Ein Raum im Wandel: Die osmanisch-habsburgische Grenzregion vom 16. bis zum 18. Jahrhundert 3515104283, 9783515104289

In letzter Zeit sind Grenzen und Grenzregionen wieder verstärkt in den Fokus der Forschung gerückt: Wie entstehen Grenze

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German Pages 308 [316] Year 2014

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Table of contents :
Inhalt
Vorwort
Markus Koller: Grenzwahrnehmung und Grenzmacht. Einleitende Bemerkungen zu den osmanisch-habsburgischen Grenzräumen (16.–18. Jh.)
Macht und Herrschaft im Grenzraum
Dariusz Kołodziejczyk: Ottoman Frontiers in Eastern Europe
Ernst D. Petritsch: Grenz- und Raumkonzeptionen in den Friedensverträgen von Zsitvatorok und Karlowitz
Szabolcs Varga: Die Stellung Kroatiens innerhalb des Königreiches Ungarn in der Frühen Neuzeit
Nedim Zahirović: Die Familie Memibegović in Ungarn, Slawonien und Kroatien in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Ansatz einer genealogischen Rekonstruktion
Norbert Spannenberger: Transimperiale Migration zwischen Osmanen und Habsburgern: Die Serben in den Neoacquistica-Gebieten im 16. bis 18. Jahrhundert
Alteritäten: Die geistig-mentale Grenze
Detlef Haberland: Der Türkenkonflikt im südöstlichen Europa in Hartmann Schedels Weltchronik
Zoltán Péter Bagi: „Wider disen Vheindt […]“ – Argumentative Propaganda in den kaiserlichen Propositionen zu den Reichstagen während des „Langen Türkenkrieges“
Farkas Gábor Kiss: Political Rhetorics in the Anti-Ottoman Literature. Martinus Thyrnavinus: To the Dignitaries of the Hungarian Kingdom
Gábor Nagy: „Barbarorum iuga, exterorum dominatio“. Beiträge zur Modifizierung des ungarischen Feindbildes im 16. Jahrhundert
Kirche und Religion: Grenzen und Grenzüberschreitungen
Antal Molnár: Katholische Jurisdiktion im Grenzgebiet des Osmanischen Reiches. Das Beispiel Ungarn
Zoltán Gőzsy: Konsolidierung der Kircheninstitution in Südtransdanubien nach der Osmanenzeit
Manja Quakatz: „Conversio Turci“. Konvertierte und zwangsgetaufte Osmanen. Religiöse und kulturelle Grenzgänger im Alten Reich (1683–1710)
„Die Anderen“ in der Historiographie und Erinnerungskultur
Gergely Tóth: Was blieb von den Türken? Geschichte und Relikte der osmanischen Herrschaft in Ungarn im Werk des Geschichtsschreibers Matthias Bél (1684–1749)
Dénes Sokcsevits: Das Ungarnbild in der kroatischen Literatur vor dem Illyrismus
Nenad Moačanin: The Die-Hardism of the Pre-Reform Ottoman World in Bosnia: Matija Mažuranić’s “Tourist” Visit (1839/40)
Zsuzsa Barbarics-Hermanik: Türkengedächtnis in Ungarn. Die Rolle der Gedächtnisorte Mohács und Szigetvár im Prozessder nationalen Identitätsbildung
Tafelteil
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Ein Raum im Wandel: Die osmanisch-habsburgische Grenzregion vom 16. bis zum 18. Jahrhundert
 3515104283, 9783515104289

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Ein Raum im Wandel Die osmanisch-habsburgische Grenzregion vom 16. bis zum 18. Jahrhundert Herausgegeben von Norbert Spannenberger und Szabolcs Varga

Franz Steiner Verlag

Ein Raum im Wandel

GEISTESWISSENSCHAFTLICHES ZENTRUM GESCHICHTE UND KULTUR OSTMITTELEUROPAS E.V. AN DER UNIVERSITÄT LEIPZIG Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa Herausgegeben von Winfried Eberhard Adam Labuda Christian Lübke Heinrich Olschowsky Hannes Siegrist Petr Sommer Stefan Troebst Band 44

Ein Raum im Wandel Die osmanisch-habsburgische Grenzregion vom 16. bis zum 18. Jahrhundert Herausgegeben von Norbert Spannenberger und Szabolcs Varga in Zusammenarbeit mit Robert Pech

Franz Steiner Verlag

Gedruckt mit Unterstützung des Geisteswissenschaftlichen Zentrums Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas e.V. an der Universität Leipzig. Das dieser Publikation zugrunde liegende Vorhaben und deren Druck wurden mit Mitteln der Deutschen Forschungsgemeinschaft unter dem Geschäftszeichen GWZ 6/11-1 gefördert. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt bei den Autoren.

Umschlagabbildung: Ansicht von Pécs (Fünfkirchen) in einer populären Schrift über die Taten des Markgrafen von Baden. In: Der Durchleuchtigsten Fürsten und Marggrafen von Baaden Leben, Regierung, Großthaten und Absterben […]. Ohne Verfasserangabe, erschienen im Verlag von Christoph Riegel. Franckfurt und Leipzig 1695. Abgedruckt in: Zwischen den Welten. Kriegsschauplätze des Donauraums im 17. Jahrhundert auf Karten und Plänen. Hg. v. Volker Rödel. Karlsruhe 2010, 193. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2014 Druck: Laupp & Göbel GmbH, Nehren Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-10428-9 (Print) ISBN 978-3-515-10581-1 (E-Book)

Inhalt Vorwort.................................................................................................................... 7 Markus Koller Grenzwahrnehmung und Grenzmacht. Einleitende Bemerkungen zu den osmanisch-habsburgischen Grenzräumen (16.–18. Jh.) .............................. 9 Macht und Herrschaft im Grenzraum Dariusz Kołodziejczyk Ottoman Frontiers in Eastern Europe ................................................................... 25 Ernst D. Petritsch Grenz- und Raumkonzeptionen in den Friedensverträgen von Zsitvatorok und Karlowitz ............................................................................. 39 Szabolcs Varga Die Stellung Kroatiens innerhalb des Königreiches Ungarn in der Frühen Neuzeit............................................................................................ 53 Nedim Zahirović Die Familie Memibegović in Ungarn, Slawonien und Kroatien in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Ansatz einer genealogischen Rekonstruktion.......... 75 Norbert Spannenberger Transimperiale Migration zwischen Osmanen und Habsburgern: Die Serben in den Neoacquistica-Gebieten im 16. bis 18. Jahrhundert................ 87 Alteritäten: Die geistig-mentale Grenze Detlef Haberland Der Türkenkonflikt im südöstlichen Europa in Hartmann Schedels Weltchronik .......................................................................................... 115 Zoltán Péter Bagi „Wider disen Vheindt […]“ – Argumentative Propaganda in den kaiserlichen Propositionen zu den Reichstagen während des „Langen Türkenkrieges“......... 123 Farkas Gábor Kiss Political Rhetorics in the Anti-Ottoman Literature. Martinus Thyrnavinus: To the Dignitaries of the Hungarian Kingdom.............. 141

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Inhalt

Gábor Nagy „Barbarorum iuga, exterorum dominatio“. Beiträge zur Modifizierung des ungarischen Feindbildes im 16. Jahrhundert .................. 159 Kirche und Religion: Grenzen und Grenzüberschreitungen Antal Molnár Katholische Jurisdiktion im Grenzgebiet des Osmanischen Reiches. Das Beispiel Ungarn ........................................................................................... 181 Zoltán Gőzsy Konsolidierung der Kircheninstitution in Südtransdanubien nach der Osmanenzeit ......................................................................................... 197 Manja Quakatz „Conversio Turci“. Konvertierte und zwangsgetaufte Osmanen. Religiöse und kulturelle Grenzgänger im Alten Reich (1683–1710).................. 215 „Die Anderen“ in der Historiographie und Erinnerungskultur Gergely Tóth Was blieb von den Türken? Geschichte und Relikte der osmanischen Herrschaft in Ungarn im Werk des Geschichtsschreibers Matthias Bél (1684–1749) .................................................................................. 235 Dénes Sokcsevits Das Ungarnbild in der kroatischen Literatur vor dem Illyrismus ....................... 251 Nenad Moačanin The Die-Hardism of the Pre-Reform Ottoman World in Bosnia: Matija Mažuranić’s “Tourist” Visit (1839/40) .................................................... 265 Zsuzsa Barbarics-Hermanik Türkengedächtnis in Ungarn. Die Rolle der Gedächtnisorte Mohács und Szigetvár im Prozess der nationalen Identitätsbildung ................................ 275 Tafelteil ............................................................................................................... 299

Vorwort Die Beiträge im vorliegenden Sammelband gehen in der Mehrzahl zurück auf die Konferenz „Between the Ottoman and the Christian Worlds – Frontiers in Early Modern Europe“, die am 6.–7. Februar 2007 unter der Leitung von Markus Koller und Norbert Spannenberger am Geisteswissenschaftlichen Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas (GWZO) in Leipzig abgehalten wurde. Veranstalter war die Projektgruppe Osmanischer Orient und Ostmitteleuropa. Vergleichende Studien zu Perzeptionen und Interaktionen in den Grenzzonen. Im Zuge der Erstellung des Bandes wurde die Fragestellung mit dem Ziel erweitert, externe Beiträge zu integrieren und so den habsburgisch-osmanischen Grenzraum der Frühneuzeit umfassender zu reflektieren. Die beiden Herausgeber bedanken sich bei dem Leiter der Projektgruppe, Robert Born, für seine Unterstützung. Ein besonderer Dank ergeht an Robert Pech (Leipzig) für seine kompetente und zügige Redaktion der Manuskripte. Daneben half Paulina M. Ochmann (Berlin). Zu danken ist weiter dem Direktor des GWZO, Professor Dr. Christian Lübke, für die Aufnahme dieser Publikation in die Schriftenreihe seines Hauses. Unser Dank gebührt zudem der Deutsch-Ungarischen Gesellschaft e.V. mit Sitz in Berlin für die Finanzierung der redaktionellen Arbeiten. Die Drucklegung dieses Bandes wurde großzügig gefördert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft e.V. (DFG). Leipzig und Pécs, im März 2013 Norbert Spannenberger und Szabolcs Varga

Markus Koller

Grenzwahrnehmung und Grenzmacht. Einleitende Bemerkungen zu den osmanisch-habsburgischen Grenzräumen (16.–18. Jh.) Die osmanisch-habsburgischen Grenzräume Die europäische Geschichte wird häufig aus einer Perspektive wahrgenommen, in der zwischen einem westlichen Kulturkreis und einer orthodoxen Zivilisation unterschieden wird.1 Europas politische und kulturelle Entwicklung ist jedoch bis in die Gegenwart ebenso durch eine vielfältige Beziehungsgeschichte mit der islamischen Welt gekennzeichnet, die sich insbesondere im Kontakt mit den muslimischen Herrschaftsgebilden auf der Iberischen Halbinsel und später dem Osmanischen Reich etablierte.2 Übergangszonen bildeten sich vor allem zwischen den dynastisch regierten multiethnischen Großreichen der Habsburger, Osmanen und Romanows sowie der Markusrepublik heraus, in denen sich diese drei Zivilisationsformen begegneten und teilweise überlappten. Gewöhnlich zeichneten sich solche Randgebiete, sofern sich die Großreiche in die Weiten von Steppen- oder Wüstengebieten ausdehnten, durch eine fehlende präzise und markante Grenzziehung aus. Sobald sich jedoch die imperiale Macht auf Räume mit einer tiefgehenderen Herrschaftsdichte erstreckte, bildeten sich klarer strukturierte Grenzformen heraus.3

Die osmanische Grenzvorstellung Im Spannungsfeld dieser beiden Merkmale wird meist auch der Charakter der osmanisch-habsburgischen Grenzregionen zwischen dem 16. und dem 18. Jahrhundert diskutiert, die sich in Nordafrika und im östlichen Europa herausbildeten. Als Ausgangspunkt der folgenden Überlegungen bietet sich die osmanische Rechtsauffassung im Hinblick auf die Abgrenzung des islamischen Gebietes von Regionen, die unter christlicher Herrschaft standen, an. Alle Gebiete, die direkt vom Sultan regiert wurden oder unter seiner Oberhoheit standen, gehörten nach osmanischem 1 2 3

Einen solchen Ansatz wählte beispielsweise Schulze, Hagen: Staat und Nation in der europäischen Geschichte. München 2004, 17. Faroqhi, Suraiya: The Ottoman Empire and the World around it. London 2004. Faroqhi zeigt die vielfältigen Beziehungsformen zwischen dem Osmanischen Reich und dem westlichen Europa. Münkler, Herfried: Imperien. Die Logik der Weltherrschaft. Vom Alten Rom bis zu den Vereinigten Staaten. Berlin 2005, 18.

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Markus Koller

Verständnis zum „Haus des Islam“ (dar ül-Islam).4 Ebenso wurden christliche Herrschaftsgebilde wie Dubrovnik, Siebenbürgen, Moldau und Walachei als Teil des dar ül-Islam betrachtet, die gegenüber der Hohen Pforte tributpflichtig waren.5 Im „Haus des Islam“ brauchte daher nicht unbedingt eine muslimische Bevölkerungsgruppe leben, nur eine mögliche Religionsausübung musste gewährleistet sein. Darin bestand der Hauptunterschied zu dem „Haus des Krieges“ (dar ül-harb) bzw. dem „Haus der Ungläubigen“ (dar ül-kefere).6 Diesem Modell wohnte das Konzept einer beweglichen Grenze inne, da der Raum des dar ül-Islam immer weiter in das „Haus der Ungläubigen“ ausgedehnt werden sollte.7 Die Grenze erscheint hier als Ort ständiger militärischer Auseinandersetzungen; in osmanischen Quellen lassen sich entsprechend auch Verweise auf das „Haus des heiligen Krieges“ (dar ül-cihad) finden, das diesen Grenzraum beschrieb.8 Diese Vorstellung floss auch in die historische Forschung ein und erhielt insbesondere durch die Theorie von Paul Wittek (1894–1978), der sich einem Kernelement der frühosmanischen Grenze in Anatolien zuwandte, eine starke Prägekraft. Er sah in den Gazis diejenigen, die das Leben in diesem Raum prägten und wesentlich zum Aufstieg des osmanischen Fürstentums (beylik) beigetragen hatten. Die Ausführungen Witteks, der die Tradition des Gazitums bis in das 11. Jahrhundert zurückverfolgte, zeigen, dass eine alleinige Wiedergabe des Begriffs mit „Glaubenskämpfer“ den historischen Gegebenheiten nur unzureichend gerecht wird. Es handelte sich vielmehr um Grenzkriegerverbände, denen sich immer wieder auch christliche Kämpfer – wie die byzantinischen akritai – angeschlossen hatten.9 Ihr Handeln war von einem Grenzkriegerethos bestimmt, der sich aus gemeinsamen Wertvorstellungen, zu denen auch das Streben nach Beute gehörte, sowie teilweise auch synkretistischen Glaubensformen und Ritualen zusammensetzte.10 Das Moment des Glaubenskampfes ist in diesem Ethos zu verorten, ohne jedoch in der frühosmanischen Periode dessen tatsächliche Bedeutung als Kriegsmotiv genau bestimmen zu können.11 In den folgenden Jahrhunderten lassen sich immer wieder Spuren einer „romantischen“ Vorstellung von Grenzräumen finden, die als Reminiszenz an eine idealisierte frühosmanische Vergangenheit und als Mahnung an die Zeitgenossen zu verstehen sind. Der Reisende Evliya Çelebi (1611–1682) beschrieb die im osmanischen Grenzgebiet in Ungarn lebenden Menschen als vorbildhaft, dass sie ihren religiösen Verpflichtungen sorgsam nachgekommen seien und stets 4 5 6 7 8 9 10 11

Panaite, Viorel: The Ottoman Law of War and Peace. The Ottoman Empire and Tribute Payers. New York 2000, 84. Ebd., 409 f. Ebd., 84. Siehe dazu Heywood, Colin: The Frontier in Ottoman History: Old Ideas and New Myths. In: Frontiers in Question. Eurasian Borderlands, 700–1700. Hg. v. Daniel Power und Naomi Standen. New York 1999, 228–250. Panaite (wie Anm. 4), 86 zeigt dies am Beispiel der Donau im 16. Jahrhundert. Die Diskussionen um die Theorie von Paul Wittek analysiert Kafadar, Cemal: Between Two Worlds. The Construction of the Ottoman State. London 1996, 29–59. Panaite (wie Anm. 4), 85. Lowry, Heath: The Nature of the Early Ottoman State. Albany 2003. Lowry schreibt dem Glaubenskampf eine sehr geringe Bedeutung zu.

Grenzwahrnehmung und Grenzmacht

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für den wahren Glauben gekämpft hätten.12 Die neuere historische Forschung löst sich jedoch von der Prägekraft solcher „Grenzideologien“ und richtet den Blick verstärkt auf die politische Praxis an den Außengrenzen des osmanischen Imperiums. Gábor Ágoston verweist auf die Vielfalt administrativer Lösungsansätze, um die Herrschaft der Hohen Pforte über die Grenzregionen so weit wie möglich zu sichern.13 Es werden verschiedene „Pakete“ erkennbar, die eine möglichst umfassende Kontrolle in diesen Räumen ermöglichen sollten. In unterschiedlichem Maße blieben dabei in den jeweiligen Territorien die innere soziale Struktur, die rechtliche Ordnung und der religiös-kulturelle Zustand erhalten.14 Die Überformung der lokalen Strukturen durch die neue imperiale Macht hat dann jedoch zu einem Ringen der einzelnen Akteure um die Raum- und Grenzziehungsmacht geführt, was im vorliegenden Band, nach einem Blick auf die Herausbildung der osmanisch-habsburgischen Grenzräume, dargestellt werden soll.

Die Herausbildung der osmanisch-habsburgischen Grenzräume Die Entstehung der Grenzräume fiel im Wesentlichen in die jeweilige Herrschaftszeit Karls V. (Reg. 1519–1556) und Süleymans I. (Reg. 1520–1566), die beide einen universalistischen Herrschaftsanspruch vertraten. Ersterer begriff sein Reich in der Nachfolge des Römischen Imperiums und sah damit die Dynastie der Habsburger als die Erben der Cäsaren an. Der Rückgriff auf die Antike sollte ihn als Oberhaupt einer monarchia universalis legitimieren, die vor allem angesichts der Expansion des Osmanischen Reiches auch die Christenheit gegen die „Ungläubigen“ zu verteidigen hatte. Der 1533 in der Nähe der Alhambra errichtete Palast symbolisierte dieses Selbstverständnis.15 Sein Gegenspieler wurde von den Zeitgenossen im Osmanischen Reich zumindest während der ersten drei Jahrzehnte seiner Herrschaft ebenfalls als Weltherrscher wahrgenommen. Im unmittelbaren Umfeld des Sultans wurden Schriften verfasst, in denen Süleyman I. sowohl als weltlicher wie

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Evliya Çelebi, Mehmet Zilli b. Derviş. Evliya Çelebi Seyahatnâmesi. Bd. 7. Hg. v. Yücel Dağlı und Seyit Kahraman. Istanbul 2003, 26. Ágoston, Gábor: A Flexible Empire: Authority and its Limits on the Ottoman Frontiers. In: Ottoman Borderlands. Issues, Personalities and Political Changes. Hg. v. Kemal Karpat und Robert W. Zens. Madison/Wisc. 2003, 15–29. Dieses von Hans Scheuner formulierte Modell wird erwähnt bei Lemberg, Hans: Imperien und ihre Grenzregionen im Europa des 18. und 19. Jahrhunderts. Einige einführende Bemerkungen. In: Grenzregionen der Habsburgermonarchie im 18. und 19. Jahrhundert. Ihre Bedeutung und Funktion aus der Perspektive Wiens. Hg. v. Hans-Christian Maner. Münster 2005, 25–36, hier 28. Zum imperialen Selbstverständnis Karls V. siehe Kohler, Alfred: Representación y propaganda de Carlos V. In: Carlos V y la quiebra del humanismo político en Europa (1530–1558). Hg. v. José Martinez Millán. Madrid 2001. Siehe auch die einleitenden Bemerkungen von Severi, Bart: Representation and Self-Consciousness in 16th Century Habsburg Diplomacy in the Ottoman Empire. In: Das Osmanische Reich und die Habsburgermonarchie. Hg. v. Marlene Kurz u.a. Wien-München 2005, 281–294, hier 281 f.

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Markus Koller

auch als spiritueller Weltherrscher gefeiert worden ist.16 Der unmittelbare Zusammenprall beider Großreiche fand zunächst vor allem im nördlichen Afrika statt und lässt sich in beiden imperialen Konzepten verorten. Die osmanische Expansion auf diesem Kontinent begann mit der Eroberung Ägyptens (1517), wodurch auch die heiligen Stätten des Islam auf der Arabischen Halbinsel unter die Kontrolle des Sultans gerieten. Die Sultane führten fortan auch den Titel Kalif und betrachteten sich als Oberhaupt aller sunnitischen Muslime. Der universalistische Herrschaftsanspruch wurde nun auch religiös legitimiert. Die Truppen des Verteidigers der Christenheit wie des Sultan-Kalifen standen sich im nördlichen Afrika gegenüber, weshalb sich die Frage stellt, welche Grenzregime sich vor dem Hintergrund solcher imperialer „Ideologien“ herausbildeten. Die Geschichte des habsburgisch-osmanischen Grenzgebietes in Nordafrika erfuhr im Jahr 1580/81 eine entscheidende Zäsur, als ein Waffenstillstand Hoffnung auf ein Ende der bereits Jahrzehnte andauernden militärischen Konfrontation in diesem Raum weckte. Das habsburgische Spanien hatte seit dem finanziellen Bankrott von 1575 einen Ausgleich mit der Hohen Pforte angestrebt, auch veränderte sich durch die Einverleibung Portugals 1580 die außenpolitische Orientierung. Das Osmanische Reich engagierte sich mehr im Kampf gegen die Safawiden und zeigte wenig Interesse an einer Expansion im westlichen Mittelmeerraum. Der erzielte Interessensausgleich in Nordafrika schien beiden Imperien die Möglichkeit zu geben, ihre Herrschaft in den jeweiligen Einflusszonen zu festigen. Entsprechende Bemühungen lassen sich auf Seiten der Habsburger beobachten und auch die Osmanen unternahmen Konkretes zum Ausbau ihrer Macht.17 Sie unterteilten ihre nordafrikanischen Besitzungen in drei „Steuerregionen“, denen jeweils ein Finanzverwalter (defterdar) vorstand, und wiesen sie den Provinzen von Algier, Tunis und Tripolitanien zu.18 Die erhoffte Erhöhung der Verwaltungseffizienz trat jedoch nicht ein, vielmehr geriet das osmanische Grenzregime insbesondere durch soziale und strukturelle Veränderungen zusehends ins Wanken. Aufstrebende lokale Eliten, der Widerstand von Stämmen sowie die zunehmende wirtschaftliche und politische Macht der Janitscharen schwächten die Einflussmöglichkeiten Istanbuls auf diese weit entfernten Provinzen.19 Die Ausformung der osmanisch-habsburgischen Übergangszone im östlichen Europa erfolgte in einem Raum mit größerer Herrschaftsdichte und entwickelte sich nach der Schlacht von Mohatsch (ung. Mohács) im Jahr 1526, als sich eine Dreiteilung des ungarischen Königreiches abzuzeichnen begann. Während der Süden des Landes von den Osmanen kontrolliert wurde, übten in den nordwestlichen Teilen die Habsburger durch den zum ungarischen König gewählten Erzherzog Ferdinand (Reg. 1526–1564) die Herrschaft aus. Die übrigen Teile bildeten den Macht16 17 18 19

Vgl. Fleischer, Cornell: The Lawgiver as Messiah: The Making of the Imperial Image in the Reign of Süleymân. In: Soliman le Magnifique et son temps. Hg. v. Gilles Veinstein. Paris 1992, 159–178. Hess, Andrew: The Forgotten Frontier. A History of the Sixteenth-Century Ibero-African Frontier. Chicago 1978, 100. Ebd., 108. Ebd., 110.

Grenzwahrnehmung und Grenzmacht

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bereich des ebenfalls zum König erhobenen Johann Szapolyai (Reg. 1526–1540), der von den Osmanen unterstützt wurde.20 Nach der endgültigen Besetzung Ofens (ung. Buda) durch Süleyman I. im Jahr 1541 verfestigte sich diese Aufsplitterung und es entstand eine politisch-administrative Konstruktion, die im Wesentlichen bis zum Ende der osmanischen Herrschaft in Ungarn (1699) andauern sollte.21 Der Osten des Königreiches entwickelte sich zum Fürstentum Siebenbürgen, das zu einem Vasallen des Sultans wurde. Die Habsburger kontrollierten die westlichen und nördlichen Territorien, während die Osmanen Zentralungarn in ihren Reichsverband eingliederten. Die größte Ausdehnung erreichte die Herrschaft der Hohen Pforte nach dem osmanisch-habsburgischen Friedensschluss von Eisenburg (ung. Vasvár) im Jahr 1664, als den bereits bestehenden Verwaltungsbezirken (vilayet) von Ofen (1541), Temeswar (rum. Timişoara, 1552), Raab (ung. Győr, 1594–1598), Szigetvár (1594–1598), Pápa (1594–1598), Erlau (ung. Eger 1596), Kanischa (ung. Kanizsa 1600)22 und Wardein (ung. Várad) das vilayet von Neuhäusel (sk. Nové Zámky)23 hinzugefügt werden konnte. Im Vergleich zu den übrigen osmanischen Territorien im östlichen Europa war der ungarische Raum in eine große Zahl von Verwaltungseinheiten untergliedert, wodurch wahrscheinlich die Anzahl an militärischen Befehlshabern erhöht werden sollte. Die darin erkennbare strategische Bedeutung des Grenzgebietes widerspiegelt(e) sich auch am Interesse der historischen Forschung. Kontrovers wird dabei immer noch die Frage nach der Zielsetzung diskutiert, die hinter der osmanischen Expansion in das östliche Mitteleuropa stand. Halil Inalcık vermutete, dass die Osmanen das Königreich Ungarn ursprünglich nur in ein Vasallenverhältnis zwingen wollten, da eine direkte Eroberung als zu teuer und schwierig angesehen worden sei. Die politische Entwicklung nach der Schlacht von Mohatsch habe diese Absicht vereitelt, als Erzherzog Ferdinand zum ungarischen König gewählt und der osmanische Kandidat, Johann Szapolyai, vom Habsburger aus Ofen vertrieben wurde.24 Die ungarische Geschichtsschreibung diskutiert diese Frage vor allem unter dem Aspekt, welche Handlungsoptionen Ungarn gehabt hätte. Géza Perjés legt dar, dass Süleyman I. den Ungarn zunächst eine Autonomie angeboten habe. Eine Annahme hätte den völligen Verlust der Unabhängigkeit und die Dreiteilung des Landes möglicherweise verhindert.25 Andere Autoren verweisen auf die expansive osmanische Außenpolitik zwischen 1520 und 1532, als der Sultan und sein Groß20 21 22 23 24 25

Szakály, Ferenc: Lodovico Gritti in Hungary, 1529–1534. A Historical Insight into the Beginnings of Turco-Habsburgian Rivalry. Budapest 1995, 106. Einen detaillierten Einblick in die Ereignisse zwischen 1526 und 1541 bieten Berindei, Mihnea/Veinstein, Gilles: L’empire ottoman et les pays roumains 1544–1545. Études et documents. Paris 1988, 18 f. Dávid, Géza: Ottoman Administrative Strategies in Western Hungary. In: Studies in Ottoman History in Honour of Professor V. L. Mélange. Hg. v. Colin Heywood und Colin Imber. Istanbul 1994, 31–43. Blaškovic´, Jozef: The Period of Ottoman-Turkish Reign at Nové Zámky. In: Archiv Orientální 45/2 (1986), 105–130. Inalcık, Halil: The Ottoman Empire. The Classical Age 1300–1600. London 1973, 35. Perjés, Géza: The Fall of the Medieval Kingdom of Hungary: Mohács 1526-Buda 1541. Boulder/Col. 1989.

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Markus Koller

wesir Ibrahim Pascha sogar die Eroberung der gesamten habsburgischen Territorien geplant hätten. Vor diesem Hintergrund habe Ungarn keine andere Wahl gehabt, als die habsburgische Herrschaft zu akzeptieren.26 Daraus resultierte auf der einen Seite die habsburgische Militärgrenze, die sich aus mehreren Abschnitten zusammensetzte. Zwischen der Küste und dem Fluss Save entstand zunächst die als Krabatische Gränitz bezeichnete kroatische Grenze, die später nach der 1578 errichteten Festung Karlstadt (kroat. Karlovac) als Karlstädter Grenze bezeichnet wurde. Die Region zwischen Save und Drau wurde als Windische Gränitz und später als Warasdiner Grenze bekannt.27 Außerhalb der kroatischen Gebiete erstreckte sich die habsburgische Grenze auf dem Gebiet des historischen Königreiches Ungarn von der Drau bis südwestlich von Debrecen. Mit dem Ausbau der Militärgrenze ging eine verstärkte „Habsburgisierung“ der militärisch-politischen Strukturen im Grenzraum einher. Im Jahr 1553 ernannte Ferdinand einen Generalobristen für die Karlstädter und Warasdiner Grenze, der mit der vollen Entscheidungs- und Befehlsgewalt in zivilen und militärischen Angelegenheiten ausgestattet war.28 Endgültig festigte das Haus Habsburg seine Machtposition in der Militärgrenze 1566, als der innerösterreichische Erzherzog Karl die Leitung des Grenzkriegswesens übernahm.29 Der Beitrag von Szabolcs Varga zeigt, dass damit auch eine zunehmende Loslösung der slawonischen und kroatischen Gebiete aus dem Machtbereich des ungarischen Königs verbunden war. Zur Erleichterung der Organisation der Verteidigung wurden die kroatischen und untersteirischen Grenzgebiete immer mehr von Graz aus geleitet. Die endgültige Trennung vollzog sich 1578, als die Angelegenheiten der Grenzgebiete südlich der Drau in den Kompetenzbereich des neu aufgestellten Innerösterreichischen Hofkriegsrates fielen, während die Verteidigung des Königreiches Ungarn weiterhin vom Wiener Hofkriegsrat geleitet wurde. Gleichzeitig habe, so Varga, eine Integration der slawonischen und kroatischen Gebiete stattgefunden, die nun auch strukturell immer enger zusammengewachsen seien. Zur „Habsburgisierung“ der Grenzregion im 16. Jahrhundert gehörte auch die Aneignung von Festungen, sei es durch die Entrichtung eines symbolischen Geldbetrages oder dass sie dem König für eine bestimmte Zeit übertragen wurden, was final zum Dauerzustand wurde. Das Engagement der Donaumonarchie führte jedoch zu einer zunehmenden finanziellen Belastung, da beispielsweise die innerösterreichischen Stände Kärntens, der Krain und der Steiermark die Kosten für die kroatische und slawonische Grenze zu tragen hatten.30 Der kaiserliche Hof sah sich schon bald gezwungen, jede mögliche Ein26 27

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Einen ausführlicheren Überblick über diese Diskussion bieten Dávid, Géza/Fodor, Pál: Hungarian Studies in Ottoman History. In: The Ottomans and the Balkans. A Discussion of Historiography. Hg. v. Fikret Adanır und Suraiya Faroqhi. Leiden 2002, 305–350, hier 323 f. Zur habsburgischen Militärgrenze siehe Kaser, Karl: Freier Bauer und Soldat. Die Militarisierung der agrarischen Gesellschaft in der kroatisch-slawonischen Militärgrenze (1535–1881). Graz 1997. – Rothenberg, Gunther E.: The Military Border in Croatia 1740–1881. A Study of an Imperial Institution. Chicago 1966. Ebd., 9. Kaser (wie Anm. 27), 54 f. Rothenberg (wie Anm. 27), 10.

Grenzwahrnehmung und Grenzmacht

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nahmequelle zur Deckung der Kriegskosten auszuschöpfen. Zoltán Péter Bagi zeigt in seinem Beitrag über die „Türkenbilder“ kaiserlicher Propositionen während des „Langen Türkenkrieges“ (1593–1606), wie Kaiser Rudolf II. (Reg. 1576–1612) in diesem Zeitraum drei Mal die Reichsstände um Unterstützung ansuchte. Bereits vor den eigentlichen Verhandlungen gab es einen regen Austausch mit den Kurfürsten und Fürsten des Reiches, um einen Reichsabschied zur Türkenhilfe zu gewährleisten. Bagi sieht einen Erfolg der kaiserlichen Politik darin, dass die Reichsstände die Notwendigkeit der Türkenhilfe nie grundsätzlich in Frage stellten.

Das Streben nach Raum- und Grenzziehungsmacht Die „Habsburgisierung“ und „Osmanisierung“ des Grenzraumes im östlichen Europa erfordern einen differenzierten Blick auf das Verhältnis zwischen den beiden Großreichen, dessen Wahrnehmung vorwiegend von den Kriegen zwischen den Habsburgern und den Osmanen geprägt ist. Die langen Friedensperioden rücken dadurch stark in den Hintergrund. Aber auch wenn der Fokus auf die militärische Konfliktsituation gerichtet bleibt, ist die Gegenüberstellung eines – zumindest bis 1683 – offensiven Osmanischen Reiches gegen ein sich verteidigendes Habsburger Imperium nur eine unzureichende Beschreibung. Vielmehr beinhaltete die Politik Wiens auch eine offensive Komponente, nämlich als die Donaumonarchie ihre Macht auf den Raum des historischen Königreiches Ungarn ausweiten und festigen konnte. Die Militärgrenze selbst entwickelte sich zu einem Element expansiver Außenpolitik, als sie – mit Zurückdrängung der osmanischen Armeen – vom Mittelmeer über Slawonien und das Banat bis nach Siebenbürgern ausgedehnt werden konnte.31 Die Grenze kann daher in ihrer Bedeutung nicht nur als Außenhaut des Reiches interpretiert werden, sondern auch vor dem Hintergrund eines Ringens lokaler Herrschaftsträger und der Zentralgewalt um die Raum- und Grenzziehungsmacht innerhalb des eigenen Herrschaftsgebietes und des umliegenden Raumes. Letztlich war es ein Streben um den Zugriff auf die Untertanen bzw. die im Grenzraum lebende Bevölkerung.32 Hierbei spielten die Raitzen eine besondere Rolle, da sie in beiden Imperien als Soldaten und Untertanen vertreten waren und durch sie bereits im 16. Jahrhundert das Phänomen der transimperialen Wanderungen verkörpert wurde. Norbert Spannenberger zeigt in seinem Beitrag Aspekte dieses Gegenstandes auf und geht dabei über die Zeit der osmanischen Herrschaft in Ungarn hinaus. Die vergleichsweise große Zahl osmanischer Verwaltungseinheiten, die Festungsgürtel der beiden Imperien und das engmaschige habsburgische Verwaltungssystem an der Militärgrenze dienten daher nicht nur der Grenzverteidigung, sondern eben auch als Grundlage für die Ausübung von Raummacht im gesamten Grenzgebiet. Das Handeln lokaler Akteure und der jeweiligen Zentralmacht, das 31 32

Komlosy, Andrea: Grenze und ungleiche regionale Entwicklung. Binnenmarkt und Migration in der Habsburgermonarchie. Wien 2003, 118. Ebd., 21 f.

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nicht selten von unterschiedlichen Interessen geleitet wurde, gab dem Grenzraum zwischen beiden Imperien dessen Gepräge. Ernst D. Petritsch unterstreicht in seinem Beitrag über die Raum- und Grenzkonzeptionen in den osmanisch-habsburgischen Friedensverträgen von Zsitvatorok (1606) und Karlowitz (serb. Sremski Karlovci, 1699) die These, dass zu Beginn des 17. Jahrhunderts noch keine Grenze im engeren Sinne existiert habe, sondern der Einfluss der Grenzfestungen entscheidend gewesen sei. Dies zeigen auch die Arbeiten osmanischer Geographen im 17. Jahrhundert, in denen ihr Bemühen um eine detaillierte Erwähnung der Festungen erkennbar ist.33 Ein Blick auf die von Josef Blaškovič erstellte Karte der Provinz von Újvár (heute Nové Zámky in der Slowakei) zeigt, welche Zersplitterung des Raumes damit verbunden sein konnte. Die habsburgischen Exklaven von Neutra (sk. Nitra) und Léva (sk. Levice) waren von osmanischen Gebieten umschlossen und osmanische Exklaven befanden sich auf habsburgischem Territorium.34 Die historische Forschung hat sich intensiv mit dem osmanischen Festungsgürtel35 beschäftigt und den Fokus dabei auf die beiden Fragen gelegt, wie die Osmanen die Anlagen erhielten36 und wie sie die Festungsbesatzungen finanzierten.37 Die Mehrzahl der Soldaten und osmanischen Amtsträger kam aus dem südslawischen Raum, insbesondere aus den bosnischen und serbischen Gebieten.38 Die Festungen bildeten Zentren, von denen aus Raummacht ausgeübt worden ist. 1674 verteilten sich von der Drau bis südwestlich von Debrecen – ohne die kroatischen und slawonischen Gebiete – 47 Festungen, die ab 1675 mehrheitlich mit Freikompagnien aus den Gebieten des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation besetzt waren. Übergriffe dieser Soldaten auf die in der Nähe der Festungen lebenden Menschen führten auch dazu, dass immer wieder Bauern auf osmanisches Territorium flohen.39 Aus dem 16. Jahrhundert liegt eine Vielzahl von Klagen vor, die von Überfällen Angehöriger der habsburgischen Festungsbesatzungen auf osmanisches Gebiet berichten.40 Ähnliche Beschwerden liegen auch über die osmanischen Festungsbesatzungen vor, die ebenfalls grenzübergreifend operierten. Die Raummacht der Festungen wirkte aber ebenso auf das Hinterland, wo insbesondere die Janitscharen einen starken Einfluss auf das ökonomische Leben be33 34 35 36 37 38 39 40

Hagen, Gottfried: Ein osmanischer Geograph bei der Arbeit. Entstehung und Gedankenwelt von Kātib Čelebis Ğihānnümā. Berlin 2003. Blaškovič, Josef: Ein türkisches Steuerverzeichnis aus dem Bezirk von Žabokreky aus dem Jahre 1664. In: Archív orientální 45 (1977), 201–210, Karte I folgt der Seite 208. Einen Überblick bieten Dávid/Fodor (wie Anm. 26), 338–340. Fodor, Pál: Bauarbeiten der Türken an den Burgen in Ungarn im 16.–17. Jahrhundert. In: Acta Orientalia Academiae Scientiarum Hungaricae 35/1 (1981), 55–88. Stein, Mark: Guarding the Frontier. Ottoman Border Forts and Garrisons in Europe. London 2007. Hegyi, Klára: Balkan garrison troops and soldier-peasants in the vilayet of Buda. In: Archaeology of the Ottoman period in Hungary. Hg. v. Ibolya Gerelyes und Gyöngyi Kovács. Budapest 2003, 22–40. Nouzille, Jean: Histoire des frontières, l’Autriche et l’empire ottoman. Paris 1991, 85–89. Vgl. Procházka-Eisl, Gisela/Römer, Claudia: Osmanische Beamtenschreiben und Privatbriefe der Zeit Süleymāns des Prächtigen aus dem Haus-, Hof- und Staatsarchiv zu Wien. Wien 2007.

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saßen. Im slawonischen Raum übten sie häufig die Marktaufsicht aus und vermieteten beispielsweise Räume im Marktgebäude von Esseg (kroat. Osijek). Ebenso scheinen sie eine wichtige Rolle im Gütertransport auf der Donau zwischen Buda und Belgrad (serb. Beograd) gespielt zu haben.41 Festungen schufen daher räumlich schwer umreißbare Einheiten, in denen ein wirtschaftliches, soziales und kulturelles Handeln der Festungsbesatzungen stattfand, das sich auf das Leben der lokalen Bevölkerung auch außerhalb des Grenzraumes auswirkte. Sie konnten auch einen gemeinsamen grenzübergreifenden Raum bilden, wie es das Beispiel des osmanisch-venezianischen Grenzgebietes verdeutlicht. Offiziere der osmanischen Festungen Solin und Klis besuchten das venezianische Split (ital. Spalato), venezianische Abgesandte unternahmen regelmäßig Gegenbesuche.42 Der Austausch von Geschenken und gemeinsame Festlichkeiten waren nicht nur Ausdruck einer kleinen Grenzdiplomatie, sondern versinnbildlichten ebenso den auf Festungen basierenden Kommunikations- und Handlungsraum. Das Bemühen um Raummacht dies- und jenseits der Grenze zeigen auch familiengeschichtliche Studien über hochrangige Repräsentanten der osmanischen Obrigkeit. Diese verweisen auf familiäre Vernetzungen innerhalb der osmanischen Verwaltungs- und Militärhierarchie, die auch dazu beitrugen, den Grenzraum mit den Kernprovinzen des Reiches enger zu verbinden. Nedim Zahirović bietet in seinem Beitrag einen Einblick in die Familie Memibegović und zeigt, wie deren Mitglieder über mehrere Generationen nicht nur immer wieder wichtige Ämter im osmanischen Grenzraum innehatten, sondern auch in anderen südosteuropäischen Provinzen zentrale Posten bekleideten. Dies belegt das Beispiel des Ibrahim Memibegović, der 1602 als Statthalter von Küstendil an den Kämpfen um Ofen beteiligt war, das von den habsburgischen Truppen belagert wurde. Danach stand er dem Sandschak von Pakrac vor und drang 1605 als Beglerbeg von Kanischa mit seinen Truppen in die Steiermark ein. Das Bemühen um grenzübergreifende Raum- und Grenzziehungsmacht verdeutlicht auch die von Antal Molnár dargestellte katholische Jurisdiktion. In seinem Beitrag zeigt er auf, wie das religiöse Leben von Strukturen und Institutionen getragen wurde, die inner- und vor allem außerhalb des Grenzraumes verankert wurden. Der Heilige Stuhl bemühte sich vor allem seit 1572, als die ersten Apostolischen Visitatoren ins Land kamen, und verstärkt mit der Gründung der Congregatio de Propaganda Fide (1622), eine Missionsorganisation zu errichten. Er geriet damit in ein Spannungsverhältnis zu den bosnischen Franziskanern, die insbesondere in den syrmisch-slawonischen Gebieten tätig waren und sich gegen eine Einflussnahme Roms wehrten.43 Ebenso kam es zu Konflikten mit dem Wiener Hof, da der habsburgische Herrscher in seiner Funktion als ungarischer König auf das Patronats41 42

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Koller, Markus: Eine Gesellschaft im Wandel. Die osmanische Herrschaft in Ungarn im 17. Jahrhundert (1606–1683). Stuttgart 2010, 156–159. Schmitt, Oliver Jens: „Des melons pour le cour du Sancak beg“: Split et son arrière-pays ottoman à travers les registres de compte de l’administration vénitienne dans les années 1570. In: Living in the Ottoman Ecumenical Community. Essays in Honour of Suraiya Faroqhi. Hg. v. Vera Costantini und Markus Koller. Leiden 2008, 437–452. Über die osmanische Herrschaft in diesem Raum siehe Moacˇanin, Nenad: Town and Country on the Middle Danube 1526–1690. Leiden 2006.

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recht bestand.44 Die Titularbischöfe von Diözesen, deren Gebiete unter osmanischer Herrschaft standen, lebten in habsburgischen Gebieten und waren in den Verwaltungsapparat der Monarchie eingegliedert. Dies widersprach den Interessen Roms, das die Bischöfe gern vor Ort gesehen hätte. Im ersten Drittel des 17. Jahrhunderts begannen jedoch die ungarischen Bischöfe stärker, ihre Jurisdiktionsansprüche über die im Machtbereich der Hohen Pforte lebenden Gläubigen auszuüben, was insbesondere in den Regionen östlich der Donau gelang.45 Die kirchlichen Institutionen wurden schließlich nach dem Ende der osmanischen Herrschaft wieder konsolidiert. Zoltán Gőzsy zeigt am Beispiel Transdanubiens, wo dieser Prozess insbesondere in den 1740er Jahren erfolgte, wie das Zusammenwirken unterschiedlicher Faktoren zum Erfolg führte. Die Reorganisation kirchlicher Institutionen sei deshalb gelungen, weil neben der Kirche auch der Wiener Hof, die ungarischen Stände und vor allem lokale Machtstrukturen wie die Grundherren ein gemeinsames Interesse daran hatten. Das bisher dargestellte Streben um Raum- und Grenzziehungsmacht kann nicht ohne einen Blick auf die Grenzpolitik der jeweiligen Zentralmacht beschrieben werden. Rifaat A. Abou-el-Haj sah den Friedensvertrag von Karlowitz 1699 als eine einschneidende Wegmarke an, da die Osmanen erstmals eine genau definierte Grenzlinie akzeptiert hätten.46 Der Beitrag von Dariusz Kołodziejczyk zeigt jedoch, dass die Osmanen bereits vor dem Friedensschluss von Karlowitz möglichst genauen Grenzmarkierungen zugestimmt hatten. Die seit dem 16. Jahrhundert immer wieder zusammengestellten Grenzkommissionen mit den Venezianern sind dafür nur ein Beleg. Außerdem haben, so Kołodziejczyk, die osmanischen und habsburgischen Autoritäten sehr genau gewusst, welches Dorf welche Steuern auf beiden Seiten zu entrichten hatte. Er bezieht sich damit auf die Doppelherrschaft oder Kondominium, das Gábor Ágoston als die gemeinsame Herrschaft der ehemaligen Machtelite und der osmanischen Autoritäten definiert.47 Die nun auf habsburgischem Gebiet lebenden Grundherren durften weiterhin von ihren ehemaligen Untertanen Steuern eintreiben, ebenso forderten die Osmanen Steuern von Dörfern ein, die auf der anderen Seite der Grenze lagen.48 Das 18. Jahrhundert scheint bezogen auf das Thema des vorliegenden Bandes seine Bedeutung vor allem im Wandel der Grenzvorstellung zu besitzen, die jedoch nur randständig mit der Frage nach dem Grad der Grenzfestlegung zu tun hat. Das Osmanische Reich konnte seine Besitzungen im südosteuropäischen Raum gegenüber den Habsburgern weitgehend bewahren, wenngleich die Fähigkeit zu einer offensiven Kriegsführung zunehmend auf die Donaumonarchie überging. Beson44 45 46 47 48

Eine sehr detaillierte Darstellung dieser Problematik bietet Molnár, Antal: Le Saint-Siège, Raguse et les missions catholiques de la Hongrie ottomane 1572–1647. Rom 2007. Koller (wie Anm. 41), 89. Abou-el-Haj, Rifaat A.: The Formal Closure of the Ottoman Frontier in Europe: 1699–1703. In: Journal of Asian and Oriental Studies 89 (1969), 467–475. Ágoston (wie Anm. 13), 23. Zum Condominium siehe Hegyi, Klára: Le condominium hungaro-ottoman dans les eyalets hongroises. In: Actes du premier congrès international des études balkaniques et sud-est européennes. Bd. 3. Sofia 1969, 593–603.

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ders die Niederlagen gegen die russischen Armeen, die im Frieden von Küçük Kaynarca (1774) zum Verlust der Halbinsel Krim führten, ließen einen Reformdiskurs unter den politischen Autoren aufkommen. Die bis dahin zu einer traditionellen Staatsvorstellung gehörende Idee einer steten Expansion verschwand gegen Ende des 18. Jahrhunderts aus den politischen Diskursen und rückte damit die Grenze in ihrer defensiven Funktion als eine zu verteidigende Linie in den Vordergrund.49 Diese Entwicklung fügt sich in die Entfaltung eines Bildes von Grenze als durchgängig festgelegte und kontrollierte Linie ein, wie es für weite Teile Europas im 18. Jahrhundert zu beobachten ist.50 Insgesamt waren die Menschen dieser Zeit mit verstärkt einsetzenden Versuchen zur Regulierung, Klassifizierung und Kontrolle der Migrationsbewegung konfrontiert. Innerhalb der Habsburgermonarchie erhielten die Grenzen von Wirtschafts- und Verwaltungsräumen ein neues Gewicht und mit der Schaffung eines gemeinsamen Zollgebietes (1775), wodurch die Binnenzolllinien weggefallen waren, erlangte die Außengrenze einen Bedeutungszuwachs.51 Ein doppeltes Bewachungssystem, in dem die Zollkontrolle der Zivilgrenzkordonmannschaft und die militärische Sicherung dem Militärkordon unterlagen, unterstreicht diese Entwicklung.52 Auch im Osmanischen Reich nahm die „Grenzerfahrung“ zu: Im Bewusstsein einer breiteren Bevölkerung schien sie zunächst vorwiegend im unmittelbaren Grenzraum vorgeherrscht zu haben. In den Jahren nach dem „Langen Türkenkrieg“ (1593–1606) befürchtete die muslimische Bevölkerungsgruppe in Ofen eine Rückeroberung der Stadt durch christliche Truppen. Sie investierte daher nur sehr wenig Kapital in Häuser und andere Immobilien.53 Die Vorstellung von Grenze als eine zu verteidigende Außenlinie des Reiches gewann mit zunehmender militärischer Bedrohung an Bedeutung. Die muslimischen Bewohner einer Grenzprovinz wie Bosnien zählten die Sicherung der Grenze zu den Aufgaben, die der Herrscher in Istanbul zu erfüllen hatte. Nach dem Verlust der Gebiete nördlich der Donau (1699) sowie der Krim (1774) rief insbesondere der Einmarsch Napoleons in Ägypten (1798) Bestürzung hervor, wobei die Menschen den Sultan beschuldigten, mit den Invasoren zusammengearbeitet zu haben.54 Aber auch innerhalb des Reiches nahm die Bedeutung der Grenzen zu. Auf eine längere Tradition können die Bemühungen zurückgeführt werden, den Zuzug nach Istanbul zu reglementieren. Bis zum 18. Jahrhundert dominierten Maßnahmen, die sich auf bereits zugewanderte Personen bezogen. Diese wurden beispielsweise in leichter zu überwachenden Wohneinheiten untergebracht oder der Stadt verwiesen.55 Im Verlauf des 18. Jahrhunderts 49 50 51 52 53 54

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Aksan, Virginia: Ottoman Political Writing, 1768–1808. In: International Journal of Middle East Studies 25/1 (1993), 53–69. Komlosy (wie Anm. 31), 20. Ebd., 222. Ebd., 46 f. Koller (wie Anm. 41), 60. Ders.: Die große Furcht in Bosnien und der Herzegowina – Gewalt als Folge einer Legitimationskrise im späten 18. Jahrhundert. In: Der westliche Balkan, der Adriaraum und Venedig (13.–18. Jahrhundert). Hg. v. Gherardo Ortalli und Oliver Jens Schmitt. Venedig-Wien 2009, 351–361. Behar, Cem: A Neighborhood in Ottoman Istanbul. Fruit Vendors and Civil Servants in the

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scheint ein verstärktes Augenmerk auf die Verhinderung von Zuwanderung gelegt worden zu sein. Die Binnenmigration wurde dann endgültig mit den Regelungen der Jahre 1826 und 1841 einer staatlichen Kontrolle unterworfen.56

Das Bild von dem „Anderen“ im Grenzraum Im Verlauf der strukturellen Ausformung des Grenzraumes durch die Habsburger und die Osmanen entwickelten oder verstärkten sich Bilder von den neuen Oberherren, die nicht nur im jeweiligen Gegner jenseits der Grenze ihren Bezugspunkt hatten. Gábor Nagy zeigt am Beispiel der von Nikolaus Isthvanffi zwischen 1598 und 1608 verfassten Historiae, wie der zunehmende politische und militärische Einfluss der Habsburger auf Widerstand insbesondere auf Seiten der ungarischen Stände stieß. Mehrmals erhoben sie die Forderung, die „Fremden“ aus wichtigen Ämtern zu entfernen. In seiner Analyse der Historiae verdeutlicht Nagy, dass nicht nur die „Türken“, sondern eben auch die „Deutschen“ zum Feindbild in den habsburgischen Territorien innerhalb des Grenzraumes geworden waren. Nikolaus Isthvanffi sah in ihnen daher zwei Gruppen, die den Ungarn Schaden zufügten: Während sie im Krieg vom Feind ausgeplündert werden, tue ihnen im Frieden der Verbündete dasselbe an. Die Historiae zeigen aber auch, wie Feindbilder gezielt eingesetzt wurden, um politische Ziele zu erreichen. Die ungarischen Stände versuchten vor allem, ihre machtpolitische Stellung zu verteidigen bzw. wieder zu erlangen. Wenig ist darüber bekannt, welche Bilder die Bewohner der Grenzregion von den Menschen auf der jeweils anderen Seite hatten. In der Übergangszone selbst hat sich vor allem im 16. Jahrhundert ob der unmittelbaren osmanischen Bedrohung eine gegen die Osmanen gerichtete Literatur herausgebildet, der sich Farkas Gábor Kiss zuwendet.57 Er zeigt auf, wie in den Werken von Janus Pannonius, László Vetési und von weiteren Autoren die vom Gedankengut des Humanismus beeinflussten „Türken-Topoi“ erkennbar sind. Der immer wiederkehrende Hinweis auf den Gegensatz zwischen „Zivilisation“ und der vom Osmanischen Reich verkörperten „Barbarei“ ist nur ein Beispiel dafür, was mit Rückgriff auf die Antike in diese Literatur einfloss. Fast allen Werken war gemein, dass sie die Einheit der christlichen Regenten beschworen, um die „Türken“ zu vertreiben. Die aus dem ungarischen Raum stammenden Autoren wurden sicherlich auch von den politischen Diskursen um Kaiserreich, Christenheit und Europa beeinflusst, die im Umfeld Maximilians I. (Deutscher König 1493–1508, Kaiser 1508–1519) geführt worden sind.58 56 57

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Kasap Ilyas Mahalle. New York 2003, 96. Ebd., 120 f. Zur Entwicklung der ungarisch-osmanischen Beziehungen siehe Fodor, Pál: The Simurg and the Dragon. The Ottoman Empire and Hungary (1390–1533). In: Fight against the Turk in Central-Europe in the first half of the 16th Century. Hg. v. István Zombori. Budapest 2004, 9–36. Am Beispiel der Texte Sebastian Brants werden diese Diskurse untersucht von Niederberger, Antje: Das Bild der Türken im deutschen Humanismus am Beispiel der Werke Sebastian Brants

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Humanistische Topoi wirkten auch auf eines der ambitioniertesten Druckprojekte der Inkunabelzeit ein, der 1493 auf Deutsch und Latein veröffentlichten Weltchronik von Hartmann Schedel. Detlef Haberland zeigt anhand dieses Werkes, wie die Expansion des Osmanischen Reiches in den europäischen Raum im Lichte einer von der „türkischen Barbarei“ bedrohten Zivilisation interpretiert wurde. Die Wirkungsmacht dieser Bilder ließe sich beispielsweise am Umgang mit osmanischen Gefangenen festmachen, die besonders während der „Türkenkriege“ in das Alte Reich verbracht worden sind. Wie Manja Quakatz in ihrem Beitrag über die Konversion osmanischer Gefangener verdeutlicht, hat sich die historische Forschung bisher nur sehr randständig mit diesem Thema beschäftigt.59 Am Beispiel der Stadt Leipzig beschreibt sie Taufen von Männern, Frauen und Kindern, die während des Krieges zwischen der Heiligen Liga und dem Osmanischen Reich (1683–1699) wahrscheinlich vorwiegend aus Ungarn in das Heilige Römische Reich Deutscher Nation verschleppt wurden. In vielen Fällen handelte es sich dabei um Zwangstaufen, die sicherlich auch vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Türkenbilder zu verstehen sind. Die angesprochene Zersplitterung des Raumes, die grenzübergreifenden Herrschaftsstrukturen und Jurisdiktionsansprüche sowie der „Alltagshandel“ dürften auch differenziertere Wahrnehmungsmuster hervorgebracht haben, über die jedoch kaum etwas bekannt ist. So scheint zum Bsp. das in der Turcica-Literatur dominierende Türkenbild in solchen Familien nicht handlungsweisend gewesen zu sein, die, aus welchen Gründen auch immer, ihre Kinder mit osmanischen Soldaten verheirateten.60 Sicherlich waren die Menschen in den habsburgischen Gebieten des Grenzraumes auch über die Bäder in Ofen oder über andere architektonische Leistungen osmanischer Baumeister informiert, die Reisende immer wieder bewundernd erwähnten oder die sie vielleicht sogar mit eigenen Augen gesehen hatten.61 Eine solche Differenzierung erhielt sich bis in die nachosmanische Zeit hinein. Der Geschichtsschreiber Matthias Bél (1684–1749) stellte in seinem Werk Notitia Hungariae novae historico geographica die einstigen osmanischen Oberherren bzw. die geflohene muslimische Bevölkerung mit den bekannten negativen Stereotypen dar, rühmte jedoch deren technische Fähigkeiten beim Bau von Wasserleitungen oder der Bäder. Der Beitrag von Gergely Tóth zeigt, dass die Notitia zu den wichtigsten Quellen zur spätosmanischen bzw. frühen postosmanischen Phase der ungarischen Geschichte zu zählen sind. Sie stellen eine nach Komitaten geordnete geographischhistorische Beschreibung des zeitgenössischen Ungarns dar, die auch auf Informa-

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(1456–1521). In: Das Osmanische Reich und die Habsburgermonarchie. Hg. v. Marlene Kurz u.a. Wien-München 2005, 181–204. Teply, Karl: Vom Los osmanischer Gefangener aus dem großen Türkenkrieg 1683–1699. In: Südost-Forschungen 32 (1973), 33–72. – Jahn, Karl: Zum Loskauf christlicher und türkischer Gefangener und Sklaven im 18. Jh. In: Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft 36 (1961), 63–85. – Spies, Otto: Schicksale türkischer Kriegsgefangener in Deutschland. In: Festschrift Werner Caskel zum 70. Geburtstag. Hg. v. Erwin Gräf. Leiden 1968, 316–335. Veselá, Zdenka: Slovakia and the Ottoman Expansion in the 16th and 17th Centuries. In: Ottoman Rule in Middle Europe and Balkan in the 16th and 17th Centuries. Hg. v. Jaroslav Cesar. Prag 1978, 5–44, hier 33 f. Koller (wie Anm. 41), 60–66.

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tionen basiert, die von lokalen Beamten und ehemaligen Schülern des Lehrers Bél in den jeweiligen Regionen zusammengetragen wurden. Zsuzsa Barbarics-Hermanik zeigt am Beispiel der Erinnerungsorte Mohatsch und Szigetvár, wie diese zunächst durch die katholische Kirche teils bis heute im Interesse einer Erinnerungskultur instrumentalisiert werden konnten, wobei die nationalen und die religiösen Komponenten in Symbiose gebracht wurden. Der Literaturwissenschaftler Dénes Sokcsevits schildert anhand ausgewählter Beispiele aus der kroatischen Literatur, dass das Bild des Anderen je nach politischen Interessenlagen variiert und geformt wurde, und konstatiert bis zum 18. Jahrhundert ein durchaus „positives Ungar(n)bild“. Einen Ausblick auf das 19. Jahrhundert bietet der Beitrag von Nenad Moačanin über den Reisebericht von Matija Mažuranić (1817–1881), der 1839/40 die damalige osmanische Grenzprovinz Bosnien bereiste. Die Grenze zwischen der Donaumonarchie und dem Osmanischen Reich erschien nun nicht mehr als eine Übergangszone, für die in den Hauptstädten der beiden Großreiche Pakete mit grenzübergreifenden Strukturen geschaffen worden sind. Vielmehr waren es nun die Kräfte des aufkommenden Nationalismus, die in Südosteuropa den Verlauf und auch den Charakter der Grenzen erheblich mitbestimmen sollten. Mažuranić gehörte zu den Anhängern des Illyrismus und wollte in Bosnien erkunden, ob und inwieweit das Gedankengut dieser Bewegung auch jenseits der Grenze auf einen fruchtbaren Boden fallen konnte.62 Die in den einzelnen Beiträgen zitierten Personen- und Ortsnamen wurden zwar überwiegend nach den Richtlinien für GWZO-Publikationen vereinheitlicht. Da aber in einem multiethnischen Raum den Herausgebern eine „gerechte“ Namenszuordnung unmöglich schien, wurden Wünsche der Autoren berücksichtigt, und in diesen Beiträgen konsequent die von ihnen vorgeschlagene Form behalten.

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Der Illyrismus war eine kulturelle und politische Erweckungsbewegung der Südslawen in der Donaumonarchie zwischen 1830 und 1848. Das Ziel war der Aufbau eines neuen slawischen Gemeinschaftsbewusstseins aller im „illyrischen Dreieck“ Skutari-Varna-Villach lebenden Südslawen; für eine Einführung siehe Bartl, Peter: Illyrismus. In: Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Hg. v. Edgar Hösch, Karl Nehring und Holm Sundhaussen. Wien 2004, 294 f.

Macht und Herrschaft im Grenzraum

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Ottoman Frontiers in Eastern Europe Before moving to the topic promised in my title, let me share some personal experience. In the era of real socialism – be it in Poland or Hungary – the best way to remain a professional historian was to steer clear of theory. This solution was less available for philosophers who firstly had to be Marxist but secondly – as demonstrated by the fates of György Lukács or Leszek Kołakowski – even a Marxist credo did not guarantee them a safe academic career. But for historians, at least specializing in earlier periods, such a safer, independent niche was available and I remember mocking remarks of my university tutors regarding their less shy, more theorizing and thus more politically involved colleagues. The fall of communism did not end such internal divisions within the Polish academia. Many former specialists of class struggle found new opportunities and new founding on the mushrooming chairs of gender studies. Many believers of Marx found new icons such as Foucault or Derrida often treating them with an equal devotion.1 It is tempting to quote in this context the leading Young Turkish intellectual Yusuf Akçura, who regretted after the Kemalist revolution that Comte and Durkheim mechanically replaced the Koranic citations in the writings of some of his colleagues.2 Examining my personal scepticism toward all-explaining theories and fashions, I wonder to what extent it is representative for – what Mary Douglas would coin as – “institutional thinking” of a milieu of some East European historians. Such scepticism can be traced in various instances, to mention only the discussion on modern nationalism. Famous theses by Ernst Gellner and Benedict Anderson, so enthusiastically welcomed in Western human sciences, were more reluctantly adopted in Eastern Europe. Where the American scholars saw a turning point and new phenomena, their East European colleagues tended to see continuity and a rather gradual, quantitative development.3 Even those historians, who agreed that a modern 1

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Certainly this issue is not limited to the East European scholarship. To quote Gilles Tillotson: “Philosophy – especially bad philosophy – is a great deal easier to do than the tedious and timeconsuming gathering of empirical data undertaken by so many nineteenth-century Orientalists. To some who are embarking on a career in Oriental studies the proven success of adopting half-digested Foucauldian rhetoric offers a tempting short cut. Cynical? Certainly: on their part.” See his review from the recent book by Irwin, Robert: For Lust of Knowing: The Orientalists and their Enemies. In: Bulletin of the School of Oriental and African Studies 69 (2006), 502–504, esp. 503. Georgeon, François: Aux origines du nationalisme turc. Yusuf Akçura (1876–1935). Paris 1980, 17, 54. For a rather conservative reaction on the side of East European scholars, see Concepts of Nationhood in Early Modern Eastern Europe. Ed. by Ivo Banac and Frank E. Sysyn. Cambridge/ Mass. 1986. For a more recent study on the Polish nationalism, addressing the main issues posed by Gellner and Anderson, see Kizwalter, Tomasz: O nowoczesności narodu. Przypadek polski [On the Modernity of a Nation. The Polish Case]. Warsaw 1999.

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nation was basically a product of the late nineteenth century, claimed that the process of nation building had already begun a few hundred years earlier. In his last book on cliental relationships, published posthumously in 2003, Antoni Mączak challenges the Weberian concept of Entzauberung der Welt, aptly demonstrating that the so-called medieval Personenverbandsstaat survived well into the twentieth century and its succession by a modern and rational Rechtsstaat has never been completed.4 Mączak traces “archaic” mechanisms still present today even in the Western cradle of democracy, to mention only the White House administration. A former student of Mączak, Michał Kopczyński, recently published a brilliant article comparing the early modern state structures in Poland-Lithuania and Sweden, concluding that in both cases the reality was very distant from the Weberian ideal of a “rationalized, bureaucratic state”.5 It might be easy today to criticize the Weberian notions of modern and premodern and the related concepts of Western and non-Western mentality. Yet another chronological division, associated in Germany with the term Sattelzeit coined by Reinhart Koselleck, still seems to be in good standing. Many scholars do not even bother to look before 1800 assuming that human beings before the French and industrial revolutions were so much different from us that not even worth studying. Let us finally turn to the frontiers and the relevant theories on their nature and development. If a Weberian positivist paradigm is to be applied, we might expect that with the lapse of time any frontier gradually becomes better demarcated, precise and “modern”. Also, we might assume that in any given period frontiers in the “West” were more precise and “rational” than frontiers in the “East”. In fact, there are quite a few studies aiming to prove such assumptions. In his seminal article Frontière: le mot et la notion, published in 1928, Lucien Febvre traced the development from an uninhabited zone, separating sparse human communities, to a fortified military line, to – finally – a mental “ditch between nationalities […] a moral frontier” characteristic for the post-1789 era of nationalism.6 Yet, by far the largest theoretical input towards the historical study of the frontiers has been brought by American scholars. Since 1893, when Frederick Jackson Turner published his famous article on The significance of the frontier in American history7 the frontier has become an obsession in the American historiography, reflected by numerous panels and conferences. In 1964, William McNeill –another historian from Chicago – applied the Turnerian model to Eastern Europe. In his 4 5 6

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Mączak, Antoni: Nierówna przyjaźń. Układy klientalne w perspektywie historycznej [Unequal Friendship. Patron-Client Relationship in Historical Perspective]. Wrocław 2003. See also my review from this book in Acta Poloniae Historica 93 (2006), 197–199. Kopczyński, Michał: Axel Oxenstierna, Albrycht Stanisław Radziwiłł and Max Weber. Officeholders in Sweden and Poland of the 17th century. In: Der frühmoderne Staat in Ostzentraleuropa. Ed. by Antoni Mączak and Wolfgang Weber. Augsburg 1999, 35–46. See for the French article Febvre, Lucien: Pour une Histoire à part entière. Paris 1962, 11–24, esp. 15–19. Quoted after the English translation entitled Frontière: The Word and the Concept. In: A New Kind of History. From the Writings of Febvre. Ed. by Peter Burke. New York 1973, 208–218, esp. 211–214. Republished in Turner, Frederick Jackson: The Frontier in American History. New York 1921.

Ottoman Frontiers in Eastern Europe

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book, entitled Europe’s Steppe Frontier8 McNeill studied the rivalry between the Habsburgs, the Ottomans and the Russians over vast, loosely controlled territories on their frontiers. In his view, the conquest and colonization of disputed areas along the northern Black Sea and the Danube and the closure of Habsburg and Russian southern frontiers in the eighteenth century was vital for their ultimate triumph over the Ottomans. The author’s treatment of Hungary as belonging to the European “steppe frontier” area provoked a fervent and furious attack by two Hungarian scholars, Géza Dávid and Pál Fodor. In their response, published somewhat belatedly in 2000, these two authors accused McNeill of being “completely ignorant of the structural differences between Central and Eastern Europe” and thus considering the Hungarian society as being “of the same semi-nomad and predatory mold as the Crimean Khanate”.9 Though justly accusing McNeill of a patronizing and Orientalist attitude towards Hungary, Dávid and Fodor are treating the “nomad and predatory” Crimea in exactly the same manner. Admittedly, there is no bigger offence than to call an Eastern European an Eastern European or to compare him to other Eastern Europeans. Though I am not going to defend McNeill’s accuracy, some of his arguments on the modernizing effects of frontier colonization upon the imperial centre seem convincing. Quite recently Michael Khodarkovsky, a former assistant of McNeill, published a new challenging monograph under the symptomatic title Russia’s Steppe Frontier.10 In 1969 another American historian, Rifaat Abou-el-Haj, published an article about the demarcation of the Ottoman border after the Treaty of Karlowitz. The author stressed the unprecedented character of this demarcation, which contributed to the “closure of the Ottoman frontier in Europe” and to the development of a modern concept of well-defined linear boundaries. According to Abou-el-Haj: “It is quite possible that this demarcation of a political boundary was the first of its kind in early modern European history.” The same author defines the pre-Karlowitz Ottoman borders as “rough, vague, indefinite military zones between the belligerent forces”.11 An opinion on the path-breaking role of the post-Karlowitz demarcation is also held by Virginia Aksan. To quote her recent article: “The eighteenth-century evolution from a hegemonic to a territorial empire meant the delineation of fixed borders and the move to a garrison defence line along the Danube.”12 In fact, Abou-el-Haj is simply wrong since the post-Karlowitz demarcation was not unprecedented either in Europe or even in the Balkans. To quote Maria Pia Pedani: “At the time of the Karlowitz agreements, Ottomans had had already com8 9 10 11 12

McNeill, William: Europe’s Steppe Frontier 1500–1800. Chicago 1964. Ottomans, Hungarians, and Habsburgs in Central Europe. The Military Confines in the Era of Ottoman Conquest. Ed. by Géza Dávid and Pál Fodor. Leiden-Boston-Köln 2000, XXII. Khodarkovsky, Michael: Russia’s Steppe Frontier. The Making of a Colonial Empire, 1500– 1800. Bloomington 2002. One major difference is that Khodarkovsky notices the richness of steppe cultures and societies, completely ignored by McNeill. Cf. ibid., 3. Abou-el-Haj, Rifaat: The Formal Closure of the Ottoman Frontier in Europe: 1699–1703. In: Journal of the American Oriental Society 89 (1969), 467–475, esp. 467. Aksan, Virginia: Manning a Black Sea Garrison in the 18th Century: Ochakov and Concepts of Mutiny and Rebellion in the Ottoman Context. In: Mutiny and Rebellion in the Ottoman Empire. Ed. by Jane Hathaway. Madison 2002, 63–72, esp. 72.

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mon borders with the Republic of Venice for two centuries” since the OttomanVenetian demarcations in Dalmatia had a long history dating back into the 15th century.13 If there was any novelty at all in the post-Karlowitz demarcation, it was largely due to the personality of Luigi Ferdinando Marsigli, appointed head commissioner of the Habsburg side.14 Apart from using modern cartography while delineating the Habsburg-Ottoman boundary, Marsigli envisioned a sanitary cordon, furnished with lazarettos, in order to protect Habsburg territories from future epidemics.15 Marsigli’s influence on Emperor Leopold I might be compared with that of another scholar and engineer of the epoch, Sebastien Vauban, on Louis XIV. Perhaps the most inspiring study on the early modern European borders was written by yet another American, Peter Sahlins. Though furnished with theory as well, his monograph presents a meticulous research of a small fraction of what was to become the French-Spanish border, established in the Pyrenees in 1659 and finally “closed” as late as 1868.16 Much more cautious when fitting the facts and the theory than some of his colleagues, Sahlins does not resign from a positivist and progressive vision of historical development. To quote this author: “The movement toward a linear, territorial boundary had been a slow and discontinuous process involving both states and local society.”17 In his book, Sahlins proposes three rough stages in the development of “his” Pyrenean border: 1.) The first stage was characterized by the royal jurisdiction over subjects and not over a delimited territory; territorial boundaries remained unimportant compared to the boundaries of jurisdictional competency in the borderland; according to Sahlins, this form prevailed in the Pyrenees by the late 17th century.18 2.) The second stage is characterized by the creation of a military border, envisaged to reach “natural” geographical limits, preferably mountains or rivers; “God created the Pyrenees to free the Spaniards from the French,” concluded a member of the Aragonese Cortes in 1684;19 also the famous phrase: “Il n’y a plus de Pyrénées!” reportedly exclaimed by Louis XIV after the death of the last Spanish Habsburg, fits perfectly within this context; this stage was marked 13 14 15

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Pedani, Maria Pia: Dalla frontiera al confine. Venice 2002, 140. See also Kołodziejczyk, Dariusz: Ottoman-Polish Diplomatic Relations (15th-18th Century). An Annotated Edition of Ahdnames and Other Documents. Leiden 2000, 58. On Marsigli (also known as Marsili) and his role in the post-Karlowitz demarcation, see esp. Stoye, John: Marsigli’s Europe 1680–1730. The Life and Times of Luigi Ferdinando Marsigli, Soldier and Virtuoso. New Haven-London 1994, 164–215. Gherardi, Raffaella: Scienza e governo della frontiera: il problema dei confini balcanici e danubiani nella pace di Carlowitz. In: Il pensiero politico 32 (1999), 323–351, esp. 344. Marsigli’s reports from the demarcation are published in Marsili, Luigi Ferdinando: Relazioni dei confini della Croazia e della Transilvania a sua Maestà Cesarea (1699–1701). 2 parts. Ed. by Raffaella Gherardi. Modena 1986. Sahlins, Peter: Boundaries. The Making of France and Spain in the Pyrenees. Berkeley-Los Angeles-Oxford 1989. Ibid., 256. Ibid., 5–7, 54, 63. Ibid., 35.

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by purging foreign enclaves and creating sanitary cordons, like during the War of the Pyrenees in the years 1718–1721;20 military considerations, prevailing during the concerned era, caused that borders were more likely drawn along the mountain crests than across the valleys; for the reasons of security, borderlands were left undeveloped and depopulated; few paved roads were constructed in the border regions as the respective governments tried to prevent possible invasions of – to quote a French war minister – “perfidious and duplicitous neighbours”.21 3.) The third and final stage meant first nationalization of the state border and then politicization of national boundaries and national territory; to quote Sahlins: “‘territorial violations’ – and the associated formulas of ‘rape’, ‘pillage’, ‘usurpation’ and ‘theft’ – properly belong to the Age of Nationalism”;22 this last stage accelerated during the French Revolution and was completed in the 19th century; in the Pyrenees, the process was finalized by the Bayonne Treaty of 1866 and the Final Act of Demarcation signed in 1868; in order to prevent future quarrels, the joint French-Spanish commission examined old cadastral sources and allowed local inhabitants to voice their claims; vaguely defined, “natural” military borders gave way to precise demarcated ones; the border – established by the commissioners – twisted, turned and zigzagged, leaving everything “French” on one hand and “Spanish” on the other; the demarcation reaffirmed the survival of a Spanish enclave of Llívia, whose inhabitants were guarantied free passage across French territory. Now, I would like to suggest a glimpse into the nature of Ottoman borders in Central and Eastern Europe in the 16th through early 18th century. Is it possible to classify and describe these borders according to the definitions proposed above? Let us start from Hungary. Most textbooks teach us that the almost permanent HabsburgOttoman confrontation had turned Hungarian lands into an area of constant warfare. Specialized paramilitary formations, such as the notorious akıncıs and hayduts, devastated and depopulated the country, leaving only – to quote once again Abouel-Haj – “rough, vague, indefinite military zones between the belligerent forces”.23 Yet, when we look into the contemporary Hungarian school historical atlas, we see neatly drawn, quite precise boundary lines between Habsburg and Ottoman Hungary, leaving no impression of an “open frontier”.24 An even more precise picture emerges from the map drawn by Josef Blaškovič, depicting the Ottoman province of Uyvar (today Nové Zámky in Slovakia) in 1664. This map, based on the Ottoman survey register, is so detailed that we can see the Habsburg enclaves of Nitra and Léva (Sk. Levice), surrounded by Ottoman lands, and on the other hand many Ottoman enclaves dispersed within the Habsburg territories.25 The Ottoman kanun20 21 22 23 24 25

Ibid., 69–77. Ibid., 96–97, 248–249. Ibid., 102, 240. Abou-el-Haj (cf. n. 11), 467. Középiskolai történelmi atlasz [Historical atlas for secondary schools]. Budapest 2001, 39. Blaškovič, Josef: Ein türkisches Steuerverzeichnis aus dem Bezirk von Žabokreky aus dem

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name, published by Josef Kabrda, lists specific tolls on the export of oxen, hides and salt to the “Domain of war” (Darü`l-harb) as Habsburg territories were called by Muslim jurists, and – vice versa – on the import of pottery, glass and iron products as well as English cloth to the “Domain of Islam” (Darü`l-İslam). We learn that construction timber in Ottoman Hungary originated from the mountains in Habsburg Slovakia, and was floated southward along the Vah river; on the other hand, millstones in Habsburg territories originated from the Ottoman province of Uyvar.26 It seems that “constant warfare” left much space for everyday local trade. Certainly, the Habsburg-Ottoman border in Hungary was neither rough nor vague for the local inhabitants. Contrary to our days, when states are defined by their exclusive jurisdiction over a “delimited territory”,27 many Hungarian villages were required to pay taxes both to the Ottomans and the Habsburgs. The Ottoman document of the Treaty of Zsitvatorok provided that “those villages situated on the border that used to pay tributes to both sides should continue to do so in the future”.28 Vojtech Kopčan defined the frontier reality in early modern Hungary and Slovakia using such German terms as Doppelherrschaft and Condominium between the Ottomans and the Habsburgs.29 Yet, also in this case one cannot argue that the frontier was vague. Ottoman and Habsburg local authorities knew which taxes were due from which village to either side. As we shall see, this phenomenon was not limited to Hungary or Slovakia. Though the pre-Karlowitz border in Hungary can be hardly described as illdefined, passing further east, at first glance the Ottoman borders with Poland-Lithuania and Russia seem to fit perfectly the American definitions of an open frontier. As the borders usually crossed scarcely populated steppe areas, they should not have provoked greater emotions of the parties involved. In 1542, Sultan Suleyman and King Sigismund of Poland agreed for a common demarcation but the commissioners of both sides failed to meet.30 In consequence, the border remained unre26

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Jahre 1664. In: Archív orientální 45 (1977), 201–210, map I after 208. Kabrda, Josef: Kánúnnáme novozámeckého ejáletu (k 300. výročí dobytí Nových Zámků Turky) [The kanunname of the eyalet of Nové Zámky (on the 300 anniversary of the Turkish conquest of Nové Zámky)]. In: Historický časopis 12 (1964), 186–214, esp. 197–198, (articles 22–23, 27–28, 34–36). Sahlins (cf. n. 16), 2. Türkische Schriften aus dem Archive des Palatins Nikolaus Esterházy 1606–1645. Ed. by Ludwig Fekete. Budapest 1932, 6 (Turkish text) and 212 (German translation). For the same clause in a Hungarian copy, prepared by the Ottoman commissioners, see Bayerle, Gustav: The Compromise of Zsitvatorok. In: Archivum Ottomanicum 6 (1980), 5–53, esp. 47–48 (Hungarian text) and 22 (English translation). Kopčan, Vojtech: Die osmanische Expansion und die Slowakei (Ergebnisse und Perspektiven). In: Asian and African Studies 16 (1980), 35–52, esp. 51–52. The term “condominium” is also used by Gábor Ágoston, though in a different context, to define “the joint rule of the former power elite and the Ottoman authorities”. See Ágoston, Gábor: A Flexible Empire: Authority and its Limits on the Ottoman Frontiers. In: Ottoman Borderlands: Issues, Personalities and Political Changes. Ed. by Kemal Karpat and Robert Zens. Madison 2003, 15–32, esp. 23. The most detailed treatment of the failed demarcation of 1538–1544 is by Veinstein, Gilles: L’occupation ottomane d’Očakov et le problème de la frontière lituano-tatare 1538–1544. In:

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solved for another century until the first successful demarcation in 1633.31 Yet, the lack of demarcated boundaries did not provoke any serious problems and the Polish-Ottoman relations remained peaceful for the whole 16th century and the large part of the 17th century. Though in the official diplomatic correspondence between Warsaw, Istanbul, and Bahçesaray the Polish court still claimed access to the Black Sea as late as 1620s, tacitly the Poles accepted the river Kodyma as their southern border.32 Polish-Ottoman peace treaties typically contained a clause regarding Tatar shepherds moving across the border and the mode of their taxation. A symptomatic attitude toward the border issues was voiced by a Polish statesman, Andrzej Potocki, in 1659. After the Cossack uprisings had almost ruined the Commonwealth, he proposed a forced expulsion of borderland inhabitants with the help of the Crimean Tatars: “There should be as few towns in the Ukraine, as there used to be, and when few [subjects] remain, they will be good.”33 Similarly in 1681, when the first Ottoman-Russian treaty was negotiated in Bahçesaray, neither side was allowed to settle or colonize the shores of the bordering river Dnieper.34 In 1703, during the post-Karlowitz Polish-Ottoman demarcation, the commissioners of both sides agreed that settlement should be restricted in the border area.35 Few artificial markers were placed along the post-Karlowitz Polish-Ottoman border, though some of them survived till the late 19th century.36 Further east, the OttomanRussian post-Karlowitz border was even vaguer. In the Russian demarcation protocol from 1705, preserved also in the Italian translation, we read that: “Questo stabilimento non l’habbiamo determinato con montoni o qualch’altri segni, ma sola-

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Passé Turco-Tatar présent soviétique. Études offertes à Alexandre Bennigsen. Ed. by Chantal Lemercier-Quelquejay, Gilles Veinstein and S. Enders Wimbush. Louvain-Paris 1986, 123–155. See also Dziubiński, Andrzej: Stosunki dyplomatyczne polsko-tureckie w latach 1500–1572 w kontekście międzynarodowym [Polish-Ottoman Diplomatic Relations in the Years 1500–1572 in the International Context]. Wrocław 2005, 173–177. Kołodziejczyk (cf. n. 13), 59. See my article: Inner Lake or Frontier? The Ottoman Black Sea in the Sixteenth and Seventeenth Centuries. In: Enjeux politiques, économiques et militaires en mer Noire (XVIe-XXIe siècles). Études à la mémoire de Mihail Guboglu. Ed. by Faruk Bilici, Ionel Cândea and Anca Popescu. Braila 2007, 125–139, esp. 129–130. “Aby tylko kilka horodow było, jako przedtym na Ukrainie, to kiedy ich niewiele będzie, to będą dobrzy.” Quoted in Kołodziejczyk, Dariusz: Od stanic kresowych do rogatek. Rozwój pojęcia granicy linearnej w Europie Wschodniej [From a watch-tower to a toll-bar. The development of the concept of linear boundary in Eastern Europe]. In: Barok. Historia-LiteraturaSztuka III/2 (1996), 53–59, esp. 54. For more bibliographical references, see ibid., 55. Idem (cf. n. 13), 627, 632 and 637. Słownik geograficzny Królestwa Polskiego i innych krajów słowiańskich [Geographical Dictionary of the Polish Kingdom and other Slavic countries]. Vol. 3. Ed. by Filip Sulimierski, Bronisław Chlebowski and Władysław Walewski. Warszawa 1882, 372. – Rehman, Antoni: Ziemie dawnej Polski i sąsiednich krajów słowiańskich Część druga: Niżowa Polska opisana pod względem fizyczno-geograficznym [The Lands of Ancient Poland and the Neighbouring Slavic Countries. Part two: Polish Lowlands described from physical and geographical perspective]. Lwów 1904, 174. Also quoted in Król-Mazur, Renata: Miasto trzech nacji. Studia z dziejów Kamieńca Podolskiego w XVIII wieku [The Town of three Nations. Studies of the history of Kamieniec Podolski in the 18th century]. Kraków 2008, 44.

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mente con quest’instrumento di scrittura [не иными знаками, но токмо […] на сихъ письмахъ ту границу [есмы] утвердили].”37 So far, our evidence confirms the theory: the pre-Karlowitz (and even postKarlowitz) Ottoman borders in Eastern Europe seemingly fit the definition of an open frontier proposed by McNeill and Abou-el-Haj, or the first “primitive” stage in border development as defined by Febvre and Sahlins. Yet, here problems begin. If a predilection toward “natural frontiers” was typical for the second, more advanced “military” stage of border-making, a fitting remark by a Polish commissioner can be found already in the aforementioned demarcation protocol of 1703. When asked about the Polish-Moldavian section of the Polish-Ottoman border, he reportedly answered: “Inter nos et Valachiam ipse Deus flumine Tyra dislimitavit.” His statement was duly translated into the Turkish document as well: “Bogdan arazisi ile bizim Lehlü topragının mabeynini Allahu ta‘ala Turla suyı ile kat‘ eylemişdir.”38 This sentence naturally calls to mind similar exclamations regarding the Pyrenees, originating from Western Europe of the same period. Another innovation, typically associated with the post-Karlowitz, “military” stage of border-making, is the cartography. In fact, maps were already used in the 16th century during numerous demarcations between Poland-Lithuania and Muscovy.39 Admittedly, maps were not so popular in the negotiations with the Porte. In 1640 Wojciech Miaskowski, the Polish envoy to Istanbul, had to trace the PolishOttoman border in sand with a singlestick, as there was no map available in the Topkapı Palace.40 However, in 1680, during the negotiations of the Treaty of Bahçesaray, the Russian envoys Vasilij Tjapkin and Nikita Zotov brought to the Crimea a “printed map of German press, depicting Muscovy and the whole Little Russia [i.e. Ukraine], both sides of the Dnieper as far as the Crimea and the Black Sea, all towns, settlements, rivers, wastelands, steppes, and forests, bearing the Latin and Polish inscriptions”.41 Further details were added in hand by a Ukrainian member of the Russian embassy, a Cossack scribe named Semen Rakovič. Finally, the inter37

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Russian text is published in: Polnoe sobranie zakonov Rossijskoj imperii, s 1649 goda [The Complete Collection of the Laws of the Russian Empire, from the year 1649]. Vol. IV: 1700– 1713. St. Petersburg 1830, 324–326, esp. 324. For the contemporary Italian translation, see Paris, Archives du Ministère des Affaires Etrangères, Mémoires et documents, Turquie, tome 1, fol. 148a-150b, esp. fol. 149a. Kołodziejczyk (cf. n. 13), 628, 633 and 638. Alexandrowicz, Stanisław: Rozwój kartografii Wielkiego Księstwa Litewskiego od XV do połowy XVIII wieku [The Development of Cartography in the Grand Duchy of Lithuania from the 15th till the mid-18th Century]. Poznań 1971, 100–101. “U wezyra wielkiego audyjencyja trzecia. Traktowaliśmy o wszystkich punktach legacyjej mojej szeroce. Mowy były o Kudaku, Kozakach, granicach. Przyszło mi delineować mu na ziemi palcatem, kiedy mapy nie było, Dniepr, Dniestr, Boh, Oczaków, Czarne Morze, Kijów i insze, bo niewiadom był nic.” See Wielka legacja Wojciecha Miaskowskiego do Turcji w 1640 roku [The Great Embassy of Wojciech Miaskowski to Turkey in the year 1640]. Ed. by Adam Przyboś. Warsaw 1985, 64. Murzakevič, N.: Spisok s statejnago spiska Velikago Gosudarja Ego Carskago Veličestva poslannikov: stol’nika i polkovnika i namestnika perejaslavskogo Vasil’ja Mixajlova syna Tjapkina, d’jaka Nikity Zotova [A copy of the detailed report by the envoys of the great Lordship, His Imperial Excellency: Vasilij Mixajlovič Tjapkin, an esquire carver, colonel, and the

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preters of the Russian embassy provided the hand inscriptions of Rakovič with Tatar (i.e. Arabic script) translations. Initially, this novelty was not appreciated on the Muslim side. Even though the inscriptions were in Tatar, the Crimean negotiators claimed that they could not read the map. Only after the Russians accused them of ignorance (недоумение), the Tatars accepted the map as the basis for border negotiations and even praised its accuracy.42 In this context, it is worth to recall the “measuring wheel” (мерное колесо) taken along by the Russian army of Prince Vasilij Golicyn during the Crimean campaign of 1689, apparently for cartographic purposes.43 Though the Russian knowledge of their southern border was still very imperfect, their first efforts to measure the steppe preceded the era of Peter the Great. Other “modern” phenomena, commonly associated with the 18th century European Enlightenment, were quarantines and sanitary cordons. Again, one should remember that the quarantine was known in Russia much earlier. In 1681, having concluded the Treaty of Bahçesaray, the Russia’s envoys returning from the Crimea were detained one month in Borysov-Gorodok in order to prevent a possible spread of epidemics. Standard procedure required that the content of their documents be loudly dictated through the wall of fire and smoke (чрезъ огонь), so that it may be recorded by a scribe sitting on the other side and immediately transferred to Moscow.44 By far the most confusing evidence can be found in the Polish-Ottoman demarcation effected after the Ottoman conquest of Podolia in 1672. While the first demarcation of 1673 was interrupted by the outbreak of new hostilities, the second one, concluded in 1680, provides us with the richest documentation regarding border-making in the whole history of Polish-Ottoman relations. Before the actual demarcation, both sides prepared impressive documentary and historical evidence in order to further their claims. In a letter to his envoy in Rome, the Polish king John III Sobieski (reg. 1674–1696) mockingly remarked: “The Turks […] found some old books, allegedly 900 years old (when there was neither Kamieniec nor Poland), and they dug out in them that Podolia had included localities […] of which there has been no mention in the treaties of Buczacz, Żurawno, and Constantinople. Apparently the same schoolmaster lectured de adiacentiis to these two monarchs, His Royal Majesty the French king and the Turkish emperor, as the French king acts in the same manner by claiming that [the province of] Metz includes Strasburg, Köln, and maybe the whole [German] Empire.”45

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lieutenant of Perejaslav, and Nikita Zotov, a diak]. In: Zapiski Odesskago obščestva istorii i drevnostej 2 (1850), 568–658, esp. 594. Ibid., 595. Lavrent’ev, Aleksandr V.: Ljudi i vešči. Pamjatniki russkoj istorii i kul’tury XVII–XVIII vv., ix sozdateli i vladel’cy [Men and Things. Artefacts of the Russian History and Culture of the 17th and 18th Century, their Manufacturers and Owners]. Moskva 1997, 137–150. Murzakevič (cf. n. 41), 652. A letter to Michał Kazimierz Radziwiłł dated in Jaworów on 21st August 1680. Warsaw, Archiwum Główne Akt Dawnych, Archiwum Radziwiłłów, dział III, listy Jana III Sobieskiego, sygn. 16. I would like to express my gratitude to Kirill Kočegarov for drawing my attention to this fragment.

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Effected between August and October 1680, this demarcation resulted in rich documentation, including two official protocols in Turkish and in Polish.46 When compared with the French-Spanish demarcation of 1868, treated by Sahlins as the most developed stage of border-making, the Polish-Ottoman demarcation of Podolia is barely inferior, though almost two centuries older. To give a sample, let us compare just two fragments: – –

Pyrenees, 1868: “The first stone is situated on the northeast side of the road from Puigcerdà to Llívia, at the site called Pontarro de Xirosa, next to the old stone which had been the boundary of Llívia, Ur, and Càldegues.”47 Podolia, 1680: “An earth mound was raised as a boundary marker on the top of a hill covered with an oak-grove, situated in the kıble direction from the road leading from Jazlivec’ and passing at the said place.”48

Admittedly, the only notable difference is that the nineteenth century border stones were numbered and the distance between them was recorded in meters, while in the seventeenth century the distance between boundary mounds was measured in hours of walk. A memoir by a Polish participant provides a vivid description of this demarcation: “When it came to raising a mound, the Turks, using spades attached to their saddles, in the twinkling of an eye raised a mound of turf after digging around a big oak trunk [that was] in the middle. Then, after finishing the job their superiors climbed on top of it and ululated like dogs with their faces turned up, praising God that they had conquered so much with the sword.”49 The Polish-Ottoman demarcation of 1680 was in no way devoid of conflicts. One such conflict resulted in huge correspondence between the border authorities. Finally two contested villages were entered in the Ottoman survey register (defter-i mufassal) as “being owned in common with the Poles” (kariye-i mezbur hududda vakı‘ olmakla sınurnamede Leh ile müşa‘ ve müşterek mukayyeddir).50 As we have seen earlier, such solutions were also typical for Ottoman Hungary. When comparing two Polish-Ottoman demarcation protocols, the pre-Karlowitz one dated 1680 and the post-Karlowitz one dated 1703, one reaches the paradoxical conclusion that the latter was more “primitive” thus less developed! Is it possible that Polish and Ottoman bureaucrats, having attained such a sophisticated level of border-making in 1680, forgot everything within less than one generation?! Moreover, even in 1680 only the western, Podolian section of the common border was strictly demarcated while the borders of Cossack Ukraine further to the east were left vague and open. This was done neither due to negligence nor lack of time. In another letter to his envoy in Rome, the Polish king explained that it was better not to specify the eastern part of the frontier. Recalling the treaty clause: Ukraina 46 47 48 49 50

Kołodziejczyk (cf. n. 13), 61–66, 545–580. Quoted after Sahlins (cf. n. 16), 304. Quoted after Kołodziejczyk (cf. n. 13), 571. See ibid., 62. Idem: The Ottoman Survey Register of Podolia (ca. 1681): Defter-i Mufassal-i Eyalet-i Kamaniçe. Part 1: Text, Translation, and Commentary. Cambridge/Mass. 2004, 19.

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Cosacis cedat, Sobieski expressed his hope for a quick return of the Cossacks under the Polish royal patronage concluding that “whoever the Cossacks choose will keep the Ukraine as well”.51 As we see, the opinion that royal jurisdiction over subjects had primacy over territorial control, typical for the first, “primitive” stage in Febvre’s typology, coincided with elements typical for the second, “military”, or even the third, “linear” stage during the very same demarcation. According to Febvre and Sahlins, the third stage of boundary-making, developed in the 19th century, was characterized not only by precise, linear demarcations, but also by the emotional, “national” attitude towards the borders. Yet, in a Polish embassy report composed as early as 1635 I came across a fascinating insight into the concept of the frontier, dated much earlier than the French Revolution. On their return journey from Moscow, the Polish-Lithuanian envoys were crossing the border river Polanovka. “As soon as we reached our side of the river,” recalls the report’s author, “each one of us felt that the world became merrier and the sky turned more sunny.”52 In fact, both sides of the river were inhabited by Orthodox Belarusian peasants, whose religion and language differed substantially from those of the Catholic Polish author of this report. It is also unlikely that the weather was different on hither and other side of the river. Yet, the emotional attitude, associated with the state border, presents a system of values that seems quite familiar to ours; one is tempted to say: a “modern” one.53 When I found the above quotation a few years ago, I wished one day to find a similar insight regarding the early modern Ottoman borders. Recently, in his lecture delivered at the Collège de France, Gilles Veinstein quoted a fitting passage from the Ottoman chronicle by Mustafa Selaniki: returning from the Hungarian campaign of 1566, while crossing the river Sava Grand Vizier Mehmed Sokollu reportedly exclaimed: “Şimden gerü içil dir.” In the French translation by Veinstein it sounds: “Maintenant, nous sommes rentrés chez nous.”54 As a matter of fact, in the 16th century Sava did not constitute the “real” Ottoman border which ran further north in Hungary. Yet, its role as a “national” border was later confirmed by a local proverb recorded by Ivo Andrić: “Turčin do Save a Švabo od Save.”55 51 52

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A letter to Michał Kazimierz Radziwiłł dated in Jaworów on 8th August 1680. Warsaw, Archiwum Główne Akt Dawnych, Archiwum Radziwiłłów, dział III, listy Jana III Sobieskiego, sygn. 16. “Weselszy świat i pogodniejsze niebo zdało się być każdemu z nas, skorochmy na naszą stronę rzeki przebyli.” See: Cracow, Biblioteka PAN, ms. 1050, fol. 43a. The quoted fragment follows the relation from the embassy of Lew Sapieha in 1600–1601, thus it is mistakenly recorded in the catalogue as a part of that former relation. In fact, the embassy of 1635 was headed by Aleksander Piaseczyński and Kazimierz Lew Sapieha. Over a century later (though still before the French Revolution), a leading intellectual of the Polish Enlightenment, Stanisław Staszic, argued that thanks to the Polish republican liberty, the air on the hither side of the border is fresher, the wind blows more gently, and even the birds twitter merrier. See Grześkowiak-Krwawicz, Anna: Regina libertas. Wolność w polskiej myśli politycznej XVIII wieku [Regina libertas: Liberty in the Polish Political Thought of the 18th Century]. Gdańsk 2006, 328 and 488, note 154. Veinstein, Gilles: La frontière ottomane en Europe jusqu’à la fin du XVIIe siècle. In: Cours et travaux du Collège de France (2004/05), 687–702, esp. 694. Andrić, Ivo: Travnička hronika (online edition: http://fliiby.com/file/17414/oc8ri7povv.htmel,

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To sum up, throughout the entire early modern era “archaic” elements coexisted with elements that we associate today with a “modern” notion of the border. Nevertheless, even in our days these archaic elements have not disappeared altogether. The Polish railway system on the right bank of the Vistula remains underdeveloped today because the nineteenth century Russian military authorities feared a German invasion. Fenced military frontiers, devoid of population, ran across Europe, or even across city centres like in Berlin or Nicosia, not so long ago. The European rationalism did not succeed in eliminating enclaves, commonly associated with the medieval seigniorial law. The largest European enclave – Eastern Prussia – after having “provoked” the Second World War, survived to our days in the form of a Russian oblast’. If elimination of enclaves is a proof of modernity, today’s Switzerland with its enclaves along the German and Italian borders should be regarded the least developed state in Europe. When studying early modern Ottoman borders I would propose to apply a less chronological and more ecological and anthropological approach. In densely populated, agricultural areas such as Dalmatia, Hungary, or Podolia, the borders tend to be quite precisely delimited already in the 16th and 17th century. Yet, the East European steppe, similarly to North African deserts or Caucasian and Yemeni mountains enforced a different type of approach with a loosely defined frontier and the preservation of so-called “tribalism”.56 One should not forget that even in the 19th century, under the French administration, the Algerian frontiers with Morocco were demarcated only as far as Teniet sidi-Sassi, circa 120 km from the Mediterranean. Beyond Teniet sidi-Sassi extended the barely controllable pays du fusil.57 Gábor Ágoston is definitely right when he concludes that “the action-radius of Ottoman centralism was greatly reduced by its rivals”.58 Yet, one must not forget that ecology played an equally important role in limiting the state control, not just on the frontiers but within the Ottoman realm as well. The Ottoman control of the Kurdish or Albanian territories was never as complete as their control of typically agricultural, even if more distant provinces.59 Unfortunately, most studies of Ottoman borders have been focused so far on their land borders with Christian neighbours in Europe as

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9th September 2008). Cf. a German translation of this proverb “Bis an die Sawe regiert der Türke und von der Sawe an der Schwabe” in Idem: Wesire und Konsuln. München 1961, 79; quoted after Koller, Markus: Bosnien an der Schwelle zur Neuzeit. Eine Kulturgeschichte der Gewalt (1747–1798). München 2004, 199. In India, dense forests played an analogous role to deserts or mountains. Studying early Muslim states in Bengal, Richard Eaton concludes that “the territorial reach of Turkish domination stopped at the edge of forests, only penetrating further when the forest itself was cleared”. See Eaton, Richard: The Rise of Islam and the Bengal Frontier, 1204–1760. Berkeley 1993, XXIV. Tayeb, Chenntouf: La dynamique de la frontière au Maghreb. In: Des frontières en Afrique du XIIe au XXe siècle. Paris 2005, 191–206, esp. 197–198. Ágoston (cf. n. 29), 29. To quote Mehmed Öz: “Ottoman historians have realized that the Ottomans, taking regional differences into account, adopted a pragmatic, flexible approach in administration of the areas they conquered.” See Idem: Ottoman Provincial Administration in Eastern and Southeastern Anatolia: the Case of Bidlis in the Sixteenth Century. In: Ottoman Borderlands: Issues, Personalities and Political Changes. Ed. by Kemal Karpat and Robert Zens. Madison 2003, 145– 156, esp. 145.

Ottoman Frontiers in Eastern Europe

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this led to – perhaps undue – overestimation of ideological aspects over more earthly factors such as physical limits to effective state control in any given period.60

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Toutes proportions gardées, a similar proposal is made by Nicola Di Cosmo in his study of Ancient China’s northern frontier: Di Cosmo singles out three groups of factors responsible for shaping this frontier: 1) ecological and economic; 2) cultural; 3) political. See Cosmo, Nicola Di: Ancient China and Its Enemies. The Rise of Nomadic Power in East Asian History. Cambridge 2002, 45.

Ernst D. Petritsch

Grenz- und Raumkonzeptionen in den Friedensverträgen von Zsitvatorok und Karlowitz Einleitung Die Friedensverträge von Zsitvatorok 1606 und Karlowitz (serb. Sremski Karlovci) 1699 markieren wichtige Wendepunkte in den österreichisch-omanischen Beziehungen.1 In Zsitvatorok wurde die für die Habsburger so lästige Tributpflicht beseitigt und die Gleichrangigkeit der beiden Herrscher fixiert.2 In Karlowitz mussten die Osmanen endgültig auf Ungarn und Siebenbürgen verzichten; die Habsburger waren fortan nicht mehr bloß nominelle Könige von Ungarn. Diese Friedensverträge sind fast einhundert Jahre voneinander getrennt, dennoch weisen sie einige bemerkenswerte Ähnlichkeiten auf. In den folgenden Ausführungen sollen zunächst diese Parallelen einleitend kurz hervorgehoben und die historischen Hintergründe beleuchtet werden, ehe sich der Fokus auf die in den Friedensverträgen erkennbaren Grenz- und Raumkonzeptionen richtet. Beide Friedensabkommen bedeuteten das Ende langer Kriege von jeweils rund 15 Jahren Dauer und bildeten damit den vorläufigen Abschluss zweier Konflikte, die auf beiden Seiten mit wechselndem Erfolg geführt worden waren. Entscheidend gefördert wurde die Friedensbereitschaft der osmanischen bzw. habsburgischen Seite vor dem Hintergrund der Länge und der Intensität der Kriege, da sich beide Gegner finanziell und personell erschöpft hatten. Es gab jedoch auch Versuche, die erwähnten Kriege schon wesentlich früher zu beenden. Diese Bemühungen, die immer von der osmanischen Seite ausgegangen waren, scheiterten allerdings vorerst. Die endgültigen Friedensverhandlungen wurden schließlich durch neutrale Mächte vermittelt, die bei ihrer Vermittlungstätigkeit aber auch eigene Interessen verfolgten. Ein gemeinsames Charakteristikum beider Friedenskonferenzen bestand ferner darin, dass sie an der Grenze – im Niemandsland – stattfanden. Die unwirtliche Gegend ohne jegliche Bequemlichkeit förderte auf beiden Seiten sicherlich das Interesse, die Verhandlungen nicht unnötig in die Länge zu ziehen. Gemäß dem islamischen Scheriatrecht war es muslimischen Herrschaften untersagt, mit christlichen Staaten einen dauerhaften Frieden zu schließen. Die islami1 2

Vgl. Chronologisches Verzeichnis der österreichischen Staatsverträge. Die österreichischen Staatsverträge von 1526 bis 1763. Hg. v. Ludwig Bittner. Wien 1903, 33 n. 172 und 115 n. 601 inklusive den dort angegebenen Editionen. Von den Habsburgern wurden die im Waffenstillstand von 1547 fixierten Tributzahlungen von jährlich 30.000 Dukaten euphemistisch meist „Ehrengeschenke“ genannt. Petritsch, Ernst D.: Tribut oder Ehrengeschenk? Ein Beitrag zu den habsburgisch-osmanischen Beziehungen in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. In: Archiv und Forschung. Das Haus-, Hof- und Staatsarchiv in seiner Bedeutung für die Geschichte Österreichs und Europas. Hg. v. Elisabeth Springer und Leopold Kammerhofer. Wien-München 1993, 49–58.

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sche Welt, das „Haus des Islam“ (Dar al-islam) wurde in einem permanenten Krieg mit den nicht-muslimischen Staaten gesehen, die demgegenüber bezeichnenderweise „Haus des Krieges“ (Dar al-harb) genannt wurden.3 Friede im eigentlichen Sinn war nicht vorgesehen, streng genommen lediglich eine Unterwerfung unter den Machtbereich des Islam. Da in der Praxis allerdings öfter die Notwendigkeit bestand, mit christlichen Staaten einen Waffenstillstand zu schließen, wurden solche Verträge stets zeitlich limitiert, wie dies bereits der Prophet Muhammad gehandhabt hatte. Im 16. Jahrhundert waren die Waffenstillstandsabkommen jeweils auf acht Jahre befristet worden, abgesehen vom allerersten bilateralen Vertrag 1547, der für fünf Jahre vereinbart worden war.4 Im 17. Jahrhundert wurden die habsburgisch-osmanischen Verträge generell für eine Dauer von zwanzig Jahren geschlossen, so auch der Friede von Zsitvatorok. Jener von Karlowitz wurde dagegen bereits für eine Laufzeit von 25 Jahren vereinbart. Der 20-jährige Friede von Zsitvatorok wurde noch während der vereinbarten Vertragsdauer und auch danach mehrfach verlängert und währte somit bis zum Ausbruch eines neuen osmanischhabsburgischen Krieges im Jahr 1664. Der 25-jährige „Friede“ von Karlowitz hingegen wurde bereits vor Ablauf der Frist gebrochen: Nachdem Kaiser Karl VI. (1711–1740) in Rastatt (1714) mit Frankreich Frieden geschlossen hatte, erneuerte er das bereits 1684 im Rahmen der „Heiligen Allianz“ fixierte Bündnis mit der Republik Venedig und erklärte 1716 den Osmanen den Krieg.

Die vorangegangenen „Türkenkriege“ und erste Bemühungen um einen Frieden Der „Rudolfinische Türkenkrieg“5 (1591/93–1606) wurde mit wechselnden militärischen Erfolgen geführt: Die strategisch wichtige Grenzfestung Raab (ung. Győr) ging für die Habsburger zwar im Jahr 1594 verloren, andererseits gelang es den kaiserlichen Truppen im folgenden Jahr, die Festungen Gran (ung. Esztergom) und Blindenburg (ung. Visegrád) einzunehmen. Als die kaiserlichen Truppen im März 1598 die Festung Raab zurückeroberten, wurde dies von der habsburgischen Propaganda überschwänglich gefeiert. Dagegen konnten die Osmanen 1596 die Festung Erlau (ung. Eger) einnehmen. Im Herbst 1598 setzte eine Phase intensiver diplomatischer Bemühungen um die Beendigung des Krieges ein, ausgelöst durch erste Kontakte zwischen Erzherzog Maximilian III. einerseits und dem Khan der Krim, Gazi Giray, andererseits.6 3 4 5 6

Vgl. weiterführend Khadduri, Majid: War and Peace in the Law of Islam. Baltimore 1955. – Kissling, Hans Joachim: Rechtsproblematiken in den christlich-muslimischen Beziehungen, vorab im Zeitalter der Türkenkriege. Graz 1974. Petritsch, Ernst D.: Der habsburgisch-osmanische Friedensvertrag des Jahres 1547. In: Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 38 (1985), 49–80. Siehe ausführlicher bei Niederkorn, Jan Paul: Die europäischen Mächte und der „Lange Türkenkrieg“ Kaiser Rudolfs II. (1593–1606). Wien 1993. – Geschichte Ungarns. Hg. v. István György Tóth. Budapest 2005, 249–264. Diese bisher nur wenig beachteten diplomatischen Bemühungen lassen sich anhand der Tur-

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Im Mai 1599 traf sogar eine krimtatarische Gesandtschaft am Hof von Kaiser Rudolf II. (1576–1612) in Prag ein, die von einem gewissen Alexander Paläologos angeführt wurde. Der Grieche verhandelte bald auch im Auftrag von Sultan Mehmed III. (1595–1603) mit den Abgesandten von Erzherzog Matthias, der von seinem kaiserlichen Bruder mit der Durchführung von Friedensgesprächen beauftragt worden war. Im Oktober 1599 kam es tatsächlich – allerdings nur ein einziges Mal – zu einem Treffen der beiden Delegationen auf einer Donauinsel stromabwärts von Gran. Die Gespräche scheiterten schließlich an den beiderseitigen Forderungen nach Abtretung strategisch wichtiger Grenzfestungen. Mit dem Abbruch der Verhandlungen hatten die Habsburger in diesem Krieg die letzte Chance vergeben, aus einer relativen Position der Stärke heraus verhandeln zu können. Bereits im folgenden Jahr 1600 nahmen die Osmanen die strategisch bedeutende Festung Kanischa (ung. Nagykanizsa) ein, wogegen den kaiserlichen Truppen lediglich vorübergehende Erfolge beschieden waren: Die eroberten Festungen Stuhlweißenburg (ung. Székesfehérvár) (1601), Pest (1602) und Hatvan (1603) gingen bald wieder verloren. 1605 eroberten die Osmanen darüber hinaus noch Blindenburg, Wesprim (ung. Veszprém) und Gran zurück. Dadurch hatten sie ihre Position in Ungarn sogar noch ausbauen können und dies, obwohl sie inzwischen in einen Zweifrontenkrieg verwickelt worden waren. Als 1603 Ahmed I. (1603–1617), der erst 13-jährige Sohn Sultan Mehmeds III., nach dem Tod seines Vaters den osmanischen Thron bestieg, sah er sich nicht nur mit einem durch den persischen Schah Abbas I. (1587–1629) eröffneten Krieg, sondern gleichzeitig auch mit einem bedrohlichen Aufstand in Ostanatolien konfrontiert. Auf der anderen Seite lösten die habsburgischen Besatzungstruppen in Siebenbürgen durch das zügellose Treiben der Soldateska und durch übertriebene Maßnahmen zur Rekatholisierung des Landes einen allgemeinen Aufstand aus, dessen sie bald nicht mehr Herr wurden.7 Nachdem sich Stephan Bocskai an die Spitze der antihabsburgischen Bewegung gestellt hatte, schlossen sich auch die christlichen Truppen in den Festungen Oberungarns den Aufständischen an. Als Rudolf II. auf osmanischen Druck hin im Frieden von Wien (23. Juni 1606) Stephan Bocskai als gewählten Fürsten von Siebenbürgen anerkennen musste, stellte dies für den römisch-deutschen Kaiser eine peinliche Demütigung dar. Denn erst unter dieser Bedingung war Sultan Ahmed I. zu Friedensverhandlungen bereit – zu Verhandlungen, die noch dazu durch eine ungarisch-siebenbürgische Delegation vermittelt werden sollten! Die erfolglose Belagerung und der Entsatz von Wien im Jahr 1683 lösten ebenfalls einen circa 15 Jahre dauernden „Langen Türkenkrieg“ aus. Die kaiserlichen Truppen übernahmen zunächst die Initiative: Langsam aber stetig wurden die Osmanen aus Ungarn zurückgedrängt, u.a. wurden Ofen (ung. Buda) 1686 und Belgrad (serb. Beograd) 1688 eingenommen.8

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cica-Akten des Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchivs (fortan HHStA) gut rekonstruieren: Türkei I (Turcica) K. 81, 82. Darüber zuletzt Roth, Harald: Kleine Geschichte Siebenbürgens. Köln-Weimar-Wien 32007 [11996], 61. Szakály, Ferenc: Hungaria Eliberata. Die Rückeroberung von Buda im Jahr 1686 und Un-

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Genau zu dieser Zeit begaben sich der damals leitende, etwa 70-jährige Hofbedienstete Zülfikar Efendi und der Pfortendolmetscher Alexander Mavrokordato (1641–1709) – wiederum ein Grieche – nach Wien, um die Thronbesteigung von Sultan Süleyman II. (1687–1691) anzuzeigen und um gleichzeitig einen Waffenstillstand zwischen den Krieg führenden Mächten anzubahnen. Unterwegs mussten die beiden Gesandten die Eroberung Belgrads durch die kaiserliche Armee miterleben.9 Bevor jedoch Friedensgespräche in der Residenzstadt beginnen konnten, wofür nach den Bestimmungen der „Heiligen Liga“ das Einverständnis aller Verbündeten erforderlich war und woran seitens der Habsburger auch kein sonderliches Interesse bestehen konnte, wurden die Gesandten vier Monate lang in der niederösterreichischen Burg Pottendorf interniert. In den Monaten Februar bis Juni 1689 fanden am Sitz der niederösterreichischen Regierung in Wien, dem „Landhaus“, insgesamt 14 Zusammenkünfte statt, die zu keinem Ergebnis führten.10 Anschließend wurden die Gesandten und ihr Gefolge zunächst in Komorn (ung. Komárom, sk. Komárno) und danach wiederum in Pottendorf interniert. Erst im April 1692 wurde ihnen auf Intervention des böhmischen Kanzlers Franz Ulrich Graf Kinsky (1634–1699) die Rückkehr in die Heimat gestattet.11 Nach ersten Erfolgen der kaiserlichen Truppen stellten sich aber Rückschläge ein – 1690 ging etwa die Festung Belgrad wieder verloren –, so dass Sultan Mustafa II. (1695–1703), seit dessen Regierungsantritt die osmanische Politik merklich aggressiver geworden war, schließlich ernsthaft an eine Rückeroberung Ungarns denken durfte. Unter dem Oberkommando des Kurfürsten Friedrich August I. von Sachsen, „des Starken“ (1670–1733), von den Osmanen „der Hufeisenbrecher“ genannt, agierte das kaiserliche Heer in Ungarn wenig erfolgreich. Kurz nachdem der Kurfürst Ende Juni 1697 als August II. zum König von Polen-Litauen gewählt worden war und Prinz Eugen (1663–1736) den Oberbefehl über die kaiserlichen Truppen in Ungarn übernommen hatte,12 wurde die osmanische Armee am 11. September 1697 bei Zenta, während des Übergangs über den Fluss Theiß, vernichtend geschlagen. Sultan Mustafa II. war nun gezwungen, seine Pläne zur Rückgewinnung Ungarns aufzugeben und Frieden zu schließen. Auf der anderen Seite wünschte auch Kaiser Leopold I. (1658–1705) – trotz des militärischen Erfolges – keine Fortsetzung des Türkenkrieges, war doch bereits absehbar, dass über kurz oder lang ein Krieg um das spanische Erbe ausbrechen würde. Zar Peter I., „der Große“ (1672–1725), versuchte zwar, Kaiser Leopold I. zur Fortführung zu bewe-

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garns Befreiung von der Osmanenherrschaft (1683–1718). Budapest 1986, 51–98. Zum Forschungsstand vgl. Fazekas, István: Die Epoche zwischen 1683–1740 in der ungarischen Geschichtswissenschaft. In: Zenta 1697. Neubeginn für Ungarn und Österreich. Ausstellung anlässlich des 300. Jahrestages der Schlacht bei Zenta. Wien-Budapest 1997, 10–18. Die Begegnung wurde durch den Maler Jacopo Amigoni bildlich festgehalten. Abbildung siehe bei Mraz, Gottfried: Prinz Eugen. Ein Leben in Bildern und Dokumenten. München 1985, 75. Ihr Gesandtschaftsbericht wurde ediert, übersetzt und kommentiert von Jobst, Wolfgang: Der Gesandtschaftsbericht des Zū’l-Fiqar Efendi über die Friedensverhandlungen in Wien 1689. Phil. Diss., Wien 1980. HHStA Türkische Urkunden und Staatsschreiben, 1692 April 18. Mraz (wie Anm. 9), 268 f.

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gen, und reiste allein zu diesem Zweck von den Niederlanden über Prag nach Wien, musste allerdings ohne einen greifbaren Erfolg nach St. Petersburg heimkehren.

Friedensdelegationen und Friedensvermittler Der Friede von Zsitvatorok wurde im umkämpften Grenzgebiet an der Mündung des Flüsschens Zsitva in die Donau („in castris inter Danubium et fluvium Sitwa positis“), heute in der Slowakei gelegen, ausgehandelt und unterzeichnet.13 In einer – wie eingangs bereits erwähnt – unwirtlichen Gegend, so dass keine der Delegationen eine bewusste Verzögerungstaktik betrieben haben dürfte. Auch 1698 einigte man sich auf einen Verhandlungsort im umstrittenen Niemandsland, außerhalb des kleinen Dorfes Karlowitz, südlich der Donau in Syrmien gelegen. Nicht weit davon bezogen die Verhandlungsdelegationen ihre Zeltlager, die angesichts der fortgeschrittenen Jahreszeit nicht viel Bequemlichkeit boten. Der Boden bestand je nach Witterung aus knöcheltiefem Schlamm oder war gefroren, der Nachschub war auf der Donau durch Stürme gefährdet, zu Lande wegen der unpassierbaren Wege kaum möglich. Im Jahr 1606 standen an der Spitze der habsburgischen Delegation die Hofkriegsräte und Obristen der Artillerie, Johannes von Mollard und Adolf von Althan, auf osmanischer Seite Ali Pascha, Beglerbeg von Ofen (ung. Buda, türk. Budun), und Habil Efendi, Kadi von Ofen. Die ungarisch-siebenbürgische Delegation stand unter der Leitung von Stephan Illésházy, der wenige Monate zuvor in Wien den Frieden zwischen Rudolf II. und Stephan Bocskai vermittelt hatte, und Paul Nyáry. Die kaiserliche Verhandlungsdelegation 1698/99 wurde vom Präsidenten des Reichshofrats, Wolfgang Graf von Oettingen (1629–1708), und von General-Feldwachtmeister Leopold Graf Schlick angeführt. Die osmanische Delegation stand unter der Leitung von Mehmed Rami Efendi und dem Pfortendolmetscher Alexander Mavrokordato, der bereits in den Jahren 1688 bis 1692 an den vergeblichen Friedensgesprächen teilgenommen hatte. Auch der Friede von Karlowitz wurde 1698/99 durch neutrale Mächte vermittelt: Die protestantischen Seemächte Großbritannien und die Niederlande, von Wilhelm III. in Personalunion regiert (1688– 1702), waren aus handelspolitischen Gründen an friedlichen Verhältnissen in Südosteuropa interessiert und initiierten Verhandlungen, so wie sie bereits 1697 in Rijswijk erfolgreich Frieden vermittelt hatten. Auf ihre Kosten wurde auf freiem Feld ein hölzernes Konferenzhaus errichtet, dessen Grundriss dem Palast von Rijswijk entsprach, der sich bei den Friedensverhandlungen insofern bewährt hatte, als die Delegationen den Verhandlungssaal zur gleichen Zeit durch separate Türen betreten konnten.14 Als Vermittler fungierten der britische bzw. der niederländische Gesandte an der Hohen Pforte, Robert Sutton und Jakob Colyer. Letzterer wurde zum Dank für seine erfolgreiche Friedensvermittlung am 04. September 1699 durch 13 14

Heute in der Slowakei, circa 14 Kilometer östlich von Komorn gelegen. Abbildung des Konferenzgebäudes und des Verhandlungszelts: HHStA Türkei IX, 1698. Siehe auch: Österreich und die Osmanen. Gemeinsame Ausstellung der Österreichischen Nationalbibliothek und des Österreichischen Staatsarchivs. Wien 1983, 185 f. und 290.

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Kaiser Leopold I. in den Reichsgrafenstand erhoben.15 Zum ersten Mal saßen osmanische Gesandte aber nicht nur kaiserlichen Bevollmächtigten gegenüber, sondern – wenngleich in separaten Sitzungen – zugleich auch Abgeordneten anderer christlicher Staaten, nämlich Polens, Russlands und Venedigs. Den Mitgliedern der sog. Heiligen Allianz, der die genannten Länder angehörten, war es untersagt, einen Separatfrieden mit den Osmanen abzuschließen. Bei den österreichisch-osmanischen Verhandlungen konnte bereits im November 1698 eine weitgehende Einigung erzielt werden. Insgesamt waren allerdings 36 Konferenztage erforderlich, um sämtliche Verhandlungen zu Ende zu führen. Es stellt sich nun die Frage, ob und inwieweit in den Friedensverträgen von 1606 und 1699, besonders im Vertrag von Zsitvatorok, tatsächlich „Grenz- und Raumkonzeptionen“ enthalten sind. Handelt es sich nicht vielmehr um „Grenz- und Raumprobleme“, die nicht einmal angesprochen, geschweige denn gelöst worden sind? Diese Problematik soll anhand der Vertragstexte untersucht werden, wobei nicht außer Acht gelassen werden darf, dass dazu Übersetzungen aus unterschiedlichen Sprachen in das Deutsche herangezogen werden: Die habsburgischen Vertragstexte waren gewöhnlich in lateinischer, die osmanischen in osmanisch-türkischer Sprache abgefasst. Außerdem darf nicht von gemeinsam formulierten, einheitlichen Vertragstexten ausgegangen werden. In der Praxis ergaben sich dadurch mitunter auch inhaltliche Differenzen, die besonders markant im Artikel 11 des Friedensvertrages von Zsitvatorok zu Tage treten, in dem das Ende der habsburgischen Tributpflicht verankert wurde.16 In der habsburgischen Fassung hieß es lapidar: „Nun soll der Gesandte Seiner kaiserlichen Majestät, wie versprochen, Geschenke im Wert von zweihunderttausend Gulden – semel pro semper – ein für alle Mal überbringen.“ In der osmanischen Version lautete derselbe Punkt: „Sobald der Bote des Kaisers von Nemče [Österreich!] mit dem eben erwähnten Geschenk im Heim der Glückseligkeit ankommt, soll er sein Geschenk, nach Übereinkommen genau zweihunderttausend Guruš [Gulden], in Bargeld und Geschenkstücken überreichen.“ Der Betrag von 200.000 Gulden wird allerdings nur in der osmanischen Fassung im vorangegangenen Punkt 10 erwähnt: „Sobald der Großbotschafter mit dem nun besprochenen Bargeld und den Geschenken im Gesamtwert von zweihunderttausend Guruš vor seiner Majestät, unserem glücklichen Padischah erscheint, soll auch Seine Erhabenheit, unser glücklicher Serdar, einen seiner berühmten Sandschakbeys mit Geschenken, die seiner Macht würdig sind, zu seiner Hoheit dem Herzog,17 schicken.“18 15 16

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Allgemeines Verwaltungsarchiv Wien, ehemaliges Adelsarchiv, Reichsakten Colyer. Für unsere Untersuchung wurden herangezogen: Conditiones Pacis inter Romanorum et Turcicum Imperatorem, Rudolphum II. et Achometem I. Sultanum, ut illae anno superiori MDCVI inter utrosque tractatae et conclusae sunt, o. O. 1615. Hier Druck aus dem HHStA Türkische Urkunden und Staatsschreiben, 1606 XI 6. Als Faksimile mit deutscher Übersetzung herausgegeben in: Der Friede von Zsitvatorok 1606. Wien 2006. Die deutsche Übersetzung der osmanischen Ratifikation wurde ediert und übersetzt in: Die türkischen Schriften aus dem Archiv des Palatins Nikolaus Esterházy. Hg. v. Ludwig Fekete. Budapest 1932, 207–213. Gemeint ist Erzherzog Matthias (1557–1619, römisch-deutscher Kaiser 1612–1619). Vgl. Die Habsburger. Ein biographisches Lexikon. Hg. v. Brigitte Hamann. Wien 1988, 353–356. Fekete (wie Anm. 16), 210. In den Conditiones Pacis heißt es: „Von unserer Seite soll ein

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Das eigentliche Grundproblem in den bilateralen Beziehungen, nämlich das Fehlen einer klaren Grenzziehung, wurde auch in Zsitvatorok nicht angetastet. Priorität besaßen stattdessen zeremonielle Fragen: „[…] die beiden Kaiser mögen einander, der eine als Sohn, der andere als Vater annehmen“19 bzw. „wie ein Sohn an den Vater und ein Vater an den Sohn schreiben“,20 wobei offengelassen wurde, wer von den beiden Monarchen die Vaterrolle einnehmen sollte. Von entscheidender Bedeutung für die habsburgische Seite war Punkt 2: „In dem von […] Seiner Majestät unserem glücklichen Padischah verfassten großherrlichen Schreiben soll Roma-i Časar [Römischer Kaiser] geschrieben und nicht der Titel eines Königs gebraucht werden.“21 Nachdem in Punkt 4 festgehalten wurde, dass der Friede für sämtliche Untertanen und Verbündeten – namentlich besonders auch für die Tataren – Gültigkeit besäße, hieß es in Artikel 5: „Alle Streifzüge sollen gänzlich unterlassen werden“, d.h., dass „allerlei Banden zu bestehen aufhören sollen.“ Für den Gegenfall wurden im selben Punkt auch etwaige Interventionsmöglichkeiten angesprochen: „Falls aber Räuber erscheinen und einer der beiden Seiten Schaden zufügen, soll erlaubt sein, die Übeltäter einzukerkern und die Gegenseite von ihrer Gefangennahme in Kenntnis zu setzen.“22 Ganz allgemein gehalten sind die Bestimmungen in Punkt 6: „Festungen zu überfallen und einzunehmen, sei es heimlich, offenkundig oder durch andere Praktiken, soll nicht erlaubt sein, auch nicht, sie unter irgendeinem Vorwand zu besetzen, weder Menschen von irgendeiner Seite in Gefangenschaft zu führen noch üblen Menschen und den Feinden beider Kaiser Unterschlupf und Schutz zu gewähren.“23 Gleiches gilt für den Punkt 7, der die Kriegsgefangenen betraf: „[…] dass jene Gefangenen auf beiden Seiten, deren Lösegeld vor dem Frieden bestimmt worden ist, nach Bezahlung ihres Lösegeldes freigelassen werden sollen; diejenigen aber, deren Lösegeld bis zum Zeitpunkt des Friedensschlusses nicht bestimmt worden ist, sollen gegen andere entsprechende Gefangene ausgetauscht werden. Nach dem Friedensschluss darf niemand Gefangene halten […] ohne Zahlung von Lösegeld soll er frei gelassen werden und diejenigen, die ihn gefangen halten, sollen ausgescholten werden, und zwar von beiden Seiten.“24 Erst Artikel 9 betraf die Grenzfestungen: „Jeder der beiden Seiten soll erlaubt sein, Festungen an ihrem ursprünglichen Ort wieder aufzubauen und zu befestigen. Neue Burgen und Kastelle zu errichten, soll aber nicht erlaubt sein.“25 Danach

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Gesandter mit Geschenken an den Türkischen Kaiser geschickt werden, und der hoch angesehene Serdar Murad Pascha soll ebenfalls seinen Gesandten an unseren Durchlauchtigsten Erzherzog Matthias, unseren gnädigsten Herrn, mit Geschenken schicken.“ Conditiones Pacis (wie Anm. 16), Artikel 11. Ebd., Artikel 1. Fekete (wie Anm. 16), 208. „In allen Schreiben, Briefen und Besuchen soll höflich vorgegangen werden, einer soll den anderen als Kaiser, nicht aber als König titulieren.“ Ebd. Conditiones Pacis (wie Anm. 16), Artikel 4 und 5 sowie Fekete (wie Anm. 16), 209. Conditiones Pacis (wie Anm. 16), Artikel 6. Fekete (wie Anm. 16), 208 f. Conditiones Pacis (wie Anm. 16), Artikel 9 und Fekete (wie Anm. 16), 210.

