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German Pages [583] Year 2022
Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament Herausgeber/Editor Jörg Frey (Zürich) Mitherausgeber/Associate Editors Markus Bockmuehl (Oxford) ∙ James A. Kelhoffer (Uppsala) Tobias Nicklas (Regensburg) ∙ Janet Spittler (Charlottesville, VA) J. Ross Wagner (Durham, NC)
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Antike Fluchtafeln und das Neue Testament Materialität – Ritualpraxis – Texte Herausgegeben von
Michael Hölscher, Markus Lau und Susanne Luther
Mohr Siebeck
Michael Hölscher, geboren 1983; 2009–2013 Universitätsassistent am Institut für Neutestamentliche Bibelwissenschaft an der Kath.-Theol. Fakultät der Universität Graz (Österreich); seit 2013 Wiss. Mitarbeiter im Fach Neues Testament der Kath.-Theol. Fakultät der Universität Mainz. Markus Lau, geboren 1977; 2003–2009 Wiss. Mitarbeiter an der Kath.-Theol. Fakultät der Universität Münster; 2010–2015 Diplom- und Doktorassistent am Biblischen Departement der Universität Freiburg (Schweiz); seit 2016 Oberassistent für Neutestamentliche Exegese und Biblische Umwelt am Biblischen Departement der Universität Freiburg (Schweiz). Susanne Luther, geboren 1979; 2007–2009 Wiss. Mitarbeiterin an der Theol. Fakultät der Universität Erlangen; 2009–2018 Wiss. Mitarbeiterin an der Theol. Fakultät der Universität Mainz; 2018–2020 Assistant Professor of New Testament and Early Christian Studies an der Faculty for Theology and Religious Studies der Universität Groningen (NL); seit 2020 Professorin für Neues Testament an der Universität Göttingen.
ISBN 978-3-16-157592-1 / eISBN 978-3-16-157593-8 DOI 10.1628/978-3-16-157593-8 ISSN 0512-1604 / eISSN 2568-7476 (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National bibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2021 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Martin Fischer aus der Minion gesetzt, von Gulde Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden. Printed in Germany.
Vorwort Die Themen von wissenschaftlichen Sammelbänden betreffen ihre Autorinnen und Autoren zumeist aus der Perspektive aufgeklärter wissenschaftlicher Neugier und nur höchst selten existentiell. Wir hoffen, dass das auch mit Blick auf dieses Buch der Fall ist und die Beiträgerinnen und Beiträger wenig Grund zum Fluchen und Anlass für Verwünschungen bei der Erstellung ihrer Beiträge hatten. Uns drei Herausgebenden ging es jedenfalls so. Die Zusammenarbeit mit den Autorinnen und Autoren sowie dem Verlag war uns eine Freude. Die Beiträge des Bandes gehen auf die Tagung „Verflucht und zugenäht. Antike Fluchtafeln und das Neue Testament“ (Universität Mainz, 5.–7. April 2018) zurück, die wir drei veranstaltet und für die wir die Autorinnen und Autoren als Referierende gewinnen konnten. Die Fritz Thyssen Stiftung für Wissenschaftsförderung hat die Tagung maßgeblich finanziert. Weitere Beiträge kamen vom Zentrum für Interkulturelle Studien der Universität Mainz sowie aus den Lehrpreismitteln von Susanne Luther und den regulären Haushaltsmitteln der Lehrstühle in Mainz und Freiburg (CH) sowie den Theologischen Fakultäten der Universitäten Groningen und Göttingen, an denen wir tätig waren und sind. Allen Institutionen und Personen, die die Tagung und die damit einhergehende Publikation unterstützt haben, sind wir sehr dankbar. Ebenso danken wir der Universität Mainz für die Gastfreundschaft und für die der Tagung förderliche Atmosphäre. Melina Rohrbach (Universität Mainz) hat mit Rat und Tat das Tagungsunterfangen als wissenschaftliche Hilfskraft unterstützt, Benjamin Lensink (Universität Groningen) war maßgeblich an der Vorbereitung der Beiträge für den Druck beteiligt, Martha Linck und Anja Tsioullis (Universität Mainz) sowie Jonas Hiese (Universität Göttingen) haben sich an den Mühen der Endkorrekturen beteiligt. Herzlichen Dank! Dankbar hervorheben möchten wir die ausgesprochen angenehme Diskussionsatmosphäre, zu der vor allem auch diejenigen beigetragen haben, die als Gäste an der Tagung teilgenommen und diese mit ihren Beiträgen bereichert haben. Ein besonderer Dank gebührt dabei Jürgen Blänsdorf, der uns das Mainzer Isis‑ und Mater-Magna-Heiligtum und die mit ihm verbundenen defixiones nahegebracht hat. Die Idee zur Tagung selbst hat eine längere Vorgeschichte, die bis in das Jahr 2014 zurückgeht. In diesem Jahr hatten wir das Glück am von Dieter Vieweger und Frauke Kenkel geleiteten Lehrkurs für Biblische Archäologie des Deutschen Evangelischen Instituts für Altertumswissenschaft des Heiligen Landes teilnehmen zu können. Das hat nicht nur die Bande der Freundschaft unter den drei Herausgebenden dieses Bandes und den Wunsch zur weiteren Zusammenarbeit gestärkt,
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Vorwort
sondern auch das Interesse an einer Exegese, die die materielle Umwelt des Neuen Testaments verstärkt in den Blick nimmt. Die Suche nach einem diesbezüglich vielversprechenden Feld und damit Projekt führte uns in die Welt der defixiones, die in der neutestamentlichen Bibelwissenschaft bisher kaum im Fokus des Interesses standen. Das freilich sollte sich als Glücksfall erweisen: Bei den allermeisten Referierenden haben wir mit unserer Anfrage offene Türen eingerannt und bekamen den Eindruck gespiegelt, dass das Tagungsthema „einfach dran“ sei. Entstanden ist so im Nachgang zur Mainzer Konferenz ein transdisziplinärer Tagungsband, der bisher wenig miteinander korrelierte Textwelten in Beziehung setzt und miterleben lässt, mit welchen Fragen Exegetinnen und Exegeten das Material der defixiones studieren und analysieren, um es dann für biblische Texte fruchtbar zu machen, der aber auch aufzeigt, wie Fachleute aus den Altertumswissenschaften die ihnen vertrauten defixiones im Licht exegetischer Fragestellungen und jüdisch-christlicher Texte lesen. Wir sind überzeugt: Mit den Beiträgen dieses Bandes ist nicht ein Schlusspunkt unter die Erforschung der Zusammenhänge zwischen defixiones und neutestamentlichen und frühchristlichen Texten gesetzt. Er kann vielmehr als Auftakt für weitere Forschungsunternehmen verstanden werden. Es gibt noch manches zu entdecken. Mit Blick auf die Publikation gilt unser Dank zuvorderst den Autorinnen und Autoren, die nicht nur zur Tagung nach Mainz gekommen sind, sondern sich auch auf den Buchwerdungsprozess eingelassen haben. Ihre Beiträge haben wir formal vereinheitlicht. Gleichwohl darf und soll man ihnen aber weiterhin anmerken, dass sie aus unterschiedlichen Fächern wie Papyrologie, Exegese, Alter Geschichte und Klassischer Philologie stammen und je eigenen Fachkulturen verpflichtet sind. Ein besonders herzlicher Dank geht an Sara Chiarini, die uns mit der von ihr maßgeblich mitverantworteten Online-Datenbank Thesaurus Defixionum (TheDefix; www.thedefix.uni-hamburg.de) vertraut gemacht und immer wieder für Anfragen bereitgestanden hat. TheDefix ist für die Arbeit mit defixiones ein ganz wunderbares Hilfsmittel, versammelt der Thesaurus doch in durchsuchbarer Form sukzessive alle bekannten Texte, die sich der Gattung defixio zuordnen lassen und präsentiert diese in Originalsprache und Übersetzung, samt Bibliographie, einer formalen ersten Analyse und einer Beschreibung des Schriftträgers und seiner Herkunft (Fundumstände, Datierung). Für die Erarbeitung des Bandes und seiner Beiträge, in denen wann immer möglich auch die TheDefix-Nummer einer defixio genannt ist, war das sehr arbeitserleichternd. Schließlich danken wir ganz herzlich Jörg Frey für die Aufnahme des Bandes in die Reihe WUNT I und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Verlages Mohr Siebeck, namentlich Katharina Gutekunst, Elena Müller, Tobias Stäbler und Ilse König, für die kompetente Begleitung des Buchwerdungsprozesses. Mainz, Freiburg (CH) und Göttingen im April 2021
Michael Hölscher, Markus Lau und Susanne Luther
Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI Michael Hölscher, Markus Lau, Susanne Luther defixiones und das Neue Testament. Definitionen – Realien – Problemfelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
1. Antike Fluchtafeln und das Neue Testament: Übergreifende Aspekte Marco Frenschkowski Fluchkultur. Mündliche Flüche, das Corpus defixionum und spätantike Sichtweisen performativer Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 Paul Foster British Curse Tablets and Their Implicationsfor the Study of the New Testament and Early Christianity . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 Alison Cleverley Cursing as Ritual Communication in the Mainz Tablets, and Thinking with the New Testament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 Giovanni B. Bazzana Do Not Worry about How You Are to Defend Yourselves. Judicial Curses, Risk in Trials, and Early Christians as Freelance Religious Experts . . . . . . . . . 135 Markus Lau Brückenschläge. Gebete um Gerechtigkeit und das Neue Testament. Eine Skizze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155
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Inhaltsverzeichnis
2. Fluch und Schadenzauber im Umfeld des Neuen Testaments: Vom Alten Orient bis in die frühchristliche Zeit Sebastian Grätz Flüche und Schadenszauber im Alten Orient und im Alten Testament . . . . . . 195 Simone Paganini Fluch (und Segen) in der Qumran-Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 Peter Arzt-Grabner Griechisch-römische Fluchtäfelchen als Zeugnisse antiker Magie. Befund und neue Funde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 Sara Chiarini Early Christianity and Cursing Rituals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 Bert Jan Lietaert Peerbolte Der Name Jesu als magischer Angriff im frühen Christentum . . . . . . . . . . . . . . 275 Stephan Witetschek Absturz und Knochenbruch. Mentalitätsgeschichtliches zu den Petrusakten und antikem Schadenszauber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297
3. Fluchtraditionen und Bindeformeln in den Texten des Neuen Testaments Bernhard Heininger Die Bitte um Gerechtigkeit und die Kritik der Gegenseitigkeit. „Feindesliebe“ (Lk 6,27–35) im Kontext antiker Fluchtafeln . . . . . . . . . . . . . . . . 311 Joseph E. Sanzo Curses, Exorcisms, and Monetary Improprieties. Reassessing ‘Magic’ in the Acts of the Apostles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 Stefan Schreiber Von Zauberprofis und Bindungen. Antike Fluchtafeln und ihre Spiegelungen in der Apostelgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353
Inhaltsverzeichnis
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Thomas Schumacher Feurige Kohlen und die Macht der Feindesliebe. Überlegungen zum Fluchmotiv in Röm 12,14–21 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 John S. Kloppenborg Cursing in the Corinthian Christ Assembly . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409 Peter Busch Christlich korrekt verfluchen in Korinth. 1 Kor 5 und die „Gebete um Gerechtigkeit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425 Susanne Luther Neutestamentliche „Bindeformeln“? Eine Spurensuche in der paulinischen Korintherbriefkorrespondenz . . . . . . . 445 Konrad Huber Verhext – verflucht – am Leib gezeichnet. Aspekte von Magie im Galaterbrief ? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 465 Michael Hölscher „Und er band ihn für tausend Jahre“. defixiones und die Charakterisierung des Satans in Offb 20 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 489 Verzeichnis der Beitragenden und Abstracts der Beiträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . 513 Stellenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Register griechischer Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Register hebräischer Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Register lateinischer Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
519 545 564 567 568 569
Abkürzungsverzeichnis Die Abkürzung der biblischen Bücher und die Schreibung der biblischen Eigennamen folgt bei deutschsprachigen Beiträgen dem Ökumenischen Verzeichnis der biblischen Eigennamen nach den Loccumer Richtlinien (ÖVBE, Stuttgart 21981), bei fremdsprachigen Beiträgen einem in der jeweiligen Sprach‑ und Exegesekultur üblichen System. Antike Literatur wird – ebenso wie Zeitschriften, Lexika und Reihenwerke – nach S. M. Schwertner, Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete, Berlin 32014 (= TRE.Abk), abgekürzt. Was dort nicht nachgewiesen ist – insbesondere auch die Abkürzung von Inschriften –, richtet sich nach dem Abkürzungsverzeichnis des neuen Pauly (DNP III [1997]). Papyri werden, sofern in den anderen Verzeichnissen nicht enthalten, nach J. F. Oates/W. H. Willis, Checklist of Editions of Greek, Latin, Demotic, and Coptic Papyri, Ostraca, and Tablets (http://papyri.info/docs/checklist), verzeichnet. Das folgende Verzeichnis enthält die Abkürzungen, die darüber hinaus verwendet werden, führt aber zur leichteren Orientierung auch besonders häufig genutzte Abkürzungen an, die in den oben genannten Verzeichnissen auffindbar sind. AE BKU BIWK Bradley dfx CIG CIIP DT
DTA DTM ETAM IG IKnidos IKourion
L՚Année Epigraphique Aegyptische Urkunden aus den Koeniglichen (später Staatlichen) Museen zu Berlin: Koptische Urkunden G. Petzl (Hrsg.), Die Beichtinschriften Westkleinasiens (EpAn 22), Bonn 1994. C. M. Bradley, Romano-British Curse Tablets. The Religious and Spiritual Romanization of Ancient Britain, Lexington (KY ) 2011. A. Kropp, defixiones. Ein aktuelles Corpus lateinischer Fluchtafeln. dfx, Speyer 2008. Corpus Inscriptionum Graecarum Corpus Inscriptionum Iudaeae/Palaestinae A. Audollent, Defixionum tabellae quotquot innotuerunt tam in Graecis Orientis quam in totius Occidentis partibus praeter Atticas in Corpore inscriptionum Atticarum editas, Paris 1904 (unveränderter ND: Frankfurt a. M. 1967). R. Wünsch (Hrsg.), Inscriptiones Atticae aetatis Romanae. Pars 3: Appendix, defixionum tabellae (IG III/3), Berlin 1897 (ND: Berlin 1977). J. Blänsdorf, Forschung zur Lotharpassage I: Die Defixionum tabellae des Mainzer Isis‑ und Mater Magna-Heiligtums. Defixionum tabellae Mogontiacenses (DTM) (Mainzer Archäologische Schriften 9), Mainz 2012. Ergänzungsbände zu den Tituli Asiae minoris Inscriptiones Graecae W. Blümel (Hrsg.), Die Inschriften von Knidos. Teil I (IGSK 41/1), Bonn 1992. T. B. Mitford, The Inscriptions of Kourion (Memoirs of the American Philosophical Society 83), Philadelphia (PA) 1971.
XII IRBaelo
Abkürzungsverzeichnis
J.-N. Bonneville/S. Dardaine/P. Le Roux (Hrsg.), Belo V: L’épigraphie. Les inscriptions romaines de Baelo Claudia (Publications de la Casa de Velázquez. Série archéologie 10), Madrid 1988. NGC D. R. Jordan, New Greek Curse Tablets (1985–2000), in: GRBS 41 (2000) 5–46. PGM K. Preisendanz (Hrsg.), Papyri Graecae magicae. Die griechischen Zauberpapyri. 2 Bände, Stuttgart 1928/1931 (2. Auflage: Stuttgart 1973/1974). RIB The Roman Inscriptions of Britain SEG Supplementum epigraphicum Graecum SGD D. R. Jordan, A Survey of Greek Defixiones Not Included in the Special Corpora, in: GRBS 26 (1985) 151–197. SIG Sylloge inscriptionum Graecarum SGDI Sammlung der griechischen Dialekt-Inschriften Suppl.Mag. R. W. Daniel/F. Maltomini (Hrsg.), Supplementum Magicum. Vol. I und II (Suppl. Mag. I und II) (PapyCol 16/1–2), Opladen 1990/1992. Tab. Sulis R. S. O. Tomlin, The Curse Tablets, in: B. Cunliffe (Hrsg.), The Temple of Sulis Minerva at Bath. Volume 2: The Finds from the Sacred Spring (Oxford University Committee for Archaeology. Monograph 16), Oxford 1988, 59–277. Tab. Uley R. S. O. Tomlin, The Inscribed Lead Tablets. An Interim Report, in: A. Woodward/P. Leach (Hrsg.), The Uley Shrines. Excavation of a Ritual Complex on West Hill, Uley, Gloucestershire: 1977–9 (EHAR 17), London 1993, 113–130. TAM Tituli Asiae minoris TheDefix Thesaurus Defixionum (www.thedefix.uni-hamburg.de) ThWQ H.-J. Fabry/U. Dahmen (Hrsg.), Theologisches Wörterbuch zu den Qumrantexten. 3 Bände, Stuttgart 2011–2016. TM Trismegistos (https://www.trismegistos.org/) Tremel J. Tremel, Magica agonistica. Fluchtafeln im antiken Sport (Nikephoros. Beihefte 10), Hildesheim 2004.
defixiones und das Neue Testament Definitionen – Realien – Problemfelder
Michael Hölscher, Markus Lau, Susanne Luther Dem einen entfährt er möglicherweise auf der Autobahn, wenn das allzu waghalsige Überholmanöver eines hastigen Mitreisenden im Strom der Blechlawine zur eigenen Vollbremsung nötigt, der anderen vielleicht eher am Schreibtisch, wenn gerade der Computer einen schweren Absturz und den Verlust eines eigentlich schon überfälligen Festschriftartikels vermeldet und einem Dritten rutscht er vielleicht mitten im Sportwettkampf heraus, wenn die Konkurrenz einen Lauf hat und man selbst patzt: der Fluch. Zumeist zum einfachen Schimpfwort degradiert, dem man zwar noch einen für Flüche historisch konstitutiven Bezug auf eine höhere Macht anmerken kann („Zum Teufel mit dir!“; „Verdammt noch mal!“), der aber in der Regel1 lebensweltlich keine spezifische Bedeutung mehr hat, gehört Fluchen zum Alltag unserer westeuropäischen Lebenswelt. Für die einen ist Fluchen dabei geradezu eine gesellschaftliche Notwendigkeit und ist Teil der menschlichen Psychohygiene.2 Andere wollen das Fluchen unter gesellschaftliche Verdikte stellen und verbieten.3 Wie auch immer man zum Fluchen steht: Menschen, die heute fluchen, stehen jedenfalls in einer langen Tradition. Denn auch die antike Welt kennt das Fluchen – und zwar in sehr unterschiedlichen Ausprägungen. Eine spezifische Form des Fluchens stellen dabei so genannte Fluchtafeln dar, die Teil eines rituell-religiösen Fluchvorganges waren. Diese defixiones haben sich vielhundertfach erhalten, weil sie zumeist auf Bleitäfelchen geschrieben wurden und damit die Zeiten überdauern konnten. Sie zeugen davon, wie Menschen der Antike Konkurrenzsituationen durch Rückgriff auf magisch anmutende religiöse Praktiken, 1 Das gilt jedenfalls für aufgeklärte Kulturkreise in Westeuropa. In anderen Kulturen dieser Welt haben Flüche durchaus noch magisch-religiöse Bedeutung. 2 Ein instruktives Beispiel mitten aus dem Alltag der Schweiz stellt ein Artikel des emeritierten Germanistikprofessors (ETH Zürich) und Hobby-Malediktologen Roland Ris dar, der im Jahr 2017 im Migros-Magazin (Nr. 47, 20. 11. 2017, S. 36–43), also einer kostenlosen und in der Schweiz weitverbreiteten Zeitschrift der Migros-Genossenschaft, zu mehr Kreativität beim Fluchen und überhaupt zu einem verstärkten Einsatz von Flüchen riet, denn „Fluchen tut gut“ (so die Überschrift des Artikels) und reinige die Psyche von Ärger. 3 In den Niederlanden existiert z. B. seit 1917 ein christlich motivierter und bis heute sehr aktiver „Bond tegen vloeken“ (Bund gegen das Fluchen; https://www.bondtegenvloeken.nl/), der sich für respektvolle Sprachverwendung im Umgang miteinander einsetzt. Wenn man den Fokus weitet und vom Fluch ausgehend generell rohen Sprachgebrauch in den Blick nimmt, könnte man auch die Debatten um Hate Speech (nicht nur, aber vornehmlich noch im Internet) als Weiterführung des Kampfes gegen die Verwendung von Flüchen verstehen.
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die zum Bereich des Schadenzaubers gehören, zu moderieren suchten und dabei die Welt der Götter für ihre Zwecke einspannten. Die defixiones geben Einblick in die geheimen Wünsche, Leidenschaften und erotischen Hoffnungen antiker Menschen, sie zeugen von finanzieller Gier, dem Hang zu Wette und Spekulation, von antiker Fankultur und Sportbegeisterung, offenbaren aber auch kleine Gaunereien, bei denen die Götter doch bitteschön helfen mögen, und belegen die handfesten Ärgernisse, Befürchtungen und Unrechtserfahrungen antiker Menschen, die diese unter Rückgriff auf defixiones rituell zu regeln suchen. Mit solchen und anderen Formen des Fluchens und möglichen Echos auf Kultur und Praxis der defixiones im Neuen Testament beschäftigen sich die Beiträge dieses Buches, das erstmals aus der Sicht der Bibelwissenschaft ein bis anhin von Exegetinnen und Exegeten weitgehend übersehenes antikes Textcorpus großflächig erschließt.
1. Die Grundidee und Genese des Buches Die Welt der antiken defixiones, ihre Materialität, ihre Texte, Strukturen und Subgattungen, ihre rituelle Einbindung und Funktionsweise wie auch ihre gesellschaftliche Bewertung auf der einen Seite und die Bibel, vornehmlich das Neue Testament, auf der anderen Seite stehen im Zentrum dieses Bandes, der die Beiträge einer von der Fritz Thyssen Stiftung im April 2018 an der Universität Mainz finanzierten Tagung versammelt. Die Idee zum Thema verdankt sich der Freude der drei Herausgebenden an der gemeinsamen Teamarbeit und der Suche nach einem anschlussfähigen Thema, das biblische Texte im Horizont ihrer Entstehungszeit verankert, dabei die Materialität der Zeugnisse der Alten Welt berücksichtigt und exegetisch produktiv ist, insofern neue Einsichten über biblische Texte gewonnen werden sollen und nicht die biblische Umwelt um ihrer selbst willen in den Blick genommen wird. Exegetisches Neuland zu betreten, war also explizit ein Wunsch der drei Herausgebenden. Das bringt Gefahren mit sich, weil man auf interpretatorische Um‑ und Abwege geraten kann, die aus Freude am Material aus der Umwelt der Bibel zu Überinterpretationen biblischer Texte neigen. Die Tagung hatte insofern experimentellen Charakter, galt es doch mit hermeneutischer Vorsicht und exegetischer Erfahrung zwei Welten miteinander in Beziehung zu setzen, die bisher kaum zusammengedacht worden waren: die Welt der antiken defixiones und das Neue Testament. Dass sich die Beiträgerinnen und Beiträger auf diesen experimentellen Charakter eingelassen haben, freut uns sehr. Die nun vorliegenden Aufsätze zeigen, dass das Experiment jedenfalls nicht misslungen ist und die Beachtung von defixiones durch und für die Bibelwissenschaft einen doppelten Mehrwert haben kann. Zum einen hilft der methodisch und hermeneutisch durch viele Jahrzehnte Methodendiskussion geschulte Blick von Exegetinnen und Exegeten auf die Texte, Textträger und Fundumstände der defixiones selbst, diese besser zu verstehen. Die Analyse von Gliederung, Semantik,
defixiones und das Neue Testament
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Aktantenstruktur, Sozialgeschichte, ritueller Verwendungsweise, Gattung und Sitz im Leben kann helfen, die Funktionsweise der defixiones präziser zu analysieren und kann auch die in der Geschichtswissenschaft laufenden Debatten – etwa um die gattungsmäßige Feindifferenzierung von defixiones untereinander – bereichern. Zum anderen erlaubt die Kenntnis von defixiones auch plausible neue Analysen und Interpretationen biblischer Texte. Denn defixiones und Verwandtes ermöglichen angesichts ihrer weiten geographischen und chronologischen Verbreitung nicht nur einen Einblick in die Alltagskultur antiker Menschen, zu denen eben auch die Leserinnen und Leser, Hörerinnen und Hörer und auch die Autoren biblischer Texte gehören – sie sind insofern Teil des kulturellen Codes von Jüdinnen und Juden und auch der ersten Christinnen und Christen –, sie erlauben vor allem auch Einblicke in die Welt der so genannten kleinen Leute,4 also jenes Milieu, in dem die Jesusbewegung zunächst Fuß fassen konnte und das sich gerade auch in den Briefen des Neuen Testaments spiegelt. Dass schließlich mit den defixiones und Gebeten um Gerechtigkeit eine Form des gleichsam materialisierten Fluchens und der versuchten Rechtsdurchsetzung vorliegt, die in ritualisierter Form die Sphäre des Göttlichen in zutiefst menschliche und alltägliche Belange von Konkurrenzsituationen einzubeziehen sucht, ist nicht nur im Blick auf antike Religionsgeschichte von Bedeutung, sondern auch für vergleichbare Fälle, die in ur‑ und frühchristlicher Literatur erzählt werden. Auch Christinnen und Christen erleben Konkurrenzsituationen, erleiden Unrecht und sind nicht davor gefeit, die Praxis des religiös rituellen Fluches, wiewohl im Neuen Testament durchaus kritisch beäugt (vgl. z. B. Jak 3,9 f.), zu verwenden. Solche Texte vor dem Horizont antiker defixiones zu lesen, kann helfen, die biblischen Texte präziser zu verstehen. Keine Frage: Die Berücksichtigung von defixiones und Gebeten um Gerechtigkeit und ihrer jeweiligen lebensweltlichen Kontexte bringt keinen Paradigmenwechsel in der neutestamentlichen Bibelwissenschaft mit sich. Ihre Kenntnis revolutioniert nicht großflächig bisherige exegetische Einsichten und macht auch nicht die Analyse von anderen Fluchtraditionen – etwa in jüdischen Texten (AT, Qumran) – als potentiellen Prätexten oder Parallelen zum Neuen Testament obsolet. Wer das erwartet, überfordert sowohl das Material der defixiones als auch die im Hintergrund stehende Hermeneutik der Einbettung biblischer Texte in ihre potentiellen antiken Kontexte. Vielmehr helfen defixiones bei der Interpretation einzelner neutestamentlicher Texte und Themen. In diesem Sinne ist es mehr als auffällig, dass sich die Beiträgerinnen und Beiträger zu diesem Band ohne eine vorhergehende Lenkung durch die Herausgebenden in je unterschiedlicher Weise auf nur bestimmte neutestamentliche Textwelten bezogen haben: das sind vornehmlich die Briefe des Paulus (Röm, 1 und 2 Kor, Gal), sodann das lukanische 4 Das gilt speziell für jene Gruppe von defixiones, die in der Forschung auch Gebete um Gerechtigkeit genannt werden. Sie lassen erkennen, dass ihr Sitz im Leben der Versuch der Rechtsdurchsetzung durch sozial eher zu den ärmeren Bevölkerungsschichten Gehörenden ist, die sich anderweitig scheinbar kein Recht verschaffen können.
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Michael Hölscher, Markus Lau, Susanne Luther
Doppelwerk und die Offenbarung. Für diese Texte, so scheint es, können die defixiones spezifische Relevanz entfalten. Hinzu kommen Texte und Themenbereiche, die über Stichworte wie Fluch, Rache, Unrecht, Zorn, Gerechtigkeit, Engel und Dämonen in den Blick kommen. Aber auch hier sind es vornehmlich Texte aus dem Bereich der Briefe des Neuen Testaments, die im Licht von defixiones gelesen neu inhaltlich zu klingen beginnen. Manch andere neutestamentliche Erzählwelt hingegen bleibt im Licht der defixiones fürs Erste stumm. Das schmälert aber nicht den Wert der Berücksichtigung von defixiones bei der exegetischen Arbeit, sondern zeigt nur, dass biblische Texte in unterschiedlichen kulturellen Welten der Antike beheimatet sind. Diese antike Kultur und die Verankerung neutestamentlicher Texte in ihr je und je besser zu verstehen, ist eines der Anliegen dieses Bandes, der mit seinem Fokus auf die defixiones und die Welt des Fluchens eine bisher wenig berücksichtigte Facette der Umwelt des Neuen Testaments in den Blick nimmt.
2. Zum Aufbau des Bandes Dieses Anliegen und die hermeneutische Vorsicht bei der Berücksichtigung von defixiones für das Neue Testament spiegeln sich auch in den Beiträgen des Bandes, die wir zu drei Gruppen gebündelt haben. Den Auftakt macht eine erste Gruppe von fünf Beiträgen, die in übergreifender Weise defixiones und das Neue Testament verbinden. Während der Beitrag von Marco Frenschkowski einen großen Bogen spannt und defixiones kulturgeschichtlich und sprachpsychologisch beschreibt, in den Horizont der Magiedebatte einordnet und ihren Charakter als performative Sprechakte analysiert (und mit einem deutlichen Plädoyer schließt, defixiones „und Verwandtes“ auch in der Theologie intensiv zu erforschen, wozu dieser Band seinen Beitrag leisten will), verbindet die vier Beiträge von Paul Foster, Alison Cleverley, Giovanni Bazzana und Markus Lau, dass sie zunächst bestimmte lokal oder gattungskritisch gebildete Corpora bzw. Subgattungen der defixiones analysieren und von diesen ausgehend auf neutestamentliche Texte und ihre Trägergruppen blicken, um nach Anknüpfungspunkten, Parallelen und Allusionen zu fahnden und diese potentiellen Verbindungen zwischen Text und Kontext auf ihre interpretatorische Belastbarkeit hin kritisch zu prüfen. Eine Gruppe von sechs Beiträgen lotet sodann defixiones und andere Formen von Fluch und Schadenzauber im Umfeld des Neuen Testaments aus. Der Fokus ist dabei ein bewusst weiter: von altorientalischen und alttestamentlichen Formen des Fluchens (Sebastian Grätz), über Fluchtraditionen in Qumran (Simone Paganini) bis hin zu griechisch-römischen Fluchtäfelchen als Zeugnisse antiker Magie (Peter Arzt-Grabner) kommen Texte und Zeugnisse in den Blick, die zeitlich in der Regel dem Neuen Testament vorausgehen. Die Frage, wie das frühe Christentum – auch und gerade außer‑ und nachneutestamentlich – mit defixiones und Schadenzauber umgegangen ist und wo sich Spuren derartiger Praktiken in christlichen Texten wie
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umgekehrt Spuren des Christentums auf den Bleitäfelchen der defixiones erhalten haben, verbindet sodann die Beiträge von Sara Chiarini, Bert Jan Lietaert Peerbolte und Stephan Witetschek. Den im Vergleich zu den in der ersten Gruppe versammelten Beiträgen umgekehrten analytischen Weg gehen schließlich die neun Beiträge, die in der dritten Gruppe unter der Überschrift „Fluchtraditionen und Bindeformeln in den Texten des Neuen Testaments“ entlang der kanonischen Reihenfolge neutestamentlicher Texte gereiht sind. Sie nehmen ihren jeweiligen Ausgangspunkt bei neutestamentlichen Texten und ziehen erst in einem zweiten Schritt defixiones als Kontextmaterial für die Interpretation der biblischen Texte heran. Die Beiträge von Bernhard Heininger, Joseph E. Sanzo und Stefan Schreiber haben dabei Texte aus dem lk Doppelwerk im Blick. Den paulinischen Briefen (Röm, 1 Kor, Gal) widmen sich Thomas Schumacher, John S. Kloppenborg, Peter Busch, Susanne Luther und Konrad Huber. Michael Hölscher schließlich nimmt sich ausgewählter Texte aus der Erzählwelt der Offb an. Bei allen individuellen Schwerpunktsetzungen, die die Beiträge inhaltlich und stilistisch auszeichnen und die wir als Herausgebende auch in Hinsicht auf die unterschiedlichen Fachkulturen nicht einebnen wollten, finden sich neben der allen Beiträgen letztlich gemeinsamen Auseinandersetzung mit defixiones zwei thematische Überlappungen. Das betrifft die von einer ganzen Anzahl von Autorinnen und Autoren offensichtlich gespürte Notwendigkeit, sich mit zwei Themenkomplexen mindestens in Ansätzen zu beschäftigen: 1. Der Frage nach „Magie“ als potentieller Kategorie zur Einordnung der defixiones, deren Einsatz auf den ersten Blick durchaus magieähnlich wirkt, und 2. die vor allem von Exegetinnen und Exegeten gestellte Frage nach den defixiones als wirklich relevanten Kontexten für das Neue Testament. Sind die defixiones „nur“ hübsche Parallelen zu manchem, was im Neuen Testament erzählt wird, oder hilft ihre Kenntnis wirklich zum besseren Verstehen neutestamentlicher Texte? Diesen beiden Querschnittsthemen in Kombination mit einer Einführung in die defixiones selbst sind im Rahmen dieser Hinführung einige erste Überlegungen und Notizen gewidmet.5
3. „Es gibt in der Tat niemand, der nicht fürchtet, durch furchtbare Verwünschungen gebannt zu werden“. κατάδεσμoι und defixiones – eine realienkundliche Einführung Wenn man Plinius dem Älteren Glauben schenken darf, war die Angst vor Schadenzauber in der antiken Gesellschaft weit verbreitet. Sie schien weder vor bestimmten gesellschaftlichen Gruppen Halt zu machen noch auf besondere Regio5 Der Abschnitt zu den defixiones (3.) stammt dabei von Michael Hölscher, der zum Magiebegriff (4.) von Susanne Luther und der zu Fragen der Kontextrelevanz (5.) von Markus Lau.
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nen beschränkt zu sein: defigi quidem diris deprecationibus nemo non metuit („Es gibt in der Tat niemand, der nicht fürchtet, durch furchtbare Verwünschungen gebannt zu werden“, Plin., nat. XXVIII 19).6 Gerade weil Formen des Schadenzaubers, konkret die Spielarten von defixio und κατάδεσμος, so weit verbreitet waren, liegt es nahe, sie als antike Alltagsrituale auch mit neutestamentlichen Texten in Verbindung zu bringen. Dabei können defixio und κατάδεσμος Prätexte oder Parallelen zu neutestamentlichen Texten bieten, die ihrerseits auch wieder zu Prätexten für defixio und κατάδεσμος werden können. Dazu ist es zunächst notwendig, sich einen Überblick über das Phänomen der sogenannten „Fluchtafeln“ zu verschaffen. Ihre Textgestalt, ihre rituelle Einbindung und konkrete pragmatische Absicht sowie ihr Materialitätskonzept gilt es vorzustellen. Gerade weil Exegetinnen und Exegeten im Umgang mit Text‑ und Umweltfragen nicht unerfahren sind, ist in einem zweiten Schritt auch danach zu fragen, welche Anknüpfungspunkte die bisherige defixiones-Forschung speziell für die neutestamentliche Exegese bietet, die seit dem 19. Jh. ein ganz eigenes methodisches Instrumentarium entwickelt hat, mit dem sie unter Umständen auch selbst gewichtige Einsichten in das Material von defixio und κατάδεσμος generieren kann.
3.1 defixio und κατάδεσμος als antike Bewältigungsstrategie Bei den sogenannten „Fluchtafeln“ (κατάδεσμoι/defixiones) handelt es sich nach Amina Kropp „um Kleinstinschriften aus der griechisch-römischen (Spät)antike (ca. 6. Jh. v. Chr.–5. Jh. n. Chr.), die Bestandteil und Produkt eines über tausend Jahre praktizierten Schaden‑ und Zwangzauberrituals sind.“ 7 Ziel des Rituals war es, „mithilfe göttlicher und unterirdischer Mächte andere Menschen mit einem Bann zu belegen“8 und damit „Gewalt über ihr Leben, ihre Gesundheit und ihr Vermögen zu gewinnen“9. Sie sind damit gerade keine Zeugnisse spontanen (mündlichen) Fluchens, sondern Artefakte eines mehrschrittigen Rituals.10 Was die defixiones besonders auszeichnet: Sie sind als Texte zusammen mit dem beschriebenen Material, dem Textträger, überliefert, wobei heute überwiegend dünne Bleilamellen erhalten sind.11 Der Thesaurus Defixionum (TheDefix) verzeichnet aktuell gut 1700 solcher defixiones, von denen etwa 2/3 in griechischer und etwa 1/3 in lateinischer Sprache verfasst sind.12 Das Blei lässt häufig noch Spuren der ri 6 Zitiert
nach König/Winkler 1988. Kropp 2008, 19. 8 Blänsdorf 2013, 31. 9 Blänsdorf 2013, 31. 10 Vgl. Kropp 2008, 104 f. 11 Daneben sind aber gerade aus den griechischen magischen Papyri auch zahlreiche andere Schriftträger bekannt (Papyrus, Ostraka, Muscheln u.v.m.). Bereits für das 4. Jh. v. Chr. ist für Attika zumindest auch Wachs als Schriftträger belegt (vgl. TheDefix 204, ed. DTA, Nr. 55). Vgl. Dzwiza 2014, 53–66; Preisendanz 1972, 3 f. 12 Vgl. Blänsdorf 2008, 68. Kropp 2008, 45, geht von 1600 Funden aus und weist zugleich 7
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tuellen Einbindung der Texte erkennen, weil es beispielsweise gefaltet, gerollt oder mit Nägeln durchbohrt wurde, bevor man es an besonderen Orten deponierte.13 Zum Teil geben sogar die Texte selbst Auskunft über die rituellen Umstände ihrer Produktion, „wie etwa ‚Augen, Hände, Finger […] durchbohre ich auf diesen Täfelchen‘ (oculos, manus, digitos […] defigo in his tabellis)“14. Als dokumentarische Zeugnisse lassen die defixiones also „unmittelbare Rückschlüsse auf Struktur und Ablauf der Zauberhandlung zu.“15 Sie geben ganz unmittelbar Einblick in eine antike Zauberpraxis. Bei den defixiones handelt es sich damit „um nicht-fiktionale Textzeugnisse, die die ursprüngliche Form der Verwünschungen protokollieren und infolgedessen zuverlässig über eine historische Wirklichkeit Auskunft geben können.“16 Um die rituellen Vollzüge im Umfeld der Defixionstexte herum noch vollständiger nachvollziehen zu können, sind neben den archäologischen Fundumständen und der antiken literarischen und rechtsgeschichtlichen Rezeption auch die Papyri Graecae Magicae (PGM) eine wichtige Fundgrube, da sie Zauberrezepte überliefern, wie sie – zumindest zum Teil – im Hintergrund der Verwendung von defixiones gestanden haben könnten.17 Diese Papyri beinhalten nicht nur den unmittelbar aufzuschreibenden Text, sondern geben auch Hinweise zum beschriebenen Material, dem Zweck des Zaubers oder zu Ritualelementen, die im schriftlich auf der Bleilamelle niedergeschriebenen Text naturgemäß nicht (mehr) erkennbar sind. Nimmt man diese verschiedenen Quellen zusammen, lässt sich – trotz der zuweilen größeren zeitlichen und räumlichen Abstände – ein relativ umfassendes Bild über die Praxis von defixio und κατάδεσμος gewinnen.18 3.1.1 Nomenklatur und sprachliche Grundstruktur von defixio und κατάδεσμος Obwohl allgemein als „Fluchtafeln“ bezeichnet, werden in der Fachdiskussion Begriffe wie κατάδεσμος (von griech. καταδέω) oder defixio (von lat. defigere) bevorzugt, weil sie der Terminologie der Quellen entsprechen. Das griechische καταδέω ist bereits seit den Anfängen des Bindezaubers im 6./5. Jh. v. Chr. bezeugt auf zahlreiche Neufunde gerade im Teilbereich der in griechischer Sprache verfassten defixiones hin. Eine Übersicht über die wichtigsten „Corpora and Collections“ bietet Eidinow 2019, 353–356. 13 Vgl. Preisendanz 1972, 5 f. 14 Kropp 2008, 230 f., mit einem Zitat aus dfx, Nr. 1.4.2/3 (TheDefix 220). 15 Kropp 2008, 19. 16 Kropp 2008, 230. 17 Vgl. zu diesem Corpus insgesamt Dieleman 2019b. 18 Eine einschlägige Studie zu griechischen, demotischen und koptischen magischen Papyri aus Ägypten (1. Jh. v. Chr. bis ins 7. Jh. n. Chr.) bietet Dzwiza 2014. Ihr geht es insbesondere um die Art der „Schriftverwendung in antiker Ritualpraxis“, also um die Herstellung und den Umgang mit solchen schrifttragenden Artefakten. Dabei ist sie sowohl an den technischen Details interessiert (Material, das beschrieben wird; Beschreibstoffe und Schreibgeräte) als auch an den Beschriftungselementen wie an den Funktionen der Beschriftungselemente (dazu gehören u. a. auch Zauberzeichen) im Rahmen einer Interaktion mit den höheren Mächten.
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und meint das Fest‑ oder Hinabbinden. Der griechische Begriff κατάδεσμος mit seinen Derivata hat sich zum Fachbegriff für das Verwünschen und Verzaubern entwickelt, an den sich die lateinischen Bezeichnungen ligo, alligo und obligo eng anlehnen. Das lateinische defixio taucht erst ab dem 6. Jh. n. Chr. in den Quellen auf und dient heute üblicherweise als Fachbezeichnung für die lateinische wie die griechische Praxis des Schadenzaubers mittels niedergeschriebener Texte.19 Mit den Begriffen κατάδεσμος und defixio deuten sich bereits zwei verschiedene Konzepte des Schadenzaubers an. Die griechische Tradition kennt das Binden, das theoretisch auch ein Lösen des Zaubers als Möglichkeit bestehen lässt.20 Die lateinische Tradition setzt mit dem Durchbohren (von defigere) eine prinzipiell unumkehrbare physische Handlung voraus.21 Eine markante Grundstruktur der Sprechhandlung in den defixiones ist diese: Ein Ich (defigens) vollzieht eine Handlung (defixio), die auf die Manipulation eines Opfers (defixus) unter Rückgriff auf übermenschliche Kräfte gerichtet ist. Diese Handlung vollzieht sich erst einmal sprachlich – und im Ursprung vermutlich ausschließlich mündlich22 –, wobei die pragmatische Absicht der Sprechhandlung rituell begleitet wird.23 Man kann wohl davon ausgehen, dass bereits die Sprache sehr materiell gedacht wurde und es somit von der reinen Sprechhandlung bis zur handwerklichen Manipulation des Schriftträgers nur eines vergleichsweise kleinen Schrittes bedurfte. Das Wort gleicht einem Pfeil, der – einmal ausgeschickt – nicht zurückgeholt werden kann. Das Wort bleibt aktiv und kann allenfalls mit einem Gegenfluch oder einem Amulett abgewehrt oder umgeleitet werden.24 3.1.2 Sitz im Leben: private Konkurrenzsituationen Wer eine defixio ausführt und damit etwas Verbotenes tut – magische Praktiken stehen in Rom seit dem Zwölftafelgesetz (um 450 v. Chr.) unter Strafe – tut immerhin etwas. In der Regel ist die defixio ein Ausweg für diejenigen, die ihre Anliegen 19 Zur
Terminologie vgl. Preisendanz 1972, 1 f.; Kropp 2008, 37–43. Das Lösen wird zuweilen sogar in verneinter Form als Verstärkung des Zaubers formuliert: καταδῶ καὶ οὐκ ἀναλύσω („Ich binde und werde nicht lösen“; TheDefix 113, ed. SGD, Nr. 18). 21 Vgl. insgesamt Preisendanz 1972, 1 f.; Kropp 2008, 39–41. 22 So Preisendanz 1972, 5, der in den unbeschriebenen, aber manipulierten und deponierten Tafeln einen Beleg dafür sieht, dass sich die defixio zunächst mündlich abgespielt hat, bevor der Name auf der Tafel notiert und später ein vollständig ausformulierter Text verschriftlicht wurde. 23 Weitere Sprechhandlungen und Formulare, insbesondere aus den späteren κατάδεσμoι und defixiones, finden sich bei Faraone 1997, 5–7. Neben dem direkten Bindeformular führt er noch die Gebets-, Wunsch‑ sowie die similia-similibus-Formulare an. Alle Sprechakte und Formulare sind freilich nicht sortenrein im Quellenmaterial belegt, sondern als Patchwork. Eine einzelne defixio kann somit eine Kombination all dieser Varianten beinhalten. Wenn Gebetssprache oder Gebetsformulare in die defixio aufgenommen werden, was auch Blänsdorf 2012, bes. 30–32, für die Mainzer defixiones beobachtet, ist das zugleich ein Signal dafür, dass hier Elemente aus dem Bereich der offiziellen oder privaten, jedenfalls erlaubten religiösen Praxis aufgenommen und adaptiert wurden. 24 Zu Gegenmitteln und Gegenflüchen vgl. Gager 1992, 218–242. 20
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ansonsten vor Gericht nicht einklagen konnten, weil sie entweder nicht das römische Bürgerrecht besaßen oder als römische Bürger niemanden finden konnten, der sie vor Gericht vertrat;25 oder weil es sich um Konkurrenzsituationen handelt, die vor Gericht schlechterdings nicht zu regeln waren. Die verschiedenen Gattungen der defixio spiegeln solche Konkurrenzerlebnisse deutlich wider:26 1. defixiones iudiciariae: Prozessflüche 2. defixiones agonisticae: Wettkampfzauber 3. defixiones amatoriae: Liebeszauber 4. defixiones in fures: Flüche gegen Diebe und Verleumder (bzw. „Gebete um Gerechtigkeit/Genugtuung“ [Hendrik S. Versnel] oder defixiones criminales: Verbrechensflüche [Martin Dreher]) 5. Wirtschaftsflüche Bei fast allen defixiones soll eine Konkurrenzsituation zum Nutzen des defigens aufgelöst werden: Es geht darum, seinen Gegner vor Gericht – zusammen mit den gegnerischen Anwälten – außer Gefecht zu setzen, die Wagenlenker und Reiter der gegnerischen Wettkampfpartei auszuschalten, die Angebetete an sich zu binden und ihre bisherige Liebschaft zu beenden oder im Bereich des Handels und der Wirtschaft eigene Vorteile zu sichern und anderen zu schaden. Grundsätzlich war die Verfluchung in der Antike weit verbreitet und gesellschaftlich wie rechtlich anerkannt, allerdings gilt das gerade nicht für die Praxis der κατάδεσμoι und defixiones. Das hängt damit zusammen, dass die gesellschaftlich akzeptierten Flüche das Leben der Gemeinschaft sicherten.27 Sie begegnen daher im sakralen wie im weltlichen Recht. So dient der Fluch etwa präventiv als Mittel des Rechtsschutzes – wer ein Gesetz oder eine Vereinssatzung übertritt, soll verflucht sein – oder im Vertragsrecht, wo er als bedingte Selbstverfluchung im Zusammenhang mit dem Eid gebräuchlich war.28 Auch als „Reaktion auf eine tatsächlich begangene Tat“29 begegnet die Verfluchung, etwa von Staatsfeinden oder als Rachegebet auf Grabsteinen.30 Bei der defixio fehlt der öffentliche Charakter gänzlich, weil weder die Öffentlichkeit noch das Opfer von der schriftlichen Niederlegung des Zaubers erfahren. 25 Vgl.
Blänsdorf 2013, 31.
26 Die folgende Zusammenstellung folgt Graf
1996, 110; Dreher 2012, 29. Audollent 1967, 471–473, nennt in seinem Index noch diese vierteilige Differenzierung: Tabellae IUDICIARIAE ΕΤ ΙΝ INIMICOS CONSCRIPTAE; IN FURES, CALUMINIATORES ΕΤ MALEDICOS CONVERSAE; AMATORIAE; ΙΝ AGITATORES ET VΕΝΑTRΕS IMMISSAE. Vgl. auch Kropp 2008, 179 f.; Faraone 1997, 10 f. Je nachdem, ob man die griechischen oder die lateinischen defixiones untersucht, ergeben sich leichte Unterschiede in der Differenzierung der Untergattungen. 27 Vgl. Speyer 1969, 1203–1211 („Der Fluch im Leben der Gemeinschaft“). 28 Vgl. insgesamt Speyer 1969, 1203–1211; zu Eid und Fluch exemplarisch Konstantinidou 2014. 29 Kropp 2008, 107. 30 Vgl. zur Verfluchungspraxis allgemein und zur Abgrenzung von den defixiones Kropp 2008, 104–111; Preisendanz 1972, 1; Speyer 1969.
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Es fehlt auch der öffentliche, also gesellschaftliche Nutzen, weil es in erster Linie um eine private Angelegenheit geht, die heimlich mit Hilfe bestimmter ritueller Vollzüge geklärt werden soll. Der defigens „agiert somit fern von sozialer Kontrolle und Mitwisserschaft“31, sein Verhalten bringt das gesellschaftliche Gleichgewicht durcheinander und wird daher „als gemeinschaftszerstörend verfolgt“32. Eine gewisse „Zwischenstellung zwischen Fluch und defixio“33 nehmen die sogenannten defixiones in fures ein, deren eigenständigen Charakter Henk S. Versnel mit den Bezeichnungen „Gebete um Gerechtigkeit“ oder „Gebete um Genugtuung“ hervorzuheben sucht.34 Im Unterschied zu den anderen defixiones geht es bei dieser Gruppe von Texten nicht so sehr um Erfolg in einer Konkurrenzsituation, sondern stärker darum, ein in der Vergangenheit erlittenes Unrecht zu rächen oder wiedergutzumachen. Manche dieser Texte sind – anders als die übrigen defixiones – im Bereich der Öffentlichkeit auf‑ oder ausgestellt. Als Beispiel können die 13 im Demeter-Heiligtum in der kleinasiatischen Hafenstadt Knidos gefundenen Bleilamellen gelten, die auf das 2. oder 1. Jh. v. Chr. datiert werden.35 Die knidischen Tafeln wurden an der Temenos-Mauer des Heiligtums aufgehängt, wofür die Nagellöcher am oberen Rand sprechen. In den knidischen Tafeln wie auch in ähnlichen Texten aus Aquae Sulis (Bath) oder Mainz geht es darum, dass jemand, dem ein Unrecht widerfahren ist, dieses Unrecht gegenüber einer Gottheit zunächst anzeigt und den Täter zur Wiedergutmachung, in der Regel zum Zurückbringen von Diebesgut, bewegt. Während in Knidos der Täter tatsächlich über die Veröffentlichung der Tafel Kenntnis davon erlangen kann, dass jemand nach ihm fahndet,36 ist der öffentliche Charakter in Bath und Mainz nicht gegeben. Dort werden die Bleilamellen entweder in der Quelle versenkt (Bath) oder in unmittelbarer Nähe zum Heiligtum verbrannt (Mainz). Die Funktionsweise und gewünschte Wirkung sind jedoch dieselbe wie bei den knidischen Inschriften. Ähnlichkeiten dieser defixiones in fures bzw. Gebete um Gerechtigkeit mit den übrigen defixiones zeigen sich zum einen auf sprachlicher Ebene, weil es auch 31 Kropp
2008, 112. Zu den Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen Fluch und defixio vgl. Kropp 2008, 111–119. 32 Speyer 1969, 1161. 33 Kropp 2008, 113. Vgl. ausführlich Kropp 2008, 119–121. 34 Vgl. Versnel 1997b; Versnel 2009, bes. 24. Martin Dreher bezeichnet diese Texte als defixiones criminales und ordnet sie damit wieder stärker in die Reihe der anderen defixiones ein (vgl. Dreher 2012). 35 Die 13 „Fluchtafeln aus dem Heiligen Berzirk der Damater und Kura“ hat Blümel 1992, 85–103 (Nr. 147–159), zusammen mit den anderen knidischen Inschriften publiziert. Sie sind bereits im Corpus von Audollent 1967 enthalten (DT 1–13). 36 Damit sind die knidischen Inschriften das kommunikative Gegenstück zum zweiten Typ der kleinasiatischen Beichtinschriften, wie ihn Klauck 2003, 60–62, beschreibt (vgl. dazu auch Kropp 2008, 108). Diese Beichtinschriften antworten – ebenfalls öffentlich – auf die öffentlich ausgehängten Anklagetexte der Gebete um Gerechtigkeit. Versnel sieht hier semantische Überschneidungen zwischen den Gebeten um Gerechtigkeit und der enteuxis. Damit ist die „Bitte an den König oder eine andere hochgestellte Amtsperson“ (Versnel 2009, 18) gemeint, die etwa im hellenistisch-römisch geprägten Ägypten verbreitet gewesen sei.
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hier um die direkte Einflussnahme einer Einzelperson auf eine Zielperson geht, die als Zwang verstanden wird. Auch die angerufenen Götter entsprechen denen der übrigens defixiones. Auf der materiell-rituellen Ebene sind in beiden Fällen manipulierte Bleilamellen als Schriftträger zu nennen. Die Öffentlichkeit oder Kultpersonal können zuweilen zwar von der Inschrift erfahren, wie in Knidos, werden jedoch nicht in irgendeiner Form rituell beteiligt. Letztlich geht es also auch bei den defixiones in fures bzw. Gebeten um Gerechtigkeit um eine private Angelegenheit, die mit Hilfe dieser rituellen Praxis geklärt werden soll.37 3.1.3 Der rituelle Kontext I: Kommunikation mit den numinosen Mächten Auf ganz verschiedenen Wegen konnten die beschrifteten Bleilamellen in die Sphäre der Unterweltsmächte gebracht werden. Man vergrub sie an Orten, die in besonderer Weise mit der Unterwelt in Verbindung standen, gerne in der Nähe von oder unmittelbar in Gräbern, Särgen oder Urnen. Bevorzugt wurden dabei solche Stätten, an denen gewaltsam oder vorzeitig Verstorbene beigesetzt waren. Aber nicht nur in Friedhofskontexten vergrub man die defixiones, sondern man versenkte sie auch in Brunnen, Quellen, Flüssen oder im Meer.38 Einige der sogenannten Gebete um Gerechtigkeit oder defixiones criminales stellen hier freilich eine Ausnahme dar, wenn sie öffentlich im Bereich von Tempeln ausgehängt wurden. Dass defixiones überhaupt verborgen werden mussten, hängt zunächst „mit der Illegalität der magischen Operation zusammen. Zugleich ist der unzugänglich deponierte Zaubertext dem menschlichen Zugriff entzogen und kann nicht unmittelbar wieder rückgängig gemacht werden“39. Eine absichtliche wie zufällige Entdeckung der Tafel würde ein Lösen der Bindung bewirken.40 Solches Lösen gilt es im Ritual der defixio mit allen Mitteln zu verhindern. Daneben finden sich allerdings in den defixiones selbst oder den magischen Rezepten der PGM auch andere Interpretationen des Deponierungsvorgangs, die ihn in verschiedener Hinsicht metaphorisch ausdeuten. Dabei kommt die Idee der Übergabe der defixio oder des defixus an die Unterweltsmächte ebenso vor wie „die Angleichung des anvisierten Opfers an einen Toten“41. Einige defixiones verstehen sich explizit als Unterweltsbriefe.42 Die Bleilamelle fungiert dann zugleich als Briefhülle, auf der außen die Adresse angeben wird: „die Namen der Feinde an […] die Unterirdischen“ (inimicorum nomina ad … inferos).43 Im Innern wird die 37 Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen defixiones und Gebeten um Gerechtigkeit nach Kropp 2008, 119–121. 38 Zu den Depositionsorten vgl. Kropp 2008, 88 f.; Preisendanz 1972, 5 f. 39 Kropp 2008, 89. 40 Vgl. auch Graf 1996, 152–154. 41 Kropp 2008, 90 f. Vgl. insgesamt Kropp 2008, 88–94. 42 Der Begriff ἐπιστολή kommt bereits in den sehr alten griechischsprachigen κατάδεσμoι aus dem 4. Jh. v. Chr. vor (vgl. TheDefix 118 [ed. DTA, Nr. 103]; TheDefix 579 [ed. DTA, Nr. 102]). 43 TheDefix 742 (ed. DT, Nr. 96; dfx, Nr. 5.1.4/3); vgl. auch TheDefix 743 (ed. DT, Nr. 97; dfx, Nr. 5.1.4/4).
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Liste der Feinde notiert, die der Bann treffen soll. Beim zitierten Beispiel spricht auch die erhaltene Verschnürung für den Briefcharakter der defixio.44 Mit Amina Kropp lässt sich zusammenfassen: Die rituelle Deposition der Tafel ist, ihrer Manipulation vergleichbar, als polyvalenter metaphorischer Vorgang zu verstehen. Die Ablagestelle fungiert dabei als Ort der Kommunikation und Kontaktaufnahme mit übernatürlichen Mächten und, in Ausnahmefällen, auch mit dem Opfer der Verwünschung. Ebenso stellt sie ritualspezifische ‚Analogieträger‘ bereit.45
Bereits in dieser rituellen Bestattung oder Versenkung der Tafeln wird erkennbar, dass die rituelle Beteiligung von Unterweltsgöttern angenommen wird. Diese Welt der Götter und numinosen Mächte wird auch in den Texten selbst adressiert. Genannt werden etwa Hermes und Hekate oder auch Persephone und die Erdgöttin Ge.46 3.1.4 Der rituelle Kontext II: Manipulation des Schriftträgers Ähnlich wie das Deponieren der Bleilamellen wird auch der Schreibvorgang selbst in den defixiones als Teil des Rituals reflektiert. Das einfache Niederschreiben eines Namens stellt somit schon eine rituelle Manipulation dar: „Ich schreibe den Theoxenos ... vor dem Pluto nieder (καταγράφω) […]“47. Auch der Wechsel in der Laufrichtung der Schrift wird als ein Element mit symbolischer Bedeutung betrachtet. Sie kann beispielsweise retrograd realisiert sein und sich nur auf den Namen des defixus beziehen: „Ich binde Athenodoron (κ̣[αταδέω Ν]ΟΡΩΔΟΝΗΘ[Α])“48. Auch die zeilenweise wechselnde Laufrichtung (boustrophedon – ochsenwendig) kommt zuweilen vor.49 Neben der niedergeschriebenen Verwünschung hat die Manipulation der Bleitafel – Falten, Rollen oder Durchbohren50 – die gewünschte Misshandlung des Opfers rituell zum Ausdruck gebracht.51 Karl Preisendanz sieht insbesondere in den unbeschriebenen, aber manipulierten Bleitafeln einen Beleg dafür, dass der sprachliche Teil des Rituals nicht unbedingt auf die Tafel geritzt werden musste, sondern mündlich vorgetragen werden konnte.52 Bei den beschriebenen Bleitafeln 44 Vgl.
zu den Unterweltsbriefen Kropp 2008, 197–200; Preisendanz 1972, 7 f.20. 2008, 90. 46 Vgl. Preisendanz 1972, 6–8; ausführlicher zu den Göttern und numinosen Mächten in den defixiones Kropp 2008, 94–103. 47 TheDefix 340 (ed. SEG 47, Nr. 510; Übers.: Sara Chiarini). 48 TheDefix 300 (ed. Curbera/Papakonstantinou 2018, Nr. 1; Übers.: Sara Chiarini). 49 Vgl. insgesamt Kropp 2008, 85 f. Zur Materialität von Texten vgl. auch Gordon 2015, bes. 166–169. 50 Vgl. Preisendanz 1972, 5. Eine Tafel aus Korinth (1./2. Jh. n. Chr.), die alle diese Bearbeitungsspuren aufweist, ist etwa TheDefix 358 (ed. Stroudt 2013, Nr. 125 f.). 51 Vgl. neben Preisendanz 1972, 5, auch Kropp 2008, 86 f. 52 Vgl. Preisendanz 1972, 5; Gager 1992, 7. Audollent 1967, 164 f. (DT 109), beschreibt 40 unbeschriebene, aber aufgerollte und manipulierte Tafeln, die in Frankreich gefunden wurden. 45 Kropp
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stellt die Formulierung „ich binde“ (καταδῶ) bzw. „ich durchbohre“ (defigo) insofern die logische Brücke zwischen rein sprachlich geäußerter und handwerklich unterstützter Verwünschung dar,53 als man die Manipulation als Verstärkung der sprachpragmatischen Absicht verstehen kann. Dieser Umgang mit dem Trägermaterial Blei hat sich im Laufe der Zeit wohl verselbstständigt, indem zunächst Bilder des Opfers auf die Tafel geritzt wurden, bevor schließlich Zauberpuppen und Tierkörper als Repräsentanten des Opfers in Verbindung mit der Bleilamelle auftauchten.54 Dabei scheint die Idee hinter den Manipulationen von Zauberpuppen und Tieren die gleiche zu sein: „Es genügt mithin nicht, einfach einen Defixionstext zu schreiben; man formt auch ein gefesseltes Bild: das nimmt das Los vorweg“55. Das Blei selbst, ursprünglich einfach ein günstiger Beschreibstoff, wurde mit der Zeit auch zum Bedeutungsträger, indem etwa die Kälte des Bleis, sein Gewicht oder seine Eigenschaft, leicht schmelzbar zu sein, mit der gewünschten Wirkung des Zaubers auf das Opfer verbunden werden: Wie dieses Blei Schwere hat, so soll auch Eudemus euren (schweren) Zorn erfahren und so bald wie möglich bei den Totengeistern sein.56 Wie dieses Blei bewegungslos liegt, so sollen auch die Dinge, die Nikaso tun könnte, wirkungslos sein.57 So wie dieses Blei nicht erscheint und hinabfallen wird, so soll die Lebenszeit, die Glieder, das Leben, das Rind, das Korn, die Ware derer hinabfallen, die mich arglistig getäuscht haben.58 Placida und Sacra, ihre Tochter: so sollen ihre Glieder zerfließen, wie dieses Blei zerfließen wird, damit es ihr Tod ist.59
Auch die Fülle von Zauberzeichen (χαρακτῆρες), die ab dem 2. Jh. n. Chr. nicht nur als angerufene Mächte in den defixiones belegt sind,60 sondern auch als pik So Kropp 2008, 86. In Ägypten scheinen bereits in frühdynastischer Zeit Figuren für ähnliche Zwecke hergestellt worden zu sein (vgl. Dieleman 2019a, 104). Überhaupt scheint das in Ägypten in zahlreichen Reliefs verbreitete Bildprogramm vom Erschlagen des Feindes eine konzeptionelle Parallele zur Manipulation von Zauberpuppen darzustellen. Das Bildprogramm ist bereits auf der Narmer-Palette aus prädynastischer Zeit belegt (vgl. Wilburn 2019, 463–473). Plat., leg. 933b, kennt gewisse, aus Wachs geformte Puppen, die an besonderen Orten zu magischen Zwecken deponiert wurden (vgl. Wilburn 2019, 485–487). Vgl. insgesamt Bailliot 2015, und Wilburn 2019 (speziell zu den Zauberpuppen); Curbera 2015 (zur Materialität griechischer Fluchtafeln); Graf 1996, 121–133; Kropp 2008, 86 f.; Preisendanz 1972, 5. 55 Graf 1996, 123. 56 TheDefix 265 (ed. dfx, Nr. 8.3/1; Übers.: Urbanová 2014, Nr. 28). 57 TheDefix 434 (ed. Ziebarth 1934, Nr. 7; SGD, Nr. 72; Übers.: Sara Chiarini). 58 TheDefix 735 (ed. dfx, Nr. 4.4.1/1). 59 TheDefix 754 (ed. DTM, Nr. 11). 60 Ein Täfelchen aus Apamea in Syrien (TheDefix 17, ed. SEG 34, Nr. 1437) nennt „heilige Herren Charaktêres“ (κύριοι ἁγιώτατοι χαρακτῆρες), ein anderes aus Cäsarea (TheDefix 1182, ed. CIIP II, Nr. 1680) spricht von „Göttern Charaktêres“ (κύριοι ἅγιοι ἄνγελοι καὶ θε̑ οι χαρακτῆρες). 53 54
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togrammartige Ritzungen,61 stellen in gewisser Weise eine Art Manipulation des Schriftträgers dar, jedenfalls sind sie aber konkrete Ausdrucksformen eines stark symbolisch aufgeladenen Verständnisses des Schreibvorgangs.62 Nach John G. Gager stehen diese Zauberzeichen für große Macht: „They embody the classic definition of a religious symbol as embodying and transmitting power from the divine realm to the human“63. Sie könnten ursprünglich planetarische Mächte symbolisiert haben, die in der römischen Astrologie oft mit Engeln oder Erzengeln identifiziert wurden. Gerade die Anrede in den Tafeln zeigt, dass sich die Zeichen im Laufe der Zeit als mächtige Größen verselbstständigt haben.64 3.1.5 Verbreitung der Praxis und die Situation im 1./2. Jh. n. Chr. Über Jahrhunderte hinweg wurden κατάδεσμoι bzw. defixiones im gesamten Gebiet der Mittelmeerwelt und teilweise darüber hinaus verfasst. Ob die Praxis ihren Ursprung im griechischen Stadtstaat und damit im griechisch-römischen Kulturraum hat, wie es Christopher A. Faraone annimmt,65 ist umstritten. Alternative Vermutungen gehen in Richtung Mesopotamien und nehmen einen Kulturaustausch, etwa über Wanderpriester, mit der griechischen Welt an.66 Die ältesten bekannten κατάδεσμoι sind für das 6. Jh. v. Chr. in Sizilien belegt, gefolgt von den Funden aus Athen, die ins 5. Jh. v. Chr. datiert werden. Magna Graecia bildete somit zunächst den kulturräumlichen Rahmen für die Verbreitung der κατάδεσμoι. Von dort aus verteilte sich die Praxis auf der italienischen Halbinsel.67 Als erste defixio in lateinischer Sprache führt Amina Kropp eine Tafel an, die in einem Gräberfeld in Pompeji entdeckt wurde und ins 2. Jh. v. Chr. datiert.68 Kropp geht davon aus, dass sich die defixo ab dem 1./2. Jh. n. Chr. „möglicherweise durch römische Händler, Legionäre, Kolonisten oder auch durch Wandermagier, weit über das Ursprungsgebiet hinaus“69 verbreitet habe. Zudem sei ein entsprechend „reges magisches Treiben […] auch durch die seit der julisch-claudischen Epoche zunehmend repressive Rechtslage sowie durch zahlreiche Magieprozesse bezeugt.“70 61 Besonders eindrücklich ist das bereits angeführte Bleitäfelchen aus Apamea (Syrien) aus dem 5./6. Jh. n. Chr. (TheDefix 17; vgl. Gager 1992, 56–58). Zeitlich näher am Neuen Testament ist ein Fund aus Karthago, der ins 1.–3. Jh. n. Chr. datiert wird (TheDefix 60; vgl. Gager 1992, 65–67). 62 Vgl. zu den χαρακτῆρες Dzwiza 2014, 115–127; Gager 1992, 10 f. 63 Gager 1992, 11. 64 Vgl. Gager 1992, 11. 65 Faraone 1997, 20. 66 So etwa Graf 1996, 154–157. 67 Ungeklärt ist noch, ob und – wenn ja – wie sie mit den etruskischen defixiones zusammenhängen (vgl. Preisendanz 1972, 19). Die etruskische defixio TheDefix 853 (ed. DT, Nr. 128) wird von Audollent 1967, 182 f., ins 3. Jh. v. Chr. datiert. 68 TheDefix 543 (ed. dfx, Nr. 1.5.4/1). Vgl. dazu Kropp 2008, 45. 69 Kropp 2008, 45. 70 Kropp 2008, 45 f. Zur Entstehung und Verbreitung von κατάδεσμoι und defixiones insgesamt vgl. Kropp 2008, 43–46.
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Obwohl TheDefix bei der Datierung häufig nur ein recht grobes Spektrum von mehreren Jahrhunderten aus der Sekundärliteratur übernehmen kann, zeichnet sich bei einigen defixiones relativ eindeutig eine Datierung ins 1. Jh. n. Chr. ab. Die Verbreitung dieser Tafeln spricht für sich: κατάδεσμoι bzw. defixiones sind von Ägypten71 und Hadrumetum72 in Nordafrika über Athen,73 Korinth,74 Kreta,75 Italien,76 Korsika,77 Sardinien,78 Sizilien79 und Spanien80 bis nach Pannonien,81 Raetien,82 Gallien,83 Germanien84 und Britannien85 belegt. Besondere Ballungsgebiete der ins 2./3. Jh. n. Chr. datierten Funde sind die Kultorte Aquae Sulis (Bath) und Uley, beide in der römischen Provinz Britannien, und die nordafrikanischen Städte Hadrumetum und Carthago. Die meisten defixiones sind für den Zeitraum vom 2.–4. Jh. n. Chr. belegt, wobei auch hier die genannten Orte in Britannien von Bedeutung bleiben. Die letzten defixiones sind für die nördlichen gallischen Provinzen nachgewiesen, wobei hier insbesondere Trier durch eine Vielzahl von Funden hervorsticht.86 Bei allen Bemühungen, die defixiones mit Blick auf ihren Inhalt und ihre rituelle Einbettung zu systematisieren und wiederkehrende Formeln und Strukturen zu beschreiben, darf nicht übersehen werden, dass es bei allen „cross-cultural similarities“87 auch historische Entwicklungslinien und lokale Besonderheiten wahrzunehmen gilt. Von gänzlich unbeschriebenen, aber manipulierten Tafeln über solche Tafeln, die nur den Namen des defixus nennen, bis hin zu sprachlich TheDefix 270 (ed. Suppl.Mag. II, Nr. 52). 829 (ed. DT, Nr. 304); TheDefix 895 (ed. DT, Nr. 305). 73 TheDefix 224 (ed. SGD, Nr. 21). 74 TheDefix 353 (ed. Stroudt 2013, Nr. 118). 75 TheDefix 1082 (ed. SEG 50, Nr. 930). 76 TheDefix 509 (ed. DT, Nr. 131); TheDefix 517 (ed. Bevilacqua 2012, 614–616); TheDefix 538 (ed. dfx, Nr. 1.4.4/15); TheDefix 539 (ed. DT, Nr. 191); TheDefix 546 (ed. dfx, Nr. 1.5.6/1); TheDefix 846 (ed. DT, Nr. 123); TheDefix 855 (ed. DT, Nr. 132); TheDefix 1059 (ed. DT, Nr. 211). 77 TheDefix 558 (ed. dfx, Nr. 1.9.1/1). 78 TheDefix 559 (ed. dfx, Nr. 1.10.1/1). 79 TheDefix 1245 (ed. Ampolo/Erdas 2016, 295–297 mit Taf. 39). 80 TheDefix 482 (ed. dfx, Nr. 2.1.1/4); TheDefix 565 (ed. dfx, Nr. 2.1.3/1; da die Bleilamelle um eine IVDAEA-CAPTA-Münze gewickelt war, ist eine Datierung auf die Zeit nach 70 n. Chr. möglich); TheDefix 600 (ed. dfx, Nr. 2.3.2/1); TheDefix 1153 (ed. dfx, Nr. 2.2.3/3); TheDefix 1247 (ed. García-Dils de la Vega/de la Hoz Montoya 2013). 81 TheDefix 1108 (ed. Barta 2012). 82 TheDefix 773 (ed. dfx, Nr. 7.1/1). 83 TheDefix 494 (ed. Lambert 2003, 152–161); TheDefix 495 (ed. Lambert 2003, 162–174); TheDefix 735 (ed. dfx, Nr. 4.4.1/1); TheDefix 1188 (ed. Lambert 2013). 84 So gibt es etwa Funde aus Köln (TheDefix 258, ed. DTM, S. 182), Groß-Gerau (TheDefix 259 ed. DTM, S. 183) und Bad Kreuznach (TheDefix 742 [ed. DT, Nr. 96]; TheDefix 743 [ed. DT, Nr. 97]; TheDefix 744 [ed. DT, Nr. 98]; TheDefix 745 [ed. DT, Nr. 99]; TheDefix 746 [ed. DT, Nr. 100]; TheDefix 748 [ed. DT, Nr. 102]; TheDefix 750 [ed. dfx, Nr. 5.1.4/11]). Auch die defixiones aus Mainz werden ins 1./2. Jh. n. Chr. datiert (ed. DTM). 85 TheDefix 703 (ed. dfx, Nr. 3.22/24). 86 Vgl. Kropp 2008, 46. 87 Eidinow 2019, 363. 71
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ausgefeilten Texten ab der Kaiserzeit reicht das inhaltliche Spektrum.88 Andere Phänomene, wie die Zauberzeichen (χαρακτῆρες), treten überhaupt erst ab dem 2. Jh. n. Chr. in den Inschriften auf. Auch die verschiedenen Untergattungen zeigen deutliche Schwerpunktbildungen zu verschiedenen Zeiten: Während sich Prozess‑ und Wirtschaftsflüche häufiger in der griechischen Klassik und der hellenistischen Zeit finden, treten Wettkampfflüche vermehrt in der spätrömischen Epoche auf.89 3.1.6 Literarische Rezeption und rechtliche Situation Möchte man das Neue Testament mit dem Material der defixiones in Verbindung bringen und neutestamentliche Anspielungen auf Formulierungen oder magische Ritualelemente annehmen, muss plausibel gemacht werden, dass zur Entstehungszeit der neutestamentlichen Schrift eine solche Praxis in der jeweiligen Region überhaupt bekannt war. Gerade weil zahlreiche literarische Zeugnisse auf die defixiones und ihre rituelle Einbindung bezugnehmen, kann man von einer breiten überregionalen gesellschaftlichen Kenntnis dieses antiken magischen Phänomens ausgehen, „sowohl auf Autoren‑ als auch auf Publikumsseite“90. Dabei fällt auf, dass ein Spektrum verschiedener Begriffe für die magischen Praktiken um κατάδεσμoι und defixiones verwendet werden konnte, etwa carmina, venenum oder magia. Zuweilen entscheidet nur der unmittelbare literarische Kontext, ob sich hinter einem Begriff eine defixio annehmen lässt oder nicht.91 3.1.6.1 Die rechtliche Situation Bereits im Inschriftenbefund selbst deutet sich an, dass Defixions-Ritualen der Hauch des Verbotenen anhaftete und die Urheber dies auch wussten. In einer Athener Inschrift aus dem 1. Jh. n. Chr. entschuldigt sich die Verfasserin oder der Verfasser einer defixio in dritter Person für das eigene Tun: „er tut dies unwillentlich, gezwungen durch Diebe“92. Im römisch-rechtlichen Kontext ist in erster Linie der geheime Charakter der κατάδεσμoι bzw. defixiones ein Problem, der die öffentlich ausgeübte und damit sozial legitimierte religiöse Praxis von der heimlichen und daher verbotenen magischen trennt.93 Eine erste wichtige Quellengruppe sind somit antike Rechtsquellen oder Berichte von Gerichtsprozessen, die auf magische Praktiken reagieren. 88 Vgl.
Versnel 1997a, 364. Vgl. Faraone 1997, 10 f. 90 Kropp 2008, 58. 91 Vgl. Graf 1996, 53. Zum Netzwerk der verschiedenen griechischen Begriffe (μάγος, γοητεία usw.) vgl. Graf 2019, 123. 92 TheDefix 224 (ed. SEG 30, Nr. 326; eigene Übersetzung). 93 Vgl. Kippenberg 1997. Für den griechischen Kulturraum ist hingegen umstritten, ob es ein Verbot von Schadenzauber überhaupt gegeben hat. Eidinow 2019, 366 f., sieht „no explicit evidence for this: secrecy and illegality should not be confused.“ Plat., leg. 933c–d, schlägt allerdings eine Strafe für diejenigen vor, die durch Bann‑ und Beschwörungsformeln oder durch Zauberei Schaden anrichten. 89
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Bereits im Zwölftafelgesetz (um 450 v. Chr.)94 werden magische Praktiken insofern unter Strafe gestellt, als sie dazu dienen, sich fremdes Eigentum anzueignen oder Eigentum eines anderen zu beschädigen. Dabei ist das Verzaubern der Feldfrüchte anderer ebenso im Blick (Tafel VIII, 8a) wie das Herbeizaubern fremder Ernteerträge auf das eigene Grundstück (Tafel VIII, 8b). Eine andere Regelung, die es untersagt, ein malum carmen gegen eine Person zu richten (Tafel VIII, 1), wird erst von Plinius (nat. XXVIII 18) auf Verwünschungen bezogen, während Cicero (rep. IV 12,20c95; vgl. Augustinus, civ. II 9) hier ein Verbot rufschädigender Dichtung erkennen möchte.96 Sulla lässt 81 v. Chr. die Lex Cornelia de sicariis et veneficiis (Gesetz über Meuchel mörder und Giftmischer) verabschieden, wobei auch hier nicht die Magie selbst verboten wird, sondern die absichtliche Tötung von Mitbürgern entweder durch sichtbare Waffeneinwirkung (durch die sica, den Dolch) oder durch weniger sicher feststellbare Methoden (durch venenum, Gift) – wobei der namengebende Terminus in beiden Fällen stellvertretend für verwandte Methoden des Tötens steht.97
Unter veneficium (Giftmischerei) fallen hier somit auch Praktiken des Schadenzaubers. Da Gift in der Antike ohnehin nicht nachweisbar war, war der Prozessverlauf der gleiche: Nur durch Zeugenaussagen konnten Giftmischerei und magische Verwünschungen überhaupt nachgewiesen werden.98 In den pseudo-paulinischen Sentenzen des 3. Jh. n. Chr. ist nun auch die Kenntnis magischer Praktiken strafbar. In den Edikten und der Gesetzgebungspraxis der christlichen Kaiser von Konstantin bis Justinian setzt sich diese Tendenz der Verschärfung im rechtlichen Umgang mit der Magie weiter fort.99 Der rechtlichen Situation entsprechen die über mehrere Jahrhunderte bezeugten Magieanklagen und Magieprozesse. Sie sind Beispiele dafür, dass das kodifizierte Recht tatsächlich auch in der Rechtsprechung angewendet wurde. Mehrere Anklagen erwähnt allein Tacitus (ann. II 69; IV 52; XII 65). Sogar die Aristokratie ist von solchen Anklagen nicht ausgenommen, wie etwa auch der Prozess des Philosophen und Schriftstellers Apuleius belegt, der wegen eines Liebeszaubers angeklagt, nicht zuletzt wegen seiner exzellenten Verteidigungsrede aber freigesprochen wurde.100
94 Zur
Datierung vgl. Düll 1995, 8; Schiemann 2001, 1200. Zitiert nach der Edition von Nickel 2010. 96 Zum Zwölftafelgesetz vgl. Bailliot 2019, 176–180; Graf 1996, 41–43; Kippenberg 1997, 144–146; Kropp 2008, 46 f. Die Zählung der Tafeln folgt der Edition von Düll 1995. 97 Graf 1996, 45. 98 Vgl. insgesamt Bailliot 2019, 185–188; Graf 1996, 45–47; Kippenberg 1997, 147–149; Kropp 2008, 47 f. 99 Vgl. Kippenberg 1997, 149 f.; Kropp 2008, 49 f. 100 Vgl. Kropp 2008, 50–52; Kippenberg 1997, 150–152 (zu Apuleius). 95
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3.1.6.2 Literarische Rezeptionen vom griechischen Drama bis in die augusteische Zeit und darüber hinaus Nicht nur die antike Rechtsüberlieferung bezieht sich auf magische Praktiken des Schadenzaubers, auch zahlreiche andere, aus heutiger Perspektive als nichtfaktual einzustufende literarische Texte kennen und rezipieren κατάδεσμοι und defixiones. Bereits in Homers Ilias können die Götter „binden“ bzw. „fesseln“ (Il. II 111; IV 517; IX 18; XIII 435; XIV 73), zuweilen sogar auch auf menschliches Gebet hin (vgl. etwa Hom. Il. IX 454–457; 566–572).101 Platon verwendet erstmals den Begriff κατάδεσμος und sieht auch eine Möglichkeit des Menschen, sich mit Hilfe bestimmter Praktiken die Götter dienstbar zu machen (Plat., leg. 933a–e; rep. II 364c).102 Bereits in der klassischen griechischen Tragödie lassen sich Spuren des Bindezaubers ausmachen. Christopher A. Faraone sieht etwa im „binding song“ der Erinyen bei Aischylos einen literarischen Beleg für einen rein mündlich vorgetragenen Prozessfluch, der im materiellen Befund – in Form einer Bleilamelle – erst später nachgewiesen sei (Eum. 306; 329–333; 341–346).103 Die Erinyen, Rachegöttinnen der Unterwelt, treten bei Aischylos als Prozessführerinnen in einem anstehenden Mordprozess auf. Zunächst kündigen sie ihren Bindezauber an (Eum. 306): „Den Sang hör nun, das Lied, das dich in Fesseln schlägt!“ (ὕμνον δ’άκούση τόνδε δέσμιον σέθεν).104 Die Ausführung folgt in wörtlicher Rede (Eum. 329–333), die sogar im selben Wortlaut nochmals wiederholt wird (Eum. 341–346): Über dem Fluch-Opfer den Spruch Tönt unser Sang: Wahnsinnes Schlag, Wahnwitzes Plag, geistverstörend! Festchor aus Erinyenmund, Fesselnd (δέσμιος) Seel und Mut, der Leir Abhold, dörrt der Menschen Mark!
Ausgehend von einem Hund, der in Aristophanes՚ Komödie „Die Wespen“ (Σφῆκες) des Käsediebstahls angeklagt ist (Vesp. 894–897), aber vor Gericht zu seinem Vergehen schweigt (Vesp. 946–948), zeichnet Faraone das literarisch auch andernorts belegte Begründungsmuster nach, Schweigsamkeit vor Gericht auf einen Prozessfluch zurückzuführen.105 Das Motiv begegnet später auch bei Cicero. Dieser stellt den Fall seines gegnerischen Anwalts Curo vor, der in einer Gerichtsrede, in der Cicero die Titinia vertrat, plötzlich extrem vergesslich geworden sei und hinterher erklärte, „das käme von den Giften und Zaubersprüchen der Titinia“ (veneficiis 101 Vgl.
Preisendanz 1972, 2 f.; Versnel 1997a, 364. Preisendanz 1972, 3; Versnel 1997a, 364. 103 Vgl. Faraone 1985. – Viele der im Folgenden aufgenommenen Hinweise auf Schadenzauber in der klassischen Literatur verdanke ich Faraone (1989; 1997). 104 Zitiert jeweils nach Werner /Zimmermann 2011. 105 Vgl. Faraone 1989. 102 Vgl.
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et cantionibus Titiniae factum esse; ad Brut. 218).106 Curo war also möglicherweise Opfer eines Prozessfluchs geworden, zumindest rechtfertigt er sein Versagen vor Gericht mit diesem Argument. In Theokrits zweiter Idylle über die Zauberin (Φαρμακεύτρια) ist von einem Bindezauber in Liebesangelegenheiten die Rede. Dort heißt es: „daß ich den Mann mit Zauber binde (καταδήσομαι ἄνδρα), meinen Geliebten, der mir Kummer macht“107. Ein ähnlicher Zauber ist bei Vergil belegt (ecl. 8,64–109). Es geht um ein carmen, das den Daphnis herbeibringen soll: „Holt aus der Stadt mir heim, meine Bannsprüche, holet mir Daphnis“ (ducite ab urbe domum, mea carmina, ducite Daphnim; ecl. 8,68).108 Möglicherweise ist auch bei Horaz an einen solchen Liebeszauber zu denken. Er erzählt von einem Ritual auf einem Friedhof, das die Hexe Canidia zusammen mit Sadana ausführt und das an eine Mischung aus Nekromantie und defixio erinnert (sat. I 8,23–50). Beide graben mit ihren Nägeln die Erde auf und manipulieren zunächst ein totes Lamm, danach kommen zwei Puppen aus Wolle und Wachs ins Spiel, die reale Menschen repräsentieren. Ziel des Rituals ist es, mit Hilfe der Puppen einen Menschen dem anderen gefügig zu machen.109 Obwohl nicht explizit von einem Liebeszauber die Rede ist, lässt sich bei Flavius Josephus (ant. Iud. XX 141–144) zumindest andeutungsweise solch ein Ritual im Hintergrund assoziieren: Der römische Statthalter Felix möchte, dass sich die Drusilla von ihrem Ehemann trennt und ihn heiratet. Dazu bemüht er den zypriotischen Juden Simon, „der sich für einen Magier ausgab“. Er redete ihr entsprechend zu, wie Flavius Josephus überliefert, und Felix hatte Erfolg. Ovid kennt das Schreiben eines Namens auf Wachs und die Manipulation der Wachstafel, die eine körperliche Manipulation des Opfers, in diesem Falle seiner Leber, zur Folge hat: „Hat meinen Namen geritzt in purpurnes Wachs eine Hexe, / trieb in die Leber sie mir winzige Nadeln hinein?“ (sagave poenicea defixit nomina cera / et medium tenues in iecur egit acus? am. III 7,29).110 Darüber hinaus zeugt auch die antike Fachschriftstellerei von einem allgemein verbreiteten Glauben an die Wirksamkeit magischer Praktiken. Cato und Varro bieten einige rezeptartige carmina für Landbau und medizinische Zwecke. Die Darstellung von Plinius d. Ä. ist stärker naturwissenschaftlich orientiert, wenn er in den Büchern XX bis XXXII seiner Naturalis Historia die geschichtliche Herkunft der Magie (nat. XXX 1–20), die er sehr kritisch sieht, im Kontext seiner Auseinandersetzung mit Medizin und Pharmakologie behandelt, deren Geschichte er unmittelbar zuvor darstellt (nat. XXIX 1–28).111 Text und Übersetzung nach Kytzler 2000. Zitiert nach Effe 2013. Vgl. auch Versnel 1997a, 364; Watson 1991, 199. 108 Zitiert nach Götte/Götte/Bayer 1995. Zu Vergil vgl. Kropp 2008, 61 f. 109 Solche Wachsfiguren kommen auch bei Hor. epod. 17,76 vor. Zu Horaz vgl. auch Kropp 2008, 62 f. 110 Zitiert nach Holzberg 2014. 111 Vgl. zur Fachschriftstellerei insgesamt und besonders ausführlich zu Plinius Kropp 2008, 58–60. 106 107
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3.2 Der exegetische Blick auf das Material Ohne Frage sind defixiones für Exegetinnen und Exegeten von Interesse, wenn es um umweltorientierte Zugänge zum Neuen Testament geht, wie etwa bei der Sozial‑ und Religionsgeschichte. In einem ersten Schritt soll es genau um diese Fragen gehen, für die das corpus defixionum als außerneutestamentliche Quelle neben anderen herangezogen werden kann. Darüber hinaus ist das Material der defixiones aber auch als Vergleichscorpus für produktionsorientierte Fragen mit Blick auf die Entstehung des Neuen Testaments von besonderem Wert. Wenn etwa lokale Corpora von Defixionstexten bestimmte Textstrukturen über die Zeit hinweg bewahren, drängt sich die Frage nach Tradition und Redaktion auf, nach den technischen Umständen des Schreibens und vielem mehr. In einem zweiten Schritt sollen solche produktionsorientierten Vergleichsmöglichkeiten ausgelotet werden, bevor es in einem dritten Schritt darum geht, inwiefern exegetische Methoden einen neuen Blick auf das Material der defixiones ermöglichen können. 3.2.1 Das corpus defixionum als sozial‑ und religionsgeschichtliche Quelle Das corpus defixionum stellt ein wertvolles Archiv für sozialgeschichtliche Informationen über knapp tausend Jahre dar. Was die defixiones besonders macht: Sie lassen sich auf verschiedenen Ebenen auswerten. Auf einer inhaltlichen Ebene erzählen die Texte etwas über antikes Recht, über Konfliktsituationen im Alltag, über den Wert von Gegenständen, über Wirtschaftsleben, Freizeitgestaltung (Wettkampfflüche!), Götterwelt und vieles mehr. Im Unterschied zu anderen antiken schriftlichen Überlieferungen haftet den defixiones noch die persönliche Handschrift ihrer Verfasserinnen und Verfasser an, sodass sie auf einer zweiten Ebene auch etwas über diejenigen verraten, die den Griffel geführt haben.112 Und das sind Mitglieder ganz verschiedener gesellschaftlicher Gruppen und unterschiedlicher Bildungsniveaus.113 Wie Jürgen Blänsdorf für die Mainzer Funde feststellt, seien „die verschiedenen Grade der Schreibgewandtheit“114 auffällig: „Sie reichen von halben Analphabeten bis zu gewandten Stilisten.“115 Dass die Verfasserinnen und Verfasser von defixiones nicht unbedingt professionelle Magier waren, dafür sprechen auch die Warnungen und detaillierten Beschreibungen in den Zauberrezepten der PGM.116 Allerdings ist gerade für die komplexeren defixiones, insbesondere im Nordafrika des 2./3. Jh. n. Chr., profes-
112 Vgl. insgesamt zu den Schreiberinnen und Schreibern der defixiones den Überblick bei Eidinow 2019, 378–385. 113 Vgl. Preisendanz 1972, 8 f. Faraone 1985, 153, verweist auf Studien zu den auf attischen Fluchtafeln verzeichneten Namen, die für Prozessführer und Politiker aus aristokratischen Kreisen sprechen. Vgl. zur Verbreitung in literarisch gebildeten Kreisen auch Watson 1991, 199. 114 Blänsdorf 2013, 33. 115 Blänsdorf 2013, 33. 116 Vgl. Kropp 2008, 55–57.
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sionelles Zauberpersonal anzunehmen.117 Auch für das Forschungsfeld der antiken Geschlechter‑ und Genderforschung ergeben sich schließlich Anknüpfungsmöglichkeiten, weil defixiones ein probates Mittel für Frauen waren, die – obwohl frei geborene Bürgerinnen des römischen Imperiums – „ihr Rechtsanliegen nur durch ihre Eltern, ihre Ehegatten oder einen Vormund vertreten konnten.“118 Auf einer dritten, sozialgeschichtlichen Ebene ermöglichen die defixiones Einblicke in die konkreten sozialen und religiösen Verhältnisse der jeweiligen Gesellschaft, insbesondere dann, wenn die defixiones Standortbesonderheiten aufweisen. Gerade diese dritte Auswertungsebene erfordert eine intensive Zusammenarbeit mit der Archäologie und Epigraphik, um das Material umfassend auswerten und für die verschiedenen Disziplinen fruchtbar machen zu können. 3.2.2 Das corpus defixionum als Vergleichscorpus für Fragen antiker Textproduktion Jedes einzelne Artefakt des corpus defixionum ist Teil eines Netzwerks von (spät‑)antiken Texten, die sich in einem Kontinuum zwischen Standardisierung, Formalisierung, Serienproduktion auf der einen Seite sowie Abweichung vom Standard und Individualität auf der anderen Seite bewegen. Mit Blick auf die antike Textproduktion bietet sich hier eine Fülle von Forschungsfragen an, die auch für die neutestamentliche Textkritik, die Interpretation von Handschriften und ihrer Produktion oder Fragen der Überlieferung neutestamentlicher Texte, etwa mit Blick auf die Redaktion der synoptischen Evangelien, interessant sein könnten. „‚Magische‘ Kopiervorlagen“ behandelt etwa Amina Kropp in ihrer Studie über die lateinischen defixiones.119 Sie beobachtet „wiederkehrende Formelelemente sowie typische Abschreibefehler, wie das Überspringen von Zeilen, und nachträgliche Korrekturen“120. Es komme darüber hinaus auch zu versehentlichen Übernahmen des Anleitungstextes in die defixio, etwa wenn das Platzhalterwort nomen nicht durch einen konkreten Namen ersetzt wird.121 Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen drei konkreten defixiones und dem Zauberrezept PGM IV 335–406 hat auch Dierk Wortmann untersucht und den möglichen Überlieferungsweg in einem Stemma dargestellt.122 Das von Wortmann behandelte Material deutet darauf hin, dass es sich um „Serienproduktion“ von defixiones handelt, weil auf einer Tafel die Zeilenenden einer anderen zu sehen seien. Das spräche für ein späteres Zerschneiden einer ursprünglich größeren Bleitafel, auf die von einer Person verschiedene Texte geschrieben worden seien. Seriell produziert sind auch die
Vgl. Kropp 2008, 53–55. Blänsdorf 2013, 31. 119 Vgl. Kropp 2008, 55–57. 120 Kropp 2008, 55. 121 So etwa in TheDefix 727 (ed. dfx, Nr. 4.1.3/15). 122 Wortmann 1968, 57–80. 117 118
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sogenannten Johns Hopkins Tabellae Defixionum aus Rom123 und die Funde aus Kourion (Zypern),124 die wohl von einem Magier und nach Vorlage geschrieben worden sind. In diachroner Hinsicht ließen sich sprachlich-formale Standortbesonderheiten über die Zeit hinweg untersuchen. Inwiefern orientieren sich Schreiberinnen und Schreiber an Textvorlagen? Wie werden sie individuell angepasst? Werden Schemata und Vorlagen im Laufe der Zeit weiterentwickelt? Welche Schreibfehler passieren? Aber auch synchron orientierte Forschungsfragen ließen sich an das Material stellen, etwa: Welche Konstanten und welche Unterschiede gibt es in der Textproduktion zur gleichen Zeit an unterschiedlichen Orten? Welche Gründe gibt es dafür? Inwiefern spielt Mobilität eine Rolle? Welche Gruppen transportieren die Techniken und wie wirkt ihr Milieu sprachlich auf die Inschriften ein? Hier wäre etwa an die Rolle des römischen Militärs zu denken. 3.2.3 Das corpus defixionum mit neutestamentlichen exegetischen Methoden erschlossen Es hat sich gezeigt, dass innerhalb der historischen und philologischen Erforschung der defixiones eine Debatte über die (Unter‑)Gattung der Gebete um Gerechtigkeit entbrannt ist. Auffällig sind hier einerseits Bezüge zu den anderen defixiones, etwa Blei als beschriebenes Material, aber andererseits auch die Unterschiede, etwa in der Kommunikationsstruktur der Aktanten im Ritualgeschehen, weil bei den Gebeten um Gerechtigkeit erst nach einem Diebstahl oder Verlust eine Gottheit um Wiederherstellung des Ursprungszustands angerufen wird. Möglicherweise kann die neutestamentliche Gattungskritik eine Systematisierung in diesen Diskurs einspeisen. Lässt sich vielleicht sogar ein gattungskritisches Motivinventar für κατάδεσμoι und defixiones entwickeln, ähnlich wie es Gerd Theißen für die neutestamentlichen Wundergeschichten vorgelegt hat? Welche Untergattungen könnte man ausmachen? Und nicht zuletzt ist – stärker als dies bei neutestamentlichen Texten möglich ist – die Frage nach dem Sitz im Leben vor dem Hintergrund der Realien einzubeziehen, eben weil konkrete Fundumstände bekannt und Teile des Rituals aus den schriftlichen Quellen zu erschließen sind. Aus gattungskritischer Perspektive interessant ist auch die Frage nach der Entwicklung von Gattungen aus einem Ritual heraus. Weil die Urform der defixio wohl eine mündlich vollzogene Sprechhandlung war, wie Faraone und Preisendanz vermuten, die sich dann durch Niederschreiben des Namens kontinuierlich immer stärker in den schriftlichen Vollzug verlagert hat, hängen Gattung und Ritual bei den defixiones in besonderer Weise zusammen. Inwiefern ein sehr materielles Ver-
123 Vgl. TheDefix 488–492 (ed. Sherwood Fox 1912; dfx, Nr. 1.4.4/8–1.4.4/12). Vgl. dazu Kropp 2008, 35.55; Sherwood Fox 1912. 124 Vgl. Preisendanz 1972, 13.
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ständnis von Sprache in diesem Ritualgefüge eine Rolle gespielt hat, wäre eigens zu untersuchen.
4. defixiones als „Magie“? Üblicherweise werden κατάδεσμoι und defixiones von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern dem Bereich der antiken Magie zugeordnet, wenngleich die Quellen selbst den Begriff Magie nicht verwenden, um die eigene Praxis zu beschreiben.125 Es sind vielmehr Parallelen zu anderen aus heutiger wissenschaftlicher Perspektive als magisch klassifizierten Texten, die dazu führen, auch die κατάδεσμoι und defixiones als Spielart der Magie zu verstehen. Doch gerade mit Blick auf die modernen Diskurse um Magie und Religion sind in den letzten Jahren und Jahrzehnten neue Debatten aufgekommen, die auch in diesem Band wenigstens überblicksartig erschlossen werden sollen. Dieser Abschnitt fragt daher danach: Was ist überhaupt unter dem Begriff „Magie“ zu verstehen? Welche der unterschiedlichen in der Forschung vorgeschlagenen Definitionen erfasst das Wesentliche dieses Begriffs am besten? Kann Magie legitimerweise von Religion unterschieden werden? Ist die Konvergenz von magischem und religiösem Handeln so eng, dass der Begriff „Magie“ als beschreibende Kategorie ganz aufgegeben werden sollte zugunsten hybrider Bezeichnungen wie „magisch-religiöse Phänomene“? Sollte Magie aus emischer oder etischer Perspektive untersucht werden? Ist „Magie“ ein so schwer fassbares Phänomen, dass die zugehörigen Elemente besser anhand einer Taxonomie erfasst werden können, die sich an generischen Kategorien wie Divination, Fluchen, Heilen usw. ausrichtet? Ist Magie anhand komparativer Analysen zu untersuchen, d. h. ist magische Praxis aus zeitlich wie räumlich weit voneinander entfernt liegenden Gesellschaften und Kulturräumen überhaupt vergleichbar?126 Diese Fragen umreißen das Problemfeld um die Definition des Begriffs „Magie“ sehr gut. Die von klassischen Magietheoretikern wie Edward B. Tylor, James G. Frazer, Émile Durkheim, Bronislav Malinowski oder Edward E. Evans-Pritchard aufgestellten Magiedefinitionen sind heute stark umstritten, da sie der komplexen Sachlage nicht gerecht werden können.127 Denn es existiert weder eine Vgl. dazu die Ausführungen von Marco Frenschkowski in diesem Band, S. 47–91. Zu den Fragen vgl. Watson 2019, 1. 127 Vgl. zu kulturwissenschaftlichen und anthropologischen Modellen vgl. Frenschkowski 2016, 10–29; Otto 2011, 39–132. Zur Diskussion um den Magiebegriff in Bezug auf die Antike vgl. z. B. Graf 1996; Faraone 1999; Dickie 2001; Busch 2006; Stratton 2007; Otto 2011; Harari 2005; Versnel 1991; Aune 2014; sowie die Sammelbände Faraone/Obbink 1997; Meyer /Mirecki 1995; Mirecki/Meyer 2002; Kippenberg/Schäfer 1997; Jordan/ Montgomery/Thomassen 1999; Ciraolo/Seidel 2002; Bremmer / Veenstra 2003; Brodersen/Kropp 2004; Stratton/Kalleres 2014; Boschung/Bremmer 2015; Otto/Stausberg 2013a; Frankfurter 2019. 125 126
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allgemein akzeptierte wissenschaftliche Definition des Begriffs „Magie“ noch eine übergreifende Theorie oder theoriebasierte Terminologie, es besteht nicht einmal Konsens über den Umfang oder die Art der Handlungen, Ereignisse, Gedanken oder Objekte, die unter die Kategorie „Magie“ fallen.128 Der Begriff „Magie“ wird in der Alltagssprache wie in der Forschungsliteratur für ein weites Spektrum an Phänomenen, Realien und Praktiken gebraucht, von Amuletten, Alchemie und apotropäischen Bindeformeln bis zu Zauberpapyri, Zaubersprüchen und Zaubertränken.129 Grundsätzlich scheint „Magie“ alles umfassen zu können, was als „a marker of alterity, of dangerous, foreign, illicit, suspicious or potentially powerful things done by others (and/or done differently)“ definiert werden kann.130 In antiken wie modernen Sprachen ist „Magie“ mit einem breiten terminologischen Spektrum assoziiert. Diese Variationsbreite der unter den Begriff fallenden Phänomene, die semantische Vielfalt in unterschiedlichen Kulturräumen, die Bandbreite an ideologischen Vorannahmen und die konzeptuelle Heterogenität stellen unüberwindliche Probleme dar, sobald eine Definition von „Magie“ anvisiert oder eine kulturraum‑ oder zeitübergreifende Vergleichbarkeit magischer Phänomene oder Artefakte in den Blick genommen wird. In Kritik der klassischen Ansätze schlägt Marco Frenschkowski eine andere Art des Zugangs vor, der auf einer „kulturwissenschaftlichen Theorie der Magie“ basiert und die Verwendung eines kulturübergreifenden bzw. kulturwissenschaftlichen Magiebegriffs vorsieht, sowie die Berücksichtigung der historischen und kulturellen Differenziertheit des Phänomens:131 Eine gegenwärtige Theorie der M. [sc. Magie] muss daher auf jeden Fall präzise zwischen objekt‑ u. metasprachlichen Bestimmungen unterscheiden, also zwischen der Untersuchung der antiken Begriffe u. Konzepte einerseits u. der definierenden Ausbildung einer modernen kulturwissenschaftlichen Terminologie anderseits.132
Im Anschluss an die analytische Herangehensweise in Marco Frenschkowskis Monographie zur Magie im antiken Christentum hat Bernd-Christian Otto in einer Rezension zu Marco Frenschkowskis Monographie ein vierteiliges Raster vorgestellt, das der kulturraumübergreifenden, differenzierenden Analyse von Texten
128 Otto/Stausberg
2013b, 1. Vgl. die umfassendere Liste bei Otto/Stausberg 2013b, 2 f. Vgl. in diesem Zusammenhang auch Versnel 1991, 177–197, der einen Ansatz der Definition von Magie über Wittgensteins Familienähnlichkeit vorschlägt und dessen kritische Diskussion in Harari 2005, 91–124. 130 Otto/Stausberg 2013b, 3. Vgl. auch Otto/Stausberg 2013b, 4: „The complexities of this semantic field is reflected in the fuzziness of scholarly discourses. […] Even within […] subdiscourses, scholars tend to selectively assign specific shades of meaning to their preferred terms, partly derived from their empirical materials, from selected (and often selective) reading of the literature, or simply from preconceptions derived from everyday language“. 131 Vgl. Frenschkowski 2016, 47 f. 132 Frenschkowski 2010, 873. 129
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und materiellen Befunden der antiken „Magie“ zuträglich sein kann.133 Mit Otto ließe sich daher fragen: 1. Wo gibt es Rituale bzw. Praktiken, die vergleichbare Züge aufweisen? 2. Mit welchen Begriffen werden sie jeweils gruppenspezifisch bezeichnet und welche Begriffswanderungen und Bedeutungsverschiebungen lassen sich erkennen? 3. Welche Zuschreibungen werden im Diskurs mit Hilfe bestimmter Terminologie vorgenommen und welche Strategien treten dabei zum Vorschein (etwa othering-Strategien)? 4. Welche wiederkehrenden Ideen und Konzepte finden sich und inwiefern unterscheiden sie sich im Detail? Während Marco Frenschkowski dem Begriff „Magie“ weiterhin heuristischen Wert zuerkennt und diesen daher auch in seiner Monographie benutzt wie generell das Konzept „Magie/magisch“ weiterhin sowohl in der Forschung als auch in der Alltagssprache gebraucht wird134, finden sich in der Forschungsliteratur auch Vertreter, die den Magie-Begriff zu ersetzen oder zu umgehen versuchen. Die Problematisierung des Begriffs „Magie“ und die Debatte um dessen heuristischen Wert wird dabei v. a. durch zwei Positionen bestimmt, Bernd-Christian Otto, M ichael Stausberg und David Frankfurter, die im Folgenden kurz dargestellt werden sollen. Bernd-Christian Otto und Michael Stausberg benennen vier Argumentationslinien, die gebraucht werden, um die Verwendung des Magie-Begriffs weiterhin zu rechtfertigen: 1. The study of religion(s) can or should not disaffiliate from first-order concepts so that as long as people (including other scholars) speak of “magic” or claim to observe or perform acts classified by someone as “magic”, this constitutes a legitimate discursive reality and subject of study. 2. The study of religion(s) is in need of terms that allow its practitioners to do comparative research; “magic”, despite its problems (which it shares with many other such terms), can be expected to do such work with appropriate reflexive caveats and qualifications. 3. One needs to strip the concept from several of its secondary encrustations and rehabilitate the elementary forms of “magic” that could then be explained as such;
133 Otto 2018, 349–354: Otto sieht in diesem Ansatz die Grundlage für eine neue, interkulturelle Theorie der Magie, die systematisch zwischen (1) Diskursen, (2) Begriffen, (3) Ideen und (4) Praktiken unterscheidet und die Bestimmung von deren Verhältnis und Interaktion für einen jeweiligen kulturellen Kontext oder für verschiedene Kontexte im Vergleich berücksichtigt. 134 Aktuelle Lexika nehmen das Lemma „Magie“ (vgl. Frenschkowski 2010, 858–876) oder „Magic, Magician“ (Schmidt u. a. 2019) auf, definieren „Magie“ als einen performativen Akt, als integralen Teil von Religion und als ein kulturelles Symbolsystem, das in der antiken Welt ebenso zu finden ist wie in modernen Formen von Kultur und Religion. Zugleich wird jedoch der Gebrauch dieses Konzepts problematisiert und vor der aktuellen wissenschaftlichen Debatte reflektiert. Dies spiegelt die aktuelle Diskussion um den „Magie“-Begriff wider.
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the purified concept could then be used as a theoretical or analytical tool to analyse empirical materials (data). 4. Like many other concepts, “magic” refers to a range of phenomena sharing a family resemblance; accordingly, the concept cannot be defined in terms of a closed list of specific traits but needs to be thought of in the light of generally accepted prototypical examples from which an open list of typical features could be generated.135
Doch auch diese Argumentationsstrategien haben sich nicht als erfolgreich erwiesen. Dies führt Otto dazu, den Begriff als „leere Signifikante“ zu beschreiben, als „eine bloße Chiffre, die weniger zur Kennzeichnung semantischer Bedeutung(en), sondern vielmehr zur Aushandlung von Identitäten und Markierung (inter‑)diskursiver Grenzen dient“.136 Er spricht vom „akademischen Zerfall der Kategorie“ Magie und schlägt vor, auf einen „substanziell gefassten Magiebegriff “ zu verzichten, um die im (Text)Material enthaltenen „hochvariablen Bedeutungen, Funktionen und Wertungsmuster im historischen Kontext überhaupt erfassen und abbilden zu können“ und um somit „adäquatere Analyse‑ und Beschreibungsmethoden fremdreferentiell‑ oder selbstreferentiell-magischer Textmuster generieren zu können“.137 Magie ist für ihn somit ein Zuschreibungsbegriff, den es in den jeweiligen historischen und kulturellen Diskursen zu untersuchen gilt.138 Er plädiert dafür, anstatt von einer übergreifende Kategorie „Magie“ von „patterns of magicity“ zu sprechen.139 Eine weitere kritische Position gegenüber dem Magie-Begriff vertritt David Frankfurter, wenn er – obgleich er dem Begriff doch einen gewissen heuristischen Wert zuerkennt – zwei Dinge besonders betont: (1) it is appropriate and important to look at the construction, use, and semantic range of the various Greek, Latin, Hebrew, Coptic, and other terms that authors and jurists used in antiquity to designate an ambiguous or illegitimate type of ritual work, mageia included. Although conceived thematically – etically – this work must be done with strict adherence to indigenous vocabulary, without glossing that vocabulary in terms of “magic”;140
135 Otto/Stausberg 2013b, 8. Vgl. zu einem kognitionswissenschaftlichen Ansatz Sørensen 2013a, 229–242. 136 Otto 2011, 621; vgl. auch Otto 2011, 620–624. 137 Otto 2011, 649. Vgl. zudem Otto 2013; Otto 2017. 138 Vgl. dazu auch den Ansatz von Braarvig 1999, 30, der ein dreifaches heuristisches Raster vorschlägt: „I would like to suggest the triad of intra-textual, inter-textual, and extra-textual levels of understanding of […] magic: The first kind, intra-textual, should denote the magic which is acknowledged as such by the individual(s) practicing it; the second, the inter-textual, is the context where someone, often in a polemical way, is said or declared to practice it or is accused of doing so, and the magic described accordingly, and where the magic may be a topic of discussion or polemical contest. In the third, extra-textual, context, then, magic would be described disinterestedly, analytically and in a historical perspective“. 139 Otto/Stausberg 2013b, 11. Vgl. aber auch die berechtigte Kritik an Ottos Ansatz in der Rezension seines Werks durch Sørensen 2013b, 484–488. 140 Frankfurter 2019b, 10.
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(2) as fascinating and appealing as they are for ancient historians, the Greek and demotic Magical Papyri and other like corpora are not prima facie evidence for mageia, for ambiguous or illegitimate ritual in antiquity, but only for what their authors intended in these texts and compilations; and that is a subject on its own. By the same empirical principle, lead binding tablets and curse-figurines and apotropaic bowls are evidence of specific ritual types, not magic.141
Im ersten Punkt geht es Frankfurter darum, nicht vorschnell moderne Begriffe wie „magic“ mit scheinbar ähnlichen Begriffen aus dem antiken Kulturraum, wie z. B. μαγεία, ֶּכ ֶׁשף/kešep̄ oder heka, gleichzusetzen. Vielmehr seien der Magie-Begriff und andere damit verbundene moderne Termini (wie z. B. Hexe, Zauberer usw.) möglichst in der wissenschaftlich-deskriptiven Sprache (etische Perspektive) zu vermeiden, während auf gruppenspezifische Sprache (emische Perspektive) zurückzugreifen sei. Denn derartige kulturelle Konzepte – z. B. μαγεία, maleficium, heka oder ֶּכ ֶׁשף/kešep̄ – sind Teil eines kulturräumlichen Kontextes, können insofern nicht einfach leichthin übersetzt oder miteinander gleichgesetzt werden und sind folglich je für sich zu analysieren. Der zweite Punkt hat Konsequenzen für die Wahrnehmung etablierter Textcorpora, denn Textsammlungen wie die Papyri Graecae Magicae oder auch die defixiones würden durch die wertende Zusammenstellung in den Corpora als „magisch“ klassifiziert, ohne zu berücksichtigen, wie diese Texte in ihrem kulturräumlichen Kontext bewertet oder eingeordnet wurden. In Aufnahme der Position von Jonathan Z. Smith, der „Magie“ als eine deskriptive Kategorie zur Bezeichnung von Alterität markierte – z. B. gegenüber Religion, Wissenschaft oder Vernunft –,142 und der Aussage Henk S. Versnels, dass „Magie“ an sich nicht existiere, sondern nur unsere Definition des Konzepts,143 kommt Frankfurter zu der Feststellung: “magic“ or “magical” can serve as a quality of certain practices and materials that highlights for our scholarly scrutiny features of materiality, potency, or verbal or ritual performance we might not otherwise appreciate as part of a culture’s religious world, or aspects of the social location of ritual practices we might not otherwise appreciate. “Magic” – the category – becomes thus a heuristic tool rather than a second-order (etic) classification.144
In dieser Verwendung als heuristischer Begriff kann „Magie“ materielle Aspekte des Rituals, lokale Anwendungen des offiziellen Rituals und wechselnde Bewertungen traditioneller religiöser Figuren oder Riten beschreiben, kann eine Qualität oder einen Aspekt des Rituals oder einen Bereich, auf den Rituale ausgerichtet werden könnten, bezeichnen. Frankfurter plädiert daher dafür, „to cleave closely 141 Frankfurter 2019b, 10. Vgl. dagegen Frenschkowski 2010, 876: die Referenzcorpora seien für die klassische Antike kaum strittig, welche Texte also zu den Fluchtafeln oder den „magischen Papyri“ gezählt werden, sei weithin Konsens. 142 Smith 1995. 143 Versnel 1991, 177: „magic does not exist, nor does religion. What do exist are our definitions of these concepts“. 144 Frankfurter 2019b, 13 f.
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to indigenous nomenclature (magia, heka, khesheph, etc.) and to eschew the term ‘magic‘ as much as possible“.145 Wo Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen bisher entweder die Artefakte und den Diskurs zu Lasten des historischen oder archäologischen Verständnisses unter der einen übergreifenden Kategorie „Magie“ zusammenfassten, oder aber, wie z. B. David Frankfurter, den Evaluierungsdiskurs radikal von der Natur der Artefakte selbst trennten, hat Radcliffe Edmonds einen interessanten Mittelweg gefunden. Er definiert Magie als a discourse pertaining to non-normative ritualized activity, in which the deviation from the norm is most often marked in terms of the perceived efficacy of the act, the familiarity of the performance within the cultural tradition, the ends for which the act is performed, or the social location of the performer.146
Edmonds geht von zwei zentralen Prämissen aus: (1) Etische Definitionen sind Ausgangs‑ und Endpunkt jeder Untersuchung antiker Magie, da Wissenschaftler ihre jeweilige Kultur und ihren Hintergrund in die Forschung einbringen und nie als Teil der antiken Kultur diese von innen heraus analysieren können; (2) Magie ist als Diskurs zu betrachten, als ein dynamisches soziales Konstrukt, nicht eine bestimmte Wirklichkeit, denn jeder textuelle oder materielle Beleg für antike Magie stellt ein Beispiel dafür dar, was eine bestimmte Person aus ihrer spezifischen Perspektive als Magie kennzeichnete; „to speak of ‚magic in the ancient Greco-Roman world‘ is thus to refer (loosely) to the whole range of things that various people in those cultures during those times could label as ‚magic‘“.147 Auf der Beobachtung basierend, dass „Magie“ häufig im Gegenüber zu Religion einerseits und Wissenschaft andererseits definiert wird, was für die antike emische Perspektive nicht hilfreich ist, schlägt Edmonds vor, „Magie“ als „nicht-normativ“ zu bestimmen, magische Handlungen somit als „non-normative (religious or scientific) behaviour“ zu definieren.148 Dabei sei natürlich zu berücksichtigen, dass „normativ“ und „nicht-normativ“ je nach Kulturraum und Zeit variieren. Zudem sei Magie als „ritualized activity“ zu verstehen, „where ‚ritual‘ is defined very broadly as symbolic action, which may include speech, gesture, movement, or other kinds of symbolic actions“.149 Er stellt ein aus antiken Quellen entnommenes (fragmentarisches) Spektrum an Kriterien vor, das wissenschaftlichen Untersuchungen zur antiken Magie zuträglich sein kann, um zu bestimmen, welche ritualisierten Handlun Frankfurter 2019c, 23. Edmonds 2019, 5. 147 Edmonds 2019, 7. Er gründet seinen Ansatz auf Gordon 1999, und Stratton 2013, 246 f.: „Magic is best understood as a discursive formation – a socially constructed body of knowledge that is enmeshed in and supports systems of power. What gets labelled magic is arbitrary and depends on the society in question. Once the label is affixed, however, it enables certain practices to become magic by virtue of being regarded as such by members of the society“. 148 Edmonds 2019, 9. 149 Edmonds 2019, 10. 145 146
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gen in dem jeweiligen Kulturraum in der jeweiligen Zeit als magisch bezeichnet wurden, d. h. „whether they might, from an ancient, emic perspective, have been labeled ‚magic‘“.150 Wie ist also im Licht der umstrittenen Definition von „Magie“ mit dem Begriff umzugehen? Wenngleich sich die Kritik an der Definition und Verwendung des Begriffs in der jüngeren Forschung als berechtigt erwiesen hat, so ist es doch ebenso problematisch, den Begriff vollständig zu umgehen.151 Die in diesem Band versammelten Ansätze sind sich der Diskussion um den Magie-Begriff bewusst, gehen sehr unterschiedlich mit ihm um – in Verwendung oder bewusster Vermeidung des Begriffs – und schließen sich damit der einen oder anderen Forschungsrichtung an. Dadurch spiegeln die Beiträge den hier skizzierten disparaten Diskurs zum Begriffsverständnis wider.
5. Parallelen? Oder mehr? Oder anderes? Notizen zur Kontextrelevanz von defixiones für die exegetische Arbeit mit dem Neuen Testament Kann man überhaupt defixiones gewinnbringend und d. h. mit Blick auf ein plausibles neues oder jedenfalls präziseres Textverständnis für die Interpretation neutestamentlicher Texte heranziehen? Sind defixiones ein Thema, das im Neuen Testament direkt oder indirekt verhandelt wird und sind sie insofern überhaupt relevant für die neutestamentliche Exegese? Diese Fragen schwingen manchmal verdeckt, manchmal auch explizit thematisiert in einer ganzen Reihe von Beiträgen zu diesem Sammelband mit. Sie sind historisch-kritisch arbeitenden Exegetinnen und Exegeten, die biblische Texte mit der vermuteten Umwelt der Texte in mittel‑ oder unmittelbare Beziehung setzen wollen, aus ihrer eigenen Praxis bestens vertraut. Und sie stellen sich auch mit Blick auf die defixiones und ihr kulturelles Umfeld. Denn in der Tat gibt es keine einzige neutestamentliche Textstelle, die explizit und damit unstrittig auf defixiones anspielen oder sogar eine Fluchtafel zitieren würde. Und auch ritualisierte Fluchpraxis, wie sie im Rahmen der Verwendung von defixiones anzutreffen ist, findet sich nicht als explizites Thema innerhalb des Neuen Testaments, zu dem sich ein neutestamentlicher Text reflexiv verhalten würde. In diesem Sinne kann die von Stefan Schreiber in seinem Beitrag zu diesem Sammelband seinen Überlegungen vorangestellte Klarstellung – sozusagen eine 150 Edmonds 2019, 32. Vgl. auch die dort formulierte kritische Einschränkung: „The fragmentary and incomplete nature of the evidence means that modern scholars will never have enough information to determine the entire range of things labeled ‚magic‘ in antiquity or to distinguish all the particular reasons that someone might have labeled a specific thing as ‚magic,‘ but these criteria nonetheless provide a starting point from which we can improve our understanding of the way the people of the ancient Greco-Roman world considered these phenomena“. 151 Vgl. hier auch Versnel 1991, 177–197.
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Art inhaltlicher disclaimer, nicht zu viel im Blick auf das Kommende zu erwarten – für das ganze Neue Testament und nicht allein für die Apostelgeschichte gelten: Antike Fluchtafeln stellen kein Thema der Apostelgeschichte dar. Die Erzählungen des Lukas bieten weder Beispiele für die Praxis, Fluchtafeln herzustellen, noch enthalten sie eine kritische Metareflexion über Gefahren und Schaden durch Fluchpraktiken. Begriffe wie κατάδεσμος oder φάρμακον finden sich nicht.152
Diese Feststellung gilt auch dann noch, wenn man berücksichtigt, dass Fluchen als Ausdrucksform menschlicher Sprache und Flüche durchaus Themen neutestamentlicher Texte sind, wie etwa die Verwendung von Verben und Nomen aus dem semantischen Spektrum des Fluchens zeigen, die sich auch im Neuen Testament finden lassen (dazu gehören z. B.:153 ἀνάθεμα, ἀναθεματίζειν, ἀρά, βλασφημεῖν, κακολογεῖν, καταρᾶσθαι, λοιδορεῖν). Bei all diesen Wortverwendungen im Rahmen neutestamentlicher Texte lassen sich aber nicht unumstritten eindeutige Allusionen auf die Praxis der defixiones ausmachen, konnte der Vorgang des Fluchens in den unterschiedlichen Kulturen der Antike doch fraglos auch ohne defixiones vollzogen werden und haben einige der im Neuen Testament verwendeten Begriffe ein breites semantisches Spektrum, das über den engen Bereich des Fluchens hinausweist. Überdies ist grundsätzlich nicht immer leicht zu entscheiden, in welchem kulturellen Rahmen der Antike eine Schrift eigentlich zu verorten ist, zumal solche Verortungen, die Thema der Einleitungswissenschaft sind, zumeist aus den Textexegesen selbst erwachsen und insofern für die Bewertung der Plausibilität einer Textlektüre vor dem Hintergrund einer spezifischen Umwelttradition ihrerseits argumentativ nur begrenzt entscheidend sein können, weil die Gefahr von Zirkelschlüssen bei der Bewertung anderer Textexegesen zumindest im Raum steht. Wie bei allen Erwägungen von Text-Kontext-Relationen im Rahmen exegetischer Arbeit stellt sich also ein Plausibilisierungsproblem, das umso stärker ausgeprägt ist, je schwächer eine potentielle Intertextualität im zu untersuchenden Text eindeutig markiert und insofern zu erkennen ist. Eindeutige und d. h. markierte Zitate etwa alttestamentlicher Texte im Neuen Testament sind fraglos in ihrer Wahrnehmung (nicht in ihrer Interpretation!) unumstrittener als die Behauptung einer chiffrierten, also nur vagen Referenz154 auf eine spezifische Realie aus der Umwelt des Neuen Testaments. Im schlechtesten Fall haben Text und vermuteter Kontext nach vorherrschender Meinung innerhalb der exegetischen community gar nichts miteinander zu tun und der Exeget, der sich einer solchen Vermutung 152 Vgl.
S. 353 im vorliegenden Band. die hilfreiche Übersicht zum neutestamentlichen Sprachgebrauch mit Belegstellen bei Rusam 2013. 154 Mit dieser Spezialform der Allusion habe ich mich ausführlich im Rahmen meiner Studie zum römischen Triumphzug und seiner literarischen Präsenz im Markusevangelium beschäftigt. Die dortigen Ausführungen stehen auch im Hintergrund dieses Kapitels, vgl. Lau 2019, 65–107. 153 Vgl.
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verschrieben hat, begibt sich bei seiner Arbeit auf unfruchtbare Abwege, weil er keine argumentativ plausibilisierbaren positiven Ergebnisse im Blick auf seinen Text gewinnen kann; im Mittelfeld der Relevanz erscheint demgegenüber vielleicht schon die Feststellung von mehr oder weniger interessanten Parallelen, die freilich in der Gefahr steht, sich in eine „Parallelomanie“155 zu verflüchtigen, also Parallelen zu notieren, ohne eine Gewichtung und d. h. wiederum eine Prüfung der wirklichen Relevanz für das Verständnis des biblischen Textes vorzunehmen. Im Idealfall hingegen hilft der für die Interpretation des Textes herangezogene neue Kontext wirklich, um den Text besser, eben neu oder präziser und in jedem Falle argumentativ plausibel156 und für die exegetische Wissenschaftsgemeinschaft anschlussfähig interpretieren zu können. Wir sind der Überzeugung, dass Letzteres auch für die defixiones gilt und diese für die Interpretation neutestamentlicher Texte hilfreich sind. Aber diese Behauptung verlangt argumentativen Aufwand: Denn wenn weitgehend unstrittig ist, dass eindeutig markierte und insofern geradezu zitathafte Anspielungen auf antike defixiones im Neuen Testament nicht zu finden sind, dann ist die Kontextrelevanz von defixiones für die exegetische Arbeit mit dem Neuen Testament tatsächlich für jede Textstelle, die unter Rückgriff auf defixiones interpretiert wird, mindestens zu problematisieren und im Idealfall eigens nachzuweisen, weil es sich stets um allusionshafte oder noch schwächer ausgeprägte Formen der Präsenz des Kontextes defixiones in neutestamentlichen Texten handelt. Für solche Behauptungen von Intertextualität freilich gibt es Differenzierungsmöglichkeiten, inhaltliche Kriterien und Parameter der Plausibilitätsabwägung. Diesen gelten im Folgenden einige Überlegungen, die sich in der ein und anderen Form auch in den Beiträgen des Bandes wiederfinden (auf die ab und an auch verwiesen wird) und hier gebündelt und generalisiert (und insofern auch immer etwas im Vagen bleibend, weil erst die Konkretion im Rahmen von Textanalysen über die eigentliche Plausibilität einer Lesart entscheidet) vorgestellt werden. Sie wollen zeigen, wann, wie und unter welchen Bedingungen defixiones als Kontexte neutestamentlicher Texte für die Interpretation dieser Texte hilfreich und daher relevant sein können. Dazu blicken wir zunächst knapp auf die unterschiedlichen Formen der Präsenz von Kontexten in biblischen Texten, um anschließend exegetische Argumentationsmuster zu be Vgl. dazu z. B. Finnern/Rüggemeier 2016, 151 f. Der Wert exegetischen Argumentierens, also die Arbeit mit dem Text und intersubjektiv nachvollziehbaren, methodisch gewonnenen und rational gefassten Textbeobachtungen, kann nicht hoch genug bewertet werden. Nichts anderes als das vernunftgeleitete Argument schützt die Exegese davor, im „Brackwasser der Beliebigkeit“ unendlich möglicher Lesarten und damit im Raum des ausschließlich Relativen zu enden, in dem jede Lesart den gleichen Anspruch auf Richtigkeit hat. Aufgabe der exegetischen Wissenschaft insgesamt ist es auch, wahrscheinliche von unwahrscheinlichen bis hin zu falschen Interpretationen biblischer Texte zu trennen – dies freilich mit dem Bewusstsein, dass scheinbar Falsches sich doch als Plausibles zeigen kann, wenn sich Argumente finden lassen, und dass scheinbar „Richtiges“ sich im Laufe der Forschungsgeschichte auch als unwahrscheinlich entpuppen kann. 155 156
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nennen und Plausibilitätsabwägungen im Rahmen der Behauptung von defixiones als Prä‑ und Kontexte biblischer Texte zu beschreiben.157
5.1 Formen der Präsenz von „Kontexten“ als „Prätexte“ in „Texten“ und methodische Paradigmen ihrer Erschließung für die Textinterpretation Ein Kontext aus der Umwelt eines Textes kann zunächst in Form von wortwörtlicher bis freier, aber doch erkennbarer Zitation158 im Text präsent sein und insofern im exegetischen Diskurs plausibel behaupteter Prätext für den Text sein. Dazu gehören markierte Zitate und auch markierte Pseudozitate, bei denen zwar eine in der Regel semantische Markierung159 eine Zitation anzeigt, diese aber de facto von den im exegetischen Diskurs vermuteten Prätexten für diese Stelle abweicht oder für die bisher überhaupt kein Prätext in der Umwelt des biblischen Textes gefunden werden konnte. Daneben finden sich unmarkierte Zitate, deren plausibler exegetischer Nachweis freilich davon abhängt, ob der zitierte Prätext bekannt ist, wie einschlägig und typisch und insofern singulär er ist160, wie wörtlich und in welchem quantitativen Umfang Zitation erfolgt. Methodisch lassen sich solche Zitationen unter der Voraussetzung der Kenntnis des Prätextes seitens der Exegetin durch Methoden des Textvergleichs wie etwa dem Synoptischen Vergleich oder auch der Traditionskritik analysieren und im Anschluss etwa redaktionskritisch inhaltlich interpretieren. Neben der Zitation kann Kontext als Prätext auch in Formen freierer Referenzen im Text präsent sein. Die freiere Referenz ist eine sehr offen, ja vage definierte Kategorie und deckt sehr unterschiedliche Phänomene von vermuteter Intertextualität ab. Wesentlich ist für sie, dass es sich nicht um Zitation im eigentlichen Sinne handelt, sondern Textdetails auf andere Weise in ihre Umwelt verweisen. Zur Gruppe der freieren Referenzen gehört etwa die Allusion/Anspielung – ein Terminus, der in einer Reihe von Beiträgen dieses Bandes verwendet wird –, die vom Autor intendiert sein kann, freilich aber nicht sein muss, sondern auch Merkmal des Textes 157 Vgl. zum Folgenden ausführlicher Lau 2019, 65–107 (mit zahlreichen Literaturverweisen). Auf meine dortigen Überlegungen greife ich hier in gebotener Kürze und mit dem neuen Fokus auf die Welt der defixiones zurück. 158 In welchem Umfang Abweichungen von einem Prätext dabei noch möglich sind, um Zitation im exegetischen Diskurs zu behaupten, und annehmen zu dürfen, dass die ersten Rezipienten des Textes die Zitation auch bemerkt haben, ist in Exegese und Literaturwissenschaft umstritten und hängt von der Bekanntheit des Prätextes, der Markierung von Zitation im Text und von der Spezifik der Übereinstimmungen zwischen Text und Prätext ab, vgl. Lau 2019, 73–76. 159 Dazu gehören etwa Zitateinleitungsformeln. Zur Markierung im Rahmen von Intertextualität vgl. die monographische Untersuchung von Helbig 1996, vgl. auch Pfister 1985, 25–30 (mit einer Kriteriologie für die Beurteilung der Intensität von Intertextualität), Broich 1985, und Lau 2019, 79–81. 160 Der Nachweis von spezifischer Zitation eines Prätextes kann kaum gelingen, wenn das vermeintlich zitierte Gut z. B. einem Sprichwort gleicht. Diese haben sich aus spezifischen Kontexten gelöst und finden sich schlechterdings zu oft in antiken Textzeugnissen.
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als eines „offenen Kunstwerks“161 sein kann und insofern vom antiken wie heutigen Leser im Text entdeckt bzw. im Lesevorgang konstruiert wird.162 Anspielungen können über geprägte Einzelstichworte (etwa der Terminus „Legion“ in Mk 5,1–20) erfolgen, über geprägte Bildfelder und Metaphernnetze oder viele andere Formen von ausgeprägten Parallelen, die mehr oder weniger deutlich einen Kontext als Prätext markieren. Auch hier ist Markierung als semantisches oder strukturelles Phänomen ein wichtiger Indikator, um eine Allusion argumentativ plausibel behaupten zu können. Motiv‑ und Traditionskritik, der sozial-, religions‑ und kulturgeschichtliche Vergleich sind methodische Instrumente, um solche Formen von Intertextualität zu analysieren und im Licht der Analysen dann die biblischen Texte zu interpretieren. Der Nachweis von Parallelen im Rahmen der Herausarbeitung von Allusionen ist freilich eine zweischneidige Sache. Sind Parallelen wirklich ausgeprägt, dann ist die exegetische Behauptung einer Allusion naheliegend, wobei dieses „wirklich“ bis zu einem gewissen Grad exegetische Ansichtssache bleibt und im exegetischen Diskurs verhandelt wird. Scheinen Parallelen semantischer, struktureller oder motivischer Natur indes zwar zu existieren, sind aber nicht deutlich ausgeprägt (es finden sich z. B. nur ein oder zwei Stichwörter parallel, die zudem semantisch nicht sehr spezifisch sind), ist die exegetische Behauptung einer Anspielung des Textes auf einen Kontext schwerer zu plausibilisieren. Gleichwohl muss dann die Feststellung von eher schwach ausgeprägten Parallelen nicht unfruchtbar für den exegetischen Diskurs sein und in die „Parallelomanie“ abkippen. Denn der Nachweis von auch unspezifischer ausgeprägten Parallelen lässt sich etwa unter Rekurs auf die Kategorie unterschiedlich massiv ausfallender intertextueller Echos163 interpretieren oder auch im Rahmen einer Diskursanalyse164 fruchtbar machen. Letzteres kann methodisch und hermeneutisch dann angeraten sein, wenn sich Texte mit schwach ausgeprägter Parallelität erkennbar zu ähnlich gelagerten Sachfragen verhalten und als unterschiedliche, gerade nicht unmittelbar verwandte und voneinander abhängige Stimmen in einem Diskurs verstehen lassen. Dann können auch schwach ausgeprägte Parallelen helfen, Stimmen eines in der Antike geführten Diskurses zu entdecken und das spezifische Profil der Stimme des neutestamentlichen Textes schärfer herauszuarbeiten. Im Vergleich mit in diesem Sinne Vergleichbarem lässt sich genauer erfassen, worin Spezifika neutestamentlicher Texte bestehen. Dieser Gedanke lässt sich auch jenseits der Diskursanalyse fortführen. Denn defixiones weisen bestimmte Funktionslogiken und kulturelle Plausibilitäten auf, z. B. einen inneren Zusammenhang von Recht, Gerechtigkeit und Religion, die 161 Vgl.
dazu Eco 1994, 5–14. dazu ausführlich Lau 2019, 52–65. 163 Vgl. zu intertextuellen Echos Hays 1989, 29–32. 164 Vgl. Luther 2015, 23–66 (vgl. bes. 47–66 zur Bedeutung des Kontextes im Rahmen der Diskursanalyse). 162 Vgl.
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sich auch in neutestamentlichen Texten finden lassen. Hier kann sich der Vergleich lohnen, auch wenn gerade nicht ein gemeinsames Diskursthema zwischen Text und Kontext vorliegt, weil die genaue Analyse des Kontextes im Sinne einer „thick description“165 eben auch hilft, neutestamentliche Texte präziser zu analysieren. Schließlich können freiere Referenzen auch dann noch gegeben sein, wenn Parallelen sich schon nicht mehr ausmachen lassen, sondern z. B. nur thematische Entsprechungen („Hier wird geflucht – dort wird geflucht“) bestehen. Dann kann Kontext auch nur in Form einer Art „kulturellen Hintergrundrauschens“ im Text präsent sein. Freilich lohnt sich auch dann noch die Mühe der Aufarbeitung des Kontextes, lassen sich doch zumindest Rezeptionshorizonte des Textes für antike Leserinnen und Hörer erwägen – und vielleicht doch die eine oder andere überraschende Entdeckung machen. Allusionen auf die Umwelt der biblischen Texte findet letztlich immer nur, wer die Umwelt wirklich gründlich studiert hat. Und umgekehrt muss auch derjenige die Umwelt gut kennen, der gegen die Behauptung einer Allusion einen exegetischen Einwand erhebt. Insofern lohnt die Beschäftigung mit defixiones immer die exegetische Mühe, weil sich ein spannendes Textgelände studieren lässt, das auch dann das Studium lohnt, wenn sich die defixiones überhaupt nicht für die biblischen Texte fruchtbar machen ließen. Vor diesem Hintergrund unterschiedlicher Formen der potentiellen Präsenz von Kontext in Text lässt sich mit Blick auf die defixiones und das Neue Testament festhalten, dass zahlreiche Autorinnen und Autoren dieses Bandes der Überzeugung sind, dass in neutestamentlichen Texten auf defixiones tatsächlich alludiert wird bzw. – ohne implizite Autorintention gesprochen – die Texte auf defixiones alludieren. Ebenso weisen die Autorinnen und Autoren auf bisher unerkannte Parallelen unterschiedlicher Intensität zu neutestamentlichen Texten hin und gewinnen dabei neue Einsichten und Interpretationsmöglichkeiten für die von ihnen untersuchten Texte, die sie im Licht der defixiones präziser wahrnehmen und interpretieren können. Für solche exegetischen Behauptungen braucht es freilich Argumente, also Textbeobachtungen, und Kriterien für die Abwägung von Plausibilitäten.
5.2 Plausibilitätsabwägungen und Argumentationsmuster im Blick auf den exegetischen Diskurs 5.2.1 Enge Intertextualität und Kriterien für die Auswahl von defixiones für die exegetische Arbeit mit dem Neuen Testament Zunächst: Historisch-kritisch arbeitende Exegetinnen und Exegeten, die an Autor‑ oder/und Textintentionen im Blick auf die ursprünglichen Erstadressatinnen und ‑adressaten interessiert sind, werden bei der Analyse biblischer Texte ein enges In165 Dieses auf Clifford Geertz zurückgehende Modell verwendet z. B. Paul Foster in seinem Beitrag zu diesem Sammelband (vgl. S. 108).
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tertextualitätskonzept166 anlegen. Allusionen auf Kontexte sind insofern überhaupt nur zu erwägen, wenn die vermeintlichen Prätexte älter als der zu untersuchende biblische Text sind und insofern zeitlich, örtlich und mentalitätsgeschichtlich aus der vermuteten Umwelt des biblischen Textes stammen können.167 Das hat zur Folge, dass im Blick auf defixiones in griechischer Sprache verfasste Textzeugnisse vor lateinischen oder anderssprachigen den Vorrang haben, weil sie schlechterdings der Sprache des Neuen Testaments näher stehen und potentielle Mutationen von Prätexttraditionen durch die Übersetzungen von der lateinischen in die griechische Sprachwelt unberücksichtigt bleiben können. Demgegenüber gilt freilich auch zu beachten, dass dasselbe griechische Wort im Laufe der Sprachentwicklung des Griechischen unterschiedliche Bedeutungen angenommen haben kann und man nicht vorschnell den gleichen semantischen Gehalt für ein Lexem in unterschiedlichen Jahrhunderten annehmen darf. Hier helfen Analysen historischer Semantik, um nicht einem anachronistischen Fehlschluss aufzusitzen.168 Die Auswahl von defixiones wird sich sodann primär und idealiter auf solche beschränken, die im zeitlichen Umfeld der Entstehung der neutestamentlichen Texte verfasst wurden, also rund um das 1. Jh. n. Chr. Im Falle der defixiones kann dieses Kriterium freilich großzügiger gehandhabt werden, weil die Texte eine relativ hohe Formstabilität im Blick auf Semantik und Struktur aufweisen. Sie realisieren eben eine literarische Gattung, die mit einem Ritual verbunden ist. Und Rituale müssen bei aller möglichen Ritualdynamik rite vollzogen werden, um aus der Perspektive der Ritualakteure tatsächlich zu wirken.169 Deshalb finden sich auf defixiones über Jahrhunderte relativ ähnlich strukturierte Texte. Diese Formstabilität macht es möglich, auch zeitlich entfernter vom 1. Jh. n. Chr. liegende Texte in die Analysen neutestamentlicher Texte miteinzubeziehen, weil der Schluss statthaft ist, dass in der Sache ähnlich formulierte Texte von defixiones aus dem 4. Jh. v. Chr. und von solchen aus dem 3. Jh. n. Chr. als in gewisser Weise typische Beispiele für defixiones insgesamt gelten können und insofern auch im 1. Jh. n. Chr. zur kulturellen Welt des Fluchens mittels defixiones gehört haben können, selbst wenn sich aus dem 1. Jh. n. Chr. kein konkretes Beispiel mit einer ähnlichen Formulierung findet. Neben diesen beiden Kriterien spielt schließlich auch der Fundort der defixiones für ihre interpretatorische Nutzbarmachung im Blick auf neutestamentliche Texte eine Rolle. Defixiones, die aus der Nähe des vermuteten Entstehungsortes des biblischen Textes stammen und insofern zur geographischen und auch mentalen Umwelt eines Textes gehört haben können und als kontextuelles Lokalkolorit im Text präsent sein könnten, haben eine höhere interpretatorische Bedeutung für die Erschließung dieses Textes als etwa Beispiele aus Regionen, die weit vom vermuteten Vgl. Lau 2019, 67 f. für das Folgende ausführlicher Lau 2019, 96–98. 168 Vgl. dazu Schumacher 2020. 169 Vgl. Theissen 2007, 16.27; Stollberg-Rilinger 2013, 7 f., sowie Lau 2019, 146 f. 166
167 Vgl.
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Entstehungsort des Textes entfernt liegen. Dieses Kriterium macht aber defixiones etwa aus dem römischen Britannien – einer Region, in der bei aller exegetischen Leidenschaft für einleitungswissenschaftliche Spekulationen meines Wissens noch nie die Entstehung eines neutestamentlichen Textes verortet worden ist – nicht einfach für die Arbeit mit dem Neuen Testament unfruchtbar und nutzlos. Auch hier gilt in abgewandelter Form, was mit Blick auf das chronologische Argument galt: Finden sich an geographischen Eckpunkten der Alten Welt, etwa in Britannien und in Ägypten, defixiones mit sehr ähnlichem Inhalt in Wortwahl und Struktur, so können in solchen Fällen auch diese Beispiele für die neutestamentliche Exegese einschlägig sein, weil die hohe Formstabilität über Zeiten und Regionen hinweg es erlaubt, sie etwa auch für den kleinasiatischen, römischen oder syrischen Raum zu berücksichtigen, weil es nicht unwahrscheinlich ist, dass die Typik dieses Textes auch an diesen Orten bekannt gewesen sein könnte. Zusammengefasst: 1. griechische Textzeugnisse haben Vorrang vor anderssprachigen; 2. zeitlich dem 1. Jh. n. Chr. und seinem unmittelbaren Umfeld zuzurechnende Texte haben Vorrang vor solchen aus sehr frühen oder sehr späten Jahrhunderten – es sei denn, Zeugnisse aus sehr frühen und sehr späten Jahrhunderten weisen hohe gemeinsame Übereinstimmungen in Wortwahl und Struktur auf; 3. geographisch in relativer Nähe zum vermuteten Entstehungsort biblischer Texte gefundene Textzeugnisse haben Vorrang vor solchen aus weiter entfernten Regionen – es sei denn, Zeugnisse aus mehreren entfernten und sich gerade nicht benachbarten Regionen weisen hohe gemeinsame Übereinstimmungen in Wortwahl und Struktur auf. Berücksichtigt man in diesem Sinne nur bestimmte defixiones für die Interpretation neutestamentlicher Texte, ist damit freilich noch immer nicht gesagt, dass diese Zeugnisse für die Interpretation der Texte auch relevant wären. Dafür müssen andere Bedingungen erfüllt werden. 5.2.2 Modi von Relevanz‑ und Plausibilitätsnachweisen Damit die Behauptung einer Allusion oder einer mit exegetischem Erkenntnisgewinn herangezogenen Parallele zu einem neutestamentlichen Text zumindest Teile der Wissenschaftsgemeinschaft überzeugen kann, bedarf es der Argumentation und der Erfüllung bestimmter Kriterien. Dazu einige abschließende Überlegungen.170
Vgl. ausführlicher Lau 2019, 98–107.
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5.2.2.1 Relevanz‑ und Plausibilitätssteigerung im Blick auf den biblischen Text Allusionen leben, wenn sie für die Rezipienten erkennbar sein sollen, von Markierung. Ohne irgendeine Form der Markierung171 drohen Allusionen überlesen zu werden bzw. können nicht vom Leser im Zusammenspiel mit dem Text konstruiert werden. Freilich gibt es sehr unterschiedliche Grade von Markierungen. Neben expliziten Markierungen172 wie graphemischen Signalen oder Zitateinleitungsformeln finden sich unterschiedlich ausgeprägte Formen impliziter Markierungen, vom sprachlichen Codewechsel (etwa in Form eines Latinismus173), über Figurenkonstellationen im Rahmen von narrativen Szenarien, die sich in paralleler Form in der Umwelt finden lassen, bis hin zu strukturellen oder funktionalen Parallelen und Stichworten, die in die Umwelt verweisen bzw. in ihr ein Echo finden. Je massiver dabei quantitativ und auch qualitativ Stichworte und Strukturen in die Umwelt verweisen, desto plausibler lässt sich eine Allusion oder auch eine Parallele behaupten. Wer als Exegetin für Allusionen und Parallelen argumentiert, wird daher in seinem biblischen Text nach Formen von Markierungen, nach semantischen oder strukturellen Netzen, Feldern oder Clustern suchen, die im Zusammenspiel in die Umwelt verweisen und dort eine Entsprechung aufweisen. 5.2.2.2 Relevanz‑ und Plausibilitätssteigerung im Blick auf das vermutete Prätextmotiv Allusionen lassen sich sodann umso plausibler behaupten, je bekannter das vermutete Prätextmotiv, also die Umwelttradition, in seiner besonderen Typik ist, die die Umwelttradition ihrerseits also zu etwas Spezifischem im Rahmen antiker Kultur macht. Je bekannter die Umwelttradition also in verschiedenen sozialen Schichten, Regionen und Zeiten der Antike ist und dabei selbst eine hohe Besonderheit aufweist, die auch diachron konstant bleibt,174 desto plausibler lässt sich für eine biblische Allusion auf die Umwelttradition argumentieren, wenn der biblische Text seinerseits dafür Anhaltspunkte bietet. Letzteres ist und bleibt stets die Grundvoraussetzung.175
171 Dabei gibt es die Nullstufe unmarkierter Intertextualität durchaus, vgl. Helbig 1996, 87–91; Salzer 2010, 58; Broich 1985, 32. 172 Vgl. zur Typologie auch Plett 1985, 85. 173 Vgl. etwa Salzer 2010, 53. 174 Das gilt für die defixiones fraglos, die nachweislich eine hochgradig spezifische, in der Antike weit verbreitete und über Jahrhunderte konstante Form rituell-religiösen Fluchens darstellen. 175 Dabei ist freilich auch zu beachten, dass es praktisch bei allen Formen der Allusion auf einen Prätext zu Selektions‑ und Mutationsprozessen kommt und das Prätextmotiv im Text nicht einfach eins zu eins präsentiert, sondern eben zumeist auch transformiert wird. Das bringt dann weitere Schwierigkeiten der Argumentation mit sich, vgl. ausführlicher Lau 2019, 82–89.98–100.
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5.2.2.3 Relevanz‑ und Plausibilitätssteigerung im Blick auf die exegetische Wissenschaftsgemeinschaft Die These einer Allusion oder einer einschlägigen Parallele hat sodann besondere Relevanz und größere argumentative Plausibilität, wenn diese mit guten Gründen unterfütterte These eine Lesart für einen Text und seine Details präsentieren kann, der bisher in der Forschungsgeschichte nicht oder kaum befriedigend erklärt werden konnte, nun aber im Licht der neuen These spannungsfrei oder jedenfalls spannungsfreier interpretiert werden kann. In diesem Sinne sind kontextbasierte Interpretationen biblischer Texte dann plausibel, wenn sie helfen, Texte präziser zu verstehen, Neues an ihnen zu entdecken und möglichst viele Erzähldetails spannungsfrei und rational nachvollziehbar zu erklären und zu interpretieren. Und natürlich muss es solchen Thesen gelingen, Gegenargumente zu entkräften. Ob das für die Thesen der hier vorliegenden Beiträge gilt, steht nicht einfach von Anfang fest, wie es auch nicht im Vorhinein einfach zu bestreiten wäre. Die Rezeption in der exegetischen Wissenschaftsgemeinschaft muss zeigen, ob die hier entwickelten Thesen tragen und die defixiones ein produktives Deutemuster für neutestamentliche Texte sein können.
5.3 Exegetische Vorsicht – ein Wort zum Schluss Zur redlichen exegetischen Arbeit gehört freilich auch, kritisch zu prüfen und sich dabei selbst bewusst zu machen, was die Interpretation eines neutestamentlichen Textes vor dem Hintergrund eines Prätextes leistet und was eben auch nicht. Es gilt zu prüfen, welche Textdetails sich nun wirklich haben erklären und interpretieren lassen. Und es gilt ebenso zu prüfen, was am Text im Licht der neuen Interpretation widerständig bleibt bzw. neu fragwürdig geworden ist. So lässt sich die Gefahr der satisfaction of search, die nur sieht, was zur eigenen Sicht auf den Text passt, und die übersieht, was nicht passt, aber gleichwohl vorhanden ist, und lässt sich die damit einhergehende Reduktion des biblischen Textes auf eine Art virtuelles und primär im Kopf des Exegeten existierendes Textfragment einigermaßen kontrollieren. Zu solcherart exegetischer Vorsicht gehört auch das Bewusstsein, dass die argumentativ plausible Behauptung von Allusionen im Blick auf einen biblischen Text „nur“ Verständnisoptionen für die Texte eröffnet, aber nicht letztgültig zwingend ist. Man kann die Texte in aller Regel auch anders und ohne Wahrnehmung ihres alludierenden Charakters lesen. In diesem Sinne eröffnen defixiones im Idealfall plausible neue176 Lesarten, die zu anderen hinzukommen und diese nicht einfach verdrängen.177 Es geht also um argumentativ plausible Bereicherung, nicht um 176 Oder bestätigen mit neuen Argumenten bereits vorhandene Interpretationen biblischer Texte und geben ihnen so mehr Gewicht. 177 Vgl. in diesem Sinne etwas das Schlussvotum von Bernhard Heininger in seinem Beitrag zu diesem Band.
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die Reduktion von Vielfalt bei der Interpretation biblischer Texte. Die biblischen Texte sind und bleiben mehrdeutig und gerade nicht eindimensional. Diese Mehrdimensionalität auch im Bereich der Praxis des Fluchens zu entdecken, schicken sich die Beiträge dieses Bandes an.
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1. Antike Fluchtafeln und das Neue Testament: Übergreifende Aspekte
Fluchkultur Mündliche Flüche, das Corpus defixionum und spätantike Sichtweisen performativer Sprache
Marco Frenschkowski
1. Der Fluch als Gegenstand kultureller Irritation und kulturwissenschaftlicher Forschung Als sich der Prophet Mohammed einmal sehr über christliche Gegner ärgerte, forderte er sie mitsamt ihrer Familien zu einem Fluchwettbewerb auf. Man stellt sich öffentlich gegenüber und fängt an, einander zu verfluchen. Verloren hat, wer als erster tot umfällt (wir karikieren nur geringfügig). Das Ganze wird als eine Art Gottesurteil angesehen.1 In den verschiedenen islamischen Auslegungsrichtungen besteht durchaus Uneinigkeit, was mit der berühmten Mubāhala ()ةلهابم, dem Fluch-Event zwischen Mohammed und den Christen von Naǧrān im heutigen Jemen genau beabsichtigt war. Mit der tatsächlichen Wirkung des Fluches können wir nicht dienen: Die Christen machten einen Rückzieher und ergaben sich lieber der aggressiven islamischen Forderung nach Tributzahlungen aller Andersgläubigen (Sure 3,61 des Koran soll bei dieser Gelegenheit gesprochen worden sein). Man kann das Ganze als Variation der in der Antike so überaus beliebten Geschichten vom Zaubererwettbewerb lesen.2 Muslime haben darüber spekuliert, was wohl geschehen wäre, wenn die Sache weitergegangen wäre. Eine potentielle Antwort ist, die Christen wären in Schweine und „abscheuliche Affen“ verwandelt worden: Letzteres ist nach islamischer Überzeugung bekanntlich den Juden widerfahren, wie der Koran in märchenhafter Weise gleich dreimal erzählt (2,65 f.; 5,60; 7,166–168). Aber kann der Gesandte Gottes Menschen verfluchen? Islamische Theologie formuliert später z. B., es sei dies eigentlich nur eine Bitte an Gott, dem Gegner die Barmherzigkeit zu entziehen. Das ist freilich Theologie, nicht die gelebte Religion, in der wie der Segen so auch der Fluch als Machtworte reale Kräfte aktivieren. 1 Zu den Quellen vgl. Strothmann 1957, 5–29. Über Gottesurteile in der Antike vgl. die Übersicht in Frenschkowski 2015. Über Mohammeds Vorliebe für die Sprachform des Fluches, von denen sehr viele tradiert sind, vgl. Pedersen 1914, 93 f. Die Muʿtaziliten versuchten vergeblich, diese Überlieferung zurückzudrängen: Nöldeke 1981, II 94. 2 Moses vs. Jannes und Jambres ist nur eine bekannte Fassung des Themas, das v. a. in Ägypten gut belegt ist. Das Motiv kennen schon archaische Erzählkulturen: Bozzano 1948, 169 f.
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Gerade in der islamischen Welt ist der Glaube an die aktive Macht des Fluches wie auch seines Gegenteils, des magischen Segenswortes, nie wirklich zerbrochen.3 Näher an christlich-europäischen Kulturräumen denken wir vielleicht an die traditionelle irische Kultur mit ihren hochaltertümlichen Zügen: Auch in dieser gab es öffentliche Flüche (die oft an geheiligten oder „unheimlichen“ Orten stattfanden) wie auch gewerbsmäßige „Verflucher“. Ähnlich den bekannteren Klageweibern ist es ihre Aufgabe, extreme Emotionen öffentlich zu inszenieren: Wie diese laut schreiend und klagend vor Trauerzügen einherlaufen und dafür bezahlt werden, so ist es der Job eines „Verfluchers“, für Geld den Gegner laut und vernehmlich öffentlich und möglichst kreativ zu verfluchen. Wenn Männer kämpfen, kann es geschehen, dass ihre Frauen parallel einen „Krieg der Worte“ mit gegenseitigen Verfluchungen ausführen.4 Solche Traditionen mögen sich in unserer Wahrnehmung als „exotisch“ darstellen. Studierende der Theologie sind daher öfters irritiert, wenn man sie sozusagen im Kontext fortgeschrittener Bibelkunde fragt, wen oder was Jesus nach den Evangelien alles verflucht hat: Nur zögernd beginnen die Antworten hervorzukommen, und es tritt öfter ein gewisser Schock ein, wenn dann tatsächlich alle Stellen zusammengetragen sind.5 Dazu wird sich die Erinnerung beigesellen, 3 Vgl. zuletzt Szombathy 2007, sowie mit unübertroffenem Materialreichtum Westermarck 1926, 53–55 (passim; s. im Index s. v. curses). Es sind vor allem „heilige Männer“, die um Verfluchungen (wie um Segnungen) gebeten werden und die dafür bezahlt werden, wenn nicht in Geld, dann in Salz und Zucker. Es heißt, dass sie die Bezahlung nicht ablehnen dürfen, sonst würde das schadenbringende magische Wort auf sie selbst zurückfallen. Überaus beliebt sind konditionale Selbstverfluchungen, die sich sogar gegen den Islam richten können, und dann als besonders wirksam gelten (weil sie niemand übertreten würde), z. B. mit dem Fluch „mögen (sogar) Juden die Kaaba besuchen, wenn ich nicht dieses oder jenes tue“ (vgl. Westermarck 1926, I 515). Eine umfangreiche Sammlung der überaus kreativen literarisch überlieferten älteren arabischen Fluchtexte (Westermarck liefert v. a. Belege aus den um 1890–1920 gesprochenen Sprachen des nordafrikanischen Islam) bietet Ullmann 2020. Es verdient Hervorhebung, dass es im Judentum und Islam, in geringerem Umfang auch im mittelalterlichen Christentum v. a. der Fluch des „heiligen Mannes“ ist, der gefürchtet wird. Im Rabbinat gilt sogar der ungerechtfertigte Fluch eines Gelehrten als unbedingt wirksam (bMak 11a, vgl. bShab 120b; bBer 29a u. ö.; anders bYom 75a), aber auch der Fluch eines einfachen Mannes ist nicht auf die leichte Schulter zu nehmen: wie freilich auch sein Segen nicht (bMeg 15a). Der Fluch des Rabbis kann sehr konkrete Inhalte haben: dem Abschreiber eines für die Rabbinen unerlaubten Buches solle z. B. die Hand abgehackt werden (yShab 16,1,15c). 4 Vgl. Bitel 2000; Wood-Martin 1902, II 57–67 (auch über „curse-stones“ und ähnliche Ritualhilfsmittel für effektive Flüche); Cross 1952, 401–404 (Subjekt der mit Abstand meisten Flüche sind dabei die irischen Regionalheiligen, zu deren besonderen Charismen der wirksame Fluch gehört); Kudenko 2019. Ähnliches gilt für die hinduistisch-indische Kultur, die auf die „Fluchkraft“ ihrer heiligen Männer einen besonderen Stolz entfaltet (durchaus auch im Buddhismus, v. a. in Japan). Es ist interessant, wie in Literatur und Film das Motiv einer öffentlichen „Fluchkultur“ archaisierend wiederbelebt werden kann, z. B. bei den Klingonen des Star-Trek-Universums. 5 Das gilt noch einmal verstärkt dann, wenn die von Jesus offenbar bevorzugte Sprachform des Weherufs als eine stilisierte und stereotypisierte Gestalt des Fluches erkannt wird (schon Speyer 1969, 1162). Diese formgeschichtliche Frage bedarf eigener Diskussion, auf die hier verzichtet werden muss. Der Weheruf unterscheidet sich immerhin zumindest darin von anderen Flüchen, dass er keine konkreten Einzelpersonen anvisiert und allenfalls ansatzweise konkre-
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dass Gott in der hebräischen Bibel von Anfang an und selbstverständlich auch Subjekt des Fluchens ist, so etwa in Gen 5,29; 12,3.6 Wir betreten also einen Boden, der sich dem modernen Menschen und gerade auch dem in christlicher Tradition stehenden Menschen auf den ersten Blick sehr fremd darstellt – freilich nur auf den ersten Blick –, der aber der biblischen Tradition ganz selbstverständlich ist. Während der Segen in der praktischen Theologie und der kirchlichen Praxis so etwas wie eine Renaissance erlebt hat (etwa seit den 1980er Jahren), werden Fluch, Verwünschung, Gebet um Rache oder überhaupt darum, dass es dem Gegner böse ergehen möge und Angrenzendes als ein „ganz Anderes“ erlebt, ein Relikt einer grausamen ehemaligen Sprachkultur, die für uns vergangen ist.7 An diesem Befremden partizipiert auch die Wahrnehmung sakraler Formen des Fluches, wie die auf Todeswirkung berechnete Exkommunikation (vgl. 1 Kor 5,4 f.; „Verderben des Fleisches“ kann nicht wirklich anders verstanden werden).8 Satan ist hier „zweiter Aktant“ im Auftrag Gottes, wie in den Zaubertexten Dämonen für Götter handeln können. Christian Jaser hat 20139 in der monumentalen Studie „Ecclesia maledicens“ auf die Bedeutung von Fluch‑ und Exkommunikationsformeln in der v. a. mittelalterlichen Kirche hingewiesen und dazu reiches Material zusammengetragen (wenn auch leider das altkirchliche Material zur Sache nicht eigens betisiert, was den Verfluchten an Bösem angewünscht wird. Die apokryphe Überlieferung kennt dann zahlreiche weitere Flüche Jesu, und die palästinische Lokallegende weiß z. B. zu erzählen, er habe auf seiner Wanderschaft im Bau befindliche Synagogen verflucht (Petrus Diaconus, de locis sanctis V 4 [CChrL 175,99]). 6 Ähnliche Irritationen löst es im Allgemeinen aus, dass in der altkirchlichen und katholischen Tradition die Dogmen der Kirche formal regelmäßig die Sprachform des Exkommunikations-Fluches haben (lange Zeit in der dogmatischen Literatur etwas schamvoll als „an. s.“ = anathema sit abgekürzt). Das gilt bereits seit der Synode von Elvira 306 n. Chr. (can. 52 [ed. Martínez Diez/Rodriguez]), dann immer häufiger ab dem 4. Jh. und noch im I. Vatikanischen Konzil (Vatikanum II meidet die Formel). Gegenüber Personen angewandt, ist das kirchliche Anathema allerdings reversibel. Das Substantiv selbst meint zwar von Hause aus das Weihegeschenk für die Gottheit, findet aber auch Fluchtafeln Verwendung (Bleitafel von Megara, 1.–2. Jh.: Gager 1992, Nr. 85 [TheDefix 225]). Vgl. zum altkirchlichen Gebrauch Hofmann 1950; Speyer 1969, 1266 f. 7 Ich erinnere mich an mein Erschrecken, als ich vor Jahren während meiner pfarramtlichen Tätigkeit miterlebte, wie eine damals schon sehr alte Dame in einem Taunusdorf anlässlich des Todes ihres Ehemannes ihren Sohn mit großer Theatralik und wohlabgewogenen Worten in einer Tradition, deren Alter ihr vielleicht gar nicht im Bewusstsein war, verfluchte: nicht einfach nur mit einem Satz, sondern mit einer Kaskade wohlformulierter konkreter böser Wünsche. Die Sache war nicht lächerlich, sondern immens pathetisch, fast sakral. Er hatte sie in den Nöten der letzten Lebensjahre ihres Mannes und nach dessen Tod vollständig allein gelassen. Ihr wiederholtes, ausgeführtes, nicht etwa „hysterisches“, sondern feierliches und getragenes, vielfach wiederholtes „Ich verfluche Dich“ ist mir auch nach über 25 Jahren in lebhafter Erinnerung. 8 Zum altkirchlichen Verständnis vgl. außer den Kommentaren auch Speyer 1969, 1245 f. Zur Übergabe an einen Dämon ist außer Ex 12,23 z. B. TestJob 20,1–6 zu vergleichen. Das „Pneuma“, das dabei gerettet wird, ist möglicherweise gar nicht der „Geist“ des Individuums, sondern der diesem anvertraute Teil des in der Gesamtgemeinde quasi substanzhaft präsenten göttlichen Geistes. 9 Vgl. Jaser 2013.
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handelt wird).10 Die 17. Synode von Toledo, can. 5 (aus dem Jahr 694 n. Chr.), verbietet bereits die (dennoch das ganze Mittelalter hindurch weiterhin gut bezeugte) Praxis, für noch Lebende Totenmessen zu lesen (das „Mortbeten“), damit diese sterben: ein dezidierter Verfluchungszauber mit sakralen Mitteln, gegen den sich bekanntlich noch Calvin wehren musste.11 Und auch in der byzantinischen Welt ist der Fluch immer so beliebt gewesen, dass das Euchologion, das gottesdienstliche Gebetbuch, immer auch Gebete zur Befreiung von Fluchwirkungen enthielt.12 Auch als Thema der Religions‑ und Kulturwissenschaften ist der Fluch ein eher ungewöhnlicher Gegenstand, wenn sich auch die ehemals Volkskunde genannte europäische Ethnologie durchaus der Redeform angenommen hat.13 Wir kommen schon bei der Überschrift in terminologische Schwierigkeiten, wie gleich noch zu entfalten sein wird. Die folgenden Zeilen wollen zum Thema einerseits Einführendes zur Sprache bringen, andererseits den mündlichen Aspekt der Sprachform Fluch (in ihren vielen Gestalten) etwas beleuchten und ihr Verhältnis zu den niedergeschriebenen Defixionen in Augenschein nehmen. Insofern wird von diesen auch die Rede sein. Während der Segen ein sozusagen traditionelles Thema der theologischen Reflexion ist, kann man das von seiner Kehrseite, dem Fluch, nicht sagen. Und auch die historischen Kulturwissenschaften haben sich lange schwergetan, den Platz magischer Praxis und eben auch des Verfluchens wie auch des Schadenzaubers in antiken und anderen Gesellschaften ernsthaft in den Blick zu nehmen. Lange haben mancherlei Klischees vorgeherrscht, die nur mühsam überwunden wurden. Die Opposition Magie – Religion war freilich schon seit dem frühen 20. Jh. fraglich geworden und musste einer Verortung der Magie innerhalb religiöser Diskurse weichen, dazu kam v. a. im letzten Drittel des 20. Jh. die Frage, inwiefern Begriffe wie Magie metasprachlich als erkenntniserschließende Oberbegriffe für antike kulturelle Phänomene überhaupt hilfreich sind.14 (Dazu später ausführlicher.) Andererseits ist klar, dass zu allgemeine oder vage Begriffe wie „rituals of 10 Ergänzend vgl. Little 1993. Die Exkommunikation diente nicht selten der Befriedigung persönlicher Rachebedürfnisse der Kleriker untereinander (Speyer 1969, 1280, mit zahlreichen antiken Belegen dafür, wie schon Augustin, Gregor der Große oder Theodoret diesem beliebten Mittel der Rache entgegenzuwirken versuchen). Auch in Kirchenordnungen wie der Didascalia (III 11,5 [Edition: F. X. Funk, S. 208]) werden die christlichen Kleriker ausdrücklich dagegen vermahnt, sich mit Flüchen gegen andere zu wehren (vgl. ConstAp III 15,5). Umstritten war, ob die Kirche auch schon Verstorbene verfluchen dürfe: Speyer 1969, 1279; vgl. für die spätere Zeit Frenschkowski 2010a. 11 Übernommen im Corpus Iuris Canonici, Gratian decr. II causa 26 c. 13 quaest. 5. Ed. A. Friedberg, Vol. 1, Leipzig 1879, 1032. Vgl. zur Geschichte dieser erstaunlich breit bezeugten Praxis Dürig 1976. 12 Vgl. Euchologion, sive Rituale graecorum complectens ritus et ordines. Ed. J. Goar, Venedig 21730, 545–549.693–696, um nur die wohl bekannteste Fassung dieses Ritualbuches zu nennen. 13 Exemplarisch aus der Literatur: Clodd 1898, 192–230; Clodd 1968 (der als allgemeinen Oberbegriff „words of power“ verwendet); Belgrader 1984; Frenschkowski 2014b. 14 Vgl. die Diskussion dieser Fragen in Frenschkowski 2016, 1–56.
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empowerment“ und ähnliches das Spezifische unserer Phänomene nicht in den Blick bekommen, und kulturelle Delegitimierungslabel nicht etwa nur christlich oder gar „modern“ sind, sondern bereits Teil der antiken emischen Beschreibungssysteme. Insofern spricht auch der vorliegende Beitrag weiterhin von „Magie“ in einem weiten heuristischen Sinn. Noch wenig wirklicher Kontakt ist in den Studien zum Thema hergestellt zu einer historischen Aggressionsforschung, die fragt, über welche Mechanismen der Aggressionsbewältigung Gesellschaften im historischen Vergleich überhaupt verfügen, und wie innerhalb dieser dann fluchförmige Worte und Riten zu verorten sein könnten.
2. Fragen zur Praxis der Fluchtafeln und ihrem kulturellen Ort Worte sind Messer, um Wolfgang Weyrauchs bekannten Satz über Gedichte etwas abzuwandeln. Oder etwas akademischer gesagt: Welchen Einfluss auf öffentliche und private Gewalt hat die leichte Verfügbarkeit von Ritualen wie Flüchen und Fluchtafeln, die ja doch Gewaltfantasien inszenieren und delegieren? Welchen Platz nehmen in diesem weiteren Umfeld Flüche ein? In der jahrzehntelangen Diskussion über „Kunst“ und „Gewalt“ ist es ja immerhin ein klares Ergebnis gewesen, dass eine potentielle kathartische Wirkung von dargestellter Gewalt eine deutlich geringere Bedeutung hat als eine einübende, sozusagen vorbildhafte, die aber nur gemeinsam mit anderen Faktoren zur Wirkung gelangt. Gewalt, auch verbale Gewalt, ist ein durch Vorbilder erlerntes Verhalten, wenn sie sich auch aus unserer Triebnatur nährt. Gilt das auch für Fluchtafeln und Flüche? Haben sie antike Gesellschaften friedlicher gemacht oder gerade aggressive Energien fokussiert? All diese Fragen sind in Hinsicht auf antike Zeugnisse von besonderer Schwierigkeit, zumal ein bloßes Zusammenstellen der dabei genannten Motive deren Platz in antiken Lebenswelten noch nicht erfassen kann. Inwiefern ging es antiken Menschen „besser“, wenn sie (öffentlich) Flüche sprachen, oder (insgeheim) Defixionen aufstellten? Wie verhalten sich individuelle, familiäre und gemeinschaftsbezogene Wirkungen dieser Formen wirkmächtiger Sprache? Welchen Einfluss haben sie auf die Kontrollinstanzen innerhalb des Gesamtsystems einer Gesellschaft? Was lässt sich über die bei aller Magie wirksamen Falsifikationsblockaden begründet vermuten? John G. Gager fragt über unsere Tafeln „Did they work?“ und lehnt es ab, eine aufklärerische pauschal-verneinende Antwort zu geben.15 (Ich habe andernorts versucht, eine präzisere und sprachpsychologisch detaillierte Beschreibung zu geben, wie sich die Wirkung magischer Worte und Rituale bzw. ihre mentale Funktion beschreiben lässt;16 das kann hier nicht wiederholt werden). Anders gesagt: Inwiefern sind Flüche und Defixionen komplementär zu anderen 15 Gager 16 Vgl.
1992, 22 f. Frenschkowski 2007a.
