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German Pages 320 [324] Year 1980
STUDIEN ZUR DEUTSCHEN LITERATUR
Herausgegeben von Wilfried Barner, Richard Brinkmann und Friedrich Sengle
Band 62
Manfred Beetz
Rhetorische Logik Prämissen der deutschen Lyrik im Übergang vom 17. zum 18. Jahrhundert
Max Niemeyer Verlag Tübingen 1980
Gedruckt mit Unterstützung der Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG Wort GmbH.
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Beetz, Manfred: Rhetorische Logik: Prämissen d. dt. Lyrik im Übergang vom 17. zum 18. Jh. / Manfred Beetz. - Tübingen : Niemeyer, 1980. (Studien zur deutschen Literatur ; Bd. 62) ISBN 3-484-18058-7
ISBN 3-484-18058-7
ISSN 0081-7236
© Max Niemeyer Verlag Tübingen 1980 Alle Rechte vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, das Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege zu vervielfältigen. Printed in Germany. Satz: Eisele, Stuttgart Druck: Wörner, Gerlingen
FÜR WALTER MÜLLER-SEIDEL ZUM 60. GEBURTSTAG
Inhaltsverzeichnis
VORVORT
IX
I. EINFÜHRUNG
i
1. Probleme der Untersuchung 2. Zur Forschungssituation 3. Das Thema
i n 20
a) Relevanz der Fragestellung b) Zum Titeletikett >Rhetorische Logik«
20 24
II. WEISES STELLUNG IN DER LOGIKGESCHICHTE
27
1. Christian Weise und die Logiktradition 2. Die zeitspezifische Verbindung von Logik und Rhetorik um 1700
27
35
a) Rhetorische Logik als Ausdruck einer Übergangssituation . b) Antischolastische Polemik
3y 44
III. LOGIK UND RHETORIK ALS NACHBARFÄCHER IM BILDUNGSWESEN
51
i. Das Verbundsystem der Schuldisziplinen Logik und Rhetorik vom 16. bis ins 18. Jahrhundert . . . . . . . .
52
a) Lehrpläne und Prüfungsordnungen an Lateinschulen und Universitäten b) Logik- und Rhetoriklehrstühle in Personalunion . . .
52 60
.
2. Der Disputatiobetrieb a) Strukturelemente und Typologie der Disputatio . . . . b) Historische Bestandsaufnahme der Disputatio als Bildungsfaktor im 16. und 17. Jahrhundert c) Transformierungen des Disputationswesens in der Epochenwende vom 17. zum 18. Jahrhundert (i) Disputatorik und Galanterie (ii) Veränderte Ansprüche der Frühaufklärung an die Disputatio.
70 77 85 89 90 99 VII
IV. SYSTEMATISCHE RELATIONEN ZWISCHEN RHETORIK- UND LOGIKTHEORIE
109
1. Generelle Feststellungen über Koinzidenzen und Differenzen der Theoriesysteme von Rhetorik und Logik . . . . a) Übereinstimmungen oder Konvergenzen b) Komplementäre Differenzen
no 110 116
2. Topische Inventio a) Begriffsklärungen b) Die logische Basis des rhetorischen Topiksystems . . . . (i) Definition und Deskription (ii) Die loci causarum c) Toposlehre im Wandel vom 17. zum 18. Jahrhundert . . .
120 122 131 136 139 144
3. Dispositionelle Logik a) Beweisverfahren (i) Inductio und Paradeigma (ii) Deduktive Schlüsse b) Chrientheorie c) Gattungen als Argumentationsmuster (i) Lyrikgenres (ii) Epigrammatik
161 163 168 176 190 198 198 205
V. VON SOPHISTISCHER ARGUTIA ZUR SACHLOGIK 1. Acutezza im 17. Jahrhundert a) Die Argutia im Kommunikationsspiel zwischen Autor und Leser b) Logik und Argutezza (i) die argute Heuristik der Fonteslehre (ii) Besonderheiten der Argutezza gegenüber der ars logica . c) Das Scharfsinnpostulat in der Gattungspoetik der Lyrik . .
210 216 218 234 238
2. Poeta sophisticus a) Sophistisch-argute Trugschlüsse b) »Er ist fromm, aber wenn er schiäfft«
245 245 259
3. Die Verabschiedung arguter Sophistik und Hinwendung der frühen Aufklärungsästhetik zur Logik
266
LITERATURHINWEISE 1. Quellen 2. Neuere wissenschaftliche Literatur
VIII
209 209
284 284 301
Vorwort
Bei dem Versuch, die Aufmerksamkeit von Literarhistorikern auf die Relevanz der traditionellen Logik für die Lyrik der Epoche zwischen Barock und Aufklärung zu lenken, bin ich von verschiedenen Seiten unterstützt worden. Herrn Prof. Dr. Walter Müller-Seidel habe ich für die Themenstellung, Herrn Prof. Dr. Karl Richter für die Betreuung der Arbeit zu danken und Herrn Prof. Dr. Wilfried Barner für ihre Aufnahme in die Reihe >Studien zur deutschen Literatur^ Besonders fühle ich mich auch Herrn Prof. Dr. Wilhelm Risse verpflichtet, der mit freundlicher Kritik und sachkundigen Ratschlägen den Fortgang der Untersuchung begleitete. Mein Dank gilt ferner den Universitätsbibliotheken von Saarbrücken und München, sowie der Bayerischen Staatsbibliothek für die Beschaffung der oft entlegenen Literatur.
Zur Zitierweise: Der Text der Originaldrucke ist möglichst buchstaben- und zeichengetreu wiedergegeben. Abkürzungen werden aus den Vorlagen übernommen, Druckfehler gekennzeichnet. Unberücksichtigt blieben typographische Unterscheidungen in den Originalwerken zwischen Fraktur und Antiqua, außerdem die Kennzeichnung von Umlauten durch hochgestelltes e; sie wurden in der modernen Schreibweise angeführt. Bei unpaginierten Seiten (gewöhnlich Vorreden) bot sich die Einteilung in Druckbögen an: ') : (4' bedeutet, daß die Seite im Original ebenso gekennzeichnet ist; '[):(4]', daß sie unpaginiert war, und ihr die entsprechende Ziffer nach unserer Zählung zukommt. ' [ ) : ( 4 r ] ' bezeichnet die Rückseite von ') : ( 4' bzw. '[) : ( 4]'. IX
I. Einf hrung
ι. Probleme der Untersuchung F r die Er rterung eines bergreifenden Bildungs- und Denksystems, das mit rhetorische Logikx apostrophiert wird, und von dem, wie der Untertitel der Arbeit suggeriert, Auswirkungen auf die Konzeption literarischer Textsorten um 1700 feststellbar sind, zeichnen sich Untersuchungskomplexe systematischer und historischer Art ab. Als erstes ist zu diskutieren, was die beiden Systeme von Logik und Rhetorik gegen Ende des 17. und zu Beginn des 18. Jahrhunderts miteinander verbindet. Sollten n here Zusammenh nge aufweisbar sein, schlie t sich die weitere Frage an, inwiefern die Tradition rhetorischer Logik als Verstehensbedingung f r sp tbarocke Lyriktexte gelten darf. Im Blickpunkt der Untersuchung werden Texte von ca. 1680-1730 stehen, von Autoren aus der bergangsepoche zwischen Barock und Aufkl rung. Man kann damit rechnen, da der Bezug sowohl zwischen Logik und Rhetorik wie zwischen den Theoriesystemen und der Lyrik dieser bergangszeit im Verlauf des abgegrenzten Zeitraums bestimmten Ver nderungen unterliegt. Die benannten systematischen Problemstellungen lassen schwerlich auf Anhieb ergiebige Forschungsperspektiven vermuten; sie provozieren eher Einw nde. Denn schlie lich trennen auch im Selbstverst ndnis des 17. und 18. Jahrhunderts fundamentale Unterschiede das Lehrsystem der traditionellen Logik von dem der Rhetorik und schon gar von dem der Poesie. Die Logik fungiert seit alters auch als Wissenschaftstheorie oder doch als Werkzeug aller Wissenschaften.1 Mit gewissem Recht konfrontiert Vossius die Einzelwissenschaft Rhetorik mit der Universaldisziplin 1
Aristoteles: Topik I, 2, ιοί b: »(...) προς τάς άπασών των μεθόδων αρχάς όδόν έχει«. (ARISTOTELIS TOPICA ET SOPHISTICI ELENCHI, ed. W. D. Ross, Oxon 1963, 3). Petrus Hispanus: »Dialectica est ars artium et scientia scientiarum omnium methodorum principia viam habens.« PETRI HISPANI SUMMULAE LOGICALES, hg. v. I. M. Bochenski, Torino 1947, i. Melanchthon kommentiert die ber hmte Er ffnung der »Summulae logicales« in »EROTEMATUM DIALECTICES«. PHILIPPI MELANTHONIS OPERA QUAE
Logik.2 Ihr Zweck stellt die Ermittlung der Wahrheit dar. Die Rhetorik hingegen wurde als Instrument speziell des gesellschaftlich-praktischen Lebens ausgebildet und blieb weniger der Wahrheit als bestimmten Wirkungsintentionen verpflichtet. In der Antike steht der Redner mitten im staatlichen Leben und tritt als Politiker hervor. Der Philosoph setzt sich für Quintilian dem Verdacht des Eskapismus von den Aufgaben der res publica aus.3 Auch in der Frühaufklärung melden sich Stimmen, die in realistischer Einschätzung die persuasio der Rhetorik im sozialen und politischen Leben für höher und effektiver veranschlagen als die Argumente der Logik.4 Rhetorisch agieren heißt kommunikativ agieren wollen, und die Lehre der Rhetorik ersetzte bis weit über das 1 8. Jahrhundert hinaus zentrale Bereiche einer Kommunikationstheorie. Logisches Denken hingegen bleibt per se inkommunikativ, ein bloßes Kopfgespräch.5 »Die Vernunftkunst wird den Fischen zugeschrieben«, belehrt uns Harsdoerffer, »welche sonsten so stumm sind als des Pythagorae Schüler.«8 Die Lehre der Logik als Begriffs-, Urteils- und Schlußtheorie beschäftigt sich nur am Rande mit der Mitteilung von Wahrheiten. Entsprechend stellte die Tradition Logik und Rhetorik einander als »innerliche« und »äußerliche« Rede gegenüber.7 Ferner unterscheiden SUPERSUNT OMNIA, Bd. 13, hg. v. C. G. Bretschneider. Haies Saxonum 1846, Sp. 515. Vgl. ders.: De artibus liberalibus (1517). In: Melanchthons Werke in Auswahl, hg. v. R. Stupperich. III. Gütersloh 1961, 21: »sola mihi omnium mater artium haberi posse.« Ähnlich: DANIELIS GEORGI MORHOFI POLYHISTOR LITERARIVS PHILOSOPHICVS ET PRACTICVS (. . .) ed. a. JOHANNE MOLLERO. LVBECAE 1714*. Polyhistor.
2
3
4 5
liter. II, XI, 12, S. 460 u. II, IV, 9, S. 344. Für Leibniz ist die Logik »aller Künste und Wissenschaften Schlüssel«. Leibniz, Gottfried Wilhelm: Fragmente zur Logik. Hg. v. Franz Schmidt, Berlin 1960, 3. Cf. auch Thomasius, Christian: Auszübung der Vernunfft-Lehre (. . .) Halle 1691, Neudruck Hildesheim 1968, 26. Vossius, Gerhardus loh.: DE LOGICES ET RHETORICAE Natura & Constitutione LIBRI n. Hagae-Comitis 1658, Rhetorica 120. M. FABII QUINTILIANI INSTITUTIONS ORATORIAE LIBRI XII, XII, 2, 6, hg. V.
H. Rahn, Darmstadt 1972 (i. Bd.). Vgl. 2. Bd., ebd., 1975, 706. Müller, Gottfried Polykarp: IDEA ELOQUENTIAE NOV-ANTIQUAE. Leipzig Zum monologischen Charakter der Logik und kommunikativen der Rhetorik, Vgl. M. TVLLI CICERONIS SCRIPTA QUAE MANSERVNT OMNIA FASC. 48, BIBLIOTHECA SCRIPTORVM GRAECORVM ET ROMANORVM TEVBNERIANA, Leipzig
1963, 54 (Cicero, De officiis I, 44, 156). ' Harsdoerffer, Georg Philipp: Die Vernunftkunst. In: ders.: Frauenzimmer Gesprächspiele, V. Teil, hg. v. Irmgard Böttcher, Tübingen 1969, 126. 1 So Ratke, Wolf gang: Die Erkenntnislehre der christlichen Schule. In: ders.: Allunterweisung. Schriften zur Bildungs-, Wissenschafts- und Gesellschaftsreform. Hg. v. G. Hohendorf u. F. Hof mann, Berlin 1970, Teil i, 164.
sich die Zielgruppen beider Disziplinen erheblich. Noch J. J. Breitinger, der es als Verfasser eines Logiklehrbuches wissen muß,8 hält wie Melanchthon das Studium der Logik für ein zu beschwerliches Geschäft, als daß es breiteren Schichten zugemutet werden könnte, wohingegen die Betätigung in Poesie und Rhetorik, den artes populäres, dem lesefähigen Publikum allgemein zustatten komme.9 Der Rhetoriker hat sich nach Hallbauer zu hüten, die Auffassungskraft seiner Hörer zu überfordern, während der Logiker mit kompetenteren Rezipienten rechnen darf.10 Logiktheorie bleibt in jedem Fall der Gelehrtenschicht vorbehalten; das Vermittlungsmedium der Lehre ist Latein. Die Mehrzahl der Rhetoriken um 1700 erscheint dagegen in Deutsch und trägt so einem doch wohl größeren Interessentenkreis Rechnung. Aus dem verschiedenen Publikumsbezug der Disziplinen entwickelte schon Quintilian Konsequenzen für den Einsatz unterschiedlicher Mittel, die auf jeweils andere Fähigkeiten der Adressaten gemünzt sind. In der Dialektik suchen Gebildete mit Gebildeten nach der Wahrheit, mit Argumenten, die den Intellekt überzeugen wollen. Der Redner hingegen tritt oft vor Ungebildete, d. h. er ist darauf angewiesen, mit abwechslungsreicher Rede emotionale Wirkungen, Ergötzen zu erzielen.11 Über das äocere der Logik hinaus fallen der Rhetorik auch die Aufgaben des delectare und movers zu.12 Wer sich mit Logik abgibt, benötigt in erster Linie einen scharfen Verstand; der Redner ist - neben indicium - auf Phantasie, Formulierungsgabe und Gedächtnis angewiesen. Der >Vernunftlehrer< verbessert den Verstand, indem er mit Vorurteilen aufräumt, während sich der Redner der intellektuellen Kapazität und den Vorurteilen des Hörers nur zu gerne anpaßt.13 Die Kunst, gut 8 9
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Breitinger, Johann Jacob: ARTIS COGITANDI PRINCIPIA (. . .) Tiguri 1736. Vgl. Breitinger, J. J.: Critische Dichtkunst. (1740) Neudruck Stuttgart 1966, i.Bd., 8 f. Melanchthon, Ph.: Compendiaria dialectices ratio, Lipsiae 1520, fol. Azr, nach Risse, Wilhelm: Die Logik der Neuzeit. i.Bd., Stuttgart 1964, 84. Hallbauer, Friedrich Andreas: Anweisung Zur Verbesserten Teutschen Oratorie (. . .) (1725*) Jena 1736*, 186. M. FABII QUINTILIANI INSTITUTIONS ORATORIAE LIBRI XII, V,
14, 28 ff.,
hg.
v. H. Rahn, Darmstadt 1972, i. Bd. 662 ff. Vgl. auch XII, 10, 52, 2. Bd. 776. Vgl. auch Vossius, a.a.O. 37. Valla, Laurentius: Opera omnia, 2 Bde., hg. v. E. Garin. Torino 1962, I, 693. Zit. nach Gerl, Hanna-Barbara: Rhetorik als Philosophie. Lorenzo Valla. München 1974, 230. Müller, Gottfried Polykarp: IDEA ELOQUENTIAE NOV-ANTIQUAE. Leipzig Bacon, Francis: DE DIGNITATE ET AUGMENTIS SCIENTIARUM LIBRI ix. In: J. Spedding - R. L. Ellis - D. N. Heath (Hg.): The works of Francis Bacon, Vol. , (London 1858), Neudr. Stuttgart 1963, 673.
zu sprechen, liefert nicht wie die Kunst, richtig zu denken, wahre Sätze, sondern lediglich wahrscheinliche; wahre Erkenntnisse vermag die Redekunst allenfalls auszuschmücken, nicht aber wie die Logik zu finden.14 >Wahrheiten< werden in der pragmatischen Disziplin >Rhetorik< situationsgebunden behandelt; der Wahrheitsbegriff der Logik ist situationsunabhängig. Beweistechniken zum Beispiel erlangen zwar für jede der Disziplinen Bedeutung, jedoch in charakteristischer Verschiebung: logische Beweise haben unterschiedslos bei allen Rezipienten das gleiche Aussehen; rhetorische variieren je nach Zielgruppen.15 Die Argumenta probantia der Rhetorik will G. P. Müller nicht mit denen der Logik verwechselt sehen.16 Ihrer formalen Präsentation nach kommen rhetorische »Beweise« ohne logische Termini technici und die Fessel des Syllogismus aus. Dispositionen geht man in der Logik nach systematischen Gesichtspunkten vor, während die Rhetorik auf eine persuasiv wirksame Anordnung hinarbeitet.17 Innerhalb der Elocutio wird herkömmlicherweise der Logik Knappheit und Exaktheit des Ausdrucks abverlangt; der Redekunst gestattet man Ausschmückung und einen glänzenden Stil.18 Noch unergiebiger und allzuweit hergeholt erscheinen vorderhand Hypothesen, die zur Erklärung der Lyrik um 1700 die Logiklehre der Zeit heranziehen. Ein Gedicht unterscheidet sich seiner Funktion nach und formal extrem von einer logischen Beweisführung, so daß an verfahrenstechnische und strukturelle Übereinstimmungen augenscheinlich nicht zu denken ist. Wir sind daran gewöhnt, Fiktionalität als konstitutiv für Poesie anzusehen.19 Logiker des frühen 18. Jahrhunderts streben explizit Sachhaltigkeit und Übereinstimmung von Gedankenprozessen mit realen Gegebenheiten an. Weil die Logik der Wissenschaft dient, sind Wörter 14 15 19 17 18
19
Müller, G. P. a.a.O. 91. Zum bloßen Plausibilitätscharakter rhetorischer Aussagen, cf. Vossius, a.a.O. y i . Bacon, a.a.O. Müller, G. P. a.a.O. S6. Vossius, a.a.O. 121. Sattler, Johann Rudolf: Werbungs=Büchlein (...) Basel 1633', i. Vgl. Sinemus, Volker: Stilordnung, Kleiderordnung und Gesellschaftsordnung im 17. Jahrhundert. In: A. Schöne (Hg.): Stadt - Schule - Universität - Buchwesen und die deutsche Literatur im 17. Jahrhundert. (Barocksymposion 1974 in Wolfenbüttel) München 1976, 23. Melanchthon, Philipp: Compendiaria dialectices ratio. Lipsiae 1520, [A2r]; ders. Erotemata dialectices (1548) [zr] f. Kate Harnburgers gattungstheoretischer Versuch jedenfalls, die Lyrik als nicht-fiktional von Epik (mit Ausnahme des Ich-Romans) und Dramatik abzusetzen, stieß bei der Forschung auf begründeten Widerspruch. Vgl. Hamburger, Kate: Die Logik der Dichtung. Stuttgart ijöS2, 12 f. 187 ff.
für sie Begriffszeichen, deren Gehalt in ihrer abstrakten Bedeutung aufgeht. Für Poesie hat ein Wort vor allem konkrete, sinnlich veranschaulichende Funktionen. Ihrer galanten Spielart geht es gerade nicht um das docere, sondern fast ausschließlich um das delectare. Das Wesen der Galanterie besteht für die Dichtung der Epoche seit Meres »honnetete«Explikation nicht in einem Wissen, sondern im »Je ne sais quoi«. Die Logik wendet sich an das Denken, an die »oberen« Erkenntniskräfte, Poesie bevorzugt an die »unteren« Seelenkräfte, an Empfindung und Phantasie. Logische Sätze sind möglichst eindeutig und unmißverständlich formuliert; Wörter und Sätze der Poesie sind vielfältig auslegbar. Von der Stringenz lückenloser Beweise ist die Dichtung weit entfernt; sie liegt nicht in ihrer Intention. Selbstverständliche Schritte in der argumentativen Abfolge überspringt der Gedichttext. Baumgarten hält es grundsätzlich mit Ciceros Rat, in »venustis confirmationibus« keine formal-logischen Schlüsse anzuwenden.20 In der Logik gibt es nach Wittgenstein keine Überraschungen;21 von ihnen wiederum lebt geradezu die Mehrzahl der Gedichte in der galanten Epoche. Wer von der »Logik der Poesie« spricht, faßt gewöhnlich den Begriff im übertragenen Sinn auf, analog zu Prägungen wie »Logik des Traums«. Für Gedichte wird damit gerade eine eigene, freiere Logik gegenüber der eines Sachtextes beansprucht. Logische Gesetze pochen auf die überzeitliche Gültigkeit ihrer Wahrheiten; demgegenüber dokumentiert sich die Historizität der Poesie in den Entstehungsbedingungen wie in ihrer Rezeption und Wirkung. Der Stil der Logik ist floskellos, tendiert zu größtmöglicher Klarheit und Präzision; der poetische Stil Ende des 17. Jahrhunderts legt Wert auf Schmuck, dekorativen Pomp oder auf Lebendigkeit und Zeigefähigkeit der Formulierungen. Schon Boccaccio hatte in Fortführung der antiken Tradition den prosaischen Stil der Philosophie auf ein Minimum an Ornatus beschnitten und der Poesie Metrum und ausgesuchten Stil vorbehalten.22 Buchner, dessen Unterscheidung von poetischem und philosophischem Stil Titz, Schottel und Kempe wiederaufnehmen,23 kontrastiert die Klarheit der Rede des Philosophen mit der Lieblichkeit, Schön20 21
22
23
Baumgarten, Alexander Gottlieb: Aesthetica. (1750) Nachdruck Hildesheim 1961, § 877, S. 603. Wittgenstein, Ludwig: Tractatus logico-philosophus. Logischphilosophische Abhandlung. (I92I 1 ) Frankfurt/M. 1968, 100. (6.1251 u. 6.1261). Boccaccio, Geneal. XIV, 17. In: Bück, A. - Heitmann, K. - Mettmann, W.: Dichtungslehren der Romania aus der Zeit der Renaissance und des Barock. Frankfurt/M. 1972, 73. Fischer, Ludwig: Gebundene Rede. Dichtung und Rhetorik in der literarischen Theorie des Barock in Deutschland. Tübingen 1968, 53.
5
heit und Affektrührung der Poetenrede, und Harsdoerffer trennt nach den Kriterien stilistischer Schlichtheit bzw. Prächtigkeit und dem der Fiktionalität die Diktion des Philosophen von der des Redners und schließlich von der des Dichters.24 Die relativ wahllos gesammelten Differenzmerkmale ließen sich noch ergänzen. Lösungsansätze für einige der angeschnittenen Probleme können hier nur angedeutet werden. Um bei den stilistischen Unterschieden zu beginnen: die zuletzt zitierten Barockpoetiken, die die Andersartigkeit der Stilebenen besonders hervorheben, entstammen der Mitte des 17. Jahrhunderts. Gegen das Jahrhundertende zu glich sich in der Praxis der poetische Stil stärker dem mittleren Stilniveau an.25 Es erfolgte von der Stillage aus zumindest eine Annäherung an die Sprache der Philosophie.26 Klarheit, Deutlichkeit und Verständlichkeit zählten in der Aufklärung zu den ersten Stiltugenden; sie signalisieren eine Harmonisierung der logischen und rhetorischen Stilideale.27 Die oft wiederholte und bis in die Antike zurückreichende Identifizierung von stilistischer Knappheit mit Logizität einerseits und rhetorischer Darstellung mit Ausführlichkeit auf der Gegenseite28 fand um 1700 keineswegs ungeteilte Zustimmung. Christian Weise zum Beispiel kann sich bei bestimmten Stilarten das genaue Gegenteil vorstellen: komprimierte rhetorische Sätze, die eine ausführliche logische Explikation erheischen.2* 24 25
28 27
Harsdoerffer, Georg Philipp: Poetischer Trichter. I.Teil, Nürnberg i6jo, Neudr. Darmstadt 1969, f. Die Galanten drangen auf Deutlichkeit und die Mittellage des Stils. Vgl. Neukirch, Benjamin: Anweisung zu Teutschen Briefen. Leipzig 1727, 478 ff. Weitere Belege bei Windfuhr, Manfred: Die barocke Bildlichkeit und ihre Kritiker. Stilhaltungen in der deutschen Literatur des 17. und 18. Jahrhunderts. Stuttgart 1966, 128, 376 ff. Wendland, Ulrich: Die Theoretiker und Theorien der sogenannten galanten Stilepoche und die deutsche Sprache. Ein Beitrag zur Erkenntnis der Sprachreformbestrebungen vor Gottsched. Leipzig 1930, 47 f. u. 166 ff. Rüdiger, Andreas: DE SENSU VERI ET FALSI, LIBRI . ( 7091), Leipzig 1722*, 573: »(...) quod stylus sapientem deceat mediocris (...)«. Nicht eine gravierende stilistische Differenz zwischen den beiden artes entdecken Fabricius und Stockmann in einer Dissertation über die Notwendigkeit der Verknüpfung von Philosophie und Rhetorik. Undeutliches klar zu machen sei beidemal zur Aufgabe gestellt. (»DE NECESSARIA STVDII PHILOSOPHICI ET ORATORII CONIVNCTIONE RECTORE (. . .) DN. WILHELMO HENRICO (. . .) DISSERENT M. FABRICIUS ET CHRISTIAN AVGVST STOCKMANN.« Jenae 1718,
28 26
unpag. § X). Vgl. S. 31 der Arbeit. Weise, Christian: ORATORISCHES SYSTEMA (...), Leipzig 1707, 591. Vgl. auch: ders., Gelehrter Redner (...), Leipzig 1693, 953.
Einer willkürlichen Eingrenzung der Traditionsbreite der klassischen Logik käme es ferner gleich, ihr als Domäne lediglich die Zone des »Wahren« zuzudiktieren. Von altersher beschäftigte sich die Dialektik auch mit dem Gebiet des »Wahrscheinlichen« und steht dementsprechend der rhetorischen und poetischen Argumentation nicht ganz so fern, wie es zunächst den Anschein hatte. Umgekehrt wird auch die Einführung der Rhetorik als Kunt der persuasio für überaus mangelhaft empfunden. Rüdiger differenziert die Rhetorik in einen Zweig, dem es um adäquaten Ausdruck der Gedanken geht, und einen ändern, der die persuasio der Hörer in der Hauptsache betreibt. Erstere, die »Rhetorica acroamatica« rechnet mit einem Publikum, das der Wahrheitserkenntnis fähig ist, die wiederum vom Adressatenkreis der zweiten (»Rhetorica exoterica«) nicht ohne weiteres voraussetzbar ist.30 Als zu enge Definition lehnen auch die Autoren der Dissertatio »De necessaria stvdii philosophic! et oratorii conivnctione« die Gleichstellung von Redegabe und persuasiver Fähigkeit ab; die dissuasio, das Abraten von einem Vorhaben, gehöre ebensogut zum Amt des Redners wie die persuasio.3* Zudem stehe ihm frei, sich gegebenenfalls von beiden Aufgaben zu dispensieren und die Wahlfreiheit bezüglich der vorgetragenen Auffassungen dem Hörer persönlich anheimzustellen.32 Ohne eine detaillierte Erörterung des Verhältnisses von Logik und Rhetorik in Spätbarock und Frühaufklärung vorwegzunehmen, kann mit Blick auf die zusammengestellten, offenbar inkonsistenten Äußerungen von Theoretikern jedenfalls nicht mehr von einem homogenen Meinungsbild ausgegangen werden. Verschiedene logische Schulen, so läßt sich vermuten, akzentuieren verschieden stark und auf unterschiedliche Weise die Differenz zwischen Logik und Rhetorik. Unverkennbare Relevanz für die Poetik gewann die Logik insbesondere des frühen 18. Jahrhunderts durch ihre Einflußnahme auf die Ästhetik. Alfred Baeumler bereits sah für das 18. Jahrhundert eine »Parallelentwicklung von Ästhetik und Logik« im ambivalenten Charakter des »sentiment«-Begriffs sich abzeichnen, in dem sowohl ästhetisches Gefühl wie logisch-erkenntnistheoretisches Urteil zusammenträfen; eine Entwicklung nach Baeumler, die in Kant ihren Höhepunkt erreichte.33 Die Diskussion des frühen 18. Jahrhunderts um den Geschmacksbegriff konzentrierte sich vor allem auf die Bestimmung des 30
Rüdiger, a.a.O. $76 u. 583 ff. Fabricius u. C. A. Stockmann, a.a.O. § VI. 32 Ebd. 33 Baeumler, Alfred: Kants Kritik der Urteilskraft. Ihre Geschichte und Systematik. i.Bd. Halle 1923, 36 f.
31
Anteils, den Empfindung und Verstand am Geschmacksurteil haben. Bei J. U. von König ist das Geschmacksurteil noch weithin eine Verstandesangelegenheit.34 Die Grundsätze des »allgemeinen« Geschmacks hielt er für überzeitlich gültig und darin also nicht von den logischen Gesetzen verschieden. Die Logik um die Jahrhundertwende und bis weit ins 18. Jahrhundert war überdies beträchtlich psychologisch gefärbt;35 als Vernunftlehre bot sie einer Applikation auf die sensitiven Erkenntnisvermögen wenig Widerstand. Für das 17. Jahrhundert ist noch eindringlicher davor zu warnen, moderne wissenschaftstheoretische Vorstellungen von exakten Wissenschaften unüberlegt barocken Auffassungen von »Wissenschaft« zu unterstellen. Im 17. Jahrhundert einen ähnlich scharf gezogenen Trennungsstrich zwischen Wissenschaft und Kunst wie heute anzunehmen, wäre reichlich abwegig. »Wissenschaft« wird oft genug im Sinn von »Kenntnis«, »Fertigkeit« gebraucht, und das Wort »Kunst« substituiert partiell wiederum das, was wir unter »Theorie« verstehen. Ars kann in aristotelischer Tradition eine Verstandeshaltung, Disposition oder - nach Zeno - ein System bedeuten.36 Für das Gros der Barockgelehrten bedeuteten naturwissenschaftliche Beschäftigungen und Beobachtungen eine Art »curieuses« Hobby. Als entscheidend bleibt vorerst festzuhalten, daß auch die Beziehung zwischen Logik und Poesie ungeachtet einiger Konstanten deutlichen historischen Modifikationen unterliegt. 34
35
König, Johann Ulrich von: Untersuchung von dem Guten Geschmack in der Dicht= und Rede=Kunst. In: Des Freyherrn von Canitz Gedichte. Berlin 1765, 389 u. 397 ff. Vgl. Crousaz, Jean Pierre de: SYSTEME DE REFLEXIONS QUI peuvent contribuer a la Nettete & Etendue de nos Connoissances: ou NOUVEL ESSAI DE LOGIQUE. 2 Bde. Amsterdam 1712, i.Teil, r. Sektion, Kap. VII-XII. Die Psychologisierung der Logik springt schon an der Titelgebung von I. F. Schneiders Vernunftlehre in die Augen: Schneiderus, . Fridemannus: FVNDAMENTA PHILOSOPHIAE RATIONALIS, SEV LOGICAE, IN QVIBVS DOCTRINA DE INTELLECTV HVMANO EIVSQUE FACVLTATIBVS, VIRIBVS, OPERATIONIBVS, AC SINGVLARUM VITIIS, CONTRA HAEC REMEDIIS (. . .)
36
8
PROPONITVR (.. .) (I7OI 1 ) Halae 1728*. Fabricius, Johann Andreas: Anweisung Wie man seinen Verstand, in der Gelehrsamkeit und dem gemeinen Leben, recht gebrauchen solle, (...) Jena I7372, Kap. i, 4, 37. Risse, W., Die Logik der Neuzeit, I, a.a.O. 125 u. 135. Zur Verwendung von »Wissenschaft« in der Bedeutung von »Fertigkeit«, vgl. Stieler, Kaspar: Der Teutschen Sprache Stammbaum und Fortwachs/ oder Teutscher Sprachschatz (. ..). Nürnberg 1691, Nachdr. München 1968, II, 106.
Der Zeitraum der Untersuchung ist bisher bedenkenlos als eine »Ubergangsepoche« charakterisiert worden. »Übergangsepoche« oder »Übergangszeit« stellen in Literaturgeschichten oft genug Verlegenheitsbegriffe dar. Sie müssen einspringen, wenn eingebürgerte positive Bezeichnungen für einen Zeitraum fehlen. Über die Probleme hinaus, die Epochenbegriffe generell aufwerfen, treten zusätzliche Komplikationen schon beim Versuch einer genaueren Erläuterung der Wortbedeutung auf. Außerdem bleibt zu legitimieren, mit welchem Recht der Begriff auf einen historischen Zeitabschnitt angewendet wird, welche sozio-kulturellen Anhaltspunkte seine Verwendung nahelegen. »Übergangsepoche« enthält zunächst noch keine Fixierung auf einen bestimmten Zeitraum; trotzdem gibt man gewisse inhaltliche Informationen über eine historische Phase an, wenn man sie als »Übergangszeit« einstuft. Für Kunstwerke gilt in einer Hinsicht dasselbe wie für Theoriesysteme: sie schließen ebensowohl Elemente ein, die der Tradition angehören, wie andere, die - vom Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung aus gesehen - in die Zukunft weisen. Bei deutlichem proportionalem oder intensitätsbezogenem Überwiegen der Traditionselemente wird man innerhalb der Kunsttheorie geneigt sein, von restaurativen oder epigonalen Werken zu sprechen. Fallen zahlenmäßig oder ihrer Wirkungsintensität nach die innovatorischen Elemente in die Augen, werden Werke als revolutionär oder zumindest als Vorläufer späterer eingeordnet. So betrachtet, gehörte ausnahmslos jedes Kultursystem einer Ubergangsepoche an; es gäbe nurmehr Ubergangsepochen in einem allgemeineren Sinn, demzufolge jeder Zeitabschnitt einen Übergang aus der Vergangenheit in die Zukunft bedeutet. Um mit dem Begriff »Übergangsepoche« bestimmte Phasen aus dem Kontinuum der Historic hervorheben zu können, ist sein Gebrauch einzugrenzen. Zweckmäßig dürfte es sein, ihn deutlich als Kategorie historischer Rekonstruktion auszuzeichnen. Seine Anwendung setzte dann nicht voraus, die Zeitgenossen einer in Frage kommenden Epoche hätten diese zwangsläufig auch als eine Übergangsepoche zu erleben und zu beschreiben. Autoren um 1700 etwa, die man wie Christian Weise oder Christian Wernicke mit guten Gründen zwischen Barock und Aufklärung situieren kann, sahen sich wohl kaum unterwegs zur Aufklärung. Der meist intuitiv verwendete Begriff »Übergangszeit« setzt sich aus verschiedenen Merkmalen zusammen. Zu ihnen dürfte die Beobachtung zählen, daß ihn das Fehlen von Kennzeichen kennzeichnet. Die Namen der die Ubergangsepoche eingrenzenden Epochen charakterisieren spezifische Eigentümlichkeiten und Unverwechselbarkeiten. Der fehlende Name für das Intervall weist darauf hin, daß ihm in gewisser Weise
auch ein eigenes Gesicht fehlt.37 Die Epoche zwischen den Epochen wird durch den Bezug auf anderes definiert. Die Merkmale von zwei Bezugsepochen, die ihrerseits sich erkennbar unterscheiden müssen, gehen in ihr ein variables Mischungsverhältnis ein. Variabel ist das Mischungsverhältnis, weil »Übergangsepoche« nicht einfach auf einen Zeitraum wie der Epochenbegriff, sondern — als »dynamische« Signatur - auf einen Zeitprozeß hinweist, auf Verschiebungen, die zwischen zwei zeitlichen Polen vorgehen. Unter Zugrundelegung von C. G. Hempels Typenklassifikation38 würden die eine Übergangsperiode umklammernden Epochen als Extremtypen bestimmt, mit Typenbegriffen, die Abstufungen zwischen sich gestatten.39 Im historischen Verlauf veränderte sich der Modellvorstellung nach progressiv das Mischungsverhältnis der Merkmale beider Extreme: simultan mit dem Abbau der Merkmale des Ausgangstypus korrelierte umgekehrt eine mit der Zeit wachsende Orientierung auf die Standards des Zieltypus hin. Leider entfernt sich diese Idealisierung des geschichtlichen Prozesses allzuweit von der Konkretheit faktischer Entwicklungen und historischer Zusammenhänge, als daß sie ernsthaft ein Kriterium für die genaue Begriffsfestlegung von »Übergangszeit« hergeben dürfte. Diskontinuitäten und die »Ungleichzeitigkeit des Gleichzeitigen«40 oder, wenn man will, die »Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen« setzen die Hilfskonstruktion einer kontinuierlichen Evolution vom Spätbarock zur Aufklärung außer Kraft. Als Lohenstein 1683 starb, hielt Thomasius schon seit zwei Jahren Vorlesungen an der Leipziger Universität. Die Verschachtelung der galanten und frühaufklärerischen Epoche läßt sich an Publikationsdaten von Werken beliebig illustrieren. Noch 1734 erschien in Erstauflage die galante Anthologie »Sammlung Auserlesener 37
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»Galante Epoche« stellt für unseren Zeitraum einen notdürftigen Ersatzbegriff dar. Ob sich ihm C. Weise subsumieren läßt, bleibt strittig. Noch weniger trifft der Begriff Wernickes Poesieprogramm und das der Hofpoeten. Auf Logiklehrbücher der Zeit gar ausgedehnt, wirkte »galante Epoche« vielfach irreführend. Hempel trennt »klassifikatorische« Typen von »Extremtypen« und »Idealtypen«. Hempel, Carl G.: Typologische Methoden in den Sozial Wissenschaften. In: Ernst Topitsch (Hg.): Logik der Sozialwissenschaften. Köln-Berlin 1965. Ebd., 87 ff. Zwischen den Extremtypen B (für »Barock«) und A (für »Aufklärung«) lassen sich Etappen feststellen, die in komparativen Begriffen ausgedrückt »mehr oder weniger B bzw. A« sind. Zur Funktion komparativer Begriffe, vgl. Carnap, Rudolf: Einführung in die Philosophie der Naturwissenschaft. (i$66l) München 1969, 59 ff. Vgl. Jauß, Hans Robert: Literaturgeschichte als Provokation der Literaturwissenschaft. Konstanzer Univ. Reden, hg. v. G. Hess, 1967', I9&92, 57 f.