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folgten die bereits erwähnten Bestimmungen über „Geschenke“ (Artikel 10 und Artikel 11) sowie die Festschreibung der Gültigkeitsdauer des Abkommens im Ausmaß von 20 Jahren (Artikel 12).26 Da, wie bereits angesprochen, in Zsitvatorok keine genauen Grenzziehungen vereinbart wurden und dies auch nicht vorgesehen war, wurde es notwendig, die Zugehörigkeit einzelner Festungen vertraglich zu regeln. Dabei konnte es wiederum zu inhaltlichen Differenzen kommen, wie beispielsweise in Artikel 13: „Waitzen [ung. Vác] kann wieder aufgebaut und verstärkt [!] werden und verbleibt in unserem Besitz.“ Hingegen heißt es in der osmanischen Fassung, „dass die Palanke Vác im jetzigen Umfange ausgebessert, aber nicht [!] vergrößert werden soll; sie soll so groß bleiben, wie sie ist“. Ohne irgendeinen logischen Zusammenhang besagte Artikel 14, „dass die Boten des Kaisers von Nemče, sobald sie bei Seiner Majestät unserem glücklichen und hochgeehrten Padischah erscheinen, um alles, worum sie zu bitten haben, bitten sollen“.27 In den abschließenden drei Artikeln 15 bis 17 war es erforderlich, die Zugehörigkeit ganzer Distrikte zu definieren. Diese drei Punkte waren daher im Vergleich zu den anderen Artikeln entsprechend umfangreicher, jedoch wichen sowohl Reihenfolge als auch inhaltliche Zuordnung in den beiden Ausfertigungen ab: „Der fünfzehnte Punkt besagt, dass jene Dörfer, die sich seit der Eroberung der Festung Egri [Erlau] bis heute unterwürfig gezeigt und ihre Steuern bezahlt haben, sich auch nachher unterwerfen und ihre Steuern zahlen sollen. – Der sechzehnte Punkt besagt, dass die den Festungen Filek [ung. Fülek, sk. Fil’akovo], Seçen [ung. Szécsény] und Novigrad [ung. Nógrád] gehörigen Dörfer, die den Festungen Egri, Hatvan, Budun und Estergon dienstpflichtig gewesen sind, sich auch weiterhin unterwerfen und ihre Steuern bezahlen sollen.“28 Artikel 17 betraf schließlich jene Orte, die zur Festung Kanischa gehörten, welche im Jahr 1600 von den Osmanen erobert

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Ebd., 211. Ebd. – In den Conditiones Pacis heißt es: „Sooft Gesandte Seiner Kaiserlichen Majestät an die Pforte kommen, steht es ihnen frei, vom Türkischen Kaiser zu begehren, was sie wollen.“ Conditiones Pacis (wie Anm. 16), Artikel 14. Fekete (wie Anm. 16), 212. – In den Conditiones Pacis heißt es dahingehend: „Bezüglich der untertänigen Dörfer wurde vereinbart, dass jene, die mit den Burgen Filek, Somoskeö, Ainaczkeö, Divin, Kekkö, Zechén, Giarmath, Palanka, Nograd und Vacia von türkischer Unterwerfung und Unterjochung [!] befreit sind, diesen [den Türken] auch in Zukunft nicht untertänig und tributpflichtig sein sollen, nachdem sich diese Burgen nun in unseren Händen befinden; und keiner der Türken oder der Sipahi, wo immer sie auch ansässig sind, soll ein Recht über sie haben oder sie zur Huldigung zwingen; ausgenommen jene Landstriche, die nach der Eroberung von Erlau ständig und immer tributpflichtig waren und die in Unterwerfung bleiben müssen; außer diesen zu Erlau gehörigen Dörfern dürfen sich die Türken keine anderen untertan machen. – 16. Was die zu Gran gehörigen Gegenden betrifft, so sollen die Türken diese Dörfer wie zu jener Zeit, als die Christen sie von den Türken übernommen hatten, sich untertan machen und besitzen; diese Dörfer sollen ihnen jetzt und auch künftig untertan sein. Andere außer diesen [Dörfern] sollen von den Türken aber nicht zur Unterwerfung gezwungen werden.“ Conditiones Pacis (wie Anm. 16), Artikel 15 und 16.

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worden war. In diesem Punkt weichen die beiden Vertragsartikel untereinander besonders eklatant ab.29 Die Frage des sog. condominiums, das die meisten bilateralen Spannungen und Differenzen verursachte, wurde im Vertrag von Zsitvatorok nicht einmal erwähnt: Sämtliche ungarischen Magnaten hatten sich in den habsburgischen Teil Ungarns, in das Königliche Ungarn, zurückgezogen, von wo aus sie weiterhin von ihren Untertanen in den osmanisch besetzten Gebieten die althergebrachten Steuern eintrieben. In der Praxis konnte dies nur unter militärischer Unterstützung erfolgen bzw. mussten die Abgaben an bestimmten Punkten irgendwo im Niemandsland abgeliefert werden. Dieses Vorgehen wurde von der habsburgischen Seite als durchaus legitim angesehen. Bedauernswert waren aber solche Untertanen, welche auch ihren neuen Herren, den Osmanen, steuerpflichtig waren. Diese doppelte Besteuerung war es, die wesentlich zur Verarmung Zentralungarns beitrug, und nicht, wie von der habsburgischen Propaganda oft behauptet, eine osmanische „Misswirtschaft“. Das grundlegende Problem war, dass beide Seiten die effektive Teilung des Landes, die im Frieden von Zsitvatorok festgeschrieben wurde, offensichtlich negierten und sich als die prinzipiell rechtmäßigen Herrscher über ganz Ungarn betrachteten: Die Habsburger auf der einen Seite als „gewählte Könige von Ungarn“, wenn sie auch für die Führung dieses Titels den Osmanen bislang tributpflichtig gewesen waren; auf der anderen Seite die Osmanen. Wenn allerdings Sultan Süley29

„Der siebzehnte Punkt besagt, dass jene Dörfer, die damals, als die Festung Estergon unter die Macht des Römischen Kaisers fiel, der erwähnten Festung dienstpflichtig gewesen sind und ihre Steuern gezahlt haben, sich auch weiterhin unterwerfen und ihre Steuern zahlen sollen. Und die anderen Dörfer im Grenzgebiete sollen ihre Steuern bezahlen, so wie sie sie von alters her an beide Parteien entrichtet haben. Und die Dörfer, die seit der Eroberung der Festung Kanischa bis jetzt unterwürfig gewesen sind, sollen sich auch weiterhin unterwerfen. In Angelegenheit einiger strittiger Dörfer soll unsererseits jemand bestimmt [und die Angelegenheit] mit dem Batthyány-Sohn auf der Stelle überprüft werden. Die Liste jener Dörfer, die [zur Dienstleistung] nach Kanischa kommen, und jener, die nicht kommen, soll revidiert werden. Und die, die bisher hingekommen sind, sollen ihre Steuern zahlen; die Dörfer aber, die bisher nicht hingekommen sind, sollen nicht belästigt werden. Und einige Dörfer, die jetzt verwüstet sind, sollen – sobald sie wieder aufblühen – ihre Steuern auch weiterhin bezahlen, falls sie zu den uns steuerpflichtigen Dörfern gehören. Und die wirklichen Adeligen des Römischen Kaisers, die ihrem Kaiser keine Steuern entrichten, sollen in dem Dorfe, wo sie wohnen, für ihre eigenen Häuser keine Steuern zahlen.“ Fekete (wie Anm. 16), 212. – In den Conditiones Pacis heißt es: „17. Bezüglich der um Kanizsa gelegenen Dörfern wurde vereinbart, dass der Pascha von Buda sowie auch der Herr Batthyány ihre vornehmen Männer aussenden, damit diese die Dörfer neuerlich visitieren und feststellen sollen, wer dort gewesen ist, und dieses richtig stellen. Wenn in den unterworfenen Dörfern Edelleute wohnen oder Häuser besitzen, sollen sie den Türken keinen Tribut oder Zehnt entrichten und keineswegs tributpflichtig sein, sondern sie sollen sowohl bezüglich ihrer Güter als auch ihrer Person frei sein. Und die, die ihrem rechtmäßigen König nichts entrichten, sollen auch den Türken nichts entrichten. Und die Türken sollen zu diesen Dörfern nicht hinaus kommen, sondern durch die Dorfrichter ihre Einkünfte einfordern. Wenn die Richter dies aber nicht durchführen, soll an ihre Hauptleute oder Obrigkeiten geschrieben werden, damit diese sie dazu anhalten; wenn aber auch auf solche Weise nichts erreicht werden sollte, dann mögen die Türken hinausziehen, um sie dazu anzuhalten. Auf dieselbe Weise soll es auch von Seiten der Ungarn geschehen und gehalten werden.“ Conditiones Pacis (wie Anm. 16), Artikel 17.

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man I. 1547 die Tributzahlungen der Habsburger noch als „Gegenleistung für diejenigen Orte in der Provinz Ungarn, die sich de facto in der Hand der Christen befinden“, quasi als Ersatz für entgangene Steuereinnahmen angesehen hatte,30 dann konnte der Verzicht auf eben diesen Tribut doch nur bedeuten, dass die Osmanen ihren alleinigen Herrschaftsanspruch auf das gesamte Königreich Ungarn 1606 faktisch aufgegeben hatten.

Der Friede von Karlowitz31 Für Kaiser Leopold I. brachte der auf 25 Jahre befristete Friede den endgültigen Erwerb Ungarns unter Einschluss Siebenbürgens, wohingegen das Banat von Temeswar (ung. Temesvár, rum. Timişoara) ausgenommen blieb. Im Gegensatz zum Frieden von Zsitvatorok – überhaupt zum ersten Mal in einem habsburgisch-osmanischen Vertrag – wurden 1699 exakte Grenzen fixiert, die weitgehend natürlichen Grenzen folgten. Unklarheiten, wie sie 1606 bestanden hatten, waren somit von Anfang an ausgeräumt. Die Grenzen Siebenbürgens wurden nach Artikel 1 entlang der „alten Grenzlinien zwischen Siebenbürgen auf der einen Seite und der Moldau und Walachei auf der anderen Seite“ festgelegt.32 In Artikel 2 wurde die Zugehörigkeit des sog. Banats klar bestimmt: „Die Provinz, welche zur Festung Temeswar gehört, mit allen ihren Distrikten und dazwischen laufenden Flüssen“, verblieb in osmanischem Besitz. Die gemeinsame Grenzlinie folgte von der „äußersten Grenze der Walachei“ entlang der alten siebenbürgischen Grenzung bis zur Marosch (rum. Mureş); entlang des Marosch sowie der Theiß bis zu deren Mündung in die Donau. Das Problem, dass das Banat teilweise auch von der kaiserlichen Armee besetzt war, wurde eindeutig entschieden: Die von den Kaiserlichen gehaltenen Festungen sollten gänzlich geschleift werden, damit sie „nicht wieder aufgebaut werden können“ und in der Nähe der genannten Grenzflüsse sollten keine Orte angelegt werden, welche „als befestigte Punkte angesehen werden können“.33 Die Nutzung der Grenzflüsse Marosch und Theiß wurde künftig den Untertanen beider Reiche gestattet, und dass „sowohl zum Tränken des Viehs jeder Art, als auch zum Fischfang und zu anderen den Untertanen notwendigen Bequemlichkeiten“. Auch Lastkähne beider Seiten durften sie nach allen Richtungen befahren. 30 31

32 33

Petritsch (wie Anm. 4), 58. Die Ratifikation durch Kaiser Leopold I. in lateinischer, die Ratifikation durch Sultan Mustafa II. in osmanisch-türkischer Sprache. HHStA Türkische Urkunden und Staatsschreiben, 1699 Jänner 26. Eine deutsche Übersetzung des lateinischen Textes ist enthalten in: Feldzüge gegen die Türken 1697–1698 und der Karlowitzer Friede 1699. Bearb. v. Moriz von Angeli. Wien 1876, 299–314. Partiell abgedruckt auch in: Urkund dessen … Dokumente zur Geschichte Österreichs von 996 bis 1955. Hg. v. Walter Kleindel. Wien 1984, 122–129. Feldzüge (wie Anm. 31), 301 f. Namentlich angeführt werden Karánsebes (heute Caransebeş), Lugos (Lugoj), Lippa (Lipova), Csanád, Klein-Kanizsa (Kanjiža), Becse (Bečej), Becskerek (Zrenjanin) und „das diesseitige Zsablya“ (?). Ebd., 302 f.

Grenz- und Raumkonzeptionen in den Friedensverträgen von Zsitvatorok und Karlowitz

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Gleichfalls genutzt wurden die Flüsse durch Schiffmühlen, die an den Ufern verankert waren. Solche Schiffmühlen sollten allerdings nur dort zugelassen sein, „wo sie der Schifffahrt der kaiserlichen Herrschaft nicht zum Hindernis gereichen können“. Damit aber nicht „durch Ableitung der Gewässer der Lauf der kaiserlichen Schiffe auf dem Marosch einen Nachteil erleide, [sollte] keineswegs gestattet werden, dass – sei es nun wegen der Schiffmühlen oder aus einem anderen Grund – Wasser aus dem Marosch anderswohin abgeleitet“ werde. Artikel 3 besagte kurz und bündig, dass das Gebiet zwischen Theiß und Donau, „allgemein Batschka genannt“, in kaiserlichem Besitz verbleibe, dass die Festung Titel jedoch nicht verstärkt werden sollte. Von der Theißmündung wurde die als Syrmien bekannte Landschaft westwärts – bis zur Mündung des Flüsschens Bossut in die Save – geteilt (Artikel 4). In dieser Gegend, nahe dem Dorf Karlovac an der Donau, hatten auch die Friedensverhandlungen stattgefunden. Diese Linie quer durch Syrmien sollte „entweder durch Gräben, Steine, Pfähle oder auf irgend eine andere Weise festgestellt und kenntlich gemacht“ werden. Die nördlichen Teile sollten fortan in kaiserlichem, die südlichen in osmanischem Besitz stehen.34 Von der Mündung des Flusses Bossut in die Save folgte die habsburgisch-osmanische Grenze westwärts wiederum Flüssen: zunächst der Save und weiter südwestwärts der Una entlang. Die Linie westwärts bis zum habsburgisch-osmanischvenezianischen Dreiländereck, dem Triplex confinium, sollte wiederum von bilateralen Kommissionen durch „Gräben, Steine, Pfähle oder anderweitige Kennzeichen“ markiert werden. „Und sollte von der einen oder von der anderen Seite irgendjemand es wagen, etwas an den genannten Kennzeichen zu ändern, sie zu verwechseln, herauszuheben, wegzunehmen oder auf irgendeine Art zu verletzen, der soll, wenn er durch eine Untersuchung überführt ist, zum Beispiel für andere auf das Strengste bestraft werden.“ Save und Una sollten so wie die Flüsse Marosch und Theiß gemeinsam genutzt werden, wobei „beiderseits ein friedlicher und ungestörter Verkehr gewissenhaft beobachtet“ werden sollte. Gleichsam als Gegenleistung für die Schleifung kaiserlicher Festungen im Banat mussten die Osmanen mehrere an den Ufern der Una und der Save gelegene Festungen räumen35 und die Festung Brod schleifen. Da dieser Ort „aber für den Handel sehr geeignet [sei], so kann ebenda eine Stadt von mäßigem und passendem Umfang angelegt werden, jedoch so, dass sie nicht nach Art eines festen Platzes oder einer Befestigung hergestellt werde“. Kostajnica an der Una und mehrere Inseln in diesem Fluss verblieben dagegen unter habsburgischer Kontrolle (Artikel 5). Die Grenzziehung war somit klar und eindeutig geregelt. In Artikel 6 wurde neuerlich festgehalten, dass die von den beiderseitigen Kommissionen zu errichtenden Markierungen „aus keinem Grund und unter keinem Vorwand erweitert, verrückt oder verändert werden“ durften. Die Grenzen galten als „heilig und unverletzlich“. Untertanen der jeweiligen Gegenseite durften weder „zur Unterwerfung oder zur Entrichtung irgendeiner Abgabe“ gezwungen oder anderweitig belästigt werden. Direkt an den Grenzen durften keine neuen Festungen, sondern nur „offene 34 35

Ebd., 303 f., Artikel 3 und 4. Namentlich genannt werden die Städte (Bosanski)-Novi, Dubica, Jasenovac, Doboj und Brod. Ebd., 304 f., Artikel 5.

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Dörfer“ errichtet werden. Zur Sicherung der Grenzen durften aber bestehende Burgen – nicht erwähnt wird freilich, in welcher Entfernung davon – wiederhergestellt oder sogar ausgebaut werden, falls in den vorangegangenen Punkten nichts Gegenteiliges bestimmt worden war (Artikel 7).36 „Feindliche Einfälle, […] Verwüstungen und Plünderungen“ waren strengstens untersagt; Zuwiderhandelnde sollten ausgeforscht, eingekerkert und gebührend bestraft werden, geraubte Güter mussten restituiert werden. Die „Befehlshaber und Vorgesetzten beider Teile“ waren „bei Verlust nicht nur ihres Amtes, sondern auch ihres Lebens und ihrer Ehre […] verpflichtet, die Rechtspflege ohne Zulassung irgendeiner Sorglosigkeit auf das Gewissenhafteste zu üben“. „Schlechten Menschen und aufrührerischen Untertanen“ durfte kein Unterschlupf gewährt werden. Ebenso war untersagt, „Hajduken, welche sie Freie nennen“, zu unterhalten und zu ernähren. Strauchdiebe, unter dem Namen Pribek bekannt, und „diese Art verbrecherischer Menschen, welche […] vom Raube leben, sind, so wie diejenigen, welche ihnen Unterhalt geben“, gebührend zu bestrafen.37 „Ungehorsame“ Flüchtlinge aus Ungarn und Siebenbürgen sollten im Osmanischen Reich nicht in Grenznähe angesiedelt werden, auch war ihnen die Rückkehr zu verbieten (Artikel 10). Zur Vermeidung von „Streitigkeiten, Meinungsverschiedenheiten und Uneinigkeiten“ sollten „beiderseits an der Grenze möglichst bald erlesene Kommissäre in gleicher Zahl bestellt werden, Männer, welche gänzlich frei von Habsucht, dagegen würdevoll, rechtschaffen, klug, erfahren und friedfertig sind“, um derartige Streitigkeiten zu schlichten, aber auch Zuwiderhandelnde zu strafen. Wie bereits in der Vergangenheit waren Zweikämpfe strengstens untersagt und mit größter Strenge zu ahnden (Artikel 11).38 Artikel 12 regelte den Austausch bzw. die Freilassung von Gefangenen, in Artikel 13 wurde der Schutz der katholischen Religion im Osmanischen Reich, der katholischen Kirchen, Klöster und Mönche gefordert. Die Regelung des freien Handels zwischen beiden Reichen blieb einem künftigen Übereinkommen vorbehalten (Artikel 14); die Bestimmungen älterer bilateraler Verträge sollten weiterhin Gültigkeit besitzen, falls sie nicht durch den vorliegenden Friedensvertrag aufgehoben wurden (Artikel 15).39 In Artikel 16 wurde der Austausch von beiderseitigen feierlichen Gesandtschaften vereinbart. Artikel 17 sicherte den habsburgischen Diplomaten und Gesandten eine ehrenvolle Behandlung zu. Die Grenzziehungskommissionen sollten ihre Arbeit am 22. März (neuen Stils) 1699 aufnehmen und „womöglich binnen zweier Monate“ beenden (Artikel 18). Der Friede sollte spätestens 30 Tage nach der Unterzeichnung durch die beiden Herrscher ratifiziert werden (Artikel 19). Der letzte Punkt (Artikel 20) legte die Gültigkeitsdauer des Vertrages von Karlowitz – „so Gott will“ – mit 25 Jahren fest, außerdem sollte er auch für die Nachfolger der

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Ebd., 305 f., Artikel 6 und 7. Ebd., 306 f., Artikel 8 und 9. Ebd., 307 f., Artikel 10 und 11. Ebd., 308–310, Artikel 12–15.

Grenz- und Raumkonzeptionen in den Friedensverträgen von Zsitvatorok und Karlowitz

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beiden Monarchen sowie für alle Untertanen einschließlich der namentlich genannten Tataren Gültigkeit besitzen.40 Zum ersten Mal waren in einem habsburgisch-osmanischen Vertrag exakte Grenzen festgelegt worden. Es gab kein condominium mehr, stattdessen Grenzflüsse, die von beiden Seiten friedlich genutzt werden durften, und Grenzdemarkationen, die nicht viel auffälliger waren als heutzutage Grenzsteine zwischen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union. Die Grenze zwischen habsburgischem und osmanischem Territorium war weitgehend offen: Keine Rede war von Wachposten, Sperren oder gar Grenzkontrollen. Abschließend stellt sich die Frage, ob in diesem Zusammenhang tatsächlich von Grenz- und Raumkonzeptionen gesprochen werden kann: Im Falle des Friedens von Zsitvatorok ist diese Frage eindeutig zu verneinen. 1606 wurde der Status quo in den Grenzregionen entsprechend dem Kriegsverlauf festgehalten, eine Grenze im engeren Sinn gab es nicht, entscheidend war der jeweilige Einflussbereich der Grenzfestungen. Diesbezüglich ist im Vertrag von Zsitvatorok also kein klares Konzept erkennbar. Das größte Hindernis für friedliche Verhältnisse im Grenzgebiet, nämlich die doppelte Besteuerung der Untertanen in Zentralungarn, wurde im Vertrag von 1606 überhaupt nicht erwähnt. Es wurde lediglich verboten, Einfälle in das gegnerische Territorium zu unternehmen. In den Bestimmungen des Friedens von Karlowitz ist mit der Festlegung genauer Grenzen entlang natürlicher Linien erstmals eine gewisse Konzeption erkennbar. Die Diplomaten hatten freilich nur eine theoretische Lösung gefunden, für die praktische Durchführung der Grenzziehung gab es noch keine Erfahrungswerte.

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Ebd., 310–314, Artikel 16–20.

Szabolcs Varga

Die Stellung Kroatiens innerhalb des Königreiches Ungarn in der Frühen Neuzeit Der Einfluss des Osmanischen Reiches auf Europa und insbesondere auf die eroberten christlichen Gebiete im Südosten des Kontinents ist ein viel diskutiertes Thema in der Historiographie. Dies mag nicht verwundern, zumal diese frühneuzeitliche Weltmacht, entstanden aus einem kleinasiatischen Fürstentum (beylik), auf der Balkanhalbinsel in gesellschaftlicher, politischer und wirtschaftlicher Hinsicht grundlegende Veränderungen herbeiführte, deren Nachwirkungen noch heute zu spüren sind. Infolge der osmanischen Expansion verschwanden das bulgarische, das serbische und das bosnische Königreich. Die frühere Existenz dieser Reiche wurde lediglich von der Kirche in kollektiver Erinnerung bewahrt und entwickelte sich im 19. und 20. Jahrhundert zu einem politisch-ideologischen Argument für die Unabhängigkeitsbestrebungen dieser Völker. Das mittelalterliche Königreich Kroatien hatte ob seiner geographischen Lage und seiner besonderen Beziehung zum Königreich Ungarn ein anderes Schicksal. Obwohl sein Territorium zum größten Teil von den Osmanen okkupiert worden war, konnte es seine Staatlichkeit im Rahmen des Habsburgerreiches im 16. und 17. Jahrhundert bewahren. Der kroatischen politischen Elite war es auf habsburgischem Gebiet gelungen, eine eigenständige kulturelle und historische Identität während der osmanischen Herrschaft zu wahren. Das Königreich Kroatien (Regnum Croatiae) wurde Anfang des 18. Jahrhunderts auf dem Gebiet Slawoniens, das im Mittelalter innerhalb des Königreiches Ungarn einen besonderen Status genossen hatte (Regnum Sclavoniae), fast unbemerkt zu neuem Leben erweckt.1 Dieser Prozess war das Resultat einer langen organischen Entwicklung, die auf die osmanische Eroberung zurückzuführen war. Parallel dazu verwendete man zur Bezeichnung der von den Osmanen zurückeroberten Gebiete zwischen Drau und Save immer häufiger den Ausdruck „Slawonien“, obwohl dieses Territorium im Mittelalter Bestandteil des Königreiches Ungarn gewesen war und nicht zu Slawonien gehört hatte.2 Ob dieser Entwicklung änderte sich im 18. Jahrhundert die Haltung der kroatischen Stände gegenüber dem Königreich Ungarn. Deutlich wurde dies in der Argumentation um die Annahme der Pragmatischen Sanktion: Auf der Versammlung der kroatisch-slawonischen Stände 1712 in Agram (kroat. Zagreb) wurde in Abgrenzung zum ungarischen Reichstag, der zu dieser Zeit noch keine entscheidenden Festlegungen getroffen hatte, damit argumentiert, dass den kroatisch-slawonischen 1 2

Bezüglich der territorialen Veränderungen Kroatiens siehe Bak, Borbála: Magyarország történeti topográfiája: a honfoglalástól 1950-ig [Historische Topographie Ungarns: von der Landnahme bis 1950]. Budapest 1997, 56–59. Seit dem 18. Jahrhundert begann man das Gebiet der Komitate Poschega, Vorivitica und Syrmien (kroat. Požega, Virovitica und Srijem) als Slawonien zu bezeichnen.

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Ständen das Recht auf freie Königswahl schon immer zugestanden habe und, da sie mit dem Königreich Ungarn lediglich durch eine Personalunion vereinigt seien, der Beschluss des ungarischen Landtages für sie auch nicht bindend sei.3 Des Weiteren führten die Stände an, dass die Geschichte des 1102 entstandenen gemeinsamen ungarisch-kroatischen Königreiches zu Ende gegangen sei, nachdem die kroatischen Stände Ferdinand von Habsburg am 01. Januar 1527 in Cetin aus eigenem Willen zum König gewählt hatten.4 Wie wirkungsmächtig diese Sichtweise war, zeigte sich auch im Bemühen der im 19. Jahrhundert entstandenen kroatischen Geschichtswissenschaft, dies mit allen ihr zur Verfügung stehenden Quellen zu untermauern.5 Diese Interpretation konnte sich in der Fachliteratur tatsächlich behaupten, sorgte allerdings für heftige Debatten zwischen ungarischen und kroatischen Historikern.6 Im Mittepunkt der Kontroverse stand dabei zum einen der Terminus „Slawonien“ in seiner mittelalterlichen Form, zum anderen aber insbesondere die Frage der rechtlichen und territorialen Zugehörigkeit dieser umstrittenen Gebiete im neuen Staatsverband.7 Mit dem Zerfall der österreichisch-ungarischen Monarchie 1918 war dieser Diskurs obsolet geworden, da Kroatien sich vom Königreich Ungarn löste. Seitdem wird in der kroatischen Historiographie die Existenz eines selbstständigen kroatischen Staates als Fakt hingenommen.8 Auch die ungarische Geschichtswissenschaft verlor das Interesse an dieser Frage. Abgesehen von wenigen Autoren wie Nikolaus 3 4 5

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Siehe Beuc, Ivan: Povijest Institucija državne vlasti Hrvatskoj (1527–1945) [Die Geschichte der Institutionen der staatlichen Macht in Kroatien (1527–1945)]. Zagreb 1969, 3. Siehe dazu neulich Kruhek, Milan: Cetin. Grad izbornog sabora kraljevine Hrvatske 1527 [Cetin. Die Stadt des gewählten Parlaments des Königreiches Kroatien 1527]. Karlovac 1997. Das erste Werk in diese Richtung: Chmel, Joseph: Actenstücke zur Geschichte Croatiens und Slavoniens in den Jahren 1526 und 1527. Wien 1846. Auch das monumentale Unternehmen von Ferdinand Šišić, der die Akten des Sabors edierte, setzte diese Argumentation fort, vgl. Acta comitialia Regni Croatiae, Dalmatiae et Slavoniae. Hrvatski saborski spisi [Schriftstücke des kroatischen Landtags]. Bd. 1: Od godine 1526 do godine 1536. Hg. v. Ferdo Šišić. Zagreb 1912. Siehe Pars pro Toto Ders.: Die Wahl Ferdinands I. von Österreich zum König von Kroatien. Zagreb 1917. Um den ungarischen Standpunkt zu untermauern, wurde die Urkundensammlung bezüglich Slawoniens von Görgy Fejér veröffentlicht. Fejér, Georgius: Croatiae ac Slavoniae cum Regno Hungariae nexus et relationes. Buda 1839. In den darauffolgenden Jahrzehnten äußerten sich zunehmend Rechtshistoriker in dieser Frage. Palugyay, Imre: A kapcsolt-részek (Slavonia-Croatia) történelmi- s jog-viszonyai Magyar-Országhoz [Die historische und juristische Beziehung der angeschlossenen Teile (Slawonien-Kroatien) zu Ungarn]. Posony 1863. – Korbuly, Imre: A báni méltóság tekintettel a horvát-, dalmát- és tótországi bánságok történelmi és közjogi viszonyaira [Die Banus-Würde mit Hinblick auf die historische und öffentlich-rechtliche Lage der Banschaften Kroatien-Dalmatien und Slawonien]. Pest 1868. Die kroatische Forschung widmete sich vornehmlich der Entwicklung der neuzeitlichen Militärgrenze und der Problematik des serbisch-kroatischen Zusammenlebens. Erst die internationalen kulturhistorischen Symposien in Mogersdorf seit den 1960er Jahren boten die Möglichkeit zur Zusammenarbeit, vor allem bezüglich der im Burgenland lebenden kroatischen Minderheit. Vgl. Varga, Szabolcs: A 15–17. századi horvát történelem kutatásának új irányairól (1990–2004) [Neue Richtungen zur Erforschung der kroatischen Geschichte vom 15.–17. Jahrhundert (1990–2004)]. In: Századok 139/4 (2005), 1035–1047.

Die Stellung Kroatiens innerhalb des Königreiches Ungarn

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Zrínyi (kroat. Zrinski) oder Franz Frangepán (kroat. Frankopan) wurden Aspekte der gemeinsamen Geschichte nicht weiter wissenschaftlich verfolgt. Erst seit den 1990er Jahren trat hier eine Wende ein. Den Weg einer Annäherung zwischen den beiden Nationalhistoriographien beschritten zunächst die Militärhistoriker, indem sie sich der Geschichte der Militärgrenze annahmen. Da dieses Thema jedoch nicht im engen Rahmen der jeweiligen Nationalhistoriographien untersucht werden konnte, wurde eine länderübergreifende Kooperation gefördert,9 daneben wurden weitere Formen der Zusammenarbeit angeregt.10 In diesem Beitrag soll der Frage nachgegangen werden, inwiefern sich die Stellung Kroatiens innerhalb des Königreiches Ungarn durch die osmanische Eroberung nach 1527 verändert hat. Traf die Auffassung der kroatisch-slawonischen Stände von 1712 zu, wonach einzig die Person des Königs das gemeinsame Bindeglied zwischen beiden Ländern war? Oder ist dies nur als eine populär gewordene politische Argumentation zu verstehen? Nach Ansicht des Autors der vorliegenden Arbeit ist die Geschichte Kroatiens im 16. und 17. Jahrhundert von der ungarischen nicht zu trennen, und auch die Herrschaft König Ferdinands I. (Reg. 1526–1564) setzte das enge mittelalterliche Beziehungsgefüge fort.

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Von den zahlreichen einschlägigen Werken soll an dieser Stelle nur eines erwähnt werden Pálffy, Géza: The Origins and Development of the Border Defence System Against the Ottoman Empire in Hungary (Up to the Early Eighteenth Century). In: Ottomans, Hungarians, and Habsburgs in Central Europe: The Military Confines in the Era of the Ottoman Conquest. Hg. v. Dems. und Pál Fodor. Leiden-Boston-Köln 2000, 3–69. Pars pro Toto Pálffy, Géza: Horvátország és Szlavónia a XVI–XVII. századi magyar királyságban [Kroatien und Slawonien im Königreich Ungarn des 16. und 17. Jahrhunderts]. In: Fons (Forráskutatás és Történeti Segédtudományok) 9/1–3 (2002), 107–121. – Ders.: Egy szlavóniai köznemesi család a két ország szolgálatában. A budróci Budor család a XV–XVIII. században [Eine adelige Familie aus Slawonien im Dienste beider Länder. Die Familie Budor aus Budroc vom 15. bis zum 18. Jahrhundert]. In: Hadtörténelmi Közlemények 115/4 (2002), 923–1007. Auf Kroatisch Plemićka obitelj Budor iz Budrovca u razdoblju od 15. do 18. stoljeća. In: Podravina: Časopis za multidisciplinarna istraživanja 2/3 (2003), 5–75. – Ders.: Az első horvát hadiszabályzatok (1578) magyarországi gyökerei [Die ungarischen Wurzeln der ersten kroatischen Kriegsregeln (1578)]. In: Népek együttélése Dél-Pannóniában. Tanulmányok Szita László 70. születésnapjára. Hg. v. István Lengvári und József Vonyó. Pécs 2003, 295–304. – Ders.: Hrvatska i Slavonija u sklopu Ugarske Kraljevine u 16. i. 17. st. (s posebnim osvrtom na političke, vojne i društvene odnose) [Kroatien und Slawonien innerhalb des Königreiches Ungarn im 16. und 17. Jahrhundert (unter besonderer Berücksichtigung der politischen, militärischen und staatlichen Verhältnisse)]. In: Hrvatsko-mađarski odnosi 1102–1918. Hg. v. Milan Kruhek. Zagreb 2004, 113–125. – Ders.: Egy fontos adalék történeti földrajzunk s közigazgatás-történetünk históriájához: Az 1558. évi horvát-szlavón közös országgyűlés meghívólevele [Ein wichtiger Beitrag zur Geschichte unserer historischen Geographie und Verwaltung: Die Einladung zum gemeinsamen kroatisch-slawonischen Landtag 1558]. In: Fons (Forráskutatás és Történeti Segédtudományok) 10/2 (2003), 233–248. – Štefanec, Nataša: Heretik njegova Veličanstva. Povijest o Jurju IV. Zrninskom i njegovu Rodu [Ein Häretiker seiner Majestät. Die Geschichte von Juraj IV. Zrinski und seiner Familie]. Zagreb 2001. Dieser erfreuliche Prozess wurde von einer gemeinsamen kroatisch-ungarischen Historikerkonferenz gekrönt, deren Vorträge auch veröffentlicht wurden: Hrvatsko-mađarski odnosi 1102–1918 [Kroatisch-ungarische Beziehungen 1102–1918]. Hg. v. Milan Kruhek. Zagreb 2004.

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Kroatien Kroatien galt ab 1102 als ein der Stephanskrone angehörendes Königreich (pars annecta). Die Vereinigung dürfte friedlich zu Stande gekommen sein, assoziierte man damit doch die Idee, die den pacta conventa zu Grunde lagen.11 Infolge des Zusammenschlusses im Mittelalter entstand unter den Kroaten der Mythos einer gemeinsamen Heimat, das Hungarus-Bewusstsein. So bewahrte die Volkskultur Banus Imre Derencsényi in Erinnerung, der 1493 bei Udbina Hungaria verteidigt haben soll.12 Auch die positive zeitgenössische Beurteilung von Matthias I. Corvinus (Reg. 1458–1490), festgehalten in einer Sage, zeugt von dieser Eintracht: Demnach gab es keine Gerechtigkeit, solange dieser König schlief. Im Gedicht „Klagelied der Burg von Buda“, erdacht von dem in Ragusa (kroat. Dubrovnik) geborenen Mavro Vetranović Čavcić, wird König Matthias angefleht, aus seinem Grab emporzusteigen und die gemeinsame (sic!) Heimat zu verteidigen.13 Neben dem Hungarus-Bewusstsein kam bei den Kroaten ein ausgeprägter Kult um die Heilige Krone (ung. Szent Korona) auf. Auch bei dem bereits erwähnten Dichter aus Ragusa, Vetranović, spielt das Motiv der Heiligen Krone eine wichtige Rolle. So klagt er in seinem Gedicht „Lied über den Ruhm des Kaisers“ über den Verlust von Belgrad (serb. Beograd) und zugleich über den des Landes, d.h. „über den Verlust der vom Himmel geschickten ungarischen Krone“.14 In dem Lied eines unbekannten Autors über die Schlacht bei Mohatsch (ung. Mohács) im Jahr 1526 wird die Heilige Krone als ein „von einem Engel gebrachtes wunderbares Geschenk“ für König Ludwig II. Jagiello (Reg. 1516–1526) besungen.15 Diese sakrale Verehrung war auch im 18. Jahrhundert noch lebendig: Matija Petar Katančić verfasste 1790 eine Ode anlässlich der Überführung der Stephanskrone von Wien nach Ungarn.16 Allerdings war diese Krone für die Kroaten nicht nur eine Reliquie, sondern auch ein Symbol ihrer Staatlichkeit. Denn im Sinne der im 14. Jahrhundert entstandenen Idee der Heiligen Krone waren das Königreich Ungarn wie die dazugehörigen Länder Bestandteile und Mitglieder (membra) der Heiligen Krone und nur ein mit dieser Krone gekrönter Herrscher konnte über sie rechtmäßig regieren.17 Gemäß dieser im 16. Jahrhundert vollständig ausgeprägten Vorstellung wa11

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Dementsprechend wählten – aus freiem Willen – 12 kroatische Adelige Koloman aus dem Geschlecht der Arpaden zu ihrem König. Vgl. Deér, József: Die Anfänge der ungarisch-kroatischen Staatsgemeinschaft. Darmstadt 1970. – Anatoljak, Stjepan: Pacta ili Concordia od 1102 godine [Pakt oder Konkordat aus dem Jahr 1102]. Zagreb 1980. Sokcsevits, Dénes: Magyar múlt horvát szemmel [Ungarische Vergangenheit aus kroatischer Perspektive]. Budapest 2004, 10–13. Siehe auch den Beitrag von Dénes Sokcsevits in diesem Band. Vgl. in Pjesanca slavi carevoj die Textstelle: „O kruno ugarska, s nebesa poslana […].“ Vetranić čavčić, Mavro: Pjesme Mavra Vetranića Čavčića. Hg. v. Vatroslav Jagić. Zagreb 1871, 9. Sokcsevits (wie Anm. 12), 16. Der Titel des Werks: „A horvát királyság nemesi bandériuma Budára indul Zágrábból a dicső magyar korona őrzésére (1790) – Die edlen Banderien des Königreiches Kroatien begeben sich zum Schutz der ruhmvollen ungarischen Krone auf den Weg von Agram nach Ofen (1790).“ Vgl. ebd., 20. Zur Deutung des Begriffs „Heilige Krone“ siehe Eckhart, Ferenc: A szentkorona-eszme tör-

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ren die Begriffe des Königtums (regnum) und der Heiligen Krone im territorialen Sinne identisch, da die Bestandteile des Landes gleichzeitig die Komponenten der Heiligen Krone bildeten.18 Der Bezug auf die ungarische Krone dürfte auch damit zusammenhängen, dass das von der ungarischen Krönungsordnung (ordo) übernommene Zeremoniell der kroatischen Königswahl keinen langen Bestand hatte und spurlos verschwand. Die kroatischen Stände haben diese Entwicklung deshalb hingenommen, weil Kroatien von Ungarn nicht annektiert worden war, sondern ein gesondertes Königtum (regnum) als Teil der ungarischen Krone (membrum) blieb. Eigentlich hätte der jeweilige Thronanwärter – nachdem er in Stuhlweißenburg (ung. Székesfehérvár) zum König gekrönt worden war – sich nach Kroatien begeben müssen, um sich dort inthronisieren zu lassen. Doch mit der Krönungszeremonie in Stuhlweißenburg wurde der Gekrönte zugleich auch König von Kroatien (rex Croatiae). Daher ist nach dem Einzug des Königs Koloman in Dalmatien (1102) die Bezeichnung Dei gratia rex Hungariae, Dalmatiae et Croatiae in die Intitulation der ungarischen Könige aufgenommen worden. Kroatien wurde folglich nicht zu einem Komitat oder einer Region Ungarns, sondern blieb ein gesondertes, angeschlossenes Land, selbst wenn diese Beziehung – allein ob der unterschiedlichen Größe der beiden Länder – nicht auf Gleichrangigkeit beruhte.19 Dem reibungslosen Ablauf der Vereinigung kam zugute, dass das Land zwischen Kapela-Gebirge und Adriaküste mit dem Zentrum Knin eine weitgehende Autonomie genoss: Seine territoriale Verwaltung auf mittlerer Ebene blieb erhalten, das ungarische Komitatssystem wurde nicht adaptiert. Ebenso galt eine kirchenrechtliche Unabhängigkeit, so dass die Jurisdiktion des Erzbischofs von Gran (ung. Esztergom) vor der kroatischen Grenze endete. Dasselbe traf auch auf die zivilrechtliche Praxis zu. Die Ständeversammlungen (sabores) konnten zwar nicht als Landtage im ursprünglichen Sinne des Wortes angesehen werden, blieben aber eine wichtige Institution der Autonomie.20 In der Praxis verband die beiden Länder eine weitaus engere Beziehung als eine bloße Personalunion. Dies zeigt sich schon daran, dass die selbstständige kroatische Hofhaltung – wenn es eine solche jemals gegeben haben sollte – verschwand und diese Aufgabe vom ungarischen Königshof in Ofen (ung. Buda) übernommen wurde. Man kann zwar einwenden, dass der Königshof Ungarns gleichzeitig auch derjenige Kroatiens war, aber er stellte sich eben nicht als solcher dar. Es gab auch keine selbstständige kroatische Kanzlei oder Kammer. Die Angelegenheiten der Gebiete südlich der Save wurden von der Königlichen Kammer bzw. der Kanzlei

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ténete [Geschichte der Ideologie der Heiligen Krone]. Budapest 1941. Ebd., 246. Engel, Pál: A középkori magyar királyság intézménye [Institution des mittelalterlichen ungarischen Königreiches]. In: Rubicon 7/1–2 (1996), 55 f. „Man kann die Versammlung der Bewohner eines Landes nur in dem Fall als Landtag bezeichnen, wenn sie dort dem Herrscher mit Rat (consilium) und, wenn nötig, mit Tat (auxilium) zur Seite standen.“ Tringli, István: Az 1481. évi szlavóniai közgyűlés [Die Versammlung in Slawonien von 1481]. In: Tanulmányok Borsa Iván tiszteletére. Hg. v. Enikő Csukovits. Budapest 1998, 297.

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erledigt, die für das gesamte Königreich Ungarn zuständig waren. Auf den ungarischen Reichstagen erschienen manchmal auch Abgesandte der kroatischen Stände,21 die dort festgesetzten Steuern waren auch von ihnen zu entrichten.22 Ebenso mussten die kroatischen Stände auf königlichen Befehl hin nicht nur unter der Leitung des Banus, sondern auch unter der eines vom Herrscher bestimmten Heerführers in den Krieg ziehen.23 Die wichtigsten politischen und diplomatischen Entscheidungen über Kroatien wurden im königlichen Rat (consilium regis) getroffen, dem der Banus von Kroatien und Dalmatien (banus Croatiae et Dalmatiae) angehörte; nach dem Palatin (palatinus) und dem Landesrichter (iudex curiae regiae) galt er als drittwichtigster Würdenträger im Königreich Ungarn. Durch ihn waren die kroatischen Interessen im wichtigsten Entscheidungsgremium des Königreiches vertreten. Außerdem verwaltete er die königlichen Besitzungen im kroatisch-dalmatinischen Raum und verfügte über die Befehlsgewalt der in der Provinz zu mobilisierenden Truppen.24 Damit wurde ihm ein Stück der königlichen Macht zuteil, weshalb die Könige auch versuchten, den Banus unter ihren Vertrauten auszuwählen. Aber gerade an der Art seiner Ernennung wird deutlich, dass der Banus nicht als Vertreter kroatischer Interessen am königlichen Hof, sondern vielmehr als Vertrauensmann und Beauftragter des Königs anzusehen ist. Der König ernannte ihn aus eigenem Willen für eine unbestimmte Zeit (durante beneplacito) und keiner konnte ihn an seiner Entscheidung hindern. Die Ernennung erfolgte mündlich am Hof, es wurde vor der Wahl höchstens die Meinung der anwesenden Räte eingeholt. Die ungarischen Könige waren bestrebt, für diesen Posten immer einen kroatischen Adligen zu ernennen, weil dadurch ein Ortskundiger als Banus fungierte, der gleichzeitig auch seine Privatgüter für sein Amt einsetzte. Die ein21 22

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Vgl. Decreta Regni Hungariae. Gesetze und Verordnungen Ungarns 1458–1490. Hg. v. Francisci Döry u.a. Budapest 1989, 208. 06. April 1464 Supplementum: „Quod primo salva et reservata libertate regno nostri disposuissent, ordinassent, et concluissent pro hac vice, quod omnes et singuli homines possessionati ecclesiastici scilicet et eculares tam intra corpus huius regni nostri Hungariae et Sclavonie, quod continetur in sexaginta comitatibus, quam etiam in partibus Transilvanis et regno Croatie constituti et generaliter omnes ad coronam regno nostri pertinentes de singulis duodecim portis integris iuxta morem dicationis lucri camere nostre dare, disponere et mittere tenerentur ad ipsum exercitum unum bonum armatum equitem cum armis competentibus […] ire vellent.“ Ebd., 153. Wegen osmanischer Plünderungen konnte zum Bsp. 1508 nur die Hälfte des erhobenen Tributs eingetrieben werden. Vgl. Magyarország melléktartományainak oklevéltára [Urkundensammlung der Provinzen Ungarns]. Bd. 1: A horvát véghelyek oklevéltára. I. kötet. 1490–1527. Hg. v. Lajos Thallóczy und Antal Hodinka. Budapest 1903, 18. Vgl. die Urkunde vom 02. November 1465. In: Magyar Országos Levéltár [Ungarisches Landesarchiv] (fortan MOL), Diplomatikai Levéltár [Archiv für Diplomatie] (fortan DL), 16275 (Regest). Engel, Pál: A honor. A magyarországi feudális birtokformák kérdéséhez [Der Honor. Zur Frage der feudalen Besitzformen]. In: Történelmi Szemle 24 (1981), 1–19. Leider sind gerade aus Kroatien nur wenige Daten vorhanden. In den anderen Provinzen mit Sonderstatus, in Siebenbürgen und Slawonien, sind die Güter, die mit einem Amt verbunden waren, gut nachzuweisen. Ders.: Honor, vár, ispánság. Tanulmányok az Anjou-királyság kormányzati rendszeréről [Honor, Burg, Gespanschaft. Studien über das Regierungssystem des Anjou-Königreiches]. In: Századok 116 (1982), 880–922.

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zige, seit dem 15. Jahrhundert vom Landtag immer häufiger geforderte Bedingung bestand allein darin, dass für die strategisch wichtigsten Ämter (Banus von Kroatien-Dalmatien, Banus von Slawonien, Woiwode von Siebenbürgen und Gespan von Temes) sowie für die Besetzung der Burgkapitäne nur ungarische Adelige nominiert werden sollten.25 Zu diesem Kreis gehörte der kroatische Adel ebenso wie der Adel Slawoniens, Siebenbürgens oder die in Ungarn angesiedelten serbischen Vornehmen. Außerdem war der kroatische Adel (universitas regni nobilium) gleichzeitig Teil jener Gemeinschaft (membrum), die die Heilige Krone verkörperte.26 Somit war der Banus Kroatiens kraft seines Amtes Teil der ungarischen Aristokratie. Der ungarische Adel stellte eine juristische Kategorie dar, in der die ethnische Herkunft seiner Mitglieder keine Rolle spielte. Im ungarischen Königreich war der Palatin (palatinus) der zweite Mann nach dem König, während dessen Abwesenheit fungierte er als Vertreter. Im Kriegs- und Justizwesen verfügte er über eine landesweite Gerichtsbarkeit und der König ernannte ihn zum Hauptrichter Dalmatiens.27 Alle diese Beispiele belegen, dass das Beziehungsgeflecht zwischen Kroatien und Ungarn über das einer bloßen Personalunion hinausging. Eine Sezession wäre unmöglich gewesen, weshalb die Idee einer Loslösung von Ungarn bei den kroatischen Ständen bis zur Niederlage bei Mohatsch (29. August 1526) auch nicht auftauchte. Sie fühlten sich als Bestandteil und Mitglied der Heiligen Krone und als Bewohner von Hungaria.

Slawonien Slawonien (Regnum Sclavoniae) hatte eine noch engere, aber qualitativ andere Beziehung zu der ungarischen Krone als das Königreich Kroatien. Das Territorium der Komitate Warasdin (kroat. Varaždin), Kreuz und Agram hatte bereits im Mittelalter einen Sonderstatus, dessen Anfänge jedoch nicht geklärt sind. Ein einheitliches 25

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Dekret Nr. III von König Matthias aus dem Jahr 1471, Gesetzartikel Nr. 6: „Des Weiteren, die Verteidigung der Burgen des Königs, der Barone, sowie aller anderen Adeligen unseres Landes in den Grenzgebieten, das heißt in Ober- und Unterungarn oder in Slawonien, Dalmatien oder Kroatien muss Ungarn (personis scilicet dignis et idoneis) und keinen Fremden anvertraut werden.“ Vgl. Magyar Törvénytár. Corpus Juris Hungarici 1000–1526. Hg. v. Dezső Márkus. Budapest 1899, 361. Im Abkommen von Farkashida vom 31. Juli 1490 wurde auch festgelegt, dass folgende Ämter nur von Ungarn besetzt werden können: Woiwode von Siebenbürgen und Gespan der Szekler, Gespan von Temes und Pressburg, Banus von Slawonien, Dalmatien, Kroatien, Banus von Szörény, Jajce, Belgrad, Kapitäne der Burgen an den Grenzen, Kapitäne der freien Königsstädte (non aliis, quam hungaris, pro officiolatu dare et conferre valeamus, bene meritis). Bak, János M.: Königtum und Stände in Ungarn im 14.–16. Jahrhundert. Wiesbaden 1973, 153. Anlässlich der Krönung von Ladislaus zum ungarischen König im Jahr 1490 wurde die Krone von Johann Corvinus, das Kreuz von Bertalan Beriszló getragen. Die Krönungszeremonie wurde von Osvát Thúz, dem Bischof von Agram, zelebriert, da die Erzbischöfe verhindert waren. Margalits, Ede: Horvát történelmi repertórium [Kroatisches historisches Repertorium]. Bd. 1. Budapest 1900, 262, 651. Gesetzartikel (GA) Nr. 1485/12. In: Magyar Törvénytár (wie Anm. 25), 403.

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System von Privilegien galt dort als identitätsstiftender Faktor, auf die sich die Stände bereits im 15. Jahrhundert unter der Losung „altes Vorrecht“ berufen hatten. Anfangs wurde es nicht schriftlich fixiert, erst die innenpolitischen Turbulenzen und die langanhaltenden kriegerischen Wirren machten eine verbindliche Kodifizierung notwendig.28 König Matthias bekräftigte deshalb 1465 die alten Gewohnheitsrechte (consuetudines) des slawonischen Adels, nachdem der Tafelrichter (prothonotorius), der den Siegelstempel der Banschaft Slawonien aufbewahrte, von der Gemeinschaft des slawonischen Adels im Einvernehmen gewählt und danach dem Banus präsentiert worden war. Dieser übergab ihm daraufhin den Siegelstempel, den er zusammen mit den Siegeln der an der Wahl beteiligten Adeligen Slawoniens aufbewahrte. Des Weiteren musste der slawonische Adel bei der Ausstellung von Urkunden nur die Hälfte der damals üblichen Gebühren an die Königliche Kurie entrichten. Der an den Gerichtstagen (octava) abzulegende Eid durfte vor dem slawonischen Gericht abgelegt werden. Mit Ausnahme der Adligen, die Treuebruch begangen hatten, Amtsträger in Slawonien oder Untertanen des Banus bzw. des Königs waren, durften Angehörige des Adels von Niemandem vor die königlichen Hofgerichte geladen werden, es sei denn, die Prozesseinleitung erfolgte in Slawonien und in der Königlichen Kurie war dagegen Berufung eingelegt worden.29 Ein Teil der Privilegien des slawonischen Adels stammte also aus dem Bereich der Rechtssprechung. Diese Vorrechte waren jedoch im Vergleich zu Kroatien weniger stark ausgeprägt, da dort das ungarische Komitatssystem etabliert war. Slawonien war hingegen fest in die kirchlichen Strukturen des ungarischen Königreiches integriert, das im Jahr 1095 gegründete Bistum Agram unterstand dem Erzbischof von Kalocsa.30 Außerdem besaßen die im ungarischen Reichstag verabschiedeten Gesetze Gültigkeit, wenngleich im slawonischen Raum die vorgeschriebene Kriegssteuer (dica) immer nur zur Hälfte eingetrieben und die direkte „staatliche“ Steuer (lucrum camerae) nicht pro Bauernhufe, sondern pro Haushalt entrichtet wurde.31 Die hier skizzierte spätmittelalterliche Einrichtung von Slawonien wies auch einige Parallelen zur Woiwodschaft Siebenbürgen (Regnum Transylvanum oder Regnum Transylvaniae) auf.32 28

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Nach 1444 strebte die Familie Cilli nach dem Ausbau einer eigenen Territorialherrschaft, die, neben ihren österreichischen Stammbesitzungen (vornehmlich in der Krain, der Steiermark und Kärnten), Teile Kroatiens, Slawoniens und Bosniens beinhaltet hätte. Pálosfalvi, Tamás: Cilleiek és Tallóciak: Küzdelem Szlavóniáért (1440–1448) [Die Cillis und die Tallócis: der Kampf um Slawonien (1440–1448)]. In: Századok 134/1 (2000), 49–66. MOL, DL, 16200. Zumindest bis 1853, als Agram zum selbstständigen Erzbistum erhoben wurde. Tringli, István: Az újkor hajnala. Magyarország története 1440–1541 [Anbruch der Neuzeit. Geschichte Ungarns 1440–1541]. Budapest 2003, 54. Mályusz, Elemér: A magyar rendi állam Hunyadi korában [Der ungarische Ständestaat zur Zeit Hunyadis]. Budapest 1958, 94–97. – Ders.: Az erdélyi magyar társadalom a középkorban [Die siebenbürgische ungarische Gesellschaft im Mittelalter]. Budapest 1988. Beide Provinzen waren durch ihre Gesandten regelmäßiger als die kroatischen Stände bei den ungarischen Landtagen vertreten. Im Vergleich zu den Ungarn verfügten sie nur über partikulare Rechte. Das zeigte sich etwa darin, dass ihr Blutgeld nur die Hälfte von dem der Ungarn betrug und die slawonischen und siebenbürgischen Adeligen keine Mitglieder des königlichen Rates werden durften. Eine weitere Gemeinsamkeit mit der siebenbürgischen Einrichtung bestand darin, dass

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Der slawonische Banus hatte im Vergleich zu dem kroatischen Banus einen geringeren Einfluss, wenn auch beide nach dem gleichen Verfahren ernannt wurden. Im Laufe des Mittelalters gab es zahlreiche Beispiele dafür, dass von königlicher Seite solche Personen zum Banus von Slawonien bestimmt wurden, deren Grundbesitz in anderen Teilen des Landes lag. Das ist deshalb hervorzuheben, weil der Banus von Slawonien den Vizebanus aus dem Kreis seiner Dienstleute (servitor) ernannte. Es gab derer zwei und sie waren gleichzeitig die Gespane der Komitate Agram und Kőrös. Der slawonische Adel hatte also bei der Auswahl der Provinzleitung und bei deren Arbeit kein Mitspracherecht.33 Die Einflussmöglichkeiten des Banus waren auch deshalb nicht so weitreichend wie im Königreich Kroatien, da die Zahl der königlichen Dienstgüter (honor) abnahm. Der Amtsinhaber besaß statt der einstigen großen Ländereien bis Ende des 15. Jahrhunderts nur noch die Städte Agram und Križevci.34 Auf die von Kroatien abweichende Stellung der Provinz weist auch die Tatsache hin, dass das Amt des Banus keinen ständigen Sitz hatte. Die anfallenden Akten wurden im Familienarchiv des jeweiligen amtierenden Würdenträgers gelagert, was dazu führte, dass viele Dokumente ob des häufigen Banuswechsels abhandengekommen sind. Der Schauplatz der Rechtssprechung wechselte zwischen Agram und Križevci, es kam aber auch vor, dass Gerichtstage an einem anderen Ort abgehalten wurden.35 Während der Provinzlandtage (particularis congregatio) wurden zumeist nur Gerichtstage abgehalten (sedes judicaria, sedria), an denen die Übeltäter verurteilt und Entscheidungen in Prozessangelegenheiten getroffen wurden. Es kam gelegentlich vor, dass diese nicht einmal vom slawonischen Banus, sondern vom Palatin oder einer anderen, vom König beauftragten Person geleitet wurden.36 Die vom Königreich Kroatien abweichenden Merkmale Slawoniens zeigen sich also vor allem in seinem Partikularismus, in den dort etablierten ungarischen Strukturen und darin, dass es beim slawonischen Adel keine Vorstellung einer gemeinsamen historischen Vergangenheit gab.

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das Tafelgericht des Landesrichters als dem Banus-Gerichtshof übergeordnete Behörde die oberste juristische Instanz des slawonischen Adels darstellte. Dazu kommt noch, dass – seit 1519 gesetzlich fixiert – in Siebenbürgen und Slawonien die Praxis der Prozessverfahren mit der im Königreich Ungarn üblichen identisch war. Erst in der Zeit Johann Corvinus’ konnte in den 1490er Jahren erreicht werden, dass der Banus seine Stellvertreter aus dem slawonischen Adel ernannte. Kubinyi, András: Die Komitatsgespanschaften im Jahr 1490 und das Problem der Thronfolge von János Corvin. In: Matthias Corvinus. Die Regierung eines Königreiches in Ostmitteleuropa 1458–1490. Übers. v. Tibor Schäfer. Herne 1999, 113–137. Engel, Pál: Királyi hatalom és arisztokrácia viszonya a Zsigmond-korban (1387–1437) [Das Verhältnis der königlichen Macht und der Aristokratie zur Zeit Sigismunds (1387–1437)]. Budapest 1977, 203 f. Zum Bsp. wurde der Landtag von 1478 in Izdenc im Komitat Kőrös abgehalten. Vgl. Laszowski, Emilij: Zaključci hrvatskoga sabora u Zdencima od 20. januara 1478. pogledom na obranu Hrvatske od Turaka [Die Beschlüsse des kroatischen Landtages in Izdenc am 20. Januar 1478 im Hinblick auf die Verteidigung Kroatiens gegen die Türken]. In: Vjesnik 18 (1916), 81–87. 1481 beauftragte der König Palatin Mihály Guti Országh und Landesrichter István Báthory mit der Leitung der Versammlung. Der Banus war nicht anwesend. Tringli (wie Anm. 20), 294.

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Im Mittelalter war Slawonien Bestandteil des Königreiches Ungarn und damit Mitglied der Heiligen Krone (membrum). Im Sinne des in der ungarischen Rechtsgeschichte erstmals von Werbőczy (1458?-1541) definierten organischen Staatsverständnisses bildete der Staat (regnum) einen/den corpus. István Werbőczy war derjenige, dessen Rechtsverständnis die Institutionen des Königs, der Nation und des Staatskörpers miteinander vereinigte. Diese Vorstellung wurde zu einem wesentlichen Element des ungarischen Verfassungsrechts.37 Slawonien war also Teil des Regnum, d.h. des Staatskörpers, unter dem man das gesamte Ungarn – selbst während der osmanischen Herrschaft – verstand.38 Parallel dazu war es auch üblich, Slawonien wie die anderen größeren territorialen Einheiten (Kroatien und Siebenbürgen) als corpora zu bezeichnen. Slawonien wurde als eine separate Einheit und Provinz der Heiligen Krone seit dem 15. Jahrhundert auch Regnum Sclavoniae genannt. Diese regionale Identität schloss jedoch die Zugehörigkeit zum Regnum Hungariae durchaus nicht aus, vielmehr stand es Pars pro Toto auch für die Teilhabe am Königreich Ungarn als Ganzes. Mehrere Punkte lassen sich für ein solches gemeinsames Staatsbewusstsein anführen. Erstens war im Gegensatz zum Königreich Kroatien die Verehrung ungarischer Heiliger in Slawonien sehr verbreitet und blieb bis 1918 prägnant.39 Die von König Ladislaus I. (Reg. 1440–1444) gestiftete Kathedrale von Agram wurde dem Hl. Stephan, dem ersten König Ungarns, zu Ehren geweiht. Die Weihe fand am 20. August, am sog. Stephanstag, statt. Dieser Tag ist in Ungarn bis heute Nationalfeiertag und es ist kein Zufall, dass eben dieser mit dem Kirchweihfest zusammenfiel. Zweitens spricht die Antwort der Studenten, die sich an ausländischen Universitäten immatrikulierten, für ein Gemeinschaftsbewusstsein. Zu der Zeit, in der sich kroatische Studierende als natio illyrica bezeichneten, fühlten sich die Studenten aus Slawonien als Mitglieder der natio hungarica. Das beste Beispiel dafür ist der Fall des Agramer Kanonikers Georg Ráttkay. Zwar hielt er 1641 als Teil der natio hungarica in der Wiener Stephanskirche die übliche jährliche „Sankt-Ladislaus-Predigt“, er war jedoch während seiner politischen Laufbahn ein großer Bewunderer des Palatins Johann Draskovics, dem großen Förderer des Illyrismus.40 37

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Diese Feststellung trifft auch auf Siebenbürgen zu, wie es von Teréz Oborni neuestens nachgewiesen wurde. Oborni, Teréz: From Province to Principality: Continuity and Change in Transylvania in the First Half of the Sixteenth Century. In: Fight against the Turk in Central-Europe in the First Half of the 16th Century. Hg. v. István Zombori. Budapest 2004, 165–178, bes. 165 f. und die dort zitierte Fachliteratur. Die Anerkennung der staatsrechtlichen Vorstellungen Werbőczys in Kroatien veranschaulicht die Tatsache, dass das erste Werk, welches im kajkavischen Dialekt im Druck erschien, eben gerade das Buch „Tripartitum“ war, das 1574 von János Pergosics übersetzt wurde. Lőkös, István: A horvát irodalom története [Geschichte der kroatischen Literatur]. Budapest 1996, 119. Nur ein Beispiel für die vorhandene Verehrung: 1515 opferten der in Agram lebende Gelehrte und Buchbinder Paulus (literatus et ligator librorum) und seine Gattin Elisabeth ihr Haus und ihren Garten für die Erhaltung des St.-Emmerich-Altars in der Kathedrale St. Stephan in Agram. Vgl. Tkalčić, Ivan Krstitelj: Povjestni spomenici slob. kralj. grada Zagreba priestolnice Kraljevine Dalmatinsko-Hrvatsko-Slavonske. Monumenta historica liberae regiae civitatis Zagrabiae metropolis regni Dalmatiae, Croatiae et Slavoniae. Bd. 3: Izprave 1500–1526. Zagreb 1896, 115. Bene, Sándor: Egy kanonok három királysága. Ráttkay György horvát históriája [Drei König-

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Die Auswirkungen der osmanischen Herrschaft Die Vertiefung der Beziehungen zwischen dem ungarischen Königreich und seinen Provinzen Kroatien und Slawonien war zudem der Expansion des Osmanischen Reiches im 15. Jahrhundert geschuldet. Dem Königshof in Ofen fiel es nach der Eroberung Bosniens 1463 zunehmend schwerer, seine abgelegenen Territorien effektiv zu verteidigen. Deshalb stellte König Matthias I. die Weichen für ein neues Verteidigungssystem, das auf einer Grenzverteidigung basierte.41 Da die Balkanhalbinsel bis 1466 im Wesentlichen von den Osmanen okkupiert worden war, wandte sich die Armee des Sultans in der Folge gegen die kroatischen Gebiete. Wegen der ständigen Bedrohung sowie des permanenten Kriegszustandes militarisierte sich die kroatische Gesellschaft, was König Matthias Corvinus dadurch förderte, dass er die Finanzierung der Banderien der kroatischen Aristokratie selbst übernahm.42 Seine Unterstützung erwies sich jedoch als ungenügend, weshalb der bisher vom Krieg verschonte Adel Slawoniens den Truppen am kroatischen Kriegsschauplatz immer häufiger mit Lebensmitteln und Kriegsausrüstung zu Hilfe eilen musste. Das verstärkte wiederum in den beiden Provinzen das Gefühl, aufeinander angewiesen zu sein, brachte aber unter den ungarischen Ständen einen entgegengesetzten Prozess in Gang. Im Land nördlich der Drau wollte sich der Adel intensiver an der Warenproduktion und am Handel beteiligen, was zur Folge hatte, dass sich die ungarischen Vornehmen im Gegensatz zu denen in Kroatien und Slawonien „entmilitarisierten“. Die Versorgung der bosnischen Stadt Jajce wiederum belastete bis 1468 den slawonischen Adel enorm.43 Die nun häufige Teilnahme an Kriegszügen und die daraus resultierenden Erfahrungen legten die Grundlage für eine neue Identität, die sich wesentlich intensiver als bisher auf Rechtsprivilegien stützte. Immer häufiger wurden nun Ständeversammlungen abgehalten, damit die Verteidigung organisiert werden konnte. Die Kriegszüge formten den slawonischen Adel zu einer Gemeinschaft, die sich nunmehr auch politisch zu artikulieren begann. Die zunehmenden militärischen Verpflichtungen veranlassten den slawonischen Adel, den König um rechtliche und steuerliche Vergünstigungen zu ersuchen. 1477 ordnete Matthias Corvinus an, dass die slawonischen Stände an der folgenden Generalständeversammlung (congregatio generalis) ausnahmslos persönlich vorstellig werden mussten, damit der Banus die Registrierung der Zahl der Kriegsfähigen vornehmen konnte. Die Adeligen erhielten das Recht, aus ihren Reihen einen Kapitän zu wäh-

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reiche eines Kanonikers. Die kroatische Geschichte des György Ráttkay]. Budapest 2000, 12 f. Pálffy (wie Anm. 9), 3–6. Kubinyi, András: Hadszervezet a késő középkori Magyarországon [Militärwesen im spätmittelalterlichen Ungarn]. In: Nagy képes Millenniumi hadtörténet. 1000 év a hadak útján. Budapest 2000, 75–86, hier 77. Magyarország melléktartományainak oklevéltára [Urkundensammlung der Provinzen Ungarns]. Bd. 4: Jajcza (bánság, vár és város) története 1450–1527. Hg. v. Lajos Thallóczy. Budapest 1915, CXXIII. Auch nach 1468 trug Slawonien den Hauptanteil der Burgversorgung. 1525 wurde auch der slawonische Adel – neben anderen ungarischen Kontingenten – zur Burgbefreiung mobilisiert.

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len und bekamen vier Jahre Steuerfreiheit.44 Diese Verordnung ist als ein wichtiger Meilenstein der politischen und staatlichen Entwicklung Slawoniens anzusehen, da diese die Privilegien des Adels in diesem Gebiet erweiterte und die Ständeversammlung, die bisher lediglich juristische Funktionen wahrnahm und als Forum der Rechtssprechung gegolten hatte, mit neuen Kompetenzen versah. Die Ereignisse nach dem Tod von König Matthias Corvinus im Jahr 1490 markierten die nächsten Etappen der politischen und staatlichen Entwicklung Slawoniens. Die Lage der Provinz wurde durch den Vertrag zwischen den beiden Gegenkönigen, Ladislaus II. Jagiello (ung. Reg. 1490–1516) und Johann Corvinus, erheblich beeinflusst.45 Im Sinne des am 31. Juli 1490 zu Farkashida (sk. Vlčkovce) geschlossenen Abkommens verlieh Ladislaus Johann Corvinus die Titel „König von Bosnien“ sowie „Banus von Kroatien-Dalmatien“ auf Lebenszeit. Mit diesem Akt sollte ein neues – vorher nicht vorhandenes – Staatsgebilde unter der Herrschaft und Hoheit des Hauses Corvinus entstehen.46 Der Plan scheiterte nicht zuletzt am Widerstand der kroatischen und slawonischen Stände. Johann Corvinus konnte in den folgenden Jahren lediglich den Titel eines Herzogs von Slawonien (dux Sclavoniae) führen.47 Der Protest des slawonischen Adels bezog sich auf eine Klausel in der Vereinbarung, wonach selbst der Banus dem Herzog unterstellt worden wäre, was als eine enorme Einschränkung der adligen Privilegien abgelehnt wurde. Die ungewisse innenpolitische Lage trug dazu bei, das Selbstverständnis des slawonischen Adels zu stärken. 1492 sahen sich die Stände veranlasst, den König um die Bekräftigung ihrer Vorrechte zu ersuchen. Ein paar Jahre später wurde den Ständen über ihre Privilegien auf dem Gebiet der Justiz hinaus ein weiteres Recht zugestanden: Sie betrachteten sich als die Vormauer des ungarischen Königreiches48 und verlangten, als Anerkennung ihrer militärischen Verdienste, mit ihrem Wappen, auf dem ein nach rechts hastender Marder dargestellt ist, in den Krieg ziehen zu dürfen.49 Dieser Wunsch geht aus der im Jahr 1496 von Ladislaus II. ausgestellten Urkunde hervor, in der der König dem slawonischen Adel ein Wappen schenkte.50 Festzustellen bleibt also, dass der in Reaktion auf die osmanische Bedrohung entstandene Topos der Antemurale Christianitatis die Entwicklung Slawoniens zu einem selbstständigen Königreich (regnum) entscheidend förderte und das Selbstverständnis des slawonischen Adels zu entwickeln half. Außer dem Wappen 44 45 46 47 48 49 50

Fejér (wie Anm. 7), 39–41. Über die ungeordneten Zustände siehe Kubinyi, András: A királyi tanács az 1490. évi interregnum idején [Der königliche Rat in der Zeit des Interregnums von 1490]. In: Levéltári Közlemények 48/49 (1978/79), 61–80. Magyarország melléktartományainak (wie Anm. 43), CL. Zur Biographie Johann Corvinus siehe Schönherr, Gyula: Hunyadi Corvin János 1473–1504 [Johann Corvinus von Hunyadi 1473–1504]. Budapest 1894. „Quapropter non immerito hoc ubi ipsum regnum nostrum unum praecipuum scutum, vel potius antemurale regno nostri Hungariae appellaverimus.“ Vgl. Fejér (wie Anm. 7), 46–49. „Quamvis illud regnum nostrum Sclavoniae ab antiquo habuerit pro armorum insignu unum Mardurem, et his armis usque praesentiarum semper usum fuerit […].“ Ebd. Das steht mit der Entwicklung der ungarischen Komitate im Zusammenhang, da das Komitat Somogy 1498 vom Herrscher auch ein eigenes Wappen erhielt.

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erhielt die Provinz 1497 auch ein eigenes Siegel zur Beglaubigung der im Namen des gesamten Adels herausgegebenen Dokumente. Zugleich gestalteten sich die slawonischen Kontakte zu den kroatischen Gebieten immer enger. 1476 zog man – nicht zuletzt wegen der Zügelung des Königs von Bosnien, Miklós Újlaki51 – die bis dato gesonderten Banus-Titel zusammen. Von nun an trugen die Würdenträger den Titel „Banus von Kroatien-Slawonien-Dalmatien“ (banus Croatiae Sclavoniae et Dalmatiae). Das bedeutete zwar noch nicht die gemeinsame Verwaltung der drei Provinzen, da für diese Position immer zwei Personen ernannt wurden, die die Aufgaben unter sich aufteilten und ihre Versammlungen getrennt abhielten, was sich im Hinblick auf Mobilmachung und Organisation der Verteidigung als Vorteil erweis. Dennoch schien der Vormarsch der Osmanen nicht aufzuhalten zu sein: 1480 wurde Slawonien durch osmanische Truppen geplündert, 1493 starb ein großer Teil des kroatischen Adels in der unglücklich verlaufenden Schlacht bei Udbina.52 Dieses Gefecht markierte den Wendepunkt, nach dem die vereinigte Banschaft ihre selbstständige politische Orientierung zu definieren begann, da sie das Vertrauen in den ungarischen König verloren hatte.53 1495 kamen Johann Corvinus, Bernhard Frankopan (ung. Frangepán) und die kroatischen Stände auf der Burg Bihač überein, Kaiser Maximilian I. um Hilfe zu ersuchen.54 In diesem Zusammenhang spielte die in der Folge immer häufiger auftauchende Argumentation, dass der ungarische König nicht im Stande sei, seine Länder zu beschützen, eine entscheidende Rolle.55 Verknüpft wurde dieser Gedanke mit der Interpretation der pacta conventa, die im Hintergrund wirksam war, wonach der König stets aus freiem Willen von den Ständen gewählt worden war. Die Argumentation konnte natürlich dahingehend erweitert werden, dass ein König, der seinen Pflichten nicht nachkam, d.h. das Land nicht beschützte (non idoneus), von den Ständen durch einen anderen ersetzt werden durfte. Obwohl der Königshof alles unternahm, um die ungünstige Lage zu ändern, stand er dem osmanischen Weltreich Sultan Selims I. (Reg. 1512–1520) beinahe machtlos gegenüber. Vergebens wurden in den 1510er Jahren eine 9.000 bis 10.000 Mann starke Armee für die Verteidigung der Grenze bereitgehalten und circa 170.000 bis 180.000 Gulden für Kriegsausgaben zur Verfügung gestellt.56 Man 51 52

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Vgl. dazu ausführlich Kubinyi, András: Die Frage des bosnischen Königtums von Nikolaus Újlaky. In: Studia Slavica Academiae Scientiarum Hungaricae 4 (1958), 373–384. Zu den Auswirkungen der Schlacht sowie zur Lage Kroatiens unter den Jagiellonen siehe Krbavska bitka i njezine posljedice [Die Schlacht von Krbava und ihre Folgen]. Hg. v. Dragutin Pavličević. Zagreb 1997. Zum Ablauf der Schlacht siehe Borsa, Gedeon: Néhány bécsi ősnyomtatvány magyar vonatkozásai [Ungarische Bezüge einiger Wiener Wiegendrucke]. In: Az Országos Széchényi Könyvtár évkönyve (1965/66), 389–396, hier 390–392. Tringli (wie Anm. 31), 120. Magyarország melléktartományainak (wie Anm. 22), 2. Tringli (wie Anm. 31), 95. 1513–1514 bezahlte zum Bsp. der Gespan von Temes den Sold für die 3.950 Reiter, 400 Fußsoldaten und 1.100 Marinesoldaten, d.h. für 5.090 Personen in „Niederungarn“. Die 1.657 Reiter und 770 Fußsoldaten, d.h. 2.477 Personen auf dem kroatisch-bosnischen Territorium wurden ebenfalls von ihm bezahlt. Hinzu kam noch das königliche Heer, die kirchlichen Banderien sowie die Bauernsoldaten (vojnik), deren Anzahl nur schwer zu schätzen ist. Laut eines Bud-

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kann also nicht behaupten, dass die politische Elite der Jagiellonenära keinen Versuch zur Verteidigung der südlichen Grenze unternommen hatte,57 wenngleich das Königreich Ungarn seit Anfang des 16. Jahrhunderts im schwindenden Maße im Stande war, Kroatien und Slawonien zu schützen.58 Der kroatische Adel sandte einen Brief nach dem anderen an den Papst, nach Venedig und an den Kaiser, um etwaige Hilfe zu erhalten.59 Der Königshof in Ofen war nun immer weniger in der Lage, den Süden des Landes zu kontrollieren, wo Slawonien und Kroatien nach dem Tod Johann Corvinus’ im Jahr 1504 in Anarchie versanken. Der neu ernannte Banus, András Both von Bajnai,60 verhielt sich wie ein Gegenkönig und konnte seine Absetzung erfolgreich verhindern.61 Nach dessen Tod 1511 gelang es, die Lage in der Provinz mehr schlecht als recht zu konsolidieren. Letztlich vergebens ernannte König Ladislaus den Palatin Péter Perényi (1512–1513) zum Banus und verlieh seinem Amtsnachfolger, Péter Beriszló (1513–1520), den Titel eines Schatzmeisters (thesaurarius). Diese Maßnahmen konnten das weitere Vordringen der Osmanen nicht verhindern. 1512 fiel die Stadt Srebrenik und mit ihr ein wichtiges Kettenglied im Verteidigungssystem. Die einzige Möglichkeit des Herrschers wäre es gewesen, einen loyalen Gefolgsmann für das Amt des Banus zu ernennen. Das hätte aber eine Kooperation mit dem slawonisch-kroatischen Adel vorausgesetzt, weil ohne dessen Unterstützung der Banus nicht im Stande war, die Provinz zu kontrollieren. Ein weiteres wichtiges Kriterium für die Ernennung des Banus war, dass er über ausreichende Güter ver-

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gets aus dem Jahr 1511 betrug der Sold der Truppen in Niederungarn 60.206 Gulden und der von den Soldaten der Banschaft Kroatien 56.020 Gulden. Letzterer lag folglich höher, denn der Hof bezahlte noch den Sold von 752 Reitern der kroatischen Grafen und die Soldaten erhielten den Sold für das ganze Jahr. Kubinyi (wie Anm. 42), 77. Für eine partielle Neubewertung der Jagiellonenära siehe Ders.: Változások a középkor végi Magyarországon [Veränderungen im spätmittelalterlichen Ungarn]. Budapest 1993. 1499 verschleppten die plündernden osmanischen Truppen 7.000 Menschen und 1.700 Rinder aus Kroatien. Margalits (wie Anm. 26), 46. Zwischen 1500–1520 verschleppten sie 70.000 Menschen aus Dalmatien. Ebd., 327. Venedig verfügte seit 1420 über beträchtliche Ländereien in Dalmatien, die von der osmanischen Expansion gleichermaßen gefährdet waren. Deshalb bezahlten sie in mehreren Fällen kroatische Adelige, damit diese auch die venezianischen Besitzungen verteidigten. 1516 erhielt Johann von Krbava 2.500 Gulden, um 150 Reiter zur Verteidigung der Region bereitzuhalten. Dem Banus von Kroatien, Peter Beriszlo, wurde eine noch größere Summe zur Verfügung gestellt. Ebd., 197. Über die Beziehung zwischen Venedig und den Osmanen siehe Braunstein, Philippe: Venedig und die Türken (1480–1570). In: Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Türkenkriege. Die Vorträge des 1. Internationalen Grazer Symposions zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte Südosteuropas (5. bis 10. Oktober 1970). Hg. v. Othmar Pickl. Graz 1971, 59–70. Siehe dazu die neueste Publikation von Pálosfalvi, Tamás: Bajnai Both András és a szlavón bánság. Szlavónia, Európa és a törökök, 1504–1513 [András Bajnai Both und das slawonische Banat. Slawonien, Europa und die Türken, 1504–1513]. In: Honoris Causa. Tanulmányok Engel Pál tiszteletére. Hg. v. Tibor Neumann. Budapest 2009, 251–301. Kubinyi, András: Beriszló Péter és budai szereplése [Péter Beriszló und sein Auftritt in Buda]. In: Főpapok, egyházi intézmények és vallásosság a középkori Magyarországon. Hg. v. Dems. Budapest 1999, 172.

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fügte, um aus deren Erlösen die hohen Verteidigungskosten zu decken. Es gab allerdings in der Jagiellonenzeit nur wenige Adlige, die über ein entsprechendes Vermögen verfügten. Dies führte letztlich dazu, dass die Person des Banus von KroatienDalmatien-Slawonien immer einflussreicher wurde: Der königliche Hof erwartete die Übernahme der vielfältigen, mit dem Amt verbundenen Aufgaben und die Deckung eines Teils der Kriegskosten, während die kroatisch-slawonischen Stände sich nur von ihm Schutz erhoffen konnten. Die gegenseitige Abhängigkeit von kroatisch-slawonischem Adel und Banus wurde auch dadurch verstärkt, dass beide Parteien die Durchsetzung ihrer gemeinsamen Ziele – nämlich die Verteidigung der Provinz – nur durch eine erfolgreiche Zusammenarbeit erreichen konnten. Deswegen wurden jeweils lokale Großgrundbesitzer zum Banus von Kroatien-DalmatienSlawonien ernannt, was allerdings stets die Gefahr in sich barg, dass dieses Amt zum Ausbau einer eigenen Territorialherrschaft genutzt werden konnte.62 Das Machtpendel zwischen dem Herrscher und den Ständen schlug in diesen Jahrzehnten immer weiter auf die Seite des Adels aus. Péter Beriszló gelang es bis zu seinem Tod nicht, die Unterstützung der slawonischen Stände zu gewinnen, die nicht bereit waren, größere finanzielle Opfer für die Verteidigung der Gebiete jenseits der Save zu erbringen, da sie sich dazu nicht verpflichtet fühlten. Die Adeligen beriefen sich dabei auf ihre Freiheitsrechte, auf die Beriszló keinen Eid abzulegen bereit war. Erfolgreich verhinderten sie auch die Besteuerung der Stadt Agram.63 Das Recht des Banus auf Besteuerung war ein Novum, was die Aversion der Stände gegenüber Beriszló erklärt. Am 29. August 1521 eroberte Sultan Süleyman der Prächtige (1520–1566) die „weiße Stadt“ Belgrad. Mit dem Fall der Burg war das bis dahin besser geschützte Slawonien ständigen Angriffen ausgesetzt. Ziel der Osmaneneinfälle waren die reichen habsburgischen Erbländer. Das veranlasste den jungen Erzherzog Ferdinand, ernsthafte Gegenmaßnahmen einzuleiten. 1522 erschienen österreichische Hilfstruppen auf kroatischem Territorium, die von Krain und Kärnten aus bezahlt wurden und unter eigenen Heerführern standen.64 Der Erzherzog versuchte, die Effektivität der Verteidigung auch dadurch zu erhöhen, dass er mit Genehmigung des ungarischen Königs Ludwig II. mehrere kroatische Adelige in seinen Dienst auf62 63 64

Wie real diese Gefahr war, wird daran erkennbar, dass sowohl Corvinus als auch Both und Beriszló oft eine andere, vom Kurs des ungarischen Hofes abweichende Außenpolitik verfolgten und mit den fürstlichen Höfen Europas gemäß ihren eigenen Interessen korrespondierten. Kubinyi (wie Anm. 61), 176 f. Pars pro Toto siehe Rothenberg, Gunther Erich: The Austrian Military Border in Croatia 1522–1747. Urbana 1960. – Amstadt, Jakob: Die k. k. Militärgrenze 1522–1881 (mit einer Gesamtbibliographie). Bde. I–II. Würzburg 1969. – Loserth, Johann: Innerösterreich und die militärischen Maßnahmen gegen die Türken im 16. Jahrhundert. Studien zur Geschichte der Landesdefension und der Reichshilfe. Graz 1934. – Vanίček, Frantisek: Specialgeschichte der Militärgrenze. Bd. I. Wien 1875. – Guldescu, Stanko: The Croatian-Slavonian Kingdom 1526–1792. Mouton 1970. – Bidermann, Hermann Ignaz: Steiermarks Beziehungen zum kroatisch-slavonischen Königreich im XVI. und XVII. Jahrhundert. In: Mittheilungen des Historischen Vereines für Steiermark 39 (1891), 3–125. – Kovács, Péter: Erzherzog Ferdinand und Ungarn (1521–1526). In: Kaiser Ferdinand I. Ein mitteleuropäischer Herrscher. Hg. v. Martina Fuchs, Teréz Oborni und Gábor Újváry. Münster 2005, 57–78.

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nahm, die ihre Heimat von nun an auf seine Kosten verteidigten. Bis 1526 erfolgte eine Kooperation zwischen dem seitens des ungarischen Königs ernannten Banus und dem Oberbefehlshaber der Hilfstruppen der Erbländer.65 Die zunehmende Unterstützung aus den Erbländern war auch deswegen erforderlich, weil die allmählich selbst zum Kriegsschauplatz werdende Provinz nach 1521 nicht mehr über Donau und Save versorgt werden konnte, da auf der Drau oberhalb von Esseg (kroat. Osijek) ein Munitionstransport auf größeren Schiffen unmöglich war.66 Die Versorgung Kroatiens war daher nur über die Mur möglich. Außerdem konnten sich die kroatischen Stände eher auf die Hilfe Wiens verlassen. Die Erkenntnis, dass die militärische Unterstützung Kroatiens nach dem Fall Belgrads von Ofen aus nicht mehr zu erwarten war, erhöhte die Sympathie der kroatischen Stände gegenüber dem Wiener Hof. Aus der Perspektive des ungarischen Königshofes betrachtet galten die kroatischen Gebiete tatsächlich nur als ein Nebenkriegsschauplatz, obwohl dies im königlichen Rat in dieser Form nie offen ausgesprochen wurde. Für den kroatischen Adel war die Frage letztlich unerheblich, ob das Königreich Ungarn keine Hilfe leisten konnte oder wollte.67 Das Misstrauen dem Ofener Hof gegenüber wurde auch dadurch verstärkt, dass das Amt des Banus immer häufiger unbesetzt blieb und diese Würde so zu einem Spielball der innenpolitischen Auseinandersetzungen degradiert wurde. Johann von Krbava,68 der als Anhänger Ferdinands galt, wurde 1524 von seinen Gegnern am Hof zum Rücktritt gezwungen, während der Kandidat Ludwigs II., Johann Tahy, wiederum von den slawonischen Ständen abgelehnt wurde. Das war ein neues und beispielloses Phänomen in der Machtpolitik der Stände.69 Es zeigt einerseits die nächste Stufe der staatlichen und politischen Entwicklung Slawoniens, andererseits den allmählich sinkenden Einfluss des ungarischen Königshofes.

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Im Frühjahr 1526 befahl König Ludwig II. Banus Ferenc Batthyány, dass er die Versorgung der fremden Truppen unterstützen solle: „Ad alendas gentes prefati domini archiducis, ne inopia et defectu vel etiam caristia victualium cogantur illas partes vacuas deserere […].“ Vgl. Monumenta Habsburgica Regni Croatiae, Dalmatia, Slavoniae. Bd. I: Von 1526 bis 1530. Hg. v. Emilij Laszowski. Zagreb 1914, 1. Das geht aus dem Bericht des Apostolischen Nuntius Antonio Giovanni da Burgio vom 20. August 1526 hervor: „Die türkische Flotte begann sich, die Drau entlang aufwärts zu bewegen was bedeutete, dass sie einen Angriff gegen Ungarn planten, da die Drau mit solch großen Schiffen nur bis Osijek schiffbar ist […].“ Vgl. in Mohács. Hg. v. János B. Szabó. Budapest 2006, 91. Das bestätigt Antonio Burgio in seinem Schreiben vom 30. Juni 1526. Seiner Meinung nach „das beste Ergebnis, mit dem wir diesen Krieg [den Feldzug im Jahr 1526] beenden können, ist der Verlust aller Gebiete zwischen Drau und Save. Ich betrachte dieses Territorium jetzt schon so, als ob wir es schon verloren hätten, seitdem der Feind die Save überquerte.“ Ebd., 64. Siehe dazu Varga, Szabolcs: Adalékok a Zrínyi család felemelkedéséhez. A Karlovics-örökség [Beiträge zum Aufstieg der Familie Zrínyi. Die Karlovics-Erbschaft]. In: Zrínyi Miklós élete és öröksége. Hg. v. Zoltán Varga. Szigetvár 2009, 4–28. Margalits (wie Anm. 26), 348 f.

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Die Ereignisse des Jahres 1526 Die sich im Juli 1526 zuerst in Cetin, dann in Bihač versammelnden kroatischen Stände standen vor dem Dilemma, ob sie dem Befehl König Ludwigs II. folgen und unter der Leitung des Banus in den Krieg ziehen sollten, oder ob sie ihr Augenmerk weiterhin auf das kroatische Grenzgebiet richten sollten. Vergebens vertrat der ebenfalls anwesende Oberbefehlshaber der kaiserlichen Truppen, Niclas Jurisich, die Ansicht, dass Ungarn das Ziel des osmanischen Angriffs sei, weshalb zur Grenzverteidigung 500 Reiter und 200 Fußsoldaten durchaus genügen würden: Erzherzog Ferdinand forderte sie zum Bleiben auf. Deswegen nahmen sie – im Gegensatz zum slawonischen Heer – an der verhängnisvollen Schlacht bei Mohatsch nicht teil. Die Entscheidung der von Johann von Krbava angeführten kroatischen Stände bestätigte sich insofern, als man trotz der optimistischen Meinung von Jurisich bis Mitte August nicht herausfinden konnte, was das eigentliche Ziel des Feldzuges der Osmanen war.70 Ein weiterer Grund ihrer Verspätung war die Überzeugung, dass sie bei einem möglichen Vorstoß des Sultans gegen Kroatien von Ofen keine Hilfe zu erwarten hatten.71 Letztlich handelten sie richtig: Obwohl das Königreich Ungarn das größte Heer Europas aufgestellt hatte, wurde es von der Übermacht des Gegners fast vollständig vernichtet.72 Als folgenreich erwies sich, dass auch der König tot auf dem Schlachtfeld blieb. Damit war der Thron Böhmens und Ungarns unbesetzt. Im ausgeplünderten Land blieben zwei größere Heere intakt: das eine unter Oberbefehl von Szapolyai in der Umgebung von Szeged, das andere in Kroatien. Es war unbestritten, dass die beiden Armeen ein gewichtiges Wort bei der anstehenden Königswahl haben würden. Johann Szapolyai, der Woiwode von Siebenbürgen, wurde von der Mehrheit des kaiserfeindlichen Adels unterstützt. Gleichzeitig sah der Erzherzog die Zeit gekommen, nach der Stephanskrone zu greifen. Dazu wurde er durch mehrere Faktoren veranlasst: Er sah einerseits die Verteidigung der Erbländer nur durch den Erwerb des ungarischen Königstitels gewährleistet, da er die Ressourcen des ungarischen Königreiches nutzen wollte, um gegenüber dem Osmanischen Reich eine Art „Schutz- und Pufferzone“ auszubauen.73 Andererseits war er sich im Klaren darü70

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Am 27 März war man noch aufgrund der Berichte eines zum Islam konvertierten Verwandten von János Tahy der Meinung, dass der Sultan über Siebenbürgen, Peterwardein und Slawonien angreifen werde. Szabó (wie Anm. 66), 32. Erst am 21. August rief der König Banus Franz Batthyány zu sich, als er sich bereits sicher war, dass das Ziel der Osmanen die Eroberung Budas sein werde. Ebd., 91 f. Eben deswegen wollte man den Frühjahrslandtag in Fünfkirchen (ung. Pécs) abhalten, damit „die Kroaten in Treue gehalten werden (die mal mit den Türken, mal mit Ferdinand, dem österreichischen Erzherzog, Verhandlungen führen)“. Ebd., 33. Von der circa 26.000 Mann starken Armee starben 16.000 bis 17.000 Soldaten auf dem Schlachtfeld. Zur neuesten Bewertung der Schlacht siehe ebd. An der Schlacht nahmen mehrere kroatische Adelige teil, unter ihnen Georg Kobasić und Franz Jozefić, der Bischof von Zengg. Das Königreich Ungarn verfolgte im 15. Jahrhundert eine ähnliche Politik, indem es vor seiner Südgrenze eine aus Vasallenstaaten bestehende „Pufferzone“ errichtete.

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ber, dass die Herrschaft über das mit 325.000 km² größte Land in Mitteleuropa seinen Einfluss auf die europäische Politik bedeutend erhöhen würde. Im Herbst 1526 versuchten beide Königskandidaten, möglichst viele Anhänger zu mobilisieren. In diesem Wettrennen hatte Ferdinand die schlechteren Karten, da er sich anfangs nur auf die Umgebung Königin Marias, auf den Palatin István Báthori, einige westungarische Aristokraten sowie den ihm gegenüber seit mehreren Jahren loyalen kroatischen Adel stützen konnte.74 Dessen Rolle wurde im Herbst 1526 entscheidend, als Szapolyai von den ungarischen Ständen am 10. November in Stuhlweißenburg zum König gewählt und am darauf folgenden Tag, den drei wichtigen Legitimationsprinzipien entsprechend, gekrönt wurde.75 Erzherzog Ferdinand wurde seinerseits am 16. Dezember 1526 in Pressburg zum ungarischen König gekrönt; auch nahm er durch seine Gesandten die Bedingungen der kroatischen Stände an und wurde im Gegenzug am 01. Januar 1527 im Franziskanerkloster von Cetin zum kroatischen König gewählt.76 Damit erreichte die Entwicklung des mittelalterlichen kroatischen Staates ihren Höhepunkt, denn die Adelsgemeinschaft, die das Regnum bildete, wählte erstmals einen eigenen Herrscher. Es stellt sich nun die Frage, ob dieser Akt von der vorausgegangenen Pressburger Königswahl77 der ungarischen Stände unabhängig war oder ob die Würde der kroatischen Königskrone, die die Wahl im August 1526 ohnehin schon einschloss, zugleich mit der der ungarischen Königswahl vergeben wurde. Aus dem Text der Urkunde über die Königswahl geht hervor, dass deren Verfasser – vermutlich Andreas Tuskanics, der Bischof von Knin und Abt von Topusko – die Pressburger Wahl zu ignorieren versuchte, da er Ferdinand lediglich als böhmischen und kroatischen König erwähnte.78 Diese Formulierung aber ist merkwürdig. Offenbar war der geübte Urkundenschreiber nicht im Stande, mit den jahrhundertealten Formulierungen zu brechen und mit einem juristischen Sachverhalt umzugehen, für den es keinen Präzedenzfall gab. Dies wird auch bei der Aufzählung der Titel der Gattin des Erzherzogs deutlich.79 Dem kroatischen Adel gelang es entgegen dessen Absichten nicht, die ungarische Wahl zu ignorieren. Kurze Zeit später wurden auch in den kroatischen Urkunden und Briefen alle Titel von Ferdinand aufgezählt, allen voran seine Bezeichnung 74 75

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Zu den Ereignissen siehe Jászay, Pál: A magyar nemzet napjai a mohácsi vész után [Die Tage der ungarischen Nation nach der Schlacht bei Mohatsch]. Budapest 1846. Die Krönungszeremonie erfolgte in Stuhlweißenburg mit der Heiligen Krone; ausgeführt wurde sie von dem Vertreter des bei Mohatsch gefallenen Erzbischofs von Gran, László Szalkai (1524–1526), nämlich von István Podmaniczky, dem dienstältesten Oberpriester und Bischof von Neutra (sk. Nitra). Die Urkunde über die Königswahl wurde herausgegeben von Chmel (wie Anm. 5), 35–39. – Kukuljević, Ioannes aliter bassani de Sacchi: Iura regni Croatiae, Dalmatiae et Slavoniae. Pars II. Articuli et constitutiones diaetarum seu generalium congregationum regni Croatiae, Dalmatiae et Slavoniae. Zagreb 1862, 20–22. – Magyar Országgyűlési Emlékek. Monumenta Comitialia Regni Hungariae. Bd. I: 1526–1536. Hg. v. Vilmos Fraknói. Budapest 1874, 87– 90. – Šišić (wie Anm. 5), 51–54. An der Wahl in Pressburg nahmen übrigens auch die Gesandten des kroatischen Adels teil. Dei gratia Bohemie et Croatie rex. Annam Hungarie Bohemie et Croatie reginam.

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als ungarischer König.80 Die besonderen Umstände dieser kroatischen Königswahl macht auch die Tatsache deutlich, dass es eine solche Praxis bei den darauf folgenden Herrschern nicht mehr gab und man zum mittelalterlichen Modus zurückkehrte. Ferner muss bei der Untersuchung dieser Ereignisse der Frage nachgegangen werden, ob Ferdinand seinen kroatischen Königstitel von der Pressburger oder aber erst von der Cetiner Wahl ableitete. Uns stehen zwei Angaben zur Verfügung, die belegen, dass Ferdinand sich infolge der Wahl durch die ungarischen Stände in Pressburg als kroatischer König legitimiert sah. Die erste Mitteilung ist ein auf den 31. Dezember 1526 datiertes und an den ungarischen, kroatischen und slawonischen Adel adressiertes Schreiben seines Bruders Karl V. (Reg. 1519–1556), in dem er sich für die Unterstützung Ferdinands bedankte.81 Den Anlass dafür bot die Pressburger Königswahl, denn der Brief wurde noch vor den Ereignissen in Cetin geschrieben. Das zweite Schreiben vom 09. März 1527 wurde von Ferdinand selbst verfasst und war an die kroatischen Stände gerichtet. In diesem teilte er ihnen mit, dass nach dem Tod König Ludwigs „[…] per electionem spontaneam, tum jure contractus optimo et efficacacissimo in predicto regno Hungariae successerimus“, und er sich als ungarischer König auch um die Verteidigung dieses Territoriums kümmern wolle. Deswegen ernannte er Ferenc Batthyány zum bevollmächtigten Banus von Kroatien-Dalmatien-Slawonien, der bereits unter Ludwig II. dieses Amt bekleidet hatte und den die Stände als ihren gesetzmäßigen Banus anzuerkennen hatten.82 Noch etwas bestätigt, dass Ferdinand mit der Wahl der kroatischen Stände nichts anzufangen wusste. Er verwendete während seiner gesamten Regierungszeit konsequent den Titel Dei gratia rex […] Croatiae und nicht die Bezeichnung electus rex Croatiae. Hätte er seine Wahl in Cetin ernst genommen, so hätte er wahrscheinlich die zweite Bezeichnung benutzt. Denn ohne Herrscherattribute, ohne Krone und ohne feste Krönungsordnung hätte man einen von Ungarn unabhängigen kroatischen König tatsächlich nur wählen, aber nie richtig krönen können. Aufgrund des Gewohnheitsrechts und der Erinnerungskultur wurde der Herrscher mit der ungarischen Krönungszeremonie gleichzeitig auch zum kroatischen König erhoben. Daher war die ungarische Krone zugleich das einzige Attribut des kroatischen Königs. Es ist anzunehmen, dass sich Ferdinand ob seiner Wahl – und später ob seiner Krönung – zum ungarischen König und nicht der kroatischen Stände wegen auch als König von Kroatien betrachtete. Ferdinand stand damit in der Tradition einer jahrhundertealten Praxis. Die Wahl in Cetin war eher eine propagandisti80

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Bereits am 03. Januar adressierten die kroatischen Stände einen Brief an den Herrscher mit dieser Formulierung. Šišić (wie Anm. 5), 55. Die letzte bekannte Urkunde, in der der Titel „König von Ungarn“ nicht erwähnt wurde, stammt vom 07. Januar 1527 von Nikola Zrinski/ Miklós Zrínyi, der in Cetin ebenfalls anwesend war. Ebd., 68. Danksagungsschreiben Kaiser Karls V. an die Stände der Königreiche Ungarn, Kroatien und Slawonien „quod Ferdinandum in regem designaverint et adsciverint“. Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien, Ungarische Akten AA 2. Konv. C. fol. 169. Siehe des Weiteren auch Šišić (wie Anm. 5), 44. An dieser Stelle bedanke ich mich bei Dr. István Fazekas (Wien) für seine Hilfe bei der Identifizierung des Schriftstücks. Iványi, Béla: A körmendi levéltár Memorabiliái [Memorabilien des Archivs Körmend]. Körmend 1942, 71.

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sche Botschaft an seinen Kontrahenten Szapolyai bzw. eine Geste der Loyalität seitens des kroatischen Adels. Slawonien muss an dieser Stelle aus folgendem Grund unbedingt erwähnt werden: Es gilt sowohl in der kroatischen als auch in der ungarischen Historiographie als Topos, dass die von Christoph Frankopan geleiteten slawonischen Stände, die sich am 06. Januar 1527 in Dubrava versammelten, Johann Szapolyai zu ihrem König gewählt hätten. Dieser Irrtum resultiert wahrscheinlich daraus, dass Slawonien den gleichen Status wie Kroatien innerhalb des Königreiches Ungarn hatte. Wie aber bereits dargestellt, begann die Entwicklung Slawoniens zu einer selbstständigen Region erst am Ende des 15. Jahrhunderts und die Selbstdefinition der slawonischen Stände war nicht mit einer Sonderstellung innerhalb des Königreiches Ungarn verbunden. Nach dem Gewohnheitsrecht wurde die Ständeversammlung auf Befehl des Herrschers (de mandato regio) einberufen. Auf ihr geschah nichts weiter, als dass die Beschlüsse des 1505 abgehaltenen Landtages auf Anordnung Szapolyais von den königlichen Gesandten, Johann Bánffy von Alsólindva und Michael Kesserű von Vingárt, „wulgari sermone“, d.h. in der Volkssprache verlesen wurden.83 Das ist als eine rein propagandistische Reaktion Szapolyais auf die umstrittene Legitimationsfrage infolge der kroatischen Königswahl zu sehen. Dass eine regelkonforme Königswahl nicht stattfand, beweist auch der Umstand, dass Szapolyai niemals die Bezeichnung rex Sclavoniae verwendete. Dieser Titel erschien erstmals 1529 in der Intitulation von Ferdinand.84 Dies könnte mit dem im selben Jahr erfolgten osmanischen Vorstoß nach Wien im Zusammenhang gestanden haben, als die Truppen von Szapolyai auch in Slawonien zum Gegenangriff übergingen und somit der größte Teil dieses Territoriums für Ferdinand verloren ging. Er wollte damit seinen Rechtsanspruch auf dieses ihm so wichtige Gebiet aufrechterhalten, wenn er schon keine Soldaten für die Befreiung der Provinz entsenden konnte. Schließlich stellt sich die Frage, was sich alles mit dem Thronantritt Ferdinands an der Stellung Kroatiens und Slawoniens innerhalb des Königreiches Ungarn änderte. Anscheinend nicht viel. Der habsburgische Herrscher betrachtete diese Länder nach wie vor als Länder, die er auf Grundlage der Stephanskrone regierte und keineswegs als gesonderte Königreiche. Er ließ keine selbstständigen kroatischen Regierungsorgane ausbauen. In den 1530er Jahren wurden auch die südslawischen Angelegenheiten von der Ungarischen Kammer bzw. der Ungarischen Hofkanzlei erledigt. Die slawonischen und kroatischen Stände wandten sich mit ihren Beschwerden nach wie vor über den ungarischen Statthalter, der in Abwesenheit des Palatins auch den Herrscher vertrat, an den König.85 Ferdinand stützte sich sowohl bezüglich der slawonischen Angelegenheiten als auch bei der Ernennung eines neuen Banus auf die Mitglieder des Ungarischen Rates und fragte nicht gesondert 83 84 85

Šišić (wie Anm. 5), 71–76. Ebd., 195. Bethlenfalvi Thurzó Elek levelezése. Források a Habsburg-magyar kapcsolatok történetéhez I. 1526–1532 [Der Briefwechsel von Elek Bethlenfalvi Thurzó. Quellen zur Geschichte der habsburgisch-ungarischen Beziehungen I. 1526–1532]. Hg. v. Gabriella Erdélyi. Budapest 2005, 274, dort bes. das Schreiben von Elek Thurzó an Ferdinand vom 06. Oktober 1531.

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nach der Meinung der kroatischen Stände.86 Bis in die 1570er Jahre belegen Quellen, dass die slawonischen und kroatischen Prozesse von dem Gericht des Banus an den ungarischen Landesrichter weitergeleitet wurden, da der Banus nach wie vor als höchste Instanz der Gerichtsbarkeit galt. Das bedeutet, dass die mittelalterlichen Mechanismen weiter existierten. Der permanente Kriegszustand änderte im 16. Jahrhundert allmählich die Beziehungen zwischen den beiden Provinzen und der Zentralverwaltung.87 Die ersten Reformen wurden auf dem Gebiet des Militärwesens und des damit eng zusammenhängenden Finanzwesens durchgeführt. Für eine bessere Koordinierung der Verteidigung wurden die kroatischen und untersteirischen Grenzgebiete zunehmend von Graz aus geleitet. Die endgültige Trennung vollzog sich 1578, als die Angelegenheiten der Grenzgebiete südlich der Drau in die Kompetenz des neu aufgestellten Innerösterreichischen Hofkriegsrates fielen, während die Verteidigung des Königreiches Ungarn weiterhin vom Wiener Hofkriegsrat gelenkt wurde. Die Trennung der kameralistischen Verwaltung war ein ähnlich langer Prozess. 1529 beschwerte sich noch Petar Kružić von der Burg Klissa, dass ihm die Ungarische Hofkammer den Sold für seine 50 Fußsoldaten und 50 Reiter noch nicht zugestellt habe.88 In den folgenden Jahrzehnten lag das schon im Kompetenzbereich der Niederösterreichischen Kammer. Parallel dazu gehörte seit den 1530er Jahren der slawonische Dreißigst nicht mehr zu den Befugnissen der Ungarischen Kammer.89 Während der langen Jahrzehnte des Krieges sonderten sich Leitung und Verwaltung der Gebiete südlich der Drau immer mehr von den Angelegenheiten des Königreiches Ungarn im engeren Sinne ab, während sich die Integration der kroatischen und slawonischen Territorien fortsetzte. Wegen der osmanischen Eroberung hielt der Adel beider Provinzen seit 1588 seine Versammlungen gemeinsam in Agram ab. Seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts kam es häufiger vor, dass ein einziger Banus die ganze Region leitete. Das war kein Zufall, da das Territorium des mittelalterlichen Kroatiens während dieser Zeit – bis auf einen schmalen Küstenstreifen – unter osmanischer Besatzung stand. Die meisten der von hier vertriebenen Adeligen fanden in Slawonien eine neue Heimat, wohin sie ihre Identität und die Vorstellung von einem Recht auf freie Königswahl mitnahmen. Diese Einwanderer hatten einen großen Anteil daran, dass die Entwicklung Slawoniens zu einer selbstständigen Provinz bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts abgeschlossen war. Als 1558 der neue Kaiser Ferdinand I. seinem Bruder nachfolgte, wurde Slawonien in 86 87 88 89

Ebd., 265, 272 und 302. Im August 1531 blieb das Amt des Banus nach dem Ableben von Karlovics unbesetzt. Ferdinand ließ sich bezüglich der Person des Amtsnachfolgers von den ungarischen Statthaltern beraten. Varga, Szabolcs: Die Veränderung der militärischen Rechtssphäre des Banus von Kroatien in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. In: Kaiser Ferdinand I. Ein mitteleuropäischer Herrscher. Hg. v. Martina Fuchs, Teréz Oborni und Gábor Újváry. Münster 2005, 299–323. Perojević, Marko: Petar Kružić. Kapetan i knez grada Klisa [Petar Kružić. Kapitän und Fürst der Stadt Klis]. Zagreb 1931, 108. Über den Ausbau des slawonischen Dreißigst siehe Pickl, Othmar: Der „Dreißigst im Windischland“. Organisation und Ertrag des ungarischen Außenhandelszolles in Oberslawonien im 16. Jahrhundert. In: Im Lebensraum der Grenze. Festschrift Fritz Posch zur Vollendung des 60. Lebensjahres dargebracht. Hg. v. Franz Pichler und Ferdinand Tremel. Graz 1971, 155–177.

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Szabolcs Varga

der Titulatur des neuen ungarischen Doppelsiegels unmittelbar nach Kroatien aufgelistet, das infolge der osmanischen Expansion von der Landkarte verschwunden war und deshalb vor einer Vereinigung mit Slawonien stand.90 Die Fahne Slawoniens tauchte zum ersten Mal 1563 bei der Krönungszeremonie Maximilians I. von Habsburg auf, wo sie vom „Helden von Erlau“ (ung. Eger), István Dobó, getragen wurde.91 Das Verhältnis der beiden Länder zum Königreich Ungarn sowie deren institutionelle Einrichtung funktionierten gemäß den mittelalterlichen slawonischen Mechanismen. Die Verwaltungseinheiten blieben die Komitate und nicht die Gespanschaften. Die Einberufungen sowie der Ablauf der Generalversammlungen erfolgten auch in der neuen Heimat nach dem in Slawonien praktizierten Muster, wie es anhand der Provinzialversammlung von 1558 nachweisbar ist. Die Teilnahme an den frühneuzeitlichen ungarischen Landtagen orientierte sich ebenfalls an dem im mittelalterlichen Slawonien gepflegten Modus. Während die auf den Provinzialversammlungen gewählten Gesandten die Komitate vertraten, nahmen die Adligen an den Landtagen in Pressburg persönlich teil. Alle diese Punkte zeigen, dass das heutige Kroatien im 16. und 17. Jahrhundert auf slawonischem Territorium mit der Übernahme slawonischer Strukturen entstand. Die Geburt des heutigen modernen Kroatiens war also ein langwieriger, über Jahrhunderte hinweg andauernder Prozess. Es entwickelte sich u.a. aus der Integration zweier Länder innerhalb des Königreiches Ungarn, die unterschiedliche historische Traditionen und politische Einrichtungen aufwiesen, sowie als Konsequenz der ständigen militärischen Herausforderungen durch das Osmanische Reich. Auf diesem langen Weg war die kroatische Königswahl im Jahr 1527 ein Meilenstein, bedeutete aber keineswegs das Ende der gemeinsamen kroatisch-ungarischen Vergangenheit.

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Pálffy, Géza: Magyar címerek, zászlók és felségjelvények a Habsburgok dinasztikus-hatalmi reprezentációjában a 16. században [Ungarische Wappen, Flaggen und Herrschaftszeichen in der dynastischen Machtrepräsentation der Habsburger im 16. Jahrhundert]. In: Történelmi Szemle 3/4 (2005), 241–275. Ebd.

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Die Familie Memibegović in Ungarn, Slawonien und Kroatien in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Ansatz einer genealogischen Rekonstruktion Einleitung Frühe osmanische Chroniken berichten häufig über die sog. uç beyleri oder Grenzbegs, die ihr Leben lang in den Grenzgebieten diverse Ämter bekleideten und durch Teilnahme an den osmanischen Feldzügen und Eroberungen zu Berühmtheit gelangt waren. Vor allem waren sie für die Aufrechterhaltung des ständigen osmanischen Expansionsdruckes verantwortlich, der durch Überfälle auf gegnerisches Territorium, kleinere Eroberungen sowie Abwerbungen von ranghohen Persönlichkeiten aus den Reihen des Gegners erzielt wurde. Unter ihren Zuständigkeitsbereich fiel auch die Organisation und Stabilisierung der osmanischen Staatsgewalt, ebenso gehörte die wirtschaftliche Wiederbelebung der neu eroberten Gebiete dazu. Darüber hinaus fungierten sie mancherorts als Diplomaten, da das Osmanische Reich bis zum Ende des 18. Jahrhunderts über keine ständigen diplomatischen Vertretungen im Ausland verfügte und folglich ein Teil der diplomatischen Geschäfte über die Würdenträger an den Grenzen abgewickelt wurde. Entsprechend ihrer Bedeutung blieben Biographien und Tätigkeiten der Grenzwürdenträger von der Historiographie nicht unbeachtet.1 So stößt man auch im 16. und 17. Jahrhundert noch auf jene Familien oder Familienklans, deren Mitglieder eine beträchtliche Zeit ihres Lebens im Grenzland (serhat) verbrachten. Wie erwähnt, befasst(e) sich auch die Geschichtsforschung mit den Biographien der zu dieser Zeit im Grenzland dienenden osmanischen Würdenträger. So wurde im Jahr 1841 eine Arbeit des aus Komorn (ung. Komárom, sk. Komárno) stammenden Wiener Archivars Antal Gévay veröffentlicht.2 Die Arbeit ist ein Versuch, die türkischen Statthalter von Ofen chronologisch aufzulisten, darüber hinaus versuchte der Autor, die biographischen Skizzen der einzelnen Amtsträger zu verzeichnen. Dank der Sorgfalt, die Gévay auf1

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Es handelt sich um Evrenos Beg und seine Nachkommen. Vgl. Mélikoff, Irene: Ewrenos (s.v.). In: The Encyclopaedia of Islam. New Edition. Bd. 2. Hg. v. B. Lewis, Ch. Pellat und J. Schacht. Leiden 1965, 720. – Dies.: Ewrenos oghulları (s.v.). In: Ebd., 720 f. Zu Mihal Beg und seinen Nachkommen siehe Babinger, Franz: Mīkhāl-oghlu (s.v.). In: Ebd. Bd. 7. Hg. v. C. E. Bosworth u.a. Leiden 1993, 34 f. – Zirojević, Olga: Smederevski sandžakbeg Ali-beg Mihaloglu [Der Sandschakbeg von Smederevo Ali Beg Mihaloğlu]. In: Zbornik za istoriju Matice srpske 3 (1971), 9–27. Zu Turhan Beg und seinen Nachfahren siehe Babinger, Franz: Turakhān Beg (s.v.). In: The Encyclopaedia of Islam. New Edition. Bd. 10. Hg. v. P. J. Bearman u.a. Leiden 2000, 670–672. Zu Malkoç Beg und seinen Nachfahren siehe Babinger, Franz: Beiträge zur Geschichte der Malqoč-Oghlu’s. In: Annali del R. Istituto Superiore Orientale di Napoli. Nuova Seria 1 (1940), 117–135. Gévay, Antal: A’ budai pasák [Die Paschas von Ofen]. Bécs 1841.

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wandte, und des Umfangs der Quellen, die er heranzog, hat seine Arbeit bis heute nichts an Aktualität verloren. Ein knappes Jahrhundert später wandte sich ein anderer Ungar – wenn auch nicht im selben Umfang wie Gévay – der Erforschung der Lebensbilder osmanischer Würdenträger in Ungarn zu.3 1931 erschien ein biographisches Lexikon der bekannten Kroaten, Bosniaken und Herzegowiner im Osmanischen Reich aus der Feder des bosnischen Orientalisten Safvetbeg Bašagić.4 Mit der Zusammenstellung der biographischen Skizzen allerdings verfuhr er nicht allzu kritisch und übernahm so manchen Fehler aus den Quellen. Vom biographischen Aspekt aus waren die bosnisch-osmanischen Familien auch Forschungsgegenstand der bosnischen Historiker um Behija Zlatar.5 Durch die Arbeiten Markus Köhbachs und Géza Dávids fanden die Biographien osmanischer Würdenträger auch in jüngerer Zeit ihren Niederschlag in der Forschungsliteratur. In der Studie über die Eroberung von Filek (ung. Fülek, sk. Fiľakovo) stellte Köhbach in den Anmerkungen die Biographien einiger osmanischer Sandschakbegs (sancakbeyi) und Beglerbegs (beylerbeyi) ausführlich zusammen.6 Dávid widmete seine Aufmerksamkeit zwei bedeutenden osmanischen Würdenträgern, die ihr ganzes Leben im Grenzland dienten.7 Auch seine Arbeiten, die zum Ziel haben, die chronologischen Listen der Amtsträger bestimmter osmanischer Verwaltungseinheiten zusammenzustellen, sind von großem Nutzen bei der Erforschung der Problematik.8 Die Tätigkeiten und Biographien der einzelnen Repräsentanten im osmanischen Grenzland wurden 3 4 5

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Takáts, Sándor: A török hódoltság korában [Zur Zeit der Türkenherrschaft]. Budapest 1928. Bašagić, Safvet Beg: Znameniti Hrvati, Bošnjaci i Hercegovci u Turskoj Carevini [Berühmte Kroaten, Bosniaken und Herzegowiner im Türkischen Reich]. Zagreb ²1994 [¹1931]. Zlatar, Behija: Novi podaci o sandžak-begu Mehmedu Obrenoviću [Neue Angaben über den Sandschakbeg Mehmed Obrenović]. In: Prilozi 10/2 (1974), 341–346. – Dies.: Kopčići i Vilići. Prilog pitanju izučavanja muslimanskih begovskih porodica u Bosni i Hercegovini u XVI stoljeću [Kopčići und Vilići. Ein Beitrag zur Frage der Erforschung der muslimischen Begsfamilien in Bosnien und Herzegowina im 16. Jahrhundert]. In: Prilozi 13 (1977), 322–327. – Dies.: O Malkočima [Über die Familie Malkoč]. In: Prilozi za orijentalnu filologiju 26 (1978), 105–114. – Dies.: O nekim muslimanskim porodicama u Bosni u XV i XVI stoljeću [Über einige muslimische Familien in Bosnien im 15. und 16. Jahrhundert]. In: Prilozi 14/15 (1978), 81–139. Köhbach, Markus: Die Eroberung von Fülek durch die Osmanen 1554. Eine historisch-quellenkritische Studie zur osmanischen Expansion im östlichen Mitteleuropa. Wien-Köln-Weimar 1994. Dávid, Géza: A Life on the Marches: The Career of Derviş Bey. In: Acta Orientalia Academiae Scientiarum Hungaricae 54/4 (2001), 411–426. – Ders.: An Ottoman Military Career on the Hungarian Borders: Kasım Voivoda, Bey, and Pasha. In: Ottomans, Hungarians, and Habsburgs in Central Europe. The Military Confines in the Era of Ottoman Conquest. Hg. v. Géza Dávid und Pál Fodor. Leiden-Boston-Köln 2000, 265–297. Dávid, Géza: Die Bege von Szigetvár im 16. Jahrhundert. In: Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes 82 (1992), 67–96. Auf Ungarisch: A magyarországi török archontológiai kutatások lehetőségei (Arad-gyulai szandzsákbégek) [Möglichkeiten der archontologischen Forschungen im osmanischen Ungarn (die Sandschakbegs von Gyula und Arad)]. In: Történelmi szemle 36 (1994), 111–127. – Ders.: Mohács-Pécs 16. századi bégjei [Die Begs von Mohatsch-Fünfkirchen im 16. Jahrhundert]. In: Pécs a törökkorban. Hg. v. Ferenc Szakály. Pécs 1999, 51–88.

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auch in den Arbeiten von Hazim Šabanović,9 Mehmed Tayyib Gökbilgin10 und Josef Matuz11 abgehandelt. Der Abschluss des Friedensvertrages von Zsitvatorok (1606), durch den der „Lange Türkenkrieg“ (1593–1606) beendet wurde, offenbarte zum ersten Mal eine Schwäche der Osmanen, die in ihren Auseinandersetzungen mit dem Kaiser daran gewöhnt waren, einmal begonnene Kriege siegreich zu gestalten und Frieden nach eigenen Vorstellungen zu schließen. Nunmehr mussten sie jedoch den Kaiserlichen weitgehende Konzessionen einräumen. Diese offenkundige Schwäche des Osmanischen Reiches am Ende des 16. Jahrhunderts wurde in der Forschung als Beginn des langen aber unaufhaltsamen Verfalls des Reiches interpretiert. Wenngleich eine solche Interpretation in der neueren Forschung in Frage gestellt und die Schwäche des Reiches nur als eine Krise resp. als Beginn einer Transformation dargestellt wird, so steht außer Zweifel, dass der Friedensvertrag von Zsitvatorok das Ende des ständigen Expansionsdruckes, durch den eine langsame aber ständige Ausweitung der Grenze verwirklicht wurde, bedeutete. Das Zentrum des Reiches war nicht mehr im Stande, die von den lokalen Grenzwürdenträgern geplanten und durchgeführten Eroberungen zu „legalisieren“, was gleichzeitig die Macht und das Ansehen der Grenzwürdenträger innerhalb der osmanischen politischen Elite beschädigte. Es stellt sich daher die Frage, wie die Angehörigen der Grenzelite auf diese Veränderung reagierten: Gab es Bemühungen, die darauf ausgerichtet waren, zumindest einen Teil des einstigen Machteinflusses zu bewahren? Die Familie Memibegović, die Gegenstand dieser Arbeit ist, stellt eine solche sich im Grenzland befindende Familie dar. Der Geschichtsforschung ist sie nicht unbekannt, wenngleich auch nur sporadisch über sie geschrieben wurde. Takáts verfasste eine Arbeit über İbrahim Pascha Memibegović, in der er ausschließlich dessen Beziehungen zu ungarischen Adeligen und kaiserlichen Würdenträgern berücksichtigte.12 Vor vier Jahren schrieb der ungarische Osmanist Balázs Sudár eine Arbeit über Jakováli Hasan Pascha, den er als Stifter der gleichnamigen Moschee in Fünfkirchen (ung. Pécs) ausmachte und als einen Angehörigen dieser Familie identifizierte. Bei dieser Gelegenheit teilte er einige Angaben bezüglich des Lebens und der Karriere von Memi Beg, dem Begründer der Familie Memibegović, und dessen Nachkommen mit.13 Es blieb ihm allerdings unbekannt, dass diese Familie auch im

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Šabanović, Zaim: Bosanski namjesnik Ferhad-beg Vuković-Desisalić [Der Statthalter von Bosnien Ferhad-beg Vuković-Desisalić]. In: Zbornik Filozofskog fakulteta u Beogradu 4/1 (1957), 113–127. – Ders.: Bosanski sandžakbeg Skender [Der Sandschakbeg von Bosnien Skender]. In: Istoriski glasnik 1 (1955), 111–127. Gökbilgin, Tayyib M.: Kara Üveys Paşa’nın Budin beylerbeyliği (1578–1580) [Die Zeit der Statthalterschaft von Kara Üveys Pascha in Ofen (1578–1580)]. In: İstanbul Üniversitesi Edebiyat Fakültesi Tarih Dergisi 2/3–4 (1952), 17–34. Matuz, Josef: Wesir Abdurrahman Abdi Pascha, der letzte Ofner Beglerbeg (Versuch einer Vita). In: Acta Historica Academiae Scientiarum Hungaricae 33 (1987), 341–350. Takáts (wie Anm. 3), 521–542. Sudár, Balázs: Ki volt Jakováli Haszan pasa [Wer war Jakováli Hasan Pascha]? In: Pécsi szemle 9 (2006), 27–34.

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Hinterland von Zara (kroat. Zadar) ansässig war und einen starken Einfluss auf die Geschehnisse in diesem Gebiet hatte.14 Diese Arbeit verfolgt das Ziel, die Auswirkungen der politischen Wende, die im Osmanischen Reich am Ende des 16. und Anfang des 17. Jahrhunderts vollzogen wurde, auf die Familie Memibegović zu untersuchen. Dabei sollen auch neue Erkenntnisse hinsichtlich der Familien-Genealogie erschlossen werden. Das Hauptproblem besteht dabei darin, dass man sehr leicht verschiedene Personen gleichen Namens miteinander verwechseln bzw. einige Personen nicht eindeutig identifizieren kann. Dies geht auf einen orientalischen Brauch, den auch die Osmanen übernahmen, zurück: Die Identifikationsangaben einer Person setzten sich nämlich aus dem Namen der betreffenden Person und dem Namen des Vaters zusammen. Um dieses Problem einigermaßen zu lösen und das genealogische Bild der Familie zu erweitern, konnten – neben der existierenden Literatur – zwei amtliche osmanische Verzeichnisse (defter) herangezogen werden. Dabei handelt es sich um eine Liste von Lehensgütern, in denen neben dem Umfang und den Einkünften aus dem jeweiligen Lehen auch jegliche Veränderungen der Lehensangelegenheiten festgehalten wurden (ruznāmçe defterleri).15 Die Notizen, die sich auf diese Veränderungen beziehen, enthalten oft wertvolle Informationen, die es uns ermöglichen, die Person des Lehensinhabers vorbehaltlos zu ermitteln.

Memi Beg – der Begründer der Familie Memibegović Der Name der Familie Memibegović geht auf Memi Beg zurück,16 der in den osmanischen Schriftquellen als Mehmed bzw. Memi – als Hypokoristikum des Namens Mehmed – Erwähnung findet. Dies führte dazu, dass er als Person in der Historiographie umstritten ist. Safvet Bašagić sieht in Mehmed Beg den Sohn des Memi Beg,17 eine These, die auch von Seid M. Traljić übernommen wurde.18 Jedoch äußerte bereits Hazim Šabanović Zweifel daran und wies nach, dass Memi Beg gleich Mehmed Beg war.19 Dies wird auch durch einen Eintrag in der Steuerkonskription (tahrir defteri) des Sandschaks (sancak) von Bosnien aus dem Jahr 1604 gestützt. 14

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Traljić, Seid: Tursko-mletačko susjedstvo na Zadarskoj krajini XVII. stoljeća [Türkisch-venezianische Nachbarschaft im Grenzgebiet von Zara im 17. Jahrhundert]. In: Radovi Instituta Jugoslavenske akademije znanosti i umjetnosti u Zadru 4/5 (1959), 409–424. – Ders.: Vrana i njezini gospodari u doba turske vladavine [Vrana und seine Besitzer zur Zeit der türkischen Herrschaft]. In: Radovi Instituta Jugoslavenske akademije znanosti i umjetnosti u Zadru 18 (1971), 343–377, hier 357 f. Fekete, Ludwig: Die Siyāqat-Schrift in der türkischen Finanzverwaltung. Bd. 1. Budapest 1955, 104–106. Statt des osmanischen Patronymikums Memibeg-zāde soll hier stets das slawische Äquivalent Memibegović Verwendung finden. Bašagić (wie Anm. 4), 42, 50. Traljić, Vrana (wie Anm. 14), 358. čelebi, Evlija: Putopis. Odlomci o jugoslovenskim zemljama [Reisebeschreibung. Abschnitte über die jugoslawischen Länder]. Übers. v. Hazim Šabanović. Sarajevo ²1979 [¹1954–1957], 352–354.

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Aus den dort zu findenden Angaben geht hervor, dass der zu diesem Zeitpunkt bereits verstorbene Sandschakbeg von Lika, Mehmed Beg, einst das Verfügungsrecht über ein Landgut (çiftlik) besessen hatte, das früher zum Territorium des Dorfes Kaletina im Gerichtssprengel (kaza) von Levče (bosn. Lijevče) gehörte und wofür dieser dem Fiskus jährlich 140 Silbermünzen (akçe) gezahlt hatte. Die Moschee und die Karawanserei in Kaletina waren ebenfalls von Mehmed Beg errichtet worden. Die Randnotiz der Konskription hält zudem fest, dass der Ort ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt für die Verbindung der Sandschaks Herzegowina, Klis und Krka mit den Eyalets (eyalet) von Ofen (ung. Buda) und Temeswar (ung. Temesvár, rum. Timişoara) war, weshalb man die Errichtung einer Karawanserei überhaupt befürwortete, zumal auch der Markt dort abgehalten wurde. Die für die Instandhaltung der Karawanserei notwendigen Gelder sollten durch Marktgebühren gedeckt werden und einige Hausherren, deren Häuser in der Nähe des Ortes lagen und denen keine Steuern auferlegt worden waren, für die Verpflegung der Reisenden aufkommen. In dieser Notiz wird er jedoch nicht mehr als Mehmed Beg, sondern als Memi Beg erwähnt.20 Vermutlich war Mehmed Beg mit Gazi Mehmed Beg identisch, über dessen Jugendjahre und ersten Karriereschritte nur sehr spärliche Informationen vorliegen. Gemäß dem osmanischen Historiker İbrahim Peçevi war Memi Beg albanischer Abstammung (Arnavud), nahm in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts an den Feldzügen des bosnischen Sandschakbegs Gazi Hüsrev Beg teil und war mit der Grenzziehung des vermutlich kurz vor 1580 neu errichteten Sandschaks Krka (Lika) beauftragt worden.21 Hierbei kamen ihm seine ausgezeichneten Kenntnisse über die Region zugute. Er besaß auch ein Landgut in der Umgebung von Djakovo (kroat. Đakovo) bzw. Esseg (kroat. Osijek) in Slawonien. Die genaue Lage sowie die Größe dieses Landguts lassen sich aus den mir verfügbaren Quellen nicht rekonstruieren. 1564 erscheint er in den Quellen als Hauptmann (kapudan) von Esseg,22 danach scheint er verschiedene Ämter in der osmanischen Provinzverwaltung innegehabt zu haben. Die erwähnte Konskription führt ihn als ehemaligen Sandschakbeg von Krka. Šabanović verweist ohne Quellen- und Zeitangaben auf seine Ernennungen zum Vorsteher der Sandschaks Syrmien (kroat. Srijem), Poschega (kroat. Požega), Cernik und Zvornik.23 Tatsächlich wird ein gewisser Memi Beg 1584 als Kandidat für den Posten des Sandschakbegs von Cernik erwähnt;24 im Sommer 1588 wechselte er – höchstwahrscheinlich auf Betreiben 20 21

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Detaljni popis Bosanskog sandžaka iz 1604. godine [Ausführliches Verzeichnis des Sandschaks Bosnien aus dem Jahr 1604]. Hg. v. Adem Handžić u.a. 3 Bde. Sarajevo-Zürich 2000, hier Bd. 3, 518 f. Peçevi, İbrahim: Tarih [Die Chronik]. 2 Bde. Istanbul 1867–1869, hier Bd. 1, 193 f. Zur Geschichte des Gerichtsbezirks: Šabanović, Hazim: Bosanski pašaluk. Postanak i upravna podjela [Das Paschalik von Bosnien. Entstehung und administrative Einteilung]. Sarajevo 1959, 226 f. Moačanin, Nenad: Some Observations on the „kapudans“ in the Ottoman Northwestern Frontier Area 16th-18th century. In: Acta Viennensia Ottomanica. Akten des 13. CIEPO-Symposiums. Hg. v. Markus Köhbach. Wien 1999, 241–246, hier 242. čelebi (wie Anm. 19), 161, 352. Moačanin, Nenad: Slavonija i Srijem u razdoblju osmanske vladavine [Slawonien und Syrmien zur Zeit der osmanischen Herrschaft]. Slavonski Brod 2001, 131.

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seines Gönners Sokollu Ferhad Pascha – nach Ungarn. Bereits ihm vorauseilend war sein Ruf als „harter Grenzer“, den er bestätigte: Ende 1590 jedenfalls ist ein Memi Beg wegen seines ungebührlichen Benehmens gegenüber dem Kurier des Erzherzogs Matthias vom Posten des Sandschakbegs von Gran (ung. Esztergom) abberufen worden.25 Hinzugefügt werden muss, dass kurz zuvor der Beglerbeg von Ofen, Ferhad Pascha, während einer Truppenmeuterei ums Leben kam, wodurch Memi Beg seinen wichtigsten Förderer verlor. Es bleibt unklar, was unmittelbar nach Memi Begs Absetzung geschah. Jedoch ist es wahrscheinlich, dass er in seiner Funktion als Sandschakbeg von Zvornik mitsamt 1.500 Soldaten ein Teil des osmanischen Heeres war, als am 22. Juni 1593 der bosnische Beglerbeg vergeblich versuchte, die slawonische Festung Sissek (kroat. Sisak) zu erobern. In dieser Schlacht verlor Memi Beg sein Leben.26 Es ist letztlich nicht nachweisbar, ob er in Mitrovica (serb. Sremska Mitrovica) beigesetzt wurde. In dieser Stadt, die während der osmanischen Zeit eine Blüteperiode erlebte, existierte eine Moschee und ein Stadtviertel, die den Namen von Memi Beg trugen (Memi Bey camii bzw. Memi Bey mahallesi).27 Sollten die Moschee und das Wohnviertel tatsächlich von Memi Beg gegründet worden sein, so erscheint es wahrscheinlich, dass er in Mitrovica seine letzte Ruhestätte fand.