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Formen sozialer Kontrolle wirksam, nicht zuletzt da, wo sich Ohnmachtserfahrungen einstellen und durch eine Form magischen Handelns verarbeitet werden? Es ist dabei ja schon auf den ersten Blick erstaunlich, dass viele Defixionen (um noch einen Augenblick bei diesen zu bleiben) extrem gewalttätige Rachefantasien für unter Umständen eher geringfügige Delikte darstellen. In den sehr bekannten britischen Defixionen (v. a. aus Bath), um diese als Beispiel zu wählen, wird Hauseinbrechern und Dieben für den Verlust etwa eines Mantels, eines Silberrings, eines Armreifs oder eines Bronzekessels schwerer körperlicher Schaden gewünscht bzw. angedroht (z. B. Bradley,17 Nr. 7.12.19.43.46.59.72 [vgl. TheDefix 156.157.266.169.616.640.662]; Bradley, Nr. 14 [TheDefix 654] sollen dem Dieb alle Eingeweide herausgefressen werden, offenbar von Dämonen). Sehr oft wird explizit sogar das Blut des Missetäters gefordert (sanguine suo illud satisfacere, Bradley, Nr. 8 [TheDefix 652], wo es um den Diebstahl eines Silberrings geht; sanguinae et vitae suae illud redemat, Bradley, Nr. 17 [TheDefix 655]). Die Verfluchung zielt also auf den Tod, wie eine Sühneleistung durch das „Blut“ des Verfluchten in den britischen Defixionen überhaupt fast beständig zum Thema wird. (Andernorts ist das Motiv seltener: in den Mainzer Defixionen kommt es nur einmal vor, DTM, Nr 2 (TheDefix 763). Aber auch in anderen Defixionscorpora sind Todeswünsche nicht selten, die aber vielleicht öfter cum grano salis gehört werden müssen18). Bradley, Nr. 23 (TheDefix 151) wünscht dem Dieb zweier Handschuhe (manicilla) Wahnsinn und Blindheit. Bradley, Nr. 67 (TheDefix 658) wünscht dem Übeltäter ohne weitere Erklärung einfach nur den Tod durch die Gottheit (deus). Neptun, hinter dem sich wohl ein keltischer Regionalgott verbirgt, wird sogar aufgefordert, das Blut des Diebes einiger (weniger) Münzen zu trinken (sanguinem eius consumas, Bradley, Nr. 81 [TheDefix 667]; vgl. Nr. 103 [TheDefix 680]). Bradley, Nr. 116 (TheDefix 710) bittet die Gottheit, keine andere Sühne anzunehmen als das Blut des Übeltäters. Schon die älteren attischen Fluchtafeln hatten (gelegentlich) Todeswünsche aufzuweisen (oft aber erstreben sie nur eine „Fixierung“ und Ohnmacht ihres Opfers): (nach einer langen Namensliste) „Ich binde sie alle in ihre Gräber und in Hilflosigkeit und in ihre Grabmäler“ (DT, Nr. 55 Seite B [TheDefix 729]). Überhaupt ist die völlige Unverhältnismäßigkeit der bösen Wünsche sehr auffällig. Gelegentlich wird der Gottheit vorgehalten, wie schnell sich der Fluch verwirklichen soll (neun Tage: Bradley, Nr. 92.122 [TheDefix 670.663]; neun Tage ist als sakrale Frist in der keltischen und germanischen Tradition vielfach bezeugt). Nun sind auch in der Welt des mündlichen Fluches massive Schadenwünsche nicht selten; in der zu Beginn angesprochenen islamischen Tradition z. B. ist es möglich, dem Gegner Verstümmelung, Verunstaltung, Krankheit, den Verlust der
Vgl. Bradley 2011. Vgl. zum Todeswunsch auf Defixionen sehr zurückhaltend Eidinow 2019, 369 f. Sie hat aber v. a. die älteren attischen Texte im Blick. 17 18
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Familie einschließlich des Todes der Kinder19 anzuwünschen, neben Vergeltung, Schande, Erniedrigung u. a. Parallelen ließen sich problemlos aus vielen anderen Traditionen herbeibringen. Für uns ist der Hinweis auf diesen unerquicklichen Aspekt des Themas wichtig, um das „Gewicht“, die schiere Aggression hinter der „Kultur des Fluches“ nicht zu unterschätzen, das eben sehr stark an Formen eines heutigen anonymen Internet-Mobbing mit seinen Gewaltfantasien erinnert.
3. Der Fluch des Christen Sabinus Nennen wir an dieser Stelle nur noch ein christliches Beispiel, das besonderes Interesse verdient, weil es auf einem griechischen Papyrusblatt des 6. Jh. aus Panopolis (P.Ups. 8 [TheDefix 311]) erhalten und überhaupt recht ausführlich ist. Der Christ Sabinus schreibt: Mögen alle erfahren, dass sich der Herr Gott meiner annehmen wird! Mögen Didymos und Severine meine Tochter verfolgt werden, die mich schon lange verfolgt haben! Verdorre ihre Körper im Krankenbette, wie du auch den meinigen (sc. verdorren) sahst, durch das Zutun derer, die mein Ansehen verdunkelt haben! Herr, zeige in Eile deine Macht! Vereitle die Anschläge ihrer Herzen gegen meine geliebten Kinder. Mögen sie vor den Richterstuhl kommen, wo immer du, o Herr, richtest! Ich, Sabinus, weinend und seufzend Tag und Nacht, habe dem allmächtigen Gotte meine Sache eingereicht zur Vergeltung der Übeltaten, die ich von Severine und Didymos gelitten habe. Sohn des großen Gottes, den nie ein Mensch geschaut hat, der du den Blinden gabst, das Licht der Sonne zu erblicken, zeige wie vormals deine göttlichen Wunder! Zahle erinnerungswerte Vergeltung für meine Drangsale, die ich gelitten, die ich ertragen habe wegen meiner einzigen Tochter, indem du meine Feinde mit starken Händen schlägst! Vergelte, Emanuel, vergelte!20
Die genaue Konstellation hinter den Namen ist nur zu erahnen (vielleicht geht es um Kinder aus zweiter Ehe, gegen die sich Tochter und Schwiegersohn gewandt hatten): Wir bewegen uns im engsten Familienkreis. Uns interessiert hier aber eher die Konkretheit und Massivität des Fluches, der schriftlich fixiert wird. Sicher kann man das ein Gebet um Vergeltung und Rache nennen („Rachegebet“, nennt es der Herausgeber Gudmund Björck), aber eine Unterscheidung der Intention gegenüber dem Fluch bzw. den Fluchtafeln wirkt künstlich. Die rechtliche Dimension, der Appell an die Gottheit als Richter, ist sozusagen ein Motiv innerhalb dessen, was im Fluch alles aufgeboten werden kann, nicht wirklich ein eigenes Textgenre. Es ist auch nicht gesagt, ob wir sozusagen eine King-Lear-Situation mitzudenken haben: Es kann um etwas sehr viel „Kleineres“ gehen, das den Zorn des Vaters ausgelöst hat, der freilich seiner Tochter auch die Schuld an seiner Krankheit gibt (und die er ihr gerne zurückgeben möchte). Wir wissen ja nicht, welches Unrecht 19 Vgl. Ullmann 2020, passim, speziell zum Tod der Kinder des Gegenspielers als Gegenstand des Wunsches: 156–161. 20 Text und Übersetzung bei Björck 1938, 6 f. Ein oder zwei etwas unklare Stellen der Übersetzung sind hier nicht besonders hervorgehoben.
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sich die Tochter und der Schwiegersohn des Sabinus haben zuschulden kommen lassen (wäre er nur z. B. ihr Liebhaber, hätte sich der Fluch das kaum für eine Beleidigung entgehen lassen). Aber die immense Aggression des Christen Sabinus wird sehr deutlich, der sich mit seinem Fluch ohne Frage uneingeschränkt im Recht sieht. Der Unterschied der Form (Papyrusblatt vs. Bleitafeln) verdient natürlich Beachtung; sicher wurden sehr verschiedene Schreibstoffe für Flüche benutzt, und z. B. Holz‑ und Wachstafeln werden mehrheitlich nicht erhalten sein.21 Besonders merkwürdig berührt uns, dass die Heilungen Jesu als Erweis seiner Macht ins Felde geführt werden, so dass der Gottessohn ja auch sicher einen gewaltigen und wirksamen Fluch auf Didymos und Severine (offenbar – wie gesagt – die Tochter und der Schwiegersohn des Verfluchenden) herabbringen könne. Die Christusanrede in den Zeilen 13–18 ist in Hexametern gehalten und vielleicht nicht erst für den Anlass geschrieben, denn der Text ist fast wörtlich auch im Papyrus Hamburg 22 (TheDefix 312) erhalten (falls sich nicht beide Texte ohnehin auf den gleichen Fall beziehen, wie Gudmund Björck meint).22 Man wird sich erinnern, welche Rolle Jesus nicht nur im christlichen, sondern auch im jüdischen und sogar paganen Zauber als mächtiger Magier spielt; Augustinus musste sich gar mit Zauberbüchern auseinandersetzen, die Jesus als ihren Verfasser ausgeben (de consensu evangelistarum I 13–17).23
4. Zur Frage einer Definition des Fluches und zum Begriffsfeld Blicken wir zur Begriffsbestimmung kurz und exemplarisch auf eine Definition aus einem neueren Nachschlagewerk der Erzählforschung: Der Fluch ist ein im Affekt des Zorns ausgesprochener Unheilswunsch, der einem Wesen oder einer Sache Vernichtung oder Schaden bringen soll, ursprünglich ein Zauberwort, das aus eigener Kraft wirkt und, einmal ausgesprochen, im allgemeinen nicht mehr gehemmt werden kann. Eine märchenspezifische Ausprägung des Fluchs ist die Verwünschung. Profanierte oder abgeschwächte Formen, die begrifflich nicht immer klar vom Fluch zu trennen sind, können Schimpfwort und Schelte sein.24 (Abkürzungen wurden aufgelöst)
Wir bemerken sofort definitorische Probleme: Spielt der Affekt wirklich jene Rolle, die ihm hier zugeschrieben wird, in Gesellschaften, die eine stereotypisierte Segens‑ und Fluchkultur besitzen?25 Ilona Opelt hat in ihrem klassischen Werk 21 Generell ist mit einer Vielfalt von Beschreibmaterialien zu rechnen, die uns nur begrenzt sichtbar wird. Vgl. auch Martín-Hernández/Torallas Tovar 2014. 22 Abgedruckt in Björck 1938, 10 f. 23 Über Jesus als Zauberer in antiker Polemik vgl. Frenschkowski 2016, 104.193 f.196.203– 210. 24 Belgrader 1984, 1316. 25 Der Verwünschung des Märchens fehlt ohnehin die Affekthaftigkeit des Fluches, ebenso die Anspannung und das Technische des praktizierten Zaubers. Sie bewirkt ohne weitere Bemühung, was sie ausspricht. Vgl. zu diesen Unterschieden weiter Frenschkowski 2014b.
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über die Schimpfwörter des Lateinischen diese affektive Sprache charakterisiert: „Unmittelbarkeit, Eruptivität, Inkonzinnität, Zurückdrängung der logischen Abfolge der Gedanken prägen Artikulation, Wortwahl und Wortstellung. Emphase, Hyperbel, Wiederholung, Frage, Ausruf sind ihre Kennzeichen“26. Das trifft auf das Schimpfwort, aber nicht auf den Fluch zu, der vielfach eher eine feierliche Form der Rede ist. Sie sieht diesen Unterschied selbst: Beim Fluch, der Verwünschung, Drohung, Klage, Schmeichelei und der Beschimpfung findet der Affekt sein Werkzeug in einem besonderen Ausdruck. Dabei entladen sich die zur Tat drängenden Affekte in dem vom Willen dominierten Verbum: der Drohende, Fluchende, Verwünschende will durch das magisch gebundene Wort eine besondere Wirkung herbeizwingen; der elementar Klagende stöhnt in Interjektionen; der Schmeichelnde und Schimpfende, der im Bann einer bestimmten Person steht, verhält sich im wesentlichen beschreibend und gebraucht nur Nomina.27
Das Schimpfwort ist also Handlungsersatz. Gilt das auch für den Fluch? Das steht komplementär zu der Frage, inwiefern Defixionen Ohnmachtssituationen verarbeiten. In welcher Hinsicht ist der Fluch ein Wunsch? Henk Versnel hat für antike Fluchtafeln insofern eine Einschränkung vorgenommen, als er „Gebete um Gerechtigkeit“ als völlig eigene Textgruppe ausgliedern möchte, die mit den eigentlichen Fluchtafeln nur wenig gemeinsam hätten. Sie richteten sich auf Sachverhalte wie „Diebstahl, die Weigerung, ein hinterlegtes Gut zurückzuzahlen, Körperverletzung, die Verführung des Ehemannes durch eine andere Frau, Verleumdung oder falsche Beschuldigung“28 und evozierten gewissermaßen einen fiktiven Prozess.29 Sie nennen meist den Namen des Klägers, während andere Tafeln in Hinsicht auf ihren Urheber bzw. Auftraggeber oft anonym sind. Da die äußeren materialen Konventionen dieser Texte und ihrer Performanz aber sehr ähnlich gelagert sind, wird man auch diese in jedem Fall als „benachbarte“ Textgruppe anzusetzen haben; der Unterscheidung eignet ohnehin etwas Künstliches, denn die Bitte um Gerechtigkeit kann einfach als ein Motiv innerhalb eines weiteren Motivszenarios verstanden werden, um die Gottheit zum Eingreifen zu bewegen, und die evozierte ProzessSituation ist vielfach fiktiv. (Versnel beachtet auch wenig, dass Rechtsmetaphorik auch in anderen magischen Akten gar nicht selten ist, in den aramäischen Zauberschalen z. B. als „Scheidung“ von einem Dämon30, der sich an eine Person gehaftet Opelt 1965, 11. 1965, 12. 28 Versnel 2009, 17. 29 Versnel 2009, 14–45 (unter Aufnahme eigener älterer Arbeiten). Vgl. aber die Einsprüche gegen diese Kategorie bei Dreher 2010, und die weiteren Hinweise bei Eidinow 2019, 351 f., bes. 352 Anm. 4. Graf 2005, 254, möchte den Begriff „Strafflüche“ für diese Texte einführen und unterscheidet sie ebenfalls von den Defixionen. Sie seien anders als diese grundsätzlich nur in Heiligtümern aufgestellt worden. 30 Shaked/Ford/Bayro 2013, 99–275, etablieren in diesem Sinn mit zahlreichen Beispielen eine eigene Untergattung der magischen „Divorce Texts“. 26
27 Opelt
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habe). Die antike Begrifflichkeit kennt keine entsprechende Unterscheidung, ist aber ohnehin wenig spezifisch. In jedem Fall ist der Fluch ein Ausgleich einer sakralen Störung, eine aggressive Entladung und Wiederherstellung eines gestörten Verhältnisses zwischen diesseitiger und numinoser Welt.31 Er oszilliert zwischen Appell an das Numen und performativer, selbstwirkender Sprache. Der Unterschied ist nicht wirklich grundsätzlich, weil die Interessen von der gleichen Intentionalität getragen werden und der Text eine vergleichbare Wirkung erzeugen soll. Er kann in ganz unterschiedlichem Maße ritualisiert sein (während wir über die Begleitrituale beim Aufstellen einer Fluchtafel gar nichts wissen). Eine Typologie der Anlässe zu Defixionen hatte schon Augustus Audollent entwickelt; sie ist seitdem mehrfach ergänzt und verfeinert worden.32 Davon ist andernorts in diesem Band die Rede.33 Unser Problem, das wir im Folgenden etwas in den Blick nehmen möchten, ist aber ein anderes: es fragt nach dem gesprochenen Fluch als Teil der „wirksamen“ Sprache und seinem Verhältnis zur geschriebenen Sprache. Die im Deutschen wichtige Affinität zur Verwünschung, von der soeben schon die Rede war, und damit auch zum Wunsch, ist terminologisch interessant, doch ist sie in die antiken Sprachen kaum übersetzbar. Sie ist allerdings auch nicht einfach nur eine Besonderheit des Deutschen.34 An parallelen außerdeutschen Begriffsentwicklungen lässt sich am ehesten die altfranzösischen Opposition souhait („Wunsch“) vs. dehait („Verwünschung“), dazu ahait („Unglück“) (zu hait, „Glück, Freude“) vergleichen, worauf schon Jakob Grimm hingewiesen hat (doch sind diese Begriffe etymologisch nicht zusammengehörig, und die semantische Entwicklung ist nicht so eindeutig wie im Deutschen).35 In antiken Sprachen gibt es zu dieser semantischen Beziehung keine direkte Parallele, ohne dass die Terminologie für den Fluch im Kontext seiner Synonyme und Antonyme an dieser Stelle genauer analysiert werden könnte. Vielfach sind semantische Überschneidungen und Verschiebungen im weiteren Feld „wirkmächtiger“ Sprache beobachtet worden (Fluch, Gebet, Zauber, Segen u. a.), nicht zuletzt durch die fast universal verbreiteten Euphemismen („Segen“ auch für „Fluch“)36. Eine vergleichende Semantik dieser Terminologien wäre eine lohnende Aufgabe, die hier leider nicht angegangen werden kann.37 Einige Beobachtungen liegen auf der Hand: Das Wort Vgl. dazu Speyer 1969, 1161 f. Audollent 1904/1967, LXXXIX f.; dazu z. B. Versnel 2009, 10 f. 33 Vgl. dazu die Einleitung in den Band. 34 Strackerjan 1909, 472, erklärt „verwünschen“ als „einen Wunsch gegen jemand aussprechen“. Ist das zu schlicht oder der Kern der Sache? 35 Grimm 1968, II 794 Anm. 1; III 284 f.; Meyer-Lübke 2016, Nr. 2610.3993d. Der Begriff Verwünschung wird religionswissenschaftlich jedoch auch für Fluchtexte aus weiteren Kontexten verwendet (Prozess‑ oder Liebeszauber etc.), z. B. für die „Verwünschung der Artemisia“ (4. Jh. v. Chr.), ohne dabei deutlich vom Fluch abzugrenzen: Jördens 2008. 36 Vgl. Speyer 1969, 1166. Das Phänomen existiert auch in vielen anderen Sprachen. 37 Man mag sich daran erinnern, dass die Vernetzungen innerhalb der Wortfelder „beten, wirkmächtige Worte sprechen, loben, segnen, fluchen“ schon in den indogermanischen Vorstufen des Griechischen und Lateinischen sehr komplex und vielfältigen Entwicklungen aus31 32
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feld ἀρά, ἀράομαι konnte homerisch Gebet und Fluch umfassen (auf jüngeren Inschriften auch „Gelübde“), hat sich aber bis zur Kaiserzeit auf die Bedeutung „Fluch“ zurückgezogen (Bedeutungspejoration), wobei die späteren Komposita κατάρα, κατάρατος, κατάρασις, καταράομαι, ἐπικαταράομαι, ἐπικατάρατος usw. fast immer nur Intensivformen des Fluches bzw. des Fluchens bezeichnen.38 Gewissermaßen im Gegenzug dazu hat sich das parallele Wortfeld εὐχή, εὔχομαι, das von Hause aus das gleiche Spektrum umfasst, auf die Bedeutung „Gebet, beten“ eingeschränkt. Die semantischen Beweggründe dieser Entwicklung sind in der griechischen Sprachwissenschaft mehrfach diskutiert worden,39 was uns hier nicht weiter berührt, da diese Entwicklungen in der Kaiserzeit lange abgeschlossen sind (mit einzelnen archaisierenden Abweichungen, wie es ja auch zu erwarten ist). Die Septuaginta verwendet das ganze Wortfeld ἀρά, ἀράομαι nur noch für den Fluch in Entsprechung zu einer ganzen Gruppe hebräischer Wendungen; ἀράομαι, καταράομαι und ἐπικαταράομαι sind jetzt faktisch Synonyma. Im Lateinischen ist dirae der wichtigste einschlägige Begriff, der wie ἀρά auch personifiziert werden kann, aber auch Begriffe wie exsecratio, imprecatio, deprecatio, devotio, consecratio können ein Fluchgeschehen abdecken und technischen Charakter annehmen. Die engere Begrifflichkeit für die Defixio ist dagegen zum Teil erst modern: Die Tafeln heißen lateinisch ab dem 2. Jh. v. Chr. mehrheitlich devotiones, mit einigen synonymen und angrenzenden Begriffen wie execratio, donatio, petitio und commonitorium, defixio dagegen nur spät und vereinzelt; griechisch meist κατάδεσμος oder κατάδεσις mit einigen unspezifischeren Begriffen in älteren Texten.40 Die Terminologie ist jedenfalls nicht identisch mit derjenigen für den Fluch (obwohl sehr unspezifisches ἀρά auch Texte auf Fluchtafeln meinen kann; das Wort begegnet wie gesagt auch personifiziert für dämonische Mächte, meist im Plural41). Die modernen Bezeichnungen „Fluchtafeln“ bzw. „curse tablets“ sind insofern nicht ganz glücklich: Sie setzen einen Zusammenhang als selbstverständlich voraus, der erst genauer zu beschreiben und zu begründen wäre. John. G. Gager spricht in seiner Textsammlung von „curse tablets and binding spells“, was natürlich sich gesetzt gewesen sind. Eine historische und vergleichende Semantik dieser Wendungen ist keine einfache Aufgabe und setzt gute Kenntnis vieler Sprachen voraus, deren lexikographische Erschließung (und Erschließbarkeit) stark voneinander abweicht. Zum Indogermanischen insgesamt vgl. etwa Gamkrelidze/Ivanov 1995, I 703–705; West 2007, 332 f., der u. a. das voreinzelsprachliche Alter der Metaphern „binden vs. lösen“ (in 1. Person Singular formuliert, also als „Machtwort“; vgl. etwa Versnel 2009, 6) sowie „stechen“ für das weitere Feld des Fluches aufzeigen kann (vgl. defixio < defigere „durchbohren“). Die griechischen Tafeln benutzen bevorzugt καταδέω, seltener δέω, καταδεσμεύω, καταδίδωμι und κατέχω u. a., neben zahlreichen imperativischen Formeln. Vgl. Graf 2005, 248 f. 38 Vgl. dazu jetzt grundlegend Panczová 2020. 39 Vgl. Panczová 2020, 1091 f., mit Literaturangaben. 40 Vgl. Preisendanz 1972, 1 (defixio erst ab dem 6. Jh.); Kropp 2008, 38. Das Verb defigi ist häufiger und könnte an einigen Stellen die Praxis der Fluchtafeln evozieren, z. B. Sen., benef. VI 35,4 u. a. (vgl. unten zu Plinius). Vgl. zur Terminologie auch Graf 2005, 264 f. 41 Belege: Speyer 1969, 1196.
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überschneidende Benennungen sind, die aber doch mit Recht darauf deuten, dass eine Fokussierung auf einen zusammenfassenden Begriff schwierig ist. Gemeinsam ist immerhin allen Texten die bösartige, schädigende Absicht gegen konkrete (aber nicht immer namentlich genannte, öfter auch für den Schreiber nicht identifizierbare) Personen. Diese Absicht evoziert und mobilisiert in jedem Fall numinose Mächte (Götter, Dämonen, Totengeister), sehr oft ohne jede nähere Spezifikation, gegen den oder die zu Schädigenden, oft aber nur präventiv. Die aus dem Hebräischen (v. a. aus Texten wie Dtn 28, neben denen freilich auch lange Fluchreihen wie Dtn 27,14–26 und natürlich Segensreihen stehen) vertraute binäre Opposition Segen – Fluch lässt sich jedenfalls in griechischen paganen Texten kaum beobachten. Auf den Fluchtafeln spielt sie ebenfalls keine Rolle. Fluch und Segen sind beides „Machtworte“, aber sie sind im weiteren griechischrömischen Kulturraum anders als in der biblischen Tradition nicht primär und durchgehend aufeinander zu beziehen, sondern eigenständige Manifestationen eines breiten Spektrums wirkmächtiger Sprache. Ein interessanter Unterschied ist dabei, dass der Fluch, gerade auch in den Fluchtafeln, gesellschaftliche Hierarchien durchbricht, während der Segen in der biblischen Tradition fast ausnahmslos strikt hierarchisch zugesagt wird, d. h. vom Vater gegenüber dem Sohn und den Nachkommen, vom verehrten Meister gegenüber Schülern (und überhaupt Kindern) usw. (Hebr 7,7 formuliert das geradezu als Grundsatz). Daher spricht der Liturg im gottesdienstlichen Segen ja auch nicht zu Gott, sondern im Namen Gottes, also „hoheitlich“. Segen und Fluch werden also erst in einem religionsgeschichtlich sekundären Akt in der deuteronomistischen Linie strikt aufeinander bezogen, ohne dass dieser Bezug allgemeine Gültigkeit erlangt oder mediterranes Erbe wäre. Antike Flüche haben, um einen anderen Aspekt zu benennen, oft einen konditionalen Zug (wie der Makarismus): Es wird ein Geschehen herbeigewünscht, wenn eine bestimmte Bedingung eintrifft (oder gerade nicht eintrifft), doch sind auch unkonditionale Flüche nicht selten. Insofern stellen die Fluchtafeln eine literarisierende Weiterentwicklung und Fixierung aus der reichen Formenwelt der aggressiven performativen Sprache dar, innerhalb derer der Fluch wiederum ein Teilspektrum mit fokussiertem Adressaten abdeckt. Das Problem einer Verortung antiker Flüche und Defixionen in ihren mannigfaltigen Variationen in einer Geschichte aggressiver Sprache über die Antike hinaus wäre ein lohnendes Unterfangen, das erstaunliche Perspektiven verspräche. Es ist ja doch so, dass bilaterale Vergleiche (etwa des heute überholten Typs „Magie“ vs. „Religion“) fast immer auch zu polarisierenden bzw. binären, in jedem Fall idealtypischen Charakterisierungen führen. Erst mit weitläufigeren, verschiedenen Faktoren einbeziehenden Vergleichen über regionale und Epochengrenzen hinweg entsteht ein Spektrum potentieller Gestaltungen sprachlicher Phänomene, innerhalb dessen geschichtliche Veränderungen beschrieben werden können. Das gilt mit allen notwendigen Einschränkungen auch für mehr oder weniger klar definierte Teilbereiche von Sprache und sprachlicher Performanz, von denen die aggressive Sprache ein sehr
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weiter Bereich, der Fluch ein etwas engerer Bereich immer noch beträchtlichen Umfangs ist. Das kann an dieser Stelle natürlich nicht weitergehend in Angriff genommen werden, soll aber zumindest als Forschungsthema benannt sein.42 Nur in einer vergleichenden Semantik mehrerer Sprachen lassen sich die Fallen zu schlichten binären Charakterisierungen vermeiden. Eine wichtige Referenzgröße einer solchen künftigen Forschung könnte dabei die einzige Zeitschrift werden, die dem weiteren Thema jemals in einer sammelnden und vergleichenden Perspektive zugewandt war: die von Reinhold Aman herausgegebenen „Maledicta: The International Journal of Verbal Aggression“, die in 16 Jahrgängen (Waukesha [WI] 1977–2005) erschien, dann aber nicht fortgesetzt werden konnte. Aman (1936– 2019) gehörte zu den international bekanntesten Forschern maliziöser Sprache und ihrer Formen. Das mag hier exemplarisch für das weite Material stehen, das in einer künftigen Geschichte des Fluches im Kontext weiterer aggressiver Sprachformen zu bedenken sein wird.
5. Zum soziokulturellen Ort der Defixionen Das Problem des gesellschaftlichen Ortes zwischen Legalität und Illegalität, suspekter aber verbreiteter Praxis, Heimlichkeit und Öffentlichkeit steigert sich noch einmal bei den Defixionen. Diese sind dabei nicht einfach niedergeschriebene Flüche, sondern eine eigene Tradition der symbolischen Konfliktbewältigung, mit eigenen stabilen Konventionen. Offenbar war ihre Anfertigung teilweise professionalisiert und stereotypisiert, dennoch eignet ihnen ein Element des „Unanständigen“, dessen, was man „nicht tut“ bzw. das Erschrecken auslöst, auch im Kontext von Konkurrenzen und einer Fragilität bestimmter sozialer Ordnungen. Tacitus beschreibt, wie im Hause des Germanicus (den Tiberius als Nachfolger ausersehen hatte, der aber dann vor dem Kaiser verstarb) Dinge gefunden werden, die den Verdacht bestätigen, seine schwere Krankheit könne sich böswilligen magischen Mitteln seines Gegners verdanken. Gnaeus Calpurnius Piso, der Statthalter Syriens, habe Germanicus vergiftet (der in der Tat auch kurz darauf stirbt): „und wirklich fanden sich, aus dem Fußboden und aus den Wänden herausgeholt, menschliche Leichenreste, Zaubersprüche mit Verwünschungen (carmina et devotiones), sowie der Name Germanicus, auf Bleitäfelchen eingeritzt (plumbeis tabulis insculptum), Asche halbverbrannter Körperteile, mit Jauche beschmiert, und 42 Diese Erwägungen berühren sich mit dem Anliegen von Eidinow 2007, ein Buch, das versucht, antike griechische Formen der Kontingenz‑ und Krisenbewältigung, und darunter eben den Fluch, in einem größeren Zusammenhang zu sehen, den man als historische Sozialpsychologie bezeichnen könnte. Durch das Fehlen einer vergleichenden Perspektive gelingt es aber auch hier nicht, wirklich größere Linien in den Blick zu bekommen. Das Buch ist natürlich dennoch ein wichtiger Beitrag zum Themenfeld, vor allem durch seine umfangreiche beigegebene Sammlung griechischer (v. a. attischer) Defixionen mit Text und Übersetzung weithin aus vorchristlicher Zeit (356–459).
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andere Zaubermittel (malefica), durch die nach allgemeinem Glauben Seelen den Göttern der Unterwelt (numinibus inferis) geweiht werden“ (ann. II 69; Übersetzung: E. Heller). Wir befinden uns im Jahre 19 n. Chr., also zu Lebzeiten Jesu, und nur wenige hundert Kilometer nördlich seines Wirkungsfeldes. Fluchtafeln sind ja auch aus Palästina selbst bekannt, wenn auch aus deutlich jüngerer Zeit, vor allem aus Cäsarea Maritima. Es ist völlig klar, dass hier für Tacitus als Historiker der konservativen Senatsopposition trotz der Vertrautheit der Sache etwas Illegales, ja Perfides geschieht. Fluchtafeln sind in dem zitierten Tacitus-Text nur ein Teil des aufgebotenen magischen Materials. Deutlich ist das Element der Tabuverletzung: Es ist offenbar egal, von wem die verwendeten Leichenteile stammen (vermutlich von verurteilten Kriminellen), ihre bloße Einbindung in den Zauberakt ist eine schwerwiegende Verschärfung des Fluchgeschehens. Ob diese magischen Mittel sozusagen darauf berechnet sind, aufgefunden zu werden? Das kann da nicht gelten, wo sie in Gräbern oder Brunnen untergebracht werden, hier aber hat es alle Wahrscheinlichkeit für sich. Der Verfluchte soll wissen, dass er verflucht ist, was bei vielen anderen Defixionsakten offenbar nicht der Fall ist. Dieser Aspekt der Suggestibilität im Vorgang ist von beträchtlicher Bedeutung, wenn nach einer potentiellen Wirksamkeit gerade des Todesfluches gefragt wird: Die (sehr gut bezeugten) psychogenen Todesfälle setzen im Allgemeinen das Wissen um eine „Bedrohung“ und eine „Käfigsituation“ voraus, in der kein Ausweg gesehen wird.43 Wir zitieren diesen zugegeben recht extremen Fall an dieser Stelle nur als Problemanzeige, freilich auch als Erinnerung daran, dass wir uns in allen gesellschaftlichen Kreisen, Schichten und Milieus bewegen, wenn wir über Fluchtafeln und Flüche sprechen.44 Gelegentlich hören wir auch auf Grabinschriften von der Angst, der Tod könnte durch eine Verhexung, vielleicht eine Defixio verursacht sein (die Ausdrucksweise ist jedoch selten wirklich deutlich).45 Aus dem Jahr 156/157 n. Chr. ist 43 Vgl. Schmid 2010, 144 f. u. ö. (dieses Buch kann nur als ein erster, in manchem noch fragwürdiger Versuch eines analytischen Psychologen und Psychosomatikers gelten, zum Thema über anekdotische Evidenz hinaus zu gelangen). 44 Es ist eine grundlegende Verlagerung der Magieforschung der letzten Jahrzehnte gewesen, dass Magie in sehr vielen ihrer Formen nicht primär etwas „Volkstümliches“ darstellt, sondern zumindest bis zur frühen Neuzeit auf allen gesellschaftlichen Ebenen praktiziert wird, und oft geradezu ein Phänomen der Bildungselite darstellt („Western learned magic“). Vgl. zur Antike Frenschkowski 2016, 90–93, und zur Aufklärungsepoche Frenschkowski 2019, passim, bes. 9–17.79–89. Speziell zu Fluchtafeln s. schon Preisendanz 1972, 2; etwas anders Lambert 2004, 76. Auch Bradley 2011, 26, spricht als Subjekt der Tafeln von einer „non-elite Greco-Roman population“. Dem widerspricht aber z. B. schon die oft poetische metrisch-literarische Form vieler der längeren Fluchtafeln, von der die Autorin direkt davor spricht. Manche Tafeln sind natürlich auch in fehlerhafter Orthographie gehalten, was dann eher für ein schlichteres Milieu spricht. Statistische Aussagen sind schwierig, da wir nicht wissen, wie viele der Tafeln Auftragsarbeiten sind. Für den byzantinischen Christen Eustathius erfordert ihre Anfertigung jedenfalls besonderen Sachverstand (vgl. Gager 1992, 264). Panczová 2020, 1095, erinnert daran, wie viele Fluchformeln schon in der griechischen Welt zur regulären Praxis staatlicher Magistrate gehören, also auch darin nichts „Volkstümliches“ an sich haben. 45 Beispiele diskutiert Gager 1992, 245–248.
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aus Izmir eine Marmorstele dokumentiert, in der ein gewisser Iucundus in einen Zustand geistiger Umnachtung fällt (BIWK, Nr. 69). Das Gerücht führt dies auf ein Zaubermittel seiner Schwiegermutter zurück, worauf diese ein Szepter (als Gabe an die Gottheit) und eine Verfluchungstafel gegen ihre Gegner im Tempel hinterlegt, offenbar um sich gegen den (nach der Inschrift aber zutreffenden) Verdacht zu wehren. Aber die Gottheit (Artemis Anaitis) lässt sich nicht bestechen, und sie und ihr beteiligter Sohn finden eine gerechte Strafe. Iucundus und seine Verwandten „lösen“ (ἔλυσαν bzw. λυθῆναι τὰς ἀράς) darauf den Fluch im Tempel, eine auch sonst nicht seltene Ausdrucksweise im Corpus der kaiserzeitlichen westkleinasiatischen Beichtinschriften (weiteres zu Flüchen in diesen Texten s. u.; vgl. auch PGM IV 2177: καταδέσμους ἀναλύσεις). Ausdrucksweisen wie Mk 7,35 (ἐλύθη ὁ δεσμὸς τῆς γλώσσης αὐτοῦ καὶ ἐλάλει ὀρθῶς) setzen das weitere Motivfeld „Binden“ und „Lösen“ voraus, aber nicht die Technik der Fluchtafeln. Dabei wird das Geschehen fast ausnahmslos immer durch einen einzelnen Menschen in Bewegung gesetzt: Defixionen bevorzugen durchgehend die 1. Person Singular für ihren Urheber. Es bleibt trotz solcher Zeugnisse auffällig, dass trotz der immens breiten Magie-Literatur der gesamten Antike und der (geschätzt) wohl bald an zweitausend archäologisch bekannt gewordenen Tafeln46 literarische Erwähnungen von Fluchtafeln ausgesprochen selten sind. Neben einer nur potentiellen Anspielung in der Ilias (VI 168) finden sich deutlichere Belege erst bei Platon (rep. II 364C), demzufolge wandernde Bettelpriester von Haus zu Haus zögen, um Schadenzauber feilzubieten, der ἐπαγωγαῖς τισιν καὶ καταδέσμοις, „mit Zaubersprüchen und Defixionstafeln“, ausgeführt werde (falls hier schon eine technische Bedeutung des Wortes anzunehmen ist). Die Passage ist in hohem Maße kritisch gegenüber derartigen itineranten Ritualspezialisten. Ähnlich wendet sich leg. XI 933A gegen „Zauberlieder und Defixionen“ (ἐπῳδαῖς καὶ καταδέσεσι; vgl. auch die vagere Passage leg. X 909B–D). Auch nach Platon bleiben literarische Belege sehr selten, obwohl die Praxis der Fluchtafeln in der griechischen Welt schon vorhellenistisch weit verbreitet gewesen ist und speziell aus Attika mehrere hundert Belege erhalten sind.47 „The existence of katadesmoi is barely acknowledged in ancient literature“48. Die Praxis hat also einen Zug des Peinlichen, des Klandestinen. In der lateinischen Literatur ist die zitierte Tacitus-Stelle (dazu vielleicht noch, etwas vager, ann. II 30) der erste wirklich sichere literarische Beleg, dem sich als zweiter Apuleius (met. III 17) zugesellt.49 Hier legt die thessalische Zauberin Pamphile ihre magischen Utensilien bereit, zu denen neben Kräutern, zahlreichen (!) Leichenteilen, Blut und angespülten Resten von Schiffsunglücken sowie dem Blut von Ermordeten und einem verstümmelten Schädel (wieder das Motiv extremer 46 Vgl.
die jüngsten Zählungen der in Corpora publizierten und Schätzungen der unpublizierten Tafeln bei Eidinow 2019, 353.361. 47 Die literarischen Belege sind gesammelt bei Gager 1992, 243–264. 48 Eidinow 2007, 145. 49 Über Apuleius vgl. einführend Frenschkowski 1998.
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Tabuverletzung) gerade auch „Blechplättchen mit unverständlichen Schriftzügen“ (laminis literatis) gehören. Der Zauber soll ganz offenbar die Kräfte der wütenden, auf Rache sinnenden Totengeister nutzbar machen, wie sehr oft in unseren Texten. Die Offenheit des Textes erklärt sich aus seinem sensationslüsternen Spiel mit dem Makabren. Laminae literatae ist eine eher vage Bezeichnung: einen wirklich technischen Begriff verwendet Apuleius nicht. Einige frühere Passagen sprechen von Wachstafeln im Schadenzauber und Wachspuppen, eine zumindest verwandte Praxis (Ov., am. III 7,27–30; epist. VI 82–94 u. a.). Nicht übersehen werden sollte in diesem Zusammenhang, dass die antike Literatur ein eigenes Genre des manieriert-mythologischen Fluchgedichtes kennt, das gut dokumentiert ist50, und dessen Formelwelt zum Teil andere Richtungen einschlägt als die Fluchtafeln (Flüche als eigene Kunstform sind auch sonst in vielen Traditionen gut bekannt, etwa in Irland, Indien oder im aschkenasischen Judentum). Die Funde und diese Texte zusammen genommen formen sich dabei zu einem Gesamtbild eines Aspekts antiker Kultur, den man (wie ähnlich die Zauberpapyri) in der „großen Zeit“ der deutschen Altertumswissenschaft, im 19. Jh., und bis weit in das 20. Jh. hinein geflissentlich übersehen wollte, obwohl Audollents Sammlung ja immerhin schon 1904 erschienen war. Von der Theologie ist hier ganz zu schweigen: Sie entdeckt das Thema der Fluchtafeln im Grunde erst in der Gegenwart und hat auch den Fluch als Form religiöser Rede nur selten reflektiert. Irritation wird dabei flankiert von Formen der Faszination: Welche Bibelleserinnen und Bibelleser werden sich nicht irgendwann gefragt haben, was es wohl mit den „Tagverfluchern“ des Hiobbuchs auf sich hat, welche die Fähigkeit besitzen, den Chaosdrachen, den Liwjatan, wieder aufzuwecken, der seit der Weltschöpfung schläft? Hiob beschwört sie, den Tag seiner Geburt zu verfluchen, den er ungeschehen machen will: einer der eindrücklichsten Texte an Fluchdichtung, welche die jüdisch-christliche Literatur kennt (Hiob 3,8); vgl. aber auch PsSal 4 als langen Fluchpsalm, der in einen Segen mündet, oder Texte wie Ps 109 (108). Die geringe Zahl an Sekundärzeugnissen über Fluchtafeln (auch bei den Kirchenvätern) steht in drastischem Kontrast zur rasch anwachsenden Praxis der Fluchtafeln praktisch im gesamten Imperium, auch in Regionen, in denen römische Kultur nur langsam indigene Kulturen überlagerte. Dieser Kontrast bedarf einer Erklärung. Außerdem muss schon aus pragmatischen Gründen über die Praxis eine Kommunikation, ein Austausch stattgefunden haben: Anders wäre die universale Verbreitung der Texte im römischen Reich, v. a. im 1.–4. Jh. nicht zu erklären. Das Element der Geheimhaltung (die Tafeln wurden unter Türschwellen oder in Gräbern, v. a. aber in und an Tempeln vergraben, gelegentlich auch in Quellen und Brunnen geworfen u. ä.) muss daher cum grano salis gesehen 50 Eine sehr kurze erste Übersicht bietet Speyer 1969, 1214 f.; ausführlicher Watson 1991. Noch Gregor von Nazianz hat in seine Sammlung literarischer Grabepigramme zahlreiche Flüche aufgenommen (die teilweise ihren Weg in die Anthologia Palatina fanden).
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werden: Woher hätten sonst die jeweils nächsten Praktizierenden wissen können, was der angemessene Ort für diese Objekte sei? Gelegentlich wurden die Tafeln auch da vergraben, wo sie wirken sollten, etwa im Circus (d. h. angesichts sportlicher Wettkämpfe)51. Überhaupt ist das Thema der „Traditionsübermittlung“, also der Art und Weise, wie das praktische Wissen über die Anfertigung der Tafeln weitergegeben wurde, noch wenig erforscht: Der archäologische Befund erlaubt darüber kaum Rückschlüsse.52 Wie hätten die Schreibenden ähnliche Texte verfassen können, wenn sie keine früheren Exemplare der Textsorte gesehen hätten? Man wird eine Erklärung im Vergleich mit anderen Formen klandestiner Praxis finden können, die gleichzeitig diskreditiert wie auch gesellschaftlich verbreitet gewesen sind (wie die Bestechung, der kaufmännische Betrug o. ä.), und wie man es auch von der frühneuzeitlichen Beschwörungsmagie sagen kann.53 Defixionen hat man im „Geheimen“ angebracht, auch da, wo rechtlich vermutlich nicht viel zu befürchten war (immerhin können sie sich auf eine große Zahl von Personen gleichzeitig beziehen54). Aber wo und wie dies geschieht, musste man „wissen“, d. h. als kulturelle Tradition gelernt haben. Das aber relativiert den Geheimnischarakter. Hilfreich ist vielleicht die Kategorie des „öffentlichen Geheimnisses“ (wie bei den eleusinischen Mysterien, in die große Teile der athenischen Bevölkerung eingeweiht sind, aber über deren innere Dromena, Deiknymena und Legomena strikt nicht gesprochen werden durfte).
6. Der mündliche Fluch als „Machtwort“ Das alles lässt sich über den mündlichen Fluch nicht sagen. Er ist seit alters ein stabiles Element der Literatur, wird ausgiebig zitiert und diskutiert, spielt in Rechtsprechung und Geschichtsschreibung eine Rolle und hatte nur wenig von einem Geheimnis. Im Gegenteil: in vielen Fällen ist seine öffentliche Aussprache, ja Deklamation, wichtiger Teil seiner Inszenierung. Berühmt ist die Szene, in welcher der Volkstribun Ateius den zum Partherkrieg abziehenden Crassus öffentlich unter Verbrennung von Weihrauch und Anrufung „schrecklicher und fremdartiger Götter“ verflucht (Plut., Crassus 16,7 f.). Diese „uralten Flüche“ hätten angeblich solche Kraft, dass sich ihrer Wirkung niemand entziehen könne, doch schadeten sie immer auch dem, der sie ausspreche.55 Die Rhetorik des Fluches Vgl. dazu Tremel 2004, der etwa 100 Fluchtafeln aus dem Bereich des Sports bespricht. Vgl. zur Frage der Geheimhaltung etwa die vagen, in verschiedene Richtungen zielenden Bemerkungen bei Eidinow 2019, 367. Die ganze Frage muss tatsächlich als weithin ungeklärt gelten. Das Problem sieht schon Björck 1938, 135 f. 53 Vgl. Frenschkowski 2019, passim. Lehrreich ist z. B. der Vergleich mit der gesellschaftlichen Stellung der Pornographie, deren weite Verbreitung schon im 18. Jh. in radikalem Widerspruch zu ihrer öffentlichen Diskreditierung steht. 54 Drauf wies schon Preisendanz 1972, 9, hin. 55 Vgl. zu diesem Text und seinen Parallelen weiter Graf 2005, 258. 51 52
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ist in sehr viel höherem Maße auf Öffentlichkeit angelegt als diejenige der Fluchtafeln. Das ist nun freilich nur idealtypisch gesagt, mit vielen Übergängen im Einzelnen. Beide berühren sich in ihrer Wirkung, aber nicht im sozialen Ort ihrer Performanz. Ihr Deponiertwerden unterscheidet die Fluchtafeln auch von Amulett und Talisman, die „mobile“ Formen magischer Wirkung sind. Die Frage der „Legalität“ ist damit zugleich sehr viel komplizierter, als es gelegentlich dargestellt wird, da formal geltendes Recht, praktisch angewandtes Recht, Sitte und Brauch mit seinen jeweiligen Delegitimierungen, „privater Usus“, Diskreditierung ohne formales Verbot koexistieren und die Unterschiede der Zeiten und Regionen in Geltung zu bringen sind, außerdem das Nebeneinander römischen Rechtes und lokaler Rechtstraditionen, welche die römische Administration vielfach bestehen ließen, sofern sie nicht mit imperialen Interessen kollidierten.56 Wie steht es in dieser Hinsicht also mit dem Fluch? Er besitzt sakrale und gehobene öffentliche Formen57, aber auch solche des Alltags, und ist sicher rein quantitativ weitaus häufiger als in unseren Sprachwelten. Begriffs‑ und formgeschichtliche Studien zur Sache liegen vor, aber sie vernachlässigen oft die Bezogenheit, den Systemcharakter der einschlägigen Begriffe. Wir haben bereits kurz erwähnt, dass z. B. die Bezogenheit Fluch – Segen eher dem hebräischen Sprachraum zugehört, aber in anderen Sprachräumen nicht in gleicher Direktheit sichtbar ist. Verwandt ist jedoch das weitere Wortfeld des „Machtwortes“, zu dem nicht nur magische Worte gehören,58 und gerade im Griechischen dasjenige des „Gebetes“. Dabei sind natürlich nicht nur die Terminologie für die Rede‑ und Textsorten und die sich in diesen entfaltenden Wortfelder zu bedenken, sondern auch z. B. Reduktions‑ und Inflationsprozesse in der Lexik der Sprachen. Dies alles kann hier nicht vertieft werden.59 Die Zusammengehörigkeit der „Machtworte“ war aber bereits für Plinius selbstverständlich, dem wir eine der wichtigsten einschlägigen Passagen verdanken, aus der wir einiges zitieren: Was die aus dem Menschen gewonnenen Heilmittel anlangt, ergibt sich zuerst die sehr wichtige und immer noch nicht entschiedene Frage, ob Worte und Zauberformeln (verba et incantamenta carminum) etwas vermögen. Wenn man diese bejaht, müßte Menschen dies willkommen sein; gerade die weisesten Männer aber stellen diesen Glauben (fides) ganz und gar in Abrede, in der Allgemeinheit jedoch, glaubt man zu jeder Stunde im Leben daran und spürt doch nichts davon. Meint man doch, ohne Gebet Opfertiere zu schlachten und Götter nach den gehörigen Zeremonien um Rat zu fragen, habe keine Wirkung. (Plin., nat. XXVIII 10; Übersetzung hier und im Folgenden: R. König/G. Winkler)
56 Auch die Darstellung dieser Sachverhalte in Frenschkowski 2016, 275–287, ist notgedrungen verkürzt; vgl. immerhin die dort genannte Literatur sowie ergänzend Rives 2003; Kropp 2008, 46–50. Versnel 2009, 41 f., ist hier leider ganz ungenügend. 57 Übersicht: Graf 2005, 250–253. 58 Vgl. zuletzt die (leider die Fragen nur anreißende) Studie von Essler 2017. 59 Zu den Wortfeldern der lateinischen Defixionen vgl. v. a. Kropp 2008.
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Plinius, der uns ein gelehrtes Panorama dessen bietet, was ein gebildeter Römer im 1. Jh. wissen konnte, beschreibt im Folgenden den strengen Ritualismus des römischen Opferwesens, bei dem genau festgelegte formelhafte Worte zu sprechen sind, die nach einem Schriftstück vorgelesen und dann jeweils nachgesprochen wurden, da jeder Versprecher und jede Auslassung das Ritual ungültig gemacht hätte. Ein flankierender Diener muss dafür sorgen, dass kein ominöses oder ablenkendes Wort in Hörweite der Opfernden gesprochen wird. Gerade Verwünschungen (dirae, „grässliche Worte“) können von übelster Vorbedeutung sein und müssen strikt verhindert werden. Es folgen einige Anekdoten über Vorgänge beim Opferwesen und aus dem Prodigienglauben. Heute noch glauben wir, daß unsere Vestalinnen entlaufene Sklaven, die die Stadt noch nicht verlassen haben, durch ein Gebet bannen (retinere in loco precatione); wenn man sich erst einmal die Ansicht zu eigen macht, daß die Götter gewisse Gebete erhören oder durch irgendwelche Worte bewegt werden (ullis moveri verbis), dann muß man die gesamte Theorie annehmen. Unsere Vorfahren aber haben beständig derartiges geglaubt, was am schwierigsten dabei erscheint, daß Blitze herabgezaubert werden (fulmina elici), wie wir an der betreffenden Stelle erwähnten. (Plin., nat. XXVIII 13)
Das Raffinement dieses Textes liegt natürlich in seinem Oszillieren zwischen Respekt vor den Vorfahren, ihrem Glauben an das Machtwort, und Skepsis gegenüber aller superstitio. Die Furcht vor dem unbeabsichtigten Fluch drückt sich ähnlich ritualisiert im Rabbinat z. B. darin aus, dass die Fluchverse Lev 26,14–43 und Dtn 28,15–68 nur mit besonders leiser Stimme vorgelesen werden dürfen, und es schwer ist, Freiwillige zu finden, die zur öffentlichen Verlesung dieser Verse überhaupt bereit sind60 (um es bei diesem einen Beispiel für die Wirkung des Fluchwortes aus dem rabbinischen Umfeld zu belassen). Das „Festbannen“ ist in der europäischen Tradition eine zentrale Form der Verwünschung,61 und es ist insofern interessant, welche Rolle es auch auf den Fluch60 Vgl.
Art. Blessing and Cursing. Cursing, in: Encyclopaedia Judaica 3 (22007) 752 (keine Autorangabe für diesen Teilartikel). 61 In ihrer szenischen Umsetzung ist die Verwünschung im europäischen Erzählgut oft gerade eine Fixierung im Statischen, eine Petrifikation, die keine größere Bewegung oder Veränderung mehr erlaubt. Grimm, Deutsche Sagen, Nr. 231, wird ein ungehorsamer Knabe von seinem Vater zum „Stehen“ verwünscht und kann drei Jahre seinen Platz im Zimmer nicht verlassen. Grimm, Kinder‑ und Hausmärchen, Nr. 97 kann der in eine Bergschlucht verwünschte Prinz „nicht vorwärts und rückwärts“. Grimm, Kinder‑ und Hausmärchen, Nr. 127 muss der Königssohn in einem Wald in einem großen Eisenofen sitzen. Die verwünschten Zwerge wurden zu einer Felsgruppe (Grimm, Deutsche Sagen, Nr. 32). Zum Fluch als Zustand des verfluchten Menschen in antiken Zeugnissen vgl. auch Speyer 1969, 1181–1184. Zugleich ist das Festbannen ein Spezialfall der Verwandlung, indem sie eine Figur zur äußersten Passivität verurteilt, die nur durch das Handeln einer anderen Figur aufgelöst werden kann. Verwünschte Figur und Erlöser/Erlöserin bilden dabei eine handlungskonstituierende Einheit mit aktivem und passivem Pol. Inwiefern das Motivfeld des Festbannens bereits in der Antike von ähnlichem Erzählgut getragen wurde, ist eine noch nicht wirklich geklärte Frage, da wir z. B. über antike Märchentexte nur wenige Nachrichten besitzen.
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tafeln spielt, in dem z. B. der Prozessgegner verflucht wird, vor Gericht nicht mehr frei heraus sprechen zu können. Cicero, ad. Brut. 217 f., zeigt, wie man sich das Festbannen eines Redners vor Gericht dachte: diesem versagen die Worte und er kann sein Plädoyer nicht beenden. Curio, dem dies in Anwesenheit Ciceros widerfährt, führt es auf Fluchsprüche (veneficiis et cantionibus) seiner Gegnerin Titinia zurück; an etwas Schriftliches ist kaum gedacht. Der Fluch ist damit zugleich eine Form, einen öffentlichen Ehrverlust, eine Diskriminierung zu installieren: ein Aspekt, der weiterer Diskussion bedarf.62 Diese mentalitätsgeschichtlichen Zusammenhänge zwischen magischen und narrativen Traditionen bedürfen stärkerer Beachtung: sie erlauben uns Einblicke in das kulturpsychologische Fundament, aus dem beide schöpfen. Die nicht seltenen Listen dessen, was Schadenzauber bewirken kann, nennen oft auch die Lähmung, das Festbannen, das jede Tätigkeit Unterbinden von Menschen und Tieren (beim Sport), z. B. Arnobius, I 43,5; Libanius, or. 41,29. Plinius berichtet in den nachfolgenden Sätzen des zitierten Abschnitts, wie Tullus Hostilius mit magischen Mitteln versuchte, Jupiter vom Himmel auf die Erde zu zwingen (für uns eine extrem befremdliche Vorstellung), und er nur aufgrund von Formfehlern im Ritual erfolglos gewesen sei. Auch Omina und Prodigien können durch Rituale unwirksam gemacht oder „abgelenkt“ werden.63 Der Glaube an die Kraft magischer Worte und Rituale ist deutlich größer als in der gleichzeitigen griechischen Welt, aber sie können auch sehr leicht unwirksam werden. Für den Skeptiker Plinius geht das Thema nahtlos in das breite Feld des Aberglaubens über, dass er mit zahlreichen Beispielen aus der römischen Lebenswelt illustriert. Mit der ihm eigenen feinen Ironie nennt er unter den Zauberworten auch solche, von denen „sich einige auch bewährt haben“ (nat. XXVIII 29). „Jeder mag darüber denken, wie er will“ (nat. XXVIII 29). Deutlich ist, dass der Glaube an „Machtworte“ für Plinius ein sachlich-inhaltlich zusammenhängendes Gebiet der römischen Lebenspraxis ist, bei dem unsere Unterscheidung Magie – Religion bedeutungslos wäre (was man aber nicht allgemein für Plinius sagen sollte). Einen alles zusammenfassenden kulturellen Terminus für solche Worte hat Plinius nicht, so wenig wie ein anderer antiker Autor, und der hier verwendete Begriff „Machtworte“ ist ein nur partiell passender Ersatz.64
62 Vgl. Lobenstein-Reichmann 2013, 126–137, die diesen Aspekt für mittelalterliche Fluch texte diskutiert (und dabei die drastische, aber nicht wirklich passende Formulierung vom „kirchlichen Fluchmonopol“ einbringt). 63 Vgl. über das „Ablenken“ und „Übertragen“ von Krankheiten auf Tiere in der antiken populären magischen Medizin s. die Belege bei Frenschkowski 2021 (im Druck). 64 Vgl. auch die ausführlichen Reflexionen zur Sache bei Orig., homiliae in numeros 13,4–7, anlässlich seiner Erörterung der Bileam-Perikope.
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7. Noch einmal: Fluch, Fluchtafeln und weitere Magiediskurse Sprechen wir in Hinsicht auf Fluchtafeln oder allgemeiner Flüche also über „Magie“? Ganz als Ausdrucksform antiker Magie (im Gegensatz zum Fluch!) hatte sie z. B. Karl Preisendanz (1883–1968), der Herausgeber der gräko-ägyptischen Zauberpapyri, deuten wollen.65 Aber unsere Defixionen verwenden diesen und angrenzende Begriffe nicht selbstreferentiell. Freilich gilt diese Einschränkung auch z. B. für die Zauberpapyri (die das Wort überhaupt nur an einer Handvoll Stellen gebrauchen), und das gewaltige Corpus der aramäischen Zauberschalen ist oft geradezu gegen „Hexerei“ gerichtet, in der alten orientalischen Tradition des Hexerei-Abwehrzaubers, der einen beträchtlichen Teil der babylonischen Kulttradition ausmacht. Was wir heute Magie nennen, inszeniert sich hier wie vielfach als AntiMagie. Es ist nicht gesagt, dass die Praktizierenden der Fluchtafeln selbst überhaupt das Wortfeld Magie verwendet hätten, dass ja oft eher ein Diffamierungs‑ und Distanzierungslabel für das jeweils Andere, Suspekte, Illegitime, Superstitiöse u. ä. ist. Mit welchem Recht nennen wir diese Texte dann magisch? Interessant ist in diesem Kontext die Beobachtung, dass sich offenbar erst allmählich in die Fluchtafeln viele Elemente aus der Zauberworttradition einmischen, so Vokalreihen, Wortpermutationen und typische Zauberworte, die „Bedeutung“ nur umspielen.66 Einige ägyptisch-griechische Fluchtexte sind dabei offenbar mit Texten aus dem Corpus der PGM nahe verwandt.67 Das ist für die Frage nach dem „magischen“ Charakter der Texte von Bedeutung: dieser ist nicht einfach strukturell-statisch gegeben, sondern unterliegt geschichtlichen Variationen. Auch die bekannte Ungeduld des Zaubers wächst in die Fluchtafeln hinein. „Jetzt, jetzt, schnell, schnell“ u. ä. ist ja eine stehende Abschlussformel zahlreicher Zauberrituale in den PGM (III 123 f.; IV 1245.1593.1924.2037 vgl. I 89 f.; IV 236 f.; VI 14; VII 248 f.329–331) und überhaupt im Zauber, wie es auch dem christlichen Beobachter auffiel (Orig., exhortatio ad martyrium 46 [P. Koetschau I 42,14–17]). Auf den Mainzer Tafeln begegnet es uns nicht, aber kann andernorts dann doch in die Formenwelt der Defixionen hinüberwechseln: „iam iam cito cito facias“ (DT, Nr. 229, Z. 9–11.14–16 [TheDefix 806]) oder „age age iam iam cito cito ἤ[δη] ἤδη τα[χὺ ταχύ]“ (DT, Nr. 248, Z. B 7–9 [TheDefix 94]). Man wird das wohl als eine wachsende Übernah Preisendanz 1972, 1. Diesen Vorgang beschreibt Martin 2015, leider nur mit wenigen Beispielen. Über die Linguistik und Psychologie dieser Sprachbildungen ist die umfassendste Studie nach wie vor der Beitrag Frenschkowski 2007a, dessen Beobachtungen hier nicht wiederholt werden können. Eigener Erforschung bedürfen auch für die Defixionen die Übergänge zwischen Text, Textinszenierung und ‑performanz, spielerischer Textverfremdung und Bild (wobei auch an die gelegentlich begleitenden magischen Puppen zu denken ist); vgl. zum Thema unkonventioneller griechischer Textgestaltung etwa Kwapisz 2013. Für die Zauberpapyri stellt das Thema ja längst einen Schwerpunkt der neueren Forschung dar. 67 Vgl. Eidinow 2019, 358, mit Angaben zur Literatur. Das Thema bedarf einer grundlegend neuen Bearbeitung. 65 66
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me von Elementen aus der rituellen Magie verstehen müssen: Der Fluch wird zum Zauberspruch. Es gibt also einen gegenseitigen Angleichungsprozess zwischen den verschiedenen magischen Textgruppen etwa ab der frühen Kaiserzeit, der sich bis zur Spätantike steigert. Das fiel schon Jürgen Blänsdorf auf.68 „Diese magischen Vertextungselemente beginnen sich erst im 1. Jahrhundert n. Chr. zu entwickeln und ersetzen ab dem 2. Jahrhundert nach und nach die literarischen Qualitäten der Verfluchungstexte“69. Blänsdorf erinnert auch an magische Stilelemente wie rückwärts oder bustrophedon geschriebene Texte.70 Diese Elemente finden sich sowohl auf den Mainzer Texten wie in einigen anderen Fluchtafeln. Christopher Faraone hat in Hinsicht auf das Amulettwesen die zunehmende Einbindung schriftlicher Elemente als wesentliche Veränderung der Kaiserzeit erklärt (neben der stärkeren Verwendung dauerhafter Materialien).71 Das ist vielleicht als angrenzender Vorgang zu sehen. Inwiefern eine „magische Anreicherung“ auch die mündliche „Fluchkultur“ einschloss, können wir nicht sagen. Die Mainzer Defixionen stehen freilich erst am Anfang dieser zunehmenden technischen „Magisierung“ der Flüche: „Die einzigen in Mainz bereits angewandten magischen Techniken sind die linksläufige (retrograde) Schrift und einmal eine magische Textanordnung“72. Die Grundtendenz der Magie zur Anreicherung ihrer Texte, zur litaneiartigen Anhäufung der Namen und formelhaften Wendungen greift auch bei den kaiserzeitlichen Defixionen nur allmählich und partiell. Obwohl viele Zaubersprüche formal Gebete sind, unterscheidet sie von diesen nicht selten die auf Wirkungssteigerung berechnete synkretistische Häufung von Namen und Epitheta und die im Zauber typische Ungeduld, und es ist von großer Bedeutung, dass diese Züge langsam auf die kaiserzeitlichen Fluchtafeln übergreifen. Über die mündlichen Flüche können wir in dieser Hinsicht nicht zuversichtlich urteilen. Im Okkultismus der Zauberpapyri sind die Beschwörungen oft sehr lang, litaneiartig, angereichert mit zahlreichen synkretistischen Details, Epitheta und Zauberworten sowie komplizierten Ritualanweisungen. Auch die Fluchtafeln haben eine Neigung zur Anreicherung der evokativen Elemente. Die „Zauberworte“ haben, wie z. T. erst die jüngere Forschung erkannt hat, durchgehend „Sinn“ und evozieren überaus komplexe Symbolwelten, auch wenn sie oft nicht „übersetzbar“ sind. In der älteren Forschung wurden sie oft als sinnlose Wortbildungen diffamiert, sehr zu Unrecht. Allerdings sind die Wortbildungen oft nicht informativ-diskursive Sprache, sondern evokativ-symbolischer Art. Manche Zaubersprüche lassen sich sprachpsychologisch als Formen regressiver Sprache verstehen, die den seelisch-mentalen Zustand des Magiers verändern, während komplexere Blänsdorf 2012, 33. Blänsdorf 2012, 33. 70 Blänsdorf 2012, 29, mit einigen Parallelen in Texten aus Griechenland. 71 Faraone 2018, 239 und passim. 72 Blänsdorf 2012, 33. 68 69
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Zaubertexte eine ekstatische Aufstiegs‑ bzw. „Himmelfahrts“-Erfahrung begleiten können. Gerade bei den Vokalreihen und der sehr häufigen Lautnachahmung von Tiersprachen ist klar, dass es um die Erzeugung eines seelischen Zustands geht: Der Effekt dieses Zaubers ist ganz wesentlich auch ein psychischer; er ist eine Art Mantra. Häufig sind Palindrome, Reimworte, Reduplikationen, Metathesen, Anaphern, Aleph-Beth-Bildungen (Reimbildungen des Typs Gog – Magog) und viele andere evokative Sprachspiele, die imaginative Entgrenzungen der sprachlich definierten Welt erzeugen. Diese sprachpsychologische Seite des Zaubers habe ich, wie gesagt, andernorts ausführlich mit vielen Beispielen untersucht und mit glossolalen, kindersprachlichen, geheimsprachlichen und anderen Erscheinungen verglichen und will das dort Gesagte hier nicht wiederholen. Inwiefern die Fluch texte an diesen Phänomenen partizipieren, wird weiterer Diskussion bedürfen; die Rezeption dieser Art magischer linguistischer Erscheinungen erreicht jedoch nicht die Dichte, die sie in den Zauberpapyri hat. Wir verwenden den Begriff Magie dabei jedenfalls metasprachlich, als eines unserer Label, um bestimmte Bereiche antiker Religion in den Blick zu nehmen. Selbstreferentielle Magie-Begriffe sind selten; allenfalls in der Theurgie besinnt sich diese in einem Abgrenzungsmodus so auf sich selbst, dass der Begriff selbstreferentiell wird. Aber mit dieser sehr speziellen Ritualpraxis bewegen wir uns in der geistigen Welt einer kleinen philosophischen Elite und weit entfernt von unseren Defixionstexten, die Teil der allgemeinen Religion sind. Das gilt nun in gewisser Hinsicht auch für den mündlichen Fluch: dieser ist Machtwort, aber doch etwas anderes als das Zauberwort der Magie im engeren Sinn. Das Verhältnis zum Mainstream religiöser Praxis ist in beiden Fällen komplex und bedarf differenzierter Sichtweisen. Die Mainzer Fluchtafeln etwa waren offenbar Teil des regulären, wenn vielleicht auch klandestinen klientenorientierten Betriebs eines Heiligtums: Vermutlich geben einzelne Personen die Täfelchen in Auftrag oder produzieren sie sogar selbst. Sie sind nach ihrem Herausgeber Jürgen Blänsdorf nicht gewerblich angefertigt, sondern von den Petenten selbst beschrieben worden, während z. B. die nordafrikanischen Tafeln im Schnitt kunstvoller angefertigt und daher wohl mehrheitlich „professionelle“ Produkte sind73. Das setzt in noch höherem Maße ein Wissen um diese kulturelle Praxis voraus. Eine professionelle Anfertigung verlangt zumindest eine Mund-zu-Mund-Werbung. Das Heiligtum selbst muss die Praxis geduldet haben, wenn sie nicht sogar aktiv beworben 73 Blänsdorf 2012, 26. Die Tafeln aus Cäsarea (vgl. CIIP II, Nr. 1679 f.; s. u.) sind so komplex, dass sie professionell angefertigt worden sein werden. Die kürzeren und schlichteren britischen Tafeln kann man sich gut als Eigenprodukte vorstellen. „The longer, more elaborate, syncretistic spells […] were probably created by experts, and their development seems to indicate that at least in some areas there was gradual specialization of binding spell practice during the Imperial period“, so Eidinow 2019, 378 (über die attischen Texte). Vgl. auch Dufault 2018. Von besonderer Bedeutung ist die bisher kaum beantwortbare Fragen, in welchem Umfang Frauen an der Produktion dieser Texte beteiligt waren. Vgl. die analogen divergierenden Beobachtungen über die Herstellung von Amuletten bei Faraone 2018, 251–254.
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wurde (darüber wissen wir freilich nichts). Andererseits hat Blänsdorf an den Mainzer Texten gezeigt, dass ihr Sprachniveau keineswegs gering einzuschätzen ist und Vulgärlateinisches noch weithin fehlt. Also sind die Mainzer Texte auch keine Produkte einer bildungsfernen Unterschicht.74 Ähnliches würde sich für die älteren attischen Tafeln sagen lassen, die aber oft sehr kurz sind. Man wird hier mit einem Spektrum an Möglichkeiten zu rechnen haben, wie sich das Niveau der Tafeln (Text, Orthographie, handwerkliche Anfertigung) ja auch vielfach unterscheidet, mit regionalen Besonderheiten, die nur ansatzweise erforscht sind. In diesem Zusammenhang ist wichtig, dass es außer lateinischen und griechischen Tafeln auch solche in anderen Sprachen (keltisch, etruskisch, oskisch, punisch, sehr vereinzelt koptisch u. a.) bzw. im Lateinischen solche mit deutlichen Dialektkennzeichen und auch sehr viele zweisprachige Zeugnisse gibt.75 Unter den britischen Tafeln sind sogar Texte in griechischer Sprache gefunden worden, v. a. Bradley, Nr. 97 als ausschließlich griechischer Text. Wurden diese importiert? Natürlich sprachen viele gebildete Römer auch Griechisch. Gideon Bohak, der allgemein von „aggressive spells“ spricht, erklärt das Fehlen hebräischer und aramäischer Defixiones damit, dass man in diesen sprachlichen Kontexten vielleicht andere Formen aggressiver Inszenierung bevorzugte, vor allem solche mündlicher Art.76 Aber die aramäischen Zauberschalen bieten ja auch sehr viele Flüche: Das Thema bedarf vielleicht noch einmal einer eigenen Diskussion, denn gerade im archäologisch gut erschlossenen Palästina wäre mit mehr Funden zu rechnen, wenn die Form dort verbreitet gewesen wäre. Kurioserweise besitzen wir in jüdischen Zauberbüchern Anweisungen zur Herstellung von Defixiones77, und es ist nicht ausgeschlossen, dass uns auch die Palästina-Archäologie noch mehr Beispiele liefern wird (außer den bekannten aus Cäsaraea)78. (Die jüdische öffentlich aufgestellte Fluchtafel von Rheneia, der Begräbnisinsel von Delos, aus dem 2. Jh. v. Chr., die schon Adolf Deissmann diskutiert hatte, verwendet zwar biblische Anspielungen, aber in griechischer Sprache)79. Die weitaus größte Zahl antiker Fluchtafeln ist nach wie vor aus dem griechischen 74 Das
gilt auch für die Tafel von Groß-Gerau (1.–2. Jh. n. Chr.), bei der gerade das Fehlen vulgärlateinischer Elemente wie Monophthongierungen und systematischer Apokope ins Auge sticht; vgl. Scholz/Kropp 2004. 75 Übersicht: Eidinow 2019, 353–356; vgl. zur geographischen und zeitlichen Verbreitung griechischer Fluchtafeln im Westen Sánchez Natalías 2016. Die sachlich verwandten aramäischen Fluchtexte auf Zauberschalen sind hier nicht im Blick; vgl. dazu etwa Levene 2013; Frenschkowski 2016, 48.125.188–190. Viele dieser aramäischen Texte ahmen interessanterweise juristische Formensprache aus dem Ehe‑ und Scheidungsrecht nach. Juristisches ist natürlich auch in den Fluchtafeln nicht selten, die oft Bezug auf Gerichtsverfahren nehmen und den Gegner schädigen wollen; vgl. z. B. Eidinow 2007, 180–186. 76 Bohak 2008, 154 f. 77 Bohak 2008, 155 Anm. 26. 78 Die angeblichen Defixionen von Tell Sandahanna (Maresha) deutet Bohak als Gebete, die nichts mit Magie zu tun hätten (Bohak 2008, 125 Anm. 163). Das kann ich hier nicht diskutieren. Vgl. auch Eidinow 2019, 379 Anm. 143. 79 Übersetzung und Kommentar: Gager 1992, Nr. 87. Zu den Tafeln aus Cäsarea Maritima s. o.
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Sprachraum bekannt, und bewegt sich fast ausschließlich im Umfeld griechischer religiöser Traditionen. Die Unterscheidung Magie vs. Religion verliert dabei auch dann an Schärfe, wenn man an verwandte Sprachakte denkt, die üblicherweise weder dem einen noch dem anderen Bereich zugeordnet werden, vor allem an den Eid als juristisches Geschehen, und dieses vor allem, wenn wir ihn mit Rudolf Hirzel und vielen anderen als bedingte Selbstverfluchung verstehen.80 Eine solche Sicht vertritt schon Plutarch in einer Passage seiner „Römischen Fragen“, die hier zitiert werden soll, weil sie uns in die Affinität der Phänomene von „Machtworten“ gut einführt: Warum ist es dem Priester des Zeus nicht erlaubt zu schwören? Ist es, weil der Eid für den Freien eine Art Folter ist, und weil der Körper und die Seele des Priesters nicht gefoltert werden sollen? Oder weil es nicht logisch ist, daß man in kleinen Sachen demjenigen misstraut, dem man für die größten, die Götter betreffenden Geschäfte traut? Oder weil jeder Schwur mit einer Verfluchung des Meineides endet, eine Verwünschung (κατάρα) aber unheilbringend und finster ist? Darum erlaubt man auch den Priestern nicht, andere zu verfluchen (ἐπαρᾶσθαι). Auf jeden Fall wurde die Priesterin gelobt, weil sie den Alkibiades nicht auf Befehl des Volkes verfluchen wollte; sie sagte nämlich, sie sei Priesterin zum Beten, nicht zum Verfluchen.81 Oder trifft die Gefahr eines Meineids (ἐπιορκία) alle zusammen, wenn ein gottloser und meineidiger Mensch die Gelübde und die Opfer für das Wohl der Stadt ausführt? (Plut., qu.R. 44 [275CD]; Übersetzung: J. Scheid)
Hier werden in dichter Form interessante Zusammenhänge sichtbar, zu denen eine Reihe ähnliche Passagen des Autors zu vergleichen wären, etwa de sera 2 (549A) (ὤμοσε καὶ κατηράσατο). Natürlich glaubten auch Christen, dass die Selbstverfluchung im Falle des Meineides tatsächlich wirken werde (Eus., HE VI 9,4–8, ist dazu eine drastische Beispielgeschichte). Die ältere Frage, ob unsere Fluchtexte wie auch die Fluchpraxis eher „religiös“ oder eher magisch konnotiert sind, ist also, wenn wir dies alles zusammen nehmen, in gewisser Hinsicht sinnlos, und muss uns hier nicht weiter beschäftigen. Andererseits ist deutlich, dass das Thema einen gewichtigen Aspekt antiker Kultur im Umfeld des frühen Christentums darstellt und uns auch Einblicke in die psychomentale Verfasstheit antiker Menschen erlaubt. Die Fluchtafeln allein ermöglichen zwar keine quantitativen Aussagen, aber sie stimmen mit direkten literarischen Zeugnissen zusammen (deren freilich nur begrenzte Zahl wir schon thematisiert haben). Plinius der Ältere schreibt: Defigi quidem diris deprecationibus nemo non metuit – „Jedermann fürchtet, durch schreckliche Verwünschungen gebannt zu Hirzel 1966, 137–141; zustimmend Speyer 1969, 1168; Graf 1998, 573. Im biblischen Kontext ist man an die Bileam-Perikope erinnert. Dass Fluch sich in Segen verwandeln konnte, wussten auch griechische Sagen: Der Olympionike Oibotas von Dyme hatte als gespenstischer Heros jahrhundertelang durch seinen Fluch Siege der Achäer im olympischen Wettkampf verhindert. Schließlich wussten diese ihn zu versöhnen, indem sie ihre Kämpfer seine Statue vor dem sportlichen Wettkampf verehren ließen. Da wandelte sich die Niederlage zum Erfolg (Paus. VII 17,13 f.). Plutarch erzählt von einer durch eine Priesterin verweigerten öffentlichen Verfluchung (Alkibiades 22,5). 80 81
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werden“ (Plin., nat. XXVIII 19). John. G. Gager u. a. haben defigi speziell auf Fluchtafeln beziehen wollen.82 Das ist nicht sicher, aber der Tenor der Aussage ist unverändert, an welche konkrete Praxis auch gedacht sein mag. Plinius hat bekanntlich eine durchaus kritische Haltung allem gegenüber, was als superstitio verstanden werden kann, sammelt und notiert ihre Ausdrucksformen aber mit Hingabe.83 Galen (de simplicum medicamentorum 11 [Edition: K. G. Kühn, Bd. 12, S. 251]) mokiert sich über den Aberglauben derer, die neben anderen magischen Techniken auch Fluchtafeln beschreiben (καταδῆσαι τοὺς ἀντιδίκους): Auch er setzt die Praxis als allgemein voraus. Libanius, berühmter Redner des 4. Jh., wurde einmal Opfer eines neidischen Schadenzaubers mithilfe deponierter magischer Materialien in seinem Vorlesungsraum, wie er selbst berichtet (or. 1,249 f.; or. 36). Wir erkennen im Glauben oder Nicht-Glauben an diese Dinge keine wirklichen Unterschiede zwischen Bildungselite und Gesamtbevölkerung, und Skeptiker wie Plinius und Galen (vermutlich nur eine kleine Minderheit) bezeugen explizit die Allgemeinheit der Praxis und der mit ihr verbundenen Furcht vor magischer Verwünschung. Vermutlich ist die gelegentliche Verniedlichungsform „Fluchtäfelchen“ in unserer modernen Sekundärliteratur daher nicht wirklich angemessen und selbst eine Art Wissenschaftsexorzismus gegen das Thema. Auffällig ist, dass Defixionstexte nicht selten sozusagen in Corpus-Form tradiert sind, also zusammen sukzessive in größerer Zahl abgelegt wurden, wie in Mainz, im zyprischen Kurion oder im britischen Bath oder wie im Fall der im Brunnen der Anna Perenna in Rom84 gefundenen Texte. Im Fall der attischen Tafeln ist die Streuung etwas größer. Auch die 60 Blei-Defixiones aus Cäsarea Maritima (um 400), kleine Blei-Rollen v. a. in griechischer Sprache, wurden am Boden eines Brunnens entdeckt.85 In seiner Rede zum 30. Jahrestag des Machtantritts Konstantins verurteilt Eusebius von Cäsarea diese Praxis. Er nennt κατάδεσμοι als Formen verbotenen Heidentums und verbotener Magie.86 Ein schon länger publiziertes handwerklich schlichtes Graffito aus Cäsarea (frühestens 4. Jh.) wünscht einem Gemenistos κακὰ τὰ ἔτη, also böse Jahre.87 Diese Formel, die wir auch aus einigen Fluchtafeln kennen, wird noch bei Konstantin Porphyrogennetos (de caeremoniis 78 [Edition: A. Vogt, Bd. 2, S. 124]) erwähnt: τῶν δὲ μισούντων ἡμᾶς κακὰ τὰ ἔτη. 82 Gager
1992, 253. dazu Frenschkowski 2014a, 294 f. Die alltägliche Angst, Opfer eines Fluches zu werden, kennen wir schon aus Babylon, etwa aus dem keilschriftlichen „Gespräch zwischen Herr und Knecht“ 10 (ANET 437 f.). 84 Ausgabe: Blänsdorf 2010. 85 Vgl. zu den Defixionen aus Cäsarea, die noch nicht abschließend publiziert sind, CIIP II, Nr. 1679 f. (vorläufige Edition zweier längerer Texte); Mastrocinque 2019. Auffällig ist, dass sich die Flüche z. T. gegen ausgesprochen hochgestellte Personen richten (vgl. dazu die Kommentierung im CIIP II, Nr. 1680 [S. 565]). 86 Eus., de laude Constantini 13 (Edition: I. A. Heikel, S. 236). Eigentlich handelt es sich um zwei Reden (Kap. 11 beginnt eine zweite Rede). 87 Erstpublikation: Lehman/Holum 2000, Nr. 42. 83 Vgl.
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Viele Fragen stellen sich angesichts dieser Texte: Ist diese Magie, wenn wir es denn Magie nennen wollen, eine Art letzter Zuflucht, das, was man tut, wenn nichts anderes hilft? Tatsächlich gibt es dafür eine Reihe literarischer Indizien. Plutarch schreibt einmal, wobei die allgemeinere Praxis magischer Hilfsmittel im Blick ist: So wie ja Menschen mit chronischen Erkrankungen, die an den normalen Heilmitteln und Kuren verzweifeln, ihre Zuflucht suchen in Reinigungsriten und Amuletten (περίαπτα, das Wort stammt aus Plat., rep. IV 426B) und Traum(deutungen), so ist es auch bei dunklen und komplexen Fragestellungen, wenn die üblichen, etablierten und traditionellen Argumentationen versagen, nötig, ungewöhnliche Wege zu probieren und diese nicht zu verachten und uns buchstäblich dem Zauber der Altvorderen auszusetzen, und jedes Mittel zu nutzen, um der Wahrheit nahe zu kommen. (de facie in orbe lunae 1 (920B); Übersetzung in etwas freierer Form: M. F.)
Das ist nicht unkritisch gesagt, setzt aber – das ist der Punkt, um den es uns geht – den Amulettgebrauch wie kathartische und divinatorische Riten als allgemein üblich voraus, und zwar gerade dann, wenn nichts anderes hilft. Fühlen sich die Benutzer unserer Fluchtafeln mächtig oder gerade eher ohnmächtig? Die Frage ist vielleicht falsch gestellt, weil sie suggeriert, ihr Tun wäre exzeptionell. Tatsächlich zeigt die große Zahl antiker Fluch-Texte, dass wir hier ein Verhalten haben, das vielleicht dem Internet-Mobbing oder den Hasskommentaren in den sozialen Medien unserer Zeit vergleichbar ist: Man würde das Verhalten vielleicht nicht gerade öffentlich erzählen, aber es stellt sich doch offenbar sehr leicht und bei vielen Menschen ein. Ist die erstrebte Wirkung immer klar definiert? Welche soziale Funktion hat der Akt des Anfertigens, Kaufens oder Aufstellens selbst? Fluchtafeln ähneln in der Leichtigkeit ihrer Herstellung in manchem den aramäischen Zauberschalen, dem größten Corpus magischer Texte, das wir aus der Antike besitzen (angeblich um die 5000 Texte, von denen mittlerweile etwa 1000 publiziert sind). In Nippur (im sassanidischen Iraq) besaß am Ausgang der Antike vielleicht fast jedes Haus solche Schalen. Ihre Praxis war jedoch regional nie so weit verbreitet wie die der Fluchtafeln. Im Kontext dieser Beobachtungen stellen sich sofort zahlreiche weitere Fragen ein: Wie verhalten sich gesprochene Rede und die Verschriftlichungsformen zueinander? Warum werden bestimmte Formen des Schadenswunsches verschriftlicht und andere nicht? Auch in der griechischen Tradition besitzen wir ja Indizien, dass eine mündliche Praxis des „Bindens“ älter ist als die schriftlichen Fluchtafeln (Locus classicus ist der ὕμνος δέσμιος bei Aischyl., Eum. 306). Was fügen die Verschriftlichung oder das Ritual dem gesprochen Wort hinzu? Die Verwünschung gehört ja in beiden Fällen in ein weites Umfeld magisch-performativer Sprache, wie der Segen, der Eid, die Beschwörung, das Gelübde und in anderer Hinsicht der Böse Blick und grenzt an Gebet, Installations‑ und Eidformeln, Weihehandlungen, Seligpreisungen (Makarismen), Mantras, seltener Exorzismen u. a., außerdem an die magischen Sprachformen Zauberspruch, Beschwörung und Besprechung, vielleicht auch an das bei Katharismen gesprochene Formelrepertoire. Drei kon-
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stitutive Elemente sind vereint: der „Wunsch“, das „Aussprechen“ und das „Gegen jemand“; Schriftlichkeit ist eine zusätzliche Verstärkung. Im „Aussprechen“ können sich imperativische Elemente mit solchen der divinatorischen Ansage verbinden. Und natürlich eignet dem Thema auch in der Antike schon das Faszinans des ethnisch Fremden: Die Ataranten als Bewohner des Atlasgebirges (also ein Berberstamm) verfluchen die auf‑ und untergehende Sonne (die in ihrer Welt kein Freund des Lebens ist) mit gewaltigen Verwünschungen (Plin., nat. V 45; vgl. Solin. 31,2; Mart. Cap. VI 673; es hat freilich auch einen berberischen Sonnenkult gegeben, den Ibn Khaldūn [Kitāb al-ʿIbar VI p. 89] beschreibt).
8. Der Fluch als Machtwort im frühen Christentum Ist nun die Welt der Flüche im frühen Christentum gegenüber den schriftlichen Performanzformen direkter, wenn man so will, archaischer, vorliterarischer? David Aune hat einmal (im Blick war das ThWNT) sehr treffend gesagt, es bestehe unter den Neutestamentlern sozusagen eine Art Verschwörung, so zu tun, als gäbe es die antike Magie nicht. Die meisten „biblischen Theologen“ schrieben, „as if they were involved in a conspiracy to ignore or minimize the role of magic in the New Testament and early Christian literature.“88 Heute ist das weite Spektrum der Magie dagegen ein kulturwissenschaftliches Modethema, mit allen damit verbundenen Vor‑ und Nachteilen. Der Fluch im engeren Sinn stand dabei freilich im theologischen Diskurs immer im Schatten der Erforschung der Sprachform „Segen“.89 Über den Fluch im Neuen Testament können hier nur einige wenige Sätze stehen, die mehr den Charakter einer kurzen Erinnerung an die Sachverhalte haben, und keine monographische Darstellung ersetzen wollen (hier ergänzt um einige späteren Belege aus der Alten Kirche). Dabei ist die erste und tatsächlich vielleicht wichtigste Beobachtung, dass von Flüchen nicht selten die Rede ist, aber Fluchtafeln im Neuen Testament noch nicht erwähnt werden: Der Fluch ist vorerst und in der sozialen Welt früher Christinnen und Christen in erster Linie eine mündliche Form der performativen Rede. Das Simplex ἀρά ist nur einmal in einem Zitat belegt (Röm 3,14), öfter dafür das Kompositum κατάρα, das in der Koine seinen Platz einnimmt (Gal 3,10.13; Jak 3,10; Hebr 6,8; 2 Petr 2,14), dazu treten mehrere abgeleitete Adjektive (Joh 7,49; Gal 3,10.13) und das Verb καταράομαι „fluchen, verfluchen“ (Röm 12,14; Mk 11,21; Mt 25,41; Lk 6,28; Jak 3,9). Beherrschend für die Semantik ist in der biblisch-alttestamentlichen Tradition der Gegensatz zum Segen: Gegenbegriff zu καταρᾶσθαι ist in diesem Sinn im NT durchgängig εὐλογεῖν (Gal 3,13 f.; Röm 12,14; Lk 6,28; Jak 3,9 f.; Mt 25,34.41), wie dem Weheruf der Makarismus gegenübertritt. Aune 1980, 368. Die wohl vollständigste Untersuchung zum Segen im frühen Christentum (Heckel 2002) widmet dem Fluch nur ein kurzes vergleichendes Kapitel (191–236). Vgl. immerhin Brun 1932. Natürlich existieren zahlreiche Studien zu einzelnen Perikopen, z. B. Kent 2017. 88 89
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Grundlegend ist also die binäre Bezogenheit der Wortfelder und Sprachformen, die nicht aus der Profangräzität stammt. Das Nomen ἀνάθεμα (ursprünglich „Weihegeschenk“; die Form ἀνάθημα nur Lk 21,5) im Sinne von „Fluch“ (den es v. a. in der Septuaginta im Schatten von ḥerem annimmt) findet sich im NT nur bei Paulus (Gal 1,8 f.; 1 Kor 12,3; 1 Kor 16,22 und Röm 9,3) sowie einmal in der Apostelgeschichte (23,14). Wenn es von Petrus heißt: ἤρξατο ἀναθεματίζειν καὶ ὀμνύναι (Mk 14,71), so meint das „that Peter put himself under curses and took oaths in the course of his denial“.90 Das Verb ἀναθεματίζειν benutzt ohnehin erstmals die Septuaginta. Philon und Josephus meiden es,91 während es wie das Substantiv im Christentum dann eine erstaunliche Karriere erlebt (12 Belege der Wortfamilien allein im NT), meist in einer Bedeutung „bannen“. Es wird schon bei Paulus zum technischen Begriff der für den Apostel so wichtigen Sprachformen des sakralen und polemischen Fluches gegen konkurrierende Theologien (Gal 1,8 f.; 1 Kor 12,3; 16,22; Röm 9,3; vgl. auch 1 Kor 5,4 f.; 1 Tim 1,20). Wichtig ist, dass „Fluch, Schwur, Eid“ (im Gegensatz zu Segen) juristische oder sagen wir genauer sakralrechtliche Bezüge besitzen, die aus der öffentlichen in die familiäre und gemeindliche Sprache hineinreichen. Damit ist der Fluch vielfach gerade nicht eine affektiv-eskalierende, sondern eine sakrale Sprachform, eine Übereignung an die Gottheit.92 Das gilt offenbar in besonderer Weise auch für Jesu Form des Weherufs, bei dem das eschatologische Element hinzukommt; am deutlichsten werden wir an Jesu Weherufe gegen Städte denken müssen, die auch einen konkreten Fluchinhalt implizieren (Chorazin, Bethsaida, Kapernaum, während der Fall für Jerusalem etwas anders gelagert ist). Texte wie Gal 1,8 f. (ἀνάθεμα ἔστω, der Fluch über die Vertreter konkurrierender Theologien) zeigen, wie auch im Neuen Testament der sakrale Charakter des Fluches ungebrochen in die kirchliche Praxis hineinragen kann (rechtsgeschichtlich entfernt verwandt mit dem lateinischen sacer esto der leges regiae; frühester Beleg ist der Lapis niger auf dem Forum Romanum, der vielleicht noch aus der Königszeit stammt). Es ist sicher aussagekräftig, dass ein solcher Text gerade in der Diskussion mit den Galatern steht, in der die Polemik des Paulus jedes Maß und jede Zurückhaltung verliert. Der Widerspruch gegenüber seiner Theologie ist für ihn zugleich Abfall gegenüber Christus (Gal 3,1–5; 4,8–11; 5,4.7 f.), womit sich bereits eines der unheilvollsten Paradigmen der Theologie Vgl. BDAG (32000) 63. Dan 11,44 schreibt Ps.-Theodotion ἀναθεματίσαι statt des ἀποκτεῖναι der Septuaginta (vgl. 1 Makk 5,5, wo ebenfalls eine Bedeutung „zu Tode bringen“ anzusetzen ist). 92 Die Affekthaltigkeit des Fluches ist schwer einzuschätzen, und moderne Parallelen sind hier nicht beweiskräftig. In einer Welt mit vielen Formen ritualisierter Sprache könnte sie auch geringer gewesen sein als wir es vielleicht voraussetzen. In Hinsicht speziell auf die Bindeflüche ist öfter hervorgehoben worden, „dass man in diesen Flüchen selten, wenn überhaupt, eine emotionale, offensive oder gar von Rachsucht geprägte Sprache findet“ (Versnel 2009, 12). Problematisch und offenbar falsch sind aber Versnels Bemerkungen, der Bindezauber wolle keinen körperlichen Schaden zufügen (vgl. Versnel 2009, 12), wie überhaupt seine durchgehende Apologetik für das Textgenre sehr kurios berührt. 90 91
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geschichte ankündigt, die Dämonisierung des Andersdenkenden (2 Kor 11,13–15). 1 Kor 16,22 legt nahe, dass dies auch im Gottesdienst eine Rolle spielt. Freilich sind auch private Flüche im frühen Christentum nicht selten: Tertullian (de pudicita 19,24) beklagt, wie leicht der Fluch auch Christen über die Lippen kommt, wie die Notlüge oder ein versehentlicher Versprecher, und Ps.-Cyprian (de aleatoribus 9) beschwert sich über die Flüche, die auch christlichen Würfelspielern in den Gasthäusern rasch zur Hand seien. (Entsprechend sind noch die Bußstrafen der späteren [mittelalterlichen] Bußbücher für leichtfertige Flüche eher geringfügig.93) Wie leicht das von Statten ging, zeigen die apokryphen Thomasakten (als frühchristlicher Roman): Als ein Diener während einer Mahlzeit den Apostel schlägt, wünscht ihm dieser den Tod an den Hals (ActThom gr. 6 [Edition: AAAp, Bd. II/2, S. 108]). Augustinus konnte sich über die Szene entrüsten, die dem Apostel keine Ehre mache (contra Faustum manicheum XXII 79), auch sei die Geschichtlichkeit der Sache ja durchaus zweifelhaft (vgl. auch Aug., de sermone domini in monte I 65). In den vermutlich echten Scilitanischen Märtyrerakten (dem ältesten christlich-lateinischen Text, den wir besitzen) rühmt sich der Christ, er habe niemals jemanden verflucht: numquam malediximus, sed male accepi gratias egimus (ähnlich Acta Apollonii 37). Jesus hatte trotz seiner eigenen Fluchpraxis den Fluch als Redeform gegen Gegner verworfen (Lk 6,28; 9,54 f.; vgl. 1 Kor 4,12; Röm 12,14; Did 1,3), und natürlich erzählen viele Texte von Flüchen von Widersachern gegen die Anhänger Jesu (Lk 6,27 f. etc.). Die Wortgruppe „Schwur“ gehört auch im Christentum in ein semantisch benachbartes Feld (mit dem überaus auffälligen Schwurverbot). Dazu treten im weiteren semantischen Umfeld Lexeme für aggressive und anstößige Sprache (beschimpfen, lästern94 etc.), und natürlich enthält auch der Exorzismus Elemente der Bedrohung u. a., was hier nicht ausgeführt werden muss (Mk 1,25; Lk 4,35; 9,43 etc. vgl. Sach 3,2; Mk 4,39). Die Epistulae Clementis de virginitate, die wohl im dritten Jahrhundert ausführliche Anweisungen zum Exorzismus geben, warnen vor künstlichen Phrasen, aber auch vor Wortschwall und Drohungen gegen die Dämonen, die sich offenbar nahelegen (epistulae de virginitate I 12 [Edition: Patres apostolici ed. F. X. Funk, Bd. II, S. 11]). Sulpicius Severus weiß von Martin von Tours (offenbar im Unterschied zu anderen Exorzisten) zu rühmen, dass dieser die Besessenen nicht mit den Händen gepackt und angeschrien hätte (das wäre nämlich das „normale“ Verhalten des Exorzisten): Vielmehr hätte er neben den Besessenen auf dem Boden kniend für sie gebetet (dialogi III 6). (Das Thema ist im 4. Jh. nach wie vor von großer Bedeutung: Die Fähigkeit, wirksame Exorzismen durchzuführen, gehört zur grundlegenden Erwartungshaltung gegenüber dem Bischof.) 93 Speyer
1969, 1281. Vgl. dazu Frenschkowski 2012. Der Fluch kann auch eine apotropäische Funktion annehmen. Bei Philostrat (Ap. II 4) vertreibt Apollonius das Gespenst einer Empusa durch Flüche und Beleidigungen, wozu es weltweit zahlreiche Parallelen gibt. Man mag sich daran erinnern, dass „Gespenster“ in der frühchristlichen Literatur gar nicht selten erwähnt werden. 94
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Theologisch-metaphorische bzw. erweiterte Bedeutungen des „Fluches“ stehen im NT ganz im Schatten der jüdischen binären Opposition „Fluch“ – „Segen“ (z. B. Gal 3,10–14 vgl. 2 Kor 5,21). Ältere dinglich-leibliche Manifestation von „Segen“ und „Fluch“ kennt selbst der theologisch hochprofilierte Hebräerbrief (6,7 f.), und auch an Jesu Verfluchung des Feigenbaumes wird man denken (Mk 11,12–14.20 f.), vom Evangelisten in einer verschränkten Szenenfolge erzählt. Diese Episode will zwar mit einiger Sicherheit von Anfang an übertragene Bedeutungen evozieren, bringt den Fluch aber doch als Tat eines wundermächtigen Gottesmannes zur Sprache (vgl. die Fluch-Traditionen über Elia und Elisa). Überhaupt darf die „Dinglichkeit“, die Konkretion des Fluches nie unterschätzt werden (etwa wenn Dtn 27,13–26 ein Fluch auf einen Berg gelegt wird, der künftig sozusagen zum Garanten des Fluches wird). Gerade in der bäuerlich-landwirtschaftlichen Welt liegen, woran man sich für das weitere Umfeld erinnern sollte, Flüche nicht fern (ein kurioses antikes Beispiel wäre Palladius [agric. IV 9,14], wonach man bei der Aussaat der Raute fluchen müsse95), und das tradierte palästinische Lied‑ und Erzählgut kennt bis zur Gegenwart eine reiche mündliche Fluchkultur, die in vieler Hinsicht das inszeniert, was in den eher schriftkundigen städtischen Gesellschaften durch Fluchtafeln evoziert worden sein mag. Beim öffentlichen Ausrufen von Verlorenem (oder Gestohlenem) z. B. wird der Hehler oder Dieb gestohlener Güter (meist Tiere) verflucht: Allah möge ihm seine Tiere und Kinder umbringen.96 Diese Hintergründe müssen immer mitbedacht werden. In das Umfeld gehören auch Episoden, in denen das Wortfeld nicht direkt zur Anwendung kommt (Apg 5,1–11) oder ritualisiert wird, z. B. der Gerichtsgestus „den Staub von den Füßen schütteln“ (Mt 10,14 etc.) in den Städten, die die ReichGottes-Botschaft nicht aufnehmen, eine elementare Fluchgeste. Lk 9,54 f. wird es den Zebedaiden verwehrt, mit ihrem Fluch „Feuer vom Himmel“ über ungläubige Städte herabzurufen: Man sieht immerhin, wie nahe ein solcher Gedanke in den Gewaltfantasien auch von Jesusjüngern liegen konnte. In den Fluchzusammenhang führt auch der alte Eliminationsritus der Steinigung, den das NT ja öfter erwähnt (z. B. Joh 7,53–8,11).97 Auch Mt 25,41 steht in der Tradition einer eschatologischen Weiterführung der Fluch-Segen-Dichotomie (Dtn 30,16.19; Dtn 33,1 f.). Auf das Überlegenheitspathos der schriftgelehrten Bildungselite spielt Joh 7,49 an: auch das in Aufnahme volkstümlicher Paradigmen, die hier nur eben in das Wertgefüge der Elite übertragen werden. Die „Kinder des Fluches“ (2 Petr 2,14) setzen solche Übertragungen bereits voraus. Menschen verfluchen und werden verflucht in Röm 3,14 („Fluch“ hier parallel zu „Bitterkeit“); 12,14; Lk 6,28 und Jak 3,9 f. (wo εὐλογία und κατάρα die Gegensätze sind). Interessant ist der Bezug zu ἰός, „Gift“ in Röm 3,13 und Jak 3,8: 95 Dazu sind Parallelen tatsächlich nicht selten, auch für andere Pflanzen, z. B. Theophr., h. plant. VII 3,3 und Plin., nat. XIX 120 vom Kümmel etc. 96 Dalman 1901, 54 f.; vgl. Canaan 1935. 97 Vgl. Speyer 1969, 1185 f.
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ist der Fluch also eine Art verbales Gift? Das 1 Kor 5,1–5 anvisierte Disziplinarverfahren hat ohne Frage Züge einer öffentlichen Verfluchung (s. o.).98 1 Kor 12,3 weist wohl auf pagane Einstellungen zurück, obwohl auch andere Deutungen eine gewisse Plausibilität besitzen. Der Fluch ist zwar eine Form des aggressiven Handelns und kann dann dem Verdikt unterliegen (Röm 3,14–18; vgl. Röm 12,14; Lk 6,28; Jak 3,9). In der sakralen Form des Anathemas interagiert er jedoch mit dem Gericht Gottes, das er nicht nur beschwört, sondern in gewisser Weise auch herbeiführt. In Hinsicht auf Apg 5 war dabei schon in der Alten Kirche umstritten, ob es hier wirklich um einen Fluch geht. Für pagane Leser wie Porphyrios war es evident, dass Petrus hier mit seinem wirkmächtigen Fluch zwei Menschen zu Tode gebracht hat. Hieronymus widerspricht dieser Deutung: Petrus nequaquam imprecatur eis mortem, ut stultus philosophus calumniatur (epist. 130,14 bzw. Porph., contra Christianos Fragment 25 Harnack = 95D Becker99). Eine Anspielung auf die Stelle ist auch bei Makarius Magnes (Apocriticos III 21,1 f.) erhalten, vielleicht ebenfalls nach Porphyrios. Das ist auffällig, insofern Hieronymus selbst andernorts formulieren kann: Petri severitas Ananiam et Sapphiram trucidantis (epist. 109,3). Trucidare heißt (neben einigen ganz anderen Bedeutungen) „niederhauen, abschlachten, niedermetzeln“: Petrus ist das Subjekt dieser Tat. Die gegenüber seinen Gegnern herablassend-beleidigende Wortwahl über Porphyrios ist gerade für Hieronymus charakteristisch, der selten eine Gelegenheit zur Beleidigung eines Gegners ungenutzt lässt. Aber auch Clemens Alexandrinus sieht Petrus als den aktiven, des Wortes mächtigen Mann, der das Ehepaar mit seinem magischen Wort getötet habe (Clem. Al., strom. I 23,154,1). Clemens vergleicht (Eupolemos referierend) mit Mose, der den Ägypter mit seinem magischen Wort getötet habe (das sei eine Aussage der „Mysten“, der Eingeweihten), und schließt sofort die bekannte Episode aus Artapanos an, Mose habe den Pharao durch das Aussprechen des Gottesnamens ohnmächtig werden lassen, dann aber wiederbelebt (strom. I 23,143,3).100 Hier berühren sich zwei Motive: die Mächtigkeit des fluchenden Gottesmannes und die Wirkung des ausgesprochenen Tetragramms (falls nicht sogar an einen verborgenen, „wahren“ Gottesnamen gedacht ist). Im Falle des Petrus sagt der biblische Text nicht direkt, dass es der Fluch des Apostels ist, der das Ehepaar zu Tode bringt, aber offenbar haben Christen wie Nichtchristen die Episode fast selbstverständlich so verstanden, und es erscheint plausibel, dass der Autor eine solche Deutung zumindest umspielen will. Robert Eisler hat die interessante 98 Heckel 2002, 245 f., scheint mir den Text zu verharmlosen. Eine Beziehung zu Verfluchungstafeln, die Preisendanz 1972, 24 f., erwägt, ist aber nicht einzusehen. 99 Statt philosophus lesen die älteren Ausgaben direkt Porphyrius. Zum textkritischen Problem vgl. Becker 2016, 490. Trotz Beckers Bedenken ist m. E. bei Hieronymus sicher Porphyrios gemeint, ob der Name nun ursprünglich im Text stand oder nicht. 100 Geschichten von Zauberern, die mit einem magischen Wort töten, sind in der spätantiken christlichen Literatur durchaus beliebt. Vgl. Speyer 1969, 1251 f. Ein (nichtchristlicher) Grenzfall ist Apuleius (met. II 29,3). Hier droht ein Prophet einem wiederbelebten Toten (!) eine Verfluchung an, die aus Folterungen durch die Furien bestehen werde, falls er nicht auskunftswillig sei.
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Theorie vertreten, dass es an unserer Stelle ursprünglich nicht um eine Lüge geht (deren Bestrafung in der Tat unverständlich hart wäre), sondern um einen Raub am Sakraleigentum Gottes. Dieser wäre ja ein schwerwiegender Frevel, wie zahlreiche antike Tempelraubgeschichten deutlich machen. Davon könnte aber nur die Rede sein, wenn die Gemeinde einen sakralen Anspruch auf den Grundbesitz für ihren Gott erhebt. „Von einer Unterschlagung (νοσφίζεσθαι) kann nur dann die Rede sein, wenn der Einzelne der Gemeinde sein Eigentum pflichtgemäß schuldet“101, und das ist so selbstverständlich nicht, und sicher nicht die Auffassung des Lukas. Dass von einer „magisch gewirkten“ Tötung die Rede ist, ist auch für Eisler selbstverständlich. Das ist eine interessante These, die aber nicht wirklich beweisbar ist. In der Tat beschreibt das Verb νοσφίζεσθαι (von νόσφι, „getrennt, abseits“) oft juristisch schwerwiegende Unterschlagungsvorgänge, auf die vielfach eine Todesstrafe stehen kann.102 Diodorus Siculus (V 34,3) z. B. verwendet das (eher seltene) Verb für das Zurückhalten von zum gemeinsamen Besitz erklärtem Saatgut, worauf keltische Stämme die Todesstrafe verhängen. Die novellistische Übermalung der Episode der Apostelgeschichte erlaubt es jedoch kaum, soweit an das (eventuelle) reale Geschehen heranzukommen, dass eine Antwort darauf möglich wäre, ob das Thema „Lüge“ eingetragen wurde, um die Verpflichtung zur Besitzabgabe zu verharmlosen. Für unsere Frage reicht es aber aus, wie sich die Geschichte für Außenstehende darstellen mochte, und dazu ist Porphyrios ein exzellenter Zeuge. Petrus besitzt die „Fluchmacht“ (wie jeder jüdische Zaddik), und diese ist eine überaus gefährliche Gabe. Dabei begegnen uns Flüche in antiken christlichen Texten selten im genauen Wortlaut, sondern eher in Gestalt von Narrationen. Das setzt sich in der theologischen Literatur der Alten Kirche fort. Theodoret von Kyrrhus erzählt in seiner Historia religiosa gleich zu Beginn (1) vom Fluch des Eremiten Jakobus über einige nach seiner Auffassung schamlose Mädchen, deren Wasserquelle (die sie zum Waschen verwenden) er versiegen und deren Haare er ergrauen lässt. Auf die Bitte der Dorfbewohner lässt er die Quelle wieder sprudeln, aber den wenig reumütigen Mädchen belässt er die vorzeitige Alterung, damit sie „Wohlanständigkeit“ erlernen. Der besonderen Güte des Heiligen wird es angerechnet, dass er die Jugendlichen nicht von wilden Bären hat zerreißen lassen, wie es sein alttestamentliches Vorbild getan hatte (2 Kön 2,23 f.). Enger bei den Fluchtafeln bewegt sich die bekannte Erzählung bei Hieronymus (vita Hilarionis 21) von einem jungen Mann, der bei einem professionellen Zauberer in Memphis, Ägypten, das Anfertigen von magischen Tafeln erlernt, die er unter der Türschwelle der begehrten Frau vergräbt (der Heilige vereitelt seinen Erfolg natürlich).
101 Eisler 102 Vgl.
1929/1930, II 695 Anm. 3. Bauer /Danker 2000, 679.
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Gerade von den Heiligen der Alten Kirche wird immer wieder erzählt, wie sie die Fluch‑ und Strafwunder Jesu und der Apostel erfolgreich nachgeahmt, ja übertroffen hätten: So verfluchen sie die vom Volk rituell verehrte Bäume (Ps.-Audoin, Vita Eligii episcopi Noviomagensis II 22 [MGH.SRM IV 713 f.]; Vita des Sisinnius et Sisinnidorus [BHG III Nr. 2401, S. 69]). Theodor von Mopsuestia lehnte das Hiobbuch freilich wegen der vielen darin ausgesprochenen Flüche als heilige Schrift ab103. Im Christentum erwacht auch die uralte Furcht wieder, der Fluch könne auf die Fluchenden zurückfallen (für die wir kaum pagane Belege haben): omnis enim, qui inaniter alicui maledicit, sibi ipsi maledicit (Didascalia III 11,2 [Edition: F. X. Funk, S. 206]; vgl. ConstAp III 15,1 f. und Augustins Brieffragment an Classicianus [PL 33, 1067 f.]); auch hier also ein archaisierender Zug, wie wir es ja schon öfter beobachtet haben. Während die Idee erzürnter Numina gebildeten Griechen und Römern allmählich eher lächerlich erschien104, ist sie volkstümlich nie verschwunden (vgl. etwa Tac., ann. XIII 17,2), und erfährt im Christentum eine religiöse Aufwertung und Rehabilitation (wofür Röm 1 als Hinweis genügen mag). Manchmal sind Segen und apotropäischer Fluch kaum zu unterscheiden, etwa wenn Aphraates, der erste große Theologe der syrischen Kirche, anlässlich einer Heuschreckenplage das Land eines Bauern mit Weihwasser besprengt, und die Heuschrecken die Grenzen dieses geweihten Ackers nun nicht mehr betreten können (Theod., historia religiosa 8).
9. Der Elternfluch über Kinder als ein Kontaktpunkt antiker Fluchmotive mit der europäischen Erzähltradition Augustinus erzählt in einem ausführlichen Bericht in De civitate dei (civ. XXII 8,23; ähnlich serm. 320–324), wie die Verwünschung durch eine Mutter in Cäsarea in Kappadozien zu einer Schüttellähmung ihrer Kinder führt, die dann durch die Reliquien des Stephanus geheilt wird. Wir zitieren etwas ausführlicher aus der Fassung im Buch über den Gottesstaat: Ein einziges Wunder hat sich bei uns zugetragen, das, obwohl nicht größer als die erwähnten, doch so bekannt und offenbar geworden ist, daß ich glaube, es gibt niemand in Hippo, der es nicht gesehen oder davon erfahren hätte, niemand, der es irgend vergessen haben könnte. Zehn Geschwister aus Cäsarea in Kappadozien, sieben Brüder und drei Schwestern, in ihrer Heimat Leute von Ansehen, wurden auf den Fluch ihrer kurz vorher verwitweten Mutter hin, die sehr erbittert war über eine Unbill, die sie ihr zugefügt hatten, von Gott mit der Strafe gezüchtigt, daß sie sämtlich von einem fürchterlichen Gliederzittern befallen wurden. In solch widerlichem Zustand wollten sie sich nicht länger dem Anblick ihrer Mitbürger aussetzen: sie zerstreuten sich nach allen Himmelsrichtungen, dahin und dorthin, und kamen fast im ganzen römischen Reich herum. Zwei davon ge103 Dazu 104 Das
Speyer 1969, 1283. bemerkt ganz richtig Speyer 1969, 1180.
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langten auch zu uns, ein Bruder und eine Schwester, Paulus und Palladia, nachdem sie infolge ihres jammervollen Zustandes an vielen anderen Orten schon bekannt geworden waren. Es war etwa vierzehn Tage vor Ostern, als sie ankamen, und sie besuchten täglich die Kirche und die Gedächtnisstätte des glorreichen Stephanus in ihr und beteten, daß Gott ihnen nun wieder gnädig sein und die frühere Gesundheit zurückgeben möge. Auch hier und überhaupt, wo sie gingen und standen, lenkten sie die Blicke der Stadt auf sich. Manche hatten sie schon andernorts gesehen und die Ursache ihres Zitterns erfahren, und diese beeilten sich, nach Möglichkeit anderen davon Mitteilung zu machen. So kam Ostern heran. Da, am Ostersonntag früh, als schon viel Volk anwesend war und der junge Mann die Schranken der heiligen Stätte, an der sich die Reliquie befand, betend festhielt, sank er plötzlich um und lag da gerade wie im Schlaf, jedoch nicht zitternd, während sie sonst auch im Schlafe zitterten. Die Anwesenden waren höchst überrascht, die einen entsetzten sich, andere hatten Mitleid; schon wollten ihn einige aufrichten, aber andere wieder verwehrten es und meinten, man solle lieber das Weitere abwarten. Und siehe, er stand selbst auf und zitterte nicht mehr, weil er geheilt war; gesund stand er da und schaute die Leute an, und diese schauten ihn an. Wer hätte sich da zurückhalten können vom Preise Gottes? Bis in die letzten Winkel der Kirche pflanzten sich die Freudenrufe und die Beglückwünschungen fort. Nun eilt man zu mir an den Platz, wo ich saß, eben im Begriffe, in die Kirche einzuziehen. Einer nach dem anderen drängt sich herein, jeder meldet als etwas Neues, was andere schon vorher gesagt haben; und während ich in der Freude meines Herzens Gott im stillen danke, kommt Paulus selbst, begleitet von einer größeren Schar, wirft sich mir zu Füßen, und ich richte ihn auf, ihn zu küssen. Darauf begeben wir uns zum Volk, die ganze Kirche war gesteckt voll, und sie widerhallte von Freudenrufen: Gott sei Dank! Gott sei Lob! Von allen Seiten ertönten die Rufe, und keiner war da, der sich nicht beteiligt hätte. Ich begrüßte das Volk, und neuerdings erschallten noch lauter die Rufe. Endlich trat Stille ein, die Festabschnitte aus der Heiligen Schrift wurden verlesen. Als es dann so weit war, daß ich meine Predigt einlegen sollte, machte ich es kurz, anknüpfend an den Festtag und den Freudenjubel. Ich wollte die Anwesenden mehr sozusagen Gottes Beredsamkeit an dem Werke Gottes nicht so sehr vernehmen als vielmehr betrachten lassen. Der junge Mann speiste dann bei uns und erzählte uns genau seine ganze Leidensgeschichte und die seiner Geschwister und seiner Mutter. Am folgenden Tag nach der Predigt kündigte ich an, daß die Aufzeichnung der Erzählung nächsten Tags dem Volke verlesen werden solle. Als dies am dritten Osterfeiertag geschah, hieß ich die beiden Geschwister während der Verlesung auf die Stufen der Chornische stehen, in der ich von erhöhtem Platze aus sprach. Das ganze Volk beiderlei Geschlechtes sah sie stehen, den einen ohne die entstellende Bewegung, die andere an allen Gliedern zitternd. Und wer nicht mit eigenen Augen beobachtet hatte, was an Paulus durch Gottes Erbarmen geschehen war, der konnte es an Palladia wahrnehmen. Man sah ja, wozu man den einen zu beglückwünschen, worum man für die andere zu beten hatte. Unterdessen war die Verlesung der Aufzeichnung beendet, ich hieß die beiden sich vor dem Volke zurückziehen und hatte eben angefangen, über den ganzen Vorfall etwas eingehender zu sprechen, als sich plötzlich während meiner Rede andere Stimmen erneuter Beglückwünschung von der Gedächtnisstätte des Märtyrers her vernehmen ließen. Dahin wandten sich nun meine Zuhörer, und es bildete sich ein Auflauf. Palladia hatte sich nämlich von den Stufen weg, auf denen sie gestanden, zu dem heiligen Märtyrer begeben, um dort zu beten; aber so wie sie die Schranken berührte, sank sie ebenfalls in einen Scheinschlaf und erhob sich dann gesund. Während wir uns also erkundigten, was geschehen sei, woher der freudige Lärm komme, traten sie mit ihr in die Basilika ein, in der wir uns befanden, und führten sie von der Gedächtnisstätte des
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Märtyrers gesund herbei. Nun aber erhob sich von Seiten beider Geschlechter ein solcher Sturm von Verwunderungsrufen, mit denen sich bald auch Tränen mischten, daß man an kein Ende glauben mochte. Man führte sie bis an die Stelle, wo sie kurz vorher zitternd gestanden hatte. Man jubelte, daß sie nun dem Bruder ähnlich geworden, wie man vorher bedauert hatte, daß sie ihm unähnlich geblieben war; man überzeugte sich, daß die noch nicht verrichteten Gebete für sie, vielmehr der nur erst vorhandene Wille dazu so schnell erhört worden sei. Man jubelte zum Lobe Gottes nur mit der Stimme, ohne Worte, aber mit einer Macht, daß es unsere Ohren kaum aushalten konnten. Der Glaube, für den das Blut des heiligen Stephanus geflossen ist, der Glaube an Christus war es, der ihre Herzen so aufjubeln ließ. (Übersetzung: A. Schröder, etwas modernisiert, M. F.)105
Soweit also Augustinus über die bösen Folgen, die der Fluch einer Mutter haben kann. Interessant ist, dass er die Idee abwehrt, der Fluch sei sozusagen selbstwirksam und könne nicht zurückgenommen werden (wie der Segen: Gen 27,33.36 f.). Deshalb ist er eventuell auch gefährlich für den, der ihn ausspricht (Plut., Crassus 16,6). Gott handelt auf den Fluch der Mutter hin, der also eine Art Beschwörung gewesen ist („Gebet“ wird man kaum sagen dürfen). Irgendgeartete Konflikte mit seinem Gottesbild werden für Augustinus nicht sichtbar, was vielleicht doch überrascht. Wir sehen hier jedenfalls, wie der Glaube an die Wirkmacht des Fluches fast ungebrochen in der christlichen Bevölkerung weiterwirkt. Wir blicken damit noch einmal auf ein spezielles Motiv, eine Variante des Fluches, das dicht an der familiären Lebenswelt angesiedelt ist, wenn es auch uns heutigen primär aus der Welt der volkstümlichen Erzählung vertraut ist. Doch wird seine Bedeutung für die Antike rasch sichtbar werden. Auffällig oft werden ja noch im europäischen Märchen Kinder verwünscht.106 Hauptsächlich in diesem Kontext liefert das Märchen konkrete Verwünschungsformeln (Grimm, Kinder‑ und Hausmärchen, Nr. 25: „ich wollte, daß die Jungen alle zu Raben würden“). Doch sind schon in antiken Literaturen tatsächliche Verwünschungen von Kindern durch ihre Eltern vielfach belegt.107 Pelops verflucht seine Kinder (Hellanikos FGH 4 F 157). Im griechischen Mythos wünscht Althaia ihrem Sohn Meleager (Hom., Il. IX 529–572), Theseus seinem Sohn Hippolytos den Tod, während Amyntor seinen Sohn Phoinix mit Ehelosigkeit und Unfruchtbarkeit belegt (Hom., Il. IX 448–457; allgemeiner Plat., leg. XI 931E). Auch Götter können ihre Kinder verfluchen (Fluch des Kronos gegen Zeus: Aischyl., Prom. 909–911). Telemachos fürchtet den möglichen Fluch der Mutter (Hom., Od. II 135 f.). Das Erzählungscluster um Ödipus wandelt das Motiv in verschiedener Weise ab. Im jüdischen Kontext ist es selbstverständlich, dass der Fluch des Frommen auch den Kindern des Gottlosen wünscht, sie möchten zu Bettlern und Waisen werden, die in den Zur späteren Rezeption dieses Berichtes vgl. Speyer 1969, 1252 f. 1992, I 228.231.430; II 344.561; III 534. Das internationale Motivinventar (Thompson 1955–1958) verortet die Belege unter Motiv M441.1 „Curse by parent“ (wozu dann die Einzelindizes zu den verschiedenen Erzählkulturen zu vergleichen sind). 107 Weitere Beispiele bei Graf 2005, 253 f. 105
106 Vgl. etwa Bolte/Polívka
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Trümmern ihres Elternhauses herumirren müssen (Ps 109 [108],9 f.). Sir 3,9.(11) kennt den Fluch der Mutter als besonders gefürchteten Schrecken, der auch den Segen des Vaters unwirksam machen kann. Stobaeus zitiert in seiner berühmten Anthologie (der wir so viele hermetische und dramatische Texte verdanken) ein (wohl pseudepigraphes) Fragment eines Pythagoreers Pempelos aus dessen Schrift περὶ γονέων (Wachsmuth-Hense IV 638–640 = Thesleff Fragment 142): Die ergrauten Eltern seien für den Menschen heiliger als die Götterbilder. Sie beten für ihre Kinder, wenn diese sich um sie kümmerten, aber ihre Flüche seien andernfalls als etwas Fürchterliches zu scheuen. Das Alte Testament kennt v. a. umgekehrt den Fluch gegen die Eltern, der als todeswürdiges Vergehen gilt (Gen 27,29; Ex 21,17). Vom berühmten Fluch des Theseus gegen seinen Sohn Hippolytos weiß noch der christliche Neuplatoniker Aeneas von Gaza in seinem Dialog Theophrastus (60,21–23 Colonna). Oft drohen Eltern auch einfach mit ihrem Fluch, so Klytemnaestra dem Orestes (Aischyl., Choeph. 912.924.1054) oder Herakles dem Hyllos (Soph., Trach. 1238–1240). Selbst Seneca (epist. 60,1) weiß von der hohen Frequenz elterlicher Flüche, die sich auf Kinder richten und die im allgemeinen auch in Erfüllung gingen (der Philosoph lenkt dann zu einer Diskussion „unpassender“ Gebete über; den schadenwirkenden Fluch hält er grundsätzlich für ethisch fragwürdig, Sen., benef. VI 35,4 f.). Wie verbreitet das Thema auch in der Spätantike war, lässt sich z. B. aus den westkleinasiatischen Beichtinschriften ablesen, in denen ein Fluch durch die Eltern oft Gegenstand ritueller Bewältigungsversuche ist. BIWK Nr. 17 versucht ein Apollonius, seine Verfluchung durch seine Mutter (ἡ μήτηρ ἐπικατηράσετο) nach zweimaliger Befragung der Gottheit durch Geldgaben an den Tempel unwirksam zu machen (offenbar ist die Mutter bereits verstorben). Die genannten Geldsummen (100 und 50 Denare) sind überschaubar, aber doch auch nicht nur symbolisch. BIWK Nr. 20 (aus dem 3. Jh.), ist es eine Frau namens Iulia selbst, die ihr Ziehkind Onesime verflucht hatte und die daher jetzt die Verärgerung der Götter zu spüren bekommt. Das aber macht ihr wiederum Angst. Es gelingt ihr, diese gnädig zu stimmen; ob durch förmliche Aufhebung des Fluches, wird nicht gesagt. Eine auf das Jahr 124/125 n. Chr. (oder nach anderer Lesung 224/225 n. Chr.) datierbare Inschrift aus Hamidiye in der Westtürkei berichtet von einer Theodote, deren Zögling Glykon sie schlägt, worauf sie ihn verflucht (ἐπηράσατο). Nach ihrem Tod muss ihr Enkel diesen Fluch gegen Glykon unwirksam machen, in welchem Kontext die Inschrift aufgestellt wurde. Offenbar war ebenfalls eine Geldgabe an den Tempel vorangegangen. Hieronymus (epist. 112,13) behauptet, die Sektengründer Cerinthus und Ebion seien von ihren jüdischen Eltern verflucht worden; nicht völlig klar ist, ob dies in ihrer Kindheit geschehen sein soll (so dass der Fluch ihr Leben geprägt habe) oder aber eine Reaktion der Eltern auf ihre (nach Hieronymus natürlich nur scheinbare) Christwerdung gewesen sei. Christen und Heiden unterscheiden sich jedenfalls nicht im Glauben an die Bedeutung des Fluches im familiären Umfeld. Ein lateinisches Gesetz des Servius Tullius stellt Kinder unter den Fluch
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des Staates, welche ihre Eltern misshandeln.108 Der Staat übernimmt also hier den elterlichen Fluch in eigene Regie. Das Motivfeld lebt in großer Dichte in der europäischen Erzähltradition, in Sage, Legende und Märchen, später in der Novellistik fort. Dazu müssen hier einige Andeutungen genügen, die zwar aus der Antike herausführen, uns aber doch die Bedeutung speziell dieser Form des „familiären Fluches“ erkennen lassen, als ein Beispiel für die „Nähe“ des Themas.109 Cäsarius, dialogus miraculorum V 12 wünscht ein Vater seinen Sohn zum Teufel, der sofort verschwindet und nie wiedergesehen wird. Cäsarius, dialogus miraculorum V 26 wird eine Tochter verflucht, die gegen das Verbot des Vaters einen Rest Milch trinkt, sie möge dabei doch den Teufel herunterschlucken: Sie ist sofort besessen und kann nur durch eine Pilgerreise nach Rom geheilt werden. In der Sage ist die Verfluchung der Kinder oft „unüberlegt“110, und Reue folgt ihr rasch nach. Mentalitätsgeschichtlich kann das Motiv der Kinder-Verwünschung eine narrative Ventilfunktion einnehmen: Die Volkserzählung lebt aus, was Eltern sich üblicherweise versagen: „Sie war eine halsstarrige Tochter und wurde vorzeiten von ihrer guten Mutter im Zorn dahin verwünscht“ (Grimm, Deutsche Sagen, Nr. 227). Wie der Segen kann die Verwünschung nicht zurückgenommen werden (Grimm, Kinder‑ und Hausmärchen, Nr. 25 „Die sieben Raben“) und ist daher oft mit Reue verbunden. Auch Mann und Frau können sich gegenseitig verwünschen. Die „beglückende Sicherheit“ (Max Lüthi), die vom Märchen ausgeht, beruht nicht unwesentlich auf der verlässlichen Zuordnung von Verwünschung und Erlösung. Diese aber ist der Antike noch fremd: Erlösungsglaube und Verwünschungsmotiv haben sich noch nicht einander stabil zugeordnet, wie es wohl während des europäischen Mittelalters in den Vorformen dessen geschah, was später das europäische Volksmärchen werden sollte. Wie groß der Anteil des Christentums an diesen Motiventwicklungen ist, bleibt vorerst unbekannt (das Thema hängt mit der sehr schwierigen Frage nach der frühen Geschichte des europäischen Volksmärchens zusammen).111 Wir wollen hier nur auf die besondere Bedeutung des „elterlichen Fluches“ als eines Bausteins der populären Vorstellungswelt um den Fluch hinweisen, der kaum Parallelen in den Fluchtafeln hat. Mündlicher Fluch und Fluchtafeln sind in ihrer Ideenwelt insofern nicht identisch, nur aneinander angrenzend. Die schriftlichen Texte sind nicht einfach nur Variationen der mündlichen Fluch-Traditionen, sondern stellen eine Weiterentwicklung dar, nicht zuletzt mittels einer zunehmenden Integration von Elementen des Zauberspruchs und der eigentlichen („magischen“) Zaubertradition. Graf 2005, 254 f. Weiteres mit den Belegen, die hier aus Platzgründen nicht gegeben werden können, in Frenschkowski 2014b; dort auch weiterführende Literaturangaben. 110 So explizit z. B. Baader 1851, 230 Nr. 239: „Kind vom Teufel geholt“ (vgl. ATU 400 bzw. Mot. S240). 111 Darauf hoffe ich andernorts ausführlich einzugehen. 108 109
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Wir werden im Märchenzug „Verwünschung der Kinder“ die Konservierung einer altertümlichen Verhaltensweise sehen müssen, die vielleicht als wortmagische Aufhebung familiärer Bande vor die Nutzung anderer gesellschaftlicher Restriktionen zurückreichen könnte (Verwünschung der Kinder geschieht dann schon in einem familiären, vorstaatlichen Raum). Von der schottischen Prinzessin Edith (Mathilde), der späteren Gemahlin Heinrichs I., wird erzählt, als sie gegen ihren Willen verheiratet wurde, habe sie ihre potentiellen Kinder verwünscht: Fructum ventris mei diabolum commendo.112 Zum Zustand des Verwünschtseins gehört in diesen Traditionen oft ein Element der Isolation an einem besonderen Ort. Mythologische Vorbilder hierzu sind etwa Endymion, der durch Selenes Zauber in einer Höhle in Latmos schläft113, oder – in vorübergehendem Zauberschlaf – Epimenides, der 57 Jahre in einer Höhle schläft (Plin., nat. VII 175). Doch fehlt diesen antiken Erzählungen noch das Märchenschema Verwünschung – Erlösung, das zwar in antiken Erzählungen wie „Amor und Psyche“ bereits vorliegt, aber wohl erst unter christlichem Einfluss durchgehend zum wesentlichen und konstituierenden Strukturelement des europäischen Märchens wird.
10. Schlusswort Wir kommen zu einem sehr kurzen Schluss. Die voranstehenden Bemerkungen an dieser Stelle können ja nur ein Auftakt des Themenfeldes sein, wollen jedoch immerhin als Plädoyer verstanden werden, die Formenwelt der Fluchtafeln in ihren Eigenheiten, aber auch im weiteren Feld der ritualisierten und fixierten „Machtworte“ wahrzunehmen (zu denen auch der Segen gehört), und darüber hinaus das narrative Umfeld der volkstümlichen Geschichte und Legende nicht zu übersehen, das diese Dinge vielfach illustriert. Fluch und Fluchtafeln sind als Formen aggressiver Kontingenzbewältigung ein Aspekt nicht nur antiker religiöser Lebenswelten. Sie sind nicht einfach verschiedene Formen der gleichen Sache: Die Unterschiede zwischen den Welten der Fluchtafeln und den weiteren des Fluches sind beträchtlich.114 Aber sie erwachsen aus ähnlichen psychomentalen Dynamiken. Sprache ist in allen antiken Religionen auch in diesen Fällen niemals nur „Bedeutung“, die auf etwas weist: Sie ist selbst Tat und Wirkmacht.
Gray 1836, 236 f. Vgl. Scheer 1997. 114 Das betont auch Graf 2005, 264. 112 113
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British Curse Tablets and Their Implicationsfor the Study of the New Testament and Early Christianity Paul Foster
1. Introduction Curse tablets or defixiones were a widespread socio-religious phenomenon found throughout the Greco-Roman world. Surviving artefacts have been found that provide evidence for the use of these curse tablets from at least the fifth century b.c.e. till as late as the sixth century c.e.1 The extant remains comprise a corpus of more than 1500 tablets written primarily in Greek or Latin.2 While the text of the curse could be written on a variety of different media including ostraca, limestone, gemstones, papyrus, wax and ceramic bowls, “lead, lead alloys, and other metals remained the primary media.”3 Together, the volume of tablets, the geographical spread of discoveries, and the longevity of their use amply illustrate the wide appeal of this form of seeking divine recompense against those who were considered to have wronged the plaintiff. The inscribed messages or petitions on the metal tablets are both formulaic in several aspects, but also significantly personalised depending on the nature of the wrong that the petitioner felt he or she had experienced. There appears to have been an evolution in the style of invocation inscribed on the tablets. The earlier examples, written in Greek, dating from the classical or Hellenistic periods tend to be written in a direct manner with few formulaic expressions. By contrast, later examples from the Roman period, typically written in Latin from the first century onward may employ more formulaic expressions and magical words, or onomatopoeic vocalisations. The use of such formulae and magical words perhaps suggest that these tablets were produced to order by scribes trained in the artisan skills required to produce such items. Such a combination of professional roles has been suggested in relation to curse tablets. It has been argued that those who produced such tablets were “people who combined a number of roles: professional scribes who had a side-line in preparing defixiones.”4 In fact, the required skill-set would not be particularly high for a literate scribe who had learnt handwriting. Given the Jordan 1985, 151–197, here 151. 1992, 3. 3 Gager 1992, 3. 4 Rives 2011, 689. See also Dickie 2001. 1
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relatively soft nature of lead or lead alloys, the writing could be readily inscribed by employing a bronze stylus or similar implement. The depth of the inscription on the metal surface depended primarily on the malleability of the metal and the force with which the scribe made the inscription with the stylus.
2. Society and Religion in Roman Britain Prior to the Claudian invasion and occupation of Britain in 43 c.e. the land mass to the north of Gaul was more socially and culturally distinctive from mainland Europe, which by contrast had a partially unified system of governance and some shared social practices under Roman rule. However, subsequent to the Roman occupation a new synthetic Romano-British culture emerged, with certain features aligning with political and social features of the wider Roman Empire. Apart from infrastructure, such as roads, the formation of urban centres, architectural advances, and improved agronomy, there were also developments in religious practices. It would be misleading to portray these developments as a total convergence of practice, or even as being a widespread synthesis. Rather, different sections of British society assimilated features of Roman polity and social life to varying de grees. Knowledge of the initial period of the Roman occupation is not only limited, but the sources which survive largely concentrate on military operations and frontier matters. These limited written records and epigraphic materials do cast insight on some of the principal fortifications such as the construction of Hadrian’s Wall and the Antonine Wall. More instructive, however, are the documents discovered at Vindolanda located on Hadrian’s Wall. Primarily, these documents “offer vivid insights into military organization and military life in the north at the very beginning of the second century.”5 If anything, this set of documents provides a picture of the day-to-day life of a reasonably secure and settled military garrison on the northern frontier, including the presence of women such as Sulpicia Lepidina, the wife of Flavius Cerialis, prefect of the Ninth Cohort of Batavians, stationed at Vindolanda.6 Nonetheless, from these vivid writings, dating from the early second century, there is little insight into religious life. Thus, as far as can be inferred, the Roman garrison, while secure and self-contained, appears largely separate from the indigenous population. Evidence for urban development in this period is mixed. Extension of urban settlements certainly occurred sometimes in geographical proximity to military locations. By contrast, excavation in London suggests a period of urban decline. This may be linked with the large scale destruction of cities such as Colchester, London and Verulamium in the aftermath of the Boudican rebellion. Therefore, Fulford 2000, 559. For details of the correspondence of Sulpicia Lepidina see: http://vindolanda.csad.ox.ac. uk/tablets/TVIIcat-let-le.shtml, tablets 291–294 (accessed 8 July 2021). 5 6
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some urban centres display slow recovery and redevelopment. Alongside this, there appears to be the emergence of several small towns often on main road networks, but in the case of Aquae Sulis (Bath) the development was related to the location of hot-water springs. Consequently, the period from the mid-first century to the end of the second century provides limited evidence concerning the degree of the impact of Romanization on the local population, and even less is known about the assimilation of Roman religious practices during this period. By the end of the second century Roman forces had retreated from southern Scotland. However, even with the abandonment of the Antonine Wall, the re-established frontier at Hadrian’s Wall did not prove entirely secure. Around 180 the Picts breached the more southerly Wall, killing the commanding officer of the Roman garrison. Cassius Dio describes military challenges to the Roman Empire around the end of the second century. He makes the following telling observation: the greatest struggle was the one with the Britons. When the tribes in that island, crossing the wall that separated them from the Roman legions, proceeded to do much mischief and cut down a general together with his troops, Commodus became alarmed but sent Ulpius Marcellus against them. (Cass. Dio, Historia Romana 73.8)
Thereafter, Roman rule and influence continued south of Hadrian’s Wall. However, Severus’ decision to split the province into Britannia Superior with its capital based at London, and Britannia Inferior with its capital at York led to a more stable governance. During this period a distinctively Romano-British culture began to emerge with greatest influence in the south, in the region of Britannia Superior. Apart from Roman practices influencing political and social dimensions of life, in the sphere of religious practices indigenous belief there was impact from belief systems that arrived with those who brought their religious practice from elsewhere in the empire. A number of these new religious practices were assimilated by the local inhabitants. One example of an imported religion becoming prominent is seen through the spread of Mithraism. The remains of several temples to Mithras have been unearthed in the south of Britain.7 The archaeological discovery of Mithraic temples witnesses the wider phenomenon of the presence and prominence of mystery cults. In conjunction with this, imported folk-religion practices flourished among Romano-British society. The confluence of indigenous religious practices with imported elements of popular and accessible features of pagan beliefs is perhaps the area where religious influence is most readily detected. The use of curse tablets in Romano-British culture is a particularly prominent example of religious synthesis.
7 The remains of temples to Mithras have been discovered in London, at Vindolanda, and at Segontium in Roman Wales. It is likely that the highest proportion of participants were drawn from the Roman military. However, there may have also been some participation from members of the local population.
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3. The Curse Tablets of Roman Britain Alongside other imported religious elements, the various caches of curse tablets attest the widespread appeal of this form of religious practice. These tablets have been unearthed at various locations in the south of England, the Midlands, and parts of Wales. These artefacts of popular religious engagement not only provide evidence of the nature of British Latin with its own regional variations, but they have also been understood to be “the most important record of Romano-British religion yet published.”8
3.1 The Bath Curse Tablets The cache of one hundred and thirty tablets discovered at Bath between 1979–1980 largely date to the third and fourth centuries. By their very nature each one of these tablets is a religious artefact, invoking divine assistance to rectify a perceived wrong by visiting affliction on the party presumed to have wronged the victim, whether that person is known or unknown. In fact in only twenty-one cases is the suspect explicitly named.9 A number of these tablets are fragmentary in nature, and hence little can be gleaned from them. However, where a continuous text can be reconstructed or read, those inscriptions provide helpful insights into the religious nature of a curse and the role of the deity in the process. Looking at typical examples of curse tablets from Bath, founded by the Romans as Aquae Sulis, in honour of the goddess Sulis Minerva,10 one finds that the deity plays a double role in many of the curses: “I have given to the goddess Sulis the six silver coins which I have lost. It is for the goddess to exact them from the names written below: Senicianus and Saturninus and Anniola. The written page has been copied out.”11 There are a number of striking features here. The first aspect of the dual role of the deity entails ownership of the lost object being handed over to Sulis. Gager notes the purpose of this stylized transfer of ownership is that “the stolen property is ritually transferred to the appropriate deity, thus involving the god directly in the loss.”12 The second aspect arises from the first. The theft of divine property is now understood as an affront to the named deity. The person invoking the deity calls upon the god to act in defence of divine honour by visiting afflictions on the perpetrators. In this case the missing six coins are given to the goddess Sulis. Then in a formulaic manner, the person invoking the curse states that it is for the Hornblower et al. 2012, 128. Gager 1992, 193. 10 Within Romano-British religion the local Celtic deity Sulis was assimilated into the wider Roman pantheon through association with Minerva, a Roman goddess associated with wisdom. Minerva was prominent as one of the three Capitoline deities (Jupiter, Juno and Minerva) who were viewed as the guardian gods of the Roman state. See Scheid 2003, 8, 155. 11 See Tomlin 1988a, 59–277; here 118–119, no. 8 (TheDefix 575). 12 Gager 1992, 193. 8 9
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goddess to exact vengeance. In this example there is a lack of detail in regard to the form of retribution that is to be meted out. However, the names of the three suspects are explicitly stated. One unusual feature of this tablet is the concluding statement “the written page has been copied out.” This could potentially refer to a written form of the curse provided by the one who has employed the artisan inscribing the curse tablet, or is could refer to the practice of copying out the curse from an existing master-list of curses. Given the formulaic nature of this curse, it appears the second option is more likely, with the scribe describing his own process of making a copy from an existing set form. The reason for making this reference is not clear. Perhaps the fixity of form and reference to it was viewed as a way of employing a type of curse known to be efficacious with the gods. A second example illustrates the case where no perpetrators are known, or perhaps not even suspected. This tablet made from lead alloy and measuring 7.5 cm by 5.8 cm has been folded twice and is written on both sides: (Side A) The person who lifted my bronze vessel is utterly accused. I give (him) to the temple of Sulis, whether woman or man, whether slave or free, whether boy or girl, and let him who has done this spill his own blood into the vessel itself. (Side B) I give, whether woman or man, whether slave or free, whether boy or girl, that thief who has stolen the property itself (that) the god may find (him).13
This lengthier example contains several details of interest. First, due to the unknown or unsuspected identity of the thief an all-encompassing tripartite formula is employed and repeated: “whether woman or man, whether slave or free, whether boy or girl”. Second, like the former example, the stolen object is given into the possession of the goddess Sulis. Third, the punishment that is envisaged in some way fits the crime – the stolen vessel is to become the container for the thief ’s blood. The following third example is particularly important, since it is the only Romano-British curse tablet that provides evidence of Christian believers in Britain. This reference to Christians is one of the key factors in dating the tablet to the fourth century, rather than to an earlier period. This logic may be somewhat circular and may assume a greater knowledge of the temporal religious demographics of Roman Britain than is actually available from surviving evidence. Consideration of other factors such as the style of script along with comparison with other tablets dated to the third century suggests that there is little firm evidence for dating this tablet to the later period. Again the tablet is a lead alloy. It is written on both sides, but unlike the previous example it is not folded. It measures 10.5 cm by 6.0 cm. The text on side A is written in reverse order.14 The curse is presented in the following manner: (Side A) Whether pagan or Christian, whether man or woman, whether boy or girl, whether slave or free, whoever has stolen from me, Annianus (son of ) Matutina (?), six silver coins from my purse, you, Lady goddess, are to exact (them) from him. If through 13 Gager
1992, 194. 1988a, 232–234, no. 98.
14 Tomlin
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some deceit he has given me … do not give thus to him but reckon as (?) the blood of him who has invoked this upon me. (Side B) Postumianus, Pisso, Locinna, Alauna, Materna, Gunsula, Candidina, Euticius, Peregrinus, Latinus, Senicianus, Avitianus, Victor, Scotius, Aessicunia, Paltucca, Calliopis, Cererianus.15
This curse reveals that the original owner of the six silver coins, although suspicious of an unnamed person, is ultimately uncertain of the thief ’s identity. The opening pairing is intriguing and suggestive. The religious pluralism of the Roman pantheon is here reduced into a set of binary opposites – pagan or Christian. This would appear to suggest either a significant population of Christians to whom the unknown thief might belong, or perhaps that Annianus son of Matutina had reason to be particularly suspicious of Christians and thus employed this specific reference to religious identity. The invocation of ‘Lady goddess’ – presumably Sulis – makes it virtually certain that the curse was not being presented by a Christian believer whose worldview consisted of the religious dichotomy of pagan and Christian. There are some obvious resonances between these three examples and texts to be found in the New Testament and early Christian writings. However, in no case is any direct dependence being suggested. Rather, any commonalities may perhaps point to similarities in wider cultural outlooks in ancient religion and social practices. First, the practice of giving one’s possessions to the deity as depicted in the curse tablets has some alignment with the practice of korban which is mockingly described in the Synoptic Gospels (Matt 15:5–6//Mk 7:11–12). The Markan version states; “But you say, If a man says to father or mother, ‘anything of mine you might have been helped by is korban’ (that is to say, given to God), you no longer permit him to do anything for father or mother.” (Mk 7:11–12). Devoting or giving material objects to the deity is therefore part of a strand of Jewish practice broadly contemporaneous with the curse tablets. Hence across Judaism and paganism there was a practice of involving divine figures in the ownership of personal possessions or the safeguarding of money. Within this worldview such actions are akin to some kind of holy insurance policy. The gods, being more powerful than the human intercessors, are called upon by those invoking them to share the possession of property in order that for the sake of their own honour the gods might visit vengeance upon those who have despoiled their property. Within Jewish burial practices the korban vow could be used to protect interred possessions. An Aramaic inscription found on an ossuary at Jebel Hallet et-Turi near Jerusalem reads, “Everything that a person will find to his profit in this ossuary is an offering (qorbān) to God from the one within it.”16 As Baumgarten observes the inscription warns any would-be grave-robber that the ossuary and what it contains are to be 15 Gager 16 Cf.
1992, 195 (TheDefix 101). also Fitzmyer 1971, 96.
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considered as a divine offering.17 This inscription is intended to function as a deterrent to potential thieves, since they may be subject to divine wrath if they take what has been given to the deity. Interestingly, within the gospel context the korban material occurs in close connection with the topic of cursing. The author of Mark’s Gospel presents the description of the practice of korban immediately after citing a text from the Jewish scriptures: “the person who curses father or mother, let him be executed” (Exod 21:17//Lev 20:9LXX ). Therefore, the evangelist presents the practice of korban as an example of the way in which one effectively curses father or mother, instead of rendering the honour that is required. It would be incorrect to suggest that there might exist any direct link between the physical practice of using curse tablets and the sophistry of the korban vow. However, both share common elements of a wider religious ethos. The two practices both depend on involving the deity in the ownership of human property. Moreover, both the curse tablets and the korban vow involve negative consequences for the third party to whom they are directed. The curse, however, is designed to invoke the named deity to send retribution on the perpetrator of the alleged crime typically involving theft of property. The korban vow is somewhat different. It is, from the evangelist’s perspective, wrongly invoked to deprive a third-party from what may be a legitimate claim on the property of another. Therefore both practices centre on the protection of property. The equivalence between korban and cursing may seem a little forced, at first glance.18 However, Fitzmyer notes in a Mishnaic text that the term qônām is a synonym for qorbān (= korban) and also that the term qônām is also used in curses (mNed 4:6; 8:7).19 Therefore, the link between the ethos of the curse tablet and the that of the korban vow can be further strengthened. A second striking point where there is a parallel with New Testament language is in the identity formula where unknown thieves or perpetrators are the ones to whom the curse is directed. In the second example above the twice repeated formula is “whether woman or man, whether slave or free, whether boy or girl.” This tripartite arrangement presents three pairs intended to give the curse maximum reach in its effect. In the Pauline epistles a similar arrangement is used on three occasions: For also in one spirit we all were baptized into one body, whether Jews, whether Greeks, whether slaves, whether free men, and all were given one spirit to drink. (1 Cor 12:13) There is neither Jew nor Greek, there is neither slave nor free, there is neither male nor female; for you are all one in Christ Jesus. (Gal 3:28) Where there is not Greek and Jew, circumcision and uncircumcision, barbarian, Scythian, slave, free, but Christ is all and in all. (Col 3:11) Baumgarten 1984, 5–17. Marcus 1999, 444. 19 Fitzmyer 1971, 99. 17 18
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In Paul’s letters these similar formulae are not used to incorporate all people under the reach of a divine curse. Rather they show that there is no distinction or partiality in the saving effect of the gospel. One clear way in which the Pauline formulation deviates from that found on curse tablets is in its consistent initial bipartite pairing of Jew and Greek. This reflects Paul’s socio-religious locatedness, and the principal religious division that Paul understood the gospel to overcome.20 All three of the Pauline usages employ the terms “slave” and “free,” either in the singular or plural. This reflected what was perhaps the key social distinction in the ancient GrecoRoman world. Therefore, seeing this same key division used in the curse tablets is unsurprising. The fact that slavery was ubiquitous in the ancient world meant that the binary pairing of slaves and those who were free encompassed the totality of society. In the curse tablets this formulation ensures that it is an umbrella way of encapsulating every person under the potential effects of the curse. In the Pauline letters, the ideology that views this key social distinction as being dissolved has the effect of stating that all who believe in Christ are equal. The radical nature of this claim cannot be overstated, even if the Pauline letters themselves are not entirely consistent in spelling out the implications of this statement of total equality.21 It is perhaps noteworthy that in the wider context of Galatians 3 where the identity pairings of Jew-Greek, slave-free, and male-female occur (Gal 3:28), that Paul also employs the terminology of “curse.” This is used repeatedly: Gal 3:10, once; 3:13 three times. In the latter verse Paul states: Χριστὸς ἡμᾶς ἐξηγόρασεν ἐκ τῆς κατάρας τοῦ νόμου γενόμενος ὑπὲρ ἡμῶν κατάρα, ὅτι γέγραπται· ἐπικατάρατος πᾶς ὁ κρεμάμενος ἐπὶ ξύλου. (Gal 3:13) Christ redeemed us from the curse of the Law, having become a curse for us – for it is written, “Cursed is everyone who hangs on a tree.” (Gal 3:13)
The language here is striking, and while the primary point is theological, secondarily the passage may reflect Paul’s understanding of the functioning of curses and how one had to deal with them in order to overcome the efficacy of the curse. Paul envisaged a scenario where individuals under the effect of a curse have to be bought back, ἐξαγοράζω, from its power. In this context, the way this is achieved is through a transference of the curse onto another individual, Christ, Χριστὸς … γενόμενος ὑπὲρ ἡμῶν κατάρα. De Boer notes the lack of specificity in this description, due to the flexibility in the meaning of the verb. He states: For a discussion of how the Greek-Jew pairing functions in Col 3:11, see Foster 2016, 340. In relation to the Gal 3:28 Martyn states that “Paul has no genuine interest in either the second pair of opposites slave/free (on the social level), or the third, male/female.” Martyn 1997, 380. While the Jew/Greek distinction is undoubtedly Paul’s focus, to draw the conclusion that the other two categories are of no interest seems unduly negative. The slave/free pairing is maintained in all three examples, and Paul’s letter to Philemon suggest that the issue of slavery at least within the community of believers was a concern for him on the social level at least elsewhere in his writings. 20 21
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The ambiguity of the participle (genomenos, aor.) allows diverse interpretations of this passage. It could in principle be construed as temporal (“after/when Christ had become a curse for us”) or causal (“because he became a curse for us”). The participle is probably best understood to express means (“by having become a curse for us”; Burton, 172), although Paul does not elaborate or specify.22
While agreeing with de Boer’s interpretative choice, that is not really central to the observation being made here. In reference to the use of curses in the ancient world, Paul in this case simply regards a curse as effective. Moreover, in this context he states that the remedy of its effect on individuals originally under the curse is achieved through some kind of transference to another party. Lastly, the power of the curse is ultimately only nullified through the death of the individual to whom the curse has been transferred. It may be debated whether this type of understanding of curses was typical, or whether it was modified to suit the argument in Galatians. Either way, Paul moves into the language of cursing without explanation and in the full expectation that his readers would understand and resonate with the meaning of this description. Longenecker states that the formulation “becoming a curse for us” is “language stemming from the sacrificial cultus.”23 While Longenecker may not be incorrect to find connections with the Jewish sacrificial cult, given the widespread use of curses in the Mediterranean world and beyond, the Jewish context may not exhaust the interpretative possibilities. The popular piety expressed through the use of curse tablets may have meant that Paul’s language evoked wider resonances from the shared cultural transcript of author and readers. It is also striking that there is nothing to suggest that the language is being used metaphorically in this context. From Paul’s perspective his addressees were indeed once cursed, that curse was transferred to another as was demonstrated by his manner of death.24 Therefore, the universal formula, which occurs with a similar structure and some equivalent language in both the curse tablets and the Pauline letters, may reflect a partially shared anthropology for describing the totality of humanity. Again, this does not require either direct dependence or indirect literary influence between the curse tablets and the Pauline letters. Rather the similarity is perhaps best understood at the level of a broad shared cultural outlook. Another common feature is that the curse tablets (through their appeal to a deity) and the first two Pauline texts (through referring to the rite of baptism) both occur in connection with ritualistic practices.25 This may suggest that both of these ritualistic practices presented their respective reach as being universal in scope. De Boer 2011, 210–211. Longenecker 1990, 121. 24 For a fuller discussion of a range of the theological possibility contained in the language of Gal 3:10–14, see Bruce 1982, 157–168. 25 Ruben Zimmermann noted the ritualistic connection during the question and answer section after this paper was presented at the Mainz conference on 6 April 2018. 22 23
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A third important feature contained in these curse tablets that resonates with certain of the writings of the New Testament, as well as with other early Christian writings is the striking use of the term “Christian”. As is well-known, the Acts of the Apostles claims that term was first coined in Antioch, χρηματίσαι τε πρώτως ἐν Ἀντιοχείᾳ τοὺς μαθητὰς Χριστιανούς (Acts 11:26). Apart from this use, the term only occurs in two other places in the New Testament. It is used once more in Acts when an exasperated Agrippa responds to Paul with what might be a “tongue-incheek” comment that “in a little while you will persuade me to be a Christian” (ἐν ὀλίγῳ με πείθεις Χριστιανὸν ποιῆσαι; Acts 26:28). Lastly, in First Peter, believers are encouraged with the advice that if they suffer “as a Christian” (ὡς χριστιανός), then they have no reason to feel ashamed (1 Pet 4:16). In the third example given above drawn from the Bath curse tablets, the term appears to be used by a non-Christian as an unambiguous descriptor of members of a religious grouping. The fact that the individual who employed the term “Christian” in this context was not himself a member of that religious grouping is perhaps the logical deduction to be inferred from the use of a curse invoking the power of “Lady goddess” (presumably Sulis). While syncretism was not unknown even among Christians, it was not the norm. Therefore, here one has an outsider wishing to incorporate any potential thief under the power of the curse by employing what was understood to be the binary religious dichotomy of pagan and Christian. By the first half of the second century the term “Christian” had established itself as the common way to refer to adherents of the Jesus movement. In First Clement this terminology occurs on three occasions (1 Clem. 3:4; 21:8; 47:6). Ignatius uses the term with great frequency. One occurrence is particularly noteworthy in regard to the curse tablet under discussion. Ignatius, writing to the Ephesians, declares “those that profess themselves to be Christians shall be recognized by their conduct” (Ign., Eph. 14:2). As Schoedel notes, “Ignatius goes on to emphasize deeds as the authentication of Christian lives.”26 In striking contrast to these sentiments, the person who commissioned the curse against the thief who had stolen the six silver coins from his purse did not consider the conduct of Christians to put them beyond suspicion! Rather, in the eyes of the one offering the curse Christians were just as likely as pagans to be nefarious thieves.
3.2 The Uley Curse Tablets The village of Uley is located approximately 25 miles north of Bath, on the western edge of a Cotswold scarp overlooking the Severn Valley. The cache of curse tablets was discovered on West Hill, which is located to the south of the current village. This site was the location of a Roman settlement and archaeological excavations have unearthed the remains of a temple which occupied a prominent and elevated Schoedel 1985, 76.
26
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vantage point on the spur of West Hill. A total of eighty-seven tablets have been recovered from this location. From the catalogued tablets discovered at the site the basic form common to Romano-British curse tablets is preserved. Either the suspected individuals are named, or widely-encompassing formulae are utilised to encapsulate all potential suspects. Frequently the stolen property is “given” to the deity, or a portion is promised as an offering on return of the missing possessions. The god Mercury is typically invoked. Excavations from the site have recovered the head of a statue of Mercury. The artefact is of high quality, it preserves “two stubs near the front of the head [which] may be the remains of wings.”27 The complete statue would have been slightly larger than life-size and it is considered to have been the principle cult statue of the Uley temple. This further explains why the curses typically are addressed to the god Mercury. The first example (Tab. Uley 1) involves the theft of a working animal. The complainant believes he is aware of those responsible for the theft. The curse that is invoked is general in nature: Cenacus complains to the god Mercury about Vitalinus and Natalinus his son concerning the draught animal which has been stolen from him, and asks the god Mercury that they may have neither health before/unless they return at once to me the draught animal which they have stolen, and to the god the devotion which he has demanded from them himself.28
Here the property is not promised to Mercury, nor is there an offer of a share of the value of the animal. In this regard, this curse is less transactional than the previous examples. The curse calls upon Mercury to deprive Vitalinus and Natalinus his son of good health until the stolen animal is returned. The perceived benefit for Mercury in intervening to bring about the return of the animal is that the alleged pair of thieves should not only return the animal to escape the ill-heath that the curse brings, but they are also obliged to render devotion to Mercury as a further form of recompense. The second example selected here (Tab. Uley 2) concerns the return of a missing linen cloth. Initially there is some ambiguity regarding whether the item has been lost or stolen. However, the invocation for divine assistance and the accompanying use of a curse suggests that Saturnina, the plaintiff, believes the loss to be due to the theft of the item: A memorandum to the god...Mercury (over Mars Silvanus) from Saturnina a woman, concerning the linen cloth which she has lost. (She asks) that he who has stolen it should not have rest before/unless/until he brings the aforesaid property to the aforesaid temple, whether man or woman, whether slave or free. She gives a third part to the aforesaid god on condition that he exact this property which has been written above. A third part...what she
27 http://www.britishmuseum.org/collection/object/H_1978-0102-1 28 Tomlin
1979, 341–342 (TheDefix 683).
(accessed 8 April 2021).
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has lost is given to the god Silvanus on condition that he exact it, whether man or woman, whether slave or free... .29
The invocation addressed to “Mercury over Mars Silvanus” appears to appeal to the principle deity of the Uley temple, but implicates Mars Silvanus as a secondary divine actor in the implementation of the curse.30 The curse also has a complex recompense formula. It is unclear whether the cloth will be divided, or whether a fractional amount equivalent to the value of the cloth will be donated to the two deities mentioned. Here Saturnina promises to given two-thirds of the linen cloth, or its value, to be shared equally between Mercury and Mars Silvanus. Presumably, the intention is for Saturnina to retain one-third for herself. The curse itself is general, simply requesting that the unknown thief should be deprived of rest until the item is returned to the temple. As is common in cases where the perpetrator is not known, an inclusive formula is employed. Here two stereotypical binaryencompassing categories are employed and repeated in the curse – “whether man or woman, whether slave or free”. The surviving portion of the text breaks midsentence, so it is not possible to know whether this curse contained any further specific details. A third example (Tab. Uley 4) does not specify the nature of the loss, although it is described as theft. The complainant is far more concerned with the afflictions that should be visited upon the perpetrator: Biccus gives Mercury whatever he has lost (that the thief ), whether man or male (sic), may not urinate nor defecate nor speak nor sleep nor stay awake nor [have] well-being or health, unless he bring (it) in the temple of Mercury; nor gain consciousness (sic) of (it) unless with my intervention.31
There are some basic mistakes in this inscription, which suggest a fairly amateur attempt to transcribe this curse from a list of curse formulae in a mechanical manner without adaption to the specific context of this curse.32 The formula “whether Tomlin 1979, 343 (TheDefix 684). Some have doubted whether Mars Silvanus was regarded as a separate entity distinct from Mars. Silvanus was a Roman tutelary deity of woods and fields. The reference to Silvanus might be an indication of the location where the linen cloth was lost, or Mars Silvanus might have a favourite deity of the plaintiff or the scribe who inscribed the tablet. 31 Hassall/Tomlin 1988, 485–487 (TheDefix 686). 32 “The text is full of half-understood formulas (noted below), as might be expected from all the evidence of faulty transcription. There are three copying mistakes, pe(r)d(id)it (line 3), maiet (line 4), nessa (lines 9–10); and the use of quidquid (line 2) may be due to mechanical copying of a formulary. Ne taceat may have been omitted after ne loquatur; there is certainly an omission after de (line 13), and probably of habeat in line 9 and of a subject (the thief ) for the string of verbs. The formula si vir si mascel (lines 3–4) is confused, and like the malapropism co(n)scientia (lines 12–13) raises the question of whether the scribe understood what he was writing. Yet his hand is practised and implies a good standard of literacy. His language also contains traces of the Vulgar, spoken Latin, in nessi (lines 9–10, 14), co(n)scientia (lines 12–13), and in the inept use of in (line 10) and de (line 13). By implication, therefore, he was familiar with Latin both written and spoken; but he was handling formulas he only half understood, or 29 30
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man or male” (si vir si mascel) is very likely a transcription error or lapse in concentration that resulted in deviation from the typical “whether man or woman”.33 Another significant feature is the scatological element of the curse. This very earthy recompense focuses on the affliction of the urinary tract and the bowels. There is an obvious intent to visit much pain and inconvenience on the perpetrator of the alleged crime. These specific curses are followed by more generalised invocations for lack of rest and lack of health. A fourth example from Uley (Tab. Uley 80) is more mundane, both in terms of the nature of the item lost or stolen and in terms of the gift to Mercury. The script has been dated to the third century, with writing on both sides of the tablet. The tablet was folded five times with the side with the lengthier text being folded inside on itself. It is uncertain whether this was done to preserve the writing or because it was intended to be read by the deity alone, or even perhaps a combination of these two reasons is possible: The sheet (of lead) which is given to Mercury, that he may exact vengeance for the gloves that have been lost; that he take blood and health from the person who has stolen them; that he may provide what we ask the god Mercury […] as quickly as possible for the person who has taken these gloves.34
Interestingly, here the only item offered to Mercury is the tablet itself. Also, despite the apparently low value of the item, the person invoking the god expects decisive and intensive retribution comprising shedding of blood and loss of health. Putative connections with the New Testament are perhaps even more slight with these examples selected from among the Uley cache of curse tablets. The links are best seen not in terms of direct dependence, nor even necessarily in terms of broadly similar religious practices. Rather, the very general similarities that might exist should be conceived as resulting from some degree of similar socio-religious outlook across the Greco-Roman world. The first example concerns the loss or theft of a draught animal – that is a beast of burden. There are perhaps some resonances with the requisitioning of the donkey prior to the triumphal entry of Jesus into Jerusalem. When challenged by bystanders the disciples respond with the words they have been instructed to use, “the Lord has need of it, and immediately he will send it back here” (Mk 11:3). Whereas Matthew presents the incident as fulfilling the prophecy of Zech which perhaps were too familiar to retain much meaning.” See: http://curses.csad.ox .ac.uk /4 Dlink 2/4DACTION/ W e b R e q u e s t Cu r seTa b let ? th i sL e a f N u m = 1&styleSheet=%3C!--4DVAR%2 0styleSheet--%3E%20:%20Undefined&searchTerm=&searchType=browse&searchField=Curs eNumber&thisListPosit io n=4&d i splay I m age =1 & displa y L at in =1 &displayEnglish=1&displayA ll Leaves=0 (accessed 8 July 2021). 33 As Tomlin notes, “the scribe has confused or conflated two standard formulae evidenced in a range of curse tablets ‘whether man or woman’ or ‘whether male or female’.” Tomlin 1988b, 67–68. 34 Hassall/Tomlin 1996, 439–441 (TheDefix 713).
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9:9 (Matt 21:5), Mark simply describes the disciples as acting and speaking under dominical warrant. The influx of people into Jerusalem during the Passover season presumably made securing personal property more challenging. While not directly commenting on the dubious nature of the actions of Jesus and his disciples in this passage, France does note that those actions by themselves would have been likely to have generated challenge. Thus he states: [t]he sight of strangers untying a donkey in the village street would certainly provoke protest, and the cryptic answer that Jesus provides would not by itself persuade any but the very gullible. It seems much more likely that this was a prearranged ‘password’ than it was intended to be a convincing explanation to anybody not already ‘in the know’.35
Regardless of whether the “password” explanation is deemed “much more likely,” France correctly recognises that the removal of the donkey does approximate actions that resemble the theft of the donkey – although he cannot quite bring himself to say it so forthrightly. In fairness to France, most other commentators do not address this issue at any level. Here we have a situation where a beast of burden is removed without the owner’s explicit permission. One may legitimately wonder what response or course of action was open to a party from whom a donkey was stolen in this context. It is unlikely that anything such as a curse tablet was employed in the Jewish context. The laws concerning theft (including that of a donkey) in Exodus legislate for financial restitution – the thief “must repay double” (Exod 22:4). Therefore, while it is admittedly a false dichotomy, the issue in the Jewish context appears to be dealt with primarily as a matter for civil restitution, rather than being placed in the realm of divine retribution. The third example, a poorly worded and general curse, calls for various bodily conditions to be visited upon the perpetrator of the crime. The mentality that expected divine intervention to be meted out to wrong-doers is present on multiple occasions in the New Testament. One of the most striking examples with potentially folkloric ideas of retribution that may reflect the thought-world of the curse tablets is found in Acts 12:20–23. This story, albeit in a different form and setting, also appears in the writings of Josephus (A. J. 19:343–350).36 Josephus presents the story with the flatterers of Agrippa saying, “if we have hitherto feared you as a man, yet henceforth we agree you are more than mortal in your being.” In response Josephus comments that: The king did not rebuke them nor did he reject their flattery as pious. But shortly thereafter he looked up and saw an owl perched on a rope over his head. At once recognizing this as a harbinger of woes just as it had once been of good tidings, he felt a stab of pain in his heart. (A. J. 19.346)
35 France
2002, 432. 1965, 376–381.
36 Fledderman
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The version contained in Josephus contains more elements of popular religion such as the omen of the owl, and the portent of judgment that it brings. However, in both accounts the offense is failure of Agrippa I to disavow divine acclamation.37 Acts reports the punishment as being that Aggripa “was eaten by worms” (Acts 12:23). By contrast, Josephus reports that he suffered with stomach pains for five days prior to his death. In both cases there is immediately physical suffering, which by implication is caused by the deity whose honour has been usurped. Similarly, the fourth example, with its plea to Mercury to deprive the thief of blood and health resonates with one of the more dramatic stories in the Acts of the Apostles. In effect Ananias and Sapphira deceive and steal from God. Although Peter functions as a messenger of divine judgement, the actions of God are immediate and drastic, bringing the ultimate deprivation of health – that is death itself. There is no particular parallel in verbal form between the Ananias and Sapphira story and the descriptions on the curse tablets considered. However, both reflect a worldview wherein divine intervention and retribution were considered to be the mechanism by which justice was to be achieved, regardless of which deity of the pantheon was being invoked. In addition to this story, Barrett notes how “otherworld” magic events permeate the presentation of various stories in Acts. He states, “Judas (1.18) and Herod (12.23) died unhappy deaths; Paul struck blind Elymas, the magus of the proconsul Sergius Paulus (13.11); and there is nothing more miraculous in striking dead than in raising dead (e. g. 9.32–43).”38 Although Barrett does not draw out the implication, the thought-world of Acts and that of the curse tablet with their invocation of divine retributive powers are far from being entirely different in their worldview.
4. Conclusions The caches of curse tablets from Roman Britain do not only present numerous examples of this socio-religious phenomenon, they also provide evidence of a type of piety that sought the direct intervention of the gods on behalf of, and in defence of the complainant. While the New Testament can describe people to be cursed (1 Cor 16:22; Gal 3:10), or declare them as accursed (Matt 25:41; Gal 1:8–9) – there is no practice that directly parallels that of the use of curse tablets. Instead the connections are more at the level of a broad shared religious ideology. The artifice of the korban vow is in certain respects akin to the handing over of stolen property to the named god in order to involve the deity in the recovery of stolen property.39 Similarly, across the religious spectrum the effects of ill-health or even death are attributed to the divine dispensation of justice as a reckoning for For a detailed comparison of the two accounts see Keener 2013, 1965–1971. Barrett 1994, 262. 39 See Baumgarten 1984, 5–17. 37 38
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the wrongs committed by the perpetrator of theft or of other crimes. In this sense, both in the curse tablets and in passages in the New Testament compensatory punishments are understood to be directly due to divine actions. In the end, the value of the British curse tablets for informing the study of early Christianity does not stem from their specific contents. Instead, the curse tablets permit a thick description of the wider perspective on the intertwined nature of justice and religion, and of the worldview that sought direct and decisive divine action on behalf of the pious follower of the gods. While the theological system of the early Jesus movement may have been significantly different from that envisaged in the Greco-Roman pantheon, the expectation that the divine figure would intervene on behalf of followers was remarkably similar. While some have rightly emphasised the distinctive features of early Christianity,40 there also remain various areas where the Christian worldview aligns remarkably closely with that of contemporary pagan counterparts. Perhaps surprisingly, some of those similarities can be discovered in the polytheistic world of the British curse tablets. Not only does one example name Christians as possible perpetrators of theft, it is of greater significance that it shows that pagans, in much the same manner as Christians, called upon their deities to intervene on their behalf. Both groups likewise believed in a powerful divine figure, capable of dispensing justice, meting out punishments – often gruesome in nature, – and through acts of the supplicant’s piety a deity could be invoked to be well-disposed to safeguarding the rights of devoted followers. Perhaps in the end the transition that began to emerge in the fourth-century from a majority pagan culture to a majority Christian society may not have been as large an intellectual and socio-religious shift as it is sometimes portrayed. However, rather than open up that specific issue, perhaps it is simply worthwhile noting that by studying the realia of the ancient world, such as the curse tablets, one is challenged to reassess long-held and highly-cherished ideas. Maybe in this way the popular phenomenon of ancient curse tablets can now prove to be a modern intellectual blessing rather than a curse.
Bibliography Barrett 1994: C. K. Barrett, The Acts of the Apostles, vol. 1: Preliminary Introduction and Commentary on Acts I–XIV (ICC), London 1994. Baumgarten 1984: A. I. Baumgarten, Korban and the Pharisaic Paradosis, in: Journal of the Ancient Near Eastern Society 16 (1984) 5–17. Bruce 1982: F. F. Bruce, The Epistle to the Galatians: A Commentary on the Greek Text (NIGTC), Grand Rapids (MI) 1982. De Boer 2011: M. C. de Boer, Galatians: A Commentary (NTL), Louisville (KY ) 2011.
Hurtado 2016.
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British Curse Tablets and Their Implications
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Cursing as Ritual Communication in the Mainz Tablets, and Thinking with the New Testament1 Alison Cleverley In 1999, in the modern day city of Mainz, Germany, the construction of a shopping mall unearthed the crumbling remains of two connected first-century c.e. temples to Isis and to Magna Mater. During this excavation 34 burnt and buried curse tablets were discovered underneath the walls. These thin metal sheets are inscribed with beautiful analogies for the deaths of their intended victims. One victim is to have his limbs and marrow melt away as salt in water; another is to have their life and mind reversed as when a stylus is used backwards; and a third yet is not to be freed from Magna Mater’s divine power until devoured by dogs and worms. Taking this collection of curse tablets as my primary object of study, I have endeavoured to interpret them towards an understanding of the relationship between the cursers and the gods. I have looked at how people wrote to gods, how people seemed to consider their roles in this relationship, and how broader societal contextualization influenced the ways in which people cursed. For that purpose, communication, as well as both human-deity and human-human relationships, were central to my reading. However, simply by virtue of the texts under investigation existing around the same time as the writing of the texts which became canonized as the New Testament – albeit on the geographic periphery from each other – this essay is also a contribution to studies of the social history of the New Testament. When the New Testament writes about cursing, this paper provides one example of what cursing meant in the ancient world. The comparanda of the New Testament texts forces a return to basic questions about cursing which enables a focus on the relationship between text and material object that is often overlooked. The direct purpose of this paper is to argue that the materiality of the Mainz tablets was fundamentally important to their message, a message that was intended to be communicative to the invoked gods, and that the literary and material aspects of the tablet combined in this ritual. This paper recreates the process I took as I sought explanations of the 1 I am grateful to the organizers of the conference, Susanne Luther, Markus Lau, and Michael Hölscher, and to the other participants for their suggestions and the three days of productive and informative conversations. I wish also to thank John Kloppenborg, Patrick Stange, and the participants of the Colloquium for the Religions of Mediterranean Antiquity at the University of Toronto, for providing comments on earlier drafts of this essay. All errors and inadequacies remain mine.
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cursers’ relationships with the goddess. In the first section of this paper I will provide details of a couple of the Mainz tablets and the context of the temples in which they were found. In the second part I will reflexively demonstrate that comparing the Mainz tablets to the New Testament has enabled me to focus, and to realize, some of my questions and interpretations of the Mainz tablets, and I will claim the utility of thinking broadly for question-forming and project-framing.
1. The Mainz Tablet Collection 1.1 Moguntiacum The site in Mainz began as the ancient Roman military camp and settlement then called Moguntiacum, in the Roman province of Germania Superior. The curse tablets were lying buried beneath temples to the ancient goddesses Isis and Magna Mater.2 The tablets at this location are the only defixiones to have been found in Mainz. The temples were built during the first century c.e. and abandoned during the second century. When the temples were discovered, Marion Witteyer performed the initial fieldwork, but most of the preliminary work conducted on the defixiones themselves was done by Jürgen Blänsdorf, who was called in to aid with the excavations in order to provide a study and report of the curse tablets when they were found among the other buried sacrificial remains in the temple.3 The tablets were burnt in fires after their writing, and these 34 did not successfully melt. This destruction after writing illuminates an act of secrecy built into their curse. It is possible that the author of each tablet paid to deposit it into a sacrificial fire pit, although it is also possible they passed the tablet to a priest to perform the depositing; there is no evidence for how they were placed into fire, although it is clear – as will be demonstrated shortly – that the authors anticipated burning the tablets after writing them. The tablets were written, folded, a couple 2 Whether this was one joint temple or two facing temples is difficult to tell given that the site was moved, that not the whole site has been uncovered, and that the excavations were done in an emergency fashion. 3 The early reports have not all, yet, been published, and much of the English (translated from German) information is only available at the museum in Mainz or through discussions with those who performed the excavations. Other findings at the site include a sandstone tabula ansata with a consecration to Magna Mater, a limestone altar to Isis, noting a vow fulfilled by Linus; a limestone altar to Isis Regina given by the wife of the emperor’s legate noting a vow fulfilled; a limestone altar noting a fulfilled vow to an unnamed deity; three more inscriptions which were given one each from a slave, a libertus, and a Roman citizen, for the genius of the Pausarii (members of the cult personnel who carried figure of the gods during Isis celebrations); small statuettes or votives, one of a male dwarf with a large phallus, another of Mercury, a third of Venus, and some terracotta ones; sacrificial objects of coins, hair pins, pierced bones, a miniature bronze axe; about 400 oil lamps; and many pots, plates, and vases. See Witteyer 2004 for a complete catalogue of the items which have been published, and Zach 2002 for a list of plant and vegetal matter found.