Gedichte«.41 Die »Asiatische Banise« erlebte bis 1753 neun Auflagen.42 Ein Modell literarischer Evolution hätte bei der Darstellung sogenannter Übergangsepochen weiterhin zu berücksichtigen, wie wenig zukunftsorientiert solche Phasen sich dem Literarhistoriker häufig darstellen. Charakteristisch scheint für sie eher der Rückblick zu sein, die Reflexion und Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, die Konservierung des Erbes. Ein Fazit immerhin erlauben die unabgeschlossenen Vorüberlegungen zur Begriffsverwendung: mit dem Etikett der Übergangsepoche sollte man nicht unterschiedslos alle Werke von Autoren versehen, deren biographische und Publikationsdaten in den betreffenden Zeitraum fallen, sondern nur solche Texte, an denen Charakteristika von zwei Bezugsepochen erkennbar werden.
2. Zur Forschungssituation Eine Untersuchung mit dem Ziel, das System der »rhetorischen Logik« als eine der poetologischen Bedingungen der deutschen Lyrik um 1700 zu verdeutlichen, kann von mehreren Seiten an Vorarbeiten der Forschung anknüpfen. Vier bedeutende Forschungsrichtungen überschneiden sich in verschiedenen Untersuchungsbezirken partiell mit den hier verfolgten Fragestellungen: (i) Darstellungen der Logikgeschichte und Rhetorialdialektik, (ii) Arbeiten zur Rhetorik im 17. und frühen 18. Jahrhundert; speziell die Toposforschung lenkte als Zweig der Rhetorikforschung die Aufmerksamkeit auf die Nachbardisziplin der Dialektik; (iii) Studien zur romanischen Argutiabewegung, zu Concettismus und Manierismus, (iv) Abhandlungen über lyrische Zweckformen und Gebrauchsliteratur. Unter den herangezogenen neueren Geschichten der Logik43 nimmt die grundlegende Darstellung von Wilhelm Risse für den zu behandeln41
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(Anonym:) Sammlung Auserlesener Gedichte welche Als mehrentheils neue Proben der nach jetzigem Geschmack Erfahrener Kenner eingerichteten reinfliessenden Teutschen Poesie (...) in 3 Theilen vorgeleget.« Nordhausen 1734. Zigler und Kliphausen, Heinrich Anselm v.: Die Asiatische Banise (...) 1689*, Leipzig 1707, Neudruck München 1965. Vgl. auch Kettler, H. K.: Baroque Tradition in the Literature of the German Enlightenment. 1700i7jo. Cambridge 1943, too. Prantl, Carl: Geschichte der Logik im Abendlande. 4 Bde. Leipzig 18551870, Nachdruck Leipzig 1927. Kneale, William und Martha: The development of Logic. Oxford 1962. Historische Ausführungen auch in: Bochenski, J. M.: Formale Logik. Freiburg-München 1970' (I9561). 11
den Zeitraum eine Sonderstellung ein.44 Zur antiken Tradition der Rhetorialdialektik kommen vornehmlich einige ältere Beiträge in Betracht,45 neuere Arbeiten wandten sich einzelnen, im Bildungszusammenhang von Rhetorik und Philosophie stehenden Humanisten zu.48 Der Themenstellung nach scheint sich eng mit unserem Vorhaben R. Klassens Dissertation »Logik und Rhetorik der frühen deutschen Aufklärung« zu berühren.47 Die nach der Begriffs- Urteils- und Schlußlehre der aufklärerischen Logik angelegte Untersuchung bedeutet für die Geschichte der Logik einen ernstzunehmenden Beitrag. Den Gewinn von Klassens Ergebnissen für die Literaturwissenschaft beeinträchtigt die Methode, Belege für logische Argumentationstechniken unvermittelt an Textauszügen dichterischer Prosa oder in Dramen des 18. Jahrhunderts zu suchen. Klassen vernachlässigt die für das 18. Jahrhundert bedeutsamen theoretischen Zusammenhänge zwischen Ästhetik, Poetik und Logiklehre. Die als Ziel der Arbeit unter anderem deklarierte Absicht, »in Argumentations- und Dispositionsmodellen Teile einer literarischen Formenlehre zu zeigen«, hat der Verfasser ernsthaft gar nicht verfolgt.48 Auch aufgrund einiger thematischer Begrenzungen macht Klassens Dissertation die vorliegende Untersuchung nicht überflüssig: der Schwerpunkt seiner Arbeit liegt in der ersten Hälfte und der Mitte des 18. Jahrhunderts; spätbarocke Rhetoriken werden nur gestreift. Seine systematische Darstellung beschränkt sich auf Theoriebereiche und spart die kulturgeschichtliche Einlagerung der Fächer Logik und Rhetorik im Bildungswesen des 17. und 18. Jahrhunderts aus. Speziell für die Poesie um 1700 gilt ferner, daß zu ihrer Deskription und Analyse oft mehr
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Als Darstellung der scholastischen Logik: de Vries, Josef: Logica, cui praemittitur introductio in Philosophiam. Barcelona-Freiburg-Rom 1964. Risse, Wilhelm: Die Logik der Neuzeit. i.Bd. (1500-1640) Stuttgart 1964; 2. Bd. (1640-1780), Stuttgart 1970. Steinthal, H.: Geschichte der Sprachwissenschaft bei den Griechen und Römern mit besonderer Rücksicht auf die Logik, i. Teil, Berlin i89o2. Gomperz, Heinrich: Sophistik und Rhetorik. Das Bildungsideal des in seinem Verhältnis zur Philosophie des V.Jahrhunderts. (19121) Neudr. Darmstadt 1965. Solmsen, Friedrich: Die Entwicklung der aristotelischen Logik und Rhetorik. o.O. (Weidmann-Verlag) (1929^, 1975*. Gerl, Hanna-Barbara: Rhetorik als Philosophie. Lorenzo Valla. München 1974. Wesseler, Matthias: Die Einheit von Wort und Sache. Der Entwurf einer rhetorischen Philosophie bei Marius Nizolius. München 1974. Klassen, Rainer: Logik und Rhetorik der frühen deutschen Aufklärung. Diss. München 1974. Ebd. 189.
als die Logik die Acutezzatradition beiträgt, die ihrerseits aus logischen Quellen wiederum schöpft. Zusammenhänge solcher Art sollen hier sichtbar gemacht werden, wie sie in fächerübergreifenden Denkhaltungen sich manifestieren. Welche Aufgaben der Rhetoriktradition auch für die Konstitution der oratio ligata im 17. Jahrhundert zufallen, bedarf nach den Abhandlungen K. Dockhorns, U. Stötzers und insbesondere den gründlichen Studien von J. Dyck, L. Fischer, W. Barner und H. P. Herrmann keiner neuerlich bestätigenden Erwähnung.49 Ihren Fragerichtungen gemäß beschränken sich die genannten Autoren jedoch auf theoretische Texte und stellen die Interpretation von Lyriktexten zurück. Barners Werk, das der Barockforschung frische Impulse gab, verdankt die vorliegende Untersuchung neben der Studie Horns wichtige Anregungen zur Verschränkung der Fächer von Rhetorik und Logik im Bildungssystem des 17. Jahrhunderts.50 Die Erörterung der systematischen Verbindungen der Theoriesysteme von Logik und Rhetorik lag indessen außerhalb des Untersuchungsbereiches von jeder der zuletzt erwähnten Arbeiten. Selbst Dycks Wiedergabe der Topik im Inventioteil des rhetorischen Systems 49
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Dockhorn, Klaus: Macht und Wirkung der Rhetorik. Vier Aufsätze zur Ideengeschichte der Vormoderne. Bad Homburg-Berlin-Zürich 1968. Stötzer, Ursula: Deutsche Redekunst im 17. und 18. Jahrhundert. Halle 1962. Dyck, Joachim: Ticht-Kunst. Deutsche Barockpoetik und rhetorische Tradition. Bad Homburg-Berlin-Zürich 1966, ders.: Philosoph, Historiker, Orator und Poet. Rhetorik als Verständnishorizont der Literaturtheorie des 17. Jahrhunderts. In: arcadia Bd. 4, 1969, H. i, Ders.: Apologetic argumentation in the literary of the german baroque. In: JEGP 68, 1969, Ders.: Rezension von L. Fischer, >Gebundene RedeAcutezza< oder von der Macht der Sprache. München 1968, 25. Friedrich, Hugo: Epochen der italienischen Lyrik. Frankfurt/M. 1964, 643 ffRotermund, Erwin: Affekt und Artistik. Studien zur Leidenschaftsdarstellung und zum Argumentationsverfahren bei Hofmann von Hofmannswaldau. München 1972.
artifizielles, die Legitimierung von Affekten betreibendes Argumentationsverfahren heraus. Zwischen den vom Autor ins Spiel gebrachten Passiones und der Affektenlehre des lo.und 17. Jahrhunderts erweist Rotermund Übereinstimmungen, was Einteilung, Entstehung, den Verlauf und Konflikt von Affekten anlangt. Von der parallelen Theorie für die zu analysierende zweite Komponente der Hofmannswaldaulyrik, ihrer artistischen Argumentation, verfolgte Rotermund - gestützt auf H. Friedrichs »Epochen der italienischen Lyrik« — nur am Rand die zum Paralogismo des Manierismus führenden Spuren.59 Von anderen artes, die das Argumentationsspiel auch bei Hofmannswaldau fundieren, ist abgesehen von flüchtigen Notizen zur Sophistik nicht weiter die Rede.60 Dabei demonstriert die Logiktheorie um 1700 an Hofmannswaldautexten die Verwendung logischer Argumentationstechniken. Der Weiseschüler Großer analysiert in seiner Logik von 1696 an ebendemselben Heldenbrief, den Rotermund eingehend untersucht, wie Induktionsschlüsse in Rhetorik und Poesie zur Geltung kommen.91 So wie die literarische Forschung höchstsporadisch auf die sophistische Abkunft mancher Kunstmittel hinweist und den systematisch begründeten Zusammenhang der Techniken im historischen Dunkel beläßt, klammern aus verständlichen Gründen Spezialstudien zur Sophistik deren Folgen für die nachkommende Literatur aus.es Besser steht es mit literarhistorischen Erkenntnissen über Logikstrategien innerhalb gewisser Gebrauchstexte. Als Ganzes freilich rückte auch hier nicht das Logiksystem in den Gesichtskreis literaturwissenschaftlicher Untersuchungen. In Fortsetzung, wenn man will, zur Toposforschung, die den Inventioteil der Rhetorik in Fühlung mit der dialektischen Topik brachte, kennzeichneten einige Arbeiten über literarische Zweckformen Dispositionen von Lyriktexten als logisch-rhetorische Strukturpläne. F. van Ingen erkannte im Aufbau von Memento-mori-Gedichten und 59 60
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Ebd. 57. Vgl. ebd. j7 u. 180. Großer, Samuel: Gründliche Anweisung zur LOGICA vor Adeliche oder andere Junge Leute (...). Budißin und Görlitz 1696, 91. Vgl. Rüdiger, Horst: Der Kampf mit dem gesunden Menschenverstand. Klassische Trug- und Fangschlüsse dargestellt und aufgelöst (...). München 1938Untersteiner, Mario: The Sophists. (Aus dem Italienischen übersetzt v. Kathleen Preeman) Oxford 1954. Gentinetta, Peter M.: Zur Sprachbetrachtung bei den Sophisten und in der
stoisch hellenistischen Zeit. Diss. Zürich. Winterthur 1961. Grieder, Hans: Die Bedeutung der Sophistik für die platonisch-aristotelische Aussagelogik. Diss. Basel 1962. M
W. Segebrecht in Dispositionsschemata von Kasualcarmina Formen logischer Schlüsse wieder."3 Folgerungen innerhalb des Lehrgedichts, das im »Spannungsfeld zwischen Rhetorik und Dialektik« oszilliere, erweisen sich nach L. L. Albertsen eher logisch als analogisch.*4 C. Siegrist beschreibt als Argumentationsformen desselben Genres in der Epoche der Aufklärung die Mittel der Oppositio und Definitio™ Die herausgegriffenen Forschungsresultate dürfen unbeschadet der Relevanz einzelner Ergebnisse dennoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß bisher - von Klassens Dissertation einmal abgesehen - wenig mehr als Spurenelemente des Logik- und Disputationswesens im 17. Jahrhundert ins Bewußtsein der literarhistorischen Forschung gelangt sind. Zuwenig kam noch die Kohärenz solcher Detailbeobachtungen innerhalb eines logisch-rhetorischen Bildungssystems sowie dessen Bedeutung für die Literatur in den Blick. Die mangelnde Vertrautheit mit der logischen Tradition macht sich unter Literaturwissenschaftlern nachteilig bemerkbar, wenn gelegentliche Abstecher auf fachfremdes, philosophisches Terrain zu riskieren waren. Irrtümer und Ungenauigkeiten stellen sich leicht ein. Sie beginnen schon bei der Erklärung des Barockbegriffs. Neben anderen etymologischen Wurzeln machte die Forschung einen mnemotechnischen Hilfsbegriff der Scholastik bei der Einteilung der Figuren und Modi des Syllogismus namhaft.68 Den mit »Baroco« bezeichneten Syllogismustyp hält Hocke für einen »paralogischen, sophistischen Trugschluß« und für eine »conclusio per absurdum«.67 Die Ansicht Hockes ist in doppelter Hinsicht zu berichtigen. Erstens darf ein sophistischer Trugschluß nicht mir einer »conclusio per absurdum« verwechselt werden; beide unterscheiden sich darin, daß die indirekte Beweisführung der »deductio ad absurdum« ein 63
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Ingen, Ferdinand van: Vanitas und memento mori in der deutschen Barocklyrik. Groningen 1966, 147 ff. Segebrecht, Wulf: Das Gelegenheitsgedicht. Ein Beitrag zur Geschichte und Poetik der deutschen Lyrik. Stuttgart 1977, 139 f. Albertsen, Leif Ludwig: Das Lehrgedicht. Eine Geschichte der antikisierenden Sachepik in der neueren deutschen Literatur mit einem unbekannten Gedicht Albrecht von Hallers. Aarhus 1967, z u.$6. Siegrist, Christoph: Das Lehrgedicht der Aufklärung. Stuttgart 1974, 150 ff. Croce, Benedetto: Der Begriff des >BarockBarockBarbaraCelarentDarii< usf.) erscheinen, markieren zusätzlich zur Quantität auch die Qualität der Sätze. Die nebenstehende Matrix bildet bejahend verneinend die Bedeutung der Vokale allgemein a e in den mnemotechn. Wörtern ab: j p partikulär Daraus ergibt sich die Dekodierung des Merkwortes »Baroco«: Der Obersatz des Schlußmodus ist allgemein und bejahend; Untersatz und Konklusion sind partikulär und verneinend.
Zeller, Rosmarie: Spiel und Konversation im Barock. Untersuchungen zu Harsdörffers »Gesprächspielen«. Berlin-New York 1974, 181.
»Propositio maior« (»Obersatz«) und »Terminus maior«, der den Prädikatbegriff der Conclusio bezeichnet. Überhaupt kursieren von der Beschaffenheit des Syllogismus in der literaturwissenschaftlichen Forschung nicht immer die klarsten Vorstellungen: v. Ingen und ähnlich Rotermund legen die Abfolge von propositio, aetiologia bzw. rationes und conclusio als Syllogismusschema aus,73 und für Hocke barg der scholastische Syllogismus gar phantastische Geheimnisse.74 H. Friedrich läßt sich bei der Interpretation eines Madrigals auf eine Amor-Skulptur (»Bench£ di fredda pietra«) zum Kommentar verleiten: »Syntaktisch besteht das Madrigal aus einem einzigen Satz, dessen drei Glieder eine syllogistische Figur ergeben: Obschon..., soll keiner..., denn.«75 In Wahrheit wird innerhalb der Periode lediglich ein Einwand entkräftet. Mit einem üblichen Syllogismus hat die adversative und kausale Satzkonstruktion wenig zu tun. Um zu verhindern, daß sich Irrtümer über Fachbegriffe der traditionellen Logik in der Literaturwissenschaft forterben, sei kurz rekapituliert, was unter einem kategorischen Syllogismus in der Logiktradition verstanden wird.76 Er ist ein Schluß, in dem aus zwei Sätzen, den einen gemeinsamen Mittelbegriff enthaltenden Prämissen, ein dritter Satz - die conclusio - mit Notwendigkeit folgt, wobei jeder der drei Sätze, die den Syllogismus bilden, auf eine der folgenden vier Formen gebracht werden kann: >Alle S sind PKein S ist ein PEinige S sind PEinige S sind nicht Partificio< fähig als zu jenem, das für das Vermögen der Aussage >über alles und über nichts< (...) gelehrt wird.« (ebd.) Dem Literarhistoriker blieb offenbar die Bedeutung des >Dictum de omni et nullo< dunkel. Es drückt eine Grundregel der klassischen Logik aus und besagt: was von allen gilt, gilt auch von jedem einzelnen; was von keinem gilt, gilt auch nicht von einem einzelnen. (Vgl. Aristoteles, Erste Analytik, i. Buch, i. Kap. 24 b, a.a.O. 3.) Das Dictum sollte den eindeutigen Übergang von den Prämissen zur Conclusio garantieren, »in virtu del Detto (...)« darf also nicht übertragen werden mit »für das Vermögen der Aussage«, sondern heißt »kraft des Dictums >de omni et nullo< (.. .)«. Den Fachbegriff »mezo« übersetzt Lange zu vage mit »Mittel« (ebd. 132 f.); obwohl der »terminus medius«, der »Mittelbegriff«, gemeint ist. Außerdem bevorzugt Lange bei der Übersetzung logischer Terminologie eine psychologische Nomenklatur. Anstelle von »implizieren« zieht er »in dauernde Assoziation geraten« vor (ebd. 134) und statt »Begriffsinhalt« (>coseRhetorische Logik< Rückblickend, im Jahr 1734, teilt Andreas Köhler die Dichter nach Opitz in zwei Gruppen ein: »(...) es sind entweder Weisianer oder Hofmannswaldauer«.87 Ähnlich gruppierte Gottsched und stellte der Lohensteinschule die von Weise gegenüber.88 Im Lager der Schweizer herrschte mit Gottsched Konsens über die literarischen Wortführer des Spätbarock. Pyra bescheinigt nur C. Weise zusätzlichen Einfluß auf die Frühaufklärung, wenn er Gottscheds Leistung mit der Bemerkung herunterspielen möchte, dieser haben anstatt des Lohensteinischen wieder den Weiseanischen Geschmack eingeführt.89 Der Einfluß, den Christian Weise mit seiner Poesie und den theoretischen Schriften bei Zeitgenossen und unmittelbaren Nachfahren erzielte, wird in seinem Ausmaß überschaubarer, nimmt man zur Einschätzung Weises als fraktionsbildenden Literaten der Epoche den historischen Befund einer zusätzlichen Einflußnahme Weises auch auf die von Köhler als Gegenpartei apostrophierten »Hoffmannswaldauer« hinzu. Denn nicht weniger entschieden als Weises Schüler (man denke an G. Hoffmann, J. Hübner, S. Großer, M. Grünwald, J. G. Meister, J. J. Moller, J. S.Wahll, C. Weißenborn, C.Weidling) orientieren sich die Galanten an Theorieaussagen Weises. Insgesamt geben Texte von A. Bohse, F. Hunold, G. Ludwig, G. Lange, B. Neukirch, Musophilus, E. Uhse, C. Juncker, J. Riemer, E. Neumeister, J. G. Neukirch, J.B.Mencke, J. F. Riederer, G.P.Müller, C. M. Fischbeck, G.Stolle, J. A. Fabricius wenn nicht erhebliche Übereinstimmungen mit Weises 87
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Köhler, Andreas: Deutliche und gründliche Einleitung zu der reinen deutschen Poesie (...) Halle 1734, J. Gottsched, Johann Christoph: Akademische Redekunst. Leipzig 1759, 13. Pyra, Jakob Immanuel: Erweis, daß die Gottschedianische Sekte den Geschmack verderbe. Hamburg und Leipzig 1743. Neudr. HildesheimNew York 1974, 10.
literarischem Programm, so zum mindesten Anzeichen der Wertschätzung Weises zu erkennen. Weise lieferte auch dem Titel unserer Untersuchung das Stichwort der »rhetorischen Logik«. Im 9. Kapitel (»Von der Demonstration«) des zweiten Teils seiner deutschen Logik unterscheidet er die »Logica mathematica« von der »Logica Oratoria«.90 Was die letztere Bezeichnung angehe, sagt Weise, so habe er ursprünglich »Logica moralis« oder »politica« erwogen; »Doch weil die rechten und nützlichen Oratores mit dergleichen Sachen in ihren Deliberationibus und judiciis umgehen / so hat mir aus gewissen Ursachen / auch wolaus (!) einer Liebe gegen meiner vormahligen oratorischen Profession dieser Name besser gefallen.91
Der Name »oratorische Logik« bedeutet die Proklamation einer wechselweisen Abhängigkeit von Rhetorik und Logik. Die vor Augen geführte Kooperation von Logik und Rhetorik würdigte auch die Rezeption Weises in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts als seine Hauptleistung. In der »Teutschen Oratorie« (1739) widmete Daniel Peucer innerhalb eines Abrisses der Geschichte der Beredsamkeit Weise nicht anders als Luther und Opitz einen eigens numerierten Absatz, mit der Begründung: »Denn er (Weise, M. B.) zeigte der Jugend nicht nur einen leichten Weg: sondern auch den Gebrauch der Philosophie in der Redekunst.«92 Die Formel der »Logica Oratoria« vertritt ein Programm, dessen Eklektizismus, in der doppelten Bedeutung einer Operation und ihres Resultats, Weises Position in der Geschichte der Logik angibt zwischen traditionellen Strömungen einerseits - sie seien zunächst behandelt - und der zur »Vernunftlehre« deklarierten Logik der Aufklärung. Sowohl anhand der Eigenart des von Weise selektiv benützten Materials wie an seinem eklektischen Umgang mit Lehrinhalten der Tradition, der gegenüber Weise zwar noch nicht die Selbständigkeit des um 14 Jahre jüngeren C. Thomasius behauptete, mit deren Elementen er aber doch eigenmächtiger schaltete, als es eine Anzahl barocker Theoretiker in Deutschland bewies, läßt Weise sich in die Ubergangsphase zwischen barockem Autoritätsverlaß und aufklärerischem Vertrauen auf die eigene Vernunftkraft situieren. Ihrer Bedeutung entsprechend soll die Logik Weises exemplarisch untersucht werden. Um die getroffene Wahl als Paradigma methodisch 90 91
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Weise, Christian: Curieuse Fragen über die LOGICA (...) ( ^ 1), Leipzig 1700 (= Deutsche Logik), 446-451. Ebd. 4jo. Peucer, Daniel: Erläuterte Anfangs=Gründe der Teutschen Oratorie (. . .) Dresden (I73?1), 176$*, 38.
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zu rechtfertigen, genügt gewiß keine noch so eingehende isolierte Untersuchung der Weiseschen Logik, sondern erst Hinweise auf vorausliegende und kontemporäre Logiktheorien erlauben die unumgänglichen Vergleiche und Einordnungen. Der historische Längsschnitt und der synchrone Querschnitt sollen gewissermaßen das Koordinatensystem bilden, innerhalb dessen die genauere Position Weises angegeben werden kann.
II. Weises Stellung in der Logikgeschichte
i. Christian Weise und die Logiktradition Bei C. Weise lebt - in verändertem Kontext - eine Tradition der Logikbetrachtung erneut auf, die bis in die Anfänge der Geschichte von Logik und Rhetorik zurückreicht. Im einzelnen werden uns Entsprechungen der Logiktheorie Weises mit logischen Werken des 16. Jahrhunderts beschäftigen müssen, das bereits eine Expansion von Logikliteratur überblicken kann, wie sie W. Barner erst für das 17. Jahrhundert reklamiert.1 W. Risse gibt schon für das 16. Jahrhundert eine Auflagenquote logischer Titel von 2300 an.2 Ende des 17. Jahrhunderts stellt die Überproduktion von Logikkompendien die Verfasser nicht selten unter Legitimationszwang. Christian Thomasius sieht sich in der Widmungsvorrede seiner »Auszübung der Vernunfft=Lehre« zu einer ausführlichen Rechtfertigung der Publikation eines neuerlichen Logikwerkes genötigt. Bedenken, »gleich als ob nicht Logicken genung in der Welt wären/ und nicht auff allen hohen= und niederen Schulen von Collegiis und Lectionibus Logicis alles wimelte«,3 waren für ihn nicht ohne weiteres zu zerstreuen. Von der Anzahl der auf dem Markt angebotenen Logiklehrbücher, »quorum tantus est numerus, quantus est muscarum dum caletur maxime (...)«, wie Breitinger schätzt,4 mußte jede Neuveröffentlichung überflüssig erscheinen. Koinzidenzen mit drei Richtungen innerhalb der Logik des 16. Jahrhunderts lassen sich in Weises Logik namhaft machen: mit den ciceronianischen Rhetorialdialektikern, den Logikern der Melanchthonschule und - in beschränktem Maß - mit den Aristotelikern. 1 2
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Barner, W., Barocktrhetorik a.a.O. 404. Risse, W., Die Logik der Neuzeit, i. Bd. a.a.O. y. Vgl. ders.: Bibliographia Logica. Verzeichnis der Druckschriften zur Logik mit Angabe ihrer Fundorte. Bd. i; 1472-1800. Hildesheim 1965. Schilling, Hermann: Bibliographie der im 17. Jahrhundert in Deutschland erschienenen logischen Schriften. Gießen 1963. Thomasius, C., Auszübung der Vernunfft=Lehre (. ..) ( 6^ ), Halle 1705, unpag. [air]. Breitinger, J. J., Artis cogitandi principia a.a.O. Vorr. [) : ( 5r]. 2-7
Schon äußerlich fällt an den »Curieusen Fragen über die Logica« die Darbietungstechnik in die Augen: wie es der Titel verspricht, schneidet die Überschrift eines jeden Kurzkapitels das spezielle Thema in Form einer Frage an; der betreffende Abschnitt beantwortet sie. Die Darbietungsweise hatte sich in der Dialogform bereits bei den rhetorischen Logikern der humanistischen Ciceronianer einiger Beliebtheit erfreut.5 Ähnlich bevorzugt war sie bei den Logikern der Melanchthonschule." Darstellungsform und methodisches Vorgehen gehören im 16. und 17. Jahrhundert zu den wichtigsten Themen der Logiklehrbücher und werden im jeweiligen »Methodus«-Kapitel abgehandelt. Die von Weise auch in Rhetoriken gepflegte Technik, Fragen mit einem fiktiven Gegenüber zu besprechen, ist die »Methodus Problematica«. Sie wird abgehoben von der »Methodus Thetica«, die in Aussageform die Themen erörtert.7 Weises eigener Lehrer Jacob Thomasius hatte sich gleichfalls in seinen »Erotemata LOGICA« und »Erotemata RHETORICA« der Frageund Antworttechnik wie vor ihm Wolfgang Ratke bedient.8 J. Thomasius' Sohn Christian hebt die pädagogischen Vorzüge der dialogisch gegliederten Darstellungsmethode vor dem zusammenhängenden Diskurs heraus: sie gewährleistet im mündlichen Vortrag die ständige Rückkopplung mit den Rezipienten und vermeidet Überforderung wie Langeweile beim Zuhörer.9 Wie überlegt die Darbietungsform der Lehrbücher des Zittauer Rektors von didaktischen Gesichtspunkten beherrscht ist, läßt sich etwa an der Präsentation des »Oratorischen Systema« ablesen: in jedem Kapitel werden die Fragen der »Methodus Problematica« noch einmal in leichte und schwere getrennt. Weiseschüler und -anhänger griffen die didaktisch angelegte Vortragstechnik dankbar auf.10 6
Risse, W., Die Logik der Neuzeit, Bd. i, a.a.O. ij. * Melanchthon gab selbst mit den »Erotemata dialectices« den Anstoß. PHILIPPI MELANTHONIS OPERA QUAE SUPERSUNT
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OMNIA, Bd. 13, EROTEMATUM
DIALECTICES, hg. v. C. G. Bretschneidcr, Haies Saxonum 1846. Großer, S.: Gründliche Anweisung zur Logica a.a.O. 149. Thomasius, Jacob: Erotemata LOGICA pro incipientibus (...) (1670*) Leipzig i7054. Ders.: Erotemata RHETORICA pro incipientibus (...) Leipzig 170 j4. Ratke, Wolfgang: Die Vernunftlehr der christlichen Schule (...) Köthen 1619. In: W. R.: Allunterweisung. Schriften zur Bildungs-, Wissenschaftsund Gesellschaftsreform. I, hg. v. G. Hohendorf u. F. Hof mann, Berlin 1970. Thomasius, Christian: Einleitung zur HOF-PHILOSOPHIE (...) (löSS1) Franckfurt u. Leipzig 1710, 254. Vgl. Lange, G., Einleitung zur Oratorie a.a.O. Uhse, Erdmann: Wohl=informirter Redner (...) Leipzig 1712®. ders., Wohl=informirter Poet a.a.O. Weissenborn, Christoph: Gründliche Einleitung zur Teutschen und Lateinischen ORATORIE und POESIE (...) Leipzig 1731 (postum). Neukirch, J. G., Anfangs=Gründe zur Reinen Teutschen Poesie a.a.O.
Nicht selten verrät der Gebrauch der Begriffe »Logik« und »Dialektik« schon einiges von den hinter bestimmten Schulen der Tradition stehenden Logikkonzeptionen. Aristoteles verwendete » « in der Bedeutung von »wahrscheinlich« oder auch »erkenntnistheoretisch«; die in seinem wissenschaftlichen Sinn uns heute geläufige Bedeutung des Adjektivs »logisch« gab er mit » « wieder.11 In der Topik hebt er die apodeiktischen Schlüsse, die aus wahren Sätzen gezogen werden, ab von den dialektischen, die aus nur wahrscheinlichen Prämissen gewonnen sind.18 Ein aufschlußreiches Kriterium für die Zuordnung von Logiktheorien zur aristotelischen Konzeption oder zu anderen Schulrichtungen bedeutet gerade die Abgrenzung und Bestimmung des jeweiligen Dialektikbegriffs. In drei Bedeutungen vor allem wird er in der Logiktradition des 16. und 17. Jahrhunderts verwendet: 1. »Dialektik« firmiert für die Logiklehre überhaupt. Nach Ramus, dem einflußreichsten Logiker des 16. Jahrhunderts, findet das gesamte »Organon« unter dem denkbar umfassenden Titel »Dialektik« Platz.13 Ähnlich zitiert Vossius »Logik« und »Dialektik« als Synonyma,14 und auch bei Valla decken sich die Begriffe ihrer Extension nach fast völlig. Der einzig nennenswerte Unterschied in der Vallaschen Definitionsbestimmung beider Wissenschaften liegt in der Festlegung der Logik auf »rationalis scientia« und der Dialektik auf »scientia sermocinans«.15 2. »Dialektik« wird eingegrenzt auf die Lehre von den Wahrscheinlichkeitsschlüssen. »Logik« ist nicht mehr substituierbar für »Dialektik«, sondern umfaßt als Oberbegriff »Dialektik« und »Analytik«. Aristoteliker, wie etwa Jacob Thomasius, erkennt man an dieser Aufteilung.16 Aristoteles selbst nannte seine Topik »Dialektik«. 3. Bisweilen begegnet auch die Verwendung des Wortes »Dialektik« in der Bedeutung von »Disputationslehre«; ein Sprachgebrauch, der sich 11 12
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Bochenski, J. J., Formale Logik a.a.O. 53. Aristoteles, Topik I, i, a.a.O. i. Vgl. hierzu Weil, Eric: Die Rolle der Logik innerhalb des aristotelischen Denkens. (1951) In: F.-P. Hager (Hg.): Logik und Erkenntnislehre des Aristoteles. Darmstadt 1972, 172. Risse, W., Die Logik der Neuzeit, i. Bd., a.a.O. 126. Risse zählt mit W. J. Ong 253 Ausgaben und Bearbeitungen der ramistischen Dialektik, die vor allem in calvinistischen Territorien Verbreitung fand, (ebd. 122). Vossius, G. L, De Logices et Rhetoricae Natura a.a.O., Logik 2. Gerl, H. B., Rhetorik als Philosophie a.a.O. 196. Thomasius, J., Erotemata logica a.a.O. Vorr. unpag. [) : ( s r ] f. Vgl. Einführung von W.Risse zu: Zabarella, Jacobus: Opera logica. (Köln ! 597) Neudr. hg. v. W. Risse, Hildesheim 1966, VI. 29
auf die platonisch-aristotelische Tradition und die Scholastik des Mittelalters berufen kann. Wilhelm Risse charakterisiert Weises Logik pointiert als aufklärerischpädagogische Vernunftlehre.17 Hier seien an Weises Logiklehrbüchern einige ihrer Traditionszusammenhänge angedeutet. Weise zitiert explizit das Aristotelische »Organon« und übernimmt mit fortschreitendem Text ganze Kataloge von Einteilungskategorien sowie zahlreiche Fachdefinitionen aus der peripatetisch-scholastischen Logik, dies trotz verbaler Reserven gegen unnötige Subtilitäten.18 An der Universität Leipzig hatte sich der Student eingehend mit Suarez und dem Aristotelismus beschäftigt.19 Auch der Rezeption Weises blieb die teilweise aristotelische Provenienz seiner Logiktheoreme nicht verborgen. Weises Schüler Johann Christian Lange gab den »Nvclevs Logicae Weisianae« mit Anmerkungen versehen heraus, in der auf dem Titelblatt erklärten Absicht, die solideren Grundlagen der reineren peripatetischscholastischen Logik bei Weise sichtbar werden zu lassen.20 Als Antwort auf eine wenig freundliche Kritik von Langes Aristotelesverteidigung die Kritik erschien in den »Acta Eruditorum« vom August 1713 reagierte der nämliche Autor mit einem zweiten Versuch, eine Lanze für die aristotelische Logik zu brechen.21 Neben Lange zählte ferner J. H. Zopf den Logiker Weise hauptsächlich den Peripatetikern zu.22 Dessenungeachtet gewann für ihn das ciceronianische Dialektikprogramm der Humanisten die doch wohl größere Bedeutung. Dieses Modell einer Rhetorialdialektik reicht in der Geschichte der abendländischen Logik noch über Cicero zurück. Schon die griechische Stoa hatte die von Platon und Aristoteles scharf herausgestellte Opposition der »Apodeiktik« und »Dialektik« verwischt. Eine Gruppe von Stoikern unterteilte die Logik in Dialektik und Rhetorik und faßte mit dem Sammelnamen »Dialektik« so unterschiedliche Wissenschaften zusammen wie Grammatik (Syntax, Semantik, Phonologic), Erkenntnistheorie und 17 18 19 20
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Risse, W., Die Logik der Neuzeit, Bd. 2, a.a.O. 559 f. Weise, C., Dt. Logik a.a.O. 16 u. 37. Hörn, H. A., Christian Weise als Erneuerer d. dt. Gymnasiums a.a.O. 18. Lange, Johann Christian: NVCLEVS LOGICAE WEISIANAE: Editus antehac AVCTORE CHRISTIANO TEISIO (...) sie auctus & illustratur, Vt vera ac solida LOGICAE PERIPATETICO-SCHOLASTICAE PVRiORis Fundamenta detegantur (...) Gissae - Hassorvm 1712. Vgl. ebd. Vorr. unpag. [) : ( 2r] f. Mencke, Joh. Burckhard (Hg.): ACTA ERVDITORVM (...) Leipzig 1713, 367 ff. (»jo. CHRISTIAN! LANGii (...) Nucleus Logicae Weisianae.«). Lange, J. C.: DISSERTATIO APOLOGETICA PRO LOGICA ARISTOTELICA GENVINA MAXIME LOGICA. GlSSae 1714.
Zopf, Johann Heinrich: LOGICA ENVCLEATA, Oder Erleichterte Vernunft= Lehre (...) (173 r1), Halle 1784*, 23.
