kg. 250f. Ludwig XIV. von Frankreich, Kg. 88 Lugidus, hl. 567 Luhmann, Niklas 93f. Luther, Martin 47, 124, 346, 361, 365f., 368, 383, 482 Lytens, Thomas 388, 423 Mabillon, Jean 28, 30, 32f., 254f., 271– 273, 275–277, 284, 293f., 308f., 319, 391, 409, 515f., 633, 645, 659, 667– 669, 671–673, 695, 699, 753–758, 768 Magliabechi, Antonio 30, 699, 702, 736 Maimbourg, Louis 63 Malebranche, Nicolas 29 Mallet, Edme-François 21 Manare, Olivier 389f. Manuel Komnenos, byz. Ks. 744 Marcus I., Papst 723 Marcus Aurelius Antonius, röm. Ks. 611 Margareta von Savoyen 454 Margarita von Ravenna 436f. Maria, Gottesmutter 345, 352, 416, 714 Maria I. von England, Kgn. 80 Marinus, legendar. Bf. 354 Markus, Evangelist 166 Marliani, Fabrizio 142 Marra, Aurelius 145f., 148 Marrier, Martin 317 Marsham, John 662f., 665, 668 Martène, Edmond 293 Martin I., Papst 623 Masson, Jean Papire 506, 514 Matthew Paris 209, 506 Matthews, Francis 523f., 567, 574, Mauelshagen, Franz 515, 568, 576 Maura, hl. 188 Maurus, hl. 141 Maurus von Piacenza 142 Maxima, hl. 398, 400 Maximilian I. von Bayern, Hzg. 49 Mechtundis, hl. 78 Medici, Cosimo de’ 301 Medici, Giulio de’ s. Clemens VII. Medvinus, legendar. Gesandter, hl. 201f., 205–208, 211–215, 774 Melanchthon, Philipp 383, 482 Melanius von Rennes, hl. 110

Mencke, Johann Burkhardt 287f. Mencke, Otto 329f., 696 Menestrier, Claude François 19 Mennel, Jakob 644 Merlo-Horstius, Jakob 23 Mertens, Frans Hendrik 40 Meursius, Johannes s. Van Meurs Mézeray, François Eudes de 641 Micha, Prophet 717 Michael, Erzengel 553 Minerva, Gottheit 4 Mochua von Tech Mochua, hl. 523, 547 Modesta, hl. 646–648 Modoald von Trier 646f., 650, 656 Moedóc von Ferns, hl. s. Edanus Molanus (Van der Meulen), Johannes 159, 162, 189, 376, 378–383, 407, 457–459, 461–463, 490, 501, 772 Molua, hl. s. Lugidus Mombrizio, Bonino 615–617, 625–627 Momigliano, Arnaldo 64, 241f., 248, 294 Mongelli, Giovanni 150 Montanus 351 Montesquieu, Charles de Secondat de 6, 8, 712 Moréri, Louis 18, 642, 769 Morin, Jean 328 Mosander, Jacob 480 Moses 1 Moura y Cortereal, Emanuel de 176 Müller, Johannes 375 Müller, Philipp 320 Mulsow, Martin 43 Muratori, Lodovico Antonio 34, 700f., 756 Murer, Heinrich 156 Nanthildis 646 Naucler, Johannes 481, 506 Neri, Filippo 610 Nicquet, Honoré 450–453 Nikolaus I., Papst 346, 350 Nikolaus von Kues 335 Nikolaus von Tolentino 141 Nilus 9 Norbert von Xanten, hl. 40, 227f. Noris, Enrico 702 Notburga, hl. 157f. Notker der Stammler 156 Notker von Lüttich 637 O’Clery, Michael 343, 548f. Odilia, hl. 319