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were pierced by nails, and then, alongside some of the other objects they were found with, they were burnt and buried sometime very early in the Common Era – the temples having been founded between 71 and 80 c.e. and the flooring covering the deposits in which the tablets were found dating to circa 130 c.e.4
1.2 The Tablets Although these tablets have been found at the temple to Magna Mater, they variously invoke several divinities. Among those invoked include Attis – the consort to Magna Mater – Caster and Pollux, Mars and Mogunus, and Magna Mater herself. Despite the inscription for the temple to Isis, none of the tablets found make reference to Isis or her cult. Based on Blänsdorf ’s examination of the Mainz collection – specifically, the differing writing styles, handwritings, language, and complexity of the tablets – it has been generally considered by scholars that each curser authored their tablet themselves, as opposed to hiring a professional.5 Each inscribed tablet varies in its wording; there is no standardized formula that has been repeated at length, although several have some word choices in common. They are also written in different handwriting styles, some in Old Roman Cursive and others in capitals, some clumsily scratched and some elegantly inscribed. The writings of the tablets vary greatly in length and elegance. Some of them are simply names, for example one of the shorter ones, TheDefix 133 (ed. DTM, no. 26), reads “Vinnonius / Primus / SPAIATE”. Several of the short tablets, including this one, are written in somewhat clumsy hands, and they also include incorrect spellings and an uneven cutting of the lead. Some of the longer lists of names have a neater rolling of the lead and a neater handwriting. For example, in TheDefix 121 (ed. DTM, no. 23), Old Roman Cursive was inscribed onto lead which was then carefully folded: “Minicius / Campanus / Martianus / Armicus / Severum tes–/ serarium / Cantarum / equitem.” Contrastingly, some of the much longer tablets have comparatively beautiful handwriting, such as several which will be discussed in more detail below. The texts of these curse tablets have been used broadly both as evidence of the materiality of the magical practices which they represent and to examine the individuals who worshipped at this site. Richard Gordon and Francisco Marco Simón, for example, view these tablets as playing a part in demonstrating the variety of techniques one could employee when materially forming an inscribed text to invoke a deity; other techniques include lead plaques placed in lamps, containers enclosing bones, and different hammered tablets discovered in the Roman provinces.6 This approach fits into the recent trend by scholars to fix what they see as an 4 Blänsdorf
2010, 141–143. Blänsdorf 2012. The argument was used by Gordon 2013, 257; and Wilburn 2012, 215. It is seemingly assumed by Veale 2017. 6 Gordon/Marco Simón 2010, 20. 5
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overrepresentation of the Greek-speaking world in the study of magic by focusing on Latin curses and magic in the Roman West in their own right.7 This trend is exemplified in the edited volumes about magic organized by Dietrich Boschung and Jan Bremmer,8 and by Gordon and Marco Simón themselves.9 Although the tablets demonstrate substantial variation, there are commonalities between them and between this collection and other Latin curse tablets, which bear witness to part of the ritual of communication that may have supplemented the text. The Mainz tablet TheDefix 758’s (ed. DTM, no. 1) opening lines, te rogo per tua sacra et numen tuum, are similar to other Latin defixiones.10 The supplication’s use of the verb rogo is in direct address to Magna Mater, and the appeal – per tua sacra et numen tuum (by your sanctuary and your divine power) – is to note that the goddess possesses such greatness and thus is in a position to be able to grant a request.11 This is, however, also a necessarily positioned phrasing, whereby the author of the curse places themselves in direct communication with the divinity invoked – Magna Mater, in this case. In so doing, the worshiper also opens themselves to the vulnerability of a god-centred world of possibility.12 Blänsdorf interpreted that this opening is written in a ritually correct way, just as he writes about TheDefix 754 (ed. DTM, no. 11–12): “Der Verfasser des Textes von DTM 11 übergibt sein Anliegen in ausdrücklich kultisch richtiger Form (mando et rogo religione) an nicht nur einen Adressaten, unter denen er im Ritualkontext nur Mater Magna und Attis gemeint haben kann.”13 Blänsdorf similarly writes that TheDefix 261 (ed. DTM, no. 5) includes a “solemn supplication” which is “to affirm the curse” in the phrase: Hoc praesta, rogo te per maiestatem tuam.14 The method of transmission to the divine is not elaborately stated within the written text of the tablet, and so perhaps it was transmitted as a votive offering or with a sacrifice, or perhaps we can say from comparison with other curses that it is 7 Faraone 2012, 115, cautions against the temptation to generalize about the practice of magic on the basis of collections such as the Mainz defixiones, and reminds scholars that Greek katadesmoi are still useful as comperanda. Relatedly, Woolf 2009 uses the reception of Magna Mater in Rome to argue against comparing what is found in the provinces to Rome in a way that denies local appropriation and hybridity of Roman religion at large. 8 Bremmer 2015, 8. 9 Gordon/Marco Simón 2010, 1–4. 10 Some of the most similar openings are from Bath, for example Tab. Uley, No. 72 (TheDefix 707), uses rogo numen tuum and others attest variations of rogat genium tuum. 11 There is also the performative nature of the words themselves, see especially Kropp 2010 for the performative nature of such words in ritual language – where language performs actions and gives people the ability to change the world through words. 12 There was always a matter of vulnerability involved when one exposed one’s self in front of the gods. In order to act in some way that involved the gods, one necessarily had to put one’s self into the potential attention of the gods – gods who were generally considered to be interested and engaged in human affairs. I will, for this paper, leave aside interpretations and understandings of fate. 13 Blänsdorf 2017, 39. 14 Blänsdorf 2010, 149–150.
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transmitted through the correct ritual act of binding. It seems likewise plausible to me that although this is how the curse functioned, people do not often question the logistics of their rituals, but that they trust the transmission similarly to how I trust Canada Post – without knowing how the details will be transmitted.15 We in modernity privilege the material and the literary finds as they exist – simultaneously pondering the question: is cursing as a form of communication and justice more effective for the literate who can write more elaborate messages?16 One of the tablets from Mainz reads, TheDefix 878 (ed. DTM, no. 7): Whoever stole from us a purse containing money, and (keeps?) the money and the golden rings, (must return them) by the eleventh day before the Kalends of February next. If he fails to do so – just as (I write this) with a reversed stylus, which is not as it should be, so may you, o gods and goddesses, allow (him) to be reversed … for men.17
This text is metatextual: it reflects on itself and on how it is written, and it exemplifies metatextual elements of sympathy – the imposing of the process of writing onto someone else’s body or experience. Simultaneously, it steps outside the words to inscribe that backwardness of writing onto another person – to have the physical way in which it is written be so enacted. The writing in these examples plays a role unto itself in the act of cursing. None of the tablets with reverse writing in Mainz comment metatextually on the backwards letters, but they leave open the interpretation that they are to be effective: as the act of writing backwards dictating a backwards effect on the person. Reversed writing is, according to Henk Versnel, abnormal and itself belonging to a reversed world, demonstrating a transcendence of language in an eloquent way of expressing departure from our normality to another, transcendent, reality.18 Written on both front and back of the lead, another tablet, TheDefix 757 (ed. DTM, no. 4), reads: Tiberius Claudius Adiutor – In the temple – I ask you Mater Magna, to receive him in the temple. And Lord Attis, I ask you that you may credit him as a sacrifice to your account; and whatever he does or busies himself with, may it become salt in water for him. May you do, Mistress, what may cut his heart and liver – //Him cursed and caught – in his limbs, strength – let there be nothing else – Attis, Mater Magn(a).19 15 Tambiah 1968, 176 notes that when informants are questioned regarding the efficacy of their rituals they often respond that the power is in the words – but Tambiah notes that they would agree, although they did not state it, that the words require the ritual to become effective. 16 Versnel 2002 asks similar questions. 17 Translated by Blänsdorf 2012, 153. The remainder hesitantly reads “If anybody holds (it? i. e. the money) back with his hand, it shall equally … just as this liquid/juice(?) flows down … this piece of lead is [melted?] . . . and wants it might be [. . .] or terminated . . . like innocence . . . is, if in the goddess. . . .” 18 Versnel 2002, 144. One of the main differences in Mainz, in the discussion of communication with the gods, is the lack of voces mysticae/voces magicae as explanations towards a divine language. 19 Blänsdorf 2012, 174.
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As with an epistle, it contains first-to-second person writing, with a message to be received, here a request, thus informing the recipient of the purpose of the writing. The tablet TheDefix 753 (ed. DTM, no. 15) is carefully formed, with neat, but not cursive, writing. Around the outside as a square is written: “[Whatever] Aemilia Prima of Narcissus may do, whatever she attempts, whatever she does, let it all go wrong.” It is then within this border that is enclosed the rest of the curse: “May she get up out of her senses/mind. Whatever she strives after, may her striving in all things be reversed. May this befall Prima, of Narcissus: just as this letter never shall bloom, so she shall never bloom in any way.”20 The repeated theme of the text is the hope that the fate of the tablet is that of the cursed person; thus combining the literary and material aspects of the tablet. This defixio exemplifies the metatextual elements of sympathy – the imposing of the process of writing onto someone else’s body or experience – described above. But it also demonstrates a poetic use of language and text. Narcissus is both the name of a flower and the name of a slave or freedman. The verb surgat (may she get up) is used for growing plants, and is used in poetry for when crops grow quickly and excellently. The verb floreat (shall bloom) plays on the double meaning of the blossoming of a flower and beauty and other feminine virtues that would be used to think of a woman in poetry.21 Curses are marked speech and names are also highly marked in the Roman Empire – for example, Narcissus being a common Greek name for a male servus marks this person as a slave.22 By this point in time in Roman Germania, Ovid’s Narcissus story would have been widely distributed. Names in poetry have high metalyrical significance in the soundscape of Latin elegy. Whether this person had read Ovid or not, or even whether they intended to be overtly poetic in this tablet, it evidences dissemination of writing styles throughout the Roman Empire, and the playing with words: the connections between flowering and flourishing here are common, as is the name Narcissus, which makes their use elegant in simplicity despite their word-play. The performative actions are here combined with descriptive writing in a highly metatextual, metalyrical, playful way, within a highly marked speech that matters and does things. The content describes; it is a form of writing as the tool by which someone is cursed. And yet, it is the imposing of that text, and the subsequent destruction of that text, onto someone else’s experience. TheDefix 753 (ed. DTM, no. 15) looks at the analogy backwards from other curse tablets; it conceptualizes the effect on Prima Ancilla first, and then applies that to the carta to describe the carta as flourishing or blooming.23 Blänsdorf 2012, 151. am grateful to Caitlin Hines for the discussions about ancient poetry and metapoetics. 22 I am grateful to Alison Keith for conversations on slave names and on Ovid’s poetry. 23 This observation was brought to my attention by Sara Chiarini. 20
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Versnel identified that the poetics of defixiones were strategies that united the normal and the other world; this other world being one where “the relationship of text and reality is one of synecdoche.”24 And in so doing, he noted those who wrote curse tablets also “contribute to the creation of that other world and its marvellous potential.”25 Perhaps the literary effects employed in the tablets were designed to grab attention, and thus the more literary the effects employed the more persuasive the tablet was thought to be, when in a competition to be read among all the other texts. Perhaps their creations of the other world’s potential were poetic analogies meant to be explanatory in their descriptiveness – vivid analogies can aid understanding and metaphors can be useful in the transfer of knowledge. If either, or both, the former or the latter is true, then the effects produced are to affect the gods to whom they are written. TheDefix 261 (ed. DTM, no. 5) reads in full translation: Good, holy Att(h)is, Lord, help (me), come to Liberalis in anger. I ask you by everything, Lord, by your Castor (and) Pollux, by the cistae in your sanctuary, give him a bad mind, a bad death, as long as he lives, so that he may see himself dying all over his body – except his eyes. And may he not be able to redeem himself by (paying) money or anything else, either from you or from any other god except (by dying) a bad death. Grant this, I ask you by your majesty.26
Blänsdorf noted this to include a series of tricola (a rhetorical device where the author uses three paralleled phrases) and dicola, which he demonstrates by transcribing the tablet as such: Bone Sancte Atthis tyranne adsi(s), advenias Liberali iratus. Per omnia te rogo, domine, per tuum Castorem, Pollucem, per cistas penetrales, des ei malam mentum, malum exitum, quandius vita vixerit, et omni corpore videat se emori praeter oculos, neque se possit redimere nulla pecunia nullaque re neque abs te neque ab ullo deo nisi ut exitum malum. Hoc praesta, rogo te per maiestatem tuam. 24 Versnel 2002, 155, reads “The magical charm, from the perspective taken in this essay, is the product of a (happy?) alliance: one of its constituents is the expectancy of a marvellous potential in another world outside the cultural centre of everyday life, be it in the spatial fringes of the natural world or in the margins of time, or, on the other hand, in a complete ‘other world’ beyond the boundaries of place and time. The other is language or at least oral utterance, which can either belong to common communication and take its resort to a hyperbolic deployment of rhetorics, or transcend speech and more directly refer to – or, as I would tend to say now, help create – the world of ‘otherness’.” 25 Versnel 2002, 156. 26 Blänsdorf 2010, 167.
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Blänsdorf thus adduces the text to have been written by “a person of some education and sophistication.”27 His italics, which are preserved above, draw attention to some of the other literary devices used in the text, although Blänsdorf does not explicitly note any such literary features (except by mention of tricola and dicola). There are several alliterations (e. g., malam mentum; vita vixerit), parallelisms (e. g., mentum and exitum in line 5 above), repetitions (e. g., malum exitum and exitum malum of lines 5 and 11 above), and anaphoras (with the uses of neque, nulla) that likewise become evident once the text is transcribed. I agree with Blänsdorf that the tricolon use of per and neque appear to be elegantly crafted, with some amount of thought put into the writing of the text and the balancing of the phrases. What strikes me about the poetics of this text is the lack of metaphors when compared to some of the other long texts in Mainz. This tablet’s emphasis has been placed on the appeals, rather than on the explanations or analogies of the effects requested. The appeal to Atthis, who is named both tyranne and domine, through his Castor and Pollux, through the cistas penetrales (the sacred boxes of the sanctuary), through omnia, all follow each other in a long preamble, and the appeal is then similarly concluded by requesting through Atthis’ majesty. The focus of the curse is still on the body and the mind – which will be relevant in the materiality discussion – with the nouns mentum and corpore both actually present in this generalized curse (and not simply alluded to). The only specification of bodily harm or vividness is that he be harmed everywhere except his eyes. This differentiates this tablet from the others which have some careful word ordering, demonstrating variation in the literary approaches taken by the authors of the Mainz tablets. This tablet also stands out as the only one from this temple to appeal to Atthis alone. 1.2.1 The Materiality of the Tablets These textual objects, unlike books, were not written for purpose of transcribing the words in the future.28 Nor were they to be sent and shared amongst other people. The component of writing which most mattered was not the intellectual protection of the text, yet neither was the material aspect meant to last but to melt away in fire. When a book is written it generally privileges the literary words, which may be copied out into different formats and editions. I find truly fascinating the anticipated ephemerality of the material existence of these curse tablets, especially in tandem with the consideration that the collection included carefully worded texts as illustrated above. Richard Gordon has examined the relationship between materiality and the immaterial, and he focused on the considerations that followed from treating objects as agents. He noted that materiality of objects was paradoxically required for Blänsdorf 2010, 150–151. At least not prior to today’s scholars, where there is a fascinating contrast in the prioritization of the rewriting of the words. 27 28
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knowledge of the immaterial. This is, he wrote, because it was the material objects used in ritual and worship that opened people’s imagination of the divine.29 The immaterial cannot be connected to directly, so objects in material form – in sacrifices, votives, cult statues, temples, etcetera – are how people opened their conceptions of the gods and how they connected to those gods. If we follow Gordon’s reasoning, then the Mainz tablets needed to have existed in some material form in order to effect their function. If these material objects are required to access the imagined divine, those to whom they are written, then the material aspect of their writing writes the recipient into existence and reifies the imagined role that the divine was conceived to have played. In order for people in Mainz to understand the immaterial goddess of this temple, she must be interacted with in some way – this is Gordon’s insight. By writing to the divinities in Mainz, the worshipers wrote and reified their conceptions of, and their relationships with, those divinities. Although the religious objects that normally come to mind might be altars, cult statues, votives, sacrifices, and written inscriptions, I contend that these tablets in Mainz fulfill a similar function for the worshippers who wrote them. The writing inscribed into the Mainz tablets not only symbolizes the lead, but also is thereafter part of the lead. That the author of a curse tablet can write “just as (I write this) with a reversed stylus, which is not as it should be, so may you, o gods and goddesses, allow (him) to be reversed … for men”30 or “may their limbs melt, just as this lead shall melt, so that it shall be their death”31 is a result of the culturally specific practice of writing a curse on material – in these cases lead – objects. The Mainz defixiones fluidly intersperse analogies which do not relate the lead as an object, such as from TheDefix 763 (ed. DTM, no. 2) “just as salt , so may his limbs and marrow melt” with those analogies that do refer to the lead, as explored above.32 The persuasive analogies in these tablets – the just as X so like Y, which functions to make X and Y the same for whatever sameness is required – not only intend to change someone’s outcome through the inscription of the curse, but they also personify the tablet.33 The victim becomes like the lead, and by the writing is visualized 29 Gordon
2015, 136–139. 878 (ed. DTM, no. 7). Translated by Blänsdorf 2012, 153. 31 TheDefix 754 (ed. DTM, no. 11). Translated by Blänsdorf 2010, 178. 32 This demonstrates an interesting poetic attribute of material writing, reminiscent of literary works which describe a materiality that does not exist to their manuscripts – such as Ovid’s Heroides’ artful description of tear blots on the page that would not, of course, have actually been there, e. g. Her. 3:1–4; Ov., Tr. 3.1.1. This is different from the Mainz tablets, but it illuminates how analogy, metaphor, and the interplay of material words and literature can be applied. A personal epistle, such as those which Ovid replicates, is itself personified in the sense that it is meant to serve to the letter’s recipient as a representation of – to stand in for as best it can for – the physical presence of the sender. 33 Kropp 2010, 376, points also to the personification of the carmen in Verg., Ecl. 8, as well as curses. Her example, however, is specific to the words themselves – the literary elements – and not the material personification of the tablet. 30 TheDefix
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to be, in some way, destroyed; but the words of the curse, if not the lead itself, are also to take on characteristics that make it analogous to a human, and it also suffers, or is displaced, or is manipulated in some way that would be felt to be destructive, uncomfortable, unusual, or unwanted.34 In the subset of tablets that have caught my interest here, the form of writing is the tool by which someone is cursed: this is in the parallel between the writing and the desired effect. The aspects of these persuasive analogies – that like produces like, that the form matches the function, and the effects described through reversed words and meltable lead – are, when written, rhetorical and poetic attributes, comparable to having speech match the form of communication. The physical existence of the tablets characterizes them as a certain mode of communication, distinct from orality. An oath alone does not suffice for the curse tablet genre, which appears to require a material form, just as an epistle does. The materiality of these tablets is a function of their performativity, in both the written words – such as the play with words – and each tablet’s intended destruction. In order to effect the analogies of a melted tablet, its physical existence is important, yet it is intended to be quickly destroyed. The way that the tablet’s writing plays with the material tablet itself matters because it demonstrates a conception of the words as a part of the object. These words can represent and demonstrate the effects to be produced by the curse, and they require writing to be effected. Thus, although the curse may have also been spoken out loud, as in a prayer or an invocation, and spoken word may also have been an element of the message – where the message is the important and required aspect for successful communication – the lead seems fused into part of that message. The play with words, the literary devices and analogies, and the twisting of the letter genre unite the message and the words in the material object, such that the invocation of the deity evokes an image that beautifully mirrors the response hoped for by the author of the curse. I do not intend to overemphasize the material aspect in the communication; there was more to the ritual and the communication with the divine than we see. There are also, as I have mentioned, hints of communication within the community regarding the use of curse tablets. Because there are many deposits made at the same site, I assume that people were discussing curse tablets in this location with one another – that is, people knew that others were also writing tablets. Of course, the materiality of curse tablets is certainly emphasized for modern scholars who wish to know about cursing, since these partially melted tablets are all that remain to inform us about the rituals of cursing in Mainz. Therefore in the ephemerality 34 Joseph Sanzo directed my attention to the existence of katadesmoi from wells which describe cold lead and names, in a similar blurring between word, inscription, and material. These Greek texts are from the third century c.e. and do not use the same metaphorical representations as the Mainz descriptions, but they nonetheless imagine the words and the lead as inseparable once inscribed, and employ this future inseparability in the inscription, and warrant further comparison in future work.
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of the materiality of each tablet there is a tension between the ephemerality and the materiality – an irony that they still exist.
1.3 Ancient Conceptions of the Use of Curse Tablets Unlike the analogized genres of poetry, literature, and orations, these tablets were evidently meant to be burnt after writing – to have been materially destroyed and the evidence of their having been written gone. I therefore assume that in the conception of the ancients, the reading of these texts is meant to be performed by the invoked deities.35 It was not for their passive consumption, but rather the tablets served as calls to action and demands for justice, often using language of compulsion in the requests. Thus while the reading is important in the sense that the invoked deity is able to read the inscribed words (before, after, or during the burning), the role of writing the text was more important to the identity of the human curser. It was for their own benefit that each author wrote their tablet. Through this conception of divine literacy, those authors writing the curses simultaneously wrote the invoked gods – Magna Mater, Attis, Mars, and Mogunus – into the community. These tablets are individual instrumentalizations, each an attempt to harness the deities for personal use; but they are also exempla of a technology developed and refined over repeated applications in the Graeco-Roman world – for which a vocal, interpersonal communication in the reification of the divine power and the individual’s option to use this technology to harness that power ought to be assumed. The tablets, which exist to bind the gods through word and ritual, communicate to the community by the fact of their collection. They reinforced individual commitments and collective cursing as a method of justice, where many in the Mainz community must have been aware of this technology. If, unlike the genres of poetry, literature, and orations, the target audience of the defixiones was the gods to whom they were written – assumed on this basis that they are to be materially destroyed by fire instead of sent to other people – then what might that entail? Could Magna Mater choose to read it or ignore it as a human would when receiving a letter? How did people expect the gods to be reading? Or was it unquestioned by the authors of the defixiones how information was passed to divinities, either because the gods’ knowledge was unknowable or simply because no one asked? To an extent, this hypothetical divine literacy – as a divine gaze in the undertaking of action by the gods in the reading of and the listening to the curse – is unprovable, since people tend not to question their own rituals and However improbable this may have been in practice, since there is a difference between the idea or ideal of secrecy and the reality of the ritual. Relatedly, I thank Thomas Blank for bringing it to my attention that the tablets may have still been read by other people, since most rituals had people present – but that musicians, slaves, or others who may have been present may still not have counted as breaking secrecy, or counted as having read or heard parts of the curse. 35
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beliefs in this fashion. The question also does not address any conception of the gods’ ability to write; I have invoked only the reading aspect of literacy. However, since humans construct their gods by asking things of them, I hence argue that the divine constructed through these curse tablets is literate and reading.36 Under the hypothesis that the ancients construct literate gods by writing to them – where divine agency is presupposed – the writing of the text is in some way, however vaguely conceptualized, explanatory to the deities. It is not solely a ritual that the humans preform for the performance itself, but is meant to convey their invocations and demands. The god is constructed literately because, in Mainz, the gods are the instruments who bring curses upon people. So often in discussions of defixiones and katadesmoi the focus is placed on a person cursing another person, since the curse is initiated by the first person. This focus, while not unreasonable, does often serve to undermine the divinity’s role in the process. This is a simple, yet I think crucial, statement. The dynamics of a community with secret cursing and knowledge of that secret cursing requires fear of the gods in order for the cursing to work, and is not affected by the act of one human against another without a mediary. John Gager commented that a Greek curse tablet with the names Hermes and Hekate inscribed on the verso was written “as if the tablet was addressed as a letter to the gods of the underworld,”37 but he did not explain why only “as if.” Esther Eidinow and Claire Taylor wrote that some katadesmoi refer to themselves as letters, but that they use different formulae than epistles.38 Intriguingly, in arguing against the notion that these tablets might be letters to the dead, by emphasizing that they are directed to the gods not people, they seem to assume it impossible that the letter-category could include within its definition a letter to a non-human.39 Versnel notes that Greek prayers could also be said in an epistolary style.40 Since the Mainz tablets do not employ magical words, incomprehensible formulae, or magical drawings, it strikes me that they are written as if they were written to a human. One of the clearest differentiators between an epistle and a defixio is the role of the carrier; discussions on ancient letters generally include the importance of the carrier’s role for the letter’s message.41 However just as an epistle travels across a distance – emotional, geographical, or temporal – we can ask how did the information travel from a defixio, and to whom. A letter is material, but it is not a material object in the absence of all else; there is much in the politics of letter writing that accompanies the letter itself. Alongside the letter and the letter carrier, the delivery 36 Versnel 2011, 383 n. 13 makes this argument for the Greek gods’ ability with respect to Greek curse tablets. 37 Gager 1992, 126. 38 Eidinow/Taylor 2010, 43–46. Some Latin ones also referred to themselves as letters (carta), for example several of the Uley tablets now in the British Museum. 39 Despite that it could evidently, at least theoretically, include a letter to a dead human. 40 Versnel 2011, 383. 41 For example, Sarri 2018, 5.
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method, the appearance, the length, and the expectation of a response all inform the recipient’s reading. While much scholarship has focused on the offering of the tablet, or the binding of daemons, or on the legal language employed, less has focused on the relationship itself between the curser and the invoked god. Viewing the tablet as a letter affords an understanding that it functions not simply as a conduit to the god, but that it also itself acts to strengthen the relationship and influence the relationship as perceived both by receiver and sender. If the defixiones are considered letters, then a possible implication is that they triangulate the people who are being cursed. The author of a tablet uses a reference to the person being cursed for their own benefit in order to build their relationship with the god who is the intended recipient of the letter. This would be the case whether the cursed person knows their (invoked) downfall is from a curse or not. If the tablets are little letters, travelling the distance between the sender and recipient, then we can ask what the expectations of the gods might be, and these expectations would depend on how people conceive of the gods receiving the contents of the carta. Writing out a curse creates and sets boundaries for power and authority, both for the person writing the curse and for the divinities. By writing the request that the goddess perform certain actions, such as bring about the death of another person, the author of the text establishes their conception of the power that the goddess has to enact change in the world. This conception becomes reified by its externalization, which effects a displacement of action from their own agency onto the goddess’ will to act. The curser also maintains their ability to achieve this form of communication, which would not have been an available option to everyone in Germania since it required knowledge of the genre and the ability to write it out. Different messages from these tablets travelled along two communication lines: one to the divine and one to the community. The gods are created and maintained through the practices and conceptions of people,42 and thus curse tablets recreated and reified their invoked divinities. In this method, the divine invoked by the tablets was created as understanding and literate gods who could be informed of mortal wishes and could be bound to act upon those wishes.
1.4 Ancient Conceptions of the Profitability of Curse Tablets An emphasis Gordon makes, and one which I find particularly useful, is that the person who curses makes the choice to use this socio-cultural technology in their solution to a (perceived) injustice or problem, an emphasis which follows on the work of Esther Eidinow.43 This technology relies, in some communal way, on 42 As a category of ‘other’ beings they are categorized as many groups of others are, where the otherness boundary is created and maintained by the belief that difference between groups exists. 43 Gordon 2013; Eidinow 2007.
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people knowing that their downfall is from a curse. People in the community must be receptive to the feeling of being cursed and attribute that feeling to being cursed. It is the community’s collective acknowledgement that cursing is effective which enables cursing to be practiced on an ongoing basis. Matters of disagreement and the means to control disagreement are shown in all of the above discussion to be of concern to the gods, who care about justice and are responsible for maintaining justice in the world. People therefore ought to maintain correct relationship with the gods. Toleration of others in a community, however the community is united, needs to be a matter of concern in a functional population, accomplished by the management of justice. That people know that others are cursing, and that they themselves can thus be cursed, functions as a form of justice. It is the choice of each curser to curse that perpetuates and maintains the system. A system that is vulnerable to misuse, as are other systems of justice. Curse tablets allow for the ability to explain the feeling of being cursed. Furthermore, curse tablets empower community members to rectify injustice and overcome feelings of helplessness through the idea that something can be done. If there is such a feeling of agency, a method of control against helplessness, then does it matter whether or not the curses are effective, in the consideration of the curser? Asking whether or not the curses are real is an interesting question into the phenomenology of ritual, for many rituals are simultaneously real, not real, and unquestioned by the practitioner.44 In trying to attract Mater Magna’s attention, it may be that longer and more elaborate messages were thought to be more effective than shorter ones. Or else, it may have been that they were simply more interesting to write. If we assume that people did not write a tablet whilst calculating odds and success rates, then relevant questions are not as much whether people actually thought it would work, but rather why they wrote a tablet, whether or not they questioned how the gods would read or not read it, and whether they could imagine a scenario in which the gods decide to not materialize their curse.
2. Considerations between the Mainz Tablets and the New Testament In this second section of the paper, I wish both to reflect upon some of the arguments above by thinking comparatively and also to generalize about how such thinking enables questions. Thinking about a curse tablet, a defixio, immediately places my thoughts in an ancient context and I focus on questions that will work towards understanding rituals where there is no explicit evidence. If, however, the 44 This is addressed by Tambiah 1968. Anecdotally, I know of many people who swear by shots of ginger juice when they have a cold without ever inquiring as to whether any research demonstrates a statistically significant chance of success, and without having ever determined the efficacy of this cure.
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question at hand is simply about a curse, then I tend to think in modern terms, and with much less rigidly defined boundaries on the category ‘curse’ than for ‘curse tablet’. When I try to connect these, to find the curse in the curse tablet and to compare cursing between antiquity and my contemporary society, then I tend to bounce back and forth between the societies looking for similarities and differences. In many ways, interpreting the New Testament requires a similar connection to the present and to contemporary society, even as we interpret the ancient context contemporary to the texts of the Bible, since it is from modern society where we can at best attempt to move backwards undoing layers of interpretation, following the model of Martin Luther’s interpretation. Thus, one way to connect these contemporary practices of the first century – the writing of the New Testament and the writing of the Mainz defixiones – is to broaden out and consider what a curse is more generally, to think about why a curse tablet can be relevant to thinking about the New Testament and vice versa. Inquiring into the history, or the connotations, of concepts such as cursing can enable insights into the practices and can shed light on how the specifics might be burdened by the generalized category. Bringing the ancient texts to modern thinking and then back to the other ancient comparator is useful because how cursing is conceived in each context will impact how we think that such comparisons can be performed. Gordon performed such a comparison of cursing in order to argue for cursing’s importance, and the importance of studying magic without its moral stigmatization, in social history both ancient and generalized. His study examined examples from social contexts with no contact between them, in Papua New-Guinea, north-western France, and the ancient Latin-speaking north-western provinces of the Roman Empire.45 Following on his model, I argue that there is value in acknowledging that cursing is evidenced in many places in antiquity and up to current times, and that studying specific forms of cursing will, as Gordon aims to do, enable us to regard cursing as a significant and common social practice in antiquity, whether practiced by Christ followers or Magna Mater worshippers. The social contexts of Germania Superior and the New Testament writers were unlikely to have been directly influencing each other. To be sure, indirect influence certainly existed, and trade routes and communication lines would have been well established in the first century, but I do not anticipate that the authors of these curse tablets and the authors of the texts that became canonized as the New Testament were in direct conversation.
2.1 Differences between Mainz tablets and the New Testament Along with the geographic distance just noted, the spatial location of the cursing is also different. The evidence from Mainz suggests that the curses took place in the space of a temple; that is, the uniform attempts to burn and bury indicate a Gordon 2013.
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common ritual in the same space. The literary accounts in the New Testament are not so uniform, but neither are the texts of the New Testament from uniform spaces, ranging in literary genres and intended audiences and often unknown contexts. The distribution, the material written upon, how widely read, and the context of that reading all differ significantly between the temple to Magna Mater in Moguntiacum and the texts of the New Testament. The differences are numerable, and certainly not insignificant, but it is some of the similarities between these collections that caught my attention when I pondered this comparison, precisely because of how significant the differences are.
2.2 Similarities between Mainz tablets and the New Testament Some of the very basic points of comparison between these two sets of texts are that they were both written and that they were both collected. The writing of the collections was in different languages than what is spoken now, and so the texts require translation and interpretation. In both cases, interpreting the intention of longer, clearer, or more detailed texts have allowed scholars to supplement guesses about the authorial intentions or our own interpretations of shorter, less clear tablets or passages, because of their categorization (into the Mainz collection, into the category of curse tablets, or into the canonized New Testament texts). For example, to categorize lead tablets with only a name written upon them as curse tablets is to enable us to assume this was the name of an intended victim of a curse. This is helpful to us, but the writing of both collections was still accompanied by practices that remain undocumented and unknown. Although the Mainz tablets were not found until very recently, and the New Testament has been interpreted since the texts were written, nonetheless the interpretations of the New Testament texts influence how we think about the social place of both these ancient text collections when examining their ancient context. That is, two millennia of interpretations of the New Testament colour how we see religion and texts in antiquity, including context and categorization of the New Testament texts themselves.
2.3 Divine Agency It is not controversial to state that early Christ followers believed in the agency of the God they worshipped, that God could act, and that God could produce results that impacted the lives of humans, of God’s own will. Although it has been asked before whether the ancients actually believed in their gods,46 it is also not particularly controversial to state that many Romans believed in the agency of the gods they worshipped. It is, however, uncommon to try to think about ancient 46 Such questions, for the Greek-speaking Mediterranean, are asked by Veyne 1983; Versnel 2011.
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gods and their agency in a theological sense – that is, to question their nature and their relationships – outside of the context of myths. Nonetheless this seems to be an implication derived from questions regarding the efficacy of curse tablets, for if curses were things to be feared then it was because divine power was to be feared. There are several lenses which can be used to interpret curse tablets; three such possible focuses are on the material, the psychological, and the belief aspects of the tablets. For example, when considering asking how people requested divine agency in Moguntiacum, I can examine this through the material form of the tablet – exploring how they requested that the goddess punish someone by means of a lead tablet, which was burnt and deposited in a temple after they wrote out a curse. It is through such a lens that Lee Johnson compared curse tablets and Paul’s letters, using the tangible nature of the artifacts to argue for their social significance.47 Or I can examine the question through a psychological lens, using the modern field of psychology to inquire into the social context, the need that people faced, and how they dealt with problems, similarly to how Eidinow,48 and Gordon,49 have studied curse tablets as a personal means of coping with times of crises. The third lens mentioned was belief; I could look at these tablets and ask whether people held a genuine belief in the efficacy of the curse, and how they conceived the curse and the gods to interact with them and with others in their community – phrased otherwise, this is to perform, in a sense, a theological interpretation on the nature of the gods. One of the things that curse tablets allow us to do, and to do well, is to see a direct link between worshiper and goddess. Although all three factors are applicable to the study of defixiones, it is the theological lens that New Testament studies most readily inform. A tablet is not an artistic or literary depiction of a goddess, but a direct appeal to her. In this sense, the New Testament and theological interpretations thereof help us to consider divine agency to be a central feature of curse tablets, and not simply a given. It brings forth questions that have been considered before, but that are not always considered important to the study of curse tablets specifically: how do we consider the gods, and how did the worshipers consider the gods, as interactive in the process of cursing.
2.4 Modernity and Cursing As I have been considering cursing and the social significance of the cultural ideologies that words inhabit, I have the benefit that the English terms for an ancient curse tablet and to curse are the same word.50 When I asked colleagues in the Johnson 2016. Eidinow 2007. 49 Gordon 2013. 50 The etymology of the English word ‘curse’ is unknown, first attested during the 11th Century as curs and the accompanying verb cursian in Late Old English; according to the Oxford English Dictionary no similar word exists in Germanic, Romance, or Celtic language. 47 48
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Study of Religion to remember times they had cursed, they variously associated my question with either an instance of saying a particular bad word, or with an invocation of harm against another person, or with a private request to God. Some reminisced about feeling concern that God would be disappointed in them and reported that they had made the sign of the cross immediately afterwards, while others had looked around to see who had noticed. For each person I asked, the feeling was a little different; the meaning and implications of cursing differed, and the secular versus religious connotations depended upon the individual’s socialization. The act of writing a curse tablet requesting that someone else’s life be made in some way miserable is not same as a word being uttered in modernity. On the one hand, this is because there is some act of ritual built into the curse tablet which does not accompany the curse I directed at the chair upon which I stubbed my toe, and on the other it is because I can curse directly at the chair without need to call upon another power. But these discussions helped me to frame some questions to explore. Who was the audience, either present or imagined? Who was being emulated? What identity was sought? What place does cursing hold in society? It was through the comparison of the different contexts of the New Testament and the Mainz defixiones, as the English word cursing is used to label the tablets we find from antiquity, that I realized both how common cursing is and that cursing as a practice continues up to today. And it was through this connection that I realized how much my interpretation of cursing is influenced by a predominately Christian-founded – although becoming more secularized – society and socialization. Diverse practices fall within this category of curses, and from my inherited history the literary examples include Euripides’ Medea in the fifth century b.c.e., who cries “Oh great Themis and mistress Artemis, do you look upon which things I have suffered, I having bound my accursed husband with great oaths? May I some day behold him and his young bride destroyed with their house, they who dared to wrong me”;51 Shakespeare’s Mercutio, from Romeo and Juliet, who famously curses both families with his final words “A plague on both your houses!”; and American rapper Kendrick Lamar’s latest album, titled DAMN., where he is told in a voicemail “I know you been having a lot on yo mind lately, and I know you feel like, you know, people ain’t been prayin’ for you. But you have to understand this, man, that we are a cursed people. Deuteronomy 28:28 says The Lord shall smite thee with madness, and blindness, and astonishment of heart. See family, that’s why you feel like you feel like. You feel like you got a chip on your shoulder. Until you get the memo, you will always feel that way.”52 Eur., Med. 160–165, my translation. Lamar, “FEAR.” album “DAMN.” released 2017. I find Kendrick Lamar’s album to be an excellent thinking point for cursing in antiquity because it explores an individual’s feelings of being cursed and the relationship between identifying as religious and swearing in musical form that is, to varying extents, judged negatively by many people in contemporary society – as defixiones have been so looked up across the ages. Although largely beyond the 51
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The norms within the community or collectivity to which one belongs influence their possibilities of exclamations and words, of modes and methods for cursing. The disanalogies between the curses attested above are endless. Profanities, swear words and oaths, feeling cursed in modernity, defixiones, and the taming of the human intuition to utilize all of these are neither equal nor identical in many meaningful ways. They differ in how the curse is enacted, the time or eternity of the curse, and, importantly, in the explanations of who instigated the curse’s existence. Medea, who possesses magical knowledge and abilities, makes an oath – which will be fulfilled by the end of the tale – invoking Themis (the goddess of oaths) and Artemis to exact revenge against the wrongs of her husband, while Mercutio does not invoke God or the divine, but simply yells out his curse as he dies, invoking tragic poetic foreshadowing for the remainder of the play. In both of these dramatic examples, the curse lasts until the death of the accursed. The curse in Lamar’s DAMN. is initiated by God/Yahweh of His own volition, in response to human existence and His chosen people; the curse has a biblical beginning and there is less an end to be sought by Lamar than an acknowledgement that searching for correct belief will be the only way to mitigate the fear of damnation that will plague him throughout the rest of his (persona’s?) time on earth. Whether or not there is a solution, a feeling of agency, accompanying the experience of being cursed is also dependent on the perceived source of the (in)justice that has been enacted. And within this history lies also a trajectory of Christian cursing. James 3:6–10 states: And the tongue is a fire. The tongue is placed among our members as a world of iniquity; it stains the whole body, sets on fire the cycle of nature, and is itself set on fire by hell. For every species of beast and bird, of reptile and sea creature, can be tamed and has been tamed by the human species, but no one can tame the tongue – a restless evil, full of deadly poison. With it we bless the Lord and Father, and with it we curse those who are made in the likeness of God. From the same mouth come blessing and cursing.53
This discussion of oral cursing follows a trajectory into Martin Luther’s The Murder of Dresden (1531), where he declared himself subject to James’ indictment about man’s tongue and unable to pray without also cursing his opponents, and is also picked up by Desiderius Erasmus, who sees the dangers of the tongue and the fire it carries in men of his contemporary time as a great pollution on the public sphere, since he argues Luther’s tongue has set a path of insulting and schismforming. James, Luther, and Erasmus are not the first to see curses as dangerous to community bonds, this was likewise the case for many others in antiquity, such as Plato’s discussions of their legality in his Nomoi. When James’ concerns regarding the tongue are utilized by Luther and Erasmus, they provide insight into ideas rescope of this paper, curses and incantations in antiquity are carmines and the representation of personal expression through this format is poetic. This allows my chronological examples to alternate between characters in plays and personal self–representations through forms of poetry. 53 Translation from the NRSV.
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garding religious toleration through the dangers to community in communication, which returns to thoughts about cursing in Mainz as inherently dangerous and as community based. Concerns regarding the legality of cursing deal with the maintenance of a wellfunctioning society, which requires both human and divine cooperation and contentment to thrive. Ideas and ideals of civil harmony do not always tolerate the discourses of complaint – to the gods or to other people – that are frequently employed by those people who occupy a state; such as the use of magic against other people. In other words, the laws of the Roman Empire exemplify such an ideal for harmony against curse tablets and spells, but many inhabitants of the Roman Empire have a different idea of how their community functions – and they include curse tablets in their lives. This is evidenced by the fact that despite their illegality, curse tablets have been found from all over the Roman Empire, with the number of finds still recently increasing. There is therefore an apparent tension – at least to a modern reader – between the laws of the Empire and the fact that the existence and use of curse-tablets seem to be common knowledge. This division between legal and illegal, or sanctioned and unsanctioned, is not unrelated in modernity to the idea of a moral divide between appropriate and inappropriate means of communicating with the divine power. It is in the writings of the Epistle of James and Martin Luther and in the song by Kendrick Lamar that the dichotomy between praying and cursing is seen clearly. Where cursing and praying are two ways of speaking to God, praying carries positive moral connotations, and cursing is morally wrong. These connotations can be carried towards curse tablets; although curse tablets are becoming increasingly discussed, and their significance increasingly realized, they have been often regarded as marginal, dark practices. Their designation as magic is something that often works to diminish their cultural value, because they are set in opposition to proper religion (often civic religion) by scholars.54 I do not wish to argue that curse tablets were sanctioned in antiquity (they certainly may have been by some people in some places, but this is much more difficult to argue than that they were condemned by some people in some places), but rather to emphasize that this was not necessarily in opposition to praying. This dichotomy of cursing and praying is, to some extent, a result of some of the vocabulary, the context, and the connotations of cursing that I have inherited through a Christian interpretation. Two of the factors that make curse tablets such as the Mainz collection seem ancient and disconnected from my life are that they are written and that they are to gods that are no longer widely worshipped. Cursing in James and in Luther’s writings is oral, it is something that someone does against another person with 54 This dichotomy is something which much of the scholarship cited in this paper, see especially Gordon 2013 and Veale 2017, is working to undo. Eidinow 2007 argues specifically that Greek curse tablets be seen as a form of private oracles.
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their speech (with their tongue). Cursing by means of a piece of writing on lead to be ritually destroyed is a comparatively distinct, premeditated action. It is by comparison with the New Testament trajectory that this becomes clear, and it is also by means of this comparison that I can begin to understand the triangulation of the divinities, the connection that people felt to the gods, and the fear of curses which were written.
3. Conclusion The Mainz tablets attest to the identity of the cursers as worthy, through correct knowledge of the goddess and the means of communication with her, to achieve a balancing of disagreements and to achieve the social justice of perceived wrongs through her divine power. As they deal with thefts, or wrongs, the tablets are deployed as a supplement to, or a possible recourse from, the laws of the Empire. In this sense, the tablets are one way of dealing with problems that arise specifically in a communal context – by bringing the gods into the resolution of a matter between humans. The Mainz tablets are a collection of personal appeals that show a method of dealing with interpersonal troubles by appealing to a divine mediator.55 Cursing is both literal and not literal; what is therefore expected from feeling an affliction is the ability to claim the status of being cursed because it explains the existence of this affliction. This can also be assumed for the specific afflictions described in the tablets, where the curse is presumably not meant to be the specific death as written in the analogy, but in whatever way the analogy is interpreted by the divine agent before becoming an affliction upon the cursed. Binding the gods through a spell or enchantment has a material connotation in the tablet format. And the elaborations that can be seen in some of these tablets, and the creativity, seem to mark some sort of non-only-ritualized act, that is to say not only proscribed words being copied out, but some form of personalization of the standard. The most immediate connection made in my mind between curse tablets and the New Testament is that a trajectory of Christian thought, continued through interpretation of the New Testament and its many translations, has influenced my interpretation of what a curse might be. To look back to antiquity, even to the New Testament itself as a historical writing and placing it within its cultural context, is interpretable only by my socialization in a predominantly Christian culture. By thinking with the broad category of the New Testament when studying the tablets that comprise my material studies, I focused on how these pieces of lead opened a communication channel to the gods worshipped at the temple in Moguntiacum. These relationships all appear to have required communication in their commit-
Similar to the exploration of Greek katadesmoi as used in times of risk in Eidinow 2007.
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ments, and these tablets are one example of such communication – and a particularly poignant one since they were preserved into our current times. People interact with gods and divinities in different ways, and my purpose in this paper was not to demonstrate a constantly applicable principle for how interactions with a god take place, nor is it to demonstrate a specific difference between curses and curse attestations in the New Testament and curses in Moguntiacum, but instead to posit an interpretation of a curse that does not include any direct relationship to the New Testament in order to broaden perspectives of ancient curses. Since these texts were collected, they have been placed into categories: New Testament as one category, curse tablets as the other. It is the categories which allow and enable comparison, and yet it is the particular texts and objects which comprise each category that become generalized. Looking at the Mainz tablets on both scales has formed the above interpretation, and using the New Testament as a comparison permitted a return to basic questions about cursing which enables an often overlooked relationship between text and object to become central. These objects of ritual significance, both the curse tablets and the New Testament texts, shed light on some ways that relationships between individuals and gods, as well as communities and gods, were formed, maintained, and conceived in antiquity.
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Do Not Worry about How You Are to Defend Yourselves Judicial Curses, Risk in Trials, and Early Christians as Freelance Religious Experts
Giovanni B. Bazzana Curse tablets definitely constitute a group of ancient materials that is rather neglected and thus deserving of much more sustained attention not only on the part of scholars interested in biblical matters. This is all the more true at a time when we are all recognizing how important the “margins” (as we too often describe them) of the ancient world are for our understanding both of antiquity and of our present circumstances. It is not exactly correct, however, to designate these materials as “marginal”. The contributions collected in the present volume attest to the fact that the linguistic and ideological traits of “curse tablets” occupy a rather central position in several “mainstream” contexts, and in the biblical ones in particular. Thus, to state that ancient curse tablets have been completely neglected in the scholarly writing on early Christianity is also slightly misleading. There are at least two areas in which recent contributions have demonstrated how further research can yield important results and far reaching consequences for an improved understanding of the religioushistorical landscape of the Mediterranean area at the crucial historical juncture between the early Roman period and Late Antiquity. Two avenues of research are worth mentioning here briefly, since they are both represented among the contributions collected in the present volume. They delineate two paths that, despite their undeniable legitimacy, will not be pursued in this essay. First of all, it is worth mentioning that formulae taken from among those appearing on curse tablets or similar materials occur often in New Testament texts or in other writings belonging to the early Christ movement.1 This is a phenomenon that – whether it should be judged metaphorical or not – earlier generations of scholars have generally tended to deny on account of the fact that it might indicate a Christian involvement with those inappropriate activities that are often designated as “magic”.2 There is no space here to detail the many and compelling considerations that should lead to abandon the use of the label “magic” or at the very For writings that became canonical, see for instance Deissmann 1911, 302, or Kim 2016. South 1993, for instance, tries to deny the Pauline use of a curse in 1 Cor 5:3–5 because of its communal context, while “magic” would only be a “private” matter. 1 2
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least of the binary “magic/religion”.3 In any event, to think that New Testament writings or the groups that composed them had nothing to do with curse tablets – or with whatever else is collected under the label “magic” for that matter – is little more than an ungrounded assumption.4 Several of the contributions collected here demonstrate that the opposite is true. In particular, the early Christ groups shared all the same features of a diverse religious environment that can be observed in other similar religious groups in the Mediterranean area. Thus, from the literary record we can safely assume that Christ believers and followers thought about their experiences and wrote about them in ways that were at times reminiscent of – if not even informed by – the religious ideas and practices that one encounters in curse tablets and other similar materials. The second scholarly trend that has emerged in recent years and that is certainly changing the way in which we look at our evidence is linked to our improved understanding of the means through which “magical” devices such as curse tablets worked. In large measure, this change of perspective is connected again to the abandonment of the negative stigma that often accompanied the study of ancient “magic” in traditional scholarship. Instead of pursuing an abstract notion of beliefs or doctrines (as done too often before under the umbrella of a modernist epistemology), newer research is acknowledging more and more clearly the crucial role played by the materiality of ancient religious objects.5 This includes even the performative function of uttered words, as in Marco Frenschkowski’s contribution to this volume, or the effectiveness of drawing or writing itself as in the many important articles of Joseph Sanzo.6 All of these considerations must obviously have an impact on our evaluations of all Christian texts as well, since now it becomes more and more difficult to treat them merely as vehicles of doctrines and theological ideas. Both these two lines of inquiry have great merit, but the present contribution aims at taking a different approach today, hopefully offering some preliminary observations built on the insights that one can draw from the analysis of ancient curse tablets. A remarkable feature that characterizes these materials – at least for the imperial period, which is more relevant for those working on the early Christ movement – is the chronological and geographical spread of curse tablets all over the ancient Mediterranean and through the initial four or five centuries of the Common Era.7 This is an extraordinary and fortunate situation, particularly when one compares this state of affairs with that obtaining for papyrological materials. For instance, it is well known that a completely opposite situation faces anyone 3 But
see now the counterarguments in Frankfurter 2019, 3–20. early Christianity, see now the considerations of Sanzo 2019, 198–238. 5 For the epistemological change of paradigms involved here, see Keane 2007. 6 Sanzo 2014 and 2016. 7 It is enough to take a quick glance at the table of contents of Gager 1992, but the coverage has only become more impressive over the following years. 4 For
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who ventures in the fraught field of documentary papyrology with its attendant legal concerns. Many attempts to generalize data drawn from Egyptian documents (which constitute the overwhelming majority of the evidence at our disposal) are too often rebutted with the objection that Egypt was actually an “exceptional” case from an administrative and legal standpoint.8 A similar problem plagues the study of the so-called “Greek Magical Papyri”. The pieces collected in this artificial group are truly extraordinary and their potential for further research has been barely tapped up to this point. However, it is undeniable that drawing generalizing hypotheses out of them is problematic at the very least, since the bulk of this corpus is constituted by a few late (for our purposes) and big collections of recipes whose very Late Antique Egyptian flavor seems at first sight to preclude a comparison with other regions and other epochs.9 Curse tablets present a very different scenario: as noted before, they can be found at almost any chronological period and geographically almost all over the Mediterranean area and beyond. In addition, their main features are remarkably similar, even in a span of time that reaches almost the millennium and stretches from Syria to Britain. Such an outstanding consistency in linguistic and formal characteristics indicates that curse tablets can be a very good locale in which to study the spread and the longue durée of some ancient Mediterranean religious phenomena. Conversely, now that such a large (and continuously growing) corpus of curse tablets is available to our study it becomes more and more evident that – besides the significant similarities – materials stemming from different chronological and geographical areas present also specific features. These, in turn, can be quite useful to trace regional trajectories or salient moments within the long temporal stretch that goes from sixth-century b.c.e. Sicily to Late Antique Britain.10 For example – getting back once more to the above-mentioned Egyptian “magical papyri” – one can see that their recipes are only in very few cases adopted for the composition of curses in other ancient regional contexts.11 This strengthens the impression (already presented as a caveat by several other scholars) that one should be very cautious in drawing generalizing conclusions only on the basis of the great Egyptian codices. That being said (and in order to sound a more hopeful and constructive note), such a rich amount of evidence can provide interesting data to write at least some preliminary notes for a history of religious practices and beliefs in the Mediterranean in the early imperial period. Important attempts in this direction have already yielded significant results, such as, for example, some of the recent essays produced 8 See the counterargument on the representativeness of the Egyptian record in Bagnall 2011. 9 See, for example, the analysis of two of the major manuscripts offered by Dieleman 2005. 10 See, for instance, the comparative analysis offered by Blänsdorf 2012 on the socio-cultural context of the Mainz materials. 11 Consider the North African exception treated to great effectiveness in Gordon 2012.
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by David Frankfurter or Richard Gordon.12 But it seems that, in addition, these considerations can be put in fruitful conversation with what we know about the practices, beliefs, and literary production of the early Christ movement in the same geographical areas and over the same span of time. The remnant of this essay will present a few preliminary sketches in the hope that they might show how the study of curse tablets might contribute to a socio-religious history of the Christ movement in the early Roman centuries.
1. Judicial Curses Scholars have distinguished various types of curse tablets, mostly on the basis of the purpose that guided the composition of the spells. It goes without saying that this distinction is eminently artificial and modern, as it is the very category of “curse tablets” (or defixiones). In this perspective, the current state of affairs is as dependent on the choices made by Auguste Audollent more than a hundred years ago as the other artificial category of “Greek magical papyri” is linked to the assumptions and biases of Karl Preisendanz and other pioneering scholars of his generation. That being said, one must also acknowledge that distinguishing the various types of curse tablets on the basis of their diverse practical purposes can be a useful heuristic tool. In particular the exercise can prove itself useful if one is interested in exploring the contribution that these texts can give to a more adequate understanding of the social conditions of those ancient people who commissioned and inscribed these tablets. For one thing, the systematic analysis of the formal and textual features of these artifacts has enabled scholars to recognize that a good number of them were prepared and arguably marketed in, so to speak, “ready-made” form.13 This is the reason why several texts share stock phrases whose effectiveness was evidently acknowledged widely. Such “models” sometimes could be even adapted to specific cases by adding at a second stage the name(s) of the target(s) of the curse. This observation has two consequences for our socio-religious purposes. On the one hand, it underscores the need to use caution when we attempt to draw conclusions about social realia out of these materials. It is appropriate to keep always in mind the rhetorical and stereotypical nature of the social situations and needs that are presupposed or directly represented in the documents. On the other hand, however, the very existence of a relatively flourishing market for curse tablets in antiquity calls for the related existence of a class or group of experts who were credited with the knowledge and skill needed to meet the requests and expectations of this clientele. Richard Gordon has recently illustrated this very well with respect to the 12 See
Frankfurter 2018. 1992, 5.
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great number of “agonistic” curse tablets that appear in the province of Africa from the latter part of the second century c.e. A significant number of the defixiones that have been discovered in and around Carthage and other important urban centers of the province reveal common formal and textual features. This leads Gordon to conclude that they were for the most part commissioned by stable-owners whose teams were competing in the circus races. Gordon hypothesizes – following a suggestion of Esther Eidinow concerning curses in classical Athens – that this action was part of a strategy deployed by African stable owners in order to minimize the “risk” involved in the costly enterprise of setting up chariot teams in the races.14 Indeed, conceptualizing the commission and production of curse tablets as a “risk management” strategy has some important advantages for the more general contextualization of this phenomenon in socio-religious terms.15 First of all, it enables us to look at these artifacts and at the information contained in their texts in terms of the actual social life of the ancient people who used them. Second (and related to the first point), thinking about social conceptions of “risk” allows us to rescue curse tablets from the obscure world of witchcraft and “black magic”, in which scholars have often relegated them in a patently Orientalizing move. Finally, because of the last mentioned advantage, by thinking about curse tablets not only as aggressively “damaging tools”, but also as devices to manage “risk”, one can compare them more effectively and fruitfully with other ancient practices, which are not specifically “curse tablets”, but which present some of the formal and functional characters that one encounters in defixiones. I suggest that the latter point might be the most important one for those interested in the socio-religious placement of the early Christ movement and I will come back on it in a few moments. Before getting there, however, I would like to mention another conclusion drawn by Gordon from his examination of the circus-defixiones of Carthage and Hadrumetum. As hinted above, the British scholar suggests that the commissioners of these artifacts had recourse to experts whom Gordon identifies as “Greco-Egyptian” because of the language of most of the tablets and of the cultural references that one encounters in their spells. It is impossible to tell whether these experts on curse production were actually Egyptians or if they hailed from the province of Africa, but in all likelihood they claimed a specific skill or training in the Egyptian lore that was widely credited throughout the ancient Mediterranean as being particularly effective in “magical” matters. Gordon’s description of these practitioners cannot fail to evoke the representation of “freelance religious experts” that Heidi Wendt has recently offered in a very intriguing volume.16 In Wendt’s redescription of the ancient Mediterranean religious landscape in the early Roman period one encounters several examples of individuals or groups who move around in the 14 In
the already mentioned Gordon 2012. The idea that classical Greek defixiones can be understood as tools to “manage risk” is presented in the seminal work of Eidinow 2007. 16 Wendt 2016a. 15
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global imperial oikoumene created by Roman power. These subjects are “freelance”, because of their independence from more traditional religious institutions such as temples, and they are purportedly “experts” inasmuch as they claim a specific knowledge in arcane doctrines that are oftentimes loosely based on scriptural texts and allegedly coming from foreign lands. The practitioners described by Gordon can very well be located within this category as they provided their clients with devices to manage risk on the basis of their expertise in some Greco-Egyptian strand of curse “magic”. Wendt includes also some early Christ believers under the category of “freelance religious experts” and indeed she is able to mount a very convincing case concerning Paul.17 The apostle could be safely considered the ancient “expert” on whom we know the most, given the exceptional fact that his own writings survived without being destroyed as it instead happened for many of his contemporaries. Obviously, a direct comparison between “experts” such as those belonging to the Christ movement and those who produced curse tablets is not possible. On the one hand, it is not unthinkable that Christ believers might have occasionally sought the help of “expert” writers of defixiones and some of the surviving tablets present phrases and features that can be deemed Jewish and later Christian. On the other hand, it is clear that Christ believers were not identified as “experts” in the composition of curse tablets in the early period that is considered here. But, as I have suggested before, if one conceptualizes defixiones as a strategy to manage “risk” in some specific situations, then it becomes possible to analyze texts belonging to the Christ movement and evaluate whether they show features that are analogous formally and ideologically to those encountered in curse tablets. Eventually, it might be possible to ask if the “freelance religious experts” belonging to the Christ movement might have been envisaged as providers of a “risk management” expertise similar (or alternative) to that afforded by the writers of defixiones. It goes without saying that early Christ believers can hardly be conceptualized as “experts” in managing “risks” inherent to chariot races or love affairs, even though both these two themes are well represented within the extant corpus of curse tablets. There is, however, another “type” of defixio that might be fruitfully compared with phenomena and topoi encountered in the writings belonging to the Christ movement. Already beginning with the artifacts datable to the classic Greek period, scholars have identified one major “type” of curse tablet as “judicial”. The present treatment will focus on those pieces that are traditionally designated as defixiones iudiciariae since at least the time of Audollent’s collection.18 Thus, I will keep out of consideration the newer category established within the field by Henk Versnel’s seminal work on “prayers for justice”.19 One may have doubts that On Paul, see also Wendt 2016b. DTA, No. 89 (TheDefix 849): litigatores adversarium in iure ut causam obtinerent. 19 In particular, Versnel 1991 and 2010. 17 18
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the two groupings can actually be distinguished as neatly as Versnel maintains. Moreover, it is debatable that importing in this discussion the ill-defined category of “prayer” is actually a helpful move. However, it is true that from a purely heuristic point of view Versnel has drawn attention to a set of very interesting features. That being said, in order not to overcomplicate the present analysis, I will try to avoid references to “prayers for justice” and I will limit the current examination to “judicial curses”. The “classic” type of “judicial defixiones” is well attested for Greece already in the earliest centuries. Its emergence has been connected by Christopher Faraone to the growth of democratic systems within the Greek poleis, a phenomenon that was accompanied by an increase in personal conflicts in the political domain, which in turn arguably led to a widespread use of “curses” as “agonistic” tools.20 The already mentioned Esther Eidinow understands the many exemplars of judicial curses coming from classical Athens as attesting to the widespread social dimension of “risk” brought about for one’s fortunes and even one’s life not only by political competitors, but also by the inefficiency and corruption of the judicial system of the polis. Leaving aside the Athens of the fourth century b.c.e. to come closer to the time period that interests us here, it is worth noting that judicial curses remain quite popular throughout the Mediterranean (even though some of their formal characteristics do change) for the following centuries. In the perspective of an ancient understanding of “risk”, juridical defixiones do attest to the fact that ancient people remained concerned with the potential harm that they might have incurred either through actual interaction with the legal system or, more generically, by the “gossip” or slander that adversaries might have deployed against them.21 It goes without saying that it might appear utterly paradoxical to suggest that the early Christ movement was perceived (or presented itself ) as including people who possessed a special expertise in averting this kind of judicial “risk”. It would be easy to object that Christ believers should be the least likely to display such a skill as they worshiped an individual convicted and executed as an anti-Roman criminal. One should also give due consideration to the fact that a significant chunk of the earliest writings belonging to the movement are accounts of the negative encounters between Christ believers and Roman authorities resulting again in convictions and executions. This evidence cannot be discounted, but it is important to highlight a few elements, which might lead to a different conclusion. For one thing, even in the case of Jesus, all the accounts of the trial that one encounters in the canonical as well as apocryphal Gospels stress quite strongly the point that he was the victim of an egregious mistrial. In particular, for our purposes, it is interesting to note that the witnesses presenting charges against Jesus prove themselves to be especially Faraone 1991. On the “danger” inherent to the ancient legal system, see Kelly 2011, and on “gossip”, see Neufeld 2014. 20 21
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ineffective. For instance, Mk 14:56–59 famously makes the point that the witnesses were not only telling falsehoods, but that they were also unable to agree among themselves.22 This is all the more remarkable in light of the fact that arguably the reader is led to think that the entire charade must have been prepared in advance as part of a plan to convict the otherwise innocent Jesus. The same pattern is repeated in a number of martyrdom narratives, which are often openly imitative of the Gospel stories. Martyrdom accounts are equally invested in showing that convictions of Christ believers are almost always the products of miscarriages in the administration of justice.23 In this respect, it is crucial to observe also that writings like the various “acts” of the apostles (be them canonical or apocryphal) contain many more accounts of trials than just the final ones resulting in the death of their main characters. In all these other occasions the outcome is obviously much more encouraging, often resulting in the triumph of the titular apostles over their adversaries. The pervasiveness of trials in the narratives of the early Christ movement should not be immediately ascribed to the actual historical circumstances experienced by these groups. We know well that the representation of the first Christian centuries as a continuous succession of persecutions is more apologetic imagination than historical reality. That one encounters so many trials in the writings belonging to the genre of “acts” is due in large measure to the fact that trials are very common also in the contemporary Greco-Roman novels to which Christian “acts” are so closely related from a formal point of view. Several scholars have studied the role played by trial narratives in the context of novels, in particular Saundra Schwartz, who has recently analyzed their function as literary locales in which the cultural and moral values of the novels are debated and ultimately strengthened.24 It is quite clear – even after only a very cursory examination – that something similar happens in the Christian “acts” as well. Leaving aside for the moment the literary and ideological function played by trial narratives in the texts belonging to the early Christ movement, it is enough, for the present purposes, to pay attention to the sheer number of them. Christ believers seem to be intensely concerned with this type of “risk” for reasons that are partly historical, but also reflective of their ideological and religious experiences. Even more relevant for the present argument is that – when one looks at these writings with a critical eye – it appears that (at the very least) the self-representation that these Christ believers want to offer of their own interactions with the legal system is not defined by lack of success or negative outcomes. On the contrary, beginning with Jesus and then continuing through an impressive series of apostles and martyrs, these narratives are constructed in a very specific and deliberate way. Regularly, opponents of the early Christ movement fail to make their cases in the trials. 22 Mk
14:56: “Many gave false testimony against him, and their testimony did not agree”. fundamental innocence of Christian martyrs is also argued at length in apologetic writings, for instance in the well-known opening of Tertullian’s Apology. 24 Schwartz 2016. 23 The
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Furthermore, even when the ultimate outcome of the process is the conviction of the titular apostle or martyr, this is almost never due to the prowess of their rivals, but to hatred and corruption in the very judicial system. There is very little doubt that there are important ideological reasons behind such a choice of representation. On the one hand, the apologetic effort to present the new religious movement as politically innocuous and legally innocent. On the other hand, the theological need to demonstrate that God could protect his devotees in any situation. Thus, if Christ believers are condemned to death, is not because they have been bested in court by their opponents, but because God’s providence has worked towards this paradoxical goal through the duplicity of inadequate judges. For the purposes of the present argument, it is interesting to consider what are the means through which Christ believers obtain success in their trials. This is not due to an extraordinary knowledge of legal provisions, but usually to miraculous events. The latter either demonstrate in an unexpected way the innocence of the individuals under scrutiny (this is something that is often replicated in GrecoRoman novels)25 or thwart the ability of opponents or hostile witnesses to carry out their malicious attacks. This is what happens, for instance, in the paradigmatic case of Jesus’s trial, in which – as we have observed before – the witnesses who were expected to seal his fate fail to deliver in a rather surprising way. This twist in the plot is quite common in other novelistic trial narratives as well.26 The same is true also for the continuation of the story in which Jesus takes the matter in his own hands and, for all intents and purposes, provides by himself the decisive witness needed to get himself convicted. Other cases analogous to the one just mentioned will detain our attention here, because trial narratives are the ones that present the clearest similarities to what is supposed to happen through and around judicial defixiones. It is as if we could see happening in “real life” what the authors of judicial curses are asking deities to do for them in the future. These are circumstances that are not at all unexpected for trials of Christ believers. Indeed, the foundational texts of the movement are the first ones to assure them that, even if they are faced with tribunals and governmental authorities, they should not be afraid. In the words that Mark 13:11 puts on the mouth of Jesus, “when they bring you to trial and hand you over, do not worry beforehand about what you are to say, but say whatever is given you at that time, for it is not you who speak, but the holy spirit”. This Gospel tradition is repeated, with various modification, in all the other Synoptics and might even have had a Q version alongside the Markan one.27 Here the defense of the Jesus followers in court is unquestionably attributed to the supernatural intervention of “the holy spirit” (τὸ The best-known instance is that of Habrocomes’s failed crucifixion in Xenophon’s Ephesian Tale 4, because the narrative is often compared to Jesus’s capital punishment. 26 Consider the self-accusations of Chereas in Chariton’s novel and of Clitophon in Achilles Tatius; for a comparison between these narratives and canonical Acts, see Schwartz 2003. 27 Mt 10:19//Lk 12:11–12; on the potential presence of the saying in Q, see Heil 1997. 25
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πνεῦμα τὸ ἅγιον). What is envisaged in the saying of Jesus is clearly “possession” of the individual Christ follower by this spirit, a circumstance that is very eloquently indicated by the fact that the “spirit” takes over the physical capacity of the human individuals to express themselves linguistically and replaces their agency in the act of “speaking”.28 In the context of a trial, it is quite easy to see how this situation constitutes the “positive” side of the “negative” actions that are sought for in the judicial curse tablets, in which writers ask for a divine intervention that would physically inhibit their adversaries. Most interestingly, in several extant examples of this type of curses the invoked deities are asked to “possess” these opponents, employing various forms of the verb κατέχω.29 Such a lexical choice can be easily compared with other expressions often used in early Christian literature to indicate the state of humans “possessed” by evil and harmful spirits. In the remaining sections of this paper I will examine two textual examples, drawn from “acts” narratives belonging to the early Christ movement, in order to show how these writings might at times display also a “negative” stance that is comparable to the one observed in judicial curse tablets.
2. Paul in Cyprus The first textual case to be examined here concerns a notoriously puzzling episode that characterizes the short visit of Paul and Barnabas to Cyprus in chapter 13 of the canonical Acts of the Apostles. Despite its brevity, the pericope stretching from verse 4 to 11 has been the subject of some very complex scholarly discussions. That being said, the main points that are usually debated at this juncture (preeminently, the historicity of this Pauline visit to the island or the nature of the anti-Judaism displayed by Luke in this context) will not detain us here.30 I would like to focus instead on the confrontation between Paul and a μάγος (who is variously called Βαριησοῦς or Ἐλύμας in the brief span of these seven verses) that takes place in Paphos in the presence of the Roman governor of Cyprus, Sergius Paulus. Several years ago, Arthur Darby Nock, in a seminal article on ancient “magic” that took its starting point from this page of Acts 13, pointed out that the intention of Luke in setting up this confrontation was to display the opposition between Christianity and “magic”.31 However, while it is certainly wise to listen to Nock’s For the role played by “spirit possession” in the early Christ groups, see Bazzana 2020. The verb scores much fewer occurrences than the almost technical (and synonymous) καταδέω, but it is worth noting that it appears in defixiones on a significant chronological span, stretching – for example – from DTA, No. 67 (TheDefix 761), a fourth-century b.c.e. lead tablet from Attica, which mentions also Hermes as ὁ κάτοχος, to DTA, No. 155 (TheDefix 178), one of the famous tabulae sethianorum from Rome datable to the late fourth century c.e. (employing both συγκατέχω and ἐπικατέχω), on which see Wilburn 2012, 1–9, and Bevilacqua 2012. 30 For a summary treatment of these points, see Pervo 2009, 318–327. 31 Nock 1972, 308–330 (but the article was originally published in 1933). 28 29
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authority on matters such as these, one might wonder whether the rhetorical means deployed here by Luke are actually achieving the desired result. Rather paradoxically, it is in fact doubtful whether Luke does actually succeed in painting a picture of Paul’s activity that is the opposite of what one would expect from a magos such as Elymas. Indeed, Luke tells us that – when the two opponents are brought in the presence of the governor – the apostle dismisses his adversary in very short order by telling him in verse 11 that “the hand of the Lord is on you, and you will be blind, unable to see the sun for a time” (καὶ νῦν ἰδοὺ χεὶρ κυρίου ἐπὶ σὲ καὶ ἔσῃ τυφλὸς μὴ βλέπων τὸν ἥλιον ἄχρι καιροῦ). As a consequence, “immediately mist and darkness fell on him [Elymas], and moving around he was searching for someone who could lead him by the hand” (παραχρῆμά τε ἔπεσεν ἐπ᾽ αὐτὸν ἀχλὺς καὶ σκότος καὶ περιάγων ἐζέτει χειραγωγούς). Benedict Kent has offered a recent analysis of this passage together with others from Acts, demonstrating quite convincingly that (even though Luke did not use the specific terminology of defixiones) this is exactly the kind of “binding” of an opponent that ancient experts and their clients tried to achieve through the use of curses.32 In this agonistic context, Paul’s victory on Elymas is not earned through rhetorical or philosophical prowess, but through a supernatural intervention that is triggered by “words of power” and inhibits in a very radical way the regular workings of the opponent’s physical faculties. Again, Kent argues that the author of Acts crafts this and other narratives in Acts with the intent of showing that his main characters have a privileged connection with God as a source of power. Borrowing from Jonathan Z. Smith, Kent describes the early Christ apostles as striving towards legitimization as representatives of the religion of “anywhere” (analogous to the “freelance experts” mentioned above).33 One may legitimately object to the argument presented here that the episode narrated in Acts 13 does not technically concern a trial. This is true, even though its agonistic context is quite clear, as just noted above. Moreover, several commentators (including, most recently, Richard Pervo)34 have pointed out that the narrative is reminiscent of a traditional type which is well attested within court tales. Thus, for instance, the confrontation between “magicians” attached to a political authority and a newly arrived envoy of God cannot but remind readers of an analogous episode involving Egyptian “magicians” and Moses and Aaron at the court of Pharaoh in Exodus 7–9.35 Such an intertextual connection is uncontestable and indeed reminiscences of the Jewish scriptures work well within the anti-Jewish undertone that Luke is pursuing here as well as in other pages of his work. That being said, however, it is worth maintaining that the confrontation before Sergius 32 Kent 2017, 415–423 (Kent examines also the episode of Simon Magus in Act 8 and Ananias and Sapphira in Act 5). 33 Kent 2017, 435, and Smith 2003. 34 Pervo 2009, 322. 35 Another biblical parallel that is often evoked at this juncture is the confrontation between Elijah and the prophets of Baal in 1 Kgs 18:1–40.
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Paulus can very well be treated also as a small trial narrative, which is – in its own turn – a plot device that recurs throughout the entire span of Acts and performs (as noted by Saundra Schwartz) a key function both from an ideological and a narratological point of view. For all intents and purposes, it is Paul and Barnabas’s preaching that is on trial in the presence of the Roman proconsul of Cyprus. Some linguistic clues left behind by Luke might encourage a reader to explore this possibility further. For instance, this is particularly clear in the word choices that characterize the description of the summons of Paul and Barnabas on the part of Sergius Paulus. The verb employed to indicate the summons is προσκαλέω (often used for accused or witnesses cited before a tribunal)36 and the one chosen to designate the intention of the proconsul is ἐπιζητέω, which again is often associated with criminal inquiries conducted by a judicial authority.37 If one accepts the hypothesis that Acts 13 relates the casting and the effects of a judicial curse, it might be interesting to ask where Luke might have gotten the idea of placing an episode like this in Cyprus. Already the above-mentioned Pervo has connected the episode of Acts 13 with the big discovery of a cache comprising more than 200 lead and selenite tablets found at the end of the nineteenth century near Amathous. The tablets are dated to the late second or early third century c.e. and, from the very spotty and unsystematic description of their discovery, it seems that they were found at the bottom of a pit that served either as a well or as a burial place.38 Either way, such an archaeological context is quite fitting for curse tablets and indeed, while only a small number of them has been actually published, there is a general consensus on the fact that the majority are judicial defixiones. As such they are designed to enlist the help of chthonic deities and of the spirits of violent dead in order to “block” the actions of adversaries of the people who commissioned their composition. The published texts make repeated use of words related to the semantic domain of the verb φιμόω (“muzzle”), which is otherwise rarely attested in curse tablets.39 But one encounters also requests that the θυμός and ὀργή (the hostile “passion” and “anger”) that move the adversary of the defigens may be taken
36 Οὗτος προσκαλεσάμενος Βαρναβᾶν καὶ Σαῦλον ἐπεζήτησεν ἀκοῦσαι τὸν λόγον τοῦ θεοῦ (13:7). For this nuance of προσκαλέω when employed in a middle form, see the examples given in LSJ, s. v. 37 Such a nuance occurs often in documentary papyri of legal nature: see at least the examples presented in LSJ, s. v. 38 The tablets have been published in several different books and articles through the years; for the most updated summary, see Wilburn 2012, 170 n. 3. 39 A formula often repeated in these defixiones is the following one: οὗτοί μοι πάντοτε [τελιώσ]ουσιν κὲ φιμώσουσιν τὸν ἀντίδικον ἐμοῦ τοῦ Σοτηριανο[ῦ τοῦ] κὲ Λιμβάρου τὸν Ἀρίσστωναν (“These [the infernal deities] shall always carry out my wishes and muzzle Ariston, the opponent of me, Soterianos also called Limbaros”, DT, No. 22 [TheDefix 141, lines 41–43]). Moreover, several of the defixiones are self-described, in their very text, as “muzzling curses” (φιμωτικὸν κατάθεμα).
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away from them.40 Moreover, the curses ask that opponents’ “tongues” might be “put to sleep” (which is very convenient – as we have seen before – in a trial).41 Recently Andrew Wilburn has carefully reexamined the tablets from Cyprus in connection with their archaeological context. Wilburn’s examination has confirmed the conclusion – already advanced by other scholars on paleographical grounds – that the defixiones were in all likelihood materially written by a small group of professionals. The latter in turn served a diverse group of commissioners whose names are sparsely attested in the texts.42 Additionally, Wilburn reminds us that – according to a witness of Pliny the Elder in Naturalis Historia 30.2.11 – there existed in Cyprus a specific factio (often translated in English as “branch”) of “magic” craft. In his review of the history of magia, Pliny mentions the Jewish craft (which is, according to him, much later than the Zoroastrian one) and then adds that “so much more recent is the Cypriot one” (tanto recentior est Cypria).43 It has long been discussed whether Cypriot “magic” should be considered an offshoot of the Jewish one, but there is little or no supporting evidence for this conclusion (for instance, the tablets from Amathous do not evince any particular sign of Jewish influence). Even in the episode of Acts 13 the Jewish alias that is attributed to Elymas might be taken as an anti-Jewish embellishment of Luke,44 as it is the reference to Paul and Barnabas unsuccessful preaching in the synagogues of Salamis in verse 5. But Pliny’s remark – despite its brevity and obscurity – seems to sketch a trajectory of Cypriot “magic” that would stretch at least from the first century c.e. to the third-century defixiones from Amathous. The narrative of Acts 13 would fall squarely in the middle of this time period. Interestingly, Wilburn tries to say more about the social organization of the experts who composed the tablets from Amathous and, in doing so, suggests a series of options, ranging from a collegium to that of priestly experts attached to a temple or a shrine. The latter solution looks unlikely in light of the dearth of evidence for an institutional setting of the type imagined by Wilburn. But it is intriguing to think about a “school” of religious experts (perhaps comprising a master and a few apprentices) specialized in the composition of judicial curses. In this perspective the narrative of Acts 13 (or, more likely, the tradition that has been reworked there by the Lukan redactor) appears to be displaying the superiority of his lineage of freelance expertise against the Cypriot one. 40 In the same defixio in the lines 16–18: παραλάβετε τοῦ Ἀρίστωνος κὲ τὸν υἱὸν αὐ[τοῦ Ἀρ]ίστωναν τὸν θυμὸν κὲ τὴν ὀργὴν τὴν εἰς ἐμὲ ἔχι τὸν Σο[τηριανὸ]ν τὸν κὲ Λίμβαρον (“Take over from Ariston and his son Ariston the passion and the anger they hold against Soterianos also called Limbaros”). 41 Again, in the same defixio, on lines 27–28: κατακο[ιμίσ]ατε τὴν γλῶσσαν. 42 Wilburn 2012, 200–209. 43 Plin., nat. 30.2.11 (LCL 418, 284). 44 If one were to accept Pervo’s and others’ hypothesis on the dependence of the author of Acts on Josephus, it would make sense to see this reference as an imitation of the figure of Atomos, the Jewish magician from Cyprus working for Felix, the governor of Judea, in Flav. Jos., A. J. 20.142.
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3. The Curse of Philip The second example that I would like to consider here stems from a much later period than the one examined before. The apocryphal Acts of Philip are an extraordinary composite of several materials, probably put together between the middle of the fourth and the beginning of the fifth century.45 The second book of these Acts was, in all likelihood, one of the latest pieces to be included in the collection. The analyses of Christopher Matthews and Frédéric Amsler have demonstrated that the text is dependent not only on several biblical writings, but also on book 6 within the same Acts of Philip and on the final Martyrdom of Philip.46 That being said, book 2 includes also some elements that are clearly much earlier than the fifth century, because their heterodox and generally “irregular” character conflicts quite evidently with the orthodox concerns that have probably guided the composition and the final redaction of the Acts. In this final section of the present essay I would like to focus our attention on an episode from book 2 that concerns the dramatic confrontation between Philip and the Jewish high priest Ananias in Athens. The plot of the story is an artful, but also simplified combination of reminiscences from narratives contained in canonical Acts of the Apostles. In particular, book 2 combines an imitation of chapters 17 (Philip is in Athens where he tries to convert a group of 300 philosophers) and 23 (the philosophers invite the high priest Ananias to come over from Jerusalem in order to challenge the apostle of Christ). As the character Ananias orders to strike Paul in the canonical antecedent of Acts 23:1–5, likewise in the Acts of Philip the high priest himself moves to attack the apostle. However, this attempt is thwarted by a miraculous intervention, through which Ananias loses his sight and the use of the arm with which he had tried to strike Philip (ActPhil 2:12). From this moment on, a tense debate ensues in which the apostle makes an effort to convince the high priest that the revelation of Christ has superseded the one of Moses. Quite interestingly, Ananias refuses to accept Philip’s argument because he maintains that the apostle does not really have a reasonable proposal, but instead relies entirely on Jesus’s “magic” or “sorcery”. Even more interestingly, Philip admits quite straightforwardly and from the very beginning that he is not even attempting to prove his point by way of argumentative reasoning, but through the power of extraordinary and awesome acts (ActPhil 2:11).47 Ananias refuses to yield even after Jesus himself has appeared in his heavenly glory and the demons/idols of the city of Athens have acknowledged his sovereignty. Thus, Philip has recourse to an extreme threat that, for all intents and purposes, confirms that the power of Christ is indeed “magic” (ActPhil 2:14): The best introduction to this writing is now in Amsler 1999. Besides the above-mentioned Amsler 1999, see also Matthews 2002, 186–189. 47 Ἦλθον πρὸς ὑμᾶς οὐ λόγοις διδάξαι ἀλλ᾽ ἐν ἀποδείξει θαυμασίων (Amsler 1999, 57). 45 46
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Ἐὰν δὲ μέχρι τέλους ἐπιμείνῃς τῇ ἀπιστίᾳ, ἔρχεται ἐπὶ σὲ παράδοξον πρᾶγμα, ὅπερ λαληθήσεται εἰς γενεὰς γενεῶν, ὥστε κατελθεῖν σε ζῶντα κάτω εἰς τὸν Ἅιδην ἐνώπιων πάντων τῶν ὁρόντων σε ὅτι ἔτι διαμένεις ἐν τῇ ἀπιστίᾳ. If you remain in unbelief to the end, it will come on you an extraordinary event, which will be spoken of from generation to generation, as you will go down to Hades alive in the presence of all those who see that you still remain in unbelief.48
The apostle threatens the high priest that, if he will keep resisting, he will witness an extraordinary event: he will be sent alive to the underworld, an outcome that constitutes an unmistakably imitative reversal of the fate faced by Korah and his followers in Numbers 16. Then Philip pronounces a sequence of words that should be considered Hebrew or another Semitic language: ζαβαρθάν, σαβαθαβάτ, βαρμανούχ, ταχὺ ἐλθέ (ActPhil 2:18)! It is worth noting that voces barbarae such as these are one of the features that ancient readers would have considered a most unequivocal indication of “magic”, particularly in conjunction with the telltale tachu elthe at the end of the formula.49 Thus, similar expressions are almost never used by Christian characters even in apocryphal literature (obviously with the exception of those employed by Jesus in performing some miracles in the synoptic traditions). As a consequence of Philip’s utterance, Ananias is immediately swallowed by the earth up to his knees. Since the high priest remains obdurate in his refusal to yield to the apostle, his punishment is carried out in stages and he is progressively swallowed first up to his navel, then up to his neck, and finally in his entirety (ActPhil 2:18–23). As for the example discussed before, this episode does not concern strictly speaking a trial, but there is little doubt that the imitative reprisal of the character of Ananias from Acts 23 definitely evokes a trial narrative, at the very least in the ears of an informed Christian audience. It is worth mentioning too that – for an even more educated audience – the setting in Athens and the attendance of the people of that city (which replaces the philosophers gradually throughout ActPhil 2) might have also evoked the atmosphere of classic trials in the polis, perhaps even a memory of the paradigmatic mistrial of Socrates that had been immortalized by Plato. Indeed, such a Socratic echo might have been strengthened also by the fact that Ananias repeatedly accuses Philip of being a φαρμακός (“witch”, actually right before he pronounces the words quoted before) and a disciple of the magos Jesus Christ. That being said, the fact that Ananias is “given over” alive to Hades cannot but remind readers of many courses in which the language of “dedicating” an adversary to chthonic deities or demons (in Greek by using katatithemi, anatithemi, or the more bureaucratic katagrapho) is more than well attested.50 Amsler 1999, 59. noted by Amsler 1999, 64, n. 25. 50 The examples for the first two verbs are legion, but, for καταγράφω, see at least SGD, No. 21 (TheDefix 224), an Athenian lead tablet from the first century c.e. cursing a thief: καταγράφω κὲ κατατίθεμε Πλούτωνι κὲ Μοίρας κὲ Περσεφόνῃ κὲ Ἐρεινῦσι κὲ παντὶ κακῷ (“I write 48
49 As
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Interestingly, to compare this striking scene with judicial curses might lead to a solution for a problem that has beset scholarship on the Acts of Philip. The progressive swallowing of Ananias is an impressive narrative device, but it is equally difficult to figure out its literary and socio-religious origin. Frédéric Amsler – in his commentary on ActPhil – records several proposals and their respective shortcomings.51 For the purposes of the present treatment, it is intriguing to observe that several judicial curses contain long list of anatomical parts that the defigens asks the deities to hit. A few years ago, Henk Versnel has examined these texts in a very thorough way concluding that these anatomical lists should be distinguished – in form and function – by the mentions of specific body parts that one encounters in most defixiones. Versnel calls this second type “instrumental” because the limb is selected in a way that is consistent with the purpose of the curse (thus, for example, the tongue is cursed in judicial defixiones, while the genitals are hit in love curses). But the very long and thorough lists that seem to try to cover the entire body have clearly another purpose. Versnel identifies it in a desire to multiply the suffering of the target and thoroughly annihilate them.52 The curse of Philip in four stages is definitely less comprehensive and hyperbolic than some of the formulations encountered on curse tablets, but its functional characteristics are interestingly similar. For one thing, Versnel observes that, while present throughout antiquity on curse tablets, the “full” anatomical list becomes more widespread and gruesome in late antiquity, a feature that would be consistent with the relatively late dating of the Acts of Philip. Additionally, the Dutch scholar notices also that anatomical lists seem to be more closely associated with the genre that he calls “prayers for justice” and, possibly more importantly, with a monarchic political theology. Again, these features seem to make chronological sense for the Acts of Philip, considering that their Sitz im Leben falls in the theological political environment of the post-Constantian empire. Moreover, even though the category of “prayer for justice” introduced by Versnel is somewhat problematic, one can add also that Philip’s curse presents some characteristics of that genre. For instance, in the narrative and ideological context of the Acts of Philip the torture of Ananias can be understood as an “invitation”, albeit unheeded, to change course from his “unjust” opposition and persecution of the apostle of Christ. It is easy to see in this episode another instance of the beginning of that criminalization of Jews and antiJewish weaponization of religious elements that will characterize Christianity for centuries to come. In this case the curse has transformed from an instrument of “risk management” to one of polemics and attack.
over and hand over to Pluto and the Moirai and Persephone and the Erinyes and every evil”, lines 4–6). 51 Amsler 1999, 123–125. 52 Versnel 1998, 222–229.
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4. Conclusions This paper has considered curse tablets as a “product” offered by freelance religious experts whose activity is variously attested throughout the Mediterranean in the early Roman period. Since Christ followers should be included among these freelance experts, it is worth asking whether the data derived from the study of curse tablets can help understanding some socio-religious aspects of the Christ movement. While it seems that Christ followers did not directly produce curse tablets, their writings evince linguistic and formal features that are comparable to those conveyed by the defixiones. This paper has focused in particular on “judicial curses” and has evaluated whether their characteristics are extant in texts belonging to the Christ movement, specifically “acts of the apostles”, in which trial narrative play a relevant structural and ideological role. In conclusion, one has suggested that paradoxically early Christ followers tended to present themselves in their writings as freelance experts in the management of the judicial risk.
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Brückenschläge Gebete um Gerechtigkeit und das Neue Testament. Eine Skizze
Markus Lau Liebe geht durch den Magen – und Wut zuweilen auch. Statt beflügelnde Schmetterlinge im Bauch spürt man einen gärenden Klumpen Zorn in sich. Man könnte geradezu platzen. Unrechtserfahrungen, Ärger, Wut, frustrierende Hilflosigkeit, Enttäuschung, Demütigung und manch weitere wenig erwünschte Erfahrungen können eben regelrecht „auf den Magen schlagen“, treffen Menschen in ihrem Inneren, gären in ihnen und suchen sich ihre Ausdrucksformen. Durch Erfahrung, Sozialisation und Charakterbildung haben Erwachsene in aller Regel gelernt, mit derart negativen Widerfahrnissen umzugehen und die inneren Affekte zu kontrollieren und sozialverträglich auszuleben. Wer – wie der Autor dieser Zeilen – die Autonomiephase kleiner Kinder miterlebt hat, weniger pädagogisch korrekt auch Trotzphase oder „terrible twos“ genannt, weiß um diesen Lernprozess und hat hautnah miterlebt, wie sich ungefilterte „Wut im Bauch“ ausleben kann und Kinder zuweilen mühsam Strategien des bewältigenden Umgangs mit Frustrationserfahrungen und begrenzter Autonomie erlernen. Erfahrungen begrenzter Autonomie, von Unrecht und Hilflosigkeit haben Menschen zu allen Zeiten und in allen Kulturen gemacht. Auch die ersten Christinnen und Christen und ihre hellenistisch-römische wie jüdische Umwelt sind da keine Ausnahme. Und auch antike Kulturen haben unterschiedliche Formen der Affektkontrolle und gesellschaftlich akzeptierter Coping-Strategien im Blick auf Unrechtserfahrungen entwickelt. Zu diesen gehören auch die Gebete um Gerechtigkeit und die mit ihnen verbundenen rituellen Verhaltensweisen. Diese Gebete stehen im ersten Teil dieses Beitrages im Zentrum. Unter Rückgriff auf klassischexegetische Methodik möchte ich einige typische Merkmale der Texte benennen, ihre Wirkweise beschreiben und ihren Sitz im Leben analysieren. Im Anschluss versucht sich der Beitrag an Brückenschlägen zu neutestamentlichen Texten und will exemplarisch ausloten, ob und wie speziell Gebete um Gerechtigkeit für die Interpretation neutestamentlicher Texte mit Gewinn für das Verständnis der Texte herangezogen werden können. Das Ganze ist kaum mehr als ein Türöffner, der einige erste Beobachtungen zusammenträgt und als Einladung verstanden werden will, defixiones und speziell Gebete um Gerechtigkeit verstärkt im Rahmen der exegetischen Analyse neutestamentlicher Texte heranzuziehen.
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Gebete um Gerechtigkeit stellen im Gefüge der vielfältigen Formen von defixiones einen eigenen Gattungstyp1 dar, der sich begründet angesichts der Struktur der Texte, der Inhalte, der Funktion der Texte und ihrem Sitz im Leben erheben und von anderen Gattungsformen im Feld der defixiones unterscheiden lässt, auch wenn es natürlich Mischformen, Gattungskombinationen und unsichere Zweifelsfälle bei der Zuordnung von konkreten Texten zu Gattungen gibt. Das ist aus exegetischer Sicht eine Alltagserfahrung im Umgang mit Texten, die aber m. E. nicht per se den heuristischen Wert von Gattungsdifferenzierung innerhalb eines großen Textkorpus von ähnlichen Texten – man denke an die exegetische Debatte um die formgeschichtliche Binnendifferenzierung von Gleichnissen2 – in Frage stellt. Die Gattungsdiskussion um Gebete um Gerechtigkeit kreist um die auch wissenschafts‑ und erkenntnistheoretische Implikationen enthaltende Frage, wie stark Unterschiede bzw. Gemeinsamkeiten zwischen Texten ausgeprägt sein müssen oder dürfen, um sie noch einer gemeinsamen Grundgattung zuzuordnen oder dies eben nicht mehr zu tun. Die Gebete um Gerechtigkeit stellen im Gefüge der vielfältigen Formen von defixiones wohl einen Grenzfall3 im Blick auf ihre Definition als Gattung dar. Betont man stärker die Gemeinsamkeiten etwa im Blick auf die Materialität und die Funktionsweise der Texte – auch Gebete um Gerechtigkeit suchen unter Rekurs auf göttliche Mächte Leben und Verhalten eines Dritten zu beeinflussen –, die zwischen den Texten bestehen, die etwa von Henk Versnel als Gebete um Gerechtigkeit angesprochen werden und anderen defixiones, die agonistische Konkurrenzsituationen zu beeinflussen suchen, dann wird man die Gattung Gebete um Gerechtigkeit eher als eigenständige Subgattung im Feld der defixiones begreifen. Betont man indes die Unterschiede etwa in Aufbaustruktur, Wirkweise und Semantik, die zwischen Gebeten um Gerechtigkeit und den übrigen Realisierungen der defixiones bestehen, dann liegt es nahe, die Gebete als Texte einer eigenen Gattung zu verstehen, die nicht Teil des Feldes der defixiones sind, sondern als eigenständige Textgruppe neben ihnen stehen. Beide Positionen scheinen mir angesichts der angeführten Argumente vertretbar zu sein; dauerhaft bewähren müssen sich in jedem Fall an konkreten Texten. In hermeneutischer Perspektive scheint mir dabei zu gelten: Wenn eine zur Debatte stehende Gattungsdifferenzierung hilft, konkrete Textbeobachtungen zu machen, Familienähnlichkeiten und ‑unähnlichkeiten mit Blick auf ein Textkorpus zu entdecken, ja vielleicht auch Gattungsdynamiken aufzuhellen, dann ist die Differenzierung in jedem Fall heuristisch wertvoll, weil sie präzisere Wahrnehmungen von konkreten Texten mit ihrer jeweiligen Individualität ermöglicht. Und diese konkreten antiken Texte und ihre Implikationen sollten im Zentrum des Erkennt-
1 Im Feld der defixiones-Forschung gibt es eine lebhafte Debatte, ob Gebete um Gerechtigkeit eine eigene Gattung darstellen, die neben den sonstigen defixiones steht, oder es sich um defixiones eines spezifischen Typs handelt, den man „Gebet um Gerechtigkeit“ oder „defixio criminalis“ oder auch „defixiones in fures“ nennt (die ältere Forschung hat zudem von „Rachegebeten“ gesprochen [vgl. Kropp 2008, 119 Anm. 465] und damit einen potentiellen Motivationsstrang für das Formulieren solcher Gebete ins Wort gebracht). Zur Debatte vgl. Versnel 2009 (sowie zahlreiche frühere Arbeiten von ihm); Dreher 2010; Dreher 2012; Versnel 2012. 2 Vgl. dazu nur die konträren Stimmen von Zimmermann 2008 und Häfner 2011. 3 Vgl. auch Kropp 2008, 119, die den Schwellencharakter der Gebete in gattungstheoretischer Perspektive betont, Gemeinsamkeiten (z. B. 120 f.) und Unterschiede (z. B. 186) zwischen den Gebeten und anderen Formen der defixiones herausarbeitet.
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nisinteresses stehen.4 Anders gesagt: Gattungskritik ist ein methodisches Instrument, um Texte je und je genauer zu analysieren und zu interpretieren. Gattungskritik ist nicht Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck.
In diesem Sinne spreche ich im Anschluss an Henk Versnel von „Gebeten um Gerechtigkeit“,5 erachte diese allerdings stärker als Versnel als Subgattung6 im großen Feld der defixiones und möchte die Typik, Funktionsweise und den Sitz im Leben der Gebete um Gerechtigkeit im Folgenden rückgebunden an drei Beispieltexte und mit gelegentlichen Verweisen auf weitere Beispiele aus den insgesamt 178 Texten, die in der TheDefix-Datenbank auch7 als Gebete um Gerechtigkeit verzeichnet sind, vorstellen.8 Unser erstes Beispiel stammt aus dem römischen Bath in Britannien, wird in den Zeitraum des 3.–5. Jh. datiert und ist auf Latein verfasst (TheDefix 156 [lateinischer Text nach Tab. Sulis, Nr. 10; vgl. auch dfx, Nr. 3.2/10; deutsche Übersetzung in Anlehnung an Bradley, Nr. 7 von M. L.]):9 Recto (A) 1 Docilianus 2 Bruceri 3 deae sanctissim(a)e 4 Suli 5 devoveo eum [q]ui 6 carạcellam meam 7 involaverit si 8 vir si femina si 9 servus si liber 10 ut[1–2]um dea Sulis 11 ṃạximo letum 12 [a]digat nec ei so‑ 13 ṃnum permit 4 Ob man über die Texte hinausgehend auch Rückschlüsse im Blick auf das Gattungsbewusstsein der antiken Urheber der Texte ziehen darf, wäre dann eine andere und weiterführende, allerdings auch sehr spekulative Frage. 5 Der Terminus geht allerdings nach Dreher 2010, 302 mit Anm. 10, nicht auf Versnel zurück, sondern wurde von E. Turner geprägt. 6 Damit nehme ich eine Mittelposition in der Debatte um die Gattungsdifferenzierung der Gebete um Gerechtigkeit ein; vgl. Dreher 2010, 308–311, der nachzeichnet, wie in der Folge von Versnels Arbeiten sich unterschiedliche Forscherinnen und Forscher zur Frage positionieren. 7 Die Datenbank dokumentiert den Forschungsdiskurs um die Texte und kann daher konkrete Texte unterschiedlichen Gattungstypen aus dem Feld der defixiones zuweisen. Bei den genannten 178 findet sich jeweils mindestens auch die Zuordnung zu den Gebeten um Gerechtigkeit, zuweilen aber auch alternative Gattungszuordnungen. 8 Ein solches Vorgehen birgt freilich immer die Gefahr in sich, dass „das bisher Bekannte nicht unbedingt das Typische erhellen könnte“, wie Brodersen 2001, 61, formuliert. Reizvoll wäre es insofern, das Gattungsmuster, also Baustruktur und Motive der Gebete um Gerechtigkeit vollends zu erfassen und die Reihung der Motive in ihren Variationen zu erarbeiten. Dafür fehlt hier freilich der Raum, müsste man doch alle Texte, die in der Forschung thetisch den Gebeten um Gerechtigkeit zugewiesen worden sind, in chronologischer wie lokaler Perspektive vergleichend in den Blick nehmen. 9 Vgl. zu diesem Text auch Tomlin 2004.
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Verso (B) 1 tat nec natos nec 2 / nascentes do3 [ne]c̣ caracallam 4 meam ad tem‑ 5 plum sui numi‑ 6 nis per[t]ulerit Docilianus, der Sohn von Brucerus, der heiligsten Göttin Sulis: Ich verfluche den, der meinen Kapuzenmantel gestohlen hat, ob ein Mann, ob Frau, ob Sklave, ob ein Freier, damit […] die Göttin Sulis Tod über ihn bringe […] ihm keinen Schlaf und keine Kinder jetzt oder in der Zukunft (gewähre), solange er meinen Kapuzenmantel nicht in den Tempel seiner Gottheit zurückbringt.
Das zweite Beispiel ist ein griechischer Text aus dem Demeter-Heiligtum von Knidos in Kleinasien und wird in das 2./1. Jh. v. Chr. datiert (TheDefix 584 [griechischer Text und deutsche Übersetzung nach IKnidos, Nr. 148; vgl. auch DT, Nr. 2]): Recto (A) 1 Ἀνιεροῖ Ἄρτε‑ 2 μεις Δάματρι, 3 Κούρα[ι, θεο]ῖς πα‑ 4 ρὰ Δάματρι πᾶ‑ 5 σι· ὅστις τὰ ὑπ’ ἐμοῦ 6 καταλιφθέντα ἱ‑ 7 μάτια καὶ ἔνδυ‑ 8 μα καὶ ἀνάκω[λ]‑ 9 ον, ἐμοῦ ἀπαιτ[η]‑ 10 ς, οὐκ ἀπέδ[ωκέ] 11 μοι, ἀνενέγκα[ι] 12 αὐτὸς παρὰ Δ[ά]‑ 13 [μ]ατρα, καὶ εἴ τι[ς] 14 [ἄλλος] τἀμὰ ἔχ[ει], 15 [πεπρη]μένος ἐξ[α]‑ 16 [γορεύ]ων· ἐμο[ὶ] 17 [δὲ ὅσια κ]αὶ ἐλεύ‑ 18 [θερα Verso (B) 1 καὶ συμπιεῖν καὶ 2 συμφαγεῖν καὶ 3 ἐπ[ὶ τὸ α]ὐτὸ στέ‑ 4 γος ἐ[λθ]εῖν· ἀδί‑ 5 κημαι γάρ̣, δέσπο[ι]‑ 6 να Δάματερ Artemis hängt (diese Tafel) auf im Heiligtum der Damater, der Kura, aller Götter bei Damater. Wer die von mir zurückgelassenen Kleider und den Mantel und das knielange Kleid mir nicht zurückgegeben hat, obwohl ich darum gebeten habe, der möge sie selbst zu Damater bringen, auch wenn ein anderer meine Dinge haben sollte, und möge innerlich
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brennend beichten; für mich aber soll es recht und gut und frei sein [ – – – ] und zusammen zu trinken und zu essen und unter dasselbe Dach zu kommen; denn man hat mir Unrecht getan, Herrin Damater.
Das dritte Beispiel ist wiederum auf Latein geschrieben, datiert in das 2./3. Jh. n. Chr. und wurde in Groß-Gerau gefunden, in römischer Zeit ein Vorposten der Hauptstadt der Provinz Germania superior, Mogontiacum (Mainz) (TheDefix 260 [lateinischer Text und deutsche Übersetzung nach Scholz/Kropp/Blumer 2006, S. 183; vgl. dfx, Nr. 5.1.3/1]): Recto (A) 1 Deum. maxsime (sic!) Atthis (sic!) tyranne 2 totumque duodeca theum, comme 3 ndo deabus iniurium fas ut me vindic 4 (e)tis a Priscil(l)a caranti ( filia) quae nuberi (sic!) er(r)a 5 vit. pe[r] matrem deum vestrae (sic!) {ut}, 6 [v]indicate sacra Pater[na oder ‑ni]. 7 P[ri]scil(l)[a] 8 pere[at] Verso (B) 1 Per matrem deum intra dies C(?) cito, 2 vindicate numen vestrum magnum 3 a Priscilla quae detegit sacra, Pris 4 cillam (n)usqu(a)m, nullam numero, nu[p] 5 sit gentem tremente Priscilla 6 quam 7 er(r)ante Größter aller Götter, Attis, Herr, Gesamtheit der zwölf Götter (des Pantheons)! Ich überantworte den Göttinnen mein ungerechtes Schicksal, auf dass ihr mich an Priscilla, Tochter des Carantus, rächt, die den großen Fehler beging zu heiraten. Bei der Großen Göttermutter, rächt als die Eurigen die Geheimnisse des Paternus [oder: die väterlichen Geheimnisse]. Priscilla soll zugrunde gehen! Bei der Großen Göttermutter, rächt Eure große Göttlichkeit bald, innerhalb von hundert (?) Tagen, an Priscilla, die meine Geheimnisse verrät! Priscilla erachte ich als absolut null und nichtig. Sie hat einen Nichtsnutz (?) geheiratet, weil Priscilla (ebenso) geil wie irre ist.
1.1 Die Texte im Fokus Die drei Beispiele erlauben uns Einblicke in Situationen aus dem Alltag (spät‑)antiker Menschen. Dem einen wird sein Kapuzenmantel gestohlen, die andere beklagt eine Art Fundunterschlagung, der dritte arbeitet sich an enttäuschter Liebe und Geheimnisverrat ab. Docilianus, Artemis und Paternus sehen sich Erfahrungen von Unrecht ausgesetzt, wissen mit Ausnahme des Paternus nicht, wer ihre Gegenspieler sind, sehen zur Durchsetzung ihrer Rechte keine gangbaren oder jedenfalls keine in gleicherweise erfolgversprechenden Alternativen und formulieren in diesen Situationen an Gottheiten gerichtete Bitten, die die Un-
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rechtssituation ausgleichen, Gerechtigkeit wiederherstellen und den Wunsch nach Rache durch Bestrafung des Gegenübers befriedigen sollen. Damit sind ein paar wenige erste Konstituenten der Gebete um Gerechtigkeit knapp benannt, die es im Folgenden ohne Anspruch auf Vollständigkeit weiter zu beschreiben und zu charakterisieren gilt.10 1.1.1 Aktantenstruktur und Funktionslogik In den Gebeten um Gerechtigkeit begegnet uns in aller Regel eine Dreierkonstellation von Figuren: Der Beter, der als defigens, das Gebet formuliert und damit ein Anliegen einer Gottheit vorträgt; die adressierte Gottheit selbst sowie der „Übeltäter“, also der Urheber der Unrechtserfahrung, die Auslöser für die Formulierung, Niederschrift und rituelle Deponierung des Gebetes ist, der für den Beter zumeist nicht bekannt ist. Diese Dreierkonstellation lässt sich im Blick auf die Aktantenstruktur und die im Hintergrund stehende Handlungssequenz unter Rückgriff auf ein aus der Gleichnisforschung bekanntes Modell, das dramatische Dreieck mit in diesem Fall antithetischem Zwillingspaar,11 beschreiben: Handlungssouverän adressierte Gottheit Bitte um Gerechtig‑ keit/Rache
Strafe
Dramatische Unrecht Dramatische Hauptfigur Nebenfigur defigens Wiedergutmachung defixus Beter Opponent
Im Licht der Handlungssequenz steht am Anfang eine Aktion der dramatischen Nebenfigur im Blick auf die Hauptfigur und ihre Sphäre (materiell, persönlich),12 10 Vgl. für das Folgende auch die Einleitung zu diesem Tagungsband (s. S. 5–23); sehr konzise und zugleich kritisch ist die Übersicht potentieller Charakteristika der Gebete um Gerechtigkeit im (scheinbaren) Gegenüber zu den übrigen defixiones, die Dreher 2010, 305–308, auf der Basis der Arbeiten von Versnel (sowie einzelner Beiträge von D. Ogden und C. Faraone) formuliert (und als nicht wirklich relevant für eine Ausgrenzung der Gebete aus dem Feld der defixiones erachtet). Wenn ich im Folgenden auf diese hilfreiche Auflistung verweise (vgl. auch die knappe Auflistung Salvo 2012, 236), dann bedeutet das nicht, dass Dreher die genannten Charakteristika selbst zwingend als spezifisch für die Gebete um Gerechtigkeit im Gegenüber zu anderen defixiones erachtet. 11 Vgl. Sellin 1974/1975, 180 f.; Ebner /Heininger 2015, 75–78; Neumann 2016, 376–378. 12 Auch darin kann man einen Unterschied zu defixiones anderer Typik sehen: Der Impuls zur Formulierung des Gebetes geht vom defixus aus, vgl. Dreher 2010, 307: „Während die defixiones das Opfer vorbeugend von einer zukünftigen Handlung abhalten wollten, bäten die ‚prayers for justice‘ die Götter um Bestrafung eines vergangenen Unrechts“; Martin Dreher fügt dann noch im Blick auf die defixiones hinzu (Anm. 36): „oder zu einer zukünftigen Handlung zwingen wollen, wie in vielen Liebesflüchen“.
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die die Hauptfigur als Unrecht wahrnimmt und auf die sie mit Wut, Zorn und dem Wunsch nach Gerechtigkeit reagiert. Die dramatische Hauptfigur spielt sodann „über Bande“ ihren Wunsch nach Gerechtigkeit aus, weil der Gegenspieler für sie in aller Regel nicht bekannt ist. Sie formuliert ein Gebet. Die im Gebet um Gerechtigkeit adressierten Götter, denen der Beter angesichts der Schriftlichkeit seines Textes gleichsam einen Brief schreibt,13 sollen helfen, das erlittene Unrecht auszugleichen. Das Ziel ist dabei ein doppeltes: Es geht um Wiedergutmachung und Strafe. Durch diesen Akt des Gebetes wird die Hauptfigur zum defigens, die Nebenfigur soll zum defixus werden. Im Idealfall kommt es aus Sicht der dramatischen Hauptfigur sodann zur Wiedergutmachung, die der defigens dahingehend interpretieren kann, dass sein Bittgebet erhört wurde. Ob dem auch so ist, die adressierte Gottheit also im Sinne des defigens agiert hat, ist freilich eine Frage des Glaubens und der religiösen Überzeugungen der dramatischen Hauptfigur. Der Handlungssouverän ist schon seinem Wesen nach frei, zu handeln oder nicht zu handeln. Ob ein Gebet im Blick auf das Tun der Götter und mittelbar mit Blick auf die angezielte Person wirkt, ist für den Beter genauso mit Unsicherheiten behaftet wie für jeden anderen defigens, der Formen von defixiones verwendet. Ob all diese Formen sprachlicher Äußerungen effektiv sind, ist eine Frage des Glaubens (dass sie freilich im Blick auf den defigens selbst performative Wirkungen entfalten können, wird uns noch beschäftigen). Wohl auch deshalb finden sich in den Texten Elemente, die die adressierten Gottheiten vom Anliegen des Beters überzeugen und argumentativ14 zu einer wirkungsvollen Handlung bewegen sollen. 1.1.2 Die verhandelten Fälle: Die Nennung der Straftatbestände als Teil einer Argumentation Zur Anzeige bei den Göttern gebracht werden in den Gebeten um Gerechtigkeit in aller Regel Fälle aus dem Bereich der alltäglichen Kleinkriminalität,15 oft Diebstahl,16 die verweigerte Rückgabe eines Depositums, Fundunterschlagung, 13 Vgl. dazu auch den inspirierenden Titel des Aufsatzes von Brodersen 2001, der auf die Bedeutung der Schrift im Akt dieser Kommunikationen mit der göttlichen Sphäre hinweist (66 f.). In Analogie zu antiken Briefen findet sich mit TheDefix 426 (SGD, Nr. 62) eine defixio aus dem 3./2. Jh. v. Chr., die auf ihrer Außenseite die Namen der adressierten Götter, Praxidike und Hermes, als Empfänger des „Briefes“ trägt (der Hinweis findet sich bei Brodersen 2001, 67 mit Anm. 41). Brodersen schliesst daraus, dass es sich bei den defixiones im Gegensatz zu anderen religiösen Gebeten nicht um „religiöse Kommunikation von unten nach oben“ handelt, sondern um „religiöse Kommunikation von ‚unten nach ganz unten‘“, womit er die adressierten Unterweltgottheiten meint; für die Gebete um Gerechtigkeit, in denen nicht primär Unterweltgottheiten adressiert werden, ist diese Aussage zu differenzieren und damit auch ein Differenzmarker für die Gattungsdiskussion im Feld der defixiones zu gewinnen. 14 Vgl. Kropp 2008, 120. 15 Vgl. die detaillierte Analyse von Scholz 2011; vgl. auch Kropp 2008, 119. 16 Dabei werden vor allem Kleidungsstücke als gestohlen gemeldet, sodann auch Haushaltsgefäße, Bargeld und Schmuck; seltener kommen Tiere abhanden, vgl. Scholz 2011, 89–91 mit Graphik 1; 96–103 mit den Listen 1–4.
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aber auch soziales Konfliktverhalten, wie Ehrabschneidung (im Falle des Paternus schlägt dieses gleich doppelt zu Buche: nicht nur hat ihn seine Partnerin für einen anderen Mann verlassen und diesen geheiratet, sie erzählt offensichtlich auch noch Geheimnisse weiter, die ihr Paternus in besseren Zeiten anvertraut hat), Rechtsverdrehung, Meineid, falsche Verdächtigung usw. Kapitalverbrechen werden unter den von Markus Scholz analysierten 500 in lateinischer Sprache verfassten defixiones und damit auch in den zu dieser Gruppe gehörenden Gebeten um Gerechtigkeit nicht genannt.17 Der Vorwurf der Giftmischerei, der in Gebeten um Gerechtigkeit gekontert wird, findet sich indes auf Gebeten um Gerechtigkeit aus Knidos.18 In aller Regel nennen die Gebete um Gerechtigkeit also den Straftatbestand. Das dürfte zunächst eine argumentative Funktion im Blick auf die Götter erfüllen.19 Der Beter argumentiert, dass sein Anliegen ein gerechtes ist, wenn er das erlittene Unrecht beschreibt und damit die Rechtmäßigkeit seines Anliegens begründet. Das erinnert an „Anklageschriften zur Eröffnung eines Prozesses“20 vor einem göttlichen Gericht. 1.1.3 Semantik Insofern sich bei den Gebeten um Gerechtigkeit um Bittgebete in eigener Sache vor einer göttlichen Richterinstanz handelt, die im Sinne des Beters strafend im Blick auf das Gegenüber aktiv werden soll, ist die Semantik oft von einem flehentlichen Ton des Bittens geprägt.21 Begriffe, die aus den Wortfeldern „Gerechtigkeit/Ungerechtigkeit“, „Bitte“, „Rache“ und „Strafe“ stammen, dominieren. Die Götter werden mit Hoheitstiteln und „preisenden Epitheta“22 angesprochen (Docilianus wendet sich an die deae sanctissimae Sulis, Paternus spricht Attis als Herrn und größten aller Götter an), was sie im Blick auf das Anliegen des Beters gewogen machen soll und wohl auch Teil einer Übertragungsstrategie ist, die das vom Beter erlittene Unrecht zu einer Angelegenheit der Götter selbst macht. Bezeichnend ist in dieser Perspektive unser drittes Beispiel, wenn Paternus die adressierten Gottheiten darum bittet, die von Priscilla verratenen Geheimnisse „als die eurigen“, also als die der Götter zu rächen.23 Diese Übertragung versucht die Götter direkt und motivierend für die Sache des Paternus einzuspannen: Sie selbst sind Opfer der Priscilla geworden. In den Gebeten findet sich zudem auch juristisch-forensische Sprache,24 wenn es um die Beschreibung der Unrechtserfahrung und die Strafvorschläge geht. 17 Vgl.
Scholz 2011, 95. Vgl. z. B. IKnidos, Nr. 150.154 (TheDefix 566.589). 19 Vgl. Dreher 2010, 305. 20 Versnel 2009, 22; aufgenommen z. B. bei Scholz 2011, 94. 21 Vgl. Versnel 2009, 22 f.; Dreher 2010, 306. 22 Kropp 2008, 120. 23 Vgl. Scholz/Kropp/Blumer 2006, 185.187. 24 Vgl. Kropp 2008, 187. 18
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1.1.4 Dramatische Hauptfigur: Betende Die Urheber der Gebete um Gerechtigkeit nennen in aller Regel in den Gebeten ihre Namen und zuweilen auch die weiterer Geschädigter, indes nur selten die Namen der Opponenten. Das ist einer der wesentlichen Unterschiede zu anderen Texten aus dem Feld der defixiones, die andere Teilgattungen realisieren, bei denen die Urheber anonym bleiben, dafür die durch die defixiones zu Treffenden mit Namen eindeutig identifiziert werden.25 Genau das ist freilich in den Situationen, in denen Gebete um Gerechtigkeit formuliert werden, nur sehr selten möglich, gerade weil der Übeltäter unbekannt ist. Die Namensnennung im Blick auf den Beter/die Beterin selbst zeigt, dass die Urheber sich im Recht fühlen und mit ihrer Person für die bei den Göttern deponierte Anklage einstehen.26 In sozialgeschichtlicher Perspektive fällt auf, dass die Urheber eher zu den „kleinen Leuten“ in den antiken Gesellschaften gehören. Das zeigen nicht nur die Namen, sondern vor allem auch die beklagten Unrechtserfahrungen an. Nur ganz selten kommen objektiv wertvolle Dinge abhanden, zumeist sind es einfache Alltagsgegenstände wie einige Kleidungsstücke oder geringe Geldsummen, die freilich subjektiv hohen Wert haben können.27 Das lässt die These erwägenswert erscheinen, dass die Gebete um Gerechtigkeit Handlungsoptionen für Menschen darstellen, die über wenig Alternativen verfügen, um in ihrer jeweiligen community ihr Recht durchzusetzen. Im Blick auf das Geschlecht der Betenden zeigt sich, dass sowohl Männer als auch Frauen28 die Gebete formulieren. Dazu eine Detailbeobachtung: Die Suchfunktionen der TheDefix-Datenbank erlauben es, die gesamthaft verzeichneten defixiones im Blick auf das Geschlecht des defigens zu durchsuchen. Dabei ist für die allermeisten defixiones gattungskonform und z. T. auch aufgrund des Erhaltungszustandes nicht auszumachen, welches Geschlecht der defigens hat. Wo dies möglich ist, zeigt sich, dass unter den 38 eindeutig und ausschließlich (daneben gibt es vier defixiones, die von mindestens einer Frau und einem Mann gemeinsam verfasst wurden) weiblichen Urheberinnen einer defixio 19 und damit 50 % ein Gebet um Gerechtigkeit formuliert haben. Dem stehen acht eindeutig weibliche Urheberinnen einer defixio amatoria, eine Verfasserin einer defixio commercialis sowie zehn Frauen gegenüber, die eine inhaltlich nicht näher zu spezifizierende defixio verfasst haben. Dieser aufgrund der Überlieferungslage natürlich nur sehr bedingt aussagekräftige Befund,29 zeigt, dass allein
25 Vgl.
Kropp 2008, 120; Dreher 2010, 305. Vgl. Scholz 2011, 94. 27 Vgl. Scholz 2011, 90. 28 Für die Gebete um Gerechtigkeit aus dem Demeterheiligtum in Knidos gilt, dass es sich ausschließlich um Autorinnen handelt, vgl. Versnel 2009, 17. 29 Vergleicht man diesen Befund mit den eindeutig männlichen Urhebern einer defixio, so gehören von den 91 von Männern als defigens formulierten defixiones 28 zur Gruppe der Gebete um Gerechtigkeit (gerundet also 31 %). Wirklich aussagekräftig sind all diese Zahlen nicht, weil die Masse an defixiones keinen Einblick in das Geschlecht der Urheber gibt. Und das gilt auch für die Gebete um Gerechtigkeit, von denen TheDefix gegenwärtig ja immerhin 178 verzeichnet, von denen sich aber nur 47 eindeutig im Blick auf das Geschlecht des defigens bestimmen lassen. 26
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agierende Frauen,30 wenn sie zur Bleilamelle greifen, dies augenscheinlich vornehmlich tun, um ein Gebet um Gerechtigkeit zu formulieren – und dies vielleicht auch, weil sie in Konfliktsituationen, wie sie im Hintergrund der Gebete um Gerechtigkeit stehen, in antiken Gesellschaften in der Tendenz über geringere Handlungsoptionen verfügen als Männer. Gebete um Gerechtigkeit sind insofern – zugespitzt formuliert – die religiösen Waffen der gesellschaftlich relativ Machtlosen, ja Ohnmächtigen, um ihren Bedürfnissen Geltung zu verschaffen.
1.1.5 Dramatische Nebenfigur: Opponent/en Während der Beter sich in aller Regel mit Namen nennt, bleibt sein menschlicher Opponent zumeist anonym.31 Und genau im Nichtwissen um den Übeltäter liegt ja auch eine der Motivationen, die zur Formulierung des Gebetes drängt. Man weiß eben nicht, wer sein Unwesen getrieben hat; freilich muss dieses Wissen in der Sphäre des Göttlichen vorhanden sein,32 da sonst die Gebete keine sinnvolle Handlungsoption eröffnen würden. Theologisch gesprochen zeigt sich in ihnen die Überzeugung, dass die Götter auch um im Verborgenen geschehene Taten, um Sünden, wissen, aber offenbar nicht von sich aus aktiv einschreiten. Und anstatt nun etwa über eine Orakelbefragung an diesem Wissen zu partizipieren und dann unter Rückgriff auf weltliche Instanzen sein Recht durchzusetzen, entscheiden sich die Beter dafür, die Götter unmittelbar um eine richterliche Tätigkeit in ihrer Sache anzugehen. Offensichtlich erscheint dieses Vorgehen den Betern effektiver als evtl. Alternativen. Um den defixus nun sicher zu treffen und nicht durch eine unachtsame Formulierung das Gegenüber von den im Text der Gottheit anempfohlenen Strafen zu exkludieren, verwenden zahlreiche Gebete um Gerechtigkeit „all inclusive-formulas“33 – mithin Wendungen, die entlang klassischer Ordnungsstrukturen antiker Gesellschaften antithetische Paarungen im Sinne semantischer Oppositionen nennen und diese z. B. mit „si – si“ (so etwa Docilianus) oder „ἔ – ἔ“ koordinieren (zu Details und Beispielen s. unter 2.2). Diese Formeln, die situationsabhängig variiert werden können, sind ein formelhafter Mechanismus des auf Nummer-sicher-Gehens, gleichen Informationslücken aus und repräsentieren in diesen Gebeten am ehesten eine Form eher magischen Denkens, das den Übeltäter auf jeden Fall treffen will und zugleich den Göttern keinen Vorwand eröffnen möchte, nicht im Sinne des Beters zu handeln.34 30 Ob
man hier an Witwen oder Single-Frauen denken darf ? Nach Amina Kropp ist das ein spezifisches Charakteristikum dieser Gebete im Gegenüber zu anderen defixiones, vgl. Kropp 2008, 172. Vgl. auch Scholz 2011, 90 mit Tabelle 1, der die namentliche Nennung verdächtiger Personen Delikten zuweist und aufzeigen kann, dass im Vergleich der Delikte vor allem bei Diebstahl von Schmuck und Bargeld konkrete Namen genannt werden. Von den 22 Fällen, die Scholz in Tabelle 1 listet, gehören 17 zu den Gebeten um Gerechtigkeit. Angesichts der von ihm näher ausgewerteten 95 defixiones zeigt sich, dass die Täter in der Regel unbekannt sind. 32 Vgl. auch Graf 1996, 145. 33 Vgl. dazu Kropp 2008, 120.172 f. 34 Vgl. Kropp 2008, 173: „Die unterschiedlichen sprachlichen Verfahren fungieren als Ab31
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1.1.6 Strafbitten Die Strafbitten, die in ihrer absoluten Formulierung kaum mehr Vorschläge darstellen, sind drakonisch, weil sie harte Strafen auch für kleine Vergehen bei den Göttern einfordern.35 Zumeist soll die Strafe der Götter sich dabei körperlich am defixus bemerkbar machen (Schlafmangel, Krankheit wie z. B. Harnverhaltung,36 Kinderlosigkeit, ein Gefühl inneren Brennens, wie es Artemis von Demeter im Blick auf den Dieb erbittet) oder das Umfeld des Opponenten treffen. Ziel ist es, dass der durch das Gebet Gebundene aufgrund seiner von ihm als Bestrafung durch die Götter gedeuteten Schicksalserfahrungen zur Wiedergutmachung bewegt wird und das erlittene Unrecht – etwa durch die Rückgabe des Diebesgutes – ausgleicht. In diesem Ziel der Auferlegung eines äußeren Zwanges auf einen anderen Menschen zeigt sich eine der besonders deutlichen Parallelen der Gebete zu den übrigen defixiones.37 Allerdings drückt sich in den formulierten Gebeten m. E. deutlicher ein Bewusstsein für die Begrenztheit der menschlichen Macht des Beters aus, diesen Zwang auch wirklich evozieren zu können. Andere Texte aus dem Feld der defixiones wirken in diesem Punkt „magischer“, oder vielleicht besser: selbstgewisser im Blick auf den Erfolg des Handelns. Die Gebete um Gerechtigkeit erscheinen in dieser Perspektive deutlicher als die anderen defixiones als bittende Kommunikationsakte mit den Göttern.38 Oder anders: Die Gebete drücken stärker den Glauben an die Macht der Götter aus, die übrigen defixiones erwecken den Eindruck, stärker an die Macht des eigenen Wortes zu glauben.
Ein solcher direkter Ausgleich wird freilich unmöglich, wenn die Strafbitte den Tod des Opponenten anzielt, eine Option, mit der etwa Docilianus spielt und die Paternus Priscilla mit Nachdruck an den Hals wünscht, was sich im Übrigen gar nicht so selten als Strafbitte selbst für kleine Vergehen in den Gebeten findet.39 Hier bricht sich wohl am deutlichsten der brennende Wunsch nach Rache für erlittenes und nicht ausgeglichenes Unrecht auf Seiten des Beters Bahn, der seinem Zorn freien Lauf lässt, wobei durchaus die Frage ist, wie ernst solche Todeswünsche wirklich gemeint sind. In jedem Fall zeigt sich neben dieser psychologischen Komponente in den Strafbitten erneut ein juristischer Zug, der den Texten eigen ist: Sie fungieren als Anklageschriften, die nicht nur den Anklagegrund, sondern im Sinne sicherungsstrategie, da sie der Zauberwirkung abträgliche Informationsmängel zu defixus und involvierten Gottheiten ausgleichen oder abmildern.“ 35 Von einer lex talionis kann insofern nur höchst eingeschränkt die Rede sein, so auch Kropp 2008, 120; vgl. aber Scholz 2011, 104 Anm. 24. 36 So z. B. in TheDefix 686 (dfx, Nr. 3.22/5): Hier erbittet ein Mann namens Biccus vom Gott Merkur, dass der Dieb, den er im Gebet zu treffen sucht, weder urinieren noch defäkieren können möge. 37 So Kropp 2008, 120. 38 Brodersen 2001, 67, notiert, dass die defixiones immer Teil eines Kommunikationsprozesses mit den Göttern sind. Das stimmt, aber im Falle der Gebete um Gerechtigkeit wird das in den Texten deutlicher als in den übrigen defixiones. 39 Vgl. Scholz 2011, 92.
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eines Plädoyers auch einen Antrag im Blick auf eine subjektiv als angemessen empfundene Strafe stellen. 1.1.7 Selbstschutzklauseln Gerade angesichts der umfänglichen Strafbitten, die auch das Umfeld des defixus erfassen können, fügen manche Beter noch Formen von Selbstschutzklauseln ein.40 Gerade wenn das Gegenüber unbekannt ist, besteht ja zumindest die Möglichkeit, dass es sich um eine Person handelt, die zum unmittelbaren Umfeld des Beters gehört, ja evtl. sogar zum gleichen οἰκός. Um sich durch die Strafbitte nicht selbst zu schädigen, wird so formuliert, dass der Beter sich vor den Auswirkungen des als Bittgebet vorgetragenen Fluches schützt. Artemis etwa bittet darum, dass es für sie ungefährlich sein möge, mit dem Übeltäter Haus und Tisch zu teilen, was zugleich nahelegt, dass sie sich den Täter oder die Täterin auch in ihrem unmittelbaren Umfeld vorstellen kann. 1.1.8 Positive Löseformeln und Beichtinschriften Die Gebete um Gerechtigkeit zielen nicht nur auf Bestrafung, sondern auch auf Wiedergutmachung ab. Docilianus und Artemis wollen ihre Besitztümer zurückerhalten. Dazu sollen die Götter die Diebe durch Bestrafung motivieren. Diese freilich hat ihren Zweck erfüllt, wenn das Unrecht ausgeglichen ist. Insofern finden sich in den Gebeten zumindest fallweise Formeln, die die Strafbitte unter eine modal-temporale Bedingung stellen,41 wie dies etwa Docilianus formuliert: „… solange er meinen Kapuzenmantel nicht in den Tempel seiner Gottheit zurückbringt“.42 Der defixus kann bei entsprechendem Wohlverhalten und Wiedergutmachung der Strafe entgehen oder die bereits begonnene Bestrafung beenden. In manchen Gebeten werden dazu auch konkrete Zeitspannen genannt, in denen die Götter und dann auch der Täter aktiv werden sollen.43 Neben die Wiedergutmachung kann dann auch noch eine rituelle Verhaltensweise des defixus im Blick auf die Götter treten: Die kleinasiatischen Beichtinschriften,44 im BIWK mustergültig zusammengestellt, zeigen, verkürzt gesagt, eine rituelle Handlungsoption an, sich öffentlich und vor den Göttern zu seiner Schuld zu bekennen, diese wieder gutzumachen und damit zugleich Versöhnung zu erzielen und die Strafe der Götter abzuwenden bzw. zu beenden. Artemis spielt in unserem zweiten Beispiel mit der Erwähnung des öffentlichen Schuldbekenntnisses (ἐξαγορεύων) als Form der Reaktion auf das im Gebet erwünschte innere Vgl. Versnel 2009, 16 Anm. 21. Vgl. Kropp 2004, 87. 42 Vgl. z. B. auch TheDefix 162 (Tab. Sulis, Nr. 32). 43 Paternus bittet in unserem dritten Beispiel etwa die Götter, ihn innerhalb von 100 Tagen zu rächen, was freilich nicht mehr auf eine Wiedergutmachung durch Priscilla abzielt, sondern ihren Straftod im Blick hat. Als Frist für die Wiedergutmachung werden in anderen Texten häufiger neun Tage genannt, vgl. Kropp 2004, 86 f. 44 Vgl. zu ihnen: Klauck 2003; Öhler 2016; Ameling 2011; Niebuhr 2011, 266–269. 40 41
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Brennen ihres Antipoden recht deutlich auf diese Möglichkeit an. Gebete um Gerechtigkeit und Beichtinschriften, die sich oft ähnlich gelagerter Vergehen45 wie Diebstahl, Depositums‑ und Fundunterschlagung sowie falscher Verdächtigung verdanken, erscheinen insofern als aufeinander bezogene Kommunikationsakte, die durch religiös-rituelle Verhaltensweisen unter Einschluss von Schriftlichkeit menschliche Handlungsoptionen im Spannungsfeld sozialer Konflikte vor dem Forum der Götter eröffnen:46 Das Gebet um Gerechtigkeit stellt dabei die Handlungsoption des „Opfers“ dar, die Beichtinschrift die des von den Göttern gestraften „Täters“. Und wenn dabei in zumindest einer Beichtinschrift (vgl. BIWK, Nr. 60) davon die Rede ist, dass am Anfang der Bestrafung durch die Götter eine im Tempel der Gottheit deponierte schriftliche Bitte des Opfers47 um Genugtuung stand (als Schriftträger wird ein πιττάκιον genannt48), dann wird man hier vielleicht auch an ein Gebet um Gerechtigkeit denken dürfen. 1.1.9 Handlungssouverän: Die göttlichen Adressaten Adressiert werden unterschiedliche Gottheiten und mit übernatürlichen Kräften ausgestattete Entitäten, von denen man sich ein erfolgreiches Einwirken auf den Opponenten erhofft. Eine Konzentration primär auf chthonische Gottheiten, wie 45 Klauck 2003, 66–69, systematisiert die in den Beichtinschriften genannten Verfehlungen entlang der Kategorien „rituelle Vergehen“, „soziale Vergehen“, „unwissentliche Sünden“ und „unverzeihliche Sünden“. 46 Vgl. zum Zusammenhang von Beichtinschriften und Gebeten um Gerechtigkeit etwa Versnel 2009, 29–35.40; Klauck 2003, 62. 47 Klauck 2003, 60–62, nimmt die mehr oder weniger direkte Präsenz des Opfers im Beichttext zum Anlass, um generell zwei Typen von Beichtinschriften zu differenzieren: Typ 1 lässt nicht erkennen, dass als Ausgangspunkt die Anklage des Übeltäters durch sein Opfer bei einer Gottheit steht; in Texten dieses Typs zeigt sich allein eine Beziehungsachse zwischen der strafenden Gottheit und dem die Beichtinschrift verfassenden und seine Sünde bekennenden Menschen. Typ 2 hingegen präsentiert die Dreierkonstellation, die sich auch in den Gebeten um Gerechtigkeit findet, allerdings aus der Sicht der dramatischen Nebenfigur, des Täters, formuliert. 48 Vgl. dazu auch Versnel 2009, 32 f., der als weiteren Schriftträger im Rahmen der Beichtinschriften das σκῆπτρον nennt (vgl. BIWK, Nr. 3.35.68.69), wobei der Begriff unterschiedliche Realien meint: In BIWK, Nr. 3, scheint es sich um eine anlassunabhängig aufgestellte Fluchtafel in einem Badehaus zu handeln (nach Scholz 2011, 91, sind Bäder die bevorzugten Tatorte für Diebstähle, die in den Gebeten um Gerechtigkeit beklagt werden, weil sehr oft der Verlust von Kleidern und Utensilien angezeigt wird, die für den Besuch von Bädern und Thermen konstitutiv waren), die prospektiv jeden Diebstahl unter das Verdikt göttlicher Strafe stellt und im in BIWK, Nr. 3, behandelten Fall sozusagen „zugeschlagen“ hat. In BIWK, Nr. 69, indes meint σκῆπτρον eine Tafel, mit der sich eine Frau gegen die öffentlich vorgetragene Verdächtigung, sie betreibe Giftmischerei, in einem Tempel öffentlich wehrt – sehr zu ihrem Nachteil, denn das Gerücht trifft, wie die Beichtinschrift, die u. a. die Enkel der Frau aufgestellt haben, deutlich macht, zu und die Götter strafen die Frau mit dem Tod, nicht nur wegen der Giftmischerei, sondern auch wegen des offenkundig mit dem σκῆπτρον verbundenen Meineides und der in diesem Kontext ausgesprochenen Verfluchungen (ἀρὰς ἔθηκεν) gegen diejenigen, die das Gerücht der Giftmischerei streuen, was sich durchaus als Bezug auf defixiones und vielleicht speziell auf fälschlich vorgebrachte Gebete um Gerechtigkeit lesen lässt.
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dies für zahlreiche andere Formen der defixiones gilt, findet sich nicht. Im Gegenteil werden „Klassiker“49 aus dem griechisch-römischen Götterpantheon50 – Isis, Merkur, Mater Magna, Sulis Minerva, Serapis, Hephaistos oder Demeter – adressiert. Darin spiegelt sich wohl auch die gesellschaftliche Bewertung der Gebete wider, die weniger unter einem gesellschaftlich-religiösen Verdikt standen als die übrigen defixiones (s. dazu unter 1.2). 1.1.10 Erfolgsprämien für die Götter Die Gebete um Gerechtigkeit rechnen damit, dass die Götter im Sinne des Beters eingreifen. In religionsgeschichtlicher Perspektive zeigt sich in ihnen der Glaube an die Kraft von Bittgebeten und die Fähigkeit der Götter, direkt auf Menschen und ihr Leben einzuwirken. Zugleich unterstellen die Gebete den Göttern ein Interesse an einer ausgleichenden Gerechtigkeit und einer funktionierenden Gesellschaftsordnung, die Übeltaten nicht ignoriert. Ganz sicher freilich scheinen sich die Betenden im Blick auf das Interesse der Götter an einer Intervention im Sinne des Beters nicht zu sein. Die flehentliche Sprache, die argumentativen Elemente im Text und die „all-inclusive“-Formel, die auch das Ziel hat, den Göttern kein Schlupfloch zu lassen, um nicht aktiv zu werden, deuten zumindest an, dass die Betenden damit rechnen, die Götter von ihrem Anliegen überzeugen, evtl. auch überreden zu müssen – und dies möglicherweise auch, weil die Beter selbst natürlich um das eigene Fehlverhalten wissen, das theoretisch auch durch die im Gebet beklagten Widerfahrnisse von Seiten der Götter bestraft wird. Die Gebete sind insofern immer auch Kommunikationsakte in Situationen der Verunsicherung und versuchen an sich deutungsoffene Ereignisse mit Eindeutigkeit zu versehen und durch praktisches Handeln zu bewältigen. Um den Göttern gleichsam auf die Sprünge zu helfen und sie zu motivieren, kann ihnen auch in den Gebeten eine materielle Gegenleistung für den Erfolgsfall versprochen werden, die sich dann zumeist auf den Tempel der Gottheit bezieht. So verspricht ein gewisser Varenus die Hälfte des ihm gestohlenen Geldes den Göttern Merkur und Virtus, wenn diese den Dieb mit seinem eigenen Blut51 bezahlen lassen (sangu[i]no suo solvat) und so zur Rückgabe des Gestohlenen motivieren (TheDefix 102 [dfx, Nr. 3.12/1]).52 Und eine Frau namens Saturnina bietet je ein Drittel der ihr gestohlenen Kleidung dem 49 Kropp 2008, 120, spricht von großen Gottheiten und notiert, dass Unterweltmächte sich nur selten finden. 50 Dreher 2010, 305, spricht im Anschluss an Versnel von „olympischen oder jedenfalls oberirdischen“ Gottheiten; vgl. auch Versnel 2009, 22. 51 Blut ist in Gebeten um Gerechtigkeit geradezu eine „Währung“, mit der Rückzahlungen erfolgen können und müssen, vgl. Kropp 2008, 188 f. 52 Der Text des Varenus lässt offen, ob es sich nur oder überhaupt um gestohlenes Geld handelt. Der Text nennt als Verlustgut: res Vareni involaverit; es ist durchaus möglich, dass Varenus im Blick auf das Geld, dessen Hälfte er den Göttern lobt, an eine zusätzliche Entschädigungssumme von Seiten des Diebes denkt oder an eine Summe, die als Ersatz für das evtl. gar nicht mehr rückgabefähige Diebesgut fungiert; vgl. Kiernan 2004, 106 f.
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Gott Mars-Silvanus bzw. Merkur53 als Belohnung für die Wiederbeschaffung des Diebesgutes an (TheDefix 684 [dfx, Nr. 3.22/3]), was wohl dahingehend zu verstehen ist, dass der Tempel de facto eine Geldsumme und nicht ein Bündel getragener Leinenkleider erhält. Diese Erfolgsprämien geben der rituellen Kommunikation mit den Göttern neben ihrem Charakter als Bittgebete und Anklageschriften auch einen vertragstechnischen Anstrich, der an Rechtsgeschäfte erinnert.54 Freilich ist der do-ut-des-Mechanismus, der sich hier zeigt, generell ein breit bezeugtes Charakteristikum antiker Religiosität. Die Gebete selbst und ihre z. T. öffentliche Präsentation in den Tempeln (s. 1.2) stellen im Übrigen auch bereits Formen der Erfolgsprämie dar. Sie stehen in Analogie zu Votivtafeln oder inschriftlich bezeugten Wundergeschichten im Kontext von Heilkultzentren, die den Tempel und die Gottheit öffentlich als Platz und Entität markieren, die erfolgreich im Sinne der Beter bzw. allgemeiner gesprochen: der Nutznießer des göttlichen Handelns agiert haben. Vereinfacht gesagt: Sie werben für den jeweiligen Tempel und die Gottheit und tragen zur Popularität des Ortes und der Gottheit bei. Das gilt auch dort, wo die Gebete um Gerechtigkeit nicht öffentlich präsentiert, sondern rituell verborgen werden, weil sich natürlich auch in solchen Fällen mündlich herumspricht, an welche Gottheit man sich mit welchem Problem wenden kann. Die Massierung von Textzeugnissen mit Gebeten um Gerechtigkeit an einzelnen Kultorten in Britannien und Germanien zeigt das deutlich an. Auch das erhöht die Reputation der Gottheit und ihres Tempels als Problemlöser im Blick auf jene Situationen, die in den Gebeten um Gerechtigkeit bearbeitet werden. Solche Reputation zieht „Kunden“ an und bringt damit dem Tempel, der Gottheit und ihrem Personal auch finanzielle Vorteile. Wenn zudem das Tempelareal der Gottheit als der Ort genannt wird, an den das gestohlene Objekt zurückgebracht wird und von dort wieder seinen Weg zum eigentlichen Besitzer findet (in diesem Sinne dürfte in unserem ersten und zweiten Beispiel von der Rückgabe des gestohlenen Gutes an den Tempel der Gottheit die Rede sein), dann zeigt sich, dass der Tempel eine Transmitterfunktion im Alltag hatte. Er fungiert beinahe als Fundbüro (mit Finderlohn für die Götter). Das steigert seine Bekanntheit und seine Bedeutung – und damit auch die der am Tempel verehrten und aktiven Gottheit.
1.2 Die Texte in ihrem Kontext 1.2.1 Sprache, Datierung, Fundorte Gebete um Gerechtigkeit finden sich vor allem in griechischer und mehr noch in lateinischer Sprache. Die frühesten Zeugnisse stammen aus dem 4./3. Jh. v. Chr.; ihre Blütezeit haben die Texte in der hohen Kaiserzeit des 1.–3. Jh. n. Chr., aber auch bis hinauf in das 6. Jh. n. Chr. finden sich entsprechende Textzeugnisse. Lokal lassen sie sich in der gesamten Mittelmeerwelt bis ins römische Britannien nachweisen; neben Kleinasien ist dabei allerdings vor allem Britannien ein Hotspot 53 In Zeile 2 (recto) der Inschrift überlagern sich die Adressierungen des Gebets an Mars Silvanus und an Merkur. Offensichtlich hat sich die Verfasserin nach Erstellung des Textes in der Adressierung umentschieden oder will beide Gottheiten zugleich adressieren. 54 Vgl. Kropp 2008, 186 f., die von einer „geschäftlichen Transaktion“ (186) spricht.
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für die Produktion und Verwendung der Gebete um Gerechtigkeit, jedenfalls angesichts der augenblicklichen Befundlage. 1.2.2 Materialität, Medialität, Öffentlichkeit Im Blick auf die Materialität zeigt sich, dass Gebete um Gerechtigkeit wie die übrigen defixiones vor allem auf Blei geschrieben worden sind, sodann auf Bronze und Zinn, seltener indes auf Papyrus und auf Stein. Wie andere defixiones auch konnten sie verbrannt, gerollt und gefaltet werden, wurden in Brunnen (so die Tafel des Docilianus), Quellen und Wasservorkommen versenkt, die oft im Kontext sakraler Stätten, von Tempeln und Heiligtümern standen; im Vergleich zu anderen defixiones finden sie sich in Erdgruben selten, kaum im Kontext von Gräbern55 früh oder unter mysteriösen Umständen Verstorbener. Für unser drittes Beispiel wird erwogen, ob das Gebet im Kontext des Hauses der Priscilla deponiert worden ist. Sicher ist dies allerdings nicht.56 Die Tafel der Artemis indes ist, wie alle knidischen Gebete um Gerechtigkeit, im Tempel der Demeter an der Temenosmauer des Heiligtums öffentlich präsentiert worden. Die Bohrungen, die sie aufweist, deuten jedenfalls auf eine öffentliche Aufhängung hin,57 wobei Durchbohrungen auf defixiones, die sich häufiger finden lassen (TheDefix verzeichnet 170 Einträge für die „tablet modification: durchbohrt“), nicht per se auf eine öffentliche Präsentation hinweisen, sondern auch Teil einer rituellen Manipulation des Textträgers sein können, die die manipulative, ja zwingende Wirkung der defixio im Blick auf den defixus und seine Bindung noch verstärkt.58 Gleichwohl scheint für defixiones des Typs „Gebet um Gerechtigkeit“ Öffentlichkeit konstitutiver gewesen zu sein59 als für andere Arten von Fluchtafeln. Das hat natürlich auch mit ihrem Charakter zu tun. Denn als Anklageschriften, die ja etwa im Falle des Diebstahls zugleich eine Verlustanzeige unter Nennung des konkreten Guts beinhalten oder im Falle der Verleumdung eine öffentliche Gegendarstellung von Seiten des sich mit Namen nennenden Beters kommunizieren, der sich so sicher im Recht sieht, dass er auch einen Konflikt mit den Göttern und ihre Strafe riskiert60 (man denke nochmals an BIWK, Nr. 69), setzen die Texte für ihr Funktionieren ein gewisses Maß an Öffent55 Versnel 2009, 22, notiert, dass sich Sammelfunde der Gebete nie in Gräbern finden lassen, Streufunde indes selten auch in Gräbern (23 Anm. 32). 56 Vgl. dazu Scholz/Kropp/Blumer 2006, 186 f. 57 Vgl. z. B. Gager 1992, 188; Eidinow 2019, 367; Tomlin 2004, 17, erwägt auch für in Britannien gefundene Tafeln, die eine Bohrung aufwiesen und in Form einer tabula ansata gestaltet waren, dass sie öffentlich präsentiert worden sind. 58 Vgl. Kropp 2004, 83. 59 Vgl. Scholz 2011, 94; Dreher 2010, 306 f.; Versnel 2009, 23; Kiernan 2004; Salvo 2012, 239 (mit Blick auf das Gebet um Gerechtigkeit auf der eindeutig Öffentlichkeit anzielenden Marmorstele TheDefix 227 [vgl. Deissmann 1923, 351–362]). 60 Die knidischen Gebete um Gerechtigkeit, die gegen den Vorwurf der Giftmischerei Einspruch erheben, enthalten als Element der Verteidigung auch bedingte Selbstverfluchungen, um die Wahrheit des im Gebet Vorgetragenen zu untermauern, was der Logik des Eides in der Antike entspricht, vgl. TheDefix 229 (IKnidos, Nr. 147); Graf 1996, 145.
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lichkeit voraus, auch wenn die Öffentlichkeit in den Texten selbst nicht präsent ist und keine Rolle im Ritualverlauf spielt. Vor allem der angezielte Opponent sollte um das Gebet wissen61 oder jedenfalls mit ihm rechnen können,62 damit er im Falle plötzlich auftretender Störungen in seinem Leben die richtige Deutekategorie wählt und diese als Strafe der Götter für sein Verhalten interpretiert, so dass er im Sinne des Gebetes aktiv wird. Letztlich sollen die Gebete damit auch das unbekannte Gegenüber verunsichern, seine Wahrnehmung seines eigenen Ergehens durch eine framing-Strategie steuern, indem sie ein Deutemuster (Krankheit, Misserfolg usw. als Strafe für Sünde und Schuld) wachrufen. Und genau dafür braucht es Öffentlichkeit (und eine gute Portion Gottvertrauen und Glauben an die Wirkmacht der Götter auf beiden Seiten der Beteiligten). Die gesellschaftliche Bewertung der Gebete um Gerechtigkeit scheint also dergestalt gewesen zu sein, dass ihr ritueller Einsatz nicht zwingend klandestin erfolgen musste, sondern man z. B. auch mündlich über sein rituelles Agieren berichtet hat (das wäre jedenfalls für die Gebete aus dem römischen Britannien oder aus Mainz zu erwägen, die kaum öffentlich zu lesen waren), was im Falle der Verwendung von defixiones der übrigen Kategorien eher unwahrscheinlich ist, war Schadenzauber doch gesellschaftlich weitgehend tabuisiert (fand freilich gleichwohl statt) und unter Strafe gestellt.
1.3 Sitz im Leben: Ein mehrdimensionales Gebet Es ist offenkundig, dass die Gebete um Gerechtigkeit einen mehrdimensionalen Sitz im Leben haben. Sie entstammen Konfliktsituationen im sozialen Alltag von Menschen, die wir eher in den relativen Unterschichten antiker Gesellschaften suchen müssen. Die Gebete zielen darauf, Gerechtigkeit zu erlangen, was konkret bedeutet, dass Unrecht ausgeglichen wird, im Falle materieller Konflikte also in der Regel die Rückgabe von Besitz und/oder eine Entschädigung impliziert. Die Gebete eröffnen damit Handlungsoptionen für Menschen, die sich angesichts eigener Unrechtserfahrungen nicht ohnmächtig in ihr Schicksal fügen wollen, aber offenbar über keine Alternativen verfügen, um ihr Recht effektiv durchzusetzen. Die Gebete verfolgen damit auch das Ziel, den Täter zu verunsichern und ihn schicksalshafte Widerfahrnisse als Strafe für sein unrechtmäßiges Verhalten in61 Vgl. Eidinow 2019, 367, die einen psychologischen Druck auf die Opponenten, der durch die Gebete erzeugt wird, erwägt, der zur Wiedergutmachung führt; vgl. zum Wissen der Opponenten um die sie anzielenden Gebete auch Tomlin 2004, 18, der aber summierend notiert, dass die „meisten Fluchtafeln nur für die Augen der Götter bestimmt waren“. 62 Auch darin besteht eine Differenz zu anderen defixiones, die ihre Wirkung gerade verlieren, wenn der defixus unmittelbar um sie weiß, vgl. dazu Brodersen 2001, 68, der im Blick auf die religiöse Kommunikation im Fluch notiert, dass die Götter die Botschaft der defixio kennen und verstehen müssen, um die defixio auszuführen, der angezielte Kontrahent indes nicht um die defixio wissen darf. Auch hier scheinen mir die Gebete um Gerechtigkeit eine etwas andere Nuancierung zu verlangen, damit sich ihr Erfolg einstellt, der ja in der Regel eine erneute Interaktion zwischen Kontrahent und Beter, die Wiedergutmachung, impliziert.
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terpretieren zu lassen. Das ist ein erster Sitz im Leben der Gebete. Gebet um Gerechtigkeit ist insofern ein guter Name für Texte dieses Typs, soll doch sowohl dem Beter Gerechtigkeit widerfahren, wie auch den Übeltäter, dessen Handeln Auslöser für die Formulierung des Gebetes war, eine aus Sicht des Beters subjektiv gerechte Strafe treffen. Sodann zielen diese Gebete auch darauf ab, Rache zu üben. Die ältere Forschung zu den Gebeten um Gerechtigkeit gibt in diesem Sinne einen klaren Fingerzeig, wenn sie Texte dieses Typs als „Rachegebete“63 bezeichnet. Im Hintergrund der Gebete steht der Zornaffekt: Unrecht zu erleiden und sich dem hilflos, ja ohnmächtig ausgesetzt zu fühlen, weil man den Übeltäter nicht kennt,64 ist unerträglich und evoziert die Affekte von Wut und Zorn, die nicht selten in Rachegedanken münden. Dieses Ineinander der Affekte ist seit Aristoteles bekannt: Er definiert im 2. Buch seiner Rhetorik (rhet. II 2 [1378a]) den Zorn (ὀργή) als ein von Schmerzen begleitetes Verlangen nach Rache (τιμωρία) an jemandem, von dem man selbst faktisch oder vermeintlich Unrecht erlitten hat oder Freunde Unrecht erlitten haben, ohne dass dieses Unrecht verdient wäre.65 Dieser Wunsch nach Rache und Gerechtigkeit, die „Wut im Bauch“, findet unmittelbar in den Gebeten um Gerechtigkeit einen Niederschlag, vor allem in ihren Strafvorschlägen, ja Strafvisionen mit ihren oft völlig überzogen wirkenden Forderungen, die nicht selten in der Wunschvorstellung, der defixus möge innerlich brennen – und damit genau jenes Gefühl erleben, das nach Aristoteles den Zorn physiologisch ausmacht: Zorn sei das „Sieden des Blutes, das um das Herz liegt, und heiß ist“ (an. I 1 [403a–b]; Übersetzung: W. Theiler) – oder gar sterben gipfeln. Und genau darin liegt dann auch bereits ein Moment der individuellen und letztlich auch sozialen und religiösen Kontrolle dieser Affekte und damit ein zweiter Sitz im Leben der Gebete um Gerechtigkeit. Mit dieser spezifischen Teilfunktion der Gebete, ihrer Funktion als Instrumente der Moderation von Unrechtserfahrungen, hat sich vor allem Irene Salvo66 beschäftigt. Sie zeigt „how these prayers were used as a way to soothe and cool the feelings behind a wish for revenge“.67 Dabei hebt sie vor allem auf die soziale Funktion der Gebete um Gerechtigkeit ab, insofern sie ein probates Instrument seien, um den gesellschaftlichen Frieden zu erhalten, der durch das „soziale Gift“68 von Unrechtserfahrungen und Rachegedanken gefährdet sei. Und dazu leisten die Gebete um Gerechtigkeit einen Beitrag. 63 Vgl.
Kropp 2008, 119 Anm. 465. Vgl. auch Graf 1996, 144 f., der mit Blick auf die Gebete um Gerechtigkeit und die unbekannten Täter formuliert: „allen Texten gemeinsam ist wieder das Gefühl der Krise, der Hilflosigkeit nun angesichts eines eingetretenen Schadens, dessen Urheber man zur Rechenschaft ziehen will. In dieser Unsicherheit helfen wiederum die unterirdischen Mächte“ – und man wird ergänzen dürfen: auch die oberirdischen. 65 Vgl. dazu von Gemünden 2009, 164. 66 Vgl. Salvo 2012. 67 Salvo 2012, 237. 68 Vgl. Salvo 2012, 255: „social toxin“. 64
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Der wohl entscheidende Aspekt, der die Wut im Bauch bearbeitet, besteht darin, dass durch die Gebete um Gerechtigkeit für denjenigen, der sich ohnmächtig einer Unrechtserfahrung ausgesetzt sieht, eine Möglichkeit der Handlung eröffnet wird. Im Gebet werden Emotionen ausagiert und in konkrete Handlung umgesetzt.69 Denn um ein Gebet um Gerechtigkeit zu formulieren muss man sich zunächst eine Bleiplatte oder einen alternativen Schriftträger besorgen, man muss zu einem Tempel oder Heiligtum gehen, dort mit dem Text rituell handeln, muss den Text schreiben (oder ihn ggf. auch jemandem diktieren), und dabei ist es notwendig, in einem Reflexionsakt die syntaktische Struktur des Gebetes zu bedenken (und ggf. darüber mit Fachleuten ins Gespräch kommen), denn man will ja ein Gebet formulieren, das wirken soll, was zwingend verlangt, spezifische Textbausteine zu verwenden, über die es zu reflektieren gilt. Bei der Beschriftung der Platte verleiht man seinen Affekten, die zugelassen werden, einen semantischen Ausdruck. Sie werden niedergeschrieben und auf das Schreibmaterial gebannt, erhalten dort einen dauerhaften Ausdruck. In den oft völlig überzogen wirkenden Strafbitten, aber eben auch nur dort, kann man seiner Rache fast freien Lauf lassen. Sehr zugespitzt formuliert: Die Strafvorschläge sind Inseln der Kondensation des Rachewunsches in einem Meer sehr geordneter ritueller Syntax. In den Gebeten handelt der Beter also, agiert sich, seine Wut und Ohnmacht aus, ja die scheinbare Ohnmacht gegenüber erlittenem Unrecht wird durch das Ritual zumindest punktuell veröffentlicht, so dass andere innerhalb der Gesellschaft darum wissen können und – wichtiger noch – die Götter darum wissen. Das ist für die Affektkontrolle entscheidend: Die faktische Ohnmacht gegenüber erlittenem Unrecht, das einem von Unbekannten angetan wurde, wird durch eine rituelle Aktion, die die Sphäre der Götter involviert und damit deren übernatürliches Wissen und Macht nutzt, in eine Form der machtvollen Auseinandersetzung mit diesem Unrecht transformiert. Das Gebet will die Götter als Agenten nutzen, weiß freilich dabei um die Souveränität der Götter, die als Richter im Gebet bittend angefleht werden, im Blick auf die argumentiert und geworben wird, an deren Gerechtigkeitssinn und Interesse an der geltenden Ordnung appelliert wird. Der Beter rächt sich also über einen Umweg. Er überlässt die Rache einer Gottheit. Über das Scharnier der durch die rituelle Handlung aktivierten Götter wird die Ohnmacht der wenig Mächtigen insofern in Macht transformiert, indem der Wunsch nach Rache und Gerechtigkeit auf die Götter übertragen wird: „The prayers of justice show us a crime-coping method which involves the supernatural“.70 Bei den Gebeten um Gerechtigkeit handelt es sich insofern um Formen ritualisierter Affektkontrolle im Umgang mit Zorn, Wut und Rache, die aus erlittenen Unrechtserfahrungen erwachsen. Das macht die Gebete zu einer eigentlich relativ konservativen Institution, weil sie geltende Gesellschaftsordnungen stabilisieren 69 Vgl.
Salvo 2012, 240. 2012, 259.
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wollen, die sowohl durch das ungerechte Verhalten des in den Gebeten anonymen Opponenten als auch durch die Affektreaktion des Beters zumindest im Kleinen bedroht sind. Die Gebete helfen, den brüchigen Frieden in Familien, Häusern, Nachbarschaften, Dörfern und Städten zu sichern.71
2. Brückenschläge in die Welt des Neuen Testaments Es ist eine Alltagserfahrung: Da läuft man durch die Straßen seiner Stadt, geht die vertrauten Wege und stolpert plötzlich über scheinbar Neues, sieht etwas, das man Jahr und Tag übersehen hatte, das freilich schon eh und je dort seinen angestammten Platz hatte. Die Wahrnehmung des Bekannten ändert sich durch Sozialisation, durch neues Wissen, neue Aufgaben. Junge Eltern entdecken plötzlich die große Anzahl von Spielplätzen in ihrer Umgebung; die Filiale der Restaurantkette, bei der man im Urlaub so vorzüglich gegessen hat, entdeckt man plötzlich auch in der Heimat. Ein neues frame verändert Wahrnehmung, lässt Neues im Vertrauten entdecken. Das gilt auch für die Interpretation biblischer Texte und stellt m. E. einen zentralen Motor für wissenschaftlichen Fortschritt in der exegetischen Wissenschaft dar: Unsere so oft traktierten Texte werden durch neues Vergleichsmaterial, neue Theorien, Thesen und Konzepte in neues Licht getaucht, in dem sie dann neu wahrgenommen und entdeckt werden können. Dieses Neue war schon immer in den Texten angelegt, aber es zeigt sich erst im Akt des Neulesens durch Exegetinnen und Exegeten, die mit einer frischen Perspektive, mit einem spezifischen frame, im Licht ihres Wissens an die Texte herangehen und sie neu interpretieren. In diesem Sinne beginnt z. B. Hans-Josef Klauck seinen Beitrag über die kleinasiatischen Beichtinschriften und das Neue Testament mit der folgenden basalen Feststellung:72 Eigenständige Beiträge zur Epigraphie liegen jenseits der Arbeitsroutine und der Fachkompetenz des Neutestamentlers. Aber bei gelegentlichen Ausflügen in ein faszinierendes, fremdes Gebiet begegnet ihm manches, von dem er meint, es sei in seinem eigenen Fach zu wenig bekannt und nicht nur deshalb mitteilenswert.
Natürlich bleibt Klauck73 in seinem Beitrag nicht bei den Beichtinschriften stehen, sondern zeigt auf, wo neutestamentliche Texte Verwandtes bieten oder gänzlich an71 Vgl. Salvo 2012, 257: „the social function of the display of emotions in the Knidian prayers […] was to satisfy and cool strong retaliatory emotions, and to ‚detoxify‘ the social interrelationships within the city“. 72 Klauck 2003, 57. 73 Klauck ist mit diesem Vorgehen der Vernetzung von auf den ersten Blick für die Exegese eher fremdem Material mit biblischen Texten natürlich nicht allein (vgl. von ihm zudem noch: Klauck 2006, 201–206, mit einer ausführlichen Analyse der Salutarisinschrift aus Ephesus [IvE 27], die Klauck für die Offb fruchtbar macht). Fokussieren wir allein auf das Feld der Epi-
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dere Wege im Umgang mit Schuld, Sünde und Bekenntnis von Schuld gehen – und dies nicht, um Abhängigkeiten der neutestamentlichen Texte von Beichtinschriften zu behaupten, sondern weil sich mit dem Wissen um die kultur-, sozial‑ und religionsgeschichtlichen Charakteristika der Beichtinschriften neutestamentliche Texte präziser lesen und interpretieren lassen und so Neues entdeckt werden kann. Programmatisch formuliert er:74 Verhindert dieser chronologische Rahmen [sc. der Entstehung der Beichtinschriften weitgehend in der Zeit nach der Entstehung der neutestamentlichen Texte, M. L.] nicht einen Vergleich mit dem Neuen Testament, das um einiges früher zum Abschluss kam? Nicht unbedingt […] [D]ie Frage ist immer, auf was man hinaus will. Ich beabsichtige keineswegs, bestimmte neutestamentliche Gegebenheiten aus den heidnischen Inschriften genetisch „abzuleiten“. Aber auch unterhalb jener Schwelle bleibt noch genug zu tun, angefangen mit der einfachen Illustrierung frühchristlichen Vokabulars aus zeitlich benachbarten Quellen. Ein möglicher Rezeptionshorizont75 für die christliche Botschaft kann aufgewiesen werden; strukturell verwandte Phänomene sind unabhängig von der zeitlichen Zuordnung auf Ähnlichkeiten und Unterschiede hin zu befragen. Auch die Beobachtungen zur Gattungsfrage, auf die wir am Schluss zu sprechen kommen, reichen als Erkenntnisziel schon aus.
Das ist aus meiner Sicht mustergültig formuliert und auch für die folgenden Überlegungen leitend. Wer insofern die antike Umwelt des Neuen Testaments und der frühen Christen gut kennt, kann mehr in den Texten der Jesusbewegung entdecken, kann Neues entdecken, bereits Bekanntes mit neuen Argumenten präziser untermauern oder bisher gültige Thesen begründet in Zweifel ziehen. Die defixiones und darunter speziell auch die Gebete um Gerechtigkeit zu kennen, kann also nur zum Vorteil der exegetischen Wissenschaft sein76 – und dies nicht zuletzt auch aufgrund dreier Vorteile, die dieses Material bietet: – Die defixiones sind zeitlich und lokal sehr breit gestreut; es handelt sich um in der Antike sehr bekanntes Alltagsmaterial, in dem soziale, kulturelle und religiöse Aspekte miteinander verschränkt sind. graphik, zu dem ja auch die defixiones gehören, dann kommen z. B. schnell die Arbeiten von Peter Pilhofer zu Philippi in den Blick (vgl. Pilhofer 1995; Pilhofer 2000) oder auch ein Beitrag von Peter Lampe, in dem er Apg 19 im Licht der Inschriften von Ephesus liest (vgl. Lampe 1992). Jüngst hat etwa Heinz Blatz mehrere Beiträge zu neutestamentlichen Texten vorgelegt, die vor epigraphischem Vergleichsmaterial gelesen werden (vgl. Blatz 2017; Blatz 2020). Und auch der Sammelband „Epigraphik und Neues Testament“ ordnet sich hier ein (vgl. Corsten/ Öhler / Verheyden 2016). 74 Klauck 2003, 63. 75 Vgl. dazu auch die Fallstudie Klauck 2004. 76 Dass die defixiones bisher ein relatives Schattendasein auch in jenen Bereichen der Exegese gespielt haben, die ausführlicher epigraphisches Material für die Interpretation neutestamentlicher Texte heranziehen, vermag ein Blick in den Sammelband von Corsten/Öhler / Verheyden 2016, zu zeigen. Auf defixiones geht allein der lesenswerte Beitrag von Öhler 2016, 158.160.162 f.166, ein, in dessen Zentrum mit den Beichtinschriften Material steht, das mit den defixiones und speziell den Gebeten um Gerechtigkeit verwandt ist (und deshalb kommt Markus Öhler auch auf sie zu sprechen).
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– Die Texte der defixiones realisieren einen Gattungstyp mit entsprechenden Unterformen; die Texte gehorchen kulturellen Gattungsgesetzen und sind insofern in diachroner wie in geographischer Perspektive sehr formstabil. – Die defixiones erlauben Einblicke in die Alltagswelt der kleinen Leute. In ihnen äußern sich nicht ein Seneca oder Plutarch, ein Philo oder Flavius Josephus; es sind Leute wie Docilianus, Paternus und Artemis, die diese Texte verfassen oder in Auftrag geben. Mit den defixiones bewegen wir uns also in den sozialen Kreisen, aus denen auch die ersten Christinnen und Christen stammen. Im Sinne dieser Überlegungen möchte ich daher im Folgenden drei Themenfelder benennen, die in neutestamentlichen Texten vielfach präsent sind, und für die speziell die Gebete um Gerechtigkeit von Relevanz sein können, was ich jeweils mit ein paar wenigen Beobachtungen zu konkreten Texten andeuten will. Dabei lassen sich neutestamentliche Texte und Gebete um Gerechtigkeit als Stimmen polyphoner Diskurse zu antiken Themen und Alltagserfahrungen verstehen. Je präziser und vielschichtiger wir diese Diskurse erfassen, desto schärfer können wir das Proprium der neutestamentlichen Diskursstimmen analysieren und ihre Verankerung in der antiken Welt in Anknüpfung und Widerspruch in den Blick bekommen. Und auch für kultur‑ und religionsgeschichtliche Phänomene wie Gebete und Formen ritualisierter Affektkontrolle lassen sich Vergleiche ziehen, die die Charakteristika frühchristlicher Realisierungen dieser Phänomene zu charakterisieren helfen. Dabei gilt – und das sei deutlich vorausgeschickt –, dass ich nicht eine Abhängigkeit der biblischen Texte von Gebeten um Gerechtigkeit als Prätexten behaupten will. Im Licht des Intertextualitätsparadigmas liegen in allen Fällen deutlich weichere Formen vor, die sich wohl am besten als für die Interpretation der neutestamentlichen Texte produktive Parallelen verstehen lassen. Das Ganze ist als eine Einladung zum Weiterdenken zu verstehen, die neue Perspektiven eröffnen will und sich nur in Ansätzen in exegetische Detailarbeit vertieft.
2.1 Die Welt der Gebete Formal handelt es sich bei den Gebeten um Gerechtigkeit, wie das schon ihre Bezeichnung ausdrückt, um Gebete. Dabei sind die Gebete um Gerechtigkeit von ihrer Semantik her Bittgebete, die sich an transzendente Gottheiten richten, die aus der Perspektive des Beters über übermenschliche Handlungsmacht verfügen und diese im Sinne des Beters gegen den defixus einsetzen sollen, um dessen Geschick negativ zu beeinflussen, theologisch gesprochen damit zur Umkehr motivieren, und das erlittene Unrecht wieder auszugleichen. Zum Gebetscharakter trägt auch die flehentliche Sprache und die Verwendung von Gottesepitheta und Hoheitstiteln in diesen defixiones bei. Diese Bittgebete erwachsen aus einer Situation der Ohnmachtserfahrung; gerade in den Strafvorschlägen drücken sich dabei Affekte von Wut, Hilflosigkeit und Unrechtserleben aus, die im Gebet, im Schrei-
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ben der Tafel und im rituellen Umgang mit ihr kanalisiert, produktiv ausgelebt und insofern letztlich ordnungsstabilisierend bearbeitet werden. Zum Charakter des Gebetes gehört auch das zuweilen in den Texten präsente Versprechen einer Dankesgabe an die Gottheit für den Erfolgsfall. Das Prinzip des do ut des, also der antike Reziprozitätsmechanismus, wird dabei nicht mittels einer Opfergabe proaktiv in Gang gesetzt, sondern – etwa dem Heildank in Wundergeschichten aus Epidauros vergleichbar – die Belohnung für die Zukunft versprochen. Als Gebete versuchen die Texte dabei zwar die Götter vom Anliegen der Beter zu überzeugen und sozusagen wasserdicht zu formulieren; gerade darin zeigt sich aber auch, dass die Betenden sich nicht sicher sind, dass ihr Gebet auch erhört wird. Oder anders: Auch pagane Betende überlassen letztlich die Rache den Göttern, was schon beinahe nach einem biblischen Motto klingt: „Mein ist die Rache, spricht der Herr“ (vgl. Dtn 32,35; Röm 12,19; Hebr 10,30). Gebete, Gebetslogiken, Gebetsgesten und Gebetssprache begegnen auch im Neuen Testament. Das berühmte Vaterunser (Mt 6,9–13; Lk 11,2–4) ist dabei nur die Speerspitze einer deutlich breiteren Tradition, die unterschiedliche Formen des Gebetes kennt (Fürbitte, Lob, Dank, Segen und Fluch, aber auch nonverbale, verleiblichte Formen des Gebetes, wie sie z. B. 1 Kor 6,20 im Blick hat) – dies jedenfalls, wenn man die Definition für Gebet zugrunde legt, die etwa Karl-Heinrich Ostmeyer vertritt: Als Gebet zu verstehen, sei jede Form der menschlichen Kommunikation mit Gott oder Christus.77 An Studien zu den vielfältigen Implikationen und Modi von Gebet im Neuen Testament herrscht kein Mangel.78 Und auch Kontextualisierungen christlichen Betens im Horizont antiker Literatur und Alltagskultur griechisch-römischer wie jüdischer Provenienz finden sich.79 Schließlich wird auch und völlig zu Recht auf den Fluch und das Fluchen als Formen des Gebets (etwa im Kontext der Paulusbriefe) hingewiesen,80 aber die Gebete um Gerechtigkeit kommen bei all dem weder mit Blick auf das Thema des Gebetes generell noch speziell für die Welt des Fluchens als Vergleichsmaterial in den Blick. Wenn überhaupt, dann werden jüdische Fluchgebete als Parallelen genannt.81 Aber auch pagane Menschen beten, wenn sie unter Rückgriff auf Gebete um Gerechtigkeit fluchen. Und dass solche Texte Gebete darstellen, ist auch in Arbeiten gut
77 Vgl.
Ostmeyer 2006, 29 f.; vgl. auch Ostmeyer 2010. Vgl. z. B. Fenske 1997; Ostmeyer 2006 (mit dem Forschungsüberblick 2–29), sowie den Sammelband Klein/Mihoc/Niebuhr 2009. 79 Vgl. Fenske 1997, 48–59, sowie die Übersicht zu antiken Quellentexten rund um das Thema Beten: 298–302; Ostmeyer 2006, 109–111.184.301 f. Vgl. zudem der jüngst erschienene Sammelband Feldman/Sandoval 2020, der sich mit Gebeten in Texten des Judentums des Zweiten Tempels beschäftigt und dabei auch auf neutestamentliche Texte zu sprechen kommt. Gebete um Gerechtigkeit spielen im ganzen Band allerdings keine Rolle. 80 Vgl. Ostmeyer 2006, 69–71. 81 Vgl. Ostmeyer 2006, 69 Anm. 185, mit einem kurzen Verweis auf die jüdische Tradition, in der Segen und Fluch Formen des Gebetes sind. 78
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bezeugt,82 die von Exegetinnen und Exegeten bei der Aufarbeitung des Kontextes für christliche Gebete berücksichtigt werden.83 Hier klafft also noch eine Lücke in der Wahrnehmung und Berücksichtigung von Gebeten um Gerechtigkeit für die Kontextualisierung ur‑ und frühchristlichen Betens. Zukünftige Studien zum Gebet im Neuen Testament und im frühen Christentum können diese Lücke schließen, denn mit den Gebeten um Gerechtigkeit steht erstklassiges Quellenmaterial bereit, um an Originaltexten aus dem Alltag griechisch‑ und lateinischsprachiger Menschen antike Gebetssprache im Blick auf Semantik, Syntax, Gattungsmuster, Gebetsanlässe und Gebetslogiken zu studieren und damit die neutestamentlichen Gebetstraditionen präziser zu kontextualisieren.84 Inhaltlich reizvoll scheint es mir zudem, die in den Gebeten vorhandenen Affekte und ihre Bewältigung mit Gebeten zu vergleichen, die sich im Neuen Testament, im frühen Christentum, aber auch in frühjüdischen Texten finden und die ihrerseits Einblicke in Emotionen und Affekte ermöglichen, die die Produktion von Gebeten steuern und dabei Affekte bewältigen.85 Dass es sich bei den Gebeten um Gerechtigkeit um Bittgebete handelt, die in einer für den Beter zumindest subjektiv als ausweg‑ und alternativlos erlebten Notsituation Fürbitte für den Beter selbst bei der adressierten Gottheit einlegen und für die unbekannten Gegner, die durch das Gebet über den Handlungssouverän der Gottheit manipuliert werden sollen, allenfalls in einer im christlichen Sinne invertierten Perspektive „Fürbitte“ geleistet wird, die auf eine Bestrafung der Gegner abzielt und so zur Verhaltensänderung führen soll, hat im Licht neutestamentlicher Gebetstraditionen seinen besonderen Reiz. Denn auch das Neue Testament kennt die Fürbitte86 für den Beter selbst, der in höchster Not ist.87 In der Getsemaniszene – mithin im Kontext einer Anklage und Verurteilung, die auf Verrat, Verleumdung und falscher Verdächtigung durch Judas, aber auch durch unbekannte „Zeugen der Anklage“ (vgl. Mk 14,55–59) beruht – spielen das Markusevangelium und von ihm abhängig auch Matthäus und Lukas literarisch mit dieser Tradition der Fürbitte für den Beter selbst, die die synoptische Jesusfigur freilich dahingehend realisiert, dass Jesus seine Fürbitte, die darauf abzielt, das 82 Vgl.