Poetik.23 Die Divergenz zwischen Rhetorik und Dialektik reduzierte sich; Dialektik wurde die Wissenschaft vom richtigen Sprechen (nicht mehr: Denken) in Frage und Antwort, Rhetorik zur Lehre vom guten Sprechen eines längeren monologischen Textes.24 Zeno prägt zur Illustration der Differenz von Logik und Rhetorik das Bild der geballten Faust und der gespreizten Hand, das den Unterschied im beiderseitigen Darstellungsstil (Kompaktheit - Ausführlichkeit) wiedergeben soll." Weise und später Peucer bedienten sich, wie vor ihnen schon Cicero, Quintilian, Valla, Agricola, Sturm und Hegendorphinus dieses Vergleiches.26 Cicero, eine für Weise maßgebliche Autorität,27 stützte sich auf die Aristotelesinterpretation des alexandrinischen Kommentators Adrastus, derzufolge die Topik das Kernstück des gesamten Organons ausmacht. Abweichend von der peripatetischen Schule ordnet Cicero die Dialektik, definiert als »ars disserendi«, d. i. debattierende Erörterung eines Sachproblems, der Rhetorik unter. Die ersten beiden der fünf Teile der Rhetorik, inventio und äispositio, machen zusammen nach Cicero die Logik aus.*8 Konform »borgt« Weise, wie er eigens hervorhebt, von der »Oratorie« das Einteilungsschema für die Logik: inventio, äispositio, elocutio sollen auch die Teilstücke der Logik abgeben.29 Für Weise verwirklicht das Projekt einer rhetorischen Logik mustergültig die Gerichtsrede.80 Aus ihrem Abwägen des Für und Wider entgegenstehender Argumente 23
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Prantl, C., Geschichte der Logik im Abendlande, i. Bd. (1855) a.a.O. 414. Zeller, Eduard: Die Philosophie der Griechen in ihrer geschichtlichen Entwicklung. II, 2 (»Aristoteles und die alten Peripatetiker«) 1963*, 68 f. Bochenski, J. M., Formale Logik, a.a.O. 126 f. Prantl, a.a.O. 413. Prantl, ebd. Weise, C., Gelehrter Redner a.a.O. 953. ders.: Oratorische Fragen (...) Leipzig 1706, 263. Peucer, D., Erläuterte Anfangs=Griinde der t. Oratorie a.a.O. 10. Cicero, M.T.: ORATOR. In: A. S. Wilkins (Hg.): M. TVLLI CICERONIS RHETORICA. Bd. II, (1903^ Oxonii 1950, XXXII, 113. Quintilian, Institutionis oratoriae U, 20, 7 a.a.O. i. Bd. 268. Zu Valla, Agricola, Sturm, Melanththon, Hegendorphinus vgl. Risse, W., Die Logik der Neuzeit, i. Bd. 16 u. 70. Vgl. Weise, C., Dt. Logik a.a.O. Vorr. unpag. 9. ders.: INSTITUTIONES ORATORIAE ad Praxin hodierni Seculi accomodatae (...) Lipsiae 1687, Vorr. [ ) : ( 3 ] , ders.: Freymüthiger und hoff lieber Redner/ das ist ausführliche Gedancken von der PRONUNCIATION und ACTION (...) o. O. (Leipzig) 1693, Vorr. unpag. §S LXXXI ff. ders., Oratorische Fragen ebd. 10. Cicero, M. T.: TOPICA, 2. In: A. S. Wilkins (Hg.) a.a.O. Bd. II. Weise, Dt. Logik a.a.O. 506. Weise, C., Dt. Logik ebd. 450.
hatte Cicero bekanntlich die Dialektik der Rede entwickelt. Im 16. Jahrhundert vertraten eine Reihe juristischer Logiken die ciceronische Rhetorialdialektik.31 Cicero bekannte von sich, er sei als Redner nicht aus den Werkstätten der Rhetoren, sondern aus den Hallen der Akademie hervorgegangen.32 Die Trennung der Kunst des Denkens von der des Redens verhinderte nach ihm die mögliche Perfektion in der Beredsamkeit.33 Für die unheilvolle Spaltung von Philosophie und Rhetorik wird Sokrates verantwortlich gemacht.84 In der eigenen Person will Cicero die gefährliche Kluft überbrücken.35 Er unterstreicht mehrfach, daß ohne Philosophie ein Redner, wie er ihn sich vorstelle, nicht gebildet werden kann.38 An welcher Stelle im System das Instrumentarium des Philosophen dem Redner unentbehrlich wird, referiert Cicero im »Orator«: »nee vero sine philosophorum disciplina genus et speciem cuiusque rei cernere neque earn definiendo explicare nee tribuere in partis possumus nee iudicare quae vera quae falsa sint neque cernere consequentia, repugnantia videre, ambigua distinguere.«37
Auf Cicero beruft sich Quintilian: Rhetorik und Philosophie sind erklärtermaßen unzertrennlich sowohl ihrer Natur nach wie aufgrund der gesellschaftspraktischen Funktion.38 In anderem Zusammenhang, bei der Erörterung der Frage, inwiefern Rhetorik als eine Kunst zu gelten habe, argumentiert Quintilian: »nee potest ars non esse, si est ars dialectice, quod fere constat, cum ab ea specie niagis quam genere differat.« 39
Cicero verpflichtet rückte der Humanismus in Abkehr vom scholastischen Überhang der Dialektik das Trivium als ganzes wieder in den 31
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Risse führt als Vertreter Gammarus, Cantiuncula, Appellus, W. Vigelius und allen voran Hegendorphinus an. Risse, W., Die Logik der Neuzeit, i. Bd., a.a.O. 70. M. TVLLI CICERONIS ORATOR AD M. BRVTVM. 3, ii. In: A. S. Wilkins (Hg.): M. TVLLI CICERONIS RHETORicA. Bd. II, (i^c^1) London 1950*, S. 2. »quo fit ut veram illam et absolutam eloquentiam nemo consequatur, quod alia intelligendi alia dicendi disciplina est et ab aliis rerum ab aliis verborum doctrina quaeritur.« ebd. 5, 17, S. 4. M. TULLII CICERONIS DE ORATORS LiBRi TRES. Hg. v. Reinhold Klotz, 3. Buch, XVI, 60 f. S. 158 u. XIX, 72, S. 161. ebd. 3. Buch XXXV, 142 f. S. 177. ders., Orator a.a.O. 4, 14, S. 3. Cicero, Orator 4, 14, 8.3 und ders.: De Oratore, 3. Buch XXXV, 142 f., S. 177. Orator, 4, 16, S. 3 f. Quintilian, Institution. Oratoriae I, Prooemium 13, a.a.O. i.Bd. 8. Vgl. ebd. 18, S. 10. ebd. II, 17, 42. i.Bd. 262. Rahn übersetzt die Begründung: »unterscheidet sie sich von der Dialektik doch eher wie eine Art von der Gattung.« (ebd. 263) Wir schlagen als
Vordergrund.40 Vives weist der Logik ihren Platz genau zwischen Grammatik und Rhetorik an: die Grammatik behandelt sprachliche Verlautbarungen bis zur Wortverbindung, die Dialektik bis zum Argument, die Rhetorik bis zur Rede.41 Die Zurückstufung der Logik auf instrumentelle Dienstfunktionen wendet sich von humanistischer Seite gegen die Präponderanz der scholastischen Logik innerhalb des mittelalterlichen Triviums. Die in ihre Grenzen verwiesene Logik darf bei Vives lediglich das Studium der schönen Wissenschaften fördern: »Ars (...) est dialectica, quae non sua causa addiscitur, sed ut reliquis artibus adminiculis praestet et quasi famuletur.«42 Valla inthronisiert die Herrschaft der Rhetorik über die Philosophie: »Siquidem philosophia velut miles est aut tribunus sub imperatrice oratione (.. .)** Unter den ciceronianischen Rhetorialdialektikern des 16. Jahrhunderts erlangten neben anderen Autoren besonders Agricola und Marius Nizolius Bedeutung. In seiner Logikgeschichte aus dem Jahr 1699 zollt Jacob Friedrich Reimmann Agricola hohes Lob, weil er als echter Ciceronianer die Logik für die Rhetorik fruchtbar gemacht habe.44 Nizolius zufolge bedarf nicht nur der Redner der Philosophie, sondern ebenso umgekehrt der Philosoph der Rhetorik.45 Im Sinne Agricolas ausgebildet darf mit Einschränkungen auch Johannes Sturm, wie Weise Rhetoriker, Logiker und Didaktiker in Personalunion, der Schule der ciceronianischen Rhetorialdialektik zugezählt werden. Sturm versagte einer grundsätzlichen Scheidung von logischer ratio und rhetorischer oratio die Zustimmung. Mit Sturm wie Cicero kongruierend möchte auch Weise, »daß Ratio und Oratio stets in einem anständigen und beliebten Bande verbleiben.«48 Anders als Agricola definierte Sturm die Logik zwar nicht mehr rhetorisch, sondern kontaminierte humanistische und aristotelische TheoÜbersetzungsalternative vor: »unterscheidet sie sich ... mehr der Art als der Gattung nach.« Im Hinblick auf die Gattung der »ars« kommen nach Quintilian eben beide überein. 40 41 42
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Vgl. Gerl, H.-B., Rhetorik als Philosophie a.a.O. 68. Risse, W., Die Logik der Neuzeit, i. Bd., 38. Zit. nach Risse, ebd. 37.
Valla, Laurentius: Opera omnia. i Bde. hg. v. E. Garin, Torino 1962, I, 907; zit. nach Gerl, a.a.O. 78. Reimmann, Jacob Friedrich: CRITISIRENDER Geschichts=Calender Von der LOGICA (...) Franckfurt 1699, ao u. 45. Wesseler, M., Die Einheit von Wort und Sache a.a.O. 37. Weise, Dt. Logik a.a.O. 506. 33
reme;47 gerade sein Aristotelismus aber machte ihn als Anreger für Weise wiederum attraktiv. Wesentlicher als aristotelisch-scholastische Entlehnungen charakterisieren, drittens, Hinweise auf eine Rezeption der Melanchthonschen Dialektik C. Weises Logiktheorie. Weise schließt sich der allgemeinen Wertschätzung Melanchthons im protestantischen Deutschland an, wenn er ihm den Ehrentitel eines »communis Germaniae praeceptor« zuerkennt,48 der Melanchthon für das protestantische Deutschland uneingeschränkt zukam. Seine pädagogisch konzipierte Dialektik wurde das maßgebende Logiklehrbuch für die Lutheraner.46 Aus einer statistisch abgesicherten Untersuchung des Lektürekanons Bremer Bürger im 17. Jahrhundert geht die Verbreitung von Melanchthons Dialektik bei Bürgern und Patriziern hervor.80 Melanchthon, ebenso wie Sturm Agricolaschüler, wendete sich allmählich von der Ciceroschule ab und Aristoteles zu. Vor allem in seiner Frühzeit legte Melanchthon Wert auf die enge Verknüpfung der beiden artes: »Ita admixta dialectica rhetoricae, non potest ab ea prorsus divelli (.. .)51
Zur Bekräftigung referiert Melanchthon die gebräuchliche Auffassung, beide Künste kämen im Inventio- und Dispositioteil überein. Außerdem sei die Logik auch auf die Rhetorik angewiesen, denn ohne Rhetorik bleibe sie unverständlich. Wie weit bei der ersten Fassung seiner »Compendiaria dialectices ratio« (Lipsiae 1520) die Übereinstimmungen gehen, wird an einer Absichtserklärung offenbar, zu der ihn die Behandlung von Schlüssen anregt: »Velim artificium dialecticum cum rhetoricis ita semper comparari, ut spectaretur idem esse finis, idenaque usus rhetoricae ac dialecticae.«52
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Vgl. Risse, W., Die Logik der Neuzeit, i. Bd., 42. Weise, a.a.O. 207. Die Hauptaufgabe der Dialektik sieht Melanchthon im »Recte, ordine et perspicue docere.« Melanchthon, Erotematum dialectices a.a.O. Sp. 513; vgl. ders.: ELEMENTORUM RHETORICES LIBRI DUO. In: P.M. Opera, Bd. 13 a.a.O. Sp. 420. Den Namen »Dialektik« verdeutscht Melanchthon u. a. mit » unter richtkunst«. Ders., Erotematum dialectices Sp. 514. Zu Melanchthon und seiner Schule vgl. auch Risse, a.a.O. 79 ff. Engelsing, Rolf: Der Bürger als Leser. Lesergeschichte in Deutschland ijoo1800. Stuttgart 1974, 53. Melanchthon, Elementorum rhetorices a.a.O. Sp. 420. Vgl. ebd. Sp. 419: »Tanta est dialecticae et rhetoricae cognatio, vix ut discrimen reprehendi possit.« Melanchthon, P.: COMPENDIARIA DIALECTICES RATIO. Lipsiae 1520, in: Opera, Bd. 20, hg. v. H. E. Bindseil. Brunsvigae; 1854, Sp. 734.
Die diesbezüglichen Aussagen C. Weises werden in Kap. IV der Arbeit zur Sprache kommen, in dem die systematischen Relationen zwischen den Theoriesystemen von Logik und Rhetorik eingehender zu erörtern sind. Vor dem gemeinsamen Theoriehintergrund und der Einmütigkeit im Vorhaben, Rhetorik und Logik zu verbinden, würde auch verständlicher, warum Weise einer Charakterisierung Melanchthons durch Luther beipflichtet, die ähnliches hervorhebt. Luther, der an Aristoteles die Metaphysik, Ethik und Naturlehre verworfen hatte, an dessen Logik, Rhetorik und Poetik jedoch festhalten wollte," zeichnet den Freund vor anderen speziell wegen seiner Vermittlung von Logik, Sachkenntnis und Beredsamkeit aus: »RES SINE VERBIS LUTHERUS, VERSA SINE REBUS ERASMUS, ET RES ET VERBA PHILIPPUS.«"
2. Die zeitspezifische Verbindung von Logik und Rhetorik um 1700 a. Rhetorische Logik als Ausdruck einer Übergangssituation Mit seinem Programm einer rhetorischen Logik entwickelt Christian Weise Ansätze fort, die in der Tradition präfiguriert waren. Darüber hinaus aber können die Komponenten des Titels »Rhetorische Logik« auch die präzise Übergangssituation der Konzeption Weises zwischen den Kultursystemen von Barock und Aufklärung andeuten. Die rhetorische Komponente verwiese unter dieser Annahme dann eher auf poetologische Traditionselemente des 17. Jahrhunderts, die logische auf Denkfiguren der Aufklärung. Wenn für die Literatur des 17. Jahrhunderts eher der Einfluß rhetorischer Sprachgestaltung geltend gemacht und für Texte der Jahrhundertwende und Frühaufklärung stärker die Relevanz sachlich-logischer Sprachideale unterstrichen wird, so greifen wir damit eine Anregung P. Böckmanns auf, der anhand zweier Schriften von Leibniz, der »Unvorgreifflichen Gedancken, betreffend die Ausübung und Verbesserung der Teutschen Sprache«55 und der »Ermahnung an die Deutschen, ihren 53
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Luther, Martin: An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung. In: Luther, M.: Werke. Kritische Gesamtausgabe. 6. Bd. Weimar 1888. Neudr. Graz 1966, 459 f. zit. nach Weise, C., Oratorische Fragen a.a.O. 487. Leibniz, Gottfried Wilhelm: Unvorgreiffliehe Gedancken (...) In: August Schmarsow (Hg.): Leibniz und Schottelius. Die Unvorgreiflichen Gedanken. Straßburg 1877.
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Verstand und ihre Sprache besser zu üben«,56 sowie des von Leibniz edierten Hauptwerkes des Marius Nizolius die sich ankündigende Umakzentuierung vom rhetorisch kunstgemäßen Sprachausdruck, auf den das Barock Wert legte, zur aufklärerischen Forderung nach sachlichphilosophischem Sprachinhalt erläutert.57 Böckmanns Hypothese steht durchaus mit literaturkritischen Äußerungen von Poetologen des frühen 18. Jahrhunderts im Einklang. Der Unterschied zwischen dem Deskriptionsversuch Böckmanns und den Standards der Kritik bei Bodmer und Breitinger, deren frühe Arbeiten zum Vergleich sich u. a. anbieten, liegt hauptsächlich in der zur Beschreibung hinzukommenden Bewertung bei der Kritikergeneration, deren poetologisches Selbstverständnis sich erst noch in der Abgrenzung von vorausliegenden Auffassungen definieren mußte. In ihrer Untersuchung »Von dem Einfluß und Gebrauche Der Einbildungs=Krafft« von 1727 heben die Schweizer die Abhängigkeit des literarischen Geschmacks von der »Scharffsichtigkeit des Verstandes« hervor. »Also ist kein Wunder«, folgern sie, »daß bey unsern Poeten der Geschmack so elende ist/ da sie die Philosophie/ die den Verstand reinigt und erhöhet/ verachten/ oder versäumt (!) haben: Da sie an statt der Logick die Rhetorischen Blumen und Figurn eingesetzt haben/ und die Qualitäten der Sachen von denen sie reden/ nicht aus der Natur der Dingen/ sondern den Lexicis der Bey=Wörter herholen.«58
Nicht anders fordern die Herausgeber der Moralischen Wochenschrift »Patriot« gleichzeitig mit der Parole, »einzig der Natur und Vernunft zu folgen«, ausdrücklich die Ablösung der bisherigen Rhetorikrezepte durch Postulate der Logik.59 Die Aufklärung kontrastiert demnach nicht nur die Logik- oder Rhetoriklehre des vergangenen Jahrhunderts jeweils mit der neuen Logiktheorie oder den veränderten Rhetorikanforderungen des 18. Jahrhunderts, sondern weiß den früheren Stellenwert der Rhetorik für die Literatur nunmehr durch Philosophie und Logik eingenommen. Die aus der Rhetoriktradition stammenden Vorschriften für die Poetik gerieten in Mißkredit. Sie wurden der Aufklärung als nicht hin56 57 58
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Leibniz, G. W.: Deutsche Schriften. Hg. v. W. Schmied-Kowarzik. i.Bd. (»Muttersprache und völkische Gesinnung«) Leipzig 1916. Böckmann, Paul: Formgeschichte der deutschen Dichtung. (I949 1 ) Hamburg 1967*, 478 ff. (Bodmer, J. J. u. Breitinger, J. J.:) Vernünfftige Gedancken und Urtheile Von der Beredtsamkeit. Von dem Einfluß und Gebrauche Der Einbildungs= Krafft (...) Franckfurt u. Leipzig 1727, Vorr. unpag. [b3 r]. Vgl. auch ebd. ii2. Der Patriot. Neue und verbesserte Ausgabe (...) Hamburg 1737-38. 70. Stück. Vgl. Martens, Wolfgang, Die Botschaft der Tugend. Die Aufklärung im Spiegel der deutschen Moralischen Wochenschriften. (1968*) Stuttgart 1971, 462.
reichend begründeter, uneinheitlicher Rezeptenkatalog suspekt. Eine von wenigen Grundprinzipien, am besten von nur einem Prinzip, ausgehende konsistente und kohärente Literaturtheorie, wie die Frühaufklärung sie anvisierte, war nur auf logisch-philosophischer Basis zu konstruieren. Daß Barock und Aufklärung in der Literatur andere Schwerpunkte setzten, verraten ganz generell schon die Epochenbegriffe, die Phänomene aus verschiedenen Kulturbereichen bezeichnen: »Aufklärung« stärker eine Epoche der Philosophie und Geistesgeschichte, »Barock« eine der Kunst.60 Im Barock basieren Poetik und Rhetorik auf der Priorität des Wortes gegenüber dem Begriff. In den Rhetoriken der Frühaufklärung kehrt sich das Verhältnis um. Die Konzentration auf die sprachlichtechnische Ausarbeitung eines Textes muß hinter der auf Denkinhalte und Argumente zurückstehen. Analog dazu verlagert sich das Schwergewicht des Interesses vom Elocutioteil, der sich in poetischen Trichtern und Schatzkammern des Barock zeitweilig verselbständigt, zur dispositionellen Konstruktion von Texten in der Frühaufklärung. Die Bewegung hat ihre stilistische Entsprechung in der aufklärerischen Reduktion barock-rhetorischer Variatio auf Begriffe, die den wesentlichen Merkmalverband einer Sache treffen. Tautologien oder Paraphrasen werden verpönt. Der Einfluß der Logik reicht in der Frühaufklärung spürbar in die Rhetorik. Nicht schon Rhetorik schlechthin, sondern erst der »Philosophischen Oratorie« erkennt man die volle Daseinsberechtigung im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts an. »Ich halte für einen Fehler«, moniert G. P. Müller, »daß man unserer geliebten Alten Weg verlassen, und auf Academien die Rhetoric nicht mehr, als einen Theil der Philosophie, durch richtigen Beweiß der Grund=Sätze und Regeln hören wollen.«61
Müller lastet den Mißkredit, in dem der Name »Rhetorica« heute stehe, zum einen schon den griechischen Rhetoren an, deren Disziplin allmählich zum Exerzierfach für Wortgezänk heruntergekommen sei; zum ändern Schulmännern der jüngsten Vergangenheit, für die sich die Redelehre in der Darstellung der genera dicendi sowie »einer collectur von Exempeln der Troporum und Figuren« erschöpfe.'2 Müllers Forderung, daß niemand elegant zu reden oder zu schreiben vermöge, wenn 80
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Vgl. Burger, Heinz Otto: Die Geschichte der unvergnügten Seele. Ein Entwurf. In: H. O. Burger: Dasein heißt eine Rolle spielen. Studien zur deutschen Literaturgeschichte. München 1963, 124. Müller, Gottfried Polykarp: Abriß einer gründlichen ORATORIE (...) Leipzig 1722, 14. Müller, G. P., Academische Klugheit (...)· *· Teil Leipzig 1712, 37. 37
er nicht zuvor gut zu denken gelernt hat, wird von einer Reihe von Aufklärern geteilt, die an der Barockrhetorik den nämlichen Fehler der Elocutiobevorzugung aufdecken. Hallbauer etwa analysiert das Fehlverhalten in der »Vorrede von Den Mängeln Der Schul=Oratorie« wie folgt: »Man macht den Anfang von der Elocution, und will den Leuten eher reden, als gedencken lernen: daher geschiehet es, daß die meisten Redner beym Ausgange weder reden, noch gedencken können (.. .)«fl3
Die zeitliche wie logische Priorität des Denkens vor dem Sprechen zu unterstreichen wird ein Anliegen des aufklärerischen Literaturprogramms. Maßnahmen, die darauf hinausliefen, daß sich die Gedanken den Wörtern anzubequemen hätten - und nicht umgekehrt die Wörter den Gedanken - wären nach Hallbauer ebenso paradox wie wenn ein Schneider den Körper eines Kunden nach dem fertigen Anzug zurechtstutzen wollte.84 Die Gegenüberstellung von Denkinhalt und Formulierung verschärft sich bei Logikern der Frühaufklärung gelegentlich zum offenen Sprachmißtrauen. Buddeus warnt vor der Verführung zu oberflächlichen Einsichten durch die Wortwahl. Worte seien der Erkenntnis oft direkt hinderlich: »Dubium enim non est, multos errores nos euitaturos, si rebus ipsis intellectus intentus verba non curaret.«65
Der um 1700 hochangesehene Francis Bacon war mit seiner Skepsis gegenüber der Eloquenz den Aufklärern ein Schrittmacher. Am Humanismus hatte Bacon bemängelt, daß im Zuge der Polemik gegenüber scholastischen Barbarismen die Wißbegierde für Denkresultate zuungunsten einer Interessenlimitierung auf verbale Eleganz Schaden genommen habe.96 Die Konfrontation von Logik mit Rhetorik - einer unphilosophischen Rhetorik - innerhalb der Aufklärung, mit dem Resultat der anerkannten Logikdominanz, lag indes dem Poetologen Weise noch fern. Wie sehr es Weise gerade auf die Verbindung von Logik und Rhetorik ankam, vermag ein Passus der »Curieusen Fragen über die Logica« zu erhellen, in dem der Autor sich die Frage vorlegt, warum Logiker von früher zum Teil wenig Aufhebens von der Angewiesenheit beider Disziplinen aufeinander machten. 63 84
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Hallbauer, F. A., Anweisung zur verbesserten teutschen Oratorie a.a.O., Vorr. unpag. [35 r]. Ebd. 216 u. 224. Buddeus, Joh. Franciscus: ELEMENTA PHILOSOPHIAE INSTRVMENTALIS (...) i.Bd. Halae 1703, 130. Die Stilkultur beim Vortrag verfolgt Buddeus mit demselben Argwohn: »verborum potius quam rerum curam gerentes.« (ebd. 238). Bacon, F., De dignitate et augmentis scientiarum a.a.O. 450 f.
»In vorigen Seculis waren die Logici der Speculation etwas ergeben/ und also kunten sie mit den oratorischen Künsten nicht zu rechte kommen/ welche sich nicht in Abstractis, sondern in Concretis, nicht in Theoria, sondern in Praxi recommendiren wolten. Hingegen die Oratores waren in ihren Galanterien etwas genau/ ufi wolten den Philosophis keinen Terminum, auch wol keine Formul zu gute halten: doch in diesem Seculo muß man gleichwol GOtt dancken/ daß unterschiedne Professores Logicae nicht allein das Ihrige wol in Oratoriis praestiret haben/ sondern daß sie auch ihr oratorisches Talent in einem ziemlichen Grade so wol ihrem geschickten Naturell, als auch ihrer Logica haben dancken müssen.«·7
Weise deklariert sein Konzept der Verschränkung von Oratorie mit einer praxisnahen Logik zu einem Zeitspezifikum (»in diesem Seculo«). Es erscheint darum angebracht, ausgehend von einer Kommentierung des Abschnitts die These Weises an einem durch die Logikgeschichte um die Epoche der Frühaufklärung gelegten Querschnitt auf ihre Sachhaltigkeit zu prüfen. Als Forderung der Zeit begriff auch Leibniz die Zusammenführung von Dialektik und Rhetorik. In der Einleitung zur Neuausgabe von »De veris principiis et vera ratione philosophandi contra >PseudophilosophosSi vis me flere< zurückgehen. Stenzel, Jürgen: >Si vis me flere .. .< - >Musa iocosa mea.< Zwei poetologische Argumente in der deutschen Diskussion des 17. und 18. Jahrhunderts. DVjs 48, 1974, 656. 97
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Auseinandersetzung mit Traditionsbeständen kund, sondern häufig auch im zustimmend-akzentuierenden Rückgriff auf eben diese Tradition. Beides kann sich vertragen: Texte mögen sehr wohl »Fürsprecher des Alten« sein und doch gleichzeitig »Neues ankündigen«. Der Einspruch, so berechtigt er für das 17. Jahrhundert die beherrschende Rolle der Tradition in Erinnerung ruft, stellt sich nicht der weiterführenden Frage, warum bestimmte Postulate der Tradition in einer neuen historischen Situation aufgegriffen werden. Die vermeintlich konstant bleibenden Traditionselemente erhalten in neuen Epochenzusammenhängen eine veränderte, zeitgenössische Funktion. Wenn im 17. Jahrhundert gegen »Scholastic!« polemisiert wurde, kann die Kritik zwei ganz verschiedene Objekte im Visier haben: sie kann sich gegen das zeitgenössische Schulwesen richten (»scholasticus« = >SchülerAllegorie< - im Sinn der fortgeführten Metapher — für das zu erwartende Liebesspiel zwischen Braut und Bräutigam. Die Beliebtheit der Übertragung von Usancen des akademischen Lebens auf solche des ehelichen resultiert aus der Konfrontationskomik von ehrwürdiger Gelehrsamkeit mit frischer, erotischer Aktivität. Seine Legitimation gewinnt der metaphysische Prozeß durch die ausgesparten »tertia comparationis«: beide Vergleichsglieder können als Kommunikation zwischen komplementären Partnern betrachtet werden; beide, Liebe wie Disputatio, gelten als »Kriege«. Der metaphorische Topos vom »bellum amorosum« ist als antiheroische Parodie des Siegens so alt wie die Liebesdichtung selbst und blieb Gemeingut der neulateinischen und deutschen Dichtung im 16. und 17. Jahrhundert.138 132
Feind, Barthold: Deutsche Gedichte (.. .) I. Teil o.O. 1708, 476. (Hunold, F.:) Theatralische/ Galante Und Geistliche Gedichte/ Von Menantes. Hamburg 1706, II., 162 ff. 134 Weise, Christian: Der Grünen Jugend Nothwendige Gedancken (...) Leipzig und Weißenfels 1675, 91 ff. 135 Rothmann, Joh. Friedrich: Lustiger Poete (. ..) o.O. 1711, 87. 3 Ovid, Amores I, 9, i: »Militat omnis amans et habet sua castra Cupido«. Vgl. Publius Ovidius Naso: Liebesgedichte. Amores. Lat. u. dt. v. W. Marg u. R. Harder. München 1968', 32. Caspar Earth schrieb ein »Erotopaegnion«. Ähnlich K. Stielers Gedicht133
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In gleicher Weise eine literarische Toposformel bildete die Wendung vom disputatorischen Krieg. Schupp rechnet 1659 satirisch in »Deutscher Lucianus« mit den überflüssigen »Logicalischen Kriegen« ab;137 Locke, C. Thomasius und Großer bedienen sich neben anderen Autoren des nämlichen Bildes.138 Die einzelnen Formulierungen in Rothmanns Hochzeitscarmen schöpfen aus Gewagtheiten ihren Reiz. »Pro gradu Viri« disputieren soll heißen: >im Liebeskampf wie beim Erwerb eines akademischen Grades seinen Mann stehenbarsche Abweisung< - Rückschlüsse auf die Charakterrolle des Namensträgers erlaubt.145 Welche Bedeutung Takt und Höflichkeit in der Disputatorik um 1700 zukam, wird noch näher im soziokulturellen Kontext der galanten Epoche zu entwickeln sein. a. Strukturelemente und Typologie der Disputatio Vom 17. zum 18. Jahrhundert vollzog sich mit der Disputatio ein Umstrukturierungsprozeß, der die mittelalterliche Institution in wesentlichen Punkten veränderte. Unbeeinflußt davon lassen sich invariante Strukturelemente an ihr isolieren, die, weil sie das Verständnis der tradierten Bildungseinrichtung wesentlich bestimmen, der historischen Beschreibung vorausgeschickt seien. Wer sich von der Disputatio des 17. Jahrhunderts im großen und ganzen ähnliche Vorstellungen wie von einer Diskussion heutzutage macht, könnte sich dabei sogar auf einige Autoren des 18. Jahrhunderts berufen, die die Grenze zur Diskussion absichtlich verwischten. Dem Verständnis der historischen Institution »Disputatio« dürfte indessen mehr gedient sein, wenn die Unterschiede gegenüber einer Diskussion von heute schärfer herausgearbeitet werden. Von ihr weicht die Disputatio erstens hinsichtlich der festen Anzahl der Beteiligten ab. Bei der jesuitischen Disputation setzte sich das Personal der Akteure - sieht man von der besonderen Form der Prüfungsdisputation einmal ab - aus vier Rollenträgern zusammen: dem Präses, Respondens, dem ersten und zweiten Objizienten. Bei den Protestanten tritt gelegentlich nur ein Opponens in Erscheinung, oder es werden wie in Altdorf - deren drei bestellt; in Ausnahmefällen sind Präses und
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Altfrz., mittelfrz. »rebouffer« = »faire bouffer«, »parier avec colere«, »repondre mal«. Wartburg, Walther v.: Französisches Etymologisches Wörterbuch, i. Bd. Tübingen 1948, 596.
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Respondens identisch.149 Von einer offenen Anzahl von Sprechern wie in einer Gesprächsrunde kann jedenfalls auch auf protestantischer Seite keine Rede sein. Unbeschadet der höheren Teilnehmerzahl formiert im wesentlichen eine Zweierkonstellation das eigentliche disputatorische Gespräch. Die Disputatio verkörpert - dies ein zweites Unterscheidungsmerkmal - eine in streng alternierender Folge sich ablösende Wechselrede im Medium des Latein zwischen nur zwei Sprechern; der zusätzliche Opponent darf erst einspringen, wenn der Vorgänger seine Schuldigkeit getan hat. Die traditionelle Disputatio charakterisiert, drittens, der geregelte äußere Rahmen, in dem sie stattfindet. Sie wird turnusgemäß anberaumt, die Thesen stehen vor dem Disputationsakt fest, der seinerseits sich pünktlich zur festgelegten Stunde vor einer Zuhörerschaft über einen genau bemessenen Zeitraum hinweg abspielt. Ein feierlicher Disputationsakt konnte einen ganzen Tag währen und mehrere Disputationen mit wechselnden Disputantengruppen enthalten. Was einige Sonderformen heutiger Diskussionstypen, wie die Medien- und Podiumsdiskussion kennzeichnet, bildete im 17. Jahrhundert bei der Disputatio die Regel: die Repräsentanten der Argumentationen haben ihre Rollen vor einem Auditorium zu vertreten.147 Die Zuhörer sind wie die Agierenden integrierender Bestandteil des Disputationsaktes, nach den opponentes ordinant ergreifen als opponentes extraordinarii aus dem Publikum die anwesenden Professoren und Magistri dem Range nach das Wort.148 Für die Magistri war zu jeder Disputation die Amtstracht vorgeschrieben; öffentliche Disputationen beehren - im Habit, wie sich versteht, - der Rektor und der Dekan der Fakultät mit ihrem Erscheinen. Disputaüones solennes finden vor der versammelten akademischen Bürgerschaft in festlichem Rahmen statt: man findet sich in Amtstracht im Auditorium ein, das mit Teppichen und Blumen geschmückt ist; wie bei einer Theaterinszenierung sitzen bzw. stehen die Protagonisten nicht selten auf erhöhtem Podium. An der traditionellen Disputatio fällt, viertens, eine strikte Befolgung bestimmter Disputationstechniken auf, wie sie dem heutigen Betrachter fremd erscheint. Jürgen Habermas blendet sie aus, wenn er im Kontext der Kritik am Peirce'schen Sinnkriterium behauptet: »In Schlußfiguren läßt sich denken, jedoch kein Dialog führen. Ich kann für eine Diskussion durch Schlußfolgerung Argumente gewinnen, aber 146
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Thomasius, J., Erotemata Logica a.a.O. 139. Lange, Johann Christian: NVCLEVS LOGICAE WEISIANAE (...) Gissae - Has-
sorvm 1712, 809. Hörn, E., a.a.O. 34.
J. C. Lange kennt als Sonderfall auch die Disputatio ohne Auditorium. Ebd. Vgl. zum folg. Thomasius, J. a.a.O. Hörn, E., a.a.O. 3, 10, 33, 87.
ich kann nicht schlußfolgernd mit einem Gegenüber argumentieren.«149 Eine jahrhundertelange Tradition der disputatorischen Argumentation und Auseinandersetzung korrigiert die von Habermas apostrophierte und als prinzipiell eingeschätzte Unmöglichkeit.150 Die scholastische Disputatio bestand gerade aus einem Dialog »in Schlußfiguren«. Jeder der Disputationspartner stellte nicht nur für sich »Beziehungen zwischen Aussagen her, die grundsätzlich monologisch sind«,161 sondern bezog obligatorisch zu jeder einzelnen der drei vom Gegner in einem Syllogismus vorgetragenen Propositionen negierend, konzedierend, distinguierend, sie explizit offenlassend Stellung und nahm den logischen Zusammenhang von Prämissen und Conclusio unter Augenschein.152 Die Pflicht zur detaillierten Bezugnahme auf jede argumentative Äußerung des Gegenspielers sollte Abschweifungen vom strittigen Diskussionspunkt vorbeugen und einer fortschreitenden Differenzierung der Probleme die Wege bahnen. Der relative Zeitpunkt ihrer Äußerung numeriert und bezeichnet die Antwortfolgen. Die erste Reaktion des Respondenten heißt »Replik«, die zweite »Duplik«, die dritte »Triplik« usf.153 Die Antwort konnte ohne Einschränkung eines der Sätze zustimmend oder ablehnend erfolgen oder mit einer limitatio bzw. distinctio verbunden sein.154 Der Widerlegungsversuch war auf direktem oder indirektem Weg statthaft; die direkte Widerlegung greift wenigstens eine Prämisse des Gegners oder den Implikationszusammenhang zwischen der Konjunktion beider Prämissen und der Conclusio an; die indirekte arbeitet mit Gegenbeispielen, der Umkehrung des gegnerischen Schlußsatzes und dem apagogischen Verfahren.155 Den wirksamen gedanklichen Fortschritt vermutete man weniger in der undifferenzierten Ablehnung eines gegnerischen Arguments als in seiner Distinktion und Limitation. Die limitatio grenzt die zu allgemein 149 150 151 152
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Habermas, Jürgen: Erkenntnis und Interesse. Frankfurt 1968, 176. Habermas dürfte die Gültigkeit eines Schlusses angesprochen haben, die unabhängig davon ist, ob ein anderer sie bestätigt oder ablehnt. Habermas, ebd. vgl. de Vries, J., Logica a.a.O. 169 ff. Noch I. F. Schneider dekretiert: »Et sane propositionum nulla (...) silentio praetermittenda est.« (Fvndamenta philosophiae rationalis a.a.O. 514). Müller, A. F.: Einleitung in die Philosophischen Wissenschaften a.a.O. 628. Lange, J. C., Nvclevs Logicae Weisianae a.a.O. 804. Zopf, J. H., Logica envcleata a.a.O. 333 ff. Großer, S., Gründliche Anweisung zur Logica a.a.O. 181 f. Lange, J. C. ebd. 808. In der Apagoge wird die gegnerische These als wahr unterstellt und mit einer unbestrittenen zweiten Prämisse so verbunden, daß eine offensichtlich falsche Konklusion aus beiden Prämissen gefolgert werden kann.
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formulierte These des Disputationsteilnehmers ein. Schon Aristoteles er rtert das Vorgehen anhand von S tzen, die nur zum Teil wahr sind. Es bietet sich an, sie so einzuschr nken, da sie mit einer Zusatzbedingung eine wahre Aussage ergeben.156 Die distincto sch lt hnlich der Umitatio den wahren Kern eines Satzes von dem ihm anhaftenden falschen Aspekt heraus; sie erl utert, in welcher Bedeutung die u erung einen richtigen Sinn ergibt und in welcher nicht.157 Im Idealfall m ndet die Disputatio in eine zunehmend genauere Differenzierung der Problemstellung. Ein f nftes Unterscheidungsmerkmal beschreibt sehr wesentlich die Besonderheit der Disputatio: das genau definierte Rollenverst ndnis der Agierenden. Aus ihm erkl rt sich das regelgeleitete Argumentieren der beiden Antagonisten. Denn die Aufgabe der Hauptakteure besteht nicht einfach darin, miteinander zu diskutieren, sondern gegeneinander zu argumentieren. Die pr zise Widerlegung des Disputationsgegners verfolgt von der ersten Objektion an jeder vorgetragene Syllogismus. Unter den denkbaren Interaktionsm glichkeiten der Disputatio stellt die Zweierkonstellation darum die zentrale dar. Gebunden an die Rolle darf sich keiner der Disputanten geschlagen geben, solange die Disputatio dauert. Umschreibungen des Disputs wie »gelehrter Krieg« oder »gelehrtes Duell« visieren die Rollenfixierung der Kombattanten an.158 Die vor dem Disputationsakt vereinbarte Defendensund O^/Owensrolle bezieht sich jedoch lediglich auf das umstrittene Hauptthema des Disputs, nicht auf den gesamten Disputationsverlauf. Bei der Diskussion von Teilproblemen darf sich der Opponens in einen Defendens verwandeln, oder umgekehrt dieser in den Angreifer. Die Disputatio als Rollenspiel setzt weder voraus, da die Akteure die eigenen Argumente pers nlich vertreten, noch da zwischen den Kontrahenten berhaupt eine ernsthafte Meinungsverschiedenheit vorliegt; nur auf der Disputatioszene besteht das Konsensverbot.159 Zu den Pflichten der Disputierenden geh ren solche, die ihnen gemeinsam auferlegt sind, 159 157 158 159
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Aristoteles, Topik S.Buch, 2. Kap., 157 b, a.a.O. 181. Aristoteles, ebd. 7. Kap., 160 a, ebd. 189. Gro er, S., Gr ndliche Anweisung zur Logica a.a.O. 168 f. Vgl. Anm. 138. H. Conring in der Vorrede zu Naaman Bensenii Exercitatio politica de summae potestatis subjecto, Helmestadii 1651: »Ea nimirum est conditio exercitationum istiusmodi scholasticarum, in rebus praesertim levioribus, quales quaestiones meo Galeno λογικαι dicunter, ut illi ludi quidam sint διαλεκτικής γυμνασίας; ut ostendat respondens, quid possit in defendenda proposita thesi, opponens quid in ea oppugnanda: perinde sicut olim dialecticae disputationes non fuere ζητητικαί του άληϋοΰς, ceu loquebatur Aphrodisaeus Alexander (. ..) Respondentum privilegia, qui nequaquam tenentur theses suas rationibus approbare aut extra pu-
und andere, denen Respondens, Opponens und Präses getrennt nachzukommen haben. Das Amt des Präses liegt in der Leitung der Disputatio. Er kontrolliert als Moderator, ob die Disputationsregeln eingehalten werden, unterstützt, wenn nötig, den Respondens, erläutert Unklarheiten, ergänzt Fehlendes, verschärft Einwände, sollte der Opponens zu schwache angeführt haben, und faßt am Schluß das Ergebnis in einer Entscheidung der Streitfrage zusammen.160 Er repräsentiert eine Art richterlicher Instanz über den »Pro-« und »Contra-Anwälten«. Im Normalfall hat er die Thesen selbst formuliert und trägt dafür Sorge, daß ihnen der Respondent zum Sieg verhilft. Der Präses verantwortet die Disputatio vor dem Auditorium, er muß sie lehrreich gestalten. Die Aufmerksamkeit der Disputanten hingegen gilt mehr dem Gesprächspartner als dem Publikum. Rücksichten auf die öffentliche Inszenierung des Streitgesprächs sind allerdings auch den Kontrahenten nicht fremd. Das Publikum erwartet von beiden, daß ihre Darlegungen ohne Affekte und spöttische Invektiven auskommen.191 Jedem der Gegenspieler ist vor der Replik eine Zusammenfassung der gegnerischen Argumentation aufgetragen.162 Die Repetition stellt unter Beweis, ob die Thesen und Argumente des Kontrahenten tatsächlich auch wie von ihm intendiert verstanden wurden. An besonderen Pflichten obliegt dem Opponenten die Entwicklung des status controversiae, das bedeutet, er hat zur Grundthese des Respondenten die präzise Gegenthese in einem kategorischen, direkten Syllogismus zu formulieren.163 Der Respondent wird Begründungen der Gegenthese verlangen und durch geschickte Manöver dem Opponens zunächst die Beweislast zuschieben.164 Auf längere Sicht hat er dem Opponenten jedoch Genüge zu tun. Er darf auf Einwände hin also nicht permanent neue Beweise für seine eigene These auskramen, sondern muß alles daransetzen, den Einwand zu entkräften.185
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blici examinis actum super iis cum quopiam contendere.« Zit. nach Hörn, E., a.a.O. 4 f. Hörn hat Schwierigkeiten mit den klaren Ausführungen Conrings und spricht von einem »abusus disputandi« bei Conring, weil der Verfasser dem Rollenverhalten der Disputanten keine Bedeutung beimißt. Lange, J. C., Nvclevs Logicae Weisianae a.a.O. 97 f. Schneider, I. F., Fvndamenta philosophiae rationalis a.a.O. 532. Thomasius, J., Erotemata logica a.a.O. 145. Thomasius, ebd. 157, 168, 183. Schneider a.a.O. 514. Buddeus, I. F., Elementa philosophiae instrvmentalis a.a.O. 244. Thomasius, ebd. 145. Schneider, ebd. 501. Thomasius, ebd. i $7. Zedler, Johann Heinrich: Grosses vollständiges UNIVERSAL LEXICON Aller Wissenschafften und Künste (.. .) Halle u. Lpz. 1734, Neudr. Graz 1961, Bd. 7, Sp. 1059.