Die Söhne des Memi Beg İbrahim, einer seiner drei Söhne, nahm als Sandschakbeg von Lika zusammen mit seinem Vater an der Schlacht von Sissek (22. Juni 1593) und später an den Kämpfen des „Langen Türkenkrieges“ teil. Schon in jungen Jahren genoss er – wie zuvor sein Vater – den Ruf eines unruhigen Grenzers im Hinterland von Zadar und in Kroatien: Im April 1596 gelang es den Uskoken von Zengg (kroat. Senj), die osmanische Festung Klis einzunehmen.28 Die Truppen unter dem Kommando des Beglerbegs 25

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Bayerle, Gustav: Ottoman Diplomacy in Hungary. Letters from the Pashas of Buda 1590– 1593. Bloomington 1972, 74. Der kaiserliche Orator Bartholomäus Pezzen äußerte in seinem Schreiben an Kaiser Rudolf II. über Memi Beg: „[…] Oßman Beg hat diese tage Hatvan bekommen uns an sein statt gehen Gran kompt Memischach, zuvor Sangyak zu Lyka und der gern beglerbeh in Boßna gewest were, ain unruchiger böser Mann und grasser vheind der Christen […].“ Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv (fortan HHStA), Türkei I, Kart. 67, Konv. 3, fol. 43r. Pezzen an Kaiser Rudolf II., Konstantinopel, 24.09. 1588. Klaić, Vjekoslav: Povijest Hrvata. Od najstarijih vremena do svršetka XIX stoljeća [Geschichte der Kroaten. Von den ältesten Zeiten bis zum Ende des 19. Jahrhunderts]. Bd. 5. Zagreb 21974 [11899], 492 f. čelebi (wie Anm. 19), 354. Siehe dazu ausführlich Bracewell, Wendy: The Uskoks of Senj. Piracy, Banditry and Holy War in the Sixteenth-Century Adriatic. Ithaca 1992. Über den „harten Grenzer“ İbrahim heißt es: „[…] che non sia rimandato à quest confini ne Mustaffà, che era Sanzacco de Clissa, nepote del Gransignore, ne tenuto in Licca Imbraim, che era figliuolo di Memibegh, perche essendo l’uno, e l’altro giouani, superbi, et incorrigibili, cosi s’hanno sempre dimostrati inquieti, mal affeti, et inuentori di molti disturbi, et finalmente promottori di tutti quelli trauagli, che si hebbero in quel contado all’hora, che ui penetrò dentro Ferrat Bassà, per essere instrutissimi die mali pensieri, et delli inganni del detto Bassà tentati contro li detti confini […].“ Vgl. Mletačka

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von Bosnien begannen daraufhin mit der Belagerung der Festung und konnten, nachdem ein Entsatzversuch des Oberbefehlshabers der kroatischen Militärgrenze, Juraj Lenković, fehlgeschlagen war, Klis am 31. Mai 1596 zurückerobern.29 Im osmanischen Heerlager befand sich eben auch İbrahim Beg, der laut venezianischen Berichten zu dieser Zeit – wie bereits erwähnt – Sandschakbeg von Lika war.30 Zwischen 1599 und 1602 dürfte er dann den herzegowinischen Sandschak verwaltet haben.31 Darauf deuten Angaben aus einem im Juni 1606 erstellten sultanischen Schreiben an den Sandschakbeg der Herzegowina hin, wonach İbrahim zum Ankauf von Textilien den Ragusanern Geld geschickt habe. Da İbrahim zwischendurch dem Kriegsruf des Sultans Folge leisten musste, sollen die Ragusaner die gewünschte Ware bei seinem Vertreter Hasan (wahrscheinlich dessen Sohn) abgeliefert haben. Nach seiner Rückkehr behauptete jedoch İbrahim, er habe keine Textilien erhalten und stellte dementsprechend Sanktionen in Aussicht. In einem Befehl aus Istanbul wurde der Sandschakbeg beauftragt, den Sachverhalt zu untersuchen: Sollten sich die Behauptungen der Ragusaner bestätigen, durften sie nicht mehr belästigt werden.32 Im Jahre 1602 war İbrahim als Sandschakbeg von Küstendil (bul. Kjustendil) an den Kämpfen um Ofen beteiligt, das von habsburgischen Truppen umschlossen war.33 Danach stand er dem Sandschak von Pakrac (kroat. Cernik) vor;34 1605 drang er als Beglerbeg von Kanischa (ung. Kanizsa) mit seinen Truppen bis in die Steiermark vor.35 Offensichtlich bekleidete er dieses Amt mindestens bis in das Jahr 1608.36 Sudár will İbrahim in den Jahren 1609 und 1610 in dem Statthalter von Bosnien erkannt haben, doch bei dem gleichnamigen Beglerbeg handelte es sich um den Sohn von Sokollu Mehmed Pascha.37 Während für diese Jahre keine gesicherten Erkenntnisse vorliegen, verdichten sich die Hinweise, dass er von Herbst

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uputstva i izvještaji [Venezianische Anweisungen und Berichte]. Bd. 5: 1591–1600. Hg. v. Grga Novak. Zagreb 1966, 88. Klaić (wie Anm. 26), 522 f. Građa za istoriju pokreta na Balkanu protiv Turaka krajem XVI i početkom XVII veka [Archivalien zur Geschichte der Bewegung gegen die Türken auf dem Balkan zum Ende des 16. und am Beginn des 17. Jahrhunderts]. Bd. 1. Hg. v. Jovan N. Tomić. Beograd 1933, 157. Popović, Toma: Spisak hercegovačkih namesnika u XVI veku [Die Liste der Sandschakbegs der Herzegowina im 16. Jahrhundert]. In: Prilozi za orijentalnu filologiju 16/17 (1967), 93–99, hier 99. Miović, Vesna: Dubrovačka Republika u spisima osmanskih sultana. S analitičkim inventarom sultanskih spisa serije Acta Turcarum Državnog arhiva u Dubrovniku [Die Republik Ragusa in den Schreiben der osmanischen Sultane. Mit einem analytischen Inventar der Schreiben der Sultane der Serie Acta Turcarum des Staatsarchivs in Ragusa]. Dubrovnik 2005, 214. Peçevi, Bd. 2 (wie Anm. 21), 273. – Zirojević, Olga: Tursko vojno uređenje u Srbiji 1459– 1683 [Die türkische Militärverwaltung in Serbien 1459–1683]. Beograd 1974, 267. Tapu ve Kadastro Arşivi Ankara [Katasterarchiv Ankara], Tapu Tahrir Defteri [Katasterverzeichnis] 13, fol. 271. Hammer, Joseph von: Geschichte des Osmanischen Reiches. Bd. 4. Pest 1829, 375. Traljić, Vrana (wie Anm. 14), 358. Sudár (wie Anm. 13), 31. – Vinaver, Vuk: Bosna i Dubrovnik (1595–1645) [Bosnien und Ragusa (1595–1645)]. In: Godišnjak Društva istoričara Bosne i Hercegovine 13 (1962), 199– 232, hier 202.

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1610 bis Frühling 1615 Beglerbeg von Erlau (ung. Eger) war,38 bevor er schließlich 1615 zum Sandschakbeg von Silistrien (bul. Silistra) ernannt wurde. Zwei Jahre später stand er an der Spitze des herzegowinischen Sandschaks.39 Sein Verhältnis zu den ragusanischen Nachbarn schien konfliktträchtig gewesen zu sein, da ihn zahlreiche Anordnungen aus Istanbul ermahnten, die Autonomie und die Handelsfreiheit der Kaufleute zu achten.40 Wann genau er von diesem Posten abberufen wurde, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Jedenfalls lässt sich seine Tätigkeit in der Herzegowina bis zum Mai 1618 mittels Quellen belegen.41 1620 übernahm er das Amt des Beglerbegs von Temeswar und noch im selben Jahr wurde er zum Statthalter von Bosnien ernannt.42 Ende 1622 schien er von diesem Posten vorübergehend abgesetzt worden zu sein, doch schon im Juni 1623 hatte er dieses Amt wieder inne.43 Das Jahr 1623 markierte auch den Höhepunkt seiner Karriere, als er während des zweiten Feldzugs des siebenbürgischen Fürsten Gabriel Bethlen (1613–1629) gegen das Haus Habsburg zum Oberbefehlshaber der osmanischen Truppen ernannt wurde, die Bethlen militärisch unterstützen sollten. Der Feldzug endete mit einer Meuterei der osmanischen Truppen, die am 17. November 1623 bei Göding (tschech. Hodonín) ausbrach. İbrahim zog sich zurück und schickte die Truppen in ihre Winterquartiere.44 Dieser Misserfolg bedeutete für İbrahim einen Karriereknick, da er im Februar 1624 seines Amtes enthoben wurde.45 Für einige Jahre verliert sich seine Spur, ehe er 1628 als Beglerbeg von Erlau wieder in den Quellen fassbar wird. Auch in den darauf folgenden Jahren wechselte er häufig die Ämter und stand den Eyalets von Temeswar (1629–1630), Erlau (1631) und dem Sandschak von Segedin (ung. Szeged) (1634) vor.46 Für Anfang 1635 ist er erneut als Beglerbeg von Bosnien belegt, doch schon im April wurde er von diesem Posten wieder abgesetzt. Da sein Nachfolger in diesem Amt, Süleyman Pascha, vom Sultan den Auftrag bekommen hatte, ihn zu liquidieren, ergriff er die Flucht.47 Bis 1640 hielt er sich vorwiegend in Segedin auf, 1637 schien er Sandschakbeg von Poschega gewesen zu sein.48 Nach aktuellem Forschungsstand beendete er seine Karriere als Beglerbeg von Bosnien im Mai 1647,49 als Mehmed Pascha zum neuen Gouverneur dieser Provinz ernannt wurde. İbrahim selbst wurde von Janitscharen unter Arrest gestellt, da ihm die Annahme veneziani-

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Sudár (wie Anm. 13), 31. Die erste sichere Erwähnung in dieser Eigenschaft stammt vom Oktober 1617. Miović (wie Anm. 32), 223. Ebd., 224 f. Ebd., 227. Sudár (wie Anm. 13), 31. Vinaver (wie Anm. 37), 202. Broucek, Peter: Der Feldzug Gabriel Bethlens gegen Österreich 1623. In: Jahrbuch für Landeskunde von Niederösterreich 59 (1993), 7–26. Vinaver (wie Anm. 37), 202. Sudár (wie Anm. 13), 31 f. Miović (wie Anm. 32), 259. – Vinaver (wie Anm. 37), 213. Sudár (wie Anm. 13), 32. Miović (wie Anm. 32), 277.

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scher Bestechungsgelder vorgeworfen worden war.50 Es ist wahrscheinlich, dass er jener İbrahim Pascha war, den der berühmte osmanische Reisende Evliya Čelebi 1660 traf.51 Der genaue Zeitpunkt seines Todes lässt sich allerdings nicht mehr bestimmen. Wie Memi Beg besaß auch İbrahim Pascha ein Landgut im Dorf Kaletina und schien von seinem Vater Landgüter – gelegen zwischen Esseg und Djakovo – geerbt zu haben, da venezianische Spione in Bosnien von einem Haus in Esseg zu berichten wussten, wohin er sich nach dem Feldzug gegen die Habsburger im Jahr 1623 begeben habe.52 Weitere Höfe (çiftlik) von İbrahim lagen im Hinterland von Zara und umfassten mehr als zehn Dörfer im Bezirk Vrana. Für diese Besitzungen entrichtete er einen jährlichen Betrag von 15.000 Silbermünzen.53 İbrahim erlangte jedoch nicht nur durch seine Karriere im Militär- und Verwaltungsapparat Berühmtheit, sondern war er auch ob seiner Trinksucht bekannt, die ihm den Beinamen sarhoş, „der Trinksüchtige“, einbrachte. In den Quellen kommt er auch mit dem Familiennamen Sokolović (Sokollu) vor.54 Durch dessen Gebrauch wollte İbrahim darauf hinweisen, dass seine Mutter der berühmten bosnisch-osmanischen Familie Sokolović (Sokollu) entstammte. Im gleichen Gebiet besaß auch sein Bruder Halil große Ländereien. Seine Landgüter lagen in den Bezirken von Zvonigrad, Nadin, Stara Ostrovica und ebenfalls von Vrana. Halil erkaufte sich das Verfügungsrecht gegen einen jährlichen Betrag von 11.700 Silbermünzen.55 Er, der in der Literatur immer wieder mit einem anderen Halil verwechselt wurde,56 schien den größten Teil seines Lebens in Lika verbracht zu haben. Ende des 16. Jahrhunderts wurde er zum Kapitän von Vrana See (kroat. Vransko jezero),57 1602 zum Sandschakbeg von Lika ernannt. Dieses

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Hrabak, Bogumil: Zapadna Bosna u zbivanjima Kandijskog i Morejskog rata [Das westliche Bosnien in den Geschehnissen der Kriege um Kreta und Morea]. In: Istorijski zbornik 3 (1982), 7–36, hier 9. Miović (wie Anm. 32), 240. Dass die Erzählung von Čelebi in diesem Fall zutrifft, bezeugt ein am 08. Juni 1663 in Belgrad angefertigtes Verzeichnis der osmanischen Streitkräfte, in dem die osmanischen Paschas sowie die unter ihrem Kommando stehenden Truppen aufgezählt werden, wobei İbrahims Name aufscheint. Vgl. HHStA, Türkei I, Kart. 135, Konv. 3, fol. 83r. Diplomatarium relationum Gabrielis Bethlen cum Venetorum republica. Oklevéltár Bethlen Gábor diplomácziai összeköttetései történetéhez. Hg. v. János Mircse und Lipót Óváry. Budapest 1886, 143. Jurin-Starčević, Kornelija: Krajiške elite i izvori prihoda: primjer jadranskog zaleđa u 16. i 17. stoljeću [Eliten an der Grenze und den Einnahmequellen: Das Beispiel des adriatischen Hinterlands im 16. und 17. Jahrhundert]. In: Prilozi za orijentalnu filologiju 55 (2006), 243– 266, hier 255 f. Magyar Országos Levéltár [Ungarisches Landesarchiv] Batthyány cs. ltr. [Archiv der Familie Batthyány], P 1314, Nr. 48070. Brief İbrahim Paschas an Franz II. Batthyány vom 24.04. 1624. Für diesen Hinweis danke ich Sándor Papp und Hajnalka Tóth. Jurin-Starčević (wie Anm. 53), 255. Zu diesem Halil, der kurz nach Beginn des osmanisch-venezianischen Krieges um Kreta im Jahr 1647 in venezianische Gefangenschaft geriet und neun Jahre später im Kerker in Brescia starb, siehe Traljić, Vrana (wie Anm. 14), 370 und 423. Ebd., 367.

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Amt hatte er, von wenigen Monaten abgesehen, bis 1610 inne.58 Wegen der Überfälle seiner Leute auf venezianischem Gebiet wandten sich die Behörden von Dalmatien mehrmals an den Dogen von Venedig (ital. Venezia), um durch den Botschafter (bailo) der Markusrepublik bei der Hohen Pforte seine Absetzung von diesem Amt zu erwirken. Zumindest für das Jahr 1613 ist er dennoch als Sandschakbeg von Lika belegt.59 Seine weitere Karriere ist nur bruchstückhaft zu rekonstruieren, erst 1622 wird er in den Schriftquellen als Beglerbeg von Erlau wieder greifbar.60 Hier verstarb er im darauf folgenden Jahr.61 Sein Leichnam wurde nach Banja Luka überführt und dort beigesetzt.62 Neben İbrahim und Halil hatte Memi Beg einen weiteren Sohn namens Ali, über den nur spärliche Informationen vorliegen.63 Die erste bekannte Nachricht stammt aus dem Jahr 1604, als er das Amt des Sandschakbegs von Skadar (alb. Shkodër) bekleidete.64 Im Gebiet von Ravni Kotari, im Hinterland von Zara, gab es einen Timarioten namens Ali, der nach dem osmanisch-venezianischen Krieg (1571–1573) große Ländereien in Pacht nahm und dafür dem Fiskus 600.000 Silbermünzen zahlte.65 Es ist durchaus denkbar, dass er mit Ali Beg Memibegović identisch war. Im erwähnten Brief İbrahim Paschas an Franz Batthyány (April 1624) wird er als bereits verstorben erwähnt. Aus demselben Brief können wir erfahren, dass er einige Zeit der Beglerbeg von Kanischa war.

Die Enkel des Memi Beg İbrahim hatte einige Söhne, bisher waren aus der Literatur aber nur zwei bekannt, Hasan und Hüseyin. Hasan bekleidete verschiedene Ämter in der osmanischen Provinzverwaltung im Grenzland: Ende Juli 1633 wurde er zum Pascha von Kanischa ernannt, 1649 verwaltete er die Provinz Bosnien. Auch bestimmte ihn der Sultan zum osmanischen Unterhändler bei den Verhandlungen über die strittigen Grenzfragen in Siebenbürgen nach dem osmanisch-habsburgischen Frieden von Eisenburg (1664). Ebenso wie sein Vater legte Hasan auch Wert auf die Herkunft seiner Großmutter aus der Familie Sokolović und nannte sich dementsprechend Şahin 58 59 60 61 62

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Ders., Tursko-mletačko (wie Anm. 14), 422 f. – Ders., Vrana (wie Anm. 14), 359 f. In dieser Arbeit verwechselt ihn Traljić mehrmals mit dem anderen Halil. Ders., Tursko-mletačko (wie Anm. 14), 423. Fekete (wie Anm. 15), 595. Diplomatarium relationum (wie Anm. 52), 113. Das Mausoleum von Halil Pascha in Banja Luka, das während des letzten Krieges in Bosnien und Herzegowina (1992–1995) von den serbischen Behörden zerstört wurde, ist auf seine Person zurückzuführen. Siehe Zahirović, Nedim: Geografsko-statistički opis Bosanskog pašaluka iz treće decenije 17. vijeka [Geographisch-statistische Beschreibung des Paschaliks von Bosnien aus der dritten Dekade des 17. Jahrhunderts]. In: Prilozi za orijentalnu filologiju 54 (2005), 189–198, hier 197. Dies teilte bereits Traljić mit: Vrana (wie Anm. 14), 358. Stanojević, Gligor: Crna Gora u doba Kandijskog rata (1645–1669) [Montenegro zur Zeit des Krieges um Kreta (1645–1669)]. In: Istorijski glasnik 1/2 (1953), 3–53, hier 10. Jurin-Starčević (wie Anm. 53), 256.

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Hasan Pascha (pers. şahin, „der Falke“, südslaw. soko[l]). Er ist der Begründer der vollständig erhaltenen Jakováli Hasan Pascha Moschee in Fünfkirchen.66 Von seinem Bruder Hüseyin ist lediglich bekannt, dass er 1623 zum Sandschakbeg von Bihać ernannt wurde.67 Die Todesdaten beider Männer entziehen sich meiner Kenntnis. Ein weiterer Sohn İbrahim Paschas namens Ahmed verfügte 1628/29 im Sandschak Segedin über ein Großlehen (zeamet) im Wert von 33.219 Silbermünzen.68 Fünf Jahre später wurde ihm ein anderes Großlehen verliehen, dieses Mal im Wert von 60.000 Silbermünzen und befindlich im Eyalet bzw. Sandschak von Temeswar.69 Der vierte Sohn İbrahim Paschas, Arslan, verfügte im Jahr 1044 H. (1634/35) ebenso über ein Großlehen im Sandschak Klis mit einem Wert von 60.000 Silbermünzen.70 Noch zwei Jahre zuvor war er im gleichen Sandschak Inhaber eines beträchtlich kleineren Lehens im Wert von 35.500 Silbermünzen gewesen.71 Halil, der zweite Sohn von Memi Beg, hatte mehrere Söhne. Als Sandschakbeg von Lika schickte er sie häufig als Gesandte zu venezianischen Behörden nach Sebenico (kroat. Šibenik). Einer seiner Söhne hieß Mustafa, der im Jahr 1624 zum Sandschakbeg von Lika ernannt wurde.72 Der Name eines weiteren Sohnes von Halil Pascha konnte nunmehr ausfindig gemacht werden: Er hieß Mehmed und besaß ein Großlehen im Sandschak von Klis. Mehmed verstarb um 1634/35, worauf sein Großlehen einem Mann namens Yusuf verliehen wurde.73

Zusammenfassung Die hier vorgestellte Geschichte der Familie Memibegović hat auf der Grundlage edierter Schriftquellen und Informationen aus der Sekundärliteratur die verschiedenen Funktionen dargestellt, die insbesondere die Angehörigen der ersten beiden Generationen im Militär- und Verwaltungsapparat des Osmanischen Reiches ausgeübt haben. Es fällt auf, dass die Familie ihre Aufmerksamkeit im 17. Jahrhundert auf den Bereich Diplomatie richtete. İbrahim Pascha bemühte sich um Kontakte zu kaiserlichen Diplomaten, Hasan Pascha betätigte sich gar als ein solcher. Das vermehrte Interesse der Familie an diplomatischen Vorgängen, so steht zu vermuten, sollte dabei als eine Art Kompensation für die erlittenen Machteinbußen, die nach dem Frieden von Zsitvatorok und mit dem Nachlassen des osmanischen Expansionsdruckes im Grenzland eintraten, dienen. 66 67 68 69 70 71 72 73

Sudár (wie Anm. 13), 27 f. Diplomatarium relationum (wie Anm. 52), 139. Başbakanlık Osmanlı Arşivi Istanbul [Archiv des Ministerpräsidiums] (fortan BOA), Ruznamçe Defteri [Timarverzeichnis] (fortan RZD) No. 482, fol. 66v. BOA, RZD No. 530, fol. 346v. BOA, RZD No. 542, fol. 353r. BOA, RZD No. 530, fol. 280v. Diplomatarium relationum (wie Anm. 52), 143. – Traljić, Tursko-mletačko (wie Anm. 14), 413. BOA, RZD No. 542, fol. 402v.

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Gleichzeitig sind in dieser Arbeit auch Themenfelder „angerissen“ worden, die für eine umfassendere Einordnung der Familie Memibegović in die Geschichte dieses Grenzraumes bedeutsam sind. Dazu gehören die vielfältigen Beziehungen mit den politischen und wirtschaftlichen Eliten jenseits der osmanischen Grenze, in Ragusa und Dalmatien. Deren Bedeutung wurde im Rahmen dieses Artikels im Spiegel der geschäftlichen Beziehungen zwischen İbrahim und den ragusanischen Händlern deutlich.74 Für die Erforschung des Umfangs und der Intensität der Beziehungen wird es auch zukünftig wichtig bleiben, die Genealogie der Familie möglichst genau zu rekonstruieren.

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Zwischen den venezianischen und osmanischen Behörden gab es regen Kontakt, siehe Pars pro Toto Schmitt, Oliver Jens: „Des melons pour la cour du Sancak beg“: Split et son arrière-pays ottoman à travers les registres de compte de l’administration vénitienne dans les années 1570. In: Living in the Ottoman Ecumenical Community. Essays in Honour of Suraiya Faroqhi. Hg. v. Vera Costantini und Markus Koller. Leiden 2008, 437–452.

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Transimperiale Migration zwischen Osmanen und Habsburgern: Die Serben in den Neoacquistica-Gebieten im 16. bis 18. Jahrhundert In seiner 2007 erschienenen „Geschichte Serbiens“ stellt Holm Sundhaussen fest: „Die Geschichte der serbisch-orthodoxen Kolonisten auf habsburgischem Territorium wäre ein Thema für sich.“1 Und mit Recht betont er die Relevanz der transimperialen Wanderungen der Serben, wenn er schreibt: „Die Balkangeschichte aus der Perspektive der Wanderungen zu schreiben erbrächte ein sehr viel wirklichkeitsnäheres Bild, als die verzerrende und extrem konstruierte Nationalgeschichte offeriert. Auch die ‚serbische Geschichte‘ ist bis in die späte Neuzeit hinein in erster Linie Migrationsgeschichte.“2 Zwei wichtige Punkte sind damit erfasst: nämlich ein inhaltlicher und ein methodologischer. Wer sich mit der Geschichte der Serben – oder im weiteren Sinne der Raitzen – in der Frühneuzeit beschäftigt, kann der Feststellung nur zustimmen, wonach wir uns über deren Schicksal nach der sog. Großen Wanderung nur ein unvollkommenes Bild machen können. Legt man die offiziöse Historiographie zugrunde, so kommt man – plakativ ausgedrückt – zu folgendem Ergebnis: Die Serben waren eine kollektive Interessengruppe, die stets geschlossen unter der Führung des serbisch-orthodoxen Klerus handelte.3 Diese Gruppe konnte ihre Andersartigkeit dank eigener Religion, Sprache, Sitte und Kultur stets bewahren und politisch immer wieder zur Geltung bringen. Sie wurde von den Osmanen während des Großen Türkenkrieges (1683–1699) so unter Druck gesetzt, dass sie sich letztlich gezwungen sah, die Flucht zu ergreifen.4 Damit habe der große „Leidensweg“ der Serben begonnen: Zwar seien sie mittels diverser Versprechungen auf habsburgisches Territorium gelockt worden, ihre Privilegien aber umgingen die Behörden und politischen Eliten geschickt und stets zu Ungunsten der Migranten.5 Zudem zeigten 1 2 3 4 5

Sundhaussen, Holm: Geschichte Serbiens 19.–21. Jahrhundert. Wien-Köln-Weimar 2007, 17. Ebd., 47 f. Zur Relevanz dieser Problematik siehe bei Katsiardi-Hering, Olga: Migrationen von Bevölkerungsgruppen in Südosteuropa vom 15. Jahrhundert bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts. In: Südost-Forschungen 59/60 (2000/2001), 125–148. Pars pro Toto siehe die Meistererzählung von Boškov, Živojin: Vojvodina i Srbi u Ugarskoj [Die Vojvodina und die Serben in Ungarn]. In: Historija naroda Jugoslavije. Bd. II. Hg. v. Branislav Đurđev, Bogo Grafenauer und Jorjo Tadić. Zagreb MCMLIX, 1118–1130. „Nach der Niederlage vor Wien verübten die Türken verschiedene Ungeheuerlichkeiten an den Christen in Ungarn. Das erfuhren auch die Serben in Ungarn am eigenen Leib.“ Marijan, Vlado St.: Srpska istorijska čitanka 2 [Serbisches historisches Lesebuch 2]. Beograd 2001, 247. „Die militärischen Verdienste der Serben für den Wiener Hof vergaß man schnell.“ Ders.: Istorija Srba u XVIII. veku, prema odabranim istorijskim izvorima [Geschichte der Serben im 18. Jahrhundert anhand ausgewählter historischer Quellen]. Beograd 2005, 15. – Radonić, Jovan/ Kostić, Mita: Srpske privilegije ad 1690 do 1792 [Die serbischen Privilegien von 1690 bis

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sich der ungarische Adel, die katholische Kirche sowie der Wiener Hof undankbar gegenüber den militärischen Leistungen und der Kriegsbereitschaft der Serben.6 Dies gipfelte – so die Nationalhistoriographie weiter – in einem politischen Vertragsbruch, indem die vom Kaiserhof gewährten Privilegien missachtet oder bekämpft und die Serben in ein unrühmliches Untertänigkeitsverhältnis gezwungen wurden. So einfach dieser Deutungs- und Erklärungsversuch auch ist, so anfechtbar ist er. Das überbetonte Opfermotiv als Leitfaden nationalgeschichtlich implizierter Narrative ist gewiss ein Charakteristikum der Region.7 Doch nicht das ist der Grundtenor der Argumentation, sondern geht es um die Legitimation der Privilegien als „Vorstufe“ der Autonomie der Vojvodina 1848/49 und das daraus abgeleitete „Siedlungsrecht“ der Serben als „Kampfinstrumentariumskatalog“ gegen die Ungarn im 19. Jahrhundert.8 Denn genau die Tragweite der in den Privilegien

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1792]. Beograd 1954. Für eine neuere Auseinandersetzung mit den Privilegien siehe Gavrilović, Vladan: Diplomatički spisi kod Srba u habsburškoj monarhiji i karlovačkoj mitropolijii od kraja XVII do sredine XIX veka [Diplomatische Schriften von Serben in der Habsburgermonarchie und der Karlowitzer Metropolie vom Ende des 17. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts]. Veternik 2001. – Mikovica, Dejan/Gavrilović, Vladan/Vasin, Goran: Znamenita dokumenta za istoriju srpskog naroda 1538–1918 [Bedeutende Dokumente zur Geschichte des serbischen Volkes 1538–1918]. Novi Sad 2007, 13–42. „Die katholische Kirche arbeitete unablässig unter Hilfe staatlicher Organe daran, die Serben zur Union zu überführen und die serbischen Privilegien zu beseitigen.“ Ebd., 15. – „Der Kampf um die Verteidigung der Rechte begann sofort nach Erhalt der ersten Privilegien am 21. August 1690. […] Der ungarische Adel, die Komitatsverwaltung und der römisch-katholische Klerus wollten keine Ausnahme des serbischen Volkes vorm ungarischen Gesetz anerkennen.“ Veselinović, Rajko L.: Borba za autonomna prava i duhovni samostalnost 1690–1699 [Kampf um das Autonomierecht und die religiöse Unabhängigkeit 1690–1699]. In: Istorija srpskog naroda. Bd. III/2. Srbi pod turđinskom vlašču 1537–1699. Hg. v. Radovan Samarđić. Beograd 1993, 552–564, hier 552. Diese Opfergeschichte siehe etwa bei Ivić, Aleksa: Istorija Srba u Vojvodini od najstarijih vremena do osnivanja potisko-pomoriške granice (1703) [Geschichte der Serben in der Vojvodina von den ältesten Zeiten bis zur Gründung der Theiß-Mieresch-Grenze (1703)]. Novi Sad 1929. Eine große Ausnahme in der offiziösen Historiographie bilden u.a. die Werke von Slavko Gavrilović, der umfangreiche Quellenforschungen durchführte und sich der Frage vornehmlich mittels der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte nähert. Siehe u.a. Gavrilović, Slavko: Iz istorije Srba u Hrvatskoj, Slavoniji i Ugarskoj (XV–XIX bek) [Aus der Geschichte der Serben in Kroatien, Slawonien und Ungarn (15.–19. Jh.)]. Beograd 1993. – Ders.: Izbori a Srbima u Ugarskoj s krajahvii XVII i početkom XVIII veka [Quellen zur Geschichte der Serben in Ungarn vom Ende des 17. und Anfang des 18. Jahrhunderts]. Bd. IV. Beograd 2005. Zum Problem der Erinnerungskultur und der serbischen Geschichtsschreibung siehe Höpken, Wolfgang: Zwischen nationaler Sinnstiftung, Jugoslawismus und „Erinnerungschaos“: Geschichtswissenschaft und Geschichtskultur in Serbien im 19. und 20. Jahrhundert. In: Österreichische Osthefte 47 (2005), 345–391. Zur Rezeption und Generierung dieser „Kontinuitätstheorie“ siehe neuerlich Mikavica, Dejan: Srbska Vojvodina u Habsburškoj monarhiji 1690–1920. Istorija ideje o državi i autonomiji prečanskix Srba [Die serbische Vojvodina in der Habsburgermonarchie 1690–1920. Eine Geschichte der Idee der Staatlichkeit und Autonomie der Serben jenseits der Donau]. Novi Sad 2005. Zur Autonomie der Vojvodina siehe Clewing, Konrad: Die doppelte Begründung der serbischen Wojwodschaft 1848–1851. Ethnopolitik im Habsburgerreich. In: Südosteuropa. Von

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genannten Rechte bzw. deren Wirkungsmacht wurde von der professionellen ungarischen Historiographie nach 1849 in Frage gestellt und relativiert.9 Diese konkurrierenden Nationalgeschichten verstellen den Blick jedoch auf die wichtigste Frage jener Zeit, die retrospektiv zwar einleuchtend beantwortet werden kann und doch hinterfragt werden muss, ob nämlich die Integration der Raitzen tatsächlich fehlschlug und diese dafür ausschließlich die Verantwortung trugen, oder aber eine Annäherung auf der interethnischen und interkonfessionellen Ebene doch keine Erkenntnisse für diverse Varianten der Koexistenz in einem Raum liefert, dessen Geschichte sich in der Frühneuzeit mit nationalhistorischen Paradigmen nicht schreiben lässt. Anlässlich einer serbisch-ungarischen Historikerkonferenz wurde immerhin die Hoffnung geäußert, endlich „zusammen“ und „ohne Emotionen“ die gemeinsame Vergangenheit aufzuarbeiten.10 Das daraus resultierende Konferenzmaterial wurde 1991 publiziert, wobei der Band den Stand der Forschung samt unzähligen Fragezeichen festhält und keinesfalls neue Forschungsansätze oder gar Ergebnisse liefert. Der vielversprechende Anfang, mithilfe der Wissenschaft eine neue Sicht auf die gemeinsame Vergangenheit zu ermöglichen, fand keine institutionell organisierte Fortsetzung.11 Trennt man sich von den die „Nationalgeschichte“ diktierenden Paradigmen, so kann konstatiert werden, dass es sich keineswegs um eine bipolare Auseinandersetzung Serben kontra „Nichtserben“, sondern vielmehr um eine multipolare Konfliktkonstellation handelte. Man muss von mindestens vier Konfliktparteien ausgehen, nämlich den serbischen Migranten, dem Wiener Hof, der ungarischen politischen Elite und den sich nach der Osmanenherrschaft neu organisierenden Grundherrschaften. Doch selbst diese vier Interessenparteien sind nicht als homogen zu betrachten. In der Forschung ist inzwischen hinlänglich bekannt, dass sich zum Bsp.

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vormoderner Vielfalt und nationalstaatlicher Vereinheitlichung. Festschrift für Edgar Hösch. Hg. v. Dems. und Oliver Jens Schmitt. München 2005, 253–302. Die wichtigste Publikation dazu siehe Szalay, Ladislaus von: Das Rechtsverhältniss [sic!] der serbischen Niederlassungen zum Staate in den Ländern der ungarischen Krone. Leipzig-Pest 1862. Natürlich argumentierte die „nationalösterreichische“ Geschichtsschreibung anders. Pars pro Toto folgende Aussage: „Die Ansiedlung der Serben, besonders seit dem Schlusse des 17. Jahrhunderts […] war eine in staatswirtschaftlicher und politischer Beziehung bedeutsame und nutzbringende That.“ Krones, F.: Zur Geschichte Ungarns im Zeitalter Franz Rákóczi’s II. Historische Studie nach gedruckten und ungedruckten Quellen. In: Archiv für österreichische Geschichte 43 (1870), 1–102, hier 74. Diese Postulate wurden 1990 in Szeged, anlässlich des 300. Jahrestages der velika seoba, der sog. Großen Wanderung der Serben unter dem Patriarchen Arsenije III. Čarnojević, ausgesprochen. Als Resultat erschien ein Jahr später A szerbek Magyarországon [Die Serben in Ungarn]. Hg. v. István Zombori. Szeged 1991, hier 7. Eher eine Ausnahme bildet der an der Universität Neusatz (serb. Novi Sad, ung. Újvidék) publizierte Tagungsband Srpsko-mađarski adnosi kroz istoriju/A szerb-magyar viszonyok a történelemben [Serbisch-ungarische Beziehungen in der Geschichte]. Hg. v. Zoltán Györe. Novi Sad-Újvidék 2007. Die ereignisreiche Zeit von circa 1550 bis 1780 wurde allerdings nur mit einem einzigen Beitrag bedacht. Pacsa, Árpád: Srbi i mađari u čanadskom sanđaku u drugoj polovini XVI veka [Serben und Ungarn im Sandschak Tschanad in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts]. In: Ebd., 87–102.

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in Wien der Hofkriegsrat, die Hofkammer und die Ungarische Hofkanzlei erbitterte Auseinandersetzungen gegeneinander lieferten, und nicht zuletzt die Person des verteufelten Kardinals Leopold Kollonich ein gutes Beispiel dafür ist, wie differenziert man selbst die Rolle des „Wiener Hofes“ dabei sehen sollte.12 Ebenso wurden im Königreich Ungarn, wo man dabei war, die gesamte Verwaltung, das öffentliche Leben etc. neu zu organisieren, Machtkämpfe zwischen Komitatsverwaltung, Adel und Kirche ausgetragen, die in der heutigen Darstellung der Geschichte der „Raitzen“ nicht einmal ansatzweise thematisiert werden, obwohl sie einen entscheidenden Einfluss auf deren Schicksal ausübten. Die einleuchtende, allerdings völlig irreführende Konstruktion einer bipolaren Konfliktkonstellation mag also einer „Nationalgeschichte“ dienlich sein, führt aber letztlich in die Sackgasse. Deshalb muss Sundhaussen beigepflichtet werden, wenn er die Frage stellt, ob in diesem Zusammenhang nicht eher das Instrumentarium der Migrationsforschung angewandt werden sollte. Somit ließe sich auch von den etablierten Zäsuren abrücken und beispielsweise die Relevanz der Einwanderung des Ipeker Patriarchen von 1690 anders kontextualisieren. Zudem stünden nicht allein die Instituts- und die damit eng verwobene Konfliktgeschichte im Vordergrund, sondern auch Aspekte der Integration, nämlich der Interethnizität, des Kulturtransfers und des Kulturaustausches (etwa in der Schaffung des „serbischen Barocks“) oder die schärfere Fokussierung der Geschichte ökonomisch erfolgreicher Siedlungen.13 Der Terminus „Raitzen“ bezieht sich in seiner zeitgenössischen Verwendung nicht nur auf eine Ethnie oder Konfession: Auch katholische Südslawen wurden in den Konskriptionen nicht selten unter „Raitzen“ verbucht, wobei man die Serben häufig mit der Phrase Rasciani graeci ritus präzisierte. Wenn auch deshalb Vorsicht mit dem Namen „Raitzen“ geboten ist, soll an dieser Stelle auf den damals üblichen Terminus nicht verzichtet werden.14 12

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Zu den Kämpfen diverser Stellen am Hof untereinander und zur Schlüsselfrage der Finanzlage des Reiches siehe Maurer, Joseph: Cardinal Leopold Graf Kollonitsch, Primas von Ungarn. Sein Leben und sein Wirken. Innsbruck 1887, 325–345. – Pirchegger, Hans: Geschichte und Kulturleben Deutschösterreichs von 1526 bis 1792. Wien-Leipzig 1931, 242–260. – Winkelbauer, Thomas: Nervus rerum Austriacarum. Zur Finanzgeschichte der Habsburgermonarchie um 1700. In: Die Habsburgermonarchie 1620 bis 1740. Leistungen und Grenzen des Absolutismusparadigmas. Hg. v. Dems. und Petr Mat’a. Stuttgart 2006, 179–217. Zur ambivalenten Beurteilung der Rolle von Kollonich siehe Pars pro Toto die kritische Abhandlung von Benczédi, László: Kollonich Lipót és az „Einrichtungswerk“ [Leopold Kollonich und das „Einrichtungswerk“]. In: Gazdaság és mentalitás Magyarországon a török kiűzésének idején. Hg. v. Mihály Praznovszky und Istvánné Bagyinszky. Salgótarján 1987. Welchen untergeordneten Aspekt die Frage des Kulturtransfers und -austauschs im Vergleich zum politischen Transfer einnimmt, verdeutlicht Medaković, Dejan: Der große Serbenzug 1690 auf österreichisches Gebiet im kulturhistorischen Überblick. In: Österreichische Osthefte 32/3 (1990), 396–404, hier 402. Eine Monographie zum „serbischen Barock“ selbst siehe Ders.: Putevi srpskog baroka [Wege des serbischen Barock]. Beograd 1971. „Early waves of emigrants from the Serb lands to the north had either brought the therm ‚Rascian‘ with them. […] In seventeenth-century Austrian usage, the therm ‚Rascian‘ referred most commonly to the Serbs who lived in habsburg territory, then more generally to Orthodox Serbs, wherever they lived, and then more generally still to speakers of Serbien or Serbo-Croat.

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Kontinuität raitzischer Einwanderungen während der Osmanenzeit Die serbische Süd-Nord-Migration begann in Südosteuropa bereits nach der Schlacht auf dem Amselfeld (serb. Kosovo Polje) 1389, doch erreichte sie in größerem Umfang erst im 16. Jahrhundert das Königreich Ungarn, schließlich im 17. Jahrhundert ihren Höhepunkt. Diese serbische Wanderung machte stellenweise einen Durchmesser von 800 km aus und erstreckte sich über mehr als 600 Jahre. Der serbische Geograph und Ethnologe Jovan Cvijić nennt drei Gründe für diese gewaltigen Bewegungswellen: den historisch-politischen Aspekt als Flucht vor der osmanischen Expansion, den sozioökonomischen und psychologischen Aspekt als Reaktion der Mikroebene auf die Osmanenherrschaft und den geographischen oder natürlichen Aspekt, nämlich das Resultat des Bevölkerungsdrucks infolge zunehmender Fertilität.15 Die quantitativ umfangreiche Einwanderung von Raitzen in den Donauraum erfolgte nicht erst in den 1690er Jahren, sondern bereits ab der Mitte des 16. Jahrhunderts. Nach der ältesten Kirchenchronik des Klosters Grabovac (ung. Grábóc) im Komitat Tolna zum Bsp. flohen Raitzen in dieser Zeit vor plündernden Osmanen nach Ungarn und ließen sich sogar in Raab (ung. Győr) und Kaposvár nieder, wo sie sich „gerne aufhielten“.16 Oft ließen sich die Raitzen – wie auch im Komitat Fejér nördlich des Plattensees – in Dörfern nieder, die von der ungarischen Bevölkerung verlassen worden waren. Wie andere Migranten auch erhielten sie drei Jahre Steuerfreiheit.17 Schließlich war die Relevanz der serbischen Kaufleute bereits im 16. Jahrhundert nicht zu vernachlässigen.18 Da diese Migrationsbewegungen noch nicht rekonstruiert sind, ist deren gesamte Darstellung nicht möglich, doch selbst die Ergebnisse von Fallstudien lassen die eigentliche Dimension erahnen und korrigieren die üblichen Interpretationsansätze. Dank der zumindest partiell überliefer-

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The Emperor’s so-called ‚Invitatorium‘ in April 1690, for example, was addressed to Arsenije as ‚patriarch of the Rascians‘; but Austrian court style also distinguished between ‚Catholic Rascians‘ (mainly people who emigrated from Hercegovina during this war) and ‚Orthodox Rascians‘.“ Malcolm, Noel: Kosovo. A Short History. New York 1998, 145. Der Historiker Vasa Čubrilović fügt einen vierten Grund hinzu, nämlich die patriarchalische Familienorganisation (das sog. zadruga-System) als Mittel der Bewahrung etablierter Sozialstrukturen. Hier zitiert nach Seewann, Gerhard: Serbische Nord-Süd-Migration in Südosteuropa als Voraussetzung für die deutsche Ansiedlung im 18. Jahrhundert. In: Ders.: Ungarndeutsche und Ethnopolitik. Ausgewählte Aufsätze. Hg. v. Magyarországi Németek Országos Önkormányzata. Budapest 2000, 237–256, hier 240 f. Szilágyi, Mihály: A grábóci szerb ortodox kolostor története [Geschichte des serbisch-orthodoxen Klosters Grabotz]. In: Tolna megyei levéltári füzetek 7 (1999), 5–115, hier 14. Auch die Gründung des Klosters konnte erst erfolgen, nachdem den in Dalmatien hungernden Mönchen glaubhaft gemacht worden war, dass Ungarn „ein reiches Land“ sei, wo „kein Mangel“ herrsche. Vgl. Jenei, Károly: A délszláv betelepülés előzményei és folyamata Fejér megyében [Vorgeschichte und Prozess der südslawischen Ansiedlung im Komitat Fejér]. In: A Dunántúl településtörténete. Bd. 1: 1686–1768. Hg. v. Gábor Farkas. Veszprém 1976, 187–198, hier 189. Pars pro Toto zur Geschichte dieser Händler in Ráckeve siehe Mészáros, László: Délszlávok és cigányok a dunántúli hódoltság területén [Südslawen und Zigeuner in Transdanubien während der Osmanenherrschaft]. In: Ebd., 221–230.

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ten Steuererfassungen von osmanischer wie auch ungarischer Seite sollen hier die Sandschaks Simontornya und Koppány bzw. die Komitate Tolna und Baranya südlich des Plattensees berücksichtigt werden. Das westliche Komitat Tolna lag nicht an der Heerstraße, wurde also militärisch in den 1520er und 1530er Jahren auch nicht unterworfen. Der Burgherr von Simontornya, Tamás Markóczi, überfiel jedoch in Warlord-Manier durchziehende Händler und sonstige Reisende, die nach oder von Ofen her unterwegs waren. Um diese Handelsroute zu sichern, brachten daraufhin die Osmanen die Region unter ihre militärische Kontrolle und richteten ein Grenzverteidigungssystem ein. Osmanische Soldaten besetzten die vorhandenen oder neu errichteten Palanken sowie die Burg Simontornya, ließen Händler und Handwerker kommen und führten rasch und zielbewusst eine effiziente Herrschaftsstruktur ein.19 Bereits 1546 – also circa 1,5 Jahre später – wurde die erste Steuerkonskription durchgeführt, was als Konsolidierungszeichen galt.20 Nach akribischen Rechnungen des ungarischen Osmanisten Géza Dávid veränderte sich die Anzahl der Siedlungen zwischen 1546 bis 1552 und 1565 bis 1590 nur marginal. In der Nahije Ozora zum Bsp. lässt sich nur für drei von elf unbewohnten Dörfern belegen, dass sie wegen der Osmanen verlassen wurden. Und in den drei Nahijes des Sandschaks Endréd, Ozora und Tamási waren für circa 75 Prozent der verödeten Siedlungen nicht die Osmanen verantwortlich. Oder in Zahlen ausgedrückt: Von den 81 verödeten Puszten waren also nur 16 bis 20 auf die Osmanen zurückzuführen.21 Verändert hat sich dagegen die ethnisch-konfessionelle Zusammensetzung der Bevölkerung: Anhand der osmanischen Steuerkonskription vom 16. Februar 1580 war der Gebietsstreifen von Dombóvár-Szemcse-Koppány schon zusammenhängend von Raitzen besiedelt. Während aus 23 Gemeinden die ungarische Bevölkerung geflohen war, war sie in zehn bis zwölf vermutlich in ihrer Gesamtzahl halbiert vorzufinden.22 1614 bestand in den drei südtransdanubischen Sandschaks Koppány, Simontornya und Szekszárd die ethnische Zusammensetzung aus 58,5 Prozent Ungarn und 41,5 Prozent Raitzen.23 Die Osmanenherrschaft im 16. Jahrhundert war also in dieser Region keine erstarrte oder von einem stetigen Rückgang gekennzeichnete Zeit, sondern vielmehr von einer Dynamik geprägt, die aus einer aktiven Ansiedlungspolitik der Machthaber resultierte. Dabei verfolgten die Osmanen mit ihrer Populationspolitik zwei Ziele: Erstens sollte die Gegend zum Schutz 19 20 21 22 23

Dieser Prozess lässt sich auch im Komitat Fejér belegen, wo schon 1559 mit dem Einverständnis des Kapitäns von Várpalota Seregélyes, Bögöd und Moha mit Raitzen besiedelt wurden. Vgl. Jenei (wie Anm. 17), 189. Dávid, Géza: A simontornyai szandzsák a 16. században [Der Sandschak Simontornya im 16. Jahrhundert]. Budapest 1982, 7–11. Ebd., 64–66. Nach gegenwärtigem Stand der Forschung betrug die Verödung im Mittelalter im Königreich Ungarn 40 Prozent, d.h. der Verlust war höher als in der ersten Hälfte der Osmanenherrschaft. Hegedűs, László: Tolna megye nyugati felének települései (1580–1704) [Die Siedlungen in der westlichen Hälfte des Komitates Tolna (1580–1704)]. In: Tanulmányok Tolna megye történetéből IX (1979), 5–105, hier 6. Hegyi, Klára: Török berendezkedés Magyarországon [Osmanische Herrschaftseinrichtung in Ungarn]. Budapest 1995, 195.

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durchziehender Händler beruhigt werden, um zweitens eine Steigerung der Steuereinnahmen herbeizuführen.24 Um die Festungen mit ihrem Soldatenpotential wurden während der Osmanenzeit raitzische Bauernsiedlungen angelegt. Zwischen Mohatsch (ung. Mohács) und Szigetvár wurden beispielsweise noch zwischen 1648 und 1688 Dörfer mit Raitzen besiedelt, um die Versorgung der osmanischen Soldaten, die häufig ebenfalls von südslawischer Abstammung waren, zu gewährleisten. Diese Untertanen erhielten nicht nur diverse Privilegien, sondern führten das Leben von Wehrbauern, was ihre Sonderstellung weiter unterstrich.25 Zudem waren die Raitzen neben den Griechen, Armeniern und Juden in den Städten als Kaufleute präsent. Als Herkunftsregionen galten außer den serbischen Ländern auch Bosnien, die Herzegowina, Slawonien und Dalmatien. Im benachbarten Komitat Somogy wurden die Raitzen durch professionelle „Agenten“ (kenéz) als potentielle Neusiedler angeworben. Die Ergebnisse der Konskriptionen, die sich wellenförmig darstellten, waren daher von diversen Faktoren determiniert, die sich aus den militärischen, politischen und/oder ökonomischen Umständen ergaben. Doch nicht nur die Osmanen, auch die christlichen Grundherrschaften hatten ein Interesse an der Wiederbesiedlung des Landes. Dies ergab sich aus dem System der sog. doppelten Besteuerung, wonach die Osmanen es zuließen, dass die in das sog. Königliche Ungarn geflohenen Grundherren ihre Dörfer weiterhin besteuern konnten, nicht selten mit Hilfe des osmanischen Militärs.26 Die christlichen Grundherren profitierten also direkt aus der aktiven Ansiedlungspolitik der Osmanen. Bis zur Konsolidierung der Osmanenherrschaft in der Region stand der Weinbau an erster Stelle landwirtschaftlicher Produktion; dieser wurde vom Getreide-, konkret dem Weizenanbau, abgelöst. Die Versorgung der Armee stand also in der osmanischen Wirtschaftspolitik im Vordergrund. Den Umstieg auf die Produktion von Weizen meisterten die Raitzen, die auch eine extensive Viehzucht betrieben, offensichtlich mit Erfolg und wurden bereitwillig als Untertanen angenommen. Zudem leisteten sie indirekt eine zusätzliche Schützenhilfe für die katholischen Grundherren: Bis 1570 existierten im Komitat Tolna blühende protestantische – evangelischlutherische wie auch calvinistisch-reformierte – Gemeinden, die in der Folgezeit – vor allem in der Mitte und im Südwesten des Komitates – fast vollständig durch die Raitzen verdrängt wurden.27 Insgesamt spielten also die Raitzen ökonomisch, siedlungspolitisch und demographisch eine stabilisierende Rolle. Dennoch ging die Bevölkerungszahl in diesem 24

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Vgl. Révész, László: Die Grundbesitzordnung im türkisch besetzten Ungarn. In: Südosteuropa unter dem Halbmond. Untersuchungen über Geschichte und Kultur der südosteuropäischen Völker während der Türkenzeit. Hg. v. Peter Bartl und Horst Glassl. München 1975, 213– 227, hier 219. Zwei Quellen aus dem Sandschak Szeged sind gedruckt bei Hegyi, Klára/Fodor, Pál: Megkésett ajándék Szakály Ferencnek [Ein verspätetes Geschenk an Ferenc Szakály]. In: Tanulmányok Szakály Ferenc emlékére. Hg. v. Dems., Géza Pálffy und István György Tóth. Budapest 2002, 13 f., hier 13. Seewann (wie Anm. 15), 242. Siehe dazu ausführlich Szakály, Ferenc: Magyar adóztatás a török hódoltságban [Ungarisches Besteuerungswesen unter der Osmanenherrschaft]. Budapest 1981. Hegedűs (wie Anm. 22), 21.

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Sandschak zurück: Unter Berücksichtigung der demographischen Entwicklung mitsamt Migration hätten es 1590 circa 18.000 Menschen sein müssen, es waren aber nur 14.000, also weniger als im Jahr 1565.28 Zwischen 1565 und 1590 gab es keinen großen Feldzug, Plünderungen gegnerischer Heere bieten sich daher nicht als Erklärung für den Rückgang an. Dagegen wurde bis 1580 das System der Doppelbesteuerung durchgesetzt. Diese Abgaben machten etwa 40 Prozent der osmanischen Steuern aus, also eine nicht unerhebliche Größe.29 Und genau diese Zumutung bewog etliche Untertanen, das Weite zu suchen. Man verließ also bewusst das Gebiet der Doppelbesteuerung, entweder in Richtung des Sandschaks Mohatsch bzw. Griechisch-Weißenburg (serb. Beograd) oder in Richtung Königliches Ungarn.30 Ein weiterer Grund waren die Übergriffe der Grenzsoldaten oder „Recken“ (végvári vitézek) bzw. der Heiducken.31 Allein von April bis Mai 1579 wurden im Sandschak Simontornya fünf Attacken dokumentiert, die stets zu Protesten seitens der osmanischen Begs führten.32 Auch die Kapitäne von Várpalota, Georg und Benedikt Thury, missbrauchten in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts des Öfteren ihr Amt und schikanierten die Untertanen der Batthyánys, die sich bei ihrem Grundherrn beschwerten.33 Der sog. Lange Türkenkrieg (1593–1606) stellte in diesem Zusammenhang trotz seiner enormen Verwüstungen keine eigentliche Zäsur dar, denn die Überfälle von Grenzsoldaten, Heiducken und Räubern setzten sich fort. Ebenso versuchten die Osmanen umsonst, der doppelten Besteuerung ein Ende zu setzen, bestand doch die ungarische Seite hartnäckig darauf. Von 1627 bis 1629 verhandelte Palatin Nikolaus Esterházy mit dem Pascha von Ofen (ung. Buda) über die Fortsetzung dieser Praxis, wobei eine Übereinkunft derart erzielt wurde, dass die Besteuerung pauschal nach der Anzahl der Bevölkerung erfolgte.34 Die Übergriffe der „Recken“ hörten aber nicht auf, sondern nahmen im Gegenteil noch zu, je weniger die Osmanen die öffentliche Sicherheit zu garantieren vermochten. Musa Pascha von Ofen stellte in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts zutreffend fest: „Die Ungarn rennen mit dem Kopf gegen den Fels, denn sie verwüsten gerade das, 28 29

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Dávid (wie Anm. 20), 46 f. Doch diese Steuereintreibung erfolgte oft willkürlich, mit den Worten Nikolaus Zrinskis (ung. Zrínyi): „Sine certo modo atque numero.“ Siehe dazu ausführlich Szilágyi, Mihály: Társadalmi és gazdasági viszonyok a Duna mentén, a török hódoltság korában [Gesellschaftliche und wirtschaftliche Verhältnisse entlang der Donau während der Osmanenherrschaft]. In: Tanulmányok Tolna megye történetéből VIII (1978), 5–98, hier 26–36. Dávid (wie Anm. 20), 60. Zum Problem der Grenzsoldaten siehe Spannenberger, Norbert: Konfessionsbildung unter den Grenzsoldaten im osmanischen Grenzraum Ungarns im 16. Jahrhundert. In: Formierungen des konfessionellen Raumes in Ostmitteleuropa. Hg. v. Evelin Wetter. Stuttgart 2008, 281– 296. Mustafa Pascha bezifferte 1576 den Schaden, den die ungarischen Burgkapitäne im osmanischen Teil Ungarns verursacht hatten, auf 90.000 Gulden, was ein Drittel aller nach Wien abgeführten Steuern ausmachte. Takáts Sándor: Rajzok a török világból [Zeichnungen aus der türkischen Welt]. Bd. I. Budapest 1915, 132. Jenei (wie Anm. 17), 188. Hier zitiert nach Hegedűs (wie Anm. 22), 25 f.

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was eigentlich ihnen gehört.“35 Im März 1668 erwiderte der Beg von Koppány, Ibrahim, in seinem Schreiben an Paul Esterházy auf die Anfrage, warum die raitzischen Untertanen so hartnäckig die Steuerablieferungen verweigerten, dass „von ungarischer Seite“ die Plünderungen durch Soldaten und Heiducken „trotz Friedens“ unerträglich seien. Da das Vieh weggetrieben werde und die Untertanen sich nicht in Sicherheit fühlten, wolle man die Steuern nicht entrichten und stattdessen schnell die Flucht ergreifen.36 Ähnliche Nachrichten erhielt der im fernen Wien befindliche Grundherr im Juli 1668 auch aus dem benachbarten Sandschak Simontornya. Mehmet Beg gab Paul Esterházy zu bedenken, dass nicht einmal ein Zehntel der Siedlungen mehr vorhanden war, da sie „alle von Ungarn aus verwüstet werden“, und der Sandschak wäre gar längst „ganz entvölkert, hätten wir sie nicht zurückgehalten“. Der osmanische Würdenträger betonte, dass „unsererseits ihnen kein Schaden angefügt wurde“, sollte die Gewalt aber nicht gestoppt werden, so würde sich die Bevölkerung bald noch weiter weg vom Grenzland des Osmanenreiches niederlassen.37 Etwa zeitgleich begab sich auch eine Abordnung raitzischer Untertanen aus den Sandschaks Koppány und Simontornya zu dem Grundherrn Paul Esterházy, um einen Schutzbrief gegen die ständigen Gefährdungen seitens der Soldaten zu erwirken.38 Trotz dieser koordinierten Aktion dürfte keine Intervention erfolgt sein, da im März 1669 die Soldaten von Tapolcza und Egerszeg die von Raitzen bewohnte Gemeinde Dorogh überfielen. Dem Bericht des Herrschaftsbeamten nach wurden dabei 14 Männer ermordet, davon fünf bis zur Unkenntlichkeit entstellt, 14 Häuser niedergebrannt, in denen sogar Säuglinge zu Tode kamen, und Zugvieh in der Größenordnung von 300 Tieren geraubt. Er betonte, dass dies ein Dorf „mit reichen raitzischen Bürgern“ gewesen sei, wovon „beide Provinzen [Sandschaks] abhingen“.39 Erst im vorausgegangenen Monat berichtete der gleiche Provisor darüber, dass die Grenzsoldaten von Tapolca und Szent Grót die raitzischen Dörfer

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Takáts (wie Anm. 32), 113. Magyar Országos Levéltár [Ungarisches Landesarchiv] (fortan MOL) Az Esterházy család levéltára [Archiv der Familie Esterházy] (fortan AFE), P 108. Rep. 35. I., 192. „Nem tudom ha hírivel vagyon-e vagy nem, minémű békességös maradások vagyon mind az Nagyságod, s mind penigh más Urak Jobbágyinak Magyar részrül, mert mitül fogva az béke is elkezdődött, attul fogva Számlálhatatlan sok károkat töttenek az katonák és Hajdúk, semmi helt nem adnak a békességnek. Marhájokat az mi kevés volt el hajtották, azon kívül házbeli portékájokat hatalommal el vonnyák, s tehát mi haszna szegényeknek minden rendőbeli adózásoknak, ha semmi maradások nincs.“ MOL AFE, Z 735: „[…] vagyon Simontornya tartománynak 11 faluja, immár nagyságos Úr barátunk, azoknak faluknak nincsenek meg csak tized része is épen, mind Magyarországrul el pusztíttyák, el rabollyák ökröket, nem hadgyák lovaikat […] még az rajtok való ruha sincsen rajtuk, egy sem maradt volna bennek, ha mi nem tartóztattuk volna, Török részrül nincsen semmi bántások.“ Die Legitimität dieses Vorhabens erkannte auch der Vizekapitän der Festung Raab, Johann Esterházy, an, der jene Raitzen mit einem Empfehlungsschreiben versah. Tolna Megyei Levéltár [Archiv des Komitates Tolna] (fortan TML), Kammerer-Nachlass, I., 195. MOL AFE, P 108. Rep. 35. Fasc. Z, 737. Mikrofilm 14473.

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beinahe regelmäßig überfielen und daher die Armut so groß sei, dass die Soldaten selbst wertlose Ziegen entwendet hatten.40 Diese permanente Gefährdung der Untertanen führte in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts zu fundamentalen Veränderungen. Da die Abzugsbereitschaft größer wurde und letztlich nur schwer zu kontrollieren war, wurde insofern eine „Steuererleichterung“ gewährt, als ab 1629 die Gemeinden nach der jeweiligen Größe Steuern entrichteten. Das erwies sich als kluge Entscheidung, da ab 1642 südlich der Linie Kalocsa-Szeged eine doppelte Besteuerung nicht mehr praktiziert wurde und die ohnehin mobile raitzische Bevölkerung umso mehr bereit war, sich hinter diese Linie zurückzuziehen.41 1650 erfolgte eine Konskription in der Herrschaft Ozora im westlichen Teil des Komitates Tolna. Es gab 20 raitzische, neun ungarische und zwei gemischt bewohnte Dörfer. Um einer weiteren Eskalation der Lage vorzubeugen, befahl der Grundherr, Graf Ladislaus Esterházy, „allem voran unsere ungarischen und raitzischen Untertanen sorgsam zu achten, vor jenen Heiducken und Soldaten, soweit möglich, zu bewahren“.42 Wenn er auch drakonische Strafen für „ungehorsame Untertanen“ in Aussicht gestellt hatte, entrichteten diese ihre Steuern noch immer nicht. Letztlich war man nicht mehr Herr der Lage. Nach einer neuen Konskription von 1652 waren in der Herrschaft Kaposvár von 33 Gemeinden nur 18 unversehrt geblieben, in der Herrschaft Koppány wurde von zehn Gemeinden nur die Festung selbst bewohnt, in der Herrschaft Ozora waren von 25 Gemeinden 14 entvölkert (deserta), in der Herrschaft Simontornya von 21 insgesamt 15 und in der Herrschaft Tamási von elf sogar zehn.43 Selbst von der vorhandenen Bevölkerung war keine regelmäßige Steuerleistung zu erwarten, die Raitzen schuldeten der Herrschaft 1651 insgesamt 531 Gulden, die der Provisor mit „Geiselnahmen“ beabsichtigte einzutreiben.44 Der Schutz der vorhandenen Untertanen und die Besiedlung der verödeten Landstriche, die 1669 in den Esterházy’schen Herrschaften Ozora, Simontornya und Tamási bereits „fast 100 Dörfer“ ausmachten, standen aus Sicht der Herrschaftsverwaltung im Vordergrund.45 Hierbei kamen vornehmlich die Raitzen in Frage, die deshalb bis zum Ausbruch des Rákóczi-Aufstandes einen beträchtlichen Wirtschafts- und somit einen Stabilisierungsfaktor darstellten. 1679 waren in den Sandschaks Koppány und Simontornya sowie in der Umgebung von Ozora und Tamási von den 106 konskribierten Gemeinden 72, d.h. rund 70 Prozent der intakten Ortschaften, raitzisch besiedelt.46 Das führte dazu, dass die Konskriptionen in

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Ebd., 736. Hegedűs (wie Anm. 22), 28. Die Ungarn ergriffen die Flucht eher in die westliche oder nördliche Richtung. MOL AFE, P 108. Rep. 35. Fasc. Z, 24. Mikrofilm 14473. MOL AFE, P 108. Rep. 35. Fasc. V, 579. Mikrofilm 14467. MOL AFE, P 108. Rep. 35. Fasc. Z, 734. Mikrofilm 14473. MOL AFE, P 108. Rep. 35. Fasc. V. Mikrofilm 14467. Series appertinentiarum ad Castra Ozora, Simontornya und Thamássi spectantia. 1669. MOL AFE, P 108. Rep. 35. Fasc. V, 582. Mikrofilm 14467.

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den darauf folgenden zwei Jahrzehnten diese Region als „Raitzenland“ (Rácz Országh) apostrophierten.

Transformation und Integration während der Befreiungskriege 1683–1699 Der große osmanische Feldzug gegen Wien 1683 löste nicht nur unter der Bevölkerung entlang der Heerstraße die üblichen Reaktionen hervor, sondern hatte auch Auswirkungen auf ein breiteres Umfeld: Im Sommer verließen die Menschen zum Bsp. im Sárköz sowie im Westen der Komitate Tolna und Baranya ihre Siedlungen und retteten noch von der Ernte, was möglich war.47 Die Verwüstungen der Tataren und der Kuruzzen – wie es in den Zeugenaussagen festgehalten wird – fielen verheerend aus, Pestwellen und Hungernöte taten ihr Übriges. Von den 21 von Südslawen bewohnten Gemeinden des Komitates Fejér wurden 16 deserta, in den restlichen fünf verließen viele Menschen ihr Haus.48 Infolge der „Obsidio von Wien“ entvölkerten sich südlich des Plattensees wieder Dörfer wie Lengyel, Csurgó, Lázi, Sütfő oder Kurd. 1685 fielen die Raitzen in Szakály einer Epidemie zum Opfer. Im Herbst 1686 eroberte Ludwig von Baden die Gegend von Simontornya, Ozora, Tamási und Döbrököz.49 Ob der dezimierten Bevölkerungsanzahl bzw. deren Armut wurden die Steuern für das Jahr 1687 annulliert und nicht eingetrieben.50 Der kaiserliche Präfekt, Christian Vinzenz, bat sogar um Getreidelieferungen auf Kameralkosten, um die Hungersnot in den Komitaten Baranya und Somogy zu lindern.51 Die kriegerischen Auseinandersetzungen führten zu einem rapiden Rückgang der raitzischen Untertanen, die mit dem Ende der Kriegshandlungen teilweise wieder in ihre alten Siedlungen – oder zumindest in die Region – zurückkehrten. Eine Wende in diesem Prozess trat infolge des unglücklich verlaufenden Balkanfeldzuges der kaiserlichen Heere 1690 ein. Am 06. April 1690 richtete Kaiser Leopold I. seine litterae invitatoriae an alle Völker „Albaniens, Serbiens, Mösiens, Bulgariens, Sylistriens, Illyriens, Mazedoniens und Rasciens“, die „per Tyrannidem Turcicam“ litten, sich im Königreich Ungarn niederzulassen.52 Am selben Tag erging 47

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Siehe dazu ausführlich Varga, János J.: A török elleni felszabadító háború hadmozdulatai a pécsi egyházmegye területén [Die Manöver des Befreiungskrieges gegen die Türken in der Diözese Fünfkirchen]. In: A pécsi egyházmegye a 17–18. században. Hg. v. Tamás Fedeles und Szabolcs Varga. Pécs 2005, 18–25. Vgl. Jenei (wie Anm. 17), 193. Ausführlich bei Nagy, Lajos: A dél-magyarországi hadjárat 1686 őszén [Der südungarische Feldzug im Herbst 1686]. In: Budától Belgrádig. Válogatott dokumentumok az 1686–1688. évi törökellenes hadjáratok történetéhez. Hg. v. László Szita. Pécs 1987, 13–52. MOL AFE, P 108. Rep. 35. Fasc. V, 508. Mikrofilm 14467. Aufzeichnung des Provisors Ferenc Komáromy vom Februar 1687 in Csobánc. TML, Kammerer-Nachlass. Die Quelle siehe in Czoernig, Karl Freiherr von: Ethnographie der Oesterreichischen Monarchie. III. Band. Historische Skizze der Völkerstämme und Colonien in Ungern und dessen ehemaligen Nebenländern. Wien 1857, 69 f.

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ein gesondertes Schreiben an den Patriarchen Arsenije III. Čarnojević, in dem die militärische Kooperation gegen die Osmanen bekräftigt wurde. Im Sommer allerdings wurde deutlich, dass wegen dieses Zusammengehens eine Flucht vor der Rache der Osmanen bevorstand. Am 21. August konnte noch in einem kaiserlichen Privileg die Kirchenautonomie erwirkt werden, in dem die freie Bischofsernennung, die Visitation der Klöster und die Benutzung des julianischen Kalenders und damit dieselben Freiheiten wie unter den Osmanen zugesichert wurden.53 Nach dem Fall von Nisch (serb. Niš) am 06. September zogen sich die Flüchtlinge, unter der Leitung des Patriarchen, von Belgrad (auch Griechisch-Weißenburg), das am 26. September belagert wurde, hinter die nördliche Donau-Save-Linie zurück.54 Die Anzahl der raitzischen Migranten ist bis heute umstritten, sie schwankt zwischen 40.000 Familien und 60.000 Personen.55 Das Privileg Leopolds I. bzw. die daraus resultierenden Konflikte werden in der Forschung damit erklärt, dass Kaiser wie Hofkriegsrat die Raitzen nach den erfolgreichen Feldzügen wieder in ihre alte Heimat umsiedeln wollten und erst nachdem sich herausstellte, dass dies nicht möglich war, entstand ein dauerhafter Konflikt.56 Doch die Niederlassung der Raitzen erfolgte nicht in einem rechtsfreien Raum, und schon gar nicht in einem menschenleeren, wie es ebenfalls gern beteuert wird. Diese sozial heterogene Migrantengruppe kam in ein unkonsolidiertes Land, das sich in einem Transformationsprozess befand, mit einer Gesellschaft, die sich erst von den Kriegen zu regenerieren begann; daraus ergaben sich vielfältige Konflikte. Die Raitzen waren zudem die erste ethnische Gruppe überhaupt, die sich in einer nennenswerten Anzahl in den Neoacquistica-Gebieten niederließ und das zu einer Zeit, als Einwanderung und Neubesiedlung des Landes zur obersten Priorität der Politik deklariert wurden. Erst zwei Jahre zuvor wurde das „Einrichtungswerk des Königreiches Hungarn“ unter der Leitung von Kardinal Leopold Kollonich offiziell vorgelegt, im August 1689 gab man das erste sog. Impopulationspatent bekannt.57 Drei Aspekte des daraus resultierenden Konfliktpotentials sollen hier kurz thematisiert werden, nämlich der kirchliche, der sozio-ökonomische und der politische. 53 54

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Das Privileg siehe ebd., 70 f. Zur velika seoba siehe Pars pro Toto Veselinović, Rajko L.: Srbi u velikom ratu 1683–1699 [Die Serben im großen Krieg 1683–1699]. In: Istorija srpskog naroda. Bd. III/1. Hg. v. Radovan Samarđić. Beograd 1993, 530–552. – Marijan (wie Anm. 4), 276–287. Eine kritische Auseinandersetzung mit dieser in der serbischen Erinnerungskultur stark mythologisierten Wanderung aus dem Kosovo siehe Malcolm (wie Anm. 14), 160–163. Demnach begaben sich 30.000–40.000 Personen ins Königreich Ungarn, während eine serbische Klosterchronik von 37.000 Familien spricht, was Eingang in die Erinnerungskultur fand. Lukan, Walter: Der große Serbenzug des Jahres 1690 ins Habsburgerreich. In: Österreichische Osthefte 33 (1991), 35–50, hier 40. Ebd., 41. Diesen provisorischen Charakter betont auch Schwicker, so dass man sich gern auf ihn berief. Schwicker, Johann Heinrich: Politische Geschichte der Serben in Ungarn. Budapest 1880, 19 f. Vgl. zu den Wiederbesiedlungsplänen das bis heute gültige Standardwerk von Mayer, Theodor: Verwaltungsreform in Ungarn nach der Türkenzeit. Sigmaringen 1980. Zum Forschungsstand in Ungarn Varga, János J.: Habsburg berendezkedési tervek Magyarországon 1688– 1689 [Habsburgische Einrichtungspläne in Ungarn 1688–1689]. In: Tanulmányok a török hódoltság és a felszabadító háborúk történetéből. Hg. v. László Szita. Pécs 1993, 93–105.

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Laut der offiziösen serbischen Historiographie wollten der ungarische Adel wie auch die Komitatsbehörden die Raitzen in die „Leibeigenschaft“ stoßen, diese jedoch erwehrten sich der „Ausbeutung und Willkür“.58 Diese Wahrnehmung der Raitzen gewann schon bald nach ihrer Einwanderung Oberhand und so bat der Patriarch bereits nach zwei Monaten, am 17. November 1690, um eine kaiserliche Bestätigung der Steuerfreiheit und der Sonderstellung der Serben. Tatsächlich kam man im Namen des Kaisers noch am 11. Dezember diesem Ersuchen nach, wobei der Hofkriegsrat energisch bei den ungarischen Behörden intervenierte. Der infolge der Unionsbemühungen bedrängte Patriarch sah schnell ein, dass eine politische Vertretung allein mittels der Amtskirche nicht gelingen würde. So wurde Jovan Monasterly (serb. Monasterlija) im April 1691 zum „Vizewoiwoden“ gewählt und am 11. April von Wien bestätigt. Allerdings behielt die politische Führungsinitiative der Patriarch stets für sich und den Klerus, was von Monasterly, der sich militärisch zum Bsp. in der Schlacht bei Slankamen (19. August 1691) glänzend zu behaupten wusste, nie angezweifelt wurde. Der Patriarch trat ohnehin als die dominierende politische Führungsfigur auf, er intervenierte etwa zu Gunsten der serbischen Neusiedler in den Kommunen und bei den Obergespanen der Komitate.59 Dies spielte eine relevante Rolle, da schon am 20. August 1691 das 2. Leopoldinische Diplom zugunsten der Raitzen erlassen wurde, denen damit auch eine „Selbstverwaltung nach ihrem Gewohnheitsrecht“ sowie die kirchliche und weltliche Macht des Patriarchen bekräftigt wurde, womit ein Dauerkonflikt vorprogrammiert war, der letztlich nicht gelöst werden konnte. Allerdings dürfte der Wiener Hof – genauer der Hofkriegsrat – tatsächlich darauf spekuliert haben, dass die Raitzen bald wieder in ihre angestammte Heimat zurückgeführt werden konnten, was auch das Datum des Diploms bestätigt, nämlich den Tag nach Slankamen.60 Aus dem Blickwinkel der Stände und Komitatsbehörden waren die Privilegien der Raitzen nicht im ungarischen Rechtssystem verankert und somit auch nicht rechtskräftig. Auf ungarischem Boden hatte der König von Ungarn in Abstimmung mit den Ständen Gesetze zu erlassen, nicht aber der Kaiser. Die Raitzen waren letztlich gezwungen, sich krampfhaft an Wien zu orientieren und sich auf ihre Privilegien zu berufen. Aus dem Blickwinkel der ungarischen Behörden waren die Neuimmigranten einfach nicht willig, sich in die ungarischen Strukturen einzufügen, stattdessen verwiesen sie permanent auf ihre von Wien gewährten Privilegien und bauten eine Substruktur außerhalb der vorgefundenen Rahmenbedingungen auf und aus. Da die Raitzen unter der Obhut des Hofkriegsrates standen, wurden sie zudem als „Fünfte Kolonne“ des „kaiserlichen Absolutismus“ wahrgenommen. Eine möglicherweise daraus resultierende Autonomie bzw. schon diese Exlex-Situation war aus dem Blickwinkel der ungarischen Behörden ein trojanisches Pferd Wiens, dazu geschaffen, das ungarische politische System zu unterminieren. Der Hinweis auf den früheren Waffengang der Raitzen an der Seite der Osmanen konnte seitens der 58 59 60

Pars pro Toto für diese Interpretation: Popović, Dušan: Srbi u Vojvodini. Knjiga prva. Od najstarijih vremena do Karlovačkog mira 1699 [Die Serben in der Vojvodina. Erstes Buch. Von den ältesten Zeiten bis zum Frieden von Karlowitz 1699]. Novi Sad 1957, 301. Jenei (wie Anm. 17), 194. Vgl. Schwicker (wie Anm. 56), 19.

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ungarischen Stände schnell propagandistisch instrumentalisiert werden.61 Insofern ging es in den Auseinandersetzungen um die Privilegien zwischen Kaiserhof, ungarischen Behörden und Raitzen gar nicht um die Raitzen selbst. Das Problem der Kirchenunion ist in der Historiographie das vielleicht am meisten thematisierte.62 Hier sei deshalb nur ein Aspekt angedeutet: Die von Patriarch Arsenije III. angestrebte politische Rolle war eine Provokation sowohl für die weltliche also auch für die katholische Elite und durchkreuzte vielerlei Machtkämpfe zu dieser Zeit. Die Positionierung des katholischen Klerus duldete keine Konkurrenz, schon gar nicht in einer Zeit, in der Protestanten erfolgreich zurückgedrängt wurden und die Unionspolitik mit günstigen Aussichten lockte. Arsenijes erfolgreiche Bemühungen um die Beseitigung der Union unter den Serben war auch ein Prestigegewinn gegenüber Kollonich, dessen Position in Wien immer schwächer wurde.63 Drittens waren die bewaffneten Raitzen ein Sicherheitsproblem, was nur unmittelbar mit dem Privilegienstreit zu tun hatte und konsolidierungsfeindlich wirkte. Aus der Sicht Wiens war die Entwaffnung Ungarns nach den verheerenden Kuruzzenkriegen ein dringendes Gebot. Die ungarischen Behörden in den Komitaten trachteten ebenfalls nach der Pazifizierung des Alltags und der Durchsetzung der öffentlichen Sicherheit, die mit Recht als Voraussetzung für die gesamte Aufbauarbeit gesehen wurde.64 Zugleich aber betonte der Hofkriegsrat die Relevanz raitzischer Streitkräfte für die künftigen „Türkenkriege“, so dass sich hier ein Interessenkonflikt entlud: Die Quadratur des Kreises konnte nicht beseitigt werden. „Sie wissen, dass der Türke nicht weit ist und sie sehen, dass auf beiden Seiten der Donau von Ofen bis Esseg nur Serben wohnen, und schließlich ist ihnen ebenfalls bewusst, dass es hier keine militärische Einheit gibt, die sie unter Kontrolle halten könnte. Deshalb benehmen sie sich so, dass – um es kurz zu sagen – die Straßen wegen ihrer Räubereien und ihrer Gewalttaten nicht sicher sind“, schrieb der Grundherr und Kommandant der Stadt Paks an der Donau, István Daróczy, im März 61 62

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Franz II. Rákóczi betonte in seinen Memoiren, dass die Raitzen die „natürliche[n] Feind[e] der Magyaren“ seien, womit ein unversöhnlicher Gegensatz attestiert werden sollte. Rákóczi, Ferenc: Vallomások [Bekenntnisse]. Hg. v. Lajos Hopp. Budapest 1979, 257. Siehe dazu ausführlich Samarđić, Radovan: Srpska pravoslavna crkva u XVI i XVII veku [Die serbisch-orthodoxe Kirche im 16. und 17. Jahrhundert]. In: Istorija srpskog naroda. Bd. III/2. Srbi pod turđinskom vlašču 1537–1699. Hg. v. Dems. Beograd 1993. – Dujmov, Milán: A szerb ortodox egyház helyzete Baranyában az 1690-es években [Die Lage der serbisch-orthodoxen Kirche in der Baranya in den 1690er Jahren]. In: A pécsi egyházmegye a 17–18. században. Hg. v. Tamás Fedeles und Szabolcs Varga. Pécs 2005, 117–134. – Molnár, Antal: A szerb ortodox egyház és az uniós kísérletek a 17. században [Die serbisch-orthodoxe Kirche und die Unionsbemühungen im 17. Jahrhundert]. In: Rómából Hungáriába. A De Camillis János József munkácsi püspök halálának 300. évfordulóján rendezett konferencia tanulmányai. Hg. v. Tamás Véghseő. Nyíregyháza 2008, 43–56, hier 46. Zur Union in Fünfkirchen am 18. Januar 1690 siehe Popović (wie Anm. 58), 332–335. Zu Vorbeugemaßnahmen der Komitate zwecks Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit siehe Pest-Pilis-Solt vármegye közgyűlési jegyzőkönyveinek regesztái 1638–1711 [Regesten der Protokolle der Komitatsversammlung von Pest-Pilis-Solt]. Bd. IV: 1698–1702. Hg. v. András Borosy. Budapest 1986, 31 und 47.

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1692 an die Hofkammer.65 Und sieben Jahre später hielt Bischof Matthias Radanay aus Fünfkirchen (ung. Pécs) fest: „In den Ortschaften der Raitzen gibt es jede Art von Bosheit, Diebstahl und Raub, und der Mord gehört zum Alltag. Die Dörfer der Raitzen sind voll mit Diebesgut und gestohlenen Rindern, und in den von ihnen besiedelten Gebieten gibt es keinerlei Sicherheit.“66 Dieses negative Bild der Raitzen als Destabilisierungsfaktor setzte sich nicht nur unter den Zeitgenossen durch, sondern bestimmt auch die Historiographie bis in die Gegenwart. So wurden die Raitzen in dieser Region noch im 19. Jahrhundert in der Erinnerungskultur als die „von den Türken zurückgelassene Strafe“ apostrophiert.67 Schließlich muss auch das Problem der Grundherrschaften angesprochen werden. Die Wiederbelebung der Herrschaften als Grundlage des ökonomischen Aufschwungs war eine Existenzfrage nicht nur für die privaten Grundherren, sondern auch für die Funktionstüchtigkeit des Staates. Die Grundherren waren von vornherein an Immigranten interessiert, sollten diese doch Untertanen mit einer Bereitschaft zur landwirtschaftlichen Produktion und zur Zahlung von Steuern sein. Es war also ein Topos, dass die Raitzen nach 1690 eine „halbnomadische Lebensweise“ behalten hätten und sie daher auch nicht in die Gesellschaftsstruktur Ungarns integrierbar seien.68 Im Gegenteil: Der Bürgermeister der „Königlichen Haubt und Residenz Statt“ Ofen (ung. Buda) betonte am 22. Februar 1689 zum Bsp. ausdrücklich die Wirtschaftskraft der „Rätzen“, „ohne deren weder wüsen, Ackher, Weingarten excolieret, unter Ofen noch auch eine einzige Schifarth geschehen kann“.69 1691 erhielt Palatin Paul I. Esterházy die Herrschaften Dombóvár, Ozora und Kaposvár in Süd-Transdanubien, wo – neben der Neuansiedlung – die Überführung bewaffneter raitzischer Soldaten in den „privaten Wirtschaftssektor“ die wichtigste Aufgabe bedeutete. Nach einer Konskription von 1690 befanden sich in Ozora neben 28 Bauern 30 freie Soldaten des Palatins und 46 Heiducken. Döbrököz wurde 1689 als kaiserliche Festung erwähnt, in der Raitzen den Waffendienst leisteten. Pincehely wurde ebenfalls von Raitzen besiedelt, doch zogen sie wieder ab, da sie die herrschaftlichen Abgaben nicht zahlen wollten und der ständigen Konflikte mit dem kaiserlichen Militär überdrüssig geworden waren. 1690 gab es hier laut Konskription gar keinen Bauern, lediglich 120 freie Soldaten und Heiducken, die natürlich weder Robot noch irgendwelche Abgaben an die Herrschaft zu leisten bereit waren. 1692 bereiste Michael Kelcz sämtliche Ortschaften der neu erworbenen Güter und stellte eine den Anforderungen der damaligen Zeit genügende Konskription 65 66 67 68 69

Holub, Jószef: Az újjáépítés megindulása Tolna megyében a török kiűzése után 1686–1703-ig [Der Beginn des Wiederaufbaus im Komitat Tolna nach der Vertreibung der Osmanen 1686 bis 1703]. In: Tanulmányok Tolna megye történetéből X (1974), 5–124, hier 25. Kammerer, Ernő: A döbröközi eset 1699 [Der Fall Döbrököz 1699]. In: Tolnavármegye, 25.12. 1908 und 03.01. 1909. Hölbling, Miksa: Baranya vármegyének orvosi helyirata [Medizinische Beschreibung des Komitates Baranya]. Pécs 1845, 83. Siehe Pars pro Toto für die Historiographie beim „Klassiker“ Hóman, Bálint/Szekfű, Gyula: Magyar történet [Ungarische Geschichte]. Bd. VI: A XVIII. század. Budapest 1943, 204. Hier zitiert nach Gavrilović (wie Anm. 7), 8.

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zusammen.70 Die bevölkerungsstärkste Ortschaft war das Zentrum der Herrschaft, das oppidum Dombóvár mit 104 Familien. Von diesen waren 44 – den Vor- und Nachnamen her zu urteilen – raitzisch, nur 25 waren dagegen ungarisch. Eine raitzische Mehrheit war auch in der „Possesio seu Civitas Sásd“ und in Nyerges auszumachen.71 Während der Osmanenzeit war die Burg Dombóvár ein kleineres militärisches Zentrum (nahié), die Besatzung lebte hier fort, daher auch die Bezeichnungen equestris oder pedestris hinter den Namen.72 Dieses „stark bewaffnete Raitzentum“, wie Kelcz es formulierte, stellte sein militärisches Potential weiterhin zu Verfügung und war bereit, Zehnt für „Wiesen, Weinberg und Bienen, Schweine und Schafe“ zu zahlen, fürchtete aber einen sozialen Abstieg zum hörigen Bauern, was sie entschieden ablehnten. Nicht zu Unrecht betrachteten sie die Konskription als Vorstufe für radikale sozio-politische Veränderungen. Natürlich war das kein Einzelfall. Der 1693 zum Abt von Szekszárd ernannte Michael Mérey wollte „seine“ raitzischen Untertanen gleichfalls zu regulären Abgaben zwingen, was diese mit Berufung auf ihre Privilegien verweigerten.73 Doch das Problem konnte nicht ignoriert werden, schon allein wegen seiner Quantität: 1696 wurden zum Bsp. im Komitat Tolna schon insgesamt 459 raitzische Familien konskribiert.74 Die eigentliche Anzahl dürfte deutlich höher gelegen haben, da lediglich die Steuerzahlenden – wenn auch nicht genau – berücksichtigt wurden. Das ethnische Bild des östlichen Süd-Transdanubiens veränderte sich also erneut zugunsten der Raitzen. Südlich der Linie Kanischa-Plattensee-Baja-Szeged und entlang des Flusses Mieresch (ung. Maros) bis nach Arad gab es eine raitzische Bevölkerungsmehrheit in diesen als Neoacquistica bezeichneten Gebieten. Nach Gerhard Seewanns Schätzung machte die raitzische Bevölkerung um 1700 etwa eine halbe Million Menschen aus, was mehr als die Hälfte der Einwohner in den von den Osmanen zurückeroberten Gebieten bedeutete.75 Zudem machten die Raitzen durch70

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Michael Kelcz war ein Kleinadliger aus dem Komitat Eisenburg in Westungarn, das Zentrum seines Besitzes befand sich in Németszentmihály (heute Großpetersdorf im Burgenland). Nähere Angaben lassen sich über ihn nicht recherchieren. Vgl. Szőke Sándorné Zsíros, Mária: Az 1692. évi Kelcz Mihály féle összeírás [Die Konskription von Michael Kelcz aus dem Jahr 1692]. In: Tanulmányok Tolna megye történetéből X (1983), 5–33, hier 18. Kelcz erwähnt den Kapitän von Dombóvár auch namentlich, nämlich einen Christoph Bedekovics, der Kroate war. Vermutlich waren seine Soldaten ebenso Kroaten, wenn sie auch ansonsten nur „Raitzen“ genannt wurden. Dies ist ein Hinweis darauf, dass Raitzen nicht automatisch mit Serben gleichgesetzt werden können. Nach Ansicht von Kelcz war diese Festung „stärker und schöner als Kanischa“, die wichtigste osmanische Befestigung der Region. Holub (wie Anm. 65), 19. Einer Konskription der Hofkammer von 1695 zufolge lebten in 22 Gemeinden der Baranya 139 serbische Familien, wobei die Städte gar nicht berücksichtigt wurden. Szilágyi, Mihály: Az újratelepülő Tolna megye 1710–1720 [Das neu besiedelte Komitat Tolna 1710–1720]. In: Tanulmányok Tolna megye történetéből X (1983), 33–168, hier 50. – Dujmov (wie Anm. 62), 129. In der Stadt Döbrököz zum Bsp. dienten nach der Vertreibung der Osmanen 101, in Grábóc (serb. Grabovac) 60, in Palánk 48 und in der Stadt Tamási 35 raitzische Soldaten. Seewann (wie Anm. 15), 244. Seewann betont, gestützt auf Ferenc Szakály und Klára Hegyi, zugleich die Unzuverlässigkeit der Aussagekraft damaliger Konskriptionen und will diese Zahlen als „Orientierungsgröße“ verstehen. Darauf verwies schon Johann Weidlein, der die Flurna-

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aus vom Klagerecht Gebrauch und beschwerten sich in Wien ob der ungerechten Behandlung. Am 16. Dezember 1693 reichten die Untertanen der Komitate Somogy, Tolna, Baranya und Valkó eine Sammelklage gegen die Behörden und die Verwaltungen der Grundherrschaften ein. Es bleibt in der Forschung noch zu klären, wie groß die Steuerkraft der Raitzen war, immerhin kann aber festgehalten werden, dass sie – trotz Konflikten – nicht gering gewesen sein dürfte. Freilich wehrten sich die Raitzen gegen Steuerforderungen damit, dass sie einfach abwanderten: „Diese Stadt Pinczehely“, dokumentierte der Verwaltungsbeamten der Esterházys, „[…] wurde von Raitzen besiedelt und sie bewohnten sie auch noch eine Zeit lang; doch der Lasten des Komitats überdrüssig […] verschwanden sie und ließen die Stadt verwahrlost zurück. […] circa Annum 1695 wurde sie von Ungarn bevölkert.“76 Eine solche Dimension des Steuerwegfalls wegen Abwanderung war aus Sicht der Grundherrschaft eine mittlere Tragödie, die es zu verhindern galt. Doch die Serben scheuten auch die direkte Konfrontation nicht. Die Lage eskalierte 1699 in einem Zentrum der Raitzen in dieser Region, in Döbrököz. Hier lebten 250 Soldaten, die keine Steuern abzuführen bereit waren, die herrschaftlichen Weideflächen aber ohne Entschädigung nutzten. Als der Provisor der Esterházy’schen Herrschaften, Stefan Jeszenszky, dagegen 1697 beim Komitat seine Beschwerde einreichte, wurden die Sprecher der Raitzen zur Anhörung geladen, bei der sie aber die Autorität der Behörde missachteten. Der Obergespan des Komitates, Bischof Matthias Radanay, verurteilte sie daraufhin zu einer Strafe von 2.000 Gulden. Als die Beamten der Herrschaft das Nutzvieh der Döbröközer als Pfand von der Puszta Dalmand mitnehmen wollten, wurden sie von den Raitzen verprügelt und für drei Tage in den Kerker geworfen. Jeszenszky bat daraufhin das Komitat im Namen des Grundherrn um Genugtuung in Form einer Exekution. Da die Komitate zu dieser Zeit über fast keine Exekutive verfügten, musste das reguläre Militär eingesetzt werden. Neben der Festungsbesatzung von Simontornya beteiligten sich noch Bewaffnete aus Igal und Kaposvár sowie Untertanen der Esterházys aus den Gemeinden Pincehely und Tamási. Etwa 500 Männer überfielen Döbrököz am Sonntag, den 31. Mai 1699. Nach Augenzeugenberichten glich die Aktion den sog. Heiduckengängen der Osmanenzeit. Nach einer Variante wussten die Raitzen von dieser Gefahr und retteten sich samt Hab und Gut in die Wälder.77 Nach einer anderen Darstellung wohnte die Bevölkerung der Liturgie bei, als die Soldaten die Gemeinde überfielen. Die serbische Kirche wurde umzingelt und die herausströmenden, unbewaffneten Männer ihrer Schmuckstücke beraubt. Danach drangen die Exekutoren in die Kirche ein,

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men in den späteren deutschen Siedlungen untersucht und festgestellt hatte: „Es gibt aber auch Flurnamen in solchen Dörfern, in denen wir eine Anwesenheit von Raitzen anhand der Urkunden nicht belegen können.“ Weidlein, Johann: A tolnamegyei német telepítések [Deutsche Ansiedlungen im Komitat Tolna]. Szekszárd 1937, 14. „Ezen Pinczehelyi várost […] ráczok szállották meg és sok ideig lakták; de ezek is a vármegye terhét el nem viselhetvén […] elszéledtenek volt és pusztán hagyták a helyet. […] circa Annum 1695 a magyarok kezdték szállani.“ Merényi, Lajos: Az ozorai uradalom 1702-ben [Das Dominium Ozora 1702]. In: Magyar Mezőgazdasági Szemle XI/3 (1904), 304–315, hier 305. Hegedűs (wie Anm. 22), 73.

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plünderten sie, indem sie die mit Silber bezogenen liturgischen Instrumente sowie das Bargeld an sich nahmen und das Inventar zerstörten. Die Messbücher wurden zerrissen und im nahe liegenden Sumpfgebiet der Natur überlassen. Die Mönche (kaluđeri) wurden halbtot geschlagen und jene Männer, die Widerstand leisteten, mit dem Säbel verletzt oder im Wasser ertränkt. Danach wurde die Gemeinde geplündert und das Nutzvieh vertrieben.78 Döbrököz schlug eine Entwicklung des Niederganges ein: Zunächst ging die Anzahl der raitzischen Bewohner auf 35 Familien zurück, ein Jahr später waren es nur noch neun. Ihr Exodus endete in den raitzischen Siedlungen der anliegenden Komitate Baranya und Bács. Diese Gewaltanwendung seitens der Herrschaft unter Inanspruchnahme des Komitates war kein einfacher Zwischenfall, sondern Teil einer Strategie mit der Absicht, die Serben endgültig loszuwerden. Die Dimension der angewandten Brutalität hatte allerdings Singularitätswert. Dies sahen nicht nur die Esterházy’schen Herrschaftsbeamten so. Döbrököz wurde seitens der Raitzen als Kollektivunrecht empfunden. Vizewoiwode Monasterly und Patriarch Arsenije III. intervenierten schließlich beim Wiener Hof. Nach dem Überfall rechtfertigten sich die Kapitäne von Igal und Kaposvár damit, dass den Raitzen „kein besonderer Schaden (sic!)“ zugefügt worden sei. Am 12. Januar 1700 ermahnte der Wiener Hof das Komitat, diesem Unrecht nachzugehen und den Fall aufzuklären. Da 1702 noch keinerlei Ergebnisse aufgezeigt wurden, traten am 24. August 1703 die Anführer der Raitzen in der Gemeinde Apar zusammen und beschlossen, ihrem Recht selbst nachzugehen.79 Zugleich betonte die Zentralverwaltung in Eisenstadt (ung. Kismarton), dass Raitzen auf den Esterházy’schen Gütern nicht mehr aufgenommen werden durften. Dies wurde explizit etwa in dem Ansiedlungskontrakt von Kónyi 1701 festgehalten.80 Das bedeutete allerdings nicht, dass keine Raitzen auf den Esterházy’schen Domänen gelebt hätten, denn in Regöly oder Jováncza war genau dies der Fall. Doch mit administrativen Mitteln wollte man bewusst diese Bevölkerungsgruppe zurückdrängen. Dies fällt umso mehr auf, als etwa Protestanten aufgenommen werden sollten, ihnen wurde „lediglich“ die Unterhaltung eines Geistlichen verboten.81 Döbrököz blieb dem Palatin ein Dorn im Auge. Er wies am 27. Juli 1701 seinen Dombóvárer Provisor an, keine Klagen mehr von den Raitzen zuzulassen, damit diese ihn nicht weiter „belästigten“. In völliger Verachtung befahl Paul Esterházy zudem, dass die Steuern der Stadt, im Gegenwert von 35 Rindern, der Dombóvárer oder Csobánczer Provisor selbst behalten solle.82 78 79 80 81 82

Kammerer (wie Anm. 66). Hegedűs (wie Anm. 22), 75 f. „Ezt is hozzáadván itten, hogy az Raczságot éppen ne legyen szabad nékiek magokhoz bévenni […].“ MOL AFE, P 108. Rep. 35. Mikrofilm 14469, Fol. 330. Ansiedlungskontrakt Kónyis vom 24. April 1701. Merényi (wie Anm. 76), 315. MOL AFE, P 108. Rep. 35. 143. Mikrofilm 14460. Copia litteraru mandatariarum Celsissimi Principis quondam officialibus suis emanatarum Dombovariensi, et Csobancziensi Provisoribus. „Megh úntam Dobrokeziekenek szokssor tőtt alkalmatlanságokat […] hogy minekünk többül ne alkalmatlankodgyanak a megh irt Ráczok.“

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Kooperation oder „Ausrottung“? Der Rákóczi-Aufstand (1703–1711) Mit dem Ausbruch des Kuruzzenaufstandes unter Franz II. Rákóczi (1703–1711) hatten die Raitzen nur noch wenig Aussicht auf Erfolg, ihr Anliegen rechtlich zu klären. Dabei beschwerte sich der Patriarch beim Hofkriegsrat wegen Döbrököz genau in dem Monat (November 1703), in welchem er zugleich 20.000 Krieger „wider die Rebellen“ in Aussicht stellte.83 Die Auseinandersetzungen gingen mit zunehmender Gewalt einher. Der Verwalter der Herrschaft Bátaszék berichtete seinem Abt, dass sich der raitzische Heiduck Miska hinter die Draulinie zurückgezogen habe, nachdem er den Untertanen „große Schäden“ zugefügt hatte. „Man würde am liebsten diese [Raitzen] mit geeintem Willen in unserem Land ausrotten“, fügte er an.84 Dies schien zunächst von den Kuruzzen vollstreckt zu werden, denen in Süd-Transdanubien Raitzen, Deutsche und Katholiken gleichermaßen zum Opfer fielen.85 Als am 17. Januar 1704 die heranrückenden Kuruzzen Rákóczis in Dunaföldvár alle Raitzen niedergemetzelt hatten, beklagte sich der Chronist von Grabovac: „Die Ungarn rebellieren gegen ihren Kaiser, auch unsere serbische Nation wird getötet, unsere Häuser werden verbrannt, unsere Säuglinge in der Wiege niedergemetzelt, ihre furchtbaren Taten lassen sich in ein paar Zeilen gar nicht beschreiben. Die Priester werden teils getötet, teils gefangengenommen. Wer Glück hat, flieht ins Kloster Sisatovac [Syrmien].“86 Plündernd und brandschatzend zogen sich daraufhin die Raitzen durch Süd-Transdanubien hinter die Draulinie zurück. Der Administrator der Esterházy’schen Güter, Johann Haunolth, berichtete über die Kuruzzenkriege: „Ich habe alles verloren. Auch Seine Fürstliche Durchlaucht erlitt viel Schaden, teils durch die Kuruzzen, teils durch die Raitzen. Pincehely, Kónyi, Tamási, Dombóvár, Kaposvár, Koppány und andere Güter Seiner Durchlaucht brannten die heidnischen Raitzen nieder“, woraufhin die zurückgebliebene Bevölkerung – wie zu Zeiten der „Türkenkriege“ – in die umliegenden Wälder und Sümpfe geflohen sei.87 Diese blutigen Abrechnungen waren aber von Franz II. Rákóczi nicht gewollt. Bereits 1698 soll er Verbindungen zu Arsenije III. aufgenommen haben, um über ein gemeinsames Vorgehen gegen Wien zu verhandeln. Am 09. August 1703 wandte er sich in einem Aufruf an die Raitzen, sich den Kuruzzen militärisch anzuschließen. Er versprach ihnen, keine Steuern entrichten zu müssen sowie politische Auto83

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Gavrilović, Slavko: Izvori o srbima u Ugarskoj početkom XVIII veka, Ispisi, prepisi i prevodi iz doba rakocijevog ustanka (1703–1711) [Quellen zur Geschichte der Serben in Ungarn Anfang des 18. Jahrhunderts. Auszüge, Abschriften und Übersetzungen aus der Zeit des RákócziAufstandes (1703–1711)]. Beograd 2007, 14 f. MOL E 180. Jány-Nachlass. Fasc. 2. Schreiben von Ferenc Domokos an den Abt Jakob Ferdinand Jány, ohne Datum. Bánkúti, Imre: 1704: két hadsereg a Dél-Dunántúlon, két tragédia Pécsett [1704: Zwei Armeen in Süd-Transdanubien, zwei Tragödien in Fünfkirchen]. In: A pécsi egyházmegye a 17– 18. században. Hg. v. Tamás Fedeles und Szabolcs Varga. Pécs 2005, 33–52. Zitiert nach Szilágyi (wie Anm. 16), 15. Kanyar, József: Harminc nemzedék vallomása Somogyról [Zeugnisse aus dreißig Generationen über Somogy]. Kaposvár 1989, 116–118.

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nomie zu erhalten.88 Damit stellte er aber genau das in Aussicht, was von den Ständen als Hauptursache aller Konflikte apostrophiert wurde und bereits 1690 unter Kaiser Leopold I. zu Problemen führte. Eine andere Lösung hatte er allerdings auch nicht. Angesichts der Tatsache, dass Rákóczi ebenso die Bauernbefreiung versprach, ohne diese durchzusetzen, solang die politischen Umstände dies ermöglicht hätten, lässt daran zweifeln, ob er in der Lage gewesen wäre, den Raitzen tatsächlich solche Konzessionen zu gewähren. Dennoch konnte er einen partiellen Erfolg für sich verbuchen: Nicht nur die Raitzen im Komitat Hunyad in Siebenbürgen stellten ihre Waffen in den Dienst des Kuruzzenfürsten, sondern zum Bsp. auch serbische Dörfer um Pest bzw. Ofen. Dies löste große Unruhe im Hofkriegsrat aus und als Patriarch Arsenije III. im September 1703 erneut um die Bestätigung der kaiserlichen Privilegien bat, intervenierte der Hofkriegsrat eiligst beim Hof, so dass im November eine solche Urkunde tatsächlich ausgestellt wurde. Daraufhin kündigten auch die Raitzen in der Batschka die Verhandlungen mit den Kuruzzen auf.89 Rákóczi wandte sich am 30. April 1704 aus dem Feldlager Dunapataj erneut an die Serben, diesmal mit einer massiven Drohung: „Als wir mit unserer ganzen Armada ins Land jenseits der Donau [Transdanubien] aufbrachen, zogen wir in der Absicht, alle, die sich zu Feinden unserer in gerechter Sache mit glücklichem Erfolg kämpfenden Waffen erklären sollten, sei es raitzische Nation oder eine andere, mit Feuer und Eisen ein für alle Mal zu vernichten. Doch wollen wir unsere Gnade walten lassen und zeigen den an der Donau und in ihrer Umgebung lebenden raitzischen und anderen Nationen folgendes an: wenn sie die Härte unserer Waffen und Truppen nicht an sich selbst erfahren wollen, sondern sich im Gegenteil darum bemühen, unter unserem Schutz in Sicherheit zu bleiben, sollen sie sich zum Beweis ihrer Treue innerhalb einer Woche unterwerfen. Ansonsten werden wir mit unserer ganzen Armada gegen sie ziehen und sie mit Feuer und Eisen ausrotten.“90 Da auch dieser Aufruf wenig fruchtete, schrieb Rákóczi den Patriarchen, in welchem er die Schlüsselfigur für politisch relevante Entscheidungen erkannt hatte, an und bot ihm für „seine Bemühungen“ 20.000 Gulden. Auch wenn dieses Schreiben vom Patriarchen gar nicht beantwortet wurde, ließ der neue Kaiser, Josef I., am 15. September 1706 die Privilegien seines Vorgängers erneut bestätigen.91 So griff der Kuruzzenfürst zum letzten Mittel und versuchte, im Mai 1707 den russischen Zaren, Peter I., als Mittler einzuschalten, der ihn anderthalb Jahre hinhielt, um dann als Vermittler zwischen den Kuruzzen und dem Wiener Hof sein Prestige zu festigen.92 Eine Kooperation kam also nicht zu Stande, die Chance darauf wurde bereits 1704 vertan. Warum das so war, beantwortete der Kuruzzengeneral Johann Helleb88 89 90 91 92

Benda, Kálmán: Ungarisch-serbische Versöhnungsversuche während des Rákóczi-Aufstandes 1703–1711. In: Etudes historiques Hongroises mille neuf cent quatre-vingt. Bd. I. Budapest 1980, 281–302, hier 284 und 286. Ebd., 288. Hier zitiert nach ebd., 289. Lukan (wie Anm. 55), 43. Benda (wie Anm. 88), 293–296.

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ronth, der am 26. Februar in seinem Schreiben betonte, dass die Raitzen sich durchaus „unterwerfen würden“, wenn nur die Kuruzzen mehr Disziplin gezeigt hätten.93 Was darunter zu verstehen war, wussten die Kuruzzen allzu gut: In den Komitaten Fejér und Tolna wurden selbst jene Raitzen niedergemacht, die bereit gewesen waren, mit ihnen zu kollaborieren.94 Der große Unterschied zwischen dem Befreiungskrieg (1683–1699) und dem Kuruzzenkrieg (1703–1711) bestand u.a. darin, dass in Letzterem die Zivilbevölkerung systematisch dezimiert wurde bzw. manche Regionen größere Verwüstungen erlebten als beim „Großen Türkenkrieg“. Dies belegt auch die Konskription von 1711, die im Komitat Baranya durchgeführt wurde, um die Schäden des Kuruzzenkrieges festzustellen.95

Die Raitzen als Verlierer sozioökonomischer Transformationsprozesse Doch schon im Frühling 1711 kamen etliche Raitzen in ihre alte Heimat zurück. Man datiert zwar in der nationalromantischen Geschichtsschreibung das Ende der Raitzen in den Neoacquistica-Gebieten mit dem Rákóczi-Aufstand 1703 bis 1711, doch gab es sehr wohl eine umfangreiche Rückwanderung, deren eigentliches Ausmaß noch immer nicht erforscht ist.96 Der Bedarf an Menschen und Nutzvieh war so groß, dass deren Rückkehr von den meisten Grundherren zunächst begrüßt wurde, bedeuteten sie doch einen wichtigen Wirtschaftsfaktor für die Aufbauarbeiten nach dem Krieg. Zahlreich führten sie Nutzvieh mit, betrieben Weinanbau und Bienenzucht. 1715, d.h. vier Jahre nach dem Aufstand, gab es allein im Komitat Tolna wieder 150 raitzische Haushalte, was etwa 11,4 Prozent der Steuerzahler ausmachte. 1720 waren sie im Komitat Tolna allerdings nur noch in drei Gemeinden in der Mehrheit, zugleich wuchs ihr Anteil in ethnisch-konfessionell gemischten Ortschaften. Eine umfangreiche Immigration von Ungarn, Deutschen, Slowaken etc. sollte die ethnische Landkarte fundamental verändern. Nach dem Frieden von Passarowitz (serb. Požarevac) 1718 bedienten sich auch die ungarischen Behörden und Grundherrschaften einer energischeren Sprache gegenüber den Raitzen. Die ständigen Klagen gefährdeten nämlich die 1722/23 auf dem Reichstag zu Pressburg sanktionierte neue ungarische Ansiedlungspolitik, die die kommenden Jahrzehnte prägen sollte.97 Man nahm zwar arbeitswillige Mig93 94 95 96

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Hegedűs (wie Anm. 22), 80. Holub (wie Anm. 65), 14. Siehe dazu samt dieser Konskription Nagy, Lajos: A kurucok és rácok pusztításai Baranya vármegyében 1704 elején [Die Verwüstungen der Kuruzzen und der Raitzen im Komitat Baranya Anfang 1704]. In: Baranyai Helytörténetírás (1985/86), 13–132. Die Gemeinde Dunaszekcső etwa, die Patriarch Arsenije als Donation erhalten hatte und die von 1691 bis 1701 Sitz des Patriarchats und bis 1924 Sitz des Metropoliten war, beherbergte 1711 42 serbische Familien, 1732 schon 63 und 1767 sogar 133. Vgl. Bezerédy, Győző: A dunaszekcsői szerbek és németek betelepítése [Die Ansiedlung der Serben und Deutschen in Dunaszekcső]. In: A Dunántúl településtörténete. Bd. 1: 1686–1768. Hg. v. Gábor Farkas. Veszprém 1976, 211–220, hier 212. Gesetzentwurf zur Bevölkerung des Landes 1722/23. Hier zitiert nach Tafferner, Anton:

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ranten auf, doch diese sollten sich dem Profil der Herrschaft anpassen, also die Umstellung auf eine intensive Landwirtschaft mittragen. Aus diesem Kontext heraus ist es verständlich, wenn ein Herrschaftsbeamter nach Eisenstadt meldete, dass in Ozora und Umgebung „per Dei gratiam aus der ungarischen Nation“ Siedler sesshaft gemacht werden konnten.98 Zugleich wurden auch Raitzen aufgenommen, selbst bei den Esterházys, die deren Niederlassung seit 1701 eigentlich untersagten. Doch genau hier zeigt sich, wie weit in dieser Transformationszeit Theorie und Praxis auseinanderklafften. Die Raitzen bildeten eine wichtige Steuerquelle schon wegen ihrer quantitativen Stärke sowohl für die Grundherrschaften als auch für den Staat. So bat das Komitat Tolna den Palatin noch 1699 um Schonfrist für die Steuerablieferung, da die Raitzen abzogen und keine Steuern mehr eingezogen werden konnten. Dies wiederholte sich 1703.99 So lässt sich auch erklären, dass je näher ein Ort zu Slawonien lang, wohin sie sich während des Rákóczi-Aufstandes zurückgezogen hatten, desto größer war ihre Bereitschaft gewesen, sich dort dauerhaft niederzulassen. Im Donau-Drau-Eck etwa wuchs die Anzahl der katholischen Südslawen um 369 Prozent (von 96 auf 355 Haushalte), die der Orthodoxen von 172 auf 262 Haushalte. Insgesamt war eine Zunahme der orthodoxen Haushalte bis 1752 zu verzeichnen, was auf eine starke Migrationsbereitschaft auch nach dem Rákóczi-Aufstand hinweist.100 Dennoch scheiterte auch im zweiten Anlauf die dauerhafte Sesshaftwerdung der Serben in Süd-Transdanubien. Gewiss spielte dabei eine wichtige Rolle, dass sich mit dem Tod des Patriarchen Arsenije III. 1706 der Schwerpunkt der orthodoxen Raitzen in die Fruška Gora, also nach Syrmien verschob. Dieser „serbische Athos“ übte eine Gravitationskraft auch auf die migrierenden Raitzen, die sich lieber in der Nähe des neuen Zentrums niederließen, aus.101 Mangels historischer Untersuchungen auf der Mikroebene lassen sich folgende Überlegungen zu Transdanubien anstellen: Die sicherheitspolitische Komponente spielte auch nach 1711 eine gewichtige Rolle. So baten die Komitate Tolna und Baranya den Burgkapitän von Esseg (kroat. Osijek), keine bewaffneten raitzischen Gruppen die Drau passieren zu lassen.102 Die Anziehungskraft der Militärgrenze löste letztlich das Problem. Doch Gewaltanwendung blieb weiterhin ein Punkt in den Grundherrschaften, weshalb raitzische Siedler ungern aufgenommen wurden. Quellenbuch zur donauschwäbischen Geschichte. Bd. I. München 1974, 92 f. Die lateinische Originalfassung: De impopulatione regni 103 ex 1723. Corpus Iuris Hungarici 1657–1740. Budapest 1900, 645. Zu den Arbeiten in den systematischen Kommissionen siehe Éble, Gábor: Károlyi Ferencz gróf és kora [Graf Franz Károlyi und seine Zeit]. Bd. I. Budapest 1893. Zu den politischen Rahmenbedingungen siehe Hóman/Szekfű (wie Anm. 68), 328–330. 98 MOL AFE, P 150. Fasc. 226. Fol. 114–115. 99 Holub (wie Anm. 65), 28. 100 Siehe dazu ausführlich Timár, György: A Duna-Drávaszög népesedéstörténete [Geschichte der Bevölkerungsentwicklung des Donau-Drau-Winkels]. In: Baranyai helytörténetírás (1987/88), 343–372. 101 Zum Forschungsstand der Militärgrenzen siehe Srbski narod van granica SR Jugoslavije od kraja XV veka do 1914. godine [Das serbische Volk außerhalb der Grenzen der FR Jugoslawien vom Ende des 15. Jahrhunderts bis zum Jahre 1914]. Hg. v. Dragutin Ranković. Beograd 1996. 102 Szilágyi (wie Anm. 74), 51.

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Ein Anlass für blutige Auseinandersetzungen waren sog. Hotterstreitigkeiten, wenn also Untertanen von den Fluren der Nachbargemeinde die Ernte raubten oder auf deren Weideflächen ihr Nutzvieh freiließen.103 Natürlich waren solche Taten auch Ungarn oder deutschen Immigranten zuzuschreiben, doch die bereits stigmatisierten Raitzen lösten heftigere Reaktionen seitens der Herrschaftsbeamten bzw. der Komitatsbehörden aus.104 Die Bewohner der Marktstadt Tamásy erinnerten ihren Grundherrn noch 1731 daran, dass sie „mit Leib und Lebens gefahr dem Hochfürstlichen Haus hier dreue dienst geleistett haben, und mit Schwerdt die sädische [?] Razische inwohner aus der Pinczehellyer Herschaft ausgetriben“ hatten.105 Und noch 1737 berichtete der evangelische Geistliche aus Kismányok über seinen Alltag: „Wir haben aber unsern feind schon in der nachbarschafft herum, das sind die gottlosen rätzen. Diese haben mir vor kurtzer zeit 2 pferdt gestohlen.“106 Zudem waren die Raitzen oft nicht willig, die erwünschten Modernisierungsmaßnahmen der Grundherrschaften mitzutragen, was noch relevanter als der Sicherheitsaspekt zu sein scheint. Sie beharrten auf ihren Familien- und Wirtschaftsstrukturen, die aber mit der forcierten intensiven Ackerbaukultur – anstelle der extensiven Viehwirtschaft – nicht konkurrenzfähig waren. „Wir haben beschlossen, unseren Siklóser Bezirk mit deutschen Untertanen zu besiedeln, nachdem unsere Raitzen weder in der Feldwirtschaft noch im Weinbau vorangekommen sind“, meldete der Hauptverwalter der Batthyány’schen Domäne, Ferenc Somonyi, nach Westungarn.107 1738 wurden zum Bsp. die Serben in der Herrschaft Bohl (ung. Bóly) im Komitat Baranya aus manchen Dörfern „entfernt“, 1744/45 sogar mit Gewalt in andere Dörfer und Prädien „transferiert“.108 Allerdings waren das keine „raitzischen Charakteristika“: In der Gemeinde Hidas zum Bsp. ließen sich 1696 ungarische Familien nieder, die sich zwar mit Weinanbau beschäftigten, doch keinen Getreideanbau betrieben. Erst mit Erscheinen der Raitzen erfolgte ein ökonomischer Aufschwung.109 Auch war in den Städten die 103 Um solchen „überflüssigen Violenten“ entgegenzuwirken, wurde seitens der Herrschaft Esterházy vorgeschlagen, einen ständigen Procurator zu engagieren, der gemeinsam mit den Komitatsbeamten die verbindlichen Gemarkungsgrenzen festlegen sollte. MOL AFE, P 150. Fasc. 226. Repraesentationes Oeconomicae in Bonis infra Lacum Balaton situat, Fol. 31–36. 104 Für diesen Zusammenhang siehe bei Krauss, Karl-Peter: Deutsche Auswanderer in Ungarn. Ansiedlung in der Herrschaft Bóly im 18. Jahrhundert. Stuttgart 2003, 207. 105 MOL AFE, P 150. Fasc. 226. Fol. 61. Schreiben der Stadt Tamásy an Fürst Joseph Esterházy von 1731. 106 Hier zitiert nach Csepregi, Zoltán: Magyar pietizmus 1700–1756. Tanulmány és forrásgyűjtemény a dunántúli pietizmus történetéhez [Ungarischer Pietismus 1700–1756. Studie und Quellensammlung zur Geschichte des Pietismus in Transdanubien]. Budapest 2000, 213. 107 Nagy, Lajos: A bólyi Batthyány uradalomban élő nemzetiségek az úrbéri rendezés előtt [Die in der Bohler Herrschaft der Batthyánys lebenden Nationalitäten vor der Urbarialregelung]. In: Baranyai Helytörténetírás (1982), 367–391, hier 376 f. 108 Siehe dazu ausführlich bei Krauss (wie Anm. 104), 95 und 98. 109 Szita, László: Adatok a délszláv népcsoportok betelepüléséhez a török utáni Baranya megyében [Angaben zur Wiederansiedlung südslawischer Volksgruppen im Komitat Baranya nach der Osmanenherrschaft]. In: A Dunántul településtörténete 1 (1686–1768). Hg. v. Gábor Farkas. Veszprém 1976, 200–210.

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Integration der Handwerker und Händler durchaus gelungen.110 Und schließlich wissen wir nichts über Gemeinden, wo deren ökonomische Integration ein Erfolg war, die jedoch zum Katholizismus konvertierten, um bleiben zu können, wie in Grossturwall (ung. Törökbálint) bei Budapest.111 Die Raitzen waren mittelfristig die Verlierer dieser Entwicklung, für das 18. Jahrhundert ist deren kontinuierlicher Rückgang festzustellen: Sei es durch die Domänenverwaltungen, um neuen Kolonisten Platz zu machen, von denen man sich mehr Wirtschaftseffizienz erhoffte, oder sei es durch die Expansion der Kolonisten im Zuge von Binnenmigrationsprozessen, oder aber weil die Raitzen die auferlegten Steuern nicht zu zahlen bereit waren.112 Und schon die Zunahme der Einwanderung anderer ethnischer Gruppen veranlasste nicht selten die Raitzen, freiwillig abzuwandern und nach möglichst homogenen Siedlungsmöglichkeiten zu suchen. Das war der Fall etwa in Deutschmarok, heute Erdősmárok, oder in Cikó.113 Insgesamt jedoch sind diese Prozesse noch zu wenig erforscht. Noch weniger als von diesen Prozessen wissen wir von Gegenbeispielen, in denen die Integration der Serben sehr wohl gelang. In der Esterházy’schen Gemeinde (Raitzisch-)Kozar (ung. Kozár, Ráckozár, heute Egyházaskozár) zum Bsp. wagten die Serben dazu wichtige Schritte: So stellten sie von Weidewirtschaft auf eine intensive Landwirtschaft um, bauten Getreide und Tabak an, schufen eine wirksame Kircheninfrastruktur und fügten sich ins soziale und wirtschaftliche Gefüge des Dominiums Dombóvár so erfolgreich ein, dass sie bis zum Ende des 18. Jahrhunderts die Elite dieses ethnisch gemischten, ab Mitte des 18. Jahrhunderts deutsch-raitzischen Dorfes stellten – selbst in Zeiten, als sie schon quantitativ in der Minderheit waren. Allerdings behielten auch sie die als Hirten erworbene patriarchalische Gemeinschaftskultur bei. Erst Anfang des 19. Jahrhunderts zogen sich diese, wie viele andere Raitzen der Region, nach Slawonien bzw. Syrmien zurück.114 Wiederum konnte im Marktflecken Dunaszekcső zum Bsp. die interethnische Koexistenz mit den Ungarn auf Dauer auf solide Fundamente gestellt werden, indem nämlich sämtliche Bereiche der Verwaltung und des Alltags gemeinsam abgestimmt wurden. Der Gemeinderichter wurde abwechselnd von einer der beiden 110 Vgl. dazu die Quellensammlung Gavrilović, Slavko: Izvori u Srbima u Ugarskoj s kraja XVII i početkom XVIII veka [Quellen über die Serben in Ungarn vom Ende des 17. und Anfang des 18. Jahrhunderts]. Bd. 2. Beograd 1990. 111 Bonomi, Eugen: Serben in Grossturwall-Törökbálint. Budapest 1941, 4. 112 In Bohl verdrängten die Deutschen katholische Kroaten, in Hárságy und in Závod orthodoxe Raitzen. Vgl. Weidlein, Johann: Die volklichen Verhältnisse in der Schwäbischen Türkei im 18. Jahrhundert. In: Südostdeutsche Forschungen (1936), 60–78, hier 73. Dies hatte aber keine Gesetzmäßigkeit. In Pálfa zogen die Ungarn freiwillig aus dem Dorf, da die Raitzen eine dominante Position errangen. Vgl. Hegedűs (wie Anm. 22), 70. Im Komitat Fejér lassen sich die Kriegssteuern und sonstige Lasten als Abzugsgrund nachweisen. Vgl. Jenei (wie Anm. 17), 194. 113 Weidlein (wie Anm. 112), 73. 114 Siehe dazu ausführlich Pfeiffer, János: Egyházaskozár története a szerb falu keletkezésétől a németek kitelepítéséig [Die Geschichte Egyházaskozárs von der Entstehung des serbischen Dorfes bis zur Aussiedlung der Deutschen]. Egyházaskozár 1997, 103–106.

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Ethnien gewählt, sein Stellvertreter stets von der unterlegenen bestimmt.115 Wie wichtig dieser Integrationsprozess für die Serben war, belegt die Auseinandersetzung auf der „Insel“ Mohatsch, wo Serben aus Lantschuk (ung. Lánycsók) ihr Nutzvieh illegal weiden ließen. Die Serben der Stadt Mohatsch wehrten sich vehement gegen diese Störung ihrer multiethnischen Gemeinde.116 Und in der benachbarten Gemeinde Baar (ung. Bár) an der Donau im Komitat Baranya wurden selbst 1766 noch Serben aus dem Komitat Tolna von der Herrschaft Bésán angesiedelt.117 Im Kreis Pilis im Komitat Pest-Pilis-Solt, also nordwestlich des heutigen Budapest, behaupteten sich die Serben laut Konskriptionen noch bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts dort, wo die religiöse Infrastruktur als Fundament für die sozio-politische und ökonomische Selbstbehauptung bewahrt werden konnte, wie etwa in Pomáz, Kalász, Csobánka, Ráckeve, Lorév (Lore) und Csép.118 Die Rolle der Kircheninstitution auf der Mikroebene war ohnehin oft der Schlüssel für das Überleben einer serbischen Gemeinde.119 Noch mehr scheint der Patriarch von der Festigkeit seiner Kircheninstitution überzeugt gewesen zu sein, wofür nicht nur die erfolgreiche Abwehr der Unionspolitik der katholischen Kirche spricht, sondern auch die bewusste Ansiedlung orthodoxer Serben in den von katholischen Südslawen bewohnten Gemeinden.120 Das führte nicht nur zum Streit im ökonomischen Bereich, sondern auch zu Konversionen in allen Varianten. In Kozár etwa assimilierten die Orthodoxen die Katholischen, Letztere besiegelten ihre Anpassung an die Mehrheit mit dem Glaubenswechsel.121

Zusammenfassung Entgegen der offiziösen Geschichtsschreibung, wonach die Raitzen nach der „Großen Wanderung“, dem militärischen Druck des Osmanischen Reiches weichend, auf habsburgisches Gebiet mittels Privilegien gelockt wurden, diese aber später nicht eingehalten wurden, man gar Vertragsbruch beging und ein Untertänigkeitsverhältnis herzustellen versuchte, erfolgte eine kontinuierliche und quantitativ umfangreiche Zuwanderung der Raitzen in den Donauraum bereits ab der Mitte des 16. Jahrhunderts. Aktiv gefördert wurde diese von der Obrigkeit auf beiden Seiten des Grenzraumes. Die Osmanen verfolgten mit dieser aktiven Ansiedlungspolitik eine Befriedung Süd-Transdanubiens, um den Handel und final das Steueraufkom115 116 117 118

Bezerédy (wie Anm. 96), 213. Ebd., 218. Ebd., 214. Pest-Pilis-Solt vármegye közgyűlési iratainak regesztái. Közigazgatási és politikai iratok [Regesten der Versammlungsprotokolle des Komitates Pest-Pilis-Solt. Verwaltungsakten und politische Akten]. Bd. IV: 1731–1740. Hg. v. András Borosy und Anita Kiss. Budapest 2004, 63. 119 Siehe dazu Spannenberger, Norbert: Crkve i konfesije u Bačkoj i Banatu u XVIII i XIX veku [Kirchen und Konfessionen in der Batschka und im Banat im 18. und 19. Jahrhundert]. In: Zavičaj na Dunavu. Suživot Nemaca i Srba u Vojvodini. Ausstellung Muzej Vojvodine, Novi Sad, Serbien, 16. Mai bis 23. August 2009. Novi Sad 2009, 142–149. 120 Jenei (wie Anm. 17), 194. 121 Pfeiffer (wie Anm. 114), 103–106.

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men zu erhöhen; die in habsburgisches Gebiet geflohenen ehemaligen Grundherren konnten ihre Steuern auch weiterhin auf osmanischem Gebiet eintreiben, was eine Doppelbesteuerung bedeutete. Die hohe Abgabenlast sowie die ständigen Gefahren von Übergriffen u.a. durch Soldaten und Heiducken machte das Gebiet bald unattraktiv: Ein Abzug in andere osmanische Sandschaks oder in Richtung Königliches Ungarn war die Folge. Mit Einsetzen des „Großen Türkenkrieges“ (1683) kam es neuerlich zu Flucht und Verwüstung. Kaiser Leopold I. förderte mittels Privilegien eine Niederlassung der Raitzen im Königreich Ungarn, was eine umfangreiche raitzische Migration in die Neoacquistica-Gebiete auslöste. Allerdings ging der Wiener Hof nicht von einem dauerhaften Verbleib aus; Komitatsbehörden und ungarische Stände sahen die raitzischen Privilegien nicht einmal als rechtskräftig an und vermuteten gar die „Fünfte Kolonne“ des „kaiserlichen Absolutismus“ dahinter, also eine Unterminierung des ungarischen politischen Systems. Der Kompetenzstreit zwischen ungarischen Behörden und Wiener Hof in der Frage der raitzischen Privilegien umfasste auch die Steuern: Mit Berufung auf ihre verbriefte Abgabenbefreiung verweigerten die Raitzen die grundherrlichen Forderungen, was manchenorts Exekutionen zur Folge hatte und einer raitzischen Integration entgegenstand. Während des Rákóczi-Aufstandes scheiterte eine Kooperation zwischen Kuruzzen und Raitzen, was wiederum zu Gewalt und Abwanderung führte. Aber auch hier war die bald nach Kriegsende einsetzende und wohl recht umfangreiche Rückwanderung von den Grundherrschaften gewollt, galt es doch neuerlich, die Kriegsschäden zu überwinden. Eine dauerhafte Ansiedlung scheiterte hingegen auch diesmal, auf dem Feld der Ökonomie verschlossen sich die raitzischen Untertanen nämlich vor Modernisierungsmaßnahmen und blieben zumeist bei einer extensiven Viehwirtschaft. Die Wirtschaftseffizienz spielte folglich im 18. Jahrhundert die entscheidende Rolle für die Grundherrschaften und führte zu einer Abwanderung/ Verdrängung der Raitzen. Freilich gab es auch umgekehrte Fälle, in denen die Integration der Raitzen durchaus gelang und erst mit Beginn des 19. Jahrhunderts eine Abwanderung nach Syrmien, dem nun neuen Gravitationszentrum der orthodoxen Raitzen, erfolgte. Zwar spielten die Raitzen im Donauraum eine ökonomische, siedlungspolitische und demographische Rolle, ihre Verwicklung in die multipolare Konfliktkonstellation dieses Raumes verhinderte aber eine dauerhafte Integration und führte immer wieder zu teils gewalttätigen Konflikten.