Pulleyn 1997, 70–95 („Curses and Justice“). Ostmeyer 2006, 21–23, der die Arbeit von Simon Pulleyn rezipiert. 84 Auch für die Interpretation jüdischer Traditionen und Texte wie die Rache-, Feind‑ und Fluchpsalmen genannten Zeugnisse können die paganen Gebete um Gerechtigkeit im Übrigen als Material zur Kontextualisierung dienlich sein. 85 Vgl. zu diesem Themenkomplex die Beiträge in Reif/Egger-Wenzel 2015, die jüdische Gebete der Antike und des Neuen Testaments im Blick auf den Aspekt der Emotionen und Affekte analysieren. Pagane Gebetstraditionen bleiben hier noch weitgehend außen vor, wären aber in der Sache in jedem Fall eine sinnvolle Ergänzung. 86 Vgl. zur Fürbitte im Neuen Testament von Arx 2009. 87 Zu denken ist z. B. an die Anrufung Jesu um Heilung und Erbarmen durch den blinden Bettler Bartimäus in Mk 10,46–52 oder die Bitte um göttliches Erbarmen, die der sich als sündig und verloren erlebende Zöllner im Tempelareal vorträgt (Lk 18,9–14). 83 Vgl.
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Trinken aus dem Leidenskelch möge ihm nicht auferlegt werden, ganz unter den Willen Gottes stellt: „Nicht was ich will, sondern was du willst …“ (vgl. Mk 14,35 f.; Mt 26,39; Lk 22,41 f.), ist die Option Jesu. Im Licht der Gebete um Gerechtigkeit rezipiert, zu deren Sitz im Leben ebenfalls Fälle falscher Verdächtigung und Verleumdung gehören,88 zeigt sich in theologischer Perspektive, dass der eine Gott im Gegenüber zu den in den Gebeten um Gerechtigkeit adressierten Gottheiten deutlich autonomer charakterisiert wird. Er wird nicht als Bestrafungsinstanz für Gegner missbraucht, sein Wille ist souverän. Und diesem göttlichen Willen ordnet sich die Jesusfigur entschieden unter, was nicht unerheblich auch zur Charakterisierung Jesu als Gefolgsmann Gottes beiträgt, der den Plan Gottes in das Zentrum seines Lebens stellt und dafür bereit ist, sein Leben einzusetzen. Inhaltlich schillernd scheint mir vor dem Hintergrund der Gebete um Gerechtigkeit auch die Aufforderung zum Gebet für die Gegner im Rahmen der Logien von der Feindesliebe zu sein.89 Die positive Fürbitte für die Gegner, zu der der matthäische und der lukanische Jesus auffordert (Mt 5,44; Lk 6,28), formuliert einen deutlichen Kontrapunkt zu typischen Verhaltensweisen im antiken Alltag, wie sie in den Gebeten um Gerechtigkeit präsent sind. Vor dem Hintergrund dieser Gebete gelesen, zeigt sich in aller Schärfe die Valenz der jesuanischen Aufforderungen, die die Eskalationsspiralen angesichts erlebter Gewalt und Unrechtserfahrungen zu durchbrechen suchen. Wo mit Liebe, Segen und Fürbittgebet auf feindliche Verhaltensweisen wie das Verfluchen, von dem in Lk 6,28 ja wörtlich die Rede ist (καταράομαι), reagiert wird, da wird Feindesliebe als Verzicht auf Rache sehr konkret und tritt an die Stelle eines Gebetes, das auf die bestrafende göttliche Intervention90 setzt, die Bitte um den göttlichen Segen für den Gegner, womit deutlich eine semantische und motivische Opposition zur Verfluchung als von Jesus favorisierte Verhaltensweise benannt ist. Schließlich können die Gebete um Gerechtigkeit auch in Erinnerung rufen, dass wir uns das Beten in der Antike nicht allein als mündlichen Kommunikationsakt vorstellen dürfen, sondern dass Gebeten auch nonverbale Aspekte inhärent sind91 (wie eben das Schreiben des Gebetstextes auf Blei und andere Trägermaterialien), Schrift und Schriftträger implizieren zudem eine Dauerhaftigkeit des Gebetes, die über den zeitlich kontingenten Akt eines mündlichen Gebetes hinausragt – Vgl. Versnel 2009, 17. Vgl. dazu auch den Beitrag von Bernhard Heininger in diesem Band (S. 311–332). 90 Dabei lassen sich manche Gebete um Gerechtigkeit auch als Gegenfluch im Blick auf eine vorherige Verfluchung begreifen, durch die das im Hintergrund des Gebetes um Gerechtigkeit stehende Unheil ausgelöst worden ist (vgl. z. B. das Rachegebet von Rheneia: Deissmann 1923, 351–362 [TheDefix 227]); auch scheinen manche Gebete um Gerechtigkeit zuweilen mit der Option zu rechnen, dass der defixus seinerseits mit einem Gegenfluch oder anderen kultischen Techniken auf das ihm widerfahrende Unheil reagieren wird und wollen dies durch die im Gebet vorgetragene Bitte an die Gottheit ausschließen (vgl. z. B. TheDefix 758 [DTM, Nr. 1]). 91 Vgl. dazu grundlegend Ehrlich 2004. 88 89
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Aspekte, die es auch bei der Beschäftigung mit Gebeten im Neuen Testament und im frühen Christentum im Blick zu behalten gilt.
2.2 Der Umgang mit dem Zornaffekt Die Gebete um Gerechtigkeit lassen sich, wie Irene Salvo eindrücklich herausgearbeitet hat, als ritualisierte Formen der Affektkontrolle verstehen und verdanken sich auch dem Wunsch nach Rache und dem Gefühl des Zornes und der Ohnmacht angesichts erlittenen Unrechts. Wie man mit solchen Affekten umgeht, ist in antiker Literatur und Kultur Gegenstand der Debatte. Und an diesen Diskursen partizipieren auch das frühe Christentum und neutestamentliche Texte. Allein die Häufigkeit der Verwendung von Stichworten wie ὀργή (36-mal) und ὀργίζω (8-mal) im Neuen Testament zeigen die Präsenz von Wut und Zorn auch in diesen Textwelten an. Und dabei geht es nicht nur um die Charakterisierung von Verhaltensweisen und der emotionalen Situation von Erzählfiguren, sondern auch um sehr konkrete Mahnungen zum Umgang mit dem Affekt des Zorns, zur Produktivität des Zorns (vgl. dazu näherhin unter 2.3 die Notizen zu Jak 1,20) und seinen potentiellen Auswüchsen. Die Mahnung von Mt 5,21 f., die den Zorn unter das Verdikt des Gerichts stellt, spricht in diesem Sinne eine klare Sprache. Auch die Forderungen des Römerbriefes, den eigenen Zorn zu zügeln, um dem göttlichen Zorn Raum zu geben (Röm 1,18; 2,5.8; Röm 12 f.92), sind Stimmen im Rahmen eines antiken gesamtgesellschaftlichen Diskurses über den Umgang mit dem Zorn und erinnern zugleich in ihren Funktionslogiken durchaus unmittelbar an die Gebete um Gerechtigkeit. Zur Aufarbeitung dieses breiten gesellschaftlichen Diskurses über den Umgang mit dem Zornaffekt können auch die Gebete um Gerechtigkeit berücksichtigt werden, um mit geschärftem Blick eine durch neue Vergleiche noch präzisere Charakterisierung und Verortung der unterschiedlichen neutestamentlichen Stimmen im Rahmen dieses Diskurses vornehmen zu können. Zu diesen Diskursen gibt es bereits innerhalb der neutestamentlichen Exegese eindrückliche Arbeiten, die den Zorn entweder stärker in der Perspektive des Umgangs mit ihm als Affekt93 in den Blick nehmen oder den sprachethischen Diskurs94 zum Zorn aufarbeiten. Als Stimmen in diesem Diskurs, zu denen dann neutestamentliche Texte in eine Beziehung gesetzt werden, werden dabei etwa die Schriften eines Aristoteles, Seneca, Plutarch, Epiktet oder Philo herangezogen, die explizit vom Zorn und der Kontrolle dieses für die Antike schlimmsten aller Affekte95 wie auch weiterer negativ bewerteter Affekte handeln. Die Gebete um Gerechtigkeit können hier den Tisch der Tradition noch reichhaltiger decken. Denn sie erlauben im Vergleich zu den Vgl. dazu auch den Beitrag von Thomas Schumacher in diesem Band (s. S. 381–408). von Gemünden 2007; von Gemünden 2009, 163–189; von Gemünden 2013. 94 Vgl. dazu ausführlich Luther 2015, 67–186. 95 Vgl. die Wertung bei von Gemünden 2009, 163. 92
93 Vgl.
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genannten Texten einen ausgeprägteren Einblick in den Alltag des Umgangs mit Zorn und Unrechtserfahrungen in der Breite der Gesellschaft und nehmen weniger die Perspektive einer gebildeten, einem philosophischen Ideal verpflichteten Oberschicht ein, wie sie in den bisher für den Vergleich herangezogenen Texten präsent ist. Anders gesagt: Bei den Gebeten um Gerechtigkeit ist man näher dran am Alltag der Menschen und ihrem Ringen mit Zorn, Rache und Unrecht. Und das kann für das Verständnis neutestamentlicher Stimmen in diesem Diskursfeld nur hilfreich sein, auch wenn in den Gebeten um Gerechtigkeit natürlich keine bewusste Metareflexion über den Zornaffekt stattfindet, sondern sie unmittelbar Zorn dokumentieren. Und noch in einer weiteren Perspektive sind Gebete um Gerechtigkeit als Formen ritualisierter Affektkontrolle von Interesse für die Bibelwissenschaft – nämlich mit Blick auf das Ritual der Taufe, was gewiss zunächst verwundern dürfte. Wenn man aber die Taufe als Ritual der dynamischen und transformativen Affektkontrolle versteht, wie dies etwa von Petra von Gemünden vertreten wird,96 dann findet sich im Urchristentum auch eine Form ritualisierter Affektkontrolle. In der Taufe durchläuft der Täufling eine Transformation, legt den alten Menschen ab, der von Leidenschaften und Affekten geplagt ist, und zieht den neuen Menschen an, der – jedenfalls dem Ideal nach – seine Affekte kontrollieren kann. Keine Frage: Das Taufritual ist etwas völlig anderes als die ritualisierte Affektkontrolle der Gebete um Gerechtigkeit. Die Taufe zielt ihrem Wesen nach auf eine dauerhafte Transformation des Menschen, ist ein für den Täufling einmaliges Ritual, integriert in Gemeinschaft und vergibt Sünden (vgl. nur Apg 2,38), was das theologische Problem postbaptismaler Sünde97 mit sich bringt; die Gebete um Gerechtigkeit sind demgegenüber Symptombekämpfung, haben nichts mit Sündenvergebung zu tun und sind natürlich vielfach wiederholbar. Insofern haben beide Rituale keine tiefergehenden Gemeinsamkeiten. Und gleichwohl gibt es einen Aspekt, kaum mehr als ein kleines Detail, das Taufe und Gebete zumindest semantisch und formal verbindet: die Alternativformulierungen, auch „all-inclusive“-Formeln genannt. Sie finden sich in den defixiones, die TheDefix präsentiert, nicht weniger als 61-mal. Davon lassen sich 51 defixiones als Gebete um Gerechtigkeit verstehen, während sich bei den zehn verbleibenden Texten der inhaltliche Charakter der defixio aufgrund der Überlieferungslage nicht immer sicher bestimmen lässt. Der Befund ist allerdings auch so sehr eindeutig: Die Formel ist ein typisches Merkmal der Gebete um Gerechtigkeit. Sie findet sich in griechischer wie lateinischer Sprache, wird spätestens mit dem 1. Jh. v. Chr.98 verwendet und ist nicht nur für das römische Britannien, sondern auch für die geographischen Räume Spanien, Italien, Germanien, Nordafrika, Attika und die Ägäis bezeugt. Vgl. von Gemünden 2009, 226–247; von Gemünden 2007, 260 f. Vgl. dazu z. B. Hagenow 2011. 98 TheDefix 235 (SEG 49, Nr. 320) wird sogar in das 3. Jh. v. Chr. datiert. 96 97
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Die Gebete um Gerechtigkeit wollen dabei durch den Einsatz der Formel so inklusiv und auf Nummer sicher gehend formulieren, dass der angezielte Übeltäter in jedem Fall getroffen wird. Sie versuchen zu verhindern, dass ein unpräzise formulierter Text ein Schlupfloch für den defixus lässt, so dass die Götter ihn nicht bestrafen. Dem dient die Nennung von semantischen Oppositionen, die entlang typischer Differenzachsen im Blick auf Menschen in antiken Gesellschaften (Geschlecht, Alter, sozialer [Bürger – Fremder; Sklave – Freier] und religiöser Status) formuliert sind, wobei die Differenzierung entlang von Geschlecht, Alter und sozialem Status (Sklave/Freier) häufig anzutreffen ist,99 andere Dichotomieachsen indes selten belegt sind: ob Mann ob Frau (vgl. z. B. TheDefix 598 [dfx, Nr. 2.2.4/1]) ob Sklave ob Freier (vgl. z. B. TheDefix 161 [Tab. Sulis, Nr. 31]) ob Junge ob Mädchen (vgl. z. B. TheDefix 266 [Tab. Sulis, Nr. 44]) ob Heide ob Christ (vgl. TheDefix 101 [Bradley, Nr. 4]) ob Fremder ob Stadtbewohner (vgl. TheDefix 235 [SEG 49, Nr. 320]) ob Verwandter ob Unbekannter (vgl. TheDefix 235 [SEG 49, Nr. 320]) ob Zivilist ob Soldat (vgl. TheDefix 663 [Bradley, Nr. 122])
Der Einsatz der Formel stellt mithin einen Aspekt des Auf-Nummer-sicher-Gehens dar, kann den Gegebenheiten angepasst werden und dient dazu, den defixus mindestens temporär, ggf. auch dauerhaft aus der Heilssphäre der Götter zu exkludieren. Göttliche Strafe soll ihn sicher treffen. Die Formel hilft, ihn für die Götter als Sünder zu markieren, der die geltende Ordnung, die sich auch in der „all-inclusive“-Formel spiegelt, verletzt hat. Eine semantisch und strukturell vergleichbare Formel findet sich nun mit der Gegenüberstellung von „Jude – Grieche, Sklave – Freier, männlich – weiblich“ in Gal 3,28 und in Variationen auch in 1 Kor 12,13 („Jude – Grieche, Sklave – Freier“) und in Kol 3,11100 („Grieche – Jude, Beschneidung – Vorhaut, Barbar – Skythe, Sklave – Freier“) in der Paulustradition. Dort wird sie mit der Taufe verbunden.101 99 Vgl.
Kropp 2008, 172 f. 3,9–11 verdoppelt zunächst durch die Hinzufügung von „Beschneidung – Vorhaut“ die Achse „Grieche – Jude“ in Form eines Chiasmus, und fügt dann mit der Gegenüberstellung von „Barbar – Skythe“ eine neue Kategorie ein, die strukturell parallel zum vierten Glied der Formel in Kol 3,11 steht (Glied 3 und 4 kommen jeweils ohne καί aus, während Glied 1 und 2 mit καί verbunden sind). Inhaltlich handelt es sich durch die Hinzufügung der Achse „Barbar – Skythe“ um eine heilsgeschichtliche Erweiterung: Beide Begriffe sind ethnische Kategorien, die als Stereotype unzivilisierte Menschen meinen. Flavius Josephus notiert in diesem Sinne, dass sich Skythen gar kaum von wilden Tieren unterscheiden ließen (Jos., C. Ap. II 269). Die Paulustradition des Kolosserbriefes sieht in Erweiterung der paulinischen Tradition nun sogar diese „Wilden“ durch die Taufe integriert. In Überbietung der Paulustradition geht Kol 3,11 an die Grenzen und formuliert eine heilsgeschichtliche Inklusion; vgl. dazu ausführlich Bormann 2018, 188 f. 101 In Gal 3,27 und 1 Kor 12,13 fällt jeweils das Stichwort βαπτίζω; Gal 3,27 verbindet dies mit Gewandmetaphorik (Χριστὸν ἐνεδύσασθε) und diese findet sich wiederum in Kol 3,9 f. (ἀπεκδυσάμενοι τὸν παλαιὸν ἄνθρωπον σὺν ταῖς πράξεσιν αὐτοῦ καὶ ἐνδυσάμενοι τὸν νέον) und verweist dort metaphorisch auf die Taufe. 100 Kol
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Es erscheint dabei durchaus wahrscheinlich, dass die ganze Formel Teil der Taufliturgie war.102 Kommentatoren des Galaterbriefes wie Hans Dieter Betz103 und Frederick F. Bru104 ce haben in antiker Literatur nach Parallelen zu diesen Gegenüberstellungen gefahndet, die in der Formel präsent sind, um im Licht evtl. Parallelen die Bedeutung der Formel präziser erfassen zu können. Genannt werden zum einen Dankgebete, die einer Gottheit dafür Dank sagen, dass man z. B. als Mensch, Mann und Grieche und nicht als Tier, Frau oder Barbar geboren worden ist (Diog. Laert. I 33105). Zum anderen kommen legalistische Formen der Selbstverpflichtung in den Blick, wie etwa der hippokratische Eid, der Frauen und Männer, Sklaven und Freie als Kategorien nennt, deren Leibern man als Heiler nicht schaden wird, oder auch epigraphische Zeugnisse wie etwa das Tempelgesetz für einen Mysterienkultverein aus Philadelphia in Lydien (SIG3 III, Nr. 985, Z. 5–7), das den Zugang zum Kultbereich regelt und in aufzählender Form Männer und Frauen, Sklaven und Freie nennt, die Zutritt zum Tempel erhalten können, wenn sie sich ansonsten auf die Eintrittsregeln (Askese, Enthaltsamkeit, ethisch reines Leben) einlassen. Im Licht dieser Vergleichsmaterialien zeigt sich der Kontrastcharakter der Taufformel der Paulustradition, die just jene sozialen, religiösen und geschlechtlichen Grenzziehungen, für die in den Gebeten gedankt wird, aushebelt und wie der Mysterienkultverein aus Philadelphia Menschen unterschiedlichen Geschlechts und sozialen Status Mitgliedschaft in der Jesusbewegung ermöglicht, in die hinein das Taufritual ja integriert. Mit den Gebeten um Gerechtigkeit und ihren „all-inclusive“-Formeln lässt sich nun eine dritte Gruppe von Texten diesen beiden bereits erkannten Parallelen zugesellen, die formal und semantisch deutliche Parallelen zur paulinischen Formel aufweisen. Als Gebeten eignet ihnen eine gewisse Nähe zu den bereits genannten Dankgebeten, auch wenn die Auflistung semantischer Oppositionen in den Gebeten jeweils andere Funktionen haben. Und auch im Licht dieses neuen Vergleichsmaterials bestätigt und verstärkt sich der Eindruck des Kontrapunktcharakters, den die Taufformel ohnehin aufweist, insofern sie klassische Grenzziehungen antiker Kultur in Christus und damit durch die Taufe als überholt und bedeutungslos erachtet, was z. B. konkrete Folgen im Blick auf das Verhältnis zwischen Sklaven und Freien106 oder Männern und Frauen107 in den Christengemeinden hat. Im 102 Vgl.
dazu z. B. Betz 1988, 325. Vgl. Betz 1988, 320–327, bes. 326 Anm. 20. 104 Vgl. Bruce 1982, 187 f. 105 Vgl. auch Plut., Marius 46,1; Lact., inst. III 19,17; und in jüdischer Tradition: tBer 7,18; yBer 13b; yMen 43b (Dank dafür, dass man nicht als Nichtjude, Unwissender, Sklave oder als Frau geboren worden ist). 106 Die Positionen des Paulus, die dieser im Philemonbrief formuliert, lassen sich durchaus als Auswirkungen der Taufformel verstehen, vgl. zum Philemonbrief die minutiöse Analyse von Ebner 2017. 107 Vgl. dazu die Analyse von Ebner 2000, der die Formel von Gal 3,26–28 für die Konflikte, die in 1 Kor 11,2–16 verhandelt werden, fruchtbar macht. 103
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Vergleich zu den „all-inclusive“-Formeln, die Menschen als Übeltäter und Sünder markieren und aus der Heilssphäre der Götter exkludieren wollen, will die Taufformel Gegenteiliges erreichen: Sie integriert in die Heilssphäre des einen Gottes, in das Gottesvolk, und vergibt Sünden. Das ist natürlich keine neue Erkenntnis im Blick auf die Taufe und die Formel der paulinischen Tradition, aber das neue Vergleichsmaterial lässt diese Charakteristika der christlichen Taufe im Kontext antiker Alltagskultur deutlicher hervorscheinen und bringt uns damit näher an die Wahrnehmungen von Texten wie Gal 3,28 im Rahmen der antiken Kultur heran.
2.3 Die Suche nach Gerechtigkeit und die Handlungsmacht der scheinbar Ohnmächtigen Schließlich sei noch ein drittes thematisches Feld benannt. Denn der eben angesprochene Zornaffekt hat natürlich Ursachen und zu denen gehören auch Erfahrungen von Unrecht, von üblen Widerfahrnissen, von Krankheit und Tod im eigenen Umfeld. Die Gebete um Gerechtigkeit sind eben auch, das haben wir gesehen, Formen ritualisierten Umgangs mit solchen Unrechtserfahrungen, die sozialverträglich unter Rückgriff auf die Sphäre des Göttlichen kanalisiert werden. Mit diesen Gebeten als coping-Strategien suchen Menschen göttliche Gerechtigkeit und zwar gerade auch Menschen, die aus dem Kreis der kleinen Leute stammen, die ihr Recht nur schwer vor Gericht und in der Gesellschaft durchsetzen können und auf anderen Wegen nach Gerechtigkeit und Rache suchen. Auch die frühen Jesusanhängerinnen und ‑anhänger, die wir soziologisch eher in den Kreisen zu suchen haben, die auch Träger der Gebete um Gerechtigkeit sind,108 werden derartige Erfahrungen gemacht haben. Neutestamentliche Texte erlauben da und dort Einblicke in entsprechende Konflikte innerhalb der Gemeinden (vgl. z. B. die Gemeindestreitigkeiten in Korinth, die das Thema von 1 Kor 8; 11,17–34 sind) wie auch zwischen Christen und Außenstehenden (vgl. z. B. Mt 10,17–20). Und das Neue Testament präsentiert uns als Erzählfiguren Menschen, die in den erzählten Welten Situationen durchleben, die denen vergleichbar sind, die den Hintergrund der Gebete um Gerechtigkeit bilden. Dabei darf man nicht nur an die bereits genannten Sprüche von der Feindesliebe denken, sondern z. B. auch an lukanische Sondergutgleichnisse wie die Parabel vom Richter und der Witwe in Lk 18,1–8, die auf mühsamen Wegen nach Gerechtigkeit suchen muss. Im Licht der Gebete um Gerechtigkeit lässt sich vergleichend fragen, wie in den biblischen Texten die Suche nach Gerechtigkeit und zuweilen Rache gestaltet wird und welche Verhaltensweisen als vorbildlich und nachahmenswert charakterisiert werden, wo Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Gebeten um Gerechtig108 Vgl. Stegemann/Stegemann 1997, 249–271: „Die Mehrheit in den Christusgemeinden nach 70 rekrutierte sich nach unserer Analyse aus der bessergestellten urbanen Unterschicht“ (270).
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keit, die ja auch religiöse Akte sind und Gottheiten adressieren und von diesen Gerechtigkeit einfordern, zuweilen gar einklagen, und neutestamentlich bezeugten Handlungsoptionen liegen. Ein interessantes Beispiel, in dessen Rahmen uns auch der Zornaffekt wieder begegnet, liefert in dieser Perspektive der Jakobusbrief. Er verhandelt nämlich in Jak 1,20 die Frage, ob menschlicher Zorn Gerechtigkeit Gottes bewirken, ja fast wird man übersetzen müssen: erarbeiten kann,109 lautet der Vers doch: ὀργὴ γὰρ ἀνδρὸς δικαιοσύνην θεοῦ οὐκ ἐργάζεται. Im Hintergrund scheint eine vom Verfasser des Briefes verneinte, von anderen in seinem Adressaten‑ oder Gegnerkreis augenscheinlich aber bejahte Option zu stehen, menschlicher Zorn könne eine göttliche Intervention im Sinne des Schaffens von Gerechtigkeit erreichen. Damit ist eine Situation gegeben, in der Menschen offenkundig ein Ungerechtigkeitsempfinden und den damit verbundenen Affekt des Zorns, der zur Handlung treibt, durch Rekurs auf Gott auszugleichen suchen, also bei Gott aus dem Zorn heraus nach Gerechtigkeit suchen – eine Situation, wie sie uns auch in den Gebeten um Gerechtigkeit begegnet. Der Vers folgt dabei als Begründung auf eine sprachethische Handlungsanweisung in V. 19, die von der semantischen Opposition zwischen ταχύς und βραδύς sowie λαλέω und ἀκούω lebt:110 19a 19b 19c 19d
Ἴστε, ἀδελφοί μου ἀγαπητοί. Wisst, meine geliebten Brüder, ἔστω δὲ πᾶς ἄνθρωπος ταχὺς εἰς τὸ ἀκοῦσαι, es sei aber jeder Mensch schnell im Blick auf das Hören, βραδὺς εἰς τὸ λαλῆσαι, langsam im Blick auf das Reden, βραδὺς εἰς ὀργήν· langsam im Blick auf den Zorn.
Das Stichwort ὀργή verbindet dabei V. 19 und V. 20 und findet seinerseits eine semantische Opposition im Begriff πραΰτης im Rahmen von V. 21,111 der aus dem Vorhergehenden die Schlussfolgerung zieht: διὸ ἀποθέμενοι πᾶσαν ῥυπαρίαν καὶ περισσείαν κακίας ἐν πραΰτητι δέξασθε τὸν ἔμφυτον λόγον τὸν δυνάμενον σῶσαι τὰς ψυχὰς ὑμῶν. Daher ablegend jeden Schmutz und den Überfluss von Schlechtigkeit in Sanftmut nehmt gastlich auf das eingepflanzte Wort, das fähig ist, zu retten eure Seelen. 109 Vgl. zur Verwendung von ἐργάζομαι und κατεργάζομαι im Jakobusbrief noch Jak 1,3; 2,9: Während in 1,3 mit κατεργάζομαι eine positive Folge für die Adressaten ausgedrückt wird (die Erprobung der Pistis-Beziehung der Adressaten durch mannigfache Versuchungen, von denen 1,2 spricht, bewirkt Geduld), ist in 2,9 wie in 1,20 ein sehr viel aktiveres menschliches Handeln im Blick, das in beiden Fällen negativ charakterisiert wird, denn das menschliche Tun verfehlt auch in 2,9 sein Ziel und bewirkt nur eines: Sünde! Vgl. zu den Übersetzungs‑ und Verständnismöglichkeiten für ἐργάζομαι in V. 20 auch Popkes 2017, 92 f. 110 Vgl. für eine präzise Analyse des Argumentationsverlaufs auch Luther 2015, 110–120; von Gemünden 2003, 102–113. 111 So auch Hoppe 1989, 43.
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Über das genaue Verständnis von V. 20 rätseln Exegetinnen und Exegeten seit Längerem. Und das aus mehreren Gründen. Während für die Aufforderungen von V. 19 und die generelle Warnung vor Zorn und Wut durchaus alttestamentliche Vergleichstexte genannt werden können (Sir 1,22; 5,11; Spr 15,1; 29,20)112 und sich die sprachethische Forderung des Briefes, die zum Zügeln der Zunge gerade auch mit Blick auf den Zornaffekt aufruft und zum guten Zuhören mahnt, in den antiken Diskurs zum Zornaffekt einordnen lässt,113 bleibt der Hintergrund der Logik von V. 20: menschliche114 ὀργή
göttliche δικαιοσύνη
diffus und das Verständnis des Verses ist von Unsicherheiten geprägt,115 was nicht zuletzt auch daran liegt, dass der Genitivverbindung δικαιοσύνην θεοῦ nicht eindeutig formuliert, um wessen Gerechtigkeit es hier eigentlich geht:116 Als objectivus gelesen, würde es um die Gerechtigkeit des Menschen gehen, die vor Gott besteht und vor Gott gilt.117 Der Vers würde dann davor warnen, zu denken, dass ein zorniger Mann vor Gott gerechtfertigt sein könnte, eine Warnung, die etwa Sir 1,22 kennzeichnet. Als subjectivus betrachtet könnte es indes um ein Tun Gottes, eine göttliche Intervention im Blick auf den zornigen Menschen gehen, das zu einer Situation der Gerechtigkeit für den Menschen führt. Liest man unseren Vers aus der Warte der Gebete um Gerechtigkeit dann liegt ein Verständnis des Genitivs als subjectivus näher und die Funktionslogik, die V. 20 negiert, erhält einen breit bezeugten Sitz im Leben. Denn genau die Überzeugung, dass menschlicher Zorn aufgrund von Unrechtserfahrungen eine göttliche Intervention produzieren kann, ist in den Gebeten um Gerechtigkeit präsent und leitet ihre Produktion. Beachtet man zudem, dass V. 20 insgesamt im Kontext sprachethischer Mahnungen steht, liegt der Gedanke nahe, dass der Zornaffekt, 112 Vgl.
Popkes 2001, 114–117.128. Vgl. Luther 2015, 110–132. 114 Den Terminus ἁνήρ aus V. 20 verstehe ich im Licht von 1,19 und vor allem von 1,7 f. als Wechselausdruck für ἄνθρωπος (vgl. von Gemünden 2003, 108; erwogen bei Burchard 2000, 81) und damit nicht exklusiv männlich; vgl. indes Metzner 2017, 92, der erwägt, dass der Brief den Zorn als etwas „Mann-Typisches“ erachtet und dabei auf 1 Tim 2,8 verweist, was sich m. E. im Horizont antiker Kultur so nicht plausibilisieren lässt: Auch Frauen formulieren im Zorn Gebete um Gerechtigkeit. 115 Nur zwei Beispiele: Popkes 2001, 128, notiert: die „semantische Opposition ,Zorn eines Mannes – Gerechtigkeit Gottes‘ findet sich so […] nur hier.“ M. E. handelt es sich an dieser Stelle aber gar nicht um eine gedachte semantische Opposition, zum Zorn ist ohnehin πραΰτης in V. 21 der Oppositionsbegriff, sondern um eine Folgebeziehung, auf die das ἐργάζεται auch hinweist. Metzner 2017, 92, hingegen formuliert: „Auch Jakobus hält den Zorn für ein Übel, weil er δικαιοσύνη θεοῦ verhindert.“ Aber auch das steht so nicht im Text. Jak 1,20 hält fest, dass der menschliche Zorn göttliche Gerechtigkeit nicht bewirken kann (so richtig Luther 2015, 113). 116 Zur Debatte vgl. Luther 2015, 113 Anm. 239 (die die Frage für unentscheidbar hält); Burchard 2000, 82; von Gemünden 2003, 108–110. 117 Vertreten z. B. bei Hoppe 1989, 43. 113
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der Gerechtigkeit Gottes zu erreichen sucht, ein sprachliches Phänomen ist. Und damit ist dann kaum ein zornig dem Gegner an den Kopf geworfenes Schimpfwort gemeint, sondern eine sprachliche Äußerung, die sich auf Gott bezieht und Gott adressiert. Mit Karl-Heinrich Ostmeyer darf man hier an Gebete denken,118 so dass ein Bezug auf Gebete um Gerechtigkeit und ihre Logiken durchaus im Bereich des Möglichen liegt – und dies umso mehr als das Thema des Gebetes dem Jakobusbrief ein wichtiges Anliegen ist.119 Freilich ginge es gleichsam um „jüdisch-christliche“ Gebete um Gerechtigkeit, in deren Rahmen der eine Gott aus dem Affekt des Zorns heraus um Gerechtigkeit angegangen wird.120 Dass es auch solche Gebete gegeben hat, ist dabei keine Frage. Man denke nur an das Rachegebet aus Rheneia aus dem 2./1. Jh. v. Chr. (TheDefix 227).121 Und auch die Assoziation alttestamentlicher Feind‑ und Fluchpsalmen, motivisch ja durchaus mit den Gebeten um Gerechtigkeit verwandt, liegt in diesem Zusammenhang nahe.122 Der Brief lehnt genau solche sprachlichen Äußerungen als Gebete und den Zorn als Motivation für das Bittgebet an Gott ab. Zorn ist nicht der Weg, der zur göttlichen Gerechtigkeit führt. Jak 1,20 setzt im Verbund mit V. 19.21 einen Kontrapunkt und fordert eine andere Haltung und einen anderen Affekt ein, den V. 21 in semantischer Opposition zur ὀργή benennt: πραΰτης! Sanftmut ist die Haltung, die das schnelle Reden und den Zorn zügelt. Dazu passt bestens, dass Jak 3,18, neben 2,23 die einzige weitere Stelle im Brief, an der von δικαιοσύνη die Rede ist, einen Weg benennt, wie Menschen Gerechtigkeit erlangen können und dies als himmlische Weisheit (3,17) versteht, zu deren Kennzeichen im Rahmen der Vgl. Ostmeyer 2006, 175.185. Vgl. dazu die präzise Studie Wypadlo 2006. 120 Man kann dann immer noch fragen, ob es eine spezifische Gruppe im Horizont des Briefautors gibt, an die er bei der Formulierung von Jak 1,19–21 besonders gedacht hat, vgl. Metzner 2017, 93, der drei Optionen erwägt: Jakobus könnte an radikale Eiferer denken, die z. B. als zornige Zeloten die Gerechtigkeit Gottes erzwingen wollen. Der Brief könnte an arme Christen denken, die das von Reichen erfahrene Unrecht mit verbaler und physischer Gewalt vergelten wollen. Schließlich könnte auch an rivalisierende Lehrer gedacht sein, eine Option, die Metzner angesichts von Jak 3,1–4,12 favorisiert (an innergemeindliche Konflikte im Hintergrund denkt auch Mussner 1964, 100 f.). Gegenüber solchen Engführungen auf bestimmte Gruppen fällt freilich auf, dass die Mahnung im Brief so allgemein formuliert ist, dass sie sich de facto an alle Leserinnen und Leser richtet. Jede und jeder kann Erfahrungen von Unrecht und aufkeimendem Zorn machen. 121 TheDefix verzeichnet zudem einige Gebete um Gerechtigkeit (vgl. z. B. TheDefix 311 [P.Ups. 8: 6./7. Jh.: „Sohn des großen Gottes“]) und weitere defixiones (vgl. z. B. den Gerichtsfluch TheDefix 191 [SGD, Nr. 179; vgl. auch Gager 1992, Nr. 54: 4./5. Jh.: „der Gott Jakobs“]), die den einen Gott und/oder Jesus adressieren und in Dienst nehmen wollen. Die Texte datieren allerdings in den Zeitraum des 4.–7. Jh. n. Chr. und gehören insofern in den Bereich der Rezeptionsgeschichte biblischer Texte. 122 Auch sie könnten im Hintergrund der Formulierung von Jak 1,20 stehen. Dann müsste man sich ein Szenario vorstellen, in dessen Rahmen die Psalmtexte gelesen und als Gebete an Gott im Rahmen von Unrechtserfahrungen aktualisiert werden. 118 119
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menschlichen Realisierung solcher Art Weisheit auch die Sanftmut – der Begriff findet sich im Jakobusbrief nur in 1,21 und 3,13 – gehört (vgl. Jak 3,13: ἐν πραΰτητι σοφίας): καρπὸς δὲ δικαιοσύνης ἐν εἰρήνῃ σπείρεται τοῖς ποιοῦσιν εἰρήνην. Frucht der Gerechtigkeit aber in/mit Frieden wird gesät den Tätern des Friedens.
Versteht man τοῖς ποιοῦσιν εἰρήνην als Dativobjekt, näherhin als dativus commodi,123 und nicht als dativus auctoris,124 dann werden die Täter des Friedens mit den Früchten der Gerechtigkeit beschenkt, die – auch durch das Tun der Täter des Friedens125 – in und mit Frieden (ἐν εἰρήνῃ) gesät worden sind. Gerechtigkeit erwächst insofern aus Frieden und nicht aus Zorn, so die Mahnung des Jakobusbriefes, was in synoptischer Perspektive durchaus als eine für den Jakobusbrief insgesamt ja typische Rezeption von Jesustraditionen, wie sie vor allem auch im Matthäusevangelium bezeugt sind,126 und speziell der Bergpredigt mit der Aufforderung zur Feindesliebe und der Seligpreisung der Täter des Friedens (Mt 5,9) erscheint. Im Licht der Gebete um Gerechtigkeit jedenfalls ergeben sich für Jak 1,20 und seinen literarischen Kontext gerade angesichts der Kombination der Aspekte von Zorn und Gerechtigkeit interessante neue Perspektiven, die sich angesichts der Hochschätzung des Gebets im ganzen Jakobusbrief,127 seiner kritischen Einstellung zum Zorn128 und seiner ethischen Weisungen durchaus in den Duktus des Briefes einordnen lassen. Jak 1,20 warnt dann vor der falschen Haltung beim Gebet,129 zu dem der Brief prinzipiell motiviert: Wirksames Gebet ist nicht das Gebet der Zornigen, sondern – so 5,16 – das Gebet der Gerechten. 123 Vgl.
Popkes 2001, 244.256 f.; Burchard 2000, 152.164. z. B. Metzner 2017, 195.210; Mussner 1964, 175 Anm. 3. 125 Beim Dativ ἐν εἰρήνῃ kann m. E. ein instrumentaler Aspekt mitgehört werden. 126 Vgl. dazu z. B. Konradt 2008, 500 f., der zurecht darauf hinweist, dass der Jakobusbrief trotz vieler Übereinstimmungen mit Traditionen, die auch das Matthäusevangelium bietet (und hinter denen möglicherweise Q-Stoff steht), das Matthäusevangelium nicht als literarischen Text kennen muss, sondern eher aus dem gleichen Traditionsraum stammt. Zum Zusammenhang zwischen Jesusüberlieferung und Jakobusbrief vgl. auch jüngst Peter 2020. 127 Nach Wypadlo 2006, 11–14.379–386, realisiert sich für den Jakobusbrief christliche Existenz grundlegend auch in der Gebetspraxis, was bei Wypadlo im Spitzensatz ganz am Ende seiner Studie mündet (386): „Christliche Existenz ist […] Glaubensexistenz und als solche Gebetsexistenz.“ 128 Vgl. von Gemünden 2003, die herausarbeitet, dass der Jakobusbrief im Gegensatz zu anderen Stimmen aus der jüdischen Tradition den Zornaffekt absolut verurteilt und damit eine jüdische Tradition verschärft (der Brief steht damit allerdings nicht alleine: auch andere judenchristliche Texte im syrischen Raum des 1./2. Jh. n. Chr. radikalisieren das Zornverbot und bewegen sich damit in Richtung einer stoischen Option im Blick auf den Umgang mit dem Zornaffekt). 129 In dieser Perspektive gelesen ergibt sich dann auch ein Querbezug zu Jak 4,1–3, ein Text, der den „Gebetsmissbrauch“ (so Wypadlo 2006, 329–352) im Blick hat und die schlechten Bitten an Gott thematisiert, die dieser nicht erfüllt, weil sie aus der falschen Haltung heraus vorgetragen werden. 124 So
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2. Fluch und Schadenzauber im Umfeld des Neuen Testaments: Vom Alten Orient bis in die frühchristliche Zeit
Flüche und Schadenszauber im Alten Orient und im Alten Testament Sebastian Grätz Im Alten Testament und im Alten Orient begegnen die magischen Vorstellungen um Bindung und Bannung durch Flüche oder Schadenszauber einmal im Zusammenhang der Vertragstradition bzw. der Bundestheologie, die im Alten Testament das Verhältnis Gottes zu seinem Volk als Vertrag definiert, und dann insbesondere in Texten unterschiedlicher Provenienz, die eine magische Praxis oder deren Imagination reflektieren und darauf reagieren.
1. Vertrag und Fluch Flüche und Verfluchungen scheinen für das Alte Testament bestimmend zu sein. Das liegt wohl vor allem daran, dass bereits die biblische Urgeschichte in Gen 1–11 von Flüchen geprägt ist:1 Nachdem Gott seine Schöpfung gesegnet hat (Gen 1 f.), kommt es in der Folge zu unterschiedlichen Flüchen: die Schlange (Gen 3,14), der Ackerboden (Gen 3,17), Kain (Gen 4,11) und Kanaan (Gen 9,25) werden im Zuge der Urgeschichte von Gott explizit verflucht. Dabei wird insbesondere bei der Verfluchung des Mörders Kain die hinter einem Fluch stehende Vorstellung von Bindung und Bannung deutlich. Die Einheitsübersetzung (2016) gibt Gen 4,11 treffend wieder: „So bist du jetzt verflucht, verbannt vom Erdboden, der seinen Mund aufgesperrt hat, um aus deiner Hand das Blut deines Bruders aufzunehmen.“ Das Wort „verbannt“ steht so nicht im hebräischen Text, bringt aber die Funktion der Präposition min gut zum Ausdruck: האדמה מן אתה ארור Kain, dem Ackerbauern, wird seine schöpfungsgemäße Bestimmung (Gen 2,5; 3,23) genommen, indem er von seinem Ackerboden getrennt wird. Seine Zukunft soll unstet und flüchtig sein (Gen 4,12b). Der Fluch hat einen ver-bannenden Charakter. Geht man im Alten Testament dem hier verwendeten Verb ʾrr nach, dann begegnen die meisten Belege im Umfeld der Bundestheologie, näherhin in Dtn 28. So hält Dtn 28,15–19 folgendes fest: Vgl. Wolff 1973, 345–373. Die Minderung menschlicher Lebenszeit (vgl. Gen 6,3) ist indes auch traditionsgeschichtlich im babylonischen Atramchasis-Mythos vorgegeben: Um zu verhindern, dass die Menschen das Land übervölkern, schränken die Götter durch Krankheiten die Lebenszeit des Menschen drastisch ein. Vergleichbares zeigt v. a. das Gefälle von Gen 5 (vorsintflutliche Urväter) zu Gen 6 (maximal 120 Lebensjahre). 1
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Wenn du nicht auf die Stimme des Herrn, deines Gottes, hörst, indem du nicht auf alle seine Gebote und Gesetze, auf die ich dich heute verpflichte, achtest und sie nicht hältst, werden alle diese Verfluchungen über dich kommen und dich erreichen: Verflucht bist du in der Stadt, verflucht bist du auf dem Land. Verflucht ist dein Korb und dein Backtrog. Verflucht ist die Frucht deines Leibes und die Frucht deines Ackers, die Kälber, Lämmer und Zicklein. Verflucht bist du, wenn du heimkehrst, verflucht bist du, wenn du ausziehst. (EÜ 1980)
Das Kapitel zählt nun breit Verfluchungen auf, die sehr wahrscheinlich altorientalische Traditionen aufnehmen und die erst in Dtn 28,69 zum Abschluss kommen.2 Hier wird die in Dtn 28 vorgenommene Verhältnisbestimmung zwischen JHWH und Israel als „Bund“, bĕrît, bestimmt. Der Begriff bĕrît dürfte auf das akkadische birtu, „Band, Fessel“, zurückgehen,3 so dass ein einseitiges Lösen dieses Bandes bzw. Bundes die Flüche wirksam werden lässt. Die Idee ist demnach die folgende: Gott stiftet einen Bund, auf den er die Israeliten verpflichtet. Diese entsprechen diesem Bund im Rahmen einer feierlichen Erklärung, die Israel – zumindest nach der Fiktion des Deuteronomiums – JHWH abgegeben hat, indem es in die Bundesformel einwilligt und sich zum Volk JHWHs erklärt (Dtn 26,18).4 Diese gegenseitige Erklärung ist gleichsam das Band, das beide Parteien zusammenhält und für dessen Durchtrennung die entsprechenden Konsequenzen angedroht werden. Der Blick in das altorientalische Vertragswesen zeigt, dass diese Vorstellungen dort ursprünglich beheimatet sind. Insbesondere Staatsverträge haben als feste Bestandteile Paragraphen, deren Inhalt darin besteht, Flüche für den Fall des Vertragsbruchs aufzuzählen. Die Tradition der Staatsverträge stammt aus dem hethitischen Bereich und ist wahrscheinlich über die hethitischen Nachfolgestaaten und die Aramäerstaaten im heutigen Nordsyrien zu Beginn des 1. Jt. v. Chr. in den neuassyrischen Bereich gelangt,5 wo sich zahlreiche einschlägige Belege finden: Der ausführlichste neuassyrische Vertrag ist der sog. Vasallenvertrag Asarhaddons, der die Thronnachfolge des Asarhaddon regelt und der die Vertragspartner auf die Loyalität gegenüber dem Kronprinzen Assurbanipal verpflichtet. Das lange Vertragswerk umfasst insgesamt 670 Zeilen, die in 107 Paragraphen unterteilt werden. Die Flüche bilden dabei mit insgesamt knapp 160 Zeilen einen beachtlichen Teil des Gesamtwerks.6 Dieser Abschnitt wird in § 58 mit folgenden Worten eingeleitet:7 Wenn ihr gegen diesen Vertrag (adê), den Asarhaddon, König von Assyrien, [euer] Herr, zugunsten Assurbanipals, des Kronprinzen vom ‚Nachfolgehaus‘, seiner Brüder, der Söhne [der Mutter Assurbanipals], des Kronprinzen vom ‚Nachfolgehaus‘, und der übrigen von Vgl. Koch 2008, 203–244. Vgl. Weinfeld 1973, 783f; Gesenius 2013, s. v. 4 Vgl. grundsätzlich Smend 1986, 11–39. 5 Vgl. Koch 2008, 92 f. 6 Hinzu kommt noch die Fluchsektion, die das Beschädigen des Schriftträgers sanktioniert: §§ 37–56. 7 Übersetzung: Borger 1982–1985b, 172. Vgl. hierzu auch die Edition von Watanabe 1987, 166–169. 2 3
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Asarhaddon, König von Assyrien, eurem Herrn, gezeugten [Söhne] mit euch geschlossen hat, sündigt (haṭû), so möge Assur, der Vater der Götter, mit seinen zornigen Waffen euch niederstrecken […]
Die Terminologie um Vertrag bzw. Eid, adê/adû, und Vertragsbruch (haṭû, „sündigen“) ist im Übrigen auch dem Alten Testament nicht fremd. Der Begriff adû hat in hebr. ʿdwt eine Entsprechung, die das vertragliche Versprechen, die Selbstbindung bezeichnet.8 Auch ist das „sündigen“ (hebr. ḥṭʾ) nicht nur in kultischen, sondern auch bundestheologischen Zusammenhängen belegt: Dtn 9,16; 20,18. Es folgen im neuassyrischen Vertragswerk nun die zahlreichen Flüche, die jeweils einem bestimmten Gott und dessen Zuständigkeitsbereich zugeordnet sind. Die Götter sind in den (Staats‑)Vertrag schon deswegen involviert, weil sie zu Beginn als Zeugen aufgerufen sind. So werden in § 1 das Vertragswerk und seine Parteien benannt – Asarhaddon einerseits und die medischen Fürsten andererseits – und § 2 zählt die göttlichen Zeugen auf, die den Vertrag gleichsam überwachen und einen eventuellen Bruch sanktionieren, wie die Flüche am Ende des Vertrags zeigen. Auch die Vorstellung göttlicher Zeugen ist dem Alten Testament nicht fremd: So wird das Buch Jesaja bundestheologisch9 eröffnet: Hört, ihr Himmel! Erde, horch auf ! Denn der Herr spricht: Ich habe Söhne großgezogen und emporgebracht, doch sie sind von mir abgefallen. (Jes 1,2; EÜ 1980)
Himmel und Erde sind Zeugen des Vertragsbruchs Israels, der hier als „Sünde“ (pšʿ)10 bezeichnet wird. Die folgenden prophetischen Unheilsankündigungen lesen sich in diesem (redaktionellen) Lichte wie die entsprechenden Vertragsflüche. Ebenso Dtn 4,26: […] den Himmel und die Erde rufe ich heute als Zeugen gegen euch an: dann werdet ihr unverzüglich aus dem Land ausgetilgt sein, in das ihr jetzt über den Jordan zieht, um es in Besitz zu nehmen. Nicht lange werdet ihr darin leben. Ihr werdet vernichtet werden. (EÜ 1980)
Auch dieser Passus rückt das gesamte Deuteronomium in die Vorstellungswelt des (Staats‑)Vertrages, die bereits die neuassyrischen Parallelen prägt: Götter sind als jenseitige Agenten aufgerufen, den vor ihnen geschlossenen Vertrag zu überwachen und ggf. entsprechend Sanktionen zu verhängen. Im Alten Testament fallen zwar Vertragspartner (Gott) und sanktionierende Instanz (Gott) zusammen, aber die Idee der Zeugen aus dem himmlischen Bereich hat sich gehalten. Sowohl die biblischen als auch die altorientalischen Texte betonen daher den bindenden Charakter eines solchen Vertrages, der ursprünglich wahrscheinlich feierlich in einem zeremoniellen Rahmen geschlossen wurde. Dabei wurden sowohl die Anrufung der 8 Vgl.
Koch 2008, 102, mit Literatur. Vgl. Becker 1997, 185. 10 Der Begriff pšʿ ist zur Bezeichnung des (Staats‑)Vertragsbruchs einschlägig: 1 Kön 12,19; 2 Kön 1,1; 3,5; 8,20. 9
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göttlichen Zeugen als auch die Flüche von einem den Eid abnehmenden Priester vor den Vertragspartnern tatsächlich ausgesprochen.11 Ein hierfür passendes Beispiel ist der Vergleichsfluch oder Zeremonielle Fluch, wie er etwa in den Vasallenverträgen Asarhaddons, aber auch andernorts,12 begegnet: So wie die Statue aus Wachs im Feuer verbrannt und (die Statue) aus Lehm in Wasser aufgeweicht wird, so mögen sie [sc. alle Götter, S. G.] eure Gestalt mit Feuer verbrennen und in Wasser tauchen.13
Eine zeremonielle performance dieses Geschehens im Rahmen des Rituals legt sich nahe.14 Das Altes Testament kennt solche Rituale nur noch literarisch stilisiert und überformt, etwa im Deuteronomium, das immerhin eine paränetische Form besitzt, die auf eine gewisse Performanz, etwa die Verlesung, abzielt.15 Aber es lassen sich darüber hinaus die einschlägigen Elemente wie die Anrufung der himmlischen Zeugen, die (Selbst‑)Bindung durch die Vertragspartner und die Fluchandrohungen für den Fall des Vertragsbruchs problemlos ausmachen. Liegt der Eideszeremonie also ursprünglich wahrscheinlich ein Ritual zugrunde, das die eidliche bzw. vertragliche Bindung begeht und damit manifestiert, so ist damit ein Vergleichspunkt gefunden, der zum Thema der Magie überleiten kann. Denn auch hier sind – zumindest für das Lösen von magischen Schadensbindungen – in Mesopotamien entsprechende Rituale überliefert. Doch soll auch hier mit dem Alten Testament begonnen werden, das den Schadenszauber ebenfalls kennt.
2. Schadenszauber und seine Abwehr Der locus classicus für die Benennung von Schadenszauber im Alten Testament ist wiederum das Deuteronomium, näherhin Dtn 18,9–12: Wenn du in das Land hineinziehst, das der Herr, dein Gott, dir gibt, sollst du nicht lernen, die Greuel dieser Völker nachzuahmen. Es soll bei dir keinen geben, der seinen Sohn oder seine Tochter durchs Feuer gehen läßt, keinen, der Losorakel befragt, Wolken deutet, aus 11 Vgl.
Prechel 2008, 121 f. Sefire IA, Z. 37 f. (ed. Rössler 1982–1985, 181). Eindrückliche Beispiele finden sich v. a. bei den militärischen Eiden aus mittelhethitischer Zeit. Vgl. hierzu Oettinger 1976, 6 f., sowie Haas 1987–1990, 244 f. 13 § 89 der Vasallenverträge Asarhaddons (Übersetzung: Borger 1982–1985b, 175). 14 Vgl. Weinfeld 1972, 101. 15 Die paränetische Anrede in der zweiten grammatischen Person ist stiltypisch für die altorientalischen Verträge. Das Deuteronomium ist in seiner gegenwärtigen literarischen Form als Abschiedsrede des Mose im „Lande Moab“ stilisiert und verwendet – auch in den Gesetzen (Dtn 12–26) – die Anredeform in der zweiten Person. Es ist denkbar, dass dieses paränetische Formmerkmal aus den im Deuteronomium eingebetteten (literarisch älteren) bundestheologischen Texten für das gesamte Buch übernommen wurde. Auf die langwährende Diskussion zu diesem Thema kann hier nicht eingegangen werden. Vgl. zusammenfassend Rüterswörden 2006, 11–16. 12 Z. B.
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dem Becher weissagt, zaubert (kšp), Gebetsbeschwörungen hersagt (ḥbr) oder Totengeister befragt, keinen Hellseher, keinen, der Verstorbene um Rat fragt. Denn jeder, der so etwas tut, ist dem Herrn ein Greuel. Wegen dieser Greuel vertreibt sie der Herr, dein Gott, vor dir. (EÜ 1980)
Insbesondere die in V. 10 f. verwendete Terminologie mit kšp, akkadisch kašāpu, und ḥbr, akkadisch abāru (Dopplungsstamm), ist einschlägig für schädigende und bannende Zauberei, für schwarze Magie. Bereits die Etymologie der Begriffe weist in diese Richtung: ḥbr bedeutet eigentlich „binden, verbinden, anbinden“ und wird alttestamentlich zumeist auch in diesem Sinne verstanden. Die übertragene Bedeutung „bannen“ im magischen Sinne findet sich noch in Ps 58,6.16 Der hebr. Begriff kšp (Pi’el) und seine Derivate sind wie im Akkadischen eindeutig negativ mit „Zauberei betreiben“ konnotiert und begegnen alttestamentlich u. a. bei Deuterojesaja (Jes 47,9.12), wo babylonische Zauberkundige im Blick sind, deren magische Fähigkeiten jedoch grundsätzlich in Zweifel gezogen werden.17 Entsprechend den Belegen zur Bundestheologie lässt sich alttestamentlich jedoch keine eigentliche Ritualbeschreibung von bindender oder bannender Magie erheben. Ein Beispiel, das im weiteren Zusammenhang gern genannt wird, ist die Totenbeschwörung der Nekromantikerin (baʿălāt ʾôb) in En-Dor (1 Sam 28). Das dort geschilderte Ritual einer Totenbeschwörung18 ist jedoch wahrscheinlich aufgrund der Unkenntnis der Autoren von solchen divinatorischen Praktiken kaum realitätsnah wiedergegeben, wie der Vergleich mit den wenigen mesopotamischen Belegen zeigt19 und überdies terminologisch nicht mit der Begrifflichkeit um kšp und ḥbr verbunden. Auch die Verfluchung der ihn verspottenden Knaben durch Elischa (2 Kön 2,23–25) bietet zwar möglicherweise die Vorstellung des „bösen Blicks“,20 aber keine aussagekräftige Beschreibung praktizierter Rituale. Entsprechend dem Verdikt gegen Zauberei aus dem Deuteronomium urteilt auch das Bundesbuch über magische Praktiken (Ex 22,17): Eine Hexe (mĕkaššēpâ) sollst du nicht am Leben lassen. (EÜ 1980)
16 S. Gesenius 2013, s. v.; Römer 2009, 320. Die Septuaginta übersetzt ḥbr oder andere vergleichbare Lexeme übrigens nicht mit dem für Fluchtafeln einschlägigen Begriff καταδεσμεύω, „binden“, der im magischen Zusammenhängen im griechischen Alten Testament überhaupt keine Verwendung findet, sondern hier mit ἐπαείδω, „beschwören“ (siehe die oben zitierte EÜ 1980). 17 Vgl. zur Verwendung dieser Begrifflichkeit im Alten Testament Paganini 2017, 322 f. 18 Vgl. zur einschlägigen Technik Schmitt 2014, 91–93. 19 Vgl. Bührer 2017, 203–218; Tropper 1989, 227, geht von einer älteren Überlieferung, die der Text aufbewahrt habe, aus und verortet diese Erzählung im Milieu eines nordisraelitischen Ahnenkults. 20 Vgl. Pietsch 2017, 353–358.369–374. M. Pietsch erhebt aus 2 Kön 13,14–19 ein Kriegszauberritual, das aus einem symbolischen Akt und einem dazugehörigen Spruch bestehe.
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Die Verwendung der Wurzel kšp legt hier die Praxis schädigender Magie nahe, derer sich die beschuldigte Frau21 bedient haben soll. Auch die mittelassyrischen Gesetze kennen Vergleichbares, formulieren aber kasuistisch und fordern einen Beweis (§ 47): Wenn ein Bürger oder eine Frau Hexerei verübt (kišpe epāša) und dabei auf frischer Tat ertappt wird, (wenn) man es ihnen beweist und sie überführt, so soll man den Verüber von Hexerei töten.22
Der Codex Hammurapi, in dem es gleich anfangs in § 2 der Gesetze um Schadenszauberei geht, differenziert weiterhin hinsichtlich der wohl häufig schwierigen Beweislage: Wenn ein Bürger einem Bürger Zauberei (kišpi) vorgeworfen hat, ihn aber nicht überführt, so geht der, dem Zauberei vorgeworfen ist, zur Flussgottheit, taucht in den Fluss hinein, und wenn der Fluss ihn erfasst, so erhält, der ihn bezichtigt hat, sein Haus; wenn der Fluss diesen Bürger für frei von Schuld erachtet und er heil davonkommt, so wird der, der ihm Zauberei vorgeworfen hat, getötet, der, der in den Fluß hinabgetaucht ist, erhält das Haus dessen, der ihn bezichtigt hat.23
Es ist denkbar, dass die Angst vor Schadenszauberei (kišpu) weit verbreitet und daher gesellschaftlich sehr relevant war, weil der Codex Hammurapi den Fall gleich an den Anfang setzt; in jedem Fall wird eine entsprechende Anklage als äußerst schwerwiegend betrachtet. Da Nachweise der Zauberei offenkundig problematisch waren, wird ein Ordal angeordnet. Ein weiterer alttestamentlicher Text, der Schadenszauberei direkt in den Blick nimmt, ist Ez 13,17–20: Du, Menschensohn, richte dein Gesicht auf die Töchter deines Volkes, die aus ihrem eigenen Herzen heraus prophetisch reden. Sprich als Prophet gegen sie! Sag: So spricht Gott, der Herr: Weh den Frauen, die Zauberbinden (kĕsātôt) für alle Handgelenke nähen und Zaubermützen (mispāḥôt) für Leute jeder Größe anfertigen, um damit auf Menschenjagd zu gehen. Meint ihr, ihr könnt in meinem Volk Menschen jagen und Menschen verschonen, je nachdem, wie es euch paßt? Ihr habt mich entweiht in meinem Volk für ein paar Hände voll Gerste und für ein paar Bissen Brot: Ihr habt Menschen getötet, die nicht sterben sollten, und Menschen verschont, die nicht am Leben bleiben sollten; ihr habt mein Volk belogen, das so gern auf Lügen hört. Darum – so spricht Gott, der Herr: Ich gehe gegen eure Zauberbinden vor, mit denen ihr die Menschen jagt wie Vögel, und reiße sie von euren Armen und lasse die Menschen frei, die ihr gefangen (ṣûd I) habt wie Vögel. (EÜ 1980)
Während der Begriff mispāḥôt wenig eindeutig ist und eine Kopfbedeckung bezeichnet, so ist die Bedeutung von keset über das akkadische kasû(m) III, „binden“, 21 Vgl. zur Einschränkung auf den weiblichen Personenkreis Schmitt 2004, 337–339, und Schwemer 2017a, 1: „The stereoptypical witch is primarily female, and thus the āšipu, the legitimate rituals expert who offers protection against evil, and the witch (kaššāptu), whose evil rituals cause harm, form a gendered, antagonistic pair.“ 22 Übersetzung: Borger 1982–1985a, 90. 23 Übersetzung: Borger 1982–1985a, 44 f.
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einschlägig.24 Eine Entsprechung zu dem Dtn 18 genannten Begriff ḥbr legt sich nahe, so dass es hier tatsächlich um ein magisches Fixieren gehen dürfte.25 Für eine magische Fixation spricht auch die abschließend in V. 20 verwendete Wurzel ṣûd I, die mit „einschnüren, umwickeln“ übersetzt werden kann. Konkreteres zur Praxis hierüber erfährt man indes nicht.26 Auf der anderen Seite zeigen einige alttestamentliche Texte deutlich eine toposhafte Abwehr von schädigenden magischen Einflüssen. So hat Bernd Janowski auf das Motiv der göttlichen Hilfe am Morgen aufmerksam gemacht und monographisch bearbeitet. Hierbei geht es im mesopotamischen Kontext vor allem um die Hilfe des auch als gerechten Richters fungierenden Sonnengottes Šamaš: Tritt an diesem Tag zu meinem Gericht herbei! Erhelle meine Finsternis, kläre meine Trübung auf, beseitige meine Verwirrung! Vom Übel der Zeichen und Omina, Zeichnen magischer Kreise, menschlichen Machenschaften jeder Art, die mir widerfahren, rette mich, löse meine Bindung, schenke mir Leben […].27
Insbesondere das Verb paṭāru (Dopplungsstamm) „lösen“ ist in magischen Kontexten, so auch bei Zauberknoten und anderen magischen Bindungspraktiken, belegt.28 Interessant ist nun, dass das Motiv des am Morgen durch das (Tages‑)Licht helfenden Gottes auch im Psalter zusammen mit dem Motiv des göttlichen Richters begegnet (z. B. Ps 5). Die betende Person erbittet dabei Hilfe von JHWH, dessen richterliche Wirksamkeit mit dem Morgen verbunden ist. Ob sich die im obigen Text genannten Praktiken der Gegner der betenden Person auch direkt auf das Alte Testament übertragen lassen, ist jedoch unklar. Zumeist werden hier pauschal die „Feinde“ der betenden Person genannt (Ps 5,6 f.7,2–6; 17,7; 37,1 f.; 57,4–7 usw.), häufig unter Zuhilfenahme von Sprachbildern, zuweilen aber auch in der Konkretion magischer Praktiken. So in Ps 58, der zwar nicht das Morgenmotiv, aber den göttlichen Richter (V. 12) nennt. Hier wird zumindest die Praxis von „Bannsprüchen“ (V. 6: ḥôbēr ḥăbārîm) reflektiert.29 Einen weiteren Beleg magischer Praktiken bietet möglicherweise Ps 31,21, wo im Zuge der Feindbeschreibung der Begriff rōkes begegnet. Wird das hapax legomenon zu akkadisch rakāsu, „binden“, gestellt, ergäbe sich auch hier ein möglicher magischer Zusammenhang.30 Anna Zernecke hat auf eine Parallele von Ps 31,21 in dem Klagegebet Ištar 24 hingewiesen, wo die Begrifflichkeit um rakāsu in direktem Zusammenhang mit kišpu verwendet wird.31 Auch wenn den Klagepsalmen aufgrund der verwendeten
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Soden 1985, s. v. kasû(m) III, 1c). Vgl. Schmitt 2004, 284. 26 Vgl. Schmitt 2004, 283–287. 27 Borger 1967, 9 f., Z. 92–97 (zitiert nach Janowski 1989, 93). 28 von Soden 1972, s. v. paṭāru D, 11a). 29 Vgl. Schmitt 2004, 113. 30 Vgl. von Soden 1972, s. v. rakāsu G 7). 31 Vgl. Zernecke 2019, 117–120. 25
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Terminologie eine insgesamt „dämonische Atmosphäre“ attestiert werden kann,32 lässt sich kaum pauschal sagen, ob sich hinter den „Feinden“ der Klagepsalmen konkrete Gruppen, wie Zauberer, Fremdvölker oder Dämonen verbergen.33 Die Feindbeschreibung dient anscheinend dazu, ein universell verwendbares Feindbild zu projizieren, um das Spektrum potentieller Gegner zu erfassen und sich damit entsprechend abzusichern.34 Deutlicher ritualisiert zeigt sich das Morgenmotiv in Zusammenhang mit magischer Heilung in Jes 38//2 Kön 20: Der Prophet Jesaja tritt hier als Heiler auf, wenn er den kranken König Hiskia mit einem Pflaster aus Feigenbrei heilt (Jes 38,21//2 Kön 20,7). Nur im Jesajabuch überliefert ist das „Danklied“ Hiskias, das auf das Motiv von Gottes Hilfe am Morgen Bezug nimmt (V. 12 f.). Hierdurch entsteht eine Art Liturgie zwischen dem Beter, der göttliche Hilfe, „Er-lösung“, erwartet, und dem Heiler, der diese Hilfe durch eine magisch-ärztliche Handlung gewährt. Die Kombination aus Rezitation eines Gebets und lösender magischer Handlung ist in der mesopotamischen Tradition mit den āšipūtu-Texten wohlbekannt.35 In diesen Texten ist der ursprüngliche Hintergrund der Vorstellungen um das magische Binden und Lösen noch unmittelbar greifbar. Daniel Schwemer schreibt dazu: Most ceremonial anti-witchcraft rituals share a common pattern whose objective is to achieve a twofold transition: The patient, who has fallen victim to evil witchcraft, is transferred from a state of imminent death back to life; he is purified and released from the state of being bound. The bewitchment, which can be mobilized as if it were an impure substance, is removed from the patient’s body and sent back to the witches. […] Because the ritual returns the evil to its originators, the evildoers are destroyed, and, at the same time, the innocence of their victim is kept intact.36
Dabei sei die Zeremonie häufig wie ein ritueller Rechtsprozess gerahmt, an dessen Ende dann der Freispruch des schuldfreien Patienten stehe – hier zeigt sich übrigens eine gewisse Nähe zu Ijob 31,13, wo der Begriff des Rechtsstreits (rîb) anklingt und anscheinend das Begehren Ijobs nach Freispruch und Erlösung ausdrückt.37 Der zeremonielle Vorgang, den vielleicht auch das „Danklied“ Hiskias spiegelt, kann durch einschlägige Parallelen illustriert werden: Das bekannte mesopota Vgl. Zernecke 2019, 120. Vgl. Berlejung 2006, 183; Zernecke 2019, 112 f. 34 Vgl. Gerstenberger 1980, 139. 35 Das sog. Danklied Hiskias in Jes 38,9–20 ist wahrscheinlich sekundär in den Zusammenhang gefügt. Vgl. bereits Duhm 1922, 278 f. Die literarische Trennung von Heilung und Dank ist auch religionsgeschichtlich plausibel. Es ist interessant, dass die schriftliche Niederlegung von Gebets‑ und Ritualtexten im Alten Orient traditionell auf unterschiedlichen Tafeln erfolgte. Vgl. Sallaberger 2006–2008, 428. Zugleich gehören diese Texte bezüglich ihres „Sitzes im Leben“ zusammen. 36 Schwemer 2017a, 1. 37 Vgl. Schwemer 2017b, 29. Vgl. auch Ijob 19,25 wo der juridische Terminus gōʾēl begegnet, der das (Er‑)Lösen aus v. a. sozialrechtlicher Perspektive bezeichnet. Vgl. Mullen 1999, 372 f. 32 33
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mische Ritual Maqlû („Verbrennung“) ist ein Abwehrritual gegen Schadenszauber, der hier durch den Begriff kišpu definiert ist. Daneben gibt es auch Rituale gegen Bann (māmītu), der durch eigenen Tabubruch verursacht wird.38 Das Ritual Maqlû selbst ist auf acht zu rezitierenden Beschwörungstafeln niedergelegt sowie auf einer weiteren Tafel, der „Ritualtafel“, die die Anweisungen zur Durchführung des Rituals enthält. Das Ritual, an dem der āšipu und der Patient sowie einige Helfer teilnehmen, beginnt nach Sonnenuntergang und zieht sich durch die gesamte Nacht bis zum frühen Morgen des folgenden Tages und besteht aus unterschiedlichen Rezitationen und Handlungen wie Waschungen und Verbrennungsriten, innerhalb derer Ersatzfiguren der Hexe aus unterschiedlichen Materialien verbrannt werden. Wie in den bereits erwähnten biblischen Texten bringt mit dem Morgenlicht schließlich der Sonnengott die Rettung aus der Not.39 Das Ritual beginnt in Z. 1–20 folgendermaßen:40 Beschwörung: ‚Ich rufe euch, Götter der Nacht, mit euch rufe ich die Nacht, die verhüllte Braut, ich rufe Dämmerung, Mitternacht und Morgengrauen! Weil die Hexe mich behext hat (kaššāptu ukaššipanni), die „Lügnerische“ mich bezichtigt hat, sie meinen Gott und meine Göttin von mir entfernt hat. […] Ich habe (je) eine Figur meines Hexers und meiner Hexerin angefertigt, meines Zauberers und meiner Bezauberin, habe (sie) unter euch (Sternen) hingelegt und erhebe nun Anklage in meiner Sache: Weil sie mir Böses tat, nach gar nicht Gutem gegen mich trachtete, möge sie sterben, und ich möge leben! Ihre Hexereien, ihre Zaubereien, ihre magischen Manipulationen mögen gelöst sein.‘
Es reiht sich nun Beschwörung an Beschwörung, bis der Sonnengott Šamaš am Morgen aufstrahlt und die Lösung des Patienten festgestellt wird (Taf. VIII). Dergestalt ausführliche Beschreibungen von Ritualen sind im Zusammenhang des Alten Testaments natürlich nicht überliefert. Wie angesprochen, lassen die gemeinsam verwendeten Begriffe und Motive aber durchaus darauf schließen, dass man dort eine vergleichbare Lebensauffassung teilte, der die Möglichkeit magischer Beeinflussung und Bindung nicht fremd, vielleicht sogar allgegenwärtig war. Was sowohl in Mesopotamien als auch im Alten Israel fehlt, ist der positive Beweis von Schadenszauber: Entsprechende Texte oder Figuren, die einen Schadenszauber reflektieren könnten, fehlen in der überlieferten materialen Kultur. Insbesondere der bereits zitierte § 2 des Codex Hammurapi zeigt, dass die Anklage zwar als äußerst schwerwiegend betrachtet wurde, der positive Beweis aber kaum zu erbringen gewesen sein dürfte. Auch aufgrund der bei dem Ertappen auf „frischer Tat“ in den mittelassyrischen Gesetzen verhängten drastischen Strafe, kann man sich natürlich vorstellen, dass seitens der Zauberer die Anfertigung von dauerhaften corpora delicti vermieden wurde. Andererseits war im mesopotamischen Bereich eine Fülle von schädigenden Dämonen bekannt, die ebenso wie Zauberinnen und Zauberer als Auslöser aller möglichen Krankheiten und Un Vgl. Abusch/Schwemer 2008, 128. Vgl. Abusch/Schwemer 2008, 129. 40 Übersetzung: Abusch/Schwemer 2008, 136. 38 39
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glücke galten.41 Insofern entspricht diese Projektion des Übels auf entsprechende dämonische oder zauberkundige Verursacher völlig der Wirklichkeitsdeutung im Alten Mesopotamien ebenso wie im Alten Israel. Dies reflektiert bekanntlich auch der Ijobrahmen, der explizit den Satan (Ijob 1,6–12 u. a.) als Ursache für Ijobs Leid nennt. Die theologische Position Deuterojesajas, der allein Gott als Erschaffer des Guten ebenso wie des Übels ansieht (Jes 45,7), kann damit kaum für seine Zeit verallgemeinert oder gar als (religions‑)geschichtlich unhintergehbare Erkenntnis gedeutet werden – wie bereits der Blick ins Neue Testament und seine nähere Umwelt zeigt.
3. Zusammenfassung Die Vorstellung magischer Bindung kommt im Alten Testament und im Alten Orient vor allem im Zusammenhang von Verträgen und Zauberei vor. Im ersten Fall ist es die absichtliche Lösung aus dieser vertraglichen Bindung, die Flüche freisetzt, indem die göttlichen Zeugen oder Bürgen des Vertrags in schädigender Weise aktiv werden sollen. Der rituell-magische Hintergrund wird dabei wohl am stärksten durch das Verbrennen von Wachsfiguren deutlich. Im Rahmen einer Zeremonie bekommen die Vertragspartner vor Augen geführt, was ihnen im Fall des Vertragsbruchs widerfahren möge. Im Fall des Schadenszaubers ist es nun die magische Bindung, die schädigt. Man kann sich das wahrscheinlich so vorstellen, dass die magische Bindung einer Person diese in einem schädigenden, dämonischen Bereich gefangen hält und erst ein entsprechendes Löseritual Befreiung ermöglicht. Im Alten Testament gibt es einzelne Hinweise auf Schadenszauber und Lösung aus dem schädigenden Bereich, v. a. in den Klageliedern des Einzelnen. Auch wenn eigentliche Rituale hier nicht überliefert sind, legt es sich nahe, dass die an den göttlichen Richter adressierte Bitte vor dem kulturell-religiösen Hintergrund magischer Bindungen und Lösungen vorgestellt ist. So sind im Alten Orient Löserituale wie Maqlû weit verbreitet. Auch wenn positive Belege für Schadenszauber in Form von Realien fehlen – wahrscheinlich wählte man angesichts drastischer Strafen wenig dauerhafte Datenträger – so dürfte dessen angenommene Existenz das menschliche Leben vielfältig bestimmt haben: Jedwedes Übel wie Krankheit und Unfall konnte auf den schädigenden Einfluss von dämonischen Mächten zurückgeführt werden, so dass hinter den Leiden dann auch ein Schadenszauber oder – wie etwa im Falle Ijobs – ein Tabubruch stecken musste.42 Das, was wir heute natürliche Wirkursache nennen würden, trat anscheinend nicht in den Blick.
41 Vgl. 42 Vgl.
Hecker 2008, 61 f. Schwemer 2017b, 27 f.30.
Flüche und Schadenszauber im Alten Orient und im Alten Testament
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Fluch (und Segen) in der Qumran-Literatur Simone Paganini [12] Und es ist geschrieben: [13] und es wird geschehen, wenn [14] alle diese Sachen auf dich kommen werden, am Ende der Tage, der Segen ([ )הברכה15] und der Fluch ()והקללה […] [17] Es ist geschrieben im Buch des Mose und in den Büchern der Propheten, dass sie kommen werden.1
Diese aus dem Kontext des Gesamtwerkes als eindeutige Wiederaufnahme von Dtn 30,1–32 erkennbare Passage – und insbesondere der Rückbezug auf das Kommen und Wirken von Segen und Fluch – weist am Beginn des dritten Teils von 4QMMT eine zweifache Funktion auf. Zunächst deutet sie darauf hin, dass die Botschaft von 4QMMT nicht beliebig oder gar neu erfunden ist: Sie steht bereits geschrieben im Buch des Mose ()בספר מושה. Ferner führt sie die Gruppe der Adressaten der Botschaft ein – allerdings ohne diese explizit zu nennen. Demnach handelt es sich um eine Gruppe von Menschen, die sich zwar dem „Buch des Mose“ verpflichtet fühlen, es jedoch selbständig und eventuell auch unterschiedlich autoritativ interpretieren können. So wird auch der eingefügte eschatologische Bezug – „am Ende der Tage“ – verständlich. Er kommt in Dtn 30 nämlich nicht vor. Diese beiden Beobachtungen lassen bereits am Beginn dieses Aufsatzes drei wesentliche Merkmale erkennen, die innerhalb der Dead Sea Scrolls (DSS) stets im Zusammenhang mit Fluch und Segen stehen. Zunächst geht es nicht um eine spezifische Tradition, die lediglich in den DSS entwickelt wird: Fluch und Segen in den DSS stehen klar in einer Linie mit der biblischen Tradition. Des Weiteren erfüllen Segen – vor allem aber Fluch – eine identitätsstiftende Funktion für eine bestimmte Gruppierung,3 die sich von den Texten angesprochen fühlt. Eine dritte Beobachtung betrifft schließlich den Zusammenhang von Fluch und Segen. Sehr selten wird lediglich einer der beiden Aspekte angesprochen. Weitaus häufiger 4QMMT C 12–17. Ed. und Übers. in DJD 10: Qimron/Strugnell 1994, 58–61. Der Einschub von „( באהדית הימיםam Ende der Tage“) hat zweifelsohne eine eschatologische Funktion und deutet in Verbindung mit dem Segen auf eine erfüllte und ruhige Lage hin. Diese endzeitliche Ruhe ist dennoch nicht nur die Folge der umsonst geschenkten Segensverheißung, sie hängt auch unmittelbar zusammen mit dem Ergebnis und dem möglichen Inkrafttreten der Flüche. Dazu auch Fraade 2003, 151 f., und Nitzan 2016, 539. In der Hebräischen Bibel kommt diese Wendung lediglich zweimal vor. Sowohl im breiteren Kontext von Gen 49,1 als auch von Num 24,14 kann man Segen und Flüche erkennen. 3 Fluchtexte erfüllen immer eine identitätsstiftende Funktion, auch wenn heute die Gruppe der Adressaten nicht mehr zweifelsfrei identifiziert werden kann. Dazu mit weiteren Beobachtungen und literarischen Angaben: Fraade 2000, 513. 1 2
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werden Fluch und Segen zusammen genannt, wenngleich die weiterführenden Passagen unterschiedliche Ausformulierungen zugunsten von einem der beiden Elemente annehmen können.4 Zwischen diesen drei Polen werden sich die Ausführungen in diesem Aufsatz bewegen. Als erstes ist es dennoch notwendig, eine kurze Vorbemerkung zum hermeneutischen Verständnishorizont der DSS anzuführen (1.). In der Folge wird auf die Terminologie von Fluch und Segen eingegangen (2.). Schließlich, bevor die angeführten Beobachtungen in fünf Thesen systematisch zusammengefasst werden (4.), werden einige musterhafte Passagen aus den DSS, in denen Fluch und Segen Erwähnung finden, präsentiert und analysiert (3.).
1. Die Qumran-Siedlung, die Dead Sea Scrolls und der Versuch, den Yaḥad zu definieren Nach wie vor ist die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Höhlen, Schriftrollen und der Qumran-Siedlung bzw. deren möglichen essenischen Bewohnern5 noch nicht abschließend beantwortet. In diesem Kontext sind die These von einer unmittelbaren Autorschaft der DSS innerhalb der als essenisch bezeichneten Gemeinde – die in der Qumran-Siedlung gelebt haben soll – und die daraus resultierenden Schlussfolgerungen, dass die Schriften die wesentlichen Weltanschauungen dieser Gruppierung vortrugen, als überholt anzusehen. Nicht nur ist die Annahme, Qumran sei das Zentrum der Schriftrollenherstellung gewesen, seit Beginn der Ausgrabungen in den 1950er Jahren immer wieder in Frage gestellt worden, sondern es gibt bisher auch kaum nennenswerte archäologische Anhaltspunkte dafür, ebenso wenig wie für die Annahme, dass die Essener die Bewohner der Siedlung von Qumran waren. Daher wird die Verbindung zwischen den Essenern und der Qumran-Siedlung immer häufiger als unhaltbar angesehen, was aber nicht bedeutet, dass die Existenz des Essenismus innerhalb des Judentums verneint werden müsse.6 Sehr wahrscheinlich waren die Essener eine jüdische Gruppierung, die ähnlich wie die Sadduzäer, die Zeloten oder die Herodianer leider keine exklusiv mit ihnen in Verbindung zu bringenden materiellen Spuren hinterlassen hat. Die drei berühmten Tintenfässer, die in der Qumran-Siedlung gefunden wurden, bezeugen zusammen mit Graffiti und Ostraka, dass die Einwohner von Qumran, genauer einige Einwohner von Qumran, schriftkundig waren. Sie belegen jedoch nicht, dass sie die Schriftrollen aus den elf Höhlen verfasst haben. Woher stammen 4 Nitzan
2000, 95, erklärt die Kontraposition von Fluch und Segen als das zentrale Element innerhalb der Qumran-Gemeinde. Manchmal wird mehr der Segen, manchmal mehr der Fluch expliziert. 5 Siehe dazu die zusammenfassende Darstellung in Bergmeier 2003. 6 Dazu Paganini 2010, 381–396.
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die Handschriften dann und welche Bedeutung haben sie für das Verständnis des Judentums zum Ende der Zeit des Zweiten Tempels? Die Herrschaftsperiode von Herodes dem Großen brachte Judäa und besonders der Region um das Tote Meer einen deutlichen wirtschaftlichen Aufschwung. Während der Zeit des Zweiten Tempels war der Landstrich ein Sammelpunkt für Menschen aus unterschiedlichsten sozialen Milieus. Mitglieder der jüdischen Aristokratie entdeckten ebenso das angenehm milde Winterklima wie auch wohlhabende Priesterfamilien, die sich am Toten Meer niederließen, um ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen zu verfolgen oder etwa Landwirtschaft zu betreiben. Qumran dürfte ursprünglich als Landgut einer solchen Priesterfamilie aufgebaut worden sein. Mit der Zeit veranlassten der gesellschaftliche Wandel und der gewaltsame Kampf um das Hohepriesteramt immer mehr Priester dazu, den traditionellen Tempeldienst hinter sich zu lassen und u. a. in die Wüste nahe bei Jerusalem zu ziehen. Manche von ihnen – wie etwa Johannes der Täufer – lebten als Asketen in der Wüste, andere bildeten Interessengemeinschaften. In Qumran, wahrscheinlich aber auch im nahegelegenen Jericho, fanden sich solche Priestergruppen zusammen. Die meisten waren stark reaktionär ausgerichtet, vertraten eine strikte oder gar verschärfte Observanz der religiösen Gesetze der Torah und verurteilten die Nachlässigkeit des offiziellen Priestertums scharf. Getrennt vom Tempel und dem traditionellen Opferkult war das Leben in absoluter ritueller Reinheit für sie von enormer Bedeutung. Diese abtrünnigen Priester betrieben in Qumran Landwirtschaft und fanden in der Produktion von rituell reinen Keramikgefäßen eine zusätzliche und lukrative Einnahmequelle. Sie verfassten nicht die Schriftrollen. Diese wurden nicht in Qumran niedergeschrieben – sie stammen eher aus Bibliotheken von Jerusalem und Jericho und wurden in der Nähe von Qumran lediglich versteckt bzw. aufbewahrt, um sie vor den Römern zu retten, die 68 n. Chr., kurz nachdem sie Jericho eingenommen hatten, auch die Siedlung von Qumran zerstörten. Bei den DSS handelt es sich daher keinesfalls um die Schriftsammlung einer einzigen sektiererischen essenischen Gruppe. Vielmehr offenbart sich in ihnen ein Querschnitt der jüdischen Gesellschaft vor und um die Zeitenwende.7 Die Sammlung ist nicht systematisch geordnet, sondern eher zufällig zustande gekommen. Wir wissen in der Tat nicht, wie viele Dokumente auf dem Weg nach Qumran verloren gingen. Es ist zudem nicht bekannt, wie viele im Laufe der Jahrhunderte zerstört und wie viele Handschriften nach der Wiederentdeckung an private Personen verkauft wurden. Dennoch erkennt man in dieser zufällig entstandenen Sammlung eine gewisse Ordnung, sodass es zielführend erscheint, zumindest eine Unterscheidung zwischen „sectarian“ und „nicht sectarian“ Manuskripten einzuführen, wenngleich auch in diesem Zusammenhang die Kriterien für eine solche Differenzierung nicht endgültig und allgemein anerkannt sind. „Sectarian“ sind demnach Texte, welche die sozialen, Vgl. Paganini/Paganini 2010, 160–166.
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theologischen und kultischen Einstellungen einer präzise definierten Gemeinschaft wiedergeben. Diese Gemeinschaft definiert sich selbst in den DSS mit der Bezeichnung „Yaḥad“. In diesem Zusammenhang sind auch die Texte, die sich mit Fluch und Segen auseinandersetzen, zu verstehen. Einerseits sind Fluch und Segen im Judentum in der Zeit des Zweiten Tempels allgegenwärtig, andererseits kann man sehr wohl erkennen, dass unterschiedliche jüdische Gruppierungen mit diesen beiden Kategorien differenziert umgingen. Es ist auffällig, dass die Schriften, die in der Folge präsentiert werden, einen relativ starken „sektiererischen“ Hintergrund erkennen lassen. Wenn es also um Fluch und Segen geht, steht der identitätsstiftende Aspekt deutlich im Vordergrund und die Texte, die sich damit beschäftigen, können allesamt einer Gruppierung, dem Yaḥad8, oder ihrem Umfeld zugeschrieben werden.
2. Beschwören, verfluchen und verwünschen Bereits eine oberflächliche Durchsicht der Terminologie, die in den DSS vorkommt, wenn es darum geht, das Wortfeld des Fluchs bzw. Segens zu identifizieren und zu beschreiben, ist interessant. Während für „Segen/segnen“ nur die Wurzel ברךverwendet wird,9 ist die Lage im Zusammenhang mit dem „Fluch“ deutlich diffiziler. Die changierende Bedeutung der unterschiedlichen Begriffe, die im Wortfeld des „Verfluchens“ stehen, divergiert dabei, wenngleich es durchaus kompliziert ist, präzise Begriffsdefinitionen zu finden. Die semantische Entwicklung der verschiedenen Vokabeln führte im Laufe der Zeit zu einer gewissen Unschärfe bzw. einer uneinheitlichen Verwendung. Insgesamt werden vier Termini gebraucht, um „verfluchen“, „beschwören“, „verwünschen“ sowie deren Nominalbildungen zum Ausdruck zu bringen.10 אלהkommt in den DSS einmal als Verb (Hiphil) und zehnmal als Nomen vor11 und bezeichnet als solches ganz allgemein das Aussprechen eines Fluchs. Die Wurzel kommt in der Regel-Literatur – in 1QS (Gemeinderegel) und in CD (Damaskusschrift) – sowie in liturgischen Texten vor. In den verschiedenen Zusammen-
8 Im Laufe der Zeit ist der Yaḥad nicht unverändert geblieben. So können Schriften, wie die Tempelrolle, wo die Selbstbezeichnung Yaḥad nicht vorkommt, auch auf eine Vorstufe oder eine Abspaltung dieser Gruppierung hinweisen. 9 Die Form des Partizip Passiv (ברוך, „sei gesegnet“) wird sowohl im Singular als auch im Plural gebraucht. Da in diesem Aufsatz der Schwerpunkt auf den „Fluchtexten“ liegen wird, sei an dieser Stelle auf eine sehr gute Studie hingewiesen, die sich mit dem Segen beschäftigt: Schuller 1990. Übersichtlich und vollständig ist auch Nitzan 2000. 10 Das biblische קבב, „verwünschen, beschelten“, ist in den DSS nicht belegt. 11 Siehe für weitere Details Schiffman 2011. Das Nomen kommt zweimal im Singular und achtmal im Plural vor.
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hängen, in denen אלהgebraucht wird, lässt sich die deutliche Beeinflussung von deuteronomischer Vertragsterminologie feststellen (Dtn 28,15–68). Die Wurzel זעםist als Verb dreizehnmal und als Nomen fünfmal belegt.12 Als Partizip Passiv wird es wie ארורgenutzt13 und vor allem innerhalb des Bundeserneuerungszeremonie verwendet.14 Deutlich häufiger wird die Wurzel קללgebraucht. Wenn man von einigen fragmentarischen Stellen absieht, kommt die Wurzel als Verb vierundzwanzigmal und als Nomen zwölfmal vor. Die Bedeutung unterscheidet sich kaum vom biblischen Gebrauch. קללwird genauso wie אררals Gegensatz zu ברךverwendet.15 Die am häufigsten gebrauchte Wurzel im Kontext von Fluchformeln innerhalb der DSS ist jedoch ארר. Achtunddreißigmal kommt sie als Verb insgesamt vor, neunundzwanzigmal davon als Partizip Passiv im Singular oder im Plural, also „verflucht“ bzw. „verfluchten“. Der terminologische Befund zeigt eine relativ breite semantische Entsprechung zwischen קלל, זעםund ארר. Die Bedeutung variiert dabei zwischen „verfluchen“, „verwünschen“ oder gar „beschwören“, „beschelten“. Während זעםausschließlich in Vertragsflüchen verwendet wird, kommen die weiteren drei Begriffe vermehrt im Zusammenhang mit Fluchformeln vor, wobei die meisten Texte einen sektiererischen Hintergrund haben. In mehreren Fällen ist der Kontext der Fluchformel nicht definitiv geklärt, sodass eine präzise Unterscheidung zwischen einem deklarativen („verflucht soll der sein, der …“) und einem faktitiven Aspekt („verflucht ist derjenige, der …“) nicht auszumachen ist. Bei den drei Verben – קלל, זעםund ארר – findet sich die große Mehrheit der Belege in Texten, welche eine Ablehnung gegenüber außenstehenden Menschen bzw. Feinden des Yaḥad zum Ausdruck bringen. Dabei geht es sowohl in 1QS als auch im CD um Initiations‑ bzw. um Ausschlussrituale. Die Perspektive ist dennoch nicht immer auf das Hier und Jetzt bezogen: Sowohl in 1QM (Kriegsrolle) als auch in 4Q510 („Weisheitslieder“) geht es zum Beispiel um einen liturgischen – wohl für die Endzeit gedachten – Kampf, bei dem die Feinde bzw. die Dämonen mit Flüchen bzw. Verwünschungen bedacht werden. Eine zweite, verhältnismäßig kleinere Gruppe von Texten, in denen das Wortfeld des Fluchs vorkommt, sind juridische Passagen, die sowohl den biblischen Vertragshintergrund aufweisen oder die Flüche aus der biblischen Tradition der Bücher Levitikus oder Deuteronomium fortführen. Dies ist vor allem in 4QMMT und in 11Q19 (Tempelrolle) zu beobachten.
12 Dazu
Aitken 2011, 861. 1QS 2,7 und 1QM 13,4. 14 Dabei geht es um das Verwünschen bzw. um das Widersagen des Bösen. Insbesondere sollen die Feinde (1QS 2,7), die Männer der Abteilung des Belials (1QS 2,4) und Belial selbst (1QM 13,2.4.5) verflucht werden. 15 Dazu Nitzan 2016, 537. 13 In
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Literarisch gesehen sind die Fluchtexte innerhalb der DSS durch eine stark stereotypische Sprache gekennzeichnet, welche die biblische Tradition als „rewritten Bible“ weiterführt und ‑pflegt. Dieser literarische Aspekt dient natürlich inhaltlichen Zwecken. Die Texte, welche eine Fluch‑ bzw. Segenterminologie beinhalten, haben grundsätzlich eine performative, pragmatische Funktion: Sie wollen etwas bewirken. Dennoch sind es keine „magischen“ Texte im engeren Sinne, denn der Yaḥad teilt selbstredend die biblische Meinung, dass jede Art von Magie verpönt sein muss.16 Die Pragmatik zielt daher nicht unbedingt auf eine unmittelbare konkrete Wirkung. So sind mehrere Belege in einem deutlichen eschatologischen Zusammenhang zu finden. Der Kontext, in dem die vorgestellten Begriffe gebraucht werden, offenbart – wie bereits angemerkt wurde – eine klare identitätsstiftende Funktion. Es geht darum, sowohl die eigene soziale Struktur zu schützen als auch die des Fremden in Frage zu stellen. In diesem Sinne kommen sie auch in propagandistischen Texten vor. Gerade wenn es darum geht, juristische Verpflichtungen mit sozialen Funktionen zu begründen und somit eine erneuerte Halacha zu begründen, greifen die Autoren der Texte sehr gerne auf die altbewährte Methode zurück, ihr Vorgehen durch Flüche abzusichern. Die drei Begriffe – קלל, זעםund ארר – haben somit auch eine ganz entscheidende soziale Funktion.17
3. Fluchtexte und Fluch-Formeln: Drei Beispiele Segensprüche und Fluchtexte – oder lediglich die Anspielung auf solche – stehen selten für sich allein, sie werden vielmehr gegenübergestellt und in einem engen Zusammenhang gebraucht. In einigen Texten lassen sich deutliche Hinweise auf die Allgemeingültigkeit der performativen Formeln finden. Es geht somit nicht um eine reale Fluchformel, sondern lediglich um die traditionelle bzw. vorgegebene Vorstellung von der Wirksamkeit eines Fluchs. Die sectarian texts des Yaḥad behandeln aber viel häufiger die konkreten Praktiken, die mit Flüchen und Segen abgesichert werden sollen.18 In der Folge werden nicht alle Texte vollständig erhoben, die sich mit Fluchformeln innerhalb der Qumran-Literatur beschäftigen, sondern eine musterhafte, systematische Darstellung drei unterschiedlicher Aspekte. Die Yaḥad-Gemeinde rezipiert die biblische Tradition und bindet diese in ihr Verständnis der Realität ein. Die Welt wird dabei als dualistisch verstanden und dementsprechend kommen Flüche innerhalb der Beschreibung des Aufnahmeverfahrens für neue Mitglieder Siehe in Zusammenhang mit der Qumran-Literatur Popovic 2011, 111–136, und ausführlich zum biblischen Beleg zur Thematik Paganini 2017, 68–97. 17 Siehe dazu die einleitenden Bemerkungen in Anderson 2011, 48. 18 Bell 1992, 123–132, spricht in diesem Zusammenhang zu Recht von „evidence of ritual practices“. 16
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(3.1), im Zusammenhang mit dem eschatologischen Krieg gegen die Armee des Belial (3.2) und als Abschluss der Formulierung von Gesetzestexten (3.3) vor.19
3.1 Bundesliturgie und Aufnahme in der Gemeinde (1QS 1,16–2,18) Die Funktion von Flüchen ist nicht nur rhetorischer Natur.20 Die Formeln spielen innerhalb des konkreten Lebens des Yaḥad eine zentrale Rolle. Natürlich ist die Wiederholung des bundestheologischen Rituals von Dtn 27 f.21 am Beginn von 1QS stark kultisch geprägt und entscheidend festgelegt.22 Die jährliche Liturgie (1QS 2,19)23 wird allerdings in der angeredeten Gemeinde deutlich auf ihre (wenigen) Mitglieder fokussiert. Nicht ganz Israel ist im Blickfeld, sondern diejenigen, die in Schuld leben (1QS 2,5) und böse Taten vollbringen (1QS 2,7). Dabei geht es nicht so sehr um die allgemeine Möglichkeit, sich für oder gegen Gott zu entscheiden – anders als es etwa der biblische Text aus dem Buch Deuteronomium nahelegt –, sondern die Gemeinde ist fest in einer starren dualistisch geprägten Gesellschaft verankert, in der die Menschheit sich entweder in die Guten – und daher Gesegneten – oder eben die Bösen – und daher Verfluchten – aufteilt. Die Auswirkung des Fluchs hat mit der Abwendung Gottes bzw. seiner gnädigen Zuneigung und der daraus folgenden Verdammnis zu tun. Während der Segen nur einmal formuliert wird, werden zwei unterschiedliche Flüche formuliert. Im ersten Fall geht es um die Anhänger Belials (1QS 2,5), im zweiten geht es um diejenigen, die gerne Mitglieder der Gemeinde werden wollen und die dennoch ein unreines Herz haben (1QS 2,11). Diese rituellen Formulierungen sind in ein schematisches Ritual eingefügt, das mit einer Selbstverpflich19 Eine
ähnliche Systematisierung wird auch von Anderson 2011, 49, vorgeschlagen. zentrale Text mit der Fluchandrohung in 1QS 2,5–9 bleibt nicht lediglich eine ausgesprochene Warnung, er wird von der zuhörenden Gemeinde mit einem zweifachen „Amen“ angenommen: „Verflucht bist du in allen Freveltaten deiner Verschuldung. Es gebe dir Gott Schrecken durch alle Vollstrecker der Vergeltung und befehle hinter dir die Vernichtung durch alle, die Vergeltung heimzahlen. Verflucht bist du ohne Erbarmen, entsprechend der Finsternis deiner Taten und verdammt bist du im Dunkel ewigen Feuers. Nicht soll dir Gott gnädig sein, wenn du ihn anrufst, und nicht soll er vergeben, deine Verschuldungen zu entsühnen. Er erhebe seines Angesichts Zorn zur Rache an dir und du sollst keinen Frieden haben im Munde aller, die sich an die Väter halten.“ 21 In diesem Zusammenhang spielen die Wiederaufnahme von Num 6,24–26 sowie der Bundeserneuerungsvorgang in Jos 24 ebenfalls eine wesentliche Rolle. 22 Die Aufteilung in Priester, die den Segen aussprechen (1QS 2,2), und Leviten, die für die Fluch-Promulgation zuständig sind (1QS 2,4), ist zum Beispiel biblisch und von daher vorgegeben und unveränderbar. 23 Dass die Zeremonie Jahr für Jahr zu wiederholen ist, ist in der Tat eine Besonderheit von 1QS. Sie wird damit erklärt, dass die jetzige Zeit unweigerlich in die Herrschaft des Belial falle, sodass eine Wiederholung notwendig sei. Dies ist auch der Hauptunterschied zum Ritual in Dtn 27 f., welches einmalig ist. Die Mitglieder der Gemeinschaft müssen regelmäßig in ihrem Status bestätigt werden. Sehr wahrscheinlich bezieht sich diese Bestätigung allerdings lediglich auf ihre Rolle als Gesegnete: Die Verfluchung währt ewig. 20 Der
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tung vollendet wird. Die Anwesenden schwören mit einem zweimal wiederholten „Amen“ (1QS 2,10.18) eine Selbst-Verwünschung.24 Die Wirksamkeit des Fluchs ist somit endgültig (1QS 2,17: )ארורי עולמים.25 Ebenso endgültig ist der Fluch, der im Zusammenhang mit einem Vertragsbruch zustande kommt. In 4QD 2 i 20 – also am Beginn des Damaskus-Dokuments – findet sich die Wendung „die Flüche seines Bundes“, die ganz deutlich auf die Folge der Verfehlungen hindeutet, mit welcher die Menschen rechnen müssen, die fälschlicherweise den (Bundes-)Vertrag mit Gott verschmäht haben und dem „Mann des Spottes“ gefolgt sind. Die Parallele zum zweiten Fluch in 1QS 2,11–17 ist eindeutig. In diesem Kontext wird eine wesentliche Funktion des Fluchs deutlich: Die Zugehörigkeit zur Gemeinde ist so wichtig, dass bereits die Aufnahmerituale geschützt werden müssen. Ein Fluch ist daher notwendig, um die Gemeinde und die einzelnen Mitglieder vor möglichen Verfehlungen zu bewahren.
3.2 Der Krieg der Endzeit (1QM 13,1–6) Segen‑ und Fluch-Reihe sind nicht nur für das konkrete Leben der Gemeinde im Diesseits bestimmt, sondern bedingen ebenfalls die eschatologische Endzeit. Die Kriegsrolle liefert in diesem Zusammenhang ein klares Beispiel für dieses Vorgehen. Der Krieg der „Kinder des Lichtes“ gegen die „Kinder der Finsternis“, die unter der Herrschaft des Belial stehen (1QM 13,1–6), kann grundsätzlich nicht verloren werden bzw. er ist bereits gewonnen, denn die Flüche haben den Gegner bereits getroffen.26 So ist zumindest 1QM 14,3 zu entnehmen, dass die Flüche im Beisein der Leichen der besiegten Feinde auszusprechen sind. Der Verständnishorizont der Kriegsrolle ist stark dualistisch geprägt und die ritualisierten Kampfhandlungen sowie deren Vorbereitungen, sind alle unter dem hermeneutischen Vorverständnis zu interpretieren, dass für die „Kinder des Lichtes“ nur der Segen in Frage kommt, während die „Kinder der Finsternis“ definitiv und für immer ver24 Für das doppelte „Amen“ siehe zum Beispiel Neh 8,6. Auch weitere Texte aus den DSS belegen das zweimal wiederholte „Amen“ im Zusammenhang mit Segen oder Flüchen: 4Q289 2,3 und 4Q286 7 ii. 25 Vgl. Fraade 2003, 157–159. 26 Zum hermeneutischen Horizont der Kriegsrolle siehe Flusser 2007, 140–158. 1QM führt eine Art apokalyptische kriegerische Spiritualität ein, die davon geprägt ist, dass Gott das Böse und die bösen Mächte mit ihren Helfern – den Kindern der Finsternis – zerstören wird. Der konkrete Krieg braucht demzufolge nicht mehr von Menschen gekämpft zu werden. Die große theologische Leistung von 1QM besteht schließlich darin, dass die endgültige und bestimmende kriegerische Auseinandersetzung in die Hände Gottes gelegt wird. Die Intention ist somit nicht, irgendeinen „heiligen Krieg“ auszurufen, diesen zu rechtfertigen oder gar die Emotionen zu wecken, damit ein derartiger Krieg ausgefochten werden kann, sondern es geht im Endeffekt darum, eine pazifistische Haltung zu vermitteln und zu verinnerlichen, gerade weil derjenige, der kämpfen wird, allein Gott ist.
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flucht sein werden.27 Segen und Fluch werden in 1QM wieder kollektiv verstanden und stehen – so wie in der gesamten biblischen Tradition – in einem krassen Gegensatz zueinander.28 Ungelöst bleibt allerdings die Problematik des Ursprungs von Segen und Fluch. 1QM sieht Gott als Urheber von beidem und interpretiert somit die dualistische Vorstellung ganz klar in einem deterministischen Sinne.29 Neben der allgemeinen Verfluchung der Feinde wird gezielt auch Belial – der Feind schlechthin – verflucht.30 Fluch und Segen – dies wird in 1QM deutlich – bestimmen die gesamte Existenz der Menschen, sowohl innerhalb der konkreten Gemeinde als auch in ihrer eschatologischen Dimension. Fluch und Segen definieren die Grenze der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe, indem sich die Gesegneten und die Verfluchten gegeneinander positionieren und somit klar voneinander trennen.
3.3 Die Wirksamkeit der Interpretation des Gesetzes So wie am Ende der Gesetzgebung im Buch Deuteronomium tauchen auch innerhalb der DSS Fluchformeln in einem juristischen Kontext auf. Wenngleich 4QMMT, die Tempelrolle und die Damaskusschrift kaum literarische Abhängigkeiten voneinander aufweisen, ist die strukturelle Verwendung von Flüchen in den drei juristischen Werken beinahe identisch. Es geht zunächst um die Bestätigung der Interpretation des Gesetzes und in der Folge auch um die Bekräftigung der vorgesehenen Sanktionen.31 4QMMT ist als Brief konzipiert und bietet eine für die Adressaten allgemeingültige Interpretation von einigen Vorschriften, die auch in der Torah zu finden sind. Diese Interpretation ist nicht biblisch und kann daher nur durch die Autorität der Autoren des Textes legitimiert werden. Die Rekonstruktion von 4QMMT32 endet mit einer ermahnenden Konklusion, in der Flüche 27 In
diesem Sinne dienen die Flüche ganz klar dazu, die verschiedenen Gruppierungen voneinander zu trennen. 28 1QM 13,2–6 ist diesbezüglich ganz klar: „Gepriesen ist der Gott Israels im ganzen Denken seiner Heiligkeit und in den Werken seiner Wahrheit und gepriesen sind alle, die ihm in Gerechtigkeit dienen, die ihm Treue erweisen. Verflucht ist Belial in Anfeindungsdenken und verdammt in seiner schuldvollen Herrschaft und verflucht sind alle Geister seiner Abteilung […]“. 29 Ganz ähnlich auch in 4Q510 f. 30 Auch 4Q286 7a ii 5 f. bietet eine Fluchformel gegen Belial mit einer einmaligen Formulierung: „verflucht sei der Böse in allen Zeitaltern seiner Herrschaft“ und demensprechend sollen auch „alle Kinder Belials in allen Zeiten ihrer Existenz, bis sie ein Ende finden verflucht sein.“ Des Weiteren liefert 11QPsAp einige interessante Passagen, die als Beschwörung zum Schutz vor Dämonen einzuordnen sind, z. B. 11QPsAp 4,4–8. 31 Dazu Schiffman 1990, 435–457. 32 Die wissenschaftliche Forschung hat in den letzten 20 Jahren einen composite-Text aus verschiedenen, fragmentarisch erhalten gebliebenen Handschriften rekonstruiert. Die Meinungen der Forscher zu dem Text divergieren allerdings zum Teil massiv. Ich beziehe mich auf die für unsere Zwecke dennoch ausreichende editio princeps in Qimron/Strugnell 1994.
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und Segensformel vorkommen. Die Funktion der Flüche in 4QMMT entspricht grundsätzlich der Funktion von Dtn 28 f. im Pentateuch. Dieser letzte Teil ist allerdings stark literarisch vom Dtn 30 f. abhängig.33 Die präsentierte Dynamik geht von einer Verwirklichung des Segens aus, nachdem die Menschen ihr Verhalten an die in 4QMMT promulgierten Gesetze angepasst haben.34 Diese Anpassung hängt natürlich unmittelbar mit den angedrohten Flüchen zusammen. Segen und Fluch stehen auch in 4QMMT in einer klaren Kontraposition, der Segen wird dennoch zugesichert. Die Botschaft könnte nicht deutlicher sein: Wenn man die Gesetze von 4QMMT einhält – auch nur aus Angst vor der Verfluchung – wird man den Segen erlangen.35 Auch in der Tempelrolle (TR) werden Flüche in einer ganz ähnlichen Art und Weise gebraucht.36 Dies ist insofern interessant, als die Tempelrolle eine ganz eigene Hermeneutik aufweist. Die längste der Handschriften, die in den elf Höhlen am Toten Meer gefunden wurde, beinhaltet grundsätzlich zwei verschiedene Sorten von Materialien. Vieles ist aus dem Pentateuch entnommen, revidiert und „rewritten“37. In diesen Teilen kann man die interpretatorische Arbeit der Autoren der Tempelrolle nachvollziehen, die bewusst gesetzten Schwerpunkte sowie die Art, wie sie den biblischen Text verstehen, umgestalten und mitteilen. Andere Teile sind hingegen Eigenkompositionen, die keine Parallelen zur Bibel aufweisen, so wie im Fall des für unsere Fragestellung relevanten Abschnittes. Nach der Schilderung des Gerichtsverfahrens (TR 56,1–11) befasst sich die Tempelrolle mit einer ausführlichen Darstellung von Gesetzen, die den König in den Blick nehmen. Während die „Königsgesetze“ im Deuteronomium in lediglich sieben Versen (Dtn 17,14–20) behandelt werden, widmet ihnen die Tempelrolle sechsmal so viel Platz: von Kol. 56,12 bis 59,20.38 Nachdem der deuteronomische Text mit manchen Abweichungen vollständig wiedergegeben wurde, bietet die Tempelrolle ab dem Beginn der 57. Kolumne eine eigene Komposition, die keine Parallelen zu irgendeinem anderen biblischen Text aufweist.39 33 Wie Bernstein 1996, 46, zu Recht betont, wird die Sprache von 4QMMT in diesem letzten Teil zunehmend biblisch. 34 Schiffman 1996, 96, geht davon aus, dass die gehorsame Interpretation der Torah, wie sie in 4QMMT dargestellt wird, als Abwehr von Flüchen wirken wird. 35 Vgl. Anderson 2011, 58. 36 So auch Fraade 2003, 155. 37 Dazu ausführlich Paganini 2009. 38 Da diese nicht-biblischen Passagen zahlreiche und wertvolle Hinweise zur Datierung und zur Autorenschaft bzw. zum Kreis der Redakteure der Tempelrolle vermitteln können, gehören sie in der Sekundärliteratur zu den meist diskutierten Abschnitten. Die Eigenkomposition, welche der Wiedergabe von Dtn 17,14–20 folgt, hat eine sehr rege Diskussion ausgelöst, die sich in zahlreichen Publikationen niedergeschlagen hat: Dazu bietet Maier 1997, 236–239, einen sehr guten kritischen Überblick. 39 Maier 1997, 244: Die Tempelrolle bietet eine „höchst artifizielle Komposition, die nur unter der Voraussetzung zu begreifen ist, daß man genau derart bibelbezogen denkt und schreibt wie [diese Autoren, S. P.] selbst.“
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In der Tat kann man davon ausgehen, dass dieser Abschnitt eine Komposition ist, die in polemischem Dialog mit dem biblischen Text entstanden ist. Die Tempelrolle setzt sich zwar grundsätzlich kritisch mit der biblischen Gesetzestradition auseinander, aber in dem Moment, in dem ein gänzlich neues Gesetz entworfen wird, rekurriert sie auf die altbewährte Methode, dieses zu unterstützen: durch Fluchandrohungen (TR 59,2–21). Zuletzt bietet die Damaskusschrift ein gleichwertiges Beispiel für dieses Vorgehen. In 4Q266 wird ein Ritual beschrieben,40 welches mit dem Ausschluss von Gemeindemitgliedern zusammenhängt. Der Text ist sehr fragmentarisch, die erhaltenen Formulierungen scheinen dennoch auf Fluchandrohungen hinzuweisen, welche die Funktion haben, die Gültigkeit des Ausschlussrituals zu bekräftigen. Flüche in Gesetzestexten haben vorwiegend eine autoritative Funktion. Das Gesetz an sich ist zwar gottgegeben – in der Tempelrolle sogar fast durchgehend in einer direkten Gottesrede – es wird dennoch durch Flüche abgesichert. In diesem Sinne ist die Funktion der Flüche in den DSS vergleichbar mit jener der biblischen Flüche am Ende der Torah.
4. Fünf abschließende Beobachtungen zur Funktion von Flüchen und Segnungen Am Ende dieser überblicksartigen Darstellung der unterschiedlichen Funktionen von Flüchen (und Segen) in der Qumran-Literatur ist es möglich, die Ergebnisse der Untersuchung in fünf Thesen zusammenzufassen. Segen‑ und Fluch-Reihen sind mächtig und innerhalb von kultischen Ritualen dienen sie dazu, die Gemeinschaft der Gerechten – den Yaḥad – von der Gruppe ihrer Feinde – der Abteilung des Belials bzw. den Kindern der Finsternis – abzuheben. a. Fluch und Segen existieren nicht unabhängig voneinander, sondern stehen (fast) immer in Kontraposition zueinander. Die Existenz beider ist in den Texten selbstverständlich. Sie sind von einer dualistischen Vision der Realität bestimmt und tragen dazu bei, diese weiter zu verschärfen, indem die Wirksamkeit von Fluch und Segen einen gewissen Determinismus aufweist. b. Flüche haben eine ganz klare apotropäische Funktion, die dazu führt, dass positive Kräfte bestärkt werden, während negative oder gar dämonische Kräfte abgewehrt werden. Zur Entfaltung der Wirksamkeit muss die Beschwörung ausgesprochen werden bzw. durch einen Akt der Selbstverfluchung bestätigt werden. c. So wie in der biblischen Tradition haben Fluch und Segen auch in den DSS eine ganz entscheidende Funktion, wenn es darum geht, Gesetze zu legitimieren bzw. Auswirkungen von Gesetzen zu bekräftigen. Segen, vielmehr aber noch 40 Dieser Text ist nur innerhalb der DSS belegt und fehlt in der Version des Damaskus-Dokuments, die man in der Kairo-Geniza fand.
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lüche sind die letzte juridische Instanz angesichts eines Rechtssystems, das nicht F endgültig definiert, sondern noch interpretations‑ und anpassungsbedürftig ist. Mit Flüchen will der Gesetzgeber bestimmte Verhaltensweisen unterbinden, während die Perspektive des Segens die Motivation für das rechtmäßige Verhalten steigern soll. Nur selten sind Flüche die Konsequenz eines nicht erlangten Segens. Die beiden Aspekte sind vielmehr voneinander unabhängig. In der deterministischen und dualistischen Vision der DSS gibt es etwa Gruppierungen, die ohnehin nur verflucht werden, und Gruppierungen, denen Segen vorherbestimmt ist. d. Fluch und Segen haben vor allem eine eminent wichtige soziale Funktion. Sie gelten als Werkzeug für soziale Kontrolle innerhalb einer bestimmten Gemeinschaft. Die Angst vor der göttlichen Strafe dient als Abschreckungsmechanismus gegen die Versuchung, antisozialen Handlungen nachzugehen. Die Hoffnung auf einen Segen hingegen animiert dazu, sich gemeinschaftsdienlich zu verhalten, wenngleich der Einfluss geringer ist als jener des drohenden Fluches. Aus dieser Perspektive haben Fluch und Segen eine starke gesellschaftspolitische und nicht nur eine religiöse Relevanz. Die anwesende Gemeinde wird im jährlich zu wiederholenden Bundesritual sogar zur Selbstverfluchung aufgefordert, indem sie mit einem zweifachen „Amen“ Stellung beziehen muss. e. Fluch und Segen sind eine Garantie dafür, dass der Bund zwischen Gott und seinem Volk, bzw. einem Teil seines Volkes, eingehalten wird. Sowohl 1QS als auch das Damaskus-Dokument, aber indirekt auch 4QMMT und die Tempelrolle, sehen die Möglichkeit oder gar die Notwendigkeit eines neuen Bundes, der natürlich mit Flüchen (und Segen) beschworen wird. Dieser Bund ist nicht für alle und auch nicht für die „Nationen“, sondern nur für diejenigen, die der „neuen“ Gemeinschaft – mit ihrer neuen Gesetzgebung (Halacha) – treu bleiben werden. Den Treuen steht der Segen zu, allen anderen der Fluch.
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Griechisch-römische Fluchtäfelchen als Zeugnisse antiker Magie Befund und neue Funde
Peter Arzt-Grabner Die Praxis, Flüche (defixiones, also „bindende Zauber“) auf Bleitäfelchen zu schreiben und diese in Brunnen, Quellen oder Gräber zu werfen, ist überall dort dokumentiert, wo Griechen oder Römer lebten und ihren Einfluss ausübten. Sie ist ab dem 5. Jh. v. Chr. bezeugt, und zwar in so weit entfernten Gegenden wie Ägypten, der Levante, Zypern, der nördlichen Küste des Schwarzen Meeres, Griechenland, Ungarn, Italien, Sizilien, Frankreich, Deutschland, Österreich, England und vielen anderen mehr.1 Über 1700 Exemplare in griechischer oder lateinischer Sprache, die aus der Zeit zwischen dem 5. Jh. v. Chr. und dem 5. Jh. n. Chr. stammen, wurden bisher publiziert.2 Aus ähnlich weit verstreuten Gegenden sind Voodoo-Puppen bekannt geworden, deren Sammlung freilich weit weniger Exemplare zählt, nämlich ca. 90.3 Sowohl Fluchtäfelchen als auch Voodoo-Puppen treten weiterhin bei Ausgrabungen zutage. Deren Publikation, aber auch neue Erkenntnisse zu lange bekannten Objekten dauern an.
1. Definition defixio Die klassische Definition, auf die in der Literatur meist zurückgegriffen wird, stammt von David R. Jordan:4 Demnach sind defixiones, besser bekannt als Fluchtäfelchen, mit einer Inschrift versehene Bleistücke, üblicherweise in Form kleiner, dünner Bleche, die dazu bestimmt sind, auf übernatürliche Weise die Handlungen 1 Eine gute Einführung bietet z. B. Kropp 2015, einen guten Überblick mit Abbildungen und Tafeln Murano/Maltomini 2017. 2 Vgl. TheDefix (Thesaurus Defixionum), www.thedefix.uni-hamburg.de. Siehe dazu Dreher 2018. – Für das Oskische gehören Fluchtäfelchen zu den wichtigsten Sprachzeugnissen (dazu Murano 2012). 3 Vgl. Curbera/Giannobile 2015, 124. 4 Vgl. Jordan 1985, 151: „Defixiones, more commonly known as curse tablets, are inscribed pieces of lead, usually in the form of small, thin sheets, intended to influence, by supernatural means, the actions or welfare of persons or animals against their will.“ Ähnlich z. B. Curbera 2015a, 97 („Curse tablets are thin plaques of lead etched with tiny letters and meant to summon supernatural forces against one’s foes“), Urbanová 2018, 17, u. a.
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oder das Wohlergehen von Personen oder Tieren gegen ihren Willen zu beeinflussen. Diese Definition soll hier anhand der Befundlage etwas unter die Lupe genommen werden. Zwangsläufig ist das Material der erste Punkt, den es zu berücksichtigen gilt. Wir kennen antike Flüche, die auf Töpfe oder Tonscherben, auf Schiefer, auf Papyrus, Wachs und andere Materialien geschrieben sind, aber die meisten der uns bekannten Täfelchen bestehen aus Blei. Blei ist einfach zu schneiden und zu beschriften. Ferner galt Blei „als Inbegriff der Schwere und Dumpfheit“, wie Peter Busch bemerkt hat, und es „war in der Spätantike Sympathiemetall für die Unheil wirkenden Planeten Kronos und Saturn.“5 Die derart stark verbreitete Verwendung von Blei liegt aber auch daran, dass Blei vermutlich schon sehr früh Teil des Fluch-Prozesses selbst wurde, wie u. a. die Anweisungen in antiken Zauberbüchern zeigen. So heißt es in PGM XXXVI, Kol. VII: Λυσιφάρμακον· λαβὼν μ̣[ολί]βου ἐπίγραψον | ἐπ’ αὐτοῦ ζῴδιον κτλ. („ein Zaubermittel, um unschädlich zu machen: Nimm etwas Blei und ritz darauf eine Figur“ usw.).6 Dennoch ist angesichts von Verfluchungen, die auf Papyrus, Pergament oder einer Tonscherbe erhalten sind,7 gegenüber der Definition von Jordan festzuhalten, dass defixiones nicht schlechthin „inscribed pieces of lead“ sind, sondern auch – obwohl selten – auf Papyrus und anderen Materialien niedergeschrieben sein können.8 5 Busch
2006, 31. zu kopierende Figur ist auf dem Papyrus dargestellt (vgl. die Abbildungen in PGM Bd. II, Tafel III Abb. 15; Gager 1992, fig. 30) und wird im Text detailgenau beschrieben. 7 In Griechisch und auf Papyrus z. B. Suppl.Mag. I 40 (= TheDefix 317, TM 92233; Ägypten, 3. Jh. n. Chr.); Suppl.Mag. I 43 (= TheDefix 319, TM 30843; Ägypten, 3.–4. Jh. n. Chr.); PGM LXVI (TM 64282; Oxyrhynchos, 3.–4. Jh. n. Chr.); Suppl.Mag. II 56 (= TheDefix 291, TM 92238; Oxyrhynchos, 295–305 n. Chr.); Suppl.Mag. II 61 (= TheDefix 313, TM 64397; Ägypten, 4. Jh. n. Chr.); Suppl.Mag. I 45 (= TheDefix 112, TM 92236; Lykopolis/Ägypten, 5. Jh. n. Chr.); Suppl. Mag. II 62 (= TheDefix 314, TM 35141; Ägypten, 5.–6. Jh. n. Chr.); Suppl.Mag. II 59 (= TheDefix 311, TM 65108) und Suppl.Mag. II 60 (= TheDefix 312, TM 64427; beide Panopolis, 6. Jh. n. Chr.); griechische Ostraka z. B. aus Olbia am Schwarzen Meer: SEG 51, Nr. 978 (= TheDefix 1070; 480–440 v. Chr.); SEG 51, Nr. 979 (= TheDefix 1074; 400–350 v. Chr.); SEG 52, Nr. 742 (= TheDefix 1069; ca. 350 v. Chr.); ferner TheDefix 1715 (ed. Nilsson 1992, 801 f.; Ende 5.–4. Jh. v. Chr.); PGM Bd. II, O2 (= TheDefix 115, TM 63587; Oxyrhynchos, 2. Jh. n. Chr.); TheDefix 1117 (Neapolis/Sardinien, 3. Jh. n. Chr.); Suppl.Mag. II 58 (= TheDefix 310, TM 92334; Theben, 4.–5. Jh. n. Chr.); PGM Bd. II, O1 (= TheDefix 581, TM 64315; Hermopolis/Ägypten, 7. Jh. n. Chr.). – Siehe auch die folgenden koptischen Papyri aus Ägypten: P.Berol. 10587 (TM 99582; Hermopolis, 10. Jh.); P.Vindob. K 8304 (TM 91444; 10.–11. Jh.); ferner die koptischen Pergamente BKU III 389 (TM 243973; 4.–8. Jh. n. Chr.?); BKU III 388 (TM 243972; 5.–10. Jh.); P.Berol. 8503 (TM 99586; koptisch, 8.–9. Jh.); P.Bad. 5.137 (TM 99576; 19. Oktober 967). Zu entsprechenden koptischen Ostraka siehe PGM Bd. II, O5 (TM 65796; Olbia/Scythia, 4. Jh. v. Chr.); Bélanger Sarrazin 2017 (6.–7. Jh. n. Chr.); O.Monts.Roca inv. 1472 (TM 144245; ed. Martín Hernández/Torallas Tovar 2014a; 6.–7. Jh. n. Chr.); beachte dazu Martín Hernández/Torallas Tovar 2014b. – Beachte auch den bekannten Fluch der Artemisia auf dem griechischen Papyrus PGM XL (TM 65797; Memphis/Ägypten, 4. Jh. v. Chr.). 8 Umgekehrt ist Blei als Beschreibstoff nicht auf Fluchtäfelchen beschränkt, sondern auch die ältesten griechischen Privatbriefe sind auf Blei erhalten; siehe dazu bes. Eidinow/Taylor 2010 (mit Katalog S. 50–57; hinzuzufügen ist ein Brief aus Agathe Tyche [heute Agde/Herault 6 Die
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Abb. 1: Voodoo-Puppe, Antikensammlung Berlin inv. 30741 (Zeichnung: S. Giannobile in Curbera/Giannobile 2015, plate 5, Wiederabdruck mit freundlicher Genehmigung des Urhebers; rechts gedreht [P. A.-G.]).
Noch eine weitere Ergänzung ist unbedingt sinnvoll, denn defixiones sind im magischen Sinne nicht nur als beschriftete Objekte zu verstehen, sondern auch als der magische Akt – das Ritual, das mit der „Niederlegung“ dieser Objekte vollzogen wird. In diesem Zusammenhang ist unbedingt ein kurzer Blick auf die sog. Voodoo-Puppen angebracht,9 deren Verwendung vermutlich älter ist als der Gebrauch von geschriebenen Fluchtäfelchen. Eine Voodoo-Puppe, die erst vor einigen Jahren publiziert wurde10 und zum Bestand der Antikensammlung von Berlin gehört (inv. 30741), stammt aus Keos und wird ins 4. Jh. v. Chr. datiert. Auf der Rückseite der Puppe ist eine Liste mit insgesamt sieben Namen eingraviert (= TheDefix 1401): am Rücken in vertikaler Ausrichtung von rechts nach links Chalkideus, Gnathios, Kapanis, Epigenes und Timarchos,11 auf dem rechten Bein Eudikos, auf dem linken Bein Nikodikos (vgl. Abb. 1). Dies ist ein Hinweis darauf, dass die Puppe nicht in Frankreich] vom Ende des 4. oder Anfang des 3. Jh. v. Chr. [Musée du Vieil-Agde, ed. Dana 2017]). 9 Die bis 1991 publizierten Exemplare listet Faraone 1991, 200–205 und fig. 3–13, auf. 10 Vgl. Curbera/Giannobile 2015; digitale Abbildung: http://www.smb-digital.de/eMuseum Plus?ser vice=ExternalInterface&module=collection&objectId=680844&viewType=detailView ; zuletzt abgerufen: 20.06.2021; siehe dazu auch Vogl/Rosner 2015. 11 Die zweite Hälfte des Namens (ρχος) ist dabei in den linken Arm eingeritzt.
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ein einzelnes Opfer darstellen sollte, sondern den Akt der Bindung, der über die betreffenden Personen ausgesprochen wurde. In vergleichbarer Weise enthalten auch viele Fluchtäfelchen lediglich einen oder eine Liste von mehreren Personennamen (vgl. unten 3.1). Die wohl bekannteste Voodoo-Puppe wurde aus Lehm gefertigt und wird heute im Pariser Louvre aufbewahrt (inv. E27145b, Faraone 1991, Nr. 27; Ägypten, 4. Jh. n. Chr.).12 Beim magischen Ritual wurde sie mit 13 Nadeln durchstochen. Dass sie in einer Vase zusammen mit einem Fluchtäfelchen aus Blei gefunden wurde, belegt den engen Zusammenhang zwischen den beiden Artefakten.13 Ein in diesem Sinne ähnliches Beispiel ist eine Voodoo-Puppe aus Wachs, die zwischen dem 1. und 3. Jh. n. Chr. in Ägypten hergestellt wurde und heute zum Bestand des British Museum in London gehört (inv. EA37918; Faraone 1991, Nr. 31).14 Im offenen Nabel hat man ein Büschel menschlichen Haares gefunden. Die defixio ist dieses Mal auf Papyrus geschrieben und wurde in den Rücken der Figur geschoben bzw. wurde die Figur um den Papyrus herum geformt.15 Derartige Kontexte belegen, dass Voodoo-Puppen und Fluchtäfelchen hin und wieder nur zwei Aspekte oder – wohl in den meisten Situationen – nur zwei Möglichkeiten ein und desselben Vorgangs waren.16 Das Bleitäfelchen bzw. der Papyrustext geben das Ritual wieder, das mit der jeweiligen Puppe vollzogen wird. Wie die Puppe selbst wird aber auch die geschriebene defixio zum magischen Objekt, indem beides miteinander verbunden und gemeinsam im Akt der Verfluchung niedergelegt wird. Um in der Vorstellung der Anwenderin oder des Anwenders zum magischen Objekt zu werden, bedarf die Voodoo-Puppe des performativen Textes, gleichgültig ob dieser nur gesprochen oder auch schriftlich festgehalten und niedergelegt wird. Die textlich erhaltenen Fluchtäfelchen demgegenüber bedürfen freilich nicht unbedingt eines weiteren materiellen Objektes. Es genügt, dass die zu verfluchende Person oder das entsprechende Tier17 gedanklich vergegenwärtigt wird und – nach magischer Vorstellung – für die Gottheit identifizierbar ist. 12 Eine
Abbildung bietet z. B. Ogden 2013, Abb. 5. z. B. die aus Lehm geformte Voodoo-Puppe aus Mainz, die gemeinsam mit dem Bleitäfelchen DTM 21 (= TheDefix 752) gefunden wurde, das lediglich den Namen des Verfluchten (Trutmo Florus, Sohn des Clitmo) enthält (vgl. Blänsdorf 2017, 46 f.; Urbanová 2018, Nr. 86). 14 Digitales Foto und Kurzbeschreibung auf http://www.britishmuseum.org/collection/ob ject/Y_EA37918; zuletzt abgerufen: 08. 08. 2021; gedruckte Abbildung u. a. in Ogden 2013, Abb. 4. 15 Vgl. Faraone 1991, 204. 16 Zum Zusammenhang vgl. auch Ogden 1999. Puppen mit eingravierten Namen sind z. B. ferner TheDefix 1520 und TheDefix 1521 (ed. Eliopoulos 2010; beide Kynosarges/Athen, 430 v. Chr.); TheDefix 1142 (ed. SEG 47, Nr. 1424; Sizilien, 5.–4. Jh. v. Chr.); TheDefix 1177 (ed. Massarelli 2014, 214–217; zwei Puppen aus Sovana/Italien, 4.–3. Jh. v. Chr.); TheDefix 519 (ed. Blänsdorf 2012, 620–622; Heiligtum der Anna Perenna in Rom, 4.–5. Jh. n. Chr.); TheDefix 1051–1058 (ed. DT, Nr. 200–207; alle Puteoli, undatiert). 17 Vor allem Pferde im Zusammenhang mit Wagenrennen; siehe dazu bes. Tremel 2004. 13 Ähnlich
Griechisch-römische Fluchtäfelchen als Zeugnisse antiker Magie
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Eine aktualisierte Definition von defixio sollte somit lauten: Der Terminus defixio bezeichnet zunächst ein Ritual, durch das auf übernatürliche Weise die Handlungen oder das Wohlergehen von Personen oder Tieren gegen ihren Willen beeinträchtigt werden sollen. Üblicherweise wird mit defixio sodann ein Artefakt bezeichnet, das durch seine Inschrift oder durch seine bildliche Darstellung ein solches Ritual bezeugt und dafür verwendet wurde (oder zumindest verwendet werden konnte). Bei defixiones in diesem zweiten Sinn handelt es sich um sog. Voodoo‑ oder Rache-Puppen aus Ton oder Metall (mit und ohne Inschrift) oder um Inschriften auf Bleistücken (üblicherweise in Form kleiner, dünner Bleche), seltener auf Papyrus, Tonscherben, Pergament oder anderem Material.
2. Klassifizierungen/Kategorisierungen Um das insgesamt zahlreiche und vielfältige Material an Fluchtäfelchen besser überblicken zu können, wurden seit jeher Klassifizierungen oder Kategorisierungen eingeführt, ergänzt und diskutiert. Klassisch ist die Einteilung von Auguste Audollent in amatoriae, agonisticae und iudiciariae, die durch calumniatores (Verleumder) ergänzt wurde.18 Audollents Gliederung des Materials wurde weitgehend für seither erschienene Sammlungen von defixiones übernommen, so auch von John G. Gager: In Ergänzung zu Audollent ist hier die vierte Kategorie über das Geschäftsleben und den beruflichen Alltag zu erwähnen. Untergliedert wird aber auch hier nach den unterschiedlichen Situationen, in denen sich die Anwenderin oder der Anwender befinden.19 Henk Versnel hingegen hat entsprechend dem Titel seiner Lietzmann-Vorlesung „Fluch und Gebet“ nach formalen Kriterien lediglich zwischen defixiones und „Gebeten um Gerechtigkeit“ unterschieden.20 In einem Aufsatz aus dem Jahre 2006 hat David Frankfurter zwischen „Appeals for Cursing“, „Verbal Declarations of Supernatural Authority“ und „Epigraphic Declarations of Supernatural Authority“ unterschieden.21 Wieder ein anderer Gesichtspunkt der Klassifizierung ist der Versuch, die verschiedenen Erscheinungsformen des Schadenszaubers in eine logische Entwicklung einzuordnen.22 18 Audollent
1904; vgl. Lambert 2004, 78. Gager 1992. 20 Vgl. Versnel 1991 und 2009. Versnels Kategorie der „Gebete um Gerechtigkeit“ hat eine umfangreichere Diskussion ausgelöst; siehe dazu z. B. Dreher 2012 und Versnel 2012. 21 Vgl. Frankfurter 2006. Darüber hinaus werden bisweilen die Großgruppen weiter untergliedert, so z. B. im Falle der Magica agonistica: hier untergliedert Jan Tremel nach sportlichen Wettkämpfen, die im Stadion, im Circus oder im Amphitheater stattfanden (vgl. Tremel 2004). Ein nach 2010 publiziertes agonistisches Fluchtäfelchen, das erstmals aus der Provinz Hispania stammt, wurde von García-Dils de la Vega/de la Hoz Montoya 2013, ediert. Davor waren derartige Fluchtäfelchen für Rom, Africa (Cartago, Hadrumetum, Lepcis Magna), Syria (Antiochia, Apamea, Apheca, Berytus) und Judaea (Caesarea Maritima) bezeugt (vgl. GarcíaDils de la Vega/de la Hoz Montoya 2013, 243 einschließlich Anm. 5 f.). 22 So Gordon 2015. 19 Vgl.
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Auf der Mainzer Tagung hat Sara Chiarini darauf hingewiesen, dass die bisher vorgeschlagenen Kategorisierungen tatsächlich nur auf einen geringen Teil der Fluchtäfelchen anzuwenden sind. Der Großteil sei keiner der Kategorien zuzuordnen, da eindeutige Indizien fehlten.23 Am ehesten ist noch bei den sog. agonistischen Fluchtäfelchen, und dort vor allem bei jenen, die mit den Circus-Spielen in Verbindung stehen, eine Identifizierung relativ einfach, mehr oder weniger umfassend und eindeutig möglich, da dafür bereits die Nennung von Namen und Funktion (z. B. „Quadriga“ oder „Wagenlenker“) genügt, die in diesem Kontext natürlicherweise mehr oder weniger konsequent vorkommt (siehe unten 3.2). Demzufolge wird im weiteren Verlauf dieses Beitrags auf Kategorisierungen verzichtet (beachte auch 4.). Im Folgenden soll anhand von ausgewählten neueren Einzeleditionen (seit 2010) dargestellt werden, mit welch unterschiedlichen Formen man es bei Fluchtäfelchen zu tun hat. Dafür wähle ich eine Steigerung von möglichst einfachen bis zu äußerst komplexen Formen.
3. Neue Fluchtäfelchen als typische Beispiele24 3.1 TheDefix 1268 (Verona, nach 140–144 n. Chr.) Äußerst knapp in der Ausführung ist dieses Bleitäfelchen aus Verona, das bei Grabungsarbeiten zwischen 1989 und 1991 gemeinsam mit einem zweiten Bleitäfelchen in einem Grab südlich der antiken Via Postumia gefunden und 2016 von Celia Sánchez Natalías ediert wurde (heute Soprintendenza per i Beni Archeologici del Veneto, Verona inv. VR19924).25 Aufgrund des archäologischen Befundes lässt sich der terminus post quem mit 140–144 n. Chr. angeben. Der aus fünf Zeilen bestehende Text enthält mehrere lateinische26 Personennamen im Akkusativ, an die lediglich die Verbform def[ig]o (also „ich lege/schreibe nieder“, „ich binde“) angehängt ist (vgl. Abb. 2), die allerdings bisher nicht besonders häufig für die
23 Laut Sánchez Natalías 2016, 121, geben 60 % der lateinischen defixiones keine Auskunft über die näheren Hintergründe des Fluches. 24 Nicht berücksichtigt sind hier edierte Sammlungen (z. B. Stroud 2013, Nr. 118–135, mit den Inschriften des Demeter‑ und Koreheiligtums von Korinth), Vorberichte über Fluchtäfelchen, deren endgültige Edition noch aussteht (z. B. von zwei defixiones aus Entella/Sizilien, vgl. Erdas 2016). Ebenso unberücksichtigt bleiben Neueditionen zu älteren Publikationen (z. B. Curbera 2015b und 2017, Campedelli 2017 oder Blänsdorf 2017) oder neuere Analysen zu älteren Editionen (z. B. zu den Fluchtäfelchen des Anna-Perenna-Nymphäums in Rom [zuletzt Piranomonte 2012, und Blänsdorf 2015] oder jenen aus Mainz). 25 Siehe auch Urbanová 2018, Nr. 45 (der Verweis auf TheDefix 308 im Katalog auf S. 534 ist falsch). 26 An neueren Studien zu den lateinischen Fluchtäfelchen sind u. a. zu nennen: Sánchez Natalías 2011, 2012 und 2013; Urbanová 2014, 2017 und 2018.
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Abb. 2: TheDefix 1268 (Verona, nach 140–144 n. Chr.; Nachzeichnung: Sánchez Natalías 2016, fig. 2; Wiederabdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlags Dr. Rudolf Habelt GmbH, Bonn).
lateinischen Fluchtäfelchen bezeugt ist:27 Augustum | Carsadia⟨m⟩ | Secundum | Caupunum | def [ig]o (für Carsadia⟨m⟩ ist möglicherweise Carsidia⟨m⟩ zu lesen, für Caupunum vielleicht Caupon⟨i⟩um).28 Die grundsätzliche Ähnlichkeit dieses Artefakts mit der oben erwähnten Voodoo-Puppe aus Berlin, auch was das vermutlich damit vollzogene Ritual betrifft, ist unverkennbar.
3.2 TheDefix 1247 (Sevilla/Spanien, zweite Hälfte 1. Jh. n. Chr.) Mit diesem aus dem römischen Astigi (Colonia Iulia Augusta Firma Astigitana, heute Écija) stammenden Bleitäfelchen wurde erstmals eine tabella defixionis circense aus Spanien ediert. Derartige Täfelchen lassen sich aufgrund der Erwähnung von Pferdegespannen und Wagenlenkern eindeutig den Wettkämpfen im römischen Circus zuordnen (vgl. 2. oben) und waren bis zu diesem Fund aus dem Jahr 2001 bereits für Rom und Nordafrika (Karthago, Hadrumetum, Leptis Magna) sowie die römischen Provinzen Syrien (Antiochia, Apameia, Apheca, Berytus/ Beirut) und Judaea (Caesarea Maritima) nachgewiesen.29 Das vorliegende Artefakt wurde 2001 knapp 200 m südwestlich des Circus von Astigi in einer Grabanlage gefunden, die in die Zeit zwischen dem Ende des 1. Jh. v. Chr. und dem 1. Jh. n. Chr. datiert werden konnte. Das Bleitäfelchen muss kurz vor der Schließung der 27 Vgl.
die Belege bei Sánchez Natalías 2016, 122 und Anm. 12. Sánchez Natalías 2016, 122. 29 Vgl. die Sammlung von Tremel 2004. Neben Verfluchungen von Pferdegespannen und Wagenlenkern gehören auch Verfluchungen von Athleten außerhalb des Circusgeschehens zum Bereich sportlicher Wettkämpfe; zu letzterer Kategorie siehe z. B. Bevilacqua/Colacicchi/ Giuliani 2012, und Bevilacqua 2014 (= TheDefix 1197; Rom, 1.–2. Jh. n. Chr.). 28 Vgl.
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Grabanlage hinterlegt worden sein und wird deshalb in die zweite Hälfte des 1. Jh. n. Chr. datiert. 2013 wurde es von Sergio García-Dils de la Vega und Joaquín de la Hoz Montoya ediert.30 Der Text beschränkt sich auf die Aufzählung der Objekte der Verfluchung. Gregs An[t]oniani, Veneta et Russea: quadriga Lascivi Veri, quadriga Lascivi Vetii, qua[d]riga Margaritei, qua[d]riga Margaritei, quadri‑ ga Gelotis, quaḍṛiga Urbici, quadriga Ila‑ 5 ri, quadriga Eleni, quadriga Basilisci, quadṛiga Nomantini, quadṛiga Barba‑ rionis, qua⟨d⟩riga Calidromi, quad‑ riga Lụpi; agitatores: Piramus; agi‑ tator[e]ṣ et quadrigas Antonia‑ 10 ni: Patricium, Martialem, Successum, Atiarionem, Ṿaicus, Narcis(s)us, At‑ sertor. Tota grẹx Antonianị. Das Team des Antonianus, das Blaue und das Rote: die Quadriga des Lascivus Veri, die Quadriga des Lascivus Vetii, die Quadriga des Margariteus, die Quadriga des Margariteus, die Quadriga des Gelos, die Quadriga des Urbicus, die Quadriga des (H)ilarus, die Quadriga des (H)elenus, die Quadriga des Basiliscus, die Quadriga des Nomantinus, die Quadriga des Barbario, die Quadriga des Cal(l)idromus, die Quadriga des Lupus; die Wagenlenker: Piramus; die Wagenlenker und die Quadrigen des Antonianus: Patricius, Martialis, Successus, Atiario, Vaicus, Narcissus, Adsertor. Das ganze Team des Antonianus.
Die Blauen und die Roten gehörten zu den üblichen Zirkusparteien bei den Wagenrennen.31 Dass es sich bei der grex Antoniani womöglich um einen dritten örtlichen Kader gehandelt haben könnte, der von einem Antonianus bezahlt wurde, ist aber insofern unwahrscheinlich, als bisher keine Parallelen dafür vorliegen, dass das ursprüngliche aristokratische Modell des Zirkuswettbewerbs in der Kaiserzeit noch aufrechterhalten wurde oder eventuell gleichzeitig mit dem Fraktionssystem existierte. Die Herausgeber des Fluchtäfelchens halten es daher für wahrscheinlicher, Antonianus mit dem Dominus oder dem lokalen Besitzer einer familia quadrigaria zu identifizieren oder mit jener Person, die die Kosten der beiden genannten Parteien bestritten und ihre Dienste an den Veranstalter der Spiele vermietet hätte. Ziel des Bleitäfelchens wäre sodann die Verfluchung der beiden von Antonianus gelieferten oder bezahlten Trupps (greges).32 Insgesamt werden dreizehn quadrigae aufgezählt, von denen die dritte, die Quadriga des Margariteus, wiederholt wird. Diese Verdoppelung könnte entweder als 30 García-Dils
de la Vega/de la Hoz Montoya 2013. Rom sind vier traditionelle Fraktionen bezeugt: die Blauen, die Roten, die Grünen und die Weißen. 32 Vgl. García-Dils de la Vega/de la Hoz Montoya 2013, 247.249. 31 Für
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Hinweis auf die besondere Relevanz der darin genannten Pferde oder als magische Praxis verstanden werden, die die Wirkung des Fluchs verstärken soll. Die Viergespanne werden jeweils durch einen Namen identifiziert, der höchstwahrscheinlich dem eines Pferdes entspricht. Immerhin ist die Angewohnheit, eine Quadriga nach ihrem relevantesten Pferd zu benennen (in der Regel dem funalis, das an der Innenseite der Rennstrecke lief ), in den Zirkusmosaiken gut belegt.33 Anschließend an die Gespanne werden maximal neun agitatores aufgezählt. Dass es sich dabei durchwegs um Wagenlenker handelt, ist insofern fraglich, als es sich bei bis zu sieben von ihnen tatsächlich wieder um Pferde handeln kann und infolgedessen um weitere Viergespanne, da die Tendenz bestand, bei Wagenlenkern und Zirkustieren dasselbe namentliche Repertoire zu verwenden.34 Unter Berücksichtigung des archäologischen Befundes des Circus von Astigi kalkulierten die Herausgeber, dass das vorliegende Täfelchen eine Verfluchung von gut der Hälfte aller an einem Wettkampftag beteiligten Gespanne zum Ziel hatte.35
3.3 TheDefix 1071 (Panticapaeum/Schwarzes Meer, 5.–4. Jh. v. Chr.) Dieses Bleitäfelchen wurde in Panticapaeum (auch bekannt unter dem Namen Bospora) auf der Krim, also an der Nordküste des Schwarzen Meeres ausgegraben, von wo bisher ca. 40 Fluchtäfelchen bekannt sind.36 Das 10 cm breite und 4,5 bis 6,5 cm hohe Stück ist Teil einer Moskauer Privatsammlung und wurde 2016 von Alexey V. Belousov und Nikolaï F. Fedoseev ediert.37 Die Nachzeichnung und Textrekonstruktion der Herausgeber stimmt in einigen Punkten nicht mit dem überein, was ich auf dem Foto (Belousov/Fedoseev 2016, fig. 1) zu erkennen meine. Ferner sind einige Konjekturen der Herausgeber für mich nicht überzeugend. Anhand des Fotos habe ich deshalb eine verbesserte Nachzeichnung erstellt, die hier zum ersten Mal abgedruckt wird (siehe Abb. 3). Meine vorläufige Textrekonstruktion lautet:38 [--‑] ọ [--‑] κ̣αὶ Ἑ̣κ̣άταν· γυ̣νὰ Λ̣ην[αίου] κ̣[α]ὶ ἀ[δε]λ̣φοὶ αὐτõ καὶ αὐτ̣[ῆς], Γλαυ̣κίας καὶ τὰ παιδία 5 δὲ ἄνοα καί ἐστι `γ’ Λεσᾶς,´ Δάλλος, Εὔνους. καὶ χέρας καὶ πόδας κ̣[α]ὶ [γλώσσ]α[ς] αὐτῶν παρα[δέδω]κα [--‑] 33 Vgl. García-Dils de la Vega/de la Hoz Montoya 2013, 249 (zu den genannten Namen und deren Bezeugung in anderen defixiones 249–252). 34 Vgl. García-Dils de la Vega/de la Hoz Montoya 2013, 252–254. 35 Vgl. García-Dils de la Vega/de la Hoz Montoya 2013, 254.256. 36 Vgl. Belousov 2016; Belousov/Dana 2017. 37 Vgl. Belousov/Fedoseev 2016. 38 Eine verbesserte Neuedition ist in Vorbereitung (Arzt-Grabner in Vorbereitung).
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Abb. 3: TheDefix 1071 (Panticapaeum/Schwarzes Meer, 5.–4. Jh. v. Chr.; Nachzeichnung: Peter Arzt-Grabner).
Am linken Rand, 90° im Uhrzeigersinn gedreht und dann in die Horizontale gebogen: καὶ δέδωμι Γῆι κα[ὶ] τ̣οῖς [--‑] … und Hekate: die Frau von Lenaios und seine und ihre Brüder, Glaukias und seine Kinder, die (noch) unvernünftig sind, und (da) ist noch Lesas, Dallos, Eunus. Und ihre Hände und Füße und Zungen [habe ich übergeben] und gebe ich Gaia und den [Göttern der Unterwelt?].
Auch was dieses Bleitäfelchen betrifft, bleiben Anlass und nähere Umstände der Verfluchung unbekannt, jedoch soll der Fluch im Unterschied zu den vorhergehenden Beispielen nicht nur die namentlich genannten Personen treffen. Hauptobjekt der Verfluchung ist wohl die in Z. 2 erwähnte Frau, die über ihren Ehemann identifiziert wird. Bezeichnend ist die pauschale Erwähnung der Kinder des Ehepaares, deren Einbeziehung freilich mit Bezug auf die Mutter erfolgt: nicht nur diese selbst, sondern auch die ihr nachfolgende Generation soll ausgelöscht werden.
3.4 TheDefix 258 (= TM 419974; Urbanová 2018, Nr. 100; Köln, ca. Mitte 1. Jh. n. Chr.) Das Bleitäfelchen wurde am 12. September 1985 bei den Ausgrabungen eines Gräberfeldes vor der Nordwest-Ecke des römischen Köln (Colonia Claudia Ara Agrippinensium) gefunden und 2010 von Jürgen Blänsdorf, Amina Kropp und Markus Scholz ediert.39 Heute befindet es sich im Kölner Römisch-Germanischen 39 Blänsdorf/Kropp/Scholz 2010; vgl. Blänsdorf 2010, 168 f. Nr. 3; Faraone/Kropp 2010, 383 (Text 2).
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Abb. 4: TheDefix 258 (Köln, ca. Mitte 1. Jh. n. Chr.; oben: Vorderseite, unten: Rückseite; Zeichnung: Blänsdorf/Kropp/Scholz 2010, 273; Wiederabdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlags Dr. Rudolf Habelt GmbH, Bonn).
Museum.40 Der Text des auf beiden Seiten beschriebenen Täfelchens läuft von rechts nach links (retrograd), worauf auch der Inhalt Bezug nimmt (Z. 3 perverse scriptum est). Die Buchstaben haben aber – mit Ausnahme des B in Zeile 4 – die für die rechtsläufige Schreibweise übliche Form (vgl. Abb. 4). Ich gebe diese Textform hier mit Wortabständen, aber ohne Korrekturen wieder: AVT SER CIS ACAREAV COH ODOMOVQ SAGA ESEVREP TSE VTPIRCS ESREVREP
Rückseite S [ . ]BON S [ . ]TPOXE DIVQDIVQ MVVT TVPAC NI TAINEVE
In die rechtsläufige Schreibweise übertragen lautet der Text somit: Vaeraca, sic res tua: perve⟨r⟩se agas, quomodo hoc perverse scriptu(m) est. Die Inventarnummer wird in der Edition nicht angegeben.
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Rückseite quidquid exopt[a]s nob[i]s, 5 in caput tuum eveniat. Z. 1 Vaeraca oder Uxeraca Vaeraca, so steht es um deine Sache: verkehrt soll es dir ergehen, wie dies verkehrt geschrieben ist. Was auch immer du uns wünschst, soll auf dein Haupt kommen.
Die im Text angestellte Analogie stellt eine symmetrische Beziehung zwischen der rituellen Manipulation des Textes und den beabsichtigten Auswirkungen auf das Opfer her. Die Beziehung wird durch eine similia-similibus-Formel ausgedrückt, die sich auf die physische oder wörtliche Verzerrung des Textes („wie dies verkehrt geschrieben ist“) als Modell für die „Verzerrung“ des Opfers bezieht („so … soll es dir verkehrt ergehen“).41
3.5 Israel Antiquities Authority (IAA) inv. B.81885 (Jerusalem, 285–363 n. Chr.) Dieses Bleitäfelchen wurde in einem Gebäude der Davidsstadt in Jerusalem gefunden. Die genaue Funktion des Gebäudes konnte noch nicht eruiert werden. Der griechische Text des 11,5 × 6,7 cm großen Täfelchens lautet entsprechend der Edition von Doron Ben Ami, Yana Tchekhanovets und Robert W. Daniel:42 ἐ̣[ λ]θέ̣ μοι, ὁ κατὰ γῆν, χ̣θ̣[όνιε] δαίμων, ὁ κρατῶν καὶ δεσμεύ‑ ων, Αβρασαξ· ἐλθέ, Ἑκάτη, τρίμορ‑ φε βασίλεια, Ερεσχιγαλ· ἐλθέ μοι, 5 βασιλεῦ Πλούτων, τῷ μεγά‑ λῳ σου ὀνόματι Υεσεμμιγα‑ δων· ἐλθέ μοι, Γῆ χθονία καὶ Ἑρμῆ χθόνιαι καὶ Πλούτων καί Φερσε‑ φόνη βασίλεια. κρούω καὶ κατα‑ 10 κρούω καὶ καθηλῶ Ἰέννυτος, ὃν ἔτεκεν ἡ μήτρα, τὴν γλῶσσαν τὰ ὄμ̣[μ]ατα τὸν θυμὸν τὴν ἔριν τὴν ὀργὴν τὴν χρό̣ν̣ισ̣ιν τὴν ἐναν‑ τίωσιν, ὅπως μηθὲν ὑπεναντι‑ 15 ώσῃ, ὅπως μηθὲν ὑπεναν‑ τίον εἴπῃ ἢ κ̣α̣τ̣α̣π̣ρ̣άξῃ πρὸς 41 Vgl. Faraone/Kropp 2010, 383 (mit weiteren Beispielen im Verlauf des Artikels); Franek/Urbanová 2019. Vgl. z. B. auch das griechische Ostrakon Suppl.Mag. II 58 (= TheDefix 310, TM 92334; Theben/Ägypten, 4.–5. Jh. n. Chr.). In 3.8 (siehe unten) bezieht sich eine ähnliche Formel auf den Vergleich zwischen dem Akt, der mit dem Fluchtäfelchen vollzogen werden wird, und dem erbetenen Schicksal des Verfluchungsobjektes. 42 Ben Ami/Tchekhanovets/Daniel 2013, 232.
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Κύρ[ιλ]λαν, ἣν ἔτεκεν ἡ μή‑ τρα ̣ [ ̣ ] ̣ [ ̣ ]ο̣ν ἀλλὰ ὑποταγῇ αὐτῇ ὁ Ἰέννυς, ὃν ἔτεκεν ἡ μή‑ 20 τρα. πότνια Φερσεφόνεια, τέλε̣ι [τ]ελέαν ἐπαοιδήν. (charakteres) [ ̣ ] ̣ (charakteres) νε ευηια [ ̣ ̣ ]αη ηαω Ιαωθ Ιαβωθ Ια‑ [ω]θ Ιαβωχ αμαβωθ Ιαβωχ Z. 8 lies χθόνιε „Komm zu mir, der du in der Erde bist, chthonischer Dämon, der du herrschst und bindest, Abrasax! Komm, Hekate, dreifache Königin, Ereschigal! Komm zu mir, König Pluto, bei deinem großen Namen Yesemmigadon! Komm zu mir, chthonische Gaia und chthonischer Hermes und Pluto und Königin Persephone! Ich ziehe und ziehe nieder die Zunge, die Augen, den Zorn, den Groll, den Grimm, die Verzögerung, den Widerstand von Iennys, den die Mutter gebar, damit er nicht zuwiderhandelt und nichts Gegensätzliches und nichts Übles gegen Kyrilla, die die Mutter gebar, unternimmt […], sondern vielmehr sei Iennys, den die Mutter gebar, ihr unterworfen. Herrin Phersephoneia, erfülle diesen vollendeten Zauberspruch!“ Es folgen noch magische Zeichen (sog. charakteres)43 und Buchstaben sowie voces magicae44 („ne euēia [ ̣ ̣ ]aē ēaō Iaōth Iabōth Ia[ō]th Iabōch amabōth Iabōch“).
Auftraggeberin des Fluchtäfelchens ist wohl die in Zeile 17 genannte Kyrilla. Als zu Schädigender wird ein gewisser Iennys genannt. Da dieser Name sonst bisher nicht bezeugt ist, vermuten die Editoren des Täfelchens „an orthographic variant of the Semitic name Ἰάννης, generally thought to be an equivalent of Ἰωάννης.“45 Dem magischen Formular entsprechend wird jeweils die Mutter der beiden Kontrahenten zu deren Identifikation angeführt46 (in zivilen und amtlichen Dokumenten hingegen zuerst der Vater), allerdings ohne deren Namen zu nennen. Die Gründe dafür, dass diese – wie sonst oft (vgl. z. B. unten 3.8) – hier nicht genannt werden, bleiben im Dunkeln. Die Akklamation ist sehr ausführlich gestaltet. Seltene, „große“ Namen sind im magischen Kontext typisch und weisen auf die besonderen Fähigkeiten des Magiers bzw. Praktikers hin, der um derartige Namen der bekannten und weniger bekannten Gottheiten und deren korrekte Anwendung weiß. Über Anlass und nähere Umstände der Verfluchung erfahren wir aber auch hier rein gar nichts. 43 Siehe dazu Brashear 1995, 3440–3443; Faraone/Kotansky 1988, bes. 260; ArztGrabner /De Troyer 2018, 12 f.; siehe auch die Literaturangaben in Martín Hernández/ Torallas Tovar 2014a, 176 Anm. 4. 44 Siehe dazu Brashear 1995, 3429–3438; Arzt-Grabner /De Troyer 2018, 12. 45 Ben Ami/Tchekhanovets/Daniel 2013, 234. Zur Genetivform Ἰέννυτος in Zeile 10 vermuten die Hrsg. (S. 234): „instead of the expected genitive form Ἰέννου (for Ἰάννου) the tablet has ᾿Ιέννυτος (for ᾿Ιάννητος). The dental ending may have been added by analogy to the declension of personal names such as Χάρης, Χάρητος or ῾Ερμῆς, ῾Ερμῆτος (instead of usual Ἑρμοῦ) or Semitic ᾿Ιωσῆς with its genitives in ‑ῆ and ‑ῆτος.“ 46 Identifizierungen der zu verfluchenden Personen durch ihre Väter sind in magischen Texten selten, z. B. SEG 47, Nr. 509 (Neuedition Curbera 2017, 141 f. [Nr. 1]; Nea Palatia nahe Oropos, ca. 350–300 v. Chr.).
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3.6 TheDefix 1090 (Athen-Piräus, frühes 4. Jh. v. Chr.) Das Bleitäfelchen wurde 2003 in einem Friedhof der klassischen Zeit knapp außerhalb der Langen Mauern nordöstlich von Piräus gefunden und 2015 von Jessica L. Lamont ediert.47 Es war Teil von insgesamt fünf Täfelchen, die alle jeweils mit einem eisernen Nagel durchbohrt waren. Vier sind beschrieben, eines nicht. Die Editorin wies darauf hin, dass die vier beschriebenen Artefakte einander in erstaunlicher Weise ähneln und dass sie deshalb nur eines in vollem Umfang wiedergegeben hat.48 Dessen Text lautet: [Ἑκ]ά̣τη χθονία, Ἄρτεμι χθονία, Ἑρμῆ χθ̣όνιε, ἐπιφθόνησον Φαναγόραι καὶ Δημητρίωι καὶ τῶι καπελείωι καὶ χρήμασι καὶ κτήμασι. δήσω τόγ γ’ ἐμὸν ἐχθρὸν Δημήτριον καὶ Φανα‑ 5 γ̣ όραν ἐν αἵματι καὶ κονίαισιν̣ σὺμ πᾶσιμ φθιμένοις. ο⟨ὐ⟩δέ σε λύσε(ι) πρώτη πεν‑ [τ]ετηρίς. τοιο⟨ύ⟩τωι σ’ ἐγὼ δήσω δεσμῶι, [Δ]ημήτριιε, ὥσπερ κρατερώτατόν [ἐστ]ιν, γλώττ⟨η⟩ι `δὲ´ κυνωτὸν ἐπεγκρόσω.
Zu Beginn werden die chthonischen Gottheiten Hekate, Artemis und Hermes angerufen, der Apell ist aber im Singular abgefasst: Wirf deinen Hass auf Phanagora und Demetrios, ihre Taverne und ihr Eigentum und ihre Besitztümer! Ich werde meinen Feind Demetrios und Phanagora mit allen Toten in Blut und Asche binden. Der nächste Vierjahreszyklus wird dich auch nicht entlassen. Ich werde dich in solch einer Bindung binden, Demetrios49, so stark wie möglich, und ich werde einen Kynotos auf deiner Zunge niederschlagen.
Im Unterschied zu den vorhergehenden Beispielen werden hier sowohl die Verfluchten als auch der Anlass der Verfluchung relativ deutlich erkennbar. Bei Phanagora und Demetrios handelt es sich wohl um ein (Ehe‑)Paar, das als Tavernenbesitzer eine geschäftliche Konkurrenz für die ungenannte Auftraggeberin oder den Auftraggeber des Täfelchens darstellte. Der plötzliche Wechsel vom Plural in den Singular in Zeile 6 könnte im Wortlaut der Vorlage begründet sein, obgleich in Zeile 8 ausdrücklich nur noch von Demetrios und nicht mehr von beiden Besitzern die Rede ist. Ein Kyn-otos (Zeile 9) ist wörtlich übersetzt ein „Hundeohr“. Wie bekannt, bedienten sich Verfluchungen häufig exotischer organischer Materialien (Fische, Vögel, Schlangenzähne, Wolfsbart, gepuderte Eidechsen, die Augen einer Fledermaus u. a.). Im Kontext der erwähnten Taverne ist aber vielleicht an den nied47 Vgl.
Lamont 2015. Zum Text (bes. Z. 4–6) siehe auch O’Connell 2017. Fund gehört mittlerweile zum Bestand des Piraeus-Museums; das hier vorgestellte Täfelchen trägt die Inventarnummer ΜΠ 11948. 49 Zur Schreibweise vgl. Lamont 2015, 169: „Between the rho and the epsilon are what appear to be two parallel iotas, the first shorter than the second; this spelling was likely deliberate, incorporating the glide /j/.“ 48 Der
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rigsten Würfelwurf, der als „Hund“ (canis) bezeichnet wurde, zu denken.50 Das Mehrfachkompositum ἐπεγκρούω am Ende des Textes verstärkt den ohnehin schon durch ἐγκρούω bezeichneten Akt des Einschlagens. Zur Verwendung dieses Verbs meint die Herausgeberin: „just as it threatens to knock or strike a κυνωτός into Demetrios’ tongue, the physical act of hammering a nail into the lead tablet would have ritually echoed this wished-for sentiment.“51
3.7 Uley ST 789 996 (Uley/Gloucestershire, West Hill, 2.–3. Jh. n. Chr.) Das Bleitäfelchen mit den Maßen 12,5 × 9,2 cm wurde 1978 im Merkurtempel am West Hill von Uley gefunden und 2017 von Roger S. O. Tomlin ediert,52 der seit vielen Jahren in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen neue Fluchtäfelchen aus der römischen Provinz Britannia im jährlichen Bericht „Roman Britain“ der Zeitschrift Britannia vorstellt. Aus dieser Provinz sind bisher besonders viele Fluchtäfelchen zu Tage gekommen, in denen ein Diebstahl zum Anlass für die Verfluchung genommen wird – so auch auf diesem Bleiblatt, das auf beiden Seiten beschrieben ist. Ich gebe zunächst den lateinischen Text der Innenseite und danach den der Außenseite wieder, denn vermutlich wurde das Täfelchen in dieser Reihenfolge beschrieben: devo Marti [ ̣ ̣ ̣ ]lirus qu{a}eritur, si ser(v)us si liber qui vas apium invalavit [ ̣ ] ̣ ̣ ̣ si comodia erat, ne illi permittatur 5 nec bib[er]e nec mandu(ca)re nec ⟨nec⟩ somnum nec sanitate(m), nesi ipsum vas ad locum suum reversetur et c(o)ngortiam Mercuri agat sepet deum u ̣ ̣ illi qui [ ̣ ̣ ̣ ] 10 feci(t) ut illi s(i) me pariat qui ̣ ̣ ̣ [
Außenseite [d]evo Mar ti ṿ(otum?) s(olvit) Propitio Z. 3 lies involavit, am Zeilenende vielleicht [v]ẹṛẹ 6 l. nisi 8 l. concordiam […]lirus beschwert sich beim Gott Mars: Ob Sklave oder Freier, jenem, der (meinen) Bienenstock gestohlen hat, wenn es …53 war, sei es weder erlaubt zu trinken noch zu essen 50 Vgl. Lamont 2015, 170. Der canis als niedrigster Wurf wird z. B. bei Ov., trist. II 474 erwähnt. 51 Lamont 2015, 170. 52 Tomlin 2017, 462 f. 53 Das Wort comodia in Zeile 4 ist bisher nur hier bezeugt. Beachte dazu Tomlin 2017, 462 Anm. 18 (zu Z. 4): „the form com[o] for quomodo is found in Tab. Sulis 4.2, which might suggest
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noch zu schlafen noch gesund zu sein, es sei denn, der besagte Bienenstock wird an seinen Ort zurückgebracht und er erhält das Wohlwollen Merkurs.54 …(?) den Gott … demjenigen, der (das) getan hat, dass ihm, wenn er mich versorgt …
Außenseite: An den Gott Mars Propitius („den Glück Verheißenden“) (… lirus) hat das Gelübde(?) erfüllt.
Bei dieser Art von Fluchtäfelchen handelt es sich um einen parajuridischen Akt: Der Kläger hat offensichtlich keinen Erfolg oder keine Möglichkeit, den Diebstahl polizeilich anzuzeigen, verfolgen und schließlich gerichtlich ahnden zu lassen, und wendet sich daher an die Gottheit mit der Bitte um Verfolgung des Übeltäters und Wiedergutmachung. Dass defixiones im Zusammenhang mit Diebstählen vor allem aus der Provinz Britannia bezeugt55 und in vielen anderen Gegenden des Imperiums bisher noch nicht aufgetaucht sind, liegt freilich nicht daran, dass es anderswo weniger oder gar keine derartigen Delikte gegeben hätte. Aus Ägypten z. B. sind die Delikte Einbruch, Diebstahl, Überfall und Raub durch Anzeigen auf Papyrus gut belegt. Der Unterschied wird darin zu suchen sein, dass in jüngeren römischen Provinzen die zivilen administrativen und juridischen Strukturen weniger ausgebildet und flächendeckend vorhanden waren als beispielsweise in Ägypten.
3.8 SEG 61, Nr. 1384 (= TheDefix 376; Antiochia am Orontes, 3.–4. Jh. n. Chr.) Aus Antiochia am Orontes stammt dieses 2011 edierte Beispiel, dessen Vorderseite komplett und dessen Rückseite zu etwa zwei Drittel beschrieben ist (vgl. Abb. 5). Heute gehört es zum Bestand des Art Museum der Princeton University (inv. 4740-I130a+b). Der Text ist überaus lang. Es kann kein Zweifel bestehen, dass das Artefakt bei einem Praktiker in Auftrag gegeben und wohl nach einer Vorlage verfasst wurde, für die die ägyptischen Zauberbücher beredtes Zeugnis ablegen. Da diese Vorlage aber nicht erhalten ist, bleibt unklar, ob die vielen Orthographiefehler bereits darin enthalten waren. Das zusammengerollte Bleiblatt wurde zusammen mit drei anderen Fluchtäfelchen in einem stillgelegten Brunnen gefunden. Der von Alexander Hollman edierte Text56 lautet: a bungled clause to the effect of quocumque modo erat, ‚in whatever way it actually happened‘ (referring to the theft or removal of the beehive).“ 54 Während zu Beginn der Gott Mars angerufen wird, wird in Z. 8 Merkur genannt, in dessen Tempel das Täfelchen gefunden wurde. Der Editor weist in diesem Zusammenhang auf zwei andere Fluchtäfelchen aus Uley hin (Nr. 3 und 8), die an beide Götter, also Mars und Merkur, gerichtet sind (vgl. Tomlin 2017, 464 Anm. 18 [zu Z. 8]). 55 Außerdem aus Mainz: DTM 1 (= TheDefix 758; Neuedition Blänsdorf 2017, 8–14; vgl. Urbanová 2018, Nr. 231) und DTM 7 (= TheDefix 878; Neuedition Blänsdorf 2017, 32 f.; vgl. Urbanová 2018, Nr. 235). 56 Vgl. Hollman 2011, 159.164. Zum Text beachte auch Arbabzadah 2011.
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Abb. 5: SEG 61, Nr. 1384 (Antiochia am Orontes, 3.–4. Jh. n. Chr.; links: Vorderseite, rechts: Rückseite; Zeichnung: Hollman 2011, 159.164; Wiederabdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlags Dr. Rudolf Habelt GmbH, Bonn). βριτακυλμα αρωδασιδακι[ ]α̣ ηλλιμ αβρι μαχρημελλα αστρακ ιαηου σανθνανω ωπαχ θαλσου σανταρμα χουχι 5 ερηβαθ σαρδοασιρως αχωρω ὦ βρώ⟨ν⟩των καὶ ἀστ⟨ρ⟩άπτων Ιαω βάλη δῆσων σύ⟨ν⟩δησω⟨ν⟩ Βαβυλᾶν τὼν λαχανωπώλην ὣ⟨ν⟩ ἤτηκεν εἱ μιηρὰ μέτρα Διωνυσία εἱ κὲ 10 Εἱσυχία ὐκῶ⟨ντα⟩ ἐν γιτωνία Μυγδ‑ ωνιτῶν· ὡς ἔβαλες τὼ ἅ⟨ρ⟩μα το‑ ῦ Φαραῶνος, οὕτος βάλη τὶν δύσ‑ {ω}ληψιν αὐτοῦ· ὦ βρ⟨ό⟩ντων καὶ ἀσ{σ}τρ⟨ά⟩πτων Ιαω, ὡς ἐξέκωψ‑ 15 ης τὰ πρωτότυκα τῖς Ἠγύπ‑
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του, ἄ⟨κ⟩κωψων τἄ̣λ̣ο̣[γα α‑] ὐτο⟨ῦ⟩ τόσυν {οστ}ὅσ{ω}περ η ̣ [ ̣ ̣ ̣ ] ς ἐν ἄρτι καὶ δῖσων κατάδισ‑ ων σύνδισων κατάκλιν⟨ον⟩ στρέ‑ ψατη κλαστήτωσαν μὶ δυ‑ νιθοῦσιν κινῖ⟨σ⟩θ⟨αι⟩ τὰ αὐτοῦ Βα‑ βυλᾶ τὰ ἄλωγα αὐτοῦ τόσ‑ ων ὅσ⟨ον⟩ ἀποὺ τῖς ὥρας ταύτις καὶ τῖς ἑμήρας ταύτις ἤδη ἤδη ταχὺ ταχὺ κακιμερίας δυσιμερίας π⟨λ⟩ήσατη τοῦ αὐτοῦ Βαβυλᾶ λαχανωπώλι ὣν ἤτηκ‑ εν Εἱσυχία.