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Um mit dem Gegner über die volle Distanz gehen zu können, stehen agonale Fortführungsstrategien den Kämpfenden zu Diensten. Hat ein Disputant etwa einen Sachverhalt in Abrede gestellt, muß der andere die Begründung für die Negation widerlegen; konzediert der eine etwas, liegt am ändern der Nachweis, daß die betreffende Aussage nicht eingeräumt werden durfte. Wird ein allgemeiner Satz durch ein Gegenbeispiel falsifiziert, trachtet man danach, die Unähnlichkeit der Gegeninstanz und der von der generellen Regel erfaßten Fälle hervorzukehren. Führt der Gegner eine deductio ad absurdum, steht sein Kontrahent vor der Alternative, die hinzugezogene Prämisse in Frage zu stellen oder die Absurdität der Conclusio abzustreiten.18* Die distinctio oder limitatio verlangen wieder andere Antwortzüge: man greift das Fundament der Distinktion an, weil sie gegen eine i/j-uzszo-Regel verstößt, oder ihre Anwendung auf den speziellen Fall und zeigt, daß der kontroverse Begriff oder Satz beiden Distinktionsgliedern zukommt.187 Die bisherigen Ausführungen treffen auf die von der Scholastik entwickelte Disputationsform zu. Für Anhänger der aristotelischen Logik repräsentiert sie die genuine Disputatio.188 Die traditionsreiche Entfaltung disputatorischer Möglichkeiten produzierte bis zum 18. Jahrhundert freilich neben dem syllogistischen Typ eine Anzahl anderer. Grundlegend unterscheidbar sind zunächst mündliche und schriftliche Formen der Disputatio.189 Das schriftsprachliche Produkt >Disputatio< liegt seinerseits noch einmal in zweifacher und durchaus verschiedener Gestalt vor: als monologische Abhandlung oder als schriftlich geführter Dialog. Im erstgenannten Sinn von »Dissertatio« oder »Erörterung« wurde das Wort »disputatio« schon in der Antike verwendet. Die akademische Dissertation war bis ins 18. Jahrhundert hinein eine lateinische Disputierschrift und geht auf Thesenblätter zurück, die man im 16. Jahrhundert zur Ankündigung öffentlicher Disputationen an den Türen der Auditorien anschlug. Erst allmählich begann man, die Thesen für den Druck auszuarbeiten und zu begründen. Vom Ende des 16. Jahrhunderts liegen Disputationsblätter in Quartformat mit gelehrten Anmerkungen zu den Thesen vor, die zunächst noch inkohärent anein1
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Buddeus, I. F., a.a.O. 254 f. Rüdiger, Andreas: DE SENSU VERI ET FALSI, LIBRI iv. (ijo?1) Leipzig 1722-, > 9 8 ff. Thomasius, J, Erotemata logica a.a.O. 186. Rüdiger, ebd. 599 f. Schneider, a.a.O. 507. Zedler, J. H., a.a.O. Sp. 1064 f. Lange, J. C., Nvclevs Logicae Weisianae 802. Lange, ebd. 808 f. Crousaz, J. P. de: Systeme de reflexions II, 276. Schneider, a.a.O. 488. Buddeus, a.a.O. 231. Zedler, J. H., a.a.O. Sp. 1058.
andergereiht waren.170 Das Titelblatt kündigte das Thema des bevorstehenden Disputationsaktes, Präses und Respondenten, Ort Zeit, Art und Veranlassung der Disputation an. m Dem erstgenannten Typ der schriftlichen Disputatio, bei dem nur ein Produzent für den Text verantwortlich zeichnet, könnten als Sonderform der Traktat im Kleid des fiktiven Dialogs und die Textsorte der Disputatio in utramque partem beigesellt werden. Der zweite schriftliche Typ setzte sich seit der Renaissance durch und verlangt stets zwei biographisch-reale Urheber; er bezeichnet eine Form des Briefwechsels und wissenschaftlichen Austausches unter Gelehrten. Unter dem Etikett der »Unterredungs= Lehr= und Streitbriefe« ersetzen diese schriftlichen disputationes nach Stieler den mündlichen Disput: man eruiert die Ansicht eines gelehrten Partners über philosophische, theologische und sonstige fachwissenschaftliche Probleme, um die Thesen des Korrespondenten zu Fall zu bringen.172 In solchen »Epistolae Disputatoriae« ist für J. Thomasius, Buddeus und Syrbius ein von Regelfesseln befreiter Diskussionsstil üblich.173 Wichtiger als die schriftliche wurde die mündliche disputatio genommen: die Disputierschrift war oft genug vom Präses verfaßt, so daß der Respondent erst eigentlich in der mündlichen Disputation Farbe bekennen mußte. Drei größere Gruppen akademischer Disputationen hebt E.Horn an der Universität des 17. Jahrhunderts hervor: disputationes publicae, circulares und privatae."4 Die »öffentlichen« Disputationen teilen sich in »ordinariae«, zu denen die Universitätslehrer von Amts wegen verpflichtet waren, und in - die häufigeren - »extraordinariae«, die etwa übungshalber auf Betreiben des Präses veranstaltet wurden. Nach ihrer Funktion lassen sich die öffentlichen Disputationen verschiedentlich rubrizieren: die disputationes pro gradu erstrebten den Erwerb eines akademischen Grades; die disputatio pro completione dient als Berechtigungsnachweis, als Seminarschein, wenn man will, um zur Prüfung vorgelassen zu werden; mit der disputatio valedictoria verabschiedete man sich - auch bei Universitätswechsel - von den Kommilitonen und Lehrern der bisherigen Bildungsstätte; die Abschiedsdisputatio 170 171
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Hörn, E., Die Disputationen a.a.O. 35 f., 86. Arten der Disputatio: »publice«, »circulariter«, »privatim«; Veranlassungen: »pro licentia«, »pro loco«, »valedictionis causa« u.s.f. Hörn,, ebd. 82 ff. Stieler, K., Teutsche Sekratariat=Kunst III, a.a.O. 1063 f. cf. auch: Thomasius, J., Erotemata rhetorica a.a.O. n. Schneider, I. F., a.a.O. 489. Thomasius, J., ebd. Buddeus, a.a.O. 232. Syrbius, Joh. Jacob: INSTITVTIONES PHILOSOPHIAE RATIONAUS ECLECTICAE (...) Jenae 1717, 395 ff. Hörn, E., Die Disputationen a.a.O. 9 ff. 83
galt gleichzeitig als Empfehlung bei der Immatrikulation an der neuen Universität. Anhand von Stipendiatendisputationen schließlich legte der Kandidat Rechenschaft über seine Stipendiatenwürdigkeit ab. Von Christian Weidling ist ein solches Stipendiatenspecimen erhalten.175 Disputationes circulares haben ihren Namen vom Disputationszirkel, der das Werk eines Autors Kapitel für Kapitel dergestalt durchdisputiert, daß alle Teilnehmer reihum Respondenten- und Opponentenpflichten übernehmen. In Privatdisputationen, die außerhalb der Universitätsoder Schulmauern stattfanden, war man nicht an die curricular vorgeschriebenen auctores und Lehrmethoden gebunden. Die Techniken mündlicher Disputationen werden um die Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert vorzüglich nach zwei Grundtypen erörtert: der bereits erläuterten syllogistischen und der gesprächsweisen Disputatio, die ihrerseits nach der dialogischen, der sokratischen und der enthymematischen Version typologisiert wird.176 Die syllogistische Disputatio verläuft in streng geregelten Bahnen und erlaubt den Teilnehmern, hierin der älteren dialogischen Diskussion im Stil Zenons, Platons oder Pythagoras' benachbart, einen paritätischen Anteil an Beiträgen. Die dialogische und die sokratische Frage- und Antwortmethode ähneln eher einer Unterhaltung als einer Disputatio. Bei der sokratischen Methode fällt die wichtigere und aktive Rolle unverkennbar dem Fragenden zu, der sein Möglichstes tut, um dem Kommunikationspartner solche Antworten zu entlocken, mit denen dieser eines Irrtums überführt werden kann. Sokrates kehrte die von der Sophistik entwickelte Fragetechnik gegen seine sophistischen Gegner, um sie ohne unerlaubte Winkelzüge mit den eigenen Waffen zu schlagen. I. F. Schneider fügt den landläufigen Typen noch die disputatio per carmina bei, wie sie Horaz in seinen satirischen »Sermones« glücklich vorgemacht habe. Diesen versifizierten Disputatio-
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»Disputationem suam ... de nova inquisitione ... Sub Praes. Dn. Joh. Riemer ... 1682 ... publice tuebitur Respondens et verus Autor Christ. Weidlingius ... Leucopetrae.« Zit. nach Hörn, E., ebd. 81. Thomasius, C., Auszübung der Vermmfft=Lehre a.a.O. 270 ff. Ders.: Kurtzer Entwurff der Politischen Klugheit (.. .) Franckfurt u. Leipzig 1710, 91. Ders., Einleitung zur Hof-Philosophie a.a.O. 209. Buddeus, a.a.O. u. 256. Syrbius, a.a.O. 389 ff. Rüdiger, A., De sensu veri et falsi a.a.O. 589. Lange, J. C., Nvclevs Logicae Weisianae a.a.O. 808 f. Fabricius, J. A., Anweisung wie man seinen Verstand 169. Müller, G. P., Academische Klugheit a.a.O. 169. Zopf, J. H., Logica envcleata a.a.O. 319 f.
typ erachtet Schneider allerdings wegen der überflüssigen Auflagen, die Metrum und Reim stellen, nur für bedingt tauglich.177 Hinsichtlich der Intention und des Realitätsanspruchs, die mit den in der Disputatio gemachten Aussagen verknüpft werden, hat es sich eingebürgert, die Disputatio ad rem von der ad hominem zu scheiden. »Ad rem« oder »nach der Wahrheit« (» 3 «) disputieren bedeutet, jemanden mit objektiven Sachgründen, von deren Richtigkeit der Argumentierende durchdrungen ist, überzeugen zu wollen. Wer »ad hominem« - griech. » ' - argumentiert, macht begründete oder vorurteilbehaftete Auffassungen seines Gegners den eigenen Zwekken dienstbar. Bezüglich der mit einem Disput verbundenen Absicht erlangt noch eine letzte Dichotomic Gewicht, die zwischen ernster und spielerischer Disputatio trennt. Bei der ernsten, die auch als »POLEMICA« der »IOCOSA« gegenübergestellt wird, steht der Sprecher voll und ganz hinter seiner Ansicht und bietet alle Kräfte auf, den Gegner auszuschalten. Die spielerische gewinnt für die Poesie eine gewisse Bedeutung; man vertritt die vorgetragene Meinung nur im Scherz und setzt den Gegenspieler bestenfalls zur Unterhaltung matt.178 h. Historische Bestandsaufnahme der Disputatio als Bildungsfaktor im 16. und ij. Jahrhundert An höheren Lehranstalten und Universitäten ergänzt im 16. Jahrhundert unter weitgehender Fortführung mittelalterlicher Lehrpraxis die disputatio die lectio. Was rezeptiv von der Vorlesung aufgefaßt und eingeprägt wurde, soll in der Disputatio appliziert und geübt werden. Disputationes erfüllen mannigfache Aufgaben. Sie dienen ebensowohl der Stoffrepetition und Prüfung von Examenskandidaten wie der Schulung im Anwenden neu gelernter Kenntnisse. Mit mündlichen und schriftlichen Disputationen mochte man sich um ein Patronat oder ein Stipendium bewerben. Die Übungsdisputatio ermöglicht dem Lehrenden die didaktische Kontrolle über das Ausmaß der Lernstoffaneignung. Das Vermögen zur Analyse logischer Zusammenhänge konnte beim Schüler geschärft und Geistesgegenwart trainiert werden. Vorbereitung und Ablauf einer größeren Disputation sind nach den Heidelberger Statuten von 1558 rekonstruierbar:179 vierzehn Tage vor dem Disputationstermin 177 178 179
Schneider, I. F. a.a.O. 493 ff. Lange, J. C., ebd. Zum folgenden vgl. Paulsen, F., Geschichte des gelehrten Unterrichts a.a.O. 272 f. 85
wird ein Magister als Präses bestimmt. Er wählt quaestiones zu einem. Thema oder ex universa philosophia, aus den Fächern des Triviums sowie aus Ethik, Physik, Mathematik je ein problema und überträgt einem besonderen Respondenten jeweils eine thesis disputahilis zur Verteidigung. Die Thesen aus Grammatik, Dialektik und Rhetorik werden Bakkalaurianden, die aus den höheren Fächern Magisterkandidaten zugeteilt. An der Tür des Artistenauditoriums sind die Thesen zur allgemeinen Kenntnisnahme angeschlagen; die Objizienten rüsten sich mit besonderer Sorgfalt. Der Präses eröffnet die Disputatio mit einer kurzen Erörterung der These in utramque partem. Die üblichen einstündigen jesuitischen Abenddisputationen folgen einem ähnlich schematischen Drehbuch.180 Thesen, Namen von Defendenten und Opponenten hängen rechtzeitig am Schwarzen Brett aus. Die Zuhörer sollen sich mitvorbereiten können. Das Präsidium führt der Professor des Faches, aus dem die diskutierfähige These ausgesucht wurde. Vom Katheder trägt der Defendant die erste These vor, entwickelt ihren status quaestionis, schließt die Beweise an. Nach dem »Satis est« - vom Präses gesprochen erhebt sich der Opponent zur Wiederholung derjenigen Voraussetzung des Defendenten, deren er sich anzunehmen gedenkt, und zum Vortrag eines Gegensyllogismus. Die jesuitische Studienordnung von 1599, nach der offiziellen Ausgabe von 1616, macht die Befolgung des syllogistischen Disputationskanons zur Gewissenspflicht. Die 20. Regel schreibt dem Lehrer der Philosophie vor: »Schon gleich vom Beginne der Logik an sollen die jungen Leute so angeleitet werden, daß sie beim Disputieren sich über nichts mehr schämen als über die Abweichung von der Form. Nichts verlange der Lehrer von ihnen mehr als Einhalten der Gesetze und des bestimmten Wechsels beim Disputieren. Daher wiederhole der Verteidiger zuerst den ganzen Einwurf ohne Gegenrede gegen die einzelnen Propositionen; hierauf wiederhole er nochmals die Sätze des Syllogismus und bemerke zu jedem >Ich gebe zu< oder >Ich verwerfe den Ober=, Unter=, Schlußsatz.< Bisweilen unterscheide er auch (.. .).«181
Mit der Repetition stellt der Schüler neben Disziplin auch Auffassungsgabe und memoria unter Beweis. Die formale Zucht der syllogistischen Disputationsgebote steht an den Ordenskollegien letztlich im Dienst inhaltlicher Disziplinierung. Ein Zögling, den jesuitische Gehorsamserziehung willfährig gemacht hat, eine Durchbrechung formaler Argumentationsregeln als moralisches Versagen sich anzulasten, wird ideologischer Indoktrination wenig entgegensetzen. Disputatorische Übungen dienten nicht zuletzt der Vorbereitung auf kontroverstheolo160 181
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cf. Duhr, B., Die Studienordnung der Gesellschaft Jesu a.a.O. 160. Ebd. 216 f.
gische Streitgespräche, in denen sich die Gegenreformation den Protestanden gewachsen zeigen mußte. Bereits für die Schulpraxis hatten sich Jesuitengymnasien wie protestantischen Gelehrtenschulen disputatorische Vorformen didaktisch empfohlen. Wissenspräsenz, Schulung im Denk- und Formulierungsvermögen, Schlagfertigkeit versprachen sich die Jesuiten für ihre Schüler von concertationes und anderen Wettbewerben eristischer Art. Das disputatorische Kräftemessen ordnete sich den Erziehungsidealen der »Societas Jesu« unter, deren Gründer - der ehemalige Offizier Inigo de Loyola - die gesamte Heils- und Menschheitsgeschichte als Kriegsgeschehen zwischen zwei feindlichen Lagern im Exerzitienbüchlein vorführt.182 Mit dem Komparativ des Wahlspruchs »Ad majorem Dei gloriam« schrieb Ignatius seinem Orden die ruhelose Militanz auf die Fahnen. Jesuitenlehrer bildeten mit der Elitegruppe jeder Klasse Schülerakademien, die sich unter dem Vorsitz des Lehrers nach Art einer wissenschaftlichen Gesellschaft zu gelehrten Privatübungen trafen. In drei Graden, gestaffelt nach dem Bildungsgrad der Teilnehmer, waren die Akademien aufgebaut: die erste Stufe nahmen die Grammatiker ein, die zweite die Rhetoriker und Humanisten, die dritte die Philosophen und Theologen. Auf der zweiten Stufe dieses graduellen Triviums verlangte man Gedichteausarbeitungen auch in deutscher Sprache; der »Akademiker«-Kreis der letzten Stufe pflegte die tägliche Disputation.183 Vom florierenden Disputationswesen an Jesuitenkollegien wie protestantischen Lehranstalten vermitteln B. Duhr, E. Hörn, F. Paulsen und W. Barner ein beredtes Bild. Im philosophischen Curriculum des Jesuitenlyzeums war allabendlich eine Stunde der Disputatioübung vorbehalten.184 Zu feierlichen Disputationen, die an höheren Kirchenfesten oder am Tag der Hl. Katharina {25. n.) — sie war Patronin der Philosophenklasse am Gymnasium - prunkvoll begangen werden, sind auch auswärtige Gäste willkommen,185 von deren Spenden ein Ordenskolleg nicht zuletzt abhing. Die Ordensscholastiker absolvierten eine einstündige Disputation an allen Werktagen. Die disputatio sabbatina in wöchentlichem Turnus dauerte zwei Stunden; an ihr nahmen auch Auswärtige teil. Einen Rang feierlicher wurde die disputatio menstrua begangen: sie fand in der Aula statt und währte vier bis fünf Stunden; 182 183 184
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Loyola, Ignatius von: Geistliche Übungen. Übertr. aus dem span. Urtext von Adolf Haas. Freiburg-Basel-Wien 1967, 54 ff. Duhr, a.a.O. 128 ff. Ebd. 156. Ebd. 72 u. 134.
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den Honoratioren der Stadt, Wohltätern und Freunden des Ordens ging eine Einladung mit den gedruckten Thesen zu. Die feierlichste Form der Disputatio repräsentierte die disputatio sollemnis; ihr Ritual wurde zweibis dreimal im Jahr aufwendig vor der Prominenz ausgesuchter Gäste exekutiert.186 Die Jesuitenuniversitäten reservierten der Rhetorik gar nicht mehr den Status eines eigenen Fachs; die Dialektik durfte sie voll und ganz ersetzen.187 Den protestantischen Lehranstalten hatte Luthers und Melanchthons Wertschätzung der Disputierkunst die Schulordnungen diktiert. Nach den Statuten der Heidelberger Universität von 1558 war in der Artistenfakultät für jeden Samstag eine Disputatio angesetzt. Die jüngeren Studiosi wohnten zusätzlich noch mittwochs einer besonderen Disputatioübung bei.188 Allein im Wintersemester 1606/1607 wurden am Stettiner Pädagogium nachweislich 20 Disputationen gehalten. Die Schulordnung der Soester Lateinschule von 1618 enthält einen Paragraphen »De disputationibus publicis & privatis«, der pro Semester vier öffentliche Disputationen festlegt, in denen der Lehrer der Oberklassen das Präsidium führt, und ein Sekundaner die Respondentenrolle übernimmt; private Disputationen sollen in den oberen Klassen samstäglich stattfinden.189 Zahlreiche ordentliche und außerordentliche Disputationen sind vom Danziger Gymnasium überliefert; durch das erhaltene Quantum ihrer Disputationen stechen besonders die Gymnasien in Rudolstadt und Bremen hervor.190 Einen Überblick vom Ausmaß des Disputationsbetriebes an protestantischen Lehranstalten im 17. Jahrhundert gewährt eine Aufstellung des Göttinger Pädagogen Fabricius; er faßte 1624 einen »Thesaurus philosophicus« ab, der bestimmt war, die Grundlage für ein Jahrespensum von 136 Disputationen zu bilden.191 Die Disputationen, die Anfang des 16. Jahrhunderts durch Poesie und Eloquenz etwas zurückgedrängt worden waren, kehrten im 17. Jahrhundert vermehrt wieder. Morhof beklagt im »Polyhistor« die unzulängliche Beschäftigung mit alten Sprachen; disputationes über logische und metaphysische Fragen vereinnahmten heutzutage alles Interesse.192 188 187 188 189 190
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Ebd. 162 ff. vgl. Paulsen., Geschichte d. gelehrten Unterrichts a.a.O. 431. Barner, Barockrhetorik a.a.O. 408. Paulsen, Geschichte d. gelehrten Unterrichts a.a.O. 272. Hörn, E., a.a.O. 76 f. ebd. 77 ff. Paulsen, a.a.O. 490.
Morhof, D. G., Polyhistor II, 9, a.a.O. 419 ff.
Förderung in Beredsamkeit und Scharfsinn erhoffte sich Christian Weise für seine Schüler von der Disputationspraxis. Als Aufgabe des Rektors für den Unterricht in der Prima sah er vor: »Horis extraordinariis turn artificia disputandi profectioribus aperiet; turn ad duplicem oratoriam, Ecclesiasticam et Politicam, futures sive Theologos sive Politicos manuducet.« 193
Disputatorik und Oratorie sind von Weise, wie so oft, in einem Atemzuge genannt. Weil rhetorische Verfahren in die Disputatorik eingriffen, bot sich die Verschränkung beider für weitere Redeanlässe in der Schule an: seine besten Schüler verabschiedete C.Weise gewöhnlich in einem Valediktionsakt, dessen Programm neben der Rede des Rektors eine öffentliche Disputatio unter Mitwirkung der künftigen Studiosi verzeichnete.194 An den Universitäten des 17. Jahrhunderts blieben die logisch-rhetorischen Methoden der Disputationskunst im Lehrbetrieb aller Fakultäten bis ins 18. Jahrhundert hinein in Schwange. Selbst für die juristische und medizinische Fakultät galt eine viermalige Disputatio als Mindestquote pro Jahr. In der Artistenfakultät waren Disputationen buchstäblich an der Tagesordnung. »Vom einfachen Scholaren bis zum Ordinarius kommt jeder fast täglich«, - Barner übertreibt keineswegs - »irgendwie mit dem Disputationswesen in Berührung.«195 c. Transformierungen des Disputationswesens in der Epochenwende vom . zum 18. Jahrhundert Verglichen mit der Funktion der Disputatio im 16. Jahrhundert sind Ende des 17. Jahrhunderts Neueinstellungen grundlegender Art ihr gegenüber und eine distanzierte Beanspruchung von Disputationstechniken unübersehbar. Im 16. Jahrhundert kam die disputatorische Logik als erprobtes Kampfinstrument für die ernste, konfessionelle Auseinandersetzung zur Geltung. Im 17. Jahrhundert wurde man sich mehr und mehr des Rollencharakters der disputatorischen Konfrontation bewußt, so daß am Jahrhundertende die Disputatio sich vielfach von einem galanten Konversationsspiel bei entsprechendem Anlaß nur unerheblich unterschied. Wenn im frühen 18. Jahrhundert die Disputatio wieder deutlicher in den Dienst überlegter Wahrheitsfindung trat, so gegenüber dem 16. Jahrhundert unter doch veränderten Vorzeichen. Sie wird nunmehr als Methode der Wahrheitsermittlung ernst genommen. Dies schloß ein, 193 194 195
Gärtner, T., Quellenbuch a.a.O. 50. Hörn, H. A., Christian "Weise als Erneuerer a.a.O. 113, 169. Barner, W., Barockrhetorik 407. 89
daß - anders als im 16. Jahrhundert - die kooperativ angestrebte Wahrheit für beide Parteien nicht schon von vorneherein feststand. Inhaltlich betreffen disputationes nun mindestens ebenso oft philosophische wie theologische Themen. (i) Disputatorik und Galanterie Um 1700 kommen im Disputatiowesen irritierende Neuerungen in Mode, die man als Äußerlichkeiten abtun könnte, wenn hinter ihrer Vielfalt - so der Verdacht — nicht eine gemeinsame Grundtendenz aufschiene, die ein Licht auf die Epoche wirft. Im 17. Jahrhundert hatten Disputationen immer wieder Anlaß zu Klagen über Zänkereien gegeben, die gar in rohes Schimpfen und Lärmen ausarteten.196 Um 1700 spiegeln die Berichte ein anderes Bild. Die Disputanten treten sich in der galanten Epoche neuerdings in modischer Kleidung gegenüber. In ihre Ausführungen flechten sie Komplimente ein, die wiederum nach der Logik disponiert sind. Den Akt der Disputatio flankieren höfliche Einleitungsund Schlußreden. Nebensächlichkeiten, wie die graziöse Fingerhaltung bei der distinctio erachten die Zeitgenossen selbst nicht ohne weiteres für nebensächlich.1*7 Eine Gruppe von Autoren will die syllogistische Disputationsform durch die sokratische Frage- und Antwortmethode ersetzt wissen: Sokrates tritt als Prototyp des unpedantischen Philosophen mit Beginn des 18. Jahrhunderts den Siegeszug über die mehr und mehr unpopuläre Leitfigur des Stubengelehrten und Rabulisten an.1'8 Die Entwicklung der Disputatio zur galanten Übung kann im Grunde genommen nur befremden, stellt man die unterschiedliche kulturhistorische Provenienz von Disputatorik und Komplimentierwesen aus Logiktradition und Gesellschaftsethik in Rechnung. In der Tat stehen sich im 17. Jahrhundert die Vertreter beider Bildungsinstitutionen, der Schulmann oder Logikprofessor auf der einen, der Höfling auf der anderen Seite, eher als Kontrahenten gegenüber, kaum als Sympathisanten. Spannungen zwischen den Lagern brachen in offene Polemik aus: bei den Gelehrten stießen die Höflinge auf Argwohn, weil sie sich durch nichts als ihre Abstammung, »Politesse« und Umgangsformen legitimierten; und am Hof waren die Schulgelehrten als Pedanten verschrien. Logau rechtfertigt die Diskrepanz von »Wissenschaft« und »Höflich198 197
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Hörn, E., ebd. 22 u. 93. G. P. Müller zur Gestik beim Vortrag: »Si distingvimus, motu manus partes signare decorum est, ubi simul pollicem uni ex duabus prioribus digitis concinne jungimus.« Müller, G. P., Idea eloquentiae a.a.O. 202. Borinski, Karl: Baltasar Gracian und die Hoflitteratur in Deutschland. Halle 1894. Nachdr. Tübingen 1971, 77.
keit« in einem Epigramm.199 Der Abt von Bellegarde bedauert es, daß oft die gelehrtesten Leute die wenigste Lebensart zeigten und die Höflichkeit unwichtig nähmen; Gelehrsamkeit verleite ihre Träger häufig zu »wunderlichen Geberden« oder zu demonstrierter Arroganz.200 Als Popanz für die gesamte scholastisch-verstaubte Gelehrsamkeit zog man im 17. Jahrhundert in der Figur des Monsieur >Barbon< speziell den Typ des hochmütig-weltfremden Disputanten durch.201 Konfliktstoff zwischen dem Schullogiker und Hofkavalier lag in den durchaus verschiedenen Ausrichtungen des Disputatio- und Komplimentierwesens. Zu den wesentlichsten Geboten der Galanterie gehörte Konzilianz. Wer intransigent auf seiner Meinung beharrte, stand bei Hofe sich selbst im Licht. Jeder Gesprächspartner durfte in der Konversation mit dem Entgegenkommen des anderen rechnen, und dazu gehörte auch, der Meinung des anderen, soweit irgend möglich, beizupflichten. Wächtler legt nahe, »nicht leicht zu contradiciren«, und Weise macht darauf aufmerksam, daß man durch Widerspruch den anderen, wenn nicht einer Unwissenheit, so sicher einer Unbedachtsamkeit zeihe.202 Von der Contradictio aber lebte die Disputatio. Für sie konstitutiv war bisher die Einnahme gegensätzlicher Positionen. Mit ihren sich ständig erneuernden Einwänden stellte die Disputatio das klassische Modell einer intellektuellen Auseinandersetzung dar. Jedes Kompliment, das sein Hauptziel, zu gefallen und den ändern geneigter zu stimmen, konsequent verfolgt, hängt von der Vorspiegelung einer Harmonie zwischen Sprecher und Empfänger ab. Alles, was das Einvernehmen im geringsten stören oder den Adressaten unangenehm berühren könnte, muß eliminiert oder wenigstens verbrämt werden. Ob eine Wahrheit unangenehm oder angenehm für einen Rezipienten ausfällt, darf demgegenüber keinen »purus putus logicus« interessieren. Die ernsthaft-aufklärerische Wahrheitssuche schließt im 199
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» K u n s t und Geschicke. Wissenschafft und Höfligkeit paaren sich nicht immer; öffters ist ein höltznes Haus, wo ein goldnes Zimmer.« (Logau, Friedrich von: Sämmtliche Sinngedichte. Breßlaw 1638*, Neudr. hg. von Gustav Eitner. Tübingen 1872, II, 7, 34; S. 352). Des Herrn Abts von Bellegarde Betrachtungen über die Artigkeit derer Sitten (...). Nach der siebenden Frantzösischen Edition verdeutscht (...) durch den Verfasser der Europäischen FAMA. Leipzig 1708, 59 f. Nach Jean Louis Guez de Balsacs Abhandlung »Le Barbon« (1648). Vgl. Thomasius, Chr.: Freymüthige Lustige und Ernsthaffte Gedancken Oder Monats=Gespräche (...) Halle 1690. In: ders., Deutsche Schriften a.a.O. $7. Wächtler, Johann Christian: Commodes MANUAL, Oder Hand=Buch/ (...) Leipzig I7224, i, § 19.
Weise, C., Oratorisches Systema a.a.O. 167.
18. Jahrhundert für Bodmer und Breitinger diplomatische Rücksichten aus. »Was mich betrifft/ so ist mein Geist mit einer so grossen Liebe für die grundtliche (!) Wahrheit eingenommen/ welche ohne höfliche Beding verwirfft/ was sich mir nach einer genauen Untersuchung nicht als wahr erzeiget: Ich verstehe die Ceremonie nicht zuvor um Verzeihung zu bitten/ ehe ich die Wahrheit heraus sage (.. .)«203
Was Bodmer und Breitinger innerhalb ihres frühen, im Sog der "Wölfischen Methode entworfenen Plans, »alle Theile der Beredtsamkeit in mathematischer Gewißheit auszuführen«, 204 nicht mehr zu verstehen in der Lage waren, stellte einige Jahrzehnte früher eher die Regel dar: man bat in der Disputatio, war man anderer Auffassung, um Verzeihung. Sogar in Wolffs deutscher Logik ist von den Komplimenten noch die Rede, die Respondens und Opponens zu benützen pflegen.205 Logik war um 1700 durchaus verträglich mit Komplimentierkunst. C.Weise legt in den »Curieusen Fragen über die Logica« nahe, Insinuationes in die Disputatio einzuflechten und sich aller »verdrießlichen und empfindlichen Formuln«, wie »Nego hoc«, »Absurdum est« etc. zu enthalten.208 I. F. Schneider warnt vor einer allzu kategorischen Ausdrucksweise in der Disputatio. Er rät dazu, mit Bescheidenheitsformeln wie »silicet, videtur, fortassis« die eigene bedingte Einsichtsfähigkeit anzudeuten.207 Als unhöflich in der Unterredung wird grundsätzlich empfunden, sich ein klares >Nein< zu erlauben. Barth empfiehlt, Ablehnungen, wenn es irgend geht, »mit Manier und Complaisance« zu umschreiben.208 Kein Pardon mit ungehobeltem Benehmen beim Disputieren oder mit halsstarrigem Insistieren auf der eigenen Meinung kennt auch S. Großer in seiner »Gründlichen Anweisung zur Logica«.209 Die Tendenz, der disputatorischen Auseinandersetzung jede unnötige Schärfe zu nehmen, fand unter Logikautoren um 1700 breiten Anklang. Die Umaspektuierung des Redegefechts dokumentiert sich in Neudefinitionen des Disputatiobegriffs. Für Buddeus, Crousaz, Groeper und Schneider, J. Fabricius oder für Zopf besteht die Disputatio in einer freundlichen Gegenüberstellung 203
Bodmer, J. J. u. Breitinger, J. J.: Von dem Einfluß und Gebrauche der Einbildungs=Krafft (...) a.a.O. Widmungsvorrede an Wolff, unpag. [a 8 r]. 204 Ebd. b. 205 Wolff ; Christian: Vernünfftige Gedancken Von den Kräften des menschlichen Verstandes (...) Halle 1713, hg. v. H.W. Arndt, Hildesheim 1965, 243. 206 Weise, C., Dt. Logik a.a.O. 1002 f. 207 Schneider, I. F., Fvndamenta philosophiae rationalis a.a.O. 245. 208 Barth, Johann Christian: Die Galante Ethica (...) Dreßden u. Leipzig I7283, 265. 209 Großer, S., Gründliche Anweisung a.a.O. 179 f.
(»arnica collatio«) zweier Auffassungen.210 Zank soll vermieden, Gegensätze sollen betont freundschaftlich ausgetragen werden.211 Crousaz faßt wichtige Ansprüche für das Gelingen einer Disputatio zusammen: »Je voudrois done que la douceur & la politesse y regnassent toüjours & en fussent la premiere Loi.«212
Überhebliches Auftrumpfen macht nicht anders als in der Salonkonversation auch im gelehrten Disput dem Understatement Platz. Für ein freundliches Diskussionsklima sorgen Höflichkeitszeremonien, die den Disputationsakt umrahmen und mit Verbalkomplimenten durchsetzen. Schon die Anfrage bei der Fakultät anläßlich einer disputatio pro loco, der Vorläuferin der heutigen Habilitation, bestand in einem Kompliment.213 Für die disputatio publica lädt der Präses die Opponenten ein; sie nehmen geehrt die Einladung mit einem Dankkompliment an.214 Anläßlich der disputatio sollemnis setzt man würdige Gratulationsbriefe auf und macht sie der Öffentlichkeit zugänglich.215 Den eigentlichen Disputationsakt leiten ausführliche Komplimentierreden ein.21' Der Respondent empfiehlt sich dem Schutz des Präses und bittet die Zuhörer um geneigte Aufmerksamkeit. »Nachdem ladet man mit einem Complimente den Opponenten ein, in chem man theils dancket, daß er erschienen; theils sich gratuliret, die zu haben, sich mit ihm öffentlich zu unterreden; theils bittet, daß er bringen möge, was er zu erinnern habe; theils eine willige Antwort, mehrere Erörterung aber vom praeside verspricht.«217
welEhre voreine
Die potentialisierte Höflichkeit (»sich gratuliret, die Ehre zu haben«) im institutionellen Rahmen der Disputatio enthüllt die nachdrückliche 210
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Buddeus, I. F., Elementa philosophiae instrvmentalis a.a.O. 231: »in amica duarum sententiarum collatione (...)«. Crousaz, Systeme de reflexions a.a.O. II, 276. Groeper u. Schneider, De logica non otiosa a.a.O. 48. Zopf, J. H., Logica envcleata a.a.O. 318. Fabricius, J. A., Anweisung wie man seinen Verstand 165 f. Zedler, Universal Lexicon, 7. Bd. a.a.O. Sp. 1059. Crousaz, J. P. a.a.O. Uhse, E., Wohl=informirter Redner a.a.O. 347. Vgl. Hörn, E., a.a.O. 48. Uhse, ebd. Weise, Christian: Politischer Redner (...) Leipzig 1677, 833. Ders., Dt. Logik, 1002: »Es muß auch ein jedweder im invitiren/ hernach im bedancken die Mode von lateinischen Complimenten wol anzubringen wissen.« Weise, C., Curiöse Gedancken von dt. Brieffen a.a.O. 213 f. Weise, C., Politischer Redner 833: Der Actus muß »mit schönen Formulen angefangen und geendet werden.« Hallbauer, F. A., Anweisung zur verb. t. Oratorie a.a.O. 627.