907 Odo von Sully 504 Óengus 555, 557, 560 O’Flaherty, Roderick 768 Olivier, Bernard 390f., 394 Omar II., Kalif 734 Ortelius, Abraham 324 O’Sullivan Beare, Philip 459, 554f., 568 Otloh von St. Emmeram 374 Otpert, Königssohn bei Jakob Mennel 644 Otto I., Ks. 195, 198 Otto II., Ks. 194f. Otto II. von Belluno 166 Otto von Ötting, legendar. bayer. Hzg. 355 Overgaauw, Eef A. 84, 134 Palaeonydorus, Johannes 711f., 724, 733, 742, 744 Panciroli, Guido 238, 379 Pantaleon, Heinrich 378 Panvinio, Onofrio 253, 256f., 261, 298 Papebroch, Daniel 5, 7–10, 13, 16, 23, 26, 29, 32, 34, 37–40, 49, 51, 78, 87, 150, 156, 173, 320, 339, 375, 391, 397, 469–471, 475, 480, 516, 522, 531–535, 545f., 563f., 574f., 577, 586, 591, 593– 595, 597, 600f., 607, 613, 620, 632, 645, 654–668, 671, 673–675, 677, 679, 681–690, 692–696, 698–705, 709f., 713, 716, 727, 729–739, 745–752, 759, 769–771, 774 Pardaillan de Gondrin, Henri de 704 Paris, Sohn d. Priamos 661 Pâris, François de 88f. Pascal, Blaise 29 Paschasius, hl. 144f., 147–151, 153 Paschasius von Montevergine, hl. 149f. Patrick, hl. 207, 212, 516, 529, 555 Patrizi, Francesco 264 Paul II., Papst 300 Paul V., Papst 48, 460, 714 Pauli, Segerus 740f., 751 Paulinus 718, 720 Peeters, Paul 14, 24, 33, 415 Peiresc, Nicolaus Claude Fabri de 323 Perotti, Niccolò 300 Perrenot de Granvelle, Antoine 380f. Pertinax, legendar. Gesandter 205 Pertinax, P. Helvius, röm. Ks. 167 Peteau, Denis 34, 338 Petitmengin, Pierre 299 Petrarca, Francesco 52, 306 Petrus, Apostel 131, 720

Petrus, hl. 420 Petrus von Angoulême, Patriarch von Antiocheia 721 Petrus, „Patriarch von Antiocheia“, Figur der karmelit. Historiographie 718, 720 Petrus von Locedio 719 Petrus Lombardus 413 Petrus von Lydda 719 Petrus de Natalibus 180, 268, 350, 457, 500, 502 Peucer, Caspar 481f. Philon von Alexandrien 260 Philipp II. von Burgund, der Kühne, Hzg. 292 Philipp II. Augustus von Frankreich, Kg. 292, 505 Philipp IV. von Frankreich, Kg. 293, 649 Philipp II. von Spanien, Kg. 381 Philippe de la Très Sainte Trinité 716f. Philippus a Visitatione 746f. Phokas, Johannes 732 Pien, Jean 87f., 690–692, 699f. Pierozzi, Antonio 453 Pierre des Vaux-de-Cernay 315, 505 Pietra Santa 27 Piloni, Giorgio 165–167 Pippin I., der Ältere 655 Pippin III., der Jüngere 755 Pithou, François 510 Pithou, Pierre 510 Pitra, Jean-Baptiste 15, 35, 387f. Pits, John 211–213 Pius IV., Papst 455 Pius V., Papst 454f., 482 Platina 347, 350 Plummer, Charles 563 Plutarchos von Chaironeia 177 Poggio Bracciolini, Gian Francesco 311f. Polch, Johannes 140, 770 Poliziano, Angelo 113, 302 Poncelet, Albert 387, 497, 578, 613, 615, 617–622 Pontiana, hl. 141 Ponticus, Ludovicus 208f. Possidius, hl. 264 Poussines, Pierre 8 Praeiectus von Clermont, hl. 598f. Precipiano, Humbertus Guilelmus de 686 Primianus, hl. 147 Prokop von Caesarea 260 Protasius, hl. 359 Pufendorf, Samuel 29

908 Quadrigarius, Matheus (Pseud.) 298f. Quentin, Henri 107 Quesnel, Pasquier 34, 270 Rabus, Ludwig 80, 344 Radbod, Friesenhzg. 602f. Rader, Matthäus 407, 488f. Radulfus Niger 207 Rancé, Armand Jean Le Bouthilier de 754 Rapin de Thoyras, Paul 2 Raskolnikoff, Mouza 58 Rasso, hl. 87 Rathmann, Thomas 297 Ratpert von St. Gallen 152 Rautenberg, Ursula 86 Raynaud, Théophile 727 Reames, Sherry L. 411 Regentrudis 646 Regino von Prüm 352 Reginodruda, fränk. Königstochter bei Aventin 355 Reineck, Reiner 195, 198f., 316 Remigius von Reims, hl. 351, 509f. Renda, Felix 149f. Rethius, Johannes 387 Rhenanus, Beatus 302 Ribadeneira, Pedro de 17, 414 Ribot, Philipp 710–712, 718, 723, 729, 734, 743, 774 Rigobert von Reims, hl. 475, 477f., 484 Rinaldi, Odorico 609, 624 Rittershausen, Konrad 301 Rocaberti, Juan Tomás de 676, 680–682 Robert von Arbrissel 450f., 759 Robert von St. Marianus 504 Robert, Claude 161f., 187, 504 Roberti, Jean 401 Rodríguez, Alonso 415f. Romana, hl. 423 Ronge, Johannes 366, 370 Rosenthal, Anselm 84, 456 Rossi, Giovanni Battista de 118, 120f., 133 Rosweyde, Heribert 15–17, 25, 29, 32, 34, 67, 109, 114f., 117, 134, 138, 182, 129, 329–332, 339–342, 379, 381, 384, 386–391, 394–397, 400f., 407f., 414– 417, 420, 422f., 459–461, 464, 466, 485, 492, 497, 518–523, 543, 554, 593, 601, 606, 608, 610–612, 616, 624, 758f., 762, 764f., 771f. Roveen, Philippe 442 Rüsen, Jörn 54, 56–60