Rückseite ὡρ̣κίζω ὑμᾶ⟨ς⟩ διὰ τὼν 30 ἄνωμων καὶ δυσεβὴν Βαβυλᾶν τὼν λαχανω‑ πώλιν· ὥσ{υ}πηρ ὑμῖς βωλίζατη καὶ ψυγήσ⟨ε⟩τη ἐν τοῦ λάκου τοῦ ἀχριμα‑ 35 τίστου, οὕτος καὶ ὑμῖς βω‑ λίσατη καὶ ψύξατη τὶν ψυχὶν Βαβυλᾶ, ὣν ἔτηκεν Διωνυσία εἱ καὶ Εἱσυχία, νωσωβαρήα καὶ ἀχρι‑ 40 μάτι[στο]ν̣ ὥπ̣ω εἴστη καὶ [μη]δ̣ὶς ὐκίσι σὺν αὐτοῦ [ἤ]δη ἤδη ταχὺ ταχύ. Z. 7 lies βάλε δῆσον σύνδησον 8–10 l. λαχανοπώλην ὃν ἔτεκεν ἡ μιαρὰ μήτρα Διονυσία ἡ καὶ Ἡσυχία οἰκοῦντα ἐν γειτωνία 11 l. τὸ 12 l. οὕτως βάλε τὴν 14–16 l. ἐξέκοψες τὰ πρωτότοκα τῆς Αἰγύπτου 16 l. ἔκκοψον 17 l. τόσον 18–19 l. δῆσον κατάδησον σύνδησον 19–21 l. στρέψατε κλασθήτωσαν μὴ δυνηθῶσι κινεῖσθαι 22 l. ἄλογα 22–23 τόσον ὅσον ἀπὸ τῆς ὥρας ταύτης 24 l. τῆς ἡμέρας ταύτης 25 l. κακημερίας 26 l. δυσημερίας πλήσατε τὸν αὐτὸν 27–28 l. Βαβυλᾶν λαχανοπόλην ὃν ἔτεκεν 28 l. Ἡσυχία 29 l. ὁρκίζω, τὸν 30 l. ἄνομον 31–32 l. τὸν λαχανοπώλην 32–33 l. ὥσπερ ὑμεῖς βολίζετε καὶ ψυγήσετε 34–35 l. ἀχρηματίστου 35–36 l. οὕτως καὶ ὑμεῖς βολίσατε 36–37 l. ψύξατε τὴν ψυχὴν 37 l. ὃν ἔτεκεν 38 l. Διονυσία ἡ καὶ Ἡσυχία 39 l. νοσοβαρέα 39–40 l. ἀχρημάτιστον ὅπου ἔσται/ἐστί? 41 μηδεὶς οἰκίσηι? σὺν αὐτῶ Der Text beginnt mit voces magicae (Z. 1–5): „Britakulma arōdasidaki . a ellim abri makhrēmella astrak iaēou sathnanō ōpach thalsou santarma chouchi erēbath sardoasirōs achōrō.“ Dann heißt es ab Zeile 6: „O Donner und Blitz schleudernder Iao, schlage, binde, binde zusammen Babylas, den Gemüsehändler, den der dreckige Schoß der Dionysia, auch Hesychia genannt, gebar und der in der Nähe der Mygdoniten lebt. Wie du den Streitwagen des Pharao geschlagen hast, so schlage seine [des Babylas] Feindseligkeit. O Donner und Blitz schleudernder Iao, wie du den Erstgeborenen Ägyptens niedergehauen hast, haue sein Vieh (oder: seine Kinder) nieder so sehr wie … und binde, fessle, binde zusammen, beuge nieder, verdrehe, zerbrich sie; lass sie nicht in der Lage
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sein, sich fortzubewegen, die Tiere (oder: die Kinder) von Babylas selbst die ganze Zeit von dieser Stunde und von diesem Tag an, jetzt, jetzt, schnell, schnell! Füll mit bösem Geschick und Unglück denselben Babylas, den Gemüsehändler, den Hesychia gebar!“ Und die Rückseite des Täfelchens lautet: „Ich beschwöre euch wegen des gesetzlosen und gottlosen Babylas, des Gemüsehändlers: Genau wie ihr [diese Tafel] in diesem stillgelegten Brunnen ertränkt und kalt machen werdet, so ertränkt auch und macht kalt die Seele von Babylas, die Dionysia, auch Hesychia genannt, gebar, niedergedrückt von Krankheit und nutzlos, wo immer er sein wird, und niemand soll mit ihm leben! Jetzt, jetzt, schnell, schnell!“
Auch diese Verfluchung soll einen geschäftlichen Konkurrenten treffen, da Babylas jedes Mal, wenn sein Name genannt wird, ausdrücklich über seinen Beruf als Gemüsehändler identifiziert wird.57 Die Zeilen 11 f. und 14–16 sind als sog. historiolae58 zu identifizieren. Darunter versteht man Berichte über Heilungen oder andere Handlungen einer Gottheit (hier zwei Ereignisse, die in Ex beschrieben werden). Ihre Form soll Sprache replizieren – in diesem Fall das mündliche Erzählen der historiola während eines Heilungsrituals. Die Funktion dieses performativen Aspekts der historiola besteht darin, ein Ereignis aus mythischer Vergangenheit zu vergegenwärtigen.59 Mit ἄλογα (Z. 16 und 22) werden üblicherweise Tiere (häufig Vieh) oder kleine Kinder bezeichnet, denen es an menschlicher Vernunft (noch) mangelt. Der Herausgeber denkt eher an Tiere,60 was auch bei einem Gemüsehändler nicht auszuschließen ist. Ob sich dieser Teil der Verfluchung (auch) auf die Kinder des Babylas bezogen haben könnte, hängt freilich davon ab, ob er welche hatte. Der Text enthält dafür für uns keine klaren Hinweise, doch die Person, die das Täfelchen in Auftrag gegeben hat, wird das mit Sicherheit gewusst haben. Die Rückseite enthält nicht einen weiteren, separaten Fluch gegen Babylas,61 denn es ist rein praktisch unmöglich, mit einem einzigen Artefakt zwei vollständige separate magische Verfluchungen zu vollziehen, gehört doch das Zusammenrollen und Hinterlegen des Bleitäfelchen zum gesamten Ritual unbedingt dazu.62 Die Rückseite war somit die Außenseite, die die Fortsetzung des performativen magischen Textes enthält und erlaubt, das Ritual, das mit dem Bleitäfelchen vollzogen wurde, zu rekonstruieren: Der gesamte Text wurde am genannten stillgelegten Brunnen verlesen, danach zusammengerollt und schließlich versenkt. Da nur die 57 Ein ähnliches, jüngst neu ediertes Beispiel ist IG III App. 110 (= TheDefix 673; ed. Curbera 2015b, 143 f. [Nr. 1]). 58 Siehe dazu bes. Brashear 1995, 3438–3440; Frankfurter 2001; de Bruyn 2017, 79.110– 112. 59 Vgl. Frankfurter 2001, 462–464. 60 Vgl. Hollman 2011, 162. 61 So aber Hollman 2011, 157. 62 Außerdem wäre der Text als separater Text unvollständig und somit unwirksam, da keine Gottheiten ausdrücklich genannt werden. Das abstrakte ὑμᾶ⟨ς⟩ in Z. 29 erhält seine Bedeutung nur im Zusammenhang mit den ersten Zeilen des Gesamttextes.
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angerufenen göttlichen Mächte in der Lage sind, den Fluch Wirklichkeit werden zu lassen, sind in der magischen Vorstellung auch sie es, die das Fluchtäfelchen im noch vorhandenen Wasser des stillgelegten Brunnens versenken („ertränken“) und kalt werden lassen. Mit der an dieser Stelle verwendeten similia-similibus-Formel (vgl. oben bei 3.4) hat der Schreiber des Täfelchens den damit beschriebenen Akt metaphorisch auf den zu Verfluchenden angewendet. Wir begegnen hier noch einmal einer Parallele zwischen Voodoo-Puppe und Fluchtäfelchen: Wie die VoodooPuppe mit der verfluchten Person identifiziert wird, der all das zustoßen möge, was im Ritual der Puppe angetan wird, so soll demjenigen, der hier durch das Verlesen des magischen Textes verflucht wird, in ähnlicher Weise das widerfahren, was physisch mit dem Artefakt geschieht.
4. Noch einmal zu Klassifizierungsversuchen Wie die hier dargebotenen Beispiele, die gut die Breite des gesamten Befundes der Fluchtäfelchen repräsentieren, deutlich werden lassen, gibt es keine notwendigen Zusammenhänge zwischen der äußeren Form (Umfang des Textes, sprachliches Niveau usw.) und dem Anlass und Inhalt. Letzten Endes kann für jeden beliebigen Anlass jede beliebige Form gewählt werden, was jeden Versuch, klare inhaltliche Kategorien aufzustellen, aus meiner Sicht obsolet macht. Die Wahl der Form hängt mit den äußeren Möglichkeiten jener Person zusammen, die das Fluchtäfelchen selbst produziert oder in Auftrag gibt (finanzielle Möglichkeiten, Verfügbarkeit von Material, Produzent, Qualifikation des professionellen Praktikers usw.). Ein kleines Bleitäfelchen, das nur den Namen der verfluchten Person enthält (vgl. 3.1), kann von jedem Menschen angefertigt werden, der das entsprechende Stück Blei zur Verfügung hat und zumindest einen Namen schreiben kann. Für die Herstellung eines Artefakts wie 3.8 bedarf es bedeutend umfangreicherer Ressourcen. Ob alle theoretisch zur Verfügung stehenden Ressourcen im konkreten Fall auch praktisch genützt werden, hängt ebenfalls nicht direkt vom Anlassfall und der Intention der Verfluchung ab, sondern u. a. von der Perspektive der Auftraggeberin bzw. des Auftraggebers, also ob von einem größeren Aufwand auch eine größere magische Wirkung erhofft wird oder nicht. Auf diese Weise kann die äußere Form eines Täfelchens umso eher über den sozialen Status Auskunft geben, je höher der Aufwand war, der für dessen Produktion geleistet wurde. Bei besonders schlichten Formen ist dies nicht der Fall, da diese sowohl von Reichen als auch von wenig Begüterten stammen können.
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Early Christianity and Cursing Rituals Sara Chiarini Within a volume that seeks to explore the impact of the ancient pagan cursing ritual on the literature of the New Testament, this paper adopts an inverted approach: it engages namely with the presence of Christian elements in ancient curse inscriptions and with the closely related question of whether such elements betray the Christian faith of their authors and/or victims.1 Two major notions are about to emerge in the course of this inquiry: first, that the simple invocation of Jesus or any other figure of the Christian tradition within a curse is not alone proof that the cursers had embraced that faith, since the ritual of cursing is among the most syncretistic forms of popular religion of the ancient world of which we have witness. The second and perhaps more relevant result of this survey is that the amount of specifically Christian evidence is astoundingly meagre when compared to the largeness of the corpus of ancient curse inscriptions, which, for the period from the late first century c.e. onwards amounts to over 400 published finds. If one assesses this observation against the widespread circulation of terms and subjects from the Jewish tradition in ancient curses, the rareness of the Christian elements is even more conspicuous. This will lead us in the end to postulate not only a reluctance among Christians to resort to this kind of harming rituals, but also the lack of interest within the community of practitioners of curses to subsume Christian elements in their rituals. Around the reasons for this very low impact of Christianity on the cursing tradition there will be room to speculate in the conclusion.
1. Christian Elements in Curses As already mentioned above, the influence of the Biblical tradition and of the monotheistic cult of Yahweh as practiced by the Jews on the ancient ritual of cursing was remarkable: alone Sabaoth, one of the seven names of the Judaic God, and Adonai, the title used to avoid to pronounce the holy name Yahweh, are attested in 30 curse tablets. If one adds the name Iao, which might either refer to one of the gnostic archons Iao or be the Greek transliteration of the tetragrammaton יהוה 1 Here a selected bibliography on the topic of the traces of the ancient cursing practice in the New Testament literature: Aune 1980, 1551–1555; Busch 2006, 41–44. See also Frenschkowski 2016, 237–249.
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(yhwh) which in any case seems to be the origin of the gnostic term as well –, the amount of ancient curses containing references to the Jewish faith almost reaches the 100 mark. Although the influence of the Jewish monotheism on the Graeco-Roman world, especially in the field of religious practices, became significant only after the rise of Christianity, it must be stressed that the assimilation of elements from the Biblical tradition among the Greeks and the Romans was mainly restricted to the contents handed down in the Torah. Bohak has already illustrated the freedom with which non-Jews appropriated the various names of the Jewish God in their ritual formulae by either using them as epithets of other pagan divinities such as Zeus or by identifying a distinct divine entity behind each of them, so as to de facto deceive the Jewish pillar of monotheism.2 As the reader can thus argue, the quest for unambiguous clues of the adoption of Christian motifs within private religious and especially harming rituals is about to produce very little results. This is nevertheless an interesting outcome, which in turn will prompt some overall conclusions, once the review of the few textual attestations will be complete. The evidence for the use of Christian terms in curses whose authorship cannot be retraced to a Christian milieu is mainly concentrated in one archaeological context, namely the fountain devoted to the nymph Anna Perenna, which was excavated 1999 in Piazza Euclide in the district of Rome called Parioli. This exceptional discovery significantly boosted our knowledge about the cursing practices in ancient Rome. The cistern behind the fountain supplied a total of twenty-four curse tablets, six of which lay inside lamps, along with twenty-seven cylindrical containers (twenty-four of them made up of three containers one placed inside the other and covered by a lid), preserving figurines moulded out of organic substances. The chronology of this material ranges between the third and the fifth century c.e. and the divinities invoked in the inscriptions carried by all these objects include the Egyptian Seth, the Gnostic demon Abrasax/Abraxas, the Jewish Iao and Salomon and the Graeco-Roman Nymphs.3 On four lead containers a demonic figure is portrayed, which in two cases is reported as resembling an anguiped, while in the other two appears as a cross between a cock and a human being. It is accompanied by the magic charaktêr of a cross with small circles as apices and two inscriptions (see fig. 1): the palindrome vox magica αβλαναθαναλβα on the left of its beak, as if the magic word were pronounced by the demon itself, and the following sequence of letters inside its belly: IXNOΠ4 | ΧΝΚΘ | ΘΘ. Németh has fittingly unravelled this abbreviation as an Bohak 2000, 4–14.
2
3 Polakova/R apinesi
2002; Blänsdorf 2010a; Blänsdorf 2010b; Blänsdorf 2012; Blänsdorf 2015; Blänsdorf/Piranomonte 2012; Piranomonte 2005; Piranomonte 2006; Piranomonte 2010a; Piranomonte 2010b; Piranomonte 2011; Piranomonte 2012. 4 On two containers the last letter of the first line is misspelled as Φ instead of Π.
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Fig. 1: (from Piranomonte/Marco Simón 2010, 11 fig. 16, drawing by D. Rosati).
invocation to Jesus Christ: Ἱησοῦς Χριστὸς Ναζωραῖος ὁ παίς. | Χριστὸς Ναζωραῖος καὶ θεὸς, | θεὸς, θεός (‟Jesus Christ Nazarene, the Son. Christ Nazarene and God, God, God”).5 Given the placement of the Christological abbreviation, one is almost tempted to interpret it as a caption identifying the portrayed demon, although its appearance and the magical word αβλαναθαναλβα rather point to its identification as Abraxas. It is in any case clear that this invocation to Jesus was adopted by non-Christian practitioners, who added him to the heterogeneous pantheon of supernatural forces involved in the harming rituals performed at the fountain of Anna Perenna. One of the four lead containers with the Christian invocation preserves also the curse inscription on the bottom of the innermost container, which has been deciphered by Blänsdorf as follows: Quirinus Pistor, Auctulus Quirius, qui natus est de Equi[tia?, equisone ? . . . De]centia Seberi. Decentia [C]omeronis ues[----‑] sa[---‑]tam nocturnas quam diernas. iam iam, cito cito, modo modo (“Quirinus Pistor, Auctulus Quirius, who was born from Equitia (?)… Decentia, [wife/daughter] of Severus; Decentia [wife/daughter] of Comerus … Nocturnal as well as diurnal [fevers]. Now now, quickly quickly, straightaway straightaway”).6 At least four people, two men and two women, are cursed according to the formulaic pattern of the name list (in one case with additional matronymikon), followed by the wish for them to be afflicted by perpetual fevers and the final exhortation to put the Németh in Blänsdorf/Piranomonte 2012, 619. TheDefix 518 (ed. Polakova/R apinesi 2002, 40, 48; Blänsdorf 2010a, 217; Blänsdorf 2010b, 36–38; Blänsdorf 2012, 155–156; Blänsdorf 2015, 297–298; Blänsdorf/Piranomonte 2012, 619–620 [no. IX,49.1]; Piranomonte 2010b, 209; Piranomonte 2012, 165). In Blänsdorf/Piranomonte 2012, 619, Blänsdorf gives a different reading, which seems to me to be an earlier attempt: Quintus Pistor, Dactulus Quirius, qui natus est de equi [‑ - - - De]centia Seberi, Decentia [C]omeronis ues[‑ - - -] sa[‑ - - -] tam nocturnas quam diernas. Iam iam, cito cito, modo modo. 5 6
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Fig. 2: (from Piranomonte/Marco Simón 2010, 10 fig. 14, drawing by D. Rosati – adapted).
curse into effect as soon as possible. Thanks to this text we can suppose that also the other three containers displaying the image of the Jesus/Abraxas demon might have been used for harming rituals. To this evidence I suggest to add a fifth lead container from the Anna Perenna fountain that presents a very similar combination of graphic and written components. Inside this Russian doll-like container were kept a scrap of parchment and some inscribed animal bones. Both the middle and the innermost container were engraved: the middle one with magical symbols, whereas the innermost one shows, from left to right, a cross-shaped charaktêr, remains of an older inscription and a drawing. The latter consists of an incomplete head of an anguiped in profile next to another demonic figure resembling a rooster with a long tail. Below the head in profile and at the left of the complete figure a proper name was engraved: LE | VONTI | {I}US, that is Leontius.7 Within the elongated belly of the cock-shaped demon the following two lines of letters can be read: IXNIX | NKΘΘΘ (see fig. 2). The analogy with the previous abbreviation already solved by Németh seems to me undeniable, so that I suggest to understand these two lines as well as a Christian acronym of invocation, more precisely: Ἱησοῦς Χριστὸς Ναζωραῖος, Ἱησοῦς Χριστὸς | Ναζωραῖος καὶ θεὸς, θεὸς, θεός (“Jesus Christ Nazarene, Jesus Christ Nazarene and God, God, God”). In this variation the appellation attested in the Acts of the Apostles (3,6; 4,10) “Jesus Christ Nazarene” is repeated twice in place of the denomination of Jesus as Son (of God). One thus can safely assume that this acronym too was adopted to include Christian elements in what can be considered a harming ritual, if we regard the name Leontius as identifying the target of a curse. 7 TheDefix 497 (ed. Blänsdorf 2010a, 217, 231–232, no. 2; Blänsdorf 2012, 147–160; Blänsdorf 2015, 293–308; Blänsdorf/Piranomonte 2012, 625 [no. IX 49.7]; Piranomonte 2005, 87–104; Piranomonte 2006, 194–195; Piranomonte 2010b, 208–209).
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There will be chance to come back to the site of Anna Perenna’s fountain in the next paragraph, since there seems to be also evidence for a Christian practitioner of a cursing ritual in this location. Now we need instead to move to the African continent to discuss two final documents that might supply further evidence of the influence of the Christian faith on heathen cursers. The first inscription is preserved on an ostrakon from the Egyptian site of Hermopolis Magna/Ashmunein.8 Raquel Martín Hernández considers it a curse written by a Christian, thereby overlooking that the main divinity invoked is Kronos.9 That is why I prefer to regard it as a syncretistic source and include it in the present section of my paper instead of the following one, which will deal with curses written by Christians: Κρόνος ὁ κατέχων τὸν θυμὸν ὅλων τῶν ἀνθρώπων, κάτε‑ χε τὸν θυμὸν Ὥρι, τὸν ἔτεκεν Μαρία, κὲ μὴ ἐάσῃς αὐτὸν λαλῆ‑ σεν Ὥτρῳ, τὼ ἔτεκεν Ταη̈́σ ης, [ὅτι σε] ὁρκίζω κατὰ τοῦ δακτύ‑ λου τοῦ θεοῦ, εἵνα μὴ ἀναχά‑ νῃ αὐτῷ, ὅτι Κρινουπελίκε Κρόνῳ ὑποκῖτε. μὴ ἐάσῃς αὐτὸν λαλῆσεν α̣ὐ̣τῷ μήτε νύκτα ὥτε ἡμέραν μήτε Ν̣ ΙΑΝ ☧
5
10
Kronos, you who hold fast the soul of all human beings, seize the soul of Horis, to whom Maria gave birth, and do not let him speak to Hotros, to whom Taises gave birth, since I conjure you by the finger of God, so that he cannot open his mouth with him (i. e. Hotros), since Krinoupelike is subject to Kronos. Do not let him speak to him (i. e. Hotros), neither at night nor by day, and not …
A significant factor that must have contributed to Martín Hernández’ assessment of this source as a Christian curse is the fact that she relied on the transcription of the text by Brightman in Crum’s edition, which is highly inconsistent with the drawing of the inscription as reported in the appendix of that same volume. Above all, Brightman’s reading of ll. 3–4 transformed a plain matronymikon-formula, typical of ancient curses and analogous to the one following at l. 5, into an appeal to the “Lord” (i. e. Jesus), “son of Maria” (κάτε|χε τὸν θυμὸν Ὥρι. Ὃν ἔτεκεν | Μαρία, Κύριε, μὴ ἐάσῃς αὐτὸν λαλῆ|σαι αὐτῷ, ὃν ἔτεκεν Ταΐσ ης).10 There are several mistakes in this transcription: first, there is no trace of the word κύριε according to Crum 1902, 4–5, pl. 83, no. 522. Hernández 2013, 39–40. By the way, the major purpose of Martín Hernández’ paper is to argue that all ancient Christian curses fit into the sub-category known as ‘prayers for justice’. There is no space here to address the issue of the soundness of a distinction between pure curses and prayers for justice, as it has been encouraged by Versnel in his famous 1991 essay. I can only refer to the relevant bibliography on the topic and simply summarize that my opinion towards the applicability of this division is critical, since the concept that the gods are begged by the cursers to carry out the requested punishments against the cursed in order for the cursers to obtain justice – in a very subjective sense – is common to the phenomenon of ancient cursing in its entirety (Versnel 1991; Versnel 2010; Versnel 2012; Dreher 2010; Dreher 2012; Chiarini 2021; see also below n. 26). 10 Crum 1902, 4–5. N. B.: Brightman normalizes all the forms that do not abide by the orthography of the κοινή. 8
9 Martín
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the drawing of the ostrakon by Crum, who reports only the letters KE, easily identifiable with the conjunction καί. Moreover, it is highly improbable that the author started a new sentence with a relative clause depending on a vocative. Finally, to infer from the mere occurrence of a mother’s name Maria that Jesus Christ must be the character evoked here is quite far-fetched. For sure the Christogram at the bottom of the ostrakon is an unambiguous sign of Christian influence on this curse. To this, one can add the biblical reference to Ex 8:15 at ll. 6–7 (κατὰ τοῦ δακτύλου τοῦ θεοῦ), for which Martín Hernández quotes also Luke 11:20 as possible source of inspiration.11 Nevertheless, the divine character playing the main role in the text is undoubtedly Kronos, who is the only addressee of the prayer and consequently the only appointed executor of the curse. This should convince the reader that the author of this inscription can hardly have been a Christian, and that it is much safer to assume that he or she employed the Christogram in his/her ritual as a magic symbol just like a charaktêr. To conclude this overview I wish to mention a curse tablet from Carthage containing a passage that might be related to a Christian source. I am aware of the speculative character of what is about to be presented, but I nevertheless prefer to share this hypothesis with the readers rather than leaving it unmentioned, especially given the already stressed scarcity of sources about the presence of the Christian religion in ancient curse texts. A lead tablet found in a tomb of the military graveyard contains a Greek curse against a charioteer called Victoricus and his horses, very similar to several other athletic curses found in the area.12 The author begs that all forces and faculties of his/her victims will be bound and thus made useless for the upcoming race, in order to cause a defeat of the blue team. As fig. 3 shows, the text of the curse is framed on all sides by magical signs. Here is the interpretive edition with translation: Σεμεσιλαμ δαματαμενευς ληοννα λλελαμ . λαικαμ ερμουβελη ιακουβιαι ωερβηθ ιωπακερβηθ ηωμαλθαβηθ αλλασαν κάταρα, ἐξορκί‑ ζω ὑμᾶς κατὰ τῶν μεγάλων ὀνομάτων ἵνα 5 καταδήσητε πᾶν μέλος καὶ πᾶν νεῦρον Βικτωρικοῦ ὃ[ν] ἔτεκεν [γ]ῆ μήτηρ παντὸς ἐνψύχου, τοῦ ἡνιόχου τοῦ βενέτου, καὶ τῶν ἵππων αὐτοῦ ὧν μέλλι ἐλαύνιν, Σεκουν‑ δινοῦ Ἰούβενιν καὶ Ἀτβοκᾶτον καὶ Βούβαλον, καὶ Βικτωρικοῦ Πομπηϊανοῦ καὶ Βαϊανοῦ καὶ Βίκτορος καὶ Ἐξιμίου, κα‑ 10 ὶ τῶν Μεσσαλῶν Δομινάτορα, καὶ ὅσοι ἐὰν συνζευχθῶ‑ σιν αὐτοῖς· κατάδησον αὐτῶν τὰ σκέλη καὶ τὴν ὁρμὴν καὶ τὸ πήδημα καὶ τὸν δρόμον, ἀμαύρωσον αὐτῶν τὰ ὄμματα ἵνα μὴ βλέπωσιν, στρέβλωσον αὐτῶν τὴν ψυχὴν καὶ τὴν καρδίαν ἵνα μὴ [π]νέωσιν. Ὡς οὗτ‑ Martín Hernández 2013, 40 n. 55. TheDefix 60 (ed. Delattre 1888: 300–302; AE 1888, no. 104; DT, no. 241; CIL VIII 12511; Wünsch 1907, no. 3; Tremel, no. 60; Gordon 2005, 79). 11 12
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15 ος ὁ ἀλέκτωρ καταδέδεται τοῖς ποσὶ καὶ ταῖς χερσὶ{τ} καὶ τῆ κεφαλῆ, οὕτως καταδήσατ[ε] τὰ σκέλη καὶ τὰς χῖρας καὶ τὴν κεφαλὴν καὶ τὴν καρδίαν Βικτωρικοῦ τοῦ ἡνιόχου τοῦ βενέ‑ του ἐν τῆ αὔριν ἡμέρα καὶ τοὺς ἵππους οὓς μέλλι ἐλα‑ ύνιν, Σεκουνδινοῦ Ἰούβενιν καὶ Ἀτβοκᾶτον καὶ Βού‑ 20 βαλον καὶ Λαυριᾶτον, καὶ Βικτωρικοῦ Πομπηϊανὸν καὶ Βαϊανὸν καὶ Βίκτορα καὶ Ἐξιμίου[μ], καὶ τῶν Μεσσάλης Δομινᾶτον, καὶ ὅσοι ἐὰν αὐτοῖς συνζευχθῶσιν. [Ἔ]τι ἐ‑ ξορκίζω ὑμᾶς κατὰ τοῦ ἐπᾶν[ω] τοῦ οὐρανοῦ θεοῦ, τοῦ καθημένου ἐπὶ τῶν Χερουβι, ὁ διορίσας τὴν γῆν 25 καὶ χωρίσας τὴν θάλασσαν, Ιαω αβριαω αρβαθιαω Σαβαω Aδωναϊ, ἵνα καταδήσητε Βικτωρικ{τ}ὸν τὸν ἡνί‑ οχον τοῦ βενέτου καὶ τοὺς ἵππους οὓς μέλλι ἐλαύνιν, Σεκουνδινοῦ Ἰούβενιν καὶ Ἀτουοκᾶτον, καὶ Βικτωρικοῦ Πομπηϊανὸν καὶ Βαϊανὸν καὶ Βίκτορα καὶ Ἐξιμίουμ, 30 καὶ τῶν Μεσσάλης Δομ[ι]νᾶτον, ἵνα ἐπὶ νείκην μ[ὴ] ἔλ[θωσι]ν ἐν τῆ αὔριν ἡμέρα ἐν τῶ κίρκω· ἤδη ἤδη, ταχὺ τα[χύ]. Semesilam damatameneus lêonnallelam laikam ermoubelê iakoubiai ôerbêth iôpakerbêth êômalthabêth allasan. Curse. I invoke you by the great names so that you bind every limb and every sinew of Victoricus, who was born from the earth, the mother of every living being, charioteer of the Blue team, and of his horses which he is about to race: Iuvenis, Advocatus and Bubalus under Secundinus; Pompeianus, Baianus, Victor, Eximius and Dominator, which belongs to Messala, under Victoricus; and any others which might be yoked with them. Bind their legs, their spurt, their leap and their running; blind their eyes, so that they cannot see, twist their soul and heart, so that they cannot breathe. As this rooster has been bound by its feet, hands and head, so bind legs, hands, head and heart of Victoricus, the charioteer of the Blue team, tomorrow; as well as the horses which he is about to race: Iuvenis, Advocatus, Bubalus and Lauriatus under Secundinus; Pompeianos, Baianus, Victor, Eximius and Dominator, which belongs to Messala, under Victoricus, and any others which might be yoked with them. I also invoke you by the god beyond the heaven, who seats over the cherubs, who separated the earth and divided the sea, Iaô, abriaô, arbathiaô, Sabaô, Adônai, in order that you bind Victoricus, the charioteer of the Blue team, and the horses which he is about to race: Iuvenis and Advocatus under Secundinus; Pompeianus, Baianus, Victor, Eximius and Dominator, which belongs to Messala, under Victoricus; so that they will not achieve victory tomorrow in the circus. Now, now, quickly, quickly.
The curse features a clear tripartite structure with the repetition of the core of the prayer, i. e. the request to bind the targets and the list of their names, in each sequence. The variation within each section is concentrated in its opening, which in the first and last part consists in an invocation – most likely to the nekydaimôn of the tomb where the tablet had been laid down –, while in the middle one in an analogy – a so-called “similia similibus formula”. This refers to a ritual torture that must have been perpetrated before the writing down of the curse tablet on a sacrificial rooster, which was bound by its feet, hands – probably mentioned in the sense of “wings” in order to keep the analogy with the respective body parts of the victims as exact as possible – and head.
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Fig. 3: (from DT, no. 241).
Our attention is however directed to two other details of the text: the first one concerns the identity of the deity that is evoked in the final section of the prayer so as to ensure that the nekydaimôn will actually fulfil the requests of the curser (ll. 22–26). This cannot but be identified as the monotheistic God of the JewishChristian tradition, not only by means of His names Iaô, Sabaôth and Adônai, but also by His qualifications as the one who (1) is located beyond the heaven;
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(2) presides over the multitude of the cherubs; (3) made the earth emerge from the primordial waters and (4) let the sea split, so as to enable His chosen people to escape the Egyptian army and reach the promised land of Israel. From this very exhaustive description of God it can be assumed that the author of the curse tablet had come into contact with some Biblical source and was indeed aware of some of the basic notions of the Judaeo-Christian faith. This remark should be kept in mind when regarding the second passage of the text that I wish to focus on, namely the very unusual matronymikon with which the main victim of the curse, the leader of the blue team Victoricus, is designated at l. 6: ὅ[ν] ἔτεκεν [γ]ῆ μήτηρ παντὸς ἐνψύχου (“[he] who was born from the earth, the mother of every living being”). It is clear that this enunciation does not fulfil the typical function of a matronymikon-formula, namely to provide additional information on the identity of the victim, so as to make sure that the gods will hit the right target. To explain this odd expression one could imagine that the author simply ignored the name of Victoricus’ mother but nevertheless wanted to comply with the custom of complementing the first mention of his/ her victim with a matronymikon-formula. He/She would then have completed the ὃν/ἣν ἔτεκε(ν)-formula with the generic periphrasis γῆ μήτηρ παντὸς ἐνψύχου as a replacement for the mother’s name. This periphrasis however does not even convey the sense of an insult against Victoricus – another attested function of the matronymikon in curses, whereby the victim is indirectly offended through some disparaging qualification of the mother.13 So, what could have inspired the curser to formulate this unusual matronymikon? The image of the earth as mother and nurturer of all living creatures is surely nothing specific to a certain culture or religion, since the cult of the Mother Earth is attested in almost all civilizations of the world. However, the peculiar expression μήτηρ παντὸς ἐνψύχου has a striking parallel in a passage from the sixth sermon of the Christian bishop Basilius of Seleucia, who lived in the fifth century c.e. When drawing an analogy between the earth and Noah’s arch, which is defined as a miniature copy of the earth (μίμημα τῆς οἰκουμήνης ἡ κιβωτός), Basilius expands this definition with a very long series of attributes of the couple earth/arch, among which the following statement occurs: ἄψυχος μήτηρ τῶν ἐμψύχων ὑπάρχουσα (“inanimate mother of the animates”; PG LXXXV 97). Of course there is nothing peculiarly Christian in this sentence, and the later chronology of this passage as well as the geographic distance between the two sources prevent us from drawing any sort of link between the Carthaginian curse and Basilius’ text. What this comparison aims at is just to show that the image of the earth as mother of all living Cf. TheDefix 376 (lead tablet from Antiochia, 3rd–4th century c.e.; ed. NGCT, No. 109; Hollmann 2011: 157–165; SEG LXI 1384): ὣ ἤτηκεν | εἱ μιηρὰ μέτρα Διωνυσία εἱ κὲ Εἱσυχία and TheDefix 501 (another lead tablet from the fountain of Anna Perenna, 4th–5th century c.e.; ed. Blänsdorf 2010a, no. 7; Faraone 2010, 65–76; Blänsdorf/Piranomonte 2012, no. IX 49.15; Blänsdorf 2015, 304–305): qui natu(s) | est de vulva | maledicta. 13
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beings circulated also in the Christian milieu and, given the clear Judaeo-Christian influence on the curse against Victoricus, it might be possible that the inspiration to formulate that unusual matronymikon came from that very Christian milieu. This would also give some orientation as for the dating of the tablet, which at the moment ranges from the first to the third century c.e. If the source of inspiration for Victoricus’ matronymikon were indeed Christian, one would tend to endorse a later dating of the find within the aforementioned timeframe. Even if we accept the hypothesis to subsume the lead tablet from Carthage within the group of curses including Christian elements, our initial emphasis on the rareness of available testimonies cannot but be confirmed. This same observation applies even if we extend our search so as to take into account not only the corpus of curse inscriptions but also, more broadly, the ancient sources on rituals of private religious or, from a modern perspective, magical character. The so-called Greek Magical Papyri, a rich collection of late antique rolls from Egypt preserving recipes for a great variety of purposes, such as future prediction, love arousal, interaction with gods or dead spirits and so on, also offer very little evidence for the borrowing of Christian motifs. On the whole I was able to track down only three occurrences of the name Jesus, two of them written in Coptic and included in what seems to be a list of magical words, each being part of a ritual recipe (PGM III 410–424; PGM IV 1227–1264). The first is the text of a ritual formula to be written on a silver lamella in order to increase one’s own memory, while the second is a prayer aimed at casting demons out of a possessed person. The same purpose lies behind the third recipe, in which Jesus is invoked as a supporting force, this time in Greek. Given the strong presence of the Jewish religion in this text, it is worth reporting it in full (PGM IV 3007–3086): Πρὸς δαιμονιαζομένους Πιβήχεως δόκιμον. Λαβὼν ἔλαιον ὀμφακίζοντα μετὰ βοτάνης μαστιγίας καὶ λωτομήτρας ἕψει μετὰ σαμψούχου ἀχρωτίστου λέγων· Ἰωηλ ως σαρθιωμι εμωρι θεωχιψοϊθ σιθεμεωχ σωθη ιωη μιμιψωθιωωφ φερσωθι αεηιουω ιωη εω Χαρι Φθᾶ. Ἔξελθε ἀπὸ τοῦ δεῖνος. Κοινόν. Τὸ δὲ φυλακτήριον ἐπὶ λαμνίῳ κασσιτερίνῳ γράφε· ϊαηω Ἀβραωθιωχ Φθᾶ μεσενψινιαω φεωχ ιαηω χαρσοκ, καὶ περίαπτε τὸν πάσχοντα· παντὸς δαίμονος φρικτόν, ὃ φοβεῖται. Στήσας ἄντικρυς ὅρκιζε. Ἔστιν δὲ ὁ ὁρκισμὸς οὗτος· ὁρκίζω σε κατὰ τοῦ θεοῦ τῶν Ἑβραίων Ἰησοῦ· ιαβα ιαη Ἀβραώθ αϊα Θωθ ελε ελω αηω εου ιιβαεχ αβαρμας ϊαβαραου αβελβελ λωνα αβρα μαροια βραχιων πυριφανῆ, ὁ ἐν μέσῃ ἀρούρης καὶ χιόνος καὶ ὁμίχλης· Ταννητις καταβάτω σου ὁ ἄγγελος, ὁ ἀπαραίτητος, καὶ εἰσκρινέτω τὸν περιπτάμενον δαίμονα τοῦ πλάσματος τούτου, ὃ ἔπλασεν ὁ θεὸς ἐν τῷ ἁγίῳ ἑαυτοῦ παραδείσῳ, ὅτι ἐπεύχομαι ἅγιον θεὸν ἐπὶ Ἄμμων ιψεντανχω (λόγος). Ὁρκίζω σε, λαβρια Ἰακοὺθ αβλαναθαναλβα ακραμμ (λόγος) Ἀωθ ιαθαβαθρα χαχθαβραθα χαμυν χελ αβρωωθ ουαβρασιλιωθ ἁλληλοῦ ϊελωσαϊ Ἰαήλ. Ὁρκίζω σε τὸν ὀπτανθεντα τῷ Ὀσραὴλ ἐν στύλῳ φωτινῷ καὶ νεφέλῃ ἡμερινῇ καὶ ῥυσάμενον αὐτοῦ τὸν λαὸν ἐκ τοῦ Φαραὼ καὶ ἐπενέγκαντα ἐπὶ Φαραὼ τὴν δεκάπληγον διὰ τὸ παρακούειν αὐτόν. Ὁρκίζω σε, πᾶν πνεῦμα δαιμόνιον, λαλῆσαι, ὁποῖον καὶ ἂν ᾖς, ὅτι ὁρκίζω σε κατὰ τῆς σφραγῖδος, ἧς ἔθετο Σολομὼν ἐπὶ τὴν γλῶσσαν τοῦ Ἰηρεμίου, καὶ ἐλάλησεν. Καὶ σὺ λάλησον, ὁποῖον ἐὰν ᾖς, ἐπουράνιον ἢ ἀέριον, εἴτε ἐπίγειον εἴτε ὑπόγειον ἢ καταχθόνιον ἢ Ἐβουσαῖον ἢ Χερσαῖον ἢ Φαρισαῖον, λάλησον, ὁποῖον ἐὰν ᾖς, ὅτι ὁρκίζω σε θεὸν φωσφόρον, ἀδάμαστον, τὰ ἐν
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καρδίᾳ πάσης ζωῆς ἐπιστάμενον, τὸν χουοπλάστην τοῦ γένους τῶν ἀνθρώπων, τὸν εὐλογοῦντα τοὺς καρποὺς αὐτῆς, ὃν εὐλογεῖ πᾶσα ἐνουράνιος δύναμις ἀγγέλων, ἀρχανγγέλων. Ὁρκίζω σε μέγαν θεὸν Σαβαώθ, δι᾽ὃν ὁ Ἰορδάνης ποταμὸς ἀνεχώρησεν εἰς τὰ ὀπίσω καὶ Ἐρυθρὰ θάλασσα, ἣν ὥδευσεν Ἰσραήλ, κατέστη ἐνόδευτος· ὅτι ὁρκίζω σε τὸν καταδείξαντα τὰς ἑκαστὸν τεσσεράκοντα γλώσσαν καὶ διαμερίσαντα τῷ ἰδίῳ προστάγματι. Ὁρκίζω σε τὸν τῶν αὐχενίων γιγάντων τοῖς πρηστῆρσι καταφλέξαντα, ὃν ὑμνεῖ ὀ οὐρανὸς τῶν οὐρανῶν, ὃν ὑμνοῦσι τὰ πτερυγώματα τοῦ χερουβίν. Ὁρκίζω σε τὸν περιθέντα ὄρη τῇ θαλάσσῃ ἢ τεῖχος ἐξ ἄμμου, καὶ ἐπιτάξαντα αὐτῇ μὴ ὑπερβῆναι. Καὶ ἐπήκουσεν ἡ ἄβυσσος· καὶ σὺ ἐπάκουσον, πᾶν πνεῦμα δαιμόνιον, ὅτι ὁρκίζω σε τὸν συνσείοντα τοὺς τέσσαρας ἀνέμους ἀπὸ τῶν ἱερῶν αἰώνων, οὐρανοειδῆ, θαλασσοειδῆ, νεφελοειδῆ, φωσφόρον, ἀδάμαστον. Ὁρκίζω σε τὸν ἐν τῇ καθαρᾷ Ἱεροσολύμῳ, ᾧ τὸ ἄσβεστον πῦρ διὰ παντὸς αἰῶνος προσπαρακάεται, τῷ ὀνόματι αὐτοῦ τῷ ἁγίῳ· ιαεω βαφρενεμουν (λόγος), ὃν τρέμει γέννα πυρὸς καὶ φλόγες περιφλογίζουσι καὶ σίδηρος λακᾷ καὶ πᾶν ὄρος ἐκ θεμελίου φοβεῖται. Ὁρκίζω σε, πᾶν πνεῦμα δαιμόνιον, τὸν ἐφορῶντα ἐπὶ γῆς καὶ ποιοῦντα ἔκτρομα τὰ θεμείλια αὐτῆς καὶ ποιήσαντα τὰ πάντα ἐξ ὧν οὐκ ὄντων εἰς τὸ εἶναι. Ὁρκίζω δέ σε, τὸν παραλαμβάνοντα τὸν ὁρκισμὸν τοῦτον, χοίριον μὴ φαγεῖν, καὶ ὑποταγήσεταί σοι πᾶν πνεῦμα καὶ δαιμόνιον, ὁποῖον ἐὰν ἦν. Ὁρκίζων δὲ φύσα α´ ἀπὸ τῶν ἄκρων τῶν ποδῶν ἀφαίρων τὸ φύσημα ἕως τοῦ προσώπου, καὶ εἰσκριθήσεται. Φύλασσε καθαρός· ὁ γὰρ λόγος ἐστὶν Ἑβραϊκὸς καὶ φυλασσόμενος παρὰ καθαροῖς ἀνδράσιν. A tested charm of Pibechis for those possessed by daimons: Take oil of unripe olives with the herb mastigia and the fruit pulp of the lotus, and boil them with colorless marjoram while saying, “IŌĒL ŌS SARTHIŌMI EMŌRI THEŌCHIPSOITH SITHEMEŌCH SŌTHĒ IŌĒ MIMIPSŌTHIŌŌPH PHERSŌTHI AEĒIOYŌ IŌĒ EŌ CHARI PHTHA, come out from NN” (add the usual). The phylactery: On a tin lamella write “IAĒO ABRAŌTH IŌCH PHTHA MESENPSIN IAŌ PHEŌCH IAĒŌ CHARSOK,” and hang it on the patient. It is terrifying to every daimon, a thing he fears. After placing [the patient] opposite [to you], conjure. This is the conjuration: “I conjure you by the god of the Hebrews, Jesus, IABA IAĒ ABRAŌTH AIA THŌTH ELE ELŌ AĒŌ EOY IIIBAECH ABARMAS IABARAOU ABELBEL LŌNA ABRA MAROIA BRAKIŌN, who appears in fire, who is in the midst of land, snow, and fog, TANNĒTIS; let your angel, the implacable, descend and let him assign the
daimon flying around this form, which god formed in his holy paradise, because I pray to the holy god, [calling] upon AMMŌN IPSENTANCHŌ (formula). I conjure you, LABRIA IAKOUTH ABLANATHANALBA AKRAMM (formula) AŌTH IATHABATHRA CHACH-
THABRATHA CHAMYN CHEL ABRŌŌTH OUABRASILŌTH HALLĒLOU IELŌSAI IAĒL. I conjure you by the one who appeared to Osrael in a shining pillar and a cloud by
day, who saved his people from the Pharaoh and brought upon Pharaon the ten plagues because of his disobedience. I conjure you, every daimonic spirit, to tell whatever sort you may be, because I conjure you by the seal which Solomon placed on the tongue of Jeremiah, and he told. You also tell whatever sort you may be, heavenly or aerial, whether terrestrial or subterranean, or netherwordly or Ebousaeus or Cherseus or Pharisaeus, tell whatever sort you may be, because I conjure you by god, light-bearing, unconquerable, who knows what is in the heart of every living being, the one who formed of dust the race of humans, the one who, after bringing them out from obscurity, packs together the clouds, waters the earth with rain and blesses its fruit, [the one] whom every heavenly power of angels and of archangels praises. I conjure you by the great god SABAŌTH, through whom the Jordan River drew back and the Red Sea, which Israel crossed, became impassable, because I conjure you by the one who introduced the one hundred forty languages and distributed them by his own command. I conjure you by the one who burned up the stubborn giants with lightning, whom the heaven of heavens praises, whom the wings of the cherubim praise. I
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conjure you by the one who put the mountains around the sea [or] a wall of sand and commanded the sea not to overflow. The abyss obeyed; and you obey, every daimonic spirit, because I conjure you by the one who causes the winds to move together from the holy aions, [the] skylike, sealike, cloudlike, light-bringing, unconquerable [one]. I conjure you by the one in holy Jerusalem, before whom the unquenchable fire burns for all time, with his holy name, IAEŌBAPHRENEMOUN (formula), the one before whom the fiery Gehenna trembles, flames surround, iron bursts asunder and every mountain is afraid from its foundation. I conjure you, every daimonic spirit, by the one who oversees the earth and makes its foundation tremble, [the one] who made all things which are not into that which is.” And I adjure you, the one who receives this conjuration, not to eat pork, and every spirit and daimon, whatever sort it may be, will be subject to you. And while conjuring, blow once, blowing air from the tips of the feet up to the face, and it will be assigned. Keep yourself pure, for this charm is Hebraic and is preserved among pure men. (transl. W. C. Grese in Betz 1992, 96–97)
This source is well known among theologians and historians of the biblical religions, being the most ‘Judaic’ recipe within the whole corpus of the so-called magical papyri. Beside some Egyptian divine names occurring amidst some of the long lists of voces magicae, such as Phtha, Thôth and Ammôn, the exclusive addressee of the exorcistic prayer is the Jewish/Christian monotheistic God. It is therefore no coincidence that Reitzenstein quoted this text to prove how the Egyptian and the Jewish tradition were regarded as two equally authoritative sources in the context of folk religion in the Hellenistic and Imperial ages.14 God is invoked and praised over ten times with more or less precise references to His deeds as they are recounted in different passages of the Septuaginta.15 There is only one striking detail, which occurs right at the beginning of the prayer and has obviously attracted the attention of some commentators of this recipe: when first summoning the possessing demon, the practitioner appeals to Jesus, who is labelled as the “God of the Hebrews” (ὁρκίζω σε κατὰ τοῦ θεοῦ τῶν Ἑβραίων Ἰησοῦ). As it has been already noticed, this statement can stem neither from a Jewish nor from a Christian worshipper.16 Only a heathen would have had such a superficial knowledge of the role of Jesus within the Christian faith and of his relationship with the Jewish people.17 14 Reitzenstein 1904, 14 n. 1. See also Nock 1936, 607: “The magic papyri have a strong Jewish strain; while the acquaintance which they show with religions other than Greek, Egyptian, and Jewish, is almost confined to nomina sacra, the knowledge which they show of the Old Testament is such as to suggest Hellenizing Jews rather than Judaizing Gentiles.” 15 See Grese’s commentary with all the references to the related passages from the LXX (Betz 1992, 96–97). 16 “The name Jesu as part of the formula can hardly be ancient. It was probably inserted by some pagan: no Christian, still less a Jew, would have called Jesus ‘the god of the Hebrews’” (Deissmann 1922, 260 n. 4). For the discussion on the dating of the insertion of this expression in the recipe see below. 17 Cf. Suet., Claud. 25.4: Iudaeos, impulsore Chresto, assidue tumultuantis Roma expulit. Of course one could think of an influence of the monophysitism on this text, but this would clash with the chronology of the papyrus, which is dated in the early fourth century c.e. (Prei sendanz in PGM Bd. I, S. 64).
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This remark has prompted scholars to suggest an early integration of the phrase in the prayer, not much later than 100 c.e., when the confusion between Jews and Christians from the perspective of an outsider could still be strong enough to allow for an identification of Jesus as god of the Jews.18 Indeed we can agree with this reading of the passage, which once again confirms how marginal the impact of the Christian doctrine on external folk-religious practices was, especially when compared with how extensive the acquaintance with the Septuagint on the part of the practitioners of those rituals was.19 Moreover, we should not forget that two of the three occurrences of Jesus’ name in the so-called magical papyri are included in rites of exorcism, a practice that was never condemned by the Church, but rather fully accepted in its ritual repertoire.20 In the end the survey of the evidence of Christian elements within the broader field of folk-religious sources has corroborated the impression gained already from the review of the curse tablets, namely that the Christian religion did not wield any particular influence – even less authority – over the tradition of harming rituals in its later period. There will be chance to resume this observation in the conclusion, where an attempt to explain this rather negligible role of Christianity in 18 “[…]
this document […] consists mainly of genuine Jewish elements with details of a mixed Jewish-Christian‑heathen character. In its present form it shows the familiar conflation of Jewish and heathen elements, with a somewhat rare streak of Christian influence; […] a vague knowledge of the efficacy of Christian exorcism would easily lead to the inclusion of Jesus in the stock-in-trade of such practitioners at an early date. I find it hard to believe that so casual an allusion as this would have been possible much after 100 a.d. A practitioner of magic, if he knew enough about Christianity to insert the name of Jesus, would surely have taken the trouble to find out more about Him; anyhow, the breach between Jews and Christians must have been common knowledge in the Hellenistic underworld by that date.” (Knox 1938, 193). The last statement by Knox contradicts what he says in the previous sentences, and indeed, as I am trying to show in this paper, Christianity does not seem to have played a significant role in the ancient ‘magical’ tradition, so that a certain ignorance about the Christian dogmas among heathen practitioners of folk-religious rituals, especially at the dawn of Christianity, does not surprise. And in fact Knox gets back on track when he states that “It seems that the insertion of Jesus in this section is of a fairly early date; it seems probable that Jesus was simply added to an existing Jewish-heathen spell in which Iaeo, Iael, Iabe and allelu(ia) were already conflated with Ptah and Thoth: “Jesus” may simply have been inserted in an adjuration by the God of the Hebrews (cf. Orig., c. Cels. 4.34 for this form)” (Knox 1938, 193–194). Smith pushed the date of the prayer even further back in time, namely before 70 a.d., because he believed that the line Ὁρκίζω σε τὸν ἐν τῇ καθαρᾷ Ἱεροσολύμῳ, ᾧ τὸ ἄσβεστον πῦρ διὰ παντὸς αἰῶνος προσπαρακάεται could not have been composed after the siege of Jerusalem by the Roman army (his interpretation of the clause reads as follows: “A date before the destruction of Jerusalem in a.d. 70 is suggested by the phrases, ‘I conjure you by Him in the pure Jerusalem, beside Whom burns forever the unquenched fire ’. After 70 this must have been read as a reference to the heavenly Jerusalem, but its original reference was to the earthly one – only there was the undying fire a marvel.” Smith 1978, 113). 19 Here we can recall once again Reitzenstein, who brought it to the point: “Für die Beurteilung der eigentlichen Gebete [in the magical papyri] darf man den Grundsatz aufstellen, daß Einwirkungen der Septuaginta auch außerhalb der eigentlichen Formeln durchaus möglich sind, Einwirkungen der neutestamentlichen Schriften ausgeschlossen.” (Reitzenstein 1904, 15 n. 2). 20 Cf. for instance Cod. Theod. IX.16.3 (= Cod. Iust. IX.18.4); Ps.-Clem., Hom. 7.11.
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these practices will be made. Before that, we need to turn to the second main field of investigation of this paper, which concerns the question of how widespread the cursing ritual was among Christians.
2. Greek and Latin Christian Curses While the previous paragraph has discussed the issue of the influence of elements of the Christian doctrine over non-Christian performers of curses, the approach adopted in this second section of the paper is basically overturned, since the topic addressed here is how much of the pagan ritual of performing a curse against an enemy could permeate within the Christian community. As it happened in the first section, the amount of evidence to be presented in the following pages will be quite scarce. In this case one has of course to take into account the rapidly changing and at the same time hardly quantifiable amount of Christians in comparison to the overall population of the ancient world from the second century onwards, which could lead someone to ascribe the rareness of Christian curses to the limited extension of the Christian community. The reply to this legitimate remark comes from the chronology of the curse tablets about to be examined, which are dated not before the fourth century c.e., with a concentration between the fifth and the sixth century c.e. That is to say that the time of production of these artefacts corresponds to an age in which the number of Christians had already reached a significant size of millions of worshippers.21 Christianity had become in the meantime state religion: between one and two centuries had already passed from the Edict of Milan, around one century from the Edict of Thessalonica. Thus the potential objection that the poorness of evidence for cursing rituals practiced by Christians might go back to the actual scarcity of members of this religious movement can be dismissed right from the start. At least one document of the small group of texts to be discussed here enjoys renown among scholars thanks to the important study of which it was made object by Gudmund Björck in the late Thirties of the past century.22 There he thoroughly analysed two papyri from the Egyptian city of Panopolis, on which a Christian called Sabinos wrote curses against his daughter and her husband (P.Ups. 8; P.Hamb. I 22). The first is a longer prayer that combines prose (ll. 1–12 of the recto + verso) with hexametric verses of Homeric reminiscence (ll. 13–18 of the recto)23, while the second seems to contain the text that Sabinos wished to have inscribed on his gravestone. The latter cannot be thus classified as a curse, since it For a quantitative overview of the growth of Christianity over time and space see Stark 1996, passim, esp. 3–27. 22 Björck 1938. 23 For the parallels between each line and the corresponding formulae from the Greek epic diction see Björck 1938, 15–23. 21
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was not part of a harming ritual, but rather belongs to the category of the so-called Rachegebete (‘revenge prayers’), which were public inscriptions of complaint about some suffered wrongdoing including a request to a given deity to punish the guilty parties. Nevertheless, both texts are quoted below one after the other because they probably stem from the same circumstance and emotional status of the author: recto [ c. 18 ] κ̣[ύ]ρ̣ι[ε . . . . .]ο̣ θ̣ε̣[ός . . . . . .]ν̣ γ̣ν̣ώ̣τ̣[ωσαν] πάντες, ὅτι κύριος ὁ θεὸς ἀντιλήμψεταί μου. κατιδιωχθήτω Δίδυμος καὶ Σευηρίνη ἡ ἐμοῦ θυγάτηρ οἱ καταδιώξαντέ̣ς μ̣ε πάλαι. καταξηρανθήτω τὸ σῶμα ἐν κλίνοις, ὡς ἐθεάσω̣ κ̣[αὶ τὸ] 5 ἐμὸν παρὰ τῶν καλυψάντων τὴν ἡμετέραν αἰδῶ. κύρ[ι]ε̣, δε[ῖξον] αὐτοῖς ταχεῖαν τὴν δύναμιν σου. τὰς ἐπιβουλὰ[ς τ]ῶν κ̣[αρδ]ι[ῶν] αὐτῶν κατὰ τῶν φιλτάτων μου τέκνων ἀπρά̣[κτου]ς π̣[οί]η[σον.] καταλαβέτωσαν τὸ βῆμα, ὁπουδὰν σύ, ὦ κύριε δέσ[ποτα, κρίνῃς.] ἐγὼ [Σαβ]εῖνος κλα̣[ίω]ν̣ καὶ στέν[ων νυκ]τ̣[ὸς καὶ] 10 ἡμέρας ἐπιδέδωκ̣[α] τ̣ὰ̣ ἐ̣μ̣ὰ̣ θ[εῷ τῷ τῶν ὅλων] δεσπότῃ εἰς ἐκδίκησιν τῶν κ̣α̣[κουργίων ὧν] πέπονθα παρὰ Σευρ̣ίνης κ[αὶ Διδύμου.] ―――― [υἱ]ὲ θεοῦ μεγάλο[ιο], τὸν οὐδέποτ᾽ἔδρακεν ἀνήρ, [ὃ]ς τυφλοῖσιν ἔδωκας [ἰ]δεῖν φάος ἠελίοιο, 15 [δ]εῖξον δ᾽ὡς τὸ πάροιθε θεο̣υδέα θα̣ύματα σεῖο. ἡμετέρων καμ[ά]των μνημήϊα [τ]ῖσον ἀμοιβήν, [ο]ὓ̣ς κάμον, οὓς ὑπ[έ]με̣[ι]να μιῆς ἐπίηρα θυγατρός, ἐ̣χ̣θρ̣οὺς ἡμετέρο[υ]ς στερεαῖς ἐνὶ χερσ[ὶ] πατάσσων. verso ἐκδίκησον ☧☧☧ ☧☧☧ Εμμανουηλ, ἐκδίκησ[ον.] ‑ - - lord ‑ - - God ‑ - - let all know that the lord God will assist me. Let Didymos and Severine, my daughter, be pursued, they who pursued me in the past. Let her body wither up in bed, just as you beheld how mine (withered up) due to them who covered my dignity with dishonor. Lord, show them quickly your might. Nullify the contrivances of their hearts against my dearest children. Let them come before the tribunal, o lord and master, whoever you judge. I Sabinus, crying and waiting night and day, have submitted my case to God, the master of all, for vindication of the injuries which I suffered from Severine and Didymos. Son of the great God, whom man never beheld, you who granted the blind to see the light of the sun, show as before your godlike wonders. Pay memorable compensation for the sufferings which I suffered, which I endured on account of my only daughter, striking down my enemies with your firm hands. Vindicate Emmanuel, vindicate. (transl. Daniel/Maltomini 1992, 51)24
24 TheDefix 311 (ed. Björck 1938, 5–9; Daniel/Maltomini 1992, 49–51, no. 59). The text reported above follows the most recent edition by Daniel and Maltomini.
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Στήλη αἰνομόρου πολυπενθέος ἐστὶ Σαβείνο[υ], ὃς κακὰ πόλλ᾽ὑπέμεινε μιῆς ἐπίηρα θυγατρός. [υ]ἱὲ θεοῦ μεγάλοιο, τὸν οὐδέποτ᾽ἔδρακεν ἀνήρ, ὃς τυφλοῖσιν ἔδωκας ἰδεῖν φάος ἠελίοιο, δεῖξον ἐν ἀνθρώποισι καὶ αὐτίκα τῖσον ἁπάντῃ ⟦ἐχθροὺς ἡμετέρους ⟦κρατ⟧ δεινη⟧ ἐχθροὺς ἡμετέρους στερεαῖς ἐνὶ χερσὶ πατάσσων.
The stela of ill-fated, miserable Sabinus, who endured many evils on account of his only daughter. Son of the great God, whom man never beheld, you who granted to the blind to see the light of the sun, show among men and straightway punish everywhere my enemies, striking them down with your firm hands. (transl. Daniel/Maltomini 1992, 52)25
When compared with the sources presented in the previous paragraph, no doubt arises about the fact that we are here no longer dealing with the insertion of some Christian reference within a syncretic curse inscription, but we are rather in front of a Christian author performing a practice that was alien to the principles of his religion. The ethical conflict between Sabinos’ faith and his act of cursing is made even more dramatic by the fact that the main target of his curse is one of his children, and not some external enemy. Sabinos tries to attenuate his vengeful and violent aims by emphasizing the pains he suffered due to Severine and Didymos and by giving much space to his laments. He attempts to ‘disguise’ his curse behind an appeal to obtain divine justice, which in a traditionally heathen context like that of the ancient cursing practice was not only a widely attested rhetorical device but also a morally acceptable attitude.26 However Sabinos does not limit himself to relying on God for the choice of a suitable punishment, but he expressly states the kinds of pains his victims should suffer: they have to be persecuted – that is tormented by the sense of guilt – (κατιδιωχθήτω Δίδυμος καὶ Σευηρίνη), their bodies should wither (καταξηρανθήτω τὸ σῶμα ἐν κλίνοις) and their plots against the other children of Sabinos should be hindered (τὰς ἐπιβουλὰ[ς τ]ῶν κ̣[αρδ]ι[ῶν] αὐτῶν κατὰ τῶν φιλτάτων μου τέκνων ἀπρά̣[κτου]ς π̣[οί]η[σον). This is one of the reasons why I do not agree with Björck’s attempt to assimilate this source – together with a few other Christian curses, some Greek and some Coptic ones – to a completely different epigraphic genre, namely that of the ‘revenge epitaphs’, better known as Rachegebete.27 Björck himself acknowledges the inherent inconsistency of his claim both by choosing the term Fluch instead of Rachegebet to define Sabinos’ curse in the title of his book and by stating that Sabinos’ lingering on the details of his victims’ ruin does not comply with the typical content of a revenge epitaph, but rather with that of a curse.28 The 25 TheDefix 312 (ed. Björck 1938, 10–14; Daniel/Maltomini 1992, 52, no. 60). The text reported above follows the most recent edition by Daniel and Maltomini. 26 This feature has been emphasised by Raquel Martín Hernández with reference to the whole corpus of Christian curses, which has thus been drawn nearer to the subcategory of ancient curses called ‘prayers for justice’ than to ‘regular’ curses (Martín Hernandez 2013; see above, n. 9). 27 Björck 1938, 24–45. 28 Björck 1938, 58.
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most problematic assumption by Björck however concerns the remarkable difference in the type of material support between the gravestones of the Greek and Latin revenge inscriptions and the papyrus of the Christian curses. By regarding it as a simple change of habit, Björck ignores the essential distinction in function and fruition implied by the two supports.29 The revenge epitaphs engraved on stones were public inscriptions, meant to catch the attention of passers-by and to reach the alleged culprits, so as to arouse in them a sense of guilt and the wish to repair. On the other hand, curses were intimate prayers addressed exclusively to the gods and precisely their secrecy was the condition for them preserving their supernatural power. A revenge inscription on papyrus probably deposited in a tomb would not have fulfilled its chief function and would thus have been totally pointless.30 That is also the reason why the second papyrus fragment by Sabinos is considered by mutual consent among scholars to be a draft or a copy of the epitaph that was inscribed on his gravestone. Björck justifies the passage from stone to papyrus among Christian authors of Rachegebete with a decrease in the moral appraisal of the practice and its downgrading in the realm of superstition, which would thus have prompted its Christian performers to relegate it to the private sphere.31 The intrinsic aporia in Björck’s statement is plain: by attributing a secret or even clandestine character to the ‘Christian revenge inscriptions’, these are de facto identified with curses, so that the analogy between Christian curses and pagan revenge epitaphs automatically loses its meaning. Behind this attempt of bringing Christian curses closer to revenge inscriptions rather than actual curses might have lain Björck’s embarrassment in dealing with Christian practitioners of curse rituals and his effort to slightly downplay the theological and moral implications of their actions.32 The image of God emerging from Sabinos’ texts is clearly nearer to that of the Old Testament than to the one professed in the Gospels. However, the role of the divine punisher is referred by Sabinos not only to God, but also to Jesus, called “son of the great God” (υἱὲ θεοῦ μεγάλοιο), on both papyri. A certain distinction between God and Jesus in their respective roles to be taken on within a curse seems to emerge from another papyrus of unknown provenance (probably Egypt), also dated to the sixth century c.e. like the two from Panopolis just discussed. On this much shorter text the task of punishing the victims is entrusted to God and the Björck 1938, 54–55. Cf. Björck 1938, 99. 31 “In eben dem Masse wie das Rachegebet als etwas eigentlich Unerlaubtes empfunden wurde und in eine tiefere Sphäre herabsank, musste es sich nämlich dem Aberglauben nähern, und seine Beschränkung auf geheime Niederschrift konnte diese Tendenz nur verschärfen.” (Björck 1938, 54–55). 32 See for instance the following statement: “Bei alledem bleiben unsere Texte doch christliche Gebete, und es besteht keine Veranlassung, sie von der kunstmässigen Magie oder von der Gnosis abzuleiten. Der reine Hokuspokus beschränkt sich auf einige harmlose Buchstabenreihen u. dgl.” (Björck 1938, 55). 29 30
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two archangels Michael and Gabriel, while Jesus is only invoked at the end to beg for pity and heed:33 † † † ἅγιος ὁ θεός, Καβριηλ, Μηχαηλ, ποίωσαι τὴν ἡκανών μου· μέγα κύριε ὁ θεός, πατάξισον Φηραδέλφης· καὶ τὰ τέκνα αὐτῆς, κύριε κύριε κύριε ὁ θεός θεό{ο}ς, πατάξισον μετ᾽αὐτῆς. ὁ {υ} [Ἰ]ησοῦ Χρηϲτός, ἐλέησόν μοι καὶ ἀγούου μου, κύριε.
Holy God, Gabriel, Michael, give me satisfaction. Great (?) lord God, strike down Philadelphe; and her children, lord lord lord God God, strike them down with her. Jesus Christ, pity me and hear me, lord. (transl. Daniel/Maltomini 1992, 53)
A second remarkable distinction between this document and Sabinos’ curse lies in the attitude of the curser: the lamentation is limited to the final plea for compassion, so that the self-portrait of the author is not that of an afflicted victim of Philadelphe and her children, as Sabinos had depicted himself. The prevailing feeling that emerges from these lines is anger rather than complaint. This is particularly conspicuous in the imperative πατάξισον (i. e. πάταξον), with which God and the archangels are commanded to smite the cursed people. Also, the initial sentence ποίωσαι τὴν ἡκανών μου (i. e. ποίησαι τὸ ἱκανόν μου), which by the way is a Latinism, does not depict the author as a poor wretch begging God for help, but rather as an individual who is self-confident about his/her rights. Similar or possibly even more self-assured seems to be the attitude of the next two examples of Christian curses on papyrus, which are again brief texts from the 5th–6th century c.e. The first one reads:34 † Κύριε, ὁ δεσπότης τῆς οἰκουμένης, ἐκδίκησόν με μετὰ τοῦ ἐναντιοῦν‑ τός με καὶ μετὰ τοῦ ἐκβαλόντος με 5 ἀπὸ τοῦ τόπου μου, καὶ ταχύ, κύριε, ἀπόδος αὐτῷ, ⟦καὶ⟧ ἵνα ἐμπέσῃ εἰς χεῖρας στερεωτέρ(ας/ου) αὐτοῦ. 10
Lord, ruler of the world, avenge me on the one who is against me and has chased me away from my place. And quick, Lord, pay him back, so that he falls on his much cruel hands.
The second source is a slightly earlier papyrus, which had been already inscribed on the recto and was then reused on the verso to write the following curse:35
TheDefix 313 (ed. Barry 1908, 61–63; Björck 1938, 47, no. 25; Daniel/Maltomini 1992, 53–54, no. 61). 34 PGM Bd. II, P15c; Björck 1938, 46, no. 23. 35 TheDefix 314 (ed. Harrauer 1978, 209–210; Ƚukaszewicz 1988, 61–62; Daniel/Maltomini 1992, 55–57, no. 62). 33
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☧ χμγ36 πρὸ μὲν πάν‐ των κακὸϲ και‐ ρὸϲ τοῦ κολα‐ ϲίμου Θεοδώ‐ ρου· κακὸϲ γάρ ἐϲτιν.
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Before any (circumstance) may the fate of the punishable Theodoros be doomed, for he is evil.
In both documents the Christian faith of their respective authors is betrayed by rather marginal signals: the cross, coupled with the invocation Κύριε in the first one, and the Christogram along with the acronym XMΓ in the second. Moreover, any specific indication of the types of punishment that the respective targets should suffer is missing: the cursers confine themselves to asking for divine intervention against their enemies. Only at the end of the first text there is a generic reference to the fall of the victim on his hands. All these features are surely related to the synthesis implied by such short texts. After all, pagan curses too could range from very concise to extremely lengthy and flowery texts. So far the material discussed shares a distinct geographical area of provenance, namely the North-Eastern part of the African continent, and the Greek language. This tiny and rather homogeneous corpus might be increased by a last find, which would thus stand out for both its place of discovery and its language. It is namely a copper tablet inscribed with a Latin curse and unearthed from the fountain of Anna Perenna, in which it lay rolled inside a ritual oil lamp.37 Unfortunately, the text is quite fragmentary, although two telling clues seem to confirm that its author was a Christian and not a heathen who had just added some Christian hints to his/ her cursing ritual, as we observed in the other tablets from the Anna Perenna’s well in the previous section:38 [‑ - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -] conatas suas [.] person[as - - - ‑] ill[‑ - -] et uaticolo m[.]l[‑ - - ‑]erio [‑ - -] filio et quisquis [.]c[.]rm[. .] [roga‑] mus cras deas uest[ra]s [. .] et cristum nostr[um - - - Qui] 5 gaudent timi[a]nt t[‑ - -] eu(m) uincam i[‑ - -]c[- - ‑] [- - ‑]suc[.]ui [‑ - -].
36 For
… his people who have attempted to … to him (?) and to the bad prophet (?) … to the son. And whoever … We ask that tomorrow your goddesses and our Christ … Those who rejoice may have fear … May I defeat him …
the proposed solutions to this Christian acronym see Daniel/Maltomini 1992, 56. the whole, seventy-four oil lamps were unearthed in the cistern of Anna Perenna’s fountain, of which fifty-four were new, never used, that is they were never crafted for actual use, but only to be employed within ritual ceremonies, as we know them from the ancient Greek magical papyri and Apuleius (Blänsdorf/Piranomonte 2012, 617–618). 38 TheDefix 522 (ed. Polakova/R apinesi 2002, 46; Blänsdorf 2010b, 49–50; Blänsdorf 2012, 158; Blänsdorf/Piranomonte 2012, 629, no. IX,49.11; Piranomonte 2012, 165–167). 37 On
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No overall comprehension can be gained from these incomplete sentences: the first two to three surviving lines seem to contain a charge against a male target of the curse and his fellows. This is followed by an appeal to two divine entities: on the one hand a group of deae, which we might identify with the nymphs of the fountain, and on the other Jesus Christ. The possessive adjectives attached to each of these characters act as the first clue for the interpretation of this source as a Christian curse: while the nymphs are called vestrae, Christ is labelled as noster. Thereby the author seems to draw a distinction between his/her faith and that of the others, be they the cursed people or, more generically, the other visitors of the sacred fountain. The second clue is to be found at ll. 5–6, where a clear reminiscence of an evangelical passage can be identified, more precisely the famous Beatitudes sermon by Jesus as reported in Luke 6:21–38 (at Luke 6:25 the Vulgata reads vae vobis qui ridetis nunc quia lugebitis et flebitis). The last comprehensible bit of the inscription expresses the author’s wish of defeating his/her enemy. Despite the fragmentary nature of the text, the hostile aim of the prayer seems quite certain, as it is above all betrayed by the two final predicates and perhaps also by the term vaticulus, if my explanation of it as a pejorative form of vates is correct. This would thus represent a very unique attestation of a Christian practicing a harming ritual outside Africa and, for this purpose, visiting a heathen cultic place like the sacred fountain of Anna Perenna. This might suggest that the curser was aware of how alien to the Christian faith this practice was, so that it had to be performed in its proper context, namely a pagan one.
3. Coptic Curses On the whole, only five testimonies of Christian curses either in Greek or in Latin could be collected in the previous paragraph.39 As it has been remarked at the beginning of this paper, the scarcity of the evidence affects the issue of the impact of Christianity on the ancient ritual of cursing in a remarkable way. Before drawing our conclusions however, we need to recall a very peculiar corpus of documents that might bring into question what has just been claimed. After the first collection of Coptic texts containing private rituals published by Angelicus Kropp in 1931, Marvin Meyer and Richard Smith edited an updated volume with a corpus of 135 Coptic documents, which despite its incompleteness provides a substantial amount of material to study the evolution of private religious practices within the Egyptian Coptic community from the Roman age to the The spell reported by Björck under no. 24 of his collection of Greek Christian Rachegebete (= PGM Bd. II, P16) is in truth a prayer for protection and has therefore not been considered (Björck 1938: 46–47 no. 24). The same applies for the sixth century Latin lead tablet from Tragurium TheDefix 582 (ed. CIL III 961; Wünsch 1907, no. 7; Barada 1935, 11–18), which Wünsch wrongly labelled as a curse, while it is clearly a Christian amulet. 39
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eleventh century c.e.40 While the subtitle of their collection (Coptic Texts of Ritual Power) is very fitting in describing what kind of contents and methodological approach are to be found in the book, Meyer and Smith confuse their readership with the main title of their work (Ancient Christian Magic). They declare themselves that the category of magic cannot describe the nature of the texts published, since these were composed and perceived as part of the everyday religious experience of their authors and in no way opposed to the rest of their religious life.41 For our concern however the main flaw lies in the identification implied by the main title between “Coptic” and “Christian”. While it is true that the Coptic speaking community was among the earliest to be Christianized outside Israel, it is methodologically wrong to treat all Coptic ritual texts as sources of Christian worship in Egypt. What this material shows is rather how Christian contents through multiple and circuitous paths slowly penetrated the substrate of the several-thousand-year-old Egyptian tradition of rituals of manipulation of supernatural forces. This process was eased by the fact that this Egyptian tradition had already absorbed a lot of material from the Jewish culture, which in turn could also claim a longstanding tradition of spells to interact with the divine power. A systematic review of all the 41 Coptic texts collected in Meyer and Smith’s chapters on love spells and curses supplies some cogent results that prompt a rethinking of the question of how much of this material can be considered genuinely Christian or, put in other words, of how many of the authors of those texts were actual members of the early Egyptian Church. Of the sixteen sources classified by Meyer and Smith as love spells, eight contain Christian elements, mostly the cross symbol at the beginning of the text – which is in turn barely related to what follows –, but the divine powers involved in the prayer range from the Jewish to the Egyptian to the Graeco-Roman pantheon and should be ascribed to the Gnostic milieu.42 Two texts contain no reference whatsoever to the Jewish-Christian tradition, and one is not even classifiable as a love spell.43 For only four documents a Christian authorship can be safely supposed: but again, two of these are no erotic spells! One is a prayer by a man that a woman (arguably his wife) will get pregnant, and the other is a prayer by a woman to preserve her virginity.44 Both wishes were completely acceptable within the moral regulations of the Christian community. Kropp 1930–1931; Meyer /Smith 1994. inconsistency between the main title and the introduction of the book is striking. There the editors aptly explain their choice not to adopt the term ‘magic’ given the anthropological implications of this concept and its non-pertinence to the civilizations of the ancient Medi terranean area (Meyer /Smith 1994, 1–6). This is by the way the same approach I have adopted in my monograph on ancient curses, where I insist on the unsuitability of the dichotomy magic vs. religion when studying the Graeco-Roman world (Chiarini 2021). 42 Meyer /Smith 1994, nos. 72, 75, 76, 79, 80, 82, 84, 85. 43 Meyer /Smith 1994, nos. 74, 87 and 81 respectively. 44 Meyer /Smith 1994, nos. 83 and 86 respectively. 40
41 The
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In the end only two texts are actual attraction spells probably composed by Christian worshippers and even for these there is something to remark upon: source no. 73 in Meyer and Smith’s collection is a late handbook (11th century c.e.) containing a model spell to gain the love of a desired woman based on the legend of Cyprian of Antioch, who, before converting to Christianity and eventually becoming bishop, had attempted to seduce a Christian virgin called Iustina. There is no questioning that the clear purpose of sexual possession and the threatening manner towards the archangel Gabriel, who is the addressee in charge of the fulfilment of the spell, are totally foreign to Jesus’ teachings. However, one can at least acknowledge an attempt to ‘justify’ one’s act in the embedding of the spell within a fictional context that involves a respected and authoritative figure of the early Church. The same effort to mitigate the moral issue of a Christian erotic spell through analogies with biblical accounts applies to the second testimony too.45 There the feeling of attraction towards the author should reach the beloved woman like the angel of the Annunciation did with Mary (this simile is repeated twice). Moreover, the overwhelming power of the passion that affects the author and should be then aroused in the target of the spell is traced back to an apocryphal story of the devil giving Adam and Eve a special potion to drink while still in the Garden of Eden. When turning to Meyer and Smith’s chapter on harming spells, a similar set of revisions needs to be formulated. Out of a total of twenty-five sources collected there, six do not contain any Christian element and four do not even make any broader reference to the Jewish tradition;46 additionally, one text is an Islamic curse and another cannot be identified as a curse with certainty.47 Thus we are left with thirteen Coptic curses that include Christian content. Three of them however betray a gnostic rather than an orthodox milieu due to their syncretistic invocation of entities like Abrasax and Seth.48 The remaining ten testimonies still supply a noteworthy amount of Christian curses, being twice as much as the Greek and Latin evidence examined above, but at the same time they show some significant peculiarities. Most of them do not ascribe explicitly the fulfilment of the curse to Jesus or any other prominent figure of the Christian tradition, whose reference is often limited to the symbol of the cross put at the opening or at the end of the text.49 This syntactic (and perhaps also conceptual) detachment is especially recognizable in Meyer and Smith’s source no. 103, which by the way cannot be classified as a proper curse since it does not indicate specific targets to be afflicted. It is rather 45 Meyer /Smith
1994, no. 78, 6th–7th century c.e. 1994, nos. 95, 97, 105, 106, 110, 112 and 96, 98, 102, 111 respectively. 47 Meyer /Smith 1994, nos. 94 and 107 respectively. 48 Meyer /Smith 1994, nos. 91 (Abrasax is mentioned), 92 (Jesus is identified with Seth), 99 (fragmentary mention of Christ, but the curse, if it is such, is addressed to the nekydaimon of the grave in which the papyrus is supposed to have been laid down). 49 Meyer /Smith 1994, nos. 88, 89, 90, 93, 104. 46 Meyer /Smith
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a request to enjoy the godly love and to be given His same power of destruction. The mention of Jesus, disguised in the allusion to His speech on the gift of peace as reported in John 14:27–31, cannot but occur in the blessing section of the prayer. The part devoted to the evocation of the destructive force of God recalls instead the imagery of the Old Testament. The theological distinction between the more avenging connotation of the God of the Old Testament and the message of reciprocal love and peace contained in the New Testament was thus clear to the author of this sixth century papyrus. Another testimony raises analogous thoughts about the author’s awareness of the contradiction between the Christian message and the cursing practice. It is indeed in many ways a peculiar find: the piece of parchment on which the curse is inscribed is shaped in the form of a blade, which in turn is also the 1st person speaker of the curse itself.50 The blade-shaped parchment perfectly represents the purpose of the curse, since it aims to divide a couple (possibly a husband and his wife). The supernatural power of separation thus lies in the inscribed object itself, which in its 1st person speech qualifies itself as the one who “separates a friend from friends […]. I am the sheet that separates a brother from his brother. I am that which separates a woman from her husband”.51 Then the series of self-attributes turns to biblical topics: “I am the sheet that separated pharaoh from his nation on account of the magnitude of his powers. I am that which raised Judas against – Ei – Jesus until he was crucified upon the wood of the cross. I am that which went up to heaven, calling out ‘Eloi Ei Elemas.’ I myself am god.”52 This is the only passage of the entire curse – which by the way contains several voces magicae –, where there is a reference to a Christian subject. Interestingly, the perspective with which the episodes of Judas’ betrayal and Jesus’ crucifixion are recounted are overturned in comparison with the New Testament: here the emphasis is placed in God’s will to arouse hatred in Judas and in that moment of weakness experienced by Jesus while hanging on the cross at the peak of His pains. The divine image that emerges from these lines is one of a God rejoicing in causing discord and sufferance, while Jesus is depicted as extremely weak and helpless. Although I myself would not go so far in the assessment of this source, one has to acknowledge that there is almost something anti-Christian in this text. Despite all these caveat there are still three Coptic curses that comply with the features of a Christian curse. Two of them are papyri written by the same hand and dated back to the 4th–5th century c.e.53 Since the adopted phrasing, which is very aggressive and explicit, occurs almost identical in both texts, they are reported below one after the other: Meyer /Smith 1994, no. 109, 10th century c.e. M. Meyer in Meyer /Smith 1994, no. 109. 52 Transl. M. Meyer in Meyer /Smith 1994, no. 109. 53 Meyer /Smith 1994, nos. 100, 101. 50
51 Transl.
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Maria. Michael, Gabriel, Souleel! You must bring her away by the method of an ulcerous tumor. Arise in your anger, bring her down to a painful end, to put aside marriage, and send forth (?) punishment, she pouring forth worms, (that is,) Martha. My lord Jesus Christ, you must bring her down to an end. Yea, Jesus Christ, you must dissipate her hope so that no one desires to assist her. ††† Jac[o]b ††† ☧ Michael, Gabriel, Souleel! The sickle that comes forth from heaven must come down for destruction in the form of an ulcerous tumor. The father of Hetiere (?), who is in the father, you must bring (him) away by the method of an ulcerous tumor. Fifty-four hundred martyrs, by the method of an ulcerous tumor. Mary, who bore Jesus, you must bring (him) away by the method of an ulcerous tumor. Souleel, Gabriel, you must bring him away by the method of an ulcerous tumor. Arise in your anger, in a painful end. My lord Jesus, you must bring him away by the method of an ulcerous tumor. My holy father Zechariah, you must bring (him) away by the method of an ulcerous tumor. ††† Every […], you must bring (him) down to a painful end, … against the father of Hetiere (?) . Jacob. (verso) You must bring (him) down to a [painful] end. My lord, you must [bring] him [away by the method of an] ulcerous tumor.54
If Meyer and Smith are right in arguing that Maria and Jacob are the names of the cursers put at the opening of the text and separated from the rest, this would be quite an unusual feature for a harming prayer. It would also imply that the physical author of both texts was either a scribe or maybe an expert of harming rituals appointed to write down the curse. Some perplexities towards this reconstruction are aroused by the poor spelling and by the grammar mistakes affecting especially the second document and acknowledged by the editors themselves. However it is difficult to come up with a better alternative explanation: while Jacob could well also be the name of the target of the curse, the same can be hardly maintained for Maria in the first document, since further on there the victim is called Martha. A third possibility would be to identify Maria and Jacob with the mother of Jesus and the apostle respectively and view them as two of the powerful figures who are invoked along with the archangels, Jesus, the martyrs and Zechariah. This whole speculation might sound too pedantic but it is strictly related to the important question of whether these two papyri were composed by a single Christian curser – as in the case of Sabinos illustrated above – or are the work of a professional writer of curses who served several Christian customers. If this was the case, we could even imagine that the evidence available to us might constitute only a little portion of his/her entire production. In consideration of the scarcity of records about the diffusion of the cursing practice within the Christian community of the early times, I would distance myself from the idea that these two papyri might point to a serial production and would rather tend towards the hypothesis that only one Christian author (or commissioner) stands behind both curses. However, I will not push this hypothesis any further Transl. R. K. Ritner in Meyer /Smith 1994, nos. 100, 101.
54
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and simply rely on the objective evaluation of the material available, which allows us to identify a maximum of two Christian practitioners of harming rituals. These people had clearly no scruples in asking Jesus and even an emblem of innocence like Mary to fulfil their evil wishes. The third instance of Christian Coptic curse shares some similarities with Sabinos’ curse in terms of the juridical jargon employed to appeal to the divine powers. It is another papyrus of unknown origin and, like the previous two, dated approximately between the fourth and the fifth century c.e.:55 I beg, I invoke, I pray to you, holy martyrs, I, Theodora, the injured party. I lodge this suit against Joor and his wife, throwing myself on your goodness, so that you may do as I would with Joor and his wife: Beat them and bring them to naught. (Let) the curse, the worm, and scattering overtake them. (Let) the wrath of god overtake Joor and his wife and all that is his. (Let there) be a great distress and outcry on his house and wife. [May] you lay your hands on [him]; may the strong hand and the exalted arm come upon them quickly, (upon both) him and his wife. Holy martyrs, may you speedily decide in my favor against them. [Send] your powers and miracles. Holy [martyrs], may you decide in my favour […] Koloje.56
Interestingly, the only addressees in charge of fulfilling the curse are the martyrs. The author Theodora presents herself as the offended party and appeals to the martyrs to get justice. The central section of the text contains the proper curse with an explicit incitation to destroy the target and his whole family. Only at the end the legalistic terminology returns with a final plea to the martyrs to take the right decision in this fictional dispute. The final numbers at the end of this review of the Coptic material are thus the following: eight out of the twenty-five documents presented by Meyer and Smith can be identified as clear instances of curse prayers composed by Christians. Five of them do not involve figures of the New Testament in the fulfilment of the harming ritual, but only supplement the text with the symbols of the cross or the Christogram so as to signal the curser’s confession, while three explicitly entrust Jesus or other Christian characters with the persecution of the victims. Although the great majority of the Coptic curses betray a gnostic or, more broadly, syncretistic approach on part of their authors, these eight remaining orthodox sources, ranging in their chronology from the fourth to the seventh century c.e., still represent a remarkable quantity, especially if regarded against the geographic unity of their provenance. And this is indeed a key argument for an adequate assessment of this evidence, since it takes us back to the same geographic homogeneity of the Greek and Latin testimonies observed above.
55 Meyer /Smith 56 Transl.
1994, no. 108. S. H. Skiles in Meyer /Smith 1994, no. 108.
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4. Conclusion Even if the quantitative significance of the Coptic material has been revised here, the urge to reflect on the concentration of the cursing practice within the Christian community of Egypt in late antiquity cannot be completely dismissed. Björck had already touched upon this issue in his volume on Sabinos’ curse, dealing with it in a sociological perspective: he namely attributed the ‘popularity’ of the cursing practice among Coptic Christians to their low socio-economic and cultural status, which would have made them more susceptible to non-orthodox and morally questionable rituals.57 All this is very hard to prove: nowhere in the Coptic sources we can infer that these originated in a socially underprivileged context. The Coptic language not only embodies the final stage of the several-thousand-year-old history of Egypt, but also boasts a respectable literary tradition. The fact alone that it was more widespread in the rural areas of Egypt than in the multilingual urban ones does not allow us to link it with a less educated or culturally inferior milieu. A few years before Björck’s work, Viktor Stegemann published a short study on the portrayal of Jesus in the private Coptic ritual texts, among which curses are also included.58 In those pages the reader finds the two most important and still valid conclusions to be drawn from the reflection on the relationship between Christianity and the cursing practice in Egypt. Since he dealt also with amulets and other prayers for individual blessing and protection, Stegemann had to do with a much larger corpus of Christian Coptic documents than the sole curses and he arranged his material in four periods according to a progressive assimilation of the New Testament version of Jesus’ portrayal and the corresponding rarefication (if not disappearance) of harming rituals. Stegemann notices how until the sixth century c.e. Jesus is systematically portrayed as a cosmic power, in the same way as other Jewish and Egyptian divine characters, thereby highlighting the gnostic synchretism of the sources and a general ignorance of the Christian teachings according to the New Testament on part of the authors of those texts.59 In this phase the influence of the New Testament and, with it, of the ‘orthodox’ conception of Christianity is thus essentially absent. This is very much in line with what we could observe in our systematic review of the available evidence of harming practices in the early centuries of the Church history. Despite its scarcity, the concentration of the available evidence presented in this paper still prompts us to wonder what might have eased the recourse to a harming ritual for a Christian living in Egypt. The most plausible answer can be found again in Stegemann’s study, where he aptly highlights how the heritage of the several-thousand-year-old, deeply-rooted Egyptian tradition of private rituals of Björck 1938, 54. Stegemann 1934. 59 Stegemann 1934, 16–26. 57 58
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interaction with and manipulation of divine forces could neither easily nor quickly be erased by the advance of Christianity, but still wielded a considerable influence over the performance of private rituals for a long time after the Christianization of Egypt.60 It should thus regarded as no coincidence that the Christians in Egypt indulged more than elsewhere in performing harming rituals, which in turn shared much more with the pre-Christian religious horizon than with the new credo. At this point it is possible to draw some conclusive remarks, which embrace both sides of the phenomenon examined in this paper, namely the presence of Christian elements within pagan curses and the composition of Christian curses. In both cases one cannot speak of a mass phenomenon: rather, its rarity stands out, especially when compared to the widespread diffusion of the Christian faith from the fourth century c.e. onwards, as it has been observed several times in these pages. Perhaps the reluctance of heathens to incorporate Christian subjects in their charms and that of members of the early Church to resort to cursing rituals share a common background: both groups had possibly grasped the core message of peace and compassion for the neighbour carried by the Christian religion and consequently did not recognize any harmful potential in the figures of the New Testament accounts. These figures are much more widely attested in those types of private rituals aiming at a favourable result for either their practitioners or their targets, like the exorcisms preserved among the so-called magical papyri from Egypt. Somehow there seems to have been a widespread awareness that nothing could be more alien to the contents of the Christian faith than cursing. With this in mind, we cannot exclude the possibility that early Christians might well have composed curses, in which they expressly avoided any reference to their confession, being thereby aware of the intrinsic contradiction between what they were doing and what they claimed to believe in. Of course such a scenario is impossible to prove and this guess cannot be developed any further. The actual goal of this paper was anyway another one, namely to encourage a re-thinking of the ideas that (1) the Christian religion played a significant role in the cursing practice of late antiquity and that (2) cursing was a common practice among early Christians. Both arguments would need a much higher amount of evidence in their support, something which we were unable to achieve in our review of the available sources. The final statement, which has been formulated in light of these results, ascribes the reason for the paucity of Christian references in ancient curses to the inherent incompatibility between the ritual of cursing and the Christian religion, as it could be discerned by both Christians and heathens. 60 Stegemann 1934, 13. This is by the way in contradiction with what Stegemann states in the introduction to his study, namely that one could well extend the results from the analysis of the Egyptian material to the other provinces of the Roman Empire. What the evidence at our disposal however suggests is rather the opposite: namely that the Egyptian context is a very peculiar one and should thus not be treated as a small-scale model extendable to the entirety of the early Church across the late antique world. Cf. Stegemann 1934, 8.
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Der Name Jesu als magischer Angriff im frühen Christentum Bert Jan Lietaert Peerbolte Dieser Beitrag1 möchte aufzeigen, wie vielgestaltig das religiöse Leben der ersten Christen ausgesehen haben muss. Es wird sich zeigen, dass das antike Christentum nicht von der allgemeinen Welt der Antike unterschieden werden kann, sondern Teil dieser Welt war. Magie und Religion lassen sich daher nicht einfach voneinander trennen, als ginge es bei diesen beiden Begriffen um klar zu unterscheidende Dimensionen menschlichen Verhaltens. Es wird sich auch zeigen, dass die Welt der Antike durchzogen war von der Angst vor Dämonen, auch weil Dämonen als Überbringer von Krankheiten betrachtet wurden. Die Ängste der frühen Christen waren nicht wesentlich anders als die Ängste ihrer paganen oder jüdischen Nachbarn und vielleicht hat man deswegen ähnliche Maßnahmen ergriffen, um sich gegen böse Mächte zu schützen. Was die Christen von ihren Nachbarn unterschieden hat, waren also nicht ihre Ängste, war nicht die Art und Weise, wie sie versucht haben, sich zu schützen, es war auch nicht ihr Weltbild, sondern es war die zentrale Bedeutung, die sie Jesus zugeschrieben haben, und es war die Bedeutung der Geschichten, die über ihn und über seine Nachfolger erzählt wurden. Der Beitrag beginnt mit einem Blick auf die Evangelien und was sie uns über Jesus von Nazaret berichten. Hier finden sich die Geschichten, die für Jesu Nachfolger so wichtig geworden sind.
1. Das Bild Jesu in den Evangelien Das älteste Evangelium, das Markusevangelium, beschreibt Jesus als Wundertäter, als Prediger, als leidenden Gerechten, als Gekreuzigten und erzählt am Ende knapp und implizit seine Auferstehung (Mk 16,1–8). Hier ist die Rolle der Dämonen und unreinen Geister im Markusevangelium besonders interessant.2 Markus fängt mit 1 Ich bedanke mich recht herzlich bei Dr. Michael Hölscher für die Korrektur des Textes und übernehme gerne die Verantwortung für alle übrigen Fehler. 2 Zu Mk 1,23, der Begegnung mit einem Menschen „in einem unreinen Geist“, sagt Rudolf Pesch zu Recht: „‚Unreiner Geist‘ ist im Frühjudentum die geläufige Bezeichnung der dämonischen Geister der Unreinheit. Die in Krankheit und Verdrängung menschlicher Subjektivität, in Selbstentfremdung erfahrbaren zerstörerischen, ‚unsichtbaren‘ (Geist‑)Kräfte werden mit dem Begriff ‚unrein‘ der Sphäre des Bösen, Widergöttlichen, ja des Todes zugeordnet.“ (Pesch 1976, 121).
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Jesus an, der bei seiner Begegnung mit Johannes dem Täufer und seiner Taufe im Jordan in die Öffentlichkeit tritt. Unmittelbar darauf folgen die Versuchung in der Wüste und im Anschluss beginnt Jesu Verkündigungstätigkeit: Jesus predigt das Evangelium Gottes, dessen Zusammenfassung Mk 1,14 f. formuliert: „Die Zeit ist erfüllt und das Reich Gottes ist herbeigekommen. Tut Buße und glaubt an das Evangelium!“. Auf diese programmatische Zusammenfassung folgt die Berufung der ersten Jünger und danach tritt Jesus zum ersten Mal auf. Er lehrt in der Synagoge in Kafarnaum, dort kommt ihm auf einmal ein Mensch entgegen, der ihn erkennt. Dieser Mensch ist, so sagt es Markus, „besessen von einem unreinen Geist“ (Mk 1,23). Jesus treibt diesen Geist aus und die Anwesenden staunen mit den Worten: „Er gebietet auch den unreinen Geistern und sie gehorchen ihm!“ Im Markusevangelium spielt Macht über böse Geister eine wichtige Rolle. Manchmal spricht der Text von „unreinen Geistern“, manchmal auch von „Dämonen“.3 Kurz nach der Szene in der Synagoge von Kafarnaum erzählt Markus, dass Jesus die Schwiegermutter des Petrus heilte und dass sich viele Kranke und Besessene bei ihm „vor der Tür“ meldeten (Mk 1,32 f.). Viele dieser Menschen heilte Jesus „und trieb viele Dämonen aus“, so erzählt es Markus in 1,34. Jesus, so geht es weiter, „ließ die Dämonen nicht reden, denn sie kannten ihn.“ Jesu Macht über Dämonen wird in Mk 3,22–30 thematisiert, wo die Schriftgelehrten darüber spekulieren, woher Jesus diese Macht bekommen habe. Ihrer Meinung nach müsse sie von Beelzebul kommen, dem Obersten der Dämonen. Diese knappe Episode war 1978 für Morton Smith der Anlass, ein Buch zu publizieren, das die These verteidigt, Jesus sei tatsächlich als Magier aufgetreten: „Jesus the Magician“.4 Mit Blick auf dieses Buch gilt es festzuhalten, dass die Idee, die Gegner Jesu hätten Jesus als Magier gedeutet, viel wahrscheinlicher ist als die These, dass er selbst sein Auftreten bewusst als das eines Magiers verstanden hat. Dennoch bleibt auffällig, dass Markus Jesus tatsächlich als Exorzisten präsentiert. Wer daran zweifelt, der darf auf Mk 5,1–20 verwiesen werden. Dort erzählt Markus von der Heilung eines Besessenen im Lande der Gerasener, wobei Jesus eine ganze Gruppe („Legio“) von Geistern in eine Herde von ungefähr zweitausend Säuen treibt, die sich unmittelbar darauf ins Meer stürzen.5 3 Markus nennt „Dämonen“ (δαιμόνια) in Mk 1,34.39; 3,15.22; 6,13; 7,26.29; 9,38 und im sekundären Schluss (Mk 16,9). „Unreine Geister“ (πνεύματα ἀκάθαρτα) oder „ein unreiner Geist“ (πνεῦμα ἀκάθαρτον) werden genannt in Mk 1,23.26; 3,11; 5,2.8.13; 6,7; 7,25. In Kapitel 9 spricht das Evangelium von einem „sprachlosen Geist“ (Mk 9,17, πνεῦμα ἄλαλον) und auch „tauber Geist“ (Mk 9,25, τὸ ἄλαλον καὶ κωφὸν πνεῦμα). 4 Vgl. Smith 1978. Smith beschreibt, wie die Gegner Jesu ihn gesehen haben müssen, eben als Magier, und fragt dann, ob es vielleicht so sein könnte, dass diese Gegner recht hatten. Seine Antwort in diesem Buch ist positiv, und so analysiert er Jesu Auftreten als das eines Magiers. Dass seine Gegner Jesus als Magier sahen, ist in der Antike deutlich bezeugt (vgl. Orig., Contra Celsum), dennoch vermag Smiths Versuch, Jesus tatsächlich als Magier zu verstehen, letztlich nicht zu überzeugen. 5 Mk 5,1 ist insofern problematisch, als Gerasa nicht beim Meer von Galiläa liegt. In den griechischen Manuskripten gibt es drei Alternativen, die aber alle nicht überzeugen. Schon Ori-
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Jesus hat im Übrigen nicht nur selbst Macht über Dämonen, in Mk 3,14 übergibt er sie auch an seine Jünger. Er nennt diese zwölf Jünger auch „Apostel“, weil sie bei ihm sein sollen und als Prediger und Exorzisten ausgesandt werden (Mk 3,14 f.). Das wird erzählerisch tatsächlich in Mk 6,7–13 realisiert, wo die Zwölf „zwei und zwei“ mit „Macht über die unreinen Geister“ ausgesandt werden. Im Markusevangelium tritt Jesus also als Wundertäter und Exorzist auf, und er überträgt seine Macht über Krankheiten und böse Geister auch an seine Jünger. Die beiden anderen Synoptiker, also Matthäus und Lukas, übernehmen dieses Jesusbild aus Markus, obwohl Jesu Identität als Exorzist für ihre Evangelien weniger wichtig scheint als für Markus. Auch im Johannesevangelium findet sich eine Episode, in der Jesus vorgeworfen wird, dass er von einem Dämon autorisiert sein muss (Joh 8,42–52), allerdings ist dort nicht von bösen oder unreinen Geistern die Rede.
2. Jesu erste Nachfolger in der Apostelgeschichte Der zweite Teil des lukanischen Doppelwerks, die Apostelgeschichte, stellt die Magie der Welt der Apostel kritisch gegenüber.6 Dies zeigt sich insbesondere in zwei Episoden, die in Apg 19 kurz nacheinander erzählt werden und die beide in Ephesus spielen. Die Geschichte der Ausbreitung der Bewegung ist in der Apostelgeschichte durch Geistesgaben und Heilungen gekennzeichnet.7 Zweimal bilden unreine Geister ein Paar mit Kranken und Lahmen (Apg 5,16; 8,7), aber nur einmal spricht die Apostelgeschichte von einem bösen Geist, nämlich in der Episode über die Söhne von Skevas: Es versuchten aber einige von den Juden, die als Beschwörer umherzogen, den Namen des Herrn Jesus zu nennen über denen, die böse Geister hatten, und sprachen: Ich beschwöre euch bei dem Jesus, den Paulus predigt. Es waren aber sieben Söhne eines jüdischen Hohenpriesters mit Namen Skevas, die dies taten. Aber der böse Geist antwortete und sprach zu ihnen: Jesus kenne ich wohl und von Paulus weiß ich wohl, wer seid ihr aber? Und der Mensch, in dem der böse Geist war, stürzte sich auf sie und überwältigte sie alle und richtete sie so zu, dass sie nackt und verwundet aus dem Haus flohen. (Apg 19,13–16; Lutherbibel 2017)
Hier verwenden diese unbekannten Beschwörer den Namen Jesu unter Verweis auf Paulus und sie versuchen einen bösen Geist auszutreiben. Wie wir später sehen genes hat vorgeschlagen statt „der Gerasener“ zu lesen: „der Gergesener“, und dieser Vorschlag ist später auch tatsächlich in Manuskripten bezeugt worden, höchstwahrscheinlich beeinflusst von Origenes. Vgl. Krans u. a., z. St. 6 Die kritische Haltung der Apostelgeschichte Magie gegenüber wird klar dargestellt von Klauck 1996. 7 Zur wichtigen Rolle des Geistes in der Apostelgeschichte vgl. Schneider 1980, 256–260.
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werden, ist diese Beschwörungsweise in der Antike überzeugend belegt: Exorzisten verwendeten einfach eine Vielzahl von Götternamen bei ihren Versuchen, Geister auszutreiben und man beschränkte sich dabei nicht auf die eigene religiöse Tradition.8 Dass auch jüdische Beschwörer das gemacht haben, ist anhand des überlieferten magischen Materials aus der Antike einfach festzustellen.9 Die Erzählung scheint aber die Pointe zu haben, dass genau das nun gerade nicht passiert, weil der Name Jesu nur wegen des Glaubens des Beschwörers Macht hat und nicht als vox magica, als magischer Name, dessen Klang allein reichen soll, um Dämonen zu vertreiben. Die Apostel haben den Heiligen Geist empfangen und in der Apostelgeschichte ist es eben der Heilige Geist, der Wunder wirkt, nicht die Magie des Namens Jesu. Die apologetische Tendenz der Apostelgeschichte wird auch daran deutlich, was unmittelbar im Anschluss erzählt wird. Die Episode mit den bösen Geistern wurde allen bekannt und ist für die Einwohner von Ephesus der Anlass, ihre Bücher mit magischen Texten zu verbrennen (Apg 19,19), für die Apostelgeschichte ein Beweis dafür, dass Gott die christliche Bewegung unterstützt und wachsen lässt (Apg 19,20).10 Auf die Verbrennung magischer Bücher folgt nun die zweite Episode in Ephesus: Der Goldschmied Demetrius sieht sein Geschäft durch die Predigt des Paulus gefährdet und organisiert einen Aufruhr gegen ihn. Es ist klar, dass die Verkündigung durch Paulus hier dazu führt, dass weniger Menschen am Kauf von DianaStatuetten interessiert sind und dass die ökonomischen Probleme von Demetrius auf religiöse Polemik zurückgehen.11 Die Kombination der beiden Episoden hat besondere Bedeutung: Die Apostelgeschichte beschreibt die wachsende christliche Bewegung hier als eine, die magischen Praktiken und dem Polytheismus kritisch gegenübersteht. Diese Tendenz passt ganz und gar zum Programm der Apostelgeschichte, weil hier deutlich gemacht wird, dass die Apostel Macht über böse Geister haben, weil der Heilige Geist in ihrem Auftreten präsent ist. Nicht durch magische Formeln und voces magicae wirken die Apostel, sondern durch die Kraft des Geistes.12 So zusammengefasst erzählt die Apostelgeschichte eine religiöse Polemik gegen den Paganismus: Die Apostel richten sich gegen die paganen Götter und die Magie und haben dabei wegen des Heiligen Geistes Erfolg. Ob die Geschichte tatsächlich so gelaufen ist, wie die Apostelgeschichte es beschreibt, ist Vgl. Johnston 2004; Dieleman 2019, bes. 284–286. Vgl. Harari 2019. 10 Rudolf Pesch schreibt zu Apg 19,20: „In alledem, so fügt vermutlich Lukas hinzu, erweist sich die Kraft des Herrn, dessen Wort sich in der Mission ausbreitet, wächst und erstarkt. Die Mission des Paulus in Ephesus ist zu einem erfolgreichen Abschluß gekommen durch die innere Konsolidierung der Gemeinde.“ (Pesch 1986, 174). Vgl. Schneider 1982, 271. 11 Dass die Demetriusgeschichte gut in die historischen Zusammenhänge der Verwaltung der Stadt Ephesus einzuordnen ist, ist überzeugend argumentiert worden von Selinger 1997. 12 Vgl. Lietaert Peerbolte 2006, 180–199. 8 9
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nicht mit Sicherheit zu sagen – es geht in der Apostelgeschichte primär um ein literarisches Programm, das die Auseinandersetzung der frühen Kirche mit der paganen Kultur unterstreicht.13
3. Rezeption bei Origenes und anderen frühchristlichen Schriftstellern Im dritten Jahrhundert richtet sich einer der größten Gelehrten der christlichen Geschichte, Origenes, gegen einen paganen Philosophen, genannt Kelsos.14 Dieser Kelsos hatte in der zweiten Hälfte des zweiten Jahrhunderts einen literarischen Angriff gegen die Christen und ihren Glauben formuliert, indem er sie als ungebildet und dumm bezeichnete. Für Kelsos war es völlig unmöglich, dass Gott, oder besser: die Gottheit, sich im sterblichen Leib eines Menschen zeigen konnte und überhaupt war es ihm unmöglich zu akzeptieren, dass dieser Gott-Mensch dann auch noch am Kreuz gestorben sei. Beides war für ihn nicht akzeptabel: Inkarnation und Kreuzigung. Leider ist der Text des Kelsos nicht überliefert, aber aus der Antwort von Origenes lassen sich doch gewisse Züge rekonstruieren.15 Mit Blick auf unser Thema ist klar, dass Kelsos Jesus für einen Magier gehalten hat. Er beschreibt, wie Jesus seine Magie in Ägypten gelernt hat, und lässt nicht nach aufzuweisen, dass Jesus nichts anderes gewesen sein kann als ein Scharlatan, ein goēs (γόης), d. h. ein Magier, der sein Publikum mit Betrug und Fälschung bezauberte.16 Die Wiederlegung durch Origenes umfasst acht Bücher, die alle zusammen mehr Material liefern, als hier behandelt werden kann. Zwei Aspekte sollen hier dennoch genannt werden, weil sie für die Frage nach dem Verhältnis zwischen Christentum und Magie mehr als wichtig sind. Zum einen finden sich in der Beschreibung des Origenes Hinweise, dass in den magischen Praktiken des zweiten und dritten Jahrhunderts Namen schon eine Sonderbedeutung zugeschrieben wurde und zum anderen steht Origenes in der Tradition von christlichen Schriftstellern, die bemerken, dass der Name Jesu als apotropäisches Schutzmittel verwendet wird, also zur Abwehr von Dämonen. Zuerst zur Verwendung von Namen. Schon früh in seiner Widerlegung fasst Origenes den Vorwurf zusammen, den Kelsos gegen die Christen geäußert hat: „Die Christen empfangen die Macht, die sie zu haben scheinen, durch das Nennen 13 Das literarische Programm der Apostelgeschichte ist analysiert worden von Scott Spencer 2004. 14 Zu Origenes’ Antwort an Kelsos vgl. Fiedrowicz/Barthold 2011–2012. 15 Einen Versuch, die Worte des Kelsos auf Deutsch zu rekonstruieren, bietet Keim u. a. 1984. 16 Morton Smith meinte, dass die Position des Kelsos auf einer hellenistisch-jüdischen Tradition basierte, in der Jesus als Zauberer beschrieben wurde: „The tradition of the Jewish diaspora as it appears in Justin and Celsus, knew Jesus as a teacher, not of the Law, but of magical and libertine practices.“ (Smith 1978, 65).
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mancher Dämonen und durch Beschwörungen“ (I 6).17 Origenes widerlegt diesen Vorwurf einfach, indem er Kelsos korrigiert: „Christen treiben Dämonen aus nicht mit Beschwörungen, sondern ‚durch den Namen Jesu in Kombination mit den Geschichten über ihn, die sie erzählen‘“ (I 6). Origenes erweitert sein Argument, indem er sagt, dass der Name Jesu als Waffe gegen Dämonen so kräftig ist, dass es selbst Fälle gebe, in denen die Verwendung des Namens effektiv sein kann, obwohl die Beschwörer schlechte Leute sind (I 6). Hier spricht Origenes also gegen etwas, das in Apg 19,13–17 erzählt wird, nämlich dass Beschwörer nur dann von den bösen Geistern akzeptiert werden und über sie triumphieren können, wenn sie Christus-Gläubige sind. Höchstwahrscheinlich finden wir in dieser Bemerkung von Origenes den Beweis: Der Name Jesu wurde tatsächlich auch selbst von Außenseitern als apotropäisches Schutzmittel verwendet, das heißt: als Beschwörungs‑ und Abwehrmittel gegen die Macht der Dämonen. Viel später in seinem Text behandelt Origenes die Frage, warum Namen eigentlich so wichtig sind. In IV 33 finden wir die traditionelle Rede von JHWH als dem Gott von Abraham, Gott von Isaak und Gott von Jakob. Diese Formulierung wird oft von Beschwörern verwendet, die Dämonen auszutreiben wünschen, ob sie nun jüdisch sind oder nicht. Origenes fügt noch hinzu: „‚Der Gott Israels‘, der ‚Gott der Hebräer‘ und ‚der Gott, der den König von Ägypten mit den Ägyptern im Roten Meer ertränkt hat‘ sind Formulierungen, die oft verwendet werden, um Dämonen oder sonstige böse Kräfte abzuwehren“ (IV 34).18 Diese Bemerkungen von Origenes stimmen mit so manchem überein, was man in paganen Papyri, in Fluchtafeln und in sonstigen magischen Artefakten vorfindet, und weisen genau das auf, was man als „religiöse Bricolage“ bezeichnen müsste oder, um das alte Wort wieder zu verwenden, als Synkretismus. Diese Begriffe werden u. a. von David Frankfurter mit Blick auf magische Texte und Artefakte verwendet.19 Doch dazu später, wenn es um die theoretischen Aspekte des Verhältnisses zwischen frühem Christentum und Magie geht. Dass die Verwendung von Namen nur effektiv ist, wenn diese Namen in der Originalsprache beibehalten werden, argumentiert Origenes in V 45. Der Name „Sabaoth“, so sagt er, wird gelegentlich in magischen Texten verwendet, sowie auch die Bezeichnung „Adonai“. Interessanterweise macht Origenes hier eine Bemerkung, die so klingt, als stammte sie aus heutiger Zeit. Er schreibt über Menschen,
17 Griechisch: Μετὰ ταῦτα οὐκ οἶδα πὀθεν κινούμενος ὁ Κέλσος φησὶ δαιμόνων τινῶν ὀνόμασι καὶ κατακλήσεσι δοκεῖν ἰσχύειν Χριστιανούς, ὡς οἶμαι αἰνισσόμενος τὰ περὶ τῶν κατεπᾳδόντων τοὺς δαίμονας καὶ ἐξελαυνόντων. Den Text von Contra Celsum bietet Marco vich 2001. 18 Griechisch: ἀλλὰ γὰρ ὁ θεὸς τοῦ Ίσραὴλ καὶ ὁ θεὸς τῶν Ἑβραίων καὶ ὁ θεὸς ὁ καταποντώσας ἐν τῇ ἐρυθρᾷ θάλασσῃ τὸν Αἰγύπτιων βασιλέα καὶ τοὺς Αἰγυπτίους πολλάκις ὀνομάζεται παραλαμβανόμενος κατὰ δαιμόνων ἤ τινων πονηρῶν δυνάμεων; (Marcovich 2001, z. St.). 19 Vgl. Frankfurter 2018.
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die meinen, dass „es keinen entscheidenden Unterschied gibt zwischen den Namen Zeus, Zen, Adonai oder Sabaoth“. Heute würden sie wohl in die moderne Kategorie des multiple religious belonging fallen, oder besser: Diese Erwähnung belegt, dass solche eine Kategorie überhaupt nicht modern ist, sondern auch schon in der Antike zu finden war. Übrigens ist Origenes davon überzeugt, dass die Macht der Dämonen bei der Geburt Jesu gebrochen worden war. Er nennt in I 60 den Status der Magi, Figuren, die in der Luther-Übersetzung des Matthäusevangeliums als „Weise aus dem Morgenland“ vorgestellt werden. Diese Beschreibung macht deutlich, wie Origenes Jesu Macht über die Dämonen sieht und auch wie er Jesus situiert. Er schreibt: Magi kommunizieren mit den Dämonen und rufen diese an mit ihren Formeln für jeden Zweck, den sie wünschen, und sie sind erfolgreich mit diesen Handlungen, so lange sich nichts meldet, das göttlicher und stärker ist als die Dämonen und der Spruch, der sie anruft.20
Origenes erweitert hier sein Argument: Mit der Geburt Jesu haben die Dämonen ihre Kraft verloren. Sie haben deswegen also auch ihre Machtposition verloren, weil die Engel vom Himmel herabgekommen sind, als Jesus geboren wurde und Jesus selbst aus dem Himmel auf die Erde herunterkam. Diese Beschreibung ist aus vielerlei Sicht wichtig: Damit hätte es vor der Geburt Jesu kräftigere Dämonen gegeben als nachher, somit geht auch Origenes davon aus, dass es zu seinen Lebzeiten immer noch Dämonen gibt, und die Episode mit den Weisen aus dem Morgenland weist aus, dass die Inkarnation meinte, dass Jesus aus himmlischen Sphären, begleitet von Engeln, hinuntergekommen war, um Mensch zu werden. Die Geburt Jesu war also für Origenes ein kosmisches Geschehen, durch das sich die Lage der Welt endgültig geändert hat und durch das sogar die Macht der bösen Dämonen gebrochen wurde. Origenes war nicht der erste christliche Schriftsteller, der meinte, dass die Person Jesu mit Macht über Dämonen verbunden war und blieb. Schon im zweiten Jahrhundert war das von einigen christlichen Schriftstellern beschrieben worden: Justinus der Märtyrer spricht davon, dass der Name Jesu Macht über Dämonen hatte (dial. 30,23; 49,8; 76,6; 85,2; 2. apol. 6,4–6). Minucius Felix nennt ein ähnliches Phänomen in Octavius 27,5–7, und auch Irenaeus nennt es in adversus haereses II 32,4.21
20 Griechisch: μάγοι δαίμοσιν ὁμιλοῦντες καὶ τούτους ἐφ᾽ἃ μεμαθήκασι καὶ βούλονται καλοῦντες ποιοῦσι μὲν τὸ τοιοῦτον, ἐφ᾽ὅσον οὐδὲν θειότερον καὶ ἰσχυρότερον τῶν δαιμόνων καὶ τῆς καλούσης αὐτοὺς ἐπῳδῆς ἐπιφαίνεται ἢ λέγεται κτλ.; (Marcovich 2001, z. St.). 21 Vgl. Lietaert Peerbolte 2006, 190–195.
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4. Die magische Umwelt des frühen Christentums Was wir heute „Magie“ nennen, war in der Welt, in der das frühe Christentum aufgekommen ist, in vielerlei Formen und Traditionen nachweisbar. Die Apostelgeschichte spricht über die magischen Bücher, die die Menschen in Ephesus besaßen und die sie zur Verbrennung angeboten haben, zumindest in der apologetischen Erzählung dieses Buches. Es ist wichtig, zu diesem Punkt drei Beobachtungen zu nennen: Erstens war Magie vielleicht weit verbreitet in der paganen Kultur der Antike, aber auch in jüdischen Kreisen hat man sich mit Exorzismen und dergleichen beschäftigt. Zweitens belegen die magischen Traditionen des frühen und auch des späteren rabbinischen Judentums, dass biblische Texte als Schutzmittel gegen Dämonen verwendet wurden und dass das Christentum daher in einem verwandtschaftlichen Verhältnis dazu aufgewachsen ist, in dem solch eine apotropäische Verwendung heiliger Texte als völlig selbstverständlich gelten konnte. Drittens ist es wichtig zu unterstreichen, dass Magie und Religion heuristische Begriffe sind, die eine gewisse Trennung der Phänomene stipulieren, die aber der Sache nach selbst so einfach nicht unterschieden werden können. Es gibt Texte, Rituale und Objekte, die eine klar religiöse Funktion gehabt haben müssen, aber dennoch auch zugleich in die Kategorie „Magie“ fallen. Obwohl wir diese Kategorien verwenden, als seien sie getrennt, ist hier sicherlich von einer gewissen Überlappung auszugehen.
4.1 Jüdische Magie Es ist auffallend, wie oft pagane magische Texte hebräische Formeln und Namen verwenden. In den magischen Papyri (PGM) finden sich viele Erwähnungen der hebräischen Gottesnamen wie IAO, SABAOTH, ELJON usw. Diese hebräischen Bezeichnungen sind so weit verbreitet, dass man sich ihre Herkunft nur aus anfänglich direktem und später vielleicht indirektem jüdischen Einfluss vorstellen kann. Die paganen Papyri belegen also, dass Magie auch von Juden praktiziert wurde und dass Beschwörungen, Exorzismen und dergleichen nicht nur pagane Aktivitäten waren. Es gibt aber auch jüdisches Material, das uns das deutlich macht. In der Vielzahl der Bücher, die das frühe Judentum uns überliefert hat, gibt es eine Menge von Belegen, die aufzeigen, dass Beschwörungen gegen Dämonen und auch gegen Menschen ein fester Bestandteil der Lebewelt des frühen Judentums waren. Ein Autor ist besonders populär in den ersten Jahrhunderten der christlichen Geschichte, und das ist König Salomo. Im hebräischen Text von 1 Kön 5,12 wird bezeugt, dass Salomo neben 3.000 Sprüchen auch 1.005 Lieder geschrieben habe, eine Zahl, die in der LXX geändert wird in 5.000. Die Wiedergabe dieser Tatsache bei Flavius Josephus (ant. Iud. VIII 44) spricht nicht mehr von „Liedern“ (ōdai), sondern von „Inkantationen“ (epōdai). Weish 7,15–22 beschreibt Salomo
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als weisen König, der von Gott Erkenntnis über „den Bau der Welt“ empfangen hat und spezifiziert diese Bemerkung als Einsicht in den Gang der Sterne und der Sonne, und in „die Natur der Tiere und die Kraft der Raubtiere; die Macht der Geister und die Gedanken der Menschen; die Vielfalt der Pflanzen und die Kräfte der Wurzeln“ (Weish 7,20). Bei Josephus, also am Ende des 1. Jh., findet sich eine Beschreibung Salomos, die hierüber hinausgeht und die den großen König skizziert als denjenigen, der esoterische Macht über Menschen, Tiere und Geister empfangen hat. In den Antiquitates (ant. Iud. VIII 44–49) beschreibt Josephus ihn, und es ist auffällig, wie selbstverständlich es für ihn scheint, dass Salomo magische Macht hatte. Ein Element aus dieser Beschreibung wird später weiter einflussreich werden, nämlich ein Ring mit einem magischen Siegel aus Kräutern: Ich habe zum Beispiel gesehen, wie einer der Unseren, Eleazar mit Namen, in Gegenwart des Vespasianus, seiner Söhne, der Obersten und der übrigen Krieger die von bösen Geistern Besessenen davon befreite. Die Heilung geschah in folgender Weise. Er hielt unter die Nase des Besessenen einen Ring, in dem eine von den Wurzeln eingeschlossen war, welche Solomon angegeben hatte, ließ den Kranken daran riechen und zog so den bösen Geist durch die Nase heraus. Der Besessene fiel sogleich zusammen, und Eleazar beschwor dann den Geist, indem er den Namen Solomons und die von ihm verfassten Sprüche hersagte, nie mehr in den Menschen zurückzukehren. (Ios., ant. Iud. VIII 46–48)22
In diesem Bericht ist es also die Kombination von Ring, Siegel, Kräutern und der Anrufung des Namens Salomo, die den Besessenen geheilt hat. Neben den formgeschichtlichen Parallelen zwischen dieser knappen Geschichte und manchen Heilungen, die in den Evangelien von Jesus berichtet werden, ist es auch wichtig zu sehen, dass Dämonen-Besessenheit als Ursache einer Erkrankung gesehen wurde und dass Exorzismus hier als Heilungsstrategie praktiziert wird. In einem späteren Text wird diese sagenhafte Macht Salomos über Geister und Dämonen explizit mit dem Ring verbunden, der hier auch schon genannt wurde. Diese Schrift ist das Testament Salomos. Hier ist nicht der Raum für grundsätzliche Auseinandersetzungen mit diesem Text, der so viele unbeantwortete Fragen aufwirft: Ist er jüdisch oder christlich?23 Wie ist er zu datieren? Wie lautet der Text des Testaments eigentlich genau? Oder besser: Welche der zwei Rezensionen, überliefert in verschiedenen Varianten, ist die älteste? Das sind alles wichtige Fragen, die hier nicht geklärt werden können. Was hier wichtig ist, ist, dass das Testament Salomos zeigt, dass Salomo in den ersten Jahrhunderten tatsächlich Objekt dämonologischer Spekulationen war, die halb magisch und halb medizinisch gedeutet werden müssen und uns deutlich machen, dass in diesem Zeitalter Arznei, Dämonologie, Magie, Geisterbeschwörungen und die Verwendung von biblischen Übersetzung nach Clementz 2011. Peter Busch 2006 hat argumentiert, dass es um eine christliche Schrift geht, die Salomo auch aufgrund jüdischer Traditionen beschreibt. 22 23
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Gestalten und Schriften eine Bricolage bildeten, die wir heute nicht so ohne weiteres als eine Disziplin anerkennen würden.
4.2 Psalm 91 als Schutzmittel Der einzige Psalm, der in den Schriften des Neuen Testaments vom Teufel zitiert wird, ist ein schönes Beispiel für die Verwendung von heiligen Texten als apotropäisches Schutzmittel. Ps 91 (MT) spricht von dem Schutz, den Gott einem Frommen bietet. Die deutsche Übersetzung folgt dem hebräischen Text. In den Versen 1–6 heißt es: 1 Wer unter dem Schirm des Höchsten sitzt und unter dem Schatten des Allmächtigen bleibt, 2 der spricht zu dem Herrn: / Meine Zuversicht und meine Burg, mein Gott, auf den ich hoffe. 3 Denn er errettet dich vom Strick des Jägers und von der verderblichen Pest. 4 Er wird dich mit seinen Fittichen decken, / und Zuflucht wirst du haben unter seinen Flügeln. Seine Wahrheit ist Schirm und Schild, 5 dass du nicht erschrecken musst vor dem Grauen der Nacht, vor dem Pfeil, der des Tages fliegt, 6 vor der Pest, die im Finstern schleicht, vor der Seuche, die am Mittag Verderben bringt. (Lutherbibel 2017)
Im Beitrag zur Festschrift für Jan van der Watt habe ich versucht deutlich zu machen, wie dieser Text in der Antike als Beschwörung gegen Dämonen verwendet wurde.24 Ein altes Symbol für einen Dämon ist der Pfeil. Schon in der griechischen Übersetzung der LXX wurden die in V. 5 genannten Pfeile explizit gemacht als Dämonen und es ist nicht ganz zufällig, dass der Teufel in Mt 4 und in Lk 4 gerade diesen Psalm zitiert. Es wirkt, als ob er darauf anspielt, dass Jesus selbstverständlich weiß, dass der Schutz, den dieser Psalm bietet, ihm insbesondere gelten wird. Er zitiert Ps 91,11 in Mt 4,6/Lk 4,10 und Ps 91,12 in Lk 4,11. Die Versuchungsgeschichte bei Matthäus und Lukas ist nicht der einzige Beleg für eine apotropäische Anwendung dieses Psalms, denn es gibt auch ein Dokument unter den Schriften von Qumran (11Q11), in dem dasselbe passiert, und in späteren Stellen ist eine ähnliche Interpretation bezeugt. Diese Leseweise von Ps 91 findet sich sogar noch beim mittelalterlichen jüdischen Schriftgelehrten Rashi, der beim Pfeil genau dieselbe Assoziation hat: Er legt aus, dass dieser Pfeil für einen Dämon steht. Es ist auffallend, dass schon im Text des Psalms selbst, sowohl im MT als auch in der LXX, eine gewisse Beziehung zu bestehen scheint zwischen Pfeil/Dämon Lietaert Peerbolte 2017.
24
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einerseits und den genannten Krankheiten andererseits. Abwehr von Dämonen wurde also als eine Möglichkeit gesehen, um Krankheiten zu vermeiden, so wie Exorzismen als Heilungen gesehen wurden. Für das Verständnis der Anwendung von Evangelientexten durch spätere Christen ist hier festzuhalten, dass eine Passage aus der biblischen Tradition also einfach als Schutzmittel gegen Dämonen verwendet werden konnte. So eine Verwendung muss aus der Überzeugung entstanden sein, dass die heiligen Schriften Israels auch die Macht des Heiligen Israel zu übermitteln im Stande sein würden. Und es ist diese Tradition, die den Hintergrund geformt haben muss für den christlichen Gebrauch von Sätzen aus den Evangelien als Amulette. Im Folgenden soll der Blick auf diese Amulette gerichtet werden, aber vorab wird noch die Frage behandelt, wie die Begriffe „Magie“ und „Religion“ überhaupt definiert werden können.
5. Religion, Magie und Zauber – eine Begriffsbestimmung Wie verhalten sich also Magie und Religion zueinander und wie lassen sich magische Äußerungen im frühen Christentum verstehen? Ist Magie als eine Art von Religion aufzufassen? Und wie sind Magie und Zauber voneinander zu trennen? In diesem mehr theoretischen Teil dieses Beitrags sollen aus der Vielzahl von Autoren, die sich mit diesen beiden Begriffen beschäftigt haben, zwei Forscher herausgegriffen werden, die beim Sprechen über diese Phänomene nicht übersehen werden sollten: Hans-Peter Hasenfratz und David Frankfurter. Der Schweizer Religionsgeschichtler Hans-Peter Hasenfratz (1938–2006) lehrte von 1985 bis 2003 an der Ruhr-Universität Bochum und hat über zahlreiche religiöse Traditionen geschrieben, vom Glauben an die Auferstehung im frühen Christentum bis zur religiösen Welt der alten Germanen. Sein wichtigstes Werk wurde posthum publiziert: „Der Tod in der Welt der Religionen“.25 Hasenfratz hat im Jahr vor seinem Tode ein kleines Büchlein geschrieben, in dem er sich mit der Frage der Begriffsbestimmung von Religion auseinandersetzt, aber auch mit den Begriffen von Magie, Zauber und vielen anderen, die bei seinen Studien wichtig waren. In diesem Büchlein bietet Hasenfratz diese Definition von Religion: „Wenn man von ‚Religion‘ spricht, meint man ‚ein Symbolsystem, das der Kontingenzbewältigung, der biologischen und sozialen Programmierung dient und sich auf eine ‚Andere Wirklichkeit‘ bezieht“.26 Diese Definition von Religion als kulturelles Symbolsystem ist natürlich eine Variante der Definitionen, die bereits von anderen formuliert worden sind, und alle sind Erweiterungen der Arbeit von Clifford Geertz. Geertz, ein amerikanischer Anthropologe (1926–2006), hat das Verständnis von Religion als kulturelles System mit seiner Publikation „Religion as a Cultural System“ (1966) begründet.27 Es wird Hasenfratz 2009. Hasenfratz 2002, 9. 27 Geertz 1966. 25 26
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sich später noch zeigen, wie vielgestaltig Religion aussehen kann, wenn man sie als kulturelles System analysiert, und was die Folgen für das Studium des frühen Christentums sind. In so einem kulturellen System können sogenannte magische Handlungen und Ideen die religiöse Dimension beeinflussen. Für Hasenfratz ist wesentlich für die Magie, dass sie auf Grund der Annahme der sympatheia funktioniert: Die Möglichkeit von Magie basiert auf der Annahme, „die Welt, in der wir leben“, der (soziale und natürliche) Kosmos sei ein Organismus, eine „sympathetische Empfindungsgemeinschaft“: was einem Teilglied, einem „Organ“ widerfährt, „affiziert instantan alle anderen mit“.28
Hasenfratz leitet daraus ab, dass in der Magie ein Teil immer als mit dem Ganzen verbunden betrachtet wird und dass Wort und Bild Macht haben über das Beschriebene oder Abgebildete oder den Beschriebenen oder Abgebildeten. Der Magier arrangiert also Gegenstände, um dadurch Macht über Menschen oder Sachverhalte auszuüben. Die kulturelle Gemeinschaft, in der Magie als Instrument zur Machtausübung akzeptiert wird, kann also diese Form von Machtausübung verbieten, weiß aber genau, dass sie doch praktiziert wird und dass Magie stärker ist als menschliche Gesetze. Es ist wichtig zu sehen, dass Hasenfratz Zauber von Magie unterscheidet: „Zauber beruht auf der Annahme von unpersönlichen oder persönlichen Kräften in lebenden Wesen, Dingen, Substanzen und auf der Kenntnis davon, wie man sich dieser für bestimmte Zwecke bedienen muss.“29 So sind Magie und Zauber ähnlich, aber gewiss zu unterscheiden. Und beide sind sie von Religion zu trennen, obwohl religiöse Überzeugungen manchmal den Rahmen bilden, in dem Magie und Zauber praktiziert wurden. Es ist klar, dass Magie – als Versuch zur Manipulation der Wirklichkeit durch die Anwendung des Prinzips der Sympatheia – und Zauber – als Versuch zur Manipulation der Welt der Dämonen und Geister – einander oft durchqueren und auch nicht immer von Religion als kulturellem System unterschieden werden können. Es lässt sich aber zeigen, dass die Kategorien von Magie, Zauber und Religion tatsächlich moderne Kategorien sind, die sich nicht einfach voneinander trennen lassen, wenn man die Texte und Artefakte des frühen Christentums analysiert. Man kann das Christentum nicht einfach als religiöse Bewegung sehen und sie völlig von den magischen Praktiken der Umwelt abgrenzen. Es gibt gewisse christliche Exegeten, die sich sehr darum bemühen, Magie und Christentum voneinander abzugrenzen, aber solche Versuche sind zum Scheitern verurteilt. Was wir „Magie“ und „Zauber“ nennen, wurde in der Antike auch von Christen praktiziert. Und deswegen sollten wir versuchen, auf eine angemessene Weise über das antike Christentum 28 Hasenfratz 29 Hasenfratz
2002, 28. Vgl. auch Hasenfratz 2004, 55. 2004, 56.
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zu sprechen. So eine angemessene Weise ist vom amerikanischen Historiker David Frankfurter formuliert worden. In seinem Buch „Christianizing Egypt“ (2018) verwendet Frankfurter ein neues Modell für die Analyse von Religion als kulturelles Symbolsystem.30 Frankfurter weist darauf hin, dass das Studium von Religion allzu oft aus protestantisch-theologischer Sicht angegangen worden ist, und dass daher Überzeugungen und Ideen einfach als das Proprium einer Religion gesehen werden. Seines Erachtens aber ist das gelebte Leben der Anhänger einer Religion mehr als eine Summe von Überzeugungen. Frankfurter beschreibt deswegen fünf Felder, die zusammengenommen werden müssen, wenn man über eine Religion spricht.31 Zuerst ist es wichtig zu analysieren, wie das Leben im privaten Bereich ausgesehen hat: Wie lebten die Menschen und wie haben sie ihre religiösen Ideen im alltäglichen Leben umgesetzt? Der zweite Aspekt, den man beim Studium der Religion in Betracht ziehen muss, ist die Frage, welche heiligen Personen es gibt: Wen betrachtet man als heilig? Frankfurter beschreibt in seinem dritten Kapitel die Traditionen von heiligen Männern: Es gibt Personen, die deutlich machen, wie Anhänger einer Religion das Heilige sehen. Aber auch Orte sind für Frankfurter relevant. Der dritte Aspekt ist daher die Frage: Welche Orte betrachtet man als heilig und was erfährt man an diesen Orten? Der vierte Aspekt von Religion ist die materielle Kultur: Welche Artefakte wurden hergestellt und verwendet und was lässt sich mit Blick auf die Verwendung dieser Artefakte rekonstruieren? Letztendlich kommt Frankfurter zum fünften Aspekt: „Scribality and Syncretism“, also die textuelle Dimension der Religion, die Weise, auf die sie von Abschreibern gestaltet wurde und die materielle Gestaltung dieser textuellen Dimension. Während viele Religionswissenschaftler sich auf das Studium von Ideen und Texten beschränken, gibt Frankfurter ein viel umfassenderes Modell, mit dem man versuchen kann, christliche Ausdrucksformen von Magie und Zauber zu verstehen.32 Man sollte also nicht versuchen, das frühe Christentum von der Welt der Antike zu unterscheiden, sondern muss es als Teil davon auffassen.33 Diese Sicht ist längst nicht mehr neu, aber nach wie vor überzeugend. Obwohl wir Texte und Ideen aus dem ersten und zweiten Jahrhundert kennen, weil sie Teil der biblischen Überlieferung sind, heißt das nicht, dass wir auch mit der Welt vertraut sind, aus der diese Texte und Ideen auf uns gekommen sind. Für das Verständnis dieser antiken Welt ist ein Gedanke von Frankfurter äußerst wichtig: Die religiöse Welt der Anti Frankfurter 2018. Vgl. Frankfurter 2018, 1–33. 32 Inzwischen hat Frankfurter eine neue Einführung in das Studium der Magie herausgegeben, in dem er sich zur Frage, ob „Magie“ als wissenschaftliche Kategorie noch zu verwenden ist, sehr kritisch verhält. Vgl. Frankfurter 2019, 3–20 (= Kapitel 1), und auch die Beiträge im 4. Teil (605–774). 33 Vgl. Betz 1998, der ganz deutlich macht, dass man Christentum und Antike nicht gegeneinander abgrenzen kann. 30 31
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ke, und vielleicht nicht nur der Antike, sondern auch heute, war in hohem Maß durchzogen von Synkretismus und Bricolage. Was meint Frankfurter mit diesen Andeutungen? Synkretismus ist ein Begriff der in der Forschung der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sehr populär war, aber damals nur von den Ideen her bestimmt wurde. Frankfurter verwendet ihn jetzt als anthropologische Kategorie aus der Tradition Bourdieus. Der französische Soziologe Pierre Bourdieu (1930–2002) hat den Begriff des Habitus eingeführt: Der Habitus eines Menschen oder einer Gruppe ist der innere, mentale Aufbau der Lebenswelt, die gestaltet wird durch die Kombination von Ideen, Handlungen, materieller Kultur und Geschichten. Individuelle Elemente aus unterschiedlichen Kontexten können so in einem Habitus zusammenkommen und miteinander ein religiöses System formen, in dem Einflüsse aus der Tradition des Zen-Buddhismus zum Beispiel mit Überzeugungen aus der protestantischen Tradition kombiniert werden. Diese Sicht auf Religion als kulturelles System, in dem Bricolage und Synkretismus konstitutiv sind und in dem die religiöse Wirklichkeit durch Formen und Aktivitäten im privaten Bereich gestaltet wird, durch eine Auswahl von heiligen Menschen, heiligen Stätten, materiellen Artefakten und textueller Kultur, ermöglicht es, Äußerungen von Magie und Zauber im frühen Christentum als Bruchstücke synkretistischer religiöser Systeme der Antike zu verstehen. Dabei zeigt sich, dass es nicht möglich ist, liturgische Sprache, biblische Bezüge und magische Beschwörungen voneinander zu trennen. Das alles gehörte, so sollte man anerkennen, zum gleichen Diskurs.
6. Christliche Beschwörungen und Amulette: einige Beispiele Die folgenden Beispiele beschränken sich auf die Verwendung biblischer Personen oder Texte auf Papyri, die wohl der Abwehr von Dämonen dienten. Es gibt selbstverständlich eine Menge von anderen möglichen Beispielen, aber für diesen Beitrag soll diese Auswahl genügen.
6.1 P.Haun. III 51 Papyrus Hauniensis III 51 aus dem 5. Jahrhundert und unbekannter Herkunft, jetzt in Kopenhagen, bietet einen kurzen Text, der dennoch ganz deutlich seine ursprüngliche Funktion erkennen lässt: es ist ein Amulett, mit dem das Fieber von Kale vertrieben werden soll.34 In meiner Übersetzung lautet der Text: †Christus ist geboren, amen. Christus ist gekreuzigt, amen. Suppl.Mag. I, Nr. 23.
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Christus ist begraben, amen. Christus ist auferstanden, amen. Er ist auferweckt worden, um zu richten die Lebenden und die Toten. Fliege auch Du, zitterndes Fieber, weg von Kale, die dieses Amulett trägt. (magische Zeichen) Heilige Inschrift und mächtige Zeichen, vertreibe das zitternde Fieber weg von Kale, die dieses Amulett trägt. Jetzt, jetzt, jetzt, schnell, schnell, schnell.
Der Text macht deutlich: Kale ist krank, bedarf der Heilung und trägt deswegen ein Amulett, in dem eine kurze Glaubensformel am Anfang steht, worauf drei Sätze folgen, die die Macht des Auferstandenen zur Heilung anrufen. Dieser Anrufung folgen einige magische Zeichen und dann endet der Text mit drei Sätzen, die das Fieber vertreiben sollen. Der letzte Satz ist ein Standard-Element in vielen magischen Papyri: ηδη ηδη ηδη, ταχυ ταχυ ταχυ – jetzt, jetzt, jetzt, schnell, schnell, schnell. Es ist ein Versuch, die Sprache zu mobilisieren, diesmal gegen ein Fieber, und die Dringlichkeit des Wunsches zu unterstreichen. Die magischen Zeichen und der letzte Satz sind auch oft in paganen Papyri zu finden und machen deutlich, dass die Kategorien von Synkretismus und Bricolage tatsächlich hilfreich sind. Was wir hier vorfinden, ist ein Gebet, aber auch eine Beschwörung, die aber nicht explizit besagt, dass die Ursache des Fiebers bei einem Dämon zu suchen ist. Die Rolle der Dämonen muss man dennoch mit einbeziehen, wenn man versucht, diesen Text zu deuten und die erhoffte Wirkung des Textes zu verstehen. So ein Amulett hatte die Absicht, Dämonen entweder abzuwehren oder, in diesem Fall, zu vertreiben.
6.2 P.Oxy. 1077 Papyrus Oxyrhynchus 1077 ist ein ägyptischer Papyrus, der ins 6. Jahrhundert datiert wird.35 Es geht hier um ein faszinierendes Beispiel der Verwendung eines Evangelientextes zur Abwehr von Krankheit. Der Text ist 6 mal 11,1 Zentimeter groß, viel interessanter ist aber die Form des Textes. Es geht um ein Zitat aus dem Matthäusevangelium, das kreuzförmig gestaltet worden ist, oder besser: in der Form von 14 Kreuzen aufgeschrieben ist. Zentral zwischen diesen Kreuzen befindet sich die Zeichnung einer Person, sehr wahrscheinlich der Träger des Amulettes. Zuerst der Text: Heilendes Evangelium nach Matthäus: Und Jesus zog umher in ganz Galiläa, lehrte und verkündigte das Königreich, heilte alle Krankheiten und al‑ [Zeichnung der Person] ‑le Krankheiten und alle Gebrechen im Volk und die Kunde von ihm erscholl in ganz Syrien und es kamen zu ihm alle mit mancherlei Plagen behaftet und Jesus machte sie gesund. Ed. Hunt 1911, 10 f.
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Der Text ist interessant, weil er nicht ganz mit der Mehrzahl der Handschriften übereinstimmt, die heute für Mt 4,23 f. herangezogen werden, aber es ist ganz klar, dass es hier um diese Passage geht. Dieses Amulett belegt, dass für Christen in der Spätantike der Wortlaut des Evangeliums machtvoll war und dass die Macht, die so ein Text ausübte, als Abwehr gegen Krankheit fungiert hat.
6.3 P.Princ. II 107 Dieses Beispiel stammt – wie auch die folgenden – aus dem Werk von Brice C. Jones, „New Testament Texts on Greek Amulets from Late Antiquity“ (2016).36 Jones hat eine wichtige Übersicht zusammengestellt, in der er 24 Papyri aus der Spätantike analysiert. Aus dieser Sammlung sollen drei Beispiele vorgestellt werden, bevor ein abschließendes Fazit gezogen wird. P.Princeton II 107 ist mehr oder weniger als ein Gebet oder eine Beschwörung zu definieren.37 Die 20 Zeilen des Textes lauten in Übersetzung folgendermaßen: (voces magicae) […] zitterndes Fieber, ich beschwöre Dich, Michael, Erzengel der Erde, ob es nun täglich oder nächtlich oder monatlich oder jede vier Stunden vorkommt, bei dem allmächtigen Sabaoth beschwöre ich, dass es nicht mehr die Seele trifft meines Trägers noch auch seinen Leib trifft. Ich beschwöre Dich und die Toten: Hilf Taiolles, die Tochter des Isidorus […] (Ps 90,1 LXX) „Wer unter dem Schirm des Höchsten sitzt und unter dem Schatten des Allmächtigen bleibt, der spricht zu dem HERRN: meine Zuversicht und meine Burg, mein Gott, auf den ich hoffe.“ Unser Vater im Himmel, unser tägliches Brot. Heilig, heilig ist der Herr Sabaoth, Himmel und Erde sind voll Deiner Ehre. Aniaadaiia, Michael, der Herr von Abram, Isaak, Jakob, Eloi, Ele, Sabaoth, Oel.
In diesem Text werden Beschwörungen, voces magicae, Zeilen aus dem Vaterunser und göttliche Namen mit einem Zitat aus Psalm 91 zu einem Ganzen zusammengefügt. Was ich übersetzt habe als „Unser Vater“ ist im Papyrus fehlerhaft geschrieben als „Euer Vater“ (ὑμῶν statt ἡμῶν, ein orthographischer Fehler, der sich in griechischen Handschriften häufiger findet). Der Text des Vaterunsers wird hier gekürzt zu einer kurzen Formulierung aus zwei Zeilen (Anruf und tägliches Brot), unmittelbar gefolgt von einem ebenso gekürzten Sanctus. Der Text endet mit einer Anrufung der göttlichen Macht unter Verwendung von acht verschiedenen göttlichen Namen (nomina divina), ein Brauch der unmittelbar aus paganer Tradition übernommen worden ist. Hier liegt also ein christlicher Papyrus vor, der aber ganz deutlich nach paganem Vorbild gestaltet worden ist.
36 Jones 37 Jones
2016. 2016, 80–86.
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6.4 P.Iand. I 6 Papyrus Iandanae I 6 ist ein merkwürdiges Beispiel.38 Es handelt sich um ein Amulett aus dem 5. oder 6. Jahrhundert und beim ersten Blick wird direkt deutlich, dass mit diesem Text etwas schief gegangen sein muss. Erstens ist zu bemerken: Dieser Text besteht aus langen, mehr oder weniger geraden Zeilen, die, wenn man sie durchgehend liest, keinen sinnvollen Text ergeben. Wenn man aber davon ausgeht, dass der Text in der heutigen Form vermutlich durch einen Abschreibefehler zu Stande gekommen ist, wird es möglich, die Fassung zu rekonstruieren, die als Vorlage gedient haben muss. Die Rekonstruktion funktioniert wie folgt: In diesem Amulett hat ein Kopist sechs Spalten kopiert, aber nicht in der richtigen Reihenfolge. Spalte 1 umfasste Evangelientext aus Lk 9,37 und 11,1b–2 (obwohl als Matthäus bezeichnet), Spalte 2 enthielt ein Stück des Vaterunsers (Mt 6,9–12), Spalte 3 die Fortsetzung davon (Mt 6,9–12) in Kombination mit einem Bezug auf einen Exorzismus durch Salomo. In Spalte 4 finden sich Bruchstücke von Ps 90,13 LXX, und in den Spalten 5 und 6 Bitten um Schutz. Wenn man die Zeilen dieser sechs Spalten nicht vertikal liest, sondern spaltenübergreifend horizontal kopiert, bekommt man einen Text, der aus verschiedenen erkennbaren Vorbildern zusammengestellt ist, aber insgesamt keinen Sinn ergibt. Das ist genau das, was hier passiert ist. Und diese Tatsache verrät uns gewiss etwas über den Abschreiber: er war kein Genie!39 Übrigens gibt es dasselbe Problem in der textuellen Überlieferung des Geschlechtsregisters Jesu in Lk 3,23–38 in Minuskel 109 (14. Jahrhundert). Hier ist anscheinend ein Vorbild mechanisch kopiert worden, in welchem das Geschlechtsregister in zwei Spalten geschrieben wurde, der Kopist aber hat das nicht erkannt und den Text nicht vertikal, sondern horizontal abgeschrieben, mit einem verwirrenden Resultat.40 Übersetzt lauten die beiden letzten Spalten (in Rekonstruktion!): (5.) Ich […] die Macht hatten […] über den Dämon des Nachmittags, den Dämon der Nacht, den Dämon des Mittagessens, nächtliche Fieber und welche blinden, stummen, tauben oder zahnlosen Dämonen es auch immer gibt. (6.) […] Ich beschwöre Dich durch den Arm des unsterbli[chen] Go[tte]s und seine rechte Hand und durch seinen furchtbaren und heiligen Namen: vertreibe Gift oder jeweilige Krankheit oder böse Plage von wem immer dieses Amulett trägt.
Jones 2016, 87–94. Obwohl es natürlich auch noch gewisse Gelehrte gibt, die der Meinung sind, dass dieser textuelle Mischmasch vom Abschreiber beabsichtigt war, um den Text auf diese Weise unverständlich zu machen (siehe Jones 2016). 40 Vgl. Metzger /Ehrman 2005, 259: „As a result, not only is almost everyone made the son of the wrong father, but, because the names apparently did not fill the last column of the exemplar, the name of God now stands within the list instead of at its close […] In this manuscript, God is actually said to have been the son of Aram and the source of the whole race is not God but Phares!“ 38 39
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In der von Jones vorgeschlagenen Rekonstruktion haben wir hier den Beleg dafür, dass gewisse Perikopen aus den Evangelien mit dem liturgischen Gebet des Vaterunsers, mit einem Bezug auf einen Exorzismus des Salomo, mit Ps 91 als apotropäischem Text und mit pseudo-magischen Beschwörungen zur Abwehr von Dämonen zusammengefügt wurden. Hier sieht man, wie sehr in gewissen christlichen Kreisen der Antike die Kategorien von Heiliger Schrift, Liturgie, Exorzismus, Legende über Salomo und magische Beschwörungen in einer synkretistischen Bricolage zusammengedacht werden konnten, die gewisse pagane Traditionen weiter fortsetzte, aber dennoch durch und durch christlich genannt werden darf.
6.5 P.Köln VIII 340 Das letzte Beispiel ist P.Köln VIII 340.41 Bei diesem Amulett geht es um den Text des Prologs des Johannesevangeliums (Joh 1,1–11), unmittelbar gefolgt von einer Beschwörung: Wir beschwören Dich, Gott, und Maria, Gottesgebärerin, Vater unseres Herrn und Heilandes Jesu Christi, dass Du Deinen Engel schicken möchtest, der den Prozess der Heilung des Trägers dieser Beschwörung befördert und alle und jede Krankheit und Erkrankung vertreibt […] jeden unreinen Geist, das böse Auge, menschliche Gesinnung. Ich verbanne Dich durch den herrlichen Namen des Herrn in Ewigkeit und Ewigkeit. Amen, amen, amen.
Hier haben wir ein Beispiel eines Textes, der durch das Rezitieren der ersten Zeilen des Johannesevangeliums die Macht Jesu anruft und nachher Gott (und auch Maria, die Gottesgebärerin) dazu aufruft, einen Engel zu schicken, um die Krankheit des Trägers dieses Amuletts wegzunehmen. Auch hier wird eine biblische Perikope kombiniert mit magischen Beschwörungen, obwohl hier nicht von Dämonen die Rede ist. Die Kombination von Beschwörungssprache, Gebetssprache und Evangelium weist erneut darauf hin, dass die Christen den magischen Diskurs als Heilungsmittel oder Abwehr gegen Dämonen übernommen haben und ihn einfach mit spezifisch christlichen Elementen verbunden haben.
7. Fazit Am Ende dieses Streifzugs durch die magische Welt des frühen Christentums lässt sich vor dem Hintergrund der besprochenen Sachverhalte das folgende Fazit formulieren. a. Magische Praktiken waren Teil der Lebenswelt, in der das Christentum entstanden ist. In den ersten Jahrhunderten des christlichen Zeitalters waren magische Formulierungen in paganen Kreisen populär, die Elemente aus jüdischer Tradition Jones 2016, 140–146.
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enthielten, insbesondere durch die Popularität der hebräischen nomina divina und voces magicae. b. Biblische Perikopen und Traditionen wurden von Menschen verwendet, die sich mit magischen Beschwörungen beschäftigten. Dabei lässt sich an der Verwendung von Ps 91 als apotropäisches Schutzmittel denken, aber auch an Legenden über König Salomo als Herrscher über Dämonen und Geister. c. Beim Auftreten Jesu waren seine Heilungen ein ganz wichtiges Element, das in den Erzählungen über Jesus bei seinen Nachfolgern immer wichtiger geworden ist. Morton Smith hat das vor gut 40 Jahren dazu veranlasst, Jesus selbst in seinem Buch „Jesus the Magician“ als Magier zu beschreiben. Was an diesem Buch noch immer überzeugend ist, ist, dass die Gegner Jesu ihn schon früh als Magos, als Magier, charakterisiert haben.42 Was für Jesus selbst vielleicht der Beweis war, dass der Geist Gottes in ihm und durch ihn wirkte, wurde als Argument gegen seine Bewegung verwendet. Die Nachfolger Jesu, mit den Aposteln auf erstem Rang, haben sich in einer imitatio Domini oder imitatio Christi präsentiert als Wundertäter. In der Apostelgeschichte galten Wunder als Beweis für die Anwesenheit des Geistes Gottes und deshalb als Legitimation des apostolischen Status, den sie beanspruchten. d. In der Welt der Antike, sind, wie heute auch, Kategorien von Magie, Zauber und Religion wichtig und einigermaßen voneinander zu unterscheiden, aber sie sind nicht eindeutig definiert und entsprechend nicht immer klar zu trennen. Das wachsende Christentum erweist sich, bis in die Spätantike, als ein synkretistisches soziales System, das Elemente verschiedener kultureller Dimensionen und Diskurse in einer Bricolage miteinander verbindet, die zur Vielgestaltigkeit geführt hat und nicht immer mit der offiziellen Religion der kirchlichen Hierarchie übereinstimmt. Frankfurters Modell unterscheidet zwischen dem privaten Bereich, heiligen Männern und Frauen, heiligen Stätten, Artefakten und der textuellen Dimension des Christentums. Die magischen Elemente, die in diesem Beitrag diskutiert worden sind, befinden sich vornehmlich im privaten Bereich und waren also Teil der alltäglichen Lebenswelt der ersten Christen. Natürlich gab es eine monotheistische Apologetik, in der es keinen Platz gab für die magische Abwehr von Dämonen, aber in dieser alltäglichen Lebenswelt sah das Leben doch anders aus. e. Wenn das Studium der Magie im frühen Christentum uns etwas deutlich macht, dann ist es wohl die Erkenntnis: Schon in der Antike gab es vom Christentum keine Reingestalt ohne Elemente aus der paganen Kultur. Das Christentum war und ist eine Religion, die von Prozessen der Enkulturation durchzogen ist, indem es ihre Form findet in der Bricolage christlicher und vor‑ und außerchristlicher Gebräuche. Es wäre interessant und wichtig, an diesem Punkt weiterzudenken und zu fragen, wie sich die christlichen Autoritäten zu diesem Phänomen der Bricolage verhalten haben. Aber das wäre ein anderer Beitrag. Vgl. Smith 1978, 21–44.
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Absturz und Knochenbruch Mentalitätsgeschichtliches zu den Petrusakten und antikem Schadenszauber*
Stephan Witetschek Wenn in diesem Band programmatisch die wechselseitige Erhellung von frühchristlicher Literatur und antiken (Schadens‑)Zaubertexten angestrebt wird, soll auch ein Blick auf die Petrusakten einen Beitrag zur (wenigstens) mentalitätsgeschichtlichen Illustration leisten.1 Der Text, der uns in der lateinischen Übersetzung der Actus Vercellenses überliefert ist, stellt sich in der Tat vielversprechend dar, handelt er doch von der Auseinandersetzung des Petrus mit dem Magier Simon. Bei genauerem Hinsehen wird der Optimismus jedoch gleich gedämpft: Im uns erhaltenen Bestand der Petrusakten wird niemand verflucht, und es werden schon gar keine Fluchtäfelchen oder entsprechende Figurinen hergestellt. Materia magica spielt überhaupt keine Rolle.2 Gewiss, es wird von Handlungen erzählt, die man als Schadenszauber bezeichnen kann. Das mag für den „Wunderwettstreit“ zwischen Petrus und Simon (ActPetr 23–29; 30–32) gelten, namentlich für den Part des Simon, der in ActPetr 25 den Lieblingsknaben des Kaisers mit geflüsterten Worten zu Tode bringt (ad aurem pueri locutus est et sine voce fecit tacere et mori3). Unter etwas anderem Aspekt könnte man auch die Rufina-Episode am Anfang des erhaltenen Textbestandes (ActPetr 2) für einschlägig halten. Nach gängigen Kategorien ist diese Episode zwar als ein von Paulus gewirktes Straf‑ bzw. Normenwunder zu betrachten,4 doch Rufinas (halbseitige) Lähmung * Dieser Beitrag entstand auch im Kontext des DFG-Projekts „Memoria Apostolorum. Apostolische Gestalten in der christlichen Erinnerungskultur des 1.–3. Jahrhunderts“ (DFG-Gz. WI 3620/4–1 bzw. WI 3620/5–1 bzw. WI 3620/6–1). 1 Dieser Beitrag verfolgt mithin nicht das Ziel, neue Erkenntnisse über einzelne Fluchtäfelchen darzustellen, sondern möchte in einem exemplarischen Fall den Nutzen des Studiums der Fluchtäfelchen für die Arbeit mit Texten der frühchristlichen Literatur aufzeigen. – Die in diesem Beitrag gebotenen Übersetzungen griechischer und lateinischen Quellentexte sind jeweils eigene Übersetzungen. 2 Nach Hoffmann 2017, 613, sollen die beiden Statuen in ActPetr 10 (statua des Simon) und ActPetr 11 (statua Caesaris) auf im Schadenszauber manchmal verwendete Statuetten anspielen. Freilich dürfte in beiden Fällen an ganz andere Formate und Kontexte gedacht sein, gemessen an den kleinen Figurinen bzw. Statuetten, die im archäologischen Befund Praktiken des Schadenszaubers belegen. Die Parallele scheint weit hergeholt. 3 Lateinischer Text nach Döhler 2018. 4 Vgl. Ruf 2017a.
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erinnert an das in defixiones Gewünschte,5 und immerhin wird erwähnt, dass ihre Zunge „gebunden“ (obligata) sei. Ähnlich ist in ActPetr 14 davon die Rede, dass die Sklaven des Marcellus wegen Simon „gebunden“ (ligati) gewesen seien.6 Letztere Parallelen funktionieren allerdings nur auf der Ebene moderner Übersetzungen. Die einschlägigen Vokabeln defigo bzw. καταδέω sind nicht anzutreffen. Also: Obwohl in den Petrusakten der Antagonist als Magier profiliert ist, findet man keine eindeutigen Reflexionen des antiken Schadenszaubers, wie er uns im Befund der Fluchtäfelchen entgegentritt. Damit könnte man das Thema als erledigt betrachten. Ein mentalitätsgeschichtlicher Umweg wird jedoch zeigen, dass die Betrachtung von Fluchtäfelchen dennoch für das Verständnis des Wunderwettstreits in den Petrusakten erhellend sein kann. Zunächst ist in groben Zügen anhand der Erzählfiguren die Mentalität (verstanden als das Gefüge der Werte und Plausibilitäten, die bestimmen, was jeweils als „normal“ und akzeptabel gilt) zu skizzieren, die uns in der Erzählung der Petrusakten begegnet.
1. Robuste Komik Dass die christliche Aktenliteratur, zu der auch die Petrusakten gehören, unterhaltenden Anspruch hat, ist keine neue Erkenntnis.7 Kürzlich hat Stefan Heid in einer knappen Abhandlung herausgearbeitet, dass die Petrusakten als anschauliche und unterhaltsame, ja witzige Erzählung dem römischen mimus ähneln: Straßentheater, das mit derb überzogenem Klamauk den Geschmack eines breiten Publikums traf.8 Das trifft vor allem für die Figur des Simon Magus zu: Der Gegenspieler des Petrus wird von Anfang an als Unsympath gezeichnet, dessen Markenzeichen die Fistelstimme (vox gracilis, ActPetr 4 u. ö.) ist. Dennoch gelingt es ihm, die christliche Gemeinde in Rom von ihrer paulinischen Tradition zu lösen und auf seine Seite zu ziehen, bis Petrus nach Rom kommt und ihn entlarvt und blamiert. Simons burlesker Hinauswurf aus dem Haus des Senators Marcellus, wo er sich in Rom eingenistet hatte, schafft dann comic relief (ActPetr 14): Indem Marcellus die Ausführung an seine Sklaven delegiert, ist dem Slapstick Tür und Tor geöffnet. Bei aller Knappheit ist die Schilderung in ActPetr 14 von bühnenreifer Anschaulich Vgl. dazu z. B. Tremel 2004, 41–43. Freilich sind in diesem Falle die Sklaven nicht durch (per) oder von (ab) Simon gebunden, sondern seinetwegen (propter eum). Auch diese Beobachtung macht die Parallele weniger einschlägig. 7 Zur grundsätzlichen Nähe von Apostelakten und Romanen vgl. Klauck 2005, 14–21. Für eine nuancierte Einschätzung (nächste Parallelen nicht im Liebesroman, sondern im historischen Roman, z. B. dem Alexanderroman) vgl. Thomas 2003, v. a. 87–105. 8 Vgl. Heid 2018, v. a. 39–42. Ein Indiz für die Frage nach dem Entstehungsort der Petrusakten ist damit freilich nicht zu gewinnen. 5 6
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keit:9 Die Sklaven ohrfeigen und prügeln Simon, bewerfen ihn mit Steinen und schütten Nachttöpfe über seinem Kopf aus.10 Damit keinesfalls Sympathie für den so Geschundenen aufkommt, fügt der Erzähler im unmittelbaren Kontext zwei Sicherungen ein: (1) Die Sklaven selbst interpretieren das Geschehen als „gerechten Lohn“ (digna praemia) für Simon. (2) Simon selbst erscheint nach dieser Behandlung keineswegs als leidendes Gewaltopfer, sondern er sucht sofort (im geschilderten Zustand) Petrus auf, um diesen aggressiv zur nächsten Konfrontation herauszufordern – eine Prolepse auf den mehrstufigen Wunderwettstreit, der in ActPetr 23–32 erzählt wird. Dass auf diese Herausforderung hin nicht Petrus selbst erscheint, sondern statt seiner und auf sein Geheiß ausgerechnet ein Säugling den Simon mit einer vox virilis wüst beschimpft, ihm die Niederlage im Wunderwettstreit ansagt und ihn zudem stumm werden lässt (ActPetr 15), mag zusätzlich für Heiterkeit sorgen. Die Petrusakten durchzieht insgesamt (jedenfalls in ActPetr 4–32) eine charakteristische Figurendarstellung: Simon wird als Typ des aggressiven Stehaufmännchens gezeichnet: Mehrmals unterliegt er dem Petrus (ActPetr 14.28.31), und jedes Mal fordert er ihn zu weiterer Auseinandersetzung heraus. Andererseits setzt sich Petrus in ActPetr 28 dafür ein, dass Simon nicht verbrannt wird und praktiziert damit nicht nur christliche Feindesliebe, sondern ermöglicht so die nächste und abschließende Konfrontation (ActPetr 32). Somit ist Simon allenfalls ein „flacher“ Charakter, der dem Erzähler als Mittel dient, um die Überlegenheit des Petrus Mal um Mal vorzuführen – kurz: Simon fungiert in der Erzählung als Witzfigur und Prügelknabe.11 Vor dem Hintergrund dieser leichtfüßigen Erzählweise ist auch der Showdown zwischen Petrus und Simon Magus in ActPetr 32 zu betrachten. Am Ende von ActPetr 32 ist der Antagonist tot. Dieser Tod ist jedoch nicht in die Klasse der Straftode einzuordnen, die wir aus der neutestamentlichen Apostelgeschichte und anderen frühchristlichen Erzählungen kennen: In der Konfrontation selbst betet Petrus gerade nicht um den Tod seines Gegners, sondern „nur“ um Absturz und Verletzung. Das genügt, um sein definitives Scheitern manifest zu machen. Simon wird erst einige Tage nach dem Ereignis außerhalb Roms (mithin zeitlich und räumlich vom Ereignis getrennt) von zwei Ärzten zu Tode kuriert. Somit vermeidet der Erzähler exzessive Grausamkeit in der Darstellung, wie sie für den Tod eines „Gottesfeindes“ eigentlich gattungstypisch wäre.12 Andererseits wird Simon auch in der Darstellung seines Todes nicht als mehrdimensionaler Charakter gezeichnet. 9 Vgl. Heid 2018, 42: Als Witzfigur und Prügelknabe entspreche Simon dem typischen Gegenspieler im mimus. 10 ActPetr 14: Serui autem accepta potestate ita contumeliis eum adflixerunt, alli alapas in faciem eius dabant, alii veru fustem, alii lapidem, alii autem uasa stercoribus plena super caput eius effuderunt … 11 Vgl. dazu Heid 2018, 42; in ähnlichem Sinne auch Ruf 2017b, 674. 12 Vgl. Ertl 2016, 171.
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Nach seinem Absturz ist er nur noch Gegenstand des Spotts und einer Rosskur, die ihn schlussendlich ums Leben bringt. Der Erzähler gibt sich keine merkliche Mühe, Mitleid, Schrecken oder Abscheu zu erregen. In den Petrusakten wird durch Wunder bzw. Magie vor allem dem Gegner des Petrus, Simon Magus, Schaden zugefügt. Insofern der Geschädigte der Antagonist ist, kann der Erzähler dessen Schädigung ungerührt schildern, ohne Sympathie für ihn zu wecken. Zugleich ist aber eine Fokussierung festzustellen: In den Petrusakten zielt der Schaden, den Simon Magus erleidet, nicht primär auf seine Vernichtung, sondern darauf, ihn zu blamieren und als Gegner des Petrus außer Gefecht zu setzen.
2. Defixiones als Kontext Wie sich zeigen wird, ist in diesem Punkt der Konflikt zwischen Petrus und Simon Magus, wie ihn die Petrusakten schildern, mit dem Befund der antiken Fluchtäfelchen, näherhin der defixiones, zu korrelieren. Dabei sollen aus der Menge antiker Formen von Verfluchungen13 ausdrücklich nur die defixiones als Vergleichsgröße in Betracht kommen. Die Differenzierung ist namentlich H. Versnel zu verdanken, der die defixiones von „Gebeten um Gerechtigkeit“ („judiciary prayers“) unterschied: Letztere sind in demütigem Ton an Gottheiten adressiert und in Heiligtümern deponiert, tragen den Namen ihres Verfassers und zielen in aggressivem Ton und nicht ohne kreative Gewaltphantasie auf Schaden ab für jemanden, den der Verfasser seinerseits für erlittenen Schaden verantwortlich macht.14 Ein Übeltäter soll also für begangene Taten bestraft werden. Hingegen zielen die defixiones darauf ab, einen Konkurrenten an seinem zukünftigen Tun zu hindern bzw. in seinen Fähigkeiten zu beschränken.15 Dabei bleiben sie ausschließlich an die angesprochene Macht gerichtet; der Verfluchte erfährt nicht, was ihm widerfährt.16 Wenn nun der Einsatz von Verfluchungen als eine Form der Krisenbewältigung gelten soll,17 dann reagieren defixiones auf eine bestimmte Art von Krise: die akute 13 Nach Kent 2017, 414, wird mit „Fluch“ bzw. „Verfluchung“ ein ritueller Vollzug (bzw. dessen materieller Niederschlag) verstanden, der subversive Kraft auf ein Objekt überträgt. 14 Vgl. Versnel 1991; Versnel 2009, v. a. 14–25. 15 Noch präziser Graf 1996, 110 (ausgehend von PGM V 321–331): „Der übliche Zweck einer Defixion ist es mithin, einen anderen Menschen dem eigenen Willen zu unterwerfen und ihn unfähig zu eigenem Handeln zu machen.“ Vgl. auch Tremel 2004, 21. In vielen defixiones, namentlich aus dem Sport (s. u. Anm. 26.28), wird der Fluch präzise auf einen bestimmten Termin in der allernächsten Zukunft bezogen. 16 Vgl. Kropp 2004, 92; Tremel 2004, 20; zu möglichem Umgang mit dem Verdacht, einer defixio anheimgefallen zu sein vgl. z. B. Graf 1996, 146–154 („Die Sicht der Opfer“). 17 Vgl. Faraone 1991, 20. Faraone vermutet, dass die Urheber von defixiones sich dieses Hilfsmittels bedienten um ihre – reale oder gefühlte – Unterlegenheit auszugleichen. Es mag den Gebrauch erleichtert haben, dass in der Kaiserzeit professionelle Schreiber von defixiones greifbar
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Konkurrenzsituation, worin der Konkurrent in aller Regel namentlich benannt werden kann.18 Der Verfluchende bleibt hingegen im Schutz der Anonymität. Davon abgesehen, dass er die Wirkungen des Schadenszaubers nicht unmittelbar auf sich selbst bezieht, mag auch eine Rolle spielen, dass die Verfluchung als ein „schmutziger Trick“ wahrgenommen wurde,19 gegen den man sich andererseits zu schützen versuchte.20 Dass die Konkurrenzsituation das Verbindende der vielen verschiedenen defixiones ist, hat sich in den letzten Jahrzehnten als konsensfähige Forschungsposition durchgesetzt.21 Dabei sind die vier Felder zu benennen, in denen defixiones typischerweise auftauchen: Sport, Liebe, Gerichtsprozesse, geschäftliche Konkurrenz. In jedem Falle soll mit „übernatürlicher“ bzw. außerweltlicher Hilfe22 die Wettbewerbsfähigkeit des Konkurrenten eingeschränkt und sein Erfolg vereitelt werden.23 So erweisen sich defixiones als eingebettet in die agonale Kultur der griechischen (und römischen) Antike. Besonders aufschlussreich ist der Bereich des Sports: In den bekannten Texten aus diesem Bereich wird für den Gegner bzw. den gegnerischen Sportler mit präzisen Anweisungen ein Misserfolg im Wettkampf verlangt. Das Maß an (imaginierter) Brutalität, das sich in den fraglichen Verfluchungen artikuliert, ist freilich eine komplexe Angelegenheit: Gerade im Sport (etwa beim Ringen oder im Wagenrennen) liegt es in der Natur der Sache, dass Misserfolg mit körperlichen Verletzungen einhergehen kann, wenn etwa ein Ringer unterliegt oder ein Rennwagen verunfallt. Zur Illustration mögen einige Texte genügen, die Jan Tremel im Anhang seiner Arbeit erschlossen hat. Gleich drei dieser Verfluchungen (Athen, 3. Jh. n. Chr.) zielen auf einen Ringer namens Eutychianos.24 Sie beziehen sich jeweils auf bestimmte Kämpfe an einem bestimmten Termin (Nr. 1) oder gegen bestimmte Gegner (Nr. 2 und 3). Durchweg wird der Wunsch werden: Nun musste man nicht einmal selbst schreiben können, um jemanden zu verfluchen; vgl. dazu Dufault 2018, v. a. 44. 18 Vgl. dazu etwa Graf 1996, 117. 19 Vgl. Versnel 1991, 62 f.; Tremel 2004, 20. 20 Vgl. Graf 1996, 152–154. 21 Vgl. Faraone 1991, v. a. 10–17; Versnel 1991, v. a. 62 f.; Graf 1996, 138–145; Tremel 2004, 23–26; Versnel 2009, 10–12. 22 Für Frenschkowski 2002, 157, wird hier religiöse Gedankenwelt und Symbolik „in von Hause aus nichtreligiöse Lebensbereiche“ übertragen. Ob es in der Antike überhaupt genuin nichtreligiöse Lebensbereiche gab oder ob diese Differenzierung zu modern gedacht ist, mag dahingestellt bleiben; wichtig ist, dass in allen fraglichen Bereichen (Sport, Liebe, Prozesse, Geschäft) mit religiösen Mitteln agiert wurde. 23 Für den Bereich der Konkurrenz vor Gericht verweist Fritz Graf v. a. auf den Fall des C. Scribonius Curio, der nach Cicero (Brutus 217) den Umstand, dass er mitten in der Verhandlung seine Rede vergessen hat, mit magischer Beeinflussung erklärt; vgl. Graf 1996, 56.79.139.149. Cicero zeigt sich skeptisch, doch anscheinend war es zumindest möglich, sich auf derartige Einflussnahmen herauszureden. 24 Vgl. Tremel 1–3 (TheDefix 1–3).