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Absicht zur Entschärfung der traditionellen Kontrahentenrollen. Den lateinischen Text einer längeren Einleitungsrede bietet Fischbeck.218 In einer ebenso langen Komplimentierantwort, wie die Ansprache des Präses ausfiel, verbindet der Opponent seinen Dank mit der Bitte um wohlwollendes Interesse. Nach Präses und Opponent ist der Respondent mit einer Höflichkeitsrede an der Reihe.219 In den Verlauf der Disputatio lassen sich gut »angenehme Insinuationes« und »kleine Conversations-Complimenten« einstreuen.220 Hat der Opponent seine Ausführungen geschlossen, ist abermals ein Kompliment von seiten des Respondenten fällig. Mit Dank und Empfehlung an die Mitdiskutanten wie Zuhörer verabschiedet sich auch der Opponent. Ohne rhetorische Versiertheit wäre der Disputant in der galanten Epoche den Anforderungen nicht mehr gewachsen, die man an eine zeitgemäße Disputario stellt. Noch für Hallbauer verbürgten erst Logik und Rhetorik das ungeteilte Gelingen der Disputatio.221 Die galante Rhetorisierung stempelt die Disputatio deutlicher als früher und später zu einer Mischform zwischen Logik und Rhetorik; und zwar nicht nur durch die Einflechtung galanter Reden, wie sie die Aufklärung kurzerhand wieder beschnitt,222 sondern auch durch einen der Rhetorik analogen Auftrag der Affektvermittlung. Von Natur aus provozieren ja die convictio der Logik und die persuasio der Rhetorik widerstrebende Gefühlsregungen. Logische Argumente treffen rücksichtslos. »Odiosa ergo est convictio erga eos, quos convincere volumus«, notiert G. P. Müller von der Logik. Von der Rhetorik ist Freundlicheres zu melden: »sed persuasio grata est persuaso, utpote signum amoris & benevolae in altero prudentiae.«223
Insofern Zuneigung und Milde in der Disputatio um 1700 walten, gleicht sie sich rhetorischen Strategien an und versöhnt die Disziplinen. Der Disputant um 1700 muß nicht nur Scharfsinn und Übersicht, sondern auch Lebensart demonstrieren. C. Weise, der eine Ethikdispu218
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Fischbeck, Christian Michael: Der studierenden Jugend GOtt=gefällige und Fruchtbringende Ergetzlichkeiten, so in der Rede=Kunst und Poesie zu gemessen (.. .) Gotha 1724, 220 f. Ebd. 22l ff. Hallbauer, F. A., Anweisung zur verbesserten t. Oratorie a.a.O. 628 f. Weise, C., Politischer Redner a.a.O. 833 ff. Hallbauer, ebd. 627: Der Unterricht von der Disputatio gehört zur Logik; »wie aber die dabey gebräuchliche Complimente abzufassen, solches zeiget die Oratorie.« Zedler warnt vor langen Reden: »Ein Disputant muß sich allemahl besinnen, daß er ein Disputant und kein Redner sey.« Zedler, J. H., Universal Lexicon, 7. Bd. Sp. 1062. Müller, G. P., Idea eloquentiae nov-antiquae a.a.O. 83.
tatio über bescheidenes Auftreten in Disputationen bestritt, kommt im Kapitel XVI seiner deutschen Logik (»Von den völligen Exercitiis disputatoriis«) auf vier condiciones sine qua non für die mündliche Disputatio aus je verschiedenen Disziplinen - zu sprechen. Die Rhetorik nimmt, wohl auch der Wichtigkeit nach, die zweite Stelle ein: »Aus der Logica Methodum. Aus der Oratoria Ornatum. Aus der Ethica Moderationem. Aus der Politica Cautionem.«224
Wieviel von Zurückhaltung und Gracianischer Klugheit für »politische< Ziele abhing, die man sich mit einer Disputatio stecken mochte, erfuhr Weise aus ihrer Mißachtung am eigenen Leibe. Weise schwebte eine akademische Laufbahn ursprünglich vor, darum hatte er 1666 und 1668 zweimal pro loco disputiert; für Habilitationen war in Leipzig ein mehrmaliges Disputieren erfordert. Er scheiterte mit seinen Bemühungen um Aufnahme in die Leipziger Philosophische Fakultät, weil er sich - Hübner gibt eine abweichende Darstellung - Johann Adam Schertzer, den dreimaligen Rektor der Universität, sechsfachen Dekan der Theologischen Fakultät und gleichzeitigen Logikschriftsteller, in einer Disputatio unvorsichtig zum Gegner gemacht hatte.225 Die galante Einkleidung der Disputatio offenbart ferner, wie präsent die Rolleninszenierung des >Streites< allen Beteiligten geblieben sein muß. Die Distanzierung von ernster Polemik begünstigte die scherzhaftfrivole Inanspruchnahme disputatorischer Gepflogenheiten. Die an den Tag gelegte Bewußtheit des disputatorischen Rollenspiels ist geeignet, auch das Interesse des Hofkavaliers für eine Schulübung zu wecken, die sich ein kultiviert-weltmännisches Aussehen gibt. Der Entwicklung der Disputatio zur galanten Übung ging eine Assimilation der Kleidung der Gelehrten an die des galanten Hofkavaliers konform. Nach dem päpstlichen Recht zählten die Gelehrten bis zu Beginn der Neuzeit zur Geistlichkeit; ihr Habit hatte in einem schwarzen Pelz, einem runden Hut über einer schlichten Frisur, dem Mantel in der Kirche oder auf dem Katheder bestanden, öffentliche Lustbarkeiten wurden von ihnen gemieden. Die Verwandlung der Gelehrtentracht gegen Ende des 17. Jahrhunderts hält Amthors posthum erschienenes Anstandsbuch fest. Gelehrte 224
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Weise, C., Dt. Logik 942. Frisius, Fridericus (Resp. Weisius, Christianus): Dissertationen! moralem de adhibenda in disputando modestia (...) Lipsiae 1691 (20. maii). Fulda, Ludwig: Christian Weise, Einleitung. In: J.Kürschner (Hg.): Deutsche National-Litteratur. 39. Bd. Berlin u. Stuttgart o. J., V. Vgl. Hörn, H. A., Christian Weise als Erneuerer a.a.O. 19. Schertzer, Johannes Adam: Vade mecum sive manuale philosophicum quadripartitum. Lipsiae lÖH1. Ders.: Nucleus philosophiae quadripartitus. Lipsiae 1682. 95
trügen heutzutage Perücken und aufgeschlitzte Hüte, heißt es da, sie nähmen an öffentlichen Festlichkeiten teil, und der Degen störte sie weder beim Lesen noch beim Disputieren.229 Man könnte versucht sein, dem Galanteriedegen bei der Disputatio geradezu Symbolcharakter für die Verbindung von Logik und Gesellschaftsethik zur Jahrhundertwende anzuerkennen. Galanterie und Gelehrsamkeit erscheinen mit einemmal nicht mehr als unverträglich. Ein Politicus, fordert von Bessel, sollte wenigstens eine Wissenschaft gründlich studiert haben, sowie Künste und Sprachen für die Konversation beherrschen.227 Bouhours' Diskutanten Eudoxe und Philante werden in »La Maniere de bien penser« vorgestellt als Männer der »politesse« wie der »erudition«.228 C. Thomasius hat als Adressaten für seinen »Kurtze(n) Entwurff der Politischen Klugheit« Studenten ebenso wie Hofleute, die Kaufmannschaft oder Frauen im Auge.229 Logik und Moral gehören zu den Abteilungen der antiken Philosophie, die er von einem künftigen Hofmann erlernt wissen will.230 Die Einstufung der Schulrhetorik und -logik nicht mehr als Gegenstück zur Hofberedsamkeit, sondern als deren Vorübung trägt zur Überbrükkung der Gegensätze zwischen Schulmann und Höfling bei. Über die kultivierende Kraft der Gelehrsamkeit war man seit der Antike im Bild: Bacon zitiert Ovids »Scilicet ingenuas didicisse fideliter artes Emollit mores, nee sinit esse feros.« (Ex. Pont. II, 9, 47)
und pflichtet dem Bildungstopos bei.231 Dennoch erklären Bildungszusammenhänge mit der Antike weder das Zeitspezifikum noch die soziokulturelle Einbettung eines Prozesses, in dem Ende des 17. Jahrhunderts aus dem weltfremden, selbstgenügsamen Bücherfreund und Sammler sich der neue Typus des weltgewandten und für nützliche Wissenschaften aufgeschlossenen Gelehrten entwickelte. Erst vor dem sozialhistorischen Hintergrund der Zeit wird die angedeu22S 227 228 229
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Amthor, Christophorus Henricus: COLLEGIUM HOMILETICUM DE JURE DECORI (...) Leipzig und Copenhagen, 1730, Vorr. [a 4] ff. Bessel, Christian Georg von: Neuer Politischer Glücks=Schmied (...) Franckfurt 1681, 37 f. Bouhours, Dominique: La Maniere de bien penser dans les Ouvrages d'esprit. Paris i6882. Neudr. New York-Hildesheim 1974, i. Thomasius, C., Kurtzer Entwurff der Politischen Klugheit/ sich selbst und ändern in allen Menschlichen Gesellschafften wohl zu rathen/ und zu einer gescheiden Conduite zu gelangen (. ..) a.a.O. Vorr. unpag. [) : (2 r]. Ders., Einleitung zur Hof-Philosophie a.a.O. Vorr ) : (4. Bacon, F., De dignitate et augmentis scientiarum a.a.O. 479. Ovid übernahm die Gnome von Theophrast. Vgl. Bacon, ebd.
tete Entwicklung plausibler. Seit der Mitte des 17. Jahrhunderts hatten in deutschen Territorien allerorts Bestrebungen eingesetzt, die gegen das Jahrhundertende sich eher noch konkretisierten und dahin zielten, für das von Kriegen wirtschaftlich ruinierte Land eine verläßlich arbeitende Administration zu schaffen. Hierfür waren Beamte und Hofleute heranzubilden, die über mehr verfügten als ein antiquarisches Wissen. An der epochenspezifischen Bildungsinstitution der Ritterakademien wurden Logik, Rhetorik, naturwissenschaftliche Fächer, moderne Sprachen neben der Unterweisung in Konversation, Modefragen und höflichem Benehmen betrieben. Gedruckte Disputationen sind von fast allen Ritterakademien und akademischen Gymnasien bezeugt.232 Die soziologische Zusammensetzung der Zöglinge an Ritterakademien weist auf die gegen Ende des 17. Jahrhunderts verstärkten Akkomodationstendenzen des höheren Bürgertums an adlige Erziehungsleitbilder zurück. Die anfänglich nur von Adligen besuchten Ritterakademien rekrutierten ihre Schüler bald schon auch aus dem gut situierten Bürgertum. An der Lüneburger Ritterakademie stammen zwischen den Jahren 1656 und 1686 sogar nur ein Viertel der Zöglinge aus dem Adel und drei Viertel aus dem Bürgertum.233 Neben sozialhistorischen müssen also soziologische Gründe für die zum Teil um 1700 noch schwelenden Gegensätze zwischen den Gruppen der Gelehrten und Hofleute, für die Anpassungsbestrebungen der Gelehrten sowie für das Einverständnis der Aristokratie mit diesem Akkomodationsprozeß namhaft gemacht werden. Die Gelehrtenschicht stellte mit dem städtischen Patriziat den obersten Rang des Bürgertums dar, ausgestattet mit adligen Prärogativen. Der Nachweis der für die Hofaristokratie erforderlichen 16 adligen Vorfahren trennte den in die Gelehrtenschicht aufgestiegenen bürgerlichen Parvenü vom Geburtsadel. Äußerungen von Vertretern der bürgerlichen Intelligenz darüber, was die wahre Nobilität ausmache, haben vor dem Hintergrund sozialer Rivalität mehr als nur topische Aussagekraft.234 Wenn Bohse in seinem »Hofmeister« unterstreicht, nicht auf das 232
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E. Hörn ermittelte Disputationen in Altenburg, Altona, Annaberg, Ansbach, Bayreuth, Berlin (Kloster), Bremen, Coburg, Danzig, Dortmund, Dresden, Eisleben, Essen, Görlitz, Gotha, Hamburg, Hamm, Hildburghausen, Hof, Iserlohn, Lauban, Lingen, Lübeck, Lüneburg, Nürnberg, Osnabrück, Ploen, Rudolstadt, Soest, Stargard, Stettin, Straßburg, Thorn, Torgau, Ulm, Weißenfels, Zerbst. Hörn, E., Die Disputationen a.a.O. 79. Müller, J. J., Fürstenerziehung im 17. Jahrhundert a.a.O. 439. Zur Tradition der Satire gegen Ahnenstolz, cf. Juvenalis, D. lunius: Saturae. Hg. v. Ulrich Knoche. München i^yo. Satura VIII, S. 75 ff.
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Alter des Adels, sondern lediglich auf Verdienste komme es an,23* und Benjamin Neukirch es als eine Qualität der Galanterie schätzt, andere Menschen »nicht nach dem stände, sondern nach dem verstände« zu beurteilen,236 drohen neue Leistungsprinzipien traditionelle Standards zu verdrängen, denen zufolge der Wert eines Menschen sich nach seinem Stand bemißt. Gegen die bürgerliche Anmaßung einer Neudefinition sozialer Wertstandards setzte sich die Aristokratie dadurch zur Wehr, daß sie den Wettbewerb zum Teil auf ein Feld verlagerte, auf dem sie sich mit der nachdrängenden höchsten bürgerlichen Schicht messen konnte, das der Gesellschaftsethik. Sie zwang der Gelehrtenschicht distinguiert-höfische Umgangsformen auf und erreichte damit auf indirektem Wege die Anerkennung des im höfischen Verhaltenskodex implizierten Standesdenkens. Höflichkeit setzte noch im frühen 18. Jahrhundert die genaue Beachtung der jedem Stand von der Gesellschaftsethik zugebilligten Anrechte voraus. Man brachte seinen Respekt weniger der Privatperson gegenüber zum Ausdruck als dem von ihr repräsentierten Stand. Der gelehrte >Politicus< Christian Weise zollt in einer lateinischen Logik darum Standesrücksichten bereitwillig Tribut: seine Disputationsproben in urbaner Eloquenz sollen die Lernenden auch für Fälle rüsten, in denen der Respondent etwa von geringerem Stand als der adlige Opponent ist.237 Eine der bei Disputationen zu beherzigenden Regeln legt Weise gleichfalls in der deutschen Logikschrift unter sozialem Anspruch fest: »Man mache einen Unterscheid unter den Personen.«238
Spöttische Ausfälle gegen Schulfüchse und pedantische Stubengelehrte konnten im Kreise der Hofgesellschaft stets mit wohlwollender Aufmerksamkeit rechnen, zeigte der Spott doch die Vereinnahmung des Spötters unter die Gesellschaftsideale des Hofes an. Mit der vorgetrageSchon in der italienischen Renaissance des ij. Jahrhunderts begegnet man der herrschenden Theorie, daß die Abstammung nicht über den Wert des Menschen entscheide und keine bessere Nobilität als das persönliche Verdienst bekannt sei. Cf. Burckhardt, Jacob: Die Kultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. (i860 1 ) Stuttgart 1966, 337 ff. Im 17. Jh. griff Canitz den Topos auf: Des Freiherrn v. Canitz »Übersetzung der fünfften Satyre des Boileau.« In: Canitz, Friedrich Rudolf Frhr. v.: Neben=Stunden Unterschiedener Gedichte. Berlin 1700, 73 ff. 235 Bohse, A., Der getreue Hoffmeister. zee Neukirch, B., Anweisung zu teutschen Briefen a.a.O. 88 u. 212. 237 Weise, C., Doctrina logica a.a.O. y 15 f. 238 Weise, C., Dt. Logik 1004. 98
nen Gelehrtensatire setzte sich der höfische Gelehrte glaubwürdig von seiner eigenen Zunft und deren versteckt antihöfischen Verhaltensstandards ab.2»9 Konnten ihrerseits die Gelehrten die Nützlichkeit ihrer Wissenschaften nachweisen, legitimierten sie sich in ihrem Stand gegenüber der Aristokratie und verleiteten sie wiederum zur Rezeption dieses Wissens. Dazu war der deutsche Adel vorbereitet. Anders als der französische, über den Ludwig XIV wohlweislich Erwerbsverbot verhängt hatte, zeichnet sich beim deutschen Adel seit der Reformation eine Tendenz zum juristischen Studium und zur Ämterlaufbahn ab.240 Plädoyers aus der Feder von Gelehrten für Erwerbstätigkeit und Beamtenstellung des Adels stießen bei den Angesprochenen auf bereitwilliges Einverständnis. Benjamin Schmolck feiert in einem didaktischen Kausalgedicht (»Der gelehrte Adel«) einen promovierten Aristokraten gerade wegen seines wissenschaftlichen Engagements.241 Die Einsicht, voneinander lernen zu können, verhinderte in Deutschland bei beiden Schichten eine mögliche Verhärtung der Fronten. (ii) Veränderte Ansprüche der F r ü h a u f k l ä r u n g an die D i s p u t a t i o Ende des 17. Jahrhunderts zeichneten sich im Disputationswesen Veränderungen ab, die seinen Abbau im Verlauf des 18. Jahrhunderts beschleunigten. 1675 warb Spener für deutsche Disputationen, um kommende Prediger in Kontroverstheologie firm zu machen. Christian Thomasius, dem noch 1689 von der Leipziger Zensur die Druckerlaubnis der deutsch abgefaßten »Einleitung Zu der Vernunfft=Lehre« verweigert worden war, überließ seinen Hörern die Wahl des Deutschen oder Lateinischen als Medium der Diskussion.242 1725 setzt sich Hallbauer für deutsche Disputationsübungen an Schulen wie Universitäten ein; die Themen von Disputierschriften werden in deutscher und lateinischer Sprache angegeben.243 Hüter mittelalterlicher Universitätspraktiken 239
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Ein Paradigma bietet J. B. Menckes Kasualsatire »Wider die Affectation, welche öffters Philosophie in ihrer Tracht und äusserlichen Conduite spüren lassen. (...) Bey Herrn G.G.E, und F. W. S. Magister-Promotion. A. 1699. Jan. 30.« In: Philanders v. d. Linde Schertzhaffte Gedichte a.a.O. 38 ff. Eltas, Norbert: Die höfische Gesellschaft. Eine Untersuchung zur Soziologie des Königtums und der höfischen Aristokratie. Neuwied-Berlin 1969, 284. Benjamin Neukirchs Anthologie (...) erster theil. Nach dem Druck von 1697 hg. v. A. G. de Capua u. E. A. Philippson. Tübingen 1961, 365 ff. Thomasius, Christian: Einleitung Zu der Vernunfft=Lehre (...) Halle 1691. Neudruck Hildesheim 1968. Hallbauer, F. A., Anweisung zur verbess. t. Oratorie a.a.O. 626 f. Hörn, E., Die Disputationen a.a.O. 100.
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fürchteten mit der Verdeutschung einen Verlust an Definitionsprägnanz, subtilen Begriffsunterscheidungen, wenn nicht überhaupt die Vernachlässigung jahrhundertealter Probleme und Ergebnisse.244 Und dies nicht ganz zu Unrecht. Mit dem Anbruch des neuen Jahrhunderts mehrten sich die Stimmen, die argwöhnten, die eingebürgerte Disputationspraxis stünde der Wahrheitsfindung und dem Überzeugungserfolg eher im Wege. Man konnte sich auf Kronzeugen der Disputatiokritik aus dem 16, Jahrhundert berufen: auf Agrippa von Nettesheim oder Jean Bodin.245 Der syllogistischen Disputationsform zogen eine Reihe von Autoren andere Verfahren vor: C. Thomasius die Frage- und Antwortmethode, die sophistischem Mißbrauch weniger ausgesetzt sei;246 Rüdiger, der die nämlichen Befürchtungen bei der disputatio per syllogismos teilt, die enthymematische Disputationsart,247 G. P. Müller die sokratische Form der Unterredung.248 Nach Meinung dieser Aufklärungslogiker scheiterte die scholastisch-syllogistische Methode daran, den Diskussionsgegner zu überzeugen. In den vergangenen Jahrhunderten sei permanent syllogistisch disputiert worden, ohne daß die von Fall zu Fall vorgelegten Gründe beim Antagonisten jemals verfangen hätten. Oft genug habe man nur disputiert, um in der dialektischen Auseinandersetzung die Oberhand zu behalten, mithin einer lächerlichen Reputation wegen.249 Eine ähnlich negative Erfolgsbilanz syllogistischer Überzeugungsversuche wie Thomasius ziehen Locke und Crousaz.250 Buddeus nennt als Ursache für den Mißerfolg die psychische Gesamtverfassung des Menschen. Durch Disputieren jemanden von seinen Irrtümern befreien zu wollen sei deshalb relativ aussichtslos, weil die Gründe für den Irrtum normalerweise im Willensvermögen zu suchen seien.251 A. Rüdiger und G. P. Müller schöpfen den Verdacht, die syllogistische Disputationsmanier - nach Rüdiger ein Paradies für Schwätzer und Sophisten — gebe allzuoft Anlaß zu Weitschweifigkeiten und Wiederholungen; sie entferne die Disputan244
Zwar erschien schon im 16. Jh. - sieht man von der ahd. KategorienBearbeitung Notker Labeos ab - eine Reihe nationalsprachlicher Logikwerke: das erste 1533 von Ortholph Fuchsperger (Ain gründlicher klarer Anfang der natürlichen und rechten Kunst der waren Dialectica. Augspurg IJ33). Das Monopol lateinischer Kompendien im Lehrbetrieb der Universitäten konnten sie jedoch nicht erschüttern. 245 Groeper u. Schneider, De logica non otiosa a.a.O. 45. 248 Thomasius, C., Auszübung der Vernunfft=Lehre a.a.O. 279. 247 Ygi Rüdiger, A., De sensu veri et falsi a.a.O. 589. 248 Müller, G. P., Academische Klugheit a.a.O. 133. 249
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Thomasius, C., Auszübung a.a.O. 279. Locke, J., Of human understanding IV, 17, 4 a.a.O. Bd. 3, 125. Crousaz, J. P., Systeme de reflexions a.a.O. 276 f. Buddeus, I. F., Elementa philosophiae instrvmentalis a.a.O. 250 f.
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ten eher vom Konsens, statt sie ihm näherzubringen.252 Weise nimmt in der Frage eine vermittelnde Haltung ein, indem er von der sokratischen über die platonische bis zur aristotelischen alle Diskussionsmethoden gutheißt.253 Die Ablehnung der syllogistischen Disputationstechnik von aufklärerischer Warte aus wird sicherlich der Scholastik nur teilweise gerecht, in deren Intention genau genommen gar nicht die Überzeugung des Gegners im Ablauf der Disputatio lag, sondern die im intellektuellen Florettieren möglichst ausgiebig trainierte Wendigkeit der Agierenden. Ein Gedicht Hunolds von 1706 legt einige der frühaufklärerischen Maximen zum Verhalten in Disputationen an: »Die beste Manier e i n e n g e l e h r t e n S t r e i t zu f ü h r e n . MAn streite mit Verstand/ so höflich als gelind/ In seinen Gründen scharf/ und nicht bey ändern blind/ Bey Fehlern/ als ein Mensch/ der in den Wald spatzirt/ Und dem verbunden ist/ der ihn zurecht geführt/ Der sich zum Tugend=Schloß die Wahrheits=Bahn erkiesen/ Wenn auch ein Bettler ihm den Weg dahin gewiesen.254
Hunolds Epigramm vertritt die Anforderungen, die der Höflichkeitskodex seiner Epoche an das wissenschaftliche Diskutieren stellt, in einer erwägenswerten Modifikation. Bei den früheren Galanten forderte der Respekt vor dem Partner die Wahrung des gesellschaftlichen Anstandes auch in der Disputatio. Hier rührt Höflichkeit als Erfordernis der Diskussion her von der Anerkennung der zwangsläufig beschränkten Erkenntnismöglichkeiten des einzelnen. Nicht mehr gesellschaftsethische, sondern philosophische Einsichten in Bedingungen eines dialogischen Prozesses der Wahrheitsfindung motivieren die Empfehlung zum bescheidenkooperativen Disputationsstil. Die Disputanten zeigen Konzilianz, weil jeden die Zuversicht leitet, vom Gesprächspartner lernen zu können. In der tradierten Disputatio kam es vorzugsweise darauf an, dem Gegner standzuhalten. Je weniger Blößen der einzelne sich gab, um so besser schnitt er in der Auseinandersetzung ab. Jetzt stellen beide Disputanten individuelle Profilierungsbemühungen zurück, unter Anerkennung der Prädominanz einer gemeinsamen Wahrheitssuche.255 J. Locke diagnostiziert an der scholastischen Disputatio das Symptom der stärkeren Aus252 253 254 255
Rüdiger, A., De sensu veri et falsi a.a.O. 5 89 f. u. Müller, G. P., Academische Klugheit a.a.O. 133 f. Weise, C, Dt. Logik 8 j y . Hunold, F., Theatralische/ Galante u. Geistliche Gedichte II, a.a.O. 180. Crousaz, J. P., Systeme de reflexions a.a.O. 277.
richtung auf Kampf und Sieg als auf die Richtigkeit der Ergebnisse.256 Thomasius sieht ähnlich beim herkömmlichen Disputieren die Gefahr, daß die Wahrheit eher verloren als gefunden werde.257 Hunolds aufklärerische Umdeutung des Sagen- und Märchenmotivs vom Verirrten, dem ein Bettler im Wald den Weg zeigt, konnte sich auf alte Spruchweisheiten berufen wie auf zeitgenössische Theoriepostulate Lockes, demzufolge die Aufgabe eigener unhaltbarer Ansichten den unbedingten Vorrang gegenüber Widerlegungsversuchen des Gegners genießt.258 In genauer Entsprechung zur positiven Normenbegründung im Epigramm »Die beste Manier einen gelehrten Streit zu führen« wird von Hunold im unmittelbar anschließenden Text »Ein Haupt Fehler in einem gelehrten Streit« die gleiche Forderung durch Kritik am gegenteiligen Verhalten erhärtet: »Dir stehet niemahls nicht des ändern Meinung an: Aus Ehr=Geiz ehrt ein Mensch nur seinen eignen Wahn. Dich deucht/ von anderer/ auch kluger Meinung seyn/ Ist eines Menschen Werck/ der niedrig und gemein.«259
Das intellektuelle Prestige wahrt man im 18. Jahrhundert nicht mehr durch den Nachweis, die vorgebrachten Auffassungen gegenüber Angriffen behaupten zu können, sondern durch das unparteiische Bemühen, der Wahrheit, soweit dies in eigenen Kräften steht, zum Durchbruch zu verhelfen. »Sich im disputiren überwinden oder überzeugen lassen, muß unter vernünftigen gelehrten nothwendig vor eben so rühmlich gehalten werden, als überwinden.«260
Die Niederlage in der Disputatio blamierte im 17. Jahrhundert den Unterlegenen; eine juristische Disputatio aus der Epoche des Barock vermerkt als Selbstverständlichkeit: 259 257 258
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Locke, J., Of human understanding IV, 17, 4 a.a.O. 3. Bd. 125. Thomasius, C., Kurtzer Entwurff der politischen Klugheit a.a.O. 91. »Frau Veritas ist ein armes Weib;/ Lumpen bedecken ihren Leib. Dagegen der Herr von Fuchsschwanz/ Stolziert in eitel Goldglanz.« Lipperheide, Franz Frhr. v.: Spruchwörterbuch (...) Berlin 1907. Nachdr. Berlin 1976, 965. Locke, J., Of human understanding a.a.O. Bd. i, S. LII (»The Epistle to the Reader«): »(...) thinking myself more concerned to quit and renounce any opinion of my own, than oppose that of another, when truth appears against it. For it is truth alone I seek, and that will always be welcome to me, when or frome whence soever it comes.« Hunold, Theatralische/ galante u. geistl. Gedichte a.a.O. Müller, August Friedrich: Einleitung in die philosophischen Wissenschaften, Erster Teil (...) (I728 1 ) Leipzig 17332, 6l8 · Zedler, J. H. Universal Lexicon a.a.O. 7. Bd. Sp. 1060.
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»cum nemo sit quern non pudeat convinci disputantem.«261 Nach Theoretikern des 18. Jahrhunderts hingegen besteht keinerlei Anlaß, sich eines Irrtums zu schämen;262 vielmehr darf sich Freude über die gefundene Wahrheit einstellen. Die Nötigung zum Dissens in der scholastischen Disputation bringt die Wahrheit, glaubt man, in Verruf. Der Zuhörer kommt nach Schneider notgedrungen zur Auffassung, daß beide Diskussionsparteien irren.263 Mit »Verstand« streiten heißt, möglichst emotionsfrei zu argumentieren; Leidenschaften trüben die Wahrheitssuche.264 Die Auffindung unbekannter oder Stabilisierung ungefestigter Wahrheiten auf der einen Seite und die Vermeidung von Irrtümern auf der anderen versprach sich die Majorität aufklärerischer Logiker von der Disputatio.265 Ähnlich lautende Anforderungen, wie die Aufklärung sie an die Disputatio stellte, finden sich bereits in der Reformationszeit und im Humanismus.268 Näher betrachtet erweist sich die Wahrheitsfindung zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert dennoch als grundverschieden: die Wahrheiten, auf die man im 16. Jahrhundert aufmerksam zu werden hoffte, adelte ihr ehrwürdiges Alter. Man bewies, auf wie dauerhaften Fundamenten das stabile System des Wissens ruhte. Das 18. Jahrhundert entwickelt demgegenüber eine vitalere Neugier auf Unbekanntes; vom Gespräch erwartet der einzelne Erkenntnisaufschlüsse. In dem Maß, in dem die Universitäten des frühen 18. Jahrhunderts von bloßen Lehranstalten zu Forschungsanstalten reifen, verlieren große Wissensbereiche ihre Statik, geraten in Bewegung. Was gestern galt, kann morgen neuen Einsichten weichen müssen. Ein an die Wahrheitssuche geknüpftes weiteres Postulat verstand sich im Barock keineswegs von selbst: daß es einem mit dem Argumentieren ernst sein müsse, und der Disputant tatsächlich vertrete, was er in der Diskussion verficht. Die Disputatio wird zum Meinungsaustausch über wirkliche, nicht nur scheinbare Auffassungsunterschiede.267 Zwar räumte 261 262 263 264 265
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Zit. nach Hörn, E., a.a.O. 22. Fabricius, J. Andr., Anweisung wie man seinen Verstand 174. Schneider, I. F., Fvndamenta philosophiae rationalis a.a.O. 192. Crousaz, J. P., Systeme a.a.O. 277. Zedler, a.a.O. Sp. 1059. Buddeus, I. F., Elementa philosophiae instrvmentalis a.a.O. 231 f. Rüdiger, A., De sensu veri et falsi a.a.O. 588. Schneider, I. F. a.a.O. 487. Groeper u. Schneider, De logica non otiosa 46. Hallbauer, F. A., Anweisung a.a.O. 626. Zedler, ebd. Sp. 1058 ff. Fabricius, J. A., a.a.O. 164. Vgl. Hörn, a.a.O. 93 u. 3 f. Schneider, I. F., ebd. 501. 103
auch noch die Aufklärung der Rollenargumentation einen Platz ein, in der Schule nämlich, wo zu Einübungszwecken die syllogistische Disputation ein Recht beanspruchen durfte. Sofern es in der Unterredung jedoch um die ernsthafte Wahrheitsfindung ging, leisteten andere Disputationsmodi, meinte man erfahren zu haben, bessere Dienste.268 Die Präferenz nicht-syllogistischer Verfahrensmuster vor dem syllogistischen äußert sich sowohl in den unterschiedlichen Erwartungen, die man an beide Disputationsmöglichkeiten knüpfte, wie bezüglich des Bildungsstandes der jeweiligen Anwärter auf die Methoden. Den zitierten Autoren zufolge eignet sich das syllogistische Disputieren für junge Leute; es untersteht didaktischen Zielsetzungen, während für sokratische oder enthymematische Disputationsweisen sich endgültig erst Männer reif erweisen, denen die Disputatio ein ernstliches Mittel der Wahrheitserkenntnis bedeutet.2*9 Das Disputieren ernstzunehmen impliziert im 18. Jahrhundert das Einverständnis darüber, nur solche Thesen zu problematisieren, bei denen man begründetermaßen geteilter Meinung sein kann. Offenkundige Wahrheiten, »die kein vernünftiger Mensch in Zweifel ziehen« würde taugen als Disputationsgegenstand nicht einmal für die Schule mehr.270 Die Kontroverse muß der Klärung tatsächlich bedürfen, d. h. Irrtümer von einiger Plausibilität enthalten271 oder Mißdeutungen beim Hörer/ Leser beschwören. Die Zeitdauer der Disputatio liegt nicht länger institutionell von vorneherein fest, sondern man beendet den Disput, wenn eine Frage befriedigend geklärt ist.272 Wert wird nun auf die Nützlichkeit und Relevanz der Problemstellungen gelegt.273 Quisquilien oder rabulistische Scheinprobleme läßt man gut und gerne auf sich beruhen. Bezüglich der Wahl relevanter Gesprächsthemen unterscheiden sich nicht die Erwartungen, die die Frühaufklärung sowohl an den Respondens wie den Opponens richtet: der Respondent soll ein ergiebiges Problem isolieren und in der Einleitungsrede die Themenwahl ausdrücklich legitimieren; ebenso ist der Opponent gehalten, nur diskus268
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Müller, G. P., Academische Klugheit a.a.O. 133. Rüdiger, A., De sensu veri et falsi a.a.O. 590 f. Schneider, a.a.O. 496.
Zopf, J. H., Logica envcleata a.a.O. 318. Schneider, a.a.O. 490 f. Crousaz, J. P., Systeme de reflexions II, a.a.O. 276: »Je voudrois encore que les matieres qui fönt le sujet de ces exercises fussent effectivement disputables (...)«. Müller, A. F., Einleitung in die Philosophischen Wissenschaften, 617. Ähnlich Zedler, J. H., Universal Lexicon, 7. Bd. Sp. 1058. Zopf, a.a.O. 318. Ebenso Zedler, ebd.
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sionswerte Fragen innerhalb der Problemstellung aufzugreifen.274 Je nachdem, wofür die Nützlichkeit des Themas berechnet ist, streuen sich die Intentionen der Frühaufklärer: die einen stellen den Nutzen der Disputatio für die Beteiligten in den Vordergrund, andere den für das politisch-staatliche Leben, dritte - wie Zedler - den Gewinn sowohl für inhaltliche Problemlösungen wie für die Teilnehmer.275 Man disputiert im Sinne Zopfs und Hallbauers, nicht um nach altem Brauch einander absolut zu widersprechen, sondern um sich und andere zu unterrichten.276 Sofern die Reinigung von Vorurteilen und Irrtümern im 18. Jahrhundert der Disputatio zugetraut wird, erscheint sie geeignet, Gegensätze aufzulösen.277 Bis ins 17. Jahrhundert hatte die Disputatio gerade die Zuspitzung der Gegensätze gefördert. In einem friedlichen Diskussionsklima werden Affekte, die die Sprecher hinreißen und verwirren könnten, gar nicht erst aufkommen.278 Zedler zieht aus ähnlichen Überlegungen mündlichen Disputationen schriftliche vor, weil in ihnen für die Untersuchung der Wahrheit mehr Zeit zu ruhiger Überlegung bleibt, und etwaige spontane Temperamentsäußerungen vor der Replik abklingen können.279 Den Nutzeffekt für das Gemeinwesen dürfen die Diskutierenden nicht aus den Augen verlieren: die Kontroverse soll keine Irrtümer behandeln, die geeignet sind, Staat oder Kirche Schaden zuzufügen.280 C.Weise hatte bereits - noch ohne moralische Einschränkungen — auf das breite politische Anwendungsspektrum der Disputierkunst bei Gesandtschaften, Friedensverhandlungen, bürgerlichen Streitsachen und Konferenzen aufmerksam gemacht.281 Im 18. Jahrhundert werden von einem guten Disputanten neben intellektuellen auch moralische Qualitäten verlangt. Affektenkontrolle, Sachlichkeit, Beachtung der Regeln, das Abstandnehmen von unerlaubt-sophistischen Manövern gelten als solche Tugenden.282 Der Sachlichkeitsanspruch stellt auch die bisherige Disputationstechnik vor neue Aufgaben. Bei dem sich am besten bewährenden Disputationsverfahren, dem enthymematischen, kommt nach Rüdiger als Widerlegungsstrategie nur noch die negatio in Frage. Limitatio und distinctio scheiden aus. Man verständigt sich mit dem Gegner zuerst über 274 275 276 277 278 279 280 281 282
Hallbauer, F. A., Anweisung zur verb. t. Oratorie a.a.O. 628. Zedler, a.a.O. Sp. 1065. Zopf, a.a.O. 318. Hallbauer, a.a.O. 626. Schneider, a.a.O. 486. Schneider, ebd. 192. Zedler, a.a.O. Sp. 1058. Schneider, a.a.O. 489 f. Weise, Dt. Logik 850. Groeper u. Schneider, De logica non otiosa a.a.O. 47. Hallbauer, F. A., Anweisung a.a.O. 626. 105
Definitionen, damit ist allen Haarspaltereien, hofft man, vorgebeugt.283 Die von den Theoretikern aufgeführten Regeln zur Klärung von Definitionsfragen verweisen darauf, wie wichtig im 18. Jahrhundert Sachprobleme genommen wurden, für wichtiger oft in der Logik als formale. Spitzfindige Unterscheidungen suchen auch Groeper und Schneider in der Disputatio zu unterbinden.284 Hinter ihrem Vorschlag steht die Befürchtung, den Begriffszergliederungen der Scholastik fehle oft das fundamentum in re; wirkliche Gegensätze möchten sich zum leeren Wortstreit verflüchtigen. Der disünctio rationis oder verballs wird die äistinctio realis vorgezogen.285 Die Distinktionen sollen Konfusionen vermeiden, und sie nicht noch herbeiführen!286 Peucer übernimmt die diesbezüglichen Grundsätze der Aufklärungslogiker auch in die Rhetorik. Er hält dafür, daß die äistinctio »i. deutlich seyn, 2. zur Sache gehören und 3. wohl applicirt werden« muß.287 Das Sachlichkeits- und Wahrheitspostulat der Aufklärung entband die Disputanten schließlich auch von den überlebten Galanteriepflichten und dämmte die Rhetorisierung der akademischen Übung ein. J. Andreas Fabricius mahnt, sich beim Disputieren nicht »unkräftiger redner=schmincke« wie Exklamationen und anderer Mittel rhetorischer Affekterregung zu bedienen.288 Gabriel Wagner will die Seitenhiebe von C. Thomasius, die dieser in der »Einleitung zur Hof=Philosophie« gegen die altfränkische und ungepflegte Tracht mancher Gelehrten austeilt, auf seinen Kollegen nicht sitzen lassen. Ein Mann der Wissenschaft, räumt Wagner unter dem Pseudonym >Realis de Vienna< ein, dürfe sein Äußeres zwar nicht ganz vernachlässigen, dennoch sei anderes vorrangig. »Contra hie cavendum, ne elegantiam morum acumini mentis aequiparemus, malo enim unum sagacem sordidum, quam 10. elegantes stultos (. . .)«289 Syrbius übergeht bei der Erörterung der Disputationsarten die Einladungs- und Dankformeln als nebensächlich.290 Vom Standpunkt einer erstrebenswerten natürlichen und freien Disputatio müssen Komplimente als affektiert und störend empfunden werden. Rüdiger zufolge haben 283 284 265 286 287 288 289 290
Rüdiger, A., De sensu veri et falsi a.a.O. 591 f. Zedler, a.a.O. Sp. 1061. Groeper u. Schneider, a.a.O. 47. Schneider, I. F., Fvndamenta philosophiae rationalis a.a.O, 521. Vgl. Syrbius, ebd. 146. Peucer, D., Erläuterte Anfangs=Gründe der teutschen Oratorie a.a.O. 484. Fabricius, J. Andr., Anweisung wie man seinen Verstand 175. Realis de Vienna: DISCURSUS & DUBIA IN CHRIST. THOMASII Introductionem ad PHILOSOPHIAM AULICAM (...) Ratisbonae 1691 5. Syrbius, a.a.O. 385.