Alteritäten: Die geistig-mentale Grenze

Detlef Haberland

Der Türkenkonflikt im südöstlichen Europa in Hartmann Schedels Weltchronik Neben Gutenbergs Bibel stellt die 1493 auf Deutsch und Latein veröffentlichte Weltchronik Hartmann Schedels eines der ambitioniertesten Druckprojekte der Inkunabelzeit dar. Die Ausstattung des Werkes ist überwältigend und seine Verbreitung, an den Möglichkeiten der Zeit gemessen, beachtlich.1 Nicht zuletzt haben die weiteren Ausgaben der Weltchronik von 1496, 1497 und 1500 ihren Ruhm befestigt und ihre Bedeutung als Wissensspeicher unterstrichen. Die Intention Schedels war es – dies erschließt sich dem Leser bereits bei einer ersten Durchsicht des Werkes – neben historischen, theologischen und diversen kulturellen Informationen auch Überblicke und Querschnitte zu politisch relevanten Themen zu geben. In diesem Kontext hatte das Osmanische Reich und die von seiner expansiven und aggressiven Politik ausgehende Gefahr einen erheblichen Stellenwert. Zu den verschiedenen Aspekten in Schedels Werk – von den Entwürfen der Abbildungen bis zur Endabrechnung – liegen bereits eine Reihe von Arbeiten vor.2 Von Bedeutung, auch für den hier angesprochenen Sachverhalt, ist die Strukturierung des Werkes in sieben Weltzeitalter.3 Die Verbindung von Schöpfungsmythos und Heilsgeschichte auf der einen mit aktuellen Informationen auf der anderen Seite ist ein beredter Ausdruck für den „integrativen Wissenschaftsbegriff“ des Humanismus,4 hier eher in Richtung eines historisch-theologisch-politischen Denkens zu verstehen.5 Gerade Schedels Bezugnahme auf damals aktuelle Geschehnisse, die in der Weltchronik abgehandelt werden, macht die Frage nach dem „türkischen Thema“ interessant. Man hat sich hierbei allerdings vor Augen zu halten, dass bis zur Drucklegung des Buches die Expansion des Osmanischen Reiches noch nicht die Kernregionen des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation erreicht hatte. Auch Ka1

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Weltchronik 1493. Kolorierte und kommentierte Gesamtausgabe. Reproduktion. Hg. v. Stephan Füssel. Köln u.a. 2001. Erstinformation zu dem Werk bei Rücker, Elisabeth: Schedelsche Weltchronik. In: Lexikon des gesamten Buchwesens. Bd. VI. Hg. v. Severin Corsten, Stephan Füssel und Günther Pflug. Stuttgart 2003, 527 f. Siehe die Auswahlbibliographie bei Füssel, Stephan: Die Welt im Buch. Buchkünstlerischer und humanistischer Kontext der Schedelschen Weltchronik von 1493. Mainz 1996, 57–61. Siehe dazu ebd., 26–30. – Rücker, Elisabeth: Hartmann Schedels Weltchronik. Das größte Buchunternehmen der Dürerzeit. Mit einem Katalog der Städteansichten. München 1988, 24– 78. Füssel (wie Anm. 2), 8. Vgl. dazu Rücker: „Der nahtlose Übergang von biblischer Geschichte in Historie und weiter in den ‚Journalismus‘ jener Tage entspricht noch [einer] mittelalterlichen Auffassung“, verklärt durch ihre eher unspezifische Formulierung den humanistischen Impetus. Rücker (wie Anm. 3), 7.

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Detlef Haberland

tastrophen wie beispielsweise die Schlacht von Mohatsch (ung. Mohács) 1526 mit der Vernichtung des ungarischen Heeres, was die Dreiteilung Ungarns zur Folge hatte, waren noch nicht eingetreten. Immerhin stellte sich schon am Ende des 15. Jahrhunderts die osmanische Expansion als eine ernstzunehmende Bedrohung dar. Einige wenige Stichpunkte hierzu mögen genügen, um den Kontext anzudeuten: Die Schlacht auf dem Amselfeld (1389) und die von Nikopolis (1396), in denen die christlichen Heere vernichtend geschlagen wurden, zeigten den westlichen Herrschern, zu welchen erfolgreichen militärischen Aktionen die Osmanen fähig waren und wie man ihre expansive Politik bewerten musste. Venedig verlor 1430 Thessaloniki an die Osmanen und war im Begriff, seine Vormachtstellung im östlichen Mittelmeer einzubüßen. 1453 wurde Konstantinopel, das „Zweite Rom“, von ihnen erobert, wonach der Weg gegen Westen prinzipiell frei war. In einem weiteren Krieg (1463–1479) wurden die Venezianer vom griechischen Festland vertrieben. Die „Südostflanke“ des Reiches mit der Walachei und Siebenbürgen war nunmehr praktisch ungeschützt, mindestens aber einem vermehrten Ansturm preisgegeben.6 Es zeigt sich also, dass bereits im 15. Jahrhundert der Südosten des Reiches mehr oder weniger permanent unter militärischem Druck stand, und dass sich bis zur Drucklegung der Weltchronik die Situation keineswegs stabilisiert hatte. Daher ist es nur zu verständlich, dass die Politik der Osmanen bzw. deren militärische Aktionen auch in der Weltchronik thematisiert wurden. Schedel hatte hierfür keine durchgängige einheitliche Methode, sondern brachte das Thema „Türkengefahr“ dort unter, wo es in den Rahmen seiner Darstellung passte. Einige dieser prägnanten Stellen sollen im Folgenden herausgehoben und betrachtet werden.7 Schedel stützte sich, wie an anderen Teilen seines Werkes auch, auf die vorhandene und ihm zugängliche Literatur. Allerdings darf man nicht erwarten, dass dabei ein kritischer Philologe am Werk gewesen ist. Was über das Reich des Sultans zu dieser Zeit bekannt war, entstammte Reise- und Erlebnisberichten bzw. „Zeitungen“.8 Erstmalig erwähnt wird das Osmanische Reich in der Buchhändleranzeige der Weltchronik.9 Dort heißt es: „Quodque ferus turchus toto grassator in orbe In Constantina fecent urbe befas Signaque de celo memoras tristesque cometes Visaque per varias monstra tremenda plagas.“ 6

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Siehe weiterführend Matschke, Klaus-Peter: Das Kreuz und der Halbmond. Die Geschichte der Türkenkriege. Düsseldorf-Zürich 2004. Von allgemeinem Interesse zur Erhellung der innerosmanischen Strukturen ist Majoros, Ferenc/Rill, Bernd: Das Osmanische Reich (1300– 1922). Die Geschichte einer Großmacht. Graz-Wien-Köln 1994. Allerdings spielt darin das 16. Jahrhundert und der Raum des südöstlichen Europas eine marginale Rolle. Soweit zu überschauen, ist dieses Thema bisher noch nicht berührt worden, entgegen etwa zu den Themen Illustration oder Stadtansichten, zu denen eine Reihe von Arbeiten vorliegen. Siehe hierzu wie über die gesamte Osmanenliteratur Göllner, Carl: Turcica. 3 Bde. BucureştiBerlin-Baden-Baden 1961–1978. Füssel hat ihre Bedeutung im Vorwort der Weltchronik-Edition zu Recht herausgestellt. Weltchronik (wie Anm. 1), 8 f.

Der Türkenkonflikt im südöstlichen Europa in Hartmann Schedels Weltchronik

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„Was der Türke, der wild die weite Erde durchreitet, Konstantinopel Grässliches angetan, Überlieferst Du uns ebenfalls wie die himmlischen schrecklichen Zeichen, Die Kometen, und manch gräuliche Missgestalt.“10 Nicht von ungefähr stehen diese Verse, mit denen der Inhalt des Werkes angepriesen wird, fast am Schluss des Textes. Nachdem zunächst die göttliche Schöpfung und die menschlichen Errungenschaften genannt werden und auf den Bildschmuck des Buches hingewiesen wird, werden wesentliche Teile der Weltkenntnis und des Weltverständnisses als tragende Bestandteile angeführt: Es sind der Progenon Christi, der Stammbaum Christi, die tempora regna, die Weltalter, die natura et philosophia, die Natur und Philosophie wie nicht zuletzt die Regierungszeiten der einzelnen Herrscher und Päpste bis zu Schedels Gegenwart.11 Daran schließt sich die oben zitierte Stelle an und es wird ersichtlich, dass sie im Kontext des in Form einer Klimax gestalteten Ausgeführten einen darstellerischen Superlativ bedeutet. Die enge syntaktische Verbindung zwischen dem „Grässlichen“, das die Türken „Konstantinopel angetan“ hätten, und den „schrecklichen Zeichen“ des Himmels zeigen in konzentrierter Form den Maßstab, mit dem dieser Teil der Politik gemessen wurde. Diese Einschätzung wird an prominenter Stelle in der Weltchronik wieder aufgegriffen. In dem Kapitel über das „sechst alter der werlt“ gibt Schedel eine in sich abgeschlossene Beschreibung der Stadt Konstantinopel mit einem über zwei Seiten reichenden Holzschnitt wieder.12 Zunächst unterstreicht er die Bedeutung der Metropole als ein Zentrum der Politik und Wissenschaft seit der Antike: „Dise statt ist ein besuchung des gantzen orients vnd einige wonung des gelerten kriechischen lands gewesen.“13 Sie sei die Metropole und der Ursprung des antiken Wissens. Schedel zählt die Weisheiten auf, deren Quelle er hier sieht. Umso schlimmer sei nun, was das osmanische Heer der Stadt zugefügt habe: „Dieser statt haben von irer wirdigkeit vnd wolstands wegen die Türcken neyd vnd gramschaft getragen. vnd darumb dieselben statt nach der gepurt cristi vnßers hails im. jm.xcjij. iar mit großem gewalt beleggert vnd darnach erobert.“14 Das klingt an sich für den Leser schon betrüblich genug. Schedel hielt sich jedoch an dieser Stelle mit seiner vollständigen Einschätzung der Vorkommnisse zurück. Die Leserschaft muss vielmehr noch einige Seiten weiterblättern, bis sie zu dem Kapitel „Von bestreitung der statt Constaninopel im. M.cccc.liii. iar“ vordringt.15 Hier wird eine ausführliche Schilderung vom Ablauf der Belagerung und Eroberung Konstantinopels vermittelt. Unter dem Gesichtspunkt der Dimension und Schrecklichkeit der türkischen Expansion insgesamt und der „Unzivilisiertheit“ gegenüber einer Kulturmetropole vom Range Konstantinopels bekommt die 10 11 12 13 14 15

Ebd., 9. Ebd. Ebd., CXXIXv f. Ebd., CXXIXv. Ebd. Ebd., CCXLIXr.

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Darstellung der Gräuel nach der Eroberung ein besonderes Gewicht: „Alda warde der Kriechisch kayser Constaninus paleologus enthawbt. alle menschen sechs iar vnd darüber alt erschlagen. die briester vnd alle closterlewt mit mancherlay marter vnd peyn getödt. vnd das ander volck mit dem schwert ermordt. vnd ein sölchs pluotuergießen das pluotig beche durch die stat fluß. So warden die heiligen gotzhewßer vnnd tempel erbermdlich vnd grawsamlich befleckt. vnd enteeret vnd vil vnmenschlicher boßheit vnd myßtat durch die wüttenden Türcken gegen dem cristlichen pluot geübt.“16 Ohne Zweifel geschahen derartige Vorkommnisse in der Frühen Neuzeit nach der Eroberung einer Stadt immer wieder, in diesem Fall aber spielt doch eine große Rolle, dass das Opfer Konstantin XI. Palaiologos (1404– 1453), der letzte oströmische Kaiser, war. Mit ihm fand eine lange Reihe von christlichen Gelehrten und Herrschern ihr Ende. Überdies stellt die Schändung christlicher Kultstätten durch Nichtchristen eine zusätzliche Untat dar. Da die Osmanen bei Schedel dereinst unter dem Signum des Verderbens eingeführt sind, steht auch nicht zu erwarten, dass andere Aspekte ihrer Kultur wenigstens ansatzweise genannt werden. So auch nicht in einer knapp halbseitigen Übersicht über den „Anfang des Ottomanischen turkischen konigreichs“.17 Staatsgeschichte ist nach dem Verständnis der frühneuzeitlichen Gelehrten in erster Linie die Geschichte der Regenten. Diesem Schema folgt auch Schedel. Vor allem die unmittelbare Vergangenheit ist für ihn eine Serie von Kämpfen gegen die Christen: „Nach demselben herschet Mahumetes [Mehmet I.] der sun Pazaites [Bayezid I.] vnd stiftet vil vbels wider die cristen in Europa. Nach disem Mahumetem regiret Amurates [Murat II.] sein sun. der het einen sun Mahumetus [Mehmet II.] genant der dann zway kaiserthumb vnd xij königreich vnder sich bracht.“18 Als er mit der Aufzählung der osmanischen Herrscher in der Gegenwart angekommen ist, schreibt er abschließend: „Vnd diss ist das geschlecht der ottomanischen türcken vnd also hat sich der türckisch namen gemeret das das so ettwen Asia genant wardt yetzo die türckey haist.“19 Damit ist eine neue, in jedem Fall übertreibende und falsche Qualitätsbestimmung hergestellt. Aus der seit der Antike herrührenden und auch kartographisch fixierten Erdteilbestimmung (Europa, Asien, Afrika) ist eine politische Benennung geworden, deren Bedeutung für das christliche Europa unmittelbar einsichtig ist. Auch bei der Darstellung der einzelnen europäischen Herrscher flicht Schedel von Zeit zu Zeit das Türkenproblem ein, so dass es im Bewusstsein des Lesers immer wieder gleichsam als Haltepunkt verankert wird. Kaiser Sigismund von Luxemburg (1368–1437) ist ein umfangreicher Text gewidmet, in dessen Zentrum der Satz steht: „Aber er was nit fast glückfellig in kriegen wider gein den Türcken noch gein den Behmen.“20 Im Artikel zu Kaiser Friedrich III. (Reg. 1452–1493) wird dessen Allianz mit dem polnisch-ungarischen König Wladislaw III. Jagiello (Reg. 16 17 18 19 20

Ebd. Ebd., CCXXVIIIr. Ebd. Ebd. Ebd., CCXXXIXr.

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1434/1440–1444) mit der Bemerkung genannt: „Der [Friedrich] name ime für wider die Türcken zefechten.“21 Im Text über Papst Pius II. (Enea Silvio Piccolomini, 1454–1464) wird selbstverständlich auf den gemeinsamen Beschluss der europäischen Mächte, eine Liga gegen die Osmanen zu bilden, hingewiesen: „Daselbst [in Mantua] ward in versammlung vil fürsten vnd sendboten mit gemaynem [allgemeinem] beschluoß ein heerzug wider die Türcken angeschlagen [beschlossen].“22 Der früh gestorbene Kaiser Ferdinand I. (1503–1564) wird ebenfalls mit den Türken in Verbindung gebracht: „Vnd nach dem absterben babsts Pij […] sich mit den venedigern von den königreichs zu Cipern wegen bekrieget. vnd (als man sagt) die Türcken wider die Venediger erweckt. Dem nach befrideten sich die Venediger mit den Türcken vnd kereten sich mit heereßkraft gegen disem Ferdinandum vnd drungen ime Hydruntum [Otranto in Apulien] die welschen meer staat ab.“23 Dies alles sind natürlich keine Analysen nach heutigem Verständnis, aber sie zeigen die Gegenwärtigkeit dieses Themas, das ja in der Tat ein im Wortsinne höchst bedrängendes war und noch lange ein solches bleiben sollte. Schedel zeigt aber auch die andere Seite. Zu Mehmet II. (Reg. 1444–1446, 1451–1481) führt er Folgendes aus: „Machomet der Türcken kaiser hat nach vertreibung Thome paleologi des Kriechischen kaisers vnnd seins bruders im. M.cccc. lx. iar Peloponesium vnd nach gefengknus vnnd ertödtung des Trapesunthischen königs desselben iars Pontium. vnd darnach Mitilenam erobert. So belegerten die Venediger Corinthum. aber die Türcken komen mit gewalt vnd zwungen die cristen zu den Schiffen zefliehen. Zu letst rüstet sich der hertzog zu venedig mit treffenlicher schiffung vnd als er gen Anconam zu lendet vnnd von babst Pio der noch gaystet ab der höhe von vernen gesehen ward do verschied der babst in großer glori.“24 In diesem Passus wird nicht in erster Linie die Reaktion der Europäer geschildert, sondern die Aktion der Osmanen. Ähnlich ist auch der folgende Zusammenhang beschrieben, der ohne thematische Verbindung zwischen einer Audienz Friedrichs beim Papst und dem Erscheinen eines Kometen steht: „Machomet der Türckisch kaiser vberzohe mit großer mechtiger schiffung vnd mit hunderttawsent pferden in Euboiam [Euböa im Osten Griechenlands] vnd stürmet die statt chalcidam [Chalkis]. xxx. tag vnd zerstöret sie wiewol mit großer niderlage vil der seinen. So schickten die Venediger auch ein große schiffung wider die Türcken. EIn großer comet erschyne im monat Januario des. M.cccclxxij. iars. […] Nach disen dingen folgten erstlich ein vnerhörte rrückne. vnd darnach an vil enden pestilentz vnd vil grawsam krieg. Zwietracht vnd auffruor.“25 Trotz des fehlenden unmittelbaren textlichen Zusammenhangs fällt eines auf, wenn man noch einmal an die Buchhändleranzeige der Weltchronik zurückdenkt: Indem man – unterstützt durch eine kleine randständige Illustration eines Kometen – durch die drucktechnische Nähe der Themen „Türkengefahr“ und 21 22 23 24 25

Ebd., CCLr. Ebd., CCLv. Ebd., CCLIr. Ebd., CCLIv. Ebd., CCLIIIIr.

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„Kometenerscheinung“, die inhaltlich nicht zu begründen war, diese beiden Bereiche unmittelbar nacheinander liest, wird die geradezu schicksalhafte Schrecklichkeit des ersten Ereignisses beschworen und dessen Ankündigung eingelöst. Auch in der europäischen Politik sind die Osmanen omnipräsent: Von Kaiser Maximilian I. (Reg. 1508–1519) handeln beispielsweise fast zwei Seiten in der Weltchronik.26 Das entspricht durchaus der Bedeutung, die ihm bereits von den Zeitgenossen zuteilwurde. Von diesen knapp zwei Seiten – pro Zeile immerhin mit rund 80 bis 100 Zeichen gerechnet, je nach Bildschmuck – ist gut die Hälfte des Artikels dem „osmanischen Problem“ gewidmet. Im Wesentlichen geht es darum, die Abwehrmaßnahmen aufzuzählen, mit denen Maximilian die Bedrohung beseitigen will: Er will die Fürsten der Christenheit zusammenziehen und zu einem gemeinsamen Kampf bewegen, er will die von den „vnglawbigen“ besetzten „edlen stett“ und „reiche land“ der christlichen Herrschaft zurückgewinnen. Der Reichstag in Nürnberg 1491 soll Einigkeit bringen. Aufschlussreich ist die Begründung für diese Geschäftigkeit, die, abgesehen von der Abwehr kriegerischer Gefahr, wohl etwas überproportioniert erscheinen mag. Der Begründungszusammenhang „Türken“ und „schreckliche himmlische Zeichen“ wird im Maximilian-Artikel deutlich: „Aber wir wöllen hoffen das auß götlicher wynkung der syg vnnd vberwindung vnßerm könig Maximiliano vnzeifellich künftig sey so die andern nationen disem könig vnd allerbestem herrfürer nachfolgen. vnd das reich.“27 Durch die überaus seltene und literarisch kaum bezeugte Form „winkung“ für den auffordernden Wink,28 wird die Größe der Hoffnung, die auf das Eingreifen Gottes und seiner Macht gerichtet ist, herausgestrichen. Weiter führt Schedel aus: „Darzu wirdt auch in got ze hoffnen sein der vnzweiffellich seinerselbs sachen beysteen vnnd den die götlichen hilff anruoffenden kempffern hilff raichen wirdt die feind mügen ernidergelegt werden.“29 Die menschlichen Anstrengungen können nur deshalb mit so viel Energie unternommen werden, weil man sich sicher ist, dass Gott „seine eigene Sache“ nicht wird verraten wollen. Was hier noch, an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert, als selbstsichere Überzeugung präsentiert wird, die in eine gloriose Verzückung über die möglichen und letzten Siege mündet (die allein 15 Zeilen der Weltchronik in voller Länge beansprucht!), liest sich jedoch bereits in dem Reisebericht des protestantischen Tübinger Theologen Salomon Schweigger, der das Osmanenreich von 1577 bis 1581 aufsuchte und davon in seinem Reisebericht Zeugnis gab, anders.30 Er hat für die osmanischen Erfolge in dem Kapitel „Von den Ursachen des Türckischen Siegs wider die Christen“ eine andere Erklärung.31 Die Türken seien die „causa instru26 27 28 29 30 31

Ebd., CCLVIIIr f. Ebd., CCLVIIIv. Siehe Grimm, Jacob/Grimm Wilhelm: Deutsches Wörterbuch. Reproduktion. Bd. 30. München 1991, Sp. 405. Weltchronik (wie Anm. 1), CCLVIIIv. Schweigger, Salomon: Ein newe Reyssbeschreibung auss Teutschland nach Constantinopel und Jerusalem. Reproduktion. Hg. v. Rudolf Neck. Graz 1964. Ebd., 154–156.

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mentalis“, die Gott gegen die Christen benutze, „haarklein“ vergleichbar mit den Israeliten, die unter den sie umgebenden Völkern gleichfalls viel zu erleiden gehabt hätten. Und Schweigger zieht folgenden Schluss: „Gott braucht den Türcken als ein Ruthen / Geisel / Stecken oder Axt / vnd als ein Besen des verderbens / damit er die Sünd außkehrt.“32 Daher kennt Schweigger nur ein Mittel, den Sieg (militärisch, aufgrund gewandelter Moral!) gegen die Osmanen zu erringen: „Zu vörderst Gottlose Lehr / Irrthumb / Ketzerey vnd dergleichen Unkraut außgerottet würde / deß der Acker Gottes voll steht.“33 Eben dies kann er genau definieren: „Deßgleichen auch ander vnordentlich sündlich wesen vnd Epicurisch Leben / fressen / sauffen / Gottlesterung / eigennutz vnd andere Schand vnd Laster abgeschafft würden / mit welchem wir vnserm Herrn Gott die Straff abbetteln.“34 Grundlage zu dieser Selbstanklage war die Beobachtung, die Schweigger selbst gemacht hatte und die auch etwas später durch seine Nachfolger gemacht wurde, dass nämlich bei den Osmanen eine entschieden „größere Sittlichkeit und Tugendhaftigkeit“ als im Lager der christlichen Landsknechte zu beobachten gewesen sei.35 Damit deutet sich, immerhin zwei Menschenalter nach der Schedelschen Weltchronik, eine Revision der Selbstsicherheit an, was der lutherischen Reformation und ihren nachfolgenden theologischen Komplikationen (Schwenckfelder, Emser, Calvin etc.), den Bauernkriegen und einer zunehmend sich verhärtenden politisch-theologischen Lage geschuldet sein mag. Nachdem Schedel das sechste Weltalter abgehandelt hat, fügt er nicht ohne Grund die Europaschrift von Piccolomini ein.36 Diese ist von programmatischem Charakter, da es keine übliche, im 16. Jahrhundert verfasste Landeskunde war.37 Schedel folgt der Struktur des lateinischen Originals und bringt als erstes eine Be32 33 34

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Ebd., 156. Ebd., 158. Ebd. Das Argument, dass die Türken praktisch ein Werkzeug Gottes seien, wird bereits von Enea Silvio Piccolomini in seiner Rede Contra turcos auf dem Fürstentag in Frankfurt (1454) gebraucht. Siehe Blusch, Jürgen: Enea Silvio Piccolomini und Giannantonio Campano. Die unterschiedlichen Darstellungsprinzipien in ihren Türkenreden. In: Humanistica Lovaniensia. Journal of Neo-Latin Studies XXVIII (1979), 78–138, hier 87. Seidel, Johann Georg: Reise-Beschreibung, Aus Teutschland, Wien, Oesterreich, Ungern, Türckey biß Constantinopel, An die Ottomanische Pforte, Wegen Vieler sonderbahren Begebenheiten, Grausamkeiten und andern unglücklichen Merckwürdigkeiten dem Drucke überlassen. Leipzig 1733, 94 f. Weltchronik (wie Anm. 1), CCLXVIIIv–CCLXXv. Hier soll nur angedeutet werden, dass ihre Struktur dergestalt ist, dass Piccolomini die Länder im Südosten Europas zuerst behandelt, bevor er in die Kernzonen des Reiches kommt. Damit trägt er der Bedeutung des östlichen Europas im Kampf gegen die türkische Bedrohung Rechnung. In seinem Deutschland-Buch rühmt er die Siege, beklagt aber auch an mehreren Stellen, dass die Verteidigungsanstrengungen nicht konzertiert und konsequent genug seien. Siehe Piccolomini, Enea Silvio: Deutschland. Der Brieftrakt an Martin Mayer und Jakob Wimpfelings „Antworten und Einwendungen gegen Enea Silvio“. Übers. u. erl. v. Adolf Schmidt. KölnGraz 1962, 46 f., 120 f., 170. Siehe dazu auch seine Rede Contra Turcos, in der er – aus naheliegenden propagandistischen Gründen – die Möglichkeit von Erfolgen überzeichnet. Blusch (wie Anm. 34), 87 f. Zu Enea Silvio Piccolominis Werben um die europäische Ritterschaft und die Fürstenhäuser gegen die Osmanen siehe Göllner, Carl: Turcica. Bd. III: Die Türkenfrage in der öffentlichen Meinung Europas im 16. Jahrhundert. Bucureşti 1978, 39 f., 44–46.

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schreibung des südöstlichen Europas, genannt „Von dem hungrischen land vnd den schihten [Geschichten, Vorkommnissen] darin“. Immer wieder ist in der Geschichte Ungarns von den Auseinandersetzungen mit den Osmanen die Rede, wenn auch nicht dominant, so doch in beharrlicher Permanenz. Gleich am Anfang heißt es: „Die [man] Sybenburger nennt sinnd vnder der Hungern gewalt komen. Wiewol etliche zu vnßern zeiten durch der Türcken gewalt auß dem Hungrischen gepiet gedrungen worden sind.“38 In äußerster Knappheit wird die durch die militärische Präsenz und Bedrängung verursachte Migration behandelt, mindestens aber werden Flucht und Vertreibung benannt – Vorkommnisse, die allen unterrichteten Zeitgenossen bekannt waren. Abschließend ist auf einen letzten Passus in der Weltchronik hinzuweisen, in dem es heißt: „Jewol sich nw nach ordnunng durch Eneam pium in seiner beschreibung Europe gehalten gepüret von dem Türckischen volck vnd iren geschihten. vnnd auch von bestreittung vnd verlust der statt Constantinopel durch die Türcken in zeiten desselben Enee geübt meldung vnd erzelung zu thun. yedoch nach dem von denselben bestreittung hieuor in dem buoch am. cc.xlix. blat bey einer sundern figur vnd auch sunst an vil enden diss buochs von den vberziehungen. gewaltsamkeit vnd bedrangknussen so die Türcken in solcher zeit vnßerer gedechtnus vnd auch dauor nicht allain in dem Hungrischen sunder auch in andern landen den cristen menschen manigfeltigclich gethan haben zu mermaln anzaigung vnd erzelung beschehen ist so ist im besten vermyden dieselben ding yetzund abermals an disem ende zeerwidern vnd widerumb zeerzelen. nach dem solche erwiderung nit allain nit nützlich sunder auch vnnottürftig vnd darzu den lesern verdrießlich sein würdt.“39 Diese Zeilen stehen am Schluss der Weltchronik. Und das ist schließlich sein Hauptanliegen: umfassend zu informieren, aktuell und durch historische Exempel, und nicht zuletzt auch die Leser zu unterhalten durch Illustrationen und spannende Geschichten. Das klassische „prodesse et delectare“ wird allerdings im Fall der „Türken-Geschichten“ für die Leser, zumal für diejenigen aus den Randgebieten des christlichen Europas oder mit einschlägigen Erfahrungen, nicht so groß gewesen sein. Für alle anderen sind die Informationen Schedels in jedem Falle eine vielfältige Quelle für das Verständnis von Politik und Kultur unter dem Signum eines frühneuzeitlichen „clash of cultures“.

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Weltchronik (wie Anm. 1), CCLXIXr. Ebd., CCLXXIIIr.

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„Wider disen Vheindt […]“ – Argumentative Propaganda in den kaiserlichen Propositionen zu den Reichstagen während des „Langen Türkenkrieges“ In einer im Jahr 1595 veröffentlichten Predigt brachte der Wittenberger Theologieprofessor Georg Mylius Folgendes zu Papier: „Thuet der türck einen einfall, so wird man es gmeinglich dann erst gewahr, wann er schon etliche meil wegs weit und breit gestreifet und gebrennet […]. Wann dann nun mehr ein starcker schade geschehen ist und es möchte bald das Wasser uber die körbe gehn, so schreiben wir erst reichstäg, kreistäg, landtäg und stettäge aus, unnd wann man zuhauffe kommet, tretten wir erst zusammen in die rathstuben zu deliberieren unnd rath schlagen.“1 Jene Institutionen (Reichstag und Kreistag) des Heiligen Römischen Reiches, die dem Außenstehenden vielleicht ungeschmeidig und umständlich vorgekommen sein mögen, werden hier vom Prediger zwar recht ironisch und spöttisch behandelt, der Kaiser aber war auf die Unterstützung der Reichsstände im Interesse des erfolgreichen Kampfes gegen die Osmanen angewiesen. Durch die Gefahr eines Vorstoßes des Osmanischen Reiches und den daraus resultierenden finanziellen und militärischen Anstrengungen zu dessen Abwehr war das Alte Reich nach 1576 dazu gezwungen, in immer größerem Maße eine Verteidigung Ungarns mitzutragen. Auf dem im selben Jahr abgehaltenen Reichstag wurde die „Türkenfrage“ zum ersten und wichtigsten Punkt der kaiserlichen Proposition erhoben.2 Nötig wurde dies für den Kaiserhof schon deshalb, weil die Einkünfte der österreichischen Erbländer und der Königreiche Ungarn und Böhmen seit den 1560er Jahren für die Finanzierung des Grenzgebiets nicht mehr genügten.3 1 2

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Zitiert nach Schulze, Winfried: Reich und Türkengefahr im späten 16. Jahrhundert. Studien zu den politischen und gesellschaftlichen Auswirkungen einer äußeren Bedrohung. München 1978, 191 f. Ebd., 77–80. – Pálffy, Géza: A török elleni védelmi rendszer szervezetének története a kezdetektől a 18. század elejéig [Die Geschichte des Verteidigungssystems gegen die Türken von den Anfängen bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts]. In: Történelmi Szemle 2/3 (1996), 163–219, hier 192–195. – Rauscher, Peter: Kaiser und Reich. Die Reichstürkenhilfe von Ferdinand I. bis zum Beginn des „Langen Türkenkrieges“ (1548–1593). In: Finanzen und Herrschaft. Materielle Grundlagen fürstlicher Politik in den habsburgischen Ländern und im Heiligen Römischen Reich im 16. Jahrhundert. Hg. v. Dems., Friedrich Edelmayer und Maximilian Lanzinner. München 2003, 43–83, hier 45 f. – Winkelbauer, Thomas: Österreichische Geschichte 1522–1699. Ständefreiheit und Fürstenmacht. Länder und Untertanen des Hauses Habsburg im konfessionellen Zeitalter. Bd. 1. Wien 2003, 512. Über die Einkünfte des Königreiches Ungarn im 16. Jahrhundert siehe Hóman, Bálint/Szekfű, Gyula: Magyar történet [Ungarische Geschichte]. Bd. III: A XVI. század. Budapest 1935, 134 und 137. – Pálffy (wie Anm. 2), 193. – Ders.: Der Preis für die Verteidigung der Habsburgmonarchie. Die Kosten der Türkenabwehr in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. In: Finanzen und Herrschaft. Materielle Grundlagen fürstlicher Politik in den habsburgischen Län-

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Im letzten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts sah sich die kaiserliche Kriegsleitung infolge des ausgebrochenen sog. Langen Türkenkrieges (1593–1606) vor neue Herausforderungen gestellt und musste die bis dato defensive Strategie abermalig überdenken. Bereits in der Mitte des 16. Jahrhunderts veranlasste die sich entfaltende Revolution im Heerwesen – zum Bsp. mit der Verbreitung von Handfeuerwaffen, dem Überangebot an Söldnern im Alten Reich und der bereits erworbenen Kampferfahrung – den Hofkriegsrat dazu, einen offenen Krieg als Reaktion auf einen osmanischen Angriff aufzunehmen.4 Karl von Mansfeld, Giorgio Basta, Adolf von Schwarzenberg und Philippe-Emmanuel Mercoeur sind jene herausragenden Namen von Heerführern, die zu dieser Zeit vom Hofkriegsrat bestallt wurden und bereits in mehreren Kriegen – wie in Frankreich und den Niederlanden – gekämpft hatten. Außerdem standen auch kriegserfahrene wallonische und französische Truppen neben den deutschen, ungarischen und böhmischen Einheiten in habsburgischem Sold. Der Unterhalt dieser einige zehntausend Mann starken kaiserlichen Feldarmee zuzüglich der Grenzsoldaten hat den Kaiserhof vor gewaltige Probleme gestellt.5

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dern und im Heiligen Römischen Reich im 16. Jahrhundert. Hg. v. Friedrich Edelmayer, Maximilian Lanzinner und Peter Rauscher. München 2003, 20–44, hier 30 f. – Kenyeres, István: Die Finanzen des Königreiches Ungarn in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. In: Ebd., 84–122. Roberts, Michael: The Military Revolution 1560–1660. Belfast 1956. – Parker, Geoffrey: The Military Revolution. Military Innovation and the Rise of the West 1500–1800. Cambridge 1988. – Kelenik, József: A hadügyi forradalom és hatása Magyarországon a tizenötéves háború időszakában. Tények és megjegyzések a császári-királyi sereg valós katonai értékéről [Die Auswirkungen der Revolution im Militärwesen zur Zeit des Fünfzehnjährigen Krieges. Fakten und Bemerkungen zum wirklichen militärischen Wert der kaiserlichen Armee]. In: Hadtörténelmi Közlemények 103/3 (1990), 85–95. – Ders.: A kézi lőfegyverek jelentősége a hadügyi forradalom kibontakozásában. A császári-királyi hadsereg fegyverzetének jellege Magyarországon a tizenötéves háború éveiben [Die Bedeutung der Handfeuerwaffen in der Entwicklung der Revolution des Heerwesens. Die Eigenart der Bewaffnung der kaiserlich-königlichen Armee in Ungarn in den Jahren des Fünfzehnjährigen Krieges]. In: Hadtörténelmi Közlemények 104/3 (1991), 80–122. – Ders.: A kézi lőfegyverek jelentősége a hadügyi forradalom kibontakozásában. A magyar egységek fegyverzete a tizenötéves háború időszakában [Die Bedeutung der Handfeuerwaffen während der Revolution im Militärwesen. Die Bewaffnung der ungarischen Truppen zur Zeit des Fünfzehnjährigen Krieges]. In: Hadtörténelmi Közlemények 104/4 (1991), 3–52. – Ders.: The Military Revolution in Hungary. In: Ottomans, Hungarians, and Habsburgs in Central Europa: The Military Confines in the Era of the Ottoman Conquest. Hg. v. Géza Dávid und Pál Fodor. Leiden 2000, 117–159. – Domokos, György: Egy itáliai várfundáló mester Magyarországon a XVI. század második felében. Ottavio Baldigara élete és tevékenysége [Ein italienischer Festungsbaumeister in Ungarn in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Das Leben und Wirken von Ottavio Baldigara]. In: Hadtörténelmi Közlemények 111/4 (1998), 767–867. Loebl, Alfred H.: Zur Geschichte des Türkenkrieges von 1593–1606. Bd. 1: Vorgeschichte. Prag 1899. – Müller, Johannes: Der Anteil der schwäbischen Kreistruppen an dem Türkenkrieg Kaiser Rudolfs II. von 1595 bis 1597. In: Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben und Neuburg 28 (1901), 155–262. – Ders.: Zacharias Geizkofler 1560–1607. Des Heiligen Römischen Reiches Pfennigmeister und oberster Proviantmeister im Königreich Ungarn. Baden bei Wien 1938. – Heischmann, Eugen: Die Anfänge des stehenden Heeres in Österreich. Wien 1925. – Niederkorn, Jan Paul: Die europäischen Mächte und der „Lange Türkenkrieg“

Argumentative Propaganda in den kaiserlichen Propositionen zu den Reichstagen

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Dieser versuchte im Verlauf des „Langen Türkenkrieges“ jede nur mögliche Einnahmequelle zur Deckung der Kriegskosten zu mobilisieren und auszunutzen. Kaiser Rudolf II. rief daher die Reichsstände im Zeitraum von 1593 bis 1606 drei Mal um Unterstützung an. Nachfolgend soll aufgezeigt werden, wie der Vorstoß des Osmanischen Reiches sowie der Kampf gegen die „Türken“ jeweils in den einleitenden Teilen der Propositionen geschildert worden sind.

Propositionen und „Türkenbild“ Drei wesentliche Faktoren bestimmten in diesem Zeitraum die Arbeit der Reichstage. Zum einen schwanden Macht und Einflussmöglichkeit des Kaisers kontinuierlich, zum anderen prägte die im ersten Drittel des 16. Jahrhunderts eintretende Reformation die Arbeit und die Wirkungsweise der Reichsinstitutionen. Drittens stellte die zu eben dieser Zeit auftauchende und immer größer werdende Bedrohung seitens des Osmanischen Reiches ein Problem dar. Mit Hinblick auf diese Konstellation wird die heikle Position des Kaisers deutlich: Einerseits war ihm ex officio die Pflicht auferlegt, das Reich vor jeglichen äußeren Angriffen zu verteidigen, andererseits verfügte er jedoch nicht über die nötigen Steuergelder, um dieser Aufgabe gerecht zu werden. Nach der Wahlkapitulation konnte der Kaiser nur im Fall einer direkten Bedrohung des Reichsgebietes durch einen äußeren Feind mit einer freiwilligen Hilfe der Reichsstände rechnen. Das kam jedoch nur in außergewöhnlichen Fällen vor, so bei der Belagerung von Wien (1529) sowie dem Feldzug Süleymans I. (Reg. 1520–1566) im Jahr 1532, wenngleich dieser auch nicht bis vor die Tore der Stadt getragen wurde. Zwar regelte die Wahlkapitulation Hilfe gegen das Osmanische Reich im Allgemeinen, es fehlte jedoch an eindeutigen rechtlichen Bestimmungen für eine konkrete Umsetzung. Seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts nahmen jedoch auch die Reichsstände, wie erwähnt, immer stärker am Ausbau und an der Finanzierung des ungarischen, kroatischen und slawonischen Grenzgebiets teil.6 Es gab zwei mögliche Formen der Unterstützung: einerseits den sog. Gemeinen Pfennig,7 andererseits den Römermonat oder Romzug.8

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Kaiser Rudolfs II. (1593–1606). Wien 1993. – Pálffy (wie Anm. 3), 26 f. – Bagi, Zoltán Péter: A Német-Római Birodalom és a Magyar Királyság kapcsolatai a XVI–XVII. század fordulóján. Különös tekintettel a birodalomi gyűlésekre és a császári-királyi haderő szervezetére a tizenöt éves háború időszakában [Die Beziehungen des Heiligen Römischen Reiches sowie des Königreiches Ungarn in den Jahren des „Langen Türkenkrieges“ (1593–1606). Mit besonderer Berücksichtigung der Reichstage und der Heeresorganisation zur Zeit des „Langen Türkenkrieges“]. Phil. Diss., Budapest 2005, 164–234. Schulze (wie Anm. 1), 69–85. Der Gemeine Pfennig war eine Kombination aus Kopf- und Vermögenssteuer. Zu dessen Geschichte siehe Heischmann (wie Anm. 5), 64. – Koller, Leopold: Studien zur Reichskriegsverfassung des Heiligen Römischen Reiches in der Neuzeit. Phil. Diss., Wien 1990, 316–325. – Wiesflecker, Hermann: Maximilian I. Die Fundamente des habsburgischen Weltreiches. München 1991, 264 f. – Winkelbauer (wie Anm. 2), 509. – Bagi (wie Anm. 5), 15. Der Reichstag hatte im Jahr 1521 eine Reichsmatrikel mit dem Inhalt erstellt, die Truppenkontingente, die jeder Reichsstand für den Zug Karls V. zur geplanten Kaiserkrönung nach Rom

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Der Kaiser hatte freilich auch eigene Möglichkeiten, eine Unterstützung der Reichstände zu erlangen. So konnte er sich auf noch aus dem Mittelalter überkommene Rechte berufen, die die Arbeit des Reichstags wesentlich beeinflussten, wie dessen Ausschreibung, die Bestimmung von Ort und Zeit, die Zusammenstellung der Proposition und einschlägiger Beilagen, die Festlegung der Tagesordnung und die Veröffentlichung der Beschlüsse.9 Sucht man nach Unterstützern der kaiserlichen Politik auf Seiten der Reichsstände, so kann man diese beispielsweise in dem lutherischen Kurfürsten von Sachsen,10 dem Herzog von Bayern11 oder dem Erzbischof von Salzburg12 finden. Obwohl eine Unterstützung der Position des Kaisers im Laufe des 16. Jahrhunderts an das Glaubensbekenntnis der jeweiligen Landesherren geknüpft war, spielte dennoch auch die geographische Lage eines Herrschaftsgebietes eine gewichtige Rolle, fühlten sich doch die Landesherren in den östlichen Regionen des Alten Reiches durch die Eroberungen der Osmanen direkt bedroht. Rudolf II. (1576–1612) hat die Reichsstände in seiner Regierungszeit nur vier Mal einberufen, da er in erster Linie auf die Unterstützung seiner Erbländer und der Kreistage zählte. Dieser Umstand erklärt sich dadurch, dass er den drängenden aber nur schwer lösbaren Fragen – wie die nach dem Religionsfrieden, nach der Freistellung, nach der Ungültigkeitserklärung der Mehrheitsbeschlüsse bei der Bewilligung der Türkenhilfe sowie nach der ständischen Libertät – ausweichen wollte, die vorwiegend von den protestantischen Ständen an ihn herangetragen wurden. Die Reichshilfe wurde damit nur in Zeiten wirklich großer Gefahren in Anspruch genommen. So ist es nicht weiter verwunderlich, dass die Ausschreibungen der Reichstage durch Rudolf II. zeitlich eng mit konkreten Bedrohungen und den Vorstößen des Osmanischen Reiches zusammenfielen.13 Diese Reichspolitik und die

9 10 11

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aufstellen sollte, festzulegen. Ein Römermonat hatte nach der Wormser Matrikel eine Truppenstärke von 4.000 Reitern und 20.000 Landsknechten, die rein rechnerisch insgesamt 128.000 fl. pro Monat an Sold kosteten. Im Laufe des 16. Jahrhunderts wurde dieser durch verschiedene Moderationen allerdings abgeändert und vermindert. Nach 1606 betrug ein Römermonat im Durchschnitt nur noch 57.338 fl. Vgl. Lanzinner, Maximilian: Friedenssicherung und politische Einheit des Reiches unter Kaiser Maximilian II. (1564–1576). Göttingen 1993, 399. – Hartmann, Peter Claus: Der Bayerische Reichskreis (1500 bis 1803). Strukturen, Geschichte und Bedeutung im Rahmen der Kreisverfassung und der allgemeinen institutionellen Entwicklung des Heiligen Römischen Reiches. Berlin 1997, 58. – Burkhardt, Johannes: Das Reformationsjahrhundert. Deutsche Geschichte zwischen Medienrevolution und Institutionenbildung 1517–1617. Stuttgart 2002, 194. – Rauscher (wie Anm. 2), 55. – Bagi (wie Anm. 5), 15–17. Schulze (wie Anm. 1), 83. – Aulinger, Rosemarie: Das Bild des Reichstages im 16. Jahrhundert. Göttingen 1980, 207. Schulze (wie Anm. 1), 133 f. – Niederkorn (wie Anm. 5), 52. Stieve, Felix: Die Politik Bayerns 1591–1607. 1. und 2. Hälfte. Briefe und Akten zur Geschichte des Dreißigjährigen Krieges in den Zeiten des vorwaltenden Einflusses der Wittelsbacher. Hg. v. der Historischen Kommission bei der königlichen Akademie der Wissenschaften. Bd. 4–5. München 1878–1883. Mayr, Josef Karl: Die Türkenpolitik Erzbischof Wolf Dietrichs von Salzburg. In: Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde 52 (1912), 181–244. Vocelka, Karl: Die politische Propaganda Kaiser Rudolfs II. (1576–1612). Wien 1981, 146 f.

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stark begrenzte kaiserliche Macht erforderten jedoch in gleicher Weise, dass der Wiener Hof bei der Zusammenstellung der Reichstagspropositionen nicht nur seine eigene finanzielle Lage, sondern auch den Willen und die Absichten der Stände in Betracht zog. Daneben war der Herrscher stets bemüht, die Bedrohung für das Reich durch den osmanischen Vormarsch zu überzeichnen. Diese propagandistischen Elemente waren im einleitenden Teil der Propositionen enthalten. Auffallend bei jedem einzelnen Schriftstück ist, wie Karl Vocelka bereits festhielt, dass dort ausschließlich die negativen Seiten, also Niederlagen, Verluste und die Treulosigkeit der „Türken“ hervorgehoben wurden.14 Im Folgenden sollen jene Punkte der drei während des „Langen Türkenkrieges“ abgehaltenen Reichstage in Augenschein genommen werden, in denen die Versammelten von der Notwendigkeit der Türkenhilfe überzeugt werden mussten.

„Thuet der Turgg in Zeit der Friedtstandt Ye sovil, wo nit mehr, als bey offenem Krieg schaden“15 – Die Proposition von 1594 Der Kaiser sah sich zum Zeitpunkt des Kriegsausbruchs mit einer schwierigen finanziellen16 und innenpolitischen17 Lage konfrontiert. Nach der Schlacht von Sis14 15 16

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Im 16. Jahrhundert galten die Osmanen der christlichen Welt als treulos, weil sie Verträge missachteten. Vgl. Schulze (wie Anm. 1), 54. – Vocelka (wie Anm. 13), 149. Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien (fortan HHStA) Mainzer Erzkanzler Archiv (fortan MEA) Reichstagakten (fortan RA), Fasc. 91. Fol. 28r. Im Jahr 1564 machten die Schulden des Kaiserhofs 2,9 Million fl. aus. Diese Summe war 1577 bereits auf 10,7 Million fl. gestiegen. Zu Beginn des „Langen Türkenkrieges“ 1593 war der Kaiserhof an den Rand der Zahlungsunfähigkeit geraten. Hinzu kam, dass der letzte Zahltermin der Türkenhilfe, welche noch vom Reichstag des Jahres 1582 bewilligt wurde, im Herbst 1587 bereits vergangen war. Vgl. Schulze (wie Anm. 1), 88. – Lanzinner (wie Anm. 8), 178. – Pálffy (wie Anm. 3), 34. Für den Kaiser gestaltete sich die innenpolitische Lage des Reiches zu Beginn der 1590er Jahre außerordentlich kompliziert. Nach dem letzten Reichstag (1582) flammten die konfessionellen Auseinandersetzungen wieder auf. Im selben Jahr war der Magdeburger Sessionsstreit ausgebrochen; die Städte wiederum weigerten sich drei Jahre lang, die Türkenhilfe in der bewilligten Höhe zu zahlen, da sie eine Änderung der kaiserlichen Politik gegenüber der Stadt Aachen („Aachener Händel“) erzwingen wollten. Hinzu kam noch, dass sich die lutherisch-calvinistische Auseinandersetzung kurzzeitig zu konsolidieren schien. Im Jahr 1591 beschlossen die Führer, der sich wegen der zweiten Reformation bekämpfenden protestantischen Parteien auf dem Tag von Torgau, dem französischen König Heinrich IV. gegen das spanische Königreich Hilfe zu leisten. Die sich abzeichnende Einheit zerbrach aber, als die vertragschließenden Parteien im gleichen und im folgenden Jahr starben. Vgl. Stieve, Bd. 5 (wie Anm. 11), 372–377. – Schulze (wie Anm. 1), 89 f. – Lutz, Heinrich: Das Ringen um deutsche Einheit und kirchliche Erneuerung. Von Maximilian I. bis zum Westfälischen Frieden. 1490 bis 1648. Bd. 4. Frankfurt/Main-Wien-Berlin 1983, 349. – Niederkorn (wie Anm. 5), 52. – Goertz, HansJürgen: Deutschland 1500–1648. Eine zertrennte Welt. Paderborn 2004, 208. – Kelenik, József: Lazarus von Schwendi emlékiratai a török elleni védelmi rendszer magyarországi kiépítéséről (1576) [Die Erinnerungen des Lazarus von Schwendi über den Ausbau des ungarischen Verteidigungssystems gegen die Türken (1576)]. In: Századok 139/4 (2005), 969–1009, hier 975.

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sek (kroat. Sisak) am 22. Juni 1593 konnte Rudolf II. die Ausschreibung eines neuen Reichstags nicht mehr verzögern, da dem Hof durch die stets steigenden Kosten der finanzielle Bankrott drohte. Am 25. August 1593 leitete der Kaiser die notwendigen Schritte zur Kriegsvorbereitung zusammen mit den Mitgliedern des Geheimen Rats ein. Am 02. Juni 1594 wurde vor den Ständen die Proposition verlesen, in welcher Rudolf II. um Bewilligungen zur Aufstellung eines aus 60.000 Soldaten bestehenden Reichsheeres gebeten wurde. In der kaiserlichen Proposition von 1594 lässt sich zunächst eine ausführliche Auflistung jener Ursachen finden, die zu einem Ausbruch des Krieges geführt hätten. In erster Linie versuchten die Verfasser, die Treulosigkeit des Osmanischen Reiches herauszustellen und dies mit verschiedenen Beispielen zu belegen. So ist es nicht überraschend, dass der Kriegsausbruch im Schriftstück wie folgt begründet wurde: „Der yezt regierende Turckh Sulthan Anmurathes [Murad III], de im negst abgelauffnen Ainundneunzigisten Jahr, mit Ime durch Irer Kay[serlichen] M[ajestä] t zu Constantinapol gewesenen Oratoren vnd Reichshof Rath, doctor Barthlmo Pezzen von newen erhasndelten ratificirten, vnd Irer M[ajestä]t mit daruber verfasten fridtsbrieuen alberait Zuerfertigten Achtjährigen fridtstandt, ganz vnuerstehener vnd vnuerursachter ding schendlicher vnd Barbarischer weis Violiert vnd gebrochen“ hat.18 Der osmanische Herrscher ließ nämlich zu, dass seine grenznahen Truppen in die Gebiete der Königreiche von Ungarn und Kroatien einfielen. Unter ihnen tat sich auch der „blutgierige“ Beglerbeg von Bosnien, Hassan, hervor, der in Kroatien mehrere Grenzhäuser (zum Bsp. Repetic, Vihitic, Dresnik und Hrastovic) „mit Geschuz vnd höreskrafft belagert, beschlussen vnd eingenommen“ hatte. Mit der Eroberung von Petrinja fügte er den kroatischen und windischen Ländern einen außergewöhnlichen Schaden zu, da die Osmanen über 35.000 Leute aus diesem Gebiet hinwegführten.19 Als Reaktion stellte der Wiener Hof eine Auflistung der Streifzüge und Verwüstungen durch osmanische Truppen für den Zeitraum von 1582 – dem Jahr des letzten Reichstags – bis 1593 zusammen und gab diese den Reichsständen an die Hand.20 Der kaiserliche Orator, Friedrich von Krekwitz, erhob vergeblich Einspruch bei der Hohen Pforte gegen den schweren Friedensbruch, weil „das entgegen gedachter Hassan Bassa vil mehr von Sultano, wie die Kundschafften geben, anstatt woluerdienter bestraffung, mit Sabeln vnd Klaiden von Guldenen stecken vnd ehret, vnd hiedurch seine Thatten vnd handlungen dermassan confirmiert gestarckt vnd belobt werden“.21 Hinzu kam, dass Hassan nämlich von der Pforte mit berittenen und infanteristischen Truppen für den Feldzug ausgestattet worden war.22 Nach der erlittenen Schlappe bei Sissek hatte der Sultan auch die osmanische Hauptarmee in Bewegung gesetzt, die in jenem Jahr die Grenzfestungen Sissek, Palota und Wes18 19 20 21 22

HHStA MEA RA, Fasc. 91. Fol. 23v. – Bagi (wie Anm. 5), 30. HHStA MEA RA, Fasc. 91. Fol. 24r. – Bagi (wie Anm. 5), 30. HHStA Turcica I. Karton 81. Fol. 223–262. – Tóth, Sándor László: A mezőkeresztesi csata és a tizenöt éves háború [Die Schlacht bei Mezőkeresztes und der „Lange Türkenkrieg“]. Szeged 2000, 73 f. – Bagi (wie Anm. 5), 35. HHStA MEA RA, Fasc. 91. Fol. 24r.–v. – Bagi (wie Anm. 5), 30. HHStA MEA RA, Fasc. 91. Fol. 24v.

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prim (ung. Veszprém) erobern sollte. In der Schrift ist auch erwähnt, dass der Wiener Hof Ladislaus Lobkowitz von Popel „biß gehn Comorn auf die frontiern furen lassen, So ist doch dessen vngeachtet der Turgg mit nichten von dem vorhaben abzuwenden gewesen“.23 Die Proposition verschweigt jedoch, dass die Kriegsstimmung der Pforte bereits im Februar 1593 dadurch geschürt worden war, dass das dem Sultan zustehende Geschenk verspätet abgeschickt wurde.24 Das Schicksal des kaiserlichen Orators war schnell besiegelt, wie es der Proposition zu entnehmen ist: Zuerst wurde er unter Hausarrest gestellt, dann vom Großwesir Sinan in Ketten abgeführt und in einem Turm in Belgrad (serb. Beograd) eingeschlossen, wo Krekwitz noch im selben Jahr starb.25 Weiterhin wird in der Schrift erwähnt, dass die Erfolge der kaiserlichen Waffen – Entsetzung von Sissek, Schlacht bei Stuhlweißenburg (ung. Székesfehérvár), Winter- und Frühlingsfeldzug der Jahre 1593/94 – teils durch die finanzielle Abschöpfung der Erbländer, des Königreiches und der Kammergüter, teils „mittels ettlicher Churfursten, fursten und Stendt des Heiligen Römischen Reiches guetherzig dargeraichten eylenden freywilligen Hulffen“ verwirklicht werden konnten.26 Das Ganze werde aber trotzdem dahin kulminieren, dass die ganze „Teutsche Nation“ ohne weitere Hilfe der anwesenden Stände in höchste Gefahr gerate: „Nun hat sich seithero solche gefahr nit geringert, Sondern ist vilmehr des Vheindts macht vnnd gewalt aller Ortten gestigen, Ja den Nider Östereichen Teutschen Landen also nahend kommen, das Er dieselben Boden in ainem Tag erraichen kan.“27 Mit dem Ziel, die Stände von der Notwendigkeit einer größtmöglichen Unterstützung zu überzeugen, behauptete der Wiener Hof, dass „Vezier Sinan Bassa sich vermessen vnd erpieten dörffen, auf sein Vncossten ganz Hungarn vnd Österreich Zu erobern, Vnnd wann Er nur das Thor zum Teutschlandt (die Statt Wienn also nennedt) an sich bringen vnd bewälttigen mocht, bald hernach ain mehrers seinem herrn dem Sultano Zuliefern“.28 Eine solche Darstellung war jedoch mehr als ein Propagandatrick oder bloße Rhetorik. Aus den Forschungen von Sándor László Tóth lässt sich entnehmen, dass Großwesir Sinan plante, den Krieg in drei Phasen durchzuführen: Der Eroberung des Königreiches Ungarn sollten die Einnahme von Wien und später der Angriff auf die übrigen deutschen Länder folgen.29 Zuletzt betonte die Proposition, dass Ungarn nicht nur als Vormauer der habsburgischen Erbländer und des Alten Reiches, sondern auch als Brotkammer gelte, welche die eben genannten Gebiete mit Vieh, Wein und Getreide versorge.30 Des23 24 25 26 27 28 29 30

HHStA MEA RA, Fasc. 91. Fol. 25r. – Tóth (wie Anm. 20), 71. Ders. (wie Anm. 20), 82 f. HHStA MEA RA, Fasc. 91. Fol. 25v. – Loebl, Alfred H.: Der Schlesier Friedrich von Kreckwitz als kaiserlicher Gesandter bei der Hohen Pforte. In: Verein für die Geschichte Schlesiens 18 (1914), 160–173. HHStA MEA RA, Fasc. 91. Fol. 25v.–26r. HHStA MEA RA, Fasc. 91. Fol. 27v. HHStA MEA RA, Fasc. 91. Fol. 27v.–28r. Tóth, Sándor László: A mezőkeresztesi csata története (1596. október 26) [Die Geschichte der Schlacht bei Mezőkeresztes (26. Oktober 1596)]. In: Hadtörténelmi Közlemények 30/4 (1983), 553–573. HHStA MEA RA, Fasc. 91. Fol. 29r.–v. – Schulze (wie Anm. 1), 97.

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wegen bat der Herrscher die Anwesenden „wider disen Vheindt vil mit leidenlichen ansehenlichen hulffen an gelt vnnd Volck, auch yeweils selbst mit Irer furstlichen vnd anderer furnemmen Personen aigenem Zuezug guetherzig bewilliget vnnd gelaistet“ zu helfen.31

„Ain Herscher der ganzen welt aufgang der sonnen biß zum nidergang werde“ – Die Proposition von 1597 Die Auszahlung der Reichshilfe, die die Reichsstände im Jahr 1594 bewilligt hatten, hatte kaum begonnen, da sah sich der Kaiser ob der erlittenen Niederlagen und Verluste – wie der von Mezőkeresztes (1596) oder den der beiden Schlüsselfestungen Erlau (ung. Eger) und Raab (ung. Győr) – sowie des Geldmangels neuerlich gezwungen, eine weitere Türkenhilfe zum Zwecke der Fortsetzung des Krieges zu erbitten. Der Wiener Hof versuchte noch vor der Ausschreibung des Reichstags klarzustellen, dass nur die Beratungen der „Türkenfrage“ und der damit zusammenhängenden Themen bei den Verhandlungen zur Disposition stehen sollten. Die kaiserliche Seite bot daher an, innenpolitische Fragestellungen auf einen später noch zu veranstaltenden Deputationstag zu verlegen. Dementsprechend bezog sich die vor den Ständen am 20. Dezember 1597 verlesene Proposition nur auf die „Türkenfrage“. Der Kaiser bat, wie bereits drei Jahre zuvor, um die Entrichtung des Gemeinen Pfennigs zur Aufstellung und Unterhaltung eines Heeres. Im Falle einer Ablehnung dieser Steuer durch die Stände wollte der Kaiser deren Zustimmung zu einer großzügigen Hilfe in Bezug auf den Romzug gewinnen. In diesem Zusammenhang veränderte sich die Verhandlungsstrategie der kaiserlichen Seite. Zuvor war die Höhe der erwarteten oder erhofften Unterstützung vom Kaiser und seinen Gesandten erst im zweiten Abschnitt der Verhandlungen thematisiert worden, wohingegen im ersten nur die grundsätzliche Bereitschaft der Stände zu Hilfsleistungen geprüft wurde. Im Dezember 1597 jedoch wurde die Summe, die man von den versammelten Ständen erbitten wollte, bereits in der Proposition benannt: 150 Römermonate zu fünf Jahren, also 30 Monate pro Jahr. Der kaiserliche Hof brachte dem Mainzer Erzkanzler seine Absicht, einen neuen Reichstag auszuschreiben, am 23. August 1597 zur Kenntnis. In diesem Brief spielten diejenigen Elemente der Argumentation bereits eine Rolle, welche später auch in der Proposition erscheinen sollten: Die Osmanen könnten nach der Eroberung der zwei Hauptfestungen Raab und Erlau – besonders hervorgehoben wurde die persönliche Beteiligung des Sultans bei der Belagerung dieser Burgen – leicht durch die ungeschützten Länder nach Mähren, Schlesien und Brandenburg bis zum „Teutschen Möhr“ vordringen und damit das Reichsterritorium unmittelbar bedrohen.32 In der kaiserlichen Proposition wurde auf die aus dem Brief an den Mainzer Erzkanzler bereits wohlbekannten Ereignisse nur kurz hingewiesen. Die Erfolge 31 32

HHStA MEA RA, Fasc. 91. Fol. 30r.–v. HHStA MEA RA, Fasc. 94. Fol. 1r.–2r. – Vocelka (wie Anm. 13), 150. – Bagi (wie Anm. 6), 46 f.

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der kaiserlichen Truppen – beispielsweise bei der Eroberung Grans (ung. Esztergom) am 02. September 1595 – wurden sogar ganz verschwiegen.33 Die kaiserliche Argumentation betrachtete den Verlust der zwei Festungen als Hauptargument, um in diesem Fall den Mangel an Geld und die Erschöpfung der eigenen Erbländer und Königreiche in den Mittelpunkt zu rücken, anstatt – wie zuvor – eine Treulosigkeit der „Türken“ hervorzuheben. Die Verfasser des Schriftstücks machten deutlich, dass die finanzielle Unterstützung der Reichsstände für eine weitere Finanzierung des Krieges nicht ausreichte, obschon Jahr für Jahr Gelder aus dem Reich wie auch aus den Erbländern des Kaisers geflossen waren. Konkret verdeutlichten sie diesen Umstand damit, dass der Wiener Hof, neben der Versorgung des ungarischen Grenzverteidigungssystems, „mit vnglaublichen Costen Järlich drey Veldtläger, ains in Ober: das ander Nider Hungern d[a]ß dritt an Ihrer Kay[serlichen] M[ajes] t[ä]t freundtlichen lieben Vettern Erzherzog Ferdinandj zu Österreich vnd in Crabatischen vnd Windischen Landen [zu] vnterhaltten“34 habe und die kaiserliche Administration außerdem auch durch andere Ausgaben belastet worden sei. So hatte Rudolf II. am 28. Januar 1595 in Prag mit dem siebenbürgischen Fürsten Sigismund Báthory (1572–1613) einen Vertrag geschlossen,35 woraufhin in der Proposition herausgestellt wurde, dass der Kaiser im Zuge dieser Übereinkunft eine „nit schlechte Anzahl Volcks“ zur Unterstützung sowohl dem Fürsten von Siebenbürgen als auch dem Woiwoden der Walachei, Michael Viteazul (1558–1601), geschickt hatte.36 Daneben wurde im Schriftstück betont, dass der Kaiserhof „auß allerley Nationen sich vmb geübts straittbars Kriegsvolck Zu Krieg bemühet, Zu den hohen Ämptern kriegserfahrene Personen erford[er]t vnd gebraucht“ hat.37 In den ersten Kriegsjahren hatte der Hofkriegsrat die wichtigsten Truppenkontingente bestallt. Aus einem im November 1595 geschriebenen Verzeichnis lässt sich zum Bsp. entnehmen, dass ein ansehnliches Heer mit 23.330 Mann zu Pferd und 39.915 zu Fuß für beide Kriegsschauplätze, d.h. in Ober- und Niederungarn, aufgestellt worden war, welches von solchen erfahrenen Befehlshabern wie Karl von Mansfeld (1543– 1595) oder Johann t’Serclaes von Tilly (1559–1632) befehligt wurde.38 Wurden in der kaiserlichen Proposition vor allem die anhaltende Bedrohung durch die Osmanen – eine Bedrohung, die die Reichsstände auch unmittelbar selbst tangierte – und die anhaltenden Kosten für den Kaiserhof betont, so fanden die 33 34 35 36 37 38

HHStA MEA RA, Fasc. 95a. Fol. 70v.–71r. HHStA MEA RA, Fasc. 95a. Fol. 71r. Benda, Kálmán: Erdély végzetes asszonya. Báthory Zsigmondné Mária Krisztierna [Die unselige Frau von Siebenbürgen. Maria Christierna]. Budapest 1986. In Wirklichkeit unterstützte der Kaiser Zsigmond Báthory mit etlichen schwachen Truppen. Zum Bsp. schickte er dem Fürsten lediglich 1.200 schlesische Soldaten. Tóth (wie Anm. 20), 182. HHStA MEA RA, Fasc. 95a. Fol. 71v. HHStA Hungarica Allgemeine Akten Fasc. 128. 1595. Diarium Bellicum N(icolaus) G(abelmann) Fol. 317r.–324v. – Bagi, Zoltán Péter: Az 1595-ben Esztergom ostromára rendelt császári hadsereg szervezete és felépítése [Die Organisation und der Aufbau des kaiserlichen Heeres, dem 1595 der Ansturm auf Gran befohlen wurde]. In: Hadtörténelmi Közlemények 114/2–3 (2001), 391–445, hier 398 und 410–416. – Ders. (wie Anm. 5), 108–110 und 144.

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Stände für die erste Replik sowie den letztendlichen Reichstagsabschied von 1594 durchaus Ansätze für eine Gegenargumentation. Vor allem betonten sie, dass der Kaiser nicht nur sie, sondern auch andere Herrscher um Hilfe zur Türkenabwehr bitten sollte. In der Proposition von 1597 wurde nunmehr herausgestellt, dass der Kaiser von einigen „mitleidenlichen nit gering[en] beystandt erlangt“ hatte.39 Beispielsweise hatte der Heilige Stuhl im Jahr 1595 zur Belagerung von Gran päpstliche Hilfstruppen in einer Größenordnung von insgesamt 12.000 Mann zu Fuß und 1.000 zu Ross geschickt.40 Die kaiserliche Argumentation passte diese ständische Pointierung insofern ab, als diese ihrerseits betonte, dass trotz des Beistands der ausländischen Mächte addiert mit den Einkünften der Erbländer und Königreiche des Kaisers die Verteidigung Ungarns und des Reiches nicht sichergestellt werden könne.41 Hinzu kämen noch die außerordentlichen Belastungen dieser Gebiete durch die Auswirkungen des Bauernaufstandes,42 durch die stets steigenden Kriegsausgaben, infolge der Verheerungen durch osmanische sowie tatarische Truppen und durch das Unwesen der kaiserlichen Soldaten.43 Weiterhin wurde die bedrohliche Lage der „Deutschen Nation“ und der „ganzen Christenheit“ hervorgehoben, wonach mit den Osmanen nicht über Frieden verhandelt werden könne, solange sie die zwei Hauptfestungen Raab und Erlau innehätten.44 Auch das Schreckensszenario einer osmanischen Eroberung wurde den Ständen affektiv ausgemalt: Deutlich wurde darauf aufmerksam gemacht, wie die Türken in jenen Ländern und Königreichen, die bereits erobert worden waren, die Adeligen mit deren Frauen und Kindern vernichtet und deren Habe verheert hätten.45 Die Verfasser der Proposition forderten mit Nachdruck die alte Form der Hilfeleistung von den Ständen. So war auf dem Reichstag zu Speyer im Jahr 1542 beschlossen worden, dass die fünf benachbarten Reichskreise, d.h. der Obersächsische Kreis, der Niedersächsische Kreis, der Fränkische Kreis, der Schwäbische Kreis und der Bayerische Kreis, den österreichischen Erbländern im Falle eines osmanischen Einfalls mit Truppen zu Hilfe eilen sollten. Dies war der sog. Nachzug.46 Weiterhin wurde in der Schrift von 1597 behauptet, dass der Sultan persönlich ins Feld gerückt sei, um Wien zu belagern. Folglich hieß es: „So ersuchen Ihre 39 40

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HHStA MEA RA, Fasc. 71v. Zur Geschichte der päpstlichen Hilfstruppen im Jahr 1595 vgl. Banfi, Florio: Gianfrancesco Aldobrandini magyarországi hadivállalatai [Die ungarischen Feldzüge von Gianfrancesco Aldobrandini]. In: Hadtörténelmi Közlemények 40 (1939), 1–33. – Niederkorn (wie Anm. 5), 73–76. HHStA MEA RA, Fasc. 95a. Fol. 71v. HHStA MEA RA, Fasc. 95a. Fol. 74r. – Brozek, Rudolf: Der niederösterreichische Bauernkrieg 1597. Sankt Pölten 1940. – Winkelbauer (wie Anm. 2), 48–52. HHStA MEA RA, Fasc. 95a. Fol. 74r.–v. Am 19. November 1596 arbeitete der Geheime Rat im Einverständnis mit den Räten der Hofkammer und Bartholomäus Pezzen eine neue Proposition aus, nach der der Krieg zu diesem Zeitpunkt unmöglich beendet werden konnte, da das Osmanische Reich die beiden Schlüsselfestungen Erlau und Raab besetzt hielt. Zur Fortsetzung des Kampfes hielten die Verfasser der Schrift die Beschaffung einer neuen Türkenhilfe für notwendig. Heischmann (wie Anm. 5), 99. – Stieve, Bd. 5 (wie Anm. 11), 270. HHStA MEA RA, Fasc. 95a. Fol. 73r.–v. – Schulze (wie Anm. 1), 58–60. Ebd., 213.

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Kay[serliche] M[ajes]t[ä]t Churfürsten fürsten vnd Stendt Sy wollen sich mit einer Anzahl geüebter Reutter vnd Knecht, der gestallt, in beraitschaff stellen, daß da es wie abgehört die eüsserste nott erforderte, alßdann auß allen Craissen ohne weittere deren Zusammenbeschraibung vnderhandlung Ihrer Kay[serlichen] M[ajes]t[ä]t auf dero gesinnen vnd erinnerung ain erster starcker nachzug Zum wenigsten Zwölff Tausent wohl bewöhrter Mann Zu fueß vnd vier Taußent Pferdt Zugeschickt auch alle zugleich vor Ende des Monats Juny gemusstert mitainander alßbaldt nach hungarn od[er] Österreich an den Ortt wo sich die gefahrerzaigen wirdet dem Veldt General Zuegeführt vnd daselbst biß Zu Außgang des Monats Novembris von des Reichs Craissen (ohne kürzung hievor begerter geldthülff) besoldet vnd vnterhaltten werden.“47 Ob es um eine bewusste Falschmeldung oder um eine versehentliche Fehlinformation handelte, ist jedenfalls nicht sicher feststellbar.48

„Wider hochbeteuerten Verspruch, mitt einer grossen anzahl Turcken vnd Tatarn, in Irer May[es]t[ä]t Christliche Landt […] angegriffen“49 – Die Proposition von 1603 Vier Jahre nach dem letzten Reichsabschied brachte der Kaiser in seinem an den Mainzer Erzkanzler geschriebenen Brief vom 02. August 1602 zum Ausdruck, dass er die Stände wegen der stets wachsenden „Türkengefahr“ und anderer Problemstellungen wieder einberufen wolle. Vom Wiener Hof war als Ort Regensburg, als Zeitpunkt der 01. Dezember 1602 angesetzt worden. Den Akten zufolge wurde die aus fünf Punkten zusammengestellte Proposition erst vier Monate später, am 21. März 1603, verlesen; die Verhandlungen nahmen gar erst Mitte April ihren Anfang. Zur Fortsetzung des Krieges wurden die Reichsstände von der kaiserlichen Gesandtschaft entweder um einen Beitrag zur Errichtung bzw. Unterhaltung eines aus 16.000 Knechten und 5.000 Pferden bestehenden Heeres für einen Zeitraum von fünf Jahren oder um die Bewilligung einer gleichwertigen Geldhilfe für fünf Jahre gebeten. Diese Summe entsprach fast 3,2 Millionen Gulden pro Jahr oder mehr als 52 Römermonaten.50 In diesem Fall standen in der kaiserlichen Proposition zwei Aspekte der osmanischen Bedrohung für das Reich im Vordergrund. Als zentrales Argumentationsmotiv wurde die Treulosigkeit der „Türken“ herausgearbeitet. Im Jahr 1603 verstand man am Kaiserhof jedoch etwas anderes unter Treulosigkeit als noch 1594. 47 48

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HHStA MEA RA, Fasc. 95a. Fol. 84r.–v. Von Januar bis Juli des Jahres 1597 sind ähnliche Gerüchte im Umlauf gewesen, wie das auch in der kaiserlichen Proposition zum Ausdruck kommt. Strangler, Gottfried: Die niederösterreichischen Landtage von 1593–1607. Phil. Diss., Wien 1973, 207. – Pálffy, Géza: A pápai vár felszabadításának négyszáz éves emlékezete 1597 [Die Grenzfestung von Pápa im „Langen Türkenkrieg“ mit besonderer Berücksichtigung der Rückeroberung durch die Türken im Jahr 1597]. Pápa 1997, 45. HHStA MEA RA, Fasc. 98. Fol. 527v. HHStA MEA RA, Fasc. 98. Fol. 545r.–547r. – Heischmann (wie Anm. 5), 111–113. – Koller (wie Anm. 7), 325 f.

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Im letztgenannten Jahr – also im Zusammenhang mit dem Ausbruch des Krieges – spielte die Typisierung der Osmanen als „Friedensbrecher“ eine wesentliche Rolle. Neun Jahre später jedoch sollten oder mussten die Verfasser bei der Zusammenstellung dieses Schriftstücks viel stärker auf die Absichten und den Willen der Stände Rücksicht nehmen, die zum Teil die Forderung nach einem Friedensschluss erhoben. Mit Beginn des „Langen Türkenkrieges“ legte die kaiserliche Seite außerordentlichen Wert darauf, die Möglichkeit eines Friedensabschlusses mit dem Osmanischen Reich völlig aus den Beratungen der Reichstage herauszuhalten. Allerdings wurden schon bei den Verhandlungen des Reichstags von 1597/98 seitens der von der Kurpfalz angeführten protestantischen Stände Forderungen erhoben, die den Kaiser zur Aufnahme von Friedensverhandlungen mit dem Sultan anregen sollten. Diese Argumentationslinie kam stets dann zum Tragen, wenn der Wiener Hof die Notwendigkeit einer Fortsetzung des Krieges als die einzige Möglichkeit für das Reich betonte.51 Zunächst waren – neben anderen – auch die kursächsischen Gesandten beauftragt worden, auf den Abschluss eines Friedens- oder Waffenstillstandes mit dem Osmanischen Reich zu drängen; sie erhielten aber vor Beginn der Verhandlungen in dieser Beziehung andere Instruktionen, gemäß derer sie sich gegen den Frieden aussprechen sollten.52 Ähnliches galt für die salzburgische Gesandtschaft.53 Die Aufnahme von Friedensverhandlung mit den Osmanen wurde jedoch nicht nur von den protestantischen, sondern auch von einzelnen katholischen Ständen gefordert. Gerade mit Hinblick auf die Eskalation des Spanisch-Niederländischen Krieges54 1598 und der damit verbundenen Einquartierung von Truppen werden die Forderungen von Kurmainz, Kurköln und Kurtrier um eine Aussetzung der Türkenhilfe-Zahlung sowie nach einem Friedensschluss verständlich.55 Diese drei geistlichen Kurfürstentümer waren es auch, die gemeinsam mit der calvinistischen Kurpfalz am 27. Juli 1601 auf einer Beratung in Koblenz eine weitere Unterstützung des Krieges an die Bedingung der Aufnahme von Friedensverhandlungen mit den Osmanen knüpften.56 Ebendiese Forderung fand dann auch in der Proposition von 1603 ihren Niederschlag.57 Bezugnehmend auf diese Erwartungen verwundert es nicht, dass die Thematisierung der erfolglosen Versuche von Friedensverhandlungen ein wesentliches Element in der kaiserlichen Argumentation darstellte. Natürlich ging es den Verfassern der Proposition darum, die Stände über diese Verhandlungen mit „glaubwürdigen Informationen“ zu versehen, sie also von der eigenen guten Absicht zu überzeugen, welche einzig an der osmanischen Politik gescheitert war. Demnach hob man hervor, dass „Anno funffzehenhundert Neunzig 51 52 53 54

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Schulze (wie Anm. 1), 146. Stieve, Bd. 5 (wie Anm. 11), 380 f. Mayr (wie Anm. 12), 256. Wittmann, Tibor: Németalföld aranykora [Das Goldene Zeitalter der Niederlande]. Budapest 1965, 63–137. – Arndt, Johannes: Das Heilige Römische Reich und die Niederlande 1566 bis 1648. Politisch-konfessionelle Verflechtungen und Publizistik im Achtzigjährigen Krieg. KölnWeimar-Wien 1998, 124–129. HHStA MEA RA, Fasc. 94. Fol. 194r. HHStA MEA RA, Fasc. 96. Fol. 595r.–600v. HHStA MEA RA, Fasc. 98. Fol. 526v.

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Neun des Türcken Obrister Vezier Ibrahim Bassa durch der Tatarn Chan, der deßwegen etlich mahl Zu Irer May[es]t[ä]t, seine Leuth abgesendet, eine friedtshandlung angebotten“ hat.58 Die zwei Gesandtschaften führten „in einer In[s]ul“ zwischen Ofen (ung. Buda) und Gran Unterhandlungen, die aber erfolglos abgebrochen wurden. Hinzu kam, dass die Osmanen den für die Zeit der Verhandlung geschlossenen Stillstand aufkündigten, und dass Ibrahim „mitt einer grossen anzahl Turcken vnd Tatarn, in Irer May[es]t[ä]t Christliche Landt, sonderlich fur die bergstatt gestraifft, dieselbe mit mordt vnd brandt angegriffen, Vber Zwanzig Tausent Menschen, Jung vnd altt, darunder Vill Adeliche Man- vnd frawen personen gewessen, nidergehawen, schändtlich und abscheulich mitt Inen gehauset, theils auch gefangklich hinweg gefuhrt“ habe.59 Im Jahr 1600 bot Ibrahim dem Wiener Hof wieder Verhandlungen an, die aber – so wurde in der Proposition betont – seinem Versprechen entgegen nicht stattgefunden hatten: „In die Vestung Pápa, welche dem Ossterreichischem Bodem gleich Zunechst gelegen, gehabtes Kriegs Volck, durch geltt Zum abfall geraizet vnd bewegt, Zu deren Wider bezwungugngh vnd straff hernach fast der ganze Sommer vnd der beste Vorrath ahn Volck, geltt vnd munition gewendet vnd verzehret werden mussen.“60 Daneben hatte, so liest man in der Proposition weiter, die osmanische Hauptarmee zuerst Babotscha eingenommen und war dann zu der Belagerung von Kanizsa (heute Nagykanizsa) abgezogen. Der Pascha von Ofen stellte während der Belagerung im Monat September einen Antrag auf Fortsetzung der Friedensverhandlung. Auch dieser Versuch sei aber erfolglos geblieben, da der Großwesir erst nach der Einnahme von Kanizsa mit der kaiserlichen Seite darüber verhandeln wollte.61 In diesem Zusammenhang konnten die Verfasser der Proposition sogleich die Gelegenheit ergreifen und klarstellen, dass von den Osmanen in jedem Fall kein Frieden zu erhoffen sei, dass es also für das Reich keine andere Möglichkeit als die Fortsetzung des Krieges gebe.62 Interessanterweise fanden in der Proposition die Friedensverhandlungen von 1601 keine Erwähnung.63 58 59 60

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HHStA MEA RA, Fasc. 98. Fol. 526v.–527r. HHStA MEA RA, Fasc. 98. Fol. 527r.–528r. HHStA MEA RA, Fasc. 98. Fol. 528r.–v. Zur Belagerung von Pápa vgl. Finkel, Caroline: French Mercenaries in the Habsburg-Ottoman War of 1593–1606: The Desertation of the Papa Garrison to the Ottomans in 1600. In: Bulletine of the School of Oriental and African Studies 55/3 (1992), 451–471. – Tóth (wie Anm. 20), 310 f. – Sahin-Tóth, Péter: A vallon-francia katonaság sajátos szerepe a tizenöt éves háború idején [Die eigenartige Rolle des wallonischfranzösischen Militärs in den Beziehungen zwischen den kriegführenden Parteien während des Fünfzehnjährigen Krieges]. In: Információáramlás a magyar és török végvári rendszerben. Eger 1999, 227–239, hier 227–230. – Ders.: Lotaringia és a tizenöt éves háború [Lothringen und der „Lange Türkenkrieg“]. In: Századok 138/5 (2004), 1149–1189, hier 1166–1169. HHStA MEA RA, Fasc. 98. Fol. 528r.–529v. HHStA MEA RA, Fasc. 98. Fol. 529v.–530r. – Vocelka (wie Anm. 13), 151. Zu den Friedensverhandlungen vgl. Ivanics, Mária: Friedensangebot oder kriegerische Erpressung? Briefwechsel des Mehmed Pascha von Ofen mit Kaiser Rudolf II. im Jahre 1595. In: Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes 82 (1992), 183–200. – Dies.: A Krími Kánság a tizenöt éves háborúban [Das Krim-Khanat zur Zeit des „Langen Türkenkrieges“]. Budapest 1994, 144 f. – Tóth (wie Anm. 20), 306 f. – Papp, Sándor/Hadnagy, Szabolcs:

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Es gab ein weiteres neues Element in der kaiserlichen Argumentation. Durch den Rückgriff auf eine vermeintliche Tradition des Reiches in der „Türkenbekämpfung“ sollten die Stände auch diesmal zu einer Bewilligung bewogen werden. So wurden in der Schrift von 1603 alle dreizehn zwischen 1495 und 1566 formulierten Reichstagsabschiede, die sich mit der Frage der Türkenhilfe befassten, thematisiert.64 Meiner Meinung nach versuchte der Wiener Hof in diesem Fall das Traditionsbewusstsein der Stände anzusprechen und gründete seine Verhandlungsstrategie folglich auf den Stolz der Stände deren eigene Überlieferung und politische Geschichte betreffend. Gerade mit der Betonung des stetigen Abwehrkampfes des Reiches gegen seine Gegner im Südosten wurde unterstrichen, dass sich das Heilige Römische Reich schon seit reichlich einhundert Jahren gegen den Vormarsch der „Türken“ zur Wehr gesetzt hatte, folglich der derzeitige Kampf nur ein Glied in einer Kette sei und dass die Stände diese Auseinandersetzungen traditionell unterstützt hatten und nun ebenso dazu verpflichtet seien.65 In den bisherigen Ausführungen lassen sich zwei Grundkonstanten feststellen, die bei der Zusammenstellung aller Proposition eine Rolle spielten. Einerseits kann in jeder ein Leitmotiv gefunden werden, an welches die Argumentation angeknüpft werden konnte. Andererseits setzte die kaiserliche Seite gezielt alle Mittel ein, die zur Überzeugung und Manipulation der Stände beitragen konnten. In den kaiserlichen Propositionen mischten sich also Berichte von tatsächlichen Geschehnissen mit bewusst initiierten Falschmeldungen, Greuelnachrichten und schöngeistiger Rhetorik.

Der Einfluss der Propositionen auf die Positionierung der Stände Meiner Meinung nach resultierte die grundsätzliche Bereitschaft der Reichsstände, die Türkenkriege zu unterstützen, nicht aus den auf den Reichstagen präsentierten Feindbildern. Trotz allem waren diese propagandistischen Darstellungen dazu geeignet, das Maß der Unterstützung zu beeinflussen. Es können einige Gründe angeführt werden, die diese Behauptung stützen. Einerseits deutete sich bei den Reichsständen bereits vor den Reichstagen an, dass sie die grundsätzliche Bereitschaft besaßen, dem Kaiser im Kampf gegen die Osmanen beizustehen.66 Der Wiener Hof bat die Stände in den Propositionen in erster Linie um den Gemeinen Pfennig. Die Anwesenden andererseits bevorzugten die Matrikelsteuer, die man ob der Abrechnung Römermonat oder Romzug nannte, und die auf allen drei Reichstagen bewilligt wurde. Der eigentliche Knackpunkt der Auseinandersetzung war also nicht die grundsätzliche Frage der Hilfe, sondern die

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Békekötési kísérletek a tizenötéves háború idején [Versuche eines Friedensschlusses zur Zeit des „Langen Türkenkrieges“]. In: Aetas 18/2 (2003), 118–154. HHStA MEA RA, Fasc. 98. Fol. 531r.–534v. Bagi (wie Anm. 5), 71. Die vier rheinischen Kurfürsten brachten auf einer Zusammenkunft im Jahr 1601 in Koblenz zum Ausdruck, die Türkenhilfe für den Kaiser auf dem nächsten Reichstag bewilligen zu wollen. HHStA MEA RA, Fasc. 96. Fol. 595r.

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Frage nach deren Ausmaß, wobei die unterschiedlichen Interessen miteinander im Widerstreit standen.67 Ein Blick auf das Verhalten einzelner Reichsstände verdeutlicht die unterschiedlichen Beweggründe, die im Einzelfall eine Rolle spielen konnten. Im Kurfürstenrat wurden die Gesandten des kursächsischen Administrators eindeutig als Fürsprecher der kaiserlichen Politik gegen die Osmanen angesehen. Als Führer der protestantischen Partei konnte Kursachsen auch auf die Beratungen des Reichsfürstenrates Einfluss nehmen.68 Auch dank dieser Tätigkeit bewilligten die Stände auf den drei Reichstagen während des „Langen Türkenkrieges“ insgesamt 226 Römermonate. Auch die Erzbischöfe von Mainz, Köln, Trier und Salzburg, der brandenburgische Kurfürst und der Herzog von Bayern galten traditionell als Befürworter der kaiserlichen Politik. Sie bildeten jedoch keine Einheit. Die Gesandten des Mainzer Erzkanzlers erhielten zwar immer die Instruktion, bei den Beratungen auf die Absichten der kursächsischen und kurbrandenburgischen Gesandten Rücksicht zu nehmen, die anderen genannten Landesherren aber benannten jeweils konkrete Bedingungen für ihre Unterstützung.69 Von diesen seien nur zwei hervorgehoben. 1598 konnten Kurtrier und Kurköln die Bewilligung der Türkenhilfe von 60 Römermonaten an die Ermäßigung ihrer eigenen Matrikelsteuerquote knüpfen.70 Vor Beginn des Reichstags im Jahr 1597 brachte Herzog Maximilian I. von Bayern seinen Willen zum Ausdruck, die Versammlung möge sich keiner anderen Aufgabe widmen, als die vom Kaiser verlangte Hilfe gegen die Osmanen zu ermöglichen.71 Entgegen dieser Maßgabe stellten die bayerischen Gesandten in der Sitzung am 08. Januar 1598 die Pfennigmeisterfrage zur Diskussion.72 Die Mehrheit des Reichsfürstenrates schloss sich dem Vorschlag der bayerischen Gesandten an und auch die beiden anderen Kollegien kamen zum gleichen Ergebnis. Daneben beschlossen die Mitglieder des Kurfürstenkollegiums, den Johannitermeister Johann Riedesel im Namen des Kaisers und des Reiches zum Reichskriegskommissar in Sachen Türkenhilfe zu ernennen. Dessen Aufgabe sollte es sein, die Einnahmen zu kontrollieren und das Geld an den Grenzen auszuzahlen. Schließlich scheiterten diese Vorhaben jedoch, da sowohl für den Posten des Reichspfennigmeisters als auch für den des Reichskriegskommissars die Kandidaten des Hofs – Zacharias Geizkofler und Johann Eustach von Westernach – ernannt wurden.73 67 68 69 70 71 72

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Stieve, Bd. 4 (wie Anm. 11), 193–270 bzw. Bd. 5, 355–436 und 613–678. – Kossol, Erika: Die Reichspolitik des Pfalzgrafen Philipp Ludwig von Neuburg. Göttingen 1976, 39–73 und 95–120. Schulze (wie Anm. 1), 133 f. – Niederkorn (wie Anm. 5), 52. Aulinger (wie Anm. 9), 212. Schulze (wie Anm. 1), 135, 231, 238. Stieve, Bd. 5 (wie Anm. 11), 357. Von 1570 an verzichteten die Reichsstände endgültig auf eine Kontrolle der Steuerverwendung. Vgl. Lanzinner, Maximilian: Konfessionelles Zeitalter 1555–1618. In: Handbuch der deutschen Geschichte. Frühe Neuzeit bis zum Ende des Alten Reiches (1495–1806). Bd. 10. Hg. v. Dems. und Gerhard Schormann. Stuttgart 2001, 71. Instruktion des Reichspfennigmeisters. In: HHStA MEA RA, Fasc. 95a. Fol. 553r.–560v. – Instruktion des Reichskriegskommissars. In: HHStA MEA RA, Fasc. 95a. Fol. 548r.–551v. –

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Der Führer der calvinistisch-reformierten Partei im Reich, der Pfälzer Kurfürst, war durchaus gesinnt, den Kaiser bei dessen Auseinandersetzungen mit den Osmanen zu unterstützen.74 An die Bewilligung der immer größer werdenden Türkenhilfe knüpfte er jedoch einige Bedingungen. Ihm ging es um die Behandlung der eigenen Gravamina. Konkret forderte er zum Bsp. die Klärung konfessioneller Fragen oder die Gültigkeit der Mehrheitsbeschlüsse.75 Dementsprechend waren die Kurpfalz und deren Parteigänger im Vergleich zu den vorher genannten Reichsständen nur im kleineren Umfang bereit, die kaiserlichen Auseinandersetzungen zu unterstützen. Im Jahr 1598 waren sie nur willens, 40 statt der geforderten 60 Römermonate zu zahlen und selbst die Auszahlung dieser Summe erfolgte mit Verzögerung. Nach dem Verlust von Kanizsa (1600) und den Urteilen des Reichskammergerichts suchte und fand die Partei des Pfälzers allerdings eine Verständigung mit dem Kaiserhof, die letztlich im Februar 1603 in Heidelberg zu Stande kam.76 Zu beachten bleibt, dass jene Elemente der Propositionen, die sich auf Niederlagen der kaiserlichen Truppen bzw. auf Erfolge der osmanischen Armee bezogen, den einflussreichen Ständen des Reichs stets vor Beginn der Verhandlungen auf dem Reichstag bekannt waren. Der Wiener Hof ließ ihnen immer Berichte über die Ereignisse auf dem ungarischen Kriegsschauplatz zukommen, was einen bedeutenden Teil der kaiserlichen Propaganda ausmachte. Dabei benutze er drei Methoden, propagandistisch auf die Gesinnung der Reichsstände Einfluss zu nehmen. Einen Weg stellten die Gesandtschaften dar, die an den Höfen der Kurfürsten sowie der bedeutenderen Fürsten installiert wurden. Ihre Aufgabe in der Vorbereitung eines Reichstags bestand darin, die Stände von der Notwendigkeit einer Versammlung zu überzeugen.77 Natürlich haben diese Gesandtschaften jede Gelegenheit genutzt, um sich über die Gewogenheit der Stände in Bezug auf die Türkenhilfe unterrichten zu lassen. Die Gesandten wurden so zu einem Gradmesser der ständischen Meinung im Reich. Erst wenn sie eine positive Stimmung nach Wien berichten konnten, verfassten die kaiserlichen Räte die Ausschreibung eines Reichstags. Diese Schriften enthielten bereits jene Elemente – die Treulosigkeit der „Türken“ oder der Verlust von Schlüsselfestungen –, welche später auch in den einleitenden Teilen der kaiserlichen Propositionen auftauchten. Die oben erwähnte Schrift vom 23. August 1597 an den Mainzer Erzkanzler ist nur ein Beispiel dafür.78 Ein anderer Zugang des Kaisers, die Würdenträger im Reich so zu informieren, dass sie ihn zu unterstützen bereit waren, war die Kooperation unter den Reichskreisen. Der Kaiserhof bat diese während des „Langen Türkenkrieges“ neben den

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Müller, Zacharias Geizkofler (wie Anm. 5), 23 und 30. – Schulze (wie Anm. 1), 325–327. – Bagi (wie Anm. 5), 63. Vgl. Anm. 66. An der lutherisch-calvinistischen Auseinandersetzung scheiterte die Einheit der protestantischen Reichsstände. Stieve, Bd. 4 (wie Anm. 11), 193–270 bzw. Bd. 5, 355–436 und 613–678. – Kossol (wie Anm. 67), 39–73 und 95–120. Schulze (wie Anm. 1), 167 f., 231–236, 358. – Kossol (wie Anm. 67), 117 f. – Bagi (wie Anm. 5), 65 f. Schulze (wie Anm. 1), 92. – Aulinger (wie Anm. 9), 168. Ebd., 170 f.

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Reichstürkenhilfen mehrmals um Unterstützung,79 da „sie doch auf weitgesezte zalfriesten einkommen, vnd bey weittem, zu ertragung dieses lasts nicht erklecken“.80 Dabei waren die Instruktionen, die die zu den Kreistagen geschickten Gesandten erhielten, ähnlich aufgebaut wie die einleitenden Teile der Propositionen. Die Verfasser dieser Schriftstücke berichteten den Kreisständen beständig über die aktuellen Ereignisse auf dem Kriegsschauplatz. Beispielsweise wurde in der Instruktion vom 14. Dezember 1594 an Johann Eustach von Westernach, der zu dem fränkischen Kreistag delegiert worden war, thematisiert, dass mit dem Verlust von Raab den Osmanen der Weg in das Reich geöffnet worden sei und der Großwesir Sinan für den Frühling des folgenden Jahres einen Angriff plane. Die finanzielle und militärische Hilfe der Kreisstände sei unerlässlich, da die Königreiche und Länder des Herrschers gänzlich erschöpft seien.81 Auf diese Weise hatten nicht nur die Reichsstände, sondern auch die Kreis- oder Landstände durchgehend von den Ereignissen des ungarischen Kriegsschauplatzes Kenntnis. Flugblätter, Zeitungen, Predigten und Gedenkmünzen können zum dritten Faktor der kaiserlichen Propaganda gezählt werden. Die sich noch in demselben Jahrhundert vollziehende Revolution in der Nachrichtenübermittlung machte es möglich, dass breite Massen von Reichsuntertanen durch Flugblätter und Zeitungen durchgehend genaue, aktuelle und ausführliche Nachrichten über bedeutsame Kampfereignisse erhalten konnten.82 Berichte über den Vorstoß osmanischer Truppen, über die Verheerungen der Tataren und „Türken“ sowie über das Schicksal der eroberten und unterworfenen Gebiete und Untertanen spielten eine nicht außer Acht zu lassende Rolle, wenn es galt, die Landstände und Untertanen von der Notwendigkeit einer Türkensteuer zu überzeugen.83

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Ortelius, Augustinus Hyeronimus: Chronologia oder historische Beschreibung aller Kriegsempörungen und Belagerungen in Ungarn auch in Siebenburgen von 1395. Nürnberg 1602, 46v. – Loebl, Alfred H.: Eine außerordentliche Reichshilfe und ihre Ergebnisse in reichstagsloser Zeit 1592–1593. In: Sitzungsberichte der philosophisch-historischen Klasse der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften 153 (1906), 2. Abhandlung, 17, 86. – Mayr (wie Anm. 12), 193–195. – Müller, Zacharias Geizkofler (wie Anm. 5), 32. – Schulze (wie Anm. 1), 90–92. HHStA MEA Frankischen Kreisakten (fortan FK), Fasc. 5. Fol. 34r. HHStA MEA FK, Fasc. 5. Fol. 30v.–31r., 34r.–39v. Zu diesem Thema vgl. Schulze (wie Anm. 1), 33–67. – Vocelka (wie Anm. 13), 21–63, 239–301. – Etényi, Nóra G.: Hadszíntér és nyilvánosság. A magyarországi török háború híre a 17. századi német újságokban [Kriegsschauplatz und Öffentlichkeit. Die Nachrichten über den ungarischen Krieg gegen die Türken in den deutschen Zeitungen des 17. Jahrhunderts]. Budapest 2003. – Barbarics, Zsuzsa: „Türck ist mein Nahm in allen Landen …“ Művészet, propaganda és a változó törökkép a Német-római Birodalomban a XVII. Század végén [„Türck ist mein Nahm in allen Landen …“ Kunst, Propaganda und ein sich veränderndes Türkenbild im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation am Ende des 17. Jahrhunderts]. In: Hadtörténelmi Közlemények 113/2 (2000), 329–378. – Kiss, Vendel: Tata ostromának képi ábrázolásai [Der Sturm auf Tata in bildlichen Darstellungen]. In: Tata a tizenötéves háborúban. Tata 1998, 77–89. – Héri, Veronika: A 15 éves háború győzelmes csatáinak emlékére kibocsájtott érmek [Die in Erinnerung an die siegreichen Schlachten des Fünfzehnjährigen Krieges herausgegebenen Gedenkmünzen]. In: Ebd., 129–139. Lanzinner (wie Anm. 72), 72.

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Zusammenfassung Resümierend kann man feststellen, dass der Wiener Hof stets bemüht war, nicht nur konkrete eigene Interessen bei der Zusammenstellung der Propositionen zu berücksichtigen, sondern auch bestrebt war und sein musste, diese unter Hinzunahme der ständischen Forderungen zu verwirklichen. Dem Zustandekommen eines Reichsabschiedes gingen neben den eigentlichen Verhandlungen komplexe diplomatischpropagandistische Bemühungen voraus. Der Kaiser beorderte Gesandtschaften zu den Kurfürsten und den bedeutenderen Fürsten, die beauftragt wurden, über die Themen des betreffenden Reichstags Verhandlungen zu führen. Damit war es der kaiserlichen Seite an die Hand gegeben, sich über die Gewogenheit der Stände in Bezug auf die Türkenhilfe zu unterrichten. Später konnte man die Ergebnisse solcher Verhandlungen bei der Zusammenstellung der jeweiligen Proposition und den Beratungen des Reichstags direkt einfließen lassen. Auch konnte der Wiener Hof durch dieses Informationssystem seine Propagandamittel direkt und gezielt den Bedürfnissen der einzelnen Reichsstände anpassen. Andererseits ermöglichten diese Gesandtschaften, die Kurfürsten und Fürsten im Voraus von der Notwendigkeit einer Unterstützung zu überzeugen. Ein Erfolg dieser Politik ist schon daran erkennbar, dass die Stände die Rechtmäßigkeit der Türkenhilfen nie grundsätzlich bestritten. Im Austausch gegen eine immer größer werdende Unterstützung versuchten sie jedoch, ihre eigenen Forderungen durchzusetzen. Darüber hinaus erhielten nicht nur die Reichsstände, sondern auch die Landstände und sogar die Untertanen von kaiserlicher Seite über die Ereignisse auf dem ungarischen Kriegsschauplatz durch Kreistage und Flugblätter Aufschlüsse, die für die Legitimierung der Türkensteuer einen wesentlichen Beitrag leisteten.

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Political Rhetorics in the Anti-Ottoman Literature. Martinus Thyrnavinus: To the Dignitaries of the Hungarian Kingdom “For what is the sense of knowledge and extensive reading, by the immortal gods, if you cannot talk as eloquently as it is fitting?”1 The first longer epic poem calling for anti-Ottoman struggle by a Hungarian author was published in 1523,2 paving the way to lengthier and more extensive compositions of the 16th and 17th century, such as Bellum Pannonicum by Christian Schesaeus, Monomachiae by Nicolaus Gabelman, or the Obsidio Szigethiana by Miklós Zrínyi. The Ottoman army had been standing at the Southern frontiers of Hungary for 150 years, and the fights were recounted in epic chronicles in Hungarian as The Siege of Šabac, or in stories recording – and embellishing – certain adventures, like those of Szilágyi and Hagymási.3 Nonetheless, the European Humanist ideology of the struggle against the Ottomans was put in an epic contextual frame by Martinus Thyrnavinus (Márton of Trnava, or Martin of Nagyszombat, in Hungarian), a poet of limited talent who had an intellectual background which had Humanistic and Medieval traits at the same time. The appearance of the Ottomans on the borderlands of Europe had met with strong literary-rhetoric reactions as early as the end of the 14th century. The Herodotian typology of the perpetual conflict between Europe and Asia was reawakened by Petrarch, who, in a song on one of the last crusades, refers to the Greco-Persian War: “Recall the mad audacity of Xerxes / […] / and how the sea ran red at Salamis. / […] / And yet not only this, a dire distress / for those unhappy races from the East, / promises victory, / but Marathon, and that important strait / the lion king defended with so few, / and other battles you have read about.” The fight is pre1 2

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Dialogus mythologicus Bartolomei Coloniensis, dulcibus iocis, iucundis salsibus, concinnisque sententiis refertus. Ed. by Adrianus Wolphardus. Vienna 1512, 1v. Nagyszombati, Márton: Opusculum ad regni Hungariae proceres. In: Analecta nova ad historiam renascentium in Hungaria litterarum spectantia. Ed. by Jenő Ábel and István Hegedüs. Budapest 1903, 217–270. The text was originally published by Johann Singrenius in Vienna in 1523. For a critical edition and linguistic analysis of the Siege of Šabac (ca. 1476), see Imre, Samu: A Szabács viadala. Budapest 1958. There is no modern critical edition of the History of Mihály Szilágyi and László Hagymási (written in 1561, but surely relying on earlier, perhaps oral versions of the story); for the text see A 16. század magyar nyelvű világi irodalma [Hungarian secular literature in the 16th century]. Ed. by József Jankovics, Péter Kőszeghy and Géza Szentmártoni Szabó. Budapest 2000, 318–321.

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sented as the struggle between civilitas and barbarism: “We should soon find out / the worth of Turks, and Arabs, […] / unarmoured, timorous, and lazy people, / not fighting hand to hand, / but merely sending missiles on the wind.”4 Philip VI (reg. 1328–1350), King of France, on the other hand, is presented as “our new Charlemagne / the vengeance it were sinful to delay / and Europe long has longed to venture on. / Our Lord is coming to secure His Bride! / And as the word goes out/ Babylon trembles and is stupefied.”5 The scheme of the struggle between the civilised Christianity of Europe and barbarism is of utmost importance for Humanist literature, and there are only a few who dare to stepover its limits. What helped to develop the simple conflict between barbarian and civilised into a larger system was Aristotle’s Politics, which became widely available for readers of the evolving humanism in the fresh translation of Leonardo Bruni in the beginning of the 15th century: “Those who live in cold countries, as the north of Europe, are full of courage, but wanting in understanding and the arts: therefore they are very tenacious of their liberty; but, not being politicians, they cannot reduce their neighbours under their power: but the Asians, whose understandings are quick, and who are conversant in the arts, are deficient in courage; and therefore are always conquered and the slaves of others: but the Grecians, placed as it were between these two boundaries, so partake of them both as to be at the same time both courageous and sensible.”6 Thus, the Western Christian world (which, after the end of Byzantium, comes to equal Europe) is also the protector of the freedom of humanity, unlike Asia, where – to use one of the favourite observations of Humanists –, apart from the ruler, everybody is a slave. The greatest danger that threatens freedom is freedom itself, that is, infighting and intrigue against each other, which the Humanists describe as discordia as opposed to the keyword used for the desired unity of European states, concordia. There are states that uphold and preserve this desired and imagined unity, which, since the 15th century, has been more often called Europe rather than orbis Christianus, the community of Christian states.7 They are the ones who deserve the title of Christianity’s support, shield and bulwark (murus/clipeus Chistianitatis) in Humanist terminology.8 4 5 6 7 8

Song 28: “O aspectata in ciel beata et bella”. See Petrarca, Francesco: Canzoniere. Transl. by J. G. Nichols. Manchester 2000, 27 sq. Ibid., 26 sq. On the medieval antecedents, see Southern, R. W.: Western Views of Islam in the Middle Ages. Cambridge/Mass. 1962. – Flori, Jean: La guerre sainte. La formation de l’idée de croisade dans l’Occident chrétien. Paris 2001. Aristotle: A Treatise on Government. Transl. by William Ellis. New York 1912, 1327b. Hay, Denys: Europe. The emergence of an idea. New York 1966, 100–111. – Koselleck, Reinhart: Zur historisch-politischen Semantik asymmetrischer Gegenbegriffe. In: Idem: Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten. Frankfurt/Main 1979, 65–104. Terbe, Lajos: Egy európai szállóige életrajza (Magyarország a kereszténység védőbástyája) [The Biography of an European Adage (Hungary the Bulwark of Christianity)]. In: Egyetemes Philológiai Közlöny 60 (1936), 307–346. – Hopp, Lajos: Az “antemurale” és “conformitas” humanista eszméje a magyar-lengyel hagyományban [The Humanist Ideas of “Antemurale” and “Conformitas” in the Hungarian-Polish Tradition]. Budapest 1992, 23–62. – Fodor, Pál: The View of the Turk in Hungary. The Apocalyptic Tradition and the legend of the Red Apple in Ottoman-Hungarian Context. In: Idem: In Quest of the Golden Apple. Imperial Ideology, Politics and Military Administration in the Ottoman Empire. Istanbul 2000, 71–103.

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In Hungary, it was János (John) Vitéz (1408–1472) who first elaborated on these thoughts: “If I remember well, it has been almost a hundred years since the enemy weapons of the Turk, dangerous to God and man alike, and after making a short time of conquering Greece, the Kingdoms of Macedonia and Bulgaria, and then Albania, and bringing devastation to many many lands, they held the subdued in haughty derision, ruins and mourning, they pushed them in servitude, deprived them of their religion, forced upon them an alien belief, foreign morals, strange laws and the language of unbelievers. They did not leave anything untouched – neither saint, nor profane, nothing, I repeat, nothing was left untouched which could be harmed by sword, threats, fire or servitude: they desecrated everything wherever they went.”9 Hungary is the bulwark of the unified, Christian Europe (which, as it was mentioned above, was a Humanist invention), as there are people there who “are not temporarily, but permanently armed against our eternal enemies, who will never be reconciled with the Christian name. We wish that the support come, so that when our aim is fulfilled, the liberated Europe, having regained its faith, shall apostolate the glory and splendour of the Holy See.”10 To this Humanist treasure of topoi, the thought of divine punishment is added: it is already mentioned several times by János Vitéz that the failure of the anti-Ottoman wars must have been caused by the will of God: “We do believe that mortals have to see with a fearful soul the mysterious judgement of God in all these events – as it is only his overwhelming mercy that can preserve us, who can not reach the truth and prove ourselves to be weak when it comes to excellence,”11 and even after the second, lost battle of Kosovo Polje (1448), apart from bad luck, “in everything else we worship and praise the scourge of God, and not that of men.”12 After the lost battle of Varna, like many of his contemporaries, he comes to the conclusion that the failure was a divine punishment because the Hungarians had broken the peace treaty of Szeged (“it is only because of our sins that the barbarians remained stronger”);13 nonetheless, he never sees the reason for punishment in the utter moral failure of Hungarians or Christianity, as this would contradict his rhetorical objective, the call for help. The Ottomans, who became the scourge of God because of the debauchery of Hungarians, only appear in the writings of the other adversary, Aeneas Silvius Piccolomini, the secretary of Emperor Frederick III, who did not go out of his way to provide assistance, later Pope Pius II (1458–1464). In 1445, Aeneas Silvius welcomed Ladislas V (the Posthumous) and the Hungarian delegation arriving in Vienna to demand the return of St Stephen’s crown, with a speech that claimed that 9

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Vitéz De Zredna, Joannes: Opera quae supersunt. Ed. by Iván Boronkai. Budapest 1980, 90 sq. He wrote these words for the first time in September 1448 to Pope Nicholas V, but repeated them literally in his ambassadorial oration for the Imperial assembly in Frankfurt in 1454, see ibid., 252 sq. Furthermore, see Boronkai, Iván: Die Rede von Johannes Vitéz am Frankfurter Reichstag (1454). In: Acta classica Universitatis scientiarum Debreceniensis 10/11 (1974/75), 183–188. Vitéz De Zredna (cf. n. 9), 92. Ibid., 177 sq. Ibid., 97. Ibid., 44: “Iudicii divini plagam retulimus, nostrisque peccatis barbari tunc mansere forciores.”

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the Ottoman devastation of Hungary is a divine punishment for the internal struggles of the country, and only accepting the child king can save them from retribution.14 Following the fall of Constantinople (1453), however, Aeneas Silvius, in an unfinished dialogue, applies the thought of divine punishment not to Hungarians, but to the Greek: in a dream, he meets the famous preacher, San Bernardino, who leads him to the Elysean fields where he can listen to the dialogue of the last Greek Emperor, Constantine XI and Jesus Christ about the reasons for the fall of the city. To the question of Constantine, posed in the manner of Catilina-Cicero (“But how long will You allow the Turks to abuse Your patience?”) and to his parallel to the fate of the Jews (“God, when angry, punished them as well, but then he gave them his mercy”), Jesus replies that the successes of the Ottomans had been preordained, they brought deserved retribution upon the errant Christians, as never before had so much sin covered Christian cities, there never had been so much avarice, lust and cruelty.15 Piccolomini does not see the reason for divine punishment in one event, but he extends it to the decay of a whole nation. The thought of divine punishment also appears in the work of Janus Pannonius (1434–1472), the most important Hungarian Humanist poet, in the elegy On the Flood (De inundatione) written in autumn of 1468,16 but there the punishment which Hungarians suffer for the sins of the whole of Christianity is the flood itself. The motif of the Ottomans as a scourge of God to punish Hungarians for their sins only evolves following the Reformation and Mohács to its fullness.17 We do not meet the Ottomans too often in Janus Pannonius’ extensive oeuvre, although other contemporary Humanists often addressed the question in their work outside Hungary. Aeneas Silvius, during his papacy as Pius II, attempted to convert the Ottoman Empire to Christianity in a long letter addressed to Mehmed II (reg. 1444–1446, 1451–1481); Laudivio Zacchia wrote fictitious Humanist letters in the name of the Ottoman Emperor as school practice (which were very popular both in manuscript and printed form in the 15th century); and almost every first-rate Humanist wrote orations on the importance of the anti-Ottoman wars, usually employing the stand14 15 16

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Szörényi, László: Panegyricus és eposz (Zrínyi és Cortesius) [Panegyric and Epic Poem (Zrínyi and Cortesius]. In: Idem: Hunok és jezsuiták. Budapest 1993, 25–33, here 30 sq. Hankins, James: Renaissance Crusaders. Humanist Crusade Literature in the Age of Mehmed II. In: Dumbarton Oaks Papers 49 (1995), 111–207, here 134. Pannonius, Janus: Összes munkái [Complete works]. Ed. by Sándor V. Kovács. Budapest 1987, 374, vers. 91–100: “Quid tamen o Superi? nosne haec tantummodo clades / Tot petit e populis […] Si pereunt omnes, nec nos superesse rogamus, / Aequo animo quivis publica fata subit. / Sin soli luimus communia crimina Chuni / Humanum nobis dulce piare genus.” See Bohnstedt, John W.: The Infidel Scourge of God. The Turkish Menace as Seen by German Pamphleteers of the Reformation Era. In: Transactions of the American Philosophical Society 58/9 (1968), 1–58. Surveys of the Hungarian texts őze, Sándor: “Bűneiért bünteti Isten a magyar népet”. Egy 16. századi toposz vizsgálata a nyomatott egyházi irodalomban [“God Punished the Hungarian Nation for its Sins”. The Analysis of a 16th Century Topos in the Printed Ecclesiastical Literature]. Budapest 1991, 80–141. – Dobrovits, Mihály/őze, Sándor: Pázmány Korán-cáfolatának előzményei. A török XVI. századi magyarországi megítélése [The Forerunners of Pázmány’s Refutation of the Qu’ran. The Image of the Turk in 16th century Hungary]. In: Pázmány Péter és kora. Ed. by Emil Hargittay. Piliscsaba 2001, 62–70.

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ard commonplace arguments. There were even a few who wrote laudatory epic poems in Latin to the Sultan.18 Taking all these into account, there were relatively few Humanist works on the subject of the Ottomans written in Hungary. Janus Pannonius, the most important poet of the Renaissance Humanism in Hungary did mention the wild, barbaric Turks as the reason for having to go to war in some of his poems,19 but he employs Humanist rhetoric in a detailed manner in one poetic epistle only.20 This was also written in the name of King Matthias, as a response to a similar Italian poem: Janus remained the poet of peace, and he rather considered the Ultramontane-Northern existence as real barbarism, not the Turks.21 The fashionable anti-Ottoman spirit of his age imbues his work at one point: in the application of antique Greek orations to contemporary historical events. In his translation of one of Demosthenes’ orations against Philippos, he thus introduces his translation: “As Philippos charged the Athenians with accusations and declared war, Demosthenes wanted to convince them not to wage war because it is necessary, but they should rather face the danger and thus prove that is is possible to defeat Macedonia. I translated this oration primarily because I found that it is very fitting to the present situation of Christians in the fight against the Ottomans.”22 Many Humanists of the age have similar motives when they translate or rewrite various Greek orations to Latin; Cardinal Bessarion for instance, translates Demosthenes’ First Olynthiac to illustrate the parallel nature of the two situations: “As Philippos used to threaten Greece, thus the Ottoman threatens now Italy. This is why Philippos plays the role of the Ottomans, and the Italians that of Athens: you will immediately see that the oration as a whole fits the situation well.”23 Using imitational allusions, János Vitéz also compares the Ottoman wars to Antique Christian-pagan conflicts when he takes over whole sentences from the church history of the late Antique Rufinus of Aquileia.24 Later, between 18

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Epistola ad Mahumetem; Epistolae Magni Turci; among them a letter of the Sultan to the Amazons; the works of Fr. Filelfo, Bessarion, Ficino and G. Trapezuntios; the Amyris of Gian Maria Filelfo, which has however been rewritten and re-adressed to Francesco Sforza, Duke of Milan by the author. Generally see Pertusi, Agostino: I primi studi in occidente sull’origine e la potenza dei Turchi. In: Studi Veneziani 12 (1970), 465–552. More recently Bisaha, Nancy: “New Barbarian” or Worthy Adversary? Humanist Constructs of the Ottoman Turks in 15th Century Italy. In: Western Views of Islam in Medieval and Early Modern Europe, Perception of Other. Ed. by Michael Frassetto and David R. Blanks. London 1999, 185–205 and Eadem: Creating East and West: Renaissance humanists and the Ottoman Turks. Philadelphia 2004, 43–93. E.g.: De se aegrotante in castris [When he fell ill in the camp]; Comprecatio Deorum pro rege Matthia in Turcos bellum parante [Prayer to the Gods for King Matthias going to war against the Turks]; De Pio Pontifice Maximo, qui obiit expeditione contra Turcos [On the death of Pope Pius II during the preparation for war]. See all in modern Latin-Hungarian bilingual edition in Pannonius (cf. n. 16). Matthias rex Hungarorum Antonio Constantio poetae Italo [King Matthias to the Italian Poet Antonio Constanzi]. See ibid. “[…] externi barbara turba sumus”; “we foreigners, we are but a barbarian mob”; Ad Tribrachum poetam [To Gaspar Tribachus]. See ibid. Ibid., 582. Hankins (cf. n. 15), 116. Boronkai, Iván: Vitéz János és Aquileiai Rufinus [János Vitéz and Rufinus of Aquileia]. In:

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1507 and 1510 Mihály Kesserű (Michael Chesserius), bishop of Bosnia, translates two speeches by Isocrates on government (To Nicocles) and on autarchy and the subservience of subjects (Symmachikos) for King Vladislav II. We can find a few anti-Ottoman poems in the modest poetic output of the generation following Janus; however, no major epic composition was born. The flexibility of the Humanist patterns is shown by László Vetési’s epigram written between 1469 and 1472,25 in which the Ottomans appear as the contemporary equivalent of the Punic threat to Rome. On the other hand, in the poetic epistle written by Janus in the name of King Matthias to Antonio Costanzi in 1464, it is Matthias himself who appears as a Carthaginian: the tenacity of his fight against the Ottomans is comparable to the resolve of Hannibal against the Romans.26 Naturally, diplomatic orations also carried many Humanist turns of phrase; surviving examples after János Vitéz include György Polycarpus-Kosztolányi’s oration at the 1461 Imperial Assembly at Nuremberg, Janus Pannonius’ oration in front of Pope Paul II in 1464, and an oration from László Vetési during his embassy to Rome in 1475. However, in these orations the nature of the content required by the political situation is much stronger than rhetoric quality. Italian poets, however, have compensated for what the Hungarians had missed: this is how Alessandro Cortese’s panegyric to King Matthias followed and adapted some motifs from Antonio Costanzi’s poem, which had also inspired an answer from Janus Pannonius. Cortese’s poem celebrates the Hungarian king as the hero saving Europe from the Ottoman menace; this is also how Matthias was addressed in the letters of Marsilio Ficino and described in an oration written upon his death by Giovanni Garzone in Bologna. His virtues, that is, righteousness, compliance, wisdom, valour and Christian belief are constantly present in every work, and the same constancy is characteristic to the barbaric Turks, who, according to Cortese, are led by Alecto, the fury from Hell. Humanists associated with Matthias’ court took over his official propaganda, and there were very few independent voices. Among the few independent voices, the diary of Konstantin from Ostrovica, also called the “Polish janissary” is especially interesting. The soldier, who was originally of Serbian origin, became a janissary after the fall of Constantinople, and then entered Hungarian service after Matthias had recaptured Jajce in 1463. He later retired to Poland, and this is where he wrote his reminiscences in a mixture of Polish and Serbian, in which he relates the story of his life, tells a number of Islamic legends and gives an impressive picture of the internal affairs and relations of the Ottoman army. He had the identity of a real frontier soldier: he liked all the rulers he had served (Gregory, despot of Smederevo, Sultan Murad and King Matthias), but he hated all his former adversaries, including János Hunyadi, whom he blames for the losses at Varna and Kosovo Polje. Following the recapture of Jajce and his switch to the Hungarian side he writes that he was happy to have been a Christian

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Irodalomtörténeti Közlemények 94 (1990), 213–217. Ritoókné Szalay, Ágnes: “Nympha super ripam Danubii”. Budapest 2002, 118. Pannonius (cf. n. 16), vers. 103.

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again and “stay in the service of Matthias together with the other Ottomans,” after all, despite his Serbian origin, he was a Turk in Hungarian eyes due to the war.27 The only other author who displays a similar independent viewpoint and an appreciation – albeit mixed with an apprehension to what the future might bring – of the internal order of the Ottomans is Georgius de Hungaria, a native of Mühlbach (Hung. Szászsebes, now Sebeş in Romania) in Transylvania, who was kidnapped by mercenaries in 1438, then sold into slavery, and thus spent twenty years in various parts of the Ottoman Empire. Georgius, who lived as a monk in Rome after regaining his freedom, in his Treatise on the Morals, Conditions and Perfidy of the Turks, which he wrote in Rome (the first edition was published around 1480), praises the constancy of their faith, their cleanliness, the avoidance of worshipping images, and the paradoxical fact that while all Muslims are led by the devil, they always show unity (the desired concordia of Christians) in their intentions, the deepest diabolic reason for which is that they do not believe in goodness and thus they are obstinate in holding on to the devil.28 The devil, naturally, does not sit inactively in their soul, but prepares the Apocalypse, which, as illustrated by the quotations from medieval apocalyptic philosopher Joachim of Fiore, is very close indeed. This eschatological line of thought in Georgius’ work show a parallel nature to Tractatus de Turcis, a treatise on the Ottomans most likely written by Dominicans in 1473/74 (published in Nuremberg in 1481), which also sees the end of the world and the coming of the Antichrist in the Ottomans.29 However, this thought will reach a prominent place only in the era of the Reformation which followed the period this article deals with; as we have seen, Humanist poets are quite content with Alecto and the furies instead of Antichrist, even though they cannot bring about the Apocalypse. Humanists in Hungary, left without a patron after the death of Matthias, felt the lack of a strong, rich ruler and patron just as strongly as the country as a whole. The distance between the king and Humanist poets lessened, and Bohuslav Hassenštejn a Lobkowitz, who was not only a Baron and thus a frequent visitor of the royal court in Buda between 1499 and 1503, but also an eminent poet, often addressed and reprimanded the ruler as a friend (for instance, in his consolatory poem on the occasion of the death of Queen Anna).30 During the rule of Matthias, it would have been hardly possible to write three epigrams on the royal toothache, as Bohuslav 27

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Mihailović, Konstantin: Pamiętniki Janczara czyli Kronika turecka Konstantego z Ostrowicy napisana migdzy r. 1496 a 1501 [Memoirs of a Janissary, or the Turkish chronicle of Constantine of Ostrowica, written between 1496 and 1501]. Ed. by Jan Łoś. Cracow 1912. For an English translation, see Mihailović, Konstantin: Memoirs of a janissary. Transl. by Benjamin Stolz. Ann Arbor 1975. Hungaria, Georgius de: Tractatus de moribus condictionibus et nequicia Turcorum. Ed. by Reinhard Klockow. Köln 1994, 214. Tractatus quidam de Turcis. Prout ad praesens ecclesia sancta ab eis affligitur, collecti a quibusdam fratribus OP. Nürnberg 1481. Lobkowitz von Hassenstein, Bohuslaw: Opera poetica. Ed. by Marta Vaculínová. München-Leipzig 2006, 126–132, Elegia consolatoria ad Wladislaum Pannoniae et Bohemiae regem, de morte uxoris Annae, or in his Ad regem Wladislaum, ibid., 71: Turcarum veniunt acies cunctisque minantur / Christigenis et tu, Wladislae taces.

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did, dedicating them to Vladislav II.31 There was no lack of symbolic representation on celebratory occasions: after the proclamation of the great 1501 anti-Ottoman alliance in Buda, they burned Mohammed’s coffin, which had been hanging on a rope above the Danube, and they placed a statue of an angel, sprouting wine from its mouth among the joyous crowd, in front of the Papal Legate;32 however, there was no movement on the battlefield. The poets’ complaints against the confused and anarchic state of public affairs became a general pattern; Hieronymus Balbus complained in a poem about having been robbed in a Hungarian forest, and Bohuslav gave a picturesque description of the profligacy and depraved life of Czech and Hungarian nobles in his Satyra.33 In the dedication of About the Administration of the Republic (De reipublicae administratione, 1520) to Elek Thurzó, Valentinus Eck lamented a lot over the lack of public safety, the orphans being robbed all around the country, and – as many others in the epoch – quoted the Metamorphoses of Ovid (I, 150): “[F]rom earth, / With slaughter soaked, Justice, virgin divine, / The last of the immortals, fled away.”34 In another of Eck’s poems, addressed to King Louis II (reg. 1516/1522–1526), with a content similar to Nagyszombati’s About the War against the Turks (De bello Turcis inferendo, 1524), the impersonated Mother Church complains about the sins spread all over the country and finds hope for the expulsion of the Turks in international co-operation.35 Almost all Humanist works with a public theme point out the importance of concord (concordia) and plead for the expulsion of the Turks. A splendid example for this is offered by the epistle About Concord (De concordia), written by Celio Calcagnini, an Italian Humanist living in Eger, at the court of Ippolito d’Este and Bishop László Szalkay.36 According to Valentinus Eck, those were the most fortunate who had died before the impending doom, such as János Thurzó, his patron’s brother. In the same vein, the already deceased Tamás Bakócz and Imre Perényi are presented as the lucky ones by Márton Nagyszombati (III, 337–340). The idea of a divine punishment afflicted upon Hungarians also became widespread among the Humanists, and it also appears in the poem of Márton Nagyszombati, addressed to the notables of the Kingdom of Hungary. Nevertheless, contrary to the concept later introduced by the Reformation, divine punishment does not yet take the form of the devastation by the Turks, but rather appears as pestilence, famine, and natural disasters visiting the country (III, 91–102). Márton Nagyszombati, as Rabán Gerézdi has shown, must have published his exhortative poem to the nobility of Hungary (Opusculum ad procures Hungariae) 31 32 33 34 35 36

Ibid., 223 sq. Kosáry, Domokos: Magyar külpolitika Mohács előtt [Hungarian Foreign Policy before Mohács]. Budapest 1979, 90. Hassensteynius a Lobkowitz, Bohuslaus: Farrago poematum. Ed. by Thomas Mitis. Prague 1570, 322–326 (Balbus’ poem) and Idem (cf. n. 30), 23–30. Ovid: Metamorphoses. Transl. by A. D. Melville. Oxford 1998, 5. For Eck’s dialogue, see Eck, Valentinus: De reipublicae administratione dialogus. Ed. by D. Škoviera. Trnava 2006. Idem: Ad Ludovicum Hungariae et Bohemiae Regem pro bello Turcis inferendo. Cracow 1524. About Valentinus Eck and his poem, see Glomski, Jacqueline: Patronage and Humanist Literature in the Age of the Jagiellons. Toronto 2007, 157–159. Calcagnini, Celio: Epistolarum criticarum et familiarium libri XVI. Amberg 1608, 409–415.

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in the autumn of 1523, as one of his readers, a certain Magister Melchior Eisenhart from Vienna wrote his name into his own copy already on 23rd November 1523.37 Its author, a Benedictine friar, was mentioned for the first time in the documents in 1505 as an elected Prior. In 1507, he was a Prior at Pannonhalma, the Abbot of Szerencs in 1508, and was enrolled to the University of Cracow holding this dignity in 1514. His studies in Poland are also commemorated in his poem: when describing the lands around Hungary, only the Poles are accorded the title “doctus” (III, 515). Later on, he became Abbot of Tata and studied law in Vienna in the first half of 1516. During this time, he was probably close to the Esztergom court of Archbishop Tamás Bakócz, because – as it was shown by Ágnes Ritoókné Szalay – a short poem of his appears in the personal copy of Breviarum held by Tamás Bakócz. He also included a 64-verse laudatory poem about Bakócz in his collection of orations published after the Vienna conference of 1515.38 According to Rabán Gerézdi, it is not impossible that Nagyszombati could have been at the universities of Cracow and Vienna earlier, in 1506 and 1511, respectively.39 The publication of his poem To the Dignitaries of the Kingdom of Hungary was completed by two other works: a dedication to László Szalkay, Bishop of Eger, who most probably delivered the piece personally to the Singrenius publishing house in Vienna; and another one, an epigram, to Ulrich Fabri, temporary teacher of rhetoric at the University of Vienna, and a member of the circle of Joachim Vadianus, the leader of the Viennese Latin poetic circle in the second decade of the 16th century. Rabán Gerézdi has very well noticed that Márton Nagyszombati’s dedication to László Szalkay used Johann Kresling’s panegyric, dedicated to György Szathmáry and published in the same Viennese collection of orations in 1516, as a source,40 while other parts originated from the dedication of Stephanus Taurinus’ epic Stauromachia (1519) – what is more, he even borrowed a number of hemistichs and verses from this epic poem about the peasant war.41 These two borrowings clearly show the sources and character of Nagyszombati’s acquaintance with Humanism. During his studies in Vienna, he must have 37

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Gerézdi, Rabán: A “régi dicsőség” Jagelló-kori énekese (Nagyszombati Márton) [The Praiser of the “Ancient Glory” in the Jagiellonian Age (Márton Nagyszombati)]. In: Irodalomtörténeti Közlemények 62 (1958), 119–138, here 123. The poem is available in a modern edition: Nagyszombati (cf. n. 2). Kulber, Christoph: Orationes Viennae Austriae ad Divum Maximilianum Caes. […] aliosque Principes habitae. Vienna 1516, F2–G3. – Ritoókné Szalay (cf. n. 25), 180–186. Gerézdi (cf. n. 37), 121. Kulber (cf. n. 38), O2b-O4b. Gerézdi (cf. n. 37), 125. For Taurinus’ poem, see Taurinus, Stephanus: Stauromachia id est Cruciatorum servile bellum. Ed. by Ladislaus Juhász. Budapest 1944. The most comprehensive studis are Kovács, Sándor V.: A Dózsa-háború humanista eposza [The humanist epic of the Dózsa peasant war]. In: Irodalomtörténeti Közlemények 63 (1959), 451–473 and Szörényi, László: L’influenza della Farsaglia di Lucano sull’epopea tardoumanista latina in Ungheria. Stephanus Taurinus: Stauromachia. In: Neohelicon 27 (2000), 97–111. See also Babinger, Franz: Der mährische Humanist Stephan Taurinus und sein Kreis. In: Südost-Forschungen 9 (1954), 62–93 and Wörster, Peter: Humanismus in Olmütz. Landesbeschreibung, Stadtlob und Geschichtsschreibung in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Marburg 1994, 101–103, 143 f.