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ausgesprochen, dass Eutychianos „auskühlen“25 soll.26 Über den jeweiligen Kampf hinaus scheinen die Verfluchenden dem Ringer aber nichts Böses zu wünschen. Etwas anders mag sich die Situation bei Verfluchungen im antiken Rennsport darstellen. Auch hier hat Tremel eine Reihe von Beispielen (Tremel, Nr. 11–90), die sich in der Detailfreude durchaus unterscheiden. Als typisch mögen zwei Stücke aus Hadrumetum gelten (2. Jh. n. Chr.), auf denen die Namen der betreffenden Pferde buchstäblich eingerahmt sind von artikulierten Wünschen: „Sie sollen fallen, brechen, auseinandergebrochen werden, schlecht wenden, nicht die Siegespalme erringen können und nicht den Zügeln gehorchen.“27 Freilich gibt es auch Stücke, auf denen auch ein gewisses Maß an Sadismus zum Ausdruck kommt, etwa eine defixio aus Rom (um 300 n. Chr.), die dem fraglichen Wagenlenker nicht nur Misserfolg, sondern auch im Detail einen veritablen Unfall wünscht.28 Ähnliches lässt sich auch für die Verfluchung eines Tierkämpfers (Karthago, 2./3. Jahrhundert) 25 Tremel übersetzt das Verb καταψύχω mit „erstarren lassen“. Das ist eine weiter interpretierende Übersetzung; zunächst ist wohl an den „aufgewärmten“ Sportler gedacht, dessen Vorbereitung zunichte gemacht werden soll. 26 Zur Veranschaulichung sei Tremel, Nr. 1 (TheDefix 1 [ed. SEG 35, Nr. 213; Übers.: S. W.]) in Übersetzung wiedergegeben: „BÔRPHORBABARBORBABARPHORBABORBORBAIÊ. Mächtiger Beptyt, ich übergebe dir Eutychianos, den Eutychia geboren hat, damit du ihn auskühlst (καταψύξῃς) und seinen Sinn und in deine düstere Luft auch die bei ihm; (damit) du (ihn) bindest (δῇς) in den lichtlosen Aion des Vergessens und ihn auskühlst (καταψύξῃς) und verdirbst (ἀπολέσῃς) auch den Kampf (πάλην), den er zu kämpfen beabsichtigt im DÊ … EI am kommenden Freitag (παρασκευῇ). Wenn er aber kämpft – dass er herausfalle (ἐκπέσῃ) und sich blamiere (ἀσχημονήσῃ) MOZOUNÊ ALCHEINÊ PERPERTHARÔNA IAIA, ich übergebe dir Eutychianos, den Eutychia geboren hat. Mächtiger TYPHÔN KOLCHLOI TONTONON SETH SATHAOCH EA ANAX APOMX PHRIOURINX über das Verschwinden und Erkalten des Eutychianos, den Eutychia geboren hat KOLCHOICHEILOPS Erkalten soll ([ψυ]γήτ[ω]) Eutychianos und keine gute Spannung haben (μὴ εὐτονείτ[ω]) am kommenden Freitag (παρασκιυῇ), sondern er werde locker (ἔγλυτος). Wie diese Namen erkaltet sind (ψύ[χε]τα), so soll auch Eutychianos erkalten (ψυχέσθω), den Eutychia geboren hat, den Aithales loslässt (ἀπολύει).“ In Tremel, Nr. 3 (TheDefix 3 [ed. SEG 35, Nr. 215; Übers.: S. W.]) heißt es ausführlicher: „… Ich übergebe dir Eutychianos, den Schüler des Aithales, damit du ihn auskühlst (καταψύξῃς) und verdirbst (ἀπολέσῃς) und spannungslos (ἄτονον), geistlos (ἄνουν), arglos (ἀκέραιον) machst …“ 27 TheDefix 30 f., je Z. 12–15 (ed. DT, Nr. 280 f. [= dfx, Nr. 11.2.2/17; 11.2.1/18]): Cadant frangant disfrangantur male girent palma vincere non possint nec frenis audiant cadant. Etwas differenzierter ist der Wunsch auf TheDefix 24 (ed. DT, Nr. 274 [= dfx, Nr. 11.2.1/11]) (Hadrumetum, 1./2. Jh. n. Chr.): Precor bos, sancta nomina, cadant homines et equi frangan(t). 28 TheDefix 89 (ed. DT, Nr. 187; Übers.: Tremel, Nr. 89): „… Ich beschwöre euch, heilige Engel und heilige Namen, … Wirkt zusammen bei diesem Bindezauber und … Bindet, bindet hinab (δήσατε καταδήσατε), behindert, stoßt, dreht um, wirkt mit: vernichtet, tötet, brecht zusammen den Eucherios, den Wagenlenker und seine ganzen Pferde (καὶ ὅλους τοὺς ἵππ[ους] αὐτοῦ) am morgigen Tag auf der Pferderennbahn von Rom. Dass er nicht gut aus den Toren herauskomme, nicht scharf kämpfe, nicht überhole, nicht abdränge, nicht siege, nicht gut wende, nicht den Kampfpreis erringe, auch nicht durch Abdrängen siege, auch nicht von hinten verfolgend überhole, sondern zusammenfalle, zusammengebunden sei, zusammenbreche, geschleift werde von eurer Kraft zur Morgenstunde und am Nachmittag. Jetzt, jetzt, schnell, schnell!“
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feststellen, dem im Rahmen seines Auftritts (mindestens) Verletzungen gewünscht werden.29 Allerdings werden dem Betroffenen die genannten Unfälle und Verletzungen nicht um ihrer selbst willen gewünscht, sondern sie sind gewissermaßen Kollateralschäden im Dienst des vorrangigen Ziels, den Sieg zu verhindern, indem die entsprechenden Fähigkeiten des Verfluchten beschränkt werden.30 Im Ergebnis ist festzuhalten, dass defixiones in agonalen Kontexten zwar auf Schaden für den Betroffenen zielen, dieser Schaden aber kein Selbstzweck ist, sondern ein Mittel zu dem Zweck, diesen als Konkurrenten auszuschalten. Mit dieser Erkenntnis sei nun der Blick wieder auf die Petrusakten gerichtet.
3. Impulse für das Verständnis der Petrusakten Der Einblick in die Welt der (agonistischen) defixiones ändert zwar nichts an dem Befund, dass in den Petrusakten keine expliziten Verfluchungshandlungen referiert werden, aber einige Parallelen in Details fallen doch auf: Dass der Säugling mit der vox virilis (ActPetr 15) den Simon um seine – ohnehin schwache – Stimme bringt,31 mag an Prozessflüche gegen die Redefähigkeit gegnerischer Anwälte denken lassen.32 Allerdings handelt es sich formal nicht um eine Verfluchung im Sinne eines Sprechaktes, mit dem jemand aus eigener Initiative subversive Kraft auf jemand anderen anwendet,33 sondern um ein Herrenwort. Der Säugling spricht also nichts Eigenes – und ohnehin nicht mit eigener Stimme. Näher an der Welt der defixiones liegt der Wunderwettstreit zwischen Simon Magus und Petrus. Immerhin wird dieser als ein agonales Geschehen eingeführt: In ActPetr 22 ist davon die Rede, dass für diesen Anlass auf dem Forum eine Zuschauertribüne errichtet wird und das bevorstehende Ereignis von den Dabeistehenden als Wettkampf zwischen zwei Juden über die Bezeichnung/Anrufung Gottes verstanden wird.34 Im ersten Durchgang unter der Regie des Agrippa spielt Petrus nach den gegebenen Regeln mit und geht als erfolgreicher Totenerwecker aus dem Agon hervor (ActPetr 28). 29 TheDefix 93 (ed. DT, Nr. 247 [= dfx, Nr. 11.1.1/22]; Übers.: Tremel, Nr. 93): „Tötet, vernichtet, verwundet den Gallicus, den Prima geboren hat in jener Stunde im Kranz des Amphitheaters und … Hand binde … nicht binden möge den Bären, die Bären … binde (obliga) ihm Füße, Glieder, Sinne, Mark. Binde den Gallicus, den Prima geboren hat, dass er weder den Bären noch den Stier mit einem Schlag töte noch mit zwei Schlägen töte noch mit drei Schlägen töte den Stier, den Bären. Durch den Namen des lebendigen, allmächtigen Gottes, dass ihr (es? ihn?) erledigt. Jetzt, jetzt, schnell, schnell. Umstoßen soll ihn der Bär und soll ihn verletzen.“ 30 Vgl. Faraone 1991, 7 f.; Tremel 2004, 41–45; Versnel 2009, 10–12. 31 ActPetr 15: Dicit tibi Iesus Christus: Ommutesce coactus nomine meo et exi a Roma usque uenturo sabbato. 32 Vgl. Bremmer 1998, 12. 33 So in Anlehnung an die Definition bei Kent 2017, 414. 34 ActPetr 22: Hic crastina die luce orta certari habent duo Iudaei de conlocutione dei.
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Anders stellt sich aber der „Showdown“ in ActPetr 31 f. dar: Simon zieht seinen letzten Trumpf und will – wie schon zu Beginn seines Wirkens in Rom (ActPetr 4) – Petrus mit einer Flugdarbietung ausstechen und die Menge wieder auf seine Seite ziehen. In diesem Falle tritt Petrus nicht in den Wettstreit ein; Fliegen scheint nicht zu seinen Kernkompetenzen zu gehören. Vielmehr vollbringt Petrus ein Wunder ganz eigener Art, indem er den Flugkünstler Simon abstürzen lässt35 und so gewissermaßen die natürliche Ordnung wiederherstellt.36 Aufschlussreich ist sein Gebet, das zwar im technischen Sinne keine Verfluchung ist – Petrus spricht sie nicht im Geheimen aus, sondern schreit (clamauit … dicens) und hat Zuhörer im Blick –, aber doch ähnliche Elemente aufweist: Wenn du duldest, dass dieser ausführt, was er unternommen hat, werden alle, die an dich geglaubt haben, Anstoß nehmen, und welche Zeichen du auch durch mich gegeben hast, werden erlogen sein (als erlogen gelten). Schnell also, Herr, tu deine Gnade und zeige allen, die auf mich achten, deine Macht. Aber ich bitte nicht, dass er sterbe, sondern etwas an seinen Gliedern soll verletzt werden.37
Simon stürzt daraufhin ab, und sein Oberschenkel (crus) zerbricht dabei in drei Teile. Die „Verfluchung“ erweist sich als unmittelbar wirksam. Der Appell zur Eile (citius) erinnert ferner an das ἦδη ἦδη τάχυ τάχυ (Jetzt, jetzt, schnell, schnell) vieler Fluchtafeln, mag aber durch die Situation bedingt sein. Auffällig ist daneben, dass Petrus sein Anliegen relativ präzise formuliert: Simon soll sein Vorhaben nicht ausführen können, also in dem Agon, in dem Petrus nun nicht mithalten kann oder will, keinen Erfolg haben. Nur darum geht es.38 Bezeichnend ist, dass Petrus nicht einmal speziell die Fraktur des Oberschenkels verlangt, sondern nur irgendeine Verletzung an den Gliedmaßen (aliquid in membris suis uexetur). Überspitzt gesagt, würde auch eine Prellung des kleinen Fingers genügen. Wer von der kanonischen Apostelgeschichte herkommt, würde an dieser Stelle einen grausigen Straftod erwarten,39 doch diese Erwartung wird enttäuscht. Simon wird auch im Moment seines definitiven Scheiterns noch als Witzfigur gezeichnet, nicht als Gottesfeind. Nach seinem Sturz wird er mit Steinen beworfen und verspottet, doch der Erzähler macht keinerlei Anstalten, seine Verletzungen oder gar seine Gefühle näher zu thematisieren. Es kommt vor allem darauf an, dass Simon sozusagen bis 35 Hier mag die Beobachtung von Kent 2017, 420 f., einschlägig sein, dass viele Fluchtexte für den Verfluchten eine Bewegung nach unten evozieren (nicht zuletzt: κατάδεσμος). In ActPetr 32 wird das sogar narrativ umgesetzt. 36 So gesehen, tut Petrus eigentlich überhaupt kein Wunder, sondern sabotiert das wunderbare Tun seines Konkurrenten. 37 ActPetr 32: Si passus fueris hunc quod conatus est facere, omnes qui crediderunt in te scandalizantur, et quaecumque dedisti per me signa erunt fincta. Citius ergo, domine, fac gratiam tuam et ostende omnibus qui me adtendunt uirtutem tuam. Sed non peto ut moriatur, sed aliquid in membris suis uexetur. 38 Vgl. in diesem Sinne auch Döhler 2018, 297. 39 Vgl. dazu insgesamt Ertl 2016, v. a. 171.
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auf die Knochen blamiert ist. In der Darstellung seines Todes ist Simon schließlich nur noch das Objekt ärztlichen Tuns. Anders als in den bekannten defixiones wird im Gebet des Petrus der Wunsch plausibilisiert: Der Herr Jesus Christus müsse selbst ein Interesse daran haben, so legt Petrus dar, dass Simon sein Unterfangen nicht ausführen kann. Dem entspricht die umgehende Ausführung – freilich, wie gesehen, ohne überflüssige Grausamkeit. Also: Hinsichtlich des agonalen Kontextes und in der relativ präzise gesteuerten Aggression ähnelt das Gebet des Petrus in ActPetr 32 Fluchtafeln aus dem Bereich des Sports, die Totengeister oder Dämonen bemühen, um einen Konkurrenten am Erfolg zu hindern. Wenngleich deutliche formale Unterschiede auffallen, bleibt die Gemeinsamkeit, dass eine Konkurrenzsituation, die der Betende nicht mit regulären Mitteln bestehen kann (oder bestehen zu können meint), mit Hilfe außerweltlicher Mächte aufgelöst werden soll. Mithin teilen Autor und Publikum der Petrusakten die Einstellung, dass eine aussichtslos oder wenigstens prekär erscheinende Konkurrenzsituation so zu bewältigen ist, dass eine außerweltliche Macht den Konkurrenten daran hindert, seine (überlegenen?) Fähigkeiten auszuüben. Eine weitere rätselhafte Gestalt in den Petrusakten mag noch an den Bereich des Schadenszaubers denken lassen: das Traumbild der tanzenden Äthiopierin in ActPetr 22, die vor allem durch ihre Hässlichkeit und ihre Fesselung mit Ketten charakterisiert ist. Eine (dem Petrus zugeschriebene) Stimme, die Marcellus in seinem Traum hört, deutet die Erscheinung: Sie wird mit den Kräften Simons identifiziert; zugleich fordert die Stimme Marcellus auf, die Gestalt zu enthaupten.40 Der vornehme Senator Marcellus erklärt sich dazu für unfähig, aber eine dem Petrus ähnliche Christusgestalt schlägt sie in Stücke. In der schlichten Aussage totam eam concidit steckt die wohl brutalste Szene der Petrusakten. Bezeichnenderweise ist diese Szene nicht auf der Oberfläche der erzählten Handlung angesiedelt, sondern es handelt sich um eine Traumszene, in der die Niederlage Simons in einem drastischen Bild vorweggenommen wird. Gewiss liegt hier keine Magie vor: Marcellus träumt nur, und nicht einmal in seinem Traum tut er selbst etwas: Er kann gewissermaßen keiner Fliege etwas zuleide tun.41 Die Ketten der Äthiopierin könnten allerdings die „bindende“ Zauberkraft Simons symbolisieren.42 Damit wäre immerhin das paradoxe Bild zu erklären, wonach sie an Händen und Füßen eine Kette trägt, zugleich jedoch tanzt: Sie ist nicht das Opfer „bindender“
ActPetr 22: Marcelle, omnes uires Simonis et dei ipsius haec est, quae saltat. Decolla eam! Oder einem Sperling: Petre frater, senator sum generis magni et nunquam manus meas maculaui, neque passerem aliquando occidi. (ActPetr 22). Ob hierin auch Spott über den kaiserzeitlichen Senat liegt, von dessen Mitgliedern in der Republik und in der frühen Kaiserzeit auch militärische Bewährung erwartet wurde, ist vielleicht zu erwägen, aber nicht sicher zu entscheiden. 42 Vgl. Misset-van de Weg 2017, 648. 40 41
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Magie, sondern sie verkörpert diese.43 Wichtiger ist allerdings eine grundlegende Parallele zwischen diesem Traum und agonistischer Magie: Der Konflikt wird auf eine symbolische Ebene übertragen und dort einer Lösung zugeführt. Spielt die Traumgestalt also eine vergleichbare Rolle wie die Figurinen, die dem Schadens‑ oder Liebeszauber zugeordnet sind und in der Literatur häufig als „VoodooPuppen“ bezeichnet werden,44 oder wie Tiere, die im Rahmen magischer Rituale getötet wurden?45 In ActPetr 22 bietet sich tatsächlich eine schlichte Identifikation an: „Alle Kräfte Simons und seines Gottes ist diese, die tanzt – enthaupte sie!“ Im Unterschied zur Alltagsmagie verkörpert dieses Bild allerdings nicht Simon selbst, sondern dessen Kräfte. Vielleicht zeigt sich auch hierin eine präzisierende Tendenz: Es geht nicht um Simon als Person, sondern um das, wofür der Magier steht. Wieder zeigt sich eine Eigenheit, der wir auch in agonistischen defixiones begegnen: Die Verfluchung hat nicht den primären Zweck, den Gegner als Person zu vernichten, sondern sie will seine Fähigkeiten (in ActPetr 22: uires) unschädlich machen.
4. Ausblick Die hier gebotene Zusammenschau von Petrusakten und defixiones mag auf den ersten Blick gesucht wirken, und sie hat sich tatsächlich nicht unmittelbar nahegelegt. Dennoch lohnt es sich, die Petrusakten mit einem Seitenblick auf defixiones zu betrachten: Wenn die Petrusakten den Geschmack eines breiten, nicht-elitären Publikums trafen, das nicht zuletzt mit Rennsport und Zirkusdarbietungen vertraut war, dann geben sie Einblick in Bevölkerungsgruppen, denen wohl auch die Verfasser bzw. Auftraggeber von defixiones angehörten.46 Die Auseinandersetzung zwischen Petrus und Simon Magus wird in den Petrusakten als Wettkampf verstanden, und die defixiones erschließen eine Dimension, die in der Antike anscheinend selbstverständlich zum (Spitzen‑)Sport gehörte, so befremdlich sie uns Heutigen auch erscheinen mag. Gewiss lassen sich nicht alle Eigenheiten der Petrusakten mit Befunden aus defixiones korrelieren; der obige Durchgang hat ja mehr Unähnlichkeiten als Ähnlichkeiten zutage gefördert. In jedem Falle schärft der Vergleich aber das Profil der Petrusakten als einer Schrift für den populären Geschmack. 43 Gern wird hier auf die Parallele zum Traum der Perpetua (Passio Perpetuae 10) verwiesen, in dem ein hässlicher Ägypter gegen Perpetua zu kämpfen versucht; vgl. Bremmer 1998, 9; Klauck 2005, 108. – Für eine Zusammenstellung weitgehend einschlägigen Quellenmaterials zur Wertung der Farbe Schwarz als dämonisch bzw. widergöttlich vgl. Rothschild 2019. 44 Für eine kritische Sicht auf die häufig unterstellte Gleichsetzung von Figurine und Opfer des Zaubers vgl. Graf 1996, 125–133. Diese Zurückhaltung ist insofern geboten, als anders die Durchbohrung von Figurinen im Liebeszauber nicht gut zu erklären wäre. 45 Für eindrückliche Beispiele vgl. Lib., or. I 248; PGM III 1 f.296 f.; TheDefix 190 (ed. DT, Nr. 111 f. [= dfx, Nr. 4.3.1/1–2]). 46 Vgl. dazu insgesamt Dufault 2018.
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3. Fluchtraditionen und Bindeformeln in den Texten des Neuen Testaments
Die Bitte um Gerechtigkeit und die Kritik der Gegenseitigkeit „Feindesliebe“ (Lk 6,27–35) im Kontext antiker Fluchtafeln
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1. Feindesliebe à la Lukas Wer die lukanische Aufforderung Jesu zur Feindesliebe (Lk 6,27–35) mit der Parallelüberlieferung bei Matthäus (Mt 5,38–48) vergleicht, entdeckt schon auf den ersten Blick eine Reihe von Unterschieden. Die markanteste Änderung – sie geht nach meinem Empfinden auf die Hand des ersten Evangelisten zurück – ist zweifelsohne die antithetische Rahmung; daneben differieren auch die Abfolge der einzelnen Sprüche bzw. Spruchgruppen sowie der Textbestand. Obwohl die Probleme vielfach diskutiert worden sind, ist eine konsensfähige literarkritische Lösung bislang nicht in Sicht.1 M. E. hat Lukas die ursprüngliche Reihenfolge besser bewahrt, während Matthäus im Wortlaut der Vorzug zu geben ist. Das bedeutet: Die beiden Imperative „tut gut denen, die euch hassen, segnet die, die euch verfluchen“ (V. 27c–28a) sind eine „lukanische Auffüllung für hellenistische Leser“2, V. 30 verallgemeinert Lukas nicht nur (παντί!), sondern ersetzt auch δανείζειν (Mt 5,42) durch αἴρειν in der zweiten Hälfte des Verses, wodurch V. 30 auf V. 29b zurückverweist und der Raub des Mantels auf die Wegnahme von Besitz überhaupt (τὰ σά), d. h. auf Diebstahl, ausgeweitet wird.3 Ebenso hebt Lukas in den V. 32–34 die schon in Q vorhandene Kritik an der hellenistischen Gegenseitigkeitsethik auf eine breitere Basis, indem er das von den Schülern Jesu geforderte Verhalten dem der „Sünder“ (ἁμαρτωλοί) kontrastiert (anstelle der „Zöllner“ [τελῶναι] und „Heidnischen“ [ἐθνικοί], vgl. Mt 5,46 f.) und zwei „Zentralworte“ griechischen Reziprozitätsdenkens aufgreift, nämlich χάρις (V. 32.33.34) und ἀγαθοποιεῖν (V. 33bis).4 Diese Wortwahl wirkt auch 1 Das gilt auch für die in der kritischen Q-Edition abgedruckte Rekonstruktion, die schon dort mit vielen Fragezeichen versehen ist, vgl. Robinson/Hoffmann/Kloppenborg 2000, 56–73. 2 R adl 2003, 394, welcher der Argumentation von Hoffmann 1995, 5 f., folgt. Danach könnte in V. 28a ein „isolierter Spruch der Überlieferung verarbeitet sein“ (mit Verweis auf Röm 12,14; 1 Kor 4,12; 1 Petr 3,9). Bedenkenswerte Gegenargumente allerdings bei Sevenich-Bax 1993, 111–113, vgl. schon Kloppenborg 1987, 174. 3 Vgl. Hoffmann 1995, 14; Sevenich-Bax 1993, 122. 4 Wolter 2008, 259, bezeichnet die χάρις als den „Dreh‑ und Angelpunkt des Prinzips der Gegenseitigkeit des Handelns“; vgl. dazu v. a. van Unnik 1966, 284–300, wo auch der Nachweis
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noch in V. 35 weiter, wo Lukas nicht nur erneut ἀγαθοποιεῖν einbringt, sondern mit den „Undankbaren (ἀχάριστοι) (und Bösen)“ sowie χρηστός als Gottesprädikat an die χάρις aus den V. 32–34 erinnert.5 Sehr wahrscheinlich verdankt sich auch die im Gegenüber zum Verhalten der „Sünder“ Lk 6,34 vorgenommene Konkretisierung der Feindesliebe, auszuleihen ohne die Hoffnung, das Geliehene je wieder zurückzuerhalten (δανίζετε μηδὲν ἀπελπίζοντες), der Hand des Lukas.6 Das sind beileibe nicht alle Veränderungen, die Lk 6,27–35 im Unterschied zur Matthäus-Parallele aufweist. Sie genügen aber, um die Relevanz des lukanischen Textes im Blick auf das übergreifende Thema der Mainzer Tagung deutlich zu machen: (1.) Die „Anwendung“ der Feindesliebe auf jene, welche die Adressaten verfluchen, weckt Assoziationen zu den auf Bleitäfelchen festgehaltenen Verfluchungen, die in großer Zahl auf uns gekommen sind und bis weit in die vorchristliche Zeit zurückdatieren. Diese defixiones sind sowohl im geographischen als auch im zeitlichen Umfeld des Neuen Testaments nachgewiesen.7 (2.) Die von Lukas in den V. 29 f. vorgenommene Modifikation, die den Raubüberfall (V. 29) zum Diebstahl (V. 30) mutieren lässt, ist höchstwahrscheinlich dem veränderten Milieu geschuldet. Hatte die Logienquelle noch über das Land reisende christliche Wanderprediger im Blick („Wanderradikale“), so richtet sich das Lukasevangelium an Menschen in einem städtischen Kontext.8 Das passt besser zu den von Henk Versnel im Gegenüber zu den klassischen defixiones als eigene Gattung ausgegrenzten „Gebeten um Gerechtigkeit“ (prayers for justice bzw. judicial prayers), die überwiegend in einem städtischen Umfeld (Tempelanlage!) zu geführt wird, dass ἀγαθοποιεῖν (als Terminus für den Erweis von Wohltaten) in der hellenistischen Gegenseitigkeitsethik fest verankert ist (mit vielen Belegen). 5 Hoffmann 1995, 5 f. 6 Das gilt auf jeden Fall dann, wenn Lk 6,34, wie mehrheitlich angenommen, zur Gänze lukanisch-redaktionell ist, vgl. wieder Hoffmann 1995, 8 f.; Sevenich-Bax 1993, 113; von den Kommentaren etwa R adl 2003, 395. Nicht so eindeutig Kloppenborg 1987, 175; gegen lukanische Bildung Schürmann 1982, 354. 7 Das Beispiel Korinths mag hier genügen. Nach Fotopoulos 2014, 291 f. Anm. 74, sind bislang 38 Fluchtäfelchen aus Korinth und Umgebung bekannt, darunter vier aus Kenchreai (u. a. die Verfluchung eines Diebs, vgl. Faraone/Rife 2007, 141–157). Aus der Analyse der 18 Fluchtäfelchen aus dem Heiligtum der Demeter und der Kore in Akrokorinth schließt Stroud 2014, 200, dass es seit römischer Zeit bis ins 3. Jh. n. Chr. „magical activity“ in besagtem Heiligtum gab. Dass dieser (generelle) Befund in der Auslegung von Lk 6,28 so gut wie keine Rolle spielt, ist unverständlich. Eine rühmliche Ausnahme macht lediglich Betz 1995, 593, der zu Lk 6,28 bemerkt: „V. 28a identifies a form of hostility common in antiquity: cursing, a magical application of enmity. The ordinary reaction would be to respond in kind and to answer curse with curse.“ 8 Dass Lukas an „ehemalige Heiden und Diasporajuden, in hellenistisch geprägten Großstadtgemeinden“ schreibt, äußert am deutlichsten R adl 2003, 8. Ihm zufolge hat Lukas „vor allem die Schicht der Gebildeten, Hohen und Mächtigen im Auge“. Ebner 2015b, 303, stellt sich die „irgendwo in der Asia“ zu lokalisierende Gemeinde des Lukas „ähnlich geschichtet wie in Korinth“ vor (vgl. 1 Kor 1,26–28).
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lokalisieren sind. Diese beschäftigen sich in großer Zahl mit exakt den „Gegenständen“, die auch Lukas als Ernstfall der Feindesliebe ansieht: dem Diebstahl und der nicht erfolgten Rückgabe von Geliehenem. (3.) Den Verzicht, Fluch mit Fluch zu beantworten, sowie den Verzicht auf das eigene Hab und Gut verbindet Lukas mit der Kritik an der in der griechisch-römischen Gesellschaft praktizierten Gegenseitigkeitsethik. Eine wesentliche Säule dieser Kritik ist die Lk 6,35 aufscheinende Gottesvorstellung: Der „Höchste“ – wieder eine typisch lukanische Formulierung9 – ist gnädig gegenüber Undankbaren und Bösen. Hier wäre zu fragen: Von welcher Art sind die Gottheiten, die in den Fluchtäfelchen und Gebeten um Gerechtigkeit angerufen werden? Angesichts des knapp bemessenen Raums werde ich mich im Folgenden auf letztere, d. h. die Gebete um Gerechtigkeit, konzentrieren.
2. Gebete um Gerechtigkeit Gebete um Gerechtigkeit, von ihrem „Entdecker“ Henk Versnel bestimmt als pleas adressed to a god or gods to punish a (mostly unknown) person who has wronged the author (by theft, slander, false accusation or magical action), often with the additional request to redress harm suffered by the author (e. g. by forcing a thief to return a stolen object, or to publicly confess guilt)10
sind praktisch im gesamten Imperium Romanum über Jahrhunderte hinweg bezeugt. Die Funde reichen von Knidos im Südwesten Kleinasiens über Athen und Korinth bis zur iberischen Halbinsel, und auch die nördlichen Provinzen (Britannia; Germania superior) können, erst recht seit den fast schon inflationär zu nennenden Funden in Bath (und Uley) sowie denen in Mainz, mit erheblichem Material aufwarten.11 Ich will im Folgenden zwei dieser Inschriften näher vorstellen, die schon lange bekannt sind, für die Auslegung des Lukasevangeliums aber m. W. keine Rolle spielen. Die Auswahl ist durch die Sprache (griechisch) und die zeitliche Einordnung (2./1. Jh. v. Chr.) begründet. Daneben spielen inhaltliche Faktoren eine Rolle: In der ersten Inschrift geht es um Diebstahl, in der zweiten um die verweigerte Rückgabe anvertrauten Guts.
9 ὕψιστος als Gottesbezeichnung hat innerhalb des NT, mit Ausnahme von Mk 5,7 und Hebr 7,1, nur Lukas, vgl. Lk 1,32.35.76; 6,35; 8,28; Apg 7,48; 16,17. Dazu kommen noch Lk 2,14 und 19,38, wo ὕψιστος jeweils den himmlischen Raum umschreibt, vgl. Lüdemann 1983, 979 f. 10 Versnel 2010, 278 f.; bei Gager 1992, 175–199, laufen die von ihm zusammengestellten Beispiele unter der Überschrift „Pleas for Justice and Revenge“. 11 Die bis dahin bekannten Funde in Bath sind zugänglich über die vorzügliche Edition von Tomlin 1988, 59–277 (= Tab. Sulis); die Mainzer Funde sind inzwischen ebenfalls ediert, vgl. Blänsdorf 2012 (= DTM).
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2.1 Diebstahl: IKnidos 148 (TheDefix 584) Die erste Inschrift, die ich eingehender vorstellen will, stammt aus Knidos, einer Stadt im Südwesten Kleinasiens, an der Spitze einer Halbinsel gegenüber der griechischen Insel Kos gelegen. Die Inschrift ist eine der „13 Bleitafeln mit Verfluchungen“ – so der Herausgeber der knidischen Inschriften, Wolfgang Blümel –, die bei den Ausgrabungen des dortigen Damater-Heiligtums Mitte des 19. Jh. gefunden wurden.12 Der Schrift und der Sprache nach gehören diese, inzwischen mehrheitlich zu Staub verfallenen Täfelchen in das 2. oder 1. Jh. v. Chr. Da etliche von ihnen an den oberen Ecken mit Löchern versehen waren (in unserem Fall befindet sich das Loch oben in der Mitte), jedoch nicht zusammengefaltet oder ‑gerollt waren wie in Bath (Britannia) oder Mainz (Germania superior), liegt die Vermutung nahe, dass sie an der Tempelwand aufgehängt waren. Im Gegensatz zu den Täfelchen aus Bath oder Mainz waren sie demnach für die Öffentlichkeit bestimmt. Warum das so war, illustriert u. a. besagte Inschrift: A: Vorderseite Es weiht (ἀνιεροῖ) Arte‑ | mis (der) Damater, | (der) Kura, allen Göttern | bei Damater. 5 Wer die von mir | zurückgelassenen | Kleider (καταλιφθέντα ἱμάτια) und (den) Man‑ | tel (ἔνδυμα) und (das) knielange Kleid (ἀνάκωλον), | obwohl ich (sie) zurück‑ 10 gefordert habe (ἐμοῦ ἀπαιτησας), mir nicht zurück‑ | gibt, möge (sie) selbst | zu Da‑ | mater zurückbringen. | Und wenn ein | anderer das Meine (τἀμά) hat, 15 möge er vor Ärger brennen und beich‑ | ten (πεπρημένος ἐξαγορεύων). Mir | aber (sei es) durch göttliches Recht erlaubt und (sei) die Frei‑ | heit, B: Rückseite sowohl zusammen zu trinken als auch | zusammen zu essen und | unter dasselbe Dach | zu kommen.13 Denn man 5 hat mir Unrecht getan (ἀδίκημαι γάρ), Her‑ | rin Damater.14 12 Die Inschriften tragen im Editionsband die Nummern 147–159 (Blümel 1992, 85–103); danach im Folgenden der Text mit dem Versuch, zeilenkonkordant zu übersetzen. Die wesentlichen Informationen zu den Fundumständen und zum Erhaltungszustand der Täfelchen bei Blümel 1992, 85. 13 A, Z. 16–18 und B, Z. 1–4 (ἐμοὶ δὲ ὅσια καὶ ἐλεύθερα καὶ συμπιεῖν καὶ συμφαγεῖν καὶ ἐπὶ τὸ αὐτὸ στέγος ἐλθεῖν) gibt Blümel 1992, 90, folgendermaßen wieder: „für mich aber soll es recht und gut und frei sein [‑ – ‑] und zusammen zu trinken und zu essen und unter dasselbe Dach zu kommen.“ Obwohl die letzte Zeile auf der Vorderseite offenbar nicht mehr erhalten ist – θερα ist zu dem noch lesbaren ελευ für ἐλεύθερα ergänzt –, liegt die Annahme einer zusammenhängenden Satzperiode näher. D. h., dass die Infinitive (συμπιεῖν, συμφαγεῖν, ἐλθεῖν) von ὅσια καὶ ἐλεύθερα abhängig sind (evtl. überlieferte die verlorengegangene Zeile noch ein Verb wie z. B. γένοιτο in der nahezu identischen Schlussformel IKnidos 153B, Z. 1 f. [TheDefix 588]). SIG3, Nr. 1179, versteht den Text jedenfalls auf diese Weise. Freilich ist diese Lesart nicht zwingend, wie etliche andere Inschriften aus Knidos belegen (147B, Z. 1–7 [TheDefix 229]; 150, Z. 6 f. [TheDefix 566]; 154, Z. 22–24 [TheDefix 589]; 155, Z. 8–12 [TheDefix 590]): Hier kommt die durchweg ähnlich formulierte Wendung, welche die jeweilige Inschrift mit einer Art Unschuldsbeteuerung beschließt, ohne γένοιτο aus. Sie zeigt wie die einleitende Weihung an Damater und Kura (meist mit ἀνιερόω, gelegentlich auch mit ἀνατίθημι), gefolgt von der obligatorischen Namensnennung und der Darlegung des Falles, dass die Verfasserinnen dieser Täfelchen offensichtlich über ein festes Formular mit entsprechenden Textbausteinen verfügten, man also von einer Gattung sprechen kann. 14 Bei Blümel 1992, 89, auch ein Faksimile (der Umzeichnung?) des zweiseitig beschriebe-
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Wie alle anderen Täfelchen ist auch das vorliegende von einer Frau (Artemis) in den Tempel gebracht worden; dass wir den Namen der Klägerin erfahren, ist ein typischer Zug der prayers for justice.15 Den Anlass lernen wir ebenfalls kennen: „Man hat mir Unrecht getan“ (ἀδίκημαι) heißt es am Schluss mit einer für diese Art von Texten typischen Ausdrucksweise.16 Konkret handelt es sich um Kleiderdiebstahl, ohne dass sich die genaue Situation noch erhellen ließe. Vielleicht, aber das bleibt bloße Spekulation, sind die genannten Kleidungsstücke beim Waschen der Kleider zurückgelassen worden (καταλιφθέντα) und der Dieb entwendete sie, während Artemis einen anderen Teil der Kleidung nach Hause brachte.17 Der Umstand, dass mehrere Begriffe für offenbar verschiedene Kleidungsstücke genannt werden, könnte zumindest in diese Richtung weisen. Unter jenen Begriffen sticht vor allem ἱμάτια ins Auge, weil das Wort sich mit Lk 6,29 (par Mt 5,40) berührt; im Unterschied zu dort, wo ἱμάτιον das Obergewand oder den Mantel bezeichnet, ist hier aber (wegen des Plurals) ganz allgemein an Kleider gedacht.18 Ähnlich unbestimmt bleibt ἔνδυμα.19 In diesem Fall hilft aber vielleicht die neutestamentliche Perspektive weiter: Johannes der Täufer trägt ein ἔνδυμα aus Kamelhaaren (nur Mt 3,4), und die Schüler, die mit Jesus unterwegs sind, sorgen sich darum, was sie anziehen sollen (ἔνδυμα: Mt 6,25.28; Lk 12,23). Teure Kleidung dürfte in beiden Fällen nicht intendiert sein.20 Einigermaßen ratlos bin ich hinsichtlich des dritten Begriffs ἀνάκωλον. Scheinbar ist unsere Inschrift der einzige Beleg für die absolute
nen Bleitäfelchens (was Fragen nach der Aufhängung wachruft); es hat die Maße 11,8 × 7,0 cm. Die Majuskelschrift ist selbst für einen Nichtfachmann gut lesbar, die Buchstabenhöhe beträgt ca. 5–6 mm, gelegentlich auch nur 4 mm. Das Täfelchen ist im Unterschied zu den meisten anderen noch erhalten, inzwischen aber praktisch unlesbar. 15 Das unterscheidet sie von den klassischen defixiones, die in der Regel anonym bleiben, aber notwendigerweise den Namen des Gegners bzw. Rivalen nennen, vgl. Versnel 2010, 279 f., sowie Versnel 2009, 22–25, mit einer Reihe weiterer typischer Merkmale. Als entscheidenden Unterschied macht Versnel das Faktum aus, „that they (sc. the prayers of justice, B. H.) are all cases in which the principal has been wronged by someone, or some persons, whose identity is generally unknown.“ (Versnel 2010, 279). 16 Die Konstatierung erlittenen Unrechts wird in den Fluchtäfelchen oft durch ein Derivat der Wurzel αδικ‑ ausgedrückt, vgl. etwa für Knidos noch IKnidos 154,20 (TheDefix 589): ὑπ’ ὑμῶν ἀδικοῦμαι. 17 Unterstützung kommt vielleicht aus Aquae Sulis, wo ein Täfelchen den Diebstahl von Kleidungsstücken (?) de lixivio, „aus der Waschlauge“, anzeigt, wenn die Lesung von Kropp (dfx, Nr. 3.2/30), zutrifft. Das nurmehr sehr fragmentarisch erhaltene Täfelchen (TheDefix 169 [ed. Tab. Sulis, Nr. 38]) bietet lediglich de l[.]isivio. 18 Vgl. Bauer-Aland 1988, 763 f., die für diese Übersetzung Mk 5,28.30; 9,3; 15,20.24 oder Lk 7,25; 19,35 f.; 23,34; Apg 9,39; 16,22 anführen. Nach Passow 2008, I/2 1481, kann mit ἱμάτιον aber auch eine „(Bett‑)Decke“ oder ein „Tuch“ gemeint sein. 19 Passow 2008, I/2 927: „das Angezogene, Anzug, Kleid“. 20 Allerdings kann ἔνδυμα in Verbindung mit der Genitivapposition γάμου Mt 22,11 auch das Hochzeitsgewand bezeichnen und in Mt 28,3 steht es für das Gewand des Grabesengels, das „weiß wie Schnee“ ist.
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substantivische Verwendung des Wortes; ausweislich der Lexika bezeichnet es einen kurzen Kittel oder Rock, vielleicht auch ein Kinderröckchen.21 Inwieweit diese philologischen Beobachtungen für den soziologischen Rückschluss auf ein bestimmtes Milieu („kleine Leute“) ausreichen, sei dahingestellt. Kleiderdiebstahl kam jedenfalls in Knidos noch öfter vor (vgl. IKnidos 152 [TheDefix 587]; IKnidos 154 [TheDefix 589], jeweils ἱμάτιον). Den Verlust einer Halskette sowie den Umstand, dass sie beim Einkaufen übers Ohr gehauen wurde, beklagt eine gewisse Hagemone in Form einer „Sammelverwünschung“ (so Wolfgang Blümel mit Bezugnahme auf IKnidos 150 [TheDefix 566]). Mehrheitlich handelt es sich um Fälle von Kleinkriminalität; Kapitalverbrechen, die in den in lateinischer Sprache überlieferten „Gebeten um Gerechtigkeit“ offenbar nicht thematisiert werden,22 kommen aber in Knidos ebenfalls vor. Des Öfteren werden z. B. Frauen der Giftmischerei gegen ihren Ehemann bezichtigt (auch besagte Hagemone) und suchen sich mit Hilfe einer „Bitte um Gerechtigkeit“ gegen derartige Vorwürfe zu verteidigen.23 Blickt man über den knidischen Tellerrand hinaus, gleichen sich die Bilder. Aus Baelo Claudia (Bolonia) ganz im Süden der iberischen Halbinsel,24 also praktisch am anderen Ende des römischen Weltreichs, ist eine in neutestamentliche Zeit zu datierende (lateinische) Inschrift an Isis Muromenum (= Myrionyma), d. h. an Isis mit den zehntausend Namen, überliefert, in welcher dieser der Diebstahl (furtum) einer neuen weißen Bettdecke, einer neuen Wolldecke sowie zweier bereits im Gebrauch befindlichen Tücher angezeigt wird. Die Göttin soll „Beweise ihrer göttlichen Hoheit“ (numini maiestati exsem21 Liddell/Scott/Jones 1996, 110: „short frock“; bezeichnend auch Dittenbergers Kommentar zu SIG3, Nr. 1179: de huius adiectivi vi dissentiunt viri docti! Die Bedeutung dürfte von Plut., Mulierum Virtutes 26 (mor. 261F), her inspiriert sein, wonach der Tyrann Aristodemos die Mädchen gezwungen haben soll, sich die Haare kurz zu schneiden, den Chlamys der Epheben und καὶ τῶν ἀνακώλων χιτωνίσκων, nach Passow 2008, I/1 180: „kurze, hemdartige Kleidungsstücke“, zu tragen. Vielleicht beschreibt Pausan. V 16,3 das entsprechende Kleidungsstück, obwohl der Terminus ἀνάκωλος dort nicht fällt, wenn er vom Wettlauf der ältesten Mädchen bei den Heraia in Olympia festhält: „Sie laufen so: Das Haar fällt lose herab, das Gewand fällt bis etwas über das Knie (χιτὼν ὀλίγον ὑπὲρ γόνατος καθήκει), und die rechte Schulter zeigen sie bis zur Brust.“ 22 So jedenfalls Scholz 2011, 95, der mit Blick auf die zur Zeit der Abfassung seines Beitrags bekannten ca. 500 lateinischen Fluchtäfelchen konstatiert, „dass sich unter den ‚Gebeten um Gerechtigkeit‘ bisher keines befindet, in dem es um Kapitalverbrechen geht, wie z. B. Mord, Hochverrat, Freiheitsberaubung, etc.“ Wie bereits angedeutet, wertet Scholz nur die lateinische Überlieferung aus. 23 IKnidos 147A, 7 f. (TheDefix 229; φάρμακον); IKnidos 150A, 2 (TheDefix 566; φάρμακα); IKnidos 154,1 (TheDefix 589; zu lesen ist nur noch ακου, das von Blümel zu φαρμάκου ergänzt wurde). 24 Das von den Römern im 2. Jh. v. Chr. als „Industriestadt“ zur Verarbeitung des Fischfangs (Thunfisch!) gegründete Baelo liegt direkt am Atlantik, etwa 17 km westlich des heutigen Tarifa Richtung Cadiz. Es war für seine Garumproduktion berühmt (Anlagen noch zu besichtigen). Unter Claudius (daher der Beiname) war die Stadt Hauptflottenstützpunkt. Ende des 2. Jh. n. Chr. wurde die Stadt wieder aufgegeben; inschriftliche Zeugnisse reichen aber bis ins 6. Jh. n. Chr. Vgl. Brodersen 1999, 4–6 (mit Quellen und weiterer Literatur).
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plaria) liefern und den Diebstahl ahnden.25 Wieder aus einer anderen Ecke, nämlich aus Isca Silurum (= Caerleon) in Südwales, dem Winterquartier der legio II Augusta, stammt eine tabula ansata (Bleitäfelchen mit zwei Henkeln), die ins 1./2. Jh. n. Chr. datiert wird. Fundort war das dortige Amphitheater. Der Verfasser des Täfelchens „übergibt“ Mantel und Schuhe an die Herrin Nemesis: Domina Nemesis do tibi palleum et galliculas.26 Hier schließen die deutlich jüngeren Beispiele aus Bath und Uley nahtlos an.27 Nach Markus Scholz, der insgesamt 95 Fluchtäfelchen betreffs Diebstahls auswertet, entfällt der größte Anteil an gestohlenen Gütern (27 %) auf Kleidungsstücke. Dabei werden den Gottheiten nicht nur der Verlust von Oberkleidern und Mänteln (ganz häufig pallium, einmal auch palliolum [TheDefix 259 (ed. DTM, S. 183); Groß-Gerau, 1. Jh. n. Chr.?]) angezeigt,28 sondern auch der Diebstahl von Tuniken, Schuhen oder Handschuhen. Selbst Bademäntel und Handtücher kommen abhanden, was bei dem seit der Antike wegen seiner heißen Quellen geschätzten Kurbad Aqua Sulis natürlich nicht verwundert.29 Der Verlust der Halskette, den Hagemone in Knidos beklagt, hat ein Pendant in einem Täfelchen aus Veldidena (Wilten) bei Innsbruck, wo Merkur und Moltinus mit der Wiederbeschaffung zweier Halsbänder im Wert von 14 Denaren beauftragt werden.30 Ähnliche Fälle sind aus Aquae Sulis oder Venta Icenorum (Caistor St. Edmund, Britannia) bekannt, wo neben zwei Beinschienen und zehn Zinngefäßen auch Armbänder verschwinden.31 Ansonsten werden vor allem Ringe entwendet,32 wobei die goldenen Ringe aus Mainz, die zusammen mit einem Säckchen Geld gestohlen werden, sicher herausstechen. Jürgen Blänsdorf, der die Mainzer Täfelchen ediert hat, vermutet daher, auch wegen der erkennbaren Beherrschung der juristischen Terminologie, „dass der Urheber des Textes den ge25 IRBaelo 1 (TheDefix 570); hier zitiert nach Versnel 2010, 283–285, mit dessen verbesserten Lesungen; mindestens ebenso wichtig ist die intensive Diskussion des Textes bei Tomlin 2010, 258–260. Da der Isis-Tempel erst 70 n. Chr. errichtet wurde, kann die Inschrift nicht früher als Ende des 1. Jh. n. Chr. verfasst worden sein. 26 RIB 323 (TheDefix 91); wieder zitiert nach Versnel 2010, 286–289. Der Text in englischer Übersetzung aber auch schon bei Gager 1992, 197 f. (als Nr. 100). 27 Vgl. nur den Hinweis auf zwei Täfelchen aus Bath (TheDefix 197 [ed. Tab. Sulis, Nr. 65]) und Uley (TheDefix 684 [ed. Britannia 10 (1979) 343 f., Nr. 3]) bei Versnel 1991, 86–88, sowie die Auswertung der Befunde auch aus Bath und Uley bei Scholz 2011, 96–103 (Listen!). 28 Besondere Aufmerksamkeit verdient m. E. der in Aqua Sulis (Bath) zweimal notierte Diebstahl eines Kapuzenmantels (TheDefix 156 [ed. Tab. Sulis, Nr. 10], noch aus dem 2. Jh. n. Chr.: caracallam meam involaverit; TheDefix 197 [ed. Tab. Sulis, Nr. 65], aus dem 3./4. Jh. n. Chr.: furtem qui caracallam meam involavit), weil der von Kaiser Caracalla (188–217 n. Chr.) bei den Römern eingeführte und nach ihm benannte Mantel in usu maxime Romanae plebis frequentate, „am häufigsten bei der römischen Plebs im Gebrauch war“ (SHA, Carac. 9,7 f.). 29 Vgl. diesbezüglich schon die Bemerkung von Gager 1992, 193: „Most deal with the loss or theft of personal property at the baths themselves, probably taken by bathhouse thieves.“ 30 Vgl. dfx, Nr. 7.5/1 (TheDefix 109). Die dort gebotenen alternativen Übersetzungen verwirren aber; der Text lautet: Secundina Mercurio et Moltino mandat, ut siquis denarios XIIII sive draucus duos sustulit, was auch bei Scholz 2011, 99 noch mit „… 14 Silbermünzen und zwei Stück Jungvieh“ wiedergegeben wird. Vgl. dagegen Versnel 1991, 103 Anm. 121, wonach draucus – einem Vorschlag Jordans folgend – Transkription des griechischen δραύκιον ist und „Halsband“ heißt (Liddell/Scott/Jones 1996, 449 s. v. δραύκιον: „necklace“). 31 Das ist nicht alles, evtl. wurden auch noch ein Stirnband, ein Bild und eine Kappe entwendet, jedoch ist der Überlieferungszustand des Täfelchens schlecht, vgl. TheDefix 664 (ed. dfx, Nr. 3.7/1). Für Aquae Sulis vgl. TheDefix 157 (ed. Tab. Sulis, Nr. 15). 32 Vgl. etwa Tab. Sulis, Nr. 13 (TheDefix 607); Tab. Sulis, Nr. 97 (TheDefix 654) sowie ILS 4730: anellum bzw. anilum argenteum.
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hobenen Schichten der römischen Bevölkerung zugehört hat und sicher imstande war, den Text selbst zu verfassen und zu schreiben.“33 Natürlich kommt auch Geld abhanden, wie ja nicht zuletzt das Mainzer Täfelchen zeigt. Von wenigen Ausnahmen abgesehen – und hier geht es weniger um Diebstahl als um Unterschlagung34 – ist die Höhe der gestohlenen Beträge überschaubar: Mal sind es fünf Denare, mal sechs Silbermünzen, einmal auch nur zwei (im Lateinischen jeweils argentei bzw. argenteoli im Diminutiv), und in einem Fall ist auch ein Goldstück (solidus) dabei.35 Vielfach bleibt der genaue Wert unbestimmt, und häufig steht die erbetene Bestrafung, jedenfalls in unseren Augen, in keinem Verhältnis zu der geringen Geldsumme, die abhandengekommen ist.36
Scholz vermutet die Täter dieser Delikte „am ehesten im Bereich der erweiterten Familie (z. B. Sklaven, Bedienstete)“.37 Projiziert man diese Vermutung einmal auf den Bereich der christlichen Häuser bzw. Hausgemeinden, verhielte es sich so, dass ein christlicher Haussklave (οἰκέτης) bei seinem Hausherrn (οἰκοδεσπότης) ab und an ein kleines Sümmchen mitgehen lässt. U. a. solche Situationen hätte Lukas mit Lk 6,30 im Blick! Dass das frühe Christentum in „Häusern“ mit einer derartigen Besetzung (Herren; Sklaven) organisiert war, lässt sich schwerlich bestreiten.38 Um nur einige wenige Beispiele aus Korinth anzuführen: Paulus hat dort nicht nur das „Haus des Stephanas“ getauft (1 Kor 1,16; vgl. 16,15), sondern ausweislich Apg 18,8 kommt auch der Synagogenvorsteher Krispus „mit seinem ganzen Haus“ zum Glauben! Und von Gaius heißt es Röm 16,23, dass er die ganze Gemeinde in seinem Haus beherbergte. Dass bei solchen Gelegenheiten Haushaltsgegenstände „mitgehen“ (s. u.) oder einzelne Geldstücke „gefunden“ werden, ist angesichts des Gesamtbildes, das insbesondere der 1. Korintherbrief von der Gemeinde zeichnet, zumindest vorstellbar. Überrascht es da noch, dass sich gerade die Korinther über die „geringsten Dinge“ (ἐλάχιστα) vor heidnischen Gerichten streiten (1 Kor 6,1 f.)? Lukas empfiehlt etwas anderes: „Und von dem, der dir das Deine nimmt, fordere es nicht zurück!“
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2008, 67. Das betreffende Täfelchen firmiert unter der Nummer DTM, Nr. 7 (TheDefix 878) und stammt aus einem Streufund. 34 So jedenfalls Scholz 2011, 90, der auf den Verlust „offenbar ganzer gesparter Vermögen“ in Höhe von 3000 bzw. 4000 Denaren hinweist. In einem weiteren Fall (Sagunt, 2.–4. Jh.) verschwinden zwei Pfund Gold. 35 Tab. Sulis, Nr. 8 (TheDefix 575); Tab. Sulis, Nr. 34 (TheDefix 164); Tab. Sulis, Nr. 54 (TheDefix 628); Tab. Sulis, Nr. 98 (TheDefix 101), alle aus Aquae Sulis. Der Diebstahl des solidus zusammen mit sechs argenteoli stammt ebenfalls aus der Britannia (Hamble Estuary), datiert aber wohl noch später (4. Jh. n. Chr.). 36 Vgl. z. B. das Täfelchen aus Leicester (TheDefix 244 [ed. Britannia 40 (2009) 329, Nr. 22]), demzufolge die Diebe einiger Silbermünzen den Diebstahl mit ihrem Leben bezahlen sollen: deus siderabit … vitam suam perdant ante dies septem, „ein Gott wüte …, dass sie ihr Leben innerhalb von sieben Tagen verlieren.“ 37 Scholz 2011, 90. 38 Vgl. die vorzügliche und nach wie vor lesenswerte Studie von Klauck 1981, 30–41 (zu den Hausgemeinden in Korinth); die notwendigen Konkretionen zum griechisch-römischen Haus steuert Ebner 2012, 166–177, bei.
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Hausbedienstete kommen als potenzielle Täter auch in Betracht, wenn Haushaltsgegenstände wie z. B. (eiserne und bronzene) Schüsseln verschwinden39 oder gar ein Mühlstein, eine Pflugschar oder Zaumzeug.40 Für den ebenfalls angezeigten Verlust von Nutztieren gilt das aber wohl nicht mehr; diesbezüglich ist eher mit Raub durch organisierte Banden zu rechnen, insbesondere im Fall des Diebstahls von „zwei Wagenrädern, vier Kühen und verschiedener anderer Kleinigkeiten“.41 Auch Gepäck wird entwendet, wie eine 1995 in Salacia (= Alcácer do Sal, Lusitania) gefundene Fluchtafel belegt.42 Sie gehört wohl noch ins 1. Jh. n. Chr. und ist den in Mainz gefundenen Fluchtäfelchen insofern an die Seite zu stellen, als hier u. a. Attis (als Rächer) angerufen wird. Derjenige wird „dem großen Herrn“ überstellt, „der mein Gepäck gestohlen hat, der mich ausgeraubt hat vom (?) Haus des Spaniers“ (qui meas sarcinas sustulit, qui me compilavit de domo Hispani). Dazu lässt sich ein Täfelchen aus Bath stellen, dem zufolge ein gewisser Deomiorix de hospitio suo, d. h. vermutlich in einer Herberge oder in einem Fremdenzimmer, bestohlen wurde (TheDefix 655 [ed. dfx, Nr. 3.2/78]).
Henk Versnel, der sich in mehreren, umfangreichen Publikationen mit diesen Texten beschäftigt hat, nennt solche Bitten um Gerechtigkeit auch „Anklageschriften zur Eröffnung eines Prozesses“.43 Die anklagende Person, also der/die Verfasser/in des Bleitäfelchens, „überträgt“ ihren gesamten Fall (oder nur den Schuldigen bzw. das gestohlene Eigentum) der Gottheit (im Griechischen stehen dafür Vokabeln wie ἀνιερόω, ἀνατίθημι, κτλ.), die ihn zu ihrer Sache macht, d. h. die entwendeten/ verlorenen Dinge aufspürt bzw. den Übeltäter verfolgt (im Lateinischen oft dasselbe Wort: persequi). Angerufen werden entweder besonders mächtige Gottheiten – die Mater Magna und Attis in Mainz,44 die im 1./2. Jh. zunehmend Züge einer Allgottheit annehmende Isis (in Baelo Claudia), Demeter und Kore in Knidos (sowie in Akrokorinth, was hier außen vor bleibt) oder auch Lokalgottheiten, die mit olympischen Göttern verschmelzen (z. B. die Dea Sulis mit Minerva in Bath oder Nodens mit Merkur). Sie sollen ihre δύναμις unter Beweis stellen bzw. „Beispiele“ (exemplaria) ihrer göttlichen Macht liefern. Das geschieht dadurch, dass sie den Beschuldigten durch Krankheit bestrafen, was in der vorgestellten knidischen Inschrift durch „innerlich brennend“ (πεπρημένος), d. h. Fieber, angedeutet ist.45 Ziel 39 TheDefix 266 (ed. Tab. Sulis, Nr. 44); TheDefix 634 (ed. dfx, Nr. 3.2/52); TheDefix 640 (ed. dfx, Nr. 3.2/57) (alle Aquae Sulis). 40 Mühlstein: TheDefix 680 (ed. Britannia 24 [1993] 310–314, Nr. 2): Ratcliffe-on-Soar, 1.– 4. Jh.; Pflugschar: TheDefix 161 (ed. Tab. Sulis, Nr. 31): Bath, 2./3. Jh. n. Chr.; Zaumzeug: TheDefix 687 (ed. dfx, Nr. 3.22/6), Uley, 2./3. Jh. n. Chr. 41 TheDefix 707 (ed. Britannia 23 [1992] 310 f., Nr. 5). 42 TheDefix 600 (ed. dfx, Nr. 2.3.2/1). Tomlin 2010, 262–264 (zum Text), sowie Versnel 2010, 297–300. 43 Versnel 2009, 22. 44 Attis „wird mit so hohen Prädikaten versehen, daß er … offenbar sogar an die Stelle Jupiters tritt“ (Blänsdorf 2004, 55). Vgl. auch im selben Band (die inzwischen allerdings korrigierte) Besprechung einer Fluchtafel aus Groß-Gerau, auf der Attis als „Größter aller Götter, Atthis, Herr, Gesamtheit der zwölf Götter“ adressiert wird: Scholz/Kropp 2004, 33–40. 45 Das geht in anderen Inschriften noch wesentlich drastischer: Die Mainzer Fluchtäfelchen thematisieren mehrfach den Wunsch, dass – wie das Blei der Bleitäfelchen im heiligen Feuer schmilzt – auch die einzelnen Körperglieder des Beschuldigten „zerfließen“ sollen, und zwar
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ist die Rückgabe bzw. Erstattung des entwendeten Eigentums, in der knidischen Inschrift mit einem Schuldeingeständnis gekoppelt (ἐξαγορεύων). Wie die allerdings durchweg späteren und geographisch v. a. im nordöstlichen Lydien zu lokalisierenden kleinasiatischen Beichtinschriften belegen, gab es solche Schuldeingeständnisse tatsächlich.46 Diese Texte gelten trotz ihrer beträchtlichen zeitlichen und räumlichen Distanz als die „engste Entsprechung“ zu den knidischen Fluchtafeln und belegen, wie eine bestimmte religiöse Mentalität und Praxis über Jahrhunderte hinweg fortbestehen konnte.47 Inwieweit die knidischen Texte wirklich komplementär zu den Beichtinschriften zu lesen sind,48 sei hier dahingestellt; die vor das religiöse Tribunal gebrachten Fälle bestätigen jedenfalls die bisherigen Eindrücke (ich konzentriere mich auf unrechtmäßige Aneignung fremden Eigentums bzw. Diebstahl). BIWK, Nr. 3 (164/165 n. Chr.) geht es um ein „Hemd“ (εἱμάτιον!), das vermutlich ein Junge aus einem Badehaus (βαλανεῖον) in einem Dorf namens Tarsi entwendet hat;49 ebenfalls zwei Kinder, die Geschwister Melite und Makedon, sind die Übeltäter in BIWK, Nr. 22 (215/216 n. Chr.), die vielleicht – der Text ist an dieser Stelle allenfalls noch mit viel Fantasie zu rekonstruieren – „Flachs und anderes“ aus einem Heiligtum mitgehen ließen. Auch Kleinvieh kommt abhanden. BIWK, Nr. 106 (2./3. Jh. n. Chr.) thematisiert anscheinend den verbotenen Fang von Tauben im heiligen Bezirk (und einen damit verbundenen Meineid) sowie den „Raub“ eines Stücks Kleinvieh aus dem Bestand eines gewissen Demetrius (Z. 5 f.: καὶ ἠρκέναι πρόβατον τῶν Δημητρίου). Nach BIWK, Nr. 68 (114/115 n. Chr.) verlaufen sich drei Ferkel des Demainetos und Papias zur Herde des Hermogenes und Apollonios, was aus lukanischer Perspektive deshalb besonders interessiert, weil letztere „aus einer gewissen Unfreundlichkeit heraus“, wie Petzl διά τινα ἀχαριστίαν (Z. 14 f.) übersetzt, den Sachverhalt leugnen (Z. 13 f.: οὐκ ὁμολόγησαν; Z. 16: μὴ ὁμολογησάντων). Im Unterschied zu Lk 6,35 ist die Z. 1–3 (zusammen mit Meis Tiamu) angerufene „Große Mutter Anaitis“ aber überhaupt nicht „gnädig“ (χρηστός) gegenüber den Undankbaren (ἀχάριστοι): Sie zeigt die ihr eigene Machtfülle (Z. 18 f.: ἔδειξεν τὰς ἰδίας δυνάμις), d. h. vom Kopf bis zum Fuß; andere lateinische Fluchtafeln wollen den Angeklagten „mit seinem Blut“ (sanguine suo) haften sehen. 46 Die maßgebliche deutsche Ausgabe ist Petzl 1994 (= BIWK); danach im Folgenden die Zählung. Dort finden sich auch Angaben zur Datierung (1.–3. Jh. n. Chr.) sowie zur näheren Lokalisierung im Bergland am Oberlauf des Hermos (vgl. die Karte am Ende des Bandes). Nicht minder wichtig: Ricl 1995. Seither entdeckte Inschriften aus dieser Ecke Kleinasiens finden sich in den Ergänzungsbänden zu den Tituli Asiae Minoris (ETAM), zu nennen sind insbesondere die Bde. 24; 27 und 28. Zur immer noch spärlichen Rezeption dieser Inschriften in der neutestamentlichen Wissenschaft vgl. v. a. Klauck 2003, 58–81, sowie Öhler 2016, 155–184, der im ersten Teil seines Beitrags die althistorische und bibelwissenschaftliche Rezeption der Beichtinschriften rekapituliert (Literatur!). 47 Versnel 2009, 34 mit Anm. 54; dort der Hinweis auf frühere Forschergenerationen (Ziebarth, Steinleitner, Zingerle, Björck, Pettazoni), die ebenfalls auf den Zusammenhang zwischen den knidischen Fluchtafeln und den Beichtinschriften aufmerksam gemacht hatten. 48 Vgl. Versnel 2010, 77, der folgenden Zusammenhang herstellt: „We could say that the Cnidian tablets form the opening to a legal proceeding, just like the ἀραί, the πιττάκιον, and the πινακίδιον in the confession inscriptions; while the confession inscriptions describe the course and the conclusion of the whole lawsuit.“ Ausführlich Versnel 2009, 29–34. 49 Vgl. das Relief bei Petzl 1994, 3, sowie Petzl 1998, 9–11 (mit vorzüglicher Abbildung).
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Hermogenes findet den Tod, seine Frau sowie sein Bruder Apollonios leisten in der Folge Abbitte. Sie legen fortan Zeugnis ab und preisen sie zusammen mit ihren Kindern (Z. 23 f.: μαρτυροῦμεν καὶ εὐλογοῦμεν μετὰ τῶν τέκνων).
Will man den gesamten Sachverhalt in der Terminologie diverser Reziprozitätstheorien beschreiben, dann wird auf diese Weise (die durch den Diebstahl verursachte) negative Reziprozität in einen Zustand ausgeglichener Reziprozität überführt.50
2.2 Verweigerte Rückgabe eines Depositums: IKnidos 149 (TheDefix 585) Die zweite Inschrift aus Knidos, die ich noch kurz betrachten will, vermag ebenfalls Lk 6,30b zu illustrieren („und von dem, der das deine nimmt, fordere nicht zurück“), nur geht es in diesem Fall nicht um Diebstahl (trotz des Begriffs ἀποστερέω IKnidos 149A, Z. 7 f.14 f.51), sondern um die Verweigerung der Rückzahlung eines Depositums, das ein gewisser Diokles offenbar bei Emphanes und Rhodo für Nanas hinterlegt hat (als Testament?), von diesen aber nicht an Nanas ausbezahlt worden ist. Das ist an der Verwendung des terminus technicus παραθήκη (A, Z. 6; B, Z. 4) abzulesen, der einen festen Platz in der Rechtssprache der Antike hat und von Ulpian schließlich als das definiert worden ist, quod custodiendum alicui datum, „was einem anderen zur Aufbewahrung gegeben worden ist“.52 Dieses Depositum haben Emphanes und Rhodo offenbar nicht an Nanas ausbezahlt, sodass sie von letzterer in der bekannten Weise an Damater und Kura überantwortet werden:53 50 Kirk 2003, 677, der „theft“ explizit als eine Form negativer Reziprozität bestimmt und hinzufügt: „negative reciprocity in its most extreme mode is retaliation: reciprocating injury with injury.“ 51 Nach Passow 2008, I/1 360, s. v. ἀποστερέω, bedeutet das Wort nicht nur „berauben, entziehen“, sondern auch „vorenthalten, nicht gewähren“, „bes. was man zu gewähren schuldig ist“. Daher kann ἀποστερέω auch die Bedeutung „betrügen, jmdn. um etwas bringen, jmdm. etwas vorenthalten“ annehmen. Das passt besser zum Argumentationsduktus der Inschrift. 52 Dig. XVI 3,1 praefatio; vgl. auch Diod. XVII 23,5. In einem Gesetz aus Ephesus (SIG3, Nr. 742) bezeichnet der Begriff verpfändete Immobilien und Ländereien. Zur Sache Spicq 1994, 24–27, mit einer Fülle von Belegen, vor allem aus den Papyri; zur innerhalb des NT auf die Pastoralbriefe beschränkten Verwendung des Begriffs (1 Tim 6,20; 2 Tim 1,12.14) vgl. die Kommentare zur Stelle. 53 Die nachfolgende, wieder um Zeilenkonkordanz bemühte Übersetzung bedarf einiger Anmerkungen: Die Doppelung am Beginn der Inschrift (A, Z. 1 f.3: ἀνιεροῖ Νανας … τοὺς λαβόντας) verdankt sich vermutlich einem Schreibfehler (Blümel 1992, 92). Das Gegensatzpaar ὅσιος – ἀνόσιος, hier mit „es ist recht“ bzw. „Frevel“ wiedergegeben, bringt eine dezidiert religiöse Note ein, insofern bei ὅσιος immer der Gedanke mitschwingt, dass den Göttern eine ihnen von Menschen geforderte Pflicht erwiesen wird (vgl. Eur. Suppl. 40). Dementsprechend bezieht sich τὰ ὅσια in der Regel auf göttliche Rechte und Gesetze, während τὰ δίκαια menschliche Satzungen im Blick hat. Da ὅσια auch adverbial steht (anstelle von ὁσίως, vgl. Passow 2008, II/1 555, s. v. ὅσιος), liegt wohl adverbialer Gebrauch vor; möglich wäre aber auch der substantivisch verwendete Plural des Neutrums. Grammatisch schwierig sind die drei partizipialen Dative ἀποδίδοντι, ἀποστεροῦντι (B, Z. 5) und προσκαταλαλοῦντι (B, Z. 8). Passender wäre die finite Verbform.
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A: Vorderseite Nanas weiht [ ] ΙΠΙ [diejenigen, die erhiel‑ | ten … | Nanas weiht (ἀνιεροῖ) der Damater und der Ko‑ | ra und den Göttern bei Dama‑ 5 ter und Kura diejenigen, die | von Diokles ein Depositum (παραθήκαν) erhielten | und es nicht zurückgaben, sondern für sich be‑ | hielten (μὴ ἀποδιδόντας, ἀλλ’ ἀποστεροῦντας). Geben sie es | ihnen zurück, sei es recht (ὅσια); geben sie es nicht 10 zurück, (sei es) Frevel (ἀνόσια). Und sie mögen es selbst hinauf-/zurück‑ | bringen (ἀνενέγκαιεν) der Damater und Kura | und den Göttern bei Dama‑ | ter und Kura als Bestrafte (κολαζόμενοι). | Denn jemandem, der fremdes (Eigentum) raubt … B: Rückseite Nanas weiht Damater und Kura und | den Göttern bei Damater und Ko‑ | ra Emphanes und Rhodo, denn sie er‑ | hielten ein Depositum (παραθήκαν) von Diokles, 5 das sie nicht zurückgaben, sondern unter‑ | schlugen (οὐκ ἀποδίδοντι, ἀλλ’ ἀποστεροῦντι). Für mich (sei es) recht, für diejenigen, | die es nicht zurückgeben, (sei es) Frevel. A‑ | ber wenn sie dagegen noch einmal etwas vorbringen (προσκαταλαλοῦντι) …
Was das knidische Textbeispiel aber so richtig interessant macht, ist der Umstand, dass man ihm ein Täfelchen aus Sagunt an die Seite stellen kann, das in die zweite Hälfte des 1. Jh. oder an den Anfang des 2. Jh. n. Chr. datiert. Der kurze und gerade am Anfang lückenhaft überlieferte Text stellt vor nicht geringe Probleme; im Gegensatz zum Erstherausgeber54 ziehe ich (mit Tomlin und Versnel) folgenden Text vor: Felicio, Sklave des Aurelianus, bittet und übergibt das Geld (rogat et mandat pequnia[m]), das Heraklea, mein Mitsklave (conservus meus), von mir empfangen hat (accepit), damit seine Brust (senus) bedrückt wird, sein Auge und welche Kräfte auch immer, trocken sind (?) … Ich vertraue das Geld der Ehre des Priesters an ([h]onori sacricola).55
Für die Interpretation des Textes weist Tomlin den Weg:56 Accipere (hier Z. 3) dient in den Digesten (XVI 3,31) zur Bezeichnung dessen, der ein Depositum empfängt, und darum wird es auch hier gehen: Der Sklave des Aurelianus, Felicio, vertraut sein peculium bzw. eher den aus seinem peculium erwirtschafteten Gewinn57 seinem Mitsklaven Heraklea an – der conservus erinnert ein wenig an den συνδοῦλος aus Mt 18,28–30, der dem seit Luther so genannten „Schalksknecht“ 100 Denare 54 Corell
2000, 241–247 (vgl. TheDefix 569 [ed. dfx, Nr. 2.1.3/3]). die exzellente Diskussion des Textes bei Tomlin 2010, 264–268; zustimmend aufgenommen von Versnel 2010, 292–295, dem ich auch die Analogie zu IKnidos 149 (TheDefix 585) verdanke und der weitere Vergleichstexte einbringt. 56 Tomlin 2010, 265. 57 Mit peculium (von lat. pecus = Vieh) ist das Sondervermögen gemeint, das ein pater familias einem Sklaven oder Haussohn zur selbständigen Bewirtschaftung überließ (z. B. eine Herde oder einen Gewerbebetrieb). Dieses blieb zwar immer Eigentum des pater familias, wurde aber innerhalb der römischen Gesellschaft mehr und mehr als in der Verfügung des Sohns oder Sklaven befindlich begriffen. Sklaven konnten sich mit dem peculium bzw. den daraus erwirtschafteten Gewinnen freikaufen. Vgl. Bund 1972, 577 f.; Heinrichs 2000, 461 f. mit weiterer Literatur! Insofern ist Versnel 2010, 293, der vom peculium des Felicio als depositum ausgeht, vielleicht dahingehend zu korrigieren, dass es sich um den aus dem peculium erwirtschafteten Gewinn handelt. 55 Vgl.
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schuldet und sie nicht zurückzahlen kann (ἀποδίδωμι), obwohl die Sympathien selbstverständlich unterschiedlich verteilt sind –, vielleicht, um es in einem Tempel (oder anderswo) zu deponieren. Heraklea liefert das peculium aber nicht ab bzw. leugnet seinen Besitz. Wem diese Interpretation zu gewagt scheint, mag die Gegenprobe bei Juvenal machen, der die Unmoral seiner Zeit daran festmacht, dass hinterlegte Güter/Deposita einfach nicht zurückgegeben werden.58 Wieder liefern die kleinasiatischen Beichtinschriften die „Komplementärtexte“. Den frühesten Beleg stellt eine Giebelstele aus Ayvatlar dar (BIWK, Nr. 54 = TAM V/1 440), die aufgrund der Jahresangabe am Ende der Inschrift (203 sull. Ära = 118/119 n. Chr.) exakt datiert werden kann. Es geht um die vergleichsweise bescheidene Summe von 40 Denaren, die ein gewisser Apollonios von einem gewissen Skollos zurückfordert (ἀπαιτοῦντος). Während letzterer die termingerechte Zurückzahlung (ἰς προσθεμίαν ἀποδοῦναι τὸ συναχθὲν καφάλαιον)59 mit einem Schwur bei den Göttern bekräftigt, bestreitet ersterer diesen Sachverhalt und tritt die Forderung an die Göttin (vermutlich Mētēr Atimis) ab. Die Streitsache wird durch ein „Gottesurteil“ entschieden: Skollos findet den Tod (was explizit als Strafe der Götter gedeutet wird), seine Tochter Tatias „löst“ nach seinem Tod seine Schwüre und begleicht die von den beiden Gottheiten Mētēr Atimis und Meis Tiamu erhobenen Forderungen, d. h. sie liefert die ursprünglich Apollonios geschuldete Summe beim Tempel ab.60 Ob es sich bei der ursprünglichen Summe um ein Depositum (von Petzl zumindest erwogen) oder um ein Darlehen (so Chaniotis) handelt, kann offen bleiben, weil die Alternativen im Blick auf Lk 6,27–35 ohnehin wenig austragen. Wichtiger ist die Beobachtung, dass die Rückforderung mit ἀπαιτέω ausgedrückt wird, also jenem Terminus, den Lukas in 6,30 redaktionell setzt. Auch δανείζω, das Lukas bereits in Q vorfand (Mt 5,42!), aber für seine Interpretation der Feindesliebe eigens nutzt (Lk 6,34 f.), hat sein Gegenstück in den Beichtinschriften. BIWK, Nr. 79 = TAM V/1 525 (vgl. auch SEG 28, Nr. 910) leiht eine Tatia, Tochter des Nikephoros, dem Ehepaar Gaius und Aphphia einen nicht näher bezifferten Geldbetrag aus (ἐδάνεισε … χαλκόν), der von den beiden Schuldnern nicht fristgerecht zurückgezahlt wird. Wieder muss die Gottheit, in diesem Fall Meis Artemidorou, seine δύναμις unter Beweis stellen. Nachdem Tatia ihn angerufen hat, zahlt Gaius das Geld zurück.61 Zwei weitere, undatierte Inschriften (BIWK, Nr. 15.26) handeln ebenfalls von der ausstehenden Rückzahlung bestimmter Geldbeträge, wobei nach BIWK, Nr. 15 eine gewisse Kainis wohl den Falscheid ihres Mannes (nämlich dass er das Darlehen schon zurückgezahlt habe) mit ihrem peculium auslösen muss.62 58 Das liest sich bei Iuv. XIII 60–63 dann so: „Wenn jetzt ein Freund hinterlegtes Gut (depositum) nicht verleugnet, / wenn er den alten Geldsack samt allem Grünspan zurückgibt, / ist diese Treue widernatürlich und würdig der etruskischen Bücher, / sie müsste mit einem bekränzten Lamm entsühnt werden.“ 59 Mit Petzl 1994, 65, ist davon auszugehen, dass τὸ συναχθὲν κεφάλαιον „das ursprüngliche Kapital mit dem im Falle treuloser Verweigerung vorgesehenen Duplum und mit den seit der Kündigung aufgelaufenen Zinsen“ meint (vgl. auch BIWK, Nr. 63, Z. 12). 60 Vgl. neben der Besprechung der Inschrift bei Petzl auch Chaniotis 2004a, 16 f., sowie Chaniotis 2004b, 244 f. 61 Darauf deutet die Akklamation am Schluss der Inschrift (BIWK, Nr. 79, Z. 10–12), auch wenn aufgrund des stark zerstörten Texts nicht mehr viel zu lesen ist. Der Lobpreis des Gottes ist aber klar erkennbar. 62 BIWK, Nr. 15 = SEG 35, Nr. 1267: „Glykon, Sohn des Rhotos, verharrte bei seinem Schwur und wurde mit Zorn verfolgt; und es forderten die Götter von seiner Frau Kainis, auch ihr Sondervermögen (πεκουλίου) zur Versteigerung zu stellen.“
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Besondere Erwähnung verdient eine weitere, evtl. aus einem Heiligtum des Axiottenos nördlich von Kollyda stammende und aufgrund der Zeitangabe am Anfang noch in die erste Hälfte des 2. Jh. n. Chr. (217 sull. Ära = 138/139 n. Chr.) gehörende Stele, da es hier nicht um das Ausleihen von Geld, sondern von Naturalien geht: „Im Jahr 217, im Monat Hyperberetaios. – Stratonike, Tochter des Musaios, hatte von Eutychis einen modius Weizen geborgt (δανισαμένη), der dem Axiottenos heilig ist. Nachdem sie (die Rückerstattung) bis auf den heutigen Tag hinausgezögert hatte, wurde sie vom Gott an ihrer rechten Brust bestraft und hat den Gesamtbetrag nebst Zinsen dem Axiottenos zurückerstattet (τὰ συναχθέντα σὺν τόκοις ἀπέδωκεν).“63
2.3 Zwischenbilanz Lässt man die behandelten Texte noch einmal Revue passieren, so zeigt sich: Sowohl der in Lk 6,29 via Q thematisierte Kleiderdiebstahl als auch die in Lk 6,30.34 f. angesprochenen Ausleihgeschäfte, die nicht erfüllte Rückforderungen mit einschließen mögen, finden in den knidischen Inschriften bzw. allgemeiner in den Gebeten um Gerechtigkeit sowie in den dazu komplementär gelesenen kleinasiatischen Beichtinschriften einen Resonanzkörper. Gestohlene Kleider sind nicht nur in Knidos, sondern überall in der Ökumene der häufigste Anlass, um eine Bitte um Gerechtigkeit loszuwerden, daneben werden auch Schmuck, (in der Regel) kleinere Geldbeträge, Haushaltsgeschirr, etc. einer Gottheit mittels eines judicial prayer als gestohlen angezeigt. Diese – in Kleinasien zumeist die unter verschiedenen Namen verehrte „Große Mutter“ – soll kraft der ihr eigenen δύναμις die Sache wieder gerade rücken, d. h. für die Rückerstattung des gestohlenen Gegenstandes bzw. Geldes sorgen. Weil die Bittsteller/innen die Gottheit häufig dadurch zum Handeln motivieren wollen, dass sie z. B. die entwendeten Kleidungsstücke der Gottheit bzw. ihrem Tempel weihen, liegt das vorrangige Ziel einer „Bitte um Gerechtigkeit“ nicht unbedingt in der Wiederbeschaffung unterschlagener Geldsummen oder gestohlener Güter. Drängender ist der Wunsch, dass der/die Delinquent/in einer „gerechten“ Strafe zugeführt wird, wobei „gerecht“ in diesem Fall ein sehr dehnbarer Begriff ist. Wie gerade die Mainzer Fluchtäfelchen zeigen, steht die gewünschte Bestrafung häufig in keinem Verhältnis zum entwendeten Gegenstand. Und es geht auch nicht um Rückerstattung, sondern vielmehr um 63 BIWK, Nr. 63 = SEG 39, Nr. 1277; Übersetzung nach Petzl 1994, 81. Nicht ganz klar ist, ob es sich um Weizen von den Tempelfeldern handelt (in diesem Sinn die Übersetzung) oder um Weizen, der den Priestern des Axiottenos gehörte bzw. zustand. Die griechische Formulierung (πυρῶν μόδινον τῶν ἱερῶν τοῦ Ἀξιοτηνοῦ) lässt beide Möglichkeiten zu. Ein modius umfasst 7,3 l (vgl. BIWK, Nr. 6, Z. 15 f. mit der Kommentierung von Petzl 1994, 13) bzw. entspricht 48 Choinikes, dem in Offb 6,6 genannten Hohlmaß. Nach Stegemann/Stegemann 1994, 47, kostet ein modius Weizen, den sie mit 6,503 kg veranschlagen, 30 As, also knapp zwei Denare (1 denarius = 16 asses). Davon weichen die Preise, die Aune 1988, 397, für den Raum der Offb zugrunde legt, erheblich ab: 96 As für einen modius Weizen, also gut das Dreifache (exakt sechs Denare). Aber selbst unter der Voraussetzung, dass Aune die zuverlässigeren Zahlen liefert, bleibt die Summe überschaubar.
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Rache!64 Sozialpsychologisch betrachtet findet eine Übertragung statt: Die eigenen brennenden Rachegelüste werden in Form eines – wenn man so will – vom Tempel zur Verfügung gestellten Formulars, eben der „Bitte um Gerechtigkeit“, in die Hände der Göttin gelegt. Das dient nicht nur der eigenen Psychohygiene, weil die vorhandenen starken Emotionen auf diese Weise ein Ventil finden und abgekühlt werden, sondern hat auch eine soziale Funktion, insofern das durch den Diebstahl oder die säumige Rückzahlung entstandene vergiftete Klima gleichsam „entgiftet“ wird.65 Die naheliegende Frage, warum sich die geschädigten Personen statt an den Tempel nicht an die städtischen bzw. staatlichen Behörden wandten, ist im Fall der Frauen aus Knidos einfach zu beantworten: „Vor Gericht wiederum bedurften Frauen fast überall der Vertretung durch einen männlichen Verwandten.“66 Für Sklaven und Freigelassene, so sie sich in den Texten überhaupt als solche verifizieren lassen – erinnert sei immerhin an Felicio und Heraklea aus Sagunt! –, war es ebenfalls nicht oder doch nur sehr eingeschränkt möglich, einen Diebstahl oder eine Unterschlagung vor den Richter zu bringen. Und wo der Personenstatus einen Zivilprozess ermöglicht (was für die meisten der oben beigebrachten Beispiele sowieso nicht in Frage kommt, weil die Streitsache viel zu geringfügig ist), bedarf man entsprechender finanzieller Mittel, um einen solchen überhaupt zu führen.67 Ohnehin müssen, damit es überhaupt zu einem Prozess kommt, der oder die Übeltäter bekannt sein. Das ist in der Mehrzahl der Gebete um Gerechtigkeit aber gar nicht der Fall. Und ob die zuständigen polizeilichen Behörden Bagatellsachen, wie die oben geschilderten, „in an underpoliced world“ (J. G. Gager) überhaupt verfolgten, steht sowieso auf einem anderen Blatt.68 Da bleibt nur der Gang zu einer Gottheit, deren δύναμις als so mächtig angesehen wird, dass sie auch noch die geringfügigste Streitsache zugunsten des Bittstellers bzw. der Bittstellerin regelt.
64 Vgl. z. B. DTM, Nr. 1 (TheDefix 758), wo eine gewisse Gemella den Diebstahl von zwei Gewandspangen (Z. 3: fiblas) mit ihrem Leben bezahlen soll (Z. 15 f.35 f.: das Volk soll ihren Tod sehen) und die Verfasserin des Täfelchens sich Z. 31–34 genüsslich ausmalt, wie das geschehen soll: Hunde, Würmer und andere Ungeheuer sollen Gemella verschlingen! 65 Vgl. diesbezüglich den wirklich weiterführenden Beitrag von Salvo 2012, 253–257 (zu den knidischen Inschriften). 66 Wagner-Hasl 1998, 635; direkt zu Knidos Chaniotis 2009, 64. 67 Vgl. Mitchell 1993, 578 f. Bezeichnend Petron. 14,2 (Übersetzung: Müller /Ehlers 2004): „Wozu nützen die Gesetze, wenn der Mammon nur regiert, wenn der kleine Mann der Straße immer den Prozess verliert.“ 68 Chaniotis 1997, 369–372, warnt allerdings zu Recht vor unzulässigen Verallgemeinerungen. Zum einen schließt die Verfluchung beim Heiligtum die Anzeige bei einer profanen Behörde nicht aus, zum anderen finden sich selbst für die abgelegenen Gebiete Phrygiens und Lydiens (wo die Beichtinschriften zu lokalisieren sind) Hinweise auf die Präsenz von Schutztruppen.
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3. Ergebnisse 3.1 Methodisch Es besteht m. E. kein Zweifel, dass die klassisch als defixiones bezeichneten Texte und hier insbesondere die (von Versnel) als eigene Gattung ausgegrenzten prayers for justice mit Gewinn für die Auslegung von Lk 6,27–35 herangezogen werden können. Diese an sich banale Erkenntnis muss man deshalb besonders betonen, weil es m. W. – mit Ausnahme von Hans Dieter Betz – keinen Kommentar, keine Monographie und auch keinen Artikel gibt, der diese Texte für den Kontext der Feindesliebe auch nur ansatzweise in Erwägung zieht.69 Zugleich sollte der in meinen Augen notwendige religions‑ und sozialgeschichtliche Vergleich einige Regeln beachten, die ich im Folgenden zumindest andeuten möchte:70 (1.) Die Sprache: Weil das Lukasevangelium in Griechisch geschrieben ist, kommen in erster Linie die griechischen Exemplare als Vergleichsgrößen in Frage. Das schließt lateinische Texte als mögliche „Parallelen“ natürlich nicht aus, gibt aber die Richtung an: Erst Griechisch, dann Latein. (2.) Die zeitliche Relation: Die Abfassung des Lukasevangeliums gegen Ende des 1. Jh. n. Chr.71 markiert in etwa die zeitliche Grenze für den Textvergleich. Zu präferieren sind Beispiele aus den beiden Jahrhunderten um die Zeitenwende. Damit bleiben ältere und jüngere Texte keineswegs automatisch außen vor; Texte, die später als das 2. Jh. n. Chr. sind, bedürfen m. E. aber der besonderen Begründung. (3.) Die geographische Grenze: Sie hängt natürlich vom Abfassungsort des Lukasevangeliums ab, der notorisch umstritten ist. M. E. ist Kleinasien die bessere Wahl als Rom (Palästina kommt aus diversen Gründen ohnehin nicht in Frage).72 Sicherheiten gibt es hier aber nicht, weshalb diese Grenze weniger starr zu handhaben ist als andere. Blickt man eingedenk dieser Regeln noch einmal auf das ausgebreitete Vergleichsmaterial zurück, stehen die knidischen Fluchtafeln den lukanischen Versen sicher näher als etwa die Täfelchen, die von der iberischen Halbinsel oder von der britischen Insel stammen. Erstere liegen wie die defixionum tabellae aus Mainz geographisch weit ab, bei letzteren ist darüber hinaus der zeitliche Abstand enorm. Das gilt auch für das Gros der kleinasiatischen Beichtinschriften, wenngleich deren 69 Das gilt auch für Wolter 2008, 256 f., dessen Kommentierung des Lukasevangeliums sich von anderen Kommentierungen durch ihre stupende Quellenkenntnis abhebt. Im Fall des Segnens für die Verfluchenden (V. 28a) gehen Wolter aber ebenso die Parallelen aus wie für V. 29b, auch wenn er mit seiner Interpretation – hier sei nicht von einem ausschließlich gewaltsamen αἴρειν ἀπό die Rede – auf der richtigen Spur liegt. 70 Ich orientiere mich im Folgenden an Arzt-Grabner 2016, 27–44, dessen Beitrag m. E. methodisch richtungsweisend ist. 71 Vgl. stellvertretend für viele: Rusam 2013, 200 (80–90 n. Chr.). Ähnlich Broer /Weidemann 2016, 147–149 (80–100 n. Chr.). 72 Schnelle 2013, 315 f., favorisiert Rom, ist sich aber der Problematik der Bestimmung des Abfassungsortes bewusst.
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früheste Exemplare an die Abfassungszeit des Lukasevangeliums fast heranreichen. Andererseits zeigt die über Sprachgrenzen und Jahrhunderte hinweg dokumentierte weltweite Verbreitung der Täfelchen, dass hier ein Phänomen in den Blick kommt, das man auch für den Kontext von Lk 6,27–35 als gegeben voraussetzen darf. Das legen die semantischen Berührungen nahe und das führt zum inhaltlichen Aspekt.
3.2 Inhaltlich Nicht wenige Exegeten wollen Lk 6,27–35 an die Reichen adressiert wissen. Nur für sie seien die Imperative bestimmt, nur sie würden angehalten, auszuleihen, ohne je etwas zurückzufordern. Lk 6,35 vor Augen schreibt Martin Ebner: So viel wird auf den ersten Blick klar: Die Feinde der Reichen sind die Armen. Sie sind darauf angewiesen, Geld geliehen zu bekommen, und ihnen ist es oft nicht möglich, die Schulden zurückzubezahlen. Lukas projiziert also die „Feindesliebe“ in die Sozialstrukturen seiner Gemeinde (irgendwo in der römischen Provinz Asia), in denen es … neben vielen Handwerkern, Lohnarbeitern und Sklaven eben auch ein paar wenige Einflussreiche und Reiche gibt.73
Für diesen mit der Analogie zum römischen Patronatsverhältnis operierenden Interpretationsansatz gibt es eine Reihe triftiger Gründe.74 Es gibt allerdings auch ein exegetisches Handicap: Dass mit der Adresse Lk 6,27a nur die Reichen gemeint sein sollen, ist so klar nicht.75 Starke Unterstützung erhielte die Ebnersche Lesart des lukanischen Textes indessen, wenn Alan C. Mitchells Interpretation der 1 Kor 6,1–8 thematisierten korinthischen Rechtshändel zuträfe, wonach reiche korinthische Christen gegen arme korinthische Christen prozessieren.76 Die von Paulus V. 7 f. gewählte Begrifflichkeit – ἀδικέω und ἀποστερέω waren uns auch in den Gebeten um Gerechtigkeit sowie in den kleinasiatischen Beichtinschriften begegnet – legen wirtschaftliche Streitfragen bzw. Eigentumsdelikte nahe. Bedenkt man außerdem, dass es sich (immer in den Augen des Paulus) um Bagatellsachen handelt (V. 2: κριτήρια ἐλάχιστα), welche Dinge des Alltags betreffen (V. 3 f.: βιωτικά), wäre ein Szenario, wie oben versuchsweise erwogen, durchaus vorstellbar. Die 1 Kor 6,1–8 rahmenden Lasterkataloge (1 Kor 5,10 f. und 6,9–11) sprechen m. E. ebenfalls eher dafür. Auch wenn diese Kataloge keine chronique scandaleuse der korinthischen Gemeinde zeichnen und wie Ebner 2015b, 303. Argumentation bei Ebner 2015b, 300–313; vgl. auch Ebner 2015a, 68–70, mit der pointierten Aussage (zu Lk 6,30): „Lk hat den ‚Räuber‘ im Blick, den Dieb, den Armen, der sich etwas stiehlt. Der Reiche soll, wenn er Feindesliebe praktizieren will, keinen Prozess gegen ihn anstrengen.“ 75 Vgl. R adl 2003, 397: „Hat Jesus zuletzt die (abwesenden) Reichen angesprochen, so wendet er sich jetzt wieder ausdrücklich an seine ‚Zuhörer‘, nämlich die Jünger und die sie umgebende Volksmenge (VV 17–20).“ In die gleiche Kerbe schlägt Nolland 1989, 294: „After adressing the absent rich, the sermon returns its attention to those who have come to hear.“ Alles exegetisch Notwendige dazu bei Wolter 2008, 255. 76 Mitchell 1993, 562–586. 73
74 Mustergültige
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alle Lasterkataloge mit Stereotypen arbeiten,77 fällt doch auf, dass unter den paulinischen Lasterkatalogen (neben 1 Kor 5,10 f.; 6,9–11 noch Röm 1,29–31; 13,13; 2 Kor 12,20 f.; Gal 5,19– 21) allein die Exemplare aus 1 Kor Raub und Diebstahl als Laster nennen. Schimmert hier vielleicht doch die Gemeindesituation durch? Der Hinkefuß der Mitchellschen Theorie liegt, von der wenig stringenten Argumentation einmal abgesehen, ohnehin woanders: Ist es überhaupt vorstellbar, dass ein Reicher, also z. B. ein korinthischer Hausbesitzer, gegen einen armen Schlucker, der beim Herrenmahl (das in Korinth ja als Sättigungsmahl gefeiert wird) eine Schüssel oder dergleichen mitgehen lässt, einen Zivilprozess anstrengt? Bei den Kosten, die ein solcher Prozess verursacht, ist das wenig wahrscheinlich.78 Das ändert sich natürlich, wenn der Wert der Streitsache deutlich ansteigt, aber dann stehen sich vor Gericht auch nicht mehr Reich und Arm, sondern nur noch δύνατοι gegenüber.79
Die lukanischen Imperative, sich lieber bestehlen zu lassen als etwas zurückzufordern und Geld mit der Perspektive auszuleihen, es nicht mehr zurückzuerhalten, zielen daher kaum auf den zivilrechtlichen Bereich. Und sie wenden sich auch nicht nur an die Reichen. Selbstverständlich sind Situationen vergleichbar denen in Korinth auch für die lukanische(n) Gemeinde(n) vorstellbar, und sehr wahrscheinlich kommt es zu Leihgeschäften zwischen Reich und Arm, bei denen letztere die Rückzahlung schuldig bleiben. Das ist m. E. jedoch nur eine Lesart des Textes. Legt man statt des römischen Patronatsverhältnisses aber die vielen Fluchtäfelchen bzw. Gebete um Gerechtigkeit als Interpretationsfolie zugrunde, ändert sich die Reichweite der lukanischen Imperative. Dann zielen sie auf ein „kleinbürgerliches Milieu“ – der Ausdruck ist natürlich ein Anachronismus –, in dem es zugeht, wie es halt immer zugeht: Kleidungsstücke kommen (z. B. beim Waschen oder im Bad) abhanden, kleine Geldsummen werden gestohlen, unterschlagen oder einfach nicht zurückgezahlt, von hinterlegtem Gut „weiß man nichts mehr“. Auch Christen leben nicht außerhalb, sondern in der Welt. Adressiert sind in dieser Perspektive weder die ganz Reichen noch, als komplementäre Gruppe, die ganz Armen (πτωχοί), sondern eher Leute, die über dem Existenzminimum leben, also die πένητες.80 Handwerker wie z. B. Aquila und Priska (vgl. Apg 18,2 f.) bleiben auf ihren Rechnungen sitzen, Reisenden wie z. B. Phöbe (vgl. Röm 16,1) oder den Leuten der Chloe (vgl. 1 Kor 1,11) wird während der Übernachtung in einer Herberge oder auf dem Schiff Geld gestohlen, usw. An die Polizei oder ein Gericht (falls derartige Institutionen überhaupt vorhanden sind) kann man sich wegen der Geringfügigkeit der Schadensfälle nicht wenden, an Gottheiten, die das abhanden gekommene Eigentum wieder beschaffen würden (und vielleicht auch ein wenig Rache), ebenfalls nicht mehr. Man/frau ist ja Christ/in. Es wäre überdies ein Denken und Handeln, das ganz im Rahmen der von Lukas kritisierten Gegenseitigkeitsethik verbleibt, Vgl. nur Schrage 1991, 386–388. Vgl. dazu wieder Mitchell 1993, 579. 79 Das ist die durch Winter 1991, 559–572, angestoßene Lösung, der beispielsweise Wolff 1996, 113, folgt: „Es waren demnach wohlhabende Christen, die vor Gericht zogen.“ 80 Sie bilden nach Stegemann/Stegemann 1994, 262–265, die überwiegende Mehrheit der Christusgläubigen in den urbanen Gemeinden. 77 78
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welche Epiktet so beschreibt: „den gut Handelnden gut wiederbehandeln und den schlecht Handelnden schlecht behandeln“ (Dissertationes II 14,18). Im Gegensatz dazu formuliert Lukas (bzw. der lukanische Jesus), „was die ethische Identität christlicher Gemeinden ausmacht. Christen erhalten ihre ethische Alleinstellung dadurch, dass sie sich in ihrem zwischenmenschlichen Verhalten nicht am Prinzip der Reziprozität orientieren“.81 Inwieweit das gelungen ist, wissen wir nicht.82 Wenn es gelungen ist, dann hat das nicht zuletzt damit zu tun, dass der Gott von Lk 6,35 (im Unterschied zu Röm 12,19!) für Vergeltungsmaßnahmen nicht mehr zu haben ist. Er ist χρῆστος, gütig. Das unterscheidet ihn von den in den Fluchtäfelchen angerufenen Gottheiten, heißen sie nun Demeter, Isis oder Mater Magna.
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Curses, Exorcisms, and Monetary Improprieties Reassessing ‘Magic’ in the Acts of the Apostles
Joseph E. Sanzo
Introduction Ever since the publication of David Aune’s influential 1980 essay “Magic in Early Christianity,” scholarly interest in the relationship between the New Testament and ancient texts, artifacts, and practices deemed magical has blossomed.1 As part of this trend, “magic” has emerged as an important motif in scholarship on the Acts of the Apostles. Although a comprehensive survey of such research is beyond the scope of this paper, suffice it to say that, in addition to countless essays, there have been several monographs specifically devoted to the nexus of magic and Acts.2 Most scholars have focused on select passages from Acts: especially, the Simon narrative (Acts 8:9–24); the Bar-Jesus/Elymas episode (Acts 13:6–12); the girl with the so-called “spirit of divination” (Acts 16:16–24); the Sons of Sceva story (Acts 19:13–17); and the brief reference to the burning of books in Ephesus (Acts 19:19). Such scholarship has situated these and other passages within the “magical” world of the Greek Magical Papyri and, to a much lesser degree, the extant defixiones and amulets from late antiquity.3 Over this same period of time, however, scholars across several disciplines in the Humanities and Social Sciences have waged war on the term “magic”. Such scholarship has appropriately emphasized inter alia the inherently theological or ideological nature of the term “magic” – as the evil, irrational, and twisted twin of “religion” – and its vague, inconsistent, or all-around unhelpful usage among scholars.4 On account of these and other shortcomings, many historians of ancient Mediterranean religion have followed suit and called for the removal of magic from our scholarly lexicon.5 This deconstructive approach, however, is not without its own problems. First, it tends to frame “magic” as uniquely prone to anachronism, ethnocentricity, and inconsistent usage. But such trappings are endemic to all scholarly rubrics. It is no wonder, therefore, that academics over the past century 1 Aune
1980. for instance, Garrett 1989; Heintz 1997; Klauck 2003; Reimer 2002. 3 For relatively recent scholarship in this regard, see Porter 2007; Bates 2011; Kent 2017. 4 On this “deconstructionist” view within the Humanities and Social Sciences more generally, see, for instance, Winkelman 1982; Brown 1997; Cunningham 1999; Styers 2004. 5 E. g., Gager 1987, 80–81; Smith 1995; Aune 2007; Otto 2013; Otto 2017. 2 See,
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have rendered most of our analytical categories problematic: e. g., religion, magic, science, ritual, author, text, identity, group, ethnicity, Judaism, Christianity, etc. Consequently, it is equally unsurprising that adherents to this deconstructionist approach to magic often reify other scholarly categories (esp. “religion” and “ritual”).6 Clearly, an abstinence-only approach to problematic terminology is untenable. What is more, scholars hailing the demise of the rubric “magic” for the study of antiquity have typically promoted an atomizing or disaggregating methodology, whereby the specific phenomena housed under our category “magic” (e. g., amulet, curse tablet, and love spell) are analyzed separately.7 In addition to reifying such subcategories, this methodological posture can distort our interpretations of the sources or even the historical development of ritual itself. Indeed, it is precisely the aggregates or collections of rituals in the later Christian literary texts that reveal fluctuating dynamics of similarity and difference in the identification of ritual practice and, thereby, changing notions of (il)licit ritual in early Christian imagination.8 In this vein, to analyze each of the illicit ritual specialists (e. g., μάγοι, ἐπαοιδοί, μαθηματικοί, ἀστρολόγοι) or the artifacts (φυλακτήρια) listed on Canon 36 of the so-called “Council of Laodicea” as independent phenomena would lead to a fundamental misunderstanding of that canon and of the history of ritual.9 In my judgment, magic actually constitutes a useful heuristic category for conceptualizing the aggregation of illicit ritual practitioners and practices in this canon and similar conciliar materials.10 In short, scholars should neither uncritically apply nor universally avoid “magic”. Like all scholarly (“etic”) rubrics, we must reflect critically on the implicit assumptions of “magic” and its potential for distorting our analyses. We must weigh the term’s value relative to a particular text or research question. Is “magic” a useful term for a given study or text? Would another term (or cluster of terms) be preferable? In other words, the scholarly rubric magic might – or might not – be a useful term for understanding Acts. In this paper, I will assess the analytical value of the category “magic” for interpreting select passages in Acts. I will not propose a new definition of magic nor rehearse the long litany of approaches to the term in New Testament studies and adjacent fields in the Humanities and Social Sciences. Instead, I will measure the relevant passages in Acts against the most salient features of scholarly constructs (of accusations) of magic or witchcraft, specifically: the ritual manipulation of divinities; the role of deviant or private rituals and related objects; and the explicit 6 Indeed, the terms “religion” and “ritual” figures prominently in these essays, which deconstruct “magic” (e. g., Aune 2014, 24; Otto 2013, 320–321). 7 E. g., Smith 1995, 16–17; Aune 2014, 24; Otto 2013, 320–321. For an extended critique of this disaggregating approach, see Sanzo 2020. 8 Sanzo 2019, 208–220. 9 On the historical problems with this canon, see Joannou 1962, 127–28; de Bruyn 2017, 39. 10 E. g., Ps.-Athan., Canon 41 (cf. Ps.-Athan., Canons 25, 71, and 72).
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role of evil (spirits). I will also consider the relative importance the redactor places on ritual more generally within the narrative and the heuristic value of comparing these stories with objects and texts that scholars have deemed magical (esp. the PGM and the defixiones). In short, does Acts present the protagonists or antagonists in the narratives in a way that justifies the label “magic”? In what follows, I will argue that, although ostensibly “magical” vocabulary (e. g., μαγεία) figures into the narratives of Acts, the redactor subordinates this terminology – and even notions of illicit ritual – to other concerns to such an extent that it is not particularly helpful to talk about “magic” in Acts. One must continually bear in mind that, despite etymological relationships and occasional conceptual overlaps, μαγεία is not tantamount to magic nor is μάγος the same thing as magician.11 Terms for ritual practice, such as μαγεία and its cognates, had broad semantic ranges,12 which included even quite positive valuations (e. g., Matt 2:1–12; PGM VII 193–214).13 Accordingly, the mere use of such terminology against an opponent does not necessarily rise to the level of magic/witchcraft accusation. In my estimation, scholars have too quickly imposed onto Acts and its terminology anthropological notions of witchcraft accusations as well as synthetic and ritually oriented understandings of Greco-Roman or Greco-Egyptian magic.14 I contend, that, although “magic” might be a heuristically useful label for some ancient texts, it is not particularly suitable for Acts. I will attempt to show that we can in fact understand these stories better if we disassociate them by and large from the category “magic” and focus instead on their immediate and broader contexts in Acts. I contend that the texts in Acts, which scholars have grouped under the category “magic”, emphasize other qualities, traits, or sins. Paying particularly close attention to the usage of ostensibly “magical” terminology in the texts, I will further argue that it is more heuristically valuable to use rubrics other than “magic” to describe the manifest or implied rituals of the antagonists and the disciples in Acts. In particular, I argue that the rubrics superior/inferior ritual, legitimate/illegitimate ritual, and insider/outsider ritual more accurately capture the emphasis of the redactor than “magic”.
Cf. Aune 2007, 236–249; Pezzoli-Olgiati 2007. For a convenient summary of the semantic ranges of such terms, see Aune 2007, 239–241. 13 The PGM use μαγεία and its cognates quite frequently in a self-referential way (for an extensive list, see Otto 2013, 332–333). For the use of μαγεία as a self-referential label more generally, see Otto 2013, 319–339; Otto 2017, 44–50. 14 This is not to claim that New Testament scholars are unaware of the problems associated with the category “magic”. For instance, Susan Garrett and Florent Heinz are well aware of many of the problems associated with the category “magic”. Nevertheless, their analyses still generally conflate ancient and modern taxonomies of “magic” (or illicit ritual), assuming that objects (e. g., the PGM) and ideas (e. g., demonic/santanic association), which appear “magical” to us would have likewise appeared “magical” (or “satanic”) to the redactor of Acts. Such a confluence of ancient and modern taxonomies cannot be assumed, but must be proven. 11 12
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1. “Magic” and the Antagonists in Acts The following stories are the most common texts in Acts that scholars associate with the label “magic.”15 The redactor of Acts does not draw any specific link between these passages nor between μάγος (and its cognates), which only appear in the first two stories, and the other terms used (e. g., μαντεύομαι, ὁρκίζω, περίεργα). The collection of these texts into a “magical” sub-corpus thus primarily reflects a scholarly intuition based on modern assumptions about “magic”. The relationships between these narratives operate at a very general level and are principally oriented around themes, such as mission, money, and the insider/outsider distinction.
1.1 The Story of Simon (Acts 8:9–24) Scholars have often drawn a connection between the figure of Simon in Acts and accusations of magic in antiquity.16 Yet, μαγεία and μαγεύω in this passage do not exhibit characteristics of magic or witchcraft accusations in ancient or medieval contexts: the term is not explicitly condemned; the figure of Simon is not presented as socially deviant (but, instead, as publically praised); and the redactor does not orient Simon’s implied ritual activity with evil or satanic spirits.17 The story’s emphasis and Simon’s condemnation are ultimately about the relationship between monetary exchange and divine gifts. This tale in fact consists of at least two originally separate sources that the redactor has joined together: a Philip/Simon source (cf. Acts 8:5–13) and a Peter/Simon source (cf. Acts 8:14–25).18 In the first part of the redactor’s composite story (Acts 8:9–13), Simon’s ostentatious activities are described with the verb μαγεύω (Acts 8:9) and the noun μαγεία (Acts 8:9–10). Although this redactor does not share the Gospel of Matthew’s positive or even exoticized view of the μαγ-stem, μαγεύω and μαγεία in this part of the story (Acts 8:5–14) function primarily as a foil for Philip’s mission and preternatural abilities (σημεῖα): the author uses the terms “great” (μέγα and its cognates) and “power” (δύναμις), first in reference to Simon’s self-proclamation (8:9–10)19 and then in reference to Philip (8:13); likewise the verb ἐξίστημι (“amaze”) is first used to describe the Samaritans’ reaction to Simon (Acts 8:11) and, subsequently, to highlight Simon’s reaction to Philip (8:13).20 To be 15 A wide range of scholars have treated the following texts together with the Simon and Elymas narratives under the rubric “magic” (e.g, Garrett 1989; Klauck 2003; Twelftree 2009). 16 Stratton 2007, 98. 17 Contra Garrett 1989, 74–75. 18 For redactional assessments of this passage, see Haar 2003, 71–83; Barrett 1994, 395. 19 Cf. Lk 5:36. On the depiction of Simon’s arrogance in Luke-Acts (in distinction from its presentation of the “humble” believers), see Twelftree 2009, 48. For the view that the title Δύναμις Μεγάλη goes back to Simon himself, see Dickerson 1997, 221. 20 For useful comparisons of the respective presentations of Simon and Philip in Acts, see Lüdemann 1989, 95–96; Barrett 1994, 398.
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sure, Acts refers to Philip’s works as σημεῖα while Simon’s are described as μαγεία. Yet, this comparative portrait is not framed by a good/evil dichotomy nor are his rituals themselves condemned or associated with demons (contrast Acts 16:16–24 [see discussion below]). Simon’s μαγεία merely serves as a poor version of Philip’s σημεῖα.21 Rather than the object of condemnation or discreditation,22 Simon is presented in sympathetic terms at the end of this first section: he believes, is baptized, and follows Philip (Acts 8:13). The serious problems with Simon come to the fore in his interaction with Peter and John in the second part of the story (Acts 8:14–24). It is only here that Simon is outright condemned. But what troubles the disciples about Simon is his economic activity – or, better, his attempted economic activity;23 Simon tries to buy the ability to give the Holy Spirit to the people through the laying on of hands. Accordingly, Peter’s condemnation and curse of Simon are fundamentally oriented around monetary exchange, specifically purchasing: Peter proclaims, “May your silver perish with you, because you thought you could obtain God’s gift with money!” (Acts 8:20; NRSV ). As scholars, such as Peter Busch, have noted, the redactor of Acts does not frame this attempt to purchase the spiritual gift specifically in terms of magic.24 To be sure, the redactor might have joined these two traditions in part to account for Simon’s sinful activity; a practitioner of μαγεία was an apt caricature in antiquity for financial misdeeds.25 It is worth stressing, however, that neither μαγεία nor its cognates appear anywhere in this second section, and the story emphasizes purchasing, not selling (which would be expected if the avarice of illicit ritual experts were in view).26 It is, therefore, possible – if not likely – that the redactor joined these stories together simply because they were the two sole traditions about Simon that he knew.27 In either case, I contend that Peter’s condemnation 21 As Reimer notes about Acts presentation of Simon and Philip, “Philip’s miracle-working is much more impressive than Simon’s” (Reimer 2002, 94). Florent Heintz claims that the μαγεία charge and related details were designed to discredit Simon’s wonders and prophetic activity and to depict him as under the judgment of God (Heintz 1997, 102–142). Gerhard Schneider has argued that the Simon story highlighted the superiority of ‘Christian’ miracles (Schneider 1980, 485). 22 For this claim, see Heintz 1997, 102–142. 23 I use terms, such as “economics” and “monetary”, simply to avoid the monotonous repetition of the word “money” (itself an anachronism). Of course, such terms are inextricably bound to modern forms of capitalism, which encompass radically different ideas about labor, trade, etc. than those found in antiquity. 24 Busch 2006, 141. 25 See e. g., Pl., Resp. 2.364; Soph., Ant. 1055; Cic., Div. 1.58; Flav. Jos., A. J. 6.48; 18.65–80. 26 Contrary to the claims of scholars, who have entertained the idea that Simon was attempting to purchase the laying on of hands in order to sell it (e. g., Twelftree 2009, 49; Marguerat 2003, 119; Klauck 2003, 20–21), one should note that Peter’s condemnation focuses on the obtainment (κτάομαι) of the gift through a monetary transaction (διὰ χρημάτων). Simon’s subsequent selling of the gift does not figure anywhere into the narrative. 27 On the interpretative problems associated with Luke-Acts editorial approach in this narrative, see Barrett 1994, 398–399.
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and Simon’s fearful response only become readily explicable if we orient our understanding of this second section around passages in Acts pertaining to money and personal possessions.28 In his depiction of the Jerusalem church, the redactor of Acts drew particular attention to the church’s economic plan, which was characterized by the total sharing of possessions and property.29 We read in Acts 2:44: “And all who believed were together and had all things in common; and they sold their possessions and goods and distributed them to all, as any had need” (NRSV ). This economic plan among the Jerusalem church is expanded in Acts 4:32–37: Now the whole group of those who believed were of one heart and soul, and no one claimed private ownership of any possessions, but everything they owned was held in common … There was not a needy person among them, for as many as owned lands or houses sold them and brought the proceeds of what was sold. They laid it at the apostles’ feet, and it was distributed to each as any had need (NRSV ).
That this reference to the Jerusalem church’s economic ideal was not merely descriptive, but prescriptive, is evident in the following chapter. In Acts 5:3–4, 10, we learn that Peter cursed Ananias and his wife Sapphira for failing to deliver over to the apostles all of the proceeds from their property sale. These curses, so we are told, immediately led to the deaths of Ananias and Sapphira. Simon’s introduction of monetary exchange into a prophetic context violated Acts’ social and economic arrangement on multiple fronts. His request to purchase the divine gift implies that he had not surrendered all of his monetary resources to the brethren via the apostles.30 He thus (inadvertently) elevated himself through this request to the ranks of the apostles – the only proper handlers of money and possessions in the view of Acts. He simultaneously promoted social and economic hierarchy and inequity among believers since his request tacitly envisioned a situation in which wealthier believers could attain more gifts than poorer believers. In other words, Simon assumed that money, not God, would determine the distribution of divine gifts. Since Peter’s imprecations could bring death to those who violated the social and economic program promoted in Acts (cf. the Ananias and Sapphira tale in Acts 5:3–4, 10), it is not surprising that the redactor tells us that Simon uttered a fearful response to Peter’s curse (Acts 8:20–24). Although subsequent Christian writers, such as the scribe behind the so-called Actus Vercellenses, creatively interacted with Simon’s rituals in a way that might 28 As C. K. Barrett noted about the depiction of Simon in this story, “Luke is sensitive to money matters in general, and attempts to make profit out of the supernatural arouse his indignation” (Barrett 1994, 397). 29 It is worth noting that the redactor uses the term χρῆμα for money in both the Simon story (Acts 8:18, 20) and in the description of the Jerusalem church (Acts 4:37). This relatively rare word is only used in one other place in Acts (Acts 24:6). 30 Klauck speculates that this implied money was left over from his prior work in μαγεία (Klauck 2003, 20).
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warrant the use of the label “magic”,31 μαγεία and μαγεύω emerge from the first part of the Simon story in Acts as merely involving a kind of ostentatious and narcissistic spectacle that is inferior to the σημεῖα of Philip. To the extent that it is an implicit element in the second part of the story, μαγεία here might also carry its relatively common association with avarice. Yet, on account of the dearth of information about Simon’s activities in the first part of the story and the absence of “magical” language in the second part of the story, I find little heuristic value in orienting this passage around the label “magic” or situating it within the world of the PGM or defixiones.32
1.2 The Bar-Jesus/Elymas Episode (Acts 13:6–12) In Acts 13:6–12, we are told about a certain Bar-Jesus (later named Elymas), whom the redactor labels as a μάγος and a “Jewish false prophet” (ψευδοπροφήτην Ἰουδαῖον). Despite the former label, however, the redactor does not condemn this μάγος for his “magical” rituals, but for his anti-missiological activities (Acts 13:4–12). Given the emphasis on the prophetic mission of Barnabas, Paul, and John Mark in this passage (and the redactor’s unclear use of μάγος), I contend that it is counterproductive to orient this passage around the label “magic”. The story tells us that, while Barnabas, Paul, and John Mark were preaching in local synagogues throughout the island of Cyprus, they had a confrontation with Elymas in Paphos (Acts 13:4–5). This Elymas, so we are told, accompanied a proconsul named Sergius Paulus, who had summoned Paul and Barnabas “to hear the word of God” (Acts 13:7). Acts then frames Elymas in antagonistic terms; he attempts to interfere with the preaching of Paul and Barnabas, not wanting Sergius to believe (Acts 13:7–8). In response to these anti-missionary efforts, Paul directs the following curse against Elymas: “Now, behold, the hand of the Lord is upon you, and you will be blind and not see the sun for a time” (Acts 13:11; NRSV ). The redactor tells us that this curse in fact resulted in Elymas’ temporary blindness – a condition that Paul also had after his Damascus experience (Acts 9:9). As a result of this manifestation of preternatural power, Sergius Paulus believes and follows Jesus (Acts 13:12). This passage primarily depicts Elymas as an antagonist to the prophetic mission of Paul and Barnabas. In this vein, Elymas’s title false prophet eclipses his μάγος moniker; the former places him in an antagonistic relationship with the prophets Paul and Barnabas (Acts 13:1).33 The context shows that their prophetic roles were 31 While I am sympathetic to Stephen Haar’s view that Simon is not presented in entirely negative terms in Acts, I am not convinced that we should impose on the text of Acts 8 all the ritual dimensions associated with μαγεία (Haar 2003, 175). 32 I thus disagree with Howard Clark Kee, who, in reference to the Simon episode (and other narratives in Acts), claims that in Acts “there is clear evidence that the power of the Holy Spirit and that of magic are seen to be in competition” (Kee 1988, 119). 33 The redactor uses προφήτης several times through Acts (Acts 2:16, 30; 3:18, 21, 22, 23, 24, 25; 7:37, 42, 48, 52; 8:28, 30, 34; 10:43; 11:27; 13:1, 15, 20, 27; 21:10; 28:25).
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directly related to missiological activities (Acts 13:2–4). It is unsurprising, therefore, that the story’s climax is the miraculous fall of Elymas for his anti-missiological efforts and its denouement is Sergius’ contiguous belief. It is not at all clear, however, what role the title μάγος plays in the story. I would agree with Peter Busch that it is more likely that the redactor of Acts took over a prior tradition in which Elymas was called μάγος (rather than merely inventing this detail).34 It is possible that we should follow Luke Timothy Johnson, who suggests that μάγος is simply a translation for Elymas (perhaps originally from the Aramaic ‘Alim [meaning “wise man”]).35 The phrase “thus his name is translated” (οὕτως γὰρ μεθερμηνεύεται τὸ ὄνομα αὐτοῦ) does in fact appear immediately after the phrase “Elymas ὁ μάγος” (Acts 13:8); however, given the fact that Acts 13:8 is the first instance in which Bar-Jesus is called Elymas, this parenthetical remark might refer to the name Elymas, not to μάγος.36 If the term refers instead to a kind of profession, it is possible that μάγος was used to help explain the relationship between Elymas and Sergius. Graham Twelftree has argued that the preposition “with” (σύν), used to describe their relation (Acts 13:7), might indicate that Elymas functioned as a personal ritual expert in the court of Sergius.37 Such an interpretation dovetails well with the recent work of Heidi Wendt, who contends that there was a proliferation of “freelance religious experts” during the early empire, who vied with one another for social power and often attached themselves to elites.38 It is also possible that the term was simply used to mean charlatan or fake.39 If we can intuit a more ritually oriented understanding of μάγος, this term might have worked in conjunction with the end of the story, in which Elymas becomes blind on account of Paul’s curse (Acts 13:7–8). The text might then possess an ironic or even humorous flavor;40 the very person, who – in his capacity as a μάγος – should be the healer and curser par excellence, falls victim to a curse that requires him to seek people to lead him by the hand (Acts 13:11). As will become evident in the story of the Sons of Sceva (Acts 19:13–17; see the discussion below), irony and 34 Busch 2006, 111. I thus remain skeptical of the hypothesis that the redactor has added the title μάγος as part of some kind of metaleptic strategy. In other words, I find it unlikely that the redactor has included the title μάγος – alongside the prophetic and anti-prophetic terminology – primarily to create an inter-textual bridge between the confrontation between Paul and Elymas and stories from the Hebrew Bible (e. g., the battles between Elijah and the prophets of Baal or Moses and the wizards of Egypt). Of course, the title prophet would have carried for the redactor and his readers associations with past heroes, such as Moses and Elijah, and their opponents; I am not, however, convinced that it is part of an intentional narrative strategy. 35 Johnson 1992, 223. 36 Johnson 1992, 223. 37 Twelftree 2009, 50. See also Potter 1994, 157–170. 38 Wendt 2016. On the appropriateness of the category “freelance religious expert” for Elymas, see Wendt 2016, 105. 39 This interpretation is perhaps supported by Paul’s accusation in Acts 13:10 that Elymas was “full of all deceit and fraud” (παντὸς δόλου καὶ πάσης ῥᾳδιουργίας). 40 For a humor-oriented reading of this passage, see Backhaus 2013, 228.
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humor played an important role in Acts. Even if a ritual dimension were operative, however, I remain unconvinced by the idea that Elymas’ title “son of the devil” (υἱὲ διαβόλου) directly points to the title μάγος and thus frames the latter as specifically involving demonically or satanically inspired rituals.41 In my estimation, the context implies that the phrase “son of the devil” is merely a title of negative association – perhaps a humorous play on Elymas’ other name, Bar-Jesus (“son of Jesus”) – and limited to Paul’s condemnation of Elymas’ deceit in reference to his anti-missiological efforts.42 In the end, we are simply provided with insufficient evidence to determine the meaning and function of μάγος in this narrative. The label “magic”, therefore, does little to illuminate the details of this passage. In fact, it inappropriately draws attention away from the larger (anti‑)missionary/prophetic focus of the passage.
1.3 The Girl with the “Spirit of Divination” (Acts 16:16–24) In Acts 16:16–24, we are told that Paul and a cohort of believers encountered in Philippi a slave girl (παιδίσκην), who had a “spirit of divination” (πνεῦμα πύθωνα; literally “python spirit”)43 that gave her the ability to predict the future (cf. μαντευομένη). In antiquity, the verb μαντεύομαι – and its cognates, such as μαντεῖα and μάντις – encompassed a broad range of predictive and prophetic rites (e. g., lecanomancy, ornithomancy, and oneiromancy).44 Acts does not mention the specific kind of mantic activity the girl performed. Instead, the redactor stresses that the mantic rituals of this possessed girl – like Elymas – interfered with the mission of Paul and his followers.45 The text reveals that there was a direct relationship between the girl’s mantic abilities and the indwelling of the πνεῦμα πύθωνα (Acts 16:16). In fact, she is no longer able to conduct her divinatory rituals once Paul exorcizes the spirit (Acts 16: 16, 18–19). This link between ritual and demonic force strongly suggests that the redactor considered the rituals themselves to be evil and illicit (in contrast to his use of μάγος and its cognates in the Simon and Elymas narratives). To state the matter a bit differently, the ritual activities of the girl and Paul are contrasted through a good/evil dichotomy, not an inferior/superior one (as in the case with Simon and Philip). This negative assessment of mantic ritual is reinforced through the redactor’s connection between this ritual practice and money; there are two references to the significant amount of money the slave girl made for her masters (Acts 16:16, 18–19). This information not only casts the masters in a negative light and provides 41 For
a recent proponent of this view, see Kent 2017. 2017, 416. 43 For a useful discussion of πύθωνα, see e. g., Klauck 2003, 65–67. 44 For a list of relevant sources, see Twelftree 2009, 51 n. 31. On the category μάντις in Greek antiquity, see Johnston 2008, 109. 45 Μαντεῖα and its cognates were broadly condemned in the Septuagint (e. g., Deut 18:10; Josh 13:22; 1 Sam 6:2; 28:8; 2 Kgs 17:17; Ezek 12:24; 13:6, 23; 21:22–28; Mic 3:7, 11; Zech 10:2). 42 Kent
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relevant background information, explaining why the masters were upset when Paul removed the spirit, but it also works in dialogue with the redactor’s general approach to money (see the discussion of Simon above). By making a direct connection between her ritual activity and money (in contrast to Acts 8:5–25; 13:4–12) the redactor stresses that mantic rituals themselves run contrary to his larger program of economic equity. Although this passage represents the closest we come to a witchcraft accusation in Acts, there is no evidence that the redactor opposed her rituals because they had some taint of “magic”.46 In fact, if we needed to use a broader label for this passage, divination would be more appropriate than magic.
1.4 The Sons of Sceva Story (Acts 19:13–17) In Acts 19:13–17,47 we read that seven sons of a Jewish high priest named Sceva were functioning as exorcists (ἐξορκιστεῖς).48 Acts 19:13 states that they used the following formula in their exorcistic ritual: “I adjure you by the Jesus whom Paul proclaims (ὁρκίζω ὑμᾶς τὸν Ἰησοῦν ὃν Παῦλος κηρύσσει).” But their use of this formula had an undesired effect; the demons responded “Jesus I know, and Paul I know; but who are you?” (Acts 19:15) and the demon-possessed man leapt upon them and overpowered them to the extent that they had to run away naked and injured (Acts 19:16).49 The Sons of Sceva story comes immediately after a brief statement about Paul’s miraculous ministry, in which handkerchiefs and aprons touching his body carried preternatural powers (Acts 19:11–12). The contrast is clear: on the one hand, Paul’s power is so extraordinary that even the materials that touch his body can heal the sick and cast out evil spirits; on the other hand, the sons of Sceva lack power, such that they must reference Paul and even then are overcome by the very demon-possessed man they are meant to help. In addition, the theme of clothing evokes a parallel between Paul and the Sons of Sceva: God’s power imbues the fabric touching Paul’s body with the ability to cast out demons; the Sons of Sceva lose their clothes to a demon-possessed man. 46 Luke-Acts fails to spell out exactly the problems with her mantic abilities (beyond the economic dimension). Some scholars have argued that the problem was her/the spirit’s proclamation of an inclusive soteriology – that is, a way of salvation (ὁδὸν σωτηρίας), not the way (see Garrett 1989, 89–101; Twelftree 2007, 148–53). Yet, neither Paul nor the narrator draws attention to the content of her message. Instead, the author stresses that she cried out “for many days” (ἐπὶ πολλὰς ἡμέρας). What is more, the author’s use of διαπονηθείς in describing Paul’s response implies that he was exhausted by the situation and had simply run out of patience (Roloff 1981, 245–246). For other explanations to this difficult passage, see Johnson 1992, 297–298; Jervell 1998, 423; Marguerat 2003, 110–115. 47 On the text-critical issues with this passage, see Strange 1987, 97. For my analysis, I follow NA28. 48 On this apparently Latin name, see Pervo 2009, 476–477. 49 On the possibility that this reference relates to the overcoming of the strong man in Lk 11:21, see Garrett 1989, 93, 98.
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This element of contrast should also be placed within a much broader literary context in antiquity. Several scholars have usefully contextualized this and other passages in Acts in light of ancient ideas of humor and parody.50 With this background in mind, we might note that the occurrence of the ὁρκίζω-formula in particular seems to have served a ludic, ironic, or even humorous function within the narrative. The redactor of Acts explicitly bestows upon the Seven Sons of Sceva the title ἐξορκιστεῖς. Accordingly, they are supposed to be ritual experts, especially as it pertains to casting out demons through the (ἐξ)ορκίζω formula. Yet these individuals are not merely unsuccessful in their ritual performance of this formula that is directly related to their titles. Their performance of this formula backfires to such an extent that they lose their clothes and are wounded. The close parallels between the ritual activities of Paul and the Sons of Sceva suggest that the redactor did not condemn their ritual performance per se (he would also have to condemn Paul).51 To be sure, the phrase ὁρκίζω σε peppers the formularies of the Greek Magical Papyri and the applied ritual objects (e. g., amulets) from late antiquity.52 For instance, PGM IV 286–295, a spell for picking a plant, includes this formula: “I adjure you (ὁρκίζω σε) by the undefiled name of the god: if you pay no heed to me, the earth which produced you will no longer be watered as far as you are concerned.”53 Athanassia Zografou has recently showed that this phrase is not primarily used in the Greek Magical Papyri for exorcisms, but rather in order to gain access to supernatural beings.54 The context in Acts, however, frames this oath formula as exorcistic in nature. With these differences in emphasis in mind, it is perhaps not surprising that the redactor – through the evil spirit’s reaction – does not highlight the phrase, “ὁρκίζω ὑμᾶς” (the portion of the formula shared with the formularies in the PGM and the applied amulets). Instead, he places the emphasis on the references to Jesus and Paul. Contrary to Matthew Bates, I find little emphasis here on ritual per se – and certainly not on anything like our term “magic”.55 Instead, I follow scholars, such as Ernst Haenchen, in understanding the primary problem with their exorcism to be their lack of Christian authority.56 This comical narrative thus implicitly condemns the Sons of Sceva for naively assuming that they could access Jesus’s power – specifically within an 50 Pervo 2009, 474–478; Bates 2011, 419–420; Backhaus 2013, 229. Pervo contends that this passage is a parody of Luke 8:26–39/Mark 5:1–20 (Pervo 2009, 476). 51 To be sure, Luke’s comic portrayal of their ritual language was associated with their lack of faith in Jesus. Cf. Bates 2011, 418; Io. Chrys., Hom. Act. 41. 52 E. g., PGM IV 290; PGM XVI 27; P.Heid. 1101, P.Rain. 1. Cf. Mk 5:7. 53 Translation by E. N. O’Neil in Betz 1986, 43. 54 Zografou 2015. 55 Bates 2011, 418 (cf. Twelftree 2009, 53). Likewise, C. K. Barrett claims that Luke probably considered these exorcists to belong “to the same class as Simon (8.9–11) and Elymas (13.6–8)” (Barrett 1998, 908). Matthew Dickie’s claim that there can be “no doubt” that the author of Acts viewed the Sons of Sceva as ‘magicians’ is overstated (Dickie 2003, 223). Indeed, μάγος does not appear in this text and, even if it did, μάγος is not the equivalent of “magician”. 56 Haenchen 1959, 499 (cf. Barrett 1998, 910).
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exorcistic context – despite remaining outside of the community of believers. It seems, therefore, to be a passage against people (specifically Jews) outside of the community, not against ritual or magic.57
1.5 The Burning of Books in Ephesus (Acts 19:19) Immediately following the Sons of Sceva narrative,58 we learn that many Ephesians, who were practicing περίεργα (“magic”; NRSV ), collected and burned their books publicly.59 The text also tells us that the total value of the books, which were burned, amounted to 50,000 pieces of silver (ἀργυρίου).60 New Testament translators and commentators have almost exclusively understood the term περίεργα in reference to magic and, accordingly, contextualized the books with artifacts, such as the Greek Magical Papyri.61 Yet, if we exclude Acts 19:19, there is no clear contemporary or earlier evidence linking περίεργος exclusively or specifically to any ritual domain – let alone to “magic”.62 Indeed, the adjective περίεργος during the New Testament period primarily denoted the “curious”, “meddlesome”, and “elaborate/
57 This insider/outsider emphasis continues in Acts 19:17: “When this became known to all residents of Ephesus, both Jews and Greeks, everyone was awestruck; and the name of the Lord Jesus was praised” (NRSV ). 58 Bates suggests that the use of the conjunction τε here implies a strong connection between the content of the two stories (Bates 2011, 412 n. 12). 59 In Acts 19:18, the text also notes that these people confessed their “deeds” (πράξεις), which some scholars have tried to associate with the technical vocabulary of the PGM. The restrictive use of the term πράξεις in formularies from late antique Egypt – primarily as a rubric before a list of ritual orders to be performed – is not the most obvious meaning of the term for this passage (cf. Keener 2014, 2854). In order for this explanation to be persuasive, one would need to show a clear connection to the ritual milieu of late antique Egyptian formularies. A connection to some vague understanding of “magic” will not suffice. 60 On the likely reference here to silver coins, see e. g., Polhill 1992, 406; Conzelmann, 1987, 164. 61 E. g., Barrett 1998, 912–913; Twelftree 2009, 54; Bates 2011, 412–413. Scott Shauf represents an important exception to this trend, rightly stressing that “if exegetes were not so quick to see magic in 19:13–17, more nuanced analyses of vv. 18–20 would result” (Shauf 2005, 227). Shauf also agrees that “magic” is not at issue in the Sons of Sceva passage. Toward this end, the author of Acts does not claim that the exorcistic rituals of Sons of Sceva involved books. Thus, contra Bates (Bates 2011, 412), the close proximity of these passages does not facilitate a ‘magical’ interpretation. 62 Contra Dickie 2003, 157. To be sure, on account of subsequent developments in Christian notions of illicit ritual, later Christian writers occasionally connected περίεργα with terms, such as γοητεία and μαγεία (e. g., Iren., Haer. 1.23.4; Orig., Cels. 2.51; 7.4; Acts John 36.6). On the factors that led to this development in early Christian notions of illicit ritual, see Sanzo 2019. Alongside this later Christian literature, Vettius Valens incorporates περίεργος into his astrological treatise (e. g., Ant. 7.30); however, he does not draw a connection between περίεργος and books. In addition, one might note a letter written to a group of district governors that dates to 198/9 c.e., which links περιεργίας to written forms of divination (P.Yale inv. 299; cf. Rea 1977, 151–156).
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superfluous”.63 Accordingly, we need to re-think the meaning of περίεργα in Acts 19:19 and, consequently, the reason for the book-burning ritual.64 As Scott Shauf has noted, the text simply identifies the Ephesians as doing περίεργα without specifying why such actions are inappropriate.65 Indeed, the redactor tells us next to nothing about the meaning of περίεργα and/or the content of the books. If we should follow the Vulgate and thus intuit here an overlap between περίεργος and the Latin curiosus (and its cognates), we would be talking about deeds associated with superfluous knowledge.66 A direct correspondence between this knowledge and the content of the books would presumably imply that the books dealt with a wide range of unbecoming topics (only some of which might have corresponded with items we would identify with magic).67 Yet the depiction of the books in Acts does not focus on textuality (or textual content), but on materiality; the text only tells us about the value of the artifacts.68 Rather than orienting our understanding of this passage around the elusive term περίεργα, therefore, it makes more sense to interpret περίεργα in light of the redactor’s emphasis on the excessively high value of the books that were burned. In this vein, the Greek physician Hippocrates (ca. 460–370 b.c.e.) dissuaded medical practitioners from wearing “elaborate headgear” (προσκύρησιν ἀκέσιος) and “elaborate perfume” (ὀδμή περίεργος) in order to attract patients.69 Although one cannot speak definitively on the matter, this emphasis on elaborateness fits well within the context of Acts 19:19. Rather than expressing a particular kind of book, the phrase τὰ περίεργα πραξάντων would denote “doing elaborate things”; their “books” – or, better, rolls (βίβλους) – would be manifestations of this ostentatious behavior. Indeed, as the passage implies, ancient scrolls and later codices were often quite expensive and, therefore, could signify in and of themselves wealth and prestige – especially within a social context in which reading abilities were limited.70 As we have seen, such displays of wealth and social hierarchy would have run counter to the social program promoted in Acts (cf. Acts 4:34; 5:1–5; 8:5–25). This interpretation also works well 63 In
1 Tim 5:13, περίεργοι occurs alongside φλύαροι (‘gossips’). This text is primarily concerned with older widows, who participated in what the author considered to be inappropriate conversations (Mounce 2000, 294; cf. Fee 1985, 144 n. 9). 64 On early Christian book burning more generally, see Speyer 1981; Rohmann 2016. 65 Shauf 2005, 231. 66 The Vulgate translates περίεργα as curiosa. On the relation between these terms in more temporally proximate texts, see Walsh 1988, 75. On the problems with “curiosity” in early Christian antiquity more generally, see Berzon 2016, 156–183. 67 Rohmann 2016, 113. 68 The narrative as a whole is primarily concerned with the idea that many Ephesian people followed Jesus and reflected that commitment with a public spectacle (Shauf 2005, 233). 69 Hippoc., Praecept. 10 (trans. W. H. S. Jones). Similarly, in Plut., Alex. 2.5, περίεργος is juxtaposed with κατακορής (excessive, extravagant) to describe the celebrations of the Edonian and Thracian women on Mount Haemus. 70 On the economics of books in early Christianity, see Bagnall 2009, 50–69. For the classic, yet still quite controversial, study of ancient literacy, see Harris 1989. For reading habits and views of books in early Christianity, see Gamble 1995.
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within the surrounding context of Acts 19; the Jesus movement’s monetary clash with the broader Greco-Roman world is likewise stressed four verses later in the story of the silversmith Demetrius, who complains that Paul is hurting his idol business by saying that gods made with hands are not really gods (Acts 19:24–41).
1.6 “Magic” and the Antagonists in Acts: Conclusions I contend that the category “magic” does little to illuminate the antagonists in these passages and even distracts from their primary themes. In none of these narratives is the idea of the ritual manipulation of divinities in view. Ritual objects also are by and large missing from these passages. There is little evidence that the artifacts that are in fact mentioned in these stories – that is, the books in Ephesus (Acts 19:19), which are only noted for their high monetary value, and the preternatural fabric that touched Paul’s body (Acts 19:11–12) – would have evoked in ancient readers images of “magical” objects, such as the Greek Magical Papyri or defixiones. This relative dearth of relevant material artifacts in these passages poses a considerable challenge to the claim that Acts framed the antagonists within the matrix of ancient magic.71 Likewise, the theme of social deviance or private ritual is not particularly relevant. As Kimberly Stratton has appropriately stressed, Acts presents Simon as publicly praised and Elymas as operating within politically elite circles.72 In a similar vein, there is no evidence that the girl with the spirit of divination or the Sons of Sceva were considered to be acting in a socially deviant way when they performed their rituals. To be sure, insider/outsider perspectives are at play in the narratives, but not typically in a way that resembles later witchcraft accusations or warrants the label “magic”. In contrast to the claims of many scholars, demonic or satanic dimensions do not figure prominently in the descriptions of the antagonists’ practices. It is only in the tale of the girl with a spirit of divination that the rituals themselves are explicitly connected with demons. Yet, even here, we are not privy to the specifics of those rituals, and magic is hardly an appropriate term (divination, if anything, would be better). Furthermore, each of the stories highlights sins other than “magic” or even illicit ritual: Simon is condemned for his monetary improprieties; Elymas and the girl in Philippi are judged for interfering with the Christian mission; the Sons of Sceva are a lampoon of religious outsiders; and the burning of the books in Ephesus – in my reading at least – is directed against ostentatious behavior. With respect to a comparative body of literature, the PGM and defixiones provide only marginal exegetical assistance. With the sole exception of the Sons of Sceva narrative, the ritual practices of the antagonists are either missing or are glossed over with terms, such as μαγεία or μαντεύομαι. In the case of the 71 On the importance of materiality to ancient rituals we deem “magical”, see esp. Wilburn 2012; Boschung/Bremmer 2015. 72 Stratton 2004.
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Sons of Sceva story, the redactor does not stress the ὁρκίζω-formula, which has parallels to the PGM, but rather the references to Paul and Jesus. In the conclusion to this chapter, I will argue that there are better rubrics than magic for describing the (implied) rituals of the antagonists (and protagonists) in these narratives.
2. “Magic” and the Protagonists in Acts: The Apostles’ Curses and Ancient Magic In the prior section, I argued that the characterizations of the opponents in Acts, which scholars have tended to associate with magic, have in fact very little to do with ancient “magic”. But, one might contend, what about the curses of the apostles? Is it useful to understand these curses in light of contemporary magical artifacts? Although scholars, such as Ernst Haenchen73 and Hans Conzelmann74 have previously noted the occasional parallels between the apostles’ imprecations and the curses found in the Greek Magical Papyri, Benedict Kent has recently devoted an entire essay to this topic.75 Providing a rather detailed textual analysis of the curses in both corpora, Kent argues that the apostles’ curses in Acts should be understood in light of – and, moreover, as intentionally contrasted with – Greek and Coptic “magical” texts, represented in the extant record by defixiones, the Greek Magical Papyri, and the Coptic magical handbooks. Kent’s parallels between the curses of the apostles and those of the practitioners, however, ultimately prove to be rather vague and thus unconvincing for establishing this specific narrative function: for instance, the use of direct address and epiplexis in Paul’s curse of Elymas; Peter’s use of the third person optative in his curse of Simon; a shared sense of victimization and desire for divine vindication; an agonistic context; and common phonaesthetic features, such as the prominence of sibilants (e. g., σου, σύν, σοί) and ê sounds (especially etas and the diphthong epsilon-iota). Although there might be some interesting lexical and phonaesthetic parallels between the curses of the apostles and those found in the PGM and defixiones, for instance, one need hightlight such artifacts as direct points of contrast to understand the curses of the apostles – whether from the perspective of the redactor or from early readers or hearers (as Kent suggests). In fact, one might argue that his focus on these so-called magical materials distracts from the most obvious context for understanding the curses in Acts: the imprecatory traditions of the early Judean communities, which manifested themselves inter alia in the curses of prophets, such as Jeremiah and Amos, and in so-called imprecatory psalms. To be sure, scholars, such as Dellbert Hillers, have appropriately drawn textual parallels between these imprecatory traditions and contemporary Mesopotamian incan73 Haenchen
1971, 304. 1987, 66.
74 Conzelmann 75 Kent
2017.
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tations.76 However we wish to frame such Judean exemplars, these prophetic and psalmic traditions strike me as much closer to the apostles’ curses than the Greek or Latin defixiones, prayers for justice, or spells from the PGM or Coptic handbooks. Indeed, the PGM and Coptic handbooks are late antique Egyptian materials and thus represent vastly different temporal, political, regional, and social contexts than the writings of the New Testament.77 Such temporal and spatial differences raise questions about how the Vorlagen of these texts and objects would have been perceived in the world of Acts (if they were indeed known). Would the redactor of Acts or his audience have understood such objects as “magical” or simply as “Egyptian”, “foreign”, and/or contrary to the interests of the community of believers? Moreover, the idea that we approach the manuals or ritual objects solely as texts is in and of itself problematic. According to Acts, Peter and Paul did not use manuals or physical objects when they cursed their opponents. This purely oral proclamation would have certainly struck ancient audiences as very different than, for instance, defixiones, in which the physical properties of the lead and their deposition – typically in dark and dank places – played important roles toward achieving ritual efficacy.78 As historians of the book and proponents of the New Philology have noted, the material properties and layouts of manuscripts carry essential information, which structures how people read, understand, and conceptualize specific texts and textuality more generally.79
3. Conclusions In this essay, I have argued that “magic” is not the best rubric for understanding the activities of the antagonists and protagonists in the passages in Acts that New Testament scholars have often labelled as such. But my contention raises an important question: if magic is not the best analytical construct for understanding these passages in Acts, how might we characterize the explicit or implicit rituals in these texts (which, to be sure, are not the primary foci of these narratives)? In my opinion, we should not map a single model onto these sources, but use various 76 Hillers
1983. On the complexities involved in extrapolating broader Mediterranean “magical” qualities from these Egyptian artifacts, see Ritner 1995, 3358–3371; Frankfurter 1997; Dieleman 2005, 185–284; and Bortolani 2016. On account of the late date and Egyptian provenance of the PGM and of the Coptic handbooks – the latter of which were largely created by Christian monks – one cannot necessarily assume that their formulae would have been known to individuals operating in earlier periods and in other geographical areas. One must demonstrate through a redactional-historical analysis of the PGM (or Coptic handbooks) that a given formula transgressed such temporal and spatial boundaries. 78 On the important role of materiality in the rituals of defixiones, see e. g., Natalías 2018; Curbera 2015. 79 E. g., Chartier 1992; Cavallo/Chartier 1999; Gamble 1995; Driskoll 2010. See also Cerquiglini 1989; Nichols 1990; Lied/Lundhaug 2017. 77
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comparative rubrics that reflect the individual emphasis of a given story. Since I do not see ritual clearly figuring into the Elymas narrative (except in the imprecation of Paul) nor into the description of the burning of books in Ephesus, I will focus my attention on the other three narratives. I will tentatively propose three binaries, which seem to characterize the respective emphasis of the redactor of Acts. First, we might characterize Simon’s implied ritual practices, which only occur in the first part of the story, as inferior to Philip’s superior rituals since Simon’s μαγεία is not explicitly condemned, but merely serves as a poor version of Philip’s σημεῖα. By contrast, we might speak of the implied divinatory rituals of the girl in Philippi as illicit or even evil because they are directly linked to the power of demons and in and of themselves conflict with the broader social agenda of Acts. The depiction of these rituals – which, in my estimation, might possibly be illuminated in reference to witchcraft or magic accusations – stands in contrast to Paul’s legitimate or good exorcistic ritual of the spirit dwelling within her, which is explicitly done in the name of Jesus Christ (Acts 16:18). Finally, we might characterize the clear contrast between the preternatural power of the fabric touching Paul and the failed exorcism of the Seven Sons of Sceva as a difference between insider and outsider ritual.80 I argue that, by turning from a magical identification to a more contextually sensitive taxonomy, we can gain a better sense of the diverse functions and conceptions of ritual in the narratives of Acts. Such a nuanced approach also helps situate this writing within the broader history of early Christian views of ritual.81
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Von Zauberprofis und Bindungen Antike Fluchtafeln und ihre Spiegelungen in der Apostelgeschichte
Stefan Schreiber Antike Fluchtafeln stellen kein Thema der Apostelgeschichte dar. Die Erzählungen des Lukas bieten weder Beispiele für die Praxis, Fluchtafeln herzustellen, noch enthalten sie eine kritische Metareflexion über Gefahren und Schaden durch Fluchpraktiken. Begriffe wie κατάδεσμος oder φάρμακον finden sich nicht. Die Fluchpraxis zählt jedoch zum Alltagsmilieu, in dem die ersten Christen lebten, und so ist zumindest die Erwartung berechtigt, Spuren dieser Praxis in einigen Texten der Apostelgeschichte zu finden. Die Spurensuche muss jedoch methodisch kontrolliert erfolgen. Wenn Fluchtafeln nicht direkt erwähnt werden, können immerhin Anspielungen darauf vorliegen, die von den zeitgenössischen Lesern aufgrund ihrer Vertrautheit mit dem Phänomen unschwer zu entziffern gewesen sind. Es liegt dann eine Form von Intertextualität vor, die, wenn sie im Text sichtbar sein soll, signifikanter Markierungen bedarf. Solche Markierungen machen einen Vergleich von Texten auf Fluchtafeln mit Texten der Apostelgeschichte erst plausibel. Der folgende Beitrag geht vor allem von zwei Formen von Markierungen aus: Als erste Form fasse ich ein narratives Szenario auf, das in das Milieu führt, in dem Fluchtafeln produziert, verwendet oder rezipiert wurden. Ein solches Milieu wird z. B. dort deutlich, wo in der Erzählung Figuren auftreten, die explizit dem Bereich der μαγεία zugerechnet werden. Die zweite Form bilden sprachliche Parallelen, die aber hinreichend deutlich sein müssen. Dabei genügt nicht die Übereinstimmung von ein oder zwei Lexemen oder Verbformen, sondern es müssen semantische Felder auszumachen sein, die einen bewussten Rückgriff auf Fluchtafeltexte plausibel machen. Ein weiterer Aspekt, der den Vergleich leitet, ist die zeitliche und geographische Nähe einzelner Fluchtafeln zur Apostelgeschichte, was zu einer Priorisierung von Vergleichstexten führt. Bevorzugt werden demnach Fluchtafeln, die dem östlichen Mittelmeerraum entstammen, in griechischer Sprache verfasst und den beiden Jahrhunderten um die Zeitenwende zuzuordnen sind; die zeitliche Eingrenzung lässt sich allerdings nach vorne bis zu den ersten überlieferten griechischen Fluchtafeln und nach hinten bis ins 3. Jh. n. Chr. erweitern, weil die Fluchtafeln eine Konstanz in grundlegenden Sprachmustern aufweisen. Im vorliegenden Beitrag gehe ich verschiedenen Aspekten in Texten der Apostel geschichte nach, die Anklänge an Fluchtafeln darstellen können. Dabei spielen
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Spiegelungen von Sprache, Mentalitäten und Milieus eine Rolle. Die Texte sind nach dem Kriterium der Vergleichbarkeit ausgewählt. In sieben Schritten werden die relevanten Aspekte entfaltet. (1.) Den Anfang bildet der missionarische Wettbewerb zwischen einem jüdischen Zauberer und Paulus in Apg 13,6–12, der die Diskussion darüber anstößt, ob Paulus Fluchsprache benutzt und wie er sich von seinem Konkurrenten unterscheidet. (2.) Das Problem eines Zauberprofis in den eigenen christlichen Reihen bearbeitet die Simon-Erzählung in Apg 8,9–25, wobei sich das Motiv widerfahrenen Unrechts auch auf bestimmten Fluchtafeln findet. (3.) Die Sprache des „Bindens“ an einigen Stellen des lukanischen Doppelwerks klingt an Fluchtafeln an. (4.) Blickt man noch einmal auf den jüdischen Zauberer von Apg 13, stellt sich die Frage nach einer jüdischen Zauberpraxis, konkret nach jüdischen Elementen in Fluchtafeln. (5.) Das Milieu von Sklavenbesitzern und Geschäften spiegelt sich sowohl in Fluchtafeln als auch in Apg 16,16–21. (6.) Die bedingte Selbstverfluchung von Apg 23,12–22 lässt sich auf dem Hintergrund einiger Fluchtafeln besser verstehen. (7.) Die Grenzen der Zauberei und der Beschwörung wirkmächtiger Namen lotet die Erzählung von den Söhnen des Skeuas in Apg 19,13–20 aus, wobei vergleichbare Fluchtafeln die Hintergründe beleuchten.
1. Paulus und der Magier in Apg 13,6–12 – ein Grund zum Fluchen? Lukas erzählt in Apg 13, dass Paulus und Barnabas von der Gemeinde in Antiochia zur Mission ausersehen wurden und mit dem Schiff auf die Insel Zypern gelangten, die sie bis nach Paphos durchreisten (Apg 13,1–6). Dort begegnete ihnen ein Jude mit Namen Barjesus, den der Erzähler als μάγος und Pseudoprophet charakterisiert. Die Bezeichnung als μάγος lässt bei der Suche nach Vergleichsmöglichkeiten mit Fluchtafeln aufhorchen, da ein solcher, wie wir sehen werden, gewöhnlich eben auch Verfluchungen im Repertoire hatte. Die Figur des Barjesus kann also eine intertextuelle Markierung darstellen. Dieser Barjesus hielt sich am Hof des römischen Statthalters Sergius Paulus, des Prokonsuls (ἀνθύπατος) von Zypern, auf, der sich der Verkündigung der beiden Missionare gegenüber aufgeschlossen zeigte (13,6 f.). Doch Barjesus leistete Widerstand und versuchte, den Statthalter vom Glauben abzuhalten – und trat damit in Konkurrenz zu Paulus und Barnabas um den Einfluss auf den Statthalter. Paulus könnte sich angesichts des gefährlichen Konkurrenten zurückziehen und seine Sache – gemäß antiken Gepflogenheiten – einer höheren Macht anheimstellen, sprich: Er könnte einen Bindefluch auf ein Bleitäfelchen gravieren und dieses irgendwo deponieren, d. h. einen κατάδεσμος verfassen; er könnte z. B. schreiben: Dämonen unter der Erde und Dämonen, wo immer ihr seid, … nehmt weg von ihm die Macht und die Kraft und macht ihn kalt und stumm und ohnmächtig … Bindet (καταδή-
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σατε) von meinem Gegner *Barjesus* und schläfert ein die Zunge, den Willen, den Zorn gegen mich ….1
Wenn die Dämonen als Mächte der Unterwelt dem Fluch gehorchen, ist der Konkurrent ausgeschaltet. Die Formulierungen sind Teil einer umfangreichen Fluchtafel, die tatsächlich auf der Insel Zypern in der Nähe der Stadt Paphos gefunden wurde.2 Nur den Namen des „verfluchten“ Konkurrenten, Ariston, habe ich durch „Barjesus“ ersetzt. Die Tafel ist allerdings jünger als die Erzählung des Lukas und wird ans Ende des 2. bis Mitte des 3. Jh. n. Chr. datiert. Vergleichbare Formulierungen existierten jedoch bereits seit Jahrhunderten, z. B. auf einer Fluchtafel aus einem Grab in Athen aus dem 3. Jh. v. Chr. (DTA, Nr. 97 [TheDefix 206]): Mikion habe ich belegt (ἔλαβον) und habe gebunden (ἔδησα) die Hände und die Füße und die Zunge und die Seele; und wenn er irgendein verderbliches Wort über Philon äußern will, soll seine Zunge bleiern werden … .3
Ebenfalls aus Griechenland (Attika) und dem 3. Jh. v. Chr. stammt folgender Fluch (DTA, Nr. 105, Seite A [TheDefix 976]): Hermes, Unterirdischer! Gebunden soll sein (καταδεδέσθω) Pythoteles vor Hermes, dem Unterirdischen, und Hekate, der Unterirdischen, und Zunge und Worte und Taten (καὶ γλῶτταν καὶ ἔπη καὶ ἔργα) … .4
Mund, Zunge, Seele und Verstand sind häufige Ziele von Bindeflüchen, die so die Aktivitäten eines Menschen, der dem Verfasser des Fluches schaden oder ihn übertreffen könnte, lahmlegen sollen.5 Bindeflüche können mit Konkurrenzsituationen zu tun haben: bei gerichtlichen Prozessen oder im Sport, im Arbeitsleben und Handel sowie in der Liebe.6 Es handelt sich allgemeiner um Strategien, mit denen antike Menschen die Unsicherheiten und Risiken des Alltagslebens zu bewältigen versuchen, die durch gestörte soziale Beziehungen entstehen; andere Menschen werden als soziale Gefahr wahrgenommen, Neid kann sich einstellen, was durch die Abfassung einer Fluchtafel emotional bearbeitet werden kann.7 1 [Δέμονες] οἳ κατὰ γῆν κὲ δέμονες οἵ[τινές ἐστε] … ἀφέλεσθε αὐτοῦ τὴν δύναμιν κὲ τὴν ἀλκὴν κὲ [ποιής]ετε αὐτὸν ψυχρὸν κὲ ἄφωνον κὲ ἀπνεύμοναν … κατα[δ]ήσατε τοῦ ἀντιδίκου μου τοῦ Ἀρίσστωνος κὲ κατακο[ιμίς]ατε τὴν γλῶσσαν τὸν θυμὸν τὴν ὀργὴν τὴν εἰς ἐμὲ … 2 DT, Nr. 22 (TheDefix 141). Es handelt sich um einen umfangreichen Sammelfund, von dem Exemplare in DT, Nr. 22–37 veröffentlicht sind; Übereinstimmungen deuten auf ein gemeinsames Formular hin. Vgl. Gager 1992, 132–136. 3 Text und englische Übersetzung bei Eidinow 2007, 380 f. 4 Die Formulierungen werden in Bezug auf verschiedene Objekte mehrfach wiederholt. Text und englische Übersetzung bei Eidinow 2007, 385. – Vgl. DTA, Nr. 98 (TheDefix 223): „ich binde (καταδῶ) Euryptolemos und Xenophon … die Zungen dieser Männer und ihre Worte und Taten“. 5 Dazu Versnel 2009, 6–8; Faraone 1991, 8–10. Vgl. auch SGD, Nr. 1.95. 6 Versnel 2009, 8–12; Versnel 2002, 47; Faraone 1991, 10–17; Brodersen 2001, 61–65. 7 Gestörte soziale Beziehungen, Gefährdung durch andere oder Neid als Motivation betont Eidinow 2007, 4–7.160–228; Eidinow 2012, 13–19.
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Paulus greift in Apg 13 nicht auf die Möglichkeit einer Fluchtafel zurück, sondern wendet sich dem Konkurrenten direkt zu. Erfüllt vom heiligen Geist, blickt er den Konkurrenten fest an und spricht ein Machtwort: O (du) voll aller Hinterlist (δόλος) und aller Betrügerei (ῥᾳδιουργία), Sohn des Teufels, Feind aller Gerechtigkeit, wirst du nicht aufhören, die rechten Wege des Herrn zu verdrehen? Und nun, siehe, die Hand des Herrn gegen dich,8 und du wirst blind sein und die Sonne nicht sehen bis zur (bestimmten) Zeit (Apg 13,10 f.).
Paulus kann getrost auf Flüche verzichten, denn er weiß um Gottes machtvolles Wirken für seine Botschaft, die sich gegen alle Widerstände wunderbar durchsetzt: Der Magos erblindet, irrt umher und sucht einen Blindenführer (13,11). Und der Statthalter zeigt angesichts des schlagenden Beweises der Macht des einen Gottes große Betroffenheit und findet zum Glauben, zum Vertrauen auf die „Lehre des Herrn“ (13,12). In der Forschung wird diskutiert, ob es sich bei dem Wort in 13,11 formgeschichtlich um ein Fluchwort handelt. Gerhard Schneider erkennt ein Fluchwort, das zum Stil eines Strafwunders gehört.9 Diese Formbestimmung teilen z. B. Alfons Weiser, Jacob Jervell und Richard Pervo,10 während andere Forscher zumindest sprachliche Elemente eines Fluches wahrnehmen.11 In der jüngsten Publikation zum Thema plädiert Benedict Kent dafür, das Machtwort in Apg 13,10 f. (und die Parallelen in 8,20–23 und 5,3 f.9) als Fluch zu verstehen.12 Zum Vergleich zieht er jedoch in erster Linie die griechischen Zauberpapyri (PGM) und koptische christliche Fluchtexte heran; er hält zwar fest, dass die meisten dieser Texte nach dem 1. Jh. zu datieren sind (415 f.), geht aber nicht weiter auf die Datierung der von ihm angeführten Texte ein. Antike Fluchtafeln bezieht er nur am Rande ein. Die von ihm behaupteten Übereinstimmungen mit den Worten der Apg bleiben jedoch zu allgemein (Motiv der Erblindung; Erfülltsein von einer dämonischen Macht; sofortiges Eintreten des Fluchs) oder treffen den Sachverhalt nicht.13 Der zur Erblindung des Barjesus eingespielte Fluch text SGD, Nr. 23 (TheDefix 404) (421 Anm. 33), enthält die Elemente „in your dark air“ und „unilluminated aiôn of oblivion“, die aber keine Straferblindung meinen; die Verfluchung betrifft vielmehr den ganzen Menschen: „the name, the breath, the impulse, the mind, the 8 χεὶρ κυρίου ἐπὶ σέ. Die gegen jemanden erhobene Hand Gottes als Strafmotiv ist aus 1 Sam 7,13; 12,15; Ez 13,9 bekannt. 9 Schneider 1982, 123. 10 Weiser 1985, 312.318; Jervell 1998, 347 („Strafworte“, in Anm. 429 „Fluchwort“); Pervo 2009, 320 (Paulus „cursed the magus“); 325 („the cursing of the magus“, „an effective magical spell“); 326 („a most formidable and potent curse“). 11 Berger 1984, 181; Heininger 2005, 277; Marguerat 2003, 122. Nach Keener 2013, 2023, konnten Zeitgenossen die Ansage „as a magical curse“ verstehen, während es sich in prophetischer Tradition eher um „a judgment oracle“ handelt (2022). – Gebauer 2015, 19, spricht vom göttlichen Gericht. 12 Kent 2017. 13 Z. B. bietet PGM XIVc 25–27 (Kent 2017, 420 f.) eine Aufforderung an die Gottheit, negativ auf eine Person einzuwirken, während in Apg 13,11 eine Ansage des Unheils vorliegt; die Aufforderung, den Gegner „niederzuwerfen“, findet keine räumliche Entsprechung in Apg 13.
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spirit, the reckoning of Eros be chilled. Let him be deaf, dumb, without mind, without heart, hearing nothing magical (?)“.
Die Sprache der Fluchtafeln unterscheidet sich signifikant von Apg 13,11. In 13,11 liegt keine wirksame Manipulation übernatürlicher Mächte vor, um einem Menschen zu schaden. Fluchtafeln weisen entweder einen Befehl zur Bindung („bindet“) oder die performative Bindung in der 1. Person („ich binde“), häufig verbunden mit der Anrede einer Gottheit oder eines Dämons, auf und sprechen über den Konkurrenten. Paulus hingegen geht in die direkte Konfrontation mit dem Konkurrenten und spricht ihn unmittelbar an. In den meisten Fluchtafeln fehlt eine Anklage, und der Schwerpunkt liegt auf der „Bindung“ bestimmter Körperteile bzw. der Überantwortung an eine Gottheit.14 Paulus liefert zuerst eine aggressive Anklage, dann eine Ansage der Strafe bzw. des Unheils, das dann Gott selbst, die „Hand Gottes“, wirkt und das als Reaktion auf das vorausgehende Handeln des Barjesus, die Behinderung der Verkündigung, erfolgt. Das Wort in 13,11 lässt sich demnach als Unheilsansage bestimmen, während in 13,10 eine Anklage vorliegt.15 Parallelen finden sich in den Erzählungen über Elia und Elischa in 4 Kön 1,10.12.16; 5,26 f. LXX (vgl. Jos 7,25); prophetische Gerichtsworte wie in Am 1,3–2,16 oder Jer 19,3–13 verbinden Anklage und Unheilsansage, allerdings als Gottesrede (1. Person Singular). Mit einem Fluch gemeinsam hat die Unheilsansage allerdings die Wirkung: Bei Barjesus wird auf wunderbare Weise ein für sein Auftreten wesentliches Sinnesorgan ausgeschaltet, er erblindet, wodurch er letztlich handlungsunfähig wird.16 Der angesehene μάγος verliert sein Gesicht und wird der Lächerlichkeit preisgegeben: „herumtappend suchte er Führer“ (περιάγων ἐζήτει χειραγωγούς, Apg 13,11).17 Sein Einfluss auf den Statthalter ist gebrochen. Die temporäre Erblindung verbindet ihn übrigens mit Paulus, der nach Apg 9,8 f.; 22,11 als Folge seiner Christophanie selbst erblindete. Doch er gelangte bald zu „neuem Sehen“, indem er die Bedeutung Jesu als Messias erkannte. Auch für Barjesus besteht also noch eine Chance.
14 Zu verschiedenen Formularen auf griechischen Fluchtafeln vgl. genauer Faraone 1991, 5–7.10; Eidinow 2007, 146–156. 15 Vgl. Schreiber 1996, 24.27 f.; Pervo 2009, 326 f.: „oracle of judgment“ (inspirierter Sprecher; Elemente: Anklage, Drohung, sofortige Erfüllung). 16 Den Gesichtssinn betreffen – neben etlichen anderen Körperteilen – auch zwei Verfluchungen, die sich auf Konkurrenten beim Pferderennen bzw. ihre Gespanne beziehen: DT, Nr. 234 (Karthago, 2./3. Jh. [TheDefix 53]): „Nimm ihnen den Sieg, den Erfolg und den Gesichtssinn/das Sehen (ὅρασιν), damit sie ihre Gegner nicht sehen können“; DT, Nr. 242 (Karthago, 3. Jh. [TheDefix 61]): „Erschöpfe ihre Augen (ἀπόκνισον αὐτῶν τὰ ὄμματα), damit sie nicht sehen“. In der Beichtinschrift BIWK, Nr. 5, führt die Strafe der Erblindung zum Eingeständnis der Schuld; dazu Chaniotis 1997, 357 f. 17 Antike Analogien bieten Redner, die vor Gericht die Sprache verlieren, oder kampfunfähige Gladiatoren oder Athleten; vgl. Versnel 1999, 148–150.
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Im Kontext von Fluch und Zauberei lässt sich auch der Begriff ῥᾳδιουργία profilierter verstehen. Er bedeutet nicht „Bosheit“, wie manchmal übersetzt wird,18 sondern „Betrügerei“ – ein Vorwurf, den die antike Kultur gerne gegenüber Zauberern und speziell Goeten (die Macht über die Totengeister versprachen) erhob. Die zeitliche Befristung der Erblindung weist diese als Züchtigungsstrafe aus, die zur Umkehr führen soll. Das lässt sich mit DT, Nr. 1 (TheDefix 229), einem sogenannten Gebet um Gerechtigkeit (siehe unten), vergleichen, wo ein Kleiderdieb „innerlich brennend bekennen“ und das Gestohlene (der angerufenen Göttin) zurückgeben soll. Auch die Öffentlichkeit des „Machtwortes“ erinnert an solche Tafeln, auf denen die Verfasserin ihren Namen nennen kann, weil ihr offenkundig Unrecht widerfahren ist und ihr Wunsch nach Ausgleich als gesellschaftlich legitim erscheint. In Apg 13 begegnet Paulus als großer Wundertäter, aber nicht, weil er die richtigen Namen oder Formeln weiß, sondern weil er im Dienst und Auftrag des einen Gottes handelt, der sich aus eigenem Antrieb als wirksam und überlegen erweist. Die Episode beleuchtet den Lebenskontext der frühen Christus-Gemeinden. Hinter der Erzählung wird die Konkurrenz von urchristlicher Mission und hellenistischer Alltagskultur und ‑religion – in charakteristisch jüdischer Brechung – erkennbar. Mit Barjesus tritt eine Gestalt auf, die typisch für den gesellschaftlichen Einfluss von μάγοι in der Lebenswelt der ersten Christen ist. Es geht also nicht um die Überlegenheit der christlichen über die jüdische Mission, wie Jacob Jervell meinte.19 Lukas will die Überlegenheit des Paulus und seines Gottes über Zauberei und Fluch zeigen: Genau die Überlegenheit, die antike Menschen wie der Profi Barjesus durch Flüche zu gewinnen suchen, besitzt Paulus als Zeuge des einzigen wahren Gottes. Er erreicht seine Selbstbehauptung ohne Verfluchung, weil er weiß, dass Gott zugunsten seiner Verkündigung handelt. Lukas teilt damit die negative Einschätzung von Magiern20 in der antiken Gesellschaft und macht sich dieses negative Image für seine Darstellung zunutze. Schon Platon beschrieb das einträgliche Wirken von „Gauklern und Wahrsagern“ (ἀγύρται δὲ καὶ μάντεις): Diese kommen vor die Türen der Reichen und überreden sie, ihnen sei von den Göttern die Kraft verliehen, durch Opfer und Besprechungen, wenn sie selbst oder ihre Voreltern etwa eine Verschuldung auf sich hätten, sie zu heilen mitten unter Freuden und Festen; und wenn einer einem Feinde etwas antun wollte, könnten sie für geringe Kosten dem Gerechten so gut wie dem Ungerechten Schaden zufügen, indem sie durch zauberische Anlockungen und Verschlingungen (ἐπαγωγαῖς τισιν καὶ καταδέσμοις – besser: durch irgendwelche Zaubersprüche und Flüche; S. S.) die Götter bereden könnten, ihnen zu dienen.21 18 Z. B.
bei Jervell 1998, 344; Gebauer 2015, 16. Anders z. B. Weiser 1985, 311: „Gaunerei“. 1998, 348. 20 Zur Diskussion um den beschreibungssprachlichen Begriff „Magie“ vgl. Aune 2007. 21 Plat., rep. II 364bc (griechischer Text und Übersetzung: Kurz/Chambry/Schleier macher 1990, 112 f.). Vgl. Philo, spec. leg. III 101; Tac., ann. II 30.69; XVI 31. Zur gesellschaftlichen Verurteilung von Flüchen in der Antike Versnel 2009, 12 f.41 f.; Ogden 1999, 82–85; Dickie 2001, 33–78. Zur römischen Gesetzgebung gegen Zauberei Heininger 2005, 289 f. 19 Jervell
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Das wiederholte Auftreten des Themas „Zauberei“ in der Apostelgeschichte legt die Vermutung nahe, dass Lukas in der Welt der Zauberei eine potentielle Bedrohung des christlichen Lebens erkennt. Vielleicht griffen manche Christus-Anhänger seiner Zeit in Gefahrensituationen immer noch auf die Fluchkünste der μάγοι zurück, oder zumindest waren sie in ihrer Umwelt mit Menschen konfrontiert, die genau das (erfolgreich?) taten. Die Bedrohung christlichen Lebens durch Zauberei erscheint besonders groß, wenn sie von innen, aus den Reihen der eigenen Gruppe, kommt. Das zeigt mein zweiter Punkt.
2. Simon und der Versuch einer christlichen μαγεία in Apg 8,9–25 Apg 8,9–25 führt einen Mann aus Samaria namens Simon mittels der Begriffe μαγεύων (8,9) und μαγεία (8,11), die beide Hapaxlegomena im NT darstellen, als Zauberer ein. Wieder handelt es sich um eine Erzählfigur, deren Beschreibung als Markierung eines intertextuellen Bezugs zu Texten wie den Fluchtafeln, die mit Zauberei zu tun haben, gelesen werden kann. In der Profession eines Zauberers war Simon äußerst erfolgreich und hatte sich in der Stadt einen Namen gemacht (8,10 f.). Als er die „Zeichen und großen Machttaten“ des Evangelisten Philippus sah, wurde er gläubig (ἐπίστευσεν, „begann er zu vertrauen“) und ließ sich taufen. Wegen des stärkeren Gottes wird er Christus-Anhänger. Seine Profession als Zauberer legte er damit aber noch lange nicht ab: Als Petrus und Johannes aus Jerusalem kamen, vermittelten sie durch Handauflegung den heiligen Geist (8,14–17). Diese „Vollmacht“ (ἐξουσία), die im christlichen Kontext hohe Reputation besitzt und vielleicht auch Aussichten auf Einnahmen eröffnet, wollte Simon nun von ihnen für Geld erwerben (8,18 f.). Simon hat offenbar erkannt, wo die eigentliche Macht liegt, dachte aber weiterhin in den alten „magischen“ Strukturen, mit denen er die Macht Gottes lenken und nutzbar machen möchte. Wenn man eine neue μαγεία-Technik zur Erweiterung der eigenen Kompetenz und Einnahmen haben will, muss man sie kaufen, z. B. einen Papyrus mit Formeln. Simon steht also paradigmatisch für Christen, die weiterhin μαγεία betreiben, weil dies Teil ihrer religiösen Kultur ist und sie überzeugt sind, dies auch unter christlichen Vorzeichen tun zu können.22 Damit hat sich auch die in der Forschung diskutierte Frage nach dem Gnostiker Simon erledigt.23 22 Will man hier von Synkretismus sprechen (z. B. Keener 2013, 1513–1515.1529 f.), muss man berücksichtigen, dass keine Vermischung von Gottheiten vorliegt, sondern „magische“ Praktiken unter dem Dach des Christseins fortleben. Das sehen auch Gebauer 2014, 163; Pervo 2009, 214. 23 Vgl. Iren., haer. I 23, und die Diskussion bei Schneider 1980, 485 f.; Weiser 1981, 202; Pervo 2009, 206 f. An ein Frühstadium der Gnosis denkt immer noch Jervell 1998, 268 (vgl. Pervo 2009, 207.210).