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in Disputationen Schmeicheleien nichts verloren; sie beeinträchtigen und irritieren mit den Affekten, die sie heraufbeschwören, nur das klare Urteil.291 Schon die Logik von Port-Royal hatte davor gewarnt, sich von einem gefälligen Vortrag einfangen zu lassen und die Darstellungsart für den Inhalt zu nehmen. Es passiere leider immer wieder, daß Leute mit Anmut, Bescheidenheit und Würde die größten Sottisen von sich gäben, während umgekehrt Hitzköpfe und dünkelhafte Querulanten über erstaunlich fundierte Kenntnisse verfügen können.292 Unterschiedslose Billigung der Auffassung anderer sei »für das Glück eine bequeme Gemütsart, aber ebenso nachteilig für das Urteil (.. .)«.ies Arnauld demonstriert die logische Haltlosigkeit von Komplimenten, indem er das Compliment eines galanten Autors exemplarisch zerpflückt.294 C. Wernicke bricht in einem Sinngedicht eine Lanze für die unbeschönigte Wahrheit: »(Auf die scheinheilige Mathilde) Sie ärgert sich, wenn man die blosse Wahrheit spricht; Sie liebt die Wahrheit zwar, jedoch was bloss ist nicht.«295
Der als Heiligen verehrten mittelalterlichen Königin Mathilde wird die Scheinheiligkeit der Namensvetterin gegenübergestellt. Die scherzhafte distinctio der seit der Antike topischen Formel von der »nuda veritas«296 trennt den Schein vom Sein und läßt erraten, daß es mit der Wahrheitsliebe der Titelfigur nicht weit her sein kann, weil sie Anstoß an der Reinheit der Wahrheit nimmt, die der Satiriker seinerseits beansprucht. Für seine Liebe zur ungeschminkten Wahrheit lobt Wernicke Cicero an anderer Stelle.297 Schminke und hübsche Kleidung als Deck291 292 293
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Rüdiger, A., De sensu veri et falsi a.a.O. 588. Arnauld, Antoine: Die Logik oder die Kunst des Denkens. (1662*) Darmstadt 1972, 279. Ebd. 263. Damit ein Fräulein seiner Lateinkenntnisse sich nicht schäme, hatte ein Literat ihr die Artigkeit gesagt, wegen des Beherrschens einer Sprache, welcher die Vestalinnen sich bedienten, brauche niemand zu erröten. »Hätte er diesen Gedanken aufmerksam betrachtet, so hätte er gesehen, daß man mit genau derselben Berechtigung der jungen Dame hätte sagen können, daß sie erröten müßte, eine Sprache zu sprechen, die dereinst Roms Kurtisanen sprachen, die ja viel zahlreicher waren als die Vestalinnen, oder daß sie erröten müßte, eine andere Sprache als die ihres Landes zu sprechen, da die alten Vestalinnen nur ihre natürliche Sprache sprachen.« (ebd. 270). R. Pechel (Hg.), Christian Wernickes Epigramme I, 33 a.a.O. 147. »nudaque veritas« bei Horaz, Oden I, 24, 7 in: Horaz: Sämtliche Werke. Lateinisch u. deutsch. Hg. von Hans Fischer, München 1970, 44. Cf. Friedrich v. Logau, Sämmtliche Sinngedichte I, 3, 12 a.a.O. 58 (»Bloße Warheit«). Pechel a.a.O. VIII, 29 S. 425. 107
mäntelchen der Wahrheit sind in der Barocksatire Metaphern für >Lüge< und >VerstellungRhetorik< in einem umfassenden Sinn angelegtes Lernziel äußert sich resümierend Weise: »Bey jungen Leuten darf die Information nichts seyn/ als ein continuirliches Exercitium Oratorium. Die Logica giebt das erste fudament zur Rede/ die Grammatica gibt die Worte/ die Rhetorica die Zierlichkeit (.. ,)«1
Die Bestimmungen Weises werfen einige Fragen auf. Als wichtigste bleibt zu prüfen, ob die Disziplinen nicht nur im Verständnis Weises, sondern auch anderer Autoren der Zeit aufeinander angewiesen sind. Im Bestätigungsfall dürfen hieraus nicht vorschnelle Übereinstimmungen zwischen Logik und Rhetorik gefolgert werden. Denn die Supplementierbarkeit der Fächer setzt immerhin gewisse Defizienzen auf beiden Seiten und korrespondierende Unterschiede voraus. Wo genau liegen, ist also zu fragen, nach Meinung der Autoren Differenzen und Übereinstimmungen zwischen den Nachbar fächern? Welche Begründungen für die Interdependenz der Disziplinen werden angeführt? Kommen die Theoriesysteme in wesentlichen Punkten überein oder handelt es sich um randläufige, akzidentelle Berührungspunkte? Inwiefern gewinnt die Verflechtung der Fächer Bedeutsamkeit für die Poetik der Epoche? Als eines der Resultate, denen für das Verständnis der Literatur des 17. Jahrhunderts entscheidende Bedeutung zukommt, konnte die Barockforschung die rhetorische Determiniertheit poetischer Texte überzeugend machen. Poetik bleibt im Barock weithin eine Teiltheorie der Rhetorik.2 Das ändert sich am allerwenigsten im Zeitraum der Epochenwende. Christian Weisens vertraute Gespräche (...) Leipzig 1697, 82 f. Zit. nach Hörn, H. A., C. Weise als Erneuerer a.a.O. 94 f. 2 Dyck, J., Ticht-Kunst a.a.O. 21. 109
Weises Poetiken, die »Curiösen Gedancken Von Deutschen Versen« und »Der Grünen Jugend Nothwendige Gedancken« sprechen eine klare Sprache.3 Eine Grundthese der vorliegenden Untersuchung könnte in logischer Nomenklatur etwa so formuliert werden: über die erste, von der Forschung mit der Rhetorik für die Lyrik angegebene »Prämisse« hinaus kann eine zweite, die Logik, namhaft gemacht werden, so daß - um im Idiom zu bleiben — die Konjunktion zweier »Prämissen« als Verstehensbedingung der deutschen Lyrik um 1700 firmiert.4
i. Generelle Feststellungen über Koinzidenzen und Differenzen der Theoriesysteme von Rhetorik und Logik a. Übereinstimmungen oder Konvergenzen Verbindungen zwischen den Theoriesystemen stellen Vertreter in expliziter oder impliziter Form her. Dabei ist nicht zu mißachten, daß nur ein Zweig der Aufklärungslogik für die Verbindung von Rhetorik und Logik plädiert; Wolff und seine Schüler sprechen sich für eine deutliche Trennung der Disziplinen aus. Explizite Verbindungen schlagen sich in Postulaten eines Theorienkonnex oder einer interdisziplinären Lehrpraxis nieder; implizite in Querverweisen von Logiklehrbüchern auf Rhetoriken und in umgekehrter Richtung oder durch die Übernahme bestimmter Verfahrensprogramme der Hilfsdisziplin. Ausdrücklich schätzt C. Weise die Logik als rechte Hand der Beredsamkeit.5 Hallbauer, im allgemeinen kein Freund der Weiseschen Rhetorikkonzeption, stimmt in diesem Punkt mit dem Zittauer Rektor überein, wenn er konstatiert: »(...) Logik und Rhetorik sind sehr genau mit einander verbunden.«·
Die nämliche Verknüpfung unter Einschluß der Poesie fordert G. P. Müller im »Programma auspicale« seiner lateinischen Rhetorik.7 3
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Weise, Christian: Curiöse Gedancken Von Deutschen Versen (...) Leipzig 1692, II, 62 f. Ders., Nothwendige Gedancken a.a.O. Vgl. S. 206. Von »Prämissen« kann selbstverständlich nur m einem übertragenen Sinn gesprochen werden, der etwa »Verständnisvoraussetzungen« gleichkommt. Die Prämissen im Syllogismus stellen hinreichende Bedingungen für die Conclusio dar, die nichts enthält, was nicht schon in den Vordersätzen steckt. Weise, C., Institutiones oratoriae a.a.O. Vorr. unpag. ) : ( ) : ( 2. Hallbauer, F. A., Anleitung zur verbesserten t. Oratorie 19-6. Müller, G. P.: Programma auspicale ORATIONI SOLENNI praemissum. In: Idea eloquentiae nov-antiquae a.a.O. 53.
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Müller, der sich dem Leser in der Vorrede zum »Abriß einer gründlichen Oratorie« als »vernünftiger Philosophus und Redner« vorstellt, kennzeichnet rückblickend seine »Idea eloquentiae nov-antiquae« als Versuch einer logischen Rhetorik.8 Johann Andreas Fabricius, Verfasser sowohl eines Logikwerks wie einer »Philosophischen Oratorie«, hielt neben der Moral die Logik für »das nöthigste instrument eines redners«.9 Gottsched wiederum war die »Philosophische Oratorie« von Fabricius noch nicht philosophisch genug. Hinter dem irreführenden Namen, beanstandeten die »Vernünftigen Tadlerinnen«, verberge sich eine im Grunde biedere, sozusagen >rhetorische< Rhetorik.10 Um eine Logikausbildung, soviel stand auch für den Wolffschüler Gottsched fest, kommt ein Redner nicht herum.11 J.Andreas Fabricius reagierte auf die Beanstandungen der »Tadlerinnen« und arbeitete die noch galante Version der »Philosophischen Oratorie« von 1724 zur »Philosophischen Redekunst« von 1731 wolffianisch um.12 In mehreren logischen und rhetorischen Schriften bekennt sich C. Weise nachdrücklich zu einer Unterrichtspraxis, der die Verbindung der Fächer ein Anliegen war.13 Querverweise in den Lehrbüchern beider Theorieklassen verdeutlichen Affinitäten und Verstrebungen der Theorien.14 Aristoteles bereits war auf Querverbindungen der Disziplinen bedacht gewesen.15 Eine Proklamation der Fächerinterdependenz in Versform enthält der erste Teil von Weich8
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Müller, G. P., Abriß einer gründlichen Oratorie a.a.O. §§ 6 u. 7: »(...) so habe vor einigen Jahren diese Verbindung der Logic und Oratorie, das ist/ diese Logische Einrichtung/ durch die Ideam eloquentiae novam & antiquam in philosophischen Stylo versuchet (...)«. Fabricius, J. Andr., Philosophische Oratorie (...) Leipzig 1724, Neudr. 1974, 50. Ders., Anweisung wie man seinen Verstand a.a.O. (Gottsched, J. C.:) Die Vernünftigen Tadlerinnen. Erster Jahr=Theil. Leipzig !72 > 74Gottsched, J. C., Akademische Redekunst a.a.O. 130 f. u. 141 f. Vgl. hierzu auch Klassen, Logik und Rhetorik a.a.O. 10. Weise, C., Oratorische Fragen, Vorr. unpag. [a 6]: »Ich schlage Logicam und Oratoriam meistens zusamen.« Ders., Doctrina Logica, Vorr, unpag. [) : ( J r] [ Bei C. Weise, vgl. Dt. Logik a.a.O. 343, 436, 59;, 781. Ders., Gelehrter Redner a.a.O. 825. Ders., Institutiones oratoriae a.a.O. 230. Aristoteles behandelt die rhetorischen Schlüsse in den letzten Kapiteln (23.-27· Kap.) des 2. Buches der Ersten Analytik (Organon III) a.a.O. 140 ff. Cf. auch: Aristoteles: Lehre vom Beweis oder Zweite Analytik (Organon IV) übers, v. Eugen Rolfes (I922 1 ) Hamburg 1975, i. Aristoteles: Rhetorik. Die Lehrschriften, hg. v. Paul Gohlke, Paderborn 1959, 30 u. passim. Ill
manns »Poesie der Nieder=Sachsen.le Der Verstext Bokemeyers spielt auf eine in der Frühaufklärung gern erörterte Begründung für die Vereinigung der Theoriesysteme an, auf die Interrelation von Denken und Sprechen. Bezeichnend für die Argumentation eines Zweigs der jungen Aufklärung erscheint dabei, daß in der Beschreibung der Kooperation der Fähigkeiten dem Denken, also der Logik, die Priorität eingeräumt wird (V. 10). Auch die berühmte Formulierung von Leibniz konstatiert nicht eine wechselseitig-paritätische Zusammenarbeit von Denken und Sprechen, wie sie C. Weise sich angelegen sein läßt, sondern den eindeutigen Vorrang des Verstandes: »Es ist bekandt, dass die Sprach (!) ein Spiegel des Verstandes, und dass die Völcker, wenn sie den Verstand hoch schwingen, auch zugleich die Sprach wohl ausüben.«17
Zur Bestimmung der Affinität der artes in der Frühaufklärung bieten sich einige Definitionen der Rhetorik und Logik zum Vergleich an. Begriffsfestlegungen und Funktionsbestimmungen der Rhetorik machen die nicht bloß akzidentelle Übereinstimmung mit der Logik evident. Für Rüdiger, Fabricius und Stockmann stellt nicht die persuasio, sondern der adäquate Gedankenausdruck das Endziel der Rhetorik dar.18 Rüdiger beruft sich auf französische Kritiker, die vor ihm falsche Vorstellungen ausgeräumt hätten, die Vorstellung etwa, Rhetorik könne ohne Logik auskommen.19 Insofern die Rhetorik die Mitteilung der Gedanken beinhaltet, ist sie nach Peucer sogar als Teil der Logik anzusprechen.20 Ein gutes Rhetoriklehrbuch im Sinn Hallbauers wird »aus der Philosophie geleitet.«21 Die Logik hinwieder bestimmt J. T. Jablonsky definitorisch als »Die Unterweisung wohl zu reden.«22 Nicht anders als die Redekunst unterrichtet sie den Menschen,
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»seine gedancken über die vorkommende dinge gehörig ergehen zu lassen und dieselbe hernach durch verständliche zeichen oder worte ordentlich vorzutragen.«23 Weichmann, C. F.: Poesie der Nieder=Sachsen. Hamburg 1725, I, 289. Leibniz, G. W., Unvorgreiffliche Gedancken a.a.O. 44. Vgl. ebd. 59. Rüdiger, A., De sensu veri et falsi a.a.O. 583 f. DE NECESSARIA STVDII PHILOSOPHIC! ET ORATORII CONIVNCTIONE RECTORE (. . .) DN. VILHELMO HENRICO (. . .) DISSERENT M. FABRICIVS ET CHRISTIAN AVGVST STOCKMANN.
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Jenae 1718, §§ V u. VI. Ebd. 575. Im einzelnen bezieht sich Rüdiger auf de Balzacs Dissertation »De la grande eloquence« und auf Fleurys Traktat »Du Chois des etudes«. Peucer, D., Erläuterte Anfangs=Gründe a.a.O. 9 f. Hallbauer, F. A., Anweisung z. verb. t. Oratorie a.a.O., 217. Jablonsky, Johann Theodor: Allgemeines LEXICON Der Künste und Wissenschafften (. ..) Leipzig 1721, 407. Ebd.
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Für J. J. Lehmann umfaßt Logik im weiteren Sinn Oratorie, Poesie, Methodologie und Textkritik.24 Definitionen solcher Art ziehen für ihr Definiendum kaum Grenzen, sondern überschreiten sie bewußt. Auf signifikante Entsprechungen zwischen den Systemen läßt bei einer Gruppe frühaufklärerischer Theoretiker der analoge Aufbau schließen. Ciceros Einteilung der Rhetorik in inventio, dispositio, memoria kommentiert Rüdiger mit der Bemerkung, den bezeichneten Phasen der Textkonstituierung und -wiedergäbe gebühre eher ein Platz in der Logik als in Rhetoriken.25 Bacon hatte als Teilbereiche der Logik bereits die »Ars Inventionis«, »Judicii«, »Memoriae« und »Elocutionis seu Traditionis« aufgezählt.28 Die zunächst befremdliche Inanspruchnahme von memoria und elocutio für die Logik klärt sich um einiges, geht man den ihnen überantworteten Funktionen nach. Deutliche und verständliche Gegenstände sowie ihre geordnete Abfolge prägen sich dem Gedächtnis nachdrücklicher ein, als ein dunkler und konfus dargebotener Stoff.27 Bestimmte Verfahren logischer Darbietung kommen darin mit grundlegenden Regeln für das Gedächtnis überein, daß Unbekanntes auf Bekanntes zurückzuführen ist.28 Insofern die Frühaufklärung die Logik als Vernunftkunst behandelte, lag die psychologische Gedächtnisleistung durchaus im Blickfeld eines derartigen Logikkonzepts. Eine sensualistische Erkenntnistheorie, wie Locke sie entwickelte, konnte am wenigsten auf die Analyse der Gedächtnistätigkeiten verzichten.29 In doppelter Hinsicht lenkt die elocutio die Aufmerksamkeit der Logiktheorie der Aufklärung auf sich. Weil nach der traditionellen Aptum-Lehre der Ornatus dem Gewicht der Sachen entsprechen soll, hat sich der Redner in der Logik über die Triftigkeit der von ihm bemühten Gründe zu vergewissern. Elocutio wird, zweitens, gelegentlich mit »Aus-Rede« übersetzt; sie umgreift dann auch pronuntiatio und actio, mit anderen Worten den Kommunikationsaspekt der Rede.30 Die Lehre von der Vermittlung der Erkenntnis nehmen andererseits zahl-
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Lehmann, J. J., Neueste und nützlichste Art die sog. Morale a.a.O. 58. Rüdiger, A., De sensu veri et falsi a.a.O. 574. Bacon, F., De dignitate et augmentis scientiarum a.a.O. 616. Bacon, ebd. 648. Clauberg, Johannes: LOGICA CONTRACTA. Francequerae i/oi 2 , 44 ff. Vgl. Clauberg, ebd. 45. Locke, J., Of human understanding II, . Kap. (»Of Retention«) a.a.O. i. Bd. 137 ff.
Die Vorlesungen zur »Elocution« von Thomas Sheridan gehen über Sprecherziehung. Vgl. Mertner, E., Topos u. Commonplace 218. "3
reiche Logikautoren auf.31 Der vierte Teil der Logik faßt bei Bacon traditio und elocutio zusammen.32 C. Weise rekurriert auf diesbezügliche Übereinstimmungen zwischen Logik und Rhetorik im »Oratorischen Systema«: »Dergestalt hätten wir der Logica viel zu dancken? Das ist wahr. Beyde Disciplinen (...) körnen hierinnen zusamen, daß sie was kluges dencken und eintheilen: sie müssen auch beyderseits auff eine gute Communication bedacht seyn, damit der andere was von solchen Gedancken verstehen soll.«33
»Communication« bedeutet hier nicht den wechselseitigen interdisziplinären Informationsaustausch, sondern die Vermittlung des jeweiligen Rhetorik- oder Logiktextes an den Rezipienten. Zur Kommunikation zu befähigen, gehört nicht allein bei Weise zum Aufgabenkreis der Logik.34 C. Thomasius hält in seiner »Hof-Philosophie« ein Kapitel »Von der Klugheit seine Gedancken vorstellig zu machen« für angebracht.85 Buddeus, Syrbius und Crousaz entwickeln innerhalb ihrer Logiksysteme eine Kommunikationslehre unter didaktischen wie disputatorischen Gesichtspunkten.36 Hallbauer postuliert, eine gute Logik müsse sowohl von »Erfindung der Gedancken, als von der Ausdruckung derselben handeln.«*7 Aus ersichtlichen Gründen machten sich aufklärerische Theoretiker die Kommunikationslehre zum Anliegen, besteht Aufklärung doch in nichts anderem als einem weitdimensionierten Kommunikationsprozeß. Sie setzte sich die Verbreitung und Intensivierung der Kommunikation zum Ziel. Dunkelheit gilt als schlimmster Fehler der Rede, eben weil er ihr wichtigstes Ziel, die Mitteilung der Gedanken, vereitelt.*8 31
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Fabricius, J. A., Anweisung wie man seinen Verstand 175 f. Zur Kommunikationslehre in Logik u. Rhetorik vgl. auch Klassen, R., Logik u. Rhetorik a.a.O. 17. Bacon, F., De dignitate et augmentis a.a.O. 649 ff. (6. Buch). Weise, C., Oratorisches Systema a.a.O. 9. Weise, C., Nvclevs Logicae a.a.O. 76: Die Logik soll die Fähigkeit lehren, »COGNITrONEM ALIIS COMMUNICARE.«
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Thomasius, C., Einleitung zur Hof=Philosophie a.a.O. 248 ff. Die »Auszübung der Vernunfft=Lehre« verspricht auf dem Titelblatt »Handgriffe« zu vermitteln, wie man die »erkandte Warheit ändern beybringen« könne. Ders., Auszübung a.a.O. Buddeus, I. F., Elementa philosophiae instrvmentalis a.a.O. 225 ff.: »PARS TERTIA DE RATIONE VERITATEM CVM ALIIS COMMVNICANDI«.
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Syrbius, I. L, Institvtiones philosophiae rationalis, 401 ff. II, 9. Kap. Cf. auch Vor. XXXIII. Crousaz, J. P., Systeme a.a.O. I, 2. Hallbauer, F. A., Anweisung z. verb. t. Oratorie a.a.O. 217. Werenfels: »Die Sprache ist uns nicht zur Verdunkelung unserer Meynung, sondern zur Eröffnung unserer Gedanken gegeben worden.« Des berühmten D. Werenfels Abhandlung de Meteoris Orationis (...)«
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Rhetorik- und Logiklehrbücher sind bei Weise nach vergleichbaren Lernschritten programmiert. Was die Rhetorik betrifft, so hat W. Barner in Fortführung von F. Paulsen und J. Dyck die scheinbar unauflösbare Diskrepanz, mit der im Barock eine manieristische Poesie abweicht von der großenteils klassizistischen Rhetoriklehre, einsehbar gemacht durch die Differenzierung eines Rhetorikbegriffs, der mehr als nur einseitig die doctrina enthält; den vielmehr seit der Antike die Dreiheit von praecepta (=doctrina), exempla und imitatio konstituiere.39 Die nämlichen drei Konstruktionsprinzipien nun bestimmen Weises auf die rednerische Praxis angelegte Logik, deren literarische exempla das Material für die Analysis und Genesis der interpretatorischen imitatio zur Verfügung stellen.40 Mit der didaktischen Konzeption seiner Logik nach praecepta - exempla - imitatio steht Weise im Traditionszusammenhang der protestantischen Gelehrtenschulen, die nach dem Vorbild Sturms die Dialektik in eben dieser Programmfolge dem Schüler nahebrachten. Die Exempla selbst demonstrierten nicht nur die Anwendung genereller Regeln, sondern waren oft genug auch ihren Inhalt nach pädagogisch kalkuliert. Humanistischen Traditionen folgend41 entwickelte Weise in der deutschen Logik Grundzüge einer wissenschaftlichen Methodologie, der unter anderem die Kontrolle über die schrittweise Konstruktion eines Textes obliegt. Die logische Organisation eines Textzusammenhangs gewinnt dabei nach derselben Systematik Gestalt wie die oratorische: nach invenizo, dispositio und elocutio. »Wir wollen es der Oratorie zuschreiben«, reflektiert Weise dieses Vorgehen, »daß wir die Stücke von ihr borgen müssen: Doch könte die Logica wol hierinne gleich als mit ihrem Eigenthume procediren.«4*
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In: Gottsched, Akademische Redekunst a.a.O. 376. Buddeus, ebd. 190. Die rhetorische Tugend der perspicuitas sorgt nach Syrbius für Klarheit hinsichtlich des Stoffes, der Ordnung, der Diktion. Dem Hörer darf nichts unverständlich bleiben. Syrbius, a.a.O. 404. Barner, W., Barockrhetorik a.a.O. 59.
Paulsen, F., Geschichte des gelehrten Unterrichts I, 292. Dyck, J., Ticht-Kunst a.a.O. 9. Weise, C., Dt. Logik 574 ff, 579, 594. Vgl. Vorr. unpag. [5] ff. Neben »natura« konstituieren schon bei Ratnus »doctrina« und »exercitatio« die Dialektik. Cf. Risse, W., Logik der Neuzeit I, 124. Vgl. Risse, W., Die Logik der Neuzeit I, 20, 45 f., 70, 95, 113, 149 ff. (zu Sturm, Melanchthon, Apellus, Illyricus, Ramus). Weise, C., Dt. Logik 506.
Wenn Autoren statt von Logik zu sprechen genereller die Philosophie der Rhetorik beigesellen,43 modifizieren sie mehr verbal als der Sache nach die Tradition der Logik-Rhetorik-Beziehung. Einesteils enthält ja schon der Themenkatalog aufklärerischer Logiken zahlreiche philosophische Probleme, so daß eine scharfe Trennung philosophischer und logischer Fragestellungen der Intention zahlreicher Autoren zuwiderliefe; zum anderen dokumentieren die Verfasser die häufig synonyme Verwendung der Begriffe Logik und Philosophie.44 Nicht zuletzt liegt den Rhetorikern der Aufklärung etwas an der Anerkennung ihrer Ausführungen durch die Philosophen. Mit Beifall von dieser Seite aber ist nur zu rechnen, wenn die rhetorischen Texte den Anforderungen eines logisch konsistenten und kohärenten Systems genügen.45 Logiker der Frühaufklärung realisierten, daß der Uberzeugungserfolg nicht nur auf intellektuellen Strategien basiert; meist werden Grunddispositionen psychologischer und sozialer Art beim Adressaten mitbetroffen. Vernunftlehrer wie Rhetoriker sind gut beraten, wenn sie auf Vorurteile des Lesers und Hörers eingehen. Mit der Berücksichtigung der Rezipientenlage jedoch wollen Aufklärer sich nicht zwangsläufig einen Verlust an Argumentationsstringenz einhandeln. Auch Rhetoriker sahen ein stattliches Kontingent an Bindegliedern mit der Logik im Dispositiobereich, in dem der Redner ähnlich dem Dialektiker zu argumentieren und zu beweisen trachtet. Eine Vielzahl von Argumentations- und Dispositionstechniken, auf die detaillierter noch einzugehen sein wird, machen Anleihen vom Nachbarfach unabdingbar.46 b. Komplementäre Differenzen Nicht mit demselben Nachdruck wie Wolffianer und mathematisch orientierte Logiker der Aufklärung, 47 dennoch Gehör verlangend, heben 43
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Vgl. Rüdiger, A., De sensu veri et falsi a.a.O. 218. Fabricius u. Stockmann, De necessaria studii philosophic! et oratorii conivnctione a.a.O. §§ II, V-VII, XXVII. Bodmer, J. J. u. Breitinger, J. J., Von dem Einfluß u. Gebrauche der Einbildungs=Krafft a.a.O. Widmungsvorrede an Wolff [a 5] f. Gottsched, J. C., Ausführliche Redekunst a.a.O. loj f. Rüdiger, ebd. 575; Gottsched, ebd. 98 ff. u. 188. Müller, G. P., Idea eloquentiae nov-antiquae a.a.O. Vorr. [) : ( ) : ( 2 r]. Ders., Abriß einer gründlichen Oratorie a.a.O. Vorr. § 7. Weise, Christian: SUBSIDIUM JUVENILE, DE ARTIFICIO ET usu CHRIARUM (...) Dresdae et Lipsiae 1715, Vorr. von 1689, unpag. A 2. Cf. auch Fischbeck, C. M., Ergetzlichkeiten, so in der Redekunst u. Poesie a.a.O. 207. Wolffianer waren Bilfinger, Layritz, Ludovici, Thümmig, Frobesius, Striebitz; (vgl. Klassen, Logik u. Rhetorik a.a.O. 6); zu den Befürwortern
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sogar Autoren, die sich aus der Verquickung der Fächer Vorteile für den Redner wie den Logiker erwarten, Divergenzen zwischen den Disziplinen hervor. Uns müssen im Verfolg der Untersuchungsrichtung in erster Linie Fragen wie diese interessieren: - Wie gravierend erweisen sich die von den Autoren zusammengestellten Unterschiede zwischen beiden Systemen? - Auf welche Differenzen legt man besonderen Wert? - In was für Zusammenhängen werden Theoriedivergenzen besprochen, und welche Funktion hat ihre Anführung im Argumentationskontext? Die Verschiedenheit der Sektionen scheint für einige Theoretiker gerade die im gemeinsamen Zweckverband erwünschten Supplementärleistungen sicherzustellen. Im »Gelehrten Redner« macht Weise anläßlich von Erörterungen zur Textkomposition die Aufgabenverteilung zwischen den Disziplinen bekannt: »Wir können wol nirgend die Danckbarkeit in einem schönern Exempel vorstellen/ als wenn wir betrachten/ was zwischen der Logica und der Rhetorica vorgehet. Die Logica thut einem Redner was grosses zu gefallen/ wenn sie mit guten Eintheilungen parat ist. Doch die Rhetorica muß einem Logico wieder helffen/ daß die Eintheilung mit manierlichen und galanten Terminis ausgesprochen wird.«48
Desiderate auf beiden Seiten erfüllen die Fächer mit komplementären Leistungen. Die Disziplinen stehen sich in einer solchen Ausstattung gegenüber, daß Defizite und Befähigungen sich zwischen ihnen wechselseitig ergänzen. Das abendländische System der Rhetorik basiert auf der Annahme einer prinzipiellen Dichotomie zwischen verha und res, die ihrerseits schon über das rhetorische System hinaus auf die Nachbardisziplin verweist. Weise ordnet sich nur einem Traditionszusammenhang ein, wenn er die gedanklichen und verbalen Aspekte der Rhetorik auf die Systemzweiheit von Logik und Rhetorik transportiert. Bei der Behandlung eines beliebigen Problems wie bei der Textkonstitution ist an ein Zwei-StufenVerfahren gedacht: »Methodus ist erstlich naturalis, wie man nach der klugen Vernunfft etwas eintheilen und vortragen sol/ und darum bekümmert sich die Logica. Darnach ist er Artificialis, oder etwas besser zu sagen oratoria, da man sich auf allerhand künstliche Veränderungen befleisset/ welche doch in der Sache selbst nichts veränderliches beytragen.«49
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mathematischer Methoden in der Logik sind zu rechnen Leibniz, v. Tschirnhaus, J. C. Lange, Weigel und Wolff selbst. Weise, C., Gelehrter Redner a.a.O. 815.
Weise, C., Dt. Logik j/} f.
Der Logik wird im Textabschnitt die Aufgabe der methodischen Einteilung übertragen, der Oratorie die der kunstvollen Variation, d. h. beiden Disziplinen ist die Dominanz auch in einer der Verarbeitungsphasen des Stoffs innerhalb des logisch-rhetorischen Systems zugesprochen: der Logik in der Dispositiophase, der Rhetorik in der Phase der Elocutio. Aus dem Register der Elocutiomittel stehen stilistische Techniken zur Verfügung, die das »Artificium« der logisch-rhetorischen dispositio verbergen; es hinter der gefälligen Ausführung unsichtbar machen.50 Eine andere traditionelle Entgegensetzung von Philosophie bzw. Logik auf der einen Seite und Rhetorik auf der anderen ist sicherlich differenzierter zu beschreiben, als es in der Barockforschung geschah: die Opposition zwischen dem verum von Philosophie/Logik und dem verisimile von Rhetorik/Poesie. J. Dycks Erläuterungen des Gegensatzes vereinfacht die Unterscheidungsmerkmale. Nach Dyck hat die Rhetorik es nicht wie die Philosophie nur mit dem Wahren zu tun, sondern vor allem mit dem Wahrscheinlichen; das Vorgetragene glaubhaft zu machen, sei die Intention der rhetorischen persttasio-Lehre.*1 Schon bei Aristoteles und erst recht bei Cicero beschäftigt sich eine Abteilung der Philosophie - wir erwähnten in diesem Zusammenhang schon die Dialektik - mit der Erörterung des probabile und verisimile. Cicero läßt die Philosophie nachgerade in der dialektischen Debatte eines Problems aufgehen, an deren Ende im günstigsten Fall die Glaubwürdigkeit einer Meinung steht. Für die Epoche der Aufklärung indessen darf nicht ohne weiteres aus der Behandlung der Wahrscheinlichkeitsthematik in Logiken und Rhetoriken auf eine identische Problemstellung geschlossen werden, geht es doch beidemal zumindest für einige Autoren nur dem Namen nach um dieselbe Sache. Rüdiger trennt sehr sorgfältig die logische von der rhetorischen Probabilität: die logische Wahrscheinlichkeit liegt vor, wenn eine Hypothese mit mehreren Sinneswahrnehmungen dem Augenschein nach übereinstimmt;52 als rhetorisch probabel hingegen werden Sprichwörter, Parabeln, etymologische >Argumentesammeln< und >durchforstenerfinden< im Sinne von >Einfälle haben< ist jedenfalls nicht gemeint.65 Wie wenig vom Charakter einer plötzlichen Eingebung die barocke >Erfindung< an sich hat, verdeutlicht die Weisesche Segmentierung des Inventioprozesses in sechs Phasen, deren letzte die Dispositiophase erst abschließt. Die lange Prozedur von der ersten Inventio bis zur endgültigen Dispositio führt C. Weise in einem Verfahren vor, das Inventiound Dispositiozwischenschritte miteinander verschränkt.68 Die Rekonstruktion des barocken Inventiovorganges muß ansetzen an der Polarität der Konstellation von real vorgegebener Situation und gedanklich-logischem Kategorieninventar der loci. Am Auffindungsprozeß läßt sich eine generelle Musterung des Gesamtreservoirs an loci der sich anschließenden Selektion derjenigen »örter« voranstellen, die für die Textsorte und den individuellen Anlaß relevant werden.*7 »Inventio prima« nennt C. Weise in den »Curieusen Fragen über die Logica« die ungeordnete Anhäufung des durch die topischen Suchmetho-
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Gomperz, H., Sophistik u. Rhetorik a.a.O. 194. J. Dyck spricht zurecht von der »Auffindung« des Stoffes und der Argumente. Vgl. Dyck, J. Ticht-Kunst a.a.O. 41 ff. Noch unter Rhetorikern des frühen 18. Jahrhunderts wird »erfinden« und »sammeln« gleichgestellt. J. J. Schatz überschreibt das entsprechende Kapitel »Von der Inuention oder Erfindung und Sammlung der zum Vortrag dienlichen Gedancken«. Der Paragraph I stellt klar: »ERfinden heisset hier nichts anders als sich erinnern und besinnen, was man bey der obhandenen Gelegenheit zum Zweck dienliches vortragen wolle.« Schatz, J. J., Kurtze u. Vernunft=mäßige Anweisung a.a.O. 9 f. Vgl. Weise, C., Oratorische Fragen a.a.O. 665-670. Zum Selektionsvorgang, cf. Weise, Oratorisches Systema a.a.O. 437. 121
den zusammengetragenen Materials; »inventio secunda« die Sichtung und Einstufung des Materials nach seiner Wichtigkeit.88 a.
Begriffsklärungen
Zentrale Begriffe des rhetorisch-logischen Subsystems der Inventio gewannen sowohl in der Tradition wie in der literarischen Forschung eine Vielfalt von Bedeutungen: unter »Topos« versteht man heterogenste Inhalte; auch für »loci communes«, die gelegentlich mit »loci topici« ineinsgesetzt werden, gibt es mehr als eine Begriffserklärung; »Inventio« bezeichnet je nach dem Objekt der Suche ein Spektrum von Vorgängen. Für die semantische Mehrdeutigkeit des Toposbegriffs zeichnet nicht erst E. R. Curtius durch seine Einführung des historischen Topos als Denk- und Bilderformel der Tradition verantwortlich.69 Die Plurivalenz der Toposbedeutung reicht bis zu den Sophisten und Aristoteles zurück, sie resultiert unter anderem von der Verwendung der Topik sowohl in der Rhetorik- wie Logiklehre. Für die Sophisten stellte der Topos ein fertiges Argument der Rede dar,70 für Aristoteles im »Organon« einen Typ des Wahrscheinlichkeitsschlusses, der auf inhaltlich konkrete Überlegungen erst appliziert werden muß.71 Einige Loci der aristotelischen Topik taugen sogar für apodiktische Schlüsse, z. B. der Schluß von der Art auf die Gattung.72 An Ciceros Behandlung der loci topici in den rhetorischen Schriften springt eine Umaspektierung gegenüber der aristotelischen Topoikonzeption in die Augen: für Aristoteles stellten die Topoi Beweisregeln dar, 68
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Weise, Dt. Logik a.a.O. 507. Im »Oratorischen Systema« verwendet Weise das Begriffspaar in einer anderen Bedeutung. In der »Inventio prima« soll der Texthersteller das Thema »nach den Locis examiniren«, in der »Inventio secunda« eine Art von rekursivem Verfahren anwenden: der in der »Inventio prima« ermittelte Topos wird seinerseits zum neuen Thema erklärt, das noch einmal durch die Suchfragen geführt und erweitert werden kann. Weise, Orator. Systema a.a.O. 140 f. Curtius, Ernst Robert: Begriff einer historischen Topik. (1938) in: M. L. Baeumer (Hg.), Toposforschung a.a.O. 15 ff. Ders.: Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, ( ^^ 1) Bern u. München 1965*, 92. Solmsen, F., Die Entwicklung der aristotelischen Logik und Rhetorik a.a.O. 162 ff. Vgl. auch Veit, W., Toposforschung a.a.O. 174.
Aristoteles, Topik I, r, looa 18, a.a.O. r. ebd. II, 4, i n a a.a.O. 35: »(...) was der Art zukommt, kommt auch der Gattung zu.« Vgl. auch Lange, J. C., Nvclevs Logicae Weisianae a.a.O. 536 ff.