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become familiar with the publications of Humanists centred around Vadianus (Camers, Collimitius-Tanstetter, Cuspinianus, Adrian Wolfard), who almost singlehandedly produced the large number of publications leaving the Viennese press of Singrenius and Vietor each year, which included editions of ancient authors (Sallust, Cicero, Persius, Claudianus, and even a Petronius in 1517, dedicated to István Werbőczy) as well as their own writings. If Márton had any time left in Vienna, apart from his studies in canon law, he could have attended the lectures of poetics by Vadianus at the University of Vienna. Taurinus, in turn, must have known these, as he chose Lucanus as the example to follow for his Stauromachia (1519) – just as Vadianus says in his Poetics, based on his lectures and published in 1518, some hold Lucanus at the highest esteem these days, and they say that “Lucanus hid more art into his poems than Virgil, and he could reach higher levels while resorting to less imitation, as Virgil had achieved something commonplace by openly imitating Homer, while Lucanus invented everything on his own in his topic of civil war”. It was also according to the advice of Vadianus that Taurinus explicitly imitated a single author that he had chosen as the most important one, because – as the former put it – especially in a young age, a huge variety of readings confuses the mind, and it is best to choose one author based on the judgement of the educated ones, and imitate that one.42 Márton Nagyszombati also used hemistichs and well-known gnomes by Lucanus in his poem, but it would be hard to say whether he did so because of his own readings or simply by imitating the poems of Taurinus. Another characteristic of his poetry also refers to his accurate acquaintance with rhetorics, using the same basis as Taurinus: and that is his linguistic exuberance, the abundant style. The poem, divided into three parts, is hard to interpret as an integrated composition: the second canto presents the ancient glory of the Hungarians (prisca nobilitas), while in the first and third canto smaller elements, such as the descriptions of Golden Age, the accounts on the cruelty of the Turks, the immorality of the nobility and the exhortation of their moral reformation, follow each other again and again, in shorter (20–30 verses) or longer (100–150 verses) units that often are closed by an elliptic topos (aposiopesis). These elements say nothing new compared to the prior ones, only retell the same thing with different words. This is the point of the rhetoric technique called abundance (copia) by Erasmus and expansion (amplificatio) by others, that became popular especially after the publication of Erasmus’ most important theoretical-practical work on rhetorics, The Abundance of Words and Things (De copia verborum et rerum, 1512).43 This theory is an “aesthetic of abundance, grounded in an eclectic imitation theory”: its main point is that the author should have the largest possible linguistic and theoretical material at his disposal while writing, both in the spheres of inventio and elocutio.44 The goal is to lead the reader to a new and different kind of experience 42 43 44

Vadianus, Joachim: De poetica et carminis ratione. Vol. I–III. Ed. by Peter Schäffer. München 1973–1977. Roterodamus, Erasmus: Opera omnia Desiderii Erasmi Roterodami. Vol. I/6. De copia verborum ac rerum. Ed. by Betty E. Knott. Amsterdam 1988. Cave, Terence: The Cornucopian Text: Problems of Writing in the French Renaissance. Oxford 1979, 27.

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through the detailed and abundant descriptions: as if things would not be described, rather painted, and as if the reader would be seeing the object, rather than reading about it. The creation of this experience can be called enargeia, the elucidation of the object from various angles. One possibility to reach enargeia is to say the same thing with different words again: this is the abundance of words (verba). Erasmus cites two examples: for the sentence “I received your letter with great joy” he lists 200, while for the one “I will not forget you as long as I live”, 250 variations with different words. The other possibility is to utilise the abundance of the things (res), and this is the topic of the second book of Erasmus’ work. Here his example shows how the sentence “He lost all his wealth due to debauchery” can be extended to several pages though giving details about what the wealth consisted of (inheritance, realty, personalty, money etc.), how exactly the debauchery was manifested (playing cards or dice, feasting, drinking through the night etc.) and how the wealth was lost (to the last penny, there is no roof above his head now, even his sons will be obliged to pay his debts etc.). These two types of abundance provide the basis for the poetry of Márton Nagyszombati. Let us see an example: the thesis statement is that the Turk is goodfor-nothing and gains his victories through deceit. This, in several variations, can fill ten lines: the Turk is worth nothing in a battle; he cannot use weapons and can only rely on his good horse – it is only his deceptiveness that makes him strong; being a rascal, he does not dare to stand fight against a strong spirit; only his name is great in battles, but he has never won a victory through his martial virtues, only through deceit (III, 618–626). This, clearly, is the abundance of words, because it is only one thought which is being repeated in various forms, using the Erasmian method of variation (variandi ratio). The abundance of things is a different matter: there is a need for details there, often by using the pars pro toto principle. The ancient Hungarians were of an outstanding virtue, which is proved by a variety of things: “They did not lose their minds because of pomp and lascivious pleasures, / pure wine and the meals of dazzling tables, frivolous sinful ambition, covetous gasping for money, / and because of languished dreams on the bed at exuberant feasts,” and so on, and so forth, extended to the length of fifty verses (II, 39–94). This part of the poem sometimes makes the impression of reading the negation of the above seen Erasmian thesis sentence of “losing all his wealth due to debauchery”. Similarly spectacular is the description of the fear ruling the country after the peasant war and the loss of Belgrade, with the help of the abundance of things: the old and young tremble with fear, the shepherd does not dare to graze his flock, the peasant is afraid to go and plough, reap and harvest (III, 263–280). This technique is consciously used by Nagyszombati, which is clear from the parts where the abundance of words and things closely follow each other in his poem. At the end of the third canto, he emphasises the importance of unity (concordia) and friendship (amicitia) to the Hungarian dignitaries (III, 529–570). “Preserve the existence of the nation unanimously,” he addresses the dignitaries, and then he repeats the same thought in seven other distiches, in eight versions, till verse 542. This is what Erasmus calls the abundance (copia) of words, as the same thing is expressed in another way. From verse 543, he starts a laudation of friendship, but

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not through the abundance of words, rather that of things, as he describes its advantages in detail: friendship deflects the mind, makes everyone equal, rules cities, provides measures, helps the virtues, strengthens the soul etc. – enumerating a 25 fruits of friendship in thirteen distiches. Naturally, Márton was neither the only, nor even the first user of the abundant style: it is found in the works of Taurinus, or even of Janus Pannonius. Erasmus was also not the first to teach it.45 His teacher, whom he had also seen as an intellectual father, Rudolph Agricola (1444–1485) – one of the first Northern Humanists, and like Janus, a student of Guarino – also wrote a long work About the Dialectic Invention (De inventione dialectica). However, this remained unknown until the end of the 1530s, and its author approached the topic as a philosopher rather than a rhetor.46 Contrary to this book, that of Erasmus was an entirely practical work, and its main goal – similarly to that of the Adagia (Proverbs, first edition: 1498) – was that the orator should make the impression of a richness of ideas and erudition befitting the situation in his works, dedications and epistles. Since the 1510s, the best available and best known handbook had been the De copia rerum et verborum; Joannes Pinicianus’ Ex Promptuario vocabulorum variorum, published in Vienna in 1521, gave a digest of Erasmus’ work in its introduction. In 1523, it was a Hungarian philologist, Bálint Tornaaljai who participated in the first Central European edition of Erasmus’ two most important works in the field of rhetoric, De copia and De conscribendis epistolis.47 Erasmus’ commentary on the Pseudo-Ovidian Nux (The NutTree) was published in 1524: this work also served less scholarly reasons – instead, it rather attempted to serve as an example to teachers and students on how to analyse a poem from the perspective of rhetorics, with a special focus on the amplificatio, an ample tool for raising pathos.48 Teachers of humanities in Vienna and Cracow had contacts with Erasmus: Rudolph Agricola Jr. (1490–1521) – who had no affinity to Rudolph Agricola Sr., but chose his name out of respect – taught in Cracow around 1515 and even met Taurinus once in Esztergom, where he was employed as a teacher in the court of Archbishop Tamás Bakócz.49 It is also the result of the application of the Erasmian aesthetics of abundance that the tools of metaphor and similitude are almost entirely missing from Nagyszombati’s poem: their place is taken by parables and references to Antique heroes. The long epic similitude is not entirely foreign from the genre of epideictic poems, such as panegyrics or exhortative poems: an example is offered by a piece by Janus Pannonius.50 The mechanic and monotonous use of the method of amplification in the case of Abbot Márton is however well presented by the fact that he 45 46 47 48 49 50

On the relevance of rhetorical practices in schools, see Jankovits, László: Accessus ad Janum. Budapest 2002, 45–69. Jardine, Lisa: Erasmus, Man of Letters. Princeton/NJ 1993, 83–98 and 129–145. Glomski, Jacqueline: Erasmus and Cracow (1510–1530). In: Erasmus of Rotterdam Society Yearbook 17 (1997), 1–18, here 8–12. Chomarat, Jacques: Grammaire et rhétorique chez Érasme. Paris 1981, I, 531–533. Fógel, József: II. Ulászló udvartartása (1490–1515) [The Court of Vladislav II (1490–1515)]. Budapest 1913, 78. – Bauch, Gustav: Deutsche Scholaren in Krakau in der Zeit der Renaissance 1460 bis 1520. Breslau 1901, 68 f. Panegyric on Guarino Veronese. In: Pannonius (cf. n. 16), 339–348.

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sometimes re-uses his own hemistichs and sentences once more in the same poem (some examples: II, 162 = II, 426; II, 314 = II, 398; II, 442 = III, 678; II, 530 = III, 208). We also have to ask the question whether Erasmus had an impact on Márton Nagyszombati only through his rhetorical advice or also through his works on politics and ethics. Erasmus’ works focusing, at least partly, on the Ottomans, such as the Education of a Christian Prince (1515), the War – which is a separate edition of the proverb “The war is sweet only for those who have never experienced it” from the Adagia – or The Complaint of Peace (1517) had a wide impact: the least one was published in sixteen editions within six years, until 1523; among them one in Cracow at the Vietor publishing house (1518). By this time, Erasmus was against the anti-Ottoman war, because only peace befits Christ: “If we want to convert the Turks to the Christian faith, we should behave as Christians first,” otherwise we shall decay and turn into Turks before we could baptise them. Nevertheless, it would be much better to convert them than to subdue and destroy them.51 The opinion of the famous Humanist had to be known by every political leader; however, following him could only be the luxury of a few, especially in Central Europe under the pressure of Ottoman troops (at the end of The Complaint of Peace, Erasmus dedicated his work only to the Pope and the Kings of Western Europe, and did not mention Sigismund, King of Poland, or Louis II). If Erasmus had read the work of Márton, who, after capturing the Turks, would have liked to have them slaughtered in a terrible bloodbath (III, 701–712), he would have most probably put the abbot into the category of those pseudo-priests who had mistaken the bishop’s mitre for the soldier’s helmet.52 Nevertheless, if Erasmus’ political opinion had not made an impact on Márton, his rhetoric could have done so – at least indirectly. The initial idea of The Complaint of Erasmus comes from the laws of nature: where does the struggle between humans and humans come from and what goal does it serve, when the world of animals is built upon love and friendship, and there is no other species than humans which would turn against themselves? Neither the cranes nor the sheep or elephants harm their own kind; the elements of the world do not struggle among themselves either. The same examples were borrowed by Ulrich von Hutten in his exhortation for an anti-Ottoman war to the German princes already in the next year, in 1518, but he turned the train of Erasmus’ thought upside down, because he did not use it as an argument for a Christian philanthropy, but rather aimed at the conclusion that – just like the cranes, sheep an elephants – Germans should also unite under the rule of a single person, the Emperor.53 The oration by Ricardo Bartolini, conceived for the 51 52 53

Roterodamus, Erasmus: Opera omnia Desiderii Erasmi Roterodami. Vol. IV/2: Querela Pacis. Ed. by O. Herding. Amsterdam 1977, 93–96. – Hampton, Timothy: Erasmus, Rabelais and the Turkish Dogs. In: Representations 41 (1993), 58–82, here 61 f. Among the methods recommended by Márton – copia rerum – we find poking out their eyes, cutting out their tongues, stoning them and hacking them with a sword. Cf. Roterodamus (cf. n. 51), 82. Hutten, Ulrich von: Ad Principes Germaniae ut bellum Turcis invehant. Augustae Vindelicorum 1518, D3r.

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Imperial diet at Augsburg in 1518, also starts with the same idea, only in his case the examples for animals not harming their own kind are the snake, the lion and the tiger.54 Erasmus’ idea can also be found in the works of Valentinus Eck: in his poem About the Benefits of Friendship and Concord (De amicitiae et concordiae utilitate), addressed to Peter Zipser and Andreas Reuber, two burghers of Bartfeld from 1520, he writes that ever since the universe was formed from chaos, it is kept together by Concord, which leads the path of the stars, and renders the lion and wolf to live in peace – only humans attack humans. One can only trust his friend, as Theseus trusted Pirithous, Damon trusted Pytheas and Pollux did to Castor – the two burghers of Bartfeld are the same kinds of friends. The same example appears Márton’s poem as well, this time applied to Hungarian nobles: every animal strives to keep peace with their own kind, even the bears, wolves and lions; the four elements also keep peace with each other, it is only the Hungarian nobles who cannot do the same (III, 445–452). Two of the three Antique pairs of friends mentioned by Eck also show an example to the Hungarian nobles in Márton Nagyszombati’s piece (III, 575–582) after a long elaboration on the topic of friendship (amicitia), using the abundance of things method. It is hard to decide whether in these cases one should identify the impact of Erasmus, von Hutten, Valentinus Eck or others on Márton, but it is probable that when writing his poem, he consulted similar, anti-Ottoman exhortative books. The Türkenpüchlein, published in German one year before the work of Márton Nagyszombati in Augsburg, bears evidence that the authors of these pamphlets and orations followed each other’s work with attention: according to the story, a Hungarian, a Hermit, a Gipsy and a Turk meet by chance under Belgrade and they discuss the political situation in Europe. At the end of the piece, the Hermit provides an almost complete bibliography of contemporary anti-Ottoman orations and poems, claiming that these had been of no use.55 Sadly, the poem does not tell much about the readings of Márton Nagyszombati. The impact of the Stauromachia of Taurinus was already mentioned. Iuncturae, well known idioms from Roman poetry appear in a variety of places, but the author uses historical or mythological examples very rarely: their number is only significant in the first part of his work.56 Here he enumerates the severe punishments afflicted upon those who transgressed the prescriptions of religio in the Antiquity: he evokes the example of those Greek philosophers who were convicted because of their faithlessness (Socrates, Anaxagoras and Aristotle, who had to move into exile), and then brings forth two Roman cases, the burned scrolls of Numa Pumpilius, and “Tullius”, who was thrown into water for copying the ritual books of the priests. Both references are so cryptic and obscure that the events can only be 54 55 56

Bartolini, Ricardo: Oratio ad Imp. Caes. Maximilanum Aug. ac potent. Germaniarum Principes, de expeditione contra Turcas suscipienda, cum privilegio imperiali. Augsburg 1518, Aiir-v. Philalethes: Turcken puechlein. Ein nutzlich gesprech, oder underrede etlicher personen, zu besserung christlicher ordenung und lebens gedichtet. […] Geendet im Merzten 1522, Diii. On the relevance of the work, see Bohnstedt (cf. n. 17), 10 f. Which was not translated into Hungarian in the modern edition, although translation of Árpád Majtényi does not call the reader’s attention on this omission, see I, 233–350.

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understood from their original source, the Memorable Deeds and Sayings by Valerius Maximus. Right in the first book of this work, Valerius, the laconic soldierwriter refers to examples of how the Romans punished faithlessness (I, 1, 12–13), mentioning among them the writings found by the sarcophagus of Numa Pompilius and the throwing of Atilius (instead of Tullius!) into the water. Valerius Maximus was not an exceedingly popular author among the Humanists, and he was much more often quoted in ecclesiastical orations; in the Late Medieval speeches of Pelbárt Temesvári and Osvát Laskai, he was the only pagan author ever quoted apart from the Moralists: Cicero, Seneca and Aristotle. Abbot Márton’s examples were obviously not provided by Italian Humanism, and he was not in the least touched by Platonism. He elaborated at a great length on the grandness of Aristotle whom he had studied at university (I, 247–266), calling him the leader of the wise men (princeps Sophorum), while he did not even mention the greatest discovery of the Florentine Humanism, Plato. The background of his erudition thus brings him close to monastic Humanism: in the laudatory verses about St. Ladislaus (II, 307–358), he compares the King to Antique rulers (Traianus, Numa Pompilius, Lycurgus), and the age of St. Adalbert and St. Gerard reminds him of that of Camillus. Paradoxically, even the story of St. Ursula and the 11.000 virgins (slaughtered by the Huns) contributes to the list of the virtues of the Hungarians’ predecessors (II, 103–104), which shows that for Márton, national, classical and Christian history melts into an unproblematic unity in the rhetoric of anti-Ottoman exhortation. It is probably also another parallel to Erasmus, as the latter quotes the above mentioned chapter from Valerius Maximus in The Complaint of Peace: in his interpretation, war among Christians is a fratricide, which – according to Valerius – was punished by the Romans so that the murderer was sewn into a sack and thrown into the Tiber. Márton Nagyszombati, when discussing disrespect towards religion, quotes the same example that Erasmus uses when referring to Christians waging war against each other.57 It could also be relevant for the identification of Márton Nagyszombati’s sources that he mentions Podalirius, an eminent doctor from the Iliad (I, 133): in classical poetry, he was frequently recalled by Ovid,58 which might indicate that Abbot Márton read his works. However, this doctor can be found in the poems of contemporaries as well: Bohuslav Hassenštejn a Lobkowitz says in his ironic epicedium upon the death of Matthias Corvinus that the king could not even have been cured by Podalirius.59 Taking Bohuslav’s works into account, the occurrence of Podalirius in Nagyszombati’s work seems rather to be the result of rhetorical studies during his school-years. In the collection of Bohuslav’s poems, there are several pieces which seem to be school exercises of elaborating upon a given topic, such as his works About Spring (De Vere), or about winter weather (In tempus brumale),60 which nevertheless include hemistichs to be also found in Márton Nagyszombati’s description of the Golden Age (e.g. I, 365–382). Márton’s account of the luxury of 57 58 59 60

Roterodamus (cf. n. 43), 84. See Ovids Tristia. Hassensteynius a Lobkowitz (cf. n. 33), 91, Epic. 2, 2. Ibid., 211.

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the nobles (III, 7–44) is very similar to Bohuslav’s depiction of their debauchery,61 despite the fact that the genre of the satire offered much wider possibilities, and the latter even wrote in a much more original style than what Nagyszombati’s exhortation could have achieved. The nobles do not talk about virtue, only about their perjuries and frauds, how they seduced each other’s wives, and “what she said, when she was laid for the first time, and how many times he could do her in one night” (e.g. “quae dicta dedit, quo tempore primum / Venit in amplexus, quoties patraverit una / nocte.”). It is hard to decide whether Márton compares the wealth of King Matthias to that of Croesus (II, 520), just as Bohuslav did in the dialogue between Vladislav II and the goddess Fortuna,62 because of their similar poetic vocabulary or because he knew Bohuslav’s poem. Also, it is possible that Bohuslav’s image of King Matthias – first dominated by hatred, later by respect for his vigour and authority – is mirrored by Nagyszombati’s description of Matthias’ resoluteness, then already remembered with nostalgic feelings: he let the rebels be bound to pillars, put in chains, their teeth drawn out with clamps and their bodies flagellated (II, 549–554).63 Finally, another extraordinary Antique historical parallel draws our attention to a third reading material of Nagyszombati: while exalting concordia – among a variety of other forms – he says, “Divided power unmakes even a great power, such as hot water turns into lukewarm when it is dispersed; ambitious faction [discordia] destroys in a short time what has been built through a long time’s work. Thus admonished Micipsa his three sons before his death” (III, 463–467). The name and story of Micipsa comes from the 10th chapter of Sallust’s work on The Jugurthine War: here we find the well-known sentence, quoted over and over again in antiOttoman Humanist orations: “For by concord even small states are increased, but by discord, even the greatest fall to nothing.”64 Márton could have easily read this work during his studies in its 1511 and 1516 Vienna editions. Márton Nagyszombati follows the rules of the genre of exhortative poem in a mechanical way and with rather less poetic routine; however, the piece stands out from among its contemporaries because of its roots in personal experience. The author repeatedly recalls his own misery (II, 578; III, 786), and we have also mentioned the place where he elaborates upon the tortures he wishes to be inflicted upon the Turks – perhaps as a personal revenge. Even if we cannot agree Rabán Gerézdi, who claimed that the writing of Abbot Márton contained “more content and more 61 62 63

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“Satyra in qua mores procerum nobilium et popularium Patriae suae reprehendit.” Ibid., 11–18. Lobkowitz von Hassenstein (cf. n. 30), 45 f. Bohuslav tried to persuade King Wladislas, that a king has to be savage, because nobody obeys the just ones, and although Wladislav is willing to change his manners and become a tyrant, Goddess Fortune does not believe it because of his breeding. In the dialogue of Goddess Fortune and the King, he says: “[Wlad.:] Quid faciam? Iubeo, sed nemo recta iubenti / paret. [Fort.:] Mathiae paruit omnis homo. / [Wlad.:] Saevus erat. [Fort.:] Saevus nobis dominetur oportet, / cervicis durae nempe caterva sumus. / [Wlad.:] Mutabo mores ergo fiamque tyrannus. / [Fort.:] Et Laudeo et moneo, credere sed nequeo. / [Wlad.:] Cur, quaeso? [Fort.:] Quoniam in teneris consuescere multum. / [Wlad.:] Regius, ut video, est ense tuendus honor.” See ibid., 46. Sallust: Sallust’s Conspiracy of Catiline and The Jugurthine War. Transl. by John Selby Watson. Teddington 2006.

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inner truth” than those of the average contemporary Humanists, we can safely say that – contrary to those – it contains at least some hints about the author’s own personal emotions.

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„Barbarorum iuga, exterorum dominatio“. Beiträge zur Modifizierung des ungarischen Feindbildes im 16. Jahrhundert „[…] civitas et patria mihi ut Antonino Roma, ut homini mundus […].“ (Marcus Aurelius)1 Das bedeutendste Werk der lateinischsprachigen Geschichtsschreibung im frühneuzeitlichen Ungarn sind die Historiae von Nikolaus Isthvanffi (1538–1615).2 Der Autor war Würdenträger des Königreiches, sein Thema ist die Geschichte Ungarns zwischen 1490 und 1607. Den Entschluss, diese niederzuschreiben, fasste er während des „Langen Türkenkrieges“ (1593–1606) im Jahr 1598 in Siebenbürgen.3 Die Arbeit an dem Werk dauerte bis zu den ersten Tagen des Jahres 1608 an.4 Im Folgenden befasse ich mich mit den Bildern der „Türken“ und der Deutschen in den Historiae. Deren Bedeutung ergibt sich aus einer Modifizierung des ungarischen Nationalbewusstseins in der Frühen Neuzeit. Seit dem 15. Jahrhundert war das Grundelement des ungarischen Selbstverständnisses, dass das Ungarntum das Schild des Christentums (clipeus totius Christianitatis) sei. Im 17. Jahrhundert verstärkte sich jedoch die Auffassung, dass sich die ungarische Nation nur auf sich selbst verlassen könne und verraten worden sei, „zwischen zwei Heiden“ („két pogány közt“) lebe und gegen diese für ihre Freiheit kämpfen müsse. Da auch die Überzeugungen, welche die Vergangenheit und die Gegenwart seit Jahrhunderten in „wir“ und „sie“, „ungarisch“ und „fremd“ teilten, daraus entstanden sind, lohnt es sich, die „Metamorphose“ zu untersuchen, an deren Ende die Deutschen zu den „anderen Heiden“ wurden. Diese Wandlung ist von den Erfahrungen, die sich im 1 2

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Siehe Aurels Meditationes (versio Scholtziana), VI, 44. Isthvanffi, Nikolaus: Nicolai Isthuanfii Pannonii, Historiarum de rebus Ungaricis libris XXXIV. Coloniae Agrippinae MDCXXII. Der Autor überreichte das Autograph – morti vicinus – seinem Freund Peter Pázmány, der es als Erzbischof von Gran (ung. Esztergom) bei Anton Hierat drucken ließ. Darüber schrieb er in seinem auf den 31. Dezember 1605 datierten Brief an Pázmány. Siehe Pázmány Péter levelezése [Peter Pázmánys Korrespondenz]. Hg. v. Vilmos Frankl. Bd. I: 1605–1625. Budapest 1873, 5–8. In der auf den 27. Januar 1608 datierten und an Rudolf II. gerichteten Widmung erwähnte Isthvanffi zweimal sein Werk, welches er vollendet habe. Die Widmung erschien allerdings nie. Sie wird mitsamt dem Autograph in der Ungarischen Nationalbibliothek aufbewahrt. Országos Széchényi Könyvtár, Kézirattár [Nationalbibliothek Széchényi, Handschriftensammlung] (fortan OSzK, Kt), Quart. Lat. 2316. Später wurden Epitomen zu weiteren vier Büchern erstellt, die die Jahre 1608 bis 1613 abhandeln.

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16. Jahrhundert auf eine fünfhundertjährige Deutschfeindlichkeit schichteten,5 nicht abzugrenzen. Seit 1526 saßen nämlich die Habsburger auch auf dem ungarischen Thron, behielten aber ihren Hof im Ausland. Um die osmanische Expansion aufzuhalten, kamen ausländische, zumeist deutsche Heere ins Land, an der Verwaltung des Königreiches beteiligten sich Ausländer, vor allem Deutsche. Der Autor und das Thema der Historiae lassen uns die genannte Metamorphose besser verstehen. Der Leser hat es freilich nicht leicht, denn die Historiae umfassen etwa 72 Bögen; weder gibt es eine zugängliche Ausgabe noch eine vollständige moderne Übersetzung;6 die Quellen des Werkes sind nicht erschlossen, nur die erste Hälfte des Autographs ist heute bekannt.7 Es existiert über den Autor auch keine Monographie.

Zeitraum und Autor der Historiae Isthvanffi lässt das Werk mit dem Tod von König Matthias Corvinus (Reg. 1458– 1490) beginnen. Die humanistische Interpretation der mittelalterlichen ungarischen Geschichte bot ihm Antonius de Bonfini (1434–1503), Geschichtsschreiber am Hof von Matthias bzw. dessen Nachfolger, Ladislaus II. von Ungarn (Reg. 1490–1516, seit 1471 König von Böhmen).8 Im 16. Jahrhundert war Matthias für die ungarische Geschichtsinterpretation zum wichtigsten Bezugspunkt seit der Annahme des Christentums geworden. Das Glücksrad des Königreiches hat sich nämlich während weniger Generationen um drei Viertel gedreht.9 In 500 Jahren erlitt der Staat 5

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Das belegen auch die mittelalterlichen narrativen Quellen. Für das 11. bis 14. Jahrhundert wurde der Großteil veröffentlicht: Scriptores rerum Hungaricarum tempore ducum regumque stirpis Arpadianae gestarum. II Bde. Hg. v. Emericus Szentpétery. Budapest 1937–1938. Zum 15. Jahrhundert siehe Bonfini, Antonius de: Rerum Ungaricarum decades. Bd. 4/1: Decades 4 et dimidia 5. Hg. v. József Fógel, Béla Iványi und László Juhász. Budapest 1941. Ein anonymer Autor aus dem 14. Jahrhundert berichtete, wie die Ungarn eine deutsche (schwäbische) Truppe auf Bitten Herzog Albrechts II. von Habsburg bekämpften. Er ließ die Besiegten um ihr Leben auf Deutsch flehen und die Sieger auf Ungarisch reden: „Wezteg kwrwanewfya zaros nemeth, iwttatok werenkewth, ma yzzywk thy wertheketh! – Still bleiben, Hurensöhne, scheiß Deutsche, ihr habt unser Blut getrunken, heute trinken wir eures!“ Vgl. Historiae Hungaricae fontes domestici. Teil 1: Scriptores. Bd. 3: Chronicon Dubnicense. Hg. v. Mátyás Florianus. Lipsiae 1884, 143–167, hier 167. Alle bisherigen Ausgaben sind im deutschen Sprachraum erschienen, die letzte im 18. Jahrhundert. Für ein Verzeichnis der Editionen, Manuskripte und Übersetzungen siehe Inventarium de operibus litterariis ad res Hungaricas pertinentibus ab initiis usque ad annum 1700. Hg. v. Péter Kulcsár. Budapest 2003, 252–254. OSzK, Kt, Libri I–XX über die Jahre 1490–1562. Der vollständige Text erschien 1568, danach dank Johannes Sambucus auch 1581. Dieser war Kaiser Ferdinands I. und Maximilians II. Hofarzt und Hofhistoriker sowie ein hervorragender Philologe. Die kritische Ausgabe siehe Bonfini (wie Anm. 5). Für weitere Ausgaben siehe Inventarium de operibus litterariis (wie Anm. 6), 80–82. Auf einer mittelalterlichen Analogie ist der König auf einem Glücksrad dreimal zu sehen. Die zugehörigen Textbänder lauten: links regnabo, oben regno und rechts regnavi, unter dem Rad schließlich steht sum sine regno. Siehe das Gemälde von Albertus Pictor in der Kirche von Härkeberga in Schweden. Larsson, Lars-Olof: Kalmarunionens tid. Från drottning Margareta

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nur eine vernichtende Niederlage (1241): Infolge des Einfalls der Mongolen wurde ein bedeutender Teil des Landes verwüstet. Das Königreich des im 14. Jahrhundert herrschenden Hauses Anjou wurde im Ausland schon als archiregnum bezeichnet, und Sigismund sammelte auf dem Thron Ungarns sitzend seine Kronen. Die osmanische Expansion brachte immer höhere Verluste mit sich, aber es gelang dem mächtigsten Baron des Königreiches, Johann Hunyadi (um 1407–1456), Sultan Mehmed II. (Reg. 1444–1446 und 1451–1481) aufzuhalten.10 Hunyadis Sohn war später nicht nur gegen den osmanischen Herrscher erfolgreich, sondern besiegte auch Kaiser Friedrich III. (Reg. 1452–1493).11 Süleyman der Prächtige (Reg. 1520–1566) eroberte jedoch am 29. August 1521 nicht nur Griechisch-Weißenburg (serb. Beograd), sondern vernichtete am 29. August 1526 auch das königliche Heer bei Mohatsch (ung. Mohács) und besetzte schließlich am 29. August 1541 Ofen (ung. Buda) samt dem mittleren Drittel des Landes.12 Das Königreich Ungarn war damit auf den westlichen Teil des Landes zusammengeschrumpft. 1526 erwarteten die Anhänger der Habsburger die Verdrängung der Türken, schließlich konnten sie sich darüber freuen, dass der Frieden von Adrianopel (türk. Edirne) 1568 die türkische Expansion offiziell „absperrte“.13 Nach einem Vierteljahrhundert, das weder als Krieg noch als Frieden bezeichnet werden kann, brach der „Lange Türkenkrieg“ aus, und kaum einhundert Jahre nach dem Tod von Matthias Corvinus verlief die osmanische Grenzlinie zwischen Wien und Raab (ung. Győr). 1598 wurde zwar Raab zurückerobert, aber noch während des Krieges entfaltete sich wiederum eine bürgerkriegsähnliche Situation als Folge sowohl des ständigen Unrechts der Stände als auch des Kampfes eines Grundbesitzers, Stephan Bocskai (1557–1606), jenseits der Theiß. Sowohl die inneren Kämpfe als auch der Türkenkrieg wurden 1606 mit

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till Kristian II [Die Zeit der Kalmarunion von Königin Margarethe bis Christian II]. Stockholm 2003, 292. Der „Schlüssel des Landes“, Griechisch-Weißenburg, wurde 1456 vom Eroberer von Byzanz belagert. Johann Hunyadi, der gekommen war, um die Burg zu befreien, besiegte ihn jedoch am 22. Juli. Als König von Böhmen galt Hunyadis Sohn auch während des Krieges gegen Kaiser Friedrich III. als der vornehmste weltliche Kurfürst des Reiches, 1485 eroberte er Wien und zwei Jahre später Wiener Neustadt. Nach dem Tod König Ludwigs II. (Reg. 1516–1526) auf dem Schlachtfeld von Mohatsch wurden der Woiwode von Siebenbürgen, Johann Szapolyai (Reg. 1526–1540), sowie Ferdinand von Habsburg (Reg. 1526–1564) zum König gewählt. Szapolyai erbat Sultan Süleymans Hilfe gegen seinen Widersacher. Die Auseinandersetzung endete 1538 mit dem antiosmanischen Geheimabkommen von Wardein (ung. Várad, rum. Oradea), in dem sie sich zwar gegenseitig als Könige anerkannten, doch sollte nach dem Tod Szapolyais Ferdinand alleiniger Herrscher werden. Tatsächlich aber wählten die mächtigsten Anhänger von Johann dessen einjährigen Sohn, Johann Sigismund (Reg. 1540–1571), zum Nachfolger. König Ferdinand versuchte 1540 bzw. 1541, Ofen einzunehmen. Der um Hilfe gerufene Sultan besetzte Ofen und gründete für Johann Sigismund einen Vasallenstaat in Siebenbürgen. So sah sich auch Johann Sigismund zu einer Einigung mit König Maximilian (Reg. 1564– 1576) gezwungen. Im Geheimabkommen von Speyer (1570) verzichtete er auf den Titel electus rex Hungariae und nahm stattdessen princeps Transsilvaniae partiumque regni Hungariae dominus an. Damit ordnete er sich dem ungarischen König unter und anerkannte, dass Siebenbürgen ein Teil des Königreiches war. Zwischen 1571 und 1613 herrschte die Familie Báthory in Siebenbürgen.

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den Verhandlungen in Wien bzw. an der Mündung der Zsitva beendet. Aber bei den Ausführungen der Abkommen gab es große Verwirrungen, bis 1608 standen sowohl das Königreich als auch Siebenbürgen vor einem Herrscherwechsel. Diese Lage spiegelt sich in den letzten Worten der Historiae wider: „[…] omnia per longam expectationem inter spem metumque varie et ambigue agitari videbantur.“ Nikolaus Isthvanffi wurde 1538 in eine alte Adelsfamilie hineingeboren.14 1543 musste er vor den Osmanen fliehen, lebte in der Folgezeit an verschiedenen bischöflichen Höfen und studierte ab 1550 in Italien. Nach seiner Rückkehr nach Ungarn diente er – vielleicht in der Festung Szigetvár – als Soldat, anschließend war er für zwei Jahrzehnte in der Königlichen Kanzlei angestellt. Inzwischen wurde Szigetvár von Süleyman erobert (1566), die letzten Verteidiger der Stadt (u.a. ein Bruder von Isthvanffi) fielen zusammen mit dem Burgkapitän Graf Nikolaus Zrínyi (um 1508–1566) beim Versuch eines Ausbruchs aus der brennenden Innenburg. Diese Verteidigung wurde zum Paradigma des antiosmanischen Kampfes im Königreich.15 Mit dem Fall dieser Festung gingen aber auch die restlichen Güter der Familie Isthvanffi verloren.16 Nikolaus heiratete eine zweimalige Witwe,17 dank seiner Bildung wurde er Mitglied des Humanistenkreises um Stefan Radétzi (gest. 1586) in Pressburg (sk. Bratislava), der aus Ärzten, Naturwissenschaftlern und Philologen bestand.18 1575 führte Isthvanffi offizielle Verhandlungen mit dem Pascha von Ofen, zwischen 1581 und 1608 übte er das Amt des locumtenens officii palatinalis in iudiciis aus,19 ehe er 1582 den Titel eines Barons erhielt. 1589 war er einer der Unterhändler Rudolfs, König von Ungarn (Reg. 1576–1608), die mit Sigismund III. von Polen (1588–1632) über die Freilassung Erzherzogs Maximilian III.

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Einer seiner Großväter stand in einem familiaren (familitas) Dienstverhältnis zum Herzog Johannes Corvinus, der andere war vielleicht Vorsteher am Hof der Kinder von Ladislaus II. Ein Onkel von ihm fiel bei Mohatsch als Kämmerer König Ludwigs II. Sein Vater Paul, der zwölf Jahre in Italien studiert und die erste Versnovelle in ungarischer Sprache anlässlich der Vermählung Johann Szapolyais mit Isabella verfasst hatte, starb als Ratgeber König Ferdinands. Im Buch des Dominicus wird Zrínyi wie folgt besungen: „Nicolaus comes Serinius, Zigethiensis praesidii dux.“ Unter der Abbildung steht: „Serinus pugnans Christi est quod caesus in hostes / Aeterno cunctos nomine it ante duces.“ Und das letzte Distichon lautet: „Occubuit patriae cum libertate salutem / Dum communem Heros impiger adservit.“ Dominicus, Custos: Atrium heroicum […] illustratum. Pars I–IV. Augsburg 1600–1602, hier Pars III. Von dieser Zeit an sollte sich Nikolaus Isthvanffi alles selbst erarbeiten, wie er es in seiner auf April 1587 datierten Bittschrift an König Rudolf schrieb. Österreichisches Staatsarchiv, FHKA HfU, r. Nr. 52. Konv. 1587 Dez., 105–106. f. Der erste Mann seiner Ehefrau war Marko Horvat, der Hauptmann von Szigetvár, der 1556 die Burg erfolgreich gegen die Osmanen verteidigte; der zweite hieß Paul Bakits. Isthvanffi führte Konversationen u.a. mit Johannes Sambucus, Carolus Clusius, Georg Purkircher, Hugo Blotius und Nicasius Ellebodius unter einer Apoll geweihten Linde im Garten des Bischofs von Raab. Das erste weltliche Amt nach dem König, das des Palatins, wurde seit 1562 nicht besetzt. Da Isthvanffi von den Rechten des Palatins das Jurisdiktionsrecht besaß, wurde er kurzzeitig propalatinus genannt.

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verhandelten.20 Als frommer Katholik21 pilgerte er auch zu dem Marienwallfahrtsort Tschenstochau (pol. Częstochowa).22 Von April bis September 1598 verwaltete er gemeinsam mit dem Bischof von Waitzen (ung. Vác) Siebenbürgen.23 In den 1590er Jahren besaß Isthvanffi Güter in sechs Komitaten.24 Er kämpfte während des gesamten „Langen Türkenkrieges“ und gehörte bei den Friedensverhandlungen zu den königlichen Vertretern. 1609 erlitt er einen Schlaganfall und zog sich wahrscheinlich aus dem öffentlichen Leben zurück. Er verstarb 1615 zu Hause im slawonischen Vinice. Einer seiner Zeitgenossen würdigte ihn mit den Worten: „[…] pari tenore Palladem et Martem coluit.“25

I. Der Erzfeind Was soll man mit den Türken tun? Stefan Brodarics (um 1480–1539) wurde zu Matthias’ Zeiten in Ungarn geboren. Als Kanzler von König Ludwig II. kämpfte er sich in der Schlacht von Mohatsch angeblich bis zu den osmanischen Kanonen vor. Auf Wunsch des polnischen Königs Sigismund („der Alte“; Reg. 1506–1548) hielt er die Geschichte der Schlacht fest.26 Als Bischof und Diplomat stellte er sich auf die Seite von König Johann. Auch nach dem vierten Feldzug Sultan Süleymans des Prächtigen im Jahr 1532 war er davon überzeugt, dass die Freundschaft mit den Osmanen das wichtigste Pfand 20

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Erzherzog Maximilian III. verlor die Schlacht um den polnischen Thron gegen den schwedischen Kronprinzen und gewählten polnischen König Sigismund am 14. Januar 1588 bei Pitschen (pol. Byczyna) und geriet in Gefangenschaft. Das Abkommen kam am 06. März 1589 an der Grenze zwischen Schlesien und Polen in Bendzin (pol. Będzin) zu Stande. Seiner Ansicht nach nutzte der Protestantismus vor allem den Osmanen, wie er in einem Brief an Pázmány vom 01. Februar 1605 ausführte: „[…] subrepentibus haeresibus Turcae etiam in nos grassandi maior facultas.“ OSzK, Kt, Fol. Lat. 3606/3. 43af. Die Lehren von Luther und Calvin titulierte er in seinen Historiae als haeresis und deren Anhänger als sectarii. Für noch schlimmer – errores pestiferos – hielt er die Dogmen der Unitarier, die vom „Aberglauben“ der Türken gar nicht so weit entfernt seien: „Quae a Turcica superstitione haud longe distaret.“ Isthvanffi (wie Anm. 2), 796 und 521. Den frühen Tod des Johann Sigismund, der sich zum Arianismus bekannt hatte, hielt er für Gottes Strafe. Über seine Erlebnisse verfasste er das Gedicht „Hymnus in deiparem virginem“. Siehe Isthvanffi, Nikolaus: Carmina. Hg. v. József Holub und László Juhász. Lipsiae 1935, 43–45. Nachdem Sigismund Báthory zum zweiten Mal abgedankt hatte, kam das Gebiet unter Rudolfs Herrschaft. Einige seiner Güter befanden sich unter osmanischer Oberhoheit bzw. waren verlassene Felder oder nur von geringem Ertrag. Es galt als besondere Gnade des Königs, dass seine drei Töchter die Güter erben durften. Siehe die Ausgabe der vom Bischof von Bosnien, Thomas Balásffi, verfassten Isthvanffi-Biographie in Pray, Georgus: Annales regum Hungariae […] opera et studio Georgii Pray […]. Pars IV. Complectens res gestas ab coronatione Mathiae Corvini, ad Lvdovicvm II. Vindobonae MDCCLXVII, 5–7. Die Epistel erschien im April 1527 in Krakau. Als kritische Ausgabe siehe Brodericus, Stephanus: De conflictu Hungarorum cum Solymano Turcarum imperatore ad Mohach historia verissima. Hg. v. Petrus Kulcsár. Budapest 1985.

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für die Integrität Ungarns sei.27 Er sollte jedoch später eine zentrale Rolle bei der Vorbereitung des antiosmanischen Abkommens von Wardein (ung. Várad) im Jahr 1538 spielen. Nikolaus Olahus (1493–1568) war von walachischer Abstammung und wurde zu Zeiten der Jagellonen geboren. Er folgte als Sekretär der königlichen Witwe, Maria von Habsburg, in die Niederlande. Hier verfasste er 1537 seine „Hungaria“, in der Ungarn als ein noch intaktes, mächtiges, fruchtbares und reiches Land geschildert wird.28 Im Zusammenhang mit den Bauten von Matthias Corvinus in Visegrád gab er folgende Geschichte wieder: Ein Gesandter des Sultans, der beim Anblick der Pracht des Königspalastes die Fassung verlor und vor dem König auf dem Thron Angst bekam, vergaß seine Botschaft und alles, was er sagen konnte, war: „Caesar salutat, Caesar salutat.“ König Matthias wandte sich an seine Gefolgschaft mit den Worten: „Seht, welche Tiere wegen der gemeinsamen Fahrlässigkeit die Grenzen des Christentums zerstörten, aber ich werde sie schon züchtigen. Nähmen die anderen Herrscher Abstand von dieser Fahrlässigkeit und den inneren Fehden,29 so käme die Sache des Christentums wieder in Ordnung.“30 Die Botschaft Oláhs war eindeutig: Sollte Ungarn keine Hilfe gegen die Osmanen bekommen, so ginge ein besonders wertvoller Teil Europas zugrunde – dabei sei der Feind nicht unbesiegbar. Anton Verancsics (1504–1573) war von bosnischer Herkunft und wurde während der Herrschaft der Jagellonen in Ungarn geboren. Als Johanns Anhänger wurde sein Handeln von der Überlegung bestimmt, dass Angriffe von Ferdinand verheerende Feldzüge Sultan Süleymans nach sich ziehen würden und dass der osmanische Herrscher nach dem Tod Johanns selbst einen König einsetzen oder 27

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„Ego statim extincto […] rege […] Ludovico hoc firmiter sentire cepi Hungariam salvam esse non posse nisi per amicitiam Thurcorum. Hoc nunc sentio, ab hac sententia credo nunquam abduci potero“, schrieb er als Bischof von Fünfkirchen in seinem auf den 18. Januar 1533 datierten Brief an Thomas Nádasdy. Hier zitiert nach Kujáni, Gábor: Brodarics István levelezése (1508–1538). Második közlemény [Korrespondenz von Stefan Brodarics (1508–1538). Zweite Mitteilung]. In: Történelmi Tár 31 (1908), 321–345, hier 324. So wurde etwa das Land angepriesen: „Hungariam […] ipsam rerum omnium, quae tum ad usum mortalium, tum ad opes comparandas necessariae esse putantur, non exiguam gignere copiam satis constat, terram habere nigram, pinguem, uliginosam, quae scilicet non magno cultorum labore uberes producat fructus.“ Hier zitiert nach Olahus, Nikolaus: Hungária-Athila. Hg. v. Kálmán Eperjessy und László Juhász. Budapest 1938, Cap. XVIII, 2. – „Vini copia tanta, ut omnes fere Hungariae regiones […] vina generosa […] ferant.“ Ebd., 4. – „Fructuum omnis generis infinita copia, peponum et melonum varia genera ut frumentum in campis seminantur.“ Ebd., 9. – „Amplitudo et satietas tanta est pascorum, ut multa millia equorum, bovum, ovium, caprarum et aliorum id genus pecorum alat.“ Ebd., 12. – „Auri, argenti, ferri, cupri, stanni, vitrioli, marmoris et rubri et albi maxima ibi copia.“ Ebd., Cap. XIX, 1. – „Montes sunt salis fossilis plurimi.“ Ebd., 8. Die Uneinigkeit der christlichen Fürsten thematisierte Oláh auch an anderer Stelle. So schrieb er in Bezug auf das Osmanische Reich: „Christianorum nostrorum principum simultate, odio, discordia et bellis intestinis longe lateque nunc patet.“ Ebd., Cap. II, 7. „Videte, quales beluas nostros et aliorum principum Christianorum fines negligentia nostra publica incursent, verum, quantum in me erit, curabo frena his beluis imponere […]. Si alii etiam principes socordia et intentis dissensionibus sepositis hoc idem praestare curarint, agetur bene de rebus Christianis.“ Ebd., Cap. VI, 12.

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Ungarn gleich seinem Reich einverleiben werde.31 Vermutlich unter der Wirkung der Besetzung von Ofen (1541) entschloss er sich, eine Geschichte Ungarns zu schreiben.32 Der Untergang Ungarns habe – wie es im Vorwort zum Ausdruck kommt – mit dem Tod von Matthias Corvinus begonnen: „Inclinatio regni Hungariae dubio procul ab excessu divi Matthiae Corvini regis longe praestantissimi sumpsit exordium.“33 Als Diplomat Kaiser Ferdinands reiste er später häufig an die Hohe Pforte und spielte beim Zustandekommen des Friedens von Adrianopel eine Schlüsselrolle.34 Franz Forgách (um 1530–1577) entstammte einer alten Adelsfamilie, wurde von Nikolaus Olahus zum Studium nach Padua geschickt und bekleidete später ein Bischofsamt. Er war mit Wilhelm von Oranien verwandt, nahm an den Krönungszeremonien Maximilians II. (Reg. 1564–1576) in Prag, Frankfurt und Pressburg teil und hielt im Stephansdom die Trauerrede für Kaiser Ferdinand I. (Reg. 1558–1564). Doch scheiterte er mit seinen Ambitionen und auch „das Kampieren bei Raab“ verbitterte ihn,35 so dass er schließlich mit königlicher Erlaubnis in das Land Johann Sigismunds umsiedelte. Sein Verwandter, Stephan Báthory, der Fürst von Siebenbürgen und spätere König von Polen, ermunterte ihn, eine Zeitgeschichte zu schreiben.36 In diesem Werk wurde König Matthias Corvinus als „sapientissimus princeps atque magister“ tituliert, eine besondere Würdigung erfuhr seine „zivilisatorische Tätigkeit“.37 Der Held seiner Zeit war Forgáchs Schilderung nach aber 31

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Der Text, den er über die Lage Ungarns zwischen 1526 und 1529 schrieb, endet wie folgt: „Neque sibi quisquam persuadeat Joanne vivo et cum Ferdinando in concordiam non adducto Hungariam Ferdinandi fore, et, si Joanni mors inter ista contingat, quis dubitat Turcum vel alium regem pro voto suo Hungariae impositurum Joanne longe ferociorem et intractabiliorem vel Hungariam, quod magis est timendum pro se occupaturum et ex regno in provincia redacturum, quod Turci sangiacatum vocant.“ Ich danke meinem Kollegen József Bessenyei, der mir diesen Text zur Verfügung stellte. Für eine Kopie siehe im Kodex des Vatikanischen Archivs, Ottob. Lat. 2746. Frater Georg Martinuzzi war nämlich in seinem auf den 28. Februar 1545 datierten Brief erfreut darüber, „quod nomen meum in historiis, quas texere coepit, illustrare conetur“. Hier zitiert nach Verancsics Antal magyar királyi helytartó, esztergomi érsek összes munkái [Das Gesamtwerk des königlichen Statthalters und Erzbischofs von Gran, Anton Verancsics]. Bd. 6: Vegyes levelek 1538–1549. Hg. v. László Szalay. Pest 1860, 183. Hier zitiert nach ebd., Bd. 1: Történelmi dolgozatok deák nyelven. Pest 1857, 3. Das unter dem Titel De rebus Hungarorum ab inclinatione regni geplante Werk wurde dagegen nie fertiggestellt. Vgl. Wrancius Sibenicensis Dalmata, Antonius: Expeditionis Solymani in Moldaviam et Transsylvaniam libri duo. De situ Transsylvaniae, Moldaviae et Transalpinae liber tertius. Hg. v. Colomannus Eperjessy. Budapest 1944, IV–V. Auch das Monumentum Ancyranum wurde anlässlich einer solchen Reise gefunden. Tardy, L./ Moskovszky, É.: Zur Entdeckung des Monumentum Ancyranum. In: Acta antiqua Academiae Scientiarum Hungaricae 21 (1973), 375–401. Während der osmanischen Belagerung von Szigetvár hielt sich der Herrscher mit seinen ungarischen und ausländischen Truppen im Feldlager bei Raab auf, anstatt der belagerten Stadt zu Hilfe zu eilen. Forgách, Franz: Francisci Forgachii […] rerum Hungaricarum sui temporis commentarii. Adiecit […] dissertationem historico-criticum. Hg. v. Alexius Horányi. Posonii et Cassoviae 1788. „[…] quibus rebus omnibus anteivit non solum suae aetatis principes omnes, sed etiam poste-

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zweifelsohne Sultan Süleyman, der als „vir inter antiquos imperatores facile constituendus“ sogar zwei Imperatoren zu Tributpflichten (vectigales) zwang.38 Der Sultan nehme dabei keine Rücksicht auf sein Alter oder auf die Schwäche seines Körpers, sondern strebe allein nach Ruhm und Ehre; er bete zu seinem Gott, im Land des Feindes als Sieger sterben zu dürfen.39 „Praeclara vox tanto imperatore digna“, fügte Forgách als Mahnung an die Christen hinzu.40 Allen vier Autoren war gemein, dass sie ihren Aufstieg einem überdurchschnittlichen Talent verdankten, eine längere Zeit außerhalb Ungarns gelebt hatten, sich mit Geschichtsschreibung beschäftigten, auf Lateinisch schrieben und Katholiken waren – wie Isthvanffi, dessen Verhältnis zu den Türken unverändert geblieben war.41

Der „hostis rei publicae Christianae“ Mit den Anfangsworten der „Historiae“ definierte der Autor Ungarn als seinen mundus, res publica Christiana. Demnach war Pannonien (Pannonia) seit der Annahme des Christentums besonders vornehm und blühend, ja es sei dazu berufen, die res publica Christiana vor den Barbaren zu schützen.42 Als ungarischer Grund-

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riorum temporum immortali gloria, et, quoad saeculum hoc erit, semper ad posteros laudabilior.“ Ebd., Cap. XIX, 581 f. Ebd., Cap. XVI, 458. „[…] precor deum maximum, ut cum supremo meae vitae exitu, quam pro religione deo consecravi, in hostili solo atque ipsa in hostis patria ad ipsius urbis Viennensis moenia facili victoria velit confirmare.“ Ebd., 409. Ebd., Cap. XVIII, 498. Die Reformierten sahen anfangs die Prophezeiung Daniels in Erfüllung gehen. Die osmanische Expansion biete zur Verbreitung des Evangeliums eine großartige Möglichkeit, schrieb Zsigmond Torda de Gyalu in seinem Brief an Philipp Melanchthon vom 25. Dezember 1545: „[…] scito in iurisdictione Turcorum ubique libere praedicari evangelium, ut summum beneficium dei esse dicas, quod has terras a barbaris subiugari permiserit, etsi enim corpora serviunt, certe evangelii magna lux affulsit et est amplissima libertas spiritus, quam nostri reges, rerum potirentur, armis et castris impedirent.“ Da die christlichen Fürsten gegen den Ruhm Christi kämpften, führe Gott die Türken, welche die freie Religionsausübung zuließen, zur Strafe herbei, schrieb er in seinem Brief vom 10. Oktober 1551: „Nostri principes armis et castris erant oppugnaturi gloriam Christi, propterea deus adduxit Turcas, qui concedunt liberae doctrinae confessionem. Quo fit, ut populus ad veri dei agnitionem veniat, ad quam a calamitatibus externis quasi manu ducitur, o ineffabilem dei misericordiam!“ Beide Briefe zitiert nach Bauch, Gusztáv: Adalékok a reformatio és a tudományok történetéhez Magyarországon [Beiträge zur Geschichte der Reformation und der Wissenschaften in Ungarn]. In: Történelmi Tár 8 (1885), 335–355 und 519–540, hier 526 bzw. 534. Aber schon in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre des 16. Jahrhunderts behauptete Paulus Farkas de Thur, die osmanische Tyrannei wolle die ganze Welt nicht nur unterjochen, sondern auch nach der islamischen Religion umformen: „Hujus tyrannidis conatus omnis est, non ut potentum Principum more, subjuget, sed ut totum Orbem in sua religione conformem efficiat, sive id armis sive mendaciis consequatur.“ Hier zitiert nach Thurius, Paulus/Molnár, Albert: Idea Christianorum Ungarorum sub tyrannide Turcica […]. Oppenheimii MDCXVI, 6. „Pannoniae regnum, ex quo Christianam religionem amplexum est, semper nobilissimum atque

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besitzer argumentierte Isthvanffi auch vom Standpunkt der res publica Christiana43 aus: Der Türke sei der „hostis nominis Christiani“ oder „communis hostis“, d.h. der „verus hostis“, der eigentliche Feind. Die Verteidigung des Teils und des Ganzen verband sich wiederum,44 manche taten aber nicht ihre Pflicht, zum Bsp. bat König Johann Süleyman um Hilfe. Man solle nämlich keine Hoffnung in den Kaiser setzen, sagten ihm zwei vornehme polnische Herren, selbst wenn Karl V. von mildem Gemüt sei, bleibe er dennoch der Bruder Ferdinands, der von Natur aus zum Befehlen neige. Und wer je die Süße der dominatio gekostet habe, werde niemals nachgeben.45 Deshalb solle sich König Johann an Sultan Süleyman wenden, der als „magni animi princeps“ im Stande sei, ihn wieder in Königswürden zu heben. Johann zögerte zwar, gab aber diesem Rat Vergil zitierend nach: „Flectere si nequeo superos, Acheronta movebo.“46 Isthvanffi kommentierte dies nüchtern: Johann profitiere durchaus davon, aber die res publica Christiana werde in große Gefahr – „in extremum […] discrimen, prorsus funestum atque perniciosum“ – gebracht.47 Zugleich verurteilte er sowohl den Kaiser als auch den französischen König.48 Hätten diese ihren Bürgerkrieg nicht fortgesetzt, wären die Türken leicht zu vertreiben

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florentissimum habitum fuit diuque Christianam rempublicam adversus barbarorum incursiones armis defendit.“ Isthvanffi (wie Anm. 2). Isthvanffi berief sich selbst dann auf allgemeine christliche Werte, wenn eine lokale Persönlichkeit als Vorbild hätte herangezogen werden können. So baten die ungarischen Verteidiger von Griechisch-Weißenburg ihre serbischen Gefährten durchzuhalten. Dabei beriefen sie sich nicht auf Hunyadi, der bereits einen Sultan besiegt hatte, sondern auf die Pflichten der christlichen Soldaten: „Prout Christiani nominis milites decet, singulari tolerantia omnem utriusque fortunae eventum subeundum decernamus.“ Ebd., 99. Beispielsweise: „laborantibus Ungaris et rei publicae Christianae in discrimen adductae“ (Ebd., 117.); „pro patria, pro aris et focis proque religione Christiana“ (Ebd., 123.); „pro sacrosanctae religionis et rei publicae Christianae defensione, pro aris et focis ac pro ipsis et eorum coniugibus liberisque proque regno Pannoniae ceterisque provinciis“ (Ebd., 127.). „Ferdinandus natura imperandi avidus degustata dominandi dulcedine nequaquam regno et regiae dignitatis fastigio cessurus.“ Ebd., 150. König Franz und Papst Clemens VII. haben selbst genug eigene Schwierigkeiten, Sigismund von Polen sei nicht der Erwähnung wert, und was die Venezianer betreffe, könne nur ein Unkundiger meinen, dass diese helfen werden. Es sei sicher, dass sie im Allgemeinen ruhige Zuschauer der Gefahr von anderen sind. Ebd. Siehe Vergils Aeneis, lib. VII, 312. Er hielt den Kampf zwischen Ferdinand und Johann für eine Tragödie, wie es aus seinem Briefwechsel mit Boldizsár Batthyány hervorgeht. Da er sich im Februar 1576 Sorgen machte, dass zwischen Maximilian II. und dem Fürsten von Siebenbürgen, István Báthory, um den Erwerb des polnischen Throns ein Krieg ausbrechen könnte, schrieb er an den Hochadligen: „Videor mihi iam videre renovatam veterem tragediam, quae inter serenissimum olim Ferdinandum imperatorem et Ioannem regem erat, neque consiliis humanis aliter unquam provideri potest, nisi praeter spem Deus optimus maximus omnia in melius convertat.“ Magyar Országos Levéltár [Ungarisches Landesarchiv] (fortan MOL), P 1314, Filmothek X 81, Box 4384, 21021. Hauptsächlich den Letzteren. Ein französisches Buch – Pauli Tertii Pont. Max. ad Carolum V. Imp. Epistola hortatoria ad pacem, et reponsio Caroli tum ad eam, tum ad alias. Eiusdem, concilii convocatoris. Item Francisci Christianissimi Francorum regis adversus ipsius Caroli Calumnias, epistola apologetica ad Paulum III. P. M. Parisiis MDXLIII. –, das er eigenhändig kopiert hatte, kommentierte er mit den Worten: „Certe negare non potuisti rex Francorum te socium Solymani fuisse cumque eo bellum in Christianos populos gessisse.“ OSzK, Kt, Fol. Lat. 3606/3. 41v. f.

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gewesen.49 Erst wenn Pannonien wegen deren Fahrlässigkeit untergehe, werden die christlichen Fürsten aus Scham den Kampf aufnehmen; andernfalls ereile sie dasselbe Schicksal wie Ungarn, mahnte Isthvanffi.50 Dieser transnationale Aspekt ist bei einem humanistischen Geschichtsschreiber leicht nachzuvollziehen, dessen Land zwar schon angegriffen wurde, aber noch nicht als verloren galt.51

Die „mores Turcarum“ Der gewöhnliche Barbar raube, stehle, verwüste und morde („barbaros rapinis, furto ac populationibus et caedibus vivere assuetos“), konstatierte der Autor in seinem Werk.52 So bleibe auch für Bildung nur wenig Zeit, war eine Aussage Isthvanffis, die er mit einer Anekdote über eine von Kaiser Ferdinand an die Hohe Pforte vermachte Uhr verband. Diese sei von einem Meister an den Bosporus gebracht worden, der den „Unwissenden“ beizubringen hatte, wie ein solches Uhrwerk funktionierte. Außerdem sei den Osmanen die Eitelkeit angeboren („insitae barbarorum animis vanitati“), denn sobald sie einen Christen trafen, seien sie sofort hochmütig geworden.53 Doch die ausgeprägteste Eigenschaft der Osmanen sei der Eidbruch, betonte der Autor, und sah vor allem in den Belagerungen von Burganlagen Beispiele osmanischer Hinterlist. So ging 1520 den Verteidigern von Srebrenik der Proviant aus, „accepta a Turcis incolumitatis fide sese dediderunt, quibus ea more Turcarum firmata est, quum omnes contra fas fidemque extemplo trucidati essent“.54 Fides barbarica galt laut Isthvanffi als Synonym für die Redewendung

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„Quod si duo ii principes, omnium nostrae aetatis maximi ac bellicosissimi eas vires […], quibus inter se dimicando civilia arma inpotenter exercuerunt, contra veros Christianae reipublicae hostes, Turcas […] convertissent, facile eos non Byzantio solum, sed totius Europae atque Asiae finibus eiicere […] potuissent.“ Isthvanffi (wie Anm. 2), 86 f. „[…] quum Christiani principes execrabili vecordia diducti ac perpetuis inter se armis dimicantes de viciniae Pannoniae salute […] nihil pensi habere viderentur tandiuque insanirent, donec ipsi debellatis eius calamitosi regni reliquiis eorundem barbarorum armis iniuriaeque expositi aut ab extremo ignominiae pudore ad pietatis decus revocati necessaria arma sumere aut similem sibi […] calamitatem clademque expectare condidicerint.“ Ebd., 270. Ihm war bewusst, dass es auch andere Schauplätze in der Auseinandersetzung zwischen der res publica Christiana und dem Islam gab. Folglich sah er nicht allein Ungarn als einzige „Schutzmauer“ an. 1529 übernahm zum Bsp. Wien diese Rolle: „[Gott] urbem praeclaram opportunumque non Germaniae solum, sed totius reipublicae Christianae propugnaculum singulari et manifesta sui nominis ope et favore clementissime conservasset.“ Ebd., 165. Insgesamt seien die Osmanen also schlimmer als die Haiducken oder die Deutschen im „Langen Türkenkrieg“ gewesen: „Haidonibus natura rapto vivere assuetis […]“ bzw. „qui […] omnia vi auferre solebant, […] nullo soluto precio auferre consueverant“. Ebd., 711 und 823. „[…] qui homines Christianos ad se venientes nil, nisi demissum ac humile verbis, gestu factisque prae se ferre volunt ac quodam barbarici fastus imperio etiam adigere videntur.“ Ebd., 152. – „[…] ad Ferdinandi legatos […] literis barbarico fastu exaratis“ (Ebd., 179.); „barbaricus ingenii fastus“ (Ebd., 190.); „pro innata barbarico eius ingenio arrogantia atque superbia“ (Ebd., 463.) usw. Ebd., 88.

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„das Wort auf türkische Art halten“.55 1541 nahm der zu Hilfe gerufene Sultan Süleyman „memorabili barbaricae perfidiae exemplo“ die Burg Ofen ein, was der Autor als einen Beleg für die betrügerische Veranlagung der „Barbaren“ verstanden wissen wollte.56 Im Zusammenhang mit den aufgegebenen Festungsanlagen thematisierte Isthvanffi häufig die „angeborene Brutalität“ der Osmanen: Obwohl die osmanischen Belagerer den Verteidigern von Temeswar (ung. Temesvár, rum. Timişoara) freien Abzug versprochen hatten, wurden diese niedergemacht („barbari […] cum innata saevitia et in nostrum sanguinem feritate“); Wolfgang Batthyány sei von einem grimmigen Türken so verstümmelt worden („singulari et plane barbara crudelitate“), dass er daran starb. Ein von Lutheranern denunzierter Mönch sei „barbarica feritate“ gefoltert worden, ein fast siebzigjähriger Gefangener („barbara crudelitate“) sei auf die Galeere geschickt worden. Selbst die Natur leide unter diesen rauen Sitten, so Nikolaus Isthvanffi, das früher noch fruchtbare Ackerland sei inzwischen verödet.57

„Wie mit den Türken zu verfahren sei“ Als einzigen Ausweg aus der osmanischen Unterdrückung empfahl Isthvanffi, Widerstand zu leisten. Da die Hinterlist der Türken selbst die „punica fides“ übertreffe, dürfe ihnen kein Glauben geschenkt werden.58 Demnach solle nicht mit ihnen verhandelt, sondern gegen sie gekämpft werden.59 Die in Verbindung mit dem Feldzug von 1526 erzählte Geschichte ist paradigmatisch: Die ihre Familien und ihre Güter verteidigende Bevölkerung bei Marót setzte sich so verbissen gegen die Eroberer zur Wehr, dass der Feind sich gezwungen sah, ins Hauptlager zurückzukehren, um wiederholt mit schwerer Artillerie gegen die Widerständigen vorzugehen. Ebenso wichtig sei auch die Entschlossenheit eines jeden Einzelnen: Nachdem die Osmanen die improvisierten Verteidigungsanlagen überwunden hatten, riss ein Mann na55

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„[…] incolae pacta cum Turcis incolumitate […] oppidum dedidere, sed partim trucidati extemplo omnes, partim in servitutem abrepti ac in castris sub hasta divenditi fuere ita, ut eis acerbam potius mortem oppetere, quam se barbaricae fidei committere longe satius fuisset.“ Ebd., 95. – „Milites […] spoliari vincirique et resistentes obtruncari cepere, postquam […] tam primum, quid quatenusque immanium barbarorum fidei ac promissis credendum foret, extremo suo periculo experirentur.“ Ebd., 177. „[…] ut gentis ad dolos et fraudes ac Christiani nominis odium natae artes plus, quam Punicae caveantur.“ Ebd., 799. Die erneut angewandte punische Analogie erleichterte dem humanistisch gebildeten Leser die Identifizierung des Feindes. Als fruchtbarstes Gebiet des Königreiches Ungarn galt im Mittelalter Syrmien, „in queis generosissima vina, multis et longissimo terrarum tractu dissitis nationibus olim expetita procreabantur sed iam a barbaris occupata nullo culturae honore neglecta desertaque iacent et suam sortem pene lugere videntur“. Ebd., 35. „[…] huic hominum generi ex fraude et mendacio composito nullam fidem dandam experientia doctus reor.“ Ebd., 340. Isthvanffi berief sich hierbei auf eigene Erfahrungen, musste er doch seinen eigenen Bruder aus osmanischer Gefangenschaft freikaufen. „Marte potius iudice et strictis ensibus, quam civili iuris et aequi formula esse altercandum.“ Ebd., 291.

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mens Michael Dobozi seine Frau aufs Pferd und ritt davon. Da die Flucht aussichtslos war, erstach er sie, bevor sie lebendig dem Feind in die Hände fallen konnte. Er selbst aber wandte sich wieder gegen die Angreifer und fand schließlich den Tod. Isthvanffi stellt noch ein Ereignis heraus: Der Hauptmann der Plankenburg von Drégely, Georg Szondi, hatte achtzig Soldaten und etwa gleich viele Freiwillige, als die Osmanen anrückten. Nach dreitägiger Verteidigung lehnte er das Angebot Ali Paschas von Ofen ab, die Burg freiwillig zu übergeben und dafür frei abziehen zu dürfen. Die Verteidiger fanden in den Kampfhandlungen letztlich allesamt den Tod. Ali Pascha ließ Szondis Leichnam würdig bestatten und das Grab von zwei Streitlanzen flankieren. Isthvanffi fügte eine sich daraus ergebende moralische Lehre hinzu: Die Tugend sei auch beim Feind lobenswert und ehrenvoll.60

II. Der geerbte Feind Der Hass als historische Erinnerung Die ersten beiden Bücher von Isthvanffis Historiae folgen weitgehend den Darstellungen Bonfinis. Dieser berichtete über die Verhandlungen von 1491 zwischen Kaiser Maximilian, der Ansprüche auf den ungarischen Thron erhob, und König Ladislaus II. Jagiello, die beinahe zu einer Rebellion auf dem Landtag geführt hatten: Die Ungarn erklärten, lieber tausendmal sterben zu wollen, als solch „ekelhafte Bedingungen“ zu akzeptieren.61 Einhundert Jahre später seien die Ungarn wieder „tausendmal“ zu sterben bereit gewesen, als sich der „deutschen Sklaverei“ zu unterwerfen.62 Als Johannes Cuspinianus (1473–1529) einmal nach Ungarn gesandt wurde, rieten viele Mitglieder des ungarischen bzw. böhmischen königlichen Rates Ladislaus II., das Angebot Kaiser Maximilians nicht zu akzeptieren. Ladislaus möge seine Königreiche nicht den Deutschen, dem bösesten aller Feinde, überantworten, ist bei Isthvanffi zu lesen. Die „Germanen“ hassten seit jeher bereits die Namen „Ungar“ und „Böhme“. Auch strebten sie danach, sich diese beiden Königreiche einzuverleiben. Die Konkurrenz und der Hass zwischen diesen Nationen seien so groß, dass eine Versöhnung oder Vereinigung unmöglich erscheinen. Sollte der König den Vertrag annehmen, würde er damit Lunten anzünden, die zur Vernichtung dieser Reiche führten, ließ der Autor seine Akteure sprechen.63 60

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„[…] virtus vel in hoste laudabilis et gloriosa habetur.“ Ebd., 331. Für den Autor war diese Tugend allgemein gültig. Er belegte sie auch am Beispiel deutscher, italienischer oder osmanischer „Helden“. Ebenso galt sein Mitleid allen Schutzlosen und damit auch türkischen Frauen und Kindern, die in die Hände der Christen gefallen waren. Die bereits bei Bonfini erkennbare antihabsburgische Haltung blieb auch jetzt bestehen, zumal König Ladislaus II. zu Beginn seiner Herrschaft mehrmals gegen Kaiser Maximilian I. gekämpft hatte. „[…] se millies morituros potius, quam tam turpes federis condiciones approbarent.“ Bonfini, Bd. 2 (wie Anm. 5), 85. – „[…] millies se morituros potius, quam Germanorum servitutem subeant.“ Isthvanffi (wie Anm. 2), 20. „[…] ne se et regna sua Germanis, infensissimis hostibus tradere vellet, qui nomini Ungarico et Bohemico semper invidissent eaque regna non solum infestis armis, sed etiam per varias et

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Zwei Paradigmen des misstrauischen Verbündeten 1541 belagerte Wilhelm von Roggendorf mit den Truppen Ferdinands Ofen. Ein Teil der Bürgerschaft war bereit, ein Tor zu öffnen, um die Burg nicht dem sich nähernden Sultan übergeben zu müssen. Zugleich bat man den zuständigen General, nicht deutsche, sondern ungarische Truppen in die Stadt zu entsenden. Diesen Wunsch erfüllte Roggendorf aus „Hass und Misstrauen“ gegenüber den Ungarn allerdings nicht, wie Isthvanffi ausführt.64 Schließlich nahm der Sultan Ofen ein. 1605 wurde ein schwäbischer Hauptmann Befehlshaber der Festung Gran (ung. Esztergom). Unmittelbar vor der osmanischen Belagerung entband er die ungarischen Soldaten von ihren Pflichten.65 Nach „deutscher Sitte“ habe er zu den Ungarn kein Vertrauen gehabt, was letztlich auch ins Verderben geführt hätte, so Isthvanffi.66

Klagen der ungarischen Stände Auch Forgách verwies auf die häufigen Beschwerden über die große Anzahl von Personen aus anderen habsburgischen Landen in den Ämtern des ungarischen Königreiches. Isthvanffi behauptet seinerseits, dass die Würde der Nation tief verletzt sei, da König Maximilian die Ämter fast ausschließlich an Deutsche und Italiener vergeben habe.67 Er berichtete auch davon, dass die Stände 1563 ausdrücklich die Absetzung deutscher Präfekten gefordert hätten, deren Benehmen als beleidigend empfunden worden sei. In ihrem Hochmut hätten sie den nörgelnden Ungarn empfohlen, nach „Skythien zurückzukehren“.68 Isthvanffi fährt fort, dass 1572 die

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iniquas artes ad se transferre conati essent; tanta inter has nationes a multis retro seculis odia et simultates vigere, ut nunquam in mutuam gratiam redigi vel in unum coalescere possint, ipsum hoc faedere vel arctae affinitatis vinculis constricto non tam suae et regnorum suorum quieti et tranquillitati consulere, quam faces, quibus illa aliquando […] penitus conflagrent, subministrare.“ Ebd., 54 f. „[…] implorabili odio et suspicione erga Ungaros ductus.“ Ebd., 235. Ähnliches wird über Leonhard Vels berichtet, der 1540 Ofen erfolglos belagerte: „Suspicaci ingenio ac naturali adversus Ungaros odio atque invidia incitatus.“ Ebd., 230. Die Burg fiel „incertum, ignaviane maiori, an perfidia Germani militis ac dissensione sediciosorum Ungariae civium“. Ebd., 835. „[…] sive Ungaris pro veteri Germanorum more diffisus (quae res Ungaros perdidit), […] sive consultius futurum arbitratus, si solis cum legionariis Germanis quamcunque sortis aleam toleraret.“ Ebd., 833. „[…] in omnes praefecturas, dignitates atque honores saeculares ac ecclesiasticos Germanos atque Italos induceret […], quod unum vel maxime non saltem iusiurandum praestitum in electione et praecipuum regni privilegium iam spectaret, sed ut gentis quoque universae dignitatem atque propagationem cum maximo dedecore imminuerit.“ Forgách (wie Anm. 36), Cap. XVII, 489. „Maxime tumultuatum est de Germanis praefectis, quorum insolentia per se gravis adeo indies toleratu difficilior reddebatur, ut plerique Ungaris, si se ferre non possent, in Scythiam, unde orti essent, redeundum esse superbe et arroganter dictitarent.“ Isthvanffi (wie Anm. 2), 426. Dies könnte auch von Forgách stammen, der über den Reichstag von 1566 zu berichten wusste:

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Stände die „überheblichen“ und die „ungarische Freiheit hassenden“ Deutschen erneut aus den Präfekturen entfernen lassen wollten.69 Der Krönungsreichstag überreichte König Maximilian und Rudolf (1572–1608) eine einstimmig beschlossene und gemeinsam formulierte Beschwerde, in der gelistet war, wie und wer konkret ihre Immunität verletzt haben soll und wie unerträglich deshalb die Herrschaft der „Fremden“ (exterorum dominatio) sei. „Deutsche“ und „Fremde“, also germani und exteri, galten dabei als Synonyme. Auf dem Reichstag von 1582 wollten die ungarischen Stände – „magna verborum contentione“ – wieder ihre alten Rechte und Privilegien wie auch ihre Freiheit erhalten.70 Ihren Vertretern wurde die Beseitigung aller Missbräuche wie auch die Entfernung der „Fremden“ aus den Ämtern bis zum nächsten Reichstag in Aussicht gestellt, so Isthvanffi.71 Der folgende Reichstag konnte daher nur „mit Lärm“ abgehalten werden. Die Ungarn beklagten, dass weder ihre „Freiheit wiederhergestellt“ noch die „Fremden“ entfernt worden seien. Auch wenn Isthvanffi wenig Sympathie für die Stände hegte („lamentari non desinerent“), so klagte sein Kommentar doch jene „zwei Heiden“, die den Ungarn Schaden zufügen würden, an: Während sie im Krieg vom Feind ausgeplündert wurden, würde ihnen im Frieden der Verbündete dasselbe antun.72

Der grausame Verbündete Seine alltäglichen Erfahrungen gab Forgách mit den Worten wieder: „[…] als ob der Krieg gegen und nicht für die Bürger geführt werde.“73 Dieser Ansatz wurde in Isthvanffis Historiae noch ausgebaut: Zwietracht zwischen den verbündeten deutschen und ungarischen Soldaten hatte demnach immer blutige Folgen, wobei ausschließlich die Deutschen Schuld daran hätten.74 Der osmanischen Besatzung einer belagerten Stadt sollen die Ungarn mit Vergeltung durch die grausamen Deutschen gedroht haben,75 da selbst die Türken Angst vor den Deutschen gehabt hätten.

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„Ubi quis cuiusvis rei causa ad praefectos Germanos accessisset, ut in Scythiam redirent, responsa dare.“ Forgách (wie Anm. 36), Cap. XVI, 399 f. „[…] ut insolentes et libertatis Ungaricae osores […].“ Isthvanffi (wie Anm. 2), 531. Die Abgesandten der Stadt Leutschau (ung. Lőcse, sk. Levoča) berichteten in ihrem Brief vom 21. Januar über diese Ereignisse: „[…] zwei Tag haben sie hinbracht mit Geschrey, sie wolten, ehedem Ihre Maiestät wolten ihre supplication gnedigist erhören, demnach anheben von Ihrer Maiestät Proposition zu handeln.“ Hier zitiert nach Monumenta Comitialia Regni Hungariae. Bd. I–XII. Hg. v. Vilmos Fraknói und Árpád Károlyi. Budapest 1874–1917, hier Bd. VII, 10, Anm. 1. „[…] amota etiam exterorum potentia […].“ Ebd., 116. „[…] illi se bello ab hoste diripi, pace vero ab sociis vastari ac inexpiabilis iniuriae detrimenta pati miserrimum calamitosissimumque esse ducebant.“ Isthvanffi (wie Anm. 2), 559. „[…] ac si contra cives et non pro civibus bellum gestum foret.“ Forgách (wie Anm. 36), Cap. XVI, 394. „[…] in ipsis castris miles Germanorum in Ungaros socios vel levi de causa gladios militari insolentia et feritate stringebat ac gladios emittebat, ut quosdam vulnerarent, quibusdam etiam necem atrociter inferren.“ Isthvanffi (wie Anm. 2), 230. „[…] nostri Paiazetem […] ad dedendam arcem cohortabantur, antequam palatinus cum […]

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Hatten die Osmanen die Wahl zwischen beiden Siegern, so trafen sie die Entscheidung „odio Germanorum“, „odio exterorum“76 und ergaben sich lieber den Ungarn. Manchmal gebe es auch Auseinandersetzungen um die Beute, wobei der Streit immer von den Deutschen ausgehe.77 Die Ungarn fielen ihnen nicht selten selbst zum Opfer, wenn diese osmanische Gefangene in Schutz genommen hatten.78 Mit dem Hinweis auf den grausamen und unmenschlichen Umgang mit den Kriegsgefangenen betont der Autor die mangelhafte Disziplin innerhalb der Armee.79 Der Feldherr sei es nämlich, der (wiederum von Deutschen begangene) Unmenschlichkeit in einigen Fällen sofort ahnde;80 auch wäre es seine Aufgabe gewesen, Raub zu verhindern.81

Gott bestraft Die Gnadenlosigkeit bzw. die Bestialität der deutschen Soldaten ist bei Isthvanffi ein ständig wiederkehrendes Motiv. So sollen die Deutschen beispielsweise auf dem Rückzug ihre kranken, verletzten, schwachen und hilfeflehenden Kameraden ebenso zurückgelassen haben wie ihre in Not geratenen Frauen und Kinder.82

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Germanicis cohortibus adventaret, postea enim nullam fore salutis et vitae conservandae condicionem, quod Germani nemini essent parsuri.“ Ebd., 397. „Turcas, qui abiectis armis sese Ungaricis militibus metu et odio exterorum ultro capiendos offerebant, Germani in ipsis Ungarorum manibus amplexibusque crudeliter interficiebant ita, ut exortis inter eos pro praeda rixis Ungari cum Turcis promiscue caesi, contra Germani quoque interdum repulsi pariter occumberent.“ Ebd., 466. Beispielsweise: „[…] caeteri aut trucidantur, aut se Ungaris capiendos ultro dant. Quorum causa inter Germanos et Pannonici nominis milites rixae oriuntur Germanis captos Turcas caeteraque spolia adimere conantibus, illis vero contumaci animo resistentibus.“ Ebd., 663. – „Ungari et Germani inter se, dum hi praedam extorquere, illi, ut labore partam retinere contendunt, ad arma et mutuam caedem rapi.“ Ebd., 709. Ebd., 368. „Illud haud praetermittendum videtur hoc primum bello Germanos milites gregarios faedum illud excoriandorum cadaverum morem usurpasse, quod hostes aurum deglutuisse falso dicerent, mansitque id inquinamentum postea subsequentibus expeditionibus, cuius rei nomine Germanos apud Turcas male audire etiamnum videmus.“ Ebd. – „Imo saevitum in cadavera est, cum Germani faedo exemplo, nec ullo castigante cutem eis detraherent apertisque visceribus et intestinis aurum in iis frustra scrutarentur.“ Ebd., 691 f. Lazarus Freiherr von Schwendi (1522–1583) „in templum ingressus duos milites Germanos, qui Dragffiorum sepulchra revulsis marmoribus opimae, quam inesse putabant, praedae investigandae causa impio conatu aperuerant, forte offendit et enormis facti indignitate permotus alterum pugione extemplo confodit altero sauciato et praecipiti fuga se subducente“. Ebd., 451. „[…] omnia vi auferre solebant […] Burgavio legato nedum in facinorosos et militaris disciplinae corruptores exemplum statuente, sed etiam haud obscure connivente.“ Ebd., 711. „[…] festinantibus Germanorum copiis plurimi, qui ob imbecillitatem virium sequi non poterant discedente classe relinquerentur ac superventu barbarorum crudelissime obtruncati interirent.“ Ebd., 253. Ein weiteres Beispiel: „Bei bitterer Kälte zogen die Soldaten jenen Kameraden die Kleider ab, die vor Erschöpfung zusammengefallen und fast erfroren waren.“ Ebd., 782.

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Isthvanffi war davon überzeugt, dass das Reich der Osmanen bereits ins Wanken geraten war.83 Wenn dennoch kein Sieg gegen die Türken errungen werden konnte, so lag das daran, dass Gott des leidenden und jammernden ungarischen Volkes überdrüssig geworden sei. Den Anlass für diese Klagen führte der Autor sehr detailreich aus: Da die Deutschen sich von Soldaten zu Räubern wandelten, folterten und erpressten sie die armen Menschen auf dem Land,84 und da ihnen keine Vergeltung drohe und die Befehlshaber ihren Pflichten nicht nachkämen, wagten sie es, den Menschen Unrecht anzutun. Für Isthvanffi lag in einer Beherrschung der Truppen auch der Schlüssel für die Lösung des Problems: Solange aus Gottes Gnaden kein frommer Heerführer auftauchte,85 der auch die militärische Disziplin durchsetzte und einzig und allein den Feind zu besiegen vor Augen hatte, konnte der Krieg gegen die Osmanen nicht gewonnen werden.86

Verbündete als Heiden Auch früher hätten „die germanischen Soldaten“ bereits als Feinde das Land durchstreift, beschreibt Isthvanffi.87 Er, der ansonsten für das Fürstentum Siebenbürgen keinerlei Sympathien hegte, berichtet über die Brutalität88 der Truppen von Giorgio 83

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In seinem Brief vom 31. Oktober 1592 schrieb er an Clusius: „Hoc anno Turcae ubique fere improspere rem gesserunt. Iam vero appropinquat millesimus Mahometis annus, in quo, uti ipsimet fatentur, eorum res incipient inclinare. Quod utinam nobis praestet Deus optimus maximus quamprimum.“ Hier zitiert nach Istvánffi, Gyula: Études et commentaires sur le code de L’Escluse augmentés de quelque notices biographiques. Budapest 1900, 214. Im Brief vom 10. Januar 1599 an Erzherzog Maximilian III. heißt es: „[…] qui de Turcicis rebus hoc tempore disputant, eos meminisse oportet non iam Solymani vires, non potentiam, non felicitatem superesse, non eandem hostium disciplinam, non obedientiam, non fortunam, omnia esse inclinata vel ipsis hostibus id testantibus et aperte fatentibus.“ Hier zitiert nach Monumenta Comitialia Regni Transsilvaniae 1540–1699. Bd. 1–21. Hg. v. Sándor Szilágyi. Budapest 1875–1898, hier Bd. 4, 254. Isthvanffi (wie Anm. 2), 647. Für einen solchen „vir nobilissimus et fortissimus“ hielt er Karl Graf von Mansfeld (1543– 1595). Er würdigte ihn mit den Worten: „Luxere eum paribus lachrimis Ungari pariter et Belgae Germanique, a quibus omnibus ut pater amabatur. […] nemo eo melius disciplinae militaris leges calleret et exerceret, nemo fortibus viris et militibus aequior esset, contra erga malos et flagitiosos inexorabilior.“ Ebd., 662. „Nisi […] superum benignitate aliquis […] summae pietatis imperator exoriatur, qui revocata veteris et incorruptae militiae disciplina et immannibus militum flagiciis coercitis et castigatis placatoque numine miseram et innoxam plebem immunem ab iniuria […] conservare consulendoque et bene agendo avaritia atque ambitione procul habitis ad solius tantummodo victoriae de barbaris hostibus reportandae immortalem laudem flagrantissimo studio et ardore pugnacis animi contendere velle.“ Ebd., 648. „[…] quacunque autem iter est factum, milites Germani in agrestium facultates hostilem plane in modum grassati sunt usque adeo, ut praeterquam, quod capitibus miserorum hominum vitaeque parceretur, caeterum in rapiendo et devastando nihil supremae hostilitatis praetermitterent.“ Ebd., 374. Man sei so grausam gewesen, „ut misera agricolarum plebs ac nobilitas tot exhausta belli in-

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Basta (diesen wusste er als Feldherrn durchaus zu schätzen),89 und malt das Bild zweier Heiden: „Quum hinc Basta et eius exercitus omnia sacra pariter ac prophana impune diriperent, illinc vero a Turcis et Tartaris obvia quaeque crudelissime vastarentur.“90 Demnach begehe seine Armee dieselben Grausamkeiten wie die Türken, bis auf eine Ausnahme: Sie verkaufte die Menschen nicht in die Sklaverei. Diese Grenze überschritten erst die ungarischen Haiducken von Stefan Bocskai durch den Verkauf ungarischer, österreichischer und mährischer Bauern bzw. von Tataren an die Osmanen. Die mangelnde Disziplin der Armee habe, laut Isthvanffi, in der Öffentlichkeit die Aversionen gegen die „deutsche Herrschaft“ genährt („rapinarum feritate […] omnium animos a Germanorum imperio […] avertit“) und sei sowohl im Fürstentum Siebenbürgen als auch im Königreich Ungarn nicht ohne politische Folgen geblieben.91 Bocskais Aufstand – als während des Krieges zwischen der Christianitas und superstitio Mahometana zu Stande gekommenes Aufeinandertreffen einheimischer Reformierter, erobernder Moslems sowie Christen, Türken wie mordender Haiducken – konnte Isthvanffi aufgrund seines Glaubens, seiner Bildung und seines gesamten Lebens nur verdammen,92 er zog sogar gegen Bocskais Haiducken zu Felde. Den Ursprung allen Übels wie auch den dieser Erhebung sah er in der Schlacht von Mohatsch. Jene, die sich für diese Auseinandersetzung ausgesprochen und Ungarn mit einem Schlag „in has miserias et calamitates“ gestürzt hatten, wurden in Isthvanffis Werk mit besonderer Vehemenz verdammt.93 Isthvanffi setzte die Osmanen und die Deutschen – ohne diese allerdings explizit beim Namen zu nennen – gleich: Infolge dieser Niederlage habe die Unterjochung und Knechtschaft durch „fremde Nationen“ begonnen.94 Während Isthvanffi die Umstände von Bocskais Aufstand schildert, ruft er wiederholt die enorme Ver-

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commodis maiora et graviora ab ipso duce et militibus, quam a barbaro quovis hoste detrimenta pati videretur“. Ebd., 783. Distinktion: „Hactenus loquuti de Georgio Basta sumus nondum rebus secundis luxuriante, nec avaritiae, rapinis et habendi libidini ac cedibus immerso, quibus paulo post supra, quam dici credique possit, a bono honestoque in pravum abstractus per omne fas nefasque vehementer laboravit.“ Ebd., 760. Ebd., 784. „Germanicum et Bastae imperium, ut avarum et crudele recusabant“; „Germanicum aversati imperium, quod recenti Bastae exercitus impune omnia diripientium exemplo crudele, avarum atque impium esse dicebant“. Ebd., 824. Ein Würdenträger (iudex curiae) des Königreiches „sive Germanorum odio et ulcescendis eorum iniuriis, quas intolerabiles ab iis sibi illatas querebatur, seu religionis Calvinianae asserendae studio“ steht an der Seite der Rebellen usw. Ebd. Auch von den persönlichen Erlebnissen Bocskais hatte er seit seiner Gesandtschaft in Siebenbürgen eine explizit schlechte Meinung. Der Hauptunterhändler Bocskais, Stefan Illésházi, wiederum hasste ihn wegen der Ausfertigung einer falschen Gerichtsurkunde. Denselben Vorwurf machte er auch Ferdinand. Indem er nämlich nach Mohatsch die Gelegenheit ergriff, den ungarischen Thron zu besteigen, verwickelte er Ungarn „maximis bellorum tumultibus […], quorum necdum finem ullum videmus“ ein. Isthvanffi (wie Anm. 2), 19. „Haec est illa memorabilis simul et miserabilis Mohaciana clades, qua antiquum gentis nostrae decus floremque nobilitatis et militiae ac, quicquid virium habebamus, una eaque funestissima dimicatione prostratum amisimus cepimusque cum inexpiabili ignominia nostra, qua barbarorum miserabile iugum, qua exterarum nationum servitutem subire et perpeti.“ Ebd., 130.

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bitterung gegenüber Ausländern, hauptsächlich Deutschen, wach. Bocskais Oberbefehlshaber Valentin Homonnai verbat es beispielsweise den verbündeten Osmanen, ungarische Gefangene an die besonders gefürchteten Tataren zu verkaufen. Dieser begründete seinen Befehl damit, dass, auch wenn sie die falsche Partei ergriffen hätten, diese doch Ungarn seien. Wollten die Türken Gefangene machen, so kämen dafür nur Deutsche in Betracht. Ebenso verbot er während der gemeinsamen Belagerung von Érsekújvár, ungarische Verteidiger der Stadt zu misshandeln. Wollen die Osmanen deutsche Frauen entreißen, werde er sie nicht daran hindern. Indem Isthvanffi einen Brief von Bocskai zitierte, wich er sogar vom Text ab, um die Boshaftigkeit der Deutschen zu unterstreichen.95 Demnach erlitt das Land Schäden „ab exteris nationibus Germanisque imprimis“. Bocskai wolle lediglich die Ruhe und die Genesung des Vaterlandes gewährleisten, wobei Isthvanffi hinzufügte, dass man Ruhe nur erlange „eiectis exteris“.96 Während er das Treffen des Großwesirs mit Bocskai schildert, folgt er seiner Quelle, Hans Bocatius (1569–1621), auch im Wortgebrauch, allerdings erweitert er die Dialoge. Beim Bürger von Kaschau (sk. Košice, ung. Kassa) spricht der Pascha kurz über den deutschen Schutz: Die Ungarn „satis abunde sint hactenus experti […] sub specie defensionis quotannis bellum Hungariae esse illatum“.97 Der ungarische Aristokrat ist viel verbitterter: „Hactenus abunde experti estis, quam vos ab illis defendi non possitis et potius sub inani defensionis spe acerrimum quotannis bellum in visceribus vestris instaurari et non, nisi cum excidio et ruina patriae vestrae infeliciter et improspere ab iis geri et administrari videatis.“98 Auch die Rede des Großwesirs ergänzt Isthvanffi durch manche Wörter: Der Pascha sei erfreut, dass Bocskai lieber zur Macht des Sultans fliehen wolle, als den Nacken „acerbissimo Germanorum iugo“ zu beugen. Isthvanffi behielt trotz dieser Ausführungen und wohl auch angesichts der geschilderten Aversionen seine klare Linie bei. Als Bocskai ihn 1605 schriftlich um Unterstützung bat, schickte er den Brief unbeantwortet an die Erzherzöge Matthias und Ferdinand weiter.99 Er war davon überzeugt, dass Ungarn nur gestärkt werden könne, wenn es wiedervereinigt werde.100 Die Grundbedingung dafür war die Vertreibung der Osmanen. Indem Isthvanffi über das Misstrauen der Verbündeten ge95

Isthvanffi besaß die wörtliche Übersetzung des ungarischen Originals. Vgl. OSzK, Kt, Fol. Lat. 3606/2. 83v.–84v. f. 96 Der Darstellung des Wiener Abkommens (1606) wurden wiederholt beigefügt: „exteris procul submotis“ bzw. „exteris eliminatis“. Isthvanffi (wie Anm. 2), 842 f. Den Text des Abkommens siehe in Monumenta Comitialia, Bd. 12 (wie Anm. 70), 510–523. 97 Ein Exemplar seines Textes ist im Nachlass von Isthvanffi zu finden: OSzK, Kt, Fol Lat. 3606/2. 126r. f. 98 Isthvanffi (wie Anm. 2), 837. 99 Bocskais Schreiben auf Ungarisch siehe OSzK, Kt, Fol. Lat. 3606/2. 62r.–63r. Publiziert in Codex diplomaticus patrius. Hg. v. István Nagy, István Paur, K. Ráth und D. Véghely. 8 Bde. Győr-Budapest 1865–1891, hier Bd. 1, 417 f. 100 Isthvanffi verurteilte zum Bsp. Illésházi entschieden ob dessen Machenschaften, unter dem Vorwand der Freiheit große Teile Ungarns dem Verbündeten der Osmanen, Bocskai, zu überlassen: „Sub praetextu libertatis non Transsilvaniam duntaxat, sed omnem ultra Tibiscum regionem ab Ungariae regno avellere et homini Turcarum societate subnixo impioque addicere contendat.“ Isthvanffi (wie Anm. 2), 842.

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genüber den Ungarn, die Kritik an den Feldherren oder die Grausamkeit verbündeter Heere schrieb, wollte er in seinem Werk die vorhandenen Schwierigkeiten aufzeigen. Sein „Ungarn“ verortete er noch nicht zwischen den „zwei Heiden“, für ihn gab es nur einen Heiden, nämlich den Feind des Christentums – das Reich der Osmanen. Als besorgniserregend empfand er aber, dass Christen – sowohl die deutschen Soldaten als auch die ungarischen Grundbesitzer oder die Haiducken – es dem barbarischen Feind in ihrem Verhalten gleichtaten.101 In der Schilderung der innenpolitischen Fehden („mutuae dissensiones“), die die Jahre 1605 bis 1607 begleiteten, beklagt er den allgemeinen Zerfall des Landes: „Tantam in peius et deterius rerum omnium mutationem attulerunt.“102 Dies führte letztlich dazu, dass die „mores Turcarum“ auch von den Einheimischen angenommen wurden. Die Bevölkerung wandte sich vom Prinzip der „Ordnung und Eintracht“ ab, was schließlich zur Folge habe, dass sie sich in nichts vom „barbarischen und unkultivierten Feind“ unterschieden.103 Mit seinem Satzende – „omnes spretis bonorum monitis proni in malum ruant“ – formulierte er auch eine Antwort auf Horaz’ Frage: „Quo, quo scelesti ruitis?“104

101 Die Stände verurteilten zum Bsp. zwei Grundbesitzer, die Menschen entführt hatten und mittels Folter – „Turcarum in morem“ – Gold erpressen wollten. Ebd., 256. Haiducken metzelten Michael Kátay, dem man die Vergiftung Bocskais vorwarf, grausam nieder: „Ensibus […] barbarum in morem frustillatim dissecuere.“ Ebd., 847. 102 Ebd., 818. 103 „[…] civilis neglecta ordinis ac concordiae cura non religione, non moribus, non pietate a barbaris et incultis hostibus differre videantur.“ Ebd. Neun Jahre früher schrieben sein Kollege, der Bischof von Waitzen, und er nach der Rückkehr aus Siebenbürgen in einem Brief (14. Oktober 1598) an Erzherzog Maximilian III.: „[…] nisi […] huic provinciae consulatur, metuendum est, ne ea celerius opinione tota in potestatem Turcicam deveniat aut ipsi Transsilvani non multum a Turcis dissidentes penitus Turcae fiant, quemadmodum Bosnenses.“ Monumenta Comitialia, Bd. 4 (wie Anm. 83), 224. 104 Horaz, Epode 7, 1.

Kirche und Religion: Grenzen und Grenzüberschreitungen

Antal Molnár

Katholische Jurisdiktion im Grenzgebiet des Osmanischen Reiches. Das Beispiel Ungarn Einführung Die osmanische Herrschaft in Ungarn ist eines der anregendsten Forschungsthemen zur ostmitteleuropäischen Geschichte, da diese Thematik den Zugang zu den Beziehungen des westlichen und östlichen Christentums mit dem osmanischen Kulturraum eröffnet. Eine für das westliche Christentum fast einzigartige Konstellation war zudem das im osmanischen Ungarn existierende Nebeneinander von Katholizismus und unterschiedlichen protestantischen Konfessionen. Keine christlich-konfessionelle Macht konnte in diesem Gebiet die Ausbreitung der unterschiedlichen religiösen Bekenntnisse verhindern. So bekannten sich etwa drei Viertel der ungarischen Bevölkerung in den osmanischen Gebieten zu den protestantischen Kirchen. Die wichtigste Rolle spielte dabei die reformierte Kirche. Ein kleinerer Teil der Bevölkerung bekannte sich zur unitarischen und nur sehr wenige zur evangelisch-lutherischen Kirche. Von den in Ungarn vertretenen Konfessionen verfügte aber allein die katholische über einen staatsrechtlichen Status. Die im Zuge der osmanischen Eroberungen im 16. Jahrhundert ausgebauten Organisationen der protestantischen Kirchen waren also hinsichtlich der Ständeordnung nicht von Relevanz.1 Auch innerhalb der katholischen Kirche kann man eine sehr spannende Dichotomie feststellen, die als unmittelbare Folge der Osmanenherrschaft angesehen werden muss. Die osmanische Militär- und Zivilverwaltung wurde nur auf einen Teil des besetzten Ungarns ausgedehnt, zur gleichen Zeit aber – was einen grundsätzlichen Unterschied zum Schicksal der Balkanländer darstellt – blieb der größere Teil des Landes davon ausgenommen, so dass die Militär-, Kirchen- und Verwaltungsinstitutionen des christlichen Gebiets im osmanischen Landesteil wichtige Positionen bewahrten, die im 17. Jahrhundert durch die strukturellen Veränderungen des Osmanischen Reiches weiter verstärkt wurden. Eine solche Kontinuität konnte sich vor allem auf dem Gebiet des Steuersystems behaupten: Die bäuerliche Bevölkerung in den osmanischen Gebieten Ungarns musste bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts sowohl an ihre ungarischen Grundherren, die auf habsburgischem Gebiet lebten, als auch an die osmanischen „Lehnsherren“ Abgaben entrichten. Zugleich konnten auch die Komitatsverwaltung und die Beamten der Grundherrschaf1

Siehe dazu ausführlicher bei Benda, Kálmán: La Réforme en Hongrie. In: Bulletin de la Société de l’Histoire du Protestantisme Français 122 (1976), 30–53. – Péter, Katalin: Die Reformation in Ungarn. In: Études historiques hongroises 1990 publiées à l’occasion du XVIIe Congrès international des sciences historiques par le Comité national des historiens hongrois. Bd. 4. Hg. v. Ferenc Glatz. Budapest 1990, 39–52.

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ten ihren Willen im osmanischen Teil geltend machen und selbst die katholische Kirche war in der Lage, ihre Präsenz durch Vikare auszubauen.2 Neben der osmanischen und der ungarischen Machtpräsenz stellt die südslawische, d.h. die bosnische, kroatische und serbische Einwanderung nach Ungarn ein grundlegendes Merkmal der Osmanenzeit dar. Diese Migrationsbewegungen führten dazu, dass die ungarische Bevölkerung von den südlichen Regionen Ungarns fast völlig verschwand und sogar wichtige Gebiete Transdanubiens von den Zuwanderern besiedelt wurden. Die neuen Einwohner brachten vom Balkan ihre gesellschaftlichen und kirchlichen Institutionen mit wie auch die Art ihres Umgangs mit der osmanischen Besatzungsmacht. Als wichtigstes neues Strukturelement zeigte sich die serbisch-orthodoxe Kirche: Die Klöster und Metropoliten unter der Jurisdiktion des Patriarchats von Ipek (serb. Peć) waren die Hauptfaktoren der „balkanischen Integration“ im osmanischen Ungarn.3 Im Fall der kroatischen und bosnischen Katholiken kann von einer völlig selbstständigen Kirchenstruktur gesprochen werden, die in enger Verbindung mit dem Heiligen Stuhl stand, nachdem sich dieser auf dem Konzil von Trient erneuert hatte und nunmehr mit zentralistischen Reformvorstellungen operierte. Die römische Kurie begann ab den 1570er Jahren in den osmanischen Gebieten Ungarns – gestützt auf die kroatischen und bosnischen Institutionen – mit einer intensiven Missionsaktivität und damit einer institutionalisierten Seelsorge. Demgegenüber vertraten aber die ungarischen kirchlichen Institutionen den Standpunkt, dass das Patronatsrecht des ungarischen Königs weiterhin gültig sei. Die Rechte des ungarischen Königs bezüglich der Bistümer im osmanischen Teil des Landes spielten aber auch bei der Wahrung des ungarischen Einheitsbewusstseins eine wichtige Rolle. Diese beiden Konzeptionen – der durch Rom vertretene zentralistisch-repressive Entwurf einerseits, und das von den ungarischen Bischöfen geförderte episkopale Modell mit staatskirchlichen Elementen andererseits – stellten die wichtigsten Bruchlinien der katholischen Kirchengeschichte Ungarns im 16. und 17. Jahrhundert dar.4

Die katholische Missionskirche im osmanischen Ungarn Die Durchsetzung der eigenen Vor- und Zielstellungen bezüglich der Mission in Ungarn gestaltete sich für den Heiligen Stuhl, insbesondere in den osmanischen 2

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Hegyi, Klára: Le condominium hungaro-ottoman dans les eyalets hongrois. In: Actes du premier Congrès international des études balkaniques et sud-est européennes, 26 août-1 septembre 1966. Bd. 3. Sofia 1969, 593–603. – Dies.: La province hongroise dans l’Empire Ottomane. In: Acta Historica Academiae Scientiarum Hungaricae 33 (1987), 209–216. – Szakály, Ferenc: Die Bilanz der Türkenherrschaft in Ungarn. In: Acta Historica Academiae Scientiarum Hungaricae 34 (1988), 63–77. Ders.: Serbische Einwanderung nach Ungarn in der Türkenzeit. In: Études historiques hongroises 1990 publiées à l’occasion du XVIIe Congrès international des sciences historiques par le Comité national des historiens hongrois. Bd. 2. Hg. v. Ferenc Glatz. Budapest 1990, 21–39. Zusammenfassend dazu siehe Molnár, Antal: Relations between the Holy See and Hungary during the Ottoman Domination of the Country. In: Fight against the Turk in Central-Europe in the First Half of the 16th century. Hg. v. István Zombori. Budapest 2004, 191–225.

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Landesteilen, sehr problematisch. Das erste ernstzunehmende Problem ergab sich im Zusammenhang mit der Rekrutierung von Priestern, die an den Missionen teilnehmen sollten. Die bosnischen Franziskaner, die im osmanisch dominierten Europa stärkste Kircheninstitution der Katholiken, nahmen die Reformen des Konzils nur bedingt an. Sie übten ihre seelsorgerische Tätigkeit unter den an die osmanischen Machtverhältnisse angepassten mittelalterlichen Missionsprinzipien aus. Die Arbeit der fremden Missionare, die auf die speziellen Verhältnisse im osmanischen Raum nicht eingestellt waren und ob der argwöhnischen Machthaber ohnehin in ständiger Gefahr lebten, brachte keine nennenswerten Erfolge. Ein anderes prinzipielles Problem ergab sich aus den sich zunehmend schwieriger gestaltenden Beziehungen der Franziskaner zur katholischen Elite im osmanischen Gebiet, d.h. mit den Kaufleuten von Ragusa (kroat. Dubrovnik) und Bosnien. Die Missionsorganisation war von Anfang an auf deren Unterstützung angewiesen bzw. deren wirtschaftlicher Konkurrenz ausgesetzt. An dritter Stelle musste die Rolle der ungarischen episkopalen Hierarchie geklärt werden, da ihre Jurisdiktion unter osmanischer Oberhoheit auch den Ausbau des Institutionssystems der Mission behinderte. Die oben geschilderten Probleme begleiteten die institutionelle Organisationstätigkeit des Papsttums im osmanischen Ungarn, die 1572 mit der Ankunft des ersten Apostolischen Visitators ihren Anfang nahm und bis 1683, also der letzten Belagerung Wiens, anhielt.5 Unter Papst Gregor XIII. (1572–1585) bot die Unterbrechung der Türkenkriege eine Chance für den Beginn der Missionsvorhaben. Daher ernannte er im Jahr 1580 zwei Apostolische Visitatoren für das gesamte europäische Gebiet, das unter der Herrschaft des Sultans stand. Mit dem Besuch der südlichen Gebiete des Balkans sowie Konstantinopels betraute er Pietro Cedulini, den Bischof von Nona; mit der Visitation der nördlichen Teile (Dalmatien, Slawonien, Kroatien, Bosnien, Serbien und Ungarn) hingegen den Franziskaner Bonifacije Drakolica, Bischof von Stagno. Ihnen folgten in den kommenden Jahren weitere Visitatoren, welche die Katholiken in den abgeschiedenen Gebirgsregionen von Albanien, Bulgarien und Serbien aufsuchten. Die Erfahrungen, die diese Visitatoren machten, hatten eine entscheidende 5

Dieses Kapitel der Studie bietet eine Zusammenfassung meiner Monographie zu diesem Thema. Im Folgenden beschränke ich mich deshalb auf die wichtigsten Hinweise. Molnár, Antal: Le Saint-Siège, Raguse et les missions catholiques de la Hongrie Ottomane 1572–1647. Rome-Budapest 2007. Ein Teil der diesbezüglich relevanten Quellen wurde bereits publiziert. Zu den wichtigsten Quelleneditionen siehe Fermendžin, Eusebius: Acta Bosnae potissimum ecclesiastica cum insertis editorum documentorum regestis ab anno 925 usque ad annum 1752. Zagrabiae 1892. – Balázs, Mihály/Fricsy, Ádám/Lukács, László/Monok, István: Erdélyi és hódoltsági jezsuita missziók [Jesuitische Missionen in Siebenbürgen und im osmanischen Ungarn]. Bd. I/1–2: 1609–1625. Szeged 1990. – Jačov, Marko: Spisi Kongregacije za propagandu vere u Rimu o Srbima [Akten der Kongregation Propaganda Fide in Rom über die Serben]. Bd. I: 1622–1644. Beograd 1986. – Ders.: Le missioni cattoliche nei Balcani durante la guerra di Candia (1645–1669). 2 Bde. Città del Vaticano 1992. – Ders.: Le missioni cattoliche nei Balcani tra le due guerre: Candia (1645–1669), Vienna e Morea (1683–1699). Città del Vaticano 1998. – Tóth, István György: Relationes missionariorum de Hungaria et Transilvania (1627– 1707). Roma-Budapest 1994. – Ders.: Litterae missionariorum de Hungaria et Transilvania (1572–1717). 5 Bde. Roma-Budapest 2002–2008.

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Bedeutung hinsichtlich der Missionsorganisation, die in den darauf folgenden Jahrzehnten einsetzte. Zunächst stießen sie im Osmanischen Reich auf zahlreiche katholische Gemeinden, die jedoch unter mangelnder seelsorgerischer Betreuung infolge einer zu geringen Zahl an Priestern litten. Vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen betonten sie gegenüber Rom, dass in den osmanischen Gebieten mit anderen Methoden und Mitteln als in den christlichen Ländern gearbeitet werden müsse. Die Visitatoren und Missionare kamen vorwiegend aus Bosnien oder Ragusa, denn der in dem königlichen Landesteil erwachte ungarische Katholizismus war zu schwach, um Missionare in die osmanischen Gebiete zu entsenden. Auch im späteren Verlauf betraf die Missionsorganisation nur diesen Raum. Das osmanische Ungarn galt somit nicht nur als europäisches Grenzgebiet des Osmanischen Reiches, sondern auch als Peripherie der katholischen Missionsorganisation, welche auf die Balkanhalbinsel konzentriert war.6 Nach 1585 sandten zwei kirchliche Institutionen Missionare und Visitatoren mit päpstlicher Ermächtigung ins osmanische Ungarn: die Ordensprovinz der bosnischen Franziskaner sowie die Kongregation der Benediktiner aus dem zu Ragusa gehörenden Melada (kroat. Mljet). Die bosnischen Franziskaner strebten zielbewusst danach, ihre seelsorgerische Aktivität auch außerhalb Bosniens vom Heiligen Stuhl befürworten zu lassen, und legitimierten ihre Ausbreitung in Ungarn bereits 1575 mit einem Breve. Die Bischöfe Bosniens konnten ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts Visitationen in Belgrad (serb. Beograd) und im osmanischen Ungarn durchführen, wo es entweder keine Bischöfe gab oder aber diese ihren Aufgaben nicht nachkommen konnten. Sie besaßen damit de facto einen apostolischen Visitationsauftrag. Über das Wirken der ragusanischen Benediktiner im osmanischen Ungarn sind Angaben aus der Zeit zwischen 1587 und 1612 überliefert: Sie waren mit päpstlicher Vollmacht und apostolischem Visitationsauftrag in der Umgebung von Poschega (kroat. Požega, ung. Pozsega) und Temeswar (ung. Temesvár, rum. Timişoara) tätig. Die Arbeit der Benediktiner wurde von den ragusanischen Kaufleuten, die in den besetzten Gebieten wirkten, unterstützt. Gemeinsam besuchten sie die Pfarreien in Slawonien und dem Temescher Gebiet.7 Nach dieser nahezu vierzig Jahre andauernden Orientierungsperiode kann die tatsächliche Arbeit der Missionsorganisation erst mit Beginn der jesuitischen Mission im Jahre 1612 angesetzt werden. Die von Belgrad und Fünfkirchen (ung. Pécs) waren in einem Wirkungskreis von mehreren hundert Kilometern aktiv, der auch ganz Südungarn einschloss. Über ihre Erfahrungen berichteten sie ausführlich nach Rom und machten detaillierte Vorschläge, wie der Katholizismus wiederbelebt werden sollte: Neuorganisation der Hierarchie, Entsendung einer großen Anzahl von Missionaren, Gründung von Schulen, Errichtung einer Nuntiatur in Konstantinopel etc. Bald wurde jedoch deutlich, dass für die Verwirklichung derart umfangreicher Pläne die Voraussetzungen fehlten. Der Orden konnte die Mission finanziell nicht in dem notwendigen Maße unterstützen und auch das Entgegenkommen der osmanischen Behörden erwies sich als äußerst labil. 6 7

Molnár (wie Anm. 5), 107–121. Ebd., 121–132.

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Das schwierigste Problem jedoch stellte der Dauerkonflikt mit den bosnischen Franziskanern dar. Diese missbilligten von Anfang an die Arbeit der Jesuiten, da sie – über die völlig unterschiedlichen Auffassungen hinsichtlich der Mentalität und der Ekklesiologie zwischen den beiden Orden hinaus – in diesen eine gefährliche finanzielle Konkurrenz sahen. Zudem verlief auch die Zusammenarbeit zwischen der Belgrader und der Fünfkirchner Station nicht reibungslos, da die Patres von Fünfkirchen als Vikare des Bischofs von Fünfkirchen und des Erzbischofs von Kalocsa tätig waren. Die Belgrader Patres dagegen hatten mit den Prälaten im königlichen Landesteil nichts zu tun und erkannten deren Jurisdiktion nicht einmal an. Ihre Missionsstrategie bestand darin, von Rom aus auf die bereits bestehenden kirchlichen Institutionen und die bedeutenden Persönlichkeiten in den besetzten Gebieten sowie in Ragusa zu bauen. Die aus Ungarn kommenden Jesuiten dagegen folgten dem ungarischen Rechtsstandpunkt und betrachteten die Bischöfe von Fünfkirchen als Ordinarien des Gebietes. Die südliche Sektion der Jesuitenmission (Belgrad, später Temeswar) gehörte zur römischen Provinz und erhielt ihren Nachschub aus Ragusa, während die nördlichen Stationen (Fünfkirchen, später Gyöngyös und Andocs) als Teil der österreichischen Provinz mit dem Königlichen Ungarn in engem Kontakt standen. Das Zentrum in Belgrad und Temeswar geriet in den darauf folgenden Jahren in immer größere Konflikte mit den bosnischen Franziskanern. Die bosnischen Ordensbrüder, unterstützt durch zahlreiche bosnische Handwerker und Kaufleute sowie durch die osmanischen Behörden, verhinderten die Etablierung der jesuitischen Mission mit Erfolg. Die Patres mussten Belgrad im Jahr 1632 verlassen, 1653 wurde schließlich die Station in Temeswar, ermüdet vom hoffnungslosen Kampf, aufgelöst.8 Der dritte Abschnitt der Mission in den besetzten Gebieten begann 1622 mit der Gründung der Sacra Congregatio de Propaganda Fide, die Ungarn von Anfang an als Missionsgebiet betrachtete. Die Kongregation beauftragte einen weltlichen Priester albanischer Herkunft, Pietro Massarecchi, mit der Visitation des osmanischen Ungarns, das dieser in den Jahren 1623 und 1624 aufsuchte. Massarecchi besuchte – wie auch seine Vorgänger – allerdings nur die südlichen Gebiete. Die osmanisch beherrschten Gebiete nördlich der Drau blieben auch dieses Mal außerhalb des Sichtfeldes der Kurie. Die römische Missionsorganisation verfolgte im folgenden Vierteljahrhundert den von Massarecchi vorgezeichneten Weg. Nach Ansicht des Visitators sollte vor allem die katholische Hierarchie auf dem Balkan neu organisiert, die neuen Bischöfe aber von gelehrten Missionaren unterstützt werden, die der Sprache vor Ort mächtig waren. Er befürwortete zudem den Verbleib der bosnischen Franziskaner innerhalb der Grenzen Bosniens und die Überantwortung der Seelsorge in Ungarn an Diözesanpriester, die in Italien studiert hatten. Hinsichtlich der Organisation der Missionen sei von Seiten des Königlichen Ungarn keine 8

Ebd., 141–175. Zu den wichtigsten Quellen siehe Vanino, Miroslav: Predlozi Bartola Kašića Svetoj Stolici za spas i procvat katoličanstva u Turskoj (1613. i 1614.) [Eingaben Bartol Kašićs beim Heiligen Stuhl zur Rettung und zum Aufblühen des Katholizismus im Osmanenreich (1613 und 1614)]. In: Croatia Sacra 4/8 (1934), 217–254. – Ders.: Autobiografija Bartola Kašića [Eine Autobiographie von Bartol Kašić]. In: Građa za povijest književnosti hrvatske 15 (1940), 1–144.

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wirkungsvolle Unterstützung zu erwarten, betonte der Visitator. Daher sollten der ungarische König und die von ihm ernannten Bischöfe in Bezug auf die Organisationsarbeit nicht beachtet werden.9 Die Kongregation machte sich die Vorstellungen des albanischen Priesters in vollem Umfang zu eigen. 1625 wurde für das besetzte Ungarn ein Franziskaner aus Ragusa, Albert Rengjić, zum Bischof von Samandria (serb. Smederevo, ung. Szendrő) mit Sitz in Belgrad ernannt. Obschon auch Rom auf die Arbeit der bosnischen Franziskaner nicht verzichten konnte, war man in den ersten Jahrzehnten doch bestrebt, sie durch die Zöglinge des illyrischen Kollegiums in Loreto und durch andere Missionare zu ersetzen. Die Kongregation war in den ersten Jahrzehnten mit zahlreichen Schwierigkeiten konfrontiert, die sie nicht zu lösen vermochte. Die Neuorganisation der Hierarchie innerhalb der Mission verletzte in erster Linie die Patronatsrechte des ungarischen Königs, der die Bischöfe weiterhin in den osmanisch beherrschten Diözesen ernannte. Der Heilige Stuhl wünschte jedoch – gemäß der ursprünglichen Konzeption – bis zu der Mitte des 17. Jahrhunderts hinsichtlich dieser Angelegenheit keine Absprachen mit dem König. So mussten historische Forschungen durchgeführt werden, damit Rom einen Titel (zum Bsp. von Drivasto oder Himeria) fand, auf den der ungarische Herrscher keine Rechte erheben konnte. Denn zu Beginn des Jahrhunderts kam es sogar vor, dass zwei bosnische Bischöfe zur gleichen Zeit aktiv waren: der eine in Pressburg (sk. Bratislava, ung. Pozsony) und der andere in Bosnien.10 Der Sitz des Missionsbistums der besetzten Gebiete war von Anfang an in Belgrad, wo sich die Bischöfe in erster Linie auf die Hilfe der Kaufleute von Ragusa stützten. Vom ersten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts an versuchten jedoch die bosnischen katholischen Kaufleute, denen nun größere finanzielle Mittel zur Verfügung standen, die Ragusaner aus dem osmanischen Ungarn zu verdrängen. Die sich von der ragusanischen Bevormundung emanzipierenden Bosnier fanden in ihren Selbstständigkeitsbestrebungen in den bosnischen Franziskanern, mit denen sie durch verwandtschaftliche Fäden oder anderweitig enger verbunden waren, treue Verbündete und geistige Anführer. Zu den Schauplätzen des Kampfes zwischen den beiden Nationen von Kaufleuten wurden die Kaufmannssiedlungen in den besetzten Gebieten: Den Bosniern gelang es im Bündnis mit den osmanischen Behörden um die Mitte der zwanziger Jahre des 17. Jahrhunderts, die ragusanischen Kaufleute aus Sarajewo und Ofen zu verdrängen. Durch ihre Erfolge angespornt, zogen sie 1626 in den Kampf um den Besitz der Belgrader Kolonie; Voraussetzung dafür war die Erlangung des Patronatsrechts über die Kapelle. So erhielt der rein wirtschaftliche Kampf eine kirchliche Färbung, da die lokale Priesterschaft unvermeid9

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Molnár (wie Anm. 5), 192–198. Zum Protokoll der Visitation siehe Draganović, Krunoslav: Izvješće apostolskog vizitatora Petra Masarechija o prilikama katol. naroda u Bugarskoj, Srbiji, Srijemu, Slavoniji i Bosni g. 1623. i 1624 [Bericht des Apostolischen Visitators Peter Masarechi über die Zustände des katholischen Volkes in Bulgarien, Serbien, Syrmien, Slawonien und Bosnien in den Jahren 1623 und 1624]. In: Starine 39 (1938), 1–48. Grundlegend zur Geschichte des Missionsbistums von Belgrad bis heute Premrou, Miroslav: Serie dei vescovi romano-cattolici di Beograd. In: Archivum Franciscanum Historicum 17 (1924), 489–508 und Archivum Franciscanum Historicum 18 (1925), 33–62.

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lich Position beziehen musste: Die bosnischen Franziskaner beteiligten sich auf der Seite der bosnischen Kaufleute an dieser Auseinandersetzung, während die Jesuiten und die von der Propagandakongregation entsandten Missionare Partei für die Ragusaner ergriffen. Die Republik Ragusa beabsichtigte, dem für den Handel in den osmanischen Gebieten Ungarns verhängnisvollen Prozess mit der Wiederherstellung des Friedens zwischen den Kaufleuten und den bosnischen Franziskanern Einhalt zu gebieten und bemerkte erst relativ spät, dass hinter den Ereignissen die Franziskaner selbst standen. In dem bis 1643 andauernden Zwist gelang es den Ragusanern schließlich, ihre ins Wanken geratene Position wiederherzustellen, doch waren sie gezwungen, die bosnischen Franziskaner in die Kapelle zurückzulassen.11 Ebenso gelang es nicht, die Grenzfrage des Missionsbistums zu lösen. Die Bischöfe mit Sitz in Belgrad, die ab 1647 tatsächlich Bischöfe von Belgrad wurden, hatten als delegati apostolici bzw. administratores apostolici theoretisch über das gesamte osmanische Ungarn die Jurisdiktion inne, doch praktisch war diese lediglich in den slawonischen und syrmischen Pfarrbezirken wirksam, die zuvor von den bosnischen Bischöfen betreut worden waren. Den Verlust der reichen Pfarrbezirke konnten die bosnischen Bischöfe wiederum nicht hinnehmen. Sie versuchten mit Hilfe der Franziskaner, der osmanischen Behörden vor Ort oder gar Roms, ein möglichst großes Gebiet ihrer einstigen Jurisdiktion zurückzugewinnen, indem sie die Auffassung vertraten, dass die Missionsbischöfe des besetzten Gebietes in die Landesteile jenseits der Drau zurückkehren sollten. Nach 1647 erreichten die bosnischen Franziskaner, dass sowohl der bosnische als auch der Bischof von Belgrad aus ihren Reihen kam. Die von Rom entsandten Bischöfe und Missionare gerieten infolgedessen im osmanisch beherrschten Ungarn in eine Situation, die ihr Wirken unmöglich machte und sie vor den Gläubigen und der lokalen Priesterschaft diskreditierte. Der erste von der Kongregation ernannte Missionsbischof, Albert Rengjić, verließ Ungarn 1627 endgültig. Sein Nachfolger, Pietro Massarecchi, Erzbischof von Antivari und Apostolischer Administrator Ungarns (1630–1634), versuchte ebenfalls weitgehend erfolglos, die Zwistigkeiten mit den bosnischen Franziskanern zu schlichten. Danach ernannte der Heilige Stuhl einen italienischen Minoriten, Giacomo Boncarpi, zum Missionsbischof (1640–1647), der jedoch schon ein Jahr später wegen der Verfolgung durch die Osmanen nach Wien floh. Schließlich einigte sich die Propagandakongregation nach all diesen Misserfolgen mit der gemäßigten Fraktion der bosnischen Franziskaner und dem Wiener Hof: Die Franziskaner übernahmen von da an die Missionsaufgabe im osmanischen Ungarn. Nunmehr wurden – gemeinsam mit dem ungarischen König – bosnische Franziskaner an die Spitze des Belgrader Missionsbistums berufen (Marin Ibrišimović, 1647–1650). Trotz der zahlreichen Schwierigkeiten konsolidierte sich die Missionsorganisation in den osmanischen Gebieten unter der Leitung des Heiligen Stuhls um die Mitte des Jahrhunderts: Die Bischöfe von Belgrad besuchten nun nicht mehr nur die Pfarreien in 11

Molnár, Antal: Struggle for the Chapel of Belgrade (1612–1643). Trade and Catholic Church in Ottoman Hungary. In: Acta Orientalia Academiae Scientiarum Hungaricae 60 (2007), 73– 134.

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Ostslawonien und Syrmien, sondern erreichten auch die Batschka und das Temescher Gebiet und führten sogar Visitationen in den Pfarreien in der Tiefebene sowie im nördlichen Landesteil durch. Neben dem Bistum von Belgrad richtete die Kongregation ab 1626 auch in dem Temescher Gebiet eine bosnische Franziskanermission mit dem Zentrum Karassevo (rum. Caraşova) ein, die ab 1640 die Funktion einer Apostolischen Präfektur hatte.12 Die Strukturen der katholischen Missionen im osmanischen Ungarn – und im weiteren Sinne auch auf dem nördlichen Balkan – entwickelten sich Mitte des 17. Jahrhunderts als Ergebnis eines langwierigen und häufig schwerfälligen Prozesses. Der Heilige Stuhl vermochte die Zentralisierung der Missionsorganisation lange Zeit hindurch nicht zu lösen, bis 1622 befand sich die Missionskoordinierung entsprechend den aktuellen römischen Kräfteverhältnissen immer in der Hand einer anderen Person oder Institution. Unter Gregor XIII. leiteten der päpstliche Staatssekretär Tolomeo Galli und Kardinal Giulio Antonio Santoro die Missionen auf dem Balkan und damit auch im osmanischen Ungarn. Letzterer übte seine Führungsrolle ab 1599 als Leiter der ersten, kurzlebigen Propagandakongregation bis zu seinem Tod im Jahr 1602 aus. Danach koordinierte für eine kurze Zeit der zum allgemeinen Inspektor ernannte Karmelitermönch Pedro de la Madre de Dios (1604–1608) die Arbeit. Gemäß den Schriftzeugnissen, die sich im römischen Archiv des Karmeliterordens befinden, war er es, der sich mit den Benediktinermissionen in Ungarn beschäftigte. Zur gleichen Zeit ist aber auch das Bestreben der einflussreichsten Behörde des Heiligen Stuhls, des Heiligen Offiziums, zu beobachten, die Kompetenz der Evangelisation in den eigenen Wirkungsbereich zu ziehen. Die diesbezüglichen Absichten der Inquisition waren erfolgreich, sie leitete die Missionen von 1602 bis 1622 mit einer fast allumfassenden Potenz. Ab 1612 beteiligte sich schließlich eine neue Institution an der Seelsorge: Der Jesuitenorden, der ob seiner päpstlichen Privilegien seine eigene Missionstätigkeit mit einer weitreichenden Autonomie organisierte. Diese Selbstständigkeit führte von Anfang an zu Auseinandersetzungen zwischen den Oberbehörden des Heiligen Stuhls, die die Missionen leiteten, und der Ordensleitung.13 Nach 1622 erfolgte mit der Gründung der Propagandakongregation eine bedeutende Wende in der Geschichte der katholischen Missionen. Von diesem Zeitpunkt an wurde die Missionsorganisation zum zentralsten Bereich der Beziehung zwischen dem Heiligen Stuhl und den lokalen kirchlichen Institutionen, was von der Praxis der vorangegangenen Jahrzehnte genuin abwich. Allerdings gelang es nicht restlos, die im vorherigen Jahrhundert verlorenen Positionen wiederzuerlangen. Der Jesuitenorden organisierte seine Missionen weiterhin in vollem Umfang selbstständig, daher blieb die Missionsorganisation in dem besetzten Gebiet nach 1622 12 13

Premrou (wie Anm. 10). – Buturac, Josip: Katolička Crkva u Slavoniji za turskoga vladanja [Die katholische Kirche in Slawonien unter der Osmanenherrschaft]. Zagreb 1970. – Molnár (wie Anm. 5), 198–327. Metzler, Josef: Wegbereiter und Vorläufer der Kongregation. Vorschläge und erste Gründungsversuche einer römischen Missionszentrale. In: Sacrae Congregationis de Propaganda Fide Memoria Rerum. Bd. I/1: 1622–1700. Hg. v. Dems. Rom-Freiburg-Wien 1971, 38–78. – Molnár (wie Anm. 5), 329–331.

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praktisch zweipolig, was bis zur Auflösung der jesuitischen Missionen in Belgrad und Temeswar (1632/1653), die zur römischen Ordensprovinz gehörten, andauerte. Andererseits erkannten die lokalen kirchlichen Institutionen die Jurisdiktion und die Vorstellungen des neuen Missionszentrums nicht immer oder nicht in vollem Umfang an. Nach mehreren Jahrzehnten erfolgloser Versuche gab der Heilige Stuhl seine ursprüngliche Vorstellung allmählich auf, ausländische Visitatoren und Missionare in die osmanischen Gebiete zu entsenden, die die römischen Reformideen so umfassend wie möglich verwirklichen sollten. Die Ordensprovinz der bosnischen Franziskaner, die in der Missionsorganisation des osmanischen Ungarns seit den dreißiger Jahren des 17. Jahrhunderts eine zunehmend hegemoniale Stellung eingenommen hatte, konnte der Heilige Stuhl trotz intensiver Bemühungen nicht im Sinne seiner eigenen Reformvorstellungen beeinflussen. In dem Jahrzehnte andauernden Kampf sahen sich schließlich beide Konfliktparteien gezwungen, nachzugeben. Schließlich gingen aber die Bosnier als Sieger hervor, denn sie hatten ihre klosterzentrierte Kirchenorganisation, ihre mittelalterlichen Missionsstrukturen und ihre seelsorgerische Praxis nahezu unversehrt bewahren können.14 Die Gründung der Propagandakongregation führte auch hinsichtlich der Beziehung mit den Missionsgebieten zu gravierenden Veränderungen. Die damals bekannte Welt wurde in dreizehn Teile aufgeteilt, jeder davon gelangte unter die Jurisdiktion von jeweils einem Nuntius. Der Aufgabenbereich war äußerst weitreichend: Er erstreckte sich auf die Abwicklung der gesamten Beziehung zwischen der Oberbehörde der Mission und den Missionaren.15 Die lokale Vertretung der Kongregation wurde in Ungarn zur Aufgabe des wienerischen Nuntius, in Bosnien dagegen die des venezianischen. Es wurde jedoch bald deutlich, dass abweichend von der ursprünglichen Konzeption in den osmanischen Gebieten nur bedingt auf die Mitwirkung der venezianischen und wienerischen Nuntien gezählt werden konnte. Deren Aufgabenbereich nahm bereits im Jahr 1623 der Erzbischof von Ragusa wahr, denn im Unterschied zu Wien und Venedig verfügte die Republik Ragusa auf der Balkanhalbinsel über ein ausgebautes Netzwerk, mit dessen Hilfe eine wirkungsvolle Vermittlung zwischen Rom und den Missionen zu realisieren war. Das Handelsnetz, die politischen und wirtschaftlichen Interessen sowie die kirchlichen Strukturen ließen Ragusa zur wichtigsten Zweigstelle in der Missionsorganisation werden. Ab 1628 wurde der ragusanische Erzbischof auch offiziell von der Propagandakongregation mit der Organisation der Missionen auf dem Balkan und in den ungarischen Gebieten betraut. Neben dem Erzbischof von Ragusa verfügte die Kongregation auch in Ancona und Venedig über Agenten – in letztgenannter Stadt

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Ebd., 338–340. Metzler, Josef: Orientation, programme et premières décisions (1622–1649). In: Sacrae Congregationis de Propaganda Fide Memoria Rerum. Bd. I/1: 1622–1700. Hg. v. Dems. Rom-Freiburg-Wien 1971, 146–196. – Pizzorusso, Giovanni: Agli antipodi di Babele: Propaganda Fide tra immagine cosmopolita e orizzonti romani (XVII–XIX secolo). In: Roma, la città del papa. Vita civile e religiosa dal giubileo di Bonifacio VIII al giubileo di papa Wojtyla. Hg. v. Luigi Fiorani und Adriano Prosperi. Torino 2000, 483–488.