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In der Forschung wird die Episode meist als Warnung vor dem Umgang mit materiellen Gütern oder vor dem Kauf geistlicher Güter (daher unser Begriff „Simonie“) bzw. vor der Verfügung über den Gottesgeist interpretiert.24 So viel bösen Willen muss man dem erzählten Simon gar nicht unterstellen. Er handelt weiterhin in den üblichen Kategorien seines Berufsstandes. Interessant ist die Antwort des Petrus in 8,20–23. Sie beginnt mit einer Drohung, die wie ein Fluchwort klingt:25 „Dein Silber sei zusammen mit dir zum Verderben (εἴη εἰς ἀπώλειαν)“ (8,20a). Anders als auf den Fluchtafeln erfolgt aber die direkte Anrede in der 2. Person (σου, σὺν σοί), ein Verb des „Bindens“ oder eine ImperativForm fehlt, dafür steht ein Optativ (εἴη). Von vielen Fluchtafeln unterscheidet sich die Antwort aber vor allem durch die mit ὅτι angeschlossene Begründung: „denn du meinst, das Geschenk Gottes durch Geld zu erwerben“ (8,20b). Die Begründung signalisiert, dass sich Simon mit seinem Ansinnen ins Unrecht gesetzt hat, und Petrus fährt fort, dass Simon keinen Anteil an der Geistesgabe besitzt, „denn dein Herz ist nicht recht (εὐθεῖα) vor Gott“ (8,21); Simon ist in „Ungerechtigkeit“ (ἀδικία) gefangen (8,23). Auch in der Barjesus-Erzählung wirft Paulus dem μάγος vor, „Feind aller Gerechtigkeit“ zu sein und die „rechten Wege (ὁδοὺς εὐθείας) des Herrn zu verdrehen“ (13,10). Das Motiv der Gerechtigkeit bzw. des Unrechts erinnert an eine Reihe von Fluchtafeln, zu deren Beschreibung H. Versnel eine eigene Textsorte vorgeschlagen hat: „prayers for justice“ oder „Gebete um Gerechtigkeit“.26 „Das strategische Merkmal dieser Gebete ist ihre als flehend und unterwürfig zu beschreibende Grundhaltung, im Gegensatz zur defixio, die eher manipulativ ist und ihr Ziel erzwingen will.“27 Die Verfasser drücken explizit ihre Überzeugung aus, Unrecht erfahren zu haben, und wenden sich an die Götter mit dem Wunsch, das Unrecht wiedergutzumachen. Die Reichweite dieser Formbestimmung ist allerdings umstritten, weil die reine Form der Gebete um Gerechtigkeit nur auf vergleichsweise 24 Schneider
1980, 493 f.; Weiser 1981, 204–206; Klauck 1996, 32 f.; Jervell 1998, 264 f. 267; Pervo 2009, 216; Park 2007, 141. Gegen eine negative Interpretation des Simon Haar 2003, 70 f.193 (bei positiver christlicher Absicht sei er nur einem Irrtum unterlegen). 25 Von Fluch sprechen Schneider 1980, 494; Pervo 2009, 215; Weiser 1981, 205 („Art Fluchformel“); Keener 2013, 1531 („curse formula“); Gebauer 2014, 163 („Verwünschung“). – Kent 2017, 428 f. vergleicht die Motive „Geld“ und „Galle“ in Apg 8,20.23 mit den Zauberpapyri, wo sie jedoch anders verwendet werden: Der Besitz bildet den Gegenstand der Verfluchung, und Galle wird als Bestandteil eines Zaubers erwähnt, während die Motive in Apg 8 zur Formulierung der Anklage dienen. 26 Versnel 1991; Versnel 2009 (22–25: Charakteristika). Durch neuere Funde sieht er seine Formbestimmung bestätigt: Versnel 2010. Vgl. Chaniotis 2004, 6–9; schon Preisendanz 1972, 1. 27 Versnel 2009, 24 f. Es zeigt sich eine sprachliche Nähe zur ἔντευξις (Petition an einen Herrscher oder Mächtigen) bzw. zu Anklageschriften, die ein gerichtliches Prozessverfahren eröffnen; vgl. Versnel 1991, 70 Anm. 41 (= 96 f.); Versnel 2009, 18 f.22.24 f.; Versnel 2002, 53. Eine formgeschichtliche Analogie kann man in der die Anklage gegen Paulus eröffnenden Rede des Anwalts Tertullus in Apg 24,1–9 sehen.
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wenigen Fluchtafeln begegnet, während auf vielen Tafeln unterschiedliche Zusammenstellungen verschiedener sprachlich-performativer Elemente vorliegen.28 Ein schönes Beispiel für die Relevanz des eigenen Gerechtigkeitsempfindens bietet SGD, Nr. 60 (TheDefix 215), eine auf Amorgos, einer griechischen Insel im Mittelmeer nahe Naxos, im Umfeld der Stadt Arkesine gefundene Bleitafel, deren Datierung zwischen dem 2. Jh. v. Chr. und dem 2. Jh. n. Chr. schwankt.29 Sie weist die von Versnel erarbeiteten Merkmale eines Gebetes um Gerechtigkeit auf. Seite A beginnt mit einer demütigen Gebetsanrede an die Göttin Demeter: Herrin Demeter, Königin (Κυρία Δημήτηρ, Βασίλισσα), als dein Schützling, dein Sklave werfe ich mich nieder (ἱκέτης σου, προσπίπτω δὲ ὁ δοῦλος σου).
Bei Demeter handelt es sich um eine gesellschaftlich anerkannte Gottheit, die in verbreiteten Kulten mit entsprechenden Heiligtümern verehrt wurde.30 In einer ausführlichen narratio schildert der Verfasser nun das Unrecht, das ihm widerfahren ist: Ein Mann namens Epaphroditus hat die Sklaven des Bittstellers aufgehetzt zu fliehen. Zudem hat er ein Sklavenmädchen (παιδίσκη) betört oder verzaubert (συνεπέθελγε31), um sie selbst als Frau zu haben (ἔχειν αὐτὸν γυναῖκα αὐτήν). Dann nimmt der Text die Gebetsanrede wieder auf: Herrin Demeter, ich, der ich dies erleide und allein bin, nehme zu dir meine Zuflucht; sei mir gnädig und gib, dass ich mein Recht (τὸ δίκαιον) erlange. Mache (ποιήσαις), dass der, der mir dies angetan hat, weder in Ruhe noch in Bewegung Erfüllung findet, weder körperlich noch seelisch; dass er weder von Sklaven noch von Dienerinnen bedient wird (…); ein Bindefluch soll sein Haus festhalten (κατάδεσμος αὐτοῦ τὴν οἰκίαν λάβοιτο)32 (…); er selbst soll böse verderben und alles, was bei ihm ist.
Auf Seite B folgt die Anrufung der Göttin um Gerechtigkeit: Herrin Demeter, ich bitte dich (λιτανεύω σε), der ich Unrecht erleide (παθὼν ἄδικα), erhöre (mich) (ἐπάκουσον), Göttin, und fälle ein gerechtes Urteil (κρῖναι τὸ δίκαιον),33 28 Zur Kritik an der Form „prayers for justice“ Dreher 2012, und die Entgegnung von Versnel 2012. 29 Angaben von D. R. Jordan (= SGD, Nr. 60); Eidinow 2007, 423; Versnel 2010, 334; Gager 1992, 165. Zwei Löcher in der Bleitafel deuten darauf hin, dass die Tafel zusammengerollt und mit einem Nagel durchstochen war; Öffentlichkeit war nicht nötig, da der Schaden nicht behebbar war. Deutsche Teilübersetzung bei Versnel 2009, 18 f. 30 Henotheistische Züge werden sichtbar. Auf möglichen altorientalischen bzw. biblischen Einfluss weist Versnel 2009, 22.27–31, hin. Vgl. in Bezug auf ehrerbietige Anreden von Gottheiten Faraone/Garnand/López-Ruiz 2005, 184 f. In der Struktur des Bittgebets bestehen Analogien zur jüdischen Gebetstradition, z. B. PsSal 12; Jub 10,3–6; 1QGenAp XX 12–16. 31 Von συναποθέλγομαι, Wurzel θέλγ-, seit Homer für Zauber und Zaubersprüche verwendet (Hom., Od. III 264; V 47; XII 40), aber auch „betrügen, hintergehen“ (Hom., Od. XVI 195; I 57) oder metaphorisch „betören, verzaubern“ (Hom., Od. XVII 521); vgl. Eidinow 2007, 354. 32 Die Fluchform erinnert an bedingte Selbstverfluchungen oder prophylaktische Flüche gegen Grabschänder. Dazu Versnel 1991, 70; Versnel 2010, 335. 33 Der Übersetzung „pass a just sentence“ von Versnel 1991, 70, stellt Dreher 2012, 31 „to decide what is just“ (was auf eine Strafe abziele) gegenüber. Der semantische Unterschied ist indes gering.
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damit die, die solches im Sinn haben und sich (daran) erfreuen und Trauer bringen mir und meiner Frau Epiktesis und uns hassen, tue diesen die schrecklichsten und schmerzhaftesten Schrecken. Königin, erhöre uns, die wir leiden, strafe (κολάσαι) die, die auf Leute wie uns freudig schauen.
Das widerfahrene Unrecht wird hervorgehoben, und die Erfahrung der Machtlosigkeit, die durch die Schadenfreude der Mitmenschen noch gesteigert wird, setzt beim Verfasser Hassgefühle und den Wunsch nach Rache frei.34 Dabei spielen Begriffe der Gerechtigkeit und des Strafens eine wichtige Rolle, die das Unrechtsempfinden zum Ausdruck bringen. Weitere Beispiele dafür sind DT, Nr. 2 (TheDefix 584): „denn man hat mir Unrecht getan (ἀδίκημαι), Herrin Damater (= Demeter)“; DTA, Nr. 98 (TheDefix 223):35 „(ich bin) ins Unrecht gesetzt (ἀδικούμενος)“; NGC, Nr. 23 (TheDefix 340):36 „ἀδικούμενος καὶ οὐκ ἀδικῶν πρότερος/ins Unrecht gesetzt, ohne zuerst Unrecht getan zu haben“ (Seite B, Z. 25–27). In SGD, Nr. 5837 (TheDefix 228) liest man auf beiden Seiten: „rächt/schafft Recht (ἐκδικήσετε) und erzeigt Tatkraft38 (ἀρετὴν γεννήσετε/γενέσετε)“; auf Seite A wird hinzugefügt: „und wütet (διοργιάσετε)“.
Auffällig ist die Unerbittlichkeit des Strafwunsches in SGD, Nr. 60, wo die Bitte an die Göttin um umfassende Bestrafung des Übeltäters auf die Vernichtung seines ganzen sozialen Lebens zielt. Auch andere Fluchtafeln forcieren durch eine Auflistung einer Vielzahl von Körperteilen die strafende Vernichtung der ganzen Person.39 Ein Beispiel bietet SEG 53, Nr. 813 (TheDefix 228): Καταγράφω αὐτόν („Ich registriere ihn“, d. h. bei einer strafenden Gottheit), τὸν ἐνκέφαλον (Gehirn), ψυχήν (Seele), νεῦρα (Nerven), οἰδεα (= αἰδεῖα/Schamteile oder ἡδέα/lustvolle Teile?), ἀνανκεα (= ἀναγκαῖα/ nötige Teile?), χῖρε (Hände), γόνατα (Knie), πόδας (Füße), ἀπὸ κεφαλῆς μέχιρι ἄκραν ὀνύχον δακτύλον (vom Kopf bis zu den Nagelspitzen der Finger). Die Aufzählung endet mit der umfassenden Angabe „ob Frau oder Mann“ (ἤδε γυνὴ ἤδε ἀνήρ bzw. Seite A: ἴδε γυνὴ ἴτε ἀνήρ).
Die erbetene Strafe wird als endgültig verstanden und damit als Rache, als Genugtuung für eine Schädigung, die sich in den Augen des Verfassers nicht mehr beheben lässt.40 Dazu auch Eidinow 2007, 354. Athen, 3. Jh. v. Chr., Bleitafel offenbar gefaltet und mit einem Nagel durchbohrt. Text und englische Übersetzung bei Eidinow 2007, 381; vgl. Gager 1992, 180. 36 Grab in Oropos, Griechenland; wohl 2. Jh. v. Chr. Dazu Versnel 2010, 316 f. Eidinow 2007, 448, übersetzt den zweiten Satzteil passivisch, was aber keinen Sinn ergibt: „without having been wronged first“. 37 Insel Delos (Griechenland), Brunnen eines Hauses; D. R. Jordan (= SGD, Nr. 58) vermutet 1. Jh. v. oder n. Chr. (auch Gager 1992, 188). Text und englische Übersetzung bei Eidinow 2007, 422 f. 38 Man mag an lateinisch virtus denken. Versnel 1991, 67: „give expression to your wondrous power“; vgl. Eidinow 2007, 422 f. Das Verb ἐκδικέω beinhaltet, dass zuvor Unrecht geschehen ist. 39 Eine detaillierte Analyse bietet Versnel 1998. 40 Vgl. Versnel 1991, 70. 34 35
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Was motiviert Menschen, solche Gebete zu verfassen? Entscheidend dürfte das Gefühl der Ohnmacht des Verfassers gegenüber der Person, die ihn schädigte, sein – sei es, dass er sie nicht kannte, dass er ihr nichts anhaben konnte oder dass der Schaden irreparabel war. Gefühle von Hilflosigkeit, Wut und Rache werden beherrschend. Es bedeutet eine Bearbeitung dieser Erfahrungen und damit eine psychische Entlastung, das Unrecht einer starken Gottheit anzuvertrauen bzw. es öffentlich zu machen. So findet eine Veränderung des eigenen Bewusstseins und eine Beruhigung der eigenen Emotionen41 statt. Auf diesem Hintergrund zurück zu Simon und Petrus in Samaria. Ähnlich wie in der zitierten Fluchtafel SGD, Nr. 60 weiß Petrus Simon im Unrecht und droht ihm, sollte er darin verharren, Verderben an. Die Optativ-Form der Unheilsansage in 8,20 εἴη εἰς ἀπώλειαν („sei zum Verderben“) findet eine formale Entsprechung im Optativ λάβοιτο in der Gebetsbitte in SGD, Nr. 60 (vgl. jüdische Gebetsbitten, z. B. PsSal 12,4 f.). Bei Petrus liegt der Akzent aber – anders als bei solchen Gebeten – nicht auf der Schilderung des Verderbens, sondern auf der Begründung und vor allem auf einer neuen Option. Petrus ruft Simon zur Umkehr auf (μετανόησον). Entscheidend ist das Angebot an Simon, sich selbst in einem Bittgebet an den Herrn zu wenden: „Bitte den Herrn (δεήθητι τοῦ κυρίου), ob dir wohl vergeben wird das Ansinnen deines Herzens“ (8,22). Das persönliche Gebet, das die eigene Schuld eingesteht und um Vergebung bittet, tritt als gelebte Gottesbeziehung hervor und bietet die christliche Alternative zur „Magie“. Es konkurriert mit den Techniken der μαγεία, mit einer ἐξουσία, die man kaufen und über die man dann durch bestimmte Formeln oder Techniken nach Belieben verfügen kann. Die Szene endet offen.42 Bleibt Simon in der subtilen Bindung, die ihm Petrus in 8,23 unterstellte? Das führt uns zum nächsten Punkt.
3. Fluchsprache bei Lukas: gute und schlechte „Bindungen“ Petrus sieht Simon in Apg 8,23 in „der Fessel der Ungerechtigkeit“ (σύνδεσμος ἀδικίας).43 Vielleicht ist darin eine leise Ironie hörbar: Der, der als μάγος andere durch Flüche zu „binden“ wusste, ist selbst immer noch – wie durch einen Fluch – durch die „Fessel der Ungerechtigkeit“ gebunden. Sein Metier bindet ihn selbst. Er hat nicht erkannt, dass die „magischen“ Praktiken der neuen Beziehung zu Christus 41 Dazu
Salvo 2012.
42 Simon erkennt die höhere Macht der beiden Apostel an und bittet sie, für ihn zum Herrn zu
beten (8,24). Bleibt er damit immer noch in den „alten“ Strukturen, in denen es um den Zugriff auf die stärkere Macht geht? Zum offenen Ende vgl. Marguerat 2003, 120; Pervo 2009, 215 f. Anders wertet Weiser 1981, 205, die Bitte Simons als Zeichen der Umkehr; vgl. Schneider 1980, 495. 43 Vgl. mit Bezug auf soziales Verhalten Jes 58,6 LXX: „Löse jede Fessel der Ungerechtigkeit (λῦε πάντα σύνδεσμον ἀδικίας)“.
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und der damit verbundenen Gabe des Geistes als Geschenk nicht entsprechen, sondern sie verdunkeln und verlieren. Lukas weiß von den Möglichkeiten des Bindefluchs: In Lk 13,16 deutet Jesus das Geschick einer Frau, die seit Jahren von einem Krankheitsgeist verkrümmt wurde, so, dass „der Satan sie gebunden hat (ἔδησεν)“, sie aber jetzt durch Jesus (am Sabbat) „gelöst wurde von dieser Bindung“ (λυθῆναι ἀπὸ τοῦ δεσμοῦ τούτου).44 Die Semantik des „Bindens“ gehört zu den Charakteristika antiker Fluchtafeln. Die Macht Jesu erweist sich als stärker als die Satans, so dass Jesus die Bindung durch Satan lösen kann. Entsprechend ist auch das Heilwort in 13,12 formuliert: „Frau, sei gelöst (ἀπολέλυσαι) von deiner Krankheit“. In Verbindung mit fluchtypischen Verben des Bindens begegnet auf einigen Fluchtafeln auch ein Verb des Lösens, wobei diese Kombination nur vereinzelt belegt ist. Mit einer erst kürzlich publizierten Bleitafel aus dem Piräus-Museum (ΜΠ 11948; Athen/Piräus, frühes 4. Jh. v. Chr. [TheDefix 1090]) bindet ein unbekannter Verfasser (δήσω) das Ehepaar Phanagora und Demetrios, offenbar im Zusammenhang mit einer Taverne, die im Besitz der beiden steht, und bekräftigt: Ο‹ὐ›δέ σε λύσε(ι) („Nicht wird dich lösen“);45 neben δέω tritt das Verb λύω. SGD, Nr. 18 (Athen, 4. Jh. v. Chr. [TheDefix 113]) bedient sich zur Bekräftigung der Bindung des Verbs ἀναλύω: καταδῶ καὶ οὐκ ἀναλύσω („ich binde und werde nicht lösen/loslassen“). Der Bindefluch eines Pausanias in Liebesangelegenheiten (Παυσανίας καταδεῖ) endet mit der Bekräftigung, dass niemand außer Pausanias selbst den Fluch lösen (ἀναλύσαι) könne (NGC, Nr. 44; Akanthos, 4./3. Jh. v. Chr., auf beiden Seiten [TheDefix 172]).46 Auf Lateinisch kann das so klingen: ne quis eum solvat nisi nos qui fecimus (DT, Nr. 137; Rom, republikanische Zeit? [TheDefix 515]).47
Auf diesem Hintergrund erscheint es umso auffälliger, dass Apg 20,22 dem Geist Gottes eine ähnlich bindende Kraft zuschreiben kann. In seiner Abschiedsrede an die Ältesten aus Ephesus, die Paulus in Milet versammelt, bevor er von dort aus zu seiner letzten Reise nach Jerusalem und Rom aufbricht, kündigt er an: „Und nun, siehe, ich, gebunden (δεδεμένος) durch den Geist, gehe nach Jerusalem“, wo ihn, so die Voraussage des Geistes, Fesseln und Bedrängnisse erwarten (20,23). Während das Verb δέω im Kontext sonst immer im wörtlichen Sinn „binden, fesseln“ durch menschliche Akteure bedeutet,48 ist es hier der Geist als übernatürliche Macht, die Paulus bindet.49 Lukas nutzt die Sprache des Bindefluchs um zu zeigen, 44 Der Begriff δεσμός (‚Fessel, Bindung‘) findet sich z. B. auf den Fluchtafeln DTA, Nr. 45.108. 45 So
die Rekonstruktion des Textes von Lamont 2015. Der vollständige Text der Tafel bei Jordan 1999, 120–123. 47 Dazu Graf 1997, 168. – Die Bleitafel SGD, Nr. 170 (aus Pantikapaion, ohne Datierung [TheDefix 475]) verwendet das Substantiv λύσις (λύσιν ποιήσαιτο). – In der kleinasiatischen Beichtinschrift BIWK, Nr. 69, „lösen“ die Angehörigen einer Frau, die zu Unrecht zur Beteuerung ihrer Unschuld eine bedingte Selbstverfluchung ausgesprochen hatte, diese nach ihrem (als Strafe verstandenen) Tod: Die beschwichtigten Götter ἐπεζήτησαν λυθῆναι τὸ σκῆπτρον καὶ τὰς ἀράς („machten sich daran, das Zepter und die Flüche zu lösen“). – Beispiele aus den Zauberpapyri bietet Kim 2016, 386 f. 48 Apg 21,11.13.33; 22,5.29; 24,27; vgl. 9,2.14.21; 12,6. 49 In den Kommentaren wird diese Verbindung kaum wahrgenommen. Nur Pervo 2009, 46
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wie unausweichlich die göttliche Bestimmung des Paulus zum Leiden ist: Wie ein erfolgreicher Fluch lässt sie sich nicht lösen.
4. Verfluchen Juden anders? Kommen wir noch einmal auf die Figur des Barjesus aus Apg 13 zurück. Er wird in 13,6 ausdrücklich als Jude identifiziert, wozu sein aramäischer Name Bar-Jesus, d. h. „Sohn des Jesus“, und die Verwendung der abwertenden jüdischen Kategorie des „Pseudopropheten“, des falschen Propheten passt. Und zugleich ist er ein μάγος. Der griechische Begriff ist ambivalent: Er meint auf der einen Seite positivbeschreibend die Priester und Weisen der Perser, die über übernatürliches Wissen zur Traumdeutung und über geheime Künste verfügten; auf der anderen Seite bezeichnet er religiöse Fachleute, die fremde, d. h. nicht aus der eigenen Kultur stammende Praktiken pflegten, seit dem 4. Jh. v. Chr. negativ-abwertend Gaukler und Betrüger, die schädliche Zauberei betrieben.50 Philo unterscheidet eine ἀληθῆ μαγική, die er als wissenschaftliche Naturbeobachtung beschreibt und für deren Praxis er die Perserkönige als herausragende Beispiele nennt, von einer depravierten Form, einer κακοτεχνία, die von Bettelpriestern und Scharlatanen betrieben wird, die versprechen, durch „Liebeszauber und Zaubersprüche“ (φίλτροις καὶ ἐπωδαῖς) Einfluss auf andere Menschen nehmen zu können (Philo, spec. leg. III 100 f.). Ein μάγος hatte im 1. Jh. Traumdeutung, Divination, kathartische Riten und Zauberei, u. a. Verfluchungen anzubieten. Ist ein jüdischer μάγος auf Zypern denkbar? Josephus berichtet, dass zum Hof des Felix, des römischen Statthalters von Judäa in den 50er Jahren des 1. Jh., ein Jude namens Atomos gehörte, der aus Zypern stammte und offenbar als μάγος wirkte. Felix beauftragte ihn, die begehrte Drusilla, die Schwester von Agrippa II., zu überreden, die Ehe mit ihm, Felix, einzugehen (Jos., ant. XX 142). Vielleicht verbirgt sich hinter der offenen Formulierung ein Liebeszauber. Und Plinius deutet an, dass eine Gruppe jüdischer Magoi existierte, deren jüngster Zweig gerade auf Zypern beheimatet war.51 Die Leser der Apostelgeschichte konnten sich also durch-
521, gibt in Anm. 160 einen Hinweis auf binding spells, macht ihn aber nicht für das Verständnis nutzbar; er übersetzt abstrakt: „the Spirit compels me (sc. zwingt mich, S. S.)“ (504). 50 Graf/Johnston 1999, 662–664; Passow 2008, II/1 106; vgl. Schreiber 1996, 35 f.; Marguerat 2003, 115–117; Frenschkowski 2016, 57–70. Zur negativen Bewertung der Magie in der Antike Busch 2006, 115–125. 51 Plin., nat. XXX 11. Der Text legt diesen Zusammenhang zumindest nahe, wenn Plinius zuerst von einer magischen Gruppe spricht, die auf Mose, Iannes, Iotapes und die Juden zurückgeht, diese zeitlich viele tausend Jahre nach Zoroaster einordnet und dann hinzufügt: „soviel jünger ist die zyprische (Gruppe)“ (tanto recentior est Cypria). Zu jüdischen Magiern auf Zypern bzw. im Gefolge führender Römer vgl. auch Weiss 2015, 53–56.
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aus vorstellen, dass Barjesus als jüdischer Zauber-Profi beim Statthalter Sergius Paulus ein einträgliches Auskommen fand.52 Als μαγεία-Profi wird Barjesus auch professionelles Wissen über die Formulierung von Flüchen besessen haben. Interessant ist, dass sich jüdische Elemente auch in paganen Fluchtexten finden, vor allem in den späteren Zauberpapyri, was in der Forschung seit langem wahrgenommen wird. Sie sind aber auch auf älteren Fluchtafeln belegt. Mir ist zumindest ein in zeitlicher Nähe stehender Fluchtext bekannt, in dem jüdischer Einfluss sichtbar wird: DT, Nr. 41 (TheDefix 225), gefunden in Megara, Griechenland, auf der Nordseite des korinthischen Isthmus, ca. 20 km westlich von Eleusis. Es handelt sich um eine beidseitig beschriebene Bleitafel, die zerbrochen und an den Rändern zerstört vorliegt; datiert wird sie ins 1./2. Jh. n. Chr.53 Ich versuche eine Übersetzung: Seite A: Wir schreiben nieder/registrieren (καταγράφομεν) … und verfluchen sie (ἀναθεματίζομεν αὐτούς). Althaia, Kore …, Hekate, Selene, die ihren Schwanz verschlingt54 … Diese verfluchen wir (ἀμαθεματίζομεν): Leib, Geist, Seele, Überlegung, Einsicht, Wahrnehmung, Leben, Herz mit hekatischen Worten und hebräischen Schwüren (ὁρκίσμα[σι] τε αβραικοις) … Erde, Hekate … angeordnet von den heiligen Namen und hebräischen Schwüren (αβραικων τε ὁρκισμάτων): Haare, Kopf, Gehirn, [Gesic]ht, Ohren, Augenbrauen, Nasenlöcher, … Kiefer, Zähne … die Seele zu seufzen, die Gesundheit … das Blut, das Fleisch verbrennen (τον αἷμα σάρκας κατακάει[ν]55)…. Seite B fordert die Bestrafung der Übeltäter: [κατα]γρά[φ]ομεν [εἰς] κολάσε[ις …], wobei der Begriff κόλασις Strafe oder Rache für erlittenes Unrecht meint. Ob κόλασις allerdings auf Strafen in der Unterwelt zielt – H. Versnel denkt sogar an Höllenstrafen im Jenseits –,56 sei dahingestellt. Seite B endet mit der Unterschrift ΑΝΕΘΕΜΑ („ein Fluch“).
Das Verb ἀναθεματίζω und das Substantiv ἀνάθεμα stellen in der Bedeutung des Zerstörens und Verfluchens dessen, was abscheulich vor Gott ist, Neologismen der 52 Jervell 1998, 346 Anm. 416; 348 Anm. 438, bezweifelt, dass Barjesus für einen jüdischpaganen Synkretismus steht, was sonst von der Forschung weithin angenommen wird (z. B. von Weiser 1985, 316). Den jüdischen Charakter des Barjesus betont Strelan 2004. Busch 2006, 111, verortet ihn hingegen im paganen Umfeld; Kent 2017, 416, meint, Lukas stelle Barjesus in die Nähe heidnischer Magoi, um ihn als outsider zu kennzeichnen. 53 DT, Nr. 41 = DTA praef. xiiif. (Datierung von R. Wünsch); Gager 1992, 183 f. (englische Übersetzung). Vgl. aus dem 3. Jh. DT, Nr. 271 (TheDefix 116) (siehe 7.). 54 Althaia war im griechischen Mythos die Mutter des Meleager und Gattin des Oeneus; eine Verfluchung durch sie führte zum Tod des Meleager (Hom., Il. IX 565–572; Paus., X 31,3). Kore entspricht Persephone (Tochter der Demeter, Göttin der Unterwelt und Fruchtbarkeit). Hekate gilt der Mythologie als Göttin der Magie und der Nekromantie und ist für Wegkreuzungen, Schwellen und Übergänge zuständig, damit auch für den Übergang zwischen Leben und Tod. Selene ist die Mondgöttin; die Schlange, die sich zu einem Kreis formt und ihren Schwanz verschlingt, ist ein bekanntes ägyptisches Bild, das hier auf den Kreislauf der Mondbahn bezogen ist. Vgl. Wünsch 1912, 5 f., der Hekate als Hauptgottheit mit den anderen Gottheiten synkretistisch verbunden sieht. 55 Vermutlich ist an das Brennen durch Fieber als „Beugestrafe“ gedacht; vgl. DT, Nr. 2 (TheDefix 584) (siehe 7.). 56 Versnel 1991, 65.
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Septuaginta dar, die sich vom klassischen griechischen Gebrauch (Übereignung an eine Gottheit) unterscheiden. Diese in der Septuaginta häufige Neudeutung wird kaum von frühjüdischen Schriften, wohl aber von christlichen Autoren aufgegriffen.57 Ein Beispiel bietet Dtn 13,15, wo die von JHWH abgefallenen Einwohner einer Stadt in Israel getötet werden sollen; die ganze Stadt und alles in ihr „sollt ihr mit einem Fluch belegen“. Das Adjektiv αβραικος dürfte ἑβραϊκός entsprechen, so dass sich die „hebräischen Schwüre“ auf Fluchformeln aus dem alttestamentlich-jüdischen Bereich beziehen werden. Mit den „hekatischen Worten und hebräischen Schwüren“ sind wohl Zauberformeln, wirkmächtige Worte oder Namen gemeint, wie sie später in den Zauberpapyri zu finden sind.58 Die Tafel setzt die Wirkmacht jüdischer Namen und Formeln voraus.59 Sie tragen entscheidend zur Wirksamkeit des Fluches bei, der das ganze Leben, die lebensnotwendigen Teile des Körpers, treffen soll. Es liegt nahe, dass dort, wo jüdische μάγοι auftreten, auch spezifisch jüdische Elemente für Fluchtafeln verwendet werden. Formulare für Flüche wurden spätestens seit der Kaiserzeit als Vorlagen von Fluch-Profis, sachkundigen μάγοι, angewandt.60 Zu diesen dürfen wir auch Barjesus zählen.
5. Soziale Milieus: Sklavenbesitzer und Gewinnaussichten Die oben besprochene Fluchtafel SGD, Nr. 60 (TheDefix 215), gibt uns Einblick in die Verzweiflung eines Ehepaares, das seine gesamten Sklaven verloren hatte, weil sie, von einem gewissen Epaphroditus aufgehetzt, geflohen waren. Der Sklavenbesitzer bittet Demeter um Rache, die das ganze Leben des Übeltäters lahmlegen soll: Haushalt, Kinder, Mahlgemeinschaft, Hund und Hahn, Ernte, Frucht der Erde und des Meeres, Hilfe durch Sklaven. Die Details lassen an ein ländliches Szenario als soziales Umfeld denken, in dem der Verfasser mit seiner Ehefrau lebt und das nun durch die Flucht der Sklaven zerstört worden ist. Die Flucht der Sklaven bedeutet hohen wirtschaftlichen Schaden. Vor allem aber bringt sie gesellschaftliche Schande, Verlust an Ansehen und Demütigung mit sich und löst bei manchen Mitmenschen auch noch Schadenfreude aus, was den Wunsch nach Rache aufkommen lässt.61 Dazu Berthelot 2014. Wünsch 1912, 6. 59 Jüdisch (bzw. samaritanisch) geprägt ist ein Rachegebet auf einem Grabdenkmal für das früh verstorbene Mädchen Heraklea aus Rhenia (bei Delos): IDélos 2532 (= CIJ 725 [TheDefix 227]); es ruft den „höchsten Gott“, den „Herrn der Geister und allen Fleisches“ und „die Engel Gottes“ um Rache an den Mördern an (2./1. Jh. v. Chr.). Dazu Bergmann 1911; Gager 1992, 185–187; Bohak 2008, 125–127; van der Horst/Newman 2008, 135–143. 60 Vgl. Preisendanz 1972, 11 f.16.22–24; Versnel 1991, 91; Faraone 1991, 4; Eidinow 2007, 26–32. 61 Gager 1992, 166 f., hebt die mit dem Verlust verbundene soziale Demütigung hervor. Zur 57
58 Vgl.
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Die Fluchtafel trägt dazu bei, das soziale Milieu von Sklavenbesitzern zu verstehen, in dem auch Apg 16,16–21 angesiedelt ist: Paulus treibt einen Wahrsagegeist aus einer Sklavin aus, die ihn mit ihrem penetranten Geschrei und ihrem von einem Dämon veranlassten Orakelspruch aufgebracht hatte – obwohl der Spruch in der Sache nicht falsch ist:62 Die Verkünder seien „Sklaven des höchsten Gottes“. Für die κύριοι, die „Herren“ der Sklavin, bedeutete der Verlust des Wahrsage-Mediums erheblichen wirtschaftlichen Schaden, denn es brachte ihnen zuvor „viel Erwerb“ (ἐργασία πολλή, 16,16). Bei den „Herren“ kann – von SGD, Nr. 60 her gelesen – durchaus an ein Besitzer-Ehepaar63 gedacht sein. Die Reaktion der Besitzer formuliert Lukas mittels einer Anspielung auf den Exorzismus: Sie sahen, „dass die Hoffnung auf ihren Erwerb ausgefahren war“ (ὅτι ἐξῆλθεν ἡ ἐλπὶς τῆς ἐργασίας αὐτῶν; Apg 16,19). Das Problem ist nicht das Sklavenmädchen an sich, sondern „die Hoffnung auf Erwerb“. Die Besitzer wandten sich mit ihrem Wunsch nach Rache übrigens nicht an die Götter, sondern an die führenden Stadtbeamten, denen sie Paulus und seinen Begleiter Silas vorführten. Prompt wurden diese geschlagen und ins Gefängnis geworfen (16,19–24). Eine Kombination der beiden Substantive ἐλπίς und ἐργασία („Erwerb, Verdienst, Gewinn“) findet sich auch auf der Fluchtafel DT, Nr. 72 (TheDefix 214): „Ich binde (καταδήω) …, von diesen Männern und Frauen auch die Hoffnungen (ἐλπίδας) von den Göttern und Heroen her, und allen Erwerb (ἐργασίας [ἁ]πάσας)“. Die Texte beleuchten sich gegenseitig: Liest man DT, Nr. 72, von Apg 16 her, beziehen sich die „Hoffnungen“ kaum auf das Jenseits, wie verschiedentlich angenommen,64 sondern auf das Prosperieren des Erwerbslebens. Dies hängt aber von den Göttern ab, und genau diese Verbindung will der Fluch zerstören. Und Lukas prangert weniger die überzogene Gewinnsucht der Sklavenbesitzer an,65 sondern zeigt, wie die Nachfolge des stärkeren Gottes zu gesellschaftlichen Konflikten führen kann, wenn sie anderen das Geschäft kaputt macht.
Erfahrung von Schande und Schadenfreude als Motivation für Gebete um Gerechtigkeit und Auslöser von Rachegedanken vgl. Versnel 1999; Chaniotis 2004, 15.18.20 f. 62 Aber doch missverständlich, da der Titel „höchster Gott“ in römischer Zeit auf Inschriften häufig für pagane Gottheiten verwendet wird; vgl. Pervo 2009, 405 mit Anm. 50. 63 So die Überlegung bei Schneider 1982, 215 Anm. 47 (vgl. Lk 19,33); als Möglichkeit bei Klauck 1996, 79. – Auch kollektiver Besitz einer Sklavin war möglich; vgl. Avemarie 2003, 552–554. 64 Vgl. A. Audollent zu DT, Nr. 72; weitere Proponenten bei Versnel 1985, 256 f., der sich gegen diese Annahme wendet. 65 So Pervo 2009, 406 („avarice“); Jervell 1998, 423 („Geldgier“). Anders spricht Weiser 1985, 435, von „Geschäftsschädigung“.
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6. Bedingte Selbstverfluchungen Im Zusammenhang mit der Verhaftung des Paulus in Jerusalem erzählt Apg 23,12– 22 von einer Gruppe von Juden, die eine Verschwörung gegen Paulus planten: Sie ἀνεθεμάτισαν ἑαυτούς, nicht zu essen und zu trinken, bevor sie Paulus umgebracht hätten (23,12.14.21). Das Syntagma ἀνεθεμάτισαν ἑαυτούς kann man mit „belegten sich selbst mit einem Fluch“ wiedergeben.66 23,14 formuliert pointiert mittels einer figura etymologica: ἀναθέματι ἀνεθεματίσαμεν ἑαυτούς, etwa: „wir belegten uns selbst durch eine Verfluchung mit einem Fluch“. Es handelt sich dabei um eine bedingte Selbstverfluchung, bei der eine Person einen potentiellen Fluch gegen sich selbst richtet für den Fall, dass sie ein gegebenes Versprechen nicht einhält. Damit wird die Festigkeit der Absicht untermauert, ja unumkehrbar gemacht. Die häufige Übersetzung „mit einem heiligen Eid verschworen“67 bringt dagegen den Fluchcharakter nicht deutlich zum Ausdruck. Man versteht den Vorgang besser, wenn man das Gebet um Gerechtigkeit DT, Nr. 1 (TheDefix 229), zum Vergleich heranzieht. Es gehört zu einem Sammelfund von 13 Bleitafeln, die auf der Halbinsel Knidos im Südwesten Kleinasiens beim Heiligtum der Damater entdeckt wurden und aus dem 2./1. Jh. v. Chr. stammen.68 Auf Seite A der Bleitafel liest man:69 Wenn ich Asklapiadas Gift/einen Fluch (φάρμακον) gegeben habe oder in der Seele erwogen habe, ihm etwas Schlechtes zu tun, oder eine Frau zum Heiligtum gerufen und ihr drei Halbminen gegeben habe, damit sie ihn von den Lebenden wegnehme, soll Antigone zu Damater (sc. ihrem Heiligtum) hinaufgehen, brennend, bekennend (ἐξομολογουμένα),70 und es soll nicht geschehen, dass sie Damater versöhnlich antrifft, sondern soll mit großen Martern gefoltert werden.
Deutlich ist der gegen die eigene Person gerichtete Fluch, der an die Bedingung geknüpft ist, dass Antigone gegen Asklapiadas tätig geworden ist.71 Die Intention der bedingten Selbstverfluchung besteht darin zu zeigen, dass sich die Verfasserin ihrer Unschuld so sicher ist, dass sie es wagen kann, für den gegenteiligen Fall einen furchtbaren Fluch auszusprechen. In DT, Nr. 1, soll also durch den bedingten Passow 2008, I/1 172. Zu ἀναθεματίζω siehe unter 4. So Schneider 1982, 334; vgl. Weiser 1985, 618; Jervell 1998, 559.561; Pervo 2009, 577 („have vowed with the utmost solemnity“). Passend Gebauer 2015, 176: „mit einer Selbstverfluchung geschworen“. In der Antike ließ sich der Eid als bedingte Selbstverfluchung verstehen, was in unserem heutigen Begriff „Eid“ nicht mehr ohne Weiteres hörbar ist. 68 Ausgabe: Blümel 1992, 85–103 (DT, Nr. 1–13). Heute sind die Tafeln zumeist zerfallen oder zumindest unlesbar. Sie wurden alle von Frauen zum Heiligtum gebracht – passend zur weiblichen Hauptgöttin Damater. 69 Übersetzung S. S.; vgl. Text und Übersetzung bei Blümel 1992, 86–88 (deutsch); Eidinow 2007, 391 f., und Gager 1992, 189 f. (englisch). 70 Blümel 1992, 88, übersetzt mit „beichten“, was den öffentlichen Charakter des Vorgangs verkennt. Siehe unten zu DT, Nr. 2. 71 Zum vergleichbaren Phänomen des „exculpatory oath“ Chaniotis 2004, 11–13. Vgl. den „Fluchschwur“ in CD 9,11 f.; dazu Czajkowski 2016. 66 67
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Fluch bewiesen werden, dass eine Tat nicht begangen wurde, im Unterschied zu Apg 23, wo damit versprochen wird, eine Tat sicher und ohne Zögern zu begehen. Die negative Intention der Verschwörer – der Mord an Paulus – wird von Lukas durch die negativ bewertete Form der bedingten Selbstverfluchung unterstrichen. Dass Lukas die Form der bedingten Selbstverfluchung negativ bewertet, lässt seine Bearbeitung der Vorlage Mk 14,71 erkennen. Dort fand er bei der Verleugnung Jesu durch Petrus die Bemerkung, Petrus „ἤρξατο ἀναθεματίζειν“, was zwar sehr knapp formuliert ist, sich aber kaum anders denn als bedingte Selbstverfluchung verstehen lässt – nämlich für den Fall, dass Petrus Jesus kennen würde, was er so mit aller Intensität leugnet. Lukas lässt dieses Syntagma in Lk 22,60 weg: Petrus, der Apostel Christi, bedient sich keiner solchen Fluchform. Wer in der Beziehung zu Christus lebt, kommuniziert nicht mit Fluchworten, sondern mit Gebeten.
7. Der Name, der Macht über die Dämonen verleiht, in Apg 19,13–20 In der Szene Apg 19,13–20, die in Ephesus spielt, tritt noch einmal die Konkurrenz der christlichen Verkünder zu Zauberern und Beschwörern hervor. Voraus geht in 19,11 f. eine Notiz über die wunderbare Kraft des Paulus, die so groß ist, dass sogar Tücher von seinem Körper Kranke heilen und böse Geister ausfahren lassen.72 Das klingt „magisch“, wenn man diesen Begriff verwenden will. Allerdings darf man nicht übersehen, dass Lukas Gott – den einzigen, wahren Gott – als eigentliche Ursache der Machttaten hervorhebt: „Und ungewöhnliche Machttaten tat Gott durch die Hände des Paulus“ (19,11). Damit ordnet Lukas die „magischen“ Züge theologisch ein, die aber gleichwohl bestehen bleiben. Die folgende Begebenheit bringt eine Unterscheidung. Jüdische Exorzisten versuchen sich am Namen „Jesus“ (19,13–17): Es versuchten aber einige der umherziehenden jüdischen Beschwörer (ἐξορκισταί), über die, die böse Geister hatten, den Namen des Herrn Jesus zu nennen, indem sie sagten: Ich beschwöre euch bei Jesus, den Paulus verkündet (ὁρκίζω ὑμᾶς τὸν Ἰησοῦν, ὃν Παῦλος κηρύσσει). Es waren aber sieben Söhne eines gewissen Skeuas,73 eines jüdischen Hohepriesters, die dies taten (19,13 f.).
Den religionsgeschichtlichen Hintergrund des Beschwörungswortes ὁρκίζω ὑμᾶς τὸν Ἰησοῦν, das mit doppeltem Akkusativ konstruiert ist (vgl. 1 Thess 5,27), können einige Bleitafeln erhellen,74 auch wenn sie zeitlich etwas später anzusetzen sind. Zur Erklärung Schreiber 1996, 99–108. ein Künstlername, denn ein jüdischer Hohepriester namens Skeuas (vgl. lateinisch Scaeva) ist historisch nicht bezeugt; vgl. Klauck 1996, 115. 74 Auch in den Zauberpapyri dient der Name Jesus zur Dämonenbeschwörung; vgl. PGM IV 3019 f. (spätes 3. oder 4. Jh.): „Ich beschwöre dich bei dem Gott der Hebräer, Jesus“ (ὁρκίζω σε 72
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1. DT, Nr. 271 (Hadrumetum/Nordafrika, Bleitafel von einem römischen Friedhof, 3. Jh. [TheDefix 116]): Horcizo se daemonion pneumn (sic!) to enthade cimenon to onomati to agio (= Ὁρκίζω σε δαιμόνιον πνεῦμα, τὸ ἐνθάδε κείμενον, τῷ ὀνόματι τῷ ἁγίῳ) Αωθ Αβαωθ, τὸν θεὸν τοῦ Αβρααν καὶ τὸν Ιαω τὸν τοῦ Ιακου … ἄκουσον τοῦ ὀνόματος ἐντείμου καὶ φοβεροῦ καὶ μεγάλου … („Ich beschwöre dich Dämon, Geist, der hier liegt, bei dem heiligen Namen … höre den verehrten, furchtbaren und großen Namen …“).
Beschworen wird der Dämon des im Grab liegenden Verstorbenen: Er soll einen gewissen Urbanus zu einer Frau namens Domitiana bringen, damit er sie liebt und heiratet. Es handelt sich also um einen Liebeszauber. Der Text setzt wiederholt mit einer neuen Beschwörung an: Ὁρκίζω σε τὸν μέγαν θεὸν τὸν αἰώνιον καὶ ἐπαιώνιον καὶ παντοκράτορα τὸν ὑπεράνω τῶν ὑπεράνω θεῶν; ὁρκίζω σε τὸν κτίσαντα τὸν οὐρανὸν καὶ τὴν θάλασσαν … ὁρκίζω σε τὸ ἅγιον ὄνομα ὃ οὐ λέγεται … .
John Gager übersetzt so, als ob der „große Gott“ beschworen werden soll: „I invoke you, the great god“.75 Ich schlage vor, den doppelten Akkusativ als Beschwörung des Dämons beim Namen des großen Gottes zu übersetzen: Ich beschwöre dich bei dem großen Gott, dem ewigen und über-ewigen und Allherrscher, dem erhöhten über die erhöhten Götter; ich beschwöre dich beim Schöpfer des Himmels und des Meeres … ich beschwöre dich bei dem heiligen Namen, der nicht genannt wird … .
Mit dem machtvollen Namen des Gottes Israels, für den die angeführten Attribute charakteristisch sind,76 übt die Verfasserin zwingende Gewalt über den Dämon aus dem Grab aus. Bemerkenswert ist der deutlich erkennbare jüdische Einfluss. 2. DT, Nr. 251 (2. Jh., Amphitheater in Karthago [TheDefix 97]): „adiuro anime uius loci (= animae huius loci)“, d. h. die Totengeister, die Dämonen von gefallenen Gladiatoren des Amphitheaters. Diese animae werden per nomina, bei den Namen übergeordneter Gottheiten, beschworen, sieben venatores („Jäger“, d. h. Gladiatoren im Tierkampf ) unschädlich zu machen.77 κατὰ τοῦ θεοῦ τῶν Ἑβραίων Ἰησοῦ). Amirav 2011, 118 f., zieht die Zauberpapyri zum Vergleich heran und versteht Apg 19,13 als „magical formula“. 75 Gager 1992, 113. 76 Zu den genannten Eigenschaften Gottes bzw. seines Namens vgl. (jeweils LXX) Dtn 28,58 (ἔντιμος); Ps 110,9 (ἅγιος, φοβερός); Dtn 10,17; Sir 43,29 (μέγας, φοβερός); Jes 26,4 (μέγας, αἰώνιος); Ex 15,18 (κύριος βασιλεύων τὸν αἰῶνα καὶ ἐπ’ αἰῶνα); Ez 10,19 (ὑπεράνω); Gen 14,19.22 (ἔκτισεν τὸν οὐρανὸν). Vgl. Gager 1992, 113; Wünsch 1912, 21 f. Den Bezug auf den einen Gott Israels hält auch Preisendanz 1972, 15 f., fest. – Ein weiteres Beispiel bietet DT, Nr. 242 (Karthago, 3. Jh. [TheDefix 61]); ich zitiere nur den Anfang des langen Textes: Ἐξορκίζω σε ὅστις ποτ’ εἶ, νεκυδαίμων, τὸν θεὸν τὸν κτίσαντα γῆν καὶ οὐρανὸν Ιωνα; ἐξορκίζω σε τὸν θεὸν τὸν ἔχοντα τὴν ἐξουσίαν τῶν χθονίων τόπων Νειχαροπληξ […] (weitere jüdische Elemente z. B. Σαβαωθ, Σαλόμον, θεὸς τῆς ἡμέρας ταύτης, τῆς ὥρας ταύτης). 77 DT, Nr. 233 (Karthago, 2./3. Jh. [TheDefix 52]) beschwört einen Totendämon, 28 Rennpferde bewegungslos zu machen. DT, Nr. 241 (Karthago, 1.–3. Jh. [TheDefix 60]): „Fluch. Ich beschwöre euch bei den großen Namen“ (κατάρα. ἐξορκίζω ὑμᾶς κατὰ τῶν μεγάλων ὀνομάτων),
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3. DT, Nr. 198 (2./3. Jh., Grab in Cumae [TheDefix 129]): δαίμονες καὶ πνεύματα der im Grab liegenden Toten werden angesprochen: ἐξορκίζω ὑμᾶς τὸ ἅγιον ὄνομα („ich beschwöre euch beim heiligen Namen“), worauf verschiedene Namen genannt werden. Die Verfasser dieser Texte setzen voraus, dass der Name bedeutender Gottheiten die Macht in sich trägt, Dämonen zu gebieten, und rufen ihn deshalb bei Beschwörungen an. Es gehört zum professionellen Wissen eines Beschwörers oder μάγος, die wirkmächtigen Namen und ihre richtige Verwendung zu kennen. Nichts anderes tun die Söhne des Skeuas mit dem Namen Jesus. Sie trauen ihm so viel Wirkmacht zu, dass seinem Namen die bösen Geister gehorchen müssen. Doch damit treten sie in Konkurrenz zu Paulus und seinen Gemeinden. „Im Namen Jesu Christi“ hatte Paulus einen Dämon ausgetrieben (Apg 16,18) und Petrus einen Gelähmten geheilt (3,6). Die Frage, ob sie befugt sind, den Namen Jesus zu verwenden, und ob der Name automatisch den Gehorsam der Dämonen erzwingt, stellen sich die Skeuas-Söhne nicht. Der Dämon jedoch kennt die Grenzen genau: „Jesus kenne ich, und Paulus ist mir bekannt; aber ihr, wer seid ihr?“ (19,15). Er schuldet ihnen keinen Gehorsam, so dass der vom Geist Besessene sie verprügeln und nackt und verwundet aus dem Haus werfen kann (19,16). Damit ist die Grenze eines manipulativen Gebrauchs des Jesus-Namens markiert. Der Name Jesus kann nicht als magische Formel zur Dämonenaustreibung verwendet werden. Das Verhalten der Skeuas-Söhne wird als unprofessionell entlarvt: Ihre Erfahrung und ihr Wissen reichen nicht aus, um die „richtige“ Verwendung des Jesus-Namens verstehen zu können.78 Dabei hielten sie den Schlüssel zum richtigen Verstehen bereits in der Hand, wenn sie den Namen Jesus durch den Relativsatz bestimmten: ὃν Παῦλος κηρύσσει (19,13). Nach Lukas führt die Verkündigung zur Gemeinschaft mit Jesus, dem erhöhten Herrn.79 Der Name Jesus kann nur in der persönlichen Beziehung zu Jesus heilvoll wirksam werden.80 Diesen Schritt haben die Skeuas-Söhne nicht getan. Der Name Jesus und der hinter ihm stehende stärkere Gott bleiben unverfügbar. Die eigene Beziehung zum erhöhten Herrn stellt das Kriterium dafür dar, dass jemand den Namen Jesus hilfesuchend anrufen darf. Als Resultat der Episode zeichnet Lukas eine gesteigerte Ehrfurcht die zuvor genannt wurden. Anrufung eines Dämons auch in DT, Nr. 286–295; SGD, Nr. 168 (TheDefix 474) (ὁρκίζω ὑμᾶς, δαίμονες, κατὰ τοῦ ἐνγεγραμμένου ὀνόματος). Vgl. Preisendanz 1972, 21.23. 78 Busch 2006, 34, spricht von „Dilettantismus“. 79 Der Zusatz in 19,13: „den Paulus verkündet“, ist nicht als (formgeschichtlich) falsche Ergänzung der Beschwörungsformel zu verstehen, als ob die Macht Jesu durch die Macht des Paulus noch verstärkt werden solle; so aber Bates 2011, 418 f. 80 Überdies erinnert der „Name“ an die Taufszene in 19,5 und unterstreicht so die Bedeutung der Beziehung zu Jesus. In der Forschung wurde die Bindung des wirkmächtigen Jesus-Namens an die glaubende Existenz und die Kirche diskutiert; vgl. Weiser 1981, 532 f. Es geht an der Intention der Erzählung vorbei, wenn Jervell 1998, 484, feststellt: „Die Überwältigung der bösen Geister ist nur durch das erneuerte Israel möglich“.
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vor dem Namen Jesus in der Stadt Ephesus: „Das aber wurde allen Juden und Griechen, die in Ephesus wohnten, bekannt, und es fiel Furcht auf sie alle, und sie rühmten den Namen des Herrn Jesus“ (19,17). Dass hier wieder jüdische Konkurrenten auftreten, verweist auf das Lebensmilieu und die konkreten Kontakte der ersten Christen und bedeutet keine Abwertung des Judentums.81 Jüdische Beschwörer sind Teil der hellenistischen Welt und ihrer vielfältigen religiösen Vollzüge. Josephus weiß von einem jüdischen Exorzisten namens Eleazar, der seine Vollmacht aus der Tradition Salomos gewonnen hat und damit in seinem gesellschaftlichen Umfeld legitimiert war (Jos., ant. VIII 46–49; vgl. Lk 11,19). Bereits im galiläischen Umfeld des Wirkens Jesu trieb nach Lk 9,49 f. ein Mann, der nicht zur Schüler-Gruppe zählte, im Namen Jesu Dämonen aus. Doch während Jesus den Schüler, der sich darüber empörte, anwies, den Mann gewähren zu lassen, betont Apg 19,13–17 die Grenzziehung der Paulus-Gruppe nach außen: Innerhalb Israels war die strikte Gruppenbindung verzichtbar, in der hellenistisch-römischen Welt wird sie wesentlich. Die Überlegenheit der Jesus-Beziehung der ersten Christen über Zaubertechniken scheint nach dem Missgeschick der Skeuas-Söhne festzustehen. Doch so einfach liegen die Dinge nicht, und das weiß auch Lukas. Er setzt voraus, dass auch Christen in ihrem hellenistischen Lebensmilieu verwurzelt blieben und durchaus noch auf die Künste der Zauberei zurückgriffen. Paradigmatisch dafür stand bereits die Gestalt des Simon in Apg 8,9–24. Hier in Ephesus kehren sich die Christen82 als Reaktion auf die überwältigende Macht des Jesus-Namens radikal von ihren Zauberpraktiken ab: Und viele der glaubend Gewordenen kamen und bekannten (ἐξομολογούμενοι) und berichteten ihre Zauberpraktiken (πράξεις).83 Etliche aber von denen, die Zauberei getrieben hatten (τὰ περίεργα πραξάντων), trugen ihre Bücher zusammen und verbrannten sie vor allen, und man rechnete ihren Wert zusammen und fand heraus: 50.000 Silberstücke (19,18 f.).
Die Betroffenen bekennen – und reagieren damit so, wie sie auch auf eine Verfluchung reagieren könnten. In dem Gebet um Gerechtigkeit DT, Nr. 2 (TheDefix 584), wie DT, Nr. 1 (TheDefix 229), eine Bleitafel vom Damater-Heiligtum auf Knidos aus dem 2. oder 1. Jh. v. Chr., liest man:84 Es weiht/überantwortet (ἀνιεροῖ) Artemis der Damater, der Kura, allen Göttern bei Damater. Wer die von mir zurückgelassenen Kleider und den Mantel und das knielange Kleid Schwierig Jervell 1998, 483: die Exorzisten verweisen auf „das ungläubige Judentum“. Der kontextuelle Zusammenhang von Apg 19,18 f. spricht für die Interpretation, dass Christen gemeint sind, die auch nach ihrer Bekehrung die in ihrer Lebenswelt verbreiteten Zauberpraktiken pflegten; zur Diskussion Pervo 2009, 480. 83 In den späteren Zauberpapyri kann πρᾶξις eine Zauberhandlung oder ‑formel bezeichnen, so in PGM I 276; IV 159.1227. Vgl. Heininger 2005, 285 Anm. 53. 84 Übersetzung in Anlehnung an Blümel 1992, 89 f., aber mit eigenen Änderungen; vgl. auch Versnel 2009, 15 f.; Versnel 1991, 72. 81 82
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mir nicht zurückgegeben hat, obwohl ich darum gebeten habe, dieser soll sie zu Damater bringen, auch wenn ein anderer meine Dinge haben sollte, und möge innerlich brennend (πεπρημένος) bekennen (ἐξαγορεύων); für mich aber soll es heilig und frei85 sein […] und zusammen zu trinken und zu essen und unter dasselbe Dach zu kommen; denn man hat mir Unrecht getan (ἀδίκημαι), Herrin (δέσποινα) Damater.
Das „Brennen“ bezieht sich wohl auf ein Fieber, das als Züchtigung zur Besserung führen soll,86 oder auf ein inneres Brennen, das von negativen Gefühlen wie Schande und Reue ausgelöst wird.87 Dadurch soll Einsicht in die Schuld erzwungen werden. Diese Einsicht äußert sich in einem öffentlichen Bekenntnis. Das Verb ἐξαγορεύω zielt auf einen öffentlichen Akt, meint also „bekennen“ und nicht „beichten“, wie Wolfgang Blümel übersetzt.88 Das Bekennen kann z. B. durch eine weitere Inschrift geschehen, wofür die sogenannten Beichtinschriften aus Kleinasien (2./3. Jh.) Beispiele bieten.89 Auf ein Schuldeingeständnis des Übeltäters und vielleicht auf Wiedergutmachung können die Tafeln dann hinwirken, wenn sie an einem anerkannten Heiligtum öffentlich aufgehängt wurden.90 Das funktioniert in einer Face-to-Face-Gesellschaft allerdings auch mittels Mundpropaganda: Man erzählt Freunden davon, dass man seine causa mit einer Verfluchung belegt hat, und diese erzählen es weiter. Auch in Apg 19,18 ist das Bekennen ein öffentlicher Akt: Die Christen in Ephesus bekennen ihre eigenen Zauberversuche91 vor der Gemeinde und wenden sich öffentlich von der Zauberpraxis ab. Ihre Abkehr erzählt Lukas in großen Dimensionen. Sie manifestiert sich im freiwilligen Verbrennen ihrer Buchrollen, unter denen man sich Rollen und Notizbücher aus Papyrus und Pergament vorstellen kann, die Formulare z. B. für Zauberformeln, Beschwörungen und Amulettsprüche enthielten. An manchen Fluchtafeln lässt sich noch erkennen, dass sie von Formularen abgeschrieben wurden. Die Beschwörung in DT, Nr. 241 (TheDefix 60), beginnt z. B. mit der Rubrik κατάρα („Fluch“); damit ist die nur für den Benutzer 85 Zur
Vorstellung der Ansteckung durch einen Verfluchten, mit dem man sich unter einem Dach aufhält, vgl. Versnel 2009, 16. 86 So Versnel 1991, 73; Versnel 1994, erwägt daneben „a reference to the notion of ordeal by fire“ (154). Blümel 1992, 85, spricht – m. E. zu Unrecht – von einer Beichtstrafe, die die Göttin bzw. ein Priester dem „Beichtenden“ auferlegt. 87 Die Verfasserinnen der Fluchtafeln, die selbst vor Wut und Rachegefühlen „brennen“, wünschen dem Übeltäter eine vergleichbare Gefühlslage: „perhaps they asked that their offender be burnt inside as they were ‚burning‘ with their own thoughts of violation and revenge“, so Salvo 2012, 256; vgl. Versnel 1999, 154: „burning in shame“. 88 Blümel 1992, 90. „Bekennen“ auch Versnel 2009, 15. Das Verb ἐξαγορεύω verwenden auch DT, Nr. 4.7 (TheDefix 566.588), DT, Nr. 1 (TheDefix 229), hingegen ἐξομολογέω. 89 Dazu Versnel 2009, 29–34; Versnel 1991, 75–78; Chaniotis 2004, 13–21; Chaniotis 1997. 90 Zur Diskussion um die Reichweite der Öffentlichkeit von Gebeten um Gerechtigkeit vgl. Versnel 2002, 56–59; Chaniotis 1997, 363–366.376. 91 Es geht nicht um ein allgemeines Sündenbekenntnis im Kontext der Abkehr von der heidnischen Lebensweise, wie Gebauer 2015, 117, meint.
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des „Zauberbuchs“ gedachte Rubrik mitübernommen worden, was auf einen wenig professionellen Gebrauch solcher Bücher hinweist.92 Das freiwillige Verbrennen von Schriften besitzt antike Analogien und bedeutet eine radikale Abwendung von deren Inhalten, was eine vertiefte Bekehrung markiert.93 So besiegelt ein gewisser Metrokles seine Konversion zum Kynismus durch die Verbrennung von Mitschriften der Vorträge seines bisherigen peripatetischen Lehrers Theophrast (Diog. Laert. VI 95). Ein (bislang atheistischer) Epikureer erhielt im Traum von einem Priester des Asklepios den Auftrag, seine Bücher des Epikur zu verbrennen und die Asche als Heilmittel zu verwenden (Ail. fr. 89 [Hercher]). Die Radikalität der Abkehr wird in Apg 19,19 durch den übertrieben großen, ja riesigen Gesamtwert der Bücher betont.94 In Apg 19 gelangen die Christen in Ephesus zur Einsicht, ohne von einem Fluch getroffen zu sein. Zauberei funktioniert nur, wenn sie Zugriff auf die stärkere Macht besitzt. Lukas will zeigen, dass sich der Name Jesus jedoch machtvoll jedem Zugriff entzieht und nur der persönlichen Beziehung öffnet. Die Christen haben erkannt, dass neben der Beziehung zu Christus alle Zauberei unnötig, ja zum eigenen Schaden wird.95 Die Gefahr, die von einem Fluch ausgeht, wird in der Salvierungsklausel in DT, Nr. 2, deutlich: Selbst wenn sie mit dem unbekannten Täter, der unter dem Fluch steht, direkte Gemeinschaft hat, will die Verfasserin selbst nicht von dem Fluch erfasst werden.96 So stark ist die Macht des Fluchs, dass er auf Nahestehende ausstrahlt. In Apg 19,19 entgeht man der Gefahr, die dem Fluchsystem inhärent ist, am besten, indem man sich ganz von der Zauberei abwendet und sich dem Namen Jesus unterstellt. In einem Akt der Loslösung befreien sich die Christen von der Zauberei. Das ist das Ideal, das Lukas seinen Lesern vor Augen stellt. 92 Vgl. Busch 2006, 35. Ein Beispiel für ein ägyptisches Zauberbuch mit griechischer Übersetzung aus dem 1. Jh. bietet der als PBerol. 21243 erhaltene Ausschnitt; Übersetzung bei Betz 1986, 316 f. (dort gelistet als PGM CXXII). 93 Zu Abgrenzung und Buchverbrennung vgl. Pervo 2009, 480 f. 94 Identifiziert man die 50.000 Silberstücke (ἀργύριον) als Denare und nimmt mit Mt 20,2 einen Denar als Tageslohn eines einfachen Arbeiters an, gewinnt man einen Eindruck von der Höhe der Summe. Vgl. auch Ehling 2003. – Nach Koch 2014, 293, dient die Szene vom Verbrennen der Zauberbücher dazu zu zeigen, „dass die Christen gesetzestreue Bürger sind, war doch der Besitz von Zauberliteratur (wegen der Gefahr des Schadenszaubers) grundsätzlich illegal“. Sie entspricht aber auch jüdischem Ethos; so empfiehlt Ps.-Phokylides 149: „von Zauberbüchern halte dich fern“ (μαγικῶν βίβλων ἀπέχεσθαι). Verwandt sind Bücher mit Prophetien und Weissagungen, die in Rom als politisch gefährlich galten und daher sowohl in alter Zeit (Liv. XXXIX 16) als auch unter Augustus (Suet., Aug. 31,1) verbrannt wurden, allerdings auf Anordnung der politischen Macht. 95 Die Abgrenzung gegenüber Magie per se übersieht Amirav 2011, 122–124, der dem Erzähler ein „uncritical approach to magic“ unterstellt (123); für diesen sei die Wirksamkeit von Magie selbstverständlich, „provided it is executed by Christian Magicians“ (124). Shauf 2005, 226–234, will das Thema „Magie“ in 19,18 f. völlig ausschließen. 96 Vgl. DTA, Nr. 100 (TheDefix 973); SGD, Nr. 21 (TheDefix 224); dazu Versnel 1991, 65 f.73.
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So hält eine abschließende Wachstumsnotiz fest, dass das „Wort des Herrn“ in Ephesus weiter wuchs und erstarkte (19,20). Inmitten der religiösen Kultur der hellenistisch-römischen Stadt lebt und wächst das Wort des Herrn, weil die Macht Gottes hinter ihm steht.
8. Zusammenfassung Fluchtafeln bilden nur einen Ausschnitt aus der „religiösen“ Alltagskultur im östlichen Mittelmeerraum zur Zeit des Lukas. Sie werfen Schlaglichter auf die kommunikativen Vollzüge in Bezug auf übernatürliche Mächte in einer Welt, die von Göttern und Dämonen durchdrungen geglaubt wird. Wenn Lukas von μαγεία spricht, denkt er sicher nicht nur daran – aber er denkt auch daran, wie die analysierten Sprachelemente belegen. In der Apostelgeschichte findet eine vielfältige Auseinandersetzung mit Phänomenen der μαγεία statt. Wenn Lukas die Überlegenheit des stärkeren christlichen Gottes über Magie und Zauberei zeigt, gerät er mit seinen Wundererzählungen selbst in deren Nähe, und er weiß um den Einfluss der Zauberpraktiken auf die ersten Christen und die dadurch entstehende Konkurrenz. In charakteristischer Brechung bietet er Anklänge an die Fluchsprache im Mund christlicher Verkünder, um zu zeigen, dass sie – auf der Basis ihrer Beziehung zu Gott bzw. Christus – anders sprechen: Im Gebet findet ihre Beziehung zu Christus Ausdruck. Wer im antiken Denken von einem Fluch betroffen war, musste damit rechnen, mit Krankheit, wirtschaftlichem Verlust, Unglück oder Tod geschlagen zu werden.97 Vielleicht konnte die Demonstration der überlegenen Macht des Namens Jesus und des hinter ihm stehenden Gottes dazu beitragen, die Leser von der Angst vor Flüchen und anderen Phänomenen von μαγεία, die im Lebensalltag antiker Menschen so verbreitet waren, zu befreien.
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Feurige Kohlen und die Macht der Feindesliebe Überlegungen zum Fluchmotiv in Röm 12,14–21
Thomas Schumacher
1. Hinführung Oft ist das Leben nicht leicht. Dinge gehen schief, Vorhaben misslingen, und wenn das geschieht, kann sich der Mensch nicht immer des Kraftausdrucks enthalten. Doch solche sprachlichen Ausdrucksformen genießen in der christlichen Tradition einen eher schlechten Ruf. „Flucht nicht“ (μὴ καταρᾶσθε), lautet bereits die klare Anweisung des Apostels Paulus, die er im paränetischen Teil des Römerbriefs gegenüber seiner Adressatengemeinde formuliert (Röm 12,14). Seine Empfehlung lautet: „Segnet eure Verfolger; segnet sie, verflucht sie nicht!“ (Einheitsübersetzung 2016). Doch während wir recht klare Vorstellungen davon haben, was mit „segnen“ gemeint sei, ist die Deutung beim „Fluchen“ nicht ganz so einfach. Die damit verbundene Grundfrage wird rasch deutlich, wenn man in den gängigen Bibelausgaben die übersetzerischen Spielarten der Wendung μὴ καταρᾶσθε vergleicht. Denn während in den aktuellen Versionen von Lutherbibel und Einheitsübersetzung zu lesen ist: „verflucht nicht“, findet sich in der Elberfelder und in der Schlachter-Bibel die offenere Wiedergabe des Verbs καταράομαι mit „fluchen“. Während letzteres nun eher an den intransitiven Vorgang des Schimpfens oder Zeterns denken lässt, wohnt dem Vorgang des Verfluchens deutlich eine transitive Dimension inne: Der Akt einer Verfluchung richtet sich nämlich stets auf ein konkretes Gegenüber, hat also einen Zielpunkt – beim Fluchen hingegen muss dies nicht in derselben Weise der Fall sein. Zwar kann sich der Sprechakt des Fluchens auf einen Gegenstand beziehen, indem man über etwas oder jemanden flucht und wettert, man kann aber auch recht ungerichtet „vor sich hinfluchen“. Um das hier Gemeinte anhand des deutschen Sprachgebrauchs noch etwas weiter zu verdeutlichen, lohnt sich ein Blick in die Wortgeschichte. So reichen die Wurzeln des deutschen Wortes „fluchen“ auf das mittelhochdeutsche Verb vluochen zurück, dessen „Ausgangsbedeutung […] wohl ‚stoßen, schlagen‘“ ist und woraus „die deutsche Bedeutung (vgl. einen Fluch ausstoßen) und in einem anderen Bild ‚die Hände zusammenschlagen‘ im Englischen“1 entstanden ist. An dieser Etymologie zeigt sich bereits die Besonderheit, dass im deutschen Sprachgebrauch Kluge 2002, s. v. fluchen.
1
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die intransitive Bedeutungsdimension von „fluchen“ besonders stark ausgeprägt ist, was, wie in den vorigen Ausführungen bereits vermerkt, bis in die Gegenwart hineinreicht. Zudem wird dabei, wie der Blick auf die deutsche Sprache ebenfalls recht deutlich macht, mehrheitlich an einen Sprechakt gedacht. Eine erste Frage richtet sich vor diesem Hintergrund nun darauf, ob dies auch in gleicher Weise für den griechischen Sprachgebrauch gilt.
2. Zur Semantik von καταράομαι κτλ. im Griechischen Wie ein Blick in die griechische Sprache verdeutlicht, ist die Sache dort nun etwas anders gelagert. Denn während im Deutschen mit dem Wort „fluchen“ vornehmlich ein intransitiver Sprechakt verbunden ist, kommt bei καταράομαι und seinen Derivaten sehr viel stärker die transitive Dimension des „Verfluchens“ in den Blick. Dementsprechend vermerken die gängigen griechischen Lexika unter καταράομαι auch primär solche Bedeutungsaspekte wie „verfluchen“, „verwünschen“2, jemandem etwas (vornehmlich Böses) „anwünschen“3; und an was dabei zu denken ist, kommt bei Liddell-Scott-Jones schon bei der erstgenannten Übersetzungsmöglichkeit sehr deutlich zur Sprache: „call down curses upon“4. Damit ist bereits die Nähe zum Nomen κατάρα angedeutet, dessen Verwendung sich ganz auf der semantischen Linie des Verbums bewegt.5 Dementsprechend geben die gängigen Lexika hier Bedeutungsaspekte wie „Verwünschung“ und „Fluch“ an. Während der Gebrauch des Nomens allein auf diesen Akzent beschränkt bleibt, kann das Verbum auch in absolutem Sinne verwendet werden, und zwar besonders dann, wenn καταράομαι in Verbindung bzw. in Opposition zu εὐλογέω auftritt.6 Dann kann καταράομαι auch intransitiv gebraucht werden, wobei diese Wortverwendung – wie die knappe lexikalische Erhebung verdeutlicht haben dürfte – keineswegs die dominierende darstellt. Dieser semantische Befund wirft nun im Hinblick auf die Verwendung von καταράομαι in Röm 12,14 die Frage auf, ob dort καταράομαι im vorherrschenden Sinne von „verfluchen“, „verwünschen“ gebraucht wird oder ob infolge der Verbindung von καταράομαι mit εὐλογέω eher von einem offenen – und damit dem intransitiven deutschen „fluchen“ nahestehenden – Bedeutungsakzent auszugehen ist. Mit dieser Frage verbindet sich nun unmittelbar eine weitere, nämlich jene nach der Semantik von εὐλογέω und seiner Derivate. 2 Vgl. Menge 1991, s. v. καταράομαι; Passow 2008, s. v. καταράομαι; Liddell/Scott/Jones 1996, s. v. καταράομαι. 3 Vgl. hierzu bes. Passow 2008, s. v. καταράομαι. 4 Liddell/Scott/Jones 1996, s. v. καταράομαι. 5 Vgl. Menge 1991, s. v. κατάρα; Passow 2008, s. v. κατάρα; Liddell/Scott/Jones 1996, s. v. κατάρα. 6 Vgl. hierzu etwa Philo, Her. 177.
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In der klassischen Gräzität bezeichnet εὐλογέω – der Wortbildung aus εὖ und λογέω gemäß – grundsätzlich jede Form der guten und schönen Rede.7 Und damit kann sowohl die phonetische Ästhetik wie auch der Inhalt des Gesprochenen im Blick sein. Sehr gängig ist dabei die Verwendung im Hinblick auf positive Redeinhalte, was sich etwa darin widerspiegelt, dass das Nomen εὐλογία zur Bezeichnung von Lobreden und anderen Formen des guten Sprechens über Andere fest im Sprachgebrauch etabliert ist; aber auch die pejorative Wortverwendung im Sinne von „Schönrednerei“ ist gut bezeugt.8 In religiösen Kontexten finden sich die Begriffe dieser Wortfamilie hingegen kaum.9 Bedenkt man diesen profangriechischen Sprachhintergrund, dann lässt sich bereits erahnen, wie εὐλογέω auf die Semantik von καταράομαι „abgefärbt“ hat. Denn indem beide Verben miteinander kombiniert und in kontrastierender Weise aufeinander bezogen wurden, ging die intransitive Dimension von εὐλογέω wohl auf καταράομαι über. Doch damit ist die Frage nach der Verwendung von καταράομαι in Röm 12,14 noch keineswegs beantwortet. Denn wenn man sich mit der Wortgeschichte von εὐλογέω beschäftigt, so lässt sich deutlich ablesen, wie semitische Einflüsse auf die Semantik von εὐλογέω eingewirkt und diese erweitert haben. Hier sind konkret die translatorischen Entscheidungen bei der Septuagintaübersetzung zu erwähnen, denn dort werden εὐλογέω und verwandte Wortformen besonders häufig gebraucht, um das hebräische ָב ַרְךund die Nominalbildung ְב ָר ָכהwiederzugeben.10 Auf diese Weise tritt neben die profangriechische Semantik bei Wörtern der εὐλογ-Familie eine religiöse Vorstellung, die mit den Worten „segnen“ und „Segen“ verbunden ist. Als Grund für diese übersetzerische Entscheidung wird man wohl die in alttestamentlich-jüdischer Tradition beheimatete Überzeugung anführen dürfen, dass jedes „gute Reden“ (εὐλογεῖν) über eine Person oder Sache ihren letzten Grund in einer entsprechenden göttlichen Zuwendung findet. In dieser Hinsicht bedeutet, eine Person zu „segnen“, ihr die Zuwendung Gottes zu wünschen und zuzusprechen. Gemäß dieser Grundvorstellung vermerkt auch das neutestamentliche Wörterbuch von Walter Bauer unter dem Lemma εὐλογέω als weitere Bedeutung, neben der profangriechischen: „2. segnen, indem man Gottes gnadenreiche Kraft herabwünscht.“11 Hinzu kommen schließlich noch Verwendungen von εὐλογέω κτλ. welche direkt auf Gott bezogen und im Sinne von „loben“, „preisen“ und „rühmen“ zu verstehen sind – ein Wortgebrauch, der ebenfalls im hebräischen ָב ַרְךwurzelt.12 Auf diesem Wege wird der alttestamentlich-jüdische 7 Zur profangriechischen Semantik vgl. Menge 1991, s. v. εὐλογέω; Passow 2008, s. v. εὐλογέω; Liddell/Scott/Jones 1996, s. v. εὐλογέω; Beyer 1935, 752; Heckel 2002, 13–15. 8 Vgl. hierzu auch Bauer /Aland 1988, s. v. εὐλογία. 9 Zur religiösen Verwendung von εὐλογέω und εὐλογία in der außerbiblischen Gräzität vgl. Heckel 2002, 15 f. 10 Vgl. Scharbert 1973c, 834 f. 11 Bauer /Aland 1988, s. v. καταράομαι. 12 Vgl. Gesenius 2013, s. v. ;ב ַרְך ָ Koehler /Baumgartner 2013, s. v. ב ַרְך.ָ
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Sprachhintergrund für die neutestamentliche Wortverwendung derart prägend, dass Hermann Wolfgang Beyer seinen Artikel im Theologischen Wörterbuch zum Neuen Testament mit folgender Bemerkung beginnen kann: Bei wenigen Wörtern der nt.lichen Sprache wird so deutlich wie bei εὐλογέω und εὐλογία, dass sie ihren Gehalt nicht aus der Prof-Gräz, sondern als Übersetzung hebräischer Wörter erhalten haben, die im AT und dem übrigen jüdischen Schrifttum ihre religiöse Bedeutung gewonnen hatten.13
Und dies gilt fraglos auch für die Wortverwendung bei Paulus. Die Vorherrschaft von semitisch vermittelten Bedeutungsaspekten in der paulinischen Sprache darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass bei ihm auch weiterhin die profan griechische Semantik in Verwendung ist.14 Dennoch verdeutlicht der semitische Spracheinfluss mit aller Klarheit, dass mit Blick auf Röm 12,14 allein die Wortkombination von καταράομαι und εὐλογέω kaum als hinreichender Grund für die Annahme einer intransitiven Aussage gelten kann. Denn wenn εὐλογεῖν im Neuen Testament vornehmlich im Sinne der Bitte um eine positive Zuwendung Gottes und seine „heilschaffende Kraft“15 – also transitiv – zu lesen ist, dann muss für καταράομαι nicht die zwar mögliche, aber eher seltene intransitive Sonderbedeutung angenommen werden. Dementsprechend wäre καταράομαι im Sinne eines Verfluchungsaktes zu lesen, der auf eine gegenläufige Kraftwirkung verweisen würde und mit Gott entgegenstehenden Mächten in Verbindung stünde. Und genau in dieser Fluchtlinie liegen nun auch jene alttestamentlichen Texte, in denen ָא ַררals Gegenbegriff zu ָב ַרְךverwendet wird.16 Denn mit ָא ַררund der Nominalbildung ְמא ָֹרהverbinden sich sowohl magische Vorstellungen wie auch die Überzeugung, dass durch entsprechende Handlungen und Machtworte Unheilskräfte aktiviert und freigesetzt werden.17 Mit der Gegenüberstellung von ָא ַררund ָב ַרְךim hebräischen Sprachraum korrespondieren somit die auch in Röm 12,14 verwendeten Übersetzungsäquivalente καταράομαι und εὐλογέω. Damit aber wäre, um an dieser Stelle ein erstes Zwischenergebnis festzuhalten, das Verb καταράομαι – und zwar wegen der Wortverbindung mit εὐλογέω – in transitivem Sinne zu lesen und eine Übersetzung mit verfluchen unbedingt vorzuziehen.
13 Beyer
1935, 751. Vgl. bes. Röm 16,18, wo εὐλογία im Sinne von „Schönrednerei“ verwendet wird; vgl. Bauer /Aland 1988, s. v. εὐλογία. Doch auch für 1 Kor 4,12 wäre profaner Sprachgebrauch zu erwägen, denn schließlich werden im Rahmen dieses Peristasenkataloges entgegengesetzte zwischenmenschliche Verhaltensweisen kontrastiert, sodass die Gegenüberstellung von εὐλογέω und λοιδορέω eher an „positives Sprechen“ denken lässt. 15 Vgl. Keller /Wehmeier 2004, 355. 16 Vgl. Scharbert 1973b. 17 Genau in dieser Hinsicht unterscheidet sich ָא ַררvon א ָלה, ָ welches ebenfalls in Opposition zu ָב ַרְךverwendet wird, doch sehr viel stärker in das Rechtswesen eingebunden ist; vgl. hierzu Scharbert 1973a, bes. 281–283. 14
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3. Zur Pragmatik von καταράομαι κτλ. Vor dem Hintergrund der bisherigen Überlegungen stellt sich nun die Frage, ob bei einer Deutung von καταράομαι im Sinne von „verfluchen“ in gleicher Weise ein reiner Sprechakt im Blick ist, wie dies beim intransitiven „fluchen“ der Fall ist, oder ob von begleitenden Handlungen auszugehen ist. Auch hier mag der Gegenbegriff εὐλογέω einen ersten Zugang bieten. Zwar wird man davon ausgehen dürfen, „daß die heilschaffende Kraft oft in eminentem Maße mit dem wirkungskräftigen Wort verbunden“18 war, doch daneben waren auch Segenshandlungen und begleitende Riten höchst bedeutsam. Hier sind neben Kuss19, Umarmung20 und Erhebung der Hände21 vor allem der Gestus der Handauflegung22 zu nennen. Besonders der letztgenannten Handlung scheint als segensbegleitendem Akt eine besondere Rolle zuzukommen, worauf bereits die sprachliche Auffälligkeit verweist, dass allein die Erwähnung dieses Gestus auf den Vollzug des Segnens verweisen kann.23 So scheint gerade bei der Rede von der Handauflegung ein etablierter, fast schon technischer Sprachgebrauch vorzuliegen. Aber auch beim Thema „Fluch“ gilt es, den Blick auf den Bereich von Riten und Handlungen zu lenken, die im antiken Lebenskontext mit diesem Vollzug verbunden sind. Folgt man dieser Frage, so stößt man auf die weitverbreitete Praxis, durch Verfluchungsriten und insbesondere durch die Anfertigung von Fluchtafeln, sogenannten defixiones, Gegner, Feinde und Konkurrenten mit einem Schadenszauber zu belegen, um ihnen auf diese Weise ihre gegnerische Kraft und ihren feindlichen Einfluss zu nehmen. Die archäologischen Zeugnisse dieser Praktiken sind zahlreich und scheinen auch in Rom zur Abfassungszeit des Römerbriefs einen selbstverständlichen Usus dargestellt zu haben.24 Damit waren nun in etwa folgende konkrete Handlungen verbunden: Ging es darum, feindlich gesinnte Personen oder Gegner unschädlich zu machen – und dabei ist vom unbekannten Dieb über den Nebenbuhler bis hin zum sportlichen Konkurrenten fast alles denkbar –, dann fertigte man für gewöhnlich eine defixio an. Dazu ritzte man einen Schadenszauber in ein Bleitäfelchen, rollte oder faltete dieses zu einem Bündel zusammen und legte es an besonderen Orten wie Gräbern oder ähnlichem ab oder verbrannte Keller /Wehmeier 2004, 355; Kursivierung im Original. Vgl. etwa Gen 32,1 und 2 Sam 19,40; vgl. in diesem Zusammenhang auch den „literarischen“ Kuss in Röm 16,16; 1 Kor 16,20 u. ö. 20 Vgl. exemplarisch Mk 10,16. 21 Vgl. etwa Lev 9,22; Sir 50,20–22; JosAs 8,9; Lk 24,50. 22 Vgl. etwa Gen 48,14–16; Jub 24,14 f.; JosAs 8,9 f.; TestJak 4,14 f.; Mk 10,16. 23 Vgl. etwa Mt 19,13–15; Mk 16,18; Lk 4,40; 13,12 f.; Apg 6,6; 8,17; 9,17; 13,3; 28,8; 1 Tim 4,14; Offb 1,17; vgl. hierzu außerdem den Begriff χειροτονέω in Apg 14,4 sowie die auffällige Formulierung in Jak 5,14, dass „über“ (ἐπί) dem Kranken gebetet wird (προσευξάσθωσαν ἐπ̓ αὐτὸν), was bereits Origenes im Hinblick auf eine Handauflegung gedeutet hat (LevHom 2,4); vgl. hierzu Heckel 2002, 342 f. 24 Vgl. hierzu exemplarisch Wünsch 1897; Audollent 1904; Gager 2002; Brodersen 2001; Jordan 2000; Brodersen/Kropp 2004; Eidinow 2007; Kropp 2008; Versnel 2009. 18 19
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es teilweise auch. Solche Praktiken werden in der folgenden antiken Handlungsanweisung beschrieben: Nimm Blei von einer Kaltwasser-Leitung, mach eine Tafel daraus und schreib auf sie mit dem Erzgriffel, wie folgt, und lege sie zu einem vorzeitig Gestorbenen (ins Grab)25
Im Lichte dieser pragmatischen Einordnung stellt sich nun im Blick auf die paulinische Formulierung von Röm 12,14 die Frage, ob auch dort eine solche Praxis im Hintergrund steht, bzw. konkreter noch, ob Paulus bewusst auf eine solche alludiert. Und wenn dem so wäre, dann dürfte zu erwarten sein, dass der weitere Kontext dieser Formulierung noch zusätzliche Indizien birgt, die eine solche Deutung stützen könnten. Diese Möglichkeit wurde für die Auslegung des betreffenden Textabschnitts bislang nicht in Erwägung gezogen, soll nun aber als denkbarer Textzugang diskutiert werden.
4. Annäherungen an Röm 12,14–21 Dazu soll in einem ersten Annäherungsschritt Röm 12,14 in seinen Kontext eingeordnet, dieser abgesteckt und zentrale begriffliche Motive der betreffenden Textpassage benannt werden. Im Hinblick auf den fraglichen Textabschnitt wird man zunächst beachten müssen, dass es sich bei εὐλογεῖτε und μὴ καταρᾶσθε um die ersten Imperativformen nach der programmatischen Eröffnung der Paränese in Röm 12,1 f. – also näherhin den Formen συσχηματίζεσθε und μεταμορφοῦσθε – handelt. Dieser grammatikalische Befund wird in den gängigen Übersetzungen häufig dadurch verstellt, dass bereits ab Vers 9 imperativisch übersetzt wird, was von sprachlicher Seite zwar möglich, aber keineswegs zwingend ist.26 Da der mit Vers 14 einsetzende imperativische Duktus nun aber den bestimmenden Modus im weiteren Verlauf der Römerbriefparänese darstellt, lässt sich Vers 14 gewissermaßen als Auftakt und Überschrift zum nachfolgenden Textabschnitt verstehen. Diese Einschätzung wird auch dadurch gestützt, dass sich in Röm 12,14 der Blick erstmals auf einen den Kontext der christlichen Gemeinde überschreitenden 25 PGM
VII (P.Lond., BL gr. 121, 1.397–399); Übersetzung: Brodersen 2001, 59.
26 Die Frage der Übersetzung der Aussagen in Röm 12,9–13 hängt grundsätzlich davon ab, wie
die eröffnende Formulierung – also: Ἡ ἀγάπη ἀνυπόκριτος (Röm 12,9a) – gelesen bzw. ergänzt wird. Bei dieser Wendung handelt es sich um eine elliptische Formulierung, die entweder mit „ist“ (ἐστιν) oder mit „sei“ (ἔστω) ergänzt werden kann. Liest man sie in letztgenanntem Sinn, dann wird man die anschließende Kette an Partizipien imperativisch deuten müssen, wenn man hingegen ἐστιν ergänzt, wären sie in konditionalem Sinn zu lesen; also: „Die Liebe ist (ἐστιν) ungeheuchelt, wenn man das Böse verabscheut und von sich weist, wenn man sich fest verbindet mit dem, was gut ist, wenn man […].“ Dann würde Vers 9a als überschriftartige Aussage fungieren, die darauf abzielt, die wesentlichen Merkmale jener Liebe näher zu bestimmen, um die es Paulus geht. Diese Variante dürfte aus kontextuellen Gründen vorzuziehen sein, was zu begründen jedoch den Rahmen der hier zur Diskussion gestellten Überlegungen sprengt. Vgl. hierzu Baumert 2012, 257 f.
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Personenkreis ausweitet. Dies wird nicht nur an dem Stichwort der φιλαδελφία (Röm 12,10) und dem binnengemeindlichen Grundduktus in Röm 12,9–13 deutlich, sondern vor allem auch daran, dass mit der Partizipialform διώκοντας erstmals solche Personen angesprochen sind, die den Gemeindemitgliedern gegenüber ablehnend eingestellt oder gar feindlich gesinnt sind. Das semantische Spektrum von διώκω ist recht weit und reicht von „verfolgen“ bis hin zu „gerichtlich anklagen“27 – der Kontext von Röm 12 ist jedoch so vage, dass eine semantische Präzisierung kaum möglich scheint. In jedem Fall sind es Personen, die eher nicht der Gemeinde angehören dürften, und auf diese Personengruppe scheint sich der Fokus der mit Vers 14 einsetzenden Ausführungen grundsätzlich zu richten. Diese Annahme stützt zumindest auch das zweimalige Stichwort „alle Menschen“ (πάντων ἀνθρώπων) in Röm 12,17.18 sowie auch die Aussagen von Röm 13,1–7, die bekanntermaßen um das Verhältnis der christlichen Gemeinde zu den politischen Machtstrukturen und den staatlichen Gegebenheiten des Imperium Romanum kreisen. Damit dürfte Röm 12,14 fraglos den Beginn eines eigenen Abschnitts darstellen, der mit dem Ende von Kapitel 12 einen ersten Abschluss findet; die Frage, wie weit der mit Vers 14 beginnende Gedankengang insgesamt reicht, ist damit allerdings noch nicht beantwortet.28 Dass jedoch Röm 12,14–21 einen in sich geschlossenen Textabschnitt darstellt, lässt sich auch an einigen terminologischen Auffälligkeiten ablesen. Denn neben den Begriffen „segnen“ (εὐλογέω) und „fluchen“ (καταράομαι) finden sich im Schlussvers dieser Passage, also in Vers 21, die damit in Verbindung stehenden, kontrastierend verwendeten Motive „gut“ (ἀγαθός) und „böse“ (κακός). Ja, mehr noch: Wie ein Blick auf die Wortstatistik rasch veranschaulicht, wird im gesamten Corpus Paulinum die Binarität von „gut“ und „böse“ in dieser Nachdrücklichkeit überhaupt nur im Römerbrief gebraucht. Hinzu tritt auch noch das Stichwort „Rache“ (Röm 12,19) sowie das Motiv von feurigen Kohlen als Strafmittel, welche ebenfalls in den bereits umrissenen Begriffsrahmen einzuordnen sind. Damit lässt sich festhalten, dass Röm 12,14–21 als ein in sich geschlossener Abschnitt zu betrachten ist, bei dem es angesichts des skizzierten Begriffsclusters lohnenswert sein mag, ihn vor dem Hintergrund der Fluchtafeltradition zu analysieren.
5. Feurige Kohlen aufs Haupt (Röm 12,20) Röm 12,14–21 weist somit eine Reihe von Motiven auf, die signifikant über jene hinausreichen, die in der Jesustradition im Kontext der Rede von der Feindesliebe auszumachen sind. Besonders deutlich wird dies mit Blick auf Mt 5,43–48, wo 27 Vgl. Menge 1991, s. v. διώκω; Passow 2008, s. v. διώκω; Liddell/Scott/Jones 1996, s. v. διώκω. 28 Vgl. hierzu Schumacher 2021.
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sich zwar das Stichwort „Verfolgende“ (διωκόντων) und die Gebetsterminologie (προσεύχομαι) finden, die Fluchmotivik – insbesondere καταράομαι oder eine verwandte Form – aber gänzlich fehlt. Darin weicht die matthäische Fassung von Lk 6,27–32 ab, denn dort werden ähnlich wie in Röm 12,14 „segnen“ und „fluchen“ (und zwar konkret die Formen εὐλογεῖτε und καταρωμένους) verwendet. Ob dieser sprachliche Befund für die Annahme einer im Hintergrund stehenden Fluchtafeltradition ausreicht, lässt sich diskutieren;29 doch wie immer man diese Frage auch beantwortet – in jedem Fall geht Paulus mit der Erwähnung des Rachemotivs und der Erwähnung feuriger Kohlen, die auf das Haupt der Feinde zu häufen sind, über das hinaus, was in der Jesustradition an Motiven im Zusammenhang mit der Rede von der Feindesliebe anzutreffen ist. Um eine Einordnung dieses Begriffsüberschusses vorzunehmen, soll in den folgenden Überlegungen die Erwähnung der aufs Haupt des Feindes zu häufenden feurigen Kohlen (Röm 12,20) als Ausgangspunkt gewählt werden.
5.1 Zu den Auslegungsansätzen von Röm 12,20 Beschäftigt man sich mit der Auslegungstradition des Motivs der „feurigen Kohlen“, so lassen sich zwei gegenläufige Auslegungsansätze ausmachen, welche vor allem mit der Frage verbunden sind, ob der Aussagegehalt von Vers 20 im Licht des vorangehenden oder des folgenden Verses zu bestimmen ist. Liest man nämlich Röm 12,20 vor dem Hintergrund der Erwähnung des göttlichen Zorns im vorausgehenden Vers, so legt sich eine Interpretation der Rede von den feurigen Kohlen auf dem Haupt der Gegner als bildhafter Ausdruck für Gottes Zorngericht nahe. Die Verbindung der Motive „Kohle“ und „Feuer“ ist in der alttestamentlichen Tradition mit der Vorstellung eines göttlichen Strafgerichtes gegenüber den Feinden seines Volkes und den Frommen jedenfalls fest etabliert.30 Als Beispieltext sei hier die einschlägige Passage aus Ps 140 zitiert: 2 Rette mich, HERR, vor dem bösen Menschen, vor dem Mann der Gewalttaten bewahre mich, 3 vor denen, die Böses im Herzen sinnen, jeden Tag schüren sie Kriege! […] 7 Ich sagte zum HERRN: Mein Gott bist du. Vernimm, HERR, die Stimme meines Flehens! 8 GOTT und Herr, meine Kraft und meine Rettung, du hast mein Haupt beschirmt am Tag des Kampfes. 9 Lass nicht zu, HERR, die Gier der Frevler, lass ihren Plan nicht gelingen, wenn sie sich erheben! [Sela] 10 Das Haupt derer, die mich umzingeln, sei bedeckt vom Unheil ihrer Lippen. 11 Man häufe auf sie glühende Kohlen. Er stürze sie hinab in den Abgrund, sie sollen nie wieder aufstehn! (Einheitsübersetzung 2016)
In diesem Text wird beschrieben, wie durch das vergeltende Wirken Gottes die boshafte Absicht des Feindes sich gegen ihn selbst kehrt und gewissermaßen auf ihn zurückfällt. Liest man Röm 12,20 im Lichte dieses Vorstellungshintergrundes, 29 Diese Frage ist u. a. Gegenstand des Beitrags von Bernhard Heininger im vorliegenden Band; vgl. S. 311–332. 30 Vgl. Ps 11,6; 120,3 f.; 140,11; Jes 47,14.
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so würde man hier den Gedanken geäußert finden, dass durch den Verzicht auf eigene Rachemaßnahmen dem eschatologischen göttlichen Strafgericht der ihm zustehende Stellenwert eingeräumt wird.31 Diese Deutung hat nun aber mit der Schwierigkeit zu kämpfen, wie das Verhältnis von Vers 20 zu Vers 21 zu bestimmen ist. Denn liest man Röm 12,20 im Blick auf ein eschatologisches Zorngericht, dann wird Gott selbst als Rächer und damit als handelndes Subjekt gedacht, durch dessen Wirken das Böse bestraft und die Feinde überwunden werden. Dem steht nun aber der Gedanke des nachfolgenden Verses entgegen, dass die Gläubigen selbst das Böse (mit Gutem) überwinden sollen. Daher findet sich in der Auslegungsgeschichte von Röm 12,20 auch die bereits erwähnte zweite Deutungsmöglichkeit. Sie nimmt im Unterschied zur eben skizzierten Vers 21 als Ausgangspunkt der Textdeutung und interpretiert die Rede von den „feurigen Kohlen“ in einer fast als psychologisch zu bezeichnenden Weise. Die gute Tat gegenüber dem Feind führt zu dessen Beschämung und wird somit zum Anlass, dass er eine Gesinnungs‑ und Verhaltensänderung vollzieht: [E]r wird so beschämt werden, daß es in ihm wie ein Feuer brennt.32 Wenn eine Feuerstelle kalt geworden ist, häuft man neues brennbares Material auf. Man bildet gewissermaßen eine „Krone“ von Kohlen darauf. So können auch gute Taten das Herz eines Feindes erwärmen, das eiskalt war, und durch Liebe zum Glühen bringen.33
Und genau in diesem Sinne wird nun das Motiv der „feurigen Kohlen“ als Ausdruck der Schamesröte im Gesicht des Gegners gedeutet: Sein durch die Hitze unter dem Kohlengefäß gerötetes Gesicht sollte seine Scham über das Getane demonstrieren.34
Diese Auslegung basiert, wie bereits erwähnt, auf einer engen Verbindung von Vers 20 und 21, was nun aber zu der Schwierigkeit führt, dass die Relation zum Zornesmotiv aus Vers 19 ungeklärt bleibt. Zudem ist zu konstatieren, dass die beiden skizzierten Deutungsansätze in der Auslegung dieser Textpassage oft unverbunden nebeneinanderstehen. Dies hat in besonderer Weise damit zu tun, dass die Gerichtsaussagen gemeinhin eschatologisch gelesen werden, während die Handlungsaufforderung zur Feindesliebe innergeschichtliche Umsetzung erfordert. Ein Denkansatz, mit dem sich beide Aspekte stärker reziprok vernetzen ließen, wäre nun aber darin zu finden, die Gerichtsaussagen ebenfalls mit einer innergeschichtlichen Stoßrichtung zu lesen. Eine solche Deutung wäre vor dem Hintergrund der alttestamentlichen Gerichtsvor31 Vgl. etwa Wolter 2019, 302 f.: „Mit dem ‚Zitat‘ aus Spr 25,21–22 verfolgt Paulus darum dieselbe Intention mit V. 19 […]. Hier soll der Verweis auf das zukünftige Gericht aktuelle Konflikte in den Gemeinden entschärfen.“ 32 Guthrie 2006, 294. Vgl. hierzu aber auch schon Aug., doctr. christ. 3,56; Orig., comm. in Rom. 9,23 u. a.; vgl. Wolter 2019, 302 Anm. 103. 33 Zell 2011, 5. 34 Zell 2011, 6.
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stellungen gut zu begründen, da ein innergeschichtliches Strafgericht Gottes hier häufig darauf abzielt, eine Sinnes‑ und Verhaltensänderung auszulösen.35 Wendet man diese Deutungsmöglichkeit auf Röm 12,20 an, dann würde die paulinische Aussage darauf abzielen, die gute Tat und den Racheverzicht der Gläubigen mit dem Gerichtshandeln Gottes so in Relation zu denken, dass das Handeln Gottes und das Verhalten der Gläubigen im Blick auf die Auswirkungen auf die Feinde gewissermaßen synergetisch konzipiert sind. Um dieser Denkfährte weiter zu folgen, sei in einem nächsten Schritt der Blick auf die alttestamentliche Vorlage der paulinischen Aussage gelenkt, denn schließlich steht im Hintergrund von Röm 12,20 eine Formulierung aus dem Sprüchebuch.
5.2 Spr 25,21 f. und die Frage einer ägyptischen Vorlage Befasst man sich mit Spr 25,21 f., der alttestamentlichen Vorlage von Röm 12,20, so sticht zunächst ins Auge, dass Paulus – mit Ausnahme eines kleinen Textdetails, auf das später noch näher einzugehen sein wird – den Text der Septuaginta recht genau übernimmt. Dort ist zu lesen: 21 Wenn dein Feind hungert, ernähre ihn, wenn er dürstet, tränke ihn; 22 denn indem du dieses tust, wirst du Kohlen des Feuers auf seinem Kopf aufhäufen, der Herr aber wird dir Gutes vergelten. (Septuaginta Deutsch)
Bei der Deutung dieses alttestamentlichen Prätextes wird nun in der Kommentarliteratur mitunter die Frage erörtert, ob im Hintergrund des Bildwortes von den „feurigen Kohlen“ eine ägyptische Vorlage auszumachen ist. Diese Diskussion rekurriert auf einen Beitrag des Ägyptologen Siegfried Morenz aus dem Jahr 1953, in dem er auf die Erwähnung eines verwandten Motivs in der demotischen Literatur hinweist.36 Diese vielgestaltige Schrifttradition der spätägyptischen Zeit (650 v. Chr. – 450 n. Chr.) verdankt ihren Namen dem griechischen Historiker Herodot, der sie mit der Bezeichnung δημοτικά („volkstümlich“) qualifizierte. Sie schließt neben anderen literarischen Gattungen auch eine Reihe von Zaubergeschichten ein, in der die Person des Seton Chaemwase, eines Sohnes von Ramses II., die zentrale Rolle spielt. Damit greifen diese Texte eine historisch weit zurückzudatierende Figur aus dem 13. vorchristlichen Jahrhundert auf, die hier zum Protagonisten der Erzählungen stilisiert wird. Der Umstand, dass ein Großteil der erhaltenen Handschriften der demotischen Texttradition aus römischer Zeit stammt, verweist ebenso auf ihre bleibende Beliebtheit wie entsprechende Übersetzungen, u. a. auch ins Griechische.37 35 Vgl. hierzu grundlegend Gamper 1966 sowie Niehr 1986, bes. 84–126.396–400 und Niehr 1995. 36 Vgl. Morenz 1953. 37 Vgl. Hoffmann/Quack 2007, 4–20.
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Dort findet sich in der als „erste Setne-Geschichte“ bezeichneten Erzählsammlung die Beschreibung einer rituellen Handlung, bei der ein auf dem Kopf getragenes feuriges Kohlebecken als Zeichen der Reue und Umkehr eine Rolle spielt. Dieses Motiv weist damit eine deutliche Nähe zu Spr 25,22 und seinem neutestamentlichen Rezeptionsstrang auf. Zum besseren Verständnis und zur Einordnung dieses Motivs innerhalb der Setne-Erzählung sei hier die narrative Vorlage knapp skizziert:38 Im Hintergrund steht die Begehrlichkeit des Chaemwase nach einem Zauberbuch, das im Besitz des zauberkundigen Prinzen Naneferkaptah ist und in dessen Grab deponiert wurde. Da andere Versuche, in den Besitz dieses Buches zu gelangen, scheitern, bemächtigt sich der Protagonist desselben durch Diebstahl. Der verstorbene, aber selbst nach seinem Tod noch magisch aktive Buchbesitzer lässt darauf großes, durch Schadenszauber gewirktes Unheil über Chaemwase hereinbrechen, das erst durch die Rückgabe des Buches abgewendet werden kann. Und so berichtet die Erzählung, wie Chaemwase mit dem Buch zum Grab zurückkehrt, „indem ein gegabelter Stock in seiner Hand war und ein Feuerbecken auf seinem Kopf war“.39 Durch diese rituellen Zeichen werden Sinnesänderung und Umkehr zum Ausdruck gebracht; dazu Siegfried Morenz: Chaemwase wird durch Unglück belehrt, sodass er letztlich das Buch zurückbringt. Bei dieser Handlung übt er den in Rede stehenden Ritus, und es scheint mir daher zwingend, das Tragen des Kohlenbeckens auf dem Haupte und des Gabelstabes in der Hand als einen Ritus der Sinnesänderung, der μετάνοια, zu verstehen. Ob wir den geistigen Begriff im ägyptischen Bereich in Richtung auf Beschämung oder Reue und Buße präzisieren dürfen, sei dahingestellt.40
Folgt man dieser Deutung, so steht im Hintergrund von Spr 25,22 eine rituelle Zeichenhandlung, die Umkehr und Reue als Konsequenz aus einem Schadenszauber zum Ausdruck bringt. Im Blick auf die weiteren Überlegungen ist nun aber erwähnenswert, dass das Sprüchebuch gegenüber der ägyptischen Tradition eine invertierte Deutung der Handlungszusammenhänge beschreibt: An die Stelle des Fluches tritt hier die gute Tat, konkret die Gabe von Nahrungsmitteln an den Feind, durch die dessen Verhaltensänderung erwartet wird. So lässt sich also festhalten: Der Text von Spr 25,21 f. rekurriert invertierend auf eine im Hintergrund stehende Fluchtradition, die jedoch nicht explizit erwähnt wird. Doch was bedeuten diese Überlegungen nun für die paulinische Zitation des Sprüchebuches? Dürfen wir voraussetzen, dass Paulus um diesen demotischen Referenztext oder zumindest in rudimentärer Weise um die im Hintergrund stehende Erzähltradition wusste? Oder war ihm wenigstens eine entsprechende Deutung von Spr 25,21 f. geläufig? Diese Fragen werden sich wohl kaum beantworten lassen. Fakt ist jedoch, dass Paulus auf diesen alttestamentlichen Prätext mit seinem Vgl. Hoffmann/Quack 2007, 137–152. Vgl. Hoffmann/Quack 2007, 150. 40 Morenz 1953, 190. 38 39
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impliziten Bezug auf eine Fluchpraxis rekurriert und die dort im Hintergrund stehende Fluchallusion nun explizit ausbuchstabiert. Er folgt also der Inversion, die das Sprüchebuch hinsichtlich der Fluchpraxis vornimmt, und aktualisiert dessen Handlungsanweisungen im Blick auf die konkrete Situation der stadtrömischen Gemeinde. So wird man in jedem Fall sagen können, dass er das Inversionspotenzial von Spr 25,21 f. erspürt hat – ob ihm nun bewusst war, dass er sich durch die ausdrückliche Bezugnahme auf eine Fluchpraxis dem demotischen Hintergrundtext des Sprüchebuches wieder annäherte oder nicht, mag dahingestellt bleiben. Faktisch lässt sich aber das Motiv der auf dem Haupt aufgehäuften glühenden Kohlen im Sinne einer Allusion auf die Praxis des Schadenszaubers lesen. Das gute Handeln am Feind wird damit zur invertierten Ersatzhandlung: Durch diese, und eben nicht durch Fluchpraktiken und Schadenszauber, soll eine Verhaltensänderung beim Gegner evoziert werden. Für die Bewertung der beiden vorher skizzierten Deutungsstränge von Röm 12,20 resultiert aus diesen Überlegungen nun aber Folgendes: Vers 20 fungiert als Bindeglied zwischen den flankierenden Aussagen und setzt einen innergeschichtlichen Deutungsakzent: Durch gute Taten sollen die paulinischen Adressaten positive Verhaltensanreize geben, die gegenüber feindlich gesinnten Personen an die Stelle von Fluchhandlungen treten; Gott hingegen werden verhaltensändernde Rache‑ und Strafmaßnahmen überlassen. Beide Deutungsstränge wären also durch den Gedanken der Komplementarität auf den jeweils anderen hin zu ergänzen.
5.3 Motivische Analogien Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen sticht nun gewiss ins Auge, dass sowohl im alttestamentlichen Prätext als auch in der paulinischen Zitation motivische Auffälligkeiten begegnen, die erst im Lichte der defixiones zutage treten und gewissermaßen als exegetische Schnittstellen zu den potenziellen Deutespielräumen für antike Leserinnen und Leser angesehen werden können. Dies betrifft zunächst die Aspekte, die sich unmittelbar auf jenes Bild beziehen, das im Zentrum von Spr 25,22 und Röm 12,20 steht, also feurige Kohlen auf dem Haupt. 5.3.1 Feuer und Hitze als Strafmittel am Körper Hier sind nun zunächst jene defixiones anzuführen, in denen Feuer – oder Hitze allgemein – als körperliches Mittel der Bestrafung herbeibeschworen wird. Exemplarisch für diese Form sei hier ein beidseitig beschriftetes, gefaltetes und mit zwei Nägeln durchbohrtes Bleitäfelchen aus dem 4. Jh. n. Chr.41 angeführt, das von der Insel Kos stammt: 41 Die hier beschriebene Form des Schadenszaubers ist allerdings auch in älteren Fluch texten belegt, kann also für die Abfassungszeit des Römerbriefs als gängige Praxis vorausgesetzt werden.
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ὡς σοὶ μέλλις ἐνπυροῦσθ[αι] κ[αὶ] κέεσθεν, φλογίζεσθ[αι] σὺν τοῖς ἁγίοις ὀνόμασιν, οὕτως καὶ ἡ ψυχή, ἡ καρδία, ὁ νοῦς, τὰ σπλάνχνα, ἡ δύναμις Ἑρμία, ὃν ἔτεκεν Πιθιάς, φλογισθῇ πυρετοῖς ἀγρίοις ἐν κρεβάττῳ ταλεπωρίας διὰ πάσης ὥρας καὶ ἡμέρας κ[αὶ] νυκτός, τηκόμενος, διαρέων, ἐκμυαλιζόμενος, ἕως θανατωθῇ·42 Wie deine Glieder sich entzünden und verbrennen, wie sie zusammen mit deinen heiligen Namen verbrennen, so sollen die Seele, das Herz, die Vernunft, die Innereien, die Kraft des Hermias, den Pithias gezeugt hat, in einem wilden Feuer verbrannt werden, auf einem Folterbrett, in jeder Stunde, Tag und Nacht, schmelzend, verschwindend, bis ins Mark aufgesaugt, bis er stirbt.43
5.3.2 Das Haupt als Zielobjekt von Fluchangriffen Zugleich ist in diesem Zusammenhang ebenfalls festzuhalten, dass speziell das Haupt zum Zielobjekt von Fluch und Schadenszauber werden kann. Dies illustriert besonders jene magische Terrakottafigur eindrücklich (s. Abb. 1), die vermutlich aus dem mittelägyptischen Antinoupolis stammt, sich ins 3.–4. Jh. n. Chr. datieren lässt und die nach ihrem derzeitigen Aufbewahrungsort als „Louvrepuppe“ bekannt geworden ist. Bei Auffindung dieser an Voodoo-Puppen erinnernden Figurine steckten insgesamt 13 metallene Einstichnadeln noch im Körper, wobei dem Kopf bei der Applikation von Metallstiften besondere Aufmerksamkeit zuteil wurde. Dies spiegelt sich aber auch in literarischen Zeugnissen wider, wie etwa jener defixio, die eine an Tieren vollzogene Schadenspraxis dokumentiert und ganz offensichtlich darauf abzielt, den Gegner im sportlichen Wettkampf auszuschalten: […] Ὡς οὗτος ὁ ἀλέκτωρ καταδέδεται τοῖς ποσὶ καὶ ταῖς χερσὶ καὶ τῆ κεφαλῆ, οὕτως καταδήσατ[ε] τὰ σκέλη καὶ τὰς χιρας καὶ τὴν κεφαλὴν καὶ τὴν καρδίαν Βικτωρικοῦ τοῦ ἡνιόχου τοῦ βενέ‑ του ἐν τῆ αὔριν ἡμέρα […]44 Ebenso wie dieser Hahn an Füßen, Händen und Kopf gefesselt worden ist, so bindet die Beine und die Hände und den Kopf und das Herz von Victoricus, dem Wagenlenker der Blauen für den morgigen Tag […]45
Auch hier wird der Kopf (ἡ κεφαλή) neben anderen Körperteilen ausdrücklich als Zielobjekt der Schädigung genannt. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang aber auch die Verwendung des Verbs καταράομαι im Hinblick auf eine rituelle Praxis, die Herodot beschreibt und bei der die Fluchhandlung sich auf den abgetrennten Kopf (κεφαλή) eines geopferten Tieres bezieht.46
SEG 47, Nr. 1291, Z. 8–12. Übersetzung: S. Chiarini (vgl. TheDefix 189). 44 DT, Nr. 241, Z. 16–19 (vgl. TheDefix 60). 45 Übersetzung: Tremel, Nr. 60. 46 Hdt. II 39. 42 43
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Abb. 1: Terrakottafigur mit metallenen Einstichnadeln; Foto und Bildrechte: © Marie-Lan Nguyen (Wikimedia Commons / CC BY 2.5).
5.3.3 Über das Haupt kommender Schaden bei Fluchangriffen Vor dem Hintergrund von Röm 12,20 dürfte zudem erwähnenswert sein, dass sogar die Vorstellung des „auf das Haupt“ einer verfluchten Person herabkommenden Schadens auf defixiones bezeugt ist. Hier sei exemplarisch auf ein Bleitäfelchen verwiesen, das bei Ausgrabungen in Köln gesichert wurde und das sich ins 1. Jh. n. Chr. datieren lässt: Vaeraca, sic re tua: pervese agas, quomodo hoc perverse scriptu(m) est. quidquid expot[a]s nob[i]s, in caput tuum eveniat.47 Vaeraca, so steht es um deine Sache / so soll es Dir ergehen: verkehrt sollst du leben, wie dies verkehrt geschrieben ist. Was auch immer du uns wünschst, soll auf dein Haupt kommen / soll sich gegen dein Haupt ereignen.48 47 Blänsdorf/Kropp/Scholz 48 Blänsdorf/Kropp/Scholz
2010, 274 (TheDefix 258). 2010, 274.
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Der Fluch richtet sich somit auf eine Invertierung der positiven Lebensordnung in ihr Gegenteil; in dieser Hinsicht korrespondieren inhaltliche Aspekte mit der retrographen Schreibweise. Zugleich werden Verfluchungen, die sich gegen den Verfasser dieser defixio richten, auf ihren Urheber zurückgelenkt, sodass sie ihn selber treffen mögen. Die auf dieser Fluchtafel zu lesende Wendung in caput venire ist gehobenen Stils und lässt vor allem daran denken, dass ein Fluch bzw. die negative Auswirkung eines solchen „über“ bzw. „auf das Haupt“ einer Person kommt. Genau in dem Sinne findet sich diese Formulierung in jener Selbstverfluchung, die Ovid den Acontius formulieren lässt, als dieser die negativen Konsequenzen jenes Liebesfluchs, in den er die begehrte Cyppide verstrickte, ihr gegenüber brieflich ausdrückt: In caput ut nostrum dominae periuria quaeso eveniant: poena tuta sit illa mea!49 Möge, so bet ich, das falsche Versprechen meiner Geliebten treffen mein eigenes Haupt! Ich sei bestraft, sie sei frei!50
Zwar übersetzt die Vulgata, so könnte man mit Blick auf die lateinische Wendung in caput (tuum)51 einwenden, das griechische ἐπὶ τὴν κεφαλὴν αὐτοῦ in Röm 12,20 und Spr 25,22 mit super caput eius – und eben nicht, wie für eine Vergleichbarkeit mit dem Kölner Fluchtäfelchen vielleicht vorauszusetzen wäre – mit in caput eius. Doch wie ein umfassender Blick auf die Übersetzungsentscheidungen der Vulgata bei der Wiedergabe von ἐπὶ τῆς κεφαλῆς verdeutlicht, dürfte es sich bei super caput und in caput in den meisten Fällen um synonyme Varianten handeln.52 Dies erklärt im Gegenzug dann auch, weshalb die Vulgata-Variante in caput für Röm 12,20 gut bezeugt ist. Exemplarisch kann hier die zweisprachige, griechisch-lateinische Textausgabe des Erasmus von 1516 angeführt werden, bei der im Vulgata-Haupttext noch zu lesen ist: coaceruabis in caput illius.53 Insofern steht die besagte defixio sogar in einer sprachlichen Nähe zu Röm 12,20. 5.3.4 Ein Zwischenfazit zu den motivischen Analogien Die angeführten Beispiele aus dem Bereich des Fluch‑ und Schadenszaubers illustrieren somit deutlich, dass die paulinischen Aussagen in einer motivischen Nähe zu diesen Praktiken stehen. Wenn Paulus nämlich von „feurigen Kohlen auf dem Haupt“ spricht und in den magischen Praktiken der Antike zugleich Feuer und Ov., epist. XX 127 f. Übersetzung: Häuptli 2001, 223. 51 Vgl. auch Ov., ars I 340; Ov., trist. II 45 f.; Liv. XXXIX 10,2; XXXIX 51,12; Curt. VI 2,4; VI 7,31; Sen., epist. 42,5; vgl. hierzu Blänsdorf/Kropp/Scholz 2010, 275 f. 52 Dies belegt exemplarisch der Gebrauch der übersetzerischen Varianten super caput und in caput in der Vulgata, wenn sich die Wendung ἐπὶ τῆς κεφαλῆς auf das Tragen einer Krone, eines Diadems oder einer anderen Kopfbedeckung bezieht. 53 Dies gilt für die Erstausgabe von 1516 und hat sich auch bei den Editionen von 1519 und 1520 (letztere bietet nur den lateinischen Text) nicht geändert. 49 50
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Hitze als Strafmittel am Körper herbeibeschworen, der Kopf zum Zielobjekt von Fluchangriffen und der Schadenszauber als auf das Haupt der Adressatenperson gerichtet gedacht werden kann, dann dürfte diese motivische Schnittstelle eine entsprechende Rezeption der paulinischen Aussagen vonseiten seiner Adressatengemeinde zumindest ermöglichen. Doch welche tiefere Sinndimension erschließt sich, wenn man bei der Textdeutung in Betracht zieht, dass antike Leserinnen und Leser beim Bild von „feurigen Kohlen auf dem Haupt“ an Motive aus dem Bereich der defixiones und des Schadenszaubers denken – bzw. was bedeutet dies für die paulinische Argumentation? Wenn Paulus unter Rückgriff auf den benannten alttestamentlichen Prätext (Spr 25,21 f.) auf entsprechende Praktiken alludieren, diese Fluchmotive jedoch mit dem Gedanken der Feindesliebe und dem Vollzug von guten Taten verbinden würde, machte er letztere zu positiven Ersatzhandlungen, um eben das zu erreichen, worauf in der antiken Lebenswelt der römischen Christengemeinde ein Fluch letztlich abzielte: eine unverfügbare Verhaltensänderung bei der Adressatenperson eines Fluchs.
5.4 Begriffliche Analogien Neben diesen motivischen Bezügen, die sich als Schnittstelle von Röm 12,20 zur antiken Praxis von Fluch und Schadenszauber ausmachen lassen, sind aber auch einige terminologische Auffälligkeiten anzumerken. 5.4.1 Zur Verwendung von ψωμίζω in Röm 12,20 Dies betrifft zunächst die spezifische Art und Weise, wie Paulus auf Spr 25,21 f. zurückgreift. Dies wird rasch deutlich, wenn man die Septuagintafassung mit der paulinischen Formulierung vergleicht. 21 ἐὰν πεινᾷ ὁ ἐχθρός σου, τρέφε αὐτόν, ἐὰν διψᾷ, πότιζε αὐτόν· 22 τοῦτο γὰρ ποιῶν ἄνθρακας πυρὸς σωρεύσεις ἐπὶ τὴν κεφαλὴν αὐτοῦ, ὁ δὲ κύριος ἀνταποδώσει σοι ἀγαθά. (Spr 25,21–22; Abweichungen sind kursiviert) 20 ἀλλ᾿ ἐὰν πεινᾷ ὁ ἐχθρός σου, ψώμιζε αὐτόν· ἐὰν διψᾷ, πότιζε αὐτόν· τοῦτο γὰρ ποιῶν ἄνθρακας πυρὸς σωρεύσεις ἐπὶ τὴν κεφαλὴν αὐτοῦ. (Röm 12,20; Abweichungen sind kursiviert)
Hier sticht als erstes ins Auge, dass Paulus bei seiner Zitation auf die Schlussformulierung aus Spr 25,22, also auf ὁ δὲ κύριος ἀνταποδώσει σοι ἀγαθά verzichtet; ansonsten orientiert er sich sehr deutlich an der Septuagintavorlage. Nur bei jener Stelle, die sich auf die Gabe von Nahrung an den Feind bezieht, findet sich eine terminologische Abweichung, die sich etwas genauer in den Blick zu nehmen lohnt. Während in Spr 25,21 nämlich das Verb τρέφω zu lesen ist, ersetzt Paulus dieses durch ψωμίζω, und durch diese terminologische Varianz entsteht nun eine signifikante Akzentverschiebung auf inhaltlicher Ebene; sie wird
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rasch deutlich, wenn man die semantischen Felder beider Verben miteinander vergleicht. Bei τρέφω kommt – gerade im Unterschied zu ψωμίζω – vor allem der Aspekt der reichen Fülle in den Blick,54 was bereits bei Grundbedeutungen wie „groß machen“, „stark machen“, „dick machen“, „fett machen“, „feist machen“ aufscheint und sich dann bei Sonderbedeutungen wie „züchten“, „mästen“ (bei Tieren) oder „ziehen“ (bei Pflanzen) sowie dem Wachsen‑ und Vollwerdenlassen von Haaren und Bart fortsetzt. Es kann zwar auch in einer recht grundsätzlichen Weise solche Vollzüge wie „ernähren“, „verköstigen“, oder „die nötige Nahrung geben“ bzw. „unterhalten“ zur Sprache bringen, doch in der Regel klingt selbst bei solchen Wortverwendungen der Aspekte der Fülle und Reichhaltigkeit mit an. In dieser Hinsicht sind die Akzente nun bei ψωμίζω etwas anders gelagert.55 Mit diesem Verb können zwar ebenfalls Vollzüge wie „füttern“, „nähren“ oder „zu essen geben“ zum Ausdruck gebracht werden, doch dabei ist eher an die Gabe von kleineren Mengen zu denken. Dies wird rasch deutlich, wenn man sich die Bedeutung der Grundform ψάω vor Augen führt,56 welches Vorgänge wie „zerreiben“, „zermahlen“, oder „klein machen“ zur Sprache bringt. Dementsprechend richtet sich auch bei ψωμίζω und verwandten Wortformen und Kompositabildungen der Fokus stets auf ein kleineres Stückchen Speise. So gibt das Wörterbuch von Franz Passow als Grundbedeutung an: „Einen füttern, indem man ihm vorgekaute Bissen in den Mund steckt“57. Das Nomen ψωμός bezeichnet somit auch den „Bissen“, den „Brocken“ oder das „Speisestückchen“,58 und mit ψωμόδουλος wird ein Sklave bezeichnet, der Speisestückchen darreicht bzw. einzelne Bissen in den Mund hineinsteckt.59 Zwar entwickeln sich aus diesen Grundvorstellungen allgemeinere Bedeutungsnuancen wie „füttern“ oder „nähren“ – in dieser Hinsicht nähern sich τρέφω und ψωμίζω sprachgeschichtlich durchaus an –, doch bei ψωμίζω sind grundsätzlich geringere Mengen im Blick, was nicht zuletzt daran deutlich wird, dass mit diesem Verb auch das „Almosen geben“60 ausgedrückt werden kann.61 54 Vgl. Menge 1991, s. v. τρέφω; Passow 2008, s. v. τρέφω; Liddell/Scott/Jones 1996, s. v. τρέφω. 55 Vgl. Menge 1991, s. v. ψωμίζω; Passow 2008, s. v. ψωμίζω; Liddell/Scott/Jones 1996, s. v. ψωμίζω. 56 Vgl. Menge 1991, s. v. ψάω; Passow 2008, s. v. ψάω; Liddell/Scott/Jones 1996, s. v. ψάω. 57 Vgl. Passow 2008, s. v. ψωμίζω. 58 Vgl. Menge 1991, s. v. ψωμός; Passow 2008, s. v. ψωμός; Liddell/Scott/Jones 1996, s. v. ψωμός 59 Vgl. Menge 1991, s. v. ψωμόδουλος; Passow 2008, s. v. ψωμόδουλος; Liddell/Scott/ Jones 1996, s. v. ψωμόδουλος; vgl. hierzu auch Passow 2008, s. v. ἐνθεσίδοθλος; Liddell/ Scott/Jones 1996, s. v. ἐνθεσίδοθλος. 60 Vgl. Menge 1991, s. v. ψωμίζω; Passow 2008, s. v. ψωμίζω; Liddell/Scott/Jones 1996, s. v. ψωμίζω; vgl. hierzu auch 1 Kor 13,3. 61 Diese semantische Differenz hat sich bis hinein ins Neugriechische gehalten, wo mit τρέφω weiterhin das Mästen von Tieren und das Wachsenlassen des Bartes bezeichnet werden kann und wo sich aus ψωμίζω die Formen ψωμάκι, der „Brotlaib“ oder das „Brötchen“ und ψωμοζήτης, der „Bettler“ herausgebildet haben. Und auch wenn ψωμίζω zwischenzeitlich im Sinne von „unterhalten“, „ernähren“ verwendet wird, meint dies eben nicht den Aspekt der Fülle, sondern
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Abb. 2: Zu Klümpchen zusammengefaltete bleierne Fluchtäfelchen. Foto und Bildrechte: 1. Reihe © Birmingham Museums Trust / CC BY-SA 4.0; 2. Reihe © National Museums Liverpool / CC BY-SA 4.0; 3. Reihe © North Lincolnshire Museum / CC BY 4.0; 4. Reihe © North Lincolnshire Museum / CC BY 4.0.
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Wenn Paulus nun aber bei seiner Zitation aus Spr 25,21 f. von der Septuaginta abweicht und anstelle von τρέφω das Verb ψωμίζω verwendet, dann zielt seine Aussage darauf ab, dass man dem Feind ein kleines Stückchen, einen kleinen Brocken zu Essen geben solle. Für diese auf den ersten Blick etwas irritierende Abänderung lassen sich kaum erhellende Argumente anführen62 – es sei denn, man deutet diese terminologische Auffälligkeit als rezeptionsleitendes Textsignal, welches auf die Fluchtäfelchen alludiert und die paulinische Inversion dieses Motivs zu ihnen in Beziehung setzt. Diese Deutemöglichkeit wird schnell nachvollziehbar, wenn man das äußere Erscheinungsbild der defixiones mit in die Überlegungen einbezieht. Wie bereits ausgeführt, werden Fluchtexte meist auf bleierne Blechstücke unterschiedlicher Form und Größe geritzt und anschließend zu kleinen Bündeln gerollt oder zu Päckchen zusammengefaltet. Man könnte, wie ein Blick auf die nicht entfalteten defixiones (vgl. Abb. 2) rasch verdeutlicht, ihre äußere Gestalt als „Klümpchen“, „Stückchen“ oder „Bröckchen“ – auf Griechisch eben mit ψωμός – beschreiben. Wenn also Paulus in Röm 12,20 die Gabe von Speise an den Feind als eine Inversion jenes Verhaltens qualifiziert, auf das antike Fluchpraktiken gewöhnlich abzielen, dann ließe sich die terminologische Abweichung gegenüber der Septuaginta als bewusstes Textsignal verstehen, dass die Speisegabe als eine der defixio analoge, aber zugleich alternative Verhaltensweise zu deuten wäre. Dies würde jedenfalls die ansonsten kaum erklärbare Verwendung von ψωμίζω anstelle von τρέφω erklären und sich zugleich schlüssig in die vorgeschlagene defixio-Inversionsdeutung einfügen. 5.4.2 Zur Siegesterminologie in Röm 12,21 Im Lichte dieser Überlegungen ist nun aber auch die zweifache Verwendung von νικάω in Röm 12,21 erwähnenswert. Denn einerseits referiert νικάω innerhalb des Corpus Paulinum lediglich an dieser Textstelle auf menschliche Handlungen, andererseits ist dies ein Zentralbegriff in Fluchtexten. Besonders häufig findet sich die Siegesterminologie im Hinblick auf sportliche Auseinandersetzungen und andere Formen des Wettkampfes, wie das folgende Beispiel illustriert. […] [ἐ]μπόδισον αὐτοῖς τοὺς πόδας, ἔκκοψον ἐκνεύρωσον ἐξάρθρωσον αὐτοὺς ἵνα μὴ δυνασθῶσιν τῇ αὔριον ἡμέρᾳ ἐν τῷ ἱπ‑ ποδρόμῳ μήτε τρέχειν μήτε περιπατεῖν μήτε νεικῆσαι μηδὲ ἐξελθεῖν τοὺς πυλῶνας τῶν ἱππαφίων μηδὲ προβαίνειν τὴν ἀρίαν μηδ‑ ὲ κυκλεῦσαι τοὺς καμπτῆρας, […]63 des Auskommens; vgl. hierzu auch das Nomen ψωμᾶς sowie die Wendung Βγάζω τὸ ψωμί μου, also: „ich habe mein Auskommen“. Zu den semantischen Akzenten im Neugriechischen vgl. exemplarisch Wendt 1969, s. v. ψωμάκι; s. v. ψωμᾶς; s. v. ψωμίζω; s. v. ψωμοζήτης. 62 Vgl. hierzu etwa den Hinweis auf die Bedeutungsgleichheit bei Wolter 2019, 301 Anm. 99; von einer solchen kann jedoch kaum die Rede sein. 63 DT, Nr. 240, Z. 9–15 (vgl. TheDefix 57).
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hindere ihnen die Beine, zerleg, mach sie verrückt, damit sie morgen im Circus weder laufen noch um (die Wendemale) gehen, noch siegen, nicht einmal die Startboxen verlassen, den Anlauf durchmessen oder um die Wendemale biegen können […]64
Solche Formulierungen sind vielfach und in fast stereotyper Weise bezeugt, und zwar sowohl in griechischer (unter Verwendung des Verbes νικάω) wie auch lateinischer Sprache (hier mit dem Verb vincere). Doch darüber hinaus finden sich noch weitere Belege für die Verwendung der Siegesterminologie im Rahmen der defixio-Literatur, wie das nachfolgende Beispiel einer römischen Fluchtafel aus dem 1. Jh. v. Chr. verdeutlicht: bona pulchra Proserpina, [P]lut[o]nis uxsor, seiue me Saluiam deicere oportet, eripias salutem, c[orpus, co]lorem, uires, uirtutes Ploti. tradas [Plutoni] uiro tuo. ni possit cogitationibus sueis hoc uita[re. tradas] illunc febri quartan[a]e, t[ertian]ae, cottidia[n]ae, quas [cum illo l]uct[ent, deluctent; illunc] eu[in]cant, [uincant], usq[ue dum animam eiu]s eripia[nt].65 Gute, schöne Proserpina, Ehefrau des Pluto, – ob es angemessen ist, (dich) Salvia zu nennen –, du sollst die Gesundheit, den Körper, das Aussehen, die Kräfte, die Gaben dem Plotius entwenden (und) deinem Mann Pluto übergeben, damit er dies in seinen Gedanken nicht vernachlässigen kann. Du sollst ihn viertägigen, dreitägigen, täglichen Fiebern (aus)liefern, die gegen ihn kämpfen, ankämpfen sollen. Sie sollen ihn besiegen, schlagen, bis sie ihm die Seele entreißen.66
Wie diese Verfluchung deutlich vor Augen führt, ist die Vorstellung, vom Bösen besiegt zu werden, in der Sprache der defixiones und des Schadenszaubers durchaus etabliert. Wenn also Paulus die Mahnung formuliert, man solle sich nicht vom Bösen besiegen lassen (μὴ νικῶ ὑπὸ τοῦ κακοῦ), und stattdessen dazu auffordert, das Böse mit dem Guten zu besiegen (νίκα ἐν τῷ ἀγαθῷ τὸ κακόν), dann wirkt der Gedanke von Röm 12,21 mit ihrer für Paulus ungewöhnlichen Wortwahl geradezu wie eine bewusste Aufnahme der Fluchtafelterminologie. Und dann wird die gute Tat zur Möglichkeit, eben jenen Sieg zu erringen, den man sich womöglich durch den Einsatz von Fluchhandlungen und ähnlichen Praktiken erhofft. Die zweimalige Verwendung von νικάω wäre somit als terminologisch verankerte Inversion zu qualifizieren.
Übersetzung: Tremel, Nr. 59. Jeanneret 1916, Nr. 28. 66 Übersetzung: S. Chiarini (vgl. TheDefix 488). 64 65
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5.4.3 Zur Verwendung von κολλάω in Röm 12,9 Aber auch im weiteren Kontext finden sich zusätzliche Auffälligkeiten, die bei einer Lektüre dieses Textabschnittes im Lichte von defixiones und Schadenszauber deutlich zutage treten. Dies betrifft zunächst Röm 12,9, wo innerhalb des Argumentationsbogens von Röm 12 die polaren Begriffe „gut“ (ἀγαθός) und „böse“ (πονηρός) eingeführt67 und mit den Relationsbegriffen κολλάω und ἀποστυγέω verbunden werden, wobei letzteres auf πονηρός (ἀποστυγοῦντες τὸ πονηρόν), ersteres auf ἀγαθός (κολλώμενοι τῷ ἀγαθῷ) bezogen ist. Somit stehen sich die Syntagmata „Böses verabscheuen“ und „sich anheften an Gutes“ als Opposita gegenüber. Im Rahmen der bisherigen Überlegungen verdient nun vor allem der Gedanke des „sich mit dem Guten Verbindens“ Beachtung. Das an dieser Stelle verwendete Verb κολλάω bezeichnet dabei eine besonders enge Form der Verbindung.68 Wie die Nominalbildung κόλλα, also „Leim“, bereits verdeutlicht,69 findet das Verb besonders häufige Verwendung im Hinblick auf nur schwer zu lösende Verbindungen; dementsprechend umfasst κολλάω Bedeutungsnuancen wie „(zusammen‑)leimen“, „(ver‑)löten“, sowie fest „verketten“ und „anbinden“ und κόλλα überhaupt den Aspekt des sich eng mit etwas oder jemandem „Verbindens“.70 Damit steht die Aussage von Röm 12,9 in einer gewissen motivischen Nähe zum Gedanken des „Bindens“ (δέω) bzw. „Hinabbindens“ (καταδέω), der auf defixiones breit bezeugt ist. Im Unterschied zu der gängigen Terminologie verwendet Paulus jedoch das Verb κολλάω und spricht eben nicht von δέω bzw. καταδέω. Ja, das von Paulus verwendete Verb scheint als begriffliche Variante zu δέω bzw. καταδέω der Sprachtradition der defixiones sogar fremd gewesen zu sein. Jedenfalls lässt es sich weder in jenem Sinne belegen, wie ansonsten δέω oder καταδέω auf Fluchtafeln gebraucht wird, noch mit jener invertierten Stoßrichtung, mit der Paulus in Röm 12,9 formuliert. Lediglich sexuell konnotierte Verwendungen von κολλάω lassen sich auf defixiones nachweisen, wie das nachfolgende Täfelchen bezeugt: καὶ κολλήσῃ αὑτῆς [τ]ὰ χίλη εἰς τὰ χίλη μου, τὴν τρίχαν εἰς τὴν τρίχαν μου, τὴν γα‑ στέραν εἰς τὴν γαστέραν μου, τὸ μελάνιον εἰς τὸ μελάνιόν μου, ἕως τελέσω τὴν συνουσία(ν) 67 Dieser Gut-Böse-Dualismus prägt die Ausführungen ab Röm 12,9, wird begrifflich jedoch variiert. So stehen die Begriffe auf der positiven Seite ἀγαθός (Röm 12,9; 12,21) und καλός (Röm 12,17) den Negativausdrücken πονηρός (Röm 12,9) und κακός (Röm 12,17bis; 12,21bis) gegenüber. Auffällig ist dabei, dass die beiden ἀγαθός-Belege in Röm 12,9 und Röm 12,21 geradezu wie eine terminologische inclusio wirken. 68 Vgl. Menge 1991, s. v. κολλάω; Passow 2008, s. v. κολλάω; Liddell/Scott/Jones 1996, s. v. κολλάω. 69 Vgl. Menge 1991, s. v. κόλλα; Passow 2008, s. v. κόλλα; Liddell/Scott/Jones 1996, s. v. κόλλα. 70 Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Nominalbildung κόλλησις mit den Bedeutungsnuancen das „Zusammenschweißen“, das „Verlöten“; vgl. Menge 1991, s. v. κόλλησις; Passow 2008, s. v. κόλλησις; Liddell/Scott/Jones 1996, s. v. κόλλησις.
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μου καὶ τὴν ἀρσενικήν μου φύσιν μετὰ τῆς γυν‑ αικίας αὑτῆς φύσεως· ἤδη, ταχὺ β’ [sc. ἤδη, ἤδη, ταχὺ, ταχὺ]71 und klebt ihre [sc. Kleopatrion] Lippen an meine [Didymos] Lippen, die Haare an meine Haare, den Bauch mit meinem Bauch, die dunkle Stelle [sc. der Schambereich] an meine dunkle Stelle, bis ich meinen Geschlechtsverkehr vollziehe und meine männlichen Genitalien mit ihren weiblichen Genitalien verbinde. Wahrlich, wahrlich, schnell, schnell.72
Daran wird bereits deutlich, dass die paulinische Wortwahl von der geradezu als klassisch zu bezeichnenden Terminologie der defixiones abweicht; in der Sprache des Fluches ist davon die Rede, dass man jemanden „bindet“ (δέω), also gewissermaßen lähmt und handlungsunfähig macht, bzw. „hinabbindet“ (καταδέω) und auf diese Weise mit Mächten der Finsternis und des Todes verknüpft. [{…} ἀκούσατε τοῦ μεγάλου ὀνόματος], ἐπιτάσσι γὰρ ὑμῖν ὁ μέγας Σισοχωρ ὁ ἐ[ξάγων τοῦ Ἅδους τὰς πύλας, κὲ] [καταδήσ]ατε τοῦ ἀντιδίκου μου τοῦ Τρύφωνο[ς κὲ Δημητρίου κὲ Δημητρίας κὲ] κατακοιμίσατε τὴν γλῶσσαν τ[ὸν θυμὸν τὴν ὀργὴν τὴν εἰς ἐμὲ ἔχουσι τὸν] [Ζ]οΐλον ἡ Σοτηρία κὲ ὁ Τρύφων [κὲ ὁ Δημήτριος κὲ ἡ Δημητρία, ἵνα μὴ δύνωτέ] [μ]οι μηδενὶ πράγματι ἐναντιωθ[ῆνε73 Hört den großen Namen: über euch herrscht nämlich der große Sisachor, der die Tore des Hades überwacht, und bindet meines Feindes Tryphons, des Demetrios und der Demetria die Zunge, die Seele, den Zorn hinab, den sie gegen mich, Zoilos, hegen.74
Daher war es auch nicht unüblich, angefertigte Fluchtäfelchen zu vergraben, um sie auf diese Weise nur für die Götter der Unterwelt zugänglich zu machen, oder sie anderweitig im Bereich des Todes zu deponieren, wie die eingangs erwähnte Anleitung anschaulich beschreibt: λαβὼν μόλιβον ἀπὸ ψυχροφόρου σωλήνος ποίησον λάμναν καὶ ἐπίγραφε χαλκῷ γραφείῳ, ὡς ὑπόκειται, καὶ θὲς παρὰ ἄωρον·75 Nimm Blei von einer Kaltwasser-Leitung, mach eine Tafel daraus und schreib auf sie mit dem Erzgriffel, wie folgt, und lege sie zu einem vorzeitig Gestorbenen (ins Grab).76
Wenn also Paulus in Röm 12,9 den Gedanken formuliert, man möge sich doch selbst an das Gute anbinden, dann drückt er damit ziemlich exakt das Gegenteil dessen aus, was mit der Fluchtafeltradition als Denkmodell verknüpft ist. Man soll gewissermaßen sich selbst „nach oben binden“, nicht aber den Feind „hinabbinden“. Vor diesem Hintergrund wirkt die paulinische Wortwahl geradezu wie 71 SEG 49, Nr. 2382, Z. 25–30; vgl. hierzu auch NGC, Nr. 94. Zu dieser Verwendung von κολλάω vgl. zudem PGM XXVI 147–150; PGM XXXVI 110–113 (P.Oslo 1, 3.–4. Jh. n. Chr.). 72 Übersetzung in Anlehnung an Pachoumi 2013, 312 f. 73 Mitford 1971, Nr. 138, Z. 17–22. 74 Übersetzung: S. Chiarini (vgl. TheDefix 179). 75 PGM VII (P.Lond., BL gr. 121, 1.397–399). 76 Übersetzung: Brodersen 2001, 59.
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eine bewusste terminologische Abweichung, um die geprägten Begrifflichkeiten der defixiones zu vermeiden. Es läge also, wenn man es so formulieren möchte, eine motivische Inversion mit terminologischer Varianz vor. 5.4.4 Zur Rezeption von Spr 3 in Röm 12 Zuletzt gilt es nun noch eine Formulierung aus Röm 12,16 in den Blick zu nehmen, die im Rahmen der bisherigen Überlegungen ebenfalls aufschlussreich sein mag. Es handelt sich um die Vers 16 abschließende Wendung μὴ γίνεσθε φρόνιμοι παρ᾿ ἑαυτοῖς, die an sich wenig auffällig ist, bei der es sich jedoch um eine direkte Übernahme aus Spr 3,7 handeln dürfte. Jedenfalls findet sich in der gesamten Septuaginta nur an dieser einen Stelle eine Form des Stammes φρόν-, gefolgt von der Präposition παρά in Verbindung mit einem Reflexivpronomen (μὴ ἴσθι φρόνιμος παρὰ σεαυτῷ), weshalb die paulinische Formulierung von Röm 12,16 als direktes Zitat angesehen werden darf.77 Bemerkenswert ist nun aber der Kontext dieser Wendung innerhalb des Sprüchebuches. In den Ausführungen ab Spr 3,1 wird nämlich die eigene Weisheit, also das „bei sich selbst verständig sein“ (φρόνιμος παρὰ σεαυτῷ) – den Geboten und Weisungen Gottes gegenübergestellt; diese, so betont es Spr 3,3 ausdrücklich, sollen auf die Tafel des Herzens geschrieben (ל ֶ ּֽבך ִ ל־ל ַּוח ֥ ע ם ַ )ּכ ְת ֵ֗ב ָ und zudem sichtbar um den Hals gehängt werden (ָק ְשׁ ֵ ֥רם ַעל־ רֹותיָך ֑ ֶ ְ)גַּ ְרגּ. Textkritisch unsicher ist nun aber, wie die Septuaginta – und ob sie überhaupt – den hebräischen Begriff לוּח, ַ also „Tafel“ wiedergibt.78 Erwähnenswert ist jedenfalls eine textkritische Variante, in der לוּח ַ mit πλάξ wiedergegeben wird, also eben jenem griechischen Begriff, der auch zur Bezeichnung von defixiones Anwendung findet. Wenn also die Septuaginta – jedenfalls nach der Haupttextvariante – auf eine Wiedergabe von לוּח ַ verzichtet, so markiert die besagte Lesart doch die translatorische Schnittstelle zwischen לוּח ַ und πλάξ und damit zugleich die semantische Brücke zu den Fluchtafeln. Exemplarisch für diese Wortverwendung sei die Beschreibung ritueller Handlungen angeführt, welche Zauberpraktiken bei der Beschriftung einer defixio – bzw. in griechischer Terminologie: einer πλάξ – darstellen: ἐπὶ δὲ ἁρματορακτῶν· ἐπίθυε μονόσκορδον καὶ ὄφεως γῆρας, γράφε δὲ ἐπὶ πλακὶ κασσιτερίνῃ· „[drei Zauberworte] καὶ ωνουφ· κατάστρεψον τὸν δεῖνα καὶ τοὺς σὺν αὐτῷ.“ 79
77 Darauf weisen auch die gängigen Kommentare hin; vgl. exemplarisch Wilckens 1989, 23; Wolter 2019, 295. 78 In der Textedition von Rahlfs-Hanhardt finden sich im Haupttext nur die sichtbar um den Nacken gehängten „Treuebeweise“, doch sei mit Blick auf die vorliegende Themenstellung auch die Textvariante γράψον δὲ αὐτάς ἐπί τὸ πλακὸς τῆς καρδίας σου erwähnt. 79 PGM IV 2211–2215; zur Verwendung von πλάξ vgl. auch PGM IV 2187.2194.2212; VII 432.
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Um Rennwagen zu stürzen, räuchere einzeln gewachsenen Knoblauch und die alte Haut einer Schlange und schreib auf eine zinnerne Tafel: „[drei Zauberworte] Wirf um den N N und die mit ihm sind“80.
Vermittelt über die Wendung φρόνιμοι παρ᾿ ἑαυτοῖς ist Röm 12,16 also intertextuell mit Spr 3,7 und somit mit jener Passage verknüpft, in der das Thema von positiven, göttlichen und aufs Herz geschriebenen „Tafeln“ eingespielt wird. Diese Textbeobachtung führt im Hinblick auf Röm 12,16 aber nun zu einer weiteren Frage, nämlich zu jener nach der syntaktischen Einbindung von μὴ γίνεσθε φρόνιμοι παρ᾿ ἑαυτοῖς im Hinblick auf die flankierenden Aussagen. Meist wird die besagte Formulierung als Einzelaussage verstanden,81 die sich allenfalls lose an den vorangehenden Gedanken anschließt.82 Dafür scheint jedenfalls die begriffliche Verknüpfung mit Formen der Wurzel φρον‑ zu sprechen; in Vers 16b und 16c finden sich jeweils das Partizip φρονοῦντες, in Vers 16d das Adjektiv φρόνιμος. Die Einzelaussagen aus Röm 12,16 scheinen auf den ersten Blick also in einer begrifflich vermittelten Verbindung zu stehen. Andererseits stellt der Vers 16a–c umfassende Gedanke eine syntaktische Einheit dar, welche doch recht deutlich von der Formulierung μὴ γίνεσθε φρόνιμοι παρ᾿ ἑαυτοῖς, also von Vers 16d, abgesetzt ist; dafür spricht u. a. der Wechsel von Partizipialformen hin zum Imperativ γίνεσθε. Dies eröffnet – neben der grundsätzlichen Möglichkeit, Vers 16d als in sich abgeschlossene Aussage zu lesen – eine weitere syntaktische Variante, nämlich μὴ γίνεσθε φρόνιμοι παρ᾿ ἑαυτοῖς enger mit der weiteren Gedankenführung von Vers 17 zu verbinden. Im Hinblick auf diese Bezugsoption sticht nun gewiss ins Auge, dass nicht nur in Röm 12,16d aus der besagten Passage des Sprüchebuches zitiert wird, sondern dass selbiges auch für Röm 12,17 zutrifft. Während im Hintergrund von Röm 12,16d Spr 3,7 auszumachen ist, stellt die Formulierung προνοούμενοι καλὰ ἐνώπιον πάντων ἀνθρώπων eine Aufnahme von Spr 3,4 (προνοοῦ καλὰ ἐνώπιον κυρίου καὶ ἀνθρώπων) dar. Angesichts dieses deutlichen Rekurses auf Spr 3 in Röm 12,16d–17 sollte neben dem inhaltlichen Konnex auch eine Beziehung zwischen beiden Aussageteilen auf syntaktischer Ebene in Erwägung gezogen werden. Und dann würde sich in etwa folgende Gedankenführung ergeben: 16d Werdet nicht verständig bei euch selbst (vgl. Spr 3,7), 17a [und das lässt sich erreichen] indem ihr niemandem Böses mit Bösem vergeltet, 17b [indem ihr] auf Gutes bedacht seid vor den Menschen (vgl. Spr 3,4), 18a [und indem ihr] – soweit es an euch liegt – nach Möglichkeit mit allen Menschen Frieden haltet (Spr 3,2),83 ohne euch selbst zu rächen, Geliebte.84 Übersetzung: PGM IV 2211–2215. Mit einer Punktsetzung vor besagter Formulierung trennen Lutherübersetzung und Einheitsübersetzung diesen Versteil ab. 82 Einen näheren Bezug scheint die Setzung eines Semikolons in der Elberfelder Bibel und der revidierten Schlachter-Übersetzung zu insinuieren. 83 Angesichts des engen Bezuges zu Spr 3 darf wohl auch das Partizip εἰρηνεύοντες als bewusste terminologische Aufnahme von ָשׁלֹוםbzw. εἰρήνη aus Spr 3,2 angesehen werden. 84 Übersetzung in Anlehnung an Baumert 2012, 259.416. 80 81
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Im Rahmen dieser syntaktischen Zuordnung sind die Aussagen der Verse 17–19a von Röm 12,16d abhängig und in sich zugleich konzentrisch strukturiert. In den beiden Außengliedern, also in Vers 17a [B] und 18 [B’], ist der Fokus auf negative Aspekte wie κακός und ἐκδικέω gerichtet, während in den inneren Gliedern [C und C’] die aus Spr 3,4 und Spr 3,2 entlehnten Motive καλός und εἰρηνεύω stehen. A
A
16d μὴ γίνεσθε φρόνιμοι παρ᾿ ἑαυτοῖς. 17a μηδενὶ κακὸν ἀντὶ κακοῦ ἀποδιδόντες, C 17b προνοούμενοι καλὰ ἐνώπιον πάντων ἀνθρώπων· C’ 18 εἰ δυνατὸν τὸ ἐξ ὑμῶν, μετὰ πάντων ἀνθρώπων εἰρηνεύοντες· B’ 19a μὴ ἑαυτοὺς ἐκδικοῦντες, B
16d Werdet nicht verständig bei euch selbst (vgl. Spr 3,7), 17a [und das lässt sich erreichen] indem ihr niemandem Böses mit Bösem vergeltet, C 17b [indem ihr] auf Gutes bedacht seid vor den Menschen (vgl. Spr 3,4), C’ 18 [indem ihr] – soweit es an euch liegt – nach Möglichkeit mit allen Menschen Frieden haltet (Spr 3,2), B’ 19a ohne euch selbst zu rächen, Geliebte.
B
Die aus Spr 3,7 entlehnte Formulierung wäre demnach in einer fast überschriftartigen Weise den weiteren Gedanken vorangestellt, und zugleich wären in Vers 16d–17 zwei kontextuell plausibilisierbare Allusionen miteinander kontrastiert: Einerseits die positiven Weisungen Gottes und die über Spr 3,3 erschließbaren „Herzenstafeln“, andererseits jene negativen Verhaltensweisen, die mit κακὸν ἀντὶ κακοῦ näherbestimmt werden und in deren Hintergrund jene mit Fluchtafeln verbundenen Vorstellungen und Praktiken auszumachen sind. Somit stehen sich letztlich zwei unterschiedliche Arten von Tafeln gegenüber – nämlich jene, die mit den positiven Weisungen Gottes in Verbindung stehen, und solche, die geradezu als deren Pervertierung angesehen werden können. Die in Röm 12,14–21 mehrfach aufscheinenden Inversionsmotive wären somit an solche Formen toragemäßen Verhaltens, wie sie in Spr 3 vertieft werden, rückgebunden.
6. Fazit In Röm 12,14–21 lässt sich ein motivisch-begriffliches Cluster ausmachen, das sich durch eine gewisse Nähe zur antiken Fluchpraxis auszeichnet. Im Lichte dieses Clusters erscheint die Fluchthematik als Leitmotiv der gesamten Passage von Röm 12,14–21. Aus einer rezeptionsästhetischen Perspektive dürfte eine solche Wahrnehmung dieser Textpassage durchaus naheliegen. Zumindest lassen die römischen und mittelitalischen defixiones der Kaiserzeit diesen Schluss zu. Wie die einzelnen Elemente dieses Clusters – und zwar gerade in ihrem Zusammenspiel – verdeutlichen, lässt sich dieses Thema aber auch aus einer autorzentrierten Perspektive als verbindendes Motiv durchaus plausibel machen. Damit würde der erste konkrete
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Themenkomplex innerhalb der Römerbriefparänese um die Fluchpraxis kreisen und folglich dieser Thematik ein besonderes Gewicht zuweisen – und zwar sowohl für den Brief selbst wie auch für die Lebenswelt der Gemeinde in Rom. Dies lässt den Schluss zu, dass die Fluchpraxis den römischen Adressatinnen und Adressaten des Paulus nicht nur vertraut war, sondern dass sie, mehr noch, eine vielfach eingeübte Verhaltensstruktur in Konfliktsituationen darstellte. Paulus würde sich also explizit auf die Fluchpraxis beziehen und den defixiones ein invertiertes Verhaltensmuster gegenüberstellen, das er der römischen Gemeinde als Inbegriff einer christlichen Lebenskultur ans Herz legt.
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Cursing in the Corinthian Christ Assembly John S. Kloppenborg In 1 Corinthians 5–6 Paul writes that he had become aware of various forms of misconduct within the Corinthian Christ group. In 6:1–10 he addresses the issue of legal disputes among members and counsels that they should be settled within the group and not taken to the civic courts.1 His generalizing comment in 1 Cor 5:11 enjoins the group to refuse admission to the communal banquet to any member who is a sexually promiscuous (πόρνος), greedy (πλεονέκτης), an idolater (εἰδωλολάτρης), abusive (λοίδορος), a drunkard (μέθυσος) or a thief (ἅρπαξ). But he saves the most dramatic sanctioning of misbehaviour to the case of a man who has had an incestuous relationship, declaring that he should have been “removed from your midst” (ἀρθῇ ἐκ μέσου ὑμῶν, 1 Cor 5:2) and that he would be “delivered to Satan for the destruction of flesh” (παραδοῦναι ... τῷ Σατανᾷ εἰς ὄλεθρον τῆς σαρκός, 1 Cor 5:5). In this paper I wish to explore three of the dimensions of Paul’s dramatic sanction: the response of exegetes to this pericope; the larger disciplinary context of cursing; and the rather odd communal scenario that Paul seems to imagine for the cursing.
1. Exegetical Responses From an early date commentators have shown themselves to be embarrassed at the plain sense of Paul’s statements, which appears to imagine injury to or even the death of the offender. Hence they have tried to mitigate the force of Paul’s statements in various ways. This tendency is at least as old as Origen, in whose commentary on 1 Corinthians he argued that 1 Cor 5:1–6 concerned a paedagogical exclusion of the man, which, Paul hoped, would eventuate in his repentance and salvation: Therefore let those who continue to act evilly be treated (θεραπευέσθωσαν) by being put outside the flock, confessing and mourning for their own sins, in fasting and sorrow and Elsewhere I have suggested that the latter advice is not simply a matter of not wanting to “air the laundry of the group in public” but also, and perhaps more importantly, an assertion of the autonomy and sovereignty of the group over its own affairs, a critical aspects of identity in Greek cities. See Kloppenborg 2017, 34, and comparable expressions of autonomy in GraecoRoman associations, e. g., P.Lond. VII 2193.17; P.Mich. V 243.12; IG II2 1368.90–94 = GRA I 51. 1
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tears and in other similar ways, demonstrating the deeds of repentance. For they are handed over (παραδίδονται) in order to be disciplined (παιδευθῶσιν), so that their “flesh” is destroyed, that is, the presumption of the flesh (τὸ φρόνημα τῆς σαρκός).2
Origen neatly sidesteps the plain sense of εἰς ὄλεθρον τῆς σαρκός and ignores the role of Satan in the process. Moreover, by focusing a disciplinary exclusion of the man, he essentially collapses Paul’s comments on the incestuous man in 5:1–6 into the more general comments on the exclusion of other kinds of offenders from the communal meal in 5:11. But this effaces the striking differences between the first case, and the more general exclusionary procedures. For his part Chrysostom focuses on the choice of verbs and points out that Paul does not use ἐνδοῦναι (to give up) but rather παραδοῦναι (to hand over) and so “opens the door to repentance.” Thus Paul acts as a paedagogue (ὥσπερ παιδαγωγῷ). Citing the case of Job, Chrysostom assures the reader that not only would the man’s soul be saved, but his body (σῶμα) too. Chrysostom was aware that some had argued that the πνεῦμα in v. 5 was the divine spirit (τὸ πνεῦμα τὸ χάρισμα) rather than the man’s spirit that was being rescued, since the spirit could be quenched by sinfulness. This might have led to the conclusion, as it did for Tertullian, that Paul’s concern was to preserve the πνεῦμα – meaning the divine πνεῦμα – from corruption. But since Chrysostom was otherwise convinced that the rehabilitation of the man was the focus, he maintains that the punishment of the man was to be temporary and for educative purposes. God would not allow Satan to go too far: οὐκ ἀφεὶς αὐτὸν περαιτέρω προβῆναι.3 The view that Paul aimed at the rehabilitation of the offender persists among much more recent interpreters. Lietzmann conceded that παραδοῦναι τὸν τοιοῦτον τῷ Σατανᾷ εἰς ὄλεθρον τῆς σαρκός imagines the death of the offender but suggests that through his physical death his πνεῦμα, freed from his flesh, would “im Jenseits auf irgendeine uns unbekannte Weise sich der Vollkommenheit nähren können.”4 Barrett echoed Origen’s view: ‘handing over to Satan’ means being excluded from the realm of Christ – that is, the Christ group. But this state of affairs was not imagined as permanent. Barrett opined that although the offender’s suffering is envisaged and “probably” his death, “this dreadful process is intended to lead to the salvation of the man’s spirit.”5 F. F. Bruce agreed with Barrett and supplied an implicit αὐτοῦ in the phrase τὸ πνεῦμα σωθῇ in 5:5: it was the man’s πνεῦμα that was to be saved.6 Bultmann recognized that the use of πνεῦμα in 5:4–5 presented difficulties, since in v. 4 τοῦ ἐμοῦ πνεύματος denoted an active translocal power that Paul claimed to have and hence some aspect of divine power, while in v. 5 the πνεῦμα that was to be ‘rescued’ Jenkins 1908, 35:346. Io. Chrys., Epist. 1 Cor (PG 61) 123–124 (homily 15). 4 Lietzmann 1969, 23. 5 Barrett 1968, 126. 6 Bruce 1971, 55. 2 3
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could be either the offender’s ego (contrasted with his flesh) or it could be the divine πνεῦμα conferred on him. In the end he opted for the former, anthropological interpretation.7 It is this anthropological reading of πνεῦμα in v. 5 that has encouraged the rendering of τὸ πνεῦμα σωθῇ in English translations are “that his spirit be saved” and the notion that the procedure that Paul outlines is directed ultimately (and eschatologically) at the rehabilitation of the offender.8 There are reasons to challenge this eirenic or pastoral perspective on Paul. First, it is important to acknowledge a fundamental shift in the discursive situation between Paul and that of Origen and Chrysostom (and later commentators). The eschatological horizon still loomed large in Paul’s world: the Parousia would come shortly and this meant that dramatic action was needed in order to prepare for that eventuality. Purity of the subject and purity of the πνεῦμα was critical. For Origen, Chrysostom and others, by contrast, the issue is more likely to have been postbaptismal sin: ought it to be atoned for through disciplinary means and in the long run forgiven? For Origen and Chrysostom that answer was Yes.9 But for Tertullian, a rigorist, the answer was also clear: No. And it is perhaps not a surprise that he would object to Origen’s disciplinary understanding of παραδίδωμι (see below) and insist rather on the absolute purity of the spiritus. Second, as Lampe pointed out against Origen’s explanation, there is an apparent parallel in 1 Corinthians with 1 Cor 11:27–30, where Paul claims that moral misdeeds have physical consequences: the illnesses and even the deaths experienced by some of the Corinthians are due to the fact that they have consumed the communal meal in a state of moral impurity, that is, “not discerning the body” (of Christ, μὴ διακρίνων τὸ σῶμα): The clear parallel between the case of this offender and that of the profaners of the Eucharist compels us to interpret the destruction of the flesh in terms of physical punishment; Paul’s use of ὄλεθρος would be unnatural if he meant the overcoming of the φρόνημα σαρκός through penitence; above all it is unthinkable that victory over the “flesh”, in the ethical sense of the term, could be brought about by the agency of Satan.10
It is true that illness and death in 1 Cor 11:27–30 are not the results of a curse delivered by Paul; but what he alleges there reflects the same logic: violation of critical communal values has dramatic material, even lethal, consequences. 7 Bultmann 1951, 208. Kleinknecht et al. 1988, 435, too, admits that 1 Cor 5:3–5 is unclear, but opts for an anthropological interpretation of πνεῦμα while rejecting the idea that the gift of the spirit is indelible. 8 “His” is supplied in RSV, NRSV, NAB, NIV, NJB; omitted in KJV and in the Luther-Bibel. 9 I owe this observation to John W. Marshall. 10 Lampe 1967, 351. Forkman 1972, 145, also adduces 1 Cor 11:30–31, but to argue that the illness and death of which Paul speaks constitute “chastisement which will prevent condemnation in the final judgment.” Yet nothing in 1 Cor 11 suggests this. Collins 1980, also observes that (presumably) those mentioned in 1 Cor 11:30–32 “remain in the community” while the incestuous man is expelled.
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Third, none of the views enumerated above takes much account of the committing the offender to Satan. None comes to terms with the fact that Paul’s formula implies that he or the Christ group corporately claims the power to transfer a subject to Satan for the sake of inflicting injury. The closest verbal parallels to 1 Cor 5:5, as many commentators acknowledge, is a binding spell from a fourth century papyrus handbook of spells first noted by Deissmann.11 The spell involves taking either a papyrus or a lead sheet, tracing the outline of an iron ring and then, in myrrhed ink, writing the name of the person to be bound outside the circle and the intended effect inside the circle. Then the ring is to be wrapped up in the papyrus or sheet of lead, pierced with a pen and tied into a package. Two versions of the binding spell follow, one for a male who is to be silenced and constrained and a second for someone who is the lover or fiancé of a woman. I cite the second spell in full: ἐὰν δὲ γυναῖκα· ὅπως μὴ γαμήσῃ τὸν δεῖνα ἡ δεῖνα. εἶτα ἀπενέγκας αὐτὸ εἰς ἀώρου μνῆμα, ὄρυξον ἐπὶ δ* δακτύλους καὶ ἔνθεν καὶ λέγε· νεκυδαίμων ὅστις [ποτ’ οὖν] εἶ, παραδίδωμι σοι τὸν δεῖνα, ὅπως μὴ ποιήσῃ τὸ δεῖνα πρᾶγμα. εἶτα χώσας ἀπέρχου. κρεῖσσον δὲ ποιεῖς σελήνης μειουμένης· ἔστιν δὲ τὰ γραφόμενα εἰς τὸν κύκλον ταῦτα. ΑΡΟΑΜΑΘΡΑ. ἘΡΕΣΧΙΓΆΛΧ ΕΔΑΝΤΑ ΙΑΒΟΥ ΝΗ ΑΚΑ ΙΑΩ ΔΑΡΥΝΚΩ ΜΑΝΙΉΛ, μὴ πραχθήτω τὸ δεῖνα πρᾶγμα, ἐφ’ ὅσον χρόνον κέχωσται ὁ κρίκος οὗτος. κατάδησον δεσμοῖς ποιήσας σπάρτα καὶ οὕτω καράθου. ὁ δὲ κρίκος καὶ εἰς φρέαρ βάλλεται ἀχρημάτιστον ἢ παρὰ ἄωρον. μετὰ δὲ τοὺς χαρακτῆρας γράφε καὶ ταῦτα ὑποκάτω τοῦ κρίκου ὡς πλινθίον. ΑΡΧΟΟΛ ΛΑΙΛΑΜ ΣΕΜΕΣΙΛΑΜΦ ΑΜΜΟΦΟΡΙΟΝ ΙΩΑΗ ΦΘΟΥΘ ΕΩ Φρῆ ΧΡΩΙΩ ΙΑΩ ΒΑΒΟΥΡΗ ΘΙΜΑΜ ΕΝ ΦΡΗ ΡΕΝΟΥΣΙ ΣΑΒΑΩΘ ΒΑΡΒΑΘΙΑΩ ΘΑΧΡΑ ΟΥΧΕΕΘ ΕΣΟΡΝΩΦΡΙ καὶ τὸν νθ’ ὅλον (ἄνω), ὃν καὶ ἔσω ποιεῖς (P.Lond. I 46.334–337 = PGM I
180–198, no. 5)12
But if it be a woman, say also, “That NN does not marry NN.” Then carry it away to the grave of a prematurely deceased person, dig 4 fingers deep, put it in and say: “Death Demon, whoever you are, I hand over to you (παραδίδωμι σοι) NN, so that he does not do that and that.” Then shake it and go away. The best time to do this is with the waning moon. What is written into the circle is this Do not do this and that as long as this ring lies buried. Bind it tightly with bindings for which you have made cords and lay it down like this. The ring can also be placed in an unused well or in the grave of a prematurely deceased person. Next to the characters write under the ring also in rectangular order . And the whole formula of the 59 letters, which you also execute inside the circle.13 11 Deissmann
1927, 302 = 1908, 218. See also Arzt-Grabner et al. 2006, 206. 1974, vol. 1: 192–193. 13 Translation: Betz 1986, 106 (modified slightly). Conzelmann 1975, 97 n. 37, cites a second (Greek-Coptic) papyrus, the Paris Magical Papyrus (Bibl. nat. supple. gr. 574 = PGM I 114 [no. 4], ll. 1230–1261) that also uses παραδίδωμι, but in this case to compel a demon to depart: ἐξορκίζω σε, δαῖμον, ὅστις ποτ’ οὖν εἶ, κατὰ τούτου τοῦ θεοῦ, σαβαρβαρβαθιωθ σαβαρβαρβαθιουθ· σαβαρβαρβαθιωνηθ σαβαρβαρβαφαι· ἔξελθε, δαῖμον, ὅστις ποτ’ εἶ, καὶ ἀπόστηθι ἀπὸ τοῦ δεῖνα, ἄρτι, ἄρτι, ἤδη, ἤδη. ἔξελθε δαῖμον, ἐπεί σε δεσμεύω δεσμοῖς ἀδαμαντίνοις ἀλύτοις, καὶ παραδίδωμί σε εἰς τὸ μέλαν χάος ἐν ταῖς ἀπωλείαις. ποιήσις· ζ* κλῶνας ἐλείας ἄρας τ[οὺ]ς μὲν ἓξ δῆσον οὐρὰν καὶ κεφαλήν, ἓν καθ’ ἕν, τῷ δὲ ἑνὶ δ́έρε ἐξορκίζων. κρύβε. ἐπράχθη. ἐκβαλὼν περίαπτε τῷ δεῖνα φυλακτήριον, ὃ περ‹ι›τίθησιν ὁ κάμων μετὰ τὸ ἐκβαλεῖν τὸν δαίμονα, ἐπὶ κασσιτερίνου πετάλου ταῦτα· ΒΩΡ ΦΩΡ ΦΟΡΒΑ ΦΟΡ ΦΟΡΒΑ· ΒΕΣ ΧΑΡΙΝ ΒΑΥΒΩ ΤΕ ΦΩΡ 12 Preisendanz
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There are striking verbal parallels with 1 Cor 5:5: the choice of παραδίδωμι; the naming of an agent in the dative; and the object of the curse in the accusative. Thus, 1 Cor 5:5 conforms quite precisely to the grammatical form typical of the committal formulae of defixiones, which use παραδίδωμι in Greek, or commendo, dono, mando, trado or devoto in Latin14: Οὔσαρι Ζ Οὔσιρι ΜνεΥφρι υμῖν δέε Φρυγια δέε Νυμφεε Εἰδωνεα ΝΕΑΕΑΚΩΑΕΝΚΩΡΩ υμῖν παραδ{ε}ίδω Ἀδευδᾶτον τὸν υἱὸν Κρησκωνίας... (DT 156; TheDefix 870) παραδ[ώσ]ητε τῷ καταχθονίω εἰς τὸν τῶν ταρτάρων οἶκον τῶν ἐνφερνιόν τὸν δυσεβὴν καὶ ἄνομον καὶ δύσμορον Κάρδηλον ὃν ἔ[τεκεν] μήρηρ Φωλγεντία... (DT 155.b7–10; TheDefix 178). Α: Ὑπὲρ ἐμοῦ κα[ὶ] ὑπὲρ τῶν ἐμῶν τοῖς κατὰ δην δίδω|μι, παραδίδωμι Νεικίαν καὶ Τειμὴν | καὶ τοὺς ἄ[λ]λ̣ους οἷς δικ|αίως κα̣τηρασά||μην̣ Β: Pro me pro meis devotos defixos inferis, | devotos defixos inferis, Timen et Nici|am et ceteros quoṣ merito | devovi supr[a. Pro] me, | pro mei[s], | Timeṇ, | Nician, | Ṇịciạ[n] (SEG XLIX 1405, TheDefix 372; Spain, 1st century b.c.e./1st century c.e.) βΩΡΦΟΡΒΑΒΑΡΒ[Ο]Ρ[Β]ΑΒ̣Α[ΡΦΟ]ΡΒΑΒΟΡΒΟΡΒΑΙΗ ΚΡΑΤΑΙῈ ΒΕΤΠΥΤ, | παραδί δωμί σοι Εὐτυχιανόν, ὃν ἔτεκεν Εὐτυχία, [ἵ]να κατα|ψύξῃς αὐτὸν καὶ τὴν γνώμην, καὶ ἰς τ[ὸν] ζοφώ|δη σου ἀέρα καὶ τ[ο]ὺς σὺν αὐτῷ (SEG XXXV 213, TheDefix 1; Athenian Agora, ca. 250 c.e.) [‑ - -Σ]κ̣ρειβώνις· παραδίδω|[μι τοῦτ]ον Πλούτωνι κὲ Κόραι ἵ]|[ν’ αὐτὸν τ]άχιστα ἀπάγεεν, [τ]άχ̣|[ιστα κὲ Π]ελαγιανὸν πα[ρ’ α]ὐτῷ·|| [Πλούτ]ων κὲ Κόρα πάργε αὐτὸν ἐ|[ς Ἅιδη] ν τάχιστα (SEG XL 858, TheDefix 297; Rhegion, late 2nd century c.e.) Dii inferi, vobis commendo ... ac trado Tychenum Carisii (DT 190; TheDefix 510) “Gods of the underworlds, I commit... and hand over to you Tychene, daughter of Carisius.” tibi commendo, Attihi d(o)mine, ut me uindices ab eo, ut intra annum uertente[m .....] exitum / (10) illius uilem malum (DTM 6.8–10; TheDefix 765).15 “I deliver to you, angels of anger and wrath, NN son of NN, that you will strangle him and destroy him and destroy him and his appearance, make him bedridden, diminish his wealth, annul the intentions of his heart... and cause him to waste away continually until he approaches death.” (Sepher ha-razim, ll. 62–65).16 ΒΩΡΦΟΡΒΑ ΦΟΡΒΑΒΟΡ ΒΑΦΟΡΒΑ ΦΑΒΡΑΙΗ ΦΩΡΒΑ ΦΑΡΒΑ ΦΩΡΦΩΡ ΦΟΡΒΑ ΒΩΦΟΡ ΦΟΡΒΑ ΦΟΡΦΟΡ ΦΟΡΒΑ ΒΩΒΟΡΒΟΡΒΑ ΠΑΜΦΟΡΒΑ ΦΩΡΦΩΡ ΦΟΡΒΑ, φύλαξον τὸν
δεῖνα, “I abjure you, demon, whoever you are, by god: come out demon, whatever you are, and leave NN, now, now, immediately, immediately. Come out demon, as I bind you with steel, unbreakable shackles and hand you over (παραδίδωμί σε) to the black chaos in hell. Action: Take 7 olive branches and bind 6 at the end and the top, each by itself, but strike with the other one when exorcizing. Keep it hidden. It is proven. After the exorcism hang an amulet on NN, which the sufferer puts on after expelling the demon, made of a leaf of tin (with the following words): guard NN!” 14 On the distinction between binding and committal formulae, see Ogden 1999, 23–25, and Kropp 2010, 362–365. 15 Blänsdorf 2012, 98 16 Morgan 1983, 27.