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für Cicero sind sie kategoriale Betrachtungsweisen. Entsprechend werden bei Aristoteles auch die rhetorischen Topoi in Sätzen formuliert, bei Cicero dagegen in Begriffen. Ein Beispiel für einen Beweistopos aus dem Vergleich lautet bei Aristoteles: »Wenn für Euch das Verkaufen nichts Häßliches ist, dann auch für uns nicht das Pachten.«73 Cicero führt in »De Oratore« als Proben an: Loci aus dem inneren Wesen der Sache (definitio), aus einem Teil davon (partitio), aus dem Namen; Loci, die von außen an die Sache herangetragen werden: das Verwandte (coniuncta), Gattung, Arten, Ähnlichkeit, Unähnlichkeit, das Konträre, Folgen etc.74 Wenn an den loci ihre Funktion der »sedes argumentorum« zur Diskussion steht,75 können verschiedene Aufgaben gemeint sein: entweder steht die Herstellung eines dialektischen Schlusses bzw. eines Redearguments aus den loci topici im Vordergrund - die »Topoi« sind in ihrer ursprünglich lokalen Bedeutung reaktiviert - oder die Beweiskraft der loci in einem Schluß des Logikers bzw. für eine These des Redners. Im ersten Fall sucht man die Prämissen zu einer Konklusion oder Argumente zur Stützung und Erläuterung einer These; im zweiten Fall beurteilt man die sachliche Richtigkeit der Argumentation. Der Toposbegriff der Dialektik und Rhetorik unterscheidet sich fundamental von dem seit Curtius in der Literaturwissenschaft gängigen.76 Den literarischen Topos in seinen invarianten und historisch modifizierten Elementen zu beschreiben gehört zu den Aufgaben der Rezeptionsästhetik; die Darstellung des rhetorisch-dialektischen Topos fällt in den Untersuchungsbereich von Fragestellungen, die den literarischen Bedingungen der Textherstellung nachgehen.77 Ein Autor, der Texte durch Rückgriffe auf literarische Topoi produziert, bezieht sich inhaltlich auf Vorgänger, während die Verwendung der rhetorischen Suchmethodik nicht auf thematische Präzedenzfälle angewiesen ist. Ihren Stoffgebieten nach lassen sich die von Curtius gesammelten Topoi drei Hauptklassen 73 74 75 76
77
Aristoteles: Rhetorik. Die Lehrschriften. Hg. v. Paul Gohlke. Paderborn 1959, De oratore z. Buch, 163. Cicero, De oratore 2. Buch, XXXIX, 163 ff. Vgl. Cicero, Topica, i f., a.a.O. Quintilian, Institutionis oratoriae V, 10, 20, a.a.O. r. Bd. 554. Curtius selbst hebt seinen »historischen« Toposbegriff vom »normativen« der Tradition ab. Curtius, E. R., Historische Topik a.a.O. 9 u. 12. Ders., Europ. Literatur a.a.O. 92 u. 200. Von der Formulierung B. Emrichs, der die historische Topik von Curtius kennzeichnet als »Umkehrung eines Systems, das der literarischen Produktion diente, zu einem Instrument des Textverständnisses* (Hervorhebung i. Text) sind wir abgewichen, weil ein System der literarischen Produktion, wie deutlicher noch gezeigt wird, auch als Instrument der Interpretation herhalten kann. Vgl. Emrich, B., Topik und Topoi a.a.O. 251.
subsumieren: in solche, die auf die Objektwelt referieren (Bereich des Menschen, der Natur), in andere, die sich auf poetologische Thesen rückbeziehen (z. B. >Die Dichter lügengöttlicher Wahn des DichtersTextverarbeitung< dabei verstanden als Oberbegriff von Prozessen der Textkonstitution und -rezeption: (i)Die loci bieten sich dem Redner als unerschöpfliche Fundgruben für Redeteile an; der eruierende Erfolg der topischen Kunstgriffe wird gesucht. Der Begriff »Topos« hat in dieser Verwendung noch das meiste von seiner wörtlichen Bedeutung bewahrt. Mit der Frage >Woher sind die Inventiones zu nehmen, um die Materie für Reden zu gewinnenvirtusvitiumvitaUrsachenz6oquis? quid? u b i ? . . . leisten die nämlichen Dienste.176 Für das Inventioreservoir der »Nouvellen« plädiert auch C. Weise.177 Männling empfiehlt außerdem Bräuche und feierliche Riten als Inventioquellen.178 Summarisch gesprochen findet die 172
Cf. de Boor-Newald, Geschichte der dt. Literatur a.a.O. 181. Weise, C., Politische Fragen 519. Ders., Institutiones oratoriae 725. Ders., Gelehrter Redner 42 ff. Wentzel, Johann Christoph: Historischer Redner (...) Leipzig 1711, 2. Weinrich, J. M., Erleichterte Methode 224. Syrbius, a.a.O. 281. Hallbauer, F. A., Anweisung a.a.O. 271. 174 Weise, Polit. Fragen ebd.; Institutiones orat. 726; Gelehrter Redner 542 ff. Wentzel ebd., Hallbauer ebd., Syrbius ebd. Weinrich trennt »verbale« von »realen« Kollektaneen; letztere sind nach den Disziplinen, nach Sachgruppen oder der alphabetischen Ordnung eingerichtet. Weinrich a.a.O. 225. 175 Wentzel, Historischer Redner, ebd. 4 ff. ne Neukirch, J. G., Anfangs=Gründe a.a.O. 236 f. 177 Weise, C., Neu=Erleuterter Politischer Redner a.a.O. 560. Ders., Curieuse Gedancken von den Nouvellen oder Zeitungen, a.a.O. Vorr. ) : ( 4, H i ff178 Männling, Johann Christoph: Expediter Redner Oder Deutliche Anweisung zur galanten Deutschen Wohlredenheit (.. .) Franckfurt u. Leipzig 1718, Neudr. Kronberg 1974, 32. 178
146
Empirie Einlaß in das Kollektaneenwesen. J. G. Neukirch regt an, zur Erforschung der gesuchten Eigenschaften der Dinge seine eigenen fünf Sinne zu Rate zu ziehen. Was er meint, veranschaulicht er am Stichwort >SonneDie Jungfer stirbt - das Weibchen lebt< verbreitet wenig Grabesstimmung.371 Unter literarischem Aspekt wäre das deiktische Adverb »hier« bzw. »allhier« sowie die Thematisierung des Rezeptionsvorganges (»lesen«) in Hölmanns Grabschrift als Reflexion auf den epigrammati3(57 368
SM
370 871
5. Buch Mose, 22. Vgl. Luther, Martin: Die gantze Heilige Schrifft Deudsch. Wittenberg 1545. Neudruck hg. v. H. Holz. Darmstadt 1972, 376. Biblisches REAL-LEXICON, Worinnen solche Biblische Worte, Redens=Arten, Dicta und Merckwürdigkeiten, die Erklärung bedürfen, so wohl Altes als Neuen Testamentes (...) zu finden sind (...) von J. H. 3. Teil, Chemnitz 1726, Sp.1322. Ebd.
v. Hofmannswaldau, Deutsche Übersetzungen und Gedichte, Poetische Grabschriften, XCVI. Weise, Christian: Der grünenden Jugend überflüssige Gedanken. Abdruck der Ausgabe von 1678, hg. v. Max von Waldberg. Halle 1914, 50 f. 185
sehen Spruch selbst zu deuten, mit dem der Poet sein Werk zum Epitaph auf seinen Namen macht. Schlüsse mit mehr als drei Sätzen bestimmen nicht weniger als die verkürzten Schlüsse rhetorische Erörterungen. Das im folgenden wiedergegebene literarische Textbeispiel wäre ohne die Kenntnis des im Gedicht thematisierten Schluß Verfahrens nur fragmentarisch rezipierbar: »Ingeniosa necessitas. Wahr ists! Die Not lehrt manchem Witz, Ist seine zehnte Mus', und schneidt die Federn spitz; Noht dringt ihm auf die Massigkeit, Und die Gewohnheit wird zuletzt Gewogenheit: Die eine Tugend folgt der ändern auf den FUSS, Allein was ist der letzte Schluss? Dem Anfang ist das Ende gleich: Denn Witz macht selten klug, die Tugend selten reich.«?12
Der Text gibt dem heutigen Leser eine Reihe von Fragen auf, die sich befriedigend erst aus der Kenntnis der traditionellen Logiklehre beantworten lassen. Warum »folgt« hier eine Tugend der ändern »auf den Fuß«? (V. 5) Weshalb wird »der letzte Schluß« (V. 6) eigens erwähnt? Mit welchem Recht folgert der Autor, daß »dem Anfang« »das Ende gleich« sei? (V. 8). Daß Anfang und Ende de facto zusammengehören, ergibt schon ein oberflächlicher Vergleich der Semantik von Gedichteingang und -schluß. Sieht man von der metasprachlichen Formel »Wahr ists!« einmal ab, setzt das Epigramm mit »Die Not« ein und hört mit »selten reich« auf. Um zu demonstrieren, weshalb man am Ende eben dort ankommt, wo man ausgegangen war, benützt der Sprecher die Beweisfigur des Sorites oder Kettenschlusses. Der Sorites ist eine Schlußform, die im Kreis geht. Das Subjekt des vorangehenden Satzes wird jeweils Prädikat im folgenden, oder umgekehrt: das Prädikat wird zum Subjekt der nächsten Zeile. Wie Kettenglieder greifen beliebig viele Schlußsätze ineinander, ein Begriff »folgt« dem »ändern auf dem Fuß«. Geschlossen ist die Kette erst, wenn das Prädikat des letzten Satzes mit dem Subjekt des ersten Satzes zusammenhängt.373 Der »letzte Schluß« führt also zum Ausgang zurück: im Epigramm zur desillusionierenden Einsicht, daß mit Erfindungsgabe allein dem Teufelskreis der Not nicht zu entrinnen ist. Versiert argumentierend denkt der Epigrammatiker nicht nur einen Schritt S72 \fernicke, Epigramme I, 28 a.a.O. 145 (Hervorhebungen i. Text). 373 Zum Sorites vgl. Weise, C., Dt. Logik 391. Breitinger, J. J., Artis cogitandi principia 94; Rüdiger, De sensu veri 399 f. Stieler nennt ihn »Stafelschluß«. Stieler, K., Teutsche Sekretariat=Kunst; II, 127. Weitere Literatur: de Vries, Logica 158. Klassen, R. a.a.O. 94 f.
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weiter als der Leser, sondern bekräftigt (»Wahr ists!«) und verstärkt in den ersten fünf Zeilen die gängige Redensart, Not mache erfinderisch.874 Er nimmt das Sprichwort zunächst ernst, stützt es mit Argumenten, legt sich selbst offenbar Hindernisse in den Weg, um sie desto eindrucksvoller zu bewältigen. Von der Hypothese, daß Not neben »Witz« auch Tugend lehre, ergeben sich mit zwei Kettenschlüssen Konsequenzen, die die Annahme als billigen Trost entlarven. Sieben Sätze, von denen der Autor einen, der für's erste befremden könnte {= Satz (5)), in einer Anmerkung eigens expliziert, liefern insgesamt die Glieder der beiden Sorites: (1) Wer in Not ist, entwickelt >Witz< (Vers i) (2) In Not sein bedeutet, Mäßigkeit zu üben (Vers 3) (3) Wer Mäßigkeit übt, findet Gefallen an ihr (Vers 4) (4) Wer Gefallen an Mäßigkeit findet, ist tugendhaft (Vers 5) (5) >Witzig< und klug sein geht nicht zusammen (6) Reich werden setzt Klugheit voraus (7) Durch Tugend wird niemand reich. In (3) soll die Lautverschiebung der Paronomasie den Übergang von »Gewohnheit« zu »Gewogenheit« poetisch einleuchtender machen. (4) ist eine Präsupposition von Vers 3 und 5; (6) wird als selbstverständliche Erfahrung dem Schluß zugrundegelegt. Die Aussage von Satz (j) erläutert Wernicke in der Anmerkung durch Begriffsexplikationen von »Witz« und »Klugheit«. Unter »Klugheit« versteht Wernicke überlegtes, politisch-opportunes Handeln; während er mit »Witz« Einfallsreichtum und Schlagfertigkeit meint.375 Im ersten Sorites folgt nach (2), (3), (4) und (7) der Not die Tugend und der wiederum die Not; im zweiten Kettenschluß hat nach (i), (5) 374
Die Formel ist wörtlich belegt bei: Ti. Claudi Donati commentum Vergilii Aeneidos lib. 2, vers. 260, hg. Lucius Basil. 1613, S. 183 u. Anonymus de machinis bellicis liber, cap. 16,1; hg. Gelenius Bas. 1552. Cf. THESAVRVS LINGVAE LATINAE, Lipsiae 1964, Sp. I J 2 I .
375
Sinngemäß findet sich der Spruch bei Ovid und unter den Sentenzen des Mittelalters. Cf.: Ovid, Artis amatoriae liber II, 43: »ingenium mala saepe mouent«, in: P OVIDI NASONIS AMORES, MEDICAMINA FACIEI FEMINEAE, ARS AMATORIA, REMEDIA AMORis hg. v. E. J. Kenney, Oxonii 1968, 143. Die mittelalterliche Sentenz lautet: »Necessitas est orationis magistra«, vgl. Walter, Hans: Lateinische Sprichwörter und Sentenzen des Mittelalters in alphabetischer Anordnung. Göttingen 1965, Teil 3, 75. Vgl. Logau, F. v., Sämmtliche Sinngedichte III, 3, 98, a.a.O. 491: »Die Notwendigkeit.« Sprichwort: »Not ist die Mutter der Erfindungen.« (Lipperheide, F. v., Spruchwörterbuch a.a.O. 666). Wernicke, Epigramme a.a.O. (Hervorheb, i. Text)
187
und (6) Not den >Witz< im Gefolge, dieser schließt Klugheit aus, die ihrerseits eine Vorbedingung für Reichtum -wäre.378 Die Konsequenz ist in beiden Kettenschlüssen von gleicher Ausweglosigkeit; sie lautet: >Keiner der in Not ist, wird reichDie Not lehrt gar manchem (= sehr vielen) Witz< und V. 8 mit >Witz macht im allgemeinen nicht klugIn Not seinWitz entwickeln·^ C = >Mäßigkeit übenan Mäßigkeit gefallen findenTugendKlugheitreich werdem. Die Notation der Kleinbuchstaben ist die der traditionellen Logik: a = >alle ... sind/haben .. .; e = >kein ... ist/hat ein .. .< i. Sorites: 2. Sorites:
CaD (3) BeF (5) AaC (2) AaB (i) A a D nach >Barbara< A e F nach >Celarent< D a E (4) GaF (6) AaD F e A conversio simplex! A a E nach >Barbara< A e G nach >Camenes< EeG (7) AaE A e G nach >Celarent< Elias, Julius: Christian Wernicke. München 1888, 29, 79 ff., 120. Ebd. 8j u. 162.
188
werden, zu dessen brotloser Kunst »Witz« und eine »spitze Feder« (V. i u. 2) gehören. Die Struktur des Kettenanschlusses im Epigramm verleiht formal der Wirkungslosigkeit literarischer Bemühungen Ausdruck, die sich geistreich im Kreise drehen. Unter den Schlüssen, die aus mehr als drei Sätzen bestehen, sei abschließend das Dilemma herausgegriffen, weil es in der Rhetorik und Literatur eine gewisse Beachtung findet.379 In literarischen Texten übernimmt das Dilemma eine grundsätzlich doppelte Funktion: es kann für eine Offensiv- und Defensivstrategie berechnet sein. Im ersten Fall stellt der Sprecher seinen Gegner vor eine wenig versprechende Wahl. Die Heiratsaporie des Sophisten Bias, von Tesauro als Muster einer arguten Argumentation zitiert und ebenfalls von C. Weise, Großer und G. Lange aufgegriffen, ist als ein solches Dilemma strukturiert:880 »Entweder wirst Du Dir doch nur eine Schöne nehmen, oder eine Hässliche; und wenn Du Dir nun eine Schöne nimmst, so wirst Du sie mit Ändern gemein haben; wenn Du Dir aber eine Hässliche nimmst, schaffst Du Dir (nur) eine Pein; Beides aber kannst Du nicht brauchen; also darfst Du auch (gar) nicht heiraten.«381
Das offensive Dilemma stellt eine Herausforderung dar, die nach Auflösung verlangt. Es erzeugt erst eine Spannungslage, während das passive Dilemma sie voraussetzt. In galanten Gedichten dominiert die fingierte Defensivtechnik. Der Liebhaber steckt selbst in einer Zwangslage: wie er auch handelt, schlägt es ihm zum Unheil aus. Er beschwört Assoziationen an die Ausweglosigkeit der Tragödie: »Schweig ich, so nimmt mein schmertz von tag zu tage zu (. ..) Red' ich, so wächst ihr zorn zum nachtheil meiner ruh (. . ,)«382 319
Quintilian, Institutionis oratoriae V, 10, 69 ff. a.a.O. i. Bd. 574. Morhof zeigt die Dilemmastruktur eines Martialepigramms an, vgl. Morhof, D. G., Commentatio de disciplina argutiarum 61. Stieler, K., Teutsche Sekretariat=Kunst II, 127. Fischbeck, Ergetzlichkeiten 210 f. Baumgarten, A. G., Aesthetica § 862, a.a.O. S. $91. Cicero rät zum versteckt-enthymematischen Dilemma der complexio. Cicero: De inventione I, 39. In: OEUVRES COMPLETES DE CICERON. L'INVENTION, ed. J. J. Charpentier. Paris 1833, 82. Zum Dilemma vgl. auch: Lausberg, H., Handbuch der literarischen Rhetorik 216 f. 380 Tesauro, E., II Cannocchiale Aristotelico a.a.O. 11 Lange, J. C., Nvclevs Logicae Weisianae 2j f. Großer, S., Gründliche Anweisung zur Logica a.a.O. 86. Lange, G., Einleitung zur Oratorie I, 244. 381 Aulus Gellius: Noctes Atticae. V, n, 2 f. Übers, v. Fritz Weiß: Die attischen Nächte des Aulus Gellius. Leipzig 1875, Darmstadt 6j, 8.287. sea Neukirchsche Sammlung V. Teil. Leipzig 1710, 271 (Gottlieb Stolle). 189
Typologisch lassen sich theoretische und praktische Dilemmata unterscheiden, sowie logische und rhetorische. Das theoretische Dilemma besteht in wissenschaftlichen Aussagen, das praktische in Sätzen, die zu Handlungen auffordern oder über sie reflektieren.883 Praktische Dilemmata suchen letztlich, eine Situation zu entscheiden; theoretische wollen die Unrichtigkeit eines Satzes beweisen, indem sie seine disjunkten Glieder ad absurdum führen. Rhetorische oder ästhetische Dilemmata unterliegen nicht ganz den strengen Regeln der logischen. Ein logisches Dilemma ist ein zusammengesetzter Schluß, der als propositio maior eine (ausschließende) Disjunktion hat und als mmores zwei Konditionalsätze, die beide, obwohl auf unvereinbaren Bedingungen beruhend, zum selben Ergebnis führen. Das Dilemma verwendet Bedingungssätze und unterliegt den Regeln der Aussagenlogik. Die Variablen (p, q) stehen nicht mehr wie beim kategorischen Syllogismus für Begriffsklassen, sondern für ganze Sätze.384 Nicht zu verwechseln ist das Dilemma mit dem Syllogismus disjunctus, der in der Form auftritt: , Entweder p oder q; nicht p, also q. Während beim Dilemma alle disjunkten Glieder aufgehoben werden, behält der disjunkte Syllogismus eine der Alternativen bei;385 ferner gibt es nur einen und zwar kategorischen Untersatz, nicht zwei hypothetische minores wie beim Dilemma. Beim rhetorischen Dilemma bleiben selbstverständliche Voraussetzungen oder Konsequenzen unausgesprochen;389 der vollständige logische Apparat an Sätzen erwiese sich in der Rede als zu sperrig.387 Das ästhetische Dilemma braucht es - ähnlich — nicht übergenau mit der Implikation zu nehmen; sie muß von nur ästhetischer Plausibilität sein.388 b. Chrientheorie Die Forschung, und hier sind vor allem W. Barner und R. Klassen zu nennen, hat die Chrienlehre in gebotener Ausführlichkeit rekonstru383 Vgl. Rüdiger, A., De sensu veri et falsi 358 f. 884 Quine, Williard van Orman: Grundzüge der Logik (>Methods of Logic26oerquicken< - >stechen23} circumituscircumductumambitusGalante Dichtung< in: RL I, Berlin
455
458
H. Friedrich bringt die Tenzoni mit der Disputatiotechnik des Hochmittelalters in Zusammenhang. Friedrich, H., Epochen der italienischen Lyrik a.a.O. 32.
Neukirch, J. G., Anfangs=Gründe 849.
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Reimen auch wohl nur aus der letzten Zeile zuerscheinen pflegt. In den fördern Reimen aber werden gleichsam gewisse propositiones eine oder mehr gesetzt/ darinnen man sich so lange auffhelt/ biß man es in die Runde gebracht/ daß die conclusion heraus gezogen werden kan.«457 Die mangelnde Isometrie der Verse im Madrigal kommt den Poeten bei der diskursiven Darlegung von Erwägungen wie gerufen. Das plaudernde Versmaß des Madrigals schmiegt sich jedem Gedanken an; die Tendenz zur finalen Struktur458 begünstigt das Konklusionsschema. Der Anschluß des Madrigals an die italienische Acutezzatheorie und Zieglers bahnbrechende Untersuchung gab schon bei barocken Poetikern den Anstoß zum syllogistischen Dispositionsplan.459 J. G. Neukirch unterlegt die von C. Weise erarbeiteten Dispositionsformen der Chrie generell Cantaten, Serenaten, Pastorellen und Oratorien;460 Barthold Feind weist die Abfolgeschemata der umgekehrten Chrie selbst Opernarien zu.461 Überschlägt man die Poetik der Zeit, ergibt sich als Befund: eine ernstzunehmende Gruppe gebräuchlicher Lyrikgattungen ist in galanten Poetiken als Dispositions- und Argumentationsmuster angelegt. Kennzeichnend für die an der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert gängige Gattungstypologie werden nicht nur Genres, die - wie das Madrigal der Epigrammatik nahestehen, nach Maßgabe der Prinzipien rhetorischer Logik konstituiert, sondern ein insgesamt repräsentabler Ausschnitt von Spielformen galanter Lyrik. (ii) E p i g r a m m a t i k Was an logischer Poetologie für die Lyrikarten um 1700 als Neuerrungenschaft oder aktuelle Wiederbelebung gewertet werden muß, hat in der Epigrammatik Tradition. Ihre reduzierte Sukzessivität prädestiniert die poetische Kleinform für logische Abfolgen. Sowohl in spielerisch-selbstzweckhaften Formen wie in satirischen oder didaktischen Ausprägungen des Genres kommt es dem Epigrammatiker auf scharfsinnige Brillanz an. Durch die Übung in Epigrammen soll der Verstand des Schülers geschult und wendig gemacht werden. Nicht zufällig lernen 457
Ziegler, Caspar: Von den Madrigalen/ Einer schönen und zur Musik beqvemsten Art Verse (.. .) Leipzig 1635, 32. Zur Erläuterung von Syllogismus simplex und compositus, vgl. S. 177 der Arbeit. 458 Schulz-Buschhaus, U., Das Madrigal a.a.O. 44. 459 Neumark, G., Poetische Tafeln 260 f. 460 Neukirch, J. G., Anfangs=Gründe 886. 491 Feind, Barthold: Gedancken von der OPERA. In: Feind, B., Deutsche Gedichte I, a.a.O. 9j. 205
gerade Zöglinge an Jesuitenkollegien extensiv die Produktion von Inschriften und Sinngedichten.462 Die Identifikation der Epigrammstruktur mit einer logischen Deduktion reicht über das Barockzeitalter zurück. J. C. Scaligers Definition des Epigramms trägt dem deduktiven Zusammenhang von Prämissen und Folgerung Rechnung: »Epigramma igitur est poema breue cum simplici cuiuspiam rei, vel personae, vel facti indicatione: aut ex propositis aliquid deducens.«483
Scaligers dispositioneile Teilung in propositum und scharfsinnige conclusio machte bei Barockpoetikern Schule: der Jesuit J. Masen benannte in seiner einflußreichen »Ars nova argvtiarvm« Scaligers Hauptstücke der Gattung um in »protasis« und »epitasis«.484 Die protasis legt den Sachverhalt dar, aus dem die epitasis eine Konklusion zieht, wobei die Reihenfolge der Sätze im Text auch umgekehrt ausfallen kann. Den Schlußcharakter des Epigramms bezeugt Masens Erläuterung: »Est enim (...) Epigramma enthymematis instar, quod duabus fere propositionibus, ac veluti partibus absolvitur.«4·5
Nicht unter allen Umständen aber müsse die zweite propositio eine Folgerung aus der ersten sein: sie kann die erste illustrieren oder korrigieren.488 In Anlehnung an die logisch-rhetorische Satzlehre klassifiziert Masen das Sinngedicht in die zwei Typen des »epigramma simplex« und »compositum«.467 Das >einfache< Epigramm bezeichnet einen Gegenstand lapidar, das >zusammengesetzte< schließt argut. Masens Typologie erbte sich bis ins 18. Jahrhundert fort. Noch Andreas Köhler unterscheidet 1734 das einfache und »doppelte« Epigramm; letzteres charakterisiert eine Enthymemstruktur.488 Zu den zwei Typen Masens gesellt sich noch im 17. Jahrhundert ein dritter. Morhof differenziert 1693 die Gattung in die Typen des epigramma simplex, compositum und circumscriptum,*69 wovon der erste Typ sein Genüge an einer einfachen argutia findet, der zweite aus einer Exposition und der enthymematisch abge482 463
464 485
488 487 488 489
Duhr, B., Die Studienordnung der Gesellschaft Jesu 245 f. Scaliger, Julius Caesar: POETICES LIBRI SEPTEM, III, Kap. cxxvi o.O. (Lyon) iy6i. Neudr. hg. v. A. Bück, Stuttgart-Bad Cannstatt 1964, 170. Bei Catull und Martial entdeckte Scaliger zahlreiche epicheirematische Sinngedichte (ebd.). Masen, J., Ars nova argvtiarvm j. Ebd. 188 (verdruckt zu >i8oAusspruchDie tote Biene ist wertvoller als die lebende. Was Wunder, daß sie sterben wollte.AntithetikParadoxie< oder >Metaphorik, die erst durch Subtraktion verwendungsfähig wirdda una rara vicendevole acconcezza di due estremi in un detto ingegnosamente legati (...)«, ebd. 237. Morhof ebd. 116. Vgl. Wiese, Benno von: Die Antithetik in den Alexandrinern des Angelus Silesius. (1928'). Wieder abgedr. in: Richard Alewyn (Hg.): Deutsche Barockforschung. Dokumentation einer Epoche. Köln - Berlin 1965, 260 ff. Erb, Th., Die Pointe in der Dichtung von Barock und Aufklärung a.a.O. Schöberl, J., >liljen=milch und rosen=purpur< a.a.O. 106.
Erb, Th., ebd. 47. Masen, J., Ars nova argvtiarvm a.a.O. 22 ff. 221
nen nach Masen etwa von ein und demselben Subjekt oder von zwei entgegengesetzten Subjekten ausgesagt werden; eine andere Möglichkeit der ersten Quelle liegt in der Zuweisung des nämlichen Prädikats an verschiedene Subjekte, obwohl das Prädikat nur auf eines davon passen will. Die von J. Masen als erste und fünfte bezifferten venae können helfen, die Struktur der Grevlingerschen Epigrammpointe zu erhellen. Bei der i. Quellader werden »REpugnantia de eadem re simul affirmata aut negata;« Quellader Nr. 5 liegt vor, wenn das nämliche von sich selbst verneint, wenn etwa für Lazarus die Kennzeichnung »dives sine divitiis« gefunden wird.83 Die Unterscheidung beider venae führt am Gedicht Grevlingers zur Einsicht in die hierarchische Struktur der Pointe. Der Text erweist sich als mehrfach verschachtelt. Auf einer ersten Stufe der Interpretation wird die Quellader Nr. i ausgeschöpft: von der »Liebe« werden die repttgnantia »Sterben« und »Leben« prädiziert, in die ihrerseits auf einer zweiten Ebene noch einmal Gegensätze nach Quelladertyp 5 eingebettet sind: »sterben ohne Todt« — »Leben ohne Leben«. Die Grundstruktur des Epigramms wäre wie folgt abzubilden: Liebe
i. E b e n e : (vena i)
Sterben |
+
2. E b e n e : (vena 5)
Sterben + Nicht-Sterben
Leben | Leben + Nicht-Leben
Die nach der 5. vena arrangierten Argutien auf der zweiten Interpretationsebene bewirken des weiteren einen Umkehrungseffekt: ein »sterben ohne Todt« ist kein Sterben mehr, also ein Leben, und ein »Leben ohne Leben« kein Leben mehr, sondern der Tod. Leben und Tod gehören in der Liebe zusammen und sind austauschbar sowohl innerhalb der Argutiaebene wie paarweise zwischen der ersten und zweiten Ebene und ein viertes Mal innerhalb der zweiten.
63
i. Ebene:
Sterben
i. Ebene:
Leben
Ebd. 24 u. 49.
222
t
Liebe ·
Leben
-«—>-
Sterben
l
Die jeweils doppelte Thematisierung von »Sterben« und »Leben« potenziert in einem kunstvoll-symmetrischen Gebilde die Permutationsmöglichkeiten, schafft parallele Umkehrungen in der Vertikalen und Horizontalen. Der argute Autor darf mit »beyfall« (V. i) rechnen; ihm glückte in einer einzigen Zeile die vierfache Variation eines die Gattung der erotischen Poesie konstituierenden Topos: der Moment höchster Vitalitätssteigerung wird als Tod metaphorisiert. Die vier Hauptquellen der arguten Erfindung führt J. Masen mit der Erklärung ein, man teile bei der ersten Quelle (fons repugnantium) den Dingen etwas zu, was ihnen dem Anschein nach widerspricht. In der zweiten (fons alienatorum) trenne man etwas von den Dingen, was ihnen eigentümlich ist, um hierfür ihnen fremdes zu substituieren; mit Hilfe der dritten Quelle (fons comparator um) stelle man unerwartete Vergleiche an, und die letzte (fons allusionum) liefere Wort- und Gedankenspiele.94 Gemeinsam ist allen vier fontes der intendierte Überraschungseffekt. Erwartungen des Rezipienten sollen durch Verknüpfung ungewöhnlicher mit geläufigen Inhalten übertroffen werden. Die deutschen Acutezzatheoretiker der Epochenwende erlauben sich mitunter terminologische Laxheiten im Umgang mit den »Quellen«. J. G. Neukirch führt den fons oppositorum und repugnantium als getrennte Quellen auf,85 während die Termini bei Masen und anderen Autoren synonym die erste Quelle bezeichnen. Für sie verwenden C. Weise, G. Meister, G. Lange und J. J. Schatz auch den Namen »fons contrariorum«." Die zweite Quelle heißt bei Weise, G. Lange und Hallbauer gleichwertig fons absurdorum*1 Der terminologische Spielraum erklärt sich aus dem Umstand, daß bei J. Masen die ersten beiden Quellen in der Tat ein größeres Spektrum logischer Oppositionsmöglichkeiten mitenthalten. Bedeutungsunterschiede lassen sich den verschiedenen für jeweils eine Quelle vorrätigen Synonyma nicht entnehmen. Wie M. D. Omeis erläutert die Mehrzahl der Acutezzatheoretiker die einzelnen Quellen: »Dergleichen ist (i) Fons Repugnantium & Oppositorum, wann widerwärtige Dinge von 64 85
87
Masen, J., Ars nova argvtiarvm 12. Neukirch, J. G., Anfangs=Gründe 854. Weise, C., Politischer Redner 66 f. Meister, G., Unvorgreiffliehe Gedancken v. t. Epigrammatibus 118. Lange, G., Einleitung zur Oratorie I, 242. Schatz, J. J., Anweisung zur Oratorie 46. Weise, ebd. 72. Lange, ebd. Hallbauer, F. A., Anweisung zur verbesserten t. Oratorie 365 ff.