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war dies der Drucker Marco Ginammi –, die die Kontakte in die osmanischen Gebiete pflegten.16 Der Wirkungskreis der Missionen im osmanischen Ungarn erstreckte sich während der gesamten osmanischen Herrschaft fast ausschließlich auf die südlichen Landesteile. Da die lokale Basis der Missionsorganisation aus ragusanischen Kaufleuten sowie bosnischen Franziskanern bestand, bildete ihr Wirkungsbereich (Slawonien, Syrmien, Temescher Gebiet, Batschka) auch jene Region, die durch die Missionen abgedeckt wurde. In der Zone, die über einen lokalen Ordinarius verfügte und unter ungarischem Einfluss stand, waren die Missionen nicht tätig. Die Missionsorganisation konnte sich ob der oben genannten Gründe – abgesehen von einigen frühen Versuchen – nicht auf die kirchlichen Strukturen des Königlichen Ungarn stützen. In den ungarischen Pfarreien hingegen führte der Bischof von Belgrad höchstens die Firmung durch, über eine tatsächliche Jurisdiktion verfügte er nicht. Infolgedessen betraf die Missionsorganisation des Heiligen Stuhls nur die südslawischen (kroatischen und bosnischen) Katholiken. Die ungarische Ethnie im osmanischen Ungarn fiel beinahe vollkommen aus dem Blickfeld Roms.17

Die ungarische Kircheninstitution im osmanischen Ungarn Die seelsorgerische Betreuung der ungarischen Katholiken ging nicht von Rom aus, sondern wurde vom ungarischen Katholizismus im königlichen Landesteil organisiert.18 Die ungarischen Bischöfe sicherten sich ihren Einfluss in den osmanisch besetzten Gebieten durch ihre Vikare, die nicht nur das lokale Kirchenleben lenkten, sondern auch die nördliche Ausbreitung der Missionsstrukturen verhinderten. Die wichtigsten Institutionen der ungarischen Seelsorge waren die FranziskanerKlöster der Salvatorianer Provinz (Szeged, Gyöngyös, bis zum Ende des 16. Jahrhunderts Jászberény und ab 1644 Kecskemét). Um die Mitte des 17. Jahrhunderts herum dürften sich etwa 30 bis 40 ungarische Franziskaner ständig im osmanischen 16 17

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Molnár (wie Anm. 5), 331–337. Ders.: Hrvatski, bosanski i mađarski katolički sustav crkvenih institucija u okupiranim područjima Ugarske [Das kroatische, bosnische und ungarische System der Kircheninstitution im besetzten Gebiet Ungarns]. In: Hrvatsko-mađarski odnosi 1102–1918. Zbornik radova. Hg. v. Milan Kruhek. Zagreb 2004, 135–142. Im Folgenden stütze ich mich auf die Ergebnisse meiner bereits publizierten Monographien und beschränke mich daher auf die wichtigsten Hinweise: Molnár, Antal: Püspökök, barátok, parasztok. Fejezetek a szegedi ferencesek török kori történetéből [Bischöfe, Mönche, Bauern. Kapitel aus der Geschichte der Szegediner Franziskaner während der Osmanenzeit]. Budapest 2003. – Ders.: A katolikus egyház a hódolt Dunántúlon [Die katholische Kirche im osmanischen Transdanubien]. Budapest 2003. – Ders.: Tanulmányok az alföldi katolicizmus török kori történetéhez [Studien zur Geschichte des Katholizismus auf der großen Tiefebene während der Osmanenzeit]. Budapest 2004. – Ders.: Mezőváros és katolicizmus. Katolikus egyház az egri püspökség hódoltsági területein a 17. században [Marktstadt und Katholizismus. Die katholische Kirche in den osmanischen Gebieten der Diözese Erlau im 17. Jahrhundert]. Budapest 2005. – Ders.: A bátai apátság és népei a török korban [Die Abtei Báta und ihre Völker in der Osmanenzeit]. Budapest 2006.

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Landesteil aufgehalten haben.19 Als Vertreter der ungarischen Amtskirche fungierten die durch die österreichische Jesuitenprovinz betreuten Missionen von Fünfkirchen und Andocs bzw. die Residenz von Gyöngyös.20 Neben den beiden Mönchsorden betreuten weltliche Priester vor allem in den Diözesen Waitzen (ung. Vác) und Erlau (ung. Eger) die ungarischen Katholiken. Eine besondere Institution der Seelsorge im osmanischen Ungarn stellten die Lizenziaten dar. Dies waren Laien, die wegen des Priestermangels die Führung der katholischen Gemeinden übernahmen: Sie spendeten die Sakramente der Taufe und der Trauung, beerdigten die Toten, erteilten den Gläubigen Religionsunterricht und leiteten die Gebetsstunden. Die Wirkung der katholischen Prediger wurde 1629 durch Peter Pázmány, dem Erzbischof von Gran (ung. Esztergom), in der Synode von Tyrnau (sk. Trnava, ung. Nagyszombat) sanktioniert.21 Bis in die Mitte des 16. Jahrhunderts hatte die katholische Kirche auch im königlichen Landesteil ihre strategische Stellung verloren. Die Mehrheit der Bevölkerung, vor allem der Adel, schloss sich sehr schnell den expandierenden evangelischen und reformierten Konfessionen an. Jedoch setzte in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts ein (Re-)Katholisierungsprozess ein, der mittel- und langfristig auch die Beziehungen zum Wiener Hof stärkte, wie es der Frieden von Wien (23. Juni 1606) zum Ausdruck brachte. Der im selben Jahr abgeschlossene Friedensvertrag von Zsitvatorok (11. November 1606) ermöglichte es den ungarischen Ständen, ihre Interessen auch in den unter der Herrschaft des Sultans stehenden Gebieten geltend zu machen, indem sie von der dort lebenden Bevölkerung Steuern eintrieben, über sie Recht sprachen und auch ihre einstigen Besitzungen so behandelten, als ob sie darüber immer noch das Verfügungsrecht besaßen. Diese Veränderungen schufen einen fundamental neuen Handlungsspielraum für die katholische Kirche im osmanischen Ungarn.22 Die – für die im osmanischen Ungarn liegenden Diözesen ernannten – ungarischen Bischöfe organisierten ab dem ersten Drittel des 17. Jahrhunderts ein funktionierendes Steuersystem, und nahmen zunehmend Rücksicht auf die Bedürfnisse ihrer Gläubigen. Ihre Präsenz wurde durch die Ernennung von bischöflichen Vikaren (vicarii generales in spiritualibus) gesichert. Das Funktionieren sowie die Wirkungsmächtigkeit der kirchlichen Strukturen variierten lokal. Die ungarische Präsenz war in den Gebieten östlich der Donau am stärksten ausgeprägt, daher wiesen auch die kirchlichen Institutionen in diesem Grenzraum den höchsten Wirkungsgrad auf. Ein gutes Beispiel ist das Bistum Erlau, von dem 19 20 21 22

Ders.: Magyar ferencesek a hódoltságban [Ungarische Franziskaner in der Osmanenzeit]. In: Szemelvények a szeged-alsóvárosi ferencesek ötszáz éves történetéből. A 2003. december 8-án rendezett konferencia előadásai. Hg. v. István Didák Kiss und Erika Vass. Szeged 2007, 37–61. Molnár, Antal: A jezsuita Missio Turcica [Die jesuitische Missio Turcica]. In: A magyar jezsuiták küldetése a kezdetektől napjainkig. Hg. v. Csaba Szilágyi. Piliscsaba 2006, 150–162. Juhász, Coloman: Laien im Dienst der Seelsorge während der Türkenherrschaft in Ungarn. Ein Beitrag zur Geschichte der Seelsorge. Münster 1960. Über die ungarische Präsenz in den osmanischen Gebieten Ungarns informieren zwei ungarischsprachige Monographien: Szakály, Ferenc: Magyar adóztatás a török hódoltságban [Ungarische Steuererhebung im osmanischen Ungarn]. Budapest 1981. – Ders.: Magyar intézmények a török hódoltságban [Ungarische Institutionen im osmanischen Ungarn]. Budapest 1997.

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Antal Molnár

ein Sechstel seines Gebietes – einschließlich des Bischofssitzes – ab 1596 unter osmanischer Herrschaft stand. Die Bischöfe residierten danach in Jászó (1614– 1649) und Kaschau (sk. Košice, ung. Kassa). Paradoxerweise aber spielte dieses relativ kleine Gebiet im Leben der Diözese eine ziemlich wichtige Rolle: Während die Regionen des Bistums, die ohne Osmanenherrschaft blieben, nach und nach reformiert wurden, blieb der andere Teil weitgehend katholisch. Diese auf den ersten Blick merkwürdige Tatsache, die den allgemein angenommenen Theorien über die Verbreitung der Reformation widerspricht, kann einerseits mit der Ausstrahlung der Franziskanerklöster von Gyöngyös und Jászberény erklärt werden, andererseits aber auch damit in Verbindung stehen, dass sich die Reformation unter den dortigen Gutsherren kaum verbreitete. Dank dieser Kontinuität und der Grenzraumlage konnten die Oberhirten von Erlau im Verlauf des 17. Jahrhunderts ungestört den Zehnt aus den Dörfern ihrer Diözesen eintreiben. Die Bischöfe von Erlau ernannten keine Vikare für den osmanischen Teil ihrer Diözesen. Deren Aufgabenbereich wurde in den osmanischen Gebieten von den Pfarrern von Gyöngyös als Vizearchidiakon des Komitats Heves durchgeführt. Aus dem Schriftverkehr der Priester und der Erlauer Oberhirten zeichnet sich das recht komplexe Wirkungsfeld dieser Vertreter unter der Osmanenherrschaft ab: Ihnen oblagen die Administration der Zehnteintreibung, die Errichtung und der Erhalt von Kirchen, deren Ausstattung mit sakralen Gegenständen, kirchendisziplinarische und seelsorgerische Angelegenheiten und die Arbeit gegen die Protestanten. Andererseits beanspruchten die Bischöfe Ende des 17. Jahrhunderts nicht nur die ihnen zustehenden Einnahmen aus ihren Diözesen, sondern strebten auch nach einer Verbesserung der Seelsorge. In den osmanischen Gebieten des Bistums Erlau – ein Spezifikum innerhalb des osmanischen Ungarns – wirkten auch Vertreter der Beglaubigungsorte und die delegierten Gerichtshöfe des Bischöflichen Stuhls. Die Kirchenverwaltung zeichnete sich insgesamt durch einen hohen Organisationsgrad aus.23 Neben Erlau war in den auf osmanischem Gebiet liegenden Diözesen die Verwaltung des Bistums Waitzen am weitesten entwickelt. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts war Erlau, danach 1620 bis 1663 Nógrád, der tatsächliche Sitz der Administration dieser Diözese und beherbergte die Grundbesitzverwalter, Zehntpächter und die bischöflichen Vikare. Den Höhepunkt der seelsorgerischen Organisationsarbeit der Oberhirten von Waitzen bildeten der vom Bischof Georg Pongrácz verordnete Kirchenbesuch und die Synode von 1675. In den letzten Jahrzehnten der Osmanenherrschaft unterstützten zwei Dechanten die Arbeit des bischöflichen Vikars. Insgesamt führten in den Diözesen Waitzen und Erlau die steigende Zahl und der zunehmend bessere Bildungsstand der Priester zu einem höheren Organisationsgrad des Pfarrnetzes.24 Unter völlig anderen Bedingungen wurden die Beziehungen zwischen den Diözesen des südlichen Tieflandes und deren Bischöfen wiederhergestellt. Im Fall der Erzbistümer Kalocsa und Csanád boten sich wegen der größeren Entfernung von der habsburgischen Grenze sowie der intensiven südslawischen Einwanderung we23 24

Molnár, Mezőváros (wie Anm. 18), 43–55 und passim. Siehe dazu ausführlich Ders., Tanulmányok (wie Anm. 18), 21–40.

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sentlich weniger Möglichkeiten für die ungarischen kirchlichen Strukturen. Die Oberhirten der nach dem 15-jährigen Krieg vorwiegend serbisch gewordenen Erzdiözese Kalocsa begannen, sich erst nach den 1620er Jahren intensiver für die zur Diözese gehörenden Gebiete in den osmanischen Gebieten zu interessieren: Sie erneuerten ihre Ansprüche auf ihre dortigen Besitzungen sowie auf die örtliche säkulare Verwaltung und die Eintreibung von Abgaben. Außerdem ernannten sie unregelmäßig Vikare aus den Reihen der Jesuiten von Fünfkirchen, den ragusanischen Geistlichen oder den bosnischen Franziskanern.25 Die regelmäßige Besteuerung der Dörfer von Csanád, die am südlichsten und von den ungarischen Institutionen am weitesten entfernt lagen, nahm ebenfalls ab dem 17. Jahrhundert seinen Anfang. Die größten Erfolge erzielte dabei Thomas Pálffy (1653–1658). Ein Durchbruch bei der Schaffung einer konstanten kirchenrechtlichen und seelsorgerischen Vertretung gelang in der Amtszeit von Sigismund Zongor (1644–1648): Ab 1644 ist ein regelmäßiger Kontakt zwischen den Bischöfen von Csanád und den Guardianen des Franziskanerklosters in Szeged nachweisbar. Die Oberhirten waren bemüht, die Franziskaner nicht nur in die Seelsorge zu involvieren, sondern auch bei der Eintreibung der Steuern und der Verwaltung der Güter auf sie zurückzugreifen. Die Berufung der Guardiane von Szeged zu bischöflichen Vikaren ist seit Mathias Tarnóczy (1648–1650) bis zum Ende der osmanischen Herrschaft belegt. Allerdings erstreckte sich der Wirkungsbereich dieser Vikare nur auf einzelne Siedlungen nördlich des Flusses Maros (rum. Mureş).26 Der Wiederaufbau kirchlicher Strukturen in Transdanubien wies im Vergleich zum Tiefland besondere Merkmale auf. Zum einen stellten wegen des Mangels an Diözesanpriestern und an ungarischen Franziskanern ausschließlich die jesuitischen Missionare die personelle Basis für die Kirchenorganisation dar. Am intensivsten schienen sich die Bischöfe der Diözese Fünfkirchen, um den Aufbau kirchlicher Strukturen bemüht zu haben. Die frühesten Angaben sind aus der Amtszeit von Johann Pyber (1611–1619) datiert, der die Einnahmen des Bistums verpachtete und als erster Bischof den Vorsteher der Jesuitenmission von Fünfkirchen zum Vikar für die unter osmanischer Herrschaft stehenden Gebiete der Diözese ernannte. Es war eine Politik, die seine Nachfolger fortsetzten. Die wichtigsten Aufgaben der Vikare bestanden in der Koordinierung der Seelsorge in der Diözese sowie in der Förderung des Priesternachwuchses. Zu seinen wichtigsten Aufgaben gehörte auch die Umsetzung des Kirchenrechtes, zumal die um Fünfkirchen in großer Zahl lebenden Lizenziaten in die seelsorgerische Praxis integriert werden mussten. Darüber hinaus hatten sie auch die finanziellen Ressourcen zu ordnen. Im ganzen Komitat Baranya ließen sie, oft mit der Unterstützung der örtlichen Timarinhaber, zahlreiche Kirchen errichten. Äquivalent zu den Franziskanern von Szeged verteidigten sie die Jurisdiktion ihres Oberhirten gegenüber den bosnischen Franziskanern aus Slawonien und den Missionsbischöfen. Von den Priestern unter der Osmanenherrschaft wehrten sich vielleicht die Jesuiten am heftigsten gegen die Bestrebungen der Bischöfe, sich für die Steuereintreibung und deren Verwaltung einspannen zu 25 26

Ebd., 41–79. Ders., Püspökök (wie Anm. 18), 43–72.

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Antal Molnár

lassen. Allerdings konnten sie sich nicht gänzlich davon freimachen, auch wenn sie deswegen ab und zu vor den osmanischen Behörden mit ernsthaften Schwierigkeiten rechnen mussten.27 Wie aus den Überlieferungen der Oberhirten der Diözese Wesprim (ung. Veszprém) im Norden des osmanischen Transdanubiens hervorgeht, zeigten diese wesentlich weniger Interesse an ihren Gläubigen in den Komitaten Somogy, Fejér und Pilis als ihre Amtsbrüder in Fünfkirchen. Der Grund dafür kann in den kriegerischen Verhältnissen der osmanisch-ungarischen Grenzgebiete, in der südslawischen Einwanderung und in der Etablierung der calvinistisch-reformierten Kirche gesucht werden. Obwohl die Bischöfe von Wesprim von Zeit zu Zeit Jesuiten aus Fünfkirchen zu Vikaren für die osmanischen Gebiete ernannt hatten, bedeutete die Gründung der Jesuitenmission in Andocs im Jahr 1642 den Durchbruch: Ab jetzt stellten sie bis zum Ende der Osmanenherrschaft sowohl die Missionsleiter als auch die Vikare. Der Aufgabenbereich der Jesuiten von Andocs stimmte mit dem der Fünfkirchner Missionare überein. Auch die damit verbundenen Schwierigkeiten waren ähnlich: Konflikte mit den osmanischen Behörden waren vorprogrammiert.28 Im oben geschilderten System gab es zwei Diözesen, die eine besondere Position einnahmen: Agram (kroat. Zagreb) und Gran. Von beiden Vikaren gibt es Überlieferungen aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. In diesen Fällen ging es aber nicht um die Etablierung der kirchlichen Strukturen des Königlichen Ungarn im osmanischen Ungarn, sondern um die Kontaktaufnahme vorwiegend zwischen den bosnischen Franziskanern und den Oberhirten. Die Ursachen dafür können vor allem in einem verstärkten Regionalbewusstsein innerhalb der inzwischen ausgedehnten Provinz der bosnischen Franziskaner und in den zahlreichen, durch persönliche Meinungsunterschiede entstandenen inneren Streitigkeiten gesucht werden. Die Brüder des Konvents Velika in Slawonien versuchten, sich in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts von den bosnischen Klöstern zu lösen und eine selbstständige Provinz zu organisieren. Sie erkannten dabei die Jurisdiktion des bosnischen Bischofs über die Pfarreien von Slawonien nicht an und erwogen sogar die Gründung eines selbstständigen Bistums Slawonien. Als ersten Schritt auf diesem Weg unterstützten sie den Missionsbischof von Belgrad und suchten Schutz beim Bischof von Agram, der nun den Generalvikar für die unter osmanischer Herrschaft stehenden Teile seiner Diözese aus ihren Reihen wählte.29 Innere Konflikte, persönliche Ambitionen und Auseinandersetzungen mit anderen geistlichen Würdenträ27 28 29

Ders., Katolikus egyház (wie Anm. 18), 94–108. Ebd., 153–156. Hoško, Franjo Emanuel: Luka Ibrišimović i crkvene prilike u Slavoniji i Podunavlju potkraj 17. stoljeća [Luka Ibrišimović und die Kirchenverhältnisse in Slawonien und entlang der Donau am Ende des 17. Jahrhunderts]. In: Franjevci u kontinentalnoj Hrvatskoj kroz stoljeća. Hg. v. Dems. Zagreb, 123–137. Ein bedeutender Teil des Briefwechsels der Bischöfe und Vikare wurde bereits publiziert: Lopašić, Radoslav: Slavonski spomenici za XVII. viek. Pisma iz Slavonije u XVII. vieku (1633–1709) [Slawonische Denkmäler aus dem 17. Jahrhundert. Briefe aus dem Slawonien des 17. Jahrhunderts (1633–1709)]. In: Starine 30 (1902), 1–177. – Barbarić, Josip/Holzleitner, Miljenko: Pisma fra Luke Ibrišimovića zagrebačkim biskupima (1672–1697) [Briefe des Bruders Luka Ibrišimović an die Agramer Bischöfe (1672– 1697)]. Jastrebarsko 2000.

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gern bestimmten die Handlungen des bosnischen Franziskaners Luka Marunčić, der als Guardian der Ofener Franziskaner in der zweiten Hälfte der 1670er Jahre Vikar von Georg Szelepcsényi, dem Erzbischof von Gran, wurde. Die Aufgaben der bosnischen Franziskanervikare erstreckten sich vor allem auf die Verteidigung der bischöflichen Jurisdiktionsansprüche und darauf, den Oberhirten regelmäßig über die Situation vor Ort zu berichten.30

Zusammenfassung Die zwei Ebenen seelsorgerischer und kirchenrechtlicher Strukturen, d.h. die auf den Vertretern des balkanischen Katholizismus basierende römische Missionsorganisation und die Reste der ungarischen kirchlichen Institutionen, sicherten bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts die Seelsorge im ganzen katholischen Gebiet des osmanischen Ungarns. Die Ersteren – vor allem die bosnischen Franziskaner – versorgten unter der Jurisdiktion des durch die Propagandakongregation ernannten Bischofs von Belgrad die bosnischen und kroatischen Katholiken südlich der Linie Szeged-Kalocsa, in Transdanubien und entlang der Donau bis Ofen und Pest. Die ungarische Bevölkerung wurde von den unter der Jurisdiktion der ungarischen Bischöfe stehenden ungarischen Franziskanern, Jesuiten, Diözesanpriestern und Lizenziaten betreut. Die von Ungarn bewohnten nördlicheren Gebiete des unter osmanischer Herrschaft stehenden Landesteils wurden zu dieser Zeit weder von den ungarischen Oberhirten noch von der römischen Kurie als Missionsgebiet betrachtet. Daraus ergeben sich zwei Folgerungen: Erstens, dass die katholische Kirche im osmanischen Ungarn bei der Erhaltung der ungarischen Kultur und des Institutionssystems, neben der weltlichen Landesverwaltung und Rechtsprechung sowie den protestantischen Kirchen, von entscheidender Bedeutung war. Zweitens, dass die kroatischen und bosnischen kirchlichen Institutionen – obwohl ihre Tätigkeit nach der Vertreibung der Osmanen teilweise endete oder in die institutionellen ungarischen Strukturen eingebaut wurde – in den 150 Jahren der Osmanenherrschaft die Anwesenheit des römisch-kirchlichen Reformmodells und damit die Präsenz der dalmatinischen, kroatischen, bosnischen und – durch Vermittlung – der italienischen Kultur sicherten. Nicht zu vergessen sind auch die als Resultat der katholischen Konfessionalisierung entstandenen Kirchen- und Bildungsinstitutionen, die wesentlich zu einer weiteren Zugehörigkeit der unter osmanischer Herrschaft lebenden ungarischen Gesellschaft zum christlich-europäischen – in unserem Fall katholischen – Kulturkreis beitrugen. In dieser Hinsicht übernahm jede kirchliche Institution eine wichtige Kulturmission. Die Schulen der Jesuiten dienten als einzige Bildungsinstitutionen für ganze Landesteile des osmanischen Ungarns, das Jesuitengymnasium von Gyöngyös war mit seinen 300 bis 350 Schülern wahrscheinlich das größte christli30

Molnár, Antal: Az esztergomi érsek hódoltsági vikáriátusának történetéhez [Zur Geschichte des Vikariats des Erzbischofs von Gran im osmanischen Ungarn]. In: Magyar Egyháztörténeti Vázlatok 14/1–2 (2002), 13–17.

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Antal Molnár

che Bildungsinstitut im Osmanischen Reich des 17. Jahrhunderts. Ebenfalls im Fall von Gyöngyös sind mehrere Bruderschaften bekannt, die mit den jesuitischen Volksmissionen und anderen modernen Formen der Religionsausübung eine wichtige Rolle bei der Niveauerhaltung und -erhöhung der katholischen Bevölkerung im osmanischen Ungarn spielten.31 Die von unterschiedlichen Ordensgemeinschaften betreuten Gebiete formten sich gleichzeitig zu selbstständigen konfessionellen Kulturregionen, zu sakralen Landschaften, die zugleich sehr wichtige kulturgeographische Einheiten bildeten. Dies mag insbesondere auf ein Umfeld wie das osmanische Ungarn zutreffen, wo ein bestimmtes Gebiet mangels Priestern und Intellektuellen nur unter vereinzelten homogenen konfessionell-kulturellen Einflüssen stand. Deshalb kann innerhalb der osmanischen Gebiete Ungarns zwischen einer ungarischen Franziskanerregion (die von Ungarn bewohnten Gebiete der Tiefebene), einer bosnischen Franziskanerregion (Slawonien, Syrmien, die bosnischen Dörfer der südlichen Tiefebene und Transdanubiens) und einer jesuitischen Region (Baranya, Nord-Somogy und zum Teil der Umkreis von Gyöngyös) unterschieden werden. Zum Schluss lohnt es sich, auf mögliche Analogien des hier geschilderten Fragenkomplexes hinzuweisen. Es erscheint sehr unwahrscheinlich, dass das osmanische Ungarn das einzige Gebiet entlang des christlich-osmanischen Limes war, wo derartige mehrschichtige Strukturen der katholischen Kirche existierten. Mit ähnlichen Erscheinungen muss auch im venezianisch-osmanischen Grenzgebiet gerechnet werden. Für die ersten Jahrzehnte des 17. Jahrhunderts gibt es Belege, dass die Erzbischöfe von Spalato (kroat. Split) Vikare für die unter osmanischer Herrschaft stehenden Gebiete ihrer Diözesen, insbesondere für die Pfarreien der Poljica, ernannten.32 In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts waren die Missionare unter gemeinsamer Führung des Erzbischofs und der Propagandakongregation in den osmanischen Regionen tätig. Die Erzbischöfe von Zara und die Bischöfe von Trau beklagten sich kontinuierlich über die bosnischen Franziskaner, die die unter der Jurisdiktion der Diözese stehenden weltlichen Priester mit Hilfe der Osmanen von ihren Pfarreien vertrieben hätten.33 Dies weist darauf hin, dass die Prälaten unter venezianischer Oberhoheit, wie auch ihre ungarischen Kollegen, die osmanischen Gebiete zwar nicht betreten durften, jedoch für die Verteidigung bischöflicher Jurisdiktionsansprüche sorgten. Mit anderen Worten, die alten Diözesanstrukturen und die neuen Missionsorganisationen im dalmatinischen Hinterland existierten parallel. Die vergleichende Untersuchung der kirchlichen Institutionen während der osmanischen Herrschaft führt daher nicht nur zu kulturhistorischen und religionsgeschichtlichen Schlussfolgerungen, sondern kann auch zum Verständnis der Besonderheiten des christlich-osmanischen Grenzgebietes, d.h. zum Verständnis der Art des Zusammenlebens der Bevölkerung vor dem Hintergrund der kirchlichen Strukturen vor und nach der Eroberung dienen. 31 32 33

Ders., Mezőváros (wie Anm. 18), 118–150, 171–185. Ostojić, Ivan: Metropolitanski kaptol u Splitu [Das Domkapitel in Split]. Zagreb 1975, 184. Vgl. Archivio storico della Sacra Congregazione per l’Evangelizzazione dei Popoli o de „Propaganda Fide“, Scritture Originali riferite nelle Congregazioni Generali vol. 164. fol. 88rv., vol. 263. fol. 395r.–399v., vol. 268. fol. 432r.–433r., 519rv.

Zoltán Gőzsy

Konsolidierung der Kircheninstitution in Südtransdanubien nach der Osmanenzeit* Nach den Befreiungskriegen gegen die Osmanen war für diverse staatliche Stellen die Funktionstüchtigkeit der Kircheninstitution aus verschiedenen Gründen von besonderer Relevanz. Die Reorganisation bzw. Neuorganisation der Strukturen war ein relativ langer, aber erfolgreicher Prozess. Von einer „Reorganisation“ kann man bei der Organisation der staatlichen Komitats- und Diözesanstrukturen bzw. der verbliebenen Gemeinden sprechen. Gleichzeitig muss man aber die Vorgänge auch als eine „Neuorganisation“ betrachten, denn infolge der Binnenmigration und der Zuwanderung des 18. Jahrhunderts kamen neue Akteure zum Vorschein, neue Strategien und Prinzipien bildeten die Grundlage für die staatlichen und kirchlichen (Neu-)Einrichtungen.1 Die Problematik kann man daneben derart differenzieren, dass man von einer Reorganisation der institutionellen Rahmen spricht (Diözesangrenzen, Frage der Gerichtshoheit), bei deren Ausformung aber auch neue Elemente zum Vorschein kamen, die sich an die neuen Zustände und Erwartungen anzupassen versuchten. Die Quellen zeigen, dass die Konsolidierung der Kirchenorganisation in Transdanubien in den 1740er Jahren erfolgte. In der vorliegenden Studie werden jene Ursachen und Faktoren vorgestellt, die zum Erfolg dieses Prozesses beitrugen. Das 18. Jahrhundert ist eines der aktivsten der katholischen Kirche. Dazu trugen mehrere Faktoren bei. Diese waren teilweise einer bewussten Strategie entsprungen, teils aber auch von spontaner Natur.2 Die Schlüsselfrage war in diesem Fall der Konsolidierungsbedarf der einzelnen Akteure auf den unterschiedlichen Ebenen. Die Folgen der Türken- und Kuruzzenkriege bzw. die verheerenden Auswirkungen der Pestwellen verstärkten den Bedarf nach stabilen Verhältnissen. Die katholische Erneuerung war nicht nur das Ergebnis einer „von oben“ vorgegebenen, d.h. von einer „Staatsgewalt“ ausgehenden Strategie, sondern auch die Manifestation eines Bedürfnisses „von unten“, nämlich von den Betroffenen selbst. Die lokalen Quellen zeigen, dass es zwar in dieser Epoche in Südtransdanubien durchaus konfessionelle Konflikte gab, jedoch gelang es den einzelnen Gemeinden rela* 1 2

Dieser Aufsatz wurde durch das Forschungsstipendium „János Bolyai“ (Bolyai János Kutatási Ösztöndíj; BO/00561/11/2) gefördert. Zur Neuorganisation siehe Adriányi, Gabriel: Beiträge zur Kirchengeschichte Ungarns. München 1986, 75 f. Adriányi benutzt die Begriffe „Neuorganisation“, „Wiederaufbau“ bzw. „Wiederherstellung“. Siehe ausführlich Gőzsy, Zoltán/Varga, Szabolcs: A pécsi egyházmegye plébániahálózatának újjászervezése a 18. század első felében [Die Reorganisation des Pfarreinetzes der Diözese Fünfkirchen in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts]. In: Katolikus megújulás és a barokk Magyarországon, különös tekintettel a Dél-Dunántúlra (1700–1740). Hg. v. Dens. und Lázár Vértesi. Pécs 2009, 225–264.

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Zoltán Gőzsy

tiv schnell, auf lokaler Ebene ihre eigene Konsolidierung zu verwirklichen. Eine interkonfessionelle Auseinandersetzung war für die Mikroebene insgesamt nicht charakteristisch. Die ungarische und dementsprechend auch die westeuropäische Historiographie stellen die konfessionellen Verhältnisse Anfang des 18. Jahrhunderts bis heute als eine Reihe von Konflikten und Gegensätzen dar.3 Die Ursachen dieser historiographischen Zwiespältigkeit reichen bis in das 16. Jahrhundert zurück.4 Aus den protestantisch-katholischen Debatten entstanden Prä-Konzeptionen auf beiden Seiten. Das bipolare Bild über das 18. Jahrhundert hat mehrere Ursachen, wobei den Konfliktsituationen, die in den Quellen tatsächlich beschrieben werden, eine besondere Rolle zukommt, wenn man auch die in den Beschwerdebriefen dargestellten Auseinandersetzungen nach einer multiperspektivischen Quellenkritik nicht immer verdichten kann.5 Nicht nur die Details, auch das Endergebnis bestätigt die Skepsis des Historikers, denn aus einer permanenten Konterposition heraus hätte nie so viel Produktivität resultieren können, was nun aber ausgerechnet im 18. Jahrhundert der Fall war. In der vorliegenden Studie werden jene Faktoren vorgestellt, die bei der Konsolidierung der Strukturen der katholischen Kirche in Transdanubien eine wichtige Rolle spielten. Untersucht werden nachfolgend die Rollen Wiens, der ungarischen Stände, der Kirche sowie am detailliertesten der lokalen Gemeinschaften. Anhand ausgewählter Aspekte möchte ich aus einer anderen Perspektive als in der etablierten Fachliteratur auf das gemeinsame Interesse der oben skizzierten Akteure bei der Konsolidierung sowie auf deren Ergebnisse aufmerksam machen.

Die Rolle des Staates bei der Konsolidierung der Kircheninstitution Der Wiederaufbau der Kirchenverwaltung bedeutete eine besondere Herausforderung sowohl für den Herrscher als auch für die Kirchenelite. Die Position Wiens wurde Ende des 17. Jahrhunderts von mehreren Faktoren erschwert: Zum einen waren es die Kriege und die damit einhergehenden finanziellen Schwierigkeiten, die der kirchlichen Konsolidierung wenig Spielraum ließen. Darüber hinaus wurde 3

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Vgl. Pars pro Toto Brandt, Juliane: Konfessionelle Existenz in einem rechtlich abgestuften Raum und Religionsausübung als Raumerfahrung. Ungarn im späten 17. und im 18. Jahrhundert. In: Formierung des konfessionellen Raumes in Ostmitteleuropa. Hg. v. Evelin Wetter. Stuttgart 2008, 297–319. – Bahlcke, Joachim: Ungarischer Episkopat und österreichische Monarchie. Von einer Partnerschaft zur Konfrontation (1686–1790). Stuttgart 2005. Zur skizzenhaften Darstellung der Problematik siehe Adriányi, Gabriel: Geschichte und Quellen der ungarischen Kirchengeschichtsschreibung. In: Beiträge zur ostdeutschen und osteuropäischen Kirchengeschichte. Festschrift für Bernhard Stasiewski. Hg. v. Dems. und Joseph Gottschalk. Köln 1975, 147–169. – Bahlcke (wie Anm. 3), 35–40. Gőzsy, Zoltán: Az egyháztörténet 18–19. századi forrásai a dunántúli megyei levéltárakban [Quellen zur Kirchengeschichte des 18. und 19. Jahrhunderts in den transdanubischen Komitatsarchiven]. In: A magyar egyháztörténet-írás forrásadottságai. Hg. v. Szabolcs Varga und Lázár Vértesi. Pécs 2006, 121–134.

Konsolidierung der Kircheninstitution in Südtransdanubien nach der Osmanenzeit

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der Sieg über die Osmanen von der Kirchenelite, so zum Bsp. von Leopold Kollonich,6 als Zäsur interpretiert, die den Ausbau der Monopolstellung der katholischen Kirche einleiten sollte. Die von Kardinal Kollonich angekündigte und forcierte Rekatholisierung vertiefte jedoch die Grabenkämpfe zwischen den Konfessionen. Er wies beispielsweise zwischen 1700 und 1702 die Komitate in Transdanubien an, die Protestanten zu vertreiben. Man kam zwar der Aufforderung nicht nach, doch die Richtlinien dieser Religionspolitik trugen dazu bei, dass der Komitatsadel Rákóczis Kuruzzen unterstützte.7 Wien aber hatte aus pragmatischen Gründen gar kein Interesse an einer einseitigen Unterstützung der katholischen Kircheninstitution, vor allem nicht in den südlichen Gebieten, wo man wegen der Multiethnizität bzw. -konfessionalität eine viel vorsichtigere Politik einschlagen musste. Einerseits, weil die Zwistigkeiten mit den Protestanten die Integrationsbestrebungen der Regierung schwächten und die Handlungsmöglichkeiten gegen die Osmanen beeinträchtigten. Andererseits, weil der Hof auf die griechisch-orthodoxen Serben als Soldaten, Händler und Untertanen angewiesen war. Zusätzlich war wegen der geplanten Ansiedlungspolitik Geduld gefragt. Ein gutes Beispiel dafür ist die Caraffa-Commissio, die in Südtransdanubien tagte. Ferdinand Caraffa wurde vom Hofkriegsrat um die Mitte der 1690er Jahre beauftragt, die Verwaltung in den ungarischen Neoacquistica-Gebieten sowie in Kroatien und Slawonien aufzubauen bzw. zu reorganisieren.8 Die Kommission legte 1698 in Fünfkirchen (ung. Pécs) Pars pro Toto den Status von Szigetvár im Komitat Somogy, welches auch militärische Funktionen besaß, fest. Sie ordnete u.a. die Entfernung der Ungläubigen (infideles) aus der Stadt an, zu denen sie Juden, Türken, Orthodoxe, Raitzen und Zigeuner zählte. Doch dienten sowohl in der Burg als auch in der Stadt damals mehrheitlich raitzische Soldaten.9 Die Verord6

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Leopold Karl von Kollonich (1631–1707); ab 1666 Bischof von Neutra (sk. Nitra, ung. Nyitra), ab 1670 Bischof von Wiener Neustadt, ab 1685 Bischof von Raab, ab 1691 Erzbischof von Kalocsa, von 1695 bis zu seinem Tod Erzbischof von Gran, zwischen 1672 und 1681 Leiter der Ungarischen Kammer. Vgl. Adriányi (wie Anm. 1), 83–99. – Maurer, Joseph: Cardinal Leopold Graf Kollonitsch. Primas von Ungarn. Sein Leben und sein Wirken. Innsbruck 1887. Kanyar, József: Somogy megye közgyűlése a hódoltság idején és a felszabadító harcok utáni első évtizedekben (1658–1718) [Die Komitatsversammlungen in Somogy während der türkischen Eroberung und in den ersten Jahrzehnten nach den Befreiungskämpfen (1658–1718)]. In: Somogy Megye Múltjából 17 (1986), 87–110. Caraffa, Ferdinando Antonio Carlo, conte di Stigliano oder Don Ferdinand Johann Carl Caraffa di Stigliano. Ferdinand Caraffa leitete mehrere Kommissionen. Seine Aufgabe war in erster Linie der Ausbau der Verwaltung in Südtransdanubien, Slawonien und Kroatien. Zur Commissio Caraffiana siehe Mažuran, Ive: Izvještaji Caraffine Komisije o uređenju Slavonije i Srijema nakon osmanske vladavine 1698. i 1702. godine [Berichte der Caraffa-Kommission aus den Jahren 1698 und 1702 über den Aufbau Slawoniens und Syrmiens nach der Türkenherrschaft]. Osijek 1989. – Ders.: Osnivanje vojne granice u Slavoniji 1702 godine [Die Errichtung der Militärgrenze in Slawonien im Jahr 1702]. Osijek 2005. – Sršan, Stjepan: Uprava i archivsko gradivo u istočnoj Hrvatskoj od kraja 17. stoljeca do 1745. godine [Die Verwaltung sowie Archivmaterialien im östlichen Kroatien vom Ende des 17. Jahrhunderts bis zum Jahr 1745]. Osijek 2001, 9–13. „[…] infideles uti sunt, Ethnici, Judaei, et Turcae, quemadmodum etiam Schismatici Graeci, ac Rasciani, Zingari, et ita consequenter omnes reliquos infideles […] ab urbe et incorporato Sub-

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nung wurde letztlich nie durchgeführt und auch Wien akzeptierte sie aus genannten Gründen nicht. Genau deshalb kamen konfessionelle Gegensätze während des Rákóczi-Aufstandes oft an die Oberfläche. In mehreren Gemeinden Transdanubiens vertrieben die protestantischen Kuruzzen die katholischen Priester, besetzten katholische Kirchen und wandelten sie teilweise in protestantische um. Nicht umsonst trat auf königlichen Befehl Anfang der 1720er Jahre in Pest eine Kommission zusammen, die sich mit den Religionsfragen befasste, die sog. Pester Kommission.10 Auf Anweisung dieser hatte jedes Komitat zu überprüfen, mit welchem Recht Protestanten Kirchen oder Bethäuser nutzten. Diese Untersuchungen dauerten bis in die 1760er Jahre an, zogen aber keine ernsthaften Konsequenzen nach sich.11 Solange die ungarischen Stände die Lösung ihrer religiösen Streitfragen von Wien erhofften, wollten die Habsburger in religiösen Fragen keine Partei ergreifen.12 Dies spiegelte sich in der konfessionellen Gesetzgebung wider.13 Die konfessionellen Gesetze von 1681 wurden 1687 wegen der Rückeroberungskriege und in den 1710er Jahren wegen der Annahme der Pragmatischen Sanktion jeweils nur bekräftigt, die Obrigkeit regelte die Frage in den 1730er Jahren durch die beiden sog. Karolinischen Resolutionen. Auf den Reichstagen kamen die religiösen Gegensätze sehr scharf zum Vorschein und bestimmten grundlegend die Atmosphäre.14 Erst nach dem Reichstag von 1728/29 waren die religiösen Streitfragen bis

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urbio illico removeant, et nullatenus deinceps tolerent.“ Somogy Megyei Levéltár [Archiv des Komitates Somogy] (fortan SML), XV. 4. 58. 41. 1. 1–2. Gemäß dem Artikel Nr. 30 des Reichstags von 1712/15 wurde zur Untersuchung und Lösung religiöser Beschwerden bzw. zur Erledigung konfessioneller Angelegenheiten eine katholischprotestantische Kommission aus 24 Mitgliedern ernannt, die zwischen 15. März und 10. August 1721 tagte. Vgl. Ladányi, Sándor: 1721. évi vallásügyi vizsgálat Somogy vármegyében [Konfessionelle Untersuchung im Komitat Somogy, 1721]. In: Somogy Megye Múltjából 3 (1972), 91–118. Baranya Megyei Levéltár [Archiv des Komitates Baranya] (fortan BML), IV. 1. f. 3. Akten der Adelsversammlung des Komitates Baranya und deren Subkommission. – SML, IV. 10. bb. Akten des Gerichtsstuhls (Sedria) des Komitates Somogy, 1488–1848 (1855). Gerichtliche Untersuchungen (Inquisitionales), 1654–1848. 60 Bündel, 1715–1784, ohne Signatur. – Veszprémi Érseki Levéltár [Erzbischöfliches Archiv Wesprim]. Miscellanea 14. a. Inquisitio Comitatus Simighiensis intuitu Acatholicorum, 1721. Vgl. Ewans, Robert J. W.: Die Grenzen der Konfessionalisierung, die Folgen der Gegenreformation für die Habsburgerländer (1650–1781). In: Konfessionalisierung in Ostmitteleuropa. Wirkungen des religiösen Wandels im 16. und 17. Jahrhundert in Staat, Gesellschaft und Kultur. Hg. v. Joachim Bahlcke und Arno Strohmeyer. Stuttgart 1999, 404–445. Der Text des Gesetzartikels Nr. 30 aus dem Jahr 1715 lautet: „A vallás dolgában innen is, túl is fotytatott sokféle tárgyalások s már a megalkotott törvénycikkek közzététele alkalmával a királyi felséghez mindkét oldalról intézett fotyamodások után, végre Ő császári királyi fenntisztelt felsége, kegyességéből s kegyelmességéből elhatározta, hogy az előbb idézett 1681. s 1687. évi törvénycikkeket, ekkorig kifejtett valódi értelmükben, ezután is fenntartsák és igy megujitottaknak és megerősitteteknek tekintsék.“ Magyar Törvénytár. 1657–1740. évi törvényczikkek [Ungarisches Gesetzbuch. Die Gesetzesartikel von 1657–1740]. Budapest 1900, 463 f. Detaillierter über diese Frage Szijártó, István M.: A diéta. A magyar rendek és az országgyűlés, 1708–1792 [Die Diät. Die ungarischen Stände und der Landtag, 1708–1792]. Budapest 2005, 268–277. – Ders.: Vallási kérdés az országgyűléseken a 18. század első évtizdeiben [Die Reli-

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1790/91 kaum mehr auf der Tagesordnung: Ob der einheitlichen Oppositionspolitik der Stände gegenüber dem Herrscher bzw. wegen sonstiger aktueller Fragen spielten sie nunmehr eine untergeordnete Rolle.15 Die Beschlüsse des Tridentiner Konzils waren in diesem Konsolidierungsprozess von entscheidender Rolle, ja sie bildeten geradezu dessen Fundament. Die Kirchenkonsolidierung oblag in erster Linie dem Leiter der Diözese. Daher war entscheidend, welche Personen das Bischofsamt übernahmen. Da infolge des Rákóczi-Aufstandes die Reorganisation der Diözesen Transdanubiens unterbrochen worden war, konnte die eigentliche Konsolidierungsphase erst nach 1710 einsetzen. Ein Teil der im ersten Viertel des 18. Jahrhunderts ernannten Bischöfe war fremder Abstammung, achtete man doch in Wien darauf, dass geeignete Personen in das Amt kamen. Die Bischöfe brachten Erfahrung aus der Bürokratie und in der Kirchenorganisation mit und wandten diese in Ungarn mit Erfolg an, Pars pro Toto seien hier der Bischof von Raab, Christian August von Sachsen-Zeitz, der Bischof von Waitzen, Friedrich Althan oder der Wiener Otto Volkra, Bischof von Wesprim (ung. Veszprém), genannt. Kaiser Leopold I. ernannte 1695 Christian August von Sachsen-Zeitz zum Bischof von Raab, 1707 wurde er Assistent des Fürstprimas Leopold Kollonich; von Papst Klement XI. wurde er zum Kardinal ernannt. Im gleichen Jahr wurde er – nach dem Ableben von Kollonich – von Kaiser Joseph I. zum Erzbischof von Gran (ung. Esztergom) denominiert.16 Volkra wiederum kam über Wien und Passau nach Pressburg (sk. Bratislava, ung. Pozsony), wo er Erzdechant und Probst des Domkapitels war. Hier fiel er als ein gewissenhafter und gründlicher Mensch auf. 1710 wurde er zum Bischof von Wesprim ernannt. Der Bischof war erblicher Obergespan des Komitates Wesprim. Politische Fähigkeiten und Loyalität waren also entscheidend aus der Sicht der Habsburger.17 Bei der Ernennung des hohen Klerus und der Regelung der Kompetenzbereiche spielten auch finanzielle Aspekte eine gewichtige Rolle. Die Interessen der Schatzkammer begrenzten das Testamentserrichtungsrecht des hohen Klerus; als oberster Hüter der kirchlichen Rechte und des kirchlichen Vermögens galt aber der Herrscher.18

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gionsfrage in den ungarischen Landtagen der ersten Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts]. In: Katolikus megújulás és a barokk Magyarországon, különös tekintettel a Dél-Dunántúlra (1700– 1740). Hg. v. Zoltán Gőzsy, Szabolcs Varga und Lázár Vértesi. Pécs 2009, 87–103. Szijártó, A diéta (wie Anm. 14), 277–280. Über die Landtage des 18. Jahrhunderts Berenger, Jean/Kecskeméti, Károly: Országgyűlés és parlamenti élet Magyarországon, 1608–1918 [Landtag und parlamentarisches Leben in Ungarn, 1608–1918]. Budapest 2008. Kelemen, Atanáz: Keresztély Ágost herceg katholikus restaurációs tevékenysége a győri egyházmegyében [Die katholische Restaurationstätigkeit des Fürsten Christian August in der Diözese Raab]. Pannonhalma 1931. Körmendy, József: Gr. Volkra Ottó Ker. János veszprémi püspök élete és munkássága 1665– 1720 [Leben und Wirken des Bischofs von Wesprim, Graf Otto Volkra, 1665–1720]. Veszprém 1995. Bahlcke (wie Anm. 3), 76–90. – Várkonyi, Ágnes R.: Török háború és hatalmi átrendeződés 1648–1718 [Türkenkrieg und Machtverlagerung]. In: Vigilia 64/7 (1999), 482–491.

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Die Rolle der Amtskirche bei der Konsolidierung Die Klärung der Kompetenzen im öffentlich-politischen Bereich und in der Frage der Diözesangrenzen war sowohl für die frühe Staatlichkeit als auch für die Diözesen von vitalem Interesse. Das hatte prinzipielle Gründe. Gleichzeitig generierten die Visitationen in den Neoacquistica-Gebieten Rechts- und Zuständigkeitskonflikte. Das war darauf zurückzuführen, dass während der Osmanenherrschaft die Grenzen der Diözesen verschwunden waren bzw. die einzelnen Bistümer ihr Gebiet auf Kosten der anderen erweiterten. Die Erzbischöfe von Gran vergrößerten zum Bsp. ihre Oberaufsicht um Ofen (ung. Buda) und Stuhlweißenburg (ung. Székesfehérvár), die beide zu den wichtigsten Städten des mittelalterlichen Bistums Wesprim gehörten. Die Bischöfe von Agram (kroat. Zagreb) führten im 17. Jahrhundert im Süden der transdanubischen Komitate Visitationen durch.19 Nach 1686 betrieben – neben den kroatischen Franziskanern – in der nach dem Hl. Ladislaus benannten Ordensprovinz auch Diözesanpriester aus Agram Seelsorge; um das einst zur Diözese Fünfkirchen gehörende Komitat Požega stritten die Missionsbistümer Agram und Belgrad (serb. Beograd). Aus ähnlichen Gründen musste man die dortigen Grenzen der Franziskaner-Ordensprovinzen neu verhandeln.20 Die südslawische Migration im 17. Jahrhundert war von besonderer Relevanz für die gesamte Region. Die Immigranten brachten ihre eigene katholische Infrastruktur mit und bereicherten damit die katholische Konfession. Dieses Phänomen hatte allerdings keine mittelalterliche Vorgeschichte und ist als Folge der Osmanenherrschaft anzusehen. Die Vertreter der bosnischen Franziskaner bzw. LadislaitenFranziskaner, die die südslawischen Gemeinden betreuten, kamen so auf das Gebiet der Bistümer Fünfkirchen und Wesprim, wo sie bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts tätig blieben.21 Die neu organisierten Pfarreien im Komitat Somogy, nämlich Nagykanizsa, Csurgó, Babócsa und Nagyatád, versuchte der Bischof von Agram unter seine Jurisdiktion zu bringen. Den Rechtsanspruch erhob er mit dem Hinweis, dass diese Orte von Kroaten bewohnt wären. Die Bischöfe von Wesprim und Fünfkirchen traf diese Intervention empfindlich, weshalb sie versuchten, diese Offensive abzuwehren. So führten sie in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts persönlich die Visitationen durch und protestierten nicht nur beim Bischof von Agram, sondern auch beim König. Es kam auch vor, dass sie die Vertreter aus Agram regelrecht vertrieben. Erst um die Mitte des 18. Jahrhunderts stabilisierte sich die Lage: Der Bischof von Wesprim, Márton Padányi Bíró, drohte seinem Amtsbruder damit, dass er im 19

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Gőzsy, Zoltán: A pécsi egyházmegye nyugati határainak problémája a 18. században [Die Problematik der Westgrenzen der Diözese Fünfkirchen zu Beginn des 18. Jahrhunderts]. In: A pécsi egyházmegye a 17–18. században. Hg. v. Tamás Fedeles und Szabolcs Varga. Pécs 2005, 134–155. Galla, Ferenc: Ferences misszionáriusok Magyarországon: a Királyságban és Erdélyben a 17–18. században [Franziskanische Missionare in Ungarn: Im Königreich und in Siebenbürgen im 17.–18. Jahrhundert]. Hg. v. István Fazekas. Budapest-Rom 2005, 40 f. Siehe dazu auch den Beitrag von Antal Molnár in diesem Band. Gőzsy/Varga (wie Anm. 2), 230–233.

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Gegenzug auf der Murinsel und in kroatischen Gebieten Visitationen durchführen werde.22 Hinter dem konsequenten Auftritt des Bischofs verbarg sich die Frage nach der Kompetenz. Um die Jahrhundertwende legte man nach langwierigen Verhandlungen die Grenzen der Komitate und Diözesen fest. Nicht selten musste noch Palatin Paul Esterházy zwischen 1696 und 1702 eingreifen.23 Wegen der sich hinziehenden Streitigkeiten traten im 18. Jahrhundert die südtransdanubischen Kirchenfürsten gegenüber den Ladislaiten-Franziskanern immer entschlossener auf, da sie in diesen die Helfershelfer ihres Konkurrenten aus Agram sahen. In den Neoacquistica-Gebieten bestand zunächst die wichtigste Aufgabe in einem Umzug der Kircheneliten in den jeweiligen Amtssitz. Die Idee der Residentia, die ein Ergebnis des Tridentinums war, zeigte sich hier zwar anders, doch trug sie die eigentliche Bedeutung, nämlich den Umzug, in sich. Wegen der Osmanenherrschaft wurde der Sitz der Kirchenoberen oft nach Norden verlegt: So zog beispielsweise der Bischof von Wesprim nach Sümeg, während der Erzbischof von Gran nach Tyrnau (ung. Nagyszombat, sk. Trnava) übersiedelte; der Bischof von Erlau (ung. Eger) residierte in Kaschau (ung. Kassa, sk. Košice). Die zurückkehrenden Geistlichen bauten im 18. Jahrhundert rasch ihre Zentren aus. In Südtransdanubien waren Diözesansynoden eher selten. In der Diözese Wesprim hielt man in erster Linie wegen der absolutistischen Beschränkungen keine Synoden ab. Diese wurden letztlich durch Visitationen, Konsistorien und DekanatKonferenzen (esperesi korona) ersetzt.24 Die Synode vom 13. März 1714 in Fünfkirchen war daher von besonderer Bedeutung; auf ihr wurden die Richtlinien der Reorganisation geklärt.25

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Ebd., 240. Detaillierter über diese Frage Hermann, István: A veszprémi római katolikus egyházmegye igazgatása a 18. században [Die Verwaltung der Diözese Wesprim im 18. Jahrhundert]. Phil. Diss., Budapest 2011, 39–42. Gőzsy/Varga (wie Anm. 2), 242. Dénesi, Tamás: Esperesi koronák a 18. századi veszprémi egyházmegyében. Egyházi irányítás és az alsópapság újjászervezése a 18. században [Die Dekanat-Konferenzen in der Diözese Wesprim im 18. Jahrhundert. Das kirchliche Lenken und die Neuorganisation der Pfarreien im 18. Jahrhundert]. In: Magyar Egyháztörténeti Vázlatok 3/4 (2007), 9–17. – Vanyó, Tihamér A.: Püspöki jelentések. A Magyar Szent Korona országainak egyházmegyéiről 1600–1850 [Bischöfliche Berichte über die Bistümer von Ungarn 1600–1850]. Budapest 1933. „Quapropter omnes et singulos Dominos Pastores Ecclesiarum, seu Parochos, et Licentiatos in praelibata nostra Dioecesi existentes, suoque Ecclesiastico munere fungentes pro die 13. Martii anno modo labentis in Curiam Episcopalem Quinque Ecclesiensem, adeoque Vicarialem, in praesentiam sub obligatione debitae superioribus obedientiae certificando et convocandos ordinavimus.“ Koller, Josephus: Historia episcopatus. Bd. VII. Quinqueecclesiarum 1782, 220 f. – Merényi, Ferenc: Domsics Mátyás egyházlátogatása (Canonica visitatio) Baranyában 1729ben [Der Kirchenbesuch (Canonica visitatio) von Mátyás Domsics in der Baranya 1729]. Pécs 1939, 10 f. und 103.

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Ausbau des Pfarreinetzes und Stabilisierung des Personalbestandes Neben der Klärung der Visitationsprinzipien und ihrer praktischen Durchführung waren der Ausbau des Pfarreinetzes sowie die Sicherung des lokalen Kirchenpersonals die größten Aufgaben. Eine der Botschaften des Tridentinums war gerade die intensive und aktive Präsenz der Kirche in den lokalen Gemeinschaften. Dieser Gedanke spiegelte sich in der Entstehung der sich neu strukturierenden Gemeinden, wie etwa in der Selbstorganisation der Pfarrgemeinden in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, wider. Zu den wichtigsten Fragen der kirchlichen sowie weltlichen Re- bzw. Neuorganisation gehörten also die Pfarreigründungen, der Ausbau einer stabilen und lokalen Kirchenstruktur sowie die Sicherung des entsprechenden Pfarrers bzw. des gesamten lokalen Personals am Kirchendienst. Das war auch deshalb eine Kernfrage, weil die hohe Anzahl von vakanten Pfarrstellen ein besonders großes Problem darstellte: Im Komitat Somogy in der Diözese Wesprim zum Bsp. gab es in den Jahren 1680 bis 1690 zwischen fünf bis neun intakte Pfarreien,26 in der Diözese Fünfkirchen im Jahr 1703 lediglich elf.27 Die Organisation von Pfarreien erfolgte in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Südtransdanubien zweigleisig: Die Bischöfe waren einerseits darauf bedacht, die Pfarreien und Benefizien, die unter die Hoheit anderer Bischöfe geraten waren – wie dies auch bei dem Streit mit der Diözese Agram der Fall war –, zurückzubekommen bzw. unter ihre Kontrolle zu bringen; zugleich waren sie auch bestrebt, neue Pfarreien zu gründen.28 Das Residenzprinzip des Tridentinums war gleichbedeutend mit der Organisation von Pfarreien und der Einstellung von Pfarrern auf der unteren Ebene. Das Interesse der frühmodernen Staatlichkeit, der Kirche sowie der Gläubigen bestand darin, dass geeignete Pfarrer eingesetzt wurden, die als spirituelle Leiter der Gemeinden ihren Pflichten als Seelsorger nachkamen. Nicht zuletzt galt es auch im Interesse der Grundherren, die oftmals multiethnische und multikonfessionelle Bevölkerung in die neu entstandenen Gemeinden zu integrieren. Die noch wenig ausdifferenzierte Staatlichkeit signalisierte u.a. auch mit der Regelung der Dotierung der Priester, dass sie die Konsolidierung der Pfarrämter für wichtig hielt: Unter Kaiser Karl VI. (1711–1740) wurde festgelegt, dass das Jahres26

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Detaillierter über diese Frage siehe Hermann (wie Anm. 22), 52–56. – Dénesi, Tamás: Alsópapság, pasztoráció és egyházi irányítás a XVIII. századi veszprémi egyházmegyében [Pfarreien, Seelsorge und kirchliche Leitung in der Diözese Wesprim im 18. Jahrhundert]. Phil. Diss., Budapest 2006, 14–23. Visitatio Canonica Dioecesis Quinqueecclesiensis 1738–1742. Egyházlátogatási jegyzőkönyvek a pécsi egyházmegyében (1738–1742) [Visitationsprotokolle in der Diözese Fünfkirchen (1738–1742)]. Hg. v. Zoltán Gőzsy und Szabolcs Varga. Pécs 2009. – Taksonyi, József: Adatok Baranya megye és Pécs XVI–XVII. századi történetéhez [Angaben zur Geschichte von Baranya und Fünfkirchen im 16. und 17. Jahrhundert]. In: Baranyai helytörténetírás (1973), 129–146. Körmendy (wie Anm. 17), 31.

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einkommen eines Dorfpfarrers mindestens 150 Gulden betragen sollte. Da das Gehalt der meisten Priester nicht diese Summe erreichte, wurde 1733 die sog. Kasse der Pfarrer (cassa parochorum) ins Leben gerufen. A dato mussten die einzelnen Bischöfe einen Teil ihrer Einkünfte in diese Kasse abführen.29 Der Ausbau eines Netzes von Pfarrämtern war allerdings nicht nur für den Herrscher und die Kirche von Relevanz, sondern er lag auch im Interesse der Grundherren. Diese waren sich bewusst, dass die Sicherung der Religionsausübung zu einer Integration und Konsolidierung der angesiedelten Bevölkerung beitrug sowie eine erfolgreiche Koexistenz der Gemeinden förderte. Deshalb wählten sie in Zusammenarbeit mit den Domänenverwaltern die Pfarrer sorgfältig aus und setzten sie sogar in ihre Ämter ein (Patronatsrecht). In den größeren Herrschaftsbereichen waren die Aufsicht über sowie der Beistand für den Pfarrer Aufgaben des Domänenverwalters. Ein gutes Beispiel ist die aus 50 Punkten bestehende Instruktion des Fürsten Paul Esterházy aus dem Jahr 1720: Die ersten drei Punkte befassten sich generell mit den moralischen und gesetzlichen Erwartungen gegenüber den Herrschaftsbeamten. Im vierten Punkt ging es jedoch konkret um den Pfarrer bzw. die Pfarrei, vor allem um die Wirtschaftsführung der Pfarrei und um die Aufsicht. Trotzdem sollten Entscheidungen stets „im Einvernehmen mit dem Herrn Pfarrer“ getroffen werden.30 Durch die Kongruenz grundherrlicher und kirchlicher Interessen bei der Auswahl der Priester wurde die Akzeptanz beider Parteien zunehmend wichtig. Im Visitationsprotokoll von Michael Modrussan, dem Pfarrer von Babócsa, der aus Karlstadt (kroat. Karlovac) stammte, wurde betont, dass er nach seiner Vorstellung und Einsetzung (praesentatio et installatio) durch den Archidiakon (főesperes) von Kamarcsa auch vom Grundherrn „akzeptiert“ worden sei.31 Die Kirchenoberen erwarteten vom Pfarrer die Förderung des religiösen Lebens, die Verbreitung des katholischen Glaubens und die Rekatholisierung von Andersgläubigen. Aus den Quellen geht hervor, dass die Bischöfe bei der Ernennung der Pfarrer die Verhältnisse und Bedürfnisse vor Ort berücksichtigten, vor allem was die ethnische Zusammensetzung der Gemeinden anbelangte. Freilich kam es vor, dass auch weniger geeignete Pfarrer eingesetzt wurden. In einem solchen Fall wurde deren Versetzung entweder von der Diözese selbst veranlasst, oder sie kam der Bitte der Bevölkerung nach. In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts wetteiferten die Diözesen um erfahrene Pfarrer. Der erfolgreich arbeitende agile Johann Kereszturi zum Bsp. erweckte die Aufmerksamkeit des Bischofs von Wesprim, Adam Acsády (1725–1744), der 29

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Detaillierter über diese Frage siehe Salacz, Gábor: A Cassa parochorum története [Die Geschichte von Cassa parochorum]. In: A Gróf Klebelsberg Kunó Magyar Történetkutató Intézet évkönyve 3 (1933), 121–152. – Conscriptio ecclesiarum et parochiarum Comitatus Baranyiensis et Comitatus Tolnensis Anno 1733. Hg. v. Zoltán Gőzsy. Pécs 2012, 13–20. Magyar Országos Levéltár [Ungarisches Landesarchiv] (fortan MOL), P 108. Az Esterházy család levéltára [Archiv der Familie Esterházy], Rep. 65. Fasc. 15. fol. 135–136. Instructio Pro Provisoratu Bonorum Kaposvariensium. „[…] post tamen per dominium acceptatus.“ Siehe Pfeiffer, János: A Veszprémi egyházmegye legrégibb egyházlátogatásai (1554–1760) [Die ältesten Visitationen der Diözese Wesprim (1554–1760)]. Veszprém 1947, 54.

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ihn in seine Diözese aufnahm und ihm 1740 das Pfarramt von Attala überantwortete. Wahrscheinlich fiel er hier dem Provisor der Herrschaft der Esterházys, Gabriel Gyulai Gaál, auf, der ihn nach Keszi, welches der Familie Esterházy gehörte, im Komitat Tolna mitnahm. Dagegen legten der Bischof von Fünfkirchen und der von Wesprim jeweils Protest ein. Kereszturi verblieb letztlich nicht in Keszi, sondern wurde ab 1742 Priester von Szentbalázs im Komitat Somogy, wo er eine wichtige Tätigkeit ausübte: Er betreute beinahe die gesamte protestantische Region Zselic. Er wurde nach dem Gegenreformator und Bischof von Fünfkirchen als „der zweite Radonay“ bezeichnet.32 Die entsprechende Sprachkompetenz der Priester war von besonderer Relevanz. Die Quellen zeugen davon, dass beispielsweise die kroatischsprachigen Priester keinen Zugang zur ungarischen Bevölkerung fanden und nur bescheidene Ergebnisse bei der Bekehrung der Protestanten erzielen konnten. Über eine Visitation in Berzence im Komitat Somogy aus dem Jahr 1728 findet sich dazu Folgendes: „Das Ergebnis wäre besser, wenn der Pfarrer der ungarischen Sprache mächtig wäre.“33 Auch in Kanizsa war der Priester damals kroatischsprachig, seine Gläubigen aber nur des Ungarischs mächtig. Die Lösung war, dass er die Messe abhielt, die Predigt aber ein Jesuit in ungarischer Sprache verkündete. Dies stellte keine Ausnahme dar, auch in Szilvás im benachbarten Komitat Baranya konnte ein Pfarrer wegen sprachlicher Barrieren nicht predigen.34 Für die ungarischen Gläubigen war es darüber hinaus wichtig, die Beichte auf Ungarisch ablegen zu können.35 Im 18. Jahrhundert wurde es nach und nach zur Gepflogenheit, dass die Priester – der jeweiligen ethnischen Zugehörigkeit der Gemeinde angepasst – in drei, vier, ja sogar in fünf Sprachen ihren Dienst versahen. Sie sprachen vor allem Latein, Ungarisch, Deutsch sowie Serbisch und Kroatisch, teilweise auch Italienisch oder Spanisch. Es war nicht selten, dass einige Pfarrer sowohl des Kroatischen als auch des slawonischen Dialekts mächtig waren, d.h., sie sprachen den kajkavischen wie den štokavischen Dialekt. Der Priester von Szigetvár etwa, der insgesamt fünf Sprachen beherrschte, erklärte um die Mitte des Jahrhunderts offen, dass er andernfalls seinen Pflichten nicht nachkommen könnte.36 Auch Joseph Anton Mazorani, Pfarrer in Lakócsa, war multilingual. Der aus Dalmatien stammende Geistliche studierte in Fünfkirchen und bekam nicht zuletzt wegen seiner Sprachkompetenz 1738 32 33 34 35

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„[…] 19 pagis laboriose inservit ferme per totum Zselicz, saepe quidem cum manifesto vitae periculo.“ Ebd., 587. „[…] et fieret fructus uberior, si linguae etiam hungaricae gnarus haberi posset administrator.“ Ebd., 15. „In eo tamen conqueritur populus pure ungaricus, quod parochus idiomatae illorum nunquam concionetur […].“ Visitatio Canonica (wie Anm. 27), 23. Über den Priester von Lakócsa, Joseph Mazoranyi, heißt es: „[…] gnarus linguarum Latinae, Italicae Illyricae, et Germanicae in tantum ut confessiones Fidelium excipere possit.“ Ebd., 81. Über Johann Keresztes in Sumony heißt es: „[…] in casu necessitatis fidelium confessiones excipere possit.“ Ebd., 90. Vgl. Gőzsy, Zoltán: Szigetvár története 1715–1825 között [Geschichte von Szigetvár zwischen 1715–1825]. In: Szigetvár története. Tanulmányok a város múltjából. Hg. v. Sándor Bősze, László Ravazdi und László Szita. Szigetvár 2006, 135–174, hier 170–172. – Visitatio Canonica (wie Anm. 27), 128.

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diese Gemeinde an der Drau.37 Zusammenfassend kann man festhalten, dass bei den Seelsorgern weniger die Herkunft, sondern vielmehr die damit zusammenhängenden Sprachkenntnisse sowie ihre generelle Befähigung die ausschlaggebenden Faktoren bei ihrer Ernennung zum Pfarrer waren.38

Die Priesterseminare Neben der Einrichtung neuer Pfarreien musste auch die Ausbildung der Geistlichen gesichert werden. Die Bischöfe betonten daher – im Einklang mit dem Tridentinum – die existenzielle Relevanz der Priesterseminare. Demnach sollten gebildete, ortskundige und „flexible“ Seelsorger herangezogen werden. Das Priesterideal des Konzils war nämlich der doctus et pius parochus, der den Bedürfnissen der Gemeinden entsprach und auf sie einging.39 So definierte der Bischof von Wesprim, Otto Volkra, die Aufgaben der Piaristen in seinem 1711 neu gegründeten Priesterseminar wie folgt: „Et in omnibus ita se exhibeant, ut e silvis nostris Baconicis pie et bene educatae iuventutis flores prodire, et in silvestres insiti frutices eruditionis et pietatis neo-ramusculi in servitium regis et patriae fructiferae aliquando arbores excrescant.“40 Explizit wurden damit die Aufgaben dieser Einrichtung im neuen Geist der Kirche gesehen.41 In der Diözese Fünfkirchen etablierte sich eine professionelle Priesterausbildung in der zweiten Hälfte der 1730er Jahre. Um 1736 begann die theologische Ausbildung der Priesteramtskandidaten; ab 1746 erfolgte diese im extra dafür errichteten Seminargebäude. Analog zu seinem Amtsbruder Volkra engagierte sich auch der zuständige Bischof Sigismund Berényi (1740–1748) mit Nachdruck. Kernfrage blieb die Finanzierung, die letztlich aber aus den Einkünften mehrerer bischöflicher Güter gesichert werden konnte. Die rund vierzig Jahre, die zwischen den beiden Seminargründungen lagen, verdeutlichen eine qualitative Veränderung in der Erwartungshaltung der Bischö37

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Brüsztle, Josephus: Recensio universi cleri dioecesis Quinque Ecclesiensis. Bd. I–IV. Quinque-Ecclesiis 1874–1880, hier Bd. II, 500. Der Pfarrer der Erzdiözese Gran, Márton Rostás, wurde 1731 gerade wegen mangelhafter deutscher und illyrischer Sprachkenntnisse entlassen. Danach ging er ins Bistum Wesprim. Vgl. Pfeiffer (wie Anm. 31), 881 f. Detaillierter über diese Frage siehe Gőzsy, Zoltán/Varga, Szabolcs: Papi műveltség a pécsi egyházmegyében a 18. század első felében [Der Bildungsstand der Priester in der Diözese Fünfkirchen in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts]. In: Jelenkor 54/5 (2011), 509–515. Gárdonyi, Máté: A papi élet reformja a Tridenti Zsinat korában [Reform des priesterlichen Lebens zur Zeit des Konzils von Trient]. Budapest 2001. Tölcséry, Ferenc: A kegyes tanítórendiek vezetése alatt álló veszprémi róm. kath. főgymnasium története 1711–1895 [Die Geschichte des vom gnädigen Lehrorden geleiteten röm.-kath. Hauptgymnasiums zu Wesprim 1711–1895]. Veszprém 1895, 12 f. Nach seinem Tod wurde das Seminar aufgelöst und erst unter dem ebenfalls agilen Bischof von Wesprim, Martin Padányi Bíró, reorganisiert. Siehe ausführlicher bei Dénesi, Tamás: Plébániaalapítás és katolikus megújulás Somogyban [Pfarreigründung und katholische Erneuerung im Komitat Somogy]. In: Katolikus megújulás és a barokk Magyarországon, különös tekintettel a Dél-Dunántúlra (1700–1740). Hg. v. Zoltán Gőzsy, Szabolcs Varga und Lázár Vértesi. Pécs 2009, 197–225.

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fe.42 Otto Volkra betonte noch die Quantität der auszubildenden Priester. Zwar wurde auch in der Gründungsurkunde des Seminars von Fünfkirchen der Priestermangel bereits im ersten Satz erwähnt, doch im Mittelpunkt der Ausführungen stand bereits die Qualität der Ausbildung.43 So wurde die Notwendigkeit von Vielsprachigkeit aus der Erkenntnis heraus gesehen, dass „idque curandum erit ob magnam in Dioecesi lingvarum indigentiam“; von den Seminaristen wurde demnach die Fähigkeit verlangt, die Predigt in mehreren Sprachen halten zu können. Dafür war täglich eine halbstündige Übung in Fremdsprachen vorgesehen. Die funktionstüchtigen Priesterseminare ermöglichten den Bischöfen bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts, eine Kandidatenauswahl zu treffen resp. praktizierende, aber in ihrer Arbeit von den Vorgesetzten beanstandete Pfarrer zu entlassen. Insgesamt bedeuteten diese Einrichtungen also eine schnelle quantitative wie qualitative Verbesserung der Lage unter den Diözesanpriestern. Parallel dazu verschwanden die sog. Lizenziaten, die während der Osmanenherrschaft die seelsorgerischen Aufgaben – mit Ausnahme der Sakramentsspende – wahrgenommen hatten. Neben diesen Laien spielten während der Osmanenherrschaft die Missionen (Seelsorge) der Franziskaner sowie der Jesuiten eine gewichtige Rolle. Die in diesen südtransdanubischen Komitaten lebenden Katholiken erhielten weder finanzielle noch geistige Unterstützung von den beiden Diözesen Wesprim und Fünfkirchen.44 Die zeitgleiche Aktivität verschiedener Ordensprovinzen der Franziskaner in der Region führte zu Komplikationen. Die Förderung eines dauerhaften Aufenthaltes von Franziskanern, wie zum Bsp. in Kanizsa, erfolgte sowohl vom Herrscher als auch vom hiesigen Burgkapitän, von der Hofkammer, dem Komitat und der Bürgerschaft.45 Ihre Präsenz trug erheblich zur Konsolidierung bei: Die Hofkammer erwartete vom Orden vor allem Militärseelsorge, wofür die Ordensbrüder jährlich 1.000 Gulden Zuschuss erhielten.46 In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts riefen einige ungarische Grundherren Mönche in die nach dem Hl. Ladislaus benannte slawonische Ordensprovinz (Patrum Franciscanum provinciae Sclavonicae). In Kanizsa, Szigetvár und Nagyatád war die Präsenz der über seelsorgerische Erfah42

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Padányi Bíró bekräftigte die Gründungsurkunde, nachdem das Seminar seine Tätigkeit wieder aufgenommen hatte. Pehm, József: Padányi Bíró Márton veszprémi püspök élete és kora [Das Leben des Bischofs von Wesprim, Martin Padányi Bíró, und seine Zeit]. Zalaegerszeg 1934, 131–134. „Siquidem hac haec Dioecesis maximam patiatur Sacerdotum penuriam.“ Pécsi Püspöki Levéltár [Diözesanarchiv Fünfkirchen] 1747. 10. fol. 1. – „Et quia dolenter animadvertere debuimus, quod peste et bello, calamitatibus et miseriis ad incita redacti sacerdotes partim emortui, partim sunt delapsi […] Ideo in eiusdem S. Annae honorem seminarium institutere decrevimus […] in vacuas vel cum Dei adiutorio novas institudendas parochias substituerentur.“ Tölcséry (wie Anm. 40), 13. Ausführlich dazu Molnár, Antal: A katolikus egyház a hódolt Dunántúlon [Die katholische Kirche im osmanischen Transdanubien]. Budapest 2003, 147. Siehe auch den Beitrag von Antal Molnár in diesem Band. Kaposi, Zoltán: Nagykanizsa története [Geschichte von Nagykanizsa]. Nagykanizsa 2006, 60 f. – Karácsonyi, János: Szent Ferencz rendjének története Magyarországon 1711-ig [Geschichte des Ordens des Hl. Franziskus in Ungarn bis 1711]. Bd. 2. Budapest 1924, 297. Ebd., 325.

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rungen verfügenden sowie wegen ihrer Sprachkenntnisse unter der kroatischen wie ungarischen Bevölkerung akzeptierten Franziskanermönche dringend erwünscht.47 Ab der Mitte des 18. Jahrhunderts vollzog sich allerdings ein Wandel: Die Ladislaiten-Franziskaner wurden nämlich zu jener Diözese loyal, auf deren Jurisdiktionsgebiet sie aktiv waren. Sie verhinderten 1731 sogar, dass der Bischof von Agram in Nagyatád im Komitat Somogy Visitation durchführte. In Südtransdanubien nahmen sie zudem auf die Bedürfnisse der Bevölkerung Rücksicht und so gab es neben den südslawischen Mönchen auch beizeiten ungarische und deutsche Mönche.48 Wegen des schwerwiegenden Priestermangels spielten in Transdanubien die Franziskaner die führende Rolle als Seelsorger und betreuten in den überwiegend von Protestanten bewohnten Gebieten die Katholiken. Sie entfalteten diese Aktivität bereits zu jener Zeit, als sich niemand sonst um die Seelsorge kümmerte. Für diese Meriten verliehen ihnen die Bischöfe von Fünfkirchen und Wesprim zusätzliche Rechte auf ihrem Jurisdiktionsgebiet; sie durften die Beichte abnehmen, die Sakramente spenden und die Aufgaben der Pfarrer übernehmen. Die Etablierung der regelmäßigen Kirchenvisitationen als Bestandteil des religiösen Lebens resultierte ebenfalls aus dem Konzil von Trient. Diese waren allerdings bereits seit dem fünften Jahrhundert ein Bestandteil der bischöflichen Verwaltung. Parallel zum Ausbau des neuen Pfarreinetzes im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts begannen auch solche Visitationen, welche mehrere Aufgaben zu erfüllen hatten: Einerseits wurde die Effizienz der Pfarrer zum Bsp. hinsichtlich der Entwicklungsmöglichkeiten der lokalen Kircheninstitutionen im Rahmen der Katholisierung überprüft, andererseits wurde die Lage der Protestanten vor Ort untersucht, um festzustellen, wie diese ihre Gottesdienste gestalteten bzw. ihre Bethäuser nutzten. Ein solcher Besuch beinhaltete nicht nur eine Bestandsaufnahme der aktuellen Situation, sondern er war ein Höhepunkt kollektiver religiöser Erfahrungen. Bei diesem Anlass wurde nämlich die Erstkommunion gestaltet, es wurden Kirchen und Glocken eingeweiht und Entscheidungen über neue Pfarreien und Filialen getroffen.49 Auf Ersuchen des Bischofs von Fünfkirchen, Nesselrode, verfügte Kaiser Karl VI. 1720 die Visitation der Diözese Fünfkirchen, was 1729 bzw. von 1738 bis 1742 eine Wiederholung fand.50 Eine besondere Aufmerksamkeit wurde bei der Konsolidierung der Pfarreien dem sog. Residenzprinzip gewidmet. Die tatsächliche Präsenz des Pfarrers an seinem Dienstort (constanter residet) wurde seit dem Tridentinum als unabdingbare Voraussetzung stabiler Verhältnisse angesehen. Die Pfarrer sollten sich demnach möglichst lang an einem Ort aufhalten. Bereits in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts gab es Priester mit langen Amtszeiten. Die Quellen heben deren jeweilige 47 48 49 50

In Szigetvár zum Bsp. hielten sie die Predigt auf Kroatisch: „Alius autem Populus Croaticus Praedicationi Verbi Divini apud Patres Franciscanos interesset.“ Visitatio Canonica (wie Anm. 27), 74. Die deutschsprachigen Mönche in Szigetvár waren entweder Einwanderer oder aber „Leihgaben“ aus einer anderen Ordensprovinz, vermutlich aus dem Habsburgerreich bzw. aus dem Süden des Alten Reiches, die bewusst für diese Aufgabe „rekrutiert“ worden waren. Visitatio Canonica (wie Anm. 27), 6 f. Ebd. Zu den Visitationen 1721 und 1729 siehe Merényi (wie Anm. 25).

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Kompetenz und hervorragende Persönlichkeit hervor.51 Verständlicherweise machten sich die Bischöfe den Ansatz des Konzils in der Praxis zu eigen: Bischof Martin Padányi Bíró (1745–1762) genehmigte beispielsweise dem Pfarrer Franz Littenberger nicht dessen geplante Reise in seine „deutsche Heimat“, um zu vermeiden, dass die Gläubigen in der anstehenden Fastenzeit ohne Seelsorge blieben.52 Und 1729 beschwerten sich die deutschen Neusiedler aus der Gemeinde Nagymányok im Komitat Tolna darüber, dass der Pfarrer das Dorf nur jeden vierten oder fünften Sonntag aufsuchte.53 Schließlich spielten die Pfarrer auch im ökonomischen Leben der Gemeinde eine Schlüsselrolle. Das Pfarramt war nämlich in jeder Hinsicht eine Institution des Konsolidierungsprozesses: Da die Pfarrer als Vertrauenspersonen galten, fungierten sie nicht nur als Kreditgeber für die Bevölkerung, sondern auch als Gläubiger bei Kreditleihen und Verpfändungen. Das hatte eine besonders große Bedeutung bis in die 1760er und 1770er Jahre hinein, als man nur geringe Möglichkeiten zur Kapitalanhäufung für Gewerbe- und Handelstätigkeiten besaß. Diese Rolle der Priester aus dem 18. und 19. Jahrhundert ist uns aus den sog. in- et extabulationes bekannt.54 Aus ihnen geht hervor, dass katholische Pfarrer selbst gegenüber dem Komitat bzw. gegenüber Nichtkatholiken als Kreditgeber auftraten.55 Allein in der Marktgemeinde Szigetvár betrug das Darlehen des Pfarrers im Jahr 1729 70 Gulden, 1738 bereits 400 Gulden!56

Personae ecclesiastici – kirchliche Funktionsträger Die Pfarrer hatten aufgrund ihrer vielfältigen Tätigkeiten auch Laien als Funktionsträger zur Seite. Diese trugen ebenfalls zur Konsolidierung der Gemeinden bei. Zu ihnen zählte der Lehrer (ludi magister), der Mesner (aedituus), der wirtschaftliche Leiter der Pfarrei (oeconomus) sowie die Hebamme (obstetrix). Aus den Kirchenvisitationen geht hervor, dass die Pfarrgemeinden Anspruch auf ein solches Personal hatten und in der Praxis Wert darauf legten, dass diese Ämter tatsächlich, und zwar von geeigneten und anerkannten Personen, besetzt wurden. Diese Struktur war das Fundament einer konsolidierten und funktionstüchtigen Mikrogesellschaft. Deshalb überschnitten sich an diesem Punkt die Interessen der kirchlichen und der weltlichen Autoritäten (Komitat und Grundherr), und dies meist aus unterschiedlichen Motiven heraus. Dabei dienten die gut organisierten Domä51 52 53 54 55 56

So war etwa Josef Gregor Fekete, der „plebanus fidelissimus“ von Várpalota, länger als 30 Jahre an diesem Ort tätig. Pfeiffer (wie Anm. 31), 402. Ebd., 679. Merényi (wie Anm. 25), 34. Siehe über das Komitat Somogy bei Tóth, Tibor: Hitelezők és adósok. A kölcsönforgalom kérdéséhez Somogyban 1756–1812 [Gläubiger und Schuldner. Zur Frage des Kreditverkehrs im Komitat Somogy 1756–1812]. Budapest 1979. Gőzsy (wie Anm. 5), hier 128 f. Merényi (wie Anm. 25), 66. – Visitatio Canonica (wie Anm. 27), 72 f. 400 Gulden galten damals als beträchtliche Summe, sie entsprach einem Gegenwert – regionsunabhängig – von zwei bis drei Bauernhäusern.

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nenverwaltungen den lokalen Kirchenstrukturen als Modell. Auf fast allen Gütern der Esterházys im Komitat Baranya und Tolna, die damals als modellhaft galten, gab es zum Bsp. einen Mesner und einen wirtschaftlichen Leiter. Den Schulmeistern kam bei der Konsolidierung eine besonders wichtige Rolle zu. Im Spiegel der Quellen wissen wir, dass in den bäuerlichen Gemeinschaften die Zahl der Kinder, die den Unterricht tatsächlich besuchten, gering war. Dennoch waren Schulung und Erziehung des Nachwuchses ein strategisches Ziel der Kirche wie der Gemeinden gleichermaßen.57 In der Gründungsurkunde seines Priesterseminars nannte Bischof Volkra die Verbreitung der Ehre Gottes in seiner Diözese als oberstes Ziel: „Gloriam Dei in commissa nobis dioecesi […] amplificaremus.“ Und genau hier verortete er auch die Relevanz der Bildung: „Auf dem Gebiet der Erziehung der Jugend sind die größten Mängel zu verzeichnen. In unserer Diözese ist es schon so weit, dass etliche katholische Lehrer von schlechtem Ruf verschwanden und, um der rechtgläubigen Jugend das Lesen und Schreiben beizubringen, man sich gezwungen sah, nichtkatholische Lehrer aufzusuchen.“58 Bischof Volkra befürwortete deshalb die Anstellung von „geeigneten und scharfsinnigen“ (idonei et capaces)59 katholischen Lehrern, um „die heranwachsenden Kinder nicht nur in die Wissenschaften [einzuführen], sondern ihnen auch die Grundlagen des katholischen Glaubens“ beizubringen. Mit diesem Wissen sollten „für den König und das Vaterland (patriae) nützliche, fromme, tapfere und unschuldige60 Einheimische (cives) erzogen werden, die von Kindesbeinen an über jene Moral verfügen, die sich von der kämpfenden katholischen Kirche zu eigen gemacht wurde“.61 57

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Es gibt nur sehr wenige Arbeiten, die das Schul- und Bildungswesen Südtransdanubiens in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts thematisieren. Diese fangen meistens erst mit den 1770er Jahren, also mit der Theresianischen Schulreform, an. Vgl. Kanyar, József: Az alsófokú népoktatás Somogyban (1770–1792) [Die Volksschulen in Somogy (1770–1792)]. In: Somogy Megye Múltjából (1976), 165–184. – Ders.: „Múzsáknak szentelt kies tartomány“. Tanulmányok Somogy művelődéstörténetéből (XVIII–XX. sz.) [„Den Musen gewidmete öde Provinz“. Studien zur Kulturgeschichte Somogys (18.–20. Jh.)]. Kaposvár 1983. – Hajdu, Lajos: Az alsófokú népoktatás fejlődése Tolna vármegyében (1770–1790) [Entwicklung des Volkschulwesens im Komitat Tolna (1770–1790)]. In: Tanulmányok Tolna Megye Történetéből 9 (1980), 105–228. – Tóth, István György: Mivelhogy magad írást nem tudsz. Az írás térhódítása a művelődésben a kora újkori Magyarországon [Da du nicht schreiben kannst. Die Verbreitung der Schriftlichkeit in der Bildung im frühneuzeitlichen Ungarn]. Budapest 1996. „[…] in cuius respectu cum summam invenissemus in educatione iuventutis desolationem, ita ut elapsis intestinis motibus, peste saeviente, et reliquis deplorandis casibus ad eam dioecesis nostra devenisset calamitatem, ut extinctis etiam infamis ludimagistris catholicis, pro addiscendis primis lectionis et scripturae rudimentis iuventus orthodoxa ad acatholicos magistros commeare deberet.“ Tölcséry (wie Anm. 40), 11. Capax bedeutet in diesem Fall, ein schnelles Auffassungsvermögen zu haben bzw. die Fähigkeit, dieses Wissen auch rasch zu erweitern. Intaminatus wird von Tölcséry richtig mit „unbefleckt“ übersetzt. Vgl. Du Cange, Charles Dufresne: Glossarium mediae et infimae latinitatis. 10 Bde. Nachdruck von 1883–1887. Graz 1954, hier Bd. 4, 385. Das Wort „unschuldig“ gibt allerdings die Bedeutung besser wieder, da die Wurzel des Adjektivs das lateinische Verb tangere bildet. „[…] qui succrescentem prolem non tam primis imbuerent eruditionis rudimentis, quam catholicis fidei instituerent principiis, quos tandem eruditio capaces regi et patriae educaret cives, et

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Laut einer Regel der Diözese Fünfkirchen (juxta Constitutionem Dioecesanam) waren alle Eltern verpflichtet, ihren Kindern den Schulbesuch zu ermöglichen. Kamen diese ihrer Pflicht nicht nach, konnte sie der Lehrer mit einem Gulden pro Jahr bestrafen.62 Den Visitatoren oblag es – neben dem allgemeinen Zustand der Pfarrei – auch den Zustand des Schulunterrichts zu überprüfen. So wurde zum Bsp. 1729 anlässlich der Visitation in Kisasszonyfa im Komitat Baranya bemängelt, dass der ortsansässige Lehrer kein eigenes Haus hatte und folglich auch nicht unterrichten konnte. Unverzüglich wurden ein Hausbau sowie die Abhaltung des Unterrichts angeordnet.63 Während der Abwesenheit der Pfarrer spielten die Schulmeister in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts auch bei der Organisation des religiösen Lebens eine Rolle. So hielten beispielsweise in Majos und Izmény im Komitat Tolna die evangelischen Deutschen ihre Gottesdienste und diversen Gebetsstunden im Haus des Schulmeisters ab.64 Der Mesner (aedituus) versah die Aufgaben eines Kirchendieners: Er half dem Pfarrer, erledigte sämtliche Arbeiten rund um die Kirche, ließ die Glocken läuten usw. Oft musste er sich auch um die Kapelle kümmern, die sich zumeist am Rande bzw. außerhalb des Dorfes befand. Der Aedituus war daher in erster Linie der Verwalter der Kirchengebäude. In den Marktgemeinden, größeren Dörfern sowie auf den Gütern der Esterházys wurde der Pfarrer bei der Wirtschaftsführung und der Administration von einem angesehenen und wohlhabenden Bürger unterstützt.65 Dieses Amt wurde als Administrator oder oeconomus ecclesiae bezeichnet und hing mit den umfangreichen finanziellen Aufgaben, teilweise auch mit der Kreditleihe der Pfarrer zusammen. Sowohl das Amt des Aedituus als auch das des Oeconomus waren prestigeträchtig. Es kam deshalb häufig vor, dass diese innerhalb einer Familie vererbt bzw. in einer Hand konzentriert wurden. Die Hebamme schließlich hatte gleichsam im kirchlichen Leben wie auch im Gesundheitswesen ihre Bedeutung: Die kirchliche Funktion bestand darin, dass sie in Notsituationen – wie bei Totgeburten oder bei besonders schwachen Kindern – taufen durfte, was allerdings nachträglich dem Pfarrer gemeldet werden musste. Zu diesem Zweck erhielt sie vom Priester eine gesonderte Vorbereitung. Die Quellen belegen, dass es selbst in den kleinsten Gemeinden Hebammen gab. In den 1730er Jahren hatten im Komitat Baranya sogar Dörfer mit 25 Familien eine eigene Geburtshelferin. Ab den 1730er Jahren konsolidierten sich die Gemeinden in Südtransdanubien insofern, als sie in der Lage waren, die vorhandenen, oft provisorischen oder bereits

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pii, probi et intaminati, a iuventute suscepti mores in catholica militante ecclesia.“ Tölcséry (wie Anm. 40), 12. Merényi (wie Anm. 25), 56 f. Ebd., 72. Tolna Megyei Levéltár [Archiv des Komitates Tolna] (fortan TML), IV. 1. Ö 453. 5–6. In den Anweisungen des Domänenverwalters wurde eine Strafe von 50 Gulden angedroht, falls die Buchführung der Pfarrei nicht rechtzeitig zur Rechnungsprüfung vorlag. Siehe MOL, P 108. Az Esterházy család levéltára, Rep. 65. Fasc. 15. fol. 135–136. Instructio Pro Provisoratu Bonorum Kaposvariensium.

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abgenutzten Kirchen zu erweitern oder gleich ganz neue und größere zu bauen. Zusätzlich wurden auch Pfarrhäuser und Schulgebäude errichtet und neue Glocken gegossen.66 Finanziell aufgewertet wurden die Ämter des Aedituus und des Oeconomus, für die man von diesem Zeitpunkt an auch ein Honorar oder eine Steuerbegünstigung erhielt.67

Zusammenfassung Die Quellen aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts berichten von einem kontinuierlichen Aufbau und von einer von den gesellschaftlichen Akteuren bewusst vorangetriebenen Konsolidierung. Hinter dem Ausbau der kirchlichen Strukturen verbarg sich nicht unbedingt eine Katholisierungsabsicht „von oben“; vielmehr bestand ein Bedarf bei den Gemeinden und interessierten Parteien, durch eine Effizienzsteigerung mit einhergehender Ausdifferenzierung der Strukturen die lokalen Mikrogesellschaften zu konsolidieren und zu integrieren. Das Geheimnis des Erfolgs der barocken Religiosität scheint die Interessenkongruenz aller beteiligten Parteien gewesen zu sein. Die Kirche schätzte dabei ihre eigenen Aufgaben im Spiegel gesellschaftlicher Erwartungen richtig ein und handelte dementsprechend. Langfristig zeigte sich, dass es ihr gelungen war, all das auf lokaler Ebene zu verwirklichen, was später zum stabilen Fundament der katholischen Erneuerung auf der Makroebene wurde. Durch den Ausbau ihrer Mikrostrukturen war die katholische Kirche Teil, Organisator und Katalysator des Alltagslebens und wurde somit selbst zu einer Kohäsionskraft für die Gemeinden.68 In Südtransdanubien standen in der Nachosmanenzeit Re- und Neuorganisation parallel neben und in Wechselwirkung zueinander. In den neu besiedelten Gebieten sowie in den Gemeinden mit Siedlungskontinuität waren die Intentionen und Ansprüche der sozio-politischen Akteure deckungsgleich.

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Es gibt diesbezüglich zahlreiche Hinweise in den Komitatskonskriptionen von 1733, die im Zusammenhang mit der Einführung der Cassa Parochorum durchgeführt wurden. BML, IV. 1. a. Ö 19. – SML, IV. 1. h. 40. – TML, IV. 1. Ö 453. Vgl. zum Bsp. Szentdénes: „Haec ex lignea materia et sepibus erecta ab incolis […].“ BML, IV. 1. a. 9. no. 58. 11. Bicsérd: „Ecclesia qua noviter scandulis tecta est, tabulatum etiam actualiter perficiunt subditi loci.“ BML, IV. 1. a. 9. no. 58. 2. Cserkút: „Tectum Ecclesiae labore communitatis noviter exstructum.“ BML, IV. 1. a. 9. no. 58. 29. Die Visitationen von 1721 und 1729 berichten dagegen, dass diese Ämter noch keine automatische Befreiung von den öffentlichen Lasten bedeuteten. Vgl. Gőzsy, Zoltán/Varga, Szabolcs: Kontinuitás és reorganizáció a pécsi egyházmegye plébániahálózatában a 18. század első évtizedeiben [Kontinuität und Reorganisation im Pfarreinetz der Diözese Fünfkirchen in den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts]. Századok 143/5 (2009), 1123–1163.

Manja Quakatz

„Conversio Turci“. Konvertierte und zwangsgetaufte Osmanen. Religiöse und kulturelle Grenzgänger im Alten Reich (1683–1710) Vorbemerkung Am 02. September 1686 stürmten Truppen der habsburgischen Armee nach 74 Tagen Belagerung die osmanische Festung Ofen. Deren Eroberung kostete tausenden Frauen, Kindern und Männern das Leben. Die Generalität mahnte in der Schlacht an, nicht alle Feinde zu töten, sondern einige Osmanen als Gefangene mit in die Heimat zu nehmen. Ein brandenburgischer General namens Barfus nahm zwei von ihnen mit nach Berlin und schenkte sie dort dem Großen Kurfürsten, Friedrich Wilhelm von Brandenburg. Auch der berühmte Generalfeldmarschall Hans Adam von Schöning verschleppte zwei Kinder – ein Ereignis, das ein Zeitgenosse für so berichtenswert hielt, dass er in seinem 1735 erschienenen Werk einen längeren Abschnitt darüber verfasste.1 In diesem Text wird beschrieben, wie von Schöning die beiden Kinder in seine Heimat brachte, und dort eines von ihnen einer Bekannten schenkte: „Der Herr von Schöning, General-Lieutenant des Churfürsten von Brandenburg, dem die Türckin Fatime zu Theil worden war, nahm sie mit sich nach Berlin, und liess sie daselbst tauffen. Die Fräulein von Flemming gewann diese junge Türckin lieb, und bat sie sich von dem Herrn von Schöning aus.“2 Damit beginnt die Beschreibung des Schicksals einer außergewöhnlichen jungen Frau von osmanischer Herkunft, die später eine berühmte Mätresse des sächsischen Kurfürsten Friedrich August I. werden sollte. Als Fatime Kahriman, so der Name des Mädchens, als ungefähr zehnjähriges Kind in Gefangenschaft geriet, wurde sie unter Beibehaltung ihres Namens zur Christin getauft. Durch die Heirat der von Flemming mit einem Offizier namens Brebentau kam Fatime von Brandenburg nach Warschau und damit in das Umfeld des sächsisch-polnischen Königshofes. Die Begegnung mit dem sächsischen Kurfürsten – seit 1697 in Personalunion polnischer König – fand wohl auch dort statt, wohin Madame von Brebentau die junge Fatime vielleicht als ihre Gouvernante mitgenommen hatte.3 1 2 3

Pöllnitz, Karl Ludwig von: Das Artige Sachsen. Aus dem Französischen übersetzt von einem Deutschen. Nebst einer Vorrede und Zueignungs-Schrifft an die Galante Gelehrte Welt. Amsterdam 1735, 186–190. Ebd., 187. „Weil Fatime ebenso viel Verstand als Schönheit besaß, hielt sie die Frau von Brebentau als ihres Gleichen, und nahm sie in alle Gesellschaften mit. […] Der König lies sich eines Tages mit der Fatime in ein langes Gespräch ein, und wurde dermassen durch ihren Verstand ergötzet, dass er sie von Augenblick an zu lieben begunte. Nach der Zeit gieng er alle Abende zu der Madam von Brebentau.“ Ebd., 187 f.

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Aus von Pöllnitz’ Werk erfahren wir weiter, dass die junge Frau zwischen 1700 und 1706 die Geliebte König Augusts II. war und mit ihm einen gemeinsamen Sohn hatte. Dieser wurde im Jahr 1702 geboren und auf den Namen seines Vaters getauft, der den Jungen als sein rechtmäßiges Kind anerkannte.4 Aus der Verbindung ging auch eine Tochter namens Maria Aurora Katharina hervor. Als die Liebschaft mit der jungen Fatime endete, ließ August seine Mätresse nicht einfach fallen. Indem er die nun dreißigjährige Frau mit seinem Kammerdiener und Akziserat Johann Georg Spiegel verheiratete, sorgte er vielmehr dafür, dass sie einer gesicherten Zukunft entgegensehen konnte.5 Wohl viel weniger bekannt als das Schicksal der Fatime ist die Erzählung des Pfarrers Johann Samuel Adami6 aus Pretschendorf bei Dresden über zwei Osmanen aus Novigrad oder Erlau (ung. Eger), die ebenfalls bei der Belagerung von Ofen 1686 von dem Obristwachtmeister Gotthard Wilhelm von Mayer gefangen gesetzt und ins brandenburgische Halle verschleppt wurden. Der ältere Gefangene hatte, laut dieser Erzählung, als Hausdiener, der jüngere als Pferdeknecht des Leutnants zu dienen. Weiter heißt es, dass sich etwa ein halbes Jahr nach ihrer Verschleppung nach Halle von Mayer vorgenommen hatte, „die Ungläubigen“ im Katechismus zu unterweisen und danach taufen zu lassen. Er schickte dafür beide in die Marienkirche zum dortigen Pfarrer,7 der diese in christlicher Lehre unterrichten ließ.8 Da jedoch der Katechet des Lesens unkundig war, musste ihm der Pfar4

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Vgl. Czok, Karl: August der Starke und seine Zeit. Kurfürst von Sachsen und König von Polen. Leipzig 2004, 102. Friedrich August von Rutowski wurde im Alter von 22 Jahren von Louis de Silvestre (1724) porträtiert. Das Gemälde ist heute in den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden – Gemäldegalerie Alte Meister auffindbar. Ebenfalls auffindbar ist dort ein Gemälde der (Maria Aurora) Katharina (Gräfin von Bielinska), des zweiten Kindes von August und Fatime, 1726 von de Silvestre angefertigt. Pöllnitz (wie Anm. 1), 188 f. Johann Samuel Adami; alias Misander, wurde am 21. Oktober des Jahres 1638 in Dresden geboren. Nach seinem Schulabschluss ging er zum Studieren nach Leipzig, wo er sich für die Fächer Theologie und Philosophie einschrieb. Im Jahre 1667 wurde er Stellvertreter des Pfarrers zu Rabenau (nahe Freital bei Dresden). Fünf Jahre später wurde Adami zum Pastor von Pretzschendorf ernannt, einer Gemeinde bei Rabenau, wo er 29 Jahre bleiben sollte. Neben seinem seelsorgerischen Wirken verfasste er eine größere Anzahl theologischer Schriften, insbesondere Predigten, Erbauungsliteratur sowie semihistorische Erzählungen. Adami verstarb 1713. Siehe dazu Lechler, Gotthard: Misander, Johann Samuel. In: Allgemeine Deutsche Biographie. Bd. 22. Leipzig 1885, 2 f. Obwohl in der Quelle nicht angegeben, müsste es sich zu dieser Zeit um den Pfarrer Johann Gottfried Olearius gehandelt haben. „[…] Gott würde durch seinen Heiligen Geist kräfftig in ihnen [den Gefangenen] würcken, und sie aus dem Irrthume und Finsterniß zum hellen Lichte des Evangelii – und zur Erkenntniß JESU Christi – leiten und fuehren. Welches denn auch endlich mit beyden erfolget ist dass Anno 1690. Der Ältere Hali mit Nahmen, seiner Geburt nach, wie er meldet – aus Alepo [sic!] nicht allein bey hochgedachten Herrn Obrist-Lieutenants Bedienten angehalten / mir es doch beyzubringe, dass er Neigung trüge, sich informiren und folgends tauffen zu lassen, sondern er kam auch endlich selber, und brachte, so viel als er und seine Mund=Art zuließ, mir solches vor, mit solchen beweglichen Minen und Geberden, dass ich mich nicht allein verwundern, sondern auch Mitleiden mit ihme haben und ihme versprechen mußte, zu willfahren und die Unterweisung ehest mit ihme vorzunehmen, die er auch, nachdem sie angefangen wurde, sehr

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rer die Unterweisungen mündlich vortragen. Sein Schüler hatte ihm alles nachzusprechen und anschließend auswendig zu lernen.9 Der Geistliche beschrieb, dass sein Schüler für einige Zeit dem Unterricht fernblieb und erst wieder zurückkehrte, als der Obristwachtmeister ihn ermahnte. Gotthard Wilhelm von Mayer sollte jedoch die Taufe des Gefangenen nicht mehr erleben, da er mit einem brandenburgischen Regiment erneut in den Krieg gegen die Osmanen ziehen musste. Vermutlich kämpfte er 1691 in der Schlacht von Slankamen und kam dann auf der Reise nach Großwardein (ung. Nagyvárad, rum. Oradea) durch ein Fieber zu Tode. Der ältere Osmane Hali (wohl Ali oder Halil) wurde in der Marienkirche zu Halle wahrscheinlich noch 1691 – auf Geheiß der Mutter des Verstorbenen – auf den Namen Christian Wilhelm von Halle getauft. Seliman (Süleyman), der jüngere der beiden Gefangenen, wurde später durch den ortsansässigen Pfarrer im Katechismus noch weiter unterrichtet und am 21. April 1696 nach dem Osterfeste von dem Konsistorialrat Christian Olearius10 „bey Präsenz und Gegenwart einer großen Menge Volcks in der Marienkirchen in Halle getauffet, und ihme dieser Name, Carol Friedrich Leb[e]recht gegeben worden“.11 Dieser vermeintlich echte Konversionsbericht Adamis klingt soweit äußerst schlüssig und durchaus glaubhaft. Bei Nachforschungen stellte sich allerdings heraus, dass der Pfarrer lediglich Versatzstücke aus Chroniken und Kirchenbüchern gebrauchte, um einen wirkungsmächtigen Konversionsbericht für eine Türkenpredigt zu konstruieren. Hali oder Hali(l) aus Erlau wurde bereits am 15. April 1604 in der Marienkirche zu Halle auf den Namen Christian getauft.12 Im Matrikelbuch ist

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fleißig abwartete, und keine Stunde versäumte.“ Adami, Johann Samuel: Johann Samuel Adami sonst Misanders Horae Succisivae oder Spar= und Neben= Stunden/nach weggelegter ordentlichen Arbeit/Bestehende im unterschiedenen Tuercken=Jueden=Tauff=Sermonen; […]. Dreßden-Leipzig 1710, 357. „Wie sauer ihme aberzuweilen ein eintziges deutsches Wort ankommen, und wie offt ichs ihme widerholen müssen, damit ers deutlich und vornehmlich aussprechen lernte, kann er, so wohl als ich zum Überflusse melden. So dass er auch einst darüber ganz stutzig wurde, und eine geraume Zeit, dieser und noch einer andern wohlbekandten Ursache halber, die Stunden nicht abwartete, sondern sich meiner ganz enthielte, biß endlich höchstgedachter sein Prinzipal ihn mit Ernst ermahnte, Gedult zu haben, und das angefangene und zu seiner Wohlfahrt abzielende heilige Werck nicht zu unterlassen. Dahero er sich wieder bey mir meldete, und die Information vollends ausdaurete […]. Daher auch ich ein viertel Jahr zuvor das Gebeth vor sie beyde anfinge, und biß zu ihrer Taufe continuirete.“ Ebd., 358. Johann Christian Olearius; bis 1685 Pfarrer von Sankt Moritz in Halle/Saale, darauf Oberpfarrer der Kirche Unser Lieben Frauen bis zum Jahr 1699 (er war gleichzeitig also auch führender Stadtgeistlicher und trug als solcher den Titel eines Superintendenten). Albrecht-Birkner und Sträter belegen, dass die Familie Olearius fast 100 Jahre lang das Amt des Superintendenten für sich beanspruchen konnte und somit „eine tragende Rolle bei der Prägung und Erhaltung einer dezidiert lutherischen Konfessionskultur in Halle gespielt hat“. Vgl. AlbrechtBirkner, Veronika/Sträter, Udo: Lutherische Orthodoxie in Halle – theologische Profile, Frömmigkeit und die Auseinandersetzung mit den Pietisten. In: Geschichte der Stadt Halle. Bd. 1. Hg. v. Werner Freitag und Andreas Ranft. Halle/Saale 2006, 333–349, bes. 336–340. Adami (wie Anm. 8), 360 f. Olearius, Gottfridus: Halygraphia. Topo-Chronologica, Das ist: Ort= und Zeit= Beschreibung der Stadt Hall in Sachsen. Aus Alten und Neuen Geschichtsschreibern/gedruckten und geschriebenen Verzeichnissen/sampt eigenen viel Jährigen Anmerckungen. Leipzig 1667, 343.

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diese Konversion vermerkt worden, allerdings erst nachträglich.13 „Soliman“, wie er im Matrikelbuch der Kirche genannt wird, und Halil konnten sich jedoch nicht bei von Mayer begegnet sein, weil Süleyman erst etwas mehr als 90 Jahre später im Alten Reich ankam. Der Osmane wurde tatsächlich im April 1696 auf den Namen Carl Friedrich Lebrecht getauft. Des Weiteren ist kein Obristleutnant von Mayer als sein Herr verzeichnet, sondern 14 Paten, die von adliger Herkunft waren, aber offenbar nicht direkt aus Halle kamen.14 Ein Jahr vor Solimans/Selimans/Süleymans Taufe, am 04. März 1695, wurde aber ein weiterer Osmane in das Taufregister eingetragen: „Ward ein bekehrter Türcke, welcher Mustapha geheißen und von Griechisch Weißenburg bürtig […].“ Mustapha wurde zu Christian Rudolph, wobei eine der Paten Frau von Mayer hieß und ihr Mann ein Obristleutnant war.15 Diese Sachverhalte legen den Schluss nahe, dass Johann Samuel Adami die Quellen und Schriften seiner Zeit gut gekannt haben muss, um die entsprechenden Angaben für seinen fingierten Tatsachenbericht herausziehen zu können. Welche zweckdienlichen Informationen kann uns Adami aber jenseits eines auf reinen Tatsachen beruhenden Konversionsberichtes mitteilen? Welche Intention hatte der Pfarrer, als er diese Darstellung entwarf? Aufschluss zu Letzterem gibt ein neuerlicher Blick in die Allgemeine Deutsche Biographie. Dort heißt es zu Adamis schriftstellerischen Ambitionen: „Bei allem sittlichen und frommen Ernst, der die Grundlage der Gesinnung bildet, spielt nebenbei ein glücklicher aber durchaus wohlwollender Humor, während die Behandlung so lebendig und anziehend ist, der Ausdruck den kernigen Volkston nicht selten so glücklich trifft […], dass wir wohl begreifen können, wie beliebt bei seinen Zeitgenossen er als Schriftsteller geworden ist.“16 Den Anspruch, anstelle eines Berichts Dritter einen eigenen Erlebnisbericht zu erzählen, hatte Adami gewiss, denn er schreibt in der Ich-Form und formuliert anschaulich und kleinteilig. Jedoch ging es dem Pfarrer wohl nicht so sehr darum, die Wirklichkeit einer „Türkentaufe“ literarisch abzubilden, sondern um die Darstellung einer prototypischen „Konversion“ eines vormals „Ungläubigen“. Was er nicht aus eigener Erfahrung berichten konnte, musste er aus Versatzstücken anderer Chronisten zusammensetzen. Welche Quellen er außerdem verwendete, um den Bericht glaubhafter zu machen (die Katechismuslehre, das Fernbleiben eines der beiden Osmanen, das Auftreten des Herrn von Mayer etc.) konnte nicht geklärt werden. Entsprechende Dokumente sind bisher nicht bekannt. Wahrscheinlich gab

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Olearius schreibt dazu: „Den 15. Aprilis hat D. Joh. Olearius Superint. & Seniors am Sonntag nach Ostern / einen Türcken Hali (oder Elias) genant / von Ahalien aus Pamphilia bürtig / auff sein und seines Herrn / Hieronymi von Dißkau Begehren / in der Kirchen zur L. Frauen getaufft / und mit dem Namen Christian genennet / welcher zwölf Pathen und Tauff-Zeugen gehabt / den Fürstl. Hauptmann / Adeliche und andere Räth / und Beampten; 42 Gülden wurden ihm eingebunden / davon er nichts behalten / sondern alles in die Kirche gegeben.“ Marienbibliothek Halle/Saale, Pfarrarchiv Unser Lieben Frauen, Taufregister 1598–1606, Blatt 263. Der Pfarrer Johann Olearius vermerkt, dass sein Vorgänger die Taufe des „Türken“ nicht eingetragen habe und er dieses somit nachholen müsse. Er verweist dabei auf die zeitgenössische Chronik eines Thomas Kress aus Halle. Ebd., Taufregister 1687–1710, Blatt 279. Ebd. Vgl. Lechler (wie Anm. 6), 3.

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es für einen Konvertiten einfach keinen Grund, seinen Übertritt niederzuschreiben oder gar zu rechtfertigen.17

Die „Türkentaufen“ als Gegenstand der historischen Konversionsforschung Die historische Konversionsforschung „Domine, si umquam habuero codices saeculares, si legero, te negavi.“18 Schon die Kirchenväter Hieronymus und Augustinus haben Selbstzeugnisse über ihre Bekehrungen verfasst. Auch Jahrhunderte später schrieben Konvertiten Berichte, um den Weg ihrer Abkehr vom jetzt als „falsch“ angesehenen Glauben zur „wahren“ Konfession oder Religion darzustellen. In diesen Selbstzeugnissen spielen Topoi aus der Spätantike eine große Rolle und es gibt wohl kaum eine Erzählung ohne Satzsequenzen, die man nicht schon bei den Kirchenvätern gelesen zu haben glaubt. Diese autobiographischen Schriftstücke werden nicht selten Glaubensgenossen gewidmet, um den Glaubenswechsel für die neue Gemeinschaft plausibel zu machen und die eigenen ehrlichen Motive zu unterstreichen.19 Jedoch liegt der Konversionsforschung nur eine geringe Zahl solcher Ego-Dokumente aus der Frühen Neuzeit vor.20 Zusätzlich sind nur eine geringe Anzahl der vorwiegend von Fürsten und Adligen hinterlassenen Texte vollständig erhalten geblieben.21 Diese Quellenproblematik hinterließ ihre Spuren auch in der Historiographie des deutschsprachigen Raumes, wo seit den 1970er Jahren im Hinblick auf die frühneuzeitliche Konversionsproblematik vor allem verschiedene Aspekte von Fürsten- und Adelskonversionen behandelt wurden.22 Im Gegensatz dazu lassen sich in den verfügbaren 17 18

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Im Gegensatz zu den übergetretenen Juden im Alten Reich hatten die Muslimen keine unmittelbare ehemalige Gemeinde in ihrer Nähe, der gegenüber sie unter Rechtfertigungsdruck gestanden hätten. „Herr, sollte ich jemals weltliche Handschriften besitzen und sie lesen, dann habe ich Dich verleugnet.“ Hieronymus: Brief an Eustochius. In: Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum. Bd. 54: Sancti Eusebii Hieronymi Epistulae, Pars I, Epistulae I–LXX. Hg. v. Isidor Hilberg. Vindobonae 1910, 191. Vgl. auch Conring, B.: Hieronymus als Briefschreiber. Ein Beitrag zur spätantiken Epistolographie. Tübingen 2001, 233–238. „Subjektive bzw. individuelle Aspekte treten in der Präsentation des Konversionsvorgangs oft in den Hintergrund, da die Konversionen häufig auf der Folie ganz bestimmter sprachlicher, stilistischer und literaturhistorisch bis in die Spätantike zurückweisender Traditionen dargestellt werden, hinter denen das Individuum verschwindet.“ Vgl. Schaser, Angelika: „Zurück zur heiligen Kirche“ – Konversionen zum Katholizismus im säkularisierten Zeitalter. In: Historische Anthropologie 15/1 (2007), 1–23, hier 2. Vgl. Schulze, Winfried: Ego-Dokumente: Annäherung an den Menschen in der Geschichte? Vorüberlegungen für die Tagung „Ego-Dokumente“. In: Ego-Dokumente: Annäherung an den Menschen in der Geschichte. Hg. v. Dems. Berlin 1996, 11–30. Vgl. Christ, Günter: Fürst, Dynastie, Territorium und Konfession. Beobachtungen zu Fürstenkonversionen des ausgehenden 17. und beginnenden 18. Jahrhunderts. In: Saeculum 24 (1973), 384–387. Deventer, Jörg: Konversion und Konvertiten im Zeitalter der Reformation und Konfessiona-

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Schriftquellen nur vereinzelte Konversionen von Theologen, Priestern, Lehrern, Gelehrten, Juristen und anderen Menschen bürgerlichen oder geistigen Standes ausmachen.23 Noch weniger wissen wir über Konfessionsübertritte von Personen aus dem städtischen und ländlichen Milieu, die nicht der Oberschicht angehörten. Aber diese non dominant persons treten in historischen Arbeiten für den Zeitraum um 1700 meist nur als fragmentarische Erscheinungen auf, da aufgrund fehlender Schriftzeugnisse deren Lebenswege selten verfolgt werden können.24 Umfassende Monographien konnten unter diesen Voraussetzungen kaum entstehen. In den 1990er Jahren hat jedoch ein Paradigmenwechsel in der historischen Konversionsforschung dazu beigetragen, Konversion nicht mehr nur als religiöses, sondern stärker als kulturelles, soziales und politisches Phänomen zu betrachten.25 Der Fokus richtet sich nun vermehrt auf Glaubensübertritte innerhalb sozialer Gruppen, die bisher von der Geschichtswissenschaft weniger berücksichtigt worden sind.26 Gänzlich unberücksichtigt bleiben die zahlreichen „Zwangsmigranten“, die während der Türkenkriege aus Ostmittel- und Südosteuropa als Gefangene ins Alte Reich gelangt waren und in Franken, Sachsen oder anderen Gebieten des Reiches konvertierten oder zwangsgetauft wurden. Nachfolgend soll der Frage nachgegangen werden, wie das Phänomen der „Türkentaufen“ in der historischen Konversionsforschung zu verorten ist.

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lisierung. Stand und Perspektiven der Forschung. In: Aschkenas. Zeitschrift für Geschichte und Kultur der Juden 15/2 (2005), 257–270, 261. Deventer führt hier die Anthologie von Andreas Räss aus dem 19. Jahrhundert an, welche die Basis für unser Wissen über konvertierte Personen aus den Gebieten West- und Mitteleuropas seit der Reformationszeit darstellt. Vgl. Räss, Andreas: Die Convertiten seit der Reformation nach ihrem Leben und aus ihren Schriften dargestellt. 13 Bde. Freiburg/Br. 1866–1880. Zum Bsp. die Studie über autobiographische Texte jüdischer Konvertiten in Judaeus conversus. Christlich-jüdische Konvertitenautobiographien des 18. Jahrhunderts. Hg. v. Johannes Graf. Frankfurt/Main 1997. Der Begriff der religiösen Konversion wird in der Theologischen Realenzyklopädie wie folgt definiert: „[…] die conversio bedeutet Religionswechsel, der ad hoc geschieht und vom Konvertiten die Anerkennung einer neuen religiösen Wahrheit (bei gleichzeitigem Widerruf der alten) verlangt.“ Siehe Gerlitz, Peter: Konversion. I. Religionsgeschichtlich. In: Theologische Realenzyklopädie. Bd. 19. Hg. v. Gerhard Müller. Berlin-New York 1990, 559–563, hier 559. Dazu seien einige Studien genannt: Thiessen, Hillard von: Konversionsbereitschaft als Lebensunterhalt: Der Fall der vermeintlichen Konvertitin Catharina Baumännin vor dem Freiburger Stadtgericht (1730/31) und seine Bedeutung für unser Verständnis der Konfessionalisierung. In: Zeitschrift des Breisgau-Geschichtsvereins Schau-ins-Land 119 (2000), 87–101. – Volkland, Frauke: Konfession, Konversion und soziales Drama. Ein Plädoyer für die Ablösung des Paradigmas der „konfessionellen Identität“. In: Interkonfessionalität – Transkonfessionalität – binnenkonfessionelle Pluralität. Neue Forschungen zur Konfessionalisierungsthese. Hg. v. Kaspar von Greyerz. Gütersloh 2003, 91–104. – Hodler, Beat: Konversionen und der Handlungsspielraum der Untertanen in der Eidgenossenschaft im Zeitalter der reformierten Orthodoxie. In: Gemeinde, Reformation, Widerstand. Festschrift für Peter Blickle zum 60. Geburtstag. Hg. v. Heinrich R. Schmidt u.a. Tübingen 1998, 281–291.

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„Türkentaufen“ in der historischen Konversionsforschung Die „Türkentaufen“27 sind bislang von der allgemeinen Frühneuzeitforschung, von der Osmanistik sowie der historischen Konversionsforschung kaum thematisiert worden. In der historischen Forschung des 20. Jahrhunderts tauchten im Rahmen einer vornehmlich rassisch orientierten „Sippenforschung“ in den 1920er und 1930er Jahren genealogische Funde über getaufte Osmanen in Zeitschriften für Ahnenkunde auf.28 Nach dem Zweiten Weltkrieg streiften Georg Schreiber, Karl Teply, Karl Jahn und Otto Spies in den 1960er und 1970er Jahren das Thema „Türkentaufen“ im Kontext ihrer Studien über osmanische Kriegsgefangene.29 Mehrheitlich setzten sich jedoch Genealogen und Landeskundler, wie der sich im fränkischen Raum mit „Türkentaufen“ beschäftigende Hartmut Heller,30 mit diesem frühneuzeitlichen Phänomen auseinander. 27

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Unter dem Quellenbegriff „Türkentaufen“ versteht die Verfasserin alle vollzogenen Taufen an Kriegsgefangenen verschiedener ethnischer Herkunft. Das gemeinsame Kriterium ist die Verschleppung und Gefangennahme von Menschen, die in den Quellen als „Türken“ oder „Muslime“ bezeichnet werden und aus dem Osmanischen Reich stammten. Die Verfasserin ist sich bewusst, dass das Osmanische Reich ein multiethnisches und multireligiöses Gebilde gewesen ist. Sie verwendet den Begriff „Türkentaufen“ trotzdem als allgemeine Bezeichnung für das Phänomen der Konversion oder Zwangstaufe von Menschen aus dem osmanischen Herrschaftsgebiet, da der Begriff zeitgenössisch als Synonym für die Taufe eines Muslims stand. Beispielhaft dafür ist ein Beitrag im Archiv für Sippenforschung mit dem zeitgenössischen Titel „Beimischung türkischen Blutes in deutschen Familien“ von Kurt Klamroth aus dem Jahr 1938: „Es wurde erzählt, dass mit dem Mehmed von Königstreu und der Fatime verehelichten Bode auch ein Türkenknabe Ali nach Hannover gebracht wurde. Aus der gleichen Quelle geht hervor, dass dieser bei seiner Taufe die Namen Georg Wilhelm erhielt, dann 1719 kurhannoverscher Offizier wurde und 1745 seinen Abschied nahm. Er kommt auch in einer ‚Stammtafel der Familie Aly‘ vor […].“ Es folgt die Aufzählung weiterer Gefangener, die den Namen „Aly“ tragen und Klamroth präsentiert dem Leser auf den folgenden Seiten eine mehr oder weniger überzeugende Stammtafel zur Familie Aly von 1708 bis ins 19. Jahrhundert. Ein weiteres Exempel ist eine Mitteilung von 1970 über eine „Thürckin“, die im Taufregister zu Saaleck 1689 Erwähnung findet. Vgl. Mitteldeutsche Familienkunde 11/3 (1970), 93. Pars pro Toto Schreiber, Georg: Deutsche Türkennot und Westfalen. In: Westfälische Forschungen. Mitteilungen des Provinzialinstituts für Westfälische Landes- und Volkskunde 7 (1953/54), 62–79. – Teply, Karl: Vom Los osmanischer Gefangener aus dem großen Türkenkrieg 1683–1699. In: Südost-Forschungen 32 (1973), 33–72. – Jahn, Karl: Zum Loskauf christlicher und türkischer Gefangener und Sklaven im 18. Jahrhundert. In: Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft 111 (1961), 63–85. – Spies, Otto: Schicksale türkischer Kriegsgefangener in Deutschland. In: Festschrift Werner Caskel zum siebzigsten Geburtstag, 5. März 1966. Hg. v. Erwin Gräf. Leiden 1968, 316–335. Um nur einige Werke Hellers zu nennen: Heller, Hartmut: Um 1700: Seltsame Dorfgenossen aus der Türkei. Minderheitsbeobachtungen in Franken, Kurbaden und Schwaben. In: Fremde auf dem Land. Hg. v. Hermann Heidrich. Bad Windsheim 2000, 13–44. – Ders.: Auf der Suche nach Türken in Franken: Zur Historisierung aktueller Migrationsprozesse. In: Bayerische Blätter für Volkskunde 5/2 (2003), 160–178. – Ders.: Türkentaufen um 1700 – ein vergessenes Kapitel der fränkischen Bevölkerungsgeschichte. In: Glaubensflüchtlinge und Glaubensfremde in Franken. 26. Fränkisches Seminar des Frankenbundes, 10.–12. Oktober 1986. Hg. v. Dems. und Gerhard Schröttel. Würzburg 1987, 255–271. – Ders.: Einbürgerung von Türken vor 300 Jahren, Archivmaterial aus Franken. In: Kea – Zeitschrift für Kulturwissenschaften 1

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Seit den 1990er Jahren hat sich der erwähnte Paradigmenwechsel in der historischen Konversionsforschung, der nicht nur neue Personengruppen jenseits der gesellschaftlichen Eliten in das Blickfeld der Geschichtswissenschaft rückt, sondern den Glaubenswechsel verstärkt als ein den sozialen, kulturellen und politischen Faktoren geschuldetes Ereignis betrachtet, kaum auf die Erforschung der „Türkentaufen“ ausgewirkt.31 Diese weitaus differenziertere Erforschung des Phänomens Konversion käme jedoch der Beschäftigung mit osmanischen Konvertiten und Zwangsgetauften entgegen. Die historischen Umstände bilden nicht nur den Rahmen der „Türkenkonversionen“, sondern auch deren Ursache. Das heißt einfacher ausgedrückt: ohne militärische Auseinandersetzungen keine Gefangenen für (Zwangs-)Konvertierungen. Auch die Motivation eines Konvertiten muss in der Auseinandersetzung mit den „Türkentaufen“ erörtert werden. Der religiös motivierte Blickwinkel dürfte zumindest bei den betroffenen osmanischen Konvertiten selbst – so jedenfalls mein vorläufiger Eindruck – zumeist eine eher untergeordnete Rolle gespielt haben. Die religiöse Komponente widerspiegelt sich vielmehr in den Motiven der Christen, die vor dem Hintergrund einer barocken Frömmigkeit die Verpflichtung verspürten, den „Ungläubigen“ aus seiner „schwierigen Lage“ zu befreien. Ihm sollte durch eine Taufe die Möglichkeit gegeben werden, seine Seele zu erretten.

Die „Türkentaufe“ – ein fremd- oder selbstbestimmtes Ereignis? Die Taufe selbst lässt sich als ein Festakt und ein kollektives Ritual für die Paten sowie die konfessionelle Gemeinschaft definieren, die ihr Gemeinschaftsgefühl durch die Feier einer „Türkentaufe“ nach außen und innen stärken konnte.32 Das öffentliche Ritual der Tauffeier grenzte die Gruppe nach außen ab und signalisierte

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(1990), 69–85. – Ders.: Beutetürken. Deportation und Assimilation im Zuge der Türkenkriege des 16. und 17. Jahrhunderts. In: Fremde Erfahrungen. Asiaten und Afrikaner in Deutschland, Österreich und in der Schweiz bis 1945. Hg. v. Gerhard Hopp. Berlin 1996, 159–167. – Ders.: Das Nürnberger Restaurant „Alla Turca“ – und was ihm vorausging. „Beutetürken“ des 16./17. Jahrhunderts. In: Neue Heimat Deutschland. Aspekte der Zuwanderung, Akkulturation und emotionalen Bindung. Hg. v. Dems. Erlangen 2002, 265–274. In den Artikeln zum Begriff „Konversion“ im kürzlich erst erschienen Bd. 6 der Enzyklopädie der Neuzeit taucht zwar ein Unterartikel zum Begriff „Zwangstaufe“ auf, jedoch bezieht sich die Verfasserin ausschließlich auf im Mittelalter zwangsgetaufte Juden in Mitteleuropa, Spanien, Portugal und auf der Iberischen Halbinsel: Helbig, Annekathrin: Konversion, 3. Judentum. In: Enzyklopädie der Neuzeit. Bd. 6. Hg. v. Friedrich Jaeger. Stuttgart-Weimar 2007, Sp. 1177–1182, hier 1178 f. Auch Stephan Reichmuth, der den Artikel zum islamischen Bereich beisteuert, geht nicht auf osmanische Konvertiten oder Zwangsgetaufte im Alten Reich ein, sondern erwähnt einzig die Morisken Granadas aus dem 15. Jahrhundert sowie die Kryptojuden und Kryptochristen in Nordafrika und Südosteuropa. Reichmuth, Stefan: Konversion, 4. Islam. In: Ebd., Sp. 1182–1186. Mit dieser These beziehe ich mich auf die Arbeiten von Jan Assmann, der Ritus und Fest als primäre Organisationsformen des kulturellen Gedächtnisses eines wie auch immer gearteten Kollektivs begreift. Assmann, Jan: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen. München 52005 [11992], 56–59.