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In spite of these parallels, it is often maintained that 1 Cor 5:5 should be read simply as an instance of exclusion or excommunication. Paul merely consigns the man to a realm where he would be “exposed” to Satan.17 The intent of the “peine medicinale,” as Cambier puts it, is to encourage repentance. Yet the conformity of Paul’s formulae to those of the defixiones listed above should at least be the occasion for pause over whether Paul’s intent is educative and pastoral. Moreover, Paul’s action is hardy allowing the man to be exposed passively to Satan’s realm; it is an active transfer that intends harm.18 And there is no mention of repentance, either here or in 1 Cor 11:27–30.19 The common view that the repentance is intended is related to the issue of whether the πνεῦμα that Paul was intent on saving is the man’s spirit or some other πνεῦμα. It is not in fact clear that the πνεῦμα in 5:5 is the man’s spirit; rather it seems to be the divine spirit that was conferred upon him. The interpretation of 5:5 hangs on this issue. Von Campenhausen reported (approvingly) a conversation with Günter Bornkamm to the effect that πνεῦμα in Paul must be distinguished from the human ego which it indwells. What is meant is that the divine power which has been bestowed on the congregation and on the apostle (5,4), and in which the sinner also had his share, ought no longer be left in his possession, but must be “rescued” by his death, in order that it may form part of the perfection and wholeness of the Body of Christ at the Last Day.20
17 Cambier 1968/1969, 227: “Être banni de la communauté c’est être davantage exposé aux menées de Satan.” 18 Cambier 1968/1969, 222 n. 4 adduces IgnEph 13.1 which, commenting on assembling for the communal meal, says ὅταν γὰρ πυκνῶς ἐπὶ τὸ αὐτὸ γίνεσθε, καθαιροῦνται αἱ δυνάμεις τοῦ σατανᾶ, καὶ λύεται ὁ ὄλεθρος αὐτοῦ ἐν τῇ ὁμονοίᾳ ὑμῶν τῆς πίστεως, “for when you assemble together frequently, the powers of Satan are demolished and his damage is destroyed by the harmony of your faithfulness.” Ignatius imagines the realm outside the assembly to a space of danger and damage, but he does not using this realm instrumentally to injure members. 19 Repentance is explicit in Acta Petri cum Simone 2 (Acta Vercellensis) (Lipsius/Bonnet 1891, vol. 1, 46): ecce enim satanas contribulato corde [corpore?] tuo proiciet te ante oculos oninium credentium in domino, ut uidentes et credentes sciant quoniam deo uiuo, scrutatori cordium, crediderunt. si autem penitueris in facto tuo, fidelis est, qui poesit peccata tua delere ab hoc liberare peccato. si autem non paenitueris, cum adhuc in corpore es accipiet ignis uastatur et tenebrae exteriore in omnia saecola, [Paul filled with the Spirit says to Rufina]: “behold Satan will break your heart [?body] and cast you down before the eyes of all who believe in the Lord, so that seeing and believing, they will know and believe that the heart is examined by the living god. If you repent of your action he is faithful, who is able to wipe away your sins and liberate you from sin. But if you do not repent while you are still in the body, a consuming fire and outer darkness will receive you for all eternity.” 20 Von Campenhausen 1969, 134–135 n. 50. As far as I can tell, Bornkamm himself did not publish in any paper. This appears also to be the interpretation of Conzelmann 1975, 98: “with vv. 6–13 the special case issues in general reflections on the purity of the community and its attitude toward the world.”
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It was Tertullian who made the strongest case that the spirit is the divine spirit rather than the spirit of the man. Tertullian certainly knew of Origen’s “penitential” interpretation of 1 Cor 5:521 but rejected it on the grounds that Origen had imagined that “a spirit polluted with so great a wickedness would be saved” – which for Tertullian was plainly impossible.22 Paul, on Tertullian’s view, is concerned that the church be presented eschatologically as “saved” from the contagion of impurities (ab immunditiarum contagione).23 Indeed, the focus of the entire passage, 1 Cor 5:1–11, is not on any individual including the incestuous man, but the state of the ekklēsia.24 This becomes clear from 1 Cor 5:6–7 and its allusion to the contaminating effect of leaven and the need to expunge it.25 Adela Collins points out that at Qumran there seems to have been an analogous concern for the health of the group as a whole that required the consigning of deviant or non-cooperative members to demonic forces. CD 8:1–3 and 20:1–16 imagine those members of the “covenant” who have violated its rules being “handed over” ( )הסגירוto the sword and sent to destruction by Belial ()לכלה ביד בילעל.26 CD shows no concern with the rehabilitation of the offenders; rather, it is concerned with the eschatological integrity of the group. One might ask how Paul could think that the divine spirit could be subject to contagion or miasma and hence was in need of protection. At this point Dale Martin makes the critical observation that πνεῦμα should not be understood as an immaterial thing but instead as a material substance, albeit one that is refined and subtle. It is this divine spirit that is communicated to the human subject and which constitutes that subject as being “in Christ.” Contemporary medical writers as well as Stoics treated the πνεῦμα as a substance that flowed through the veins but as a substance that was subject to corruption through contact with “bad air” and other contaminants. For Stoics and these medical writers, the vector of contamination from not from the flesh to the πνεῦμα, which Paul appears to assume, but from the outside to the πνεῦμα. The dominant usage of πνεῦμα in 1 Corinthians in fact refers to the divine πνεῦμα: 3:16 (τὸ πνεῦμα τοῦ θεοῦ οἰκεῖ ἐν ὑμῖν; cf. 6:19); 6:11 (ἀπελούσασθε ...ἐν τῷ 21 Tert., Pud 13.14. Tertullian complains of those who interpret the text in relation to “the office of repentance” (in officium paenitentiae) suggest that fasts (jejuniis) and other forms of abstinence would lead the offender to emendation. See above, p. 409 for Origen’s reference to fasting. 22 Tert., Pud. 13.24: Ergo salvus erit spiritus tanto scelere pollutus, propter hoc perdita carne. 23 Tert., Pud. 13.26. 24 Martin 1995, 169: “Paul’s main concern is with the health of Christ’s body; the man’s individual fate is secondary, at best.” Kleinknecht et al. 1988, 435–436 + n. 691 objected to this construal of πνεῦμα, pointing out that 1 Pet 4:6, describing the preaching to the dead ἵνα κριθῶσι μὲν κατὰ ἀνθρώπους σαρκὶ ζῶσι δὲ κατὰ θεὸν πνεύματι, which indeed suggests an anthropological interpretation for πνεῦμα. But 1 Peter is hardly determinative for 1 Corinthians. 25 Collins 1980, 260: “This imagery shows that Paul’s major concern was that the community be uncontaminated by sin.” 26 Collins 1980, 261–262; Charlesworth 1995, 26–27.
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πνεύματι τοῦ θεοῦ ἡμῶν); and throughout 1 Cor 12 where the spirit is the source of various χαρίσματα. In 7:40 Paul claims to have the πνεῦμα τοῦ θεοῦ and it is by virtue of this possession that he can offer definitive judgments. Μοst importantly, he describes both the experience of ancient Israel and that of the Christ believer as being baptized by the πνεῦμα and in 1 Cor 12:13, the Christ follower is said to have “drunk” the spirit. This process, according to 1 Cor 6:17, makes the Christ follower united with divine πνεῦμα: ὁ δὲ κολλώμενος τῷ κυρίῳ ἓν πνεῦμά ἐστιν. But this for Paul also exposes the πνεῦμα to a danger, since Paul also imagines that intercourse with a prostitute effects a bodily union that can have contaminating effects on the πνεῦμα. Medical writers would probably not have accepted Paul’s view of the vector of contamination. But they would agree that the πνεῦμα could suffer miasma, with harmful consequences for the person involved.27 This being the case, the logic of the passage in 1 Cor 5 becomes clear. For Paul the πνεῦμα, understood as a communal property of the assembly through which its members participated in “Christ”28 must be protected from contamination from gross moral transgressions. All share in this divine substance. But since the offender is a member of the assembly, his bodily actions threaten the integrity of the πνεῦμα which characterizes all. A dramatic remedy must be imagined.
2. Why Incest?: The Institutional Context This raises the obvious question, why is the incestuous man punished in so dramatic a manner, while those enumerated in v. 11, also offenders against the moral code of the Christ group, are only excluded from the communal meal? The hierarchy of offences is worthy of note. While theft, drunkenness, abuse, greed and even promiscuity are sanctioned by exclusion, incest recruits a much more severe penalty. Other small face-to-face groups likewise monitored and sanctions misbehaviour, especially at the communal dinner but in other realms of conduct as well. The Iobakchoi of Athens sanctioned misbehavior of various sorts, but it is important to note how offences are scaled: striking a member (penalty assessed by the membership) up to 25 silver dn. taking a fellow member to court in place of internal forum 25 silver dn. failure to pay dues exclusion from the club failure to pay entrance fee expulsion from banquet failure to attend a meeting 50 light dr. speech-making without permission 30 light dr. fighting, disorderly conduct, seat-stealing, (verbal) abuse 25 light dr. failure to report a beating 25 light dr. 27 Martin 28 The
1995, 23–25, 168–174. materiality of the πνεῦμα has been developed by Stowers 2008.
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failure for eukosmos to expel fighter refusal to leave the stibadium after being sanctioned singing or causing a disturbance
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25 light dr. 25 light dr. no fine, but prohibited29
The schedule of penalties suggests that the more serious offences and those that recruited the largest fines in this association of elite and subelite Athenian males were those that threatened group solidarity – absenteeism, refusal to pay dues, and physical violence. Other groups offered a different schedule of penalties. A series of demotic papyri from the second century b.c.e. have detailed sections on penalties. From the midsecond century b.c.e. an association of priests and pastaphores associated with the cult of Sobek (P.Cair. 30606, Tebtynis, 158/157 b.c.e.) listed the following fines: (False) accusations of Leprosy 100 and expulsion Striking a member 60 Striking the president 60? second offence 80 Striking the vice president [...] second offence [..]5 Striking a priest 80 second offence 90 Insulting a priest 40 second offence 60 Denouncing a member to a military or civilian authority 50 Insulting the president [>35?] second offence [>35?] Insulting the vice president [>35?] second offence 35 Complaining to state official after internal judgement 30 Bringing a lawsuit in a military or civilian court 25 Insulting a member 25 Not giving money to a member in need [...] Failing to respond to a summons to attend a meeting [...] Failure to pull the statue of the god [...] Refusal to serve as president 25 Absence from a meeting 25 Failure to assist in transport of a member deceased away from the village 10 Failure to mourn the death of a family member of a member 5 Failure to mourn a deceased member 530
Violence against a president or vice-president or priest was obviously treated more seriously than the insult to a member, but accusations of leprosy struck at the very ability of the member to serve, and denouncing a member to the state authorities IG II2 1368 = GRA I 51 (Athens, 164/165 c.e.). De Cenival 1972, 45–58. Fines are given in deben (= 20 dr.). In second and first centuries b.c.e. copper currency equivalent to 1:240 of a silver drachma. See Clarysse/Lanciers 1989. A fine of 100 deben = 2000 AE drachmae = 8.3 AR drachmae. 29 30
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or complaining to them after an internal judgment damaged the solidarity of the group.31 A set of bylaws from a slightly later period from a cultic association devoted to Sobek shows a similar schedule of offences and corresponding fines. Here sexual crimes appear. P.Prague.dem (Tebtynis, 137 b.c.e.) lists the following: Adultery with a member’s wife Beer or wine fraud An office holder beating a member Accusation of Leprosy Beating an office holder Get a member into trouble Complaining to state official after internal judgement Slandering a member Complaining to state officials Beating a member Not giving legal assistance to a member Not giving money to a member in need Threatening an office holder Office holder threatening a Member Insulting an office holder Threatening a member Office holder insulting a member Absence from a funeral of a member Absence from the funeral of the family of a member Insulting a member Striking a novice Refusal to mourn the death of a member
300 200 150 100 100 75 75 50 50 50 50 50 50 50 25 25 [?] 20 10 10 10 532
Misdeed by and against office holders are viewed with greater severity than those by and against ordinary members, but offences that strike at the solidarity of the association – adultery, accusations of leprosy, denunciation and calumniation of a member, and failure to provide assistance recruited the largest penalties. In the early imperial period, a similar schedule of fines can be seen. P.Mich. V 243 (Tebtynis, time of Tiberius) is probably the bylaws of a guild of Sheep and Cattle breeders.33 The fines are in silver drachmae: Intrigue against a member Corrupting a member’s home (i. e., adultery) Failure to assist a member in need Taking a member to court Failure to mourn the death of a member (shaving his head) Failure to attend the funeral of a member 31 See
60 60 8 8 4 4
the analysis of fines by Monson 2006. De Cenival 1972, 83–91. A fine of 300 deben (6000 AE drachmae) is thus equivalent to 25 AR drachmae. 33 Schnöckel 2006. 32
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Absence from a meeting in the city Absence from a meeting in the village Shoving a member when taking one’s seat Drunkenness at a meeting
4 1 to be decided by membership
It is important to observe that the highest penalties are five times the monthly dues paid by members, which were set at 12 denarii. In P.Prague.dem (Tebtynis, 137 b.c.e.) the fine of 300 deben for adultery is twice the yearly contribution of the most senior of officials. The penalties enumerated by P.Mich. V 243 should be contrasted with those of two other bylaws, both from the Kronion archive, and both virtually contemporaneous with P.Mich. V 243. P.Mich. V 244 (Tebtynis, 43 c.e.) are the bylaws of a guild of apolysimoi (liturgically exempt workers) on an imperial estate belonging to the Emperor Claudius and P.Mich. V 245 (Tebtynis, 47 c.e.) are the bylaws of a group of salt merchants. Both of these prescribe fines for the failure to attend meetings and for failures to pay dues, and P.Mich V 244 also imposes fines for the failure to attend the funeral of a member. But the bylaws of the salt merchants focus mainly on the business of selling salt and neither pays much attention to interpersonal relationships and the need to cultivate strong levels of trust and group solidarity. These all, of course, are fines, not curses. But other associations regulated behaviour by the threat of curses from the gods. The household association devoted to Zeus located in Philadelphia (Lydia) also laid down a behavioral code for its members.34 This association, famously, admitted “men and women, free people and house-slaves (οἰκέται)” (ll. 5–6). The prohibited behaviours are all oriented to the family, its fertility and its integrity: deception, the use of harmful drugs, spells, love charms, abortifacients, contraceptives, or anything fatal to children. Those committing such crimes were to be “exposed” by those who were aware of them, so that they could be “avenged” (ἀμυνεῖσθ[αι, l. 25), although the form of vengeance is unspecified. A second register concerns prohibited male sexual relationships: adultery, intercourse with a minor (?) or virgin (?), and concealing crimes committed by others. At this point, it is declared that the “the gods set up in [this house] are great, and … they watch over these things (?) … and will not tolerate those who transgress … the instructions (?)” (ll. 25–35). The third register takes aim at free women – that is, those who unlike house slaves are unable to resist the sexual advances of owners: Let a free woman be chaste and shall not know the bed of another man, nor have intercourse with anyone except her own husband. But if she does know (the bed of another), such a woman is not chaste, but defiled (μεμιασμέν|η) and full of endemic pollution (μύσο[υ]ς ἐμφυλίου πλή[ρ]η) and unworthy to worship this god, whose holy things have 34 LSAM 20 = Syll3 985 = TAM V 1539 = GRA II 117 (Philadelphia, Lydia, ca. 100 b.c.e.). On this see Barton/Horsley 1981; Stowers 1998.
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been set up (here). She may not be present at the sacrifices, not to strike against (?) the purifications and cleansings, nor to see the mysteries being performed. If she does any of these things from the time the ordinances have been set onto this inscriptions, she shall have evil curses (κακὰς [ἀράς) from the gods for disregarding these ordinances; for the god does not want these things to happen at all, nor does he wish it, but he wants obedience. (ll. 35–45)
There is no indication of a human agent who utters the curse. Instead, the curse is imagined to work by itself, having been enunciated on the stele. The disciplinary procedure of the group appears to involve the touching of the stele on which the association’s bylaws are engraved, an act that is supposed to function as a diagnostic test of the compliance of the member with the group’s code: At the sacrifices, both the monthly and annual ones, may they – as many men and women who have confidence in themselves – touch this inscription in which the ordinances of the god have been written, so that those who obey these ordinances and those who disobey them may be evident. (ll. 54–59)
Thus the inscription ends with the founder Dionysios asking that the god “accept his touch” in a merciful and kindly manner (τῆν ἁφὴ[ν τοῦ Διονυσίου ἵλεως καὶ] | [εὐμεν]ῶς προσδέχου (ll. 60–61). This practice might well be compared to what Paul imagines for the Corinthian communal meal: those who partake in the meal or touch the stele in an unworthy manner are liable to suffer physical punishments. Although the offences that attract the most severe punishments vary from one group to another – from striking a member in the (probably) all-male Athenian Iobakchoi, to accusations of leprosy in the (again, all-male) priestly group from Tebtynis, to adultery and interference with a member’s family in the case of P.Prague.dem and P.Mich. V 243, to female unchastity in the case of the household association of Zeus –, what is common to these are actions that seriously compromise the integrity and solidarity of the group by striking at its most fundamental social structures and functions. It is at this point that the large fines and the heavy curses start to appear. Andrew Monson has helpfully adduced the model of a “network of trust” to theorize the rules that are encountered in Demotic associations, a model that also helps to think about Paul’s Corinthian group, the Zeus association, and the guild of cattle owners from Tebtynis. Trust networks develop systems of behavioral rules that require members to put their resources at risk in order to signal group solidarity: [F]inancial contributions to associations are possible because members trust that the money will be used responsibly for legitimate religious and social services and that others will also cooperate and reciprocate. One’s costly investment and conformity with the rules signal to others one’s commitment. This credible commitment inspires their confidence and sustains the institutions that ensure cooperation. Fines and the costs of showing commitment push out or deter untrustworthy people from the association. That only raises the level of trust among the other members. The association reinforces the division between the trust network and ordinary social networks. Within such trust networks, cooperation and transactions are less costly than within other networks.35 Monson 2006, 237. This model draws on earlier theoretical work in behavioral economics
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The mechanism for sanctioning misbehaviour varies in accordance with the particular ethos of the groups involved: some can rely on the fining of members (which of course has an element of public shaming) while others imagine the deities to be involved in the punishment of deviants. What is common is that the scaling of fines provides some insight into the key associative principles of each group – the values that each group is most concerned to protect – whether it is simple sociality, or protection of cultic roles essential to the survival of the group, or interpersonal relationships without which the group cannot survive, or the purity coefficient of members, without which access to the deity is endangered. For whatever reason Paul considered incest to be the most significant threat to the integrity of the group – evidently a greater threat than the other offences listed in 5:11, or taking a fellow member to court. This is perhaps due to Paul’s privileging of body-discourse throughout 1 Corinthians and the fear that the breaching of the boundaries of the physical body would have inevitable effects on the breaching of the integrity of the πνεῦμα that indwelt the body.36
3. The Communal Context One of the striking features of 1 Cor 5:1–5 is the scenario that Paul proposes: Paul, located in Ephesus, has already (ἤδη) decided to sanction the man, but will do this at a distance. But he will have the curse issued in the context of a meeting of the Corinthian assembly, where he claims that his πνεῦμα will be present σὺν τῇ δυνάμει τοῦ κυρίου. It remains rather unclear how empirically the Corinthian group would conclude that Paul’s πνεῦμα is present – has he sent with his letter some figurine or charm?37 Perhaps the letter itself as a material object is intended as a stand-in for his presence. Paul offers no verbal formula as the Greek magical papyri and defixiones routinely do or voces mysticae to be used to invoke the daemones. Since he does not supply an exact verbal formulae, we must assume that he knows that the Corinthian Christ group had the sufficient competence to formulate a curse on its own, such as ΝΝ παραδίδομεν τῷ Σατανᾷ εἰς ὄλεθρον τῆς σαρκός. But how might we imagine this curse being performed in such a way that it might be considered effective? That is, in what way could the group both be convinced that Paul was present with them σὺν τῇ δυνάμει τοῦ κυρίου and what performative features might their curse have (assuming, of course, that they complied with Paul’s wishes)? It is here that Corinthian voces mysticae might well have played a part. It is clear from Paul’s intervention in 1 Corinthians 12–14 that the Corinthian group, or at and political theory: Tilly 2004; Tilly 2005 and is reinforced by the work of Richard Sosis: Sosis 2000; Sosis 2004; Sosis/Alcorta 2003; Sosis/Bressler 2003. 36 See Neyrey 1986, for an insightful analysis of body language in 1 Corinthians. 37 For examples of figurines, see Gager 1992, 17 fig. 3.
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least some portion of it, was engaging in glossolalia. It might be better to think of this act as spirit-talking; that is in fact that way that Paul seems to describe it. It is speaking in the language of angels (1 Cor 13:1). Employment of non-human languages was of course the means by which chthonic deities and other daemons’ attentions could be attracted. It seems to be common to assume that daemons too had languages and in order to compel or persuade such beings to act on the wishes of the human agent, one had to speak in a language that they understood. Clement of Alexandria, citing Plato, argues: ἀλλὰ γλώσσας λέγεσθαι. ὁ Πλάτων δὲ καὶ τοῖς θεοῖς διάλεκτον ἀπονέμει τινά, μάλιστα μὲν ἀπὸ τῶν ὀνειράτων τεκμαιρόμενος καὶ τῶν χρησμῶν, ἄλλως δὲ καὶ ἀπὸ τῶν δαιμονώντων, οἳ τὴν αὑτῶν οὐ φθέγγονται φωνὴν οὐδὲ διάλεκτον, ἀλλὰ τὴν τῶν ὑπεισιόντων δαιμόνων. οἴεται δὲ καὶ ἀλόγων ζῴων διαλέκτους εἶναι, ὧν τὰ ὁμογενῆ ἐπακούειν. ἐλέφαντος γοῦν ἐμπεσόντος εἰς βόρβορον καὶ βοήσαντος παρών τις ἄλλος καὶ τὸ συμβὰν θεωρήσας ὑποστρέψας μετ’ οὐ πολὺ ἄγει μεθ’ ἑαυτοῦ ἀγέλην ἐλεφάντων καὶ σῴζει τὸν ἐμπεπτωκότα. (Clem. Al., Strom. 1.21.143.1–3) But speaking in tongues: Plato attributes a dialect also to the gods, forming this conjecture mainly from dreams and oracles and especially from demoniacs, who do not speak their own language or dialect, but that of the daemones who have taken possession of them. He thinks also that the irrational creatures have dialects, which those that belong to the same genus understand. Accordingly, when an elephant falls into the mud and bellows out any other one that is at hand, on seeing what has happened, shortly turns, and brings with him a herd of elephants, and saves the one that has fallen in.
As Stanley Tambiah has argued, resort to alternate languages in religious rituals, even seemingly unintelligible languages, is not a matter of gibberish, but rather plays on the corollary of Plato’s view of language that religious specialists – Buddhist monks in Tambiah’s case, or spirit specialists here – can address other worlds in their own language in order to effect communication. Since the Corinthians, when they engage in spirit-talking, imagine themselves to be speaking with angels or other non-human beings, it is a short step to suggest that the specific mechanism that Paul has in mind in 1 Cor 5:5 is that the Corinthians, when gathered together, will exercise their spirit-talking. This will for all intents and purposes look very much like the voces mysticae that are typical of defixiones and the papyrus spells cited above. And since Paul is known to be an accomplished spirit-talker, one might presume that the exercise of spirit-talking by the group could be thought to make him present. Spirit-talking thus becomes both the vehicle for actualizing Paul’s presence in the group, and the motor for attracting the attention of the demonic presence, Satan in this case. Paul thus mobilizes this skill to suggest that he might be made present through their exercise of spirit-talking, and that through spirit-talking the curse could be effect, even when Paul was in Ephesus. Hence in 1 Cor 5:1–6 Paul invokes spirit practices in order to protect what was for him the key property of the Christ group: possession of the divine spirit that
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could be sullied by the moral failings of some of its member. While other offences could be dealt with through disciplinary exclusion, incest was so serious a threat to group solidarity that it struck at the very existence of the group and the purity of the πνεῦμα that it claimed to possess.
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Christlich korrekt verfluchen in Korinth 1 Kor 5 und die „Gebete um Gerechtigkeit“
Peter Busch
1. Der Skandal in Korinth Paulus, der sich im Gesamtduktus des 1. Korintherbriefes zu richtungsweisenden Einwürfen für das Gemeindeleben genötigt sieht, steigert sich im 5. Kapitel zu offenen Vorwürfen: Die Korinther haben es jüngst versäumt, in ihrer Versammlung über einen besonders schwerwiegenden Abweichler vom Gemeindecomment – einen anonymen Unzuchtsünder – den Stab zu brechen! Dies musste Paulus durch Dritte erfahren (ἀκούεται, 5,1). Dabei hatte er doch schon im Vorfeld (5,9) schriftlich der Versammlung die Richtung gewiesen und Kontakte mit sexuell Unbotmäßigem untersagt, und nun sind die Korinther so arrogant, seine Weisungen einfach zu ignorieren. In des Paulus Augen hat die Gemeinde damit deutlich ihre Kompetenzen überschritten, er wittert die Tendenz, dass sich gegen ihn unabhängige Autoritäten bilden und spricht vom „sich Aufblasen“ (φυσιόω).1 Derartige ungebührliche Anmaßungen eigener Autorität hatten nach 4,6 f. einzelne Korintherinnen und Korinther wohl schon im Vorfeld untereinander gepflegt und praktizieren sie nun in der konkreten Situation seit 4,14 als Gemeinde gegenüber Paulus. Und dies bei einem derart – in des Paulus Augen – kapitalen Fall: Jemand hat sexuellen Umgang mit der Frau seines Vaters! Als Lösung dieses Falles weist Paulus an (V. 4 f.): Bei einer weiteren Gemeindeversammlung – bei der Paulus im Geist anwesend ist – soll der Unzuchtsünder dem Satan übergeben werden, „zur Vernichtung des Fleisches, damit der Geist am Tag des Herrn gerettet werde“. Soweit eine Kurzdarstellung der Situation, die Detailprobleme freilich sind zahlreich,2 deren zwei seien herausgegriffen: Zum einen: Wie ist in V. 5 die erwartete „Rettung des Geistes“ zu verstehen? Handelt es sich um den Geist des Unzuchtsünders – und damit um eine letztlich 1 Bammel 1997, übersetzt πεφυσιωμένοι (im Zusammenhang von 1 Kor 13,4b) zutreffend als „allzu borniert“. 2 Ausführlich von Thraede 2012, diskutiert; eine gelungene knappe Skizze der exegetischen Problematik bei Lattke 1994, dessen pointierte These zum religionsgeschichtlichen Hintergrund der Problematik von 1 Kor 5 (pflegte der Unzuchtsünder als möglicherweise persischer „Mager“ vielleicht die in seinen Kreisen übliche Inzestpraxis?) aufgrund der reich dargebotenen Quellentexte lesenswert ist, – man vgl. allerdings die Einschätzung von Thraede 2012, 202: „Lattkes bizarrer Einfall … hätte nie ernst genommen werden dürfen“.
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„pädagogische“ Maßnahme zu seinen Gunsten? Oder handelt es sich um das Gemeindepneuma, das nur dann vor Gott bestehen kann, wenn dieser beispiellose Vorfall gesühnt ist? S. Hagenows Linie, „Kap. 5–6 vollständig aus kollektiven Kategorien zu interpretieren“,3 wird m. E. den Abschnitten aus 1 Kor am ungezwungensten gerecht. Gegen den Einzelsünder muss vorgegangen werden, das Verderben seines Fleisches wird dabei billigend in Kauf genommen, damit das Pneuma der Gemeinde rein bleibe. Zweitens ist in der Literatur eine reiche Hypothesenbildung zur eigentlich vorliegenden Tat erkennbar. Sicher ist: Es handelt sich um ein sexuelles Verhältnis jenseits der Konvention (auch, so Paulus, gegen die der Nichtjuden): Jemand hat ein Verhältnis zur Frau seines Vaters. Allgemein wird nicht angenommen, dass es sich bei dieser um die leibliche Mutter gehandelt hat, sonst hätte dies der Apostel so gesagt und den Begriff „Mutter“ genannt.4 Die Ähnlichkeit zu Lev 18,8 („eine schamlose Tat an der Frau deines Vaters sollst du nicht an den Tag legen“) legt nahe, dass es sich um eine Geschlechtspartnerin des Vaters gehandelt hat, die allgemein als Stiefmutter gedeutet wird.5 Dabei ist allerdings offengelassen, ob es sich um eine verheiratete Frau oder eine Konkubinatsbeziehung handelt, es dürfte jedenfalls eine eheähnliche, dauerhafte Beziehung gewesen sein,6 die als völlig unbotmäßig angesehen wurde.7 Die Frage nach der Tat verkompliziert sich durch die nicht eindeutige Zuordnung von „im Namen unseres Herrn Jesus“ (V. 4).8 Bezieht sich dies auf συναχθέντων ὑμῶν in V. 4 („ihr versammelt euch im Namen unseres Herrn Jesus …“) – oder 3 Hagenow 2011, 90, der 1 Kor 5–6 im Rahmen der jüdischen Tempelfrömmigkeit interpretiert und S. 87–111 im in 1 Kor 5,5 geforderten Akt eine Analogie zur Tempelreinigung sieht. Zur Frage nach dem Pneuma in 1 Kor 5,5 – das des Einzelsünders oder das der Gemeinde? –: Diskussion bei Klinghardt 1997, 62 f.; Dochhorn 2016, 140 f. Für eine gemeindebezogene und eschatologische Deutung spricht sich akzentuiert Collins 1980, 259–261, aus, Klinghardt 1997, 70 f., erwägt eine Geltung einer individuellen und zugleich gemeindebezogenen Intention durch Paulus: Der einzelne wird in einer Art Reinigungsakt in „diesem Äon“ bestraft, so dass die Gemeinde in eschatologischem Horizont als Ganze gerettet werde. 4 So lassen auch die meisten Bibelübersetzungen die Situation offen und sprechen von der „Frau seines Vaters“, darunter Luther 1984 und Luther 2017; engführend und interpretierend wird die Partnerin des anonymen „Unzuchtsünders“ in der Neuen Genfer Übersetzung (2009) als „Stiefmutter“ bezeichnet, in der Übersetzung von Berger/Nord (Das Neue Testament und frühchristliche Schriften, Frankfurt a. M. 1999) als „seine Mutter“. 5 Schon Meyer 1888, 139; vgl. die Diskussion bei Reno 2016, der den eigentlichen „Skandal“ als unabhängig von der Pentateuchtradition und im Rahmen gemeinantiker innerhäuslicher Tabus („inner-οἶκος adultery“ statt Inzest) deutet. Einen gemischtreligiösen Charakter der zugrundeliegenden Verbindung (die Frau als Nichtchristin) erkennt Collins 1980, 252; Clarke 1993, 77–88, spielt unterschiedliche Szenarien der von Paulus angedeuteten mélange im Rahmen der Gemeindesoziologie durch – unter der Annahme, der Anonymus sei ein prominentes Gemeindeglied gewesen. 6 Arzt-Grabner 2006, 196 f.; Zeller 2010, 199. 7 Zum Hintergrund einer Beziehung einer Frau mit ihrem Stiefsohn, v. a. auf der Basis der augusteischen Ehegesetze, vgl. deVos 1998. 8 Philologische Diskussion bei Meyer 1888, 142; Collins 1980, 253.
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auf κατεργασάμενον in V. 3 („er hat dies im Namen unseres Herrn Jesus getan“)? Im zweiten Falle hätte der anonyme Unzuchtsünder im Rahmen der gemeindlichen religiösen Praxis gehandelt,9 ein konkretes Szenario hierfür ist allerdings spekulativ. So ist es ungezwungener, bei der paulinischen Forderung in V. 4 von einer Versammlung „im Namen unseres Herrn Jesu“ auszugehen, in der man sich in der Gemeindeversammlung der vorliegenden Tat annehmen soll. Was deren genaue Umstände anbetrifft, genügt es festzustellen, dass sie wohl aus einer dauerhaften und bei Paulus als inzestuös delegitimierten Sexualbeziehung bestand, die von der korinthischen Gemeinde – entgegen der Weisung des Paulus – zuvor nicht ernsthaft genug geahndet worden war.
2. Die Fragestellung Wie ist nun mit dem anonymen Unzuchtsünder zu verfahren? Dies ist die Frage nach der konkreten Performanz des Aktes, den Paulus in 1 Kor 5,4 f. einfordert. Paulus selbst, und darauf weist das Perfekt ἤδη κέκρικα in V. 3 hin, scheint bei diesem Akt nicht an eine gerichtliche Untersuchung zu denken, denn das Richten liegt in der Vergangenheit. Die Sachlage scheint so klar und eindeutig, dass Paulus ein audiatur et altera pars nicht einmal erwähnt. Eine (gerichtliche) Untersuchung, bei der ein Tatvorgang geprüft und dem Beschuldigten das Recht der Stellungnahme eingeräumt wird, ist von der „Übergabe an den Satan“ getrennt zu denken, sie ist anscheinend schon abgeschlossen. Die entsprechende Gemeindeversammlung „im Namen unseres Herrn Jesu“, von der Paulus spricht, hat rein exekutiven Charakter. Die entscheidende Frage ist nun: Was geschieht in der in 1 Kor 5,4 f. geforderten Gemeindeversammlung konkret? Was wird dort von wem performiert? Die Textlektüre ergibt erste, vage Anhaltspunkte: 1. Der von Paulus geforderte Akt ist nicht juristischer Natur, sondern folgt einer Versammlung juristischer Natur. Der Urteilsprozess ist abgeschlossen, der Akt hat exekutiven Charakter. 2. Die „Übergabe an den Satan“ geschieht öffentlich im Rahmen einer Gemeindeversammlung, keineswegs heimlich. Schon die Publikation der Aufforderung zu besagtem Akt im 1. Korintherbrief unterstreicht seinen öffentlichen Charakter. 3. Paulus legt in V. 3 Wert auf seine – wenn auch geistliche – Anwesenheit bei dem Akt.10 In der (womöglichen) frühen Wirkungsgeschichte der Stelle in 1 Tim 9 Schrage
1991, 372, tendiert in diese Richtung und erwägt einen „öffentlichen, bewussten und sozusagen provokativ-ideologischen Akt“ des Unzuchtsünders. 10 Wertvoll für eine Deutung von 1 Kor 5,3 (nicht leiblich, aber mit dem Geist anwesend) ist der Hinweis von Oestreich 2012, 129–131, zur Performanz des 1. Korintherbriefes: Paulus referiert hier auf den Verleseakt des Briefes durch einen Dritten in einer (zukünftigen) Gemeinde-
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1,20 hat der fiktive Briefautor „Paulus“ den Akt singulär vollzogen, von einer Gemeindeversammlung ist dort nicht die Rede. Dennoch ist auch dort der Akt nicht geheim oder intern, den öffentlichen Modus garantiert dessen Publikation im Brief selbst durch „Paulus“. Dies kann man als Hinweis darauf nehmen, dass in besagtem Akt einer eine Handlung performiert und andere Zeugen sind. 4. Der Akt findet in einer Versammlung „im Namen unseres Herrn Jesu“ statt. Auch die Kraft „unseres Herrn Jesu“ ist anwesend. Jedwede Überlegung einer sprachlichen Rekonstruktion des Aktes muss dem Rechnung tragen – etwa darin, dass man sich ein Gebet an Jesus oder/und an Gott vorstellt. 5. Der Satan, dem der Mensch übergeben werden soll, ist dann ein zusätzlicher Aktant, den großen Rahmen bildet der Kyrios Jesus. 6. Der Akt zielt auf eine leibliche Schädigung jetzt und eine pneumatische Rettung (wohl der Gemeinde) in eschatologischer Hinsicht. Mit der Formulierung „Wie hat man sich die Übergabe an den Satan vorzustellen?“ hatten sich in jüngerer Zeit Ostmeyer, daran anschließend Dochhorn11 dem konkreten Akt angenähert. Im Rahmen einer motivlichen Einordnung von 1 Kor 5 in die jüdische Passatheologie wurde das, was Paulus einforderte, in der Wirkungsgeschichte von Ex 12 gesehen. Das „Verderben des Fleisches“ zielt auf den Verderber, der in der Passahnacht die Ägypter getötet hatte, wobei ein Textbogen von ὄλεθρος (Verderbnis) in 1 Kor 5,5 über den ὀλετρευτής (Verderber) in 1 Kor 10,10 zum ὀλετρεύων (Verderbender) in Ex 12,23 LXX gespannt ist; die satanologische Identifikation von Ex 12 ist in einer Variante von Jub 42,9 belegbar. Diesem Verderber wird der Anonymus in 1 Kor 5 ausgeliefert, wobei eine Art Buße als Ziel der Handlung angenommen wird: Wenn der Mensch ausgeschlossen und auf seine sarkische Wirklichkeit zurückgeworfen wird, wird ihm die Tragweite deutlich, und durch die dann entstehende Reue wird er am Tag des Herrn gerettet.12 Zusätzlich bleibt in eschatologischer Hinsicht bei einem Ausschluss das Pneuma der Gemeinde rein. In ähnlicher Weise wären die Forderungen des Paulus gut auf dem Hintergrund von Hi 2,6 LXX zu erklären, da sich auch hier weitflächige inhaltliche Überschneidungen ergeben. In einer frühen Hiob-Exegese in TestJob 20,3 erzählt Hiob:13 „Und damals gab mich (παρέδωκέν με) der Herr in seine (sc.: des Satans) Hände, mit meinem Leib (σῶμα) zu verfahren, wie er wollte. Über meine Seele (ψυχή) aber gab er ihm keine Macht.“ Wenngleich auch hier keine sarx-pneuma-, sondern eine soma-psyche-Diastase vorliegt, ist eine Übergabe an den Satan, einhergehend mit versammlung und betont durch die Worte „ἀπὼν τῷ σώματι“, dass wohl ein anderer spricht, allerdings mit der Autorität des Paulus. 11 Ostmeyer 2002, vertiefend und weiterführend Dochhorn 2016. 12 Merklein 2000, 38, vgl. Ostmeyer 2002, 43, ebenso insbesondere unter materialreicher Aufnahme der altkirchlichen Tradition Dochhorn 2016, 134 f.; zur Parallele dieser „Verrechnung“ von Strafe bei Lebzeiten im Gottesgesicht in TestAbr A14: Dochhorn 2016, 144 f. 13 Zitiert nach B. Schaller (JSHRZ III/3); zur Hiobexegese in TestJob vgl. Dochhorn 2010.
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körperlicher Versehrtheit und letztendlicher göttlicher Rehabilitation gemeint, und dies rückt motivlich nah an 1 Kor 5,5 heran. Das oben knapp skizzierte Verständnis der Stelle auf dem Hintergrund von Ex 12 sowie auch die Lektüre auf der Basis der Hiobtradition bieten jeweils eine kohärente motivliche Deutemöglichkeit für die Vorstellungswelt von 1 Kor 5, lassen aber die Frage nach der konkreten Performanz des eingeforderten Aktes noch offen. An dieser Stelle ist auf den benachbarten Diskurs um das Thema „frühchristliche Gemeindezucht“ hinzuweisen. Aufgrund der Forderung in V. 2.13 (dort wohl mit einer Allusion an Dtn 17,7), dass der Unzüchtige aus der Gemeinde verstoßen werden solle, wurden in der Forschung zur Stelle Fragen nach Kirchenzucht und Exkommunikation im frühen Christentum gestellt und durch Hinweise auf entsprechende jüdische Passagen aus den Qumranrollen oder der frühen rabbinischen Überlieferung zu beantworten versucht.14 Tatsächlich finden sich erkennbare Parallelen zwischen der oben postulierten ersten Annährung an den von Paulus eingeforderten Akt zu 1QS II, die entsprechende Textpassage sei daher in der Übersetzung Johann Meiers zitiert:15 1QS II,4–15: und die Leviten verfluchen alle Männer des 5 Loses Belials und heben an und sprechen: Verflucht bist du in allen Freveltaten deiner Verschuldung! Es gebe dir 6 Gott Schrecken durch alle deine Rache‑Vollstrecker, und befehle hinter dir her Vernichtung durch alle, die Vergeltung 7 heimzahlen, Verflucht bist du ohne Erbarmen entsprechend der Finsternis deiner Taten … 10 Und alle, die in den Bund eintreten, sprechen nach denen, die sie segnen und verfluchen: Amen, Amen! 11 Und die Priester fahren fort und sprechen: Verflucht ist, wer mit den Befleckungen seines Herzens den Bundesschluss zu begehen 12 in diesen Bund eintritt und den Anstoß seiner Verschuldung vor sich setzt, um dabei abzuweichen. Und wenn er 13 die Worte dieses Bundes hört und sich glücklich preist in seinem Herzen wie folgt: „Friede möge ich haben, 14 obschon ich in der Verstocktheit meines Herzens wandle“, so werde sein Geist dahingerafft, das Trockene samt dem Frischen, ohne 15 Vergebung. … Und alle, die in den Bund eintreten, respondieren und sagen nach ihnen: Amen, Amen!
Es handelt sich hier um einen rituellen, jährlich erbrachten Fluch einer bestimmten Gruppe einer Gemeinschaft (Leviten) über Außenstehende; diese werden direkt angesprochen, den Hauptrahmen bildet Gott, es sind allerdings auch numinose Nebenmächte in Zeile 6 erwähnt (Rache-Vollstrecker) sowie Belial. Allerdings: in 1QS II 14 wird der Geist vernichtet, was mit 1 Kor 5,5 (der Geist werde gerettet) schwer kompilierbar ist. 14 Collins 1980, 257, sieht Nähen zu CD 7,21–8,3. Insbesondere der Fluchritus von 1QS II ist als Entfaltung von Dtn 27,11–26 lesbar, weitere Textbezüge bei Hagenow 2011, 103–105. Grundlegend hierzu immer noch Forkman 1972, bezüglich soziologischer Theorien Harris 1991. 15 Maier 1995, 170 f.
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Auch stellen sich zum Gesamtzusammenhang der Interpretation von 1 Kor 5 durch Zeugnisse frühchristlicher oder jüdischer Gemeindezucht kritische Anfragen, deren zwei seien hier aufgeworfen. Zum einen: ein Blick auf die philologische Ebene lässt – bei allen Motivähnlichkeiten – Zweifel aufkeimen, ob die Geschehnisse in 1 Kor 5 wirklich nahtlos in die Spuren der Gemeindezucht aus dem alttestamentlichen Traditionsstrom einzuordnen sind: Ein Vergleich mit den entsprechenden Fachtermini16 zeigt, dass die in 1 Kor 5 verwendeten Begriffe wie αἱρέω bzw., je nach Handschriftenlage, ἐξαιρέω (V. 2) – wenn überhaupt – nur in eine schmale, auf Jos 7,12 oder Dtn 17,717 zurückweisende Spur aus dem Traditionsstrom der alttestamentlichen Überlieferung einordbar sind; mit παραδίδωμι (V. 5) verkompliziert sich dies noch zusätzlich, denn dieser Begriff kommt in den herangezogenen alttestamentlichen Vergleichstexten nicht vor. Zum zweiten: Mit großer Wahrscheinlichkeit beziehen sich die Formulierungen „aus der Mitte verstoßen“ in V. 2.13 nicht auf die von Paulus geforderte Gemeindeversammlung in der Zukunft, sondern auf die Situation zuvor: in V. 2 hätte der Anonymus aus der Mitte verstoßen werden müssen, V. 13 ist in der Briefsituation des Vorbriefes (5,9) zu lesen. Daher ist eine Gleichsetzung der früheren Anweisung des Paulus („aus der Mitte verstoßen!“) zur Handlungsanweisung für die zukünftige Versammlung („dem Satan übergeben!“) nicht zwingend anzunehmen. In der von Paulus eingeforderten Versammlung ist an eine konkrete, von der Gemeinde zu vollziehende Handlung gedacht – nur an welche? Diese Erkenntnislücke wurde schon des Öfteren festgestellt.18 Man wird an einen Ausgrenzungsakt zu denken haben,19 über den Paulus in seiner konkreten Ausformung Schweigen bewahrt.20 Hier ist insbesondere die philologisch orientierte Studie von Horbury 1985, zu nennen. South 1993, 539–544, bietet eine gelungene Kurzdarstellung des Deuteparadigmas, das er „course/death interpretation“ nennt – freilich, um dies dann im Anschluss exegetisch zu widerlegen. 17 Zu Dtn 17,7 vgl. insbesondere Zaas 1984. 18 Merklein 2000, 35: „Über die Art des Verfahrens (förmliche Abstimmung, Akklamation etc.) und über die Frage, in welcher Weise die einzelnen Gemeindeglieder zu beteiligen sind, sagt der Text nichts.“ 19 Als alternative Möglichkeit, die Handlung „dem Satan übergeben“ konkret zu verstehen, bietet sich eine juristische Interpretation an: Zeitgenössische Papyri belegen die „Auslieferung“ straffälliger Personen oder auch Sklaven, die Nennung des „Satan“ lässt dann die Vorstellung einer Auslieferung an den Sklavenhalter, Polizeikräfte oder Gefängniswächter mitschwingen, vgl. Arzt-Grabner 2006, 207 f.; Derrett 1979, wie auch Orr /Walther 1981, in ihrem Kommentar z. St. gehen von einer Übergabe an römische Autoritäten aus. Pfitzner 1982, 46 f., sieht den Ausschluss als schon vom Unzuchtsünder selbst vollzogen an, damit entfallen Überlegungen zum Charakter des zugrundeliegenden Rituals gänzlich. 20 Einen „exhibitiven Akt der Verweisung“ erkennt Meyer 1888, 144. Harris 1991, erkennt im Rahmen seiner soziologischen Analysemodelle einen punitiven Charakter bezüglich des einzelnen Unzuchtsünders und gleichzeitig einen schützenden bezüglich der Gemeinde; darauf aufbauend Vander Broek 1994. Der Akt kann als reine Ausgrenzung verstanden werden, die Ausgrenzung aus dem heiligen Bezirk der Gemeinde wird metaphorisch als „dem Satan übergeben“ bezeichnet, der Mensch ist dann wieder den Gesetzen der Welt und der Sterblichkeit aus16
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Die oben festgestellte Kenntnislücke wurde seit langem schon mit Blick auf magische Praktiken zu füllen versucht; so hat v. a. A. Deißmann in seinem „Licht vom Osten“ eine Nähe zur Devotionspraxis, also zur Weihung an die Götter der Unterwelt, erkannt.21 G. Forkman sieht eine Verfluchung als Hintergrund für die von Paulus angedeuteten Ereignisse,22 in jüngerer Zeit wurden von Fotopoulos speziell Defixionstexte herangezogen, um die Geschehnisse hinter 1 Kor 5,5 und 1 Kor 16,22 als „course“ zu interpretieren.23
3. Die Nähe zu den Gebeten um Gerechtigkeit Rückt man Verfluchungstexte exegetisch in die Nähe der in 1 Kor 5.4 f. beschriebenen Gemeindeversammlung, so wird das Ritual fokussiert, das in dieser Versammlung – womöglich – vollzogen wird. Doch ist hier wirklich ein Bindezauber erwartbar, wie er auf den zahlreich erhaltenen Defixionstäfelchen zu lesen ist? Die Textexegese, auf deren Basis oben einige Eckpunkte der von Paulus eingeforderten Performanz erwogen wurden, lässt hier Zweifel aufkommen. Der Blick schärft sich allerdings, wenn eine weitere Textbeobachtung berücksichtigt wird: Wie schon Bammel zutreffend erkannt hatte,24 benutzt Paulus in 1 Kor 5 gehäuft juristische Terminologie, und dies mag ein erstes Indiz dafür sein, zur Erfassung des in der Gemeindeversammlung von 1 Kor 5,4 f. implizierten Rituals auf die Rachegebete,25 spezieller auf die „Gebete um Gerechtigkeit“ hinzuweisen, die erst in der Forschungsgeschichte der letzten Jahrzehnte von Defixionen unterschieden worden sind. Auch sie sind oftmals auf Bleitäfelchen erhalten, eine Unterscheidung von reinen Defixionen konnte sich also nicht am Trägermaterial der Texte, sondern muss sich am Textinhalt orientieren. geliefert (Verderben des Fleisches), so South 1993, 544 f.; Merklein 2000, 37; ähnlich, ohne Rekonstruktion eines möglichen Gemeindeaktes, Schrage 1991, 374–376. 21 Deissmann 1923, 256 f.; Fascher 1988, 159, erkennt Anleihen an eine Exorzismuspraxis. Dass sich die Exegese von 1 Kor 5 nicht auf die Alternative „Verfluchung“ vs. „Gemeindezucht“ beschränken muss, zeigt eindrucksvoll Smith 2008 in seiner ausführlichen Monographie, der als Antwort der von 1 Kor 5 aufgeworfenen Fragen „cursing, physical destruction, and exclusion“ notiert. 22 Forkman 1972, 144–147; vgl. Harris 1991, 16 f. 23 Bei 1 Kor 5,5 sieht Fotopoulos 2014, 296, eine „rituelle Verfluchung“ (ritual course) durch Paulus. Für 1 Kor 16,22 wird der Ruf „Maranatha“ zusätzlich nicht als urchristliches Traditionsstück, sondern als vox mystica und damit als rhesis barbarike identifiziert. Beim Vergleich von 1 Kor 16,22 mit v. a. den in Korinth aufgefundenen Defixionstexten führt Fotopoulos die Prägnanz und Kürze der paulinischen Formulierung an (Fotopoulos 2014, 294 f.). 24 Bammel 1997; vgl. auch Dochhorn 2016, 130. 25 Zu den Rachegebeten vgl. die Sammlung bei Björck 1938, 24–33; hiervon ist die „Verleumdung“, die διαβολή, wie wir sie etwa in PGM IV 2618–2708 erhalten haben (vgl. die Sammlung bei Eitrem 1924), zu unterscheiden; in diesem „amoralischsten Mittel“ (Graf 1996, 164), eine Gottheit zu beeinflussen, denunziert der defigens das (eigentlich unschuldige) Opfer bei der Gottheit.
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Die „Gebete um Gerechtigkeit“ richten sich an eine Gottheit, um für eine Untat der Vergangenheit Sühne zu erwirken.26 Darin unterscheiden sie sich von Defixionen im engeren Sinne,27 bei denen ein Konkurrent für ein in der Zukunft erstrebenswertes Gut gegen seinen Willen ausgeschaltet werden soll (Versnel hat hier mit anderen vom „kompetitiv-agonistischen Charakter“ der Defixionen gesprochen).28 Bei den „Gebeten um Gerechtigkeit“ geht es darum, dass ein durch ein weltliches Gericht nicht zu belangender Täter für eine in der Vergangenheit verübte Tat doch noch seine gerechte Strafe finden möge. Ein weiterer, wesentlicher Unterschied dieser Gebete zu den reinen Defixionen besteht darin, dass sie oftmals (allerdings nicht ausnahmslos) öffentlichen Charakter hatten; sie wurden an prominenter Stelle abgelegt (oder manchmal an Tempelwänden fixiert) – und nicht, wie Defixionen, rituell im Verborgenen hinterlegt,29 was sie inhaltlich und in ihrem öffentlichen Charakter in die Nähe der kleinasiatischen Beichtinschriften rückt.30 Es geht also darum, dass ein zu sühnendes Vergehen rituell öffentlich gemacht und einer numinosen Macht zur Rechtschaffung anvertraut wird. Als Beispiel sei die Rückseite einer vieldiskutierten Bleitafel aus Arkesine/Amorgos (wohl 2. Jh. n. Chr.) erwähnt:31 Κυρία Δημήτηρ, λιτανεύω σε παθὼν ἄδικα, ἐπάκουσον, θεά, καὶ κρῖναι τὸ δίκαιον, ἵνα τοὺς τοιαῦτα ἐνθυμουμένους καὶ καταχαίροντες καὶ λύπας ἐπιθεῖναι κἀμοὶ καὶ τῇ ἐμῇ γυναικὶ Ἐπικτήσι, καὶ μισοῦσιν ἡμᾶς ποιῆσαι αὐτοῖς τὰ δινότατα καὶ χαλεπώτερα δινά. Βασίλισσα, ἐπάκουσον ἡμῖν παθοῦσι, κολάσαι τοὺς ἡμᾶς τοιούτους ἡδέως βλέποντες.
26 Wünsch 1900, 234, formulierte: „nur bei erlittenem Unrecht ist man befugt, die Rache der Unterirdischen durch einen Fluch hinaufzubeschwören“; zur Begrifflichkeit tabulae iudiciariae vgl. Audollent 1904, LXXXVIII–XC (mit aufgelisteten Beispielen), dort allerdings noch als eine von fünf Untergattungen der Defixionen beschrieben. Abgrenzend zu Defixionen definiert Versnel 2010, 278: „I define ‘prayers for justice’ as pleas addressed to a god or gods to punish a (mostly unknown) person who has wronged the author (by theft, slander, false accusations or magical action), often with the additional request to redress the harm suffered by the author (e. g. by forcing a thief to return a stolen object, or to publicly confess guilt)“. Die elegante Definition von Tomlin 2004, 12 („Briefe an die Götter, die von Personen verfasst wurden, die sich zu einer rechtmäßigen Klage befugt sehen“), soll hier nicht verschwiegen werden. Zur Stellung der Gebete um Gerechtigkeit zwischen defixio und öffentlichem Fluchgebet: Kropp 2008, 119 f. 27 Versnel 1991, 60, spricht von „defixiones in the traditional meaning of that term“ und bezieht sich (61) auf die verbreitete Definition der Defixionen von Jordan 1985, 151. 28 Versnel 2009, 10; dazu ausführlich Faraone 1991. 29 Diskussion bei Versnel 1991, 80 f. 30 Zu den kleinasiatischen Beichtinschriften vgl. die maßgebliche Sammlung bei Petzl 1994 (BIWK), zu deren Theologie Petzl 1998; speziell zum Verhältnis dieser Texte zum NT vgl. Klauck 1996, und Öhler 2016. 31 TheDefix 215 (ed. DT, Nr. 40), die Tafel ist nicht mehr erhalten, Diskussion bei Björck 1938, 129–131; Versnel 1991, 69 f. mit Anm. 39; 96; vgl. auch die Kommentierung in SGD, Nr. 60; Text nach Versnel 1985, 252 f.
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Herrin Demeter, ich flehe Dich an als einer, der Unrecht leidet: Erhöre mich, Göttin, und schaffe Recht, bezüglich denjenigen, die sich derart ereifern und sich schadensfroh zeigen und mir und meiner Frau Epiktesis Ärger bereiten, und uns hassen: Bereite denen das gewaltigste und entsetzlichste Grauen. Königin, erhöre uns, die wir leiden und bestrafe die, denen unsre Lage eine Augenweide ist.
Hier wendet sich eine männliche Person – auch im Namen seiner Gattin, die namentlich genannt ist – an die Göttin Demeter, um unterwürfig um Kompensation eines gefühlten Unrechts zu bitten. Bei diesem handelt es sich nicht um Diebstahl (wie bei den „Gebeten um Gerechtigkeit“ häufig), sondern der Beter und seine Frau waren, wie es der hier nicht zitierten Vorderseite des Täfelchens zu entnehmen ist, von einem gewissen Epaphrodeitos gedemütigt worden, der ihnen die Dienerschaft erst aufgewiegelt und dann abtrünnig gemacht hatte. Dies sorgte dann wahrscheinlich für einen umfassenden Ausdruck von Schadenfreude im Referenzmilieu des Beters, eine Attitüde, die im Rahmen weltlicher Gerichtsbarkeit nicht justiziabel ist. So wendet sich der Geschädigte an die Göttin und bittet um Gerechtigkeit gegen die, die ihn öffentlich geschmäht hatten. Sind wir hier strukturell noch recht weit von den durch Paulus eingeforderten Handlungen in 1 Kor 5 entfernt, rückt uns ein anderes „Gebet um Gerechtigkeit“ strukturell deutlich näher. Auf einem Bleitäfelchen aus Wilten/Innsbruck, 2. Jh.32 ist zu lesen: Secundina Mercurio et Moltino mandat, ut, si quis (denarios) XIIII sive draucus duos sustulit, ut eum sive fortunas eius infidus Cacus sic auferat, quomodo illi ablatum est id, quod vobis delegat, ut persequamini vobisque deligat, ut persequamini et eum aversum a fortunis suis avertatis et a suis proximis et ab eis, quos carissimos habeat. Hoc vobis mandat, vos eum persequamini. Secundina überträgt Mercurius und Molinus folgendes: Wer auch immer die 14 Denare und die beiden Halsreifen hatte mitgehen lassen, den wie auch dessen Vermögen soll der skrupellose Cacus gleichsam entwenden – genauso wie auch ihr [sc. Secundina] das, was zu verfolgen sie euch aufgetragen hat, abhanden kam. Ebenso überträgt sie euch, dass ihr ihn verfolgt und dass ihr ihn trennt von seinem Vermögen, von denen, die ihm nahestehen und denen, die er am meisten liebt. Dies vertraut sie euch an: Ihr sollt ihn verfolgen!
Das hier eingravierte Gebet ist an den römischen Gott Merkur sowie den keltischen Gott Moltinus gerichtet.33 Diese sollen den unbekannten Dieb verfolgen und ihm – similia similibus34 – alles, was ihm lieb und teuer ist, wegnehmen. Interessant für unsere Zusammenhänge ist, dass zudem noch eine weitere, wohl untergeord32 Zitiert ist der stilistisch überarbeitete Lesetext von Kropp, dfx, Nr. 7.5/1 (TheDefix 109); zur Fundgeschichte: Franz 1959, zur Diskussion Versnel 1991, 83 f. 33 Franz 1959, 73, grenzt aufgrund einer weiteren Nennung Moltinus auf den gallisch-häduischen Bereich enger ein. 34 Zur im Vergleich mit anderen lateinischen Gebeten um Gerechtigkeit eher seltenen Einordnung dieses Spruches in das Talionsprinzip Kropp 2008, 120.
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nete numinose Macht als Aktant erwähnt ist: Cacus, ein dreiköpfiges gefräßiges Ungeheuer altrömischer Mythologie, wird in Anklang an Prop. IV 9,7 f.35 zur Bestrafung des anonymen (weil unbekannten) Diebes herangezogen. Der CacusMythos hat einen gewissen Bezug zum textpragmatischen Geschehen des zitierten Täfelchens, insbesondere in der bei Properz gebotenen Version: Einmal ist er ein Dieb (er stiehlt die Rinder), zum zweiten ist diese Tat bei Properz als Tabubruch dargestellt: Er hat sich am Gastrecht vergangen und damit in seiner Übergriffigkeit neben der moralischen auch eine sakrale Grenze überschritten. Die Nennung des Cacus gibt damit einen gewissen Einblick in die Art, mit der Secundina die Entwendung ihres Geldes und ihrer Halsreifen bewertet: Hier ist mehr als nur ein bloßer Diebstahl geschehen, die Tat war in ihrer Wahrnehmung eine bislang beispiellose, skrupellose Grenzüberschreitung! Dieser „zweite Aktant“, in obigem Falle Cacus, ist in der Hierarchie niedriger als die genannten ersten Götter, es handelt sich demnach nicht um eine Reihung gleichwertiger Götter‑ oder Dämonennamen, wie wir sie bei magischen Anrufungen gehäuft finden.36 Cacus besetzt hier die Stelle des ausführenden Aktanten, seine Vorgehensweise wird konkret benannt. Dieses Auftauchen eines „zweiten Aktanten“ ist bei den gefundenen „Gebeten um Gerechtigkeit“ keineswegs ein Einzelfall, sondern begegnet öfter.37 Es ist daher zu überlegen, ob die formgeschicht35 „Sed non infido manserunt hospite Caco incolumes/Weil Cacus dem Gastrecht nicht die Treue gehalten hatte, blieben sie nicht unversehrt.“ Gemeint sind die Rinder Geryons, von Herakles bei seiner zehnten Tat durch Italien getrieben. Zu den Ausgestaltungen des Cacus als übermenschliche Gestalt in augusteischer Zeit (Cacus als riesiger Menschenfresser, zudem als Sohn des Vulcanus feuerspeiend!) bei Verg., Aen. VIII 184–275, und Ov., fast. I 543–586 (dort ist in V. 552 das Motiv des Frevels am Gastrecht aufgenommen, denn Cacus ist „Einheimischen wie Fremden ein nicht leichtzunehmendes Übel“), vgl. Schubert 1991; zu den griechischen Wurzeln des Herakles-Cacus-Sagenkranzes: Sutton 1977. 36 Vgl. zu den „übermenschlichen Adressaten“ des magischen Rituals und auch zur Hierarchisierung der Gottheiten Graf 1996, 133–135. 37 Einige Beispiele: Das Rachegebet gegen „Priszilla, die Verräterin“ (dfx, Nr. 5.1.3/1 [TheDefix 260]), das den höchsten Gott Attis und die 12 Götter des Pantheons anspricht und zusätzlich als zweiten Aktantinnen „den Göttinnen“ (den Erinnyen oder den Praxidikai?) die Rache anvertraut (commendo deabus iniurium), wobei der archaisierende Dativ deabus gerade den femininen Kasus hervorheben soll, so Scholz/Kropp/Blumer 2006, 185. – Das ebenso an Attis gerichtete Fluchgebet eines Täfelchens aus dem Mainzer Isis‑ und Magna-Mater-Heiligtum (Inventarnummer 201 B 36, vgl. Blänsdorf 2004; dfx, Nr. 5.1.5/2 [TheDefix 261]) nennt als zweite Aktanten „dein Castor und Pollux“, die Dioskuren sind also Attis hier untergeordnet. – Das von Blänsdorf 2010, 236–241, und Blänsdorf 2012, besprochene Gebet um Gerechtigkeit aus dem Anna Perenna Nymphäum in Rom (Inventarnummer 475567 [TheDefix 501]) wendet sich neben den Nymphen „a supteris et angilis“ als weitere ausführende Größen. – Das Gebet auf einem Bleitäfelchen aus Carnuntum/Pannonien (AE 1929, 60 f., Nr. 228, vgl. Kropp 2004, 85–88, dfx, Nr. 8.3/1 [TheDefix 265]) redet neben den Gottheiten Dispater und Veracura auch Cerbere auxilie, also den „Gehilfen Cerberus“ als untergeordneten zweiten Aktanten an. – Bleitäfelchen aus Alcácer do Sal/Portugal, 2. Jh. (Marco Simón 2004; dfx, Nr. 2.3.2/1 [TheDefix 600]): Anrede an Kybele, die den Körper des Attis angenommen hat (Domine Megare Invicte, tu, qui Attidis copus accepisti), dann auch direkt an Attis (domine Attis, te rogo …). – Das Gebet auf einer Bleitafel von der Hamble-Mündung, GB, 4. Jh. (dfx, Nr. 3.11/1 [TheDefix 667]) wendet sich
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liche Untersuchung dieser speziellen Gebete an dieser Stelle differenziert werden sollte:38 Es werden Gottheiten angesprochen, daneben aber in manchen Fällen untergeordnete numinose Mächte mit exekutivem Charakter; gerade diese Größe des „zweiten Aktanten“ ermöglicht es, eine strukturelle Nähe zur oben rekonstruierten, möglicherweise durch Paulus eingeforderten Performanz in 1 Kor 5 anzunehmen: Hier wie da ist ein beispielloses, allerdings nicht justiziables Vergehen vorangegangen. Hier wie da liegt ein Bedürfnis nach Ausgleich dieses Vergehens vor. Hier wie da wendet sich eine betroffene Person an eine Gottheit (in Wilten an Merkur und Moltinus, in Korinth an Gott und/oder „unseren Herrn Jesus“), hier wie dort wird eine dritte, abständige numinose Macht genannt (Cacus bzw. Satan), denen die Rechtsherstellung anvertraut wird. Damit ist es möglich, den von Paulus eingeforderten Akt auf dem Hintergrund eines „Gebetes um Gerechtigkeit“ zu verstehen. Interessant ist, dass wir in diesem Zusammenhang auch unter den erhaltenen Fluchtäfelchen von Korinth Vergleichsmaterial finden.
4. Magie in Korinth Dass das große Thema der sexuellen Freizügigkeit gerade in Korinth in seiner gesamten Ambiguität eine Heimat hat, ist längst erkannt.39 Die „Stadt der Aphrodite“ (Strab. VIII 379) mit dem in römischer Zeit noch durchaus erinnerten Tempel der Liebesgöttin in Akrokorinth bietet längst schon eine fruchtbare Folie für die an dominus Neptun, dann auch an Niske, möglicherweise das männliche Pendant der Nisken (Wassernymphen, so erwägt Tomlin 1997, 457). – Täfelchen aus Marlborough Downs, GB, vielleicht 4. Jh. (dfx, Nr. 3.16/1 [TheDefix 674]) wendet sich an Merkur (deo marti) und im weiteren Verlauf an den Genius dieses Gottes (zu diesem ungewöhnlichen Befund: Tomlin/Hassall 1999, 378 f.). – Das Rachegebet auf einem Bleitäfelchen der Athener Agora, 1. Jh. (Elderkin 1937, Gager 1992, 180–183 [TheDefix 224 (ed. SEG 30, Nr. 326)]) nennt eine gleichrangige Reihe von Gottheiten und wendet sich am Ende „dem Diener Hermes“ (Ἡρμεῖ διακόνῳ) als untergeordnetem „zweiten Aktanten“ zu. – Das „Rachegebet von Rheneia“, jüdisch-samaritanisch, Marmorinschrift aus Delos, 2. Jh. (Bergmann 1911; Gager 1992, 185–187 [TheDefix 227 (ed. IDélos 2532)]) wendet sich an „den höchsten Gott“ und redet dann den Kyrios καὶ οἱ ἄγγελοι θεοῦ als weitere deutlich untergeordnete Aktanten an. – Ein Rachegebet auf einem Bleitäfelchen aus Knidos, wohl 1. Jh. (DT, Nr. 4; Gager 1992, 190 [TheDefix 566]) wendet sich an Demeter und Kore, im weiteren Verlauf auch „an die Götter bei Demeter“. – Das Rachegebet auf Bleitäfelchen KM 043, Grab 22 (TheDefix 424 [ed. SEG 57, Nr. 332]) aus Kenrecheai (Faraone/Rife 2007) wendet sich an die unteren Gottheiten Bia, die Moiren und Ananke, am Ende am „final and more definitively destructive part“ (Versnel 2010, 320) an den Herrn „Chan Sereira Abraxas“. 38 Ich denke hier insbesondere an die Punkte 4 und 5 der bei Versnel 2010, 279 f., aufgeführten „features“ (4. gods other than the usual chthonic deities are often invoked 5. these gods, either because of their superior character, or as an emollient gesture, may be awarded a flattering epithet [e. g. φίλη] or a superior title [e. g. κύριος, κύρια or δέσποινα]); ein fakultativer Punkt 5a würde einen „zweiten Aktanten“ berücksichtigen können. 39 Klassisch Conzelmann 1967, der entsprechende Nachrichten als Echo einer fernen Vergangenheit identifiziert.
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religionsgeschichtliche Exegese gerade der πορνεία–Stellen in 1 Kor 5–7. Weniger intensiv hingegen wurde Korinth hinsichtlich seines magischen Lokalkolorits gewürdigt, obwohl es hier durchaus Anknüpfungspunkte gäbe: Wurden nicht, wie Pausanias im 2. Jh. schreibt, die Korinther beim Rundgang durch ihre Stadt immer wieder an die Zauberin Medea erinnert, die dort aus Eifersucht auf ihren treulosen Gatten Jason fürchterlich gewütet hatte?40 Erzählte man sich nicht, beispielsweise bei Philostrat, Ap. IV 25, Geschichten von Empusen und Laminen, die in Korinth junge Männer durch Zauberei sexuell betören, um sie dann zu töten? Kursierten nicht Anekdoten über die abgründigen sexuellen Lüste der korinthischen Frauen gerade im Bannkreis des Verbotenen und Kriminellen?41 Vielleicht waren es Geschichten wie diese, die einen Spötter wie Lukian dazu motivierten, sich über die Furcht der Korinther vor Dämonen und Magie literarisch lustig zu machen.42 So scheint es reizvoll, auch den von Paulus verlangten Umgang mit dem „Unzuchtsünder“ im magischen Kolorit Korinths zu suchen. Unsere Kenntnisse der Defixionspraxis im antiken Korinth sind v. a. durch zwei Sammlungen vermittelt: Einmal durch David Jordans addenda zu den gängigen Defixionssammlungen,43 zum zweiten durch die Grabungsberichte der American School of Classical Studies, die durch Einzelfunde zu ergänzen sind.44 Insbesondere die 18 gefundenen Bleitäfelchen45 auf dem Areal des Demeter‑ und Koreheiligtums sind als Referenzzeugnisse interessant, und darunter verdient ein Doppeltäfelchen besondere Aufmerksamkeit:46 125 παραθίτομα[ι] καὶ καταθί[το]μα[ι] Καρπίμην Βαβίαν στεφανηπλόκον Μοίραις Πραξιδίκαις ὅπως ἐγδεικ[ήσ]ωσι τὰς ὕβρ{ι}εις, Ἑρμῇ Χθονίῳ, Γῇ, Γῆς παισίν, 40 Wie aus Paus. II 3,6 f. hervorgeht, werden zumindest im 2. Jh. mehrere Stellen der Stadt mit Teilen dieses Mythos konnotiert; die Tötung von Medeas beiden Söhnen begegnet freilich in einer von der „klassischen“ Version bei Euripides oder Seneca abweichenden Variante, die auch bei Apollod. I 146 überliefert ist: Die beiden Knaben wurden nicht von Medea, sondern von den Korinthern getötet. Diese „korinthische“ Tradition nährt die Relevanz der Geschichte von den getöteten Kindern der Medea für eine magisch geprägte Volksreligiosität, weil sie dann in der Reihe der biaoithanatoi und aôroi stehen (Holland 2008, 420–422). 41 Ein beredtes Zeugnis hierfür ist die „korinthische Episode“ bei Apul., met. X 19–35, in der landläufige Vorurteile über die sexuelle Zwielichtigkeit korinthischer Frauen bis hin zur Sodomie und zum sexuell motivierten Giftmord aufgenommen werden – Seitenstücke hierzu sind beispielsweise die süffisanten Schilderungen Korinths bei Strab. VIII 378 oder der Ausdruck κορινθιάζομαι für unzüchtiges Treiben etwa bei Aristoph., frgm. 354. 42 Vgl. die mit volkstümlichen Versatzstücken magischer Traditionen angereicherte „korinthische“ Gespenstergeschichte in Lukian, Philops. 30 f. 43 SGD und NGC. 44 Vgl. die Zusammenstellung von Fotopoulos 2014, 291–293. 45 Jordan 1985, 166, spricht noch von 14 Defixionen. 46 Inventarnummer MF-1969–294 und MF-1969–295 (TheDefix 358, ed. SEG 49, Nr. 338; SEG 51, Nr. 347), in Corinth VIII.6 Katalognummer 125 und 126. Die Dokumentation, Edition und Beschreibung dieses Täfelchens erfolgt auf der Basis von Stroud 2014, 194–202, und Stroud 2013, 104–115 (Nr. 125 f.).
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[ὅ]πως κατεργάσων(τ)αι καὶ διεργάσωνται ψ[υ]χὴν αὐτῆς καὶ καρδίαν καὶ νοῦ(ν) αὐτῆς [καὶ] φρένες Καρπίμης Βαβίας σ(τ)εφανη[π]λόκου. ὁρκίζω σε καὶ ἐναρῶμαι σε καὶ ἐνεύχομαί σοι, Ἑρμῆ Χθόνιε, τὰ μεγάλα vacat 0.05 m 126 ὀ[νύ]ματα τῆς Ἀνάνκης ΝΕΒΕΖΑΠΑΔΑΙΕΙΣΕΝ[.]ΓΕΙΒΕΒΗΩΗΕΡΑ κάρπισαί με, τὸ μέγα ὄν[υ]μα τὸ ἐπάνανκον, ὃ οὐκ εὐχερῶς ὀνυμάζεται, ἂν μὴ ἐπὶ μεγάλαις ἀνανκαίαι(ς), ΕΥΦΕΡ, μέγα ὄνυμα, κ(άρ)πισαί με καὶ κατέργασαι Καρπίμην Βαβίαν στεφ[α]νηπλόκον ἀπὸ κεφαλῆς μέχρι ἰχνέων ἰ(ς) ἐπιμήν(ι)ον κατεργασ[ί]αν. ναcαt 0.064 m 125 Ich überstelle und überantworte die Karpime Babia, die Kranzträgerin, den Recht schaffenden Moiren, damit diese die Frevel bestrafen, dem chthonischen Hermes, der Ge sowie den Kindern der Ge, damit bestraft und zugrunde gerichtet werden sollen ihre Seele, das Herz und ihr Verstand und die Sinne der Karpime Barbia, der Kranzträgerin. 126 Ich beschwöre dich und flehe dich an und bitte dich, chthonischer Hermes, die großen Namen der Ananke NEBEZAPADAIEISEN GEIBEBEOHERA mache mich fruchtbar, großer, bezwingender Name, der nicht unbedarft aussprechbar ist, außer in größten Nöten: EUPHER, großer Name, mache mich fruchtbar und bestrafe Karpime Babia, die Kranzträgerin vom Scheitel bis zur Sohle mit allmonatlichem Versagen.
Die beiden Täfelchen waren gerollt und mit einem Nagel verbunden; sie wurden am 30. 10. 1969 in einer Füllschicht aus dem späten 1. bis frühen 2. Jh. in Raum 7 („Building of the Tablets“) des römischen Stratums des Demeter‑ und Koretempels gefunden; in diesem Raum wurden insgesamt neun weitere entdeckt, von denen das älteste Mitte 1. Jh. n. Chr. und das jüngste ins 3. Jh. datiert. Zusätzlich wurden Fragmente von Räuchergefäßen und unzähliger Öllämpchen gefunden, sodass sich laut Stroud nächtliche Aktivitäten bei der Benutzung nahelegen (vielleicht analog zu der in PGM XIII 2–15 beschriebenen Szene). Der Fundkontext ist darstellbar in der Szenerie von Ronald Stroud47 als Nachnutzung eines im Zuge der römischen Zerstörung 146 v. Chr. aufgelassenen Tempels, der auch nach der Neugründung 44 v. Chr. kaum weiterbenutzt und erst nach dem Erdbeben 70 n. Chr. zügig wiedererrichtet und zum Tempel der Demeter und Kore aufgebaut wurde. In hellenistischer Zeit waren diesem Heiligtum Räume vorgelagert, die Stroud in Zusammenhang mit Kultmählern insbesondere zum Thesmophorienfest der Frauen bringt; diese Speisesäle waren zu Zeiten des Paulus noch verschüttet, die Thesmophorienfeierlichkeiten wurden aber wohl in Zelten dort weiter begangen. Die archäologischen Zeugnisse werden dahin interpretiert, dass ein spezieller Raum für das Ablegen der Täfelchen vorgesehen war, dass also eine Art öffentlicher Magiebetrieb unter Beteiligung professioneller Magierinnen stattfinden konnte.48 Teile des Rituals waren: wohl nächtliches Aufsuchen einer be47 Stroud 48 Stroud
2014; vgl. auch Stroud 2013, 81–157. 2013, 149 f.
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sonderen Stätte, Licht durch Lampen, Ablegen der Täfelchen, womöglich auch eine Verbindung zum Symposion, hier fanden wohl die Thesmophorienspeisen statt. Man könnte die Textpragmatik wie folgt rekonstruieren: die defigens – es handelt sich um eine Frau – leidet unter ihrer Kinderlosigkeit und ist von Karpime Babia in diesem Zusammenhang gedemütigt worden. Letztere kann als „Kranzträgerin“ in einer Rolle der Thesmophorienfeierlichkeiten gesehen werden.49 Die defigens griff in ihrer Verletztheit zu magischen Mitteln und legte mehrere Täfelchen an gleicher Stelle ab.50 In den vorliegenden beiden Täfelchen wurde ein „Gebet um Gerechtigkeit“ mit einem Defixionsgebet kombiniert. In letzterem an den chthonischen Hermes, zusammen mit den Namen der Ananke (mit Zauberworten und Nennung des Eupher) soll ihre eigene Fruchtbarkeit unter gleichzeitiger Bestrafung der Gegnerin erreicht werden. Auch bei diesem Gebet sind mehrere Gottheiten angerufen, die auf unterschiedlichen Ebenen stehen – wobei die Zuordnung allerdings diskutabel ist. M. E. erfolgt die Hauptdedikation an die Recht schaffenden Moiren, auf deren Ebene steht im späteren Verlauf des Gebetes Ananke mit ihren wirkmächtigen Namen. Ausführend ist v. a. der chthonische Hermes, der die eingeforderte Gerechtigkeit umsetzen soll.
5. Die These In den folgenden Zeilen sei nun zusammenfassend mit der Möglichkeit gespielt, dass der in 1 Kor 5 von Paulus auf einer Gemeindeversammlung eingeforderte Akt als „prayer for justice“, als „Gebet um Gerechtigkeit“ angesprochen werden könnte. Insbesondere der „zweite Aktant“ auf manchen zeitgenössischen Vergleichstexten bietet eine Systemstelle für den „Satan“ in diesem angenommenen Rachegebet. Dieses Gebet ist dann im Rahmen einer öffentlichen Gemeindeversammlung, bei der Paulus „durch den Geist“ anwesend ist, gesprochen worden. Es ist an „unseren Herrn Jesus“ gerichtet, in dessen Namen sich die Gemeinde versammelt hat und übergibt den anonymen Übeltäter dem Satan, vielleicht wie auch Gott Hiob dem Satan übergeben hatte. Sein Leib soll geschädigt werden, damit bei der Wiederkunft Jesu das Gemeindepneuma rein ist. Es wäre nun abschließend reizvoll, über den konkreten Wortlaut dieses fiktiven Gebetes um Gerechtigkeit zu spekulieren; bei derartigen Überlegungen wird freilich das sichere Fahrwasser akademischen Ernstes verlassen und die Traditionslinie des theologischen Humors begrüßt – der in der Fachexegese von 1 Kor 5 aller49 Stroud
2013, 109. Dass die defigens selbst und nicht eine professionelle Magierin handelte, erwägt Stroud 2013, 108, aufgrund sprachlicher Mängel; auch Täfelchen Nr. 124 richtet sich gegen Karpime Babia und stammt nach Stroud 2013, 103, von derselben Hand wie Nr. 125/126 (und vielleicht auch das sehr fragmentarisch erhaltene Täfelchen Nr. 123). 50
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dings kein Unbekannter ist, wie die unter phantastischen Zufällen aufgefundene und unter unerklärlichen Umständen dann wieder verschwundene Rückantwort des Unzuchtsünders zeigt, die Michael Wolter 2003 in der Festschrift für Helmut Merklein „übersetzt“ hat.51 Man könnte nun – in Analogie zu Wolters Ausführungen – eine Szenerie entwerfen, in der bei Sondierungsarbeiten im römischen Korinth in einer Füllschicht eines Privathauses aus römischer Zeit auf einem erhaltenen größeren Stück Wandverputz ein sehr verblasstes, fragmentarisches Graffito zum Vorschein kam. Eine erste oberflächliche Begutachtung ergab den überraschenden Befund, dass es sich hierbei um ein christliches Gebet handelt, in dem ein Frevler dem Satan übergeben werden soll; der Text hat öffentlichen Charakter (Wandgraffito) und ist wohl in einer Gemeindeversammlung von einer Person für andere gesprochen worden, was ihn zu 1 Tim 1,20 plausibel macht. Bei erster Analyse waren die Allusionen an die Exodustradition Ex 12,23 f. sowie zur Hiobtradition klar erkennbar, auffällig ist weiterhin die strukturelle Nähe zu dem Doppeltäfelchen MF–1969–294/5 aus dem Demeter‑ und Koreheiligtum in Korinth sowie die inhaltliche Nähe zum christlichen Rachegebet P. Rainer (Wien, Nat. Bibl. 19929)52. Sowohl das Originalgraffito als auch die eilig vor Ort angefertigte Abschrift des Textfragmentes sind leider, leider nicht mehr auffindbar, erhalten ist nur die folgende vorläufige deutsche Übersetzung: Unser Gott und unser Herr Jesus, in dessen Namen wir alle versammelt sind. Wir überstellen und überantworten den [Textlücke] Dir, unser Gott, und Deiner Kraft, unser Herr Jesus, damit sein Frevel bestraft werde. Lasst ihn in Hände fallen, die noch härter sind als seine Tat, wir bitten dich, unser Gott: Übergib diesen Menschen dem Satan, dass dieser sein Fleisch verderbe, wie du dem Satan auch den Hiob übergeben hast, dass er seinen Körper verderbe, wie er auch die Leiber der Ägypter verdorben hat, auf dass der Geist unserer Gemeinde wieder rein werde und bereit für den Tag des Kommens unseres Herrn Jesu …
51 Wolter 2009: Der Autor entdeckte auf dem Flohmarkt in Hannover zufällig einen griechischen Text, der sich anhand einer handschriftlichen Anmerkung als Abschrift einer Kopie eines 1864 in Ephesus in einem archivähnlichen Räumchen aufgefundenen Originals erwies und übersetzte diese Abschrift ins Deutsche. Es handelte sich dabei offensichtlich um die rechtfertigende Rückantwort des Unzuchtsünders Eutychus an Paulus. Das griechische Original und dessen Kopie seien, so M. Wolter, nicht mehr erhalten, auch die Abschrift vom Flohmarkt sei leider versehentlich ins Altpapier gewandert und somit verschwunden. 52 PGM Bd. II, P15c (224 f.), 6. Jh. n. Chr.; vgl. insbesondere dort die Wendung ἵνα ἐμπέσῃ εἰς χεῖρας στεραιωτέρ(ας) αὐτοῦ („dass er in Hände falle, härter als die seinen“).
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Neutestamentliche „Bindeformeln“? Eine Spurensuche in der paulinischen Korintherbriefkorrespondenz
Susanne Luther Flüche wurden in der Antike v. a. im paganen Kontext, aber auch von Juden und Christen über fast ein Jahrtausend (6. Jh. v. Chr. bis 5. Jh. n. Chr.) in einem weiten geographischen Gebiet im Nahen Osten, in Ägypten und in der griechisch-römischen Welt benutzt.1 Flüche wurden gesprochen oder geschrieben, sie waren in Griechisch, Latein oder in fremden, unverständlichen Sprachen gefasst, sie konnten privat oder öffentlich, einzeln oder kollektiv ausgesprochen werden. Sie konnten auf eine unspezifische, allgemeine Art und Weise formuliert werden oder konkrete Unglücksfälle benennen, die dem Opfer passieren sollten. Flüche und Bindezauber wurden auf unterschiedlichen Materialien festgehalten2 und in Form von Fluchtafeln oder als Inschriften auf Gebäuden, auf Grenzsteinen, auf Votivgaben oder auf Grabinschriften verwendet. Etwa 1700 antike defixiones wurden bislang gefunden,3 die meisten datieren in die Zeit vom 5. Jh. v. Chr. bis ins 2. Jh. n. Chr.;4 etwa zwei Drittel der Texte sind auf Griechisch, ein Drittel auf Latein,5 zudem finden fremde Sprachen und magische Worte (barbara onomata oder voces mysticae) Verwendung.6 Fluchtexte waren Alltagstexte, die zuhauf produziert wurden und mit denen Menschen aus unterschiedlichsten Hintergründen und Traditionen vertraut waren. Dennoch wurde dieses Corpus an Texten aus dem direkten zeitlichen und räumlichen Umfeld der neutestamentlichen Texte für die Interpretation des Neuen Testaments bislang nur marginal fruchtbar gemacht. Im Fokus dieses Bandes stehen defixionum tabellae, oder kurz defixiones, dünne, mit ,Bindezaubern‘ beschriftete Bleitafeln, die zumeist zusammengerollt, z. T. auch mit Nadeln oder Nägeln durchbohrt, in der Nähe eines Schreins oder Tempels vergraben oder in Gräbern oder Brunnen deponiert wurden.7 Wie die Terminologie der Fluchtexte vermuten lässt, sollten sie Menschen durch die auf dem Täfelchen geschriebenen Wörter binden (καταδέω), (ver)bannen oder durchbohren (de Vgl. Kropp 2008, 43–46. Vgl. Dzwiza 2014, 53–66; Preisendanz 1972, 3 f. 3 Vgl. die Online-Datenbank TheDefix: www.thedefix.uni-hamburg.de. 4 Vgl. Fotopoulos 2014, 276–283. 5 Vgl. Blänsdorf 2008, 68; vgl. zudem Kropp 2008, 45. 6 Vgl. Fotopoulos 2014, bes. 282–289.304–306. 7 Vgl. Preisendanz 1972, 5. 1 2
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figere).8 Die wiederkehrende dreifache Struktur der Flüche zeigt einen Hauptagenten an, der eine Aktion durchführt, um eine Zielperson zu manipulieren.9 Der lateinische Begriff defixio erscheint in den Quellen erst ab dem 6. Jh. n. Chr., dient heute aber meist als Fachbegriff für die lateinische wie die griechische Praxis der schwarzen Magie mittels magischer Texte auf Bleitafeln.10 Man benutzte defixiones in der Antike, um Rivalen zu kontrollieren oder einzuschränken, indem man physischen, emotionalen, intellektuellen oder spirituellen Schaden androhte oder sogar den Tod.11 Defixiones wurden in den verschiedensten Kontexten eingesetzt, in juristischen und politischen Auseinandersetzungen, in Liebes‑ und Ehefragen, in geschäftlichen Angelegenheiten sowie bei Sportwettkämpfen.12 Mit der Verschriftlichung des Fluches auf dem Bleitäfelchen geht jeweils ein Ritual einher, auf das in einem Zauberpapyrus auch verwiesen wird: Λαβὼν [...] μολυβοῦν πέταλον καὶ σιδηροῦν κρίκον [...] γράψον [...] τὸ ὄνομα, τοὺς δὲ χαρακτῆρας [...] καὶ ὅτι „καταδεθήτω αὐτοῦ ἡ φρόνησις ἐπὶ τῷ μὴ ποιῆσαι τὸ δεῖνα πρᾶγμα“ [...]. κεντῶν κατὰ τῶν χαρακτήρων τῷ καλάμῳ καὶ δεσμεύων λέγε: „καταδεσμεύω τὸν δεῖνα πρὸς τὸ δεῖνα· μὴ λαλησάτω, μὴ ἀντισπάτω, μὴ ἀντειπάτω, μή μοι δύναιτο ἀντιβλέψαι ἢ ἀντιλαλῆσαι, ὑποτεταγμένος δέ μοι ἤτω, ἐφ΄ ὅσον οὗτος ὁ κρίκος κέχωσται. καταδεσμεύω δὲ αὐτοῦ τὸν νοῦν καὶ τὰς φρένας, τὴν ἐνθύμησιν, τὰς πράξεις, ὅπως νωχελὴς ᾖ πρὸς πάντας ἀνθρώπους.“ ἐὰν δὲ γυναῖκα: „ὅπως μὴ γαμήσῃ τὸν δεῖνα ἡ δεῖνα“ (κοινά). εἶτα ἀπενέγκας ἀυτὸ εἰς ἀώρου μνῆμα ὄρυξον ἐπὶ δ΄ δακτύλους καὶ ἔνθες καὶ λέγε: „νεκυδαίμων, ὅστι[ς] [ποτ΄ οὖν] εἶ, παραδίδωμί σοι τὸν δεῖνα, ὅπως μὴ ποιήσῃ τὸ δεῖνα πρᾶγμα.“ εἶτα χώσας ἀπέρχου. κρεῖσσον δὲ ποιεῖς σελήνης μειουμένης. [...] ὁ δὲ κρίκος καὶ εἰς φρέαρ βάλλεται ἀχρημάτιστον ἢ παρὰ ἄωρον. Nimm […] ein Bleitäfelchen und einen eisernen Ring […] schreibe den Namen, die Zauberzeichen […] und [folgendes]: „Gebunden sei seine Vernunft, auf daß er nicht ausführen könne das und das“ […]. Stich ein an den Zauberzeichen mit dem Schreibrohr und vollziehe die Bindung mit den Worten: „Ich binde den XY zu dem betr[effenden] Zweck: Er soll nicht reden, nicht widerstreben, nicht widersprechen, er soll mir nicht entgegenblicken oder entgegenreden können, sondern soll mir unterworfen sein, solange dieser Ring vergraben liegt. Ich binde seinen Sinn und sein Denken, seinen Geist, seine Handlungen, auf daß er unfähig sei gegen jedermann.“ Wenn (du) aber ein Weib bannst, sag auch: „Auf daß nicht heirate den XY die XY“. Dann trag [das Bleitäfelchen] weg ans Grab eines vorzeitig Verstorbenen, grab 4 Finger tief, leg es hinein und sprich: „Totendämon, wer du auch bist, ich übergebe dir den XY, auf daß er nicht ausführe das und das.“ Dann schütt es zu und geh weg. Am besten agierst du bei abnehmendem Mond. […] Der Ring kann auch in einen unbenutzten Brunnen gelegt werden oder ins Grab eines vorzeitig Verstorbenen.13 8 Vgl. Preisendanz 1972, 1 f.; Kropp 2008, 39–41; vgl. zudem Faraone 1997, 4–10; Kropp 2010, 357–380. 9 Vgl. Gager 1992, 13 f.; zu wiederkehrenden sprachlichen Strukturen. 10 Zur Terminologie vgl. Preisendanz 1972, 1 f.; Kropp 2008, 37–43. 11 Vgl. Fotopoulos 2014, 276; vgl. zudem Versnel 2009, bes. 4–14, und Versnel 1997. 12 Fluchtafeln können in vier Gruppen eingeteilt werden: „1) Liebes-defixiones; 2) defixiones gegen Konkurrenten aller Art (wirtschaftliche, sportliche Konkurrenz, Rivalität in Liebesdingen); 3) Prozess-defixiones; 4) defixiones gegen Diebe“, so Kropp 2009, 135, wobei die letzte Gruppe die „Gebete um Gerechtigkeit“ oder „Vergeltungsgebete“ einschließt. 13 Text nach PGM V 304–369; Übersetzung nach Kropp 2008, 76.
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Wie aus dem Text ersichtlich wird, sind die verschriftlichten Fluchtexte der defixiones die materiellen Überreste eines mehrstufigen Ritualprozesses.14 Zudem ist der Bindezauber durch defixiones keine kollektive Handlung, die Öffentlichkeit wird vielmehr bewusst nicht eingeschlossen, durch defixiones kommunizierte Flüche sind nicht Teil der Kulthandlungen einer religiösen Gemeinschaft.15 Vielmehr gilt: „Der Ausführung liegt, allgemein gesagt, das Bedürfnis eines Einzelnen zugrunde, die praktischen Probleme des täglichen Lebens zu meistern“.16 Der Umgang mit dem Bleitäfelchen und seine Deponierung spielen eine zentrale Rolle im Ritual. Zudem ist auch das Material selbst von Bedeutung, denn das Blei der defixiones, ursprünglich einfach nur ein billiges Schreibmaterial, entwickelte sich im Laufe der Zeit zu einem Bedeutungsträger, denn die Kälte des Bleis, sein Gewicht und seine Eigenschaft, leicht schmelzbar zu sein, wurden beispielsweise mit der gewünschten magischen Wirkung auf das Opfer verbunden.17 Zugleich sind die Texte der defixiones an ihrer Funktion der Kommunikation mit göttlichen Mächten ausgerichtet und folgen daher zumeist dem Aufbau, dass ein defigens, d. h. ein Ausführender der defixio, eine göttliche oder dämonische Macht schriftlich beauftragt, ein Opfer anzugreifen.18 Zwei spezifische Formeln – die sich auch in den neutestamentlichen Schriften wiederfinden – wiederholen sich regelmäßig auf den antiken defixiones und wenden sich gewöhnlich an Gottheiten der Erde bzw. der Unterwelt wie z. B. Demeter, Persephone, Hekate, Hades oder Ge: (1) „Ich übergebe dir (Gottheit) den XY … (παραδίδωμί σοι)“ und (2) „(Gottheit/en), binde(t) bzw. binde(t) hinab XY an … (δήσατε καταδήσατε)“. Der Text dieser „Unterweltsbriefe“19 setzt sich folglich zumeist aus Anrede und Aufforderung zusammen, zudem „erinnert auch die rituelle Ablage der Bleitafel an den Einwurf einer Postsendung“.20 Wie im Folgenden aufzuzeigen sein wird, lassen die Texte des Neuen Testaments deutliche Parallelen zu den auf antiken defixiones verwendeten Bindeformeln erkennen. Diese Fluchformeln werden im Neuen Testament jedoch in einem anderen Kontext und vorwiegend mit einem gänzlich anderen Zweck verwendet. Dieser Aufsatz konzentriert sich auf Fluchformeln mit ἀνάθεμα κτλ., wie sie auf antiken Fluchtafeln wie auch im Neuen Testament zu finden sind:21 Zunächst werden sprachethische Aspekte der Verwendung von mit Fluch assoziierter Sprache im Vgl. Kropp 2008, 104 f. Vgl. Kropp 2004, 84. 16 Kropp 2004, 84. 17 Vgl. dfx, Nr. 8.3/1 (TheDefix 265): Quom]od i[l]e plubus podus hbet, sic et [E]udmus hbeat v[o]s iratos. Inter lavas [--‑]ate ia hostiat quam celerisimm[--‑]. 18 Vgl. Kropp 2009, 136. 19 So Preisendanz 1972, 7. 20 Kropp 2009, 136 f.; vgl. hier auch Versnel 2002. 21 Der folgende Teil des Beitrags ist eine erweiterte und überarbeitete Fassung des englischen Beitrags Luther 2022. 14 15
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Neuen Testament im Allgemeinen untersucht (1.). Dann konzentriert sich die Argumentation auf die spezifische Verwendung von ἀνάθεμα κτλ. im Kontext antiker Fluchtafeln (2.) und in den paulinischen Briefen, wo sowohl Formen der Rezeption (3.) als auch der Transformation (4.) erkennbar sind. Die Ergebnisse lassen Rückschlüsse auf die Verwendung frühchristlicher „Fluchformeln“ in ekklesiologischen und sakramentalen Kontexten sowie auf ihre Rolle als bestimmende Marker der frühchristlichen Identität gegenüber antiken magischen Praktiken zu. Die These sei – etwas provokativ formuliert – vorweg gestellt: Paulus verbietet das Fluchen nicht, er lehrt die Korinther vielmehr, wie man „christlich flucht“. Er rezipiert dabei einen, den Korinthern aller Wahrscheinlichkeit nach bekannten negativen Sprechakt der antiken Fluchpraxis, durch die ein Menschen verflucht und an eine Gottheit hinuntergebunden wird und transformiert diese in einen positiven Sprechakt, durch den ein Mensch in Christus hineingebunden werden kann.
1. „Fluchen“ unter sprachethischer Perspektive Fluchen wird gewöhnlich unter denjenigen Formen sprachlicher Kommunikation genannt, die in zwischenmenschlichen Situationen – auch unter Christusgläubigen – häufig Verwendung finden, die jedoch für Mitglieder der frühen christlichen Gemeinden nicht angemessen sind.22 Fluchen bzw. Verfluchen23 wird neben Lüge, falschem Zeugnis, Blasphemie, Zorn, Streit, Geschrei, Verleumdung, fauler oder schlechter Rede zu den in den christlichen Gemeinden unerwünschten Formen sprachethischen Verhaltens gezählt.24 So heißt es z. B. in Jak 3,8–10: „aber die Zunge kann kein Mensch zähmen, das unbeständige Böse, voller todbringenden Gifts. Mit ihr loben wir den Herrn und Vater, und mit ihr verfluchen (καταρώμεθα) wir die Menschen, die nach dem Abbild Gottes geschaffen sind. Aus demselben Mund kommen Lob und Fluch (κατάρα). Dies soll aber nicht so sein, meine Brüder“.25 Vielmehr sollen die Gläubigen wahrhaftig (z. B. λαλεῖτε ἀλήθειαν ἕκαστος μετὰ τοῦ πλησίον αὐτοῦ, Eph 4,25), glaubhaft (πιστὰς ἐν πᾶσιν, 1 Tim 3,11) sprechen, eben wie es sich für ihren Status gehört (λάλει ἃ πρέπει, Tit 2,1), sie sollen Vorbilder im Wort sein (τύπος γίνου τῶν πιστῶν ἐν λόγῳ, 1 Tim 4,12), ihr bloßes Vgl. Luther 2015, 12 f.187–246; zu gewalttätigen Sprechakten vgl. auch Niehaus 2009. Κακολογέω wird sowohl in der Bedeutung „fluchen“ (vgl. Mt 15,4 par.; vgl. Ex 21,17 u. ö.) als auch für „beschimpfen“ (vgl. Apg 19,9) oder „üble Nachrede“ (vgl. Mk 9,39) verwendet, vgl. Schneider 1938, 469 f.; vgl. zudem Luther 2015, 200 Anm. 79. 24 Vgl. z. B. Mt 15,19; Eph 4,25.29.31; 5,3 f.; Kol 3,8 f.; 1 Tim 6,3–5; 2 Tim 3,2–4; Tit 3,1 f.; 1 Petr 2,1; Jak 5,9; vgl. Luther 2015, 220 f.; vgl. auch Kropp 2009, 133–146, zu den sich in den defixiones spiegelnden Sprechakten (Drohungen, Verleumdungen, Zauberworte, Klagen) und deren Pragmatik. 25 Übersetzungen hier und im Folgenden soweit nicht anders gekennzeichnet durch Vf.in. 22 23
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Wort – ohne Bekräftigung durch Eid oder Schwur – soll ausreichend sein (ἐγὼ δὲ λέγω ὑμῖν μὴ ὀμόσαι ὅλως· […] ἔστω δὲ ὁ λόγος ὑμῶν ναὶ ναί, οὒ οὔ· τὸ δὲ περισσὸν τούτων ἐκ τοῦ πονηροῦ ἐστιν, Mt 5,33.37; vgl. Jak 5,12). Die neutestamentlichen Texte, insbesondere das Matthäusevangelium und der Jakobusbrief, zeigen eine deutliche Tendenz, inadäquate Sprache zu verurteilen und dem Verstoß gegen sprachethische Normen das eschatologische Gericht in Aussicht zu stellen. Die Sprachverwendung in der zwischenmenschlichen verbalen Kommunikation definierte die Identität der frühchristlichen Gemeinden, sprachethische Unterweisung im Sinne einer Kommunikation von Handlungsmaximen und Wertvorstellungen ermöglichte die Abgrenzung der Gruppe nach außen und diente der Festigung ihrer Identität.26 Angemessenes sprachliches Verhalten im alltäglichen Leben wird in den frühchristlichen Schriften als ein wichtiger Aspekt für die Gruppenzugehörigkeit präsentiert.27 Mit Blick auf die paulinischen Briefe wird deutlich, dass – wie in anderen neutestamentlichen Schriften – sprachethische Ermahnungen darauf abzielen, den Gebrauch von Fluchen und Fluchformeln zu verhindern. In Röm 12,14 ermahnt auch Paulus: „Segnet, die euch verfolgen, segnet sie und verflucht sie nicht“ (εὐλογεῖτε τοὺς διώκοντας [ὑμᾶς], εὐλογεῖτε καὶ μὴ καταρᾶσθε). Gegenüber dieser theoretischen Weisung, die das Verfluchen unterbindet, lassen die Paulusbriefe jedoch erkennen, dass Fluch und Verfluchung Paulus vertraut sind und sogar in seinen Gemeinden praktiziert werden. So kennt Paulus die Vorstellung, dass Menschen in die Hände eines Gottes oder eines Dämons übergeben werden: In 1 Kor 5,5 schlägt der Apostel vor, dass der Sünder aus der Gemeinde ausgeschlossen wird, indem er durch die Gemeinde, „im Namen des Herrn Jesus Christus“28 (ἐν τῷ ὀνόματι τοῦ κυρίου [ἡμῶν] Ἰησοῦ) dem Satan übergeben wird (παραδοῦναι […] τῷ σατανᾷ|) zum Verderben des Fleisches (εἰς ὄλεθρον τῆς σαρκός),29 aber natürlich mit dem 26 Vgl.
hierzu Stratton 2007. Luther 2015, 231 f.246. 28 Den Bezug zwischen der Formel und παραδοῦναι erkennt auch Wolff 2011, 102: „,Im Namen‘ bedeutet häufig: ,unter Anrufung des Namens‘; z. B. segnet (2. Sam 6,18; Ps. LXX 128,8) oder flucht (2. Kön 2,24) man im Namen Gottes, d. h. man ruft Gott an und ist seiner Gegenwart und damit seines Handelns gewiß“. 29 Vgl. dazu Dochhorn 2016, 127–151: Dochhorn interpretiert diese Handlung in Bezug „zur kirchlichen und göttlichen Gerichtsbarkeit“ (129), mit der Intention, den Sünder durch „einen gemeindlichen Rechtsakt“ (130) aus der Gemeinde zu entfernen: „In 5,12–13a ist deutlich von einem ,Richten‘ (κρίνειν) der Gemeinde die Rede. Dieses Richten läuft auf den Ausschluß des Inzestsünders aus der Gemeinde hinaus (5,2.13b). Von diesem aber heißt es auch, daß er dem Satan übergeben werden sollte (5,5). Ein Unterschied zwischen beiden Aktionen wird nicht erkennbar, und so legt sich die Annahme nahe, daß der Ausschluß aus der Gemeinde und die Übergabe an den Satan ein‑ und dasselbe sind“ (130). Satan wird in Analogie zum ὀλεθρεύων (Ex 12,23) der Passahtradition gelesen, doch agiert der Satan in diesem Kontext als Vertreter Gottes, denn „er agiert hier erkennbar im Rahmen eines von Gott gesetzten Geschehens. Durch ihn wird das Gemeindegericht, das in 1. Kor 5,12–13 mit dem Gottesgericht parallelisiert wird, faktisch wirksam“ (149); vgl. auch Smith 2008. 27 Vgl.
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Ziel, dass er am Tag des Herrn gerettet werde (ἵνα τὸ πνεῦμα σωθῇ ἐν τῇ ἡμέρᾳ τοῦ κυρίου).30 Bereits Adolf Deissmann hat darauf hingewiesen, dass hier eine Anspielung auf die antike Fluchpraxis vorliegt und der Satan statt der in der antiken Umwelt üblichen paganen Unterweltgottheiten benannt wird.31 Auffällig ist in diesem Zusammenhang, dass Paulus diese Art des Umgangs mit der Situation nicht kritisiert oder wenigstens problematisiert. Vielmehr empfiehlt er eine der antiken paganen Fluchpraxis sehr nahestehende Vorgehensweise bei ethischem Fehlverhalten in der Gemeinde und zeigt an, wie dadurch die Grenzen des ethischen Verhaltens in der korinthischen Gemeinschaft zu markieren sind. Diese Beispiele zeigen eine bemerkenswerte Diskrepanz zwischen der Ablehnung und den Formen der Rezeption von Fluchtraditionen, die besonders in den paulinischen Schriften auffällig ist. Einerseits kritisiert und verbietet Paulus das Fluchen und betrachtet es als ein Verhalten, das nicht denen entspricht, die den Geist Gottes besitzen (Röm 12,14; vgl. auch 1 Kor 12,3), andererseits deuten die Texte darauf hin, dass er und seine Gemeinden Elemente der antiken Praxis des Fluchens in ihrem Alltag und ihrer Sprache aufgegriffen haben (1 Kor 5,5; vgl. auch Gal 1,8 f.; 1 Kor 12,2 f.; 16,21 f.). Dies scheint darauf hinzudeuten, dass Paulus das Fluchen nicht generell verurteilt. Die im Folgenden darzulegende These erwächst aus dieser Diskrepanz: Während die Rezeption der Fluchtradition aus dem heidnischen Kontext in den paulinischen Briefen ersichtlich ist, gibt es auch Hinweise auf eine Transformation der Tradition im Sinne positiver Formen von „Bindungszaubern“, die für die Verwendung innerhalb der paulinischen Gemeinden gedacht sind. Während Paulus z. B. die Tradition der „Verfluchung“ und Bindung eines Menschen hinunter an eine Unterweltgottheit rezipiert (1 Kor 5,5), zeigen seine Schriften auch, dass er diese Tradition in einen positiven Sprechakt transformiert, in einen „Bindezauber“, durch den ein Mensch in Christus hineingebunden wird (1 Kor 12,2 f.). Diese These wird im Folgenden beispielhaft anhand der Fluchformel ἀνάθεμα diskutiert.
30 Es ist unklar, ob sich die Wendung „im Namen des Herrn Jesus Christus“ auf das Versammeln bezieht oder auf den Akt des Übergebens, vgl. Thiselton 2000, 393 f. 31 Vgl. Deissmann 1910, 303 f.; vgl. zudem den Hinweis auf die antiken Zauberpapyri bei Collins 1980, 255; sowie Smith 2008, 118; eine Interpretation des Textes unter dieser Perspektive bietet Peter Busch, „Christlich korrekt verfluchen in Korinth: 1 Kor 5 und die ,Gebete um Gerechtigkeit‘“ in diesem Band. Schottroff 2013, übersetzt „Ihr sollt diesen Mann dem Satan übergeben, so dass er sein Leben ohne den Schutz der Gemeinde führen muss.“ (80). Und weiter: „Über Vermutungen ist nicht hinauszukommen, was das heißt“, sie nennt dann v. a. Lev 20,11 (Hinrichtung), Jub 33 (Steinigung), Sanhedrin 7,4 (Steinigung) (85); im Kontext des Judentums gelesen ist dem nicht zu widersprechen, vor dem Hintergrund der antiken Fluchtafeln könnte sich eine andere Bedeutung dieses Verses herauskristallisieren.
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2. Die Verwendung von ἀνάθεμα κτλ. auf antiken defixiones Im Folgenden soll der Fokus auf der von Paulus wiederholt verwendeten Fluchformel ἀνάθεμα liegen. Das Lexem ἀνάθεμα bzw. ἀνάθημα bedeutet zunächst „etwas der Gottheit Hingestelltes, Anheimgegebenes“, im klassischen Griechisch vor allem „die ihr [der Gottheit] gewidmete (im Tempel aufgestellte) Weihegabe“32 – in dieser Bedeutung findet sich der Begriff z. B. in Lk 23,5, aber auch wiederholt auf antiken Fluchtafeln.33 In der LXX und in der frühjüdischen Literatur steht das Lexem vorwiegend für ( חרםḥrm) und bezeichnet „etwas dem Zorn der Gottheit Ausgeliefertes, der Vertilgung Geweihtes, dem Fluche Verfallenes“,34 ἀναθεματίζω bezeichnet das Sprachhandeln, durch das etwas mit dem ἀνάθεμα belegt bzw. verflucht wird.35 Der neutestamentliche Gebrauch orientiert sich an der Verwendung der LXX,36 wo ἀνάθεμα κτλ. eine negative Konnotation im Sinne eines Fluches oder einer selbstverfluchenden oder selbstbindenden Handlung hat, die oft dazu dient, die eigenen Worte zu verstärken (vgl. Mk 14,71; Apg 23,12.14.21; Röm 9,3). In diesem Sinne findet sie sich auch im Kontext antiker defixiones, wo die Formel ἀνάθεμα z. B. auf einer Fluchtafel aus dem 1. oder 2. Jh. n. Chr. aus Megara dokumentiert ist; ἀναθεματίζω wird in diesem Text zweimal verwendet und ἀνάθεμα findet sich am Ende, jeweils mit der Bedeutung „Fluchen“ oder „Fluch“:37 ζωαφερ τὸν θαλασσσημον σεκ ντηαπαφονοχαι παιδικὸν Πανα [ίτι]ον ἐγν̣αμμένον κεχαιαμ [. . κα]ταγράφομεν τοὺς εκαιπην . . . . ει τους αὐτὰ καὶ ἀναθεματίζ[ο μ]εν αὐτοὺς. Ἀλθαία Κόρη ὀρεο[β αζ]αγρα Ἑκάτη ἀκρουροβορη Σελή [νη]. ιθιβι . . μη . τούτους ἀναθεμα [τι]ζομεν· σῶμα πνεῦμα ψ[υ]χὴν [δι]άνοιαν φρόνησιν αἴσθησιν ζοὴν [καρδ]ίαν λόγοις Ἑκατικίοις ὁρκίσμ[α σί]τε αβραικοις . . . . κον δ̣ίκαι τ . . . ους Γῆ Ἑκάτη . . . ους [κ]ελευόμενοι ὑπ[ὸ] τῶν ἱερῶν ὀνομ 32 Beide
Zitate aus Behm 1933, 356. dazu Berthelot 2014, 36–40, mit Hinweisen auf die Verwendung auf defixiones und in der antiken Literatur. 34 Vgl. Behm 1933, 356; vgl. auch Koch 2004, 161 f. 35 Vgl. Berthelot 2014, 40–46, zum Gebrauch in der LXX, bes. 46: „[I]n the Septuagint, ἀνάθεμα has to a great extent freed itself from its Greek meaning and has become a semantic neologism or a semantic Hebraism, that is, a Greek term with a meaning that so far existed only in its Hebrew counterpart“. In der frühjüdischen Literatur hingegen scheint sich vorwiegend die griechische Bedeutung fortgesetzt zuhaben (vgl. 46–50). 36 Vgl. Berthelot 2014, 50 f. 37 Zur Datierung vgl. Pardee 1995, 159. Fotopoulos 2014, 300, und Gager 1992, 183 f., datieren die Fluchtafel ins 2. Jh.; vgl. hier auch Deissmann 1901, 342. 33 Vgl.
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[ά]των αβραικωντε ὁρκισμάτων· τρίχας κεφαλὴν ἐνκέφαλον [πρόσ ω]πον ἀκοὰς ὀφρ[ῦς] μυκτῆρας οι . . . . . . προ σιαγόνας ὀδόντα[ς] . . . . . ψυχὴν στοναχεῖν ὑγεία[ν] . . . τον αἷμα σάρκας κατακάει[ν στον]αχεῖ ὃ πάσχοι καί . . . . . ἐπιορκίζω . . . . . . . καὶ τὴν [τ‑] ριώνυ[μο]ν Σε[λήνην . . .] καὶ α . . . σαι νύκτιον μέσον ὃταν τὸν [. . . σ] τρέφης καὶ τὰ θειάων περιπ . . . . ν οὐρανοδρόμε καρτερόχ[ειρ] θεωρητὲ κυανόπεπλε κα . . . . οπετ . . κατὰ γῆν καὶ κατὰ [θά] λασ(σ)αν ἡ Εἰνοδ[ία ?] ενωνπα[ρατί τ]ομεν τούτο[υς] τοὺς κατὰ . . . . . . . του α . . κηκου . . φανι . [κα τα]γρά[φ]ομεν [εἰς] κολάσε[ις . . .] καὶ [ποι]νὴν καὶ [τι]μ[ωρ]ί[αν] ες παρὰ . . . . . περὶ τῶν π . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . εχα τὸ σῶμα. Ἀνέθεμα. ZÔAPHER TON THALLASSOSÊMON SEKNTÊAPAPHONOCHAI the beloved child
Panaitios inscribed (here?) ECHAIPEN . . . We curse those EPAIPÊN . . . them and we anathematize them. Althaia, Kore, OREOBAZAGRA Hekate Moon who devours its tail . . . ITHIBI . . . we anathematize them – body, spirit, soul, mind, thought, feeling, life, heart – with Hekatean words and Hebrew oaths . . . Earth Hekate . . . commanded by the holy names and oaths of the Hebrews – hair, head, brain, face, ears, eyebrows, nostrils . . . jaws, teeth . . . so that their soul may sigh, their health may . . . , their blood (and) flesh may burn and (let) him/her sigh with what he/she suffers I invoke . . . also Moon, the triple-named, who (circulates?) in the middle of the night whenever the . . . walk about, who courses the heavens with a strong hand, the visible one with the dark-blue mantle . . . on land and sea, Einodia (?) . . . , we anathematize (?) them . . . and enroll them for punishments, pain and retribution . . . the body. Anathema.38
Auf einer weiteren Fluchtafel, die aus Amathous (Zypern) stammt und wahrscheinlich in das 3. Jh. n. Chr. datiert, findet sich die Form ἀνάθημα.39 Eine Gruppe von 13 defixiones aus Knidos (Kleinasien), die ins 2.–1. Jh. v. Chr. datieren, verwendet das Verb ἀνατίθημι.40 Hier handelt es sich um Tafeln, die wahrscheinlich im Hei38 Griechischer Text nach DT, Nr. 41 (TheDefix 225); Übersetzung nach Gager 1992, 183 f., Nr. 85. 39 Vgl. IKourion, Nr. 140 (Z. 37); vgl. DT, Nr. 35 (Z. 37) (TheDefix 393); Pardee 1995, 161, rechnet mit einer jüdischen oder vom Judentum beeinflussten Fluchformel, da im Text zudem die Worte ἀδωνεία und Ιαω vorkommen. 40 Vgl. Blümel 1992, 85; Texte Blümel 1992, Nr. 147–159; vgl. auch Pardee 1995, 161, die darauf hinweist, dass das Verb auf diesen Tafeln jedoch nur zweimal sicher belegt ist.
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ligtum der Damater und Kura öffentlich aufgehängt waren, denn die meisten sind an der oberen Seite mit Löchern versehen und enthalten die Weisung, gestohlenes oder verlorenes Gut zurückzugeben.41 Der Text auf dem verso eines der Fluch täfelchen lautet:42 [ἀνατίθη]μ ̣ι Ἁ[γ]εμόν[η] τὴν σπατάλην, ἣν ἀπώλεσα̣ [ἐν] [τοῖς κή]π̣οις τοῖς Ῥοδοκλεῦς, Δάματρι καὶ Κούραι καὶ θεοῖς [π]ᾶσ[ι] [καὶ πάσ]αις· ἀποδόντι μὲν [ὅ]σια καὶ ἐλεύθερα, κομισαμένοις τ[ὸ] [κόμισ]τρον, καὶ ἐμοὶ τῆι κομιζομένηι καὶ τῶι ἀποδιδόντι· [μὴ] [ἀπ]οδιδόντι δὲ Δάματρος καὶ Κούρας καὶ θεῶν τῶν π[α]‑ [ρὰ Δ]άματρι καὶ Κούρᾳ πάντων καὶ πασᾶν, καὶ εἴ που πρ[α]‑ θῆι, ἐνθύμιον ἔστω Δάματρος καὶ Κούρας· ἀνατίθημι δὲ κ[αὶ] [ὅτ]ωι πλέον ἐξέτεισα παρὰ τὸν σταθμὸν τὸν ὑπ’ ἐμοῦ ἐξῃτ[η]‑ μένον Δάματρι καὶ Κούραι· δέσποινα, ἐμοὶ δὲ ὅσια ἀνατίθημι Δάματρι καὶ Κόραι τὸν τὴ‑ ν οἰκία μου ἀκατάτατον ποιοῦτα καὶ αὐτὸ[ν] κα νῦν καὶ τὰ ἐείν[ο]υ πάντα· ἐμοὶ δὲ [ὅ]σια καὶ ἐλε[ύ]θε[ρ]α ᾖ πάτως. Agemone weiht das Armband, das sie in den ... des Rodokles verlor, Demeter, Kore und allen Göttern und Göttinnen; der Person, die dies zurückgibt, (sei) alles gesegnet und frei, sowie denjenigen, die sich um die Vergeltung kümmern und mir, die (das Armband) erhalte und demjenigen, der (dies) zurückgibt. Der Person, die es nicht zurückgibt, möge der Zorn Demeters, Kores und aller anderen Götter und Göttinnen um Demeter und Kore treffen, wenn er/sie es gestohlen hat. Ich weihe auch die von mir verlangte Person der Demeter und der Kore, wenn ich mehr für das/im Vergleich zum Gewicht bezahlt habe. Herrin, mir (soll alles) gesegnet (sein). Ich weihe denjenigen, der mein Haus durcheinanderbringt, 41 Es
ist umstritten, ob die Löcher anzeigen, dass die Tafeln an der Wand angebracht waren oder ob die Löcher vielmehr auf ein Durchstoßen des Schreibmaterials im Kontext des magischen Rituals hinweisen, vgl. Blümel 1992, 85. 42 Blümel 1992, 92–94, Nr. 150 (TheDefix 566); Text Blümel 1992, 93 (verso); Übersetzung nach S. Chiarini (TheDefix 566); vgl. Pardee 1995, 158–167, die das Lexem in antiken paganen und jüdischen Texten analysiert und folgert: „From the combined evidence it is clear that at some point the word ἀνάθεμα developed beyond its original meaning of ‘offering’ eventually to include the semantic field of cursing as well, that is, a ‘negative’ side. From the evidence it also seems reasonable to conjecture that this development took place within the Jewish milieu. [… T]he verb ἀνατίθημι which is used in the context of eliciting the aid of an underworld deity(‑ies) against one’s enemies, that is, with a negative meaning, is found only in several of the curse tablets from Cnidus […]. The Septuagint, however, knows the verb ἀνατίθημι only in the original, positive sense. And never is a negative meaning for the noun ἀνάθεμα, nor is the verb ἀναθεματίζω itself, found earlier than the occurrences in the Septuagint. Thus the occurrence of the term ἀνάθεμα in a negative sense outside of Judeo-Christian literature is rare and late (Megara, first-second centuries c.e.; Amathous, third century c.e.?), while the negative meaning for the verb ἀνατίθημι in both literatures is peculiar to a single site“ (167).
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Demeter und Kore, sowohl ihn als auch all seine Sachen. Mir (möge) jedenfalls alles gesegnet und frei (stehen).
In der Edition von Blümel wird ἀνατίθημι auf diesen Täfelchen mit „Ich deponiere … den Fluch gegen“ übersetzt.43 In der Literatur über die paulinischen Schriften wird immer wieder auf die Übereinstimmung zwischen der Verwendung der Terminologie durch Paulus und der Verwendung in der LXX und in der frühjüdischen Literatur hingewiesen. Diese traditionsgeschichtliche Verbindung ist sicherlich nicht zu vernachlässigen. Dennoch wird sich die folgende Argumentation ausschließlich auf die Bezüge zwischen den paulinischen Texten und den antiken Fluchtafeln konzentrieren, um zu prüfen, ob dieser spezifische Hintergrund in der griechisch-römischen Religionspraxis einen tieferen Einblick oder einen neuen Fokus für die Interpretation des paulinischen Textes geben kann.
3. Elemente der Rezeption: Fluchtraditionen in der paulinischen Korrespondenz Im Corpus Paulinum wird die ἀνάθεμα-Formel mehrfach verwendet: In Gal 1,8 f. ermahnt der Apostel seine Adressaten: „Aber auch wenn wir oder ein Engel aus dem Himmel [euch] ein anderes Evangelium verkündigten, als wir es euch verkündigt haben, der sei verflucht (ἀνάθεμα ἔστω). Wie wir gesagt haben, das sage ich nochmals: Wenn jemand euch ein anderes Evangelium verkündigt als ihr es empfangen habt, der sei verflucht (ἀνάθεμα ἔστω)“. Der erste Satz wird meist als Eventualis oder Irrealis betrachtet, der zweite als effektiver Realis.44 Es handelt sich hier um einen konditionalen Fluch, d. h. die Formel wird dazu benutzt, durch die Macht des angedrohten Fluches die Adressaten auf drastische Weise vor falscher Lehre zu warnen.45 Eine ähnliche Funktion kommt der Fluchformel im Zusammenhang des eigenhändigen Grußes des Paulus in 1 Kor 16,22 zu: „Wenn jemand den Herrn nicht liebt, der sei verflucht! (ἤτω ἀνάθεμα)“.46 Und Paulus fügt dem konditionalen Vgl. Blümel 1992, 94. Betz 1988, 111. 45 Vgl. Koch 2004, 162, der diese Sätze als „kasuistische Rechtssätze“ klassifiziert; grundsätzlich gelte: „Der Fluch ist quasi eine ultima ratio der Rechtsprechung, die von Gott die Wahrung der Rechtsordnung erwartet. Funktion solcher ultima ratio samt der mit ihr verbundenen Drohung dürfte zudem der Versuch sein, Konflikte erst gar nicht zum Austrag kommen zu lassen, sondern sie möglichst zu vermeiden, indem mit einem Fluch über jeden potentiellen Täter gedroht wird“ (163; vgl. zudem 168–171); vgl. auch Morland 1995, 239. In Hinsicht auf die konditionale Selbstverfluchung des Paulus vgl. auch Röm 9,3. 46 Vgl. hierzu Koch 2004, der sowohl in Gal 1,8 als auch in 1 Kor 16,22 von kasuistischen Rechtssätzen spricht, die angewendet werden, „wenn mit anderen Mitteln ein Rechtsbruch oder 43
44 Vgl.
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Fluch hier ohne Erklärung oder Übersetzung die aramäischen Worte μαράνα θά, hinzu. Normalerweise wird hier das Aramäische μαράνα θά als eine in der frühen Kirche gebräuchliche liturgische Formel gelesen,47 aber auch – wenn es als Element eines Fluches oder Bannes gelesen wird – als Bitte oder Gebet um Gerechtigkeit im eschatologischen Gericht.48 Die Tatsache, dass im paulinischen Text die Fluchformel mit diesen unübersetzten49 und für die korinthischen Adressaten möglicherweise unverständlichen aramäischen Wörtern kombiniert wird, verrät eine enge Parallele zu antiken Fluchtafeln. Wie John Fotopoulos unter Bezugnahme auf die defixiones dargelegt hat, lässt sich hier eine weitere Parallele aufzeigen: Die Verwendung von für die korinthischen Adressaten unverständlichen, fremdsprachigen Worten, barbara onomata, die häufig aus dem Hebräischen, Aramäischen, Koptischen oder anderen antiken Sprachen entnommen waren, für die jeweiligen Adressaten aber vor allem aufgrund ihres fremden Klangs eine magische Komponente vermittelten und nach antikem Verständnis als machtvolle Worte galten, die nur den Göttern verständlich waren, an die sie sich richteten.50 Im 1. Jh. n. Chr. wurden diese voces mysticae häufig auf paganen defixiones, auf Amuletten und magischen Papyri verwendet. Der Gebrauch der aramäischen Worte μαράνα θά durch Paulus verweist deutlich auf die Rezeption dieses Elements der antiken Fluchpraxis, die sich direkt an die Götter richtet, die den Fluch zu vollstrecken haben.51 Daher bleibt Paulus’ Verwendung von Fluchformeln in diesen Beispielen innerhalb des in der Antike üblichen Gebrauchs; die bedingten Flüche richten sich gegen diejenigen, die der Wahrheit des Evangeliums, das er predigt, widersprechen, und gegen diejenigen, die versuchen, die frühen christlichen Gemeinschaften zu korrumpieren. Sie dienen der Untermauerung seiner brieflichen Argumentation auch nur ein Fehlverhalten nicht verhindert bzw. nicht sanktioniert werden könnte“ (162 f.; vgl. auch 165–167.168–171). 47 Vgl. Bornkamm 1952, 124; vgl. auch Kuhn 1942, 473, der folgert: „Der sprachliche Befund ergibt so drei Deutungen von μαραναθά als gleichermaßen möglich: 1. Den Gebetsruf Herr, komm! als Bitte um die Parusie, 2. Das Bekenntnis unser Herr ist gekommen (in die Welt der Niedrigkeit), 3. Die Aussage unser Herr ist jetzt da, ist gegenwärtig (nämlich im Gottesdienst, vor allem bei der Feier des Herrenmahls)“. 48 Zu einer Diskussion von Form, Komposition und Traditionen vgl. Schrage 2001, 464 f. 472 f. 49 In anderen Kontexten gibt Paulus eine Übersetzung bei, vgl. z. B. Röm 8,15; Gal 4,6, vgl. Klauck 1986, 358–359, der diese unübersetzten Worte ebenfalls im synkretistischen Kontext des frühen Christentums interpretiert. 50 Vgl. Fotopoulos 2014, 282–289.303–308: Der Begriff voces mysticae (βάρβαρα ὀνόματα) bezeichnet Beschwörungsformeln in unverständlichen oder frei erfundenen Sprachen, die im 1. Jh. n. Chr. häufiger Bestandteil von tabellae defixionum waren und der Kommunikation mit übernatürlichen Mächten dienten. Die Worte stammten häufig aus dem Hebräischen, Aramäischen oder Koptischen, wurden aber in griechischen Buchstaben, z. B. ΜΑΡΑΝΑ, ΜΑΡΧΑΧΘΑ, ΜΑΡΜΟΡΟΥΘ etc. geschrieben; vgl. auch Aune 1980, 1549–1551. 51 Vgl. Koch 2004, 166, der hervorhebt, dass die Kombination eines Briefschlusses mit einem Fluch anzeigt, dass „[d]er mit dem Gebetsruf herbeigerufene kommende Herr […] den Fluch am Verfluchten Wirklichkeit werden lassen [wird]“. Vgl. auch Aune 1987, 491–493.
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oder sind als Strategie der Konfliktprävention durch Abschreckung vor Fehlverhalten gedacht.52 Flüche werden auch als Warnung oder gar Verteidigung vor Gefahren von außen, von falschen Lehrern und Gegnern verwendet. Die paulinische Verwendung der Fluchformel ἀνάθεμα und ihr formelhafter Kontext zeigen daher eine Reihe von Parallelen zu geschriebenen und gesprochenen Flüchen in der griechisch-römischen Welt und setzen voraus, dass die Adressaten des Apostels mit der antiken Fluchpraxis vertraut waren;53 sie mögen sich sogar selbst daran beteiligt haben. Die Popularität der Fluchpraxis in der Welt der Adressaten des Paulus wird durch 38 Fluchtafeln – viele davon stammen aus dem 1. Jh. n. Chr. – unterstützt, die im antiken Korinth gefunden wurden.54
4. Elemente der Transformation: Eine paulinische Bindeformel in 1 Kor 12,3 Die m. E. zentrale Stelle, die nicht lediglich die Rezeption, sondern eine Transformation der antiken Fluchpraxis bei Paulus erkennen lässt, ist 1 Kor 12,2 f.: Ihr wisst, dass es euch, als ihr noch Heiden wart, mit unwiderstehlicher Gewalt zu den stummen Göttern (τὰ εἴδωλα τὰ ἄφωνα) zog. Darum lasse ich euch wissen: Keiner, der im Geist Gottes spricht, sagt: Verflucht sei Jesus!, und keiner vermag zu sagen: Herr ist Jesus!, es sei denn im heiligen Geist (οὐδεὶς ἐν πνεύματι θεοῦ λαλῶν λέγει· Ἀνάθεμα Ἰησοῦς, καὶ οὐδεὶς δύναται εἰπεῖν· Κύριος Ἰησοῦς, εἰ μὴ ἐν πνεύματι ἁγίῳ).55
Die Verse bieten eine Gegenüberstellung zweier formelhafter Aussagen, der Formel ἀνάθεμα Ἰησοῦς = „verflucht ist/sei Jesus!“ steht die Formel κύριος Ἰησοῦς = „Herr ist Jesus“ gegenüber, wobei nur derjenige, der nicht den Geist Gottes hat, Jesus verfluchen kann, nur aber wer den Geist hat, die κύριος-Formel aussprechen kann. Die Verwendung der Fluchformel auf Jesus hin wurde häufig als ein Kriterium gelesen, anhand dessen man die Zugehörigkeit oder Nicht-Zugehörigkeit eines Menschen zur christlichen Gemeinde erkennen kann, d. h. aufgrund dessen eine Unterscheidung möglich ist zwischen denjenigen, die im Besitz des Geistes sind,
52 „Die Flüche bei Paulus lassen sich von ihrer Funktion für die betroffene Gemeinschaft her als Strategien der Konfliktvermeidung interpretieren. Sie dienen dem Schutz der Gemeinschaft ebenso wie der Abschreckung ihrer Mitglieder vor potentiellem Fehlverhalten. Erst dann, wenn Flüche als Konfliktvermeidungsstrategien nicht greifen, müssten sie als Konfliktlösungen wirksam werden“, Koch 2004, 175. 53 Auch die Apostelgeschichte zeichnet Paulus in der Verwendung von Fluchformeln, vgl. Apg 13,6–12; vgl. dazu Fotopoulos 2014, 297 f. 54 Vgl. Fotopoulos 2014, 291 f. mit Anm. 74. 55 Ἐν ist hier nicht lokal, sondern instrumental zu verstehen, vgl. Schrage 2001, 123; Schottroff 2013, 241 f., verweist auf einen Kontext, in dem Christen Jesus verfluchten, den Kaiserkult, wie ihn Plinius erwähnt, vgl. epist. X 96; vgl. auch MartPol 9. Zur griechischen Fluch-Terminologie vgl. Speyer 1969, 1174 f.
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und denjenigen, die den Geist nicht haben.56 Es ist beachtenswert, dass Paulus hier nicht die Fluchformel an sich verbietet oder kritisiert. Dass die erste Formel einen Fluch darstellt, scheint vor dem Hintergrund der antiken defixiones deutlich, üblicherweise wird die Formel in der exegetischen Literatur übersetzt als „verflucht sei Jesus“ oder „Jesus ist ein Fluch“ – vielleicht auch in Anlehnung an Gal 3,13: Christus hat uns freigekauft vom Fluch des Gesetzes, indem er für uns zum Fluch geworden ist – denn es steht geschrieben: Verflucht ist jeder, der am Holz hängt (Χριστὸς ἡμᾶς ἐξηγόρασεν ἐκ τῆς κατάρας τοῦ νόμου γενόμενος ὑπὲρ ἡμῶν κατάρα, ὅτι γέγραπται· ἐπικατάρατος πᾶς ὁ κρεμάμενος ἐπὶ ξύλου).57
Diese Übersetzungen der Formel sind sicher angemessen, doch möchte ich hier noch eine weitere Übersetzungsmöglichkeit anführen: Bruce Winter hat die Formel unter Rückbindung an die antike Fluchpraxis neu interpretiert.58 Seine Übersetzung des ἀνάθεμα Ἰησοῦς lautet „Jesus [grants or gives] an anathema“, eine Übersetzung, die sich an antiken Fluchtafeln aus Korinth orientiert, die ebenfalls kein Verb aufweisen.59 In diesem Fall würde Jesus nicht als ein Mensch verflucht, sondern als derjenige Gott angerufen, der den Fluch bewirkt. Wenngleich Winters Übersetzung umstritten ist, da sich auf den von ihm herangezogenen korinthischen defixiones das Lexem ἀνάθημα nicht nachweisen lässt,60 so negiert dieser fehlende Beleg natürlich nicht grundsätzlich die Möglichkeit seiner Übersetzung der Formel, die vor dem Hintergrund der antiken defixiones durchaus plausibel erscheint. Ob nun aber angenommen wird, die antiken Hörer oder Leser des 1. Korintherbriefs, die mit der antiken Fluchpraxis vertraut waren, hätten die Formel in 1 Kor 12,3 auf diese Weise verstanden, dass Jesus einen Fluch – z. B. gegen die Gegner der Gemeinde – bewirken konnte, oder ob weiterhin die traditionelle Übersetzung vertreten wird, die ἀνάθεμα Ἰησοῦς als eine Verfluchung Jesu liest – es dürfte unbestritten sein, dass es sich bei der Formel um eine Fluchformel handelt. Wie ist unter dieser Perspektive die zweite Formel, κύριος Ἰησοῦς, zu lesen? Die Formel κύριος Ἰησοῦς wird in der exegetischen Literatur aufgrund ihrer Form und Pragmatik meist als Bekenntnis oder als liturgische Formel interpretiert.61 Doch wie ist 1 Kor 12,3 vor dem Hintergrund antiker defixiones zu lesen? Lässt sich der Text durch die Berücksichtigung der defixiones für eine neue Inter56 Vgl. Koch 2004, 165; vgl. auch die kritische Reflexion dieser Position bei Schrage 2001, 124 f. 57 Einen Überblick über die Positionen zur Auslegung dieser Passage bietet Carson 1987, 27–30; vgl. hier auch van Leeuwen 1941, 68–81. Vgl. auch Kim 2020, 53–85. 58 Vgl. Winter 2001, 174–176. 59 Vgl. Winter 2001, 177. Winter begründet seine Interpretation v. a. auch durch textkritische Überlegungen. 60 So Garland 2003, 569; in dessen Folge vgl. auch Fitzmyer 2008, 456, der argumentiert, dass sich auf den genannten defixiones die Formel ἀνάθεμα nicht findet. 61 Vgl. z. B. Koch 2004, 163–165, der von einer „Verfluchung als Gegenbekenntnis zum Christusbekenntnis“ (173) spricht, die einen Selbst-Ausschluss aus der Gemeinde bezeichnet, denn
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pretation öffnen? Welche Konnotationen mögen für diejenigen ersten Zuhörer, die mit der antiken Praxis des Fluchens vertraut waren, in der Formel κύριος Ἰησοῦς resoniert haben? Die oppositionelle Stellung der beiden Formeln in Paulus’ Argumentation zeigt m. E. an, dass in der κύριος Ἰησοῦς-Formel eine der Fluchformel analog formulierte und möglicherweise auch pragmatisch-funktionell analoge christliche Bindeformel vorliegt.62 Versteht man ἀνάθεμα Ἰησοῦς im Sinne eines Sprechakts, der Jesus zu einer Verfluchung auffordert, so mag der κύριος Ἰησοῦς-Formel durch den Akt des Aussprechens eine apotropäische oder protektive Funktion zukommen. Der Vergleichspunkt liegt hier also auf pragmatischer oder sprechakt-theoretischer Ebene, nicht auf einer semantischen oder strukturellen Vergleichbarkeit der beiden Formeln miteinander. Daher nun ein kurzer Blick auf die Formel und ihre Verwendung: Zunächst ist κύριος Ἰησοῦς ein Name und dieser Name wurde im frühen Christentum bereits als eine machtvolle Formel verwendet: In den synoptischen Evangelien finden sich Erzählungen, in welchen dem Namen Jesu im Rahmen von Wunderhandlungen der Jünger (vgl. Mt 7,22; Lk 10,17; Mk 16,17) oder jüdischer Exorzisten (vgl. Mk 9,38 f.; Lk 9,49) eine zentrale Rolle zukommt. In der Apostelgeschichte werden Heilungen und Exorzismen durch die Verwendung des Namens Jesu vollbracht (vgl. z. B. Apg 3,6.16; 4,7.10.30; 16,18).63 In Jak 5,14 wird auf die Praxis bzw. den frühchristlichen Ritus verwiesen, Heilungen durch den „Namen des Herrn“ durchzuführen.64 Der Name Jesu wurde als so mächtig angesehen, dass er in späteren Jahrhunderten auch auf apotropäischen Amuletten belegt ist.65 Selbst im Kon-
„Verfluchung und Kyriosbekenntnis schließen sich aus, das Kyriosbekenntnis ist aber konstitutiv für die Zugehörigkeit zur Gemeinde“ (174); vgl. zudem Fitzmyer 2008, 459. 62 Vgl. dazu auch van Unnik 1973, 115 f. 63 Vgl. Zimmermann 2017, 8–11; vgl. Harley 1999, 252 f. 64 Vgl. Aune 1980, 1545; vgl. auch in Bezug auf die Taufe Heitmüller 1903; Hartman 1974; Hartman 1997, 37–50. 65 Vgl. dazu Harley 1999, 245–257. Defixiones „commonly invoke a wide variety of Greek, Roman, and foreign deities or other supernatural beings, and these deities or supernatural beings could be classified as heavenly or chthonic. It was also stated that spells and curses commonly invoke the spirits of those who have died prematurely or by violence. It is interesting to note that the Lord Jesus who executes the curse in 1 Cor 16:22 has many of these same characteristics. Lord Jesus has characteristics of a chthonic deity since he died, was placed in a tomb, and experienced the realm of Hades in his death (descending εἰς τὴν ἄβυσσον, Rom 10:7, then being the ἀπαρχή of those who have died after his resurrection from the dead, 1 Cor 15:20). However, the Lord Jesus is also a heavenly deity, having origins from heaven ὁ πρῶτος ἄνθρωπος ἐκ γῆς χοϊκός, ὁ δεύτερος ἄνθρωπος ἐξ οὐρανοῦ, 1 Cor 15:47; cf. Phil 2:6) while also returning to heaven from where he will later arrive at his parousia […]. Moreover, Jesus died by violence through his crucifixion, while also dying prematurely by human standards. These are all characteristics of deities and other supernatural beings that are especially valued in curse tablets where they are invoked to come and execute curses“, Fotopoulos 2014, 307 f., vgl. Aune 1980, 1545.
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text der paganen Fluchpraxis wurde der Name rezipiert so z. B. auf der folgenden Fluchtafel: ὁρκίζω σε κατὰ τοῦ θεοῦ τῶν Ἑβραίων Ιησοῦ Ἰαβα Ιαη Ἀβραωθ.66 In der frühen christlichen Literatur zeichnet sich bereits in der Zeit der Kirchenväter eine Debatte über den Gebrauch des Namens Jesu in dieser Hinsicht ab, ab dem 2. Jh. n. Chr. wird der Name durch Referenzen auf Jesu Tod erweitert, offensichtlich um die Wirkmächtigkeit des Namens zu steigern.67 Der magischen Anrufung oder Verwendung der Namen von Göttern oder übernatürlichen Wesen lag die Annahme zugrunde, dass solche Namen an der Macht ihrer Träger teilhaben lassen; einen Namen in magischen Kontexten zu verwenden, bedeutete, in der Macht des Namensträgers zu handeln.68 Während in der Apostelgeschichte die bloße Nennung des Namens „Jesus Christus“ oder „Jesus Christus von Nazaret“ genügte, nahm der Umfang christlicher magischer Formeln mit der Zeit zu, so dass sie in späteren Manuskripten Erweiterungen erfuhren, z. B. als in nomine domini nostri Jesu Christi; in der Zeit Justins des Märtyrers wurde die Formel um „gekreuzigt unter Pontius Pilatus“ ergänzt und in die Taufliturgie eingeführt.69 Der Invokation Jesu durch die formelhafte Verwendung seines Namens wurde Macht über dämonische Mächte zugeschrieben. Wenngleich diese Entwicklung sich erst lange nach dem Entstehen der paulinischen Korrespondenz aufweisen lässt, treten ihre Anfänge doch bereits in den neutestamentlichen Texten und Traditionen zutage. Die bloße Namensformel κύριος Ἰησοῦς mag folglich auch in der Zeit der Entstehung der Korrespondenz zwischen Paulus und den Korinthern als machtvolle Formel verstanden worden sein. Welche Bedeutung hat der Name Jesu für Paulus? Paulus verbindet den Namen Jesu z. B. mit der Taufe: In 1 Kor 1,15 wird thematisiert, in wessen Namen die Korinther getauft wurden und in 1 Kor 6,11 schreibt Paulus: „Dies alles aber ist von euch abgewaschen, ihr seid geheiligt, ihr seid gerecht gemacht worden durch den Namen des Herrn Jesus Christus (ἐν τῷ ὀνόματι τοῦ κυρίου Ἰησοῦ Χριστοῦ) und durch den Geist unseres Gottes“. Der Name Jesu dient dazu, eine Person in die Gemeinschaft mit Gott einzubinden. Eine Parallele in der antiken Fluchpraxis zeigt sich darin, dass anhand der defixiones eine Person zumeist an eine Gottheit der Erde oder der Unterwelt „hinunter“ gebunden wird.70 Paulus benutzt folglich 66 Vgl.
Wünsch 1912, 6; P.Paris 3019. Harley 1999, 253, mit Verweis auf Iust. Mart., 2 apol. 6,6, sowie Apg 4,9 f. 68 Vgl. dazu Aune 1980, 1534: „The fundamental significance of the magical use of the names of divinities, supernatural beings or great men of the past is the supposition that such names share the being and participate in the power of their bearers; to possess a name is to possess power over the one who bears the name“. 69 Vgl. dazu ausführlich Aune 1980, 1547 f., mit Verweis auf Iust. Mart., dial. 30,3; 76,6; 85,2; Irenaeus, adv. haer. II 49,3; Orig., contra Celsum I 6; vgl. auch Harley 1999, 254, die diese Wirkmächtigkeit des Namens in der Wirkmächtigkeit der Darstellung der Kreuzigung auf frühchristlichen Gemmen und Amuletten weitergeführt sieht: „It is likely that the crucifixion gems functioned in a similarly formulaic way: instead of a verbal reference to his crucifixion, the artist delineates the event of the cross through imagery and the naming of the powerful one“. 70 Vgl. Fotopoulos 2014, 288. 67 Vgl.
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eine ähnliche Vorstellung, wenn er eine positive Bindeformel verwendet, um eine Person „an Christus“ zu binden. Definiert man Fluch als „das geäußerte, ausgesprochene oder aufgezeichnete, Wort, das kraft überirdischen Wirkungszusammenhangs durch sein Geäußertsein dem Unheil bringt, gegen den es sich richtet“,71 dann bedeutet dies, dass bereits das Aussprechen der Formel den Fluch bewirkt. Dies könnte ebenso für die paulinische Verwendung der Formel angenommen werden, die auf positive Weise eine Person im Namen Jesu bindet. Durch das Aussprechen des Namens Jesu – z. B., aber nicht nur, in der Taufe – wird eine positive „Bindung“ vollzogen. Für das Leben nach dieser ersten ,Bindung‘ verwendet Paulus die Metapher des „Seins in Christus“ (εἶναι ἐν Χριστῷ). Die Formel ist in den echten Paulusbriefen 64-mal belegt und 37-mal in der Form ἐν κυρίῳ. Diese räumliche Metapher ἐν Χριστῷ, die Paulus eng mit Taufe und dem Anfang der christlichen Existenz verbindet, erlaubt eine Interpretation, die die Person, über der der Name Jesu ausgesprochen wird und die dadurch „in Christus“ ist, als an ihn gebunden oder in ihn hineingebunden erachtet.72 Wird die κύριος Ἰησοῦς-Formel in 1 Kor 12,3 folglich als eine Art positive „Bindeformel“ gelesen, so wird deutlich, dass Paulus gegenüber der herkömmlichen Verwendung auf antiken defixiones die Richtung ändert: Während in der griechisch-römischen Fluchpraxis an eine Gottheit der Unterwelt „hinunter“ gebunden wurde, so bindet er die Person in Christus „hinein“ (oder sogar an Gott „hinauf “) und ersetzt damit die Unterwelt durch die göttliche Sphäre der christlichen Gottesvorstellung. Diese Vorstellung mag auch hinter 1 Kor 12,3 stehen – wer im Bereich des Geistes Gottes ist, sagt κύριος Ἰησοῦς anstatt ἀνάθεμα Ἰησοῦς. Er spricht nämlich ἐν πνεύματι ἁγίῳ. Dieser Aspekt der göttlichen determinierten Dimension, die durch eine Formulierung erwirkt wird, findet sich auch in der antiken Fluchpraxis. Im Corpus Paulinum wird dies zudem durch Röm 9,3 f. bestärkt, wo Paulus selbst ἀνάθεμα sein möchte ἀπὸ τοῦ Χριστοῦ, d. h. für ihn ist ἀνάθεμα gleichbedeutend mit Getrenntsein von Christus73 – die Gegenüberstellung der beiden Formeln in 1 Kor 12,3 zeigt also die beiden Extreme an: die Trennung von Christus und das Eingebundensein in Christus. Von dieser Perspektive aus mag man nun nochmals auf Winters Interpretation von 1 Kor 12,3a zurückblicken: Wird die Formel ἀνάθεμα Ἰησοῦς so interpretiert, dass Jesus als die Gottheit angerufen wird, die einen Fluch – z. B. gegen die Gegner der christlichen Gemeinde – gewährt, so wäre die von Paulus dagegen gesetzte κύριος Ἰησοῦς-Formel als eine positive Form der durch Jesus erwirkten Bindung zu verstehen. Büchsel 1933, 449; vgl. auch Kropp 2010, 373–378. dazu Morgan 2020, bes. 45–56; 127 f., die dem paulinischen ἐν Χριστῷ im 1 Kor eine ,encheiristische‘ Komponente zuerkennt im Sinne eines Seins ,in den Händen‘ bzw. ,in der Macht Christi‘. 73 Vgl. van Unnik 1973, 113–126. 71
72 Vgl.
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Wenn nun diese Beobachtungen plausibel sind, so können auch weitere formelhafte Wendungen, die den Namen des Herrn beinhalten, in diesem Licht gelesen werden, z. B. können die Grüße zu Anfang und Ende seiner Briefe über ihre Funktion als Wünsche, Gebete und Segen hinaus als ein machtvolles, positives „unter den Schutz Gottes Stellen“ und als enge Parallele zum paganen Abwehrzauber gewertet werden, die Menschen durch die geäußerte Formel im Rahmen des Sprechaktes an den Herrn und seinen Schutz binden. Regelmäßig wiederholten Formeln, wie z. B. Ἡ χάρις τοῦ κυρίου ἡμῶν Ἰησοῦ Χριστοῦ μετὰ τοῦ πνεύματος ὑμῶν (vgl. z. B. Gal 6,18; Phil 4,23; Röm 16,20; 1 Kor 16,23; 2 Kor 13,13; 1 Thess 5,28), könnte unter dieser Perspektive eine protektive, eventuell auch eine apotropäische Funktion in Analogie zum Bindezauber der antiken Fluchtradition zukommen.
5. Ergebnisse Was lässt sich also anhand dieser Beispiele über das Verhältnis der defixionum tabellae zum Neuen Testament sagen? Wie lassen sich die aufgezeigten literarischen und religiösen Berührungspunkte bewerten? In der paulinischen Literatur lässt sich ein ambivalentes Verhältnis zur antiken Fluchpraxis wahrnehmen: Einerseits grenzt sich Paulus von der antiken Fluchpraxis ab, indem er die Praxis des Verfluchens von Gegnern durch Mitglieder der Gemeinde kritisiert (Röm 12,14; 1 Kor 12,3), andererseits lässt sich an anderen Stellen die Einbettung des Paulus und seiner Adressaten in den antiken religiösen Kontext an der Rezeption der Fluchtraditionen erkennen (1 Kor 5,5; Gal 1,8 f.; 1 Kor 12,2 f.; 1 Kor 16,21 f.). Neben Elementen der Rezeption ist aber auch eine spezifische Tendenz zur Transformation antiker Fluchtraditionen auf religiöser und literarischer Ebene deutlich zu erkennen: So greift Paulus z. B. in 1 Kor 12,3 auf einen, den Korinthern aller Wahrscheinlichkeit nach bekannten negativen Sprechakt der antiken Fluchpraxis zurück, durch den ein Mensch verflucht und an eine Gottheit hinuntergebunden wird und transformiert diesen in einen positiven Sprechakt, durch den ein Mensch in Christus hineingebunden wird. In 1 Kor 5,5 verwandelt er die Verfluchung eines sich ethisch verfehlenden Gemeindeglieds in einen Akt des vorgezogenen gemeindlichen Gerichts, das den Sünder letztlich am Tag des Herrn retten soll. Auch hier wird die Fluchpraxis einer Transformation unterzogen. Was lehrt Paulus die Korinther also über das Sprechen von Flüchen? Paulus verbietet das Fluchen nicht. Vielmehr lehrt er die Korinther, wie man christlich flucht. Dies bedeutet nicht, dass er die als negativ bewertete Form des Fluchens bzw. Verfluchens durch die positive Form eines Segens ersetzt, sondern vielmehr, dass er dem christlichen Sprachrepertoire eine weitere Form der effektiven deklarativen Rede hinzufügt, eine positive Bindeformel, κύριος Ἰησοῦς.
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Verhext – verflucht – am Leib gezeichnet Aspekte von Magie im Galaterbrief ?
Konrad Huber Geht es um das Thema Fluch und Verfluchung, bietet sich im Neuen Testament der Galaterbrief als Untersuchungsgegenstand durchaus an. Die zweifache Verfluchung mit ἀνάθημα im Proömium bzw. Exordium (Gal 1,8.9) sticht schon zu Beginn des Briefes ins Auge. Und auch an späterer Stelle im Text ist prominent von „Fluch“ und „verflucht“ (κατάρα/ἐπικατάρατος) die Rede: der Fluch, unter dem all jene „aus Werken des Gesetzes“ stehen (Gal 3,10); Christus selbst zum Fluch geworden, um vom Fluch des Gesetzes freizukaufen (Gal 3,13).1 Von diesen augenscheinlichen Bezügen abgesehen, begegnen im Galaterbrief des Öfteren aber auch Motive und Termini, die in einem weiteren Sinn mit dem Themenfeld der Magie in Verbindung gebracht werden können oder zumindest nach einer derartigen Verbindung fragen lassen. Hans Dieter Betz bezeichnet in der Einleitung seines Kommentars den Galaterbrief gar als einen „magischen Brief “2. Das heißt natürlich nicht, dass der Galaterbrief einfachhin mit antiken Fluchtafeln, sog. defixiones, auf eine Stufe gestellt werden könnte: Allein schon der deutlich größere Umfang, die Form, die Kommunikationsstruktur und die durchgehend argumentative Gestalt des Galaterbriefs sprechen dagegen.3 Aber der von Betz angezeigte Gedanke einer gewissen funktionalen Analogie scheint mir dennoch reizvoll und erwägenswert zu sein. Das Adjektiv ἐπικατάρατος begegnet im Neuen Testament nur in Gal 3,10.13 im Zitat aus Dtn 27,26 bzw. Dtn 21,23 (dort κεκατηραμένος); das Substantiv außerdem auch in Hebr 6,8; Jak 3,10; 2 Petr 2,14. Bei Paulus, der Fluchtermini im Neuen Testament am häufigsten gebraucht, begegnen diese zu mehr als der Hälfte im Galaterbrief. Vgl. Morland 1995, 3. Wilson 2007, 30–44.118–125, versteht außerdem die Wendung ὑπὸ νόμον in Gal 3,23; 4,4.5.21; 5,18 (vgl. auch 5,23) als rhetorische Kurzform von ὑπὸ κατάραν τοῦ νόμου (vgl. Gal 3,10.13). 2 Vgl. Betz 1988, 69–72.109 f. Als „magischer Brief “ habe der Galaterbrief eine über die Funktion eines apologetischen Briefes hinausgehende zusätzliche Funktion. 3 Im Thesaurus Defixionum (TheDefix) wird für einzelne Fluchtafeln zwar „Briefform“ als Textmerkmal angegeben (TheDefix 118 [ed. DTA, Nr. 103]; TheDefix 182 [ed. SEG 34, Nr. 952]; TheDefix 579 [ed. DTA, Nr. 102]; TheDefix 769 [ed. dfx, Nr. 6.2/1]; TheDefix 1620 [ed. SEG 53, Nr. 256]), zumeist ist damit aber die im Text selbst gewählte Bezeichnung des Geschriebenen als ἐπιστολή gemeint (TheDefix 1620 [ed. SEG 53, Nr. 256] hat ἐπιστέλλω), ohne dass die typischen Elemente der Briefform erkennbar wären. Eine Ausnahme ist der als littera bezeichnete Text TheDefix 769 (ed. dfx, Nr. 6.2/1). Vgl. dazu auch Graf 1996, 118 f.241. Zum Briefcharakter auf der Ebene der materiellen Gestaltung vgl. z. B. TheDefix 742 (ed. DT, Nr. 96); TheDefix 743 (ed. DT, Nr. 97). 1
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Im Folgenden soll der Versuch unternommen werden, die beiden Themenfelder, den Galaterbrief auf der einen und antike Fluchtafeln, Magie und magische Rituale auf der anderen Seite, zusammenzudenken und unter der spezifischen Perspektive der defixionum tabellae und dahinterstehender Praktiken die Frage nach Aspekten von Magie im Galaterbrief zu stellen.4 Konkret werden dabei die drei zentralen Akteure der brieflichen Situation sowie Elemente ihrer Charakterisierung in den Blick genommen: (1) die von Paulus angeschriebenen Christinnen und Christen, (2) die Gegner des Paulus und (3) Paulus selbst.5 Am Ende soll (4) die Frage nach der Funktion des Galaterbriefs als magischer Brief, als ein Instrument mit magischer Wirkung, aufgegriffen werden.
1. Verhexte Galater? Paulus schreibt seinen Brief an die Galater in der offensichtlich berechtigten Sorge darum, dass sich die Christinnen und Christen in den Adressatengemeinden einem anderen als dem von Paulus selbst verkündigten Evangelium zuwenden (möchten). Die Tatsache des drohenden Abfalls, vor allem aber das Tempo überrascht und verwundert ihn (Gal 1,6) und macht sein Anliegen umso dringlicher. Es geht darum, diesen Prozess, den er massiv beeinflusst weiß von gegnerischen Gruppen, nach Möglichkeit noch aufzuhalten. Dabei ist Paulus überzeugt davon, dass die Galater nicht einfach aus sich heraus diesen Weg eingeschlagen haben bzw. einschlagen möchten. Schon im Proömium wird deutlich, dass eine bestimmte Personengruppe, dass „einige“ (τινές; Gal 1,7), die im Verlauf des Schreibens zunehmend als Gegner, als Konkurrenten des Paulus greifbar und stilisiert werden, massiv Einfluss auf sie genommen haben und aus Sicht des Paulus nicht nur das Evangelium selbst verfälschen, sondern damit konkret auch die Galater „verwirren“ (ταράσσω; Gal 1,7; vgl. 5,10) und in die Irre führen. Die Begrifflichkeit, die Paulus zur Charakterisierung des aktuellen Zustands, der konkreten Verfasstheit der Galater verschiedentlich gebraucht, macht dabei deutlich, dass für ihn hier nicht einfach nur überzeugende Argumente, ein allein rationales Geschehen also, im Spiel sind. Die Beeinflussung der Galater durch judaisierende Falschbrüder geht für Paulus darüber hinaus und betrifft – zumindest auch – eine andere Ebene. An zwei Stellen im Text lässt sich diese Vorstellung festmachen; an beiden Stellen ist sie in Frageform, als eine offene Anfrage zur persönlichen Selbsteinschätzung, formuliert. 4 Zu grundlegenden Aspekten und der Berechtigung eines derartigen Unternehmens vgl. den
Einleitungsartikel in diesem Band. Allgemeiner zu Aspekten von Magie im Galaterbrief vgl. z. B. Neyrey 1988; Elliott 2008. 5 Nach Bauer 2011, 382, ist „die Kommunikationssituation, in deren Kontext der Galaterbrief sowie seine Form und Funktion zu verstehen sind“, durch diese „Dreierkonstellation“ bestimmt.
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Die erste diesbezügliche Äußerung findet sich am Beginn von Kapitel 3, am Beginn der eigentlichen argumentatio bzw. probatio im Anschluss an den ausführlichen autobiographischen Abschnitt. Mit Gal 3,1 setzt Paulus mit einer direkten Anrede an die Galater neu ein6 und richtet an sie – gleichermaßen tadelnd wie appellierend – eine ironische Frage: „Ihr unvernünftigen Galater, wer hat euch verblendet?“, so die Einheitsübersetzung; oder mit der Lutherbibel: „Wer hat euch bezaubert …?“ (ὦ ἀνόητοι Γαλάται, τίς ὑμᾶς ἐβάσκανεν). Letztere, die Übersetzung der Lutherbibel, kommt dem griechischen Begriff, der hier gebraucht ist, deutlich näher als die Einheitsübersetzung. Das neutestamentliche Hapaxlegomenon βασ καίνω bedeutet nämlich „behexen, bezaubern, in den Bann schlagen“7 und hat ursprünglich einen explizit magischen Bezug, sehr häufig eng verbunden mit der Vorstellung vom „bösen Blick“.8 Während Hans Dieter Betz den rhetorischen Hintergrund des Begriffs betont und im übertragenen Sinn an einnehmende „sophistische[ ] Schachzüge“9 denkt, denen die Galater erliegen, ist das magische Element an dieser Stelle keineswegs zu vernachlässigen. „Was die Galater […] umschwenken läßt, ist für Paulus mehr als durch menschliche Überredungskunst verursacht“10. Das Vorhaben der Galater ist für ihn so unbegreiflich, dass er es sich nicht anders erklären kann, als dass sie im Bann außermenschlicher Kräfte, im Bann einer dämonischen Macht stehen, dass auf sie ein verderblicher Zauber ausgeübt ist, ohne dass sie es – wegen ihrer mangelnden Einsicht – bemerkt hätten, und das, obwohl ihnen doch Jesus Christus als Gekreuzigter vor Augen gestellt wurde (οἷς κατ᾽ ὀφθαλμοὺς Ἰησοῦς Χριστὸς προεγράφη ἐσταυρωμένος).11 Das Ganze steht 6 Eine namentliche Anrede der Adressaten findet sich bei Paulus äußerst selten (vgl. 2 Kor 6,11; Phil 4,15). 7 Vgl. Delling 1933, 595 f.: „Der ursprünglichere Wortsinn ist wohl […] jmd schädigen durch mißgünstige Worte“ (595). Die Vulgata übersetzt mit fascinavit. 8 Vgl. Betz 1988, 240, unter Verweis auf Plut., symp. 680C–683B. Vgl. auch Elliott 2008 (er nennt neben Gal 3,1 auch Gal 4,14 f. und weitere Hinweise im Text als Niederschlag dieser Vorstellung: „the particular vulnerability of the Galatians as newborn ,children‘ in Christ [4:19; 3:23–4:7) to the attack of the evil eye-possessors. […] the repeated stress on ,envy‘“ [229; vgl. 228 f.230]). R akoczy 1996, 217–226, wertet ein allgemeines Verständnis als „verzaubern“ bereits als Reduzierung, zumal in der Antike mit βασκαίνω unweigerlich eine Verbindung zum bösen Blick hergestellt werde. 9 Betz 1988, 241 (in Anm. 31 unter Verweis auf Martin Luther). 10 Mussner 1988, 206. Vgl. auch Delling 1933, 596; Schlier 1989, 119 („ein dämonischer Zwang“); Morland 1995, 146. Nach Bauer 2011, 231 f.253, spielt Paulus hier zudem mit einer konventionellen epistolaren Formel, zu der auch der Wunsch gehöre, von Behexung und Schadenzauber verschont zu bleiben. 11 Wenn als Gegenüber zum βασκαίνω in Gal 3,1 von κατ᾽ ὀφθαλμοὺς … προγράφειν („vor Augen schreiben“, „öffentlich darstellen“) die Rede ist, dann spiegelt das – neben dem visuellen Moment („Augen“; böser Blick) – möglicherweise den Aspekt des Schreibens zurück auf das Behexen und dessen konkrete Form (etwa durch Beschreiben von defixiones), lässt jedenfalls aber an einen Kontrast zu öffentlichem Agieren und Proklamieren denken (vgl. Schrenk 1933, 771 f.; Schlier 1989, 119 f.; Vouga 1998, 67). Den visuellen Aspekt von προγράφειν sieht Davis 1999, 205–212, an der Person und den Leiden des Paulus selbst realisiert (vgl. Gal 2,19–21); eine Verwendung konkreter Bilder des Gekreuzigten zu apotropäischen Zwecken (197 f.) weist Davis
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als Frage im Raum; der oder die Akteur/e dahinter bleiben ungenannt; der polemische Vorwurf der Zauberei und Verbindung mit Dämonen oder Satan schwingt aber mit (vgl. 2 Kor 11,3.13–15). Jedenfalls gilt es für Paulus, gegen diese Behexung, diesen Bann, diesen Fluch – so es denn tatsächlich etwas dieser Art ist – mit allen Mitteln anzugehen.12 Über die allgemeine Ebene der Magie und magischer Praktiken und über den konkreten Konnex zur Vorstellung vom bösen Blick hinaus könnte hier gegebenenfalls auch ein Bezug zu den Fluchtafeln hergestellt werden. Fluchtafeln kommen ja insbesondere dann zum Einsatz, wenn es gilt, eine noch offene Konkurrenzsituation zu beeinflussen.13 Das Wort βασκαίνω allerdings ist in den bislang bekannten Fluchtafeltexten nicht belegt. Das muss nicht unbedingt überraschen und hängt wohl auch damit zusammen, dass der Begriff ja eigentlich einen Sachverhalt bzw. Zustand benennt, der durch entsprechende Texte, Medien und Praktiken erreicht werden soll. Das Mittel, durch das die Behexung vorgenommen wird, ist damit nicht konkret bezeichnet. Und umgekehrt sind damit magische Mittel aller Art, einschließlich auch des Einsatzes von Fluchtafeln, nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Nach Theokrit schützt vor dem βασκαίνω übrigens ein dreimaliges Ausspucken, ein gleichfalls magisches Ritual also, als eine Art apotropäischer Gegenzauber.14 Unter dieser Rücksicht ist das bei Theokrit gebrauchte Verbum ἐκπτύω dann ebenfalls von Interesse, auch deshalb, weil dieses Kompositum in der gesamten Bibel nur im Galaterbrief begegnet, und zwar in Gal 4,14 in einem Kontext, den es an späterer Stelle noch aufzugreifen gilt.15 Lässt sich die Äußerung in Gal 3,1 nur sehr indirekt mit der Vorstellungs‑ und Ausdruckswelt antiker Fluchtafeln in Verbindung bringen, so scheint ein solcher Bezug und damit die Annahme einer magischen Beeinflussung der angeschriebenen Galater an der zweiten Stelle schon viel deutlicher gegeben zu sein. Die Rede ist von Gal 5,7, ein Vers im Rahmen des die argumentatio abschließenden Appells an die Galater.16 Auch hier geht es um eine Einschätzung des Paulus über die aktuelle Situation seiner Adressaten. Das Bildfeld des Wettkampfs tritt dabei in den Blick.17 ebenso zurück wie affirmative Bezüge zu Mysterienkulten (199–202). Für eine soziologische und anthropologische Perspektive vgl. Neyrey 1988, 72–100. 12 Neben inhaltlichen Aspekten (Argumentation, Fluch, Beschwörung etc.) kann auch der Brief selbst als ein solches Mittel verstanden werden. 13 Vgl. Graf 1996, 139; Tremel 2004, 22; Versnel 2009, 12. 14 Theokr. 6,39: ὡς μὴ βασκανθῶ δὲ τρὶς εἰς ἐμὸν ἔπτυσα κόλπον/„Um nicht dem bösen Blick zu verfallen, habe ich dreimal in meinen Gewandbausch gespuckt“ (Text und Übersetzung: Effe 2013, 56 f.). Vgl. auch Theokr. 20,11; Theophr., char. 16,14; Plin., nat. 28,35–39; Lukian., Apologia 6; Lukian., Navigium 15. 15 Das Verbum simplex πτύω findet sich in Num 12,14; Sir 28,12 und einschlägig in Mk 7,33; 8,23; Joh 9,6. 16 Nach Betz 1988, 433.435, ist Gal 5,1–12 ein erster Teil der den Brief abschließenden exhortatio. 17 Zum Agon-Motiv vgl. auch 1 Thess 2,1 f.19; 1 Kor 9,24–27; Phil 1,27–30; 2,16; 3,14; 4,1.3; Gal 2,2; Röm 9,16; 2 Thess 3,1; u. a. Vgl. Poplutz 2004; Brändl 2006.
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Der Glaubensweg der Galater, ihr Weg in der Wahrheit des Evangeliums, wird als ein Laufen beschrieben (vgl. Gal 2,2.14), und dieses ihr bisher so kontinuierliches und konsequentes Laufen (Imperfekt: ἐτρέχετε) wird von Paulus lobend hervorgehoben und als „gut“ (καλῶς) bezeichnet. Bisher haben sie sich durch nichts aufhalten lassen, doch jetzt sind sie offensichtlich am Weiterlaufen gehindert. Die Frageform lässt auch an dieser Stelle letztlich offen, wer für diesen Umstand verantwortlich ist, obwohl Paulus die Ursache mit Sicherheit kennt und durchaus auch konkret benennen könnte. Der unmittelbare Kontext mag auch für Gal 5,7 nahelegen, dass es um eine rein intellektuelle Einflussnahme geht, wenn am Ende des Verses das Bild verlassen wird und von einem Hindern, weiter der Wahrheit zu folgen, die Rede ist (τίς ὑμᾶς ἐνέκοψεν τῇ ἀληθείᾳ μὴ πείθεσθαι;). Zugleich bringt die Frageform erneut die Verwunderung des Paulus zum Ausdruck und legt nahe, dass in seinen Augen letztlich wieder etwas völlig Irrationales geschieht. Vor dem Hintergrund potenziell magischer Züge schon in Gal 3,1 ist die Frage, wer die Galater mitten im Lauf hemmt und sie am Weiterlaufen hindert, jedenfalls nicht einfachhin und einzig auf die judaisierenden Falschbrüder zuzuspitzen. Genauso gut kann auch hier an dämonische Kräfte gedacht sein oder – mit Blick auf die Verwendung des Verbums ἐγκόπτειν sonst bei Paulus – sogar an den Satan selbst.18 In 1 Thess 2,18 etwa weiß sich Paulus vom Satan gehindert, die Gemeinde in Thessalonich zu besuchen: „Deshalb wollten wir zu euch kommen, ich, Paulus, einmal und zweimal, und gehindert hat uns der Satan“ (διότι ἠθελήσαμεν ἐλθεῖν πρὸς ὑμᾶς, ἐγὼ μὲν Παῦλος καὶ ἅπαξ καὶ δίς, καὶ ἐνέκοψεν ἡμᾶς ὁ σατανᾶς; vgl. Röm 15,22; 1 Kor 9,12). Der Blick auf antike Fluchtafeltexte, insbesondere solche, die auf die Situation von Wettkämpfen Bezug nehmen, trägt dazu bei, spezifisch magische Züge mit zu veranschlagen. Hemmung des Laufes von Konkurrenten ist ein Topos derartiger Wettkampfflüche (defixiones agonisticae)19 und begegnet zumeist im Zusammenhang von Wagenrennen und bezogen auf die Pferde gegnerischer Wagen und ihre Lenker. Dabei begegnet typischerweise auch das Verbum ἐγκόπτειν, das in den einschlägigen Textausgaben zumeist aber nicht mit „hindern“ übersetzt wird, sondern mit „zerlegen“ wiedergegeben ist. Um nur eines von zahlreichen Beispielen zu nennen, sei auf den Text auf einem Bleitäfelchen aus Karthago aus dem 2. bis 3. Jahrhundert n. Chr. verwiesen. Dort steht unter anderem zu lesen:20
18 Vgl. Schlier 1989, 235; Mussner 1988, 355; Betz 1988, 452. Auch der anschließende Vers Gal 5,8 legt ein widergöttliches Gegenüber als Ursache der Überredung (πεισμονή) nahe (vgl. auch Gal 5,10). Bauer 2011, 332 f., sieht in Gal 5,7 keinen Hinweis auf magische Praktiken. Poplutz 2004, 342, weist den Bezug auf Satan zurück und spricht von „einer mutwilligen Aktion von Mitlaufenden“, die die Galater „aus der Bahn geworfen“ (346) hat. 19 Vgl. insgesamt dazu Tremel 2004. 20 TheDefix 53 (ed. DT, Nr. 234), Z. 1.13–15.41–47; Übersetzung: Tremel, Nr. 53 (Kursivsetzung K. H.).
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1 Ἐξορκίζω
σε ὅστις ποτ᾽ οὖν εἶ, νεκυδαίμων ἄωρε, […] ἵνα καταδήσης τοὺς ἵππους τοῦ οὐενέτου καὶ τοῦ συνζύγ[ου […] 13 […] κατά‑