einem zugleich gesagt werden/ oder ein Ding zugleich bejahet und verneinet wird. (...). (2) Föns alienatorum, wann man von einer Person oder Sache etwas bejahet/ das ihr entgegen zu seyn scheinet; oder ihr nicht zuleget/ was man billich von ihr sagen kan und soll. (.. .)· (3) Föns Comparatorum, wann gleiche/ oder auch ungleiche Dinge unter sich artig verglichen werden. (. ..). (4) Föns Allusionum, wann man mit den Wörtern/ Wortgleichungen/ Letterwechseln/ Sprichwörtern u. a. schön spielet.«88
Die erste und zweite Quelle in allen ihren venae auseinanderzuhalten, bereitet die meisten Schwierigkeiten, weil für beide fontes Ungereimtheiten und Gegensätze konstitutiv sind. Selbst bei Fachleuten der Argutezza deckt sich die Trennungslinie zwischen fons l und II nicht immer. Weise, G. Lange und Hallbauer rechnen argute Ausdrücke nach der Art von »Gelehrte ohne Gelehrsamkeit« oder »consiliarius absque consiliis« zu den alienata bzw. absurda, Masen und Weidling dagegen zu den repugnantia.w Nichtsdestoweniger lassen die Definitionen der ersten und zweiten Quelle einige Unterschiede erkennen. In Quelle I wird Gewinn aus eklatanten Widersprüchen und Gegensätzen gezogen; bei der zweiten Quelle der »ALienatorum a re statu, aut etiam significatione propria«70 geht es eher, wie die Beispiele verdeutlichen, um ein poetisches Verfahren, das die Russischen Formalisten »Verfremdung« nannten: die »Entautomatisierung des Wahrnehmungsprozesses« soll erreicht werden, indem an einer Sache das, was ihr nicht eigentümlich ist, entdeckt und an proprwiw-Stelle eingefügt wird.71 Vornehmlich andersartige Eigenschaften werden mit der zweiten Quelle ausgebeutet, nicht strenge Gegensätze wie in der ersten. 88 69
79 71
Omeis, M. G., Teutsche accurate Reim- u. Dicht-Kunst 184 ff. Weise, C., De poesi hodiernorum Politicorum a.a.O. 479. G. Lange, a.a.O. 245. Hallbauer, F. A., a.a.O. 365 f. Masen, J., Ars nova argvtiarvm a.a.O. 49. Weidling, C., Oratorischer Hofmeister a.a.O. 1657. Masen, ebd. 62. Vgl. ebd. 63. Slovskij, Viktor: Die Kunst als Verfahren. In: Jurij Striedter (Hg.): Russischer Formalismus. Texte zur allgemeinen Literaturtheorie und zur Theorie der Prosa. München 1969', i97i 2 , 15 ff. Ders.: Der parodistische Roman Sternes >Tristram ShandyDer Unbestand ist unser Unglückwerbende Mann< und das >auf Sittsamkeit bedachte Mädchen< gegenüber. Daß es sich um einen scherzhaften Wettstreit handelt, sagt das Zitat des Titels, der die weibliche Anschuldigung als Restriktion eines Lobes formuliert; als eine Einschränkung, die von der im ersten Teilsatz ausgesprochenen Anerkennung nichts mehr übrig läßt. Ist er nur fromm, wenn er schläft, dann steht es mit seiner Frömmigkeit nicht zum besten. Auch wenn »fromm« die in Barocktexten hin und wieder vorkommende Bedeutung von >schüchternzaghaft< annimmt,240 dreht die Restriktion das Kompliment zur 239 \(reise) c.? £)er grünenden Jugend überflüssige Gedanken IV, n, a.a.O. 70. 240 Ygi »Dieser Halts mit seinen redlichen Bawers Mädgen«, IX, In: Venus-Gärtlein. Ein Liederbuch des 17. Jahrhunderts. Nach dem Drucke 260
ironisierenden Ehrung um. Von Einschränkungen und Zurückweisungen handelt der Text, und nicht nur die weibliche Sprecherin verwahrt sich gegen Übergriffe. Auch der männliche Sprecher relativiert in der Pointe - mit sophistischen Kunstgriffen - die Abwehrhaltung der Frau. Mit einer subreptio, d. h. der stillschweigenden Verlagerung des Beweiszieles, gelobt er fromm zu sein, nicht nur »wenn er schiäfft« (Titel), wie sie spottet, sondern wenn er >bei ihr< schläft. Die Erweiterung auf die Teilnahme der Partnerin schöpft ihren Reiz aus der gespielten Naivität, mit der der Werbende die Spröde absichtlich mißversteht. Die Amphibolic des »Schlafens«, die die Pointe ermöglicht, reiht Aristoteles in die Klasse der trügerischen Widerlegungen ein, die von der Sprache abhängen.241 In der deutschen Logik gibt C. Weise die im Gedicht scherzhaft verwendete Argumentationstechnik als Standardverfahren der Sophistik aus. Alle Sophismata könne man auf die Regel bringen: »In Syllogismo sunt qvatuor termini; Oder wenn fallacia ignorationis elenchi dazu kömt: argumentum non est contra thesin.« 242
Der Trugschluß des Verkennens, in dem mit Fleiß anderes widerlegt oder behauptet wird, als zur Diskussion stand, kommt zur Ambiguität des »Schlafens« im Gedicht hinzu. Das absichtliche Mißverstehen der anaclasis nahmen J. Masen mit Berufung auf Cicero sowie Stieler unter die literarischen Verfahren auf, die eine komische Wirkung erzielen.243 Was in Weises Gedicht als Abfuhr von >Rosilis< gemeint war, kann nur durch eine Uminterpretation als Aufforderung gedeutet werden. Gewitzt im Sinn rhetorischer Logiken um 1700 entschlüpft einer der Disputanten der Bedrängnis, indem er die Richtigkeit des Angreiferarguments ohne den geringsten persönlichen Nachteil zu bestätigen vermag.244 Der Leser ist auf einen Widerlegungs- oder Beschwichtigungsversuch des Vorwurfs der Spröden eingestellt und erlebt einen gelungenen Gegenangriff. Schlagfertig entwaffnet der Bedrängte seine Gegnerin und verleiht gleichzeitig den eigenen Wünschen deutlicher als je zuvor Ausdruck. Der sich überlegen erweisende männliche Sprecher erhärtet die Berechtigung von 1656, hg. von Max v. Waldberg. Halle 1890, 82. Geländers Verliebte= Galante/ Sinn= Vermischte und Grab=Gedichte. Hamburg und Leipzig 1716, 15 = »Er ist zu fromm. Ich bin zu fromm/ zu fromm beym Frauen=Zimmer/ Man klagt mich stets als allzufurchtsam an/ (...)«. 241 Aristoteles, Sophistische Widerlegungen, 4. Kap. 166 a, a.a.O. j. 242 Weise, G., Deutsche Logik 920. 243 Masen, J., Ars nova argvtiarvm 18. Stieler, K., Teutsche Sekretariat=Kunst II, 388. 244 Ygj_ G ro ß er) 5., Gründliche Anweisung zur Logica . 261
seiner eindeutigen Absicht durch eine doppelte Beweisführung: in Strophe III und IV, i auf direktem Weg, in Strophe IV auf indirektem. Mit einer illatio nimmt er in III die Ablehnung angeblich beim Wort - die particula illativa »Drum« (III, 3) leitet die Konsequenz ein245 - und strebt in beiderseitiger Übereinstimmung (III, 4) sein Beweisziel an. Die an Trauungsformeln anklingende Vorwegnahme und Beschwörung einer vollkommenen Harmonie (»Dein und mein beliebter Wille«) verdeckt, wie fern die Positionen sich nach wie vor stehen, und daß die Folgerung eine Widerlegung der Forderung des Mädchens nach Zurückhaltung war. Strophe IV bekräftigt mit dem indirekt geführten Beweis die Conclusio, die darum insistierend wiederholt ist (IV, i u. 6). Die Partikel »sonsten« kündigt der Theorie zufolge eine condicio sine qua non an.248 Im Modus tollendo tollens wird aus der Implikation (>Er ist fromm< setzt voraus, daß gilt >er schläfter darf nicht bei ihr schlafenmenschlich< und >pflanzlichBedeutungSieg in der Flucht finden< »mehr von der Sache selbst, als des Verfassers Witz« 275 Petrus Hispanus, Summulae logicales 7.26, a.a.O. 75. 278 Wernicke, Epigramme a.a.O. 188; vgl. auch 220. 277 Locke, J., Of human understanding III, , § , a.a.O. . Bd. 274278 Groeper u. Schneider, Logica non otiosa 19. 27» Wernicke, a.a.O. 417 u. 451. 280 Ebd. 315. 281 König, J. U. v., Untersuchung von dem guten Geschmack a.a.O. 379 f. 269
herrühren müssen.282 Der Schein der Kunst soll die Gedanken - dies beantragte schon Bacon - nicht ingeniöser machen, als sie in Wahrheit sind. Der argute Stil schwebt in Gefahr, »ut omnia per hujusmodi artificium magis ingeniös a videantur quam revera sint.«!8S
Originelle und geistreiche Dicta am Kriterium ihrer Sachadäquatheit zu messen, sieht einer der Gesprächspartner in Bouhours' »La maniere de bien penser« als seine Aufgabe.284 Der barocken Argutiabewegung waren Sachrücksichten bei der Demonstration des »Ingegno« fremd. Von einem rein formalen, mit Inhalten frei jonglierenden Vermögen entwickelte sich das ingenmm des 17. Jahrhunderts unter dem Einfluß der Logik zum »Witz« des 18. Jahrhunderts, der an den Dingen effektive Ähnlichkeiten entdeckt und wahrheitsnahe Vergleiche anstellt.285 Wolffs Witzdefinition aus den »Vernünftigen Gedanken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen« (Halle 1719, §§ 366 u. 858 ff.) wurde von den Schweizern, Gottsched, J. Andreas Fabricius, Hudemann und G. F. Meier übernommen.286 Auch an die formale Richtigkeit von Beweisführungen in poetischen Texten legt die frühaufklärerische Ästhetik strengere Maßstäbe an. Bodmer und Breitinger zerpflücken in den »Discoursen der Mahlern« die Strophe eines galanten Gedichtes von B. Neukirch (»An Sylvien/ als sie mit ihm getantzet hatte«) mit Argumenten, die an logischen und nicht 282 Wernicke, Epigramme, Anm. zu V, 47, a.a.O. 311. 28a Bacon, F., De dignitate et augmentis 452. 284 Bouhours, D., La maniere de bien penser 55 ff. 285 Cf. König, J. U. v., a.a.O. 405. Noch ausdrücklicher erhebt in der Mitte des 18. Jahrhunderts G.F.Meier die Forderung, daß die entdeckten Ähnlichkeiten auf »der innerlichen Beschaffenheit der verglichenen Dinge, auf ihren übereinstimmenden Wesen und Eigenschaften beruhen« müssen. Meier, G. F., Gedancken von Schertzen "9äse Wolff definiert den Witz als »Leichtigkeit, die Ähnlichkeiten wahrzunehmen.« Cf. Bodmer, J. J. u. Breitinger, J. J., Anklagung des verderbten Geschmakkes 44. Breitinger, J. J., Critische Dichtkunst II, 104. Ders., Critische Abhandlung von der Natur den Absichten und dem Gebrauche der Gleichnisse 9. Gottsched, J. C., Versuch einer Critischen Dichtkunst 102. Fabricius, J. A., Anweisung wie man seinen Verstand j 5. Hudemann, Ludewig Fried.: Proben einiger Gedichte und Poetischen Übersetzungen. Hamburg 1732, Vorr. 7. Zit. nach Kettler, H. K., Baroque Tradition, a.a.O. 62. Meier, G. F., Gedancken von Schertzen 49. 270
mehr sophistisch-rhetorischen Richtlinien orientiert sind. Die Strophe, an der die Schweizer Anstoß nehmen, lautet: »Ein ieder in der weit glaubt/ daß es sünde sey/ Ein häufigen anzustecken; Ein hauß kommt keinem menschen bey; Diß solte billig dich erschrecken. Und dennoch denckestu/ indem du mich verletzt/ Daß keine straffe sey/ auff deine that gesetzt.«287 Die aufklärerischen Kritiker kommentieren den Passus aufschlußreich : »Der Poet raisonnirt mit einer Silvia, in die er sich verliebet, oder damit ich mich mit der Poetischen Metaphora ausdrücke, die in seiner Brust ein Liebes=Feuer angestecket hat; nun machet er ein Wort=Spiel, indem ihm das Wort a n s t e c k e n , an welches die zwo unterschiedenen Ideen gebunden sind, verliebt machen und anzünden, an die Hände giebet, auf eine unerhört listige Manier zubeweisen (!) daß Sylvia eine Mord=Brennerin, und eine um so viel grössere Straffe verdienet habe, als einer der Feuer an ein Hauß geleget hat, so viel theurer ein Poet seye, den sie angestecket hat, als ein Hauß.«288 Den Vergleichsschluß B. Neukirchs a minore ad maius lehnen die Schweizer Kritiker ab, er erscheint ihnen zu sehr konstruiert, bar aller Natürlichkeit, und beruht zudem auf einer Äquivokation. Logische Kenntnisse sollen verhindern, proklamieren die »Mahler«, daß der Leser von sophistischen Tricks sich bluffen läßt.289 Auf Homonymien Beweise zu gründen, gilt nicht mehr für geistreich, sondern wird als logischer Fehler angekreidet. Das Verfahren der Realisierung der Hyperbel, mit dem Petrarkisten und Manieristen die Dame und den Leser geistvoll zu unterhalten wähnten, hat ebenfalls seine Schuldigkeit getan. Bouhours spottet über Gracian, der beim Einzug einer Königin vermöge der Heiterkeit ihres Antlitzes die Wiesen sich beleben sieht.290 Die Heiratsaporie des Sophisten Bias verletzt einfach zu viele logische Regeln, als daß ihr die Vorläufer der Aufklärung noch den Reiz eines arguten Einfalls abgewinnen könnten. Die Logik von Port-Royal findet erstens die Disjunktion zwischen der schönen und häßlichen Frau, von der das Dilemma lebt, mangelhaft; die Disjunktionsglieder sind nur konträr: es gibt Frauen, die weder so schön sind, daß sie die Begehrlichkeit anderer Männer wecken, noch so häßlich, daß sie mißfallen. Und zwei887
Neukirchsche Sammlung I, a.a.O. 393. Die Discourse der Mahlern, I, a.a.O. 59. zee Discourse der Mahlern, ebd. 6. 280 Bouhours, D., La maniere de bien penser 446. 288
271
tens folgen auch die jeweiligen Konklusionen nicht mit Notwendigkeit aus den Alternativen: eine schöne Frau kann von solcher Tugend sein, daß sie keine Eifersucht erregt, und eine häßliche ihrem Gatten gefallen.281 Streng hat nunmehr die Beurteilungskraft zu prüfen, was sich unter dem »Scheine der Scharfsinnigkeit einschmäucheln will«; Gottsched setzt die Logik als Prüfungsinstrument für sophistische Beweise ein: »Will man einen sichern Probierstein haben, alle solche Geschwätze aus der Beredsamkeit zu verbannen: so mache man aus solchen Scheingründen einen Vernunftschluß. Dabey wird sichs gleich zeigen, ob er Stich halte?«292
Nötiger als Spitzfindigkeit (»subtilite«) erachtete schon Bouhours kritisches Urteilsvermögen (»jugement«). 293 Das indicium kontrolliert Techniken des Concettismus in verschiedener Hinsicht: es schreitet zum einen gegen die Gesuchtheit arguter Konstruktionen ein und eliminiert komplizierte, allzu spitzfindige Gedankengänge, um natürlichen Einfallen den Vorzug einzuräumen; es hat ferner darauf acht, daß nicht jeder Gegenstand gleichförmig für die Argutiademonstration mißbraucht wird, und verhindert schließlich die Überfrachtung eines Textes mit Argutien. Weithergeholte Vergleiche wie spitzfindige Argumentationen widersprechen mehreren Anforderungen der Aufklärung, insbesondere dem Natürlichkeits- und Verständlichkeitspostulat. Die Teilnehmer an der literarischen Kommunikation, Autor, Leser, die (unter Umständen existente) Adressatin eines Textes rücken im 18. Jahrhundert näher zusammen und finden es müßig, das Ritual der petrarkistischen Vergrößerung interpersonaler Abstände durchzuspielen und mit Denkakribie einander zu imponieren. B. Neukirch rügt in seinem Briefsteller an manchen der von Jesuitenautoren produzierten concetti, sie seien zwar in hohem Maß argut, aber nicht mehr elegant; sie fielen zu tiefsinnig und affektiert aus, um den Regeln natürlicher Galanterie und Anmut gerecht zu werden.294 Der Scharfsinn muß in galanten Briefen, dies unterstreicht auch Hallbauer, ungezwungen und natürlich aussehen.295 201
Logik v. Port-Royal 221 f. Vgl. auch Lange, J. C., Nvclevs Logicae Weisianae 25 f. 292 Gottsched, J. C., Akademische Redekunst 119 u. 152. Die nämliche Regel gibt Gottsched in der »Ausführlichen Redekunst«, 179: »Man prüfe einen jeden Grund, den man von einem Satze angiebt, nach den Regeln der Vernunftlehre; und sehe, ob er auch eine richtige Folge in einer Schlußrede behaupten kann?«. 293 Bouhours, a.a.O. 242. 2B4 Neuldixh, B., Anweisung zu teutschen Briefen 210. 295 Hallbauer, F. A., Anweisung z. verb. t. Oratorie 704. 272
Die Rätsel und Dunkelheiten des arguten Stils vertragen sich nicht mehr mit Wünschen der Aufklärung an die Deutlichkeit der Schreibart, aus diesem Grund lehnen ihn Werenfels, Buddeus und Gottsched ab.298 Auch auf Bouhours wirken Formulierungen Gracians mitunter nicht mehr verständlich; für den französischen Ästhetiker liegt hier eine ernstzunehmende Gefahr der Argutezza, da der Schritt vom »rafinement« zum Galimathias gerade bei ingeniösen Einfallen recht nah sei.297 Die Poesie der späteren, C. Weise verpflichteten, deutschen Galanten und noch augenfälliger die der Anakreontik entspricht den neuen ästhetischen Normen: die scherzhaften Argutien ihrer Gedichtpointen sind leichter verständlich als die Concetti des Barock.298 Im Geltungsbereich der Bon-Sens-Theorie wird von Gottsched und Hallbauer gegen die Acutezzaströmung das gesunde Urteilsvermögen ausgespielt: »Weitgesuchte Aehnlichkeiten und erzwungene Spitzfindigkeiten in Worten und Gegensätzen, sind keine Schönheiten, die einem gesunden Verstande gefallen könnten.« 299
Wenn Hallbauer davor warnt, statt Argutien »Narrgutien« zu verfertigen,300 parodiert er nicht allein Wortspielpointen aus der Scharfsinnquelle der allusiones, er distanziert sich überdies von Grundaxiomen der italienischen Acutezzaströmung. Tesauro hatte den Argutien stimulierenden wie belebenden »Furor poeticus« nicht bloß als Entrücktheit des Dichters, sondern ausdrücklich als Verrücktsein und Wahn beschrieben, der Einbildungen mit der Realität vertausche. »L'Vltimo Furore e quel de'MATTi; iquali meglio ehe i sani (chi lo crederebbe?) sono conditionati fabricar nella lor fantasia metafore facete, 6c simboli arguti: anzi la Pazzia altro non e ehe Metafora, laqual prende vna cosa per altra.«301 296
Des berühmten D. Werenfels Abhandlung De Meteoris Orationis, oder von der schwülstigen Schreibart. In: Gottsched, Akademische Redekunst, Anhang II, a.a.O. 384. Buddeus, I. F., Elementa philosophiae 196. Gottsched, J. C., Critische Dichtkunst 304. 297 Bouhours, D., La maniere de bien penser 484 f. u. 449. 298 pyr jj e Verständlichkeit des Witzes und gegen gar zu tiefsinnige pedantische Einfalle plädiert G. F. Meier in »Gedancken von Schertzen«, 174. 299 Gottsched, J. C., Akademische Redekunst 157. Ebenso führt Gottsched gegen Vergleiche Lohensteins in der »Critischen Dichtkunst« die »gesunde Vernunft« an. Ders., Critische Dichtkunst 285, 268. 300 Hallbauer, F. A., Anweisung zur verbesserten t. Oratorie 364.
301 Tesauro, E., II Cannocchiale Aristotelico 93. 2/3
Vor den erklärtermaßen pathologischen Verwirrungen des Manierismus schützt den Aufklärer das gesunde Denken. Augenmaß soll den Poeten um 1700 vor Ubertreibungen einer Argutiamanie bewahren.302 Wenn ein scharfsinniger Ausdruck nicht kontextgenau sitzt, also zu vage bleibt, gegen Metrum oder Reim sich sperrt, zur falschen Zeit angebracht wird, dann verdirbt er laut Morhof mehr als daß er ziert.303 Die Zurückdrängung der Acutezza schlägt sich in Empfehlungen zu sparsamem Gebrauch von Argutien nieder. Für Bouhours ist ein Text, in dem der Scharfsinn von Anfang bis Ende brilliert, nicht so viel wert wie ein anderer, in dem er behutsamer eingesetzt wird.304 Werenfels, Schatz und Gottsched warnen im deutschen Sprachraum davor, Texte mit sinnreichen Gedanken zu überladen, dann und wann eingestreute Argutien seien die »natürlichsten und besten«.305 Um die Aufmerksamkeit des Zuhörers zu erwecken, schlug Christian Schröter noch Argutien am Textanfang vor, und für J. G. Neukirch enthielt das Epigramm »durchgehends scharffsinnige Expressiones«.308 Die im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts Anklang findende Forderung zur Konzentration von Epigrammen und Madrigalen auf die Schlußpointe will den Texten ihre gedankliche Überlastung nehmen, sie verständlicher machen und gleichzeitig vereiteln, daß der Text nach barocker Manier in einzelne concetti zerfällt.307 Als unnatürlich und strapaziös für den Leser wird empfunden, einen einzigen scharfsinnigen Einfall durch eine fortgesetzte Metapher zu »foltern«.308 Der kritischen Urteilsinstanz obliegt, die Sachadäquatheit der Argutien zu überwachen. Acutezzaanhänger irren Bouhours zufolge, wenn sie glauben, unter ihren Händen müsse jeder Gegenstand Brillanz anneh-
302
Morhof, D. G., Commentatio de disciplina 2 f. 3os Morhof, Unterricht von der Teutschen Sprache 16. 304 Bouhours, D., La maniere de bien penser a.a.O. 418. 305 Schatz, J. J., Kurtze u. Vernunft=mäßige Anweisung 46. Werenfels, De Meteoris orationis 384. Gottsched, J. C., Akademische Redekunst 157. Vgl. Ders.: Critische Dichtkunst 364. 306 Schröter, C., Gründliche Anweisung zur deutschen Oratorie II, joi. Neukirch, J. G., Anfangs=Gründe 854. 307 Morhof, D. G., Unterricht 357. Breslauer Anleitung 127 f, Neukirch, J. G., ebd. 848. Vgl. Erb, T., Die Pointe in der Dichtung a.a.O. 69, 81. Preisendanz, Wolf gang: Die Spruchform in der Lyrik des alten Goethe und ihre Vorgeschichte seit Opitz. Heidelberg 1952, 57. Diet/e, W., Abriß einer Geschichte des dt. Epigramms 294 f. 308 Schatz, J. J., a.a.O. 46. Werenfels, a.a.O. 384.
2-74
men;809 scharfsinnig prunkende Gedanken ziehen die Augen zu sehr auf sich, als daß sie bei ernsten und insbesondere religiösen Stoffen tolerierbar wären.310 Barocke Acutezzatheoretiker trugen keine Bedenken, ernste Argutien paritätisch neben witzige zu stellen: »neque enim ars argute dicendi huic tantüm fini inservire debet, ut risum loquentibus vel audientibus excitet, sed ut admirationem pariat, ut indignationem concitet, ideoque sublimitas in dicendo partem etiam facit argutiae.«311
In ernsteren Funktionen können Concetti epideiktische oder satirische Intentionen verwirklichen. Vanitaserfahrungen und mystische, alle menschliche Vernunft übersteigende Paradoxien fordern im Barock pointierte Antithesen heraus. Noch schmerzlichste private Erfahrungen suchen Autoren des 17. Jahrhunderts mit Argutien zu bewältigen. Die Erschütterung über den Tod seiner Frau artikuliert sich bei C. Weise in den Protestformen arguter fontes. »Als Autor sich mit seiner Eheliebsten/ Frau Reginen Arnoldin/ gesegnen muste/ welche den 4.M a y 1678. e i n e n j u n g e n Sohn z u r W e l t g e b r a c h t / u n d d e n 16. d a r a u f f d u r c h e i n e n u n v e r h o f f t e n T o d a b g e f e d e r t ward. (. ..) Ein Freund ist meines gleichen/ Ein Kind mein Ebenbild; Jedoch wenn sie verbleichen/ Stirbt etwas ausser mir: hier bin ich selber todt/ Denn mein selbst eigen Fleisch liegt in der letzten Noth. Die meines Leibes Leib/ und meiner Seelen Seele/ Ja die mein Leben war/ verbirgt sich in der Hole/ Da wenig Leben wohnt: Nichts lebt als Ungemach! Ich bin die Leiche selbst/ und geh der Leiche nach.«818
An der Epochenwende zur Aufklärung zeichnet sich bei Erörterungen zur literarischen Objektivation von Trauer ein Erwartungswandel von einer eher intellektuellen zu emotionaler Betroffenheit ab. Psychologische Betrachtungsweisen beginnen, sich Gehör zu verschaffen. Wer von Schmerz beherrscht ist, denkt nach Bouhours nicht an Spitzfindigkeiten. »Les jeux d'esprit, repliqua Eudoxe, ne s'accordent pas bien avec les larmes, & il n'est pas question de pointes quand on est saisi de douleur.«313 soe 310
311 812
31S
Bouhours, D., La mani£re de bien penser 51. Bouhours beruft sich hierbei auf Dionys von Halicarnaß. Ebd. 409 u. 449. Morhof, D. G., Commentatio de disciplina argutiarum 6 f. Vgl. Masen, J., Ars nova argvtiarvm 13. Meister, G., Unvorgreiffliehe Gedancken 89 f. Weise, C., Reiffe Gedancken 191 f. Vgl. auch die Grabschrift »Einer in Kindes=Nöthen verblichenen Weibes= Person«, ebd. 324. Bouhours, D., La maniere 406.
Argutien sind zu wenig schlicht, als daß es legitim wäre, sie einem Trauernden in den Mund zu legen.314 Werenfels mißbilligt aus diesem Grund Martials Epigramm zum Tod der Dido »>Infelix Dido, nulli bene nupta marito; Hoc pereunte fugis, hoc fugiente peris.< (.. .) wer dieses liest, der wird kein Erbarmen über den Untergang der Dido empfinden; sondern des Poeten Scharfsinnigkeit bewundern.«315
Die Aufklärung lehnt Texte ab, in denen die admiratio für den Autor sich vor alle anderen Emotionen drängt, die diesen Texten eigentlich anstünden. Argute Wendungen sind per se unindividuell und ohne psychologische Nuancierung; hieraus wird verständlicher, weswegen C. Wernicke an Figuren Hofmannswaldaus Concetti tadelt, die ihnen der Autor ohne psychologische Glaubwürdigkeit und situationeil unangemessen in den Mund legte.316 Ähnlich befremdet Gottsched, der sich Wernicke hier - wie übrigens auch in der Auswahl der Hofmannswaldauzitate-eng anschließt, die über psychologische Rücksichten sich hinwegsetzende Argutienaktivität des Autors in den Heldenbriefen; »es ist eine hofmannswaldauische Emma«, die da in gekünstelten Gegensätzen und Gedankenspielen dergestalt redet, als ob sie des Meisters »Schülerin in der Poesie gewesen wäre.«317 Die situative, weniger psychologisch als gesellschaftsethisch begründete Angemessenheit von Argutien machte schon Hunold zur Bedingung für ihre Applikation: »Ein Poet ersinnet also durch sein scharffes Nachsinnen was sonderbahres oder artiges/ daß sich auf die Person oder Sache/ wovon man redet/ sehr wohl schicket.«318
Ein Motiv für die übersteigerte Spitzfindigkeit der Concettisten sehen die Argutiakritiker im schrankenlosen Streben, andere übertreffen zu wollen. Moralische Einwände spielen bei der Zurückdrängung arguter Spohistik in der Aufklärung eine nicht unerhebliche Rolle. Dem poeta sophisticus wird Eitelkeit im doppelten Sinn prätentiöser Selbstgefälligkeit wie der Nutzlosigkeit und Sterilität der Produkte seines Scharfsinns vorgehalten. Als eine der »Unerkannten Sünden der Poeten« brandmarkt Scheibel das Geltungsstreben, die Triebfeder zur Argutezza: wer Scharf -
314
Ebd. 407 f.
sis Werenfels, De meteoris orationis a.a.O. 386. sie Wernicke, C., Epigramme 318 f. 317 Gottsched, J. C., Critische Dichtkunst 663. 318 Hunold, F., Academische Neben-Stunden a.a.O. 52. 2/6
sinn produziert, will sich selbst produzieren.319 Effekthascherei und Prahlen mit Kunst kann Bacon zufolge nicht für höher geachtet werden, als ein über sachgerechte Überlegungen erstrebter Nutzeffekt.320 In literarischen Texten dem Scharfsinn um seiner selbst willen zu frönen, duldet die Frühaufklärung nicht länger; er darf lediglich noch ein Mittel für sinnvolle andere Ziele, keinen Selbstzweck mehr darstellen.321 Die der Argutia im 18. Jahrhundert abverlangte Moral bedeutet gegenüber Normen des 17. Jahrhunderts ein Novum. Der literarische Paradigmenwandel von der Sophistik zur Logik bedeutet nach Ansicht der Aufklärer eine Konversion von ethischen Standards minderen Werts zu höherstehenden. Im Zuge der proklamierten Reinigung des Verstandes wollte man auch den malitiösen Ränken der Sophisten beikommen, an deren Gewissenlosigkeit die aufklärerische Moral Anstoß nahm.322 Scharfsinn läßt sich nicht mit sittlichen Maßstäben messen; er kann ebensowohl für wertvolle wie üble Zwecke eingespannt werden. Gegen die moralische Indifferenz sophistischer Redekunst wandten sich Rhetoriker der Aufklärung unter Berufung auf die Antike; Gottsched zitiert die Autorität Quintilians, der die Sophisten beschuldigte, die Lehre von der Vernunft und den guten Sitten verlassen zu haben.323 Das Grundübel wurde der Sophistik nach Gottsched bei der Entwicklung der Rhetorik aus dem genus iuäiciale in die Wiege gelegt, galt es doch vor Gericht, Wahres wie Falsches, Gutes oder Böses zu vertreten.324 Weil den Redner auch sittliche Qualitäten ausmachen, verdienen die Sophisten nicht den Titel eines Redners, sie »die mit schwachen Beweisen nur einen blauen Dunst zu machen, nicht aber ernstlich zu überreden suchen; und folglich auch durch solche Scheingründe ihre Zuhörer hinters Licht zu führen, und zu schädlichen Dingen zu lenken bemühet sind.«325 819
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323 324 325
Scheibel, Gottfried Ephraim: Die Unerkannte Sünden der Poeten Welche man Sowohl in ihren Schrifften als in ihrem Leben wahrnimmt (. ..) Leipzig 1734, 127. Ähnlich: Müller, A. F., Einleitung in die philosoph. Wissenschaften 30. Bacon, F., De dignitate et augmentis 648: »Nos vero hoc habemus (fortasse ex genere vitae nostro politicae) ut quae artem jactant, usum non praebent, parvi faciamus.« »Künstliche, auch wohl sehr scharfsinnige gedancken, ohne nuzen« sind für A. F., Müller »Grillen«. Müller, A. F., Einleitung in die philos. Wissenschaften 29. Groeper u. Schneider, De logica non otiosa 18: »ut parum scientiae, nihil quidquam conscientiae habeant.« Gottsched, J. C., Akademische Redekunst 43 f. Ebd. 29. Ebd. 39 f-
Hinter dem aufklärerischen Verbot von Täuschungsmanövern in der Rede stehen bei G. P. Müller, Hallbauer und Gottsched nicht nur die rationalistischen Postulate der Sachrichtigkeit, sondern auch ethische Normen.826 Um sophistischer Doppelzüngigkeit Einhalt zu gebieten, fordert A. F. Müller die genaue Übereinstimmung von Sprechen und Denken; er ruft den Sprecher zur »Wahrheit der rede« auf, d. h. zur Aufrichtigkeit. Die Vernunftlehre des 18. Jahrhunderts enthält Regeln, die beiden Appellen, dem nach Sachadäquatheit wie nach Tugend, gerecht werden.327 Die Hinwendung der Aufklärer zu einer logischen war gleichbedeutend mit der Abkehr von einer >sophistischen< Rhetorik. Die Auseinandersetzung mit der Sophistik ist für den Vernunftlehrer der Aufklärung von logiküberschreitender Tragweite. Sophistische Schlüsse sind nach Buddeus nicht nur bei Disputationen unter Gelehrten zu fürchten, sie kommen ebensogut im höfisch-gesellschaftlichen und bürgerlichen Leben vor; man könne ihnen am Hof, in der Verwaltung, auf dem Markt oder in der Kirche begegnen.328 Aufgrund dieser zeitgenössischen Brisanz, und weil sophistischer Zynismus aufklärerischen Wertvorstellungen diametral entgegenstand, machte die Aufklärung den eigentlich anachronistischen Kampf gegen die Sophistik so energisch zu ihrem Anliegen. Vertreter der vom Nützlichkeitsdenken beherrschten Vernunftlehre gingen um 1700 soweit, jede Logik ohne Praxisbezug als sophistisch abzustempeln. C. Thomasius prophezeit, eine spätere Generation werde von Halle als der ersten Akademie sprechen, »auff der man an statt der Sophistischen eine wahre Logicke (!) als den ächten Grund aller guten Wissenschaften«
betrieben habe.329 Die Überwindung der Argutiatradition dokumentiert sich im 18. Jahrhundert terminologisch in der Ersetzung des Wortfeldes um argutia, acumen, ingeniös durch das des »Sinnreichen« und »Witzigen«, sowie in einer Uminterpretation des Scharfsinnbegriffes.
326
327
328 329
Müller, G. P., Idea eloquentiae 79. Hallbauer, F. A., Anweisung zur verbesserten t. Oratorie 312 f. Gottsched, ebd. Der »Probierstein« falscher Gedanken ist Gottsched zufolge die Beachtung der Wahrheit von Aussagen. Vgl. Gottsched, J. C., Akademische Redekunst 156 f. Buddeus, I. F., Elementa philosophiae instrvmentalis 126. Thomasius, C., Auszübung der Vernunfft=Lehre, Vorr. unpag. [a 6r].
278
»Sinnreich« stellt zu Beginn des 18. Jahrhunderts nichts anderes als eine Übersetzung von »argut« dar und charakterisiert die Wirkung von Formulierungen, die dem Leser mehr zu denken als zu lesen geben. Argute Inscriptiones und Madrigale sollen nach Fischbeck möglichst in allen Zeilen etwas »Sinnreiches« haben, und Weissenborn postuliert Bedeutungsfülle neben Kürze für die acumina.330 Hallbauer zitiert zur Erfindung »sinnreicher« Reden die vier Scharfsinnquellen von J. Masen; A. F. Müller erläutert den Begriff des »Sinnreichen«, indem er die auch für acumina stereotype Rasanz »mannigfaltiger Vergleichungen« anführt.331 Der Bedeutungswandel des poetologischen Begriffs wird spätestens bei Breitinger manifest, für den der gute Geschmack garantiert, »daß eine Vorstellung sinnreich ohne Spitzfindigkeit«
sei.332 Für die noch unter dem Eindruck der Argutiaströmung stehenden Theoretiker hätte Breitingers Formulierung sich selbst aufgehoben und widersprüchliche Ideale verfolgt. Die Eliminierung der Argutia aus dem Begriff des »Sinnreichen« trug im 18. Jahrhundert entscheidend zur Entwicklung von concettistischen zum witzigen Stil bei - das Wort »Pointe« kam in Deutschland erst im 18. Jahrhundert auf333 - und ging einher mit der Verdrängung rein rationaler Concetti durch gedankenreiche Scherze, in denen Empfindungen erwünscht waren. Schon Bouhours erachtete wichtiger als gedankliche Subtilität, daß die in Gedichten angestellten Reflexionen den Rezipienten rühren.334 Werenfels definierte den Witz als »muntere und lebhafte Einbildungskraft«, die dem Gemüt die Gegenstände so einprägsam vorstellt, daß es sie zu empfinden vermeint.335 Vollends für die Anakreontik waren emotionale von witzigen Wirkungen nicht mehr wegzudenken. Hagedorn spricht sich gegen die »allzu epigrammatischen und sinnreichen Einfalle des spielenden Witzes« aus und verlangt, er solle mit Empfindungen verbunden sein.336 Für G. F. Meier schließlich nehmen witzige Effekte an Eindringlichkeit zu, je rührendere und gewichtigere Übereinstimmungen zwischen den ver330
Fischbeck, C. M., Ergetzlichkeiten (...) in der Rede=Kunst und Poesie 849; ders., Ergetzlichkeiten (...) in der {...) Poesie j6. Weissenborn, C., Gründliche Einleitung z. t. u. lat. Poesie 185 331 Hallbauer, F. A., Anweisung zur verbesserten t. Oratorie 363. Müller, A. F., Einleitung in die philosophischen Wissenschaften 86. 332 Breitinger, J. J., Critische Dichtkunst I, 431. 33» Dietze, W., Abriß einer Geschichte des dt. Epigramms a.a.O. 294. 334
Bouhours, D., La maniere de bien penser 242.
335 Werenfels, De meteoris orationis 354 f. 336 Hagedorn, F. v., Poetische Werke, 3. Theil, hg. v. J. J. Eschenburg. Hamburg 1800, Vorr. XIX, XXIII.
glichenen Gegenständen entdeckt werden.337 F. A. Hallbauer nimmt eine Ubergangsposition in der Ablösung des arguten durch das geistreiche Sprechen ein. Nachdem er J. Masens fontes zur Erfindung sinnreicher Texte zitiert hat, fährt Hallbauer fort: »Wer ein iudicium hat, wird alles tieffer einsehen, und scharfsinnig gedenkken, und folglich auch scharf=sinnig reden können, zumal wenn der Affekt des Hertzens hinzu kommt.«338
Der »Affect des Hertzens« kann im 18. Jahrhundert zum Scharfsinn hinzukommen, weil dieser ebenso wie der »Witz« mehr als eine intellektuelle Fähigkeit, nämlich gleichfalls ein Sinnesvermögen bezeichnet.339 »Scharfsinnig« bedeutet bei Gottsched und den Schweizern auch dasselbe wie »scharfsichtig«; »Witz« setzt Gottsched zufolge »die Scharfsinnigkeit zum Grunde, welche ein Vermögen der Seelen anzeiget, viel an einem Dinge wahrzunehmen (.. .).«340
Für die Schweizer besteht Scharfsinn nicht zuletzt in Beobachtungsgabe. Unter Berufung auf Wolffs Metaphysik reklamieren sie den Scharfsinn für die »anschauende« wie die »figürliche« Erkenntnis und schätzen an Brockes den in seinen Naturbeschreibungen sich verratenden Scharfsinn;341 ihm traut Breitingers »Critische Dichtkunst« die Entdeckung verborgener Schönheiten an den Dingen zu.342 Gegen Gottscheds Erläuterung in den »Vernünftigen Tadlerinnen«, das Sinnreiche verursache »einem Leser viel Nachdenckens« wenden sich die Schweizer in der »Anklagung des verderbten Geschmackes« mit dem Anspruch der mühelosen Einsehbarkeit des Sinnreichen, einer These, die Affektwirkungen eher als die bemühte Tiefsinnigkeit Gottscheds in Rechnung stellt.343 Vor dem Postulat, daß sensuelle Vorstellungen im »Sinnreichen« die Gefühle des Rezipienten affizieren sollen, wird die im 18. Jahrhundert vorwaltende Ablehnung »frostiger« Pointen verständlich.344 Bereits Mor337 338 339
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Meier, G. F., Gedancken von Schertzen 54 ff. Hallbauer, F. A., Anweisung zur verbesserten t. Oratorie 363. Breitinger, J. J., Critische Dichtkunst II, 104. Als sensuelles Kombinationsvermögen bestimmte schon Locke den Witz, Vgl. Locke, J., Of human understanding II, n, § 2, a.a.O. i. Bd., 144 f. Gottsched, J. C., Critische Dichtkunst 102. Cf. ders., Akademische Redekunst 150. Bodmer, J. J. u. Breitinger, J. J., Anklagung des verderbten Geschmackes 48 f. u. 63 f. Breitinger, J. J., Critische Dichtkunst I, 296 f. Gottsched, J. C., Die vernünftigen Tadlerinnen I, 293. Bodmer, J. J. u. Breitinger, J. J., Anklagung a.a.O. 57 f. Gottsched, J. C., Critische Dichtkunst 662.
280
hof nimmt an Tesauros kalter Argutia Anstoß, und ebenso schreckt Bouhours vor den >frostigen< Antithesen zwischen >Leben< und >TodFeuer< und >Wasser< zurück.345 Die Rezeption der Galanten in der Aufklärung macht der Vorläufergeneration den Vorwurf, hitzige Themen mit allzu kühlem Verstand behandelt zu haben.346 Damit lehnt sich die Aufklärung gegen die unter Concettisten dominierende admiratio-lntention auf; Bewunderung bleibt für Lessing ein kalter Affekt.347 Hallbauer postuliert generell für Texte: »Eine Rede muß nicht bloß Vergnügen, oder Verwunderung erwecken, sonden ans Hertz greiffen, soll sie rechter Art seyn.«848
Der Wandel von Lehrmeinungen zur Fontestheorie zwischen 1680 und 1730 gibt einen Überblick, welche Veränderungen im frühen 18. Jahrhundert mit der Argutiaströmung vor sich gingen. Bis 1700 finden die vier Scharfsinnquellen J. Masens unter den deutschen Theoretikern allgemeinen Anklang. C. Wernicke gehört zu den ersten, die sich in Deutschland von bestimmten Scharfsinnquellen distanzieren. Reine Wortspielpointen sucht Wernicke in eigenen Texten auszumerzen; Positionen der Aufklärung vorwegnehmend möchte Wernicke bei einer seiner Korrekturen erreichen, »dass der Sinnschluß dieser Uberschrifft auf den Verstand, und nicht das Spiel der Wörter gegründet ist; Indem das letzte dem ersteren nur einen zufälligen Zierraht giebet.«349
Obwohl Wortspielpointen in Wernickes eigenen Epigrammen zum Teil seine theoretische Ungültigkeitserklärung dementieren, setzt er mit der Theorieabsage an die Pointe ex fönte allusionum dennoch neue Akzente.350 Hagedorn, in dessen Familie der Epigrammatiker verkehrte, rechnet es in einem Sinngedicht zu Wernickes bleibenden Verdiensten, nachdenklichen scharfen Witz erreicht und selbstvergessenen Wortspielen ein Ende bereitet zu haben.351 Bouhours war Wernicke in seiner Kritik zuvorgekommen: bloße Wortspiele, hinter denen keine Wahrheit steckt, lohnen für den französischen Poetiker nicht die Suche nach den einge345 346 347 348 348 350
351
Morhof, D. G., Commentatio de disciplina argutiarum 12. Bouhours, D., La maniere de bien penser 402. Vgl. Stenzel, J., >Si vis me flere< a.a.O. 657. Lessing, G. E., Hamburgische Dramaturgie 16. Stück. In: Werke, a.a.O. j. Bd. (hg. v. J. Petersen), 86. Hallbauer, F. A., Anweisung zur verbesserten t. Oratorie 224 f. Wernicke, Epigramme, Anm. zu IX, 13, S. 451. Logaus Epigramm »Mit Worten spielen« wendet sich nicht gegen poetische Wortspiele, sondern gegen Gleisnerei und Unredlichkeit. Vgl. Logau, F. v., Sämmtliche Sinngedichte I, 7, 18; a.a.O. 141. Hagedorn, F. v., Lehrgedichte und Epigrammen, a.a.O. 124: »Wernicke«. 281
schleusten Doppelbedeutungen.852 Speziell das Anagramm stellte schon für Wernickes Lehrer Morhof und den von der Kunsttheorie des französischen Klassizismus beeindruckten Hofpoeten J. v. Besser »eine armseelige Erfindung« dar.3H An der fons allusionum übte die Aufklärung die früheste Kritik. Insbesondere in den beiden Vorwürfen der Gedankenarmut und der Unterjochung von Denkinhalten unter Wort- und Lautkonventionen gipfelten die kritischen Ausstellungen der Schweizer, Gottscheds oder Schatz' an den verschiedenen Formen verbaler Allusion.354 J. Masen wird im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts vorgehalten, zuviel des Guten an Quellen geboten zu haben;355 gegenüber der Fonteslehre wiederholen sich die nämlichen Einwände wie bei der Topik: man kritisiert die Umständlichkeit und Gezwungenheit der Pointenkonstruktion ; 5 »Erfahrung« und »gründliche Wissenschaft«, nicht Scharfsinnbeweise erwartet der Leser des frühen r 8. Jahrhunderts vom literarischen Autor.357 Die Stellung zwischen den Idealen arguten Sprechens des 17. Jahrhunderts und denen des geistreichen im 18. Jahrhundert tritt bei Autoren wie Hallbauer, G. P. Müller, Schatz darin zutage, daß einerseits mit allem Nachdruck dem Verstand als dem besten Lehrmeister der Argutezza die Überlegenheit vor allen jontes bestätigt wird, und man zum ändern doch nicht umhin kann, die hergebrachten Scharfsinnquellen auszubreiten.358 Gottsched zieht erst aus der postulierten Uberflüssigkeit von Scharfsinnrezepten die Konsequenz, auf ihre Darstellung zu verzichten: Naturanlage oder die Lektüre sinnreicher Autoren ersetzen mehr als vollwertig die behelfsweisen Regeln des Barock; Argutien heißen bei Gottsched wie schon bei Wernicke darum auch »Einfalle«.859 Lessing 352 353 354
355 358
357 358
359
Bouhours, D., La maniere de bien penser a.a.O. 28 f. Morhof, D. G., Unterricht a.a.O. 365. Besser, J. v., Schrifften I, a.a.O. 780. Bodmer u. Breitinger, Discourse der Mahlern 58 f. u. 61 ff. Gottsched, J. C., Die vernünftigen Tadlerinnen I, 388 ff. Ders., Der Biedermann I, 173 f. Ders., Critische Dichtkunst 251 ff. Schatz, J. J., Kurtze u, Vernunft=mäßige Anweisung, Vorr. a 5. Müller, G. P., Abriß einer gründlichen Oratorie 62. Breslauer Anleitung 126 f. Neukirch, J. G., Anfangs=Gründe 843. Hunold, F., Academische Nebenstunden, Vor. [A 5]. Hallbauer, F. A., Anweisung zur verbess. t. Oratorie 363 ff., 642. Müller, G. P., Abriß einer gründlichen Oratorie 61 f. Schatz, J. J., Kurtze und Vernunfft=mäßige Anweisung 46. Gottsched, J. C., Akadem. Redekunst 150. Wernicke, Epigramme 120.
282
annulliert dann endgültig den concettistischen Pointentyp im Epigramm, der für ihn »mehr ein Gedankenspiel als einen Gedanken« verkörpert, und von dem wenig übrigbleibt bei einem Synonymatest oder veränderter Wortstellung."0
360
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