Rufinus, hl. 621f. Rufinus von Aquileia 189, 359 Ruinart, Thierry 8–10 Ruotger von Köln 353 Rupert von Salzburg, hl. 355f. Rustici, Cencio de’ 312 Rusticus, legendar. Bf. von Trier 352 Ruysbroek, Jan 417 Sabbadini, Marcantonio 179 Sabinus von Lesina, hl. 145–147 Sabinus von Piacenza, hl. 142 Sacchi, Bartolomeo s. Platina Sadalberga (Salaberga), hl. 638–640 Sallmann, Jean-Michel 77 Salvator von Belluno, hl. 163–167, 187 Sanseverino, Lucio 442, 444f. Santalla, Tirso González de 683 Sarbiewski, Mathias Casimir 584f. Saur, Abraham 344f. Saussure, Ferdinand de 95 Savio, Fidèle 471 Savonarola, Girolamo 376 Scaliger, Joseph Justus 238 Schedel, Hartmann 348, 513 Scheiner, Christoph 761 Schelling, Blasius 447 Schelstrate, Emmanuel 30, 32, 702, 704 Schieder, Wolfgang 369 Schiller, Friedrich von 756 Schlözer, August Ludwig 55, 61, 756 Schneider, Bernhard 370 Schönmann, Heinrich 37–39 Schott, Andreas 407 Schwalbach, Johann Friedrich 250 Scribani, Charles 395 Sebastian, hl. 123f. Sébastien de Saint-Paul 677, 681, 683f., 686, 689f., 695, 701, 706 Seelmann, Hoo Nam 363 Ségéne von Iona 570 Semler, Johann Salomo 284–290, 293, 309, 410 Senán, hl. 534 Sennert, Daniel 100 Sergius I., Papst 111, 117 Sergius V., vermeintl. Papst 733 Seuse, Heinrich 417, 422, 436, 759 Severinus, hl. 308 Severus von Ravenna, hl. 626 Sharpe, Richard 521, 545, 563 Sheeran, Thomas 531, 564, 567

909 Sherlock, Paul 341, 568, 727 Sidonius Apollinaris 184 Sigebert, fränk. Kg. bei Regino von Prüm 352 Sigebert von Gembloux 350, 353, 635 Sigibert III., hl. 634, 637f., 642, 647 Sigibert IV. 644 Signori, Gabriela 78 Sigonio, Carlo 178, 253, 261 Sirgilius III., vermeintl. Papst 733 Sirmond, Jacques 338, 490, 510, 595, 634, 636 Sirus, hl. 167 Sixtus V., Papst 299, 433 Sleidanus, Johannes 345, 481 Sötern, Philipp Christoph von 182 Sosiander, hl. 4 Soto, Andrés de 445 Southwell, Nathanael 17 Spada, Cesare 611 Spangenberg, Cyriacus 373 Spiess, Modestus 154f. Spinola, Carlo, sel. 232 Spinoza, Baruch de 29 Srbik, Heinrich von 44f. Stapelage, Friedrich 481 Stazio, Achille 610 Stephan V., Papst 733 Stephan von Salagnac 721 Stilting, Johannes 31, 614f. Stock, Simon hl. 714, 745f. Stuart, Maria 83 Sturmi von Fulda, hl. 401, 403 Suger von St. Denis 292 Suidas 238 Suire, Éric 86 Sulpicius (II.) von Bourges, hl. 136 Surius, Laurentius 67, 252, 268, 341, 387, 391, 394, 396, 405, 417, 419, 422, 436, 478–488, 490–494, 496–498, 501f., 504, 508–510, 600–603, 615f., 627, 759, 763, 771 Sven Gabelbart, dän. Kg. 201 Swanyngton, Peter 746 Sybel, Heinrich von 368 Symeon Stylites d. Ä., hl. 36, 110 Symeon Stylites d. J., hl. 110 Tacitus, Gaius Cornelius 247f., 303 Tamayo de Salazar, Juan 175f., 398 Tamayo de Vargas, Tomás 318 Tanchelm 385