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der Umwelt, dass der Zugang zu dieser Gemeinschaft nur unter bestimmten Umständen möglich war. Ein öffentlich zelebriertes „Aufnahmeritual“ sollte diese Botschaft vermitteln. Dessen Ausgestaltung variierte entsprechend dem politischen und gesellschaftlichen Umfeld, so dass in der kaiserlichen Residenzstadt Wien die Taufe eines „Türken“ pompöser ausgestaltet gewesen sein dürfte als im ländlichen Raum.33 Doch zwei Fragen blieben beim Blick auf die „Türkentaufe“ bislang weitgehend unbeantwortet. In welcher Form nahm der Konvertit seinen Übertritt wahr? Und hatte der Bekehrte aktiven Anteil an der Entscheidung oder war er, wie im Fall der osmanischen (Zwangs-)Getauften, vielleicht nur ein Spielball politischer und religiöser Propaganda zwischen den Konfessionen? In der historischen Konversionsforschung wurde die These entwickelt, dass in einem Glaubensübertritt eine Entscheidungshandlung zu sehen ist. Es gehen also der Konversionshandlung bestimmte Prozesse voraus, die dazu führen, dass sich das Individuum für einen Übertritt zu einer anderen Religion oder christlichen Konfession entscheidet. Frauke Volkland, die dieses Konzept im Hinblick auf innerchristliche Konversionen anwendet, formulierte die Ansicht, dass sich für die Untertanen durch ihre Konversion neue Handlungsspielräume gegenüber der jeweiligen Obrigkeit ergaben, die nicht theologischer, sondern beispielsweise sozialer Art gewesen seien.34 Möglicherweise wurden Glaubensübertritte auch deshalb angestrebt, um durch eine religiöse Angliederung an die Mehrheitsgesellschaft eine bessere soziale Stellung erreichen zu können. Weitere Vermutungen nennt Schaser, wenn sie schreibt: „Auch gehen die meisten Forschungen davon aus, dass persönliche Krisen im weitesten Sinne – Todesfälle in der Familie, Krankheit, Bankrotte, Trennungen, Vertreibungen etc. – Auslöser für [freiwillige] Konversionen sind.“35 Ob die Prämissen zwangsläufig miteinander korrelieren, darüber hegt sie berechtigten Zweifel: „Auch wenn […] ein weitgehendes theoretisches Einvernehmen darüber herrscht, dass Konversionen vom sozialen, kulturellen und religiösen Kontext abhängig sind, bleibt immer noch die Frage offen, ob die Ergebnisse auch tatsächlich kontextbezogen sind, d.h. nur unter spezifischen Bedingungen gelten oder ob sich keine Relation zwischen kulturellen Faktoren und Eigenarten der KonversionsProzesse herstellen lässt.“36 Aber können diese Forschungsansätze, die bislang in der Auseinandersetzung mit innerchristlichen und jüdischen Konversionen Verwendung fanden, auch für die Erforschung von „Türkentaufen“ fruchtbar gemacht werden? 33 34 35 36

Vgl. Teply, Karl: Türkentaufen in Wien während des Großen Türkenkrieges 1683–1699. Wesen und Bedeutung der Türkentaufen. In: Jahrbuch des Vereins für Geschichte der Stadt Wien 29 (1973), 57–87. Hodler (wie Anm. 26), 281. Schaser (wie Anm. 19), 6. Ebd., 7. Schaser bezieht sich hier auf die religionssoziologische Arbeit von Wohlrab-Sahr, Monika/Krech, Volkhard/Knoblauch, Hubert: Religiöse Bekehrung in soziologischer Perspektive. Themen, Schwerpunkte und Fragestellungen der gegenwärtigen religionssoziologischen Konversionsforschung. In: Religiöse Konversion. Systematische und fallorientierte Studien in soziologischer Perspektive. Hg. v. Dens. Konstanz 1998, 7–35.

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Kriegsgefangene, die durch einfache Soldaten oder höhere Offiziersgrade verschleppt wurden, hatten den Status von Sklaven bzw. Knechten, waren also unfrei.37 Dazu kommt die Tatsache, dass fast die Hälfte von ihnen Frauen und vor allem Kinder waren, so dass es fraglich ist, inwieweit von Handlungsspielraum bei einem Zwangsgetauften die Rede sein kann.38 Welche Formen der Entscheidungsfreiheit kann beispielsweise das eingangs erwähnte türkische Mädchen Fatime Kariman mit zehn Jahren schon gehabt haben, als sie, der Sprache und Kultur ihrer Eroberer unkundig, von ihrer Familie getrennt und in ein fremdes Land verschleppt worden war? Auch eine der Taufe vorgezogene „innere (religiöse) Krise“ kann es bei ihr nicht gegeben haben, da ein Kind in diesem Alter in der Regel noch kein ausgebildetes religiöses Bewusstsein besitzt und daher auch keine Umkehrung des „tiefen und wahren Glaubens“ stattgefunden haben kann. Dass ein Kind unter diesen Voraussetzungen schneller in eine fremde Gesellschaft integriert werden konnte, ist sehr wahrscheinlich. Otto Spies bilanziert die Biographie Fatime Karimans äußerst positiv. Er bezeichnet das Leben der türkischen Zwangsgetauften als „meist angenehm“.39 Differenzieren muss man wohl zwischen Kriegs- und Privatgefangenen sowie zwischen Männern, Frauen und Kindern, möchte man etwas über Handlungsspielräume und soziale Chancen einzelner Konvertiten erfahren. Dem Lebenslauf von Fatime ist zu entnehmen, dass sie als konvertierte Privatgefangene nicht unter Artikel 12 des Friedensvertrages von Karlowitz (1699) fiel. Dieser sah vor, dass ein Kriegsgefangener durch Austausch oder durch Ranzion40 in Freiheit und somit in seine Heimat gelangen konnte. Privatgefangene hingegen hatten nur die Möglichkeit, sich gegen einen redlichen Preis freizukaufen. Wenn keine Einigung zwischen Sklaven und ihrem Besitzer zu Stande kam, wurden örtliche Richter hinzugezogen, welche ein angemessenes Lösegeld festsetzen sollten.41 Dass diese Bestimmungen in der Praxis nicht immer angewendet wurden, ist durch die Autobiographie von Osman Ăga bekannt, der 1688 in Temeswar (ung. Temesvár, rum. Timişoara) in Kriegsgefangenschaft geraten war und trotz erbrachtem Lösegeld nicht von seinem Herrn freigelassen, sondern weiterverkauft wurde.42 Wenn der Privatgefangene aber konvertierte, war er von den Vertragsklauseln ausgeschlossen.43 Wenn Fatime folglich nach Ofen hätte zurückkehren wollen und die finanziellen Möglichkeiten besessen hätte, wäre ihr als einer Getauften der Anspruch auf eine Rückkehr in ihre Heimat versagt geblieben. Anzunehmen ist vielleicht, dass sie als Kind eine starke Akkulturation erfahren hatte und sie gar 37 38 39 40 41 42 43

Ich übernehme hier die Einschätzung des Status der Privatgefangenen als der eines Sklaven von Karl Jahn (wie Anm. 29), 64. Siehe dazu Heller, Seltsame Dorfgenossen (wie Anm. 30), 16. Hier geht Heller auf die erstaunliche Zahl der gefangenen Kinder und Jugendlichen ein, die wohl weit über 50 Prozent betragen haben soll. Spies (wie Anm. 29), 322. Die Zahlung eines Lösegeldes. Jahn (wie Anm. 29), 66. Faroqhi, Suraiya: Kultur und Alltag im Osmanischen Reich. Vom Mittelalter bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts. München 1995, 102. Jahn (wie Anm. 29), 67.

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keine Notwendigkeit für einen Weggang sah bzw. dass Fatime nie der Gedanke an eine Rückkehr in eine für sie fremd gewordene Heimat gekommen ist. Anders verhält es sich bei den beiden eingangs erwähnten Hali und Seliman aus Adamis semifiktivem Bericht, die als erwachsene Konvertiten einen weit schwierigeren Prozess zu durchlaufen hatten. Denn die beiden Osmanen, die ins brandenburgische Halle gebracht wurden (unabhängig davon, ob Halil nun bereits 1604 und Süleyman erst 1686 verschleppt worden waren), hatten eine soziale, kulturelle und auch religiöse Vergangenheit, welche erst Stück für Stück zu dekonstruieren war, parallel dazu musste eine neue religiöse, kulturelle und soziale Identität für sie geschaffen werden. Nach der Beschreibung Adamis hatten sich die Kriegsgefangenen zu integrieren, andernfalls wurden sie assimiliert. Integrationsmerkmale waren erstens eine berufliche Tätigkeit zugewiesen zu bekommen, also wie oben erwähnt, als Hausdiener und Stallknecht zu arbeiten,44 zweitens eine sprachliche Assimilation45 und drittens – auf Wunsch des Herrn – die Vorbereitung und Durchführung des Taufaktes. Dieses fromme Begehren war mit dem Gang der beiden Osmanen zur Kirche und damit auch dem Besuch der Gottesdienste verbunden. Hier fungierte die Kirche als religiöser Ort und sozialer Raum, denn durch den Kirchgang waren die Taufanwärter nicht mehr länger isoliert, sondern kamen in Kontakt mit der jeweiligen Gemeinde. Es folgte die intensive Religionslehre bei einem Pfarrer (bei Frauen und Kindern war es auch manchmal die Hausherrin, die den Religionsunterricht erteilte). Durch den Kontakt mit der Gemeinde und mit den kirchlichen Ritualen sollten die Fremden zum „wahren“ Glauben finden und für den eigenen Wunsch nach einer Umkehrung sensibilisiert werden. Johann Samuel Adami hebt in seinem Bericht hervor, dass ihn der Osmane angeblich freiwillig um die Unterweisung in die christliche Lehre bat.46 Für den Geistlichen war es natürlich äußerst wichtig zu zeigen, dass der Taufanwärter ohne Zwang und mit Willen übertrat, denn nur so ist die Konversion ein Akt, welcher von inneren und wahren Motiven erfüllt ist und dadurch als Zeugnis erfolgreicher religiöser Integration verstanden werden kann.

Bezeugte „Türkentaufen“ in Leipzig (1686–1702) Für Leipzig sind mir zehn Fälle osmanischer Konvertiten bekannt, die zwischen den Jahren 1686 und 1702 den christlichen Glauben annahmen oder zwangsgetauft worden sind.47 Sieben der zehn Getauften stammten aus Ofen (ung. Buda), einer aus Belgrad (serb. Beograd), bei zwei Konvertiten lässt sich die Herkunft nicht 44 45 46 47

Hali und Seliman arbeiteten als Hausdiener und Stallknechte, siehe Adami (wie Anm. 8), 366. Ebd., 358. Ebd., 357. Zum Vergleich: In der Hauptstadt des Habsburgerreiches lag die Gesamtzahl der (historisch nachweisbaren) getauften Türken während des „Großen Türkenkrieges“ (1683–1699) bei 651. Siehe dazu Teply (wie Anm. 33), 59. Die Frage, wie viele „Türkentaufen“ allerdings privat noch in den Herrschaftspfarren des Umlandes vorgenommen worden sein könnten, kann hier nicht beantwortet werden, da nur die Matrikeln der Taufbücher jener Gotteshäuser weitgehend

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zweifelsfrei bestimmen. Alle Konversionen sind den Taufmatrikeln der beiden Leipziger Hauptkirchen St. Thomas und St. Nikolai entnommen. In den Matrikeln werden zumeist die Gefangennahmen der Konvertiten, deren Herkunft, Alter und Geschlecht angegeben, manchmal auch der Stand ihrer Eltern oder eventueller Geschwister sowie das Datum ihrer Taufe sowie die Paten.

Die Taufpaten Die meisten Paten gehörten entweder dem Adel an oder sie waren Personen, die das Bürgerrecht der Stadt Leipzig besaßen. Unter den 50 nachweisbaren Paten befanden sich neben einem Grafen und einem Kurfürsten einige Bürgermeister, Oberpostmeister, Kaufleute, Baumeister, Mitarbeiter am Schöffengericht, ein Oberhauptmann, ein kurfürstlich-sächsischer Kriegszahlmeister, ein Arzt, die Frau des Bürgermeisters und die Gattin eines Handelsmannes. Es ist festzuhalten, dass zwischen diesen Gevattern ein soziales Netzwerk bestand. Sie waren fast alle Mitglieder des Leipziger Zwölferrats48 (in unterschiedlichen Wahlperioden) oder mit einem Ratmann verheiratet.49 Jene Paten, die keinen Status als (ehemalige) Ratsherren, Bürgermeister oder als deren Ehefrauen innehatten, nahmen als Vertreter des eigentlich vorgesehenen Paten an der Taufzeremonie teil. In Geschlecht und Standeszugehörigkeit entsprachen sie der Person, an deren Stelle sie getreten waren.50 Seltener traten Kaufleute und Gelehrte als Paten auf.

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ausgewertet wurden, welche sich zum damaligen Zeitpunkt auch innerhalb der Stadtmauer befunden haben. Der innere Rat bestand aus drei Bürgermeistern, den zwei Konsulenten, dem Syndikus und sechs Baumeistern. Vgl. Weller, Thomas: Theatrum Praecedentiae. Zeremonieller Rang und gesellschaftliche Ordnung in der frühneuzeitlichen Stadt: Leipzig 1500–1800. Darmstadt 2006, 71. Ab dem Jahr 1683 wurde der innere Rat (auch „Enge“ genannt) von 12 auf 13 Ratspersonen aufgestockt. Diese Zusammensetzung blieb erhalten bis ins Jahr 1750. Siehe Günzel, Otto: Die Leipziger Ratswahlen von 1630 bis 1830. Ein Beitrag zur Geschichte des Städtewesens im Zeitalter des Absolutismus. Phil. Diss., Leipzig 1921, 80. Eine neuere Monographie über den Rat oder die Ratswahlen in der Stadt Leipzig, die sich mit dem 17. Jahrhundert beschäftigt, ist mir nicht bekannt. Die Erforschung der städtischen Gesellschaft und der Funktionsträger, die die Geschicke der Stadt bestimmten und gegenüber dem Kurfürsten agierten, ist wohl ein Forschungsdesiderat, welches es dringend zu beheben gilt. Vgl. weiterführend Kühling, Karin/ Mundus, Doris: Leipzigs regierende Bürgermeister vom 13. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Beucha 2000. Bei der Taufe einer „Türckin“ namens Rabia, deren Vater Mehemet Mullah in Ofen gewesen sein soll, sprang die Taufzeugin Anna Susanna (eheliche Tochter des Leipziger Baumeisters Johann Gross) für Anna Martha (die Tochter des Leipziger Hofrates Luca) ein, weil diese verhindert war. Vgl. Kirchenarchiv der Stadt Leipzig (fortan EKAL), Taufbuch von St. Nicolai, Taufmatrikeln von 1688, Fol. 24, 137, Eintrag Maria Christina von Buda. Ebenso sollte bei der Taufe einer „Türckin“ einer der Paten der Herr Christian Heinrich von Seidewitz auf Ramnau (Erbherr) sein, jedoch war auch er verhindert, weshalb ein Joh. Philipp Bochstein an der Feier teilnahm. EKAL, Taufbuch von St. Nicolai, Fol. 138, 289, Eintrag Paulus.

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Das Beziehungsgeflecht der Paten am Beispiel einzelner „Türkentaufen“ Am 17. Mai 1687, am 3. Pfingstfeiertag, wurde ein Junge von ungefähr sieben Jahren durch den Superintendenten der Nikolaikirche, Georg Lehmann, getauft. Ein Würzkrämer namens Adam Schneisser wird als Pflegevater in der Taufmatrikel geführt. Der Junge war 1686 aus der ungarischen Stadt Ofen verschleppt worden und dem Krämer zuvor durch „ranzion“51 zugefallen. Johann Jacob Vogel schreibt darüber in seinen Leipziger Annalen aus dem Jahr 1714, dass ein ungarischer Kaufmann den Jungen für zehn Reichstaler an den Krämer verkauft habe.52 In der Matrikel des Kirchenbuches steht: „[Er hat ihn] zu sich genommen, u[nd] ihm die teutsche Sprache, hernach seine, zur Evangelischen Religion nothwendigsten Hauptstücke aufs beste informiren laßen, welche als er den 3. Pfingstfeiertag [Pfingstdienstag], war der 17. May getaufft hat werden sollen.“53 Im Taufbuch werden dann auch folgende Paten aufgelistet: „Seine, von obgedachten Herrn Adam Schneissern, als Pflege-Vater erbethene Tauffzeugen waren 1. Herr Joh. Franziskus Born, jur. utr. Stud., 2. Ihr. Maria Barbara, Tit[ulus] Herr D[oktor] Georgii Lehmanns ehel[iche] Tochter, 3. Herr Bürgermeister Adrian Steger, 4. Ihr. Anna Susanna, Tit[ulus] Herrn D[oktor] Joh. Friedrich Falckners, Procons[ul], ehel[iche] Tochter, 5. Herr Johann Jacob Käse, b[ei] u[ns] Handelsmann alh[ier].“54 Die Taufe war den Oberen der Stadt Leipzig offensichtlich so wichtig, dass Bürgermeister Adrian Steger höchstpersönlich an den Feierlichkeiten teilnahm.55 Zunächst agierte er bei Taufen nur als Vertreter von Jacob Born, der als Appellationsrat und Vizekanzler des Oberhofgerichts nach Dresden abberufen worden war und deshalb kaum noch Einfluss auf die Geschicke Leipzigs nehmen konnte.56 51 52

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„Ranzion“ bzw. „ranzionieren“ hier im Sinne von „Kauf eines osmanischen Kindes aus dem Besitz eines Dritten“. Vogel, M. Johann Jacob: Leipzigisches Geschichtsbuch oder Annales. Das ist Jahr- und Tagebücher weltberühmter Königl. und Churfürstlichen Sächsischen Kauff- und Handelsstadt Leipzig. Leipzig 1714, 852. Weiter schreibt Vogel: „[…] in der Kirche zu St. Nicolai nach gehaltener Vesperpredigt / und wohl erlerneten und öffentlichen selbst abgelegten Christlichen Glaubens=Bekändnüß von dem Herrn Superintendenten an der gewöhnlichen Tauf=Stelle getaufft und Christian Joseph von Ofen genennet“. EKAL, Taufbuch von St. Nikolai, Taufmatrikeln von 1687, Fol. 193, 124. Pfarrer Georg Lehmann schrieb im selben Jahr noch eine „Türkenpredigt“ über besagte Taufe, die den Titel trug „D. Georg Lehmanns Antwort auf die von einem guten Freunde ihm schriftlich fürgelegte Frage: Ob die im Kriege gefangene Türcken und sonderlich dero Kinder zur Heiligen Taufe können und sollen befördert werden? […] Auf vielfältiges Begehren zum Druck gegeben“. Gedruckt wurde die Predigt 1688 in Leipzig von Johann Christoph Tarnovius. Über die Auflagenhöhe liegen keine Angaben vor. EKAL, Taufbuch von St. Nikolai (1686/87/88), Fol. 193, 124, Eintrag Christian Josephus von Ofen. Adrian Steger entstammte einer alten Leipziger Familie, war Vorsteher der Thomaskirche, Stadtrichter und 20 Jahre Baumeister der Stadt. Als Bürgermeister stand er von 1686 bis 1700 an der Spitze Leipzigs und gehörte 49 Jahre dem Stadtrat an. Vogel (wie Anm. 52), 933. Günzel (wie Anm. 49), 78. Deshalb vertrat Adrian Steger Jacob Born (seit 1679 Bürgermeister) auch jahrelang in seiner Funktion als Stadtoberherr.

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Auch Jacob Born trat später als Taufpate eines „Türcken“ auf. Die Familien Born, Falckner, Steger und auch Lehmann waren alle im Rat der Stadt Leipzig vertreten.57 Johann Jacob Käse war Handelsmann und Vizepostmeister am Orte. Zwei Jahre nach der „Türkentaufe“ stieg er 1689 zum Ratsherrn auf.58 Ein weiteres Quellenbeispiel entstammt dem Taufregister der Kirche zu St. Thomas und bezieht sich auf die Taufe einer „gebohrene[n] Türckin“, die 24 Jahre alt war und ebenfalls während der Schlacht um Ofen (1686) im Alter von 18 Jahren in das Kurfürstentum Sachsen verbracht wurde. Der Diakon der Thomaskirche, Heinrich Pipping, vollzog die Taufe der jungen Frau.59 Über die Zeit zwischen ihrer Ankunft im Alten Reich und ihrer Taufe ist im Taufbuch vermerkt, dass sie von Zeit zu Zeit auf dem Land gearbeitet habe, sich dort aber niemand bemüht habe, die Muslimin zum christlichen Glauben zu bekehren. Weiter heißt es: „Niemand sie nun solches [eine Konversion] bey dem löblichen Consitorio60 alhier glaubwürdig bescheinigt hat, ist die Verordnung wegen ihrer Taufe ergangen, und hat sie bey Empfangung dieser, den Nahmen Christina Gertraud überkommen […].“61 Es hat offenbar einen Konsens in der Stadtverwaltung darüber gegeben, die gefangenen Muslime sobald als möglich zu konvertieren. Vogel bemerkt in den Leipziger Annalen, dass die junge Frau unverheiratet gewesen sei.62 Da sie keine Christin und ohne Mann und Bürgerrecht war, ist vielleicht von einer Zuständigkeit (Vormundschaft) der Stadt für sie auszugehen. Wer sie nach Leipzig geholt hatte und bei wem sie in Diensten stand, ist ungewiss. Die Paten, die der jungen Frau zur Seite standen, waren wiederum stadtbekannte Personen: die Witwe des am 19. August 1700 verstorbenen ehemaligen Bürgermeisters Adrian Steger, Elisabeth Steger, Franziskus Conrad Roman, der Nachfolger Stegers im Amt sowie Magdalena Sibylle, die Ehefrau des Bruders von Jacob Born, Heinrich Born.63

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Georg Lehmanns Sohn Gottfried Conrad wurde in den 1690er Jahren Mitglied im Stadtrat. Jacob Born und sein Sohn Jacob Heinrich erhielten Ernennungen zu Appellationsräten des Oberhofgerichts und Schöffenstuhls zu Leipzig. Johann Gottfried Falckner, dessen Tochter Anna Susanne ebenfalls als Taufpatin fungierte, wurde zwei Jahre zuvor (1686) zum ordentlichen Mitglied des Rates gekürt. Ebd., 84. Ebd., 86. Heinrich Pipping wurde 1670 in Leipzig geboren, ging er erst auf die Nikolaischule und studierte danach Philosophie und Philologie. 1688 hörte er für kurze Zeit in Wittenberg und setzte dann sein Studium in Leipzig bei den Gelehrten Johannes Benedikt Carpzov, Andreas Rivinius, Johann Christian Olearius, Thomas Ittig und anderen fort. Er habilitierte sich 1689 zum Magister in Theologie. Im Jahr 1693 wurde er Sonnabendsprediger zu St. Thomas, 1699 Mittagsprediger und 1700 Vesperprediger. 1709 hatte er die Stelle zum Oberhofprediger und Konsistorialrat zu Dresden erhalten. Vgl. Zedler, Johann Heinrich: Grosses vollständiges UniversalLexicon aller Wissenschafften und Künste, welche bißhero durch menschlichen Verstand und Witz erfunden und verbesset worden. Bd. 28. Leipzig-Halle 1741, Sp. 419 f. „Consistorio“: hiermit ist wohl der Rat gemeint. EKAL, Taufbuch von St. Thomas, IX Theil, 1702–1709, Fol. 23, Junius 1702. Vogel (wie Anm. 52), 939. Ebd., 933.

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Die Feier der „Türkentaufe“ Der Akt der Taufe in der evangelischen Gemeinde in Leipzig war im Allgemeinen reglementiert durch eine polizeyliche Verordnung aus den 1660er Jahren. Diese Ordnung legte Wert darauf, die Ausgaben der Paten, die öffentliche Anteilnahme am Geschehen und das prunkvolle Fest soweit wie möglich maßvoll zu halten.64 Es war nicht mehr erwünscht, große Mengen an Geld, Verköstigungen und teure Kleidung in die Taufe zu investieren, da es sich wohl in der evangelisch-lutherischen Konfession nicht mehr geziemte, ein religiöses Fest mittels Prunk zu überladen.65 So kam dies in der städtischen Ordnung 1661 mit folgenden Worten zum Ausdruck: „Zu Daempffung der Kleider-Hoffahrt / und anderer uebermuethigen Pracht und schaendlichen Unordnungen / So bey Verloebnuessen / Hochzeiten / Kind=Tauffen / Begraebnuessen / und sonsten getrieben werden / und eingerissen sind / vormahls und insonderheit Anno 1634 / 1640 und 1652.“ Die Gevatterstücke bzw. Geschenke der Paten sollten nicht mehr so üppig ausfallen, so „dass ein ieder die Wahl habe / einen Marcipan oder Kuchen zum Gevatter Stück zu geben / iedoch dass bey denen Vornehmsten kein Marcipan über 2 Reichsthaler und kein Kuchen über 1 Reichsthaler koste“.66 Des Weiteren war es unter Strafe gestellt, Pfann- und Kirschkuchen zu verteilen und in fremde Häuser zu gehen, um die Taufe des Sohnes oder der Tochter zu verkünden. Den Paten war es untersagt, weitere Geschenke wie Kleidung, Schmuck und Geld an Gründonnerstag sowie im neuen Jahr zu vergeben. Sollten sich Paten als Gebende oder Vormunde der Patenkinder als Nehmende nicht an die Verordnung halten, wurde dies mit zehn Reichstalern Bußgeld bestraft. Die Anzahl der anwesenden Taufpaare wurde nach gesellschaftlichem Rang reglementiert.67 Ein Vornehmer durfte maximal 24 Paare zur Taufe seines Kindes einladen, der mittlere Stand 18 Paare und die gemeinen Leute höchstens 12 Paare. Dies diente sicherlich ebenso wie die Reglementierung der Kleidervorschriften der Festigung der sozialen Hierarchie. Denn worin unterschied sich die Taufe eines Adligen von einem gemei64 65

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E. E. Raths Der Stadt Leipzig Neue Ordnung Anno 1661 wie ein ieder Stand bey Verloebnuessen/Hochzeiten/Kind=Tauffen und Leich=Begaengnuessen/Ingleichen in Kleidungen sich zu verhalten neu aufgeleget Und in Ritzschens Buchladen zu finden. Leipzig 1665. Ein weiterer Grund dafür könnte natürlich auch die hohe Kindersterblichkeit der Zeit gewesen sein. Es sollte wohl vermieden werden, so viel Geld für ein Kind aufzuwenden, von dem noch gar nicht sicher war, dass es nicht bald durch eine Krankheit dahingerafft werden würde. Vielleicht hatten sich auch etliche Familien mit vielen Kindern bei einer solchen Tauffeier verschuldet und um dieser Gefahr vorzubeugen, wollte man die Ausgaben für ein solches Fest so gering wie möglich halten. Neue Ordnung (wie Anm. 64), 1. Die Handwerker und gemeinen Leute hatten ganz auf Marzipanstücke zu verzichten. Unter Taufpaaren sind hier wohl keineswegs die Paten zu verstehen, sondern die Gäste einer solchen Feier. Ein gebetener Ratsherr durfte also seine Ehefrau zur Taufe mitbringen, aber keinen Bruder, Freunde oder andere Anverwandte. Dass die Oberen der Stadt 24 Paare, also maximal 48 Personen einladen durften, während bei den gemeinen Leuten höchstens 24 Personen anwesend sein durften, lag der Veräußerlichung der Standesgrenzen zu Grunde, vielleicht aber auch der Tatsache, dass es für einen gemeinen Einwohner schon einen hohen finanziellen Aufwand bedeutete, auch nur mehr als eine Hand voll Menschen zu verköstigen.

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nen Bürger noch, wenn in der Feier der soziale Status nicht mehr eindeutig zu erkennen war?68 Auch war es Personen, die nicht zur Taufgesellschaft gehörten, bei Strafe untersagt, sich unter die Feiernden zu mischen.69 Wahrscheinlich galten diese Vorschriften auch für die Gestaltung von „Türkentaufen“. In der Regel waren in Leipzig mindestens drei und nicht mehr als sieben Paten an der Feierlichkeit beteiligt. Die durchschnittliche Anzahl lag bei fünf Gevattern pro getauften Muslimen. In den Matrikeln und den Leipziger Annalen von Vogel lassen sich keinerlei Indizien dafür finden, dass die „Türkentaufen“ besonders prunkvolle Veranstaltungen gewesen wären. Es gab das schon angedeutete Ritual, dass die Taufanwärter über gelernte Bibelstellen ausgefragt wurden, ebenso wie der Pfarrer formelhaft den Konvertierenden fragte, ob er getauft werden wolle und der Konvertit ebenso formelhaft mit „Ja, ich will getauft sein“ zu antworten hatte. Die Öffentlichkeit der Handlungen war jedoch eher begrenzt. Die Gevatterschaft trat zum Taufstein, der Konvertit wurde auf einen neuen christlichen Namen getauft und anschließend ein Kirchenlied gesungen. Der Geistliche hielt noch eine Predigt und sprach die zum Taufritus gehörenden Gebete.70 Neben dem Priester, dem Vormund, den Paten und dem Konvertiten scheinen keine weiteren Personen an der Zeremonie teilgenommen zu haben. Offensichtlich trat die Taufgemeinde nicht vor die Kirche oder wurden andere Gemeindemitglieder zur Feier eingeladen, um, wie es bei katholischen Taufen in Wien praktiziert wurde, eine bezeugende Öffentlichkeit für die Tauffeier zu haben.71 Es scheint, als habe es sich dabei um ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal zwischen dem evangelisch-lutherischen und dem römisch-katholischen Ritus gehandelt. Die römisch-katholische Taufzeremonie eines Andersgläubigen wurde zur öffentlichen Inszenierung, während die evangelisch-lutherischen Tauffeiern mehr oder weniger im Stillen und nur unter Anwesenheit der notwendigen Teilnehmer vollzogen wurden. Die Frage, weshalb die „Türkentaufen“ von beiden Konfessionen so unterschiedlich durchgeführt wurden, kann vorerst nicht erschöpfend beantwortet werden, da hierfür noch weitere Studien notwendig sind. 68

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Zu vergleichen mit den Kleiderordnungen des 16. und 17. Jahrhunderts siehe Weller (wie Anm. 48), 110. Weller konstatiert, dass gerade in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts permanent neue Kleider- und andere Verordnungen darüber erlassen wurden, wie man sich in der Öffentlichkeit standesgemäß zu verhalten habe. Die Häufigkeit der Ordnungen erklärt er damit, dass die Anzahl der Überschreitungen der gesellschaftlichen Regeln immer mehr überhand nahmen und der Rat sich nicht anders zu helfen wusste, als immerzu neue Ordnungen zu produzieren. Neue Ordnung (wie Anm. 64), 9 f. Kurfürst Johann Georg II. (1613–1680) bestätigte diese Verordnung des Rates mit einem Mandat am 13. Juli 1669. „Die Gefattern traten [zum?] Taufstein, Herrnach der H[err] Superint[endent] u[nd] wurde restl[ich] gesungen: Kom[m] H[err] Christ, Herr Gott, nach diesen hielt der H. Superint[endent] einen Sermon, hernach alß dieses vollbracht, las Er etliche Gebeth von der Tauffe, Hernach Examinierte Er ihn die Obgedachten Catechißmus [fragen?], u[nd] als er alles wohl u. vernehmlich beantwortet hatte, fragte ihn der H[err] Superint[endent]: So ist nun du lieber Knabe nach dein begehren u. wollen, dass du willst getaufft seyn? U[nd] gab laut diese Antwort: ja, ich will getaufft seyn u. alß denn geschah die Tauffe u. Einsegnung, u. wurde zum Beschluß gesungen: Nun bitten, wir den H[errn] Christ, u. gingen hernach wieder in ihrer Ordnung in die Sacristey.“ EKAL, Taufbuch von St. Nikolai, Taufmatrikeln von 1687, Fol. 193, 24. Vgl. Teply (wie Anm. 33).

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Perspektiven Der vorliegende Beitrag basiert auf einer ersten Sichtung des in Leipzig verfügbaren Quellenmaterials über osmanische Konvertiten. Weitere Schriftzeugnisse zu diesem Thema sind im Stadtarchiv und der Universitätsbibliothek Leipzig sowie in der Universitätsbibliothek, der Marienbibliothek und im Archiv der Stadt Halle zu vermuten. Es existieren Briefe an den Rat der Stadt Leipzig, geschrieben von ehemaligen osmanischen Gefangenen, die sich mit der Bitte um finanzielle Zuwendungen an die Stadtoberen wandten.72 Diese Briefe versprechen Einblicke in das Leben der ehemaligen Gefangenen nach der Taufe, über das bisher nur sehr wenig bekannt ist. In verschieden Schriftquellen, wie dem Innungsbuch des Leipziger Stadtarchivs, finden sich Spuren eines osmanischen Konvertiten namens Wolff Christoph Lustig, der Schneidermeister geworden ist.73 Im Traubuch der Kirche zu St. Nikolai erscheint unter den Eintragungen des Jahres 1720 sein Name erneut. Lustig heiratete am 01. Oktober des Jahres die „Jungfer“ Anna Maria, Tochter eines Jacob Schneider aus Kolben bei Eulenburg.74 Weitere osmanische Konvertiten zu entdecken und ihr Schicksal zumindest partiell zu rekonstruieren wäre daher beispielsweise auf der Grundlage der Eintragungen in den Tauf- und Sterbematrikeln von St. Nikolai möglich. Biographische Studien würden auch Chancen oder Hemmnisse für die Integration eines gesellschaftlichen Grenzgängers aufzeigen und dadurch Rückschlüsse auf die religiöse und soziale Toleranz einer städtischen Gesellschaft in der Frühen Neuzeit ermöglichen. Es wäre ferner interessant zu erfahren, wer diese „Konversionsverfahren“ mitbetreute. Waren Konversionen von Muslimen in Leipzig Angelegenheiten, welche ausschließlich durch den Privaten, dem der Gefangene gehörte, geregelt wurden oder waren Institutionen daran beteiligt? Wer außer dem Pfarrer und dem Herrn organisierte beispielsweise die Einführung in die christliche Lehre? Wenn der „Türke“ keinen Herrn (mehr) hatte, wer war dann für seine Versorgung zuständig? Im Fall der erwähnten unverheirateten und volljährigen Osmanin hatte sich der Leipziger Stadtrat verantwortlich gefühlt und die Taufe initiiert. Da das Phänomen der „Türkentaufen“ eine zeitlich und quantitativ begrenzte Erscheinung darstellt, ist davon auszugehen, dass es zu keiner Herausbildung einer speziellen Institution gekommen ist, welche sich um die christliche „Umerziehung“ und Versorgung der osmanischen Konvertiten sorgte, wie es beispielsweise bei den jüdischen Konvertiten in Form der Proselytenanstalten der Fall gewesen ist.75 72 73 74 75

Stadtarchiv Leipzig (fortan StAL), Richterstube, Akten Teil 1, Nr. 171, Briefe an den Rat der Stadt, Bl. 98 r. u. v. Eva Eleonora Rothmänin, „eine arme getauffte Türckin“ bittet, sie „mit einem mildreichen Viatico [Verpflegung] versehen zu lassen“. StAL, Innungsbuch, Schneiderinnung B 2, 1720/21, Bl. 218b, 220b, 229. An dieser Stelle möchte ich herzlich Herrn Marcel Korge danken, der mich auf diesen Eintrag aufmerksam gemacht hat. EKAL, Traubuch von St. Nikolai, Tom. XI. 1719–1731, Bl. 86r. Vgl. Braden, Jutta: „Zur Rechtschaffenheit nachdrücklich ermahnet …“. Taufwillige Jüdinnen und Konvertitinnen aus dem Judentum in Hamburg in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. In: Zeitenwenden. Herrschaft, Selbstbehauptung und Integration zwischen Reformation und Liberalismus. Festgabe für Arno Herzig zum 65. Geburtstag. Hg. v. Jörg Deventer u.a. Münster 2002, 93–113.

„Die Anderen“ in der Historiographie und Erinnerungskultur

Gergely Tóth

Was blieb von den Türken? Geschichte und Relikte der osmanischen Herrschaft in Ungarn im Werk des Geschichtsschreibers Matthias Bél (1684–1749) Matthias Bél (ung. Mátyás Bél, sk. Matej Bel), Rektor der evangelischen Schule in Neusohl (sk. Banská Bystrica, ung. Besztercebánya), später von der in Pressburg (sk. Bratislava, ung. Pozsony), schließlich Pfarrer der deutschen evangelischen Gemeinde in Pressburg, war einer der vielseitigsten ungarischen Historiker in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts.1 Er studierte in Halle, wo er sich die Hochschätzung des dort wirkenden August Hermann Francke (1663–1727) erwarb.2 Sein 1

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Über Leben und Werk von Matthias Bél siehe Haan, Lajos: Bél Mátyás. Budapest 1879. – Wellmann, Imre: Bél Mátyás (1684–1749). In: Történelmi Szemle 22 (1979), 381–391. – Ders.: Bél Mátyás munkássága [Das Wirken von Matthias Bél]. In: Magyarország népének élete 1730 táján. Hg. v. Dems. Budapest 1984, 5–32. – Tarnai, Andor: Bél Mátyás (1684– 1749). In: Bél Mátyás: Hungariából Magyarország felé. Hg. v. Dems. Budapest 1984, 5–33. – Tibenský, Ján: Vel’ka ozdoba Uhorska. Dielo, život a doba Mateja Bela [Ungarische Berühmtheiten. Werk, Leben und Zeit von Matthias Bél]. Bratislava 1984. – Zombori, István: Bél Mátyás és a Notitia Hungariae [Matthias Bél und die Notitia Hungariae]. In: Bél Mátyás: Csongrád és Csanád megye leírása. Hg. v. Pál Lakatos und Imre Téglássy. Szeged 1984, 113–162. – Matej Bel. Doba – život – dielo [Matthias Bél. Zeit – Leben – Werk]. Hg. v. Vladimír Matula. Bratislava 1987. – Szelestei, László: Irodalom- és tudományszervezési törekvések a 18. századi Magyarországon 1690–1790 [Literarische und wissenschaftsorganisatorische Bestrebungen in Ungarn im 18. Jahrhundert]. Budapest 1989, 62–76. Über seine gedruckten Werke und die von ihm verfasste (hauptsächlich slowakische) Fachliteratur hat Blažej Belák eine Bibliographie zusammengestellt, die bis 1984 aktuell ist: Belák, Blažej: Matej Bel 1684–1749. Výberová personálna bibliografia k 300. výročiu narodenia Mateja Bela [Matthias Bél 1684–1749. Ausgewählte Bibliographie anlässlich des 300. Geburtstages von Matthias Bél]. Martin 1984. Von grundlegender Bedeutung ist die Publikation über Béls Korrespondenz: Bél Mátyás levelezése [Die Korrespondenz von Matthias Bél]. Hg. v. László Szelestei. Budapest 1993. Ein Hilfsmittel zu seinen unveröffentlichten Werken bzw. im Allgemeinen zu seiner handschriftlichen Überlieferung stellt dar: Ders.: Bél Mátyás kéziratos hagyatékának katalógusa [Katalog des handschriftlichen Nachlasses von Matthias Bél]. Budapest 1984. – Tóth, Gergely: Bél Mátyás kéziratai a pozsonyi evangélikus líceum könyvtárában (katalógus) [Matthias Béls Manuskripte in der Bibliothek des Evangelischen Lyzeums von Pressburg (Katalog)]. Budapest 2006. Im Internet unter http://mek.oszk.hu/05200/05265/05265.pdf (20.03. 2013). Über Richtungen und Entwicklungen der deutschen Staatsideen im 17. und 18. Jahrhundert siehe zusammengefasst bei Valera, Gabriella: Statistik, Staatengeschichte, Geschichte im 18. Jahrhundert. In: Aufklärung und Geschichte. Studien zur deutschen Geschichtswissenschaft im 18. Jahrhundert. Hg. v. Hans Erich Bödeker. Göttingen 1986, 119–143. Der Einfluss der deutschen Staatsidee auf Bél ist in der ungarischen Fachliteratur schon ein Topos, welcher bis heute aber weitgehend unerforscht blieb. Bél dürfte sich bei seiner Notitia in Aufbau und Thematik stark am Werk von Johann Andreas Bose orientiert haben. Vgl. Bosius, Johann Andreas: Introductio generalis in Notitiam Rerumpublicarum Orbis Universi. Jenae 1676. – Tóth, Gergely: Bél Mátyás „Notitia Hungariae novae …“ című művének keletkezéstörténete és kéziratainak

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Werk Notitia Hungariae novae historico geographica orientierte er am Modell der deutschen Staatskunde und stellt eine geographisch-historische Beschreibung des zeitgenössischen Königreiches Ungarn dar.3 Matthias Bél beschrieb das Land anhand der einzelnen Komitate, wobei er seine Ausführungen jeweils in einen allgemeinen und einen speziellen Teil untergliederte. Im allgemeinen Teil (Pars Generalis) legte er die natürlichen Gegebenheiten, die Berg- und Wasserkunde, die Landwirtschaft und den Bergbau des Komitats sowie die Lebensart, die Gewohnheiten und die Zusammensetzung der Nationalitäten dar. Zudem stellte er die Geschichte, die wichtigsten Amtsträger, die adeligen Familien und das Wappen der jeweiligen Komitate zusammen. Im speziellen Teil (Pars Specialis) widmete er sich den Städten, Burgen und Siedlungen. Seine Arbeit stützte er stark auf historische Studien, was sich in der Zusammenstellung der Geschichte und der Genealogie der hochadeligen Familien, in den kirchlichen und weltlichen Archontologien und insbesondere in der auf gründlichen Forschungen basierenden Darstellung der Geschichte der Städte und Burgen widerspiegelt. Dadurch entstand nicht nur eine zeitgenössische Beschreibung des Landes im engeren Sinne, sondern vielmehr eine Landesgeschichte. Matthias Bél sammelte für seine Notitia eine große Anzahl von Schriftquellen, unter denen neben zahlreichen Urkunden auch unveröffentlichte Prosa zu finden war. Letztere ließ er zum Teil in einer Quellensammlung herausgeben, in der sich auch gedruckte, zum damaligen Zeitpunkt aber bereits als Raritäten geltende Werke befanden.4 Nebenbei erhob er auch Daten über das zeitgenössische Ungarn: In den nördlichen Komitaten bat er dort lebende Bekannte und ehemalige Schüler, Informationen nach von ihm vorgegebenen Gesichtspunkten zu sammeln. In den weiter entfernt gelegenen Gebieten, die einst unter osmanischer Herrschaft standen, konnte er allerdings nicht auf Bekannte vor Ort zurückgreifen, so dass er diese Gegenden von seinen Mitarbeitern durchwandern ließ. Letztlich gedruckt wurde nicht das Gesamtwerk, sondern nur die Beschreibung von elf Komitaten. Da Bél derjenige war, der nach der osmanischen Herrschaft die erste – wenngleich wegen des ortsgeschichtlichen Bezugs etwas spezifische – historische Übersicht über Ungarn verfasste, ist das von ihm vermittelte Bild von den Osmanen bzw. der „Türkenherrschaft“ (1541–1686) von besonderer Relevanz.5 Zunächst soll

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ismertetése [Die Entstehungsgeschichte und Rezension der Manuskripte des Werkes „Notitia Hungariae novae …“ von Matthias Bél]. II Bde. Phil. Diss., Budapest 2007, hier Bd. I, Kap. 1. Die erschienenen Bände sind Bél, Mátyás: Notitia Hungariae novae historico geographica. Bd. I–V. Viennae Austriae 1735–1749(?). Das Erscheinungsjahr des letzten, nur die Beschreibung des Komitats Moson beinhaltenden fünften Bandes steht zur Debatte. Bereits zeitlich früher ließ er, zum Zweck der Vorstellung der Notitia, einen Entwurf mit ausgearbeiteten Kapiteln erscheinen: Ders.: Hungariae antiquae et novae prodromus, cum specimine, quomodo in singulis operis partibus elaborandis, versari constituerit […]. Norimbergae 1723. Ders.: Adparatus ad historiam Hungariae sive collectio miscella, monumentorum ineditorum partim, partim editorum, sed fugientium. II Bde. Posonii 1735–1743. Zum Kontext siehe Pars pro Toto Fodor, Pál: Magyarország és a török hódítás [Ungarn und die türkische Eroberung]. Budapest 1991. – Hegyi, Klára: A török berendezkedés Magyarországon [Die türkische Einrichtung in Ungarn]. Budapest 1995. Zum Problem der Grenzen und des Grenzverteidigungssystems vgl. Ottomans, Hungarians, and Habsburgs in Central Europe. The

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jedoch der ihm zur Verfügung stehende Quellenkorpus diskutiert und der Frage nachgegangen werden, welche Spuren und Erinnerungen an die osmanische Herrschaft er mit Hilfe seines Netzwerks eruieren konnte. Schließlich gilt es, nach der Funktionalität dieses „Türkenbildes“ zu fragen.

Topoi und Exotik. Die osmanische Herrschaft im Werk von Matthias Bél Wenn man die Abschnitte der Notitia über die „Türkenherrschaft“ näher betrachtet, wird ersichtlich, dass der Autor insgesamt nur wenige Quellen zur Verfügung hatte. Ebenso wird dieser Mangel an den ortsgeschichtlichen Ausführungen deutlich, da Bél an einigen Stellen nichts über die Geschichte bestimmter Siedlungen während der „Türkenzeit“ schreiben konnte. Über die jeweiligen Burgen oder Siedlungen traf er nur dann Aussagen, wenn diese direkt an der Heerstraße lagen, d.h. in die Kriegsereignisse involviert waren und daher in größeren, die ganze Epoche umfassenden historischen Werken Erwähnung fanden. Neben solchen übergreifenden Darstellungen konnte er nur die Reisebeschreibungen der kaiserlichen oder die von anderen Gesandten nutzen, in denen die „Türkenzeit“ meist sehr einseitig dargestellt wurde. Für die erste Hälfte der osmanischen Herrschaft stellte das analytische Werk des Staatsmannes und Geschichtsschreibers Nikolaus Isthvánffy (1538–1615), erschienen unter dem Titel Historiarum de rebus Ungaricis, für Bél und seine Zeitgenossen eine grundlegende Quelle dar. Darin wurden die Geschehnisse zwischen 1490 und 1613 thematisiert.6 Die Darstellung enthält auch zahlreiche Informationen über den Autor selbst, der zunächst als Soldat, dann als Hofkanzleibeamter und später als Vizepalatin viele Ereignisse als Augenzeuge beschreiben konnte und natürlich Zugang zu wichtigen Quellen hatte. In seinen Ausführungen konzentrierte er sich vor allem auf die Diplomatie- und Kriegsgeschichte. Politisch war er der kaiserlichen Seite gegenüber loyal, die Osmanen hielt Isthvánffy für den größten „Feind der Christenheit“ und Ungarn für das „Bollwerk des christlichen Abendlandes“ (Propugnaculum Christianitatis).7 Wenn Isthvánffy über die Belagerung einer Stadt oder einer Burg schrieb, bot er zugleich eine kurze Beschreibung und einen historischen Überblick über den jeweiligen Ort an. Diese Passagen baute Matthias Bél ebenso in seine Notitia ein wie die Namen der osmanischen Burgka-

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Military Confines in the Era of Ottoman Conquest. Hg. v. Géza Dávid und Pál Fodor. LeidenBoston-Köln 2000. Isthvánffi, Nikolaus: Nicolai Isthuanfii Pannonii, Historiarum de rebus Ungaricis libris XXXIV. Coloniae Agrippinae MDCXXII. Diese Veröffentlichung wurde auch von Bél genutzt, wie sein Nachlassinventar verrät: Libri litterarii varii generis, quae in bibliotheca Matthiae Belii continentur. Vgl. Tóth (wie Anm. 1), App. VII. Istvánffy Miklós magyarok dolgairól írt históriája Tállyai Pál XVII. századi fordításában [Die Geschichte des Nikolaus Isthvánffi über die Taten der Ungarn in der Übersetzung von Paul Tállyai aus dem 17. Jahrhundert]. Bd. I/1: Bücher 1–12. Hg. v. Péter Benits. Budapest 2001, 7–23.

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pitäne von Ofen (ung. Buda) bzw. deren Kriegstaten.8 Über den Alltag im osmanischen Ungarn bot Isthvánffy, der wahrscheinlich sogar osmanisch sprach, seinen Lesern hingegen kaum Informationen. Eine andere wichtige Quelle für Bél war das Werk des Jesuiten Franz Wagner mit dem Titel Historia Leopoldi Magni, in dem dieser die Geschichte Leopolds I. (1640–1705), Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation (1658– 1705) und ungarischer König (1657–1705), wiedergab.9 Der Jesuit beschrieb die Zeit aus einer kaisertreuen Perspektive; seine Arbeit ist außerordentlich detailliert, insbesondere wenn es um die Beschreibung der Kriegsereignisse geht. Matthias Bél übernahm aus dieser Quelle die Ausführungen über die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts. Die zeitliche Lücke zwischen den Historiarum de rebus Ungaricis und der Historia Leopoldi Magni, die sich für die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts ergab, ist in Béls Werk spürbar: Sofern vorhanden, nutzte er für diesen Zeitraum kleinere und weniger zuverlässige historiographische Schriften. Für beide Werke gilt, dass sie nur den militärischen Streifen der Grenzburgen und die dort stattgefundenen Kriegsereignisse festhielten, über die osmanischen Gebiete selbst aber keine verwertbaren Informationen lieferten. Bél musste daher auch andere Quellen finden, wenn er die Geschichte des osmanischen Ungarns berücksichtigen wollte. Schriftliche Erinnerungen standen ihm dabei nicht zur Verfügung, in staatlichen und kirchlichen Archiven konnte er nur in Ausnahmefällen recherchieren. Folglich musste er auf Reisebeschreibungen oder Reiseberichte zurückgreifen, die von den nach Konstantinopel (türk. Istanbul) entsandten kaiserlichen Gesandtschaften angefertigt wurden. Meist waren sie in deutscher Sprache verfasst und stützten sich in vielerlei Hinsicht auf bereits vorhandene Berichte. Die Gesandten reisten mit dem Schiff donauabwärts, so dass ihre Beschreibungen kaum den gesamten ungarischen Raum betrafen. Meist berichten sie von einem völlig verwüsteten und zerstörten Land, was im Wesentlichen damit zusammenhängt, dass die Donaulandschaft aufgrund ihrer Nähe zur Heerstraße tatsächlich weitgehend unbesiedelt war. Dieser Tatbestand lässt sich aber nicht auf das ganze osmanische Ungarn übertragen.10 Bél nutzte für seine Arbeit zudem die in lateinischer Sprache verfassten Reisebeschreibungen, vor allem über das osmanische Ofen.11 Die Gesandten hielten sich regelmäßig dort auf, um von dem dort ansässigen Pascha empfangen zu werden. Davon weiß auch der kaiserliche Gesandte Busbecq zu berichten, der zwischen 1554 und 1555 an die Hohe Pforte reiste und diesen Weg in Form fiktiver 8 9 10

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Bél, Notitia, Bd. III (wie Anm. 3), 325–327, 332–334, 337 f. Wagner, Franz: Historia Leopoldi Magni Caesaris Augusti. II Bde. Augustae Vindelicorum 1719–1731. Über die Berichte der Botschaftsreisenden sowie weitere ausführliche Fachliteratur bei Molnár, Antal: A hódoltság francia szemmel. Louis Deshayes, baron de Courmenin utazása Konstantinápolyba és a Szentföldre (1621) [Das osmanische Ungarn aus französischer Sicht. Die Reise des Louis Deshayes, Baron de Courmenin, nach Konstantinopel und ins Heilige Land]. In: Történelmi Szemle 49 (2007), 35–61. Zusammenfassend über Ofen und Pest während der „Türkenzeit“ siehe Fekete, Lajos: Buda and Pest under Turkish Rule. Budapest 1976.

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Briefe verewigte.12 Er schrieb sehr detailliert über diese Stadt und interessierte sich sehr für die osmanischen Gepflogenheiten. Für Bél waren beide Themen offensichtlich von Interesse, da er zahlreiche Details ausführlich zitierte und kommentierte.13 Es ist anzumerken, dass Bél die Beschreibung über die in die Erde gegrabenen Hütten der Serben im Komitat Bács bzw. über deren Trauerfeiern ebenso von Busbecq übernahm.14 Eine weniger brauchbare Quelle war für Bél das Werk von Henricus Porsius, der Mitglied der kaiserlichen Gesandtschaft von 1579 gewesen war und seine Erlebnisse in Gedichten besungen hatte.15 Bél übernahm von ihm die Beschreibung der Eroberung und Verwüstung Ofens.16 Aus späteren Jahren stammte das Werk des Jesuiten Paul Tafferner, das sich als inhaltlich ergiebiger erwies. Tafferner schrieb als Mitglied der kaiserlichen Gesandtschaft über seine Reise von 1665 und lieferte eine nützliche Beschreibung über das osmanische Ofen, über dessen Bäder und die einst berühmte, nun aber schon ziemlich heruntergekommene Bibliothek des Königs Matthias I. Corvinus (Reg. 1458–1490).17 Immerhin zählte die in der Burg aufbewahrte Büchersammlung, die sog. Corvinas, zu dieser Zeit noch 400 Bände.18 Bél übernahm die Abschnitte über die Bibliothek aus Porsius’ Werk19 sowie aus dem des kaiserlichen Bibliothekars in Wien, Peter Lambeck.20 Darin erzählte Lambeck von seiner Reise nach Ofen im Jahr 1666, als er im Sinne des Friedensvertrages von 1664 drei Bücher aus der Sammlung von König Matthias für die kaiserliche Bibliothek auswählen durfte. Bél beschäftigte sich aber nicht nur mit dem Schicksal der „Corvinas“, sondern er übernahm von Lambeck auch die Beschreibung des königlichen Palastes.21 Nicht nur für Bél waren diese Reiseberichte – trotz ihrer räumlichen und thematischen Beschränkungen – außerordentlich wertvoll: Sie dienten in der ungarischen Historiographie sogar bis Anfang des 20. Jahrhunderts als Primärquellen bei 12 13 14 15 16 17 18

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Busbecq, Ogier Ghislain de: Augerii Gislenii Busbequii D. Legationis Turcicae Epistolae quatuor […]. Adiectae sunt Duae Alterae. Eiusdem de re militari contra Turcam instituenda consilium. Francofurti 1595. Bél, Notitia, Bd. III (wie Anm. 3), 327–332. Ders.: Comitatus Bácsiensis, et Bodrogiensis. Manuskript. Esztergomi Főszékesegyházi Könyvtár [Bibliothek des Erzbistums Gran] (fortan EFK), Hist. I. k, 26, 28 f. Porsius, Henricus: Historia belli Persici, gesti inter Murathem III. Turcarum, et Mehemetem Hodabende, Persuarum Regem. Conscripta ab Henrico Porsio. Eiusdem Itineris Byzantini Libri III, Carminum Lib. II, Epigrammatum II, Poeta. Francofurti 1583. Bél, Notitia, Bd. III (wie Anm. 3), 335–337. Tafferner, Paul: Caesarea Legatio, quam mandante Augustissimo Rom. Imperatore Leopoldo I. ad Portam Ottomannicam suscepit, perfecitque […] Walterus S. R. I. Comes de Leslie […] Succinta narratione exposita. Viennae Austriae 1672. Zur Geschichte der Bibliothek Csapodi, Csaba: Die Geschichte der Bibliotheca Corviniana. In: Bibliotheca Corviniana. Die Bibliothek des Königs Matthias Corvinus von Ungarn. Hg. v. Dems. und Klára Csapodi-Gárdonyi. München-Berlin 1969, 11–33. – Ders.: The Corvinian Library. History and Stock. Budapest 1973, 72–90. Bél, Notitia, Bd. III (wie Anm. 3), 362–366. Lambeck, Peter: Commentariorum de augustissima bibliotheca Caesarea Vindobonensi libri I–VIII. Viennae Austriae 1665–1679. Bél, Notitia, Bd. III (wie Anm. 3), 366–369.

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der Darstellung der Verhältnisse im osmanischen Ungarn.22 Nicht zufällig gab Bél in seiner Quellenedition Adparatus zwei Gesandtschaftsberichte heraus. Der erste Bericht ist die tagebuchartige, außerordentlich suggestive, leicht lesbare Beschreibung von Hieronymus Łaski (1490–1541), dem Gesandten des ungarischen Königs Johann Szapolyai (Reg. 1526–1540), über dessen Verhandlungen in Konstantinopel 1527/28.23 Obwohl dieses Werk nur die Ereignisse unmittelbar um die Verhandlungen wiedergibt, zitierte es Bél auch bei der Beschreibung Ofens häufig.24 Die andere von Bél veröffentlichte Quelle ist das Werk von Johannes Bocatius (Johann Bock), dem Bürgermeister von Kaschau (sk. Kosiče, ung. Kassa). Darin spricht Bocatius über die Begegnung von Stefan Bocskai (1557–1606), dem Fürsten von Siebenbürgen, mit dem Pascha von Ofen bei Rákos (in der Nähe von Pest), bei der er selbst anwesend war. Weiterhin berichtet er über die von ihm persönlich aufgesuchten Städte Pest und Ofen und zeichnet ein vernichtendes Bild über deren Zustand.25 Bél zitierte dieses Werk sowohl in der Beschreibung von Pest als auch von Ofen.26 Insgesamt fällt auf, dass Matthias Bél Reiseberichte der kaiserlichen und von anderen Gesandtschaften nur für die Beschreibung von Ofen verwendete; zum einen, weil die Niederschriften der Diplomaten in diesem Punkt besonders detailliert und gehaltvoll waren, zum anderen, weil sich Ofen als das Zentrum und Symbol der osmanischen Herrschaft präsentierte. Des Weiteren waren die Reisebeschreibungen für das „Türkenbild“ von Bél wichtig, das in den Kommentaren über die Osmanen und deren Herrschaft, die er den zitierten Abschnitten beifügte, zum Ausdruck kam. Diese Kommentierungen gruppieren sich um einige toposartige Feststellungen: Die Osmanen waren nach Béls Darstellung hauptsächlich „untreu“, „ungerecht“ und 22 23

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Molnár (wie Anm. 10), 35 f. Łasky, Hieronymus: Historia arcana legationis, nomine Johannis regis, ad Soymannum Turcarum imperatorem susceptae […]. In: Bél, Bd. I (wie Anm. 4), 159–189. Über den Autor, sein Werk bzw. über die politischen Verhältnisse der Zeit siehe Két tárgyalás Sztambulban. Hieronymus Łaski tárgyalása a töröknél János király nevében, Habardanecz János jelentése 1528. nyári sztambuli tárgyalásairól [Zwei Verhandlungen in Istanbul. Die Verhandlung des Hieronymus Łaski im Namen des Königs Johann mit den Türken, Bericht des Johann Habardanecz über seine Verhandlungen im Sommer 1528]. Hg. v. Gábor Barta u.a. Budapest 1996, 5–61. – Fodor, Pál: A Bécsbe vezető út. Az oszmán birodalom az 1520-as években [Der Weg nach Wien. Das Osmanische Reich in den 1520er Jahren]. In: Ebd., 63–96. Bél, Notitia, Bd. III (wie Anm. 3), 262f, 267–286. Bocatius, Johannes: Commentatio epistolica de legatione sua ad Stephanum Botskay, Transylvaniae principem, et suscepta cum eo, VI. Nov. Anno MDCV., in Campos Rákos, profectione […]. Accessit eiusdem Iaurinum redivivum. In: Bél, Bd. I (wie Anm. 4), 317–352. Über das Treffen siehe Szakály, Ferenc: Amikor a bárány a farkassal társalgott … Bocskai István és Lalla Mehmed nagyvezír rákosmezei találkozójának hátteréről [Als sich das Lamm mit dem Wolf unterhielt … Über den Hintergrund der Begegnung Stefan Bocskais und Lalla Mehmeds auf dem Rákosmező]. In: Bocskai kíséretében a Rákosmezőn. Emlékiratok és iratok Bocskai István fejedelem és Lalla Mehmed nagyvezír találkozójáról 1605. november 11. Hg. v. Ferenc Csonka und Ferenc Szakály. Budapest 1988, 5–48. Über Person und Werk von Bocatius siehe das Nachwort von Ferenc Csonka in Bocatius, János: Öt év börtönben (1606–1610) [Fünf Jahre in Gefangenschaft (1606–1610)]. Hg. v. Ferenc Csonka. Budapest 1985. So in der Beschreibung von Pest in Bél, Notitia, Bd. III (wie Anm. 3), 72–85. Für Ofen siehe ebd., 351–354.

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„gerissen“, aber „ausgezeichnete Diplomaten“ in den Verhandlungen mit Christen. Diese Schlussfolgerung zog er beispielsweise in seinen Kommentaren zu Busbecqs Erzählung: Der Gesandte hatte berichtet, dass sich der Pascha von Ofen mit einer geschickten Argumentation weigerte, die trotz des Waffenstillstandes eroberten Gebiete zurückzugeben. Bél nahm das als Beleg für die hervorragenden diplomatischen Fähigkeiten der Osmanen.27 Eine ähnliche Meinung äußerte er auch hinsichtlich der Verhandlungen des Hieronymus Łaski: Die Osmanen gingen „schlau und verzögernd“ vor, sobald sich ein diplomatischer Ausgleich anbahnte.28 Auch der „Eidbruch“ als verbreiteter Topos fehlt bei Bél nicht. Die Bezeichnung perfida gens („untreues oder eidbrüchiges Volk“) lässt sich mehrmals finden, so zum Bsp. im Zusammenhang mit den oben erwähnten Verhandlungen Stefan Bocskais29 oder mit der Verlesung des osmanischen Briefes, der die Stadt Ödenburg (ung. Sopron) 1683 zur Kapitulation aufforderte.30 Laut Bél waren die Osmanen allerdings nicht nur eidbrüchig, sondern gleichzeitig auch „misstrauisch“ (prona, ad male suspicandum, gens haec barbara). Diesen Schluss zog er als Lehre aus folgender Episode: Als der erkrankte Pascha von Ofen – der letztlich wieder gesundete – um den Arzt des Gesandten bat, sich daraufhin aber sein Zustand weiterhin verschlechterte, befürchtete Busbecq, dass sich der Zorn der Untertanen gegen ihn richten könnte, falls der Pascha den Tod finden sollte. Eine ähnliche Geschichte wusste Bél dem Bericht eines Freundes folgend wiederzugeben: So wurden christliche Ärzte, die in Konstantinopel einem erkrankten osmanischen Würdenträger auf dessen Wunsch hin behandelt hatten, nach dessen Tod angeklagt.31 Eine weitere wichtige Rolle für Béls „Türkenbild“ spielten die „Exotika“, d.h. seine Bewunderung für die speziellen Gewohnheiten und Lebensarten der Osmanen. Zwar wurden auch diese von ihm in einen negativen Kontext gestellt; die langen Zitate weisen aber darauf hin, dass Bél dem Thema eine erhöhte Aufmerksamkeit schenkte. So zitierte er zum Bsp. Busbecqs Beschreibung über die Janitscharen und deren Tracht oder beschäftigte sich mit dem Weingenuss der Osmanen. Er weiß auch davon zu erzählen, wie diese ihr „schlechtes Gewissen“ mit zahlreichen Entschuldigungen und Ritualen zu beruhigen versuchten. Busbecq berichtete beispiels27

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„Egregii, scilicet, pacis & mutorum foederum, artifices Turcae, semper habiti sunt.“ Ebd., 331. Etwas weiter oben – als Einleitung zu Busbecqs Worten – merkt er an, dass sich der Pascha „unrecht“ und „sehr betrügerisch“ verhalten habe: „Rem, ab urbis praefecto, sic satis inique, & cum eximia gestam fraude, memoravisse nunc iuverit.“ Ebd. Ebd., 272. Bocskai gab vor den Verhandlungen einem seiner Vertrauensmänner, falls er nicht zurückkehren würde, den guten Rat: „Meo exemplo moniti, cavete Turcarum infidae genti, vos unquam credatis.“ So zumindest nach der lateinischen Übersetzung Béls. Ebd., 85. Das Adjektiv „eidbrüchig“ kommt im ungarischen Originaltext nicht vor! „Ut porro securior esset fides, simul litteras Vezirii reddit [sc. legatus], Turcis Athname vocatas, quibus, et urbi et his qui isthuc perfugerant, incolumitatem omnem, solita perfidae gentis, gloriatione, compromittebat.“ Bél, Mátyás: Sopron vármegye leírása [Die Beschreibung des Komitats Ödenburg]. III Bde. Hg. v. Katalin Kincses. Budapest 2001–2006, hier Bd. III, 130. Siehe auch Ders.: Notitia Hungariae novae historico-geographica […] Comitatuum ineditorum Tomus II. in quo continentur […] Comitatus Soproniensis, Castriferrei, Szaladiensis et Veszprimiensis. Hg v. Gregorius Tóth. Budapestini 2012, 129. Bél, Notitia, Bd. III (wie Anm. 3), 327 f.

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weise von einem alten „Türken“, der vor dem Trinken aufschrie, damit sich seine Seele in seinem Körper irgendwo „verstecke“, während er eine Sünde beging.32 Bél hielt das für lächerlich und verknüpfte damit am Ende der Geschichte eine spöttische Bemerkung über den Islam.33 Aber auch eine gewisse Überheblichkeit des evangelischen Pfarrers gegenüber der „heidnischen Religion“ lässt sich darin konstatieren. Gleichfalls zitierte er die schaurige Geschichte Busbecqs, wie osmanische Soldaten ihm ihre Tapferkeit dadurch beweisen wollten, dass sie ihre durchstochenen oder aufgeschlitzten Körperteile zeigten.34 Aus Tafferners Werk übernahm er den Empfang der kaiserlichen Gesandtschaft von 1665 in Ofen, der mit großem Prunk und einer prächtigen Militärparade ablief. Die Darstellung ist so angelegt, dass sie den „Türken“ einen unsteten Charakter bescheinigt: Sie liebten das Blutvergießen, aber auch ein eleganter Umgang sei ihnen nicht fremd.35 Schließlich thematisierte Bél eine – von ihm unterstellte – Anspruchslosigkeit der Osmanen im Alltagsleben. Am Ende der Beschreibung von Bocatius über Ofen, in der der Bürgermeister von Kaschau den tragischen Zustand der Stadt umfassend geschildert hatte, schrieb Bél, er verstände nicht, wie die Ungarn mit den Türken in „diesem ekelhaften Dreck“ zusammenwohnen konnten, da sie ja sonst Sauberkeit mochten.36 Das „Türkenbild“ Béls stützte sich auf die ihm zur Verfügung stehenden narrativen Quellen. Es unterschied sich nicht von der geläufigen öffentlichen Meinung des damaligen christlichen Europas, wonach die Osmanen „blutlüstern“, „grausam“, „verschlagen“, „untreu“, „barbarisch“ usw. gewesen seien.37 Die räumliche Distanz zu den osmanischen Gebieten könnte bei Bél zu einer Wahrnehmung der „orientalischen Welt“ als exotisch geführt haben, wenngleich ein solcher Ansatz in seinen Schriften nie im Vordergrund stand.38

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Ebd., 328–330. „Sic se habet religio, quam dolus Mahomedi finxit […].“ Ebd., 330. Bél kommentierte die Geschichte mit den Worten, dass jene die „Schande der Menschheit“ seien. Ebd., 332. „Servavit nobis rei gestae memoriam, Paullus Taffernerus […] quam heic excerptam dabimus, ut constet, quam sit Turcis versatile ingenium, &, cum ad crudelitatem pronum, tum etiam proclive ad elegantiam, si ita poscat occasio.“ Ebd., 362. Zur Beschreibung des Empfangs der Gesandten siehe ebd., 362 f. Ebd., 353. Über das europäische, genauer deutsche „Türkenbild“ und dessen Veränderungen siehe Barbarics, Zsuzsa: „Türck ist mein Nahm in allen Landen …“ Kunst, Propaganda und die Wandlung des Türkenbildes im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. In: Acta Orientalia Academiae Scientiarum Hungaricae 54 (2001), 257–317. Über die veränderte europäische Wahrnehmung der osmanischen Kultur als „exotisch“ siehe Etényi, Nóra G.: Hadszíntér és nyilvánosság. A magyarországi török háború hírei a 17. századi német újságokban [Kriegsschauplatz und Publizität. Die Nachrichten des ungarischen Türkenkrieges in den deutschen Zeitungen des 17. Jahrhunderts]. Budapest 2003, hier 74–77.

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Schadensbericht und „Spurenrettung“ – Ungarn nach der osmanischen Herrschaft Einer der größten Verdienste der Notitia ist, dass sie Informationen über das zeitgenössische Ungarn enthält, die unmittelbar auf dem „Schauplatz der Ereignisse“ gesammelt wurden. Diese Datensammlung liefert mit der Beschreibung der einzelnen Komitate zwar Berichte auf unterschiedlichem Niveau, dennoch zeugt sie von persönlichen Erfahrungen und fundierten Kenntnissen der von Bél beauftragten Mitarbeiter. In der Darstellung der postosmanischen Verhältnisse tauchen an einigen Stellen auch meist negativ konnotierte Erinnerungen an die „Türkenzeit“ auf. Drei markante Schwerpunkte lassen sich dabei konstatieren: die Verwüstungen, die Baudenkmäler und schließlich – auf gesellschaftlicher Ebene – das „türkische Erbe“, d.h. die in den 1720er und 1730er Jahren noch spürbaren osmanischen Kultureinflüsse. Am intensivsten reflektierte Bél in seinem Werk Veränderungen, die infolge der osmanischen Eroberung entstanden waren. Zu diesen gehörte vor allem der tiefgreifende Wandel der ethnischen Verhältnisse.39 In der Beschreibung der Stadt Újbánya im Komitat Bars erwähnt Bél, dass die Zipser Sachsen wegen des osmanischen Angriffs von 1664 verschwunden waren und seither Slowaken die Stadt bevölkerten.40 In Bakabánya ließe sich ein ähnlicher Vorgang beobachten: Wegen der osmanischen Verwüstungen von 1664 wurden die sächsischen Bewohner verdrängt. Auch hier ließen sich Slowaken nieder, die mit dem Bergbau nichts anzufangen wussten.41 Über das Komitat Komárom schrieb er, dass es beim Vormarsch der Osmanen gegen Wien oft heimgesucht und verwüstet worden war. Folglich fanden die Grundherren nach dem Rückzug der Osmanen, „ihre Güter fast menschenleer“ vor und mussten neue Siedler anwerben.42 Über das Komitat Bács-Bodrog berichteten ihm seine Gewährsleute, dass die meisten Ungarn während der „Türkenherrschaft“ abgewandert waren und seither an ihrer Stelle viele Serben wohnten.43 Nach Béls Kenntnissen hatte sich die ungarische Bevölkerung auch im Komitat Közép-Szolnok außerordentlich stark vermindert, dafür ließen sich walachische Siedler nieder.44 39

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Über die demographischen und ethnischen Veränderungen während der Osmanenherrschaft in Ungarn siehe Dávid, Géza: Some Aspects of 16th century depopulation in the Sanjaq of Simontornya. In: Acta Orientalia Academiae Scientiarum Hungaricae 28 (1974), 63–74. – Ders.: Data on Continuity and Migration of the Population in 16th Century Ottoman Hungary. In: Acta Orientalia Academiae Scientiarum Hungaricae 45 (1991), 219–252. – Ders.: Studies in demographic and administrative history of Ottoman Hungary. Istanbul 1997. – Rácz, István: A török világ hagyatéka Magyarországon [Der osmanische Nachlass in Ungarn]. Debrecen 1995, 83– 171. Bél, Notitia, Bd. IV (wie Anm. 3), 222 f. Ebd., 709 f. Ders.: Comitatus Comaromiensis. Manuskript. EFK, Hist. I. iiii (2), 38. Ders. (wie Anm. 14), 24 f. „[…] Hungari regionem incolunt, sed qui in supplementum Valachos pridem coacti sunt accipere. Namque frequentibus, quas Turcae intulerunt, cladibus, in paucitatem redacti, hospitia

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Von ähnlicher Relevanz war für Bél eine Bestandsaufnahme der vernichteten Bau- und Kunstdenkmäler. Wie schon bei der Beschreibung von Ofen zitierte er seine Quellen ausführlich im Hinblick auf den baufälligen königlichen Palast und die von Motten angefressenen „Corvinas“, den Resten der Corvinus-Bibliothek.45 Nicht nur die einstige Pracht der königlichen Residenz Visegrád (dt. Blindenburg) an der Donau, sondern auch deren Zerstörung durch die Osmanen schilderte Bél unter dem Titel triste rudus Visegradi.46 Diese Ausführungen illustrierte er mit zeitgenössischen Holzschnitten. Mit dramatischen Worten führte er aus, wie Stuhlweißenburg (ung. Székesfehérvár), der ehemalige Krönungsort und die einstige Ruhestätte der ungarischen Könige, am Ende der osmanischen Herrschaft ausgesehen habe: Die Osmanen hätten sich demnach nur um die Festungsmauern gekümmert, von den Kirchen seien kaum noch Spuren übrig gewesen, dazu seien die Königsgräber unwiederbringlich verschwunden.47 Zwangsläufig wurde Bél mit dem Problem konfrontiert, dass die Verwaltungsgrenzen der vorosmanischen Epoche nicht immer rekonstruierbar waren. Bei einigen Komitaten wusste man nach der Rückeroberung einfach nicht mehr, wo deren Grenzen genau verlaufen waren.48 Ein Beispiel stellte das Komitat Bodrog dar, dessen Lage Bél auf der Grundlage etymologischer Überlegungen abzuleiten versuchte. Den Namen des Komitats Bodrog, das zur Zeit der „Türkenherrschaft“ mit dem Komitat Bács vereinigt gewesen war, führte er auf das aus der slawischen Sprache stammende vode roch („Horn des Wassers“) zurück und stellte die Überlegung an, dass sich der Name damit auf das Becken zusammenlaufender Flüsse – in diesem Fall also der Theiß und der Donau – beziehen müsse.49 Das Komitat Bodrog wurde nach dem Krieg von 1683 bis 1699 fälschlicherweise am Zusammenfluss von Donau und Theiß wieder eingerichtet, obwohl es im Mittelalter am linken Donauufer, gegenüber der zum Komitat Baranya gehörenden Mohatsch-Insel, gelegen war. Auch Bél akzeptierte – gestützt auf eine falsche Etymologie – dessen Neuerrichtung. Diese Fehleinschätzung kam auch dadurch zu Stande, dass der ehemalige Marktflecken und die Burg Bodrog vernichtet wurden und nicht mehr zu lokalisieren waren.50 Mehr Glück hatte er bei der geographischen Bestimmung des Komitats Torontál, das ebenso unter osmanischer Herrschaft gestanden hatte. Allerdings lokalisierte er anfangs auch dieses falsch, da er glaubte, dass Torontál nur die ältere

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genti peregrinae, et ex vicinia Valachia, huc propagatae, praebuere.“ Ders.: Historia Comitatus Szolnok Mediocris. Manuskript. EFK, Hist. I. kkk, 18. Ders., Notitia, Bd. III (wie Anm. 3), 468–505. „Die traurigen Ruinen von Blindenburg“, ebd., 470. Ders.: Descriptio Comitatus Alba-Regalensis cum effigiebus regum Hungariae cupro expressis. EFK, Hist. I. c, 145. Über diese Frage grundlegend Pesty, Frigyes: Az eltűnt régi vármegyék [Verschwundene alte Komitate]. II Bde. Budapest 1880. „Ad hunc regionis habitum respexisse credo priscos, illos homines, qui Comitatum hunc Bodrogh appellavere, id enim nihil est aliud, quam Vode Roch, seu aquarum cornu isthic in unum alveum coeuntium: sicuti norunt Sarmaticae, Slavicaeque linguae gnari.“ Bél (wie Anm. 14), 3. Über die Geschichte des Komitats Bodrog und dessen unzutreffender Neuorganisation siehe Pesty (wie Anm. 48), 219–253.

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Namensvariante des Komitats Békés gewesen war.51 Später aber legte ihm ein Freund die Kopie einer Urkunde von 1442 vor, aus der hervorging, dass das Komitat Torontál in Wirklichkeit um Groß-Betschkerek (ung. Nagybecskerek, serb. Zrenjanin) zu suchen war. Deshalb beschrieb er im Zusammenhang mit dem Komitat Temes bzw. dem Temeswarer Banat, wo das Gebiet des in Vergessenheit geratenen Komitats Torontál zu lokalisieren war.52 Eine besondere Aufmerksamkeit widmete Bél den im Land noch erhalten gebliebenen osmanischen Baudenkmälern,53 die für den Pressburger Gelehrten stets Anlass zur Empörung über die „Türkenherrschaft“ boten. In der Beschreibung des Komitats Baranya merkte er an, dass die dortige muslimische Bevölkerung die Gegend „hässlich verschmutze“ und die „Säuberung“ des Gebiets noch längere Zeit bedürfe. Ebenso verächtlich schrieb er über die „noch immer stinkenden Spuren der Barbaren“, obwohl sie schon längst „verjagt“ worden seien.54 Bél dachte hier offensichtlich nicht in erster Linie an die Gebäude, aber zweifellos zählte er auch die Moscheen zu diesen Spuren. Seine Beobachtungen bezogen sich zum Teil auch auf die Verteidigungsanlagen der Osmanen.55 Im Zusammenhang mit dem Gerhardsberg bei Ofen erwähnt er, dass hier einst eine dem Hl. Gerhard gewidmete Kirche gestanden hatte, die von den Osmanen zu einer Festung umgebaut worden war.56 In der Nähe der Stadt Szécsény hätten die Osmanen den Fluss Ipoly entlang der Weide mit einer noch immer erkennbaren Schanze befestigt, damit die Ungarn die Tiere nicht wegtreiben konnten.57 Über die von Ofen südlich gelegene Siedlung Érd wusste er zu berichten, dass sie von den Osmanen zur befestigten Anlage umgebaut und nach dem kapudan Hamzabeg benannt worden war. Auch befand sich dort eine Moschee mit einem Minarett, die aber inzwischen von den Serben für kultische Handlungen genutzt wurde.58 Daneben fanden einige Profanbauten in Béls Werk Erwähnung. In der Beschreibung von Stuhlweißenburg zitierte er einen früheren Landschreiber namens Kristóf Parschitius, der 1688 in der Stadt insgesamt 278 „mit türkischem Schmutz verunreinigte Häuser“ (domos Turcica abominatione foedatas) gezählt habe.59 Auch Bél selbst schätzte die „türkischen“ Privathäuser gering: Über die südtransda51 52 53

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Bél, Matthias: Historia Comitatus Békesiensis. Manuskript. EFK, Hist. I. p, 1. Ders.: Comitatus Temesiensis. Manuskript. EFK, Hist. I. mmm, 153–161. Zusammenfassend über die türkischen Baudenkmäler in Ungarn Gerő, Győző: Türkische Baudenkmäler in Ungarn. Budapest 1976. – Ders.: Az oszmán-török építészet Magyarországon (Dzsámik, türbék, fürdők) [Die osmanisch-türkische Baukunst in Ungarn (Moscheen, Türben, Bäder)]. Budapest 1980. „Mahumedanorum profecto incolatus, turpiter regionem foedavit, ut diu vix potuerit repurgari. Et profecto foetent adhuc vestigia barbarae gentis, tametsi iam pridem eiectae.“ Bél, Matthias: Rerum Hungariae liber de comitatu Baranyensi. EFK, Hist. I. l, 15. Über die osmanische Burgbaukunst in Ungarn siehe Fodor, Pál: Bauarbeiten der Türken an den Burgen in Ungarn im 16.–17. Jahrhundert. In: Acta Orientalia Academiae Scientiarum Hungaricae 35 (1981), 55–88. Bél, Notitia, Bd. III (wie Anm. 3), 5. Ebd., Bd. IV, 118. Ders. (wie Anm. 47), 171–174. Ebd., 145.

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nubische Stadt Fünfkirchen schrieb er, dass die Osmanen hier viele Häuser zurückließen, die nach ihrer „barbarischen Art“ niedrig und mit flachem Dach erbaut worden waren, so dass sich in ihnen nur „kleine und schmutzige“ Wohnungen befanden.60 Er hatte aber nichts dagegen einzuwenden, dass manche dieser Gebäude auch nach der Rückeroberung weiter genutzt wurden. Über Fünfkirchen bemerkte er, dass die Dschami bereits von den Jesuiten für die Feier der Heiligen Messe benutzt wurde und dass das Salzamt sowie die Salpeterwerkstatt auch in ehemaligen rundförmigen türkischen Gebäuden Platz gefunden hatten.61 In der Beschreibung der Burg Szigetvár berichtete er, dass von dieser – abgesehen vom „türkischen Sanktuarium“, der zum Waffenmagazin umfunktionierten Süleyman-Moschee – nichts mehr erhalten war.62 In der Kirche jedoch, die „nach der Vertreibung der gottlosen Türken“ neu geweiht worden war, wurden wieder Messen gelesen.63 Die Inbesitznahme oder die „Degradierung“ der osmanischen Gebäude wurde in Béls Darstellung zum Sinnbild für den Sieg und die endgültige Vertreibung des Feindes. Einen ganz anderen Stil wählte und zu einer ganz anderen Wertung gelangte jedoch Bél bei der Beschreibung der „Türkenbäder“.64 So berichtete er, dass die Osmanen in der Stadt Nógrád, „nach der Gewohnheit dieses Volkes“, Wasserleitungen und Bäder gebaut hatten. Anerkennend kommentierte er das dortige Bad, in dem die Gäste dank eines Rohrleitungssystems die Wannen abwechselnd mit kaltem oder warmem Wasser füllen konnten.65 Auf die berühmten Ofener Bäder wollte er im geplanten, aber nicht vollendeten „naturgeographischen“ Band der Notitia (Liber III. Physicus) detaillierter eingehen; deshalb berichtete er über diese in der 60

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„Multas [sc. aedes] reliquerunt Turcae ex more suo barbare instructas, hoc est casularum instar, humiliore positu cum tecto plano, et modice edito, habitaculis exiguis, ac sordidis.“ Ders. (wie Anm. 54), 26. Über Fünfkirchen in der Osmanenzeit und dessen türkische Baudenkmäler siehe Szabó, Pál Zoltán: A török Pécs [Das türkische Fünfkirchen]. Pécs 1958. – Gerő, Győző: Pécs törökkori emlékei [Die türkischen Denkmäler von Fünfkirchen]. Pécs 1962. Ebd., 26 f. „In medio arcis nihil, praeter delubrum visitur, quod iam in armamentarium abiit.“ Bél, Matthias: Comitatus Simegiensis. Manuskript. EFK, Hist. I. ddd, 179. Über die Süleyman-Moschee siehe bei Molnár, József: Szigetvár török műemlékei [Die türkischen Baudenkmäler von Szigetvár]. Budapest 1958, 18–22. – Gerő, Az oszmán-török (wie Anm. 53). Bél weiß auch zu berichten, dass diese Moschee später zum Militärhospital umfunktioniert wurde. „Intra oppidum Templa duo visitur, alterum a Turcis relictum, turbinato vertice, atque plumbo intectum, cum gracili turricula, quod tamen depulsa impietate Turcica iam sacris oppidi communibus dedicatum est.“ Bél (wie Anm. 62), 180. Wahrscheinlich geht es um die Moschee von Ali Pascha, die später zur Pfarrkirche wurde. Molnár (wie Anm. 62), 22–27. Eine Zusammenfassung über die Türkenbäder in Ungarn mit einer Zusammenstellung der in den Quellen genannten einzelnen Bäder siehe bei Sudár, Balázs: Baths in Ottoman Hungary. In: Acta Orientalia Academiae Scientiarum Hungaricae 57 (2004), 391–437. „Turcae profecto, arce potiti, multum incolatu oppidi delectabantur, quod ex aquaeductibus, quos instituerunt, & positis, magno sumtu, ex gentis more, balneis, plane conieceris […]. Exstat huius molis [sc. balnei Turcici] rudus semiobrutum, ex quo, non obscure cognosci potest, adfabre factam, atque ita instructam fuisse, ut lavantes, quoties lubebat, per fistulas, iusto ordine discurrentes, nunc frigidam, nunc iterum calidam, immittere potuerint, in lacus balneatorios.“ Bél, Notitia, Bd. IV (wie Anm. 3), 144 f. Über die schriftlichen Erwähnungen des Türkenbads in der Stadt Nógrád siehe Sudár (wie Anm. 64), 423 f.

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Stadtbeschreibung nur kurz. Trotzdem wird deutlich, dass Bél die technischen Fähigkeiten der Osmanen zu schätzen wusste, indem er betonte, dass das sog. Spenger- oder Hospital-Bad (balneae Spengerianae seu Xenodochiales) „nach einer prächtigen Art“ (nitide) von Hassan Pascha errichtet worden war. An anderen Stellen hob er hervor, dass die „Türken“ in der Lage waren, unterirdische Wasserleitungen zu verlegen.66 Auch bei der Beschreibung der Stadt Erlau (ung. Eger) im Komitat Heves äußerte sich Bél anerkennend über die dortigen Bäder und die Fachkenntnisse der Osmanen.67 Das Interesse Béls dürfte sich auch damit erklären, dass er persönlich dem Badevergnügen zugeneigt war.68 Wie erwähnt, wollte er sich in dem nicht verwirklichten „naturgeographischen“ Band der Notitia damit ausführlich beschäftigen. Immerhin beschrieb er im Vorläuferwerk seiner Notitia namens Prodromus mit beinahe wissenschaftlicher Präzision zwei Bäder.69 Daneben beinhaltet Béls Werk Aufzeichnungen und Beobachtungen, die dazu geeignet sind, das Bild einer Kontinuität osmanischer Präsenz auch nach den „Befreiungskriegen“ zu zeichnen.70 Hierbei handelt es sich um kulturelle und wirtschaftliche Aspekte. Über Kecskemét etwa berichtete er, dass diese scheinbar an einer ungünstigen Stelle liegende Stadt ein beliebtes Handelszentrum sei, dessen Märkte auch von türkischen Händlern gerne aufgesucht würden.71 Über den Ofener Stadtteil Tabán führte er aus, dass mehrere hiesige Serben Handel betrieben: Sie verkauften hauptsächlich Waren (Kleidung etc.) aus dem Osmanischen Reich und erwarben damit ein großes Vermögen.72 Die aus den osmanischen Gebieten nach Ungarn gekommenen Serben praktizierten noch immer viele „türkische Gewohnheiten“, was auch den Mitarbeitern von Bél auffiel. Über das Komitat Baranya schrieb er, dass es während der osmanischen Herrschaft größtenteils von Raitzen bewohnt gewesen sei, die sich auch den „türkischen Gewohnheiten“ angepasst hätten: Ihre Wohnungen, ihre Kleider sowie ihre Gebrauchsgegenstände ähnelten denen der Osmanen; ebenso gebe es in ihrer Sprache zahlreiche türkische Lehnwörter.73 In Zusammenhang mit dem Komitat Bács-Bodrog stellte er fest, dass ein Teil der Serben bzw. überhaupt der dortigen Einwohner „nach Art der Türken“

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Bél, Notitia, Bd. III (wie Anm. 3), 456, 460. Über die Türkenbäder in Buda siehe Sudár (wie Anm. 64), 401–416. Bél, Matthias: Comitatus Hevesiensis. Manuskript. EFK, Hist. I. z (2), 393 f. und Hist. I. z (4), 74. Über die Türkenbäder in Erlau siehe Sudár (wie Anm. 64), 416–418. Er setzt das Konzept der Beschreibung des Komitats Bars an einer Stelle so fort: „Inchoatum die 10. Iulii, post reditum ex thermis Wyhnensibus, 1730.“ Bél, Matthias: Historia Comitatus Barchiensis. Manuskript. Ústredná Knižnica Slovenskej Akadémie Vied – Lyceálna knižnica [Slowakische Akademie der Wissenschaften – Zentralbibliothek] Bratislava, 427. kt. 381. – Tóth (wie Anm. 1), Nr. 14/II. Bél, Prodromus (wie Anm. 3), 128–149. Zu dieser Frage siehe Rácz (wie Anm. 39), 67–82. Bél, Notitia, Bd. III (wie Anm. 3), 154. Ebd., Bd. III, 454. „Incolarum plerique Rasciani fuerunt; ideoque moribus Turcarum adhuc adsueti. Domicilia, vestitum reliquamque supellectilem ad eorum ritum conformant. Voces etiam Turcicas, in lingua eorum, quae Illyrica est, observes.“ Ders. (wie Anm. 54), 15.

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niedrige Tische verwendeten, an denen sie mit gekreuzten Beinen – also im „Türkensitz“ – saßen.74 Insbesondere im Temeswarer (ung. Temesvár, rum. Timişoara) Banat – bei Bél „Komitat Temes“ genannt – traten Spuren osmanischer Kultur zu Tage. Dafür gibt es eine einfache Erklärung: Der größte Teil des Königreiches Ungarn konnte im 1683 ausgebrochenen Krieg der „Heiligen Liga“ gegen das Osmanische Reich, der mit dem Frieden von Karlowitz 1699 endete, von den Habsburgern zurückerobert werden; das Temeswarer Banat aber verblieb bis zum Frieden von Passarowitz 1718 unter osmanischer Oberhoheit. Ein osmanischer Einfluss war daher in den 1720er und 1730er Jahren, als Bél seine Daten erhob, noch mehr oder weniger stark ausgeprägt. So beschwerte sich der Pressburger Gelehrte darüber, dass die Rinderviehzucht in dieser Gegend vernachlässigt werde, wofür allein die „Barbaren“ – also die Osmanen – verantwortlich seien, da sie das Rindfleisch „verachteten“.75 Während der „Türkenzeit“ habe es eine große Anzahl von Freiwild gegeben, woraus er folgerte, dass die Osmanen „nach jüdischer Gewohnheit“ nur die von ihnen selbst geschlachteten Tiere verzehrte.76 Nebenbei erwähnte er „türkische Einwohner“ in Temeswar, worunter die Kaufleute zu verstehen sind.77 Über diese wusste er Folgendes zu berichten: Die Osmanen verkauften gerne Melonen, wobei jedem Kunden jeweils ein kostenloses Probestück angeboten wurde – im Königlichen Ungarn sei bereits das nur gegen Bezahlung möglich gewesen.78

Zusammenfassung Matthias Bél galt als der erste bedeutende Geschichtsschreiber des postosmanischen Ungarn. Über „die Türken“ schrieb er durchweg mit einer starken Antipathie und Befangenheit, teils wegen der noch immer blühenden und im Krieg von 1714 bis 1718 erneut aufflammenden antitürkischen Propaganda, teils aus eigenen, von historischen Werken bzw. der öffentlichen Meinung beeinflussten Gedanken. Diese Befangenheit hatte ihren Ursprung in mehreren subjektiven Berichten und Quellen; persönliche Erfahrungen mit den „Heiden“ konnte er schon aus Altersgründen kaum sammeln. Im Vordergrund seiner Berichterstattung standen die Zerstörungen der Osmanenzeit, also die negativen Aspekte dieser Herrschaft, wenn er auch einzelnen Leistungen dieses von ihm verachteten Feindes durchaus Anerkennung zollte. Die Sehnsucht nach Konsolidierung der von Kriegen erschütterten Heimat

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Ders. (wie Anm. 14), 27. „Nec dubito fore, quin successu temporum compensentur neglectus rei boariae, quem barbara gens, bubulae carnis fastidio, tot annorum tyrannide invexit.“ Ders. (wie Anm. 52), 27. „Olim affluebant omnia cervis, damis, capreis, lupicapris, leporibus et vulpibus, praesertim sub iugo Turcorum, qui animantibus feris haud vescuntur, nisi quas pro more Iudaico, ipsi, cultro, vivas mactarunt.“ Ebd. Ebd., 146. Ebd., 26.

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prägte seine Sichtweise, weshalb er den 1703 ausgebrochenen Kuruzzenkrieg mit einer ähnlichen Leidenschaft verurteilte.79

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Damit stand er nicht allein, denn sein Zeitgenosse, der Siebenbürger Mihály Cserei (1668– 1756), vertrat ebendiesen Standpunkt. Vgl. Cserei, Mihály/Pap, Ferenc: Erdély históriája [Die Geschichte Siebenbürgens]. Kolozsvár 2005, 129–192, bes. 135, 185.

Dénes Sokcsevits

Das Ungarnbild in der kroatischen Literatur vor dem Illyrismus In der Geschichte Europas gibt es durchaus Beispiele dafür, dass zwei Nationen, deren Sprachen gravierende Unterschiede aufwiesen, kulturell so eng miteinander verbunden waren wie die Ungarn und Kroaten. Das gegenseitige Bild war entscheidend geprägt durch das jahrhundertealte Zusammenleben, die ungarisch-kroatische Personalunion und das gemeinsame historische Schicksal, das beide Völker seit der Wende zum 12. Jahrhundert miteinander verband, später insbesondere durch den Kampf gegen den gemeinsamen Feind. Als Teil des abendländischen Kulturkreises diente in Gelehrtenkreisen Latein als Verkehrssprache, wodurch auch die Verbindung zu Italien und Westeuropa hergestellt war, obschon zahlreiche Ungarn des Kroatischen und zahlreiche Kroaten des Ungarischen mächtig waren.1 Die Chronisten der Region vermitteln in ihren Schriften über die ersten ungarisch-kroatischen Begegnungen – ob der militärischen Einfälle – kein positives Bild über die Ungarn. Laut kroatischer Fassung der Chronik des Pfarrers von Doclea trug König Tomislav (Reg. 910–928) nach jeder feindlichen Begegnung mit den Ungarn den Sieg davon.2 Die Quellen über die Anfänge der ungarisch-kroatischen Staatengemeinschaft – zum Bsp. die Chronik des Oberdekans Thomas von Spalato – entstammten nicht kroatischer Feder. Spalato selbst war von dalmatinisch-lateinischer Identität, wirkte jedoch später prägend auf die kroatische Historiographie. Von größerer Bedeutung ist die in Trau (kroat. Trogir) entstandene Fassung der Chronik, da diese das sog. Qualiter, auch Pacta Conventa, beinhaltet. Dieses Dokument, das zwischen dem ungarischen König Koloman, genannt der Buchkundige (Reg. 1095–1116), und zwölf vornehmen kroatischen Geschlechtern an der Drau geschlossen worden war, spielte im 19. Jahrhundert eine zentrale Bedeutung im Diskurs um die Rolle Kroatiens innerhalb des ungarischen Staates. Es enthielt folgende maßgebliche Punkte: Koloman und dessen Nachfolger wurden als kroatische Könige anerkannt, den kroatischen Ständen wurden zahlreiche Privilegien zugesichert und der kroatische Landtag, genannt Sabor, wurde bestätigt. Gemäß dieser Quelle entstand die ungarisch-kroatische Personalunion nicht infolge einer Eroberung, sondern resultierte sie aus der freiwilligen Fügsamkeit der kroatischen Stände unter die Oberhoheit der Arpadendynastie (1000–1301). Für die kro1

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Das Ungarnbild der Kroaten bzw. das Kroatenbild der Ungarn habe ich ausführlicher in zwei Monographien behandelt. Sokcsevits, Dénes: Magyar múlt horvát szemmel [Ungarische Vergangenheit aus kroatischer Perspektive]. Budapest 2004. – Ders.: Hrvati u očima Mađara, Mađari u očima Hrvata. Kako se u pogledu preko Drave mijenjala slika drugoga [Die Kroaten in den Augen der Ungarn, die Ungarn in den Augen der Kroaten. Wie sich das Bild des Anderen in der Sichtweise beider Seiten der Drau verändert hat]. Zagreb 2006. Vgl. Šišić, Ferdo: Letopis popa Dukljanina [Annalen des Popen Dukljanin]. Beograd 1928.

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atische Geschichtswissenschaft und die öffentliche Meinung im 19. Jahrhundert war die Pacta Conventa (1102) unantastbar, diese zu hinterfragen wäre beinahe einem Hochverrat gleichgekommen. Doch genau das taten die ungarischen Historiker, indem sie diese als eine spätere Einfügung ansahen und ihre Legitimität in Frage stellten.3 Im Mittelalter wurde das Ungarnbild der Kroaten wesentlich von dem weit verbreiteten ungarischen Heiligenkult geprägt.4 Dessen Ursprung hing mit der von König Ladislaus I., genannt der Heilige (Reg. 1077–1095), gegründeten Diözese von Agram (kroat. Zagreb) zusammen, in welcher er die Kathedrale dem ersten ungarischen König, Stephan dem Heiligen (Reg. 997–1038), weihen ließ. Die Gründung war freilich auch als ein politischer Akt zu verstehen: Die neue Dynastie versuchte sich auf diese Weise, durch einen heiliggesprochenen Vorfahren, Legitimation zu verschaffen. Die Verehrung ungarischer Heiliger war für die Diözese Agram besonders typisch, wenngleich auch in anderen Gegenden Kroatiens nicht unbekannt. Die Gründe für die Verbreitung des Stephanskults sowie die Verehrung anderer ungarischer Heiliger – zum Bsp. seines Sohnes, des Hl. Emerich, oder des Hl. Ladislaus, später der Hl. Elisabeth und Margarete, des Andreas Zoërard, in Istrien auch des Königs Salomon (Reg. 1063–1074) – waren in der ungarisch-kroatischen Gemeinschaft sowie den engen kirchlichen und kulturellen Beziehungen zu suchen. Freilich spielte die Diözese Agram mit deren Kathedrale St. Stephan die Hauptrolle bei der Verbreitung der ungarischen Heiligenverehrung im Königreich Kroatien. In Nordwestkroatien erinnern sogar Ortsnamen an sie, wie Kraljevec, Ladislavec und Jalžabet belegen. Die Kirchen der beiden letztgenannten Ortschaften wurden zu Ehren des Hl. Ladislaus und der Hl. Elisabeth geweiht. Die uns überlieferten kultischen Gegenstände und Reliquien überlebten auch die stürmischen Ereignisse der Vergangenheit, wie den Tatarensturm, die Plünderungen unter der Herrschaft der Osmanen und die großen Umbauten im Zeichen des Historismus am Ende des 19. Jahrhunderts, bei denen man, aus rein politischen Motiven, die vor allem im Barockstil gestalteten Statuen der ungarischen Heiligen beseitigen wollte, gleichwohl man diese Maßnahme mit stilistischen Unzulänglichkeiten zu begründen suchte. In der Kathedrale von Agram wurden zu Ehren des Hl. Stephan, des Hl. Ladislaus, des Hl. Emerich und der Hl. Elisabeth Altäre errichtet. Die Gestalt des Hl. Stephan erschien auch auf den 1297 und 1371 angefertigten Siegeln des Domkapitels, auf welchem er eine Abbildung der Kathedrale in den Händen haltend und vor Maria kniend zu sehen ist. Die Bildnisse Stephans, Emerichs und Ladislaus’ sind auch an der südlichen Wand der Sakristei der Kathedrale zu finden. Diese Wandge3

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Die Pacta Conventa wird im Kapitel über das Ungarnbild der kroatischen Geschichtswissenschaft detaillierter behandelt. In der moderneren kroatischen Geschichtswissenschaft war es Nada Klaić, der das Dokument als einen Einschub aus dem 14. Jahrhundert betrachtete, während es vor 1918 von kroatischer Seite allein Milan Šufflay war, der die Pacta Conventa als nicht authentisch bezeichnete. Mirković, Marija: Ugarski sveci u hrvatskoj likovnoj umjetnosti [Ungarische Heilige in der kroatischen Bildkunst]. In: Hrvatska/Mađarska. Stoljetne književne i likovno-umjetničke veze. Hg. v. Jadranka Damjanov und Fehér Tilda. Zagreb 1995.

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mälde stammen vermutlich aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Zudem wurde ein Altar für den Hl. Ladislaus im Sanktuarium des nördlichen Schiffes errichtet. Noch heute kann man dort ungarische Heilige auffinden. Aus dem Jahr 1400 ist der Kopf einer Stephansstatue vorhanden. Hergestellt wurde sie vermutlich in einer Bildhauerwerkstatt in Agram, die sich am Stil der Prager Parler orientierte. Der Kult um Stephan und die ungarischen Heiligen blieb allerdings nicht nur auf das Bistum Agram beschränkt: Zwei Messbücher aus Zara (kroat. Zadar) – das Illyrico aus dem Jahr 1327 und das Messbuch von Novak Kenez von 1368 – belegen, dass die Feiertage des Hl. Stephan, des Hl. Emerich, der Hl. Elisabeth und der Hl. Margarete auch in Dalmatien begangen wurden. Darüber hinaus – wie die kroatische Kunsthistorikerin Marija Mirković nachwies – wurde in der Diözese Agram wegen des Gedenktags für den Hl. Adalbert sogar der Gedenktag des Hl. Georg vom 23. auf den 24. April verlegt. Adalbert war nämlich, unabhängig seiner Abstammung, der Schutzheilige der ungarischen Erzdiözese Gran (ung. Esztergom) und galt somit in Kroatien als ungarischer Heiliger. Auch aus dem Barock sind zahlreiche Darstellungen ungarischer Heiliger in kroatischen Dorfkirchen überliefert. Die Kathedrale von Agram wurde im 17. Jahrhundert um mehrere solche Darstellungen bereichert. Die Gestalt des Hl. Stephan spielte in Agram auch deshalb eine wichtige Rolle, da der Gedenktag des Königs (20. August) zugleich auf den Tag des großen Kirchweihfestes der Kathedrale fiel. Dieses Ereignis wurde im 20. Jahrhundert auch im Drama des jungen Miroslav Krleža (1893–1981) mit dem Titel „Kirchweihfest am Tag des Heiligen Stephan“ (Kraljevo) beschrieben und erhielt somit einen Platz in der modernen kroatischen Literatur. Der Kult der ungarischen Heiligen in Kroatien wurde aus aktuellen politischen Gründen im 19. Jahrhundert immer blasser und verschwand praktisch 1918. Die von den Kroaten bewohnten Gebiete zeigten traditionell seit dem Mittelalter eine Doppelorientierung. So gehörte der nördliche Teil, nämlich das damalige Slawonien mitsamt Agram, dem mitteleuropäischen Kulturkreis an. Das einstige Königreich Kroatien mitsamt den dalmatinischen Städten dagegen hatte enge Verbindungen zum Mittelmeerraum, vor allem zu Italien. Seit Anfang des 15. Jahrhunderts besaßen sie – mit Ausnahme von Ragusa (kroat. Dubrovnik) – zudem direkte politische Verbindungen, da die Republik Venedig den größten Teil der östlichen Adriaküste beherrschte. Auf diese Weise setzte rasch eine Rezeption des italienischen Humanismus und der Renaissance unter den Kroaten Dalmatiens ein. Am Hofe des Renaissancekönigs Matthias I. Corvinus (Reg. 1458–1490) spielten neben den zahlreichen italienischen Humanisten und Künstlern auch die dalmatinischkroatischen Meister eine bedeutende Rolle. Die Beziehungen zwischen dem Königreich Ungarn und der Republik Ragusa waren von besonderer Bedeutung. Ihnen ist es zu verdanken, dass der Person Matthias Corvinus in der kroatischen Geschichtsschreibung und Belletristik des 16. und 17. Jahrhunderts eine bedeutende Rolle zukam. Einen anderen großen Ungarn betreffenden Themenkreis in der kroatischen Literatur der Renaissance und des Barocks bildete die Zeit der gemeinsamen Kämpfe gegen die Osmanen. Sowohl die Kroaten als auch die Ungarn widersetzten sich

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jahrhundertelang als Anrainer des Osmanenreiches und sog. Antemurale Christianitatis.5 Das Motiv des gemeinsamen Kampfes prägte besonders die kroatische Literatur des 16. Jahrhunderts, erschien aber auch in den Werken der kroatischen Humanisten. Ebenso spielten die ungarischen Helden der Osmanenkriege in der kroatischen und südslawischen Volksepik und Poesie eine wichtige Rolle.6 Die zahlreichen im 15. und 16. Jahrhundert entstandenen Heldenlieder bzw. ihre späteren Versionen berichteten über die ruhmreichen Taten von Johann Hunyadi, König Matthias Corvinus, Blasius Magyar oder Paul Kinizsi, dem Heerführer von Matthias Corvinus.7 Die ungarischen Kämpfer waren in der kroatischen und südslawischen Volksepik zumeist positiv konnotiert. Die einzige Ausnahme bildete der Banus von Temeswar (ung. Temesvár, rum. Timişoara) sowie Feldherr des ungarischen Königs Sigismund (Reg. 1387–1437), der aus Italien stammende Filippo Scolari (1369–1426).8 Außer ihm waren nur die Kuruzzen des Rákóczi-Aufstandes (1703–1711) negativ bewertet.9 Die Beurteilung der zeitgenössischen kroatischen Schriftsteller über die ungarische politische Elite hing von deren Verhältnis zum Osmanischen Reich ab. Ein gutes Beispiel dafür ist das Werk von Frano Andreis aus dem Jahr 1565, welches den Titel In filium Joannis Regis trägt. Darin wird der Sohn von König Johann Zápolya (Reg. 1526–1540), Johann Sigismund von Siebenbürgen (Reg. 1540–1571), heftig kritisiert, da er mit den Osmanen ein Bündnis gegen die Habsburger eingegangen war. Ein bestimmtes Heldenlied soll hier gesondert Erwähnung finden, da es die in der damaligen kroatischen Ständenation vorhandene Vorstellung über eine „gemeinsame Heimat“ – sowie das vorherrschende Hungarus-Bewusstsein – exemplarisch darstellt.10 In dessen Zeilen wurde der 1493 verloren gegangen Schlacht bei Krbava, in der der größte Teil des kroatischen Adels gefallen oder in Gefangenschaft geraten war, literarisch Ausdruck verliehen. Die Osmanen nahmen auch den 5 6

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Wegen ihres aus päpstlicher Sicht erfolgreichen Kampfes gegen die Osmanen ehrte Papst Leo X. (1475–1521) die Kroaten 1519 mit dem Topos Antemurale Christianitatis – „Vormauer der Christenheit“. Für eine Analyse der türkenfeindlichen Stereotype in der kroatischen Literatur siehe die Arbeit von Dukić, Davor: Sultanova djeca. Predodžbe Turaka u hrvatskoj književnosti ranog novovjekovlja [Die Kinder des Sultans. Die Vorstellungen der Türken in der kroatischen Literatur der Frühen Neuzeit]. Zadar 2004. Über die literarische Darstellung der ungarisch-kroatischen Kriege gegen die Osmanen, über die ungarischen Helden in der kroatischen Literatur bzw. über die Familie Zrinski sind von ungarischen Forschern bisher zahlreiche Studien und Bücher verfasst worden. So zum Bsp. von Ede Margalits, Rezső Szegedy, József Bajza, László Hadrovits, Sándor Iván Kovács, Tibor Klaniczay und István Lőkös. Auch viele kroatische Wissenschaftler befassten sich mit diesem Thema, so beispielsweise Ivan Kukuljević-Sakcinski, Franjo Fancev, Miroslav Kurelac und der bereits erwähnte Davor Dukić. Nach seiner Eheschließung auch als Pipo von Ozora bekannt, in der kroatischen Volksepik als Filip Magjarin. Siehe Dávid, András: Mostovi uzajamnosti [Die Brücken der Einsamkeit]. Novi Sad 1977, 48–52. Siehe dazu Varga, Szabolcs: Az 1527. évi horvát-szlavón kettős „királyválasztás“ története [Geschichte der doppelten „Königswahl“ von 1527 in Kroatien und Slawonien]. In: Századok 142/5 (2008), 1090–1093.

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Banus von Kroatien, den aus einer ungarischen Adelsfamilie stammenden Emmerich Derenčin (ung. Imre Derencsényi), gefangen. Ein unbekannter kroatischer Dichter beschrieb den Briefwechsel zwischen den Türken und dem kroatischen Banus wie folgt: „Der große Osman Pascha schreibt einen Brief Und sendet diesen an den Banus Derencsényi Er schrieb in seinem Brief wie folgt: Du ruhmreicher Banus Derencsényi, Lass mich durch Hungaria [ziehen] Und durch die breite, schöne Wiese von Udbina Damit ich die Beute nach Levante bringen kann Und dann werden wir gute Freunde sein.“11 Wie aber der Autor des Heldenliedes berichtete, lehnte der Banus das osmanische Angebot entschieden ab und antwortete wie folgt: „Ich lasse dich nicht durch Hungaria [ziehen], und durch die breite, schöne Wiese von Udbina, und ich brauche deine Freundschaft nicht!“12 Obwohl diese Arbeit das Ungarnbild der kroatischsprachigen Literatur sowie anderer kroatischer Quellen zum Gegenstand hat, müssen dennoch zwei lateinischsprachige Autoren aus Ragusa Erwähnung finden. Aelius Lampridius Cerva – die kroatische Fachliteratur bezeichnet ihn als Ilija Crijević – verfasste 1490 anlässlich des Todes von Matthias Corvinus einen jenen verherrlichenden Nekrolog namens Oratio funebris in regem Mathiam. In dem Nachruf betonte er besonders Matthias’ Mäzenatentum, was die Humanisten zu schätzen wussten. Cervas Verwandter war ein gewisser Ludovicus Cervarius Tubero (Ludovik Crijević). Dessen Werk mit dem Titel Commentarii de temporibus suis stellt eine profunde Quelle zur ungarischen Geschichte dar, vor allem für die Zeit von Matthias Corvinus und der Jagiellonen-Könige. Tubero zollte dem Renaissancehof von Corvinus große Anerkennung und betonte besonders das Mäzenatentum des Königs für Kunst und Architek11

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Im kroatischen Original steht allerdings statt „Hungaria“ „Kroatien“: „Knjigu piše Otman paša silni / Ter je šalje Derenčinu banu; / U knjizi mu biloj besjedio: / Derenčinu, svitla kruno banska, / Pusti mene priko Hrvatije, / Preko lipa polja od Udbine, / Da odvedem plino put Levante, / A mi ćemo biti prijatelji.“ Zitiert nach Hrvatske narodne junačke pjesme starijih razdoblja [Kroatische Heldenvolkslieder aus älteren Zeiten]. Hg. v. Eduard Osredečki. ŽeljeznoBeč 1985, 65. – Narodne epske pjesme [Nationalepos]. Teil 1. Zagreb 1964, 34–37. In der ungarischen Übersetzung jedoch heißt es „Hungaria“: „Levelet ír a nagy Otmán pasa / s elküldi azt Derencsényi bánnak / a levélben ő eképpen szólott: / Derencsényi, bánság dicső éke, / engedj által engem Hungárián / és Udbina tágas, szép mezején / hadd vigyem a zsákmányt Levantébe / és akkor mi jó barátok leszünk.“ „Ne puščam te priko Hrvatije, / Priko lipa polja od Udbine, / […] / Ni mi stalo tvoje prijatelstvo!“; „Nem engedlek által Hungárián, / és Udbina tágas, szép mezején, / s nem kell nekem a te barátságod!“ Vgl. ebd., 37.

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tur. Vladimir Vratović kam zu dem Schluss, dass Tubero, aus slawisch-kroatischem Bewusstsein heraus, unter den Humanisten und bildenden Künstlern, die am Hofe von Matthias Corvinus tätig waren, seinen Landsleuten größere Aufmerksamkeit widmete; so zum Bsp. dem Dichter und Bischof Janus Pannonius, dessen slawische Abstammung er betonte, oder einem bedeutenden Bildhauer der kroatischen Renaissance, Ivan Duknović (auch als Giovanni Dalmata bezeichnet), der zuerst in Rom, dann am Hof des ungarischen Herrschers gearbeitet hatte.13 Tubero stellte König Matthias als eine widersprüchliche Persönlichkeit dar. Er schrieb ihm diverse Charakterzüge – wie majestätische Größe, Eitelkeit, Kleinlichkeit und Falschheit – zu. Dadurch ergab sich ein recht eigenartiges Bild des Herrschers: Tubero zufolge prägte gerade die Falschheit die Beziehung zwischen Matthias Corvinus und Duknović. So deutet er an, dass Matthias dem Bildhauer die Burg Majkovec schenkte, anstatt ihn anständig zu bezahlen, und wies darauf hin, dass dies letztlich nur leere Worte gewesen seien, da – wie der König wohl wusste – die Burg rechtmäßiges Eigentum des Priors von Vrana gewesen war. Trotzdem erscheint Matthias in der kroatisch-volkstümlichen Erinnerungskultur insgesamt als eine ausgesprochen positive Figur. Einem Sprichwort im kajkavischen Dialekt zufolge gebe es keine Gerechtigkeit, solange Matthias schlafe.14 Im gleichen Atemzug aber charakterisierte Tubero den ungarischen Adel auffallend negativ. Er bezeichnete ihn als hochmütig, neidisch, im Kapitel über den Bauernaufstand 1514 sogar als unmenschlich. Er berichtete auch darüber, dass Ungarn und Kroaten danach trachteten, einander an Tapferkeit zu überbieten und behauptete, dass die Türken allein die Ungarn, Kroaten und Moldauer gefürchtet hätten. Ebenso waren der Erzbischof von Gran, Kardinal Thomas Bakócz, und der Woiwode von Siebenbürgen, Johann Zápolya, bei Tubero negativ konnotiert. Seine Sympathie gegenüber Georg Dózsa und den aufständischen Bauern verbarg er dagegen kaum, verschwieg aber auch deren Gräueltaten nicht. Die Reden, die er Dózsa in den Mund legte, sind nicht nur rhetorische Meisterwerke, sondern beinhalten auch zahlreiche Kuriosa, so zum Bsp. Hinweise auf den ungarischen Abstammungsmythos der mittelalterlichen Chroniken, den Attila-Kult.15

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Vgl. Hrvatski latinisti: Croatici auctores qui latine scripserunt. Bd. 1. Hg. v. Veljko Gortan. Zagreb 1969, 323. Lukács, István: A megváltó Mátyás király színeváltozásai a szlovén néphagyományban és szépirodalomban [Die Metamorphosen der Gestalt König Matthias’ des Erlösers in der slowenischen Literatur und Volkstradition]. Budapest 2001. – Kriza, Ildikó: A Mátyás hagyomány évszázadai [Die Matthias-Tradition über die Jahrhunderte]. Budapest 2007. Das Werk Tuberos war populär, allein zwischen 1603 und 1784 wurde es viermal aufgelegt. Das Kapitel über Georg Dózsa findet sich im 10. Buch der Kommentare. In der neuesten kroatisch-lateinischen Fassung Tuberon, Ludovik Crijević: Komentari o mojem vremenu [Kommentare über meine Zeit]. Hg. v. Vlado Rezar. Zagreb 2001. Auf Seite 59 des kroatischen Bandes befindet sich die Geschichte über Dalmata und Matthias, die Rede von Dózsa findet man auf den Seiten 232 f. Im lateinischsprachigen Band 2 sind diese auf den Seiten 69 bzw. 236 bis 238 zu finden. Die einleitende Studie über das Wirken Tuberos wurde von Vlado Rezar verfasst. Rezar macht ebenfalls darauf aufmerksam, dass die Ungarn nicht durch Gewalt, sondern durch Erbgang auf den Thron Kroatiens gelangt waren. Vgl. ebd., Bd. 1, XXVIII.

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Der Kampf gegen die Osmanen nahm in der kroatischen Literatur des 16. Jahrhunderts einen zentralen Platz ein.16 In der Lyrik wurden die verhängnisvollen Ereignisse der ungarischen Geschichte thematisiert, so beispielsweise der Fall Belgrads (serb. Beograd), die Schlacht bei Mohatsch (ung. Mohács, kroat. Mohać) und die Eroberung Ofens (ung. Buda) durch die Osmanen. Ein kroatisches Gedicht soll dabei gesondert Erwähnung finden. Es trägt den Titel „Klagelied des ungarischen Königs Ludwig“ und stammt aus den Jahren nach der tragisch ausgegangenen Schlacht von Mohatsch 1526 von einem unbekannten Dichter. Auf Kroatisch wurde es erstmals von Franjo Fancev, auf Ungarisch von Josef Bajza veröffentlicht. Im Mittelpunkt des Werkes steht das Motiv des Fluchs: Der im Sterben liegende König Ludwig II. Jagiello (Reg. 1516/1522–1526) verfluchte die christlichen Herrscher, da sie einander bekämpften und somit ihn und sein Reich im Stich ließen.17 Angelehnt an die Gerüchte um den Tod von König Dmitar Zvonimir18 (1075–1089) wurde auch in diesem Gedicht der Königsmord betont: König Ludwig II. wäre demnach ermordet worden, noch bevor er mit seinem Pferd in den Bach Csele gestürzt sei. Das mit Mohatsch assoziierte Ungarnbild der Kroaten war im 16. Jahrhundert nicht ausschließlich positiv, was ein Brief belegt, wonach der kroatische Adel bereits damals, neben dem vorhandenen Hungarus-Bewusstsein, über eine eigene Identität verfügte.19 Der Verfasser des Briefs war Krsto Frankopan (ung. Kristóf Frangepán), Banus von Kroatien, der – obschon er Italien bereist hatte – kein gelehrter Humanist war, sondern Politiker und Heerführer. Er schrieb seine Briefe in kroatischer Sprache mit glagolitischen Buchstaben. Unmittelbar nach der Schlacht bei Mohatsch am 29. August 1526 ging sein Schriftstück bei Franz Jožefić, dem Bischof von Zengg (kroat. Senj), ein. Darin schilderte Frankopan dem Priester die aktuelle Lage, obgleich er die eigentliche Tragweite der kriegerischen Auseinandersetzung noch nicht einzuschätzen vermochte. Er nahm sogar an, dass der König 16

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Das trifft beispielsweise auf die Dichtungen Marko Marulić’ zu. Anzumerken ist bei ihm, dass er in seinem Gedicht „Gebet gegen die Türken“ (Molitva suprotiva Turkom) unter den gegen die Osmanen kämpfenden Nationen die Ungarn nicht auflistete. Bei einem anderen Gedicht dagegen – „Die Klage der Stadt Jerusalem“ (Tuženje grada Hjerozolima) – zählte er die Ungarn zu den potentiellen europäischen Bündnispartnern. Vgl. Lőkös, István: Zrínyi eposzának horvát előzményei [Die kroatischen Vorgänger des Epos von Zrínyi]. Debrecen 1997, 116. Fancev, Franjo: Mohačka tragedija god. 1526. u suvremenoj hrvatskoj pjesmi [Die Tragödie von Mohatsch 1526 in zeitgenössischen kroatischen Liedern]. In: Nastavni Vjesnik 1–2 (1934/35), 18–28. – Bajza, József: Egykorú horvát vers a mohácsi vészről [Zeitgenössisches kroatisches Gedicht über die Schlacht bei Mohatsch]. Egyetemes Philológiai Közlöny 60 (1936), 198–203. Über die lateinischsprachige kroatische Literatur wurde das Gerücht um den Königsmord gerade zu dieser Zeit allgemein bekannt, da es von Marko Marulić übersetzt worden war. Die eigene Identität der kroatischen Stände belegt u. a. deren an Ferdinand I. adressierter Brief vom 28. April 1527: „Nouerit maiestas vestra, quod inveniri non potest, et nullus dominus potencia mediante Croaciam occupaset. Nisi post discessum regis nostri ultimi Zvonymer dicti, felicis recordacionis, libero arbitrio se coadiunximus circa sacram coronam regni Hungariae, et post hoc nunc erga maiestatem vestram.“ Zitiert nach Klaić, Vjekoslav: Povijest Hrvata od najstarijih vremena do svrsetka 19 stoljeća [Geschichte der Kroaten von den ältesten Zeiten bis zum Ende des 19. Jahrhunderts]. Bd. 5. Zagreb 1982, 94.

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sich vor den Osmanen noch retten konnte. Andererseits erhoffte sich Frankopan von der Niederlage des königlichen Heeres eine mentale Umkehr der „hochmütigen“ ungarischen Stände, die im Falle eines Sieges unermesslich „eingebildet geworden“ wären: „[…] wenn der gerettet wurde, so glauben wir, Gott hat die Niederlage des Königs und der Ungarn nicht deshalb zugelassen, damit sich daraus Schwierigkeiten und Gefahr ergeben, sondern damit sie dem Land zugutekommt. Wenn aber die Ungarn jetzt den [osmanischen] Kaiser geschlagen hätten und ihr nutzloses Geplapper wohl zu Ende gegangen wäre, wer hätte sie noch länger ertragen können?“20 Freilich verbargen sich hinter den Ausführungen Frankopans auch persönliche Motive, da er vor der Schlacht bei Mohatsch in Ofen eine heftige Auseinandersetzung mit dem Erzbischof gehabt hatte, die mit einem „Bartzupfen“ endete. Das weitere Schicksal von Frankopan soll noch Erwähnung finden: Seine Unterstützung des „nationalen Königs“ Zápolya kostete ihn schließlich das Leben im darauf folgenden Bürgerkrieg. Eines der bekanntesten zeitgenössischen Werke über die Schlacht entstammt der Feder eines kroatischstämmigen hohen ungarischen Geistlichen namens Stefan Brodarics, wobei es ebenso Bestandteil der ungarischen lateinischsprachigen Literatur ist.21 Nach Mohatsch plädierte der kroatische Adel für ein selbstständiges Königreich, so die Botschaft. Dass jedenfalls die einstige Unabhängigkeit des Landes nicht aus dem Bewusstsein verschwunden war, belegt der an Ferdinand I. adressierte Brief der kroatischen Stände aus dem Jahr 1527: „Eure Majestät sollen erfahren, dass man einen solchen Herrscher nirgendwo finden kann, der Kroatien durch Gewalt erobert und beherrscht, da wir nach dem Tode unseres letzten Königs Zvonimir seligen Angedenkens, uns aus freiem Willen an die Heilige Krone des ungarischen Königreiches angeschlossen haben.“22 Von den kroatischen Renaissancedichtern beschäftigte sich vor allem Mavro Vetranović Čavcić (circa 1482–1576) aus Ragusa mit dem Schicksal Ungarns. In seinem Gedicht „Lied vom Ruhm des Kaisers“ (Pjesanca o slavi carevoj) beklagt er den Fall von Belgrad, dem „Bollwerk Ungarns“, und den Verlust der „vom Himmel geschickten ungarischen Krone“, also des gesamten Königreiches.23 Ein weiteres Gedicht Vetranovićs ist das „Klagelied der Burg Ofen“. In diesem aus 492 zwölfzeiligen Versen bestehenden Werk wird die Festung personifiziert. Sie beklagt das bittere Los Ungarns und Kroatiens, da beide im ungleichen Kampf von den christlichen Nationen im Stich gelassen worden seien und nur deshalb von den Osmanen unterjocht werden konnten. Die Burg Ofen fleht den in Weißenburg ru20 21

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Ebd., Bd. 4, 428. Brodericus, Stephanus: De conflictu hungarorum cum Solymano Turcarum Imperatore ad Mohach historia verissima. Bd. VI. Hg. v. Petrus Kulcsár. Budapest 1985. Siehe dazu Kasza, Péter: Megjegyzések Brodarics István életrajzához és irodalmi tevékenységéhez [Anmerkungen zur Biographie und den literarischen Tätigkeiten von Stefan Brodarics]. In: Pécsi szemle 13 (2010), 24–29. – Gőzsy, Zoltán: Brodarics István történeti munkája [Das historische Werk von Stefan Brodarics]. In: Ebd., 30–35. – Varga, Szabolcs: Brodarics István pécsi püspök (1532–1537) [Stefan Brodarics, Bischof von Fünfkirchen (1532–1537)]. In: Ebd., 18–23. Vgl. Anm. 19. Vgl. Pjesme Mavra Vetranovića Čavčića [Lieder des Mavro Vetranović Čavcić]. Teil 1. Zagreb 1871, 47.

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henden König Matthias an, aus seinem Marmorgrab emporzusteigen und als Retter herbeizueilen. Ähnlich beschwor der Dichter auch Johann Hunyadi, König Ludwig II. und alle gefallenen Märtyrer. In diesem Zusammenhang spielte Vetranović mit einem interessanten politischen Gedanken: Am Beispiel seiner Heimatstadt Ragusa stellte er die Frage, ob eine direkte Osmanenherrschaft nicht vermeidbar gewesen wäre, wenn die Ungarn die osmanische Oberhoheit anerkannt hätten, aber König Johann Sigismund sowie Königin Isabella treu geblieben wären.24 Ein bedeutendes Ereignis im literarischen Nachleben der gemeinsam geführten Kriege gegen die Osmanen war der Kampf von Nikolaus Zrinski (ung. Miklós Zrínyi) 1566 bei Sigeth (ung. Szigetvár). Unter dem Titel „Die Eroberung der Stadt Sziget“ (Vazetje Sigeta grada) befasste sich Brne Krnarutić aus Zadar mit diesem Thema. Es zeigt kroatischen Stolz, würdigt aber zugleich die ungarischen Mitkämpfer Zrinskis. Weitere im kajkavischen Dialekt geschriebene Werke hatten in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts in Nordwestkroatien – dem damaligen Slavonia Superior – ihre Blütezeit. Die erste profunde Arbeit dieser Gattung stammt von Ivan Pergošić (vor 1550–1592): Er übersetzte das Tripartitum von Stefan Werbőczy ins Kroatische und gab es 1573 unter dem Titel Decretum heraus. Pergošić schrieb wohlwollend über die Ungarn und betonte die hervorragende Rolle diverser Könige sowie der Zrinskis.25 Auch die beiden Verancsics (kroat. Vrančić) sollen nicht unerwähnt bleiben: Sie werden mit Recht sowohl der kroatischen als auch der ungarischen Literaturgeschichte zugeschrieben. Von den historischen Arbeiten des Erzbischofs von Gran, Anton Verancsics, sind vor allem jene Werke interessant, die das Leben Johann Zápolyas sowie des Mönchs Georg Martinuzzi (circa 1484–1551) behandeln. Verancsics zeichnet von Zápolya ein differenziertes Bild und verschwieg dabei weder seine schlechten noch seine guten Eigenschaften.26 Ebenso wichtig ist es in diesem Zusammenhang, den Brief von Verancsics an Magdalena Millaversi zu erwähnen.27 Darin beklagt er sich, dass Ungarn bzw. Siebenbürgen ob der Siege Süleymans zugrunde gerichtet worden seien, er selbst sei unter den „dickköpfigen Bergbewohnern“ zu einem halben Barbaren, zu einem „Bauerntölpel“ geworden, vergleichbar mit Odysseus’ Männern, die Kirke in Schweine verwandelt hatte. Der gebildete Humanist schilderte seinen damaligen Wohnort freilich nicht nur ob seiner Sehnsucht nach den südlichen Ländern wie Italien oder Dalmatien düster: „Der finstere Norden“ gehörte zu einem gängigen Topos in der Renaissance. Sein Neffe, der Humanist Faustus Verancsics (1551–1617), verfasste ein fünfsprachiges Wörterbuch, in dem er neben dem Kroatischen auch das Ungarische zu den „edelsten Sprachen“ zählte. Zugleich schrieb er im später entstandenen Anhang 24 25 26 27

Ebd., 52–65. Hrvatski kajkavski pisci [Kroatisch-kajkawische Schriftsteller]. Bd. 15/1: Druga polovina 16. stoljeća. Bearb. v. Olga Šojat. Zagreb 1977, 83 f. Antal Verancsics összes munkái [Sämtliche Werke von Antonius Verantius]. Hg. v. László Szalay und Gusztáv Wenzel. Budapest 1875. Dieser Brief an Maddalena Millaversi ist aufzufinden bei Banfi, Florio: Una lettera di Antonio Veranzio da Sebenico a Maddalena Millaversi da Ragusa. In: Archivio storico per la Dalmazia XIX (1935), 251–255.