Tanner, Matthias 447f. Tassilo III. von Bayern, Hzg. 489 Tauler, Johannes 417 Tekusa, hl. 4 Tellurius, hl. 147 Tentzel, Wilhelm Ernst 697f. Terentianus von Todi, hl. 614f., 623 Termus, Gottheit 713 Tertullianus, Quintus Septimius Florens 203 Tetzel, Johannes 366 Thangmar 411, 775 Theodebertus, bayer. Königssohn bei Aventin 355 Theoderich der Große 347 Theodo von Bayern, Hzg. 355–357 Theodoretus, fränk. Kg. bei Aventin 355 Theodorich I., Bf. von Metz 352 Theodot, hl. 4, 8–10, 410 Theowald von Bozen, Bruder Ottos von Ötting bei Aventin 355 Theuderich I. 249 Theuderich III. 636f. Theuderich IV. 644, 667 Thiersault, Guillaume 586 Thiofrid von Echternach 401 Thomas von Aquin, hl. 348 Thomas von Celano 265 Thomas von Kempen 415 Thomas, vermeintl. Bf. von Florenz 736 Thou, Jacques-Auguste de 315 Tiberius Claudius Nero, röm. Ks. 204 Tiškeviþius (Tyszkiewicz), Georgius (IV.) 585 Tornoald von Paris 8 Trebellius, legendar. Gesandter 205 Trithemius, Johannes 78, 274, 644, 646, 723–725, 748, 774 Turinetti, Giovanni Giacomo 467, 475 Ughelli, Ferdinando 144, 161, 166f., 173, 180, 660f., 700 Ulrich von Augsburg, hl. 345f., 350, 386, 404–406, 762 Unni von Hamburg-Bremen 198 Urban VIII., Papst 27, 433f., 438, 440, 443 Ursula, hl. 78, 147, 348, 350, 577, 773 Ussher, James 214–216, 326, 521, 531, 570, 774 Usuardus 34, 110, 134, 159, 162, 379, 381, 457, 461

910 Valentin, Bf., hl. 488–490 Valentin, Presbyter, hl. 613, 615–619 Valentin von Terni, hl. 613, 615, 619, 625 Valla, Lorenzo 301 Valladares, Diego Sarmiento de 676 Valois, Adrien 637–643, 645, 647f., 653, 661, 768f. Van Boecholt, Zweder 417, 532, 606, 616, 618 Van den Bossche, Pierre 37, 39, 706 Van den Eede, Aubert 749f. Van den Gheyn, Joseph 129f., 132–134, 417, 471, 576, 615, 618 Van den Hove, Matthias 444f. Van der Straeten, Jacques 339–341 Van de Velde, Jean 519, 771 Van de Vorst, Charles 677 Van Diepenbeeck, Abraham 234 Van Haemstede, Adriaan Cornelisz 81, 376, 378 Van Leeuwen, Quirinus 314 Van Meurs, Johannes 35, 326, 328 Van Ortroy, François 677 Van Quaille, Jacques 611 Vastovius, Johannes 194–196, 198f., 466 Venantius von Camerino, hl. 703 Venantius Fortunatus 184 Verace, Vincenzo 150 Veraja, Fabijan 454 Vergil, Publius Vergilius Maro 177 Verstegan, Richard 83, 447f. Victor von St. Gallen 155 Victor (von Braga), hl. 398f. Victor (und Corona), hl. 625 Vigilantius 359 Vignier, Jérôme 319 Villalobos, Juan Feyxoo de 698 Vincentius von Lérin 702 Vincenz von Beauvais 352 Vinzenz Ferrer, hl. 228 Viperano, Giovanni Antonio 52f. Visquin/Vifquin, Philippe s. Philippus a Visitatione Virunnius s. Ponticus, Ludovicus Vitelleschi, Mutius 27, 329, 461 Vives, Juan Luis 411f. Völkel, Markus 100, 259 Vogel, Sabine 298 Voltaire (François-Marie Arouet) 4–6, 8f., 61, 410f. Voss, Gerhard Johann 23, 25f., 35, 326, 329, 764

Vregille, Bernard de 592–594, 598 Vulframnus, von Sens, hl. 600–604, 606f. Wadding, Lucas 343 Wagner, Liborius 447 Walther, legendar. Königssohn 644 Walther, Gerrit 670 Wamba, Kg. der Westgoten 325 Wandregisilus, hl. 251 Ward, Hugh 28, 341–343, 517, 523–527, 529, 532, 534f., 537, 541–543, 547– 549, 552, 554f., 563f., 567–573, 575, Wastald legendar. Chronist 644 Wegele, Franz Xaver 44f. Wegmann, Nikolaus 297 Welser, Anton 314 Welser, Marcus 308f., 314, 386, 394, 404– 408, 410, 762f. Wheelocke, Abraham 217 White, Stephen 115–118, 520f., 542, 544 Wibrandis, hl. 78 Wilfrid von York 636f., 640 Wilhelm X., Hzg. von Aquitanien 503, 773 Wilhelm von Donjeon, hl. 485, 488, 492– 499, 501–505, 507 Wilhelm von Gellone, hl. 503 Wilhelm von Malavalle, hl. 140, 503f., 773 Wilhelm von Nangis 292 Wilhelm von Vercelli 149f. Wilhelm von Tyrus 719 William von Malmesbury 636–639 William von Newburgh 208, 210 William von Sandwich 710–712 Willibald 374f. Willibald von Eichstätt 375 Willibrord 108, 111, 648 Wilson, Thomas 201, 213, 217, 458, 466 Wiltheim, Alexander 32, 182, 658, 735 Wion d’Herouval, Antoine 674, 685, 695 Wittwer, Wilhelm 406 Witzel, Georg 411, 413 Wulfoald 638 Xanthopulos, Nikephoros Kallistos 189 Xaramilio, Antonio 687, 696, 699 Xavier, Franz, hl. 231f., 748 Zechetner, Franz Sales 582 Zedelmaier, Helmut 43 Zedler, Johann Heinrich 643 Zephyrinus, Papst 123

911 Zwingli, Huldrych 361

Zyllesius, Nikolaus 657f., 660

Namen der martyrologischen Tradition Abachus 126–128 Agapa 174 Aggaeus 177 Alexander 107 Amantius 131 Amantus 129 Ambacus 127 Ananus 122f., 125–127 Audifax 126f. Beatus 130 Caesarius 129 Ca(i)us 108 Caius 177 Camillus 175f., 187 Castula 174 Castulus 171, 174 Ememrianus 122f. Fabianus 122f., 128 Faustinus 114 Faustus 114 Gregorius 129, 131 Heraclus 108 Hermes 108, 177 Honoratus 108, 122f., 127 Honorius 122f., 127 Iactus 108 Ioannes 175 Leucius 108 Lucius 171, 175f.

Maccares 105 Macrobius 105 Magnus 171, 175f. Marcellus 122 Marius 122f., 125f., 134 Martha 126f., 617f. Marus 122, 125–128, 134, 617f. Naffanianus 114, 127, 553 Naffavianus 127f. Namphanion 114 Perpetua 129, 131 Porphyrius 129, 131 Primianus 108 Primus 129 Priscella 122 Priscilla 122 Publius 129 Publus 132 Quartus 129 Rogatus 175 Saturninus 108, 114, 171, 174f. Saturus 129 Secunda 129, 132 Secundus 132 Sublus 132 Victor 108 Victor 129 Victorina 129, 132 Victorinus 132

Handschriften Brüssel, Bibliothèque royale de Belgique Ms. 5100–4 549, 556 Ms. 7569 158, 418–420, 437, 475f., 543– 546, 752 Ms. 7762 138, 418, 502 Ms. 7763 140, 419, 421, 536–541, 546, 618 Ms. 8004–17 141, 151,154–157, 584, 586f., 589, 592, 598–601, 603, 607, 609f., 614–616, 618, 620–623, 625f.

Ms. 8182–90 173, 329, 418, 467f. Ms. 8194–99 329, 468f., 471 Ms. 8228 36, 450, 452, 577, 604f., 611 Ms. 8530–34 418, 519, 547 Ms. 8590–98 397–399, 520, 716, 739, 741, 751 Ms. 8935 36, 418, 473, 578–583 Ms. 9636–37 477 Ms. 14649 134–138, 162, 174, 181