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des Wörterbuchs über die slawischen (kroatischen) Lehnwörter im Ungarischen, dass diese „vocabula dalmatica quae Hungari sibi usurparunt“. Dabei bezog er sich auf „authentisch kroatische Wörter“, wie város (kroat. varoš für „Stadt“) und ország (kroat. rusag für „Land“), die allerdings die Kroaten nachweislich aus dem Ungarischen übernommen hatten.28 Auch in der türkenfeindlichen kroatischen Literatur am Ende des 16. Jahrhunderts spielten die Ungarn eine positive Rolle. Die Gebrüder Zrinski, Nikola und Petar, müssen dabei gesondert hervorgehoben werden. Bei ihnen war die doppelte Bindung und Identität besonders ausgeprägt, was sie in ihren Schriften unter Beweis stellten: So galt etwa die sog. Wesselényi-Verschwörung gegen die Habsburger 1666 als eine ungarisch-kroatische Unternehmung. Diese Verflechtung im Kampf gegen die Osmanen brachte Nikolaus Zrinski in seinem Epos „Die Gefahr von Szigetvár“ (Szigeti veszedelem) deutlich zum Ausdruck. Es erschien mit anderen Gedichten unter dem Titel „Sirene der Adria“ (Adriai Tengernek Syrenaia) 1651 in Wien auf Ungarisch. Sein Bruder Petar veröffentlichte es leicht modifiziert unter dem Titel „Die Belagerung von Sigeth“ (Obsida Sigecka) auf Kroatisch, den gesamten Band ließ er unter dem Titel „Sirene des Adriatischen Meeres“ (Adrianskoga mora sirena) 1660 in Venedig verlegen. Auch Pavao Ritter Vitezović (1652– 1713) thematisierte in seinen Gedichten an die ungarischen Aristokraten die kroatisch-ungarische Freundschaft, wobei diese auch viele, nicht unbedingt ungarnfreundliche Passagen enthielten: So bezog er in seinem Konzept über einen „großkroatischen Staat“ auch das Gebiet Pannoniens mit ein.29 Die ungarischen Helden der Türkenkriegszeit lebten in der kroatischen Barockliteratur weiter. Ivan Gundulić (circa 1589–1638) gedachte in seinem Werk „Osman“ dem Ruhm eines Matthias Corvinus und anderer Ungarn. Ende des 17. Jahrhunderts entstand das Epos „Heiliger Johannes, der Bischof von Trau, und König Koloman“ (Sveti Ivan biskup trogirski i kralj Koloman) von Peter Kanavelović (1637–1719), worin der Autor zwar ebenfalls Matthias Corvinus lobpreiste, doch zugleich auch Hilfe von Kaiser Leopold I. beim Kampf gegen die Osmanen erwartete.30 Noch im 18. Jahrhundert – als Ungarn und Kroatien von der Herrschaft der Osmanen längst befreit gewesen waren – war das Motiv der Türkenkriege in der 28 29

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Siehe den Anhang des Werkes von Verancsics, Faustus: Dictionarium quinque nobilissimarum Europae linguarum. Latinae, Italicae, Germanicae, Dalmatiae et Ungaricae. Repro. Zagreb 1992. Zum Ungarnbild des Vitezović siehe Berlász, Jenő: Pavao Ritter Vitezović, az illirizmus szülőatyja. Magyar-horvát viszony a XVII–XVIII. század fordulóján [Pavao Ritter Vitezović, der Vater des Illyrismus. Die ungarisch-kroatische Beziehung an der Wende des 17. zum 18. Jahrhundert]. In: Századok 120/5–6 (1986), 943–1002. Eine Kontextualisierung des Wirkens von Vitezović nimmt vor Bene, Sándor: Illyria or what you will: Luigi Ferdinando Marsigli’s and Pavao Ritter Vitezović’s “mapping” of the borderlands recaptured from the Ottomans. In: Whose Love of Which Country? Composite States, National Histories and Patriotic Discourses in Early Modern East Central Europe. Hg. v. Balázs Trencsényi und Márton Zászkaliczky. Leiden 2010, 351–404. Lőkös, István: A horvát irodalom története [Geschichte der kroatischen Literatur]. Budapest 1996, 99.

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kroatischen Literatur lebendig und das Bild der ungarischen Helden dementsprechend positiv. In dem Werk „Die Blüte der Gemeinschaft der illyrischen oder kroatischen Nation“ (Cvit razgovora naroda iliričkoga, aliti rvackoga, Venedig 1747) des dalmatinischen Franziskanermönchs Filip Grabovac (1697–1749) wurde die Herrschaft der ungarischen Könige im Vergleich zur Venezianerherrschaft ausgesprochen positiv beurteilt. Bei der Beschreibung der heidnischen Ungarn zählte Grabovac zunächst eine Reihe von negativen Stereotypen auf, allerdings nur, um die segensreiche Tätigkeit der heiligen Könige Stephan und Ladislaus sowie anderer „guter katholischer“ ungarischer Herrscher noch deutlicher hervorzuheben.31 Das Werk von Andrija Kačić Miošić (1704–1760) „Die angenehme Gemeinschaft der slawischen Nation“ (Razgovor ugodni naroda slovinskoga) erschien erstmals 1759 in Venedig. Im štokavischen Dialekt verfasst, war es im gesamten kroatischen Sprachgebiet, also auch in den kajkavischen Gebieten, sehr populär. Kačić schrieb fünf Gedichte über die ruhmvollen Kämpfe Johann Hunyadis. Auch er thematisierte im Zusammenhang mit der Schlacht von Mohatsch das Gerücht, wonach der König ermordet worden sei. Lediglich die Kuruzzen von Rákóczi erscheinen bei ihm in einem negativen Licht. Obwohl im 18. Jahrhundert die Konflikte zwischen den kroatischen und ungarischen Ständen zunahmen, verband sie wiederum die Abwehrhaltung gegen den Josephinismus. In diesem Zusammenhang verstärkte sich beim kroatischen Adel das Bild der auf Freiheit und ständische Rechte pochenden Ungarn. Matthias Peter Katančić (1750–1825) verfasste anlässlich der Überführung der Heiligen Krone nach Pressburg 1790 eine Ode mit dem Titel „Die edlen Banderien des Königreiches Kroatien begeben sich zur Bewachung der ruhmvollen ungarischen Krone auf den Weg von Agram nach Ofen“ (Plemenita horvatskog kraljevstva četa slavnu madjarsku krunu za čuvat iz Zagreba se u Budim dileća). Er pries anlässlich der Amtseinführung von Banus Johann Erdődy (1790–1806) die „jahrhundertealte ungarisch-kroatische Bruderschaft“ in seinem Gedicht „Ungarische Laute“ mit folgenden Worten an: „Der Ungar hört den Ruf mit frohem Gemüt, er liebt den Kroaten als seinen guten Freund: Weil er mit ihm zusammenlebt, wie mit seiner Frau, wie auch bisher.“32 Eine Wende dieses positiven Ungar(n)bildes erfolgte jedoch mit dem Aufblühen des Nationalismus und den politischen Bestrebungen der kroatischen Elite. Auf dem Landtag zu Ofen 1790 entbrannte ein Konflikt bezüglich der gültigen Amtssprache: Die Ungarn wollten Ungarisch anstelle des Lateinisch durchsetzen. Die ungarisch-kroatischen Beziehungen prägte diese Auseinandersetzung in den darauf folgenden Jahrzehnten, wenn man auch bis 1825 von keinem permanenten Gegensatz sprechen kann.33 Der „Sprachkampf“ fand bald in der Literatur Widerhall. 31

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Siehe bei Botica, Stipe: Ugarske teme u djelima hrvatskih književnih prosvjetitelja [Ungarische Themen in den Werken kroatischer literarischer Aufklärer]. In: Croato-hungarica. Uz 900 godina hrvatsko-mađarskih povijesnih veza. Hg. v. Milka Jauk-Pinhak u.a. Zagreb 2002, 315–323. Zitiert nach Lőkös (wie Anm. 30), 144 f. Das bestätigt u.a. das gemeinsame Vorgehen der ungarischen und kroatischen Stände 1797 im Interesse der Wiedervereinigung Dalmatiens mit den Ländern der Heiligen Ungarischen Ste-

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Exemplarisch dafür steht das Gedicht von Titus Brezovački (1757–1805), eines bekannten kroatischen Dramatikers des ausgehenden 18. Jahrhunderts, der in seinem gegen die Ungarn, die ungarische Sprache und den ungarnfreundlichen kroatischen Adel gerichteten Gedicht einen schärferen Ton anschlug. Darin behauptete Brezovački, dass die Ungarn „aggressiver als die Teutonen“ seien, wenn es um die Durchsetzung ihrer Sprache ginge. Er erkannte zwar den Ruhm des ungarischen Volkes an, fügt aber hinzu, dass es keineswegs ruhmvoller als das slawische Volk sei und betonte: „Wir sind freie Königreiche, wer sich seines Kroatentums schämt, möge sich den wilden Hunnen unterwerfen.“34 Auf dem Landtag zu Ofen sagte der Gesandte Franjo Bedeković dem reformierten Prediger Josef Keresztesi, dass die Kroaten „[…] die ungarische Sprache nicht einführen können, da [sie] genauso radikal wie die Ungarn sind, und es wäre eine große Schande, wenn sie mit der Zeit aufhörten, eine eigenständige Nation zu sein, und sie nur ein Knecht der Ungarn wären“.35 Auf jenem Landtag soll Banus Erdődy den bis zur Auflösung der ungarisch-kroatischen Staatengemeinschaft von kroatischer Seite oft zitierten Satz gesagt haben: „Regnum Regno non proscribit leges!“36 Doch erst infolge der Nationalbewegung im 19. Jahrhundert trat auch in der öffentlichen kroatischen Wahrnehmung eine fundamentale Wende ein, womit das positive Ungar(n)bild aus der Osmanenzeit einem durchweg negativen wich.

Zusammenfassung Die vorliegende Arbeit wollte einen Überblick über das Bild Ungarns in der kroatischen Literatur beginnend mit der Personalunion im 12. Jahrhundert geben. Standen die Chronisten des 10. Jahrhunderts noch unter dem Eindruck kriegerischer Auseinandersetzungen und zeichneten demnach ein negatives Bild des gegenseitigen Kontaktes, änderte sich dies mit den Pacta Conventa und der Anerkennung der Oberhoheit der Arpadendynastie seitens der kroatischen Stände. Die Verehrung ungarischer Heiliger festigte in der Folgezeit ein positives Ungarnbild bei „den Kroaten“. Der gemeinsame Kampf gegen die Osmanen, was einerseits die Verehrung ungarischer Kriegshelden in der südslawischen Volksepik und Poesie, andererseits den eigen Topos Antemurale Christianitatis umfasste, war prägend für das insgesamt geneigte Ungarnbild des 15. und 16. Jahrhunderts, teilweise hinein bis in das 18. Jahrhundert. Die letztlich erfolgreichen Türkenkriege und ihr Widerhall in der

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phanskrone sowie die Verschwörung von Ignaz Martinovics, an der sowohl Ungarn als auch Kroaten beteiligt gewesen waren. „Hungara clara est gens, sed non clarior ut Slavena.“ Das Gedicht von Brezovački zitiert nach črnja, Zvane: Kulturna historija Hrvatske [Kulturgeschichte Kroatiens]. Zagreb 1964, 391 f. Erstmals veröffentlicht von Fancev, Franjo: Dokumenti za naše podrijetlo hrvatskog preporoda [Dokumente zum Ursprung der kroatischen Renaissance]. Zagreb 1933. Šišić, Ferdo: Pregled povijesti hrvatskoga naroda [Überblick der Geschichte des kroatischen Volkes]. Zagreb 1962, 375. „Ein Königreich kann für ein anderes Königreich keine Gesetze erlassen!“

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kroatischen Literatur mündeten im 18. Jahrhundert in eine gemeinsame ungarischkroatische Abwehrhaltung gegen den Josephinismus, der allerdings von ersten Debatten um die Frage der gültigen Amtssprache zusehends überlagert wurde. Festhalten lässt sich, dass bis in das 19. Jahrhundert hinein das Ungarnbild der Kroaten in den konkreten Themen in Abhängigkeit der politischen Interessenlage variierte, nicht aber in der Sache selbst und blieb im Ganzen positiv konnotiert.

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The Die-Hardism of the Pre-Reform Ottoman World in Bosnia: Matija Mažuranić’s “Tourist” Visit (1839/40) Among various eyewitness reports on the life and society in parts of the Ottoman Empire written by foreigners before the formal beginning of the age of the reforms (Tanzimat) in 1839,1 the one produced by Matija Mažuranić (1817–1881) is particularly interesting for many reasons. The most important one is that he had experienced in person the very final stage of the old, pre-reform social and cultural milieu in the westernmost Ottoman province.2 Secondly, his mission was of a quite unique nature: he was a spy, but he was in a way commissioned by a half-illegal private circle, and not by official authorities. Mažuranić was of modest means, and, unlike previous travellers to Bosnia from 1530 onwards, he was mostly communicating with the Muslim population of all strata. This is enough to deserve much more attention on the part of historians than what it has received until the present time.3 Today there is a translation of this report into English.4

Mažuranić’s report and the Illyrism The Illyrism was a political and cultural “awakening movement” of the South Slavs between circa 1830 and 1848 who lived in the Habsburg Monarchy. The followers of this idea considered the Illyrians as ancestors of the South Slavs and aimed at creating a common language of literature for all South Slavs in the “Illyrian trian1

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A detailed overview of Western European travelers offers Müller, Ralf C.: Franken im Osten. Art, Umfang, Struktur und Dynamik der Migration aus dem lateinischen Westen in das Osmanische Reich des 15./16. Jahrhunderts auf der Grundlage von Reiseberichten. Leipzig 2005. – Idem: Prosopographie der Reisenden und Migranten ins Osmanische Reich (1396–1611). Leipzig 2006. – Koller, Markus: Introduction – An Approach to Bosnian history. In: Ottoman Bosnia. A History in Peril. Ed. by Idem and Kemal Karpat. Madison/Wisc. 2004, 1–26. It provides an overview of the literature about travellers who stayed for a certain period of time or passed through the Ottoman province of Bosnia. For the 19th century Ottoman Bosnia see Malcolm, Noel: Bosnia. A Short History. London 1994. For a recent study see Paić-Vukić, Tatjana/čaušević, Ekrem: A Croat’s View of Ottoman Bosnia: The Travelogue of Matija Mažuranić from the Years 1839–40. In: Living in the Ottoman Ecumenical Community. Essays in Honour of Suraiya Faroqhi. Ed. by Vera Costantini and Markus Koller. Leiden 2008, 293–305. Mažuranić, Matija: A Glance into Ottoman Bosnia or a Short Journey into that Land by a Native in 1839–40. Transl. by Branka Magaš. London 2007. There is another translation which is confined to the second part, not including Mažuranić’s glossary of terms. McGowan, Bruce: Matija Mažuranić’s “A look at Bosnia”. In: Turks, Hungarians and Kipchaks: A Festschrift in Honor of Tibor Halasi-Kun. Ed. by Pierre Oberling. Cambridge/Mass. 1984, 175–188.

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gle” Skutari-Varna-Villach. However, the Illyrism gained political influence only in the Croatian territories and did not meet with much response among Serbians and Slovenians.5 Mažuranić’s report published in Zagreb in 1842 originated in the Illyrian milieu, as its title shows “A Look at Bosnia, or the Short Travel to that Borderland, made in 1839–40 by a Patriot”.6 It consists of two parts: the first one deals with the journey itself, while the second one contains the author’s observations on social and economic life, politics and mentality. In the preface to his booklet, he explains the reasons for his rather unusual decision to spend a longer time in Bosnia by claiming the necessity to offer fresh information on the neighbouring “Illyrian” (South Slavic) country to educated Croats, who, in time of the “national awakening”, had little or no idea what was happening “about eleven miles from Zagreb”. He could not say openly that his travel was intended to be a kind of reconnaissance mission, because his fellow romantic nationalists wanted to know whether there were chances for emancipation of South Slavic “brothers” across the river Sava. Mažuranić, a civil engineer and geodesist, was born in a family that played a very important role in the process of the formation of modern Croatian identity. In the 1830s, he and his brothers had some vague pieces of information on the rebellion of the Bosnian conservatives under the leadership of Husein Kapudan Gradaščević against the Ottoman government in 1831.7 Therefore, his mission was to check if there were possibilities of doing something in Bosnia for the hypothetical common “Illyrian” cause. When he came back in 1840, he was convinced that the rebellion was not a movement for South Slavic national liberation, but a religiously motivated conservative resistance.8 This opinion has much contributed to the shaping of the picture of Bosnian Muslims as people hopelessly entrenched in backward and inhuman patterns of thinking and acting, only to support a moribund tyranny.9 Mažuranić first submitted his report to his brothers, who then persuaded 5 6 7 8

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For the Illyrism see Kessler, Wolfgang: Politik, Kultur und Gesellschaft in Kroatien und Slawonien in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. München 1981. Mažuranić, Matija: Pogled u Bosnu, ili kratak put u onu krajinu, učinjen 1839–40. po Jednom Domorodcu [The View on Bosnia or a short Travel in a Land 1839–40 by a Local Inhabitant]. Zagreb 1842. In English: Idem (cf. n. 4). For this uprising see Malcolm (cf. n. 2), 120–122. An attempt was made recently to depict the rebellion as an all-Bosnian national liberation movement. Of course, the leaders of the movement could easily win massive support inside the Muslim population, which was with good reason feeling betrayed by the Ottoman government and helpless against the aggressive designs of the Austrian, and in particular, the Serbian governments. Yet it would certainly be a mistake to believe that Christian reayas would have opposed the realization of the plans of their “brethren” across the border. The autonomy desired was a wish for an Islamic land, free in domestic affairs and receiving military support from an Islamic empire. No changes were desirable in the economic realm, simply because Bosnia had not experienced any influences from the Western economies worth noting. Thus, the comparison with Muhammad Ali’s Egypt fails. See Aličić, Ahmed: Pokret za autonomiju Bosne od 1831. do 1832. godine [Rebellion for the Autonomy of Bosnia from the year 1831 to 1832]. Sarajevo 1996. Note an interesting parallel: Karl Marx (almost coeval with our author) vehemently denounced the “counterrevolutionary” engagement of the Croats in the Habsburg war against the Hungarian revolution. He labelled them “the dynasty’s Mamelukes”. See Neue Rheinische Zeitung,

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him to write a book. When he finished it, they removed all instances potentially “suspect” to Austrian censorship. It was not by chance that Mažuranić’s elder brother Ivan published a romantic epic with revolutionary undertones, “The Death of the Smail-aga Čengić”, five years later, in which he glorified Montenegrin victory over the local Ottoman-Bosnian potentate as if it were the struggle of “good” against “evil”.10 Then Mažuranić himself went again to Bosnia, to take part in the activities of Christian rebels. After the revolution 1848/49, he went to Istanbul, and then to Anatolia, Egypt, Mesopotamia and Palestine, where he was engaged in building activities for several years for a fair pay. Unfortunately, he left only oral information about his stay in Turkish and Arab provinces.11

The Journey The journey started on 31st October 1839. It was illegal and very adventurous, leading first through sparsely inhabited territory of the Habsburg military border. At Dubica, on the river Una, Mažuranić joined another adventurer with whom he went to a place used for smuggling goods. There they met two Ottoman subjects in a boat which took them to the other bank in exchange for some coins. But then things went wrong, and they decided that it could be too dangerous to continue the travel and returned to the Austrian side. Mažuranić’s second attempt to reach Bosnia was more successful. In November 1839, he tried the route through Serbia. After he had nearly drowned at the confluent of the Sava and the Danube on the night when he was crossing the border, he managed to travel rather comfortably to Višegrad. There he had to stay in quarantine, which, as he found out, was not obligatory for those who were able to give some gifts to the Ottoman judge (kadı) and the ayan.12 The kadı offered him instead to stay in Višegrad as interpreter at his court. Although in a kind of custody, he nevertheless could freely go to the market. He then spent a month in Sarajevo where he had acquired most of his impressions, but had to leave rather soon because of health problems.

10 11 12

09.08. 1848. Friedrich Engels’ characterization of the Croats was less witty. For him, they were “Völkerabfall”. Neue Rheinische Zeitung, 13.01. 1849. There is an English translation of this epic: Mažuranić, Ivan: Smail-aga Čengić’s Death. Transl. by Charles A. Ward. London 1969. Perhaps he was more pleased with the Tanzimat reformers than with Bosnian conservatives, but that we shall never know. This is the proof that traditional designations were still commonly used, because at that time the ayans, who formerly had their power basis formed historically from below, did not exist officially, and were replaced with the müsellims as state officials. For the role of ayans in the Ottoman administrative system with a special reference to Bosnia, see Sućeska, Avdo: Ajani. Prolog izučavanju lokalne vlasti u našim zemljama za vrijeme Turaka [Ayans. Contribution to research about local powers in hour lands under the Turks]. Sarajevo 1965. For the ayans in the Ottoman Balkans see Sadat, Deena R.: Rumeli Ayanları: The eighteenth Century. In: The Journal of Modern History 44/3 (1972), 346–363.

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After reaching Belgrade, Mažuranić stayed there working as a journeyman (kalfa) for some months. Finally, he crossed the Sava, this time legally, and arrived to Zagreb on 07th January 1841.

Observations on the Social and Cultural Life of Bosnia: Self-Identity, Traditional Habits and the Image of the Other The second part of the report reflects the author’s judgment on several features of the social and cultural life of Bosnia. For practical reasons, in the following, I will recount and comment on remarks that are in some way related to the observations made in part one (The journey). Bosnian (Bošnjak) was the term the Muslims reserved for themselves, while they called all Christians subjects Vlachs (Vlasi). The attitude toward Christians was oscillating between feelings of superiority and neighbourliness; toward Ottoman Turks, it was a mixture of fear and hate. Yet in another instance, Mažuranić says that everybody hates everybody: first there was the mutual hate between Christians and Muslims, then between Orthodox Christians and Catholics. In quarrels among the Muslims, Bosnians despised those from Herzegovina. “Albanian dog” was a common curse. Besides there were rumours every winter that in the coming spring, Serbia should be “liberated”. The ideas about the Austrian military border displayed a flavour of earlier times, or past centuries.13 If the infidels were alert because of an incident, then “all the seven infidel kings” knew that there will be war against the Turk.14 However, it was believed that the histories of the Švabe15 were more accurate than Muslim chronicles. The Christians had to wear distinctive clothes, that is, black ones, with fur caps. Our traveller was ridiculed because of his trousers, making him look like a stork and walking on two posts. Members of the Muslim elites (ağas, sipahis) were explaining that they must now wear western-style clothes (being officials), while he only looked funny, because nobody forced such a disgrace upon him. He was laughed at by some Muslim girls for the same reason, yet one of them commented that he nevertheless looked attractive enough for a husband, provided he converted. Not only the way they sat, but also the way Muslim townspeople walked was much different from the traveller’s. Men walked with their eyes lowered, making long paces with their legs held more apart than foreigners. Since Mažuranić used to 13

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For the military border see Rothenberg, Gunther Erich: The military border in Croatia 1740– 1881. A study of an imperial institution. Chicago 1966. – Kaser, Karl: Freier Bauer und Soldat. Die Militarisierung der agrarischen Gesellschaft in der kroatisch-slawonischen Militärgrenze (1535–1881). Graz 1986. That is, the electors of the Holy Roman Empire. Muslims believed that there was only one emperor in the world – the Sultan – while the Christians were using the same scheme (1+7), but adding two more: the Russian Tsar and the German “Cesar” (Kaiser), which makes 3+7. Probably this name, which means “Germans”, refers as a pars pro toto to the Donauschwaben, the colonists in the 18th century Hungarian plain.

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observe the architecture, passer-bys were either shouting at him, or persuading him not to look at private dwellings, as that would mean offence for the master of the house, who could fear that the object of interest were the women of his household. On the way to Travnik, Mažuranić saw at several places wagoneers leaving their loads and horses on the pathway in the high snow or on steep places and fleeing to a safe distance, unable to effectuate the necessary humility-and-respect manoeuvre. Then the Muslims were pushing the abandoned horses away into the snow or down the hill.16 Punishments for sexual transgressions were most severe, except for a Muslim who “goes to” a Christian woman, whatever her status might be. Men were allowed to kill their wives and their servants freely. Corpses of executed people were left to dogs for sevap (good deed), just like dead animals. There were many occasions when Mažuranić was induced to convert, for example, because of his inability to sit in a “Turkish way”. People were convinced that the easiest way to put up with his shortcomings was to “turn Turk” (poturčiti se), avoiding the fire in the hell. Movements and sounds of a person who was seemingly dead were interpreted as talking to God’s Messenger; to the contrary, such a phenomenon would never occur in case of Vlachs, because the devil takes them straight to the furnace. Some believed that the ritual movements of a Christian priest during baptism concealed a suggestion to the child to “turn Turk”. Here we may see an interesting point in the topic of the traditional self-identification of Bosnian Muslims: they were Bosnians, yet at the same time “true” Turks, much better and noble in comparison with the wicked Turkish-speaking Ottomans. Children were often induced by adults to throw stones or mud on foreigners. At one such occasion, Mažuranić was angry with the children. He was taken to the local fortress commander (dizdar), but this officer released him because of his documents. At the time, a wretched man called “the mad Švabo” was living in Travnik, who probably was a deserter from the Austrian military border. Idle landlords (ağa) used to give him a five guruş coin to bully Christians, beat them with a mace and shout commands in German. Once he mistakenly attacked a Muslim merchant, who in turn drove him away with arms, but there were no more serious consequences. After reaching Travnik, Mažuranić attended the Christmas mass held by a Franciscan monk in a house outside of the town. He noticed that the monk was warning his flock not to let themselves be induced to convert; moreover, there was some open criticism of the Prophet of Islam. After Mažuranić had returned to his place of accommodation in the house of a local bey, he had to answer to his host what was the monk had spoke about. “Nothing particular, just the mass,” he responded. The bey exclaimed: “Do you think I am ignorant? A friar never celebrates the mass without cursing the Turks and the Prophet!” Another Muslim said: “You know the friars, who can prevent them!” Mažuranić has left Sarajevo still feeling unwell. In January 1840, he was on the verge of death while staying in a han owned by a sipahi on the road to the border with Serbia. Some Muslim merchants offered him food and coffee. A hoca sug16

Such situation would require some fetvas, but we do not know whether any were ever issued.

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gested to the sick traveller that he say his prayers. Since Mažuranić was too weak for that, the hoca recited from the Koran. By the next morning the crisis was over. The travel continued to Zvornik.17 There the governor (vali) signed his Austrian pass, but the steward (kahya), who had never before seen a wax seal, broke a bit of it with his nail. Mažuranić then snatched the pass away from the kahya’s hand. The incident ended well, mainly because of the “witnesses”, who commented that what had happened was normal because the Švabe do not fear their masters, and otherwise Mažuranić could not have returned to his country, where he would have to run through two or three thousand sticks (Gassen- or Rutenlaufen).18

The Image of the Other: The “Illyrian” Revivalist’s View The “remarks” start with the description of a typical prosperous house to be found in larger towns, that is, the kind of dwelling place Mažuranić knew best. This passage gives us a picture that does not differ from what is known from other sources. Some mentions of architecture in the context of social life refer to inns; the author says that while inns on the roads and in villages are called han, the same buildings in towns are called meyhanes. The latter were usually one-story buildings, with stables on the ground-floor. In a privately-owned han, during the cold weather, everybody had to pay one guruş or forty paras to the innkeeper for heating. Since there was only one place for the fire, almost no one could spend the night at ease, being either too close to the fire-place, or too far from it. This report offers a different picture from those the reader usually finds in travelogues from earlier centuries, unanimously underlining better conditions (including free accommodation and food). Mažuranić offers further valuable pieces of information about agriculture and prices: in spite of the substantial amount of fertile land, most of the fields were laying waste. The only agricultural product that was available in large quantities was fruit. One okka (1,28 kg) of apples was sold for 15 paras, dried plums for 30. On the other hand, grain was scarce, with prices at 60 paras for an okka of wheat, and 50 for corn. In the meyhanes, one could have brandy (rakija/rakı). It was allowed to be served, yet it was expensive; wine was forbidden, but if served clandestinely, the price was two guruş (80 paras) for a litre. This underlines the fact that the prescriptions of the religious law (şeriat) were observed more strictly in towns then in the countryside. Moreover, it also suggests the possibility that little had changed since the time of the old cadastral surveys, where quantities of grain produced in villages were mostly quite modest. In Sarajevo, he was brought before the Bosnian governor Mustafa paşa Babić, who asked him why he had come to Bosnia. After Mažuranić had replied that his wish was to stay and work as an artisan, the paşa suggested that he may stay at his 17 18

In a place where there was no mosque, Mažuranić happened to spend some time in a room where he stood by Muslim worship, without being ordered to leave. It was an often applied form of severe punishment in the Austrian military border.

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court until other foreign artisans came and tools for them could be procured. “What am I supposed to do here?” asked Mažuranić. “Do you smoke?” Mustafa paşa replied. Although it was not true, the Švabo said he did. “Then just sit and smoke,” was the final order. Thus, he stayed for about a month at the Mustafa paşa’s court, with no real occupation, receiving his monthly food provision (tayin and yemek) until January 1840, when he decided to leave because he was feeling ill. This episode recalls Western “Orientalism” turned upside-down; the governor probably thought it was a prestigious thing to have “western” servants. Our traveller also remarks that Austrian deserters were often kept as slaves. Mažuranić had found Sarajevo very large; yet moving within the town was restricted to the main streets, no one being allowed to enter a quarter (mahalle) which was not his own. He was in the governor’s retinue of thirty persons at the time of a council held in Travnik before the Vizier. While on the road, he noticed that many Muslim peasants were coming with complaints that the paşa redirected to the Grand Vizier in Istanbul (to no effect, as it was heard later). In Visoko, the governor’s men were given much good food by Muslim peasants “as it was usual when the nizams or sipahis were passing by”. Mažuranić found the eating habits of his master’s companions rather appalling: everybody was scuffling and fighting vehemently with each other, swallowing large bits at once. There was nothing left for him, but then the kahvecibaşı managed to pass him the paşa’s leftovers. On the way back from Travnik to Sarajevo, one çavuş suddenly became angry with Mažuranić, and wanted to strike him with his sabre. However, the pasha’s kahvecibaşı opposed this move, while the berberbaşı gave Mažuranić his own weapon to ward off the assault. Finally, the çavuş apologized. About the end of his stay, Mažuranić became ill, and asked the pasha for permission to leave. His master signed the pass and gave him some money, but the saraydar, a fugitive from Syrmia, reported that the paşa had said: “If he stays, he will be cheating; in that case, he will receive some bastinado, and I’ll take him back in my service.” The social and economic conditions of Christians in the plain of Sarajevo were described as particularly miserable. Raising pigs was forbidden. While the Muslims were living in houses, Christians had only woven huts (košara, lit. basket). Everything belonged to the landlords from Sarajevo. They provided the seeds in fall and spring, and the harvest was shared between the two sides.19 Outside of the Sarajevo plain, Christians were allowed to build houses, yet local authorities often forced them to pay huge sums for better looking dwellings. Again, in the district of Sarajevo, the governor had the authority to decide the rate of the poll-tax (cizye).20 Everyone had to pay, even priests and Westerners. Furthermore, Mažuranić writes that the governor had the power to take whatever goods he pleased from everybody. 19

20

Correct observation. See Sućeska, Avdo: Uticaj migracionih kretanja na oblikovanje agrarnih odnosa u BiH u periodu osmanske vladavine [Impact of migration at the formation of the agricultural structures in BiH during the Ottoman rule]. In: Godišnjak Pravnog fakulteta u Sarajevu XXXVII (1989), 233–242, esp. 239–242. Inalcık, Halil: Djizya. In: The Encyclopaedia of Islam. New Edition. Vol. 2. Ed. by B. Lewis, Ch. Pellat and J. Schacht. Leiden 1965, 562–566.

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The paşa liked to do this by borrowing huge sums from his subjects without ever returning the money.21 In that winter of 1839/40, a famine occurred in Sarajevo, and unrest arose against Mustafa paşa. People denounced him for causing the troubles by introducing new taxes (gümrük) with different rates on every road. The paşa countered the attack by letting some of the trouble-makers be beaten, while to others he gave some money. Here we also have to mention one lost document from 1843/44, which has been partly preserved in transcript.22 It originally belonged to the bequest of Mažuranić’s elder brother Ivan, the poet and politician. Its main content was the description of a case of the collection of the poll-tax by force from the very poor. The violent behaviour of the collector, apparently a local ağa in the region of Žepče, was expressed in plainly perverse torture. The fact that the author was a traveller who had to show to the tax collector (haračlija) his yol tezkiresi (letter of safe conduct), as well as the unpolished Croatian of the original suggests that the author was Matija Mažuranić. It is important to notice that original was paired by a German translation, now lost as well, but the preserved title was significant: An die Monarchen Europas. Thus, we have to suffice with a draft of a pamphlet like the various 19th century “reports on anti-Christian atrocities” in the Ottoman Empire. Yet there is no reason to dismiss the essentials; the more so because according to the writer of the pamphlet (Mažuranić?), what he had seen was not a general practice in Bosnia at that time. Mažuranić was partly right when he later stated that the “fine” behaviour was mainly motivated by religious values, such as the sevap, and not by free deliberation. He found the Muslim oath unreliable,23 while their weakness in front of flattery seemed incredible to him. But if they became angry with somebody, there was no way to mitigate the anger.24 In addition, they were extremely superstitious, and even the crudest forms of cursing were very prolific.25 Some “common Turks” told Mažuranić that “once upon a time” a pig brushed a part of its body against the mosque of the Prophet; therefore, eating a specific part of pork would be allowed, if one only knew which specific part it had been. The Christian “learned” explanation of the mythic event, namely, that pigs are always itchy around the tail, was not considered satisfactorily. Many enjoyed killing for money, without making any investment of the prey there21 22

23

24 25

Mažuranić witnessed instances when Christians had to “lend” 30.000 kuruşes, while half this sum was taken from the Jews. Smičiklas, Tade: Ivan Mažuranić, predsjednik “Matice ilirske” od god. 1858. do god. 1872 [Ivan Mažuranić, president of the “Matica ilirska” from 1858 to 1872]. In: Matica Hrvatska od godine 1842. do godine 1892. Spomen-knjiga. Ed. by Idem and Franjo Marković. Zagreb 1892, 122–125. In this case, there is certainly no learned reference to religiously justified breaking of oaths given to infidels, but to a Balkan mentality, seemingly characteristic for Bosnian Muslims only. Let us quote a saying that is still popular in parts of the former Croatian military border (which existed from 1578 till 1881): “If it is only for oath, then the cow is ours – ako je do zakletve, krava je naša.” Again, a common feature of the Vlach social psychology. Already the Croatian Slavonian didactic poet M. A. Relković (1732–1798) had argued that cursing, as well as all bad habits among his people, was the legacy of the “Turks”.

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after. Curiously, Mažuranić has found the wandering dervishes the most dangerous in this respect, commenting that they were all dark-skinned Arabs. The Muslim townspeople’s garb was all red, their tunics expensive because they were embroidered in gold and adorned with braids. The Muslims did not bother because of the lice on their clothes, thinking that those insects were the souls of evildoers, not to be killed twice. One remark looks a bit unusual. Mažuranić argues that the townspeople smoked much, but not in front of their superiors; indeed, when crossing the square in front of the paşa’s court, they must not even show their pipes, and have to dismount as well. When before the governor, those who wore pocket-watches had to hide the chain. Only the governor himself had a watch in each pocket, and he only was allowed to have (or to show?) an umbrella. To all this, the following episode must be added: during the first, short lasting attempt to enter Bosnia by crossing the river Una, a man appeared, apparently a master of the first two “Turks”. He was wearing the traditional headgear, shabby clothes and was barefoot, yet he was the local sipahi. Because the flight of the two “Germans” (Švabe) was already discovered on the Austrian side, it would only be fair, argued the sipahi, that he be given a reward for making a deal with the judge. Instead of money, he would accept their pocket watches and umbrellas26 – in fact, not for himself, but for the more powerful, that is, for the kadı and for the local ayan. The adventurers then asked for a tezkire, wishing to travel further safely; but the man said that he could not do that because he was illiterate. The final problem with the authorities occurred while Mažuranić was on the road to Serbia. Two kavazes searched him thoroughly, and found objects that were looking very suspicious: two maps. They asked the traveller whether he was a spy, but Mažuranić explained that the strange objects were his icons, which he needed for prayers. The excuse was accepted.

Conclusion Matija Mažuranić’s “Memoirs” seem to constitute the basis for deliberations in the inner circle of the Croat “Illyrian” movement about political action in Bosnia. His report is highly objective and ideologically biased at the same time. Apparently, it has provoked disappointment, influencing subsequent political thinking which was inclined to support the Austrian occupation of Bosnia, because that land had first to be “civilized”, and only then could it be unified with other South Slavic “brothers” and “liberated”. Instead of the old anti-Islamic moods, “enlightenment” and secularization came on the schedule now. Of course, old attitudes partially continued to linger on in the new form. The “Illyrian” movement had never wanted to assimilate other South Slavs, as its main ambition was to achieve an association of ethnically related groups tacitly wishing for Croatian leadership in culture, science and business. It seems that it also had some territorial aspirations toward a part of Ottoman 26

He said “tents” (čadorovi).

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Bosnia. Indeed, there is one statement supporting this idea in the “Memoirs”. However, it was motivated by old-fashioned Staatsrecht concepts and the strong survival of “learned memories” from the time when the North-Western part of Bosnia was the heart of Croatia. Curiously enough, the majority of the population in that region had been Serbian-Orthodox for a long time, but this could not disturb the idealist thinking of the time, which proclaimed the unity and cooperation of a large group of people with several “first names” and one “family name” (“Illyrian”, later “Yugoslav”). Such an attitude did not aim at the ethnic assimilation of Bosnian Muslims, much less at their ceasing to be a community in whatever sense. Instead, the main goal was a kind of “enlightenment” along the lines of liberal romanticism. Of course, the subsequent hundred and fifty-odd years have shown that these hopes have not been realized, for reasons which we cannot discuss here. To what an extent did the early, preparatory phase of the age of reforms in the Ottoman Empire affect Bosnia by the time of Mažuranić’s travel? Next to nothing, one might say. Part of the elite had to wear feses and tight trousers, and many were fond of pocket-watches and umbrellas. The social and economic life still carried the essential features of the old regime, but in a decayed, that is, worse form. This was at least partly due to the relatively mild treatment of the rebels of 1831. Illiteracy, superstitions and clinging to ancient modes of imagining the world were incredibly strong. Increased violence went hand-in-hand with human gestures and reactions; the horrible was linked with the ridiculous.27 Much of the evil Mažuranić had seen its roots in fear and feelings of insecurity on the level of the whole community, not without reason. Mažuranić’s report depicts a society that was psychologically still very young, for all the good and bad this may signify.

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In a way, the report looks like a continuation of the stream of information on every kind of violence available in the Ottoman official documents from the 18th century, this time from quite a different angle. See Koller, Markus: Bosnien an der Schwelle zur Neuzeit. Eine Kulturgeschichte der Gewalt (1747–1798). München 2004.

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Türkengedächtnis in Ungarn. Die Rolle der Gedächtnisorte Mohács und Szigetvár im Prozess der nationalen Identitätsbildung Einleitung Das historische Erbe der osmanischen Periode gehört zu den kontroversesten Aspekten der ungarischen Erinnerungskultur. Die „150-jährige Herrschaft“ der Osmanen in Ungarn ist nach wie vor mit zahlreichen Mythen verbunden, die feste Bestandteile der nationalen Identitätskonstruktion(en) bilden. Der vorliegende Beitrag beleuchtet daher die Rolle des osmanischen Erbes und der damit verbundenen Mythen im ungarischen Nationsbildungsprozess vom frühen 19. bis in das ausgehende 20. Jahrhundert. Der geographische Schwerpunkt liegt dabei auf Südwestungarn, einer Region, in der die meisten Türkendenkmäler und andere materielle Zeugnisse der Osmanenzeit überliefert sind.1 Auch zwei bedeutende Erinnerungsorte2 befinden sich hier: Mohács und Szigetvár wurden bei der Konstruktion der nationalen Identität in Ungarn seit dem 19. Jahrhundert tragende Rollen zugewiesen, worauf unter anderem ihre Bezeichnungen „großer Friedhof der ungarischen Nation“3 (Mohács) und „Symbol des nationalen Heldentums und Einsatzes“4 (Szigetvár) hindeuten. In beiden Fällen handelt es sich um Gedächtnisorte, die eigentlich an verlorene Schlachten bzw. Kämpfe gegen die Osmanen im 16. Jahrhundert erinnern.5 Den1

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3 4

5

Neben den Denkmälern und Zeugnissen in Szigetvár sei an dieser Stelle auch auf die Moscheen von Jakovalı Hassan Pascha und Kasım Pascha, auf die Türbe (Grabmal) von Idris Baba sowie auf die Ruinen des Bades von Memi Pascha in Fünfkirchen (ung. Pécs) und auf die Moschee des Malkoç Bey in Siklós hingewiesen. Der Begriff „Erinnerungsorte“ wird hier im Sinne des von Pierre Nora geprägten Konzeptes der lieux de mémoire verstanden. Vgl. Nora, Pierre: Les lieux de mémoire. La République, la Nation, les France. Paris 1997 (Quarto). – Ders.: Zwischen Geschichte und Gedächtnis. Übers. v. Wolfgang Kaiser. Frankfurt/Main 1998. Nach einem Gedicht von Károly Kisfaludy. Vgl. Kisfaludy, Károly: Mohács – 1824. In: Mohács. Nemzet és emlékezet. Hg. v. János B. Szabó. Budapest 2006, 480. Kovács, Sándor Iván: Szigetvár „veszedelmei“ a magyar irodalomban [Die Darstellung der „Gefahren“ Szigetvárs in der ungarischen Literatur]. In: Szigetvár története. Tanulmányok a város múltjából. Hg. v. Sándor Bősze, László Ravazdi und László Szita. Szigetvár 2006, 353–372, hier 370. Dabei sind die Schlacht bei Mohács im Jahr 1526 und die Eroberung der Festung Sziget durch die Osmanen im Jahr 1566 gemeint. Ausführlicher zu diesen Ereignissen siehe Tóth, István György: Ungarn zur Zeit der Türkenherrschaft (1526–1711). In: Geschichte Ungarns. Hg. v. Dems. Budapest 2005, 227–246. – Ágoston, Gábor: A hódolt Magyarország [Das osmanische Ungarn]. Budapest 1992. – Szakály, Ferenc: A mohácsi csata [Die Schlacht von Mohács]. Budapest 1981.

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noch interpretierten einige Generationen von Historikern und Politikern die damit verbundenen historischen Ereignisse – ähnlich wie die serbische Geschichtsschreibung die Schlacht auf dem Amselfeld (serb. Kosovo Polje) von 1389 – als moralische Siege, die die Bereitschaft zur Aufopferung für die „eigene Nation“ zum Ausdruck gebracht hätten.6 Eine weitere Parallele zum erwähnten „Kosovo-Mythos“ ist, dass 1566 in Szigetvár nicht nur der „Anführer der Ungarn“ Miklós Zrínyi (1508–1566), sondern auch der „türkische“ Sultan Süleyman I. (Reg. 1520–1566) starb. Letzterer soll – laut der Legende – ebenso unter mysteriösen Umständen in seinem Zelt das Leben verloren haben, wie das 1389 bei Murad I. (Reg. 1356 –1389) der Fall gewesen sein soll.7 Darüber hinaus wird betont, dass die Helden von Szigetvár durch ihr Opfer das damalige „Europa“ vor den „barbarischen Türken“ beschützt hätten. Zugleich wird „Europa“ vorgeworfen, die Ungarn in ihren Kämpfen gegen die „Türken“ im Stich gelassen zu haben. Diese Argumentation kommt besonders in der Rechtfertigung der Niederlage der „Ungarn“ in der Schlacht bei Mohács (1526) zum Tragen und wird als maßgeblicher Erklärungsansatz für das Ende der „Großmachtstellung“ des mittelalterlichen ungarischen Königreiches in Mitteleuropa sowie für den Verlust der Souveränität des ungarischen Staates angeführt.8 Die ungarischen Schulbücher – als wichtige Instrumente der Nations- und Identitätsbildung – tradieren diese Bilder der osmanischen Vergangenheit bis heute.9 Die folgenden Ausführungen zeigen, wie diese Vorstellungen entstanden sind und auf welche Weise sie in den verschiedenen Phasen der ungarischen Nationsbildung vom ausgehenden 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart für bestimmte politische Zwecke instrumentalisiert wurden. Dabei stehen folgende Fragen im Mittelpunkt: 1.) Welches Schicksal ereilte die osmanischen Monumente unmittelbar nach dem Ende der Osmanenherrschaft in Ungarn? Wie viele Bauwerke überstanden die Zeit bis zum Beginn der ungarischen Nationsbildung? 6 7

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9

Ausführlicher zum sog. Kosovo-Mythos siehe Sundhaussen, Holm: Der serbische KosovoMythos. In: Kosovo. Wegweiser zur Geschichte. Hg. v. Bernhard Chiari und Agilolf Kesselring. Paderborn-München-Wien-Zürich 2006, 164–173. In der Schlacht auf dem Amselfeld im Jahr 1389 starb auch der „Anführer der Serben“, Lazar Hrebeljanović, dessen Heer in Wirklichkeit ethnisch genauso gemischt war, wie das von Miklós Zrínyi. Siehe dazu Bartl, Peter: Kosovo. In: Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Hg. v. Edgar Hösch, Karl Nehring und Holm Sundhaussen. Wien-Köln-Weimar 2004, 378–381. In folgenden wissenschaftlichen Publikationen, in denen das mittelalterliche ungarische Königreich als „eine der bedeutendsten Mächte Mitteleuropas“ genannt wird – eine Position, die vor allem wegen der osmanischen Expansion verloren gegangen sei –, ist diese Argumentation ebenfalls anzutreffen. Kosáry, Domokos: Magyarország a XVI–XVII. századi nemzetközi politikában [Ungarn in der internationalen Politik des 16.–17. Jahrhunderts]. In: Ders.: A történelem veszedelmei. Írások Európáról és Magyarországról. Budapest 1987, 20–62. – Pálffy, Géza: Die Türkenabwehr der Habsburgermonarchie in Ungarn und Kroatien im 16. Jahrhundert. Verteidigungskonzeption, Grenzfestungssystem, Militärkartographie. In: Türkenangst und Festungsbau. Wirklichkeit und Mythos. Hg. v. Harald Heppner und Zsuzsa BarbaricsHermanik. Frankfurt/Main u.a. 2009, 79–108, hier 79. Siehe zum Bsp. Walter, Mária: Történelem [Geschichte]. Bd. 2. Budapest 2000.

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2.) Welche neuen „Türkendenkmäler“ wurden errichtet und welche Feierlichkeiten wurden im Laufe des 18.–20. Jahrhunderts abgehalten? 3.) Auf welche Art und Weise haben unterschiedliche politische Kräfte, einzelne Parteien oder Vereine die materiellen Zeugnisse der Osmanenzeit sowie die damit verbundenen unterschiedlichen Erinnerungsfeiern in den einzelnen Epochen der ungarischen Nationsbildung instrumentalisiert?10 Ein weiteres Ziel des vorliegenden Aufsatzes ist es, einen Überblick über die Entwicklung des Türkengedächtnisses im Rahmen der ungarischen Nationsbildung zu vermitteln. Dabei sollen vor allem grundlegende Tendenzen in den einzelnen Perioden aufgezeigt werden; eine systematische Bestandsaufnahme aller errichteten Denkmäler und der in Mohács und Szigetvár initiierten Feierlichkeiten hätte den Rahmen dieses Beitrags gesprengt. Nicht zuletzt wollen die folgenden Ausführungen neue Forschungen in diesem Themenbereich anregen.

Die postosmanische Zeit. Das Schicksal osmanischer Monumente im 18. Jahrhundert In der osmanischen Periode fungierten sowohl Mohács (1544–1688) als auch Szigetvár (1566–1689) jeweils als Zentrum eines Sandschaks, in dem ein Sandschakbeg residierte.11 Dabei bestanden jedoch Unterschiede zwischen den beiden Verwaltungszentren, vor allem hinsichtlich Anzahl und Funktion der Gebäude, die während der osmanischen Zeit errichtet wurden.12 Dies ist auf die unterschiedli10

11 12

An dieser Stelle sei vermerkt, dass Erinnerungsfeierlichkeiten allgemein sowie auch Jubiläen und Jahrestage bestimmter historischer Ereignisse schon an sich Instrumentalisierungen darstellen, weil es jeweils von nationalen und politischen Identitätsmanagern festgelegt wird, was zu welchem Zweck erinnert wird und welche historischen Ereignisse deshalb zu Jubiläen erklärt werden. Vgl. dazu Hermanik, Klaus-Jürgen: The German and the Hungarian Identity Management and Nation Building. Examples from the Western Balkans. In: Razprave in gradivo – revija za narodnostna vprašanja 55 (2008), 118–133. – Giordano, Christian: Disputed Historical Memories. Struggling for Recognition through Localities, Symbols and Rituals. In: Feste, Feiern, Rituale im östlichen Europa. Studien zur sozialistischen und postsozialistischen Festkultur. Hg. v. Klaus Roth. Wien 2008, 163–184. Zur Rolle der Sandschakbegs in der osmanischen Verwaltung in Ungarn siehe Dávid, Géza: A Dél-Dunántúl közigazgatása a török korban [Die Verwaltung Südtransdanubiens in der Türkenzeit]. In: Zalai Múzeum 4 (1992), 56–63. Für Szigetvár sind die Moschee von Sultan Süleyman I., die sich innerhalb der Festung befindet, die 1588/89 errichtete Moschee von Pascha Ali (heute Kirche St. Rochus auf dem ZrínyiPlatz) sowie ein Wohnhaus aus der osmanischen Zeit, das damals entweder als Karawanserei oder als Koranschule funktionierte, überliefert. Darüber hinaus muss auch auf die Türbe von Süleyman I. und auf die zâviye der Halveti-Derwische, eine dazu gehörige Moschee sowie eine palanka in der unmittelbaren Umgebung von Szigetvár hingewiesen werden, die bis zur ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts existierten. Szigetvár verfügte auch über eine Elementarschule (mektebe) und eine mittlere und höhere Schule (medrese). Im Vergleich dazu sind aus Mohács wesentlich weniger religiös-kulturelle Einrichtungen überliefert: Neben einer ehemaligen kleinen hölzernen Moschee auf dem vermeintlichen Schauplatz der Schlacht von Mohács gibt es

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che Funktion und strategische Position der beiden Orte innerhalb des osmanischen Verteidigungssystems im Karpatenraum zurückzuführen.13 Neben seiner militärisch-strategischen Bedeutung verfügte Szigetvár auch aus einem weiteren Grund über eine besondere Stellung innerhalb des Osmanischen Reiches, da Sultan Süleyman I. während der Belagerung der Festung im September 1566 genau an diesem Ort verstorben war. Zu seinem Gedenken wurde nahe der Stadt eine Türbe errichtet, an jener Stelle, an der zuvor sein Herz und andere seiner inneren Organe bestattet worden waren.14 Die Türbe für Süleyman den Prächtigen galt im 16. und 17. Jahrhundert als heiliger Ort, der während der gesamten Osmanenzeit von Pilgern aufgesucht wurde.15 Mit der Zeit entwickelte sich die Grabstätte zusammen mit der 1576 errichteten zâviye (kleines Derwisch-Kloster) der Halveti-Derwische sowie einer Moschee zu einem religiös-kulturellen Zentrum der Muslime im Süden Transdanubiens.16 Zum Schutz dieses heiligen Ortes errichtete man dort später auch eine kleine Festung (palanka).17 Während der habsburgisch-osmanischen Auseinandersetzungen des 16. und 17. Jahrhunderts wurde dieser osmanische lieu de mémoire von beiden Seiten stets respektiert. Im Verlauf des Feldzuges von 1664 – geführt von Miklós Zrínyi (1620– 1664), dem gleichnamigen Urenkel des Helden von Szigetvár – wurde lediglich die kleine Festung zerstört.18 Mohács avancierte im 16. Jahrhundert ebenfalls zu einem osmanischen Erinnerungsort: Zum Gedenken an seinen Sieg und an den Tod des ungarischen Königs Ludwig II. (1506–1526) ließ Süleyman I. eine kleine hölzerne Moschee auf dem ehemaligen Schauplatz der Schlacht errichten und verfügte darüber hinaus, dass dort immer ein Derwisch beten sollte. Das weitere Schicksal dieses muslimischen

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Hinweise darauf, dass dort auch Derwische gelebt, jedoch über kein eigenes Kloster verfügt hätten. Vgl. Gerő, Győző: Turkish Monuments in Hungary. Budapest 1976, 37–45. – Sudár, Balázs: Kultúrális létesítmények a török hódoltságban [Kulturelle Einrichtungen im osmanischen Ungarn]. In: http://terebess.hu/keletinfo/muemlek.html (07.03. 2008). Siehe dazu Hegyi, Klára: A török végvár. A Dél-Dunántúl török védelmi rendszere a 16–17. században [Die türkische Festung. Das türkische Verteidigungssystem in Südtransdanubien im 16.–17. Jahrhundert]. In: Szigetvár története (wie Anm. 4), 93–108, hier 107 f. – Finkel, Caroline: The Administration of Warfare. The Ottoman Military Campaigns in Hungary. Phil. Diss., Wien 1988. Vgl. Dávid, Géza: Török közigazgatás a városban [Türkische Verwaltung in der Stadt]. In: Szigetvár története (wie Anm. 4), 109–127, hier 114. Ágoston, Gábor: Muslim Cultural Enclaves in Hungary under Ottoman Rule. In: Acta Orientalia Academiae Scientiarum Hungaricae 45/2–3 (1991), 181–204, hier 197. – Veinstein, Gilles: Le rôle des tombes sacrées dans la conquête ottomane. In: Revue de l’histoire des religions 4 (2005), 509–528. Der bekannteste Vorsteher des genannten Derwisch-Klosters war der berühmte Dichter und Mystiker Aladdin Ali dede, der zwischen 1589 und 1598 in Turbék lebte und hier eines seiner bekanntesten Werke verfasste. Zum genannten religiös-kulturellen Zentrum ausführlicher Ágoston, Gábor/Sudár, Balázs: Gül baba és a magyarországi bektasi dervisek [Gül Baba und die Bektaschi-Derwische in Ungarn]. Budapest 2002, 55. Vgl. Ágoston (wie Anm. 15), 197–200. Vgl. Ágoston/Sudár (wie Anm. 16), 63–65.

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Wallfahrtsortes ist jedoch nicht bekannt.19 Für Mohács sind keine weiteren osmanischen Bauten überliefert. Die osmanischen Zeugnisse verschwanden vermutlich unmittelbar nach der habsburgischen Einnahme der Stadt im Jahr 1688. In Szigetvár kam es nach der Eroberung durch die Habsburger 1689 zu einer Umkodierung: Das muslimisch-religiöse Zentrum wurde unmittelbar darauf in ein christliches umgewandelt.20 Bereits im selben Jahr ließen die Habsburger die Türbe von Süleyman I. – als Ausdruck ihres Sieges auch im spirituellen Sinne – zu Ehren ihrer Schutzpatronin im Kampf gegen die Osmanen, Maria Auxiliatrix, weihen.21 Vier Jahre später (1693) schenkte der Wiener Hofkriegsrat den gesamten Gebäudekomplex einem lokalen habsburgischen Kommandanten, der diesen abreißen ließ und die Steine als Baumaterial verkaufte.22 Bald darauf wurde an dieser Stelle eine Holzkapelle errichtet, die Turbék genannte wurde. Diese wurde wiederum Mitte des 18. Jahrhunderts zu einer Wallfahrtskirche (Mariahilf) umgebaut (Abb. 1), die als spirituelles Zentrum der deutschen, ungarischen und kroatischen Bevölkerung der Region fungierte.23 Als allgemeine Tendenz kann festgehalten werden, dass unmittelbar zu Beginn der habsburgischen Herrschaft die materiellen Zeugnisse der Osmanenzeit durch die neue Administration in vielen Fällen der katholischen Kirche überantwortet wurden. So wurde zum Bsp. nach der Eroberung von Szigetvár im Jahr 1689 auch die Moschee von Ali Pascha – ähnlich wie die Türbe von Süleyman I. – in eine katholische Kirche umgewandelt. Dabei entfernte man alle muslimischen Elemente – wie den mihrab oder die Grabstätte des Ali Pascha – und baute den ursprünglichen Baukörper durch die Errichtung eines Presbyteriums und eines barocken Kirchturms um.24 Die Feierlichkeiten zum 100-jährigen Jubiläum der Eroberung von Szigetvár durch die Habsburger im Jahr 1789 wurden – der oben genannten Tendenz entsprechend – von der katholischen Kirche organisiert. Dabei wurde zum Bsp. die 1588/89 erbaute Moschee des Ali Pascha (heute auf dem sog. Zrínyi-Platz) in eine dem Hl. Rochus geweihte Kirche umgeformt. Im Rahmen dieser Jubiläumsfeierlichkeiten wurden auch die barocken Deckenfresken der Kirche fertiggestellt, die sowohl den Heldentod Zrínyis, und somit den Fall der Festung (1566), als auch deren Einnahme durch die Habsburger (1689) zeigen.25 Diese Eroberung, die dem göttlichen Bei19 20 21 22 23 24

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Sudár (wie Anm. 12). Zur Eroberung von Szigetvár durch die Habsburger im Jahr 1689 siehe u.a. Barbarics, Zsuzsa: Az oszmán uralom alóli felszabadulás [Die Befreiung von der Osmanenherrschaft]. In: Szigetvár története (wie Anm. 4), 129–145. Gőzsy, Zoltán: Szigetvár története 1715–1825 között [Geschichte Szigetvárs zwischen 1715 und 1825]. In: Ebd., 147–174, hier 173. Ebd. Ebd. Von den osmanischen Bauten in Szigetvár sind nur die Moschee von Süleyman I., welche sich innerhalb der Festung befindet und im 18. Jahrhundert als Lager benutzt wurde, sowie ein „türkisches Wohnhaus“ von habsburgischer Seite bzw. von der katholischen Kirche „unberührt“ geblieben. Vgl. Gerő (wie Anm. 12), 41–43. – Sudár (wie Anm. 12). Ausführlicher siehe Sinkó, Katalin: Kontinuitás vagy a hagyomány újrateremtése? Történeti képek a 19. században [Kontinuität oder Neukreierung der Tradition? Historische Bilder im 19.

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stand der Gottesmutter zugeschrieben wurde, steht allerdings im Mittelpunkt des Dekorationsprogramms, was vor allem an der prominenten Positionierung der Figur des kaiserlichen Feldherrn Graf Gabriele Vecchi ablesbar ist. Durch diese Akzentuierung ist dieses Deckenfresko, das vom damaligen Grundherrn des Marktfleckens Szigetvár und Patron der Kirche, Lajos Festetich, in Auftrag gegeben wurde, in die Reihe jener Fresken einzuordnen, die in den österreichischen Ländern der Habsburger noch im Laufe des letzten sog. Großen Türkenkrieges (1683–1699) oder unmittelbar danach angefertigt wurden.26 Auf diesen Darstellungen werden generell die Siege der kaiserlichen Truppen gegen die Osmanen und damit die Verdienste Kaiser Leopolds I. (1640–1705) oder seiner Feldherren, die den Triumph der Hilfe des Himmels und vor allem Marias zu verdanken hätten, gepriesen.27 Der in Wien geborene und an der dortigen Kunstakademie ausgebildete Maler dieser Fresken in Szigetvár, Stephan Dorffmaister (1729–1797), muss diese Tradition gekannt haben.28 Darauf deuten auch zwei weitere seiner Bilder hin, die er im Auftrag des Bischofs von Fünfkirchen, Pál Lajos Eszterházy, 1787 für das Bischofspalais in Mohács anfertigte. Diese zeigen die erste (1526) und die sog. zweite

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Jahrhundert]. In: Mohács (wie Anm. 3), 471–478, hier 471. – Galavics, Géza: Dorffmaister István történeti képei [Die Historienbilder von Stephan Dorffmaister]. In: „Stephan Dorffmaister pinxit“. Dorffmaister István emlékkiállítása. Gedenkausstellung von Stephan Dorffmaister. Hg. v. László Kostyál und Mónika Zsámbéky. Szombathely 1997, 83–95 und 111–126, hier 86 f. Zu diesem Thema allgemein siehe Történelem – Kép. Szemelvények múlt és művészet kapcsolatából Magyarországon [Geschichte – Geschichtsbild. Auszüge zur Beziehung von Vergangenheit und Kunst in Ungarn]. Ausst.-Kat. Magyar Nemzeti Galéria Budapest. Hg. v. Árpád Mikó und Katalin Sinkó. Budapest 2000. – Galavics, Géza: „Kössünk kardot az pogány ellen“. Török háborúk és képzőművészet [„Lasset uns den Säbel gegen die Heiden umgürten“. Türkenkriege und bildende Kunst]. Budapest 1986. Szigetvár hatte damals den Rechtsstatus eines Marktfleckens inne, obwohl die Bewohner bereits im 18. Jahrhundert die Erhebung zu einer freien königlichen Stadt anstrebten. Siehe dazu ausführlicher in der Dissertation von Gőzsy, Zoltán: Egy Somogy megyei mezőváros lehetőségei és korlátai a 18. században. Szigetvár mezőváros története 1689 és 1798 között [Möglichkeiten und Grenzen eines Marktfleckens im Komitat Somogy im 18. Jahrhundert. Die Geschichte des Marktfleckens Szigetvár zwischen 1689 und 1798]. Phil. Diss., Pécs 2008. Ein gutes Beispiel dafür liefern die Deckenfresken der Katharinenkirche und des Mausoleums von Ferdinand II. sowie die der Basilika Mariatrost in Graz. Bei beiden stehen Kaiser Leopold I. und die Gottesmutter Maria, mit deren Hilfe die Osmanen besiegt werden konnten, im Mittelpunkt. Vgl. Türkenbilder und Türkengedächtnis in Graz und in der Steiermark. Katalog zu einer Ausstellung aus Anlass des Jubiläums „40 Jahre Südosteuropäische Geschichte an der Karl-Franzens-Universität Graz“, Universitätsbibliothek, 10. Juni-31. Oktober 2010. Hg. v. Zsuzsa Barbarics-Hermanik. Graz 2010, 30–35. Stephan Dorffmaister gehörte zu den bekanntesten und populärsten Barockmalern in Ungarn, der dort ab den 1780er Jahren zahlreiche Aufträge von führenden Persönlichkeiten der katholischen Kirche erhielt. Bei diesen Arbeiten handelte es sich hauptsächlich um die Darstellung bestimmter Ereignisse aus der ungarischen Geschichte, was die Rolle der katholischen Kirche bei der Gestaltung der Erinnerungskultur der damaligen Zeit unterstreicht. Das Deckenfresko der Abteikirche der Zisterzienser in St. Gotthard (ung. Szentgotthárd), das 1784 zum 220-jährigen Jubiläum der Schlacht bei Mogersdorf/St. Gotthard (1664) angefertigt wurde und die Schlacht selbst darstellt, stammt ebenfalls von ihm. Vgl. http://www.artportal.hu/kislexikon/ dorffmaister_istvan (02.11. 2010). – Péter Takács, József: Úti jegyzetek – 1797 (Részlet) [Reisenotizen – 1797 (Auszug)]. In: Mohács (wie Anm. 3), 471, Anm. 2.

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Schlacht bei Mohács, womit eigentlich die Schlacht bei Nagyharsány im Jahr 1687 gemeint ist.29 Der Fünfkirchner Bischof Eszterházy scheint im ausgehenden 18. Jahrhundert die ersten Schritte in Richtung der Etablierung eines Mohács-Kultes unternommen zu haben: Zusätzlich zum Auftrag der erwähnten Gemälde war er in den 1790er Jahren bemüht, eine Marmorsäule erneuern zu lassen, deren Reste an jener Stelle standen, wo König Ludwig II. am 29. August 1526 umgekommen sein soll.30 Diese Stelle am Bach Csele scheint in der Erinnerungskultur des ausgehenden 18. Jahrhunderts die wichtigste Rolle gespielt zu haben: Der Verfasser eines Zeitungsartikels aus dem Jahr 1866 behauptete, dass an der Wand der alten Brücke über den Bach Csele ein Gemälde den Tod von Ludwig II. dargestellt hätte. Doch Näheres ist darüber nicht überliefert, da diese „alte Brücke“ 1866 bereits seit Längerem nicht mehr existierte.31 Darüber hinaus kann festgehalten werden, dass den Vertretern der Aristokratenfamilien Eszterházy und Festetich bei der Gestaltung der Erinnerung an Mohács und Szigetvár eine bedeutende, wenn aber auch eine ambivalente Rolle zukam: Da sie keine Anhänger der Reformen von Kaiser Joseph II. (1741–1790) waren, versuchten sie, als Auftraggeber der erwähnten Fresken und Gemälde, die Ereignisse der ungarischen Geschichte in ihrem Sinne, ihren (eigenen) politischen Interessen gemäß zu interpretieren. Gleichzeitig lassen sich die genannten Darstellungen in eine allgemeine Tradition einordnen, die – wie zuvor bereits beschrieben – im 18. Jahrhundert für die gesamte Habsburgermonarchie charakteristisch war.

Am Beginn der ungarischen Nationsbildung. Das nationale Erwachen bis 1848 und die osmanische Vergangenheit Das Jahr 1790, in dem Joseph II. seine Verordnungen, die eine Homogenisierung seiner plurikulturellen und heterogenen Territorien anstrebten, auf dem Totenbett zurücknahm, leitete in den ungarischen Gebieten der Habsburgermonarchie eine 29

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Diese Fresken befinden sich heute in der Friedhofskapelle in Mohács, bis 1859 wurden sie im genannten Bischofspalais aufbewahrt. Vgl. http://www.artportal.hu/kislexikon/dorffmaister_ istvan (02.11. 2010). Zu den Fresken ausführlicher siehe Jernyei Kiss, János: Die Entstehung der ungarischen Geschichtsmalerei. Aufklärung, ständischer Nationalismus, ungarische Kunsthistoriographie. In: Die Kunsthistoriographien in Ostmitteleuropa und der nationale Diskurs. Hg. v. Robert Born, Alena Janatková und Adam S. Labuda. Berlin 2004, 269–286. Darüber schreibt der Schriftsteller und Dichter József Péteri Takács (1767–1821), der im September 1797 mit Lajos Festetich, dessen Erzieher er war, Mohács bzw. den erwähnten Bischof aufsuchte: „[…] ki küldött a Püspök úr maga lovain azon helyre, ahol a közönséges vélekedés szerint veszett el Lajos király. Most azon patak egészen ki volt apadva a nagy szárazság miatt, egyébkor malmot hajt ott a víz. Láthatni még ott az oszlopnak alsó márványkövét, melly régenten a szomorú esetnek emlékezetére volt emelve, s amellyet meg akar újítani Ö Exellentiája.“ Zitiert nach Péter Takács (wie Anm. 28), 470. Vgl. Halász, Károly: A mohácsi gyásztér (A gyásznap emlékünnepe alkalmából) – 1866 [Der Trauerplatz von Mohács (Anlässlich der Erinnerungsfeierlichkeiten des Trauertages) – 1866]. Hier zitiert nach Mohács (wie Anm. 3), 510.

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neue Entwicklung ein.32 Durch das Aufkommen einer „national-adeligen“ (nemzeti-nemesi) Bewegung entstand ein Authentizitätsdiskurs, in dem das Eigene bzw. allgemein die „Rückgewinnung der authentischen Wurzeln der eigenen Tradition“33 gegenüber den Homogenisierungstendenzen und -bestrebungen vor 1790 in den Mittelpunkt gestellt wurde. Dies zeigte sich zum Bsp. auch darin, dass seit Anfang des 19. Jahrhunderts die Kuruzzen-Tracht des ungarischen Adels an die Stelle der „deutschen Mode“ trat und dass „auch die Frauen […] mit den Männern im Tragen der äußeren Zeichen ihrer Nation“ wetteiferten, wie das der ungarische Nationaldichter Ferenc Kölcsey (1790–1838) damals ausdrückte.34 Diese Zeit des „nationalen Erwachens“ in Ungarn wurde von drei Strukturelementen dominiert: 1.) Die Termini „Ungarn“ und „Christen, Christenheit“ wurden gleichgesetzt und synonym verwendet. 2.) Die ungarische Sprache wurde ins Zentrum der neuen nationalen Identität Ungarns gerückt. 3.) Die Forderung nach der Freiheit und Souveränität der ungarischen Nation wurde geäußert. In dieser Zeit ist, nach András Gerő, die sog. Nationsreligion (nemzetvallás) entstanden, in der die weltliche und die religiöse Sphäre miteinander verflochten wurden. Diese operierte mit Mythen und eigenen Techniken, die eine imagined history zur „wahren“ Geschichte proklamierten.35 Die katholische Kirche setzte zu Beginn des 19. Jahrhunderts ebenfalls eine alte Tradition fort, indem sie die christliche Mission von „Ungarn“36 und der Ungarn propagierte. Dadurch ließen sich die Erinnerungskultur und damit das neu entstehende nationale Gedächtnis aktiv mitgestalteten.37 Das lässt sich sehr gut am 32 33

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Vgl. Fónagy, Zoltán: Nationale Bewegung und französische Kriege. In: Geschichte Ungarns. Hg. v. István György Tóth. Budapest 2005, 421–430, hier 421. Zu diesem Prozess innerhalb des postkolonialen Diskurses siehe Bhatti, Anil: Kulturelle Vielfalt und Homogenisierung. In: Habsburg postcolonial. Machtstrukturen und kollektives Gedächtnis. Hg. v. Johannes Feichtinger, Ursula Prutsch und Moritz Csáky. Innsbruck-WienMünchen-Bozen 2003, 55–68. Vgl. Fónagy (wie Anm. 32), 421. Gerő, András: Képzelt történelem. Fejezetek a magyar szimbolikus politika XIX–XX. századi történetéből [Imaginierte Geschichte. Kapitel aus der Geschichte der ungarischen symbolischen Politik im 19. und 20. Jahrhundert]. Budapest 2004, 22–24. Damit ist der ungarische Staat bzw. sind die Länder der Ungarischen Krone gemeint. Zu dieser alten Tradition, die ihren Anfang im ausgehenden Mittelalter nahm, siehe Terbe, Lajos: Egy európai szállóige életrajza. (Magyarország a kereszténység védőbástyája) [Die Biographie eines europäischen geflügelten Wortes. (Ungarn als Bollwerk des Christentums)]. In: Egyetemes Philológiai Közlöny (1936), 297–350. – őze, Sándor: „A kereszténység védőpajzsa“ vagy „üllő és verő közé szorult ország“ [„Schutzschild des Christentums“ oder „Land zwischen Amboss und Hammer gedrückt“]. In: Magyarok Kelet és Nyugat között. A nemzettudat változó jelképei. Hg. v. Tamás Hofer. Budapest 1996, 99–107. Gunst, Péter: A magyar történetírás története [Geschichte der ungarischen Geschichtsschreibung]. Debrecen 1995, 166 f.

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Beispiel des sog. Mohács-Kultes illustrieren: Die ersten Schritte dazu wurden – wie weiter oben erwähnt – bereits im ausgehenden 18. Jahrhundert von Bischof Eszterházy gesetzt.38 Zur weiteren Entfaltung kam es jedoch erst in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Der Nachfolger Eszterházys auf dem Fünfkirchner Bischofsstuhl, der national-ungarisch orientierte József Király, ließ 1813 eine Kapelle – Kalvarienkapelle genannt – an der Stelle errichten, wo die Schlacht von Mohács 1526 „angeblich“ beendet worden war. Möglicherweise handelte es sich dabei sogar um die gleiche Stelle, an der zuvor die bereits erwähnte kleine Holzmoschee stand, die Süleyman I. errichten ließ. Dies scheint wahrscheinlich, wenn man bedenkt, was mit der Türbe von Süleyman I. in Szigetvár geschah: Der frühere muslimische spirituelle Ort wurde zu einem christlichen, genauer römisch-katholischen umgewandelt. Die Mohácser Kapelle wurde 32 Jahre später (1845) bereits als ein „religiöses Erinnerungsdenkmal“ (vallásos emlék) wahrgenommen und auch als ein solches bezeichnet, was wiederum die Bedeutung der national-religiösen Sphäre bei der Gestaltung der Erinnerung an Mohács unterstreicht.39 Bischof József Király unternahm 1817 weitere Maßnahmen, die die Entwicklung des Kultes ermöglichten: Er erklärte den 29. August, den Tag der Schlacht bei Mohács, zum nationalen Trauertag und gründete mit 3.000 Forint eine Stiftung „für die Pflege der Erinnerung an die Schlacht bei Mohács“, durch die ab diesem Zeitpunkt die jährlich abzuhaltenden Erinnerungsfeierlichkeiten finanziert werden sollten.40 Diese von der katholischen Kirche gestalteten Trauerfeierlichkeiten wurden dann tatsächlich jedes Jahr in der erwähnten Kapelle durchgeführt, wobei man die Messen sowohl auf ungarischer als auch in deutscher und kroatischer Sprache, somit in jenen Sprachen, die von der römisch-katholischen Bevölkerung in und um Mohács herum gesprochen wurden, abhielt.41 In den 1840er Jahren wurde dann eine rege Diskussion darüber geführt, ob in Mohács – zusätzlich zum kirchlich-religiösen Gedächtnisort – auch ein säkulares 38 39

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Sinkó (wie Anm. 25), 473. „Azon a helyen, ahol a szerencsétlen csata állítólag befejeztetett, 1813-ban vallásos emlék, szent kápolna, mely közönségesen kálváriának neveztetik, állítatott fel Király József, volt pécsi püspök által, […] a mellette elhaladó utast minden időben a múlt kor szomorú történeteire figyelmeztendő.“ Vgl. A magyar orvosok és természetvizsgálók Pécsett tartott hatodik nagygyűlésének történeti vázlata és munkálatai [Historische Skizze und Tätigkeitsbericht des 6. Kongresses der ungarischen Ärzte und Naturforscher in Pécs]. Pécs 1846, hier zitiert nach Mohács (wie Anm. 3), 495. Vgl. Csajághy, Károly: A mohácsi szerencsétlen csata emlékére állítandó oszlop tárgyában némely jegyzetek – 1842 [Manche Notizen zur Säule, die zum Andenken an die unglückliche Schlacht von Mohács errichtet werden soll – 1842]. Hier zitiert nach ebd., 494. – Király József pécsi püspök alapítványa a mohácsi csata kultuszának ápolására – 1817 [Stiftung des Fünfkirchner Bischofs József Király zur Pflege des Andenkens an die Schlacht von Mohács – 1817]. Hier zitiert nach ebd., 479. Diese Dreisprachigkeit der Messen wurde bereits bei der Gründung der genannten Stiftung festgelegt. Vgl. ebd. In Mohács und Umgebung lebten allerdings auch Serben, die ob ihrer Religion von diesen Erinnerungsfeierlichkeiten von vornherein ausgeschlossen wurden, was das Monopol der römisch-katholischen Kirche bei der Gestaltung des Gedächtnisses unterstreicht.

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Denkmal errichtet werden soll und wenn ja, wo dieses dann genau stehen sollte. Die Stände des Komitates Baranya wollten diese Causa, die sie als „von nationaler Bedeutung“ einstuften, sogar auf dem ungarischen Reichstag behandeln lassen.42 Die gesamte Diskussion ist infolge eines säkularen Nations- und Identitätsbildungsprozesses entstanden, dessen treibende Kräfte liberale Intellektuelle waren. Sie stellten zwei Elemente der „neuen ungarischen“ nationalen Identität in den Mittelpunkt: die ungarische Sprache sowie die Souveränität der „ungarischen Nation“.43 Beide, sowohl das nationale Bewusstsein als auch das neue kollektive Gedächtnis, sollten daher auf der gemeinsamen Sprache, Geschichte und Tradition basieren. In den 1820er und 1830er Jahren wurden die von András Gerő als „nationale Gebete“ bezeichneten „Himnusz“ (1823) und „Szózat“ (1835/36) von den beiden bedeutendsten Nationaldichtern, Ferenc Kölcsey und Mihály Vörösmarty (1800– 1855), verfasst, zu denen Ferenc Erkel (1810–1893) und Béni Egressy (1814–1851) in den 1840er Jahren die Musik komponierten.44 Beide Werke übten eine sehr starke identitätsstiftende Funktion aus und sind daher seit den 1840er Jahren zentrale Elemente des nationalen Gedächtnisses. Die „Türkenzeit“ bildet eines der zentralen Themen in Kölcseys „Himnusz“, die bis heute die Nationalhymne Ungarns ist. Die darin vermittelten Bilder zeigen große Ähnlichkeiten mit den stereotypen Darstellungen der sog. Turcica-Literatur des 16. und 17. Jahrhunderts auf, indem zum Bsp. die Osmanenherrschaft in Ungarn als die Zeit unter dem „Joch der wilden Türken“ beschrieben wird.45 Kölcsey, Vörösmarty und weitere Dichter dieser Zeit (wie etwa Sándor Petőfi oder Károly Kisfaludy) trugen aktiv zur Entstehung eines landesweit verbreiteten Mohács-, Szigetvár- bzw. Zrínyi-Kultes bei, wobei sie den alten Mythos von „Ungarn als Verteidiger Europas und der gesamten Christenheit“ – als ein Element der ungarischen „Nationsreligion“ (nemzetvallás) – in den Mittelpunkt stellten. Auf diese Weise entstanden poetisch-metaphorische Darstellungen der „Katastrophe“ bei Mohács (1526) sowie des Heldentodes von Zrínyi (1566).46 Ein Zitat aus Vörösmartys „Sziget epigramma“ wurde sogar zu einer nationalen Metapher und ist bis heute an einer Gedenktafel am Eingang der Festung in Szigetvár zu lesen.47 Die sog. zweite Schlacht bei Mohács (1687) sowie die Eroberung von Szigetvár durch die Habsburger (1689) scheinen – im Gegensatz zu der vorangegangenen Epoche – in der Erinnerungskultur bzw. in der Gestaltung des neuen nationalen Gedächtnis42 43 44 45

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Vgl. Csajághy (wie Anm. 40), 494. Vgl. Gerő (wie Anm. 35), 23 f. Ebd., 24. „[…] Zászlónk gyakran plántálád, Vad török sáncára […] töröktől rabigát vállainkra vettünk. […] Hányszor zengett ajkain Oszmán vad népének Vert hadunk csonthalmazain győzedelmi ének!“ In: http://www.mek.iif.hu/porta/szint/human/szepirod/magyar/kolcsey/anthem/html/ (07.06. 2012). Siehe dazu zum Bsp. Ferenc Kölcseys Gedichte mit den Titeln „Mohács“, „Zrínyi dala“, „Zrínyi éneke“, „Vérmenyekző“ sowie Mihály Vörösmartys „Sziget epigramma“ und Károly Kisfaludys „Mohács“. Vgl. Kovács (wie Anm. 4), 370. – Mohács (wie Anm. 3), 480, 482 und 489. „Te a hazáért halni tudál dicső!/ Mi nem tudunk már érte csak élni is.“ Kovács (wie Anm. 4), 370.

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ses in dieser Zeit keine Rolle mehr gespielt zu haben. Dies ist mit der allgemein antihabsburgischen Gesinnung der Protagonisten zu erklären. Die beiden Erinnerungsorte Mohács (1526) und Szigetvár (1566) führte Kölcsey in einem Essay zusammen, das er 1826 aus Anlass des 300-jährigen Jubiläums der ersten Schlacht bei Mohács veröffentlichte.48 Darin richtete er einen Aufruf an die Nation, sich auch an die Helden von Szigetvár zu erinnern.49 In Szigetvár folgten der katholische Priester Konrád Góczy und der Richter József Mérey diesem Aufruf, indem sie am 06./07. September 1833 die ersten „Zrínyi-Erinnerungsfeierlichkeiten“ organisierten, die fortan jährlich stattfanden.50 Eine weitere Parallele zu Mohács lässt sich bei der Finanzierung dieser Feierlichkeiten feststellen: Ähnlich wie im oben genannten Fall von Mohács wurde von László Juranits, einem am Bischofssitz in Fünfkirchen tätigen katholischen Geistlichen, für Szigetvár zwanzig Jahre später eine Stiftung gegründet. Diese verfügte beispielsweise im Juni 1848 noch über 1.000 Forint.51 Die Revolution und der in Ungarn bis heute als solcher bezeichnete sog. Freiheitskampf der Jahre 1848/49 führten jedoch zu einer Wende innerhalb des ungarischen Nationsbildungsprozesses und damit auch in der Gestaltung des ungarischen Türkengedächtnisses.

Die Periode von 1848/49 bis zum Ende der Monarchie (1918) Der ungarische Nationsbildungsprozess erfuhr seine erste Niederlage 1848/49, als der Aufstand und der darauf folgende „Unabhängigkeitskrieg“ der Ungarn von den Habsburgern mit der Unterstützung Russlands niedergeschlagen wurden. Als Abschreckung wurden im Oktober 1849 sogar 13 Generäle des „Unabhängigkeitskrieges“ hingerichtet.52 Eine weitere Gruppe, die sich um Lajos Kossuth (1802–1894), dem Anführer der Unabhängigkeitsbewegung, herum gebildet hatte, flüchtete zum ehemaligen „Erbfeind der Christenheit“, in das Osmanische Reich, wo sie Schutz vor der Verfolgung fanden. Die osmanischen Behörden weigerten sich sogar, Kossuth und die anderen Flüchtlinge an die Habsburger auszuliefern.53 48 49 50 51 52

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Vgl. Fenyő, István: Kölcsey Ferenc válogatott művei [Ausgewählte Werke von Ferenc Kölcsey]. Budapest 1975, 555–567. Sein Appell ist bis heute als Motto auf der offiziellen Homepage der Stadt Szigetvár zu lesen: „Keressétek az alkalmat a múltra visszanézhetni, s érte melegülni […].“ http://www.zrinyinap. hu/tortenelem.htm (12.02. 2008). Ebd. Vgl. Vas, István: Szigetvár az 1848/49-es polgári forradalom és szabadságharc időszakában [Szigetvár in der Zeit der bürgerlichen Revolution und des Freiheitskampfes von 1848/49]. In: Szigetvár története (wie Anm. 4), 211–217, hier 212. Im April 1848 konstituierte sich sogar – als Zeichen der Unabhängigkeit Ungarns von der Habsburgermonarchie – eine erste ungarische Regierung. Diese war jedoch nur bis September 1848 im Amt. Siehe dazu u.a. Hermann, Róbert: Politics and the Army. In: A Millenium of Hungarian Military History. Hg. v. László Veszprémy und Béla K. Király. Budapest 2002, 263–295. – Deák, István: The Lawful Revolution. Louis Kossuth and the Hungarians 1848– 1849. London 2001. Wertheimer, Ede von: Die Kossuth-Emigration in der Türkei. In: Ungarische Jahrbücher 8

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Diese Ereignisse führten zu einer Veränderung des früheren Türkenbildes in Ungarn, wo nun eine proosmanische Stimmung propagiert wurde. Die neuen Feinde der nationalen Elite Ungarns waren nach 1848/49 eindeutig die Habsburger sowie die vielen anderen ethnischen Gruppen innerhalb Ungarns, die als Gefahr für die „ungarische Nation“ und für die neu zu gestaltende nationale Identität galten.54 Um diese zu stärken, wurden Gedächtnisorte der ungarischen Geschichte gezielt von den antihabsburgisch und national gesinnten politischen Kräften und Intellektuellen entsprechend uminterpretiert und instrumentalisiert. Mohács und Szigetvár spielten in der Gestaltung dieser „neuen“ Erinnerungskultur erneut eine zentrale Rolle. Die Botschaft der allegorischen Darstellungen vom Auffinden der Leiche von König Ludwig II. im Jahr 1526, die von den Malern Soma Orlay Petrich 1851 und Bertalan Székely 1859 angefertigt wurden, war leicht zu erkennen. Die Szene symbolisiert „Tod und Auferstehung“ der ungarischen Nation, wobei die Gestalt des ungarischen Königs Ludwig II. das allegorische Opfer war.55 Das Auffinden seines toten Körpers suggeriert die Möglichkeit des Auferstehens der ungarischen Nation nach den Niederlagen von 1848/49. Dies mag auch der Grund dafür sein, warum das Bildnis Ludwigs II. in beiden Fällen den Vergleich mit den Darstellungen des Messias evoziert.56 Beide Historienbilder waren in den 1850er und 1860er Jahren in weiten Kreisen bekannt und stellten – nicht zuletzt durch ihre Verbreitung in Zeitungen – den „Mohács-Kult“, der sich in dieser Periode immer mehr auf die Verehrung König Ludwigs II. verlagerte, in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses.57 In Mohács selbst ist die 1813 errichtete Kapelle 1858 mit Hilfe von Spendengeldern umgebaut worden, das neue Gebäude wurde dann zur Erinnerung an die Helden beider (sic!) Schlachten bei Mohács (1526 und 1687) geweiht.58 Die zwei bereits erwähnten und 1787 von Stephan Dorffmaister angefertigten Bilder wurden 1858 von dem damaligen Bischof György Girk der Kapelle geschenkt, wo sie dann ausgestellt wurden. Bei den jährlichen Erinnerungs- und Trauerfeierlichkeiten am 29. August, als neben religiösen und kirchlichen Liedern auch Kölcseys „Himnusz“ gesungen wurde, wurden diese auch außerhalb der Kirche zur Schau gestellt.59

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(1928), 377–382. – Hajnal, István: A Kossuth-emigráció Törökországban [Die Kossuth-Emigration in der Türkei]. Budapest 1927. – Hermann, Róbert: Reform, Revolution, Emigration. Leben und Werk des ungarischen Staatsmannes Lajos Kossuth. Übers. v. Tibor Schäfer. Herne 2006. Gerő (wie Anm. 35), 26. Soma Orlay Petrichs „A Mohácsnál elesett II. Lajos testének feltalálása“ (1851) und Bertalan Székelys „II. Lajos holttestének föltalálása“ (1859). Zur kunsthistorischen Interpretation beider Gemälde siehe Sinkó (wie Anm. 25), 474 f. Ebd., 471 f. Ebd., 478, Anm. 23. Dazu ausführlicher Boros, László: Mohács építészeti és képzőművészeti emlékei [Bau- und Kunstdenkmäler in Mohács]. In: Tanulmányok Mohács történetéből. A település fennállásának 900. évfordulójára. Hg. v. Imre Ódor. Mohács 1993, 232–250, hier 243. Vgl. Halász (wie Anm. 31), 510.

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Die Erlaubnis zur Errichtung eines profanen Denkmals wurde – nach der anfangs genannten Diskussion in den 1840er Jahren – erst 1864 an Soma Turcsányi, einem ehemaligen Husarenleutnant des Freiheitskampfes, der sich in der Umgebung von Mohács niederließ, vergeben. Das Monument wurde nicht am vermuteten Ort der Schlacht von 1526 – wie es in den 1840er Jahren geplant worden war –, sondern am Ufer des Baches Csele aufgestellt. Im Mittelpunkt dieses zum 140-jährigen Jubiläum der Schlacht fertiggestellten Denkmals stand dann auch der König selbst: Die Darstellung seines (Helden-)Todes zeigt eindeutig den Einfluss des erwähnten Historiengemäldes von Bertalan Székely. Die Inschrift des Denkmals stammt von dem bekannten Schriftsteller Mór Jókai (1825–1904), einem weiteren Anhänger der 1848er Bewegung, den der Initiator, Soma Turcsányi, darum gebeten hatte. Im Text der Inschrift wird der Gedächtnisort Mohács als „Grab der einstigen Großmachtstellung unserer Nation“ bezeichnet.60 Auf dem höchsten Punkt dieses Granitmonuments sitzt ein Löwe. Dies ist auch beim Zrínyi-Denkmal in Szigetvár (Abb. 2) der Fall, das erst nach dem österreichisch-ungarischen Ausgleich (1867) errichtet worden war. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden in der ganzen Monarchie zahlreiche Heldendenkmäler mit einem Löwen errichtet.61 Das zeigt, dass man in der ungarischen Erinnerungskultur mitnichten nur ungarischnationale Symbole verwendete, sondern durchaus aus jenem Kanon an Symbolen schöpfte, der damals in der gesamten Monarchie üblich war. Infolge des Ausgleiches (1867) polarisierte sich die ungarische Gesellschaft und es entstanden zwei Gruppen: 1.) Die Befürworter des Ausgleiches waren der Habsburger Dynastie und der römisch-katholischen Kirche gegenüber loyal. 2.) Die Gegner waren hauptsächlich Protestanten, die nicht nur den Ausgleich, sondern auch die Monarchie als Ganzes in Frage stellten und einen unabhängigen ungarischen Staat im Sinne von Kossuth forderten.62 Nach 1867 waren es in Ungarn u.a. die Historiker, die bei der Gestaltung des nationalen Gedächtnisses eine entscheidende Rolle spielten. Die oben genannten zwei Gruppen innerhalb der ungarischen Gesellschaft korrespondierten mit zwei antagonistischen Gruppen von Historikern und deren Forschungsfeldern.63 Beiden Gruppen war gemeinsam, dass sie sich mit Vorliebe mit der osmanischen Vergan60

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Der vollständige Text lautet: „Itt vergőde Lajos rettentő sorsú királyunk. Bajnoki elhulltak, nincs ki feloldja szegényt. És Te virulj gyásztér a béke magasztos ölében. Nemzeti nagylétünk hajdani sírja Mohács. 1526. Augusztus 29.“ Hier zitiert nach Mohács (wie Anm. 3), 495. Für ausführlichere Informationen zum Denkmal siehe Halász (wie Anm. 31), 510. – Sinkó (wie Anm. 25), 478, Anm. 23. Weitere Exempel aus anderen Teilen der österreichisch-ungarischen Monarchie sind zum Bsp. der „Hackherlöwe“ auf dem Schlossberg in Graz oder der „Sterbende Löwe“ im Hafen der dalmatischen Insel Vis (dt. Lissa). Gunst (wie Anm. 37), 207. Vgl. Gyáni, Gábor: Emlékezés, emlékezet és a történelem elbeszélése [Gedenken, Gedächtnis und das historische Narrativ]. Budapest 2000, 10.

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genheit beschäftigten, von der sie dann jedoch – analog zu ihrer politischen Überzeugung – unterschiedliche Bilder zeichneten.64 Die Befürworter des Ausgleiches operierten in ihren Werken weiterhin mit den stereotypen Bildern der Turcica-Literatur des 16./17. Jahrhunderts. Die Gegner hingegen, die die Ideen von Kossuth unterstützten, propagierten proosmanische Ansichten: Sie betonten die Rolle des Osmanischen Reiches während der Aufstände der Ungarn gegen die Habsburger sowie bezüglich der Thököly-, Rákóczi- und Kossuth-Emigration.65 Parallel zu diesen politischen Kontroversen und den unterschiedlichen Positionen der Geschichtsschreibung lief unter den Philologen eine rege Diskussion über die Herkunft der ungarischen Sprache, die nicht nur zu dieser Zeit eines der wichtigsten strukturellen Elemente der nationalen Identität darstellte.66 Die Zugehörigkeit der ungarischen Sprache zur finnougrischen Sprachfamilie wurde von den Befürwortern des Ausgleiches propagiert, da durch diese Konstruktion das europäische Element mehr betont werden konnte. Die sog. Unabhängigkeitspartei vertrat hingegen die These über den türkischen Ursprung des Ungarischen, was mit den Ideen der sog. Turanischen Bewegung korrespondierte.67 Dabei hoben sie den Eroberungscharakter der ungarischen Nation, deren Vormacht über andere Ethnien sowie „deren Mission in der Weltgeschichte“ hervor.68 Parallel zu diesen Entwicklungen transformierte die „Unabhängigkeitspartei“ ihren Anführer, Lajos Kossuth, metaphorisch zum von Gerő so bezeichneten „Messias der ungarischen Nation“.69 Die Stadtverwaltung von Szigetvár und die nach dem Ausgleich (1867) gegründeten Vereine, wie zum Bsp. der „Szigetvárer Leserkreis“ (Szigetvári Olvasóegylet) oder das „Bürgerliche Kasino von Szigetvár“ (Szigetvári Polgári Kaszinó), teilten diese Anschauung der Unabhängigkeitspartei. So ernannte beispielsweise der Szigetvárer Leserkreis Kossuth, der sich zu dieser Zeit bereits im italienischen Exil befand, zu seinem Ehrenpräsidenten und korrespondierte regelmäßig mit ihm.70 Dieser Verein war es auch, der den Zrínyi-Kult intensiv pflegte und ab den 1870er Jahren die jährlichen Erinnerungsfeierlichkeiten organisierte. Die Errichtung von zwei Denkmälern war ebenfalls dieser Organisation zu verdanken: Anders als das „Zrínyi-Denkmal“ mit dem Löwen auf dem Hauptplatz, das an alle Helden von 1566 erinnern sollte, war das zweite ausschließlich 64 65

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Gunst (wie Anm. 37), 204. Siehe dazu ausführlich Barbarics, Zsuzsa: Gastfreunde oder Kriegsfeinde? Das Bild der Osmanen in der ungarischen Historiographie des 19. und 20. Jahrhunderts. In: Specimina nova. Pars prima, Sectio mediaevalis 2 (2003), 120–123. – Ágoston, Gábor: The Image of the Ottomans in Hungarian Historiography. In: Acta Orientalia Academiae Scientiarum Hungaricae 61/1–2 (2008), 15–26. – Fodor, Pál/Dávid, Géza: Hungarian Studies in Ottoman History. In: The Ottomans and the Balkans. A Discussion of Historiography. Hg. v. Fikret Adanır und Suraiya Faroqhi. Leiden-Boston-Köln 2002, 305–349. Gunst (wie Anm. 37), 207. Der bekannteste Vertreter dieser Meinung war der Linguist und Orientalist Ármin Vámbéry. Gunst (wie Anm. 37), 208. Gerő (wie Anm. 35), 23. Bősze, Sándor: A község egyesületei 1867–1949 között [Die Vereine der Gemeinde 1867– 1949]. In: Szigetvár története (wie Anm. 4), 373–391, hier 381.

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„dem ungarischen Nationalhelden“ Miklós Zrínyi gewidmet. Für die Errichtung der Statue, die im Rahmen der Erinnerungsfeierlichkeiten am 07. September 1878 eingeweiht wurde, sammelte man sogar unter der Bevölkerung von Szigetvár und Umgebung Spenden ein.71 An dieser Stelle muss auf eine parallele Entwicklung im Prozess der ungarischen bzw. der kroatischen Nationsbildung und entsprechend in der Gestaltung des neuen nationalen Gedächtnisses hingewiesen werden: In den 1870er Jahren erklärte der kroatische Dichter Ivan Mažuranić (1814–1890), dass Miklós Zrínyi von kroatischer Herkunft gewesen und somit eigentlich der Nationalheld der Kroaten und der kroatischen Nation wäre. Weiter betonte er die Rolle des Königreiches Kroatien an der Verteidigung Europas und der gesamten Christenheit gegen die „Türken“.72 Statt einer shared memory ist damit ein Kampf um diesen Nationalhelden entbrannt, der im Grunde bis heute andauert. Ein Jahr vor dem Ende des Ersten Weltkrieges wurde im Rahmen der Jubiläumsfeierlichkeiten am 07. September 1917 ein neuer Kulturverein zur Pflege des „Zrínyi-Kultes“ und zur Organisation der Erinnerungsfeierlichkeiten gegründet: Der „Szigetvárer Miklós Zrínyi Museumsverein“ (Szigetvári Zrínyi Miklós Múzeum Egyesület) konnte seine Tätigkeit jedoch erst nach dem Ende des Ersten Weltkrieges aufnehmen.73 Der „Museumsverein von Mohács“ (Mohácsi Múzeum Egyesület) wurde überhaupt erst im Jahr 1923 gegründet.74 Im Verlauf des Ersten Weltkrieges entwickelten Mitglieder der 1910 gegründeten sog. Ungarischen Turanischen Gesellschaft (Magyar Turáni Társaság) die Idee einer euroasiatischen Gemeinschaft von Völkern, wie den Ungarn, Türken, Bulgaren und anderen, vor allem Turkvölkern aus Zentralasien, als Kontrapunkt zu den deutschen imperialistischen Mitteleuropa-Ideen sowie zum Panslawismus. In Budapest und Istanbul wurden dazu Vereine türkisch-ungarischer Freundschaft gegründet, die um einen Kulturaustausch bemüht waren und zahlreiche kulturelle Programme organisierten. Die turanische Idee wurde während des Ersten Weltkrieges auch mit dem radikal rechten Nationalismus in Ungarn in Verbindung gebracht.75

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Insgesamt konnten so 20.000 Forint gesammelt werden. Siehe Ders.: Mezővárosból község, községből kisváros (1849–1914) [Vom Marktflecken zur Gemeinde, von einer Gemeinde zur Kleinstadt (1849–1914)]. In: Ebd., 231–258, hier 255. Gerő (wie Anm. 35), 46. Dazu ausführlich Bősze (wie Anm. 70), 382. Vgl. Papp, László: A mohácsi csatatér kutatása. 1960 [Die Erforschung des Schlachtfeldes von Mohács. 1960]. In: Mohács (wie Anm. 3), 240. Vgl. Hanebrink, Paul: Islam, Anti-Communism, and Christian Civilization. The Ottoman Menace in Interwar Hungary. In: Austrian History Yearbook 40 (2009), 114–124, hier 117 f. – Kincses Nagy, Éva: A turáni gondolat [Der turanische Gedanke]. In: http://www.tankonyvtar. hu/tortenelem/ostortenet-nemzettudat-080905–6 (02.11. 2010).

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Die Zwischenkriegszeit und die Periode bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges Durch den Ausgang des Ersten Weltkrieges und die Friedensverträge von Versailles (1918), St. Germain (1919) und Trianon (1920) wandelte sich die Situation in Zentral-, Südost- bzw. Südostmitteleuropa grundsätzlich. Die multiethnischen und plurikulturellen Großreiche, wie das Osmanische Reich oder Österreich-Ungarn, wurden von neu geschaffenen Nationalstaaten abgelöst. Die Bestimmungen der Pariser Vorortverträge sollten offiziell u.a. das Recht auf Selbstbestimmung von Nationen bestätigen. Da in dieser Zeit Ungarn als souveräner Nationalstaat entstand, brachte der Friedensvertrag von Trianon eigentlich einen Vorteil für die eigenständige ungarische Nationsbildung. Andererseits wurden aber zwei Drittel des Territoriums und der Bevölkerung des ehemaligen Königreiches Ungarn zu Teilen von anderen, ebenfalls neu geschaffenen Nationalstaaten. Aufgrund dieser „Verluste“ wurde der genannte Friedensvertrag bereits in der Zwischenkriegszeit als „neues Mohács“ bezeichnet und von den offiziellen politischen Stellen, vor allem unter dem Reichsverweser Miklós Horthy (1868–1957), in diesem Sinne propagiert. Zugleich markierte Trianon also eine Niederlage für den ungarischen Nationalismus.76 In dieser Situation musste für den neuen Nationalstaat auch eine neue Identität, ein neues kollektives Gedächtnis geschaffen werden. Die christlich-konservative, „antirevolutionäre“ und national gesinnte Regierung des souveränen Ungarns betraute auch Historiker mit diesem Auftrag. Eine der Hauptaufgaben bestand dabei darin, die ununterbrochene Kontinuität der Existenz des ungarischen „Staates“ aufzuzeigen.77 Der einflussreichste Historiker Ungarns der Zwischenkriegszeit war Gyula Szekfű (1883–1955), ein frommer Katholik und erklärter Sympathisant der Habsburger Dynastie.78 In seinen Werken machte er die Osmanen für das „TrianonTrauma“ verantwortlich und beschrieb das Osmanische Reich, dessen Kultur und Religion – der Tradition des deutschen und englischen Orientdiskurses im 19. Jahrhundert entsprechend – als barbarisch und unterentwickelt.79 Szekfű betonte ferner, dass es ausschließlich den Habsburgern, die für ihn die einzigen legitimen Nachfolger der früheren „national-ungarischen“ Könige waren, zu verdanken gewesen wäre, dass Ungarn ein Teil des christlichen Europas geblieben war.80 Die 76

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Romsics, Ignác: A trianoni békeszerződés [Der Friedensvertrag von Trianon]. Budapest 2007. – Ders.: The Trianon Peace Treaty in Hungarian Historiography and Political Thinking. In: Hungary’s Historical Legacies. Studies in Honor of Steven Béla Várdy. Hg. v. Dennis P. Hupchick und William N. Weisberger. New York 2000, 89–105. – Ormos, Mária: Magyarország a két világháború korában (1914–1945) [Ungarn in der Zeit der zwei Weltkriege (1914–1945)]. Debrecen 1998. Vgl. Gunst (wie Anm. 37), 225–227. Vgl. Glatz, Ferenc: Történetíró és politika. Szekfű, Steier, Thim és Miskolczy nemzetről és államról [Historiker und Politik. Szekfű, Steier, Thim und Miskolczy über Nation und Staat]. Budapest 1980, 18 f. Siehe zum Bsp. in Hóman, Bálint/Szekfű, Gyula: Magyar történet [Ungarische Geschichte]. Bd. III: A XVI. század. Budapest 1935, 101 f. Ebd., 103.

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Gegenreformation interpretierte er als eine Periode der nationalen Mission Ungarns: Als „Nation der Jungfrau Maria“ wäre Ungarn zu dieser Zeit ein Bollwerk gegen die „Türken“ an den Grenzen des abendländischen Christentums gewesen.81 Diese Argumentation entsprach der offiziellen Propaganda der christlich-konservativen Regierung Horthys, in deren Mittelpunkt in den 1930er Jahren u.a. „die christlich-deutsche kulturelle Gemeinschaft“ stand.82 Gleichzeitig wurden – hauptsächlich durch die Tätigkeit der römisch-katholischen Kirche – die neuen Ideologien, wie der Bolschewismus und Sozialismus, mit dem Islam, der in der Frühen Neuzeit eine Bedrohung aus dem Osten darstellte, gleichgesetzt.83 Diese Tendenz zeichnete jedoch nicht nur Ungarn aus, sondern war in den 1930er Jahren auch für Österreich zu beobachten. Derlei Aktualisierung kam besonders bei den Feierlichkeiten aus Anlass des 240-jährigen Jubiläums des Entsatzes von Wien im Jahr 1933 zum Ausdruck.84 Die Feierlichkeiten zum 400-jährigen Jubiläum der Schlacht bei Mohács zeigen wiederum, wie vielschichtig dieser Gedächtnisort damals interpretiert, aktualisiert und instrumentalisiert wurde: Am „nationalen Trauertag“, den 29. August 1926, nahmen zum ersten Mal die höchsten Repräsentanten sowohl der religiösen – zum Bsp. der Erzbischof von Kalocsa, Graf Gyula Zichy, und der Bischof von Fünfkirchen, Ferenc Virág – als auch der säkularen Macht des souveränen Ungarns – Reichsverweser Miklós Horthy und der Kultur- und Bildungsminister Kuno Klebelsberg – teil. Dies unterstreicht nicht nur die Bedeutung des genannten Ereignisses an sich und die Stellung dieses Gedächtnisortes innerhalb der damaligen Erinnerungskultur, sondern auch die enge Verbundenheit der genannten Machtsphären, wobei die religiöse Seite durch die Anwesenheit des päpstlichen Nuntius, Orsegio Cesare, noch verstärkt wurde. Ebenso interessant ist dabei auch die Einladung der Vertreter der ehemaligen Großmächte: Die Prinzen Albert und Johann repräsentierten die Habsburger Dynastie. Zum ersten Mal wurde ein Vertreter des ehemaligen Osmanischen Reiches, nunmehr der Botschafter der Republik Türkei, zu der Ungarn in der Zwischenkriegszeit enge Kontakte pflegte, eingeladen.85 Die „türkische Komponente“ bei den Jubiläumsfeierlichkeiten wurde noch durch die Anwesenheit des Präsidenten der Ungarischen Turanischen Gesellschaft gestärkt.86 Diese wurde 1910 im Rahmen der „pan-turanischen Bewegung“ gegründet, die als Antwort auf und teilweise als Gegenbewegung zum Panslawismus ins Leben gerufen worden war. Das Ziel der turanischen Bewegung war es, alle Völker turanischen Ursprungs – die verschiedenen Turkvölker, die Ungarn usw. – 81 82 83 84 85 86

Vgl. Hanebrink (wie Anm. 75), 122. Szűcs, Jenő: A magyar nemzeti tudat kialakulása [Die Entstehung des ungarischen Nationalbewusstseins]. Budapest 1997, 341. Vgl. Hanebrink (wie Anm. 75), 115 f. Hierzu ausführlicher Mitterauer, Michael: Politischer Katholizismus, Österreichbewusstsein und Türkenfeindbild. Zur Aktualisierung von Geschichte bei Jubiläen. In: Beiträge zur historischen Sozialkunde 12/4 (1982), 111–120. Hírlapi tudósítás a csata négyszázadik évfordulóján rendezett mohácsi ünnepségekről – 1926 [Zeitungsbericht über die Feierlichkeiten, die in Mohács zum 400-jährigen Jubiläum der Schlacht abgehalten wurden – 1926]. Hier zitiert nach Mohács (wie Anm. 3), 527–536. Ebd., 532.

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politisch und kulturell zu vereinigen.87 Die Verwandtschaft der Ungarn mit den Türken, und damit implizit auch jene zwischen der modernen ungarischen und der türkischen Nation, wurde während der Erinnerungsfeierlichkeiten nicht nur in der Rede des türkischen Botschafters, sondern auch in jener des Präsidenten der Ungarischen Turanischen Gesellschaft besonders betont.88 Selbst der christlich-konservative Reichsverweser, Admiral Horthy, hob die „Freundschaft und gegenseitige Sympathie“ sowie die „Rassenverwandtschaft“ der zwei Nationen in seiner Ansprache hervor.89 Allerdings gedachten nur der türkische Botschafter und der Präsident der Ungarischen Turanischen Gesellschaft im Rahmen der Erinnerungs- und Trauerfeierlichkeiten auch der Opfer der osmanischen Seite.90 Horthy, Graf Zichy sowie Prinz Johann von Habsburg aktualisierten die Erinnerung an die Schlacht von 1526 in ihren Reden sehr gezielt: Alle drei bezeichneten Mohács als „den großen Friedhof der ungarischen Nation“ und verwiesen dabei auf die symbolischen Analogien zwischen Mohács und Trianon.91

Die sozialistische Periode Unmittelbar nach der Machtergreifung durch die Kommunistische Partei im Jahr 1948 wurde damit begonnen, eine neue, sozialistische Identität für Ungarn zu erschaffen, für die man ebenso nach einer historischen Legitimation suchte. Als ersten Schritt beauftragte das Oberhaupt der Partei, Mátyás Rákosi (1892–1971), den Schriftsteller Gyula Illyés (1902–1983) und den Komponisten Zoltán Kodály (1882–1967), eine neue Nationalhymne für Ungarn zu verfassen bzw. zu komponieren, die dem Geist des Sozialismus entsprach. Beide weigerten sich jedoch, dieser Bitte nachzukommen. So blieb Kölcseys „Himnusz“ auch weiterhin die ungarische Hymne.92 Im Jahr der „kommunistischen Wende“ (1948), das mit dem 100-jährigen Jubiläum der Erhebung der Ungarn gegen die Habsburger von 1848 zusammenfiel, erklärte sich das kommunistische Regime selbst zum „Erben und Nachfolger von 1848“ mit der Begründung, dass „es – den nationalen Interessen entsprechend – Freiheit für die Arbeiterklasse bringen, die Unterdrücker liquidieren und am Auf87

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Jelentés a Turáni Társaság 1918–1928. évi működéséről [Bericht über die Tätigkeit der Turanischen Gesellschaft für die Jahre 1918–1928]. Budapest 1928. – A Turáni Társaság / Magyar Néprokonsági Egyesület / alapszabályai [Satzung der Turanischen Gesellschaft / des Ungarischen Vereins für Volksverwandtschaft]. Budapest 1942. – http://www.britannica.com/eb/article-9058212/Pan-Turanianism (14.03. 2008). Hírlapi tudósítás (wie Anm. 85), 532 f. „Az egykori ellenségből jó barát lett. A két ősi rokon faj közötti ellentétek elsimultak és helyükbe lépett a megértő barátság és kölcsönös meleg rokonszenv – Aus dem ehemaligen Feind ist ein guter Freund geworden. Die Gegensätze zwischen den beiden von Uraltem her verwandten Rassen sind beiseitegelegt worden. Anstelle dieser sind verständnisvolle Freundschaft und gegenseitige warme Sympathie getreten.“ Vgl. ebd., 533 f. Ebd., 532 f. Ebd., 529 und 533 f. Siehe auch Gerő (wie Anm. 35), 67 f.

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stieg der Arbeiterklasse arbeiten würde“.93 Dabei wurde ein direkter Zusammenhang zwischen Rákosi und den Anführern der antihabsburgischen Aufstände, Ferenc II. Rákóczi (1676–1735) und Lajos Kossuth, die nach der Niederschlagung der Aufstände im Osmanischen Reich Obhut gefunden hatten, hergestellt.94 Die kommunistische Partei war jedoch nur an diesen „Episoden“ aus der osmanischen Vergangenheit interessiert und kümmerte sich nicht weiter um die damit im Zusammenhang stehenden Gedächtnisorte wie Mohács und Szigetvár.95 Die christlich-klerikale Opposition mit Kardinal József Mindszenty (1892– 1975) an der Spitze aktualisierte und instrumentalisierte die osmanische Vergangenheit hingegen ganz bewusst gegen die aktuellen Machthaber in Ungarn. Dabei stilisierte man die katholische Kirche zu einem Bollwerk gegen die neuen Ideologien des Sozialismus und Kommunismus, in denen man eine vergleichbare Bedrohung für die „christlich-europäische Zivilisation“ sah, wie diejenige durch die Osmanen und deren antichristliche „Ideologie“, den Islam, in der Frühen Neuzeit. Demnach hätte die katholische Kirche 1948 den gleichen Kampf für den Erhalt der westlichen christlichen Zivilisation geführt, wie das zur Zeit der Gegenreformation gegen die Osmanen der Fall gewesen war.96 Die Gedächtnisorte Mohács und Szigetvár gewannen während des Aufstandes gegen das amtierende Regime 1956 daher wieder an Bedeutung: Die mit etwa 2.000 bis 2.500 Personen größte Demonstration der Regimegegner fand am 26. Oktober 1956 in unmittelbarer Nähe zum „Zrínyi-Denkmal“ auf dem Hauptplatz von Szigetvár statt. Die Redner stellten bewusst Analogien zwischen dem „Heldentod Zrínyis und seiner Soldaten“ bzw. deren „Aufopferung für die Nation“ und der aktuellen politischen Situation her.97 In der sog. Kádár-Ära (1956–1988) war die Organisation „Patriotische Volksfront“ (Hazafias Népfront) für alle kulturellen Aktivitäten sowie für die praktische Umsetzung des Gedankens der „sozialistischen nationalen Einheit“ (szocialista nemzeti egység) verantwortlich. In Szigetvár wurde in einer Sitzung des Lokalkomitees der regierenden Ungarischen Sozialistischen Arbeiterpartei (Magyar Szocialista Munkáspárt, fortan MSZMP) im Dezember 1958 beschlossen, im Rahmen eines sog. Drei-Jahres-Kulturplanes alle in der Festung und im umliegenden Park angesiedelten Institutionen und Betriebe zu entfernen, um diesen Gedächtnisort mehr zu exponieren. Die ersten Entscheidungen für eine Realisierung dieses Vorhabens wurden ebenfalls getroffen. Diese betrafen die ersten Vorbereitungen zu den Feierlichkeiten im Rahmen des 400-jährigen Jubiläums der „ersten Schlacht von Szigetvár im Jahr 1566“. Die Patriotische Volksfront wurde damit beauftragt, eine 93 94 95 96 97

Ebd., 69 f. Vgl. Klimó, Árpád von: Stalinismus und Nationalismus. Der Kossuth-Kult in der Rákosi-Ära (1949–1953). In: Lajos Kossuth (1802–1894). Wirken – Rezeption – Kult. Hg. v. Holger Fischer. Hamburg 2007, 155–165. – Gerő (wie Anm. 35), 68 f. Ebd., 69 f. – Vas, István: Szigetvár 1966–2002. In: Szigetvár története (wie Anm. 4), 413–432, hier 413–417. Hanebrink (wie Anm. 75), 114–116 und 123 f. Szántó, László: A várossá alakulás kora, 1945–1966 [Das Zeitalter der Stadtwerdung, 1945– 1966]. In: Szigetvár története (wie Anm. 4), 329–351, hier 340.

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Organisation zu gründen, deren Aufgabe die allgemeine Pflege des Gedächtnisortes sowie die Ausrichtung der Jubiläumsfeierlichkeiten im Jahr 1966 sein sollte. So wurde im Oktober 1959 der „Kreis der Freunde der Festung von Szigetvár“ (Szigetvári Várbaráti Kör) ins Leben gerufen.98 Zrínyi oder der bereits bestehende „Zrínyi-Kult“ wurde zwar nicht von der Partei selbst, sondern von dem Präsidenten des Kreises, dem Gymnasiallehrer und Lokalhistoriker Imre Molnár, ab den 1960er Jahren immer mehr in den Mittelpunkt der Erinnerungskultur gerückt.99 In den 1970er Jahren bezeichnete sich das Kádár-Regime nicht mehr als „Erbe und Reinkarnation von Kossuth“. Man ließ nun auch die Beschäftigung mit anderen Persönlichkeiten und Ereignissen der ungarischen Geschichte zu.100 Die Entstehung des sog. Erinnerungsparks zum 450-jährigen Jubiläum der ersten Schlacht bei Mohács 1976 war ebenfalls dieser „liberaleren“ Kulturpolitik zu verdanken.101 Der Anstoß für die Errichtung des genannten Erinnerungsparks erfolgte durch die Auffindung zweier Massengräber durch Archäologen in den 1960er Jahren auf dem vermuteten Schlachtfeld von Mohács (1526), die dank der Medien eine landesweite Aufmerksamkeit erzeugten.102 Der Gemeinderat von Mohács regte daraufhin an, an der Stelle, wo die Massengräber gefunden worden waren, eine Gedenkstätte zu errichten, was jedoch seitens des Zentralkomitees der MSZMP in Budapest kategorisch abgelehnt wurde. Der archäologische Fund löste jedoch in der Geschichtswissenschaft der 1960er und 1970er Jahre in Ungarn eine rege Debatte über die Bedeutung, den Ablauf und die Konsequenzen der Schlacht aus.103 Diese unter Historikern ausgetragene Diskussion lenkte die öffentliche Aufmerksamkeit dann noch stärker auf den genannten Gedächtnisort, was die Leitung der MSZMP mit der Zeit dazu zwang, sich zu den Massengräbern sowie zu den historischen Zusammenhängen in der ungarischen Geschichte zu äußern.104 In einem ersten Schritt erklärte man den Bereich, in dem die Massengräber gefunden wurden, zum Naturschutzgebiet.105 Anschließend wurde darüber diskutiert, wie die Erinnerung und die zukünftige Gedenkstätte gestaltet werden sollten. 98 99 100 101 102 103

Ebd., 344 f. Vgl. Vas (wie Anm. 95), 421. Gerő (wie Anm. 35), 71. Siehe ausführlicher Gyáni (wie Anm. 63). Papp (wie Anm. 74). Die führende Persönlichkeit dieser Debatte, die allgemein „Mohács-Diskussion“ (Mohácsvita) genannt wird, war Géza Perjés, der mit seinem Mohács-Buch die ganze Diskussion initiierte. Siehe Perjés, Géza: A nemzeti önérzet zavarai. Gondolatok a nacionalizmus-vitához [Störungen im nationalen Selbstwertgefühl. Gedanken zum Nationalismus-Diskurs]. In: Új Látóhatár 4/7–8 (1967), 699–702. – Ders.: Mohács. Budapest 1979. Zur Kritik und Widerlegung der Thesen von Perjés siehe Ágoston, Gábor: Magyarország és az oszmán hódítás. Elméletek és kételyek [Ungarn und die osmanische Expansion. Theorien und Bedenken]. In: Rubicon 4 (1991), 26–29. – Szakály, Ferenc: Oktalan oknyomozás. Válasz Perjés Géza Mohács c. könyvére [Eine überflüssige Spurensuche. Antwort auf das Buch von Géza Perjés mit dem Titel Mohács]. In: Kritika 17/10 (1979), 21–23. 104 Siehe auch Kovács, Gábor: A mohácsi történelmi emlékhely. Szimbolikus harc a történelmi emlékezetért [Die historische Gedenkstätte in Mohács. Symbolischer Kampf um das historische Gedächtnis]. In: Mohács (wie Anm. 3), 542–555, hier 542–545. 105 Ebd., 545.

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Um die Entscheidungsfindung zu fördern, entsandte die Regierung ausgewählte Experten in andere sozialistische Länder, damit diese dort die Erinnerungsorte der osmanischen Vergangenheit, wie zum Bsp. Kosovo Polje im damaligen Jugoslawien oder Varna in Bulgarien, besichtigen.106 In den frühen 1970er Jahren wurde dann entschieden, dass anstatt von Monumenten, Statuen und Erinnerungstafeln eine Gedenkstätte, ein „Erinnerungspark“, errichtet werden sollte. Die Verantwortlichen in der MSZMP betonten diesbezüglich, dass dort nicht in erster Linie an König Ludwig II. oder Adelige, sondern an die einfachen Menschen, die in der Schlacht gekämpft hatten, erinnert werden sollte. 120 Holzstehlen (kopjafa) sollten im Erinnerungspark diese Intention symbolisieren, da im 16. und 17. Jahrhundert die Gräber der einfachen Menschen auf diese Weise gestaltet gewesen wären (Abb. 3).107 In diesem Zusammenhang wurde ausdrücklich betont, dass der Erinnerungspark in Mohács mit dem Hauptziel angelegt wurde, die „sozialistische nationale Identität“, den sozialistischen Patriotismus sowie das Verständnis für die „sozialistische Internationale“ zu stärken. Die Gedenkstätte wurde offiziell am 29. August 1976, genau am Tag des 450-jährigen Jubiläums der Schlacht, vom Präsidenten der Patriotischen Volksfront, Gyula Ortutay, eingeweiht. In seiner Rede wies er ausdrücklich darauf hin, dass er die Einweihung ausschließlich in dieser Funktion vollzog, denn die hohen Funktionäre in der MSZMP wollten nicht unmittelbar mit diesem lieu de mémoire in Verbindung gebracht werden.108 Ortutay bezeichnete „Mohács“ zwar – der alten Tradition entsprechend – als „großen Friedhof der ungarischen Nation“ (nemzeti nagylétünk nagy temetője),109 betonte aber auch, dass sich das ungarische Volk jetzt, im Gegensatz zu der Zeit König Ludwigs II. in Mohács oder des Zrínyi in Szigetvár, nicht mehr allein gelassen fühlen müsste, da „das heutige Ungarn […] ein konstituierendes Mitglied der Allianz der sozialistischen Völker ist, nicht mit den Ängsten eines kleinen Volkes, sondern mit der Sicherheit eines gleichgestellten sozialistischen Alliierten“.110

Die postsozialistische Periode Nach dem Zusammenbruch des Sozialismus 1989 begann man in Ungarn – wie in jedem Staat des ehemaligen Ostblocks – mit der Formung einer neuen staatlichen Identität. Dieser Prozess beinhaltete nicht nur die Neuinterpretation der ungarischen Geschichte, sondern auch einen Wandel in der Verwendung der nationalen

106 Ebd., 547. 107 Gyáni (wie Anm. 63), 90 f. 108 Ortutay, Gyula: Mohács emlékezete. Elhangzott a mohácsi történelmi emlékhely felavatásán [Die Erinnerung an Mohács. Rede anlässlich der Einweihung der historischen Gedenkstätte in Mohács]. In: Mohács (wie Anm. 3), 537–542. 109 Ebd., 538 f. 110 „[…] a mai Magyarország […] alkotó részese a szocialista nemzetek szövetségének – nem a kis nép félelmeivel, hanem egyenrangú szocialista szövetséges biztonságával.“ Ebd., 542.

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Symbole. Bei der Legitimierung der neuen postkommunistischen Identität Ungarns bediente man sich der Geschichte so, wie man das für notwendig hielt.111 Zudem nahmen die Bedeutung des Glaubens, der religiösen Traditionen und insbesondere die Rolle der römisch-katholischen sowie der calvinistischen Kirche wieder zu. Im Jahr der Wende (1989) wurde beispielsweise ein übergroßes Feldkreuz im Erinnerungspark in Mohács aufgestellt. Ab diesem Zeitpunkt nahmen die höchsten Repräsentanten der katholischen Kirche, so etwa die Erzbischöfe von Gran (ung. Esztergom) und Kalocsa, an den jährlichen Erinnerungsfeierlichkeiten am 29. August teil und zelebrierten dort eine Feldmesse.112 Eine vergleichbare Entwicklung lässt sich in Szigetvár beobachten. Das belegt die Wiedereinführung der sog. Zrínyi-Messe, die seit 1989 jedes Jahr vom Fünfkirchner Bischof zelebriert wird.113 In der Nachwendezeit wurde in Szigetvár sogar ein neues Denkmal errichtet: Seit Anfang der 1980er Jahre fand auf verschiedenen Ebenen eine Intensivierung der Kontakte zwischen Szigetvár und dem türkischen Staat statt. Im Laufe der Zeit wurde von der türkischen Seite der Wunsch geäußert, ein Denkmal oder eine Türbe zur Erinnerung an Sultan Süleyman I. in Szigetvár oder in der Umgebung der Stadt errichten zu dürfen. Diese Bitte wurde von der Stadtführung in den 1980er Jahren jedoch zunächst abgelehnt.114 Die politische Wende 1989 bewirkte einen überraschenden Wandel: An den Erinnerungsfeierlichkeiten dieses Jahres, in dem gleichzeitig auch das 300-jährige Jubiläum der Eroberung von Szigetvár durch die Habsburger gefeiert wurde, nahm zum ersten Mal der türkische Botschafter in Ungarn teil.115 In den frühen 1990er Jahren wurde der oben genannte Wunsch des türkischen Staates erneut vorgetragen, wozu der Stadtrat 1994 schließlich seine Zustimmung gab. Dabei wurde für die folgenden 99 Jahre in der unmittelbaren Umgebung der Stadt – wo 1566 das Zelt Süleymans I. gestanden haben soll – ein Grundstück für die symbolische Geldsumme von einem Forint an den türkischen Staat verpachtet. Der dort angelegte „Park der türkisch-ungarischen Freundschaft“ mit dem symbolischen Grab Süleymans I. und einer Statue des Sultans – beides wurde in der Türkei angefertigt und auch vom türkischen Staat finanziert –, wurde am 06. September 1994 eingeweiht (Abb. 4). Dieses Datum entspricht dem Todestag des Herrschers im Jahr 1566. An der Einweihungszeremonie nahm sogar der damalige Ministerpräsident der Türkei, Süleyman Demirel (geb. 1924), teil.116 Die Anlage des Freundschaftsparks, vor allem aber die Errichtung der Statue Süleymans I. löste eine landesweite Diskussion in Ungarn aus: Von vielen Seiten wurde angezweifelt, ob ein Denkmal eines ehemaligen Gegners von Zrínyi, die Statue eines „türkischen“ Sultans, in Ungarn überhaupt eine Berechtigung hätte. Der Stadtrat von Szigetvár wurde diesbezüglich von national gesinnten politischen 111 112 113 114 115 116

Vgl. Gerő (wie Anm. 35), 7–14. Vgl. Kovács (wie Anm. 104), 552 f. Vas (wie Anm. 95), 421. Ebd., 420. Ebd., 421. Ebd., 429 f.

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Kräften stark angegriffen.117 Im September 1995 versammelten sich rechtsgesinnte Demonstranten aus ganz Ungarn in Szigetvár, um gegen den Freundschaftspark und gegen die Sultanstatue zu protestieren.118 Diese Protestwelle führte dazu, dass der türkische Staat 1996 – wiederum auf eigene Kosten – eine Zrínyi-Statue neben derjenigen von Süleyman errichten ließ (Abb. 5 und 6). Dabei wurde ausdrücklich betont, dass der Freundschaftspark die Versöhnung zwischen den Ungarn und den Türken symbolisieren soll. Dieser Haltung entsprechend finden seit 1996 jedes Jahr um den 06./07. September herum gemeinsame ungarisch-türkische Erinnerungsfeierlichkeiten in Szigetvár statt.119 In Mohács sind jedoch noch keine Anzeichen für eine vergleichbare Annäherung zu beobachten.120

Zusammenfassung Zusammenfassend können folgende parallele Entwicklungslinien bei der Gestaltung des Türkengedächtnisses vom 18. und 19. Jahrhundert bis ins späte 20. Jahrhundert aufgezeigt werden: In der postosmanischen Zeit war die römisch-katholische Kirche eine treibende Kraft. Sowohl in Mohács als auch in Szigetvár waren es katholische Geistliche, vor allem die Bischöfe von Fünfkirchen, die die ersten Schritte unternahmen, um die Entwicklung eines Mohács-Kultes bzw. einer Verehrung König Ludwigs II. sowie eines Szigetvár-Zrínyi-Kultes zu fördern. Die in dieser Epoche errichteten Denkmäler und die abgehaltenen Feierlichkeiten sind daher ausschließlich der religiösen Sphäre zuzuordnen. Seit der Periode des „nationalen Erwachens“ verlagerte sich der Schwerpunkt immer mehr in die säkulare Sphäre, wodurch sich auch die Akteure wandelten. Gleichzeitig blieb die Bedeutung der Religion bei der Formung der Erinnerungskultur bestehen, weil diese von der nationalen Identitätsbildung nicht zu trennen war. Eine Ausnahme bildete dabei nur die sozialistische Periode, in der eine vollkommene Säkularisierung des Türkengedächtnisses angestrebt wurde. Die postkommunistische Zeit führt zurück zum Ausgangspunkt, da nun erneut die Kirche bzw. die Kirchen die federführende Rolle übernahmen. Die jüngsten Entwicklungen zeigen allerdings auch, wie stark die Erinnerungsorte Mohács und Szigetvár für nationalistische Parolen im Zusammenhang mit dem „Ungarntum“ instrumentalisiert werden, wobei die tradierten Mythen als Teil einer imagined history aktualisiert werden.

117 Vgl. Csak nálunk állhat szultánszobor. 2001. augusztus 27 [Nur bei uns kann ein Sultansdenkmal stehen. 27. August 2001]. In: http://www.mult-kor.hu/cikk.php?id=29 (12.10. 2011). 118 Vas (wie Anm. 95), 430. 119 Ebd., 431. 120 Kovács (wie Anm. 104), 551.

Tafelteil

Tafelteil N. Spannenberger

Ikonostase von Grabovac

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Kuppelgemälde der Klosterkirche von Grabovac

Grabsteine der Mönche auf dem Klosterfriedhof von Grabovac

Tafelteil N. Spannenberger

Tafelteil N. Spannenberger

Die Klosterkirche von Grabovac (Alle Bilder sind Privataufnahmen von Norbert Spannenberger)

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Tafelteil Z. Gőzsy

Der Bischof von Wesprim, Otto Volkra (1665–1720) (Bild: http://archivum.piar.hu/rendtortenet/forrasok/alapitolevelek/galeria/volkra800.jpg)

Tafelteil Zs. Barbarics-Hermanik

Abb. 1: Die Wallfahrtskirche in Turbék (Szigetvár)

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Abb. 2: Das Zrínyi-Denkmal in Szigetvár

Tafelteil Zs. Barbarics-Hermanik

Tafelteil Zs. Barbarics-Hermanik

Abb. 3: Die Gedenkstätte in Mohács

Abb. 4: „Park der türkisch-ungarischen Freundschaft“ in Szigetvár

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Tafelteil Zs. Barbarics-Hermanik

Abb. 5 u. Abb. 6: Die Statuen von Miklós Zrínyi und Sultan Süleyman I. im „Park der türkisch-ungarischen Freundschaft“ in Szigetvár (Alle Bilder sind Privataufnahmen von Zsuzsa Barbarics-Hermanik)

f o r s c h u ng e n z u r g e s c h i c h t e u n d k u lt u r d e s ö s t l i c h e n m i t t e l e u ro pa Veröffentlichungen des Geisteswissenschaftlichen Zentrums Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas e.V. an der Universität Leipzig Herausgegeben von Winfried Eberhard, Adam Labuda, Christian Lübke, Heinrich Olschowsky, Hannes Siegrist, Petr Sommer und Stefan Troebst. Die Bände 1–3 sind im Akademie-Verlag (Berlin), der Band 4 im Leipziger Universitätsverlag erschienen.

Franz Steiner Verlag

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ISSN 1435–9030

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In letzter Zeit sind Grenzen und Grenzregionen wieder verstärkt in den Fokus der Forschung gerückt: Wie entstehen Grenzen? Welche trennenden und gesellschaftlich wie kulturell übergreifenden Funktionen erfüllen sie? Wie steht es um das Verhältnis von Zentrum und Peripherie? Der Grenzraum zwischen dem westlichen Kulturkreis und der islamischen Welt bietet in diesem Zusammenhang ein hervorragendes Forschungsfeld, denn hier lässt sich eine lange und vielfältige Beziehungsgeschichte nachzeichnen. Im Zeitraum der frühen Neuzeit wurde die Region zum Berührungspunkt mehrerer Großreiche. Vor diesem Hintergrund untersuchen in diesem Band Fachleute mit internationalem Renommee exemplarisch reale Grenzen, Grenzvorstellungen und Grenzkonzeptionen sowie (bleibende) mentale Grenzen – gleichermaßen auf politischem, diplomatischem, gesellschaftlichem, kulturellem, kirchlichem und wirtschaftlichem Feld.

isbn 978-3-515-10428-9